Deutsches Leben. Eine Sammlung geschlossener Schilderungen aus der deutschen Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Culturgeschichte und der Beziehungen zur Gegenwart. Erster Band . Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Leipzig, Verlag von Gustav Mayer . 1858. Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Von Jacob Falke, fürstl. Liechtensteinischem Bibliothekar in Wien. Zweiter Theil . Die Neuzeit. Leipzig, Verlag von Gustav Mayer . 1858. Uebersicht . Drittes Buch. Die Neuzeit. Seite Erstes Kapitel . Die Reformation an Haupt und Gliedern. 1500—1550 1 Zweites Kapitel . Die Reaction und die spanische Tracht. 1550—1600 81 Drittes Kapitel . Der Naturalismus und das Stutzerthum des dreißigjährigen Kriegs. 1600—1650 168 Viertes Kapitel . Die Staatsperrücke und die absolute Herrschaft der französischen Mode. 1650—1720 213 Fünftes Kapitel . Die Periode des Zopfes und die Revolution. 1720—1805 263 Drittes Buch. Die Neuzeit . Erstes Kapitel. Die Reformation an Haupt und Gliedern . 1500—1550. Nunmehr angekommen auf dem großen Wendepunkt der Geschichte, wo mit dem Entwicklungsausgange der modernen Ideen auch die moderne Tracht ihren Anfang nimmt, Schritt vor Schritt, aller Launen der Mode ungeachtet, mit ihrem eigenen Charakter den der Geschichte begleitend, da möchte es nicht un- angemessen erscheinen, einen flüchtigen Blick zurückzuwerfen auf die Vergangenheit und das Werden aus den Urformen, die Höhe und Blüthe, sowie die vielgestaltige Entartung raschen Laufes zu überfliegen. Wenn wir uns aus dem Vergleich der Entwick- lung mit dem Gewordenen den Standpunkt klar machen, auf welchem das Costüm an der scharfen Scheide zwischen dem Mit- telalter und der Neuzeit sich befindet, so werden wir es dann leichter den Weg durch die letzten Jahrhunderte herabführen kön- nen, bis wir schließlich die Verbindung mit der Gegenwart her- gestellt haben. Tausendjährig war der Kampf gewesen, den die alte nationale Tracht der Deutschen mit dem römischen Costüm zu führen gehabt hatte. Endlich war er mit dem Beginn des neuen Jahrtausends vollendet, doch schien nicht der Sieg auf nationaler Seite zu lie- gen. Gleichwie damals im ganzen christlichen Abendlande, nicht Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 1 III. Die Neuzeit. in Deutschland allein, die lateinische Sprache zur Schriftsprache geworden war, wie die humanistisch-antike Bildung auf den Pfaden, die ihr das Christenthum geebnet hatte, sich aller nach Civilisation strebenden Classen der Gesellschaft wenigstens äußer- lich bemächtigt hatte, so war auch in gewissem Sinne die äußere Erscheinung dieser Welt eine griechisch-römische geworden. Aber freilich nur in gewissem Sinne: denn es waren nur die todten Formen, der antike Geist war aus ihnen gewichen. Ueber den kurzen und engen deutschen Rock hatte die lange und weite, fal- tig gegürtete Tunica den Sieg davon getragen: sie war bei Mann und Frau das Hauptkleid geworden. Der Mantel, von hinten herumgelegt und vorn auf der Brust mit einer Agraffe befestigt, glich dem Pallium. Die langen deutschen Locken waren gefallen; der deutsche Kopf trug nach römischer Sitte das „schön gekürzte“ Haar und zeigte ein völlig bartloses Gesicht. Aber diese Erscheinung war weit davon entfernt, den befriedigenden Ein- druck plastischer Schönheit zu machen wie griechisch-römische Ge- stalten; Stoff und Schnitt und der prunkende, aber roh geformte Goldbesatz verhinderten in gleicher Weise Größe und Würde wie Reiz und Anmuth. Die Menschen verstanden es noch nicht, sich zu tragen und die Schönheit der Gewandung oder des Wuchses gefällig ins Licht treten zu lassen. In der Zeit der Ottonen schien durch den Einfluß der ita- lischen Adelheid und der griechischen Theophanie, sowie durch den Cultus des jungen Otto III. für das classische Rom die Herrschaft antiker Civilisation fest begründet zu werden, aber kaum ist sie auf diesem Punkte angekommen, wo sie befruchtend zu wirken beginnt, so schießt aus der innigeren Verschmelzung der germanischen und antik-christlichen Elemente das neue, selbst- eigene Leben der mittelalterlichen Welt in Jugendfrische und zu originaler Schönheit empor. Die Kunst wie die Poesie streifen das classische Element ab und umbilden die neue und eigenthüm- liche Ideenwelt, den neuen Geist mit neuen Formen. So ent- äußert sich auch das Costüm des römischen Scheines. Zwar ist es die alte Tunica, welche den Mann und die Frau bedeckt, und 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. derselbe Mantel, das Pallium, legt sich um die Schultern. Aber beide wandeln sich fast unscheinbar und dennoch so gründlich in Physiognomie und Charakter um, wie es nur immer der Schritt von der Natur, um nicht zu sagen von der Barbarei, zur Civilisa- tion, der Schritt von der Roheit zu geläuterter Form vermag. Indem sich die Tunica, die obere wie die untere, am Oberkörper und an den Hüften bei beiden Geschlechtern verengt, nach unten aber sich verlängert und erweitert, indem der Mantel Schnitt und mäßige Weite gewinnt und zugleich die weiche Wolle an die Stelle der harten Leinwand tritt, ist es erst möglich, daß der schlanke Wuchs der Frauen und die kräftigen Formen der Män- ner in gleicher Weise wie ein edler fließender Faltenwurf die menschliche Gestalt als den schönsten Vorwurf des plastischen Künstlers erkennen lassen. Solche Umwandlung geschah im Zeit- alter der Minnepoesie und des Frauencultus. Zugleich verach- tete der Mann das kurze Haar als knechtisch, und die Frau warf die nonnenhaft ernsten, verhüllenden Kopftücher und Hauben weg, und die einen wie die andern ließen nun in sanft welliger Lockenfülle das Haar herabfallen, die Frauen in ungehindertem Wuchs über Rücken und Schultern, die Männer in gemäßigter Länge. So blieb es noch das ganze dreizehnte Jahrhundert hin- durch. Als aber im vierzehnten der Geist des Mittelalters zu sinken begann und mit wachsender Sittenlosigkeit und Auflösung der bisherigen Ideen die Entartung eintrat, da führte auch in der Tracht derselbe Drang, welcher früher die Roheit in Schön- heit verändert hatte, jetzt ins Uebermaß gesteigert, zur Unschön- heit, Unnatur, zum Unsinn und zur Schamlosigkeit. Die stei- gende Neigung zur Verengung und Verkürzung verwandelte die lange anschmiegende Tunica in den wider den Anstand verkürzten und wider alle Bequemlichkeit verengten Scheckenrock oder Lend- ner und endlich gar in die nur zur Hüfte reichende Jacke. Die- selbe Ursache, die Sucht der Verengung, hatte noch eine andere Folge, welche die Tunica im eigentlichsten Wesen veränderte und sie der Grundform nach mit einem Schlage in den modernen 1* III. Die Neuzeit. Rock verwandelte. Dieses Kleidungsstück hatte in seiner alten und ursprünglichen Form durch Ueberwerfen über den Kopf an- gelegt werden müssen, die zunehmende Enge machte das am Ende unmöglich. Nachdem man eine Zeit lang durch Einschnitte vorn von oben und unten her vergeblich dem Uebel abzuhelfen ge- sucht hatte, schnitt man das Kleid auf in seiner ganzen Länge herab, so daß es nun im buchstäblicheren Sinne angezogen werden konnte. Der Knopfbesatz, der den Schnitt begleitete, that ohne- hin der Enge Vorschub. Auch die obere Tunica, der spätere Trappert und die Schaube, obwohl sie sich als Vertreterin des Mantels fast durchgängig in größerer Weite und Länge hielt, wurde ganz in derselben Weise aus dem Ueberwurf in den An- zug verwandelt. Doch wurde für sie diese Form erst an der Grenze des Mittelalters gegen das Jahr 1500 allgemein. Mit der allmähligen Verkürzung und Verengung der Tunica oder des Rockes bis zur Jacke steht die Entwicklung des Bein- kleides in nothwendigem Zusammenhang. Wenn wir als die allgemeinere Form für die früheren Jahrhunderte des Mittel- alters die der s. g. Bruche annehmen, d. h. der langen, die gan- zen Beine deckenden Strümpfe, in welche von oben her eine den Unterleib schützende Leinwandhose hineingesteckt wurde, so mußte diese Art doch völlig verschwinden, als sich der Rock in so bedeu- tender Weise verkürzte. In der That haben wir auch erfahren, daß dieses in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bei jener Um- änderung gleichzeitig geschah. Damals wurde das lange, von der Hüfte bis zur Zehe in einem Stück herabreichende Beinkleid zur allgemeinen Tracht in der ganzen vornehmen und bürgerli- chen Welt. Wie wir gesehen haben, schrumpfte der Rock bis zur Jacke zusammen. Um die Hüfte herum wurde nun das Beinkleid rings mit Nesteln an dieselbe befestigt. So war die Form noch um 1500. Beinkleid und Jacke lagen damals wie angegossen in lästigster Enge jedem Gliede an, soweit nicht die keimende Mode der Aufschlitzung schon am Arme ihren Einfluß anzukündigen begann. Es läßt sich nicht sagen, daß der Anstand dabei völlig gewahrt worden wäre und um so weniger, als Hals und Schul- 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. tern und ein gut Theil von Brust und Rücken von Leuten jeden Standes nackt getragen wurden, und statt der Schaube nur zu häufig das kurze Mäntelchen, kaum die eine Achsel und den hal- ben Rücken bedeckend, zwecklos und luftig umherflatterte. Ueber den blanken Nacken und die bloßen Schultern wallte das lange, fein gekräuselte Haar herab in weit größerer Länge als in der Blüthezeit des Mittelalters, so daß der Bart noch weniger auf irgend eine Pflege oder Berücksichtigung Ansprüche erheben durfte. Bis gegen den Ausgang des funfzehnten Jahrhunderts sind noch alle modischen Gesichter glatt. An der Kopfbedeckung hingegen wie an den Füßen suchen sich bereits die neuen For- men in Gestalt der Barette und der breitgeschnäbelten