Zeitvertreib und Unterricht fuͤr Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Leipzig , bey Weidmanns Erben und Reich . 1783 . Vorbericht . I ch bin kein Erzieher von Genie und Profeßion; sondern ein christlichver- nuͤnftiger Vater, der seine Kinder zaͤrtlich liebt, und die natuͤrlich gute Anlage, die sie alle haben, und behalten, wenn sie gute Lehren, mit guten Exempeln begleitet, hoͤ- ren, nach richtigen Begriffen und Grund- saͤtzen aus der Bekanntschaft mit natuͤrli- chen Dingen, und, wenn es Zeit ist, aus der Religion, auszubilden sucht. An mei- 2 nem nem Namen ist nichts gelegen, wenn nur das, was ich bey der Kinderzucht nuͤtz- lich gefunden habe, andern auch nuͤtzlich wird. Ich habe meinen Unterricht vom drit- ten bis zum sechsten Jahre, und einige Jah- re weiter, nicht nach Regeln, Theorien und erkuͤnstelten Methoden, sondern bloß nach den Temperamenten, Faͤhigkeiten, Neigungen und Begriffen meiner Kinder eingerichtet, und dabey immer auf die Er- fahrungen gemerkt: was ihnen leicht oder schwer, faßlich oder dunkel, angenehm und unangenehm gewesen ist: was besondern Eindruck auf ihre Sinne, Empfindungen und Herz gemacht hat. Dieses hab’ ich vor- vorzuͤglich beybehalten, und bey allen Gele- genheiten zu nutzen gesucht. Ich kann nicht genug beschreiben, wie gut es sey, sol- che Erfahrungen zu sammlen, und in der Folge gehoͤrig anzuwenden. Da ich kein Buch von der Kinderzucht schreibe, so will ich hier nur einige Beyspiele solcher Erfah- rungen anfuͤhren. 1. Ich habe angemerkt, daß Kin- der gewisse uͤble unanstaͤndige Gewohnhei- ten annehmen, die uͤberaus schwer abzu- bringen sind. Alle Erinnerungen, Dro- hungen, Strafen, Schlaͤge, die ich sehr ungern waͤhle, helfen nichts. Sie blei- ben dabey. Bosheit ist eben ihr Unge- horsam nicht; sondern mechanische Gewohn- 3 heit. heit. Dahin gehoͤrt das fatale Aufschnau- ben; das Aufliegen mit den Armen, wo sie stehen oder sitzen; das Wackeln, Krumm- und Schiefstehen; das Blinken mit den Augen; das Aufkneipen mit den Lippen; das Saugen an den Fingern, und derglei- chen. Ich hab’ es auf alle Art versucht, ihnen diese Fehler abzugewoͤhnen, und da alles fruchtlos war, so fieng ichs auf die Art an, als sie lesen und schreiben lern- ten, daß ich die ganze Gewohnheit in ein Geschichtchen brachte, und in demselben entweder ein gebessertes Kind zur Beschaͤ- mung des andern aufstellte, oder dem Kin- de mit der boͤsen Gewohnheit zeigte, was es seiner Gesundheit fuͤr Schaden thun koͤnnte, wenn es die boͤse Gewohnheit behiel- behielte. Dieß that die vortrefflichste Wirkung. 2. Hab’ ich angemerkt, daß die Kin- der fast nichts so sehr verdirbt, als wenn ihnen von Jugend auf viel aberglaͤubisches Zeug in den Kopf gesetzt wird, wodurch sie so sehr in bestaͤndiger Furcht gehalten wer- den, daß sie sich zuletzt vor allem fuͤrchten, und Zeit ihres Lebens ungluͤcklich werden. Ich habe dieß auch durch Geschichtchen ih- nen aus dem Kopfe zu bringen gesucht; aber dabey sie nicht mit allen Arten des dummen Aberglaubens bekannt gemacht, sondern nur mit denen, die, so zu reden, noch gaͤnge und gebe sind, und wo man es nicht verhuͤ- ten kann, daß sie nicht vom Gesinde oder 4 von von andern Kindern etwas davon erfah- ren sollten. Ich habe ihnen dabey sorgfaͤl- tig gezeigt, wie alles, was der Aberglau- be fuͤr Wunder und uͤbernatuͤrlich haͤlt, sehr natuͤrlich zugehe: wie dabey das meiste laͤ- cherlich, ungegruͤndet, widersprechend und ganz falsch sey, und wie sie sich, wenn sie das glaubten, entweder vor lauter natuͤrli- chen, unschaͤdlichen Dingen, oder vor ei- nem bloßen Nichts fuͤrchteten. Ueber- haupt hab’ ich es sehr gut gefunden, Kin- der fruͤhzeitig mit den Begebenheiten und Wirkungen der Natur, und mit den nuͤtz- lichsten Ideen des menschlichen Lebens be- kannt zu machen. Den Aberglauben, der die Religion mißbraucht und schaͤndet, hab’ ich dabey nicht vergessen, insofern es die Faͤhig- Faͤhigkeiten der Kinder erlaubten. Ich kann nicht sagen, wie groß davon der Nutzen war. Die Kinder sahen es ein, fuͤhlten es, freuten sich, daß ihre Furcht vergeblich war, bedauerten andere Kinder, die das nicht wußten, und wurden ihre Leh- rer und Wohlthaͤter. 3. Hab’ ich bey diesen Geschichtchen und Kinderhistoͤrchen einen Umstand be- merkt, der mir sehr vortheilhaft gewesen ist. Bey den Dialogen wird oft eins mei- ner Kinder genannt, welches das andere entweder beschaͤmt, oder belehrt und unter- richtet hat. Da hieß es immer: Vater! bin ich das? Und dadurch wurde eine war- me Ambition erhalten, die, wenn sie recht 5 gelei- geleitet wird, Kindern Tugenden sehr leicht macht, und viele Fehler abgewoͤhnt. Diejenigen Stuͤcke, welche allerley aberglaͤubische Histoͤrchen enthalten, sind hauptsaͤchlich fuͤr Kinder in kleinen Staͤd- ten bestimmt, welche das Ungluͤck haben, noch in den gewoͤhnlichen Vorurtheilen er- zogen zu werden. Ob ich mich gluͤcklich und verstaͤnd- lich zum Kinderton herabgestimmt ha- be, moͤgen andere beurtheilen. So viel weiß ich, daß mich meine Kinder von fuͤnf Jahren, und andere, denen von Kindheit an ihre Muttersprache rein und gruͤndlich durch das Buchstabieren beyge- bracht war, daß sie alle Woͤrter richtig, und nicht Emmer statt Eimer, Letter statt Leiter, Leiter, Appel statt Apfel, aussprachen, auch von allen ihnen vorkommenden Dingen rich- tige Begriffe bekommen hatten, sehr gut verstanden haben. Wegen mancher fuͤr die Sinnlichkeit der Kinder gewaͤhlter Worte, glaube ich leicht einige Nachsicht zu erhalten. Noch eine Regel hab’ ich bewaͤhrt ge- funden. Wenn Kinder etwas von den so- genannten natuͤrlichen Dingen oder dem Ge- schlechtsunterschiede bemerken, und Fragen thun, die man ihnen nicht beantworten darf, so fahre man ja nicht auf sie los, oder be- schaͤme sie daruͤber. Das macht sie nur neugieriger. Man sage ihnen lieber: Das versteht ihr noch nicht. Laßt das jetzt weg, und lernt nach nuͤtzlichern Dingen fragen. Dann faͤllt es ihnen nicht so auf; aber man sage sage ihnen ja nichts falsches vor, das sie selbst laͤcherlich und falsch finden, und wo- durch sie nur gereizt werden, mehr zu for- schen. S. das Geschichtchen vom Klap- perstorch. Dieses fuͤrs erste genug. Finden die- se Beytraͤge Beyfall; so kann das zweyte Baͤndchen folgen. Inhalt. Inhalt . I. Weyhnachtsaberglaube. Seite 1 II. Knecht Ruprecht. 10 III. Der Weyhnachtsmann. 15 IV. Das gefallene Kind. 19 V. Das wackelnde Kind. 22 VI. Die schaͤdliche Gewohnheit. 24 VII. Der Klapperstorch. 26 VIII. Die Todtenuhr. 29 IX. Der Nickelmann. 36 X. Die Zigeuner. 41 XI. Das Osterwasser. 48 XII. Das neidische Kind. 54 XIII. Das muthwillige und grausame Kind. 58 XIV. Das weichliche Kind. 62 XV. Die Lerchenjagd. 66 XVI. Von XVI. Von Kindern, die nichts einnehmen wollen. Seite 71 XVII. Das vorwitzige Kind. 76 XVIII. Das verschwiegene Kind. 82 XIX. Vom Angeben. 86 XX. Das naschige Kind. 89 XXI. Das vorschreibende Kind. 91 XXII. Das zierige Kind. 94 XXIII. Von Kindern, die nicht alles essen wol- len. 96 XXIV. Das herrschsuͤchtige Kind. 100 XXV. Das dankbare Kind. 106 XXVI. Das luͤgenhafte Kind. 108 XXVII. Das Schreiben. 112 XXVIII. Die Rochowische Schule. 117 XXIX. Der Todtenkopf. 122 XXX. Die Irrlichter. 139 XXXI. Von der Furcht vor dem Gewitter. 146 XXXII. Vom XXXII. Vom Mißbrauch des Namens Got- tes. Seite 157 XXXIII. Das unreinliche Kind. 162 XXXIV. Nadel im Munde. 165 XXXV. Das Pinken mit den Augen. 167 XXXVI. Gespenster. 169 XXXVII. Fortsetzung. 175 XXXVIII. Fortsetzung. 182 XXXIX. Fortsetzung. 188 XL. Fortsetzung. 195 XLI. Fortsetzung. 200 XLII. Fortsetzung. 204 XLIII. Das neugierige Kind. 209 XLIV. Die Einfalt. 216 XLV. Von Kindern, die sich vor alles fuͤrch- ten. 218 XLVI. Etwas Nuͤtzliches. 223 XLVII. Von Kindern, die alles ruiniren. 225 XLVIII. Die XLVIII. Die bestrafte Vermessenheit. S. 230 XLIX. Das veraͤnderliche Kind. 237 L. Das eigensinnige Kind. 239 LI. Fortsetzung. 249 Erklaͤrung der Titelvignette. Unter dem gefesselten Satyr werden gemei- niglich Dummheit und Aberglaube abge- bildet, und beyde werden hier von Kin- dern verspottet. I. Weyh- I. Weyhnachtsaberglaube. H annchen kam am Weyhnachtsabend zu Dorchen, und sagte: was moͤgen doch wohl unsere Leute vorhaben? Sie machen al- lerley wunderliches Zeug, daraus ich mich gar nicht finden kann. Sie setzen Salzhaͤuf- chen zurecht. Marie holte Bley aus dem Kramladen, und hatte ein Feuerbecken, eine Kelle, und etliche Glaͤser mit Wasser. Was willst du damit machen, Marie? fragte ich. Ich bekam aber weiter keine Antwort, als daß mich das nichts angienge. Sie blieben A diese diese Nacht auf, und ich sollte nur zu Bette gehen. Sage mir doch, liebes Dorchen! hast denn du noch nichts von diesen Dingen ge- hoͤrt? Was mags doch vorstellen sollen? Sie machen alles so heimlich, damit Papa und Mama, und unser Lehrer, Herr Klug, nichts davon erfahren sollen. Ja, mein liebes Hannchen, antwortete Dorchen, etwas hab’ ich schon davon ge- hoͤrt, und will dir alles sagen, wie mich mei- ne liebe Aeltern davor gewarnt haben. Es ist alles Weyhnachtsaberglaube . Al- bernes Zeug, was die Einfalt und Einbil- dung, wie auch die Neubegierde der gemei- nen Leute erfunden hat, und wobey gar kein Verstand ist, sagte mein Vater, und er sag- te mir noch mehr, wovon ich wuͤnschte, daß es dich von allem Aberglauben eben so be- frey- freyen moͤchte, wie es mich davon be- freyet hat. O sage mirs doch, bestes Dorchen. Du kannst mir keinen groͤßern Gefallen thun. Von dir hoͤr’ ich so was am liebsten, weil sich deine liebe Aeltern mehr Muͤhe geben, dir das zu sagen und begreiflich zu machen. Warum geschiehts denn alles eben in der Christnacht , wie die Leute sagen? Darum, antwortete Dorchen, weil sie glauben: in der Nacht, da Christus geboren sey, muͤß- te durch die Kraft der Geburt Christi alles geschehen und eintreffen, was die Leute wuͤn- schen und gerne haben wollen. Da muͤßten alle boͤse Engel, die sich der Aberglaube meh- rentheils selbst erdichtet, Christo gehorchen, und thun, was die Leute im Namen des gebor- nen Heilandes von ihnen verlangen: als Schaͤtze anzeigen und graben helfen, ihr zu- kuͤnftiges Schicksal ihnen bekannt machen, A 2 und und dergleichen albernes Zeug mehr. Sie- he! darum thun sie das in der Christnacht. Ist denn das aber recht, fragte Hann- chen weiter? Davon steht doch nichts in un- sern Buͤchern, die uns unsere Aeltern zu le- sen geben: auch nichts in der Bibel, wie Herr Klug versichert, und im andern Gebot sagt ja der liebe Gott: wir sollen seinen Na- men nicht mißbrauchen, und nicht bey dem- selben zaubern . Das moͤgen wohl solche Suͤnden seyn, die zur Zauberey gehoͤren. Das ist haͤßlich, den Namen Gottes und Christus so mißbrauchen, eben so unrecht, als alle Augenblicke Herr Jesus sagen. War- um moͤgen doch die Leute das nicht bey Ta- ge thun, wenn sie ein gut Gewissen haben? Du hast Recht, antwortete Dorchen. Das ist eben der dumme Aberglaube der un- wissenden Leute, den ihr, wie meine Mutter oft zu unsern Leuten sagt, von Vater und Groß- Großmutter, von Jugend auf, in der Spinn- stube gelernt habt, davon die gesunde Ver- nunft und Gottes Wort nichts weiß. Laß uns ja Gott danken, daß wir besser unter- richtet sind. Wir haben den schoͤnen Spruch gelernt: Dazu ist erschienen der Sohn Got- tes, daß er die Werke des Teufels zerstoͤre. Und das waͤren solche Werke, sagte neulich mein Vater: Unwissenheit, Aberglaube, Bos- heit, Luͤgen, Heucheley, und alles Boͤse, wo- durch die Suͤnde Gewalt uͤber den Menschen haͤtte. Solche Leute aber, die dem Aber- glauben ergeben sind, richten diese Werke wieder auf, die der Herr Christus zerstoͤret hat. Ist das wohl recht? Nein, mein Dorchen, erwiederte Hann- chen. Das sehe ich ein; aber ich moͤchte doch gar zu gerne wissen, was die Leute mit den Salzhaͤufchen, dem Bley und Kohlen, in der Christnacht eigentlich anfangen? Wozu A 3 kann kann ihnen denn das alles helfen? Auch das will ich dir sagen, antwortete Dorchen, so gut ichs weiß. Die Salzhaͤufchen setzen sie wie einen Thurm oder kleinen Berg, und sehen des Morgens zu, ob sie gesunken oder stehen geblieben sind. Das erste bedeutet in dem Jahre Krankheit, Ungluͤck und Tod. Das zweyte, Gesundheit Gluͤck und Leben. Und das Abscheulichste ist, daß sie glauben: daß entweder Christus das selbst daran thue, oder durch einen Geist und Engel thun lasse, und ihnen also durch das Fallen oder Ste- hen der Salzhaͤufchen selbst eine Anzeige von ihrem Gluͤck und Ungluͤck, von ihrem Leben und Sterben gebe. Das ist ja ganz erschreckliches Zeug, was ich da hoͤre, sagte Hannchen. Ja, hoͤre nur weiter, fuhr Dorchen fort. Das ist noch lange nicht alles. Hoͤre nur, wie sich die Leute dabey mit unnuͤtzer Furcht quaͤlen und und martern. Ist das Salz feuchte, wie es denn mehrentheils ist; so sinkt das Haͤufchen ganz natuͤrlich von selbst, zumal wenn es in der warmen Stube steht. Dann bilden sie sich ein, sie muͤssen in dem Jahre sterben, und graͤmen sich wohl gar todt, wie mir mein Vater davon verschiedene Exempel erzaͤhlt hat. Aber das Bley, mein Dorchen, wozu das? Sie schmelzen es auf Kohlen in der Kel- le, und gießen es in Glaͤser mit Wasser. Da giebt es natuͤrlicher Weise, wenn das heiße geschmolzene Bley ins kalte Wasser faͤllt, und aus einander spritzt, allerley Figuren, als Baͤume, Staͤdte, Thuͤrme, Spieße, Naͤgel und dergleichen. Die Einbildung macht sie dazu, was sie nicht sind. Da begucken sie denn das alles sehr sorgfaͤltig, machen die Auslegung, und sehen darinn alles, was sie wuͤnschen und fuͤrchten, sagt mein Vater. A 4 Staͤd- Staͤdte, Haͤuser und Baͤume bedeuten gros- ses Gluͤck und gute Nahrung. Dunkle Klum- pen aber Kirchhoͤfe, Saͤrge und Todtenkoͤ- pfe, daß sie in dem Jahre sterben muͤssen. Und das alles koͤnnen sie nur in der Christ- nacht, durch Huͤlfe der Geburt Christi, erfah- ren, sonst nicht. Siehe, mein Hannchen, so ist es damit. Kannst du das Zeug glauben? Wolltest du das wohl nachmachen? O hoͤre auf, Dor- chen! ich habe genug. Ich mag nichts mehr wissen. Wie gluͤcklich sind wir, daß wir besser unterrichtet werden, und uns der Aber- glaube nicht mehr zu fuͤrchten macht! Unser Leben hat uns der liebe Gott gegeben. Das Ende desselben sollen wir nicht wissen, sonst haͤtte ers uns gewiß gesagt. Er wird es uns erhalten, so lange es uns nuͤtzlich ist. Ich danke dir, liebes Kind, daß du mir so viel viel Gutes gesagt hast, und kein dummer Aberglaube soll uns toͤdten. Bey dieser Gelegenheit, sagte Dorchen, muß ich dir noch ein Geschichtchen erzaͤhlen, wie ichs von Vaͤterchen habe, was der Aber- glaube oft fuͤr ein tranriges Ende nimmt. Vor etwa 30 oder 40 Jahren bereden sich ein- mal einige Leute bey Jena in der Christnacht, daß sie wollen hinausgehen in einen Wein- berg, und in dem Haͤuschen desselben die boͤ- sen Geister durch die Kraft der Geburt Chri- sti beschwoͤren, ihnen die darinn vergrabenen Schaͤtze zu verschaffen. Weil es sehr kalt ist, nehmen sie Steinkohlen mit in das enge Stuͤbchen des Hauses, und zuͤnden sie an, um sich dabey zu waͤrmen. Diese geben vie- le Schwefelduͤnste von sich, die man nicht se- hen kann, aber einschluckt, und die in einer engen Stube sehr gefaͤhrlich sind. Was ge- schieht? Des andern Morgens werden sie alle A 5 todt todt gefunden, und waren von dem Dampf der Steinkohlen erstickt. So straft sich der Aberglaube, der den lieben Gott versucht, selbst. Denn dazu ist Christus nicht geboren, daß wir sollen durch die Kraft seiner Geburt reich werden, Schaͤtze graben, die boͤsen Engel bannen, und unser zukuͤnftiges Gluͤck oder Ungluͤck erfahren; son- dern daß wir sollen von der Suͤnde befreyet werden; fromm und gluͤcklich leben. II. Knecht II. Knecht Ruprecht. L uischen sagte zu Fritzen: ach wie freue ich mich aufs Weyhnachtsfest, wenn nur eins nicht waͤre! Du glaubst nicht, wie ich mich fuͤrchte, und mich kaum getraue, des Abends vor die Stubenthuͤr zu gehen. Nun, was ist denn das, antwortete Fritze. Ich weiß von keiner Furcht. Ich freue mich herzlich aufs Weyhnachtsfest, weil ich, so viel ich weiß, meine liebe Aeltern nicht be- truͤbt habe, und mir daher gar schoͤne Weyh- nachtsgeschenke versprechen kann. Warum fuͤrchtest du dich denn, armes Luischen? Hast du etwa deine Aeltern, oder deine Lehrer be- leidiget? Hast du also nicht viel zu hoffen? Das wohl eben nicht, erwiederte Luis- chen. Aufs Weyhnachtsgeschenk freue ich mich eben so sehr, als du, lieber Fritze; aber wenn wenn nur eins nicht waͤre, daß ich mich vor Furcht nur halb freuen kann! Fuͤrchtest du dich denn nicht? Kind! so sage es doch heraus. Ich verstehe dich nicht. Was ist denn das eine, das dir so viele Furcht macht? Ach! sagte Luischen weinend, der boͤse Knecht Ruprecht, der des Abends umhergeht, die Kinder lesen und Spruͤche aufsagen laͤßt, und, wenn sie das vor Angst nicht koͤnnen, in den Sack steckt und mitnimmt. Er soll erschrecklich aussehen, ganz mit Hede und Wolle bewickelt. Ich habe ihn nur neulich von ferne gesehen, und konnte mich vor Schreck in der halben Stunde nicht besinnen. Was sagst du da, Luischen? war Fritzens Antwort. Davon hab’ ich mein Tage noch nichts gehoͤrt. Das kann unmoͤglich so seyn, wie du sagst. Von wem hast du es denn? Theils Theils von unsern Leuten in der Gesinde- stube, antwortete Luischen; theils von an- dern Kindern; theils hab’ ich neulichen Abend, da ein graͤulicher Laͤrm auf der Straße war, den Knecht Ruprecht selbst gesehen. Also nicht von deinen Aeltern und Leh- rern, gutes Kind? Merkst du nicht schon, daß das nicht richtig, sondern Betrug und Bosheit schlechter Leute sey, die andere nur wollen zu fuͤrchten machen? Halt! ich wills bald erfahren. Bleib nur hier. Ich will gleich wieder kommen, und meine liebe Ael- tern darum befragen. (Fritze geht ab, koͤmmt aber bald zuruͤck.) Fr. Sey gutes Muths, liebes Luis- chen, nun will ich dir alles sagen. Meine Aeltern wunderten sich zwar, daß ich dar- nach fragte, und wollten wissen, von wem ichs ichs haͤtte. Da sagte ichs, daß ichs von dir haͤtte, und du dich erschrecklich fuͤrchtetest; ich aber solche Possen nicht glauben koͤnnte. Da erklaͤrten sie mir alles, und sagten da- bey: gehe nun hin, und sage es Luischen wieder. Es ist eine Wohlthat , die du an dem Kinde thust, wenn du es von seiner Furcht befreyest. So hoͤre nun zu deinem Trost. Knecht Ruprecht ist ein Knecht, oder sonst ein gemei- ner schlechter Kerl, der sich ausgekleidet hat, davon heißt er Ruprecht, und des Abends die aberglaͤubigen Leute und die einfaͤltigen Kinder zu fuͤrchten macht. In den Doͤrfern ist es noch sehr gemein. Davon will ich dir eine traurige Historie erzaͤhlen. Es kam einmal ein solcher Kerl, der sich uͤber und uͤber mit Flachs und Hede bewickelt hatte, in eine Spinnstube. Die eine Magd steckte mit der Lampe den Flachs an. an. Der Kerl konnte sich nicht helfen. Al- les lief fort. Er mußte elendiglich verbren- nen, und haͤtte bald das Haus angesteckt, wenn er sich nicht noch in den Mistsumpf ge- waͤlzt haͤtte. Das sind die Folgen solcher Thorheiten! Fuͤrchtest du dich nun noch vor dem Knecht Ruprecht? Du denkst wohl gar, es sey ein Engel, ein Geist, oder ein Gespenst? Daruͤber muͤßte ich dich erst recht auslachen. Ich versichere dich, zu mir wird kein Knecht Ruprecht kommen. Mein Vater gab mir dabey noch die Lehre: mache dich nicht mit dem Gesinde und andern schlechten Leuten ge- mein, damit du nicht ihre schlechte Stuͤcke ler- nest, oder dich ohne Ursache vor Dingen fuͤrchtest, die von ihrem Aberglauben und Betruͤgerey herkommen. Nun, liebes Luischen! freue dich mit mir aufs Weyhnachtsfest. Ruprecht soll uns nichts nehmen. III. Der III. Der Weyhnachtsmann. D u fragtest doch neulich, liebes Minchen, nach dem Weyhnachtsmann , der des Abends umhergienge, und sich mit den In- strumenten und Spielzeuge hoͤren ließe, wel- ches die artigen Kinder zum Weyhnachtsge- schenk haben sollten: auch dann und wann schon vorher Rosinen und Mandeln zur Freu- de der Kinder verzettelte. Du fragtest wei- ter, ob es der heilige Christ selbst sey, wie die Leute sagten, der zu Weyhnachten den Kindern was bescheere, und warum sich der Weyhnachtsmann in unserm Hause nicht hoͤ- ren ließe, da doch alle Kinder in der Schule davon spraͤchen? Jetzt will ich dirs erklaͤren. Zuerst sage ich dir, daß es ganz falsch und erdichtet sey, daß unser Herr Christus zu Weyhnachten auf der der Erde herumgehe, von den Drechslern, Toͤpfern, Tischlern und andern Handwerks- leuten die Spielsachen hole, und solche den Kindern bescheere. So klein dein Verstand noch ist, so kannst du das doch schon begrei- fen, daß das viel zu klein und niedrig von der Person gedacht sey, die Gott den Men- schen als Heiland, Lehrer und Wohlthaͤter, hat an diesem Feste geboren werden lassen. Das faͤllt also ganz weg, und ich bitte dich, aus Respekt und Liebe zu deinem Heilande, den du kuͤnftig noch besser wirst kennen ler- nen, nie wieder zu sagen: der heilige Christ hat mir das bescheeret. Die einfaͤltigen Leu- te wissen es nicht besser, sonst wuͤrden sie nicht so sprechen; und wenn sie es besser wis- sen, so thun sie doch unrecht, den Kindern das vorzusagen, weil es an sich falsch ist, und den Namen Gottes entheiliget. B Zwey- Zweytens ist es eine alberne Gewohn- heit unter den Leuten, daß sie den Kindern vorsprechen: Christus schicke den Weyh- nachtsmann, der den Kindern was bescheere. Das sey ein Engel, der in der Weyhnachts- nacht umhergehe, und die Sachen fuͤr die Kinder hinlege. Daher lassen sie verkleidete Personen in allerley Aufzuͤgen herumgehen, wovon oft manche Kinder vor Schreck den Tod gehabt haben. Du hast von diesen Possen noch nichts gehoͤrt und gesehen, sagte mein Vater, und wirst dergleichen in unserm Hause auch nicht sehen. Da du aber schon etwas davon er- fahren hast, so sage ich dir, daß das alles falsch, und ein Betrug der Leute sey. Wir haben dich viel zu lieb, als daß wir dir sol- che falsche Dinge in den Kopf setzen sollten. Das Weyhnachtsfest ist ganz zu andern Ab- sichten bestimmt, die du kuͤnftig erfahren wirst. wirst. Es heißt Weyhnachten, oder die ge- weihete und heilige Nacht, darinn Christus den Menschen zum Heil und zur Freude ge- boren ist. Wir beschenken dich an diesem Feste als eine Belohnung deiner Artigkeit und deines Fleißes, aber auch zum Andenken des gros- sen Geschenks der goͤttlichen Liebe. Nun weißt du, wie es mit der Geschichte vom Weyhnachtsmanne beschaffen ist. IV. Das gefallene Kind. W enn die Kinder immer ihre Spielsachen im Kopfe und vor den Augen haben; so geben sie nicht Achtung auf die Dinge, die vor und um ihnen sind; und das ist Unvor- B 2 sichtig- sichtigkeit , dadurch sie oft hart genug ge- straft werden. Ein kleines Maͤdchen von fuͤnf Jahren, das sonst vorsichtig genug war, wurde von seinem Spielzeuge von oben herunter geru- fen, und war doch auf einer etwas steilen Treppe, die es wohl schon hundertmal gegan- gen war, nicht vorsichtig genug. Als es in die Mitte derselben kam, moch- te es sein Spielzeug vor Augen haben, und uͤber eine Stufe wegsehen; trat also vorbey, und fiel die uͤbrigen Stufen herunter. Zum Gluͤck gieng es noch so ziemlich ohne Scha- den ab. Der ganze Koͤrper war erschuͤttert, und es mußte den linken Arm wohl acht Ta- ge im Bande tragen, weil er stark angeschwol- len war. Da sich aber das Kind, ohne Ei- gensinn, gerne waschen und verbinden ließ; so wurde es auch bald wieder besser. Die- Dieser Vorfall dient allen unvorsichtigen Kindern zur Warnung, daß sie sich in Acht nehmen, weil nicht jeder Fall so gluͤcklich ab- laufen kann. Als es wieder besser war, ga- ben ihm seine Aeltern folgende Lehren: 1. Daß es Gott danke, der es bey dem Falle so gnaͤdig behuͤtet habe, da es sich haͤt- te todt fallen, oder Arm und Beine brechen koͤnnen. 2. Daß es seine guten Aeltern um Ver- gebung bitte, weil es ihnen durch seine Un- vorsichtigkeit einen solchen Schreck gemacht haͤtte, und ihnen danke, daß sie sich seiner so liebreich angenommen, und ihm Arzt und Chirurgus zu seiner Genesung gehalten haͤtten. 3. Daß es seinen Aeltern desto gehorsa- mer, und gegen andere arme Kinder desto mitleidiger sey, die es in solchen Faͤllen lan- B 3 ge ge so gut nicht haͤtten, und an welche ihre arme Aeltern das nicht wenden koͤnnten. 