S ammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen S chriften, Zur Verbesserung des Urtheiles und des Witzes in den Wercken der Wohlredenheit und der Poesie. Siebendes Stuͤck. Zuͤrich, Bey Conrad Orell und Comp. 1743. Von dem wichtigen Antheil, den das Gluͤck beytragen muß, einen Epischen Poeten zu formiren. Nach den Grundsaͤtzen der Inquiry into the live and the Writings of Homer. J Edermann wird mir einraͤumen, daß eine Menge zufaͤlliger obgleich natuͤrlicher Ursa- chen zusammen eintreffen muß, einen sol- chen starken und maͤchtigen Geist zu formieren, wie Homers oder Virgils gewesen sind, aber wohl die wenigsten werden uͤberlegt haben, was vor Zufaͤlligkeiten dieses seyn, wie wichtig und selten sie seyn, und von was vor eigentlichen gantz ver- schiedenen Ursachen sie entstehen. Eine Untersu- chung, welche uns nicht laͤnger in der ungewis- sen Verwunderung lassen wird, daß in etlichen tau- send Jahren nicht mehr als zween oder drey Men- schen in dergleichen gluͤkliche Zufaͤlligkeiten gera- then sind, welche den homerischen Geist hervor- gebracht haben! Zum allerersten koͤmmt es nicht wenig auf die Temperatur des Clima, und die Beschaffenheit des Bodens an; eine zu fette und zu fruchtbare Ebene macht die Einwohner weibisch, und gebiehrt Traͤgheit und Schlaͤfrigkeit: Dahingegen eine [Crit. Sam̃l VII. St.] A 2 reine Von den gluͤcklichen Umstaͤnden reine und milde Luft, mannigfaltige Fruͤchte und Felder, schoͤne Fluͤsse in grosser Anzahl, bestaͤndig kuͤhle Luͤfte, wann sie zusammen kommen, die Ge- burten der Natur in allen Arten zu der hoͤchsten Vollkommenheit bringen. Sie floͤssen dem Men- schen ein solch mildes Temperament und Leben der Phantasie ein, welche ihm die weitesten Durch- sichten gestatten, und die feinesten Begriffe von der Natur und der Wahrheit mittheilen. Nach der gemeinen Eintheilung der Himmels- striche bringen die rauhen und kalten, die staͤr- kesten Coͤrper und die martialsten Geister, her- vor; die heissen, traͤge Leiber, mit kunstreichen und hartnaͤkigten Leidenschaften; aber die gemaͤssigten Gegenden, die unter dem guͤtigen Einflusse eines muntern Himmels ligen, haben das beste Ge- schike fuͤr eine feine Vorstellungskraft, und eine geschiktverfasste Wohlredenheit. Gesunder Ver- stand ist zwar, wie man sagt, eine Frucht, die in allen Laͤndern waͤchßt, und ich glaube es auch in der That; allein die herrlichsten Baͤume und ihre schoͤnsten Zweige und Reiser, sprossen, so wie andre Pflantzen, und wachsen in dem besten Bo- den und an den Orten, wo sie die gluͤklichste Lage haͤben. Wenn ein Mensch in einem solchen Land und unter einem so geneigten Aspect der Natur in die Welt gekommen ist, so steht ihm hiernaͤchst ein grosses darauf, wie er bey seiner Ankunft in die Welt empfangen werde, in was vor einem Zu- stande er die Dinge finde, und was vor Lenkun- gen diese in einem erhabenen Geist, und hurtigen Gemuͤ- fuͤr die epische Poesie. Gemuͤthe nothwendig hervorbringen. Leute, wel- che mit Regierungsgeschaͤften viel umgegangen sind, wissen am besten, was vor Veraͤnderungen die Zucht, Pflege, und Auferziehung hervorbrin- gen koͤnnen, und sind nicht erstaunt, wann sie sehen, wie die Menschen mittelst derselben gleich- sam neugestaltet, und seltsamer verwandelt wer- den, als durch die Zauberkuͤnste der Urganda und der Circe. Junge Gemuͤther koͤnnen von den Umstaͤnden des Landes, worinnen sie gebohren und auferzogen werden, so starcke Eindruͤke empfangen, daß sie eine gewisse Aehnlichkeit mit diesen Umstaͤnden an sich nehmen, und die Merkmale der Lebensart, wel- che sie durchlaufen haben, mit sich tragen. Ein Mensch der grosses Ungluͤk gehabt hat, ist von einem, der alle seine Lebenstage in voller Wohl- farth zugebracht hat, leicht zu unterscheiden; und eine Person, die bey der Arbeit auferzogen wor- den, hat ein gantz anders Aussehen als eine an- dere, die im Muͤssiagang und in Wolluͤsten alt worden ist. Beydes unser Verstand und unsre Auffuͤhrung fuͤhren das Gepraͤge unsers beson- dern Amtes, Standes, und unserer Begegnisse; und wie eine adeliche Auferziehung einen Edelmann, und eine baͤurische einen Landmann formiert, also empfinden unsre Gemuͤther und Sitten gleicher- gestalt den Einfluß, den der Lauf unsers Lebens auf sie thut. Jn dieser Betrachtung duͤrften die Um- staͤnde, welche die groͤsten Wuͤrkungen auf uns zu haben scheinen, aus folgenden bestehen. A 3 Erst- Von den gluͤcklichen Umstaͤnden Erstlich, der Zustand des Landes, wo eine Per- son gebohren und erzogen ist, worunter ich die allgemeinen Sitten der Einwohner mitbegreiffe, ihre Policey und Religion, mit deren U und Folgen; nemlich ihre Sitten, wie sie uͤberhaupt bey einer Nation aussehen, sofern sie wohlgesit- tet und wohlgezogen oder barbarisch, wolluͤstig oder einfaͤltig und roh ist. Hiernaͤchst die Sitten der Zeiten, oder die herrschenden Naturelle und die Gewerbe, die den Schwang haben. Diese zwey Stuͤke treffen ein gantzes Volk an, und haben ihre Wirkung auf dasselbe insgesamt. Von einer engern Natur ist erstlich die abson- derliche Auferziehung, und dann der eigene Weg, in den wir in unserm Leben einschlagen, mit un- serm Gluͤck in demselbigen. Von diesen Umstaͤnden empfangen die Leute in allen Laͤndern ihre Character und ihre Manieren. Sie machen uns was wir sind, in soferne als sie sich uns empfindlich machen, und geben uns eine absonderliche Form, und Aussehen. Eine Veraͤn- derung nur in einem einzigen verursachet eine Ver- wandlung an uns; und wenn man sie zusammen nimmt, muͤssen wir sie als die Modelle ansehen, welche diese Gewohnheiten und Fertigkeiten in uns formieren, die unser Verhalten lenken, und unsre Handlungen unterschiedlich bestimmen. Es fuͤr die epische Poesie. Es giebt Dinge, welche zwar in allen Welt- altern begegnen, aber doch sehr schwer zu beschrei- ben sind. Wenig Leute sind tuͤchtig sie zu be- merken; und darum sind keine Worte gemacht worden, solche Begriffe auszudruͤken, welche von den entferntesten Einsichten in die menschlichen Sachen h ergenommen sind. Von dieser Art ist ein Umstand, welcher das Schiksal aller Natio- nen begleitet. Man mag ihn den Fortgang oder Anwachß der Sitten nennen. Er entsteht groͤ- stentheils von unserm Gluͤck oder Ungluͤck. So wie unsere Sachen ins Aufnehmen oder Abneh- men kommen, so leben wir auch und so lenken wir uns. Die groͤssesten Veraͤnderungen in denselben verursachen die merklichsten Veraͤnde- rungen bey einer Nation: Denn die Sitten eines Volkes bleiben selten auf einem Orte be- stehen, sondern putzen sich aus, oder verschlim- mern sich. Bey Nationen, wo viele Jahre lang kei- ne merkliche Gluͤkesveraͤnderungen begegnen, wird das mannigfaltige Aufnehmen oder Abnehmen in ihrem moralischen Character desto weniger wahr- genommen: Aber wann durch einen Landesuͤber- fall oder Eroberung und Bezwingung die Gestalt der Dinge gantz und gar verkehret; oder wenn die Ureinwohner und ersten Anbauer eines Landes mittelst Policey und guter Verfassungen aus ei- nem Stand der Unwissenheit und Barbarey zu Reichthum und Macht gelangen, alsdann werden die Stufen des Anwachses merklich: Wir koͤn- A 4 nen Von den gluͤcklichen Umstaͤnden nen dann alle Dinge im Wachsen sehen, gestalt der Genius und die Seele selbst des Volkes sich zu hoͤhern Dingen, und einer edlern Art der Sit- ten erhebet. Es ist ein Gluͤk fuͤr einen Poeten in diesen Zei- ten gebohren zu seyn. Er sieht dann Staͤdte ge- pluͤndert, die Maͤnner durch das Schwerdt fal- len, und die Weiber zu Sclavinnen gemacht. Er sieht ihre hoffnungslosen Angesichter und flehenden Stellungen, hoͤret ihr Trauren uͤber ihre erschla- genen Ehgatten, und ihre Bitten fuͤr ihre Kinder. Er sieht ferner Staͤdte die mit Frieden gesegnet, und von der Freyheit belebet sind, die starke Com- mercien treiben, und an Reichthum zunehmen. Wenn er fuͤr seine Person nicht in die Haͤndel verwikelt ist, so daß seine Aufmerksamkeit nicht zerstreuet wird, so kan er die mannigfaltigen Schau- spiele durchwandeln, und sie mit aller Musse beob- achten. Denn wirds fuͤr ihn ein lehrreicher An- blick seyn, wenn er eine Colonie von Land fuͤhren, eine Stadt in Grund legen, Policey und Ord- nung verfassen sieht, wo nichts, was zur Sicher- heit des Volkes dienen mag, aus der Acht gelas- sen wird. Dergleichen Scenen geben weite, aus- gedaͤhnte Durchsichten, die dabey gantz natuͤrlich sind, inmassen sie die unmittelbare Wirkung der grossen Mutter der Erfindung sind, nemlich der Nothwendigkeit, die dann in ihren jugendlichen und ungelernten Versuchen begriffen ist. Die Wichtigkeit dieses Gluͤkes wird am besten erhellen, wenn wir die Lust betrachten, die von den Vorstellungen natuͤrlicher und einfaͤltiger Sit- ten fuͤr die epische Poesie. ten entspringt. Sie verzuͤken uns, und man kan ihnen nicht widerstehen. Dieselben zeigen uns die Beduͤrffniß und die Empfindungen des Menschen am deutlichsten. Sie geben uns das, was ein un- verstelltes Gemuͤthe bewegt, und die Wege, die es braucht sich zu vergnuͤgen, aufrichtig heim. Guͤte und Ehrlichkeit haben an diesem Ergetzen ihren Antheil, denn wir legen eine Liebe an diese Leute und haben lieber mit ihnen zu schaffen, als mit spitzfuͤndigen, oder zweyzuͤngigen Charactern. Also, wenn die verschiedenen Werke, die zu dem Bau eines Hauses, oder eines Schiffes erfodert werden, oder die zur Anbauung eines Feldes oder Verfertigung eines Stuͤckes von Gewehr ge- hoͤren, mit Absicht auf die Empfindungen und den Fleiß des Manns, der damit beschaͤftigt ist, be- schrieben werden, so geben sie uns ein hertzliches Ergetzen, weil wir eben dergleichen fuͤhlen. Un- schuld, sagen wir, ist schoͤn; die Abrisse derselben koͤnnen nicht anders, als entzuͤcken. Zeugen des- sen sind die wenigen Zuͤge von dieser Art in Dry- dens Eroberung Mexico, und der bezauberten Jnsel. Dem gemaͤß finden wir bey Homer sehr klei- ne Umstaͤnde von Haͤusern, Tischen, und Lebens- arten der Alten beschrieben, und wir lesen diesel- ben mit Ergetzen. Aber wenn wir unsre eigenen Ge- wohnheiten betrachten, finden wir im Gegentheil, daß wir, wann wir in dem hoͤhern Tone poetisieren wollen, vor allen Dingen unsern alltaͤglichen Wan- del verlernen muͤssen; wir muͤssen unser Schlaf- fen, Essen, und Zeitvertreib vergessen, wir sehen A 5 uns Von den gluͤcklichen Umstaͤnden uns genoͤthiget, eine Seriem natuͤrlicherer Sitten an uns zu nehmen, welche uns doch gantz frem- de sind, und so wie Pflantzen in Zwingbeten zu- wegegebracht werden muͤssen. Ja es ist so fern, daß wir die Poesie mit neuen Bildern, die von der Natur gehohlet seyn, bereichern, daß wir mit schwerer Muͤhe die alten noch verstehen. Wir leben hinter dem Ofen, und gleichsam vor dem Angesichte der Natur verborgen. Wir lassen unsre Tage in einer tieffen Unerkenntniß ihrer Schoͤnheiten vorbeystreichen. Wir denken gerne, die Gleichnisse, so von ihr hergenommen sind, seyn niedrig, und die alten Sitten gemein oder ungereimt. Aber lasset uns aufrichtig seyn, und bekennen, daß die neuern Poeten in der Zeit, da sie nur den Pomp bewundern, und nichts vor Groß oder Schoͤn gelten lassen, als was durch Reichthum zuwegegebracht wird, sich selber die angenehmsten und natuͤrlichsten Bilder vorenthal- ten, welche die alte Poesie ausgeschmuͤket haben. Staat und Schoͤn verstellen den Menschen; und Reichthum und Ueppigkeit verstellen die Natur. Jhre Wirkungen sind in den Beschreibungen wie diese Ursachen. Eine grosse Procession laͤßt sich nicht mit sonderlicher Lust lesen, wenn sie bis auf die klei- nen Umstaͤnde, und der Laͤnge nach beschrieben wird; und grosse Cerimonien sind in einem Gedichte zum wenigsten eben so verdruͤßlich, als in dem ge- woͤhnlichen Umgange. Es ist eine alte Klage, daß wir gerne alle Din- ge verkleiden, und mehr als alle andere Dinge uns selbst. Alle unsre Titel und Vorrechte sind Deken fuͤr die epische Poesie. Decken, und Zusaͤtze zu der Groͤsse, die uns die Natur mitgetheilt. Sie sind in der That gluͤk- lich gnug zu der besten Absicht, nemlich der Ruhe und Ordnung in der Gesellschaft, aber in der Poe- sie koͤnnen sie kein Ergetzen geben. Der Himmel hat einem und demselben Lande nicht gegeben, daß es reiche Weinstoͤcke und krie- gerische Maͤnner hervorbringe. Es scheint auch einem und demselben Koͤnigreiche nicht gegeben, daß es gantz und gar wohlgesittet sey, und an- staͤndigen Stof fuͤr die Poesie an die Hand gebe. Das Wunderbare ist der Nerve der Epischen Sayte: Aber was vor wundervolle Dinge begegnen in einem wohleingerichteten Staate? Schwerlich kan uns da etwas in Verwunderung setzen; wir wissen die Springfedern der Dinge, und die Art wie sie geschehen. Alle Dinge fol- gen in der Ordnung, und der Gewohnheit oder den Satzungen gemaͤß. Aber in einem weiten un- gebauten Lande, wo kein eingerichtetes Regiment ist, oder wo das Regiment vielfaͤltig zertheilt ist, wo die Einwohner zerstreut leben, und von Ge- setzen und Mannszucht nichts wissen, in einem sol- chen Lande sind die Sitten einfaͤltig, und alle Ta- ge werden neue Begegnissen vorfallen; Kinder werden weggetragen oder verlohren werden; Ueber- faͤlle; Fluchten; Befreyungen; und was sonst vor Dinge die Leidenschaften des Menschen in der Zeit, daß sie vorgehen, in Feuer setzen, oder durch die Beschreibung und Nachahmung sie wieder auf- wecken koͤnnen. Diese Dinge sind unter einer guten Regierung nicht zu finden; ausgenommen in der Zeit eines ein- Von den gluͤcklichen Umstaͤnden einheimischen Krieges, wo die Gesetze schweigen; und doch bey allem dem Jammer und der Ver- wirrung, welche dieses groͤste Uebel begleiten, ist die Zeit, da es wuͤthet, ein bequemerer Stof fuͤr ein episches Gedichte, als der ruͤhmlichste Feldzug, der jemahls in Flandern gemachet worden. Eben die Dinge, die in einer eingerichteten Regierung den groͤsten Ruhm bringen, die groͤssesten Ehren und hoͤchsten Bedienungen, werden sich schwerlich fuͤr die Poesie schicken; die Muse weigert sich ihren Zierrath an die Patenten eines Herzogs, oder die Commission eines Generals zu wenden. Diese koͤnnen weder in Verwunderung setzen, noch das Hertz einnehmen: Denn Friede, Harmonie, und gute Ordnung, welche ein Volck gluͤckselig machen, sind Gift fuͤr ein Gedichte, welches durch Ueberraschen und Verwunderung lebet. Die Wohlfarth eines Volckes beschneidet dem- nach seinen Poeten die Fluͤgel. Sie giebt wenig Stof fuͤr die Verwunderuug, oder das Mitlei- den an die Hand. Aber wie, kan ein Poet nicht dichten ? Kan er nicht Sitten nachmachen, und Begegnisse ersinnen, wie er es gutfindet. Jst er nicht genugsam berechtiget, Scenen zu eroͤffnen, und Leute und Sitten nach Belieben aufzufuͤhren. Lasset ihn nur sein Vorrecht ausuͤben, so wird es ihm gerathen, unsre Sitten werden ihn nicht hin- dern, er kan seinen neuen Geschoͤpfen eine Form und Gestalt geben, welche er will. Allein, wiewohl dieses viel zu versprechen scheint, so darf ich doch sagen, daß ein Poet nichts gluͤk- licher beschreibt, als was er selbst gesehen, und daß fuͤr die epische Poesie. daß er allein in seiner eigenen Sprache schulge- recht redet; auch daß er nur diejenigen Sitten treulich nachmacht, welche er in ihren Originalen gekannt und mit ihnen Umgang gehabt hat. Dieser Grundsatz scheint scharf, und doch wird man in der Untersuchung finden, daß er in der Erfahrung gegruͤndet ist. Aber die Wahrheit desselben wird am klaͤrsten erhellen, wenn wir seinen Einfluß in dem Umgan- ge und der Auffuͤhrung betrachten. Der, wel- cher keine Sitten als seine eigenen an sich nimmt, wird es auf einen hoͤhern Grad der Trefflichkeit bringen, als wenn er sich vornehmen wollte, eines andern Menschen Art nachzuahmen, ob dieser gleich seiner eigenen sowohl in der Sprache als in dem Betragen und der Stellung vorzuziehen ist. Die Wahrheit zu sagen, so sind wir mit sehr eingeschrenkten Gaben gebohren, unser Gemuͤth ist nicht faͤhig, sich von zwo Gattungen Sitten Meister zu machen, oder mit einer Fertigkeit sich in verschiedene Lebensarten zu richten. Unsere Ge- sellschaft, Aufferziehung, und Umstaͤnde machen tiefe Eindruͤke, und formieren in uns einen Cha- racter, den wir nach der Hand mit schwerer Muͤ- he wieder ablegen koͤnnen. Nicht allein die Sit- ten der Zeiten und der Nation, worinnen wir leben, sondern unserer Stadt und Verwandtschaft han- gen uns an, und verrathen uns bey jeder Wen- dung, wenn wir uns vermeinen zu verstellen, und gerne vor fremde angesehen werden wollten. Die- se verstehen wir und koͤnnen sie vollkommen