Schuhe geltend zu machen, obwohl nicht ohne noch auf bedeutenden Wi- derstand zu stoßen. Denn die bunte Mannigfaltigkeit des funf- zehnten Jahrhunderts, die Regellosigkeit und Regelwidrigkeit in Form und Farbe, erscheint am Ausgang desselben noch in voller üppiger Blüthe; was wir so eben angegeben haben, ist nur die allgemeine Grundgestalt, an welcher und um welche die seltsame Eitelkeit und die unfaßbare Phantastik dieses Geschlechts ein tolles Spiel treibt. Fast noch mehr tritt das an der Frauenkleidung hervor. Schon seit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts sind die freien Locken verschwunden; das aufgelösete, über Schultern und Rücken herabwallende Haar mußte sich in Zöpfe flechten, aufbinden und unter eine mannichfach wechselnde Menge von Hauben der aben- teuerlichsten und unbequemsten Gestalten mit lang wehenden Schleiern verbergen lassen. Das Frauenhaar war gänzlich un- frei geworden; wo es widerspenstig an Schläfen und Stirn her- vorlugte, wurde es wegrasirt oder abgebrannt. Ebenso unfaßbar im Charakter wie die bizarren Hauben ist die übrige weibliche Kleidung; man sieht ihr die Auflösung an: Maß, Form, Scham und Zucht sind mit einander verschwunden, aller Halt verloren. Gleich der männlichen hatte sie den Höhepunkt der Schönheit im dreizehnten Jahrhundert erreicht; im vierzehnten geht sie rück- wärts und wird bald zum Zerrbild. Die Enge am Oberkörper III. Die Neuzeit. wird bis zur Unnatur fortgesetzt, die Taille rückt großen Theils bis hart unter die Brüste, die übermäßigen Schleppen hindern die Bewegung, die Aermel verlängern und erweitern sich ins Ungemessene, und die wachsende Decolletirung legt Brust und Rücken bloß bis hinab zum Gürtel. Daneben blühen die Thor- heiten der flatternden Zattel, der klingenden Schellen, der Schna- belschuhe und der klappernden Pantoffel. Im Wesentlichen herrscht dieser Zustand noch auf der Scheide des funfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts. Was noth thut, ist leicht zu bemerken: Maßhaltigkeit und Zucht, ästhetische wie moralische; der Leichtfertigkeit, der unbequemen Enge, den lästigen und widersinnigen Moden mußte größerer Anstand, Freiheit der Bewegung und eine gewisse Vernunft- mäßigkeit in festen, faßbaren Formen entgegentreten. Freiheit und Charakter waren es, was in die zerfahrene Welt der Trach- ten und Moden einkehren mußte, grade wie im Uebrigen die abendländische Welt einer ähnlichen Regeneration bedurfte. Mit dem Aussterben des mittelalterlichen Geistes war ihr der Boden unter den Füßen verschwunden, und der verlorne Halt mußte ihr wiedergegeben werden. Es vereinigten sich gar viele Momente um die angegebene Zeit, dieses Resultat herbeizuführen. Hier genügt es, den ge- waltigen Umschwung anzudeuten, in dessen Strömung das Costüm hineingezogen wurde. Von der allgemeinen Erschütterung und Umwandlung blieb kein Stand, keine Lebenssphäre, keine Thä- tigkeit unergriffen: Fürsten und Adel wie Kaiser und Reich, Städter und Bauer, der Gelehrte, der Geistliche und das Waf- fenhandwerk, Handel, Gewerbe und Kunst — sie alle wurden in gleicher Weise mitgerissen und tragen fortan die deutlichen Spu- ren der neuen Zeit. Mit dem Verfall des Lehnswesens, der Turniere, der He- raldik waren dem Ritterthum die Lebensbedingungen abgeschnit- ten, und so trat der alte Adel seine politischen und socialen Vor- rechte einerseits den Fürsten, andrerseits dem dritten Stand ab. Damit lockert sich auch social die strenge Gliederung der alten 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Stände, an deren Stelle der Rang und eine fast willkürlich er- scheinende Classificirung tritt, wie sie in den Luxusgesetzen be- obachtet wird. Nicht einmal Wehr und Waffen konnte sich der Adel vorbehalten. Obwohl er Anfangs sich erst recht durch Dicke und Undurchdringlichkeit der Rüstung zu schützen suchte, konnte er doch so wenig dem Feuerrohr widerstehen, das ihn fällte, be- vor er seinem Mann das Weiße im Auge sah, wie den geschlosse- nen oder leicht beweglichen Gliedern der Landsknechte. Das Fußvolk übt jetzt die Entscheidung der Schlachten; der Ritter kann seinen Harnisch als Erinnerung in der Väter Hallen auf- hängen, statt der adligen Lanze den gemeinen Spieß ergreifen und sich als Gleicher in die Reihen des Fußvolks stellen. In dem politischen Umschwunge trugen die Fürsten den Preis davon. Durch das Sinken des Adels nicht bloß von einem Gegner befreit, sondern positiv an Macht gewachsen, bald durch die Secularisation geistlicher Güter verstärkt, durch die öffentliche Meinung gehoben und durch die Religion befestigt, errangen sie die völlige Landeshoheit und legten den Grund zu der unum- schränkten Gewalt, welcher die nächsten Jahrhunderte zustrebten. Ihnen gegenüber verloren Kaiser und Reich und wie der Adel, so auch die freien Städte. Nach unten hin wurde die Umwandlung der Dinge mehr socialer oder social politischer Natur bis auf den Bauer herab, der, hier bedrückt, dort übermüthig, hier darbend, dort reich und üppig, eine Zeit lang durch die Gährung aus dem Grunde an die Oberfläche geschleudert wurde. Dann versank er wieder in die Tiefe, denn seine Zeit war noch nicht gekommen, wo er mit feststehender Bedeutung als ein nothwendiges und in seinem Werthe erkanntes Glied in die politische Ordnung der mensch- lichen Gesellschaft eingereiht werden sollte. In der ganzen Welt des Bürgerthums, in der gelehrten wie ungelehrten, in Handel und Gewerbe und bei den gebietenden Herren dürfte kaum eine Sphäre zu finden sein, die nicht auch ohne die religiöse Erschütterung von der Bewegung mächtig ergriffen gewesen wäre. Abgesehen von der Aufregung der Ge- III. Die Neuzeit. müther, welche das Neue, Wunderbare und Unerhörte immer hervorbringt, hatten die großen Entdeckungen zur See und in deren Folge die veränderten Verkehrsströmungen den Kaufmann in neue Bahnen gelenkt, was durch wachsenden Reichthum, durch Vermehrung seines Ansehns, durch die leichtere Zugänglichkeit dieser oder jener fremden Produkte, sowie durch vergrößerten Ab- satz auf das Gewerbe und die arbeitenden Classen seinen noth- wendigen Rückschlag äußerte. Im Handwerk verursachte zudem bei Bevorzugung der Technik der veränderte Kunstgeschmack mehr, als man glauben möchte, lebhafte Aufregung. Denn damals galt eine Arbeit, wenn sie fertig war, damit noch nicht für abgethan, sondern wie sie unter den Händen ihres Meisters gedieh und der Vollendung entgegen ging, wuchs sie ihm ans Herz und empfing in Form und Zierrath die bleibenden Zeichen seiner Liebe und bewahrte sein Interesse. Fabrikmäßige Massenarbeit kannte man nicht; jedes einzelne Erzeugniß, das nur im geringsten irgend ein Schönheitsinteresse erwecken konnte, erhielt größere Individua- lität, gewissermaßen eine individuelle Physiognomie. Bis in den Anfang des sechszehnten Jahrhunderts hatte man in der alten deutschen Weise fortgearbeitet, in dem reichen, blühenden Stil der späteren Gothik, der grade auf dem Gebiet des Kunst- gewerbes für die Kirche wie für das Haus in Holz, Metall, Stein und Thon so bewunderungswürdige Erzeugnisse hervor- gebracht hat. Nun drang der italienische Geschmack, die in freier Weise wieder aufgelebte Antike über die Alpen, und was bisher für schön gegolten, was aus dem deutschen Herzen entsprungen und mit deutscher Liebe und Hingebung ausgeführt war, das sollte nun häßlich, roh, barbarisch, das sollte gothisch sein in der italienischen Bedeutung des Worts. Kein Wunder, daß der Handwerksmann an seinen Erfindungen irre ward; ob er sich in die neue „antikische“ Weise hineinfinden konnte oder nicht, er mußte ihr folgen. Anfangs suchte er noch das neue Ornament in die alten Grundformen einzufügen, bis er auch dieses auf- geben mußte. Dann rief er die Kunst des gelernten Malers und 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Zeichners zu Hülfe, während früher seine eigene Erfindungsgabe und Geschicklichkeit ausgereicht hatte. Ehe die eigentliche deutsche Kunst, die Malerei und Bild- hauerei, dem directen Einfluß der Italiener erlag, sollte sie grade noch in Folge des großen Umschwungs ihre höchste Blüthezeit feiern, wenn dieselbe auch kaum der Dauer eines Menschenalters sich rühmen konnte. Es waren die letzten zwanzig bis dreißig Jahre der künstlerischen Wirksamkeit Dürers; seine Schüler arbeiteten eine kurze Zeit in seinem Geiste fort und erlagen dann dem alles überfluthenden Strom der Renaissance, die schon in einzelnen Werken des Meisters, wie z. B. in der Triumphpforte und noch mehr im Triumphwagen in unverkennbaren Zügen her- vortritt. Der Realismus, der am Ausgang des vierzehnten Jahr- hunderts in die Kunst eindrang und namentlich in den Nieder- landen so großartige Erfolge herbeigeführt hatte, konnte in der Verwilderung des funfzehnten Jahrhunderts die Kunst freilich nicht auf der Höhe der van Eyck’s erhalten; aber vor eigentlicher Manierirtheit bewahrte sie die Tiefe und Naivetät der Empfin- dung, unschätzbare Eigenschaften, die ein Jahrhundert später völlig verloren gingen. Jedoch schlug bei der Verschrobenheit der Zeit das Streben nach individueller Charakterisirung nur zu oft ins Extrem, ins Eckige, Verzerrte und Häßliche um, sodaß durch die Uebertreibung wieder Unnatur in Form, Bewegung und Aus- druck entstand, wie das Wohlgemuth und seine Genossen von Kunst und Handwerk deutlich lehren. Oft streift dieser Realis- mus, der wohl das Leben selbst, aber wenig den dargestellten Gegenstand berücksichtigt, wieder hart an die Manier. Auf die freie Höhe der Vollendung, zu ächter Naturwahr- heit wirklichen und charakteristischen Lebens führte Dürer die Kunst. Ohne