Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg. Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Dritter Theil. Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg. Von Theodor Fontane. Berlin. Verlag von Wilhelm Hertz. (Bessersche Buchhandlung.) 1873. Havelland. Grüß Gott Dich, Heimath! … Nach langem Säumen In Deinem Schatten wieder zu träumen, Erfüllt in dieser Maienlust Eine tiefe Sehnsucht mir die Brust. Ade nun Bilder der letzten Jahre, Ihr Ufer der Somme, der Seine, Loire, Nach Krieges- und fremder Wässer Lauf Nimm, heimische Havel, mich wieder auf. Es spiegeln sich in Deinem Strome Wahrzeichen, Burgen, Schlösser, Dome: Der Julius-Thurm , den Märchen und Sagen Bis Römerzeiten rückwärts tragen, Das Schildhorn , wo, bezwungen im Streite, Fürst Jazko dem Christengott sich weihte, Der Harlunger Berg , deß oberste Stelle Weitschauend trug unsre erste Kapelle, Das Plauer Schloß , wo fröstelnd am Morgen Hans Quitzow steckte, im Röhricht verborgen, Die Pfaueninsel , in deren Dunkel Rubinglas glühte Johannes Kunkel, Schloß Babelsberg und „ Schlößchen Tegel ,“ Nymphäen, Schwäne, blinkende Segel, — Ob rothe Ziegel, ob steinernes Grau, Du verklärst es, Havel, in Deinem Blau. Und schönest Du alles, was alte Zeiten Und neue an Deinem Bande reihten, Wie schön erst, was fürsorglich längst Mit liebendem Arme Du umfängst. Jetzt Wasser, drauf Elsenbüsche schwanken, Lücher, Brücher, Horste, Lanken, Nun kommt die Sonne, nun kommt der Mai, Mit der Wasser-Herrschaft ist es vorbei. Wo Sumpf und Lache jüngst gebrodelt, Ist alles in Teppich umgemodelt, — Ein Riesenteppich, blumengeziert, Viele Meilen im Geviert. Tausendschönchen, gelbe Ranunkel, Zittergräser, hell und dunkel, Und mitteninne (wie das lacht!) Des rothen Ampfers leuchtende Pracht. Ziehbrunnen über die Wiese zerstreut, Trog um Trog zu trinken beut, Und zwischen den Trögen und den Halmen, Unter nährendem Käuen und Zermalmen, Die stille Heerde; … das Glöcklein klingt, Ein Luftzug das Läuten herüberbringt. Und an dieses Teppichs blühendem Saum Die lachenden Dörfer, ich zähle sie kaum: Linow, Lindow, Rhinow, Glindow, Beetz und Gatow, Dreetz und Flatow, Bamme, Damme, Kriele, Krielow, Petzow, Retzow, Ferch am Schwilow, Zachow, Wachow und Groß-Bähnitz, Marquardt-Uetz an Wublitz-Schlänitz, Senzke, Lenzke und Marzahne, Lietzow, Tietzow und Rekahne, Und zum Schluß in dem leuchtenden Kranz: Ketzin, Ketzür und Vehlefanz. Und an Deinen Ufern und an Deinen Seen, Was, stille Havel, sahst all Du geschehn ?! Aus der Tiefe herauf die Unken klingen, — Hunderttausend Wenden hier untergingen; In Lüften ein Lärmen, ein Bellen, ein Jagen, „Das ist Waldemar“, sie flüstern und sagen; Im Torfmoor, neben dem Cremmer Damme, (Wo Hohenloh fiel) was will die Flamme? Ist’s blos ein Irrlicht? … Nun klärt sich das Wetter, Sonnenschein, Trompetengeschmetter, Derfflinger greift an, die Schweden fliehn, Grüß Gott Dich Tag von Fehrbellin . Grüß Gott Dich Tag, Du Preußen-Wiege, Geburtstag und Ahnherr unsrer Siege, Und Gruß Dir , wo die Wiege stand , Geliebte Heimath, Havelland! Potsdam im Mai 1872. Inhalt . Seite St. Nicolai zu Spandau 1 Die Wenden in der Mark 5 Geographisch-Historisches 5 Lebensweise. Sitten. Tracht 13 Charakter. Begabung. Cultus 19 Rhetra. Arkona. „Was ward aus den Wenden?“ 25 Der Brieselang 35 Finkenkrug 37 Försterei Brieselang 46 Die Königseiche 51 Der Eibenbaum 55 Die Cistercienser in der Mark 65 Kloster Lehnin 73 Die Gründung des Klosters 73 Die Aebte von Lehnin 76 Abt Siebold von 1180—1190 80 Abt Herrmann von 1330—1340 85 Abt Heinrich Stich (etwa von 1399—1430) 91 Abt Arnold. (Etwa von 1456—1467) 95 Abt Valentin. (Etwa von 1509—1542) 98 Kloster Lehnin, wie es war und wie es ist 104 Die Lehninsche Weissagung 110 Die Havelschwäne 121 Die Seeschlacht in der Malche 129 Das Belved è re 137 Die Pfaueninsel 144 Die Pfaueninsel bis 1685 144 Die Pfaueninsel von 1685—93. Johann Kunkel 145 Die Pfaueninsel unter Friedrich Wihlhelm III. 1797—1840 148 Die Pfaueninsel 15. Juli 1852 151 Frau Friedrich 155 Groß-Glinicke 160 Seite Der Schwilow 163 Caput 169 Petzow 184 Baumgartenbrück 192 Alt-Geltow 197 Neu-Geltow 208 Werder 217 Die Insel und ihre Bevölkerung. Stadt und Kirche. „Christus als Apotheker.“ 217 Die Werderschen 225 Glindow 237 Bornstädt 247 Marquardt 256 Marquardt von 1795—1803 259 Marquardt von 1803—1833 277 Marquardt von 1833—1858 284 Marquardt seit 1858 288 Geheime Gesellschaften im 18. Jahrhundert 292 Illuminaten und Rosenkreuzer 305 Uetz 318 Paretz 323 Etzin 342 Gütergotz 353 Saarmund und die Nutheburgen 363 Blankensee 370 Trebbin 379 Friedrichsfelde 1 398 Friedrichsfelde bis 1698 399 Friedrichsfelde von 1700—1731 401 Friedrichsfelde von 1731—62 403 Friedrichsfelde von 1762—85 405 Friedrichsfelde von 1785—99 407 Friedrichsfelde von 1800—1810 412 Friedrichsfelde von 1812—16 415 Friedrichsfelde seit 1816 418 Friedrichsfelde 2. Ernst Gottlieb Woltersdorf 421 Anmerkungen. St. Nicolai zu Spandau. Seite Der Lynar’sche Altar 430 Das Röbellsche Denkmal 431 Quast. Ribbeck. Nostiz 432 Taufstein. Schwarzenbergs Wappen 432 Die Wenden in der Mark. Der Brieselang. Alte Eichen 433 Der Eibenbaum. Eibenbäume 434 Die Cistercienser in der Mark. Lehnin. Die Havelschwäne. Die Seeschlacht in der Malche. Die Pfaueninsel. Caput. Die Begegnung der drei Friedriche 436 Bornstädt. Marquardt. Oberst Massenbach und General v. Bischofswerder. Erste Unterredung im Januar 1794 438 Zweite Unterredung im Februar 1795 438 Dritte Unterredung um dieselbe Zeit .. Februar 1795 439 Ignaz Aurelius Feßler 440 Ueber Bischofswerder und Wöllner 441 Die Marquise Lucchesini 441 Geheime Gesellschaften. Das Geisterbeschwören 441 Paretz. Das Belved è re 444 Etzin. Tagebuch des Pastor Seegebart 445 Gütergotz. Seite Saarmund und die Nutheburgen. Die Nutheburgen 452 Blankensee. Trebbin. W. Hensel. Die Lalla-Rukh-Aufführung 454 I. Der Festzug 454 II. Die lebenden Bilder 456 A. Der verschleierte Prophet von Khorasan 456 B. Das Paradies und die Peri 456 C. Die Gheber 456 D. Das Rosenfest in Kaschmir 456 Die Henselschen Portrait-Mappen. Hensels Gedichte. Geistige Wacht 458 Friedrichsfelde. Woltersdorfs geistliche Lieder 459 St. Nicolai zu Spandau. Wie Spukgestalten die Nebel sich drehn, ’s ist schaurig über das Moor zu gehn, Die Ranke häkelt am Strauche. Annette Droste-Hülshof. E in klarer Decembertag; die Erde gefroren, die Dächer bereift. Aber schon mischt sich ein leises Grau in die heitere Himmels- bläue, es weht leise herüber von Westen her, und jenes Frösteln läuft über uns hin, das uns ankündigt: Schnee in der Luft. Schnee in der Luft; vielleicht morgen schon, daß er in Flocken niederfällt! So seien denn die Stunden genutzt, die noch einen freien Blick in die Landschaft gestatten. Das Spreethal hinunter, an dem Charlottenburger Schloß vorbei (dessen vergoldete Kuppel-Figuren nicht recht wissen, ob sie in dem spärlichen Tageslicht noch blitzen müssen oder nicht), über Brücken hin, zwischen Schwanen-Rudeln hindurch, geht der Zug, bis die alte Havelveste vor uns aufsteigt, mit Brücken und Gräben, mit Thorwarten und Mauern, und über dem allen: Sanct Nicolai , die erinnerungsreiche Kirche dieser Stadt. Der Zug hält. Ohne Aufenthalt, mit den Minuten gei- zend, steuern wir durch ein Gewirr immer enger werdender Gassen auf den alten gothischen Bau zu, der sich, auf engem und kahlem Platze, über den Dächer-Kleinkram hinweg, in die stahlfarbene Luft erhebt. Kein Bau ersten Ranges, aber doch an dieser Stelle. Fontane , Wanderungen. III. 1 Das Innere, ein seltner Fall bei renovirten Kirchen, bietet mehr als das Aeußere verspricht. Emporen, wie Brückenbogen geschwungen, ziehen sich zwischen den grauweißen Pfeilern hin und wirken hier, in dem sonst schmucklosen Gange fast wie ein Ornament (das einzige) des Mittelschiffes. Die Kirche selbst, bei aller Schönheit, ist kahl; im Chor aber drängen sich die Erinnerungsstücke, die der Kirche noch aus alter Zeit her geblieben sind. Hier, an der Rundung des Gemäuers hin, hängen die Wappenschilde der Quaste, Ribbeck und Nostitz, hier richtet sich das prächtige Denkmal der Gebrüder Röbel auf, hier begegnen wir dem berühmten Steinaltar, den Rochus von Lynar der Kirche stiftete und hier endlich (in Front des Altars) erhebt sich das dreifußartige, schönste Kunstform zeigende Taufbecken, das zugleich die Stelle angiebt, wo unter dem Estrich die Ueberreste Adam Schwarzenbergs ruhn. Zur Rechten die eigene Wappentafel des Grafen: der Rabe mit dem Türkenkopf. Alle diese Dinge indeß sind es nicht, die uns heute nach Sanct Nicolai in Spandau geführt haben, unser Besuch gilt vielmehr dem alten Thurme, zu dessen Höhe ein Dutzend Trep- penstiegen hinanführen. Viele dieser Stiegen liegen im Dunkel, andre empfangen einen Schimmer durch eingeschnittene Oeffnun- gen, alle aber sind bedrohlich durch ihre Steile und Gradlinig- keit und machen einem die Weisheit der alten Baumeister wieder gegenwärtig, die ihre Treppen spiralförmig durch die dicke Wan- dung der Thürme zogen und dadurch die Gefahr beseitigten, funfzig Fuß und mehr erbarmungslos hinab zu stürzen. Die Treppe frei und gradlinig; und doch ist es ein Erstei- gen mit Hindernissen, die Schlüssel versagen den Dienst in den rostigen Schlössern; man merkt, daß die Höhe von Sanct Nico- lai zu Spandau keine täglichen Gäste hat, wie St. Stephan in Wien, oder St. Paul in London. Endlich sind wir an Uhr und Glockenwerken vorbei, haben das Schlüsselbund, im Kampf mit Großschlössern und Vorlegeschlössern, siegreich durchprobirt und steigen nun durch eine letzte Klappenöffnung, in die luf- tige Laterne hinein, die den steinernen Thurmbau krönt. Keine Fenster und Blenden sind zu öffnen, frei bläst der Wind durch das gebrechliche Holzwerk. Das ist die Stelle, die wir suchten. Ein Lug-ins-Land. Zu Füßen uns, in scharfer Zeichnung, als läge eine Karte vor uns ausgebreitet, die Zickzackwälle der Festung; ostwärts im grauen Dämmer die Thürme von Berlin; nördlich, südlich die bucht- und seenreiche Havel, inselbetupfelt, mit Flößen und Kähnen überdeckt; nach Westen hin aber ein breites, kaum hier und da von einer Hügelwelle unterbrochenes Flachland, das Havelland . Wer hier an einem Juni-Tage stände, der würde hinaus- blicken in üppig grüne Wiesen, durchwirkt von Raps- und Weizenfeldern, gesprenkelt mit Büschen und rothen Dächern, ein Bild moderner Cultur; an diesem grauen Decembertage aber liegt das schöne Havelland brachfeldartig vor uns ausge- breitet, eine grau-braune, haideartige Fläche, durch welche sich in breiten blanken Spiegeln, wie Seeflächen, die Grundwasser und übergetretenen Gräben dieser Niederungen ziehen. Wir haben diesen Tag gewählt, um den flußumspannten Streifen Landes, der uns auf diesen und den folgenden Seiten beschäf- tigen soll, in der Gestalt zu sehen, in der er sich in alten, fast ein Jahrtausend zurückliegenden Zeiten darstellte. Ein grauer Himmel über grauem Land, nur ein Krähenvolk aufsteigend aus dem Weidenwege, der sich an den Wasserlachen entlang zieht, so wie’s in diesem Augenblick sich zeigt, war das Land von Anfang an: öde, still, Wasser, Weide, Wald. Aber freilich, auch dieses Decembertages winterliche Hand hat das Leben nicht völlig abstreifen können, das hier langsam, aber siegreich nach Herrschaft gerungen hat. Dort zwischen Wasser und Weiden hin läuft ein Damm, im ersten Augenblick nur wie eine braune Linie von unserem Thurme aus bemerk- bar; aber jetzt gewinnt die Linie mehr und mehr Gestalt; denn zischend, brausend, dampfend, dazwischen einen Funkenregen ausstreuend, rasseln jetzt von zwei Seiten her die langen Wagen- 1* reihen zweier Züge heran und fliegen — an derselben Stelle vielleicht, wo einst Jazko und Albrecht der Bär sich trafen — an einander vorüber. Das Ganze wie ein Blitz! — Der Tag neigt sich; der Sonnenball lugt nur noch blut- roth aus dem Grau des Horizonts hervor. Ein rother Schein läuft über die grauen Wasserflächen hin. Nun ist die Sonne unter, die Nebel steigen auf und wälzen sich von Westen her auf die Stadt und unsere Thurmstelle zu. Noch sehen wir, wie aus dem nächsten Röhricht ein Volk Enten aufsteigt; aber ehe es in die nächste Lache niederfällt, ist das schwarze Geflatter in dem allgemeinen Grau verschwunden. Das Havelland träumt wieder von alter Zeit. Die Wenden in der Mark. 1. Geographisch-Historisches . Lichthelle Götter, Höret, Höret unser Flehen um Sieg! Wir kämpfen für Leben und Freiheit, Für Weib und Kind. Nothschirmer Radigast, Krieghelfer Svantevit, Leidwahrer Triglaw, O, verleihet uns Sieg! Carl Seidel. A m Nordufer der Mittel-Havel, zugleich den Havelgau und südlich davon die „Zauche“ beherrschend, lag die alte Wen- denfeste Brennibor . Ihre Eroberung durch Albrecht den Bären (1157) entschied über den Besitz dieses und der benach- barten Landestheile, die von da ab ihrer Christianisirung und, was insonderheit die Havelgegenden angeht, auch ihrer Ger- manisirung rasch entgegen gingen. Diese Germanisirung, soweit sie durch die Klöster erfolgte, soll uns in den nächsten Capiteln beschäftigen; unsre heutige Aufgabe aber wendet sich ausschließlich der heidnischen Epoche vor 1157 zu und versucht in dieser Vorgeschichte der Mark eine Geschichte der mär- kischen Wenden zu geben. Dieser Ausdruck ist nicht völlig correkt. Es soll heißen: Wenden, die, noch eh es eine „Mark“ gab , in demjenigen Landestheile wohnten, der spä- ter Mark Brandenburg hieß. Zuerst ein Wort über die Wenden überhaupt . Sie bildeten den am meisten nach Westen vorgeschobenen Stamm der großen slavischen Völkerfamilie; hinter ihnen nach Osten und Südosten saßen die Polen, die Südslaven, die Groß- und Klein-Russen. Die Wenden rückten, etwa um 500, in die halb entvöl- kerten Lande zwischen Oder und Elbe ein. Sie fanden hier noch die zurückgebliebenen Reste der alten Semnonen , jenes ger- manischen Stammes, der vor ihnen das Land zwischen Elbe und Oder inne gehabt und es — entweder einem Drucke von Osten her nachgebend, oder aber durch Abenteuerdrang dazu getrieben — im Laufe des 5. Jahrhunderts verlassen hatte. Nicht alle indeß, so scheint es, hatten sich diesem Wanderzuge angeschlossen; Greise, Weiber, Kinder, dazu alles, was wir heute als „Invalide“ bezeichnen würden, war zurückgeblieben, und alle diese Reste ehemaligen germanischen Lebens kamen nun- mehr in Abhängigkeit von den vordringenden Wenden. Diese wurden der herrschende Stamm und gaben dem Lande sein Gepräge, den Dingen und Ortschaften ihre wendischen Namen. Als nach drei-, vier- und fünfhundert Jahren die Deutschen zum ersten Mal wieder mit diesem Lande „zwischen Elbe und Oder“ in Berührung kamen, fanden sie, wenige Spuren ehe- maligen deutschen Lebens abgerechnet, ein völlig slavisches d. h. wendisches Land vor. Das Land zwischen Elbe und Oder war wendisch gewor- den, ebenso die Territorien zwischen Oder und Weichsel. Aber das westliche Wendenland war doch die Hauptsache. Hier, zwischen Oder und Elbe, standen die berühmtesten Tempel, hier wurden die Entscheidungsschlachten geschlagen; hier endlich wohn- ten die tapfersten und die mächtigsten Stämme. Dieser Stämme, wenn wir von kleineren Gemeinschaften vorläufig absehn, waren drei: die Obotriten im heutigen Mecklenburg, die Liutizen in Mark und Vorpommern, die Sorben oder Serben im Meißnischen und der Lausitz. Unter diesen drei Hauptstämmen der Westwenden, ja viel- leicht der Wenden überhaupt, waren wiederum die Liutizen (denen also die märkischen Wenden als wesentlicher Bruchtheil zugehörten) die ausgedehntesten und mächtigsten. Mit ihnen stand und fiel die Vormauer des Slaventhums, und der beste, zuverlässigste und wichtigste Theil der ganzen Wendengeschichte ist die Geschichte dieses Stammes, die Geschichte der Liutizen . Schaffarick sagt von ihnen: „Unter den polabischen d. h. den an der Elbe wohnenden Slaven waren die Liutizen oder Lutizer oder Weleten durch ihre Volksmenge und Streitbarkeit, wie durch ihre Ausdauer bei alten Sitten und Gebräuchen, die berühmtesten. Ihr Name wird in den deutschen Annalen von Karl dem Großen bis zu ihrer völligen Unterwerfung (1157) öfter denn irgend ein andrer Volksname genannt; er herrscht sogar in altdeutschen Sagen und Märchen. In russischen Volks- sagen wird er noch heutigentags vom Volke mit Schrecken erwähnt.“ So weit Schaffarick. Eh wir indessen zu einer kurzgefaßten Geschichte der Liutizen überhaupt übergehn, schicke ich den Versuch einer politischen Geographie des Liutizier-Lan- des vorauf. Die Liutizen, wie schon angedeutet, hatten ihre Sitze nicht blos in der Mark; einige ihrer hervorragendsten Stämme bewohn- ten Neu-Vorpommern, noch andere (darunter die vielgenannten Redarier) das heutige Mecklenburg-Strelitz. Sie lebten inner- halb dieser drei Landestheile: Mark, Strelitz, Vorpommern, in einer nicht genau zu bestimmenden Anzahl von Gauen, von denen folgende die wichtigsten waren oder doch die bekanntesten gewesen sind. In der Mark : die Brizaner in der Priegnitz; die Morizaner in der Gegend von Leitzkau, Grabow, Nedlitz; die Stodoraner und Heveller in Havelland und Zauche; die Spriavaner im Teltow und Nieder-Barnim also zu beiden Seiten der Spree; die Riezaner in der Nähe von Wriezen (Ober-Barnim, Oderbruch); die Ukraner in der Nähe von Pasewalk. In Pommern und Mecklenburg-Strelitz : die Kissiner in der Nähe von Güstrow; die Circipaner um Wolgast herum; die Dolenzer um Demmin und Stolp; die Ratarer oder Retarier zwischen Ober-Havel, Peene und Tolense (nach Raumer bis zur Dosse ); die Woliner auf Wolin und Usedom; die Rujanen oder Ranen auf Rügen. Kleinere eingestreute Gaue waren: Sitna oder Ziethen (Groß- und Klein-Zieten bei Korin); der Murizzi -Gau am Müritz- See; der Dossaner Gau an der Dosse bei Wittstock. Unter allen diesen Völkerschaften, Stämmen und Stämm- chen (man könnte sie Clans nennen) waren wohl die Ranen und die Retarier die wichtigsten, beide als Hüter der zwei hei- ligsten Tempelstätten Rhetra Darüber wo Rhetra oder Ratare stand, schwebt noch immer der Streit. Mann nennt folgende Orte: Stargard (Mecklenburg), Mal- chin, Röbel (am Müritz-See), Rhesa, Strelitz, Prilwitz, Kuschwanz. Der letztere Ort, unpoetischen Klanges, hat zur Zeit die größten Chan- cen, als „Rhetra“ anerkannt zu werden. und Arkona; die Ranen außer- dem noch ausgezeichnet als Seefahrer und siegreich über die Dänen. Keiner der einzelnen Stämme der märkischen Wenden konnte nach dieser Seite hin mit den zwei wendischen Hauptstäm- men in Pommern und Mecklenburg (den Ranen und Retariern) wetteifern, aber anderseits fiel den märkischen Wenden die Aufgabe zu, in den jahrhundertlangen Kämpfen mit dem andringenden Deutschthum beständig auf der Vorhut zu stehn, und in dem Muth, den die Spree- und Havelstämme in diesen Kämpfen entwickelt haben, wurzelt ihre Bedeutung. Wenn die Ranen, und namentlich auch die Retarier, wie ein Stamm Levi, kirch- lich vorherrschten, so prävalirten die märkischen Wenden poli- tisch. Brandenburg, das wir wohl nicht mit Unrecht als den wichtigsten Punkt dieses märkischen Wenden-Landes ansehn, wurde neun mal erobert und wieder verloren, siebenmal durch Sturm, zweimal durch Verrath. Die Kämpfe drehten sich mehr oder weniger um diesen Punkt. Die ersten Berührungen mit der wendischen Welt, mit den Volksstämmen zwischen Elbe und Oder, fanden unter Carl dem Großen statt; sie führten zu nichts Erheblichem. Erst unter dem ersten Sachsenkaiser, Heinrich dem Finkler, wurde eine Unterwerfung der Wenden versucht und durchgeführt. Diese Kämpfe begannen im Jahre 924 durch einen Ein- fall Heinrich’s in das Land der Stodoraner und durch Weg- nahme Brennibor’s. Diesem Siege Heinrich’s folgten Aufstände (die Retarier, Stodoraner, Ukraner werden eigens genannt), und den wendischen Aufständen folgten neue deutsche Siege. Es war eine endlos ausgesponnene Kette, in der jedes ein- zelne Glied so Ursach wie Wirkung war. Die deutsche Grau- samkeit schuf wendische Aufstände, und den wendischen Auf- ständen folgten neue Siege der Deutschen, Siege, die wiederum zur Grausamkeit führten und so das alte Wechselspiel wieder- holten. So war es unter Kaiser Heinrich, und so war es unter Otto dem Großen. Zweimal wurden die Wenden in blutigen Schlachten niedergeworfen, 920 bei Lunkini (Lenzen) Von dieser Schlacht bei Lunkini (Lenzen) findet sich in „Widu- kinds sächsischen Geschichten“ eine ausführliche Beschreibung. Die Chri- sten belagerten Lunkini, als die Nachricht eintraf, daß ein großes Wen- denheer zum Entsatz der bedrängten Festung heranrücke und während der Nacht das Lager der Christen überfallen wolle. Ein furchtbares Unwetter indeß, heftige Regengüsse hinderten den Angriff des Feindes. So kam der Morgen, und die Christen schickten sich nun ihrerseits zum Angriff an. Die Zahl der Wenden war so groß, daß, als die Sonne jetzt hell auf die durchnäßten Kleider der hunderttausend Wenden schien, ein Dampf zum Himmel aufstieg, der sie wie in eine Nebelwolke hüllte, während die Christen in hellem Sonnenlicht heranzogen und ob dieser Erscheinung voll Hoffnung und Zuversicht waren. Nach hartem Kampfe flohen die Wenden; da ihnen aber eine Abtheilung den Weg verlegt hatte, so stürzten sie einem See zu, in dem Unzählige ertranken. Die Chronisten geben das Wendenheer auf 200,000 Mann an. „Die Ge- fangenen wurden alle, wie ihnen verheißen, an einem Tage geköpft.“ 935 am Dosa-Fluß (an der Dosse), aber ihre Kraft war ungebrochen, und der Tag kam heran, der bestimmt war, den bis dahin stets unterlegenen Aufständen zu einem Siege zu verhelfen. Dies war die Schlacht am Tanger-Fluß 983. Da von diesem Siegestage der Wenden an, das nach so vielen Niederlagen schon halb todt geglaubte Wendenthum einen neuen Aufschwung nahm und noch einmal in aller Macht und Furchtbarkeit aufblühte, so mag es gestattet sein, bei den Vorgängen einen Augenblick zu verweilen, die zu dieser Schlacht und dem ihr voraufgehen- den großen Wenden-Aufstande führten. Mistiwoi war Obotritenfürst und bereits Christ geworden. Er hielt zum Herzog Bernhard, der damals Markgraf der Nord- mark war, und fühlte sich dem Markgrafen an Macht, Geburt und Ansehen nah genug, um um dessen Nichte anzuhalten. Der Markgraf versprach sie ihm; Mistiwoi aber, um ganz in die Reihe christlicher Fürsten einzutreten, zog zunächst mit 1000 wendischen Edelleuten nach Italien und focht an Kaiser Otto’s Seite in der großen Schlacht bei Basantello. Als er zurück- gekehrt war, erschien er vor Markgraf Bernhard und bat um die Hand der Nichte. Dieser schwankte einen Augenblick, und ein andrer deutscher Fürst, der neben dem Markgrafen stand, raunte diesem zu: „Mit nichten; eines deutschen Herzogs Bluts- verwandte gehört nicht an die Seite eines wendischen Hun- des .“ Mistiwoi hatte gehört, was der Nebenstehende halblaut vor sich hin gesprochen hatte, und verließ die Halle. Bern- hard, der ahnen mochte, was folgen werde, schickte ihm Boten nach, aber umsonst; der tödtlich verletzte Wendenfürst ließ nur antworten: „Der Tag kommt, wo die Hunde beißen.“ Er ging nun nach Rhetra, wo der Haupttempel aller wendischen Stämme stand, und rief — die Obotriten standen selbstverständlich zu ihm — auch alle liutizischen Fürsten zusammen und erzählte ihnen die erlittene Schmach. Dann that er sein Christenthum von sich und bekannte sich vor dem Bilde Radegast’s auf’s Neue zu den alten Göttern. Darauf ließ er dem Sachsengrafen sagen: „Nun hab Acht, Mistiwoi der Hund kommt, um zu bellen und wird bellen , daß ganz Sachsenland erschrecken soll.“ Der Markgraf aber antwortete: „Ich fürcht nicht das Brummen eines Bären, geschweige das Bellen eines Hundes.“ Am Tangerfluß kam es zur Schlacht, und die Sachsen wurden geschlagen. Das hatte Mistiwoi der Hund gethan. Die Unterwerfung, die 924 begonnen hatte, hatte 983 wieder ein Ende. Der Dom zu Brandenburg wurde zerstört, und auf dem Harlunger Berge erhob sich das Bild des Triglaff. Von dort aus sah es noch wieder 150 Jahre lang in wendische Lande hinein. Die Liutizen waren frei. Drei Generationen hindurch hielt sich, nach diesem großen Siege, die Macht der Wenden unerschüttert; Kämpfe fanden statt, sie rüttelten an der wiedererstandenen Wendenmacht, aber sie brachen sie nicht. Erst mit dem Eintritt des 12. Jahrhun- derts gingen die Dinge einer Wandlung entgegen; die Wen- denstämme, untereinander in Eifersüchteleien sich aufreibend, zum Theil auch uneins durch die rastlos weiter wirkende Macht des Christenthums, waren endlich wie ein unterhöhlter Bau, der bei dem ersten ernsteren Sturme fallen mußte . Die Spree- und Havellandschaften waren, so scheint es, die letzten Zufluchts- stätten des alten Wendenthums; Brennibor, nachdem rundum immer weiteres Terrain verloren gegangen war, war mehr und mehr der Punkt geworden, an dessen Besitz sich die Frage knüpfte, wer Herrscher sein solle im Lande, Sachse oder Wende, Christenthum oder Heidenthum. Das Jahr 1157, wie Eingangs schon bemerkt, entschied über diese Frage. Albrecht der Bär erstürmte Brennibor, die letzten Aufstände der Bri- zaner und Stodoraner wurden niedergeworfen, und mit der Unterwerfung des Spree- und Havellandes empfing das Wen- denland zwischen Elbe und Oder überhaupt den Todesstoß. (Rhetra war schon vorher gefallen, wenigstens seiner höchsten Macht entkleidet worden. Nur der Swantewittempel auf Arkona hielt sich um zwanzig Jahre länger, bis König „Waldemar der Sieger“ auch diesen zerstörte.) Soviel in kurzen Zügen von der Geschichte des Wenden- landes zwischen Elbe und Oder. Wir wenden uns jetzt einer mehr culturhistorischen Untersuchung zu und stellen zusammen, was wir über Charakter, über Sitte, Recht und Cultur des alten Wendenthums wissen. 2. Lebensweise. Sitten. Tracht . Sie spinnen, Haben Linnen, Sie regeln Den Fluß und das Wehr, Und mit Schiffen und Segeln Sind sie zu Hause auf offnem Meer. D ie Frage ist oft aufgeworfen worden, ob die Wenden wirk- lich auf einer viel niedrigeren Stufe als die vordringenden Deutschen gestanden hätten, und diese Frage ist nicht immer mit einem bestimmten „Ja“ beantwortet worden. Sehr wahr- scheinlich war die Superiorität der Deutschen, die man schließ- lich wird zugeben müssen, weniger groß, als deutscherseits vielfach behauptet worden ist. Die Wenden, um mit ihrer Wohnung zu beginnen, hausten keineswegs (wie ein mir vorliegender Stich sie darstellt) in ver- pallisadirten Erdhöhlen, um sich gleichzeitig gegen Wetter und Wölfe zu schützen; sie hatten Bauten mannigfacher Art, die mehr oder weniger wirklichen Häusern entsprachen. Daß von ihren Gebäuden, öffentlichen und privaten, kein einziges bestimmt nachweisbar auf uns gekommen ist, könnte dafür sprechen, daß diese Bauten von einer inferioren Beschaffenheit gewesen wären; wir dürfen aber nicht vergessen, daß die siegreichen Deutschen natürlich alle hervorragenden Gebäude (die sämmtlich Tempel oder Vesten waren), sei es aus Rache oder sei es zu eigner Sicherheit, zerstörten, während die schlichten Häuser und Hütten im Laufe der Jahrhunderte sich natürlich eben so wenig erhalten konnten, wie deutsche Häuser und Hütten aus jener Zeit. Die Wenden, so viel steht fest, hatten verhältnißmäßig wohleingerichtete Häuser, und die Frage bleibt zunächst nur, wie waren diese Häuser. Wahrscheinlich sehr verschiedener Art. Wie wir noch jetzt, oft bunt durch einander, noch häufiger nach Distrikten geschieden, Lehmkathen, Fachwerk-, Feldstein- und Backsteinhäuser finden (der Stroh-, Schilf-, Schindel- und Ziegeldächer ganz zu geschweigen), so war es gewiß auch in alten Wendenzeiten, nur noch wechselnder, nur noch abhängiger von dem Material, das gerade zur Hand war. In den Fischer- dörfern an der Spree und Havel hin, in den Sumpfgegenden, die kein anderes Material kannten als Elsen und Eichen, waren die Dörfer muthmaßlich Blockhäuser, wie man ihnen noch jetzt in den Spreewaldgegenden begegnet; auf dem Feldstein-über- säten Barnim-Plateau richteten sich, wie noch jetzt vielfach in den dortigen Dörfern geschieht, die Wohnungen höchst wahr- scheinlich aus Feldstein auf, in fruchtbaren Gegenden aber, wo der Lehm zu Tage lag, wuchs das Lehm- und das Ziegelhaus auf; — denn die Wenden verstanden sich sehr wohl auf die Nutzung des Lehms und sehr wahrscheinlich auch auf das Ziegel- brennen. Daß sie unter ihrem Geräth nachweisbar auch den Mauer hammer hatten, deutet wenigstens darauf hin. Ein- zelne dieser Dinge sind nicht geradezu zu beweisen, aber sie müssen so gewesen sein nach einem Naturgesetz, das fortwirkt bis auf diesen Tag. Armes Volk (oder uncultivirtes) baut sich seine Wohnungen aus dem, was es zunächst hat: am Vesuv aus Lava, in Irland aus Torf, am Nil aus Nilschlamm, an den Pyramiden aus Trümmern vergangener Herrlichkeit. So war es immer, wird es immer sein; — so war es auch bei den Wenden. Die Wenden aber hatten nicht nur Häuser, sie wohn- ten auch, wie schon angedeutet, in Dörfern und Städten. Ihre Dörfer zogen sich zu Hunderten und Tausenden durch das Land. Die wendischen Namen unserer Ortschaften beweisen dies zur Genüge. Manche Gegenden haben nur wendische Namen. Um ein Beispiel statt vieler zu geben, die Dörfer um Ruppin herum heißen: Carwe, Gnewkow, Gartz, Wustrau, Bechlin, Steffin, Krentzlin, Metzeltin, Dabergotz, Gantzer, Lentzke, Manker ꝛc., lauter wendische Namen. Aehnlich ist es überall in der Mark, in Lausitz und Pommern; selbst viele deutsch klingende Namen wie Wustrau, Wusterhausen ꝛc. sind nur ein germanisirtes Wendisch. Wie die Dörfer waren, ob groß ob klein, ob stark bevöl- kert oder schwach, kann, da jegliche bestimmte Angabe darüber fehlt, nur durch Combination herausgerechnet, also nur hypo- thetisch festgestellt werden. Die große Zahl der Todtenurnen, die man findet, außerdem die Mittheilungen Thietmar’s u. A., daß bei Lunkini 100,000 Wenden gefallen seien, scheinen darauf hinzudeuten, daß das Land allerdings stark bevölkert war. Unsicher, wie wir über Art und Größe der wendischen Dör- fer sind, sind wir’s auch über die Städte . Einzelne galten für bedeutend genug, um mit den Schilderungen ihres Glanzes und ihres Unterganges die Welt zu füllen, und wie geneigt wir sein mögen, der poetischen Darstellung an diesem Weltruhm das beste Theil zuzuschreiben, so kann doch das Geschilderte nicht ganz Fiktion gewesen sein, sondern muß in irgend etwas Vor- handenem seine reale Anlehnung gehabt haben. Besonderes Ansehen hatten die Handels städte am baltischen Meere. Unter diesen war Jumne, wahrscheinlich am Ausfluß der Swine gelegen, eine der gefeiertsten. Adam von Bremen erzählt von ihr: sie sei eine sehr angesehene Stadt und der größte Ort, den das heidnische Europa aufzuweisen habe. „In ihr — so fährt er fort — wohnen Slaven und andere Nationen, Grie- chen und Barbaren. Denn auch den dort ankommenden Sachsen ist, unter gleichem Rechte mit den Uebrigen, zusammen zu wohnen verstattet, freilich nur, so lange sie ihr Christenthum nicht öffentlich kundgeben. Uebrigens wird, was Sitte und Gastlichkeit anlangt, kein Volk zu finden sein, das sich ehrenwerther und dienstfertiger bewiese. Jene Stadt besitzt auch alle möglichen Annehmlichkeiten und Seltenheiten. Dort findet sich der Vulkanstopf, den die Eingeborenen das „griechische Feuer“ nennen; dort zeigt sich auch Neptun in dreifacher Art, denn von drei Meeren wird jene Insel bespült, deren eines von ganz grünem Aussehn sein soll, das zweite aber von weiß- lichem; das dritte ist durch ununterbrochene Stürme beständig in wuthvoll brausender Bewegung.“ Diese Beschreibungen zeitgenössischer Schriftsteller, wie auch die Beschreibung von Vineta oder Julin (die beide dasselbe sind) beziehen sich auf wendische Handels- und Küstenstädte. Es ist indessen wahrscheinlich, daß die märkisch-wendischen Binnen- städte wenig davon verschieden waren, wenn auch vielleicht um etwas geringer. An Handel waren sie gewiß unbedeutender, aber dafür standen sie dem deutschen Leben und seinem Einfluß näher . Wenden wir uns nunmehr der Frage zu, wie lebten die Wenden in ihren Dörfern und Städten, wie kleideten, wie beschäftigten sie sich, so wird das Wenige, was wir bis hierher über ihre Häuser u. s. w. gesagt haben, auch ein gewisses Licht auf diese Dinge werfen. Wie beschäftigten sie sich? Neben der Führung der Waffen, die Sache jedes Freien war, gab es ein mannigfach gegliedertes, gewerbliches Leben. Die Ausschmückung der Tempel, Ausschmückungen, wie man ihnen noch jetzt in alt- russischen Kirchen begegnet und wie sie in den alten Schrift- stellern der Wendenzeit vielfach beschrieben werden, lassen keinen Zweifel darüber, daß die Wenden eine Art von Kunst, wenig- stens von Kunsthandwerk kannten und übten. Sie schnitzten ihre Götzenbilder in Holz oder fertigten sie aus Erz und Gold, sie bemalten ihre Tempel und färbten das Schnitzwerk, das als groteskes Ornament die Tempel zierte. Den Schiffbau kannten sie (die kühnen Seeräuberzüge der Ranen beweisen es zur Genüge), und ihr Haus- und Kriegsgeräth war mannig- fach. Sie kannten den Haken zur Beackerung und die Sichel um das Korn zu schneiden. Die feineren Wollen-Zeuge (so berichten die Chronisten) kamen aus Sachsen; aber eben aus der speciellen Anführung des Chronist en, daß die feineren Zeuge aus Sachsen kamen, geht zur Genüge hervor, daß die minder feinen im Lande selber bereitet wurden. Einheimische Arbeit war auch die Leinewand, in welche die Nation sich klei- dete und wovon sie zu Segeln und Zelten große Mengen gebrauchte. Es ist also wohl nicht zu bezweifeln, daß der Webstuhl im Wendenlande bekannt war wie im ganzen Norden bis nach Island, und daß die Hände, welche den Flachs und den Hanf dem Erdboden abgewannen, ihn auch zu verarbeiten verstanden. Die Hauptbeschäftigungen blieben freilich Jagd und Fischerei, daneben die Bienenzucht . Das Land wies darauf hin; noch jetzt in den slavischen Flachlanden Osteuropa’s, auf den Strecken zwischen Wolga und Ural, wo weite Haiden mit Lindenwäldern wechseln, begegnen wir denselben Erscheinungen, derselben Beschäftigung. Die Honigerträge waren reich und wichtig, weil aus ihnen der Meth gewonnen wurde. Bier wurde aus Gerste gebraut. Die Fische wurden frisch oder ein- gesalzen gegessen, denn man benutzte die Soolquellen und wußte das Salz aus ihnen zu gewinnen. Vieles spricht dafür, daß sie selbst Bergbau trieben und das Eisen aus dem Erz zu schmel- zen verstanden. Noch ein Wort über die nationale Kleidung der Wen- den. Es liegen nur Andeutungen darüber vor. Daß sie so gewesen sei, oder auch nur ähnlich, wie die Wenden sie jetzt noch tragen, ist wohl falsch. Die wendische Tracht entwickelte sich in den wendisch gebliebenen Gegenden unter dem Einfluß wenn nicht der deutschen Mode, so doch des deutschen Stoffs und Materials, und es bedarf wohl keiner Versicherung, daß die alten ursprünglichen Wenden weder Faltenröcke noch Zwickel- strümpfe, weder Manchestermieder noch Ueberfallkragen gekannt haben. All dies ist ein in spätern Culturzeiten Gewor- denes, an dem die Wenden-Ueberreste nolens volens theilneh- men mußten. Giesebrecht beschreibt ihre Kleidung wie folgt: „Zur nationalen Kleidung gehörte ein kleiner Hut, ein Ober- gewand, Unterkleider und Schuhe oder Stiefeln; barfuß gehen Fontane , Wanderungen. III. 2 wurde als ein Zeichen der äußersten Armuth betrachtet. Die Unterkleider konnten gewaschen werden; der Stoff, aus dem sie bestanden, war also vermuthlich Leinewand. Das Oberkleid war wollen .“ Ueber Schnitt der Kleidung und die bevorzugten Farben wird nichts gesagt, doch dürfen wir wohl annehmen, daß sich eine Vorliebe für das Bunte (wie sie die wendischen Trachten und fast alle Nationaltrachten zeigen) darin aussprach. Der kleine Hut und die leinenen Unterkleider: Rock, Weste, Beinkleid, finden sich übrigens noch bis diesen Tag bei den Spreewalds-Wenden vor. Nur die Frauentrachten weichen völlig davon ab. 3. Charakter. Begabung. Cultus . In trotzigem Muth, Gastfrei und gut, Haben für ihre Götter und Sitten Sie wie die Märtyrer gelitten. N achdem wir bis hierher die äußere Erscheinung betont und die Frage zu beantworten gesucht haben: wie sahen die alten Wenden aus? wie wohnten sie? wie beschäftigten und wie kleideten sie sich, wenden wir uns in Folgendem mehr ihrem geistigen Leben zu, der Frage: wie war ihr Charakter, ihre geistige Begabung, ihr Rechtssinn, ihre Religiosität. Die Wenden haben uns leider kein einziges Schriftstück (wahrscheinlich hatten sie nichts derart) hinterlassen, das uns als Anhaltepunkt dienen könnte, um danach die Schilderungen, die uns ihre bittern Feinde, die Deutschen, von ihnen entworfen haben, nöthigenfalls zu corrigiren. Wir hören eben nur eine Partei sprechen, dennoch sind auch diese Schilderungen ihrer Gegner nicht eigentlich dazu angethan, uns mit Abneigung gegen den Charakter der Wenden zu erfüllen. Wir begegnen mehr liebenswürdigen als häßlichen Zügen, und wo wir diese häß- lichen Züge treffen, ist es gemeinhin unschwer zu erkennen, woraus diese Häßlichkeiten hervorgingen. Meist waren es Re- pressalien, Regungen der Menschennatur überhaupt, nicht einer spezifisch bösen Menschennatur. Zwei Tugenden werden den Wenden von allen deutschen Chronikenschreibern jener Epoche (Widukin, Thietmar, Adam von 2* Bremen) zuerkannt: sie waren tapfer und gastfrei. Ihre Tapfer- keit spricht aus der ganzen Geschichte jener Epoche, und der Umstand, daß sie trotz Fehden und steter Zersplitterung ihrer Kräfte dennoch den Kampf gegen das übermächtige Deutschthum zwei Jahrhunderte lang fortsetzen konnten, läßt ihren Muth in allerglänzendstem Lichte erscheinen. Sie waren ausgezeichnete Krieger, zu deren angeborner Tapferkeit sich noch andere krie- gerische Gaben, wie sie den Slaven eigenthümlich sind, gesell- ten: Raschheit, Schlauheit, Zähigkeit. Hierin sind alle deutschen Chronisten einig; eben so einig sind sie in Anerkennung der wendischen Gastfreundschaft. „Um Aufnahme zu bitten, hatte der Fremde in der Regel nicht nöthig; sie wurde ihm wett- eifernd angeboten. Jedes Haus hatte seine Gastzimmer und immer offne Tafel. Freigiebig wurde verthan, was durch Acker- bau, Fischfang, Jagd, auch wohl durch Handel und Gewerbe (in den größeren Städten) gewonnen worden war. Je frei- gebiger der Wende war, für desto vornehmer wurde er gehalten, und für desto vornehmer hielt er sich selbst. Wurde — was übrigens äußerst selten vorkam — von diesem oder jenem ruch- bar, daß er das Gastrecht versagt habe, so verfiel er allgemei- ner Verachtung, und sein Haus und Hof durften in Brand gesteckt werden.“ Sie waren tapfer und gastfrei, aber sie waren falsch und untreu, so berichten die alten Chronisten weiter. Die alten Chronisten sind indessen ehrlich genug hinzuzusetzen: „untreu gegen ihre Feinde .“ Dieser Zusatz legt einem sofort die Frage nahe: wie waren denn nun aber diese Feinde? waren sie, ganz von aller ehrlichen Feindschaft, von offenem Kampfe abgesehen, waren diese Feinde ihrerseits von einer Treue, einem Worthalten, einer Zuverlässigkeit, die den Wenden ein Sporn hätten sein können, Treue mit Treue zu vergelten? Die Erzählungen der Chronisten machen uns die Antwort auf diese Frage leicht; in rühmlicher Unbefangenheit erzählen sie uns die endlosen Perfidieen der Deutschen. Dies erklärt sich daraus, daß sie, von Parteigeist erfüllt und blind im Dienst einer großen Idee, die eigenen Perfidieen vorweg als gerechtfer- tigt ansahen; wendischer Verrath aber war einfach Verrath und stand da ohne allen Glorienschein in nackter alltäglicher Häßlich- keit. Der Wende war ein „Hund“, ehrlos, rechtlos, und wenn er sich unerwartet aufrichtete und seinen Gegner biß, so war er untreu. Ein Hund darf nicht beißen, es geschehe ihm was da wolle. Die Geschichte von Mistewoi haben wir gehört, sie zeigt die schwindelnde Höhe deutschen Undanks und deutscher Ueberhebung; in noch schlimmerem Lichte erscheint das Deutsch- thum in der Geschichte von Markgraf Gero . Dieser, wie in Balladen oft erzählt, ließ 30 wendische Fürsten, also wahrschein- lich die Häupter fast aller Stämme zwischen Elbe und Oder, zu einem Gastmahl laden, machte die Erschienenen trunken und ließ sie dann ermorden. Das war 939. Nicht genug damit. Im selben Jahre vollführte er einen zweiten List- und Gewaltstreich. Den Tugumir , einen flüchtigen Fürsten der Heveller, den er durch Versprechungen auf seine Seite zu ziehen gewußt hatte, ließ er nach Brannibor zurückkehren, wo er Haß gegen die Deutschen heucheln und dadurch die alte Gunst seines Stammes sich wieder erobern mußte. Aber kaum im Besitz dieser Gunst, tödtete er nunmehr seinen Neffen, der in wirklicher Treue und Aufrichtigkeit an der Sache der Wenden hing, und öffnete dann dem Gero die Thore, dessen bloßes Werkzeug er gewesen war. Das waren die Thaten, mit denen die Deutschen — freilich oft unter Hilfe und Zuthun der Wenden selbst — voranschritten. Weder die Deutschen noch ihre Chronisten, zum Theil hochkirch- liche Männer, ließen sich diese Verfahrungsweise anfechten, klag- ten aber mal auf mal über die „Falschheit der götzendienerischen Wenden.“ Die Wenden waren tapfer und gastfrei, und wie wir uns überzeugt halten, um kein Haar falscher und untreuer als ihre Besieger, die Deutschen; aber in einem waren sie ihnen allerdings unebenbürtig, in jener gestaltenden, große Ziele von Generation zu Generation unerschütterlich im Auge behaltenden Kraft, die zu allen Zeiten der Grundzug der germanischen Race gewesen und noch jetzt die Garantie ihres Lebens, ihrer Dauer- barkeit ist. Die Wenden von damals waren wie die Polen von heut . Ausgerüstet mit liebenswürdigen und blendenden Eigenschaften, an Ritterlichkeit ihren Gegnern mindestens gleich, an Leidenschaft, an Opfermuth ihnen vielleicht überlegen, gingen sie dennoch zu Grunde, weil sie jener gestaltenden Kraft ent- behrten. Immer voll Neigung, der Peripherie zu ihre Kräfte schweifen zu lassen, statt sie im Centrum zu einen, fehlte ihnen das Concentrische, während sie excentrisch waren in jedem Sinne. Dazu die individuelle Freiheit höher achtend als die staatliche Festigung —, wer erkennte in diesem allen nicht polnischnatio- nale Züge? Was die Polen jetzt sind, das waren die Wenden damals. Wir sprechen zuletzt von dem Cultus der Wenden. Weil die religiöse Seite der zu bekehrenden Heidenstämme unsere christ- lichen Missionare (darunter zum Theil auch unsere Chronisten) mehr interessiren mußte als irgend eine andere Seite wendischen Lebens und Thuns, so ist es begreiflich, daß wir über diesen Punkt unserer liutizischen Vorbewohner am besten unterrichtet sind. Die Nachrichten, die uns geworden, beziehen sich in ihren Details zwar überwiegend auf jene zwei Haupttempelstätten des Wendenlandes, die nicht innerhalb der Mark, sondern die eine (Rhetra) hart an unserer Grenze, die andere (Arkona) auf Rügen gelegen war; aber wir dürfen fast mit Bestimmtheit an- nehmen, daß sich alle diese Beschreibungen auch auf die Tempel- stätten unserer märkischen Wenden beziehen, wenn gleich diese, Brannibor nicht ausgeschlossen, nur zweiten Ranges waren. Die wendische Religion kannte drei Arten der Anbetung: Naturanbetung (Stein, Quelle, Baum, Hain). Waffenanbetung (Fahne, Schild, Lanze). Bilderanbetung (eigentlicher Götzendienst). Die Natur war der Boden, aus dem der wendische Cultus aufwuchs, wie die wendische Religion überhaupt Die spätere Bilder -Anbetung war nur Natur -Anbetung in anderer Gestalt. Statt Stein, Quelle, Sonne ꝛc., die ursprüng- lich Gegenstand der Anbetung gewesen waren, wurden nunmehr Gestalten angebetet, die Stein, Quelle, Sonne ꝛc. bildlich darstellten. Die Wenden hatten in ihrer Religion einen Dualismus schwarzer und weißer Götter, einer lichten Welt auf der Erde und eines unterirdischen Reiches der Finsterniß. Die Einheit lag im Jenseits, im Himmel. An und in sich selbst unterschied der Wende Leib und Seele , doch scheint ihm die Menschenseele der Thierseele ver- wandt erschienen zu sein; wenigstens glaubte er nicht an per- sönliche Unsterblichkeit. Die Seele saß im Blut, aber war doch wieder getrennt davon. Strömte das Blut des Sterbenden zu Boden, so flog die Seele aus dem Munde und flatterte zum Schrecken aller Vögel, nur nicht der Eule, so lange von Baum zu Baum, bis die Leiche verbrannt oder begraben war. Die alten Chronisten haben uns die Namen von vier- zehn wendischen Göttern überliefert. Unter diesen waren die folgenden fünf wohl die berühmtesten: Siwa (das Leben); Gerowit (der Frühlingssieger); Swatowit (der heilige oder helle Sieger); Radigast (die Vernunft, die geistige Kraft); Triglaff (der Dreiköpfige. Ohne bestimmte Bedeutung). Vom Siwa haben wir keine Beschreibung. Gerowit , der Frühlingssieger, war mit kriegerischen Attributen geschmückt, mit Lanzen und Fahnen, auch mit einem großen kunstvollen, mit Goldblech beschlagenen Schild. Radigast war reich ver- goldet und hatte ein mit Purpur verziertes Bett. Noch im 15. Jahrhundert hing in einem Fenster der Kirche zu Gadebusch eine aus Erz gegossene Krone, die angeblich von einem Bilde dieses Gottes herstammte. Swatowit hatte vier Köpfe, zwei nach vorne, zwei nach rückwärts gewandt, die wieder abwechselnd nach rechts und links blickten. Bart und Haupt- haar war nach Landessitte geschoren. In der rechten Hand hielt der Götze ein Horn, das mit verschiedenen Arten Metall verziert war und jährlich einmal mit Getränk angefüllt wurde; der linke Arm war bogenförmig in die Seite gesetzt, die Kleidung, ein Rock, der bis an die Schienbeine reichte. Diese waren von anderem Holz als die übrige Figur und so künstlich mit den Knieen verbunden, daß man nur bei genauer Betrachtung die Fugen wahrnehmen konnte. Die Füße standen auf der Erde und hatten unter dem Boden ihr Fuß- gestell. Das Ganze war riesenhaft, weit über menschliche Größe hinaus. Endlich Triglaff hatte drei Köpfe; er war von Menschengröße; seine drei Köpfe waren versilbert und ein gol- dener Bund verhüllte Augen und Lippen. Diese Götter hatten überall im Lande ihre Tempel, nicht nur in Städten und Dörfern, sondern auch in unbewohnten Vesten, sogenannten „Burgwällen“, und zwar auf Hügeln und Klippen, in Seen und Wäldern. Wahrscheinlich hatte jeder „Gau“, deren es im Lande zwischen Elbe und Oder etwa 45 gab (eine Anzahl derselben habe ich Eingangs aufgezählt), einen Haupttempel, ähnlich wie es in späterer christlicher Zeit in jedem größeren Distrikt eine Bischofskirche, einen Dom, ein Kloster gab. Dieser Haupttempel konnte in einer Stadt sein, aber auch eben so gut in einem „Burgwall“, der dann nur den Tempel umschloß und etwa einem Berge mit einer berühmten Wallfahrts- kirche entsprach. In Julin, Wolgast, Gützkow, Stettin, Mal- chow, Ploen, Jüterbock und Brandenburg werden solche Städte- Tempel eigens erwähnt; unzweifelhaft aber gab es deren an weit mehr Orten als an den vorstehend genannten. 4 Rhetra Arkona. „Was ward aus den Wenden?“ Hier dient der Wende seinen Götzenbildern, Hier baut er seiner Städte festes Thor, Und drüber blinkt der Tempel Dach hervor: Julin, Vineta, Rhetra , Brennabor. Carl Seidel. D ie zwei Haupttempelstätten im ganzen Wendenland waren, wie mehrfach hervorgehoben, Rhetra und Arkona. Stettin und Brannibor, ihnen vielleicht am nächsten stehend, hatten doch über- wiegend eine lokale Bedeutung. Rhetra und Arkona repräsentirten auch die Orakel, bei denen in den großen Landesfragen Raths geholt wurde, und ihr Ansehn war so groß, daß der Besitz dieser Tempel dem ganzen Stamme, dem sie zugehörten, ein gesteigertes Ansehen lieh; die Redarier und die Ranen nahmen eine bevorzugte Stellung ein. Später entspann sich zwischen beiden eine Riva- lität, wie zwischen Delphi und Dodona. Rhetra war unter diesen beiden Orakelstätten die ältere , und wir beginnen mit Wiedergabe dessen, was Thietmar, Bischof von Merseburg, über diese sagt. Thietmar berichtet: „So viele Kreise es im Lande der Liutizier giebt, so viele Tempel giebt es auch und so viele einzelne Götzenbilder werden verehrt; die Stadt Rhetra aber behauptet einen ausgezeichneten Vorrang vor allen anderen. Nach Rhetra schicken die Wenden- fürsten, ehe sie in den Kampf eilen, und sorgfältig wird hier vermittelst der Loose und des Rosses nachgeforscht, welch’ ein Opfer den Göttern darzubringen sei.“ Stadt und Tempel von Rhetra schildert Thietmar nun weiter: „Rhetra liegt im Gau der Rhedarier, ein Ort von dreieckiger Gestalt, den von allen Seiten ein großer, von den Eingeborenen gepflegter und heilig gehaltener Hain umgiebt. Der Ort hat drei Thore. Zwei dieser Thore stehen Jedem offen; das dritte Thor aber (das kleinste, nach Osten zu gelegen) weist auf das Meer hin und gewährt einen furchtbaren Anblick. An diesem Thor steht nichts als ein künstlich aus Holz gebau- tes Heiligthum, dessen Dach auf den Hörnern verschiedener Thiere ruht, die es wie Tragsteine emporhalten. Die Außen- seiten dieses Heiligthums sind mit verschiedenen Bildern von Göttern und Göttinnen, die, so viel man sehen kann, mit bewundernswerther Kunst in das Holz hineingemeißelt sind, ver- ziert; inwendig aber stehen von Menschenhand gemachte Götzen- bilder, mit ihren Namen am Fußgestell, furchtbar anzuschauen. Der vornehmste derselben heißt Zuarasioi (Beiname des Radi- gast) und wird von allen Heiden geehrt und angebetet. Hier befinden sich auch ihre Feldzeichen, welche nur, wenn es zum Kampfe geht, von hier fortgenommen und dann von Fuß- kämpfern getragen werden. Um dies alles sorgfältig zu hüten, sind von den Eingeborenen besondere Priester angestellt, welche, wenn die Leute zusammenkommen, um den Bildern zu opfern und ihren Zorn zu sühnen, allein sitzen bleiben, während die anderen stehen. Indem sie dann heimlich untereinander mur- meln, graben sie voll Zornes in die Erde hinein, um vermit- telst geworfener Loose nach Gewißheit über zweifelhafte Dinge zu forschen. Nachdem dies beendigt ist, bedecken sie die Loose mit grünem Rasen und führen ein Roß, das als heilig von ihnen verehrt wird, mit demüthigem Flehen über die Spitzen zweier sich durchkreuzenden, in die Erde gesteckten Speere weg. Dies ist gleichsam der zweite Akt, zu dem man schreitet, um die Zukunft zu erforschen, und wenn beide Mittel (zuerst das Loos, dann das heilige Pferd) auf ein gleiches Vorzeichen hin- deuten, so handelt man darnach; wo nicht, so wird von den betrübten Eingeborenen die ganze Angelegenheit aufgegeben.“ Als Bischof Thietmar diese Schilderung von Rhetra ent- warf, stand dasselbe noch in höchstem Ansehen bei der Gesammt- heit des Wendenvolkes, aber schon wenige Jahre später ging sein Ruhm als erste Tempel- und Orakelstätte des Wenden- reiches unter; Arkona auf Rügen trat an seine Stelle. Nach 1066 hatten die Wenden, nach einem siegreichen Rachezuge, den Bischof Johann von Mecklenburg nach Rhetra geschleppt und dem Radigast das Haupt des Bischofs geopfert; aber dies Ereig- niß führte zugleich zu jener Niederlage Rhetra’s, von der es sich nicht mehr ganz erholte. Im Winter 1067 auf 68 erschien Bischof Burkhard von Halberstadt vor Rhetra, stürzte das Götzenbild um und ritt auf dem weißen Rosse des Radigast heim . Dieser wohlberechnete Hohn blieb auf die Wendenstämme nicht ohne Einfluß, Eifersucht gegen die Rhe- darier kam hinzu, und so wendeten sich die Wendenstämme von dem Radigast zu Rhetra, der sich schwach erwiesen hatte, ab und dem Swatowit-Tempel in Arkona zu. Hundert Jahre lang, von jenem Tage der Niederlage ab, glänzte nun Arkona , wie vorher Rhetra geglänzt hatte. Auch von Arkona und seinem Swatowit-Tempel besitzen wir eine Beschreibung. Es scheint, daß 4 mächtige Holzpfeiler, die auf Thierhörnern ruhten, ihrerseits ein Dach trugen, dessen Inneres dunkelroth getüncht war. Der Raum zwischen den 4 Pfeilern war durch Bretter- wände ausgefüllt, die allerhand bunt bemaltes Schnitzwerk tru- gen. Dies alles aber war nur die Außenhülle, und 4 mäch- tige Innen-Pfeiler, durch Vorhänge geschlossen, theilten den inneren Tempelraum wieder in zwei Hälften, in ein Heiligstes und Allerheiligstes. In dem letzteren erst stand das Bild Swa- towit’s. Arkona hatte besondere Tempeldiener, und mehr und mehr bildete sich hier eine Priesterkaste aus. Sie unterschieden sich schon durch Tracht und Kleidung von dem Rest der Nation und trugen Bart und Haar lang herabwallend, während die übrigen Ranen Bart und Haar geschoren trugen. Sie gehörten zu den Edlen des Landes; kriegerische und priesterliche Thätig- keit galt überhaupt den Wenden als wohl vereinbar. Auch hier in Arkona diente das „weiße Pferd“ zur Zeichen- deuterei. Alle Poesie knüpfte sich an dasselbe. Nicht selten fand man es des Morgens mit Schaum und Schmutz bedeckt in seinem Stall: dann hieß es, Swatowit selber habe das Pferd geritten und es im Streit gegen seine Feinde getummelt. Die Formen, unter denen das Orakel ertheilt oder die Frage „Krieg oder Friede“ entschieden wurde, waren denen in Rhetra nah verwandt, aber doch nicht voll dieselben. Drei Paar gekreuzte Lanzen wurden in den Boden gesteckt und das Pferd heran geführt. Schritt es nun mit dem rechten Fuß zuerst über die Speere, so war das Zeichen glücklich, unglücklich, wenn das Thier den linken Fuß zuerst aufhob. Entschiedenes Heil aber versprach das Orakel nur, wenn das weiße Pferd über alle drei Lanzenpaare mit dem rechten Fuße hingeschritten war. Der Swatowit-Tempel auf Arkona war das letzte Boll- werk des Heidenthums; es fiel endlich in den Dänenkämpfen, im Kriege mit „Waldemar dem Sieger“, nachdem es nicht nur den Radigast-Tempel Rhetra’s, wenigstens den Ruhm desselben, um ein Jahrhundert, sondern auch den uns in gewissem Sinne näher angehenden Triglaff-Tempel zu Brannibor um zwanzig und einige Jahre überlebt hatte. Dieser Triglaff-Tempel zu Brannibor, wenn auch für die Gesammtheit der Wenden nur ein Tempel zweiten Ranges, stand doch, wie eben schon angedeutet, für die märkischen Wenden in erster Reihe, und diese seine lokale Bedeutung — da uns die märkischen Wenden hier vorzugsweise beschäftigen — erheischt noch ein kurzes Verweilen bei ihm. Der Triglaff, der in Brannibor verehrt wurde, war eine ursprünglich pommersche Gottheit und wurde, wie es scheint, erst in späterer Zeit, sei es aus Eifersucht oder sei es aus Miß- trauen gegen den Radigast (in Rhetra), von Pommern her eingeführt. In Kürze haben wir ihn schon an anderer Stelle beschrieben. Er hatte drei Köpfe, weil er Herr im Himmel, auf Erden und in der Unterwelt war, und sein Gesicht war verhüllt, zum Zeichen, daß er die Sünden der Menschen übersah und verzieh. In seinen Händen hielt er einen gehörn- ten Mond, ein Symbol, über dessen Bedeutung nur Vermu- thungen existiren. Seinen Haupttempel hatte er in Stettin, der den Schilderungen nach, die wir davon besitzen, den aus Holz aufgeführten, mit Bildwerk und Schnitzereien ausgeschmückten Tempeln in Rhetra und Arkona sehr verwandt gewesen sein muß. Auch der Triglaff- Dienst war dem Dienst des Radi- gast oder Swatowit mehr oder weniger verwandt. Die Zeichen wurden in ähnlicher Weise gedeutet, das Roß schritt über die gekreuzten Lanzenspitzen hin, und das Berühren dieser oder jener Lanze, mit dem einen oder andern Fuß — alles hatte seine Bedeutung zum Heil oder Unheil. Nur das Roß selbst war nicht weiß sondern schwarz , vielleicht weil Triglaff selbst mehr den finstern als den lichten Göttern zugehörte. Um 982, unmittelbar nach dem großen Wendenaufstande, war es, daß nunmehr diesem Triglaff zu Ehren auch in Bran- nibor (wo bereits 50 Jahre ein Bischofssitz bestanden hatte) ein Tempel errichtet wurde; derselbe erhob sich auf dem Harlun- ger Berge und sah triumphirend in das dem Heiden- und Wen- denthum wieder zurückeroberte Land hinein. Es war höchst wahrscheinlich kein Holzbau mehr, wie der Stettiner, sondern ein Steinbau, nach Art der christlichen Steinkapellen, Daß die Wenden, in späterer Zeit, solche aus Stein aufgeführte Tempel gehabt haben, dafür spricht manches, namentlich auch manche örtliche Tradition. So finden wir in einer 1619 zu Wittenberg gedruck- ten Jubelpredigt eines Jüterbocker Geistlichen folgendes: „Das uralte Templein allhier, welches ungefähr nur vor vierzig und etlichen Jahren ist eingerissen worden, darinnen der heidnische Götzendienst der Wendischen Morgengöttin soll sein geleistet worden , dies Templein ist in der Länge, Breite und Höhe bis an das Dach recht viereckigt von Mauersteinen aufgeführt gewesen, hat oben ein Kreuz- gewölbe und darüber ein viereckigt zugespitztes Dach von hellen Steinen gehabt. Die Thür oder Eingang von abendwärts ist niedrig gewesen, also daß man im Eingehen sich etwas bücken müssen. Es hat auch keine Fenster gehabt, sondern nur ein rundes Loch ꝛc. — — also habe ich’s von mehreren Personen, die noch am Leben sind, und M. W. Heffter in seiner trefflichen Geschichte Brandenburgs stellt sogar die Hypothese auf, daß aus diesem alten heidnischen Tempelbau, zunächst ohne wesentliche Umgestaltung, die später so berühmt gewordene Marienkirche auf dem Harlunger-Berge hervorgegangen sei. Wir halten dies für wahrscheinlicher als nicht, finden indessen den Beweis dafür weniger in der eigenthümlichen, in allem Wesentlichen aber doch immer noch byzantinischen For- mengebung dieser Kirche, als in dem historisch nachgewiesenen Umstande, daß sich unter den märkischen Wenden der Uebergang aus dem Heidenthum ins Christenthum im Wesentlichen ruhig vollzogen zu haben scheint, so ruhig etwa wie 400 Jahre später der Uebergang aus dem Katholicismus in den Protestantismus. Der Fürst (Pribislaw) wurde Christ; das Volk folgte, theilwei- se widerwillig, aber doch vielfach auch willig und zwanglos. Man hatte sich bereits mit und nebeneinander eingelebt, und der bloße Umstand, daß das gestürzte Bild des Triglaff nicht verbrannt oder zerstört, vielmehr, allen bekannt und allen zu- gänglich, bis 1526 in einer Seitenkapelle der Marienkirche auf- bewahrt wurde (in welchem Jahre Christian II. von Dänemark es unter Zulassung Joachim’s I. mit fortnehmen durfte), deu- tet darauf hin, daß die innere Wandlung der Gemüther sich friedfertig genug vollzogen und der Christengott den Wenden- gott ruhig bei Seite gedrängt hatte. Diese Umwandlung des Triglaff-Tempels in eine Marienkirche erfolgte zwischen 1136 und 41; sechshundert Jahre hat vom Harlunger-Berge aus die berühmte Marienkirche in’s Land gesehen. Ihre Entstehung bezeichnete den endlichen Sieg des Christenthums über das Hei- denthum im Lande zwischen Elbe und Oder. Auf der Stätte des Triglaff-Tempels ging ein neues Leben auf, und der drei- einige Gott sprach hinfort statt des dreiköpfigen Gottes zu sei- nem Volke. beschreiben hören . (Allerdings ist diese Angabe kein Beweis, daß das „Templein“ wirklich heidnisch gewesen sei. Das Kreuzgewölbe spricht sehr dagegen. Als man hier Landes Kreuzgewölbe baute, war es mit dem Wendenthum schon vorbei.) So, wie vorstehend geschildert, waren die Wenden zur Zeit der (endgültigen) deutschen Eroberung 1157 in dem Lande zwischen Elbe und Oder. Es bleibt uns noch die Beantwortung der Frage übrig: was wurde aus den Wenden . Sie wurden keineswegs mit Stumpf und Stiel ausgerottet, sie wurden auch nicht (wie die Indianerstämme in Amerika) einfach zurückgedrängt bis zu Gegenden, wo sie Stammesgenossen vorfanden, — sie blieben vielmehr alle oder doch sehr überwiegenden Theils im Lande und haben in allen Provinzen jenseit der Elbe unzweifelhaft jene Misch-Race hergestellt, die jetzt die preußischen Provinzen be- wohnt. Einzelne Historiker haben dies bestreiten wollen, aber wie wir glauben mit Unrecht. Einmal würde eine solche consequent durchgeführte Racen-Geschiedenheit gegen die historische Ueber- lieferung aller andern Staaten, bei denen ähnliche Verhältnisse obwalteten, sprechen, (Polen und Deutsche hassen sich bis diesen Tag und heirathen sich doch), andererseits dürfte es, von allen Analogien abgesehen, nicht schwer halten, in aberhundert Einzel- fällen solche Mischung der beiden Racen nachzuweisen. Es ist wahr, die Deutschen brachten den Stolz des Siegers mit, ein Race-Gefühl, das, auf geraume Zeit hin, eine Schranke ge- zogen haben mag; wir halten uns aber nichts destoweniger über- zeugt, daß, noch ehe die Hohenzollern in’s Land kamen, jeden- falls aber noch vor Mitte des 15. Jahrhunderts diese Unter- schiede so gut wie verwischt waren . Sie mögen an ein- zelnen Orten länger bestanden haben, es mag Ortschaften geben, wo sich bis diesen Tag eine Exclusivität findet, die auf jene alte Wenden-Abneigung zurückzuführen ist, im Großen und Ganzen liegt die Verschmelzung aber weit zurück. Wir wollen dabei anderer- seits gern zugeben, daß, wenn die Jahrhunderte seitdem in unge- störtem Frieden verflossen und die Generationen in den Dörfern, säend und erndtend, in einem ewigen Wechsel und doch zugleich in einem ewigen Gleichmaaß sich gefolgt wären, diese Empfin- dungen des Racen-Dünkels vielleicht dieselben geblieben wären. Aber „die Noth giebt wunderliche Schlafgesellen“, und die Con- servirung von Race-Dünkel und Vorurtheil wurde durch die Ver- hältnisse, durch Brand und Krieg, durch die Gemeinschaftlichkeit des Unglücks unmöglich gemacht. Das Aufeinander-angewiesen-sein riß jene Schranken nieder, die in der Fülle selbstbewußten Glücks vielleicht geblieben wären. Mehrfach ging der schwarze Tod durch das Land und entvölkerte die Dörfer; was der schwarze Tod nicht that, das thaten, in nie rastenden Kriegen, die Pommern und Polen, und was die Pommern und Polen nicht thaten, das thaten die Hussiten. Im Barnim befinden sich vielleicht 20 oder 30 Feldmarken (jetzt einfache Acker- oder Brachfelder), die Namen wie Wüste-Sieversdorf, Wüste-Gielsdorf, Wüste-Büsow ꝛc. führen, Benennungen aus jener Epoche immer neuer Ver- ödungen her. Die wüst gewordenen Dörfer, namentlich solche, wo einzelne bewohnte Häuser und Hütten stehen geblieben waren, wieder neu zu besetzen, war die Aufgabe der Landesverwaltung, die in Brandenburg von jeher den fridericianischen Satz ver- folgte: „Menschen; vor allem Menschen“. Man freute sich jeden Zuzugs, ohne nach der Racen-Abstammung zu fragen. Das deutsche Dorf, in dem vielleicht ein Fritze, ein Han- sen, ein Dietrichs wohnte, war froh einen Kroll, einen Noack, einen Posedien die wüst gewordenen Stätten einnehmen zu sehn, und ebenso die wendischen Dörfer empfingen den deutschen Zuzug mit Freude. Die Namensverzeichnisse im Landbuch von 1375, wie die Urkunden überhaupt, lassen keinen Zweifel darüber. Alle diese Anführungen haben selbstverständlich nur die Regel , nur die Verhältnisse in ihren großen Zügen schildern sollen, ganz besonders aber die der Mittelmark . Die Mittel- mark, im Gegensatz zu den mehr Oder- und Elb-wärts gele- genen Landestheilen, war der eigentliche Mischungsbottich ; die Verhältnisse forderten dazu auf. Auf dem platten Lande war es die Noth, in den Städten war es die Gelegenheit , die die Menschen, deutsch oder wendisch, zusammenführte. Die alten Bürgerfamilien freilich beharrten in ihrer Abgeschlossenheit und betrachteten den Wenden-Kietz um kein Haar breit besser als ein jüdisches Ghetto, aber dem „Zuzug“ gegenüber kamen die alten, alles nach Zunft und Race sondernden städtischen Traditionen wenig oder gar nicht in Betracht, und die „kleinen Leute“ thaten sich zusammen, unbekümmert um die Frage: wen- disch oder deutsch. So lagen die Dinge in der Mittelmark , d. h. also in Teltow und Barnim, im Ruppin’schen, in Bes- kow-Storkow, in der Westhälfte von Lebus, überhaupt in allen Landestheilen, in denen sich Deutschthum und Wenden- thum einigermaßen die Wage hielten. Anders freilich war es in West und Ost. Je mehr nach der Elbe zu, je exclusiver hielt sich das Deutschthum, weil es ihm leicht gemacht war, sich aus seinen Stammesgenossen jenseits der Elbe zu rekrutiren; umgekehrt, je näher der Oder und den eigentlichen slavischen Landen zu, je länger blieb das Wendenthum in Kraft. Jetzt indessen, wenige Stätten abgerechnet, ist es, in Wirklichkeit, im Leben unsres Volks verschwunden. Es lebt noch fort in der Mehrzahl unserer Städte- und Dorfnamen, in dunklen Erinnerungen, daß in einzelnen, den Namen eines Wenden- gottes bis heute festhaltenden Lokalitäten (in Jüterbog, in Jütergotz) ein Tempel stand, vor allem in den Heidengräbern und Wendenkirchhöfen, die sich allerorten in der Mark ver- breitet finden. Aber es ist charakteristisch, daß eben das Einzige, was aus der alten Wendenwelt noch zu uns spricht, ein Begra- benes ist. Alles geistig Lebendige ist hinüber; selbst der Aber- glaube und die in ihm wurzelnden Sitten, Gebräuche und Volksweisen, die wohl dann und wann für wendische Ueberreste gehalten worden sind, lassen sich vielfach (und die neuste Wissen- schaft hat es mit Erfolg versucht) auf etwas Urgermanisches zurückführen, das, auch vor den Wenden schon, hier heimisch war. Mit Sicherheit lebt noch Alt-Deutsches in den Gemü- thern, und das Volk erzählt von Wodan und Fricke (Freia) und dem Hackelberger Jäger; aber Radegast und Czernebog sind todt . Das Wendische ist weggewischt, untergegangen in dem Stärkern, in dem germanischen Leben und Gemüth, Fontane , Wanderungen. III. 3 und nur noch am Rande der Oder hin, den polnisch sla- vischen Landen zu, zeigt sich dann und wann, neben slavischer Heiterkeit, auch noch jener auf Hartnäckigkeit und Verschlossen- heit deutende finstere Zug, der an die alte Zeit und ihre Be- wohner mahnt. Der Brieselang. Balsamisch wogten die Düfte Ueber das feuchte Revier, Die alten Störche bezogen Freudig das alte Quartier. In all den Luchen und Lanken Waren die Wasser erwacht, Die Kiefern lauschten und tauschten Ihre Grüße sacht. G. Hesekiel. E ine der ältesten Waldpartien in der Mark ist der Briese- lang , anderthalb Meilen westlich von Spandau. Die Ham- burger Eisenbahn schneidet an seinem Südrande hart vorbei und bildet so zu sagen den Fuß, auf dem er steht. Wer ihn besuchen will und die Jahre des Turner-Enthusiasmus hinter sich hat, pflegt deshalb auch die genannte Bahn zu benutzen, die ihn Wochentags bis an die östlichen Vorlande des Waldes (Station Segefeld) oder Sonntags in Extrazügen direct bis an seine Eingänge führt. Der Brieselang ist nicht mehr, was er war. In alten Tagen ging er über Quadratmeilen hin und füllte das ganze Territorium, das man damals als Alt-Bredow-Land bezeich- nen konnte. Das Nauen’sche Luch, die Falkenhagen’schen Wiesen, der Bredow’sche Forst, das Pausin’sche Bruch, alles war Brieselang, — ein Elsbruch im großen Stil; im Früh- jahr ein Sumpf oder See, im Sommer eine Wiese, eine Prai- rie, zu allen Jahreszeiten aber von mächtigen Eichen, den „Brieselang-Eichen“ überragt, die um einen Schuh höher 3* waren, als alle anderen im Lande. Das ist nun anders geworden; in allen Theilen des alten Gebiets, zumal auch auf jener Strecke, die noch den alten Namen führt, haben sich die Elemente geschieden, aus weiten Sumpfstrecken, denen man die Elsen und Eichen nahm , sind weite Wiesenstrecken geworden, und aus anderen, denen man Elsen und Eichen hinzuthat , sind regelrechte Waldreviere geworden. Nur da, wo Wald und Wiese mit einander grenzen und der Wald aus seinem Heerlager einzelne Posten in die weite Wiese hinausstellt, nur an diesen Stellen zeigt der Brieselang noch seinen alten Charakter, zumal im Frühjahr, wenn das Sumpfwasser steigt und sich wieder in Lachen und Lanken um die Elsenbüsche sammelt. Der Brieselang ist eine schwindende Macht, an Terrain verlierend wie an Charakter, aber auch noch im Schwinden ehrwürdig, voll Zeichen alter Berühmtheit und alten Glanzes. Er besteht zur Zeit noch aus zwei Hälften, aus dem eigent- lichen Brieselang und aus der Buten-Haide, von denen jener, mit dem Hauptpunkt „Finkenkrug“, die südliche, diese, die Buten-Haide, mit dem Hauptpunkt „Königs-Eiche“, die nörd- liche Hälfte bildet, da aber wo beide Hälften zusammentreffen, inmitten einer Lichtung, erhebt sich die „Försterei Brieselang“, die als Centralpunkt mit Recht den Namen des ganzen Waldes trägt. In den Brieselang also! 1. Finkenkrug . Es sauset und brauset Das Tamburin, Es rasseln und prasseln Die Schellen darin. Clemens Brentano. In Tagen sommerlicher Lust: Mai, Juni, Juli und August vergeht kein Sonntag, wo nicht Schaaren von Besuchern den Brieselang umschwärmten. Aber die Tausende, die kommen und gehn, begnügen sich damit, den Zipfel seines Gewandes zu fassen, die Parole lautet nicht „Brieselang“, sondern „Finkenkrug.“ Und doch ist der Finkenkrug, an der südlichsten Stelle der Süd- hälfte gelegen, ein bloßes Portal, durch das man hindurch muß, um in die eigentliche Schönheit des Waldes einzutreten; nicht diesseits liegt die Herrlichkeit, sondern jenseits, und alles, was den Brieselang ausmacht, seinen Charakter, seine Erinnerungen, seine Schätze, alles liegt drüber hinaus. Der Finkenkrug ist nur erste Etappe; wer den Brieselang kennen will, der muß auch, rüstigen Fußes, die beiden andern Staffeln zu erreichen wissen: die För- sterei und die Eiche . Nur erst wer bei der „Königs-Eiche“ steht, der hat den Brieselang hinter sich und kann mitsprechen. Wir thun’s. Der geneigte Leser wolle uns folgen. Es ist Sonntag vor Pfingsten; wir haben den 11 Uhr- Zug benutzt und die Sonne steht bereits in Mittag, als wir landen. Wir sind zu drei; mein Reisegefährte, ein pommersch Blut; ich selbst; der dritte (unser Führer) ein Autochthone dieser Gegenden. Das Dreieck Spandau-Nauen-Cremmen umschließt seine Welt. Er ist hager und ausdauernd wie ein Trapper, erfahren und lederfarben wie „Pfadfinder.“ Er ver- steht auch zu sprechen. Können Sie’s glauben, so hebt er an, daß ich diese Straße seit 20 Jahren nicht gekommen bin; ich fasse den Brieselang immer von Norden her; hier unten bin ich ein Fremder. Ja, vor 20 Jahren! Das war ein Tag, gerade so kalt, wie der heutige warm ist. Wir hatten Wahl in Finkenkrug. Im Finkenkrug? Ja, in Finkenkrug. Er mag dadurch poetisch verlieren, mehr verlieren als er politisch gewinnt, aber ich kann es nicht ändern. Es war in Finkenkrug und ich kam mit dem Falken- hagener Oberförster hier des Wegs. Die Pferde waren ganz weiß, der Wald glitzerte; ich habe kein Rothkehlchen gesehn, so todt war der Wald. Und sie kamen an und stießen auf’s leere Nest. Jeder war zu Hause geblieben. Fehlgeschossen. Viele Hunderte waren da, immer neue Schlitten fuhren an, und ehe eine halbe Stunde um war, war es nicht mehr möglich, die Ankommenden und Hereindrängenden in den Stuben unterzubringen. Da rief Oberförster Brandt: „Wir machen ein Feuer und tagen draußen .“ Allgemeiner Jubel. Er war Oberförster , und die Paar Klafter Holz, die nun bald lichterloh und mit Geprassel an zu brennen fingen, wird er wohl nach oben hin verdefendiret haben. Es war ein entzückendes Bild. Der glitzernde Wald, das verschneite Haus, auf dessen weißes Dach die rothen Lichter fielen, und um das Feuer herum, in Pelze gewickelt, all die havelländischen Bredow’s, die Ribbeck’s, die Hünekes, Erxleben von Selbelang, Risselmann von Schönwalde, dazwischen die Pastoren in ihren Filial-Reisemänteln, endlich die Kutscher und Knechte mit ihren Pferdedecken. Jede Stimme galt. Der alte Landrath v. Hobe präsidirte und versicherte uns einmal über das andere, daß v. Patow-Potsdam gewählt werden müsse. Und was wurde? Nun, er wurde gewählt. Aber nicht ohne Zwischenfälle. Es muß wahr sein, nie habe ich solche Vertilgung von Grog und Glühwein gesehen. In solchem Moment höchster Hitze sprang der Oberprediger aus Cremmen, ein scharfer Liberaler, auf die Tribüne und schrie: „Was wollt Ihr jungen Most in alte Schläuche fassen; weg mit Patow, ich stelle mich zur Wahl.“ Sein Anhang (kein Drittel) rief Bravo; aber ein Pächter aus Pressentin, der schon völlig unter Grog stand, schrie in die Versammlung hinein: „’runter mit ihm, hinein in’s Feuer.“ Allgemeines Gelächter; der Oberprediger indeß, der klugerweise nicht abwarten wollte, wie viel hier Ernst oder Spaß war (denn einige faßten bereits zu) rettete sich durch einen Sprung und verschwand im Unterholze des Brieselang. Er hat den Tag nicht vergessen können. So ging das Gespräch. Es war inzwischen heiß geworden, so heiß, daß unsere Phantasie mit einem gewissen Neid an dem Winterbilde hing, das unser Führer eben vor uns entrollt hatte und schon däm- merte die Frage herauf, ob nicht ein flüchtiges „Ausspannen“, eine Lagerung an schattiger Stelle gestattet sei, als wir deutlich eine Art Janitscharenmusik vernahmen belebende Klänge, die, immer lauter werdend, unsern Füßen ihre Elasticität wieder gaben. Wir waren am Ziel, wenigstens an einem vorläufigen. Der Finkenkrug blitzte durch’s Gezweig, und in guter Haltung rückten wir auf einen kastanienumschatteten Platz, zu dem sich der Waldweg hier verbreitert. Eine Alternative, vor die wir uns plötzlich und gegen Erwarten gestellt sahen, gebot uns mitten im Wege halt zu machen. Der Finkenkrug umfaßt nämlich eine Doppelwirthschaft: links ist Kaffee und Kegelbahn, rechts ist Bier und Büchsenstand; dies hielt sich die Wage; aber was zuletzt unserem Schwanken ein Ende machte, war, daß nach rechts hin, wo das verlockende Seidel blühte, zugleich die minder verlockende Janitscharenmusik ihren Platz genommen hatte, die, in die Waldesferne hinein unbedingt segensreich wirkend, in nächster Nähe ihr entschieden Bedenkliches hatte. Also links . Da hatten wir’s denn wirklich mal getroffen. Es war auch die Damen seite, die Seite der jungen Paare, und ich kann mich nicht entsinnen, von meinen Landsmänninen, honni soit qui mal y pense, jemals einen so ungestört guten Eindruck empfangen zu haben. Schlank, hübsch, wohlgekleidet, munter ohne Lärm, neckisch ohne Frivolität, frei ohne „Freiheiten“, schritten sie paarweise auf und ab, spielten zwischen den Bäu- men, oder flogen in der Schaukel durch die Luft. Fremde, die sich auf vergleichende Völkerkunde verstehen, würden die günstigsten Urtheile von dieser Stelle mit hinweg genommen haben, wenn man ihnen, die Paare vorstellend, hätte sagen können: dies ist die Schwester eines Steinmetzen, die Braut eines Büchsenmachers, die junge Frau eines Schiffszimmermanns oder Kahnbauers. Eine kurze Rast wurde genommen, das Seidel „von ge- genüber,“ geprobt dann brachen wir wieder auf, mit einem Gruß gegen das graciöse Paar, das eben jetzt im Versteckspiel hinter den Bäumen sich neckte, und traten dann in jenen schon erwähnten, an der Grenzlinie von Wald und Wiese sich hinschlängelnden Weg ein, der, zumal in Apriltagen, wenn Alles wieder See und Sumpf ist und jedes Elsengebüsch zu einer Insel wird, die alten Brieselang- Zeiten herauf beschwört. Heut bot die Scenerie nichts von den Bildern jener Zeit. Links zwitscherten die Vögel im Wald, nach rechts hin dehnte sich die Wiese, mit Tausendschön, Ra- nunkel und rothem Ampfer gesprenkelt. Alles war Heiterkeit und Friede. Unser „Pfadfinder“, der während unsers kurzen Aufenthalts im Finkenkrug sich mehr meinem Reisegefährten als mir zu attachiren gewußt hatte, brach hier die rasch angeknüpf- ten Beziehungen ebenso rasch wieder ab, gesellte sich mir aufs neue und antwortete eingehend und immer bereit auf meine hundert Fragen, die alsbald kreuz und quer gingen wie der Weg, den er uns führte. Sie fragen nach Wildstand und Wilddieben; nun, der Wilddiebe hat der Brieselang wohl nicht allzuviel, aber der Walddiebe desto mehr. Sie glauben gar nicht, was in solchem Walde alles steckt und wie viele Hunderte von Menschen daraus ihre Nahrung oder doch einen Theil ihres Erwerbes ziehen. Es mag wohl 20 Arten von „Jägern“ geben, die hier im Briese- lang zu Hause sind; vielleicht noch viel mehr. Und das wären? Ich will Ihnen nur ein halbes Dutzend nennen. Da sind die Kräuterjäger, die Käfer-, Fliegen- und Insekten-Jäger, die Eier- und Vogeljäger, die Laubfroschjäger, die Schlangen- jäger, die Ameisenjäger. Auf dem Schwanen-Kruge versammeln sich im Juni allerlei Gestalten, jung und alt, die Jagd auf wilde Rosenstämme, auf „Hagebutten-Sträucher“ machen, während andere, etwas früher schon, aber mit derselben Perti- nacität dem jungen Faulbaum nachstellen. Dem Faulbaum? Ja! das Faulbaumholz giebt eine allerbeste Kohle für die Pulverfabrikation. Selbst Pappeln und Linden kommen gegen den Faulbaum nicht an. Da ist denn immer Nachfrage, und so macht sich der Handel. Nun werden Sie fragen: ist das legal? Gut. Aber wer will in der Kohle noch nach der Legalität des Holzes spüren? Wer kauft Pottasche und verlangt Ausweis über den eingeäscherten Wald? Ich versteh. Aber Sie sprachen auch von Schlangen- jägern. Das klingt ja bedenklich. Sind wir hier auf Reptilien- Terrain? Nicht gerade hier. Aber weiter rechts, nach dem Span- dauer Forst hinüber, da sind die Schlangen zu Hause. Blindschleichen, Columbellen. Nicht so harmlos. Die echte Kreuzotter. Es sind dort Stellen, wo sie so dicht wie Regenwürmer liegen. Diese Stel- len kennen die Schlangenjäger ganz genau. Ihre ganze Waffe besteht in einem Stock, der vorn gegabelt ist. Nun lüften sie das halbverfaulte Gebälk, drunter die Kreuzotter liegt und im nächsten Moment fahren sie mit dem Stock derart in die Erde, daß die Gabel sich wie ein Halsring um die Schlange legt. Nun ist sie wehrlos und wird durch eine zweite Manipulation in einem Behälter, meist einer Flasche, untergebracht. Ist dies nun wissenschaftliche Passion? Unter Umständen ja; aber zumeist Erwerb. Solche Kreuz- otter hat ihren Werth. Da sind Händler, auf deren Preis- couranten die Rubrik „Schlange“ eine halbe Spalte füllt. Aber wer kauft dergleichen? Hunderte von Personen. Da sind zuerst die Zoologen und Toxikologen von Fach, da sind die unerbittlichen Männer der Vivisektion, die von dem harmlosen Kaninchen ’mal gern auf ein kleineres Ungethüm mit Giftzahn und Giftblase überspringen (ein höherer Sport, weil gefährlich), da sind endlich die chemisch- physikalischen Oberlehrer dieses oder jenes Progymnasiums, die das Naturalien-Cabinet in Pritzwalk oder Pasewalk auf der „Höhe der Wissenschaft“ zu erhalten d. h. mit allerhand Rep- tilien in Glasflaschen auszustaffiren wünschen. Auch mit Kreuzottern? Gewiß. Die Herren von der Feder glauben immer, daß sich die Welt blos aus Autographen- und wenn es hoch kommt aus Kupferstichsammlern zusammensetzt. Sie glauben gar nicht, was alles gesammelt wird. In diesem Augenblick, als ob uns der Beweis „was alles gesammelt würde“, auf der Stelle geführt werden sollte, trat aus einem wilden Elsbusch-Bosquet eine sonnenverbrannte Ge- stalt hervor, deren Costüm (eine Art Jagdtasche, aus der drei oder vier aufrechtstehende Cigarrenkisten hervorragten; dazu ein Stock mit flatterndem Gazebeutel) keinen Zweifel darüber lassen konnte, welcher Kategorie von Sammlern er zugehörte. Es war ein Muster-Exemplar. Er trat mit rascher Wendung an uns heran, machte mit seinem Käscherstock eine Bewegung wie ein Tambour-Major, wenn die Musik aufhören oder wieder anfangen soll, und sagte dann im Berliner Dialekt: Erlauben Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle, mein Name ist Lampe, Kalitten-Jäger. Bei diesem Schlußwort wiederholte er die Bewegung mit dem Stocke. Im ersten Augenblick, als er so jäh und plötzlich, wie die bekannten Drei auf der schottischen Haide, vor uns hin- trat, erschrak ich ein wenig. Und zunächst mit Recht. Die Klasse von Jägern nämlich, der er — auch eh’ er sich selbst dazu bekannt hatte — so unverkennbar angehörte, zählt keines- wegs zu den angenehmen, am allerwenigsten zu den harmlosen Erscheinungen, wie man, ihrem Namen nach, ohne weiteres schließen sollte. Sie vereinigen den Hochmuth des Turners, des Dauerläufers und des Gelehrten in sich; jeder „steht und fällt mit der Wissenschaft.“ Zu dieser Gruppe gehörte Lampe nun glücklicherweise nicht . Das Berlinerthum wirkte hier als Gegengift. Seine Selbst- ironie brachte wieder alles ins Gleichgewicht und ließ noch einen gefälligen Ueberschuß. Er bat, wie gesagt, sich uns anschließen und „seine Fahne hochhalten zu dürfen.“ Unsere Herzen fielen ihm gleich zu, und so ging es weiter. Herr Lampe, Sie sind gewiß auch Kräuterjäger. Nicht doch. Wer seinen Käscher mit Ehren tragen will, muß die grüne Trommel zu Hause lassen. Fauna apart und Flora apart. Sie glauben gar nicht, welche profunde Wissen- schaft die Käferei ist; 120 Bockkäfer nur im Brieselang. Das will gemacht sein. Gewiß. Aber ich habe mir sagen lassen, daß die Dinge doch Hand in Hand gehen und daß die „Käferei“, wie Sie sagen, ohne „Kräuterei“ gar nicht recht bestehen kann. Bei- spielsweise wenn Sie eine Weißdornhecke sehen, so wissen Sie auch schon, was in dieser Hecke vorkommen kann, eben so gewiß wir wissen, wo die Cretins und die Kröpfe zu suchen sind. Ursach und Wirkung. Theorie von der Ernährung. Bergwasser. Ich danke Ihnen für Ihre Vergleiche. Aber Sie haben Recht. Das Land und die Leute, die Kräuter und die Insekten stehen in allernächster Beziehung zu einander und obwohl ich für strenge Scheidung bin und die Mengerei in der Wissenschaft nicht leiden kann, so kann man doch nicht käfern in absoluter Ignorirung der grünen Trommel. Rund heraus, ich kenne dies und das. Aber das ist nicht Wissenschaft. Ich höre, daß der Brieselang eine eigene Flora haben soll, daß hier Dinge vorkommen, die sonst in der ganzen Mark nicht mehr zu finden sind. Hat das seine Richtigkeit? Gewiß. Der Brieselang hat seine eigenen Pflanzen und seine eigenen Insekten, er ist unser gelobtes Land und selbst die Rudower Wiese, in „all dem Ruhm ihrer Orchideen“, muß sich gegen den Brieselang verstecken. Was kommt denn wohl so vor? Ich meine zunächst von Pflanzen. Da haben wir zunächst das Wanzen-Knabenkraut; da haben wir ferner Neottia Nidus avis, das Vogelnest. Noch seltener ist Coptolanthera rubra, der rothe Rundbeutel; die Krone von allem aber ist vielleicht Dicranum montanum, der gebirgliebende Gabelzahn. Wie der speciell in den Brieselang kommt, wo die Maulwurfshügel für Alles, was Berglinie heißt, aufkommen müssen, ist mir unerfindlich. Und nun die Käfer. Nun wissen Sie, da giebt’s kein Ende. Aber ich will es gnädig machen. Da ist der Widderkäfer, der Bastkäfer, der Feuerkäfer; dies sind die leichten Truppen; dann kommt die Garde: der Schwarzkäfer, der Panzerkäfer; aber das eigentlich schwere Geschütz, das den Ausschlag giebt, das ist doch Pro- crustes coriaceus und Saperda Seydlii. Besonders Saperda. Sie lächeln; aber glauben Sie mir, wie unser einem zu Muthe wird, wenn man blos das Wort Saperda aussprechen hört, davon können Sie sich keine Vorstellung machen. Ich hatte einen legitimistisch-historischen Freund, dessen Gesicht sich immer verklärte, wenn er „Montmorency“ sagte; sehen Sie, so geht es mir mit Saperda. Und sagen Sie selbst, klingt es nicht schön, apart, dies Doppel a und das r in der Mitte! O, wir haben auch ein Herz. Ist denn nun Saperda im ganzen Brieselang verbreitet? Verbreitet? Ich weiß nicht, was Sie verbreitet nennen. Wenn eine Sache verbreitet ist, nun, so ist es mit ihr vorbei, so ist sie entzaubert. Es giebt keine verbreitete Schönheit. Schönheit ist immer rar. Saperda findet sich auf einem einzigen Baum, an der Segefelder Straße. Davon hab ich gehört. Nicht mehr wie billig. Manche Messerklinge ist da zer- brochen worden. Der Baum sieht aus wie ein Scheibenpfahl, den hundert Kugeln gestreift, durchbohrt, zersplittert haben. Es giebt keinen unter uns, der den Baum nicht kennt. Bei Sege- feld liegt der Sand wie eine Sahara. Aber wir durchwaten ihn mit Freudigkeit; — der Weg zu den großen Pilgerstätten hat noch immer durch die Wüste geführt. 2. Försterei Brieselang . Lesen konnt’ ich in seinen festen Zügen Seinen lang und treu bewahrten Entschluß: Auch mit keinem Fingerdrucke zu lügen; Sicher und wohl ward mir bei seinem Gruß. Nic. Lenau. U nter solchem Geplauder hatten wir eine Stelle erreicht, wo der Weg, die bis dahin inne gehaltene Scheidelinie zwischen Wald und Wiese aufgebend, nach links hin scharf einbiegt. Hier schlug sich Lampe in die Tiefen des Waldes, während wir, den Weg weiter verfolgend, alsbald auf eine große Lichtung mit Gärten, Häusern und Stallgebäuden hinaus traten. Wir hatten den Centralpunkt dieser Waldregionen erreicht: Försterei Briese- lang . Daneben das „Remonte-Depot“ gleiches Namens. Die Lichtung, die diese beiden Häusercomplexe einschließt, hat den Charakter einer großen Waldwiese. Ein Wasserlauf, „der neue Graben“, der in früheren Jahren das Sumpfland entwässert hat und nun zum Holzflößen dient, zieht sich quer durch die ganze Breite; eine Brücke führt darüber hin. Jenseits des Wasserlaufes aber steigt der Wald („die Buten-Haide“) aufs Neue an und schließt gegen Norden hin das Bild. Am jenseitigen Rande des Waldes: die Königseiche und Dorf Pausin. Ein Hirschgeweih über der Thür ließ uns nicht lange in Zweifel, wo wir die Försterei, für die wir einen Gruß mit- brachten, zu suchen hätten. Wir traten ein. Es war um die dritte Stunde. Der Förster, ein Mann von nah an 70, fuhr aus seinem Nachmittagsschlaf auf, strich sich die momentane Runzel von der Stirn und stand grüßend vor uns. Wer in solchen Momenten Haltung bewahrt, ist allemal eine liebens- würdige Natur. Wenn dies je zutraf, so hier. Wir setzten uns zunächst in eine Geisblattlaube, die den Eingang umrankte, als aber die Nachmittagsschwüle zu drücken begann, rückten wir — ein paar Forsteleven hatten sich uns zugesellt — weiter vor, stellten die Bänke in’s Freie und nun die ganze Waldwiese sammt Graben, Brücke und Remonte-Depot (das zur Hälfte eine Brandstelle war) vor uns, begann das Geplauder. Der alte Förster verstand es. Ich darf wohl sagen, so hob er an, der liebe Gott hat es gut mit mir gemeint. Mein Großvater war Förster, mein Vater war Förster, ich bin Förster und meine drei Jungens sind auch Förster, oder sollen’s werden. Wir haben Alle Waldblut in den Adern, Brieselang-Blut. Ein Jahr bin ich einmal in einer Kiefern-Haide gewesen, aber mir wurde erst wieder wohl, als ich Elsen und Eichen um mich her hatte. Ist der Brieselang ihre Heimath? Nicht so ganz, aber doch beinah. Wir sind auf dem Glin zu Hause. Mein Vater war in Diensten beim alten Blücher, der dazumal Groß-Ziethen hatte. Ich habe oft auf des alten Feldmarschalls Knie geritten. „Willst Du auch ein Förster werden?“ Das will ich. „Na, denn werd’ ein so braver Kerl wie dein Vater.“ Das hab’ ich nicht vergessen. Es war doch ein gnädiger, alter Herr. Als es Anno 15 wieder los ging, sagte er zu meinem Vater: „Grote, denk Dir, der Deu- belskerl ist wieder da; wir müssen ihm noch ’mal eins geben; aber diesmal ordentlich, daß er genug hat un nich wiederkommt.“ Und dabei sah er ganz ernsthaft aus, garnicht so schabernackisch wie sonst wohl; es mocht’ ihm wohl schwanen, daß er am Ende selber nicht wiederkommen könne. Und hören Sie, es war auch dichte dran, als er da bei Ligny unter seinem Schimmel lag! Wir nickten Alle. Vom Wald her aber schmetterte Finken- und Drosselschlag immer frischer zu uns herüber und mit dem Daumen rückwärts deutend, sagte der alte Förster: ja, das klingt in’s Herz. Das thut’s, erwiederte jetzt mein Reisegefährte (den es nach gerade wohl Zeit ist aus seiner stummen Rolle zu erlösen, in der er bisher eigensinnig beharrte), aber wollen Sie glauben Herr Förster, daß es Gegenden giebt, wo die Vögel denn doch noch anders singen, so melodisch, so tieferschütternd, daß man aufhorcht, als habe man den Klang einer Menschenstimme, die ersten Töne einer wehmüthigen Volksweise gehört. Der Tausend auch, sagte der Förster, Sie machen mich neugierig. Und diese Vögel, von denen ich spreche, die singen da , wo wir’s am wenigsten glauben möchten, in Australien bei den Antipoden. Ein Engländer ist dort gereist, hat die Waldstimmen belauscht, hat die Töne in Noten festgehalten und zuletzt eine Art Melodien-Buch herausgegeben, aus dem wir nun genau erfahren können, wie die australischen Vögel singen. Ist es möglich! Es ist sogar gewiß. Ich habe das Buch. Und unter all diesen Stimmen ist eine, die es mir besonders angethan hat, das ist die Stimme des Leather-head. Leather-head heißt Ledervogel, ein Name den dieser Vogel führt, weil er einen völlig kahlen Kopf hat. Ich will Ihnen die Melodie pfeifen; sie geht leise; Sie müssen scharf aufhorchen. Unser Reisegefährte pfiff nun in langgezogenen Tönen die Klagemelodie des Leather-head. Selbst im Walde war es still geworden. Es war als ob die Vögel drinnen mit zu Rathe säßen. Das ist schön, sagte der Förster, aber Ihr Engländer kann sich die Melodie erfunden haben. Ich gestehe, fuhr unser Reisegefährte fort, daß ich dann und wann denselben Verdacht hatte. Aber denken Sie, wo mir plötzlich die Gewißheit kam! Sie haben vom Aquarium gehört. Nun, in dem Aquarium befindet sich auch eine Vogelhecke, die mir das Liebste vom Ganzen ist. Jeder hat so seinen Geschmack. Und wie ich nun den Gang entlang komme und das Gezwitscher der anderen Vögel einen Augenblick schweigt, was höre ich da plötzlich aus der Voli è re heraus? Die leisen, langgezogenen Töne meines Leather-head, einmal, zweimal, dreimal. Mir war als ob ich einen alten Bekannten wiedersähe. Da saß er und starrte mich lange an, wie wenn er gefühlt hätte: der hat dich verstanden. Alles schwieg. Der Erzähler pfiff die Melodie noch einmal. Dann knipste der Förster mit den Fingern und sagte: nichts für ungut, aber ich bin doch für eine richtige Brieselang-Drossel; ihr Leather-head hat mich ganz melancholisch gemacht. Ich bin für’s Fidele. Ich auch, ich auch, riefen die anderen. Der Lederkopf war abvotirt. Inzwischen begann sich Gewölk am Himmel zu sammeln. Dann brach die Sonne wieder durch, aber die Schwüle wuchs. „Haben Sie viel Gewitter im Brieselang?“ fragte ich. Oft nicht, aber wenn sie kommen, kommen sie gut. Im vorigen Juli ging’s hier eine Stunde toll her. Sehen Sie dort die Brandstelle (er zeigte nach rechts) da stand vor Jahresfrist noch das Remonte-Depot, 180 Pferde, alle schwarz. Und es schlug ein? Es schlug ein und es gab ein Wetter, wie ich’s hier nicht wieder haben möchte, und doch war es zugleich eine Stunde, daß mir das Herz im Leibe lacht, wenn ich daran denke. Da habe ich gesehen, was ein preußischer Futtermeister ist. Ein Futtermeister? Ja, solch Remonte-Depot, müssen Sie wissen, hat einen Wachtmeister von altem Schrot und Korn, der regiert das Ganze; er ist wie ein kleiner König. Und ich sage Ihnen, dieser Futter- meister, … nun, der verstand’s. Das Remonte-Depot hatte 8 Thüren. Als nun das Wetter über uns stand und die ersten Blitze herunter fuhren, stellte er seine acht Knechte an die acht Eingänge, sich selber aber mitten auf diesen Platz da. Fontane , Wanderungen. III. 4 Da stand er wie ein Feldherr, während das Feuer in breiten Scheiben niederfiel. „Kerls“, schrie er, „wenn ich rufe: Vorwärts, Thüren auf! dann ist’s Zeit, dann hats ein- geschlagen.“ So vergingen wohl 10 Minuten; die Blitze ließen nach, ein Hagelwetter kam, Körner wie die Tauben-Eier. Mit einem Mal schwieg auch das; der Hagel war wie abge- schnitten. Aber im nächsten Augenblick „Krach!“ und der Blitz lief über den First hin. „Vorwärts!“ alle Thüren flogen auf; die Schlossen fielen wieder wie ausgeschüttet, und im nächsten Moment jagten die 180 schwarzen Pferde an mir vorbei, hier über die Brücke hin, in die Buten-Haide hinein, auf Pausin zu. Zwölf Minuten später hatten wir die Spritzen hier; denn als die 180 schwarzen Pferde wie die wilde Jagd durch’s Dorf jagten, da wußten die Pausiner was los war. „Das Remonte- Depot brennt“ und heidi ging’s in den Wald hinein, auf das Depot zu. Solch Wettfahren hat die alte Buten-Haide ihr Lebtag nicht gesehen. Ein schöner Tag war’s, aber ich mag ihn nicht wieder erleben. 3. Die Königseiche . Man sieht noch am zerhaunen Stumpf, Wie mächtig war die Eiche. Uhland. D iese Erzählung konnte nicht umhin uns leise daran zu mahnen, daß wir noch einen Theil unserer Wanderung vor uns hätten, ein letztes Drittel, einen Schlußabschnitt, den es auf alle Fälle gut sei hinter sich zu haben, um so mehr als das sich ansammelnde, grelldurchleuchtete Gewölk am Himmel das Einbrechen eines Brieselang-Gewitters nicht geradezu unwahr- scheinlich machte. Ein Wind machte sich auf, das Gewölk zerstreute sich wie- der, die Schwüle ließ nach; so ging es vorwärts. Als wir den entgegengesetzten Waldrand nahezu erreicht hatten, nahm unser Führer die Tete und brach mit dem Kommando „halb rechts“ in das Unterholz der Butenhaide ein. Es schien undurchdring- liches Gestrüpp, bald aber lichtete sich’s wieder und in eine breite, durch den Forst gehauene Avenue tretend, hatten wir die Königs- eiche auf etwa 300 Schritt vor uns. Wir ließen sie zunächst als ein Ganzes auf uns wirken. Sie steht da, wie ein Riesen- Skelett, mit gen Himmel gehobenen Händen. Die Avenue hat ganz den Charakter eines feierlichen Aufgangs, einer Trauer- Allee, die zu einem Denkmal oder Mausoleum führt. Erst ein Weißbuchen-, dann immer schmaler werdend ein Weißdorn- Spalier, bis die Avenue in einen tannenumstellten Kreis mün- det, aus dessen Mitte die „Königs-Eiche“ aufsteigt. Sie führt ihren Namen mit Recht. Es ist ein majestäti- scher Baum, 8 Fuß Durchmesser, 80 bis 100 Fuß hoch; man 4* braucht 20 Schritt ihn zu umschreiten. Sein Holzinhalt wird auf 25 Klafter und sein Alter auf 1000 Jahre berechnet. Bis vor Kurzem lebte er noch; seit etwa drei Jahren indeß ist er völlig todt, nirgends ein grünes Blatt, die Rinde halb abge- fallen. Aber noch im Tode ist er gesund. Alles Kernholz. Die Forstleute sagen: er steht noch 100 Jahr. Dem wird Jeder zustimmen, der die „Königseiche“ sieht. Auf einen Laien macht sie den Eindruck, als halte sie nur einen langen Winterschlaf, als brauche sie dazu mehr Zeit als junge Bäume und müsse deshalb ein paar Sommer überschlagen, aber als sei ihr Erwa- chen unter allen Umständen gewiß und als würd’ es binnen Kurzem im ganzen Brieselang heißen: sie lebt wieder. Eine Welt von Gethier bewohnt die alte Eiche. Der Bockkäfer in wahren Riesenexemplaren hat sich zu Hunderten darin eingenistet; am ersten großen Ast schwärmen Waldbienen um ihren Stock, und im kahlen Geäst, höher hinauf, haben zahllose Spechte ihre Nestlöcher. In den Tagen sich regenden deutschen Geistes, in den Tagen Jahn’s und der Turnerei, wurde die Eiche Wanderziel und Symbol. Dies war ihre historische Zeit. Damals verei- nigte man sich hier, gelobte sich Treue und Ausharren und befestigte in Mittelhöhe des Stammes die Inschrifttafel, die bis diese Stunde dem Baum erhalten worden ist. Die Inschrift selbst aber, die um des Kaisergedankens willen, den sie ausspricht, in diesem Augenblicke wieder ein besonderes Interesse gewährt, ist die folgende: Sinnbild alter deutscher Treue, Das des Reiches Glanz gesehn, Eiche , hehre, stolze, freie, Sieh, Dein Volk wird auferstehn. Brüder, alle die da wallen, Her zn diesem heilgen Baum, Laßt ein deutsches Lied erschallen Auf dem altgeweihten Raum: Wie in Sturmeswehn die Eiche Stehet fest bei Treu und Recht; Einend schirme alle Zweige Einer Krone Laubgeflecht. Diese Verse, wie ich nachträglich erfahre, rühren nicht aus der Jahn’schen Zeit her, sondern sind erst, vor kaum zehn Jahren, nieder- geschrieben und an der Brieselang-Eiche befestigt worden. Das geschah an einem heißen August-Nachmittage 1862 durch zwei Mitglieder des kurz zuvor gegründeten Nauener Turnvereins. Der eine dieser beiden Turner hatte die Verse verfaßt, der andere die technische Niederschrift geliefert. Beide Turner blieben seitdem vereint; sie dienten in demselben Truppentheil (der Garde); sie fochten am 3. Juli bei Königgrätz ; und abermals an einem heißen Augusttage, heißer als jener Wandertag, der sie 8 Jahre vorher zur Königs-Eiche geführt hatte, stürmten sie ge- meinschaftlich gegen St. Privat . Beide fielen schwerverwundet, der eine durch den Schenkel, der andere durch die Brust geschossen; beide sind genesen. Außer diesen Turnerfahrten scheint die Eiche, vorher und nachher, nicht allzu viel gesehen und erlebt zu haben. Sie lebte wie so mancher Alte, still und abgeschieden. Ein beständiges Gleichmaß in beständigem Wechsel. Auf Sommerdürre folgten die Stürme, dann fiel Schnee, dann war Alles Sumpf und Bruch, dann wieder Sommerdürre; — so kamen die Jahre, so gingen sie. Nichts geschah. Es giebt Hollunderbäume in Pfarrgärten, die in 50 Jahren mehr gesehen haben, als die große Eiche in 500. Nur die letzten Jahrzehnte schufen einen Wandel: Landpartien und Berliner kamen. Es handelte sich jetzt für uns darum, ihr ein besondere Zeichen unserer Huldigung zu geben. Ein dreimaliges Hurrah erschien uns für unsere civilen Verhältnisse theils zu prätensiös, theils unausreichend. Aus dieser Verlegenheit indeß sollten wir alsbald gerissen werden; — unser Reisegefährte hatte alles bereits sinnig erwogen. Er nahm seine umsponnene Flasche, füllte ein Glas mit rothgoldenem Cap Constantia-Wein, trat vor und sprach: „Eiche, tausendjährige, sei uns gegrüßt! Hier hat der Wende gelagert und der Berliner, und allerlei Wein, fränkischer und deutscher, nicht minder die „gebrannten Wässer“ beider Indien, Jamaica’s und Goa’s, sind Dir zu Ehren an dieser Stelle verschüttet worden. Aber ob Süd-Afrika, ob Mohren- land von jenseit der Linie, Dir je gehuldigt, das ist minde- stens fraglich. Empfange denn die Gabe aus Gegenden, in denen nur Freiligrath und der Kaffer „einsam schweift durch die Karroo“, empfange diese Tropfen Cap Constancia; — die Hänge des Tafelberges grüßen Dich und den Brieselang!“ Damit goß er den Capwein ihr zu Füßen. Wir schwenkten die Hüte, stimmten Lieder an von Arndt und Körner und machten uns auf den Rückweg. Im Fluge. Denn immer bedrohlicher zog sich’s über uns zusammen und kein Wind machte sich mehr auf, das Gewölk zu zerstreuen. So ging es an den alten Stätten vorbei, am Forst- haus, am Remonte-Depot, an dem Elsbusch, aus dem uns Lampe, der „Jäger“, so bedrohlich entgegen getreten war. Als wir Finkenkrug erreichten, war es die höchste Zeit, wenn uns daran lag, mit den Extrazüglern, die eben in Sektionen for- mirt aufbrachen, den Rettungshafen der Eisenbahn zu gewinnen. Musik vorauf, so ging es durch die letzte Waldesstrecke. Die Pauke that wieder ihr Aeußerstes, als plötzlich einer rief: Pauke still! Sie schwieg wirklich. Ueber das weite Himmels- gewölbe hin rollte der erste Donner. In den Wipfeln begann ein unheimliches Wehen, die obersten Spitzen brachen fast. „Rasch, rasch“ hieß es, „Laufschritt“; alles drängte durch einander, „sauve qui peut“ und der Zug der schon hielt, wurde im Sturm genommen. In demselben Augenblick brach es los; die Blitze fuhren nieder, das Gekrach überdröhnte das Gerassel des Zuges; wie ein Wolkenbruch fiel der Regen. Als wir eine Stunde später, im klapperigen Gefährt über die Alsenbrücke fuhren, auf den Thiergarten zu, stand das Wasser in Lachen und Lanken. Wer um diese Stunde vom Finkenkrug bis zur „Königseiche“ gewandert wäre, der hätte wohl den Brieselang gesehen wie vor tausend Jahren! Der Eibenbaum im Parkgarten des Herrenhauses. Die Eibe Schlägt an die Scheibe. Ein Funkeln Im Dunkeln. Wie Götzenzeit, wie Heidentraum Blickt ins Fenster der Eibenbaum. N icht voll so alt wie die Brieselang-Eiche, von der ich im letzten Kapitel erzählt habe, aber doch auch ein alter, oder sehr alter Baum, ist die Eibe , die in dem Parkgarten hinter dem Herrenhause steht. Von ihr will ich, einschaltend, an dieser Stelle erzählen. Der Stamm dieses Baumes — wie es seiner Art Die schönste Ceder (eigentlich ein Taxodium ) steht im Schloß- park zu Gusow , der größte Birnbaum im Predigergarten zu Wer- neuchen . in den Marken keinen zweiten giebt — ist etwa mannsdick, und die Spannung seiner fast den Boden berührenden Zweige beträgt 30 Fuß. Die Höhe beträgt wenig mehr. Aus der Dicke des Stammes hat man das Alter des Baumes berechnet. Man kennt Taxusbäume, die nachweisbar 200 bis 300 Jahre alt sind — diese sind wesentlich kleiner und schwächer als der Baum, von dem ich hier spreche; man kennt fernen einen Taxusbaum (bei Fürstenstein in Schlesien), der nachweisbar 1000 Jahr alt ist, und dieser eine ist um ein gut Theil höher und stärker als der unsrige. Das ließ für den letzteren auf ein Alter von 500 bis 700 Jahre schließen, und das wird wohl richtig sein. Dieser unser Taxusbaum war vor 100 oder 120 Jahren eine Zierde unseres Thiergartens , der damals bis an die Mauerstraße ging. Als später die Stadt in den Thiergarten hineinwuchs, ließ man in den Gartenstücken der nach und nach entstehenden Häuser einige der schönsten Bäume stehen, ganz in derselben Weise, wie man auch heute noch verfahren ist, wo man die alten Elsen und Eichen von „Kemperhof“ wenig- stens theilweise den Villen und Gärten der Victoriastraße belassen hat. Unser Taxusbaum, Jahrhunderte lang ein Thiergar- tenb aum, wurde, ohne daß er sich vom Fleck gerührt hätte, in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein Garten - baum. Noch etwa 20 Jahre später tritt der Baum aus seiner bis dahin dunklen Vergangenheit in die Geschichte ein. Zu Anfang dieses Jahrhunderts gehörten Haus und Garten dem General-Intendanten v. d. Recke, der öfters von den Königlichen Kindern, zumal vom Kronprinzen, dem späteren König Friedrich Wilhelm IV. , Besuch empfing. Der Kronprinz liebte diesen v. d. Reckeschen Garten ganz ungemein; es wurde ein bevorzugter Spielplatz von ihm, und der alte Taxusbaum mußte herhalten zu den ersten Kletterkünsten des bekanntlich bis zur Ausgelassenheit heitern und lebhaften Knaben. Der Prinz (der spätere König) vergaß das dem alten Eibenbaum nie. Wer überhaupt dankbar ist, ist es gegen Alles, Mensch oder Baum. Vielleicht regte sich in dem phantastischen Gemüthe des Knaben noch ein Anderes; vielleicht sah er in dem schönen, fremdartigen Baume einen Fremdling, der unter Märkischen Kiefern Wurzel gefaßt; vielleicht war er mit den Hohenzollern selbst ins Land gekommen, und es wob sich ein geheimnißvolles Lebensband zwischen diesem Baum und seinem eignen fränkischen Geschlecht. War es doch selbst an dieser Stelle erschienen, wie eine hohe Tanne unter den Kiefern. Das v. d. Reckesche Haus wurde verkauft (ich weiß nicht, wann) und die Mendelssohns kauften es. Sie besaßen es erst kurze Zeit, da gab es eine hohe Feier hier: die Freiwilligen zogen aus und ein Abschiedsfest versammelte sie in diesem Garten. Eine lange Tafel war gedeckt und aus der Mitte der Tafel wuchs der alte Eibenbaum auf, wie ein Weihnachtsbaum, ungeschmückt, — nur die Hoffnung sah goldne Früchte in seinem Grün. Und die Hoffnung hatte nicht gelogen: der Friede kam mit goldner Frucht, und die heitern Künste schaarten sich jetzt um den Eibenbaum, der, ernst wie immer, aber nicht unwirsch dreinschaute. Felix Mendelssohn, halb ein Knabe noch, hörte unter seinem mondlichtdurchglitzerten Dach die Musik tanzender Elfen. Und wieder andere Zeiten kamen. Vieles war begraben, Menschen und Dinge; da zog sich auch über dem Eibenbaum ein ernstes Wetter zusammen. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn nicht des Eibenbaums bester Freund noch gelebt hätte — der lenkte den Strahl ab. 1852 brannte die „Erste Kammer“ nieder (damals in der Oberwallstraße); das Mendelssohnsche Haus, sammt Garten und Eibenbaum, wurde gekauft und das Preußische Oberhaus hielt seinen Einzug an neuer Stelle. Niemand ahnte Böses; da ergab sich’s, daß die Räumlichkeiten nicht ausreichten, — es mußte gebaut werden. Ein großes Hintergebäude sollte den feh- lenden Raum schaffen. So weit war Alles klipp und klar, wenn nur der Eibenbaum nicht gewesen wäre. Der schuf die Schwierigkeit, der „beherrschte die Situation.“ Einige wollten zwar kurzen Proceß mit ihm machen und ihm einfach den Kopf vor die Füße legen; aber die hatten es sehr versehen. Sie erfuhren bald zu ihrem Leidwesen, welch hohen Fürsprecher der Baum an entscheidender Stelle hatte. Was war zu thun? Der Baum stand just da, wo das neue Gebäude seinen Platz finden sollte. 1851 in London hatte man über zwei alte Hydeparkbäume die Kuppel des Glaspalastes ruhig weggeführt und die Einweihungsfeier unter grünem Dach und zwitschernden Vögeln gehalten; aber der alte Eibenbaum im Sitzungssaale des Herrenhauses, — das ging doch nicht. Man kam also auf die Idee einer Verpflanzung . Der König bot Sanssouci, der Prinz von Preußen Babelsberg zu diesem Be- hufe an. Wer wäre nicht bereit gewesen, dem Alten eine Stätte zu bereiten. Consultationen wurden abgehalten und die Frage aufgeworfen, „ob es wohl ginge“; aber selbst die geschicktesten Operateure der Gartenkunst mochten keine Garantie des Gelingens übernehmen. So wurde denn der Plan einer „Verpflanzung im Großen“ aufgegeben und statt dessen die Idee einer Ver- schiebung , einer Verpflanzung im Kleinen aufgenommen. Man wollte den Baum loslösen, den Garten abschrägen und nun den losgelösten Baum, mit Hülfe der Schrägung, bis mitten in den Garten hineinschieben. Aber auch diese Procedur wurde, als zu bedenklich, ad acta gelegt und endlich beschlossen, den Baum am alten Platze zu lassen. Da unser Freund nicht in der Lage war, sich den Baumeistern zu bequemen, so blieb diesen nichts übrig, als ihrerseits nachzugeben und die Mauer des zu bauen- den Hauses an dem Baume entlang zu ziehen. Man hat ihm die Mauer empfindlich nahe gerückt, aber der Alte, über Aerger und Rancune längst weg, reicht ruhig seine Zweige zum Fenster hinein — ein Gruß, keine Drohung. Seine Erlebnisse indeß, auch seine Gefährdungen während der Bauzeit sind hiermit noch nicht zu Ende erzählt. Während des Baues (so hatte es der hohe Fürsprecher gewollt) war der Baum mit einem Brettergerüst umkleidet worden, in dem er ziemlich geborgen stand, eine Art Verschlag, der die hübsche Summe von 300 Thalern gekostet hatte. Der Freund in Sans- souci gab es gern für seinen Freund im Reckeschen Garten. Der Vorschlag war gut gemeint und that auch seine Dienste; aber er that sie doch nicht ganz. Mauerstaub und Berliner Staub dringen überall hin; sie finden den feinsten Spalt aus, wie Luft und Licht. Als endlich das Haus stand und mit dem Baugerüst zugleich auch der Verschlag des Baumes fiel, da ging ein Schrecken durch alle Herzen — der Eibenbaum war weiß geworden . Wie Puder lag der Mauerstaub auf allen Aesten und Zweigen. Was war zu thun? Gefahr war im Verzuge; der Besuch des Königs stand nahe bevor; da trat ein leuchtender Gedanke auf die Lippe des einen der Geängstigten und er sprach: Feuerwehr ! Sie kam (still, ohne Geklingel) und mit kunstvoll gemäßigtem Strahl wusch sie jetzt den Staub von dem schönen Baume ab, der nun bald schöner und frischer dastand, als je zuvor. Er trieb neue Zweige, als ob er sagen wolle: „Wir leben noch.“ Frisch und grün, wie der jüngsten einer, so steht er wie- der da, schön im Sommer, aber am schönsten in December- nächten, wenn seine obere weiße Hälfte sich unter dem Schnee beugt, während unten die Zweige wie unter einem Dache weiter- grünen. Dies Schneedach ist sein Schmuck und — sein Schutz. Das zeigte sich vor einigen Jahren. Der Schnee lag so dicht auf ihm, daß es schien, seine Oberzweige würden brechen. Miß- verstandene Sorgfalt fegte und kehrte den Schnee herunter; da gingen im nächsten Sommer einige jener Zweige aus, denen man mit dem Schneedach ihr warmes Winterkleid genommen hatte. Aber er hat’s überwunden und grünt in Frische weiter, und wenn ihm wieder Gefahren drohen, so oder so, möge unser Eibenbaum immer einen treuen Freund haben, wie in alter Zeit. Dies Vorstehende wurde im Herbst 1862 geschrieben; in den zehn Jahren, die seitdem vergangen sind, sammelte ich Ma- terial über allerhand „alte Bäume,“ insonderheit auch über Eibenbäume , und ich lasse zunächst folgen, was ich darüber in Erfahrung brachte. Die Eibe , so scheint es, steht auf dem Aussterbe-Etat der Schöpfung. Wie bekanntlich im Laufe der Jahrtausende ganze Thiergeschlechter von der Erde vertilgt worden sind, so werden auch Baumarten ausgerottet, oder doch nahezu bis zum Erlöschen gebracht. Unter diesen steht die Eibe ( Taxus bac- cata ) mit in erster Reihe. Einst in den Wäldern von ganz Europa, Nord und Süd, so häufig wie der Auerochs, das Elennthier, begegnet man ihr in unseren Tagen nur noch aus- nahmsweise. In Hecken und Spalieren trifft man kleinere Exem- plare allerdings noch häufig in Parkanlagen nach französischem Geschmack, aber große, imponirende Exemplare sind selten. Vor der waldvernichtenden Axt älterer Ansiedler und neuer Indu- strieller haben sich nur einzelne knorrige Taxusbäume retten können, die jetzt, wo wir ihnen begegnen, ein ähnliches Gefühl wecken wie die Ruinen auf unseren Bergesgipfeln. Zeugen, Ueberbleibsel einer längst geschwundenen Zeit. In Mitteldeutschland ist dieser Baum jetzt schon recht selten, obwohl es bekannt ist, daß er hier, wie in ganz Europa, noch vor einem halben Jahrtausend allgemein vorkam. Zu Cäsar’s Zeiten war er, wie uns dieser gelehrte Feldherr selbst erzählt, sowohl in Gallien als in Germanien in großer Menge überall anzutreffen. Man findet in Thüringen nur mehr einzelne ver- krüppelte und verstümmelte Bäume. An einem einzigen Orte hat sich der Taxus hier noch zahlreicher erhalten, nämlich am Veronikaberge bei Martinroda unweit Ilmenau, wo noch 20 bis 30 Fuß hohe Individuen mit einem Stammdurchmesser von 1 bis 1¼ Fuß stehen. Daß die Eibe in Thüringen einstens einen wesentlichen Bestandtheil der Wälder ausgemacht habe, ergiebt sich aus den Ortsnamen „Ibenhain“, „Taxberg“, „Eiba“ und anderen. Die ältesten und schönsten Exemplare dieses einst auch in Griechenland und Italien häufig gewesenen Nadelbaumes trifft man heutzutage noch in England an, besonders auf Fried- höfen, wo einzelne auf mehr als 2000 Jahre geschätzte Stücke von prachtvollem Ansehen sich finden. England, wie bekannt, ist überhaupt das Land schöner alter Bäume und einer entsprechenden sorglichen Cultur. So befindet sich bei- spielsweise in der Nähe von Cumberlandlodge im Windsor-Parke ein Der Taxus ist in Eng- land der Baum der Trauer, wie die Cypresse in den Mittel- meerländern und die Trauerweide in Deutschland. „Albero della morte“ nennen ihn übrigens auch die heutigen Ita- liener. Eine große, zum Theil noch nicht völlig aufgeklärte Rolle spielte die Eibe in dem Mythus der germanischen und keltischen Völker, von der sich Nachklänge noch in manchen bis heute üblichen Gebräuchen erhalten haben. Wie der deutsche Name Eibe von dem gothischen aiw (ivi), ewig, herrührt, weil der Baum immer grün ist, und das keltische Wort yw (eiddew) die- selbe Wurzel hat, so war dieser während des langen und schnee- reichen nordischen Winters im frischen Blattschmuck prangende Baum in Britanien und Skandinavien den ewigen Göttern geweiht. Die Druiden hatten bei ihren Heiligthümern ganze Haine davon, und manche in Cäsar’s Zeiten hinaufragende alte Eiben Englands mögen ehrwürdige Reste aus solchen heiligen Hainen sein. In der Nähe des berühmten heidnischen Tempels bei Upsala in Schweden stand ebenfalls, wie A. Krantz erzählt, „ein gewaltiger Baum mit dichtbelaubten Zweigen, ebenso grün im Winter wie im Sommer; Niemand kannte seine Art.