wohl schildern. Dem- Von den gluͤcklichen Umstaͤnden Demnach ist es ein Gluͤck fuͤr einen Poeten, der seine einfaͤltigen natuͤrlichen Bilder von dem wuͤrk- lichen Leben hernehmen kan; der Krieger, und Schaͤfer, und Bauern sieht, wie er abreissen soll; der taͤglich mit solchen Leuten umgehet, als er vorstellen will; der in solchen Zeiten lebet, und schreibet, wo die Sitten so ungekuͤnstelt und un- verstellt sind, daß die Winkel und Kruͤmmen des menschlichen Hertzens offen vor Augen liegen; wo die Leute noch nicht gelernet haben, sich vor sich selbst und ihren natuͤrlichen Luͤsten zu schaͤmen, folg- lich sie zu verbergen; wo sie kein Bedenken ha- ben, die Neigungen ihres Busens zu bekennen, und ihren Leidenschaften oͤffentlich nachhaͤngen, ohne Zwang und Gleißnerey. Wer dem Auf- und Abnehmen der Staaten nachdenket, der wird erkennen, daß zugleich mit ihren Sitten auch ihre Sprache zunimmt und faͤllt. Die Sprache ist der Dolmetscher unsrer Gedanken, und soferne diese großmuͤthig, frey, und ungehin- dert sind, wird die Rede beydes in ihrem Schrot und in ihrem Jnnhalt mit ihnen in einem Schritte gehen. Vermittelst dessen wird eine Rathsver- sammlung von geistreichen und verstaͤndigen Maͤn- nern natuͤrlicher Weise Redner und Wohlreden- heit formieren. Wann eben dieselben Maͤnner auf das Land gehen, und um sich schauen, werden sie von den Gegenstaͤnden, welche ihnen von der Natur vor das Gesicht geleget werden, mit eben der fuͤr die epische Poesie. der Freyheit und dem gluͤklichen Ausdruke reden; und wenn in einem weiten Land viele dergleichen Provintzen Unser Deutschland bestehet aus einer Menge sol- cher Provinzen, welche von einander gar nicht, oder in wenig Stuͤken abhaͤngen, die Regierungen in denselben sind von sehr verschiedener Art, und es herrschet in einigen keine geringe Freyheit; alle dieselben aber reden die ein- zige deutsche Sprache. Was vor Vortheile sollte man daher in dieser Sprache und allen ihren Mundarten fuͤr den Gebrauch, und das Beduͤrfniß der Poesie mit Recht vermuthend seyn? Sie waͤren auch in der That darin- nen, wenn nicht zum Ungluͤke gewisse eigensinnige Pu- ritaner sich die schaͤdliche Muͤhe gaͤben, die Woͤrter, Re- densarten, und Metaphern, welche die Einwohner ge- wisser Provintzen fuͤr ihre eigene Nothwendigkeit einge- fuͤhret, und von ihren Umstaͤnden, Sitten und Gebraͤu- chen hergenommen haben, zu verwerffen und auszumu- stern; ohne Betrachtung ob sie mit der Natur der Din- ge, der Sprache-Aehnlichkeit, den Stamm- und Wur- zelwoͤrtern, uͤbereinkommen oder nicht; ob sie sich uͤber- das mit einem ansehnlichen Alter rechtfertigen koͤnnen, oder erst von gestern oder vorgestern her sind. sind, die eine und dieselbe Sprache reden, aber in verschiedenen Mundarten, so wird der Ausdruk seinen Vortheil dabey machen, und mit neuen Worten, Redensarten und Metaphern, nach dem Temperament und Naturelle der ver- schiedenen Voͤlker bereichert werden: Da inzwi- schen ein jedes seinen eigenen gutheissen wird, weil er in ihrem eigenen freyen Staat von ihren Re- genten gebrauchet wird. Es ist wunderlich, was vor eine veraͤchtliche Figur das menschliche Geschlechte bey seinem Ur- sprunge laut der Vorstellung der Alten gemachet hat. Cum Von den gluͤcklichen Umstaͤnden. Cum prorepserunt primis animalia terris \&c. Sie dachten vermuthlich die Rede haͤtte zuerst die Menschen zahm gemachet, und waͤre anfaͤng- lich nichts anders als zufaͤllige rohe Toͤne gewesen, welche dieser nakete Haufe umschweifender Sterb- lichen von ungefehr von sich gegeben hatte. Dieses vorausgesetzt folget daraus, daß sie diese Toͤne in einer viel hoͤhern Note geaͤussert, als wir izo thun. Vielleicht wurden sie dazu erstlich durch heftige Leidenschaften als Furcht, Wunder oder Schmertzen veranlasset, da sie nachgehends densel- ben Ton wieder gebraucht, wann entweder dieselbe Sache oder derselbe Umstand ihnen wieder vorge- kommen, oder wann sie etwas, das sie in dessen Ge- genwart gefuͤhlt hatten, beschreiben wollen. Das Leben der Alten war den Zufaͤllen und der Ge- fahr weit mehr unterworffen, eh und bevor noch Staͤdte gebauet, und die Menschen durch buͤr- gerliche Gesellschaften beschirmet wurden. Folg- lich muß ihre Rede anfaͤnglich gantz affectesvoll und metaphorisch gewesen seyn. Die Metaphern muͤssen von den kuͤhnesten gewesen seyn, jedoch gantz natuͤrlich; bequem die hoͤchsten Leidenschaf- ten auszudruͤken, und von den empfindlichsten Sachen, welche in einem einsamen wilden Le- ben vorkommen hergenommen. Wann sich nachgehends die Sachen dieser ro- hen Gemeinde ein wenig gebessert haben, so daß sie in ertraͤglicher Sicherheit leben, und ohne Furcht um sich her schauen koͤnnen, so wird dann Ver- wunderung und Bestuͤrtzung nachfolgen. Dieses sind die eigenen Leidenschaften roher und unerfahrner Leute fuͤr die epische Poesie. Leute, wann sie von Furcht befreyet sind. - Und da von dieser Unwissenheit und Verwunderung ein grosser Zwischenstand zu der Erfahrenheit eines weisen Mannes ist, den wenig Dinge in Verwun- derung setzen, welcher den Zustand der Voͤlker, ihre Gesetze und Schranken kennet, so wird die Rede von einem Grade zum andern fortgefuͤhret, und alle diese Grade lassen sich darinnen durch ihre Merkmahle verspuͤren. Ohne Zweifel denn muß eine bluͤhende gluͤkli- che Nation, die anfaͤnglich nicht sonderlich ge- sittet gewesen, aber nach einem laͤngen Kampf, verwirrter Unruh, und vielen Versuchen, es in allen Friedens- und Kriegeskuͤnsten hoch gebracht hat, die trefflichste Sprache bekommen. Dem- nach hat ein Poet wohl von Gluͤcke zu sagen, der eine solche Sprache vor sich findet, welche mittelst obenerwehnter Stuffen dazu gelanget ist, daß sie alle die besten und staͤrkesten Empfin- dungen des Menschen ausdruͤket, und ihre ur- spruͤngliche, wunderreiche, metaphorische Tinc- tur in einem zulaͤnglichen Masse behalten hat. Man giebt es vor eine Regel in der Poesie, daß man den gemeinen Zufaͤllen des Lebens ih- ren einfaͤltigen Aufputz ausziehen, und sie einer hoͤhern geistlichen Macht zuschreiben muͤsse, damit sie also ihre Wuͤrde behalten; und was unbe- lebte Dinge anlanget, muͤsse man ihnen das Le- ben mittheilen, sie in Personen kleiden, und ih- nen anstaͤndige Eigenschaften beylegen. Allein was vor ein gluͤklicher Umstand ist es vor einen Poeten, der zu einer Zeit schriebe, da die ge- [Crit. Sam̃l. VII. St.] B woͤhn- Von den gluͤcklichen Umstaͤnden woͤhnliche Sprache dieses metaphorische Kleid an- gezogen hat? Auf eine Sprache thut die Religion eines Lan- des, und die Sitten der Zeiten einen maͤchtigen und sonderbaren Einfluß. Wir haben eine Men- ge Exempel wie ein steifer Glaube einer Secte die Leute von derselben so kraͤftig beweget, in dem beliebten Jdioma zu reden und zu schreiben. Sie fuͤhren es in ihren taͤglichen Geschaͤften ein, und alludiren darauf in ihren Lustbarkeiten; insonder- heit wann die Lehre den Schwung hat, und im Flor ist. Was vor grosse Vortheile wuͤrde nun ein Poet von einer Religion haben, welche so allegorisch waͤre, wie ehmals die Egyptische ge- wesen war? Wo die Leute bewunderten was sie nicht verstuhnden, und unbekannte Kraͤfte fuͤrch- teten und ehreten, in der Einbildung, daß sie vermoͤgend waͤren, ihnen viel gutes oder viel boͤses zu thun? Wo die Gottesgelahrtheit, der Glau- be, und die feyerlichen Ceremonien nach dieser Neigung eingerichtet sind? Es folget nothwen- dig, daß diese Lehre in einer kurtzen Zeit mit den Sitten des Volkes vermischet werden, sich in ihre Sprache eindringen, und allgemeinen Bey- fall erhalten muß. Jn diesem Fall wuͤrde die Allegorie ungesucht in die Schreibart des Poeten hineinkommen. Die fuͤr die epische Poesie. Die Sitten der Zeiten, die Studien und Ge- werbe, die im Schwang gehen, und dem der es darinnen weit gebracht hat, am meisten Ehre bringen, koͤnnen gleicherweise ihre grossen Vortheile fuͤr einen Poeten haben. Sie richten sich nach dem Gluͤkesstande einer Nation. Die Kuͤnste, die in dem Leben den groͤssesten Nutzen haben, welche nemlich unsrer natuͤrlichen Beduͤrff- niß zu Statten kommen, und unsre Personen, unsre Haab und Gut in Sicherheit setzen, machen vor allen andern ihre Erfinder beruͤhmt; und mit weiterm Verlaufe der Zeit, wenn der Reichthum in ein Land gekommen ist, ziehen die Kuͤnstler in wolluͤstigen Dingen, und die Meister in praͤch- tigen Gebaͤuden, unsre Augen auf sich. Wo noch der erste von diesen beyden Umstaͤnden die Oberhand hat, behuͤtet er den Poeten vor zwey Uebeln, welchen Longinus den Verfall der Poe- sie Schuld giebt, nemlich einer unersaͤttlichen Be- gierde nach Reichthum, und der Liebe zur Wol- lust. Was vor ein grosser Vortheil ist es in der That vor einen Poeten, zu dessen Zeiten die Waffen das ruͤhmlichste Handwerk sind, und ein patriotischer Geist der beliebteste Character ist? Wo man nothwendig dergleichen haben muß; wo der Mann, der seine Stadt heldenmuͤthig beschuͤtzt, sein Gebiethe erweitert hatte, oder fuͤr das Vaterland gestorben war, goͤttliche Ehre er- langet? Wo Liebe der Freyheit, und Verachtung des Todes mit ihrem herrlichsten Gefolge, der B 2 Ehre, Von den gluͤcklichen Umstaͤnden Ehre, der Redlichkeit, und der Maͤssigkeit, et- was wuͤrkliches waren? Ein Poet, der diese Tugenden von der Nothwendigkeit lernete, und von den Umstaͤnden selbst darauf gefuͤhrt wuͤrde, muͤßte sie besser kennen, als ihn die Schulen, und Buͤcher davon unterrichten koͤnnten. Und seine Vorstellungen solcher aͤchten Character wuͤrden die Kennzeichen der Wahrheit auf sich tragen, und die Character weit uͤbertreffen, welche von angemaßter Dapferkeit, verstellten Tugenden, oder noch schlechtern Mustern abgebildet werden. Lebte ein Volk natuͤrlich, und wuͤrde durch das natuͤrliche Gewichte der Leidenschaften, das in ei- nes jeden Menschen Brust liegt, regiert, so wuͤrde dieses machen, daß sie ohne allen Zwang, allein nach ihren eigenen angebohrnen Begriffen vom Guten und Boͤsen, Rechten und Unrechten, rede- ten und handelten, so wie ein jeder von seinem Hertzen gelenket wuͤrde. Diese Sitten nun wuͤrden einem Poeten die natuͤrlichsten Schilde- reyen, und geschikte Worte sie auszumahlen, an die Hand geben. Sie haben einen sonderbaren Einfluß auf die Sprache, nicht allein soferne sie natuͤrlich sind, sondern auch sofern sie aufrichtig und guͤtig sind. So lange ein Volk einfaͤltig und offenhertzig bleibt, so lange bekoͤmmt alles was es sagt, ein Gewichte von der Wahrheit; seine Gemuͤthesgedanken sind starck und ehrbar, welches allemahl bequeme Wor- te herschaffet, sie auszudruͤcken: Seine Leidenschaf- ten sind von aͤchtem Schrote und Korn, nicht un- aͤcht, nicht unterschoben, nicht verstellt, und druͤ- ken fuͤr die epische Poesie. ken sich in ihrer eigenen ungekuͤnstelten Redens- art aus. Es ist nicht an das Geplauder, und die kleinen spitzfuͤndigen Formeln gewoͤhnt, welche die Rede eines sogenannten wohlgezogenen Men- schen aller Kraft berauben; seine Sprache ist mit Schulwitz, Wort- und Sinnenspielen, und Syl- bengeklingel nicht durchsetzet; welche in allen Laͤn- dern sehr spaͤthe eingerissen sind. Und dieses mag wohl die Ursache seyn, daß alle Nationen sich so sehr an ihren alten Poeten belustigen. Ehe sie so hoͤflich, und verzaͤrtelt worden, daß sie in Schmeicheley und Falschheit verfallen, fuͤhlen wir den Nachdruk ihrer Worte, und die Wahrheit ihrer Gedanken. Jezo sollte ich noch von den Vortheilen reden, welche einem Poeten die gluͤcklichen Umstaͤnde seiner Person mittheilen; was seine Auferziehung, seine Lebensart, und sein Gluͤck in derselben vor eine absonderliche Wirkung bey ihm als einem Poeten haben muͤssen. Allein dieser Vortheile sind so viel, und sie sind so mannigfaltig, wie die Ge- legenheiten die Menschen uͤberhaupt kennen zu ler- nen, und absonderliche Gegenstaͤnde, so fuͤr die Poesie bequem sind, ins Auge zu bekommen, nothwendig seyn muͤssen, so daß eine solche Ab- handlung mich weiter fuͤhren wuͤrde, als ich diß- mahl gesonnen bin zu gehen. Jch gedenke nur eines Stuͤckes, nach welchem man von der Wich- tigkeit der uͤbrigen urtheilen kan, nemlich der vie- B 3 len Von den gluͤcklichen Umstaͤnden len Reisen, und weitlaͤuftigen Erfahrungen, die einer in eigener Person gemachet hat. Jn einem reisenden Leben hat man oͤfters Gelegenheit mit den Originalen seiner Abrisse, und Erdichtun- gen bekannt zu werden; diese Schildereyen moͤ- gen materialisch oder moralisch seyn, so entsteht ihre Trefflichkeit daher, daß sie der Natur und der Wahrheit aͤhnlich seyn. Aber viele und weite Reisen fallen wenigen Leuten vor; am sel- tensten Leuten, die eine poetische Geistesart haben. Diese sind gemeiniglich nicht die gesundesten, sie sind zu zart, die Beschwerlichkeiten auszustehen, und sich in die Gefaͤhrlichkeiten zu wagen, wel- che in langen Reisen unvermeidlich sind. Jch meine nicht zu irren, wenn ich behaupten darf, daß Homers Armuth, die ihn noͤthigte, ein umschweifendes Leben zu fuͤhren, als ein ir- render Barde, in Ansehen seiner Poesie ein gros- ses Gluͤck fuͤr ihn gewesen. Homer blieb in ei- ner jeden Stadt so lange als er noͤthig hatte ihre Sitten zu sehen, ohne daß er seine eigenen in dieselben umgoͤsse. Er fuͤhrte weder ein Stadt- noch ein Landleben, und war in dieser Betrach- tung wahrlich ein Weltbuͤrger. Wenn ein Mensch Kaͤlte und Muͤdigkeit ausgestanden, und hernach wieder erquiket worden, stellet sich die Freude mit Macht bey ihm ein, sein Hertz wird weiter, seine Lebensgeister fliessen strenger, und wenn ein poetischer Geist bey ihm ist, wird solcher gewißlich loosbrechen. Die poetischen Landfahrer, wie Ho- mer einer war, muͤssen gesunde Leute seyn, und sehr rege und sichere Fuͤhlungen haben. Jhre Coͤrper fuͤr die epische Poesie. Coͤrper sind durch keine strenge Arbeit abgenu- zet, ihre Gemuͤther nicht daniedergeschlagen. Jhr Leben ist ohne Kummer, ohne Ehrgeitz, voller Wechsel und Verschiedenheit: Das Herumstrei- chen aus einem kleinen Staat in den andern be- reichert ihre Phantasie fuͤr sich selbst. Jhre oͤf- tere Einsamkeit fuͤhret sie auf das Denken, so wie die Lustbarkeiten, die einander wechselsweise ab- loͤsen, davon abfuͤhren. Wenn wir alleine sind, so sind wir genoͤthiget, uns mit uns selbst zu un- terhalten. Wir muͤssen uns zusammenraffen, und in uns hineinschauen, ob etwas vorhanden sey, was unsere Aufmerksamkeit verdiene. Jn der Ge- sellschaft zerstreuet das Aufsehen, das wir auf einen jeden haben muͤssen, das Gemuͤthe, und hindert es am uͤberlegen. Ein Mittel wenig zu denken ist, daß man von einer Kurtzweil zur an- dern forteile, damit man so sich selbst entfliehe. Aber der Mensch, der einfaͤltig lebt, und zu Zei- ten von dem Getuͤmmel des Lebens beyseits geht, geniesset ein aͤchteres Ergetzen: Er erlanget von der stillen Natur entzuͤckende Schauspiele und Gesichtespuncten, und betrachtet ihre einsamen Scenen ungestoͤrt. Er richtet sein aufmerksames Gemuͤthesauge ofte auf sich selbst, zeichnet seine eigenen Leidenschaften, und befestiget sich in sei- nen Empfindungen der Menschlichkeit. Es giebt zwar viele Einsame, welche dem Den- ken nicht sonderlich ergeben sind, und gewisse Leu- te, derer Gewerb erfodert daß sie reisen, sind merklich tumm. Aber ich rede hier nicht von dem Leben eines Anachoreten, oder Einsiedlers, noch B 4 von Von den gluͤcklichen Umstaͤnden ꝛc. von den muͤhseligen Tagreisen solcher Leute, die um der Nahrung willen von Land zu Lande wan- dern: Jch rede von der kurtzen Einsamkeit eines freudigen Gemuͤthes, dessen Thun es ist, daß es andere ergetze; welches, wie Homer, die erste Gesellschaft, die es antrift, auf die lebhafteste und beweglichste Art unterhalten muß. Dieser Zustand ist von eines Einsiedlers oder eines rei- senden Handwerkers gantz unterschieden, es ist ein Stand, der Homer noͤthigte, nicht nur die Leidenschaften seiner Zuhoͤrer, weil er erzehlte, zu studieren, ihre Gesichtesminen in Acht zu nehmen, alle Bewegungen ihrer Augen und den Schwung ihrer Gedanken, sorgfaͤltig zu bemerken, sondern, wenn er alleine war, um sich zu schauen, und einen Vorrath von solchen Bildern zu sammeln, als vermoͤge seiner Erfahrung die nachdruͤklichste Wuͤrkung haben mußten. Hierzu koͤmmt ein andrer Vortheil, der das Leben eines umherschweifenden Rapsodisten beglei- tet; nemlich die Fertigkeit, welche er dadurch er- langen muß, gantze Strophen aus dem Steig- reife zu singen. Wir haben alle Tage Proben von der Macht der Uebung in allen Kuͤnsten und Geschaͤften. Eine