im geringsten an Innerlichkeit, an geistigem Ge- halte aufzugeben, riß er sie heraus aus der Unbeholfenheit, welche noch die deutschen Meister des funfzehnten Jahrhunderts gelähmt hatte und befreite sie von aller Uebertreibung, Manier und Ver- schrobenheit. Er strebte nicht nach idealen Formen, sondern nahm seine Gestalten wie er sie in der Wirklichkeit um sich fand, jedoch III. Die Neuzeit. mit voller Berücksichtigung der darzustellenden Charaktere. Und so reich und mannichfaltig ist er darin wie das Leben selbst. So ist er im vollsten Sinne des Worts realistisch wie die ganze ächt deutsche Kunst seiner Zeit. Ideal erscheint er nur darin, daß er seine Schöpfungen mit einem Reichthum, einer Kraft und Tiefe des geistigen Inhalts, mit einer Fülle von Gedanken und Em- pfindungen begabte, die weit über das gewöhnliche Maß mensch- licher Größe hinausliegen. Die ganze deutsche Kunst seiner Zeit riß er in diese Bahn hinein, einerlei, ob die Meister seine Schü- ler gewesen oder nicht; aus seinen Kupferstichen und Holzschnit- ten lernten sie alle. Das ganze bewegte Leben jener Periode dringt in die Kunst ein und erfüllt sie als Inhalt; sie wird ein Spiegelbild der Welt, welches die Fortschritte der Wissenschaft, die geistigen und religiösen Kämpfe, die politischen und kriegeri- schen Wirren und Ausgeburten, das sociale Leben in derber, nackter Sinnlichkeit zurückstrahlt. Nie fand eine innigere Ver- bindung zwischen der Kunst und dem Leben statt. Dürers Nach- folger, die s. g. Kleinmeister, zeigten sich fast noch derb natura- listischer, wie Hans Sebald Beham. Als aber gegen die Mitte des Jahrhunderts der italische Geschmack bewältigend über die Alpen drang, da war es mit der deutschen Kunst vorbei. Es kam die Zeit der geist- und gehaltlosen Manieristen. Weit bekannter ist die Umwälzung, welche in Wissenschaft und Schule stattfand. Obwohl sie bereits schon lange in der wieder erwachten Liebe zum classischen Alterthum vorbereitet war, und die Buchdruckerkunst ihr die Möglichkeit gegeben hatte, eine allgemeine zu werden und bis in den tiefsten Kern des Volks zu dringen, so traten doch erst seit dem Jahre 1500 die Resultate in entsprechender Weise auf. Der menschliche Geist wurde der scho- lastischen Befangenheit entrissen und ihm die freie Forschung ge- wahrt, auf welcher alle Erfolge der Neuzeit beruhen. Während so das gesammte Culturleben im Begriff steht, theils freiwillig, theils gezwungen mit dem Mittelalter zu bre- chen, während es bemüht ist, die todten, erstarrten Formen, die es drücken und beengen, von sich abzustreifen und die neuen 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Ideen neu zu gestalten, treten noch die großen politischen und religiösen Weltereignisse im brausenden Sturm hinzu, welcher die stilleren Bewegungen des Geistes und der Gesellschaft über- täubt. Durch die Vereinigung der vielen und auseinander lie- genden Länder unter dem Scepter der Habsburger, die nun von gemeinsamer Politik geleitet wurden, durch die unaufhörlichen großen Kriege, die den Zankapfel Italien betrafen, waren die Völker des abendländischen Europa in eine Fülle von Wechsel- beziehungen gerathen, welche dem ganzen Mittelalter unbekannt gewesen war. Das Kriegsleben, die Soldaten, die nun aus dem Volke hervorgingen und in dasselbe zurückkehrten, ließen die Wirkung hinunterfühlen bis in die untersten Schichten. Ohne Vergleich noch ausgebreiteter und intensiver bis ins Innerste der Herzen wirkten die religiösen Bewegungen, die man unter dem Namen Reformation zusammenzufassen gewohnt ist. Das seit langem gefühlte und in Concilien anerkannte Bedürf- niß nach Reformen auf diesem Gebiet machte sich am Ende ge- waltsam Luft. Recht aus der Tiefe des Volkes hervorgegangen, verbreitete sich die Bewegung wie ein vom Sturm gejagtes Feuer und ergriff in kürzester Frist, freundlich oder feindlich, die ge- sammte Masse des deutschen Volks in allen Ständen und spaltete es in zwei Lager, die in beständig aufgeregter Wachsamkeit ein- ander gegenüber standen. Diese allgemeine und allseitige Aufregung, welche die öffentlichen Verhältnisse umwandelte, wie sie zugleich das ganze Sein und Denken der Menschen erschütterte und in eine neue Bahn warf, konnte nicht umhin, auch das Aeußere derselben in gleicher Weise umzugestalten. Wie sich die Leidenschaften des Menschen seinem Gesichte eingraben, wie die Geschichte seines Lebens von ihren schwersten Momenten die Eindrücke zurückläßt, so trägt auch die Menschheit von den erschütternden Weltereig- nissen, von den aufregenden und vorwärts treibenden Ideen die Zeichen unverkennbar an sich in ihrem Aeußern bis auf die Klei- dung und die Physiognomie. In dem Sturm und Drang der neuen Zeit, da Schlag auf Schlag große Begebenheiten die er- III. Die Neuzeit. regten Gemüther trafen, mußte die alte Leichtfertigkeit zu Grunde gehen. Das sorglos heitre Treiben, die Eitelkeit der Welt, die an so lustig narrenhafter Kleidung ihr Gefallen gefunden hatte, schwand hin vor den ernsteren Dingen, den ernsteren Mahnun- gen, die ans menschliche Herz schlugen und es in sich kehrten, den Geist innerlich machten und endlich die Sündhaftigkeit ins eingeschüchterte Gewissen riefen. Die Folge ist, daß einerseits unter der Schwere der Zeit, wie das Eisen auf dem Ambos, die Kleidung aus der alten Zerfahrenheit und Geckenhaftigkeit zu Charakter, zu klaren Formen mit festen, bestimmten Umrissen zurückkehrt, andrerseits, wie die Sünde ins Bewußtsein tritt, die Unsittlichkeit verschwindet und die Blößen allmählig sich decken bis zu förmlicher Verhüllung. Aber das ist nur die eine Seite. Im allgemeinen Drange nach Freiheit fielen die Fesseln, in der Erregung wurden die Lei- denschaften gelöset, um hierhin und dorthin die Dämme der Sitte zu durchbrechen: so duldet der Mensch auch an seinem Körper nichts Lästiges mehr; er muß sich frei und leicht bewegen können und ungehindert Herr seiner Glieder sein. Auch in diesem Sinne ändert sich die Kleidung, aber nicht ohne sich fortreissen zu lassen und in ein tolles Uebermaß auszuarten, gleichwie die sociale und religiöse Bewegung sich in dem Aufruhr der Bauern und dem Wahnsinn der Wiedertäufer überschlug. Ihnen steht die Klei- derthorheit der Landsknechte ebenbürtig zur Seite. Hierin aber lag die Gefahr der Zeit. Indem sie im Drang der Leidenschaften über das Maß hinausging und sich überstürzte, rief sie die Opposition hervor, die schließlich um so leichteres Spiel hatte, als der Ueberspannung und Ueberreizung eine Zeit der Schwäche in Abspannung und Erschlaffung folgen mußte. In diesem Zustand der Willenlosigkeit und Nachgiebigkeit wurde mit Erfolg den reformatorischen Bewegungen ein Damm gesetzt und selbst verlorenes Gebiet zurückerobert. Während so der Ka- tholicismus die Restauration unternimmt, und zugleich die Re- formation in sich selbst zu Dogmatismus und Moral erstarrt, erfaßt die Reaction auch die Kleidung, welche sich steift, verengt 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. und selbst unnatürliche Formen sich wieder auflegen läßt. Wir werden sehen, wie sich seit der Mitte des Jahrhunderts mit dem siegreichen Vordringen Spaniens in Politik, Religion und Sitte ein kalter, ertödtender Hauch über das noch blühende Leben legt, die Gemüther erschreckt, die bunte Trachtenwelt aber entfärbt und des leichten Schmuckes entkleidet. Das Leben wird steif und starr, stirbt langsam ab oder verpuppt sich wie die Raupe in die harte Schale, des neuen Frühlings harrend. Dieser kam zwar mit dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts in einer Art von erneuertem Naturalismus, aber sein Gegenstoß war wohl wir- kungsvoll, vermochte jedoch nicht ganz die Menschheit wieder in die verlorne Bahn zurückzureißen. Was diesen Naturalismus auf den Gipfel hob, der dreißigjährige Krieg, stürzte ihn auch wieder, und aufs Neue fesselt Erstarrung, Verknöcherung die todesmüden Geister, selbst als unter Ludwig XIV. und der Herr- schaft der Staatsperrücke neue pomphafte und anspruchsvoll stolze Formen sich gebildet haben. Dann kommt im achtzehnten Jahr- hundert mit Puder und Zopf die Zeit des Winterschlafes, bis der Sturm der Revolution, gleich der Aequinoctionalzeit vor dem Frühling den Puderschnee verweht und die Bande des Zopfes zerreißt. Wir werden aber noch von einer andern Seite, freilich nur andeutungsweise, die Geschichte des Costüms zu betrachten ha- ben. Bis hierher haben wir gesehen, wie das ganze Mittelalter hindurch die Kleidung unter den Völkern der abendländischen Christenheit keineswegs bedeutende Verschiedenheiten an sich trug, sondern gleichmäßig dem allgemeinen Gange der Cultur gefolgt ist. Demgemäß hat sie uns zu derselben Zeit immer den gleichen Charakter gezeigt, wie sich auch bereits directe Einflüsse der Mode von hierher und dorther und selbst von Deutschland nach andern Ländern hin nachweisen ließen. Dennoch hatte ein jedes Volk, wie es nach Ursprung und Geschichte besonders ge- artet war, und wie die Momente der Cultur und die großen Weltereignisse unter verschiedenen Bedingungen an dasselbe her- antraten, der jedeswaligen Tracht und Mode innerhalb gewisser III. Die Neuzeit. Grenzen einen ihm eigenthümlichen Charakter aufgedrückt. Es ist daher ebensowohl möglich für ein jedes Costüm nach dem all- gemeinen Charakter die Zeit seiner wirklichen Existenz zu bestim- men, wie an den Besonderheiten Land und Volk, dem es ange- hört, zu unterscheiden. Diese Gleichheit und Verschiedenheit der Kleidung zugleich theilen alle Classen der Gesellschaft, sodaß z. B. die niedern Stände Deutschlands von denen Frankreichs und Englands