4. Daß es auf der Treppe, und an an- dern gefaͤhrlichen Orten, desto vorsichtiger sey, damit es nicht wieder falle, und noch groͤßern Schaden nehme. V. Das wackelnde Kind. K inder gewoͤhnen sich alle Augenblicke eine neue Unart an. Zwar ist es eben keine Bosheit, wenn sie nicht auf die ihnen des- halb gegebenen Erinnerungen merken, sondern Unachtsamkeit : auch wider alle gute Sitten, dadurch sie andern mehr gefallen, als wenn sie einen guten Verstand haben, und noch so viel lernen. Dor- Dorchen wackelte bestaͤndig hin und her, wenn es bey jemand stund, oder es legte die Arme auf den Tisch, oder es nahm sonst ei- ne unanstaͤndige Stellung des Koͤrpers vor. Es wurde ihm oft verboten; aber es thats doch. Kurz, es wollte nichts helfen. Es sahe andere artige, bescheidene und gutgesit- tete Kinder; es schaͤmte sich zwar, konnte es aber nicht lassen. Endlich kam man auf den Einfall, daß alle, die um es waren, es ihm bestaͤndig so nachmachten, wie es zu thun gewohnt war. Das half. Denn es sahe und fuͤhlte nun selbst, wie haͤßlich und unanstaͤndig es aus- sahe. Es besserte sich, und gewoͤhnte sich binnen acht Tagen das Wackeln und Aufle- gen ab. B 4 VI. Die VI. Die schaͤdliche Gewohnheit. W enn die Kinder allemal wuͤßten und be- daͤchten, was boͤse Gewohnheiten fuͤr Schaden thaͤten, und fuͤr traurige Folgen haͤtten: sie wuͤrden sie bald ablegen. Gute Aeltern und Lehrer sagen es ihnen oft genug; aber sie glauben es nicht, bis sie mit Scha- den klug werden. So gieng es Fritzen und Carln, welche die Gewohnheit hatten, sich einander immer aufzuheben, zu zerren und herumzuschleu- dern. Es wurde ihnen oft verboten; aber sie ließen es nicht. Sie kriegten Schlaͤge daruͤber, und sie thaten es nun heimlich, wenn keiner dabey war. Was geschahe? Als sie das Ding ein- mal recht arg getrieben hatten, zerriß sich Carl das Netz im Leibe, daß er einen Bruch bekam, bekam, und die Gedaͤrme austraten. Er mußte nun Tag und Nacht ein eisernes Bruch- band tragen, welches ihm Strafe genug war. Fritze aber bekam eine schiefe Huͤfte, daß er nicht gerade stehen konnte. Mit genau- er Noth wurde dieselbe unter vielen Schmer- zen wieder eingerenkt, und jener wurde auch wieder besser. Wie leicht haͤtten nicht beyde Knaben aus bloßem Muthwillen, und durch eine schaͤd- liche Gewohnheit, zeitlebens ungesund und Kruͤppel werden koͤnnen! Kinder muͤssen al- so nichts unternehmen, nichts tragen und heben, wozu sie noch die Kraͤfte nicht haben. Als Dorchen das hoͤrte, sagte es zu sei- nen Aeltern: die andern Kinder wollen mich immer aufheben und tragen; aber ich leide es nicht, und mag darum nicht gerne mit ih- nen umgehen. Da wurde Dorchen sehr ge- lobt, daß es so vorsichtig war. B 5 VII. Der VII. Der Klapperstorch. C hristianchen kam neulich zu Dorchen, und sagte: der Klapperstorch hat mir ein kleines Schwesterchen gebracht. Wer hat dir denn, antwortete Dorchen, solch Zeug weiß gemacht? Kann denn ein Vo- gel Kinder und Menschen bringen? Unsere Cathrine, sagte Christianchen, hat mirs so vorgesprochen. Aber glaubst du denn das, erwiederte Dorchen? Hoͤre zu, ich will dirs wieder sagen, wie michs Vaͤterchen gelehrt hat. Die kleinen Kinder sitzen nicht im Teiche oder im Wasser, wie die Froͤsche. Der Klapperstorch bringt sie auch nicht. Das ist ein Vogel mit lan- gen Fuͤßen und Schnabel, daß er im Wasser gehen, und die Froͤsche und Fische von un- ten herauf holen kann. Man spricht uns Kin- Kindern das nur so vor, weil stchs nicht fuͤr uns schickt, und wir es auch noch nicht ver- stehen, wie die kleinen Kinder in die Welt kommen. Der liebe Gott, als der Schoͤpfer und Erhalter aller Kreaturen, sagte mein Vater, laͤßt sie als Menschen von Menschen geboren werden, und schenkt sie den Aeltern. Die Mutter giebt ihnen die erste Nahrung aus ihrer Brust. Die haben wir auch bekom- men, da wir noch so einfaͤltig und huͤlflos wie die jungen Hunde waren. Ach du lieber Gott, was sind wir jetzt schon, da wir ste- hen, hoͤren, gehen, reden, uns besinnen, und unser Butterbrod fordern koͤnnen! Ich fuͤhle es recht sehr, wie sauer wir den Aeltern werden, und wie viel Gutes sie von unserm ersten Anfange an, da wir noch elender dran waren, als die jungen Thiere, an uns taͤglich gethan gethan haben und noch thun. O Christian- chen! laß uns das ja erkennen. Wie gut hat das der liebe Gott fuͤr uns eingerichtet, daß er uns den Aeltern gegeben hat, und wir ihre Kinder sind? Wer wuͤrde sich sonst unserer annehmen, und uns kleiden, speisen, versorgen und erziehen? Ha! ha! sagte Christianchen. Das ist ein ganz ander Ding, Dorchen, was du mir da sagst. Ich habe das vom Klapperstorch auch gar nicht begreifen koͤnnen. Es hat mir gar nicht in den Kopf gewollt. Ich weiß nun genug: der liebe Gott hat es so einge- richtet, daß Menschen von Menschen gebo- ren werden. Ja! ja! anders kanns auch nicht seyn. Denn wenn unsere Marie dem Huhne Eyer unterlegt; so kommen die jun- gen Kuͤchelchen heraus, und keins sagt, daß sie der Klapperstorch bringe. Du Du hast Recht, mein Kind, erwiederte Dorchen. Ein jedes in der Welt bringt sei- nes gleichen hervor, wie wir vor Augen ha- ben. Keine Gans einen jungen Hund, und kein Sperling eine Katze. Laß uns nur nicht zu vorwitzig nach solchen Dingen fragen, die wir noch nicht verstehen. Es schickt sich fuͤr uns noch nicht, da wir Kinder sind, und noch viel zu lernen haben. Nur muͤssen wir uns auch nichts falsches und laͤcherliches vor- sagen lassen. VIII. Die Todtenuhr . D a pickt und klopft es schon wieder in der Wand, sagte Fritze ganz aͤngstlich, und seufzte: was mag das bedeuten? Was das bedeutet? antwortete die alte Kindermuhme: daß daß wieder einer aus dem Hause sterben wird. Nimm dich ja in Acht, Fritze. Es kann dich bedeuten. Denn das Ding in der Wand pickt und klopft einem den Tod. Da- her heißt man es auch die Todtenuhr, den Todtenschmidt. Was? sagte Fritze. Das ist denn doch wunderlich Zeug. Hat denn der Tod eine Uhr, die er da in die Wand steckt und picken laͤßt, wenn einer sterben soll? Sage mir doch, Marie, wie sieht denn das Ding aus? Hat sie auch so schoͤne gelbe Raͤder, wie Vaͤter- chen seine? Sage mir doch, woher weißt du denn das, daß einer von dem Picken stirbt und sterben muß? Meine Aeltern und Lehrer haben mir noch nichts davon gesagt. Wo- her weißt du es denn? Ja! das weiß ich eben nicht, erwiederte die Kindermuhme, was es fuͤr ein Ding ist, ich hab’ es auch niemals gesehen, aber gehoͤrt genug, und das weiß ich ich wohl, daß es allemal vorher geklopft und gepickt hat, wenn einer gestorben ist. Das hat mir meine Großmutter schon vor vielen Jahren gesagt, Gott lasse sie wohl ruhen! Hum! sagte Fritze, das ist doch eine wunderliche Sache, die ich nicht recht zusam- menbringen kann. Marie! weißt du was: es koͤmmt mir fast eben so vor, wie mir neu- lich unser Lehrer, Herr Kinderlieb, sagte: Kinder, sagte der liebe Mann, ich habe euch gar zu lieb, und weil ich euch so lieb habe, so bitte ich euch recht sehr: nehmet euch doch vor dem Aberglauben der Leute in Acht. Die sagen euch von manchen Dingen lauter fal- sche Ursachen vor, und das setzt euch in Furcht und Schrecken, was doch nichts ist. Kannst du das wohl glauben oder sagen, Fritze, sprach er zu mir: dein Stock stehet im Winkel, jetzt regnets draußen, also ist das Schuld dran, oder es regnet davon, daß dein dein Stock im Winkel steht? Ich lief ge- schwind hin, und nahm den Stock weg; aber es regnete immer fort. Marie, du machst es fast eben so wie mit dem Stock in der Ecke. Es pickt was in der Wand, darum muß einer sterben. Wenn ich das Pickding nur herausbohren koͤnnte, es sollte keiner sterben. Ja! das weiß ich wohl, antwortete Marie, wenn ihr Kinder erst gelehrt werdet: dann wollt ihr uns alten Leuten nicht mehr glauben. Du wirst es wohl sehen. Siehe da, willkommen, Dorchen, sagte Fritze. Du kommst eben recht. Die Tod- tenuhr pickt wieder in der Wand, und Ma- rie macht mir bange, daß davon wieder eins sterben wuͤrde. Das ist ja schoͤn, antwor- tete Dorchen, das Ding hab’ ich lange gern hoͤren wollen. Sie horchen. Es geht in der Wand: Pickpick, pickpick, wie eine Ta- schen- schenuhr, und das Picken waͤhrt wohl eine Viertelstunde. Fritze wird blaß, und Dorchen lacht. Du lachst? sagt Fritze, und ich moͤchte davon laufen. Warum denn das? erwiederte Dor- chen. Weil ich mir fast vorstelle, daß ich nun sterben muß. O du armes Kind! ant- wortete Dorchen. Wer ist denn so grausam, dich mit solcher vergeblichen Furcht zu quaͤ- len? Hoͤre mich, und deine Furcht soll bald vergehen. Ich freue mich, daß mir mein lieber Vater schon manches Artige aus der Natur gesagt hat, was mir wunderbar und fuͤrchterlich war. Kind, sagte der liebe Va- ter, lerne ja bey Zeiten die natuͤrlichen Din- ge, Ursachen und Wirkungen, recht kennen. Du wirst dadurch vor vieler aberglaͤubischer Furcht verwahret bleiben. Er hat mir die Sache auch mit der Tod- tenuhr erklaͤrt. Es ist ein kleines Holzwuͤrm- C chen, chen, das in der Wand im Holze steckt, und das Holz in Staub zerfrißt, welches seine Nahrung ist. Wenn es mit seinem Ruͤßel- chen am Holze nagt, so geht das, als wenn eine Uhr pickt. Zuletzt verwandelt sich das Wuͤrmchen in ein kleines fliegendes Kaͤ- ferchen. Was hat das nun mit dem Tode der Menschen zu thun? Woher weiß es das, daß einer sterben werde? Hat es ihm der liebe Gott geoffenbart? Kannst du das wohl den- ken, Fritze? Der liebe Gott offenbaret keinem seine Todesstunde, am wenigsten durch das Picken eines Wurms, der sich satt frißt. So sagte der liebe Vater, und setzte hinzu: Kind, denke ja nicht, daß, wenn zwey Dinge zu- sammen da sind, das eine immer die Ursache von dem andern sey. Es stehet ein Komet am Himmel: es ist zu gleicher Zeit Krieg auf der Erde. Also ist der Komet davon die Ur- sache. sache. Es pickt in der Wand; es stirbt just einer; also ist das Picken Schuld daran, daß er gestorben ist. Das Ding mit dem Picken, lieber Fritze, gehet also sehr natuͤrlich zu; und wenn auch einmal zu eben der Zeit, da es gepickt hat, jemand im Hause gestorben ist, so ist doch der Wurm und sein Picken nicht Schuld dar- an. Kannst du das nunmehro wohl be- greifen? Fuͤrchte dich nicht mehr davor, lieber Fritze. Wenn du einmal zu uns kommst, will ich dir das Kaͤferchen dieses Wurms wei- sen, wie es mein Vater an einer Nadel ste- cken hat. O das freuet mich, liebes Dorchen, sag- te Fritze, daß du mir meine Furcht benom- men hast. Siehe da, Marie, da hast du deinen Bescheid auf deinen Aberglauben, und wir lachen dich aus. C 2 IX. Der IX. Der Nickelmann . E s sind recht alberne Leute, die den Kin- dern durch falsche Erzaͤhlungen und Maͤhrchen eine Furcht einjagen. Diese Furcht schadet ihnen Zeit ihres Lebens. Das bedenken aber die Leute nicht. Sie haben dabey eben keine boͤse Absicht; sondern mey- nen es gut. Aber mit Gutmeynen ist die Sache nicht ausgemacht, wenn man dadurch Schaden anrichtet. Die Leute wollen durch solche Erzaͤhlungen die Kinder von Dingen abhalten, die ihnen schaͤdlich sind; aber sie schaden ihnen durch die falsche Furcht weit mehr, als wenn sie dieselben gar nicht ge- warnt haͤtten. Lottchen kam neulich Abend vom Wasser, und zitterte und bebte vor Furcht am ganzen Leibe, daß es krank wurde, und was einneh- men men mußte. Was ist dir? fragte Dorchen dieses Kind. Ach, sagte Lottchen, da bin ich am Wasser gewesen, und unsere Marie sagte: der Nickelmann saͤße im Wasser und kaͤmmete seine gruͤnen Haare. Ich sollte ja laufen, sonst zoͤge er mich ins Wasser. Da hab’ ich mich so erschrocken. O! sagte Dorchen, wie freue ich mich, daß ich so gute Aeltern habe, die mir der- gleichen Possen und aberglaͤubisches Zeug schon lange erklaͤrt haben, daß ich mich da- vor nicht mehr fuͤrchte! Du armes Kind dauerst mich, und ich will dir alles sagen, wie es damit ist. Wenn du hoͤrst, daß al- les falsch ist, so wird deine Furcht von selbst vergehen. Denn wer wird sich vor falschen Dingen fuͤrchten? Es ist mir sonst eben so gegangen. Weil ich dergleichen Dinge fuͤr wahr hielt, so fuͤrchtete ich mich auch davor. C 3 Ich Ich freue mich herzlich, daß ich dir deine Furcht benehmen kann. Weißt du wohl, warum man den klei- nen Kindern das vom Nickelmann vorspricht? Bloß darum, daß sie sich vor dem Wasser fuͤrchten, nicht zu nahe hingehen, hineinfal- len und ersaufen sollen. Das ist die ganze Sache. Einen solchen Nickelmann, wie ihn die Leute beschreiben, giebts gar nicht. Mer- ke das wohl. Naͤmlich einen Kerl oder Weib, die halb nackend im Wasser saͤßen, im Was- ser lebten, und gleichsam wilde Menschen waͤ- ren, die gruͤne Haare haͤtten, und den Kin- dern nachstellten. Das alles ist bloß um der Kinder willen erdichtet. Hast du wohl das gruͤne langhaarigte Mooß gesehen, das sich unten im Wasser, in dem langen Graben vor dem Thore, wo wir immer spazieren gehen, angesetzt hat? Siehe, dieß Wassermooß hat Gelegenheit zu der Erdichtung oder zu dem Maͤhr- Maͤhrchen von den Nickelmannshaaren ge- geben. Was das einfaͤltig ist! Das koͤnnen wir Kinder doch schon begreifen. Erhole dich also von deiner Furcht. Glaube dergleichen Zeug nicht mehr, das der Aberglaube erdichtet, und das alles falsch ist. Es ist fast eben so wie mit dem Nachtwaͤchter und Schornsteinfeger, womit die Kinder- maͤgde die Kinder des Abends zu fuͤrchten machen, als wenn sie die Kinder holten, um ihrer los zu werden, damit sie desto zeitiger sollen zu Bette gehen. Davor hab’ ich mich auch sonst sehr gefuͤrchtet, bis mir meine lie- be Mutter sagte: daß es gute und nuͤtzliche Leute waͤren, die den Kindern nichts zu Lei- de thaͤten. Der liebe Gott hat uns ja gesunden Men- schenverstand gegeben, daß wir das Falsche von solchem Geschwaͤtz einsehen koͤnnen. Laß uns nur vorsichtig seyn, unsern guten Ael- C 4 tern tern folgen, und nicht allein ans Wasser ge- hen; so wird uns kein Nickelmann was thun. Denn es giebt keinen. O! wie dank ich dir, liebes Dorchen, sagte Lottchen, daß du mich von meiner al- bernen Furcht befreyet hast! Ich weiß es nicht: es ist mir nun so leicht in allen Glie- dern. Ich will aufstehen, und gutes Muths seyn. Wie groß ist der Schaden, den die aber- glaͤubische Furcht den Kindern thut! Dieje- gen sind ihre groͤßten Feinde, die sie so zu fuͤrchten machen. Es klebt Ihnen zeitlebens an. Und ihre Nerven werden das Er- schrecken so gewohnt, daß sie bey dem gering- sten Vorfall zusammenfahren, und daher in der Folge Kraͤmpfe und allerley traurige Krankheiten entstehen. X. Die X. Die Zigeuner . A ls neulich Dorchen und Riekchen mit ih- ren Aeltern aufs Land zu ihrer Taute ge- fahren waren; so entstand im Dorfe ein ge- waltiger Laͤrm. Viele Leute versammelten sich. Einige lachten, andere schalten und waren sehr boͤse. Die Jungen riefen: Zi- geuner, Zigeuner . Dorchen und Riekchen waren eben vor dem Hause ihrer Tante, und wollten nach dem Laͤrm hinlaufen. Thut das nicht, lie- ben Kinder! sagte die Tante. Ihr moͤchtet im Gedraͤnge zu Schaden kommen. Indem zogen die Zigeuner vorbey: haͤßliche Leute von Ansehen. Braungelb im Gesicht. Fast alle Dorfjungen hinter her, die noch immer riefen: Zigeuner, Zigeuner. C 5 Die Die beyden Kinder wollten sich verkrie- chen; aber ihre liebenswuͤrdige Tante nahm sie bey der Hand, und sagte: Fuͤrchtet euch uicht vor diesen Leuten: sie duͤrfen euch nichts thun; aber laßt euch nur kuͤnftig nicht von ihnen betruͤgen. O liebe Tante! sagten die Kinder: wir haben ja in unserm ganzen Leben noch nichts von diesen Leuten gehoͤrt. Was sind es denn fuͤr Leute? Sind es denn Menschen? Sie se- hen ja gar zu haͤßlich aus, als wenn sie sich niemals gewaschen haͤtten. Erzaͤhlen sie uns doch was von ihnen. Die Tante setzte sich auf den Stein vor der Thuͤr. Die Kinder traten vor sie, und sie fieng also an, da der Schwarm indessen uͤber die Wiese nach dem naͤchsten Dorfe hinzog. Lieben Kinder! sagte die Tante: die Zi- geuner sind Menschen wie andere Menschen. Sie Sie kommen aus der Tartarey her, wo die Tuͤrken wohnen. Daher nennen sie auch die gemeinen Leute mannichmal die Tatern . Ihr werdet das kuͤnftig verstehen lernen, wenn ihr erst von den Laͤndern der Erde werdet un- terrichtet werden. Es ist ein faules Volk, das nicht arbei- ten will. Daher ziehen sie aus einem Lande ins andere, und ernaͤhren sich vom Betteln, Stehlen, Rauben und Pluͤndern, vom Wahr- sagen und andern betruͤgerischen Kuͤnsten, womit sie die einfaͤltigen Leute hintergehen, und ihnen was weiß machen. In den Staͤdten werden sie nicht gedul- det. Daher habt ihr auch noch keine gese- hen. Sie schleichen sich nur so auf den Doͤr- fern herum, und wenn es die Obrigkeit er- faͤhrt, so muͤssen sie fort. Sie sehen darum so haͤßlich aus, weil sie sich mit Specke im Gesichte schmieren, und in die Sonne legen: auch auch Tag und Nacht unter freyem Himmel liegen. Sie thun das darum, um sich bey den Leuten ein fuͤrchterliches Ansehen zu ma- chen, damit sie ihnen desto eher glauben, und was geben sollen. Ja! sagte Dorchen, liebe Tante! dar- um bettelten sie auch Speck, wie ich hoͤrte, da der Laͤrm angieng. Aber warum sagten sie denn immer: blanke Schwester zu den Bauermaͤdchen? Darum, antwortete die Tan- te, weil sie alle Leute Du nennen, und ihnen schmeicheln, wenn sie sie blank heißen. Denn das bedeutet schoͤn. Aber, fragte Riekchen, liebe Tante! was meynten sie denn vorher mit dem Wahr- sagen? Koͤnnen denn das die Menschen? Ich meynte, das koͤnnte nur der liebe Gott; der waͤre nur allwissend; die Menschen aber nicht. Ja! mein Kind, erwiederte die Tante. Das ist er auch, und bleibt es auch. Da- her her kannst du schon begreifen, daß diese Leu- te Betruͤger sind. Sie geben nur vor, daß sie wahrsagen , oder den Leuten ihr Gluͤck und Ungluͤck vorhersagen koͤnnten: lassen sich dafuͤr bezahlen, und wenn denn die einfaͤlti- gen Leute das glauben, so sind sie um ihr Geld, und zugleich betrogen. Wie machen sie denn das? liebe Tante! fragte Dorchen, wenn sie wahrsagen? Wie sprechen sie denn dabey? Das ist ihre Spra- che, antwortete die Tante, besonders vor den unverheyratheten Bauermaͤdchen und jun- gen Mannspersonen, die sich einander gerne freyen wollen: Ich will dir gute Waare sagen: Du wirst bald heyrathen. Du wirst gluͤck- lich seyn, Haus und Hof bekommen, und recht reich werden. Das hoͤren denn die Leute gar zu gern, und glauben, es sind lauter Wahrheiten. Sie pflegen sich auch wohl vorher nach allen Um- Umstaͤnden der Leute und Haͤuser zu erkundr- gen, was darinnen vorgegangen ist, und sa- gen ihnen viele Dinge, die schon geschehen und ihnen begegnet sind, daß die dummen Leute Nase und Maul aufsperren, und nicht begreifen koͤnnen, woher sie solches wissen, welches doch sehr natuͤrlich zugehet. Sie richten auch oft in den Haͤusern viel Unheil, Argwohn, Neid und Zank an, wenn sie zu den Leuten sagen: sie sollen sich vor die- sem und jenem in Acht nehmen, der sey ihr Feind, und meyne es nicht gut mit ihnen. Dadurch ist oft der Mann der Frau gram ge- worden; die Herrschaft hat sich mit dem Ge- sinde gezankt, und dieses ist unter einander uneins geworden. Ist das nicht abscheulich? Indem kam der Richter des Orts daher gegangen. Die Tante rief ihn an, und frag- te: warum vorher ein solcher Laͤrm gewesen waͤre, und die Jungen so hinter die Zigeuner herge- hergerufen haͤtten? Weil es Betruͤger sind, sagte der Mann. Sie hatten da vor einem Hause wahrsagen wollen, und von den dum- men Leuten schon viel Geld, Brod und Speck, bekommen, als der Sohn des Hauses, der ein vernuͤnftiger Mensch war, oben auf den Boden geht, und sie von oben herunter mit einem Eymer voll Wasser dergestalt begießt, daß sie wie die gebadeten Katzen aussahen. Und nun kam der junge Mensch herunter, und sagte: Leute, was steht ihr da, und hoͤ- ret den Betruͤgern zu? Sie wissen nichts. Sie koͤnnen nichts. Koͤnnten sie wahrsagen und kuͤnftige Schicksale vorherwissen; so haͤt- ten sie auch wohl vorher gewußt, daß ich sie begießen wuͤrde. Da seht ihrs ja, daß es Luͤgner und Betruͤger sind. Das begriffen denn die Leute, und forderten ihr Geld wieder. Das waren aber die Zigeuner nicht Wil- lens wieder zu geben, sondern liefen fort. Die Die Jungen hinter her, und warfen sie mit Dreck. Das war ihr verdienter Lohn, sagten die Kinder; aber der dummen Leute auch, daß sie um ihr Geld sind. Wir wollen uns wohl vor diesen Betruͤgern huͤten. XI. Das Osterwasser . D aß du ja morgen recht fruͤh bey der Hand bist, sagte Marie zu der andern Magd, ehe die Sonne aufgeht: sonst ist alles verge- bens. Warum denn das? fragte Jettchen und Carl. Was wollt ihr denn morgen schon so fruͤh machen? Es ist ja der erste Oster- tag. Eben darum, war die Antwort. Wir wollen Osterwasser holen. Das muͤssen wir vor Aufgang der Sonne holen. Dann faults nicht. nicht. Damit waschen wir uns. Dadurch wer den wir schoͤn, und kriegen auch in dem Jahre das Fieber nicht. Aber warum muß es denn eben Osterwasser seyn? fragten die Kinder. Thuts denn ander Wasser nicht auch? Und warum holt ihrs denn vor Aufgang der Son- ne? Ja! Kinderchen, sagten die Leute, das muß so seyn. So sagt mans, und so hats meine Großmutter schon gehalten. Der Herr Christus ist ja morgen auferstanden. Dann zittert die Sonne, wenn sie aufgeht, und ehe sie denn aufs Wasser scheint, muͤssen wirs holen, und zwar stillschweigend: ja kein Wort reden. Sonst hilft alles nichts. O! nehmt uns mit, riefen die Kinder. Nein! sagten die Leute. Wir muͤssens heim- lich thun. Papa und Mama sind nicht da- fuͤr, und koͤnnen es nicht leiden. Aber es ist doch wahr. Die Kinder baten sehr. Die Leute wollten erst nicht; aber endlich verspra- D chen chen sie es, mit der Bedingung, daß sie ja den Aeltern nichts sagen, auch bey dem Was- serholen nicht reden sollten. Noch an demselben Abend kriegten die Kinder Dorchen, ihre Nachbarin, zu spre- chen. Ein Kind, das schon besser unterrich- tet war, und den dummen Aberglauben gar nicht ausstehen konnte. Wie Kinder sind. Sie koͤnnen nicht lange was verschweigen. So gieng es auch hier. Erst fieng Jettchen an zu buchstabieren: Morgen fruͤh, Carl! nicht wahr? Dann wollen wir recht fruͤh aufstehen. Ja! Jettchen, platzte Carl her- aus, und Osterwasser holen. Dorchen, willst du mit? Was wollt ihr holen? sagte dieses. Ich haͤtte bald was gesagt. Wis- sen es denn eure Aeltern? Nein! die sollen es eben nicht wissen, sagten beyde. Denn sie leidens nicht, haben uns unsere Leute ge- sagt. Wenn du nur wuͤßtest, Dorchen, was was das Osterwasser fuͤr schoͤnes Wasser waͤ- re! Es macht schoͤn, und man kriegt das Fieber nicht. Das sind huͤbsche Dinge, antwortete Dorchen, die ich da hoͤre. Erstlich wollt ihr was wider eurer Aeltern Willen und ohne ihr Wissen thun. Ihr wollt dem Gesinde mehr gehorchen als euren Aeltern. Zwey- tens versuͤndiget ihr euch gegen den lieben Gott. Denn das ist dummer Aberglaube. Ich merke schon, was man euch in den Kopf gesetzt hat. Was hat doch der Herr Chri- stus und seine Auferstehung mit dem Wasser zu thun? Davon bekoͤmmt das Wasser nicht mehr Kraft, als es vorher hat. Laßt euch solch Zeug nicht weiß machen. O! so sag es uns doch, wenn du es besser weißt. Das will ich auch, wenn ihr zuhoͤren wollt. Unsere Leute wollten es auch einmal so machen. Da erfuhr es mein Va- D 2 ter, ter, und brachte sie bald davon ab. Leute, sagte der Vater, glaubt doch das nicht, daß das Wasser durch die Auferstehung Christi besondere Kraͤfte bekomme. Wo steht das? Wo habt ihr das je gelesen? Welcher ver- nuͤnftige Mensch glaubt das? Ja! sagten die Leute, das ist doch wahr, daß das Oster- wasser nicht faul wird. Das kann seyn, sagte der Vater; aber womit beweiset ihr denn, oder woher wisset ihr das, daß das von der Kraft der Auferstehung Christi koͤmmt? Wenn ich euch nun zeige, daß es von ganz natuͤrlichen Ursachen herruͤhrt, wol- let ihr denn euern Aberglauben ablegen? Und nun sagte der Vater weiter. Ostern faͤllt gemeiniglich so im Fruͤhjahr, in dem Monat, da der Schnee aufgeht, und ins Wasser fließt. Im Schnee sind viele Salz- theile, die das Wasser erhalten, daß es nicht faul wird. Wenn ihr das Fleisch recht ein- salzt, salzt, so wirds auch nicht faulen. Und wenn ihr mitten im Sommer viel Salz ins gemeine Wasser thut, so steht es Jahre lang, und wird nicht faul werden. So ist es mit diesem Wasser auch. Begreift ihr das nun wohl, daß das Osterwasser darum nicht fault, weil es viel Salz in sich hat? Das uͤbrige haben die einfaͤltigen Leute erdacht und dazu gesetzt. In der Baumannshoͤhle ist in der ersten Hoͤhle in der Felsenwand ein kleines drey- eckigtes Loch, welches immer voll Wasser steht. Wißt ihr noch wohl, daß ich vor zwey Jahren eine Bouteille voll mitbrachte? Ich habe sie aufgehoben, und so stehet sie noch im Keller. Das Wasser ist nicht faul geworden. Denn es hat viel Salz bey sich. So ists mit dem Osterwasser auch. Was wollt ihr nun thun? fragte Dor- chen die Kinder. Wir wollen schoͤne liegen D 3 blei- bleiben, antworteten sie, wenn das so ist. Sie giengen nach Hause, sagten das den Leu- ten. Diese schaͤmten sich, und legten ihren Aberglauben ab. So kann ein vernuͤnftiges Kind, wenn es gut unterrichtet ist, viele bessern. XII. Das neidische Kind. N eulich Abend saßen Lottchen und Haͤns- chen bey einander am Tische, und hat- ten beyde Braten, Birnen und andere schoͤne Sachen, vollauf gehabt. Haͤnschen war so satt, daß er nichts mehr essen konnte. Lott- chen aber war aͤlter und groͤßer. Auf Haͤns- chens Teller lagen noch ein paar geschmorte Birnen. Diese bat sich Lottchen ganz sach- te mit vieler Bescheidenheit von ihm aus, daß daß es niemand hoͤrte. Haͤnschen aber biß die Zaͤhne zusammen, riß den Teller nach sich, und schrie uͤberlaut: nein! ich will nicht, du sollst sie nicht haben. Die Gefellschaft sahe auf, weil sie nicht wußte, was vorgegangen war. Das be- scheidene artige Lottchen wurde roth im Ge- sichte; Haͤuschen aber hielt noch beyde Haͤn- de uͤber den Teller. Die Mutter fragte, was vorwaͤre, und dachte erst, Lottchen haͤt- te ihrem Bruder was zu Leide gethan. Die- ses aber erzaͤhlte die Sache, wie sie war. Da mußte Haͤnschen vom Tische, vorher aber erst zusehen, daß Lottchen seine beyde Birnen und noch mehr schoͤne Zuckersachen bekam. Hernach mußte er hinaus auf den Hof, und eine ganze Stunde in der Hunde- huͤtte zubringen. Ihr Kinder, die ihr dieses leset, denkt nicht, daß diese Strafe zu hart war: ein D 4 Kind Kind zu dem Hund in die Huͤtte zu stecken. Haͤnschen hatte das durch seinen