Neigung, der man den Gang laͤßt, wird zu einer Fertigkeit, und diese erhebet sich, wenn sie fleissig gepfleget wird, zu einer meisterlichen Leichtigkeit in einem Handwerke. Von Von den vortrefflichen Umstaͤnden fuͤr die Poesie unter den Kaisern aus dem schwaͤbischen Hause. E Jn gelehrter Mann Sehet Inquiry into the live and the Writing s of Homer. , dem die Stafeln, nach welchen die Litteratur gestiegen, wohl bekannt gewesen, hat in Acht genommen, daß die Zeiten da Freyheit und Sclaverey mit einander um die Oberhand gestritten, der Welt gemeiniglich et- was vortreffliches von Werken des Geistes geliefert haben: Jn dergleichen Zeiten geben die Leute sich durchaus zu erkennen; das menschliche Geschlecht ist denn gewissen indianischen Federn gleich, welche sich in mehr als einem Lichte zu ihrem Vortheil zeigen. Die Verwirrungen und Gefaͤhrlichkeiten, die in solchen Umstaͤnden haͤuffig sind, setzen alle ihre Leidenschaften in Bewegung, und kehren sie in alle moͤglichen Gestalten. Wenn diese moralischen Stellungen denn wol in Acht genommen und ge- schikt beschrieben werden, muͤssen vortreffliche Wer- ke daraus werden. Eben derselbe hat in diesen Zeiten der Fehden eine Art Freyheit bemercket, die ihnen eigen ist. Sie verursachen einen freyen und hurtigen Geist, der sich in das gantze Land ausbreitet. Jeder- mann sieht sich dann seinen eigenen Herrn, und daß er aus sich selber machen darf, was er kan. Er weis nicht, wie hoch er steigen mag, und die Ge- B 5 setze Von den poetischen Zeiten setze schreken ihn nicht, weil sie denn keine Macht haben. Die abgezogenen Wissenschaften sind ein Werck der Ruhe und Stille, aber die, welche sich auf die Menschen beziehen, und nach dem menschlichen Hertzen zielen, werden am besten in Bewegungen und Verrichtungen kennen gelernet. Diese Betrachtungen und andre, auf wel- che mich der eben erwehnte geschikte Mann gefuͤhret hat, haben mich die beste Hoffnung von den Scribenten, welche unter den Kai- sern aus dem schwaͤbischen Stamme gelebet haben, fassen heissen. Damahls that die deut- sche Freyheit ihr aͤusserstes, sich des sclavischen Jochs zu entschuͤtten, das ihr von Rom an- gedrohet war. Die Deutschen waren nicht mehr diese rohen und halbwilden, die aller Gemaͤchlichkeiten des Lebens, und politischen Veranstaltungen beraubet waren. Sie hat- ten friedliche Zeiten, zwischen langen und zweytraͤchtigen Versuchen, gehabt, wo sie es in den Kuͤnsten und Wissenschaften auf einen gewissen Grad gebracht hatten. Doch waren sie von Zucht, Hoͤflichkeit und Cerimoniel nicht zu enge eingethan. Sie hatten noch vieles von ihrem unbaͤndigen und ungezaͤhmten Geist behalten, und die Schranken der Religion oder der Policey hatten die natuͤrlichen und einfaͤl- tigen Bewegungen ihres Hertzens nicht einge- zwaͤnget. Sie liessen ihren angebohrnen Nei- gungen insgemein den vollen Zuͤgel und verstell- ten sich nicht sonderlich, daß sie anders schie- nen unter dem schwaͤbisch. Stamme. nen, als sie waren. Man kan sagen, daß jeder Staat sein eigener Herr war, wie- wohl sie durch gewisse schwache Bande des Le- henrechtes ꝛc. verbunden waren. Jhr Gehor- sam kam allzusehr auf ihren Willen an; und eine Nation von so kriegerischem Naturell konn- te diesen Willen nicht lange behalten. Die Waffen waren im Ansehen, und die Staͤrcke setzte einen in Besitz. Ein jeder Staat eifer- te auf den andern, und versuchte, was sein Geist im Frieden, und noch lieber was seine Staͤrcke im Kriege vermoͤchte. Diese Zeiten nun gaben einem viel zu sehen, und viel zu fuͤhlen. Man konte Staͤdte erobert, und gepluͤndert, Maͤn- ner durch das Schwerdt fallen, und Weiber gefangen wegfuͤhren sehen. Man konnte ver- zweifelte Gebehrden, drohende Stellungen se- hen, ꝛc. Es kan nicht seyn, daß dieser Character, diese Empfindungen und Regun- gen nicht in ihre Sprache und Schriften ein- geflossen seyn. Jhre Sprache muß von ihnen dahin gebracht worden seyn, daß sie diese star- ken und tapfermuͤthigen Fuͤhlungen darinnen haben ausdruͤken koͤnnen. Die Erbauung so vieler Staͤdte und die besonderen Regierungen in denselben, welche mit dem Regimente so vie- ler kleinen Fuͤrsten und Grafen, die zwar an- derer Vasallen waren, doch wieder ihre Unter- thanen hatten, so seltzam absetzeten, die Noth- wendigkeit der Arbeit, die Einfuͤhrung der Handwerke, und der Kaufmannschaft, die ver- schiedenen Angelegenheiten so vieler eigenmaͤch- tigen Von den poetischen Zeiten tigen Herrschaften, und so vieler Staͤdte, die auf einander eiferten, mußten eine reiche und nachdruͤkliche Sprache mit sich gebracht haben. Der politische Stylus waͤchßt mit der Verfas- sung eines Staats, und steigt auf seine Hoͤhe, wenn man am meisten dergleichen Geschaͤfte hat, an welchen uns sehr viel gelegen ist, daß wir sie geschikt vollfuͤhren. Die Rathsversammlungen eines freyen Staats werden durch das Mittel der Rede gefuͤhrt, wohin man will, dieses bringt die Beredtsamkeit ins Aufnehmen, und die Kunst andere auf seine Meinung zu fuͤhren, in Werth. Wo die Gedanken stark, und ehr- liebend sind, fehlt es nicht, daß sie nicht be- queme Worte an die Hand geben; womit man sie ohne Abbruch ausdruͤken koͤnne. Jndessen war diese Sprache noch nicht so sehr auspoliert, daß sie dadurch waͤre abge- schliffen und geschwaͤchet worden. Durch die Ausputzung wird manches Wort weggeworf- fen, sie stekt den Menschen gleichsam in einen Sack, gestattet ihm nur eine gewisse Zahl von uͤblichen Redensarten, und beraubet ihn vieler nachdrucksreichen Woͤrter, und starker schoͤner Ausdruͤke, welche er wagen und dabey in Ge- fahr stehen muß, daß sie veraltert und platt scheinen. Die Poesie beruhet insonderheit auf den Sit- ten der Menschen, die dann sind, da man schreibt; die besten Poeten copieren die Natur, und lie- fern sie uns so, wie sie solche finden. Ein Scri- bent von Friedrichs des I. oder II. Zeiten habe nur unter dem schwaͤbisch. Stamme. nur mit der damahligen Sprache getreulich geschildert, was er gesehen, und empfunden, so muß sein Werk anmuthig und nachdruͤklich seyn. Seine Vorstellung einfaͤltiger und na- tuͤrlicher Sitten, wird uns einnehmen, sie wird uns das Beduͤrffniß und die Empfindun- gen der Menschen zeigen, sie wird uns die Be- wegungen eines unverstellten Gemuͤthes vor- weisen, wir werden darinnen sehen, was in unsern Hertzen vorgeht, und was vor Wege wir brauchen, wenn wir unsern Neigungen nachgeben. Es ergetzet uns dergleichen zu le- sen, weil wir gerne mit Leuten umgehen, de- nen wir ins Hertze sehen, die nichts vor uns verborgenes haben. Jn dergleichen Zeiten, da Jtalien so wohl als Deutschland in Parteyen zertheilet war, da die kleinen Staaten gegen einander ligiert wa- ren, mitten in dem hitzigsten Streiten und Blut- vergiessen der Guelfen und Gibellinen, schrieb Dantes den nachdruͤklichsten Entwurff und Ab- riß von den Menschen und ihren Neigungen und Leidenschaften. Dieselben Zeiten hatten fuͤr einen Poeten auch das Gluͤck, daß einer viele Reisen thun, und viele persoͤnliche Anmerkungen machen kon- te. Die Kreutzzuͤge in die Orientalischen Laͤn- der gaben ihm dazu haͤufige Gelegenheiten, und er konnte auf denselben seine Phantasie mit einer wunderbaren Mannigfaltigkeit von Sitten, Manieren, Religionen, ꝛc. welche mit seinen eigenen so starck abstachen, berei- chern. Von den poetischen Zeiten chern. Die Natur mußte ihm von diesen Din- gen, die sie ihm in ihrer Wuͤrklichkeit vor Au- gen stellte, die lebhafteste Empfindung geben. Und weil ein grosser Theil Jtaliens nebst dem angenehmen und fruchtbaren Sicilien da- mahls unter der Herrschaft des schwaͤbischen Stammes stuhnd, so daß die Deutschen in dasselbe als in ihr eigenes Land oͤftere Reisen thaten, so koͤnnen wir natuͤrlicher Weise ver- muthen, daß diese gemaͤssigten Landschaften, die unter dem guͤtigen Einfluß eines freudi- gen Himmels liegen, der Deutschen martia- lischen Geister einigermassen besaͤnftiget, und mit den lekern Fruͤchten ihrer Felder und Gaͤr- ten den Geschmack der Wollust verbessert, jedoch nicht verzaͤrtelt haben. Meine Hoffnung zu den poetischen Schrif- ten dieser Zeiten hat noch einen absonderlichen Grund in der Gewohnheit derselben, welche die Poesie zu einer Profession gemachet, und zwar zu einer solchen, welche sich Freyherren, Fuͤrsten und Grafen vor keine Schande hielten, indem sie nicht nur dieselbe schuͤtzeten und die Poe- ten in ihre Schloͤsser und Gastgebothe auf- nahmen, Wettstreite unter ihnen anstelleten, sich ihre Wercke offentlich in Gegenwart der vornehmsten Gesellschaften von beyderley Ge- schlechte vorlesen liessen, sondern sich selber damit bemuͤheten, und um den Preiß sangen. Eine Gewohnheit, die sie vielleicht eben aus Sicilien, wo die Trovadori unter den neuern die fruͤhesten gewesen, die zur Poesie ein na- tuͤrli- unter dem schwaͤbisch. Stamme. tuͤrliches Geschick gewiesen, heruͤber gehohlet haben. Friederich der II. war selbst ein grosser Liebhaber der Poesie, und man hat noch auf diesen Tag einige von seinen Gedanken, wel- che er in der Jtalienischen Sprache ausge- bildet hat. Die Nachrichten von diesen deutschen Saͤn- gern geben, daß sie in dem Land herum reiseten, und hier und dar an grossen Hoͤfen ihre poe- tischen Erfindungen vorlasen und sangen. Jhre Gedichte waren gemachet, daß sie er- zehlt oder vor einer Gesellschaft gesungrn, nicht daß sie im Cabinet durchgangen, oder in einem Buche gelesen wuͤrden. Wenig Leute konnten damahls lesen. Sie dorften nicht fuͤrchten, daß sie nicht allerorten willkommen waͤren, da sie solche beliebte Geschiklichkeit mit sich brachten. Die- ses mußte nothwendig eine gute Wuͤrkung in ihren Schriften haben, weil sie so den Cha- racter der groͤssesten Maͤnner, und die inner- sten Springfedern ihrer Handlungen erlernen konnten. Sie konnten sie in ihrem Privat- leben kennen lernen, ihren Umgang nach sei- ner besondern Art, und ihre Manieren sich zu unterhalten. Diese Gewohnheit seine Muse in dem Lan- de herumzufuͤhren hatte daneben den wichti- gen Nutzen, daß sie weder Concetti noch tief- gelahrte Verse in einer unverstaͤndlichen Spra- che sagen durften. Sie durften wohl wun- derbare Geschichten erzehlen, aber sie muß- ten Von den poetischen Zeiten ten deutlich erzehlt, und die natuͤrlichen Sit- ten, und menschlichen Leidenschaften niemahls aus Augen gesetzet werden. Sie stelleten oͤfters poetische Wettstreite un- ter einander an, in Gegenwart grosser Ver- sammlungen, welche dem Obsieger einen Ge- winn zutheileten. Also war eine taͤgliche Ue- bung ihr bester Kunstlehrer in der Dichtkunst. Sie bedurften keiner erworbenen Wissenschaf- ten die natuͤrliche Neigung ihres Geistes, ihre Bekanntschaft und Umgang mit dem Men- schen versahe sie mit genugsamen Vorrath. Man wird mit mir nicht zufrieden seyn, daß ich bloß die Moͤglichkeit, darinnen dieses Weltalter gestanden, auf eine vortreffliche Art zu poetisieren, angezeiget habe; man wird sagen, es sey von der Moͤglichkeit noch ein weiter Schritt zur Wirklichkeit, es sey nicht genug, daß der Zustand von Deutschland so wohl in politischen, und moralischen, als in physicalischen Dingen damahls in einer rech- ten und bequemen Temperatur gestanden, treff- liche Poeten hervorzubringen, und sie mit ei- nem geschickten Stofe fuͤr poetische Wercke zu versehen; es gehoͤren noch mehrere Bedingun- gen dazu, vielerley geringere Umstaͤnde des Privatlebens, viele Vortheile der absonder- lichen Auferziehung, und eigene Gelegenheiten das menschliche Geschlechte durch und durch kennen zu lernen. Aus dieser Ursache wird man von mir begehren, daß ich wuͤrkliche Mu- ster von Schriften anzeige, welche die Wuͤr- kung unter dem schwaͤbisch. Stamme. kung und Frucht meiner obigen Anmerkungen gewesen seyn, Waͤren gewisse Wercke, von denen wir noch die Titel haben, nicht verlohren gegangen, so waͤre ich ohne Zweifel im Stande, ihrem Ver- langen eine Gnuͤge zu thun. Haͤtten wir noch Hermanns von Sachsenhausen Gedichte, die Moͤh- rin genannt, Wolframs von Eschilbach starcken Rennewart, eben desselben Gedichte von Marg- graf Wilhelm von Narbone, desgleichen was er von Gamuret, und seinem Sohne Pareifall, ge- dichtet; haͤtten wir vornehmlich Klinsors Gedich- te von der Erschaffung, den Geschoͤpfen, dem Ge- stirne, und desselben Histoͤrgen und Erzehlungen, so wuͤrden wir mein Vertrauen zu ihren Zeiten und ihrer Geschicklichkeit in voller Kraft erfuͤllet sehen. Der gemeine Ruf, in welchem Klinsor gestanden, daß er zauberische Kuͤnste gewust, le- get zu unsern Zeiten nur ein Zeugniß von seinen ungemeinen Talenten ab, und hat einerley Ur- sprung, wie ein gleiches Geschrey, welches von dem kunst- und geistreichen Moͤnchen Roger Bacon in demselben unwissenden Weltalter gegangen war. Wir haben zwar noch etwas von Eschelbach, von Albrecht von Halberstatt, von Ofterdingen, von Freydank, das in dem fuͤnfzehnten Jahr- hundert im oͤffentlichen Druck das Licht gesehen hat, aber die Herausgeber haben in den Les- arten, den Woͤrtern und gantzen Redensarten, so wichtige Veraͤnderungen vorgenommen, daß wir die Sprache und die aͤchten Gedanken der Originale oͤfters darinnen missen. Dieses Un- [Crit. Sam̃l VII. St.] C gluͤck Von den poetischen Zeiten gluͤck hat obiger Dichter Erzehlungen von Otteni- ten, von Wolfdietrichen, von dem kleinen Rosen- garten, und dem Koͤnig Laurin, die Uebersetzung der Verwandlungen des Ovidius, und Freydanks moralisches Gedichte von der Bescheidenheit starck getroffen. Wikram hat sich am meisten Frey- heit mit ihnen genommen; und Burckard Wal- dis hat eben dieses mit Pfinzings Theuerdanck gethan, der doch von seinen Zeiten nicht gar weit entfernt gewesen. Sebastian Brand selbst hat in Freydancks Wercke die Sprache mehr geaͤndert, als es dienlich war; wiewohl er den Sachen und Gedancken am wenigsten genommen hat. Das aͤchteste, das wir aus dem Schwaͤbi- schen Weltalter haben, sind Winsbeckes Gedich- te, wovon uns Goldast und Schertz gute Auf- lagen geliefert haben. Wir finden theils in den- selbigen, theils in einzelen Zeilen, welche Goldast hier und da angezogen hat, so ungekuͤnstelte Ori- ginale von den eigenen und urspruͤnglichen Sitten der damahligen Deutschen, und diese werden mit einer solchen Art und Kraft der Redensart, so wohl durch Metaphern von den natuͤrlichsten Gegenstaͤn- den, als durch einen gluͤcklichen Schatz der Spra- che, ausgedruͤcket, daß wir gnugsam daraus er- kennen, daß der Character der damahligen Zei- ten und Umstaͤnden eine Wuͤrkung seiner Na- tur gemaͤß gethan, und sich in die Schriften er- gossen habe. Wir haben Recht aus diesen weni- gen guten Stuͤcken, die uns uͤbrig geblieben sind, zu schliessen, daß noch so gute verlohren gegangen seyn. Die Nachreue wegen dieses Verlustes wird dadurch unter dem schwaͤbisch. Stamme. dadurch am aͤllermeisten vermehret, und wir muͤs- sen die Nachlaͤssigkeit unsrer Voreltern, welche sie hat untergehen lassen, um so viel schmertzlicher bedauern. Wenn wir zwar nicht eben so viele Nachlaͤssigkeit haͤtten, so koͤnnten wir vermuth- lich noch heutiges Tages diesen erlittenen Verlust ziemlichermassen ersetzen; gestalten nicht unbekannt ist, daß in der Koͤniglichen Bibliotheck zu Paris Num. 7266. ein pergamener Codex ist, worinnen eine grosse Anzahl Poesien aus dem hohenstaufi- schen Weltalter zusammengeschrieben sind. Wir wissen auch die Nahmen der vornehmen Verfasser, von denen einige Stuͤcke darinnen enthalten sind; darunter sind etliche die mittelst eintzelner Zeilen, die von Goldast aus ihnen angezogen worden, ein starckes Verlangen nach dem gantzen erweket ha- ben; naͤmlich Klinsore von Ungerlant; Walter von der Vogelweide; Werner von Túfen; Chun- rad von Wúrzburg; Herzog Henrich von Pres- sela; Reimar von Zweeter. Alle die Dichter, derer Schriften in dem angeregten Codex be- griffen sind, haben unter den Kaisern aus dem schwaͤbischen Hause gelebet. Der Untergang des Stammes von Hohenstaufen ist der Poesie gantz verderblich gewesen. Man muß nicht wohl zu unterscheiden wissen, wenn man die Poeten des- selben Alters mit den Meistersaͤngern der spaͤtern Zeiten in eine Classe setzet; wie Wagenseil und andre gethan haben. Sie sind einander an Ge- schicklichkeit, an Kunst, an der Sprache, allzu ungleich, wiewohl sie einander darinnen gleichen moͤgen, daß diese und jene ihre Erzehlungen vor C 2 einer Von den poetischen Zeiten einer Gesellschaft Zuhoͤrer abgesungen haben. Die Mundart deren sich die Poeten des XIII. Jahrhun- dert bedient haben, ist