“ Sehr wahrscheinlich war es eine Eibe. Daß dieser Baum in alter Zeit für heilig und geheim- nißvoll gehalten wurde, ergiebt sich aus gar vielen noch jetzt fortlebenden Bräuchen. In den östlichen Scheeren Skandina- viens wird die Eibe allgemein zu Maschenbrettern beim Netz- stricken benutzt, weil man glaubt, daß alle Netze, welche über Bretter aus diesem Holze gestrickt worden sind, Glück beim Fisch- fang bringen. Leviathan-Weinstock, welcher ein einzelnes Haus von 138 Fuß Länge und 20 Fuß Breite gänzlich ausfüllt. Er bedeckt gegen 2870 Quadrat- fuß Glas und bringt jedes Jahr durchschnittlich 2000 Trauben her- vor. Der mehr bekannte Weinstock in Hampton Court trug vor eini- gen Jahren 1400 Trauben, deren Werth man auf mehr als 100 Lstr. veranschlagte. Aber nicht blos für glückbringend und heilig, auch für geeignet zu geheimnißvollem Zauber und selbst zu teuflischem Beginnen galt und gilt noch der Eibenbaum. Daher fehlen in der Macbeth’schen Hexenküche neben dem Auge des Wassermolchs, dem Fledermaushaar, Eidechsbein und Käuzchenflügel und der gegabelten Natterzunge auch nicht „Eibenzweige, abgerissen, In des Mondes Finsternissen.“ In Thüringen heißt es, daß die „Ife“ (Eibe) gegen Viehbezauberung schütze. Die Hälfte der Bewohner des Dorfes Angelrothe bei Arnstadt, in dessen Nähe Eibensträuche noch ziem- lich häufig sind, zieht an einem bestimmten Tage des Jahres hinaus und bricht sich Taxuszweige ab, um sie in die Vieh- ställe zu stecken. Im Spessart meint man, daß ein Stück Eiben- holz, am Körper getragen, allen Zauber vertreibe. Das Volk sagt dort: „Vor der Euwe, ka Zauber bleibe.“ Im Alterthume wurde die Eibe ihres elastischen und festen Holzes wegen vorzüglich zu Bogen verwendet. Ebenso machte man Pfeile aus deren zähem Kernholz. Während des ganzen Mittelalters gab so der Eibenbaum den Stoff für die vorzüg- lichsten Kriegswaffen ab, besonders in England und Schweden. Auch Uller, der nordische Jagdgott, hatte nach der Edda einen Eibenbogen (altnordisch ybogi ). Heutzutage wird das rothe oder purpurbraune Kernholz der Eibe zu viel friedlicheren und prosai- scheren Gegenständen verarbeitet, namentlich zu Faßpipen. Beson- ders in Ungarn werden aus dem dort sogenannten „Theißholz“ ( „tisza-fa“ , welcher Name aber nicht auf die Theiß bezogen werden sollte, sondern slavischen Ursprungs ist, da die Eibe slavisch tis heißt) viele Haus- und Wirthschaftsgegenstände ver- fertigt und zahlreiche Pipen aus Eibenholz in den Handel gebracht. In modernem Englisch heißt die Eibe yew , der Epheu ivy; dieses deutsch, jenes keltisch. Beide Wörter (vergl. oben) bedeuten „immergrün.“ Ich kehre, nach dieser Excursion in die Eibenwelt im All- gemeinen, zu unserer Eibe im Besonderen, im Herrenhausgarten, zurück. Auch an ihr gingen diese „zehn Jahre preußischer Geschichte“ nicht unbeachtet vorüber, ja einen der schönsten Tage feierte sie mit. Noch wichtiger, sie bereitete der Feier die Stätte: unter ihrem Dache gab am 20. September 1866 das Herrenhaus dem siegreich heimkehrenden Heere ein Festmahl. Der König saß unmittelbar rechts neben dem Eibenstamm und sah den Mittel- gang des Gartens hinunter. Das Schrägdach des Leinwand- zeltes war in geschickten Verschlingungen, streifenweise, durch das Gezweig der Eibe gezogen; rings umher brannte das Gas in Sonnen und Sternen, ein Anblick, von dem der alte Baum in seinen Jugendtagen schwerlich geträumt haben mochte. Als das Fest auf seiner Höhe war, erhob sich Graf Eberhard Stol- berg zu einer Ansprache, begrüßte den König und schloß dann prophetisch fast: „und sollten Euer Majestät noch einmal zu den Waffen rufen, so wird Ihr Volk, wie es jetzt für seinen König geblutet und gesiegt hat, neue Thaten mit eisernem Griffel in das Buch unserer glorreichen Geschichte schreiben.“ Der König antwortete: „.... Sie wissen nicht wie schwer es einem Fürsten wird, das Wort „Krieg“ auszusprechen. Es war ein gewagter Krieg… Die Armee hat alle meine Erwar- tungen übertroffen… Ich nehme gern die Gelegenheit wahr, derselben meinen Dank zu sagen; zuerst Meinem Sohne, hier zu meiner Rechten, Meinem Neffen Friedrich Karl, den comman- direnden Generalen, unter denen ich einen schmerzlich ver- misse. (Wahrscheinlich Hiller v. Gärtringen.) Auch Ihnen Graf Stolberg.“ Das war im Herbst 1866. Dem siegreichen Kriege, als eigentlichste Schöpfung desselben, folgte, das Jahr darauf, der „norddeutsche Reichstag“ , der, von 1867 bis 1870 in den Räumen des Herrenhauses tagend, nun auch seinerseits in Beziehungen zu unserem alten Eibenbaume trat. In die heiter- sten. Die Debatten-Flüchtlinge, so oft es das Wetter erlaubte, pflegten hier zu tagen, und während drinnen im Saal der Redner noch nach Beifall rang, unterlag er hier draußen bereits einer zersetzenden Kritik. Der Witz goß seine Lauge unter dem Eiben- baume aus. Aber er, der Alte, an dem so viele Zeiten ihre Eigenart versucht hatten, überdauerte auch das und eben jetzt (15. Mai 1872) haben alle seine Zweige neue Schößlinge getrieben, die, hellgelblich schimmernd, fast wie Hollunderdolden auf dem dunklen Untergrund liegen und den schönen Baum schöner und frischer erscheinen lassen, denn je zuvor. Die Cistercienser in der Mark. Der Morgen graut und lacht der Nacht entgegen, Im Osten leuchtet schon des Lichtes Segen; Die Finsterniß entflieht . Bruder Lorenzo (Romeo und Julia). D ie beiden Ereignisse, die über das Wendenthum an Havel und Spree entschieden, waren die Erstürmung Brannibors am 11. Juni 1157 und unmittelbar darauf, wenn der halb sagen- haften Ueberlieferung Glauben zu schenken ist, die „Havelschlacht gegenüber dem Schildhorn,“ in der Jazko , der Neffe Pribis- law’s, und seine noch einmal zusammengeraffte Wendenmacht entscheidend geschlagen wurde. Schon zweihundert Jahre früher, unter den ersten Sachsen- kaisern, waren die Deutschen bis ebenfalls an die östliche Havel vorgedrungen, und schon damals waren, in ihren ersten Anfängen wenigstens, der Havelberger und Brandenburger Dom gegründet worden, aber Leichtsinn, Unklugheit, Grausamkeit von Seiten der Sieger hatten zunächst zu Auflehnung der Besiegten und endlich zu völliger Abschüttelung des Joch’s geführt. Das alte Wendenthum war auf 150 Jahre hin wieder glänzend aufgeblüht. Jetzt , nach der Niederwerfung Jazko’s, war es zum zweiten Mal unterlegen, und es galt nunmehr, die Mittel und Wege ausfindig zn machen, um einer abermaligen Auflehnung vorzu- beugen. Albrecht der Bär, von dem es im Volksliede heißt: Heinrich de Leuw und Albrecht de Bar, Dartho Frederik mit den roden Haar, Dat waren dree Heeren De kunden de Welt verkehren — Fontane , Wanderungen. III. 5 dieser Albrecht der Bär war just dazu angethan, diese Mittel ausfindig zu machen und das früher durch Schwäche und Unklugheit Gescheiterte, durch Muth und Ausdauer endgültig siegreich hinauszuführen. Es ist bekannt, daß er, nach Plan und System, die Colonisirung des Landes begann; zu den Kirchen und Burgen aber, die schon einmal die Bekehrung und Beherrschung des Landes versucht hatten, gesellte er, als ein neues, drittes, die Vereinigung von Burg und Kirche — die Klöster . Mönche wurden in’s Land gerufen, vor allem die Cistercienser, ein Orden, der eben damals auf seinem europäischen Siegeszuge bis an die Saale und Unstrut vorgedrungen war. Da diesem überall hin pionirenden Orden die Aufgabe zufiel, auch namentlich für die Cultur und geistige Eroberung der Mark von hervorragender Bedeutung zu werden, so mag es gestattet sein, bei seiner Entstehungs- und Entwickelungs- geschichte einen Augenblick zu verweilen und das Fortschreiten desselben auf seinen großen Etappen von West nach Ost zu begleiten. Die ersten Klöster, die zumal in Süd- und West-Europa in’s Leben gerufen wurden, waren Benediktiner-Klöster , d. h. Klöster, in denen die Regeln des heiligen Benedikt: Gehorsam, Armuth, Keuschheit, die Fundamentalsätze alles Klosterlebens, Geltung hatten. Die Benediktiner übten diese Tugenden Jahrhunderte lang, aber jene Epoche, die den Kreuz- zügen unmittelbar vorausging, war eine Epoche des kirchlichen, mindestens des klösterlichen Verfalls, ganz in ähnlicher Weise, wie derselbe fünf Jahrhunderte später zum zweiten Mal in die Geschichte eintrat, und „sittliche Reform,“ worauf zunächst die Reformation gerichtet war, war eine Parole, die, wie vielfach während des Lebens der Kirche, so auch um die Zeit der ersten Kreuzzüge gehört wurde. Dies Ringen nach Reform, nach Wiederherstellung jener Kloster-Heiligung, wie sie die ersten Klöster gekannt hatten, gab Veranlassung zur Gründung eines neuen Ordens. Dieser neue Orden war der der Cistercienser . Sein nächster Zweck war nicht Abzweigung vom Benediktinerthum, aus dem er hervorging, sondern Wiederherstellung desselben in sei- ner Ursprünglichkeit und Lauterkeit. Aber es scheint das Loos solcher und ähnlicher Bestrebungen — vielleicht nach jenem Naturgesetz, welches die volle Wiederherstellung von etwas Ver- schwundenem unmöglich macht — jedesmal zu einer Neu- schöpfung zu führen. Zu einer Neuschöpfung, die anfänglich, in aufrichtiger Demuth, sich selbst nicht als eine Neuschöpfung betrachtet sehen will und doch sich selbst zum Trotz von Tag zu Tag in etwas Neues hineinwächst. So gingen, gegen den Willen des Gründers, die Cister- cienser aus den Benediktinern hervor. Verfolgen wir, nach diesen allgemeinen Bemerkungen, die Entwickelung des neuen Ordens aus dem alten, auch an den Trägern dieser Entwickelung, an den Personen . Robert (später der heilige Robert), Abt des Benediktiner- klosters zu Molesme an der Grenze von Champagne und Bur- gund, gab, um der eingerissenen Verderbtheit willen, die er in seinem eignen Kloster wahrnahm, das Kloster Molesme auf und zog sich in das unwirthliche, nur mit Dornen und Gestrüpp bewachsene, durch ein Flüßchen kümmerlich bewässerte Thal von Citeaux ( Cistercium ) in der Nähe von Dijon zurück, um daselbst mit 20 anderen Mönchen, die ihm gefolgt waren, getreu nach der ursprünglichen Vorschrift des heiligen Benedikt zu leben. Seine Trennung war eine rein äußerliche und locale, er hatte sich von seinem Kloster getrennt, nicht von der ursprünglichen Kloster regel , ja, er kehrte nach einjähriger Abwesenheit in Citeaux, auf Befehl des Papstes, in das Kloster Molesme zurück. Aber unwissentlich war ein neuer Keim gepflanzt, und der bescheidene Versuch, der eine alte Schöpfung nur neu gestal- ten sollte, schuf nicht in , sondern neben dem Alten ein Neues. In dem Thale von Cisterz ging ein neues Klosterleben auf. Die Träger dieses neuen Lebens aber waren nicht die Benediktiner mehr, sie waren Cisterzienser. 5* Bald zeigte sich die erfolgte Trennung auch in der änßeren Erscheinung, bald auch in den Zwecken und Zielen des Ordens, in der Art, wie er seine Aufgabe faßte. Was die Tracht an- geht, so änderte bereits der heilige Alberich , der zweite Abt von Citeaux , die Kleidung seiner Mönche, und das Kleid, das vorher schwarz gewesen war, wurde weiß mit einem schwarzen Gürtel und schwarzem Skapulier . Nach der schönen Sage des Ordens war seine, des Alberich schwarze Kleidung unter der Berührung der heiligen Jungfrau weiß geworden. Dies weiße Kleid der Eistercienser war ihr besonderer Stolz, und unter den zahlreichen Legenden Unter den anderweiten Legenden des Ordens ist mir keine schöner erschienen als die folgende: Im Jahre 1167 dachte Mönch Heron in Gallizien in der Frühmette über die Worte nach: „Tausend Jahre sind vor Dir, Herr, wie der Tag, der gestern vergangen ist.“ Er fand dies unbegreiflich und zweifelte. Als er aus der Kirche kam, flatterte ein bunter Vogel über ihm und sang sehr lieblich. Heron, von der Schönheit und dem Gesang des Vogels bezaubert, folgte ihm, wohin er flog, aus dem Kloster in einem benachbarten Wald, der Vogel hüpfte von Zweig zu Zweig und sang immerfort dreihundert Jahr lang. Als nun Heron dreihundert Jahr lang weder gehungert, noch gedürstet, sondern allein von dem lieblichen Vogelgesang gelebt hatte, flog der Zauber- vogel davon, und die Entzückung hörte auf. Heron kam nun wieder zu sich selbst und besann sich, daß er so eben aus der Frühmette gekommen sei. Er kehrte zurück zum Kloster und klopfte an die Klosterpforte, aber da waren weder Pförtner, noch Abt, noch Brüder mehr, die ihn kannten. Sie waren alle längst todt; dreihundert Jahre waren verflossen. „Tausend Jahre sind wie ein Tag.“ dieses Ordens bezogen sich viele auf die besondere Gunst, in der, bei Gott und Menschen, das „weiße Kleid“ stand. Im Jahre 1215 starb ein Cistercienser Mönch zu Cher in Frankreich und wurde ohne sein Chorkleid begraben. Er kam zurück, um sein Kleid zu holen, weil der heilige Benedikt ihm nicht anders den Himmel aufschließen wollte. Der Prior gab es ihm, und er hatte nun Ruhe und kam nicht wieder. Wichtiger aber als diese äußeren Abzeichen war die Wand- lung, die der neue Zweig der Benediktiner innerlich erfuhr. Er wurde eine Specialität, er wurde der Orden der Colo- nisation . Nie hat ein Orden einen gleich raschen und gewaltigeren Siegeszug über die Welt gehalten. Aus dem Mutterkloster Cisterz, gegründet 1098, waren nach 15 Jahren schon vier mächtige Töchterklöster (La Fert é , Pontigny, Morimad und Clairvaux) hervorgegangen, den Töchtern folgten wieder Töchter und Enkeltöchter, und eh ein halbes Jahrhundert um war, war nicht nur ein Netz von Cistercienser-Klöstern über das ganze christliche Europa ausgebreitet, sondern auch tief in heidnische Lande hinein, waren die Mönche von Cisterz mit dem Kreuz in der Linken, mit Axt und Spaten in der Rechten, lehrend und Acker bauend, bildend und heiligend vorgedrungen. Es war ein in jenen raschen Proportionen sich mehrendes Anwachsen, wie man es auf alten Stammbäumen veranschaulicht sieht, wo, von Generation zu Generation, aus jedem einzelnen Neuzweig wie- der zahllos andere neue Zweige sprießen, anwachsend zu Multi- plicationen, wie bei der bekannten Verdoppelung der Schach- brettfelder. 50 Jahre nach der Gründung des Ordens gab es 500, hundert Jahre nach der Gründung bereits 2000 Cister- cienser-Klöster, und Caspar Jogelinus, ein Deutscher, hat uns allein die Beschreibung von 791 Cistercienser-Klöstern hin- terlassen. Von diesen 791 Klöstern waren 209 in Frankreich, 128 in England, Schottland und Irland und 109 in Deutschland. Die Frage drängt sich auf, was diesem Orden zu so rapidem Wachsthum verhalf und ihm, zwei Jahrhunderte lang, in allen Ländern und an allen Höfen ein alles überstrahlendes Ansehen lieh. Es waren wohl drei Ursachen, die zusammen wirkten: die gehobene Stimmung der ganzen christlichen Welt während der Epoche der ersten Kreuzzüge, die wunderbare, mit unwiderstehlicher Gewalt ausgerüstete Erscheinung des heiligen Bernhard, der, aus dem Orden heraus, bald nach Entstehung desselben erwuchs und ihn dann durchleuchtete, und endlich drit- tens die besondere, schon in aller Kürze angedeutete colonisa- torische Eigenart dieses Ordens, die ihn in einer Zeit, in der geistig und physisch überall auszuroden und urbar zu machen war, als ein besonders geeignetes Werkzeug sowohl in der Hand der Kirche wie auch des weltlichen Fürstenthums erscheinen lassen mußte. 1115 existirten nur fünf Cistercienser-Klöster, 1119 bereits vierzehn, aber sämmtlich noch innerhalb Frankreichs und auf verhältnißmäßig engem Gebiet; zwanzig Jahre später sehen wir den Orden, in immer rascherem Wachsen, von der Loire an den Rhein, vom Rhein an die Weser und endlich von der Weser bis an und über die Elbe vorgedrungen. 1180 erschie- nen seine ersten Mönche in der Mark. An wenigen Orten mochten die Vorzüge speciell dieses Ordens so in die Augen springend sein als in der Mark, und zwar um deshalb, weil sie an keinem andern Orte gleich benö- thigt waren, nirgends ein ausgesprocheneres Feld für ihre Thätigkeit fanden. Wo die Unkultur zu Hause war, hatten die Kulturbringer ihr natürlichstes Feld. Rechnen wir die Nonnen- klöster desselben Ordens mit ein, die, wenigstens was die Bekehrung, Lehre und Unterweisung angeht, die gleichen Ziele wie die Mönchsklöster verfolgten, so haben wir über 20 Cistercienser-Klöster in der Mark und Lausitz zu ver- zeichnen, von denen die große Mehrzahl vor Ablauf eines Jahr- hunderts entstand. Weder die Prämonstratenser und Karthäuser gleichzeitig mit ihnen, noch auch später die die Städte suchenden Dominikaner und Franziskaner, sind ihnen an Ansehn und rascher Verbreitung gleich gekommen. Dem Zeitpunkt ihrer Entstehung nach folgen diese märkisch- lausitzischen Cistercienser-Klöster wie folgt auf einander: Zinna , Mönchskloster, in der Nähe von Jüterbog, 1171. Lehnin , Mönchskloster, in der Nähe von Brandenburg, 1180. Dobrilugk , Mönchskloster, in der Lausitz, 1180 — 90. Neuzelle , Mönchskloster, in der Lausitz, 1230. Marienfließ oder Stepnitz , Nonnenkloster, in der Prieg- nitz, 1230. Dransee , Mönchskloster, in der Priegnitz, 1233. Paradies , Mönchskloster, im Posenschen (früher Neumark), 1234. Marienthal , Nonnenkloster, in der Lausitz, 1234. Zehdenick , Nonnenkloster, in der Ukermark, 1249. Friedland , Nonnenkloster, im Ober-Barnim, um 1250. Mariensee , Mönchskloster, auf der Insel Pelitz im Par- steiner See, zwischen Oderberg und Angermünde (Uker- mark), 1258. Marienstern , Nonnenkloster, in der Lausitz, 1264. Chorin , Mönchskloster, in der Ukermark, 1273. Marienwalde , Mönchskloster, in der Neumark, 1286. Heiligengrabe , Nonnenkloster, in der Priegnitz, 1289. Zehden , Nonnenkloster, in der Neumark, 1290. Bernstein , Nonnenkloster, in der Neumark, 1290. Reetz , Nonnenkloster, in der Neumark, 1294. Himmelpfort , Mönchskloster, in der Ukermark, 1299. Himmelstädt , Mönchskloster, in der Neumark, 1300. Seehausen , Nonnenkloster, in der Ukermark, 1300. Das wichtigste unter den hier aufgezählten märkisch-lausitzischen Klöstern war wohl das Kloster Lehnin; — es wurde das Mutterkloster für diese Gegenden, aus dem Neuzelle, Paradies, Mariensee, Chorin und Himmelspfort hervorgingen. Alle diese Klöster mit wenigen Ausnahmen wurden in der Mitte des 16. Jahrhunderts unter Joachim II. säkularisirt. Viele sind seitdem, namentlich während des 30 jährigen Krieges, bis auf die Fundamente oder eine stehen gebliebene Giebelwand zerstört worden, andere existiren noch, aber sie dienen der Kultur dieser Lande nur noch in soweit, als sie, oft in ziemlich prosaischer Weise, der Agrikultur dienstbar gemacht worden sind. Die Abtwohnungen sind zu Amtshäusern, die Refekto- rien zu Maischräumen und Brennereien geworden. Es ist allen diesen Klöstern ergangen, wie ihrer großen, gemeinschaft- lichen mater, dem Kloster zu Citeaux selber. Den Verfall, den Niedergang, den hier zu Lande die Reformation still und allmälig einleitete, schuf dort die französische Revolution auf einen Schlag. „Auf den Trümmern der Abtei — so erzählt der Abb é Ratisbonne, der eine Geschichte des heiligen Bernhard geschrieben hat und Citeaux um 1839 besuchte — erhob sich in dem genannten Jahre eine Runkelrübenzucker-Fabrik, die selber wieder in Trümmer zerfallen war, und ein elender Schauspielsaal stand an der Stelle der Mönchs-Bibliothek, vielleicht an der Stelle der Kirche. Die Zelle des heiligen Bern- hard, die vor ohngefähr 20 Jahren noch existirte, hatte inzwischen einem Schmelzofen Platz gemacht; — nur noch der Schutt der Zelle war vorhanden. Alle sonstigen Bauwerke waren längst zerstört, und aus ihren bloßen Trümmermassen waren drei Dörfer erbaut worden.“ In dieser kurzen Schilderung des Verfalls des Mutterklosters ist zugleich die Geschichte von überhundert Töchter-Klöstern erzählt — auch der unserigen. Die Klöster selber sind hin; viele von denen, die hierlands in alten Klostermauern wohnen, wissen kaum, daß es Kloster- mauern sind, sicherlich nicht, daß es Cistercienser waren, die vor ihnen die Stätte inne hatten. Und hörten sie je das Wort, so wissen sie nicht, was es meint und bedeutet. Und doch waren es die Pionire, die hundert und tausend andern Colonisten, die nach ihnen kamen, die Wege bahnten. Das Gedächtniß an sie und an das Schöne, Gute, Dauerbare, das sie geschaffen, ist geschwunden; uns aber mag es geziemen, darauf hinzuweisen, daß noch an vielen hundert Orten ihre Thaten und Wohlthaten zu uns sprechen. Ueberall, wo in den Teltow- und Barnim-Dör- fern, in der Ukermark und im Ruppinschen, alte Feldsteinkirchen aufragen mit kurzem Thurm und kleinen niedrigen Fenstern, das Ganze fast mehr eine Burg als eine Kirche, überall, wo die Ostwand einen chorartigen Ausbau, ein sauber gearbeitetes Sakri- stei-Häuschen, oder das Dach in Folge späteren Anbaues eine rechtwinklige Biegung, einen Knick zeigt, überall da mögen wir sicher sein, — hier waren Cistercienser , hier haben Cister- cienser gebaut und der Kultur und dem Christenthum die erste Stätte bereitet. Kloster Lehnin. 1. Die Gründung des Klosters . Wo das Kloster aus der Mitte Düstrer Linden sah. Mit des Jammers stummen Blicken Fleht sie zu dem harten Mann, Fleht umsonst, denn loszudrücken, Legt er schon den Bogen an. Schiller. D ie erste Gründung der Cistercienser in der Mark war Kloster Lehnin. Es liegt zwei Meilen südlich von Brandenburg, in dem alten Landestheil, der den Namen „die Zauche“ trägt. Der Weg dahin, namentlich auf seiner zweiten Hälfte, führt durch alte Klosterdörfer mit prächtigen Baumalleen und pitto- resken Häuserfronten, die Landschaft aber, die diese Dörfer umgiebt, bietet wenig Besonderes dar, und setzt sich aus den üblichen Requisiten märkischer Landschaft zusammen: weite Flächen, Hügelzüge am Horizont, ein See, verstreute Acker- felder, hier ein Stück Sumpfland, durch das sich Erlenbüsche, und dort ein Stück Sandland, durch das sich Kiefern ziehn. Erst in unmittelbarer Nähe Lehnin’s, das jetzt ein Sädtchen geworden, verschönert sich das Bild, und wir treten in ein Terrain ein, das einer flachen Schale gleicht, in deren Mitte sich das Kloster selber erhebt. Der Anblick ist gefällig, die dichten Kronen einer Baumgruppe scheinen Thurm und Dach auf ihrem Zweigwerk zu tragen, während Wiesen- und Gartenland jene Baumgruppe und ein Höhenzug wiederum jenes Wiesen- und Gartenland umspannt. Was jetzt Wiese und Garten ist, das war vor 700 Jahren ein eichenbestandener Sumpf, und inmitten dieses Sumpfes wuchs Kloster Lehnin auf, vielleicht im Einklang mit jenem Ordensgesetz aus der ersten strengen Zeit: daß die Klöster von Cisterz immer in Sümpfen und Niederungen, d. h. in ungesunden Gegenden gebaut werden sollten, damit die Brüder dieses Ordens jederzeit den Tod vor Augen hätten. Der Orden, ohne geradezu in Ascese zu verfallen, war doch in den ersten 50 Jahren seines Bestehens überall rigorös, und unterschied sich auch dadurch von den Benediktinern, die, gestützt auf die Unterwei- sungen des heiligen Benedikt selber, diesen Rigorismus vermieden. Schon im 10. Jahrhundert hieß es deshalb spöttisch: „die Regel des heiligen Benedikt scheine für schwächliche Leute geschrieben.“ Die Gründer des Cistercienser-Ordens gingen von einer verwandten An- schauung aus, und aus der ersten Zeit des Ordens her finden sich fol- gende Vorschriften: 1) Die Unterlage des Bettes ist Stroh. Polster sind untersagt. 2) Als Speise dienen gekochte Gemüse, darunter Buchenblätter . Kein Fleisch. 3) In der Kirche soll sich ein offenes Grab befinden, um an die Hin- fälligkeit des Daseins zu mahnen. Die Sage von der Erbauung Kloster Lehnin’s nimmt jedoch keine solche allgemeine Ordensregel in Aussicht, sondern führt die Gründung desselben auf einen bestimmten Vorgang zurück. Diesen Vorgang erzählt der böhmische Schriftsteller Pulcava (wie er ausdrücklich beifügt, „nach einer brandenburgischen Chronik“) wie folgt: Otto I. , der Sohn Albrecht des Bären, jagte einen Tag lang in den dichten Waldrevieren der Zauche, und warf sich endlich müd und matt an eben der Stelle nieder, wo später Kloster Lehnin erbaut wurde. Er schlief ein und hatte eine Vision. Er sah im Traum eine Hirschkuh, die ihn ohne Unterlaß belästigte; endlich ergriff er Bogen und Pfeil und schoß sie nieder. Als er erwachte, und seinen Traum erzählte, drangen die Seinen in ihn, daß er an dieser Stelle eine Burg gegen die heidnischen Slaven errichten solle; — die andrängende, immer lästiger werdende Hirschkuh erschien ihnen als ein Sinnbild des Heidenthums, das in diesen Wäldern und Sümpfen allerdings noch eine Stätte hatte. — Der Markgraf indeß erwiederte: „eine Burg werde ich gründen, aber eine Burg, von der aus unsere teuflischen Widersacher durch die Stimmen geistlicher Männer weit fortgescheucht werden sollen, eine Burg, in der ich ruhig den jüngsten Tag erwarten will.“ Und sofort schickte er zum Abt des Cisterciencer-Klosters Sitichenbach , im Mansfeldschen, und ließ ihn bitten, daß er Brüder aus seinem Convente, zur Gründung eines neuen Klosters, senden möchte. Die Brüder kamen; Markgraf Otto aber gab dem Kloster den Namen Lehnin, denn Lehnije heißt Hirschkuh im Slavischen.“ So der böhmische Geschichtsschreiber. Das Kloster wurde gebaut, vor allem die Kloster kirche . Sie bestand in ihrer ursprünglichen Form bis zum Jahre 1262. In diesem Jahre ließ die rasch wachsende Bedeutung des Klosters das, was da war, nicht länger als ausreichend erscheinen, und ein Anbau wurde beschlossen. Dieser Anbau fiel in die erste Blüthezeit der Gothik, und mit der ganzen Unbefangenheit des Mittelalters, das bekanntlich immer baute wie ihm gerade um’s Herz war, und keine Rücksichtnahme auf den Baustyl zurücklie- gender Epochen kannte, wurde nunmehr das romanische Kurzschiff der ersten Anlage durch ein gothisches Längsschiff erweitert . Dieser Erweiterungsbau hat der Zeit und sonstigem Wirrsal schlechter zu widerstehen vermocht als der ältere Theil der Kirche; — das Alte steht, der Anbau liegt in Trümmern; unsere Schilderung führt uns später auf ihn zurück. Unsere nächsten Untersuchungen aber gehören der Geschichte des Klosters. Wir knüpfen die Aufzählung seiner Schicksale an eine Geschichte seiner Aebte. 2. Die Aebte von Lehnin . Heut sind es grade hundert Jahr, Seit er gelegen auf der Bahr Mit seinem Kreuz und Silberstabe. Die ewge Lamp’ an seinem Grabe Hat heute hundert Jahr gebrannt. Hier war zu Hause kluger Rath, Hier hat der mächtige Prälat Des Hauses Chronik einst geschrieben. Annette Droste-Hülshof. E h’ wir dazu übergehen, von den einzelnen leitenden Persönlich- keiten des Klosters, soweit dieselben überhaupt eine Geschichte haben, eingehender zu sprechen, mögen hier einige vorgängige Bemerkungen über die Lehniner Aebte überhaupt eine Stelle finden. Wenn dabei einzelne Dinge von mehr oder weniger allgemeinem Charakter mit aufgeführt werden sollten, Dinge, die nicht blos in Lehnin, sondern überall innerhalb der klösterlichen Welt ihre Gültigkeit hatten, so wolle man dabei in Erwägung ziehen, daß wir eben noch, im Verlauf unserer „Wanderungen“ verschiedene andere Klöster zu besprechen haben werden, und daß das Allgemeingültige in Betreff der- selben doch an irgend einer Stelle wenigstens andeutungsweise gesagt werden muß. Die Aebte von Lehnin standen an der Spitze ihres „Kloster-Convents,“ d. h. ihrer Mönchsbrüderschaft, aus der sie, sobald die Vacanz eintrat, durch freie Wahl hervorgingen. Ihnen zur Seite oder unter ihnen standen der Prior, der Sub- prior, ein Präceptor, ein Senior und ein Cellerarius (Keller- meister), der, wie es scheint, im Lehniner Kloster die Stelle des bursarius (Schatzmeister) vertrat. Daran schlossen sich 20 bis 30 fratres, theils Mönche, theils Novizen, theils Laienbrüder. Die Tracht der Mönche war die übliche der Cistercienser Mönche: weißes Kleid und schwarzes Skapulier. Das Ansehen und die Gewalt des Abtes waren außerhalb und innerhalb des Klosters von großem Belang. 1450 wurde den Aebten zu Lehnin vom Papste der bischöfliche Ornat zuge- standen. Seitdem trugen sie bei feierlichen Gelegenheiten die bischöfliche Mitra, das Pallium und den Krummstab. Auf den Landtagen saßen sie auf der ersten Bank, unmittelbar nach den Bischöfen von Brandenburg und Havelberg. Innerhalb des Klosters war der Abt selbstverständlich der oberste Leiter des Ganzen, kirchlich wie weltlich. Er sah auf strenge Ordnung in dem täglichen Leben und Wandel der Mönche, er beaufsichtigte den Gottesdienst, er controllirte die Verwaltung des Klosters, des Vermögens, der Einkünfte desselben, er vertrat das Kloster geistlichen und weltlichen Mächten gegenüber. Er regierte; aber diese Regierung war weit ab davon, eine absolute, verantwor- tungslose Herrschaft zu sein. Wie er über dem Convente stand, so stand doch auch der Convent wieder über ihm, und Klagen über den Abt, wenn sie von draußen Stehenden erhoben wur- den, kamen vor den Convent und wurden von diesem entschie- den. Waren die zu erhebenden Klagen aber Klagen des Con- vents selbst, so konnte letzterer freilich in seiner eignen Ange- legenheit nicht Recht sprechen, und ein anderes Tribunal hatte zu entscheiden. Dies Tribunal, der Fälle zu geschweigen, wo es der Landesherr war, war entweder das Mutterkloster, oder das große Capitel in Citeaux, oder der Magdeburger Erzbischof oder endlich der Papst. Solche Auflehnungen und in Folge der Auflehnung solche Appellationen an die obere Instanz zählten keineswegs zu den Seltenheiten, wiewohl die Lehniner Verhält- nisse im Allgemeinen (wir glauben, nicht mit voll so großem Recht, wie in der Regel angenommen wird) durch alle Zeit hin als mustergültige geschildert werden. Der Abt Arnold, von dem wir später ausführlicher hören werden, wurde in Folge solcher Auflehnung abgesetzt. Dieser Abt-Arnold-Fall, der durch Beauftragte des Generalkapitels in Citeaux untersucht und ent- schieden wurde, führt zu der nicht uninteressanten Frage: ob solche Beziehungen zu Citeaux, zu dem eigentlichen, ersten und ältesten Ausgangspunkt aller Cistercienserklöster, etwas Regel- mäßiges, oder nur etwas Ausnahmsweises waren? Die Ordensregel, die Charta charitatis, das Gesetzbuch der Cistercienser schrieb allerdings vor, daß einmal im Jahre alle Cistercienser Aebte in Citeaux zusammenkommen und berathen sollten, aber diese Anordnung stammte noch aus einer Zeit, wo die räumliche Ausdehnung, die expansive Kraft des Ordens, die halb Europa umfaßte, ebensowenig mit Bestimmtheit vorauszusehen war, wie sein intensives Wachsthum bis zur Höhe von 2000 Klöstern. Zu welcher Versammlung, bei nur annähernd regelmäßiger und allgemeiner Beschickung wäre ein solches Generalkapitel noth- wendig angewachsen! Freilich die Hindernisse, die die bloß räumliche Entfernung schuf (und es waren Hindernisse), müssen wir uns hüten zu überschätzen; die Kaiserfahrten, die Kreuzzüge, die Pilgerreisen nach Rom und dem heiligen Grabe zeigen uns genugsam, daß man damals, sobald nur ein rechter Wille da war, vor den Schrecken und Hindernissen, die der Raum als solcher schafft, nicht erschrak; aber Citeaux selbst, ganz abgesehen von allen andern leichter oder schwerer zu überwindenden Schwierigkeiten, hätte solche allgemeine Beschickung kaum bewäl- tigen können, wie groß wir auch die bauliche Anlage einerseits, und wie klein und bescheiden die Ansprüche der eintreffenden Aebte andererseits annehmen mögen. Wir treffen also wohl das Richtige, wenn wir die Ansicht aussprechen, daß regel- mäßige Beschickungen des Generalkapitels nicht stattfanden, anderweitige Beziehungen aber, wenn auch nicht regelmäßig, so doch vielfach unterhalten wurden. Mehrere Urkunden thun solcher Beziehungen direkt Erwähnung, und auch anderes spricht dafür, daß unser märkisches Kloster in Citeaux einen guten Klang hatte und mit Vorliebe am Bande auszeichnender Abhängigkeit geführt wurde. Schon die Lage Lehnin’s, an der Grenze aller Cultur , kam ihm zu statten. Die näher an Citeaux gelegenen Klöster waren Klöster, wie andere mehr; wäh- rend allen denjenigen eine gesteigerte Bedeutung beiwohnen mußte, die, als vorgeschobenste Posten, in die kaum bekehrte slavisch- heidnische Welt hineinragten. Ist doch die polnische Abzweigung der römischen Kirche bis diesen Tag eine Lieblingstochter des Papst- thums geblieben. Die Analogien ergeben sich von selbst. Die Lehniner Aebte hatten Bischofs-Rang, und sie wohn- ten und lebten demgemäß. Das Lehniner Abthaus, das, an der Westfront der Kirche gelegen, bis diesen Augenblick steht, zeigt zwar keine großen Verhältnisse, aber dies darf uns nicht zu falschen Schlüssen verleiten; es war überhaupt keine Zeit der großen Häuser. Außerdem hatten die Lehniner Aebte, ebenso wie die Bischöfe von Havelberg und Lebus ihr „Stadthaus“ in Berlin, und es scheint, daß dies letztere von größeren Ver- hältnissen war. Ursprünglich stand es an einer jetzt schwer zu bestimmenden Stelle der Schloßfreiheit, höchst wahrscheinlich da, wo sich jetzt das große Schlütersche Schloßportal erhebt; der Schloßbau unter Kurfürst Friedrich dem Eisernen aber führte zu einer tauschweisen Ablösung dieses Besitzes, und das Stadt- haus für die Lehniner Aebte ward in die Heilige Geist-Straße verlegt (jetzt 10 und 11, wo die kleine Burgstraße thorartig in die Heilige Geist-Straße einmündet). Das Haus markirt sich noch jetzt als ein alter Bau. Länger als viertehalb hundert Jahre gab es Aebte von Lehnin, und wir können ihre Namen mit Hülfe zahlreicher Urkunden auf und ab verfolgen. Dennoch hält es schwer, die Zahl der Aebte, die Lehnin von 1180 bis 1542 hatte, mit voller Bestimmtheit festzustellen. Durch Jahrzehnte hin begegnen wir vielfach einem und demselben Namen, und die Frage ent- steht, haben wir es hier mit ein und demselben Abt, der zufäl- lig sehr alt wurde, oder mit einer ganzen Reihe von Aebten zu thun, die zufällig denselben Namen führten und durch I., II., III. füglich hätten unterschieden werden sollen. Das Letztere ist zwar in den meisten Fällen nicht wahrscheinlich, aber doch immerhin möglich, und so bleiben Unsicherheiten. Nehmen wir indeß das Wahrscheinliche als Norm, so ergeben sich für einen Zeitraum von 362 Jahren 30 Aebte, wonach also jeder einzelne 12 Jahre regiert haben würde, was eine sehr glaubliche Durch- schnittszahl darstellt. Von allen 30 hat es kein einziger zu einer in Staat oder Kirche glänzend hervorragenden Stellung gebracht; nur Mönch Kagelwit , der aber nie Abt von Leh- nin war, wurde später Erzbischof von Magdeburg. Einige indessen haben wenigstens an der Geschichte unseres Landes, oft freilich mehr passiv als aktiv, Theil genommen, und bei diesen, wie auch beim Abte Arnold, dessen privates Schicksal uns ein gewisses Interesse einflößt, werden wir in Nachstehendem länger oder kürzer zu verweilen haben. Wir beginnen mit Johann Siebold, dem ersten Abt, von etwa 1180—1190. Abt Siebold von 1180—1190 . Abt Siebold oder Sieboldus war der erste Abt von Lehnin, und in derselben Weise, wie der älteste Theil des Klo- sters, des nun halb in Trümmern liegenden Baues, am besten erhalten geblieben ist, so wird auch von dem ersten und ältesten Abt desselben am meisten und am eingehendsten erzählt. Die Erinnerung an ihn lebt noch im Volke fort. Freilich gehören alle diese Erinnerungen der Sage und Legende an; historisch verbürgt ist wenig oder nichts, — aber ob Sage oder Geschichte, darf gleichgültig für uns sein, die wir der einen so gern nach- forschen wie der andern. Abt Siebold , so erzählen sich die Lehniner bis diesen Tag, wurde von den umwohnenden Wenden erschlagen, und im Einklang damit lesen wir auf einem alten, halb verwitterten Bilde im Querschiff der Kirche: „Seboldus, primus abbas in Lenyn, a Slavica gente occisus.“ Abt Siebold wurde also erschlagen; gewiß eine sehr ernsthafte Sache; die Geschichte seines Todes indessen wiederzu- geben ist nicht ohne eigenthümliche Schwierigkeiten, da sich, neben dem Ernsten und entschieden Poetischen, auch Tragikomi- sches und selbst Zweideutiges mit in diese Geschichte hineinmischt. Und doch ist über diese bedenklichen Partien nicht hinwegzukom- men, sie gehören mit dazu; es sei also gewagt. Abt Siebold und seine Mönche gingen oft über Land, um in den umliegenden Dörfern zu predigen und die wendischen Fischersleute, die zäh und störrisch an ihren alten Götzen fest- hielten, zum Christenthum zu bekehren. Einstmals, in Beglei- tung eines einzigen Klosterbruders, hatte Abt Siebold in dem Klosterdorfe Prützke gepredigt, und über Mittag, bei schwerer Hitze heimkehrend, beschlossen Abt und Mönch, in dem nahe beim Kloster gelegenen Dorfe Nahmitz zu rasten, das sie eben matt und müde passirten. Der Abt trat in eines der ärmlichen Häuser ein; die Scheu aber, die hier sein Erscheinen einflößte, machte, das alles auseinander stob; die Kinder versteckten sich in Küche und Kammer, während die Frau, die ihren Mann sammt den andern Fischern am See beschäftigt wußte, ängstlich unter den Backtrog kroch, der nach damaliger Sitte nichts als ein ausgehöhlter Eichenstamm war. Abt Siebold , nichts Arges ahnend, setzte sich auf den Trog, die Kinder aber, nach- dem sie aus ihren Schlupfwinkeln allmälig hervorgekommen waren, liefen jetzt an den See und riefen dem Vater und den übrigen Fischersleuten zu: „Der Abt ist da,“ zugleich beschrei- bend, in welch eigenthümlicher Situation sie die Mutter und den Abt verlassen hatten. Die versammelten Fischersleute gaben dem Wort die schlimmste Deutung, und der bittre Groll, den das Wendenthum gegen die deutschen Eindringlinge unterhielt, brach jetzt in helle Flammen aus. Mit wildem Geschrei stürzten alle in’s Dorf, umstellten das Haus und drangen auf den Abt ein, der sich, als er wahrnahm, daß ihm dieser Angriff gelte, sammt seinem Begleiter durch die Flucht zu retten suchte. Der nahe Wald bot vorläufig Schutz, aber die verfolgenden Dörfler waren ausdauernder als der ältliche und wohlbeleibte Abt, der es endlich vorzog, einen Baum zu erklettern, um, gedeckt durch Fontane , Wanderungen. III. 6 das dichte Laubgebüsch desselben, seinen Verfolgern zu entgehn. Der Mönchsbruder eilte inzwischen vorauf, um Hülfe aus dem Kloster herbei zu holen. Abt Siebold schien gerettet, aber ein Schlüsselbund, das er beim Erklettern des Baumes verloren hatte, verrieth seinen Versteck und brachte ihn in’s Verderben. Wohl kamen endlich die Mönche und beschworen den tobenden Volkshaufen, von seinem Vorhaben abzulassen. Der Säckel- meister bot Geld, der Abt selbst, aus seinem Versteck heraus, versprach ihnen Erlaß des Zehnten, dazu Feld und Haide, — aber die wilden Burschen bestanden auf ihrer Rache. Sie hieben, da der Abt sich weigerte herabzusteigen, die Eiche um und erschlugen endlich den am Boden Liegenden. — Die Mönche, die den Mord nicht hindern konnten, kehrten unter Mißhandlungen von Seiten der Fischersleute in ihr Kloster zurück und standen bereits auf dem Punkt, wenige Tage später die Mauern desselben für immer zu verlassen, als ihnen, so erzählt die Sage, die Jungfrau Maria erschien und ihnen zurief: Redeatis! Nihil deerit vobis (Kehret zurück; es soll euch an nichts fehlen), Worte, die Allen ein neues Gottver- trauen einflößten und sie zu muthigem Ausharren vermochten. So die Tradition, von der ich bekenne, daß ich ihr Anfangs mißtraute. Sie schien mir nicht den Charakter des 12. Jahrhun- derts zu tragen, indem das Mönchthum, gehoben und miterfüllt von den großen Ideen jener Zeit, auch seinerseits ideeller, gehei- ligter, reiner dastand, als zu irgend einer anderen Epoche kirch- lichen Lebens. Abt und Mönche von Lehnin, so schloß ich wei- ter, gaben damals, in der Blüthezeit des Cistercienserthums, schwerlich zu Eifersuchtsausbrüchen der wendischen Bevölkerung irgend welche Veranlassung, und so konnte auch damals, d. h. also Ausgangs des 12. Jahrhunderts, keine Geschichte entstehen, die namentlich in ihrer populärsten Fassung (von der ich, wie billig, Abstand genommen habe), weit etwas anders als ein bloßes Mißtrauen in die kirchlichen Absichten des Abtes Siebold durchblicken läßt. Auch jetzt noch setze ich Zweifel in die volle Aechtheit und Glaubwürdigkeit der Ueberlieferung. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß wir es hier mit einer im Lauf der Zeit, je nach dem Bedürfniß der Erzähler und Hörer, mannigfach gemodelten Sage zu thun haben, der, namentlich im 15. Jahrhundert, wo der Verfall des Mönchsthums längst begonnen hatte, ein Liebes-Abenteuer, oder doch der Ver- dacht eines solchen, statt des ursprünglichen Motivs, nämlich des Racenhasses, untergeschoben wurde. Soweit meine Zweifel. Auf der andern Seite deutet freilich (von der Backtrog-Episode und andern nebensächlichen Zügen abgesehn) alles auf ein Faktum hin, das in seinem ganzen äußerlichen Verlauf, durch fast 700 Jahre, mit großer Treue überliefert worden ist. Eine Menge kleiner Züge vereinigen sich, um es mindestens höchst glaubhaft zu machen, daß Sieboldus der erste Abt war, daß er wirk- lich von den Wenden erschlagen wurde, daß sein Eintritt in ein Nahmitzer Fischerhaus das Signal zum Aufstand gab, und daß er, auf der Flucht einen Baum erkletternd, auf diesem Baum sein Versteck, dann unter demselben seinen Tod fand. Die Ueberlieferungen nun, sachliche sowohl wie Erzäh- lungen im Volksmund, die sich auf diese Punkte hin vereinigen, sind folgende: Im Querschiff der Lehniner Kirche hängt bis diesen Tag ein altes Bild von etwa 3 Fuß Höhe und 5 Fuß Länge, auf dem wir in zwei Längsschichten oben die Ermordung des Abtes, unten den Auszug der Mönche und die Erscheinung der Jung- frau Maria dargestellt finden. Vor dem Munde der Maria schwebt der bekannte weiße Zettel, auf dem wir die schon oben citirten Worte lesen: Redeatis, nihil deerit vobis. Rechts in der Ecke des Bildes bemerken wir eine zweite lateinische, längere Inschrift, die da lautet: Anno milleno bis minus uno Sub patre Roberto coepit Cistertius ordo. Annus millenus centenus et octuagenus Quando fuit Christi, Lenyn, fundata fuisti Sub patre Seboldo, quam Marchio contulit Otto 6* Brandenburgensis; Aprilis erat quoque mensis. Hic jacet ille bonus marchravius Otto, patronus Hujus ecclesiae. Sit, precor, in requie. Hic jacet et occisus prior abbas, cui paradisus Jure patet, Slavica quem stravit gens inimica. Zu deutsch etwa: Im Jahre 1098 begann, unter dem Pater Robert, der Cistercienser-Orden. Als das Jahr Christi 1180 war, bist du, Lehnin, gegründet worden unter dem Pater Seboldus, welches der Markgraf Otto von Brandenburg dotirt hat; es war auch der Monat April. Hier ruhet jener gute Mark- graf Otto , der Schützer dieser Kirche. Er möge in Frieden schlafen. Hier ruht auch der erste gemordete Abt, dem das Paradies mit Recht offen steht, den das feindselig gesinnte Slavenvolk erwordet hat. Diese Inschrift ist die Hauptsache, besonders durch die Form ihrer Buchstaben. Das Bild selbst nämlich ist eine Pinselei, wie sie von ungeschickten Händen in jedem Jahrhundert (auch jetzt noch) gemalt werden kann, die Inschrift aber gehört einem ganz bestimmten Jahrhundert an. Der Form der Buchstaben nach ist das Bild zu Anfang des 15. Jahrhunderts gemalt, und so ersehen wir denn mit ziemlicher Gewißheit aus diesem Bilde, wie man sich etwa um’s Jahr 1400, oder wenig später, im Kloster selbst die Ermordung des Abtes Siebold vorstellte. 200 Jahre nach seinem Tode konnte diese Tradition, zumal bei den Mönchen selbst, durchaus noch lebendig und zuverlässig sein. Die Sagen unterstützen den Inhalt dieses Bildes bis die- sen Tag. Ich sprach Eingangs schon von einem Stücklein Poesie, das mehr oder weniger mit dem Tode des Abtes verknüpft sei, und diese poetische Seite ist wirklich da. Aber sie zeigt sich viel mehr in den gespenstigen Folgen der Unthat als in die- ser selbst. In dem mehrgenannten Dorfe Nahmitz bezeichnet die Ueber- lieferung auch heut noch das Gehöft, in das damals der Abt ein- trat. — Das Haus hat längst einem anderen Platz gemacht, aber ein Unsegen haftet seit jenem Unglückstage an der Stelle. Die Besitzer wechseln, und mit ihnen wechselt die Gestalt des Mißgeschicks, aber das Mißgeschick selber bleibt. Das Feuer verzehrt die vollsten Scheunen, böse Leidenschaften nehmen den Frieden oder der Tod nimmt das liebste Kind. So wechseln die Geschicke des Hauses. Jetzt ist Siechthum heimisch darin, die Menschen trocknen aus, und blut- und farblos, jeder Freude bar, gehen sie matt und müde ihrer Arbeit nach. Und wie die Tradition im Dorfe selber das Haus bezeich- net, so bezeichnet sie auch in dem schönen Eichenwalde zwischen Nahmitz und Lehnin die Stelle, wo der Baum stand, unter dem die Unthat geschah. Der Stumpf war Jahrhunderte lang zu sehen; daneben lag der abgehauene Stamm, über den keine Verwesung kam und den Niemand berühren mochte, weder der Förster, noch die ärmsten Dorfleute, die Reisig im Walde such- ten. Der Baum lag da wie ein herrenloses Eigenthum, sicher durch die Scheu, die er einflößte. Erst im vorigen Jahrhun- dert kam ein Müller, der lud den Stamm auf und sagte zu den Umstehenden: „Wind und Teufel mahlen gut.“ Aus dem Stamm aber machte er eine neue Mühlenwelle und setzte die vier Flügel daran. Es schien auch alles nach Wunsch gehen zu sollen und die Mühle drehte sich lustig im Winde, aber der Wind wurde immer stärker und in der Nacht, als der Müller fest schlief, schlugen plötzlich die hellen Flammen auf. Die Mühlwelle, in immer rascherem Drehen, hatte Feuer an sich selber gelegt und alles brannte nieder. „Wind und Teufel mahlen gut,“ raunten sich anderen Tags die Leute zu. Abt Herrmann von 1330—1340 . Abt Siebold wurde etwa um 1190 oder etwas später von den umwohnenden Wenden ermordet. Die Urkunden erwähnen dieses Mordes nicht, wie denn überhaupt die ziemlich zahlreichen Pergamente aus der askanischen Epoche lediglich Schenkungsurkunden sind. Es vergehen beinahe anderthalb hun- dert Jahre, bevor wieder ein Lehniner Abt mit mehr als seinem bloßen Namen vor uns hintritt; — dieser Abt ist Herrmann von Pritzwalk . Zwei Urkunden von 1335 und 1337 erwähnen seiner; erst eine dritte indeß, vom Jahre 1339, giebt uns ein bestimmtes Bild des Mannes, freilich kein schmeichel- haftes. Wie weit wir dieser Schilderung zu trauen haben, das wollen wir nach Mittheilung des Hauptinhalts der Urkunde (die ein Erlaß des Papstes Benedikt’s XII. an die Aebte von Colbatz, Stolp und Neukampen ist) festzustellen suchen. Dieser Urkunde nach, die also nichts anders ist, als ein päpstliches Schreiben (Breve), erschien der Mönch Dietrich von Ruppin , ein Mitglied des Lehniner Klosters, im Jahre 1339 vor Papst Benedikt XII. in Avignon und theilte dem- selben in Gegenwart des Consistoriums mit, daß durch „An- schürung des alten Feindes des Menschengeschlechts“ seit etwa 15 Jahren im Kloster Lehnin eine Trennung und Scheidung der Mönche stattgefunden habe, dergestalt, daß die mächtigere Partei, die sich die Loburgsche nenne, einen Terrorismus gegen die schwächere übe und dieselbe weder zu Wort, noch am wenig- sten zu ihrem Rechte kommen lasse. An der Spitze dieser stär- keren Partei (der Loburgschen) hätten, bei Bildung derselben, die drei Mönche Theodorich von Harstorp, Nicolaus von Lützow und Herrmann von Pritzwalk gestanden, die denn auch, durch ihre und ihrer Partei Uebergriffe und Machinationen, ohne den kanonisch festgestellten Wahlmodus irgend wie inne zu halten, sich nach einander zu Aebten des Klosters aufgeworfen hätten. Unter der Regierung dieser drei Eindringlings-Aebte seien alsdann, von den Anhängern der Loburgschen Partei, sowohl innerhalb wie außerhalb des Klosters, die größten Verbrechen begangen worden. So sei unter andern ein Adliger aus der Nachbarschaft, mit Namen Falco , der zur Zeit des Abtes Nicolaus von Lützow im Kloster ein Nachtlager bezogen habe, von verschiedenen Laienbrüdern des Klosters (darunter namentlich der Anhang des damaligen Mönches, jetzigen Abtes Herrmann ) überfallen und sammt seiner Begleitung ermordet worden. Als am andern Morgen das Gerücht von diesem Morde die Klosterzellen erreicht habe, sei Herrmann (genannt von Pritzwalk ) mit seinem Anhang an den Ort der That geeilt, und habe denn auch den Ritter Falco , sowie drei seiner Begleiter bereits erschlagen, zwei andre Dienst- mannen aber schwer verwundet, im Bettstroh versteckt, vorgefun- den. Mönch Herrmann habe nunmehr Befehl gegeben, auch diese Verwundeten zu tödten; die Waffen Falco’s aber habe er als Beute an sich genommen und späterhin vielfach gebraucht. Dieser Mord, so heißt es in der Urkunde weiter, habe alsbald eine mehr als zehnjährige Fehde hervorgerufen, in der durch die Anhänger des Ritters Falco nicht nur drei Laien- brüder und viele Knechte und Schutzbefohlene des Klosters getöd- tet, sondern auch die Güter desselben durch Raub, Brand und Plünderei verwüstet worden seien, so daß man den Schaden auf über 60,000 Goldgulden geschätzt habe. Während dieser Fehden und Kriegszüge hätten die Mönche zu Schutz und Trutz beständig Waffen geführt, so daß sie, ganz gegen die Ordens- regel, im Schlafsaal und Refectorium immer gewaffnet erschie- nen wären. An den Kämpfen selbst hätten viele der Fratres Theil genommen, andre, namentlich von den Laienbrüdern, hätten das Kloster verlassen und ein anderes Obdach gesucht. Auch von den Hintersassen des Klosters seien Mord und Brand und Unthaten aller Art verübt worden, als deren mora- lische Urheber das umwohnende Volk längst gewohnt sei, die Klosterbrüder anzusehen, weshalb denn auch all die Zeit über der Nothschrei zugenommen habe, daß die Lehninschen Mönche vertrieben und durch Ordensbrüder von besserem Lebenswandel ersetzt werden möchten. Bei Gelegenheit dieser Fehden und Kämpfe seien übrigens die beweglichen und unbeweglichen Güter des Klosters vielfach veräußert und verpfändet worden. Die Urkunde berichtet ferner, daß ein Laienbruder, der bei der Ermordung Falco’s mit zugegen war und hinterher den Muth hatte auszusprechen: „daß dieser Mord auf Befehl des Abts und seiner Partei stattgefunden habe,“ in’s Gefäng- niß geworfen und innerhalb zehn Tagen von den Mönchen der Loburgschen Partei ermordet worden sei. Das päpstliche Schrei- ben meldet endlich, daß „ Dietrich von Ruppin ,“ auf des- sen Aussagen sich alles dieses stützte, noch besonders hinzugefügt habe, daß der an der Ermordung Falco’s und der Seinen vorzugsweise betheiligte Mönch Herrmann jetzt Abt des Klosters sei, wobei die herrschende Mönchspartei von dem vor- geschriebenen Wahlmodus abermals Umgang genommen und die gesetzlich geregelte Einführung unterlassen habe. Abt Herr- mann , dessen Wahl jeder Gesetzlichkeit und Gültigkeit entbehre, habe, wie sein Vorgänger, das Vermögen des Klosters ver- schleudert, die Ordensregeln mißachtet und ein dissolutes Leben geführt, und als besagter Abt endlich Willens gewesen sei, ihn, den „ Dietrich von Ruppin ,“ wegen Dispenses und wegen Absolution für die oben geschilderten Verbrechen an die päpstliche Curie abzusenden, habe er ihn, den Dietrich , — weil der- selbe vorher noch Rücksprache in dieser Angelegenheit mit dem Abte eines anderen vorgesetzten Klosters genommen habe, — durch einige Mönche und Conversen gefangen nehmen, in Eisen legen und neun Monate lang in den Kerker werfen las- sen, alles mit der ausgesprochenen Absicht, ihn durch schwere Peinigungen vom Leben zum Tode zu bringen. Einen andern Conversen des Klosters aber, mit Namen Geraldus , habe Abt Herrmann wirklich tödten lassen. Die Urkunde schließt dann mit einer Aufforderung an die obengenannten Aebte von Colbatz, Stolp und Neukampen, den Fall zu untersuchen und darüber zu befinden, damit die Angeklagten, wenn ihre Schuld sich herausstellen sollte, vor dem päpstlichen Stuhle erscheinen und daselbst ihren Urtheilsspruch gewärtigen möchten. Soweit der Inhalt der Urkunde von 1339. Ob die Aebte sich des mißlichen Auftrags entledigt und, wenn so geschehen, welche Entscheidung sie getroffen oder welchen Bericht sie an Papst Benedikt gerichtet haben, darüber erfahren wir nichts; übrigens dürfen wir vermuthen, daß, gleichviel, ob die Unter- suchung stattfand oder nicht, die Dinge unverändert ihren Fort- gang genommen haben werden. Auch sind wir geneigt hinzu- zufügen, — mit Recht . Wir setzen nämlich in die Mitthei- lungen des Mönches Dietrich von Ruppin keineswegs ein unbedingtes Vertrauen und vermuthen darin vielmehr, ohne ihn direkt der Lüge zeihen zu wollen, eine jener halbwahren Dar- stellungen, die immer da Platz greifen, wo die Dinge von einem gewissen Parteistandpunkte aus angesehen, oder wie hier, Anklagen in zum Theil eigner Angelegenheit erhoben werden. Abt Herrmann scheint uns weit mehr ein leidenschaft- licher Parteimann , als ein Verbrecher gewesen zu sein. Stellen wir alle Punkte von Belang zusammen, die sich aus den Aussagen Dietrichs von Ruppin ergeben so finden wir 1) daß im Kloster zwei Parteien waren, von denen die stärkere die schwächere terrorisirte und die Aebte aus ihrer, der Majorität, Mitte wählte; 2) daß Ritter Falco von der stärkeren oder Loburgschen Partei ermordet wurde; 3) daß das Kloster nach Dispens und Absolution von Seiten des Papstes verlangte, und 4) daß Dietrich von Ruppin abgeordnet wurde, um die Absolution einzuholen, wegen vorgängiger Plauderei aber ins Gefängniß geworfen wurde. Unter diesen vier Punkten involvirt der zweite, die Ermor- dung Falco’s , ein schweres und unbestreitbares Verbrechen. Der Umstand indessen, daß Abt Herrmann für sich und sein Kloster nach der Absolution des Papstes verlangte, deutet darauf hin, daß das Geschehene mehr den Charakter einer sühnefähigen Schuld, als den einer schamlosen Missethat hatte. Denn sollte die Gnade des Papstes angerufen werden, so mußten nothwen- dig Umstände vorauf oder nebenher gegangen sein, die im Stande waren, eine Brücke zu bauen und für die Schuld bei der Gnade zu plaidiren. Solche entschuldigenden Umstände waren denn wohl auch wirklich da und lagen, wie wir mehr oder weniger aus der Anklage selbst entnehmen können, in dem Parteihaß, der eben damals (mehr denn je vorher oder nachher) die Mark in zwei Theile theilte. Es war die baierische Zeit ; dies sagt alles. Es waren die Tage, wo die Berliner den Propst von Bernau erschlugen und die Frankfurter (mit gutem Grund) den Bischof von Lebus verjagten; es waren die Tage des Bannes und des Interdikts, Tage, die dreißig Jahre währten, und in denen sich das Volk der Kirche so entfremdete, daß es ver- wundert aufhorchte, als zum ersten Male wieder die Glocken durch’s Land klangen. Der alte Kampfesruf „hie Welf, hie Waibling!“ schallte wieder aller Orten, und „bairisch oder päpstlich“ klang es vor allem auch in der Mark Brandenburg. Lehnin, gehegt und gepflegt vom Kaiser und seiner Partei, war bairisch , der märkische Adel (vielfach zurückgesetzt) war anti- bairisch . Aus diesem Zustande ergaben sich Conflikte zwischen dem Kloster und dem benachbarten Adel fast wie von selbst, und die Ermordung Falco’s , die nach den Aussagen Dietrichs von Ruppin einfach wie ein brutaler Bruch der Gastfreundschaft erscheint, war möglicherweise nur blutige Abwehr, nur ein Rache-nehmen an einem Eindringling, der sich stark genug geglaubt hatte, den Klosterfrieden brechen zu dürfen. Ritter Falco und die Seinen, wenn sie wirklich Gäste des Klosters waren, waren vielleicht sehr ungebetene Gäste, Gäste , die sich nach eigenem Dafürhalten im Kloster einquartiert hatten, vielleicht im Complott mit der Minorität , die höchst wahr- scheinlich (im Gegensatz zur Loburgschen Partei) zum Papste hielt. Daß die Majorität des Klosters und dadurch das Kloster selbst entschieden bairisch war, ergiebt sich unter anderm daraus, daß Papst Clemens in seiner Bannbulle vom 14. Mai 1350 eigens Veranlassung nahm, dem Kloster seine Hinneigung zur Sache des bairi- schen Hauses vorzuwerfen . Auch das Erscheinen des Klage führen- Dies alles sind freilich nur Hypothesen; aber wenn sie auch nicht absolut das Richtige treffen, so lehnen sie sich doch an Rich- tiges an und schweifen wohl nicht völlig in die Irre. Was immer aber auch das Motiv dieses Mordes gewesen sein möge, entschuldbarer Parteihaß oder niedrigste Ruchlosigkeit, so viel erhellt aus dieser Ueberlieferung — ihre thatsächliche Begründung immer vorausgesetzt — daß die Tage in Kloster Lehnin nicht immer interesselos verliefen (wie gelegentlich geglaubt worden ist), und daß, wenn wir dennoch im Großen und Gan- zen einer gewissen Farblosigkeit begegnen, der Grund dafür nicht darin zu suchen ist, daß überhaupt nichts geschah, sondern ledig- lich darin, daß das Geschehene nicht aufgezeichnet, nicht überlie- fert wurde. Mönch Herrmann , der mit seinem Anhang an die Stätte des Mordes vordringt, die Verwundeten in ihren Stroh- verstecken tödtet oder tödten läßt, dann selber, während zehnjäh- riger Fehde, in Schlafsaal und Refectorium die Waffenrüstung Falco’s trägt, — das giebt schon ein Bild, dem es keineswegs an Farbe fehlt, auch nicht an jenem Roth, das nun ’mal die Haupt- und Grundfarbe aller Geschichte ist. Ueber den Ausgang des Abtes Herrmann erfahren wir nichts; sehr wahrscheinlich, daß er noch eine Reihe von Jahren dem Kloster vorstand; — erst 1352 finden wir den Namen eines Nachfolgers verzeichnet. Abt Heinrich Stich (etwa von 1399—1430) . Heinrich Stich , vor seiner Abtwahl Kellermeister (celle- rarius) des Klosters, wurde sehr wahrscheinlich im Jahre 1399 zum Abt gewählt. Seine Regierung fällt in die sogenannte den Mönches vor dem Papst , während ihm doch andere Tribunale, weltliche wie geistliche, so viel näher gelegen hätten, spricht dafür, daß der zu verklagende Abt Herrmann , sammt der Majorität des Klosters, (der Loburg-Partei) antipäpstlich , d. h. also bairisch waren. „ Quitzow-Zeit ,“ und wir werden in Nachstehendem zu berich- ten haben, wie vielfach gefährdet Kloster Lehnin damals war und wie glücklich es, großentheils durch die umsichtige Leitung seines Abtes, aus allen diesen Gefahren hervorging. Die Geschichte jener Epoche, soweit sie das Kloster berührt, entnehmen wir den Aufzeichnungen Heinrich Stich’s selber, der im Jahre 1419 ein Gedenkbuch anzulegen begann, in welchem er, zurückgehend bis auf das Jahr 1401, über die Streitigkeiten des Klosters mit seinen Nachbarn berichtet. Einiges ergänzen wir aus einer andern, ziemlich gleichzeitigen Chronik. Das Kloster hielt es all die Zeit über, seinen Traditionen getreu, mit der Landesobrigkeit , d. h. also, Abt und Mönche waren im Allgemeinen gegen die Quitzow’s . Da indessen die Landesobrigkeit damals sehr schwankend und eine Zeit lang (halb angemaßt, halb zugestanden) bei den Quitzow’s selber war, so entstanden daraus sehr verwickelte, zum Theil widerspruchsvolle Verhältnisse, deren Gefahren und Schwierigkei- ten nur durch große Klugheit zu überwinden waren. Die schwankenden Verhältnisse nöthigten auch zu einer schwankenden Politik. Die Grundstimmung des Klosters blieb gegen die Quitzow’s gerichtet, wiewohl wir einer, indeß jedenfalls nur kurzen Epoche zu erwähnen haben werden, wo das Kloster mit den Quitzow’s ging. Zwischen 1401 und 1403, so scheint es, sammelten die Quitzow’s Material gegen das Kloster. In wie weit sie dabei bona fide handelten, ist schwer zu sagen; doch macht ihr Vor- gehen allerdings den Eindruck, als hätten sie, voll übermüthigen Machtbewußtseins, die Dinge nur einfach darauf hin angesehen, wie sie ihnen paßten, unbekümmert um den Wortlaut entgegen- stehender Urkunden und Verträge. Sie stellten sich zunächst, als machten sie einen Unterschied zwischen dem Abt des Klosters und dem Kloster selbst , und sich das Ansehen gebend, als sei die Persönlichkeit oder der Eigensinn des Abtes an Allem Schuld, verklagten sie ihn beim Convent seines eige- nen Klosters. Als diese Klage, wie sich denken läßt, ohne Einfluß blieb, schritten sie zu einer förmlichen Anklageschrift, in der sie dem Kloster all seine vorgeblichen Vergehen und Ein- griffe entgegenhielten. Diese Anklageschrift enthielt, unter vielen andern Paragraphen, drei Hauptpunkte: 1) Das Kloster habe ihnen, den Quitzow’s , zweimal den Landschoß verweigert, wiewohl sie doch die „Statthalter in Mark Brandenburg“ wären. 2) Das Kloster habe den Quitzow’schen Knechten, auf seinen, des Klosters Gütern jedes Einlager verweigert und die Zuwiderhandelnden mit Mord bedroht. 3) Endlich, das Kloster habe dabei beharrt, die Havel bei Schloß Plaue als sein Eigenthum anzusehn, während sie doch ihnen, den Quitzow’s , als den zeitigen Besitzern von Schloß Plaue gehöre, denn weil das Wasser bei dem Schlosse sei, so müßte es auch zu dem Schlosse gehören, und führe das Schloß nicht umsonst den Namen „Schloß Plaue an der Havel .“ Abt Heinrich erwiederte auf alle Anklagepunkte in wür- diger Weise, alle seine Aussagen urkundlich belegend. Er wies aus den Schenkungsurkunden und verbrieften Gerechtsamen des Klosters nach, daß sie, Abt und Mönche, erstens ihre Güter „in aller Freiheit“ besäßen und niemals Landschoß zu zah- len gehabt hätten, daß es zweitens zu ihren vielfach verbrieften Gerechtsamen gehöre, keine Herren, keine Lehnsträger, Ritter oder Knechte wider Willen aufnehmen zu müssen, und daß sie drittens die Havel bei Plaue seit so langer Zeit als Eigenthum besäßen, „daß Niemand dessen anders gedenken möge.“ Dieser dritte Punkt, weil es sich dabei um eine Eigen- thumsfrage handelte, die den praktischen Leuten des Mittel- alters immer die Hauptsache war, bekümmerte den Abt nun ganz besonders. Da man sich nicht einigen konnte, wurden Schiedsrichter vorgeschlagen, wobei Hennig von Stechow und Henning von Groeben als Abgesandte oder Man- datare der Quitzow’s auftraten. Das Recht des Klosters indessen war zu klar, als daß die eigenen Vertrauensmänner ( Stechow und Gröben ) der Gegenpartei es hätten über- sehen oder umdeuten können, und so beschworen sie den Hans von Quitzow , „daß er um Gottes und seiner eigenen Selig- keit willen mit dem Abte nicht hadern und das Kloster sammt seinen Gütern und Besitzungen nicht anfechten möge.“ Aber die Quitzow’s — die vielleicht aus politisch-strategischen Grün- den in dieser Frage besonders hartnäckig waren — beharrten auf ihrer Forderung und das Kloster mußte schließlich nicht nur auf sein Flußrecht Verzicht leisten, sondern auch noch wei- tere 100 Mark Silber zahlen, um sich guter Nachbarschaft und der Wohlgewogenheit der mächtigen Familie zu versichern. Diese Nachgiebigkeit und die damit verknüpften Schädi- gungen mögen dem Kloster schwer genug angekommen sein; nachdem die Opfer aber einmal gebracht und mittelst derselben die Freundschaft und die guten Dienste der alles vermögenden Quitzow-Sippe gewonnen waren, lag es nun auch in der Politik des Klosters, diese Freundschaft zu pflegen und dadurch den eignen Vortheil nach Möglichkeit zu fördern . Die Niederlage blieb unvergessen, aber so lange kein Stärkerer da war, um diese Niederlage zu rächen, wurde das Joch in Klugheit und Ergebenheit getragen. Aber dieser Stärkere kam endlich , und ob es nun wieder nur die alte Klosterklugheit war, die in dem Nürn- berger Burggrafen sofort den Stärkeren erkannte, oder ob in diesem Fall der heimliche Groll mitwirkte, der all die Jahre über, unter der Maske guter Freundschaft, gegen die Quitzow’s unterhalten worden war, — gleichviel, kaum daß der erste Hohenzoller ernstlich Miene machte, eine eigene Macht zu etabliren und den Uebermuth seiner Widersacher zu demüthi- gen, so sehen wir auch schon Kloster Lehnin unter den Hülfs- truppen des neuen Landesherrn, der anders eingreifend, als wie all die Statthalter und Hauptleute vor ihm, in acht Tagen die vier Quitzow-Burgen und mit ihren Burgen auch ihr Ansehen brach. Die Klosterleute von Lehnin lagen (sammt den Bürgern von Belitz, Jüterbog und Treuenbrietzen) vor Schloß Beuthen und warteten, wie berichtet wird, die Ankunft „der großen Büchse,“ der sogenannten faulen Grete, ab. Ihr kriegerisches Verdienst scheint also, dieser Andeutung nach zu schließen, kein besonders hervorragendes gewesen zu sein und lediglich in einem geduldigen und möglichst gesicherten Davor- stehen bestanden zu haben. Schwerlich empfanden Abt und Convent einen Gram dar- über; es lag ihnen nicht an Kriegsruhm, sondern, wie immer, lediglich an Mehrung und Förderung der Klosterinteressen, an wachsendem Besitz und — guter Nachbarschaft . Diese gute Nachbarschaft hatte Lehnin, das mit den Rochow’s grenzte, ein halbes Jahrhundert schmerzlich vermissen müssen. Jetzt traf es sich, daß der Ausgang des Quitzow-Streits unserem Kloster erwünschte Gelegenheit bot, sich auch dieser „guten Nach- barschaft“ auf lange Zeit hin zu versichern. In Burg Golzow (dem alten Rochow-Sitz, in der Nähe Lehnin’s) war Wichard von Rochow, der treue Anhänger der Quitzow’s, gefangen genommen worden. Durch Vermittelung des Abtes, der allen Groll zu rechter Zeit zu vergessen wußte, ward ihm jetzt, dem Wichard, (freilich erst nach Abtretung Potsdams an den Kur- fürsten) die Freiheit und — Schloß Golzow zurückgegeben. Beide Theile, der Kurfürst und die Rochow’s, wußten es dem Vermittler Dank, und dem Kloster waren zwei Freunde gewonnen. — Abt Heinrich Stich starb wahrscheinlich um 1430. Abt Arnold. (Etwa von 1456—1467.) Die Amtsführung des Abtes Heinrich von 1399 bis etwa um 1430 war in eine unruhige Zeit gefallen, und wir sehen all die Zeit über das Kloster in seinen Verwickelungen nach außen; die Regierung des Abtes Arnold fällt in fried- lichere Tage, und die Urkunden, aus jener Zeit her, gönnen uns ausschließlich wieder einen Einblick in innere Streitig- keiten . Sie berichten über Zerwürfnisse, die an die Zustände unter Abt Herrmann erinnern, wie wir dieselben (ohne weitre Gewähr) nach den Aussagen „ Dietrich’s von Ruppin“ geschil- dert haben. Hier wie dort begegnen wir Parteiungen und einem siegreichen Auftreten der Majorität, nur mit dem Unter- schied, daß sich Abt Herrmann, in seinem Terrorismus, auf die Majorität des Conventes stützte, während Abt Arnold gegen diese Majorität ankämpfte und in diesem Kampfe unterlag. Die Urkunden aus der etwa zehnjährigen Zeit seiner Ver- waltung sind ziemlich zahlreich (20) und sprechen nicht gegen den Abt. Streitigkeiten werden geschlichtet, Vergleiche getroffen, Ländereien empfangen oder ausgegeben — nirgends erhellt aus ihnen ein Zerwürfniß zwischen Abt und Convent. So verlau- fen die Dinge oder scheinen sie doch zu verlaufen, bis wir, gleich aus den ersten Urkunden, die in die Regierungszeit seines Nachfolgers fallen, in Erfahrung bringen, daß Abt Arnold „wegen unstatthafter Veräußerung von Klostergütern“ abgesetzt und Prior Gallus an seiner Statt zum Abte gewählt wor- den sei. Wir erfahren ferner, daß inzwischen ein andres deut- sches Kloster (Altenberg) den Arnoldus zu seinem Abte ernannt, dieser aber, von seinem jetzigen, dem Altenberger Kloster aus, eine heftige Schmähschrift (libellum infamiae) gegen den Prior und die Mönche von Kloster Lehnin gerichtet, diese Schmäh- schrift auch zugleich als Anklageschrift beim Generalcapitel in Citeaux eingereicht habe. Diese Anklageschrift nun, von dem ehemaligen Abte des angeklagten Klosters ausgehend, scheint, wie begreiflich, ihre Wirkung auf das Generalcapitel nicht verfehlt zu haben, und so sehen wir denn im März 1469 die Aebte von Heils- bronn und Erbach als ernannte Untersuchungs-Commissa- rien in Lehnin eintreffen. Aber gleichzeitig mit ihnen treffen auch, als Zeugen in der Sache zur Begutachtung vorgeladen, die Aebte dreier märkischer Klöster, von Zinna, Chorin und Himmelpfort ein und bezeugen durch ihre Aussage, daß Abt Arnold in der That willkürlich das Klostergut veräußert und somit die Absetzung Seitens des Klosterconvents (der sich dabei lediglich innerhalb seiner Befugnisse gehalten) durchaus verdient habe. „Was seine Schmähungen aber gegen die sittliche Füh- rung des Klosters angehe, dem er so lange vorgestanden, so treffe ihn — selbst wenn diese Schmähungen begründet sein sollten — die Hauptverantwortlichkeit, da es in zehnjähriger Führung seine Aufgabe gewesen sein würde, diesem Verfall der Sitte zu steuern.“ Auch der Kurfürst ( Friedrich der Eiserne), in einem an die Comissarien gerichteten Briefe, nimmt Partei für den Convent gegen den abgesetzten Abt, und so sehen wir denn, ohne daß ein urkundliches Urtheil der Commissare in dieser Streitsache vorläge, den neuen Abt in seinem Amte verbleiben, — eine Thatsache, die genugsam spricht. Ueber den Inhalt der Schmähschrift, des „libellum infamiae,“ erfahren wir nichts; es wird ein Verzeichniß der alten Kloster- sünden gewesen sein, wie sie entweder überall vorkamen oder doch überall berichtet wurden. Wenn nun einerseits diese Absetzung Abt Arnolds und seine als Antwort darauf geschriebene Schmähschrift abermals darthun, daß die Tage Kloster Lehnin’s durchaus nicht so still- idyllisch verliefen, wie wohl anderer Orten berichtet worden ist, so gewähren uns andrerseits die betreffenden Urkunden noch ein besondres Interesse dadurch, daß sie die Frage in uns anregen: wer war dieser Abt Arnold ? welchen Charakters? war er im Recht oder im Unrecht? Freilich nur wenige Anhaltepunkte sind uns gegeben, aber sie rechtfertigen die Annahme, daß er mindestens eben so sehr ein Opfer seiner geistigen Ueber- legenheit, wie seiner Uebergriffe war. Wahrscheinlich gingen diese Uebergriffe zum Theil erst aus dem Bewußtsein seiner Ueberlegenheit hervor. Er war, so vermuthen wir aus einer Reihe kleiner Züge, das, was wir heutzutage einen genialischen aber querköpfigen Gelehrten nennen würden, sehr gescheidt, sehr selbstbewußt, sehr eigensinnig, dabei lauteren Wandels, aber launenhaft und despotisch von Gemüth. Wem schwebten, aus eigener Erfahrung, nicht Beispiele dabei vor! Die Gelehrten- welt, in ihren besten und energischsten Elementen, war immer Fontane , Wanderungen. III. 7 reich an Abt Arnold -Charakteren. Was speziell unsren Abt Arnold angeht, so scheint es, das Kloster wollte ihn los sein, weil er geistig und moralisch einen unbequemen Druck auf den Convent ausübte. Daß er, um seines Wissens wie um seines Wan- dels willen, eines nicht gewöhnlichen Ansehns genoß, dafür spricht nicht nur der Umstand, daß ihn die Urkunden einen professor sacrae theologiae nennen, sondern mehr noch die Thatsache, daß er unmittelbar nach seinem Austritt aus dem Lehniner Kloster zum Abt von Altenberg erwählt wurde. Altenberg, seiner Zeit ein berühmtes Kloster, liegt in der Rheinprovinz, in der Nähe von Coblenz. Wir möchten daraus beinahe schließen, daß er ein Rheinländer, jedenfalls ein Fremder war und an der märkischen Art eben so Anstoß nahm, als Anstoß erregte. Abt Valentin (Etwa von 1509—1542.) Valentin war der letzte Abt des Klosters. Die Erscheinung, die sich so oft wiederholt, daß ersterbende Geschlechter und Insti- tutionen vor ihrem völligen Erlöschen noch einmal in altem Glanze aufblühen, wiederholte sich auch hier, und die mehr denn 30jährige Regierung des Abtes Valentin bezeichnet sehr wahrscheinlich den Höhenpunkt im Leben des Klosters überhaupt. Freilich haben wir dabei die glänzende 25jährige Epoche bis 1535 von der darauf folgenden kurzen Epoche bis 1542, die schon den Niedergang bedeutet, zu trennen. Wir sprechen von der Glanz-Epoche zuerst. Der Besitz — nach den kurzen Gefährdungen während der Quitzow-Zeit — war von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gewachsen und umfaßte in den Jahren, die der Reformation unmittelbar vorausgingen, 2 Marktflecken, 64 Dörfer, 54 Fischereien, 6 Wasser- und 9 Windmühlen, 14 große Forsten, dazu weite Aecker, Wiesen und Weinberge. Jeder Zweig des Betriebs stand in Blüthe; die Wolle der reichen Schafheerden wurde im Kloster selbst ver- arbeitet, und die treffliche Wasserverbindung, mittelst der See’n in die Havel und mittelst der Havel in die Elbe, sicherte dem Kloster Markt und Absatzplätze. Reich und angesehen wie das Kloster, so angesehen und verehrt war sein Abt. Das Volk hing ihm an, und der Kur- fürst Joachim I. , — der ihn seinen „Gevatter“ nannte, seit Abt Valentin bei der Taufe des zweiten kurfürstlichen Prin- zen, des späteren Markgrafen Johann von Küstrin, als Tauf- zeuge zugegen gewesen war — war dem Abt zu Willen in vielen Stücken. 1509 sprach Joachim die Befreiung des Klosters von kurfürstlichem Jagd-Eingelage „auf Lebenszeit des Abtes“ aus, und 1515 ging er weiter und machte aus der zeitweiligen Befreiung eine Befreiung auf immer . Daß das Kloster selber den Tod Valentin’s nicht überleben würde, ent- zog sich damals, 1515, noch jeder Berechnung und Voraussage. Die Wirren und Kämpfe, die bald folgten, ketteten den Kur- fürsten, so scheint es, nur fester an unseren Lehniner Abt, und wir dürfen wohl annehmen, daß die Rathschläge dieses seines „Rathes und Gevatters“ nicht ohne Einfluß auf die Ent- schlüsse waren, die ihn, der Strömung der Zeit und den Beschwörungen der Kurfürstin gegenüber, bei der alten Lehre beharren ließen. Dies einfach als Hartnäckigkeit zu deuten, wäre Irrthum und Thorheit; es war der Ausdruck einer festen Ueberzeugung, was ihn das Schwerere wählen und — gegen den Strom schwimmen ließ. Joachim, fest wie er in seinem Glauben war, war auch fest in seiner Liebe zu Kloster Lehnin, und wiewohl er sich mit keiner Idee lieber und herzlicher getra- gen hatte, als mit der Gründung eines großen Domstiftes zu Cöln an der Spree (wie es später unter Joachim II. auch wirklich in’s Leben trat), so wollte er doch in Lehnin begraben sein, an der Seite seines Vaters, in der Gruft, die schon die alten Askanier ihrem Geschlecht erbaut hatten. Und unser Lehniner Abt, wie er all die Zeit über der Vertraute seines Fürsten war, so war er auch der Vertrauens- mann der Geistlichkeit, und der zunächst Auserwählte, als es galt, den „moenchischen Lärmen“ zu beschwichtigen, der in dem 7* benachbarten Wittenberg immer lauter zu werden drohte. Unser Abt, in der That, schien vor jedem andern berufen, durch die Art seines Auftretens, durch Festigkeit und Milde, dem „Umsich- greifen der Irrlehre,“ wie es damals hieß, zu steuern, und als Beauftragter des Brandenburger Bischofs ( Hieronymus Scultetus ) erschien er in Wittenberg, um den Augustiner- Mönch zu warnen. Sein Erscheinen scheint nicht ohne Einfluß auf Luther geblieben zu sein, der nicht nur seinem Freund Spalatinus bemerkte: wie er ganz beschämt gewesen sei, daß ein so hoher Geistlicher (der Bischof) einen so hohen Abt so demüthig an ihn abgesandt habe,“ sondern auch am 22. Mai 1518 dem Bischof von Brandenburg schrieb: „Ich erkläre hiermit ausdrücklich und mit klaren Worten, daß ich in der Sache des Ablasses nur disputire, aber nichts feststelle.“ Abt Valentin, wie wir annehmen dürfen, ging viel zu Hofe, aber wenn schon er häufiger in dem Abthause zu Ber- lin als in dem Abthause des Klosters selber anwesend sein mochte, so war er doch nicht gewillt, um Hof und Politik willen den unmittelbaren Obliegenheiten seines Amtes, der Fürsorge für das Kloster selber, aus dem Wege zu gehen. Wir sehen ihn, wie er sich das Wachsthum, die Gerechtsame, vor allem auch die Schönheit und die Ausschmückung seines Klosters ange- legen sein läßt; er schenkt Glocken, er errichtet Altäre, vor allem zieht er die unter Dürer, Kranach, Holbein eben erst geborene deutsche Kunst in seinen Dienst und ziert die Kirche mit jenem prächtigen Altarschrein, Dieser Altarschrein, der jetzt eine Zierde und Sehenswürdigkeit des schönen Brandenburger Domes bildet, hat eine Höhe von etwa 9 Fuß bei circa 12 Fuß Breite. Die Einrichtung ist die herkömmliche: ein Mittelstück mit zwei Flügel- oder Klappthüren, die je nach Gefallen geöffnet oder geschlossen werden können. Das Mittelstück zeigt in seiner schreinartigen Vertiefung die Gestalt der heiligen Jungfrau; rechts neben ihr Paulus mit dem Schwert, zur Linken Petrus mit dem Schlüssel. Diese drei Figuren sind Holzschnitzwerk, buntbemalt, mehr derb charac- teristisch als schön. Der hohe Kunstwerth des Schreins besteht lediglich der bis auf diesen Tag, als ein Kunstwerk ersten Ranges erhalten (im Brandenburger Dom), damals der Stolz des Klosters, die Bewundrung der Fremden war. Die wohl erhaltene Unterschrift: „anno dom. 1518 sub d. Valentino Abbate“ hat in aller Sichtlichkeit den Namen Abt Valentin’s bewahrt. Ueber 25 Jahre waren die Wirren der Zeit an Abt Valentin vorübergegangen, das Ausharren seines kurfürst- lichen Herrn hatte ihn vor den schwersten Kümmernissen bewahrt, da kam, fast unmittelbar nach dem Regierungsantritt Joa- chims II. , die sogenannte „Kirchenvisitation,“ und auch Lehnin wurde ihr unterworfen. Man verfuhr nicht ohne Milde, nicht ohne Rücksichten der Form, aber in Wahrheit erschienen die Visitatoren zu keinem andern Behuf, als um dem Kloster den Todtenschein zu schreiben. Draußenstehende fingen an es in ihre „Obhut“ zu nehmen, man stellte es unter Curatel. Es ward diese „Obhut“ von Abt und Kloster auch durchaus als das empfunden, was sie war, und ein schwacher in der Schönheit der Malereien, die sich auf beiden Flügeln und zwar auf der Vorder- wie auf der Rückseite derselben befinden. Sind diese Flügel (wie gewöhnlich) geöffnet, so erblicken wir die beiden besonderen Schutzheiligen der Cistercienser, den heiligen Benedikt, aus dessen Orden sie hervorgingen, und den heiligen Bernhard, der den Orden zu höchstem Glanz und Ansehen führte. (Die Cistercienser werden des- halb auch oft Bernhardiner genannt.) Neben den beiden Heiligen stehen die Gestalten der Maria Magdalena und der heiligen Ursula . Auf der Rückseite befinden sich: der heilige Gregorius, St. Ambro- sius, St. Augustinus und der heilige Hieronymus, lauter Kir- chenväter, die zu dem Klosterleben der katholischen Kirche in besonderer Beziehung stehn. Die Köpfe aller dieser Gestalten, besonders der des St. Benedikt und des heiligen Bernhard (die Frauenköpfe sind weniger vollendet) haben immer für Meisterwerke gegolten und man hat sie ebenso um ihrer Ausführung wie um ihrer Charakteristik willen, abwechselnd dem Albrecht Dürer, dem Lucas Kranach und endlich dem Grunewaldt, einem der besten Schüler Dürers, zugeschrieben. Der letzteren Ansicht ist Ernst Förster in München. Grunewaldt war allerdings speziell durch seine Charakterisirung der Köpfe ausge- zeichnet. Versuch der Auflehnung, ein passiver Widerstand, wurde geübt. Als es sich darum handelte, einem der Klosterdörfer einen neuen Geistlichen zu geben, wurde der alte Abt Valentin aufgefor- dert, die übliche Präsentation, die Einführung des Geistlichen in die Gemeinde zu übernehmen. Abt Valentin lehnte dies ab, weil er es verschmähte, der Beauftragte, der Abgesandte protestantischer Kirchenvisitatoren zu sein; aber bei diesen bloßen Anfängen eines Widerstandes hatte es sein Bewenden. Der alte Abt, zu hofmännisch geschult, um dem Sohn und Nach- folger seines heimgegangenen Kurfürsten eine ernste Gegnerschaft zu bereiten, zu schwach für den Kampf selbst, wenn er ihn hätte kämpfen wollen, beugte sich ergebungsvoll unter das neue Regi- ment, und schon zu Neujahr 1542 bittet er den Kurfürsten nicht nur: „ihm und seinem Kloster auch bei veränderten Zeitläuften allezeit ein gnädigster Herre zu sein,“ sondern fügt auch den Wunsch bei, „daß seine kurfürstliche Durchlaucht ihm und seinen Fratribus, wie bisher, etzliches Wildpret ver- ehren möge.“ So verläuft der Widerstreit fast in Gemüthlichkeit, bis im Laufe desselben Jahres der alte Abt das Zeitliche segnet. Sein Tod macht den Strich unter die Rechnung des Klosters; keine Rücksichten auf den „alten Gevatter des Vaters“ hemmen län- ger die Aktion des Sohnes, und der Befehl ergeht an die Mönche: keinen neuen Abt zu wählen. Den Mönchen selber wird freigestellt, ob sie „bleiben oder wandern“ wollen, und die Mehrzahl, alles was jung, gescheidt oder thatkräftig ist, wählt das letztere und wandert aus. Eine Urkunde vom 8. Dezember 1542 hat uns die Namen von zehn Klosterbrüdern aufbewahrt, die mit Geld und Kleidung („mehr als wir verhofft“) ausgerüstet, Lehnin verließen und in die Welt gingen. Es waren: Caspar Welle, Christoph Brun, Martin Uchten- hagen, Joachim Kersten, Joachim Sandmann, Gregorius Kock, Wipertus Schulte, Heinrich Forten, Maternus Meier, Valentin Vissow . Dazu kamen später: Steffen Lindstedt und Johannes Nagel, beide aus Stendal, ferner Gerhard Berch- Die Alten blieben. Ob sie im Kloster selber ruhig weiter lebten, oder aber, wie andrerseits versichert wird, in dem dritthalb Meilen entfernten, dicht bei Paretz gelegenen Kloster- dorfe Neu-Töplitz sich häuslich niederließen, ist nicht mehr mit voller Gewißheit festzustellen gewesen. Gleichviel aber auch, wo sie den Rest ihrer Tage beschlossen, sie beschlossen sie ruhig, friedfertig, ergeben, ohne jede Spur von Märtyrerschaft, ohne den kleinsten Schimmer von jenem Goldglanz um ihr Haupt, den zu allen Zeiten das Einstehn für eine Idee ver- liehen hat. Die letzten Lehniner standen für nichts ein, als für sich selbst, und das letzte Lebenszeichen, das wir, überliefert von ihnen, besitzen, ist eine Bitte des „Priors, Subpriors und Seniors so zu Lehnin verharren,“ worin sie ihren gnädigsten Herrn und Kurfürsten ersuchen, unter vielen andern Dingen jedem Einzelnen auch folgendes zu gewähren: Mittagessen: 4 Gerichte; Abendessen: 3 Gerichte; Bier: 1 Tonne wöchentlich; Wein: 8 Tonnen jährlich; Außerdem zu Neujahr und zu Mitfasten einen Pfefferkuchen . So erlosch Lehnin. Das 400jährige Klosterleben, das mit der Ermordung Abt Siebolds begonnen hatte, schrieb zum Schluß einen Bitt- und Speisezettel, es den Räthen ihres gnä- digsten Kurfürsten überlassend, „an den obgemeldeten Artikeln zu reformiren nach ihrem Gefallen.“ sow und Hieronymus Teuffel . Einige von diesen Namen: Uchten- hagen, Lindstedt, Teuffel, waren Adelsnamen, doch ist nicht zu ersehn, ob die obengenannten Drei von adliger oder bürgerlicher Abkunft waren. Im Allgemeinen traten hierlands fast nur Bürgerliche in den Cistercienser-Orden ein, während sich in den Nonnen klöstern desselben Ordens fast nur die Töchter adeliger Familien befanden. 3. Kloster Lehnin, wie es war und wie es ist . Kapellen Das Schiff umstellen; In engen Gängen Die Lampen hängen, Und werfen ihre düstren Lichter Auf grabstein-geschnittene Mönchsgesichter. Nach Waltham-Abtei hieher alsdann Sollt ihr die Leiche bringen, Damit wir christlich bestatten den Leib Und für die Seele fingen. H. Heine. L ehnin war nicht nur das älteste Kloster in der Mark, es war auch, wie schon hervorgehoben, das reichste, das begütertste, und demgemäß war seine Erscheinung. Nicht daß es sich durch architektonische Schönheit vor allen andern ausgezeichnet hätte (nach dieser Seite hin wurde es von Kloster Chorin übertroffen), aber die Fülle der Baulichkeiten, die sich innerhalb seiner weit- gespannten Klostermauern vorfand, die Gast- und Empfangs- und Wirthschaftsgebäude, die Schulen, die Handwerks- und Siechenhäuser, die nach allen Seiten hin das eigentliche Kloster umstanden, alle diese Baulichkeiten, eine gothische Stadt im Kleinen, deuteten auf die Ausgedehntheit und Solidität des Besitzes. Der stattliche Mittelpunkt des Ganzen, die zahlreichen Giebel überragend, war und blieb die hohe Klosterkirche, deren mit Kupfer gedeckter Mittelthurm dunkel bronzefarben in der Sonne glänzte. Diese Kirche (das Wesentliche ihrer äußeren Erscheinung habe ich schon beschrieben) war ihrer architektonischen Anlage nach eher schlicht als schön, mehr geräumig als präch- tig, aber das Leben und Sterben der Geschlechter, Hoffnung und Bangen, Dank und Reue hatten die weiten Räume im Lauf der Jahrhunderte belebt, und die ursprünglich kahlen Wände und Pfeiler waren unter der Buntheit der Decoration, unter dem wachsenden Einfluß von Licht und Farbe, von Reich- thum und Schmuck zu einem immer schöneren und immer impo- santeren Ganzen geworden. Seitenaltäre mit Bildern und Cruci- fixen, Nischen mit Marienbildern und ewigen Lampen (oft gestiftet, um schwere Unthat zu sühnen) zogen sich an Wand und Pfeiler hin, in den langen Seitenschiffen aber lagen die Leichensteine der Aebte, ihr Bild mit Mütze und Krummstab tief in den Stein geschnitten, während an der gewölbten Decke hin, schlanken Leibs und lächelnden Gesichts, die reichvergolde- ten Gestalten der Heiligen und Märtyrer schwebten. In einer der Seitenkapellen lag der Grabstein Abt Siebolds, den die Nahmitzer erschlagen hatten. Einem reichen Schmuck an Bildwerken, an Erinnerungs- zeichen aller Art begegnete das Auge des Beschauers, wenn es vom Mittelpunkt der Kirche aus in die Kreuz- und Seitenschiffe niederblickte, aber die eigentliche Bedeutung von Kloster Lehnin erschloß sich ihm erst, wenn er, den Blick nach Westen hin auf- gebend, sich wandte, um, statt in das Längsschiff hernieder, in den hohen Chor hinauf zu sehn. Unmittelbar vor ihm, in den Fußboden eingelassen, sah er dann schlicht und unschein- bar den Stumpf der Eiche, unter der Markgraf Otto, der Gründer des Klosters, seinen Traum gehabt hatte; zwischen dem Stumpf und dem Altar aber lagen die Grabsteine der Aska- nier, elf an der Zahl, die hier innerhalb des Klosters, das ihr Ahnherr in’s Leben gerufen, ihre letzte Ruhstatt gesucht und gefunden hatten. Elf Askanier lagen hier, und einträchtig neben ihnen drei aus dem Hause der Hohenzollern, Friedrich mit dem Eisen- zahn, Johann Cicero und Joachim I. Dieser stand nur ein einzig Jahr in der Gruft (von 1535—36), dann wurde sein Sarg wie der Sarg seines Vaters und Großoheims nach Berlin hin übergeführt, wo ihnen im Dom eine Stätte bereitet war. Jener Tag der Ueberführung der drei Särge von Lehnin nach dem Dom in Cöln an der Spree war recht eigentlich der Todestag Lehnin’s. Die Güter wurden eingezogen (wie ich das im vorigen Kapitel erzählt), und innerhalb zwan- zig Jahren war die Umwandlung vollzogen — der Klosterhof war ein Amtshof geworden. Der Krieg kam und begann sein Werk der Zerstörung, aber schlimmer als die Hand der Schwe- den und Kaiserlichen, die hier abwechselnd ihr Kriegswesen trie- ben, griffen in Zeiten tiefsten Friedens die Hände derer ein, die am ehsten die Pflicht gehabt hätten, diese alte Stätte zu schützen und zu wahren — die Um- und Anwohner selbst. Freilich waren diese Um- und Anwohner zumeist nur solche, die weder selbst, noch auch ihre Väter und Vorväter, das alte Lehnin gekannt hatten. 1691 waren Landleute aus der Schweiz nach Amt Lehnin berufen worden, um bessere Viehzucht daselbst einzuführen. Kloster Lehnin ward nun ein Steinbruch für Büdner und Kossäthen, und Haue und Pickaxt schlugen Wände und Pfeiler nieder. Die Regierungen selbst (namentlich unter Friedrich Wilhelm I. ) nahmen an diesem Vandalismus Theil; man wußte nicht was man that, und weil die ganze Zeit diese Pietät nicht kannte, geziemt es sich auch nicht, dem Einzelnen einen Vorwurf daraus zu machen, daß er die An- schauungsweise theilte, die damals die gültige war. Kloster Lehnin, wär es nach dem guten Willen seiner Schädiger gegan- gen, würde nur noch eine Trümmerstätte sein, aber das alte Mauerwerk erwies sich als fester und ausdauernder als alle Zerstörungslust, und so hat sich ein Theil des Baues durch seine eigene Macht und Widerstandskraft bis in unsere Tage hinein gerettet. Werfen wir einen Blick auf das, was noch vorhanden ist, von der Kirche sowohl wie von der ganzen Kloster-Anlage überhaupt! Der älteste Theil (der romanische) steht; der gothi- sche Theil liegt in Trümmer. Da wo diese Trümmer an den noch intakt erhaltenen Theil der Kirche sich lehnen, hat man jetzt eine Quermauer gezogen und mit Hülfe dieser das Zer- fallene von dem noch Erhaltenen geschieden. Das lange gothi- sche Schiff hat dadurch freilich aufgehört ein Längsschiff zu sein und ist ein Kurzschiff geworden; die Seitenschiffe fehlen ganz, und die Pfeilerarkaden, die sonst aus dem Hauptschiff in die Nebenschiffe führten, bilden jetzt (nachdem die offenen Rund- bogen vermauert wurden) die Seitenwände des einen kurzen Schiffs, das überhaupt noch vorhanden ist. An die Stelle fri- scher Farben ist jetzt die leblose weiße Tünche getreten, und Reparatur bedürftige Kirchenstühle, über denen sich an einer Seite des Schiffs eine ebenfalls hinfällige Empore mit vergilb- ten Brautkronen und Todtenkränzen entlang zieht, steigern eher die Dürftigkeit des Anblicks, als daß sie ihn minderten. Den Fußboden des Schiffs entlang, abgetreten und ausgehöhlt, liegen rothe Fliesen; die Grabsteine sind fort, ebenso die schwebenden Heiligen mit rothen Bändern und Goldschein hoch oben an der Decke. Alles was einst glänzte und leuchtete ist hin; der Altar- schrein mit Schnitzwerk und Bilderpracht hat seine Stelle gewech- selt, und statt des Purpurs und Brokats ist die übliche schwarze Decke (die mehr zu einem Trauer- als zu einem Freudenmahle paßt) über den schlichten Altartisch gebreitet. Nur der alte, inzwischen halb zu Stein gewordene Eichenstumpf, die lebendige Wurzel, aus der einst dies Kloster erwuchs, ist ihm geblieben und hat alles überdauert, seinen Glanz und seinen Verfall. Nichts mehr von Nischen und Marienbildern, von Kapellen und askani- schen Grabsteinen; nur Otto VI. , auch Ottoken genannt, Schwiegersohn Kaiser Rudolphs von Habsburg, der als Akoluth des Klosters verstarb, behauptet — auch in künstlerischer Beziehung ein interessantes Ueberbleibsel aus geschwundener Zeit — seinen Ehrenplatz an alter Stelle. Sein Grabstein liegt mitten im hohen Chor. Die Erinnerungszeichen an Abt Siebold sind zerstört; seine Grabkammer, die noch im vorigen Jahrhundert existirte, ist niedergerissen, und statt des Grabsteins des Er- mordeten, der fünf Jahrhunderte lang seinen Namen und die Daten seines Lebens bewahrt hatte, erzählen nur noch die bei- den alten Bilder im Querschiff die Geschichte seines Todes. Diese Bilder, wichtig wie sie sind, sind alles andre eher als ein Schmuck. Zu dem Grauen über die That gesellt sich ein Unbehagen über die Häßlichkeit der Darstellung, die diese That gefunden. Das ursprünglich bessere Bild ist kaum noch erkennbar. Es ist ein trister Aufenthalt, diese Klosterkirche von Lehnin, aber ein Bild anheimelnder Schönheit thut sich vor uns auf, sobald wir aus der öden freudlosen Kirche mit ihren hohen, weißgetünchten Pfeilern in’s Freie treten und nun die Scenerie der unmittelbaren Umgebung auf uns wirken lassen: das Stehen- gebliebene und das Zerfallene, Altes und Neues, Kunst und Natur. Innen hatten wir die nackte, nur kümmerlich bei Leben erhaltene Existenz, die immer trister ist als Tod und Zerstörung, draußen haben wir die ganze Poesie des Verfalls, den alten Zauber, der überall da waltet, wo die ewig junge Natur das zerbröckelte Menschenwerk liebevoll in ihren Arm nimmt. Hohe Park- und Gartenbäume, Kastanien, Pappeln, Linden, haben den ganzen Bau wie in eine grüne Riesenlaube eingesponnen, und was die Bäume am Ganzen thun, das thun hundert Sträucher an hundert einzelnen Theilen. Himbeerbüsche, von Epheuranken wunderbar durchflochten, sitzen wie ein grotesker Kopfputz auf Säulen- und Pfeilerresten, Weinspaliere ziehn sich an der Südseite des Hauptschiffs entlang, und überall in die zerbröckelten Fundamente nestelt sich jenes bunte, rankenziehende Gestrüpp ein, das die Mitte hält zwischen Unkraut und Blu- men. So ist es hier Sommer lang. Dann kommt der Herbst, der Spätherbst, und das Bild wird farbenreicher denn zuvor. Auf den hohen Pfeilertrümmern wachsen Ebreschen und Berbe- ritzensträucher, jeder Zweig steht in Frucht, und die Schul- jugend jagt und klettert umher und lacht mit rothen Gesichtern aus den rothen Beeren heraus. Aber wenn die Sonne unter ist, geben sie das Spiel in den Trümmern auf, und wer dann das Ohr an die Erde legt, der hört tief unten die Mönche sin- gen. Dabei wird es kalt und kälter; das Abendroth streift die Kirchenfenster, und mitunter ist es, als stünde eine weiße Gestalt inmitten der rothen Scheiben. Das ist das weiße Fräulein, das umgeht, treppauf, treppab, und den Mönch sucht, den sie liebte. Um Mitternacht tritt sie aus der Mauerwand, rasch, als habe sie ihn gesehn, und breitet die Arme nach ihm aus; — dann setzt sie sich in den Pfeilerschatten und weint. Da ist kein Alt-Lehniner, d. h. keiner, dessen Vorfahren noch unter dem Kloster gelebt, der das weiße Fräulein nicht gesehn hätte; nur die reformirten Schweizer und alle die, die nach ihnen kamen, sehen nichts und starren in’s Leere. Die Alt-Lehninschen aber sind stolz auf diese ihre Gabe des Gesichts, und sie haben ein Sprüchwort, das diesem Stolz einen Ausdruck giebt. Wenn sie einen Fremden bezeichnen wollen, oder einen später Zugezogenen, der nichts gemein hat mit Alt -Lehnin, so sagen sie nicht: „er ist ein Fremder oder ein Neuer,“ sie sagen nur: „er kann das weiße Fräulein nicht sehn.“ Die Lehninsche Meissagung. Jetzo will ich, Lehnin, Dir sorgsam singen die Zukunft, Die mir gewiesen der Herr, der einstens alles erschaffen. Vaticinium Lehninense. Z u Anfang des vorigen Jahrhunderts, während der Regie- rungsjahre Friedrich Wilhelms I. erschienen, an verschied- nen Druckorten, theils selbstständig, theils umfangreicheren Ar- beiten einverleibt, 100 gereimte lateinische Hexameter (sogenannte Leoninische Verse), die in dunklem Prophetenton über die Schick- sale der Mark und ihrer Fürsten sprachen und die Ueberschrift führten: „Weissagung des seligen Bruders Herrmann, wei- land Lehniner Mönches, der ums Jahr 1300 lebte und blühte.“ Diese Verse, die sich gleich selbst, in ihrer ersten Zeile, als eine Weissagung ankündigen („Jetzt weissage ich Dir, Lehnin, Dein künftiges Schicksal“) machten großes Aufsehen, da in denselben mit bemerkenswerthem Geschick und jedenfalls mit ungewöhnlicher poetischer Begabung das Aussterben der Hohenzollern in der elften Generation nach Joachim II. und die gleichzeitige Rück- kehr der Mark in den Schooß der katholischen Kirche prophezeit wurde. Eine solche Prophezeihung war durchaus dazu angethan, Aufsehn zu erregen, da es auch damals (1721) in Deutschland nicht an Parteien fehlte, die freudig aufhorchten, wenn der Untergang der Hohenzollern in nähere oder fernere Aussicht gestellt wurde. In Berlin selbst, wie sich annehmen läßt, war das Interesse nicht geringer, und man begann nachzuforschen, nach welchem Manuscript die Veröffentlichung dieser Weis- sagung erfolgt sein könne. Diese Nachforschungen führten zuletzt auf eine mehr oder weniger alte Handschrift, die etwa um 1693 in der nachgelassenen Bibliothek des in dem genannten Jahre verstorbenen Kammergerichtsrath Seidel aufgefunden wor- den war. Diese älteste Handschrift, die übrigens nie die Prätension erhob, das räthselvolle Original aus dem Jahre 1300 sein zu wollen, existirte bis 1796 im Staats-Archiv. In eben die- sem Jahre wurde sie durch Friedrich Wilhelm II. nach Charlottenburg gefordert und von dort nicht wieder remittirt . Man muß annehmen, daß sie verloren gegangen ist. Die vier ältesten Abschriften, die jetzt noch in der König- lichen Bibliothek vorhanden sind, gehören, ihrer Schrift nach, dem Anfang des vorigen Jahrhunderts an. Jedenfalls also fehlt nicht nur das wirkliche Original, sondern auch alles, was sich als Original ausgeben könnte! Hiermit fällt die Möglichkeit fort, aus allerlei äußerlichen Anzeichen, wie Handschrift, Initialen, Pergament ꝛc. irgend etwas für die Aechtheit oder Unächtheit beweisen zu wollen, und wir haben die Beweise dafür wo anders zu suchen. Solche Untersuchun- gen sind denn nun auch, gleich vom ersten Erscheinen der „Weissagung“ an, vielfach angestellt worden, und haben im Lauf von anderthalb hundert Jahren zu einer ganzen Lite- ratur geführt. Katholischer- und seit einem Vierteljahrhundert auch demokratischerseits hat man eben so beharrlich die Aechtheit der Weissagung, wie protestantisch-preußischerseits die Unächtheit zu beweisen getrachtet. Nur wenige Ausnahmen von dieser Regel kommen vor. Die demokratischen Paraphrasen und Deu- tungen, die an die Weissagung anknüpfen, sind sämmtlich ten- denziöser Natur, bloße Pamphlete und haben keinen Anspruch, hier ernstlicher in Erwägung gezogen zu werden; sie rühren alle aus den Jahren 1848 und 1849 her und sind eigentlich nichts andres als (damals gern geglaubte) Versicherungen, der Stern der Hohenzollern sei im Erlöschen. Was die katholischen Arbei- ten angeht, die alle für die Aechtheit eintreten, so sind sicherlich viele derselben bona fide geschrieben, dennoch haben sie sammt und sonders wenig Werth für die Entscheidung der Frage, da sie, ohne der Grundempfindung, aus der sie hervorgingen, zu nahe zu treten, doch schließlich aller eigentlichen Kritik ent- behren. Unter den protestantischen Gelehrten, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, begegnen wir sehr bewährten, zum Theil sogar hervorragenden Namen. Oberbibliothekar Wilckens, Dr. C. L. Gieseler, Pro- fessor Giesebrecht, Schulrath Otto Schulz, vor allem Professor Guhrauer in Breslau, meist Historiker, die mit einem großen Aufwand von Studium, Gelehrsamkeit und Scharf- sinn die Unächtheit darzuthun getrachtet haben; sie haben indes- sen, meinem Ermessen nach, den Fehler gemacht, daß sie zu viel und manches an der unrechten Stelle haben beweisen wollen. Anstatt einen entscheidenden Schlag zu thun, haben sie viele Schläge gethan, und wie es immer in solchen Fällen geht, sind die Schläge nicht nur vielfach nebenbei, sondern gelegentlich auch zurück gefallen. Man schadet einem einzigen, aber ganzen Beweise jedesmal dadurch, daß man zur Anfügung vieler Halbbeweise schreitet, namentlich dann aber, wenn man bei der Anwendung unkünstlerisch verfährt und statt aus dem Halben zum Ganzen fortz uschreiten, aus dem Ganzen zum Hal- ben hin die Dinge zurück entwickelt. Ich sagte schon, die Angreifer hätten vielfach an unrech- ter Stelle angegriffen; ich muß hinzusetzen, nicht bloß an unrechter Stelle, sondern gelegentlich just an dem allerstärksten Punkt der feindlichen Position; dieser stärkste Punkt der Leh- niner Weissagung aber ist meinem Dafürhalten nach ihr Inhalt, ihr Geist, ihr Ton . Sehen wir jetzt, in welcher Weise die Angreifer sich gegen diesen Inhalt gewandt haben. Sie haben zunächst als Verdacht erweckende Punkte hervorgehoben, erstens, daß der Prophet, wenn er denn nun ’mal durchaus ein solcher sein solle, vielfach falsch prophezeiht, zweitens aber, daß er in Vor-Hohenzollern- scher Zeit bereits Anti-Hohenzollersch gesprochen habe. Dies deute auf spätere Zeit, wo es bereits Sympathien und Anti- pathien in Betreff der Hohenzollern gegeben. Auf beide Ein- wände ist die Antwort leicht. Was die Irrthümer des Propheten Herrmann angeht, so hat es sich ja niemals darum gehandelt, endgültig festzustellen, ob Mönch Herrmann richtig prophezeiht habe oder falsch, es hat sich bei dieser Controverse immer nur darum gehandelt, ob er überhaupt geweissagt habe . Wenn nun aber einer- seits die Prophetie keine Garantie übernimmt, daß alles Prophe- zeihte zutreffen muß, so übernimmt sie noch viel weniger — und hiermit fassen wir den zweiten Punkt in’s Auge — die Verpflichtung, kommenden Herrscher-Geschlechtern gleichsam in anticipirter Loyalität angenehme Dinge zu sagen. Der Prophet sagt die Dinge so, wie er sie sieht, und kümmert sich nicht darum, wie kommende Zeiten sich zu den Menschen und Thaten stellen werden, die er, lediglich kraft seiner Kraft, vorweg hat in die Erscheinung treten sehn. Nehmen wir einen Augen- blick an, die Prophezeihung sei ächt, so liegt doch für einen gläubigen Cistercienser Mönch, der plötzlich, inmitten seiner Visionen, die Gestalt Joachims II. vor sich hintreten sieht, nicht der geringste Grund vor, warum er nicht gegen den Schädiger seiner Kirche und seines Klosters vorweg die heftigsten Invectiven schleudern sollte. Er weiß nicht, daß er Joachim heißen, er weiß auch nicht, daß er einem bestimmten Geschlecht, das den Namen der Hohenzollern führt, zugehören wird, er sieht ihn nur, ihn und die That, die er vor hat — das genügt, ihn zu verwerfen. Dies sagen wir nicht, wie schon angedeutet, zur Rechtfertigung dieser speciellen Prophezeihung oder als Beweis für ihre Aechtheit, sondern nur zur Charakterisirung aller Pro- phetie überhaupt. Wenn nun weder die Irrthümer, die mit drunter laufen, noch der antihohenzollernsche Geist, der aus dieser sogenannten Weissagung spricht, etwas irgendwie Erhebliches gegen die Aecht- heit derselben beibringen können, so ist doch ein dritter Punkt Fontane, Wanderungen. III. 8 allerdings ernster in Erwägung zu ziehn. Alle protestantischen Angreifer der Weissagung (mit Ausnahme W. Meinholds) sind dahin übereingekommen, daß die sogenannte Lehnin’sche Weissagung in ersichtlich 2 Theile zerfalle, in eine größere Hälfte, in der es der, nach Annahme der Gegner, um 1690 lebende Verfasser leicht gehabt habe, über die rückliegenden Ereignisse von 1290 bis 1690 zutreffend zu prophezeihen, und in eine kleinere Hälfte von 1690 an, in der denn auch den vorgeblichen Mönch Herrmann seine Prophetengabe durchaus im Stich gelassen habe. Hätten die Angreifer hierin unbedingt Recht, so wäre der Streit dadurch gewissermaßen entschieden. Indessen existirt meiner Meinung nach eine solche Scheidelinie nicht . Es zieht sich vielmehr umgekehrt ein vieldeutig-orakelhafter Ton durch das Ganze hindurch, eine Sprache, die überall der mannigfachsten Auslegungen fähig ist und in der zweiten Hälfte, in räthselvoll anklingenden Worten, ebenso das Richtige trifft wie in der ersten Hälfte. Es ist kein essentieller Unter- schied zwischen Anfang und Ende: beide Theile treffen’s, und beide Theile treffen es nicht; beide Theile ergehen sich in Irr- thümern und Dunkelheiten, und beide Theile blenden durch Licht- blitze, die, hier wie dort, gelegentlich einen völlig visionären Charakter haben. Beschäftigen wir uns, unter Heranziehung einiger Beispiele, zuerst mit der ersten Hälfte. Wir bemerken hier eine Ver- quickung jener drei Hauptelemente, die sich durch das Ganze ziehn: Falsches, Dunkles, Zutreffendes. Frappant zutreffend vom katholischen Standpunkt aus sind die 8 Zeilen in der Mitte des Gedichts, die sich auf Joachim I. und II. beziehen. Sie lauten: Seine ( Johann Cicero’s ) Söhne werden beglückt durch gleichmäßi- ges Loos; Allein dann wird ein Weib dem Vaterlande trauriges Verderben bringen, Ein Weib, angesteckt vom Gift einer neuen Schlange, Dieses Gift wird auch währen bis in’s elfte Glied. Und dann Und nun kommt der, welcher Dich, Lehnin, nur allzu sehr haßt, Wie ein Messer Dich zertheilt, ein Gottesleugner, ein Ehebrecher, Er macht wüste die Kirche, verschleudert die Kirchengüter. Geh, mein Volk: Du hast keinen Beschützer mehr, Bis die Stunde kommen wird, wo die Wiederherstellung (restitutio) kommt. Die Vorgänge in der Mark in dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts, der Uebertritt Elisabeths zur neuen Lehre und die Aufhebung der Klöster durch Joachim II. , der die Axt an den Stamm legte, konnten, wir wiederholen von katholischem Standpunkt aus, nicht zutreffender und nicht in besse- rem Prophetenton geschildert werden. Aber zugegeben nun, daß — wie die Angreifer erwidern — der Verfasser im Jahre 1690 gut prophezeihen hatte in Betreff von Vorgängen, die 150 Jahre zurücklagen, warum, so fragen wir weiter, prophe- zeihte er theils falsch, theils dunkel in Betreff so vieler anderen Vorgänge, die, wenn 1690 die Scheidelinie ziehen soll, eben- falls der Vergangenheit angehörten. Nehmen wir ein Beispiel statt vieler, — die Verse, die sich auf George Wilhelm, also auf die Epoche während des 30jährigen Krieges beziehn. Es sind die folgenden: Nach dem Vater ist der Sohn Herr des Markgrafenthums. Er läßt nicht viele leben nach ihrem Sinne, ohne sie zu strafen. Indem er zu stark vertrauet, frißt der Wolf das arme Vieh, Und es folgt in Kurzem der Diener dem Herrn im Tode. Die vierte Zeile ist auf den Tod Adam Schwarzen- bergs gedeutet worden, wogegen sich nichts sagen läßt. Der Inhalt dieser Zeile träfe also zu. Aber die zweite und dritte geben, wenn man das auch hier vorhandene Dunkel durch- dringt, eine Charakteristik der Zeit sowohl wie des Mannes, wie sie nicht leicht falscher gedacht werden kann. Wenn es um- gekehrt hieße: „Er ließ alle leben nach ihrem Sinne, ohne sie zu strafen,“ und „er vertraute (da er bekanntlich immer 8* schwankte) nicht stark genug“ — so würden diese in ihr ursprüngliches Gegentheil verkehrten Sätze um vieles richtiger sein als das, was jetzt dasteht. Wo ist da also das bequeme Prophezeihen nach rückwärts? Aus der Epoche von vor 1690 sind auch (aus einem andern Grunde noch, als aus dem eben bei George Wilhelm angeführten) die vier Zeilen merkwürdig, die sich auf Kurfürst Friedrich I. , den ersten Hohenzoller, beziehn. Sie lauten: Wahrheit sprech ich: Dein Stamm, der zu langem Alter bestimmt ist, Wird einst mit schwacher Gewalt die heimischen Gauen beherrschen, Bis zu Boden gestreckt, die einst in Ehre gewandelt, Städte verwüstet und frech beschränkt die Herrschaft der Fürsten. In diesen vier Zeilen, wenn wir eine post fact Prophezeihung annehmen wollen (was wir, schon hier sei es gesagt, wirklich thun,) erschwert sich der Dichter seine Aufgabe freiwillig , und anstatt im Prophetenton Dinge über die Regierungszeit Friedrichs I. zu sagen, die er 1690 allerdings wissen konnte, ohne ein Prophet zu sein, verschmäht er diese bequeme Aushülfe völlig und knüpft vielmehr Betrachtungen an die Erscheinung des ersten Hohenzollern, die, selbst von 1690 ab gerech- net, noch in der Zukunft lagen. Er machte sich’s also nicht leicht, hatte vielmehr immer das Ganze im Auge und prophezeihte auch da noch wirklich und aus eigenstem Antrieb, (man könnte sagen: „seine Mittel erlaubten es ihm“), wo das Prophezeihen post fact einem Stümper in der Prophetie das bequemere und sichrere Auskunftsmittel gewesen sein würde. Vergleichen wir nun damit die Prophezeihungen der zwei- ten Hälfte , der Epoche nach 1690, wo also der Dichter, selbst wenn er um 1690 schrieb, jedenfalls gezwungen war, in die Zukunft zu blicken. Ueber Friedrich den Großen Die Prophezeihung geht von König Friedrich I. gleich auf Friedrich II. über und überspringt also Friedrich Wilhelm I. Man hat daraus einen Beweis für die Unächtheit herleiten wollen, aber ganz mit Unrecht . Der Prophet (so nehmen wir zunächst an) blickte in die Zukunft, er sah wechselnde Gestalten, und den Soldatenkönig sah heißt es (wie nicht geleugnet werden soll mehr dunkel und anklingend als scharf zutreffend): In Kurzem toset ein Jüngling daher, während die große Gebärerin seufzt; Aber wer wird vermögen, den zerrütteten Staat wieder herzustellen? Er wird das Banner erfassen, allein grausame Geschicke zu beklagen haben, Er will beim Wehen der Südwinde sein Leben von Festungen ver- traun. oder (nach anderer Uebersetzung): Weht es im Süden hinauf, will Leben er borgen den Klöstern. Dann ( Friedrich Wilhelm II. ): Welcher ihm folgt, ahmt nach die bösen Sitten der Väter, Hat nicht Kraft im Gemüth, noch eine Gottheit im Volke. Wessen Hülf’ er begehrt, der wird entgegen ihm stehen, Und er im Wasser sterben, das Oberste kehrend zu unterst. Dann ( Friedrich Wilhelm III. ): Der Sohn wird blühen; was er nicht gehofft, wird er besitzen. Allein das Volk wird in diesen Zeiten traurig weinen; Denn es scheinen Geschicke zu kommen sonderbarer Art, Und der Fürst ahnet nicht, daß eine neue Macht im Wach- sen ist . Niemand, der vorurtheilslos an diese Dinge herantritt, wird in Abrede stellen können, daß ganz speciell in den letzten 8 Zeilen Wendungen anzutreffen sind, die von einer frappiren- den Zutreffendheit sind, so zutreffend, daß in der ganzen Weis- sagung nur eine einzige Stelle ist, (jene 8 Zeilen, die sich auf er nicht . Das geistige Auge, — dies müssen wir festhalten, — kann Gegenstände eben so gut übersehen wie das leibliche. Ja, es läßt sich aus dem Fehlen König Friedrich Wilhelms I. viel eher, wenigstens mittelbar, ein Beweis für den wirklich prophetischen Gehalt der Weissagung herleiten. Versucht man nämlich (wie einige gethan haben) das, was sich auf Friedrich den Großen bezieht, auf Friedrich Wilhelm I. zu deuten, so entsteht ein völliger Nonsens, und werden dadurch alle diejenigen schlagend widerlegt, die beweisen möchten, daß diese Sätze überhaupt dunkle Allgemeinheiten seien, die schließlich, bei einiger Interpretationskunst, auf jeden paßten. Man kann aber leicht die Probe machen, daß dies durchaus nicht zutrifft, und daß bestimmte Verse auch nur auf bestimmte Personen passen. Joachim I. und II. beziehen), die an Charakterisirung von Zeit und Personen damit verglichen werden können. Wenn aus- weichend geantwortet ist, es handle sich in allen dreien um bloße Allgemeinheiten, so ist das theilweis nicht richtig, theilweis bezeichnet es den Charakter der ganzen Dichtung überhaupt, gleichviel, ob dieselbe Nahes oder Zurückliegendes in Worte faßt. Es ist nach dem allen nicht zu verwundern, daß der Streit über die Aechtheit nach wie vor schwebt, und daß die Weissagung, selbst unter den Protestanten (die im Allgemeinen in Verwerfung derselben einig sind), die verschie- densten Urtheile erfahren hat. Küster nennt das Vaticinium einfach ein „Spiel des Witzes“ (lusus ingenii); Guhrauer bezeichnet es als eine lakonisch-orakelmäßige Darstellung, die, mit Rücksicht auf die einmal befolgte Tendenz , nicht ohne Geschick angelegt und durchgeführt worden sei. Schulrath Otto Schulz geht in seinem Unmuth schon weiter und ist der festen Ueberzeugung, „daß der gesunde Sinn des preußischen Volkes diese Weissagung als die Ausgeburt eines hämischen Fanatikers zu würdigen wissen werde.