hundischen Neid verdient. Bedenkt nur, was er that, und wie er gesinnet war. Er war voͤllig satt, und wollte auch die beyden Birnen, die er noch auf dem Teller hatte, und selbst nicht mehr essen konnte noch mochte, seiner Schwe- ster nicht einmal goͤnnen. Sie sollten lieber umkommen, als daß er sie mit gutem Wil- len andern gegeben haͤtte. War das nicht hundischer Neid? Just so machens die Hun- de. Wenn sie sich satt gefressen haben, und es bleibt noch was uͤbrig; so legen sie die Pfoten darauf. Koͤmmt nun ein anderer Hund, der noch gar nichts gefressen hat; so weisen sie die Zaͤhne, und fahren auf ihn los. Also hatte Haͤnschen eine wahre Hundeseele . Wie beschimpfte er sich und seine Aeltern vor der ganzen Gesellschaft! Hatte er also nicht diese Strafe verdient? Er gehoͤrte nicht mehr mehr unter die Menschen, die sich unter ein- ander lieben, und alles Gute goͤnnen sollen; sondern unter die Hunde. Was wuͤrde kuͤnf- tig einmal aus ihm geworden seyn, wenn dieses Hundelaster , der Neid , mit ihm groß geworden waͤre? Wuͤrde er wohl einmal ei- nem armen Menschen was gegoͤnnt oder ge- geben haben? Wuͤrde er nicht ein rechter Geiz- hals geworden seyn? Die Strafe that ihre gute Wirkung. Als die Gesellschaft weggegangen war, kam Haͤns- chen wieder aus dem Hundeloche, und nun wurde ihm alles so erklaͤrt, daß er es selbst fuͤhlte, daß er Unrecht gethan hatte, und wie abscheulich der Neid sey. Er thats nicht wieder. Und wenn sich manchmal der Neid noch regte; so durfte man nur Hund oder Knochen sagen. Gleich besann er sich, und wurde besser. D 5 Wenn Wenn ihr Kinder straft, so straft sie nie so, daß sie nicht wissen, warum? Derglei- chen Strafen bessern kein Kind; sondern ma- chen es nur verstockter. Ihr Kinder! ihr koͤnnt euch kein haͤßli- cher Laster angewoͤhnen, als den Neid, weil es euch den Hunden gleich macht. XIII. Das muthwillige und grausame Kind. D er Muthwille macht allemal grausam und unbarmherzig. Das seht ihr fast an allen Kindern, die vor Muthwillen nicht mehr wissen, was sie thun sollen. In der Maykaͤserzeit fangen sie nicht nur diese Thie- re; sondern sie quaͤlen sie auf die unbarmher- zigste Weise. Sie stechen ihnen Nadeln durch durch die Fuͤße. Sie reißen ihnen die Bei- ne, die Fluͤgel, und ein Glied nach dem an- dern aus. Was macht sie so grausam? Nichts als der Muthwille. Kinder! ich will euch hiervon ein artiges Histoͤrchen erzaͤhlen. Ich war einmal auf dem Lande bey einem Prediger, der viele Kin- der hatte, der sie aber ganz vortrefflich er- zog. Die Mutter that es ebenfalls. Wir saßen des Abends nach Tische vor dem Gar- ten, daß wir nach dem Hofe hinsehen konn- ten. Da sahen wir, daß Wilhelm mit einer Ruthe eine Ente vor sich herjagte. Das gieng erst auf dem Hofe herum. Dann zum Thorwege heraus ins Dorf. Dann wieder auf den Hof. Das arme Thier konnte zu- letzt nicht mehr fort, sondern blieb liegen und sperrte den Schnabel weit auf, weil es keine Luft mehr hatte. Dessen ohnerachtet schlug er mit der Gerte immer drauf los. O das arme arme Thier! sagten die andern mitleidigen Kinder, die bey uns standen. So macht es Wilhelm immer, und so grausam geht er mit den Thieren um. Stille, ganz stille, sagte die Mutter: er solls gewiß nicht wieder thun. Sie gieng vor nach dem Hofe, und holte einen Strick. Nun rief sie Wilhelmen, der ganz außer Athem in den Thorweg kam, und noch sag- te: das war eine rechte Lust. Die Mutter stellte sich, als haͤtte sie nichts gesehen, und fragte: was hast du denn fuͤr eine Lust ge- habt? Da, antwortete er, hab’ ich die En- te brav herumgejagt, daß sie nicht mehr kann. So, sagte die Mutter, das gefiel der Ente wohl recht wohl? und indem hatte sie ihn beym Arme, machte ihm den Strick um den Leib, und nahm ihm die Gerte weg. Ma- ma! rief er, was wollen sie machen? Ich habe ja nichts gethan. Lauf! Lauf! war die Ant- Antwort. Er wollte nicht fort, nun schlug sie mit der Gerte an die Fuͤße, daß er laufen mußte, und eher schlug sie nicht, als bis er nicht laufen wollte. Ach Mama! rief er: sie jagen mich todt. Weiter keine Antwort: als, so gefaͤllts der Ente . Und nun wie- der fort. Das gieng so lange, bis sie merk- te, er wuͤrde sich zu sehr erhitzen. Da hoͤr- te sie auf. An jeder Ecke auf dem Hofe, wo die Jagd durchgieng, und wo er die Ente getrieben hatte, hieß es allemal: Sieh’, so gefaͤllts der Ente . Als er wieder los kam, wurde ihm erst sein Muthwille und seine Grausamkeit noch einmal vorgehalten. Die andern Kinder lachten ihn brav aus. Und wenn er kuͤnf- tig wieder grausam seyn wollte, so durfte man nur sagen: Die Ente. Die beste Art, Kindern Muthwillen, Tuͤcke und Grausamkeit abzugewoͤhnen, ist diese: diese: wenn man ihnen eben das thut, und sie ein gleiches empfinden laͤßt, was sie an- dern thun. So wurde dem muthwilligen Benjamin, der immer andere Kinder mit Nadeln stach und kneipte, die Unart abgewoͤhnt, daß er zur Strafe wieder mit Nadeln gestochen und gekniepen wurde. Lernt hieraus, Kinder! was ihr wollt, das euch andere thun sollen, das thut ihr ihnen auch. XIV. Das weichliche Kind. E s ist gar nicht gut, wenn die Kinder zu weichlich erzogen werden. Sie werden dadurch so empfindlich, daß sie gar nichts tragen und ausstehen koͤnnen, und bey der geringsten Kleinigkeit, wenn sie ein Sand- korn korn im Schuhe haben, oder sich ein bischen mit der Nadel reißen, aus der Haut fahren wollen. So hatte sich Albertine gewoͤhnt. Ueber alles, was ihr begegnete, war sie empfind- lich. Bald war es zu warm, bald zu kalt: bald zu windicht, bald zu naß, bald zu stau- bicht. An ihren Koͤrper durfte kein Luͤftchen wehen, so meynte sie schon, sie waͤre erstickt. Bey Tische, wenn die Suppe gegessen wur- de, wobey alle andere Kinder ruhig waren, stellte sie sich an, wenn sie den ersten Loͤffel nahm, als ob sie sich aufs aͤußerste verbrannt haͤtte, sperrte das Maul weit auf, und wur- de von den andern immer brav ausgelacht. Kams nun einmal, daß sie sich in eine Na- del riß, oder gestoßen, oder einen kleinen Fall gethan hatte; oder daß sie wohl gar krank wurde; so haͤtte man das Ungluͤck sehen sol- len. Ihre Aeltern hatten manchen Verdruß und und Schrecken daruͤber. Wenn sie mit an- dern Kindern spielte, und es kam ihr eins zu nahe, oder trat ihr ein bischen auf den Fuß, wie es unter lebhaften Kindern hergeht; so schrie sie so entsetzlich auf, daß man glauben mußte, sie waͤre dem Ende nahe. Das Ge- sinde stand entsetzlich viel mit ihr aus. Und was das aͤrgste war; so konnte sie manch- mal uͤber eine Kleinigkeit eine halbe Stunde weinen und schreyen. Weil sie uͤber alles empfindlich war, so war auch ihr Ton und ihre Sprache fast immer weinerlich und mauig, wie die jungen Katzen oder Hunde zu mauen pflegen. Die Aeltern betruͤbten sich ordent- lich daruͤber, und wußten nicht, wie sie ihr diese Unart abgewoͤhnen sollten. Aus der Weichlichkeit wurde zuletzt Eigensinn und Trotz. Endlich gewoͤhnte sie sich das Ding von selbst ab; oder die Unart gewoͤhnte sich selber ab. ab. Wegen ihrer Weichlichkeit und Em- pfindlichkeit war sie auch andern Kindern un- ertraͤglich. Denn sie verdarb allemal das Spiel. Was geschah? Die andern Kin- der vexirten sie zuletzt so, daß es immer hieß: Da koͤmmt die Mibbe wieder. Denn so nennten sie das mauige Wesen, das sie an sich hatte. Dieß verdroß sie zwar anfaͤng- lich sehr, und sie wollte daruͤber auch mauen. Weil sie aber bey den Aeltern keinen Beyfall fand, und ein Spott der andern Kinder wur- de; so fuͤhlte sie es nach und nach, und bes- serte sich. Dazu kam, daß sie manchmal sahe, wie sich einige harte Jungen, die noch viel juͤuger als sie waren, rissen, verwunde- ten, die Finger quetschten, auf die Nase fie- len, daß das Blut hinfloß, und doch keine Miene verzogen, und keine Thraͤne fallen lies- sen. Das beschaͤmte sie, und sie beschloß bey sich selbst: ich will auch nicht mehr so E weich- weichlich seyn, weil ich dadurch mir selbst und andern zur Last werde. XV. Die Lerchenjagd . E ine groͤßere Lust hab’ ich in meinem Leben nicht gehabt, sagte Dorchen zu ihren Gespielinnen, als sie mit ihrem Vater auf dem Lande gewesen war. Nun, das muß doch recht was besondres gewesen seyn, sag- te die schnipsche Jette, die sich uͤber alles auf- hielt, und nichts lobte, was andere lobten, und alles lobte, was andere tadelten. Ja! das war es auch, antwortete Dorchen, ich habe eine Lerchenjagd gesehen, die ich mir in meinem Leben nicht haͤtte traͤumen lassen, daß sie nur moͤglich waͤre. Sachte, sachte, sprach Jettchen, nur nicht so groß gethan. Die Die sehe ich fast alle Abend im Herbst mit meinen Aeltern, wenn die Netze aufgestellt, und die Lerchen eingetrieben werden. Das ist gar nichts neues. So gehts den Kin- dern, die nicht aus der Stube kommen. De- nen ist alles neu. Auch das Lerchenstreichen. So habe doch Geduld, Jettchen, bis ichs erzaͤhlt habe. Gar nicht am Abend mit Netzen hab’ ich die Lerchen fangen gesehen; sondern am hellen Tage bey klarem Sonnen- schein. Und zwar auf eine so poßierliche Art, daß sich die Dinger selbst zu ihrem Tode hin- stellten. Das muß ich gestehen, erwiederte Jette. Du hast gewiß Lust uns aufzuziehen, oder was weiß zu machen. Nein, sagte das ehrliche Dorchen, das ist meine Sache nicht. Wenn du nicht zuhoͤren willst, so laß es bleiben. Dein schnipsch Wesen kannst du vor dich behalten. Kommt, Kinder! ich wills euch erzaͤhlen. E 2 Als Als wir vorige Woche bey dem Hrn. von * * * * * waren, sagte derselbe zu meinem Va- ter: Morgen will ich ihnen mit einer beson- dern Lerchenjagd eine rechte Lust machen. Er befahl dem Jaͤger, alle Vogelflinten mit klei- nem Schrot zu laden, und die Jagdmaschine parat zu halten. Ich habe diese Jagd, sag- te er, in Italien bey Rom auf dem Lande gesehen, und sie gluͤcklich nachgemacht. Des andern Morgens nach dem Koffee giengen wir aufs Feld, wo viele Lerchen waren. Die Sonne schien ungemein helle. Denn bey Sonnenschein kanns nur gemacht werden. Der Jaͤger trug die Flinten, und die Maschine zur Jagd. Dieß ist ein ganz pos- sterliches Ding. Es ist ein hoͤlzernes Pul- pet, etwan eine halbe Elle lang, und drey viertel Elle breit. Auf der ganzen Flaͤche sind viele kleine runde Spiegel, in der Groͤße eines Thalers, eingelegt. Dieß Pulpet ste- het het auf einem Ellen langen Stiele, den man: in die Erde steckt, und an welchem es mit ei- nem Bindfaden kann herumgedrehet werden. Als der Jaͤger es festgemacht hatte; so begab er sich wohl dreyßig Schritt mit dem Bind- faden davon. Mein Vater und noch wohl sechs andere, nahmen die Flinten. Nun fieng der Jaͤger an, das Ding nach der Son- ne zu drehen. Die uͤberfliegenden Lerchen sahen ihr Bild von weitem in den Spiegeln, die sehr weit hinstralten, und kamen herzu- geflogen. Nicht etwan eine oder ein paar, sondern einige zwanzig bis dreyßig, und schwebten uͤber den Spiegeln, so daß sie in der Luft still zu stehn schienen. Da schossen sie drunter, und bekamen den Vormittag wohl einige hundert. Was sagst du nun, Jettchen? Hast du dergleichen Lerchenjagd schon gesehen? Das ist wahr, antwortete diese. Das hab’ ich E 3 noch noch nicht gehoͤrt. Aber warum moͤgen die dummen Lerchen nach den Spiegeln fliegen? Koͤnnen sie nicht wegbleiben? Die Lerche, er- wiederte Dorchen, ist ein neidischer Vogel, wie wir an denen in der Stube sehen. Kei- ne darf der andern zu nahe kommen; so giebt es was zu kreischen und zu zanken. So bald sich nun so viele auf einmal im Spiegel sehen, so fahren sie drauf los, in der Mey- nung, daß es wirkliche Lerchen sind. So weiß der Verstand und die Klugheit der Menschen die Triebe der Thiere wider sie selbst anzuwenden. XVI. Von XVI. Von Kindern, die nichts einneh- men wollen. I ch sagte einmal zu einigen Aeltern, die mir klagten, daß ihre Kinder schlechter- dings nichts einnehmen wollten, wenn sie krank waͤren: sie waͤren daran selbst Schuld. Ich zoͤge meine Kinder von der Zeit an, da sie abgewoͤhnt waͤren, wie die jungen Hunde. Denn mit ihrer Seele sey noch nichts anzu- fangen; also muͤsse man bloß den Koͤrper mechanisch gewoͤhnen. Da muͤßten sie alles thun lernen, was ich haben wollte. Wie man sie da gewoͤhne, so waͤren sie, und das kaͤme ihnen vortrefflich zu Statten, wenn sie zu Verstande kaͤmen, daß man sie bedeuten koͤn- ne. Das waͤre die Sache auch mit dem Arz- neyeinnehmen. Wenn man dazu die Kinder beyzeiten gewoͤhnte; so duͤrften sie sich nicht E 4 durch durch Zwang erboßen; sondern thaͤten es gerne. Aber das wurde mir erschrecklich uͤbel genommen, daß ich so sprach. Ich ließ das gehen, und befand mich bey meiner mechanischen Kinderzucht sehr wohl. Weil dieses wirklich vielen Aeltern große Noth macht; so will ich sagen, wie ichs an- gefangen habe. Die erste Ursache, die den Kindern das Einnehmen so schwer macht, ist der Fehler der Aeltern, daß sie den Kindern von der Zeit ihrer Abgewoͤhnung lauter Suͤ- ßigkeiten, Naͤschereyen und wohlschmeckende Sachen geben. Man gebe ihnen zuweilen etwas Bitteres unschaͤdliches, etwas Salz auf die Zunge und dergleichen. Man gebe ihnen so wenig Suͤßigkeiten als moͤglich. Denn wie viele Kinder koͤnnen und muͤssen ohne dieselben leben! Sind sie wenig an das Suͤße gewoͤhnt, und des Bittern schon et- was gewohnt; so wird ihnen das Einneh- men men desto leichter. Denn es ist eine wahre Plage des Arztes, wenn er sich nach dem Ge- schmack eigensinniger Kinder und wunderli- cher Aeltern richten muß. Meine Kinder vom zweyten bis dritten Jahre sind dadurch so gewoͤhnt, daß ich zum Arzte sagen kann: geben sie, was sie wollen. Im dritten Jahre faͤngt der Verstand und das Begreifen schon an zu keimen, und der Nachahmungstrieb regt sich. Da hab’ ichs mit meinen Kindern so gehalten. So oft ich oder die Mutter was einnahmen, ha- ben sie zugesehen. Vater! hieß es, was ist das? wie schmeckt das? Antwort: das schmeckt nicht wie Zucker; aber man wird da- durch wieder gesund. Es ist wider die Krank- heit. Vater! mir ein Bißchen. Das hab’ ich ihnen nie abgeschlagen; sondern allezeit, wenn es ohne Schaden geschehen konnte, et- was abgegeben. Nie sahen sie, daß Vater E 5 oder oder Mutter nach der Arzney Zuckerstuͤcken nahmen, oder die Mienen verzogen, und vor Ekel sich brechen wollten. Sehen das die Kinder einmal an den Aeltern, so ist alles verloren. Ich rathe daher allen zaͤrtlichen Muͤttern, denen der Abscheu vor Arzeneyen natuͤrlich ist, daß sie ja solchen vor den Kin- dern nicht merken, und sie daher lieber nicht zusehen lassen, wenn sie was einnehmen. Je mehr nun der Verstand bey dieser me- chanischen Gewohnheit zunimmt, und sie die Absicht und den Nutzen der Sache einsehen lernen; desto weniger scheuen sie sich vor dem Einnehmen. Ist aber diese Gewohnheit nicht von Kindheit auf da, so mag der Verstand nachher sprechen was er will; es wird ih- nen Zeitlebens der Ekel und Abscheu vor dem Einnehmen natuͤrlich bleiben. Dorchen, ein Kind von fuͤnf Jahren, kam neulich zu Carln, der die Pocken hatte, und und absolut nichts einnehmen wollte, ohner- achtet er schon bald acht Jahre alt war. Man bat ihn, man versprach ihm, man stand mit der Ruthe uͤber ihm. Alles vergeblich. Der Junge erboßte sich, und die Pocken waͤ- ren beynahe zuruͤckgetreten. Dorchen er- staunte, und fragte: was er nicht einneh- men wollte? Es war ein bischen Rhabar- ber. Gebt mirs her, sagte das Kind, und nahm es vor seinen Augen ein. Da schaͤm- te er sich, und thats auch, brachs aber wie- der weg, weil er nie mechanisch dazu ge- woͤhnt war. Wie viele Kinder sterben bloß davon, daß sie nichts einnehmen wollen! Soll man mehr den Kindern oder den Aeltern die Schuld geben? XVII. Das XVII. Das vorwitzige Kind. K inder! ich kann euch nicht genug vor dem Vorwitz warnen. Es ist entweder blos- ser Muthwille, der die Kinder vorwitzig macht, oder sie wollen sich was vor andern sehen lassen, daß sie Dinge unternehmen, wozu ihre Kraͤfte noch nicht hinreichen, die selten, selten gluͤcklich abgehen, und mehren- theils die traurigsten Folgen haben. Ich kann euch davon viele klaͤgliche Exempel er- zaͤhlen. Vor ohngefaͤhr acht Wochen hat sich in Dessau folgende traurige Geschichte zugetra- gen. Ein Predigerssohn von neun Jahren bittet seine Aeltern, daß er doch mit nach Werlitz gehen duͤrfe, wo der Fuͤrstin Geburts- tag gefeyert wurde. Es wird ihm abgeschla- gen, weil die Aeltern nicht dabey seyn konn- ten, ten, und der Vater den Sonntag darauf sei- ne Abschiedspredigt halten mußte. Als der Tag koͤmmt, gehet der Knabe des Morgens um acht Uhr nach der Schule, weil aber kei- ne Schule ist, so denkt er, du willst hinaus- laufen, und zu Mittag wiederkommen; so hast du doch die Luft gesehen, und deine Ael- tern denken, du bist in der Schule gewesen. Das war schon Unrecht, daß er das wi- der seiner Aeltern Willen und Wissen that, und sogar denselben vorluͤgen wollte, er sey in der Schule gewesen. Es kam aber ganz anders, als er dachte. Er macht sich also auf den Weg, weiß aber nicht, daß es auf drey Stunden weit zu gehen ist, haͤngt sich mit auf einen Wagen, und koͤmmt gluͤcklich hinaus. Weil es sehr kothiger Weg ist, so muß er warten, bis die Wagen des Abends wieder hereinfahren, und so faͤhrt er auch wieder mit. Wenigstens hat hat man vermuthet, daß es so gekommen sey. Denn draußen auf dem Platze haben ihn viele Leute gesehen. Wie viele Angst moͤgen nicht da seine Ael- tern schon ausgestanden haben, als er den Mittag nicht nach Hause koͤmmt, und sie er- fahren, daß keine Schule gewesen sey! Dar- an war er doch Schuld. Als er des Abends im Finstern zuruͤck- koͤmmt, will er sich vermuthlich an der Mul- damuͤhle die Schuh abwaschen, mag in einen Kahn treten, oder wie es gekommen ist. Kurz, er ist weg, faͤllt ins Wasser, geraͤth unter die Muͤhlraͤder; kein Mensch ist da. Es ist stockfinster, und er muß elendiglich um- kommen. Niemand weiß, wo er geblieben ist. Der Abend koͤmmt; er aber koͤmmt nicht wieder. Er wird die ganze Nacht gesucht, des andern Tages gesucht. Der gnaͤdige Fuͤrst laͤßt ihn selbst selbst durch viele Leute in der ganzen Gegend in allen Buͤschen suchen. Alles vergeblich. Er ist weg. Stellt euch einmal, Kinder! die ihr dieses leset, dabey die Angst der Ael- tern vor, unter den Umstaͤnden vor, da sie Montags darauf von Dessau wegziehen wollen. Endlich merkt der Muͤller des Sonna- bends Nachmittags, daß das eine große Muͤhlrad stockt. Er nimmt eine Stange, und stoͤßt unter dem Rade herum. Da fuͤhlt er, daß was unten durchgeht, und das Rad wieder umgeht. Gleich darauf stockt das andere. Er nimmt einen Haken, und visi- tirt wieder. Da wird denn endlich das elen- diglich zerschmetterte Kind herausgezogen, und in dem Zustande seinen Aeltern ins Haus gebracht. Noch an demselben Abend wird er begraben. Der arme Vater muß Tags darauf seine Abschiedspredigt halten, seinem eige- eigenen verungluͤckten Kinde die Danksagung thun, den Montag abreisen, und seine Ge- beine in Dessau lassen. Was empfindet ihr bey dieser Geschichte, wenn ihr euch das Schicksal dieses verun- gluͤckten Kindes, und die Traurigkeit der Ael- tern recht lebhaft vorstellet? Gott bewahre doch alle Aeltern, daß sie dergleichen nicht erleben. Es ist so entsetzlich, daß ich mirs kaum denken kann. War nicht aber der Kna- be erstlich durch seinen Ungehorsam , hernach durch seinen Vorwitz , an allein Schuld? Hat er nicht dadurch schon an dem ersten Tage seinen Aeltern so große Angst und Un- ruhe gemacht? Hat er sich dadurch nicht selbst den elenden und jaͤmmerlichen Tod zugezogen? Hat er nicht dadurch seinen armen Aeltern das unaussprechliche Herzeleid verursacht, daß sie ihn und seine zerschmetterte Leiche muß- ten ten begraben lassen, und mit so vielen tau- send Thraͤnen von Dessau wegziehen? O Kinder! solche Folgen haben Unge- horsam und unzeitiger Vorwitz! Sie haben gewiß schon viele Kinder elendiglich ums Le- ben gebracht. Ich weiß noch mehr Exempel. Ich hab’ es selbst einmal mit meinen Au- gen gesehen, daß im Winter einige Knaben an einem uͤbergefrornen Flusse heruntergien- gen. Da hieß es gleich: wer hat das Herz, uͤber das Eis zu gehen? Keiner wollte erst dran. Endlich sagte Wilhelm: wenn keiner will; so will ichs thun. Er war kaum eini- ge Schritte auf dem Flusse hingegangen, so brach das Eis, und er war in einem Augen- blicke weg. Erst nach einigen Wochen, da das Wetter aufgieng, wurde er todt wieder herausgezogen. Auf dem Eise ist schon so manches Kind ungluͤcklich gewesen. Alles Folgen des Vorwitzes. F XVIII. XVIII. Das verschwiegene Kind. L ottchen und Dorchen waren beyde ein Paar sehr verschiedene Kinder. Lottchen die Schwatzhaftigkeit selbst. Dorchen ver- schwiegen. Nichts, gar nichts durfte in der Aeltern Hause vorgehen, so wußtens alle Kinder in der Schule, alle Maͤgde, alle Nachbarn. Was gegessen, getrunken, gesprochen war: alles sagte Lottchen wieder. Die unschul- digsten Dinge, auch was ihr verboten wur- de, klatschte sie wieder aus. Natuͤrlicher Weise mußten daraus allerley Mißverstaͤnd- nisse, Klatschereyen und Verdruͤßlichkeiten entstehen. Denn es giebt immer so schlechte, neugierige und boshafte Leute, welche die Kinder ausfragen, und das mißbrauchen, was diese aus kindischer Einfalt wiedersagen. Die Die Aeltern wußten oft nicht, wo die Klat- schereyen herkamen. An dem allen war das schwatzhaftige Kind Schuld. Auch unter andern Kindern hatte sich Lottchen dadurch so verhaßt gemacht, daß ihr keins mehr trauete. Wenn sie nur ir- gend etwas von andern Kindern wußte; so mußte es heraus. Daraus entstanden viele Zaͤnkereyen unter den Kindern, und selbst un- ter den Aeltern. Kann man das wohl loben, daß Lott- chen so schwatzhaftig war, und nichts bey sich behalten konnte? Bosheit war es wohl eben nicht; aber doch eine so uͤble Gewohn- heit, wodurch sie sich und andern schadete. Es war nicht anders, als wenn es ihr das Herz abstoßen wollte, wie man zu sagen pflegt, wenn sie etwas verschweigen sollte. Man gewoͤhnte ihr diesen Fehler dadurch ab, daß man von ihr auch alles wieder sagte, was F 2 man man nur wußte. Das war ihr empfindlich, und sie sahe es nun ein, daß das andern eben so wenig, als ihr selbst, gefallen konnte. Dorchen war ein ganz anderes Kind, und beyzeiten zur Verschwiegenheit gewoͤhnt. Man ließ es vom Anfange an nicht alles wis- sen und erfahren, wornach es fragte. Es mußte zuweilen, wenn auch Vater und Mut- ter ganz allein waren, aus der Stube gehen, weil man ihm sagte: daß man was sprechen wollte, das es nicht hoͤren sollte, indem man befuͤrchtete, es wuͤrde es gleich dem Gesinde, oder andern wieder sagen. Dieß schmerzte dasselbe, besonders wenn der Vater sagte: ich kann dir noch nicht recht trauen, daß du es nicht andern wiedersagst, und mir dadurch Verdruß machest. O nein! sagte das Kind, lieber Vater! das will ich nicht thun, zumal wenn ich weiß, daß Sie es nicht haben wol- len. Man machte daher mit einigen gleich- guͤlti- guͤltigen Dingen die Probe, und verbot es ihm. Es hielt die Probe, und sagte nichts wieder. Da es nun darinn schon geuͤbt war; so wurde es immer verschwiegener, als es zu Verstande kam, und selbst einsahe, was die Schwatzhaftigkeit fuͤr verdruͤßliche Folgen nach sich ziehe. Selbst wenn der Vater der Mutter ein Weyhnachtsgeschenk geben wollte, wurde es ihm anvertrauet, und dabey gesagt, daß es dafuͤr apart sollte beschenkt werden, wenn es reinen Mund hielte. Die Mutter drang in es, daß es doch sagen sollte, was der Vater bescheeren wuͤrde; sagte auch wohl dabey: du bist mir ungehorsam. Da sagte das lie- be Kind: Mutter, ich kann nicht, und darf nicht: der Vater hats mir verboten: ich wuͤr- de ihm eine Freude nehmen: verlangen sie es doch nicht. Die Thraͤnen kamen ihm in die F 3 Au- Augen, und die Mutter lobte es sehr, daß es so verschwiegen waͤre. Welches von beyden Kindern ist nun wohl das beste: das schwatzhaftige oder das verschwiegene? XIX. Vom Angeben . K inder koͤnnen sich durch nichts verhaßter machen, als wenn sie bestaͤndig andere angeben. Franz ist ein rechter Spion im Hause. Er thut fast nichts anders, als daß er das Gesinde belauert, und alles wieder angiebt, was er gesehen und gehoͤrt hat. Daher sind ihm die Leute so gram, daß sie ihn den Spion nennen. Wenns nur auch alles wahr waͤre, was er angiebt. So aber luͤgt er vieles hin- zu, zu, oder macht die Dinge groͤßer, als sie sind, verklatscht und verkleinert das Gesinde. Wenn denn die Leute brav ausgemacht wer- den, das hoͤrt er gerne. Daruͤber kitzelt er sich. Was bewegt ihn also zum Angeben? Nichts als Tuͤcke und Schadenfreude . Unter andern Kindern macht er es eben so. Die unschuldigsten Heimlichkeiten der Kinder giebt er an. Wenn sich einmal ein Paar Kinder um einer Kleinigkeit willen ge- zankt haben; so giebt ers bey dem Lehrer oder bey den Aeltern an, mit vielen falschen Zu- saͤtzen. Wenn denn die Kinder davon Un- willen haben, Keife und Schlaͤge kriegen, so freuet es ihn in der Seele. O der Schadenfroh! Wie gefaͤllt euch das Betragen dieses Knabens? Was wird einmal aus ihm werden, wenn er groß wird, und den Fehler behaͤlt? Es wird ihm erge- hen, wie einem gewissen Studenten, der auch F 4 das das Angeben nicht lassen konnte, als er auf die Universitaͤt kam. Er hatte davon vielen Verdruß, und machte sich lauter Feinde. Endlich verschworen sich einige wider ihn, die er gar zu sehr durch sein Klatschen und An- geben beleidiget hatte, lauerten ihm des Abens