durchgehends die Schwaͤ- bische, welche damahls auch die Sachsen vor die beste erkennt und gebraucht haben. Von einem solchen Gedichte aus dem drey- zehnden Jahrhundert hat der Zufall ein paar Hundert Zeilen auf einem zerrissenen Pergament geschonet, welches mir ungefehr in die Haͤnde ge- fallen ist. Jch halte diese Schrift beynahe gleich alt mit dem Dichter. Der Jnnhalt ist von der schoͤnen Meliure, welcher die groͤssesten Fuͤrsten von Europa und Asia aufwarteten, und Hoff- nung hatten, daß sie einen von ihnen zu ihrem Gemahl erwehlen wuͤrde. Vor allen andern schmei- chelten sich, ihre Gunst zu haben, der Soldan aus Persien, und Partenopier, ein Fuͤrst aus dem Stamme der Koͤnige von Kerlingen. Dieser letztere hatte sich insgeheim vom Hofe verlohren. Jn unserm Fragmento findet er sich unbekannter Weise wieder ein, einem Turniere, der unter den Mauren der Stadt Schifdiere sollte gehalten wer- den, beyzuwohnen. Unweit denselben, in einem anmuthigen Thal, begegnet ihm Gaudin, ein christ- licher Ritter, mit welchem er Freundschaft ma- chet, und auf den Turnierplatz reitet. Sie fan- den auf einer Ebene zwischen der Stadt und dem Meere alles von Christen und Saracenen wim- meln. Diese werden durch einander gemischet, so daß kein Unterschied unter ihnen gehalten ward, hernach werden sie in zwey gantze Theile getheilt. Der Koͤnig von Kerlingen hatte gegen Meliu- ren unter dem schwaͤbisch. Stamme. ren einen Anschlag im Kopf, weil er sie im Ver- dacht hatte, daß sie ihm Partenopier, seinen Vetter, aufgefangen haͤtte. Das ist es, was wir aus diesem kleinen erretteten Stuͤcke erler- nen koͤnnen. Wir haben schon darinnen Erfin- dung, Sitten, und poetische Farben: Erfin- dung in Meliurens Worte, einen von den christ- lichen oder den saracenischen Fuͤrsten zum Gemahl zu erwehlen, welches einige Aehnlichkeit mit Pe- nelopens Versprechen hat, und vielleicht mit gleich- maͤssigem Zwang, Bedingung, und Umstaͤnden, wie bey dieser begleitet gewesen; in Parteno- piers heimlichen Abschied, und heimlicher Wie- derkunft, welche uns einen Knotten in dem Ge- dichte zu vermuthen giebt; in der freundlichen Vermischung der Saracenen und der Christen, welche etwas neues und seltsames in sich hat. Sitten haben wir in eben dieser Vermischung, und ferner in dem freundschaftlichen Betragen Par- tenopiers und Gaudins, in des Kerlinger-Koͤ- nigs Hasse gegen Meliuren, un Meliurens Furcht vor demselben. Poetische Farben finden sich in der Beschreibung der Gegenden, der Kleidungen, der Zuruͤstungen, der Eintheilung des Turnieres. Die Sprache zur Ausdruͤkung aller dieser Din- ge fehlte dem Verfasser nicht, und wann wir sie als eine fremde oder gar als eine todte Spra- che ansehen, und die Begriffe mit den Woͤr- tern verknuͤpfen, welche zur Zeit, als sie noch ge- redet ward, damit verknuͤpfet waren, so wer- den wir keinen schlechten Geschmack darinnen finden. Urtheilt selbst davon: C 3 Geli- Von den poetischen Zeiten geliches willen mueste iehen schiefdeire wart von in gesehen in harte kurzer wile mit snelleclicher ile kamen si geriten dar ein tal von bluomen lieh gefar lac da bi mit stete dar inne Gaudin hete empfangen wunneclich gemach ein herberge und ein obedach was im alda gewunnen bi eime kalten brunnen da gruene boume stuonden obe ein pavilune wol ze lobe waz in geslagen uf das velt unde stuont vil schoene sin gezelt mit loumen und mit grase best der meie hete do gevroeut mit der lichten kúnfte sin diu wilden walt vogelin dar umbe alda ze prise ir suezen sumer wise wurden lute erklenket si heten sich gesenket in die schoenen bomes bluot vnde liezen sueze stimme guot des males hellen úberal in disem wunneclichen tal Gaudin sich nider schiere lie mit Partinopiere der im die nacht vil eren bot des tages do das morgen rot durch den lichten himmel schein von unter dem schwaͤbisch. Stamme. von koufe der vil nuzzes birt die knehte solten einen wirt in kiesen der in gebe sa des si durftic weren da ze ritterliche koste si wolten uf die joste nach hoher minne lone bereiten sich vil schone Nu daz die knechte vúr gerite n die ritter da niht langer biten Gaudin unde Partinopier zuo der Stat schone unde fier diu Schiefdere waz genant kamen si da sa zehant da si vil geste sahen zuo riten unde gahen uz manegem kunecriche si beide vil geliche ir ougenblicke niht verlurn wan si da spurten unde kurn werder kunege ein wunder ouch sahen si dar under manegen herzogen hoch vil grafen unde frigen zock hin zuo dem turneie rich unde manger leie schein diu gezierde ir werden hers hie dissit unde ienhalp mers was ir volc gewahsen Westfalen unde sahsen vranken peier swabe C 4 durck Von den poetischen Zeiten durch werder minne gabe kamen dar mit hoher craft der schone dienten sinre hant der Kúnec von Egipte lant vnd der von Iturie mit grozer massenye wurdent beide erkennet da der kúnic rich von Libia kam dar mit disen beiden ouch vuor da hin der Meden gebieter und ir Landevogt von Barbarie dar gezogt waz der kúnec schone ein here truoc die krone des riches in Arabia den sach man werdeclichen da zuo gahen unde riten ouch waz da bi den ziten der kùnec von Syrie und der von Armenye brahte dar vil groz gedranc von Baldach unde von Zaz amanc die zwene kúnge vuoren dar so waz dahin mit sinre schar gestrichen der von Marroch diz waren heiden alles doch vnde hete si der Soldan gefueret dar us des siges wan daz in div vrouwe solte erweln. Nu wil ich iv die Kúnge zeln die von der werden cristenheit ouch riten uf die heide breit vnd unter dem schwaͤbisch. Stamme. vnd uf das wol geblvemte gras der Keiser da von Rome was herlich und schone komen die zwene kamen ouch aldar die fuorten beide in lichter schar manegen ritterlichen degen der Kúnec rich von Norwegen vnd der von Orchadie mit grozer massenie zuo ritten unde randen der Kúnec von Irlanden vnd der von Tenemarken vuoren dar mit starken rotten uf die gruenen wisen ouch wart gesehen da mit disen der Kúnec von Yspanie des Riches von Britanye Pfleger waz da hin gefarn der brahte dar in sinen scharn vil manegen werden Britun da was der Kúnec von Arragun und der Kerlingere Vogt von Nafarre dar gezogt kam ein Kúnec wit erkant so waz ouch der von Engellant komen dar mit hoher craft und ein Kúnec ellenthaft geheizen von Cecilie Koufliute von Marsilie kamen dar mit sinem her die den market bi dem mer C 5 zierten Von den poetischen Zeiten zierten mit ir krame guot vil werden vursten hoch gemuot begunden sich da dringen der herzoge uz Lutringen vnd der von Normandie wan ir werdent hie gewert swez iuwer edel herze gert vnd úber das noch liebes mer owe sprach do Partinoper wúrde erfúllet hie min gir son gert ich niht das mir gelunge baz geselle kluoc io duhte mich sin rehte gnuoc vil hochgelobter man hiemite geschehe das des ich hie bite Sus giengen si do slafen ir harnasch und ir wafen heten si von in geleit si pflagen ir muedekeit vil ruowe unz an den morgen vruo do wurden si bereit dar zuo das si da langer niht enbiten si kerten abr vnde riten fúr die stat hin uf den plan da sanc ein werder Capelan in eime gezelte Meße der cristenlichen preße vor allem ungelouben vri si zwene stuonden ouch dabi mit reinem willen stete nv man gesungen hete nach unter dem schwaͤbisch. Stamme. nach vil goetelicher art der turnei do geteilet wart das Cristen unde Heiden bliben ungescheiden vnde man si mischete under ein durch das kein strit da von in zwein sich huobe noch kein ... hin under die getouften schar nv si gemischet wurden gar zein ander uf der heide so daz kein underscheide wart von in gehalten da wurden si gespalten vnd in zwei ganze teil ges ... der cristen und der heiden w ... beidenthalp geliche vil an dem ritterlichen spil en weder teil wart minre daz uzer und daz inre niht eines mannes hete me kein tvrnei weder sit noch e wart als eben uf geleit das kam do zeiner selekeit in allen und ze heile eim ietwedern teile das turnieren da began wurden zwene houbtman besunder uzbescheiden die cristen unde heiden niht streites liezen walten den turnei mueste halten der Von den poetischen Zeiten der Soldan zeinre siten unde vvielt sin an den ziten mit im ein kúnec uzerkorn der waz uz Spangenlant geborn. Si zwene mit ir lieb ... des males werde cl ... vvurden in die stat .... diu veste michel und ... ze halten in ir pflege ... uf des gruenen planes wege ... ren si das beste ... zwene vúr die veste ... vvurden uzerhalb geleit ... uo dem mere vvit unde breit vnder boume uf gruenez gras der kúnec von Kerlingen vvas der Keiserinne vvunnesam von herzen vigent unde gram durh das er vvande han verlorn von der vrouvven hochgeborn Partinopieren sinen mac des vvart er an des meres vvac geleit mit hoher vvitze sin vride und ouch sin litze vvaz uzerhalp der mure der schoenen Meliure ze wibe er niht en gerte - - svoht er unde werte - ie ritterschaft durch verlust vnd truoc den vvillen in der brust moeht es sich vvol gefueget han - - - het ir etsvvaz getan das unter dem schwaͤbisch. Stamme. das si betruebet hete gar nieman gefueret hete dar so manegen ritterlichen Degen - - - hete sich uf strit gevvegen - - - d er der schoenen vvas gehaz - - - - - in Meliure entsaz - - - - - - - vvip vil uzerlesen - - - - in bi dem keiser vvesen Nu daz die geste riche den turnei sus geliche geteilet heten under in do vvart geleit dar uf ir sin vnd ir vvilleclich gedanc das iedermann an vveinic tranc vnd az ein edel murzel darnach si beide vvurden snel das si kerten uf den plan von Persia der Soldan vz der veste kam gezogt so reit der keiserliche Vogt im engegen von dem mer ir zvveier kúneclichez her vnd ir zvvo schoenen parte gezieret vvaren harte mit siden unde mit golde licht von endian von Vztricht von kriechen unde von heidenlant vvas in ze stiure dar gesant vil manec edel samit die vverden kúnge in vviderstrit haten Von den poetischen Zeiten haten sich gegestet vnd an ir lip gebestet tiure unde selzene vvat der purpur unde der phat der zendal unde das paldekin die varen vvunneclichen schin ir liehten ougen reine das golt und das gesteine das silber und das stahelvverc mit glanze do tal unde berg Wir muͤssen die Worte wunnesam, schone un- de fiere, nicht vor Flickwoͤrter halten. Sie ha- ben ihre noͤthige Bedeutung, wo sie gesetzet wor- den, und daß sie hinter ihrem substantivo stehen, war der damahligen Sprachverfassung nicht ent- gegen. Wer es probieren wollte, dieses Ueber- bleibsel in unsre Sprache zu uͤbersetzen, wuͤrde die Trefflichkeit der Grundsprache bald an der Muͤhe erkennen, welche er haben wuͤrde, die Begriffe eben so kurtz, so natuͤrlich und geschickt, ohne Mattigkeit, und ohne Niedrigkeit, zu ge- ben. Das Metrum ist demjenigen gantz gleich, welches der Englische Schaser noch in dem 14ten Sæculo gebraucht hat, da uns aber verborgen ist, wie man es gelesen, oder gesungen habe. Scha- ser schreibt zum Ex. It stood upon so high a rock Higher standeth none in Spayne, What manner stone this rock was For it was like a lymed glaß But unter dem schwaͤbisch. Stamme. But that it schon full more clere But of what congeled matere It was, I niste redily. Die Engellaͤnder haben sich von diesem Sylben- masse nicht irre machen lassen, daß sie den Jnn- halt und die Erfindungen darunter aus dem Ge- sichte verlohren haͤtten, ihre heutigen Poeten fin- den noch ietzo die Perlen darinnen, und wissen sie geschickt herauszunehmen. Sie halten Scha- sers poetisches Naturell noch ietzo in Hochachtung, da sie seine Sprache haben untergehen lassen. Wir aber haben unsre Schaser mit ihrem Zahl- masse, ihrer Sprache und ihrer Poesie, unter die Banke geworffen. Jndessen haben die Poeten des 13ten Jahrh. noch andre bequemere Sylbenmasse gehabt, zum Exempel folgendes, das Winsbeke gebraucht hat: Swas si redent, ich bin dir holt Und nem din glesin vingerlin fúr einer kuneginne golt. Ferner: Leb du in tugentlicher Aht Und las den kranken also leben, als im von Arte ist geslaht. Und: Gut das ist Gitikeit ein Klobe Dem es ist lieber denne Got u. weltlich ere, ich wen er tobe. Wer mit der deutschen Sprache umgegangen ist, der wird bald erkennen, daß dieses Metrum fuͤr sie Von den poetischen Zeiten sie noch auf den heutigen Tag treffliche Bequem- lichkeiten haͤtte. Jn der Buͤrgerbibliothek zu Zuͤrch wird ein Codex von Papier aufbehalten, worinnen eine ziemliche Anzahl Fabeln aus Avienus und andern in deutschen Versen enthalten ist. Der Spra- che und Orthographie nach hat der Verfasser des Wercks zu den Zeiten Kaiser Rudolfs des ersten aus dem Hause Habsburg gelebt, wiewohl das Buch zu hundert Jahren spaͤter, und zwar nicht von dem geschicktesten Abschreiber geschrieben ist. Es verdiente wegen seiner natuͤrlichen Einfalt und ungekuͤnstelten obgleich nachdruͤcklichen Erzehlung von unsern neuangehenden Scribenten gelesen zu werden. Unter andern hat mich die Fabel von dem Hunde, der nach dem Fleische im Schat- ten schnappet, geschickt erzehlet beduͤnket: Man liset von ainem Hunde Der trug in seinem Munde Ain stúk flaisch das was groß Des sein geschlechte nie verdroß An ainen bach trug in sin weg Do vand er weder brugg noch steg Do was weder schiff noch man Ze fuß so must er úber gan Do er kam fer in den bach Den schatten er des flaisches sach Das er in seinem munde trug Er sprach ich hette wol genug Moecht ich das Stuck zu diesem han Vil schier er ginen began Vnd unter dem schwaͤbisch. Stamme. Vnd wolt das stuck begriffen Do muost im das entschliffen, Das er in dem munde hatt. Do stund er ledig und matt Das er sin stucki hatt verlorn Durch gitigkait das was im zorn. Die Geschichte von der Matrone zn Ephesus ist mit einer so leichten und guten Art erzehlet, daß einer viele Geschicklichkeit haben muß, der sie fliessender erzehlen will: Man liset von zwain menschen das Ir hertz mit Minne verstriket was. Das was ain man und ouch sin wib, Die hatt er lieb als sinen Lib. Die starke minne schied der tod. Der man starb do kam in not Die Frau und ouch die minne groß; Alles Trostes was si blos. Do si verlor ir lieben Man. Si wolt von niemand trost enpfan. Sy schray und wainet ân underlas. Ob im sy stætenklichen saß. Do er ward in das Grab gelait, Do huob sich jammer und laid. Sy wolt nit von dem Grab hindan, Sy clagt als iren lieben man. Sy schrai vil lut ach und we. Weder regen und der schne Mocht sy geschaiden von dem grab Sy lebt in grosser Vngehab [Crit. Sam̃l. VII. St.] D Bedi Von den poetischen Zeiten Bedi Nacht und den Tag, Das si da anderst nút en pflag. Ir Ruowe die was clain. By dem grab saß sy allein, Vnd wainet by dem Fúre. Kurzwil was ir túre. Nu fuegt sich uf derselben vart Das da ainer erhenket wart Hin von dem grab úber ain veld, Des huot ain man dem gab man gelt Das er nit dannen solt kommen, Wurd ab dem Galgen abgenommen Der tieb, das waer dem richter Zorn Und muest er sin houpt han verlorn. Do er das fúr sach und das Wib Clagen hort ir mannes lib Vil ser in túrsten began. Zu dem grab gieng er hindan Und sach die Frowen die was stoltz. An das fúr bracht er ir holtz Das si vor frost wart behut. Er sprach Frow hand guten mut, Sid tod ist úwer lieber man So sond ir úch zu ainem lebenden han. Ain anderù muoter ainen andern trait Als guten der úch úwer laid Abnimpt vnd úwer ungemach. So er si ie me an sach So er ie me in minne bran. Der man gar von im selber kan. Er sprach hertz liebe Frowe min Moecht es an úwer hulde sin Ich unter dem schwaͤbisch. Stamme. Ich woelt úch ergetzen zwar AIles laides, nement war Was lib und Sele erzúgen mag Das ist ûwer hût uf diesen tag. Die Frow wust vil tougen Die Frau wusch gantz heimlich ꝛc. Her Walther von Klingen: Weder offenbar noch tougen. Die træhen uß den ougen Der man sach si gar lieplich an, Vnd sprach moecht ich an dir han Mit Wahrhait das du hast gesait Ich wœlt ablan mins herzens lait Vnd wœlt tuon den willen din. Er sprach liebi Frow das sol sin. Gar lieplich er sy um vieng, Vil liebes er mit ir begieng. Das wil ich nun nit sagen hie. Darnach do dis red ergie Vnd von der Frowen gieng der man Vnd wider zu dem Galgen kan, Do hatt er nit gehuetet wol, Sorgen wart sin herze vol, Ab dem galgen was der Dieb Genomen das was im nit lieb. Er vorcht ser des richters zorn, Sin leben muest er han verlorn, Er solt bas gehút han. Zu dem grab er wider kan, Da er vor die Frowen lie Vil lieplich si in umbe vie, Er sait ir boese mære. Wie im geschehen wære. D 2 Die Von den poetischen Zeiten Die Vrow sprach nu volge mir Vnd hoer was ich sag dir. Ain