“ Professor Trahndorff denkt noch schlimmer darüber, indem er sie gradezu für Teu- felswerk ausgiebt; hält sie aber andererseits für eine wirkliche, wenn auch diabo lische Prophezeihung. „Diese 100 Verse,“ so sagt er, „sind als eine ächte Prophezeihung anzusehn, aber zugleich wegen des darin waltenden unevangelischen Geistes als das Werk des Lügengeistes zu verwerfen.“ Von Trahndorff zu Meinhold , dem Verfasser der Bernstein- hexe, ist nur noch ein Schritt. Wenn jener die wirkliche Prophezeihung zugegeben hat, so fragt es sich nur noch, ob nicht der Lügengeist , den der eine darin findet, durch den andern ohne viel Mühe in einen Geist der Wahrheit ver- kehrt werden kann. Meinhold vollzieht denn auch, wenig- stens für seine eigene Person, diese Umwandlung und versichert, „daß er beim Lesen dieser Lehninschen Weissagung die Schauer der Ewigkeit gefühlt habe.“ So weichen selbst protestantische Beurtheiler unter ein- ander ab. Es wird also schwerlich jemals glücken, aus dem Geist und Inhalt der Prophezeihung, wie so vielfach versucht wor- den ist, ihre Unächtheit zu beweisen. Diese Dinge appelliren an das Gefühl, und bei dem poetischen Geschick, das aus dem Vaticinium unverkennbar spricht, giebt das Gefühl keine un- günstige Antwort. Es ist nicht zu leugnen, daß, wenn man Geist und Ton der Dichtung durchaus betonen will , beide mehr für die Aechtheit als gegen dieselbe sprechen. Beispielsweise die Schlußzeilen: Endlich führet das Scepter, der der Letzte seines Stammes sein wird, Israel wagt eine unnennbare, nur durch den Tod zu sühnende That, Und der Hirt empfängt die Heerde, Deutschland einen König wieder. Die Mark vergißt gänzlich aller ihrer Leiden Und wagt die Ihrigen allein zu hegen, und kein Fremdling darf mehr frohlocken, Und die alten Mauern von Lehnin und Chorin werden wieder erstehen, Und die Geistlichkeit steht wieder da nach alter Weise in Ehren, Und kein Wolf stellt mehr dem edlen Schafstalle nach. Selbst diese matte Uebersetzung der volltönenden Verse des Originals hat noch etwas von prophetischem Klang. Die Frage wird nicht aus dem Inhalt, sondern umgekehrt einzig und allein aus der Form und aus äußerlich Einzelnem heraus entschieden werden. Guhrauer hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, daß sich in der Weissagung (Zeile 63) das Wort „Jehovah“ vor- finde, und hat daran die Bemerkung geknüpft, daß dieser Aus- druck („Jehovah“) an Stelle des bis dahin üblichen „Adonai“ erst zu Anfang des 16. Jahrhunderts gebräuchlich geworden sei; — bis dahin habe man den Ausdruck oder die Lesart „Jehovah“ gar nicht gekannt. Ist diese Bemerkung richtig, so ist sie mehr werth als alle andern Halb-Beweise zusammen- genommen. Gleichviel indeß, ob richtig oder nicht, der Weg , der in dieser Guhrauer’s chen Bemerkung vorgezeichnet liegt, ist der einzige, der zum Ziele führen kann. Nur Sprachforscher, Philologen, die ausgerüstet mit einer gründlichen Kenntniß aller Nüancen mittelalterlichen Lateins, nachzuweisen im Stande sind: „dies Wort, diese Wendung waren im 13. Jahrhun- dert unmöglich,“ nur sie allein werden den Streit endgültig entscheiden. Das Resultat einer solchen Untersuchung, wenn sie statt- fände, würde lauten: „unächt.“ Darüber unterhalte ich keinen Zweifel. Aber auch der Beweis vom Gegentheile würde das alte Interesse an dieser Streitfrage nicht wiederbeleben können. Die Ereignisse nämlich haben die Prophezeihung überholt; seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. ist die Prophe- zeihung einfach falsch geworden, gleichviel ob sie ächt ist oder nicht. Diesen Unterschied zwischen „unächt“ und „falsch“ ziemt es sich durchaus zu betonen. Schon Guhrauer hat sehr richtig darauf aufmerksam gemacht, daß der Text der Prophezeihung ächt und die Prophezeihung selber doch eine falsche , d. h. eine unerfüllt gebliebene sein könne, „eine unerfüllt gebliebene — so fügt er hinzu — gleich so vielen anderen falschen Pro- phezeihungen, deren Authenticität von niemand bezweifelt worden ist.“ Friedrich Wilhelm III. war bereits der elfte Hohenzoller nach Joachim II.; der Zeiger an der Uhr ist über die verhängnißvolle Stunde ruhig hinweggegangen, die Hohenzollern leben, und nur die Weissagung (ächt oder nicht) ist todt. Die Havelschwäne. Da geht’s an ein Picken, An ein Schlürfen, an ein Hacken; Sie stürzen einander über die Nacken, Schieben sich, drängen sich, reißen sich, Jagen sich, ängsten sich, beißen sich, Und das all’ um ein Stückchen Brod. Lilis Park.) D ie Havel ist ein aparter Fluß; man könnte ihn seiner Form nach den norddeutschen oder den Flachlands-Neckar nennen. Er beschreibt einen Halbkreis, kommt von Norden und geht schließ- lich wieder gen Norden, und wer sich aus Kindertagen jener primitiven Schaukeln entsinnt, die aus einem Strick zwischen zwei Aepfelbäumen bestanden, der hat die geschwungene Linie vor sich, in der sich die Havel auf unseren Karten präsentirt. Das Blau ihres Wassers und ihre zahllosen Buchten (sie ist thatsächlich eine Aneinanderreihung von Seen) machen sie in ihrer Art zu einem Unikum. Das Stückchen Erde, das sie umspannt, eben unser Havelland, ist, wie ich in den vorauf- gehenden Kapiteln gezeigt habe, die Stätte ältester Kultur in diesen Landen. Hier entstanden, hart am Ufer des Flusses hin, die alten Bisthümer Brandenburg und Havelberg . Und wie die älteste Kultur hier geboren wurde, so auch die neueste. Von Potsdam aus wurde Preußen aufgebaut, von Sanssouci aus durchleuchtet. Die Havel darf sich einreihen in die Zahl deutscher Kulturströme. Aber nicht von ihren Großthaten gedenke ich heute zu erzäh- len, nur von einer ihrer Zierden, von den Schwänen . Diese Schwäne sind auf dem ganzen Mittellauf der Havel zu Hause. Die zahlreichen großen Wasserbecken, die sich hier finden: der Tegler-See, der Wann-See, der Schwilow, die Schlänitz, die Wublitz, sind ihre Lieblingsplätze. Ihre Gesammt- zahl beträgt 2000. In früheren Jahren war es nicht möglich, diese hohe Zahl zu erreichen. Während der Franzosenzeit waren sie (ein bequemes Jagdobjekt) zu Hunderten getödtet worden; später wurden die großstädtischen Eiersammler ihrer Vermehrung gefährlich. Erst die Festsetzung strenger Strafen machte diesem Uebelstande ein Ende. Seitdem ist ihre Zahl in einem steten Wachsen begriffen. Wie mächtige weiße Blumen blühen sie über die blaue Fläche hin; ein Bild stolzer Freiheit. Ein Bild der Freiheit. Und doch stehen sie unter Kon- trolle, in Sommertagen zu der Menschen, in Wintertagen zu ihrem eigenen Besten. Im Sommer werden sie eingefangen, um gerupft, im Winter, um gefüttert zu werden. So bringt die Kultur ihre sommerliche Unthat im Winter wieder in Balance. Auf die Procedur des Einfangens kommen wir weiterhin zurück. Die 2000 Schwäne zerfallen in Schwäne der Ober- und Unter-Havel; das Gebiet der einen reicht von Tegel bis Pots- dam, das der andern von Potsdam bis Brandenburg. Die Glieniker Brücke zieht die Grenze. Die Schwäne der oberen Havel stehen unter der Herrschaft der spandauer, die Schwäne der unteren Havel unter der der potsdamer Fischer. Man könnte dieß die Eintheilung der „Provinz Havelschwan“ in zwei Regie- rungsbezirke nennen. Diese großen Bezirke aber zerfallen wieder in eben so viele Kreise, als es Haveldörfer gibt, besonders auf der Strecke von Potsdam bis Brandenburg. Die Uetzer Fischer beherrschen die Wublitz, die Marquardter Fischer den Schlänitz- See, die Fischer von Caput den Schwilow u. s. w. Auf der Unterhavel allein befinden sich gewiß zwanzig solcher Arrondisse- ments, alle mit gewissen Rechten und Pflichten ausgerüstet, aber alle den beiden Hauptstädten dienstbar, alle in Abhängigkeit von Potsdam und Spandau. Wir wenden uns nun dem Sommerfang der Schwäne zu. Er erfolgt zweimal und hat den doppelten Zweck: den Jung- Schwan zu lähmen und den Alt-Schwan zu rupfen. Ueber die Lähmung ist nicht viel zu sagen; ein Flügelglied wird weg- geschnitten, damit ist es gethan. — Desto komplizirter ist der Prozeß des Rupfens. Es geschieht nicht nur zweimal (im Mai und August), sondern auch an zwei verschiedenen Stellen. Die Schwäne der Ober-Havel werden auf dem Pichelswerder, die Schwäne der Unter-Havel auf dem „Depothof“ bei Potsdam gerupft. Das Verfahren ist an beiden Orten dasselbe. Wir geben es, wie wir es auf dem Depothof sahen. Der „Schwanenmeister,“ Gesammtbeherrscher des ganzen Volkes cygnus zwischen Tegel und Brandenburg, gibt die Ordre: „Am 20. Mai (der Tag wechselt) wird gerupft.“ Nun beginnt das Einfangen. Die Fischer der verschiedenen Haveldörfer machen sich auf, treiben die auf ihrem Revier schwimmenden Schwäne in eine Bucht oder Ecke zusammen, fahren dann mit einem zehn Fuß langen Hakenstock in die Schwanenmasse hinein, legen den Haken, der wie bei dem Schäferstock eine halboffene Oese bildet, geschickt um den Hals des Schwanes, ziehen ihn heran und in ihr Fahrzeug hinein. Dieß geschieht mit großer Schnelligkeit, so daß binnen ganz kurzer Zeit das Boot mit dicht neben ein- ander hockenden Schwänen besetzt ist und zwar derart, daß die langen Hälse der Schwäne, über die Bootkante fort, nach außen blicken. Ein sehr eigenthümlicher, grotesker Anblick. In dieser Ausrüstung treffen nun die Boote aus wenig- stens zwanzig Dörfern auf dem Depothof ein und liefern ihre Schwanenfracht in die dort befindlichen Hürden ab, von wo sie nach und nach zur Rupfbank geschleppt werden. Diese Rupfbank ist ein langer Tisch, der in einem mäch- tigen Schuppen steht. An der einen Seite des Tisches entlang, mit scharfem Auge und flinker Hand, sitzen die Rupfweiber, meist Kietzfischer-Frauen. Ein Schwanenknecht trägt nun Stück auf Stück die Schwäne herein, reicht sie über den Tisch, die Frauen packen zu und klemmen den Hals zwischen die Beine ein, während der Knecht den auf dem Tische liegenden Schwan festhält. Nun beginnt das Rupfen mit eben so viel Vorsicht als Virtuosität. Erst die Federn, dann die Daunen; kein Fleck von Fleisch darf sichtbar werden. Nach Beendigung der Pro- zedur aber nimmt der Schwanenknecht den Schwan wieder in seinen Arm, trägt ihn zurück und wirft ihn mit Macht in die Havel. Der Schwan taucht nieder und segelt nun mit aller Gewalt quer über den Fluß, um seinen Quälern zu entfliehen. Bald aber friert ihn, und zunächst sonnige Ufer- und Insel- stellen aufsuchend, eilt er erst den zweiten oder dritten Tag wie- der seinen Heimatplätzen im Schwilow oder Schlänitz zu. Einen ganz anderen Zweck, wie schon angedeutet, verfolgt das Einfangen im Winter, wenn die Havel zugeht. Die schö- nen Thiere würden im Eise umkommen. Sie werden also aber- mals zusammengetrieben und eingesammelt, um an solche Havel- stellen gebracht zu werden, die nie zufrieren, oder doch fast nie zufrieren. Der Prozeß des Einfangens ist derselbe, wie im Sommer, aber nicht der Transport an diese eisfreien Stellen, welche letzteren sich glücklicherweise gerade bei Potsdam selbst, fast mitten in der Stadt befinden. Die Ueberführung in Boote ist jetzt unmöglich, da schon ganze Partieen des Flusses durch Eis geschlossen sind; so treffen sie denn in allerhand Gefährt, in Bauer- und Möbelwagen, selbst in Eisenbahnwaggons in ihrem potsdamer Winterhafen ein. Sie haben nun wieder sicheres Wasser unter den Füßen, die Gefahr des Erfrierens ist beseitigt, aber die Gefahr des Ver- hungerns — 2000 Schwäne auf allerkleinstem Terrain — würde jetzt um so drohender an sie herantreten, wenn nicht durch Fütterung für sie gesorgt würde. Diese erfolgt in den Winter- monaten täglich zweimal, Morgens um 8 und Nachmittags um 3 Uhr, immer an derselben Stelle und zwar in der Nähe des Stadtschlosses. Unmittelbar hinter der Eisenbahnbrücke, am Ende des Lust- gartens, ist eine Stelle, welche wegen des starken Stromes nur selten zufriert. Diese ist Rendezvous. Wir geben die 3-Uhr- Fütterung. Schon um Mittag ziehen sich die Schwäne von allen noch offenen Stellen der Havel und aus den Kanälen der Stadt in der Nähe der Eisenbahnbrücke zusammen. Unruhig ziehen sie nicht einzeln, sondern zu Hunderten neben und hintereinander am Ufer hin und her, die alten und erfahreneren aber unter dem letzten Bogen der Eisenbahnbrücke hindurch, auf eine Stelle, von wo sie mit hochaufgerecktem Halse über die Uferbrüstung hinweg den langen Wallweg hinunter sehen können, auf dem der Schwanenmeister mit seinem Kornkarren heranfahren muß. Sie kennen ihn auch schon in weitester Entfernung, und kaum taucht seine Mütze zwischen den Bäumen auf, so fährt eine ganz besondere Unruhe in das zahlreiche Rudel. In höchster Anstren- gung rudern sie sofort unter der Eisenbahnbrücke hindurch, nach dem Futterplatze, und wenn sie ihn dort noch nicht angekommen sehen, wieder zurück zu der Stelle, wo sie seine Annäherung beobachten können. Diese unruhige Wanderung wiederholt sich so lange, bis der Schwanenmeister mit Karre und Gerstensack an der Brücke angekommen ist. Nun entsteht ein wahrer Tumult unter den Thieren. Alles stürzt über einander, neben einander hin und reckt die Hälse, um nur ja keine Bewegung ihres Hüters zu übersehen und den ersten Schaufelwurf zu versäumen. Noch ist es indessen nicht so weit. Der Schwanenmeister geht erst auf die Brücke, um in langgezogenen Tönen sein „Hans! Hans!“ zu rufen, auf welchen Ruf die etwa noch Verspäteten von allen Seiten herbei schwimmen. So lange dieß Rufen dauert, halten sich die Schwäne in der Nähe der Brücke. Hört es aber auf, und wendet der Rufende sich zu dem eigentlichen Fütterungsplatze, so rauscht das ganze Schwanenheer in einer großen, blendend weißen Masse, drängend wie ein Keil und gewaltsam wie die Räder eines Dampfschiffs, im Wasser neben dem am Ufer gehenden Schwanenmeister her. Während der Sack aufgebunden wird, schroten sich einige der Gierigsten über die Eisschollen und Ränder am Ufer auf das feste Land, wat- scheln unbehülflich zum Karren, um wo möglich die Ersten zu sein, die etwas erhalten. Ihre Berechnung wird aber jedesmal getäuscht, denn, wenn recht viele aus dem Wasser heraus und andere im Begriff sind, ihnen zu folgen, wird der Gersten- karren rasch auf die entfernteste Stelle des Futterplatzes gescho- ben. Kaum sehen die auf’s Land gekommenen Schwäne, daß ihnen ihre Eile nichts hilft, so stürzen sie sich so rasch als mög- lich in das Wasser zurück; aber es hält schwer, in der dicht- gedrängten Masse der schwimmenden Schwäne ein Fleckchen zu finden, wo sie noch Platz hätten. Mit einer unglaublichen Gewaltsamkeit drängen die Hintersten gegen das Ufer. Nun erfolgt der erste Wurf weit in’s Wasser hinein, und wo die Gerste das Wasser berühren kann, verschwinden im Nu alle Hälse, und man sieht plötzlich Hunderte von Zuckerhüten auf dem Wasser schwimmen. Unmittelbar am Ufer aber gelangt die Gerste gar nicht in’s Wasser, sondern bleibt auf den dicht aneinander gedrängten Rücken der Schwäne liegen. Um sie auf- zulesen, verschlingen die langen Hälse sich hin und wieder zu Knoten, so daß es oft den Anschein hat, als könnten sie kaum wieder auseinander kommen. So weit jeder Wurf reicht, tritt für einige Augenblicke eine gewisse Ruhe ein; desto unruhiger und drängender geht es rings umher zu. Mit Bissen und Flügelschlägen suchen sich die Entferntesten Bahn in den dichten Haufen zu brechen; aber vergebens, denn es kann keines der Thiere Platz machen, wenn es auch wollte, aber es will auch nicht, sondern beißt und schlägt abwehrend auf seinen Angrei- fer los. Wieder kommt ein Wurf und wieder beruhigt sich eine Gruppe; ein dritter, ein vierter, — der letzte ist aber noch nicht geschehen, so kommen die, welche zuerst gefres- sen, schon wieder herbeigerauscht und drängen die Fressen- den zu einem dichten Knäuel. Wild treibende Eisschollen, vom Föhn durcheinander gewälzte Schneemassen, können kein seltsameres Bild geben, als diese blendend weißen, belebten Körper auf dem dunklen Wasser der Havel, rings von Eis und Schnee umgeben, so daß man kaum unterscheiden kann, wo das Eis des Ufers aufhört und der Schwanenknäuel anfängt. Täglich werden auf diese Weise drei Scheffel Gerste ver- füttert. Vergleicht man indessen das Volumen all’ dieser her- zudrängenden Schwäne mit den anderthalb Scheffeln, die ihnen Morgens und eben so viel Nachmittags zugeworfen werden, so begreift man, daß die Thiere beim Weggehen ihres Pflegers noch ziemlich eben so lange Hälse machen, als bei seinem Kom- men. Eine Zeitlang verweilen sie noch; erst wenn sie die Gewiß- heit haben, daß alles Warten nichts mehr fruchtet, schwimmen sie langsam fort. Zurück bleiben nur noch die Kranken, die jetzt einen Versuch machen, eine kümmerliche Nachlese zu halten und die letzten Körnchen zu entdecken. Zu der Havelschönheit tragen die Schwäne ein sehr Erheb- liches bei. Sie geben dem Strom auf seiner breiten Fläche eine königliche Pracht, und eine schönere Einfassung aller dieser Schlösser und Residenzen ist kaum denkbar. In neuerer Zeit hat man diesen Zauber dadurch noch gesteigert, daß man, durch Unterlassung der Flügellähmung, den Wildschwan wieder her- gestellt hat. Man wurde dazu durch verschiedene Rücksichten bestimmt. Das Nächstbestimmende war die größere Schönheit des wilden Schwans; er ziert die Fläche mehr, die er durch- schwimmt und sein Flug durch die Luft, den er wenigstens gelegentlich macht, gewährt einen imposanten Anblick. Was aber mehr als diese Schönheitsrücksicht den Ausschlag gab, war der Wunsch, einen neuen jagdbaren Vogel, einen neuen Sport zu schaffen. Es werden jetzt von Zeit zu Zeit Wildschwanen- Jagden abgehalten. Anfangs, wo man diese Jagden in unmittelbarer Nähe Potsdams abhielt, scheiterten sie. Die Thiere, zu den zahmen Schwänen sich haltend, waren zahm und vertraulich wie diese und entzogen sich kaum der Büchse des Schützen, wenn auch dieser und jener schon dem Blei des letzteren erlegen war, — das war keine Jagd, das war bloßes Todtschießen, und man stand auf dem Punkt, die Sache wieder aufzugeben. Da ent- deckte man indessen plötzlich, daß der Wildschwan bei Potsdam und der Wildschwan flußabwärts auf den weiten, einsamen Flächen des Schwilow, der Schlänitz und der Wublitz ein ander Ding sei, und eine erste Jagd auf den großen Seen wurde abgehalten. Sie schlug ein. Hier war der Schwan noch scheu, und speziell auf der stillen, abgelegenen Wublitz, auf der eben bloß die gelben Mummeln und die weißen Schwäne zu Hause sind (wohl dreihundert und mehr) bot ein treffliches Jagdrevier. So oft das Boot durch Schilf und Rohr heranschlich, horchte der Wildschwan auf, hier hatte er noch den Instinkt der Gefahr, und wenn der erste Schuß fiel, erhoben sich fünfzig der maje- stätischen Vögel und rauschten mit schwerem Flügelschlage durch die Luft. Die Schönheit und Poesie dieses Thieres aber, vor allem die mächtige Schußfläche, die es bietet, werden sehr wahrscheinlich immer ein Hinderniß bleiben, die Schwanenjagd in Jägeraugen zu etwas Ansehnlichem zu machen. Es unterbricht nur ’mal den gewöhnlichen Lauf der Dinge. Ein Zwischengericht, das willkommen ist. Die Schwäne der Havel bilden auch einen Versandt- Artikel; viele, von näher gelegenen Punkten zu schweigen, gehen bis Petersburg und nach den großen Städten der Union. Mannigfach sind die Versuche, ihn auch an andern Stellen einzubürgern. Es mag indessen lange dauern, ehe der Havel- Schwan übertroffen wird. Der Limfjord, auf jenen weiten Wasserbassins, wo Tau- sende von Möven wie weiße Nymphäen schwimmen, bietet ein ähnliches Bild. Aber doch nur ein ähnliches. Die Möve ist eben kein Schwan. Noch ist die Havel mit ihren 2000 Schwänen unerreicht. Die Seeschlacht in der Malche. Of Nelson and the North Sing the glorious day’s renown. Thomas Campbell. D ie Mittel-Havel, wie schon hervorgehoben, ist eine lange Kette von Buchten und Seen, die mit dem Tegelschen See beginnt und mit dem Plauenschen schließt. Am dichtesten gruppiren sie sich, diese großen havel-gespeisten Wasserbecken, um Potsdam herum, wo wir mehr als einem Dutzend derselben begegnen, dem Wann-See, der Crampnitz und dem Schwilow, dem Glindower und dem Plessow’schen See, der Schlänitz, der Wub- litz und vielen andren noch. Eins dieser Becken, aber weiter aufwärts, unmittelbar nördlich von Spandau, ist die „ Malche ,“ die so ziemlich den ganzen Raum zwischen dem Eiswerder und der Citadelle füllt. Eine prächtige Breite, die zunächst einen Wiesenplan und daran anschließend, den „Saatwinkel“ und die Jungfernhaide in Flanke und Rücken hat, während sich die Bastionen und der alte Rundthurm der Festung in der blauen Tiefe spiegeln. Diese Havelbuchtung nun, sammt ihren Ufern war in der Joachimischen Zeit, und zwar im Jahre 1567, der Schauplatz eines Wasser- und Landgefechts,“ über das Leutinger in seiner Topographia marchica ausführlich berichtet. Diesem Be- richte entnehmen wir das Folgende: Kurfürst Joachim II. , unser allergnädigster Herr, nachdem er Abends spät mit seinem Hofstaate auf der Festung Spandow Fontane , Wanderungen. III. 9 angekommen war, sandte, um den Bewohnern einen Schrecken zu bereiten, des Morgens ganz früh einige seiner Traban- ten nach der Stadt Spandow, zum Hause des damaligen Bürgermeisters Bartholomäus Bier , welchen sie, da noch Alles schlief, mit starkem Pochen an seiner Hausthür erweckten. Da derselbe beim Oeffnen der Thür die Trabanten des Kurfürsten erblickte, und sogleich den Befehl erhielt, sich anzukleiden und die Trabanten zum Kurfürsten nach der Festung zu begleiten, erschrak er sehr und konnte sich nicht darin finden, wie er dazu käme, unter militärischer Gewalt nach der Veste abgeführt zu werden. Seine Frau, welche ebenfalls hinzu- gekommen war, war noch mehr erschrocken und fing schon ein gewaltiges Klagen an. Zugleich gab ihm der Anführer der Trabanten eine an die ganze Bürgerschaft gerichtete kurfürstliche Ordre. Der Herr Bürgermeister sandte eine Magd eiligst nach dem Stadtdiener Strohband . Dieser, in gleicher Aufregung wie sein Herr, kam halb angekleidet und in Pantoffeln herbei. Er erhielt den Auftrag, sogleich zu allen Viertelmeistern zu gehen, um ihnen den kurfürstlichen Befehl, der ebenfalls auf ein Erscheinen vor dem hohen Herrn hinauslief, bekannt zu machen. Während nun Strohband lief, um die Bürger zu bestellen, und der Herr Bürgermeister sich in aller Eile angekleidet hatte, mäßigte sich sein Schrecken, weil ihm sein gutes Gewissen sagte, daß der Kurfürst so wenig mit ihm wie mit der Bürgerschaft etwas Schlimmes im Sinne haben könne, da seines Wissens keine Sache vorlag, welche den Unwillen des hohen Herrn ver- diente. Nachdem er seine Frau damit getröstet und beruhigt hatte, ging er getrosten Muthes mit den Trabanten ab. Einige alte Frauen und Mägde, welche früh aufgestanden waren, um die Kühe vor den Hirten zu treiben, als sie sahen, daß der gestrenge Herr Bürgermeister in der Mitte von Trabanten des Kurfürsten zur Veste geleitet wurde, kreuzten und segneten sich und liefen schnell, um die Neuigkeit zu hinterbringen. Jeder zerbrach sich den Kopf. Endlich kam denn auch der Krumm- stock, der allen Bürgern den uns schon bekannten Befehl brachte. Die Neugierde wuchs und die Frauen vergaßen ihre Morgen- suppe; aber schon um 6 Uhr Morgens zog die ganze löbliche Bürgerschaft, Viertelmeister und Rathmänner voran, zum Thore hinaus der Festung zu. Als der Herr Bürgermeister Bier auf der Festung ange- kommen war, wurde er alsbald dem gnädigen Kurfürsten vor- gestellt, und als dieser ihm freundlichst entgegenkam, fiel ihm ein schwerer Stein vom Herzen, und er vernahm nun vom Kurfürsten, daß er sich über den kleinen Schrecken, welchen ihm sein Spaß vielleicht verursacht hätte, beruhigen möchte; indessen wünsche er, daß die Bürgerschaft zu dem Vergnügen, welches er sich heute vorgesetzt habe, ihm willig die Hand bieten wöge; er habe nämlich ebenfalls auch die Berliner und Cöllner Bür- ger dazu beordert, daß sie auf Schiffen mit den Span- dauern ein Gefecht bestehen möchten , und selbige hät- ten sich dazu bereit erklärt und würden wohl bereits dazu unter- wegs sein; ein Gleiches wünsche er von ihnen; Waffen habe er mitgebracht, Schiffe möchten sie nehmen, wo sie solche fänden; die Anordnung überließe er dem Bürgermeister, und er mache ihn heut zugleich zum Admiral der Flotte . Der Zug der Bürger kam indessen auf der Festung an. Der Kurfürst trat ihnen mit seinem Gefolge, den Herrn Bürger- meister in der Mitte, entgegen und sagte ihnen: „Lieben Kinder, Spandower! Ihr habt wohl wer weiß was gedacht, daß ich Euren Bürgermeister entführt und überhaupt Euch so in Allarm gebracht habe. Indessen ist es so schlimm nicht. Es ist nichts weiter, als daß Ihr Euch heute mit den Berlinern zu Wasser und vielleicht auch zu Lande schlagen sollt. Waffen liegen dort, und Brust- harnische und Helmhauben auch; diese nehmt. Der Herr Bür- germeister wird alles weiter anordnen, und wehrt Euch tapfer!“ Nun wurden ihnen hölzerne Spieße, alle von einerlei Länge und Stärke, Helme und Harnische zugetheilt, damit sie sich zum Streit bewaffnen sollten. Jetzt zurückgekehrt zur Stadt, 9* verwandelte sich der Schrecken in Jubel und Alles beeiferte sich, das Seinige beizutragen, um den Spaß vollkommen zu machen. Da der neue Spandower Groß-Admiral wußte, daß die feindliche Berliner Flotte aus 30 Segeln bestehen würde, so suchte er in der Eile aus den stets hier beiliegenden Strom- schiffen ebenfalls einige 20 zusammen zu bringen und solche zu bemannen; geübte Steuerleute waren auch bald gefunden und jedes Schiff wurde mit einigen 20 Streitern unter einem Anfüh- rer besetzt. Auf das Admiralschiff wurde der Stadtmusicus bestellt, und so wohl gerüstet und geordnet erwarteten sie den Feind. Die Flotte hatte sich bei der Festung links, vor dem Platze an der hiesigen Schleuse, vor Anker gelegt. Auch hatte der Herr Bürgermeister die Vorsicht gebraucht, die Fischer vom Kiez zu beordern, daß sie mit ihren Kähnen bei der Hand sein und, wenn einer der Schiffer und Streiter über Bord fiele, denselben sogleich retten möchten. Die Anführer auf den Schiffen waren folgendermaßen vertheilt: Bürgermeister Bartholomäus Bier. Burghard Margert, Otto Ruttnitz, Bastian Rucken, Jacob Marzahn, Rathmannen. Jonas Backe, Viertelmeister. Peter Schober, do. Claus Strohband, do. Hermann Doering, do. Jürgen Wardenberg, do. Die übrigen Anführer waren die Bürger: Martin Krokow, Claus Marreligs, Peter Damitz, Andreas Raschan, Matthis Rürmundt, Sebastian Reinicke, Veit Wenzlow, Claus Schu- mann, Jürgen Rohrschneider, Kurt Kiepert, Traugott Kühnert, Gottfried Schönicke, Jonas Müller, Ignatz Rasenack, an der Zahl 24. Um 9 Uhr endlich sah man die vereinte Berliner und Cöllner Flotte, die sich am Tegelschen See armirt und formirt hatte, die Havel herunter gesteuert kommen; sie steuerten, den Eiswerder rechts lassend, nach der kleinen Malche , und legten sich dort vor Anker, um sich zum Streit noch besser anzuschicken und dann das Signal zu erwarten. Voran lag das Admiral- schiff mit dem Berliner Wappen, einem Bären im weißen Felde, am Vordertheil. Alle Schiffe waren mit prächtigen Flaggen und die Segelbäume und Stangen mit bunten Bändern geschmückt, die Steuerleute und Ruderer trugen runde Hüte mit rothen Bändern umwunden und grüne Federbüsche. Die meisten Schiffe waren mit Zelten von buntbemalter Leinwand überspannt, doch so, das die Streiter, welche mit denselben Waffen wie die Spandower versehen waren, sich auf den Schiffen vertheilt befanden. Alles gewährte einen präch- tigen, imposanten Anblick. Freude und Jubel waren unter Begünstigung des schönsten Wetters allgemein. Endlich wurde von dem Bastion der Festung, auf welchem sich der Kurfürst mit seinem Hofstaate eingefunden hatte und von welchem aus er das Ganze übersehen konnte, das Zeichen zum Angriff durch einen Kanonenschuß und durch den Schall der Trompeten gegeben. Im Nu war jetzt die ganze Wasser- fläche, welche den großen und den kleinen Malche- See zwischen der Festung und dem Eiswerder bildet, mit Schiffen bedeckt. Unter dem Donner der Kanonen und dem Schalle der Trompeten, welche unaufhörlich vom Walle der Festung ertönten, bemühten sich beide Parteien, einander so viele Schläge und Stöße zu ertheilen, um wo möglich eine die andere zum Weichen zu bringen. Und wie es denn gewöhnlich zu gehen pflegt, so ging es auch hier, die Gemüther erhitzten sich zu sehr, so, daß das Spandower Admiralschiff zwei von den Berliner Schiffen dergestalt überfuhr, daß deren Steuer- männer ins Wasser gestoßen wurden und auch einige Streiter durch den Stoß über Bord fielen. Durch das Herbeieilen der Fischer wurden diese glücklich wieder herausgefischt. Nachdem das Gefecht 2 Stunden gedauert hatte und es, trotz der Brustharnische und der Helme, manchen blauen Fleck und Beulen gegeben hatte, auch auf keiner Seite nur ein Haar breit der Sieg gewichen war, wurde das Zeichen zum Abbruch des Gefechts gegeben und die Schiffe zogen sich unter gegen- seitigen Drohungen und Neckereien (Leutinger: „Spottereien“) der Mannschaften in ihre vorigen Stellungen zurück. Zugleich kam der Befehl, daß der Sieg auf dem Nachmittage zu Lande entschieden werden sollte. Die Berliner verließen ihre Schiffe und lagerten sich dort auf dem Felde, „ der Plan “ genannt; die Spandower gingen, um sich ihre Beulen zu besehen, einst- weilen nach Hause, und die Anführer, um sich zu berathen, wie sie den Nachmittagskampf mit Ehren bestünden. Denn sie verhehlten sich nicht, daß sie, bei ihrer geringeren Zahl, es nur der großen Geschicklichkeit ihrer Steuerleute und Ruderer zu ver- danken gehabt hätten, daß sie nicht besiegt worden wären. Auch war gewiß, daß sich die Zahl der Streiter ihrer Feinde aus der Zahl der Schaulustigen aus Berlin noch erheblich vermeh- ren würde. Sie entschlossen sich also, einen Succurs aus dem städtischen Kämmereidorfe Staaken nebst den zur Stadt gehö- rigen Weinbergen und was sie sonst noch aufzutreiben wußten, herbeiholen zu lassen. Die Anzahl der Berliner war, wie Leutinger versichert, über 1500 Mann. Die Spandower dagegen waren höchstens 800 Mann. Der Gottfried Schönicke wurde demnach in aller Stille beordert, ein Pferd zu nehmen und damit nach Staaken zu reiten, um dort die Bauern und Knechte, so viel wie anwesend wären und einen guten Knüppel führen könnten, zusammen zu nehmen, solche quer übers Feld und nach der Gegend der Valentins-Insel zu führen, um von dort auf Kähnen nach dem Saatwinkel geführt zu werden. Dann sollte Schönicke während des Gefechts, unter Begünstigung der vielen Ge- büsche, durch die Haselhorst den Berlinern in den Rücken fallen. Der Schönicke führte seine Sache, da er die Kähne dort richtig vorfand, so gut aus, daß er sich schon Nachmittags um 3 Uhr an Ort und Stelle befand, ohne daß die Berliner etwas davon ahnten. Nachmittags um 2 Uhr fing die Anordnung zur Feldbataille an. Es wurden zwei Schlachtordnungen formirt; die erste hatte auf ihrem rechten Flügel die Bürger von Berlin, auf dem linken Flügel standen die Cöllnischen, zum Hinterhalt waren die übrigen Berliner aufgestellt. In der Mitte hielt der Kurfürst mit einem kleinen Theile seiner Trabanten; auf der einen Seite hatten sie die Festung und den Graben, auf dem linken Flügel die Spree, hinter sich aber den Wald. Diese nun, welche so gut postirt waren, glaubten schon den Sieg in Händen zu haben und triumphirten laut, forderten dabei immer die Spandower auf, heraus zu kommen. Die Spandower hingegen erkannten ihre Schwäche und das Unvor- theilhafte ihrer Lage, doch munterten sie sich einander auf und erwarteten nur die Zeit, von der sie glaubten, daß ihr ange- ordneter Hinterhalt angekommen sein könnte. Sie zogen nun getrost, in kleinere Haufen getheilt, dem Feinde entgegen und der Streit begann. Man hielt sich wacker hüben und drüben. Der Sieg schien nicht zu wissen, wohin er sich neigen solle. Dennoch würden die Spandower schließlich überwunden worden sein, wenn nicht Gottfried Schönicke mit seinen leichten Truppen angekommen wäre. Dieser kam plötzlich von der Haselhorst den Berlinern in den Rücken, der Hinterhalt derselben war bald in die Flucht geschlagen und nun ging’s über die Hauptarmee los. Diese sah ihre Gefahr, hielt sich mit Erbitterung noch eine Weile, aber die „Staakenschen“ unter Gottfried Schönicke gaben auch hier den Ausschlag und trieben endlich die vereinte Berlin-Cöllnische Armee in die Flucht. Der Streit war so heftig geworden, daß selbst das Pferd des Kurfürsten von einem Spieße getroffen wurde. Die Nacht brach herein und der Kurfürst ließ nun durch Herolde das Ende des Streites ausrufen. Dies war ein Glück; die Erbitterung war groß und ohne diesen Abbruch des Gefechts würde Blut geflossen sein. Die Berliner zogen sich darauf durch den Wald, die Jungfernhaide, nach Berlin zurück und die Spandower hatten die Freude, daß ihnen der Kurfürst sagte: Kinder, ihr habt euch brav geschlagen ! Das Beloed è re im Schloßgarten zu Charlottenburg. Verschlossene Fenster, Nichts ein noch aus, Nur Spinnen und Gespenster Sind hier zu Haus. E s regnet. Auf den Plüschbänken des Charlottenburger Omnibus sitzt ein halbes Dutzend fröstelnde Gestalten, gleichgiltig oder verstimmt, jeder einen abtröpfelnden Alpacca in Händen. Keiner spricht. Ein Dunst, wie wenn Wäsche trocknet, nebelt um uns her, und ein Kautschuk-Mantel neben mir ist nicht angethan, die klimatischen Verhältnisse zu bessern. Es regnet, und am Ende mit Recht. Schreiben wir doch den 19. November! Wer mag da Sonnenschein fordern, wenn es ihn lüstet, den Charlottenburger Schloßgarten zu besuchen. Was von den Menschen gilt, gilt auch von den Tagen; man muß sie nehmen, wie sie sind. Da ist das „Knie.“ Seine Rundung ist heute völlig reiz- los. Das „türkische Zelt“ sieht noch untürkischer aus als gewöhnlich, und bei Morellis hocken drei Sperlinge auf dem schräg gestellten Gartentisch, ziehen die Köpfe ein und schütteln die Federn. Nur die grüne Kuppel des Schlosses hat gewon- nen; sie sieht glau aus, frischer als sonst. An den leeren Gewehrpfosten vorüber, tret’ ich an das halb- offene Parkgitter; der Thürhüter schüttelt den Kopf. An sol- chem Tage Besuch! Er scheint die Frage ergründen zu wollen, ob ich Unthat gegen mich oder gegen andere sinne. Ein Unglück- licher oder … „Ich möchte nach dem Belved è re. Erst durch die Orange- rie, dann grad’ aus; nicht wahr?“ So Lokalkenntniß und Unbefangenheit heuchelnd, schreit ich an dem Bediensteten vorüber, der sich schließlich, seinem Mienenspiele nach, damit beruhigt: Freitag ist Besuchstag. Asternbeete, Balsaminen; dann vorüber an den Kübeln des Gewächshauses; noch ein Fliesengang und die Breite des eigent- lichen Parkes liegt vor mir. An der Rückseite des einen Schloß- flügels hin stehen die Büsten römischer Kaiser, Nero, Titus, Trajan; mir zunächst Tiberius. An seiner Nase hängt ein Regentropfen, fällt ab und erneut sich wieder. Es sieht so gemüthlich, so einfach-menschlich aus, daß man glauben könnte, seine „Wiederhersteller“ hätten Recht. Weithin sichtbar laufen die Gänge des Schloßgartens bis zum Flusse nieder, parallel mit ihnen ein Wasserbecken, halb Graben, halb Teich. Die Alleen sind kahl. Nur einzelne Bäume, die windgeschützter standen, halten noch das je nach der Art in allen Herbstesfarben spielende Laub fest: die Eiche goldbraun, die Birke orangefarben, der Ahorn gelb; aber die meisten Blät- ter fielen ab und liegen an tieferen Stellen zusammengeweht, oder schwimmen auf dem Wasser, das uns bis in die Mitte des Parks begleitet. Hier biegt das Wasser (der Teichgraben) plötzlich rechtwinklig ab und durchschneidet den Weg. Eine Brücke führt darüber hin und unterhält den Verkehr zwischen den beiden Ufern. Dies- seits stand ein Alter und harkte das Laub zusammen. Ist dies die Brücke mit der Klingel? Ja. Aber es kommt keiner mehr. Ich weiß, Papa. Die alten Moosköpfe sind todt. Er nickte und harkte weiter. In der That befand ich mich an der vielgenannten „Klin- gelbrücke,“ einer ehemaligen Besuchsstation des Gartens, die viele Jahre hindurch neben dem Mausoleum ihren Platz behaup- tet hatte. Der ernsten Erhebung gab man hier ein heitres Nachspiel. Alles drängte herzu; wurde dann die Klingel gezogen, so erschienen langsam und gravitätisch, aber immer hungrig, die berühmten Mooskarpfen des Charlottenburger Parkes an der Oberfläche. Uralte Bursche, wenn ich nicht irre, durch König Friedrich Wilhelm I. eigenhändig an dieser Stelle eingesetzt. Ein eigenthümlicher Sport, der darauf hinauslief, Hellinge, Milchbrode, Kringel in die immer geöffneten Karpfen- mäuler zu werfen, nahm dann seinen Anfang. Er erinnerte an Aehnliches im zoologischen Garten, und man darf sagen: wie sich die Schrippe zum Elephanten verhält, so verhielt sich die Semmel zum Karpfen. Alte Frauen, nicht viel jünger wie die krokodilartigen Ungeheuer der Tiefe, saßen hier sommerlang mit ihrem Backwerk und sahen aus als gehörten sie mit dazu. Es hatte etwas Spukhaftes diese Altersanhäufung und die Kinder- welt dazwischen. Dieser Sport indessen sollte plötzlich ein Ende haben. Der Winter 64 kam, das Wasser fror bis auf den Boden, die Kar- pfen suchten zu retiriren, immer tiefer, aber das Eis kam ihnen nach, und eingemauert in ihrem Moorgrund, wasser- und luft- los, mußten sie ersticken. Als im April das Eis aufging, stie- gen sie wieder an die Oberfläche, aber todt. Noch am selben Tage wurden sie am Ufer begraben. Es waren 36 Stück, keiner unter 150 Jahre, keiner unter 4 Fuß; alle trugen sie die Karpfenkrone. „Wir haben nun neue eingesetzt,“ brummelte der Alte, „aber was will das sagen; sie sind wie Steckerlinge.“ Dieser wohlgemeinte Satz hatte mir Muth gegeben. „Ich will nach dem Belved è re, Papa.“ „Nach’s Belfedehr. Ja, ja, da müssen Sie bis auf die Insel. Immer grad aus. Die Fähre geht nicht mehr. Aber rechts weg, wo der rothe Werft steht, da is’n Steg. Nehmen’s sich in Acht; is alles frisch gestrichen mit Theer. Da drüber weg.“ „Dank schön, Papa.“ Damit stapste ich weiter, durch Laub und aufgeweichte Gänge hin, dem Rande des Parkes zu, voll wachsenden Dankes gegen den Erfinder der Gummischuhe. End- lich stand ich an einem schmalen, von der Spree her abgezweig- ten Wassergraben; zwei Pfosten hüben und drüben und ein Tau dazwischen zeigten mir, daß dies die Fährstelle sei. Nach rechts hin also mußte die Brücke sein. Richtig. Der frische Theer- geruch ließ keinen Zweifel. Ich schritt über die schmale Bohlen- lage hin. Der Regen ließ einen Augenblick nach und gestattete einen Umblick. Ich stand ersichtlich auf einer Insel, der magre Boden mit dünnem Gras überzogen, die Ufer von blutrothem Werft eingefaßt. Nach Westen hin Wiesenland, von Spree-Armen und Eisenbahnbrücken durchzogen; am Horizonte grau in grau der Spandauer Thurm; unmittelbar vor mir aber ein seltsamer, jalousieenreicher Bau, rund, mit vier angeklebten flachen Balcon- häusern und einem kupfernen Dachhelm, auf dessen Spitze drei Genien mit Genhimmelhaltung eines goldenen Fruchtkorbes beschäftigt waren. Roccoco durch und durch. Im Grundriß ein kurzes Kreuz, mit rundem Mittelstück. Dies war das Belve- d è re . Die drei Genien mit dem Blumenkorb unverkennbar an das Marmorpalais erinnernd. Die Tage der Lichtenau standen wie auf einen Schlag vor mir: Sentimentalität und Sinnlich- keit, Schäferspiele und kurze Röckchen, Antonius und Cleopatra. Nur alles trivialisirt. Statt des Pharaonenkindes eine Stabs- trompetertochter. Ein Gartenarbeiter, wie ich bald wahrnahm, hatte in einem der angeklebten Häuschen ein Unterkommen gefunden; es fand sich ein Schlüssel, der eine der Hauptthüren öffnete. Das Erd- geschoß, einst als Küchen- und Wirthschaftsraum benutzt, war interesselos; eine schlank gewundene, von einem sauberen Eisen- gitter eingefaßte Treppe führte in den ersten und zweiten Stock. Wir stiegen hinauf. Ich hatte dieselbe Empfindung, als ging es hinunter in eine Gruft. Abgestorbenes ringsum. Nur mumienhaft erhalten. Die Einrichtung beider Stockwerke ist dieselbe: ein einziges saalartiges Rundzimmer. Der Saal des ersten Stockwerkes ist der reichere; der Fuß- boden parkettirt, die Wände rhombisch getäfelt von rothbraunem Pflaumbaumholz. An der weißen Decke krystallne Leuchter. Reliefdarstellungen aus dem Apollo- und Diana-Mythus um- ziehen, halb fries-, halb supraportenartig, die obere Rundung, während Ottomanen und Polsterstühle, in ihren Lehnen selbst wieder geschweift, dem Rund der unteren Boissirung folgen. Zahlreiche Bilder, meist englische Stiche nach den Dramen Shakespeare’s, stehen gruppenweis, die Rückseite nach vorn, an den Wänden umher. Die dunkle Täflung, dazu der blaue Moir é , der alle Polster überzieht, geben dem Zimmer einen fest- lichen, beinah ernsten Charakter. Anders der Rundsaal des zweiten Stockes. Hier ist dieselbe Art der Ausschmückung, aber in’s Heitere übertragen. Wie dort Braun und ein tieferes Blau den Ton angeben, so lacht hier Alles in Weiß und Roth und Gold. Consolen, mit Thon- gefäßen in gefälliger Form, laufen guirlandenartig um die Rundung her, und die scharlachnen Seidenüberzüge, als sei es an ihrer leuchtenden Pracht nicht genug, haben ihr Roth noch mit bunten Malereien, mit Blumen und Bouquets geschmückt. Wie im Zimmer des ersten Stocks, so lehnen sich auch hier zwei Balkons und ein Cabinet an den Rundbau an; das Cabinet marmorirt und mit Goldbroncen reich verziert. In diesem Cabinet, nur durch zwei halb zurückgeschlagene Gardinen von dem Rundsaal getrennt, saß König Friedrich Wil- helm II. Es war in den ersten Jahren seiner Regierung. Eine Aufführung schien sich, mit einer Art von Feierlichkeit vor- zubereiten. Und so war es. In den goldbroncenen Wand- leuchtern brannten ein paar Kerzen, aber ihr Licht, durch die schweren Gardinen zurückgehalten, fiel nur in einzelnen Streifen nach vorn hin in den Saal. In diesem herrschte Dämmer. Der König hatte den Wunsch ausgesprochen, die Geister Marc Aurel’s, des Großen Kurfürsten und des Philosophen Leibnitz erscheinen zu sehen. Und sie erschienen. Wie man dabei verfuhr, darüber bericht’ ich an ande- rer Stelle. Nur dies noch. Dem Könige war gestattet worden, Fragen an die Abgeschiedenen zu richten; er machte den Versuch, aber umsonst. Es gelang ihm nicht, auch nur einen Laut über die bebenden Lippen zu bringen. Dagegen vernahm er nun seinerseits von den heraufbeschworenen Geistern strenge Worte, drohende Strafreden und die Ermahnung, auf den Pfad der Tugend zurückzukehren. Er rief mit banger Stimme nach seinen Freunden; er bat inständig, den Zauber zu lösen und ihn von seiner Todesangst zu befreien. Nach einigem Zögern trat Bischofswerder in das Cabinet und führte den zum Tode Er- schöpften nach seinem Wagen. Er verlangte zur Lichtenau zurück- gebracht zu werden, ein Wunsch, dem nicht nachgegeben wurde. So kehrte er noch während derselben Nacht nach Potsdam zurück. Das war, wie schon angedeutet, muthmaßlich Anfang der 90er Jahre. Bestimmte Zeitangaben fehlen. Von jenem Abend an stand das Belved è re 50 Jahre lang leer. Es war, als wäre es an dieser Stelle nur aus der Erde gewachsen, um als Roccoco-Schaubühne für eine Geister- komödie, hinterher aber um als Wahrzeichen dafür zu dienen, daß das alles einstens wirklich war. Durch ein halbes Jahrhundert hin waren alle diese Plätze verfehmt. Marmorpalais, Belved è re, Marquardt, das Ekkardt- steinsche Haus, auch andre noch, man mied sie, man nannte sie kaum. Erst Friedrich Wilhelm IV. , innerlich freier, machte einen Versuch, den Bann der 90er Jahre zu durchbrechen. Das Marmorpalais sah wieder Gondeln an seiner Treppe; die Miniatur-Büste der Lichtenau, ein Chef d’oeuvre, wurde an altem Platze aufgestellt; was einst Abneigung erweckt hatte, weckte nur noch Interesse. Auch das Belved è re schien wieder zu Ehren kommen zu sollen. Von seinem Balkone aus sah der heitere König, dessen eigene sittliche Integrität ihm die Milde (auch nach dieser Seite hin) zum Bedürfniß machte, in Däm- merstunden, beim Theegeplauder, das Spreethal hinunter, freute sich der Segelkähne, die kamen und gingen, der langen Züge, die rasselnd, dampfend, vorübersausten, der dunklen Flächen des Grunewaldes hier, der Jungfernhaide dort, endlich des rothen Spandauer Thurms, der die Zickzack-Festungswerke drüben am westlichen Horizont hoch überragte. Das waren die Rehabilitirungsversuche für das Charlotten- burger Belved è re. Aber sie kamen und gingen wie bloße Träume. Bald schlief der Bau mit seinen drei Roccoco-Genien weiter. Er schläft noch. Etwas Unheimliches ist drum umher, das nicht abzuthun ist. Was ist es? Ist es, weil es ein Spukhaus war, weil Gespenster hier umgingen? Nein, denn man spielte hier nur Gespenst. Aber fast scheint es, als ob ein doppeltes Grauen eben daraus erwuchs, daß die Geister selber, die hier auftraten, nur wieder ein Schein, eine Lüge waren. Die Pfaueninsel. 1. Die Pfaueninsel bis 1685 . P faueninsel! Wie ein Märchen steigt ein Bild aus meinen Kindertagen vor mir auf: ein Schloß, Palmen und Känguruhs; Papageien kreischen; Pfauen sitzen auf hoher Stange oder schla- gen ein Rad; Voli è ren, Springbrunnen, überschattete Wiesen; Schlängelpfade, die überall hin führen und nirgends; ein räthsel- volles Eiland, eine Oase, ein Blumenteppich inmitten der Mark. Aber so war es nicht immer hier. All das zählt erst nach Jahrzehnten und noch zu Ende der 90er Jahre war diese Havel- insel (übrigens die größte, die die Havel besitzt) eine bloße roman- tische Wildniß, die sich aus Eichen, Unterholz und allerhand Schlinggewächs zusammensetzte. An manchen Stellen urwaldartig, undurchdringlich. Um das ganze 2000 Schritt lange und über 500 Schritt breite Eiland zog sich ein Gürtel von Uferschilf, darin wildes Geflügel zu Tausenden nistete. Dann und wann, wenn im Grunewald die Jagd tobte, schwamm ein geängsteter Hirsch über die Schmalung an der Südwestspitze und suchte Schutz bei der Einsamkeit der Insel. So war es unter den Joachims, auch noch unter dem Gro- ßen Kurfürsten. Wer nicht ein Jäger war, oder das Schilf am Ufer schnitt, der wußte kaum von einer solchen Insel im Havelstrom, die durch alle Jahrhunderte hin namenlos geblie- ben war. Erst 1683, also während der letzten Jahre des Großen Kurfürsten, trat die namenlose Insel, die inzwischen ein „Kaninchengehege“ empfangen hatte, als Kaninchenwerder in die Geschichte ein, freilich ohne dadurch irgend etwas anders, als einen Namen gewonnen zu haben. Das Eiland blieb viel- mehr bis zu der Eingangs erwähnten Epoche (90er Jahre des vorigen Jahrhunderts) eine absolute Wildniß, an deren Bestand auch ein der Kaninchenherrschaft unmittelbar folgendes Prospero- Zwischenspiel nicht das geringste zu ändern vermochte. Im Gegentheil, zu dem Wilden gesellte sich noch das Grusliche, auch ohne daß von einem Caliban berichtet wird. Der Prospero war Johann Kunkel , der Alchymist. Er erhielt die Insel 1685 aus der Hand des Kurfürsten. Bei die- sem Zeitabschnitt verweilen wir zunächst. 2. Die Pfaueninsel von 1685—93. Johann Kunkel . „He, Holla, halt,“ schreit’s hinter ihm, „wir kennen euch, nicht von der Stelle! Hoch euer Galgenmännlein, hoch der kleine rauchige Geselle! Und wieder hoch! und dreimal hoch! Alräunchen, Hütchen meinetwegen, Mag’s ferner goldne Eier euch und Andern todte Bälge legen.“ Annette Droste-Hülshof. Johann Kunkel, zu Hütten bei Rendsburg im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts geboren, hatte sich von Jugend auf der Alchymie befleißigt, den Stein der Weisen gesucht, den Phos- phor entdeckt und war 1677 in chursächsische Dienste getreten, wo ihm das für damalige Zeit außerordentlich hohe Gehalt von 1000 Thalern, nebst Vergütung für alle Materialien, Instru- mente, Gläser und Kohlen zugesagt worden war. Er erhielt aber schließlich diese Summe nicht ausgezahlt und auf seine des- fallsige Beschwerde einfach den Bescheid: „kann Kunkel Gold Fontane , Wanderungen. III. 10 machen, so bedarf er kein Geld; kann er solches aber nicht, warum sollte man ihm Geld geben?“ Die Verlegenheiten, die ihm daraus erwuchsen, veranlaßten ihn, einen Ruf an den brandenburgischen Hof anzunehmen, frei- lich unter bescheideneren Bedingungen, die aber das Gute hatten, daß sie gehalten wurden. Der große Kurfürst sagte ihm in einer ersten Unterredung, in der diese Dinge zur Sprache kamen: „Ich kann Euch 1000 Thlr. nicht geben, denn ich gebe mei- nen Geheimen Räthen nicht mehr; um keine Jalousie zu machen, so will ich Euch geben, was ich meinen Geheimen Kammerdie- nern gebe.“ So erhielt Kunkel ein Jahresgehalt von 500 Thlr. Er nahm erst die Drewitzer Glashütte in Pacht, wurde dann Compagnon der Glashütte auf dem Hakendamm bei Potsdam, erfand hier das Rubinglas , das zu schönen Pokalen ver- arbeitet wurde, und erhielt endlich, da es ihm um ein möglichst abgelegenes, schwer zugängliches Plätzchen für seine Arbeiten zu thun war, in dem schon genannten Jahre 1685 den ganzen Kaninchenwerder (Pfaueninsel) zum Geschenk. Die Schenkungs- urkunde besagte, daß ihm, unter Befreiung von allen Abgaben, die ganze Insel erb- und eigenthümlich übereignet, das Recht des freien Brauens, Backens und Branntweinbrennens zuerkannt und der Bau einer Windmühle gestattet werden solle, „damit seine Leute nicht gezwungen seien, des Backens und Brauens, des Mahlens und Schrotens halber, die Insel zu verlassen.“ Gleichzeitig wurde er in seiner Rubinglas-Fabrikation durch ein Privilegium geschützt, wogegen er es übernahm „alljährlich für 50 Thaler Krystallgläser an die Kurfürstliche Kellerei abzuliefern und seine Glaskorallen nur an die Guinea’sche Compagnie zu verkaufen.“ Die Errichtung der Glashütte erfolgte bald darauf an der nordöstlichen Seite der Insel dicht am Ufer. Er erbaute beson- dere Oefen, um die beste Art der Condensirung des Feuers zu ermitteln, kein Fremder durfte die Insel betreten, nur der Kur- fürst besuchte ihn wiederholt, um die Anlage des Ganzen, so wie den Kunstbetrieb kennen zu lernen. Dabei wurde, über die Glasfabrikation hinaus, viel experimentirt. Worauf diese Bemühungen gerichtet waren, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Daß es sich um Goldmachekunst und um Entdeckung des Steins der Weisen gehandelt habe, ist sehr unwahrscheinlich. Nachweisbar verhielt sich Kunkel gegen solche Versuche, wenigstens wenn sie von andern ausgingen, sehr ablehnend. So entzog ihm denn auch der große Kurfürst nie seine Gnade, wiewohl die Erfolglosigkeit, auch die wissenschaft- liche, aller der damals unternommenen Experimente so ziemlich feststeht. Friedrich Wilhelm rechnete (wie Kunkel ihn selbst sagen läßt) die daran gewendeten Summen zu solchen, die er verspielt oder im Feuerwerk verpufft habe. Da er jetzt weniger spiele, so dürfe er das dadurch Gesparte an Forschungen in der Wissen- schaft setzen. Mit dem Hinscheiden des Kurfürsten schied aber auch Kun- kel’s Ansehen, wenigstens innerhalb der Mark Brandenburg. Man machte ihm den Prozeß auf Veruntreuung und Unterschleif und wenn auch nichts bewiesen werden konnte, eben weil nichts zu beweisen war , Der Prozeß lief im Wesentlichen auf bloße Chikanen hinaus und kann einem keine besonders hohe Meinung von der Rechtspflege jener Epoche beibringen. Der Beklagte sollte eingeschüchtert, abgeschreckt werden. Als ihm Unterschleife nicht nachgewiesen werden konnten, rich- tete man schließlich die Frage an ihn: was denn bei all dem Laboriren und Experimentiren in mehr als 9 Jahren herausgekommen sei? Das ist nun in der That eine Frage, die schließlich jeden Menschen in Ver- legenheit setzen kann, und Kunkel gab die beste Antwort, die er unter so bewandten Umständen geben konnte. Er sagte: „Der hochselige Herr Kurfürst war ein Liebhaber von seltenen und kuriosen Dingen und freute sich, wenn etwas zu Stande gebracht wurde, was schön und zierlich war. Was dies genutzt hat, diese Frage kann ich nicht beantworten.“ so mochte er dennoch von Glück sagen, durch eine Aufforderung König Karls XI. von Schweden seiner alten Umgebung entrissen zu werden. Dies war 1692. Er ging nach Stockholm, wurde schwedischer Bergrath und unter 10* dem Namen Kunkel v. Löwenstern in den Adelsstand erho- ben. Er starb wahrscheinlich 1702. Sein Laboratorium auf dem Kaninchenwerder hatte nur allerkürzesten Bestand gehabt. Noch vor seiner Uebersiedelung nach Schweden brannten die Baulichkeiten nieder; — am östlichen Ufer der Insel finden sich bis heute einzelne verstreute Schlacken- reste, die ungefähr die Stelle angeben, wo die alchymistische „Hütte“ stand. Mehr als ein Jahrhundert verging, bevor die Zauberer-Insel zu einer Zauber-Insel wurde. 3. Die Pfaueninsel unter Friedrich Wilhelm III. 1797—1840 . Mein Herr ist König im Land, Ich herrsch’ im Garten der Rosen. Uhland. Die Anfänge dazu (zur Zauber-Insel) fallen bereits in die Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. Der Schilfgürtel, der die Insel vor jedem Zutritt zu bergen schien, wurde mittelbar die Ursach, daß sich ihre Schönheit zu erschließen begann. In diesem Schilf nisteten nämlich, wie schon angedeutet, Tausende von Schnepfen und Enten, die den jagdlustigen König, als er davon vernommen, erst bis an den Rand der Insel, dann auf diese selber führten. Einmal bekannt geworden mit dieser Wal- desstille, die ihm bald wohler that als die Aufregungen der Jagd, lockte es ihn öfter, vom nahen Marmorpalais, zu Kahn herüber. Aus dem Heiligen See in die Havel, an Sacrow vor- über, steuerte er an heiteren Nachmittagen, umgeben von den Damen seines Hofes, der ihm lieb gewordenen Insel zu, auf deren schönster Waldwiese die reichen orientalischen Zelte, die ihm irgend ein Selim oder Mahmud geschenkt hatte, bereits vorher ausgespannt worden waren. Die Musik schmetterte; Tänze und ländliche Spiele wechselten ab; so vergingen die Stunden. Erst mit der sinkenden Sonne kehrte man nach dem Marmor- Palais zurück. Solche Lust gewährten dem Könige diese Fahrten nach der stillen, nahe gelegenen Waldinsel, daß er sich im Jahre 1793 entschloß, dieselbe vom Potsdamer Waisenhause, dem sie durch eine Schenkung Friedrich Wilhelms I. zugefallen war, zu kaufen. Dies geschah und schon vor Ablauf von drei Jahren war das Eiland zu einem gefälligen Park umgeschaffen, mit Gartenhaus und Meierei, mit Jagdschirm und Federviehhaus und einem Lustschloß an der Nordwestspitze. Die Zeichnung zu diesem Lustschloß, so wird erzählt, rührte von der Gräfin Lichtenau her, die das Motiv dazu, während ihrer Reise in Italien, einem verfallenen Schloß entnahm, das zwei, oben mit einer Brücke verbundene Thürme, unten aber, zwischen den beiden Thürmen, ein großes Bogenthor zeigte. Wir halten diese Erzäh- lung für glaubhaft, trotzdem Kopisch sie bezweifelt. Die Lichtenau dilettirte in Kunstsachen und nicht ganz ohne Talent. Esprit und Geschmack zählen zu den Vorrechten aller Damen aus der Schule der La ï s. Der Bau des Schlosses begann; aber noch eh’ dieses und anderes seinen Abschluß gefunden hatte, starb der König und die Annahme lag nahe, daß auch die nun zurückliegenden zehn Jahre unter Friedrich Wilhelm II. , genau wie die neun Jahre unter Kunkel, zu einer bloßen Episode im Leben der Pfauen- insel werden würden. Es kam indessen anders. Friedrich Wil- helm III. , in allem gegensätzlich gegen seinen Vorgänger und diesen Gegensatz betonend , machte doch mit Rücksicht auf die Pfaueninsel eine Ausnahme und wandte ihr von Anfang an eine Gunst zu, die, bis zur Katastrophe von 1806, alles daselbst Vorhandene liebevoll pflegte, nach dem Niedergange der napoleonischen Herrschaft aber diesen Fleck Erde zu einem ganz besonders bevorzugten machte. Ohnehin zu einem contemplativen Leben geneigt, fand der König, aus den Stürmen des Krieges heimgekehrt, die Einsamkeit dieser Insel anziehender denn zuvor. Was ihm Paretz zu Anfang seiner Regierung gewesen war, das wurde ihm die Pfaueninsel gegen den Schluß hin. Man schritt zu neuen Anlagen und war bemüht, den Aufenthalt immer behaglicher zu gestalten. Viele Anpflanzungen von Gesträuchen und Bäumen, darunter Rothtannen und Laubhölzer aller Art, fanden statt. Wildfliegende Fasanen machten sich heimisch auf der Insel; neue Bauten wurden aufgeführt. Eine mit Kupfer beschlagene „Fregatte“ traf ein, die der Prinz-Regent dem Könige Friedrich Wilhelm III. zum Geschenk gemacht hatte; Sie zerfiel bald. 1832 wurde deshalb eine zweite, als Ersatz, durch Lord Fitz Clarence überbracht. Diese existirt noch, ist aber auch schon wieder defect. ein russischer „Rollberg“ (Rutschbahn) entstand; russische Schau- keln setzten sich in Bewegung. 1821 wurde ein Rosensortiment aus der Nachlassenschaft des Dr. Böhm für eine erhebliche Summe Geldes gekauft und in vier Spreekähnen von Berlin aus nach der Pfaueninsel geschafft. Die Ueberführung dieser Sammlung gab Anlaß zur Anlage eines Rosengartens , der alsbald 140 Quadratruthen bedeckte und 3000 hoch- und halb- stämmige Rosen, dazwischen ungezählte Sträucher von Centifo- lien, Noisetten und indischen Rosenarten umschloß. Ziemlich um dieselbe Zeit wurde ein Wasserwerk mit einer Dampfmaschine errichtet, lediglich um ein großes Reservoir zu speisen, aus dem nun der sandige Theil der Insel bewässert werden konnte. Damit war Lebensblut für alle dar- auf folgenden Verschönerungen gegeben . 1828, nachdem viele Geschenke und Ankäufe voraus- gegangen, ward auch eine reizende, alle Thierarten umfassende „Menagerie“ erworben. Sie wurde hier, wenn auch noch den Namen nicht führend, wie von selbst zu einem zoologi- schen Garten , da Lenn é , feinen Sinnes und verständniß- voll, von Anfang an bemüht gewesen war, den einzelnen Käfigen und Thiergruppen immer die passendste landschaftliche Umgebung zu geben. 1830 wurde auch das Palmenhaus errichtet. Das kleine Eiland stand damals auf seiner Höhe. „Eine Fahrt nach der Pfaueninsel (so durfte Kopisch wohl schreiben) galt den Berlinern als das schönste Familienfest des Jahres und die Jugend fühlte sich überaus glücklich, die munteren Sprünge der Affen, die drollige Plumpheit der Bären, das seltsame Hüpfen der Känguruhs hier zu sehn. Die tropischen Gewächse wurden mit manchem Ach! des Entzückens bewundert. Man träumte in Indien zu sein und sah mit einer Mischung von Lust und Grauen die südliche Thierwelt: Aligatoren und Schlangen, ja das wunderbare Chamäleon, das opalisirend oft alle Farben der blühenden Umgebung wiederzuspiegeln schien.“ Meine eigenen Kindheitserinnerungen, wie ich sie Eingangs aus- gesprochen, finden hier ihre Bestätigung. 4. Die Pfaueninsel 15. Juli 1852 . Und Stille, wie des Todes Schweigen Liegt überm ganzen Hause schwer. „Die Kraniche des Ibykus.“ Mit 1840 schied die Pfaueninsel aus der Reihe der herr- schenden Lieblingsplätze aus; Friedrich Wilhelm IV. griff auf die Fridericianische Zeit zurück und Sanssouci sammt seinen Depen- dencien belebte sich wieder. Das Roccoco-Schloß, das der Lichtenau ihre Entstehung verdankte, zerfiel nicht, aber es kam außer Mode und wie man die Jahrzehnte vorher gewallfahrtet war, um den Rosengarten der Pfaueninsel zu sehn, so führte jetzt die Eisenbahn viele Tausende hinüber, um, zu Füßen von Sanssouci, die Rosenblüthe in Charlottenhof zu bewundern. Die Pfaueninsel kam außer Mode, so sagt’ ich, aber wenn sie auch nicht Sommerresidenz mehr war, so zählte sie doch noch zu jenen Havelplätzen, wo Friedrich Wilhelm an Sommeraben- den zu landen und in Stille, bei untergehender Sonne, seinen Thee zu nehmen liebte. Ein solcher Sommerabend war auch der 15. Juli 1852. Wir berichten näher über ihn. Kaiser Nicolaus war am preußischen Hofe zu Besuch ein- getroffen. Ein oder zwei Tage später erschien Demoiselle Rachel in Berlin, um daselbst ihr schon 1850 begonnenes Gastspiel zu wiederholen. Friedrich Wilhelm IV. , mit seinem kaiserlichen Gaste in Potsdam verweilend, als er von dem Eintreffen der berühmten Tragödin hörte, gab dem Hofrath Schneider Auftrag, dieselbe für eine Pfaueninsel-Vorstellung zu engagiren. Ueber diesen allgemein gehaltenen Auftrag hinaus wurde nichts ange- ordnet. Die nöthigen Schritte geschahen; die Rachel, die natür- lich ein Auftreten im Neuen Palais oder doch mindestens im Stadttheater erwartete, sagte zu. Am Nachmittage des festgesetzten Tages traf die Künstlerin, in Begleitung ihres Bruders Raphael, auf dem Bahnhofe zu Potsdam ein. Hofrath Schneider empfing sie. Die Situation dieses letzteren, der, trotz aller Bemühungen nicht im Stande gewesen war, bestimmtere Ordres, eine Art Festprogramm, zu extrahiren, war inzwischen eine ziemlich pein- liche geworden. Die Tragödin verlangte Auskunft über alles, während solche über nichts zu geben war. Als ihr schließlich, auf immer direkter gestellte Fragen, gesagt werden mußte, daß es an all und jeder Vorbereitung fehle, daß alles in die Macht ihrer Erscheinung und ihres Genius gegeben sei , gerieth sie in die höchste Aufregung, fast in Zorn, und drohte, mit einem mehrfach wiederholten „jamais,“ die Unterhandlun- gen abzubrechen. Ihr Bruder Raphael bestärkte sie in ihrem Widerstande. „Eine Bänkelsängerin, eine Seiltänzerin, nie, nie!“ Sie schickte sich an, mit dem nächsten Zuge nach Berlin zurückzufahren. Was thun? Eine Niederlage ohne Gleichen schien sich vorbereiten zu sollen. Aber die diplomatische Beredtsamkeit des Unterhändlers wußte sie zu vcrmeiden . Er erinnerte die Tra- gödin zunächst daran, daß Moli è re in ähnlicher Situation vor dem Hofe Ludwigs XIV. gespielt und seine größten Triumphe gefeiert habe, was Eindruck zu machen schien; als aber die Zuflüsterungen des „linken Reiters“ (Bruder Raphael) dennoch wieder die Oberhand erlangen zu wollen schienen, als das Wort „Bänkelsängerin“ immer von Neuem fiel, griff Hofrath Schnei- der endlich zu einem letzten Mittel. Er wußte, daß der berühmten Tragödin ungemein daran lag, in Petersburg — das ihr, seit jenem Tage (1848), wo sie, von der Bühne herab, als „Göttin der Freiheit“ die Marseillaise gesungen hatte, ver- schlossen war — wieder Zutritt zu gewinnen, und dieser Köder wurde jetzt nicht vergeblich an die Angel gesteckt. Der diploma- tische Plenipotentiaire schilderte ihr mit lebhaftesten Farben, welch einen Eindruck es auf den Kaiser machen müsse, wenn er, heute Abend auf der Pfaueninsel landend, erfahren würde, „Demoi- selle Rachel habe es abgelehnt zu erscheinen,“ wie sich ihr aber umgekehrt eine glänzende, vielleicht nie wiederkehrende Gelegenheit biete, den Kaiser zu versöhnen, hinzureißen, wenn sie ihrer Zusage getreu bleibe. Dies schlug durch. „Je jouerai.“ Bedenken, die auch jetzt noch von Viertelstunde zu Viertel- stunde auftauchten, waren nur wie Wetterleuchten nach dem Gewitter und wurden mit verhältnißmäßiger Leichtigkeit beseitigt. Unter diesen kleinen Bedenken war das erste, das laut wurde, die Costümfrage. Nichts war zur Hand, nichts zu beschaffen. Ihre eigne Gesellschaftsrobe half indessen über diese Verlegenheit am ehsten hinweg. Sie trug ein schwarzes Spitzenkleid. Dies wurde ohne Mühe zu einem spanischen Costüm hergerichtet. Ein Theil der kostbaren Alen ç ons zu einem aufrecht stehenden Kopfputze arrangirt, barg eine blutrothe Rose; ein schwarzer Schleier, ein irischer Kragen, vollendeten die Toilette. So traf man, nach kurzem Aufenthalte in der Stadt, auf der Pfauen- insel ein. Die Sonne war eben im Untergehn. Noch einmal ein flüchtiges Stutzen, als auf die Frage: „où jouerai je?“ stumm auf den Rasenfleck hingedeutet wurde, der von rechts her bis dicht an das Schloß herantritt; — es war indessen die Möglich- keit eines „nein,“ nachdem man bereits bis hierher gediehen war, so gut wie abgeschnitten, und zwar um so mehr, als eben jetzt der Hof, in seiner Mitte der Kaiser, erschien und Kreis schließend, links auf dem Kieswege, rechts auf dem Rasenplatze Aufstellung nahm. Nach rechts hin, unter den Ministern und Generälen stand auch die Rachel. Es war inzwischen dunkel geworden, so dunkel, daß ihr Bruder ein in einer Glasglocke steckendes Licht ergriff und an die Seite der Schwester trat; späterhin, inmitten der Deklama- tion, reichte auch das nicht aus und die berühmte Tragödin nahm dem Bruder das Windlicht aus der Hand, um sich selber die Beleuchtung zu geben. Ihr Mienenspiel war ihre Größe. Sie hatte eine Stelle aus der Athalie gewählt, jene, 5. Akt 5. Scene, wo sie dem hohen Priester das Kind abfordert: Ce que tu m’as promis, songe à l’executer: Cet enfant, ce trésor, qu’il faut qu’on me remette, Où sont-ils? Sie spielte groß, gewaltig; es war, als ob das Fehlen alles Apparats die Wirkung steigere. Der Genius, ungehindert durch Flitter und Dekorationen, wirkte ganz als er selbst. Dabei brachen die Schatten des Abends immer mehr herein; die Luft war lau, und aus der Ferne her klang das Plätschern der Fontainen. Alles war hingerissen. Zumeist der König. Kaum minder sein Gast, der Kaiser. Er trat an die Tragödin heran: J’espère de vous voir à Petersbourg. Mille remerciments; mais … Votre Majesté … Je vous invite, moi . Die kaiserliche Einladung war ausgesprochen, das Ziel erreicht, der große Preis des Abends gewonnen. Eine Viertelstunde später, in lampiongeschmückten Gondeln, kehrte der Hof, der auf eine kurze Stunde die Pfaueninselstille belebt hatte, wieder in die jenseit der breiten Havelfläche gelegenen Schlös- ser zurück, nach Glienicke, nach Sanssouci, nach dem Neuen Palais. An der Stelle aber, an der an jenem Abend die Rachel gesprochen und einen ihrer größten Triumphe gefeiert hatte, erhebt sich jetzt, auf schlankem Postament, eine Statuette der Künstlerin, einfach die Inschrift tragend: den 15. Juli 1852. 5. Frau Friedrich . Herr Friedrich saß auf Sanssouci, Den Krückstock, den vergaß er nie; Frau Friedrich findet’s à propos Und sagt: ich mach’ es ebenso. Demoiselle Rachel ist hinüber, Frau Friedrich lebt noch. Ihre goldene Hochzeit liegt hinter ihr, sie steht vor ihrer dia- mantnen. Funfzig Jahre Inselherrschaft haben ihren Namen an den Namen dieses stillen Eilands gekettet. Und welche Herrschaft! Das absoluteste car tel est notre plaisir, hier hatte es seine Stätte. Aber wer ist Frau Friedrich ? In Potsdam kennt sie jeder; jeder hat ihr gehuldigt, jeder wenn er auf der Insel landete, hat ihr einen allerfreundlichsten Guten Tag geboten und nach ihren Mienen gesehn, um zu wissen, ob gutes oder schlechtes Wetter sei. Das Schicksal ganzer Landpartien hing an dem Zwinkern dieser Augen; ein heitres Blinzeln bedeutete den besten Kaffee, eine einzige Krähenpfote strich einen Nach- mittag aus dem Leben harmloser Mitmenschen, und warf sie der Enttäuschung, unter Umständen dem Hunger in die Arme. Frau Friedrich war eine Macht. Sie ist es noch. Aber noch einmal, wer ist Frau Friedrich? Sie ist die Frau des gleichnamigen Maschinenmeisters . In einem früheren Abschnitt dieses Pfaueninselkapitels haben wir erzählt, daß um 1822 ein Wasserwerk angelegt wurde, das zunächst ein großes Reservoir speisend, mit Hülfe dieses die Aufgabe hatte, die sandigen Stellen der Insel zu bewässern und fruchtbar zu machen. Dieses Wasserwerk nun bedurfte einer Maschine und die Maschine wiederum eines Maschinenmeisters, wozu ein junger Straßburger Mechaniker, ein Düftelgenie, einer aus der großen Familie der perpetuum-mobile -Erfinder, aus- ersehen wurde. Er hieß Friedrich und bekleidete bis zu seiner Ernennung zum Pfaueninsel-Maschinenmeister, das Amt eines Maschinisten und Versenkungskünstlers am Königstädtschen Thea- ter. Wie er zu diesem Amt gekommen, was ihn überhaupt an Spree und Havel gekettet und seinem „o Straßburg“ ungetreu gemacht hatte, darüber sind nur noch Vermuthungen gestattet, die aber schwerlich weit vom Ziele treffen, wenn sie die Lösung des Räthsels in einer quicken, von Lenzen oder Havelberg nach Berlin verzogenen Priegnitzerin suchen, die schon damals die wenigstens partielle Eroberung des Elsaß anstrebte. Und, wie sich von selbst versteht, mit Erfolg . Die märkischen Mädchen setzen durch, was sie wollen, und halten fest, was sie haben. Zumal die Fremden erliegen ihrer Zauberkunst. Los ist noch keiner gekommen. Ein neues Kapitel für die Dämonologie. Wenn es nun je einen Elsasser gab, der einer Priegnitzerin von allem Anbeginn an rettungslos verfallen war, so war es unser Freund Friedrich; in kürzester Frist waren die bindenden Worte gesprochen, die Ringe getauscht, und nachdem er noch eine kurze Zeit lang am Königstädtschen Theater gedonnert und geblitzt hatte, intervenirte plötzlich die mehrerwähnte Dampf- maschine und hob eines Tages nicht nur 6000 Tonnen Wasser in das Reservoir hinein, sondern auch noch unsern Theater- maschinisten sammt Frau in das Maschinenmeisterhaus auf der Pfaueninsel. Da setzte sie beide nieder und da sitzen sie noch. Da sitzen sie in einem gelben Hause, am Hügelabhang unter Pfeifenkraut und Gaisblattlauben, da sitzen sie seit nahezu 50 Jahren, erst mit Kindern, dann mit Enkeln, zuletzt mit Urenkeln gesegnet, und wiewohl als echte Inselbewohner unbe- kümmert um die Vorgänge des Continents, haben sie doch die Potentaten des Festlandes, die großen und die kleinen, ihrer- seits empfangen und in langer Reihe an ihrem Hause und ihrer Gartenbank vorüberziehen sehn. Gute, glückliche Leute, loyal und frei. Frei. Da liegt’s. Auf dieser Freiheit, die zu erheblichem Theile sich auf dem wichtigen Paragraphen: „Wirths- und Kaffeehäuser sind unzulässig an dieser Stelle“ aufbaute, gründete Frau Friedrich ihre Pfaueninsel-Herrschaft. Alles, was hier landete, wenn es seinen Schloßgang hinter sich hatte, hatte das dem norddeutschen Menschen tief innewohnende Bedürfniß des Nachmittagskaffee, und da kein Platz da war, wo dies Bedürfniß regelrecht, nach den alten Traditionen von Angebot und Nachfrage befriedigt werden konnte, so blieb den Durstigen nichts übrig, als um Dinge zu bitten , die nun mal nach Lage der Sache nicht beordert und befohlen werden konnten. So wurde das Maschinenmeisterhaus ein Kaffeehaus von Frau Friedrichs Gnaden und aus dieser eigenthüm- lichen Machtstellung entwickelte sich schließlich jener Absolutismus, der wohl gelegentlich, wie alle unumschränkte Herrschergewalt, ein wenig bedrücklich empfunden worden ist. Um keinen Louis- Quatorze ist 50 Jahre lang so andauernd geworben worden, wie um diesen l’état c’est moi. Die weibliche Trägerin dieses Satzes verkaufte nicht, sie spendete nur. Ein kleinster Verstoß, ein zu sicheres Auftreten, eine zu früh gezeigte Börse, eine Cravatte, deren Farbe mißfiel, und — die Gnade konnte ent- zogen werden. Man trank hier seinen Kaffee immer mit Augen links, immer lächelnd, immer die Hand am Hut und vielleicht schmeckte er nur deshalb so vorzüglich, weil er wirklich theuer erkauft und errungen war. Dies alles traf nun aber blos den Namenlosen, den Unbekannten, der führerlos an diese Küste verschlagen, des Vor- zugs entbehren mußte, der Frau Friedrich vorgestellt, oder irgendwie empfohlen zu sein. Ueber alle diese (Hazardeurs, wissentlich oder nicht) brach es gelegentlich herein. Die Kugel rollte; roth oder schwarz; wer wollte sagen, wohin sie fiel. Aber die Billigkeit erzwingt doch gleicherzeit das Anerkenntniß, daß das Gesetz des Introducirtseins nicht mit Strenge gehand- habt wurde und daß im Großen und Ganzen jeder ein Empfohlener war, der sich — nach den Traditionen des alten Preußens — durch Epaulette oder Orden beglaubigen konnte. Waren es nun gar Personen, die dem Königshause „verwandt oder zugethan“ waren, so brach die Loyalität in hellen Flam- men siegreich durch. Die Liebenswürdigkeit der Frau Friedrich wetteiferte an solchem Tage mit ihrer Kochkunst, und ihr mär- kisch-schlagfertiger Witz that das Weitere, um das Maschinen- meisterhaus bei den hohen Besuchern in gutem Andenken zu erhalten. Traditionell pflanzte sich alsbald die Sitte fort, die- sem Andenken einen ganz bestimmten Ausdruck zu leihn: ein Milch- oder Sahnentopf wurde „zur Erinnerung an eine froh verlebte Kaffeestunde“ bei Frau Friedrich abgegeben. Daraus entstand denn im Laufe eines Menschenalters ein Por- zellan-Cabinet, wie es die Welt wohl nicht zum zweiten Male gesehen hat, eine Topf-Collection, neben der die berühmtesten Pfeifensammlungen verschwinden. Das Aufstellungs-Lokal war und ist natürlich die Küche (ein Schmuckkästchen an Sauberkeit) und an allen Boden und Realen hin, in Schränken und Ständern, als Garnirung von Wand und Rauchfang, hängen an Nägeln und Häkchen an 200 Töpfe und Töpfchen. Alle ein Souvenir . Jede Form und Farbe, jedes denkbare Material, jede Art der Verzierung ist vertreten. Endlos wech- seln weiß und blau, und grün und gold; Glas, Biscuit, Chausseestaub gesellen sich dem Gros des eigentlichen Porzellans, das wiederum seinerseits zwischen China und Frankreich, zwi- schen Meißen und S è vres hin- und herschwankt. Hautrelief und Basrelief, bemalt und gekratzt, so präsentiren sich die Ornamente. Zahlreich sind die Portaits , noch zahlreicher die Schlösser vertreten, und zwischen Prinzen und Prinzes- sinnen, zwischen Marmor- und Neuem Palais, erscheinen Vater Wrangel und Minister v. d. Heydt; der letztere sogar in Begleitung eines Pfauenpaares. Schon in den 50er Jah- ren war die Zahl der Bildnisse so groß, daß König Friedrich Wilhelm IV. , als er in neckischem Geplauder um einen Por- traitkopf gebeten wurde, repliciren konnte: „Sie haben hier meine Minister und Generale aufgehängt; nun soll mir dasselbe passiren. Ich werde mich hüten.“ Aber die Ablehnung selbst involvirte bereits eine anderweite Zusage und zwei Tage später hatten zwei Souvenirs von Sanssouci die Sammlung vermehrt. Diese Küche, wie wir nur wiederholen können, ist einzig in ihrer Art; es verlohnt (wenn es sich überhaupt ermög- licht ) in dieser eigenthümlichsten aller barocken Por- trait-Gallerien zu verweilen. Aber so unterhaltlich ein Aufenthalt an dieser Stelle ist, zumal wenn Frau Friedrich sich herabläßt, aus der Fülle ihres Erinnerungs- und Anekdotenschatzes auszustreuen und die ganze Stätte zu beleben, der eigentlichste Zauber dieses glücklichen Fleckchens Erde liegt doch draußen , auf dem schmalen Garten- streifen zwischen Haus und Fluß. Ulmen und Linden stellen sich zu natürlichen Lauben zusammen und zwischen Apfelbäumen und Blumenbeeten hin führt ein schmaler Gang zu einer wein- umlaubten Wassertreppe. Hier sitzt man, während der Wind über die Levkojenbeete fährt, und genießt die Stunde des Son- nenunterganges, dessen reflektirtes Licht eben jetzt die Spitzen der gegenübergelegenen Kiefern röthet. Das Haveltreiben zieht beinah geräuschlos an uns vorüber; Dampfschiffe, unter glück- verheißendem Namen (mindestens eine Fortuna, oft eine Vic- toria) schießen auf und ab; Segelschiffe schwer und langsam dazwischen; nun Gondeln mit Musik, und drüben schweigend der Wald, aus dem die Hirsche treten. Der Abend kommt, die Nebel steigen, die Kühle mahnt zur Rückfahrt; unser Boot schiebt sich zwischen das Rohr und wieder hinaus. Hinter uns, die verschleierte Mondsichel über den Bäumen, versinkt das Eiland. Mehr eine Feen- als eine Pfauen-Insel jetzt! Groß-Glinicke. In dunkler Gruft Das Gebein; In Licht und Luft Der aufgerichtete Marmelstein. Was ungemessen Vielleicht gestrebt, Es ist vergessen, — Nur das Bild noch lebt. D ie Havelufer, links und rechts des Flusses, weisen strich- weise einen guten Lehmboden (im Wendischen: Glin , der Lehm) auf, weshalb wir in allen hier in Betracht kommenden Landes- theilen, also in Havelland, Zauche, Teltow, vielfach den Orts- bezeichnungen: Glin, Glindow, Glinicke begegnen. In un- mittelbarer Nähe von Potsdam, zu Füßen von Babelsberg, liegt Klein-Glinicke mit seinen Schlössern und seiner Brücke; weiter nördlich, halben Wegs zwischen Potsdam und Spandau, treffen wir Groß-Glinicke , Rittergut; Filiale von Cladow; 279 Einwohner. Darunter, wie die Nachschlagebücher gewissenhaft bemerken, zwei Katholiken. Diese werden es schwer haben, sich paritätisch zu behaupten. Groß-Glinicke wird 1300 zuerst genannt; um die Mitte des 15. Jahrhunderts finden wir die Bamme’s hier, eine alte, westhavelländische Familie. In Groß-Glinicke saßen sie nicht allzulange. Schon 1572 erscheinen die Ribbecks, zuerst Oberhofmeister Jürgen v. Ribbeck ; dann folgen zweihun- dert Jahre später die Winnings . Seit 1846 (nach ande- rer Angabe 1836) gehört das Gut der Familie Berger. Es soll hier manches erlebt worden sein, namentlich unter den Winnings; die Kirche aber erzählt nur von den Rib- becks . Beim Eintreten in dieselbe überrascht die verhältnißmäßig große Zahl von Bildwerken, namentlich in Stein. An der Wand uns gegenüber bemerken wir, dicht neben- einander, die Epitaphien zweier Hans Georg v. Ribbeck, Vater und Sohn. Der Vater, noch der Schwedenzeit angehörig, der Sohn aus der höfischen, französirten Zeit Friedrichs I. Eben diesen Unterschied zeigen auch die hautrelief-artigen Steinbilder. Der ältere Hans Georg, in Brustharnisch und Beinschienen, wie ein Derfflingerscher Reiterführer; der jüngere in einem Roquelaur mit mächtigen Aufschlägen und Seitentaschen, auf dem Haupt eine Kappe von Scharlach-Sammt, fast in Form einer Bischofsmütze. Das Ganze in einem bestimmten, künstlich gegebenen Farbenton; die Kappe roth gemalt. Dieser jüngere Hans Georg war ein brandenburgischer Domherr, vielleicht auch — wenn ich das Bild richtig interpretire — ein Mann der Wissenschaft. Er tritt, einen Vorhang zurückschlagend, aus diesem hervor und legt seine Rechte auf einen Schädel. Das Ganze eine vortreffliche Arbeit, und in Auffassung wie technischer Durchführung an das berühmte Sparr-Denkmal in unsrer Ber- liner Marien-Kirche erinnernd. Beide Hans Georg v. Ribbeck finden wir auch in der Gruft der Kirche wieder. Wie sie im Schiff, in bildlicher Dar- stellung, nebeneinander stehen, so liegen sie hier nebeneinander. Wohlerhalten, denn die Groß-Glinicker Gruft gehört zu den vielen in der Mark, in denen die beigesetzten Leichen zu Mumien werden. Wir steigen hinab. Der Sargdeckel des zuvorderst stehenden Hans Georg (des Domherrn) ließ sich ohne Mühe aufheben. Da lag er, in Roquelaur und rother Sammtkappe, in allem Aeußerlichen von beinahe gespenstischer Aehnlichkeit mit dem Hautreliefbilde, das ich eben im Schiff der Kirche gesehen hatte. Ganz ersichtlich hat man bei einer erst kürzlich statt- gehabten Uebermalung die Gruft zu Rathe gezogen und das Fontane , Wanderungen. III. 11 Mumienbild , wenn dieser Ausdruck gestattet ist, bei Restau- rirung des Steinbildes benutzt. Kirche und Gruft enthalten übrigens der Epitaphien und Särge mehr, beispielsweise einer Frau v. Ribbeck , geb. Brand v. Lindau, einer Frau v. Lattorff , geb. v. Grävenitz, die alle dem vorigen Jahrhundert angehören, aber weder künstlerisch noch historisch eine besondere Aufmerksamkeit verdienen. Ein Interesse erweckt nur noch das Altarbild, richtiger die Pedrelle desselben, die, wie so oft, ein Abendmahl darstellt. Christus in der Mitte, Johannes neben ihm; neben diesem aber, statt des Petrus, der große Kurfürst . Er trägt Allongen- perrücke, dunkles, enganschließendes Sammtkleid, Spitzenman- schetten und Feldbinde. Die wunderlichste Art von Huldigung, die mir der Art vorgekommen ist. Was wollen die anbetenden Donatoren auf den Madonnenbildern des Mittelalters daneben sagen! Sie knieen doch immer zu Füßen der Madonna, oder verdrängen wenigstens Niemand; hier wird Petrus, wie eine Schildwacht, einfach abgelöst, und der große Kurfürst zieht statt Seiner auf. Der Schwilow. Mit der Wasser Steigen steigt auch das Gefühl ihm seiner Kraft, Und der Damm, er ist zertrümmert, und durch- brochen ist die Haft. „Der Wenersee.“ Sieh den Schwan, Umringt von seiner frohen Brut, Sich in den rothen Wiederschein Des Himmels tauchen! Sieh, er schifft, Zieht rothe Furchen in die Fluth, Und spannt des Fittigs Segel auf. (Irin.) Ewald v. Kleist. D er Schwilow ist eine Havelbucht im großen Stil wie der Tegler See, der Wann-See, der Plauesche See. Alle- sammt sind es Flußhaffe, denen man zu Ehre oder Unehre den Namen „See“ gegeben hat. In etwaige Rangstreitigkeiten treten wir nicht ein; sie mögen unentschieden bleiben wie andere mehr. Unter allen Havelbuchten, welchen Namen sie immer führen mögen, ist der Schwilow die größte und sehr wahrscheinlich auch die neueste. Vielleicht zählt dies weite Wasserbecken noch keine tausend Jahre, keinenfalls geht es weit in die Vorgeschichte zurück. Mannichfachen Anzeichen nach ging in den ersten Jahr- hunderten unserer Zeitrechnung die südliche Ausbuchtung der Havel nur etwa eine Meile über Potsdam hinaus und ein Erd- wall, über dessen Ausdehnung und Beschaffenheit es nutzlos wäre zu conjecturiren, schob sich etwa in die Höhe des Dorfes Caput trennend zwischen die höher gelegene Havel im Norden und ein tiefer gelegenes Moorland im Süden. Da, in einer Sturm- nacht, stauete ein Südwest die ihm entgegenfließenden Havel- 11* wasser bis an die Potsdamer Enge zurück und plötzlich um- schlagend in einen eisigen Nord-Nord-Ost stieß er die auf- gethürmte Wassermasse mit solcher Gewalt gegen den Erdwall, daß dieser zerbrach und die bis dahin abgedämmten Havel- wasser wie aus einem Schleusenwerk sich in das tiefer gelegene Moorbecken ergossen. In jener Nacht wurde der Schwilow geboren. Im Einklange hiermit ist es, daß die weite Wasserfläche, die jetzt diesen Namen führt, mehr durch ihre Masse als durch ihre Tiefe imponirt; der Schwilow hat ganze Striche, wo man Grund fühlen, noch andere, wo man ihn durchwaten kann. Unter allen unsren Seen kommt er dem Müggelsee am nächsten. An Fläche und Ausdehnung diesem Könige der märkischen Ge- wässer nah verwandt, weicht er im Charakter doch völlig von ihm ab. Die Müggel ist tief, finster, tückisch, — die alten Wendengötter brauen unten in der Tiefe; der Schwilow ist breit, behaglich, sonnig und hat die Gutmüthigkeit aller breit angelegten Naturen. Er hält es mit leben und leben lassen; er haßt weder die Menschen noch das Gebild aus Menschenhand; er ist das Kind einer andern Zeit und der Christengott pochte vielleicht schon an die Thore, als er in’s Dasein trat. Der Schwilow ist gutmüthig, so sagten wir; aber wie alle gutmüthigen Naturen kann er heftig werden, plötzlich, beinahe unmotivirt, und dann ist er unberechenbar. Eben noch lachend, beginnt ein Kräuseln und Drehen, nun ein Wirbel, ein Auf- stäuben, ein Gewölk — es ist, als führe eine Hand aus dem Trichter, und was über ihm ist, muß hinab in die Tiefe. In solchen Augenblicken giebt er der Müggel nichts nach. Es giebt ganze Linien, wo die gescheiterten Schiffe liegen. Ihn zu befahren in seiner ganzen Breite, war seit lange mein Wunsch. Heute bot sich die Gelegenheit. Der Wind war gut, ein regelrechter Südost. An der Fährstelle zu Caput lag das Boot; grün und weiß die Planken und Ruder; das Segel war noch an den Mast gebunden. Wir stiegen ein zu Dritt, mit uns die Söhne des Fährmannes, drei junge Caputer Mid- shipmen zwischen 10 und 14, die auf dem Schwilow für den vaterländischen Dienst sich vorbereiten, wie einst der Peipus die hohe Schule war für die werdende russische Flotte. Sie hatten bereits die Ruhe des Seemanns; dazu blaue Mützen mit Gold- streif und den Anker daran. Der Aelteste nahm den Platz am Steuer; nun los die Bänder, der Wind fuhr in das flatternde Segel und wie ein Pfeil glitten wir über die breite Fläche hin. Der Fährmann, eine prächtige Gestalt, stand am Ufer und wünschte gute Fahrt. Wir gaben Antwort mit Hohiho und Mützenschwenken. Eine Weile ging das Geplauder, aber bald wurden wir still. Wir waren jetzt in der Mitte des Sees, die Sonne stand hinter einem Gewölk, so daß alles Glitzern und Blenden auf- hörte, und nach links hin lag jetzt in Meilentiefe der See. Ein Waldkranz, hier und da von einzelnen Pappeln und Ziegelessen überragt, faßte die weiten Ufer ein; vor uns, unter Parkbäumen, Petzow und Baumgartenbrück, nach links hin, an der Südspitze des Sees, das einsame Ferch. Dieser einsame Punkt war mit unter den Lieblingsplätzen Friedrich Wilhelms IV. , der in Sommertagen, wenn er Abends zu Schiff in die Havel-Seen hinausfuhr, gern hier anlegte und seine Theestunde in engstem Kreise verplauderte. Noch zeigt eine umfriedete Stelle den Platz am Abhang, wo er zu sitzen und das schöne Bild zu überblicken liebte. Jetzt lag die Breite des Sees hinter uns; noch durch einen Schilfgürtel hindurch und wir glitten das schlammige Ufer hinauf; nur der Stern des Kahns lag noch im Wasser. Hügel ansteigend suchten wir eine schattige Stelle unter dem Dach zweier halbzusammengewachsener Akazienbäume und sahen nun hinaus auf die blanke Fläche, auf das Spiel wechselnder Farben und auf das stille Leben, das darüber hinglitt. Blaue Streifen zogen sich durchs Grau, dann umgekehrt, und quer durch diese Linien, über die das Licht hinglitzerte, kamen und gingen die Schiffe. Die Segel standen blendend weiß in der Sonne. Stunde und Stimmung waren günstig zum Plaudern. Unser Schwilow-Führer nahm das Wort und an den Rand des Schattens tretend, der unsern Platz umzirkelte, hob er jetzt geschäftig an: „Dort, wo Sie den grauen Streifen sehen, fast in der Mitte, aber mehr nach Caput zu, dort liegen die Schiffe, die der Schwilow hinabgerissen; was er hat, das hält er fest; er giebt sie schwer wieder heraus. Und doch soll er’s, und doch wird er darum angegangen. Die Versicherungs-Gesell- schaften setzen ihm scharf zu und fragen nicht lange, ob er will oder nicht. Es ist noch nicht lange, da haben sie’s wieder ver- sucht. In Caput giebt das immer einen Freudentag; ob’s glückt oder nicht, es bringt uns Geld ins Dorf. Wie werden denn diese Hebungs-Versuche gemacht? Das ist einfach genug. Eines Tages erscheinen 20 Mann oder mehr, und mit ihnen kommen zwei große, starke Havel- kähne, mit hohen Wänden, zugleich mit allerhand Maschinen und Hebevorrichtungen an Bord. Nun legen sich die beiden Havelkähne zu Seiten des untergegangenen Schiffes, von einem Kahn zum anderen werden drei starke Bohlenbrücken gelegt und auf diese Brücken drei Drehbassen gestellt. Ein Assecuranz- Taucher, der immer mit zur Stelle ist und zu den Haupt- functionären zählt, tritt nun seine Niederfahrt an, und unter dem Rumpf des gesunkenen Schiffes hinweg — an den Stellen, die oben den drei Brückenlagen entsprechen — zieht er jetzt drei eiserne Ketten, die nunmehr jede einzeln zusammengeknotet und an dem Krahnhaken befestigt werden. Nun beginnen die Dreh- bassen ihr Werk. Geht Alles gut und denkt der Schwilow bei sich: „nun meinetwegen,“ so bringen sie das Schiff heraus und halten es zwischen den beiden gesunden Kähnen fest, bis die Ladung geborgen ist; ist aber der Schwilow schlechter Laune und weiß er’s dahin einzurichten, daß der eine Krahn schärfer anzieht als der andere, so ist Alles verloren: das Schiff zer- bricht, die Ladung geht in die Tiefe und die Trümmer treiben umher. Wie es mit dem Strandrecht am Schwilow steht, kann ich nicht sagen.“ So ging die Rede. Noch manches Wort fiel, vom Ziegel- betrieb, von Maulbeerbäumen und Seidenzucht, vom Kornhandel nach Sachsen, vom Weinbau, der einst an diesen Hügelhängen blühte, zuletzt von der Jagd und den Wilderern am Schwi- low hin. „Sie treiben’s arg,“ hob unser Erzähler wieder an. „In den kleinen Ortschaften, da, südlich über Ferch hinaus, da sitzen sie; jeder kennt sie, aber keiner kann es beweisen. In Kittel oder Joppe geht es zum Thor hinaus, tausend Schritt weiter hin, unter einem dichten Wachholderbusch, hat er seine Büchse vergraben; nun holt er sie aus Moos und Erde hervor und — der Wilderer ist fertig. Ja, Ihr Herren Berliner, — und dabei hob er scherzhaft den Finger gegen mich — um Euren Festbraten säh’ es schlecht aus, wenn die Wilderer nicht wären und ihren Hals dran setzten. Wenn der Rehrücken erst auf der Tafel steht, schmeckt’s keiner mehr, wessen Blei ihn getroffen. Manch Einem mundet’s auch wohl um so besser, je mehr er weiß, es ist so was wie verbotene Frucht. Aber sie zu pflücken , ist mühevoll; das muß wahr sein. Der Förster da unten ist ihnen zu hart auf der Spur, der versteht keinen Spaß, „du oder ich;“ zwei haben’s schon bezahlen müssen und beide Male haben ihn die Gerichte freigesprochen. Es ist ein eigen Ding um Menschenblut. Ich hätt’s nicht gern an meinen Händen. Aber am Ende, wenn’s hieße: meins oder deins, ich dächt’ auch lieber: deins.“ Unser Auge hatte sich unwillkürlich nach Ferch hinüber- gerichtet; ein Schuß, der in den weiten Waldungen widerhallte, durchzitterte uns leise. Die Sonne neigte sich; in einer Viertel- stunde mußte sie unter sein. Wir eilten zu unserm Boot und nahmen, uns rückwärts setzend, unseren Blick gegen Westen, um vom Wasser aus dem Schauspiel folgen zu können. Noch eh wir die Mitte des Sees erreicht, hing der rothe Ball über dem Sparren- und Schattengerüst der Zugbrücke von Baumgartenbrück, während das glühende Spiegelbild der Sonne nur drei Handbreit tiefer stand. Die eine Sonne dicht über dem Horizont, die andere dicht über dem Wasser, und nur der schwarze Streifen des Brückengebälks zwischen beiden! Nun unter. Die Nebel fingen an leise zu brauen. Ein Schleier über Wasser und Wald; Ferch dämmerte immer unbe- stimmter herauf; nur am Caputer Ufer war es noch hell. Welch Bild jetzt! Da wo das „Gemünde,“ das tiefgehende eigentliche Fahrwasser, das aus der Havel in den Schwilow führt, sich als ein blauer Streifen markirt, zogen in langen Rudeln die Havel-Schwäne; zu beiden Seiten des „Gemün- des“ aber, an den einfassenden seichten Stellen Spalier bildend, blühten in dichten Guirlanden die weißen Teichrosen aus dem Wasser auf. In einiger Entfernung war es nicht zu unter- scheiden, wo das Blühen aufhörte und das Ziehen und Schwim- men begann. Und durch all das Weiß hin, das eben jetzt einen leisen Schimmer der scheidenden Abendröthe trug, schob sich unser Kahn an die Caputer Fähre heran und der Fähr- mann, am Ufer unser harrend, hieß uns willkommen und beglückwünschte uns als „wieder zurück vom Schwilow .“ Caput . Wer hat nicht von Caput (so heißt das Dorf) gehöret, Das, in verwichner Zeit, die größte Zier besaß, Als Dorothea sich, die Brandenburg noch ehret, Das Schloß am Havelstrom zum Wittwensitz erlas. Bellamintes : „das itzt-blühende Potsdam.“ Man hat bei diesem Schiff das Schiff sich vorzustellen, Mit dem Cleopatra, in göttlicher Figur So einer Venus glich, auf Cydnus blauen Wellen Zu dem Antonius, als ihrem Bachus, fuhr. Ebendaselbst. D ie Sonne war eine halbe Stunde unter, als wir wieder diesseit des Schwilow standen; es war keine Zeit mehr für Caput; die schmale Mondessichel reichte nicht aus; — die Stunde war verpaßt. So sahen wir uns denn vor die Alternative gestellt, ob wir, mit der Chance den letzten Zug zu versäumen, unseren Rückweg antreten oder coute qu’il coute in Caput übernachten wollten. Ich that die entsprechende Frage, meine Bedenken hinsichtlich des Nachtlagers nicht verschweigend. Unser Führer (der Leser wird sich freundlichst seiner ent- sinnen) sah mich leise vorwurfsvoll an und erwiderte dann ruhig: Sie kennen Boßdorf nicht. Nein. Nun, es ist Liebhaberei, daß er hier festsitzt. Er hat das beste Bier und die besten Betten. Von allem Andern rede ich gar nicht. Boßdorf ist ein Name in diesen Gegenden. Gut denn. Also Boßdorf! Diese Unterredung war zwischen Fährstelle und Dorf ge- führt worden; als wir eben schlüssig geworden, hielten wir vor dem Gegenstand unseres Gesprächs. Er reichte vielleicht nicht voll an die Höhe heran, die ihm der Local-Patriotimus unseres Freundes anzuweisen trachtete, aber er hatte doch, wie ich auf der Stelle wahrnehmen konnte, die unerläßlichste aller Wirths- eigenschaften: er war freundlich. Sein Bier und seine Rede lullten mich ein und ich schlief bis an den hellen Tag. Nur einmal wacht’ ich auf; ich glaubte in einem Trichter zu liegen (was auch zutraf) und hatte geträumt, der Schwilow habe mich in seine Tiefe gezogen. Unter einem Lindenbaum in Front des Hauses wurde der Kaffee genommen; die Spatzen musicirten über mir; endlich, als sie ihren Mann durchschaut, hüpften sie vom Gezweige nie- der auf den Tisch und nahmen, nach dem Maß meiner Gutthat, an meinem Frühstück Theil. Ich konnt’ es ohne Opfer thun; es waren Semmeln in großem Format. Jenseit des Staketen- zaunes ging das Leben des Dorfes stillgeschäftig seinen Gang: junges Volk, die Sense auf der Schulter, eilte zur Maht hin- aus; Kinder mit Erdbeeren kamen aus dem Walde; Schiffers- leute, in weiten Theerjacken, schritten auf den See zu. Ein anmuthiges Bild. Ich verstand jetzt Boßdorf vollkommen und warum er hier festsitzt. Ein Wagen fuhr vor, ein vollgestopfter Kremser. Vor- mittagsgäste; unverkennbar eine animirte Gesellschaft. Aeltliche Herren, junge Damen; aber nicht zu jung. Boßdorf sprang an den Wagen. Als er wieder an mir vorbei wollte, suchte ich ihn zu fassen und fragte leise: „Pots- damer?“ Er aber — mit einer Handbewegung, in der sich eine Welt widerstreitender Empfindungen: Diensteifer und Ge- schmeicheltsein, Verlegenheit und ironische Schelmerei aussprach — antwortete im Vorüberfliegen: Berliner . Berliner. Es gereichte meiner Menschenkenntniß wenig zur Ehre, diese Thatsache auch nur einen Augenblick verkannt zu haben. Es war Vollblut. Dabei unverkennbar auf einer so- genannten „ ernsten Partie“ begriffen. Dieser Ausdruck mag einzelne meiner Leser überraschen; aber es hat seine Richtigkeit damit. Es giebt zwei Arten von Landpartieen. Da sind zunächst die heiteren . Sie sind weit- hin kenntlich durch ihren starken Procentsatz an Kindern; nie weniger als die Hälfte. In dem Moment der Landung, wo immer es sei, scheint die Welt aus lauter weißgekleideten kleinen Mädchen mit Rosa-Schleifen zu bestehen. Die Väter bestellen den Kaffee; das Auge der Mütter gleitet befriedigt über die glücklichen Gänseblümchen hin, von denen immer drei auf den Namen Anna und sechs auf den Namen Martha hören. Nun geht es in die Wiese, den Wald. Die Parole ist ausgegeben: Erdbeeren suchen. Alles ist Friede; die ganze Welt ein Idyll. Aber schon beginnen die dunklen Wetter zu brauen. Mit dem Eintritt in den Wald sind die weißen Kleider ihrem Verhäng- niß verfallen. Martha I. ist an einem Wachholderstrauch hängen geblieben, Martha II. hat sich in die Blaubeeren gesetzt — wie Schneehühner gingen sie hinein, wie Perlhühner kommen sie wieder heraus. Der Sturm bricht los. Wer je Berliner Mütter in solchen Augenblicken gesehen, wird die kriegerische Haltung der gesammten Nation begreiflich finden. Die Väter suchen zu interveniren. Unglückliche! Jetzt ergießt sich der Strom in sein natürliches Bett. Und doch find dies die heitren Landpartieen, denen wir die ernsten entgegen stellen. An diesen letzteren nehmen Kinder nie Theil. Es giebt auch rothe Schleifen, aber das Rosa ist Ponceau geworden. Man spricht in Pikanterieen, in einer Art Geheimsprache, für die nur der Kreis der Eingeweihten den Schlüssel hat. Bowle und Jeu lösen sich unter einander ab; unglaubliche Toaste werden ausgebracht und längst begrabene Gottheiten steigen triumphirend wieder auf. Sonderbar. Auf den heitren Landpartieen wird immer geweint, auf den ernsten Landpartieen wird immer nur gelacht. Vor mir, am Staket, hielt eine ernste Landpartie. Zwei Herren, Fünfziger, mit großen melirten Backenbärten, Lebemän- ner aus der Schicht der allerneusten Torf- und Ziegel-Aristo- kratie, sprangen mit berechneter Leichtfüßigkeit vom Wagen und gaben dadurch Gelegenheit, das im Wagen verbliebene Residuum der Gesellschaft besser überfliegen zu können. Das Meiste war Staffage, bloße Najaden und Tritonen, die als Beiwerk, auch wohl als Folie nothwendig da sein müssen, wenn Venus aus den Wellen steigt. Wem die Rolle der letztern oblag, darüber konnte kein Zweifel sein. Sie war 30, überthronte das Ganze, trug das Haar kurz geschnitten à la Rosa Bonheur und hielt eine große italienische Laute auf ihren Knieen. Uebrigens war sie wirklich hübsch; alles im Brunhilden-Styl; dieselbe weiße Hand, die jetzt auf der Laute ruhte, hätte auch jeden beliebigen Stein 50 Ellen weit geschleudert. In diesem Moment, ehe ich noch den Kremser völlig durch- mustert hatte, erschien Boßdorf mit einem großen Tablet. Es war ein Morgenimbiß, der für den Rest des Tages einige Per- spectiven eröffnete: vier Culmbacher, vier Werdersche, mehrere Cognacs und eine Pyramide von Butterbroten. Alle Macht ist ein Magnet; — Boßdorf präsentirte der Lautenschlägerin zuerst . Diese, ohne Weiteres, machte eine halbe Schwenkung, glitt, nicht ohne einen Anflug von Entsagung, über die kleinen Gläser hin, nahm eine Culmbacher, prüfte das Verhältniß von Schaum und Saft, und trank aus. Ohne abzusetzen. Als ihr Boßdorf die Butterbrot-Seite des Tablets zudrehte, nickte sie abwehrend. In kürzester Frist war übrigens das Tablet leer (nicht Alle waren wählerisch); die Entrepreneurs eilten zu ihren Plätzen; die Pferde zogen an. Ein Lindenzweig streifte noch huldigend die Stirn der Primadonna; im nächsten Augenblick verschwand der Kremser in einer Querstraße des Dorfes. Ich horchte ihnen nach. Es war mir, als trüge der Wind herüber: „Im Wald, im schönen, grünen Wald“ und dazwischen verlorene Lauten- klänge. Ich war nun wieder allein und wollte bereits — was immer einen äußersten Grad von Verlegenheit ausdrückt — zu den „Territorien der Mark Brandenburg,“ einer Art märkischem Baedeker, meine Zuflucht nehmen, als das Erscheinen unseres freundlichen Führers vom Tage vorher meiner Verlegenheit ein Ende machte und mich aus der todten Aufzeichnung in das frisch pulsirende Leben stellte. Wir schlenderten am See hin, das Dorf entlang, an Schloß und Park vorbei; es war eine an- muthige Vormittagsstunde, anregend, lebendig, lehrreich. Caput ist eines der größten Dörfer der Mark, eines der längsten gewiß; es mißt wohl eine halbe Meile. Daß es wendisch war, besagt sein Name. Was dieser bedeutet, darüber existiren zu viele Hypothesen, als daß die eine oder andere viel für sich haben könnte. So zweifelhaft indeß die Bedeutung seines Namens, so unzweifelhaft war in alten Zeiten die Armuth seiner Bewohner. Caput besaß keinen Acker, und die große Wasserfläche, Havel sammt Schwilow, die ihm vor der Thür lag, wurde von den Potsdamer Kiezfischern, deren alte Gerecht- same sich über die ganze Mittel-Havel bis Brandenburg hin erstreckten, eifersüchtig gehütet und ausgenutzt. So stand es schlimm um die Caputer; Ackerbau und Fischerei waren ihnen gleichmäßig verschlossen. Aber die Noth macht erfinderisch, und so wußten sich denn schließlich auch die Bewohner dieses schmalen Uferstreifens zu helfen. Ein doppeltes Auskunftsmittel wurde gefunden; Mann und Frau theilten sich, um von zwei Seiten her anfassen zu können. Die Männer wurden Schiffer , die Frauen verlegten sich auf Gartenbau . Die Nachbarschaft Potsdams, vor Allem das rapide Wachs- thum Berlins, waren dieser Umwandlung, die aus dem Caputer Tagelöhner einen Schiffer oder Schiffsbauer machte, günstig, rief sie vielleicht hervor. Ueberall an Havel und Schwilow hin ent- standen Ziegeleien, und die Millionen Steine, die Jahr aus, Jahr ein am Ufer dieser Seen und Buchten gebrannt wurden, erforderten alsbald Hunderte von Kähnen, um sie auf den Ber- liner Markt zu schaffen. Dazu boten die Caputer die Hand. Es entstand eine völlige Kahnflotte, und mehr als 60 Schiffe, alle auf den Wersten des Dorfes gebaut, befahren in diesem Augenblicke den Schwilow, die Havel, die Spree. Das gewöhn- liche Ziel, wie schon angedeutet, ist die Hauptstadt. Aber ein Bruchtheil geht auch havelabwärts in die Elbe und unterhält einen Verkehr mit Hamburg. Caput — das Chicago des Schwilow-See’s — ist aber nicht bloß die große Handels-Empore dieser Gegenden, nicht bloß End- und Ausgangspunkt der Zauche-Havelländischen Ziegel-Districte, nein, es ist auch Stationsp unkt, an dem der ganze Havelverkehr vorüber muß. Der Umweg durch den Schwilow ist unvermeidlich; es giebt vorläufig nur diese eine fahrbare Straße. Eine Abkürzung des Weges (durch einen Nordcanal) ist geplant, aber noch nicht ausgeführt. So wird denn das aus eigenen Mitteln eine Kahnflotte hinaus- sendende Caput, das, wenn es sein müßte, sich selbst genügen würde, zugleich zu einem allgemeinen See- und Handelsplatz, zu einem Hafen für die Schiffe anderer Gegenden, und die Flottillen von Rathenow, Plaue, Brandenburg, wenn eine Hava- rie sie trifft oder ein Orkan im Anzuge ist, laufen hier an und werfen Anker. Am lebendigsten aber ist es auf der Caputer Rhede, wenn irgend ein großer Festtag einfällt und alte gute Sitte die Weiterfahrt verbietet. Das ist zumal um Pfingsten. Dann drängt Alles hier zusammen; zu beiden Seiten des „Ge- mündes“ liegen 100 Schiffe oder mehr, die Wimpel flattern, und hoch oben vom Mast, ein entzückender Anblick, grüßen hundert Maienbüsche weit in die Ferne. Das ist die große Seite des Caputer Lebens; daneben giebt es eine kleine. Die Männer haben den Seefahrer-Leicht- sinn; das in Monaten Erworbene geht in Stunden wieder hin, und den Frauen fällt nun die Aufgabe zu, durch Bienenfleiß und Verdienst im Kleinen die Rechnung wieder ins Gleiche zu bringen. Wie wir schon sagten, es sind Gärtnerinnen; die Pflege, die der Boden findet, ist die sorglichste, und einzelne Culturen werden hier mit einer Meisterschaft getrieben, daß die „Caput- schen“ im Stande sind, ihren Nachbarn, den „Werderschen,“ Concurrenz zu machen. Unter diesen Culturen steht die Erd- beerzucht obenan. Auch ihr kommt die Nähe der beiden Haupt- städte zu Statten, und es giebt kleine Leute hier, mit einem halben Morgen Gartenland, die in 3 bis 4 Wochen 120 Thaler für Ananas-Erdbeeren einnehmen. Dennoch bleiben es kleine Leute, und man kann auch in Caput wieder die Wahrnehmung machen, daß die feineren Culturen es nicht zwingen, und daß 50 Morgen Weizacker nach wie vor das Einfachste und das Beste bleiben. — Unter Gesprächen, deren Inhalt ich in Vorstehendem zu- sammenzufassen suchte, hatten wir das Dorf nach Norden hin passirt, und hielten jetzt an einer Havelstelle, von wo aus wir über einen parkartigen, grüngemusterten Garten hinweg auf das Herrenhaus sehen konnten, einen Hochparterrebau, mit Souter- rain und zweiarmiger Freitreppe. Dies Herrenhaus führt den Namen „Schloß,“ und trotz bescheidener Dimensionen immer noch mit einem gewissen Recht, wenigstens seiner inneren Einrichtung nach. Man geht in der Mark etwas verschwenderisch mit diesem Namen um und hilft sich nöthigenfalls (wie beispielsweise in Tegel) durch das Dimi- nutivum: Schlößchen. Schloß Caput war in alten Zeiten Rochowisch. Im dreißig- jährigen Kriege zerfiel es oder wurde zerstört, und erst von 1662 an erstand hier ein neues Leben. In diesem Jahre ging Caput, Dorf wie Schloß, in den Besitz des großen Kurfürsten über und verblieb, ein kurzes Vorspiel abgerechnet, auf das wir des Weiteren zurückkommen (wir meinen die Zeit de Chiezes), 150 Jahre lang bei der Krone. Eine lange Zeit. Aber die Zeit seines Glanzes war um so kürzer und ging wenig über ein Menschenalter hinaus. Mit dieser Glanzepoche, unter Weg- lassung alles dessen, was vorausging und was folgte, werden wir uns in Nachstehendem zu beschäftigen haben. Auch diese vorübergehende Glanzes-Aera gliedert sich in verschiedene Zeit- abschnitte, und zwar in die Zeit des Generals de Chieze bis 1671, die Zeit der Kurfürstin Dorothea bis 1689 und die Zeit Sophie Charlottens und König Friedrichs I. bis 1713. General de Chieze von 1662 bis 1671 . Der große Kurfürst, nachdem er 1662 Schloß und Gut Caput erstanden, entäußerte sich, wie in der Kürze bereits an- gedeutet, desselben wieder und schenkte es „mit allen Weinbergen, Schäfereien und Karpfenteichen“ seinem Kammerjunker und Generalquartiermeister de la Chieze. Philipp de la Chieze, dessen Familie aus Piemont stammte, war 1660 aus schwedischem in brandenburgischen Dienst getreten. Er war Ober-Ingenieur, ein bedeutender Baumeister und hatte für den großen Kurfürsten eine ähnliche Bedeutung wie sie Rochus v. Lynar, hundert Jahre früher, für Joachim II. gehabt hatte. Er beherrschte den Schön- bau wie den Festungsbau, führte das Hauptgebäude des Pots- damer Stadtschlosses auf, leitete den Berliner Schloßbau, be- theiligte sich an der Ausführung des Friedrich-Wilhelms-Canals, besserte und erweiterte die Festungen des Landes. Dies war der Mann, dem die Gnade des Kurfürsten das nur in leisen Zügen noch an alte Culturtage erinnernde Caput übergab. Er konnte es in keine besseren Hände geben. Das in Trümmern liegende Schloß — muthmaßlich ein spät gothi- scher Bau — wurde in modernem Stile wieder aufgeführt, und dem ganzen Gebäude im Wesentlichen das Gepräge gegeben, das es noch aufweist. Namentlich der „große Saal“ erhielt bereits seine gegenwärtige Gestalt, wie wir aus einer alten Notiz ersehen, in der es heißt: „im Obergeschoß (Hochparterre) befand sich zu Seiten des Flurs ein großer Saal durchs ganze Schloß hin, mit zwei Fenstern nach Süden und zweien nach Norden.“ — Der Kurfürst war hier oft zu Besuch, namentlich wenn ihn die Jagden nach dem Kunersdorfer Forste führten. Auch den jungen Prinzen wurde zuweilen gestattet, der Einladung des alten de Chieze zu folgen und einen halben Tag, frei von der strengen Aufsicht ihres Hofmeisters, in Caput herum zu schwär- men. Die Parkanlagen waren damals noch unbedeutend; der Garten nur mit Obstbäumen besetzt. Kurfürst in Dorothea von 1671 bis 1689 . Der alte de la Chieze starb 1671 oder 73; Caput fiel an den Kurfürsten zurück und er verschrieb es nunmehr seiner Gemahlin Dorothea, die es — insonderheit nach dem Tode ihres Gemahls (1688) — zu ihrem bevorzugten Wohnsitz machte. — Das Schloß, um seinem neuen Zwecke zu dienen, mußte eine erhebliche Umgestaltung erfahren. Was für den in Kriegs- zeiten hart gewordenen de Chieze gepaßt hatte, reichte nicht aus für eine Fürstin; außerdem wuchsen damals — unter dem un- mittelbaren Einflusse niederländischer Meister — rasch die Kunst- ansprüche in märkischen Landen. Erst funfzig Jahre später, unter Friedrich Wilhelm I. , — obwohl er sich rühmte, ein „treu-holländisch Herz“ zu haben — hörten diese Einflüsse wie- der auf und wir verfielen, auf geraume Zeit hin, in die alte Nacht. Schloß Caput rüstete sich also zum Empfang einer neuen Herrin. Die Grundform blieb, aber Erweiterungen fanden statt; zwei kleine Eckflügel entstanden, vor Allem wurde die innere Einrichtung eine andere. Eine Halle im Souterrain, wo man den Jagdimbiß zu nehmen pflegte, wurde an Wand und Decke mit blaugrünen holländischen Fliesen ausgelegt, die Zimmer des Obergeschosses mit Tapeten behängt und mehrere mit Plafond- Schildereien geziert. Besonders bemerkenswerth war die Aus- schmückung des „großen Saales,“ ein Deckengemälde, das seinem Gedankengange nach, an spätere Arbeiten Antoine P è snes er- innert. Minerva mit Helm, Schild und Speer führt die Künste: Baukunst, Sculptur und Malerei, in die brandenburgischen Lande ein; ein gehörntes Ungethüm, halb Lucifer halb Cali- ban, entweder den Krieg oder die Rohheit , oder beides zugleich darstellend, entweicht in Dunkel vor dem aufgehenden Licht. Aehnlich wohlerhalten präsentirt sich ein zweites Bild, im sogenannten „Grünen Zimmer.