auf, und hieben ihn krumm und lahm. Das hatte er nun davon. Es ist eine haͤßliche Gesinnung, andere anzugeben, und sich daruͤber zu freuen, wenn sie Unwillen haben. Franz blieb lange bey seiner uͤblen Gewohnheit, bis ein anderer uͤber ihn kam, der noch ein aͤrgerer Schaden- froh als er selbst war. Der machte es mit ihm eben so. Da giengen ihm die Augen auf, und er besserte sich. XX. Das XX. Das naschige Kind. D as Naschen war Riekchen so zur Ge- wohnheit geworden, daß sie es gar nicht mehr lassen konnte. Woher kam das? weil sie von allem, was vorkam, und was sie sahe, etwas haben mußte. Wo sie gieng und stand, hatte sie die Ficken voll Ro- sinen, Mandeln und trockener Pflaumen. Ehe das Mittagsbrod gegessen wurde, quaͤl- te sie die Koͤchin so lange, bis sie ihr was aus jedem Topfe geben mußte. So oft die Mutter auf die Vorrathskammer gieng, war sie hinter her, und benaschte alles, was da war. Was folgte daraus? sie gewoͤhnte sich durchs Naschen das Stehlen an. Wenn sie zu der Zuckerdose kommen konnte, nahm sie Zucker heraus, und andere Dinge mehr. Das gieng so weit, daß das Gesinde vielen F 5 Unwil- Unwillen davon hatte, weil man ihnen Schuld gab, sie haͤtten die Sachen gestohlen. Riekchen war so boshaft, daß sie es wohl be- staͤrkte, was sie selbst gethan hatte. Als sie groß wurde, und selbst eine Haushaltung bekam, war und blieb ihr das Naschen so na- tuͤrlich, daß sie immer aus der Ficke aß. Das Gesinde und ihre eigene Kinder machten das so nach. In kurzer Zeit gieng die Haushal- tung zu Grunde, und sie wurden alle arm. So folgt ein Boͤses aus dem andern, bis es endlich zum aͤußersten Schaden und Ver- derben ausschlaͤgt. Moͤchten nur nicht die Muͤtter selbst oft Gelegenheit und Anlaß zu dieser boͤsen Gewohnheit geben! XXI. Das XXI. Das vorschreibende Kind. E s ist nichts unangenehmer, als wenn man in einer Gesellschaft am Tische ist, wo die Kinder nichts thun als vorschreiben. Mutter, mir noch Suppe. Mutter, mir noch Brod; mir noch Braten; mir noch Bir- nen. So gieng das bestaͤndig, daß man sein eigen Wort nicht hoͤren konnte. Kinder muͤssen gar nicht vorschreiben, sondern war- ten, bis sie das Ihrige bekommen. Die Ael- tern aͤrgern sich oft am Tische daruͤber, und sind doch selber Schuld, daß die Kinder so vorschreiben, und gleichsam uͤber sie herrschen, daß sie sich selbst oft nicht helfen koͤnnen, und vor den Fremden schaͤmen muͤssen. O wie artig und bescheiden ist dagegen Dorchen! Sobald es seine Aeltern mit an den Tisch nahmen, war das die erste Regel: wer wer was fordert oder vorschreibt, kriegt nichts. Darauf wurde aber auch strenge gehalten. Alles, was das Kind forderte, kriegte es schlechterdings nicht. Neulich wurde es einmal, da es an einem besondern Tische saß, gar vergessen. Da sagte es mit großer Bescheidenheit: ich fordre nichts, und kriege auch nichts, und bin doch ein artig Kind. Das ruͤhrte alle Anwesende, und es wurde sehr belohnt. Stille Bescheidenheit bekoͤmmt allezeit mehr, als unverschaͤmtes Vorschreiben. Man kann sich daher kein artiger Kind bey Tische gedenken, als Dor- chen. Die Leute sehen es gern, und es ge- faͤllt Jedermann. Es wird in alle große Gesellschaften mit gebeten, ob es gleich nur erst fuͤnf Jahre alt ist. Es ist stille bey Ti- sche, bescheiden, zufrieden und genuͤgsam. Es fordert niemals eine Sache, waͤre sie auch noch so schoͤn. Kann es nicht so lange sitzen, sitzen, als die Mahlzeit waͤhrt, so bittet es um Erlaubniß, aufzustehen. Es gehet um den Tisch heiter und vergnuͤgt herum, und nimmt nichts an, was ihm angeboten wird, wenn es nicht seine Aeltern oder der Arzt, wenn er dabey ist, genehmhalten. Wenn es um neun Uhr des Abends abgeholt wird; so gehet es, mitten aus dem Spiel, ohne Eigensinn und mit großer Freundlich- keit nach Hause. Ein liebes Kind! XXII. Das XXII. Das zierige Kind. Z ierige Kinder sind allen Leuten zuwider. Sie nehmen allerley unnatuͤrliche Stel- lungen des Koͤrpers, oder Verziehung der Mienen, Lippen und Augen an. Denn eben das heißt, sich zieren, wenn man in den Mienen und Gebaͤrden so etwas zeigt, das gar nicht natuͤrlich ist, sondern affektirt und gezwungen herauskoͤmmt. Und das faͤllt ge- waltig in die Augen, eben darum, weil es nicht natuͤrlich ist. Albertine zierte sich bestaͤndig wie ein Aef- chen. Bald drehete sie sich auf den Hacken, bald legte sie die Haͤnde kreuzweis; bald zupf- te sie an den Haarlocken; bald kniep sie die Lippen zusammen, pinkte mit den Augen, verzog die Mienen; kurz, man kann das al- berne zierige Zeng nicht alles beschreiben, was sie sie vornahm. Kam sie vor den Spiegel, so war des Zierens kein Ende. In der Gesell- schaft machte sie hundert Knikse hinter ein- ander, und das so zierig, daß alles lachen mußte. In der Sprache war fast kein Aus- kommen, so affektirt, laͤppisch und laͤcherlich kam alles heraus, was sie sagte. Und das sollte doch was seyn. Das sollte vornehm lassen. Darauf bildete sie sich was rechts ein. Andere Kinder, die sich ordentlich und natuͤrlich betrugen, waren in ihren Augen Bauerkinder. Seht, Kinder! so geht es mit euren Feh- lern. Erst ist es Gewohnheit . Hernach wirds Eigensinn , wenn ihr daruͤber getadelt werdet. Und zuletzt Hochmuth , daß ihr euch gar was darauf einbildet. Albertinen war das zierige Wesen gar nicht erst abzugewoͤhnen, so viele Erinnerun- gen sie auch daruͤber von ihren Aeltern und Leh- Lehrern bekam. Endlich kam einmal ein Ka- meel durch, das einige kleine Affen trug, die vor den Leuten tanzen, und ihre Kuͤnste ma- chen mußten. Albertine sahe mit andern Kin- dern zu, wie sich die Affen so naͤrrisch her- umgaukelten. Da sagten die andern Kin- der: just so ziert sich Albertine auch. Von der Zeit an that sie es nicht wieder. XXIII. Von Kindern, die nicht alles essen wollen. E in Fehler, der den Aeltern viele Noth macht, und in der Zukunft die schaͤdlich- sten Folgen hat. Er ruͤhret gemeiniglich da- her, wenn die Kinder in der zartesten Kind- heit verzaͤrtelt werden, und ihren Willen ha- ben muͤssen, daß sie das Essen tadeln duͤrfen, und und bald dieß bald jenes nicht essen wollen. Haͤlt man ihnen das erst einmal zu gute, so werden sie es bald oͤfter probieren, und in den gewoͤhnlichen Fehler fallen, den man das Aufstippen der Kinder nennt. So war der kleine Karl beschaffen. Er war durch Zuckerwerk, Gebackenes und al- lerley Naͤschereyen so verwoͤhnt, daß er kein Sauerkraut, gelbe Ruͤben und andere Ge- muͤse, sondern lauter Braten, Rebhuͤhnchen, und andere Delikatessen essen wollte. Von allem, was auf den Tisch kam, mußte er et- was haben. Einer der groͤßten Erzie- hungsfehler, und ein wahres Verderben fuͤr die Kinder. Was geschah? Karl kam in die Lehre, und sollte ein Kaufmann werden. Die Kaufmannspursche werden in den ersten Jah- ren nicht mit Delikatessen gefuͤttert, sondern muͤssen mit den Leuten essen. Ach! wie sauer G kam kam ihm das vor! Anfaͤnglich ließ er das Essen stehen und hungerte. Das konnte er nicht lange aushalten. Er stahl also Geld im Laden, und kaufte sich Naͤschereyen. Das wurde bald gemerkt. Er laͤugnete, und doch ließ ers nicht. Endlich wurde er dar- auf ertappt, brav abgepruͤgelt, und seinen Aeltern wieder zugeschickt. Sie brachten ihn an einen andern Ort. Da machte er es eben so, und lief aus der Lehre. Seine Aeltern wollten ihn nicht wieder annehmen. Da gieng er unter die Schiffssoldaten, und muß- te mit der elendesten Kost vorlieb nehmen. Weil er das nun gar nicht ertragen konnte; so starb er bald in seinen besten Jahren. Woher kam das alles? Weil er sich nicht von Kindheit an gewoͤhnt hatte, alles zu es- sen. Kinder! spiegelt euch an diesem Exem- pel. Ihr koͤnnt ja nicht wissen, wohin ihr noch einmal in der Welt kommt, und was ihr fuͤr fuͤr einen Beruf kriegt. Ihr seyd elend dar- an, wenn ihr euch so weichlich gewoͤhnt habt, und nicht alles essen lernt. Es ist bloße Zie- rerey und Verwoͤhnung, wenn ein Kind sagt: Das kann ich nicht essen. Davor hab’ ich ei- nen Ekel. Davor schaudert mich. Gebt ihm alles, wenn es klein ist, und noch kei- nen Unterschied weiß. Gebt ihm nicht alles, was es haben will. Laßt es so lange hun- gern, bis es das ißt, was es hat stehen las- sen. Es wird in der Folge nichts tadeln. Insonderheit verwoͤhnt seinen Magen nicht durch zu vieles Fleisch und Naͤschereyen, da- mit es immer gesunden Appetit behalte. Ein darinn gut gezogenes Kind wird we- der sich, noch seinen Aeltern, noch andern Leu- ten zur Last werden, wie ein verwoͤhntes Kind, das nicht alles essen will, nothwendig wer- den muß. G 2 XXIV. XXIV. Das herrschsuͤchtige Kind. E s laͤßt sehr laͤcherlich, wenn sich Kinder, die noch so viele Huͤlfe von andern noͤ- thig haben, schon so viel herausnehmen, daß sie uͤber andere herrschen wollen. Moritz hatte diesen Fehler an sich. Er konnte den Leuten im Hause nichts in Guͤte sagen, oder von ihnen fordern. Alles be- fehlsweise. Und wenn die Leute ihm nicht gleich aufwarteten, wie und was er haben wollte; so war er im Stande, sie aͤrger aus- zuschelten, als es Vater und Mutter wuͤr- den gethan haben. Ja er sagte wohl gar: wißt ihr nicht, daß ich Sohn im Hause bin, daß ihr Gesinde seyd, und ich uͤber euch herr- schen kann? Ein Junge von sechs Jahren — herrschen? Wie laͤcherlich! Unter Unter seines Gleichen machte ers eben so. Daher wollte fast kein Kind mehr mit ihm umgehen. Er wollte immer befehlen, herr- schen, Recht haben, und wohl gar drunter schlagen. So wurde er groͤßer und immer herrschsuͤchtiger. Als er unter andere Leute kam, machte ers eben so. Alle Augenblicke hatte er Zank und Schlaͤgerey. Das konn- te auch nicht anders seyn. Denn wer wird sich von einem so jungen Menschen immer be- fehlen lassen? Moritz trieb das Ding endlich so lange, bis keiner mehr mit ihm fertig werden konn- te. Da gerieth er unter die Soldaten, und bekam seinen verdienten Lohn. Hatte er sonst uͤber alle andere herrschen wollen; so mußte er hier schlechterdings gehorchen. Das wollte ihm zwar anfaͤnglich nicht in den Kopf; aber der Stock des Unterofficiers machte ihn so zahm, daß er endlich in sich gieng, bitter- G 3 lich lich weinte und sagte: Ach das hab’ ich an dem armen Gesinde verdient, das ich sonst genug gequaͤlt habe. Hier legte er bald sein herrschsuͤchtiges Wesen ab, und als er wie- der los kam, wurde noch ein guter Mann aus ihm. Lenore hatte den Fehler auch an sich, daß sie immer was zu hofmeistern hatte, und kei- nem ein gut Wort gab; aber ihre Mutter konnte es ihr bald abgewoͤhnen. Sie befahl den Leuten, ihr nicht das geringste zur Huͤl- fe zu thun. Sie mußte allein aufstehen, al- lein sich waschen, die Schuhe putzen, kurz, alles thun, was die Leute sonst fuͤr sie ge- than hatten. Da sahe sie, wie noͤthig ihr andere Leute waren, und wie gut es sey, auch mit andern Leuten gut zu seyn, wenn es gleich Dienstbothen sind. Ich weiß es nicht, wie es zugeht, sag- te Riekchen zu ihrer Schwester Dorchen, daß die die Leute dir gleich alles zu Gefallen thun, und auf mich paßt keiner. Ich mag rufen und laͤrmen, wie ich will, so hoͤren sie nicht darnach, und lachen mich wohl dazu aus. Das will ich dir wohl sagen, antwortete Dor- chen: das koͤmmt daher, weil du herrschsuͤch- tig bist, und den Leuten kein gut Wort giebst. Ja! das brauche ich nicht, erwiederte Riek- chen. Das muͤssen sie wohl thun. Dafuͤr giebt ihnen Papa und Mama das Brod. Recht gut, Riekchen; aber dafuͤr dienen sie auch nicht, daß wir Kinder sie regieren, quaͤ- len und behandeln sollen, wie wir wollen. Meynst du denn, daß große, alte, verstaͤn- dige Leute sich von Kindern, wie du bist, so werden beherrschen und herumhudeln lassen? Ich gebe ihnen immer ein gut Wort, und das findet, wie Mama sagt, eine gute Stel- le. Hoͤrst du denn, daß Mama oder Pa- pa nur einmal so trotzig, herrschsuͤchtig G 4 und und befehlshaberig mit den Leuten spricht, wie du es machst? Daher sind sie dir auch nicht gut, und thun dir nichts zu Willen. Ich kann das unmoͤglich; nein, ich kann es nicht, sagte die stolze Rieke, mich so weit gegen die Leute herunter zu lassen, die in un- serm Lohne und Brode sind. Sie haben sonst keinen Respekt fuͤr mich. Sachte, sach- te, meine liebe Schwester, antwortete Dor- chen. Nicht zu weit. Das ist noch viel zu fruͤh fuͤr dich, so zu sprechen. Jetzt haben die Leute gar keinen Respekt fuͤr dich, wie du aus der Erfahrung siehest. Meynst du denn, daß ich dadurch meinen Respekt vergebe, wenn ich mit den Leuten gut bin, und zu Ih- nen sage: wenn ihr Zeit habt, so seyd doch so gut, und bringt mir einmal das: anstatt, daß du sprichst: Marie, Wasser, Zwirn, Birnen, meine Schuhe, und in einem Augen- blick zehnerley. Deswegen mache ich mich mit mit den Leuten nie zu gemein, und sie haben gegen mich mehr Respekt, als gegen dich. Es sind ja auch Menschen und keine Hunde, die man traktiren kann, wie man will, welches doch auch gegen die Thiere nicht einmal er- laubt ist. Riekchen! wenn du so bleibst, so wirst du einmal kuͤnftig deine Noth mit dem Ge- sinde haben, und wie jene Frau werden, die in 16 Jahren ihrer Haushaltung 92 Maͤgde gehabt hatte. G 5 XXV. Das XXV. Das dankbare Kind. D ie Dankbarkeit lernen Kinder nicht bes- ser, als wenn man sie oͤfters fuͤhlen laͤßt, wie vieles sie noͤthig haben und beduͤr- fen; und wie viel Gutes sie ihren Aeltern zu danken haben. Caroline war immer sehr undankbar ge- gen ihre Aeltern. Als sie einmal bey ihrer Mutter in der warmen Stube saß; so kam eben ihr Lehrer, und beschwerte sich uͤber sie, daß sie zu andern sagte: das muͤßte so seyn; ihre Aeltern muͤßten ihr alles geben. Dafuͤr waͤre sie Kind. Gleich wurde sie in ein kal- tes Zimmer gebracht, und ihr Struͤmpfe und Schuhe ausgezogen. Des Abends sollte sie nicht im Bette, sondern auf dem Heuboden schlafen. Des andern Morgens bekam sie keinen Koffee, und zu Mittage Wasser und Brod. Brod. Auch mußte sie sich selbst aufwarten, und alles holen. O wie schoͤn konnte sie nun das viele Gute erkennen, das sie vor vielen tausend armen Kindern voraus hatte! Dorchen hingegen war ein liebes dank- bares Kind, und betete alle Tage recht herzlich: Wie dank ich Gott fuͤr seine Gabe, Daß ich so gute Aeltern habe, Die fuͤr mich vom Morgen, Bis zum Abend sorgen! Es war ihnen dafuͤr gehorsam, weil es noch durch nichts anders es seyn konnte. Aber es hatte doch schon im sechsten Jahre den Willen und Vorsatz, es zu seyn. Daher that es den Aeltern aus eigenem Triebe aller- ley kleine Gefaͤlligkeiten; sollte es auch nur Nadeln in der Stube aufsuchen, und dem Vater feinen Sand durch sein Spieltrichter- chen in die Sandbuͤchse thun. XXVI. Das XXVI. Das luͤgenhafte Kind. W ie mag es wohl kommen, daß viele Kin- der so gerne luͤgen, und sich das Luͤ- gen so sehr angewoͤhnen? Ich habe recht genau Achtung gegeben, wie sich dieser Fehler nach und nach einzu- schleichen pflege. Wilhelmine liebt das Prahlen, Groß- thun und Aufschneiden sehr. Sie sagt und erzaͤhlt fast nichts ohne Zusaͤtze, ohne die Sa- che zu vergroͤßern, um sich unter ihres Glei- chen groß zu machen, was sie alles gesehen, gehoͤrt habe, und besitze. Neulich sagte sie einmal, da sie mit ihren Aeltern verreist ge- wesen war, sie haͤtte Bienen gesehen, die so groß gewesen waͤren als eine Taube. Da fragten die andern Kinder: waren denn eben so viele, wie sonst, in einem Korbe? Ja! sag- te te sie, eben so viele, und doch war der Korb nicht groͤßer als gewoͤhnlich. Da wurde sie brav ausgelacht. Durch die Neigung, groß- zuthuu, und von sich zu prahlen, hatte sich Wilhelmine das Luͤgen angewoͤhnt. Wenn Kinder gar zu strenge und scharf gehalten werden, so haben sie kein Vertrauen zu den Aeltern; sie werden Heuchler, und gewoͤhnen sich das Luͤgen, aus Furcht vor der Strafe, an. Hatte Fritze eine Unart ausgeuͤbt, und wurde daruͤber zur Rede ge- stellt, so laͤugnete er, so lange er konnte; fieng an zu luͤgen, und wohl gar andern es Schuld zu geben. Wird das Luͤgen erst Gewohnheit, so thun es die Kinder zuletzt, wenn sie groͤßer werden, und der Verstand ihnen zu Huͤlfe koͤmmt, aus Tuͤcke, Bosheit und Schaden- freude, zumal wenn sie sehen, daß sie mit den Luͤgen Luͤgen durchkommen, und die Schuld auf andere bringen koͤnnen. Es ist nichts schaͤndlicher fuͤr ein Kind, als wenn es sich das Luͤgen angewoͤhnt. Der kleine Jacob war darinn ein rechter Meister. Es gieng kein wahres Wort mehr aus seinem Munde. Je oͤfter er mit seinen Luͤgen durch- kam, wenn er was Boͤses begangen hatte, und nicht gestraft wurde; desto listiger pfleg- te er seine Luͤgen auszudenken. Alle andern Kinder klagten uͤber ihn, daß er sie beloͤge. Er wußte sich aber immer so meisterlich her- auszuluͤgen, daß man ihm nichts anhaben konnte, und manche Unschuldige das leiden mußten, was er verschuldet hatte. End- lich aber wurde er auf allen seinen Luͤgen ge- kriegt, uͤberwiesen, und oͤffentlich vor vielen Kindern beschaͤmt. Das machte ihn nur noch boshafter und verstockter, weil er schon zu weit darinn gekommen war. Die Luͤgen wur- wurden also mit ihm groß. Als er auf Schulen kam, machte er sich dadurch so ver- haßt, daß keiner seiner Mitschuͤler mit ihm umgehen wollte. Seine Lehrer waren ihm gram. Auf Universitaͤten kam er dadurch in viele Haͤndel und Schlaͤgereyen. Jedermann wies mit Fingern auf ihn. In keiner Ge- sellschaft durfte er bleiben, sondern wurde als ein Luͤgner mit Verachtung hinausge- wiesen. Gelernt hatte er was. Daher kam er bald bey einem großen Herrn in Bedie- nung. Da er aber auch hier anfieng zu luͤ- gen, so wurde er bald vom Amte gesetzt, und fortgesagt. Sind das nicht schoͤne Fruͤchte, die das Luͤgen bringt? Kinder! ein Luͤguer ist aͤrger als ein Dieb. Vor diesem kann man sich doch noch huͤten, aber vor dem Luͤgner nicht. Seyd ehrlich und aufrichtig gegen jedermann, vornehmlich gegen eure Aeltern und Lehrer, so so werden sie euch noch einmal so lieb haben. Euch Aeltern aber geb’ ich den Rath, lieber die Strafe etwas zu mildern, oder gar zu schenken, wenn ein Kind Boͤses gethan hat; sobald ihr sehet, daß es alles aufrichtig und ehrlich gestehet, und nicht luͤget. Ihr wer- det dadurch die Neigung zum Luͤgen, aus Furcht vor der Strafe, desto leichter ersticken. XXVII. Das Schreiben . K arl wollte sich gar nicht zum Schreiben bequemen. Er fieng es ganz verkehrt an, hatte keine Lust und Geduld dazu, und wollte nur immer spielen. Den Bleystift oder die Feder lernte er gar nicht recht hal- ten. Er gab auch niemals recht Acht dar- auf, wie die Buchstaben aussahen, die er nach- nachmachen sollte, sondern sahe immer dar- uͤber weg. Wenn ihm der Vater die Hand fuͤhrte, so hielt er sie bald zu fest, bald zu lose, daß derselbe ganz verdruͤßlich wurde, und sagte: er wolle sich gar nicht mehr um ihn bekuͤmmern. Er wuͤrde es zu spaͤt be- reuen, daß er das Schreiben nicht habe ler- nen wollen. Man ließ ihn eine geraume Zeit so gehen, ohne ihm wieder vom Schreiben was zu sagen. Endlich kam er einmal zu Dorchen, das erst fuͤnf Jahre alt war, und schon artig schreiben und Geschriebenes sehr gut lesen konnte, da er im achten Jahre noch keinen Buchstaben zu machen im Stande war. Da schaͤmte er sich, und fragte, wie es doch das gemacht haͤtte, daß es so bald haͤtte schrei- ben gelernt? Dorchen sagte: das hab’ ich meinem lieben Vater zu danken. Der sagte oft zu mir: Kind, fang beyzeiten an. Lerne H nur nur erst Kritzeln. Ich will dir Tafel und Schieferstift, Bleyfeder, Papier genug, auch ein schoͤnes Tintefaß von Quadeau geben. Dorchen holte das niedliche Tintefaß: eine gruͤne runde bleyerne Buͤchse, schoͤn gemalt. Inwendig das Tintefaß, eine Sandbuͤchse und eine Kapsel zu Siegeloblaten. Das stach Karin gewaltig in die Augen. Er lief nach Hause, und bat seinen Vater um ein solches Tintefaß. Er wollte nun gerne schreiben lernen. O ja! sagte der Vater, daran solls nicht fehlen. Das sollst du ha- ben; gehe aber wieder hin zu Dorchen, und frage weiter, wie es so bald schreiben gelernt habe? Du wirst hoͤren, daß es nicht das Tintefaß allein gethan; sondern daß das lie- be Kind selbst Lust dazu gehabt habe. Er kam wieder mit großen Freuden, und sagte: O liebes Dorchen, ich kriege eben ein solches Tintefaß. Sage mir doch weiter, wie wie du es gemacht hast. Ich hatte Lust da- zu, antwortete Dorchen, und freuete mich, wenn ich sahe, daß ich weiter kam. Ich machte einen Buchstaben so lange, bis er so aussahe, wie der vorgeschriebene. Meine Lust zum Schreiben wurde immer groͤßer, wenn ich nach acht Tagen Buchstaben fertig hinschrieb, die ich vor acht Tagen noch nicht machen konnte. Ich gab insonderheit Ach- tung, wie mir der Vater die Hand fuͤhrte, und wie die Buchstaben aussahen, die ich nachmachen sollte. Da lernte ichs bald, und sahe nun ein, wie nuͤtzlich mir das Schrei- ben war. Denn da ich nun selbst Geschrie- benes lesen konnte; so schrieb mir der Vater allerley artige Histoͤrchen vor, die mich sehr vergnuͤgten. Da ich auch nun selbst schrei- ben konnte; so machte ich mir durchs Schrei- ben manchen Zeitvertreib. Ich schrieb mir alle meine Spielsachen, meine Kleider und H 2 ande- andere Dinge auf. Ich schrieb mir in ein besonderes Buch, was ich nicht gerne ver- gessen wollte. Und hoͤre nur: ich bekam manches schoͤne Praͤsent von Vater und Mut- ter, eben dadurch, daß ich ein Briefchen an Sie schrieb, und um das bat, was ich gerne haben wollte, welches ich sonst nicht wuͤrde bekommen haben. Siehst du nun wohl, lie- ber Karl, wie nuͤtzlich das Schreiben ist? Mache du es nun auch so. Wenn wir nicht schreiben lernen, so kommen wir einmal schlecht in der Welt fort, und sind veraͤchtli- cher, als Knecht und Magd, wenn sie schrei- ben gelernet haben. XXVIII. XXVIII. Die Rochowische Schule. I ch will euch was erzaͤhlen, Kinder! sag- te Dorchen zu ihren Spielkameraden, die es aus der Schule mitgenommen hatte. Ich will euch was erzaͤhlen, was ihr noch nie gehoͤrt habt. Hoͤrt zu, ich bin ganz aus- ser mir vor Freuden. Ich kanns selbst kaum glauben. Hoͤrt nur, hoͤrt nur. Was ist denn das? fragten die Schul- kinder. Das muß ja was besonderes seyn. Gewiß hat dir der Vater was mitgebracht von seiner Reise. Ja! das hat er auch ge- than, der liebe Vater. Er koͤmmt kein ein- zigmal von der Reise, er bringt was mit. Aber das ist es dießmal nicht, was ich euch erzaͤhlen will. Ganz was anders. Die Kinder wurden immer neugleriger, und sagten: o so mache doch fort, und sa- H 3 ge ge an. Nun so hoͤrt denn, antwortete Dorchen. Mein Vater ist 14 Tage in Rekane ge- wesen, das da nicht weit von Berlin seyn soll, wo der Koͤnig wohnt. Lauter Sand mag da seyn. Bey dem Herrn von Rochow ist er gewesen. Das soll ein Kinderfreund seyn, der seines gleichen nicht hat. Gese- hen hab’ ich den lieben Mann schon einige- mal, da er meinen Vater besuchte; aber ich war noch zu klein. Aber ich habe an seinem Namen das R aussprechen lernen, weil mir der Vater den Namen Rochow immer vor- sagte. Er muß ihn recht lieb haben, daß er immer diesen Namen nahm. Was mir der Vater von der Schule, die der Herr von Ro- chow angelegt, erzaͤhlt hat, kann ich euch gar nicht genug beschreiben. Denkt nur, pure gemeine Bauerkinder werden darinn erzogen und unterrichtet. Er hat hat den Kindern ein niedliches, besonderes reines Schulhaus bauen lassen, welches frey an einem Garten liegt, worinn sie nicht so vor Hitze und Dampf braten, als wir thun muͤssen. Da lernen sie nun lesen, schreiben, rechnen, und das so leicht, daß mans kaum begreifen kann. Der Vater sagte: er habe den Bauermaͤdchen und Bauerjungen selbst einige Exempel an der Tafel aufgegeben, und sie haͤttens richtig ausgerechnet. Manche schon vorher aus dem Kopfe. Erst kommen die Großen in der Stunde bis um 9. Dann gehen die heraus in die frische Lust, und spie- len eine Viertelstunde. Dann kommen die Kleinen, die noch buchstabieren. Der Leh- rer macht es ihnen allen so leicht und ange- nehm, daß es eine Lust seyn soll, zuzuhoͤren. Der Vater hat Bauerknaben barfuß gesehen, von etwa sieben oder acht Jahren, die per- fekt lesen, schreiben und rechnen konnten. H 4 Da- Dabey werden sie in den nothwendigsten Stuͤcken des Christenthums und in andern nuͤtzlichen Dingen des menschlichen Lebens unterrichtet; besonders in dem, was zu ih- rem kuͤnftigen Beruf, Ackerban, Pfluͤgen; Kaufen und Verkaufen, gehoͤrte, damit sie doch als vernuͤnftige Menschen kuͤnftig nicht aufs blinde Gerathewohl leben. Das soll sehr großen Nutzen haben. Denn die Kinder sind mehrentheils kluͤger, als ihre Aeltern, und koͤnnen den Aeltern schon vieles schreiben und ausrechnen, wel- ches ihnen bey vielen Gelegenheiten sehr zu Statten koͤmmt. Die Kinder sollen den Herrn von Rochow wie einen Vater lieben. Noch was artiges muß ich euch erzaͤhlen. Der Herr von Ro- chow hatte einmal in seinen Aeckern viele schaͤd- liche Wuͤrmer, die man Maulwurfsgrillen nennet, und die die Wurzeln des Korns ab- fraßen. fraßen. Da rief er die Schulkinder zusam- men, und sagte: gehet heraus, Kinder, und sucht die Dinger; ich gebe euch fuͤr jedes einen Pfennig. Was meynt ihr, wie viel sie brachten? So viele, daß er 23 Thl. bezah- len mußte. O wie freueten sich die Kinder, daß sie mit Spielgehen so viel Geld verdient hatten! Davon ließen sie sich Schuhe, Struͤmpfe und andere gute Sachen machen. Koͤnnten wir nun auch schon so gut rechnen, wie die Rekanischen Bauerkinder; so koͤnnten wir es bald wissen, wie viele dieser Wuͤrmer