in der Tracht nicht mehr abweichen als die höhe- ren dieser Länder. Und in noch viel geringerem Maße unter- scheiden sich in jedem Lande für sich die Bewohner der einzel- nen Provinzen oder Gegenden von einander, sodaß von einer eigentlichen Volkstracht im ganzen Mittelalter nicht die Rede sein kann. Das ändert sich aber im sechszehnten Jahrhundert, indem einerseits die nationalen Unterschiede verschwinden, dagegen die provinziellen und localen sich zur festen Volkstracht ausbilden. Anfangs schien es, als ob bei dem grundverschiedenen Ausgange, welchen die großen Bewegungen in den einzelnen Ländern nah- men, sich wirklich nationale, die ganzen Völker kennbar scheidende Trachtenformen herausbilden sollten, allein wir sehen bald, wie diejenigen eines einzigen Volks als Mode die unbedingte Herr- schaft übernehmen und die civilisirte Welt des christlichen Abend- landes sich autokratisch unterwerfen. Das hatte zwei Ursachen. Einmal verlöscht unter der allgemeinen Erstarrung bei dem Aus- sterben mittelalterlicher unbefangener Lebenslust und Fröhlichkeit die im Volk liegende Triebkraft zu neuer Trachtenbildung, und zweitens wurde durch die immer näheren und innigeren Wechsel- beziehungen der Völker, sowie durch die Verschmelzung der Stände die Bildung mehr und mehr ausgeglichen und erhielt einen uni- versalistischen Charakter: wie sie in der That eine gleiche wurde, mußte sie auch ein gleiches Kleid tragen. Wir sehen daher in der ganzen gebildeten Welt, soweit sie der Mode folgt, seit der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts die nationalen Unterschiede verschwinden, bis Ludwig XIV. , der Schöpfer des französischen Hofwesens und des französischen Absolutismus, auf Jahrhun- 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. derte hin Paris und seinem Hofe die unbedingteste Herrschaft im Reich der Mode begründet. Aber dieser universalistischen Richtung tritt eine andere, die particularistische, gegenüber. Es war eine der Folgen der großen Umgestaltung im sechszehnten Jahrhundert gewesen, daß mit der Schwächung des Reichsoberhaupts die Landeshoheit der Fürsten sich festigte und erweiterte, und somit die einzelnen größeren oder kleineren Herrschaften an Selbständigkeit gewannen, die allge- meinen Reichsinteressen aber zurücktraten. Wie losgerissene Tropfen für sich die Kugelgestalt wieder finden, so zieht sich jeder Landestheil zu einem eigenen für sich bestehenden Dasein zusam- men und schließt sich von den übrigen ab. Er führt nun ein po- litisches Leben für sich, welches nicht umhin kann, alsbald auch einen ihm eigenen socialen Charakter anzunehmen. Wie die Fürsten mit ihren Ländern, wo die angestrebte Centralisation auf admi- nistrativem Wege durch die mehr oder weniger absolute Regi- rungsform wesentlich befördert wurde, so machten es auch die Reichsstädte oder wer sonst Autonomie hatte. So geschah es auch weiter in den Ländern der größeren Fürsten, wo sich wieder kleinere und immer kleinere Kreise und Gebiete, durch admi- nistrative oder geographische Bedingungen begünstigt, von ein- ander trennten und je in sich zusammenschlossen bis auf das Amt, bis auf das Dorf herunter. In Anbetracht der culturgeschichtlichen Folgen verdanken wir allerdings dieser Zerlegung und Zergliederung des deutschen Reichskörpers die Entwicklung des reichsten und mannigfachsten Geisteslebens und eine möglichste Verallgemeinerung von Bil- dung und Kenntnissen durch die Tiefen des Volks: aber sie be- günstigte auch die Entstehung des Spießbürgerthums, einer Er- scheinung, die dem Mittelalter fremd war. Der Spießbürger ist diese fleischgewordene Abschließung der kleinsten Kreise, die ab- solute Absperrung des socialen und politischen Horizontes inner- halb der Grenzen seiner Stadt oder seiner Gemeinde. Diese Beschränkung oder Beschränktheit erhält aber auch wieder eine ehrwürdige Seite, indem sie an dem, was sich langsam einwur- III. Die Neuzeit. zelnd ausgebildet hat, an hergebrachter, alter Sitte und Gewohn- heit mit treuer Hingebung und zäher Ausdauer festhält, unbe- kümmert freilich darum, ob noch Vernunftmäßigkeit darin ist, oder ob die forteilende Zeit unhaltbare Widersprüche aufdeckt. Diese Entwicklung oder wenn man will Erstarrung des vom Reich losgerissenen und in seinen Sonderungen conservativ beharrenden Bürgerthums, der die an sich schon zähe und fest- haltende Natur des Landvolks zur Seite tritt, gab erst die Be- dingungen zur Entstehung der s. g. Volkstrachten als des sepa- ratistischen oder particularistischen Gegensatzes zur universalisti- schen Mode. Somit sind sie wesentlich ein Erzeugniß der neuern Zeit, Ausflüsse oder Niederschläge des Stromes moderner Cul- turgeschichte seit der großen Umgestaltung im sechszehnten Jahr- hundert. Aber man würde irren, wenn man glauben wollte, daß, wie sich nun in verschiedenen Zeitmomenten und unter verschie- denen Verhältnissen solche Trachten herausgebildet haben, welche diese oder jene Localität als eine ihr eigenthümliche in Anspruch nimmt, daß diese Form, wie sie einmal krystallinisch geworden ist, nun für alle Zeiten regungslos, aller Fortbildung erman- gelnd geblieben sei. Allerdings kann von eigentlicher Fortbil- dung der Volkstrachten nicht die Rede sein, denn da sie nichts anders sind, als Erstarrungen der aus den höhern Sphären der Gesellschaft in die Tiefe gedrungenen Moden, wenn auch nicht ohne auf diesem Wege mancherlei Veränderungen erlitten zu ha- ben, so ist ihnen das eigentliche Leben, die Bildungsfähigkeit verloren gegangen. Doch haben auch sie ihre Geschichte. In dem Kampfe nämlich des Spießbürgerthums gegen den Kosmo- politismus, der particularistischen Volkstracht gegen die univer- salistische Mode konnte es nicht ausbleiben, daß die letztere Par- tei in immer erneuerten Angriffen ab und zu sich Boden errang und bald dieses, bald jenes Stück in die alte Tracht einschob, unter günstigen Umständen auch diese völlig umschuf. In letzte- rem Falle blieb die Umgestaltung sofort wieder stehen, um auf’s neue, nachdem die Erinnerung des Ursprungs kaum ein wenig trübe geworden, als alte ehrwürdige Ueberlieferung wie ein 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Heiligthum von den Anhängern des Alten vertheidigt zu werden. Große politische oder culturgeschichtliche Ereignisse, wie z. B. der dreißigjährige Krieg, die Angriffe Ludwigs XIV. und das Ueber- gewicht f ranzösischer Sitte und Sprache, leisteten natürlich dem Eindringen der Mode bedeutenden Vorschub, ja sie bezeichnen gewissermaßen die Grenzmarken für die costümgeschichtlichen Perioden dieser oder jener Gegend oder Stadt. Natürlich war die Dauer solcher Perioden als abhängig von den Zeitereignissen sehr verschieden, sowie auch die Anzahl derselben bei den einzel- nen Provinzen, indeß dürfte wohl jede von ihnen zu erzählen haben. Wir können sie bis ins achtzehnte Jahrhundert verfol- gen, bis ans Ende desselben, ja vielleicht noch darüber hinaus. Grade das achtzehnte Jahrhundert, die Periode des Zopfes und die Blüthezeit des Spießbürgerthums, ist auch vorzugsweise die Geburtszeit der Volkstrachten, der nämlich, welche wir heutiges Tages noch zu sehen gewohnt sind. Denn man kann wohl sagen, die meisten von ihnen, die wir jetzt nur noch auf dem Lande finden, erhielten in dieser Zeit ihre Entstehung und führen uns daher ein karrikirtes Bild der damaligen Modenwelt lebendig vor Augen; manche setzten sich erst fest durch den Anstoß, welchen die französische Revolution gab. Oft glauben wir in einem Bauer- burschen, wenn wir uns nur die Jacke mit blanken Knöpfen zum Frack verlängert denken, ein leibhaftiges Abbild des jungen Wer- ther vor uns haben. Vielleicht dürfte noch mancher Greis vom Lande sich erinnern, daß in seiner Knabenzeit die Leute seines Dorfes sich anders gekleidet haben, und wenn er von sich selbst den alten Spruch gebrauchen wollte: „Da wir noch sangen unsern Sang, Da wir noch tranken unsern Trank, Da wir noch trugen unser Gewand, Stund es gut im deutschen Land,“ so dürfte sein Großvater oder Vater dieselben Worte auf die eigene Jugendzeit angewendet haben, und der Enkel möchte wie- der in denselben Fall kommen. Am deutlichsten tritt uns die Geschichte einer Volkstracht vor Augen, wenn sich an ihr Theile Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 2 III. Die Neuzeit. vereinigt finden, die verschiedenen Zeiten angehören: man möchte dann die ganze Geschichte ihrer Heimath in den Hauptzügen an ihr zurücklegen wollen. Mit einzelnen Stücken kommen wir da- bei nicht grade selten ins sechszehnte Jahrhundert hinauf, aber zu den Ausnahmen gehört es, wenn wir irgendwo den Ursprung in das funfzehnte Jahrhundert zu den barocken und unförmlichen Moden dieser Zeit zurück zu datiren haben. Unserem Plane freilich liegt es völlig fern, im Verlauf der folgenden Darstellung die Geschichte jeder einzelnen Volkstracht oder nur der hauptsächlichsten geben zu wollen: wir haben nur den Gang der allgemeinen Trachten und Moden zu verfolgen, von dem sich eben die Volkstracht oppositionell ausschließt. Den- noch wird aus der Vergleichung der Trachten bürgerlicher und niederer Stände mit den modischen, sowie durch den Kampf des bürgerlich conservativen Elements gegen das universalistische das- jenige, was wir über die Entstehung der Volkstrachten gesagt haben, auch an einzelnen Beispielen seine Bestätigung erhalten. Indem wir es nun versuchen, den allgemeinen Umschwung der Dinge auch ebenso an dem gesammten Aeußern des Menschen gewissermaßen als eine buchstäbliche Reformation an Haupt und Gliedern in allen Einzelheiten nachzuweisen, stellen wir den