“ Zwei geflügelte Genien halten die umkränzten Bilder von Kurfürst und Kurfürstin in Fontane , Wanderungen. III. 12 Händen; die Fama bläst mit einer Doppeltuba den Ruhm beider in die Welt hinaus; eine andere geflügelte Gestalt zeigt auf die Chronik ihrer Thaten. In einem dritten Gemach, das den Namen des Schlafzimmers der Kurfürstin führt, begegnen wir einem Deckenschmuck aus wahrscheinlich eben dieser Zeit. Außer einem Mittelbilde zeigt er zwei weibliche Figuren: die Nacht ein Fackellicht tragend und den Morgen Rosen streuend in leicht angehauchtem Gewölk. Sophie Charlotte und König Friedrich I. bis 1713 . Kurfürstin Dorothea starb 1689; beinahe unmittelbar nach ihrem Hinscheiden wurde Schloß Caput von Kurfürst Fried- rich III. erworben, der es nunmehr seiner Gemahlin, der gefeierten Sophie Charlotte, zum Geschenke machte. Es geschah nun Aehnliches wie nach dem Tode von de la Chieze. Die Ansprüche an Glanz und Luxus waren innerhalb der letzten zwanzig Jahre abermals gewachsen, nirgends mehr als am Hofe des prachtliebenden Friedrichs III. Wie das Schloß de Chiezes nicht reich genug gewesen war für Kurfürstin Dorothea, so waren die Einrichtungen dieser wiederum nicht reich genug für die jetzt einziehende Sophie Charlotte. Auch jetzt, wie während der 70er Jahre, berührten die Ummodelungen, die vorgenommen wurden, weniger die Struktur als das Ornamentale und wieder waren es in erster Reihe die Deckenbilder (diesmal in allen Räumen), die den ohnehin reichgeschmückten Bau auf eine höchste Stufe zu heben trachteten. Dies Betonen des Coloristischen lag ja im Wesen der Renaissance, die, selbst malerisch in ihren Formen wie kein anderer Baustil, es liebt, die Farbe sich dienst- bar zu machen. Ob Kurfürstin Sophie Charlotte noch Zeuge dieser letzten Neugestaltung wurde, die das Schloß in seiner inneren Ein- richtung erfuhr, ist mindestens fraglich. Bis 1694 — wo der Stern Charlottenburgs aufging, der zugleich den Niedergang Caputs bedeutet — konnte die Fülle dieser Deckenbilder nicht vollendet sein; die kurze Zeitdauer verbot es. Aber auch der Inhalt dessen, was gemalt wurde, wenigstens jenes hervor- ragendsten Bildes, das sich in der „großen Porzellankammer“ befindet, scheint dagegen zu sprechen. Es stellt dar: wie Afrika der Borussia huldigt . Diese, auf Wolken thro- nend, trägt eine Königskrone und neigt sich einer Mohren- königin, zugleich einer Schaar heranschwebender schwarzer Genien zu, die mit Geflissentlichkeit die Schätze Indiens und Chinas: Theebüchsen und Ingwerkrüge, sogar ein Theeservice mit Tassen und Kanne, der auf Wolken thronenden Borussia entgegentragen. Die Königskrone der Borussia ( falls es die Borussia ist) deutet unverkennbar auf einen Zeitpunkt nach 1701. Anderer- seits ist es nicht ganz leicht, in dieser, mit einer gewissen souve- ränen Verachtung der Länder- und Völkerkunde auftretenden Symbolik, die nichts so sehr haßt, als Logik und Consequenz, sich zurecht zu finden. Denn nicht bloß, daß schwer abzusehen ist, weshalb schwarze Genien dazu auserkoren wurden, den Thee zu serviren oder porzellanene Vasen durch die Lüfte zu tragen, so scheinen auch aufgespeicherte Chronikenbündel, auf denen der Kurhut liegt, so lange nicht Geschichte ein leerer Wahn ist, nothwendig auf Kurfürstliche Zeiten zurückzudeuten. Man darf es aber freilich mit diesen Dingen nicht allzu genau nehmen. Gedankliche oder historische Correctheit war niemals das, worin die großen Coloristen sich gefielen. Es lag ihnen an der sinnlichen Gesammtwirkung. Bis auf Weiteres ist die Königskrone der Borussia das Entscheidende, die das Bild, als ob es eine Jahreszahl trüge, in den Anfang des 18. Jahr- hunderts verweist. Kurfürstin Sophie Charlotte verließ schon 1694 Caput; aber bis zu ihrem Tode (1705) und noch darüber hinaus, bis zum Tode ihres Gemahls, blieb Caput ein bevorzugtes Schloß, eine Sehenswürdigkeit von Ruf. Man setzte Summen an seine Instandhaltung, sei es nun, um vorübergehend hier eine Villeg- giatur zu nehmen, oder sei es — insonderheit nachdem seine Aus- schmückung vollendet war — um es etwaigem, bei Hofe eintreffen- dem Besuche als ein kleines märkisches Juwel zeigen zu können. 12* Eine solche Gelegenheit bot sich 1709. Wir finden dar- über Folgendes. Als in den ersten Julitagen eben genannten Jahres König Friedrich IV. von Dänemark und Friedrich August von Polen auf Einladung Friedrichs I. von Preußen in Pots- dam eine persönliche Zusammenkunft hielten (ein großes Staats- bild im Charlottenburger Schlosse stellt diese Begegnung der „drei Friedriche“ dar), war der prachtliebende Friedrich, an dessen Hofe diese Vereinigung stattfand, bemüht, seinen Gästen eine Reihe von Festen zu geben. Unter andern ward am 8. Juli auf der prächtigen Yacht, welche im Bassin des Lustgartens lag und mit 22 Kanonen ausgerüstet war, eine Lustfahrt nach Caput unternommen. Dieses überaus prächtige Schiff, das mit allem nur erdenklichen Luxus ausgestattet war, und in der That an die Prachtschiffe der alten Phönicier und Syrakuser erinnerte, war in Holland nach Angaben des Königlichen Bau- meisters und Malers Madersteg erbaut worden. Man schätzte allein die goldenen und silbernen Geräthe, die sich in seinem Innern aufgestellt befanden, auf 100,000 Thaler. Auf diesem Schiffe, das eigens dazu gebaut war, die Havel zu befahren, glitten die drei Könige stromabwärts nach dem Lustschlosse von Caput. Man erging sich in dem inzwischen zu einer baumreichen und schattigen Anlage gewordenen Parkgarten und kehrte gegen Abend zu Tafel und Ball nach Schloß Potsdam zurück. Wenn dieser Tag in dem historischen Leben Caputs der glänzendste war, so war er auch der letzte. Der König, früh alternd, schloß sich mehr und mehr in seine Gemächer ein; der Sinn für Festlichkeiten erlosch, er begann zu kränkeln; am 25. Februar 1713 starb er. Alle Schlösser standen leer; sie sollten bald noch leerer werden. Dem prachtliebenden König folgte ein Sparsamkeits-König. Die holländische Yacht im Potsdamer Bassin wurde gegen einige Riesen vertauscht und ging nach Rußland zum Czaren Peter; die großen Schlösser zu Cöpenick und Oranienburg (beides Schöpfungen des eben verstorbenen Fürsten) wurden vom Etat gestrichen; was verkaufbar war wurde verkauft, — konnte man sich wundern, daß bei so veränderten Verhältnissen das wenig- stens seiner Größe und äußeren Erscheinung nach ungleich be- scheidenere Caput mit auf die Liste der Proscribirten gesetzt wurde! Es sank zu einem bloßen Jagdhause herab, an dem alsbald der mit holländischen Fliesen ausgelegte Souterrain- Saal, weil sichs drin wie in einem Weinkeller poculiren ließ, das Beste war. Von seinem alten Bestande über der Erde blieben dem Schlosse nur der Kastellan und die Bilder, wahr- scheinlich weil mit beiden nichts anzufangen war. Der Kastellan war ein alter Türke, das rettete ihn; die Deckengemälde aber — — in den Schlössern waren ihrer ohnehin mehr denn zu- viel, und wenn die Schlösser sie nicht aufnehmen konnten, wer damals in brandenburgischen Landen hätte sein Geld an die sinnbildliche Verherrlichung der Künste, an Minerva und Caliban, an Borussia und die Mohrenkönigin gesetzt! Auch heute noch sind ihrer nicht viele. So viel über die historischen 40 Jahre; wir schicken uns jetzt an, in das Schloß selbst einzutreten. Die doppelarmige Freitreppe, wir erwähnten ihrer bereits (schon Sophie Charlotte schritt über diese Stufen hin) ist von Epheusenkern des Hauses derartig umrankt und eingesponnen, daß jeden Tragstein ein zierlich-phantastischer Rahmen von hell- grünen Blättern schmückt. Die Wirkung dieses Bildes ist sehr eigenthümlich. Eine Treppe im Arabeskenschmuck! Natur nahm der Kunst den Griffel aus der Hand und übertraf sie. Die Thür des Gartensalons öffnet sich. Freundliche Worte begrüßen uns; wir sind willkommen. Von einem kleinen zeltartigen Raume aus, der unmittel- bar hinter der Freitreppe liegt, treten wir nunmehr unseren Rundgang an. Die Zimmer führen noch zum Theil die Be- zeichnungen aus der Kurfürstlichen Zeit her: Vorgemach, Schlaf- zimmer, Cabinet des Kurfürsten , auf dem andern Flügel ebenso der Kurfürstin ; dazu Saal, Porzellankammer, Thee- zimmer. Die meisten Räume quadratisch und groß. Alle haben sie jene Patina, die alten Schlössern so wohl kleidet und An- gesichts welcher es gleichgültig ist, ob Raum und Inhalt sich in Epoche und Jahreszahlen einander decken. Nicht wie alt die Dinge sind, sondern ob alt überhaupt, das ist es, was die Entscheidung giebt. So auch hier. Die verblaßten oder auch verdunkelten Tapeten, die Geräthschaften und Nippsachen, — es sind nicht Erinnerungsstücke genau aus jener Zeit Caputischen Glanzes, aber sie haben doch auch ihr Alter und wir nehmen sie hin wie etwa einen gothischen Pfeiler an einem romanischen Bau. Beide haben ihr Alter überhaupt , das genügt; und unsere Empfindung übersieht es gern, daß zwei Jahrhunderte zwischen dem einen und dem anderen liegen. Die Tapeten, das Mobiliar, die hundert kleinen Gegen- stände häuslicher Einrichtung, sie sind weder aus den Tagen der strengen, noch aus den Tagen der heitern Kurfürstin, die damals hier einander ablösten; die Hand der Zerstörung hat mitleidlos aufgeräumt an dieser Stelle. Aber wohin die Hand der Zerstörung buchstäblich nicht reichen konnte, — die hohen Deckengemälde, sie sind geblieben und sprechen zu uns von jener Morgenzeit brandenburgischer Macht und brandenburgischer Kunst. Die großen Staatsbilder haben wir bereits in dem kurzen histo- rischen Abriß, den wir gaben, beschrieben, aber viel reizvoller sind die kleinen. Ich schwelgte im Anblick dieser wonnigen Nichtigkeiten. Kaum ein Inhalt und gewiß keine Idee, und doch, bei so wenigem, so viel ! Ein bequemes Symbolisiren nach der Tradition; in gewissem Sinne fabrikmäßig ; alles aus der Werkstatt , in der die Dinge einfach gemacht wurden ohne besondere Anstrengung. Aber wie gemacht! welche Tech- nik, welche Sicherheit und Grazie. Wie wohlthuend das Ganze, wie erheiternd. Jetzt setzen die Künstler ihre Kraft an eine Idee und bleiben dann, neun Mal von zehn, hinter dieser und oft auch hinter sich selbst zurück. Wie anders damals. Die Maler konnten malen und gingen ans Werk. Kam ihnen nichts, nun, so war es immer noch eine hübsche Tapete; erwies sich aber die Stunde günstig, so war es wie ein Geschenk der Götter. So Großes fehlt hier; aber auch das Kleine genügt. Genien und wieder Genien, blonde und braune, geflügelte und ungeflügelte, umschweben und umschwirren uns und die Guir- landen, die sich zwischen den Fingerspitzen der lachenden Amo- retten hinziehen, sie haben eine Pracht und Wahrheit der Farbe, daß es ist, als fielen noch jetzt die Rosen in vollen rothen Flocken auf uns nieder. Im Theezimmer bringt eine dieser geflügelten Kleinen ein Tablet mit blaugerändertem Theezeug, — selbst Boßdorf, als er sein Riesen-Tablet der Lautenschlägerin präsentirte, hätte von diesem Liebling der Grazien lernen können. Diese Zeit sinnlich blühender Renaissance, sie ist dahin. Was wir jetzt haben, mit allen unsren Prätensionen, wird nach zweihundert Jahren schwerlich gleiche Freude und Zustim- mung wecken. Es war Mittag, als wir wieder auf die Freitreppe hin- austraten. Der Himmel hatte sich bezogen und gestattete jetzt einen unbehinderten Blick auf das weite Wasser-Panorama. Die holländische Yacht mit drei Königen und einem ganzen Silber-Tresor an Bord, steuerte nicht mehr Havel-abwärts; aber statt ihrer schwamm eine ganze Flottille von Havelkähnen heran und am Horizonte stand in scharfen Linien steif-grenadier- haft die Garnisonkirche von Potsdam: das Symbol des Jüngst- geborenen im alten Europa, des Militärstaats Preußen . Petzow . Auf der Fortuna ihrem Schiff Ist er zu segeln im Begriff; Will einer in der Welt was erjagen, Mag er sich rühren und mag sich plagen. Schiller. W ie Buda-Pest, oder wie Köln und Deutz ein Doppel- gestirn bilden, so auch Caput und Petzow. Sie gehören zu- sammen. Zwar ist die Wasserfläche, die die beiden letzteren von einander trennt, um ein Erhebliches breiter als Rhein und Donau zusammengenommen, aber nichtsdestoweniger bilden auch diese beiden „Residenzen diesseit und jenseit des Schwilow“ eine höhere Einheit. Eine Einheit, so verschieden sie unter einander sind. Sie ergänzen sich. Caput ist ganz Handel, Petzow ist ganz Industrie. Dort eine Wasserstraße, eine Werft, ein Hafen- verkehr; hier die Tag und Nacht dampfende Esse, das nie er- löschende Feuer des Ziegelofens. Schönheit der Lage ist beiden gemeinsam; doch ist Petzow hierin weit überlegen, sowohl seiner eigenen unmittelbaren Erscheinung, als dem landschaftlichen Rundblick nach, den es gestattet. Die etwas unregelmäßig über einen Hügelrücken sich hin- ziehende Dorfstraße folgt im Wesentlichen dem Schwilow-Ufer; zwischen Dorf und See aber ist ein ziemlich breites, schräg ab- fallendes Stück Land verblieben, in das Schloß und Park sich theilen. Beide sind Schöpfungen dieses Jahrhunderts; Vater und Großvater des gegenwärtigen Besitzers (des Amtsraths v. Kaehne ) riefen sie ins Leben. Die genannte Familie sitzt nachweisbar seit 1630 an dieser Stelle; vielleicht viel länger. Die Kaehnes waren damals schlichte Bauern. In genanntem Jahre, also während des 30jährigen Krieges, erwarben sie das Lehnschulzen- gut und hielten es nicht nur fest, sondern wußten auch ihren Besitz derart zu erweitern, daß im Jahre 1840 der damalige Träger des Namens in den Adelsstand und fünf Jahre später (1845) der Gesammtbesitz zu einem kreistagsfähigen Rittergute erhoben wurde. Ein Beispiel derartigen Aufdienens „von der Pike,“ wie es die Familie Kaehne giebt, ist sehr selten; viel seltener, als man glaubt. Ein Blick auf die Geschichte der Rittergüter belehrt uns darüber. Was in den altadeligen Grundbesitz als Neu- Element einrückt oder gar durch Zusammenlegung von Bauer- gütern (und selbstverständlich unter schließlicher Ernennung seitens des Landesherrn) neue Rittergüter creirt, das sind entweder selbst wieder prosperirende, ihren Besitz erweiternde Adelige, die für jüngere Söhne einen ebenbürtigen Neubesitz stiften, oder aber — und das ist das Häufigere — es sind Geldleute, Städter , Repräsentanten einer modernen Zeit, die den Han- dels- und Industriegeist in die Landwirthschaft hineintragen. Der Bauer folgt selten diesem Beispiel; er ist stabil, er bleibt was er ist. Wenn er nichts desto weniger zu speculiren beginnt, so thut ers auf seine Weise. Es reizt ihn dann weit mehr das Geld , als das Wachsen der Ackerfläche. Er erweitert sich nicht innerhalb seiner eigenen Sphäre; er wird eben einfach ein Anderer. Die Familie Kaehne bezeichnet einen Ausnahmefall. Schloß und Park, so sagten wir, sind Schöpfungen dieses Jahrhunderts. Das Schloß , in seiner gegenwärtigen Gestalt, wurde nach einem Schinkelschen Plane ausgeführt. Es zeigt eine Mischung von italienischem Castell- und englischem Tudorstil, denen beiden die gothische Grundlage gemeinsam ist. Der Bau, wie er sich unter Epheu und Linden darstellt, wirkt pittoresk genug, ohne daß er im Uebrigen besonders zu loben wäre. Es ist bemerkenswerth, daß alles Gothische oder aus der Gothik Hergeleitete auf unserm märkischen Boden seit Wiederbelebung dieses Stils (eine Epoche, die kaum zwei Menschenalter zurück- liegt) nicht gelingen wollte. Im Beginn dieses Jahrhunderts hatten wir uns zu entscheiden, nach welcher Seite hin die Ent- wickelung gehen sollte; irgend eine „Renaissance“ war dem herrschenden Ungeschmack gegenüber geboten, es konnte sich nur darum handeln, ob das Vorbild bei der Antike, oder beim Mittelalter zu suchen sei. Schinkel selbst — was jetzt so oft vergessen wird — schwankte; der einzuschlagende Weg war ihm keineswegs von Anfang an klar. Auch er hatte eine Epoche, wo das Malerische des Gewölbebaues, wo Strebepfeiler und Spitzbogenfenster ihn reizten. Hätte er sich damals, wie das bei den rheinischen Baumeistern der Fall war, für Gothik ent- schieden, so würde die bauliche Physiognomie unserer alten Pro- vinzen, Berlins ganz zu geschweigen, überhaupt eine andere geworden sein. Wir würden die Gothik, nach einzelnen geschei- terten Versuchen, aufs Neue gelernt haben, wie die Rheinländer und Engländer sie wieder lernten und, beim Kirchenbau (zu dem es uns an Gelegenheit nicht gefehlt haben würde) uns wieder vertraut machend mit der alten Technik, den zerrissenen Faden der Tradition wieder auffindend, würden wir alsbald auch verstanden haben, unsern Privat -Bau danach zu modeln und unsere Schlösser und Landhäuser im Castell- oder Tudor- stile aufzuführen. Dies wurde versäumt, weil — so wollen wir, halb aus Courtoisie, halb aus Ueberzeugung annehmen — ein Besseres an die Stelle trat. Wie die Dinge liegen, wird zwar auch jetzt noch gelegentlich der Versuch gemacht, es mit der Gothik und ihren Dependencien zu wagen; aber diese Ver- suche scheitern jedesmal, wenigstens für das Auge dessen, der die Originale oder auch nur das kennt, was mit immer wach- sendem Verständniß unsere westdeutschen Neu-Gothiker danach bildeten. Auch das Herrenhaus zu Petzow ist ein solcher gescheiterter Versuch. Was daran anmuthend wirkt, ist, wie schon angedeutet, das malerische Element, nicht seine Architektur. Diese, so weit man überhaupt von einer Architektur sprechen kann, datirt aus dem Anfang der 20er Jahre, ist also kaum 50 Jahre alt. Dies gilt auch besonders von den angebauten Flügeln. Und doch, als wir diese näher besichtigten, nahmen wir an den Fen- stern des Erdgeschosses kunstvoll geschmiedete Eisengitter wahr, die sich unschwer auf die Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück- führen ließen. Dies verwirrte uns. Das Räthsel sollte sich indeß in Kürze lösen. Diese Gitterfenster wurden nämlich in Potsdam bei einem Häuser-Abbruch erstanden und hierher ver- pflanzt . Hier prangen nun die 150jährigen an einer erst 50jährigen Front. Wir erzählen das lediglich zu dem Behuf, um zu zeigen, wie man durch Beurtheilung von Einzeldingen, von denen man dann Schlüsse aufs Ganze zieht, erheblich irre geleitet werden kann. Nichts war verzeihlicher hier als ein Rechenfehler von hundert Jahren. Der Park ist eine Schöpfung Lenn é s. An einem Hügel- abhang gelegen wie Sanssouci, hat er mit diesem den Terrassen- Charakter gemein. In großen Stufen geht es abwärts. Wenn aber Sanssouci bei all seiner Schönheit einfach eine große Wald -Terrasse mit Garten und Wiesengründen bietet, so er- blickt man von dem Hügelrücken des Petzower Parkes aus eine imposante Wasser -Terrasse, und unser Auge, zunächst aus- ruhend auf dem in Mittelh öhe gelegenen, erlenumstandenen Park-See, steigt nunmehr erst, weiter abwärts, auf die unterste Treppenstufe nieder — auf die breite Wasserfläche des Schwilow. Der Park umschloß früher auch die Kirche des Dorfes. Alt, baufällig, unschön wie sie war, gab man sie auf und auf einem weiter zurückgelegenen Hügel wurde 1841 eine neue Kirche aufgeführt. König Friedrich Wilhelm IV. (das Patronat ist bei der Landesherrschaft) ordnete an, daß der Neubau im romani- schen Stile erfolgen solle. Stüler entwarf die Zeichnungen; die Ausführung folgte rasch. So reihte sich denn die Petzower Kirche in den Kreis jener neuen schönen Gotteshäuser ein, mit denen der kirchliche und zugleich der seine landschaftliche Sinn des verstorbenen Königs Potsdam und die Havelufer umstellte. Wir nennen nur: Bornstädt, Sacrow, Caput, Werder, Glindow. Ihre Zahl ist um vieles größer. Der Gottesdienst, die Gemeinde, vor allem die Scenerie, gewannen durch diese Neubauten; aber die Localgeschichte erlitt erhebliche Einbuße, weil alles Historische, was sich in den alten Kirchen vorfand, meist als Gerümpel beseitigt und fast nie in den Neubau mit hinübergenommen wurde. Unter allen Künstlern — diese Bemerkung mag hier ge- stattet sein — sind die Architekten die pietätslosesten, zum Theil weil sie nicht anders können. Maler, Sculptoren treffen mit ihrem Vorgänger meist wie auf breiter Straße zusammen; sie haben Raum neben einander; die Lebenden und die Todten, sie können sich dulden, wenn sie wollen. Nicht so der Bau- meister. In den meisten Fällen soll das neue Haus, die neue Kirche an der Stelle der alten stehen. Er hat keine Wahl. Und es sei. Wir rechten zudem mit keiner Zeit darüber, daß sie sich für die klügste und beste hält. Aber darin geht die jedesmalig modernste (die unsrige kennt wenigstens Ausnahmen ) zu weit, daß sie auch das zerstört, was unbeschadet des eignen Lebens weiter leben könnte, daß sie so zu sagen unschuldigen Existenzen, von denen sie persönlich nichts zu befahren hätte, ein Ende macht. Der moderne Basilika-Erbauer mag ein gothi- sches Gewölbe niederreißen, das nun ’mal schlechterdings in die gestellte Aufgabe nicht paßt; aber das halbverblaßte Frescobild, die Inschrift-Tafel, der Grabstein mit der Platten-Rüstung, — ihnen hätte er auch in dem Neubau ein Plätzchen gönnen können. Er versagt dies Plätzchen ohne Noth, er versagt es (und daran knüpfen wir unsern Vorwurf), weil die historische Pietät fast noch seltener ist als die künstlerische. So entstehen denn entzauberte Kirchen, die helle Fenster und gute Plätze haben, die aber den Sinn kalt lassen, weil mit der Vergangenheit gebrochen wurde. Ein „gefälliger Punkt in der Landschaft“ ist gewonnen, eine vielversprechende Schale, aber, in den meisten Fällen, eine Schale ohne Kern. Zu diesen in historischer Beziehung „tauben Nüssen“ gehört auch die Petzower Kirche. Aber so leer und kahl sie ist, und so verstimmend diese Kahlheit wirkt, so gewiß ist es doch auch, daß man im Hinaustreten auf das Flachdach des Thurmes diese Verstimmung plötzlich und wie auf Zauberschlag von sich ab- fallen fühlt. Sie geht unter in dem Panorama, das sich hier bietet. Die „Grelle,“ eine tiefe Flußbucht, liegt uns zu Füßen; unmittelbar neben ihr der Glindower See. Die Havel und der Schwilow, durch Landzungen und Verschiebungen in zahl- reiche blaue Flächen zerschnitten, tauchen in Nähe und Ferne auf, und dehnen sich bis an den Horizont, wo sie mit dem Blau des Himmels zusammenfließen. Dazwischen Kirchen, Dör- fer, Brücken, — Alles, nach zwei Seiten hin, umrahmt von den Höhenzügen des Havellandes und der Zauche. Das Ganze ein Landschaftsbild im großen Stil; nicht von relativer Schön- heit, sondern absolut. Man darf hier getrost hinaustreten, ohne sich des Vergleichs-Sinnes zu entschlagen. — Eine Viertelstunde später, und wir schritten dorfanwärts, um der „Grelle“ und ihren Anwohnern (wir kommen darauf zurück) einen Besuch zu machen. Der Weg dahin führt durch eine Akazien-Allee und demnächst an einer ganzen Plantage von Akazien vorbei. Schon vorher war mir der besondere Reichthum des Dorfes an dieser Baumart aufgefallen. Man begegnet der Akazie überhaupt häufig in den Havelgegenden, aber vielleicht nirgends häufiger als hier. Es ist ein dankbarer Baum, mit jedem Boden zufrieden, und in seiner arabischen Heimath nicht verwöhnt, scheint er sich auf märkischem Sande mit einer Art Vorliebe eingelebt zu haben. Alle Akazien in Spree- und Havelland rühren mittelbar von Sanssouci her, wo der Ur- Akazienbaum, der Stammvater vieler tausend Enkel und Urenkel an der Bornstädter Straße, gegenüber dem Triumphbogen steht. Die Akazie, ursprünglich als Zier- und Parkbaum gehegt, hat übrigens längst aufgehört eine exceptionelle Stelle einzunehmen; sie ist, wie das ihrer anspruchslosen Natur entspricht, Nutzholz geworden und bildet einen nicht unerheblichen Handels-Artikel dieser Gegenden. Ich erfuhr darüber Folgendes: Zu bestimmten Zeiten kommen Händler aus den Nordsee- häfen, aus Hamburg, Stade, Bremerhafen, auch von der Jade her, bereisen die Akaziengegenden, kaufen an und markiren die Bäume, die zunächst gefällt werden sollen. Ein Hauptpunkt für diese Händler ist Petzow. Einige Wochen später erscheint ein Elbkahn von Hamburg oder den andern genannten Plätzen und hat eine kleine Armee von Holzfällern und Holzspaltern an Bord. Es sind Geschwisterkinder der Schindelmacher. Wie diese haben sie es zu einer Virtuosität gebracht; sie fällen, zersägen, spalten; während der Schindler aber ein Flachholz herstellt, stellt dieser nordische Holzspalter ein cylinderförmiges Langstück her, das später, als beste Sorte Schiffsnägel , auf den Werften der Seestädte eine Rolle spielt. Wenn der Kahn mit diesen Schiffsnägeln gefüllt ist, wird die Rückfahrt angetreten und die Petzower Akazien schwimmen ein Jahr später auf allen Meeren und halten die Planken der deutschen Flotte zusammen. — Wir hatten inzwischen die „Grelle“ und damit zugleich den großen Ziegelofen erreicht, der sich hier am Ufer der tief einschneidenden Havelbucht erhebt. Dieser Ziegelofen ist weit bekannt in Havelland und Zauche; er ist der ältesten einer, und schon im vorigen Jahrhundert umgab ihn eine Colonie von Ziegelstreichern und Ziegelbrennern, die sich hier in Hütten und Häusern angesiedelt hatten. Diese übertrugen den Namen, den sie hier vorfanden, alsbald auf die ganze Anlage, so daß mit dem Worte „Grelle“ nunmehr eben so oft das Etablissement wie die seeartige Einbuchtung bezeichnet wird. Der alte histo- rische Ziegelofen modernisirte sich im Lauf der Jahre, vielleicht auch die Häuser, die ihn umstanden, aber sie blieben doch immer- hin kümmerlich genug. Auf eins derselben, dem man ersichtlich vor Kurzem erst ein neues Stockwerk aufgesetzt hatte, schritten wir jetzt zu. Der Eingang war vom Hofe her. Ein alter knorriger Birnbaum, der ziemlich unwirsch aus- sah, legte sein Gezweig nach links hin auf das niedrige Haus- dach, nach rechts hin über ein Conglomerat unsagbarer Oert- lichkeiten: Verschläge, Ställe, Kofen. Zwischen ihnen das gemeinschaftliche Gestade eines Sumpfes. Alles ärmlich, un- sauber; selbst das Weinlaub, dem man dürftig und kunstlos ein Spalier zusammengenagelt hatte, spann sich verdrießlich an der Hinterwand des Hauses aus. Ein unpoetischer, selbst ein un- malerischer Ort! Aber aus dem Weinlaub hervor schimmerte eine weiße Tafel mit der Inschrift: „ Hier ward Zelter geboren am 11. Dec . 1758.“ Beuth, wenn mir recht berichtet, hat seinem Freunde Zelter diese Tafel errichten lassen. Der Schüler und zweite Nachfolger des berühmten „Sohnes der Grelle“ aber war — Grell . Auch der Zufall liebt es, gelegentlich mit Wort und Namen zu spielen. Baumgartenbrück. And thus an acry point he won, Where, gleaming with the setting sun, One burnished sheet of living gold, Loch-Katrine lay beneath him roll’d. Lady of the Lake. D ie Havel, als sie nach Süden hin den Schwilow-See bildete, um sich innerhalb dieses weiten Bassins zu ergehen, mußte doch schließlich aus dieser Sackgasse wieder heraus, und die Frage war nur: wo? In der Regel behalten die durchbrechenden Wogen die einmal eingeschlagene Richtung bei und ruhen nicht eher, als bis sie, dem Durchbrechungspunkte gegenüber, einen Ausgang gefunden oder gewühlt und gebohrt haben. Nicht so hier. Die Havel schoß eben nicht wie ein Pfeil von Nord nach Süd durch das Moor- und Sumpfbecken hindurch, in welchem sie während dieser Stunden den Schwilow schuf; sie erging sich vielmehr innerhalb desselben, entschlug sich jeder vorgefaßten Richtung und nahm endlich ihren Abfluß halb- rückwärts , keine 2000 Schritt von der Stelle entfernt, wo sie kurz vorher den Damm durchbrochen hatte. An dieser Ab- flußstelle, wo also die Havel nach ihrer Schwilow-Promenade sich wieder verengt, um nordwestwärts weiter zu fließen, liegt Baumgartenbrück . Dies Baumgartenbrück wird schon frühe genannt und bereits im 13. Jahrhundert findet sich eine Burg Bomgarde oder Bom- gard verzeichnet, ein sonderbares Wort, in dem unsere Slawo- philen, nach Analogie von Stargard, Belgard, eine halbwen- dische Bezeichnung haben erkennen wollen. Was es nun aber auch mit dieser Bomgarde auf sich haben möge, ob sie wendisch oder deutsch, so viel verbleibt ihr, daß sie seit historischen Tagen und namentlich seitdem ein Bomgarden- Brück daraus geworden, immer ein Punkt von Bedeutung war, ein Punkt, dessen Wich- tigkeit gleichen Schritt hielt mit dem industriellen Aufblühen der Schwilow- und Havel-Ufer. Die Einnahmen verzehnfachten sich und wenn früher hier ein einfacher, altmodischer Zoll gezahlt worden war, um die Landreisenden trocken von einem Ufer zum andern zu bringen, so kamen nun die viel einträglicheren Tage, wo neben dem Brückenzoll für Pferd und Wagen vor Allem auch ein Brücken- Aufzugz oll für alle durchpassirenden Schiffe gezahlt werden mußte. Der Culturstaat etablirte hier eine seiner Doppelpressen; zu Land oder zu Wasser — gezahlt mußte werden, und Baumgartenbrück wurde für Brückengeld-Ein- nehmer allmählich das, was die Charlottenburger Chausseehäuser für Chausseegeld-Einnehmer sind. So ist es noch. Aber die lachenden Tage von Baumgartenbrück brachen doch erst an, als, vor etwa 40 Jahren, aus dem hier stehenden Brückenwärterhaus ein Gasthaus wurde, ein Vergnügungsort für die Potsdamer schöne Welt, die mehr und mehr anfing, ihren Brauhausberg und ihren Pfingstberg den Berlinern abzu- treten und sich eine stille Stelle für sich selber zu suchen. Sie verfuhren dabei kurz und sinnig wie die Schweizer, die ihre Allerwelts-Schönheitspunkte: den Genfer und den Vierwald- stättersee den Fremden überlassen, um an irgend einer abgele- genen Stelle der Glarner Alpen „ihre Schweiz für sich“ zu haben. Die Potsdamer wählten zu diesem Behufe Baumgarten- brück. Und es war eine vorzügliche Wahl! Es vereinigt sich hier Alles, was einem Besuchsorte zu Zierde und Empfehlung gereichen kann: Stille und Leben, Abgeschlossenheit und Weit- blick, ein landschaftliches Bild ersten Ranges und eine vorzüg- liche Verpflegung. Hier unter den Laubgängen zu sitzen, nach einem tüchtigen Marsch oder einer Fahrt über den See, ist ein Genuß, der alle Sinne gefangen nimmt; nur muß man freilich Fontane , Wanderungen. III. 13 die Eigenart des Platzes kennen und beispielsweise wissen, daß hier nur eines getrunken werden darf: eine Werdersche. Mit der Werderschen — und wir treten damit in eine bukolische Betrachtung ein — ist es nämlich ein eigen Ding. Sie ist entweder zu jung, oder zu alt, entweder so phlegmatisch, daß sie sich nicht rührt, oder so hitzig, daß sie an die Decke fährt; — in Baumgartenbrück aber steht sie im glücklichen Mittelpunkt ihres Lebens; gereift und durchgeistigt, ist sie gleich weit entfernt von schaler Jugend, wie von überschäumendem Alter. Die Werdersche hier hat einen festen, drei Finger brei- ten Schaum; feinfarbig, leicht gebräunt, liegt er auf der dun- keln und doch klaren Fluth. Der erste Brauer von Werder ist Stammgast in Baumgartenbrück; er trinkt die Werdersche, die er selber ins Leben rief, am besten an dieser Stelle. Er ist wie ein Vater, der seinen früh aus dem Hause gegebenen Sohn am Tisch eines Pädagogen wohlerzogen wiederfindet. Baumgartenbrück, trotz des Verkehrs, der an ihm vorüber gleitet, ist ganz ausgesprochen ein stiller, lauschiger Platz; vor Allem kein Platz prätentiöser Concerte. Kein Podium mit Spitz- bogen-Fa ç ade und japanischem Dach stellt sich hier, wie eine beständige Drohung, in die Mitte der Versammlung hinein und keine Riesenplakate erzählen dem arglos Eingetretenen, daß er gezwungen sei, zu Nutz und Frommen eines Abgebrannten oder Ueberschwemmten zwei Stunden lang sich ruhig zu verhalten; — diese Ungemüthlichkeiten haben keine Stätte unter den Bäumen von Baumgartenbrück. Hier ist nur der böhmische Musikant zu Hause, der des Weges zieht und mit dem Notenblatt sammelt. Eben treten wieder ihrer sieben ein, stellen sich schüchtern seitwärts, und wohl wissend, wie gefährlich jedes Zaudern für sie ist, beginnen sie sofort. Il Baccio eröffnet den Reigen. Wohl ist es hart. Die Posaune, mit beinah künstlerischem Festhalten eines Tones, erinnert an das Nachtwächterhorn alter Tage; die Trompete kreischt, der Triangel bimmelt erbärmlich. Wie immer auch, seid mir gegrüßt! — Wenn ich dieser alten Gestalten mit den schadhaften Bär- ten und den verbogenen Käppis ansichtig werde, lacht mir immer das Herz. Nicht aus Sentimentalität, nicht weil sie mich an Jugendtage erinnern, sondern weil sie so bequem, so harmlos sind, während der moderne Künstler, nach eigner Neigung und vor allem auch durch die feierliche Gutheißung des Publicums, sich mehr und mehr zu einem Tyrannen der Gesellschaft auf- geschwungen hat. Du bist irgendwo in ein Gespräch verwickelt, nehmen wir an in das unbedeutendste der Welt, über Draini- rung, oder Spargelzucht, oder luftdichte Ofenthüren; Niemand verliert etwas, der von diesem Gespräche nichts hört, aber Dir und Deinem Nachbar gefällt es, euch beiden ist es lieb und werth, und ihr treibt behaglich auf der Woge der Unterhaltung. In diesem Augenblick stillen harmlosen Glücks giebt irgend ein dicker oder dünner primus inter pares mit seiner silbernen Klapptrompete ein Zeichen und verurtheilt Dich ohne Weiteres zum Schweigen. Willst Du nicht darauf achten, so wirst Du gesellschaftlich in den Bann gethan: Du mußt zuhören, Du mußt die „lustigen Weiber von Windsor“ sich zum zehnten Male zanken, oder gar die Prinzessin Isabella zum hundertsten Male um „Gnade“ rufen hören. Nichts hilft dagegen. Wie anders diese ächten und unächten Bergmanns-Virtuosen! Sie blasen drauf los, alle Kinder sind entzückt, Du selber folgst lachend den stolpernden Dissonanzen und hast dabei das süße Gefühl bewahrter persönlicher Freiheit. Die allgemein aner- kannte künstlerische Unvollkommenheit wird zum rettenden Engel. Baumgartenbrück ist noch ein Platz dieser Freiheit. Aber was dauernd hier fesselt, weit über das beste Bier und die bescheidenste Musik hinaus, das sind doch die Gaben der Natur, das ist — wir deuteten es schon an — die seltene Schönheit des Platzes. Es ist eine „Brühlsche Terrasse“ am Schwilow-See. Bastionartig springt ein mit Linden und Kasta- nien dicht bestandener Uferwall in den See hinein, und so viele Bäume, so viele Umrahmungen eines von Baum zu Baum wechselnden Panoramas. Welche Reihenfolge entzückender Bilder! 13* Man sitzt wie auf dem Balcon eines Hauses, das an der Schmalseite eines langen Squares gelegen ist, und während das Auge über die weite Fläche des oblongen Platzes hin- gleitet, zieht unmittelbar unter dem Balcon das Treiben einer belebten Straße fort. Der Platz ist der Schwilow-See, die belebte Straße ist die Havel, deren Fahrwasser an dem Quai vorüber und durch die unmittelbar zur Rechten gelegene Brücke führt. Ist es hier schön zu allen Tageszeiten, so waltet hier ein besonderer Zauber um die sechste Stande; dann schwimmen, kommend und gehend, aus dem Schwilow hinaus und in den Schwilow hinein, aber alle von der Abendsonne beschienen, die Havelkähne in ganzen Geschwadern heran und zwischen ihnen hindurch gleitet von Werder her der obstbeladene Dampfer. Die Zugbrücke steigt und fällt in beständigem Wechsel, bis mit dem Niedergehen der Sonne auch der Verkehr zu Ende geht. Nun dunkelt es. In den Lindenlauben werden die Lichter angezündet und spiegeln sich im See. Noch hallt dann und wann ein Ruf herüber, oder ein Büchsenschuß aus dem Fercher Forst her rollt im Echo über den See; — dann Alles still. Die Lichter löschen aus, wie die Glühpunkte in einem nieder- gebrannten Papier. Ein Huschen noch hier hin dort hin; nun verblitzt das letzte. Nacht liegt über Baumgartenbrück und dem Schwilow. Alt-Geltow. I do not set my life at a pin’s fee; By heaven, I’ll make a ghost of him that hinders me: I say, away! Hamlet. E twa tausend Schritt hinter Baumgartenbrück, und zwar land- einwärts, liegt Alt-Geltow. Wenn es auch bezweifelt werden mag, daß die „alte Boomgarde,“ die dem heutigen Baumgartenbrück den Namen gab, wenigstens so weit das Sprachliche in Betracht kommt, bis in die slavische Zeit hinauf zu verfolgen ist, so haben wir dagegen in Alt-Geltow ein unbestritten wendisches Dorf. Die ältesten Urkunden thun seiner bereits Erwähnung und es nimmt seinen Platz ein unter den sieben alten Wendendörfern der Insel Potsdam: Bornim, Bornstädt, Eiche, Golm, Grube, Nedelitz und Gelte. Diese letztere Schreibweise (ursprünglich Geliti) ist die richtigere; Geltow indeß ist der übliche Name geworden. Die Geschichte des Dorfes geht weit zurück; aber die schon erwähnten Urkunden, von denen die älteste aus dem Jahre 933 stammt, sind dürftigen Inhalts und lassen uns, von kleinen Streitigkeiten abgesehen, nur das eine erkennen, daß erst die Familie Hellings v. Gelt, dann die Gröbens, dann die Hakes ihren Besitz hier hatten. 1660 gingen Dorf und Haide an den großen Kurfürsten über und gehörten seitdem zu den vielen Besitzungen des kurfürstlichen, beziehungsweise Königlichen Hauses in der Umgegend von Potsdam. 1842 wurde die Haide zur Erweiterung des Wildparks benutzt. Geltow war immer arm; dieser Charakter verblieb ihm durch alle Zeiten hin, und die schlichten Wände seiner Kirche, deren wir eben ansichtig werden, mahnen nur zu deutlich daran, daß die Pfarre, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, 200 Thaler trug. Wir schreiten zunächst über einen Grabacker hin, der seit 20 oder 30 Jahren brach liegt und eben wieder anfängt, aufs Neue bestellt zu werden. Zwischen den eingesunkenen Hügeln wachsen frische auf; diese stehen in Blumen, während wilde Gerste über die alten wächst. Es ist spät Nachmittag; der Hollunder blüht; kleine blaue Schmetterlinge fliegen um die Gräber; ein leises Bienensummen ist in der Luft; aber man sieht nicht, woher es kommt. Die Kirchthür ist angelehnt; wir treten ein und halten Umschau in dem schlichten Raume: weiße Wände, eine mit Holz verschlagene Decke und hart an der Giebelwand eine ängstlich hohe Kanzel, zu der eine steile, gradlinige Seiten- stiege führt. Und doch das Ganze nicht ohne stillen Reiz. Krone neben Krone; gestickte Bänder, deren Farben halb oder auch ganz verblaßten; dazwischen Myrthen- und Immortellenkränze im bunten Gemisch. Das Ganze ein getreues Abbild stillen dörflichen Lebens; er ward geboren, nahm ein Weib und starb. Es ist jetzt Sitte geworden, die Kirchen dieses Schmuckes zu berauben. „Es sind Staubfänger,“ so heißt es, „es stört die Sauberkeit.“ Richtig vielleicht und doch grundfalsch. Man nimmt den Dorfkirchen oft das Beste damit, was sie haben, vielfach auch ihr — Letztes. Die buntbemalten Fenster, die großen Steincrucifixe, die Grabsteine, die vor dem Altar lagen, die Schildereien, mit denen Liebe und Pietät die Wandpfeiler schmückte, — sie sind alle längst hinweg gethan; „sie nahmen das Licht,“ oder „sie waren zu katholisch,“ oder „die Fruen und Kinner verfierten sich.“ Nur die Braut- und Todten- kronen blieben noch. Sollen nun auch diese hinaus? Soll Alles fort, was diesen Stätten Poesie und Leben lieh? Was hat man denn dafür zu bieten? Diese Todtenkronen, zur Erinnerung an Heimgegangene, waren namentlich dem auf’s Saubere und Ordentliche gestellten Sinn Friedrich Wilhelm’s III. nicht recht. In den Dorfkirchen, wo er Sonntags zum Gottes- dienste erschien, duldete er sie nicht. Er gestattete aber Aus- nahmen. Pastor Lehnert in Falkenrehde erzählt: Eine alte Colonisten-Wittwe in meiner Gemeinde verlor ihren Enkel, den sie zu sich genommen und erzogen hatte, und der ihr ein und alles war. Sie ließ eine reich mit Bändern verzierte Todten- krone anfertigen und begehrte, solche neben ihrem Sitze in der Kirche aufhängen zu dürfen, „weil sie sonst keine Ruhe und keine Andacht mehr habe.“ Pastor Lehnert gab nach. Der König, bei seinem nächsten Kirchenbesuch (von Paretz aus), bemerkte die Krone und äußerte sich mißfällig; als ihm aber der Hergang mitgetheilt wurde, fügte er hinzu: „ Will der Frau ihre Ruhe und Andacht nicht nehmen .“ — Solche Fälle, wo „Ruhe und Andacht“ eines treuen und liebe- vollen Herzens an einem derartigen, noch dazu höchst malerischen Gegenstande hängen, sind viel häufiger, als nüchterne Verord- nungen Unbetheiligter voraussetzen mögen. Die Alt-Geltower scheinen so empfunden zu haben und haben ihren besten Schmuck zu bewahren gewußt. Die Giebel- wand, an der sich Kanzel und Kanzeltreppe befinden, ist ganz in Kronen und Kränze gekleidet (im Ganzen zählte ich sieben- zig), und dazwischen hängen jene bekannten, schwarz und weißen Tafeln, an deren Häkchen die Kriegsdenkmünzen aus der Gemeinde ihre letzte Stätte finden. Die eine Tafel erzählte von 1813; auf der andern las ich Folgendes: „Aus diesem Kirch- spiel starben im Befreiungskriege für ihre deutschen Brüder in Schleswig-Holstein: F. W. Kupfer , gef. vor Düppel am 17. März 1864; Carl Wilh. Lüdeke , gestorben an seinen Wunden im Lazareth zu Rinkenis am 22. März 1864. Vergiß die treuen Todten nicht.“ Das Jahr 1866 schien ohne Opferforderung an Alt-Geltow vorüber gegangen zu sein. Aber jetzt ! Manch neuer Name wird sich zu den alten gesellen. In der Kirche hatte sich ein Mann aus dem Dorfe, ich weiß nicht, ob Lehrer oder Küster zu uns gefunden. „Nun müssen Sie noch die Meusebachsche Begräbnißstätte sehen,“ so sagte er. Wir horchten auf, da wir von einer solchen Begräbnißstätte nie gehört hatten, folgten dann aber unserem neu gewonnenen Führer, bis wir draußen an einen Vorsprung gelangten, eine Art Bastion, wo der Kirchhofshügel steil abfällt. Hier, an höchster Stelle, die einen Ueberblick über das Dorf und seine Gärten gestattet, bemerkten wir nunmehr einen ein- gefriedigten, mit Eschen und Cypressen umstellten Platz, dessen schlichtes, mit Convolvulus und wildem Wein umranktes Gitter drei Epheugräber einschloß. In ihnen ruhten Vater, Mutter, Sohn. Die letzten ihres Namens. Das Ganze wirkte durch seine große Einfachheit. Der Vater, Karl Hartwig Gregor Freih. v. Meusebach , lange Zeit Präsident des Rheinischen Cassations- und Revisions- hofes, war ein Kenner der deutschen Literatur, zugleich ein Sammler ihrer Schätze, wie kaum ein zweiter. Wir finden über ihn Folgendes: „Seine bibliographischen Bestrebungen umfaßten das ganze Gebiet von Erfindung der Buchdruckerkunst bis auf die Gegenwart, doch so, daß er dem Volks- und geistlichen Liede , den Schriften Luther’s, vor Allen aber Fischart’s , so wie den nach seiner Meinung zu sehr verach- teten und vergessenen Schriftstellern des 17. Jahrhunderts einen gewissen Vorrang zugestand. Alle erheblich scheinenden Bücher, welche seine scharfsinnigen Untersuchungen ihn kennen gelehrt hatten, suchte er zu erwerben. So gedieh seine Bibliothek zu einer seltenen Vollständigkeit und zu einem fein gegliederten inneren Zusammenhange.“ Von 1819 an lebte er in Berlin, wenn ich nicht irre in einem der Häuser, die bei dem Neuen-Museums-Bau ver- schwunden sind. Hier besuchte ihn Anfangs der 20er Jahre Hoffmann v. Fallersleben, der über diesen Besuch in seinen „Aufzeichnungen und Erinnerungen“ berichtet. „Schon in Coblenz hatte ich viel gehört von einem Herrn v. Meusebach, der von dort aus als Geheimer Rath an den Rheinischen Cassationshof in Berlin versetzt worden sei. Er besitze, so hieß es, eine große Bibliothek, reich an altdeutschen Werken, sei ein großer Kenner und immer noch ein eifriger Sammler. Ich erfuhr bald seine Wohnung: er wohnte in dem Hause der Frau Friedländer hinter der kleinen Brücke, die über den Kupfergraben auf den Museumsplatz und die Neue Friedrichsstraße zuführte. Ich ging eines Morgens zwischen 9 und 10 hin, ließ mich anmelden, wurde aber abgewiesen. Ich wiederholte noch zweimal meinen Besuch; immer aber hieß es: „der Herr Geheime Rath schläft noch.“ Ich ließ mich nicht abschrecken und versuchte es zum vierten Male, aber erst um 11 Uhr. Diesmal hatte ich sagen lassen, der Herr v. Arnim habe mich ja schon angemeldet. Nach einiger Zeit kehrte der Bediente zurück: ich möchte eintreten. Herr v. Meusebach war in eifrigem Gespräch begriffen mit Frau v. Savigny, begrüßte mich, ließ mich stehen und setzte sein Gespräch fort. Frau v. Savigny war so gesprächig, daß sich gar kein Ende absehen ließ. Endlich nach einer Viertel- stunde war der Born ihrer Beredtsamkeit versiegt und sie empfahl sich. Meusebach wendete sich nun an mich. Ich sprach einfach aus, was ich von ihm wünschte, nämlich seine Bücher zu sehen. Das gefiel ihm. Ehe er mir aber etwas zeigte, öffnete er die Thür zur Bibliothek und holte links aus der Ecke zwei gestopfte Pfeifen und bot mir die eine an. Als wir so recht damit im Zuge waren, schloß er eine Tapetenthür auf; in diesem unbe- merkten Wandschrank wurden die Lieblingsbücher und kostbarsten und seltensten aufbewahrt. Zuerst zeigte er mir das Luthersche Gesangbuch von 1545. „Was sagen Sie dazu?“ Ich freute mich, staunte, bewunderte. Es folgte nun eine ganze Reihe derartiger Bücher, die ich alle noch nie gesehen hatte. Die Bücherschau dauerte bereits über anderthalb Stunden, da trat Friedrich der Bediente ein: „Herr Geh. Rath, es ist angerichtet.“ Das störte uns nicht, wir fuhren in unserem angenehmen Ge- schäfte fort. Friedrich kam wieder: „Herr Geh. Rath, das Essen steht schon längst auf dem Tische.“ „Gut. Nun kommen Sie mit.“ Ich hatte früher nie Sauerkraut essen können, heute schmeckte es mir vortrefflich, sowie der leichte Moselwein (einen andern führte der Herr Geheime Rath nicht). Frau v. Meuse- bach lachte, daß ich es heute so schön getroffen hätte. Die Unterhaltung war sehr heiter. Ich erzählte allerlei hübsche Ge- schichten so unbefangen, als ob ich in einem Kreise alter lieber Freunde mich befände. Nach Tische begaben wir uns wieder an unsern Wand- schrank. Als der Kaffee kam, holte ich mir selbst eine frisch gestopfte Pfeife, — Friedrich mußte immer an die dreißig wohl- gereinigt und gestopft im Gange erhalten. Meusebach ergötzte sich sehr, daß ich schon so gut Bescheid wußte. Wir begannen von Neuem die Bücherschau. Es wurde Licht angezündet, wir setzten uns. Jetzt kamen die Liederbücher und die Fischartiana an die Reihe. Meine Freude steigerte sich. Der Thee wurde gebracht. Frau v. Meusebach kam mit ihren Kindern. Das störte uns weiter nicht. Wir unterhielten uns und besahen Bücher; Thee und Essen war Nebensache. Die Kinder gingen wieder fort, Frau v. Meusebach folgte bald nach, wir waren wieder allein. Eine frische Pfeife wurde angebrannt. Es war bereits spät. Ich wollte nach Haus, mußte aber bleiben. Es wurde zwölf, es wurde eins. Immer noch kein Ende. Da kam Meuselbach auf meine „Liederhandschrift,“ die ich das Glück gehabt hatte auf einem Trödel in Bonn zu ent- decken, zu sprechen und meinte, es wäre hübsch, wenn er das Buch mal sehen könnte. Das „Sehen“ verstand ich recht gut und beschloß bei mir, es ihm zu Weihnachten zu verehren. Endlich um halb 2 schieden wir und waren nach funfzehntehalb Stunden erster Bekanntschaft beide recht frisch und vergnügt. Ich mußte versprechen, meinen Besuch bald zu wiederholen, und es fiel mir denn auch nicht im Geringsten schwer, recht bald Wort zu halten.“ Gegen Ende seines Lebens hin, empfand Meusebach immer tiefer das Bedürfniß, ungestört seinen Studien leben zu können. Er gab seine hohe richterliche Stellung auf (1842) und zog sich nun nach Alt-Geltow zurück. Mit ihm ging seine Bibliothek. Aber nicht lange mehr hatte er sich dieser Muße zu freuen. Er starb am 22. August 1847. Seine Bibliothek, ein Schatz, wurde 1849 seitens der preußischen Regierung erstanden und der Berliner Bibliothek einverleibt. Hatte der Vater der stillen Welt seiner Bücher angehört, so gehörte der Sohn (seiner äußeren Stellung nach ebenfalls Jurist) um so voller der Außenwelt, dem Markt des Lebens an. Er war in eminentem Sinne ein „Lebemann,“ geistreich, schlagfertig, eine feine und spitze Zunge zugleich. Die März- Ereignisse zogen ihn in die Politik; sein berühmter Ausspruch: „ich rieche Leichen,“ womit er in den Octobertagen desselben Jahres auf die Tribüne trat, ist unvergessen geblieben und ein geflügeltes Wort geworden. Die 50 er Jahre sahen ihn im diplomatischen Dienst, erst als Generalconsul in den Donau- fürstenthümern, dann als Gesandten in Brasilien. Seine Wunder- lichkeiten wuchsen. 1854 in Giurgewo war er im türkischen Kugelregen nicht nur spazieren gegangen, sondern hatte seinen Rattenfänger auf das Apportiren von Sprengstücken abgerichtet; acht Jahre später in Rio verfiel er dem Wahnsinn. Seine Lebensweise hatte die angeborene Excentricität unterstützt. „Cham- pagner in Eis“ war sein steter Begleiter und seine oft abge- gebene Versicherung, „daß er seines Vaters Bibliothek in den Keller getragen habe,“ war nur allzu richtig. So konnte die Katastrophe kaum ausbleiben. Eine reich angelegte Natur ging in ihm zu Grunde. Daß ich Gräbern wie diesen auf dem Geltower Kirchhofe begegnen würde, der Gedanke hatte mir fern gelegen. Ich las die einfachen Inschriften, nahm ein Epheublatt vom Grabe des Vaters und stand noch immer wie im Bann dieser Stätte. Unser Führer endlich löste ihn. „Da drüben ist noch ein Grab, das Sie sehen müssen.“ — Zugleich brach er auf und gab uns dadurch das Zeichen, ihm zu folgen. Ein dichtes Fliedergestrüpp hatte uns wie eine Coulisse von dem eigentlichen Kirchhof, der jetzt, wie erwähnt, seine zweite Bestellzeit hat, getrennt, und wir standen nunmehr, nachdem wir das Gestrüpp glücklich durchbrochen, vor einer kleinen Gräberreihe, die das so lange brach gelegene Feld neu zu durchziehen begann. Eines der Gräber war besonders gehegt und gepflegt: ein Gartenbeet mit Rosen und Nelken, mit Lev- kojen und Heliotrop dicht überwachsen. Zu Häupten des Grabes stand ein Kreuz, dahinter hohe Malven. Die Inschrift lautete: „Hier ruhet in Gott Johann Schupke , geb. d. 1. Feb. 1822, gest. d. 30. Novbr, 1865. Jesaias Cap. 57 V. 2: „Und die richtig vor sich gewandelt haben, kommen zum Frieden und ruhen in ihren Kammern.“ Die Sonne war am Untergehen; die schönste Zeit des Tages, zumal für eine märkische Landschaft. Wir ließen deshalb die Gräber, unterbrachen unser Gespräch und stiegen die Kirch- thurmtreppe hinauf, um uns, nachdem wir die Luken geöffnet, der im Golde daliegenden Schwilow-Ufer zu freuen. Wie schön! Hier oben erst erneute sich das Gespräch. „Ja von unserm Schupke wollt’ ich erzählen,“ so hob unser Führer an. Ich nickte zustimmend. Gott hab’ ihn selig, das war ein Mann und durch schwere Schulen war er gegangen! Wen Gott lieb hat, den züchtigt er. Und das muß ich sagen, wenn der Himmel je einen preußischen Förster lieb gehabt hat, dann hat er Schupken lieb gehabt. War er ein Alt-Geltower? fragte ich, um wenigstens etwas von Theilnahme auszudrücken. Da seh ich, daß Sie ihn nicht gekannt haben. Er war ein Schlesier, aus dem Riesengebirge oder so herum, und sprach das Rübezahl-Deutsch bis an sein seliges Ende. Nie ist ein reines a über seine Lippen gekommen. Wie kam er denn in diese Gegenden? Wie so viele andre hierher kommen. Er wurde nicht lange gefragt. Sie hoben ihn aus, und ein schmucker Junge, wie er war, nahmen sie ihn zur Garde. Er stand bei den Jägern. Und durch schwere Schulen ist er gegangen, sagten Sie? Das will ich meinen! Lassen Sie sich erzählen. Der grüne Jägerrock sticht in die Augen; grün geht noch über blau; kurz und gut, Schupke wurde ein glücklicher Liebhaber. Der Himmel hing ihm voller Geigen. Ob er das Mädchen heirathen wollte, weiß ich nicht, aber sie hielt zu ihm, und eines Tages, (der Böse hatte sein Spiel,) schenkte sie ihm Uhr und Kette. Eine goldene Uhr. Es sei ein Erbstück; ein Onkel von ihr sei gestorben. Das hätte nun unsern Schupke wohl stutzig machen sollen; aber der Mensch ist eitel, und wenn er hübsch ist und erst 22 Jahr, dann ist er’s doppelt, kurzum Schupke nahm die Uhr und freute sich dran; die kleine goldene Kette paradirte zwischen dem dritten und sechsten Knopf, und wenn ihm ein Gedanke durch den Kopf ging, so dachte er: „es sterben so Viele; warum soll er nicht gestorben sein?“ Es sterben so viele Onkel, aber ihr Onkel, des Mädchens Onkel war nicht gestorben und schon am andern Tage hieß es: des alten Wolffenstein goldene Uhr wird vermißt, Uhr und Kette; und eine Stunde später hieß es: man weiß wer sie hat; sie hat es gestanden. Das ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt; es kam auch in die Jäger-Kaserne. Schupke wurde leichenblaß. Ein unbescholtener Mann, makellos, aller Leute Liebling, — und nun entehrt. „Ich hab es nicht gewußt;“ aber wer hätt’ es geglaubt? Der Schein war gegen ihn. Es schüttelte ihn am ganzen Leibe; er riß das Fenster auf, um wieder frei zu athmen; es half nichts; ein furchtbares Anklagewort gellte ihm vor den Ohren; er hörte das Ticken der unglückseligen Uhr auf seiner Brust; er that sie weg — es tickte noch. Es mußte sein; er nahm seine Büchse und ging hinaus. Aber das Leben ist süß. Er irrte draußen umher, erst an der Havel hin, dann links in den Forst hinein. „Jetzt!“ Er riß seinen Rock auf. Nein, noch nicht. So vergingen Stunden. Wo ist Schupke? hieß es derweilen in der Kaserne. Man öffnete seinen Schrank. Da lagen Uhr und Kette. Man sah auf den Büchsenstand. Eine Büchse fehlte; Schupkes. Alles war klar. Der Hauptmann seiner Compagnie, Graf Schlieffen, warf sich auf’s Pferd. Der Weg war wie vorgeschrieben. Er sagte sich: ein Jäger ist in den Wald gegangen. 500 Schritt hinterm Schützenhause begegnete ihm ein Mann, der Reisig auf seiner Karre heimkarrte. „Guten Tag, Papa, habt Ihr nicht einen Gardejäger hier herum gesehen?“ „Woll, den hebb ick sehn. Reitens man to, Herr Haupt- mann. Mit den Jäger is et nich richtig. Ick kaek durch dat Kirchhof-Door. Do läg he an een von de Gräber up sine Knie, un ick hürte, wie he lise beden und spreeken deih. Un denn legt he sinen Kopp up det Grab, immer deeper int Gras. Mit den Jäger is et nich richtig. Reitens man to, Herr Hauptmann.“ Also doch. Graf Schlieffen jagte vor. In einer Minute hielt er an dem halb angelehnten Thorflügel. Da lag der Gardejäger noch auf seinen Knieen, wie der Reisigsammler erzählt hatte, und betete. Schupke! rief der Graf. Schupke sprang auf und griff nach seiner Büchse. Er sah wie gestört aus; dann winkte er mit der Hand, wie um an- zudeuten: der Graf solle ihn nicht stören. Der aber ritt näher. Schupke winkte noch einmal. Als der Graf auch jetzt noch weiter vorritt, griff Schupke nach der neben ihm liegenden Büchse: Zurück, Herr Hauptmann, oder ich schieße! Der Graf hielt; — ein Gardejäger trifft seinen Mann. So war Zeit gewonnen. Im nächsten Augenblick aber fiel ein Schuß. Schupke hatte sich durch die Brust geschossen. Auf einer Bahre trugen sie ihn hinein. Er schien ein Sterbender. Aber die Jugend war stärker als der Tod. Drei Jahre lang lag er im Lazareth (die Kugel hatte ihm ein Stück Tragband mit in die Lunge gejagt); dann stand er auf und war ein genesener Mann. Kein Mensch in Potsdam sprach von dem, was vorher gegangen war; in Mitleid war jede andere Betrachtung untergegangen; jeder hatte ein tiefes Mit- gefühl für den Mann von Ehre, der die leise Schuld, die ihn traf, mit seinem Blute bezahlt hatte. Er verließ das Lazareth und wurde Förster in der Pirschhaide. Hier, wo die Lichtung ist, dort stand sein Haus. Das Trauerspiel war aus; das Idyll begann. Er schloß eine glückliche Ehe, und ehe zehn Jahre in’s Land gegangen waren, war er eine „Figur“ in Havelland und Zauche. Er trat wie ein Sonnenschein in jeden Kreis; jedes Gesicht wurde heiterer, die Kinder liefen ihm entgegen und reichten ihm die Hand. Er hatte die glücklichste Mischung: einen festen Sinn und ein freundliches Herz. So lebte er in unserer Mitte, unseres Dorfes Stolz, sich und Anderen zur Freude. Aber er sollte nicht zu hohen Jahren kommen. Eines Morgens — alle Dächer lagen in Reif und die Sonne stand wie eine rothe Kugel über den Bäumen, — da lief es von Haus zu Haus: Schupke ist todt. Es war nur allzu wahr. Er hatte einen eigenen Tod gehabt. Einen etwas engen Stiefel mit Gewalt anziehend, war eines der vernarbten Blut- gefäße wieder geplatzt und der Erguß in die Lunge hatte seinem Leben ein Ziel gesetzt. Drei Tage später haben wir ihn begraben. Keiner fehlte. Es waren herzliche Thränen, die auf sein Grab fielen. Die Pirschhaide hatte keinen bessern Mann gesehen. So erzählte unser Führer. Die Sonne war inzwischen untergegangen; wir gaben unsern Lukenplatz auf und stiegen hinunter . Ein weißer, kaum fußhoher Nebel zog über den Kirchhof hin und hüllte die Gräber ein; aber die Kreuze agte hell darüber hinaus und auf der goldenen Inschrift des einen lag es wie ein letzter Schimmer. Neu-Geltow. Seit drei Menschenaltern schöpft ihr Aus dem Meere dieser Weisheit; Habt ihr keinen Tropfen, laßt mich Wissen trinken, denn mich dürstet. Scherenberg. (Der letzte Maurenkönig.) E s dämmerte und die ersten Sterne zogen blaß herauf, als wir unsern Heimweg antraten. Unser Specialführer auf dem Alt-Geltower Kirchhof blieb zurück. Welche Gegensätze hatten eben zu uns gesprochen! Ein gelehrter, bienenfleißiger Sammler; ein Lebemann, „der die Bibliothek seines Vaters in den Keller trug,“ und als Dritter ein Parkhüter, der in den Bäumen seines Wildparks so gut Bescheid wußte, wie sein Nachbar in seinen Büchern. Ein schlichtes Dasein, diese Park- hüter-Existenz, und doch war der blutige Ernst des Lebens erschütternder an sie herangetreten, als an das Leben dessen, der im Granatregen von Giurgewo spazieren gegangen war und 13 Duelle als Gesandter in Rio auf einmal contrahirt hatte. So plauderten mein Gefährte und ich, bis die wechselnde Scenerie unserem Gespräch eine andere Richtung gab. Wir hielten immer noch die Dorfstraße inne; aber das Dorf selbst schien ein anderes geworden, und in der That waren wir aus Alt -Geltow in Neu -Geltow hineingenrathen. Der Unterschied war so groß, daß er sich uns aufdrängen mußte. Der dörfische Charakter hatte aufgehört, Sommerhäuser waren an seine Stelle getreten; klein, einstöckig, aber von großer Sauberkeit, und üb all da, wo ein Vorgarten war oder wo sich Caprifolium- und Rosenbüsche um Thür und Fenster zogen, voll Anmuth und malerischem Reiz. In Front der Häuschen standen gedeckte Tische: Cabarets, Fruchtschalen mit Erd- und Himbeeren gefüllt, Milchsatten und geriebenes Schwarzbrod, während in der Mitte der dichtbesetzten Tafel ein Thee-Apparat und eine Milchglas- Lampe aufragte, deren Flamme ohne jegliches Flackern brannte; denn kein Luftzug ging. Dies Bild wiederholte sich von Haus zu Haus, und ihre Gesammtheit erinnerte mich lebhaft an kleine Ostsee-Badeörter, wo an Juli-Abenden die Binnenländischen von Spree und Havel in Front der Schiffer- und Lootsen- Häuser sitzen und sich an Blaubeeren mit Milch erlaben, wäh- rend irgend eine Flagge oder ein rother Wimpel von dem Frontgiebel des Hauses niederhängt. Die Scenerie dieselbe, aber nicht die Menschen. Während in jenen Badeörtern das Weibliche prävalirt und die scharf accentuirten Laute, die jetzt Agathen und Elisen, jetzt Helenen und Clementinen zur Ordnung rufen, schon auf dreißig Schritt keinen Zweifel darüber lassen, daß hier eine Residenzmutter sich niedergelassen hat, — wir sagen: während das Weibliche , die Glucke mit den Küchlein, die Signatur jener baltischen Bade- plätze ist, herrscht hier das Männliche bis zu einem Grade vor, daß man Neu-Geltow als ein ausgebautes Mönchskloster bezeichnen könnte, als eine Benedictiner-Genossenschaft, deren Zellen in Gestalt kleiner Häuschen neben einander gestellt wor- den sind. Ich habe diese Auswahl unter den Mönchsorden mit gutem Vorsatz getroffen, denn die Benedictiner sind die Studir- Mönche und was hier in diesen Neu-Geltower Zellen haust und wohnt, daß sind in der That Wissenschafts-Beflissene, das sind junge Männer, die sich an dieser stillen, abgelegenen Stelle „Studirens halber“ aufhalten. Es hat damit folgende Bewandtniß. In Preußen (wie in China) ist nichts ohne Examen! Alle Examina sind Klippengrund, besonders die juristischen. Aber wenn schon das Examen des Gerichts -Assessors den gefürch- teten „Needles“ entspricht, in deren Umkreis die Schiffe zu Hunderten liegen, so entspricht das Examen des Regierungs- Fontane , Wanderungen. III. 14 Assessors den Goodwin-Sands, wo die Mastspitzen der Ver- lorengegangenen so dicht aufragen, wie die Kreuze auf einem großstädtischen Kirchhof. Solche und ähnliche Betrachtungen mochten es sein, die vor etwa 20 Jahren einen Dr. Foerstermann anspornten, der bedrängten Menschheit zu Hilfe zu eilen. Dem Plan folgte die Ausführung. In das schöne, beinah schloßartig gelegene Haus des alten Meusebach zog der junge Doktor ein; die Bibliothek- zimmer wurden zu Klassen und Auditorien, und ein Institut entstand, das sich, „einem tiefgefühlten Bedürfniß entsprechend,“ rasch emporarbeitete und die Zahlen und Tabellen der Schiff- bruch-Statistik erheblich reducirte, während Neu-Geltow mehr und mehr jenen Klostercharakter annahm, den wir vorstehend bezeichnet haben. Auch ein Gelübde hatten die Eintretenden zu leisten; keins der drei großen (am wenigsten das der Armuth), wohl aber das eine : jede der beim Examen an sie gerichteten Fragen gewissenhaft zu notiren und mitzutheilen. Diese Fragen, nunmehr Eigenthum des Instituts, wurden in das goldene Buch des Hauses eingetragen und was in Upsala der Codex argenteus, oder in London die Tischendorfsche Bibel ist, das wurde im Foerstermannschen Institut dieser Codex aureus. An ihm hing alles; er wog alles andere auf. Es war der Koran des Omar. „Wenn in anderen Büchern dasselbe steht, so sind sie überflüssig; wenn in ihnen etwas anderes steht, so sind sie unbrauchbar, gefährlich .“ Wie die Welt auf der Schildkröte ruht, so ruhte das Institut auf diesem Buch. Und doch kam es anders, als Dr. Foerstermann gedacht hatte. Die Zeit schritt vorwärts, Preußen mit, und mit ihm — seine Steuern. Ruhm war nie billig. An Dr. Foerstermanns Thür klopfte die „Einschätzungscommission,“ klopfte häufiger und immer stärker, und müde der drohenden Schraube ohne Ende, schloß er daß Institut. Die Studirmönche von Neu-Geltow waren haupt- und führerlos; der Orden schien seiner Auflösung nahe. Aber er schien es nur. Ein junger begnadeter Referenda- rius, der noch nicht lange genug da war, um den Wald vor Bäumen nicht zu sehen, trat in den Kreis der bemoosten Häupter und sprach wie folgt: „Brüder! Ein Blitz aus heiterm Himmel hat unsern Orden getroffen. Wir sind wie gelähmt. Aber verloren ist nur, was sich selber verloren giebt. Ich schlage vor: geben wir uns nicht verloren. (Beifall. Ironisches Lächeln.) Ich wiederhole: geben wir uns nicht verloren. Commilitonen, wir haben das goldene Buch. (Nein, nein! ja, ja!) Wir haben das goldene Buch. Wir haben nicht den todten Ein- band, (gut, gut!) aber wir haben Alles, was lebendig an diesem Buche ist, wir haben — die Fragen . Wir kennen sie, sie sind uns gegenwärtig. Was soll uns die Aufzeichnung? Was soll uns das Geschriebene? Wir haben die Tradition . Wir sind führerlos, führen wir uns selbst. Der Staat, unser Staat über Alles. „L’état c’est nous!“ Eine außerordentliche Bewegung hatte sich Aller bemächtigt. „Das Ei des Columbus!“ riefen einige der Bemoosten. Man schüttelte sich die Hände, es war eine Scene wie auf der Rütli- Wiese; alte Gelübde wurden erneuert und was mehr ist, man hielt sie. Neu-Geltow blieb. Die villenartigen Häuschen, die, wenn der Exodus Referendariorum eine Wirklichkeit geworden wäre, längst ihr zierliches Blüthengerank mit Kürbis und Stangenbohnen vertauscht haben würden, verblieben in ihrem Rosen- und Geisblatt-Schmuck, und nichts war geschehen als — die Verfassung war geändert. Die monarchische Spitze war abgebrochen, — errungen war eine freie Schweiz. Während wir über Dies und Aehnliches sprachen, hatten wir die letzten Häuser von Neu-Geltow erreicht, und müde vom Marschiren, dazu trocken in der Kehle, setzten wir uns auf eine am Ackerrand liegende Walze, um hier aus freier Hand ein etwas verspätetes Vesperbrot einzunehmen. Ich richtete dabei allerhand Fragen an meinen Gefährten, der, wie sich der Leser aus früheren Capiteln freundlich erinnern wird, diese Territorien zwischen Havel und Schwilow-See wie seine zweite Heimath kannte, und ließ mir, unter immer wachsendem Interesse, von den socialen Zuständen dieser Colonie erzählen, von Parteien 14* und Gegensätzen, von Krieg und Frieden, von Reunions und Festlichkeiten und von den delicaten Beziehungen zwischen Wirthen und Miethern. „Diese Beziehungen,“ so nahm der Gefährte eingehender das Wort, „sind sehr gut, wie Sie sich denken können; es wird hier studirt, aber es wird doch auch gelebt , und überraschlich ist mir immer nur das Eine erschienen, daß, bei aller persönlichen Hinneigung zu der unter ihnen weilenden jungen Rechts- und Regierungs-Welt, die Hauswirthe und Villenbesitzer, die Autoch- thonen von Neu-Geltow, eine entschiedene Vorliebe für höchst unjuristische Aushilfen an den Tag legen. Ob die in den Zimmern ihrer Miether aufgehäuften Wälzer und Pandektenstöße die Frage in ihnen angeregt haben: „wer soll da Recht finden?“ — gleichviel, es ist eine Thatsache, daß sie eine Art Passion für das aide toi même und für ein „abgekürztes Gerichts- verfahren“ haben. „Sehen Sie hier drüben das Haus neben dem Eiskeller?“ fuhr mein Reisegefährte fort. Ich nickte. „Nun gut; in dem zweiten Hause dahinter, mit den Jalousieen und der kleinen Veranda, wohnen zwei Brüder, Kaufleute ihres Zeichens, die sich aus den Geschäften wohl oder übel zurückgezogen haben und als Zimmervermiether und Hoteliers kleineren Styls in der frischen Luft von Neu-Geltow das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden trachten. Sie heißen Robertson, erzählen von einem räthselhaften Urgroßvater, der aus Schottland hierher verschlagen wurde, und haben ihre Sophas mit Tartan in den Clan- Farben der Robertsons überzogen. Ihre Vornamen sind Wil- helm und Robert, wobei jener, wenn es sich darum handelt „to do the honors for all Scotland“ im Vortheil ist, indem er sich beliebig aus einem Wilhelm in einen William umwandeln kann, während der jüngere durch eine Art Sprachtücke unter allen Umständen ein Robert bleibt. Er hat dafür den Vorzug der Alliteration und eines gewissen Scandinavismus: Robert Robertson. Sie müssen diese Abschweifung meiner Erzählung verzeihen. Aber die beiden Brüder sind eben die Helden meiner Geschichte, und wenn es auch eine bekannte Sache ist, daß man seine Lieblingsfiguren am besten durch Thatsachen schildert, so werden Sie doch eine kurze Charakterisirung gelten lassen. Robert, zu der Zeit, wo meine Geschichte spielt, hatte die linke, Wilhelm die rechte Seite des Hauses inne. Sie können deutlich die Giebelfenster des Letzteren sehen. Es war an einem frischen Octobermorgen, die Sonne war noch nicht heraus, als Robert an die Jalousieen von seines Bruders Schlafzimmer pochte. Dieser ließ nicht lange auf sich warten und öffnete: „Wilhelm, sie sind bei Dir eingebrochen.“ Das war ein Don- nerwort. Aber über Wilhelm kam jetzt der alte Geist seiner Heimath; die Schotten sind scharf in Mein- und Dein-Fragen; er sprang in die Kleider, dann in den Hof. Wer ihn gesehn hätte, hätte ausrufen müssen: jeder Zoll ein William. Der Einbruch war rasch constatirt; der Dieb war mit Hilfe einer Feuerleiter in das oberste Giebelfenster, (wo Sie jetzt das Licht sehen) eingestiegen, hatte dem nachbarlichen Rauchfang drei Schinken und sieben Würste, einer auf dem Boden stehenden Truhe ein Bettenbündel entführt und war dann auf demselben Wege verschwunden, auf dem er gekommen war. Die Feuerleiter wieder an ihren Platz zu bringen, hatte er nicht für nöthig befunden. Einen Augenblick schien guter Rath theuer, als Robert, ohne eine Ahnung von der Wichtigkeit seiner Bemerkung zu haben, vor sich hinmurmelte: „und der Kinderwagen ist auch weg.“ Der ältere Bruder richtete sein Auge nach der Schuppen- Ecke, wo sonst der Wagen zu stehen pflegte; die Stelle war leer; er stieß die linke Faust triumphirend in die Höh und schrie: „Jetzt kriegen wir ihn.“ Es war ersichtlich, daß der Dieb sich des Wagens bemächtigt hatte, um seine Beute rascher und bequemer fortschaffen zu können; dem Bestohlenen aber stand es auf einen Schlag vor der Seele, daß er an der Apartheit der Räderspur eines Kinderwagens , die Spur des Feindes und endlich ihn selber finden würde. Sollen wir Anzeige machen? unterbrach Robert. „Ei, was, Anzeige. Das wissen wir in Neu-Geltow besser.“ Damit sprang er ins Haus zurück, stülpte sich eine Filzkappe auf und stand im nächsten Moment mit zwei Dorn- stöcken wieder auf dem Hof. „Da nimm.“ Willst Du nicht lieber die Pistolen … Nein, ein Knittel geht immer los. Damit trat er auf die nach Potsdam führende Chaussee. Der Bruder folgte. Nun begann ein Suchen, wie es seit den Tagen des „letzten Mohikaners“ nicht mehr erlebt worden ist. Alle Künste, die Falkenauge in seinen besten Momenten geübt, alle Instincte, die den Uncas und Chingachgook jemals siegreich geleitet, wenn sie aus einem abgebrochenen Tannenzweig oder aus dem Tritt der Mocassins die Spur zu entdecken und die schon verlorene wieder aufzufinden wußten, alle diese Künste und Instincte sie wurden überboten von dem, was jetzt William Robertson in dieser frühen Octoberstunde leistete. Das Terrain war das schwierigste von der Welt. Es hatte in der Nacht geregnet, und der Staub, der sonst auf der Chaussee liegt, war weggespült worden. Aber wenn die harte Steinstraße keine Spur heraus- gab, so zeigte sie sich dafür allemal da, wo der Kinderwagen momentan in den sogenannten Sommerweg eingebogen war, wie in eine Form gegossen. Die Brüder sprachen kein Wort, aber in solchem Augenblick begrüßten sich ihre Blicke. So hatten sie die Spur bis zum Thore verfolgt; hier mußte sichs entscheiden. War er ein Potsdamer und hier in die Stadt hinein gefahren, so waren alle Mühen umsonst gewesen; war er aber ein Berliner (und allerhand Zeichen hatten schon dafür gesprochen), war er statt in die Stadt, um diese herum und auf die Berliner Chaussee gebogen, so mußte er eingeholt werden. Richtig; da war die Spur. Der Sieg gestaltete sich muthmaßlich nur noch zu einer Frage der Zeit. Also weiter. Es war jetzt schon um die neunte Stunde. Als sie eben die große Glinicker Brücke passirt hatten, sahen sie eine Schwadron Garde-Husaren des Weges kommen. „Habt ihr nicht einen Mann und einen Kinderwagen gesehn?“ Ja wohl; er muß jetzt hinter Drei-Linden sein, auf Neu-Zehlen- dorf zu. Die Hoffnung sank wieder. Der Vorsprung war zu groß. Die Kräfte ließen nach. In diesem kritischen Moment indessen kam von einem der Etablissements her eine Morgendroschke gefahren, die nach Potsdam zurück wollte. „Halt! 20 Sgr. bis Neu-Zehlendorf.“ Der Kutscher rührte sich nicht. „Einen Thaler.“ Er nickte. „Noch ein Trinkgeld Kutscher, aber nun laßt euren Wettrenner laufen.“ Was soll ich die Katastrophe länger hinausschieben! Sie errathen ohnehin den Ausgang. In einem Chausseegraben zwischen Drei-Linden und Zehlendorf, hart zur Linken des Weges, saß der Gegenstand dieser energischen Suche und früh- stückte, eine der geraubten Speckseiten neben sich, mit der ganzen Ruhe eines guten Gewissens, während der Kinderwagen mit seinem Bettenbündel wie das Junge eines Frachtwagens mitten auf der Chaussee stand. Dieser letztere Umstand sollte dem arglosen Frühstücker besonders verhängnißvoll werden, denn die gestörte Straßen-Communication ließ nunmehr ein Ausbiegen nach links hin (ein „Gewinnen der inneren Linie“ wie die Strategen sagen würden), völlig unverfänglich erscheinen. So gelang ein totaler Ueberfall. Im Moment des Vorbeifahrens stürzten sich die beiden Brüder aus der schon vorher leise geöffneten Droschkenthür auf ihr Opfer, entrissen ihm, unter Geltendmachung ihrer „immer los gehenden Waffe,“ das Klapp- messer, das der Ueberraschte einen Augenblick Miene machte à deux mains zu gebrauchen, und luden ihn dann ein, den Mittelplatz in ihrer Droschke einzunehmen. „Er werde wohl müde sein.“ Der Kinderwagen wurde angehakt; so ging es im Triumph rückwärts, über die Glienicker Brücke. „ Jetzt wollen wir Anzeige machen,“ rief William seinem Bruder zu. „ Wer die Doctors kennt , kurirt sich erst selber.“ Da haben Sie meine Geschichte. Sie mag Ihnen den Satz illustriren, womit ich anfing, die Neigung zum „abgekürzten Verfahren.“ Unser Vesperbrot war längst beendet; wir erhoben uns von unsrer Walze und schritten munter in den Forst hinein. Es dunkelte stark, trotzdem die Sterne jetzt heller schienen. Wo eine Lichtung war und ein mäßig heller Schein auf den Weg fiel, musterte ich unwillkürlich die Gleise, ob nicht eine Kinder- wagen-Spur sie durchschnitt oder begleitete. Werder. Die Insel und ihre Bevölkerung. Stadt und Kirche. „Christus als Apotheker.“ Es möchte sich niederneigen In die spiegelklare Fluth, Es möchte streben und steigen In der Abendwolken Gluth. Uhland. I do remember an apothecary And here about he dwells; … green earthen pots Where thinly scatter’d to make up a show. Shakespeare. D er Reisende, den von Berlin aus sein Weg nach Westen führt, sei es um angesichts des Kölner oder auch schon des Magdeburger Domes zu landen, hat — wie immer ablehnend er sich gegen die Schönheiten von Mark Brandenburg verhalten möge — wenigstens zu Beginn seiner Fahrt, so lange die grünen Hänge von Potsdam ihm zur Seite bleiben, einige Partien zu durchfliegen, die er nicht Anstand nehmen wird, als Oasen gelten zu lassen. Wenn aber all’ die lachenden Bilder zwischen Schloß Babelsberg und dem Pfingstberg, zwischen der Pirsch- haide und dem Golmer Bruch ihn unbekehrt gelassen hätten, so würde doch das prächtige See- und Fluß-Panorama ihn entzücken müssen, das die große Havelbrücke eine Meile west- wärts von Potsdam vor ihm aufthut, und das ihm nach rechts hin eine meilenbreite, segelbedeckte Fläche, nach links hin eine giebelreiche, roth und weiß gemusterte, in dem klaren Havelwasser sich spiegelnde gothische Kirche zeigt. Um sie herum ein dichter Häuserkranz: Stadt Werder . Stadt Werder, wie ihr Chronist Ferdinand Ludwig Schöne- mann in einem 1784 erschienenen Buche erzählt, liegt auf einer „gänzlichen Insel.“ Diese umfaßt 46 Morgen. „Zur Som- merzeit, wenn das Wasser zurückgetreten ist, kann man die Insel in einer Stunde umschreiten; sie aber zu umfahren, sei es in einem Kahn oder einer Schute, dazu sind zwei Stunden er- forderlich. Ein solches Umfahren der Insel an schönen Som- merabenden gewährt ein besonderes Vergnügen, zumal wenn des Echos halber die Fahrt von einem Waldhornisten begleitet wird.“ Der Chronist hat hier eine romantische Anwandlung, die wir hervorgehoben haben wollen, weil sie in seinem Buche die einzige ist. Der Boden der Insel ist fruchtbar, größtentheils fett und schwarz; nur ein geringer Strich, von sehr unpoetischem Namen, ist morastig. Was die Entstehung der Stadt angeht, so heißt es, daß sich die Bewohner eines benachbarten Wendendorfes, nach dessen Zerstörung durch die Deutschen, vom Festlande auf die Insel zurückgezogen und hier eine Fischercolonie gegründet hätten. „Doch beruht — wie Schönemann sinnig hervorhebt — die Gewißheit dieser Meinung blos auf einer unsicheren Ueberlieferung.“ Unsicher vielleicht, aber nicht unwahrscheinlich. Das um- liegende Land wurde deutsch, die Havelinsel blieb wendisch. Die Gunst der Lage machte aus dem ursprünglichen Fischerdorfe als- bald einen Flecken (als solchen nennt es bereits eine Urkunde aus dem Jahre 1317) und abermals hundert Jahre später war aus dem Flecken ein Städtchen geworden, dem Kurfürst Fried- rich II. bereits zwei Jahrmärkte bewilligte. So blieb es in allmäligem Wachsen und seine Insellage wurde Ursach, daß keine Rückschläge erfolgten und Stadt Werder durch allen Zeitenwirr- warr hindurchgehen konnte, ohne die Kriegsruthe zu empfinden, die für das umliegende Land, wie für alle übrigen Theile von Mark Brandenburg oft so hart gebunden war. Der 30jährige Krieg zog wie ein Gewitter, „das nicht über den Fluß kann,“ am Werder vorüber; die Brücke war weislich abgebrochen, jedes Fahrzeug geborgen und versteckt, und wenn der scharf eintretende Winterfrost die im Sommer gewahrte Sicherheit zu gefährden drohte, so ließen sichs die Werderaner nicht verdrießen, durch beständiges Aufeisen der Havel ihre insulare Lage wieder her- zustellen. So brachen nicht Schweden, nicht Kaiserliche in ihren Frieden ein und es ist selbst fraglich, ob der „schwarze Tod,“ der damals über das märkische Land ging, einen Kahn fand, um vom Festland nach der Insel überzusetzen. Das war der Segen, den die Insellage schuf, aber sie hatte auch Nachtheile im Geleit und ließ den von Anfang an vor- handen gewesenen Hang, sich abzuschließen, in bedenklichem Grade wachsen. Man wurde eng, hart, selbstsüchtig; Werder gestaltete sich zu einer Welt für sich, und der Zug wurde immer größer, sich um die Menschheit draußen nur in so weit zu kümmern, als man Nutzen aus ihr ziehen konnte. Diese Exclusivität hatte schon in den Jahren, die dem 30jährigen Kriege voraus- gingen oder mit ihm zusammenfielen, einen hohen Grad erreicht. In Aufzeichnungen aus jener Zeit finden wir Folgendes. „Die Menschen hier sind zum Umgange wenig geschickt und gar nicht aufgelegt, vertrauliche Freundschaften zu unterhalten. Sie hassen alle Fremden, die sich unter ihnen niederlassen, und suchen sie gern zu verdrängen. Vor den Augen stellen sie sich treuherzig, hinterm Rücken sind sie hinterlistig und falsch. Von außen gleißen sie zwar, aber von inwendig sind sie reißende Wölfe. Sie sind sehr abergläubisch, im Gespenstersehen besonders erfahren, haben eine kauderwelsche Sprache, üble Kinderzucht, schlechte Sitten und halten nicht viel auf Künste und Wissenschaften. Arbeit- samkeit und sparsames Leben aber ist ihnen nicht ab- zusprechen. Sie werden selten krank und bei ihrer Lebensart sehr alt.“ War dies das Zeugniß, das ihnen um 1620 oder 30 ein unter ihnen lebender „Stadtrichter,“ also eine beglaubigte Person, ausstellen mußte, so konnten 150 Jahre weiterer Ex- clusivität in Gutem wie Bösem keinen wesentlichen Wandel schaffen, und in der That, unser mehr citirter Chronist bestätigt um 1784 nur einfach alles das, was Stadtrichter Irmisch (dies war der Name des 1620 zu Gericht sitzenden) so lange Zeit vor ihm bereits niedergeschrieben hatte. Die Uebereinstimmung ist so groß, daß darin ein eigenthümliches Interesse liegt. „Die Bewohner von Werder,“ so bestätigt Schönemann, „suchen sich durch Verbindungen unter einander zu vermehren und nehmen Fremde nur ungern unter sich auf . Sie sind stark, nervig, abgehärtet, sehr beweglich. Sie stehen bei früher Tageszeit auf und gehen im Sommer schon um 2 Uhr an die Arbeit; sie erreichen 70, 80 und mehrere Jahre und bleiben bei guten Kräften. Ihre Kinder gewöhnen sie zu harter Lebensart; im frühesten Alter werden sie mit in die Weinberge genommen, um ihnen die Liebe zur Arbeit mit der Mutter- milch einzuflößen. Die Kinder werden bis zum 8. oder 9. Jahre in die Schule geschickt, lernen etwas lesen, wenig schreiben und noch weniger rechnen. Die meisten bleiben ungesittet; das kommt aber nicht in Betracht, weil ihnen an dem zeitlichen Gewinn gelegen ist. Viele natürliche Fähigkeiten sind bei ihnen nicht anzutreffen und sie halten fest am Alten. Sie lieben einen springenden Tanz, und machen Aufwand bei ihren Gastmählern. Im Uebrigen aber leben sie kärglich und sparsam und suchen sich durch Fleiß und Mühe ein Vermögen zu erwerben .“ Welche Stabilität durch anderthalb Jahrhunderte! Im Uebrigen, wenn man festhält, wie tief der Egoismus in aller Menschennatur überhaupt steckt und daß es zu alledem zwei „Fremde,“ zwei „Zugezogene“ waren, die den Werderanern die vorstehenden, gewiß nicht allzu günstig gefärbten Zeugnisse aus- stellten, so kann man kaum behaupten, daß die Schilderung ein besonders schlechtes Licht auf die Inselbewohner würfe. Hart, zäh, fleißig, sparsam, abgeschlossen, allem Fremden und Neuen abgeneigt, das Irdische über das Ueberirdische setzend — das giebt zwar kein Idealbild, aber doch das Bild eines tüchtigen Stammes, und das sind sie auch durchaus und unverändert bis diesen Tag. Wir haben uns bis hieher ausschließlich mit den Be- wohnern beschäftigt; es erübrigt uns noch in die Stadt selbst einzutreten, und so weit wir es vermögen, ein Bild ihres Wachs- thums, dann ihrer gegenwärtigen Erscheinung zu geben. Der nur auf das Praktische gerichtete Sinn, der nichts Höheres als den Erwerb kannte, dazu eine Abgeschlossenheit, die alles Lernen fast mit Geflissentlichkeit vermied, all’ diese Züge, wie wir sie aus doppelter Schilderung kennen gelernt haben, waren begreiflicherweise nicht im Stande, aus Werder einen Prachtbau zu schaffen. Es hatte seine Lage und seine Kirche , beide schön, aber die Lage hatte ihnen Gott und die Kirche hatten ihnen die Lehniner Mönche gegeben. An beiden waren die Werderschen unschuldig. Was aus ihnen selbst heraus entstanden, was ihr eigenstes war, das ließ allen Bürgersinn vermissen, und erinnerte an den Lehmkathen-Bau der umliegenden Dörfer. Noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts bestanden die Häuser aus Holz, Lehm und gestackten Wänden, die hölzernen Schornsteine zeigten einen riesigen Umfang und die Giebel- fronten waren derart, daß immer eine Etage vorspringend über die andere hing. Die Häuser waren groß, aber setzten sich zu wesentlichstem Theile aus Winkeln, Kammern und großen Böden, selbst aus unausgebauten Stockwerken zusammen, so daß die Familie meist in einer einzigen Stube hauste, die freilich groß genug war, um 30 Personen bequem zu fassen. Im Einklang damit war alles Uebrige: die Brücke baufällig, die Straßen ungepflastert, so daß, in den Regenwochen des Herbstes und Frühjahrs, die Stadt unpassirbar war und der Verkehr von Haus zu Haus auf Stelzen oder noch allgemeiner auf Kähnen unterhalten werden mußte. In allem diesem schaffte endlich das Jahr 1736 Wandel. — Dieselben beiden Faktoren: „das Königthum und die Armee,“ die überall hier zu Lande aus dem kümmerlich Gegebenen erst etwas machten, waren es auch hier, die das Alte abthaten und etwas Neues an die Stelle setzten. Die Armee, wie un- bequem sie dem Einen oder Andern sein mochte, damals wie heute, sie sicherte, sie bildete, sie baute auf. So auch in Werder. Es war im Spätsommer genannten Jahres (1736), als das eben damals in Brandenburg garnisonirende 3. Bataillon Leibgarde Befehl erhielt, zur Revue nach Potsdam zu marschiren, und zwar über Werder . Der Befehl lautete so bestimmt wie möglich; so blieb nichts anders übrig, als dem Könige rund und nett zu erklären, daß die Brücke zu Werder unfähig sei, das 3. Bataillon Leibgarde zu tragen. Die Gardemänner aber, etwa im Gänsemarsch, einzeln in die Stadt einrücken zu lassen, dieser Vorschlag wurde gar nicht gewagt; Friedrich Wilhelm I. würde ihn als einen Affront geahndet haben. So gab es denn nur einen Ausweg, eine — neue Brücke . Der König ließ sie aus Chatoullen-Geldern in kürzester Frist herstellen. Eine neue Brücke war nun da; aber auch in der Stadt selber sollte es anders werden. Ein Kommando des Leib- Regiments, aus Gründen, die nicht ersichtlich, war in Werder geblieben und im Spätherbst erschien Se. Majestät in der Insel- stadt, um über seine 150 Blauen eine Spezial-Revue abzuhalten. Es war die unglücklichste Jahreszeit: die Karosse des Königs blieb mitten auf dem Markt im Moraste stecken, ein Parademarsch wurde zu einem Unding und die Ungnade des Königs, wenn dergleichen nicht wieder vorkommen sollte, wandelte sich von selbst in eine Gnade um: Werder wurde gepflastert. Die Kirche „zum heiligen Geist,“ auf der höchsten Stelle der Insel malerisch gelegen, war schon 2 Jahre vorher einem Neubau unterzogen worden; ob sie schönheitlich dadurch gewon- nen hatte, wird zu bezweifeln sein; die Lehniner Mönche ver- standen sich besser auf Kirchenbau als der Soldatenkönig. Jedenfalls verbietet sich jetzt noch eine Entscheidung in dieser Frage, da die Renovation von 1734 längst wieder einem neuen Umbau gewichen ist, einer wiederhergestellten, spitzen- reichen Gothik, die, in der Nähe vielleicht mannigfach zu beanstanden, als Landschafts-Decoration aber, wie eingangs dieses Kapitels bereits hervorgehoben wurde, von seltener Schönheit ist. Dieser letzte Umbau, und wir treten damit in die Gegen- wart ein, hat die Kirche erweitert, gelichtet, geschmückt; jene Königliche Munificenz Friedrich Wilhelms IV. , die hier überall, an der Havel und den Havelseen hin, neue Kirchen entstehen, die alten wiederherstellen ließ, hat auch für Werder ein Man- nigfaches gethan. Dennoch, wie immer in solchen Fällen, hat das geschichtliche Leben Einbuße erfahren, und Bilder, Grabsteine, Erinnerungsstücke haben das Feld räumen müssen, um viel sauberern, aber viel uninteressanteren Dingen Platz zu machen. Zum Glück hat man für das „historische Gerümpel,“ als das man es angesehen zu haben scheint, wenigstens eine „Rumpel- kammer“ übrig gelassen, wenn es gestattet ist, eine Sakristei- Parzelle mit diesem wenig ehrerbietigen Namen zu bezeichnen. Hier befindet sich unter andern auch ein ehemaliges Altar- Gemälde , das in Werder den überraschenden, aber sehr be- zeichnenden Namen führt: „Christus als Apotheker.“ Es ist so abnorm, so einzig in seiner Art, daß eine kurze Beschreibung desselben hier am Schlusse unsers Kapitels gestattet sein möge. Christus, in rothem Gewande, wenn wir nicht irren, steht an einem Dispensir-Tisch, eine Apotheker Wage in der Hand. Vor ihm, wohlgeordnet, stehen acht Büchsen, die auf ihren Schildern folgende Inschriften tragen: Gnade, Hilfe, Liebe, Geduld, Friede, Beständigkeit, Hoffnung, Glauben. Die Büchse mit dem Glauben ist die weitaus größte; in jeder einzelnen steckt ein Löffel. In Front der Büchsen, als die eigentliche Hauptsache, liegt ein geöffneter Sack mit Kreuz-Wurtz . Aus ihm hat Christus soeben eine Handvoll genommen, um die Wage, in deren einer Schale die Schuld liegt, wieder in Balance zu bringen. Ein zu Häupten des Heilands angebrachtes Spruchband aber führt die Worte: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Ich bin kommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Frommen. (Mat- thäi 9. V. 12.)“ Die Werderaner, wohl auf Schönemann gestützt, haben dies Bild bis in die katholische Zeit zurückdatiren wollen. Sehr mit Unrecht. Die katholische Zeit hat solche Geschmacklosigkeiten nicht gekannt. In diesen Spielereien erging man sich, unter dem nachwirkenden Einfluß der zweiten schlesischen Dichterschule, der Lohenstein’s und Hofmannswaldau’s, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, wo es Mode wurde, einen Gedanken, ein Bild in unerbittlich-consequenter Durchführung zu Tode zu hetzen. Könnte übrigens inhaltlich darüber noch ein Zweifel sein, so würde die malerische Technik auch diesen beseitigen. 1734, in demselben Jahre, in dem die alte Cisterzienser- Kirche renovirt wurde, erhielt Werder auch eine Apotheke . Es ist höchst wahrscheinlich, daß der glückliche Besitzer derselben sich zum Donator machte und das Bild-Curiosum, das wir geschildert, dankbar und — hoffnungsvoll stiftete. Im nächsten Kapitel einiges über die „Werderschen.“ Die Werderschen. Blaue Havel, gelber Sand, Schwarzer Hut und braune Hand, Herzen frisch und Luft gesund Und Kirschen wie ein Mädchenmund. W as uns nun aber heute nach Werder führt, das ist weder die Kirche noch deren fragwürdiger Bilderschatz, das ist einfach eine Pietät gegen die besten Freundinnen unserer Jugend, gegen die „Werderschen.“ Jeden Morgen, auf unserem Schulwege, hatten wir ihren Stand zwischen Herkules- und Friedrichsbrücke zu passiren, und wir können uns nicht entsinnen, je anders als mit „Augen rechts“ an ihrer langen Front vorübergegangen zu sein. Mitunter traf es sich auch wohl, daß wir das verspätete „zweite Treffen“ der Werderschen, vom Unterbaume her, heran- schwimmen sahen: große Schuten dicht mit Tienen besetzt, während auf den Ruderbänken 20 Werderanerinnen saßen und ihre Ruder und die Köpfe mit den Kiepenhüten gleich energisch bewegten. Das war ein idealer Genuß, ein Schauspiel, aber ach, „ein Schauspiel nur,“ und siehe da, dem ersten Treffen, das in allem Schimmer Pomonens sich bereits faßbar vor uns präsentirte, verblieb doch immer der Sieg über unsere Sinne und unser Herz. Welche Pfirsiche in Weinblatt! Die Luft schwamm in einem erfrischenden Duft, und der Kuppelbau der umgestülpten und übereinander gethürmten Holztienen interessirte uns mehr als der Kommodenbau von Monbijou und (traurig zu sagen) auch als der Säulenwald des Schinkelschen Neuen Museums. Das sind nun 35 Jahre, das „Neue Museum“ von da- mals ist schon wieder zu einem alten geworden, die Bilder jener Tage aber sind nicht verblaßt, und als unsere Havelwanderungen vor lang oder kurz begannen, und unser Auge, von den Kuppen und Berglehnen am Schwilow aus, immer wieder der Spitz- thurm-Kirche von Werder gewahr wurde, da gemahnte es Fontane , Wanderungen. III. 15 uns wie alte Schuld und alte Liebe, und die Jugendsehnsucht nach den Werderschen stieg wieder auf: hin nach der Havel- Insel und ihrem grünen Kranz „wo tief im Laub die Knupper- kirschen glühn.“ Und wie alle echte Sehnsucht schließlich in Erfüllung geht, so auch hier, und ehe noch der Juli um war, brauste der Zug wieder über die große Havelbrücke, erst rasch, dann seinen Eil- flug hemmend, bis er zu Füßen eines Kirschberges hielt: „Station Werder!“ Noch eine drittel Meile bis zur Stadt ; eine volle drittel Meile, die einem um 3 Uhr Nachmittags, bei 27 Grad im Schatten und absoluter Windstille schon die Frage vorlegen kann: ob nicht doch vielleicht ein auf hohen Rädern ruhendes, sarg- artiges Ungethüm, das hier unter dem Namen „Omnibus“ den Verkehr zwischen Station und Stadt unterhält, vor Spazier- gangsversuchen zu bevorzugen sei. Aber es handelt sich für uns nicht um die Frage „bequem oder unbequem,“ sondern um Umschau , um den Beginn unserer Studien, da die großen Kirschplantagen, die den Reichthum Werders bilden, vorzugs- weise zu beiden Seiten eben dieser Wegstrecke gelegen sind, und so lassen wir denn dem Omnibus einen Vorsprung, gönnen dem Staube 10 Minuten Zeit sich wieder zu setzen und folgen nun zu Fuß auf der großen Straße. Gärten und Obstbaum-Plantagen zu beiden Seiten; links bis zur Havel hinunter, rechts bis zu den Kuppen der Berge hinauf. Keine Spur von Unkraut; alles rein geharkt; der weiße Sand des Bodens liegt oben auf. Große Beete mit Erdbeeren und ganze Kirschbaum-Wälder breiten sich aus. Wo noch vor wenig Jahren der Wind über Thymian und Hauhechel strich, da hat der Spaten die schwache Rasennarbe umgewühlt, und in wohl- gerichteten Reihen neigen die Bäume ihre fruchtbeladenen Zweige. Je näher zur Stadt, um so schattiger werden rechts und links die Gärten; denn hier sind die Anlagen älter, somit auch die Bäume. Viele der letzteren sind mit edleren Sorten gepfropft, und Leinwandbänder legen sich um den amputirten Ast, wie die Bandage um das verletzte Glied. Hier mehren sich auch die Villen und Wohnhäuser, die großentheils zwischen Fluß und Straße, also zur Linken der letzteren, sich hinziehen. Einge- sponnen in Rosenbüsche, umstellt von Malven und Georginen, entziehen sich viele dem Auge; andere wieder wählen die lichteste Stelle und grüßen durch die weitgestellten Bäume mit ihren Balkonen und Fahnenstangen, mit Veranden und Jalousien. Eine reiche, immer wachsende Cultur! Wann sie ihren Anfang nahm, ist bei der Mangelhaftigkeit der Aufzeichnungen nicht mehr festzustellen. Es scheint aber fast, daß Werder als ein Fischerort ins 17. Jahrhundert ein- und als ein Obst- und Gartenort aus ihm heraustrat. Das würde dann darauf hin- deuten, daß sich die Umwandlung unter dem Großen Kurfürsten vollzogen habe, und dafür sprechen auch die mannigfachsten Anzeigen. Die Zeit nach dem 30jährigen Kriege war wieder eine Zeit großartiger Einwanderung in die entvölkerte Mark und mit den gartenk undigen Franzosen, mit den Bouch é s und Matthieus, die bis auf diesen Tag in ganzen Quartieren der Hauptstadt blühen, kamen ziemlich gleichzeitig die agricul- turk undigen Holländer ins Land. Unter dem, was sie pflegten, war auch der Obstbau . Sie waren von den Tagen Henriette Marie’s, von der Gründung Oranienburgs und dem Auftreten der Cleve’schen Familie Hertefeld an, die eigentlichen landwirthschaftlichen Lehrmeister für die Mark, speziell für das Havelland , und wir möchten vermuthen, daß der eine oder andere von ihnen, angelockt durch den ächt-holländischen Charak- ter dieser Havel-Insel, seinen Aufenthalt hier genommen und die große Umwandlung vorbereitet habe. Vielleicht wäre aus den Namen der noch lebenden Werderschen Geschlechter festzu- stellen, ob ein solcher holländischer Fremdling jemals unter ihnen auftauchte. Bemerkenswerth ist es mir immer erschienen, daß die Werderaner in „Schuten“ fahren, ein niederländisches Wort, das in den wendischen Fischerdörfern, so viel ich weiß, nie ange- troffen wird. 15* Gleichviel indeß was die Umwandlung brachte, sie kam ; die Flußausbeute verlor mehr und mehr ihre Bedeutung; die Gärtnerzunft begann die Fischerzunft aus dem Felde zu schlagen, und das sich namentlich unter König Friedrich Wilhelm I. , auch nach der Seite der „guten Küche“ hin, schnell entwickelnde Potsdam, begann seinen Einfluß auf die Umwandlung Werders zu üben. Der König, selber ein Feinschmecker, mochte unter den ersten sein, die anfingen eine Werdersche Kirsche von den üblichen Landesprodukten gleiches Namens zu unterscheiden. Außer den Kirschen aber war es zumeist das Strauchobst, das die Aufmerksamkeit des Kenners auf Werder hinlenkte. Statt der bekannten Bauern-Himbeere, wie man ihr noch jetzt begegnet, (die Schattenseite hart, die Sonnenseite madig) gedieh hier eine Species, die in Farbe, Größe und strotzender Fülle prunkend, aus Gegenden hierhergetragen schien, wo Sonne und Wasser eine südliche Brutkraft üben. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts hatte sich die Umwandlung völlig vollzogen: Werder war eine Garten- Insel geworden; seinem Charakter nach war es dasselbe wie heut, aber freilich nicht seiner Bedeutung nach. Sein Ruhm, sein Glück begannen erst mit jenem Tage, wo der erste Wer- deraner (ihm würden Bildsäulen zu errichten sein) mit seinem Kahne an Potsdam vorüber- und Berlin entgegens chwamm. Damit brach die Großzeit an. In Wirklichkeit ließ sie noch ein halbes Jahrhundert auf sich warten; in der Idee war sie geboren. Mit dem rapide wachsenden Berlin wuchs auch Werder und verdreifachte in 50 Jahren seine Einwohnerzahl, genau wie die Hauptstadt. Der Dampf kam hinzu, um den Triumph zu ver- vollständigen. Bis 1850 hielt sich die Schute, dann wurde sie als altehrwürdiges Institut bei Seite gelegt und ein „auf Gegen- seitigkeit“ gebauter Dampfer, der bald gezwungen war, einen großen Havelkahn ins Schlepptau zu nehmen, leitete die neue Aera der Werderaner ein. Von 1853 bis 1860 fuhr die „Marie Luise;“ seitdem fährt der „König Wilhelm“ zwischen Werder und Berlin. Noch einiges Statistisches. Auch Zahlen haben eine gewisse Romantik. Wie viele Menschen erdrückt oder todtgeschossen wurden, hat zu allen Zeiten einen geheimnißvollen Zauber ausgeübt; an Interesse steht dem vielleicht am nächsten, wie viel gegessen worden ist. So sei es denn auch uns vergönnt, erst mit kurzen Notizen zu debütiren, und dann eine halbe Seite lang in Zahlen zu schwelgen. Mit dem ersten Juni beginnt die Saison. Sie beginnt von Raritäten abgesehen, mit Erdbeeren. Dann folgen die süßen Kirschen aller Grade und Farben; Johannisbeeren, Stachel- beeren, Himbeeren schließen sich an. Ende Juli ist die Saison auf ihrer Höhe. Der Verkehr läßt nach, aber nur, um Mitte August einen neuen Aufschwung zu nehmen. Die sauren Kirschen eröffnen den Zug; Aprikosen und Pfirsich folgen; zur Pflaumen- zeit wird noch einmal die schwindelnde Höhe der letzten Juli- Wochen erreicht. Mit der Traube schließt die Saison. Man kann von einer Sommer- und Herbst-Campagne sprechen. Der Höhenpunkt jener fällt in die Mitte Juli, der Höhenpunkt dieser in die Mitte September. Die Knupperkirsche einerseits, die blaue Pflaume andererseits, — sie sind es, die über die Saison ent- scheiden. Der Versandt ist enorm. Er beginnt mit 1000 Tienen, steigt in rapider Schnelligkeit auf 3-, auf 5000, hält sich, sinkt, steigt wieder und tritt mit 1000 Tienen, ganz wie er begonnen, schließlich vom Schauplatz ab. Als Durchschnitts- Minimum wird man 3000, als Maximum 4000 Tienen täg- lich (die Tiene zu drei Metzen) annehmen dürfen. Der Preis einer Tiene ist 15 Sgr. Dies würde, bei Zugrundelegung des Minimalsatzes, in 4 Monaten oder 120 Tagen einen Gesammt- absatz von 120 mal 3000, also von 360,000 Tienen Ein sehr bedeutender Theil des Werderschen Obstes, namentlich aus den an der Eisenbahn gelegenen Obstbergen, geht nicht zu Schiff, sondern vermittelst Bahn nach Berlin. Auch dieser Verkehr ist außer- ordentlich bedeutend. Ob er in den Zahlen, die wir vorstehend verzeich- net haben, mit einbegriffen ist oder nicht, vermögen wir nicht mit Bestimmtheit zu sagen. ergeben. Dies ist aber zu niedrig gerechnet, da 360,000 Tienen, die Tiene zu 15 Sgr., nur einer Gesammt-Einnahme von 180,000 Thalern entsprechen würden, während diese auf 280,000 Thaler angegeben wird. Gleichviel indeß; dem Ber- liner wird unter allen Umständen der Ruhm verbleiben, als Minimalsatz alljährlich 1 Million Metzen Werdersches Obst zu consumiren. Solche Zahlen sind schmeichelhaft und richten auf. Sie richten auf — in erster Reihe natürlich die Werder- schen selbst, die die entsprechende Summe einzuheimsen haben, und in der That, auf dem Werder und seinen Dependenzien ist ein solider Durchschnitts-Wohlstand zu Hause. Aber man würde doch sehr irre gehn, wenn man hier, in modernem Sinne, großes Vermögen, aufgespeicherte Schätze suchen wollte. Wer persönlich anfaßt und fleißig arbeitet, wird selten reich; reich wird der, der mit der Arbeit hundert Anderer Handel treibt, sie als kluger Rechner sich zu Nutze macht. An solche Moder- nität ist hier nicht zu denken. Dazu kommen die bedeutenden Kosten, Lohnzahlungen und Ausfälle. Eine Tiene Obst, wir gaben es schon an, bringt im Durchschnitt 15 Sgr.; davon kommen sofort in Wegfall: 1½ Sgr. für Pflückerlohn und ebenfalls 1½ Sgr. für Transport. Aber die eigentlichen Aus- lagen liegen schon weit vorher. Die Führung großer Land- wirthschaften ist aus den mannigfachsten Gründen, aus Mangel an Wiesen und vielleicht nicht minder aus Mangel an Zeit und Kräften, auf dem Werder so gut wie unmöglich; so fehlt es denn an Dung und diese Unerläßlichkeit muß aus der Nachbar- schaft, meist aus Potsdam, mühsam herbeigeschafft werden. Eine Fuhre Dung kostet 7 Thaler. Dies allein bedingt die stärksten Abzüge. Was aber vor allem einen eigentlichen Reichthum nicht aufkommen läßt, das sind die Ausfall-Jahre, wo die Anstrengungen (um noch größerem Unheil vorzubeugen) ver- doppelt werden müssen, und wo dennoch mit einem Defizit abgeschlossen wird. Die Ueberschüsse früherer Jahre müssen dann aushelfen. Derartige Ausfalljahre sind solche, wo entweder starke Fröste die großen Obstplantagen zerstören oder wo im Frühjahr die Schaben und Blatthöhler das junge Laub tödten, die Ernte reduciren und oft die Bäume dazu. So giebt es denn unter den Werderschen eine Anzahl wohlhabender Leute, aber wenig reiche. Es ist auch hier dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. „ Die Werdersche .“ Ein Intermezzo. All Großes, wie bekannt, wirft seinen Schatten; Und ehe dich, o Bairische, wir hatten, Erschien, ankündigend, in braunem Schaum, Die Werdersche . Ihr Leben war ein Traum. Unter einem Geplauder, das im Wesentlichen uns die Notizen an die Hand gab, die wir vorstehend wiedererzählt, waren wir bis an eine Stelle gekommen, wo die große Straße nach links hin abbiegt und in ihrer Verlängerung auf die Brücke und dem- nächst auf die Insel führt. Genau an dem Kniepunkt erhob sich ein ausgedehntes Etablissement mit Betriebs-Gebäuden, hohen Schornsteinen und Kellerräumen, und der eben herüber- wehende Malzduft ließ keinen Zweifel darüber, daß wir vor einer der großen Brauereien ständen, die der Stadt Werder auch nach dieser Seite hin eine Bedeutung gegeben haben. Es sind eben zwei Größen, die wir an dieser Stelle zu verzeichnen haben: in erster Reihe die „Werderschen,“ in zweiter Reihe „die Werdersche.“ Eine Welt von Unterschied legt sich in diesen einen Buchstaben n. Wie Wasser und Feuer im Schooße der Erde friedlich nebeneinander wohnen, so lange ihr Wohnen eben ein Nebene inander ist, aber in Erdbeben und Explosionen unerbittlich sich Luft machen, sobald ihr Nebeneinander ein Durcheinander wird, so auch hier. Den Erfahrenen schaudert. Die Einheitlichkeit unserer Darstellung zu wahren, hätten wir vielleicht die Pflicht gehabt, die „Werdersche“ zu unter- schlagen und den „Werderschen“ allein das Feld und den Sieg zu lassen, aber das Wort: die „Werdersche“ ist einmal gefallen und so verbietet sich ein Rückzug. Ein Bierkapitel schiebt sich verlegen in das Obstkapitel ein. Die Zeiten liegen noch nicht weit zurück, wo die „Weiße,“ oder um ihr Symbol zu nennen die „Stange“, unsere gesell- schaftlichen Zustände wie ein Dynastengeschlecht beherrschte. Es war eine weit verzweigte Sippe, die, in den verschiedenen Stadt- theilen, besserer Unterscheidung halber, unter verschiedenen Namen sich geltend machte: die Weiße von Volpi, die Weiße von Clau- sing, oder (vielleicht die stolzeste Abzweigung) einfach das Bier von Bier . Ihre Beziehungen untereinander ließen zu Zeiten viel zu wünschen übrig, aber alle hatten sie denselben Familien- stolz und nach außen hin waren sie einig. Sie waren das herrschende Geschlecht. So gingen die Dinge seit unvordenklichen Zeiten; das alte Europa brach zusammen, Throne schwankten, die „Weiße“ blieb. Sie blieb während der Franzosenzeit, sie blieb während der Befreiungsjahre, sie schien fester als irgend eine etablirte Macht. Aber schon lauerte das Verderben. In jenen stillen Jahren, die der großen Aufregung folgten, wo man’s gehen ließ, wo die Wachsamkeit lullte, da geschah’s. Eines Tages, wie aus dem Boden aufgestiegen, waren zwei, Concurrenzmächte da: die Grünthaler und die Josty’sche . Jetzt wo sich ein freierer Ueberblick über ein halbes Jahr- hundert ermöglicht, ist die Gelegenheit gegeben auch ihnen gerecht zu werden. Es ist jetzt die Möglichkeit da, die Dinge aus dem Zusammenhange zu erklären, das Zurückliegende aus dem Gegen- wärtigen zu verstehn. Beide Neu-Getränke hatten einen aus- gesprochenen Heroldscharakter, sie waren Vorläufer, sie kündigten an. Man kann sagen: Berlin war für die Baiersche noch nicht reif, aber das Seidel wurde bereits geahnt. Das Grünthaler, die Jostysche, sie waren eine Culmbacher von der milderen Observanz; die Jostysche (in ihrem Hange nach Milde) bis zum Coriander niedersteigend. Beide waren, was sie sein konnten. Darin lag ihr Verdienst, aber doch auch ihre Schwäche. Ihr Wesen war und blieb — die Halbheit. Und die Halbheit hat noch nie die Welt erobert, am wenigsten Berlin. So herrschten denn die alten Mächte vorläufig weiter. Aber nicht auf lange. Die Nothwendigkeit einer Wandlung hatte sich zu fühlbar herausgestellt, als daß es hätte bleiben können wie es war. Die Welt, wenn auch nach weiter nichts, sehnte sich wenigstens nach Durchbrechung des Monopols, und siehe da, was den beiden Vorläufern des Seidels nicht hatte glücken wollen, das glückte nunmehr, in eben diesen Interregnums- tagen, einer dritten Macht, die, an das Alte sich klug und weise an- lehnend, ziemlich gleichzeitig mit jenen beiden ins Dasein sprang. Diese dritte Macht (der Leser ahnt bereits, welche) hatte von vornherein den Vorzug, alles Fremdartigen entkleidet, auf unserem Boden aufzutreten; — märkisch national, ein Ding für sich, so erschien die Werdersche . Sie war dem Landesgeschmack geschickt adaptirt, sie stellte sich einerseits in Gegensatz gegen die Weiße und hatte doch wiederum so viel von ihr an sich, daß sie wie zwei Schwestern waren, dasselbe Temperament, dasselbe prickelnde Wesen, im Uebrigen reine Geschmackssache: blond oder braun. In Kruken auftretend, und über dreimal gebrauchten Korken eine blasse, längst ausgelaugte Strippe zu leichtem Knoten schürzend, war sie, die Werdersche, in ihrer äußerlichen Erschei- nung schon, der ausgesprochene und bald auch der glückliche Con- current der älteren Schwester, und die bekannten Kellerschilder, diese glücklich-realistische Mischung von Stillleben und Genre, bequem- ten sich mehr und mehr neben der blonden Weißen die braune Wer- dersche ebenbürtig einzurangiren. Die Verhältnisse, ohne daß ein Plan dahin geleitet hätte, führten über Nacht zu einer Theilung der Herr- schaft. Die Werdersche hielt mehr und mehr ihren Einzug über die Hintertreppe; in den Regionen der Küche und Kinderstube erwuchs ihr das süße Gefühl eine Mission gefunden und erfüllt zu haben; sie wurde Nahr- Bier in des Wortes verwegenster Bedeutung und das gegenwärtige Geschlecht, wenn auch aus zweiter Hand erst , hat Kraft und Leben gesogen aus der „Werderschen.“ Dessen seien wir gedenk. Das Leben mag uns losreißen von unserer Amme; aber ein Undankbarer, der sie nicht kennen will, oder bei ihrem Anblick sich schämt. — Sieh nur, sieh, wie behend sich die Menge Durch die Gärten und Felder zerschlägt, Wie der Fluß, in Breit’ und Länge, So manchen lustigen Nachen trägt, Und, bis zum Sinken überladen, Entfernt sich dieser letzte Kahn. Faust. So viel über die „Werdersche.“ Wir kehren zu den „Werderschen“ zurück. Vom Knie bis zur Stadt ist nur noch eine kurze Strecke. Wir schritten auf die Brücke zu, die zugleich die Werft, der Hafen- und Stapelplatz von Werder ist. Hier wird aus- und eingeladen, und die Bilder, die diesen Doppelverkehr begleiten, geben dieser Stelle ihren Werth und ihre Eigenthümlichkeit. Der gesammte Hafenverkehr beschränkt sich auf die Nachmittags- stunden; zwischen 5 und 6, in einer Art Kreislauf-Thätigkeit, leeren sich die Räume des aus der Hauptstadt zurückkehrenden Dampfers und seines Bei-Kahns wie im Fluge, aber sie leeren sich nur, um sich unverzüglich wieder mit Töpfen und Tienen zu füllen. Es ist jetzt 5 Uhr. Der Dampfer legt an; die Entfrach- tung nimmt ihren Anfang. Ueber das Laufbrett hin, auf und zurück, in immer schnellerem Tempo, bewegen sich die Bootsleute, magere, aber nervige Figuren, deren Beschäftigung zwischen Land-Dienst und See-Dienst eine glückliche Mitte hält. Wenn ich ihnen eine gewisse Matrosen-Grazie zuschriebe, so wäre das nicht genug. Sie nähern sich vielmehr dem Akrobatenthum, den Vorstadt-Rappos, die 6 Stühle übereinander thürmen und, den ganzen Thurmbau auf’s Kinn oder die flache Hand gestellt, über ein Seil hin ihre doppelte Balancirkunst üben: der Bau darf nicht fallen und sie selber auch nicht. So hier. Einen Thurmbau in Händen, der sich aus lauter in einander gestülp- ten Tienen zusammensetzt und halbmannshoch über ihren eigenen Kopf hinauswächst, so laufen sie über das schwanke Brett und stellen die Tienen-Thürme in langen Reihen am Ufer auf. Im ersten Augenblick scheint dabei eine Willkür oder ein Zufall zu walten; ein schärferes Aufmerken aber läßt uns in dem scheinbaren Chaos bald die minutiöseste Ordnung erkennen und die Tienen stehen da, militairisch gruppirt und geordnet, für den Laien eine große, unterschiedslose Masse, aber für den Einge- weihten ein Bataillon, ein Regiment, an Achselklappe, Knopf und Troddel auf’s Bestimmteste erkennbar. So viele Gärtner nnd Obstpächter, so viele Compagnien. Zunächst unterscheiden sich die Tienen nach der Farbe und zwar derart, daß die untere Hälfte au naturel auftritt, während die obere, mehr sichtbare Hälfte, in roth oder grün, in blau oder weiß sich prä- sentirt. Aber nicht genug damit. Auf diesem breiten Farben- rande befinden sich, zu weiterer Unterscheidung, entweder die Namen der Besitzer, oder noch häufiger ihre Wappenzeichen: Kreuze, stehend und liegend, Sterne, Kreise, Sonnen, einge- graben und eingebrannt. Man kann hier von einer völligen Heraldik sprechen. Die alten „Geschlechter“ aber, die diese Wappen tragen und pflegen, sind die Lendels, die Mays, die Kühls, die Schnetters, und unmittelbar nach ihnen die Rietz, die Kuhlmeys, die Dehnickes. Als altwendisch gelten die Lendels und die Rietz, vielleicht auch die Kuhlmeys. Ist nun aber das Landen der leeren Tienen, wie wir es eben geschildert haben, eine heitere und malerische Scene, so kann diese doch nicht bestehen neben dem concurrirenden Schau- spiel des Einladens , des an Bord Schaffens, das schon beginnt, bevor das Ausladen zur Hälfte beendet ist. Etwa von 5½ Uhr ab, und nun rapide wachsend bis zum Moment der Abfahrt, kommen die Obstwagen der Wer- deraner heran, kleine, grüngestrichene Fuhrwerke, mit Tienen hochbepackt und mit zwei Zughunden am Deichsel, während die Besitzer, durch Stoß von hinten, die Lokomotion unterstützen. Ein Wettfahren beginnt, alle Kräfte concentriren sich, von links her rollt es und donnert es über die Brückenbohlen, von rechts her, auf der chaussirten Vorstadt-Straße, wirbelt der Staub, und im Näherkommen an das ersehnte Ziel heulen die Hunde immer toller in die Luft hinein, wie verstimmte Posthörner beim Einfahren in die Stadt. Immer mächtiger wird die Wagen- burg, immer lauter das Gebläff, immer quicker der Laufschritt derer, die die Tienen über das Brett hin in den am Landungs- damm liegenden Kahn hineintragen. Jetzt setzt der Zeiger ein, von der Werderschen Kirche herüber tönen langsam die 6 Schläge, deren letzter in einem Signalschuß verklingt. Weithin an den hohen Ufern des Schwilow weckt er das Echo. Im selben Augenblick folgt Stille der allgemeinen Bewegung und nur noch das Schaufeln des Raddampfers wird vernommen, der eine Curve beschreibend, das lange Schlepptau dem Havelkahne zuwirft, und rasch flußaufwärts seinen Curs nehmend, das eigentliche Frachtboot vom Ufer löst, um es geräuschlos in das eigene Fahrwasser hinein zu zwingen. Von der Brücke aus giebt dies ein reizendes Bild. Auf dem großen Havelkahn, wie die wilden Männer im Wappen, stehen zwei Bootsleute mit ihren mächtigen Rudern im Arm, während auf dem Dampfer in langer Reihe die „Werderschen“ sitzen, ein Nähzeug oder ein Strickzeug in Händen, und nichts vor sich als den Schornstein und seinen Eisenkasten, auf dessen heißer Platte einige dreißig Bunzlauer Kaffeekannen stehen. Denn die Nächte sind kühl und der Weg ist weit. Eine Viertelstunde noch und Dampfer und Havelkahn verschwinden in dem Defil é bei Baumgartenbrück; der Schwi- low nimmt sie auf und durch das „Gemünde“ hin, an dem schönen und langgestreckten Caput vorbei, geht die Fahrt auf Potsdam zu, an den Schwänen vorüber, die schon die Köpfe eingezogen hatten und nun unmuthig hinblicken auf den Schnaufer, der ihren Wasserschlaf gestört. Bei Dunkelwerden Potsdam, um Mitternacht Spandau, bei Dämmerung Berlin. Und eh’ der erste Sonnenschein um den Marienkirchthurm blitzt, lachen in langer Reihe, zwischen den Brücken hin, die rothen Knupper der Werderschen. Glindow. Hier nährten früh und spat den Brand Die Knechte mit geschäft’ger Hand; Der Funke sprüht, die Bälge blasen, Als gält’ es Felsen zu verglasen. Schiller. W as Werder für den Obst -Consum der Hauptstadt ist, das ist Glindow für den Ziegel -Consum. In Werder wird gegraben, gepflanzt, gepflückt, — in Glindow wird gegraben, geformt, gebrannt; an dem einen Ort eine wachsende Cultur, am andern eine wachsende Industrie, an beiden (in Glindow freilich auch mit dem Revers der Medaille) ein wachsender Wohlstand. Dazu steht das eine wie das andere nicht blos für sich selber da, sondern ist seinerseits wiederum eine „Metropole,“ ein Mittelpunkt gleichgearteter und zugleich widerstrebender Distrikte , die es fast geboten erscheinen lassen, nach Analogie einiger Schweizer Cantone, von Werder-Stadt und Werder- Land, oder von Glindow-Dorf und Glindow-Bezirk zu sprechen. Bei Werder haben wir diesen Unterschied übergangen; bei Glindow wird es dann und wann unvermeidlich sein, auf ihn Bezug zu nehmen. Deshalb an dieser Stelle schon Folgendes. Distrikt Glindow ist etwa 2 Quadrat-Meilen groß (4 Meilen lang und eine halbe Meile breit) und zerfällt in ein Innen- und Außen-Revier, in einen Bezirk diesseit und jenseit der Havel. Das Innen-Revier „diesseit der Havel“ ist alles Lehm- und Thonland und umfaßt die gesammten Territorien am Schwilow-, am Glindow- und Plessow-See; das Außen- Revier oder das Revier „jenseit der Havel“ ist neu-entdecktes Land und dehnt sich vorzugsweise auf der Strecke zwischen Ketzin und Tremmen aus. Dies Außenland, abweichend und eigenartig, behauptet zugleich eine gewisse Selbstständigkeit und zeigt eine unverkennbare Tendenz sich loszureißen und Ketzin zu einer eigenen Hauptstadt zu machen. Vielleicht daß es glückt. Vor- läufig aber ist die Einheit noch da und ob der Tag siegreicher Secession näher oder ferner sein möge, noch ist Glindow Es ist oft gesagt worden, daß der Stadt Berlin das Material zu raschem Emporblühen beinah unmittelbar vor die Thore gelegt worden sei. Das ist richtig. Da sind Feldsteinblöcke für Fundament- und Straßenbau, Rüdersdorfer Kalk zum Mörtel, Holz in Fülle, Torf- und Salzlager in unerschöpflicher Mächtigkeit. Ohne diesen Reichthum, der in dem Grade, wie er jetzt vorliegt, lange ein Geheimniß war, wäre das riesige Wachsthum der Stadt, bei der ursprünglich geringen Frucht- barkeit ihres Bodens, bei ihrer Binnenlage und ihrer immerhin beschränkten Wasserverbindung nahezu eine Unmöglichkeit gewesen. Daran, daß es möglich wurde, hat Glindow seinen Antheil: der große Ziegelofen der Residenz. Das sogenannte „Geheimerathsviertel“ ist großentheils aus Glindower Steinen aufgeführt und ein ganzes „Berlin der Zukunft“ steckt noch in den Glindower Bergen. (Glindow heißt übrigens Lehm- dorf, von dem wendischen Worte Glin der Lehm. Kaum irgend ein Wort, wie schon Seite 160 hervorgehoben, kommt häufiger vor in der Mark. Außer dem Landestheile „der Glin “ mit der Hauptstadt Cremmen, giebt es zahlreiche Dörfer dieses Namens. (Vergleiche das Kapitel Groß-Glinicke.) Metropole und herrscht über Innen- und Außen-Revier. Die Bodenbeschaffenheit, das Auftreten des Lehms ist dies- seit und jenseit der Havel grundverschieden. Im Innen- Revier tritt der Lehm in Bergen auf, als Berglehm, und wenn wir uns speziell auf die wichtige Feldmark Glindow be- schränken, so unterscheiden wir hier folgende Lehmberge: den Köllnischen, zwei Brandenburgische (Altstadt, Neustadt), den Caputschen, den Schönebeckschen, den Invalidenberg, den Schloß- bauberg, zwei Kurfürstenberge (den großen und den kleinen), den Plaueschen, den Moesenschen, den Potsdamschen. Die drei letztgenannten liegen wüst, sind todt. Die andern sind noch in Betrieb. Ihre Namen deuten auf ihre früheren Besitzer. Berlin-Kölln, Brandenburg, Potsdam, Caput, Schönebeck hatten ihre Lehmberge, der Invalidenberg gehörte dem Invaliden- hause u. s. w. Diese Besitzverhältnisse existiren nicht mehr. Jene Ortschaften haben sich längst ihres Eigenthums entäußert, das inzwischen in die Hände einiger Ziegel-Lords übergegangen ist. Die meisten sind in Händen der Familie Fritze. Der Lehm in diesen Bergen ist sehr mächtig. Nach Wegräu- mung einer Oberschicht, „Abraum“ genannt, von etwa 30 Fuß Höhe, stößt man auf das Lehmlager, das oft eine Tiefe von 80 bis 100 Fuß hat. Der Lehm ist schön und liefert einen guten Stein, aber doch keinen Stein ersten Ranges. Die Hauptbedeutung dieser Lager ist ihre Mächtigkeit, annährend ihre Unerschöpflich- keit. Dabei mag als etwas Absonderliches hervorgehoben werden, daß sich in diesen Lehmlagern Bernstein findet und zwar in erheblicher Menge. Die meisten Stücke sind haselnußgroß und somit ohne besonderen Werth, es finden sich aber auch Stücke von der Größe einer Faust, dabei sehr schön, die bis zu 25 Thlr. verkauft werden. Wer solch Stück findet, hat einen Festtag. Soviel über die Lehmberge des Innen -Reviers. Ganz anders ist das Auftreten der Lager im Außen -Revier jenseit der Havel. Der dort vorkommende Lehm ist sogenannter Wiesen- Lehm, der nur 6 Fuß unter der Rasen-Oberfläche liegt, aber auch selber nur in einer Schicht von 6 bis 8 Fuß auftritt. Er ist wegen des geringen „Abraums,“ der fortzuschaffen ist, leichter zugänglich; all diese Lager sind aber verhältnißmäßig leicht erschöpft, auch ist das Material nicht voll so gut. Dieser Unterschied im Material — wie mir alte Ziegelbrenner versicherten — ist übrigens viel bedeutungsloser als gewöhnlich angenommen wird. Wie bei so vielem in Kunst und Leben kommt es darauf an, was Fleiß und Geschick aus dem Roh- material machen. Das Beste kann unvollkommen entwickelt, das Schwächste zu einer Art Vollkommenheit gehoben werden. So auch beim Ziegelbrennen. Die berühmtesten Steine, die hier zu Lande gebrannt werden, sind die „rothen Rathenower“ und die „gelben Birkenwerderschen.