sie gefangen haͤtten. Diese Erzaͤhlung war den Kindern so an- genehm, daß sie alle wuͤnschten, in der Ro- chowischen Schule zu seyn, und sich vornah- men, recht fleißig zu lernen, damit sie als Stadtkinder von Bauerkindern nicht moͤchten uͤbertroffen werden. H 5 Wie Wie viel koͤnnen nicht gute Exempel thun! XXIX. Der Todtenkopf . D orchen war mit seines Vaters Natura- lienkabinet so bekannt, daß es auch den schoͤnen weißen Todtenkopf ohne Furcht sahe, der in einem glaͤsernen Kasten auf dem Saale stand. Der Vater nahm ihn oft herunter, setzte ihn vor dem Kinde auf den Tisch, und erklaͤrte ihm alles daran: wo die Zaͤhne, die Augen, die Ohren gesessen hatten, und sag- te ihm sonst viel merkwuͤrdiges davon: z. E. wie es zugienge, wenn einer den Schnupfen habe, oder den Kindern die Nase so verstopft waͤre. Das Kind freuete sich daruͤber, als es das siebfoͤrmige Nasenbein, die Augen- hoͤhlen hoͤhlen und Ohrgaͤnge zu sehen kriegte. Der Vater nahm ein kuͤnstliches Auge dazu, und da er auch alle Theile und Knoͤchelchen des Ohrs hatte, so konnte er dem wißbegierigen Kinde ziemlich alles sagen, wie kuͤnstlich der liebe Gott das Auge, das Ohr, und ande- re Theile des Menschenkopfs gemacht habe. Dadurch vergieng natuͤrlicher Weise aller Ab- scheu und alle Furcht bey diesem Kinde von fuͤnf Jahren, die der Aberglaube vor Tod- tengebeinen insgemein zu haben pflegt. Es wurde so bekannt mit dem Todtenkopfe, daß es ihn selbst in die Hand nahm, die Hirn- schaale abdeckte, und andern Leuten wieder sagte, was ihm der Vater dabey gesagt hatte. Nun aber kamen die Fragen, die wir zur Belehrung anderer Kinder hersetzen wollen. D. Aber, lieber Vater! ist denn der Kopf wirklich von einem todten Menschen? V. Ja! V. Ja! mein Kind! das ist er. Das kannst du selbst unterscheiden. Da will ich dir den Kopf eines Hundes, und einiger an- dern Thiere hersetzen. Siehe sie an, und dann wieder diesen Kopf. Findest du da nicht einen großen Unterschied? D. Ja! der Menschenkopf siehet ganz anders aus. Er ist viel runder; auch die Zaͤhne sind anders. Da unten sind einige Zaͤhne los. Ach! Vater, das wackelt ja. Bald waͤre ich erschrocken. V. Wovor denn, mein Kind? Vor ei- nem Knochen? Was da wackelt, das ist die Unterkinnlade. Diese ist auch im Leben be- weglich. Probiere es einmal. Die Ober- kinnlade sitzt fest. Bloß die untere bewegt sich, wenn du kauest. D. faßt sich an das Kinn, und sagt: Es ist wahr, Vater, dieß kauet allein. Aber woher haben Sie denn den Kopf, und was machen machen Sie damit? Er ist doch wohl nicht auf dem Rade oder am Galgen gewesen? V. Wenn er das auch waͤre. Das wuͤr- de mich und dich nichts hindern. Ich habe ihn von einer Anatomie bekommen. D. Was ist das, Anatomie? Das ver- stehe ich noch nicht. V. Das heißt zerschneiden, zergliedern. Auf der Universitaͤt oder hoͤhern Schule, wo die jungen Leute in allen Wissenschaften un- terrichtet werden, und wo auch die jungen Doctores das Ihrige lernen muͤssen, werden von dem Herrn des Landes solche Haͤuser ge- halten, wo die todten Koͤrper von Leuten, die in den Hospitaͤlern gestorben, auch wohl von Missethaͤtern, die gekoͤpft und gehangen sind, hingebracht werden. Da sind denn gelehrte Maͤnner, die solche Koͤrper inwen- dig und auswendig zerschneiden, und alle Theile, Adern, Nerven, Sehnen, Knochen, und und alles aus einander nehmen, und das den jungen Doctoren erklaͤren, damit sie wis- sen, wie der menschliche Koͤrper inwendig und auswendig beschaffen sey, weil sie sonst keine Krankheit kuriren koͤnnen, wenn sie das nicht wissen. Da machen sie denn solche Todtenkoͤpfe zurechte, damit sie immer nach- sehen koͤnnen, wenn einem Menschen etwas im Kopfe fehlt, wie ich dirs vorher gesagt habe. Das heißt die Anatomie . D. Ach! Vater, das ist ja grausam, die Menschen so zu zerschneiden. Da muß es ja auch erschrecklich stinken. V. Nein! mein Kind, das ist nicht grau- sam. Denn die todten Menschen fuͤhlen da- von nichts mehr. Es ist ihnen einerley, ob ihr Leib in der Erde verfault, oder hier zer- schnitten wird. Es ist vielmehr sehr nuͤtz- lich, den Bau und die innere Beschaffenheit des menschlichen Koͤrpers auf diese Art recht kennen kennen zu lernen. Es geschiehet auch die Anatomie im Winter, wenn es kalt ist: im Sommer wuͤrde es freylich nicht angehen. D. Aber, Vater! ich muß sie noch eins fragen. Unsere Marie sagte neulich zu mir: Dorchen, wie kann sie doch des Abends so dreiste im Finstern uͤber den Saal gehen, wo der Todtenkopf stehet? Es graut mir bey Tage, geschweige des Abends. Ich denke immer, wenn der Todte einmal kaͤme, und seinen Kopf wieder haben wollte. Seit der Zeit grauet mir denn doch ein Bißchen, wenn es wahr ist, daß die Todten spuken gehen, wie unsere Leute sagen. V. Ich wollte, daß dir Marie sonst was gesagt haͤtte. Es koͤmmt nun auf dich an, ob du meynst, daß Marie oder dein Vater kluͤger sey, und ob du Marien, die voll Aber- glauben ist, mehr glauben willst, als deinem Vater. D. O D. O! herzenslieber Vater, werden Sie doch nicht boͤse. Das meyne ich ja so nicht. Ich habe es Ihnen darum nur gesagt, damit Sie mirs besser erklaͤren sollen. Ich glaube Ihnen weit mehr als Marien. V. Nun, so hoͤre mich denn an, liebes Kind! und laß eine Furcht fahren, die dich zeitlebens ungluͤcklich machen wuͤrde. Wie ungluͤcklich ist nicht ein Mensch, der sich nicht getrauet, des Abends eine Stunde allein zu bleiben, des Abends im Finstern vor die Stubenthuͤr, oder auf den Boden zu gehen! Ist er nicht zu bedauern, da er sich mit einer bestaͤndigen Furcht quaͤlet, und im Grunde sich vor einem bloßen Nichts fuͤrchtet? Fuͤrch- test du dich wohl vor einer Wolke, vor einem Nebel oder Dunste? D. Nein! lieber Vater; aber vor Ge- spenstern und Todten muß man sich doch wohl fuͤrchten? V. Du V. Du fuͤrchtest dich also vor einem bloßen Knochen? D. Nein! lieber Vater, der kann mir nichts thun. V. Also hast du auch nicht Ursache, dich vor dem Todtenkopfe zu fuͤrchten. Denn das ist ja bloßer Knochen, der sich nicht ruͤhrt, und nichts fuͤhlt: auch gar kein Leben mehr hat. Der todte Mensch hat damit nichts mehr zu thun. Sein Koͤrper ist eben so todt, als sein Kopf, und seine Seele bekuͤmmert sich jetzt nicht mehr um den todten Koͤrper. Fuͤrchtest du dich denn vor deinen beyden tod- ten Bruͤderchen, die da vor unserm Fenster auf dem Kirchhofe liegen? D. Nein! die liegen im Grabe, und koͤn- nen nicht wieder heraus, weil sie todt sind. V. Gut, weil sie todt sind, sagst du. So ist es mit allen menschlichen Koͤrpern, wenn sie einmal todt sind: sie moͤgen im Gra- I be be liegen, oder am Galgen haͤngen, oder auf der Anatomie zerschnitten werden. Das Spuken ist Thorheit, Einbildung und Aber- glaube der Leute, die es nicht besser wissen. Du aber weißt es besser. Siehest du denn, daß ich oder deine Mutter des Abends sich fuͤrchten? Wir gehen ohne Licht uͤber den Saal vor dem Todtenkopfe vorbey, und vor vielen andern todten menschlichen Koͤrpern, die da herumstehen. D. Was? Haben Sie denn noch mehr todte menschliche Koͤrper? V. Ja! die kleinen Kinderkoͤrper, die du gesehen hast, und die aus lauter Knochen be- stehen, die man Skelete nennet. Auch die vielen kleinen Menschen da im Schranke in den Glaͤsern mit Branntewein, die du immer deine Bruͤderchen nennest. Haben die dir schon was gethan? D. Nein! D. Nein! lieber Vater, ich freue mich, so oft ich sie sehe; aber mich fuͤrchten vor ih- nen, das kann ich nicht. V. Nun so fuͤrchte dich auch nicht mehr vor großen todten menschlichen Koͤrpern, oder vor Gespenstern. Denn das ist einerley: wenn die Todten spuken sollten, so koͤnnen es die kleinen so gut als die großen. Aber sie thun es beyde nicht. Das kannst du so gewiß glauben, als ich dein Vater bin. Da- her fuͤrchte dich nicht, des Abends auch uͤber den Kirchhof zu gehen, den wir vor der Thuͤr haben, und wo viele Todte begraben sind. Die liegen da ganz ruhig, und haben mit den Lebendigen nichts mehr zu schaffen. D. Lieber Vater! ich fuͤrchte mich nun ganz und gar nicht mehr. O wie lieb ist es mir, daß ichs nun besser weiß! Warte, Marie, ich will dich mit deinem Todtenkopfe brav auslachen. I 2 V. Nein! V. Nein! mein Kind, sage Marien lie- ber, wie es ist, und wie ichs dir gesagt ha- be; so wirst du ihr eine Wohlthat thun. Denn sie weiß es nicht besser, und ist nicht so erzogen, wie du erzogen wirst. Ich will dir aber dabey noch ein Histoͤrchen erzaͤhlen. Es war auch einmal ein solches furchtsames aberglaͤnbisches Maͤdchen, wie Marie ist, das sich des Abends nicht getrauete, auf den Hof zu gehen. Da koͤmmt eine hungrige Katze, nimmt das brennende Talglicht vom Leuchter, und laͤuft damit auf den Heuboden. Das Maͤdchen sieht es, laͤuft ihr aber, aus Furcht vor Gespenstern, nicht nach auf den Boden, wo es haͤtte ihr das Licht wieder ab- jagen, oder doch ausloͤschen koͤnnen. Was geschieht? Das Heu faͤngt an zu brennen, und nicht nur das Haus, sondern die halbe Stadt ist abgebrannt. Was sagst du dazu? War daran nicht die dumnie Furcht des Maͤd- chens chens Schuld? Haͤtte das Ungluͤck nicht koͤn- nen verhuͤtet werden, wenn das Maͤdchen nicht so furchtsam gewesen waͤre? D. Nun, Vater, Sie sollen es sehen, daß ich mich nicht mehr fuͤrchten will, am wenigsten vor dem schoͤnen Todtenkopfe, den ich nun noch einmal so lieb habe. Das Kind hielt sein Wort, wie folgen- des Exempel zeigt. Es kam kurz darauf des Abends ein sehr starkes Gewitter, so daß der Vater die Leute in seine Stube kommen ließ, um gleich alle bey der Hand zu haben. Es that einige harte Schlaͤge, daß das Haus anfieng zu schuͤttern, und die Glaͤser auf dem Saale klungen. Bey dieser Gelegenheit fiel die Hirnschaale vom Todtenkopfe an die eine Seite des Glaskastens durch die Erschuͤtte- rung herunter, daß man es deutlich unter- scheiden konnte, was es war. Marie fieng an: Ach der abscheuliche Todtenkopf! Der I 3 kann kann auch im Tode keine Ruhe haben. Dor- chen sahe den Vater an. Dieser lachte, steckte den Wachsstock an, und gab ihn Dor- chen, ohne etwas zu sagen. Dieß gieng den Augenblick allein heraus, und brachte die Nachricht: die Hirnschaale sey dem Kopfe ab- und ans Glas gefallen. Wovon? fragte der Vater. Da es so stark donnerte und schuͤtterte, antwortete es. Da hast du also den ganzen Spuk, sprach der Vater. War das von dem Todtenkopfe, oder gieng die Sache ganz natuͤrlich zu? Mußte nicht die Hirnschaale herunterfallen, weil sie nicht fe- ste lag, und vom Donner erschuͤttert wurde? Allerdings, Vater! sagte Dorchen, und du, Marie, darfst dich nicht fuͤrchten, daß dein Kopf einmal spuken gehe. Hierauf giengen die Leute mit dem Kinde herunter, da das Gewitter vorbey war. Und dieses erzaͤhlte ihnen alles, was ihm der Vater vom Tod- ten- tenkopfe gesagt hatte. Die Leute wunder- ten sich, und wurden wirklich durch des Kin- des Dreistigkeit von ihrer Furcht und Aber- glauben befreyet. Kurze Zeit darauf nahm der Vater ein- mal wieder den Kopf vor, um dem Kinde was zu erklaͤren. Da sagte der Vater: Es ist mir lieb, daß du dich nicht mehr davor fuͤrch- test. Es ist dir selbst eine Wohlthat. Was wuͤrdest du aber thun, wenn dir folgendes begegnete, was mir einmal auf einer Reise begegnet ist? Ich logirte in einer gewissen Stadt bey einem Doctor, der viele Skelete und Tod- tenkoͤpfe auf seiner Schlafkammer hatte. Ei- nige Koͤpfe standen frey auf Tischen ohne Ka- sten. Als wir des Abends von einem guten Freunde zu Hause kamen, kam uns die Magd vor der Hausthuͤr halb todt entgegen, und sagte: der eine Todtenkopf waͤre vom Tische I 4 gesprun- gesprungen, und kollere sich immer in der Kammer herum, da sie haͤtte das Bette ma- chen wollen. Wir lachten sie aus, und for- derten Licht. Als wir in die Kammer ka- men, lag der Todtenkopf wirklich an der Er- de. Aus den Hoͤhlen blitzten uns ein Paar helle Augen entgegen. Und als wir mit dem Lichte naͤher traten, fieng er an, in der Kam- mer herumzukollern. Ich kann wohl sagen, daß mir das Ding anfaͤnglich selbst wunder- lich vorkam. Da ich mich aber bestaͤndig gewoͤhnt habe, bey keiner Sache, die mir wunderlich und unnatuͤrlich vorkoͤmmt, und die ich nicht gleich erklaͤren kann, einen Spuk oder so was zu glauben; so faßte ich mich auch hier gleich, setzte das Licht hin, und ergriff den Todtenkopf mit beyden Haͤnden. Da hieng ein Rattenschwanz heraus. Es hatte sich eine Ratte hineingeklemmt, und konnte nicht gleich wieder herauskommen. Was wuͤrdest du dabey gethan haben? D. Ich D. Ich wuͤrde erschrocken seyn. Aber ich wuͤrde doch gedacht haben, daß es et- was anderes seyn muͤßte, was den Todten- kopf bewegte, da ich nun weiß, daß er kein Leben hat, und nicht spuken kann. V. Das beste Mittel in solchen Faͤllen ist allemal, dreiste zugesehen oder zugefaßt; so findet man leicht das Spukeding, wie ich es gefunden habe. Diese Unterredung hatte bey dem Kinde so viel gewirkt, daß es des andern Tages aus der Schule kam, und den Vater bat: er moͤchte doch erlauben, daß die Schulkinder duͤrften heruͤber kommen, um den Todten- kopf zu sehen. Ich habe ihnen vieles davon gesagt; und da sie sich noch alle davor fuͤrch- ten, so kann ich ihnen dadurch wohl die Furcht nehmen, wenn sie ihn selbst sehen, und ich ihnen zeige, daß ich mich davor nicht fuͤrch- I 5 te. te. Sie sagten ja, Vater! es waͤre Wohl- that, andern die unnuͤtze Furcht zu nehmen. O ja! von Herzen gern, sagte der Vater, mein liebes Kind, will ich dir das erlauben. Bring nur die Kinder her, so viel du willst. Ich will indessen den Todtenkopf herausneh- men, und auf den Tisch setzen. Die Kinder kamen, und blieben alle von weitem stehen, sahen auch den Kopf sehr aͤngstlich an. Dor- chen aber gieng gerade hin, nahm die Hirn- schaale ab, und den Kopf in beyde Haͤnde. Da wurden die Kinder dreister, und traten im Zirkel um sie herum. Und nun haͤtte man sehen sollen, wie das Kind hintrat, und den Kindern alles erklaͤrte, was der Vater gesagt hatte, insonderheit wie es die Kinder ermahnte, sich nicht davor zu fuͤrchten, weil es ein todter Knochen sey, der nicht spuken koͤnne. Dem Dem Vater liefen vor Freude die Thraͤ- nen aus den Augen, und er sagte nur noch das einzige Wort zu der Versammlung von Kindern: Lieben Kinder, bildet euch ja nie- mals was auf die Schoͤnheit eures Gesichts ein. Ihr sehet hier, was aller Menschen Schoͤnheit im Tode ist. Wo sind die ro- then Backen? die hellen Augen? die Nase? die Lippen? So lehret euch ein Todtenkopf fruͤhzeitig Demuth. XXX. Die Irrlichter . W as sagst du da, Lene? sprach Haͤns- chen. Was sind das fuͤr Dinger, Irrwische, welche die Leute verfuͤhren? Ja! das weiß ich nicht, antwortete die Magd. Aber das weiß ich wohl, daß ich ihrer heute Abend Abend auf der Bruchwiese genug gesehen ha- be, und daß ich daruͤber bis an die Knie in Morast gerathen bin, da ich nach ihnen hin- gieng, und meynte, es waͤre ein Licht auf dem Dorfe. Was moͤgen sie wohl anders seyn, als boͤse Dinger, welche die Leute ver- fuͤhren? Denn da, wo sie sind, und sich sehen lassen, solls nicht allzurichtig seyn. Das Gericht, Galgen und Rad, ist auch nicht gar zu weit davon. Haͤnschen liefs kalt uͤber die Haut, und er erzaͤhlte das alles seinem Vater. Gut, sagte der Vater, morgen Abend gehen wir heraus, und warten, bis es finster ist. Dann sollst du sehen, was es ist, und dich nicht mehr fuͤrchten. Das wollten Sie thun, Vater? wenn Sie nun auch so tief in den Morast kaͤmen? antwortete Haͤnschen. Sor- ge du vor nichts. Ich will dich schon hin- bringen, erwiederte der Vater, wo kein Mo- rast rast ist, und wo du sie mit deiner Hand fan- gen sollst. Nun, wenn Sie mitgehen, sprach Haͤnschen, so gehe ich auch mit. Der andere Abend kam, und sie giengen gegen halb zehn Uhr heraus. Haͤnschen mußte sein Fangeisen mitnehmen, womit er die Schmetterlinge fieng. Der Vater fuͤhr- te ihn nach der Aaskuhle, wo das todte Vieh abgezogen wird. Sie sahen sie schon von ferne, als kleine blaue Flaͤmmchen, auf und nieder huͤpfen. Haͤnschen wollte davon lau- fen. Kind, sagte der Vater, du wirst doch nicht glauben, daß ich dich ins Ungluͤck fuͤh- ren will. Wenn ichs nicht besser wuͤßte, so wuͤrde ich dich nicht mitgenommen haben. Der Knabe wurde dreister, und indem kamen ein Paar auf sie zugehuͤpft. Giebs Fangei- sen her, sagte der Vater. Schnapp hatte er eins weg. Nun lief Haͤnschen selbst hin- ter her, und fieng noch einige. Weil es aber aber dunkel war, konnten sie nichts daran se- hen. Als sie nach Hause kamen, legte der Vater das Fangeisen in seinen Schrank, und hieß Haͤnschen ruhig zu Bette gehen. Mor- gen, sagte er, will ich dir alles weisen. Der Morgen kam, und Haͤnschen lief gleich zum Vater. Dieser holte das Fang- eisen her. Und was hatten sie darinn? Eine weiche klebrichte Materie, wie man aus der Nase schnaubt. V. Das ist die ganze Sache, mein Sohn, wovor sich so viele Leute so aͤngstlich fuͤrch- ten. Haben sie das wohl Ursache? H. Vater! was ist es denn? Wie kann das leuchten und huͤpfen? V. Es sind fettige Ausduͤnstungen von dem todten Vieh, die sich in die Hoͤhe heben, und von der Luft herumgefuͤhrt werden, und leuchten. H. Ist H. Ist es denn Feuer? V. Nein, nur so etwas aͤhnliches, das nur leuchtet, aber nicht brennt. Kamst du nicht neulich Abend erschrocken vom Hofe, da ich Holz gekriegt hatte, und sagtest: das Holz brenne? Das faule Holz leuchtet auch im Finstern. H. Wie verfuͤhren sie denn aber die Leu- te in den Morast, wie Lenen begegnet ist? V. Eigentlich thun sie das nicht. Weil aber aus dem Morast auch dergleichen Duͤn- ste aufsteigen; so muͤssen die Leute wohl hin- einkommen, wenn sie diesen Dingern, die daher Irrwische oder Irrlichter heißen, fol- gen, und sie fuͤr Licht im Dorfe ansehen. H. Noch eins, lieber Vater! Lene sprach vom Gerichte, wo der Galgen und die Raͤ- der stuͤnden. Da waͤren sie auch, und es waͤre da herum nicht recht richtig. Was mag das seyn sollen? V. Wie V. Wie es die einfaͤltigen aberglaͤubi- schen Leute glauben, so sagen sie es. Das nicht richtig seyn, nennen sie spuken, und bilden sich ein: die Geraͤderten und Gehaͤng- ten giengen herum spuken, und machten die Leute zu fuͤrchten; und die Irrlichter waͤren ihre Seelen. Kannst du das glauben? Es ist eben die Ursache da, warum sie auf der Aaskuhle, als warum sie hier sind. Denn hier unter dem Gerichte sind auch viele todte menschliche Koͤrper verfault, und daher sind auch hier eben solche fettige leuchtende Duͤn- ste. Fuͤrchtest du dich noch, mein Sohn? H. Nein! mein Vater, alle Furcht ist weg. V. Zur Belohnung will ich dir noch was sagen, was du noch nicht weißt, aber ge- wiß hoͤren wirst, wenn du einmal auf Reisen koͤmmst, und des Nachts mit der Post faͤh- rest. Da sagen die Postillions, wenn sie der- dergleichen Dinger sehen: man muͤsse ja nicht beten, sondern fluchen. Durch das erste kaͤmen sie herzu, huͤpften auf den Pferden herum, ja den Leuten auf die Nase. Durch das letzte aber wuͤrden sie weggejagt. H. Das ist ja sonderbar. Das moͤchte ich doch auch wissen. V. Es gehet wieder sehr natuͤrlich zu. Aber weder das Beten noch das Fluchen hat die Kraft, sie anzulocken und wegzutreiben. Wenn einer in den Umstaͤnden betet, ist er in Angst, und zieht die Luft an sich. Dann kommen die unschuldigen Dingerchen mit, dichte vors Maul. Wenn aber einer flucht, so ist er heftig, und stoͤßt die Luft von sich weg. Dann gehen sie auch mit fort. H. Ja! ja, Vater, so ist es auch, und das ist sehr natuͤrlich. Bleib zu Hause, Lene, mit deinen Possen. Ich weiß es nun besser. K XXXI. Von XXXI. Von der Furcht vor dem Gewitter. A ch! Vater, es blitzt schon wieder, sagte Dorchen mit vieler Angst. Was ist dir, mein Kind? antwortete der Vater. Du hast dich ja sonst nicht gefuͤrch- tet. Wie koͤmmt das? Gewiß hat dir jemand was in den Kopf gesetzt. D. Ach lieber Vater! Sie wissen, daß ich Ihnen alles ehrlich bekenne. Also will ichs auch jetzt thun. Neulich sagte mir ein kleiner Junge in der Schule: der Blitz schluͤ- ge die Leute todt, und seit der Zeit fuͤrchte ich mich wieder vor dem Gewitter. V. Das ist deine gerechte Strafe, mein Kind, daß dich die Furcht so quaͤlet, weil du einem kleinen dummen Jungen mehr glaubst, als deinem Vater, der sich alle Muͤhe giebt, dir dir die falsche Furcht zu nehmen. Hab’ ich dir nicht oft genug gesagt: du solltest dich nicht vor dem Gewitter fuͤrchten? Siehest du denn, daß ich mich so aͤngstlich davor fuͤrchte? Hab’ ich dir nicht oft genug gesagt: es komme nicht unmittelbar von dem lieben Gott, wie sichs die Leute vorstellen: daß der liebe Gott da uͤber den Wolken saͤße, und den Blitz, Hagel und Regen herunterwerfe? D. Ja! ists denn nicht so? darum hab’ ich mich eben so gefuͤrchtet. V. Nein! mein Kind, der liebe Gott hat alles, von der ersten Schoͤpfung an, in der Natur dazu so eingerichtet, daß ein Ge- witter entstehen kann. Wenn sich von der Erde so viele waͤsserige Duͤnste in die Hoͤhe gezogen haben, daß sie oben in den Wolken nicht mehr bleiben koͤnnen, und zu schwer werden; so fallen sie in unzaͤhligen Tropfen herunter, und dann regnets. So auch mit K 2 dem dem Gewitter. Wenn die dazu gehoͤrigen Umstaͤnde in der Luft da sind, so koͤmmt es; und wenn sie nicht da sind, so koͤmmt es nicht. D. Hat denn aber der liebe Gott gar nichts damit zu thun? V. O ja! denn sonst entstuͤnde ja das Gewitter ganz von ohngefaͤhr, und koͤnnte machen, was es wollte. Der liebe Gott hat dabey alles vorhergesehen und eingerichtet, wie es kommen solle. Es geschiehet dabey nichts ohne seinen Willen, ohne seine Regie- rung und Zulassung. Und da der liebe Gott alles zum Besten der Menschen thut; so hat er ihnen auch das Gewitter zur Wohlthat gemacht. Kind, verstehst du mich wohl? oder kannst du das noch nicht alles begreifen? D. Nicht so recht, lieber Vater! aber doch besser, als vorher. V. Du siehest doch immer gerne zu, wenn dein Vater eine Uhr macht. Wenn sie nun fertig fertig ist, so haͤngt er sie hin, und sie gehet durch die Gewichte, Raͤder und andre Thei- le von selbst, wenn sie aufgezogen ist. Darf ich nun wohl immer die Hand daran haben, wenn sie gehen soll? D. Nein! sie gehet doch. V. Siehe, so ists mit den Dingen in der Natur, und mit dem Gewitter auch. Die ganze Welt ist wie eine große Uhr, die der liebe Gott gleichsam bey der Schoͤpfung auf- gezogen hat, und die nun immer fortgehet, wie er es haben will. D. Ja! nun verstehe ichs besser. Aber sagen sie mir doch noch mehr vom Gewitter. Ich hoͤre es gar zu gern. V. Das will ich wohl thun, wenn du es dazu gebrauchen willst, deine Furcht vor dem Gewitter abzulegen. D. Das sollen sie sehen. K 3 V. Du V. Du willst doch gerne wissen, wie das Gewitter entstehe? Wenn es im Sommer zu warm wird — denn im Winter koͤmmt selten ein Gewitter — so sammlen sich in der Luft so viele feurige Duͤnste, die sich leicht entzuͤnden, wie du an dem Schwefel und Schießpulver schon gesehen hast. Wenn diese Duͤnste sich zusammen einander druͤcken und reiben; so brennen sie zuletzt an. Wo die Flamme durchfaͤhrt, das ist der Blitz. Dieser zerreißt die Luft, und wenn diese wie- der zuruͤckschlaͤgt, wo sie weggetrieben ist, das ist der Donner. Probiere es einmal, und laß ein Schnupftuch vor deinem Gesich- te niederschlagen; so wirst du die Luft fuͤhlen. Wenn sich nun der Schall an den Bergen und Wolken stoͤßt, so wird er oft wiederholt, und darum rollt der Donner so, ob es gleich nur ein Schlag ist. Da wir neulich auf dem Berge waren, wo das Echo ist, das dir immer immer nachrief, und eine Flinte losgeschos- sen wurde, hoͤrtest du den Schuß wohl zwan- zigmal nach einander. So ist es mit dem Donner auch. Und dabey sag’ ich dir noch, daß der Donner gar keinen Schaden thut, auch niemand todt schlaͤgt; denn es ist blos- ser Luftschall. Davor darf man sich also eben so wenig fuͤrchten, als vor dem Schal- le, den die Glocken machen, wenn sie gelaͤu- tet werden. D. Das alles ist mir sehr angenehm; aber der Blitz ist doch schaͤdlich, und kann todt schlagen. V. Darauf will ich dir auch antworten. Du bist nun sechs Jahre alt. Hast du schon gehoͤrt, daß der Blitz hier in der Stadt ei- nen todt geschlagen hat? Ich bin bald sech- zig Jahre alt, und an keinem Orte, wo ich gelebt habe, ist solches geschehen. Also ist es etwas sehr seltenes. Unter hundert tau- K 4 send send Menschen trifft er kaum einen. Denn die meisten Blitze schlagen oberwaͤrts in der Luft hin, und verzehren sich. Weißt du nun gewiß, daß du der Eine seyn sollst? Kann dich nicht eben so bald ein Dachziegel todt schlagen? Wer sich so vor alles in der Welt fuͤrchten wollte, was ihn toͤdten koͤnnte, der haͤtte keine ruhige Stunde. Davor ist der lie- be Gott, der uns behuͤtet, und wie du schon gehoͤrt hast: ohne dessen Willen kein Sper- ling vom Dache, und kein Haar von deinem Kopfe faͤllt. Deswegen aber muß man nicht unvorsichtig und vorwitzig seyn, oder sich muthwillig in Gefahr begeben. Man muß zur Zeit eines nahen Gewitters die Zugluft vermeiden, weil der Blitz gern dahin ziehen soll, wo ein Zug ist. Auch des Abends, wenn es draußen sehr finster ist, muß man nicht viel in den Blitz sehen, weil das den Augen schadet; aber nicht vor Furcht in den Keller Keller kriechen. Denn da ist man eben so wenig sicher, wenn der Blitz treffen soll. D. Aber das Gewitter thut doch gar zu viel Schaden. Ich bin einmal im Gewitter unterwegs gewesen, da ich kaum vier Jah- re alt war, wie sie wissen. Alles