männlichen Kopf in unserer Untersuchung voran und lassen die Glieder folgen. Ohne es zu wollen und zu beabsichtigen wird sich an jedem menschlichen Kopf stets ein Theil der Individualität seines Trä- gers offenbaren; an dem Schnitt des Haares, an der Art, wie es geordnet, gehalten und gepflegt wird, selbst an dem Hut und der Weise, wie er auf dem Kopf sitzt, werden sich Eitelkeit oder Nachlässigkeit, Verwilderung oder Verbildung, Roheit oder Fein- heit, Männlichkeit oder weibisches Wesen, Leidenschaft oder Schwäche nicht verbergen lassen. Ebenso ist der Kopf ein sicherer 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Barometer für den Culturzustand eines Volks und begleitet, wie wir das auch schon gesehen haben, die Wandlungen desselben in treuer Weise oder kündigt sie wohl gar schon im Voraus an. Völlig vernachlässigt und verwildert, rein dem natürlichen Wachs- thum, dem Sturm und Regen und andern Vorfällen des Tages überlassen, war das Haar zu keiner Zeit und bei keinem Volke, das einmal den ersten Schritt auf dem Wege der Cultur gemacht hat. Ein größerer oder geringerer Mangel an Pflege und Hal- tung, ein natürlicher, freier, aber in gefälligem Maß gehaltener Wuchs, ein Zuviel von Pflege, eine künstliche oder verkünstelte und widernatürliche Anordnung, sie werden uns allemal genau den Stand angeben, welchen ein Volk in seiner Entwicklung ein- genommen hat, ob es der Höhe zustrebt, ob es sie erreicht hat, oder durch Luxus, Verweichlichung, Entartung seinem Unter- gange entgegengeht. Davon geben uns frühere Völker, Assyrier und Aegypter, eben so gut Beispiele wie Griechen und Römer. Ausnahmen von besonderer Eitelkeit oder absichtsvoller Opposi- tion wie in der römischen Kaiserzeit der bärtige stoische Philosoph im vornehmen Hause unter den mit Bimstein geglätteten Ge- sichtern und den kunstvoll coiffirten Damenköpfen bestätigen nur diese Regel. Seit dem Beginn der neueren Geschichte freilich hat sich das öffentliche und innere Leben der Völker zu reich gestaltet, als daß wir nur diesen einfachen Prozeß des Werdens, Blühens und Vergehens zu beobachten hätten; die bewegenden Ideen sind mannigfacher, die Unterschiede feiner, die Perioden kürzer ge- worden, und der raschere Wechsel gleicht mehr dem Auf- und Absteigen der Wellen auf der Wasserfläche als dem Hinunter- stürzen in die Tiefe ohne Wiederkehr. Nichtsdestoweniger ist die Haartracht ihr treuer Begleiter in beständiger Parallele; es ist keine Wandlung der neueren Cultur, kein Umschwung in den Ideen, der sich nicht sofort oder schon im Voraus an ihr an- kündigt. Wir haben gesehen wie noch am Ende des funfzehnten Jahrhunderts in der weibisch entarteten Zeit, da die Modelaunen 2* III. Die Neuzeit. und die Geckenhaftigkeit noch in reicher Blüthe standen, zu völ- lig glattem Gesicht und nacktem Hals, der weiteren Entblößung nicht zu gedenken, ein langes, in künstlichen Locken über die Schultern fallendes Haar die allgemeine Männertracht war. Selbst der würdige Handwerksmeister, und nicht bloß der schmucke Geselle, trägt sich so, wenn auch die dunkle, pelzgeränderte Schaube weit und formlos, aber ehrbar den ganzen Körper um- hüllt. Aber schon auf der Scheide des Jahrhunderts erkennen wir die Dämmerung der neuen Zeit: hier und da beginnt das Haar die Schultern und den Rücken zu verlassen, selbst Köpfe mit kurzem Haar werden sichtbar, und vereinzelte Bärte tauchen auf, erst noch in sehr verschiedener Gestalt, Knebelbärte, Voll- bärte, lang und gestutzt, halbe Bärte, d. h. nur auf der einen Seite des Gesichts, die andre aber geschoren, denn theils ist die rechte Form noch nicht gleich gefunden, theils klebt ihnen noch ein Stück der alten phantastisch eitlen Lust an Seltsamkeiten an. Die Sittenprediger, die Vertheidiger des Alten, also des glatten Gesichts, bemerken das sofort und rügen die neue Sitte. Sie sehen darin nur neuen Zuwachs zu der alten Modenmenge und vermögen bei so stutzerhaftem Auftreten freilich nicht zu erkennen, daß ein andrer Geist, ein männlicher, im Werden ist und zur Erscheinung ringt. So sieht Geiler von Kaisersberg in seinen Predigten über das Narrenschiff die Sache an. „Es sein andere“, sagt er, „die tragen Bärt us üppiger Ehr, sie wöllen sein Ehr haben, und daß man mit dem Finger uff sie zög ( diciet hic est ). Das sein groß Narren, sie haben als viel Narrenschellen, als manch Haar sie um das Maul und um das Kinn haben. So sie kein Tugend noch Weisheit in ihnen haben, davon sie ruhmreich möchten sein, so wöllen sie von dem Bart gelobet sein, daß sie etwas sonderlichs haben.“ Dann heißt es ferner: „Also wird es unsern gebärtechten Narren auch gon, wann sie von Sonder- heit des Bartes glorieren, heimlich von dem höllischen Löwen werden sie gefangen; sie sein die, die nüt ehrlichs und mannlichs verbringen, so glorieren sie in den kleinen Dingen als in dem Bart, sie sein weibisch Mann, glorieren wie die Weiber in Kränz- 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. lin, in Scheppeln und in den Blumen, aber das Glück kehret sich um, davon sie gerühmt sein wollen, werden sie gescholten und kumen zu Gespott und zu Schanden, wann ein fremd Mann etwan kumpt und fragt, wer ist der mit dem Bart, es hat sunst keiner kein Bart, so spricht er, der (denn er) ist ein Narr, er meint, man soll viel uff ihn halten, darum daß er ein Bart trägt. Es sein darnach ander Narren, die tragen halbe Bärt als stette, sein uff einer Seiten geschoren, etliche tragen Knebelbärt, etliche hond ein klein Stücklin an den Backen ston, es will jeglicher etwas besunders tragen, und ist alles Narrenwerk.“ Aus dieser Stelle geht hervor, daß wenigstens im Jahr 1498, in welchem diese Predigten gedruckt wurden, der Bart zwar eine auffallende und allen ehrbaren Leuten anstößige, doch keineswegs mehr seltne Sache war, sodaß also jene Erzählung in sich zusammenfällt, welche den Papst Julius II. , der 1503 den päpstlichen Stuhl bestieg, als den ersten nennt, der sich den Bart habe wachsen lassen. Ebenso ist es mit jener andern Anekdote, welche die Tracht des kürzeren Haares König Franz I. zuschreibt, wenigstens was Frankreich und Deutschland betrifft. Der König habe sich einst — es war im Jahr 1521 — mit seinen Hofleuten am Schneeballwerfen ergötzt; er und seine Partei sollten das Haus des Grafen St. Paul stürmen, welches von der Gegen- partei vertheidigt wurde. In der Hitze des Gefechts habe man auch zu Steinen und anderm Wurfmaterial gegriffen, und dem Könige sei ein großes Stück brennenden Holzes an den Kopf ge- flogen. Um die Heilung der Wunde zu befördern, sei das Haar am ganzen Kopf geschoren worden, und da der König eine schöne Stirn gehabt, so habe ihm die Sitte des kürzeren Haupthaares so gefallen, daß er sie fortan beibehalten, wie es schon in der Schweiz und Italien der Brauch gewesen, und alle Hofleute seien seinem Beispiel gefolgt. Von Frankreich aus sei die Mode dann auch nach Deutschland gekommen. Dieser Erzählung steht entgegen, daß, wie in der Geschichte der Trachten die zufälligen Ereignisse überhaupt nur eine äußerst geringe Rolle spielen, so auch in diesem Falle sich die naturge- III. Die Neuzeit. mäße Entwicklung aufs deutlichste nachweisen läßt. Wenn mit der kürzeren Haartracht des Königs Franz die sogenannte Kolbe gemeint ist, die wir sogleich werden kennen lernen, so war dieselbe gegen das Jahr 1520 — und nicht später als anderswo — be- reits allgemein in Deutschland, wenn aber das ganz kurz ver- schnittene Haar, wie es die Spanier trugen, so wurde diese Form erst einige Jahrzehnte später durch die eintretende Reaction zur herrschenden Mode. An den Köpfen selbst, wie sie uns die in dieser Zeit so be- liebten Holzschnittillustrationen von Jahr zu Jahr in unzähliger Menge darbieten, können wir aufs genaueste verfolgen, wie Schritt um Schritt das Haar den Charakter der Eitelkeit ablegt und einer festen, männlich geziemenden Form zustrebt. Die Locken schlichten sich wieder, und wie das Hemd und später auch das Wamms aufwärts rücken, verkürzt sich das Haar und erhält regelmäßigen Schnitt; der Bart, voll, aber in anständiger Kürze gehalten, tritt in seine Würde und sein Recht als Zeichen der Männlichkeit ein, indem sich langsam die öffentliche Meinung dahin umkehrt, daß ihr nun das glatte, bartlose Gesicht für wei- bisch gilt. Um das Jahr 1520 etwa ist in Gestalt der sogenann- ten Kolbe die Hauptform vollendet. Das vordere Haar wird nicht gescheitelt, sondern über die Stirn heruntergekämmt und von Schläfe zu Schläfe in einer graden Linie auf der halben Höhe der Stirn verschnitten; hinten ist es ebenfalls in grader Linie von einem Ohr zum andern hart unter denselben abge- schnitten. „Das Haar soll nicht übers Vorhaupt hangen, auch nicht auf den Schultern umherfliegen“, so schreibt es des Eras- mus „Goldenes Büchlein von der Höflichkeit der Knaben“ vor. Anfangs erblicken wir diese Kolbe noch häufig ohne die Beglei- tung des Bartes, im Laufe der zwanziger Jahre aber stellt er sich regelmäßig ein und nun in ganz bestimmter, fester Gestalt: es ist ein kräftiger Vollbart, unter dem Kinn in grader, breiter Fläche stumpf abgeschnitten. Solche Gesichter machen durchaus den Eindruck einer ausgeprägten, charaktervollen Männlichkeit, die im stolzen Bewußtsein eigner Kraft und gestählt von der Schwere 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. der Zeit mit den Schlägen der Zukunft es aufzunehmen ge- denkt. Es ist interessant, an historischen Köpfen, soweit uns Por- traits aus verschiedenen Altersstufen vorliegen, diesen Wandel des Haares zu verfolgen. Kaiser Maximilian trug, wie wir schon früher mitgetheilt haben, in