guoten rat wil ich dir geben Das du wol macht behan din leben. Wir sond minen man usgraben Vnd muessen ainen hælsig haben, In ziehen an des Galgen matt Vnd henken an des tieben statt. Das rat ich uff die trûwe min. Wolher ich wil din helfer sin. Der man tett das sy im riet, Von dem toten si sich schied. Das was ain jæmerlicher rât. Wol im der nùtz ze tuond hat Mit bœsen wiben der hertze stat Vff Schalkait und vff Missetat. Jch erinnere mich nicht, daß diese Erzehlung, aus welcher La Fontaine und St. Evremond so viel machen, von einem Deutschen seithero in Versen beschrieben worden sey; Philander von Sittenwald hat sie in dem Gesichte von dem Weiberlobe in Prosa verfasset. Man weis, was vor eine zaͤrtliche Furcht die Franzosen vor den ungewoͤhnlichen Woͤrtern haben, welche entweder zu neu oder aus der Mo- de sind; nichtsdestoweniger haben sie es La Fon- taine verziehen, daß er Marots veralterte Spra- che in der Erzehlung seiner Fabeln und Maͤhrgen angebracht hat, wo er es mit Artigkeit hatte thun koͤnnen. Diese Artigkeit entsteht durch die be- sondere Bestimmung eines Begriffes, durch das natuͤrliche Wesen, durch die Kuͤrtze eines Aus- unter dem schwaͤbisch. Stamme. Ausdruckes. Sie haben es ihm nicht nur ver- ziehen, sondern sie haben diese Marotische Schreib- art mit unter ihre beguͤnstigten Moden auf- und an- genommen. Sie ward dem zierlichen Schertz und der geistreichen Kurtzweil gewidmet, in welchen Marot ein so grosser Meister gewesen war, und kuͤndiget uns diese zuvor an, wie den Harlekin der Schnitt und die Farbe seines Kleides. Wenn meine Landesleute in die Gemuͤthsverfassung kaͤ- men, fuͤr den artigen Schertz gleichermassen eine besondere Sprache einzufuͤhren, so koͤnnten sie in diesen alten Fabeln schon eine ziemliche Anzahl geschickter Woͤrter und Ausdruͤcke zu diesem En- de antreffen. Jch verstehe keinesweges solche Flick- woͤrter und Flickzeilen, welche zu der Sache und der Absicht gar nichts thun, und nur um des Reimes willen da sind, womit Hans Sach- sens Arbeit zusammengeschmiert ist. Diese sind vielmehr laͤcherlich als lustig, und ergetzen nur mittelmaͤssige Geister durch ihre abgeschmackt- unvernuͤnftige Zusammensetzung. Jch will in diese Sprache auch die han, lan, gie, lie, vie, kan, statt, haben, lassen, gieng, ließ, fieng, kam, nicht aufnehmen, weil sie in Hans Sachsens Schriften veraͤchtlich und poͤbelhaft geworden, ungeachtet solche in der poetischen Sprache des schwaͤbischen Weltalters mit allen Ehren ihren Platz behaupteten. Dantes und die Poeten Jta- liens von seiner Zeit haben in ihren Schriften eine Menge solcher verschnittenen Woͤrter gebraucht, welche sich bey der einmahl empfangenen Ehre und Wuͤrde bis auf den heutigen Tag erhalten haben. D 3 Von Von der Poesie Von der Poesie des sechszehnten Jahrhundert nach ihrem schoͤn- sten Lichte. D Je deutsche Poesie, welche unter den Kai- sern von dem schwaͤbischen Stamme auf einen hohen Grad der Vollkommenheit gestiegen war, nahm mit dem Untergange die- ses Hauses wieder ab, und fiel in den folgen- den Jahrhunderten viel tiefer, als sie zuvor in der Hoͤhe gestanden war. Sie gerieth dem Poͤ- bel in die Haͤnde, und ward von ihm dergestalt gemißhandelt, wie sie noch in den Schriften Hans Sachsens aussiehet. Denn die gluͤckliche Wie- derherstellung des Geschmackes der Alten kam der deutschen Poesie am wenigsten zu Statten, weil die muntern Naturelle und Koͤpfe ihre Kraͤfte nicht in dieser versucheten, noch ihr zum besten anwendeten. Die beyden besten und dabey gelehrtesten Ingenia, welche nach der Wieder- findung der Wissenschaften vor Opitzen Witz und Poesie in die deutsche Verse gebracht haben, sind nach meinem Wissen Sebastian Brand, und Johann Fischart, zween Doctores der Rech- te von Straßburg; wiewohl ihre Nahmen zu unsern Zeiten ins Vergessen gekommen sind, und nicht einmahl die Art der Unsterblichkeit erhal- ten haben, welche Hans Sachse sich durch den aberwitzigen und kahlen Jnnhalt seines Reimen- geklappers erworben hat. Von Fischarten hat war des sechszehnten Jahrhundert. zwar Zinkgraͤfe in der Vorrede zu einer Samm- lung Gedichte, welche er als einen Anhang zu den allerersten Opitzischen Gedichten druͤcken lassen, mit einer ausnehmenden Hochachtung geredet. „Johann Fischers, genannt Mentzers, gluͤck- „liches Schiff von Zuͤrich, sagt er, waͤre an Reich- „thum poetischer Geister, artiger Einfaͤlle, schoͤ- „ner Worte, und merkwuͤrdiger Spruͤche, (aus „welchen Stuͤcken abzunehmen, was stattliches „dieser Mann haͤtte leisten koͤnnen, wenn er den „Fleiß mit der Natur vermaͤhlen, und nicht viel- „mehr sich an dem, was ihm einfaͤltig aus der „Feder geflossen, haͤtte begnuͤgen wollen,) gar „wohl der roͤmischen, griechischen, italiaͤnischen „und Franzoͤsischen Poesie an die Seite, wo „nicht vorzusetzen, wenn ihm nicht, wie ange- „deutet, etwas weniges fehlete, welchen Man- „gel ich jedoch mehr der unachtsamen Gewohn- „heit seiner Zeiten, als ihm selbsten zuschreibe, „und moͤgte er mit gutem Fuge sagen: Jch hab das mein gethan, so viel mir Gott bescheret, Ein andrer thu das sein, so wird die Kunst gemehret. Aber diese Worte sind auch die Leichenpredigt des poetischen Nahmens Johann Fischarts ge- wesen. Dem Nahmen und der Poesie Seba- stian Brandens ist es eben so ungluͤcklich ergan- gen, und hat ihm nicht helffen moͤgen, daß er an Kaisersberger einen so sorgfaͤltigen und weit- laͤuftigen Ausleger gefunden hat. Jhre Gedich- te sind mit ihrer Sprache weggeworffen und ver- D 4 gessen Von der Poesie gessen worden. Diese hat eine so starcke Ver- aͤnderung erlitten, daß unsre heutige kaum meh- rere Lineamente von derselben behalten hat, als einem Enkel von den Gesichteszuͤgen des Ahnen uͤbrig bleiben. Wenn gleich die Worte selbst oͤfters noch vorhanden sind, und nur in der Aus- sprache eine geringe oder gar keine Veraͤnderung erlitten haben, so haben sie doch eine eingeschraͤnk- tere oder eine weitlaͤuftigere Bedeutung bekommen, oder haben wenigstens in dem Munde des Poͤ- bels, von welchem sie durch die Laͤnge der Zeit entweihet worden, eine gewisse Niedrigkeit em- pfangen. Man liebete zu ihren Zeiten die Ver- schluͤckungen der Buchstaben und der Sylben, welcher sie vielleicht durch die zarte Aussprache wieder zu helffen wusten; wie noch auf disen Tag die Engellaͤnder thun, welche eben so gerne, als unsre Urahnen, die Worte zu stuͤmmeln pflegen, und doch diesen gestuͤmmelten Woͤrtern in der Aussprache so gut zu helffen wissen, daß ihre Sprache mit allen ihren einsylbigten zusammen- geschmoltzenen Woͤrtern der unsrigen, welche sich uͤber diesen Punct gebessert, und die Neigung zum stuͤmmeln verlohren hat, an sanftfliessendem Wohl- laut nichts nachgeben will. Nichts von dem Syl- benmaasse, der bestaͤndig gleichen Abwechselung der kurtzen und langen Sylben, den sorgfaͤlti- gen Reimen, und dergleichen Dingen zu sagen, in welchen die Dichtkunst zu unsern Zeiten sich von der Poesie der vorigen Jahrhundert gaͤntzlich entfehrnet hat. Wenn wir alle diese Sachen auf eine Seite stellen, und uns daneben insbesondere die des sechszehnten Jahrhundert. die Sprache des 15. und 16ten Jahrhunderts als eine besondere eigene Sprache bekannt machen, so werden wir erst von den Schriften Brands und Fischarts ein tuͤchtiges Urtheil faͤllen koͤnnen. Wir werden dann bisweilen solche poetische Er- findungen und Ausbildungen darinnen wahrneh- men, als wir in manchem Poeten, der unsre neue Sprache redet, vergebens suchen wuͤrden. Es ist wahr, die veralterte Woͤrter, die abge- schaften Redensarten, die harten Sylbenverbeis- sungen, sind den meisten von unsern heutigen Le- sern und Kunstlehrern allzu anstoͤssig, als daß sie sich uͤberwinden koͤnnten, den Sachen und Ge- dancken, die darunter verborgen liegen, nach- zusuchen. Die Seele muß da fuͤr die Schuld ihres Coͤrpers buͤssen; und der Coͤrper selbst muß fuͤr das zerfetzete Kleid, womit er angethan ist, leiden. Es bleibt dabey, was Addison gesagt hat, wer nicht mit einem wahrhaftig erhabenen Geist und Genius begabet ist, kan die Sachen und Gedancken vor dem laͤcherlichen Anstriche nicht sondern, welcher ihnen von der ungewoͤhn- lichen und verlegenen Sprache anklebet. Eben derselbe berichtet uns, daß Mylord Dorset, bey dem der trefflichste Witz mit der groͤsten Auf- richtigkeit gepaaret war, einer von den feine- sten Kunstrichtern und den besten Poeten seiner Zeit, eine zahlreiche Sammlung von alten Eng- lischen Liedern gehabt, und aus dem Lesen der- selben ein sonderbares Vergnuͤgen geschoͤpfet habe. Er meldet eben dasselbe von Dryden, und sagt, daß er noch etliche andre scharfsinnige Scriben- D 5 ten Von der Poesie ten kenne, welche eben diesen Geschmack haben. Jch will eine Probe machen, wie weit wir faͤhig seyn, das Poetische in Fischart und Bran- den, wenn es von der rohen Sprache nicht ver- dunkelt wird, zu bewundern. Lasset uns erstlich Johann Fischarts Gedichte auf das gluͤckliche Schiff betrachten, welches in einem Tage den Weg von Zuͤrch nach Straßburg gemacht hat. Die Verse von diesem Gedichte sind bekannt: So hat sein gluͤcklich Schiff zwar einen lustgen Grund, Und giebt doch die Natur in starcken Proben kund. Durchsichten, Wasserfaͤll’, als so verschiedne Buͤhnen, Character, Neigungen, auch Reden und Maschinen; Dies alles fehlt hier nicht. Eben diese Dinge wollen wir darinnen aufsuchen, und damit wir den schwachen Leser desto siche- rer vor Aergerniß bewahren, die Verse in Pro- sa umsetzen, und die Woͤrter nach der heutigen Sprachlehre orthographieren, dabey aber alle dieselben behalten, welche wir in dem Poeten finden. Unter den Dingen, die aus der stillen Na- tur hergenommen sind, haben mir folgende in die Augen geleuchtet; der Rheinfall bey Laufenburg: „Da etliche Berge sich dem Rhein mit gros- „sem Schalle widersetzen, die sich doch selbst „dadurch verletzen, denn der Rhein etzet eine „freye Strasse durch dieselben, und wird sie „mit der Zeit verzehren.„ Der Strudel unter Lucken, welcher im Rhein der dritte ist: „Er lautet von Nahmen erschrek- „lich, des sechszehnten Jahrhundert. „lich, denn er wird im Hoͤllenhacken genannt, „weil er nach den Schiffen zwacket.„ Das Staͤdtgen Neuenburg: Dieses Staͤdt- gen, heißt es, „bedarf grosse Sorge, dieweil „der Rhein mit seinem Laufe so starck und hef- „tig darauf zudringet, und seine Macht da so „strenge schauen laͤßt, daß man ihn nicht genug „verbauen kan. Das Rudern der Schiffenden: „Sie zuͤk- „ten die Ruder so starck, als wollten sie auf „den Ruͤcken fallen, in gleichem Zuge, in glei- „chem Fluge, der Steuermann stuhnd fest an „dem Pfluge, und schnitt solche Furchen in den „Rhein, daß das unterste oben zu stehen schien. „Die Sonne hatte auch ihre Freude damit, daß „das Schiff so dapfer fortschritt, sie schien so helle „in die Rinnen der Ruder, daß sie von ferne „wie Spiegel schienen. Auch das Gestade scher- „zete mit dem Schiffe, wenn das Wasser dem „Lande zulief, denn es gab einen Wieder- „ton, gleich wie die Ruder fielen. Eine Flut „trieb die andre so geschwind, daß sie einem „unter dem Gesichte verschwand. Ja der Rhein „warf auch kleine Wellen auf, die zu Gesellen „um das Schiff tantzeten.„ Es duͤnkt uns, daß wir selbst eingeschiffet seyn, wir werden mit den Schiffenden fortgefuͤhret, und in alle die Staͤnde gesetzt, in alle die Gegenden gebracht, welche dem Schiffe erschienen. „Die „Sonne strich ihnen bey Rheinau vor, und „zeigte sich dem Schiffe auf der Seite, ihm zu „dem Wettlaufe auszubieten, welches diese Maͤn- „ner Von der Poesie „ner destomehr ermannete, daß sie weidlich Hand „anlegeten; vornehmlich da sie von ferne dauchte, „wie ihnen ein neues Gestirn hervorschien, von „dem Widerscheine der hohen Spitze des Thur- „mes zu Straßburg. Es fehlet ihm, wie ihr sehet, an geschickten Worten zur Ausbildung seiner Gegenstaͤnde nicht. Die Hitze der Sonne kan nicht poetischer vor- gestellet werden, als, wie folget: „Je mehr sie „der Rhein fortstieß, je mehr bewies die Son- „ne ihre Kraft, denn als sie mit ihren schnellen „Gaͤulen so heftig in die Hoͤhe eilete, damit sie „zu Mittag in der Mitten waͤre, und da ausspan- „nen moͤgte, ward sie vom eilen so erhitzet, daß „sie nichts als Feuerstralen von sich schwitzete.„ Von dieser Art werde ich unter dem Artickel von den Maschinen noch mehr Stellen anzumercken haben. Folgendes Gleichniß ist zu der Zeit, da es ge- macht worden, in der deutschen Sprache so neu ge- wesen, als es bequem ist, die Geschwindigkeit auf einem der hoͤchsten Grade vorzustellen: „Sie fuh- „ren so gaͤhling unter der Bruͤcke durch, als ob ein „Pfeil vom Bogen floͤge, oder ein Sperber entflo- „gen waͤre.„ Und folgendes ist noch auf diesen Tag so neu, als geschickt ersonnen. „Sie toͤ- „neten hingegen mit den scharffen und rauhen „Trompeten, daß es so einen Widerhall gab, „als thaͤt ein Baum in einem Thal einen Fall.„ Jn dem Original ist noch der Ton des fallenden Baumes in den Worten selbst nachgeahmet: Es gab so einen Widerhall, Als thaͤt ein Baum im Thal ein’n Fall. Eben des sechszehnten Jahrhundert. Eben so gut hat mir folgendes gesallen: „Da „gieng es in dem Wasser daher, als ob es in den „Wellen floͤge, die Ruder giengen schnelle auf „und ab, so daß es ein Ansehen gab, als ob „ein fremdes, ungewohntes Gevoͤgel die Fluͤgel „auf dem Wasser ruͤhrete.„ Den Titel der Character koͤnnen wir gantz be- quem mit den Neigungen vereinigen, weil er eben durch die Neigungen am deutlichsten ausgedruͤ- ket ist. Hier finden wir die Dankbarkeit der Schiffenden: „Als sie nun daselbst mit des Rheins „gutem Gluͤcke durch die Bruͤcke fuhren, dan- „keten sie ihm fuͤr die Treue.„ Und als sie durch den Wasserbruch bey Rheinfelden gekom- men waren: „Da lobeten sie den reinen Fluß „daß er so gedultig und ohne Verdruß durch „seine Standhaftigkeit die Ungestuͤmigkeit der „Felsen durchdraͤnge.„ Jhre Arbeitsamkeit: „Jedoch die maͤnnlichen „Reisegefehrten achten der Beschwerden nichts. „Jhre ehrenhitzige Ruhmbegierde stritt ungeirret „mit der Hitze der Sonne. Die aͤusserliche „Brunst am Leib vertrieb die innerliche nicht. „Jemehr ihr Blut erhitzet ward, desto mehr ward „ihr Muth entzuͤndet, ꝛc.„ Jhre Gottseligkeit und Andacht, als sie vor Straßburg angelanget: „Sie liessen auch dem Rhein zu Lobe die Trom- „meln und Trompeten gehn, daß es ein gros- „ses Freudengetoͤne gab. Sie danketen auch „Gott sonderlich, der ihnen seine Geschoͤpfe zu „der Schiffahrt so gnaͤdiglich lassen dienen, das „Wasser, das Wetter und die Sonne.„ Also Von der Poesie Also hat der Poet bey jeder Gelegenheit die Affecte, in welche die Schiffenden versetzet wor- den, geschickt ausgedruͤcket, und damit den Le- ser in eben dergleichen Affecte gestuͤrtzet. Als die Gesellschaft bey Neuenburg gesehen, daß der Rhein ein gutes Stuͤck von der Stadt weggerissen, mel- det der Poet, „daß sie es sehr betrauret, und den „Rhein um Bedauren gebeten habe, daß er sei- „nen Zorn wollte verfliessen, und diese Stadt „einmahl der Ruhe geniessen lassen.„ Die Freu- de, so sie empfunden, als sie zuerst aus der Aar in den Rhein getreten, druͤcket er dergestalt aus: „Da freueten sich die Reisegefehrten als sie nun „den Rhein rauschen hoͤrten, und wuͤnschten sich „auf ein neues Gluͤck, daß der Rhein sie gluͤcklich „fortschickete.„ Doch diese Character und Affecte werden noch lebhafter in ihren Reden ausgedruͤcket: Jhre er- ste Anrede an den Rhein ist sehr poetisch und mit geschickten poetischen Beweggruͤnden eingefuͤhret: „O Rhein, diene du uns nun mit deinem hel- „len Flusse zur Foͤrderniß. Laß uns deiner Gunst „geniessen, dieweil du doch bey uns entspringest, „am Vogelberg bey den Luchtmanen im Rhein- „zierland, von alten Ahnen; und wir dein Thal, „dadurch du rinnst, mit Feldbau, dem schoͤnsten „Dienste auszieren. Schalte dieses Wagschiff- „lein nach seinem Begehren; wir wollens dir „doch verehren; leite es nach Straßburg, da- „vor du doch gerne und mit Begierde laͤufest, „weil es deinen Strohm wie ein Gestein im Rin- „ge versetzet, zieret und ergetzet.„ Von des sechszehnten Jahrhundert. Von ihrer Unerschrokenheit konnte man uns keinen hoͤhern Begriff erwecken, als mit der kur- zen Rede bey Jßstein: „Aber bey Jßstein, ei- „nem Schloß, welches zerstoͤrt, oͤde, und bloß „stehet, wollte sich auch ein Strudel streuben, „und begunte grosse Wellen aufzutreiben. Jedoch „die Gesellschaft verachtete ihn, und sprach: Er „haͤtte gleich so viele Macht, als dieses Schloß, „bey dem er herstrudelte; welches zur Wehre „gar verhudelt waͤre. Konnten wir Strudelberg „durchdringen, so wollen wir auch Huͤgel uͤber- „springen. Kan uns keine Hitze den Muth zer- „spalten, so wird den auch kein Eisstein er- „kalten.