verhagelte und verschlemmete, und man sahe viele Mei- len nichts gruͤnes mehr. Ach wie erbaͤrm- lich sahe das aus? Die armen Leute! Das sollte doch der liebe Gott nicht thun. Es heißt zwar, er strafe; aber sind denn alle die Leute gottlos gewesen? Das kann ich mir nicht vorstellen. V. Da hast du Recht, mein Kind! Glau- be das ja nicht, daß der liebe Gott durchs Gewitter strafe. Er giebt dadurch unend- lich mehr Gutes als Boͤses. Wir muͤßten zuletzt vor Hitze ersticken, wenn kein Gewit- ter kaͤme. Der Blitz verzehret die Schwe- felduͤnste. Der Wind und Platzregen reini- K 5 get get die Luft, daß es wieder kuͤhle wird. Wie gerne gehst du dann wieder in die Schule, wenns nicht mehr so heiß ist! Der Donner erschuͤttert die Erde, daß sie locker wird. Der Regen erquickt die Pflanzen, die sonst verdor- ren muͤßten, daß das Vieh wieder auf den Wiesen und Angern frisches gruͤnes Futter findet, und die Aepfel, Birnen und Pflan- men gut gerathen. Wie schoͤn gruͤnet das Feld nach einem fruchtbaren Gewitter! D. Aber der Schaden ist doch fast noch groͤßer, den es thut? V. Warte nur. Gleich wirds kommen. Wenn denn auch einmal Hagel faͤllt, und das Korn auf dem Felde niederschlaͤgt, oder der Wind ein Paar Baͤume zerbricht, und der Platzregen einige Felder uͤberschwemmt; so ist das ein kleiner Fleck von einigen Meilen, wo der Schaden geschehen ist, und einige funfzig Meilen sind dagegen herrlich befruch- tet. tet. Ist das nicht ein weit groͤßerer Nutzen, den das Gewitter bringt, als der Schaden, den es thut? Und bey allen Gewittern ha- gelts auch nicht, und geschieht gar kein Schaden, sondern lauter Gutes, lauter Segen. D. Aber das Todtschlagen des Blitzes, lieber Vater, kann ich noch nicht vergessen. Es ist doch wahr, daß der Blitz zuweilen die Leute todtschlaͤgt. V. Wie ich dir schon gesagt habe, sel- ten, sehr selten. Und wenns geschieht, doch nicht ohne Gottes Zulassung, Rath und Wil- len. Das merke dir. Es muß daher denen Leuten, die es trifft, zum Besten dienen. Sonst ließe es der liebe Gott nicht geschehen. Es ist der geschwindeste und wohlthaͤtigste Tod, weil sie gar nichts vorher davon wis- sen und fuͤhlen. Die alte Marie, die du oft besuchst, hat nun schon zehn Jahre an der der Gicht, wie ein Kruͤppel, auf dem Bette gelegen, und kann keine Nacht vor Schmer- zen schlafen. Ist das nicht viel schlimmer? Da uns nun in der Welt so viele andere Din- ge eben so leicht toͤdten koͤnnen; so muͤssen wir immer fromm leben und Gutes thun. Dann duͤrfen wir uns vor keiner Art des Todes fuͤrchten, wenn es auch Gott gefallen sollte, uns durch den Blitz sterben zu lassen. D. O lieber Vater! wie dank ich ihnen fuͤr diese Lehre und Trost! Nun fuͤrchte ich mich vor keinem Gewitter mehr, und will den lieben Gott immer als meinen besten Va- ter liebhaben, und nichts Boͤses thun; so kann mir kein Blitz was schaden. XXXII. Vom XXXII. Vom Mißbrauch des Namens Gottes. W as meynst du, Eberhard, sagte der Vater, wenn die andern Kinder bey allen ihren Spielwerken, oder wenn sie sich zanken und schlagen, oder bey den geringsten Kleinigkeiten, bestaͤndig deinen Namen nen- nen und aussprechen wuͤrden: wie wuͤrde dir das gefallen? Ich wuͤrde denken, antwortete der Kna- be, sie thaͤten es mir zum Torte, sie woll- ten mich dadurch necken und beschimpfen. Aber, lieber Vater! das thun die Kinder nicht. Warum fragen sie denn darnach? Hoͤre weiter. Wuͤrdest du dich nicht wun- dern, wenn du hoͤrtest, daß andere bey aller Gelegenheit deines Vaters oder deiner Mut- ter Namen im Munde haͤtten? Ich will ein- mal mal den Fall setzen: Marie in der Kuͤche haͤt- te sich in den Finger geschnitten. Das thaͤ- te ihr wehe. Nun riefe sie in einem weg: Ach das boͤse verfluchte Messer! und nun mei- nen Namen hinterher. Was wuͤrdest du denken? Oder Marie und Hanne zankten sich, brauchten die haͤßlichsten Scheltworte und Fluͤche, und hinter jedem solchen Worte dei- ner Mutter Namen. Was meynst du da- von? Lieber Vater, erwiederte Eberhard, ich verstehe Sie nicht recht. Was meynen Sie damit? Nun so hoͤre, was ich meyne, war des Vaters Antwort. Ihr Kinder hoͤrt leider von andern so oft den Namen Gottes und Jesus aussprechen; und zwar so, daß es abscheulich ist, es anzuhoͤren, bey welchen Kleinigkeiten, Schimpf- und Scheltwoͤrtern, Fluͤchen und nichtswuͤrdigen Reden, der Na- me me Gottes gemißbraucht, und Herr Gott, oder Herr Jesus, oder Gotts tausend, ge- sagt wird. Ich mag es nicht einmal nach- sagen, wie es die schlechten Leute machen. Du wirst es leider schon manchmal vom Ge- sinde, auch von andern Kindern gehoͤrt ha- ben, wie sie es machen. Du hast dirs selbst schon so angewoͤhnt, daß du immer bey al- len Gelegenheiten Herr Jesus sagst. So leicht koͤnnen sich Kinder das Boͤse angewoͤh- nen, ohne zu wissen, daß es Boͤses ist. Du weißt noch nicht, was das fuͤr eine große Suͤnde ist, den heiligen Namen Gottes so zu mißbrauchen. Wenn du das andere Gebot erst verstehest, dann wirst du es selbst ein- sehen, und vor dir selbst erschrecken, daß du unwissend schon diese große Suͤnde so oft ge- than, und andern nachgemacht hast. Siehe! darum sage ich dirs jetzt schon zur Warnung. Was jetzt bey dir noch Ge- wohn- wohnheit ist, das wird nachher Suͤnde, wenn es erst so weit gekommen ist, daß du es der Gewohnheit wegen nicht mehr lassen kannst, aber selbst weißt, daß du Unrecht daran thust. Lieber Eberhard! du kennest Gott und den Herrn Jesum noch nicht. Sonst wuͤr- dest du es nicht thun. Hoͤrest du das wohl von uns, deinen Aeltern? Wuͤrden wir das leiden, wenn du unsere Namen so veruneh- ren und mißbrauchen wolltest? Kein Koͤnig wird das leiden, daß die Leute und Untertha- nen seinen hohen Namen so schaͤnden und laͤ- stern duͤrfen. Das weißt du doch, daß der liebe Gott der Allerhoͤchste und Beste ist, von dem die Menschen und Kreaturen alles Gute haben, und der uns seinen lieben Sohn Je- sum zum Erloͤser, Lehrer und Wohlthaͤter ge- sandt hat, daß wir ihn lieben, und alles Gute von ihm lernen sollen. Heißt das nun ihn ihn lieben, wenn du seinen Namen so verun- ehrest, und alle Augenblicke Herr Jesus sagst? Was meynst du, wenn der liebe Gott das allemal so strafen wollte, wie es diese Suͤn- de verdiente; wenn er dir davor alle Speise, Kleider, Gesundheit und alles Gute, was du von ihm hast, wieder naͤhme; haͤttest du das nicht verdient? Sage an, ob du mich nun verstehest? Ach ja, lieber Vater! nun verstehe ich Sie. Ach! sprach er mit weinenden Augen, ich habe es ja nicht gewußt, daß das so un- recht ist. Ja, ich habe den lieben Gott oft dadurch beleidiget. Ich habe es so von an- dern gehoͤrt. Ich wills gewiß nicht wieder thun. Wenn du mich recht liebest, fuhr der Va- ter fort, so halte dein Wort. Du kannst mich durch nichts mehr betruͤben, als wenn du Gott verunehrest, der uns so viel Gutes L giebt. giebt. Folge nun desto mehr der Regel, die ich dir so oft gegeben habe: Man muß von andern schlecht erzogenen Leuten keine boͤse Gewohnheiten lernen. XXXIII. Das unreinliche Kind. F riederike war in allen Stuͤcken ein unrein- liches Kind. Alle ihre Kleider waren voll Flecke von Fett und Bier. Die Haare hiengen ihr um den Kopf herum, und die Strumpfbaͤnder an den Beinen herunter. Das Haͤßlichste war, daß sie sich selten wusch, und auch nicht einmal des Morgens, wenn sie aufgestanden war. Was waren die Folgen ihrer Unreinlich- keit? Andere Kinder wollten sie nicht mehr unter sich leiden. Sie beschmierte andere mit mit ihren haͤßlichen Kleidern. Sie roch aus dem Munde, weil sie sich solchen nie des Morgens ausspuͤhlte. Sie hatte schwarze faule Zaͤhne, und war andern ein rechter Abscheu. Wie liebenswuͤrdig wird ein Kind durch Ordnung und Reinlichkeit! Dorchen hielt al- le ihre Spielsachen ordentlich und reinlich, und ihre Kleider ebenfalls. Daher kams, daß es ein Kleid noch sechsmal so lange hat- te, als Friderike, die in einem Jahre wohl dreye, viere haben mußte. Welches Kind war nun seinen Aeltern kostbarer? und wo- durch? Durch nichts als durch Reinlichkeit, da durch Unreinlichkeit die besten und dauer- haftesten Sachen in kurzer Zeit ruinirt werden. Wenn Friederike alle Augenblicke uͤber Zahnschmerzen und andere boͤse Zufaͤlle im Munde klagte, so war Dorchen gesund, weil L 2 sie sie sich fleißig den Mund ausspuͤhlte, und den Schleim von den Zaͤhnen abrieb, der sie ansteckt, wenn er faul wird. Wenn Friede- rike allen ekelhaft wurde, durch den haͤßli- chen Geruch, der ihr aus dem Munde kam; so wurde Dorchen gern von allen gekuͤßt. Denn sein Odem war gesund und rein, sei- ne Zaͤhne wie Elfenbein, und sein Gesicht wie eine Rose, die ein schoͤner Regen abgespuͤhlt hat. Macht also nicht Unreinlichkeit unge- sund, und gewissen Thieren gleich, die ich nicht nennen will? XXXIV. XXXIV. Nadel im Munde. W enn die Kindermaͤdchen die Kinder aus- und anziehen, so pflegen sie gemeinig- lich die Nadeln in den Mund zu nehmen, und davon lernen die Kinder leicht diese hoͤchst- gefaͤhrliche Gewohnheit. Hast du die Nadel schon wieder im Mun- de? sagte der Vater zu Minchen. Du wirst wohl noch erfahren, was du dir fuͤr ein Un- gluͤck zuziehest, wenn du einmal die Nadel hinunterschluckst. So kam es auch. Min- chen vergaß, daß sie die Nadel im Munde hatte, fieng an zu schlucken oder zu sprechen. Husch! war sie in der Kehle, wo sie in der Queer stecken blieb. Da haͤtte man das Un- gluͤck und jaͤmmerliche Geschrey hoͤren sollen. Der Vater ließ gleich einen Wundarzt holen. Ehe dieser kam, floß das Blut schon L 3 aus aus dem Halse, und Minchen wollte immer ersticken. Als er kam, konnte er die Nadel nicht mehr fassen. Er mußte also einen krum- men Haken von Drath machen. Damit fuhr er in die Gurgel hinunter, faßte die Na- del, und riß sie mit Gewalt heraus, daß das Blut hinterher floß. Das Kind kriegte ei- nen boͤsen Hals, und mußte wohl vierzehn Tage gespruͤtzt werden, ehe es wieder heil wurde. Siehst du nun, sagte der Vater, was du angerichtet hast? So gehts, wenn man sich gar nicht will sagen und warnen lassen. Danke Gott, daß die Nadel nicht in den Ma- gen gekommen, oder in die Gedaͤrme gegan- gen ist, und sich da wo durchgestochen hat. Dann haͤttest du ganz gewiß, und unter vie- len Schmerzen sterben muͤssen. Es ist mit dem menschlichen Magen nicht so wie mit dem Magen der Thiere. Diese koͤnnen mehr ertra- ertragen. In dem Magen der Gaͤnse und Enten findet man oft eiserne Naͤgel, große Nadeln, und dergleichen, die sich manchmal queer durchgestoßen haben, und verwachsen sind, ohne daß es ihnen im geringsten ge- sehadet haͤtte. Hab’ ich doch einmal in dem Magen eines Klapperstorchs Steine, große Glaßscherben, und eine Messerklinge gefunden. Auf ein andermal nimm dich also huͤbsch in Acht. XXXV. Das Pinken mit den Augen. K inder sind oft wie die Affen, die alles nachmachen, was sie sehen. In der Schule war ein kleines Maͤdchen, welches sich das Augenpinken so angewoͤhnt hatte, L 4 daß daß es solches nicht mehr lassen konnte, und es recht haͤßlich anzusehen war. Christian mochte meynen, das ließe recht schoͤn, und pinkte bestaͤndig mit den Augen, wenn er einen ansahe, oder wenn ihm etwas erzaͤhlt wurde. Erst that ers nur, wenn er daran dachte; zuletzt bestaͤndig. Es wur- de ihm oft verboten, und gesagt: er waͤre den Affen und Eulen gleich. Die machten es auch so. Es half aber nichts, und er machte es immer aͤrger. Endlich schwaͤchte er die Augenlieder da- durch so sehr, daß er sie zuletzt fast gar nicht mehr regieren und in die Hoͤhe ziehen konnte. Da sahe er es ein, wie schaͤdlich ihm das war, und gewoͤhnte sich die Unart bald ab. So muͤssen die Kinder oft mit Schaden klug werden, wenn sie nicht folgen wollen. XXXVI. XXXVI. Gespenster . N ehmen Sie es nicht uͤbel, lieber Vater! daß ich noch einmal frage, sagte Dor- chen: sollte es denn keine Gespenster geben, wie die Leute sagen, die des Nachts auf den Kirchhoͤfen, in den Kellern, in wuͤsten Schloͤs- sern, herumgehen, und andere zu fuͤrchten machen? Ich hoͤre doch so viel von der weis- sen Nonne, von dem Moͤnche, von dem grau- baͤrtigen Maͤnnchen, von dem Hunde mit feurigen Fuͤßen und Augen, von Todtenkoͤ- pfen, von dem wilden Jaͤger, von dem wuͤ- thenden Heer und dergleichen, daß ich gar zu gerne wissen moͤchte, wie es damit beschaffen waͤre. Ich glaube das Zeug alles nicht; aber woher mag denn solch Geschwaͤtze kom- men? Das moͤchte ich nur wissen. Wer L 5 kann kann mir das auch besser sagen, als Sie, lie- ber Vater? V. Ja, mein Kind, das Vergnuͤgen will ich dir gerne machen. Erstlich sag’ ich dir uͤberhaupt, daß verstaͤndigen Leuten, die sich fassen koͤnnen, und nicht gleich vor Furcht oder Schrecken außer sich sind, und sich nicht mehr besinnen koͤnnen, ganz und gar nichts spukt. Ferner, daß dreiste Leu- te, die drauf losgehen und zugreifen, wenn es heißt: da steht ein Spukeding, gemeinig- lich die Sache entdecken, was es gewesen ist. Mir hat in meinem Leben nichts ge- spukt, da ich doch so viel auf Reisen gewe- sen, so manche liebe stockfinstre Nacht gereist, und an so manchem fremden Orte gewesen bin. Daraus kannst du schon sehen, liebes Kind, daß es einfaͤltige, leichtglaͤubige Leu- te sind, die sich so was weißmachen lassen, oder daß sie zu furchtsam sind, die Sache zu unter- untersuchen, und daher fest auf ihrem Ko- pfe bleiben, daß es gespukt habe. D. Ja! lieber Vater, sie haben Recht: die Furcht macht den Leuten erschreckliches Zeug vor; zumal des Abends, wenn es finster ist, und man nicht recht mehr sehen kann. So gieng mirs neulich selbst. Ich kam auf den Hof, und hinten an der Scheu- ne stand was Weißes. Mir liefs kalt uͤber die Haut. Doch gieng ich gerade drauf zu. Was war es? Ein weißes Tuch, das trocken werden sollte. V. Daß dirs kalt uͤber die Haut lief, war nichts als die Furcht und die Vorstel- lung, daß es etwas unnatuͤrliches und ein Spuk sey. Wenn das koͤnnte verhuͤtet wer- den, daß ein Kind nie das Wort Spuk oder Gespenst hoͤrte, so wuͤrde es sich auch nie- mals fuͤrchten, sondern im Finstern ohne Schaudern gerade auf alles zugehen. Was Was die Furcht bey den Leuten thut, da- von will ich dir laͤcherliche und traurige Exem- pel erzaͤhlen. Die Furcht vergroͤßert alles, und stellt den Leuten just die Dinge vor, die sie in ihrer Einbildung haben, als ob sie aus- ser ihnen wirklich da stuͤnden. Wenn viele furchtsame Leute beysammen sind, und einer glaubt einen Spuk zu sehen; so sehen sie ihn alle so, wie ihn der eine beschreibt. Ich reiste einmal des Nachts auf der Post, wo allerhand Leute bey mir saßen, die die ganze Nacht durch von Drachen, Gespen- stern und solchen Erscheinungen sprachen. Ich und noch ein vernuͤnftiger Mann be- muͤhten uns, ihnen das aus dem Kopfe zu bringen. Sie blieben aber dabey, und sag- ten: sie haͤtten es mit ihren Augen gesehen. Als wir an die naͤchste Station kamen, bere- dete ich mich mit dem Mann, wir wollten vorgeben, wir saͤhen was, so wuͤrden die an- dern dern es bald auch sehen. Als wir wieder auf dem Postwagen saßen, und durch einen dicken Wald fuhren, sagte mein Kamerad erschrocken: Ach! was ist das? Was steht denn da? Wo denn? riefen die andern: Da, da, linker Hand, ein schwarzer Kerl mit ent- setzlichen Armen und Beinen. Ja! ja! sag- te ich: da steht er, und setzte hinzu: ach, wie ihm die Augen funkeln! Nun sahen ihn die andern auch. Der eine sagte sogar: er koͤmmt naͤher. Postillion, fahre zu. Und nun beschrieben sie den Kerl noch abscheuli- cher. Wir sagten, daß wir nun doch fast Gespenster glauben sollten. Nicht lange dar- auf that ich, als wenn ich zusammenfuhr, wies gen Himmel, und sagte: sehen sie doch da den feurigen Baͤr, der da durchzieht. Welch ein Schwanz! sagte mein Kamerad. Alle sahen ihn nun auch, und schwuren drauf, daß es so waͤre. Hier- Hierauf giengen die Erzaͤhlungen erst recht an. Da hatte der eine bey dem Gal- gen und Rade den Todten herumgehen gese- hen, mit dem Kopfe unter dem Arme. Der andere hatte Raben mit feurigen Schnaͤbeln auf dem Galgen sitzen gesehen. Und was des albernen Zeugs mehr war. Als wir nun an Ort und Stelle kamen, sagten wir es den guten Leuten, wie wir es gemacht haͤtten, damit sie nun aus eigener Erfahrung sehen moͤchten, was Furcht und Einbildung thun koͤnnten. Sie mußten es eingestehen, und dankten uns sehr, daß wir sie so uͤberzeugt haͤtten. Bey dieser Gelegenheit beziehe ich mich auf das Salzmannische Elementarbuch S. 10. 11. Ein besseres Buch, nebst den uͤbrigen vortreffli- chen Schriften dieses gesalbten Mannes, koͤnnen Aeltern ihren Kindern gar nicht in die Haͤnde geben. XXXVII. XXXVII. Fortsetzung des 36sten Stuͤcks. V. Merke dir das ja, mein Kind! auf deine ganze Lebenszeit, was die Furcht thun kann. Alle Spukhistorien kommen ent- weder von Dieberey , oder von Betrug , oder von ganz natuͤrlichen Dingen her, welche die Furcht vergroͤßert. Es war ein reicher Kaufmann in einer großen Stadt, der einen sehr großen Vor- rath kostbarer Gewuͤrzwaaren, als Koffee, Zucker u. s. w. hatte. In dessen Hause fieng es Abends nach eilf Uhr gewaltig an zu spuken. Ob gleich alle Thuͤren verschlos- sen waren, so gieng es doch durch alle Stu- ben, Saͤle, Boͤden und Kammern, und schlug die Thuͤren so entsetzlich, daß die Fen- sterscheiben klangen. Im Anfange war man noch so dreist, einmal nachzusehen. Da man man aber eine entsetzlich hohe Gestalt mit ei- nem weißen Laken und schwarzen Baͤndern sahe; so zweifelte niemand mehr, daß es nicht die vor kurzem verstorbene Frau des Kauf- manns waͤre. Denn nicht lange nach ihrem Tode hatte es erst angefangen, so im Hause zu laͤrmen. Der Kaufmann war etwas aberglaͤubisch und furchtsam. Daher verbot er alle ferne- re Untersuchung; und wenn es des Abends eilfe geschlagen hatte, so mußten alle seine Leute erst vor ihn kommen, und dann zu Bet- te gehen. Er aber verschloß und verriegelte sich, und sang viele Lieder wider die Gespen- ster und Nachtgeister. D. O! weiter, lieber Herzensvater. Wie wird das Ding kommen? V. Es kam so, daß verschiedene Laden, diener und Maͤgde wegzogen, weil sie den Spuk nicht mehr ausstehen konnten, der so drei- dreiste wurde, daß er dem Herrn und den Leu- ten an die Kammer kam, und aufklinken woll- te. Da es bekannt wurde, so rieth man dem Kaufmann, er sollte doch ja recht nach- sehen, ob auch alle seine Leute im Hause, und jeder an seinem rechten Orte waͤre. Ja! sagte er, das sind sie. Denn sie muͤssen des Abends, ehe der Spuk angeht, alle vor mich kommen. Aber, hieß es, sind sie auch alle des Nachts in ihren Kammern? Da trauete sich der Herr selbst nicht herumzugehen. Gleichwohl versicherte es einer von dem an- dern. Mit dem Glockenschlag zwoͤlf hoͤrte der Spuk auf, und es wurde alles ruhig. D. Wurde es denn nicht entdeckt, lie- ber Vater? V. Es war Dieberey und Betrug, wie du gleich hoͤren sollst. Der Herr bekam ei- nen neuen Ladendiener, der viel gereist war, und sehr vernuͤnftig dachte, auch von Furcht M vor vor Gespenstern gar nichts wußte. Als ihn der Herr annahm, sagte er ihm dabey: Punkt eilfe muͤsse er zu Bette gehen, weil es in sei- nem Hause gewaltig spuke. Er hoͤrte das stille an, legte sich zu Bette, und hoͤrte in der ersten Nacht den Spuk auch ruhig an. Des andern Tages besahe er die Gelegenheit des Hauses, und nahm eine Laterne, eine gute Peitsche, und einen tuͤchtigen Strick mit in die Kammer. So bald es eilfe schlug, gieng das Thuͤrenschlagen und Kollern wie- der an, daß allen die Haare zu Berge stun- den. Er aber nahm ganz getrost seine Later- ne, Strick und Peitsche, und gieng dem Spu- kedinge nach. Er traf es just mitten auf dem großen Saale an. Da es ihn sahe, kam es gerade auf ihn zu, als eine entsetzliche Ma- schine. Er betrachtete es ohne Furcht, und sahe, daß es keine Fuͤße hatte, sondern auf Stelzen stand. Harre, dacht’ er, dich will ich ich kriegen. Da er stehen blieb, blieb das Ding auch stehen. Denn es merkte, daß der Mensch dreist war. Mit einemmale aber, ehe sich es versahe, lief der Diener auf dasselbe los, und rennte es um und um, daß es wie ein Mehlsack mitten in den Saal fiel. Und nun war er mit der Peitsche druͤber her. Bey jedem Schlage fuͤhlte er was menschliches. Endlich fieng das Ding an jaͤmmerlich zu schreyen. Wer bist du? Keine Antwort. Bav, Bav, mit der Peitsche druͤber her. Ach! Barmherzigkeit, rief eine klaͤgliche Wei- berstimme. Als er ihm das Tuch abriß, sahe er, daß es das Kindermaͤdchen war. Er faßte es oben bey den Haaren, und schlepp- te es so vor seines Herrn Kammer. Als die- ser den entsetzlichen Laͤrm hoͤrte, rief er: um Gottes willen, was willst du, Gespenst! ich habe dir ja nichts gethan. Aufgemacht! rief der Diener. Kennen sie meine Stimme? M 2 Hier Hier bringe ich das ganze Gespenst. Der Herr machte auf, und konnte erst seinen Au- gen nicht trauen, da er das Kindermaͤdchen zu seinen Fuͤßen winseln sahe. Nun rief der Diener alles Gesinde zusam- men, daß sie das Gespenst sehen mußten. D. Aber, warum hatte denn das Mensch das gethan? V. Merkst du das noch nicht? Es be- kannte nun alles. Es habe sich einen Haupt- schluͤssel machen lassen, der alle Thuͤren schloß. Es habe es gleich nach der Frau Tode ange- fangen, um die Leute erst in Furcht zu setzen. Den Laͤrm habe es darum durch alle Zimmer gemacht, damit sie sich desto mehr fuͤrchten moͤchten. Auf den Stelzen sey es gegangen, um dadurch den Leuten desto mehr einzubil- den, es sey ein Gespenst. Wenn es nun recht sicher gewesen waͤre, so waͤre es hinten ins ins Waarenlager gegangen, und haͤtte sich Zucker, Koffee und dergleichen geholt. D. Das war schon recht, daß sie dich gekriegt haben. V. Aber siehest du nun, mein Kind, wie schaͤdlich die gar zu große Furcht sey? Waͤ- re der Diener nicht so beherzt gewesen, wie viel haͤtte das Mensch den Herrn noch besteh- len koͤnnen! Und wie lange mag es ihn schon auf diese Weise bestohlen haben! Das war eine Spukhistorie, die von Betrug und Die- berey herruͤhrte. Und deren sind die aller- meisten. M 3 XXXVIII. XXXVIII. Fortsetzung des 37sten Stuͤcks. D. Sie wollten mir ja noch ein Paar Hi- stoͤrchen erzaͤhlen. V. O ja! liebes Kind, weil ich glaube, daß ich dir dadurch die Gespensterfurcht am besten benehmen kann. Erst ein Paar lustige. Dann ein Paar traurige, die keinen guten Ausgang hatten. Es war einmal ein loser Knecht, der die Maͤgde wollte zu fuͤrchten machen, weil die eine sagte: sie fuͤrchte sich vor nichts. Er geht des Abends in seinen Stall, nimmt die Stallkatze, und klebt ihr mit Pech unter alle vier Fuͤße vier halbe Nußschaalen. Darauf setzt er sie ins Haus. Doch daß ichs nicht vergesse. An den Schwanz hatte er ihr noch eine Blase mit Crbsen gebunden. Die Katze konnte ihre Krallen nicht ausstrecken, und also also nicht klettern, sondern fiel allerwegen zu- ruͤck, wo sie hinspringen wollte. Was das fuͤr einen Laͤrm im Hause gab, da sie mit den Nußschaalen, Trepp auf, Trepp unter, klap- perte, kannst du dir vorstellen. Nicht an- ders, als wenn zehn Regimenter die Trep- pen herunter gerasselt waͤren. Denn wenn es in der Nacht stille ist, kann man alles Ge- raͤusch doppelt hoͤren. Die Maͤgde schwitzten vor Angst in ihrer Kammer, und keine ge- trauete sich herauszugehen. Des andern Morgens wurde der Betrug entdeckt, und der Knecht bekam einen derben Verweis, da die Herrschaft von einer Reise zuruͤckkam. Denn es ist nicht recht, einfaͤltige Leute zu fuͤrchten zu machen, und ihre Einfalt zu miß- brauchen. Eine andere lustige von mir selbst. Ich war einmal Bey einem Prediger auf dem Lan- M 4 de. de. Eine wahre Geschichte. Der Mann klagte mir des Abends, daß seine Leute noch immer glaubten, einer seiner alten Vorfahren gienge, als ein klei- nes graues Maͤnnchen mit langem Barte und spitzem Huthe, spuken, und er habe davon in seiner Haushaltung vielen Schaden. Just um die Zeit hoͤrte man auch von vielen Raͤu- bern, Spitzbuben, Mordthaten, Einbruͤ- chen und gewaltsamen Diebstaͤhlen auf dem Lande. Es war einige 30 Jahre vor deiner Geburt. Wir sprachen den ganzen Abend von sol- chen Dingen, und giengen spaͤt zu Bette. Ich wußte des Hauses Gelegenheit recht gut, und schlief auf dem Saale in einer Stube, welcher gegenuͤber eine groͤßere war, auf welcher Malz zum Brauen getrocknet wurde. Es war heller Mondschein. Ich lag im Bet- te, und hatte noch meine Gedanken. Das Bet- Bette stand seitwaͤrts von der Stubenthuͤr, die ich nicht abgeschlossen hatte. Doch la- gen ein Paar geladene Pistolen auf dem Ti- sche unter dem Spiegel. Mit einemmale hoͤrte ich, daß was ganz langsam mit starken Tritten die Treppe her- auf kam. Diese war gleich vor der Stuben- thuͤr. Da ich merkte, daß es vor der Thuͤr schnob, als einer, der den Druͤcker suchte, so richtete ich mich auf, und sahe gerade nach der Thuͤr, weil der Mond uͤberaus helle in die Stube schien. Indem schlugs auf den Druͤcker. Die Thuͤr sprang auf, und ein kleines graues Maͤnnchen mit langem Barte trat zwischen die Thuͤr. Vor dem er- sten Schrecken bey solchen Dingen kann sich kein Mensch huͤten; aber man muß sich da- durch nur nicht ganz außer sich selbst bringen lassen, daß man nicht mehr weiß, wo man ist, oder was man thut. Ich erschrack sehr, M 5 weil weil mir gleich das kleine graue Maͤnnchen des Vorfahren einfiel. Als ich mich faßte, rief ich: wer da? was willst du? Da gieng das Ding zuruͤck. Die Thuͤr fiel wieder zu, und nun hoͤrt ich es nach der andern Stube zu