der ersten Hälfte seines Lebens zu glattem Gesicht die langen, wohlgepflegten blonden Locken in wenig krauser Gestalt; die späteren Portraits aber zeigen die ausgebildete Kolbe ohne Bart, dessen Blüthezeit er nicht mehr erlebte. Nicht weniger eitel auf die Fülle der langen blonden Locken, die er auch so unnachahmlich zu malen verstand, war sein Freund Dürer; auf seinen bekannten Selbstportraits sehen wir sie von der gescheitelten Stirn herabfließen und reich die Schultern umwallen. Trotz dieser Eitelkeit folgte er dennoch der wandelnden Mode, verschnitt das Haar über der Stirn, legte die Locken ab und ließ den Bart wachsen; und so sehen wir dann auf den späteren Portraits, etwa der letzten zehn Jahre seines Lebens, wie sie Medaillen und Holzschnitte darbieten, die Kolbe und den gestumpften Vollbart in völlig regelrechter Gestalt. Karl V. und Ferdinand I. wuchsen grade hinein in die Sitte der Kolbe und des Bartes; darum zeigen nur ihre Jugendportraits die erstere ohne den zweiten; aber spanische Einflüsse gaben bald dem Bart eine spitzere Gestalt und erlaubten dann auch ihrem Haar nur kürzeren Wuchs. In einer so aufgeregten Zeit, wie die erste Hälfte des sechs- zehnten Jahrhunderts, die sich mannichfach in Extremen erging, mußte freilich die Regel der Ausnahmen gar viele zulassen; sie zeigen sich auch an Haupthaar und Bart. Jenes fühlte sich nicht immer mit der Kürze der Kolbe befriedigt, und so tritt hier und da, namentlich an soldatischen Köpfen, ein ganz kurzer, nachläs- sig unregelmäßiger Schnitt auf, noch lange bevor unter dem Einfluß der spanischen Mode die hoch zu Halse gehende Krause zu dieser Mode zwang. Weit seltener ist es, wenn die Locken noch nicht gefällt sind und tiefer an Hals und Nacken herunter- hängen. Mannigfaltiger sind die Formen des Bartes, aber im III. Die Neuzeit. Verhältniß zu der oben beschriebenen Gestalt umspielen sie nur als Abnormitäten die herrschende Mode. Es giebt Gesichter, die zeigen bloß den Schnurrbart, aber das ist eine große Selten- heit; häufiger schon ist der Vollbart mit freier Oberlippe, und zuweilen hängt er auch zweigetheilt über die Brust herab. Leute von etwas phantastischer Natur hielten auch wohl die eine Seite des Gesichtes in ziemlicher Kürze, an der andern aber ließen sie wachsen, was wollte, und flochten daraus einen Zopf zusammen, der ihnen seitwärts vom Kinn herabhing. So trug sich auch der berühmte Graf Eitelfritz von Zollern. Den längsten Bart hatte wohl der bekannte und oft abgebildete Freiherr Andreas von Rauber: in einen Zopf geflochten, konnte er ihn um den Leib winden; sonst fiel er herab bis auf den Boden. Aber wie an Länge des Bartes wich dieser edle Freiherr auch an Stärke des Leibes niemanden auf Erden, wie das sein berühmter Zweikampf mit dem Spanier beweiset. Wenn in die gesammte Haartracht ein gewisser Charakter von Ernst und männlicher Würde einzukehren scheint, so liebt die Kopfbedeckung dafür das Freie, Leichte und in seiner Ausartung selbst Luftige und Phantastische. Aber eine Form gelangt zur allgemeinen Herrschaft und zwar in dem Maße, daß sie der männ- lichen und weiblichen Köpfe in ganz gleicher Weise sich bemäch- tigt. Es ist das Barett , das freilich um seiner ihm eigenthüm- lichen Geschmeidigkeit willen ebenso geeignet ist, in den Ernst sich zu fügen wie in die Narrheit, das der ausgelassenen Laune des Landsknechts wie der Strenge der reformatorischen Geistlich- keit zu entsprechen versteht, das der fürstlichen Pracht, der Würde des städtischen Rathsherrn und der Einfachheit des Handwerks- mannes in gleich charakteristischer Weise zu dienen vermag. Und ebenso ziert es die fürstliche Dame und das Ritterfräulein wie die städtischen Schönen und selbst ehrbare Bürgerfrauen, ja auch des fahrenden Landsknechts Begleiterin, sein Weib oder sein flandrisches Mädchen. Wir haben gesehen, wie noch am Ausgang des funfzehnten Jahrhunderts die bunte Formenfülle der Kopfbedeckungen in 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. ungeschwächter Kraft blühte; das neu auftauchende Barett schien nur die Anzahl noch zu vergrößern. Die Art der Kopftracht, welche mit diesem italienischen Wort bezeichnet wird, ist eigent- lich kein neues Stück, sondern nur eine Umwandlung der alten zu neuer, zeitgemäßer Gestalt, welcher Hut und Mütze in glei- cher Weise zustreben, jener, indem er mit dem Deckel flach her- absinkt und den Rand ausdehnt, diese, indem sie alle charakter- losen Formen abstreift und der einen, bestimmten sich nähert. Schon vor dem Jahre 1500 können wir hier und da das Barett in völlig ausgebildeter Gestalt erblicken, und zwar so, daß im Jahr 1498 Geiler von Kaisersberg in seinen Predigten bereits Notiz davon nimmt; doch leben gleichzeitig noch alle die von uns geschilderten Kopfbedeckungen fort und fristen ihr Dasein bis ins zweite Zehnt des neuen Jahrhunderts, die weiblichen Hauben sogar noch länger. Die verschiedenen Mützenformen, die gerän- derten und ungeränderten, die turbanartigen mit der Sendelbinde und die spitzen wie die weichen mit dem in den Nacken fallenden Stoff und desgleichen die bunten Reife und Federkränze ver- schwinden ganz und der Filzhut wird in die untersten Stände hinabgedrängt, bis auf den gemeinen Handwerksmann und den Bauer, wo er sich freilich erhalten mußte, da ihnen die Reichs- ordnung von 1530 das Barett ausdrücklich verbot. Diese und die Klostergeistlichkeit ausgenommen, oder wem sonst Stand und Armuth es nicht erlaubten, sitzt seit dem Jahre 1520 etwa das Barett auf allen männlichen Köpfen, aber sehr verschiedenartig. Der Weltgeistliche, die Männer der Reforma- tion, die Gelehrten und mancher ehrbare Städter vornehmen und reichen Standes tragen es dunkelfarbig, gewöhnlich schwarz, und von höchst einfacher Gestalt: nachgiebig und doch in be- stimmter Form, die vordere Hälfte des Randes aufgekrämpt, die hintere in den Nacken heruntergelassen, so bedeckt es bei freier, offner Stirn fast den ganzen Haarwuchs. So einfach mochten es nicht leicht andere in dieser bewegten Zeit tragen. Manche frei- lich entsagten noch allem Schmuck daran und auch den lebhafte- ren Farben, aber ihr Barett saß doch schief auf der einen Seite III. Die Neuzeit. mit breitem und gesteiftem, scheibenförmigem Rande. Andere hatten die Krämpe — und das wurde zur allgemeinen Sitte — nach der beliebten Weise der Aufschlitzung in mehr oder weniger einzelne Lappen zerschnitten oder auch Einschnitte gemacht, sei es willkürlich oder in bestimmten Mustern, und diese mit buntfar- bigem Stoff durchzogen; wer diese Mode phantastisch übertrieb, zerschnitt und zerlappte auch den weichen Deckel des Baretts. Der junge Stutzer liebte lebhafte, helle Farben oder eine bunte Zusammensetzung verschiedenfarbiger Lappen; hochroth trug es gern der Ritter, dem Fürsten und dem Grafen war carmoisin vorbehalten. Allgemeine Sitte wurde es, kostbaren Schmuck an Gold, Perlen und Edelsteinen am Barett zu tragen oder in Ge- stalt von Portraitmedaillons, die damals in so außerordentlicher Menge wie von vorzüglichem Kunstwerth gemacht wurden, die theuren Erinnerungen von Angehörigen oder geliebten Personen. Am meisten übertrieb man den Federschmuck, den man schon aus dem funfzehnten Jahrhundert überkommen hatte. Anfangs scheint es nur eine kecke Hahnenfeder zu sein, die über dem Kopfe schwankt, dann ein breiter, mächtiger Busch von einfachen oder verschiedenfarbigen Federn, die endlich das ganze Barett umziehen und umlagern, daß sie rundum über den Rand her- unterschwanken. Straußfedern waren die kostbarsten und die beliebtesten, aber auch wohl die unächten häufiger als die ächten, sodaß es mehr der Vollständigkeit wegen geschehen sein mag, wenn die Reichsordnung von 1530 sie dem Bauer und dem Handwerksgesellen untersagt. Eine Luxusordnung, die für Nie- derösterreich im Jahr 1518 projectirt wurde, wollte allen Edel- leuten einen Federbusch verbieten, der mehr als zehn Gulden kostete. Schon früh liebte man es renommistischer Weise das Barett schief auf die eine Seite des Kopfes zu setzen, doch war es mit seinem flachen Deckel und breiten Rande schwer in dieser Lage zu halten, zumal da die Befestigung durch ein Kinnband nicht sehr Beifall gefunden zu haben scheint, denn wir sehen sie verhältniß- mäßig selten. Es mußte also ein Mittel gesucht werden diesem 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Uebelstande abzuhelfen, und es fand sich auch in der sogenann- ten Haarhaube oder Calotte , die nichts anderes ist als das Haarnetz oder die kleine Haube, mit welcher die Frauen in der zweiten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts die zusammen- gelegten Flechten umfaßten. Von der Damenwelt ging sie auf die Männer über, wie das Barett von diesen den Weg zu jenen genommen hatte. „Es gon jetzt Frauen wie die Man,“ sagt Gei- ler von Kaisersberg, „und hond Baretlin mit Hahnenfederlin uff.“ Und an einer andern Stelle heißt es: „und das ganz ein Schand ist, daß die Weiber jetzt Barett tragen mit Ohren, die Man tragen jetzund Huben wie die Frauen mit Seiden und mit Gold gestickt.