„ Noch mehr Reden finden wir unter dem Titel der Maschinen, welche wir noch zu betrachten uͤbrig haben. Diese Reden sind zwar andern Per- sonen, als den Schiffenden in den Mund gele- get, denn der Poet hat nach der Manier der Alten ein gewisses Ministerium Deorum in sei- nem Gedichte eingefuͤhret, wodurch er der Klei- nigkeit desselben trefflich geholffen, und ihm ein grosses Ansehen mitgetheilet hat. Eine Kunst, wel- che sonst auch unser Frauenzimmer mit ihren klei- nen Wahren und Gunstbezeugungen wohl ver- steht, welche sie, wie Opitz sagt, mit Worten zu bessern wissen. Diese Personen sind die Lim- mat, der Rhein, und die Sonne; welche Fisch- art an dem Geschicke und Fortgang des Gluͤckes- schiffes gewissermassen Antheil nehmen laͤßt. Von der Limmat erzehlt er uns zwar allein, was sie vor Gedancken gehabt habe, sie selber laͤßt er nicht Von der Poesie nicht reden, und er giebt deßwegen eine Ursache an, welche ungemein lebhaft ist, die Geschwindig- keit des Schiffes vorzustellen: „Die Limmat wollte „sich erstlich etwas straussen, sie erzeigte sich mit „rauschen und brausen wild, denn ihr war solch „schnelles Schiffen ungewohnt, und sie haͤtte sie „gerne eine Weile ergriffen, von ihnen Bescheid „zu erfahren, was doch dieses Eilen bedeutete; „ob vielleicht ihre Landeszucht Zuͤrich grosse Noth „litte, daß man von ihr weichen muͤssen. Aber „ehe sie dieses von ihnen erfahren konnte, ka- „men sie schnell aus ihr in die Aar. Die Rolle des Rheins, auf welchem sie laͤn- ger zu schiffen hatten, ist schon groͤsser. Er erschei- net nicht in der menschlichen sondern in seiner ei- genen Gestalt, und die Manier, womit er sei- ne Gedancken vernehmlich machet, ist gantz poe- tisch: „Der Rhein mogte dieses kaum aushoͤ- „ren, so wand er sich krause um das Schiff, „machete ein weites Rad um die Ruder und „schlug mit Freuden an das Gestade. Dann „ließ er eine Stimme hoͤren, aus welcher man „diese Worte erklaͤren mogte: Frisch dran ihr „lieben Eidsgenossen, frisch dran, seyd unver- „drossen. Folget also euern Vorfahren, die „vor hundert Jahren eben dieses gethan haben. „Wann man den Alten nachschlagen will, muß „man auf diese Weise Ruhm erjagen. Jhr „seyd mir von eurer Vorfahren wegen willkom- „men. Jhr suchet die alte Gerechtigkeit, die „euch eure Alten bereitet haben. Dieselbige will „ich euch gerne goͤnnen, so wie sie von den Al- „ten des sechszehnten Jahrhunderts. „ten gewonnen worden. Jch weis auch, ich „werde noch oftmahls sehen, daß solches auch „von euren Nachkommen geschehen wird. Also „erhaͤlt man Nachbarschaft; denn der Schwei- „zer Eigenschaft ist in der That nachbarliche „Freundschaft. - Mit solchen Leuten sollte man „durch die Meerwirbel und Meertieffen schif- „fen. - Mit diesen Knaben sollte einer des Ja- „sons Schiffsgemeinder werden, in die Jnsel zum „guͤldenen Widder; da wuͤßte er daß er wieder „zuruͤck kommen wuͤrde. Waͤren diese am Meer „gesessen, so waͤre America, die neue Welt, nicht „so lange unbesucht geblieben. Denn ihre Lob- „begierde haͤtte dahin gestellt.„ Die Rede endiget mit einer Aufmunterung und Weissa- gung: „Lasset euch nicht hindern, daß die Sonne „euch auf die Haut sticht, sie will euch dadurch „nur mahnen, daß ihr die Furchen tapfer durch- „schneidet. Denn sie saͤhe gern, daß ihr die „Geschichte bey ihrem Schein und Lichte voll- „braͤchtet, damit sie auch Ruhm davon truͤge, „gleichwie ich mich dessen ruͤhmen mag. - - Jhr „doͤrffet euch nicht nach Wind umsehen, ihr „sehet der Wind will euch nachwehen; gleiche „wie euch nun dieses Wetter liebt, also bin „auch ich unbetruͤbt. Jhr sehet mein klares „Wasser, das offenbar ist, wie ein Spiegel. „So lange man den Rhein hinabfahren wird, „wird keiner euer Lob sparen, sondern man wird „wuͤnschen daß sein Schiff liefe, wie das gluͤck- „hafte Schiff von Zuͤrich. Wohlan, frisch „daran, ihr habet mein Geleit, um eurer stand- [Crit. Sam̃l. VII. St.] E „haften Von der Poesie „haften Freudigkeit wegen; die Strasse auf „Straßburg sey auch offen; ihr sollet erlangen, „was ihr hoffet. Was ihr heute fruͤh euch „vorgenommen habet, das soll euch noch diesen „Abend wahr werden. Jhr werdet heut die Stadt „Straßburg sehen, so wahr ich selbst zu derselben „hinzunaͤhern werde. Heute werdet ihr als „willkommene Gaͤste zu Straßburg ankommen. „Nun liebes Wagschiffgen lauf behende, du „wirst noch heute Gluͤckesschiff genannt werden, „und durch dich werde ich auch gepriesen werden, „weil ich an dir solche Treue bewiesen habe.„ Die Wirckung, welche dieser Zuspruch bey den Eingeschifften gethan, wird auf eine recht poeti- sche Art beschrieben: „Solche Stimme war der „Gesellschaft etwas seltzames, sie ward daruͤber „gar erstaunet, und schwieg stille. Es dauchte „sie, daß sie die Stimme fuͤhlte, als wann „ein Wind in eine Hoͤle bliese. Derhalben „jagte sie ihr einen Muth ein, gleich wie das „Horn und das Rufen des Jaͤgers den Hun- „den thut, wenn es in dem finstern Wald weit „erschallet, so sie sich im tieffen Thal verlau- „fen haben, und die Berge auf und ab durch- „schnaufen. Alsdann schaͤumet ihnen die Waf- „fel erst, und sie kommen ungesaͤumet auf die „Spur. Also war auch die Stimme dem Schiffe. „Es bekam erst einen Grimm zu rudern.„ Das Gleichniß ist gantz homerisch so wohl in der male- rischen Ausfuͤhrung, als in der Verknuͤpfung ver- schiedener Absichten. Nach des sechszehnten Jahrhunderts. Nach diesem wird die Sonne, eine noch vor- nehmere Person, aus einer sehr natuͤrlichen Ur- sache eingefuͤhret, weil nemlich die Schiffenden sich vermessen, die Stadt Straßburg vor dem Untergange der Sonne zu erreichen. Aus die- sem Grunde fließt vor sich selbst die Erdichtung des Poeten, daß das Schiff mit der Sonne ei- nen Wettstreit eingegangen habe, wer von ih- nen zuerst in Straßburg ankaͤme. Es war nur ein Streit um Ruhm, ἔϱις ἀγαθὴ, und Fisch- art hat dieses in der Zuneigung und Hochachtung, welche er der Sonne fuͤr die Schiffenden zuschrei- bet, an etlichen Orten ausgedruͤckt. Durch diese Erdichtung hat er dem Vornehmen der Schif- fenden eine grosse Wuͤrde beygeleget, er hat die sinnlichsten Bilder daher erhalten, die Geschwin- digkeit der Schiffahrt vorzustellen, er hat davon Stof zu etlichen wunderbaren Schildereyen der leblosen Natur bekommen. Diese gantze Sce- ne aber wird nur erzehlet, und nicht aufgefuͤhret. Jch will sagen, die Sonne redet nicht selbst, son- dern der Poet beschreibt ihre Gedancken und Mei- nungen: „Vornemlich aber schoß die Sonne ihre „Strahlen auf unser schmales Schiffgen, weil sie „ihm schier mißgoͤnnete, daß es mit ihr in die Wet- „te lief, und ihr ihren Lauf nachthun, mit ihr auf- „und auch niedergehen wollte. Jedoch die maͤnnli- „chen Reisegefehrten achteten der Beschwerde „nichts. Sie hielten der Sonne Stiche nur vor „eine Anmahnung sich zu foͤdern. Denn werschoͤnes „Wetter haben will, muß leiden, daß er die Son- „ne fuͤhle. Derowegen, als die Sonne vermerckte, E 2 „daß Von der Poesie „daß ihre Mannheit nur dadurch gestaͤrcket „ward, und das Schiff immer forteilen sah, „sorgete sie, sie moͤgte sich verweilen, daß „ihr das Schiff vielleicht vorkaͤme, und ihr „also das Lob benaͤhme. Ehe sie derohalben „halb ausgeruhet hatte, spannte sie frische „Pferde vor, sie ließ sich aus ihrem guͤldenen „Saal, und rennte in einem Keif zu Thal, „als wenn ein Feuerstrahl vom Himmel ploͤtz- „lich in ein fernes Thal schießt. Sie brauchte „sich auch so emsiglich, daß sie ihnen bey Rhein- „au vorstrich, und sich dem Schiffe auf der „Seite zeigete, ihm zum Wettelaufen auszu- „bieten, welches diese Maͤnner desto mehr er- „mannete, daß sie weidlich Hand anlegeten, „vornehmlich, da sie von ferne dauchte, daß „ihnen ein neues Gestirn hervorschiene, das „war der Wiederschein der hohen Spitze „des Thurmes zu Straßburg wegen der hel- „len Blitze, welche die Sonne auf derselben „erregete, auf daß sie die Gesellschaft bewe- „gete, und also mit ihr schertzete, und sie be- „hertzt machete zu fahren, denn der Keif war „ihr vergangen, seitdem sie ihres Vortheils „gewahr worden. Sie ließ ietzo die Pfer- „de gerne langsam traben, mehr Kurzweil „mit dem Schiffe zu haben, welches ungewohn- „ter Weise auf dem Rhein mit ihr um den „Preis wettelief. Denn grosse Haͤndel un- „ternehmen, wird so wohl gelobt, als sie be- „gehen. Aber sie mußte heruntereilen, sich „von der Erden erkuͤhlen zu lassen, und sich „selber des sechszehnten Jahrhunderts. „selber im Meere zu erfrischen, und den feu- „rigen Schweiß abzuwischen. Jedoch, ehe sie „verlaͤuft, sprang sie zuletzt hinter den Ber- „gen zu etlichen mahlen mit ihren Blicken auf, „zu sehen, wie sie sich nachschicketen; und als „sie es schier vollbracht sahe, sprang sie zu „guter Nacht noch einmahl auf, und befahl „die Gesellschaft dem Rhein; sie gar in die „Stadt hinein zu leiten.„ Man muͤßte ungerecht oder ungelehrt seyn, wenn man dem Verfasser dieser Erfindungen und Ausbildungen das poetische Naturell ab- sprechen wollte. Wir erkennen vielmehr, daß Zinckgraͤf in seiner Vorrede zu der allerersten Ausgabe einiger opitzischen Gedichte, ehender zu wenig als zu viel von Johann Fischart ge- sagt habe. Jch bekenne zwar, daß ich mei- nem Vorhaben gemaͤß die besten Stellen die- ses Gedichtes ausgeschrieben habe, und daß hier und dar viel schwaͤcheres Zeug darinnen ist, zum Exempel in dem Tagbuche, was den Zuͤrchern zu Straßburg von Tage zu Tage begegnet sey, welches an Stof und Worten allzu prosaisch ist: Doch giebt es in diesem klei- nen Werckgen noch mehrere Schoͤnheiten, de- ren ich gedenken koͤnnte, und mich wuͤrklich nicht hinterhalten kan, noch einiger zu erwaͤh- nen. Die Anruffung bey der Abfahrt von Zuͤrich an die Sonne zeiget poetische Andacht, Vertrauen, und hoffende Munterkeit: „O hel- „ler Tag, o liebe Sonne, sprachen sie, goͤn- „ne uns nun deinen Schein, und zeige uns E 3 „dein Von der Poesie „dein lichtes rothes Haupt, dessen du uns diese „Nacht beraubet hattest. Geh uns zum Heile „mit Freuden auf, daß wir unser Theil voll- „bringen, halt mit deinem Scheine heute bey „uns, laß dir keine Wolke hinderlich seyn. „Zuͤnd uns heute den Weg durch dein Licht „bis auf Straßburg, welches noch sehr weit „ist. Denn du wirst durch diese Geschichte auch „beruͤhmt werden. Wolan, dein Vortrab, „die Morgenroͤthe, zeigt uns, daß du stets „bey uns halten willst. Wann wir heute „deine Hitzstiche empfinden, wollen wir dei- „nen Beystand verkuͤndigen.„ Die Eigenschaften und die Gestalt der Fluͤsse, werden mit einer Geschicklichkeit beschrieben, welche in den lateinischen und den griechischen Poeten gewoͤhnlich bey dergleichen Gelegenheit vorkommt, und in unsern Deutschen noch auf den heutigen Tag mangelt: „Die Limmat, „welche auf dem Maͤrchberg, der Ury umrin- „get, entspringt, und durch das Lindthal fuͤr „Glaris laͤuft, dann in dem Obersee ersaͤuft, „aber im Zuͤrichersee wieder hervorkoͤmmt, und „straks fuͤr Baden her nieder laͤuft.„ Von der Aar sagt er: „Die Aar entspringt „beym hoͤchsten Gebuͤrge, dem Gotthard, der „in die Wolken dringet, sie windet sich ge- „schwind, und wie ein Fischangel durch Brienz „und den Thunersee, und umringet Bern, „die Landreiche Stadt, die wohl einen Baͤ- „renmuth hat, beydes wahre Lehre zu pflan- „zen, und ihre Laͤnder mit Wehr zu schirmen. Fol- des sechszehnten Jahrhunderts. „Folgends kruͤmmet sie sich bey Aarberg, „die alte Stadt Salothurn zu umgeben.„ Die Stelle von dem Rhein habe ich schon oben angefuͤhrt. Jn der eben angezogenen Stel- le ist der Character der Berner mit ein paar wahrhaften Zuͤgen beruͤhrt. Von der Stadt Zuͤ- rich und ihren Einwohnern hat er auch die deut- lichsten Merckmahle ausgezeichnet: „Diese „Stadt ward wegen ihrer Tugendmacht so hoch „gehalten, daß den Eidgenossen gefallen hat, „sie sollte das erste Ort unter allen seyn. „Diese Stadt hat die Limmat mit etlichen „schoͤnen und weiten Bruͤcken eingefangen, „und ist von vielen Stuͤcken beruͤhmt, von „Policey, von Religion, von mancher ge- „lehrten Person, von weisen Leuten zum Rath, „und von streitbaren Maͤnnern zur That.„ Jch habe oben den lebhaften und affectvol- len Abschied des Rheins von unsrer schiffen- den Gesellschaft nicht vergessen sollen: „Drauf „hat der Rhein seinen Abschied genommen, „auf daß er bald ins Meer kommen, und ihm „die fremde Zeitung bringen moͤgte, wie er „mit ihm um Ruhm ringen werde, weil man „auch auf ihm so geschwind fahre, dazu oh- „ne Segel, und ohne Wind. Wenn der Poet fuͤr sich und in seinem ei- genen Nahmen redet, nimmt man oͤffters ei- ne Art Geistes und Witzes wahr, die in einer sinnreichen und sehr gluͤcklichen Anwendung der Geschichte besteht: Zum Exempel gerade im Anfange: „Man list von Xerxes dem Be- E 4 „herr- Von der Poesie „herrscher des Aufganges und der edlen Per- „ser, welcher neun hundert tausend Mann „wider die Griechen angefuͤhrt, als er sehr „grossen Verlust zur See gelitten, sey er so „sehr ergrimmet, daß er das Meer habe geis- „sein lassen, und Ketten darein geworffen, „es zu stillen, und es nach seinem Willen zu „fesseln. Aber dieser Hohn half ihm nichts, „er floh davon. Desgleichen hoͤret man von „Venedig, daß sie das Meer ihnen gnaͤdig „zu machen, jaͤhrlich einen Ring hineinwerf- „fen, damit es sie wie eine Braut umfienge. „Aber wie oft hat es sich mit Ueberguͤssen feind- „lich gegen ihnen erwiesen? Wenn sie auch „ihrer Gemahlin wohl traueten, was doͤrfften „sie viel Daͤmme um dasselbe bauen? Des- „halben hat man eine gewissere Weise die „Wasser und Fluͤsse zu zaͤhmen, daß sie ge- „schlacht und gefolgig werden, und die Leute „ohne Beschwerden fertigen, handfeste Ar- „beitsamkeit, und standhafte Unverdrossenheit, „durch rudern, stossen, schalten, ꝛc. Dieses Gedichte ist durchgehends ernsthaf- tig, und man trifft nicht eine schmutzige Zeile darinnen an, die einem sittsamen Leser an- stoͤssig seyn moͤchte. Man weis sonst wie hoch es Fischart in der cynischen Sprache gebracht hat. Jn seiner freyen Uebersetzung des Gar- gantua hat er den Rabelais selbst, den Va- ter der Lotterbuͤbischen Schreibart, beynahe uͤbertroffen. Wenn des sechszehnten Jahrhunderts. Wenn sein Gedichte von der Floͤhhetze mit diesem Fehler nicht besudelt waͤre, so duͤrften wir es wegen vieler poetischer Gedancken und Vorstellungen, in welchen sich eine natuͤrliche Faͤhigkeit zur Poesie zeiget, desto freyer an- preisen. Ein Floh klaget der Muͤcke seine Noth, die ihm und andern von seinem Geschlechte von den Weibern angethan wird: Die Muͤcke be- gegnet ihm mit Trost und Rath auf das freund- lichste. Dem ist die Verantwortung der Wei- ber auf der Floͤhe Verkleinerung angehaͤnget, samt dem Floͤhurtheile. Der Floh faͤngt seine Klage an: „Wem soll ich meine Noth kla- „gen? Den Menschen kan ich sie nicht wohl „sagen, wiewohl sie von Natur erkennen, „was gut, und was recht zu nennen sey; „dieweil sie mir gar gehaͤssig sind; denn der „Gehaͤssige spricht unrechtmaͤssig. Soll ich sie „denn meines gleichen sagen, so wird man „mir hinwiderklagen: Das ist denn Klage um „Gegenklage, welche keinem etwas frommen „mag. Es muß einer seyn, der sie beur- „theilet, und nach dem Rechten daruͤber „spricht. Derohalben will ich zu dem fliehen, „von welchem wir alle den Anfang ziehen, „der nach seiner Guͤte und Macht nicht das „geringste Geschoͤpfe verachtet, und uͤberall „gantz nichts verwahrloset, ohne dessen Wil- „len kein Thier sein Haar laͤßt. Darum o „hoher Jupiter, gewaͤhre nun mich armes „Thiergen. Jch bin eine lebendige Todten- „leiche; das machet ein unzartes Frauenbild. E 5 „- O Von der Poesie „- O du boͤse unbarmhertzige Art, die von „keinem Menschen gebohren ward, sondern „vom Krokodil herkoͤmmt, der zum Morde „vor Freude weint. Sie lachte zu allen die- „sen Dingen, daß ihr die Augen uͤbergiengen. „O Jupiter, wie kanst du zusehen, daß sol- „che Unbille geschieht, da doch alle Unbillig- „keit Gott zur Unwilligkeit erweckt! Jch thue „ja dieses, wozu du mich erschaffen, und neh- „re mich, wie du mich beruffen hast, mit et- „wan einem Troͤpflein Blutes; und thu es „nicht, wie man meint, aus Trutze; so we- „nig, als der Mensch der Erde zu Trutze sie „mit den Pferden zerackert, und dem Scha- „fe zu Trutze es beschiert, dem Baume zu Leide „seine Fruͤchte abnimmt. - Es sollten hinfort „alle Floͤhe Jovem um einen Angel bitten, „daß sie ihren Mangel einbraͤchten, ja um „einen dreyspitzigen Spieß, den man bis an „das Heft einstiesse; ja daß der fromme Jupiter „mit seinem Strahle in sie herschoͤsse, und sie „lehrte an Geschoͤpfen, die niemand betruͤ- „ben, dergleichen Muthwillen uͤben. Aber „wie einmahl einer geschrieben hat, die Strah- „len sind bey ihm gar theuer, weil der Vul- „canus alt worden ist, daß er nicht wohl „mehrere schmieden kan. Oder die Strah- „len sind sonst bey ihm werth und theuer, „daß er sie nicht um eine jede Beschwerde so „liederlich verwaget; gleichwie man von St. „Peter sagt, als er einen Tag Herr im Him- „mel war, und eine Magd Garn stehlen sah, „habe des sechszehnten Jahrhunderts. „habe er ihr gleich einen Stuhl zum Schopf „geworffen, und dadurch seinen Peterskopf „erwiesen. Haͤtte er es solchergestalt lange ge- „trieben, so waͤre kein Stuhl mehr im Himmel „geblieben. Also, sollte Jupiter seine Strah- „len, so oft wir es verdienen, auf uns los- „schiessen, so haͤtte er schon laͤngstens kein „Geschoß mehr. Doch soll darum keiner sicher „seyn, eine langsame Pein ist eine lange Pein. - „O koͤnnte ich ietzt einen Hagel kochen, ich „liesse es doch nicht ungerochen hingehen, „denn wie kan ich mir doch abbrechen, daß „ich mich nicht greulich raͤchen sollte, weil „sie mir als die greulichsten Feinde meine „Aeltern, Geschwistern, meine getreuesten „Freunde, ja meinen Gemahl ermoͤrdet ha- „ben? O daß mir das Hertz nicht in tau- „send Stuͤcke bricht, wenn ich gedencke, daß „diese lieben Freunde noch dazu unbegraben „sind! Ach warum hast du mich doch also „gemacht, daß ich dem Weibervolck zum „Opfer wuͤrde? Oder warum hast du die „Weiber also geschaffen, nur daß sie uns „straffeten? Entweder sollten keine Floͤhe seyn, „oder kein Weib sollte mehr werden, weil „diese beyde sich nie vertragen. Aber es ist „gar ein ungleiches Ding, daß ein Zwerg „mit einem Riesen ringe, was zoͤrne ich denn „lange, ich thue mir nur selbst mit Zorn weh. „Jch will es dir befehlen, Jupiter, du kanst „mein Recht zurecht bestellen. Raͤche du der „Mord in unsrem Nahmen; laß uns als de in e „Ge- Von der Poesie „Geschoͤpfe nicht so zu schanden machen. Denn „an den Boͤsen nicht Rache uͤben, das heißt „den Frommen Schmach anthun.