“ Aber was ihnen ihre Vorzüglichkeit leiht, ist nicht das Material, sondern die Sorg- lichkeit, die Kunst, mit der sie hergestellt werden. Jedem ein- zelnen Stein wird eine gewisse Liebe zugewandt. Das macht’s. Der Birkenwerdersche Thon beispielsweise ist unscheinbar, aber geschlemmt, gesäubert, gemahlen, wird er zu einem allerdings feinen Materiale entwickelt, und die Art des Streichens und Brennens macht ihn schließlich zu etwas in seiner Art Voll- endetem. Man geht dabei so weit, daß die Messer beim Formen des Steines jedesmal geölt werden, um dem Ziegel dadurch die Glätte, Ebenheit und Schärfe zu geben, die ihn auszeichnet. Auch in Glindow und seinen Dependenzien wird ein vor- züglicher Stein gebrannt, aber dennoch nicht ein Stein, der den Rathenowern und Birkenwerderschen gleichkäme. Die Herstellung (im Dorfe Glindow selbst) erfolgt durch etwa 500 Arbeiter aller Art. Wir unterscheiden dabei: fremde Ziegelstreicher, einheimische Ziegelstreicher und Tagelöhner . Ueber alle drei Kategorien ein Wort. Fremde Ziegelstreicher werden hier seit lange verwandt. Die einheimischen Kräfte reichten eben nicht aus. Früher waren es „Eichsfelder,“ die kamen, und hier ähnlich wie die Warthe- bruch-Schnitter oder Linumer Torfgräber eine Sommer-Campagne durchmachten. Aber die „Eichsfelder“ blieben schließlich aus oder wurden abgeschafft, und an ihre Stelle traten die „Lipper.“ Diese behaupten noch jetzt das Feld. Die Lipper (nur Männer) kommen im April und bleiben bis Mitte Oktober. Sie ziehen in ein massives Haus, das unten Küche, im 1. Stock Eßsaal, im 2. Stock Schlafraum hat. Sie erheben gewisse Ansprüche. So muß jedem ein Handtuch ge- liefert werden. An ihrer Spitze steht ein Meister, der nur Direktion und Verwaltung hat. Er schließt die Contracte, empfängt die Gelder und vertheilt sie. Die Arbeit ist Accord- Arbeit, das Brennmaterial und die Geräthschaften werden sämmtlich geliefert; der Lehm wird ihnen bis an die „Sümpfe“ gefahren; der Ofen ist zu ihrer Disposition. Alles andere ist ihre Sache. Am Schlusse der Campagne erhalten sie für je 1000 fertig-gebrannte Steine 1⅔ bis 2 Thaler. Die Gesammt- summe bei 8 bis 10 Millionen Steine pflegt bis 15,000 Thaler zu betragen. Diese Summe wird aber schwer verdient. Die Leute sind von einem besonderen Fleiß. Sie arbeiten von 3 Uhr früh bis 8 oder selbst 9 Uhr Abends, also nach Abzug einer Eßstunde immer noch nah an 17 Stunden. Sie verpflegen sich nach Lipper Landessitte, d. h. im Wesentlichen westfälisch. Man darf sagen, sie leben von Erbsen und Speck, die beide durch den „Meister“ aus der lippeschen Heimath bezogen werden, wo sie diese Artikel besser und billiger erhalten. Mitte Oktober treten sie, jeder mit einer Ueberschußsumme von nahezu 100 Tha- lern, den Rückweg an und überlassen nun das Feld den ein- heimischen Ziegelstreichern. Die Einheimischen arbeiten ebenfalls auf Accord, aber unter ganz andern Bedingungen. Sie erhalten nicht die ganze Arbeit, sondern die Einzelarbeit bezahlt und stehen sich dabei nicht erheblich schlechter als die Lipper. Während der Sommer- monate theilen sie den Arbeitsplatz mit den Letzteren derart, daß die Lipper zur Rechten, die Einheimischen zur Linken ihre Ziegel streichen. So weit sind sie den Lippern ebenbürtig. Darin aber stehen sie hinter diesen zurück, daß diese das Recht haben, ihre Ziegel zuerst zu brennen. Mit andern Worten, so lange die Sommercampagne dauert, gehört der Ofen ausschließlich den Lippern und erst wenn diese fort sind, ziehen die Einheimischen mit den vielen Millionen Ziegeln, die sie inzwischen gestrichen und getrocknet haben, auch ihrerseits in den Ofen ein. Die dritte Gruppe von Beschäftigten sind die Tagelöhner . Sie arbeiten auf Tagelohn, erhalten täglich 8 Sgr. der Mann (6 Sgr. die Frau) und bilden die Unter schicht einer Gesell- schaft, in der die Ziegelstreicher, wie eine mittelalterliche Hand- werkszunft, die Obers chicht bilden. Sie sind bloße Handlanger, Aushilfen für den groben Dienst, der keine „Kunst“ verlangt, und erheben sich nach Erscheinung und allgemeiner Schätzung Fontane , Wanderungen. III. 16 wenig über ein dörfliches Proletariat, das denn auch meistens in Familienhäusern untergebracht zu werden pflegt. Dies führt mich auf die Gesundheitsverhältnisse dieser Ziegelbrenner-Distrikte. Die Berichte darüber gehen sehr aus- einander und während von einer Seite her — beispielsweise von Potsdamer Hospitalärzten — versichert wird, daß dieser stete Wechsel von Naßkälte und Glühofenhitze die Gesundheit früh zerstöre, versichern die Glindower Herren, daß nichts abhärtender und nichts gesunder sei, als der Ziegeldienst in Glindow. Personen zwischen 70 und 80 Jahren sollen sehr häufig sein. Die Streitfrage mag übrigens auf sich beruhen. Sie scheint uns so zu liegen, daß dieser Dienst eine angeborene gute Ge- sundheit und gute Verpflegung verlangt, — sind diese Bedingungen erfüllt, so geht es; die kümmerliche Tagelöhner-Bevölkerung aber, die „nichts drin, nichts draußen“ hat und zum Theil von einem elenden Elternpaar geboren und großgezogen wurde, geht allerdings früh zu Grunde. Der Gesammt-Ziegel-Betrieb ist, soweit Glindow selbst in Betracht kommt, in Händen weniger Familien: Fritze, Hintze, Fiedler; etwa 9 große Oefen sind im Gange. Die Gesammt- masse producirter Steine geht bis 16 Millionen, früher ging es über diese Zahl noch hinaus. Die Summen, die dadurch in Umlauf kommen, sind enorm. 1000 Steine = 8 Thaler, also 16 Millionen (1000 mal 8 mal 16) = 128,000 Thaler. Dies auf wenige Familien vertheilt, muß natürlich einen Reichthum erwarten lassen und in der That ist er da. Aber wie in Werder, so ist doch auch hier in Glindow dafür gesorgt, daß Rückschläge nicht ausbleiben, und es giebt Zeitläufte, wo die Fabriken hier mit Schaden arbeiten. Ueberall im Lande wachsen die Ziegelöfen wie über Nacht aus der Erde und die Concurrenz drückt die Preise. Die Zeiten, wo 1000 Steine 15 Thaler einbrachten, sind vorläufig dahin, man muß sich, wie schon angedeutet, mit 8 und selbst mit 7½ begnügen. Nun berechne man die Zinsen des Erwerbs- und Betriebs-Kapitals, das Brennmaterial, den Lohn an die Erdarbeiter, die Ziegelstreicher (2 Thaler) und die Tagelöhner, endlich die Kahnfracht (ebenfalls 1½ Thaler) so wird sich ergeben, daß von diesen 8 Thalern für je tausend Steine nicht viel zu erübrigen ist. Die Haupt- sorge machen immer die Schiffer. Sie bilden überhaupt, wie jeder weiß, der mit ihnen zu thun hatte, eine der merkantil gefährlichsten Menschenklassen. Mit erstaunlicher List und Aushorchekunst wissen sie in Erfahrung zu bringen, welche Contracte die Ziegelbrenner mit diesem oder jenem Bauunternehmer der Hauptstadt abgeschlossen haben. Lautet der Contract nun etwa dahin: „Die Steine müssen bis Mitte Oktober abgeliefert sein,“ so hat der Schiffer den Ziegelbrenner in der Hand; er verdoppelt seine Forderungen, weil er weiß, er kann es wagen, der Ziegelbrenner muß zahlen, wenn er nicht der ganzen Einnahme verlustig gehen will. Die glänzende Zeit dieses Betriebes ist vorüber Dieser Aufsatz wurde 1870 geschrieben. Seitdem haben sich die Dinge wieder sehr zu Gunsten der Ziegelei-Besitzer geändert. , genau seit jener Epoche, wo die Ziegelbrennerei einen neuen Aufschwung zu nehmen schien, seit Einführung der Ringöfen . Der Ringofen verbilligte die Herstellung des Steins; die ersten, die sich seiner bedienten, hatten enorme Verdienste; jetzt, wo ihn jeder hat, hat er die Produktion zwar gefördert, aber der Wohlhabenheit nur mäßig genützt. Der Ringofen hat den alten Ziegelofen (wenige Ausnahmen abgerechnet) total verdrängt, und in Erwägung, daß diese Kapitel nicht blos auf dem Lande, sondern auch von Städtern gelesen werden, die nur allzu selten Gelegenheit haben, Einblick in solche Dinge zu gewinnen, mag es mir gestattet sein, einen Ringofen, seine Eigenthümlichkeiten und seine Vortheile zu be- schreiben. Der Ringofen hat seinen Namen von seiner Form; er ist ein Rundbau. Seiner Einrichtung nach könnte man ihn einen Kammer- oder Kapellen-Ofen nennen; seiner Haupteigenschaft nach aber ist er ein Spar -Ofen. Er spart Feuerung. Wir kommen darauf zurück. 16* Zunächst seine Form und Einrichtung. Um beide zu schildern, greifen wir nach einem Bilde, das vor einigen Jahren, als es galt das Pariser Ausstellungsgebäude anschaulich zu beschreiben, vielfach gebraucht wurde. Wir modificiren es nur. Denken wir uns also eine gewöhnliche runde Torte, aus der wir das Mittel- oder Nußstück herausgeschnitten und durch eine schlanke Weinflasche ersetzt haben, so haben wir das getreue Abbild eines Ringofens. Denken wir uns dazu die Torte in zwölf gleich große Stücke zerschnitten, so haben wir auch die Einrichtung des Ofens: sein Zwölfkammer-System. Die in der Mitte aufragende Weinflasche ist natürlich der Schornstein. Das Verfahren ist nun folgendes. In vier oder fünf der vorhandenen, durch Seitenöffnungen mit einander verbundenen Kammern werden die getrockneten Steine eingekarrt, in jede Kammer 12,000. Ist dies geschehen, so wird die Gesammtheit der erwähnten vier oder fünf Kammern durch zwei große Eisenschieber, der eine links, der andere rechts, von dem Reste der Kammern abgesperrt. Nun beginnt man in Kammer 1. ein Feuer zu machen, nährt es, indem man von oben her durch runde Löcher ein bestimmtes Quantum von Brennmaterial niederschüttet Die Feuerung geschieht von oben her durch eine runde Oeffnung; ein eiserner Stülpdeckel von der Form eines Cylinderhuts (dessen Krämpe übergreift) schließt die Oeffnung und wird abgenommen, so oft ein Nach- schütten nöthig ist. Man sieht dann, wie durch eine schmale Esse, in die Kammer hinein und hat die aufgethürmten, rothglühenden Steine unter sich. Der Anblick, den man sich nur verschaffen kann, indem man auf die Gewölbedecke der Kammer tritt, hat etwas im höchsten Grade Un- heimliches und Beängstigendes. Man steht über einer Hölle und blickt in sie hinab. Eine Schicht Steine, vielleicht kaum einen Fuß dick, trennt den Obenstehenden von dieser Unterwelt und der Gedanke hat etwas Grausiges: wenn jetzt dies Gewölbe — und hat nach 24 Stunden die 12,000 Steine der ersten Kammer völlig gebrannt. Aber (und darin liegt das Sparsystem) während man in Kammer 1. eine für 12,000 Steine ausreichende Roth- gluth unterhielt, wurden die Nachbarsteine in Kammer 2. halb, in Kammer 3. ein Drittel fertig gebrannt und die Steine in Kammer 4. und 5. wurden wenigstens „angeschmoocht,“ wie der technische Ausdruck lautet. Die Steine in Kammer 2., die nun am zweiten Tage unter Feuer kommen, brauchen natürlich, halb fertig, wie sie bereits sind, ein geringeres Brennmaterial, um zur Perfektion zu kommen, und so geht es weiter; wohin immer das Feuer kommt, findet es 12,000 Steine vor, die bereits drei Tage lang und zwar in wachsender Progression durch eine Feuer- behandlung gegangen sind. Der eine (vorderste) Eisen-Schieber rückt jeden Tag um eine Kammer weiter, der andere Eisenschieber, vom entgegengesetzten Flügel her, folgt und giebt dadurch die Kammer frei, in der am Tage zuvor gebrannt wurde. So vollzieht sich ein Kreislauf. In die leeren Kammern, bevor der Schieber sie in den Feuer-Rayon hineinzwingt, wird eing ekarrt, aus den im Feuer gewesenen, vom Schieber freigegebenen Kammern wird ausg ekarrt. Der Prozeß, so lange die Brenn- Campagne dauert, ist ohne Ende; das Feuer rückt von Kammer zu Kammer, bis es herum ist und beginnt dann seinen Kreis- lauf von neuem. Der Vortheil liegt auf der Hand. Er steigt aber insonderheit auch noch dadurch, daß der Ringofen in seinen Feueransprüchen nicht wählerisch ist. Er frißt Alles. Jedes Material dient ihm: Holz, Torf, Braunkohle, Alles hat einen gleichen oder doch einen verwandten Werth und das billigste Material behauptet sich neben dem theuersten. Die Ziegelbren- nerei ist dadurch in eine ganz neue Phase getreten, zum Vortheil der Bauunternehmer, die seitdem die Steine für den halben Preis erstehen, aber wenig zum Vortheil der alten Ziegel- Brennerfirmen, die, ehe die Dinge diese modern-industrielle Behandlung und Ausnutzung erfuhren, sich besser standen. Wobei übrigens auch noch bemerkt sein mag, daß die besten Steine, beispielsweise die Rathenower und Birkenwerderschen, nach wie vor in den Ziegelöfen alter Construction gebrannt werden. Der Ringofen hat keine andern Vorzüge, als daß er ein Sparofen ist. Solcher Ringöfen hat Glindow selbst , wie wir schon hervorgehoben, etwa 9, der Distrikt Glindow aber, mit seinem Innen- und Außen-Revier, wohl mehr denn 50. Daß sie der Landschaft zu besonderer Zierde gereichten, läßt sich nicht behaupten. Der Fabrikschornstein mag alles sein, nur ein Ver- schönerungsmittel ist er nicht, am wenigsten wenn er schön thut, wenn er möchte . Und wie dieser reiche Betrieb, der unbestreibar, trotz Stillstände und Rückschläge ein sich steigerndes Prosperiren Einzelner oder selbst Vieler geschaffen hat, die Land- schaft nicht schmückt, so schmückt er auch nicht die Dörfer, in denen er sich niedergelassen hat. Er nimmt ihnen ihren eigent- lichen Charakter, in richtigem unsentimentalen Verstande ihre Unschuld und giebt ihnen ein Element, dessen Abwesenheit bisher, und wenn sie noch so arm waren, ihr Zauber und ihre Zierde war, — er giebt ihnen ein Proletariat. Ob dasselbe städtisch oder dörfisch auftritt, ob es mehr verbittert oder mehr elend ist, sind Unterschiede, die an dem Traurigen der Erscheinung nicht viel zu ändern vermögen. Auch Dorf Glindow hat von diesem allem sein geschüttelt Maß. An und für sich ausgestattet mit dem vollen Reiz eines havelländischen Dorfes, hingestreckt zwischen See und Hügel, schieben sich doch überall in das alt-dörfliche Leben die Bilder allermodernsten, frohndiensthaften Industrialismus hinein und die schönen alten Bäume, die mit ihren mächtigen Kronen so vieles malerisch zu überschatten und zu verdecken verstehen, sie mühen sich hier umsonst, diesen trübseligen Anblick dem Auge zu entziehen. Am See hin, um die Veranden der Ziegel-Lords rankt sich der wilde Wein, Laubengänge, Clematis hier und Aristo- lochia dort, ziehen sich durch den Parkgarten, Tauben stolziren auf dem Dachfirst oder umflattern ihr japanisches Haus, — aber diese lachenden Bilder lassen die Kehrseite nur um so dunkler erscheinen: die Lehmstube mit dem verklebten Fenster, die ab- gehärmte Frau mit dem Säugling in Loden, die hageren Kinder, die lässig durch den Enten-Tümpel gehn. Es scheint, sie spielen; aber sie lachen nicht; ihre Sinne sind trübe wie das Wasser, worin sie waten und plätschern. Bornstädt. Nun weiß ich auf der Erde Ein einzig Plätzchen nur, Wo, jegliche Beschwerde, Im Schooße der Natur, Wo jeder eitle Kummer Dir wie ein Traum zerfließt, Und dich der letzte Schlummer Im Bienenton begrüßt. Waiblinger. B ornstädt und seine Feldmark bilden die Rückwand von Sans- souci. Beiden gemeinsam ist der Höhenzug, der zugleich sie trennt: ein langgestreckter Hügel, der in alten Topographieen den Namen „der Galberg“ führt. Am Südabhange dieses Höhenzuges entstanden die Terrassen von Sanssouci; am Nordabhange liegt Bornstädt. Die neuen Orangeriehäuser, die auf dem Kamme des Hügels in langer Linie sich ausdehnen, gestatten einen Ueberblick über beide, hier über die Baum- und Villenpracht der königlichen Gärten, dort über die rohrgedeckten Hütten des märkischen Dorfes; links steigt der Springbrunnen auf und glitzert siebenfarbig in der Sonne, rechts liegt ein See im Schilfgürtel und spiegelt das darüber hinziehende weiße Gewölk. Dieser Gegensatz von Kunst und Natur unterstützt beide in ihrer Wirkung. Wer hätte nicht an sich selbst erfahren, wie frei man aufathmet, wenn man aus der kunstgezogenen Linie auch des frischesten und natürlichsten Parkes endlich über Graben und Birkenbrücke hinweg in die weitgespannte Wiesenlandschaft eintritt, die ihn einschloß! Mit diesem Reiz des Einfachen und Natürlichen berührt uns auch Bornstädt. Wie in einem grünen Korbe liegt es da. Aber das anmuthige Bild, das es bietet, ist nicht bloß ein Produkt des Kontrastes; zu gutem Theile ist es eine Wir- kung der pittoresken Kirche, die in allen ihren Theilen deutlich erkennbar, mit Säulengang, Langschiff und Etagenthurm, aus dem bunten Gemisch von Dächern und Obstbäumen emporwächst. Diese Kirche ist eine aus jener reichen Zahl von Gotteshäusern, womit König Friedrich Wilhelm IV. Potsdam gleichsam um- stellte, dabei von dem in seiner Natur begründeten Doppelmotiv geleitet: den Gemeinden ein christliches Haus, sich selber einen künstlerischen Anblick zu gewähren. Auch für Bornstädt wählte er die Basilika-Form. Ueber die Zulässigkeit dieser Form, speziell für unser märkisches Flachland, ist viel hin und her gestritten worden, und es mag zugestanden werden, daß sie, sammt dem Campanile, das sie zu begleiten pflegt, vorzugsweise ein coupirtes Terrain und nicht die Ebene zur Voraussetzung hat. Deßhalb wirken diese Kirchen in den flachen und geradlinigen Straßen unserer Residenzen nicht eben allzu vortheilhaft, und der unvermittelt aufsteigende, weder durch Baumgruppen noch sich vorschiebende Bergcoulissen in seiner Linie durchschnittene Etagenthurm tritt fast — an die Porzellanthürme Chinas erinnernd, — in einen gewissen Widerspruch mit unserem christlichen Gefühl. Mit unseren baulichen Traditionen gewiß! Aber so unzweifelhaft dies zu- zugestehen ist, so unzweifelhaft sind doch auch Ausnahmen, und eine solche bietet Bornstädt. Es wird hier ein so malerischer Effekt erzielt, daß wir nicht wissen, wie derselbe überboten werden sollte. Der grüne Korb des Dorfes schafft eine glückliche Staffage, und während das Hochaufragende des Etagent hurms etwas von dem Poetisch-Symbolischen der alten Spitzthürme bewahrt, wird doch zugleich dem feineren Sinn eine Form geboten, die mehr ist als die Zuckerhut-Formation unserer alten Schindelspitzen. Der Ruf dieser hat sich nur, faute de mieux, im Zeitalter der Laternen- und Butterglocken-Thürme entwickeln können. Die bornstädter Basilika sammt Säulengang und Etagen- thurm ist ein Schmuck des Dorfes und der Landschaft; aber was doch weit über die Kirche hinausgeht, das ist ihr Kirch- hof , dem sich an Zahl berühmter Gräber vielleicht kein anderer Dorfkirchhof vergleichen kann. Wir haben viele Dorfkirchhöfe gesehen, die um ihres landschaftlichen oder überhaupt ihres poetischen Zaubers willen einen viel tieferen Eindruck auf uns gemacht haben; wir haben andere besucht, die historisch den bornstädter Kirchhof insoweit in Schatten stellen, als sie ein Grab haben, das mehr wiegt als alle bornstädter Gräber zu- sammengenommen; aber wir sind nirgends einem Dorfkirchhof begegnet, der solche Fülle von Namen aufzuweisen hätte. Es hat dies einfach seinen Grund in der unmittelbaren Nähe von Sanssouci und seinen Dependenzien. Alle diese Schlösser und Villen sind hier eingepfarrt, und was in Sans- souci stirbt, das wird in Bornstädt begraben, — in den meisten Fällen königliche Diener aller Grade, näher und ferner stehende, solche, deren Dienst sie entweder direkt an Sanssouci band, oder solche, denen eine besondere Auszeichnung es gestattete, ein zurückliegendes Leben voll Thätigkeit an dieser Stätte voll Ruhe beschließen zu dürfen. So finden wir denn auf dem bornstädter Kirchhofe Generale und Offiziere, Kammerherren und Kammerdiener, Geheime-Räthe und Geheime-Kämmeriere, Hof- ärzte und Hofbaumeister, vor Allem — Hofgärtner in Bataillonen. Der Kirchhof theilt sich in zwei Hälften, in einen alten und einen neuen. Jener liegt hoch, dieser tief. Der letztere (der neue) bietet kein besonderes Interesse. Der alte Kirchhof hat den freundlichen Charakter einer Obstbaumplantage. Die vom Winde abgwehten Früchte, reif und unreif, liegen in den geharkten Gängen oder zwischen den Gräbern der Dörfler, die in unmittelbarer Nähe der Kirche ihre letzte Rast gefunden haben. Erst im weiteren Umkreise beginnt der Fremdenzuzug, gewinnen die Gäste von Sanssouci her die Oberhand, bis wir am Rande des Gemäuers den Erb- begräbnissen begegnen. Wir haben also drei Zirkel zu verzeichnen: den Bornstädter-, den Sanssouci- und den Erbbegräbniß- Zirkel. An einige Grabsteine des mittleren, also des Sanssouci- Zirkels, treten wir heran; nicht an solche, die berühmte Namen tragen (obschon ihrer kein Mangel ist), sondern an solche, die uns zeigen, wie wunderbar gemischt die Todten hier ruhen. Da ruht zu Füßen eines Säulenstumpfes Demoiselle Maria Theresia Calefice . Wer war sie? Die Inschrift gibt keinen Anhalt: „Gott und Menschen lieben, Gutes ohne Selbstsucht thun, den Freund ehren, dem Dürftigen helfen — war ihres Lebens Geschäft .“ Ein beneidenswerthes Loos. Dazu war sie in der bevorzugten Lage, diesem „Geschäft“ 82 Jahre lang obliegen zu können. Geb. 1713, gest. 1795. Wir vermuthen eine reponirte Sängerin. Nicht weit davon lesen wir: „Hier ruht in Gott Pro- fessor Samuel Rösel , geb. in Breslau 1769, gest. 1843. „Tretet leise an sein Grab, ihr Männer von edlem Herzen, denn er war euch nahe verwandt.“ Wer war er? Ein gußeisernes Gitter, einfach und doch zugleich abweichend von allem Her- kömmlichen, schließt die Ruhestätte ein; um die rostbraunen Stäbe winden sich Vergißmeinnicht-Ranken und zu Häupten steht eine Hagerose. Dies einfache „ wer war er ?“ hat mir eine Reprimande „von jenseit des großen Wassers“ zugezogen, die zu eigenthümlich ist, als daß ich sie dem Leser vorenthalten sollte. Dies Bornstädt-Kapitel war vor seinem Erscheinen in diesem Buch in „Ueber Land und Meer“ abgedruckt und die betreffende Nummer auch in Quincy am Missisippi, Illinois, gelesen worden; wie es scheint auch von einem Rösel-Freund. Dieser schrieb unterm 17. Oktober 1871 (Poststempel St. Louis 21. Oktober) „… Oh, mein lieber Herr F., röthen sich nicht ihre Wangen über solche Unwissen- heit! Professor R. war ein hervorragender Mann der Berliner Akademie, eine wohlbekannte sehr beliebte Persönlichkeit Anfang der 30 er Jahre, und besonders in den Familien Schadow, Spener, Link, gern gesehen, wo er durch Satyre, Komik und ausgezeichnete Geselligkeit alles zu erheitern wußte. Und nun fragen Sie „wer war er?“ Sie haben sich durch diese Frage eine arge Blöße gegeben und wenn ich nicht um Ihrer im letzten Kriege bewiesenen Vaterlandsliebe willen Sie schätzte, würden Sie sich eine öffentliche Rüge zugezogen haben. Nehmen Sie das nicht Noch ein dritter Fremder an dieser Stelle: Heinrich Wil- helm Wagenführer , geb. zu Neuwied 1690. Er wurde vom Rhein an die Havel verschlagen, wie es scheint zu seinem Glück. Der Grabstein nennt ihn mit Unbefangenheit „einen vornehmen Kauf- und Handelsmann zu Potsdam.“ Diese Inschrift, mit den Daten, die sie begleiten, ist nicht leicht zu entziffern, denn ein alter Ulmenbaum, der zur Seite steht, hat sein Wurzelgeäst derart über den Grabstein hingezogen, daß es aussieht, als läge eine Riesenhand über dem Stein und mühe sich, diesen an seiner Grabesstelle festzuhalten. Gespenstisch am hellen, lichten Tag! Wir gehen vorbei an Allem, was unter Marmor und hochtönender Inschrift an dieser Stelle ruht, ebenso an den Erbbegräbnissen des dritten Zirkels und treten in eine nach links hin abgezweigte Parzelle dieses Todtenackers ein, die den Namen des „ Sello ’schen Friedhofs“ führt. Die Sellos sind Sanssouci-Gärtner seit über hundert Jahren. Ihre Begräb- nißstätte bildet eine Art vorspringendes Bastion; ein niedriges Gitter trennt sie von dem Rest des Kirchhofs. Hier ruhen, außer der „Dynastie Sello“, mit ihnen verschwägerte oder be- freundete Sanssoucimänner, die „Eigentlichsten“: Karl Timm , Geh. Kämmerier, gest. 1839. Emil Illaire , Geh. Kabinetsrath, gest. 1866. Peter Joseph Lenn é , Generaldirektor der K. Gärten, gest. 1866. Friedrich Ludwig Persius , Architekt des Königs, gest. 1845. Ferdinand v. Arnim , Hofbaurath, gest. 1866. Denkmal an Denkmal hat diese Begräbnißstätte der Sello’s zugleich zu einer Kunststätte umgeschaffen: Marmorreliefs, in der Sprache griechischer und christlicher Symbolik, sprechen zu übel. Ihr Sie hochschätzender Hinterwäldler.“ So der Brief. Es ist traurig; aber ich kenne den Professor Rösel (der gewiß ein vortrefflicher Herr war) immer noch nicht. uns; hier weist der Engel des Friedens nach oben; dort, aus dem weißen Marmorkreuz hervor, blickt das Dornenantlitz zu uns nieder, das zuerst auf dem Schweißtuche der heiligen Veronika stand. Nur die Sellos, die eigentlichen Herren des Platzes, haben den künstlerischen Schmuck verschmäht: einfache Feldsteinblöcke tragen ihre Namen und die Daten von Geburt und Tod. Sie haben den künstlerischen Schmuck verschmäht, nur nicht den, der ihnen zustand. Die alten Gärtner wollten in einem Garten schlafen. So viele Gräber, so viele Beete, — das Ganze verandaartig von Pfeilern und Balkenlagen umstellt. Die Pfeiler wieder hüllen sich in Epheu und wilden Wein, Linden und Nußbäume strecken von Außen her ihre Zweige weit über die Balkenlagen fort, zwischen den Gräbern selbst aber stehen Taxus und Cypressen, und die brennende Liebe der Verbenen spinnt ihr Roth in das dunkelgrüne Ge- zweig. Aus der Sello’schen Begräbnißparzelle sind wir auf den eigentlichen Kirchhof zurückgeschritten; noch ein Denkmal verbleibt uns, an das wir heranzutreten haben: ein wunderliches Gebilde, das, in übermüthigem Widerspruch mit Marmorkreuz und Friedensengel, den Ernst dieser Stunde wie ein groteskes Satyr- spiel beschließt. Es ist dies das Grabdenkmal des bekannten Freiherrn Paul Jakob v. Gundling , der Witz und Wüstheit, Wein- und Wissensdurst, niedere Gesinnung und stupende Ge- lehrsamkeit in sich vereinigte, und der, in seiner Doppeleigenschaft als Trinker und Hofnarr, in einem Weinfaß begraben wurde. In der bornstädter Kirche selbst, in der Nähe des Altars. Ueber seinem Grabe ließ König Friedrich Wilhelm I. einen Stein errichten, der trotz des zwiefachen Neubaus, den die Kirche seit- dem erfuhr, derselben erhalten blieb. Dieß Epitaphium (ein Kuriosum ersten Ranges) bildet immer noch die Hauptsehens- würdigkeit der Kirche. Hübsche Basiliken giebt es viele; ein solches Denkmal giebt es nur einmal. Ehe wir eine Beschreibung desselben versuchen, begleiten wir den Freiherrn durch seine letzten Tage, auf seinem letzten Gange. Wir benutzen dabei, mit geringen Abweichungen, einen zeitgenössischen Bericht: „v. Gundling wurde vor Ostern des Jahres 1731 krank und starb den 11. April auf seiner Stube im K. Schlosse zu Potsdam. Sein Körper ward sogleich auf einem Brette nach dem Wittwenhause der Lakaienfrauen getragen und hier von den Wundärzten geöffnet. In seinem Magen fand man ein Loch. „Sein Leichenbegängniß war äußerst lustig und seinem geführten Lebenswandel völlig angemessen. Schon vor zehn Jahren hatte ihm der König seinen Sarg in Form eines Weinfasses verfertigen lassen. Es war schwarz angestrichen und auf dem obern Theile mit einem weißen Kreuze geschmückt, welches nach allen vier Seiten herunterging. Es wird erzählt, daß Gundling sich schon bei Lebzeiten öfters in diesen Sarg gelegt und zur Ergötzung des Hofes ein Glas Wein darin ge- trunken habe. Nachdem er todt war, legte man ihn in seinem rothsammtenen, mit blauen Aufschlägen besetzten Kleide, desgleichen mit rothen seidenen Strümpfen und einer großen Staatsperrücke, in dasselbe hinein. Umher stellte man zwölf Gueridons mit brennenden weißen Wachskerzen. In dieser Parade ward er Jedermann öffentlich gezeigt. Besonders kamen viele Fremde nach Potsdam, um ihn zu sehen. „Nachdem der Kastellan des Schlosses vom Könige den Befehl erhalten hatte, alles zum Begräbniß Erforderliche zu besorgen, ward dem Verstorbenen die Kirche zu Bornstädt als Ruhestätte bestimmt. Zur Leichenbegleitung wurden mehr als fünfzig Offiziere, Generale, Obersten und andere angesehene Kriegsbediente, die Geistlichen, die potsdamer Schule, die K. Ka- binetssekretäre, Kammerdiener, Küchen- und Kellerei-Bediente eingeladen. Hiezu kam noch der Rath und die Bürgerschaft der Stadt, welche sich sämmtlich, mit schwarzen Mänteln angethan, bei dieser Handlung einfinden mußten. Alle diese Begleiter waren bereit und willig, Gundlingen die letzte Ehre zu erweisen, bis auf die lutherischen und reformirten Geistlichen, die zu er- scheinen sich weigerten. Da sie um die Ursache befragt wurden, schützten sie die Gestalt des Sarges vor, welche nicht erlaube, daß sie dabei ohne Anstoß erscheinen könnten. Man fand nicht für gut, sie weiter zu nöthigen, und ließ sie weg. „Nun stellte sich aber ein zweiter Umstand dar, welcher neue Schwierigkeiten hervorbrachte. Da die Geistlichkeit, von der ein lutherisches Mitglied die Parentation halten sollte, nicht erschien, so war man verlegen, wer dieß Geschäft nun übernehmen würde. Nachdem man hin und her gesonnen hatte, verfiel man endlich auf des Verstorbenen Erzfeind, auf David Faßmann . Dieser übernahm es und hielt wirklich die Leichenrede. „Nach Schluß derselben wurden Lieder gesungen und alle Glocken geläutet. Der bis dahin offen gestandene Sarg ward zugemacht, ein Bahrtuch darüber geworfen, und so ging es in bester Ordnung und unter fortgesetztem Läuten bis vor den Schlagbaum von Potsdam hinaus. Hier blieb die Prozession zurück, und nur Wenige folgten der Leiche, die auf einen Wagen gesetzt und nach Bornstädt gefahren wurde. Hier wurde sie abgeladen und inmitten der Kirche eingesenkt. — Ein großer, zierlich ausgehauener Leichenstein erhielt folgende Inschrift: Allhier liegt begraben der weyland Hoch- und Wohlgeborne Herr, Herr Jakob Paul Freiherr v. Gundling, Sr. K. Majestät in Preußen Hochbestallt gewesener Ober-Cere- monienmeister, Kammerherr, Geh. Ober-Appellations-, Kriegs-, Hof-, Kammer-Rath, Präsident der K. Societät der Wissen- schaften, Hof- und Kammergerichtsrath, auch Historiographus ꝛc., welcher von Allen, die ihn gekannt haben, wegen seiner Gelehrsamkeit bewundert, wegen seiner Redlichkeit gepriesen, wegen seines Umgangs geliebt und wegen seines Todes beklagt worden. Anno 1731. „Darunter befindet sich groß und in sauberer Ausführung das freiherrliche Wappen.“ So etwa der zeitgenössische Bericht. Des Wappens auf dem Leichensteine wird nur in aller Kürze Erwähnung gethan, und doch ist dasselbe von besonderem Interesse. Es zeigt, daß des Königs Geneigtheit, an Gundling seinen Spott zu üben, auch über den Tod des Letztern fortdauerte. Hatte er schon früher durch Ertheilung eines freiherrlichen Wappens, auf dem die angebrachten drei Pfauenfedern die Eitelkeit des Freiherrn geißeln sollten, seinem Humor die Zügel schießen lassen, so ging er jetzt, wo es sich um die Ausmeißelung eines Grabsteins für Gundling handelte, noch über den früheren Sarkasmus hinaus, und das Grabstein-Wappen (im Gegensatz zu dem früher ertheilten Wappen) erhielt zwei neue Schildhalter: eine Minerva und einen aufrecht stehenden Hasen . Die Hieroglyphensprache des Grabsteins sollte ausdrücken: er war klug, eitel, feige. Dieser interessante Stein lag ursprünglich im Kirchenschiff; jetzt ist er senkrecht in die Frontwand eingemauert und wirkt völlig wie ein errichtetes Denkmal. Er zählt über 130 Jahre. Wenn der weiße Marmor so vieler Gräber draußen längst zerfallen sein und kein roth-dunkles Verbenen-Beet den Veranda- Begräbnißplatz der Sellos mehr schmücken wird, wird dieß wunderliche Wappen-Denkmal, mit den Pfauenfedern und dem aufrechtstehenden Hasen, noch immer zu unsern Enkeln sprechen, und das Märchen von „Gundling und dem Weinfaß-Sarge“ wird dann wundersam klingen wie ein grotesk-heiteres Gegen- stück zu den Geschichten vom Oger . Marquardt. Des Hofes Glanz und Schimmer Blinkt nur wie faules Holz, Die Kirche lebt vom Flimmer Und wird vor Demuth stolz; Arm sind des Lebens Feste, Rings abgestandner Wein, Das Höchste und das Beste, Wie niedrig und wie klein. Walter Raleigh. E ine Meile hinter Bornstädt, über dessen monumentenreichen Kirchhof wir im vorigen Kapitel berichtet, liegt Marquardt , ein altwendisches Dorf, eben so anziehend durch seine Lage, wie seine Geschichte. Wir passiren Bornim, durchschneiden den „Königsdamm“ und münden unmerklich aus der Chaussee in die Dorfstraße ein, zu deren Linken ein prächtiger Park (in seiner Mitte das Herrenhaus) bis an die Wublitz und die breiten Flächen des Schlänitz-Sees sich ausdehnt. Die gegenwärtige Gestalt von Marquardt, ebenso wie sein Name, ist noch jung; in alten Zeiten hieß es Schorin . Im 15. Jahrhundert, und weiter zurück, war es im Besitz zweier Familien; die eine davon nannte sich nach dem Dorfe selbst (Zabel v. Schorin 1375), die andere waren die Bammes . Der Besitz wechselte oft; die Brösickes, Hellenbrechts und War- tenbergs lösten einander ab, bis 1704 der Etatsminister und Schloßhauptmann Marquardt Ludwig von Printzen das reizende Schorin vom Könige zum Geschenk, und das Ge- schenk selber, dem Minister zu Ehren, den Namen Marquardt erhielt. An v. Printzen, der sieben hohe Staatsämter bekleidete und eben so viele Titel führte, läßt sich die Phrase vom „un- sterblichen Namen“ mustergültig studiren. Wer kennt ihn noch ? Und doch war der Ruhm, den er seiner Zeit genoß, ein so allgemeiner und wohlverdienter, daß selbst der medisante Herr v. Poellnitz nicht umhin konnte, in seinen Memoiren zu schreiben: „Um 1710 wurde v. Printzen zum Oberhof- marschall ernannt. Seine Verdienste machten ihn dieser Stelle vollkommen würdig. Der Hof, bei welchem er schon sehr jung angestellt worden war, hatte weder seine Sitten noch sein Herz verdorben. Treue und Redlichkeit waren die Trieb- federn aller seiner Handlungen, und man kann mit Wahrheit sagen, daß unter allen Ministern des Königs er derjenige war, der den Meinders und Fuchs, welche Deutschland unter seine größten Männer rechnete, am meisten gleichkam. Seine Auf- richtigkeit hatte ihm Jedermanns Liebe zugezogen. Selbst der Kronprinz, der ein geborener Feind aller Minister war, konnte ihm seine Hochachtung nicht versagen, so daß er, als der Prinz zur Regierung kam, der Einzige war, der seine Stelle behielt.“ So Poellnitz über v. Printzen. Ein Glück, daß sieben Hof- und Staatsämter ihn bei Lebzeiten schadlos hielten für die Undankbarkeit der Nachwelt. Er bezog 40,000 Thlr. jährlich. Unter seinen vielen Aemtern war auch das eines „Direktors des Lehnswesens,“ was die Anhäufung von Lehns- briefen des gesammten Havellandes im Marquardter Archive erklären mag. v. Printzen starb 1725; schon sechs Jahre früher (1719) war das anmuthige Schorin, nunmehr Marquardt, in die Hände der Familie v. Wykerslot übergegangen, die, zu Anfang des Jahrhunderts, vom Niederrhein, dem Jülichschen und Cleveschen her, ins Land gekommen war. Vater und Sohn folgten einander im Besitz, jagten und processirten ein halbes Jahr- hundert lang und erwarben sich das im engsten Zusammenhang damit stehende fragwürdige Verdienst, das Gutsarchiv mit den Fontane , Wanderungen. III. 17 meisten Actenbündeln, diesmal nicht Lehnsbriefe, vermehrt zu haben. Es war eine calvinistische Familie und das Interessan- teste aus ihrer Besitzzeit bleibt wohl, daß, obschon sie die Kirche aus eigenen Mitteln erbaut hatten, ihnen (wenigstens so lange Friedrich Wilhelm I. regierte) nicht gestattet wurde, das heilige Abendmahl in dieser ihrer Kirche aus der Hand eines reformir- ten Geistlichen zu empfangen. Die Wykerslot mußten sich, an ihrem eigenen Gotteshause vorbei, nach Nattwerder begeben, einer benachbarten Schweizercolonie, wo das Abendmahl nach calvinistischem Ritus ertheilt wurde. 1781 starb der jüngere v. Wykerslot. War der Besitz bis zu diesem Zeitpunkte kein constanter gewesen, so wurde er von jetzt ab, in der Unruhe sich steigernd, ein beständig wech- selnder, so daß wir in dem kurzen Zeitraum von 1781 bis 1795 das nunmehrige Marquardt in Händen von vier ver- schiedenen Familien sehn. Die Nähe Potsdams — wie bei vielen ähnlichen Punkten — spielte dabei eine Rolle. Wer dem Hofe nahe stand, oder, wenn außer Dienst, es schwer fand, sich ganz aus der Sonne zurückzuziehen, wählte mit Vorliebe die nahegelegenen Dorfschaften. Unter diesen auch Marquardt. Hofleute erstanden es, nahmen hier ihre Villeggiatur und ver- kauften es wieder. Die Besitzreihe war die folgende: Oberstlieutenant von Münchow von 1781—1789, Hofmarschall von Dorville von 1789—1793, Kammerherr und Domherr Baron v. Dörenberg von 1793—1795. General v. Bischofswerder von 1795—1803. Ueber die Besitzzeiten der erstgenannten drei ist wenig zu sagen. v. Münchow errichtete seiner verstorbenen Frau ein Roccoco-Denkmal mit der Inschrift: „Friede sei über ihrer würdigen Asche;“ Dorville und Dörenberg gingen spurlos vorüber. Erst mit General von Bischofswerder begann eine neue Zeit. Marquardt trat in die Reihe der historischen Punkte ein. Marquardt von 1795—1803. General v. Bischofswerder . Die Zeit der Heerlager war vorüber, der Baseler Friede geschlossen; in demselben Jahre war es, 1795, daß der General v. Bischofswerder Marquardt käuflich an sich brachte, nach einigen aus dem Vermögen seiner zweiten Frau, nach andern aus Mitteln, die ihm der König gewährt hatte. Das letztere ist das wahrscheinlichere. Gleichviel, er erstand es und gab dem Herrenhause, dem Park, dem Dorfe selbst, im Wesentlichen den Charakter, den sie sammt und sonders bis diesen Augenblick zeigen. So wenig Jahre er es besaß, so war dieser Besitz doch epochemachend. Ehe wir darzustellen versuchen, was Marquardt damals sah und erlebte, versuchen wir eine Schilderung des einflußreichen und merkwürdigen Mannes selbst. Hans Rudolph v. Bischofswerder wurde am 11. Novem- ber 1740 zu Ostramünde im sächsisch-thüringischen Amte Eckarts- berge geboren. Dies Geburtsdatum festzustellen, war schwierig. Die Geschichts- und Nachschlagebücher geben abwechselnd 1737, 1738 und 1741 an. Monat und Tag werden gar nicht genannt. In dieser Verlegenheit half endlich das Marquardter Kirchenbuch . Es heißt in demselben: Hans Rudolph v. Bischofswerder starb am 30. October 1803, in einem „ruhmvollen Alter“ von 62 Jahren 11 Monaten und 19 Tagen. Dies ergiebt das oben im Text angegebene Geburtsdatum. — Eine verwandte Mühe (was gleich hier bemerkt sein mag) haben alle andern Namen-, Zahlen- und Verwandtschafts-Angaben gemacht und nicht immer ist das Resultat ein gleich befriedigendes gewesen. Vieles war absolut nicht in Erfahrung zu bringen. Ich habe das Vermählungsjahr Bischofswerders mit seiner zweiten Gemahlin, Gräfin Pinto, nicht mit Sicherheit fest- stellen können. Bestimmte Angaben hierüber würden mit Dank entgegen- genommen werden. Die Angabe von Tag und Jahr ist zuverlässig, die Ortsangabe fraglich. Sein Vater, (die Mutter war eine geborne v. Bünau) war Adjutant bei dem Marschall von Sachsen, warb für Frankreich das Regiment Chaumontet und starb als Oberst im Dienst der Generalstaaten. Hans Rudolph v. Bischofswerder studirte von 1756 an zu 17* Halle, nahm dann Kriegsdienste und trat 1760 in das preußische Regiment Carabiniers, dessen Commandeur ihn zu seinem Ad- jutanten machte. In dieser Eigenschaft wohnte er den letzten Kämpfen des siebenjährigen Krieges bei. Noch während der Campagne stürzte er mit dem Pferde, erlitt einen Rippenbruch und zunächst wenigstens sich außer Stande sehend, die militärische Laufbahn fortzusetzen, begab er sich auf ein Landgut in der sächsischen Lausitz, wo er sich 1764 mit einer Tochter des kur- sächsischen Kammerherrn v. Wilke vermählte. Er lebte hier mehrere Jahre in glücklicher Zurückgezogenheit und „übte (wie es in einer der zeitgenössischen Schriften heißt) all die gesell- schaftlichen und häuslichen Tugenden, die ihm die Hochachtung derer, die ihn kannten, erwarben.“ Sein guter Ruf verschaffte ihm die Ehre, als Cavalier an den sächsischen Hof gerufen zu werden. Von hier aus machte er mit dem Prinzen Xaver eine Reise nach Frankreich. Bald nach seiner Rückkehr wurde er Kammerherr des Kurfürsten, hier- nächst Stallmeister des Prinzen Karl, Herzogs von Kurland. Herzog Karl von Kurland, Sohn Friedrich Augusts II. , lebte damals zumeist in Dresden und gehörte in erster Reihe zu jener nicht kleinen Zahl von Fürstlichkeiten, die für das epidemisch auftretende Ordenswesen, für Goldmachekunst und Geister-Erscheinungen ein lebhaftes Interesse zeigten. So konnte es denn kaum ausbleiben, daß auch Bischofs- werder, wie alle übrigen Personen des Hofes, zu jenen Alchymisten und Wunderleuten in nähere Beziehungen trat, die damals beim Herzoge aus- und eingingen. Unter diesen war Johann Georg Schrepfer der bemerkenswertheste. Er besaß einen „Apparat,“ der so ziemlich das Beste leistete, was nach dieser Seite hin damals geleistet werden konnte; dazu war er kühn und von einem gewissen ehrlichen Glauben an sich selbst. Es scheint, daß er, inmitten aller seiner Betrügereien, doch ganz aufrichtig die Meinung unterhielt: jeder Tag bringt Wunder; warum sollte am Ende mir zu Liebe nicht auch ein Wunder ge- schehen? Als trotz dieses Glaubens die eingesiegelten Papier- schnitzel nicht zu Golde werden wollten, erschoß er sich im Leipziger Rosenthal (1774). Bischofswerder war unter den Freunden, die ihn auf diesem Gange begleiteten und denen er eine „wun- derbare Erscheinung“ zugesagt hatte. Die ganze Schrepfer-Episode hatte als Schwindel-Comödie geendet; aber so sehr sie für Unbefangene diesen Stempel trug, so wenig waren die Adepten geneigt, ihren Meister und seine Kunst aufzugeben; man trat die Schrepfersche Erbschaft an und citirte weiter. Friedrich Förster erzählt: „Bischofswerder, in einem Vorgefühl, daß hier ein Schatz, eine Brücke zu Glück und Macht gefunden sei, wußte den Schrepferschen Apparat zu erwerben;“ doch ist dies nicht allzu wahrscheinlich. Wenn Bischofswerder später sehr ähnlich operirte, so konnte er es, weil ein längerer intimerer Verkehr mit dem „Meister“ ihn in alle Geheimnisse desselben eingeführt hatte. Das prosaische Ende Schrepfers — prosaisch, trotzdem es mit einem Pistolenschuß endete — hatte unseren Bischofswerder nicht umg estimmt, aber verstimmt; er gab Dresden auf, oder mußte es aufgeben, da der ganze Hergang doch viel von sich reden machte und nicht gerade zu Gunsten der Betheiligten. Er ging nach Schlesien und lebte einige Zeit (1774—75) in der Nähe von Grüneberg, auf den Gütern des Generals v. Franken- berg. Bischofswerders äußere Lage war damals eine sehr be- drückte. Dieser Aufenthalt vermittelte auch wohl den Wiedereintritt B.’s in den preußischen Dienst, der nach einigen Angaben 1775 oder 76, nach anderen erst bei Ausbruch des bairischen Erbfolge- kriegs 1778 erfolgte. Prinz Heinrich verlangte ihn zum Ad- jutanten; als sich diesem Verlangen indeß Hindernisse in den Weg stellten, errichtete v. B., inzwischen zum Major avancirt, ein sächsisches Jägercorps, das der Armee des „Rheinsberger Prinzen“ zugetheilt wurde. Beim Frieden hatte diese Jägertruppe das Schicksal, das ähnliche Corps immer zu haben pflegen: es wurde aufgelöst; König Friedrich II. indeß, „der die Menschen kannte,“ nahm den nunmehrigen Major v. Bischofswerder in seine Suite auf, worauf sich dieser in Potsdam niederließ. Die schon citirte Schrift schreibt über die sich unmittelbar anschließende Epoche (von 1780—86) das Folgende: „Um diese Zeit war es auch, daß der damalige Prinz von Preußen, der spätere König Friedrich Wilhelm II. , ihn kennen lernte und seines besonderen Zutrauens würdig fand. Wobei übrigens eigens bemerkt sein mag, daß v. Bischofswerder der einzige aus der Umgebung des Prinzen war, welchen König Friedrich hochzuachten und auszuzeichnen fortfuhr, so groß war die gute Meinung des Königs von Herrn v. B., so fest hielt er sich überzeugt, daß er nicht im Stande wäre, dem Prinzen böse Rathschläge zu ertheilen. Noch mehr. Der Prinz brauchte Bischofswerder, um sich bei den Ministern nach dem Gange der Staatsgeschäfte zu erkundigen, und der König, obwohl er dies wußte, zeigte keinen Argwohn.“ Wir lassen dahingestellt sein, in wie weit eine der Familie Bischofswerder wohlwollende Feder (deren es nicht allzu viele gab) hier die Dinge günstiger schilderte, als sie in Wahrheit lagen; gewiß ist nur, daß die Abneigung des großen Königs sich mehr gegen Wöllner und die Enke (die spätere Rietz-Lich- tenau) als gegen Bischofswerder richtete, und daß, was immer es mit dieser Abneigung auf sich haben mochte, sie jedenfalls die Vertrauens-Stellung zum Prinzen von Preußen, die er einnahm, nicht tangirte. In dieser befestigte er sich vielmehr so, daß, als sich im August 1786 die „großen Alten-Fritzen- Augen“ endlich schlossen, der Eintritt Bischofswerders in die Stellung eines allvermögenden Günstlings Niemanden mehr überraschte. Dabei suchte er durch Friedensschlüsse mit seinen Gegnern, beispielsweise mit der Rietz, namentlich aber auch durch Besetzung einflußreicher Stellen mit Mitgliedern seiner Familie seine eigene Machtstellung mehr und mehr zu befestigen. Seine beiden Töchter erster Ehe wurden zu Dames d’atour bei der Königin (die in Monbijou ihren Hofstaat hatte) ernannt; seine Gemahlin aber (nach dem Tode der Frau v. Reith, Ober- hofmeisterin der Königin) war er bemüht in diese Stellung ein- rücken zu lassen. So war er denn allmächtiger Minister, war es und blieb es durch alle Wechselfälle einer elfjährigen Regierung hindurch und die Frage mag schon hier in Kürze angeregt und beantwortet werden: wodurch wurde diese Machtstellung gewonnen und behauptet ? Die gewöhnliche Antwort lautet: durch servile Complaisance, durch Unterstützen oder Gewährenlassen jeder Schwäche, durch Schweigen, wo sich Reden geziemte, durch feige Unterordnung, die kein anderes Ziel kannte, als Festhalten des Gewonnenen, durch jedes Mittel, nöthigen- falls auch durch „Diavolini“ und Geisterseherei. Wir halten diese Auffassung für falsch. Der damalige Hof, König und Umgebung, hatte seine weltkundigen Gebrechen; aber das Schlimmste nach dieser Seite hin lag weit zurück; das „Mar- morpalais“ repräsentirte nicht jene elende Verschmelzung von Lust und Trägheit, von Geistlosigkeit und Aberglauben, als welche man nicht müde geworden ist, es darzustellen; man hatte auch Charakter, auch Principien (wahrer Herzensgüte ganz zu geschweigen), und ein wie starkes Residuum von Erregt- heit und Erschlaffung, von großem Wollen und kleinem Können verbleiben mag, niemals ist eine ganze Epoche so über Gebühr gebrandmarkt worden, als die Tage Friedrich Wilhelms II. und seines Ministers . Wir kommen, wenn wir am Schluß eine Charakterisirung Bischofswerders versuchen, ausführlicher auf diesen Punkt zurück. Die Campagnen und auswärtigen Verwicklungen, die fast die ganze Regierungszeit des Königs, wenigstens bis 1795, aus- füllten, riefen, wie diesen selbst, so auch seinen Minister vielfach ins Feld. Diplomatische Missionen schoben sich ein. v. B. nahm Theil an dem Congresse zu Szistowe, brachte mit Lord Elgin die Pillnitzer Convention (Ergreifung von Maßregeln gegen die französische Revolution) zu Stande, begleitete den Kö- nig 1792 während des Champagne - Feldzugs und ging bald darauf als Gesandter nach Paris, von wo er 1794 zurück- kehrte. Das nächste Jahr brachte den Frieden. Mit dem Friedens- schluß zusammen fiel der Erwerb von Marquardt. Schon einige Jahre früher, 1790 oder vielleicht schon 1789, hatte er sich zum zweiten Male verheirathet. Die hohe Politik, die Zeit der Strebungen, lag zurück. Das Idyll nahm seinen Anfang. Wir begleiten nun den Günstling-General durch die letzten 8 Jahre seines Lebens. Es sind Jahre in Marquardt . Das neue Leben wurde durch das denkbar froheste Ereigniß inaugurirt: durch die Geburt eines Sohnes, eines Erben. Das alte Haus Bischofswerder, das bis dahin nur auf zwei Augen gestanden hatte, stand wieder auf vier. Die Taufe des Sohnes war ein Glanz- und Ehrentag. Der König hatte Pathenstelle angenommen und erschien mit seinen beiden Generaladjutanten v. Rodich und v. Reder. Die feierliche Handlung erfolgte im Schloß. Als Pastor Stiebritz (ein Name, dem wir im Verlauf unsres Aufsatzes noch öfters begegnen werden) die Taufformel sprechen wollte und bis an die Worte gekommen war: „ich taufe dich“ stockte er, — die Namen waren ihm abhanden gekommen, der Zettel fehlte. Aber die Verwirrung war nur eine momentane. v. Bischofswerder selbst trat vor, sprach die Namen, und der Pastor, rasch sich wiederfindend, beendete den Act. Der Taufe folgte die Tafel und im Lauf des Nachmittags ein ländliches Fest. Der König blieb; die schöne Jahreszeit lud dazu ein. Noch leben Leute im Dorfe, achtzigjährige, die sich dieses Tages entsinnen. Ein Erinnerungsbaum wurde gepflanzt, ein Ringelreihen getanzt; der König, in weißer Uniform, leuch- tete aus dem Kreise der Tanzenden hervor. Am Abend brann- ten Lampions in allen Gängen des Parks, und die Lichter, sammt den dunklen Schatten der Eichen- und Ahornbäume, spiegelten sich im Schlänitzsee. Sehr spät erst kehrte der König nach Potsdam zurück. Er hatte dem Täufling eine Domherrn- Präbende als Pathengeschenk in das Taufkissen gesteckt. Von Jahr zu Jahr wachsend, steigerte sich der Werth derselben bis zu einer Jahres-Einnahme von 4500 Thalern. Zwischen diesem 17. Juli und dem 16. November 1797 lagen noch zwei Sommer, während welcher der König seine Besuche mehrfach erneuerte. Ob er eintraf, lediglich um sich des schönen Landschaftsbildes und der loyalen Gastlichkeit des Hauses zu freuen, oder ob er erschien, um „Geisterstimmen“ zu hören, wird wohl für alle Zeiten unaufgeklärt bleiben. Die Dorftradition sagt, er kam in Begleitung weniger Eingeweihter meist in der Dämmerstunde (der schon erwähnte General-Ad- jutant v. Reder und der Geheimrath Dr. Eisfeld vom Militär- Waisenhause in Potsdam werden eigens genannt), passirte nie die Dorfstraße, sondern fuhr über den „Königsdamm“ direct in den Park, hielt vor dem Schlosse und nahm nun an den Sitzungen Theil, die sich vorbereiteten. Man begab sich nach der „Grotte,“ einem dunklen Steinbau, der im Park in einem mit Akazien bepflanzten Hügel (dies entsprach dem rosen- kreuzerischen Ritual) angelegt worden war. Der Eingang, niedrig und kaum mannsbreit, barg sich hinter Gesträuch. Das Innere der Grotte war mit blauem Lasurstein mosaikartig aus- gelegt und von der Decke herab hing ein Kronleuchter. In diese „blaue Grotte,“ deren Licht- und Farben-Effect ein wunderbarer gewesen sein soll, trat man ein; der König nahm Platz. Alsbald wurden Stimmen laut; leiser Gesang, wie von Harfentönen begleitet. Dann stellte der König Fragen und die Geister antworteten. Jedes Mal tief ergriffen, kehrte Friedrich Wilhelm ins Schloß und bald darauf nach Potsdam zurück. So die Tradition. Es wird hinzugesetzt, die Grotte sei doppelwandig gewesen, und eine Vertrauensperson des Ordens habe von diesem Versteck aus die „musikalische Aufführung“ geleitet und die Antworten ertheilt. Daß die Grotte eine doppelte Wandung hatte, ist seitdem und zwar durch den jetzigen Besitzer, der den Bau öffnete, um sich von seiner Con- struction zu überzeugen, über jeden Zweifel hinaus erwiesen worden. Die Lasursteine existiren noch, ebenso der Akazienhügel. Dennoch giebt es Personen, die den ganzen Schatz Marquardter Volkssage einfach für Fabel erklären. Ich kann diesen Personen nicht beistimmen. Es ist eine nicht wegzuleugnende Thatsache, daß Bischofswerder ein Rosenkreuzer war, daß er mehr als einmal in Berlin im Palais der Lichtenau, in Sanssouci in einem am Fuß der Terrasse gelegenen Hause, endlich im Bel- vedere zu Charlottenburg wirklich „Geister“ erscheinen ließ und daß er bis zuletzt in seinem Glauben an alchymistische und kabbalistische Vorgänge aushielt. Es ist höchst wahrscheinlich, daß die Grotte ähnlichen Zwecken diente und nur darüber kann ein Zweifel sein, ob der König, der im Ganzen vielleicht nur vier, fünf Mal in Marquardt war, an diesen rosenkreuzerischen Reunions theilnahm. Am 16. November 1797 starb der König. Noch einmal, auf wenige Tage, wurde Bischofswerder aus der Stille von Marquardt herausgerissen und mitten in die Tagesereignisse hineingestellt, aber nur um dann ganz und für immer in die ihm liebgewordene Stille zurückzukehren. Während des Hinscheidens Friedrich Wilhelms II. befand sich Bischofswerder im Vorzimmer. Er traf rasch und mit Um- sicht alle Vorkehrungen, die der Moment erheischte, ließ die Eingänge zum neuen Garten, bez. zum Marmorpalais besetzen, warf sich dann aufs Pferd und eilte nach Berlin, um, als Erster, den Kronprinzen als König zu begrüßen. Er empfing den Stern des schwarzen Adlerordens. Ob diese Auszeichnung ihn einen Augenblick glauben machte, er werde sich auch unter dem neuen Regime behaupten können, lassen wir dahin gestellt sein. Es ist nicht wahrscheinlich. Beim Begräbniß des Königs trat er zum letzten Mal in den Vordergrund. Es war im Dom; das officielle Preußen war versammelt, Lichter brannten, Uniform an Uniform, nur vor dem Altar ein leerer Platz: auf der Versenkung, die in die Gruft führt, stand der Sarg. Jetzt wurde das Zeichen gegeben. In demselben Augenblick trat Bischofswerder, eine Fackel in der Hand, neben den Sarg und der Todte und der Lebende stiegen gleichzeitig in die Tiefe. Es machte auf Alle, auch auf die Gegner des Mannes, einen mächtigen Eindruck. Es war das letzte Geleit. Zugleich symbolisch ausdrückend: ich lasse nun die Welt. Und er ließ die Welt. Sein Dorf, sein Haus, sein Park füllten von nun an seine Seele. Mit seinen Bauern stand er gut; die Auseinanderlegung der Aecker, die sogenannte „Sepa- ration,“ die gesetzlich erst zehn Jahre später ins Leben trat, führte er durch freie Vereinbarung durch; er erweiterte und schmückte das Schloß, den Park; dem letztern, durch Ankauf von Bauerhöfen (die alten Brunnenstellen lassen sich noch er- kennen), wie durch Anpflanzung werthvoller Bäume, gab er seine gegenwärtige Gestalt. Alle Wege, die durch die Gutsäcker führ- ten, ließ er mit Obstbäumen, die er für bedeutende Summen aus dem Dessauischen bezog, bepflanzen und schuf dadurch eine Cultur, die noch jetzt eine nicht unerhebliche jährliche Rente abwirft. Er hatte ganz die Ackerbau-Passion, den tiefen Zug für Natur und einfache Verhältnisse, den man bei allen Personen beobachten kann, die sich aus der Hofsphäre oder aus hohen Berufsstellungen in einfache Verhältnisse, aus dem glänzenden Schein in die Wirklichkeit des Lebens zurück- ziehen. Der Verkehr im Hause war ein ziemlich reger. Die starr- katholischen und noch mehr fast die starr-ökonomischen Grund- sätze seiner zweiten Frau griffen gelegentlich störend ein; seine Bonhommie wußte aber alles wieder auszugleichen. Mit dem benachbarten Adel stand er auf gutem Fuß; die Beziehungen zur Potsdamer Gesellschaft waren wenigstens nicht abgebrochen; nur die eigentlichen Hofkreise, die der an oberster Stelle herr- schenden Empfindung Folge geben mußten, hielten sich zurück. Friedrich Wilhelm III. , so oft er auch auf dem Wege nach Paretz das Marquardter Herrenhaus zu passiren hatte, hielt nie vor demselben an; die Jahre, die nun mal die Signatur: Rietz, Wöllner, Bischofswerder trugen (trotzdem er zu dem letzteren nie in einem directen Gegensatze stand) lebten zu unliebsam in der Erinnerung fort, um eine Annäherung wünschenswerth er- scheinen zu lassen. So kam der Herbst 1803 und mit ihm das Scheiden. Die Arcana und Panaceen konnten’s nicht abwenden; das „Lebenselixir“ (von dem er täglich einen Tropfen nahm) und das rothseidene Kissen, das er als Amulett auf der Brust trug, sie mußten weichen vor einer stärkeren Macht, die sich mehr und mehr ankündigte. Der Erbring mit dem weißen Milchstein dunkelte rasch auf dem Zeigefinger, an dem er ihn trug, und so wußte er denn, daß seine letzte Stunde nahe sei. Er las im Swedenborg, als der Tod ihn antrat. Nach kurzem Kampfe verschied er in seinem Stadthause zu Potsdam. Es war am 30. October. Er war in Potsdam gestorben, aber nach letztwilliger Ver- fügung wollte er in Marquardt begraben sein. Nicht in der Kirche, auch nicht auf dem Kirchhofe, sondern im Park zwischen Schloß und Grotte. In wenig Tagen galt es also ein Erb- begräbniß herzustellen. Eine runde Gruft wurde gegraben, etwa von Tiefe und Durchmesser eines Wohnzimmers, und die Maurer arbeiteten emsig, um dem großen Raum eine massive Wandung zu geben. Als der vierte Tag zu Ende ging (der Tag vor dem festgesetz- ten Begräbniß), ward auch, um’s fertig zu schaffen, die Nacht mit zu Hilfe genommen, und bei Fackelschein, während der erste Schnee auf den kahlen Parkbäumen lag, wurde das Werk beendet. Am 4. November früh erschien von Potsdam her der mit sechs Pferden bespannte Wagen, der den Sarg trug; die Bei- setzung erfolgte und zum ersten Male schloß sich die runde Gartengruft. Nur noch zwei Mal wurde sie geöffnet. Ein Aschenkrug ohne Namen und Inschrift wurde auf das Grab gestellt. Epheu wuchs darüber hin wie über ein Gartenbeet. Wir versuchen, nachdem wir in Vorstehendem alles zusam- mengetragen, was wir über den Lebensgang von Bischofswerder in Erfahrung bringen konnten, nunmehr eine Schilderung sei- ner Person und seines Charakters. Er war ein stattlicher Mann, von regelmäßigen und an- sprechenden Gesichtszügen, in allen Leibesübungen und ritter- lichen Künsten wohl erfahren, ein Meister im Fahren und Fechten, im Schießen und Schwimmen, von gefälligen Formen und bei den Frauen wohlgelitten. Er blieb bis zuletzt ein „schöner Mann.“ Seltsamerweise haben ihm Neid und Uebel- wollen auch diese Vorzüge der äußern Erscheinung absprechen wollen. In den französisch geschriebenen Anmerkungen zu den „Geheimen Briefen“ wird er einfach als eine „traurige Figur“ ( figure triste ) bezeichnet. Der Schreiber jener Zeilen kann ihn nie gesehen haben. Der erst 1858 gestorbene Sohn Bischofs- werders, eine ächte Garde du Corps-Erscheinung (eine Truppe, in der er auch seine militärische Laufbahn begann) war das Ab- bild des Vaters und übernahm noch nachträglich eine Art Be- weisführung für die Stattlichkeit des „Günstling-Generals.“ Der oft versuchten Schilderung seines Charakters sind im Großen und Ganzen die Urtheile der „Vertrauten Briefe,“ der „Geheimen Briefe,“ der „Anmerkungen“ zu den Geheimen Briefen und die Briefe Mirabeau’s zu Grunde gelegt worden. Es steht aber wohl nach gerade fest, daß alle diese Briefe unend- lich wenig Werth als historische Documente haben und daß sie durch Uebelwollen, Parteiverblendung oder bare Unkenntniß dictirt wurden; in letzterem Falle bloß das Tagesgeschwätz wiedergebend, das kritiklose Geplauder einer scandalsüchtigen und medisanten Gesellschaft. So heißt es in den „Vertrauten Brie- fen“ des Herrn v. Cöllen: „Bischofswerder war ein ganz gewöhnlicher Kopf. Sein Gemüth war den äußeren Eindrücken zu sehr offen, woraus eine große Schwäche des Willens ent- stand. Ganz gemein aber war er nicht.“ Diese letzte halbe Zeile, in ihrem Anlauf zu einer Ehrenrettung, ist besonders bösartig, weil sie sich das Ansehen einer gewissen Unparteilich- keit giebt. Weit hinaus aber über das Uebelwollen der „ Ver- trauten Briefe,“ die an einzelnen Stellen immerhin das Rich- tige treffen mögen, gehen die „Anmerkungen“ zu den Ge- heimen Briefen, in denen wir folgendem Passus begegnen: „La fortune a quelquefois employé des hommes sans grande capacité dans l’administration des Etats; mais rare- ment elle a choisi un si triste sujet que ce Bischofs- werder : naissance ordinaire, figure triste, physionomie per- fide, élocution embarrassée; ne connoissant ni le pays qu’il a quitté, ni celui qui l’a recueilli, ni ceux qui intéressent la Prusse. N’étant ni militaire, ni financier, ni politique, ni économiste. Un de ces hommes enfin que la nature a condamné à l’obscurité et à végéter dans la foule. Voilà l’homme qui règne en Prusse.“ Wir verweilen bei diesen Auslassungen nicht , eben weil sie zu sehr den Stempel des Pasquills tragen, und wenden uns lieber der Darstellung zu, die ein anerkannter Historiker von dem Charakter B.’s gegeben hat, um dann an dieses maß- volle Urtheil anzuknüpfen. J. C. F. Manso in seiner „Geschichte des Preußischen Staates vom Frieden zur Hubertsburg bis zur zweiten Pariser Abkunft“ sagt über Bischofswerder: „In den Fesseln der Rosenkreuzerei verlor er früh die unbefangene Ansicht des Lebens. … Selten übte ein Mensch die Kunst, andere zu erforschen und sich zu verbergen, glücklicher und geschickter als er. Ihm war es nicht gleichgültig, wem er sein Haus am Tage und wem er es in der Dunkelheit öffne. Sein ganzes Wesen trug das Gepräge der Umsichtigkeit , und wenn er reden mußte, wo er lieber geschwiegen hätte, bewahrte er sich sorgfältig genug, um nichts von seinem Innern zu enthüllen. Rath gab er nie ungefragt, und den er gab, hielt er für sicherer oder verdienstlicher, dem Fragenden unterzuschieben; auch des Ruhms, der ihm aus dem gegebenen zuwachsen konnte, entäußerte er sich mit seltener Willfährigkeit. … Friedrich Wilhelm ward nie durch ihn in der Ueberzeugung gestört, er wäge, wähle und beschließe allein. … Das Vorurtheil uneigennütziger Anhänglichkeit, das er für sich hatte, reichte hin, Verdächtige zu entfernen und Geprüftere zu empfehlen. So gelang ihm, wonach er strebte. Er ward reich durch die Huld des Monarchen, ohne Vor- wurf, und der erste im Staate, ohne Verantwortlichkeit. … Anmaßungen, nicht Vergünstigungen gefährden.“ Dies Urtheil Manso’s, wenn wir von dem Irrthum ab- sehen, daß er v. B. als „reich“ bezeichnet, wird im Wesent- lichen zutreffen. Aber was enthält es, um den Mann oder seinen Namen mit einem Makel zu behaften? Was andres tritt einem entgegen, als ein lebenskluger, mit Gaben zweiten Ranges ausgerüsteter Mann, der scharf beobachtete, wenig sprach, keinerlei Ansprüche erhob, auf die glänzende Außenseite des Ruhmes verzichtete und sich begnügte, in aller Stille ein- flußreich zu sein. Wir bekennen offen, daß uns derartig angelegte Naturen nicht gerade sonderlich sympathisch berühren, und daß uns solche, die, zumal in hohen Stellungen, mehr aus dem Vollen zu arbeiten verstehen, mächtiger und wohl- thuender zu erfassen wissen; aber, wohlthuend oder nicht, was liegt hier vor, das, an und für sich schon, einen besonderen Tadel herausforderte? Zu einem solchen würde erst Grund vorhanden sein, wenn Bischofswerder seinen Einfluß, den er unbestritten hatte, zu bösen Dingen geltend gemacht hätte. Aber wo sind diese bösen Dinge? Wenn die ganze damalige auswärtige Politik Preußens — was übrigens doch noch frag- lich bleibt — auf ihn zurückgeführt werden muß, wenn also der Zug gegen Holland, der Zug in die Champagne, der Zug gegen Polen und schließlich wiederum der Baseler Frieden sein Werk sind, so nehmen wir nicht Anstand zu erklären, daß er in allem das Richtige getroffen hat. Die drei Kriegszüge erwuchsen aus einem und demselben Princip , das man nicht umhin können wird, in einem königlichen Staate, in einer absoluten Monarchie, als das Richtige anzusehen. Ob die Kriegsleistungen selbst, besonders der Feldzug in der Cham- pagne, auf besonderer Höhe standen, das ist eine zweite Frage, die, wie die Antwort auch ausfallen möge, keinesfalls eine Schuld involvirt, für die Bischofswerder verantwortlich gemacht werden kann. Er hatte gewiß den Ehrgeiz, einfluß- reich und Günstling seines königlichen Herrn zu sein, aber er eroberte sich diese Stellung weder durch schnöde Mittel, noch that er Schnödes, so lang er im Besitz dieser Stellung war. Er diente dem Könige und dem Lande nach seiner besten Ueber- zeugung, die, wie wir ausgeführt, nicht bloß eine individuell berechtigte, sondern eine absolut zulässige war. Er war klug, umsichtig, thätig und steht frei da von dem Vorwurf, sich berei- chert oder Andere verdrängt und geschädigt zu haben. Was ihn dem Könige werth machte (darin stimmen wir einer Kritik bei, die sich gegen die oben citirten französischen „Anmerkun- gen“ richtet), waren: des moeurs pures, beaucoup d’honnêteté dans le sentiment, um désinteressement parfait, un grand amour pour le travail. In dieser Kritik vermissen wir nur eines noch, was uns den Mann ganz besonders zu charakterisiren scheint, seinen bon sens in allen praktischen Dingen (wohin wir in erster Reihe auch die Politik rechnen), das klare Erkennen von dem, was statthaft und unstatthaft, was möglich und unmöglich ist. Ueber diese glänzendste Seite Bischofswerders giebt uns Massenbach in seinen „Memoiren zur Geschichte des preußischen Staates“ Aufschluß. Dieser (Massenbach) verfolgte damals, 1795 bis 1797, zwei Lieblings-Ideen: „Bündniß mit Frankreich“ und „Neu-Organisation des General-Quartiermeisterstabes,“ — wohl dasselbe, was wir jetzt Generalstab nennen. In den Memoiren heißt es wörtlich: „Ich suchte den General v. Bischofswerder für meine Ansichten zu gewinnen. Es hielt schwer, diesen Mann in seinem Zimmer zu sprechen. Desto öfter traf ich ihn auf Spazierritten. Er liebte den Weg, der sich vor dem Nauenschen Thore auf der sogenannten Pots- damer Insel, längs der Weinberge hinzieht. Da paßte ich ihm auf, kam wie von ungefähr um die Ecke herum, und bat um die Erlaubniß ihn begleiten zu dürfen. Das Gespräch fing gewöhnlich mit dem Lobe seines Pferdes an; nach und nach kamen wir auf die Materie, die ich zur Sprache bringen wollte. Ich gebe hier eines dieser Gespräche, worin ich ihm, wie schon bei einer früheren Gelegenheit, ein Bündniß mit Frankreich empfahl. Ich . (Massenbach.) Preußen muß sich fest mit Frankreich verbinden, wenn es sich nicht unter das russische Joch beu- gen soll. Bischofswerder . Aber bedenken Sie doch, daß der König mit der Directorial-Regierung kein Freundschaftsbündniß errichten kann . Unter den Directoren befinden sich einige, die für den Tod ihres Königs gestimmt haben. Mit Königs- mördern kann kein König tractiren. Ich . Tractiren? Wir haben ja in Basel tractirt. Und gab der staatskluge Mazarin seinem Zögling nicht den Rath, den Königsmörder Cromwell seinen „lieben Bruder“ zu nen- nen? Das Interesse des Staates entscheidet hier allein. Bischofswerder . Man hat keine Garantie. Morgen werden die „fünf Männer“ von ihren Thronen gejagt und nach Südamerika geschickt. Es ist eine revolutionäre Regierung. Ich . Die englische Regierung ist es auch. Georg III. ist nicht nur ein schwacher Mann, er ist weniger als nichts; er ist wahnsinnig. … Heute negociiren wir mit Pitt, morgen ist ein Bute an der Spitze der Angelegenheiten. Die englische Regierung giebt uns auch keine Sicherheit. Wir haben mit der französischen Regierung unterhandelt; wir haben sie aner- kannt; wir haben ihr eine diplomatische Existenz gegeben und uns dadurch den Haß aller Mächte zugezogen. Einmal mit diesem Hasse beladen, gehe man noch einen Schritt weiter. . . Bischofswerder . Sie gehen zu weit, Massenbach. Eine solche Idee dem Könige vorzutragen, kann ich nicht wagen. Auch kann ich Ihrer Meinung nicht beipflichten. Allianz mit Frankreich! Das ist zu früh. Die Dinge in Frankreich haben noch keine Consistenz. Dies war im Frühjahr 1796. Die zweite, noch weit eingehendere Unterredung (so fährt Massenbach fort), die ich mit Bischofswerder um diese Zeit Fontane , Wanderungen. III. 18 hatte, bezog sich auf die Neu-Organisation des Generalquartier- meisterstabes. Ich bat um die Erlaubniß, ihm meinen Aufsatz über die Nothwendigkeit einer „ Verbindung der Kriegs- und Staats-Kunde “ vorlesen zu dürfen. Dies geschah dann auch an zwei Abenden, die ich bei Bischofswerder unter vier Augen zubrachte. Er machte, als ich geendet hatte, einige treffende Bemerkungen. Unter andern sagte er Folgendes: „Selbst angenommen, daß dies alles nur politisch-mili- tärische Romane wären, so würde doch die Lectüre dersel- ben den Prinzen des königlichen Hauses ungemein nützlich sein, nützlicher als die Lectüre von Grandison und Lovelace. Die jungen Herren würden dadurch die militärische Statistik unseres Staates und der benachbarten Staaten kennen lernen.“ Das Ende meines Aufsatzes (so schließt Massenbach) ließ er sich zweimal vorlesen. Er lächelte. Als ich in ihn drang, mir dies Lächeln zu erklären, sagte er: „Der Generalstab wird, wenn Ihre Idee zur Ausführung kommt, eine geschlossene Gesellschaft , die einen entscheidenden Einfluß auf die Regie- rung des Staates haben wird. Ihr General-Quartiermeister greift in alle Staatsverhältnisse ein. Sein Einfluß wird grö- ßer, als der des jetzigen General-Adjutanten. So lange Zastrow der vortragende General-Adjutant ist, wird Ihre Idee nicht ausgeführt werden. Jetzt müssen Sie diese Idee gar nicht zur Sprache bringen. Theilen Sie solche Niemandem mit. Die Sache spricht sich herum, und Sie haben dann große Schwie- rigkeiten zu bekämpfen. … Ihren Antrag wegen der Reisen der Offiziere des Generalquartiermeister-Stabes will ich gern beim Könige unterstützen.“ (Dies geschah.) Massenbach, der immer Gerechtigkeit gegen Bischofswerder geübt und nur seine Geheimthuerei, sein sich verläugnen-lassen und sein diplomatisch-undeutliches Sprechen, das er „Bauch- rednerei“ nannte, gelegentlich persiflirt hatte, war nach diesen Unterredungen so entzückt, daß er ihre Aufzeichnung mit den Worten begleitet: „Ich gewann den Mann lieb; er erschien mir einsichtsvoll und ich konnte mich nicht enthalten, ihn zu embrassiren.“ Wenn nun auch einzuräumen ist, daß der immer Pläne habende Massenbach durch ein solches Eingehen auf seine Ideen bestochen sein mußte, so muß doch auch die nüchternste Kritik, die an diese Dialoge herantritt, eingestehn, daß sich überall ein Princip, und doch nirgends eine principielle Ver- ranntheit, daß sich Feinheit, Wohlwollen, Verständigkeit und selbst Offenheit darin aussprechen. Ein Mann, wie Bischofs- werder gewöhnlich geschildert zu werden pflegt, hätte eher eine Fluchtreise nach Berlin oder nach Marquardt gemacht, als daß er sich dazu verstanden hätte, sich einen langen Aufsatz über die Neu-Organisation des Generalstabes an zwei Abenden vor- lesen zu lassen. In dieser einen Thatsache liegt ausgesprochen, daß er ein fleißiger, gewissenhafter, geistigen Dingen sehr wohl zugeneigter Mann war. Auch dies ist bestritten worden. Man gefiel sich darin, den König, seinen Günstling, den ganzen Hof als absolut unliterarisch, als todt gegen alles Geistige darzustellen. Sehr mit Unrecht. Ignaz Feß- ler , in seinem Buche „Rückblicke auf meine 70jährige Pilgerfahrt“ (Breslau, W. G. Korn 1824) schreibt: Ich stand mit auf der Liste, die der Minister für Schlesien, Graf Hoym, als eine Art Conspirato- ren-Verzeichniß beim Könige eingereicht hatte. Es traf sich aber, daß General v. Bischofswerder , wenige Tage zuvor, einiges aus meinem „Marc Aurel“ dem Könige vorgelesen hatte, der nunmehr ohne Weiteres den Namen Feßler durchstrich, dabei bemerkend: „ Der ist kein Schwindelkopf, er ist monarchisch gesinnt, wie sein Marc Aurel zeigt.“ So geringfügig dieser Hergang ist, so lehrreich ist er doch auch. Er zeigt, ebenso wie das oben aus Massenbachs Memoiren Mitgetheilte, daß sich der Hof Friedrich Wilhelms II. (und in erster Reihe sein Generaladju- tant) sehr wohl um literarische Dinge kümmerte, scharf aufpaßte und sich danach ein Bild von den Personen machte. Wir haben diese Citate gegeben, um unsere Ansicht über den gesunden Sinn Bischofswerders, über seine Urtheilskraft und seine politische Befähigung zu unterstützen; es bleibt uns noch die wichtige Frage zur Erwägung übrig: war er ein 18* Rosenkreuzerischer Charlatan ? Was wir zu sagen haben, ist das Folgende: Ein Rosenkreuzer war er gewiß, ein Charlatan war er nicht . Er glaubte eben an diese Dinge. Daß er, wie bei Aufführung einer Shakespeareschen Tragödie, mit allerhand Theaterapparat Geister citirte (eine Sache, die zugegeben werden muß), scheint dagegen zu sprechen; aber es scheint nur; diese Gegensätze, so meinen wir, vertragen sich sehr wohl mit einander. Es ist bei Beurtheilung dieser Dinge durchaus nöthig, sich in das Wesen des vorigen Jahrhunderts, insonderheit des letzten Viertels, zurückzuversetzen. Die Welt hatte vielfach die Aufklärung satt. Man sehnte sich wieder nach dem Dunkel, dem Räthselhaften, dem Wunder. In diese Zeit fiel v. Bi- schofswerders Jugend. Wenn man die Berichte über Schrepfer liest, so muß jeder Unbefangene den Eindruck haben: Bischofs- werder glaubte daran. Selbst als Schrepfer zu einer höchst fragwürdigen Gestalt geworden war, blieb v. B. unerschüttert; er unterschied Person und Sache. Es ist, nach allem, was wir von ihm wissen, für uns feststehend, daß er an das Herein- ragen einer überirdischen Welt in die irdische so aufrichtig glaubte, wie nur jemals von irgend Jemand daran geglaubt worden ist. Der gelegentliche Zweifel, ja, was mehr sagen will, das gelegentliche Spielen mit der Sache ändert daran nichts. Wenn irgendwer, groß oder klein, gebildet oder unge- bildet, mit umgeschlagenem weißen Laken den Geist spielt und auf dem dritten Hausboden unerwartet einem andern „Gespenst“ begegnet, so sind wir sicher, daß ihm in seiner „Geistähnlich- keit“ sehr bange werden wird. Ein solches Spiel, weitab davon, ein Beweis freigeistigen Drüberstehns zu sein, schiebt sich nur wie ein gewagtes Intermezzo in die allgemeine mystische Lebensanschauung ein. So war es mit Bischofswerder. Was ihn bewog, den Aberglauben, dem er dienstbar war, sich je zuweilen auch dienst- bar zu machen , wird muthmaßlich unaufgeklärt bleiben; ein von Parteistreit unverwirrter Einblick in sein Leben spricht aber entschieden dafür, daß es nicht zu selbstischen Zwecken geschah . Und das ist der Punkt, auf den es ankommt, wo sich Ehre und Unehre scheiden. Der Umstand, daß die ganze Familie, weit über die letzten Jahre des vorigen Jahrhunderts hinaus, in dieser Empfindungswelt beharrte, ist bei Beurthei- lung der ganzen Frage nicht zu übersehen und mag allerdings als ein weiterer Beweis dafür dienen, daß hier seit lange ein Etwas im Blute lag, das einer mystisch-spiritualistischen An- schauung günstig war. Wir kommen in der Folge darauf zurück und wenden uns zunächst einem neuen Abschnitt des Marquardter Lebens zu. Marquardt von 1803—1833. Frau v. Bischofswerder, geb. v. Tarrach, verw. Gräfin Pinto . Beim Tode Bischofswerders war sein Sohn und Erbe erst 8 Jahr alt; es trat also eine Vormundschaft ein. Diese Vor- mundschaft führte die Mutter und blieb, weit über die Mino- rennitätsjahre ihres Sohnes hinaus (den der Dienst in Berlin und Potsdam fesselte), nicht de jure aber doch de facto, die Regentin von Marquardt bis zu ihrem Tode. Auf diese 30 Jahre richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit. Zunächst auf die Dame selbst. Frau Generalin v. Bischofswerder war eine geborene v. Tarrach. Ihr Vater war der Geheime Finanzrath v. Tar- rach zu Tilsit, dessen Kinder es alle zu hohen Stellungen in Staat und Gesellschaft brachten. Sein Sohn (Friedrich Franz) war in den zwanziger Jahren preußischer Gesandter in Stock- holm, eine jüngere Tochter vermählte sich mit dem Marquis von Lucchesini, die älteste (Wilhelmine Catharine) wurde die Frau des Günstling-Generals und Ministers v. Bischofswerder. Aber sie wurde es erst in zweiter Ehe. Ihre erste Ehe schloß sie mit dem Grafen Ignaz Pinto , den Friedrich der Große um 1770 aus sardinischen Diensten (die Familie stammte ursprünglich aus Portugal) nach Preußen berufen, zum Flügeladjutanten gemacht und zum Mitgründer des unter ihm gebildeten Generalstabes, zum General-Feldbaumeister, zum Maréchal de logis de l’armée und zum Generaladjutanten ernannt hatte. Gleichzeitig hatte er ihm verschiedene Güter in Schlesien, darunter Mettkau im Neumarkter Kreise, so wie das Incolat als schlesischen Grafen verliehen. Man sieht, es war dem Fräulein v. Tarrach das seltene Glück beschieden, den Günstlingen zweier Könige die Hand reichen zu können. Graf Pinto starb 1788. Seine Wittwe, die Gräfin (geb. 1757), war damals 31 Jahr alt. Sie trat sehr bald zu Bischofswerder, der etwa um eben diese Zeit Wittwer geworden war, in nähere Beziehungen, und klug und schön wie sie war, (sie „schoß“ ein wenig mit den Augen, und die medisirenden Hofleute sagten: elle est belle, mais ses yeux „ne marchent pas bien“ ), nahm das Verhältniß einen Zärtlichkeitston an, der wenigstens damals zwischen Leuten von Welt zu den Aus- nahmen zählte. Es scheint, dieser Ton überdauerte selbst die Flitterwochen, die sehr wahrscheinlich in den Sommer 1789 oder 90 fielen. 1792 während des Champagne-Feldzuges wurde von französischen Truppen eine eben eingetroffene preu- ßische Feldpost erbeutet und acht Tage später las irgend ein Montagnard in der National-Versammlung die Zeilen vor, die Frau v. Bischofswerder an ihren Gemahl ins Feldlager gerichtet hatte. Der entschieden lyrische Grundton dieses Brie- fes erweckte die Heiterkeit der Versammlung. Das war in den ersten Jahren. Aber die Intimität blieb. Ein Sohn und drei Töchter wurden aus dieser zweiten Ehe geboren, so daß damals im Marquardter Herrenhause alle Arten von Stiefgeschwistern anzutreffen waren: Kinder aus der ersten Ehe des Herrn v. Bischofswerder, Kinder aus der ersten Ehe der Frau v. Bischofswerder (mit dem Grafen Pinto) und Kin- der aus der zweiten Ehe beider. Die gräflich Pinto’schen Kin- der scheinen übrigens nur ausnahmsweise in Marquardt gewe- sen zu sein, während die Bischofswerderschen Kinder aus seiner ersten Ehe mit Frl. v. Wilke, bis zuletzt die freundlichsten Be- ziehungen zum Marquardter Herrenhause unterhielten. Es waren dies zwei Töchter. Die eine, Caroline Erdmuthe Christiane, blieb unverheirathet und starb 1842. Ueber ihr Begräbniß in Marquardt berichten wir an anderer Stelle ausführlich. Die andere vermählte sich schon 1794 oder 95 mit dem jungen Grafen Gurowski , dem Besitzer der Starostei Kolo. Die „vertrauten Briefe“ sagen von ihm: „Er war ein junger Krüppel mit einem kurzen Beine, sonst ein Ungethüm und unter den jungen Polen der verdorbenste. Ein Libertin, auf der untersten Stufe des Cynismus. Wenige Wochen nach der Hei- rath kam es zur Scheidung; er nahm dann Theil an der Insurrection, und trat später das schöne Gut Murowanna Goßlin an seine geschie- dene Frau ab.“ Ueber die weiteren Schicksale dieser verlautet nichts. — Beide Fräulein v. Bischofswerder waren übrigens sehr liebenswürdig, von feiner Bildung und Sitte. Nichts war unwahrer und bösartiger als eine Schilderung derselben in den mehrgenannten „Anmerkungen“ zu den Geheimen-Briefen, worin es heißt: Les Demoiselles Bischofs- werder sont deux petites filles mal élevées. L’ainée a dans ses yeux le flambeau de l’hymen. On les dit intriguantes. A propos jaloux. Au reste il faut distinguer les ridicules des vices et dire que jusqu’ici la conduite de ces Demoiselles est intacte.“ So die „Anmerkungen.“ Die „Vertrauten-Briefe,“ „Geheimen- Briefe“ ꝛc. jener Epoche sind nie impertinenter, wie wenn sie sich zu einer halben Huldigung oder Anerkennung herablassen. 1803 starb der General. Wir haben seine Beisetzung geschildert. Seine Ehe, wie schon hervorgehoben, war eine glückliche gewesen und die Wahrnehmung, daß auch ein all- mächtiger Minister irgendwo die Grenzen seiner Allmacht finden müsse, hatte weder seinen Frieden noch seine Heiterkeit getrübt. Die „Gräfin,“ eine Benennung, die ihr vielfach blieb, hatte ihr Leben nach dem Satze eingerichtet, daß, „wer der herrsche- fähigste sei, auch die Herrschaft zu führen habe“ und dies scheint uns der Ort, ehe wir in der Vorführung biographischen Materials fortfahren, eine Charakterschilderung der Frau einzu- schalten. Ihren Mann, trotz aller Herrschsucht, liebte sie übri- gens wirklich und noch in den letzten Lebensjahren pflegte sie halb scherzhaft zu sagen: „wenn ich im Himmel meinem ersten Mann begegnen werde, so weiß ich nicht, wie er mich begrü- ßen wird, aber vor meinem Bischofswerder ist mir nicht bange.“ Die „Gräfin,“ auch wenn uns nichts anderes vorläge, als was ihre Neider und Tadler über sie ausgesagt haben, war jedenfalls eine „distinguirte“ Frau. Es mußte seinen Grund haben, daß zwei Günstlinge sich um ihre Gunst bewarben. Ein Enkel von ihr mochte mit Fug und Recht schreiben: „Die in meinen Händen befindlichen Papiere, leider nur Bruchstücke, geben ganz neue Aufschlüsse. Reichen sie auch zu einer klaren geschichtlichen Darstellung nicht aus, so haben sie mir doch einen genügenden Anhalt geboten, die für Preußens Größe begeisterte , die kühnsten Wünsche und Pläne hegende Frau verstehen zu lernen und die Bitterkeit zu begreifen, als sie mehr und mehr einsah, daß nicht die Macht der Verhältnisse, son- dern die Schwäche der Menschen Alles vereitelte und häufig in das Gegentheil verkehrte.“ Wir haben nicht selbst Einblick in die Papiere, die hier erwähnt werden, nehmen dürfen, aber nach Allem, was uns sonst vorliegt, sind wir geneigt, diese Schilderung für richtig zu halten. Sie war keine liebenswür- dige, aber eine bedeutende Frau, ein ausgesprochener Charakter. In den zahlreichen mehr oder weniger libellartigen Schrif- ten jener Zeit, wie auch im Gedächtniß der Marquardter Dorf- bewohner, von denen sie noch viele gekannt haben, lebt sie allerdings nur in zwei Eigenschaften fort, als habsüchtig-geizig und bigott-katholisch. In den mehrfach schon citirten „Ver- trauten Briefen“ finden wir zunächst: „Herrn v. Bischofswer- ders Ehehälfte läßt sich jedes gnädige Lächeln mit Geld auf- wiegen“ und an anderer Stelle heißt es: Die in Südpreußen veranstalteten Güterverschleuderungen waren ihr Werk, indem sie ihrem Manne beständig sagte: „Sie werden wie ein Bettler sterben, wenn Sie nicht noch die letzten Tage des Königs benutzen, um etwas für Ihre Familie zu thun.“ Das Fundament dieser Habsucht war muthmaßlich mehr Ehrgeiz als irgend etwas andres. Sie wußte: „Besitz ist Macht“ und die Jahre, so scheint es, steigerten diese Anschauung eher, als daß sie sie mäßigten. Ein Mann, der sie in ihren alten Tagen kannte, schreibt: „Sie war herb und hart, ertragbar nur im Verkehr mit kleinen Leuten und ausgiebig nur in Auf- legung von Schminke.“ Ihr Katholicismus war von der ausgesprochensten Art, aber die Art, wie sie ihn übte, die Entschiedenheit im Bekennt- niß auf der einen Seite und andererseits wieder die Toleranz gegen alle diejenigen, die nun mal auf anderem Boden stan- den, gereichte ihr zu hoher Ehre. Ignaz Feßler, früher Mönch, der zum Protestantismus übergetreten war, kam 1796 nach Berlin und — an Bischofswerder empfohlen — auch nach Mar- quardt. „Bischofswerder wollte mir wohl, so schreibt er, aber Alles scheiterte an der Frau. Sie sah in mir nichts als den Abtrünnigen von der römischen Kirche . Sie beherrschte ihren Gemahl vollständig, und um des lieben Hausfriedens willen durfte er mich nicht mehr sehen.“ Diese Strenge zeigte sie aber nur dem Convertiten . In Marquardt griff sie nie störend oder eigenmächtig in das protestantische Leben der Ge- meinde ein, hatte vielmehr eine Freude daran, die evangelische Kirche des Dorfes mit allem Kirchengeräth und Kirchenschmuck, mit Altardecke und Abendmahlskelch zu beschenken. Wir kehren nach diesem Versuch einer Charakterschilderung in das Jahr 1803 zurück. „Ihren Gemahl (so entnahmen wir eben aus Feßler) hatte sie vollständig beherrscht;“ aber wenn sie nach der Seite des Herrschens hin, bis zum Tode Bischofs- werders, des Guten zu viel gethan haben mochte, so begannen doch nun alsbald die Jahre, wo die „Gewohnheit des Herr- schens“ zu einem Segen wurde. Dieser Zeitpunkt trat nament- lich ein, als die Franzosen in’s Land kamen und auch die Ha- velgegenden überschwemmten. Der „Gräfin“ Klugheit führte Alles glücklich durch. Sie wußte, wo ein Riegel vorzuschieben war, aber sie ließ auch gewähren. Eine räthselvolle Geschichte ereignete sich in jenen Jahren. Französische Chasseurs zechten im Saal; einer stieg in den Keller hinab, um eine Kanne „frisch vom Faß“ zu zapfen. Nun trifft es sich, daß das Marquardter Herrenhaus einen doppelten Keller hat, den einen unter dem andern. Wahrscheinlich erlosch das Licht, oder der Trunk schläferte den Chasseur ein, kurzum er kam nicht wieder herauf; sein Hilferuf verhallte, der Trupp, in halbem Rausche, verließ Schloß und Dorf, und des Franzosen wurde erst wie- der gedacht, als es im Hause zu rumoren begann. Nun forschte man nach. An einer dunkelsten Stelle des Kellers lag der Unglückliche, unkenntlich schon, neben ihm ein halbniedergebrann- tes Licht. Die „Gräfin“ gab ihm ein ehrlich Begräbniß; da wurd’ es still. Sie ahnte damals nicht, daß sie im Glauben des Volkes, im Geplauder der Spinnstuben, diesen Spuk einst ablösen würde. Die Franzosenzeit war vorüber, der Siegeswagen stand wieder auf dem Brandenburger Thor, die Kinder des Mar- quardter Herrenhauses blühten auf; die „Gräfin,“ noch immer eine stattliche Frau, war nun 60. Die Jugend der Kinder gab dem Hause neuen Reiz; es waren seit lange wieder Tage glücklichen Familienlebens, und dies Glück wuchs mit der Ver- heirathung der Töchter. Die älteste, Luitgarde , vermählté sich mit einem Hauptmann v. Witzleben (später General), der damals eine Compagnie vom Kaiser-Franz-Regiment führte. Die zweite, Blanka , geb. 1797, von der die „Gräfin“ mit mütterlichem Stolz zu sagen pflegte: Meine Blanka, blink und blank, Ist die Schönst’ im ganzen Land, wurde die Gattin eines Herrn v. Maltzahn ; die jüngste, Bertha , geb. 1799, gab ihre Hand einem Herrn v. Ostau , damals Rittmeister im Regiment Garde du Corps. Tage unge- trübten Glückes schienen angebrochen zu sein, aber nicht auf lange. Die beiden jüngeren Töchter starben bald nach ihrer Verheirathung, innerhalb Jahresfrist. Dem Tode der schönen Blanka ging ein poetisch-rührender Zug vorauf. Sie lag krank auf ihrem Lager. Da meldete der Diener, daß das „Kreuz“ vus Potsdam angekommen sei. Die junge schöne Frau hatte wenige Tage zuvor ein Kreuz, das sie auf der Brust zu tra- gen pflegte, einer Reparatur halber nach Potsdam hinein geschickt und sie bat jetzt, ihr das Andenken, das ihr schon gefehlt hatte, zu zeigen. Da trug man ihr ein Grabkreuz an’s Bett, das von der alten Gräfin, an Stelle der Urne, für die große Gartengruft bestellt worden war. Sie wußte nun, daß sie sterben würde. Schon ein Jahr vorher war die jüngere Schwester, Frau v. Ostau Auch hieran knüpft sich ein eigenthümlicher Zwischenfall, frei- lich aus viel späterer Zeit. Herr v. Ostau hatte sich wieder vermählt, die Kinder dieser zweiten Ehe waren herangewachsen und hatten nur eine ganz allgemeine Kenntniß davon, daß ihr Vater einmal in erster Ehe mit einem Fräulein v. Bischofswerder vermählt gewesen sei. Ein Sohn aus dieser zweiten Ehe kam, während der Manövertage, nach Marquardt in Quartier. Er besichtigte Schloß, Park, Kirche und stieg auch in die Gruft. Ein Lichtstümpfchen gab die Beleuchtung; alles Staub und Asche; ein solcher Besuch hat immer seine Schauer. Der junge Offizier mühte sich, die Inschriften der einzelnen Särge zu entziffern; da las er plötz- lich auf einem Bleitäfelchen: „Bertha v. Ostau , gestorben 1824.“ Die Begegnung mit diesem Namen an dieser Stelle machte einen tiefen Ein- druck auf ihn. gestorben. Beide wurden in der Marquardter Kirche beigesetzt. Die Jahre des Entsagens, der Erkenntniß von den Eitel- keiten der Welt, waren nun auch für das stolze Herz der „Grä- fin“ angebrochen. Sie zog sich mehr und mehr aus dem Leben zurück; nur die Interessen der kleinen Leute um sie her und die großen Interessen der Kirche kümmerten sie noch; im All- gemeinen verharrte sie in Herbheit und Habsucht. So kam ihr Ende. Sie starb, 76 Jahre alt, am 3. November 1833, im Hause der einzigen sie überlebenden Tochter, der (damaligen) Frau Oberst v. Witzleben zu Potsdam und wurde am 6. No- vember zu Marquardt, an der Seite ihres Gemahles beigesetzt. Die Rundgruft im Park schloß sich zum zweiten Mal. Die Rundgruft im Park schloß sich zum zweiten Mal; aber die „Gräfin,“ wie man sich im Dorfe erzählt, kann nicht Ruhe finden. Oft in Nächten ist sie auf. Sie kann von Haus und Besitz nicht lassen. Sie geht um. Aber es ist, als ob ihr Schatten allmählich schwände. Noch vor 20 Jahren wurde sie gesehen , in schwarzer Robe, das Gesicht abgewandt; jetzt hören die Bewohner des Hauses sie nur noch. Wie auf gro- ßen Socken schlurrt es durch alle unteren Räume; man hört die Thüren gehn; dann alles still. Einige sagen, es bedeute Trauer im Hause; aber das Haus ist nicht Bischofswerdersch mehr und so mögen die Recht haben, die da sagen: sie „revi- dirt,“ sie kann nicht los. Marquardt von 1833—1858. General v. Bischofswerder II. Es folgte nun der Sohn. Dem Rechte und dem Namen nach, wie bereits angedeutet, war er Besitzer von Marquardt seit 1819, aber in Wahrheit ward er es erst, nachdem der Mutter die Zügel aus der Hand gefallen waren. Die „Grä- fin“ war keine Frau, die sich mit Halbem begnügte. Dem Sohne war dies Entsagen, wenn es überhaupt ein solches war, ziemlich leicht gefallen; der „Dienst“ und die „Gesellschaft,“ die ihn beide in der Residenz hielten, waren ihm mehr als die Herrschaft über Marquardt. Die Passion für die Stille und Zurückgezogenheit des Landlebens (eine der letz- ten, die in unser Herz einzieht), diese zu empfinden, dazu war er noch zu jung, dazu lag noch zu wenig hinter ihm, dazu nahm er den Schein noch zu voll für das Sein. Im Uebrigen war er in Erscheinung und Charakter ganz der Sohn seines Vaters, ganz ein Bischofswerder: groß, ritterlich, dem Dienst des Königs und der Frauen in gleicher Weise hingege- ben, eine „Persönlichkeit,“ mit Leidenschaft Soldat. Dabei, als bemerkenswerthestes Erbtheil, ganz im Mysticismus und Aberglauben stehend. Er trug das rothseidene Kissen auf der Brust, das der Vater, bis zu seinem Tode, als Amulet getra- gen hatte. Der jüngere Bischofswerder machte seine Laufbahn in der Garde. 1833, bei dem Tode der Mutter, war er Major im Regiment Garde du Corps. Seine Familie (er war mit einer Schlabrendorf vermählt) pflegte meistens die Sommermonate in Marquardt zu verbringen; er selbst erschien nur auf Stunden und Tage, wenn der Dienst es gestattete oder die Wirthschafts- Controle es forderte. 1842 bereitete sich eine eigenthümliche Feier in Marquardt vor, ein letzter Schimmer aus Tagen her, wo der Name Bischofs- werder Macht, Gunst und Glück bedeutete. Es war am 20. April genannten Jahres, bei hellem Mittagsschein, als die Rundgruft im Park wieder geöffnet wurde. Ein dritter stiller Bewohner sollte einziehn. Bon Berlin her kam ein langer Zug von Kut- schen und Wagen, auf dem vordersten Wagen aber, katafalk- artig aufgebaut, stand ein blumengeschmückter Sarg. In dem Sarge ruhte Caroline Erdmuthe Christiane v. Bischofswer- der , dame d’atour der Gemahlin Friedrich Wilhelms II. , spä- ter Hof- und Staatsdame der Königin Luise. Sie war, 76 Jahre alt, in den stillen Oberzimmern des Berliner Schlos- ses gestorben. Wenige nur hatten sie noch gekannt; aber unter diesen wenigen waren die Prinzen des Königlichen Hauses, vor Allen der König selbst. Dieser folgte jetzt ihrem Sarge. Als der Park erreicht, der Sarg in die Gruft hinabgelassen und das Einsegnungsgebet durch den Pastor Stiebritz gesprochen war, trat König Friedrich Wilhelm IV. an die Gruft und rief ihr bewegt die Worte nach: „Hier begrabe ich meine zweite Mut- ter; sie hat mich genährt und erzogen.“ Dann schloß sich die Gruft zum dritten , wohl auch zum letzten Male. Die Bischofswerders sind hinüber; wer wird sich eindrängen wollen in ihren stillen Kreis? Der Pastor Stiebritz feierte an jenem Tage seinen 80. Ge- burtstag. Auf welchen Wechsel der Dinge blickte er zurück! In demselben Jahre (1795), in dem Marquardt von den Bischofswerders erworben und der Sohn und Erbe, der nun mit am Grabe stand, geboren war, war er ins Amt getreten. Wie Vieles war seitdem an ihm vorbeigegangen: Die Besuche des Königs, der Park voll chinesischer Lampen, die blaue Grotte und ihre Stimmen. Wie ein Traum lag es hinter ihm. Um diese Zeit (1842) war der jüngere Bischofswerder Oberstlieutenant; sechs Jahre später war er Oberst und Com- mandeur der Garde-Kürassiere. Als solcher hielt er, am 18. März, mit seinem Regiment auf dem Schloßplatz. Wäh- rend des mittägigen Tumults, in dem Moment, als die histo- rischen drei Schüsse fielen, ließ er einhauen. Er that, was ihn Rechtens dünkte. Die Wochen aber, die jenem Tage folgten, waren solcher Anschauung nicht günstig, die Verhältnisse erheisch- ten eine Remedur, ein Desaveu, und die Versetzung Bischofs- werders nach Breslau wurde ausgesprochen. Er erhielt bald darauf, unter Verbleib in der schlesischen Hauptstadt, eine Brigade. Aber auch hier in Breslau zog bald eine Trübung her- auf; unglücklich-glückliche Tage brachen an. Seine Huldigun- gen, die er ritterlich-galant einer schönen Frau darbrachte, führten zu Conflicten, und da Namen und Familien hinein- spielten, die dem Herzen Friedrich Wilhelms IV. theuer waren, so bereitete sich ein Allerschmerzlichstes für ihn vor: er mußte den Aschied nehmen. Aufs Höchste verstimmt, gedemüthigt, zog er sich 1853 nach Marquardt zurück. Das Bild der Frau, die er gefeiert, begleitete ihn in seine Einsamkeit. Sehr bald nach diesen Vorgängen war es, daß ihn die Herausgabe einer Biographie seines Vaters beschäftigte. Das vielfach verkannte Andenken des letztern schien eine solche Wie- derherstellung von ihm zu fordern. Wie dabei vorzugehen sei, darüber hatte er zunächst nur unbestimmte Ideen. Er selber fühlte sich der Aufgabe nicht gewachsen, auch nicht unbefangen genug; aber Eines wenigstens lag innerhalb des Bereichs seiner Kräfte: er begann das im ganzen Hause zerstreute Material zu sam- meln . Es war im höchsten Maße umfangreich und bestand im bunten Durcheinander aus Cabinetsordres aller Könige seit Friedrich Wilhelm I. und aus unzähligen Briefen (meist in französischer Sprache), die zum Theil staatlich-politische Ver- hältnisse, zum Theil Verhältnisse von privater und sehr intimer Natur berührten — wahrscheinlich der Briefwechsel zwischen dem Günstling-General und der „Gräfin“ aus den Jahren her, die ihrer Vermählung unmittelbar vorausgingen. Die mit Wöll- ner gewechselten Briefe waren deutsch geschrieben und bezogen sich zumeist auf das Preß- und das Religions-Edict. Selt- samer Weise machte man eine Tonne zum Archiv; in diese wurde Alles, vorläufig ungeordnet, hineingethan. Dies reiche Material sollte aber nie zur Bearbeitung kom- men. Die Verstimmung des Generals wuchs, dazu beschlich ihn die Vorahnung seines herannahenden Todes. Wir finden darüber unter den Aufzeichnungen eines Mannes, der ihm wäh- rend der letzten Lebensjahre nahe stand, das Folgende: „1857 feierte Bischofswerder seinen 62. Geburtstag. Meine Frau und ich waren geladen. Gegen Ende des Mahls, als wir seine Gesundheit in gutem „Cliquot veuve“ getrunken hat- ten, nahm er mich bei Seite, küßte mich, bedankte sich für alle Liebe, die ich ihm und seiner Familie so viele Jahre lang bewiesen hätte, und sagte dann: „Sie haben heute mit mir das letzte Glas Champagner getrunken; ich werde in dieser Welt keinen Geburtstag mehr feiern. Mein Großvater ist im 63. Jahre gestorben, mein Vater auch, und ich werde ebenfalls im 63. Jahre sterben. Gehen Sie über’s Jahr auf unsern Kirchhof und beten Sie an meinem Grabe für meine arme Seele.“ Und so geschah es. Als sein 63. Geburtstag kam, war er hinüber. Nicht in der Gartengruft, auch nicht in der Gruft unterm Altar, sondern auf dem kleinen Friedhofe, der die Kirche einfaßt, ward er begraben. Zu Häupten des epheu-umzoge- nen, von einer Esche beschatteten Hügels wurde ein Kreuz errich- tet, das die Inschrift trägt: „Hier ruht in Gott der Königl. Generallieutenant Hans Rudolf Wilhelm Ferdinand v. Bischofs- werder, geb. am 9. Juli 1795, gest. am 24. Mai 1858;“ auf der Rückseite des Kreuzes aber stehen die Worte: „ Der Letzte seines Namens .“ Marquardt seit 1858. Der letzte Bischofswerder hatte seine Ruhestatt gefunden. Nur zwei Töchter verblieben. Die ältere, Pauline v. Bischofs- werder, der Liebling des Vaters, vermählte sich mit Herrn v. Damnitz , der nun, sei es durch Kauf, sei es durch Erb- schaft, auf kurze Zeit in den Besitz von Marquardt gelangte. Im Ganzen nur auf zwei Jahre. Aber diese zwei Jahre schnit- ten tief ein Herr v. Damnitz, so wird erzählt, voll Anhäng- lichkeit gegen das blau-bordirte und blau-gepaspelte Kürassier- Regiment, bei dem er Jahre hindurch gestanden hatte, benutzte eine Neuweißung der Kirche, um den Wänden, den Kirchen- stühlen, den Thür- und Kanzelfeldern einen blauen Einfas- sungsstreifen zu geben. Die oben erwähnte Tonne aber, auf der vielleicht einzig und allein die Möglichkeit einer exacten Geschichtschreibung der Epoche von 1786—97 beruhte, wurde zum Feuertode verurtheilt. Zwei Tage lang wurde mit ihrem Inhalt der Backofen geheizt. Omar war über Marquardt gekommen. Keine Frage, daß Herr v. Damnitz, aus einer gewissen Pietät heraus, in dieser Weise handeln zu müssen glaubte; „wozu der alte Scandal, wozu die erneute Controverse!“ Viele alte Familien denken ebenso: „der Gewinn ist precair, der Schaden ist sicher“ — und so verlieren sich unersetzliche Aufzeichnungen in Ruß und Rauch. Wir begreifen die Empfin- dung, aber wir beklagen sie; es ist der Triumph des Familien- sinns über den historischen Sinn. Und der letztere ist doch das Weitergehende, das Idealere. Herr v. Damnitz blieb nur bis 1860. Herr Tholuck, ein Neffe des berühmten Hallenser Theologen, folgte. In ihm war dem devastirten Gute endlich wieder ein Wirth gegeben, eine feste und eine geschickte Hand. Die erste seit dem Tode des älteren Bischofswerder (1803). Ein Geist der Ordnung zog wieder ein. Der Park klärte sich auf, das alte Schloß gewann wieder wohnlichere Gestalt und an die Stelle verfallender oder wirklich schon zerbröckelter Wirthschafts-Gebäude, erhoben sich wieder Ställe und Scheunen, Alles sauber, glau, fest. Mar- quardt war wieder ein schöner Besitz geworden. Wir treten jetzt in ihn ein. Der prächtige, 20 Morgen große Park nimmt uns auf. Er ist, in seiner gegenwärtigen Gestalt, im Wesentlichen eine Schöpfung des Günstling-Generals. Seine Lage ist prächtig; in mehreren Terrassen, wie schon zu Eingang dieses Capitels angedeutet, steigt er zu dem breiten, sonnenbeschienenen Schlä- nitz-See nieder, an dessen Ufern, nach Süden und Südwesten hin, die Kirchthürme benachbarter Dörfer sichtbar werden. Mit der Schönheit seiner Lage wetteifert die Schönheit der alten Bäume: Akazien und Linden, Platanen und Ahorn, zwischen die sich grüne Rasenflächen und Gruppen von Tannen und Weymuths-Kiefern einschieben. In der Nähe des Herrenhauses steht eine mächtige Kasta- nie in vollem Blüthenflor. Sie ist wie ein Riesenbouquet; die weitausgestreckten Zweige neigen sich bis zur Erde. Es ist dies der Baum, der am Tauftage des Sohnes und Erben, in Ge- genwart des Königs, gepflanzt wurde. Die Familie erlosch, der Baum gedieh. In der Nähe dieses Baumes, auf einem Gras-Rondel, steht ein leichtes österreichisches Feldgeschütz , wie jedes Bataillon in alten Tagen eins aufzuweisen hatte. Es wurde in einer der Schlachten des 7jährigen Krieges von den Preußen genommen. Friedrich II. schenkte es dem Grafen Pinto auf Mettkau; durch dessen Wittwe, „die Gräfin,“ kam es nach Marquardt. An gewissen Tagen wird ein Schuß daraus abgefeuert. Jedesmal vorm Laden schüttet der Gärtner Pulver ins Zündloch und zündet es an, um das Geschütz auszubrennen. Als es das letzte Mal geschah, flogen, zu heiterer Ueberraschung aller Umstehenden, nicht nur Eierschalen aus der Mündung heraus, sondern mit den Eier- schalen zugleich ein halbverbrannter Wiesel, der in dem Kanonenrohr Quartier genommen und von hier aus den Hühnerstall geplündert hatte. An ihm vorbei treten wir in das Her- renhaus. Fontane , Wanderungen. III. 19 Es ist ein relativ neuer Bau. 1791 legte ein rasch um sich greifendes Feuer das halbe Dorf in Asche; auch das „Schloß“ brannte aus; nur die Umfassungsmauern blieben stehen. Das Herrenhaus, wie es sich jetzt präsentirt, ist also nur 80 Jahre alt. Es macht indessen einen viel älteren Eindruck, zum Theil wohl weil ganze Wandflächen mit Epheu überwachsen sind. Aber das ist es nicht allein. Auch da, wo der moderne Mörtel unverkennbar sichtbar wird, ist es, als blickten die alten Mauern, die 1791 ihre Feuerprobe bestanden, durch das neue Kleid hindurch. Die innere Einrichtung bietet nichts Besonderes; hier und dort begegnet man noch einem zurückgebliebenen Stück aus der „historischen Zeit“: Möbel aus den Tagen des ersten Empire, Büsten, Bilder, englische und französische Stiche. Das bau- lich Interessanteste ist die doppelte Keller-Anlage, die dem fran- zösischen Chasseur so verderblich wurde; man blickt die Stufen hinunter wie in einen Schacht. In den oberen Geschossen schie- ben sich Treppen und Verschläge, Schrägbalken und Rauch- fänge bunt durcheinander und schaffen eine Localität, wie sie nicht besser gedacht werden kann für ein Herrenhaus „drin es umgeht.“ Die Sonne geht nieder; zwischen den Platanen des Par- kes schimmert es wie Gold; das ist die beste Zeit zu einem Gange am „Schlänitz“ hin. Unser Weg, in Schlängellinien, führt uns zunächst an der Gruft , dann an der Geister- grotte , an den beiden historischen Punkten des Parkes vor- bei. Die Gruft ist wie ein großes Gartenbeet, ein mit Epheu und Verbenen überwachsenes Rondel; nur das griechische Kreuz in der Mitte, das die ursprüngliche Urne ablöste, deutet auf die Bestimmung des Platzes. Weiterhin liegt die Grotte . Der Aufgang zu ihr ist mit den blauen Schlacken eingefaßt, die einst mosaikartig das ganze Innere des Baues ausfüllten. Jetzt ist dieser, weil er den Einsturz drohte, offengelegt. Durch ein Versehen (der Besitzer war abwesend) wurde bei dieser Gelegenheit die Innen- wand niedergerissen und dadurch der sichtbare Beweis zerstört, daß diese Grotte eine doppelte Wand und zwischen den Wän- den einen mannsbreiten Gang hatte. Nur die äußeren Mauern, mit Ausnahme der Frontwand, sind stehen geblieben und schie- ben sich in den Akazien-Hügel ein. Strauchwerk zieht sich jetzt drüber hin. Nun stehen wir am Schlänitz-See, über der Kirche von Phöben hängt der Sonnenball; ein rother Streifen schießt über die leis gekräuselte Fläche. Der Abendwind wird wach; ein leises Frösteln überläuft uns; an Grotte und Gruft vorbei, kehren wir in das alte Herrenhaus zurück. Hier ist Dämmrung schon. Es ist die Minute, wo das Licht des Tages erloschen und das Licht des Hauses noch nicht gezündet ist. Wir stehen allein; dort sind die Stufen, die in Souterrain und Keller führen; wie Dunkel steigt es draus her- auf. Im Hause alles still. In der Ferne klappt eine Thür, eine zweite, eine dritte; jetzt ist es, als würd’ es dunkler; es rauscht vorbei, es schlurrt vorüber. Die alte „Gräfin“ geht um. 19* Geheime Gesellschaften im 18. Jahrhundert. 1. Was sagt sie uns für Unsinn vor? Es wird mir gleich den Kopf zerbrechen. Mich dünkt, ich hör’ ein ganzes Chor Von hunderttausend Narren sprechen. „Faust.“ D as vorige Jahrhundert war ein Jahrhundert der Geheimen Gesellschaften. Der Absolutismus behinderte jede Kraftentwicke- lung, die Miene machte, selbstständige Wege einschlagen zu wollen; die Kirche war starr; was Wunder, wenn der indivi- duelle Ehrgeiz, der kein legitimes Feld fand, sich geltend zu machen, auf Abwege gerieth und im Dunkeln und Geheimen nach Macht suchte. Wie im 12. Jahrhundert Alles nach dem heiligen Grabe, im 16. nach Wittenberg oder nach der neuen Welt drängte, so im 18. Jahrhundert nach Geheimbündelei . Alchymie und Geistererscheinungen, Dinge, die sich ihnen vielfach gesell- ten, oft in den Vordergrund traten, waren nur Zugaben, Hilfsmittel, starke Dosen, zu denen man griff; das Wesen der Sache lag darin: Macht zu äußern in einer Zeit, wo das Individuum machtlos war. Zwei Strömungen wurden alsbald erkennbar, die, neben einem starken Beisatz von Egoismus und Menschlichkeit, einen principiellen Gehalt und einen principiellen Gegensatz repräsentirten. Alle diese Gesellschaften indeß, die einen derartig ideellen Kern andauernd in Wahrheit und nicht nur dem Namen nach hat- ten, bildeten weitaus die Minorität, — das meiste lief auf Herrschsucht und Eitelkeit, auf Täuschung und unmittelbaren Be- trug hinaus. Mit dieser letztern Gruppe der Geheimen Ge- sellschaften, die trotz ihres quantitativen Uebergewichts, kamen und gingen, ohne eine Spur zu hinterlassen, die nichts waren, als Modethorheit oder Modekrankheit, beschäftigen wir uns zuerst. Die Zahl dieser Gesellschaften, unglaublich zu sagen, ging vielleicht über Hundert hinaus. Die meisten befanden sich in Baiern und am Rhein; Regensburg, die alte Reichstagsstadt, war Mittelpunkt, und einer Anzahl von Aufsätzen, die in dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts in der Reichstags- Zeitung veröffentlicht wurden, verdanken wir, mehr als irgend einer andern Quelle, Material, das uns Einblick gönnt in das Verbindungs- und Ordenswesen jener Zeit. Die genannte Zeitung schrieb in den 80er Jahren: „Nie hat sich der Secten- geist thätiger gezeigt als in unsern Tagen, welche man die auf- geklärten nennt. .. Der immer allgemeiner werdende Hang zum Aberglauben, der uns in die Zeiten des Mittelalters zurück- wirft, wird durch den alle Kräfte der Erwerbung übersteigen- den Luxus und durch das geschwächte Nervensystem der jetzigen Generation (also auch schon 1785!) ungemein befördert. Unsre Großen suchen den Stein der Weisen, um unsterblich zu werden, und erhoffen von den Geheimnissen der Alchymie die Mittel zur Befriedigung ihrer Neigungen.