schlarfen. Es druͤckte den Druͤcker eben so hart nieder, aber die Stube war verschlos- sen. Ich dachte der Sache ein Bißchen nach, konnte aber nicht herauskommen. Jetzt hoͤrte ichs wieder an meiner Stubenthuͤr. Da vergiengen mir mit einemmale die Spuk- gedanken, und ich glaubte nun ganz gewiß, daß es Diebe und Spitzbuben waͤren, die nur erst haͤtten zusehen wollen, ob ich fest schliefe. Ich also aus dem Bette heraus, nach der einen Pistole. Bauz zum Fenster her- aus. Mit der andern aber nach der Thuͤr. Als ich die aufmachte, rathe, Dorchen, was davor stand, und was ich sahe? D. Va- D. Vater! das kann ich nicht; aber ich wundere mich uͤber ihre Dreistigkeit. Was war es denn? V. So mußt du auch werden, wenn du dich nicht vor allem Quark fuͤrchten willst. Es war, horche wohl zu: es war der alte Stallziegenbock . Der hatte sich den Abend zuvor ins Haus geschlichen, war nach dem Malze auf der andern Stube gegangen, und war erst an meine Thuͤr unrecht gekommen. Natuͤrlich sahe er im Mondschein mit seinem Barte wie das mir beschriebene graue Maͤnn- chen aus. Die Komoͤdie ist noch nicht aus. Ich war so boͤse, daß ich ihn auf den Fuß nahm, und uͤber Hals und Kopf die Treppe herun- ter schmiß. Der Prediger und seine Frau schliefen unten bey der Wohnstube. Als sie den Schuß hoͤren, springen sie auf, und nach der Thuͤr, weil sie glauben, es sind Die- be be da. Und so wie sie die Thuͤr aufmachten, flog ihnen der Ziegenbock meckernd entgegen. Da hatten die Leute einen neuen Schreck. Das halbe Dorf kam in Allarm, und wir hatten genug zu thun, die Leute zu beruhi- gen. Endlich gieng alles lachend aus ein- ander, uͤber die laͤcherliche Ziegenbocksspuk- historie . XXXIX. Fortsetzung des 38sten Stuͤcks. D. Lieber Vater, die Histoͤrchen sind doch noch nicht alle. Das weiß ich. Er- zaͤhlen Sie doch. V. Noch eine lustige will ich zum Besten geben, wobey du sehen sollst, daß man es oft so wunderlich nicht denken kann, als es sich sich zutraͤgt, und daß es doch ganz natuͤrlich zugehet. Vor einigen Jahren werden bey einer ansehnlichen Stadt zween Pferdediebe gehan- gen. Abermals eine wahre Geschichte. Kurz nachher koͤmmt des Abends der Laͤrm in die Stadt, die armen Suͤnder schluͤgen sich in dem Galgen, und rasselten gewaltig mit ihren Ketten. Anfaͤnglich ach- tet man nicht darauf. Es kommen aber Personen, die es beschwoͤren wollen, selbst gesehen und gehoͤrt zu haben. Man paßt noch nicht darauf. Die Post, die bey dem Galgen dichte vorbey muß, und des Abends gegen zehn Uhr kommen soll, koͤmmt erst um Mitternacht, und da der Postmeister schmaͤhlt, so sagt der Postillion: Er koͤnne nicht davor. Er wolle auch nicht mehr dadurch fahren. Da in dem Galgen sey der boͤse Geist los. Die armen Suͤnder schluͤgen sich, daß die Ket- Ketten prasselten. Seine Pferde waͤren fluͤch- tig geworden, und mit ihm Feld ein gegan- gen. Er danke Gott, daß er nicht den Hals gebrochen habe. Wer weiß, sagte der Post- meister, was du im Kopfe gehabt hast? Da hast du das Geschwaͤtze auch gehoͤrt, und, um dir ein Herz zu machen, der Brannteweins- pulle brav zugesprochen, und dann auf die Pferde losgeschlagen, was das Zeug halten wollen. Da mußten sie wohl Feld ein gehen. O uͤber die feige Memme! Der Postillion be- stand darauf, er sey voͤllig nuͤchtern gewe- sen. Er habe stille gehalten, und eigentlich zugesehen, wie die Koͤrper gegen einander ge- flogen waͤren. Da haͤtten seine Pferde ge- schnoben, gepruͤstet, hinten und vorn aus- geschlagen, und waͤren mit ihm von der Seite durchgegangen. Der Postmeister schuͤttelte den Kopf, und sagte: warte, ich will das naͤchstemal den Wagen- Wagenmeister mitschicken. Da wirds ganz anders kommen. Ja! alleene, sagte der Postillion, eck ok nich wedder. Am Tage liefen viele Menschen hinaus, und sagten: die armen Suͤnder saͤhen viel zerlumpter aus, als vorher, und die Haare hiengen ihnen auch weit graͤßlicher um den Kopf herum, als sonst. D. Nun, Vater, auf das Ende bin ich begierig. V. Als das naͤchstemal die Post, die den Wagenmeister des Morgens mitgenommen hatte, des Abends wieder kommen sollte, giengs eben so, und sie kam erst des andern Morgens. So hatte sie sich verfahren. Der Postmeister sprach von Pruͤgeln und Absetzen. Beyde aber bezeugten mit vielen Fluͤchen und Schwuͤren, wie schlechte Leute zu thun pfle- gen, daß es eben so gegangen waͤre, und die Koͤrper gar greulich zusanunengeflogen; die die Pferde aber wieder fluͤchtig geworden waͤren. In der Stadt wurde der Spektakel im- mer groͤßer. Dieß bewog den Postmeister, bey der Garnison zu bitten, ein Commando Soldaten den naͤchsten Abend herauszuschi- cken, und die Sache genauer untersuchen zu lassen. Ein Unterofficier mit sechs Mann wird herausgeschickt. Als sie in der Daͤm- merung dem Galgen naͤher kommen, sehen sie schon die Koͤrper gegen einander fliegen, und hoͤren auch ein Aechzen: hau! hau! Die Haare steigen ihnen zu Berge; sie laufen al- le davon, und berichten, was sie gesehen ha- ben. Des andern Abends wird ein Lieute- nant mit zwanzig Mann und zween Unterof- ficiers herausgeschickt. Als sie ankommen, geht das Spiel schon vor sich. Das Com- mando macht Halt, und der Officier, ein vernuͤnftiger und beherzter Mann, sagt: hier bleibt bleibt stehen, und ich will mit den Unteroffi- cieren und sechs Mann naͤher gehen. Er that es, und sahe sehr genau, wie beyde Koͤrper gegen einander geworfen wurden. Er sahe aber endlich, wie zwischen den Koͤrpern ein dicker Pruͤgel wankte, und hoͤrte nun auch das Baffen des Pruͤgels. Dieß bewog ihn, zu rufen: Wer da: Indem hielt der Pruͤgel ein, und es kam hinter dem einen Pfeiler ei- ne Person hervor. Den Augenblick waren die Unterofficiere mit den sechs Mann fort. Der Officier mochte rufen und schreyen wie er wollte. Was sollte er machen? Er muß- te folgen, weil er verlassen war. Als er sich umsahe, lief wirklich jemand mit einer großen Stange hinter ihm her. Daher fieng er auch an zu laufen. So bald das vorderste Commando das sahe, giengs in vollem Gallop nach der Stadt zu; die Per- son aber mit dem Pruͤgel hinter her, bis N ins ins Thor. Da sahe man denn, daß es ein wirklicher Mensch war. Er wurde er- griffen und in die Wache gebracht. Bey weiterem Nachfragen erfuhr man, daß es ein verruͤckter, verarmter Edelmann in der Naͤhe war, der sich einbildete, die armen Suͤnder haͤtten ihn arm gestohlen, und alle Abende, wenns finster wurde, hingieng, und die Koͤrper im Galgen aus Rache pruͤgelte. Haͤttest du dir wohl vorgestellt, daß die Sache einen solchen Ausgang nehmen wuͤrde? XL. Fort- XL. Fortsetzung des 39sten Stuͤcks. D. Fast fuͤrchte ich mich gar nicht mehr, lieber Vater! je mehr sie mir solche Historien erzaͤhlen, wo alles so ganz natuͤr- lich zugegangen ist, so wunderbar und fuͤrch- terlich es auch im Anfange schien. V. Ja freylich, mein Kind! Lerne dar- aus, wie viel auf eine gelassene und vernuͤnf- tige Untersuchung solcher Dinge ankomme, und wie gut es sey, daß man fruͤhzeitig die Wirkungen natuͤrlicher Dinge kennen lerne, welche einfaͤltige und unwissende Leute so oft fuͤr einen Spuk ansehen. Es war einmal ein Kloster, in welchem des Abends im Kreuzgange ein Hund mit feu- rigen Augen und Fuͤßen spuken gehen sollte. Ein vernuͤnftiger Arzt paßte auf, und hatte den hintersten Ausgang verschließen, den vor- N 2 der- dersten Eingang aber offen gelassen. Als es Abend wurde, stellte er sich an den vorder- sten Eingang. Da kam der Hund, und wollte seinen gewoͤhnlichen Weg hinten her- aus nehmen. Er hatte wirklich feurige Au- gen und Fuͤße. Der Arzt machte hinter ihm zu, und nun wurde der Hund gefangen. Daß seine Augen im Finstern leuchten, ist bekannt. Das thun die Katzenaugen auch. Und wenn man eine schwarze Katze im Fin- stern ruͤckwaͤrts streicht; so giebt sie Funken und Flammen von sich, weil dadurch eine gewisse feine Materie in ihren Haaren in Be- wegung kommt, die man elektrische Mate- rie nennt, davon du schon manches gese- hen hast. D. Ach ja, Vater, da neulich der Mann aus Goͤttingen hier war, und mit der Luft, die er in die ekektrische Pistole brachte, mit einem einem Funken einen Kork herausschoß, daß es knallte wie Pulver. Aber was hatte denn der Hund an den Fuͤßen, daß sie feurig aus- sahen? V. Das war recht sehr kurioͤs. Er hatte eine weiße klebrichte Feuchtigkeit dar- an, welche im Finstern leuchtete. Als diese abgewischt wurde, so war auch das Leuch- ten weg. Nun kam es darauf an, zu un- tersuchen: was war das fuͤr eine Materie, und woher hatte sie der Hund an die Fuͤße bekommen? Man sperrte den Hund bis den andern Abend ein; nun ließ man ihn laufen, und folgte ihm nach. Da kam man an ei- nen Graben, wo ein ganzer Haufen todter Fische hingeworfen war. Darinn wuͤhlte der Hund herum. Was ihm nun an den Fuͤßen und Maule sitzen blieb, das leuchtete. Als man mit einem Stocke in dem Haufen herumruͤhrte, leuchtete der ganze Haufen, N 3 und und der Stock auch. Denn die todten fau- len Fische leuchten eben so stark im Finstern, als das faule Holz. Da wußte man mit einemmale die ganze Sache, den ganzen Spuk. D. O! das ist allerliebst. Das ge- faͤllt mir. V. Noch ein solches Histoͤrchen will ich dir erzaͤhlen, wie man mit bloß natuͤrlichen Dingen andere in Furcht setzen und betruͤgen kann. Es war einmal ein Spitzbube, der in einer großen Stadt in einem vornehmen Wirthshause logirte, und merkte, daß die Tochter des Hauses viele Juwelen und kost- bare Sachen in ihrem Zimmer hatte. Er hatte zu allen Schloͤssern Nachschluͤssel. Des Nachts kleidet er sich aus, und nimmt Phos- phorus mit sich. Den kennst du auch schon. Er hemalt sich die Finger, so leuchten sie. Die Die Schuhschnallen, den Degen in der Hand, und so gehet er in die Kammer, wo das Maͤd- chen schlaͤft. Da stand er nun ganz feurig vor ihr. Dieses kriecht unter das Bette, und vergehet bald vor Todesangst. Mitt- lerweile gehet er im Zimmer herum, und ma- let Todtenkoͤpfe und andere fuͤrchterliche Fi- guren an die Waͤnde, die alle leuchten. Da er nun meynt recht sicher zu seyn, so packt er alle Kostbarkeiten ein, und macht sich fort. Des andern Morgens merkte man den Be- trug, und als es Abend wurde, leuchteten die Stellen an der Wand noch. So leicht kann man bestohlen werden, wenn man al- les fuͤr Spuk haͤlt. N 4 XLI. Fort- XLI. Fortsetzung des 40sten Stuͤcks. D. Aber, lieber Vater! bitte, bitte, eins wollen sie mir noch erklaͤren. Was meynen denn die Leute mit dem wilden Jaͤ- ger , der sich des Nachts in großen Waͤldern, in der Luft mit Hunden, Jagdhoͤrnern, und fuͤrchterlichen Stimmen soll hoͤren lassen? V. Das meiste davon ist Furcht und Einbildung der Leute. Etwas aber ist doch wahr davon, und geht wieder sehr natuͤrlich zu. Es kam einmal ein Reisender, ich glau- be in Schlesien, oder wo es gewesen ist, zu seinem guten Freunde, einem Amtmann, der nahe an einem großen Buͤchenwalde wohnte. Des Abends sprachen sie von dem wilden Jaͤ- ger und dem wuͤtenden Heere, das ihn be- gleitete. Der Der Amtmann sagte: ich weiß doch wirk- lich noch nicht, was ich von der Sache den- ken soll. Ich bin gar nicht aberglaͤubisch; aber was ich ohne Furcht selbst gesehen und gehoͤrt habe, lasse ich mir nicht ausreden. Wenn es wie jetzt bald gegen das Fruͤhjahr geht, so hoͤrt man des Nachts, wenn es recht finster ist, um Mitternacht uͤber dem Wal- de ein entsetzliches Geschrey und fuͤrchterliche Stimmen durch einander, hu! hu! die nicht an einem Orte bleiben, sondern sich weiter ziehen. Man siehet auch viele Flammen, und sogar allerley fuͤrchterliche Figuren in der Luft herumziehen. Das waͤhret fast bis ge- gen Morgen, und das hab’ ich alles mehr als einmal mit meinen Augen gesehen. Der Reisende, der ein großer Naturken- ner war, wurde sehr aufmerksam, und bat seinen Freund, ihm Morgen Abend zu erlau- ben, hinauszureuten, und den Spektakel N 5 mit mit anzusehen. Ganz gern, antwortete der Amtmann, und wir wollen erst heute Nach- mittag hinausreuten, um uns einen beque- men Ort zum Anstande auszusuchen. Sie waͤhlten einen ziemlich hohen Berg dichte vor dem großen Walde; hatten sich aber mit ein Paar tuͤchtigen Flinten versehen. Als es finster wurde, hoͤrten sie schon von weitem im Walde einzelne Stimmen: Uhu! Uhu! Nicht lange darauf mehrere. Und nun sa- hen sie auch uͤber dem Walde große schwarze Figuren in der Luft ziehen, die Flammen von sich strahlten. Hierauf gieng der Laͤrm, das Geschrey und das Wuͤten erst recht an, wie eine Jagd, da immer gerufen wird: hu, hu! hu, hu! Der Zug kam naͤher, und die Pfer- de wurden scheu. Sie ließen sie hinter den Berg fuͤhren. Der Amtmann wollte weg- reuten. Ich bitte Sie gar zu sehr, sagte der Reisende, bleiben Sie hier, ganz still; und nahm nahm seine Flinte. Als der Zug uͤber den Berg kam, schoß er drunter, und es stelen ein Paar Figuren herunter, die entsetzliche Flammen von sich strahlten. Der Reisende gieng naͤher, wo sie lagen, und da sie an der Erde herumhuckten, schoß er sie noch einmal mit der andern Flinte. Da hoͤrten die Flam- men auf. Nun griff er sie an, und hob sie auf. Was war es wohl? D. Das moͤcht’ ich wissen. V. Du sollst es gleich erfahren. Es wa- ren große Voͤgel . Sie nahmen sie mit sich, und als es Tag wurde, erkannte sie der Na- turforscher gleich fuͤr die groͤßte Art von Nachteulen , die man Ubus oder Schuwe- huthe nennet. Ihre Augen sind wie kleine Teller, die im Finstern gewaltig leuchten. Ihre Stimmen Uhu, Uhu. Das war das Rufen des wilden Jaͤgers. Und ihr Zug? weil weil die Maͤnnchen im Fruͤhjahre die Weib- chen verfolgen, daß sie sich paaren wollen. Da war denn das wuͤtende Heer mit ei- nemmale entdeckt. Der Amtmann ließ des Morgens laͤuten, und die Dorfgemeine zu- sammen kommen, zeigte ihnen die Voͤgel, und erklaͤrte den Leuten die ganze Sache, daß sie sich nun nicht mehr vor dem wilden Jaͤger und dem wuͤtenden Heere fuͤrchten duͤrften. XLII. Fortsetzung des 41sten Stuͤcks. D. Ach! wenn ich nur erst groͤßer waͤre, daß ich recht viel aus der Natur ler- nen koͤnnte! Die liebe Natur! sie ist doch gar zu schoͤn, und thut dem Menschen so viel Gutes, wenn sie nur sehen und hoͤren wol- len. Aber ich erinnere mich, bester Vater! daß daß Sie mir noch ein Paar Historien mit trau- rigem Ausgange erzaͤhlen wollten. V. Die erste wird dir schon aus des Herrn von Rochows Kinderfreunde bekannt seyn. Es wollen einige Knechte in einem Garten nahe am Kirchhofe Aepfel stehlen. Der eine muß sich ein weißes Tuch umhaͤn- gen, und sich auf den Leichenstein setzen; in- zwischen die andern desto sicherer stehlen koͤn- nen, weil alle auf den Kirchhof kommende vor dem weißen Gespenste zuruͤcklaufen. Das treiben sie so einige Abende. Endlich koͤmmt ganz spaͤt ein Jaͤger uͤber den Kirchhof, und sieht das Gespenst. Er bleibt siehen, und ruft es wohl dreymal an. Da es aber nicht antwortet, schießt er dem Kerl die Beine voll Schrot, daß er lange liegen, und viele Schmerzen ausstehen mußte. Das sind die Folgen von solchen Nar- renspielen, wenn man ein Gespenst vorstellen, und und andere zu fuͤrchten machen will. So lange die Leute alle furchtsam sind, geht es am Wenn aber einmal ein dreister und herzhafter drunter ist, so nimmts gemeinig- lich keinen guten Ausgang. So war es auch einmal in einer Stadt auf dem Harze. Da sitzen die Gerberknech- te eines Lohgerbers des Abends in der Stu- be, und sprechen von Gespenstern. Der eine lacht die andern aus, und sagt: er fuͤrch- te sich vor nichts in der Welt. Die andern geben sich einen Wink, und gehen vorher aus der Stube. Draußen bereden sie sich, wie sie ihn wollen zu fuͤrchten machen. Der Mensch muß uͤber den Hof am Wasser weg- gehen, wo die noch unbereiteten Kuhhaͤute dichte an der Wasserfuͤlle liegen, wo das Wasser aus dem Strom gefuͤllt wird. Da treten die beiden hin, und spannen eine Kuh- haut so aus, daß dem einen just die Hoͤrner auf auf dem Kopfe zu stehen kommen, und da- mit legen sie sich an die Erde. Als der an- dere nun dichte bey der Fuͤlle ist, so richten sie sich auf, und treten in dieser fuͤrchterli- chen Gestalt vor ihn. Der Mensch erschrickt dergestalt, daß er einen lauten Schrey thut, und zur Seite uͤber die Fuͤlle gerade ins Was- ser springt. Der große Hofhund, der dich- te bey der Fuͤlle liegt, sieht das, reißt sich von der Kette los, springt dem Menschen ins Wasser nach, und beißt ihm die Kehle ab. War das nicht der traurigste Ausgang einer angestellten Spukerey? Waren die muth- willigen Leute nicht Schuld daran, daß der arme Mensch so elend ums Leben kam? Eben so weiß ich noch eine andere Ge- schichte von ein Paar Buͤrgern, die des Abends vor dem Thore in einem Wirthshause bis in die spaͤte Nacht sitzen. Der eine hat mit ei- nem andern einen langen Proceß gehabt, un- ter ter welchem dieser letztere gestorben, und an demselben Tage begraben worden ist. Je- ner muß des Abends, wenn er nach Hause will, dichte vor seinem Grabe vorbey uͤber den Gottesacker gehen. Nimm dich in Acht, sagt sein Kamerad, daß dich der und der nicht bey den Ohren kriege, oder aufhucke, wenn du nach Hause gehest. Dieser, ein roher halb betrunkener Mensch, vermißt sich sehr, daß er keine Furcht habe. Der Kamerad geht kurz vorher weg, und stellt sich hinter die Gottesackermauer. Als der andere kommt, so schleicht er ihm hinten nach, und springt ihm auf den Ruͤcken, daß er ihn bis ans Thor tragen muß. Da verlaͤßt er ihn, und giebt sich zu erkennen. Indessen war der andere so sehr erschrocken, daß er nach ein Paar Tagen starb. XLIII. Das XLIII. Das neugierige Kind. E s ist wohl recht gut, neugierig zu seyn, und viel wissen zu wollen; aber es ist nicht gut, wenn Kinder allzuneugierig sind, und alles wissen wollen, was sie nichts an- gehet. 1) Darum, weil es sich fuͤr sie, als Kin- der, noch nicht schickt, nach allem zu fragen. 2) Weil es ihnen noch nicht nuͤtzlich ist, alles zu wissen, und ihnen vieles schaden wuͤr- de, da sie es noch nicht beurtheilen koͤnnen. 3) Weil sie noch nicht alles verstehen und begreifen koͤnnen. 4) Weil es nicht klug waͤre, ihnen schon alles zu sagen, da sie selbst noch nicht klug genug sind, eine Sache zu verschweigen, und aus kindischer Einfalt oft Dinge wieder aus- schwatzen, die andere nicht wissen duͤrfen, O wo- wodurch viel Unheil, Argwohn, Zank und Feindschaft entstehen kann. 5) Weil sie durch ihre Neugier und vie- les Fragen andern zur Last werden, und selbst Gelegenheit geben, daß ihnen was weißge- macht oder aufgebunden wird, wodurch sie denn am Ende selbst laͤcherlich werden. Frag nicht nach allem, sagte der Vater zu der allzuneugierigen Louise, bey der die Neugier schon ein Fehler geworden war. Wenn jemand kam, und mit dem Vater allein sprechen wollte, und sie herausgewie- sen wurde; so blieb sie vor der Thuͤr stehen, und horchte, oder that, als ob sie in der Stube haͤtte was liegen lassen. Schickte sich das wohl fuͤr das Kind, das alles zu wissen, was der Vater, der ein oͤffentliches Amt fuͤhrte, mit andern Leuten zu reden hatte? Es Es kam einmal eine Frau zu ihrer Mut- ter. Die klagte, wie sie sich mit ihrer Nach- barin gezankt, und wie sie diese ausgeschol- ten haͤtte. Louise fragte nach allen Umstaͤn- den und Scheltworten. War ihr das wohl nuͤtzlich zu wissen? Ein andermal wurde in einer Gesellschaft bey Tische vom Handel, Fabriken und andern Dingen gesprochen. Die neugierige Louise fragte alle Augenblicke dazwischen, daß der ei- ne Mann immer in seiner Rede inne halten mußte, und ganz verdruͤßlich wurde. Da sagte er endlich: Juͤngferchen, daß laͤßt nicht fein, daß Kinder immer dazwischen reden, wenn verstaͤndige Leute mit einander sprechen. Bleibe sie noch bey ihren Puppen. Das ver- steht sie noch nicht. Da wurde Louise roth, und mußte sich schaͤmen. O 2 Eines Eines Abends kam ein Mann zu ihrem Vater, und brachte etwas unter dem Rokelor. Der Vater gieng allein mit ihm in die Stube, und schloß die Thuͤr ab. Nach einer halben Stunde gieng der Fremde wieder weg. Louise wollte vor Neugier bersten. Sie fragte wohl zehnmal, was brachte denn der Mann ge- stern Abend? Sie bekam einen Verweis, und mußte schweigen. Endlich war sie einmal in der Stube bey den Aeltern, die von der Sache sprachen, und just nicht darauf achteten, daß sie da war. Da sagte der Vater: es ist mir doch lieb, daß mir der Mann neulich Abend meine tausend Thaler wieder gebracht hat, die ich schon verloren gegeben hatte. Louise ließ sich nichts merken, daß sie das gehoͤrt hatte. Sie lief gleich in die Gesinde- stube, und sagte mit großer Freude: nun weiß ichs doch, was der Mann im Rokelor ge- bracht bracht hat. Tausend Thaler hat er meinem Vater gebracht. Gleich schloß sie der Vater in seinen Schrank. Ich sollte es nicht wis- sen. Heysa! nun weiß ichs doch. Heysa! nun wird mir der Vater schon noch ein neues Kleid kaufen. Der eine Knecht hoͤrte das kaum, so machte er schon einen Anschlag auf das Geld. Des andern Morgens war der Schrank auf- gebrochen, und Knecht und Geld waren fort. Ist es wohl rathsam, daß die Kinder al- les wissen? Wie groß war der Schaden, den Louise durch ihre Neugier und Schwatzhaf- tigkeit anrichtete! Die neugierigen Leute sind sehr leicht- glaͤubig, und lassen sich alles aufbinden. So giengs Louisen auch. Sie war in der Gesindestube, wo zwey mit einander heimlich sprachen. O! wie quaͤlte sie die Leute, das zu wissen, was sie O 3 gespro- gesprochen haͤtten! Marie sagte: Cathrine haͤtte ihr was heimliches gesagt. Sie duͤrf- te es aber keinem Menschen wieder sagen. Nun wurde sie erst recht neugierig. Nun gieng das Fragen und Bitten erst recht an. O! liebe Marie, sage mirs doch. Ich bit- te dich gar zu sehr. Ich wills ja keinem Menschen wiedersagen. Bey solchen Gelegenheiten gewoͤhnen sich auch Kinder das leichtsinnige Verschwoͤren und Vermessen leicht an. Da es Marie nicht laͤnger aushalten konn- te, so sagte sie ihr endlich heimlich ins Ohr: Cathrine hat gestern Abend in ihrem Bette einen großen Schatz gefunden. Ach was denn? fragte Louise noch neugieriger. Was war es denn? Wie viel war es wohl? O sa- ge mirs doch. Das darf ich schlechterdings nicht, antwortete Marie. Sage sie es aber ja ja nicht wieder. Gleich wußten es alle an- dern Kinder. Des Abends bey Tische sagte der Vater zu Louisen: wie sitzest du denn, als wenn du traͤumtest? Ach! lieber Vater, antwortete sie, ich kann es nicht auf dem Herzen behalten. Cathrine hat gestern Abend in ihrem Bette einen großen Schatz gefunden. Der Vater merkte gleich, daß ihr wegen ihrer Neugier was weißgemacht war. Er gieng heraus, fragte Cathrinen, kam wieder herein, und sagte: es ist doch wirklich wahr. Wir wol- len hingehen und den Schatz besehen. Cathrine mit dem Lichte voran. Alle Kinder und der Vater hinterher. Die Kam- mer wurde aufgeschlossen. Louise konnte sich vor Neugier nicht lassen. Sie war die erste, die zum Bette lief, und es aufdeckte. Da entstand ein graͤuliches Gelaͤchter. Die Katze hatte ins Bette geheckt, und da la- gen fuͤnf junge Kaͤtzchen drinn. O 4 Loui- Louise stand wie versteinert. Siehe da! sagte der Vater, da ist dir schon recht gesche- hen. Auf ein andermal sey wieder so neu- gierig, und frag nach allen Possen. O! wie wurde da Louise ausgelacht! XLIV. Die Einfalt . D ie Einfalt koͤmmt aus der Unwissenheit. Je weniger ein Kind lernt, desto ein- faͤltiger ist es. Und wenn es so aufwaͤchst: was wird denn wohl aus ihm? Es kann sich mit nichts behelfen. Es wird betrogen. Es wird seiner Dummheit wegen von allen aus- gelacht. So gieng es dem einfaͤltigen Johann, der in seiner Jugend gar nichts gelernt hatte. Als ihn ein Herr aus Mitleiden im 16ten Jahre in in Dienste nahm, wußte er nicht, was ein Huth, was eine Kleiderbuͤrste, eine Lichtputze, und dergleichen war. Von einer Taschen- uhr hatte er in seinem Leben nichts gehoͤrt. Da der Herr auf einer Reise im Wirths- hause schlief, sagte er zu ihm: bleib diese Nacht hier in der Stube, und gieb auf mei- ne Sachen Achtung. Er legte sich zu Bette, und die Beinkleider auf den Stuhl vors Bet- te. Als es stille wurde, hoͤrte Johann die Uhr in den Hosen picken. Er schlich sich sach- te hin, und horchte. Da pickte es noch staͤr- ker. Halt, sagte er, dich will ich kriegen, ergriff den Stiefelknecht, und schlug tuͤchtig drauf los. Er hielt wieder das Ohr hin, und es pickte nur noch sachte. Bav, bav, giengs wieder drauf zu. Und nun war alles stille. Harre, sagte er, kannst du nun stille seyn? Von dem letzten Schlagen erwachte der Herr, und fragte: was er vorhaͤtte. Er O 5 ant- antwortete: er haͤtte da in den Hosen eine Maus todt geschlagen. Kerl, sprach der Herr, bist du toll? Das wird gewiß meine Uhr seyn. Er stand auf und sahe bey dem Nachtlicht sei- ne Uhr in tausend Stuͤcken. Der dumme einfaͤltige Mensch! So gehts, wenn man die bekanntesten Dinge des menschlichen Lebens nicht weiß. XLV. Von Kindern, die sich vor alles fuͤrchten. A ch Dorchen! ich bin entsetzlich erschro- cken, sagte Fritze. Wovor denn? antwortete jenes. Vor einer Maus, die mir uͤber die Hand lief. Ich dachte gar! er- wiederte D. Wie kannst du dich vor einem sol- chen unschuldigen Thierchen so fuͤrchten, das keinem was zu Leide thut? Ich fuͤrchte mich gar gar nicht davor. Ich kann sie angreifen, uͤbers Fell fahren, beym Schwanze nehmen: nur wenn sie lebendig sind, nehme ich mich in Acht, daß sie mich nicht beißen. Wie machst du denn das, daß du dich nicht davor