“ Die Köpfe der Männer und Frauen erhalten dadurch auf den Bildern oft eine solche Aehnlichkeit, daß der Bart als ein um so nothwendigeres Unterscheidungsmittel er- scheint. Da die Calotte eng umspannend dem Kopfe fest ansaß, so konnte das Barett in beliebiger Weise daran befestigt werden, und wir sehen es daher oft so auf dem rechten Ohr sitzen, daß, von links her im Profil gesehen, der ganze Kopf davon wie in einer Folie umrahmt erscheint, während er von der rechten Seite völlig verdeckt ist. Eine andere Folge war, daß man nun mit dem Barett jede willkürliche Veränderung ohne Rücksicht auf sei- nen Zweck vornehmen konnte; es wurde z. B. so flach, daß es nur eine Scheibe von Pappe blieb, mit Sammet oder Seide überzogen und mit Federn bedeckt. Es wurde so zur bloßen Zierde des Kopfes, und seinen Zweck mußte die Haube erfüllen. Dem Landsknecht sehen wir es oft an einem Bande hinten im Nacken oder auf dem Rücken hängen. Die Calotte wurde auch für sich wieder zu einem Gegen- stand des Luxus durch die Kostbarkeit des Stoffes. Schon die früheren kleinen Hauben der Frauen waren vorzugsweise von Gold- und Silberstoff gewesen, oder der dazu beliebte rothe Sammet oder die Seide waren wenigstens mit solchen Fäden in reicher Weise bestickt worden. Das erhielt sich grade so. Män- ner wie Frauen trachteten nach den goldenen und silbernen Hau- ben, sodaß sie schon in der Reichsordnung von 1498 den reisigen III. Die Neuzeit. Knechten verboten werden. Die erwähnte österreichische Ordnung vom Jahre 1518 will sie allen Bürgern in den Städten, die nicht von Adel, Ritter oder Doctoren sind, untersagt wissen. Im Jahre 1530 werden von der ausführlichen Reichsordnung, welche auf dem Tage zu Augsburg erlassen wurde, selbst „den Bürgern in den Städten, so vom Rath, Geschlechtern oder sonst fürneh- men Herkommens sind und ihrer Zins und Renten geleben“ nur seidene Haarhauben erlaubt, der Adel darf die goldenen und sil- bernen tragen, doch soll das „Gebänd und Geschmück“ darauf nicht über 40 Gulden werth sein. Wie der Landsknecht sein Barett auf dem Rücken hängen ließ, so konnte auch wohl ein anständiger Mann in der Calotte allein erscheinen und das Barett in der Hand halten und ebenso sich ihrer als eine Art von Hauskappe bedienen. Wie das Ba- rett in der Hand zu halten war, dafür hatte die Sitte wenigstens der höflichen Jugend bestimmte Vorschriften gegeben. So heißt es in dem Anstandskatechismus, welcher nach des Erasmus gol- denem Büchlein ausgearbeitet worden war: „Unter dem Ge- spräch, wo soll er seine Hände und Barett halten? Antw.: Mit beiden Händen zusammen soll er das Barett für seinem Bauch halten, also daß allein die zwei Daumen herfürscheinen. — Soll der Jung auch das Barett oder Bücher unter den Arm thun uud tragen? Antw.: Solches pflegen die Bauern zu thun.“ Eras- mus selbst schreibt folgendes vor: „Unter dem Reden soll man das Barett (oder Hut, wie es in der spätern Verdeutschung lau- tet) in der linken Hand halten, also, daß man die rechte Hand fein sanfte an den Bauch setze, oder welches noch zierlicher oder höflicher gehalten wird, das Barett auf beiden Händen hängend, also daß beide Daumen oben herausscheinen, soll den Ort der Scham bedecken.“ Den raschesten Sprung von einem Extrem ins andere machte die Fußbekleidung ; ihre Umwandlung war eigentlich schon vollendet, als die Reformation begann. Wir haben die Mode der Schnabelschuhe im Früheren herab verfolgt bis gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts und gesehen, wie auch sie 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. noch in den Anfang des neuen hinein ein freilich sehr sporadisches Dasein fristen. Schon in den achtziger Jahren wird der Um- schlag in Frankreich wie in Deutschland gleich bemerklich, und statt der Schiffsschnäbel hören wir nun von Entenschnäbeln, Bärentatzen, Ochsen- oder Kuhmäulern und ähnlichen Ehren- titeln der Schuhe. Geiler von Kaisersberg zieht auch diese Mode in den Bereich seiner Predigten hinein: „Die Schuch waren etwan zu spitz, jetzund so seint sie stumpf wie Kalbsmäuler, etwan waren die Schuch zu eng, jetzt so seint sie zu weit, die Schuch seint ausgeschnitten und zerhacket, weren doch besser ganz dann zerschnitten.“ Dieselbe Richtung der Zeit, welche das leichte, geschmeidige Barett hervorrief, wirkte auch auf die Fußbekleidung. Da man sich aller Enge und lästigen Unbequemlichkeit entledigen wollte, machte sich natürlich zunächst die Stelle fühlbar, wo der Schuh drückte, und darum warf man die losen hölzernen Unterschuhe und Pantoffel, welche klappernd aller freien Bewegung hinder- lich waren, bei Seite und schnitt die langen und gespitzten Schnä- bel ab. Aber weil man noch unter dem Einfluß des alten Mode- geistes stand, der nur an Uebertreibungen und Seltsamkeiten Gefallen fand, so verfiel man sogleich in das andre Extrem und machte die Schuhe in ähnlichem Verhältniß vorne breit, wie man sie früher spitz getragen hatte. Nur vereinzelt zeigten sich etwa bis zum Jahre 1510 nach Uebergangsformen im bürgerlichen Stande: Schuhe, die vorn weder spitz noch breit, sondern nur abgerundet waren, ohne aber nach der natürlichen Form des Fußes sich zu richten, sodaß sie nur ein rohes, bäurisch klotziges Machwerk vorstellten, welches weder auf Schönheit, noch auf Feinheit und Eleganz irgendwie Anspruch machen konnte. Der alte Schuh des funfzehnten Jahrhunderts hatte so ziem- lich den ganzen Fuß bis an die Knöchel bedeckt, den neuen suchte man vielmehr auf das geringste nothwendige Maß zurückzufüh- ren, um den Fuß möglichst frei und unbedeckt zu haben. In vollendeter Ausbildung hatte dieser Schuh an der festen Sohle nur den breiten Schnabel, der nichts weiter als die Zehen be- III. Die Neuzeit. deckte, und hinten die Kappe, welche die Ferse umschloß; wenig- stens wurden die Seiten so schmal wie irgend möglich gemacht oder selbst ganz weggelassen. Die Kappe mußte daher aufs engste anschließend gemacht werden, weil sonst der Schuh den Halt verloren hätte; zu festerem Schluß lief auch wohl ein Rie- men oder ein Band über den Spann des Fußes; sie kamen dann aber in Abnahme wie das Kinnband des Baretts. Diesen Schuh, der in seiner breiten Form so allgemein wurde, daß er selbst, wie einst der spitze Schnabel, auf die Rüstung des Ritters überging, trug der Landsknecht wie der Fürst, der Handwerksmann wie der Gelehrte und der Geistliche. Bequem mochte er ihnen sitzen, aber im Schmutz und bei feuchtem Wetter gab er wenig Schutz gegen das hereinlaufende Wasser, worüber auch Klage geführt wird, zumal als auch das, was noch übrig war, von der Mode der Zerschlitzung ergriffen wurde. Die Stoffe waren wie früher neben Leder, namentlich dem feinen eleganten Corduan, Sam- met, Seide und Wolle; man liebte vorzugsweise helle Farben, Roth, Blau und Geld, einfach oder getheilt und durch die bunt unterlegten Schlitze zu mannichfacherer Wirkung gebracht. Die Breite des Schnabels übertraf nicht selten die halbe Länge des Fußes und wurde auch zu mehrerer Schönheit im Contour ein- wärts geschweift. Die Kleidungsstücke, welche sich zunächst dem Körper an- schlossen, also das Wamms und das Beinkleid , schienen Anfangs ihre Grundgestalt, wonach sie auf der Hüfte mit Ne- steln an einander schlossen, nicht verändern zu wollen, und den- noch verwandelten sie dabei ihren Charakter in das bestimmteste Gegentheil und in einer Weise, die ihren Ursprung und selbst ihre Bedeutung völlig unkenntlich macht. Die enge Jacke mit nacktem Hals und nackten Schultern und das enge Beinkleid, welches in einem Stück von der Hüfte bis zu den Füßen schloß, waren bereits am Ausgang des funfzehnten Jahrhunderts von einer Menge verschiedener Moden umspielt; namentlich war die erstere schon vielfach von der freieren Richtung durchbrochen worden und die Schranken leichter, ungenirter Bewegung zeigten 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. sich größtentheils aufgehoben. Weniger war dies letztere beim Beinkleid der Fall: wie bunt es auch aus Lappen und Läppchen in regelmäßiger oder unregelmäßiger Gestalt, in Blumen, Flam- men und andern Zierfiguren, zusammengesetzt war, so saß es doch straff gespannt um Knie und Schenkel, und gab den Moralisten immer noch dasselbe Aergerniß wie früher. Nur der Soldat, d. h. der Fußgänger, wie denn dieser damals den eigentlichen Sol- daten zu bilden begann, hatte sich wohl in seiner ungenirten Weise zu helfen gewußt, indem er einen Theil des Beinkleides, da wo es ihm lästig war, ohne weiteres wegließ. So sind denn auf colorirten Kriegsbildern dieser Zeit um die Scheide beider Jahrhunderte solche Kriegsleute eine gewöhnliche Erscheinung, welche das eine Bein — vermuthlich das linke, welches bei ge- fälltem Spieß am meisten genirt war — von dem halben Ober- schenkel herab bis unter das Knie oder selbst bis zum Schuh nackt tragen. Allein unmöglich konnte diese Weise zur herrschenden Mode für die ganze gebildete und ungebildete Christenwelt wer- den, welche grade so gut nach Freiheit rang und des ungehin- derten Gebrauchs der Glieder in gleichem Maße bedürftig war. Kein Fall in der ganzen Costümgeschichte ist lehrreicher als dieser für die Entwicklung und Entstehung neuer Trachtenformen. Es lag die reinste Nothwendigkeit zur Aenderung vor, und wer den unerbittlichen Zwang nicht ertragen konnte, suchte sich einstwei- len zu helfen in ähnlicher Weise wie der Soldat. So machten es fromme Pilgersleute, welche gleich jedem andern das enge Beinkleid trugen, straff in die hochgehenden Schuhe hineinge- zogen: auf ihrer langen, mühsamen Wanderung war es ein be- schwerliches Hinderniß und um ihm zu entrinnen, schnitten sie das ganze Stück vor dem Knie heraus, sodaß dieses bloß und blank vor Augen lag. Man hätte meinen können, daß ein wei- tes Beinkleid in Weise des heutigen am einfachsten und leichte- sten dem Bedürfniß entsprochen hätte: aber eine so totale Um- änderung mit einem Schlage ist völlig wider den Geist der Ent- wicklung in der Trachtengeschichte; drei Jahrhunderte mußten vergehen, drei Jahrhunderte mit einer Fülle von Formen, die III. Die Neuzeit. mit einer früher ganz unbekannten Schnelligkeit wechselten, bis aus der