“ Die Reichstags-Zeitung fährt dann fort: „An keinem Orte der Welt sind mehr Verehrer solcher neuen Wissenschaften anzutreffen, als an dem Wohnsitze des Reichstages (Regens- burg). Hier befinden sich: Loyolisten im gestickten Kleid, im Chorgewand und im einfachen Kittel; Gasnerianer und Mes- merianer; Kabbalisten und Somnambulisten; Magier der ver- schiedensten Stufen und Namen; Cagliostro-Anhänger, die den Stein der Weisen suchen, und „Lammsbrüder, die sich vom inneren Stolze nähren“ — Vereinigungen, die sammt und sonders schwarze und weiße Magie treiben, aus Zahlen, Buch- staben und Worten die Geheimnisse der Natur und der Staaten prophezeihen, die ewige Jugend suchen, vor allem aber den ächtesten Grundsatz aller Schwärmer üben, — sich untereinan- der zu verfolgen.“ So die Reichstagszeitung. Die Orden, die wir vorstehend aufgeführt, wie sie nur einen ganz kleinen Theil der in Regens- burg vertretenen, geschweige denn der in ganz Deutschland damals verbreiteten Ordensgesellschaften bildeten, waren ande- rerseits auch immer noch Grenznachbarn, oft wirkliche Abzwei- gungen jener zwei großen Körperschaften, der „ Aufklärer “ und der „ Dunkelmänner ,“ die ihren Kern in der Idee hatten und auf die wir zurückkommen. Es gab aber andere, die sich absolut von jedem ideellen Gehalt entfernt hatten, oder das Ideelle doch bloß als ein nervenanregendes Komödienspiel trieben. Aus der Reihe dieser greifen wir einige Musterbeispiele heraus. Da war vorerst die „ Dukaten-Societät .“ Sie war schon um 1746 durch den Grafen Carl Ludwig von Wied- Neuwied gestiftet worden. Die Gesellschaft ging aufs Prak- tische und war deshalb auch in der glücklichen Lage, in Betreff aller kirchlichen Dinge, das Wort „Toleranz“ auf ihre Fahne schreiben zu können. „Religionsvorurtheile können unmöglich bei einer Institu- tion Einfluß haben, die sich auf Tugend und Gesellig- keit gründet und die wahre Menschenliebe zu ihrem Weg- weiser hat.“ Die „ wahre Menschenliebe“ lernen wir nun aus § 7 der Statuten kennen. Es heißt daselbst: „Da jeder monatlich gerne einen Dukaten zur Societätskasse zahlen wird, wenn er hoffen darf, nicht nur dieser Bezahlung bald entledigt zu werden, sondern sogar viele Dukaten monatlich zu empfan- gen , so wird er für das erste anderweite Mitglied, das er seinerseits zum Eintritt engagirt, von der Zahlung befreiet; der Zweite, den er engagirt, zahlt gleichfalls zur Societätskasse; für den Dritten aber empfängt er monatlich einen Dukaten für sich ; der Vierte zahlet ebenmäßig zur Societätskasse; für den Fünften hingegen empfängt er wiederum einen Dukaten monatlich für sich; ferner auch für den 7., 9., 11., 13. und so fort für jede ungerade Zahl monatlich einen Dukaten. Wer also die Gelegenheit hat, ein Halbhundert Mitglieder zu dieser Societät zu engagiren, der bekommt monatlich eine Revenue von 24 Dukaten.“ Dies leuchtete vielen sofort ein. Vor Ab- lauf eines Jahres hatte der Orden bereits 416 Mitglieder, darunter 1 Protector, 7 Seniores, 1 Kassirer, 1 Secretär, 1 Archivar. Die ersten Mitglieder waren fast lauter Offiziere der Garnison Wesel, daran schlossen sich Civilpersonen aus Neuwied. In kürzester Frist hatte sich der Orden über ganz Deutschland ausgebreitet. Er bestand aber nicht lange. Die Regierungen schritten ein, warnten vor dieser „gefährlichen Societät“ und verboten dieselbe. In Betreff von Vergesell- schaftungen, die auf Geld und Geldeswerth ausgingen, waren die Regierungen immer am wachsamsten. Ein anderer Orden, bei dessen Ceremonien die „Harmo- nika“ eine große Rolle spielte und den wir deshalb den „Har- monika-Orden“ nennen wollen, hatte im Gegensatz zur „Dukaten-Societät“ etwas sinnbestrickend Theatralisches und operirte mit dem ganzen Apparat einer romantischen Oper. Diesen seltsamen Orden lernt man, in seinem Ritual (im Gegensatz zu den Statuten) aus einer kleinen Broschüre ken- nen, die 1787 in Berlin erschien und aus der wir Folgendes entnehmen. „Sie verschafften mir, so schreibt der Held und Har- monika-Virtuose, Der betr. Brief giebt sich das Ansehen, als sei er aus Wien datirt und als habe die ganze Scene auf einem Landgut in der Nähe Wiens gespielt. Wer aber je in Marquardt war, und den dortigen Park, den See, die Grotte, das Schloß und seine tiefen Doppelkeller kennen gelernt hat, dem wird sichs zunächst aufdrängen, daß hier durch- aus Marquardt gemeint sein müsse. Es ist aber trotz alledem nicht der Fall, kann nicht sein, da Marquardt erst 1795 in die Hände Bischofswerders kam. durch Ihre Adresse an Herrn N. eine sehr interessante Bekanntschaft … Die Harmonika erhielt seinen ganzen Beifall; auch sprach er von verschiedenen beson- deren Versuchen , was ich anfänglich nicht recht faßte. Nur erst seit gestern ist mir Vieles natürlich. Gestern gegen Abend fuhren wir nach seinem Landgute, dessen Einrichtung, besonders aber die des Gartens, außer- ordentlich schön getroffen ist. Verschiedene Tempel, Grotten, Wasserfälle, labyrinthische Gänge und unterirdische Gewölbe u. s. w. verschaffen dem Auge so viel Mannichfaltigkeit und Abwechslung, daß man davon ganz bezaubert wird. Nur will mir die hohe, dies alles umschließende Mauer nicht gefallen; denn sie raubt dem Auge die herrliche Aussicht. — Ich hatte die Harmonika mit hinaus nehmen und Herrn N. — z. — versprechen müssen, auf seinen Wink an einem bestimmten Orte nur wenige Augenblicke zu spielen. Um diesen zu erwarten, führte er mich, da ich alles gesehen, in ein Zimmer im Vor- dertheil des Hauses und verließ mich, wie er sagte, der Anord- nung eines Balls und einer Illumination wegen, die beide seine Gegenwart nothwendig erforderten. Es war schon spät und der Schlaf schien mich zu überraschen, als mich die An- kunft einiger Kutschen störte. Ich öffnete das Fenster, erkannte aber nichts Deutliches, noch weniger verstand ich das leise und geheimnißvolle Geflüster der Angekommenen. — Kurz nachher bemeisterte sich meiner der Schlaf von Neuem; und ich schlief wirklich ein. Etwa eine Stunde mochte ich geschlafen haben, als ich geweckt und von einem Diener, der sich zugleich mein Instrument zu tragen erbot, ersucht ward, ihm zu folgen. Da er sehr eilte, ich ihm aber nur langsam folgte, so entstand daraus die Gelegenheit, daß ich, durch Neugierde getrieben, dem dumpfen Tone einiger Posaunen nachging, der — aus der Tiefe des Kellers zu kommen schien. Denken Sie Sich aber mein Erstaunen, als ich die Treppe des Kellers etwa halb hinunter gestiegen war und nunmehr eine Todtengruft erblickte, in der man unter Trauermusik einen Leichnam in den Sarg legte und zur Seite einem weißgeklei- deten aber ganz mit Blut bespritzten Menschen die Ader am Arme verband. Außer den hilfeleistenden Personen waren die übrigen in langen schwarzen Mänteln vermummt und mit blo- ßen Degen. Am Eingang der Gruft lagen über einander geworfene Todtengerippe, und die Erleuchtung geschah durch Lichter, deren Flamme brennendem Weingeist ähnlich kam, wodurch der Anblick desto schauriger wurde. Um meinen Füh- rer nicht zu verlieren, eilte ich zurück. Dieser trat so eben aus dem Garten wieder herein, als ich bei der Thüre desselben ankam. Er ergriff mich ungeduldig bei der Hand und zog mich gleichsam mit sich fort. Sah ich je etwas Feenmärchen-ähnliches, so war’s im Augenblick des Eintritts in den Garten. Alles in grünem Feuer; unzählig flammende Lampen; Gemurmel entfernter Wasserfälle. Nachtigallengesang, Blüthenduft, kurz, alles schien überirdisch, und die Natur in Zauber aufgelöst zu sein. Man wies mir meinen Platz hinter einer Laube an, deren Inneres reich geschmückt war und wo hinein man kurz darauf einen Ohnmächtigen führte, vermuthlich den, dem man in der Todten- gruft die Ader geöffnet hatte. Doch gewiß weiß ich es nicht, weil die Gewänder aller Handelnden jetzt prächtig und reizend von Form und Farbe, und mir dadurch wieder ganz neu waren. Sogleich erhielt ich das Zeichen zum Spiele. Da ich nunmehr genöthigt war, mehr auf mich als auf Andere Acht zu geben, so ging allerdings Vieles für mich ver- loren. So viel aber nahm ich deutlich wahr, daß sich der Ohn- mächtige kaum nach einer Minute des Spielens erholte und mit äußerster Verwunderung fragte: Wo bin ich? wessen Stimme höre ich? — Frohlockender Jubel und Trompeten und Pauken war die Antwort. Alles griff zugleich nach den Degen und eilte tiefer in den Garten, wo das Fernere für mich wie verschwunden war. Ich schreibe Ihnen dieses nach einem kurzen und unruhi- gen Schlaf. Gewiß, hätte ich nicht noch gestern, ehe ich mich zu Bette legte, diese Scene in meine Schreibtafel aufgezeichnet, ich wäre sehr geneigt, dies Alles für einen Traum zu halten. Leben Sie wohl.“ Die vorstehende Schilderung hat uns bereits in eine Gruppe von Ordensverbindungen oder doch bis an die Grenze der- selben geführt, in denen „Erscheinungen“ als Nerven-Sti- mulus und dieser wieder als „Mittel zum Zweck“ die Haupt- sache waren. Wir wenden uns nunmehr diesen Magiern und ihren Verbindungen zu. Zuvor aber noch eine Bemerkung. Auch jene Orden, die, was immer ihre Schwächen und Gebrechen sein mochten, doch in erster Reihe immer das Prin- cip wollten und in Wahrheit ernst und aufrichtig einen gei- stigen Kern hatten, auch diese bedeutsameren, nicht ephemeren, wirklich zu politischer und socialer Bedeutung gelangenden Orden glaubten, wohl oder übel, eines gelegentlichen Operirens mit „Erscheinungen“ nicht entbehren zu können. Wir werden darauf ausführlicher zurückkommen und festzustellen suchen, wie viel davon zulässig oder unzulässig, oder richtiger, wie groß oder wie gering das Maß der Verschuldung war. Mit diesen ernsteren Bestrebungen, die sich gelegentlich im Mittel irrten, haben aber, trotz einer gewissen äußeren Aehnlichkeit, jene zu Neunzehntel auf Lug und Trug gestell- ten Vergesellschaftungen nichts gemein, die nicht einmal das ohnehin gefährliche und fragwürdige: „Der Zweck heiligt die Mittel“ für sich geltend machen konnten, sondern einfach, unter prätensiösen Phrasen, ihrem Gewinn oder irdischem Vortheil nachjagten. Es waren Speculanten und Komödianten. Geister erscheinen lassen war ihr Geschäft und nur ihr Geschäft. Wir machen uns zunächst damit vertraut, wie sie dies Metier betrieben. Es gab, so weit wir im Stande gewesen sind, uns aus den verschiedensten Schriften zu informiren, vier Arten des Betriebes. Kleinere Abweichungen kommen nicht in Betracht. Es waren: 1) Das Schattenbild auf weißer durchsichtiger Fläche. Eine Art Laterna magica . Dies war die plumpeste Art. 2) Das Hohlspiegelbild auf weißer Wandfläche. Ein Verfahren, das, bei Geisterscenen auf der Bühne, auch jetzt noch zu gelegentlicher Anwendung kommt. 3) Das Hohlspiegelbild auf Rauch und Qualm. 4) Bloße Benebelung und Einwirkung auf die Ima- gination, so daß man Dinge sieht, die gar nicht da sind. Ueber diese letztere Art des Verfahrens, die die unglaub- lichste scheint und, richtig gehandhabt, doch vielleicht die sicherste war, entnehmen wir zeitgenössischen Memoiren das Folgende: Friedrich II. erfuhr, daß in Halle ein Professor sei, der Geister citiren könne. Der König ließ ihn kommen. Der Be- treffende erschien auch, lehnte es aber ab, Geister erscheinen zu lassen, erklärte vielmehr dem Könige ganz einfach, wie er dabei zu operiren pflege. Er sagte: „Ich benutze dazu ein Räucherwerk. Dies Räucherwerk — wovon hier das Recept ist — hat zwei Eigenschaften: 1) den „Patienten“ in einen Halbschlaf zu versetzen, welcher leicht genug ist, ihn alles ver- stehen zu lassen, was man ihm sagt, und tief genug, ihn am Nachdenken zu verhindern; 2) ihm das Gehirn dergestalt zu erhitzen, daß seine Einbildungskraft ihm lebhaft das Bild der Worte, die er hört, abmalt. Er ist in dem Zustande eines Menschen, der nach den leichten Eindrücken, die er im Schlaf empfängt, einen Traum zusammensetzt. Nachdem ich in der Unterredung mit meinem Neugierigen möglichst viele Einzel- heiten über die Person, die ihm erscheinen soll, kennen gelernt und ihn nach der Form und den Kleidern gefragt habe, in denen er die zu citirende Person sehen will, lasse ich ihn in das dunkle, mit dem Dunst des Räucherwerks angefüllte Zim- mer treten. Dann — nach einiger Zeit — spreche ich zu ihm: „Sie sehen den und den, so und so gestaltet und gekleidet,“ worauf sich sofort seiner erregten Phantasie die Gestalt abmalt. Hierauf frage ich ihn mit rauher Stimme: „Was willst Du?“ Er ist überzeugt, daß der Geist zu ihm spricht; er antwortet. Ich erwiedere; und wenn er Muth hat, so setzt sich die Unter- redung fort und schließt mit einer Ohnmacht . Diese letzte Wirkung des Räucherwerks wirft einen mysteriösen Schleier über das, was er zu sehen und zu hören geglaubt hat und verwischt die kleinen Mängel, deren er sich etwa erinnern könnte.“ — So weit die Enthüllungen des Professors. Ueber die ver- bleibenden drei Arten der „Geistercitirung“ berichten wir an anderer Stelle, theils im Text, theils in den Anmerkungen. Das dritte Verfahren: „Das Hohlspiegelbild auf einer Rauchsäule“ wurde, wenn den betreffenden Ueberlieferungen Glauben zu schenken ist, vorzugsweise durch Johann Georg Schrepfer geübt. Dieser in seiner Art merkwürdige Mann bildete die Incarnation jenes Lug- und Trug-Systems, jener Geheimbündelei, die, unter großen räthselvollen Phrasen, das Wunderthun, die Geistercitation, den Rapport mit der geistigen Welt in den Vordergrund stellte und ohne sich viel mit fort- schrittlichen oder rückschrittlichen Ideen aufzuhalten, von der Leichtgläubigkeit der Menschen lebte. In der Kürze haben wir Schrepfers schon bei Marquardt erwähnt. Wir müssen auch hier wiederholen, daß er höchst wahrscheinlich nicht bloß ein Betrüger war, sondern durch Lesen mystischer und alchymisti- scher Schriften, dazu durch eigene Eitelkeit und fremde Huldi- gungen, schließlich, ohne geradezu wahnsinnig zu sein, in einen verworrenen Geisteszustand gerathen war, der ihn in der That an sich glauben machte und ihn namentlich Alles für möglich halten ließ. Es ist nicht absolut unwahrscheinlich, daß er wirklich dachte, ein Packet Papierschnitzel werde sich ihm zu Liebe über Nacht in vollgültige Banknoten verwandeln. Wir geben eine kurze Lebensskizze dieses Mannes, dessen Leben und Tod charakteristisch ist für eine specielle Krankheits-Erscheinung jener Zeit. Johann Georg Schrepfer, 1730 geboren, war anfangs Kellner in einem Leipziger Gasthause (nach andern Husar) und war unter die dienenden Brüder einer dortigen Freimaurerloge aufgenommen worden. Später hatte er eine Frau mit einigem Vermögen geheirathet und hielt seitdem eine eigne Schenkwirth- schaft in der Klostergasse. Anfang der 70er Jahre, vielleicht schon etwas früher, begann er auszusprengen, daß er die Gabe der Geisterbeschwörung habe. Sein Anhang wuchs, darunter Personen von hoher gesellschaftlicher Stellung. Der Herzog von Kurland, Herzog Ferdinand von Braunschweig, die Minister Graf Hohenthal und v. Wurmb, der Kammerherr v. Heynitz, Oberst v. Fröden, der Geh. Kriegsrath v. Hopf- garten und der Kammerherr v. Bischofswerder pflogen Umgang mit ihm und besuchten ihn in seiner Wohnung im Hotel de Pologne. Daß er, mit Hilfe des nach ihm genannten Schre- pferschen Apparats, wirklich schemenhafte Gestalten erscheinen ließ, ist gewiß, noch gewisser, daß er in beständigen Geldver- legenheiten war und die reicheren der vorher genannten Herren benutzte, um auf ihre Kosten zu leben. Sie mußten Geld geben, auf daß der Schatz gehoben werden könne. Vielleicht daß ihr Vertrauen oder ihre Geduld eher erschöpft worden wäre, wenn er es nicht verstanden hätte, zum Theil auf gefälschte Empfehlungen hin, mit den hervorragendsten Häuptern anderer geheimer Gesellschaften sich in Verbindung zu setzen, was ihm dann, in seiner nächsten Umgebung, immer auf’s Neue einen Nimbus lieh. Aus dieser Ordens-Geheim- Correspondenz, die er nach den verschiedensten Seiten hin führte, ist ein Briefwechsel zwischen ihm und dem Professor der Theo- logie Dr. Stark in Königsberg (später General-Superinten- dent in einem der thüringischen Staaten) aufbewahrt worden, der merkwürdige Einblicke gönnt. Dr. Stark, ein Theologe von gründlichster Bildung, eröff- nete die Correspondenz und schrieb unterm 30. Juni 1773 aus Königsberg: „Mein sehr werther Freund und Bruder. Nach dem Wenigen, was mir von Ihnen bekannt worden ist, müßte mich mein Geist sehr trügen, und die Siegel, die unser Orden seinen Geweihten aufgedrückt hat, verwischt sein: oder ich muß in Ihnen einen Mann finden, der Eines Ursprun- ges mit mir ist und mit mir zu Einem Zwecke geht. Und deren sind nicht viele unter den Maurern . Trüge ich mich, so falle Nacht und Finsterniß auf das, was ich sagen werde. Sind Sie es aber, so grüße ich Sie in der heiligen Zahl von Drei, Sieben und Zehn und durch die sieben Geister Gottes. Sind Sie tiefer als ich ins Heiligthum geführet, so nehmen Sie mich als einen lehrbegierigen Schüler an … Sonst lassen Sie uns Beide auf dem vor der Welt und so viel Tausend Maurern verdeckten Wege gehen. Die wahre Weisheit liebt das Verborgene. Nur in der Dunkelheit ist das unzerstörliche Licht. Ich kenne, mein Bruder, Florenz … Sie können zu mir reden … An einem grünen Flecken im rothen Lack des Wappens können Sie es erkennen, daß mein Brief nicht geöffnet gewesen. Aber lassen Sie mich noch eine Bitte thun: Zerstören Sie noch nicht eine Art von Maurerei in Deutsch- land, unter deren Maske Brüder verborgen lie- gen , die diesen Brüdern selbst unbekannt sind, die Sie aber gewiß schätzen und lieben würden, wenn Sie sie näher kennen sollten. Unsere Macht und Gewalt ist lieblich, ein Feuer, das nähret und nicht zerstöret. Ihr aufrichtiger Freund und Bruder der „Verfasser der Apologie“ (Stark).“ Hierauf antwortete Schrepfer, der bei aller Begabung den Cafetier doch nie verläugnen konnte, unterm 29. Juli folgen- den Bombast: „Mein werther Freund und Bruder. Dero an mich abgelassenes Schreiben habe richtig zu erhalten die Ehre gehabt. Der große Baumeister der Gottheit der Allmacht gehe vor uns über mit seiner Gnade! So thue ich denn als Schotte der Erkenntniß und Gewalt aus Schottland in den Thurm den ersten Schritt, denselben die Wahrheit zu melden. Zer- brechen Sie Ihr † aus Florenz, lernen Sie dafür erkennen 5. 7., daß ich wirklich bin S. W. O. V. Ist Wismar nicht sträflich, daß sie auf mein wiederholtes freundschaftliches Betragen nicht mehr Aufmerksamkeit bezeiget? Was ich vor jetzt schreibe, schreibe ich auf Ihre Pflicht. Ziehen Sie Ihre Schuhe aus, denn der Ort der wahren ME ist heilig für den Busch. Fünf starben, der 6te ging in Feuer über, stehet die Säule so (unleserliches Wort) im Morgen, die 7 Siegel thun sich auf, und erkennen die Wahrheit der Gott- heit. Verflucht sei, der den Namen seines Gottes mißbraucht! Der Herr ist heilig und gerecht. Mein Bruder, wenn Sie wirklich der sind, der die 11 in der Wahrheit kennet, da doch durch 12 gerichtet wird, warum kennen Sie nicht S. W.? War England nicht gerecht, ließ es Ihnen nicht ihre Freiheit; warum suchten Sie aber von dem einen Wege in den anderen zu fallen? Sind nicht Warnungen genug an die strikte Ob- servanz ergangen? Wenn ich meine Brüder bei der Vernunft überführe, und selbigen die Unsterblichkeit der Seele beweise, so folge ich den wahren Pflichten B. I. I. Soll Gewalt dem Schwachen weichen, wenn der Schwache nur Bosheit in seiner Seele besitzt, wurde das Schwert nicht eingesteckt, da es schon gesiegt hatte? Glauben Sie, mein Bruder, wenn ich gleich nach Dres- den gegangen, so wäre jetzo Alles ruhig und zufrieden; aber Leipzig, da wo nur Tugend und Wissenschaften blühen sollen, ist eine in Schleier gehüllte Buhlerin. Kennen Sie wirklich die Off. I.? Ich kenne Purpur ganz roth, das innerste der Sonne gelb, blau, heilig und gerecht , unter dem Namen des Lammes . I. V. N. D. I. K. Um mich noch mehr zu erklären, erwarte Dero Antwort, und empfehle Sie dem Schutz des Unerschaffenen. N. S. Mein Bruder. Sie haben es mit E—land und Sch—land richtig getroffen; nnr den Sitz des Thurmes haben Sie mir nicht gemeldet. Erhalte ich einen Brief von Ihrer Hand und Namen, so thue mir der Herr dies und das, so ich ihn nicht unter meiner eigenen Hand beantworten will. Nehmen Sie den Spiegel und sehen nach dem Licht. Wenn der Blitz fähret, so blendet er, aber dem Weisen ist er klar wie tausend Jahr. Joh. Geo. Sch—r, S. d. E. u. G. (Schotte der Erkenntniß und Gewalt). Daß ein Mann wie Stark durch solchen mit Effronterie vorgetragenen Galimathias geblendet werden konnte, ist nicht anzunehmen, auch kam die Correspondenz über diesen einmaligen Briefaustausch nicht hinaus. Aber Schrepfer hatte doch das Eine Gute davon, daß er auf das Handschreiben eines, in besonderem Ordens-Ansehen stehenden, die höchsten Ordens- Ehren in sich vereinigenden Mannes hinweisen konnte. Und das genügte ihm. Er suchte neue Mittel nach, „um den Schatz zu heben,“ und Leipzig, das er so undankbar als „Buhlerin“ bezeichnete, gewährte sie immer auf’s Neue. Endlich indeß, so scheint es, war die Geduld erschöpft, die „Erscheinungen“ kamen, während der Schatz beharrlich ausblieb und Schrepfer empfand zuletzt, daß seine Situation unhaltbar geworden sei. Aber wenigstens mit einem Knalleffect wollte er scheiden. An einem der letzten Meßtage, am 7. October 1774 lud er Bischofswerder und Hopfgarten, nebst noch zwei anderen, zum Abendessen ein. Als sie beisammen waren, sagte er: „Diese Nacht legen wir uns nicht zu Bett, denn morgen mit dem Frühesten, noch vor Sonnenaufgang, sollen Sie ein ganz neues Schauspiel zu sehen bekommen. Bis jetzt hab ich Ihnen Verstorbene gezeigt, die ins Leben zurückgerufen wurden; mor- gen aber sollen Sie einen Lebenden sehen, den Sie für todt halten werden.“ Nach diesen Worten legte er sich aufs Sopha und schlief fest. Als der Tag anbrach, stand er auf mit den Worten: „Nun, meine Herren, ist es Zeit, daß wir gehen;“ und alle begaben sich nach dem Rosenthal. Schrepfer, der auf dem Wege die vollkommenste Gemüthsruhe zeigte, wies seinen Begleitern, als sie an einer bestimmten Stelle angelangt waren, ihre Plätze an, indem er zu ihnen sagte: „Rühren Sie sich nicht von der Stelle, bis ich Sie rufen werde; ich gehe jetzt in dieses Gebüsch, wo Sie bald eine wunderbare Erschei- nung sehen sollen.“ Er entfernte sich und bald darauf fiel ein Schuß; im Dickicht fanden die Herren ihren Propheten todt. Er hatte sich mit einem Taschenpistol erschossen. So viel über Schrepfer, in dem sich die Lug- und Trug- Geheimbündelei, die ideenlose und karrikirte Entartung des Ordenswesens verkörperte. Wir haben in den kurzen Lebens- abriß, den wir von ihm gegeben, den Briefwechsel zwischen ihm und Dr. Stark mit besonderem Vorbedacht eingeschoben, um einen Gegensatz und dadurch zugleich einen Uebergang zu schaffen zu jenen ernsteren Bestrebungen, die, wie befangen auch in Menschlichkeiten, doch ein Princip vertraten und zugleich jene Sache selbst waren, von der Schrepfer nur die Carri- katur bildete. Von diesen ernsteren Bestrebungen in dem folgenden Capitel. 2. Illuminaten und Rosenkreuzer . Ei, Possen, das ist nur zum Lachen; Sei nur nicht ein so strenger Mann! Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen. „Faust.“ Der Hang nach Macht , der im absoluten Staate (außer im Dienste desselben) keine Befriedigung fand, schuf, so sagten wir, die Geheimbündelei überhaupt; der Hang nach Freiheit , der im absoluten Staate begreiflicher Weise nicht besser fuhr, als jener, schuf eine besondere Abzweigung, eine ideale Blüthe der Geheimbündelei: den Illuminaten-Orden . Dieser Orden, seinen gedanklichen Kern angesehen, war kaum etwas Fontane , Wanderungen. III. 20 Anderes als ein modificirter, vielleicht ein potenzirter Freimau- rer-Orden, hätte also allen Anspruch darauf gehabt, neben diesem zu leben und zu wirken (in der That wurde auch um 1780 eine Vereinigung beider erstrebt); die besonderen Umstände aber, unter denen der neue Orden ins Leben trat, seine Rüh- rigkeit, seine Aggression, seine Uebergriffe führten rasch zu sei- nem Untergange, nachdem er, etwa ein Jahrzehnt lang, eine hervorragende politische Rolle gespielt und sich als ein ächter Repräsentant jener Freiheitsströmung gezeigt hatte, die damals durch Europa ging. Der Stifter des Ordens war Adam Weishaupt, der, 1748 zu Ingolstadt geboren, an der Universität seiner Vaterstadt studirt und 1775 ebendaselbst die Professur des Natur- und kanonischen Rechts erhalten hatte. Schon als Student — es lag eben in der Zeit — hatte ihn die Stiftung eines Ordens beschäftigt; jetzt, gereifter, entwarf er die Statuten für den Orden der „Perfectibilisten,“ die dann später den mehr bezeich- nenden und besser sprechbaren Namen der Illuminaten annahmen. Die Gründung des Ordens erfolgte 1776. Weis- haupt selbst bezeichnete als Aufgabe desselben: „Selbstdenkende Menschen aus allen Welttheilen, von allen Ständen und aus allen Religionen, durch ein gegebenes höheres Interesse in ein einziges Band dauerhaft zu vereinigen und sie dahin zu leiten, aus wahrer Ueberzeugung und von selbst zu thun, was kein öffentlicher Zwang, seit Welt und Menschen sind, je bewirken konnte.“ In einem Briefe gab er sich noch deutlicher und zuversichtlicher: „Der Endzweck des Ordens ist, daß es Licht werde und wir sind die Streiter gegen die Finsterniß . In fünf Jahren sollen sie erstaunen, was wir gethan haben. Merken Sie sich’s, der Endzweck des Ordens ist, frei zu sein. Wenn sich Alles so fortentwickelt, wie seit einiger Zeit, so gehört in Kurzem unser Vaterland uns . Habe ich einmal den Grund des Baues festgestellt, so mag geschehen was wolle. Man wird dann, auch wenn man wollte, nicht mehr im Stande sein, die Sache zu Grunde zu richten.“ Die ersten Erfolge des Ordens entsprachen dieser Zuver- sicht; viele vornehme, gelehrte und rechtschaffene Männer traten ihm bei, darunter Knigge (1780), der alsbald eine besonders umsichtige und energische Thätigkeit zu entfalten begann. Aber diese Blüthe, so rasch sie gezeitigt war, so rasch ging sie vor- über. Knigge und Weishaupt, von verschiedenen Ansichten gelei- tet, entzweiten sich; der erstere trat zurück, mit ihm eine An- zahl Mitglieder, und so in sich geschädigt und zerfallen, erlag der Orden dem Sturme, der jetzt von außen her ihn traf. Alles Illuminatenthum wurde in Baiern (das den Hauptsitz bildete) verboten und Weishaupt 1785 seines Amtes entsetzt. Er fand bei dem Herzoge Ernst von Gotha Aufnahme; aber der Orden selbst erlag der staatlichen Obergewalt, die ihn, mit Processen und Strafverfügungen energisch vorgehend, wie einen Brand austrat. So viel über die Illuminaten. Ein kurzes Leben. Sehr wahrscheinlich, daß dieser Orden, wie so viele andere Verbin- dungen jener Zeit, ohne Sang und Klang und ohne ein Blatt in der Geschichte vom Schauplatz abgetreten wäre, wenn er nicht während der kurzen Dauer seiner Existenz eine Gegenströ- mung hervorgerufen hätte, die, berühmter werdend als der Illuminatenorden selbst, diesem alsbald einen Reflex der eigenen Berühmtheit lieh. Mit anderen Worten, das Illumina- tenthum wäre vielleicht vergessen, wenn nicht der geheimbünd- lerische Drang sofort einen feindlichen Bruder geboren hätte. Dies waren die Rosenkreuzer ; ein alter Name, aber eine neue Sache. Wir beginnen mit einem historischen Rückblick. Die Rosenkreuzer waren eine alte alchymistische Verbrüde- rung, die weit in die Geschichte zurückgeht. Ihr Stifter war Frater Rosenkreuz, ein Deutscher, wie sein Name bezeugt. Daß ein solcher Mönch wirklich gelebt und mit seinen Adepten die Goldmachekunst getrieben habe, scheint unzweifelhaft; über diese einfache Thatsache hinaus aber hüllt sich alles in Nebel und die Geschichte vom Tode und von der Wiederauffindung des alten 20* Rosenkreuz giebt sich nicht einmal die Mühe, ihren Fabel-Cha- rakter zu verbergen. Diese Geschichte lautet wie folgt: Frater Rosenkreutz , nachdem er seiner Reisen durch Arabien und Afrika und seines vieljährigen Verkehrs mit den „afrikanischen Weltweisen“ müde geworden war, begab sich nach England und wohnte nicht weit von London, woselbst er eine unterirdische Höhle errichtete und ein Buch schrieb, worauf er G. L. statt des Titels setzte. Sein Vetter Benedict Rosenkreutz war gemeiniglich um ihn. Diesem befahl er, bei Ablegung eines großen Schwurs, daß er nach seinem Tode sogleich das Gewölbe zuschließen und eine bestimmte große Tafel davor setzen sollte, worauf die Namen seiner Schüler standen; den Zugang selbst sollte er mit Erde verschütten. Alles dies geschah mit der größten Genauigkeit, so daß man von Rosenkreutz nichts weiter hörte. Ueber dieser Höhle stand aber ein sehr alter Akazienbaum , unter dessen Schatten Rosenkreutz öfters seinen Gedanken nachgehangen. Nach 120 Jahren fiel einem Bauern ein, diesen Baum umzuhauen und seine Wurzeln aus- zugraben. Er kam an Steinplatten, nahm eine nach der andern fort und eh er sichs versah, fiel er in eine Höhle 15 Fuß tief in die Erde hinein. Kaum hatte er sich von seinem Fall und Schrecken erholt, so wurde er gewahr, daß diese unter- irdische Gruft erleuchtet war, und ein alter, ehrwürdiger Mann vor einem Tische saß und in einem Buche las. Als er (der Bauer) sich nun einen Schritt näherte, erhob sich der Alte, der einen Stab in Händen hielt. Bei dem zweiten Schritt hob er seinen Stab in die Höhe, bei dem dritten schlug er so gewaltig auf die Lampe, daß solche zerbrach und erlosch. Der Bauer stürzte vor Schreck nieder; so fand man ihn und hörte seinen Bericht. Zugleich fand man eine Leiche, die ein Buch in Händen hielt. Dies letztere war das Buch Rosen- kreutzers , das alle Weisheit, die Ausbeute seines Lebens, seiner Studien enthielt.“ So die Erzählung von Frater Rosenkreutz und seinem Weisheits-Buch . Dies Weisheits-Buch, auf das es ankam, gaben nun die modernen Rosenkreuzer, die wir gleich näher charakterisiren werden, als ihren Besitz aus; es sei ihnen auf räthselhafte Weise zu Händen gekommen und um den Verdacht oder den Vorwurf der Modernität von sich abzustreifen, nann- ten sie sich, eben auf die vorgeblich alte Weisheit gestützt, die Rosenkreuzer alten Styls. Ihr Spruch war: Lux in Cruce et Crux in Luce . Die Welt erkannte sehr bald (und sie sollte es auch erkennen), daß die sich so nennenden Rosenkreuzer alten Styls mit den wirklichen Rosenkreuzern alten Styls nichts gemein hatten und mit Fug und Recht durfte Dr. Sem- ler , der „Vater des Rationalismus,“ von Halle aus schrei- ben: „Seit einiger Zeit haben wir von einer jetzt fort- dauernden Rosenkreuzerei so manche wichtige Nachrichten, Nach- richten, aus denen wir erkennen können, daß eine große Partei mit gewiß weit aussehenden Absichten, die Magie und Alchemie. nur als Maske benutzt. Ein „Hirtenbrief“ dieser Rosenkreu- zer, der mir vorliegt, ist ein auffallender Beweis von der drei- sten und entschlossenen Denkungsart dieser geheimen Partei, welche ganz merklich es auf eine öffentliche Revolution im Sinne des Rückschritts absieht. … Die Historie kann es am gewissesten darthun, daß diese jüngeren Rosenkreuzer ganz andere Leute sind als die alten, die kein papistisches Mitglied unter sich duldeten .“ Im Wesentlichen hatte es der alte Rationalist hier richtig ge- troffen; ob Papismus und Jesuitismus dahinter steckten, war damals fraglich und ist fraglich geblieben, aber um Reaction , um einen Kampf gegen die Neologen und Ideologen, gegen die Aufklärer und Freimaurer, gegen die Demokraten und Illuminaten han- delte es sich allerdings; die alten Elemente in Staat und Kirche, ganz wie in unsern Tagen, nahmen einen organisirten Kampf gegen den Liberalismus in allen seinen Gestalten und Verzweigungen auf. Nur die Organisation war verschieden, heute öffentlich in Kammer, Lehrstuhl, Presse, damals geheim in Orden und Brüderschaften. Jede Zeit hat ihre Kampfesformen; der Kampf bleibt derselbe. Wie recht der alte Semler hatte, darüber gaben die trotz aller Vorsicht und Geheimthuerei nach und nach in die Oeffent- lichkeit dringenden Schriften des modernen Rosenkreuzerthums die beste Auskunft. Umkehr, Absolutismus, Orthodoxie — das war ihr Inhalt. Wir geben einige Belagstellen zunächst aus der „Original-Instruction für die Oberen der untern Klassen.“ pag. 27. Der hohe Orden, der die Sache Christi mit Macht und Eifer betreibt , weil sie seine eigene ist, hat die Größe des Menschengeschlechtes sehr am Herzen. pag. 30. „Der Zirkel-Director soll den Brüdern tiefe Ehrfurcht gegen den Befehl Gottes einprägen, daß wir hier glauben und dort erst schauen. Er soll ihnen auch die gewisse und freudige Hoffnung machen, daß, bei zunehmendem Wachsthum im Orden, ihr Glaube viele starke Stützen erhalten und sie manches, ihnen jetzt noch Unbegreifliche in den Geheimnissen unserer allerheilig- sten Religion mit mathematischer Gewißheit einsehen werden.“ pag. 88. Der Orden kettet den Himmel an die Erde und öffnet den versperrten Weg zum Paradiese wiederum. Seine höchsten Vor- steher sind, im allergenauesten Verstande, Freunde Gottes, wahre Jünger Christi , weit über den Rest der Sterblichen erhaben, Meister über die ganze Natur, die mit der einen Hand auf das siegreiche Kreuz der Versöhnung gelehnt , mit der andern die lange Ordenskette festhalten. So weit die Auszüge aus der „ Instruction .“ Energischer noch traten die Grundgedanken des Ordens, die man vielleicht am besten mit „Umkehr zur Strenggläubigkeit und Mysticismus“ bezeichnen kann, in einem 1782 zu Berlin erschienenen Buche hervor, das den Titel führte: „Die Pflich- ten der Gold- und Rosenkreuzer alten Systems; von Chry- sophiron .“ Dies Buch wurde bloß für die Junioren des Ordens gedruckt und sehr geheim gehalten. Ein Exemplar besaß der russische Major Kutusow, der (wie man glaubt eben dieser Verbindung halber) mehrere Jahre in Berlin lebte und daselbst starb. Dies Exemplar wurde bei der stattfindenden Auction öffentlich versteigert, und kam dadurch in fremde Hände. In der Vorrede zu diesem Buche fanden sich folgende Stellen: pag. XIII. Gottes Barmherzigkeit über Deutschland hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und seine Treue ist groß. Der ewige Erbarmer hat sich durch das Gebet unserer gütigen Oberen endlich erweichen lassen. Was unsere Väter von sich stießen , das ist nach hundert Jahren ihren glücklichen Kindern, ist Uns , zu Theil geworden. pag. XXXIX. Gott hat Sie, hat mich, hat alle Mitglieder unsres hohen Ordens vor Millionen Menschen werthgeachtet, an dem para- diesischen Segen Antheil zu nehmen, den er nach seiner grund- losen Barmherzigkeit bei dem Falle Adams nicht aus der Welt hinausnahm, sondern ihn nur verbarg, damit diejenigen unter den Menschen, welche in allen Jahrhunderten der Welt es werth würden, diesen Segen finden und genießen könnten. pag. XL. Nur der ist dieses Segens im Orden werth, der Jesum Christum , den Schlangentreter, recht kennt, sein tinkturali- sches Versöhnungsblut ganz auffasset, und durch seinen starken Glauben mit ihm innigst vereinigt ist. Nur solchen gab er Macht , nur diesen dreimal glücklichen Ordensbrüdern gab er Macht, Gottes Kinder zu heißen, die an seinen Namen glau- ben. Joh. 1, 12. Und an eben dieser Stelle ( pag. XL. ): „Ich habe Ihnen hiermit genug gesagt, und schließe mit den Worten Pauli 1. Korinther 16 V. 22. Wer unsern Herrn Jesum Christum nicht lieb hat, der sei verflucht oder Ana- thema maharam Motha . Das heißt: durch den großen Bann der göttlichen Strafgerechtigkeit ausgesetzt. Amen! Amen! Amen! Diese Schriften riefen im gegnerischen Lager, also unter Freimaurern und Rationalisten, einen Zorn hervor, den wir in unsren Tagen, wo dergleichen in offener Befehdung der Gegen- sätze jeden Tag gedruckt wird, einfach nicht fassen können, wenn wir nicht gegenwärtig haben, wer jene Schriften schrieb, wer Chrysophiron war und welche staatliche Gewalt schützend hinter diesem Orden der Gold- und Rosenkreuzer stand. Dies Alles waren nicht Blasen, die ein beliebiger Sektengeist warf, son- dern diese Anschauungen herrschten an oberster Stelle, drohten in Edicten und Gesetzen bestimmend, maßgebend für Millionen Andersdenkender zu werden und traten schließlich wirklich als Landesgesetze in Kraft. Hinter dieser Rosenkreuzerei standen auf länger denn 10 Jahre hin die Machthaber Preußens: der König, Wöllner, Bischofswerder. Chrysophiron war Pseudo- nym für Wöllner. Dies wird genügen, die oben erwähnte bittere Feindschaft zu erklären, die durch die liberale Welt ging. In Frankreich der Sieg des Voltairianismus bis in seine letzten Consequenzen und — in Preußen, an dessen Spitze beinah 50 Jahre lang der Philosoph von Sanssouci gestanden und der Aufklärung eine Stätte bereitet hatte, in diesem Preußen: Umkehr, Ge- wissensdruck, Rosenkreuzerei. So lange hinter dieser letztern die staatliche Macht stand, so lange sie mit dieser identisch war, war ein Kampf dagegen unmöglich, aber kaum daß der Sarg Friedrich Wilhelms II. in die Gruft des Domes niedergelassen war, so brach es hervor. An der Spitze der alte Nicolai. In der Vorrede zum 56. Bande der „Neuen Allgemeinen deut- schen Bibliothek“ führte er nunmehr über die Rosenkreuzer (die nun freilich ein todter Percy waren) folgende Sprache: „Sehr bald nach dem Tode Friedrichs des Großen fan- den bei seinem Nachfolger Männer Gehör, welche zu mehreren nachtheiligen Maßregeln Anlaß gaben. Dieselben waren gro- ßentheils durch eine geheime Macht , durch den Gold- und Rosenkreuzer-Orden und durch den Einfluß der „ unbekannten Väter “ geleitet, welche diesen Orden unge- fähr seit 1778, noch zu Lebzeiten des großen Königs, unglaub- lich weit in Deutschland auszubreiten wußten. Wo die „unbe- kannten Väter“ sich aufhielten, wußten die Ordensgenossen nicht; aber wenn dunkle Winke hin und wieder gegeben wur- den, so ward allemal auf katholische Orte gedeutet. Alle diese Innern Orden verlangten blindes Vertrauen auf die unbekannten Oberen; … der tollen Geisterseherei wurde nach und nach Thür und Thor geöffnet, damit der freie Ge- brauch der Vernunft gehemmt und nach und nach der Herrsch- sucht der Hierarchie und ihrer eigenen Herrschsucht ein aus- gedehnterer Wirkungskreis bereitet würde. „Es ist auch selbst dem allgemeinen Publikum nicht ganz unbekannt geblieben, welche wichtige Folgen von 1786 bis 1797 in den preußischen Staaten durch die Anhänglichkeit an die Rosenkreuzer bewirkt worden sind. Wenngleich dieselben keines- wegs all ihre schädlichen Pläne haben durchsetzen können, so kann doch derjenige, der einigermaßen die Umstände kennt, kaum zweifeln, daß die Rosenkreuzerei auf die in die Augen fallende Veränderung der Verfügungen in Absicht auf die Reli- gion (das Wöllnersche Religions-Edict ist gemeint) einen wich- tigen Einfluß gehabt habe. Dank sei es den menschenfreund- lichen Privatgesinnungen König Friedrich Wilhelms II. , daß die Absicht der Obscuranten, alle Aufklärung auszurotten, nicht bis zur Absetzung der Aufklärer von ihren Aemtern, bis zu ihrer Einschließung in Gefängnisse oder ihrer Verjagung aus dem Lande fortgesetzt ward. Es gab Leute, denen es an Wil- len hierzu nicht fehlte und noch weniger an Drohungen .“ Zu dieser Sprache, mit Bezeichnungen wie „bübisch,“ „schmutzig,“ „betrügerisch“ reichlich verbrämt, war Nicolai als Parteimann, als ausgesprochener Widerpart, dazu als Mann, der persönliche Kränkungen und Schädigungen erfahren hatte, zu gutem Theile berechtigt, — wir nachträglich haben die Pflicht, unparteiischer auf das Getriebe dieses Ordens und der beiden einflußreichen, den Staat lenkenden Männer zu blicken, die entweder an der Spitze des Ordens standen oder doch seine wichtigsten, ja überhaupt die einzig wichtigen Mitglieder waren. Ohne die Namen Bischofswerder und Wöllner wären die Rosenkreuzer wie so viele andere Orden jener Zeit ohne Sang und Klang vom Schauplatz abgetreten. Was wollte der Orden? wie entstand er? Er war, sei- nem Kern und Wesen nach, eine Unausbleiblichkeit, weil ein naturgemäßer Rückschlag. Wir gedenken hier keineswegs in eine Polemik gegen den Rationalismus einzutreten (er ist lange der „Uebel größtes nicht “), wir constatiren nur einfach eine That- sache, wenn wir hervorheben, daß diese Dinge einem beständi- gen Wechsel unterliegen und daß man in den letzten Regie- rungsjahren Friedrichs des Großen in vielen Kreisen anfing, der Aufklärung wenig froh zu werden. Gegensätze, die sich befehden, die beide in der Natur des Menschen ihre Wurzel und ihre Berechtigung finden, pflegen sich unter einander in Herrschaft und Obmacht abzulösen. Dem Puritanismus folgte Libertinage, der starren Orthodoxie Friedrich Wilhelms I. folgte der Voltairianismus der Fridericianischen Zeit, dem Kosmopo- litismus folgte eine nationale Bewegung und dem Illuminaten- thum, das überall ein Licht anzünden wollte, mußte naturge- mäß irgend ein Rosenkreuzerthum folgen, das davon ausging: alles Tiefe liegt nicht im Licht, sondern im Dunkel. Das Empfinden der Zeiten und der Individuen wird in Bezug auf diese Frage immer aus einander gehen und jene Enthusiasten, die überall ein Räthsel, ein Wunder, ein directes Eingreifen Gottes sehen, wo der Nüchternheitsmensch einfach das Verhält- niß von Ursache und Wirkung zu erkennen glaubt, diese phan- t asiereicheren, unserer besten Ueberzeugung nach höher angeleg- ten Naturen dürfen mindestens eins verlangen: Gleichstellung in bürgerlicher Ehre. Es ist nichts damit gethan, ihnen ein- fach den Zettel „Dunkelmänner“ aufzukleben und sie damit, zu beliebiger Verhöhnung, auf den Markt zu stellen. Seinem Kern und Wesen nach (man vergleiche oben, was wir aus Chry- sophirons Schriften mitgetheilt haben) war das moderne Rosen- kreuzerthum nichts als eine Vereinigung von Männern, die, ob katholisirend oder nicht, an den dreieinigen Gott glaubten und diesen Glauben dem Deismus, dem Pantheismus und Atheismus gegenüberstellten. Wer will in dieser Reactionsbewegung, die den Glaubens- inhalt vergangener Jahrhunderte zurückv erlangt, ein- für alle- mal einen geistigen Rückschritt, eine Einbuße an ideellen Gütern erkennen? Wer hat den Muth, die Glaubenskraft des Men- schen unter die Verstandeskraft zu stellen? Glaube und wissen- schaftliche Erkenntniß schließen einander nicht aus, und mit höch- ster Geisteskraft ist höchste Glaubenskraft durch ganze Epochen hin vereinigt gewesen. Das Rosenkreuzerthum hat dadurch keine Sünde auf sich geladen, daß es das Gegentheil von dem wollte, was der alte Nicolai wollte. Wie wenig der alte Nicolai, mit all seinen Meriten, im Stande war, einer Erscheinung wie der des Rosenkreuzer-Ordens gerecht zu wer- den, geht aus seinen eigenen Aufzeichnungen am besten hervor. Er sah in Allem , was damals, in Dichtung und Philosophie, den Vorhang zu lüften gedachte, nur Eitelkeit, Anmaßung, Phantasterei und Geister- schwindel, und stand gegen die ganze junge Literatur, wenigstens so weit sie romantisch war, ebenso feindselig, wie gegen Wöllner und die Rosenkreuzerei. „Die Herren Fichte, Schelling, Hegel, Schle- gel, Tieck und wie die sich wichtig dünkenden Männer und Männchen weiter heißen, preisen sich zwar fleißigst Einer den Andern und sprechen von allen Philosophen und Dichtern, welche nicht zu ihrer geheiligten Kirche gehören, so wie auch von der gesunden Vernunft und Auf- klärung aufs Verächtlichste. Aber auch das Verachten will nicht gelin- gen .... Sie versichern daher die Entdeckung gemacht zu haben, daß Fichte und Schelling — ob sie gleich, leider! schon anfangen von einan- der zu differiren (wie uns Hr. Hegel , ein neulichst berühmt werden- wollender Philosoph, in einer besondern Schrift des Breiteren ausein- andersetzt) — dennoch die einzigen Philosophen sind, denen, auch wenn sie nicht übereinstimmen, allein das wahre Wissen vom Subject- Objecte gebührt. Ferner noch haben diese Herren durch ihre intellec- tuelle Anschauung deutlich erkannt, daß Wieland und Klopstock keine Dichter sind, hingegen Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck Dichter vom größten Genie!“ — So eifert Nicolai über viele Seiten hin. An einer anderen Stelle zieht er direct Parallelen zwischen den Rosenkreuzern einerseits und Fichte-Schelling andererseits und findet, Wenn wir dennoch das Auftreten des Rosenkreuzerthums zu beklagen und sein Erlöschen, nach kurzer Allmacht, als ein Glück für das Land zu bezeichnen haben, so liegt das in Neben- dingen, in begleitenden Zufälligkeiten, die theils irrthümlicher- weise, von den Feinden aber in wohlüberlegter Absicht in den Vordergrund gestellt worden sind, um das moralische Ansehen des Gegners zu discreditiren. Wir meinen hier die Geister- erscheinungen , den ganzen Apparat, der von den Rosen- kreuzern in Bewegung gesetzt wurde, um einen trägen Glauben künstlich zu beleben. Wegzuläugnen sind diese trüben Dinge nicht, wiewohl sie höchst wahrscheinlich eine viel geringere Rolle gespielt haben, als man gewöhnlich annimmt. Gleichviel: man hat zu diesen Hilfs- mitteln gegriffen und wir perhorresciren es, daß es geschehen. Es war unwürdig, bei dem betrügerischen Schrepfer so zu sagen auf Borg zu gehen, seine im Dienst der Lüge klugverwandten Künste in den Dienst einer Sache zu stellen, die (für unsere Ueberzeugung wenigstens) ganz unbestritten einen idealen Kern hatte. Es war ein Unrecht. Aber betonen wir dies Unrecht nicht stärker als nöthig. Beurtheilen wir die Dinge aus der Zeit heraus. Auch das sittliche Empfinden stellt sich in ver- schiedenen Jahrhunderten verschieden. Eine Politik, wie sie der große Kurfürst (ein frommer, strenggläubiger Mann) gegen Polen und Schweden übte, würde heute verabscheut werden; damals nahm Niemand Anstoß daran; man bewunderte nur den klugen, patriotischen Fürsten; — und zu allen Zeiten sind Wunder gemacht worden, nicht von Betrügern (von diesen sprechen wir nicht), sondern von Priestern, die an einen ewi- gen, allmächtigen und wunderthätigen Gott in aller Auf- richtigkeit glaubten. Wie wir schon an früherer Stelle sagten: das kleine Mit-Eingreifen, das Mit-Spielen , ist kein Beweis für ein frivoles Sich drüber stellen über die transcen- dentale Welt. daß die Philosopheme Beider sich als „gleich ungereimt“ erweisen. All das ging ihm eben über Kraft und Verständniß. Der Hocuspocus bleibt ein Fleck an jener interessanten Geheimen Vergesellschaftung, die durch eine seltsame Verkettung von Umständen in die Lage kam, Preußen auf 12 Jahre hin zu regieren, aber ein billiges Urtheil über den moralischen Werth derjenigen, die damals an der Spitze dieses Ordens stan- den, wird doch nur derjenige haben, der sich die Frage nach dem „guten Glauben“ der Betreffenden vorlegt und gewissen- haft beantwortet. Daß Bischofswerder diesen „guten Glauben“ hatte, haben wir in dem Capitel Marquardt darzulegen getrachtet; in Betreff Wöllners steht uns das unverfänglichste Zeugniß zur Seite, das Zeugniß seines Antagonisten Nicolai selbst. Dieser schreibt über ihn: „Eine Menge kabbalistischer und magischer Worte verdunkelte nach und nach seinen sonst hellen Kopf, und seine irregeleitete Einbildungskraft ließ ihn allenthalben Geheimnisse und Wunder sehen . Im Jahre 1778 war er bereits so weit, daß er die geheime Lehre der rosenkreuzerischen Philosophie für das einzig wahre Wissen hielt, für ein Wissen, das bald ganz allgemein werden und alle andere Philosophie verdrängen würde.“ So Nicolai. Die Verurtheilung der Richtung Wöllners wird hier, unbeabsichtigt, zur Anerkennung seiner persönlichen Aufrichtigkeit . Und dies genügt uns. Wie wenig Nicolai fähig war der Richtung gerecht zu werden, glauben wir im Vorgehenden gezeigt zu haben. 1800 starb Wöllner zu Groß-Rietz, 1803 Bischofswerder zu Potsdam. Das Rosenkreuzerthum ging mit ihnen zu Grabe. Uetz . Wie reizend sind, du schönes Dörfchen Uetz, Heut’ deiner Gärten Aepfelblütenreiser, Dein gothisch Kirchlein, deiner Fischer Kietz, Dein Pfarrgehöfte, deine Bauerhäuser … Die Pferde sind zur Rückfahrt angespannt, Vom Felde treibt der Kuhhirt durch die Gassen, ‒ Du schönster Ort im ganzen Havelland, Wer könnte je dich ungerührt verlassen! „ D u schönster Ort im ganzen Havelland,“ unter diesem Anruf nimmt unser märkischer Poet par excellence, unser vielbespöt- telter Schmidt von Werneuchen, von jenem stillen Haveldorfe Abschied, dessen etwas seltsam klingenden Namen wir an die Spitze dieses Kapitels gestellt haben. „Du schönster Ort“ — wir wollen es, auf die Autorität unseres Freundes hin, glauben; aber ob der schönste oder nicht, der stillste gewiß. Die Natur hat es so gewollt. Die Havel, die auf ihrem Mittellaufe überall Seen und Buchten bildet, streckt an dieser Stelle eine sackgassenartige Ab- zweigung, die „Wublitz,“ tief in’s Land hinein und bildet dadurch eine Wassergabel, die das von drei Seiten her umschlos- sene Stück Land zu einer Halbinsel macht. Auf dieser Halb- insel, tief innerhalb der Gabel, liegt unser Uetz, das, um eben dieser Lage willen, nur mit Hülfe einer Fähre, oder aber auf weiten Umwegen erreicht werden kann. Beides ein Hinderniß im Verkehr. Eine kurze Zeit hindurch schien es, als sollte das stille Dorf mit in die Welt, von der es sonst abgeschlossen liegt, hinein gezogen werden. Das war zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts, wo das eine halbe Meile von Uetz gelegene Paretz, die Hauptstadt dieser Halbinsel, in den Besitz König Friedrich Wilhelm’s III. überging. Um diese Zeit — der König wählte immer den Wasserweg — wurde Uetz zu einer vielgenannten Fährstelle; der Fischer, der den Dienst ver- sah, hatte seine goldnen Tage; an die Stelle der alten Fähr- mannshütte trat ein reizendes Haus im Schweizerstyl, betreßte Röcke spiegelten sich im dunklen Wublitzwasser, und die Dorf- straße entlang, in der bis dahin bei Regenwetter die Dung- wagen stecken geblieben waren, schaukelten sich nunmehr die königlichen Kutschen. Das war bis 1810. In den 20er und 30er Jahren flackerte es noch einmal auf, dann erlosch es ganz. Uetz war wieder das „stillste Dorf im ganzen Havelland.“ Solchem stillsten Platze zuzuschreiten, wie wir jetzt thun, hat immer einen besonderen Reiz. Die nauener Chaussee, die wir halten, läuft parallel mit der Wublitz, und je nach den Sattlungen des Weges schwindet Uetz und erscheint wieder; immer neue Verschiebungen treten ein, und bald hinter hohen Pappeln, bald hinter Weiden hervor schimmert das goldene Kreuz seiner Kirche. Unser Weg hat uns endlich bis in die Höhe des Dorfes geführt, und nach links hin einbiegend, stehen wir nach einem kurzen Marsch am Ufer des mehrgenannten Havelarms, der sich selbst und seinen Zauber bis dahin vor uns verbarg. Drüben liegt das Fährhaus. Aber der Blick nimmt uns so gefangen, daß wir unser „Hol über!“ unterlas- sen und zwischen ausgespannten Netzen auf einem umgestülpten Kahne Platz nehmen, um das Bild auf uns wirken zu lassen. In Terrassen baut es sich auf: zuunterst der Fluß, tief und still und mit den breiten Blättern der Teichrose überdeckt; dahinter ein Schilfgürtel, dann Obstgärten, dann über diese hoch hinaus die alten Ulmen der Dorfgasse, und wieder hinter den Ulmen, am Abhang aufsteigend, die weißen Häuschen des Dorfes, das Ganze gekrönt von zwei altmodischen Windmühlen, die von dem bastionartigen, gründossirten Mühlenberge aus, den Vordergrund überblicken und ihre Flügel so lustig drehen, als freuten sie sich der Umschau, die sie halten. Die Längslinie des Bildes folgt dem Uferrande drüben, der zugleich der Hauptgasse des Dorfes entspricht. Das Trei- ben dieser von Busch- und Baumwerk dicht eingefaßten Gasse entzieht sich unserem Auge; überall da aber, wo breite Quer- linien die Längslinie durchbrechen, entsteht ein heller Fleck im Dunkel und das ganze sich fortbewegende Treiben drüben erscheint in dieser Lichtung und schwindet wieder. Die Entfer- nung ist groß genug, um jeden Lärm zu verschlingen, und so kommen die Bilder und gehen wieder wie auf der glatten Fläche einer Camera obscura . Jetzt Schnitter, die Harke und Sense über die Schulter gelegt, vom Felde heimwärts kehrend, jetzt kiepentragende Frauen, jetzt hochbeladene Heuwagen, deren hel- leres Grün in dem Dunkelgrün der Baumkronen schwerfällig hin und her schwankt. Die Sonne, die eben noch wie ein Glutball über dem Windmühlenberge gestanden hatte, sank jetzt tiefer und ließ die Wandfläche der Mühle wie einen dunklen Schatten erscheinen, den ein rothgoldener Schimmer nach allen Seiten hin umgab. Und dieser Schimmer, sich bahnbrechend durch die Baumwelt des Vordergrunds, fiel jetzt auch auf die breite Fläche der Wub- litz, und wo ein Schwan durch diesen glühenden Streifen hin- durchfuhr, da überzog es sein Gefieder wie flüchtige Röthe, die der nächste Augenblick wieder von ihm streifte. Wohl mochten hier die Mummeln blühen, als wäre die Wublitz ein Blumen- beet, denn es war ein Bild wie hergeliehen aus einem Feen- garten. Minutenlang sah ich still in diesen Zauber hinein, dann richtete ich mich auf und rief mein „Hol über!“ über die Was- serfläche hin. Aber der Ruf schien in dieser Stille zu verklin- gen. Nichts regte sich drüben und schon war meine ganze Naturbewunderung in Gefahr, im Aerger über den Fährmann unterzugehen, als es drüben lebendig zu werden begann. Eine hagere, mittelgroße, nach Wendenart in graue Leinwand geklei- dete Gestalt trat aus dem Fährhaus, machte eine Handbewe- gung, die unverkennbar ausdrücken sollte, „ich möchte mich ruhig verhalten,“ und löste dann langsam und mürrisch (soweit sich das aus seiner Haltung erkennen ließ) einen Kahn vom Ufer und schob ihn, ohne Ruder, an einem zwischen beiden Ufern ausgespannten Taue von drüben zu mir herüber. Als der Kahn auflief, blieb sein Insasse stehen und sah mich an. Ich ihn auch. Endlich gewann er’s über sich und bot mir „guten Abend.“ Nach dieser Konzession von seiner Seite (denn so schien er es aufzufassen) glaubte auch ich ein Uebriges thun zu müssen. Es entspann sich, während der Kahn langsam wieder zurückglitt, folgende Unterhaltung: „Guten Abend, Fährmann. Geht’s Geschäft?“ „J, wie wird’s denn gehn?“ „Na, ich sollte doch meinen. Da sind erst die Uetzer …“ „Die fahren umsonst.“ „Und dann all’ die Dörfer, die hier hinten liegen …“ Er schüttelte griesgrämig den Kopf, beschrieb mit der Hand nach Norden hin eine Kurve und brummte: „Alles ’rum, immer ’rum!“ „Aber die Phöbener und Paretzer werden doch nicht über Falkenrehde fahren? Das ist ja die Meile sieben Viertel!“ „Das ist es. Aber was ein richtiger Bauer is, der geht nich über’s Wasser.“ „Weil’s ihm zu unsicher ist?“ „Nich doch. Es is ihm bloß sicher, daß der Fährmann sein Fährgeld kriegt. Das zahlt kein Bauer, wenn er nich muß. Und er muß nich. Eine Meile oder zwei, ihm ist’s all’ eins. Er braucht sie nich zu laufen. Er nimmt seine Peitsche, knipst und ruft seinen Gäulen zu: ‚Der Hafer is theuer heut’; verdient ihn euch!‘ Und der uetzer Fährmann — der mag sehen, wo er seine Pacht hernimmt.“ Die Spitze des Kahns war jetzt auf dem Trockenen; ich sprang hinaus und fragte nach meiner Schuldigkeit. Die Taxe war niedrig; ich gab ihm ein Stück Geld, etwa das Fünffache. Er nahm es, sagte nichts und erwiederte meinen „guten Abend“ durch ein Geknurr, das über seine Enttäuschung keinen Zwei- Fontane , Wanderungen. III. 21 fel ließ. Die Fährleute sind ein eigen Geschlecht und haben ihren eigenen Artigkeitskodex. Ich schritt die Querallee hinauf, kreuzte die Dorfstraße und erstieg den Mühlenberg, hinter dessen Kamm, bereits erblas- send, die Abendröthe stand. Ein schwacher röthlicher Schimmer säumte nur noch den Himmel gegenüber. Das Dorf, die Wub- litz waren still; im Fährhaus schimmerte ein Licht, die Schwäne sammelten sich am Schilf, die Abendglocke klang in langsamen Schlägen über Uetz hin. Du schönster Ort im ganzen Havelland, Wer könnte je dich ungerührt verlassen! Paretz . 1. Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt Sein Wort und seine That dem Enkel wieder. Tasso. V on Uetz nach Paretz ist noch eine gute halbe Meile. An einem Sommernachmittag ein entzückender Spaziergang. Der Weg führt durch Wiesen rechts und links; der Heuduft dringt von den Feldern herüber und vor uns ein dünner, sonnen- durchleuchteter Nebel zeigt die Stelle, wo die breite, buchten- und seenreiche Havel fließt. Paretz selbst verbirgt sich bis zuletzt. Nun endlich wird der Weg ein aufgeschütteter Damm, an die Stelle der Obstbäume, die uns bisher begleiteten, treten hohe Pappeln (überall die spalierbildende Garde, die zu Schlössern führt), und alsbald über eine zierliche Brücke hinweg, die den Namen „Infantenbrücke“ trägt, beschreiten wir die Dorfstraße. Diese führt mitten durch den Park, macht eine Biegung, ver- breitert sich, und — wir sind am Ziel: links das Schloß, ein langgestreckter, schmuckloser Parterre-Bau mit aufgesetztem nie- drigem Stock, rechts eine Gruppe alter Eichen, und ihnen zur Seite die gothische Kirche des Dorfs. Ueber die Straße hin grüßen sich beide, in ihrer Erscheinung und in ihrem Eindruck so verschieden, wie die Zeiten, denen sie angehören. Die Poesie fällt der älteren Hälfte zu. Es ist um die fünfte Stunde. Eine Schwüle liegt in der Luft; selbst das Pappellaub, das immer plaudert, ist still; das 21* Schloß blickt uns an, wie verwunschen; seine Läden sind geschlossen. Nur der Vorgarten, mit kleinen gezirkelten Beeten, hier mit Aurikeln, dort mit Reseda eingefaßt, liegt offen da. Wir treten ein. Der seltene Besuch hat Neugierige herbeigelockt, der Schloßdiener kommt, zuletzt er , der diesen stillen Platz zu hüten hat, — der Hofgärtner. Er begrüßt uns. Erhitzt vom Marsch, sprechen wir den Wunsch aus, uns erst wieder frisch machen zu dürfen, ehe wir in die dumpfe Kühle des Schlosses eintreten. So nehmen wir denn Platz auf einer Sommerbank und plaudern. Paretz ist alt-wendisch. Die Nachrichten sind sehr lücken- haft. Es gehörte ursprünglich zur Kirche von Ketzin, kam dann in den Besitz der Arnims und Dirikes, welch’ letztere es 1658 an die Familie Blumenthal veräußerten. Die Blumenthals, später freiherrlich und gräflich, saßen hier in drei Generationen, bis Obristlieutenant Hans August v. Blumenthal es 1795 an den damaligen Kronprinzen (spätren König Friedrich Wilhelm III. ) verkaufte. Es entsprach ganz den gestellten Bedingungen und Wünschen. Paretz von 1796 — 1806 . Diese Wünsche gingen vor Allem auf Stille, Abgeschieden- heit. Sehr bald nach seiner Vermählung hatte sich der Kron- prinz Schloß Oranienburg zum Aufenthalt ausersehen, dessen landschaftlicher Charakter, beiläufig bemerkt, eine große Ver- wandtschaft mit dem von Paretz zeigt. Aber das Schloß daselbst — damals noch viel von der Pracht aufweisend, die ihm Kur- fürst Friedrich III. gegeben hatte — war ihm viel zu groß und glänzend, und so kam ihm die Nachricht überaus erwünscht, daß das stille Paretz, das er zufällig aus seinen Kindertagen her kannte (Obristlieutenant v. Blumenthal war damals Prin- zen-Gouverneur gewesen), zu verkaufen sei. General v. Bischofs- werder, von dem benachbarten Marquardt aus, machte den Vermittler, das Geschäftliche wurde schnell erledigt, und unter des Hofmarschalls v. Massow Aufsicht begann der Abbruch des alten Wohnhauses und der Aufbau des neuen Schlosses. Die- ser erfolgte, nach einem Plane des Oberbauraths Gilly, in „ländlichem Style.“ „Nur immer denken, daß Sie für einen armen Gutsherrn bauen,“ sagte der Kronprinz, dem im Uebri- gen die Vollendung des Baues sehr am Herzen lag. Alles wurde denn auch dergestalt beschleunigt, daß der neue Gutsherr mit seiner Gemahlin schon im Jahre 1796 einige Tage in Paretz zubringen konnte. Um dieselbe Zeit waren Parkanlagen in Angriff genommen worden, und zwar durch den neu angestellten Hofgärtner David Garmatter, einen Erbpächtersohn der nahen Schweizerkolonie Neu-Töplitz, der seine Aufgabe mit ziemlichem Geschick löste, und Natur und Kunst vereinend in den drei durch Landstraßen umschlossenen Parkanlagen eine bescheidene Nachahmung der Gärten von Klein-Trianon versuchte. Wohl angebrachte Durchblicke ließen die landschaftliche Fern- sicht frei über die üppigen Havelwiesen und Seen nach den bewaldeten Höhen von Phöben und Töplitz. An einer anderen Stelle schweifte der Blick nach dem romantisch gelegenen Uetz, bis weiter hinaus zu den Höhen von Potsdam. Von anderen Standpunkten aus blickte man über die sich schlängelnde Havel nach der Stadt Werder und dem Wildpark, und zur Rechten, tief in die flache Zauche hinein, bis an die Wälder des Klo- sters Lehnin. Dazu überraschten an geeigneten Punkten kleine bauliche Anlagen: Tempel und Pavillons, Moos- und Muschel- grotten. Auch die Dorfschmiede an einer Durchsicht erbaut, täuschte durch eine gothische Façade mit Spitzbogen-Fenstern. Außerdem wurde ein Fasanerie-Wäldchen angelegt, und vor und hinter dem Landhause ein bowling-green mit Blumen- bouquets. So war ein Sommerschloß gewonnen, anmuthig, hell, geräumig; aber in allem Uebrigen von einer Ausschmückung, die heutzutage kaum noch den Ansprüchen eines Torf-Lords genügen würde. 1797 erfolgte die Renovirung der Kirche, drei Jahre später der Neubau des Dorfes, wobei zugleich festgesetzt wurde, daß die im Giebel jedes Hauses befindliche Stube jeder- zeit für die königliche Dienerschaft, ebenso ein auf jedem Gehöft erbauter Pferdestall für die herrschaftlichen Pferde reservirt bleiben müsse. Seit 1797 war der Kronprinz König. In diesem also umgeschaffenen Paretz, das bei Freunden und Eingeweihten alsbald den schönen Namen „Schloß Still- im-Land“ empfing, erblühten dem Königspaare Tage glücklich- sten Familienlebens. Die Familie und die Stille waren der Zauber von Paretz. Diesen Zauber empfand die Königin, die wir gewohnt sind uns neben dem einsylbigen Gemahl als das gesprächigere, den Zerstreuungen zugeneigtere Element zu denken, fast noch lebhafter als dieser. Sie selbst äußerte sich darüber: „Ich muß den Saiten meines Gemüths jeden Tag einige Stunden Ruhe gönnen, um sie gleichsam wieder aufzuziehen, damit sie den rechten Ton und Anklang behalten. Am besten gelingt mir dies in der Einsamkeit; aber nicht im Zimmer, sondern in den stil- len Schatten der Natur. Unterlaß ich das, so fühl’ ich mich verstimmt. O welch’ ein Segen liegt doch im abgeschlossenen Umgange mit uns selbst!“ Zu diesem „Umgange mit sich selbst“ war nun „Schloß Still-im-Land“ der geeignetste Platz, keine Straße führte vorüber, die Ruhe, wenn man sie haben wollte, war beinahe unbedingt; aber man ließ sie gern durch die Heiterkeit des Dorfes unterbrechen. So wurde das Erntefest von Seiten des Hofes alljährlich mitgefeiert. Wir finden darüber folgende Aufzeichnungen. „Das Fest begann am frühen Nachmittag. Sobald die Herrschaften sich von der Tafel erhoben hatten, setzten sich die festlich ange- thanen Schnitter und Schnitterinnen vom Amte aus in Be- wegung. Geschaart um ihr Feldbanner, den reichbebänderten Kranz von Aehren und Blumen, marschirten sie nach dem Takte der Dorfmusik auf’s Schloß. Dort auf dem freien Platze hielt der Zug und stellte sich im Halbkreis auf. Der königliche Gutsherr trat heraus, hörte die an ihn gerichtete Rede der Großmagd an und schickte die Sprecherin sodann mit der Ernte- krone hinein in’s Schloß. Nun zeigte sich auch die Königin, und mit dem Erscheinen der „gnädigen Frau von Paretz“ be- gann der Tanz. Das königliche Paar mischte sich in die Reihen der Landleute, die Herren und Damen folgten und sogar die Frau Oberhofmeisterin (Frau v. Voß) konnte nicht umhin, auf diesem bal champêtre mitzuwirken. „Den ersten Tanz spielten die Dorfmusikanten, den zwei- ten die Garde-Hautboisten aus Potsdam; Bursche und Mäd- chen tanzten sich außer Athem; dann gliederte sich der Zug von Neuem und bewegte sich dahin zurück, von wo er gekommen war — nach dem Amte. Im Dorfe mittlerweile wimmelte es von Käufern und Verkäufern; innerhalb der eigentlichen Straße zog sich noch eine Budenstraße, und inmitten dieses Gedränges, Einkäufe und Geschenke machend, gewahrte man die hohen Ge- stalten des königlichen Paares.“ Diese Erntefeste, die bald einen Ruf gewannen, machten das stille Paretz zu einem Wallfahrtsort für Nah und Fern. Jeder Besucher hatte Zutritt, König und Königin ließen sich die Fremden vorstellen, äußerten ihre Freude über zahlreichen Zu- spruch und baten: „über’s Jahr wieder unter den Gästen zu sein.“ Es waren wirkliche Volksfeste, und wohl mochte der General v. Köckritz damals schreiben: „Ich habe in Paretz wie- der allerfroheste Tage verlebt. Wir haben uns ungemein diver- tirt und alles Angenehme des Landlebens in ganzer Fülle genossen, wobei die Jagd und Wasserfahrt die Hauptbelustigung waren. Ein besonderer Festtag aber war das Erntefest. Die Königin mischte sich in die lustigen Tänze. Hier war Freiheit und Gleichheit; ich selbst, trotz meiner 55 Jahre, tanzte mit.“ General v. Köckritz mochte wohl so schreiben. Dieser liebens- würdige Mann (den Stein wohl zu hart beurtheilt hat, denn „Niemand ist verpflichtet, ein großer Mann zu sein“) stand damals auf der Höhe seiner Gunst und seines Ansehens. Es war so recht eigentlich die Köckritz-Epoche. In diese Epoche fällt auch die seinerzeit vielbewunderte Geschichte vom „Pfeifchen und dem Fidibus,“ die beide dem überraschten Im Sommer 1805 hielten sich der König und die Köni- gin länger in Paretz auf als gewöhnlich. Wie in einem Vor- gefühl kommender Stürme, genossen sie das Glück, das dieser stille Hafen bot, noch einmal in vollen Zügen. Man blieb bis zum 15. October, dem Geburtstage des nunmehr zehnjährigen Kronprinzen. Er empfing, nach der Sitte des königlichen Hau- ses, den Degen und die Offiziers-Uniform, und trat in die Armee. Die Königin sprach ermahnende Worte. Dann schied sie von ihrem lieben Paretz, das sie nur noch einmal auf wenige Stunden wiedersehen sollte. Paretz 20. Mai 1810 . Im Spätsommer des nächsten Jahres (1806) standen be- reits die großen Wetter über Thron und Land; am 14. Oktober wurde das alte Preußen begraben; der folgende Tag war der Geburtstag des Kronprinzen, — keinen unglücklicheren hat er erlebt. Der Hof ging nach Königsberg; erst im Jahre 1809 kehrte das durch Jahre der Prüfung gegangene Königspaar nach Berlin zurück. Der Winter verging, der schöne Frühling des Jahres 1810 kam; die Königin empfand eine tiefe Sehnsucht, ihr geliebtes General, einem leidenschaftlichen Raucher, von der Königin präsentirt wurden. Wir übergehen diese Anekdote nicht nur deshalb, weil sie oft erzählt worden ist, sondern viel mehr noch aus ästhetischen Beden- ken, weil sie einen Hergang festzuhalten trachtet, der als Erlebniß rei- zend, als Plauder-Anekdote, über den Tisch hin, annehmbar, aber als gedruckte Geschichte mindestens entbehrlich ist. Schwarz auf weiß macht schwerfällig und entzaubert Manches. Man kann dreist behaupten, die Helden, die durch solche oder ähnliche Anekdoten glorifizirt werden sollen, haben unter ihnen zu leiden, wie unter einer Jugendthorheit. Es gilt hier fein zu unterscheiden. Dieselbe Geschichte, die, auf einem jungen Damen-Kaffee vorgetragen, ein ungetheiltes und berechtigtes Entzücken weckt, wird sich in einem Zeitungsblatt etwas insipide ausnehmen, und die bejubeltste, als unbedingt „bester Witz der Neuzeit“ proklamirte Jagd- und Portwein-Anekdote wird am besten thun, auf Darstellung in Typen ganz zu verzichten. Paretz wieder zu sehen. Wir finden darüber Folgendes: „Am 20. Mai fuhr sie allein mit ihrem Gemahl dorthin — es sollte nach Gottes Rathschluß das letzte Mal sein! Erinnerungsvoll begrüßten sie die alten, traulichen Stätten, die sie so oft in glücklichen Tagen mit Freud und Wonne gesehen; nicht trennen konnte und wollte sie sich von jener Anhöhe im Park, die das Rohrhaus trägt, und die an jenem Tage eine weite Fernsicht über den mit schwellenden Segeln und zahllosen Schwanen belebten Havelstrom mit seinen Buchten und Seen, sowie auf die im schönsten Maiengrün prangenden Wiesen und Aecker bot. Zu ihren Füßen lag das friedsame Paretz, im Grün der Bäume halb versteckt die Kirche. Die Sonne neigte sich; tiefer und länger dehnten sich die Schatten über die Landschaft und mahn- ten zum Aufbruch. Aber die Königin wollte so lange als möglich an diesem ihrem Lieblingsorte verbleiben; sie wartete bis zum Niedergang der Sonne und sprach dann vor sich hin: „Die Sonne eines Tages geht dahin; Wer weiß Wie bald die Sonne unsres Lebens scheidet.“ Auf den Wunsch der Königin, den Wagen nicht an dem ent- fernter liegenden Schlosse, sondern hier an der Landstraße be- steigen zu dürfen, wodurch der Aufenthalt verlängert wurde, war das Gefährt beim Rohrhause angelangt. Die Königin schritt am Arm ihres Gemahls den kurzen Gang zu Füßen der Anhöhe hinab und durch die Parkthür nach der Landstraße.“ Das war am 20. Mai. Am 19. Juli starb sie. Unvergeßlich blieb dem Könige die Stätte, unvergeßlich das Wort, das sie hier gesprochen. Er besuchte oft diese Stelle, doch stets allein, ohne jede Begleitung. Zum Andenken ließ er hier, wo sie den Park verlassen und den Wagen bestiegen, wo ihr Fuß zum letzten Mal die Erde von Paretz berührt hatte, eine gußeiserne gothische Pforte aufstellen. Diese Pforte, wie es für solchen Platz sich ziemt, entzieht sich fast dem Auge. Abgelegen an sich, an dunkelster Stelle des Parks, birgt sich das Gitterthor in dichtem Akaziengebüsch; nur der Spitzbogen ragt in die Helle auf und trägt ein L. und die Inschrift: „den 20. Mai 1810.“ Paretz von 1815—40 . Die Stürme waren verweht; das gedemüthigte Preußen war zweimal, unter den Klängen des „Pariser Einzugsmarsches,“ in die feindliche Hauptstadt eingezogen; Friede war wieder, und die paretzer Tage brachen wieder an. Nicht mehr Tage unge- trübten Glücks; sie, die diese Tage verklärt, diese Tage erst zu Tagen des Glücks gemacht hatte, sie war nicht mehr; aber Tage der Erinnerung. Die Zeit heilt Alles; nur ein leises Weh bleibt, das in sich selber ein Glück ist; ein klarer Spätsommer- tag, mit einem durchleuchteten Gewölk am Himmel, so erschien jetzt Paretz. Nach wie vor wurde das Erntefest gefeiert; ein Jahrzehnt verging, ein zweites begann. Die Heiterkeit der Dörfler war dieselbe geblieben, auch ihre Unbefangenheit im Verkehr mit der „Herrschaft.“ Eine Alte, der der König im Vorübergehen versicherte, mit Nächstem würden alle seine Kinder zu Besuch eintreffen, antwortete ohne Weiteres: „Die Russen ooch?“ Diese vertrauliche Ausdrucksweise mußte sich, hinter seinem Rücken wenigstens, der allmächtige Zar gefallen lassen! Der König hatte herzliche Freude an solcher Unbefangenheit und nährte sie durch hundert kleine Dinge, die zuletzt auch die Scheu des Allerbefangensten besiegen mußten. Bei einer der Festlich- keiten, die den „Russen“ zu Ehren gegeben wurden, drängte sich des Schäfers Sohn herzu, ein unglückliches Kind, das an beiden Füßen gelähmt war, und strengte sich an, über den dichten Kreis der Umstehenden hinwegzusehen. Niemand sah es, nur der König. Er ließ ihn zu sich führen, sprach freundlich zu ihm und gab ihm einen Platz an seiner Seite. Ueberhaupt die junge Welt hatte es vor Allem gut. Allerhand Spiele: Turnen, Wettlaufen, waren an der Tages- ordnung; die Sieger wurden beschenkt. Unter Anleitung der jungen Der König, im großen Verkehr beinahe menschenscheu, war ein ausgesprochener Kinderfreund. So begegnete er einstmals, wäh- rend er im Schloßpark aus einem mit Pflaumen und Wein- trauben gefüllten Körbchen aß, einem Jungen und fragte ihn, ob er wohl eine Pflaume haben wollte. Der Junge, ein echter Märker, schielte über das Körbchen hin und bemerkte: „Nee; Plummen hebben wi alleen to Huus; wenn’t noch eene Wien- druv’ wär.“ Der König lachte und gab. — Einen andern hübschen Zug erzählt Eylert. „Hast Du schon mal Ananas gegessen?“ fragte der König. „Nee, Majestät.“ — „Na, dann iß, aber mit Bedacht. Was schmeckst Du heraus?“ Der Junge, an den die Frage gerichtet war, kaute, besann sich und sagte dann: „Wurst.“ Alles lachte. Der König aber bemerkte ruhig: „So trägt Jeder seinen Maßstab in sich. Dem Einen schmeckt die Ananas wie Melone, dem Andern wie Birne oder Pflaume, diesem wie Wurst. Er bleibt in seinem Gefühlskreise.“ In den Speisesaal zurücktretend, wo sich ein Fenster mit vielfarbigem Glase befand, fuhr er fort: „Wer die Gegenstände draußen durch diese violettfar- bige Scheibe anschaut, hält Alles, was er sieht, für vio- lett; so ein Anderer Alles für grün oder gelb, je nach dem Glas, durch das er blickt. Jeder behauptet Recht zu haben, und doch haben Alle Unrecht und des Widerspruchs und Dis- Prinzen Karl und Albrecht kam die Bildung einer Art „Paretzer Legion“ zu Stande, die im Feuer exerzirte und manövrirte, wobei sieben kleine Kanonen benutzt wurden, von denen eine, mit dem Greif und der Jah- reszahl 1588, bis diesen Tag unter den Dörflern existirt. Bei einer bestimmten Gelegenheit, — es mochte um 1820 sein, als die „Russen“ einen ihrer Sommerbesuche machten, — kam es zu einem vollständigen Gefecht zwischen der paretzer Legion und den Zöglingen des potsdamer Militär-Waisenhauses, die nach Paretz hinaus befohlen und mit ihren Waffen erschienen waren. Die Legionäre nahmen ihnen, in einem unbe- wachten Augenblick, die Waffen fort, bezogen unter Führung und An- feuerung des Großfürsten eine Art Waldposition und behaupteten sich im Besitz ihrer Beutestücke. Der König folgte der Bataille mit dem lebhaftesten Interesse und meinte schließlich: „Die Dorfluft scheine doch derber zu machen.“ putirens ist kein Ende. So geht’s vor Allem den Herren Theo- logen. Jeder hat da sein Glas.“ Derselbe Erzähler, an anderer Stelle das paretzer Leben während der 20er und 30er Jahre zusammenfassend, giebt fol- gende Schilderung: „Die ruhigsten und glücklichsten Stunden, die dem Könige noch beschieden waren, hat er in diesem stillen Haveldorfe verlebt. Alle Singvögel schienen im paretzer Park ihren Lieblingsaufenthalt zu haben; über der Landschaft lag ein Duft, die Wiesen immer frisch, und über das Sumpfland hin schritten die Störche. Der König hatte ein Auge für solche Bilder. Wenn er allein sein wollte, hier fand er, was er suchte. Viele wichtige Verfügungen sind von diesem abgelegenen Punkte ausgegangen. Hier senkten sich tiefer und fester in sein Gemüth die Lebensansichten und Grundsätze, die den innnern Frieden bewahren. Sein patriarchalischer Sinn, hier fand er Genüge.“ Wann er zuletzt an dieser Stelle war, ist nicht verzeichnet; wahrscheinlich im Herbst 1839. Im Mai des folgenden Jah- res, als mit dem Frühling draußen ein frisches Leben nicht wiederkommen wollte, sprach er mehr als einmal: „Wenn ich nur nach Paretz könnte!“ Hoffte er Genesung, oder wollte er Abschied nehmen von der Stätte stillen Glücks! Gingen seine Gedanken zurück bis an den 20. Mai 1810? Wer sagt es? Als das nächste Erntefest kam, war Alles vorüber. Eine stillere Stätte hatte ihn aufgenommen, als selbst Paretz. Paretz seit 1840 . Am 7. Juni 1840 war Friedrich Wilhelm III. aus dieser Zeitlichkeit geschieden; Paretz, sammt den zwei angrenzenden Chatoulle-Gütern Uetz und Falkenrehde, fiel dem Thronfolger, Friedrich Wilhelm IV. , zu; 1862, nachdem auch dieser aus der Unruhe in die Ruhe gegangen war, kam der schöne, erinne- rungsreiche Besitz an den jetzigen Kronprinzen. Die Glanztage von Paretz sind nicht wiedergekehrt und sie werden kaum wiederkehren. Es bedurfte des eigenartig-scheuen Charakters Friedrich Wilhelm’s III. , um diesen Platz über sich selbst zu erheben. Ein rechter „out of the way-place,“ hindert ihn jetzt seine Abgeschiedenheit eben so sehr, wie ihn dieselbe einst zu ungeahnten Ehren führte. Was ihn jetzt noch hält, ist Pietät, Haustradition; — nur das Wohlwollen der „neuen Herrschaft“ ist ihm geblieben. Alle zwei Jahre, am Geburts- tage des Kronprinzen, werden die Dorfkinder neu eingekleidet: die Knaben erhalten des „Königs Rock“ (der Uniform des 24. Landwehrregiments nachgebildet), während die Mädchen in russisch-grünen Tibetkleidern ihren Umzug halten. Das Wohlwollen gegen die Paretzer ist das alte geblieben; aber Paretz selbst ist nicht mehr was es war. Kein Sehn- suchtspunkt mehr, nur noch ein Punkt für Erinnerung und stille Betrachtung. 2. Wo nun Gras und Staude beben, Hat in froher Kraft geblüht, Ist zu Asche bald verglüht Manches reiche Menschenleben. Die der Tod hinweg genommen, Die hier einst so glücklich war: Der geschiednen Seelen Schaar, Nachtigall, Du hörst sie kommen. Lenau. Das Schloß in Paretz . So ging das Geplauder. Die wachsende Schwüle des Julinachmittags, wir empfanden sie nicht; ein leiser Luftstrom zog von der Havel her herauf und trug uns die Kühle des Wiesengrundes und den Duft der Resedabeete zu. Es war eine halbe Stunde, wie sie nur an dieser Stelle erlebt werden kann, hier, wo sich Stille und Erinnerung die Hand reichen. Wir hingen noch den letzten Worten nach, der Schloß- diener öffnete die Läden und lüftete die Zimmer, in die wir einzutreten hatten, als die Szene sich plötzlich änderte. Ein Windstoß, jäh und heftig, fuhr durch den Park, die uns zu- nächst stehenden hohen Pappeln beugten sich, Blätter, wie Flocken, fielen auf uns nieder, die Chaussee herauf kam eine Wolke von Kies und Staub und über den ganzen Himmel hin rollte die erste Ankündigung des Gewitters. Es war, als ob wir erleben sollten, daß auch diese Stille täusche. Ueber- all rollen die Donner Gottes und künden, daß kein ewiger Friede sei. Einen Augenblick schwankten wir, ob wir von der Poesie des Gegensatzes Nutzen ziehen und die sich öffnenden Schloß- räume, die verblaßten Zeichen stillen Familienglücks, bei Ge- witterschein in Augenschein nehmen sollten, aber das mahnende Wort: „das kommt schwer herauf“ gab uns doch zu denken, und nachdem erst einmal gezweifelt und der „angebornen Farbe der Entschließung“ die bekannte Gedankenblässe angekränkelt war, gaben wir’s auf und nahmen die Einladung an, die uns in die Wohnung des Hofgärtners führte. Es war die höchste Zeit; noch trafen uns die ersten großen Tropfen; kaum unter Dach und das Schauspiel begann: Regen und Feuer fielen vom Himmel nieder. Als es vorüber war, war es zu spät, den Rückweg anzutreten; die Wege waren grundlos, die tiefen Stellen unter Wasser; wir blieben zu Nacht. Wer einregnet und eingewittert, mög’ es immer so gastlich treffen, wie wir im Gärtnerhause zu Paretz. Ein Morgen kam, wie er nur nach solchem Abend kommt. Die Sonne funkelte wie gebadet, und als die Läden des Schlosses sich wieder öffneten, schoß das Licht hinein und lief wie ein Blitz durch alle Räume. Das Dunstige und Trüb- selige, das sonst in solchen Räumen zu Hause ist, es war wie ausgefegt; Licht macht wohnlich, Alles schien bereit; es war, als solle das schöne königliche Paar, das hier vor siebenzig Jahren lebte und lachte, jeden Augenblick wieder seinen Einzug halten. Und wenn es so wäre, sie würden die Stätte ihres Glücks wenig verändert finden. Da sind noch dieselben Tape- ten und Wandgemälde, dieselben kissenreichen, mit Zitz über- zogenen Sophas und Ottomanen, dieselben gemalten Papageien und Fasanen, dieselben Büsten und Bilder. Bilder wohl tau- send an der Zahl, englische Stiche in Nußbaum- und Eben- holzumrahmung, wie sie Jeder von uns aus dem Hause der Großeltern oder aus den Gast- und Logirstuben der Landedel- leute kennt. Wie diese Gaststuben gemeinhin neben der Rum- pelkammer liegen, so sind sie auch, in Allem, was Kunst an- geht, die Vorbereitung, die Etappe zu ihr. Ein junges Mäd- chen mit Kaninchen spielend, ein junges Mädchen mit einem Taubenkorb, die Grotte der Egeria, die Kaskaden von Tivoli, so folgen die Blätter auf einander, abwechselnd in Schwarz- und in Buntfarbendruck, und alle einer Lordship oder Royal Highness respectfully devoted . Tausend Blätter, aber keines von Bedeutung, mit Aus- nahme eines einzigen, das durch seinen Gegenstand und seine Schicksale ein gewisses Interesse einflößt. Es ist dieß „die Zusammenkunft des preußischen Königspaares und des Kaisers von Rußland in Memel, 1802.“ Der Stich nach diesem Bilde ist allgemein bekannt; hier befindet sich das Original, eine Arbeit Dähling’s, in Gouache sauber ausgeführt. Schloß Paretz ist genau der Punkt, wo dieses Bild seine Stelle finden mußte, denn die Personen, die es darstellt, sind recht eigentlich paretzer Personen, Gestalten, die dem Schloß „Still-im-Land“ in der Epoche von 1795—1805 angehörten. Es sind, außer dem Kaiser auf der einen und dem König und der Königin auf der andern Seite, die folgenden: Prinz Wilhelm, Prinz Hein- rich, Feldmarschall v. Kalckreuth, Hofmarschall v. Massow, Gräfin v. Voß, General v. Köckritz, die Kammerherren v. Schil- den und v. Buch, die Kammerdame v. Moltke und der Major v. Jagow. Dieß Gouachebild Dähling’s, das auf der Rück- seite mit drei verschiedenen Zetteln oder Briefen beklebt ist, denen wir auch diese Notizen entnehmen, war wohl, wenn nicht direkt im Auftrage des Hofes, so doch wenigstens in der Hoff- nung angefertigt worden, daß der Hof es erstehen würde; die Katastrophe von Jena fuhr aber dazwischen und so ging dieß Bild, das seinem Gegenstande nach in das Boudoir einer Für- stin oder Oberhofmeisterin gehörte, in kleinbürgerliche Hände über und wechselte mehrfach seine Eigenthümer. Bis 1821 besaß es Herr Asner in Berlin, dann kam es nach Schlesien, und der letzte der drei aufgeklebten Briefzettel, womit dann (1850) die Irrfahrten dieses Bildes schließen, lautet wie folgt: „Der gegenwärtige Eigenthümer dieses Bildes ist der königl. Kreisgerichtssekretär und Kanzleidirektor Wilhelm Heinrich aus Glatz, zur Zeit in Breslau, bis 17. August in Berlin. Beim Doktor Stoll in der Charit é zu erfragen.“ Das Weitere ergiebt sich leicht. Der Kanzleidirektor, in richtiger Erkenntniß dessen, was er besaß, bot ein Gemälde, das recht eigentlich ein hohen- zollern’sches Haus- und Familienbild war, dem König Friedrich Wilhelm IV. zum Kauf an und hatte richtig gerechnet. Der König gab dem Bilde seinen Platz: Paretz. Die Räume des Schlosses erlitten geringe Umwandlungen seit 1805; ein Zimmer blieb völlig intakt, das Schlafzimmer. Die Himmelbetten stehen noch wie damals; die Tische und Toi- letten, das kleine Klavier, das die Königin selbst benutzte, die Kommoden in den Formen des ersten Kaiserreichs, — Alles behauptet noch die alte Stelle; auch die „Supraporten“ blieben, die Genien und Amoretten über der Thür. Noch flattern ihre Bänder, noch streuen sie Rosen, aber die Bänder sind vergilbt und die Rosen sind verwelkt. Selbst das Bild des Glückes konnte die Jugend nicht wahren. Wir treten zurück in den Park. Alles Leben und Licht. Das Einzelne fällt, das Ganze bleibt. Die Kirche . Dem Schloß gegenüber, hinter einem uralten Maulbeer- baum halb versteckt, liegt die Kirche, ein weit zurückgehender Bau, dessen Alter bei den vielen Wandlungen, die er durchzu- machen hatte, schwer zu bestimmen ist. Dabei stellen wir die letzten Renovirungen, weil diese seinen Styl wenigstens unver- ändert ließen, nicht einmal mit in Rechnung. Eine letzte gründ- liche Wandlung erfuhr die Kirche wahrscheinlich verhältnißmäßig spät, in Jahren, da der Protestantismus schon die Oberhand im Lande hatte; — einige Glasbilder tragen die Zahl 1539. Um eben diese Zeit, so schließen wir, oder doch nicht viel früher, erfolgte die Gothisirung des Baues, der vorher längst vorhanden und, wie alle die zahlreichen Feldsteinkirchen in der Mark, romanisch war. Wie jetzt das Kirchlein sich präsentirt, sticht es jedenfalls sehr vortheilhaft von dem gegenüber gelegenen Schloßbau ab, mit dem es nur das Alleräußerlichste und Gleichgültigste, die gelbe Tünche, gemein hat. Wie viel Anheimelndes in dieser gothischen Formenfülle, in diesem Reichthum von Details, und wie viel Erkältendes in dieser bloß durchfensterten Fläche, die sich nirgends zu einem Ornament erhebt! Eine indifferente Alltagsschönheit, die den Dünkel hat, keinen Schmuck tragen zu wollen. Erst die Phantasie, die geschichtskundig das Schloß mit Leben und Gestalten füllt, macht es uns lieb und werth, hebt über den ersten Eindruck der Nüchternheit hinweg. An dem Maulbeerbaum vorbei treten wir jetzt in die Kirche ein. Wir wählen das Westportal. Der Eindruck beson- derer Gefälligkeit, den schon das Aeußere übt, er wiederholt sich hier; die Restaurirung ist pietätvoll zu Wege gegangen. Alles Anmuthige und Zierliche, Alles, was in Form oder Farbe auch das Laienauge angenehm berühren konnte, man ließ es der Kirche und sorgte nur, wie es sein soll, für Luft und Licht, für Raum und Bequemlichkeit. Die nördliche Hälfte des Querschiffs wurde zum „Königsstuhl,“ der Raum hinter dem Altar, also der hohe Chor, zu einer Art Kunstkammer hergerichtet. Um diese beiden Punkte dreht sich das Interesse der Kirche. Zuerst der Chor . Mannigfach sind die Geschenke, womit königliche Munifizenz ihn bedachte. Auf engem Raum drängen sich hier die Bilder, meist Jugendarbeiten des trefflichen Wach: „Johannes der Täufer,“ „Christus mit Johannes und Mat- thäus,“ „Christus auf Gethsemaneh.“ Das größte und bedeu- Fontane , Wanderungen. III. 22 tendste aber, das sich hier findet, ist eine „Grablegung“ von Schumann; die ohnmächtig niedersinkende Maria gilt als vor- zugsweise gelungen. — Reich geschmückt, wie dieser Raum hinter dem Altar, ist vor Allem auch der Altar selbst; eine schwere, grüne Damastdecke, mit eingestickten goldenen Kreuzen, deckt den Abendmahlstisch; Kruzifix und Altarleuchter, größer und reicher, als sie sonst in Dorfkirchen heimisch sind, deuten auf den königlichen Geber; zu Füßen des Kruzifixes aber liegt die sogenannte Kurfürstenbibel, mit vielen Stichen und Bildern, prächtig gebunden. Der breite Goldschnitt zeigt oben und unten, wie auch in Front, drei zierliche Aquarellbilder: die Taufe, das Abendmahl, die Himmelfahrt, — eine Art der Ornamentirung, der wir hier zum ersten Male begegneten. Es sind Arbeiten (ihrem Kunstwerth nach unsern Porzellanmalereien verwandt), wie sie damals in Dresden nach berühmten Pous- sins und Caraccis gut und mannigfach ausgeführt wurden. Durch eine Balustrade vom Kirchenschiff getrennt ist der „Königsstuhl.“ Er hat die Dimensionen eines kleinen Zimmers; die Herrichtung ist einfach; an der Westwand erhebt sich, in das Mauerwerk eingelassen, eine durch den Stich mannigfach bekannt gewordene Arbeit Schadow’s: „Die Apotheose der Königin Louise.“ Mehr eigenthümlich, als schön. In ihrer Mischung von christlicher und heidnischer Symbolik ist uns die Arbeit kaum noch verständlich, jedenfalls unserem Sinne nicht mehr adäquat. Sie gehört, ihrer Grundanschauung nach, jener wirren Kunstepoche an, wo der große Fritz in Gefahr war, unter die Heiligen versetzt zu werden, wo er im Elysium, mit Sternenkranz und Krückstock angethan, die der Zeitlichkeit entrückten preußischen Helden wie zur Parade empfing. Eine Art Sanssouci auch dort oben. Schadow, sonst von so gutem Geschmack, vergriff sich in diesem Falle, wie uns scheinen will, und die Inschrift eines von einem Engel gehaltenen Schildes gibt Auskunft darüber, wie er sich vergriff. Diese Inschrift lautet: „Hohenzieritz, den 19. Juli 1810, vertauschte Sie die irdische Krone mit der himmlischen, umgeben von Hoffnung, Liebe, Glaube und Treue, und in tiefe Trauer versinken Brennus und Borussia.“ Wir haben hier Kunstm engerei und Religionsm engerei, Alles beieinander. Die Verdienste der Arbeit sind nichtsdesto- weniger bedeutend, aber sie sind mehr technischer Natur und greifen zum Theil auf das Gebiet der Kunstindustrie hinüber. Die anderweitigen Schätze, die die paretzer Kirche, weit über diese großen Schildereien hinaus, in ihrer Mitte birgt, sind zwei Erinnerungsstücke, alt und neu, das eine aus der Zeit der kirchlichen, das andere aus der Zeit der politischen Umgestaltung, die dieses Land erfuhr, — beinahe dreihundert Jahre liegen dazwischen. Aus dem Jahre 1539 (wie die ein- gebrannte Jahreszahl zeigt) stammt das Bildniß des heiligen Mauritius, das aus dem Spitzbogen des Chorfensters in die Kirche hinein grüßt; zu Füßen des alten Schutzpatrons dieser Lande aber steht ein zierlicher, mit Tapisseriebildern versehener Kasten, in dem ein blauseidenes, silbergesticktes Tuch zusammen- gefaltet liegt. Es ist das Tuch, das Königin Louise bei ihrem letzten Besuch an dieser Stelle trug. Der König, nach ihrem Tode, breitete es, als das Liebste, was er hatte, über den Altartisch, bis es, halb zerfallend in seinem leichten Gewebe, durch den Damast abgelöst wurde, der, mit goldenen griechi- schen Kreuzen geschmückt, jetzt dieselbe Stelle ziert. Aber in dem Kästchen liegen doch, wie verkörpert, die Erinnerungen dieser Stätte. Der „Tempel.“ Die Kirche von Paretz ist ein Platz reicher Erinnerungen, aber Paretz hat der Erinnerungsplätze mehr. Speziell der Er- innerung geweiht ist der „Tempel.“ Er befindet sich in einer verschwiegenen Ecke des Parks, wo dieser die Havel berührt, und bildet einen Theil des an dieser Stelle künstlich aufgewor- fenen Aussichtshügels, der auf seiner Spitze einen japanischen Tempel, an seiner westlichen Seite eine Rokokogrotte und nach Süden hin eben diesen „Tempel“ trägt. 22* Dieser Tempel, eine bloße Fa ç ade, die auf halbversun- kenen dorischen Säulen ruht und zunächst keinem anderen Zwecke gedient haben mochte, als Schutz gegen Regen und Sonne zu gewähren, scheint von Anfang an ein bevorzugter Platz gewe- sen zu sein, wie es auch in dem laubenreichsten Garten immer noch eine Lieblingslaube gibt, woran sich Leid und Freud des Hauses knüpft: der erste Kuß, die stille Verlobung, Abschied und Wiedersehen. Zu solchem Platze wuchs der Tempel heran, und der ziemlich nichtssagende Bau, der bei seiner Anlage nichts gewesen war, als eine Gärtnerlaune, ein Schnörkelornament, wurde zu einer Familienstätte, zu einem der Erinnerung geweihten Platz. Dieß geschah zuerst im Sommer 1797. Im Winter vor- her, am 28. Dezember, war Prinz Ludwig gestorben, der Bruder, zugleich der Schwager Friedrich Wilhelm’s (damals noch Kronprinz), und an der bevorzugten Plauderstelle wurde in den Stein geschrieben: „Er ist nicht mehr.“ Die Jahre gingen; so kam der Juli 1810. In die Park- gruft zu Charlottenburg senkte sich der Sarg der Königin; in die Tempelwand zu Paretz wurde eine graue Marmortafel ein- gelassen, die nunmehr die Inschrift empfing: „Gedenke der Abgeschiedenen.“ Mehr und mehr erhob sich der Tempel zu einer Stätte des Familienkultus; in seiner Front, an eben der Stelle, wo die heimgegangene Königin so oft geruht hatte, wurde ein Friedensengel mit Kranz und Palmenzweig errichtet; der Tempel von Paretz war zu einem Vereinigungspunkt, fast zu einem Symbol geworden, das jedem Familiengliede das Beste bedeutete, was der Mensch hat: Liebe, Treue, Pietät. In diesem Sinne schrieb König Friedrich Wilhelm III. in seinem Testament: „Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott … Wenn dieser mein letzter Wille meinen innigst geliebten Kindern zu Gesicht kommen wird, bin ich nicht mehr unter ihnen und gehöre zu den Abgeschiedenen. Mögen sie dann bei dem An- blick der ihnen wohlbekannten Inschrift: ‚Gedenke der Abgeschie- denen!‘ auch meiner liebevoll gedenken.“ Und sie gedenken seiner. Der 7. Juni, der Sterbetag des Königs, ist zu einem Gedächtnißtag geworden, und kein Sohn oder Enkel betritt Paretz, ohne an die graue Marmor- tafel zu treten und freiwillig zu thun, woran ihn die Inschrift mahnt. Der „todte Kirchhof.“ „Gedenke der Abgeschiedenen!“ so klingt es überall in Paretz, auch über den Kreis des Schlosses hinaus. Erinne- rung und Pietät, die hier ihre Stätte haben, sie haben sie auch in den Herzen der Paretzer; still und unbemerkt üben sie ihren Todtendienst; „Gedenke der Abgeschiedenen“ durchklingt es auch sie. Um die Kirche herum liegt ein Kirchhof, ein sogenannter „todter Kirchhof;“ der „lebende,“ die Stätte, wo begraben wird, liegt draußen, am Rande des Dorfes. Die alte Stätte ist nur ein Grasplatz noch, niedergetreten, ohne Kreuz und Stein, aber wer scharf zusieht, der nimmt bald wahr, daß hinter dieser Verwahrlosung noch immer eine Liebe lebt. Hier und dort wächst eine Schwertlilie, ein Hage- buttenstrauch unvermittelt aus dem niedergetretenen Grase auf, und alle diese Stellen kennen die Dörfler wohl, es sind die Gräber ihrer Theuren, die sie verstohlen hegen und pflegen, in heimlicher Liebe. Denn der Kirchhof soll todt sein, der offizielle Platz für Blumen und Thränen liegt draußen. Aber welchem Herzen ließe sich gebieten! Paretz ist eine Stätte der Erinnerung und Pietät — auch der „todte Kirchhof.“ Etzin . Es haben alle Stände So ihren Degen werth Der alte Derfflinger. Sei brav, Sei gut, Hast Schlaf Und Muth . E ine halbe Stunde von Paretz, wie dieses hart an der Havel, liegt Ketzin , schon ein Städtchen; wieder eine halbe Meile weiter (aber nun landeinwärts) Dorf Etzin . Es von Paretz aus zu besuchen, verbot sich mir; ich hatte also eine eigne Fahrt, eine kleine Special-Reise dafür anzusetzen. Diese, per Bahn, ging zunächst westlich über Spandau, Segefeld, Nauen, von hier aus zu Fuß, südlich, an den alten Bredow-Gütern: Mark é e und Markau vorüber, ins eigentliche Havelland, den breiten Streifen am rechten Flußufer, hinein. Der Leser wolle mich freundlich begleiten. Mit dem Glockenschlage 12 sind wir auf dem Nauener Bahnhof eingetroffen und das Straßenpflaster mit gebotener Vorsicht passirend, marschiren wir nach 10 Minuten schon, an Gruppen rother Husaren und gelbklappiger Ulanen vorüber, zum andern Stadtende wieder hinaus. Das weitgespannte Plateau, (ein guter Lehmboden) ist flach und hart wie eine Tenne und wäre nicht ein fichtenbestandener Höhenzug, der wie eine Coulisse sich vor uns aufrichtet, so würden wir beim Her- austreten aus dem Nauener Thore, schon die spitzen Thürme von Ketzin und Etzin vor uns erblicken. So aber theilt der Höhenzug das Bild in zwei Theile und gönnt uns zunächst nur den Ueberblick über die nördlich gelegene Hälfte. Die Mühlen stehen so steif und leblos da, als hätten sie sich nie im Klappertakte gedreht. Sonntags- und Mittagsstille vereinigen sich zu einem Bilde absoluter Ruhe, und wäre nicht der Wind, der oft umschlagend, bald wie ein Gefährte plau- dernd neben uns hergeht, bald wie ein junger Bursche uns entgegen springt, so wäre die Einsamkeit vollkommen. Die Sonne brennt heiß und nach verhältnißmäßig kurzem Marsche schon, machen wir Halt in einem der vielen Gräben, die sich neben der Straße hinziehen. Wie uns die kurze Rast erquickt! der Weidenstamm gönnt eine bequeme Rückenlehne und die herabhängenden Zweige schützen gegen den Anprall der Sonne. Auch für Unterhaltung ist gesorgt; das Stillleben der Natur thut sich auf, die Goldkäfer huschen durch das abgefallene Blatt- werk und die Feldmäuse, vorsichtig und neugierig wie auf Recognoscirung, stecken die Köpfchen aus den Löchern hervor, die sich zahllos zu beiden Seiten des Grabens befinden. In dem Sumpfwasser zu unserer Linken beginnen inzwischen die Unken ihre Mittagsmelodien. Wie das ferne Schellenläuten weidender Heerden klingt es, und zum ersten Mal verstehn wir die Sage von den untergegangenen Städten und Dörfern, deren Glocken um die Mittagsstunde leise nach oben klingen. Wir lauschen auf, aber es bangt uns mehr und mehr vor dem unheimlich einschmeichelnden Getöne, und rasch aufspringend, marschiren wir rüstig weiter in die brennende Mittagsstille hin- ein, dankbar gegen den entgegenkommenden Wind, der uns das Gesicht kühlt und die verfolgenden Unkenstimmen mit in unsern Rücken nimmt. So erreichen wir bald den mit Nadel- und Laubholz bestandenen Sandrücken, der, als wir die Nauener Mühlen passirten, wie eine Coulisse vor uns stand, waten geduldig durch den heißen mahlenden Sand des Fahrwegs hin- durch und treten endlich aufathmend in die südliche Hälfte des Havellandes ein. Aufathmend; — denn kaum die Tannen im Rücken, ist es uns, als wehe uns eine feuchte Kühle an, wie von der Nachbarschaft eines breiten Strom’s, und doch ist es noch eine volle Meile bis an die Buchtung der schönen Havel. Noch eine volle Meile bis an die Havel, aber nur eine halbe Stunde noch bis nach Etzin, dem unsere heutige Wande- rung gilt. Seine schindelgedeckte Kirchthurmspitze liegt schon wie greifbar vor uns, und dem Ziele unserer Reise uns näher wissend, spannen sich jetzt die Kräfte wie von selber an, Frische kehrt zurück und noch ehe der Vorrath unsrer Wanderlieder dreimal durchgesungen, marschieren wir fröhlich und guter Dinge in das alte malerische Dorf hinein. Alles verräth Wohlhabenheit, aber zugleich jenen bescheid- nen Sinn, der sich in Treue und Anhänglichkeit an das Ueber- lieferte äußert. Das Dorf ist noch ein Dorf; nirgends das Bestreben in’s Städtische hineinzuwachsen und aus der schmalen Bank unterm Fenster eine Verande zu machen. Der Hahn auf dem Hofe und die Schwalbe am Dache sind noch die eigent- lichen Hausmusikanten und die Bauerntöchter, die eben ihr Ge- plauder unterbrechen und mit ruhiger, nirgends von Gefallsucht zeugender Neugier dem Schritt des Fremden folgen, haben noch nichts von jener dünnen Pensions-Tünche, die so leicht wieder abfällt von der ursprünglichen Stroh- und Lehmwand. Die Kirche des Dorf’s (am entgegengesetzten Ende) ent- zieht sich unsrem Auge, seitdem wir in die Dorfgasse eingetreten, aber die Bilder und Scenen um uns her, lassen uns auf Augenblicke vergessen, daß es eben die Etziner Kirche und nichts anderes war, was uns hierher führte. Die Bilder wech- seln von Schritt zu Schritt. Hier stellt sich ein alter Fach- werkbau, von einem schmalen Gartenstreifen malerisch eingefaßt, wie ein Familienhaus mitten in die Dorfgasse hinein und theilt den Fahrweg in zwei Hälften, wie eine Insel im Strom; dort an den Zäunen entlang liegt allerhand Bau- und Bretterholz, und die Kinder beim Anschlagspiel lugen mit halbem Kopf über die Stämme hinweg. Die Arbeit ruht, die lichten Kronen der Lindenbäume werfen ihren Nachmittagsschatten voll und breit auf die Dorfgasse, und wir schreiten frisch und aller Müdigkeit baar darüber hin, als lägen Binsenmatten vor uns ausgebrei- tet. So haben wir das Dorf passirt, und auf leis ansteigendem Hügel, erblicken wir jetzt wieder die Kirche zu unserer Linken, in die der eben herzukommende Küster freundlich willfährig uns einführt. Das Innere der Kirche ist wie das Dorf selbst: schlicht und einfach, wohlhabend, sauber, eine wahre Bauerndorf- Kirche, aber doch anders wie sonst solche Kirchen zu sein pfle- gen. Denn die Gotteshäuser alter Bauerndörfer zeichnen sich im Gegensatz zu den Patronats-Kirchen gemeinhin durch nichts als durch eine äußerste Kahlheit aus, durch die Abwesenheit alles Malerischen und Historischen; die Generationen kamen und gingen, kein Unterschied zwischen dem Dorf und seinem Felde, ein ewiger Wechsel zwischen Saat und Maht. Leben aber keine Geschichte. So sind die Bauerndörfer und so sind ihre Kirchen. Nicht so Etzin. Hier war zu allen Zeiten ein historischer Sinn lebendig, und so hat hier die Gemeinde Bildnisse derer auf- gestellt, die dem Dorfe mit Rath und That voran gingen, sein „Wort und Hort“ waren — die Bildnisse seiner Geistlichen. Wenn sich solcher Bildnisse nur vier — und wenn wir von einer Art Medaillon-Portrait neben der Sakristei absehen, nur drei — in der Etziner Kirche vorfinden, so liegt es nicht daran, daß die Etziner seit 150 Jahren sich jemals ihrer Pflicht ent- schlagen und ihre alte Pietät versäumt hätten, sondern einfach daran, daß die Etziner Luft gesund und die Etziner Feldmark fruchtbar ist. Die Etziner Geistlichen bringen es zu hohen Jahren, und wenn wir die Inschriften und Zahlen, die sich auf den betreffenden Bildern und Grabsteinen in und außer- halb der Kirche vorfinden, richtig gelesen haben, so füllen die Namen dreier Prediger den ganzen weiten Raum des vorigen Jahrhunderts aus. Die Bilder dieser drei Geistlichen, von denen übrigens der mittlere, der Held dieser Geschichte, nur ein kurzes Jahrzehnt der Etziner Gemeinde angehörte, hängen von Bändern und Brautkronen heiter eingefaßt, links vom Altar an einem der breiten Mauerpfeiler, und das helle Sonnenlicht, das durch die geöffneten Kirchenfenster von allen Seiten eindringt, macht es uns leicht die Namen zu lesen, die mit dünnen weißen Schriftlinien auf schwarze Täfelchen geschrieben sind. Die Namen sind: Andreas Lentz, August Wilhelm Geel- haar und Joachim Friedrich Seegebart. Andreas Lentz, ein würdevoller Kopf, mit dunklem, lang herabhängendem Haar, gehört augenscheinlich der Zeit der ersten beiden Könige, August Wilhelm Geelhaar aber der zweiten Hälfte des vorigen Jahr- hunderts an. Er trägt eine hohe Stehkrause, ist blond, roth- backig, martialisch, und blickt aus seinem Rahmen heraus wie die Bischöfe des ersten Mittelalters, die lieber zum Streitkolben wie zum Meßbuch griffen. Sein Blick ist kriegerisch genug, aber die Welt hat nie von seinen Kriegsthaten erfahren und den Ruhm in den Gang einer Schlacht eingegriffen, und die drohende Niederlage in Sieg gewandelt zu haben, muß er seinem Amtsbruder und unmittelbaren Vorgänger an der Etziner Pfarre überlassen, dessen Bildniß jetzt neben ihm am Wand- pfeiler hängt, und dessen milde, fast weiche Gesichtszüge auf alles andre eher schließen lassen sollten, als auf den „Geist Davids,“ der ihn zum Siege fortriß. Und doch war es so. Joachim Friedrich Seegebart ist es, der uns nach Etzin und in diese Kirche geführt hat, Joachim Friedrich Seegebart der Sieger von Chotusitz. Hören wir, wie es damit zusammen hängt. Joachim Friedrich Seegebart, geboren den 14. April 1714 im Magdeburgischen (wahrscheinlich zu Wolmirstedt) war Feld- prediger beim Prinz Leopold’schen Regiment, das vor Ausbruch des ersten schlesischen Krieges (und auch später wohl) zu Sten- dal in Garnison stand. Er war ein Anhänger der Spenerschen Lehre, demüthig, voll Liebe, nur streng gegen sich selbst, ein Mann von dem man sich einer gewissenhaften Wartung seines Amtes, der Festigkeit in Wort und Glauben, aber keiner kriege- rischen That versehen konnte, er selbst vielleicht am wenigsten. Die rasche Besitzergreifung Schlesiens war Ausgang 1740 beschlossene Sache. Die Regimenter erhielten Marschorder und den 8. December brach das Regiment Prinz Leopold von Sten- dal auf, mit ihm Seegebart. Ueber diesen Marsch durch die Kurmark und später durch Schlesien besitzen wir interessante Aufzeichnungen von Seegebarts eigener Hand. Am 11. März, nach längerem Aufenthalt in Berlin betrat das Regiment schle- sischen Boden, zeichnete sich bei der Erstürmung von Glogau aus, focht bei Molwitz und bezog im October das Winter- quartier in Böhmen. Hier blieb es in Reserve, während der König in Mähren einrückte. Erst im Frühjahr 1742 vereinigte sich das Regiment wieder mit der aus Mähren zurückgehenden Haupt-Armee und war mit unter den Truppen, die am 17. Mai 1742 der österreichischen Armee unter dem Prinzen Karl von Lothringen bei Chotusitz eine Viertelmeile von Czas- lau gegenüber standen. Dieser Tag von Czaslau oder Chotusitz ist der Kriegs- und Ehrentag unsres Seegebart. Gegen 8 Uhr Morgens begann die Schlacht, die östreichische Infanterie eröffnete den Angriff, und warf sich auf den rechten preußischen Flügel, litt aber, durch Kanonen und Klein-Gewehr-Feuer so stark, daß einzelne Regimenter den Rücken kehrten, und, trotzdem sie von ihren eigenen Officieren in kaum glaubhafter Anzahl niedergestochen wurden, nicht wieder zum Stehen zu bringen waren. Jetzt sollten Kavallerie-Chargen die Scharte auswetzen. Mit großem Ungestüm schritt man zur Attacke; aber vergeblich. Mal auf mal wurden die Chargen abgeschlagen und die rückgehenden Regimenter schließlich mit solcher Vehemenz verfolgt, daß die dahinter aufgestellte Infanterie mit in die Flucht verwickelt und zum Theil niedergemacht, zum Theil über das Feld hin zer- streut wurde. So standen die Dinge am rechten Flügel, zum Theil auch im Centrum. Alles ließ sich glücklich an und schien einen raschen Sieg zu versprechen; aber völlig entgegengesetzt sah es am linken Flügel aus, wo unser Seegebart auf einer kleinen Fuchsstute im Rücken seines Regiments hielt. Hier standen 6 Bataillone in Colonne und zwar in Front 2 Bataillone Prinz Leopold, dahinter einzelne Bataillone der Regimenter La Motte, Schwerin, von Holstein und Prinz Ferdinand. Das Unglück wollte, daß der Angriff der Oestreicher eher erfolgte, als die Aufstellung der Preußen, insonderheit ihrer Cavallerie beendigt und geordnet war, und so wiederholte sich hier zu Ungunsten der Preußen dieselbe Scene, die sie am entgegen- gesetzten Flügel, ihrerseits siegreich durchgeführt hatten. Die preußischen Dragoner wurden geworfen, die Infanterie-Colonnen, zumal die in Front stehenden Bataillone Prinz Leopold mit in den Wirrwarr hineingerissen und endlich alles in wildem Durch- einander durch das brennende Dorf Chotusitz hindurch gejagt. Reserven rückten vor und nahmen den Kampf wieder auf, aber im selben Augenblick stoben, wie durch ein böses Ohngefähr, vom entgegengesetzten Flügel her, die flüchtigen Reitermassen heran, die dort dem Vordringen der Preußen hatten weichen müssen, und nun eben rechtzeitig genug erschienen, um dem ohnehin siegreichen Stoß der Ihrigen eine gesteigerte Wucht zu geben. In diesem Augenblick äußerster Gefahr war es, wo der kriegerische Geist in unserem Seegebart plötzlich lebendig wurde und zunächst den Kampf wiederherstellend, endlich alles zu Heil und Sieg hinaus führte. Seegebart selbst hat dies sein Eingreifen in den Gang der Schlacht mit so viel Anschau- lichkeit und Bescheidenheit geschildert, daß es wie geboten erscheint, ihn an dieser Stelle mit seinen eigenen Worten ein- zuführen: „Als unser Regiment nun retirirte und zum Theil mit feindlicher Cavallerie und Grenadiers vermischt war, jug ich spohrenstreichs hin und wieder durch dasselbe und redete den Burschen und Offiziers beweglich und N. B. recht ernstlich zu, daß sie sich widersetzen und fassen sollten. Einige schrieen mich gleich an mit einem lauten: Ja! und waren bereit und willig, wurden aber von der andringenden Macht verhindert, kamen aber doch wieder zu stehen. Als ich dieses that, flogen mir die Kugeln so dick um den Kopf als wenn man in einem Schwarm sausender Mücken stehet, doch hat Gottlob mich keine, auch nicht einmal den Roquelour verletzt. Ein Bursch hat mein Pferd in diesem Lärm mit dem Bajonette erstechen wollen; aber ein anderer hat es ihm weggeschlagen. Bis hierher hatte ich nur zu den Leuten unsres Regiments gesprochen, ich sammelte jetzt aber einige Escadrons Cavallerie, die in Confusionen waren, vom linken Flügel, brachte sie in Ordnung, und sie attaquirten in meiner Gegenwart die feindliche Cavallerie und repoussirten sie. Ich war so dreist, daß ich mich an General und Obristen machte, sie bei der Hand faßte, und im Namen Gottes und des Königs bat, ihre Leute wieder zu sammeln. Wenn dies geschehen, so jug ich hin und wieder durch und trieb die Leute dahin, wo sie sich wieder zu setzen anfin- gen. Ich brauchte allerley Beredsamkeit und man folgte mir in allen Dingen. Ich wundere mich, daß die schweren Pferde meinen kleinen Fuchs nicht zertreten haben, aber es schien, als wenn alles vor mir auswiche und mir Platz machte. Ich that und redete als ein Feldmarschall und bemerkte augenblicklich die Impression von meinem Zureden und Vorstellungen an der Leute Gebehrden und Gehorsam. Mein Gemüth war Gott ergeben, und in einer guten Fassung, und ich habe in eigener Erfahrung damahlß gelernet, daß das Christenthum resolut und muthig macht auch in den verworrensten Begebenheiten. Auch den Feind zu verfolgen war mir schließlich gestattet. Ich sammelte noch einmahl einen großen Haufen fliehender Caval- lerie, zum Theil von unsern linken und rechten Flügel, wohl eine Viertel-Meile vom Champ de Bataille, welches mir wohl große Mühe machte, aber doch endlich gelungen, und führte sie zurück bis an den gedachten Champ, wo sie auch sogleich, weil sich die Bataille indes geendet, dem Feinde nachging und ihn verfolgte. Die Cavallerie so ich gesammelt und die sogleicht auf meine Vorstellung wieder zu agiren anfing ist über 20 Es- quadrons gewesen. Gott sei gelobet der mir Davids Muth und Sinn gegeben.