fuͤrchtest? Ich ekle mich davor, sprach Fritze. Das hat mich mein Vater ge- lehrt, sprach D. Er ließ mich die Ratzen und Maͤuse anfassen, da ich kaum zwey Jahr alt war, und noch nicht wußte, daß man sich davor fuͤrchten koͤnnte. So auch leben- dige Froͤsche. Er that es selbst, da that ichs nach. Als ich groͤßer wurde, durfte keiner aufschreyen, und sich erschrocken anstellen, wenn er eine Maus, Ratze oder Frosch sahe. Denn davon kommt unsre Furcht davor al- lein her, wenn sich Vater oder Mutter, oder die Maͤgde anstellen, als ob das Haus im Feuer stuͤnde, sobald sie so was sehen. Se- hen wir Kinder nun so was mit an, ehe wirs wirs besser verstehen, so wird uns die Furcht natuͤrlich. Ja, Dorchen, so ist es auch. Du hast recht. Daher hab’ ich meine Furcht. Bloß von der Kindermuhme. Die schrie so entsetz- lich auf, wenn sie eine Maus sahe, daß ich zusammenfuhr. Dann zeigte sie auf das Thierchen, und sagte: ba, ba, ein haͤßli- ches, giftiges Thier. Lief auch wohl mit mir zur Stube heraus. Nun will ich doch sehen, ob ich das nicht lassen kann, da du die Maͤuse sogar beym Schwanze kriegst. Der ist ja aber giftig. Nein, Fritzchen! das ist er nicht, sagte Dorchen. Das sagen die Leute nur so, weil sie es nicht besser wissen. Mein Vater sagt aber ganz anders. Er ist ganz voll Sta- cheln und Haare, besonders bey den Ratzen. Ach ich habe einmal ein Stuͤckchen Haut von einem solchen Schwanze unter des Vaters Ver- Vergroͤßerungsglase gesehen. Stacheln, wie große Baͤume. Die braucht die Ratze zum Klettern. Drum kann sie an der Wand hin- auflaufen. Da nimmt sie den Schwanz un- ter sich nach dem Kopfe hin. Dann stechen die Stacheln in den Kalk, und sie kann sich daran festhalten. So hat mirs der Vater erklaͤrt. Ist das nicht artig? Ja freylich ist es das. Bald fuͤrchte ich mich nicht mehr davor. Aber vor den Spin- nen moͤcht’ ich in den Keller laufen. Die sol- len erschrecklich giftig seyn. Nein! Kind, das sind sie auch nicht, er- wiederte Dorchen. Sie sind nicht so haͤß- lich, wie du dir vorstellst. Einige haben die schoͤnsten Farben, und ich stehe oft ganze Stunden vor einem Spinnennetze, und wer- fe Fliegen hinein. Da faͤhrt denn die Spin- ne wie ein Blitz darauf los, und wickelt die Fliege mit ihrem Faden ein, als wenn dein klei- kleines Schwesterchen gewickelt wird. Her- nach schleppt sie solche in ihr Loch, und saugt sie aus. Es sieht charmant aus. Eine Spinnenzange solltest du unter dem Vergroͤs- serungsglase sehen. Schoͤners kann man fast nichts sehen. Fuͤrchte dich nicht davor. Ich kann sie auch angreifen. Aber, liebes Dorchen, hat dir der Va- ter nichts von Kroͤten gesagt? Die Leute krie- gen ja dicke Haͤnde, wenn sie einen anhauchen. Ja, mein Fritzchen, war Dorchens Ant- wort, der Vater hat mich davor gewarnt, daß nichts von ihrem Urin an mich kaͤme. Der waͤre scharf, und zoͤge Blasen. Das Anhauchen sey falsch. Und die Kroͤte sey ein bloßer Landfrosch. Giftig aber waͤren sie nicht. Ich habe oft zugesehen, wenn der Vater welche aufgeschnitten hat. Sie sehen inwendig accurat wie ein Frosch aus. Du darfst dich nicht vor ihnen fuͤrchten. Sie thun thun dir nichts zu Leide. Ich habe immer Mitleiden mit den armen Thieren, wenn sie die grausamen Jungen so aufspießen, und elendiglich verhungern lassen. Kinder, die sich vor solchen Dingen gar zu aͤngstlich fuͤrchten, muͤssen manchen schoͤ- nen Sommerabend wegen der Froͤsche, Kroͤ- ten und Spinnen entbehren, und gar zu Hau- se bleiben, wenn andere Kinder auf der an- genehmen Wiese spazieren gehen. XLVI. Etwas Nuͤtzliches . E s ist uͤberaus gut, Kinder fruͤhzeitig mit allen Dingen des menschlichen Le- bens bekannt zu machen. Es raucht schon wieder in der Stube, sagte der Vater zu der Mutter. Ich fuͤhle es es an meinen Augen. Hole mir doch, mei- ne Liebe, ein Paar faule Aepfel. Was wollen Sie denn damit, liebster Vater? sagte Dorchen; doch nicht essen? B. Das sollst du gleich sehen, wenn der Ofen nur etwas kaͤlter ist. Du weißt, daß ich immer geklagt habe, daß man keinen fe- sten Ofenkitt habe, und daß der Leim bestaͤn- dig abfalle, womit die Ritzen verschmiert sind. Dann rauchts, und du klagst selbst oft uͤber die Augen. Ein solcher feiner Rauch ist den Augen sehr schaͤdlich. D. Was wollen Sie denn mit den fau- len Aepfeln? V. Einen Ofenkitt machen. Dazu habt ihr Kinder mir selbst Gelegenheit gegeben. Wenn ihr Borstorferaͤpfel in die heiße Roͤhre legt, so braten sie, und wenn sie platzen, so laͤuft der Saft heraus. Wenn der ans Ei- sen antrocknet, so wird er so fest, daß man ihn ihn mit dem Messer nicht abschrapen kann. Siehe zu, nun will ich den Ofen verschmie- ren. Erst streiche ich die Ritzen dicke voll weichen Apfel, und dann Leim druͤber. Her- nach heize ich scharf ein, daß der Apfel an- backt. Dann faͤllt es nicht wieder ab, son- dern haͤlt sehr fest, und wir haben keinen Rauch in der Stube. D. Wieder was gelernt. XLVII. Von Kindern, die alles ruiniren. J ettchen aͤstimirte auch gar nichts, was sie von ihren Aeltern bekam. Sie rui- nirte gleich alles. Waren es ein Paar neue Schuhe, so gieng sie damit in den tiefsten Koth. War es ein neues Kleid, so sahe es den andern Tag aus, als waͤre sie damit in P einer einer Fleischerbude gewesen. Von Spielsa- chen schonte sie gar nichts. Die niedlich- sten Sachen lagen kurz und klein in der Stu- be herum. In einem Tage brauchte sie wohl sechs Schieferstifte. Kurz, sie war eine rech- te Verwuͤsterin aller guten Sachen, und wur- de ihren Aeltern dadurch viel kostbarer, als drey andere Kinder, die ihre Sachen zu Ra- the hielten, und schonten. Das ist der erste Grund zur Verschwen- dung , wenn sie groͤßer werden, und keiner Sache zu schonen gelernt haben. Kinder wissen noch nicht, was eine Sache kostet, und wie sauer es den Aeltern wird, das al- les zu verdienen, was sie gebrauchen. Jettchen wurde deshalb oft bestraft; aber es wollte nichts helfen. Es war schon zu weit eingerissen, und sie hatte es zu oft gethan, ohne daß sie daruͤber Unwillen ge- habt haͤtte. Das beste Mittel waͤre gewe- sen, sen, ihr von allem, was sie ruinirt haͤtte, nichts wieder zu geben, bis sie ihre Sachen besser haͤtte schonen gelernt; sollte sie auch eine Zeit lang ohne Schuhe haben gehen muͤs- sen, und in Jahr und Tag kein Spielzeug wieder gesehen haben. Als Jettchen groß wurde, und heyrathe- te, gieng ihre Haushaltung bald zu Grun- de. Der Mann konnte nicht so viel an- schaffen, als sie ruinirte oder verderben ließ. Das Gesinde konnte ebenfalls machen, was es wollte: zerbrechen, verthun, drauf ge- hen lassen; sie sagte ihm nichts daruͤber. Denn sie machte es selbst nicht besser. Und ihre Kinder? die machten es noch viel aͤrger. So wurde Jettchen nach vielen Jahren durch ihren eigenen Fehler gestraft, den sie sich in der Kindheit angewoͤhnt hatte, daß sie alles ruinirte. Sie wurde arm, und P 2 muß- mußte, da der Mann sich todtgegraͤmt hat- te, mit ihren Kindern betteln gehn. Dorchen hatte sich das Ding auch an- gewoͤhnt. Kaum hatte sie einige schoͤne Spielsachen bekommen; so waren sie zerris- sen, verdorben, ruinirt. Alle Tage war ein Rechenstift hin. Sie gewoͤhnte sich aber das Ding eben so geschwind wieder ab. Es kam ein armes Kind, und dat sie um einen Pfennig. Was willst du damit, sag- te sie? Ach, antwortete der Kleine: ich will mir einen Rechenstift kaufen, weil ich gar zu große Lust habe, in der Schule zu schreiben, und meine Aeltern koͤnnen mir keinen kaufen; so arm sind sie. Sie gab ihm den Pfennig. Geschwind lief der Knabe fort, und holte sich den Re- chenstift. Als er ihn in der Schule gebraucht hatte, wickelte er ihn sorgfaͤltig in Papier, und steckte ihn in die Tasche. Nach vier Wo- chen chen hatte er ihn noch, und in einem halben Jahre auch noch; da Dorchen in der Zeit viele zerschmissen hatte. Das jammerte sie. Sie dachte immer an das arme Kind, dem ein Pfennig und ein Ding, das nur einen Pfennig kostete, so lieb war, weil es nicht mehr hatte. Wie gut hast du es vor einem solchen armen Kin- de! sagte sie oft bey sich selbst. Nun will ich auch nichts mehr ruiniren. Davon koͤnn- ten viele arme Kinder leben. P 3 XLVIII. XLVIII. Die bestrafte Vermessenheit. V on Leuten, die sich mehr auf die Hoͤr- ner nehmen, als sie leisten koͤnnen, pflegt man zu sagen, daß sie vermessen oder zu verwaͤgen sind. Und das laͤuft dann manchmal schlecht ab. Denn wer sich in Gefahr begiebt, koͤmmt gemeiniglich darin- nen um. Ja! lieber Vater, da haben sie wohl Recht, sagte Lorchen, Wilhelm ist abscheu- lich vermessen. Er klettert auf die steilsten Leitern: kriecht unter den Daͤchern nach den Sperlingsnestern herum, geht uͤber die schmaͤlesten Bruͤcken, und will alles koͤn- nen. Wenn er nur nicht einmal ungluͤck- lich ist. V. Wenn ein Kind oder ein großer Mensch vermessen ist, so denkt er nicht dar- an, an, wie die Folgen beschaffen sind, oder wie die Sache wohl kommen koͤnne. Daher ist gemeiniglich das Ende traurig, oder, wie man zu sagen pflegt: die Vermessenheit straft sich selbst. Davon will ich dir ein Paar Histoͤrchen erzaͤhlen. Es waren einmal einige sehr verwaͤgene Leute, wo? das weiß ich nicht recht mehr, mir daͤucht, in England. Einer wollte im- mer mehr koͤnnen als der andere. Bruder, sagte der eine, willst du wetten, ich gehe die- sen Abend ganz allein in die Kirche, in das große Gewoͤlbe, wo die vielen Saͤrge stehen, und nagle zum Zeichen, daß ich da gewesen bin, diesen Nagel mit einem Bande an den ersten Sarg. Der andere geht die Wette ein. Hierauf gehen sie zum Kuͤster, und las- sen sich den Schluͤssel geben. Der erste nimmt eine Laterne, einen Hammer und den P 4 Na- Nagel. Als er herunter koͤmmt in das Tod- tengewoͤlbe, so nagelt er den Nagel fest an den einen Sarg. Die andern lauern oben bey dem Kuͤster einige Stunden. Er koͤmmt nicht wieder. Endlich gehen sie zusammen herunter. Da liegt er todt neben dem Sarge. Als sie ihn aufheben wollen, finden sie, daß er sich unten aus Versehen den Rockzi- pfel mit angenagelt hat. So wie er nun hat fortgehen wollen, bleibt er haͤngen. Er glaubt nicht anders, als der Todte halte ihn fest. Das macht ihm einen solchen Schreck, daß das Blut erstarrt, und er in Ohumacht faͤllt. Als sie ihn an die frische Luft brin- gen, und er wieder zu sich selber koͤmmt, hat er bekannt, daß es ihm so ergangen sey. Durch eine solche natuͤrliche Kleinigkeit wur- de seine Vermessenheit bestraft. Was hatte er des Nachts bey den Todten zu thun? Die Tod- Todten selbst konnten ihm nichts thun; aber seine ganze Seele war doch voll heimlicher Furcht und Schrecken. Dazu durste ein kleiner aͤußerlicher Umstand kommen; so war er des Todes, wie auch hier geschahe. Eine andere Geschichte ist noch trauri- ger. Auf einer Universitaͤt war das Haus eines Baͤckers sehr beruͤchtiget, daß es dar- innen gewaltig spuke. Das Spukeding kam allezeit in einer gewissen Stube aus der Wand, ließ sich vor vielen sehen, gieng das ganze Haus durch, und erschien bald in die- ser, bald in jener Gestalt. Alle Studenten zogen aus. Der Mann litt sehr in seiner Nahrung, und mußte zuletzt selbst ausziehen, und das Haus stehen lassen. Die Sache kam vor die Obrigkeit, und es wurde eine große Belohnung versprochen, wenn sich einer finden wuͤrde, der die Sa- P 5 che che untersuchen wollte. Anfaͤnglich war niemand, der Herz genug hatte, das zu thun. Endlich fand sich ein Student. Der sagte: ich wills thun; doch mit der Bedin- gung, daß man mir erlaube, zu schießen und zu stechen, und daß man mir zu Huͤlfe kom- me, wenn ich schieße oder rufe. Geschieht ein Ungluͤck, daß ich keine Verantwortung davon habe. Dies wurde ihm versprochen. Er gieng also des Abends in das Haus, und in des Nachbars Hause waren einige Mann Mache. Er setzte sich auf die Stube, gerade gegen die Wand uͤber, aus der das Spukeding im- mer kam. Es waren aber Tapeten an der Wand. Vor sich auf dem Tische hatte er einen blanken Degen, einen Hirschfaͤnger, und zwey Paar scharf geladene Pistolen, nebst zwey Lichtern und gutem Feuerzeuge. Er Er trank dabey eine Bouteille Wein, und war gutes Muths. Als es zwoͤlfe schlug, hoͤrte er in der Wand ein Geraͤusch. Mit einemmale oͤffne- ten sich die Tapeten, und es trat eine tod- tenbleiche Person mit langem Barte und ei- nem weißen Todtenkleide herein. Sogleich schoß er die eine Pistole auf das Ding ab. Die Kugel pritschte ab, und flog zur Seite. Da merkte er Unrath, und das Ding gieng etwas zuruͤck. Harre, sagte er, bist du so beschaffen? Er sprang auf, und stieß im- mer mit dem Degen drauf zu. Endlich mochte er einen weichen Fleck treffen. Bauz, lag die Person zu Boden, und das Blut floß wie ein Strom. Auf den Schuß kam die Wache aus dem benachbarten Hause, und sahe das Spuke- ding in seinem Blute liegen. Die Furcht vergieng, und da man es entkleidete, war es es ein Jude, der sich uͤber und uͤber verpan- stert hatte. Daher hatte auch die Kugel nicht durchgehen koͤnnen. Dieser boͤse Mensch hatte das Haus kaufen wollen, und es in uͤblen Ruf gebracht, um es desto wohlfeiler zu kriegen. Er mußte aber seine Vermessenheit mit dem Leben bezahlen. XLIX. Das XLIX. Das veraͤnderliche Kind. I m April ist das Wetter sehr veraͤnderlich. In einer Stunde regnet es, schneyet, und die Sonne scheint. Daher sagt man von veraͤnderlichen Menschen, daß sie so un- bestaͤndig sind, wie das Aprilwetter. Ludwig war erstaunend veraͤnderlich. Nicht eine Viertelstunde konnte er bey einer Sache bleiben. In einer Stunde mußte al- les Spielzeug herbey. Kaum hatte er ein Stuͤck in die Hand genommen, so schmiß er es schon wieder weg. Nun wieder ein an- deres. Alles wurde er den Augenblick satt und uͤberdruͤßig. So machte er es aber auch bey dem Ler- nen. Jetzt schrieb er. Nun wollte er wie- der der lesen. Erst in dem Buche. Nun wie- der das. Dann weg damit, und rechnen. In der Schule saß er keine Minute stille, son- dern war wie ein Uhrwerk, daß der Lehrer Noth genug mit ihm hatte. Andern Kindern verdarb er bey ihrem Spiel manche Lust. Wenn sie kaum ein Spiel angefangen hatten; so schmiß er alles durch einander. Nein! was anders. Und so gieng es bestaͤndig mit ihm. O! was that ihm das veraͤnderliche We- sen fuͤr Schaden! Als er groß wurde, und nun was werden sollte, wußte er selber nicht, was er wollte. Erst ein Kaufmann. Er lief aber bald aus der Lehre. Dann ein Apo- theker. Er hielt keine vier Wochen aus. Nun ein Buchdrucker. Aber wie lange? Kei- ne vierzehn Tage. Und so laͤuft er noch in der der Welt herum, von einem Orte zum andern. Hat sich Ludwig nicht durch seine gar zu große Veraͤnderlichkeit ungluͤcklich ge- macht? L. Das eigensinnige Kind. D urch nichts kann sich ein Kind abscheu- licher und verhaßter machen, als durch den Eigensinn . Und was macht die Kin- der eigensinnig? Was anders als wenn sie von Kindheit auf in allen Stuͤcken ihren Willen gehabt haben? Koͤmmt nun einmal der Fall, daß sie ihren Willen nicht haben koͤnnen und sollen; so sehe man einmal den Spektakel, wie sich ein eigensinniges Kind anstellt, anstellt, wie es sich gebaͤrdet, wie es mit den Fuͤßen stampft, mit den Haͤnden kratzt, die Augen verkehrt, wie es schreyt, sich er- bost und trotzt, daß man die Augen zuhal- ten, und davon laufen moͤchte. Wie ein toller Hund stellen sich manche an, den man an die Kette legen muß. Man sieht es schon bey kleinen Kindern, die noch kein Jahr alt sind, daß sie eigen- sinnig werden, wenn ihnen dies oder jenes nicht nach Willen geht. Die Waͤrterin steht z. E. mit ihnen vor dem Spiegel oder vor Bildern, oder vor dem Lichte, das sie ger- ne sehen moͤgen. Sie kehrt sich um, und will gehen. Das Kind will noch nicht weg. Wie stuppt es, wie baͤumt es sich zuruͤck, wie schreyt es! Tritt man mit ihm dahin, wo es hin will, so wirds ruhig. Daher ist das beste Mittel wider den Eigensinn, Kin- dern dern von diesem Alter schlechterdings nicht allen ihren Willen zu thun. Wollen sie da- hin, so kehre man gleich um. Man gebe sie oft vielen fremden Personen auf den Arm, daß sie nicht immer bey einer bleiben. Und wenn sie zwey oder drey Jahre alt werden; so fordere man in allen Dingen strengen Ge- horsam, ohne daß sie fragen duͤrfen, war- um? Genug, der Vater oder die Mutter, oder der Lehrer, wills so haben. Wenn sie auf irgend einer Sache bestehen, so thue man es schlechterdings nicht, so leicht man es auch thun koͤnnte, bloß weil sie es haben wollen, und auf ihrem Kopfe bestehen. So werden sie das Gehorchen und Nachgeben bald gewohnt. Koͤmmt der Verstand mit den Jahren, so sehen sie es selber ein, wie gut es sey, wie gut man es mit ihnen ge- meynt habe. Sie wissen nichts von Eigen- sinn, und wenn sie einmal ein recht eigen- Q sinni- siuniges Kind sehen, so ist ihnen der Anblick abscheulich. Das ist das beste Mittel, dem Eigensinn zu steuren. Laͤßt man sie aber darinn erst bis ins dritte oder vierte Jahr aufwachsen, so ist es nicht zu beschreiben, was sie dadurch oͤfters den Aeltern fuͤr Noth, Aerger und Verdruß machen, zumal wenn Fremde da sind. Denn da sind sie gemei- niglich am eigensinnigsten, wenn sie erst wis- sen, daß die Aeltern ihnen nachgeben, und sie durch ihren Eigensinn alles erhalten koͤnnen. Noch eins faͤllt mir hierbey ein. Ist ein Kind eigensinnig, und will absolut dieß oder jenes haben; so verspielen die Aeltern allemal gegen das Kind, wenn sie es erst strafen, und hernach doch seinen Willen thun. Manche Kinder wissen sich schon so zu verstellen, und, wie man zu sagen pflegt, den den Aeltern durch Schmeicheln die weiche Seite abzugehen, daß sie ihren darunter ver- steckten Eigensinn nicht merken, sondern nach- geben, und die Kinder in ihrem eigenen Wil- len bestaͤrken. Nichts ist abscheulicher anzusehen, als ein recht eigensinniges Kind. Ich war neu- lich einmal auf dem Lande bey einem Amt- mann. Er hatte ein Maͤdchen von fuͤnf bis sechs Jahren. Schon vor Tische trieb es allerley Muthwillen. Es legte die Serviet- ten und Messer durch einander. Laß das dleiben, sagte die zu gefaͤllige Mutter. Auf dieß Verbot trieb es Karoline noch aͤrger, daß sie sich genoͤthiget sahe, sie auf die Fin- ger zu schlagen. Nun gieng das Boͤlken an. Gehe heraus, hieß es. Nein! ich will nicht, absolut nicht. Sie stampfte mit den Fuͤßen, und als die Mutter sie beym Arme Q 2 neh- nehmen und herausfuͤhren wollte, lief sie hin- ter den Ofen und heulte erschrecklich. Die Mutter ließ sie stehen, und gieng ihrer Ge- schaͤfte wegen heraus. Da wurde Karoline stille, kam wieder vor, und schien ganz an- ders zu seyn. Gleichsam als haͤtte sie es der Mutter nur zum Torte gethan. Was denkt ihr, was empfindet ihr hier- bey, ihr artigen, bescheidenen, folgsamen und gehorsamen Kinder? Das Essen wurde aufgetragen; man wollte sich setzen, und Karoline sollte an ei- nem Nebentische sitzen, weil der Tisch besetzt war. Die Magd sollte ihr die Serviette vorthun. Da haͤtte man das Leben sehen sollen. Sie riß sie der Magd aus der Hand, warf sie an die Erde, und trat sie mit Fuͤs- sen. Karoline, rief die Mutter, sey ver- nuͤnf- nuͤnftig. Du sollst ja alles haben. Du siehst ja, es ist kein Platz am Tische. Nein! ich will hier nicht sitzen, ich will an Tisch. O sey nicht eigensinnig. Was moͤgen die Fremden denken? Ja! Sie dachten auch ihr Theil. Die ganze Gesellschaft mußte des unge- zogenen Maͤdchens wegen uͤber eine halbe Stunde warten. Was geschahe, da sich Karoline absolut an den kleinen Tisch setzen sollte, stieß sie aus Bosheit den ganzen Tisch um. Die Mutter wurde blaß, und sagte: nehmen sie es doch nicht uͤbel. Es ist ein kleines eigensinniges Ding. Es ist heute ein Bißchen spaͤt aufgestanden. Dann ist es immer so. Nun so komm denn nur her. Wir wollen zusammenruͤcken. Dieß ge- schahe. Aber was das Maͤdchen da noch Q 3 am am Tische ausgeuͤbt hat, daran will ich alle mein Tage denken. Lieber wollte ich kuͤnf- tig unter Russen und Kosaken seyn, als bey einem solchen Kinde. Wie werden zu nachgebende Aeltern durch den Eigensinn eines solchen Kindes selbst ge- straft und prostituirt! Und wie abscheulich und verhaßt macht sich ein solches Kind bey allen Menschen! Denkt ihr denn nicht, ihr eigensinnigen Kinder, daß ihr euch dadurch an eurer Ge- sundheit schadet? Dorchen wollte sich des Abends immer nicht von einer andern Magd ausziehen lassen, wenn das Kindermaͤdchen keine Zeit hatte. Als das die Aeltern erfuh- ren, ließen sie es gar nicht ausziehen, son- dern es sollte die Nacht in seinen Kleidern allein in der Stube sitzen bleiben, und nicht zu zu Bette gehen. Daruͤber schrie sie, und erboste sich so, daß sie krank wurde. Das that alles der Eigensinn. Die andern Kin- der hatten sich ausziehen lassen, und schlie- fen ruhig und vergnuͤgt. Was ist nun bes- ser, eigensinnig, oder folgsam und gelassen zu seyn? Wie manche Freude koͤnnten die Kinder mehr haben, wenn sie nicht eigensinnig waͤ- ren! Durch den Eigensinn geht manche ver- loren. Fritze, Lottchen, Karl und Dor- chen sollten spazieren gehen. Lottchen woll- te absolut ein anderes Kleid anziehen. Du sollst nicht, sagte die Mutter. Das ist gut genug. Das muß ich wissen. Nun gieng das Schreyen an. Aber die Mutter sagte: Kommt, Kinder, und sie mußte zu Hause blei- ben. Das hatte sie von ihrem Eigensinn. Q 4 Das Das beste Mittel, den Eigensinn zu bre- chen, ist, gerade das nicht zu thun, was sie haben wollen. Darinn aber muͤssen sich Aeltern immer gleich bleiben. Auch sogar dann nicht, wenn die Kinder krank sind. Das verdirbt sie auf ihre gesunden Tage de- sto mehr. LI. Fort- LI. Fortsetzung des 50sten Stuͤcks. L ieber Vater, sagte Dorchen, ich kann Ih- nen nicht genug danken, daß sie mir mei- nen Eigensinn abgewoͤhnt haben. Wie ru- hig, wie vergnuͤgt kann ich leben, wenn ich alles thue, was meine lieben Aeltern haben wollen! Ich weiß, daß sie nichts anders ha- ben wollen, als was mir gut ist. Wollen Sie mir des Abends nichts mehr zu essen ge- ben, so schlafe ich desto besser. Soll ich nicht ausgehen, oder das nicht haben, wor- aus ich mir eine Freude machte; so muͤssen sie dazu ihre Ursachen haben. Ich erfahre es auch oft genug, daß es mir gut gewe- sen, daß ich dieß oder jenes nicht bekam, was ich haben wollte. Ich frage auch nun gar nicht mehr, warum? denn ich weiß, es Q 5 ist ist alles gut, alles gut, was meine Aeltern fuͤr mich thun. V. O liebes Kind! komm her, laß dich kuͤssen fuͤr deine guten Gesinnungen. Du bist es werth. Du machst mir Freude. Wenn doch alle Kinder so daͤchten! Bleibe ja dabey. Es wird dir deine ganze Lebenszeit gut thun. D. Wissen Sie wohl, daß bey der Frau von * alles Gesinde wegzieht? V. Bekuͤmmere dich nicht, mein Kind, um andere Leute. Sie werden wohl nicht haben gut thun wollen. D. Nein, lieber Vater! es sind gute, recht gute Leute. Wir kommen ja oft hin. Die Frau von * ist auch sehr mit ihnen zu- frieden. Wissen Sie aber, warum? V. Wenn es dich nichts angeht, sage ich noch einmal, so bekuͤmmere dich nicht dar- um. um. Es giebt das nur Gelegenheit zu ver- druͤßlichen Klatschereyen, wenn man sich um andere Leute und ihr Gesinde zu viel be- kuͤmmert. D. Nein, Vater! das thue ich nicht. Weil aber die Sache von Kindern herkoͤmmt, so dachte ich, ich duͤrfte es Ihnen wohl sagen. V. Nun, was ist es denn? D. Bloß Fraͤulein Lisabeth und Junker Ludwigs Eigensinn. Der ist so abscheulich, daß die Leute lieber in der Tuͤrkey dienen wollen. Ich habe es ein Paarmal mit an- gesehen. Es ist nicht auszusprechen, was sie den Leuten fuͤr Tort thaten. Nein! das ist unmoͤglich. Das kann keiner aus- halten. V. Siest V. Siehst du wohl, wie leicht sich zu den Eigensinn Tuͤcke, Bosheit, Schaden- freude, Luͤgen und dergleichen, gesellet? Ist es nicht erschrecklich, daß Kinder durch ih- ren Eigensinn eine ganze Haushaltung zer- stoͤren, und das Gesinde vertreiben koͤnnen? Ich will dir davon noch eine Geschichte erzaͤhlen. Es war einmal ein kleines Maͤdchen, das auch so eigensinnig war, und immer auf seinem Kopfe bestand. Als sie groß wurde und heyrathete: was stand da der Mann, das Gesinde mit der Frau aus! Ihre Kin- der wurden noch aͤrger als die Mutter. Der arme Mann graͤmte sich bald zu Tode. Und ihr gieng es klaͤglich. Weil niemand mit ihr auskommen konnte; so war sie auch von al- len Menschen verlassen. Franz Franz war der eigensinnigste Junge von der Welt. Als er in die große Schule gieng; so lernte er nichts, weil er den Lehrern nicht folgen wollte. Auf der Universitaͤt hatte er wegen seines Eigensinnes tausenderley Ver- druß. Denn das merke dir, eine boͤse Ge- wohnheit wird mit den Jahren immer aͤrger. Was man oft uͤbt, darinnen bringt man es zur Fertigkeit: wie im Guten, so im Boͤsen. Endlich konnte niemand mehr mit dem eigensinnigen Franz fertig werden. Alle Au- genblicke mußte er ausziehen, weil ihn kein Wirth mehr behalten wollte. Mit der Waͤ- scherinn, mit dem Traiteur, mit dem Fri- seur, mit allen Leuten hatte er Laͤrm, Kla- gen, Processe. Dieß machte ihn so despe- rat, daß er unter die Soldaten gieng. Hat- te er es da besser? Der Stock konnte ihm den Eigensinn bald aus dem Kopfe bringen. Es gieng gieng aber doch Jahr und Tag hin, ehe er ihn ganz ablegte. Taͤglich bekam er Pruͤgel. Als er nach sechs Jahren wieder los kam, war er ein ganz anderer und besserer Mensch. Ist es aber nicht besser, wenn man von Kindheit an nicht eigensinnig ist, als daß man sich erst durch solche Mittel muß den Ei- gensinn abgewoͤhnen lassen?