„ Es sind in dieser Rede Affecte und Empfin- dungen genug; und diese sind mit einer gewissen Scharfsinnigkeit, und einer lehrreichen Einsicht begleitet. Sinnreiche Spruͤche und kluge Lehren regieren in dem gantzen Gedichte; sie werden nicht zu weit hergehohlet, daß sie dem Verstande Muͤhe machten, sondern sie fliessen freywillig aus dem Af- fecte und der Sache selbst; und werden daneben in einer deutlichen Redensart vorgetragen. Man koͤnnte etliche Dutzend dergleichen, die eben nicht von den abgenutztesten sind, zusammenlesen. Z. E. „Sorge und Angst doͤrret das Hertz aus, des „Gemuͤthes Schmertz verzehret den Leib. - Den „Schaden verschweigen macht ihn steigen, und „ihn anzeigen, macht ihn neigen. - Der Witz „der Armen liegt in der Asche, da der Rei- „chen in der Tasche liegt. Der Tasche Witz „gilt nicht laͤnger, als so lange man Geld hat; „der Aschen Witz ruhet wie ein Schatz, und „scheinet, wenn man ihn hervorkratzet. - Das „Kleine koͤmmt auch zu statten, ein kleines Haͤr- „gen giebt auch einen Schatten. - Schlaͤgt List „zu der Grausamkeit, so hilft keine Geschwin- „digkeit fuͤr den Tod. - Auch schuldiges Blut, „naget einem das Hertz, geschweige, was das „unschuldige thut. - Was ist sich zu verwun- „dern, wenn die Wolcken in der Hitze donnern, „das ist, wenn die Jugend muthwillig ist, die „es sich vor billig haͤlt; so es doch kalte Wol- „ken des sechszehnten Jahrhunderts. „ken ebenfalls thun, nemlich die alten Vetteln? „- Der Feind muß oͤfters unverhoft auch seinen „Feind verehren. - Der Tod, den grosse Leute „einem anthun, wird gering geachtet. - Es lau- „tet gleich, etwas nicht wissen, und das man „weiß, nicht geniessen koͤnnen.„ Diesen letz- tern Gedancken hat Milton vor werth gehalten, in sein heroisches Gedichte einzutragen, wo er ihn also gegeben: For Good unknown sure is not had, or had And yet unknown is as not had at all. Von den Erzehlungen, wo die Hetze und Nie- derlage der Floͤhe beschrieben wird, koͤnnte ich die Anmerkung machen, welche man zum Lobe des Homers uͤber die Jlias gemachet hat, daß unter hundert Todesarten, die da umstaͤndlich er- zehlt werden, keine der andern gleich ist: Aber die Eingezogenheit unsers Jahrhunderts laͤßt mir nicht zu, mich hieruͤber aufzuhalten, ignotis pe- reant mortibus illi. Doch zu einer Probe von des Autors Kunst im Erzehlen will ich die Fa- bel von der Stadtmaus, und der Feldmaus, die er in seinem Werck eingewebet hat, ausschreiben. „Die Feldmaus lud die Stadtmaus zu Gast, „mit dem Felde verlieb zu nehmen. Darauf „richtete sie zu, uud trug hervor, was sie im „aͤussersten Winckel hatte, was sie den Win- „ter uͤber gespart hatte, so daß ihre Speiskam- „mer fast leer ward, damit sie nur der zarten „Zucht mit den schoͤnsten Fruͤchten ein Genuͤgen „thun moͤgte. Aber was sie immer dem Jun- „ker Von der Poesie „ker aus dem Stadtfrauenzimmer vorsetzete, „runtzelte er nur Nase und Stirn daruͤber, und „sagte, das waͤre nur Bauerwerck, er haͤtte „drinnen in der Stadt eine andre Lust, desglei- „chen der Feldmaͤuse Koͤnig selbst mit seinem Ho- „fe nicht haͤtte. Er habe schleckhafte Speise „vollauf. Seine Speise sey gesotten, und ge- „braten, er habe Fleisch und Brod und Kaͤse zum „Fladen. Solches zu erfahren fuͤhrte sie die „Feldmaus aus dem Feld, und in ihr Haus. „Daselbst trug sie bey der Schwere auf, und „fragte immer, hast du noch nicht genug? Jn- „dessen weil sie sich da vergessen, hoͤren sie „den Schluͤssel im Schloß umdrehen, und je- „mand zu ihnen nahen. Die Stadtmaus auf, „und davon. Die Feldmaus wollte auch nicht „stehen bleiben; und konnte doch schwerlich aus „der Gefahr kommen, weil ihr Sache und Ort „ungewohnt waren. Als ietzo der Hausknecht wie- „der hinweg war, gieng die Stadtmaus wieder zu „ihrem Schlecke; und rufte der Feldmaus auch „zu Tische; sie wollten nun auf ein frisches ze- „chen. Aber diese wollte lange nicht trauen. „Doch wagte sie es endlich auf der andern „Bitte. Da nun die Stadtmaus sie wohl ze- „chen und trincken hieß, fragt sie dieselbe: Ob „sie solche Gefahr oft so unverhoft bestehen muͤß- „te? Sie antwortet, es waͤre ihr gemeines „Brodt, man muͤßte eine gemeine Noth nicht „achten. Wie, sagte die Feldmaus, ist es dir „gemein? So achtest du dein Leben wenig. Wer „sich muthwillig in Noth stecket, der ist an sei- „nem des sechszehnten Jahrhunderts. „nem Tode selbst schuldig. Jch verlange kei- „nen Schleck, der Schrecken bringt. Schre- „ken kan keinen fetter machen. Deine Speise „ist mit Zucker besprenget, aber auch mit Ge- „fahr sehr vermenget. Was der Honig daran „versuͤsset, das verwuͤstet dann die Gefahr wie- „der. Mir aber will die Speise nicht gefallen, „wenn die Galle schon verhoniget ist. Jch will „lieber meine Sparsamkeit und Duͤrftigkeit mit „Sicherheit, als deinen Ueberfluß mit solcher „Angst, Sorge, Flucht, und Schrecken.„ Man wird an den Umstaͤnden dieser Erzeh- lung, der Ausbildung derselben, der Verbin- dung, der Deutlichkeit, und dem Ausdrucke nicht viel auszusetzen wissen. Jch habe dem Poe- ten in meiner prosaischen Uebersetzung nichts ge- liehen. Man kan es probieren, ob man aus Hans Sachsens Schriften dergleichen Gedan- ken und Ausdruͤckungen herausbringen koͤnne, wenn man ihm gleich seine Flickwoͤrter, seine ver- alterten Woͤrter, seine Versetzungen, und der- gleichen Fehler verzeyhen wollte. Nur bey dem Ausdrucke allein stehen zu bleiben, so kennen wir manchen Neuern, der der Knittelsprache unsers Fischarts lachet, welcher nicht faͤhig waͤre, eine von folgenden, oder dergleichen Redensarten aus- zufinden: Boͤses Blut gießt keine schoͤne Farbe ein. - Diese both uns ihre Fuͤsse feil, damit sie uns den Tod verkaufte. - Den Unfall hoch spreis- sen. - Gerechter Jupiter, der das Geringe achtet, wie das Schwere. - Die heilige Ge- rechtigkeit schicket ihr eine Strafe. Der Welt Trinck- Von der Poesie des XVI. Jahrh. Trinckgeld ist Gallentranck, der allen Danck verbittert. Die bleichen Wangen mit Glantz- staube bestaͤuben. Der Ueberfluß nistet nicht, wo keine Sicherheit ist. Einen Hagel kochen. Des Reichen Witz liegt in der Tasche. Grosse Leute stossen sich in der Enge ab. Der Blin- de muß den Lahmen tragen. Die Leber ge- gessen haben. Ein Held mit troͤsten seyn. Die Kleinmuth durch Standhaftigkeit daͤmmen. Auch das schuldige Blut nagt einem Menschen den Muth. Pluto trug ihn in eine Kammer. Neid kochen. Seine Brunst im Schnee abbaden. Die Schand muß sich auf euch enden. Jch erinnere mich, daß dieser Verfasser selbst in seinen Wercken folgender poetischer Schrif- ten Meldung thut, welche von ihm verfertiget worden seyn: Die Schwalben- und Spatzen- hetze; das Gauchslob; der Rathschlag von Erweiterung der Hoͤllen; die Hofsuppe. Kei- nes von diesen Stuͤcken ist mir noch zur Zeit in die Haͤnde gekommen. Wenn sie mit schmu- zigen Vorstellungen nicht besudelt sind, so laͤßt uns die Materie von dem Witze des Verfassers et- was verhoffen, welches der Aufmerksamkeit, und des Aufhebens nicht unwuͤrdig waͤre. Die Fortsetzung wird in dem folgenden Stuͤcke kommen. Aben- Abentheuer, das sich mit der Aeneis Hrn. Joh. Christ. Schwartzen in Conrector Erlebachs Schule zugetragen hat. J CH habe so viele Proben von der Guͤtig- keit meiner Leser empfangen, daß ich mich dißmahl aus blossem Vertrauen auf die- selbe erkuͤhne, der Neigung, nach welcher jeder Mensch gerne von seinem Handwercke redet, nach- zugeben, und ihnen eine Handlung aus meinem Schulstaate zu erzehlen. Jch darf dieses desto dreuster thun, nachdem diejenige, fuͤr welche ich vor- nehmlich schreibe, sich in den Gottschedischen Bey- traͤgen zur deutschen Sprache, in den Belusti- gungen des Witzes und des Verstandes, und in andern Schriften von dieser Art, an Schuluͤbun- gen, an Jugendfruͤchte, an Erstlinge des Geistes, an grammaticalische Exercitien, und dergleichen Sachen dergestalt gewoͤhnt haben, daß sie sol- che nicht selten ihres Beyfalles gewuͤrdiget, und manchmahl gar vor Meisterstuͤcke des Witzes be- wundert haben. Jch habe vor wenigen Tagen meinen Unter- gebenen etliche Stellen aus der Aeneis zu uͤber- setzen vorgeschrieben, und demjenigen der es am besten machen wuͤrde, einen saubergebundenen Lon- gin nach Heineckens Uebersetzung mit der neuen Vorrede, als einen verdienten Preis verspro- chen, dahingegen derjenige, welcher die schlech- teste Probe liefern wuͤrde, den Schulesel bestei- gen, und drey Viertelstunden darauf sitzen sollte. [Crit. Sam̃l VII. St.] F Unter Abentheuer von der Aeneis Unter denselben ist ein junger Aufsproͤßling von gutem Hause, Nahmens Joh. Christoph Weiß, ein zwar faͤhiger, aber dabey allzu fluͤchtiger Kopf, der in der Literatur mehr die Bagatelle, als die Gruͤndlichkeit liebet, und insbesondere eine na- tuͤrliche Neigung zum Sylbenmasse und den Rei- men hat; womit er sich oft in den Gedancken schlaͤgt, wenn er einer ernsthaften Lection nach- dencken sollte. Seit ein paar Jahre sind ihm gewisse Buͤchelgen aus Leipzig von dergleichen Materie in die Haͤnde gerathen, welche ihm den Kopf dergestalt zerruͤttet haben, daß er biswei- len in dem Paroxysmus um Sinnen und Gedan- ken koͤmmt. Dieser junge Weiß lieferte mir eine gereimte Uebersetzung, ungeachtet ich nur eine prosaische gefodert hatte, und machete dabey eine solche Mi- ne, daß ich seine Hoffnung den aufgesetzten Danck zu erlangen, deutlich daraus abnehmen konnte. Allein ich hatte seine Arbeit kaum uͤbersehen, als ich wahrnahm, daß sie weit schlechter war, als die andern Proben, und nichts weniger als den Nahmen einer Uebersetzung, geschweige einer poe- tischen Uebersetzung, verdienete. Sie betaͤubete zwar das Ohr durch das Geklingel der Reimen mit einigem Wohlklang, und schien diesfalls vor den andern etwas vorauszuhaben; aber dieser Vor- zug verschwand, sobald man sie von den Banden der Reimen befreyete, und jedermann erkannte, daß es eine ungestaltete und uͤbel gerathene Geburt war, welche die Merckmahle einer groben Unge- schick- Herr Joh. Christoph Schwartzen. schicklichkeit, oder einer unverantwortlichen Nach- laͤssigkeit nicht verleugnen konnte. Jn dem ersten V. der Aeneis sagt Juno die- se Worte zum Aeolus: Incute vim ventis, submersasque obrue puppes, Aut age diversas, et disjice corpora ponto. Sunt mihi bis septem præstanti corpore Nymphæ, Quarum quæ forma pulcerrima, Deiopeiam Connubio jungam stabili, propriamque dicabo, Omnes ut tecum meritis pro talibus annos Exigat, et pulcra faciat te prole parentem. Diese Zeilen hat mein Lehrling dergestalt in Rei- men uͤbersetzt: Mach einen Sturm und stuͤrtz ihr Schiff ins Meer hinein, Laß sie ein Gaukelspiel der tollen Wellen seyn. Und weil mir vierzehn schoͤn gewachsne Nymphen dienen, So soll fuͤr diesen Dienst die praͤchtigste von ihnen, Deiopeia, dir auf ewig eigen seyn; Und diese muͤsse dich mit manchem Sohn erfreun: Denn sie soll sich mit dir als Ehefrau vermaͤhlen. Nachdem ich ihn die lateinischen Verse gegen die deutschen Reimen halten heissen, hatte ich alle Muͤhe, ihm vorstellig zu machen, wie weit er sich von dem Originale entfernet, und Dinge gesagt, an welche Virgil niemahls gedacht haͤtte. „Siehest du nicht, sagte ich zu ihm, daß Ju- „no beym Virgil zwey verschiedene Dinge von „Aeolus bittet, und daß diese zwey Dinge zwo „Arten Straffen seyn sollen, womit sie ihre Ra- „che an den Trojanern ausuͤben will. Eine oder „die andere gilt ihr gleich viel; entweder sollte F 2 „Aeo- Abentheuer von der Aeneis „Aeolus die Trojanische Flotte in den Abgrund „des Meeres versenken, oder er sollte die Schiffe „von einander zerstreuen, und sie an verschie- „denen Oertern scheitern lassen. Hingegen ist „deine Juno ein possierliches Weib; sie ver- „bindet mit einander, was unmoͤglich zugleich „bestehen kan; sie wollte gerne das Schiff in „den Abgrund gestuͤrtzet, und zugleich den Wel- „len zur Kurtzweil uͤbergeben wissen. Das ist „so viel, als wenn sie aus einer besondern Ra- „che jemanden wollte um das Leben bringen, „und doch nicht gar toͤden lassen. Zudem ist deine „Goͤttin recht kurtzweilig in ihrem Ausdrucke: „ Einen Sturm machen, ist ohne Zweifel eine „neumodische deutschuͤbende Redensart, die du „in deinen Collectaneis gefunden haben wirst. „Die Drohung, das Schiff ins Meer zu stuͤr- „zen ist eben so laͤcherlich, als da jener albere „Kerl im Zorn den Krebs in die Bache geschmis- „sen. Und warum wird in deiner Uebersetzung „die Trojanische Flotte in ein eintziges Schiff ver- „wandelt? Aber das Gaukelspiel der tollen „Wellen in der zweyten Zeile zeiget, daß we- „der du noch deine Juno im rechten Ernst ge- „redet haben. Die Virgilianische Goͤttin unter- „stuͤtzet ihr bitten mit einer Verheissung: Sie „will dem Aeolus, wenn er ihr Verlangen er- „fuͤllete, die schoͤnste von ihren Nymphen ver- „maͤhlen: An dessen Statt verheißt deine Ju- „no diese Vermaͤhlung dem Aeolus nicht fuͤr „den Dienst, den sie von ihm bittet, sondern „diese soll nach deiner Vorstellung eine Beloh- nung Hr. Joh. Christ. Schwartzen. „nung fuͤr die treue Dienste seyn, welche die- „se Schoͤne, nemlich die Nymphe Deiopeia der „Goͤttin geleistet hat; denn sie sagt: Und weil mir vierzehn schoͤn gewachsne Nymphen dienen, So soll fuͤr diesen Dienst - - - „Sonst hast du es gluͤcklich errathen, daß zwey- „mahl sieben richtig vierzehen ausmachen. Wenn „auch deine Juno sagt, Deiopeia soll dir auf „ewig eigen seyn, so koͤnnte man dieses ver- „stehen, daß Juno sie dem Aeolus zur Scla- „vin uͤberlassen wollte; deßwegen hast du wohl „gethan, daß du in der naͤchstfolgenden Wunsch- „zeile deutlich ausgedruͤcket, zu was vor Dien- „ste dem Aeolus erlaubet seyn sollte, diese Da- „me zu gebrauchen: Und durch den am Schlus- „se beygefuͤgten Grund: Denn sie soll sich mit dir als Ehefrau vermaͤhlen; „hast du gantz uͤberzeugend gelehret, erstlich daß „Aeolus die gewuͤnschte Erzielung einer Fami- „lie durch keine uͤbernatuͤrliche Mittel zuwege „bringen sollte, hernach, daß das Kinderzeu- „gen eine nothwendige Folge der ehlichen Ver- „bindung sey. Man haͤtte ohne diesen Erweis „allzu leicht auf die Gedancken gerathen koͤn- „nen, die Meinung der Goͤttin waͤre, daß Aeo- „lus mit dieser schoͤnen Nymphe in einem be- „staͤndigen Concubinat leben sollte. Eine andere Stelle, die beym Virgil im III. B. also