“ Soweit die Darstellung Seegebart’s selbst. Der Vorgang machte Aufsehen bei Freund und Feind und wurde, ausgeschmückt, und oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt, in Zeitungen und fliegenden Blättern erzählt. Jordan schrieb schon, zehn Tage nach der Schlacht, von Berlin aus an den König: „Hier möchte alle Welt wissen, wer der Unbekannte gewesen sei, der sich mit so viel Bravour an die Spitze einiger Escadrons setzte und durch rasches Eingreifen zum Siege mitwirkte. Es heißt, Ew. Majestät hätten nach seinem Namen gefragt, der Ange- redete habe sich aber geweigert sein Incognito aufzugeben. Der große König (der damals noch mehr jung als groß war und Anstand nehmen mochte einem einfachen Feldprediger einen wesentlichen Antheil am Siege zuzusprechen) fand es angemessen, in seinem Antwortschreiben die ganze Angelegenheit als eine Fabel zu bezeichnen, und wir würden uns vielleicht in der Lage befinden, den ganzen poetisch und psychologisch interessan- ten Vorgang, in Wirklichkeit als eine Fabel ansehen zu müssen, wenn wir nicht das Seegebart’sche Tagebuch und jenen Brief (an Professor Michaelis in Halle) besäßen, aus dem wir schon die obige Schlachtscene citirt haben. Das Tagebuch weist in seinem Tone und seiner Schreibweise für jeden, der sich auf den Klang von Wahrheit und Unwahrheit versteht, unwiderleglich nach, daß Pastor Seegebart eine eben so demüthige, wie hoch- herzige Natur war, ein Mann in dessen Herzen keine Lüge bestehen konnte. So glauben wir denn ihm und keinem andern wenn er am 24. Mai in aller Bescheidenheit aber auch in nicht mißzuverstehender Klarheit schreibt: „Die Sache ist beim König, der Generalität, ja der ganzen Armee bekannt geworden, und man redete in den ersten Tagen selten von dem Siege, den uns Gott gegeben, ohne daß man meiner gedacht hätte. Wenn ich ein Narr wäre, so hätte ich die beste Gelegenheit mich aufzublasen gehabt. Der König hat mir durch unsern Prinzen (Erbprinz Leopold von Anhalt-Dessau) ein sehr gnädiges Compliment machen und mich versichern lassen, „ich sollte die beste Pfarrstelle in allen seinen Landen haben,“ wozu der Prinz hinzusetzt: „Wenn das nicht geschähe, so wollte er mir die beste in seinem eignen Fürstenthum geben, denn ich hätte in der Bataille nicht nur wie ein Prediger, sondern auch wie ein braver Mann gethan.“ Prinz Leopold, der gewiß Wort gehalten hätte, wurde nicht beim Wort genommen; Seegebart erhielt eine Pfarre, freilich keine beste, kaum eine gute, (die Etziner Pfarrstelle ist jetzt eine sehr gute, war es aber damals nicht) indessen doch immerhin eine Pfarre, und im August 1742, also kaum 3 Monate nach der Schlacht, ward er in die Etziner Kirche eingeführt. Mit unge- wöhnlicher Thätigkeit — so erzählt der 80 jährige Pastor Duchstein, der als er sein Etziner Pfarramt zu Anfang dieses Jahrhunderts antrat, noch Leute vorfand, die seinen kriegerischen Amts-Vor- gänger gekannt hatten — hat dieser hier als Seelsorger und Land- wirth gewirkt. An Wochentagen hielt er im Pfarrhause Erbau- ungsstunden, sowohl für Kinder wie für Erwachsene, und nahm sich überhaupt seiner beiden Gemeinden (Etzin und das nah gelegene Knobloch) mit Eifer und Liebe an. Nebenbei aber führte er die weitläuftige Pfarrwirthschaft selbst, verbesserte mancherlei in derselben und nutzte sie durch seine Betriebsamkeit, wie die von ihm geführten Register beweisen, ungemein hoch. Den Pfarrgarten hatte er ganz verwildert übernommen; er pflanzte die besten Obstsorten an und hatte die Freude, schon im zweiten Jahre einige Früchte davon zu ernten. So oft er ein so günstiges Ergebniß seines Fleißes in seinen noch vor- handenen Rechnungen zu vermerken hatte, versäumte er nicht in einfachen Worten einen kurzen Dank an Gott auszusprechen. Ueber seine Kriegs- und Siegesthat bei Chotusitz sprach er nur selten und nur gezwungen, theils weil er eine natürliche Scheu hatte sich vorzudrängen, theils weil er zu der Ansicht gekommen sein mochte, „er habe bei Chotusitz für einen Geistlichen wirk- lich etwas zu viel gethan.“ Aber eben deshalb, weil der Tag von Chotusitz auf der Etziner Pfarre nur so selten genannt werden durfte, eben deshalb ist auch jener Familien-Tradi- tion, die sich bis in unsre Tage hinein erhalten hat, ein ganz besondrer Werth bei zulegen, jener Tradition nämlich, (die auch in Andeutungen des Jordan’schen Briefes ihre Bestätigung findet,) daß der König seinem Feldprediger in der That eine Hauptmannsstelle habe anbieten lassen. Daß dies Anerbieten abgelehnt wurde, versteht sich von selbst. Seegebart wäre nicht er selbst gewesen, wenn er den Roquelour mit dem bunten Rock des Königs vertauscht hätte. Die angestrengte Thätigkeit des Predigens vor zwei Gemeinden, scheint seiner wohl an sich nicht sehr festen Gesundheit geschadet und seinen frühzeitigen Tod herbeigeführt zu haben. Auch sein Bild zeigt jene klare, durch- sichtige Hautfarbe und jene mildleuchtenden Augen, denen man bei Brustkranken so oft begegnet. Er hinterließ eine Wittwe, Christiane Elisabeth geborene Sukro und vier Kinder. Außer seinem Bilde, das ihn unver- kennbar als eine poetische, dem Idealen zugewandte Natur dar- stellt, befindet sich an einer Außenwand der Etziner Kirche, noch der Grabstein des früh Geschiedenen, der unter einem wenig geschmackvollen Ornament folgende Inschrift trägt: „Hier ruhen in Hoffnung die dem Tode getrost anvertrauten Gebeine des weiland Hochwürdigen und Hochgelehrten Herrn Joachim Friedrich Seegebarth. Das Prinz Leopold’sche Re- giment, und die Etzinsche und Knoblauch’sche Gemeinde rühmen noch seine wahre Gottesfurcht und seltene Redlichkeit. Daher war er freudig vor Gott, liebreich vor Menschen, sorgfältig im Amt, demüthig bei seiner Gelehrsamkeit. Von seinem geistigen Amt zeugen viel lebendige Briefe, von seinem Christenthum, die durch das Leben bethätigte Lehre. Er betrat diesen mühseligen Schauplatz 1712 den 14. April. Er bezog die stolzen Wohnungen der Ewigkeit 1752 den 26. Mai. Leser! schaue sein Leben an und denke an seinen Tod. Be- trachte seinen Glauben und ahme ihm nach. Sein freudiger Hingang mache Dir die Ewigkeit süß.“ Gütergotz . Und sie tragen den leuchtenden Juthrie -Gott Hinaus an den See und den Hain, Und sie opfern ihm ihre Garben Am Garben-Opferstein. Lieben lerne ! Und zur Fremde wird die Heimath, Und zur Nähe wird die Ferne. U nser Weg führte uns heute, von Marschquartier Potsdam aus, südlich, um den Nuthe-Ufern, diesem alten Grenzstreifen zwischen der Zauche und dem Lande Teltow, einen ersten Be- such zu machen. Wie auch sonst schon gehen wir im Zickzack vor und zunächst uns ostwärts haltend — links ein Ackerstreifen, rechts eine dünne Schonung — erreichen wir, plötzlich aufathmend in dieser Wüste, eine von Fluß und See umspannte Oase: Kohlhasenbrück . 1. Ein niedriges Gehöft, nach der Straße hin umzäunt, in Front von einer mächtigen Eiche, im Rücken von einer alten weitverzweigten Linde überschattet — das ist das jetzige Kohl- hasenbrück; ein Platz voll moderner Zuthat und Wandlung, der alten Krug- und Fährstelle vergangener Jahrhunderte muth- maßlich wenig ähnlich, aber doch zugleich voll jener historischen Färbung, die um alle Oertlichkeiten her ist, die viel erlebt und viel gesehen haben. Neueste Forschung hat nun freilich von den Erlebnissen, die man diesem Orte anzurechnen gewohnt war, erhebliche Ab- züge gemacht und hat festgestellt, daß der trotzige märkische Roß- Fontane , Wanderungen. III. 23 kamm, der an Sachsen Fehde erklärte und seinen Absagebrief auf einer Pique-Zehn (die noch diesen Augenblick im Weimarer Museum zu sehen ist) ins Meißnische Land hineinschickte, nie und nimmer diese Krugstelle sein eigen nannte, vielmehr ledig- lich die Silberbarren hier vergrub, die er, übelberathen, dem kurfürstlichen Factor Conrad Drahtzieher abgenommen hatte; aber lange vor Michael Kohlhaas, Kohlhase, wie bereits im Text bemerkt, hat niemals dieses Terrain besessen, ist niemals an diesem Orte wohnhaft gewesen. Er bewohnte in Berlin das Haus Fischerstraße 27, das noch im Jahre 1866 in seiner alten Gestalt existirte und Stallung für 40 Pferde auf- wies. Erst 1867, nachdem es noch im Jahre zuvor als Lazareth für die vielen Verwundeten benutzt worden war, erfuhr es einen totalen Umbau und ist ein Gasthaus modernen Styls geworden. Beim Umbau wurden einzelne Münzen aus der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts gefunden. der hier also ein Gast war wie andere mehr, ja, lange bevor es einen Kurfürsten von Sachsen gab, den er befehden konnte, war hier an dem alten Grenzlande wer will sagen eine Opfer-, eine Grabes- oder eine Kampfesstätte. Jeder Fuß breit Acker giebt die Zeichen heraus: hier war altes Leben, alte Cultur. Ein ganzes Alterthums-Museum ist bereits aus dem schma- len Ackerstreifen, der an Fluß und See sich hinzieht, heraus- gepflügt, herausgegraben worden und wie eine unerschöpfliche Erzader im Gestein läuft hier eine unerschöpfliche Schicht von Reliquien und Funden unter der Erde fort. Alle Zeitalter werden dabei durcheinander gewürfelt und neben dem Stein- hammer, dem wir schlecht gerechnet seine tausend Jahre geben, liegen zahllose Geräthschaften in Erz und Eisen, die sich mit dem halben Altersmaß begnügen müssen. Der zeitige Besitzer von Kohlhasenbrück, ein breiter West- phale, den die Fügungen des Lebens von der rothen Erde auf den gelben Sand verschlagen haben, treibt hier Alterthums- kunde auf eigene Hand. Er bestellt seinen Acker doppelt und neben dem Pfluge, der die Erde nur ritzt, geht der Forscher- vielleicht auch der Schatzgräber-Spaten beständig in die Tiefe. Denn die versenkten Silberbarren bei Kohlhasenbrück scheuchen den Schlaf und machen unruhige Nächte. Die Linde, die vom Hofe aus ihre Zweige über das Dach streckt, die Eiche, die in Front des Hauses steht, sie sind die Wächter dieser Stelle, zugleich seine Zierde. Und zugleich ein Schatz, ein wirklicher, der keiner Wünschelruthe bedarf, um gehoben zu werden. Besonders die Eiche. Sie ist das Stau- nen und Begehr aller Metzgermeister, die hier des Weges kom- men und des mächtigen kerngesunden Baumes nie ansichtig werden, ohne ihn sich in geschäftsmäßiger Fleischerfantasie in fünf oder sieben Haublöcke zerlegt zu denken. Sie halten dann an, treten ein und bieten. Aber der breite Sohn der rothen Erde da drinnen ist kein bloßer Rechner und Feilscher, er ist der Verwalter historischer Reminiscenzen, und so lange sein Spaten hier in die Erde sticht, ist das Häuschen sicher, im Schatten von Linde und Eiche zu stehen. 2. Von Kohlhasenbrück aus schlagen wir eine südliche Rich- tung ein, schlängeln uns auf Fußpfaden durch ein wohlgepfleg- tes Gehölz und treten dann in eine Lichtung, von der aus wir strahlenförmig die Gestelle sich durch den Wald ziehen sehen. Diese Lichtung heißt der Stern ; inmitten desselben, von eini- gen Akazien umstanden, ein Jagdschloß gleiches Namens. Auch hier historischer Grund und Boden, aber jüngeren Datums und ohne jeden Anflug von jenem Sagen-Dämmer, der über der alten Kohlhaasstätte ruht. Hier ist Alles licht, faßbar, real, mit jenem Prosa-Beigeschmack, den Alles hat, was unter den vielgeschäftigen, rastlos-gestaltenden Händen des Soldaten-Königs entstand. Aber noch eines charakterisirte seine Art: die propreté, und Jagdschloß Stern hat bis diese Stunde jenes Sauberkeits-Gepräge, das Friedrich Wilhelm I. allen sei- nen Schöpfungen zu geben liebte. 23* Jagdschloß Stern ist ein holländischer Bau, quadratisch in rothem Backstein aufgeführt, mit einem Giebel in Front, einem Jagdhorn über der Thür und einem eingeätzten Stern im Mittelfenster. Es besteht nur aus einem Eßsaal, einer Küche und einem Schlafzimmer, drei Räume, die ihre Einrichtung und ihren Charakter bis auf diese Stunde beibehalten haben. Der Eßsaal mit den abgestoßenen Geweihen des „großen Hans“ (der es bis zum Achtundzwanzig-Ender brachte), ist panelirt und über den Panelen der einen Längswand hin mit den Jagdstücken irgend eines Leygrebe oder sonstigen Hofkünstlers geschmückt, — eine Hirschhetze, eine Eber- und Entenjagd. Welch tiefer und plötzlicher Verfall der Kunst spricht aus diesen Blättern, wenn man sie mit jenen hunderten von Tableaux und Deckengemälden vergleicht, wie sie 30 und selbst noch 20 Jahre früher unter dem ersten Könige und während der letzten Regierungsjahre des großen Kurfürsten in den brandenburgischen Schlössern gemalt wurden! Damals, wie äußerlich die Dinge auch bleiben mochten, brachte jede zwischen Amoretten ausge- spannte Rosen-Guirlande, jede symbolische Figur, ob sie sich Europa oder Borussia nannte, die brillante Technik der nieder- ländischen Schule zur Erscheinung, und nun, von jener Epoche virtuosenhafter Technik, gefälliger Form, sinnlicher Farbe war man wie durch eine Kluft geschieden, ohne daß irgend etwas Anderes sich ereignet hätte als ein Thronwechsel. Jenseits lag die Kunst, diesseits die Barbarei. Aus dem Eßsaal, nach kurzem Verweilen, traten wir in die Küche, aus dieser in das Schlafzimmer des Königs, dessen eine Seite ein riesiger Wandschrank einzunehmen schien. Aber nur die beiden Flanken dieses Holzbaues waren wirkliche Schränke, das Mittelstück, eine überwölbte Bettlade, ein dunkler, nach vorne zu geöffneter Kasten, erinnerte an die Lagerstätten einer alten Schiffskajüte. War diese Höhle an und für sich unheim- lich genug, so wurde sie’s in jedem Augenblicke mehr durch zwei große, feurige Augen, die uns daraus ansahen. Endlich löste sich der Spuk; unmittelbar an unseren Häuptern vorbei mit schwerem Flügelschlag flog eine Eule, die der Förster vom Jagd- schloß „Stern“ in der Bettsponde des Königs einlogirt hatte. Dieser selber hätte uns nicht großäugiger und nicht bedroh- licher ansehen können als der Gast, der hier an seiner Stelle eingezogen war. 3. Vom Stern bis nach Gütergotz ist nur noch eine halbe Stunde. Wir erreichten es mit Sonnenuntergang; im Staub der letzten heimkehrenden Heerde hielten wir vor dem Gasthaus von „Unverworfen.“ Ein überraschender Name, aber Ver- trauen erweckend. Wir bestellten ein Zimmer, schüttelten den Staub aus Rock und Hut und traten wieder in die Dorfgasse hinaus, um Gütergotz im Dämmer zu sehen. Eine schmale Mondsichel stand am Himmel, hell genug, um uns Form und Farben ausreichend erkennen zu lassen. Nach kurzem Gange standen wir inmitten eines Platzes, der das Herz von Güter- gotz und zugleich seine Zierde bildet. Häuser- und Baumreihen fassen die Längsseiten ein, an den Schmalseiten aber, einander gegenüber, erheben sich links die Kirche und rechts das Schloß. Das Ganze eine gefällige und eine stattliche Anlage zugleich. Wir umschritten den Platz, in den Gehöften war es still geworden, nur hier und da fuhr ein Hund bellend aus seiner Hütte. Als wir an das Kirchhofsthor kamen, traten wir ein; der Mondschimmer lag jetzt auf Thurm und Dach; an den sauber behauenen Feldsteinquadern, an der Form der Apsis, an der geknickten Dachfirst-Linie erkannten wir leicht den Ci- stercienser-Bau des 13. Jahrhunderts. In der That, Güter- gotz war Klostergut und gehörte durch drei Jahrhunderte hin zu Kloster Lehnin. Es ziemte sich wohl (und die Mönche wählten gern solche Plätze) an dieser Stätte eine Kloster-Filiale zu errichten, denn der alte Heidenspuk mochte an dieser Stelle fester sitzen als anderswo; war es doch die Stelle, an der die Wenden ihrem Morgengott, dem Juthrie-Götzen (Jütergotz) ein Bild und eine Opferstätte errichtet hatten. Am Rande des Dorfes, wo noch jetzt ein Gehölz von Tannen und Birken sich um den See legt, hart an der Straße, war die Opferstätte. So heißt es. Andere Anhaltepunkte als Name und Tradition sind nicht da; der Boden hat bisher wenig herausgegeben, das bestimmter spräche. Ein Sprung über das niedrige Mauerwerk des Kirchhofes, und — nur der breite Fahrdamm trennte uns noch von dem gegenüber gelegenen Pfarrhaus. Still lag es da, aber alle Thüren und Fenster auf; hier war noch Leben, wenn es sich auch noch verbarg. Eine Laube vor dem Hause, Blumenbeete, an der einen Ecke ein blühender Akazienbaum. Wenn wir die Blüthen nicht sahen, so verkün- dete sie der Duft. Auf der Treppe lag eine Katze und spann. Hier ist’s gut sein. Hier ist Friede. Unsere Vorempfindung hatte uns nicht getäuscht. Nichts von Störung. Wir wurden freundlich empfangen; eh eine halbe Stunde um war, dampfte der Kessel auf dem Tisch; die Hausfrau nach Theelands-Sitte, mischte den starken Absud mit dem brodelndem Wasser; die Katze, auf meinem Schooß jetzt, striegelte ihren Kopf an meiner gekrümmten Hand, während der Akazienduft immer voller durch die offenen Fenster zog. Die Unterhaltung drehte sich um Gütergotz. Wir waren gekommen, um zu hören und zu lernen. Der Herr Pfarrer nahm das Wort. „Sie wissen, daß es ein Wendendorf war, daß der Juthrie- Gott eine Stätte hier hatte; der Name sagt es Ihnen. Dann kamen die Mönche, und Gütergotz, wie das benachbarte Zehlen- dorf, wurde Klostergut und zählte mit unter dem reichen Besitz von Kloster Lehnin. Nach der Säcularisirung kam es an den Kurfürsten, der 1567 den Bürgermeister Valtin Döring damit belehnte, bei dessen Familie es bis zum Jahre 1700 blieb. Gütergotz hatte also in 500 Jahren nur zwei Besitzer gehabt: die Aebte zu Lehnin und die Dörings. Wenn aber bis dahin, so fuhr der Pfarrer fort, die Be- sitzverhältnisse stabil gewesen waren, so wurden sie von 1700 an um so wechselnder. Der nächste Besitzer war Bischof Ursinus (nach seinem vollen Namen: Benjamin Ursinus v. Bär), der am 18. Januar des Jahres 1701 den Kurfürsten Friedrich III. als ersten König von Preußen in Königsberg krönte. Mit dem geistlichen Würdenträger, der wenigstens zeitweilig hier weilte, kam ein reicheres Leben an diese bis dahin schlichte Stätte: der Bischof baute ein Lusthaus am See, Kammerdiener, Gärtner, Koch und Küfer gingen aus und ein, aber die Gemeinde wurde dieses reichen Lebens nicht froh und alte Kammergerichts-Acten erzählen von Klagen des Bischofs gegen die Gemeinde und von Klagen der Gemeinde gegen den Bischof. 1715 trat es dieser an seinen Sohn, den Stallmeister Johann Wilhelm v. Bär ab, der es ebenfalls nur kurze Zeit besaß (bis 1721) und beim Verkaufe sich nichts reservirte als eine Begräbnißstätte. Die wurde ihm. 1750 wurde er im Kirchengewölbe beigesetzt; bei- nah 30 Jahre, nachdem er den Besitz des Gutes aufgegeben hatte. Bis 1804 war Gütergotz Königlich. In diesem Jahre kaufte es der General-Lotterie-Director und Geheime Finanz- rath Grothe, der aber freilich ähnlich wie der ältere Ursinus, dieses Besitzes wenig froh werden sollte. Wie dieser fing er an zu reformiren, separirte den gutsherrlichen von dem bäuer- lichen Acker, brach ein paar Bauergehöfte, die ihm unbequem lagen, ab und baute sie an anderer Stelle wieder auf, zog das gewonnene Terrain mit in seine Park- und Gartenanlagen hinein, erbaute auf solidem Feldstein-Unterbau — auf einer sogenannten Rustica — das jetzige Schloß und gab ihm einen stumpfen Thurm, dessen Plattform einen weiten Blick ins Land gestattete. Dieselbe Rührigkeit, die diesen emporgekommenen Mann (er hatte als Privatsecretär des damaligen Generalpäch- ters der Lotterie seine Laufbahn begonnen und sie durch Gewinn des großen Looses gekrönt) von jeher ausgezeichnet hatte, zeigte sich auch jetzt in der Raschheit und Umsicht, mit der er Gütergotz in einen anmuthigen Platz umzuschaffen verstand. Aber noch ehe er mit seinen Plänen zu Ende war, brach der October 1806 herein und der General-Lotterie-Director mußte flüchtig werden. Er ging nach Warschau. Was diese Flucht veran- laßte, ist unaufgeklärt geblieben; nach Einigen waren es Un- regelmäßigkeiten in der Verwaltung, die nun plötzlich zu Tage traten; nach Andern war er in die Politik Haugwitz-Lombard enfilirt und hatte alle Ursache, sich dem Volksunwillen zu ent- ziehen. Alle, die das große Loos nicht gewonnen hatten, waren, wie immer in solchen Fällen, nur allzu sehr geneigt, ihrem beleidigten Patriotismus Ausdruck zu geben. Geh. Rath Grothe starb 1812 in Warschau, nach Andern erst 1815. Sein Vermögen war bedeutend. Auch das schöne Haus in der Mauerstraße, das sogenannte Königsmarcksche Palais, gehörte ihm. Das Schloß in Gütergotz erinnerte übrigens bis ganz vor Kurzem an den „General-Lotterie-Director.“ Einzelne Zimmer, die, bei der Kürze der Zeit, in ihrer Herrichtung nicht fertig geworden waren, zeigten sich mit vielen Tausenden von Lotterieloosen beklebt, die man den Wänden als Unter- grund für die Tapete gegeben hatte. Ehe aber noch die Tapete kam, kam die Katastrophe. Die Nachbesitzer schlossen die Zim- mer ab und überlieferten die Lotterieloos-Wände wie ein Curiosum. Gütergotz trat nach dieser zweiten, kurzen Glanzepoche auf weitere 20 Jahre hin in wechsel- und selbst in unheilvolle Tage ein (1813 plünderten es die Russen), bis, mit dem zweiten Drittel des Jahrhunderts, stabilere und glücklichere Verhältnisse wiederkehrten. 1830 kaufte es der Landrath v. Albrecht; 1868 der Kriegsminister v. Roon, der es zu einer Familienstiftung bestimmte. So die Daten von Gütergotz; die Geschichte eines mär- kischen Dorfes seit 700 Jahren. Aber er , der dies Stück spe- cieller Heimathsgeschichte vor uns entrollte, war nicht selber heimisch an dieser Stelle; wenn das fein geschnittene Profil noch einen Zweifel darüber gelassen hätte, so hätte die bestimmte und bewußte Ruhe des Vortrags, vor Allem das niedersächsische „st“ diesen Zweifel beseitigt. Pastor Brodersen , nach einem bewegten Leben, war hierher verschlagen worden. Die firme, unwandelbare Treue, die sonst auch äußerlich zu festigen pflegt und den Menschen da festhält, wohin Gott ihn stellte, dieselbe festhaltende Treue war für ihn die bewegende Kraft geworden, — er hatte seine holsteinische Erde aufgegeben, als das Innerste aufgegeben werden sollte: Vaterlandsliebe, Rechtsgefühl, deutsche Gesinnung. Ueber Pastor Brodersen, wie über so viele seiner Lands- leute, entschied der Tag von Idstedt. Er ließ das Pfarrhaus am Ploener See, er ließ die Heimath, die ihm geistig keine Heimath mehr war, und suchte eine andere Stätte, wo er in Treue gegen sich selbst, weiter wirken konnte. Und er fand solche Stätte, und eine so schöne und bezaubernde dazu, daß er den Ploener See hätte vergessen können, wenn Heimath nicht eben Heimath wäre. Eine kleine Pfarre bei Neuwied nahm ihn auf; der Rhein und die Lahn lagen vor ihm. Hier wirkte er 10 Jahre lang in Segen, bis aus diesem stillen, allem Welt- verkehr entrückten Gütergotz die Anfrage an ihn kam: ob er den Tausch wohl wolle. Die Nachbarschaft der Nuthe für die Ufer des Rheins! Er schwieg. Als aber die Frage sich wiederholte, als der Brief betonte: wir sehen ab von jeder Probepredigt, von Präsentation und jeder formellen Empfehlung, da empfand Pastor Brodersen die- ses Vertrauen wie einen Ruf, dem er zu folgen habe. „Und da bin ich nun.“ Und Sie bedauern es nicht? Nein. Aller Anfang ist schwer. Das märkische Wesen war uns anfangs fremd. Aber wir anerkennen gern den tüch- tigen Kern. Es lag kein Klageton in diesen Worten, aber all das was uns fehlt, und von dem ich empfinde, daß es uns fehlt, es stand wieder vor meiner Seele und die Worte, die ein märkischer Landsmann bei ähnlicher Gelegenheit einst gegen mich geäußert hatte, sie klangen mir wieder im Ohr: „es muß schwer sein,“ so etwa sprach er, „sich unter märkischen Naturen einzuleben. Alles nüchtern und unideal; der Mensch karg wie seine Scholle. Der Geistliche ist ihm ein Mann der tauft und traut. Das Leben dreht sich um Besitz und Soldatenthum. Man muß hier geboren sein, um diese Leute zu fassen und zu verstehen und sich, durch die harte Schale hindurch, in den Respect für einen Volksstamm hineinzuleben, „der keinen Ketzer verbrannt, aber auch freilich keinen Heiligen geboren hat.“ Es war spät, als wir uns trennten. Die freundlichsten Wünsche geleiteten uns durch die Nacht. In „Unverworfen’s“ Putzstube waren inzwischen unsere Betten aufgeschlagen worden, und zu Füßen von „Rigolette mit dem Vogelbauer“ schliefen wir ungewiegt, bis die durch das Fensterladen-Herz scharf ein- fallende Sonne uns weckte. Unsere Reisetoilette war schnell beendigt, noch schneller das Frühstück; ein Wagen fuhr vor und alsbald mahlten die Räder im Sande. Wir fuhren zwischen Dorf und See; eine brütende Schwüle herrschte, trotzdem wir kaum die zehnte Stunde hatten. Am Ufer lagerten Hirt und Heerde. Tiefe Sonntagsstille. Selbst der Kukuck drüben im Walde schwieg. Inmitten des Sees, halb im Schatten des Röhrichts, stand ein Dörfler und angelte; das Wasser ging ihm bis übers Knie. Kein Laut, außer wenn er die Angelschnur emporschnellte. Es war, als läg es noch wie Wendenspuk über der Land- schaft, als wolle der alte Juthrie-Gott wenigstens seine Mor- genstunde halten. Aber da klangen die Glocken aus dem Dorf und mahnten ihn, daß seine Zeit vorbei. Und wie ein frischer Luftzug zog es durch die Schwüle. Saarmund und die Nutheburgen. Noch einmal hob er seinen Blick, dann sagt er dumpf: „die Spiegelung! Ein Blendwerk, ärger als der Smum, bösartiger Geister Zeitvertreib;“ Er schwieg, das Meteor verschwand. Freiligrath (Mirage). U nser Ausflug nach Gütergotz hatte uns in den „Teltow“ geführt, wir kehren heute in das eigentliche Gebiet unserer Wanderungen, in Havelland-Zauche zurück. Nach etwa halb- stündiger Fahrt mündet der über ein Plateau führende Weg in ein breites, von Nord nach Süd sich hinziehendes Thal ein, und durchschneidet es quer , in der Richtung von Ost nach West. Dies Thal ist das Nuthethal . Der Wasserlauf (die Nuthe), der diesem Thal den Namen giebt, entspringt auf dem hohen Vläming bei Jüterbog in Nähe des historischen Dorfes Dennewitz, wendet sich nordwärts, bil- det die Grenze zwischen Teltow und Zauche und fließt bei Pots- dam in die Havel. Beinahe unbemerkt, unter Sumpf und Wiesen versteckt. Wer tagelang an Rhin oder Finow, an Stobber und Löcknitz, an Notte und Nieplitz entlang gezogen, der blickt, wenn die Spree oder gar die Havel sich plötzlich wie- der vor ihm aufthut, auf ihre blaue, seenreiche Fläche, als zöge die Wolga an ihm vorüber. Der Maßstab ist Alles. Zu diesen Kleinsten, denen die Aufgabe zufällt, die Klei- nen zu heben oder groß zu machen, gehört also auch die Nuthe; aber sie hat nebenher dies und das vor ihres Gleichen voraus, manches, das sie, — als genösse sie alle Vorzüge einer höheren Geburt — ohne Weiteres in die „Gesellschaft,“ in den Kreis der Eigentlichen einreiht. Dies, was sie voraus hat, ist ihr historisches Gepräge, ist der Umstand, daß sie, bis in aller- frühste Zeiten zurück (ja damals mehr denn später) ein Grenz- fluß war, und es dadurch, weit über Löcknitz und Stobber hinaus, zu einer politischen Bedeutung brachte. Man könnte die Nuthe nach dieser Seite hin mit der Königsau vergleichen, die, auch nur ein Wässerchen von kaum Nuthe-Bedeutung, doch als Grenzlinie zwischen deutscher und skandinavischer Welt zu einem Ansehn kam, um das sie mancher Groß-Strom be- neiden könnte. Die zwei Welten, zwischen die sich die Nuthe trennend schob, hießen zwar nur Zauche und Teltow und werden in den großen Büchern nicht verzeichnet stehen, aber es traf sich durch ein ganzes Jahrhundert hin, daß diese zwei kleinen Namen in der That zwei Welten schieden: die germanische und die sla- vische. Die Zauche , durch Albrecht den Bären unterworfen, war christlich und deutsch, der Teltow , den alten Göttern treu verblieben, stak noch in Heiden- und Wendenthum. Das war die Zeit, als die Nuthe ihre großen historischen Tage zählte; das war das Jahrhundert der „ Nutheburgen .“ Diese (die Nutheburgen) wuchsen auf, als aus Brennibor ein Brandenburg wurde. Sie waren Mittelpunkte und Zeu- gen des Kampfes, der damals das christliche Vorland zwischen Elbe und Oder bewegte. Ob sie, in den Jahrzehnten ihres Entstehens, Aggressiv- oder Defensiv-Punkte waren, ob sie die Deutschen bauten, um von der Zauche aus den Teltow zu erobern, oder ob sie die Wenden bauten, um der vordrin- genden Eroberung einen Damm entgegenzusetzen, — diese Fra- gen werden nie mehr gelöst werden; alle Aufzeichnungen fehlen und die Schlüsse, die man aus diesem und jenem gezogen hat, werden es nie mehr über die vagste Hypothese hinausbringen. Die Nutheburgen jener ersten christlichen Epoche sind todt, und vielleicht eben deshalb zählen sie zu den Lieblingen märkisch- archäologischer Forschung. Man kennt wenig mehr als ihre Namen. Es waren die Burgen zu Potsdam und Trebbin (als Flügelpunkte); im Centrum Beuthen und Saarmund. Alle vier Nutheburgen gingen in veränderter Gestalt (in der sie allerdings, mit Ausnahme einer, auch nicht mehr existiren) in spätere Jahrhunderte über. Doch waren dies eben in Zweck wie Er- scheinung, die alten Nutheburgen nicht mehr. Sie modelten sich, sie wurden andere, und aus den markgräflichen Voigteien, die eine allge- meine politische Bedeutung, wenn man so will, eine Mission gehabt hatten, wurden Landes- und Ritterburgen, wie andere mehr. Ueber sie berichten wir an anderer Stelle. Der Umstand, daß die Nuthe ein natürliches Defilee von Sachsen nach der Mark war, lieh auch in die- sen späteren Zeiten noch, in denen der Colonisationskampf längst aus- gelärmt hatte, dem ganzen Flußthale eine gewisse „importance,“ aber mit Ausnahme verhältnißmäßig neuer Zeit (1813) scheint man die Be- deutung desselben doch nie ernsthaft betont zu haben. Saarmund, dem wir uns jetzt zuwenden, unter den ge- nannten 4 Burgen vielleicht die verschollenste, genoß dafür den Vorzug eines poetischen Namens. Daß er an dieser Stelle überhaupt entstehen konnte, erwuchs aus einer Großthat, einem Opfer. Die Nuthe brachte es. Arm aber edel, und vielleicht das städtische Idyll vorahnend, das hier einstens aus dem Wie- sengrunde aufblühen werde, zweigte sie schon in ältesten Zeiten einen Wasserstreifen von sich ab und wohl wissend (vielleicht aus eigner schmerzlicher Erfahrung), was eines Namens Wohl- klang bedeutet, gab sie dem abgezweigten Arm den Namen Saare mit auf den Lebensweg. Und siehe da, die innere Stimme hatte nicht getrogen. Da, wo ins alte Nuthebett die kaum geborene Saare wieder einmündet, erwuchs Saarmund . Im Rücken der Stadt aber (um ein Ereigniß späterer Jahr- hunderte vorweg zu nehmen) an den Südhängen der Zauche- Hügel hin, entstanden Weinberge über Weinberge, so daß Deutschland damals, zu den Zeiten des großen Kurfürsten, des Vorzuges genoß, einen doppelten Saarwein zu produciren, den einen bei Trier, den andern bei Saarmund. Tempi passati. Einen sichreren Gewinn, auch für den unverwöhnten Geschmack jener Zeiten, bot wohl die Saare selbst, deren Krebse die alten Chronisten nicht müde werden zu rühmen, „insonderheit auch die großen Alande, die noch angenehmer sind als Zander.“ Um Saarmund und seine Saare schwebt es anheimelnd wie ein gefällig-romantischer Klang , aber die eigentliche Poe- sie dieser Gegenden, die eben höher steht als der bloße Kling- klang eines Namens, ist doch ächte alte Nuthen -Poesie. An diesen alten Nuthewiesen, gleichviel nun ob im Sommer der rothe Ampfer sie überblüht, oder ob im November die Krähen über den graubraunen Rasen ziehen, haftet der tiefere Zauber dieses Thals. Hier, in den Kolken am Flusse hin, war bis vor Kurzem noch die Otter zu Hause und der Fischadler that reichen Fang. Sagenhafte Gestalten, groß und hager, und an Jahren weit über das Gedächtniß der ältesten Leute hinaus- ragend, zogen mit ihrer Büchse über die tiefen Moore, wie Schatten schritten sie im Nebel, der Regenvogel pfiff in langen Pausen und das dumpfe Gurgeln der Rohrdommel klang vom Flusse her. So war das Nuthe-Thal, so ist es noch. Zwei, drei Brücken haben wir zu passiren. Von der ersten aus, deren hochgewölbte Balkenlage einen Blick nach rechts und links gestattet, schweift unser Auge das Thal hinauf und hin- unter. Tiefe Stille; nur Wiese und Wasser; kein Floß, kein Kahn; nichts als das weiße Gewölk, das langsam ziehend, dem langsamen Zuge des Wassers folgt. Nichts Lebendes, — und es kann nicht anders sein. Wenn es wahr ist, daß man große Städte auf Meilen hin, in beinah räthselvoller Weise vorausfühlt, so muß die Wirkung, die Saarmund in die Ferne hinein übt, eben die der Oede und Einsamkeit sein; denn man kann nur mittheilen, was man hat. Und nichts Stilleres als Saarmund. Ueber eine zweite Brücke hin rasselt unser Gefährt in die Stadt hinein: beschnittne Lin- den vor den Thüren; über die Hof- und Gartenzäune strecken Hollunderbäume die weißen Dolden; wenn dann und wann eine Hausthür sich öffnet und der eigenthümliche Klapperton einer schadhaften Klingel durch die Straße klingt, so erhorcht es die ganze Straße! Unser Wagen war ein Ereigniß. Einer stürzte halbrasirt ans Fenster; der rückwärts gewandte Gruß, den wir ihm zu- schickten, traf noch seine seifenschaumene Hälfte. Weiter. End- lich mündeten wir auf eine platzartig erweiterte, lindenumstellte Straße ein, die den Namen „Freiheit“ führt. Wir nahmen es als selbstverständlich hin. Warum sollte hier nicht Frei- heit sein? Der Eindruck des Stillen und Oeden, den die ganze Stadt macht, an dieser Stelle steigert er sich, denn hier war ’mal Leben, ein Leben, das nun abgestorben ist. Unter den Fenstern des ersten Stockes hin, ziehen sich lange Wirthshausschilder „Stadt Halle,“ „Stadt Leipzig,“ — sie lesen sich fast wie Epitaphien, Grabschriften über einer Zeit, die nicht mehr ist. Hier führte einst die große Straße von Sachsen vorüber, hier war ein Hauptzollamt, und Saarmund hatte damals eine Bedeutung, wie etwa Wittenberge heut, oder irgend sonst ein Platz, an dem jeder Koffer untersucht und die Sprache des deutschen Biedermannes in der Mauth- und Zoll- Nüance gesprochen wird. Das ist nun alles dahin. Die Fenster sind zu und zeigen Rouleaux, deren in der Schräge schwebende Landschaften (immer Alpen) auf ein völlig gestörtes Räderwerk deuten; die Krippen stehen leer; müde vom Warten haben sie sich an die Wand gelehnt. Die Hühner picken drum herum. Wo sie’s hernehmen, Gott weiß. Ein eignes Geschick ist um gewisse Punkte, wie um gewisse Menschen her. Sie sind anmuthig, alles scheint für sie zu sprechen und sie können es zu nichts bringen. So Saarmund. Einer der vielen Orte, die nicht leben, nicht sterben können; nur dazu da, im Herzen eines Vorüberfahrenden ein sentimen- tales Gefühl zu wecken. An einem der Prellsteine von „Stadt Leipzig,“ wo der Weg nach rechts hin abbiegt, stand ein mittelalterlicher Mann mit einem guten, zuverlässigen Gesicht. Seine Kappe hatte den Schnitt einer alten Landwehrmütze, sein Rock einen Stehkragen von dunkler Farbe. Eine Art Nachtwächterblau. Mir lagen immer noch die „Nutheburgen“ im Kopf; ich wollte die Suche nach ihnen nicht so ohne Weiteres aufgeben. Das ist dein Mann, dacht’ ich, und ließ halten. „Sind Sie von hier?“ „Ja.“ „Das ist schön. Da kennen Sie gewiß die Nutheburgen?“ Der Ausdruck seines Gesichts ließ keinen Zweifel darüber, daß dieser dunkel-romantische Klang zum ersten Male sein Ohr traf; in seiner Antwort stolperte er zwischen allerhand Locali- täts-Bezeichnungen wie Burgwall und Nuthebrücke hin und her, die auf alles Mögliche Rücksicht nahmen, nur nicht auf den Gegenstand meiner Sehnsucht. Ich sah bald, daß der älteren märkisch-wendischen Heimathskunde hier keine Quelle floß und war rasch entschlossen, durch eine Diversion jeder wei- teren Verwirrung vorzubeugen. „Ist sonst nichts da, das sich verlohnte?“ „Nichts als der Galgenberg ...., da haben Sie die beste Aussicht; das ganze Nuthethal, links Potsdam, rechts Trebbin; es soll auch ein Schatz …“ „Gut, gut.“ Ich gab dem Kutscher einen leisen Schlag auf die Schulter, grüßte und im nächsten Moment ging es weiter, vom Straßendamm hinunter, in den mahlenden Sand hinein. Es war kaum 10 Minuten Wegs. Da stieg der Berg mit dem ominösen Namen vor uns auf. Wir hielten. Es war Mittagsstunde und ein heißer Tag. Die Sonne glühte am Abhang, den wir hinauf mußten. Vor uns weidete eine Heerde magerer Schafe; sie hatte sich ihrer Magerkeit an die- ser Stelle nicht zu schämen; nur halbverbranntes, moosartig kurzes Gras zog sich über den Sand hin; nichts grünte als die Wolfsmilch. Endlich oben. Es lohnte sich schon. Wie um dem Missethäter das Schei- den doppelt schwer zu machen, stellte das Mittelalter seinen Dreibaum auf die höchsten und schönsten Punkte. Wieder stand eine Art Dreibaum dort oben, aber das Kind einer anderen Zeit; ein Vermessungsinstrument spreizte seine drei mageren Beine in der Sonne. Das helle Licht hinderte den Blick; nur mitunter kam eine leise Trübung und das Auge konnte nun das Bild umfassen. Zu Füßen Saarmund; rothe Dächer und rother Thurm; dahin- ter die Nuthe und ihre Wiesen; jenseits die stillen Dörfer des Teltow, diesseits die stilleren Berge der Zauche. Wer nach uns an diese Stelle tritt, der freue sich des Bildes und der ganz allgemeinen Vorstellung: das ist das Terrain; hier unten lagen die Nutheburgen ! Er nehme dies Bild und diese Vorstellung mit heim; aber er hüte sich (wir sprechen aus Erfahrung) auf weitere Forschungen und Entdeckungen ausziehen zu wollen. Die Nutheburgen necken ihn; sie sind die Fatamorgana dieser Wüste. Wenn er sie zu haben glaubt, so hört er den Mittagsgeist lachen, das Bild zerrinnt und — die Nutheburgen sind ferner denn zuvor. Fontane , Wanderungen. III. 24 Blankensee. Da sagte die Mark: Eh bien, wohlan, Ich kann dasselbe wie Canaan, Und will sich’s seiner Sarah berühmen, So hab’ ich meine Frau von Thümen . E ine halbe Stunde südlich von Saarmund, zwischen zwei Seen hindurch, fahren wir in einen schmalen, spitz auslaufen- den Landestheil ein, den wir am besten als den „Thümenschen Winkel“ bezeichnen. Dieser Thümensche Winkel, in Zeiten, die nicht allzufern zurückliegen, hatte eine gewisse politische Be- deutung, denn er war sächsisches Land, das sich an dieser Stelle weit ins Brandenburgische hineinschob, so weit, daß die Entfernung bis Potsdam nicht voll 2 Meilen betrug. Das war in den Tagen Friedrich Wilhelms I. , in den Tagen der Desertionen und Lärmkanonen, eine Sache von „Importance,“ und so unbequem der Thümensche Winkel für den König lag, so bequem lag er für den Flüchtling. Von dieser „Importance“ ist dem Thümenschen Winkel natürlich nichts geblieben und er muß sich mit dem begnügen, was er sonst noch aufzuweisen hat, meist Dinge, die viel weiter in unsere Geschichte zurückgehen, als die „großen Blauen“ von Potsdam. Die Residenz und der Mittelpunkt dieses Zipfels, der auch jetzt noch eine Art Zwischenland ist, aber nur ein Streifen zwischen zwei brandenburgischen Kreisen, ist Blankensee . Hier haben die Thümens ihr Herrenhaus, hier ihre Kirche, ihre Gruft. Auch an Sagen fehlt es nicht, in denen irgend ein alter Kreishauptmann, aber immer ein Thümen, seine spuk- hafte Rolle spielt. Wir werden noch davon zu erzählen haben. Es war Mittagsstunde, als wir vor dem Gasthause hielten. Der Wagen fuhr in den breiten Schatten einer Linde, während wir uns rüsteten und mit den Augen umher fragten. Unser Erstes war ein Gang durch das Dorf, das eine gewisse pitto- reske Bauanlage, Schlängellinien und schöne Baumgruppen vor manchem anderen voraus hat. Am schönsten gelegen ist das Herrenhaus. In Front ein Elsenbruch, an den Flügeln zwei breite Seespiegel, und zwischen Schloß und Park ein Wasserlauf, der diese beiden Seeflächen verbindet, — das ist in großen Zügen die Scenerie. Das Gesträuch des Parkes wuchs weit über das Wässerchen hin und schuf einen Lauben- gang, unter dem die Enten, alte und junge, auf und ab fuhren und sich’s wohl sein ließen. Es war inzwischen heiß geworden, die Schatten dieses Parkes luden zu einem Besuche ein, aber es war doch ein anderes, was uns an diese Stelle geführt hatte und, den locken- den Parkschatten aufgebend, suchten wir uns zunächst eines sagen- und landeskundigen Blankenseeers zu versichern, der wohl geeignet und geneigt sein möchte, die Dienste eines Führers bei uns zu übernehmen. Der Zufall wollte uns wohl. Am Rande des Dorfes umher tappend wurden wir alsbald eines Mannes ansichtig, der, in einem offenen Thorweg stehend, unseren unsicheren Bewe- gungen schon seit länger gefolgt zu sein schien; — als er uns auf sich zuschreiten sah, schritt er uns seinerseits entgegen und kam unserm Gruß zuvor. Es war ein großer, schöner Mann, von militärischer Haltung, und zugleich voll jener ruhigen Sicherheit, wie sie die bibelfesten Leute, besonders die Sektirer zu haben pflegen. Es entspann sich folgendes Gespräch. „Wir wollen auf den Kapellenberg . Können Sie uns den Weg zeigen?“ „Ich kenne ihn nicht,“ antwortete der Angeredete; „aber wie ich erst gestern gehört habe, — der Weg ist nicht zu fehlen.“ „So sind Sie nicht von Blankensee?“ 24* „Nein. Ich bin erst seit 8 Tagen hier.“ (Er zeigte auf das Gehöft). „In der Schäferei?“ „Ja.“ „Sie sind der Schafmeister?“ „Nein. Ich bin sein Knecht.“ Mein Begleiter und ich sahen einander an. Eine unwill- kürliche Pause trat ein. Der unumwundenen Erklärung „ich bin dieses oder jenes Mannes Knecht“ begegnet man in Städten niemals, auf dem Lande nicht allzuhäufig. Man sucht sich zu helfen, so gut es geht. „Ick bin bi Schulze Borchardten sine Pärd,“ so oder ähnlich wird das Wort umgangen. Was uns aber in diesem speciellen Fall ganz besonders frappirte, war das correcte Deutsch und der männliche und zugleich bescheidene Freimuth, in dem die Antwort gegeben wurde. Diese immer seltener werdende Demuth und Wahrheitsliebe (jeder will über sich hinaus), machte einen tiefen Eindruck auf uns und wir hatten eine Freude, als der Sprechende uns bat, uns begleiten zu dürfen. Er war, wie sich bald ergab, aus der Provinz Sachsen (die in Schulbildung und gutem Deutsch immer einen Schritt voraus hat), hatte in der Garde gedient und war dann sechs oder sieben Jahre lang der Diener in einem altlutherischen Hause, der Pfleger eines einzigen gichtbrüchigen Sohnes gewe- sen. So war denn vieles erklärt. Was ihn aus der großen Stadt in diese einfache Stellung geführt hatte, erfuhren wir nicht. Erst über ein breites Brachfeld hin, dann einen Waldweg hinauf, erreichten wir die Kuppe des Berges, um den es sich zunächst für uns handelte, und traten dann in die Trümmer des alten Baues ein, der diesem Berge den Namen gegeben hat. Zwei Wände sind eingestürzt, zwei stehen noch, so daß es auch für einen Laien ein Leichtes ist, sich den Bau wieder in aller Vollständigkeit vorzustellen. Es war eine gothische Kapelle, zehn Schritt im Quadrat, nach allen vier Seiten hin offen, genau nach Art jener Baldachine, denen man in alten Domen so oft über dem Altar begegnet. Ob die Kapelle eine Station oder ein Wallfahrtsort war, ob sie weit ins Land hinein sichtbar, zugleich auch ein Weg- weiser, ein Markpunkt sein sollte, darüber wird es unfruchtbar sein, sich in Hypothesen zu ergehen. Nur, daß es ein Bau war, der, verhältnißmäßig spät entstanden, in erster Reihe immer kirchlichen Zwecken diente, darüber kann kein Zweifel sein (die Consol-Nische, die einst das Muttergottesbild trug, ist noch wohl erhalten) und so hat es denn für Jeden, der jemals an dieser Stelle gestanden und mit Augen gesehen hat, etwas allerdings Verwunderliches, in guten Büchern folgender Versicherung zu begegnen: „Diese Ruine verräth durchaus nicht, daß das Gebäude jemals zu kirchlichen Zwecken gedient habe , wohl aber zu militärischen, als Burgwarte . Das Gemäuer zeugt von hohem Alterthum, und es ist nicht unmög- lich, daß es, wenn auch nicht aus der Slavenzeit, so doch gewiß aus der Zeit der deutschen Eroberung stammt. Es diente wohl als Zwischenstation für die Burgen Trebbin und Sarmund.“ So viele Zeilen, so viele Fehler. Solche Urtheile datiren noch aus einer Zeit her, wo die Kennt- niß über künstlerische, speciell über architektonische Dinge gleich Null war. Kugler, Schnaase, Lübke haben eine völlig „neue Aera“ geschaffen. Während jetzt jeder Laie aus Rund- oder Spitzbogen, aus Tonnen- oder Kreuzgewölbe, zahlreicher anderer Zeichen ganz zu geschweigen, den Styl und damit ohngefähr das Alter jeder Kirche bestimmen, beides von den Steinen ablesen kann, stand man noch vor 50 Jahren vor diesen Dingen wie vor einem Räthsel und unterschied das Alter zweier Gebäude oft rein nach dem Grade äußerlichen Verfalls , dabei zur Architektur eine ähnlich wissenschaftliche Stellung einnehmend, wie die Kinder zur Pflanzenkunde, wenn sie alle Blumen in blaue, rothe und gelbe theilen. Dies muß man immer gegenwärtig haben. In jenen Zeiten absoluter Unkenntniß sind durch im Uebrigen grundgescheidte Leute unglaubliche Urtheile zu Papier gebracht worden, die nun, ausgerüstet mit der Autorität eines Namens, von Buch zu Buch unsterblich weiter wandern. Der ganze Bau war nie etwas anderes, als eine rechtwinkelige Zusammenstellung von vier offenstehenden Portalen, genau das Gegentheil von Festung, Warte, Burg. Es ist ein Bau aus dem 14. Jahr- hundert, so daß etwa ein Rechenfehler von dreihundert Jahren zu verzeichnen bleibt. An diesen Kapellenberg knüpfen sich zahlreiche Sagen, die aber, wie verschieden auch in ihrer Einkleidung, sämmtlich auf das alte, namentlich in unserer Mark beliebte Thema hinaus- laufen, „daß daselbst ein Schatz vergraben sei.“ Und wie glaublich oder unglaublich es sich im Uebrigen mit diesem Spuk verhalten möge, so viel ist gewiß, daß der Schatz selber in den Köpfen aller Blankenseeer eine Rolle spielt. Noch in diesem Jahrhundert, so heißt es, kam ein Herr v. Thümen ventre à terre von Berlin geritten, ließ Bauern und Tagelöhner wecken, und zog in langer Colonne auf den Berg, um unter dem alten „Bocksdornstrauch,“ der die eine Kapellenecke mit seinem Ge- zweige füllt, bohren und graben zu lassen. Denn unter dem Bocksdornstrauch, aber brunnentief, liegt der Schatz. Aber der Schatz kam nicht und der tolle v. Thümen mußt’ es schließlich aufgeben, wie es 100 Jahre früher, noch in der sächsischen Zeit, sein Ahnherr, der alte Kreisdirector v. Thümen, auch hatte aufgeben müssen, „der doch schon ganz nahe daran gewe- sen war.“ Die Sage aber vom Kreisdirector, die noch von Mund zu Munde geht, ist die folgende: Es war wohl schon den dritten Tag und sie gruben immer noch. Da kamen sie endlich an eine eiserne Thür mit einem Schlüsselloch, und durch das Schlüsselloch konnten sie hineinkucken und haben eine Brau- pfanne gesehen bis über den Rand voll Geld, und auf dem Gelde der Böse, der darüber gewacht hat. Der alte Kreis- director hat aber doch nicht ablassen wollen und hat angefan- gen zu parlamentiren und an den Bösen zu schreiben. Vor- erst hat sich Keiner finden wollen, um die Briefe zu bestellen, zuletzt hat sich aber Einer richtig gefunden, der hieß Ebel, und alle Nacht hat er einen Brief vom alten Kreisdirector auf den Kapellenberg getragen. Immer wenn er an die rechte Stelle gekommen ist, um den Brief hinzulegen, hat schon ein Brief vom Bösen dagelegen und ein Münzgroschen dabei als Boten- lohn. So haben sie sich geschrieben hin und her, der Böse und der Herr Kreisdirector, und immer um die zwölfte Stunde war Ebel auf dem Kapellenberg. Und der Böse schrieb zuletzt: Der Herr Kreisdirector solle Alles haben, aber den Briefträger müsse er ihm geben und den Arm vom See, der die „Lancke“ heißt. Das aber hat der Kreisdirector nicht gewollt, weil es Ebeln sein Leben und auch noch andere Menschenleben gekostet hätt’. Denn wenn der Böse erst den See-Arm gehabt hätt’, so wäre Mancher mit’m Kahn verunglückt, oder im Winter auf’m Eis und hätte ertrinken müssen. Alle Jahr hätt’ wenig- stens Einer ’ran gemußt. So ist denn die Braupfanne voll Geld nicht gehoben worden und liegt heute noch. So die Sage. Wir kannten sie noch nicht, als wir oben waren, wir würden sonst den Bocksdornstrauch, den Schatzhüter über der Erde (den Vorposten, den der Schatzhüter da unten als Schildwacht ausgestellt hat) mit mehr Respect behandelt und minder rücksichtslos in seinem Gezweige umher gestampft haben. Neben dem Strauch, inmitten der Kapelle, war ein Ameisen- haufe und im Sonnenschein, der von oben hereinfiel, hasteten die Betriebsamen auf und nieder, in sprichwörtlichem Ameisen- fleiß. Es erschien uns wie ein Avis an alle müßigen Schatz- gräber, den Schatz da zu suchen, wo er liegt. Als wir noch plauderten und nach einem Aussichtspunkt suchten, zogen Kirchgänger über den Berg. Sie kamen von Blankensee und gingen nach Hause. Der Gottesdienst war also aus und wir schritten wieder dem Dorfe zu, um nunmehr in die Kirche einzutreten. Unser freundlicher Begleiter verabschie- dete sich am Kirchhofsthor, muthmaßlich um uns nicht länger zu behindern, vielleicht auch aus sektirerischem Geist. Das Innere des Gotteshauses schien im ersten Augenblick nichts zu bieten, das sich über den Durchschnitts-Inhalt alter Dorfkirchen erhoben hätte; bei näherer Betrachtung aber zeigte sich mancherlei von Interesse: ein Epitaphium, Grabsteine, Bil- der und Schildereien. Das Epitaphium galt einem alten „Kreis- hauptmann im sächsischen Kurkreise,“ Herrn Christian Wilhelm v. Thümen , dessen Portrait von zwei Engeln gehalten wird, während sich weiter unterwärts eine Schlange in den Schwanz beißt. Der Inschrift entnehmen wir nichts Anderes, als daß seine Ehe mit Sabine Hedwig v. Schlieben durch 18 Kinder gesegnet war. Wenn nun hier ein Segen vorlag, von dem wir übrigens nicht wissen, ob er selbst damals als ein solcher empfunden wurde, so knüpften beinahe alle anderen Denkmäler der Kirche (und zwar die besten) an eine andere v. Thümensche Ehe an, die in derselben Weise an die Tage Abraham’s, wie jene an die Jacob’s erinnerte. Wir werden gleich zeigen wie. Es war dies eine Ehe zwischen Kuno v. Thümen und Anna v. Schlabren- dorff. Von dieser letzteren finden wir Grabstein, Bildniß und Schildereien, die ihrem Begräbniß gewidmet sind. Der Stein steht hinter dem Altar, in eine der Ecken ein- gemauert und trägt folgende Inschrift: „Anno 1567, den 1. Januar, gegen Abend ist die edle und vieltugendsame Anna v. Schlabrendorff , Kuno v. Thümens eheliche Hausfrau, mit und in Kindesgeburt gottselig entschlafen. Derselben Gott gnädig sei.“ Ihr in Lebensgröße und in flachem Relief auf dem Stein ausgemeißeltes Bildniß, zeigt eine breite Binde um die Unterhälfte des Gesichts, was der ganzen Erscheinung auf den ersten Blick das Ansehen giebt, als trüge sie einen Ritter- helm mit herabgelassenem Visir. Ich sah dies, so viele Dorf- kirchen ich auch besucht habe, hier zum ersten Male. Der Geist- liche des Dorfs, der sich uns inzwischen zugesellt hatte, erklärte mir: Das weiße Tuch um den Mund sei nach alttestamentari- scher Weisung das gebotene Abzeichen der Sechswöchnerin. Er fügte hinzu, daß diese Sitte bis den heutigen Tag in seiner Gemeinde bestehe. So viel über den Grabstein. Aber erst einem Oelbilde von mittleren Dimensionen, das an der einen Längswand der Kirche seine Stelle gefunden hat, entnehmen wir, was es mit „Kuno v. Thümens ehelichem Gemahl“ auf sich hatte und warum ihr seinerseits durch Grabstein, Portrait-Bild und Erinnerungs- Tableau eine so besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Zu Füßen des Bildes heißt es: Hier liegt begraben ohne Qual Kuno v. Thümens ehlich Gemahl, Die tugendsame Frau Anna gut v. Schlabrendorff das edle Blut Welche gegeben war von Gott Dem Kuno v. Thümen bis an den Tod. Nun folgen Details, die wir insonderheit unseren Leserin- nen lieber vorenthalten und aus denen wir nur ersehen, daß Frau Anna, wie eine zweite Sarah, in ihrem 67. Jahre eines Töchterleins genas. Am ersten Jännertag es war, Sie zählte 67 Jahr Sei ihr gnädig Herr und Gott Und helf auch uns aus aller Noth. So wenig befriedigend diese Reime sein mögen, so treff- lich ist das Bild, unter dem sie stehen. Es ist gute Lucas Cranach’sche Schule. Nach Sitte der Zeit Sündenfall, Gesetz- gebung, eherne Schlange, Kreuzigung und Auferstehung dicht neben einander stellend, giebt es auf engem Raum den Haupt- inhalt der christlichen Heilslehre. Dies Bild, zum Gedächtniß Anna’s v. Schlabrendorff, ist wie das künstlerisch beste, so das interessanteste, was die Kirche bietet; keineswegs aber ist die Reihe ihrer Sehenswürdigkeiten und Erinnerungsstücke damit abgeschlossen. In einer Ecke, bei- nahe unmittelbar über dem weiter oben von uns beschriebenen Grabstein, hängen Schwert und Sporen Schwert und Sporen hingen früher dem herrschaftlichen Chore gegenüber , zu dem eine Treppe von außen hinaufführt. Diese beiden Zufälligkeiten waren genug, um folgende Sage entstehen zu lassen. „Da war mal ein Edelmann, der kümmerte sich nicht um Gott und Menschen. Er dachte, er sei Herr über Alles. In seinem Uebermuth ritt er in die Kirche, gleich die Treppe hinauf, die zu dem Chor führt. Hier aber bäumte das Pferd und überschlug sich, so daß eines längst heim- gegangenen v. Thümen, und in der Höhe des neuerbauten Thurmes befinden sich die im Thümenschen Winkel bei Alt und Jung bekannten „Glocken von Blankensee.“ Allerlei Sagen knüpfen an dieselben an. Es war um die vierte Stunde, als wir aus dem Kirch- hofsthor wieder in die Dorfgasse hinaustraten. Hier hatte sich inzwischen das Bild verändert; die Stille des Sonntag-Vor- mittags war hin, die Heiterkeit des Nachmittags hatte begonnen. Um die Dorf-Linde (ein Anblick, den ich lange nicht gehabt) drehte sich das junge Volk im Ringelreihen, und die Dirnen, wie immer tanzlustiger als das männliche Element, deckten jedes Deficit durch Anleihen bei sich selbst. Wir sahen dem fröh- lichen Treiben zu; hätt’ uns Jemand die Ehre angethan, wir hätten, auf jede Gefahr hin, es gewagt. Aber die Versuchung blieb aus. Unser Wagen mahlte durch den Sand; so oft wir uns umsahen, sahen wir noch die springende Bewegung und die rothen Tücher. Dann kam eine Biegung des Weges und das Bild war hin. Nur der Baßton der Posaune begleitete uns noch. Jetzt setzte er aus. Eine Weile noch horchten wir auf, ob er’s war oder nicht. Bis endlich Alles still. beide in das Schiff der Kirche stürzten und Hals und Beine brachen. Zum Zeichen deß und zugleich zur Warnung sind Degen, Schwert und Sporen dem Chore gegenüber aufgehängt worden.“ — So die Sage. Ich habe schon bei früheren Gelegenheiten ausgeführt, wie die „mythen- bildende Kraft“ des Volkes mit Vorliebe, oder vielleicht immer, an solche rein äußerlich gegebenen Dinge anknüpft, vorausgesetzt, daß diese Dinge zugleich unklar und räthselvoll genug sind, um die Phantasie in Bewe- gung zu setzen und die freieste und selbst willkürlichste Auslegung zuzu- lassen. Aber so willkürlich die Auslegung sein mag, sie schwebt nie in der Luft, sie haftet an etwas Gegebenem. Die ganze Gruppe von Sagen, um die es sich hier handelt, könnte man als poetische Mißver- ständnisse bezeichnen. Trebbin. Und ein Haus mit Giebelspitzen Hat uns gastlich aufgenommen, Läßt uns freundlich niedersitzen Auf der Bank, der blanken, alten, Die, mitsammt dem schmalen Tische, Dem Jahrhundert Stand gehalten Hier in dieser Fensternische. G. Hesekiel. T rebbin, trotz 14 Züge die kommen und 14 Züge die gehen, ist immer noch Trebbin, das heißt ein Stück Erde, auf dem nur leben kann, was darauf geboren ist. Die Zahl seiner Gasthäuser hat sich verdreifacht, aber der Ton, der über dem Ganzen liegt, ist unverändert derselbe geblieben, wie in den Ein-Gasthaus-Tagen der Vor-Eisenbahn-Epoche. Aus diesen Ein-Gasthaus-Tagen wird folgendes berichtet. Ein junger Jurist war nach Trebbin verschlagen worden, ein Berliner Kind, ein sogenannter Garde-Assessor. Was ihn hierher geführt, ob Schuld, ob Liebe, ist gleichgültig; wahr- scheinlich war es die lockende Nähe der Hauptstadt, die ihm zu- geredet hatte, es an dieser Stelle zu versuchen. Er hatte aber dafür zu büßen. Tag um Tag saß er an der „Table d’hôte“ des einen Gasthauses; die Verhältnisse gestatteten weder Wech- sel noch Wahl. So vergingen Monde endlos. Einst, an einem stillen Sommer-Sonntage (ach, sie waren alle still) setzte man sich wieder zu Tisch. Die Fenster standen offen, man hörte nichts als den Staarmatz, der in seinem Käfig auf- und absprang und das Zusammenschlagen der Bälle aus dem dritten Zimmer her, wo zwei Trebbiner Commis sich im Billard und — im Französischen übten. Es gab Kalbs- braten und Salat. Dem Assessor gegenüber saß die Hotelfrau, eine blasse Dame von 33, mit Korkzieherlocken, eine jener Schlankaufgeschossenen, die ihren unbefriedigten Empfindungen durch Schärfe der Stimme Ausdruck geben. An dem Assessor war bisher Alles gescheitert. Das war sein Unglück. Längst lauerte die Rache. Er schob heute eine Gartenschnecke, die sich, als er Salat genommen, durch Klappern auf dem Teller sofort bemerkbar gemacht hatte, leise-verlegen auf den Tellerrand und stellte, Vorahnung im Gemüthe, die Wasserkaraffe wie einen Schirm zwischen sich und die Wirthin. Aber was er vermeiden wollte, beschwor er nur herauf; die Schnecke, mit Hilfe eben dieser Wasserkaraffe, nahm für sein vis-à-vis wahre Riesen- Dimensionen an; sie sollte es (so flüsterte ihr der Verdacht zu), der Affront also unverkennbar. Alle 33 Locken, sie gingen mit der Jahreszahl, begannen zu zittern und über den Tisch hin klang es: „Herr Assessor, wenn es Ihnen bei mir nicht schmeckt, so muß ich Sie bitten, anderswo zu essen.“ Man muß in Trebbin gewesen sein, um den schneidenden Hohn, die ganze Tragweite dieses „anderswo“ zu begreifen. Der Vorgang selbst aber erschien mir immer als die Sig- natur der Stadt von damals; auch von heute noch, trotz Zug- Gerassel und Lokomotiven-Pfiff. Wir durchgingen die Straßen, überall dasselbe Bild der Oede; die Kirche so trist wie die Stadt, die Stadt so trist wie die Kirche. Hier und dort spreizte sich eine Toilette, das ein- zige, woran sich die Nähe der Hauptstadt erkennen ließ, aber dieser bunte Flitter ließ die Stadt nur um so farbloser, und die farblose Stadt wiederum den Flitter nur um so prahlerischer und schreiender erscheinen. Menschen, Häuser, Kirche, sie gaben nichts heraus; in dieser Noth griff ich zu einem letzten Mittel, — ich ging hinaus zu jenem stillen Garten vorm Thor, wo ich so oft schon stille Städte, Städte, „die nichts sagen wollten,“ unvergeßlich lieb- gewonnen hatte. Das Beste, was ein Ort hat, verbirgt er oft am tiefsten, und der flüchtig Reisende kann nicht erwarten, daß, im Momente seines Eintritts, sich ihm dies Beste auf offenem Platze erschließen soll. Aber eine Stelle hat auch der stillste, der verschwiegenste Ort, wo er zu dem Fremden sprechen muß , und wenn auch hier Alles schweigt, so darf man, mit einiger Gewißheit, auch von dem Tode der Lebendigen sprechen. Ich ging also hinaus. Links vom Thore dehnt sich der Friedhof, ein ummauertes Feld. Es war ein Begräbnißplatz vor 50 Jahren und länger; dann zog man aus und ließ die Stätte brach liegen, die Hügel verfallen; endlich, als Alles zu einem Grasplatz geworden war, zog ein neues Geschlecht hier wieder ein. So ist der Friedhof ein ganz alter und ein ganz neuer. Der Interims-Friedhof liegt an anderer Stelle. Nachmittags-Sonnenschein flimmerte um die Gräber; auf den frisch aufgeschütteten Hügeln lagen halbverwelkte Kränze; die Blumen, die vorherrschten, waren Schwertlilien; Akazien- duft von umherstehenden Bäumen ging drüber hin. Aber nüchtern lagen die Steine, deutungslos standen die Kreuze; Name an Name, Spruch an Spruch, nichts was zu Herzen ging oder die Phantasie bewegte. Todt die Gräber wie drinnen die Häuser. Ich wandte mich in die Stadt zurück. Wir wolltens unter den Menschen noch einmal versuchen. Aber wohin? Man wies mir einen Metzgerladen schräg gegenüber; „dort sei es am besten.“ Wohlan denn! Es war ohnehin die gesegnete Kaffeestunde. Wenn man gar nichts mehr anzufangen weiß, ist das Klappern mit der Tasse noch immer das Beste. Manche essen in solchen Stunden belegte Butter- brote; aber dies setzt Jugend oder eine starke Constitution voraus. Die Environs ließen zu wünschen übrig. Links hing ein Kalb, rechts ein Hammel, ein sehr entfernter Vetter jener Southdowns, an denen einst in „bygone days“ meine Seele hing. Zu beiden Seiten der Thür stand eine Bank; wir (mein Reisegefährte und ich) nahmen auf der Kalb-Seite Platz und bestellten also Kaffee. Er kam gut genug. Vor uns stand eine beschattende Linde; daneben der Besitzer von Haus und Hof. Ein gewisses Unterhaltungsbedürfniß machte sich fühlbar; die Initiative lag wie billig bei uns. Aber das war nicht so leicht. Ich konnte über die Frage nicht hinweg, ob ich ihn Wirth oder Meister anreden sollte. Es war mir damals noch ein Geheimniß, daß er auch „Major“ war; zu meinem Glück; entgegengesetzten Falls wäre ich über die Etiquettenfrage nie hinweg gekommen. Ich entschied mich endlich für Wirth. Eine schöne reine Luft Herr Wirth. Dies war nun eigentlich nicht wahr, denn der Hammel hing zu nah, um unsrerseis mit Unbefangenheit eine solche Ver- sicherung abgeben zu können. Der Angeredete aber, vielleicht, von Metier wegen, der einzige, der dieser Versicherung aufrich- tig Glauben schenken konnte, erwiederte freundlich: Eine schöne, reine Luft. Trebbin hat eine gute Luft. Dieser Lokalpatriotismus, was sich auch gegen den That- bestand sagen lassen mochte, that mir wohl und um so wohler, als ich in Betreff der „Nutheburgen“ (nach denen ich damals immer noch suchte) die Hoffnung an diesen Ausspruch knüpfte: „das ist Dein Mann.“ Was in Saarmund mißglückt war, hier möglicherweise konnte es gelingen. Ich fuhr also fort: Sie haben ja wohl eine alte Burg hier? Burg Trebbin; die vierte der Nutheburgen. Nicht daß ich wüßte. Das muß vor meiner Zeit gewe- sen sein. Gewiß. 700 Jahre. Kein Burgwall? kein unterirdischer Gang? Keine Stelle, die hohl klingt? Nicht daß ich wüßte. Außer der Schützengilde von 1577 .... Kein Denkmal? keine Mumie? Außer der Schützengilde, die seit 1577 .... Es wurde mir immer klarer, worauf er mit Beharrlich- keit, die jederzeit siegreich bleibt, hinaus wollte; ich ließ also den Strom seiner Rede fließen, horchte auf, lernte dies und das (die Büchsenschüsse aus dem nahen Schützenhause accom- pagnirten) und raffte mich erst, nach halbstündigem Martyrium, zu der Frage auf, ob er jemals von dem Maler Wilhelm Hensel , oder doch von dessen Vater, dem alten Pastor Hensel gehört habe. Ein Kopfschütteln war die Antwort und nur mit Mühe wurde festgestellt, daß der alte Pastor Hensel höchst wahrschein- lich vor seiner, des Wirths und Meisters Geburt verzogen sein müsse, eine Sache, über die ich nie den geringsten Zweifel unterhalten hatte. Das Vorfahren des Wagens und der Peitschenknips des Kutschers schnitten weitere Untersuchungen ab, wobei mir der Trost bleibt, schwerlich anderes als die chronologische Reihen- folge der Trebbiner Schützenkönige eingebüßt zu haben. Noch ein grüßendes Hutlüpfen unsererseits, noch eine leichte Hand- bewegung des „Majors,“ in der sich die angeborne militairische Natur mit den Allüren bürgerlicher Hantirung glücklich ver- schwisterte — und unser Jagdwagen klapperte über das Pfla- ster hin. Die Kirchhofsthür stand noch offen, die Schwertlilien blüh- ten noch. Ueber „Burg Trebbin“ bin ich auch nachträglich ohne Mittheilung geblieben, aber von Wilhelm Hensel will ich erzählen. Wenn zwei Loose vor uns legt ein Beschluß der Zeit, Schwer ist’s, wirklichem Ruf folgen und falschen fliehn!… Sieh, dich lockten indeß heimische Triebe bald Fernhin (wo in des Nords Winter ein edler Fürst Aussät ein Athen des Geistes) An die schthische, kalte Spree. Platen. Wilhelm Hensel wurde am 6. Juli 1794 zu Trebbin geboren, wo sein Vater an der dortigen Marien-Kirche Geist- licher war. Schon einige Monate später, nach erfolgter Voca- tien, übersiedelte der letztere nach Linum, in dessen Pfarrhause wir denn auch unsern Wilhelm Hensel während seiner Knaben- zeit zu suchen haben. Den Unterricht ertheilte der Vater selbst; 1809, gut vorbereitet, bezog der Sohn die Bergakademie. Seinem schon damals lebhaft geäußerten Wunsche, sich der Kunst widmen zu dürfen, hatte der Vater nicht nachgeben wollen. Das Talent war aber zu ausgesprochen, als daß die Lauf- bahn, der er seiner Natur nach angehörte, ihm hätte verschlos- sen bleiben können. Seine eigenen Vorgesetzten ermunterten ihn, in seiner Beschäftigung mit den Künsten auszuharren und als er bei einer bestimmten Gelegenheit ein Blatt in Wasser- farben ausführte, das innerhalb weniger Stunden eine ganze tropische Landschaft vor aller Augen entstehen ließ, drang der Direktor des Instituts in ihn, das Bergfach aufzugeben und Maler zu werden. Dies Blatt befindet sich noch in den zahlreichen Mappen, die Sebastian Hensel, aus dem reichen Nachlasse seines Vaters aufbewahrt. Wir kommen auf diesen Nachlaß am Schluß des Aufsatzes zurück. Was dies aquarellirte Blatt angeht, so ist es eine Felsenpartie; Palmen und Bautrümmer fassen ein Gewässer ein, in dem Mädchen baden. Es nimmt sich aus wie eine Farbenskizze zu einem großen Tapetenbilde. Als Arbeit eines in künstlerischen Dingen ohne alle Schule aufgewach- senen jungen Mannes, mußte dieselbe allerdings überraschen. Heutzu- tage, wo jeder zeichnen und seinen Baumschlag machen kann, würde man dergleichen ruhig hinnehmen. Den Widerstand des Vaters, der auch jetzt noch fort- dauerte, brach endlich der Tod. Pastor Hensel starb 1811; unser Wilhelm Hensel war nun Maler. Er studirte Anatomie und Perspektive, zeichnete nach der Antike und dem lebenden Modell und bewährte sich als so tüchtig, daß er schon 1812 die Kunstausstellung (die erste , die in Berlin überhaupt stattfand) beschicken konnte. Der Frühling 1813 unterbrach die kaum begonnene Lauf- bahn. Von Jugend auf voll patriotischen Eifers, folgte er dem „Aufruf“ und trat in das eben damals errichtete Garde- Kosaken-Regiment ein. Ein kleines Gouachebild, im Besitz der Familie, stellt ihn, blondlockig unter einem schwarzen Barett, in dieser phantastischen Uniform dar. Er machte in dem genann- ten Truppentheil, der sehr bald in Namen und Erscheinung sich borussificirte, die Schlachten bei Lützen und Bautzen mit, trat dann zu den freiwilligen Jägern über, nahm Theil an den Kämpfen des York’schen Corps und war unter denen, die zwei Mal in Paris einzogen. 1815 als Offizier. Hier war es, wo er in den Bildersälen des Louvre die Bekanntschaft des Grafen Blankensee machte und den Grund zu einem Freund- schaftsverhältniß legte, das bis zum Tode fortbestand. Nach dem Friedensschlusse kehrte unser W. Hensel zu sei- ner Kunst zurück, freilich auch zu seinen Bedrängnissen. Seit dem Tode des Vaters hatte er es als eine Ehrenpflicht empfun- den, für Mutter und Geschwister zu schaffen und zu sorgen; in diese Pflicht trat er jetzt wieder ein. Er malte Bildnisse, radirte Blätter, fertigte Zeichnungen für Almanache und Kalen- der, und sah sich durch Arbeiten dieser und ähnlicher Art in seinem Studium allerdings gehemmt, aber sein Fleiß, sein Vertrauen, sein gutes Herz halfen über alles hinweg. So ver- gingen Jahre, bis der Winter 1821 plötzlich Wandel schaffte. Um die genannte Zeit (Januar 1821) war das russische Thronfolgerpaar, der spätere Kaiser Nicolaus und seine Gemah- lin, zum Besuch am preußischen Hofe eingetroffen. Ein großes Fest sollte ihre Gegenwart feiern; man beschloß den Inhalt desselben dem eben damals erschienenen, von aller Welt bewun- derten Gedichte Thomas Moore’s: „Lallah Rukh“ zu entneh- men. Es war eine gute Wahl; der Gegenstand neu, die Situationen fesselnd, die Costüme voll orientalischer Pracht. Man schritt sofort zur Ausführung. Bei dem Interesse, das der Gegenstand damals erregte, mag es gestattet sein, bei dieser Lallah-Rukh-Feier rückblickend noch einmal zu verweilen. Was zunächst die Dichtung selber angeht, die bereits wieder vom Schauplatze abgetreten ist (jede Zeit hat ihre Lieblinge) so ist der Rahmen derselben der folgende. Fontane , Wanderungen. III. 25 Abdallah , König der kleinen Bucharei, kommt auf einer Pilgerreise, die er nach dem Grabe des Propheten unternimmt, auch nach Delhi in Indien. Hier nimmt ihn Aurengzeb , Beherrscher von Delhi, mit großer Gastfreundschaft auf. Die Vermählung ihrer ältesten Kinder: des bucharischen Prinzen Aliris und der indischen Prinzessin Lallah Rukh wird beschlos- sen, und soll demnächst in Kaschmir, wo Prinz Aliris zurück- geblieben ist, vollzogen werden. Lallah Rukh verläßt deshalb Delhi und begiebt sich mit großem Gefolge nach Kaschmir. Unterwegs wird sie durch die poetischen Erzählungen eines jun- gen Dichters Namens Feramors unterhalten, der sich unter den Personen befindet, die Prinz Aliris, von Kaschmir aus, zu ihrem Empfange entgegengesandt hat. Vier Erzählungen sind es nun, die ganz besonders die Theilnahme der Prinzessin wecken: „Der verschleierte Prophet von Khorasan;“ „Para- dies und Peri;“ die Geschichte „von den Ghebern“ und „Nurmahal und Dschehangir.“ Zuletzt fällt die Maske und Feramors erweist sich als Prinz Aliris selbst. So der Rahmen . Es ist bekannt, daß die vier poeti- schen Erzählungen, die wir eben nannten, den eigentlichen Inhalt der Dichtung bilden. Es wurde nun beschlossen die Aufführung dahin zu regeln, daß das Erscheinen Abdallahs am Hofe Aurengzebs durch einen großen, aus Bucharen und Indern bestehenden Festzug , der Inhalt der vier Erzählungen aber durch lebende Bilder , unter Vortrag eines angepaß- ten musikalischen Textes dargestellt werden solle. Und so ge- schah es. Unter den Klängen eines eigens für diese Feier kompo- nirten Marsches setzte sich der aus 168 Personen bestehende Festzug in Bewegung, durchschritt die bekannten Paradekammern des Schlosses, trat in den weißen Saal ein und nahm hier vor der errichteten Bühne Platz. Nun ging der Vorhang auf und in rascher Reihenfolge folgte Bild auf Bild, im Ganzen zwölf. Der Erfolg war der glänzendste, wie bei den Kräften, die mitgewirkt hatten, nicht anders zu erwarten stand. Die Dekorationen waren das Werk Schinkel’s , die Musikstücke waren von Spontini componirt; bei Feststellung der Costüme waren die großen Werke von Forbes und Elphinstone benutzt worden. Alles was Berlin an bekannten Persönlichkeiten, oder gar an glänzenden Namen aufzuweisen hatte, war geladen; 4000 Gäste nahmen am Feste Theil. Wir kehren nun zu unserem W. Hensel zurück. Ihm war die Aufgabe zugefallen, die lebenden Bilder zu stellen, und die Umsicht, die er dabei an den Tag legte, die Virtuo- sität vor Allem, mit der er die Hauptmomente, über die Dauer des Festes hinaus, in Aquarellbildern festzuhalten wußte, ver- schafften ihm so viel Huld und Wohlwollen, daß man, von jenem Lallah-Rukh-Feste an, einen Wendepunkt in seinem äußern Leben datiren muß. Der König (dadurch seinen Dank bethätigend) setzte ihn in den Stand, eine auf mehrere Jahre berechnete Reise nach Italien unternehmen zu können, was aber mehr, als alles Andere, entscheidend für ihn wurde, war, daß Fanny Mendelssohn im Kreise der Ihrigen der Aufführung des Festes beigewohnt und dadurch unserem Hensel Gelegenheit zu einer ersten Bekanntschaft mit dem Mendelssohn’schen Hause geboten hatte. Hensel, alsbald eingeführt und mit dem Bruder (Felix) befreundet, glaubte schon im Sommer 1822 um die Hand Fanny M.’s anhalten zu dürfen; die Familie indeß, mit Rücksicht auf die bereits feststehende Reise Hensel’s nach Italien, hielt es für besser, beide Theile vorläufig nicht zu binden, und vertagte die Entscheidung. Die Neigung des Paares überdauerte die Trennung; 1828 kehrte Hensel nach fünfjähriger Abwesen- heit zurück; das Jahr darauf vermählte er sich mit seiner von ihm gefeierten Fanny. Die nun folgenden 18 Jahre seiner Ehe, einschließlich der ihnen voraufgegangenen fünf Jahre in Rom, wie es die Tage seines Glückes waren, so auch die Tage seiner künstlerischen Production. Alles Vorhergehende war Vorbereitung, alles Fol- gende Nachklang, halb virtuoses, halb geselliges Spiel. Alle 25* seine größeren Arbeiten gehören der eben erwähnten Epoche seines Lebens an. Es sind die folgenden: Transfiguration. Copie nach Raphael. In Rom 1824—28 gemalt. Befindet sich im Raphaelsaal in Sanssouci. Christus und die Samariterin. Rom, 1827. Im Be- sitz des Königs; wahrscheinlich in Schloß Bellevue. Vittoria von Albano. Berlin, 1829—30. Die Genzaneserin. Berlin, 1829—30. Christus vor Pilatus. Berlin, 1832—38. Altarbild in der Berliner Garnisonkirche. Mirjam. Berlin, 1836. Im Besitz der Königin Victoria von England. Christus in der Wüste. Berlin, 1837—38. Im Besitz des Königs. Der Herzog von Braunschweig auf dem Balle in Brüssel (vor dem Treffen bei Quatrebras). Berlin. Im Besitze des Lord Egerton. Hirtin im Lande Gosen, Motiv einer Figur aus der Mirjam. Berlin, 1839. Im Besitze der Herzogin von Sutherland. Lebensgroßes Portrait des Prinzen von Wales. 1843. Zweimal gemalt. Das eine im Besitze des Königs, das andere im Besitze der Königin Victoria. König Wenzel. Berlin, 1844. Befindet sich im Kaiser- saale des Römer, Frankfurt a. M. Römische Frauen am Brnnnen . Rom, 1845. Für den Berliner Kunstverein gemalt. Betende Römerinnen. Rom, 1845. Im Besitze von Paul Mendelssohn-Bartholdy. Felix Mendelssohn. Berlin, 1845. Lebensgroßes Knie- stück. Im Besitze von Sebastian Hensel. Oefter copirt. Bivouac des Herzogs von Braunschweig auf seinem berühm- ten Zuge nach der Nordsee, vor dem von den Franzosen besetz- ten Braunschweig. Die Bürger huldigen ihm. — Kolossalbild, für den Thronsaal in Braunschweig bestimmt gewesen. Un- vollendet. Des Näheren auf diese Bilder einzugehen, müssen wir uns versagen. Nur wenige Worte. „Christus vor Pilatus“ pflegt als seine beste Arbeit angesehen zu werden, und wird in der That, in Styl und Composition, von keinem andern seiner Bilder übertroffen; wir dürften indessen kaum fehlgreifen, wenn wir, unter voller Würdigung jenes Aneignungstalentes , das er besaß (dies Wort im besten Sinne genommen), dennoch zugleich die Ansicht aussprechen, daß seine eigentliche Begabung nach einer andern Seite hin lag. In eine spätere Zeit gestellt, die, wenigstens in vielen ihrer besten Schöpfungen, idealisirend an das reale Leben herantrat, würde er ein geeigneteres Feld für seine Thätigkeit gefunden haben. Wir kommen in der Kürze auf diesen Punkt zurück. Den 14. Mai 1847 starb ihm die geliebte Frau, an der er, von dem ersten Tage ihrer Bekanntschaft an, in schwärme- rischer, immer wachsender Neigung gehangen hatte; hiermit war ein neuer Wendepunkt in seinem Leben gegeben. Er nahm nun Abschied von jenem heiteren Reiche der Kunst in das die Lallah- Rukh-Tage ihn eingeführt, worin die römischen Tage ihn befestigt, die dreißiger Jahre zu Ruhm und Ansehn erhoben hatten, er nahm Abschied von diesem heiteren Reiche, wobei nur einzufügen bleibt, daß dieses Scheiden ein durch die unmit- telbar voraufgehenden Jahre allmälig vorbereitetes Ereigniß war. Das Erscheinen von Peter v. Cornelius in Berlin, die gewal- tige Thätigkeit, die derselbe zu entfalten begann, die großartigen Entwürfe zum Campo Santo, die Carton um Carton eben damals entstanden, hatten ihn bereits um die Mitte der vier- ziger Jahre empfinden lassen, daß es vergeblich sei, auf ver- wandtem Gebiete neben diesem Riesen zu ringen. Ein andres Gebiet sich unterthan zu machen, dazu war es nun zu spät. Den Zeichenstift (wir kommen darauf zurück) behielt er in der Hand, die Palette that er bei Seite. Die bald eintretenden Vorgänge des Jahres 1848, erschüt- ternd wie sie für sein loyales, ganz an dem alten Preußen hängendes Herz waren, erleichterten ihm doch, eben in der Aufregung die sie schufen, den Uebergang aus einem Lebens- abschnitt in den andern, aus seinem künstlerischen Schaffen in ein künstlerisches far niente. Die Märztage sahen ihn in Waffen, der alte Jäger-Offizier lebte wieder auf, und als Kommandirender stand er an der Spitze des „Berliner Künst- ler-Corps.“ Keiner war dazu berufener als er, Royalist und alter Militair auf der einen Seite, kannte er doch andererseits auch die Künstlernatur genau genug, um mit diesem Faktor zu rechnen. So gelang es ihm, dem ganzen Corps, das sich aus disparaten und zum Theil auch wohl aus desperaten Elementen zusammen- setzte, einen preußisch-loyalen Charakter zu geben, und eine Truppe heran zu bilden, die wenigstens so zuverlässig war, wie es ein solches Freicorps, es heiße nun, wie es wolle, überhaupt zu sein vermag. Die politische Erregung Hensel’s überdauerte den Sommer 48, ja sie steigerte sich während des Reactionsfiebers das nun folgte, und dessen akutes Stadium erst vorüber war, als Hans v. Rochow’s Kugel den eigentlichen Plenipotentiaire jener Tage niedergestreckt hatte. Von da ab, wie für alle Welt, kehrten auch für Hensel ruhigere Tage zurück; er wie andere waren müde geworden, und an dieselbe Wand, an der die Büchse des freiwilligen Jägers und die Palette des Malers bereits hingen, hing er nun auch das Rüstzeug des Parteikämpfers; die politi- sche Brochüre, den Aufruf und das Wahlprogramm. Er war jetzt über 60 und die Zeit war da, wo man nicht mehr vor- wärts und kaum noch um sich, sondern nur noch rück- wärts blickt. Nur in einem blieb er ganz und gar der Alte: in seinen geselligen Beziehungen. Nicht mehr die Kämpfe der großen Stadt, kaum noch ihre Bestrebungen bewegten ihn, aber dem Leben und Geplauder der mannigfachsten ihm befreundeten Kreise blieb er mit Vorliebe zugewandt. Er war nun ganz das geworden, was man eine „Figur“ nennt; Jeder kannte ihn; Jeder wußte Dies und Das von ihm zu erzählen, Gut- thaten und Schwänke, Bonmots und Impromptus. Er war bis zu einem gewissen Grade „der alte Wrangel in Civil.“ Dies Gefühl der Zugehörigkeit zur Hauptstadt, in der er ein volles halbes Jahrhundert gelebt hatte, beherrschte ihn mit immer steigender Gewalt und nahm schließlich fast die Form einer Krankheit an. Der Aufenthalt bei den liebsten Personen, wenn diese nicht dem hauptstädtischen Verbande angehörten, begann nach wenig Tagen schon ihm peinlich zu werden, und durch all seine Heiterkeit hindurch, die er, wie immer ihm ums Herz sein mochte, im vertrauten Kreise zu bewahren wußte, zeigte sich eine Unruhe, die nichts Anderes war als Heimweh nach Berlin. Ein Gefühl, das Manchem ein Lächeln abnöthi- gen wird; aber es war so. Der Gedanke von einem Provin- zial-Arzt behandelt oder wohl gar auf einem ostpreußischem Dorfkirchhof begraben zu werden, hatte etwas Trostloses für ihn und sein alter, unerkünstelter Frohsinn kam ihm erst wieder, wenn er die beiden Gensd’armen-Thürme und die Schloßkuppel am Horizont auftauchen sah. So erschien der Spätherbst 1861. Hensel sollte ihn nicht überdauern. Schön, wie er gelebt, so starb er. Eine men- schenfreundliche Handlung wurde die mittelbare Ursache seines Todes. Ein Kind aufraffend, das in Gefahr war, von einem Omnibus überfahren zu werden, verletzte er sich selbst am Knie; von da ab lag er danieder. Am 26. November schloß sich sein Auge. Sein Tod weckte Trauer bei Vielen, Theil- nahme bei Allen. So viel über den Gang seines Lebens. Wir werfen noch, Manches dabei rekapitulirend, einen Blick auf seinen Charakter, seine Begabung, seine Arbeiten, nur bei dem Bemerkenswerthe- sten verweilend. Wilhelm Hensel gehörte ganz zu jener Gruppe märkischer Männer, an deren Spitze, als ausgeprägteste Type, der alte Schadow stand. Naturen, die man als doppellebig, als eine Verquickung von Derbheit und Schönheit, von Gamasche und Toga, von preußischem Militarismus und klassischem Idealis- mus ansehen kann. Die Seele griechisch, der Geist altenfritzig, der Charakter märkisch; — dem Charakter entsprach dann meist auch die äußere Erscheinung. Das Eigenthümliche dieser Schadow- Typen (sie sterben aus) war, daß sich die Züge und Gegensätze ihres Charakters nebeneinander in Gleichkraft erhielten, während beispielsweise bei Schinkel und Winkelmann das Grie- chische über das Märkische beinah vollständig siegte. Bei Hensel blieb alles in Balance, keines dieser heterogenen Elemente drückte oder beherrschte das andere, und die Neu-Uniformirung eines Garde-Regiments, oder ein Witzwort des Professor Gans interessirten ihn ebenso lebhaft wie der Ankauf eines Raphael. Seine Begabung, wir sprachen es schon aus, war eine eminent gesellschaftliche , auch auf Gebieten, die zunächst ohne allen Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Leben zu sein schienen. Er excellirte am Festtisch, war ein immer gern- gesehener Gast, heiter, gesprächig, jedem Scherze zugeneigt, dabei voll jenes feinen Ehrgefühls, das, indem es selber die Grenzlinie wahrt, die Linie des Schicklichen stillschweigend auch von anderen gewahrt zu wissen verlangt. So schrieb er, als er bei einer bestimmten Gelegenheit sich verletzt glaubte, folgende schöne Worte an Graf B.: „Gesellige Demüthigungen sind das verletzendste, was es giebt! Du weißt, daß ich Standes-Unterschiede ehre und liebe , ihnen auch gern die äußere Anerkennung zolle, allein der Höhere, der mich durch Annäherung ehrt, muß auch die Ueberzeugung fühlen, daß ich meine eigene unantastbare Ehre habe. Nur diesem festen Gang meiner Lebens, nie andringend aber auch nie schmiegsam zurückweichend, habe ich wohl das reiche Maß von Huld und Güte zu danken, welches mir bisher geworden ist. Und wie ich war, werde ich bleiben.“ Er war heiter und gesprächig, so sagten wir; die Anek- dote, der Toast, der Versebrief, das Gelegenheitsgedicht, — alles war ihm unterthan. Seine eigentlichste Meisterschaft aber, zugleich seine vollste Eigenart, zeigte er auf dem Gebiete des Impromptu . Hier feierte er seine größten Triumphe. Das geschickte Operiren mit einem Reim-Einfall, einem epigramma- tisch zugespitzten Calembourg, verstand er besser als einer. Er war kein Dichter, aber man hätte ihn „Wilhelm den Reimer“ nennen können. Eine Sammlung dieser „geflügelten Worte,“ wenn es möglich wäre, eine solche noch nachträglich zu veran- stalten, würde ein Witz- und Anekdotenbuch, zugleich eine Per- sonen- und Charakterschilderung aus dem zweiten Viertel dieses Jahrhunderts sein. Eine Auswahl zu treffen ist schwer. Von gesellschaftlicher Bedeutung, ja von gesellschaft- lichem Fundament war auch die Art wie er die Kunst übte, zumal wenn wir von der Epoche absehen, wo er noch unmittelbar unter dem Einfluß Italiens und der großen Meister stand. Was er in der Gesellschaft und für die Gesellschaft schuf, das wird unter allem, was er geschaffen, das Dauerndste bleiben, nicht weil es an künstlerischer Kraft sich über anderes erhöbe, sondern lediglich deshalb weil Situation und gesell- schaftlicher Charakter des Mannes eben diesen Arbeiten einen aparten Stempel aufdrückten. Die Arbeiten Hensel’s, die wir hierbei im Sinne haben, sind seine, während eines Zeitraums von 40 Jahren entstan- denen Portraits, die eine in ihrer Art berühmte Sammlung bilden. Wir gehen zum Schluß unserer Arbeit näher darauf ein. Diese Sammlung, in Händen seines Sohnes befindlich, besteht aus 47 Jahres-Mappen, die in einem alten Schildpat- oder Boule-Schranke aufbewahrt werden und die ganze obere Hälfte desselben füllen. Schon die bloßen Mappen-Deckel bil- den eine Sehenswürdigkeit. Bekanntlich gab es in früheren Jahrhunderten, weit über das hinaus was jetzt geleistet wird, auch eine Buchbinde- Kunst , und solcher untergegangenen Kunst- Epoche scheinen diese Mappen, von denen übrigens keine älter ist als 50 Jahr, anzugehören. Sie sind alle verschieden, in Farbe wie Stoff; Sammt, Seide, Maroquin wechseln ab; das Vergilbte und Verschossene kleidet ihnen gut; die Goldverzierun- gen sind schön erhalten; einzelne (die Lieblingsmappen) tragen auf dem oberen Deckel eine Gemme, ein Mosaikbild. Ein geschnittener Onyx, von der Größe einer Damenuhr, die Entführung der Europa darstellend, ist ebenso schön wie werthvoll. Diese 47 Mappen nun, die von 1815 bis 1861 reichen und je nach der Jahresausbeute dünn oder voluminös sind, enthalten nicht weniger als 1027 Portraitköpfe. Man darf sagen, alles oder doch fast alles, was in diesem langen Zeit- abschnitte in ganz Mittel-Europa zu Ruhm und Ansehn gelangte, das giebt sich hier ein Rendezvous. Wir werden unsern Lesern an andrem Orte Gelegenheit geben, selbst zu controliren. Einige Daten mögen schon hier eine Stelle finden. Gruppiren wir den Gesammtinhalt nach den Nationalitäten , so finden wir, außer ungezählten Deutschen, 52 Engländer, 43 Italiener, 31 Franzosen, 17 Russen und Polen; in Einzel-Exemplaren gesellen sich ihnen zu: Griechen, Fanarioten, Rumänier, Mon- tenegriner, selbst ein indischer Fürst und ein Mexikaner. Lassen wir die Scheidung nach Nationalitäten fallen und gruppiren statt dessen nach Beruf und Lebensstellung , so ergeben die Mappen, unter Ausschluß der Fürstlichkeiten, die das stärkste Contingent stellen, folgendes: Dichter, Gelehrte, Schriftsteller 89; Architekten, Maler, Bildhauer, Componisten 62; Generale und Staatsmänner 51; Schauspieler und Sänger 21. Wir geben an besagter Stelle alles dieses ausführlicher; können es uns aber schon hier nicht versagen, wenigstens aus der erstgenannten Gruppe (Dichter, Gelehrte, Schriftsteller) etwa die Hälfte der Namen zu citiren. Es sind: Bettina v. Ar- nim; Maxe, Armgard, Gisela v. Arnim; Boeckh; Clemens Brentano; Geh. Rath Bunsen; Michel Beer; Dr. Carl Blum; Prof Droysen; Ehrenberg; La Motte Fouqu é; Prof. Gans; Goethe; Jacob Grimm; Paul Heyse; Henriette Hertz; J. T. A. Hoffmann; Alexander v. Humboldt; Klingemann; Th. Körner; Adam Müller; Wilhelm Müller; Müllner; Frau v. Paalzow; Fürst Pückler; Leopold v. Ranke; Oskar v. Redwitz; Ernst Schulze (Dichter der bezauberten Rose); Steffens; Tieck; Tiedge; Varnhagen und die Rahel. Wer unser Berliner Leben seit 40 Jahren verfolgt hat, wird hier so ziemlich jeden Namen wiederfinden, der, auf schönwissenschaftlichem Gebiet, das Wort im besten und weitesten Sinne genommen, auf längere oder kürzere Zeit in den Vordergrund getreten ist. Man beachte nur ’mal: Fouqu é , Müllner, Hoffmann, Pückler, Frau von Paalzow, Redwitz, Paul Heyse. Dies mag genügen. Noch einige kurze Bemerkungen. Hensel hatte keine Feinde, aber er hatte, gerade was diese Por- traits anging, Zweifler. Diese haben durch Witzworte und Schelmereien (der alte Humboldt, hieß es, sei für den schönen Karlowa gehalten worden) die Bedeutung dieser Sammlung hin- wegspötteln wollen. Aber sehr mit Unrecht. Alle diese Portrait- köpfe sind nicht Phantasieschöpfungen, sie laufen nicht auf ein bequemes „corriger la nature“ hinaus, sie verrathen, abge- sehen von einer meisterhaften, unserem Hensel ganz eigenthüm- lichen Technik, vor Allem auch eine eminente Begabung, das Charakteristische zu treffen. Sonderbarerweise haben wir uns neuerdings daran gewöhnt, das Charakteristische immer nur im Häßlichen zu suchen, anstatt uns zuzugestehen, daß das Ueber- treiben nach der einen Seite hin, das Carrikiren und Trans- poniren en laid, doch mindestens ebenso verwerflich ist, als ein Zuviel en beau. Richtig geübt ist dies eben nichts anderes als der ideale Zug in der Kunst, der doch immer der siegreiche bleiben wird. Die neueste Kunst- und Weltepoche, die „lichtbildnerische,“ ist dem Ruhme der Henselschen 47 Mappen allerdings nicht allzu günstig geworden; die Sonne und die Glaslinse des Photo- graphen schlagen ihn aus dem Felde. Aber, wie immer dem sein möge, der größte Theil dieser Sammlung giebt doch Auf- schluß über eine vor - lichtbildliche Epoche und wird über kurz oder lang einen Werth repräsentiren, wie die Initialenbücher des Mittelalters, aus denen berühmte Städte und Persönlich- keiten allein noch zu uns sprechen. Die 47 Mappen Wilhelm Hensel’s werden dann ein Bibliothekenschatz sein, trotz einem, eine historische Quelle, und der Name des Predigersohns aus Trebbin wird zu neuen Ehren erblühen. Am 26. November 1861 (wir gaben dies Datum schon) war W. Hensel gestorben, am 30. trugen ihn seine Freunde hinaus. Auf dem alten Dreifaltigkeits-Kirchhofe (unmittelbar links vorm Halleschen Thore) war ihm an der Seite Fanny Mendelssohn’s, deren Andenken er fast einen Kultus gewidmet hatte, die letzte Ruhestätte bereitet worden. Sein Grab zu besuchen, zugleich auch über die Daten seiner Geburt und seines Todes volle Gewißheit zu erlangen, bog ich, in diesen letzten Maitagen, in den dunklen, kastanienüber- schatteten Gang ein, der bis an das Thor des alten Kirchhofs führt. Ist hier der Mendelssohn’sche Begräbnißplatz? „Gewiß,“ sagte ein 12jähriges, klug aussehendes Kind, setzte das Schwesterchen, das sie zu warten hatte, ins Gras und lief vor mir her, den Gang hinunter, sich dann und wann umsehend, ob ich auch folge. Es ging durch verschiedene Thüren und Thore, denn drei, vier Kirchhöfe wachsen hier so eng und dicht durcheinander wie die Finger gefalteter Hände. Ohne Führer und Spezialkarte ist hier nicht durchzukommen. Endlich hielten wir vor einer umgitterten Stelle von mäßi- ger Größe. „Hier das Mittelgrab ist das Grab von Felix Mendels- sohn-Bartholdy;“ sie gab ihm seinen vollen Namen. Daß ich Wilhelm Hensel’s wegen gekommen, dieser Gedanke lag ihr fern. Dann knixte sie und lief wieder im Zickzack bis zu der Stelle, wo ich sie gefunden. Die Mendelssohn’sche Begräbnißstätte bildet einen „Staat im Staat,“ einen Kirchhof auf dem Kirchhof. Es sind fünf Gräber, alle gleichmäßig von Epheu überwachsen. Darunter ruhen, neben andern Mitgliedern der Familie, Felix Men- delssohn, Fanny Mendelssohn, die Gattin Wilhelm Hensel’s, und endlich Wilhelm Hensel selbst. Dem Hause, dem er im Leben anhing, ist er auch im Tode treu geblieben. Alle Arten von Immergrün, Bäume mit Strauchwerk, fassen das Gitter ein: Epheu, Buchsbaum, Taxus, Lebens- baum und Edeltanne. Eine hohe Cypresse überragt das Ganze. Die Gräber tragen Marmorkreuze; nur zu Häupten Fanny Hensel’s steht ein zugeschrägter, schön polirter Granit, der, außer Namen und Datum, noch die Worte trägt: Gedanken gehn und Lieder Fort bis ins Himmelreich, Fort bis ins Himmelreich. Auch die Noten der Liedeskomposition sind in Goldschrift beigefügt, was einen sehr eigenthümlichen Eindruck macht. Worin kein Tadel liegen soll. Im Gegentheil. Ich seh nicht ein, weshalb nur Fahnen und Kanonen das Vorrecht genießen sollen, Denkmal- oder Grabstein-berechtigt zu sein. Je öfter und consequenter diese langweilige Tradition durchbrochen wird, desto besser. Wilhelm Hensel’s Grabschrift lautet: Professor, Hofmaler; geb. zu Linum d. 6. Juli 1794, gest. zu Berlin d. 26. No- vember 1861. Geboren zu Linum ! Da lag es also. Ich bat meinem Trebbiner Schützen-Major, mit dem ich dies Kapitel einleitete, im Geiste ab, über den großen Sohn seiner Stadt, der sich nun schließlich als ein Linumer Kind herausstellte, so schlecht unterrichtet gewesen zu sein. Aber auch diese reumüthige Stimmung hatte keine Dauer, durfte sie nicht haben. Er war doch ein Trebbiner. Eine sich entspinnende Zeitungs-Controverse ließ, nach Austausch einiger Für und Wider darüber keinen Zweifel… Der Grab- stein, in Geltendmachtung traditioneller Vorrechte, hatte sich geirrt. Also noch einmal: W. Hensel geb. zu Trebbin u. s. w.! Friedrichsfelde. 1. Und nahe hör’ ich, wie ein rauschend Wehr, Die Stadt, die völkerwimmelnde, ertosen. Braut von Messina. Gegrüßet seid mir, edle Herrn, Gegrüßt ihr, schöne Damen! Göthe. W en ein Sommer-Nachmittag statt in die Parkgänge des Thiergartens ausnahmsweise vor die Thore der östlichen Stadt- theile, beispielsweise nach Friedrichsfelde führt, dem werden sich daselbst in Landschaft und Genre die freundlichsten, manchem wohl auch die unerwartetsten Bilder bieten. Friedrichsfelde ist das Charlottenburg des Ostends. Alte Eichen und frischer Rasen, im Styl einer großen englischen Parkwiese, legen sich, wie schützend, um die eine Seite des Dorfes herum, und all- sonntäglich wandern die Residenzler hinaus, um sich unter den „Eichen von Friedrichsfelde“ zu divertiren. Es sind Vorstadt- Berliner, jener Schicht entsprossen, wo die Steifheit aufhört und der Cynismus noch nicht anfängt, ein leichtlebiges Völkchen, das Alles gelten läßt, nur nicht die Spielverderberei, ein wenig eitel, ein wenig kokett, ein wenig sich zur Schau tragend, aber heiter und harmlos. Wie das lacht und glücklich ist im Schweiße seines Angesichts! Jetzt „Bäumchen, Bäumchen verwechselt euch,“ jetzt Anschlag, jetzt Zeck, nun geht der Plumpsack um, nun schließt sich Alles zu einem Ringelreihen und singt vom Gänsedieb, bis schließlich unter den weitschattigen Bäumen des Parks, zu dem der gegenwärtige Besitzer Niemandem den Zutritt weigert, sich Alles lagert und auf umgestülpten Körben und Kobern das Mahl nimmt. Die Fahrt nach Friedrichsfelde, wenn man zu den „West- endern“ zählt, erfordert freilich einen Entschluß. Es ist eine Reise, und nicht eben die angenehmste. Durch diese ganze Steinmasse des alten und neuen Berlins sich muthig hindurch- zuschlagen, um dann schließlich in einem fuchsrothen Omnibus mit Hauderer-Traditionen die Fahrt zu Ende zu führen, ist nicht Jedem gegeben. Wer es aber an einem grauen Tage wagen will, wo die Sonne nicht sticht und der Staub nicht wirbelt, der wird seine Mühe reichlich belohnt finden. Er wird überrascht sein durch das reiche Stück Geschichte, das ihm an dieser Stelle entgegentritt. Wir erzählen davon. Friedrichsfelde bis 1698. Friedrichsfelde bis 1698, und noch einige Jahre darüber hinaus, war gar kein Friedrichsfelde; es führte bis dahin den poetischen, an Idyll und Schäferspiele mahnenden Namen Ro- senfelde . Und doch griff dieser Name in Zeiten zurück (erstes Vorkommen 1288), wo in der Mark an alles Andere eher gedacht wurde, als an Schäferspiele. Kaum Schäfer mocht’ es damals geben. 1319, im letzten Regierungsjahre des Markgrafen Walde- mar, wurden die Rathmannen von Berlin und Cölln die Herren des schon damals ansehnlichen Besitzes und beinahe drei Jahrhunderte lang trug es die alte Patrizierfamilie der Rykes von den Rathmannen zu Lehn. 1590, so scheint es, wurde das Gut zu großem Theile landesherrlich, bis es unter dem Großen Kurfürsten in den Besitz Joachim Ernst von Grumb- kow’s Joachim Ernst v. Grumbkow starb in der Nähe von Wesel (im Reisewagen) auf einer Reise des Hofes nach Cleve, am zweiten Weihnachtsfeiertage 1690. Der Hofpoet Besser sprach in seinem an die Wittwe gerichteten Trauergedicht „von dem zwar nicht seligen , aber doch sanften Tod“ des Hingeschiedenen. Grumbkow hatte nämlich am Abend vorher zu viel getrunken. Pöllnitz in seinen Memoiren sagt von und 1695 in den Besitz Raule’s kam. Benjamin Raule — ein Holländer von Geburt, General- director des Seewesens, dessen Name in „ Raule’s Hof,“ wo sich die Admiralität damals befand, bis auf den heutigen Tag fortlebt — verblieb nur wenige Jahre im Besitz von Rosenfelde. So kurz diese Zeit war, so reichte sie für ihn doch aus, um dem herrschaftlichen Gute im Wesentlichen die Aus- dehnung und Anlage zu geben, die dasselbe noch heute zeigt. Bis dahin hatte Rosenfelde ein Jagdschloß gehabt, wahrschein- lich aus der Joachimschen Zeit. Dies überließ Raule seinem Schicksale; er baute statt dessen ein Lusthaus, einen Sommer- Pavillon, an derselben Stelle, wo jetzt das Schloß steht, und ließ durch holländische Gartenkünstler den jetzigen Park In seinen Anfängen soll derselbe schon 15 Jahre früher vor- handen gewesen sein. — 1672, was hier eine Stelle finden mag, gab es nur elf Parks in der Mark Brandenburg, die nach Beispiel und Vorbild des großen Kurfürsten und vielleicht auch auf Wunsch desselben — ihm: „Er liebte die großen Unternehmungen und war kühn in ihrer Ausführung. Man würde seinen Charakter großartig haben nennen können, wenn ihm die Beförderung seiner Familie weniger am Herzen gelegen hätte, für die er große Schätze mit Leichtigkeit zusammenhäufte. Man fand ihn eines Tages todt in seinem Wagen, als er von einem Fest (in der Nähe von Wesel) zurückkehrte, wo der Wein nicht gespart worden war.“ — Wohin man seine Leiche schaffte, oder ob er in Wesel selbst beigesetzt wurde, habe ich nicht erfahren können. In dem inten- dirten Erbbegräbniß der Grumbkow’s zu Blankenfelde , anderthalb Meilen von Berlin, steht er nicht. In der Kirche letztgenannten Dorfes, die, wie eine lateinische Inschrift über der Kirchthür angiebt, von v. Grumbkow erbaut wurde, befindet sich auch ein großer Grabstein, der die Gruft überdeckt, die hier als „Erbbegräbniß“ gegraben und ausgemauert wurde. Die Inschrift dieses Grabsteines lautet: Erbbegräb- niß des Wohlgebornen H. H. Joachim Ernst’s v. Grumbkow , Sr. churfürstlichen Durchlaucht zu Brandenburg, höchst ansehnlichen, wirklichen Geheimen Etats- und Kriegs-Raths, Oberhof-Marschalls, General-Kriegscommissarii und Schloßhauptmann, Erbherr auf Grumb- kow, Runo, Cuno, Darlin, Nieder-Schönhausen, Blankenfelde und Charo.“ Hiermit schließt die Inschrift. Der freigelassene Raum zeigt, daß die Daten von Geburt und Tod hier angegeben werden sollten. Dies geschah aber nicht, weil der Bewohner ausblieb. wenigstens in seinen Grundzügen — anlegen. Raule war sehr reich. Er bewirthete verschiedentlich den Kurfürsten sammt seinem ganzen Hofe im Rosenfelder Lustschlosse, und der Poet v. Ca- nitz konnte damals singen: Der Churfürst und was fürstlich heißt, Haben jüngst beim Raule gespeist Mittags zu Rosenfelde. Aber Glück und Ehre waren von kurzer Dauer. Raule, wie so viele Personen aus der Regierungszeit Friedrichs III. , wurde der Unterschlagung bezichtigt und fiel in Ungnade, während sein ganzer Besitz confiscirt wurde. Rosenfelde war nun landesherrlich. Zwei Jahre später (1700) wechselte es den Namen und wurde Friedrichsfelde . Friedrichsfelde von 1700—1731. Markgraf Albrecht . Friedrichsfelde war nun also landesherrlich und blieb es bis zum 25. November 1717, unter welchem Datum König Friedrich Wilhelm I. seinem Stiefonkel, dem Markgrafen Albrecht von Schwedt das Schloßgut zum Geschenk machte. Markgraf Albrecht, der damalige Herrenmeister des Jo- hanniter-Ordens, scheint aber schon vorher unter Gutheißung des Königs seinen gelegentlichen Sommeraufenthalt daselbst genommen zu haben; denn die Ordensbücher sprechen von einem Capitel, das bereits am 10. September 1717 in Friedrichs- felde abgehalten wurde. angelegt waren. Es waren die folgenden: 1) der Sparr’sche zu Pren- den, 2) der Dohna’sche zu Schönhausen, 3) der Otto v. Schwerin’sche zu Alt-Landsberg, 4) der Löben’sche zu Schenkendorf, 5) der Raban v. Canstein’sche zu Lindenberg, 6) der B. v. Pöllnitz’sche zu Buch, 7) der Caspar v. Blumenthal’sche zu Stavenau, 8) der v. Götz’sche zu Rosenthal, 9) der v. Börstell’sche zu Hohen-Finow, 10) der Heydekamp’- sche zu Rüdow (Rudow?), 11) der Franz v. Meinders’sche zu Berlin, vor dem (damaligen) Stralauer Thore. Fontane , Wanderungen. III. 26 Der Markgraf ließ sich die Verschönerung seines Besitzes angelegen sein. Schon 1719 wurde durch Böhme ein neues Schloß an Stelle des alten aufgeführt, dessen Grundmauern, trotz vielfacher sonstiger Veränderungen, seitdem dieselben geblie- ben sind. Er legte auch die sogenannte „Prinzen-Allee“ an, die, von einer bestimmten Stelle der Friedrichsfelder Chaussee „Diese Prinzen-Allee“ ist nicht mit der großen gradlinigen Allee zu verwechseln, die als Hauptverkehrs-Straße von Berlin nach Friedrichs- felde führt. Diese letztere ist erheblich älter und soll als eine Pön, die dem Schlächtergewerk auferlegt wurde, von diesem gebaut und bepflanzt worden sein. Die Veranlassung ist nicht bekannt. Die Allee bestand ursprünglich aus sechs Reihen Lindenbäume. Bei Anlegung der Chaussee, vor etwa 60 Jahren, wurde der Mittelweg verbreitert , die betref- fenden zwei Reihen Linden fielen und wurden durch Pappeln ersetzt. abzweigend, auf einem näheren Wege unmittelbar vor das Schloß führt. Markgraf Albrecht scheint mit Vorliebe in Friedrichsfelde residirt zu haben; vielleicht war es auch sein einziger Besitz. Nur die Hoffeste und die Inspectionen riefen ihn ab. Die Kriegs-Epoche lag vor 1717. In diesen Kämpfen, nament- lich während des spanischen Erbfolgekrieges, hatte er sich aus- gezeichnet und dem Könige ein neues Infanterie-Regiment errichtet, das zu Ehren seines Chefs (er war damals schon Herrenmeister) auf den Fahnen, Trommeln und Borten der Spielleute das Johanniterkreuz trug. Ob das Regiment Mark- graf Albrecht diese Abzeichen beibehielt, als es später zu Sol- din und Königsberg i. d. Neum. garnisonirte, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Markgraf Albrecht starb am 21. Juni 1731 zu Friedrichs- felde. Er war seines edlen Charakters halber in der Haupt- stadt sehr geliebt, und so weckte sein Hinscheiden allgemeine Trauer. Sein Leichenbegängniß erfolgte ohne allen Pomp, da er nicht in den besten Vermögensumständen gelebt hatte und der König, sein Stiefneffe, sich weigerte die Kosten dazu herzugeben . In Beckmann’s Geschichte des Johanniter-Ordens (Frank- furt a. O., 1726) findet sich als Titelkupfer ein Bild des Markgrafen. Es macht einen guten Eindruck. Er sieht statt- lich, wohlwollend aus, aber nicht klug; ein des Geistigen ent- kleidetes Großes-Kurfürsten-Gesicht. (Der große Kurfürst war sein Vater.) Friedrichsfelde von 1731—62. Markgraf Karl . Markgraf Albrecht hinterließ drei Söhne, von denen der älteste, Markgraf Karl , succedirte. Er erbte Friedrichsfelde, erhielt das Regiment des Vaters (nunmehr Regiment Markgraf Karl) und wurde seitens des Johanniter-Ordens zum Herren- meister gewählt. Die beiden jüngeren Brüder fielen in den Kämpfen der schlesischen Kriege, der eine 1741 bei Mollwitz, der andere 1744 vor Prag. Markgraf Karl lebte viel in Friedrichsfelde und begann das 1719 durch Böhme aufgeführte Schloß, namentlich in sei- nem Innern, auszubauen und zu schmücken. Dies geschah 1735. Die Stuckarbeiten in den Zimmern des ersten Stocks datiren aus dieser Zeit; sie sind, besonders die Friese und Wandreliefs, von bemerkenswerther Schönheit und zeigen, wie glänzend die Schule war, die Schlüter herangebildet hatte. Auch mit Bildern schmückten sich die Räume des Schlosses und began- nen mehr und mehr zu einer Collection zu werden. Diese führte den Namen: Gallerie des Markgrafen Karl. Er sammelte mit Neigung und Verständniß, aber eben so sehr aus gutem Her- zen. Daher war nicht Alles ersten Ranges, aber das Gute überwog. Einen Theil seiner Bilder mochte er nicht in Friedrichs- felde, sondern im Johanniter-Ordenspalais haben, das, in den letzten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms I. , nur diesem zu Liebe und gewiß ganz gegen die Wünsche des Ordens, am Wilhelmsplatze errichtet worden war. Es war ein völliger 26* Zwangsbau . Der General-Major v. Truchseß hatte eben damals die Aufführung eines ansehnlichen Hauses begonnen, an dessen Vollendung ihn der Tod hinderte. Die Erben scheu- ten den Weiterbau. Da schlug sich der König, der die Fried- richsstadt mit schönen Häusern verziert haben wollte, ohne Wei- teres ins Mittel und befahl dem Herrenmeister, Markgraf Karl, die Vollendung des Baus aus Ordensmitteln zu übernehmen. Dies geschah. König Friedrich Wilhelm I. war nicht gewohnt auf Widerspruch zu stoßen. In diesem Palais, das Markgraf Karl zeitweilig bewohnte, befand sich, wie schon angedeutet, wohl ein Theil seiner Gal- lerie, vielleicht sogar der größere Theil. Nach seinem Tode wurde die Sammlung versteigert und die Bilder zerstreuten sich überall hin. Einige, die sich auf den alten Zieten beziehen, sah ich in Wustrau. Im Friedrichsfelder Schloß befinden sich noch jetzt einige Rudera der Collection, die beim Verkauf ledig- lich aus Indifferenz oder Bequemlichkeit zurückgelassen wurden. Vielleicht kaufte sie auch der Prinz Ferdinand , der nach dem Markgrafen Karl in Friedrichsfelde einzog. Es sind: 2 alte Köpfe, höchst vorzüglich, im Styl von Gerard Dow; außerdem ein anderer Niederländer: Christus als Knabe predigt im Tempel. Markgraf Karl starb am 22. Juni 1762 zu Breslau. Er war, wie sein Vater Markgraf Albrecht, um seiner Her- zensgüte, wie um der Pflege willen, die er der heimischen Kunst bezeigt hatte, eine in Berlin sehr beliebte Persönlichkeit gewesen. Für viele war sein Hinscheiden ein herber Verlust. Er hinterließ keine männliche Descendenz. Friedrichsfelde fiel an seine Tochter, die Herzogin von Anhalt-Bernburg , deren Bevollmächtigter schon im Novem- ber desselben Jahres Schloß, Park und Pertinenzien an den Prinzen Ferdinand von Preußen verkaufte. Friedrichsfelde von 1762—85. Prinz Ferdinand . Prinz Ferdinand, der jüngste Bruder des großen Königs, hatte von 1744 an in Ruppin residirt, wo das Regiment, das seinen Namen führte, in Garnison lag; von 1756—63 war er mit den andern Prinzen im Kriegslager gewesen. Der Hubertsburger Friede und der Erwerb von Friedrichsfelde fielen fast zusammen und mit einer Art von Ausschließlichkeit gehörte der Prinz von 1763—85 diesem anmuthigen Sommerschlosse an, das nun schon zweien Herrenmeistern des Johanniter- Ordens als Residenz gedient hatte. Er war der dritte. Von 1785 an, was gleich hier bemerkt sein möge, wurde Schloß Bellevue , im Berliner Thiergarten, der Aufenthalt des Prin- zen, bis von 1802 ab (nach dem Tode des Prinzen Hein- rich) Rheinsberg an die Stelle von Bellevue trat. Wir haben also, von dem 7jährigen Kriegsinterregnum abgesehen, vier Epochen im Leben des Prinzen Ferdinand zu unterscheiden, Ruppin, Friedrichsfelde, Bellevue, Rheinsberg, von denen die Friedrichsfelder Epoche die wichtigste und die längste ist. Sie umfaßt 22 Jahre und zeigt, nach dem beschei- denen Maße von Originalität, das speciell diesem Prinzen zu Theil geworden war, wenigstens Farbe und Gepräge, wenn auch nicht Selbstständigkeit. Gerade hieran gebrach es. Man darf sagen, daß er in allem seinen Bruder Heinrich copirte; der Friedrichsfelder Hof war Seitenstück und Nachahmung des Rheinsberger. Zu- nächst wurde die Hofhaltung im weitesten Sinne ganz nach dem dortigen Muster eingerichtet. Cavalierhäuser, Stall- und Wachtgebäude, Tempel und Grotten wurden aufgeführt, alles wie in Rheinsberg. Wie Prinz Heinrich einige 40 Kammer- husaren hielt, die die Garnison von Rheinsberg bildeten und den Wachtdienst im Schlosse hatten, so hatte Prinz Ferdinand eine Art Invaliden-Colonie in Friedrichsfelde, die ihren Zuzug aus seinem Ruppiner Regiment erhielt. Diese alten Soldaten bestellten nun ihr Stück Garten- und Ackerland; einige aber mußten täglich auf Wache ziehen und den Dienst versehn. Kam dann mal ein hoher Besuch, Prinz Heinrich oder gar der König selbst, so mußten sie alle heran, um die militärischen Verhält- nisse von Friedrichsfelde in möglichst günstigem Lichte erscheinen zu lassen. Das Wachtlocal ist noch da, und erinnert mit sei- nen Holzsäulchen, die das obere Stockwerk tragen, zumeist an die Wachthäuser am Halleschen Thor, die, beiläufig, nun auch ihren Dienst eingestellt haben. Natürlich war auch das Friedrichsfelder Leben dem Rheinsberger verwandt, nur blasser, insipider. Wir müssen hinzusetzen, zu seinem Glück. Es hatte auch seine „Chronique,“ seine Flüsterungen, seine Geheimnisse, aber es fehlte doch das Parfum, das in dem stillen, abgelegenen Schloß am Grineritz- See alle Dinge durchdrang. In Friedrichsfelde gab es Frauen , das sagt Alles; ihre Gegenwart bedingt nicht immer Tugend, aber sie bedingt wenigstens Natur . Und davon hatte der Friedrichsfelder Hof sein volles Maaß. Die durchlauchtige Dame, die ihm vorstand, war eine Prinzessin von Schwedt, gehörte also einem Frauenkreise an, von dem man sagen kann, daß er der Natur noch um einen Schritt näher stand, als die Frauen im Allgemeinen. Es ist eine Freude, in alten Gallerieen, bei- spielsweise in Schwedt selbst, ihren Bildern und Büsten zu begegnen; welche Fülle von Leben, welche Gesundheit in Formen und Farben! Ihre Ehen waren nicht immer normal, nicht immer das, was Ehen sein sollen; aber es waren gute Frauen, und — die Männer waren glücklich. Ueberraschend zu sagen, die Hauptfeste in Friedrichsfelde waren Taufen ! Namentlich um jene Zeit herum, wo die gesammte hohenzollernsche Descendenz auf zwei Augen stand. Das war um 1770. Am 11. November 1771 wurde ein Prinz geboren; bei der damaligen Sachlage ein „Ereigniß.“ Der Prinz erhielt die Namen Friedrich Christian Heinrich Ludwig. Der König, die Königin, Prinz Heinrich, wohnten der Tauffeierlichkeit bei; von auswärtigen Mitgliedern der Fa- milie war die verwittwete Königin von Schweden, Louise Ul- rike, geladen. Im Kirchenbuche finden sich von der Hand des Pastors Damerow, der die Taufe vollzog, folgende Bemer- kungen eingetragen: „Diese glückliche Entbindung war um so viel freudiger, weil der theuerste Vater seit einigen Wochen an einer sehr gefähr- lichen Krankheit darnieder lag, so daß man verschiedene Tage sein Ableben befürchtete; Umstände, welche bei der nahen Ent- bindung die geliebte Gemahlin äußerst geängstigt und elend gemacht hatten, so daß man wegen ihres Lebens besorget war. … Es war auch, bei der äußersten Gefahr des Prin- zen, von Seiner Fürstlichen Gemahlin, und zwar vor Ihrer Entbindung, dem Prediger aufgetragen worden, eine Betstunde in dero Zimmer zu halten, welches dann in aller Stille, in Gegenwart der Prinzessin, der Prinzessin Philippine und zween Dames geschahe. Es war rührend, dabei so viel An- dacht und Wehmuth an so hohen Personen wahrzunehmen.“ Ueber die anderweiten Aufzeichnungen des Kirchenbuches gehen wir schneller hinfort, trotzdem sie an zwei Namen anknüpfen, die es in der Geschichte unseres Vaterlandes, in Glück und Unglück, zu hohem Ansehen gebracht haben. Am 18. November 1772 wurde Prinz Louis Ferdinand , der „Saalfelder,“ am 19. September 1779 Prinz August , der Reorganisator der preußischen Artillerie, geboren. Sechs Jahre später verließ der Ferdinandsche Hof Fried- richsfelde. Es scheint nicht, daß er in der Einrichtung des Schlosses Erhebliches zu ändern vorfand. Am 21. Juni 1785 wurden Schloß und Park an den Herzog von Kurland verkauft. Friedrichsfelde von 1785—99. Herzogin Dorothea von Kurland . Am 21. Juni 1785 wurden Schloß und Park von Friedrichsfelde für den Herzog von Kurland gekauft; er selbst befand sich um diese Zeit noch in Italien, wohin er das Jahr zuvor eine Reise angetreten hatte. Im Herbst 1785 traf er in Begleitung seiner Gemahlin, der vielgefeierten Herzogin Dorothea , geb. Reichsgräfin von Medem, wieder in Berlin ein und bezog auch Friedrichsfelde . Dieser erste Aufenthalt war höchst wahrscheinlich nur ein gelegentlicher, oft unterbrochener (auch in der Stadt hatte man eine Wohnung) und umfaßte im Ganzen einen Zeitraum von etwa 6 Monaten. Daran reihte sich 1786 ein zweiter, 1791 und 93 ein dritter und vierter Aufenthalt, von denen nur der letz- tere eine längere Zeit, etwa ein Jahr, umfaßte. Die anderen Anwesenheiten waren bloße Besuche und zählten nur nach Wochen. Wir betonen dies, weil man mannichfach der Ansicht begegnet, Friedrichsfelde sei während seiner „kurländischen Epoche“ abermals zu einer Stätte der Kunst, zu einem Sam- melplatz schöngeistigen Lebens geworden, etwa wie zur Zeit des Markgrafen Karl. Um das zu werden, dazu fehlte es 1785, 86 und 91 an Zeit , 1793 bis 94 an Stimmung . Ein Blick in die Briefe und Tagebücher, die aus jener Zeit her erhalten sind, zeigt außerdem genugsam, daß es sich all diese Zeit über um high life und politisch-diplomatische Actio- nen, viel weniger aber um Kunst und Wissenschaft handelte. Nicht, als ob der Sinn dafür gefehlt hätte. Im Gegentheil. Aber die Zeiten waren nicht dazu angethan, sich einer muße- vollen Kunstbetrachtung hinzugeben; man entfloh dem heimischen Wirrsal, aber dies Wirrsal drängte nach und gestattete keinen unbedingt heiteren Genuß. Ueberall hin warf es seine Schat- ten. Einige Citate aus dem Tiedge’schen Buche: „Doro- thea, letzte Herzogin von Kurland,“ dem selbst wieder jene vor- erwähnten Briefe und Tagebücher zu Grunde liegen, werden am besten die Beweisführung übernehmen. Wir lassen die betreffenden Angaben des Buches in chronologischer Ordnung folgen. 1785. Es waren des großen Friedrich letzte Tage. Die sanfte fürstliche Frau hatte den Beifall des Königs gewonnen; er sandte ihr wiederholentlich niedliche Körbchen mit den fein- sten und seltensten Früchten gefüllt, mit den erlesensten Blumen geschmückt und jedesmal von einigen freundlichen Zeilen beglei- tet. Bei Gelegenheit der ersten dieser Sendungen beklagt er sich, daß seine Krankheit ihn des Vergnügens beraube, sie selbst zu bewirthen; er müsse es seinem Neffen überlassen, ihren und ihres Gemahls Aufenthalt in Potsdam und Berlin so ange- nehm als möglich zu machen … Im Herbst fanden Truppen- versammlungen statt, Paraden und kriegerische Uebungen zu Ehren des Fürstenpaares … Auch von den übrigen Höfen der königlichen Familie (Prinz Heinrich, Prinz Ferdinand) wurde dem Herzog und seiner Gemahlin ein Empfang zu Theil, der sich zu einer herzlichen Verbindung entwickelte. Mit der Prinzessin Luise, der Tochter des Prinzen Ferdinand, knüpfte die Herzogin eine Freundschaft an, die sich in einem ununter- brochenen Briefwechsel durch das ganze Leben fortsetzte. 1786. Im Herbste, nach beinah halbjähriger Abwesenheit, trafen der Herzog und seine Gemahlin wieder in Friedrichsfelde ein. Der große König war inzwischen gestorben. Friedrich Wil- helm II. erwies dem herzoglichen Paare eine besondere Aus- zeichnung, so daß allgemein die Sage ging, es seien bereits Verabredungen für die künftige Vermählung der Töchter des Herzogs mit den Prinzen des königlichen Hauses getroffen. Diese Tage waren kurz, schon im December trat die Herzogin ihre Rückreise nach Kurland an. 1791. Während ihres Aufenhaltes in Warschau (wohin sie sich im April begeben hatte) erhielt sie von der preußischen Prinzessin Friederike eine schmeichelhafte Einladung zur Ver- mählung dieser Prinzessin mit dem Herzog von York, wie auch zu der ihrer Schwester mit dem ältesten Prinzen des Erbstatt- halters in Holland, welche beide Vermählungen im September gleichzeitig in Berlin vollzogen werden sollten. Sie nahm die Einladung an … Der Empfang von Seiten der könig- lichen Familie war ein auszeichnender … Bei der Anordnung der Vermählungsfeierlichkeiten befahl der König, daß der Her- zogin ihr Platz an der Tafel der königlichen Familie ange- wiesen werden solle. Der Oberkammerherr remonstrirte; die Hausgesetze würden es nicht zulassen, die Herzogin von Kur- land bei einer so feierlichen Gelegenheit an die königliche Fami- lientafel zu ziehen und an dem Fackeltanz Theil nehmen zu lassen. Friedrich Wilhelm antwortete: „Lassen wir es bei der ersten Anordnung; ich hoffe es beim Könige und bei den Hausgesetzen verantworten zu können.“ … Bei Gelegen- heit dieser Feierlichkeiten gab auch die Erbstatthalterin ihrem lebhaften Wunsche Ausdruck, ihren zweiten Prinzen mit der ältesten Tochter der Herzogin, der Prinzessin Wilhelmine, die damals 10 Jahre alt war, dereinst vermählt zu sehen. Der König unterstützte diesen Wunsch und bot sogar seine Ver- wendung an, um, wenn der Herzog ohne männliche Nachkom- men sterben sollte, die Erbfolge in Kurland und Semgallen für den künftigen Gemahl der Prinzessin zu vermitteln … Dieser Plan wurde geraume Zeit hindurch festgehalten … Vierzehn Tage nach Vollziehung der vorerwähnten Vermählungsfeierlich- keiten verließ die Herzogin Berlin (es ist fraglich, ob sie wäh- rend dieser Besuchs tage überhaupt in Friedrichsfelde war) und kehrte über Warschau nach Kurland zurück. 1793. Im April dieses Jahres trat die Herzogin ihre Reise nach Berlin an; die Dinge in Kurland hatten bereits einen solchen Charakter angenommen, daß es gut war, einen Zufluchtsort zu haben. … In stiller Zurückgezogenheit lebte sie in Friedrichsfelde , wo sie den 21. August 1793 ihren Gemahl mit einer Tochter beschenkte, die den Namen Dorothea erhielt. . . In Kurland rückte inzwischen das Ende der herzoglichen Herrschaft immer näher. Die Herzogin verblieb in Berlin und Friedrichsfelde bis in das nächste Jahr hinein; dann ging sie nach Leipzig (wo sie sich noch stiller einrichete als in Berlin) und 1795 nach Sagan, wo sie mit ihrem Gemahl zusammentraf… Kurland war inzwischen eine russische Provinz geworden; der Herzog hatte resignirt. So etwa die Aufzeichnungen, die wir, wie vorerwähnt, zu größerem Theil dem Tiedgeschen Buche (Dorothea, letzte Herzogin von Kurland), zu kleinerem Theile dem Werke Cruses „Kurland unter den Herzögen“ entnommen haben. Nirgends ist davon die Rede, daß in Friedrichsfelde ein beson- deres Kunstleben sich aufgethan hätte, ein Schweigen, das um so bemerkenswerther ist, als der alte Tiedge gerade diese Seite in dem Leben der Herzogin besonders hervorhebt und jedesmal genau verzeichnet, wenn in Königsberg mit Kant, Hamann, Hippel, in Neapel mit Hackert, in Herrenhuth mit dem alten Spangenberg ꝛc. ein lebhafterer Verkehr angeknüpft wurde. Man darf füglich daraus den Schluß ziehen, daß das Friedrichsfelder Leben, während seiner kurländischen Zeit, wenig Hervorragendes auf dem Gebiete von Kunst und Wissenschaft geboten haben muß und daß es sich, wie wir Eingangs bereits sagten, bei den verschiedenen Anwesenheiten in Berlin-Fried- richsfelde, immer nur um Prinzen und Prinzessinnen, um „Gesellschaft“ und Politik, um Güterkäufe und Eheschließungen handelte. Gewiß ging ein gelegentlicher Verkehr mit den Grö- ßen jener Zeit (Nicolai, Ramler, Engel, Mendelssohn werden eigens genannt) nebenher, aber doch eben nur nebenher . Unter diesen Besuchern werden natürlich auch Maler gewesen sein und das eine oder andere Bild (ganz abgesehen von den Kunst- schätzen, die man aus Italien mitgebracht hatte) wird damals seine Stätte in Friedrichsfelde gefunden haben. Eins, aus jener Zeit her, ist dem Schlosse verblieben, ein Aquarellbild „Vue de Friedrichsfelde“ mit den Widmungsworten: Dedié à Son Altesse Serenissime Madame la Duchesse de Curlande et de Semigalles. Das Bild ist aus dem Jahre 1787 (Schwarz fecit ) und zeigt das Schloß in seiner damaligen, von der gegenwärtigen nur wenig verschiedenen Gestalt. Geistig hoch beanlagt, konnte namentlich die Herzogin auf einen Umgang, der ihrer ästhetischen Natur Bedürfniß war, nie ganz verzichten, aber es scheint nach den Citaten, die wir gegeben, festzustehen, das der ohnehin nur nach Monaten zählende Friedrichsfelder Aufenthalt von dieser Seite her nicht seinen Charakter und seine Signatur empfing. Friedrichsfelde von 1800—1810. Prinzessin von Holstein-Beck . 1799 kam Friedrichsfelde an den Geheimen Ober-Hof- Buchdrucker George Jacob Decker , der es aber schon, vor Ablauf eines Jahres, am 29. März 1800, an die Herzogin Catharina von Holstein-Beck wieder verkaufte. Diese bewohnte es bis zu ihrem Tode, der etwa um 1810 oder 11 erfolgte. Prinzessin Catharina von Holstein-Beck wurde am 23. Fe- bruar 1750 geboren. Ihre Mutter war eine Gräfin oder Fürstin Golowin; ihr Vater war Peter August , Herzog von Holstein-Beck, russischer General-Feldmarschall und Gouver- neur von Esthland. Prinzessin Catharina vermählte sich am 8. Januar 1767 zu Reval mit dem Fürsten Iwan Baria- tinski , der damals russischer Oberst war. Ihre Ehe wurde geschieden, oder man lebte wenigstens getrennt. Die Kinder verblieben in Rußland; doch begegnen wir 1802 einem Fürsten Iwan von Bariatinski als Taufzeugen in Friedrichsfelde. Es scheint also, daß der älteste Sohn zur Mutter stand. Diese war 50 Jahr, eine kluge, heitere, noch hübsche Frau, als sie in Schloß Friedrichsfelde einzog. Es leben noch Personen, die sie gekannt haben. Den Mittheilungen dieser verdanke ich das Nachstehende. Die Prinzessin von Holstein-Beck kam 1800 oder vielleicht auch erst 1801 zu uns. Was zu einer Trennung vom Für- sten Bariatinski geführt hatte, war nie in Erfahrung zu brin- gen. Sie war aber voll so tiefer Abneigung gegen ihn, daß sie seinen Namen nicht tragen wollte und in Preußen, unter Gutheißung des Königs, ihren Geburtsnamen Holstein- Beck wieder angenommen hatte. Sie lebte ganz auf großem Fuß und unterhielt intime Beziehungen zum preußischen Hofe, besonders nachdem dieser 1809 von Königsberg und Memel wieder in Berlin eingetrof- fen war. Leicht erklärlich. Friedrich Wilhelm III. und Köni- gin Luise waren in Petersburg gewesen und hatten angenehme Eindrücke von dorther heimgebracht; Kaiser Alexander stand den Herzen Beider nahe, Freundschafts-Gelübde waren gelei- stet worden; alles Heil konnte, der allgemeinen Annahme nach, nur von Rußland kommen. Unter diesen Verhältnissen moch- ten die Beziehungen zur Prinzessin einen doppelten Werth haben; vielleicht daß sie ein Glied in der Kette damaliger politischer Verbindungen war. Gleichviel; der Hof war mannichfach bei der Prinzessin in Friedrichsfelde zu Besuch, auch schon in der Epoche von 1801 bis 6. Königin Luise erschien dann mit Pagen und Hofdamen, der gesammte Adel schloß sich an und über hundert Equipagen hiel- ten in langer Reihe vor dem Schlosse. Mit Fackeln ging es spät Abends heim. Sie selbst (die Prinzessin), wenn sie nach Berlin fuhr, fuhr immer mit sechsen ; da sie aber keinen Marstall unter- hielt, so wurden drei Paar der besten Bauerpferde genommen und die Bauern selbst ritten das Leinepferd. Später (aus gleich zu erzählenden Gründen) wurde das anders. Ihr Ver- trauter nämlich, ein Franzose niederen Standes, dessen Erhe- bung zum „Chevalier“ sie durchzusetzen gewußt hatte, machte Unterschleife, floh und wurde verfolgt. Man ward seiner hab- haft, brachte ihn vor die Gerichte, und eine strenge Strafe war bereits verhängt, als ein Fußfall der Prinzessin, deren alte Neigung wieder wach geworden war, intervenirte. Die Strafe wurde nun niedergeschlagen, der „Chevalier,“ als wäre nichts vorgefallen, zog wieder in allen Ehren in Friedrichsfelde ein, und nur eine Sühne blieb zu leisten: die Prinzessin selbst mußte versprechen, von nun ab statt mit sechsen nur noch mit vieren zu fahren. Es geschah, und alle Theile hatten ihren Frieden. Das Leben in Friedrichsfelde war um diese Zeit das hei- terste. Eine ernstere Pflege der Kunst fiel Niemandem ein, aber man divertirte sich so oft und so viel wie möglich. Es gab Schau- und Schäferspiele theils in geschlossenen Räumen, theils im Freien. Das „Theater im Grünen,“ ähnlich dem Rheinsberger, ist noch deutlich zu erkennen, trotzdem das Strauch- werk jener Jahre inzwischen zu stattlichen Weißbuchen auf- gewachsen ist. Das Ganze eine wieder freigewordene, aus Zwang und Fesseln erlöste Natur! Die Dorfbevölkerung nahm theils zuschauend, theils activ an diesen Scenen Theil, was auf den ersten Blick viel An- heimelndes und Bestechendes hatte. Aber sehr bald stellte sich’s heraus, daß Sitte und Arbeitslust zurückgingen und daß dem Dorfe kein Segen daraus aufwuchs, als Landschafts-Staffage oder Vehikel für das Vergnügen vornehmer Leute gedient zu haben. Harmloser war der alljährlich wiederkehrende „ Ernte- kranz .“ Dann wurde ein Jahrmarkt abgehalten, unter den Bäumen des Parks gegessen und getanzt, und an den Buden, natürlich ohne Einsatz, gewürfelt und gewonnen. Ein kleines, sehr hübsches Mädchen aus dem Dorfe (es lebt noch als 70jährige Frau) war das Pathchen und der Lieb- ling der Prinzessin. Es war die Puppe, mit der sie spielte. War die Prinzessin bei Tafel allein, so wurde an einem klei- nen Tische daneben für das Pathchen gedeckt; kam Besuch, so war „Pathchen“ — wie der Kakadu oder der Bologneser — der nie übersehene Gegenstand, an den sich alle Zärtlichkeiten der Gäste adressirten. Die Prinzessin galt für sehr reich; es hieß, daß sie täg- lich 1500 Thlr. verausgabe. War dem wirklich so, so war es Bariatinskisches Vermögen. Außer Friedrichsfelde besaß sie, in Berlin selbst, ein Haus am Pariser Platz, das jetzige franzö- sische Gesandtschafts-Hotel. Sie starb im Winter 1811 oder 12, und ihre Leiche sollte nach Rußland, entweder auf die Bariatinskischen oder die Holstein-Beckschen Güter geschafft werden. Die Friedrichs- felder waren zum Transport der Leiche gern bereit, da für die Fahrt bis Memel (dort wartete russisches Fuhrwerk) 400 Thlr. geboten wurden. Es zerschlug sich aber wieder, und es kam nunmehr zu einem Pact mit jener moskau-astrachanischen Karawane , die damals alljährlich, in den ersten Winter- Monaten, Caviar nach Berlin zu bringen pflegte. Es waren dies in der Regel 50 Schlitten, jeder mit einem Pferd und am Hals jedes Pferdes ein Glöckchen. Auf den vordersten dieser Schlitten wurde der Sarg gestellt, und im Schritt, die lange Karawane hinter sich, ging es bis an die russische Grenze, — die Stille der Schnee-Landschaft nur durch den Ton der Glöckchen unterbrochen. Friedrichsfelde von 1812—16. König Friedrich August von Sachsen . Nach dem Tode der Prinzessin v. Holstein-Beck wurde Friedrichsfelde durch einen Bevollmächtigten der Bariatinskischen Familie, die als Erbe eintrat, administrirt. In diese Admini- strationszeit fällt der Aufenthalt, bez. die Staatsgefangenschaft des Königs von Sachsen an dieser Stelle. Wir finden darüber Folgendes: Der König von Sachsen, nach der Einnahme Leipzigs durch die Verbündeten, war deren Gefangener. Am 23. October 1813 erfolgte seine Abreise nach Berlin; am 26., Morgens 4 Uhr, traf er in der preußischen Hauptstadt ein und wurde daselbst mit „vielen Ehren“ (so sagt das Tagebuch eines sächsischen Cavaliers) empfangen. Von Leipzig aus hatten 100 Kosaken mit 3 Offizieren den Wagen des Königs umgeben. Außerdem begleiteten ihn Fürst Galizin und Baron Anstetten. Der König bezog Wohnung im Berliner Schloß und ver- blieb daselbst bis zum Sommer 1814. Um diese Zeit wurde ihm die preußische Hauptstadt unbequem; das „Berliner Volk“ zeigte sich wenig respectvoll; die Tage von Großbeeren und Dennewitz stimmten es zum Groll und die altfränkische Art des sächsischen Hofes zum Spott . Beidem wünschte er zu ent- gehen. Er suchte daher nach, Schloß Friedrichsfelde , das dem russischen Fürsten Bariatinski gehörig war (selbst- verständlich gegen eine Mieths- oder Entschädigungssumme an den Fürsten) beziehen zu dürfen. Dies wurde gewährt. Am 26. Juli 1814 erfolgte der Umzug, wobei 1 Unter- offizier und 10 Mann preußischer Garde als Ehrenwache dien- ten. Diese blieben in Friedrichsfelde und wurden aus der säch- sischen Hofküche beköstigt. Bis zum 24. März 1814 hatten Berliner Bürgergardisten die Wache beim Könige gehabt. In den „ Denkwürdigkeiten aus dem kriegeri- schen und politischen Leben eines alten Offiziers “ (Dresden und Leipzig 1848) wird erzählt, der König Friedrich August habe von Friedrichsfelde aus fliehen wollen, sei aber eingeholt und zurückgebracht worden. Diese Mittheilung ist mindestens unwahrscheinlich. An Ort und Stelle wird nichts derart berichtet. Der König, während seines Friedrichsfelder Aufenthaltes, empfing viele Besuche und Deputationen aus seinem Lande, darunter den jungen Grafen Hohenthal, den Baron v. Hou- wald (Vater des Dichters) und eine Deputation des Freiberger Bergbaues. Unter den Personen von Rang, die ihn dauernd um- gaben, haben wir in erster Reihe Generalmajor v. Watzdorf zu nennen; doch war derselbe oft monatelang auf Special-Mis- sionen (z. B. in London) abwesend. Am 13. October 1814 trat Generallieutenant Sahrer v. Sahr an Watzdorfs Stelle und blieb beim Könige, bis dieser Friedrichsfelde verließ. Es war die Sahrsche Division, die bei Großbeeren vorzugsweise tapfer gefochten hatte. Der nicht unerhebliche Aufwand, den der König in Fried- richsfelde machte, wurde theils aus den Geldern seiner Chatouille, theils durch eine Anleihe bei dem Berliner Ban- quierhause Benecke bestritten. Am 9. Februar 1815 endlich war (in Wien) das Proto- koll unterzeichnet worden, das über das Schicksal Sachsens ent- schied; — am 22. Februar verließ der sächsische Hof Friedrichs- felde und begab sich, auf Einladung des Kaisers von Oester- reich: „doch in der Nähe von Wien Residenz nehmen zu wol- len,“ durch Schlesien über Wien nach Preßburg, wo der König den Palast des Primas bezog. So viel hab ich aus Aufzeichnungen , die damals gemacht wurden, zu entnehmen vermocht; in Friedrichsfelde selbst wird noch Folgendes erzählt: Der König lebte ganz als König. Sehr viel Dienerschaft, altfränkisch gekleidet, blau und gelb, war um ihn her; die Kutscher immer in Kanonenstiefeln. Vormittags zwischen 11 und 12 pflegte er im Park zu promeniren; Nachmittags wurde ausgefahren auf die benachbarten Dörfer, namentlich auf solche, wo ein Park oder ein Fluß war, also nach Stralau, Lichten- berg, Biesdorf und vorzugsweise nach Schönhausen. Er war bei den Friedrichsfeldern sehr populär, weil er herablassend und wohlwollend war und (die Hauptsache) ihnen viel zu verdienen gab. Der zahlreiche Besuch, der untergebracht werden mußte, schaffte den Bauern eine gute Einnahme; dazu die Berliner, die Sonntags, aus purer Neugier, in Schaaren herbeiströmten. Den Hauptvortheil aber hatten die Bauern von den vielen Holz-Fuhren, die sie leisteten, und von der Stallung, die sie vermietheten. Tag um Tag wurde ein Haufen Holz im Schloß verbrannt, und der königliche Marstall befand sich, Gespann- weise, auf den einzelnen Bauerhöfen. Fontane , Wanderungen. III. 27 Friedrichsfelde seit 1816. Am 22. Februar 1815 verließ der sächsische Hof Friedrichs- felde; ein Jahr später gingen Schloß und Gut in den Besitz von Carl Sigismund v. Treskow über. Eine ganz neue Zeit brach jetzt für Friedrichsfelde an: aus dem Lustschloß, das es bis dahin gewesen war, wurde ein Gut . Es handelte sich nicht mehr um ein dolce far niente, das hier ein Jahrhundert lang seine Stätte gehabt hatte, sondern um Arbeit , nicht mehr um Stille und Zurückgezogenheit, sondern um Heraus- treten, um Verkehr und Concurrenz. Von Jahrzehnt zu Jahr- zehnt, insonderheit unter dem gegenwärtigen Besitzer (Carl v. Treskow) wuchs diese Aufgabe. Ankäufe und beständige Meliorationen steigerten den Werth, was aber vor allem das Gut auf seine Höhe und seine Erträge hob, das war die Er- kenntniß, daß mit Rücksicht einerseits auf die Bedürfnisse der Hauptstadt, andererseits auf die Betriebs-Erleichte- rungen , die sie gewährt, eine ganz aparte Art der Wirth- schaftsführung eingeleitet werden müsse. Hier galt es nicht, Lehrbücher befragen, Regeln befolgen, sondern der beständig wechselnden Situation ein neues System immer neu anzupassen. In die Details an dieser Stelle einzugehen, würde weit über unsere Aufgabe hinausführen; nur so viel, daß Milchwirthschaft und Gartenculturen mehr und mehr die alte Felderbestel- lung zurückdrängten. Der Sieg des Spargelbeets über das Roggen- und Kartoffelfeld! So haben Eifer, Wissen, Intelligenz, aus dem Sommer- sitze Raules einen großen und noch mehr einen werthvollen Besitz geschaffen; aus dem Zehrer ist ein Nährer geworden, aus der Drohne die Biene. Aber diese Umwandelung hat sich vollzogen, ohne dem Friedrichsfelder Schloß, das so vieles sterben und geboren- werden sah, das Geringste von seinem historischen Zauber zu nehmen. Dieselbe Pflege, die draußen waltete, sie waltete auch drinnen; im Felde erneuerte sie praktisch, im Hause con- servirte sie pietätvoll; nichts ist verloren gegangen von dem geschichtlichen Material, in dessen Besitz der gegenwärtige Besitzer eintrat. Das eichengeschnitzte Treppengeländer, der Stucksaal, den Markgraf Karl baute, die Büsten und Bilder, von denen beinahe jeder der Vorbesitzer ein einzelnes, wie ein Erinnerungs- stück, zurückgelassen hat, — sie befinden sich an alter Stelle und nur erweitert, hinzugefügt wurde auch hier. Unter diesen Hinzufügungen nennen wir in erster Reihe fünf Arbeiten von Schinkel , von denen drei seiner aller- frühsten Epoche, zwei muthmaßlich dem Jahre 1814 angehören. Es sind die folgenden: Schloß Owinsk (Architekturbild in Tuschfarben ausge- führt), Schloß Owinsk , von der Tiefe aus gesehen, Schloß Owinsk , von der Höhe aus gesehen, Ein See in Tirol, von hohen Bergen umgeben; ein Fischzug im Vordergrund (Morgenbeleuchtung); Ein See von hohen Gebirgen umgeben, Gondeln im Vordergrund (Abendbeleuchtung) Von keinem dieser 5 Bilder, mit Ausnahme des Architektur- bildes, läßt sich behaupten, daß es nachweisbar von Schinkel herrühre; doch ist es von allen in hohem Maße wahrscheinlich. Schinkel war bei Aufführung des Schlosses Owinsk, Provinz Posen, als Bauführer thätig. Es war dies 1801. Die Vereinigung von Architekt und Landschafts- maler, die sonst in hundert Fällen kaum einmal vorkommt, war eben bei Schinkel charakteristisch und es ist höchst unwahrscheinlich, daß sich damals — und noch dazu in Owinsk — ein anderer Architekt an seiner Seite befunden habe, der dies alles auch vermocht hätte. — Was die beiden andern Bilder (Gebirgsseen, Morgen- und Abendbeleuchtung, Pendants) angeht, so stellen sie genau dasselbe dar, wie die betreffenden beiden Bilder auf der Wagnerschen Gallerie, die die Bezeichnung tragen: nach Schinkelschen Originalen von Ahlborn 1823 copirt . Die Frage entsteht, sind nun diese beiden Friedrichsfelder die Originale? . Das letztgenannte Bild zählt zu Schinkels gelungensten Arbeiten. In der Mitte — wir erweitern die kurze Beschrei- 27* bung, die wir oben gegeben — eine Insel mit einem weitläu- figen Schloß; eine Bogenbrücke führt zu dem zunächst liegenden Felsenufer hinüber. Rechts ein ländliches Fest. Der See ist mit Barken erfüllt, denen Musikchöre folgen. Eine rothe Abend- beleuchtung liegt auf dem See. Ein stimmungsreiches Bild! Aber das Bild, das sich eben jetzt, von der Gartenthür des Schlosses eingerahmt, vor unseren Blicken aufthut, thut es ihm gleich. Eine Parkwiese voll blühender Linden; zwischen den Kronen der blaue Himmel; und an dem Himmelsstreifen ein Volk weißer Tauben, das, die letzten Sonnenstrahlen einsaugend, sich oben in den Lüften wiegt. Die nahe Hauptstadt sammt ihrem Lärm, wir empfinden sie wie hundert Meilen weit. Hier ist Friede! Wolzogen in seinem „Leben Schinkels“ schreibt: Der Besitzer des einen Bildes (Abendbeleuchtung) ist Banquier Brose, der Besitzer des andern (Morgenbeleuchtung) unbekannt. — Das eine scheint also die Annahme zu rechtfertigen, das andere sie zu verbieten. Eine Entscheidung in dieser Frage, die ohne exacte technische Kenntniß nicht zu geben ist, liegt außer- halb unserer Kraft; wir geben deshalb einfach die Thatsache, daß sich zwei solche Bilder in Friedrichsfelde befinden und überlassen Andern den Beweis der Aechtheit, oder — des Gegentheils. 2. Ernst Gottlieb Woltersdorf. Verfolgt, verlassen und verflucht, Doch von dem Herrn hervorgesucht; Ein Narr vor aller klugen Welt, Bei dem die Weisheit Lager hält; Verdrängt, verjagt, besiegt und ausgefegt, Und doch ein Held, der Palmen trägt. E. G. Woltersdorf. Prinz Louis Ferdinand, Prinz August — sie waren Schloß -Kinder aus Friedrichsfelde; auch die Pfarre stellte ihren Mann: am 31. Mai 1725 wurde Ernst Gottlieb Woltersdorf in ihr geboren. Auch ein Streiter, auch gefallen (wie der Saalfelder Prinz) auf dem Felde der Ehren. Ein Weltkind der eine, ein Gotteskind der andre. Ernst Gottliebs Vater war Gabriel Lucas Woltersdorf. Dieser konnte, wie ein alter Edelmann, den Namen und Stand seiner Familie bis ins siebente Glied hinauf verfolgen. Es waren sämmtlich Priegnitz-Ruppiner. Und zwar: Anton Woltersdorf (damals noch Woltersdorp), geboren 1430. Johann Woltersdorf, Potinken- oder Pantinenmacher, geboren 1460. Joachim Woltersdorf, Goldschmied in Ruppin, geboren 1496. Joachim Woltersdorf II. , Tuchmacher, Gildemeister und Vorsteher der Klosterkirche zu Ruppin, geboren 1530. Gabriel Woltersdorf, Pastor und Inspector zu Ruppin. Gabriel Woltersdorf II. , Pastor und Inspector zu Zehdenick. Gabriel Woltersdorf III. , Pastor zu Kyritz. Dieses letztren Sohn war der schon genannte Gabriel Lucas, geboren 1687, der Vater Ernst Gottliebs. Er, der Vater, hatte von 1711 in Halle studirt, in Halle, das um jene Zeit „das Herz war, dessen Schläge man weit und breit fühlte.“ August Hermann Francke stand eben damals in der Blüthe seines Wirkens, „dieser Mann der Demuth und Wahrhaftigkeit, der sich rühmen durfte, daß von den 6000 Studenten, die in den ersten Jahrzehnten in Halle studirt hatten, Tausende von erweckten Predigern ins deutsche Vaterland ausgegangen seien.“ Unter diesen erweckten Predi- gern war auch Gabriel Lucas Woltersdorf. Er blieb bis zuletzt eine Leuchte für seine Gemeinde und seine Kinder. So viel über den Vater . Der Sohn, unser Ernst Gottlieb , empfing seinen ersten Unterricht im elterlichen Hause; von 1735 ab, wo der Vater Friedrichsfelde aufgab und nach Berlin übersiedelte (er wurde Prediger an der St. Georgen-Kirche), besuchte er das Graue Kloster; eben 17 Jahr alt ging er nach Halle. „Es war dort eben noch — so schreibt Pastor Besser — das letzte der sieben fetten Jahre. Man konnte den Samen reiner Lehre noch ziemlich reichlich einsammeln. Die Hungerzeit des Rationa- lismus meldete sich eben erst durch ihre vordersten Posten.“ Besonders war es Baumgarten (Kirchengeschichte), der das Herz unseres jungen Theologen mit Liebe und Verehrung füllte; Unterricht, den er in den unteren Schulen des Franckeschen Waisenhauses ertheilte, sicherte ihm den Unterhalt. Sein Christen- thum, nach seinem eigenen Bekenntniß, blieb aber damals ein rein äußerliches. „Ich hatte noch keinen Geschmack an der Erlösung durchs Blut Christi; … aber Gott kam mir zu Hilfe und warf mich in ein sehr tiefes Gefühl meines uner- gründlichen Seelenverderbens. Da saß ich an den Wassern zu Babel und weinete, wenn ich an Zion gedachte.“ 1744 im Frühjahr, erst neunzehn Jahr alt, hatte er seine Studien beendigt; er trat — durch viele Arbeit körperlich erschüttert — eine Reise an, suchte christliche Prediger und Gottesmänner auf und zeigte damals eine große Neigung, zur Brüdergemeinde überzutreten. Dies unterblieb jedoch. 1744 im Spätherbst wurde er Vikar in Zerrenthin bei Prenzlau, wo er empfinden lernte, „wie schwer sichs predigt, wenn nie- mand hören will;“ zwei Jahre später (1746) kam er als Hauslehrer des jungen Grafen von Promnitz nach Drehna in der Niederlausitz, wo er gleichzeitig mit großem Erfolge zu predigen begann. Sein Prediger-Eifer und die ihm daraus entspringende Kraft waren so groß, daß er in verhältnißmäßig kurzer Zeit die wendische Sprache lernte, um auch den Wenden (die im Spreewald und anderen Gegenden der Lausitz zum Theil bis heute noch kein Deutsch verstehen) das Evange- lium predigen zu können. 1748 erhielt er einen Ruf nach Bunzlau. Es hieß an- fänglich: er sei zu jung. Am 20. Sonntage nach Trinitatis aber predigte er über den Text: „Der Herr sprach zu mir, sage nicht, ich bin zu jung ; sondern Du sollst gehen, wohin ich Dich sende, und predigen, was ich Dir heiße,“ mit solcher Gewalt, daß er die ganze Gemeinde mit sich fort riß. Immer neue Erbauungsversammlungen mußten abgehalten werden; die Kirche hatte nicht Raum genug; unter freiem Himmel, im Bunz- auer Stadtwald mußte er predigen; „es schien, als ob das Feuer Christi die ganze Stadt anzünden wollte.“ Dabei blieb er voll körperlicher und geistiger Frische. 1749 verlobte er sich mit Johanna Sabina, Tochter des Pastors Zietelmann zu Flieth bei Prenzlau; im Mai trafen sich die jungen Brautleute in Berlin, wo neun Söhne (darunter bereits drei Pastoren), eine Tochter und drei Schwiegertöchter des alten Pastors Woltersdorf, sich zur Hochzeitsfeier versammelt hatten. Der Vater segnete das Paar ein, das bald darauf in die Bunz- lauer Pfarrwohnung einzog. Die junge Frau brachte Glück und empfing es; aber die Flitterwochen müssen andere gewesen sein als die unsrigen; alles junge Glück der Liebe schloß eine immer wachsende geist- liche und geistige Thätigkeit so wenig aus, daß im Jahre 1751 bereits zwei starke Bände „Evangelische Psalmen“ vorlagen, die Zeugniß ablegten von dem schöpferischen Drang des jungen Geistlichen. Sie waren, beinah 200 an der Zahl, mit weni- gen Ausnahmen ein Product der letzten drei Jahre. Ueber die Art, wie sie entstanden, über seine Dichtungsweise über- haupt, lassen wir ihn selber sprechen: „Was den Ursprung dieser Lieder betrifft, so kann ich wohl mit Wahrheit sagen: ich habe sie von dem Herrn empfangen . Sonst würde ich auch in meinem Gewissen keine Freiheit haben sie drucken zu lassen … Gott hat mir von Natur eine Neigung zur Poesie gegeben. Schon in meiner Kindheit fing ich an Verse zu machen. Aber erst als ich des seligen Lehr und nach einiger Zeit auch des seligen Lau Leben und letzte Stunden in die Hände bekam, ging etwas in mir vor. Von dieser Zeit an ist der Trieb, dem Herrn Lieder zu dichten, in mir recht aufgewachet . Ja er ist von Zeit zu Zeit immer stärker worden, daß er sich auch besonders in meinem Amte, da ihn die ohnedem überhäuften Geschäfte hätten ersticken mögen, so vermehret hat, daß ich oft selbst nicht gewußt, wie es zugegangen. Ich kann nichts anders sagen, als daß ich’s für eine augenscheinliche Erhöhung meines Gebets ansehn muß. „Oft habe ich an nichts weniger gedacht, als Verse zu machen. Aber es fiel mir plötzlich ins Gemüth, und regte sich ein Trieb, daß ich die Feder ergreifen mußte. Ein andermal hatte ich keine Lust; aber es war, als müßte ich wider Willen schreiben. Zuweilen war ich von vieler Arbeit ganz entkräftet, allein es wurde mir eine Materie so lebendig und floß so unge- zwungen und ohne Mühe in die Feder, daß es schien, ich könnte das Schreiben nicht lassen. Ja ich muß gestehen, daß mir’s oft wie ein Brand im Herzen gewesen, und mehrmalen mußte ich mich mit Gewalt zurückziehen, damit ich mich nicht über- nähme oder meine Natur zu sehr schwächete. Wollte ich zu- weilen 3 Verse schreiben, so wurden gleich 12, 15 oder gar 30 daraus. Manchesmal konnte die Feder dem schnellen Zu- flusse nicht einmal folgen. Oft mußte ich’s, wenn ich so hinter- einander geschrieben, erst überlesen, wo ich wissen wollte, was es wäre, und mich selbst wundern, daß das da stund, was ich wirklich fand. Und so sind diese langen Lieder der ersten Sammlung entstanden. Ich nahm mir vor, ein Lied in gewöhnlicher Größe zu schreiben; aber da ich hineinkam, sind 40, 50, 100, 200 und mehr Verse fertig worden.“ Er fährt dann fort: „Was ich in so großer Geschwindigkeit niedergeschrieben, ich hab es hinterher vielmal durchgelesen, einiges oft umge- schmolzen, anderes lange liegen lassen; aber das ist wahr, daß ich anderes, das so recht aus dem Herzen gequollen, nie geän- dert habe. Die Ursach ist, weil das am ersten und natür- lichsten wieder in die Herzen hineinfließet, was ohne Zwang heraus geströmet ist .... Fraget nur die Dichter dieser Welt, ob sich nicht Aehnliches bei ihnen findet, wenn sich ein poeti- tisches Feuer bei ihnen reget. Was soll dann nicht der herr- liche Geist des lebendigen Gottes thun, wenn er die natürlichen Triebe zur Dichtkunst mit seinen Kräften anfeuert! „Es bleibt mir eine unumstößliche Wahrheit, daß alle ver- nünftigen Regeln der Dichtkunst sehr gut sind und von einem Dichter nach seiner Gelegenheit mit großem Nutzen gebraucht werden können, daß aber dennoch das Göttliche in der Dicht- kunst nicht anders als auf den Knieen gelernt werden kann. Denn wenn der Geist aller Geister das Herz des Poeten nicht entflammt, so weiß ich nicht, ob ich die erhabenste Poesie über- haupt noch eine göttliche nennen kann .... Die Heiden haben von ihren todten Götzen treulich gesungen. Aber so viele Dichter unter den Christen wissen von ihrem lebendigen Gott, von dem Gott aller Götter, ja von ihrem menschgewordenen Gott, der am Kreuz in seinem Blute für sie gestorben, nichts zu sagen. Sie holen lieber vermoderte Stücke von den ver- faulten Götzen der Heiden und schmücken sie dem Gott Israels zum Hohn.... Ein berühmter Günther will lieber der Venus zu Ehren, als zum Ruhm des Kreuzes singen; aber die Reime Hans Sachsens machen alle Werke Günthers zu Schanden, weil doch so manche Seele daran seelig glauben kann.“ So weit er selbst. Man muß es ihm lassen, daß er seine Sache gut zu führen weiß; bescheiden und bewußt — jedes an rechter Stelle. Einem aufmerksamen Leser kann übrigens nicht entgehen, wie diese Rechenschaftsablegung zugleich alle Punkte in den Vordergrund stellt, über die die Ansichten auseinander gehen können. Er war ein christlicher „Improvisator,“ ja, in allen Ehren sei es gesagt, eine Art von Psychographendichter; er ließ die Feder laufen. Wir kommen an anderer Stelle darauf zurück. Alles, was wir aus ihm citirt haben, ist einer Vorrede entnommen, die er im Jahre 1750 schrieb. Er war damals 25 Jahre alt, predigte seit sechs Jahren, war im Amte seit drei, hatte Frau und Kind und konnte auf eine literarische Thätigkeit blicken, die bereits damals über 200 Lieder umfaßte, einzelne dieser Lieder über 200 Strophen lang. Eine Pro- ductionskraft, die auf diesem Gebiete kein anderer deutscher Dichter aufzuweisen hat; auch nicht die Meistersänger, an deren Dichtungsart die didaktische Weise Woltersdorf’s am meisten erinnert. Seine poetische Thätigkeit war übrigens im Großen und Ganzen mit 1750 abgeschlossen. Es waren ihm noch 11 Lebens- jahre beschieden; aber die Mühen des Lebens, die Sorgen des Amtes wurden doch so übermächtig, daß selbst sein lebendiger Strom versiegte. Er trat 1755 an die Spitze des nach dem Halleschen Vorbilde errichteten Bunzlauer Waisenhauses und wirkte an demselben in Segen. Aber sein schwacher Körper brach endlich unter der Last zusammen. Sein Biograph schreibt: „Man darf sagen, er hatte sich im Dienst des Herrn ver zehrt.“ Der 17. December 1761 war sein letzter Tag. Die Schmerzen nahmen zu, seine Klagen ab. Als seine Frau mit einem seiner Kinder weinend am Bette stand, sagte er mit Glaubensfreudigkeit: „Wenn Du sonst keinen anderen Kummer hast, als diesen!“ Dann lag er still. Abends aber redete er viel, jedoch so leise, daß man nur einzelne Liedesworte ver- stehen konnte. Um die sechste Stunde war er todt. Er war sanft eingeschlafen. Das Waisenhaus verlor viel und der Jammer der eben zum Confirmanden-Unterricht versammelten Kinder erfüllte das Pfarrhaus. In allen Häusern der Stadt war Wehklagen. Am 22. December hielt ihm sein Herzensfreund, David Gottlieb Seidel, die Leichenpredigt und sprach „von der gegründeten Hoffnung eines Lehrers, der einen lautern Sinn beweiset, wenn er auch über Macht beschweret ist .“ „Über Macht“ war Woltersdorf beschweret gewesen; nun war er frei. Seine Hoffnung erfüllte sich. Für seine Wittwe und seine sechs Kinder sorgte der Herr, indem er Seelen erweckte, die sich ihrer Dürftigkeit annahmen. So wurde seine Zuversicht erfüllet, die er oft aussprach, wenn er sein letztes Stück Brot mit den Armen theilte . So starb Woltersdorf, erst 36 Jahr alt. Er hatte ein äußerlich armes, innerlich desto reicheres Leben geführt. Wie in vielem war er auch in der Stille und Anspruchslosigkeit seines Lebensganges, in dem Fehlen alles dessen, was man als romantisch-frappant bezeichnen kann, den Herrenhutern verwandt. Er selber protestirt zwar gegen diese Gemeinschaft: „allen Dingen, die in Lehre und Leben dem Worte Gottes zuwider sind, bin ich von Herzen feind, weshalb ich den Plan der herrnhutischen Gemeine, wie er jetzt ist, nimmermehr werde billigen können,“ aber trotz dieses Protestes, der gewiß aufrichtig gemeint und wohlbegründet ist, ist doch unverkenn- bar, daß seine Dichtung unter Zinzendorfschem Einfluß her- angewachsen ist. Er gebraucht wie dieser die starksinnlichen Reden von Turteltauben und Nachtigallen, von dem süßen Blut des Erlösers und von der Herrlichkeit seiner Blut- rubinen. Er vertheidigt auch diese Ausdrucksweise: „Die Herzen sollen durch die Sinne bewegt werden, und nur das eine ist zu fordern, daß kein schwulstiges, unanständiges oder gar lächerliches Wesen zu Tage komme.“ Im Uebri- gen scheint er sich selber nur eine Durchschnitts-Begabung zugeschrieben zu haben. „Ich habe, so schreibt er, nicht eine große Zierlichkeit und Pracht, sondern eine fließende und bewegliche Deutlichkeit erwählet, damit mich Jeder- mann, auch zur Noth ein Kind, verstehen möchte. Das macht zwar kein sonderliches Ansehen, ist aber desto nutzbarer . Wir sollen unserm Erlöser nicht allein die Gelehrten und Großen zuführen, sondern unter den Geringen und Einfältigen wuchert sein Evangelium am meisten. Allzu hohe Lieder aber nutzen Niemandem, oder doch nur wenigen.“ So er selbst. Die Urtheile Neurer über den Werth seiner Dichtungen weichen erheblich von einander ab. Koch schreibt: „Woltersdorf ist ein lebendiges Zeugniß der dichtenden Kraft des heiligen Geistes in der lutherischen Kirche,“ wogegen Hagen- bach nicht nur an der Weitschweifigkeit dieser Lieder, die wegen ihrer Länge nie gesungen werden können, Anstoß nimmt, son- dern auch „Fluß und Guß, mit einem Wort die rechte Run- dung und Vollendung in ihnen vermißt.“ Selbst R. Besser, in seinem „Leben E. G. Woltersdorfs“ kann nicht umhin auf eine gewisse Unselbstständigkeit Woltersdorfs hinzuweisen und sagt in seiner anschaulichen Ausdrucksweise: „er suchte wie eine Hopfenrebe stets gern einen tragenden Halt für seine Dichtungen.“ Wir selbst haben die besten seiner Dichtungen, aus denen wir einzelne Strophen in den Anmerkungen mittheilen, mit Freudigkeit und nicht ohne Erhebung gelesen. Unsre Laienschaft kommt uns dabei zu Statten. Je lebendiger Jemand die großen Originale , die Kraft- und Kern- lieder deutscher Nation, gegenwärtig hat, desto nüchterner wird er sich gegen Lieder verhalten, die gerade für sein geübtes Ohr nur ein Wiederklang sind. Wer weniger fest darin steht, wird leichter befriedigt sein. In der weltlichen Dichtung sehen wir sehr Aehnliches. Wer den Heine nicht kennt, erfreut sich auch an den Nachbildungen, wer ihn kennt, verhält sich ab- lehnend gegen Alles, was heinisirt. Gewiß — und damit schließen wir — ist Wolters- dorf nicht den großen Gestalten zuzuzählen, dazu war er zu wenig eine eigentliche Kraftnatur, im Gegentheil etwas Krankhaftes zieht sich durch sein Leben und spiegelt sich in seiner dichterischen Hyperproduction. Aber zweierlei wird ihm verbleiben, und während er einerseits, modern zu sprechen, immer als ein Musterbeispiel für den wunderbaren Einfluß „des geistigen Fluidums über die träge Masse“ dastehen wird, wird er andrerseits, provinziell und local, eine hervorragende Bedeutung als Kirchenlied-Dichter beanspruchen dürfen. Mark Brandenburg hat keinen besseren , hat keinen Zweiten, der sich neben ihm behaupten könnte. Schloß Friedrichsfelde steht noch, wie es 1719 und 1735 aufgeführt wurde; das alte Pfarrhaus aber, abgelöst durch einen unmittelbar neben ihm entstandenen Neubau, ist längst hinüber. Ein Garten füllt jetzt den Platz, wo das alte stand, und ein Birnbaum blüht jeden 31. Mai an derselben Stelle, wo Woltersdorf der Dichter geboren wurde. Anmerkungen. St. Nicolai zu Spandau. Benutzt: Schloß und Nikolai-Kirche zu Spandau. (Aufsatz von Oskar Schwebel , Kreuz-Ztg. 1869, Nr. 219, Beilage.) Die Kirche ist reich an interessanten Denkmalen. Der reiche Altar aus bemaltem Sandstein ist ein Geschenk des Grafen Rochus von Lynar ; er und seine erste Gemahlin, Freiin Anna v. Montott , schenkten ihn im Jahre 1582 der Kirche. Die Hauptdarstellung in halb erhabener Arbeit zeigt ein Abendmahl, die Einwirkungen der italienischen Kunstformen sind unverkennbar. Höchst interessant sind die Figuren der Donatoren, links die Gräfin in wei- ßem Damastkleide mit schwerem, dunkelblauem Obergewande, vor ihr drei Töchter in weißer Seide, rechts der Graf in prachtvoller Rüstung mit zwei Söhnen; goldene Ketten in Menge legen ein Zeugniß von dem Reichthum des Hauses ab. Besonders schön sind die Köpfe gearbeitet; das Ganze bildet mit dem Aufsatze, der ein jüngstes Gericht und die Schlangen- und Thurmschilde der Lynars, die Löwen und den Schach der Montotts enthält, ein Familien-Denkmal von frommem Sinn und wahrhaft aristokratischer Pracht. Unter dem Altar ist die Familiengruft der Lynars; in dem großen schönen Zinnsarge schläft der alte „Kur- fürstlich Brandenburgische Rath, bestallter oberster Artolorei-Munitions- Baumeister“ von seines Lebens weiten Zügen und seinem reichen, ange- strengten Tagewerke aus. Außerdem tragen die schönen Leuchter des Altars sein und seiner Gattin Wappen und Namen; der ritterliche Herr hat eine offene Hand gegen das Gotteshaus gehabt, und heut noch vergessen es seine Nachkommen nicht, den Altar von Spandau in schö- ner Pietät zu schmücken; die neue, schöne Sammetbekleidung trägt den Namen: Hermann Rochus Graf zu Lynar . Das Röbellsche Denkmal. Zur Rechten des Altars trifft unser Auge ein prächtiges Denkmal Märkischer Tapferkeit; ein alter Feldmarschall ist’s mit seinem Bruder. Von seinen Thaten lassen wir die alten, treuherzigen Reime der Inschrift selber sprechen: Der edel und viel kühne Held, Joachim von Röbell , ich dir meld’, Von Jugend auf mit gutem Rath Gar manche Schlacht besuchet hat. In Holstein, Fühnen, Koppenhagen, In Ungarn, Frankreich that er’s wagen, Der Graf von Oldenburg sein’ Muth Gespürt; der Sachs’ ihm auch war gut: Zum Wacht- und Rittmeister ihn macht, Feldmarschall ihn vor Magd’burg bracht. Clauß Eine Bergfeste in Tirol, um deren Besitz sich auf Moritz Zuge nach Innsbruck ein heftiger Kampf entspann. er auch half nehmen ein, In Ungarn Feldmarschall sollt’ sein. Feldmarschall im Braunschweiger Land War er, braucht ritterlich sein’ Hand; Da Herzog Moritz fiel der Held Feldmarschall er war kühn im Feld. Feldmarschall er vor Gotha kam Kurfürst August ihn mit sich nahm. Von Fühnen bis nach Ungarn! Ein Vorläufer der späteren Brandenburger Siegeszüge, und, man muß gestehen, ein würdiger Vor- läufer dieser Held von Magdeburg und Sievershausen , dieser Begleiter des Herzogs Moritz auf seinem kühnen Zuge gegen das Tri- dentiner Concil, der Kämpfer der Schlachten Dänemarks gegen den großen Lübecker Bürgermeister Jürgen Wullenweber und Sach- sens gegen den wilden Markgrafen und den allmächtigen Kaiser! Drüben im Barnim, am Rande des Oberbruchs, in dem ehemaligen Nonnenkloster Friedland , das die Röbell erwarben, stand die Wiege dieses Helden, der dem Märkischen, Sächsischen und endlich dem Kaiser- lichen Heere angehörte, in beiden letzteren sogar die höchsten Ehren erwarb. Noch war er ein kräftiger Mann, da zog’s ihn hin in die Heimath; er machte dem Bruder in Spandau einen Besuch, auf dem ihn sein Stündlein überraschte. Das Denkmal zeigt uns die Brüder, Joachim , † 1572, und Zacharias v. Röbell , † 1575, beide gleich gewaffnet, obwohl der Letztere nur Hauptmann zu Spandau war, in Plattenrüstung, Schwert und Morgenstern in der Hand, Löwen ihnen als Fußschemel dienend. Quast. Ribbeck. Nostiz. Eben so wie die Herren von Röbell können zwei andere Märkische Geschlechter die Spandauer Kirche als die Aufbewahrerin des Ruhmes ihrer Vorfahren ansehen. Eine prächtige Trophäe im Chor der Kirche erinnert an den Brandenburgischen General- feldwachtmeister Albrecht Christoph v. Quast , der 1669 an den Wunden, die er in der durch seine Tapferkeit gewonnenen Schlacht auf Fühnen erhalten hatte, verstarb. In einer reichen Umgebung von Waffenschmuck aller Art erscheint sein Wappen, die fünf Lichter im Andreaskreuz. Die beiden folgenden Wappenschilder zeigen den Rumpf und den Hirsch der Herren von Ribbeck ; sie sind dem Andenken zweier aus dem Geschlecht, Johann Georg , Vater und Sohn, gewidmet, die 1610—1666 Oberhauptleute zu Spandau waren. Die Quadrirung des einen Schildes mit dem Johanniter-Kreuz bezieht sich auf Johann Georg von Ribbeck , den Sohn, der Comthur zu Nemerow und Werben gewesen ist. Ein viertes Wappen, die roth und weiß geschachten Hörner in blauem Felde zeigend, erinnert an den 1689 verstorbenen Oberst George Rudolf von Nostiz . Voller aber noch als die Namen dieser Ober-Hauptleute zu Spandau klingen die ihrer nächsten Amtsnachfolger; in einer Reihe geht es fort: Adam v. Götze, Hans Adam v. Schöning, Johann Albrecht v. Barfuß, Philipp v. Lottum, Johann George v. Tettow und an jeden dieser Namen schließt sich ein ruhmvolles Stück unserer Heeresgeschichte an. Tausstein. Schwarzenbergs Wappen. Außer einem überlebens- großen, schönen Crucifix und den dazu gehörigen Figuren der Maria und des Johannes ist der eherne Taufstein ein schätzenswerthes Denkmal des Alterthums, er trägt die Inschrift: Anno M. C. C. C. XC. VIII. in festo nativitatis gloriose marie virginis. Der Taufstein steht auf einem Grabgewölbe, dem Grabgewölbe Graf Adam Schwarzenbergs . In einer Nische des Chors hängt ein Wappen in Erz, eine vorzügliche Arbeit, — es zeigt die Balken des uralten Hauses Seinsheim , das bis auf die Schwäbischen Herzöge aus dem Geschlecht der Burchardinger zurückgeht, Raben und Mongolenkopf des Hauses Schwarzenberg und den Johanniterschild, darum die Kette des Französischen Ordens vom h. Michael. Dies Wappen ist des Grafen Adam von Schwarzen- berg einziges Denkmal; die Inschrift dazu ist beseitigt. Die Wenden in der Mark. Benutzt: L. Giesebrecht’s Wendische Geschichten. Schafarik’s Geschichte der slawischen Stämme. Fidicin: die slawischen Ortsnamen der Insel Potsdam. Heffter: Geschichte der Stadt Brandenburg. L. Schneider: Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams. Der Brieselang. Benutzt: Berghaus Mark Brandenburg. Mündliche und briefliche Mittheilungen, besonders des Garnisonschullehrers Wagener in Potsdam und des Lehrers Krüger in Schönwalde. Alte Eichen von ähnlicher Berühmtheit wie die Königseiche im Brieselang, stehen eine Meile südlich von Liegnitz, auf dem Theile des Katzbacher Schlachtfeldes, wo sich am 26. August 1813 der Kampf ent- schied. Wo das Plateau zur wilden Neiße hin steil abfällt, liegen die Dörfer Ober- und Nieder-Weinberg, Ober- und Nieder-Crayn. Bei Nieder-Crayn befindet sich die einzige Brücke über den Fluß; diese Brücke suchten die flüchtigen Franzosen zu gewinnen, verfehlten sie aber und stürzten sich in das hochangeschwollene Wasser. An eben dieser Stelle, nur 500 Schritt von der Nieder-Crayner Brücke entfernt, ragen, auf prächtigem Wiesengrund, die erwähnten alten Eichen auf, von denen fünf (die jüngeren) sich durch besondere Schönheit und Frische auszeich- nen. Sie sind noch völlig gesund, kein Zweig abgestorben, dabei voll Ebenmaß. Die schönste unter diesen fünf trägt folgende Inschrift: O seid gegrüßt der Gottheit stille Zeugen, Ein Meisterstück der herrlichen Natur; Hier unter euren majestätschen Zweigen, Im kühlen Schatten auf der prächtgen Flur, Hier schlägt das bange Herz in freud’gem Beben, Ein heilger Schauer dringt durch meine Brust, Wie lange sehet ihr des Menschen Leben Mit seinem Leiden wie mit seiner Lust. Das eigentliche Prachtstück und die große Sehenswürdigkeit dieser Gegenden — wenigstens was Bäume angeht — ist aber doch die sechste Eiche, die in einiger Entfernung von den fünf andern steht. Sie ist nicht voll so schön, hat durch das Absterben einzelner Partien das Eben- maß ihrer Formen eingebüßt, ist aber um vieles stärker und wahrschein- lich auch älter als die übrigen fünf. Ihr Umfang ist 31 Fuß, über- trifft also noch den der Königseiche im Brieselang um ein Erhebliches. Fontane , Wanderungen. III. 28 Auch diese sechste und größte der „Eichen an der wilden Neiße“ hat natürlich ihre Tafel und ihre Inschrift. Diese lautet: Wohl mehr als 1000 Jahre zähl’ ich schon; Ich sah dereinst das alte deutsche Reich entstehen, Ich sah im Jahre 6 es wiederum vergehen. Seitdem ich jüngst gesehn sein frisches kräftges Auferstehn, Möcht ich um keinen Preis es nochmals sehn im Untergehn. Das walte Gott auf seinem ewgen Thron! Schönau, im August 1871. Die älteste der alten Sechs. Man mag über diese Dichtungen denken wie man will (es giebt jedenfalls schlimmere), unter allen Umständen zeigen sie die Liebe, mit der die ganze Umgegend an diesen schönen Bäumen hängt. Eine Fahrt zu den „sechs Eichen“ zählt zu den Lieblingspartieen der Liegnitzer, die dann jedesmal mit einem Besuche des Katzbach-Schlachtfeldes — das übrigens außerdem noch seine Denkmäler hat — identisch ist. Der Eibenbaum im Parkgarten des Herrenhauses. Benutzt: „Ueber Eibenbäume“ ein Aufsatz in der Neuen freien Presse. Mündliche Mittheilungen, besonders des Geh. Rath Metzel . Eibenbäume. In Niederösterreich findet man vereinzelte Eiben bei Buchberg, in der Prein und Ramsau, bei Lilienfeld, im Kremsthale, im Horner Walde und besonders alte Bäume im Gurhofgraben bei Aggstein. Einzelne tausendjährige Eiben kommen noch in Steiermark vor, und einen sehr alten Baum besitzt die Gegend von Brünn in Mäh- ren; er steht nicht gar weit von dem berühmten Erdfall „Macocha“ („Stiefmutter“). Krone und oberer Stammtheil sind abgebrochen, der hohle untere Stamm ist aber noch 3 Klafter hoch und benadelt und hat einen Umfang von beiläufig 8 Fuß (2.55 Pariser Metres). Das Alter dieses sehr merkwürdigen Exemplares wird auf nicht viel unter 2000 Jahre geschätzt. Zu den Palmsonntags-Sträußen, zu denen in Wien außer den Blüthenzweigen der Sahlweide — den sogenannten Palmkätz- chen — gewöhnlich auch Buxbaum- und Sebenbaum-Zweiglein ihres immergrünen Laubes wegen verwendet werden, während in den eigent- lichen Alpen-Gegenden die Stechpalme (Ilex aquifolium) hiezu dienen muß, benutzt man in England und Irland allgemein blühende Weiden- und grüne Eibenzweige. Und merkwürdigerweise begegnet man genau demselben Palmsonntagsschmuck wieder in Mähren. In der Gegend von Olmütz ist die Eibe ein äußerst seltener Baum, und die Bauern von Mittel- und Nordwest-Mähren machen daher vor der Charwoche oft 8 bis 10 Meilen weite Reisen zu Fuß, nur um von einem verein- zelt dastehenden Eiben-Strauch oder Baum Zweige für den Palmsonn- tag abreißen zu können. Auch in Niederösterreich scheint die Eibe hie und da noch zu diesem Zwecke verwendet zu werden. So ist es uns bekannt, daß bei Traismauer ein alter Eibenbaum, der beiläufig einen Fuß Durchmesser hat, zur Osterzeit vom dortigen forstlichen Aufsichts- Personale förmlich bewacht werden muß, damit er nicht seiner Aeste zu den „Palmbuschen“ beraubt werde. Bei den Alten war er den Göttern der Unterwelt geweiht, wohl aus dem Grunde, weil die Nadeln dieses Baumes giftig sind und schon die Ausdünstung seiner Krone zarteren Naturen Unwohlsein verursacht. Der alte Plinius erzählt gar, daß die Ausdünstung des Taxus zur Blüthezeit den Tod bringe, was eine ungeheure Uebertreibung ist. In unseren Gegenden beißen Hirsche, Rehe und auch Schafe und Kühe nicht selten die Spitzen der Eiben ab, wahrscheinlich um sie in kleinen Mengen als eine Art Gewürz zu verzehren. Größere Mengen von Eibenzweigen, mit denen Hausthiere absichtlich gefüttert wurden, brach- ten denselben aber in wenigen Stunden den Tod, obwohl Ziegen z. B. sich die auch für sie giftigen Zweige recht gut schmecken ließen. Die rothen Beeren, welche von süßlichem Geschmacke sind, werden in Deutsch- land häufig von Kindern ohne Schaden verzehrt. Ueber den Eibenbaum-Club , dessen ich im Text Erwähnung gethan habe, sind mir noch folgende Zeilen zugegangen: „Was die Ver- söhnung der Parteien angeht, die sich mehr als einmal unter dem Eiben- baume vollzog, so würde ein bekannter märkischer Schriftsteller, zugleich Reichstagsmitglied, mit seiner in hohem Alter bewahrten Frische, viel- leicht am besten im Stande sein, Ihnen eine launige Erzählung zu liefern; andrerseits — da von ihm persönlich die meisten Schlagwörter, Einfälle, Scherze ausgegangen sind, — wird er sich selbst nicht in Scene setzen, am wenigsten aber die gebotene Diskretion und Rücksicht gegen seine Collegen außer Acht lassen wollen. Nie hat eine Zeitung über den heitern Club etwas gebracht und eben deshalb konnte man so vertrau- lich gegen einander sein. Sie wissen, wie Herr Hans Blum wegen seiner Plaudereien, die allerdings in sich viel Unschickliches enthielten, angesehn wurde und daß auch, was den Eibenbaum-Club angeht, jede Indiskretion wieder schlecht machen könnte, was bis dahin unter den Zweigen des Baumes Gutes geschehen ist.“ 28* Die Cistercienser in der Mark. Benutzt: Fehr über katholische Orden. Winter über Prämonstra- tenser und Cistercienser. Ratisbonne das Leben des hei- ligen Bernhard. Encyclopädie der katholischen Theologie. Ein Aufsatz (anonym) über Klöster in der Mark. Lehnin. Benutzt: Riedels Codex diplomat. Brandenburgensis. Berghaus Mark Brandenburg. Klöden Geschichte Waldemars. Heff- ter Geschichte des Klosters Lehnin. Die Havelschwäne. Benutzt: L. Schneider die Schwanenfütterung bei Potsdam. (Siehe Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams. Band I. ) Mündliche und briefliche Mittheilungen des Gar- nisonschullehrers Wagener in Potsdam. Die Seeschlacht in der Malche. Benutzt: Krüger Geschichte der Stadt Spandau. Die Pfaneninsel. Benutzt: Kopisch die Königlichen Schlösser. L. Schneider Kunkel v. Löwenstern. Mündlicher Vortrag L. Schneiders über das Gastspiel der Rachel auf der Pfaueninsel. Caput. Benutzt: „Caput“ Aufsatz vom Garnisonschullehrer Wagener in Band IV. der Mittheilungen des Bereins für die Geschichte Potsdams. Die Begegnung der drei Friedriche, nämlich Friedrichs IV. von Dänemark, Friedrich Augusts von Sachsen und Friedrichs I. von Preu- ßen (vgl. S. 180) ist auf einem großen Staatsbilde im Charlottenbur- ger Schlosse dargestellt. Alle drei sind in rothe Königsmäntel gekleidet, tragen mächtige Allongeperücken und reichen sich die Hand zur Besieglung ihres Bündnisses gegen Frankreich. Dies Bündniß wurde zu Berlin geschlossen, wohin sich die dänische und die sächsische Majestät begeben hatten und gab Veranlassung zu einer der blasphemistischsten Schmei- cheleien die jemals vorgekommen sind. Um dieselbe Zeit nämlich wurde dem Berliner Hofe ein Prinz geboren, der nun — in einer Dichtung jener Epoche — unter glücklicher Ausnutzung der Situation, ohne Wei- tres mit dem Christuskinde und die anwesenden drei Könige mit den 3 Königen aus Morgenland verglichen wurden. Der König Friedrich I. war so entzückt von diesem Vergleiche, daß er 10,000 Thaler an den talentvollen Dichter auszuzahlen befahl. Was will die „Wacht am Rhein“ und Max Schneckenburger daneben sagen! Bornstädt. Benutzt: L. Schneider „Ist Gundling in einem Weinfasse begraben?“ (Verein für die Geschichte Potsdams.) Marquardt. Benutzt: Fidicin Osthavelland. Pöllnitz Lebens- und Regierungs- geschichte der vier letzten Regenten. Massenbach Memoi- ren zur Geschichte des preußischen Staats unter den Regie- rungen F. W.’s II. und III. Feßler Rückblicke auf meine 70jährige Pilgerschaft. Mündliche und briefliche Mitthei- lungen des Herrn Tholuck in Marquardt und des Herrn Prediger Müller in Fürstenwalde. (Die andern benutzten Schriften sind im Texte selbst genannt worden.) Oberst Massenbach und General v. Bischofswerder. Wir haben schon im Text, pag. 272 und die folgenden Seiten, hervorgehoben, wie alle Unterredungen, die Bischofswerder mit Massen- bach führte, sich keineswegs durch Reservirtheit, Dunkelheit oder Zwei- deutigkeit, sondern umgekehrt durch Offenheit, Entgegenkommen und vielen bon sens auszeichneten, in welcher letztren Eigenschaft er dem phantasievollen, immer neue Pläne gebärenden Massenbach gewiß überlegen war. Aus den Unterredungen, die der letztere aufgezeichnet hat, geben wir hier drei. Erste Unterredung im Januar 1794. Der Herzog von Braun- schweig, aufs höchste degoutirt, hatte seine Abberufung von der Armee am Rhein verlangt. Möllendorf sollte ihm im Oberkommando folgen, folgte ihm auch wirklich. Massenbach, der den Herzog für fähiger hielt, war bemüht ihn der Armee zu erhalten. Er reiste vom Hauptquartier nach Berlin, suchte Bischofswerder auf und drang in ihn, der vom Herzog eingereichten Demission nicht Folge zu geben. Massenbach . … Der Herzog wird das allein Richtige thun; Möllendorf nicht. Bischofswerder . Haben Sie den Auftrag vom Herzog, wegen seines Verbleibens offiziell zu sprechen? Massenbach . Nein. Bischofswerder . Was Sie mir über den Krieg und seine nach- drucksvolle Fortsetzung gesagt haben, will ich dem Könige vortragen. Hätte Ihnen der Herzog einen Wink gegeben, nur den Wunsch geäußert … Massenbach . Den Wunsch hat er nicht mit Worten geäußert, aber ich gebe meinen Kopf zum Pfande: le Duc ne demande pas mieux. Bischofswerder . Können Sie mir dafür gut sagen? Massenbach . Ja, Herr General! Der Herzog bereut es schon, seine Zurückberufung verlangt zu haben. Gesagt hat er das nicht mit Worten, aber seine Physiognomie sagt es. Bischofswerder . Wären Sie einen Tag früher gekommen. Möllendorf ist ernannt. Doch ich will einen Versuch machen. So die Unterredung. Der Versuch wurde wirklich gemacht, aber er glückte nicht. Zweite Unterredung im Februar 1795. Sie betraf denselben Gegenstand: den Herzog . Die Dinge am Rhein waren schlecht gegan- gen, Holland war verloren. Massenbach war der Ansicht, nur der Herzog könne den Krieg zu einem glücklichen Ende führen. Er trug dies Bischofswerdern vor. Massenbach . . . Ich sehe wohl die Scheidewand zwischen dem Könige und dem Herzog; aber ist es nicht möglich diese beiden Herren wieder einander näher zu bringen? Bischofswerder . Nein. Der König hält den Herzog für zu bedenklich, für zu unentschlossen. Massenbach . Beim Entwurfe der Operationen, ja, da ist der Herzog bedenklich; aber im entscheidenden Moment, im Gefecht, wer hätte da den Herzog je bedenklich und unentschlossen gesehn? Bischofswerder . Massenbach, sind Sie aufrichtig? Massenbach . Ich lege die Talente des Herzogs in die eine, die Talente Anderer in die andere Wagschale und die Schale des Herzogs sinkt. Der Herzog besitzt keine absolute Größe, aber in Vergleichung mit vielen seiner Zeitgenossen, ist er doch ein großer Mann. Man geb’ ihm Spielraum; Manstein ist entfernt; mit Zastrow wird sich der Her- zog verstehen. Bischofswerder . Glauben Sie? Sie irren sich in Zastrow, wenn Sie glauben: er lasse sich leiten. Er will leiten. Der Herzog wird also auch bei Zastrow auf Schwierigkeiten stoßen, die ihn bald wieder abschrecken werden. Der Herzog, bei all seinem Verstande und bei allen seinen großen Einsichten, ist doch ein schwacher Mann . Dritte Unterredung um dieselbe Zeit … Februar 1795. Sie betraf dieselben Gedanken, die wir schon im Text, S. 273 mitgetheilt haben: Bündniß mit Frankreich . Noch war man im Kriege mit der Republik, stand aber dicht vor dem Friedensschluß (Basler Frieden), was Massenbach nicht wußte. In dem Augenblick, wo letztrer dies durchschimmern sah, gab er seinen Plan: Energische Fortsetzung des Krieges gegen Frankreich, auf, und proponirte, die neue Situation schnell erfassend: Bündniß mit Frankreich. Ein bloßer Friedensschluß war ihm etwas Halbes, entweder zu viel oder zu wenig. Bischofswer- der befand sich diesem rapiden Andringen gegenüber, das von zwei ver- schiedenen Seiten her ihn faßte, in einer üblen Lage. Er zog sich diplomatisch-taktvoll und doch ohne alle Ausflüchte und Geheimniß- krämerei aus der Situation heraus. Massenbach . Das einzige Mittel, einen dauerhaften und ruhm- vollen Frieden zu erlangen, besteht darin: den Krieg mit Nachdruck fortzusetzen und Holland wieder zu erobern. Bischofswerder . Wir haben keine Mittel den Krieg gegen Frankreich fortzusetzen; der böse Wille der Oestreicher ist offenbar; wir müssen Frieden machen. Massenbach . Ein partieller Friede mit Frankreich setzt uns großer Gefahr aus. Wir werden uns mit Rußland entzweien. Bischofswerder . Rußland ist ohnedies unser Freund nicht. Die polnische Campagne hat es sattsam bewiesen. Sie sollten Suwa- rows Brief an den König sehn: „Praga raucht, Warschau zittert! Auf den Wällen von Praga. Suwarow.“ Was denken Sie von dieser Sprache? Massenbach (nach kurzem Schweigen). Liegen die Dinge so , ist Rußland unser Freund nicht , so mache man mit Frankreich nicht nur Frieden, sondern schließe eine Offensiv- und Defensiv-Allianz mit den Fünf-Männern. Bischofswerder . Das ist zu früh. Massenbach . Der Schritt vom Frieden zum Schutz- und Trutz- bündniß ist in Wahrheit ein kleiner Schritt. Ich bin nicht für halbe Maßregeln. Entweder die nachdrucksvollste Fortsetzung des Krieges gegen Frankreich, oder Allianz mit dem Direktorium. Der Frieden ist eine halbe Maßregel. Bischofswerder . Eine Allianz verbietet sich. Jedenfalls ist es zu früh. Man kann nicht wissen, welche Gestalt die Dinge in Frank- reich annehmen werden. So schloß diese Unterhaltung. Am 5. April 1795 erfolgte der Bas- ler Frieden. Aus allen diesen Gesprächen aber, wie man auch politisch zu den in ihnen angeregten Fragen stehen mag, geht wenigstens soviel hervor, daß Bischofswerder nicht der Mann war, der weiter nichts that „als geheimnißvoll schweigen und wenn er ein Gespräch nicht vermei- den konnte, in unartikulirten Tönen zu sprechen.“ Ignaz Aurelius Feßler, katholischer Geistlicher, dann Freimaurer, dann protestantischer Consistorialpräsident in Rußland, gründete in den 90er Jahren in Carolath (Schlesien) den Evergeten-Bund. Diese Ver- bindung erstrebte ursprünglich nur gegenseitige sittliche und wissenschaft- liche Ausbildung; später aber, nachdem Feßler bereits ausgetreten war, erhielt der Bund auch einen politischen Charakter und drei unzufriedene Evergeten griffen den Grafen Hoym, Minister für Schlesien, heftig an. Nun erfolgten Nachforschungen, Verhaftungen, Beschlagnahmen; man fand auch Briefe von Feßler und setzte nunmehr diesen oben an auf die Liste der Conspiratoren. (Der König — wie S. 275 erzählt — strich eigenhändig Feßlers Namen von der Liste.) 1796 lebte F. in Berlin. Er befand sich damals in bedrückter Lage und in dieser Lage nahm ihn Bischofswerder, der ihm wohl wollte, mit nach Marquardt hinaus. Feßler selbst schreibt: „der General that das Mögliche; er nahm mich treuherzig auf, gab mir Gelegenheit, den rechtschaffenen Staatsmann (so weit es unter den verworrensten Umständen möglich war) in ihm zu verehren, den uneigennützigen Vater seiner Unterthanen in ihm zu lieben. Er schien Vertrauen zu mir gefaßt zu haben.“ Woran die Bemühungen Bischofswerders scheiterten, habe ich im Text S. 281 erzählt. 1798 wurde Feßler Rechtskonsulent in geistlichen und Schul-Angelegenheiten für Neu-Ost- und Südpreußen. Später, von 1803—7, lebte er auf dem Freigut Kleinwall an dem „mäandrischen Flüßchen Lökenitz ,“ dann ein Jahr lang, bis 1808, in Nieder- schönhausen , dann etwa 1 oder 1½ Jahre in Bukow bei Beeskow , an allen drei Orten literarisch thätig. — Seine oben citirte Selbst- biographie: „Rückblicke auf meine 70jährige Pilgerschaft“ bringt über seinen Aufenthalt an diesen kleinen märkischen Ortschaften interessante Mittheilungen. Ueber Bischofswerder und Wöllner schrieb W. Alexis sehr rich- tig: Die Herrschaft gedankenloser Rou é s, zu Ende der 80er Jahre, konnte nur dahin führen, den Boden zur Aufnahme einer andren Saat bereit zu machen. Ein Ekel mußte schließlich jede bessere Natur über- kommen … Die Versuche der Wöllner und Bischofswerder , die jenen Verfall sehr wohl erkannten, kamen nur zu früh, zu unge- schickt . Die Marquise Lucchesini, so schreibt W. Alexis an andrer Stelle, haßte ihre Schwester, die Bischofswerder, auf Tod und Blut. Sie erklärte ihrem Gemahl (damals Gesandter in Paris), wenn sie mit ihr unter dem Himmel einer Stadt leben müßte, verginge sie an Krämpfen. Geheime Gesellschaften. Das Geisterbeschwören war, in den ersten Jahren der Regierung Friedrich Wilhelms II. , in Berlin an der Tagesordnung. Die Ver- ständigen lachten und deckten mal auf mal den Betrug auf, der oft von der gröbsten Art war; die Dinge hielten sich aber bis zum Thronwech- sel. So erschien 1789 der Geisterbeschwörer Mr. St. Philidor, der, am 30. März, eine Gesellschaft von 14 Männern, natürlich gegen Erlegung ebenso vieler Friedrichsd’ore, zu einer „Vorstellung“ einlud. Der 13. Band der „Berlinischen Monatsschrift,“ herausgegeben von F. Gedike und F. E. Biester, bringt darüber folgendes: „Vor der Thüre mußten die Geladenenen Mäntel (namentlich Pelze) und Stöcke ablegen, welch letztere Entwaffnung in nur allzu begründeter Vorsicht ihren Grund haben mochte. Die Geladenen wur- den darauf im zweiten Stockwerk in ein länglich-viereckiges Zimmer mit geweißten Mauern und mit zwei Fenstern und einer Thür, und in demselben auf einen mit Latten abgesonderten engen Platz geführt, auf welchen an beiden Ecken eine metallne Hand hervorstand. Nahe an der Thür stand ein Gehülfe des Geisterbeschwörers. Im Zimmer war sonst nichts als innerhalb einer auf dem Fußboden mit Kreide gezogenen Ellipse, ein zusammengeschlagenes schwarzes Tuch, eine bren- nende Lampe und ein Rauchfaß befindlich. Der Zauberer hielt über- dem im Anfange ein brennendes Wachslicht in der Hand und war ohne irgend eine Auszeichnung schwarz gekleidet. Er fragte seine Gesellschaft im pathetischen Tone: „ob sie fest entschlossen wären, Geister zu sehen“ was allerseits bejaht wurde. Er erinnerte sie nunmehr, daß er nicht wie Schröpfer eine 14tägige Vorbereitung in der Diät zur Einweihung in diese Mysterien erfordert habe; daß er auch des sonst gewöhnlichen Hülfsmittels nicht bedürfe, zufolge dessen man sonst nur zwei oder drei Personen zuzulassen unv solche den ganzen Tag über in demselben Zim- mer einzusperren pflege. Er seinerseits verlange nur, daß Niemand sich von der Stelle bewege, Niemand etwas angreife, Keiner während der Operation spreche, noch weniger einem Andern seine Gedanken über das Gesehene mittheile . Sobald eines von diesen Gesetzen über- treten werde, stehe er nicht mehr für die überaus große Gefahr , welcher sie sämmtlich dadurch ausgesetzt sein würden. Er legte nunmehr das schwarze Tuch, als zu der Feierlichkeit wesentlich nöthig, auseinander, und bedeckte damit den Fußboden längs der Zauberwand. Licht und Lampe wurden ausgelöscht und in der völ- ligen Dunkelheit, die jetzt herrschte, benutzte er noch dazu das Rauchfaß auf eine für die Augen seiner Zuschauer sehr empfindliche Art. Mit väterlicher Sorgfalt erinnerte er sie nochmals in jeder Pause an die große Gefahr in welcher sie sich befänden, empfahl ihnen sich die Hände zu geben und denen beiden, welche an den Ecken standen, die metallne Hand anzufassen, welche er in der Dunkelheit für eine abgestorbene Hand ( main morte ) ausgab. Die hierbei von einem der Zuschauer mit Nachdruck gegebene Versicherung „daß der Zauberer, durch etwaige Anwendung eines zu empfindlichen elektrischen Schlages, sich einer unangenehmen Erwiderung aussetzen würde,“ verstimmte zuerst den feierlichen mysteriösen Ernst, bei welchem allein eine Täuschung gedeihen kann. Die Beschwörung nahm nun mit gebieterischer aber dumpfer und unverständlicher Stimme, nach einem Hin- und Herschreiten im Kreise, mit dem Zauberstabe den Anfang. Es waren fast dieselben heiligen Worte („Helion, Melion, Tetragrammaton“) denen Cagliostro über- natürliche Kräfte beimißte, mit „Jehovah“ und einigen französischen Formeln: „Parois, esprit terrible! Esprit terrible epargne moi“ ver- mischt. Ueber dem Zimmer ertönte ein Donner und das Lämpchen warf einige Funken von sich. Nach einigem Hin- und Herbewegen des Rauchfasses, und nach einigen in Extase auf die Zuschauer geworfenen Blicken, erschien auf ein lautes: Esprit, parois! an der von den Zuschauern etwa 12 Fuß entfernten weißen Wand der Geist Vol- taires , in weißem, langem Gewande, mit rundem Haar, fast in natürlicher Größe. Der Zauberer fragte, seines Verbots vom Still- schweigen selbst uneingedenk, die Gesellschaft: „ob sie den Geist erkenn- ten“ und als man ihm antwortete, daß man die fast unkennbaren Gesichtszüge deutlicher zu sehen wünschte, entschuldigte er sich damit: daß er sich nicht anheischig gemacht habe Körper zu zeigen. Das Phantom schien sich im Profil etwas rechts zu bewegen, und würde ohne den dicken Rauch, wie ein Schattenspiel ohne Farben, oder wie eine ver- größerte, jedoch weiße ombre chinoise geschienen haben. Es verschwand, nachdem, der mitleidige Zauberer durch klägliche Beschwörungen und fast epileptische Verdrehungen, die Bestrafung der ungläubigen Zuschauer glücklich abgewandt hatte. Der Geisterbeschwörer brachte hierauf Friedrich den Großen in Vorschlag, der auch sofort genehmigt wurde. Er erschien denn auch alsbald in Uniform, mit einem Federhut und völlig en face. Nach kurzem Verweilen hieß es wie im Hamlet: „Exit ghost“ und Herr Philidor zeigte sich nunmehr bereit, den schon am Abend vorher verabredeten Geist des Vaters eines in der Gesellschaft befind- lichen Engländers erscheinen zu lassen. Der Geist erschien auch wirklich, in englischer Offiziers-Uniform, etwas unter Lebensgröße und mit sehr irdischen Fehlern im Bau und in der Proportion des Körpers ausge- stattet. Da der Magier die Person des Verstorbenen nie gesehen, auch sein Bildniß weder vor den Oeuvres de Voltaire noch vor den Oeuvres posthumes de Fredéric II. gefunden hatte, so waren, wie sich denken läßt, die Gesichtszüge völlig unkennbar. Auch verrieth es wenig Fein- heit, daß er nicht einmal den Vornamen des Verstorbenen vorher erforscht hatte, so daß man sich nicht hätte verwundern dürfen, wenn beim Aufrufen des Familien-Namens, das ganze Geschlecht mit allen Vettern und Namensverwandten erschienen wäre. Das Augenscheinliche der Täuschung und die unangenehme Wirkung des immer dicker werdenden Rauches auf die Nerven, hatten der Gesellschaft die Lust benommen länger auszuhalten; einige forderten noch den Teufel zu sehn, worauf Herr Philidor jedoch aufs bestimm- teste erklärte, daß seine Macht sich blos auf gute Geister beschränke. Es war ein totales Fiasco. Wahrscheinlich hatte er die Bilder aus der Laterna Magica auf die Wand fallen lassen, welche wohl aus Pergament oder aus einem in Oel getränkten starken Papier bestand. Man fand nachher große Schnitzel von schwarzgefärbtem Papiere, woraus vermuthlich die Hauptfiguren geschnitten waren. Das schwarze Tuch hatte zu besserer Zurückwerfung der Lichtstrahlen gedient; und zur Anbringung des optischen Werkzeuges war eine Thüre ausgehoben, welche in eine an das Zimmer stoßende Kammer führte, wo ein Licht war. Bei einem bequemeren Lokal, bei genauerer Beobachtung des Rituals und bei Hiwegräumung alles dessen, was Verdacht erwecken mußte, würde die Täuschung erträglicher gewesen sein.“ Einen sehr ähnlichen Bericht über die „Vorstellung“ faßte Freiherr v. d. Reck, Kammerherr und damals Generaldirector der K. Schau- spiele ab. Paretz. Benutzt: Adami Königin Luise. Eylert Charakterzüge aus dem Leben Friedrich Wilhelms III. Lehnerdt , Pastor zu Fal- kenrehde, „Erinnerungen.“ Fritz Schultz Paretz, eine historische Skizze. Schadow Kunstwerke und Kunst-Ansich- ten. Mündliche und briefliche Mittheilungen des Hofgärt- ners Wilken . Das Belved è re. Eine Viertelmeile von Paretz entfernt befindet sich das „Belved è re,“ das, als Aussichtspunkt, schon 1803 angelegt wurde. Es ist ein als gothische Ruine gedachter viereckiger Thurm, der zunächst aus einem Erdgeschoß und darüber aus einem großen gewölbten Zimmer mit vier Spitzbogen-Fenstern besteht. Das Zimmer selbst einfach geweißt. Es gewährt einen freien Blick über die übrigens ziemlich monotone Land- schaft. Inmitten des Zimmers steht ein großer runder Kaffeetisch; um diesen herum 12 Stühle. Friedrich Wilhelm III. liebte es, bei gutem Wetter, hier die Kaffee- oder Theestunde zu verplaudern. Die einzige Sehenswürdigkeit dieses Orts, richtiger ein Curiosum, bilden 30 größere und kleinere Theater - und Circus-Zettel aus allen Ländern Europas, die, bis zu erheblicher Höhe, die Wände bedecken. Die größere Hälfte davon hatte der König von seinen gele- gentlichen Reisen mit heimgebracht; sie wirken deshalb wie Tagebuch- blätter aus einem Reise-Journal. Die französischen Theaterzettel sind aus den Jahren 15, 17 und 25. Ein Zettel aus dem Jahre 15 lautet: Odeon , Theatre Royal. Les Comediens français du Roi don- neront, aujourd’hui lundi 2. Octobre 1815, la première representa- tion de: „Passons les Ponts ou le Voyage au Faubourg St. Ger- main; A-propos en un acte en vers et en prose; precédé „d’un Trait de Frédéric le Grand, ou la Journée des Dupes“ comedie en cinq actes et en vers de Mr. Armand Charlemagne. Daran reihen sich Zettel aus dem Theatre du Vaudeville, de la Gaité, des Variétés, de la Porte St. Martin, Royal Italien, Cirque Olympique und andre mehr. Unter den englischen Theater- und Concert-Zetteln ist der fol- gende der interessanteste. „Argyll-Rooms . Mademoiselle Sontag respectfully announces that in consequence of letters she has had the honor to receive from many distinguished Personages in Prussia, in conformity with their suggestions, she is induced to give a Morning Concert on Monday, 13 th July 1829, at the above Rooms for the benefit of the numerous sufferers from the recent destructive Inundations in Silesia. Mademoiselle Sontag most respectfully solicits the aid of the British Public on this charitable Occasion. (Folgen die Prinzessin- nen der Patronage, dann die „Vocal performers“, dann die Principal instrumental performers: Messrs. Moscheles and Felix Mendelssohn. — Tickets, half a guinea each, can be had of Mademoiselle Sontag, 30, Margret Street. Die Berliner Theaterzettel, aus einer Epoche die nun 35 bis 40 Jahre zurückliegt, werden, um vieler Namen willen, die damals einen guten Klang hatten, einzelne unsrer Leser interessiren: 1. Dramatische Abendunterhaltung im Königlichen Schlosse zu Char- lottenburg, 2. Juni 1837, „ Ich bleibe ledig “. Mitspielende: die Herren Weiß, Stawinsky, Crüsemann, Grua, Rüthling, Wiehl; ferner Demoiselle Clara Stich. 2. Dramatische Abend-Unterhaltung im Palais der Königl. Prin- zessinnen, 5. April 1838. „Der Gemahl an der Wand“ (Crüsemann, Rüthling, Gern; Bertha und Clara Stich). „La femme raisonnable“ (Mr. Francisque, Dlle. Lancestre, Dlle. Clozel). Dann Tanz: Sici- lienne und Pas de Diane Chasseresse. 3. Königliche Schauspiele, 24. April 1838. „ Vor hundert Jah- ren “ (Stawinsky, Wauer, Gern, Schneider, Wiehl; Fräulein Clara Stich). Darauf: „ Der Polterabend , Ballet.“ Nachrichten: Fräu- lein Charlotte v. Hagn ist unpäßlich. Nächsten Donnerstag: Herr Seydelmann Karl XII. als viertes Debüt. 4. Königstädtsches Theater, 8. Juni 1839. „ Die Reise auf gemeinschaftliche Kosten “ (Herr Beckmann als Liborius, Herr Plock als Brennicke, Mad. Urbaneck — Kommerzienräthin Baldini). Zum Schluß Vorstellung der Bajaderen aus Indien. Etzin. Benutzt: Das Tagebuch des Feldpredigers J. F. Seegebart, heraus- gegeben von Dr. K. R. Fickert . Briefliche Mittheilungen des älteren Pastor Duchstein in Etzin. Tagebuch des Pastor Seegebart, Predigers beim Erbprinz-Leopoldschen Regiment, vom 14—28. Februar 1741. Dorf Werder bei Rüdersdorff. Den 14. Februar marschirte das Regiment vor 9 Uhr aus Berlin auf Landsberg; allwo ich dito um 1 Uhr anlangte und mein Quartier bekam bey einem Schuster Namens Steinhorst. Auf dem Wege war ein kranker Bursch von des Obrist- lieutenant v. Schulenburg Compagnie Namens Thoren gestorben, der daselbst auf dem Kirchofe begraben wurde. Unterwegs traf ich ein Com- mando Bürger an, die 300 weniger 1 Recruten nach Berlin gebracht hatten von kaiserlichen Deserteurs, wie mir denn auch kurz nachher noch ein dergleichen Commando begegnete, das 25 Mann dergleichen Recru- ten dorthin begleitete. Ich sprach zu Alten Landsberg den Oberprediger Herrn Martini, und fand den Diaconum Herrn Kampen bey ihm, der erste schien ein conduisirter feiner Mann zu seyn. Aus Berlin fuhr ich mit einem in Gottes Willen gelaßenem Gemüthe. Der Herr gebe mir eine gläubige in ihm getroste und freudige Seele! Den 15. um 7 Uhr marschirte das Regiment aus Landsberg, das zu den Zeiter, da es noch den Herrn von Schwerin zugehört, ein Sitz der Socinianer gewesen, und wurde in 5 Dörffern unterm Amte Rüder- storf einquartiert. Ich bekam mit den Obrist Wachtmeistern von Götz und Osten mein Quartier im Dorfe Werder, vor dem Ende bey einem Manne namens Fleischhauer, so ein klein Freiguth besaß, wo man mir alle Willfährigkeit erwieß. Der Prediger dieses Orts von Einem, ein Edelmann der Geburth nach, stund bei den Leuten in geringem Credit, weil er Narrentheidinge auf der Cantzel und andere Possen auf der Cantzel vorbringe, darüber nicht nur Zuhörer, sondern auch er selbst lachen müße. Des Abends ging ich zu ihm, und blieb bey ihm zum essen, wozu er mich auch den folgenden Tag bitten ließ. Er ist ein freier Mann, der doch vieles vom Glauben und Buße saget. Weil er ein hannöver isch-Göttingischer patricius, so nennet er die Bauer, denen er durchaus gram ist, nur den Pöbel und die Canaille. Mein hospes mag wol ein privat -Haß wider ihn haben, weil er seine Frau, die von einem Grenadier geschwächt 10 Wochen nach ihrer Hochzeit entbun- den worden, zwar als Jungfer aufgeboten, aber es auch hernach öffent- lich gerüget hat. Herr Jesu sey Du meine Weisheit auch in der Führung meines Amts! Den 16. ward vom Major v. d. Osten zum essen gebeten, weil es aber schon dem Prediger zugesaget, so refusirte es bey diesem, und zu jenem nahm Mr. Warnicke mit. Nachmittags ritte auf eine Viertheil- Meile von meinem Quartier nach Zindorff zum Prediger Hrn. Scheibler, einem Sohn des ehemaligen Inspectoris zu Lindo bey Ruppin. Die Frau ist ein kluges conduisirtes Weib, Er selbst nicht ohne wahre Gottesfurcht und gründliche Erkenntniß vieler Wahrheiten. Sein ante- cessor Kohlhart ist vor 14 Jahren ausgetreten mit etlichen 100 Thlrn. Kirchen-Geldern, weil er sammt seinem Vater mit seiner gehabten Magd in Unreinigkeit gelebt, und auch sonst nicht nur unanständige Handthierung getrieben, sondern auf alle mögliche Weise ein höchst ärgerliches Leben geführt. Der Hr Scheibler hat vielen Verdruß aus- stehen müssen, weil er die Unordnung abgestellt wissen und unter das unbändig rohe Volk Erkenntniß des Heils bringen wollen. NB. Hier habe 3 rationes bekommen, da mir in dem ersten Nacht- Quartier nur 2 gereichet worden. Fürstenwalde 17. Februar. Morgens um 7 Uhr reisete von Werder ab und kam um 11 Uhr in Fürstenwalde an, allwo ich mein Quartier bey einer Kunst-Pfeiffer-Wittwe, die Hörnichin genanndt, bekam. Sie hat 2 mannbare Töchter, die bey ihrer großen vorgeblichen und schein- baren Dürfftigkeit der Galanterie ergeben zu sein mir vorkamen. Der Herr gebe, daß ich mich irre. Auf dem Marsch stießen mir manche kleine widrige Zufälle auf, welche mir Gelegenheit gaben, die Nothwen- digkeit der Wachsamkeit auch dabey zu erkennen. Nachmittags machte Visite beym Archidiacono Herrn Baumann. Herr Baumann hat eine Lieberkühnia aus Berlin. Es gefiel mir nicht übel im Hause bey ihnen, wie sie denn auch nebst einem vorge- setzten Caffee auch das Abendessen mich bey ihnen einnehmen ließen. Der Mann scheint ein gutes Gemüth zu haben. Sie ist ziemlich chole- risch. Er hat zuerst unter dem ( ni fallor ) Dewitzischen Regiment cavallerie in Preußen gestanden, nachdem er 2 Jahr zuvor beym vorigen Feld-Probst Gädicken im Hause gewesen. Hernach ist er Prediger zu Bernäuchen unter der Bernauischen Inspection geworden. Darauf zu Charlottenburg bey Berlin; von wo er auf Vorschlag des Feld-Probsts Carstedt nach Fürstenwalde gekommen. Multum in discordiis versatus est et apud Carolinaburgenses et ita esse dicitur apud Fürstenwaldenses. Frankfurt. Am 18. ging ich nach Frankfurt, wo ich abends gegen 8 Uhr arrivirte. Ich fand daselbst beym Pastore der Unterkirche Herrn Hitzwedel den Herrn Feldprobst nebst einem Fähnrich Glasenapschen Regiments von Hart, welcher bekehret seyn soll. Man empfing mich mit complaisance. Ich nahm mein quartier samt dem Feld-Probst bey einem Kamm-Macher Herrn Wiesiger einem guten Freunde des Hrn. Hitzwedels. d. 19. Weil es ein Sonntag war, so hörte 3 Predigten : Vormittags in der Oberkirche einen alten Candidaten nahmens Hort- leder, so zur Probe predigte zur Pfarre in Kunersdorff, einem Dorfe so dem Magistrate in Frankfurt zugehörig. Eine so schlechte und magere Predigt habe lange nicht gehöret. Denn es war der Vortrag so indis- cret, daß er nur lauter bekehrten Christen, deren er wol wenige vor sich haben mogte, predigte. Die ganze Predigt war ein ausgedörrtes Sceleton, dessen Theile kaum aneinanderhingen. Er wollte das ganze Evangelium erklären, vergaß aber die Hauptsache und blieb bei den magern Umständen des Orts, der Zeit ꝛc. ohne es durch porismata zu appliciren; begieng auch das falsum, daß Christus nachher niemals mehr vom Teufel versucht worden, da gleichwol einer der Evangelisten ausdrücklich meldet, daß der Teufel nur NB. eine Zeitlang von ihm abgelassen. Um die Mit- tagszeit hörte in der Unter-Kirche den Hrn. Ellinger, Archidiaco- num daselbst. Der Mann mag nicht ohne Gnade seyn, steht aber in einer gar zu heftigen Gemüthsfaßung. Theilet aber sonst das Wort recht. Die Bitterkeit, so er gegen das auditorium zu haben scheint, mag vielen Segen hindern. Nachinittags hörete in der Oberkirchen (bey jetziger vacantz des diaconats, wozu Herr Hitzwedel gelangen wird) diesen Hrn. Hitzwedel. Er predigt noch so wie sonst zu Berlin i. e. biblisch, aber ohne specielle application an die herkömmlichen Bräuche, die Zuhörer zum Herrn Jesu zu ziehen. Der Herr lehre und beßere uns und gebe mir Gnade, die an euch bemerkten Fehler zu meiner Besserung anzuwenden. In Frankfurt giebt es viel schöne Leute. Die Universität war sehr schwach, so daß nach der Aussage Mr. Colbergs stud. theol. Luther. die Anzahl der Studenten nicht über 120 belaufen mögte. In der Oberkirche war eine schöne Musique, weil ein Dankfest, daß Gott vor etwa 200 Jahren ( anno 1565) die contagion und Wassers-Noth abgewandt, gefeiert wurde. 2 Paar Pauken, die Trom- peten und schöne Orgel machten ein gewaltiges Gethöne. Die Leute haben unter der Music die Gewohnheit, daß sie ins gesammt ein Gebet oder sonst etwas lesen, weil, wie einer sagte, sie doch vom Text der music nichts verständen. Die Schule soll unter dem Rectorat des Hrn. Christgau mehr ab- als zunehmen. In prima classe sollen etwan 20 sein. Daß seine Frau sich in Schulsachen mischt, soll Schuld daran seyn. Vormittags besuchte Hrn. Hitzwedel und Ellinger, der mir man- ches von dem irregulären Verhalten des Predigers Colberg’s erzählte, item von seines Collegen Frauen, die auf einer Hochzeit in Mariti Gegenwart brav mitgetanzet, zuletzt auch mit den gemeinsten Bürgern; item ein andermal nicht nur dieses, sondern sich auch von mehrern Anwesenden, auch Studenten öffentlich küssen lassen. Er referirte mir auch manchen falschen Streich, den er ihm gespielt, item von so vielen Leiden, die er ausgestanden um des angelegten Waisenhauses willen, da er auch von den hospitaliten einmal sey geprügelt worden. Reppen. Den 21. ging der Marsch auf Reppen. Ich fuhr aus morgens um 9 Uhr und langte mit dem Regiment um 1 Uhr daselbst an. Das quartier bekam beym Ober-Pfarrer Herr Klewer obgleich das billet auf den Diaconum gerichtet war. Denn aus Irrthum und vielleicht besonderer göttlicher direction wieß man uns dorthin. Reppen ist ein ebener Flecken, oder, weil es drei Bürgermeister hat, eine mäßige, aber pauvre Stadt. Herr pastor primarius Klewer ist 14 Tage lang unter dem jetzigen Glasenapschen, ehemals Wartensleben- schen Regiment musquetier gewesen. Auf Vorstellung der jetzt ver- wittweten Königlichen Frau Mutter aber wieder losgegeben worden; hernach auf recommendation höchst derselben in seinen jetzigen posten gekommen, der immer jährlich bis 600 Thlr. und darüber einträgt, aber auch mit vieler Arbeit verknüpft ist. Er ist ein ansehnlicher Mann. Schade daß er nicht fromm ist. Wenn sein natürliches Ehr- gefühl und hospitalitas geheiliget wäre, würde er nutzbar und ange- nehm seyn. Er dünkt sich ein starker Wolffianer zu seyn. Da ihm aber auf die Zähne fühlte mit einem Paar dubiis, so sahe wohl, daß er etwas, aber nicht viel von der Philosophie wußte. Hätte sein Weib Anleitung zur Gottseligkeit, sie würde Gott sehr treu seyn, da sie bey einem natürlichen Wesen so sehr viel artiges und gutes an sich finden lässet. Der Herr helfe ihr, und sey gelobt, daß er meine Seele nicht ohne Gnade in dieser Wüste gelassen. Den 22. Febr. war Ruhetag, doch nicht für mich; denn ich reisete mit meinem Hrn. hospite und hospita, ich zu Pferde und sie im Wagen, nach Drentzig zum Hrn. Büttner Past. 1., weil er uns invitirte. Die- ses Dorf liegt nach Frankfurt zu ½ Meile von Reppen. Wir trafen daselbst den Amtmann von Neuendorf Hrn. Baier, der Hrn. Büttner die Kirchen- Rechnung abnahm. Meine Seele fand daselbst keine Ruhe und gefiel mir nichts, als daß Herr Büttner zu einem weggehenden Kirchen-Vater sagte: fürchtet Gott und betet fleißig. Gott lehre es euch recht! Sternberg. Den 23. ging der Marsch nach Sternberg, einem etwas kleinern und geringern Ort als Reppen, und umliegende Dörfer. Ich sprach unterwegs zu Botscho beym Prediger Hrn. Pirscher ein, weil ich einen Brief von Hrn. Klewer an ihn zu bestellen bekommen. Dieser, ein ehrlicher, und wo nicht wahrhaft frommer, doch vom Reich Gottes nicht weit entfernter Mann, gab mir, meinen Leuten und Pferden zu essen und Futter und bewieß sich sonst in allen Stücken cordat. Er dimittirte mich mit vieler tendresse und Freundschaftsbezeugung, und ich kam in Sternberg um 4 Uhr an, da ich des Morgens ¾ auf 10 Uhr aus Reppen gereiset. Mein Quartier daselbst ward mir angewiesen bey dem Prediger Herrn Landvoigt, einem Manne der den Schein eines gottseligen Wesens, oder wenn dieses nicht, doch den Namen davon haben wollte: aber nichts von der Kraft der Gottseligkeit an sich hatte. Indes that er mir und den meinigen Gutes. Das Land Sternberg heißt das Knödel-Land, weil viel Knödel- Bäume wilde Obstbäume. auf dem Felde sowie bey mir die Eichbäume stehen. Und ist der Adel darin gleichsam gesäet. Allein in dem kleinen Flecken sollen nach Aussage des Herrn Landvoigts an die 60 adeliche Personen seyn. Zum Spaß, sagte mir Hr. Klewer zu Reppen nach seinem aufgeweckten Naturell, hat man daselbst das Sprüchwort: „die Adelichen wären Fontane , Wanderungen. III. 29 vom Teufel gesäet und als er über Sternberg gekommen, sey ihm der Sack aufgegangen.“ Züllichau. Den 24. Februar marschirten wir in die Herrschaft des Grafen von Rottenburg. Ich wurde zur Compagnie des Major v. Rintorf und des Capitain v. Nekern gesellt und bekam auch Quar- tier in Driebitz, einem kleinen Dorfe. Ich bey dem Dorf-Schulmeister nahmens Elias Brose. Der Prediger dieses Orts wohnt zu Beutnitz, einem kleinen Städtchen: er heißet Schultze. Er hat 6 Dörffer, die zu ihm in die Kirche kommen müssen. In der Neumark haben die Prediger zum Theil schon viel Dörffer und müssen mehrere 3 mal, der Sternber- gische 4 mal an einem Sonntage predigen. Die Leute reden hier schon sehr unverständlich, ob es gleich noch 4 Meilen dießeit Züllichau lieget. NB. Gedachter Herr Graf ist ein Bruder des in französischen Diensten bisher gestandenen von unserm König zurückberufenen und zum Obristen über ein Regiment Cavallerie ernannten Grafen von Rottenburg. Rothenburg. F. Den 25. Febr. war Ruhe-Tag zu Driebitz. Ich ließ mein Zelt aufschlagen und speisete des Mittags mit den Lieutenants von Heine und Katte beym Capitain von Nekern. Den 26. Februar marchirten um 7 Uhr die 2 vorher in Driebitz gestandenen Compagnieen nach Blumberg, wo auch die vom Capitaine von Bandemer zu uns stieß. Dieses Dorff gehört der verwittweten Baronesse (oder vielmehr ihren noch unmündigen Kindern v. Schmettau. Es ist außer 4 Häusern vor beynah 4 Jahren gantz abgebrannt und nun neu mit regulairen Straßen auf einem andern Orte aufgebauet. Es war beschlossen, daß ich sammt den Officiers auf dem Schlosse spei- sen sollte. Weil man aber aus vorgegebener Unwissenheit meines quartiers, mich nicht formellement invitirte, so blieb zurück und aß schon bey meinem Wirthe, als mir mein Knecht die von dem Amts- Schreiber committirte invitation brachte. Mein hospes war ein Schneider wie der zu Driebitz Nahmens Wotscheski; die Einwohner dieses Orts müssen nach Pommertzig, ¼ Meile davon nach Züllichau zu, in die Kirche gehen. Woselbst der Prediger Hr. Samuel Borchart etwa auf die 8 Jahr gestanden. Eine starke Meile hinter Blumberg kam der Major von Goetz uns entgegen aus der blocquade von Glogau, der daselbst hart kranck gelegen, auf ausdrücklichen Befehl des Königs, der sich noch gestern bey seiner Abreise dort befunden. Glogau ist noch nicht an die unsrigen übergegangen gewesen. Auch sind damals eben noch nicht Anstalten gemacht worden, die Festung mit Gewalt anzugreiffen. Den 27. ging das ganze Regiment nach Züllichau, wo wir um 11 Uhr anlangten. Mir wurde Quartier gegeben beym Bürgermeister Segenitz, dessen Ehefrau eine Schwester von dem unglücklichen zu Berlin ausgestäupten Geheimen Rath Wilken war. NB. Zu Blumberg vernahm auch, daß der Prediger in Pom- merzig Hr. Samuel Borchart ein redlicher Mann wär. Die Leute, bey denen mein Quartier bekam waren ungemein red- lich, dienstfertig und gottesfürchtig. In Züllichau verhielt sich der Lieutenant von Klöden und der Hr. Capitain sehr grob gegen mich und ließ mir sagen künftig noch gröber zu seyn, doch dieses mir nicht unmittelbar, sondern durch andere. Er praetendirte mein quartier, das mir durch ein billet, da ich noch eine Stunde eher ankam als er, war zugetheilet worden. Ich sprach des Abends Hrn. Cantor Kannengießer daselbst, der mich des Abends mit sich zum essen nahm wo ich Hrn. Diaconum Kampe nebst seiner Frau antraff. Ich wurde nicht wenig erquicket. Den 28. war Ruhetag. Ich besuchte das Waisenhaus und dessen Buchladen. Hr. pastor Steinbart an demselben bewieß mir viel Liebe. Gott hat ihn reichlich begnadigt. Am 1. März marschirte das Prinz Leopoldsche Regiment, sammt seinem Prediger Seegebart, in Schlesien hinein. Seegebart setzte das Tagebuch bis zum Beginn der Winterquartiere (18. November 1741) fort. Dann giebt er uns noch — in einem Briefe an den Professor Michaelis in Halle — eine Beschreibung seiner Betheiligung an der Bataille von Chotusitz, aus der wir im Text die Hauptstelle bereits citirt haben. Das Tagebuch macht in dem Ernst und der Milde seiner christli- chen Gesinnung einen außerordentlich günstigen Eindruck. Muth und Frömmigkeit, Selbstbeherrschung und vornehmes Empfinden, vor allem Demuth, Wachsamkeit und Strenge gegen sich selbst, treten einem fast auf jeder Seite entgegen. Zugleich ist es ein vorzügliches Zeit- und Sittenbild, wie wir deren — in Bezug auf diese Schicht der Gesell- schaft — nicht allzu viele haben. Dorf Etzin selbst, was noch hinzuzufügen bleibt, ist inzwischen zu großem Theile niedergebrannt. Ich schrieb den Aufsatz 1862; wenige Jahre später zerstörte ein großes Feuer die nördliche Hälfte des Dorfs, darunter einige der am malerischsten gelegenen Häuser. Die hochgelegene Kirche und das alte Pfarrhaus (so ich recht berichtet bin) blieben ver- schont. 29* Gütergotz. Benutzt : Hans Kohlhase, Aufsatz von Baron v. Ahlefeldt . Das Plateau von Kohlhasenbrück, Aufsatz vom Garnisonschul- lehrer Wagener . Die Alterthumsfunde bei Kohlhasenbrück, Aufsatz von Freiherr v. Ledebuer . Die Geschichte von Gütergotz, Aufsatz (Mspt.) von Pastor Brodersen . Brief- liche Mittheilungen von Landrath v. Albrecht . Saarmund und die Nutheburgen. Benutzt: Berghaus Mark Brandenburg. Fidicin die Zauche. v. Reinhardt Sagen aus der Umgegend von Potsdam. Die Nutheburgen. Es gab ihrer vier, wie schon im Text hervorgehoben. Diese vier waren, von der Mündung der Nuthe, am Flußufer aufwärts gerechnet: Potsdam, Saarmund, Beuthen, Trebbin . Alle vier sind verschwunden, denn was von Burg Beuthen noch steht, gehört einer viel spätern Epoche an. Burg Potsdam stand auf einem Inselvorsprung, der der Ein- mündung der Nuthe in die Havel gerade gegenüberliegt. Nach allgemei- ner freilich sagenhafter Annahme ist die jetzige Heilige Geistkirche auf eben dieser Stelle errichtet worden. Das Bestehen der alten Burg scheint von kürzester Dauer gewesen zu sein. Schon 1228 trat die sogenannte Neue-Burg ( Novum Castrum oder „de Nüve Huns“) zwischen Potsdam und Saarmund an ihre Stelle, bis auch diese Neue-Burg verschwand. Schon mit Beginn des 14. Jahrhunderts, wo muthmaß- lich das „Nüve Huns“ wie das alte hinüber und Schloß Potsdam, das, als gothisch mittelalterlicher Bau, in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts an die Stelle trat, hatte bereits jede Verwandtschaft, in Zweck wie Erscheinung, mit der Nutheburg gleiches Namens abgestreift; — es stand nicht mehr, als Wächter gegen die Wenden Landschaft, der Nuthemündung gegenüber, sondern bereits an selber Stelle, wo das gegenwärtige Schloß Potsdam sich erhebt. Saarmund und Trebbin traten gleichzeitig ab vom Schauplatz Ohne Sang und Klang, ja ohne daß auch nur die Stelle mit Bestimmt- heit anzugeben wäre, wo sie gestanden. Burg Saarmund erhob sich vielleicht da, wo viel viel später das Amtsgebäude errichtet wurde; über Burg Trebbin gingen mir folgende Angaben zu: „Nach Mei- nung des Oberamtmanns Reyne , der, während der Kriegsjahre und später, die Domaine Trebbin in Pacht hatte, stand die alte Burg auf dem sogenannten Amtsberge . Man findet dort noch Mauerwerk und einen Keller unter dem Berg, die auf ein altes Gebäude von größerm Umfang hindeuten. Der Sage nach, soll von eben diesem Amtsberg ein unterirdischer Gang nach dem etwa 10 Minuten entfernten Burg- wall geführt haben, der an der Nuthe liegt und bei hohem Wasser zu einer Insel wird.“ Dies ist alles, was man an Ort und Stelle von den Burgen Saarmund und Trebbin anzugeben weiß; alles Hypothese. Die Burg Beuthen ist die einzige, die noch existirt. Ihre Trüm- mer ragen noch übermannshoch auf und lassen den Grundriß des alten Baues ohne Mühe erkennen. Freilich war dieser alte Bau das Schloß Beuthen des 15. Es war, wie bekannt, eines jener 4 Schlösser: Friesack, Plaue, Golzow, Beu- then, die, den Quitzows angehörig oder mit ihnen verbündet, Widerstand gegen die Hohenzollern versuchten. Sie erlagen binnen Kurzem. Am 6. Februar 1414 begann die Belagerung durch Hans von Torgau. Goswin von Brederlow vertheidigte sie. Als ihm angezeigt wurde, daß Friesack und Plaue gefallen und Johann v. Quitzow gefangen sei, gab er (am 24. Febr.) die Antwort: „daß er sich die Sache noch einige Jahre über- legen wolle.“ Am 26. früh erschien, von 36 Pferden durch den tiefen Sand gezogen, die etwas sagenhafte „faule Grete“ vor Beuthen und schleuderte eine ihrer ungeheuren Stein- kugeln. Die Wirkung war derart, daß von Brederlow keinen zweiten Schuß abwartete, sondern die weiße Fahne aufsteckte. , nicht die Burg Beuthen des 12. Jahrhunderts; es ist aber mindestens wahrscheinlich, daß das Schloß der Waldemar- und Quitzow-Zeit an ebenderselben Stelle errichtet wurde, an der vorher die Burg gestanden hatte. Die Natur wies hier beiden ein und denselben Platz an. Dieser Platz ist eine kleine Insel in der Nuthe, etwa eine Viertelmeile vom Dorfe Groß-Beuthen entfernt. Der frühere Besitzer des letztgenannten Dorfes, Major von Goertzke , schrieb mir Folgendes über das Schloß: Ich habe das alte Schloß Beuthen noch als eine stattliche Ruine gekannt. Nicht nur die 5 Fuß dicken, aus Feldstein aufgeführten, etwa 20 Ellen hohen Umfassungsmauern, sondern auch die inneren Wände und der Raum, welchen die Kapelle einnahm, waren noch kenntlich und gut erhalten. Meine Vorfahren und namentlich der Domherr v. Goertzke, welcher 1598 das Schloß von den Minorennen von Götze kaufte, hat noch dort gewohnt, und wahrscheinlich auch noch seine Nachfolger, bis zur Zeit, wo das jetzige Wohnhaus in Groß-Beuthen erbaut worden ist. Es sind wohl hierbei die wirthschaftlichen Interessen maßgebend gewesen. So viel steht fest, daß noch 1687 Schloß Beuthen bewohnt worden ist. In dem mir vorliegenden Erbreceß von Beuthen und den zugehörigen Dörfern, aufgenommen durch den Notar und Bürgermeister zu Beelitz, Johannes Lilo , Actum Gr. Beuthen den 30. November 1687, heißt es: „Klein Beuthen; Christoff Görtzke (ein Hauptmann) sitzt auf dem Schlosse; giebt jetzt jährlich — 2 Thlr.“ Auch fand ich vor einigen Jahren in einem andern Actenstücke Notizen über ein altes Fräulein, welches noch in späterer Zeit auf dem Schlosse Beuthen gewohnt hat. Noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts wurden Trauungen und Taufen in der Schloßkapelle zu Beuthen vollzogen. Die Gröbenschen Kirchenbücher werden dies auch nachweisen. „Wie bemerkt, war die alte Burg (Schloß) Beuthen bis zum Jahre 1813 noch eine stattliche Ruine, wo ich in meiner Jugend unzählige Male gewesen bin, da es von Gr. Beuthen ein hübscher Spatziergang dahin war. Erst im Jahre 1813 wurde durch die Truppen des Bülow’- schen Corps die Ruine demolirt und Trebbiner Arbeiter dazu verwandt, die unsägliche Mühe hatten, da der Kalk fest wie Stein war. Auf den Trümmern des Schlosses wurde eine Schanze gebaut, um den Damm, der hier durch das Nuthethal führt, zu beherrschen. Weitere Schanzen wurden zur Sicherung der Uebergänge über die Nuthe bei Trebbin, Kerzendorf und Wittstock gebaut. Von den Ruinen des alten Schlosses ist jetzt nichts mehr sichtbar als die Fundamente, welche noch zu Tage treten und den Umfang des Schlosses zeigen; auch die Wallgräben des Schlosses sind noch sehr kenntlich.“ Blankensee. Benutzt : Der Volksmund in der Mark Brandenburg; Sagen und Märchen, herausgegeben von A. Engelien u. W. Lahn . Trebbin. Benutzt : Die lebenden Bilder bei dem Festspiele Lalla-R û kh, nach der Natur gezeichnet von W. Hensel (Berlin 1823 bei L. W. Wittich). Mündliche und briefliche Mittheilungen von Minna Hensel, Sebastian Hensel , Maler Löffler . Die Lassa-Rukh-Aufführung. I. Der Festzug. Bucharen. Aliris, Prinz der Bucharei, Großfürst Nicolaus (später Kaiser v. Rußl.) Drei bucharische Prinzen: Morad . . . . . S. K. H. Prinz Karl Zingis . . . . . „ „ „ „ August Inder. Aurengzeb, der Großmogul, Prinz Wilhelm, Bruder Sr. Maj. Lallah Rookh . . die Großfürstin (fr. Prinzessin Charlotte von Preußen.) Bucharen. Walli . . Erbgroßh. v. Mecklenburg Abdallah, Vater des Aliris, S. K. H. Herz. v. Cumberland Die Königin, seine Gemahlin. J. K. H. Pr. Luise Radziwill. Herren in bucharischem Kostüm. Fürst Putbus. Graf Nostitz. Graf Hardenberg. Graf Meerfeldt. v. Adlerberg. v. Poten. v. Knobloch. v. Stapleton. v. Knobelsdorff. Graf Pückler. v. Massow. Graf Wartensleben. v. Bock. Graf Lynar. v. Geusau. Graf Blumenthal. Damen. Gräfin Schuwaloff. Miß Rose I. Frl. v. Jagow. Frl. v. Brockhausen I. Gräfin Moltke. Miß Rose II. Frl. v. Brockhausen II. Frl. v. Kamptz. Fürstin Lynar. Frau v. Hedemann. Frau v. Asseburg. Fr. v. Bülow. Fr. v. Witzleben. Gräfin Schlieffen. Frau v. Clausewitz. Fr. v. Fouqu é . Frau v. Buddenbrock. Gräf. Haack. Fräulein v. Massow. Herren aus Kaschmir. Graf Brandenburg. v. Germann. v. Perowsky. v. Prittwitz. v. Bülow. Graf Gröben. v. Fouqu é . v. Bud- denbrock. Grf. Gneisenau. Grf. Po- ninsky. Damen aus Kaschmir. Frau v. Buch. Frau v. Rochow. Frau v. Ompteda. Frl. v. Viereck. Gräfin Hardenberg. Gräfin Gröben. Grf. Pappenheim. Fr. v. Tronchin. Gräfin Neale. Fräul. v. Schuckmann. Gräfin Haeseler. Inder. Die Schwestern des Aurengzeb. Dschehanara (die Zierde der Welt) J. K. H. Herz. v. Cumberland Roschinara (das Licht des Verstan- des) J. K. H. Prinz. Wilhelm Suria Banu (die Glänzende) J. K. H. Prinz. Alexandrine Die Kinder des Aurengzeb. Bahadur Schah S. K. H. d. Kronpr. Dschehander Schah S. K. H. Prinz Wilhelm, Sohn Sr. Maj. Dara . . J. K. H. Prinzessin Luise. Herren in indischem Kostüm. Fürst Lynar. Grf. Mod è ne. v. Witz- leben. v. Röder. v. Tümpling. v. Tronchin. v. L’Estocq. v. Thun. Grf. Arnim. v. Lucadou. v. Kahlden. v. Rochow. v. Hopfgarten. v. Thilau. Grf. Hompesch. v. Studnitz. v. Möllen- dorf. Graf Schlieffen. Graf Moltke. v. Alvensleben. v. Heister. v. Jordan. v. Kaphengst. v. Thümen. v. Pour- tales. v. Meuron. Prinz v. Rudol- stadt. Prinz Solms. v. Rauchhaupt. Graf Waldersee. Graf Blücher I. Graf Blücher II. Graf Bethusy. v. Schöler. Grf. Lynar. v. Massow. v. Ostau. v. Heister. Damen. Fürstin Putbus. Fürstin Partana, Lady Rose. Fürstin Carolath. Frau v. Senden. Gräfin Brandenburg. Frl. v. Zeuner. Frau v. Tümpling. Gräfin Voß. Gräfin Schlippenbach. Frl. v. Arnstedt I. Frl. v. Bergh. Fräul. v. Kleist. Gräf. Haack. Frl. v. Knobelsdoff. Frl. v. Hünerbein. Gräf. v. Lottum. Frl. v. Stegemann. Frl. v. Boguslawsky. Frl. v. Schuck- Inder. mann II. Frl. v. Röder. Frl. v. Fou- qu é . Fräul. v. Arnstedt II. Fräul. v. Heister I. Gräfin Kalkreuth. Frl. v. Wiedenbruch. Fr. v. Martens. Frl. v. Miaskowska. Gräf. Harden- berg I. Frl. v. Maltzahn I. Gräfin Hardenberg II. Fräulein v. Senden. Frl. v. Maltzahn II. Frl. v. Adeleps. II. Die lebenden Bilder. A. Der verschleierte Prophet von Khorasan. (Romanze.) 1. Bild . Zelika . . Gräfin Haack, geb. Marschall. Azim . . Prinz Wilhelm Radziwill. Der Prophet von Khorasan Graf Gröben. 2. Bild . Dieselben; und Der Khalif Mahadi Prinz von Hessen. B. Das Paradies und die Peri. (Romanze.) 1. Bild . Die Peri . . Prinzessin Elise Radziwill; Der Engel des Lichts . Gräfin Math. Voß. 2. Bild . Dieselben. Mahmud von Ghizni . Herr v. Podewils. Der getödtete Krieger . Graf Pückler. 3. Bild . Dieselben. C. Die Gheber. (Romanze.) 1. Bild . Hafed . . . Herr v. Bojanowski. Hinda . . . Frau Gräfin Brühl. 2. Bild . Dieselben. 3. Bild . Dieselben. Der Emir . . Fürst Radziwill. D. Das Rosenfest in Kaschmir. (Romanze.) 1. Bild . Nurmahal . . Frau v. Perponcher. Dschehangir . . Herzog Carl v. Mecklenburg. 2. Bild . Namuna . . Frau v. Maltzahn. Nurmahal . . Frau v. Perponcher. 3. Bild . Nurmahal . . Frau v. Perponcher. Ein Genius . . Prinzessin Auguste Solms. 4. Bild . Nurmahal . . Frau v. Perponcher. Dschehangir . . Herzog Carl v. Mecklenburg. Sie sind entzweit. Namuna setzt ihr den Zauberkranz auf; sie entschläft. Im Traum sagt ihr ein Genius : der Zauber der Har- monie würde ihr den Gatten wieder zuführen. Nurmahal, in der Klei- dung einer Araberin, singt ein Lied: Dschehangir entzückt. Sie ent- puppt sich. Versöhnung. (Die Romanzen, nach Th. Moores großem Gedicht, bestanden aus wenigen von Spiker gedichteten, von Spontini komponirten Strophen.) Die Henselschen Portrait-Mappen. Die Zahl der Portraits ist über 1000. Wir haben im Text die Mehrzahl der Dichter, Gelehrten, Schriftsteller, die sich in den Mappen vorfinden, namhaft gemacht; wir lassen hier nur noch eine Gruppe folgen: die Künstler, Schauspieler und Sänger. Es sind die folgenden: Bendemann, de Biefve, Cornelius, David d’Angers, Genelli, Ingres, Kaulbach, de Keyser, Kiß, Kopisch, F. Mendelssohn-Bartholdy, Fr. Tieck, Horac. Vernet, Beethoven, Professor Wach, Carl Maria v. Weber, Zelter, Franz Lißzt, Löwe, Magnus, Moscheles, Paganini, Chr. Rauch, der alte Schadow, Wilhelm Schadow, Schinkel (3 mal), Schnorr, Jul. Schrader, Schwind, Thorwaldsen, Eduard Devrient, Viardot Garcia, Grisi, Lablache, Lind-Goldschmidt, Milder, Clara Novello, Pasta, Rachel, Rebenstein, Pius Alex. Wolff, Schröder- Devrient, Seydelmann, Wilh. u. Aug. Stich (Crelinger.) Hensels Gedichte, die er in einem langen Leben hat ausfliegen lassen, sind zahllos. Ihr poetischer Werth ist gering; er war ausschließlich der Mann des gereim- ten Impromptu; dennoch ist manches nicht übel. Ich gebe zunächst einige Sprüche, die er, bei verschiedenen Gelegenheiten, an Maler Löffler richtete. 1. Keinen Eindruck laß entschwinden, Fürchtend daß die Zeit entwiche, — An den flüchtigsten der Striche Läßt sich die Erinnrung binden. 2. Sei, wo sich die Menge weist, Wähle kurz und bilde dreist. 3. Durch das Volk sollst du dich winden, Finden hilft dir zum Erfinden. 4. Vor des Künstlerblickes Tiefe Bleibt Natur nicht Hieroglyphe; Und was sein wird und gewesen, Weiß er aus dem Jetzt zu lesen. Er liebte es, in Versen zu correspondiren, oder seinen Briefen kleine Strophen beizuschließen. Derart war beispielsweise sein brieflicher Ver- kehr mit Graf Blankensee und seiner Schwester Minna. Aus Vielem geb ich nur eins, drei Strophen, die er, von Italien aus, mit einem Oelblatt an seine Schwester sandte, als Erwiedrung auf einen Veil- chenstrauß. Für die holde Veilchengabe, Schwester, nimm dies Friedensgrün. Hoffnungsfarbe die ich habe Daß auch mir einst Blumen blühn. Dir schon gab sie frommer Glaube, Und du spendest mild dein Gut; Doch bei mir schwebt noch die Taube Mit dem Zweige ob der Fluth. Du bist friedlich schon gelandet Wo der Bundesbogen steht. Daß nicht meine Arche strandet Schwester! wirke Dein Gebet. Besonders ansprechend ist das folgende, das sich in seinem Nach- lasse vorfand. Geistige Wacht. Ich sage die Todtenklage, Ich sage sie alle Tage, Ich sage sie jede Nacht Am Königs-Sarkophage In geistiger Ritterwacht. Hab’ ja in ernsten Tagen Die Wehr der Wacht getragen An meines Königs Thron; Da hab’ ich Recht, zu klagen In alter Treue Ton. O, würd’ ich nun gerufen Hinan die Himmelsstufen, Wo seine Krone flammt, Daß Gottes Gnaden schufen (schaffen möchten) Mein höchstes Wächteramt. Diese „Geistige Wacht“ — jedenfalls poetischer als die Wacht am Rhein — ist ganz aus einer bestimmten politischen Situation heraus gedichtet und deshalb für den Nicht-Eingeweihten beinah unver- ständlich. Ihre Strophen fallen in die Zeit der sogenannten „neuen Aera,“ die mit der Regentschaft König Wilhelms begann. Hensel, scharf conservativ und aus politischen wie persönlichen Gründen ganz ein Anhänger Friedrich Wilhelms IV. , zählte 1860 und 61 zu den Mal- kontenten, die alles schwarz sahen und die Epoche unvermeidlichen Unter- gangs nicht mehr zu erleben wünschten. Dieser Stimmung giebt das Gedicht Ausdruck. Er klagt über die Gegenwart; mit Fr. W. IV. ist das alte Preußen begraben; wie er einst (in den Märztagen 48) bei dem geliebten Könige Wacht gehalten, so hält er jetzt im Geiste an sei- nem Grabe Wacht, und wünscht, daß es ihm vergönnt sein möge, bald wieder dort oben seines Königs Wächter zu sein. Das Gedicht hat viele Mängel; auch die Stimmung, aus der es erwuchs, wird vielen ein Lächeln abnöthigen; dennoch ist eine gewisse poetische Atmosphäre um dasselbe her, die es anziehend macht, und die durch ein begleitendes mystisches Element nur noch gewinnt. Friedrichsfelde. Benutzt: Fidicin Nieder-Barnim. v. Winterfeldt Geschichte des Johanniter-Ordens. Tiedge Dorothea, Herzogin von Kurland. Cruse Kurland unter den Herzögen. Bülau Geheime Geschichten und räthselhafte Menschen. Koch Geschichte des Kirchenlieds. Dr. Besser über Woltersdorf. v. Wolzogen „Aus Schinkels Nachlaß.“ Mündliche und briefliche Mittheilungen, besonders des Herrn v. Treskow , Hofrath Herrlich und Hofrath Hesekiel . Woltersdorfs geistliche Lieder erschienen unter folgendem Titel: Ernst Gottlieb Woltersdorfs sämmtliche Neue Lieder oder Evangeli- sche Psalmen. 3. Auflage. Berlin, im Verlag der Realschul- Buchhandlung. 1777. Den Liedern vorauf gehen drei Vorreden: 1. Vorrede des Ver- fassers zur ersten Sammlung, Bunzlau 27. August 1750. 2. Vorrede des Verfassers zur zweiten Sammlung, Bunzlau 18. November 1751. 3. Vorrede des Herausgebers aus dem Jahre 1767. Alle diese Lieder bilden 26 Abtheilungen; die drei letzten Abthei- lungen umfassen Catechismuslieder, Kinderlieder, Hirtenlieder; die Kinderlieder besonders zahlreich. Die besten seiner Lieder überhaupt sind die folgenden: S. 140. Sünder, freue dich von Herzen Ueber deines Jesu Schmerzen ꝛc. Vers 2 und 3 lauten: Ach wie groß ist dein Verderben! Ohne Jesum mußt du sterben. Blind und todt sind deine Kräfte, Sünde, das ist dein Geschäfte. Dein Verdienst ist Zorn und Rache, Es ist aus mit deiner Sache, Ja, im Himmel und auf Erden Kann dir nicht geholfen werden. Des erzürnten Richters Ruthen Fragen nur nach Jesu Bluten; Den der Dornenkranz gekrönet, Gott im Fleisch hat dich versöhnet; Seine Thränen, Schweiß und Wunden Haben Rath für dich gefunden, Und ihm bleibt allein die Ehre Daß er deinen Tod zerstöre. S. 237. Komm mein Herz, in Jesu Leiden Deinen Hunger satt zu weiden, ꝛc. S. 334. V. 1. 4. u. 7. Wer ist der Braut des Lammes gleich? Wer ist so arm? und wer so reich? Wer ist so häßlich und so schön? Wem kanns so wohl und übel gehn? Lamm Gottes, du und deine seelge Schaar Sind Mensch’ und Engeln wunderbar. Verfolgt, verlassen und verflucht, Doch von dem Herrn hervorgesucht; Ein Narr vor aller klugen Welt Bei dem die Weisheit Lager hält; Verdrängt, verjagt, besiegt und ausgefegt, Und doch ein Held, der Palmen trägt. Das ist der Gottheit Wunderwerk Und seines Herzens Augenmerk: Ein Meisterstück aus nichts gemacht, So weit hat’s Christi Blut gebracht; Hier forscht und betet an ihr Seraphim, Bewundert uns und danket ihm. Koch stellt ihn in den pietistischen Dichterkreis und zwar in die besondere Gruppe der Hallenser . Sein besonderes Vorbild war Lehr , Diaconus zu Cöthen. Halle, Buchdruckerei des Waisenhauses.