lautet: Littora tum patriæ lacrimans portusque relinquo; F 3 Et Abentheuer von der Aeneis Et campos, ubi Troja fuit, feror exul in altum Cum sociis, natoque, penatibus, \& magnis Diis. hatte mein Schuͤler dergestalt gegeben: Da ich mein Vaterland und Trojens Port verließ, Da weint ich; und mein Sohn, und die so bey uns waren Sind mit der Goͤtter Schutz ins Elend abgefahren. Bey dieser Stelle hieß ich ihn anmercken, daß er durch seine Uebersetzung den Nebenumstand lacri- mans in die Haupthandlung verkehret, und da- durch den Zusammenhang der Erzehlung und den Character des Helden uͤbel verderbet; ferner daß er die nachdruͤckliche Ausdruͤkung: Et campos ubi Troja fuit, welche daneben die Thraͤnen des Hel- den rechtfertiget, gaͤntzlich aus der Acht gelassen; drittens, daß er den in Thraͤnen zerfliessenden Helden durch seinen zweydeutigen Ausdruck an dem Ufer seines Vaterlandes stehen lassen, und bloß allein gesagt haͤtte, der Sohn des Aeneas waͤre mit einigen andern Gefaͤhrten ins Elend ab- gefahren. Endlich, daß er Virgils Absicht bey den letzten Worten gar nicht gemercket, wenn es im Deutschen heißt, sie seyn mit der Goͤtter Schutz ins Elend abgefahren, an statt daß Aeneas beym Virgil durch die Nahmhaftmachung der gantzen Reisegesellschaft vielmehr anzeigen wollen, daß die Goͤtter selbst kein besseres Loos betrof- fen haͤtte, sondern daß sie selbst, nachdem ihr voriger Aufenthalt im Grunde zerstoͤrt worden, mit in das Elend haͤtten fortwandern muͤssen. Gleich anfaͤnglich, als ich den Vers gelesen hatte: Mach Hr. Joh. Christ. Schwartzen. Mach einen Sturm und stuͤrtz ihr Schiff ins Meer hinein. Kam es mir vor, als ob mein Lehrling geglaubt haͤtte, die Trojaner waͤren in Luftschiffen daher- gefahren; in dieser Muthmassung ward ich nicht wenig durch folgende Reimen besteifet, mit wel- chen er eine Stelle aus dem IV. B. uͤbersetzet hatte: Der Goͤtter Gnadenwink und Junons guͤnstigs Fuͤgen Ließ der Trojaner Schiff an unsre Kuͤsten fliegen. Dennoch scheint es, daß er selbst das Fliegen der Schiffe vor ein Wunderwerck gehalten habe. Dergleichen Verstossungeu gab es noch meh- rere und verschiedene, welche ich aber mit Still- schweigen uͤbergehe; nur dieses muß ich noch er- waͤhnen, daß er im IV. B. bey Anlasse folgen- der Worte: Post, ubi digressi; lumenque obscura vicissim Luna premit, suadentque cadentia sidera somnos. eine gantz unerhoͤrte Anmerckung sehr geschickt an- gebracht, und solche dabey mit einem unwider- sprechlichen Grund unterstuͤtzet hat: Worauf man bey der Nacht zwar aus einander geht, Denn es ist Schlaffens Zeit. - - - - - Nachdem ich nun mit dieser gereimten Ueber- setzung meines Schuͤlers zu Ende war, sagte ich ferner zu ihm: Erkennt er nun, was er vor ein geschickter Uebersetzer sey; wo Virgil Weiß sagt, sagt er mehrentheils Schwartz. Wenn verkehren uͤbersetzen waͤre, so wuͤrde er den Preis unfehlbar davon tragen. Er hoͤrete diese Bestraffung, wie F 4 es Abentheuer von der Aeneis es schien, ziemlich gelassen an, und gestuhnd mir, daß seine Arbeit mit denen ausgestellten Fehlern wuͤrcklich behaftet waͤre. Aber da ich ihn fol- gends zu der angesetzten Strafe des Schulesels verurtheilete, konnte er sich nicht so leicht darein ergeben; es reuete ihn der gebrauchten List, wel- che ihm so uͤbel bekommen sollte; und er that ein freyes Bekenntniß, daß er diese gereimte Ue- bersetzung, die ich so scharf beurtheilet haͤtte, nicht selbst verfertiget, sondern aus einem gedruckten Buche, das erst in diesem Jahr zu Regensburg an das Licht gekommen waͤre, von Wort zu Wort abgeschrieben haͤtte; er haͤtte sich nicht getrauet etwas bessers zu machen. Er zog das Buch aus der Tasche hervor, und zeigete mir die Stellen, die er ohne die geringste Veraͤn- derung abgecopiert hatte. Er hieß mich uͤberdies das Auge auf den Gnadenbrief werfen, womit seine Hochedelg. Magnificenz, der Hr. Prof. Gott- sched, diese neue Uebersetzung begleitet, und angeprie- sen hatte; desgleichen auf das stattliche Zeugniß, welches eben derselbe dieser Uebersetzung in dem XXIX. St. der critischen Beytraͤge beygeleget hat. Wir lesen an diesen beyden Orten von Joh. Chri- stoph Schwartzen, (das ist der Nahme dieses deut- schen Uebersetzers Virgils, den mein Schuͤler Johann Christoph Weiß ausgepluͤndert hatte,) unter andern folgende Worte: „Derselbe scheint „allerdings zu Uebersetzungen alter Poeten recht „gebohren zu seyn. - - Jch statte unserm Vater- „lande zu dieser deutschen Aeneis meinen Gluͤck- „wunsch ab. - - - - Er hat darinn gewiesen, „daß Hr. Joh. Christ. Schwartzen. „daß er die Virgilianischen Schoͤnheiten einge- „sehen. - - Geschickte Schulmaͤnner werden die- „ses Buch sehr nuͤtzlich bey ihrer studierenden Ju- „gend zu gebrauchen wissen, da zumahl der la- „teinische Text dabey steht.„ Mein junger Versmacher wußte dieses wohl zu seinem Vor- theil zu kehren, und sagte: „Sollte ich mir auf „eine solche Uebersetzung, die von dem grossen „ Gottsched so sehr geruͤhmet wird, nicht etwas „eingebildet haben? und waͤre es nicht eine stoltze „Vermessenheit an mir gewesen, wenn ich mir „vorgenommen haͤtte, selbige zu uͤbertreffen? „Jetzo aber erkenne ich wohl daß mich das „Gottschedische Ansehen geblendet und verfuͤhret „hat; und ich werde mirs gesagt seyn lassen, „daß ich kuͤnftighin nichts mehr auf seine Ehre „und seinen beruͤhmten Nahmen ohne vorher- „gehende Pruͤffung glaube. Jndessen da diese „elende Uebersetzung nicht mein ist, sondern Herrn „Schwartzen und Herrn Gottsched zugehoͤret, „so hoffe ich, daß sie mir mit dem Schul- „esel guͤtig verschonen werden. Jch mußte dieser seltsamen Begebenheit hertz- lich lachen; es duͤnckete mich auch, daß er ziem- lich gute Gruͤnde vorgebracht haͤtte, die Strafe mit dem Schulesel von sich abzuwenden. Auf der andern Seite fand ich mich beleidiget, daß Jhre Hochmagnificenz uns ehrlichen Schulmaͤn- nern so wenig gesunder Einsichten in die Virgi- lianischen Schoͤnheiten, oder, was noch schlim- mer waͤre, so wenige Treue und Sorgfalt fuͤr die studierende Jugend zugetrauet hatten, als sie F 5 mit Abentheuer von der Aeneis. mit ihrer gefaßten eitelen Hoffnung zu verstehen geben, daß wir diese schwartzische Uebersetzung in unsern Schulen einfuͤhren und nuͤtzlich gebrau- chen wuͤrden. Sie werden uns noch nicht die Nebelkappe uͤber die Augen werffen, und Vir- gil im Schwartze weisen. Dieses mag Jhnen einmahl mit jungen Knaben angehen, wie mei- nem Lehrling begegnet ist; den sie doch nicht zum andern mahl fangen werden. Jch woll- te diesen darum nicht harter strafen, als er ver- schuldet hatte, und weil er als ein unbeson- nener Juͤngling von alten erwachsenen und sonst angesehnen Maͤnnern verfuͤhret worden, hielt ich vor billig, daß sie die Straffe mit ihm theilen sollten. Jch that ihm weiter nichts als daß ich ihm seine deutsche Aeneis confiscirte. Diese heftete ich mit Naͤgeln dem Schulesel auf die Brust. Ueber- dies erlaubete ich meinen Schuͤlern, daß jeder von ihnen taͤglich ein Blatt zu seinem Beduͤrffniß aus- reissen duͤrfte. Dieses Urtheil ward von ihnen mit solchem Eifer vollzogen, daß in 14 Tagen die gantze Schwarzias, (diesen Nahmen gaben sie der deutschen Aeneis Hrn. Schwartzen) bis auf den pergamenen Band zerfetzet ward. Also ist Schwartzens Troja durch einen Esel, wie Vir- gils durch ein Pferd zerstoͤret, und zu Schan- de gerichtet worden. Neue Neue Sachen in der Critischen Literatur. E Ndlich hat ein Unbekannter in der Vorrede zu der neuen Ausgabe des Longinus Hrn. Heineckens den Hr. Prof. Gottsched, und die Belustiger mit ihrem gantzen Anhange, welche sich selber unberuffen und ohne gehoͤrige Bestallung den Character von Verfechtern des deutschen Wi- tzes und Geschmackes angemasset, durch eine gruͤnd- liche und nachdruͤckliche Entsagung zuruͤcke ge- wiesen. Alle Leser von wahrem deutschen Ge- bluͤte und Witze haben in dieser Abfertigung ihre eigenen Gedancken und Urtheile gelesen, fuͤr wel- che ihnen so viel Jahre her gantz fremde und ab- geschmackte Meinungen waren aufgeheftet wor- den. Sie erkennen derowegen den Verfasser vor ihren aufrichtigen Dollmetscher und Vormund, und verlangen, daß die ietztlebende und die kuͤnf- tige Welt ihm in seinen Reden und Schriften als ihrem characterisierten Kantzler vollkommenen Glauben zustellen sollen. Kurtz nach der Michelis-Messe des vergange- nen Jahres ist in Dresden das Vorspiel, ein Episches Gedicht, zum Vorschein gekommen. Jn dieser Schrift reget sich ein satyrischer Geist und siegreicher Scribent gegen den Herrn Prof. Gottsched; den sein Stoltz und die Streitbar- keit seiner Schuͤler und Bewunderer, ja der gruͤndlichste Breitkopfische Druck so vieler zierli- chen Neue Sachen chen Buͤcher schwerlich der Nachwelt anschmei- cheln werden, und auf dem Gipfel erhalten koͤn- nen, welchen er sonst zu behaupten und alles, was in Deutschland dencket und schreibet, zu uͤbersehen und zu meistern verhoffet hat. Er, seine Victoria, und der gantze Anhang dieses erbitterten Paars waffnen sich indessen ietzo zu der staͤrkesten Gegenwehre. Die Belustiger werben zum deutschen Dichter- kriege. Die vertrauten Rednergesellschaften schwi- zen und sinnen auf neue Philippicas. Der Hr. Pro- fessor verspricht sich insbesondere eine handfeste Huͤlfe von den zween wackern und gelehrten Maͤnnern aus benachbarten Cantons, welche ihn ihres Beyfalles so nachdruͤcklich versichert haben, wie wohl sie bisdahin aͤusserlich neutral geblieben, und sich begnuͤget, ihn mit ihren Wuͤnschen und Zuspruͤ- chen zu unterstuͤtzen. Er glaͤubt, daß er die Schweitzer am allersichersten durch Schweitzer im Zaum halten koͤnne. Er duͤrfte sich aber mit ihrem Beystand vergebens schmeicheln, wenn wahr ist, was man uns gesagt hat, daß sie nur zu dem Ende die Neutralitet gehalten haben, damit sie sich auf die Seite, die siegen wuͤrde, lencken koͤnnten. Man sagt in der That, daß sie den Schweitzern von Zuͤrich ihre Huͤlfe angebothen haben. Jndessen hat Herr Gottsched wahrhaftig noͤthig, alle seine Voͤl- cker zusammenzuziehen; massen seit der Erklaͤ- rung, welche vor dem deutschen Longinus wider ihn gethan worden, auch die friedfertigsten, und diejenigen, welche sonst aus einer sattsamen Kennt- in der critisch. Literatur. Kenntniß der empfindlichen Partheilichkeit des ehedem so angesehnen und zum Verurtheilen so fertigen Gottschedischen Anhanges stillegesessen wa- ren, sich nicht mehr scheuen, sich in den criti- schen Wirbel hineinzuwagen. Jch schliesse dieses aus einer Menge Schriften, von welchen ich aus verschiedenen Orten Nachricht empfangen habe, daß sie theils in der Schmiede seyn, theils auf einen hertzhaften Verleger warten. Ein Hofrath von B. hat einen Vorschlag aufgesetzet, daß die Anfoderungen auf Geist und Witz kuͤnftig durch die Mehrheit der Stimmen eroͤrtert werden sollen. Er giebt diesen Vorschlag einem Rathsverwandten von Eulenburg in den Mund. Ein geheimer Secretar von D. hat eine Weissagung verfertiget, was vor ein Ur- theil ein Kunstrichter aus dem XIX. Jahrhun- dert von den critischen Streitigkeiten unsrer Zei- ten faͤllen werde. Ein beruͤhmter Professor hat eine Untersuchung von der Natur des Lachens unter Haͤnden; er handelt von dessen verschiedenen Arten, und den Mitteln eine jegliche zu erregen. Er hat seine Absicht vornehmlich auf die Comoͤ- die. Ein saͤchsischer Gelehrter arbeitet an einem prosaischen Gedichte von dem zerstoͤrten Tempel des blinden Geschmackes, eines ohnmaͤchtigen Abgottes der Cherusker. Ein Ungenannter von Br. ... hat unter dem Titel, der Zwitter, Ad- disons Cato, und Deschamps seinen, untersuchet, und gezeiget, wie diese beyde Trauerspiele in Hr. Profess. Gottscheds deutschen Cato zusammenge- wachsen. Ein L... Prediger hat sich entschlos- sen, Neue Sachen die Bekehrung eines verstockten Kunstlehrers und Poeten, bey welchem das Hertz eben so verderbt, als der Geist schal gewesen, durch den Druck bekannt zu machen. Man macht uns Hoffnung, daß man uns einige dieser Schriften uͤberlassen werde, sie in unsrer Sammlung an das Licht zu geben. Ein Unbekannter, der sich Stephan Finck unterschreibet, hat uns eine satyrische Schrift eingesendet, so den Titel hat: Vorschlag, wie Hr. Schwartzens Aeneis von dem Gerichte der Maklatur zu erretten waͤre. Er hat diesen Vor- schlag in einem Schreiben an Hrn. Zunkel, den Verleger der deutschen Aeneis, vorgetragen. Er giebt sich vor einen Leipziger aus. Wir sind durch den Beystand eines auswaͤr- tigen Gelehrten in den Stand gesetzet worden, unsrem ehmahligen Versprechen gemaͤß die Cri- tik der Jphigenia des deutschen Pradons baͤldest zu liefern; sie soll in dem folgenden, oder gewiß im neunten St. zum Vorschein kommen. Wir haben uns entschlossen dem Begehren eines geschikten Freundes Statt zu geben, und die Gott- schedische Uebetsetzung des Horatz von der Dicht- kunst genau und ohne Nachsicht vorzunehmen: Wir hoffen daß ihn dieses veranlassen werde, auch an seinem Orte die Fehler dieses Werckes zu bemercken, und uns seine Anmerkungen mit der Zeit einzusenden. Unser Hr. Conrector Erlebach ist auch noch nicht muͤde sich mit den Gegenfuͤssern des deutschen Witzes herumzuschlagen. Er hat zum Drucke fertig: Ehrenerklaͤrung fuͤr den gu- ten Geschmak der wahren Deutschen. Jn dieser Schrift in der critisch. Literatur. Schrift wird insbesondere Herr Heineke der Ge- sellschaft elender Scribenten, denen er in dem Com- plot in die Haͤnde gefallen, entrissen. Eben derselbe arbeitet an einem Auszuge der Gottschedischen Dichtkunst fuͤr die Deutschen. Er getraut sich das gantze Buch ohne Abbruch der Sachen auf 3. Bogen zu bringen. Er wird es mit Erklaͤrungen und Anmerckungen versehen, und ihm den Titel geben: Gottscheds Dichtk. in Nuce. Jn der ansehnlichen Stadt Chur in den Grau- buͤnden, hat ein Swiftischer Kopf ein Werck un- ter Haͤnden, welches er Scrutinium Ingeniorum betitelt. Er hat uns davon folgenden Auszug zu- gestellet. Die Tollheit, eine Muse auf dem Bloks- berge haͤlt jaͤhrlich eine Pruͤffung der Geistesfaͤ- higkeiten unter ihren Lehrlingen, damit sie eigent- lich wisse, zu was vor Arten der Schriften ein jeder am meisten Geschicke habe, das Aufnehmen der Barbarie zu befoͤdern. Diese Pruͤffung ge- schieht von ihr nach der Neigung und der Ge- schicklichkeit, welche einer zu coͤrperlichen Arbei- ten hat, die mit andern Arbeiten des Geistes ei- nige Aehnlichkeit haben. Z. E. Grillen im fin- stern fangen, deutet an, schreiben ohne zu wis- sen, wie man auf die Einfaͤlle koͤmmt; aus Ku- pferstuͤcken hier eine Figur, und dort eine her- ausschneiden, und in einer neuen Verknuͤpfung auf einem Caffe-Brette zusammen leimen, ein neues Gedichte aus etlichen alten zusammen- flicken; harte Eyer, Strumpfbaͤnder, und Raupennester in einer Schuͤssel auftragen, seltenen Geschmack in der Eintheilung und Anord- nung haben. Jn Neue Sachen. Jn diesem Wercke wird auch erzehlet, was vor natuͤrliche und unparteyische Wege diese Vorstehe- rin des Bloksberges braucht, die Streitigkeiten, die unter ihren Pflege-Soͤhnen des Vorsitzes, oder des Vorzuges ihrer Schriften wegen entstehen, zu entscheiden. Sie laͤßt die beyden Streitenden, jeden auf einem Esel in einen beschlossenen Platz reiten; dessen Esel zuerst anfaͤngt zu rahren, dem wird der Vorsitz zugesprochen. Jst der Streit um ein poeti- sches Werck, so muß die Natur den Ausspruch un- mittelbar thun. Wer von den Praͤtendenten zuerst anfaͤngt gluchsen, wer es mit dem groͤsten Wohlklang thut, und am laͤngsten treibt, der bekoͤmmt die Kro- ne von Hasenpappeln. Durch dieses letztere Scruti- nium hat die regensburgische Uebersetzung der Aeneis den Vorzug vor Doctor Murners erhalten. Der erhabene Poet Hr. Triller hat sich ietzo vor- genommen statt der Fuͤchse und Feldmaͤuse, die er vordem in seinen Fabeln besungen, groͤssere Helden zu verewigen. Er besinget unter dem Titel des Fuͤr- sten-Raubes die Entfuͤhrung der beyden Printzen Churfuͤrst Friderichs des sanftmuͤthigen von Sach- sen, die durch Kuntz von Kaufungen geschehen. Der Koͤhler, der gedachten Edelmann in dem Walde zu Boden geschlagen und die Prinzen befreyet, der vor- nehmste Held in diesem Wercke, ist einer von den Ah- nen des Hrn. Doctors, von welchem er in gerader Li- nie abstammt. Wir hoffen, daß Hr. Triller nicht vergessen werde, dem Ehren-Tempel, den er die- sem seinem Ahnherrn auffuͤhret, auch eine Capelle fuͤr seine eigene vornehme Person anzubauen. Der Brief des gelehrten Frauenzimmers vom 12. Nov. ist eingelaufen.