mittelalterlichen Hose die moderne als Resultat her- vorging. Das Mittel nun, welches dem gepreßten Körper Luft schaffte und den Drang nach Licht und Freiheit befriedigte, erscheint wie das einfachste und naturgemäßeste von der Welt. Als es gefun- den war, schwanden vor ihm alle die ungenügenden Versuchs- mittel, wie das nackte Bein des Soldaten und die entblößten Kniee der Pilger und ebenso die noch unter dem Einfluß der Sonderlingsgelüste des funfzehnten Jahrhunderts stehenden Zer- schneidungen und Verkleinerungen der Jacke oder des Wammses. Da, wo man sich gehindert fühlte, also an den Gelenken, zu- nächst an den Schultern und Ellbogen und später auch an den Knieen und auf den Hüften, machte man quer oder senkrecht einen oder mehrere Einschnitte neben einander, sodaß die Pres- sung aufhörte und die Glieder sich leicht und bequem bewegen konnten. Am Oberkörper ließ man durch diese Schlitze, wie das ja schon bei dem Ausschneiden der Jacke der Fall gewesen war, das Hemd faltig heraustreten, während man bei den Beinen, da man doch die Blöße verdecken mußte, gar bald sie mit dün- nem, farbigen Stoff, der ebenfalls ein wenig in Falten heraus- treten konnte, unterlegte. So wurde zur lebendigen Zierde, was die einfache Nothwendigkeit geschaffen hatte. Und da die Auf- schlitzung nun Mode wurde, und von den Stellen, wo sie vom Bedürfniß hervorgerufen war, sich auch über andere Theile des Körpers auszubreiten begann und auch das Barett, die Schuhe und selbst die Schaube ergriff, so gerieth sie gewissermaßen in den Strudel der großen allgemeinen Bewegung hinein und fort- gerissen, wuchs sie heran zu einer so üppigen Blüthe, überwu- cherte die ganze deutsche Menschenwelt in einer so alles Maß überschreitenden und zugleich so allgemeinen Weise, daß wir in ihr gradezu das Hauptkennzeichen, den Hauptcharakterzug der Tracht des sechszehnten Jahrhunderts haben, der ihr vor allen übrigen Zeiten eigenthümlich angehört. Da alle civilisirten Nationen der abendländischen Christenheit 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. im funfzehnten Jahrhundert gleichmäßig die enge Kleidung hat- ten, und da man wohl annehmen kann, daß sich bei dem allge- meinen Drange, die erstarrten Formen des Mittelalters von sich abzustreifen, ihnen allen gleichzeitig das Gefühl von der lästigen Enge aufdrängte, so ist es im Grunde ein müssiges Ding, dar- nach zu forschen, welcher Nation für die Aufschlitzung die Ehre der Erfindung gebührt, oder gar nach dem Namen des erfinderi- schen Kopfes zu fragen, der zuerst auf diesen glücklichen Gedan- ken gekommen. Diese Frage steht ganz gleich derjenigen nach dem Ursprung und dem ersten Urheber der Reformation. Zwar stellen die deutschen Sittenrichter unsre Nation wiederholt als die nachahmende dar, aber theils weichen sie in der Angabe des Erfinders ab, indem die einen die Italiener nennen, die andern die Franzosen, die dritten die Spanier, theils ist ihr Urtheil be- fangen und parteiisch, da sie die Gegner dieser Mode sind und sich bestreben, sie verächtlich zu machen. Die Aufschlitzung mit allen parasitischen Auswüchsen ist eine That der großen reforma- torischen Bewegung, und wie diese nur in Deutschland zu selb- ständiger Ausbildung und Durchbildung gekommen, in den an- dern Ländern aber im Keime erstickt oder abgelenkt oder in feste Schranken eingeschlossen worden, so hat auch nur in Deutsch- land diese Mode sich in freier, origineller Weise entwickeln kön- nen, daß es ihr endlich möglich ward, sich zu überstürzen und ins Maßlose auszuarten. Obwohl wir sie vielleicht am frühsten in Italien finden, wo es schon am Ende des funfzehnten Jahr- hunderts junge Stutzer giebt, die Wamms und Beinkleid von oben bis unten überall zerschlitzt haben, so gewann sie hier doch nie ein eigentliches, organisches Leben und verschwand bald wie- der mit Hinterlassung unbedeutender Spuren. In Frankreich und in Spanien nahm sie, wie wir das noch sehen werden, bald eine völlig andere Richtung, welchem Beispiel auch England folgte, seiner halb durchgeführten Reformation gemäß. Deutsch- land ist ihre wahre Heimath, und die Grenzen desselben und des germanischen Nordens, soweit er sich der Reformation angeschlos- sen hatte, sind auch die ihren. Die Pluderhose, in ihrer colossal- Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 3 III. Die Neuzeit. sten Gestalt den Höhepunkt der Aufschlitzung bezeichnend, ist so sehr ein Ausfluß des speciell reformatorischen Geistes, daß sich diese Bemerkung selbst nicht den evangelischen Sittenpredigern entziehen kann. So sagt Andreas Musculus in seinem Hosen- teufel: „Es möchte sich billig ein Christ hoch darüber verwun- dern und der Ursachen nachdenken, wie es immer mehr komme, daß solche unzüchtige und unehrliche Kleidung sonst bei keinem Volk erfunden als allein bei den Christen und nirgend in keinem Land so allgemein und erschrecklich als eben in den Ländern und Stätten, in welchen Gott seine Gnade ausgegossen, sein liebes Wort und reine Lehr des Evangelii hat lassen predigen. Denn wer Lust hätte von wunders wegen, solche unflethige, bübische und unzüchtige Pluderteufel zu sehen, der such sie nit unter dem Papstthum, sondern gehe in die Stätt und Länder, die jetzund lutherisch und evangelisch genennet werden, da wird er sie häu- fig zu sehen kriegen, bis auf den höchsten Greuel und Ekel, daß ihm auch das Herz darüber wehe thun und dafür als für dem greulichsten Meerwunder sich entsetzen und erschrecken wird.“ Wie die ganze Bewegung aus der Tiefe des Volkslebens heraufstieg und eine That des Bürgerthums genannt werden kann, so kam auch diesmal der Anstoß zur Umgestaltung in der Trachtenwelt von unten her und riß den ruhigen vornehmen Bürger und den Adel und auch die Fürstenhöfe mit sich fort. Die Landsknechte waren es, selber erst ein Geschöpf der neuen Zeit, welche die Mode der Aufschlitzung zu bestimmter Gestaltung brachten, welche fortan den Reigen führten, aber auch zu solchem Uebermaß sich verstiegen, daß endlich der Reaction der Sieg nicht schwer werden konnte. Wir müssen uns darum dieses Kriegsvolk etwas näher besehen. Wir haben schon oben bemerkt, wie mit dem Sinken des Ritterthums die Entscheidung der Schlachten auf den Fußknecht übergegangen war. Die Schweizer hatten in dieser Kampfesart die ersten Lorbeeren errungen. Da schuf Maximilian die Lands- knechte, und die Noth der Zeit, die unaufhörlichen Kriege der Völker, welche an die Stelle der kleinen Fehden traten, machten 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. sie bald jedem Kriegführenden unentbehrlich und hoben sie zu raschester Blüthe. Nur mit ihnen oder den Schweizern, die jenen einen Theil des Ruhmes und bald den ganzen überlassen mußten, vermochten noch die stolzen französischen Ritter, Bayard und seine Genossen, das letzte aufflackernde Licht des Ritterthums, zu siegen; wider sie erlagen sie ruhmlos den Hakenschützen oder dem gewandten Spießträger, der dem schweren Stoße auswich. Die Landsknechte gingen aus der Masse der Bürger und Bauern hervor und rekrutirten sich fortwährend daraus. Aber sie waren nicht der Auswurf derselben, sondern wackre Zunftgenossen, denen der Umschwung der Dinge die Arbeit versagte, oder die, sanges- lustig und sangeskundig, von der allgemeinen Bewegung der Gemüther fortgerissen, lieber ein freies, frisches Leben führen wollten, als auf der Schusterbank oder am Webstuhl sitzen; und ebenso Bauern, jüngere Söhne, welche die harte Arbeit verdroß, da sie es im Kriegsleben lustiger haben konnten. „Es soll kein Landsknecht garten Vor eines Bauren Haus, Denn er muß tratten und harken, Daß ihm der Schweiß bricht aus, Dazu das Mark in sein Gebein. Viel lieber dien ich dem König allein Denn einem reichen Bauren, Er giebt uns das Geld mit Trauren.“ Bettelgesindel konnte man nicht brauchen in den tapfern Reihen; denn wer sich stellte, wenn die Werbetrommel erklang, mußte die Musterung passiren und sich ausweisen als gesund und stark und mit Kleidung, Wehr und Waffen wohl versehen, denn er mußte selbst dafür sorgen. Auch Söhne edler Patrizierfamilien, denen im Drang nach Abenteuern die Schreibstube zu eng wurde, zogen es vor, mit dem Haufen in den Krieg zu ziehen; und als die Landsknechte zu Ehren gekommen waren und die Ueberzeugung sich festgestellt hatte, daß die Zeit des schweren Eisenmannes vorbei sei, da waren es auch Herren und Grafen, welche das Roß und die ritterliche Lanze zu Hause ließen und mit dem Spieß 3* III. Die Neuzeit. oder der Hellebarde auf der Schulter sich in die Reihe der Fuß- knechte stellten. Gar manchen erlauchten Namen finden wir unter ihnen, manchen, der sich von unten auf zum Hauptmann, Ober- sten oder berühmten Führer emporrang, aber auch gar mancher fand seinen Tod als gemeiner Landsknecht. Vaterlandsliebe darf man nicht allzuviel bei ihnen suchen; es war genug, daß, wo und wem sie dienten, sie überall mit ihrer Tapferkeit die Kriegsehre des deutschen Namens aufrecht erhielten. „Wir han gar kleine Sorgen Wohl um das römisch Reich, Es sterb heut oder morgen, Es gilt uns alles gleich.“ Sie dienten, wer ihnen am meisten zahlte, und schlugen seine Schlachten, wo und gegen wen es auch sein mochte. Sie dien- ten dem Kaiser auf allen Grenzen des Reichs gegen die Franzo- sen wie gegen die Türken und den Papst; und wieder standen sie im Sold Frankreichs gegen das Vaterland und kämpften in Spa- nien, in England, in Italien, Afrika und Amerika. Wo immer nur eine Schlacht geschlagen wurde, deutsche Landsknechte waren gewiß dabei. Nicht leicht trat in jener bewegten Periode eine Zeit ein, wo es nichts für sie zu thun gegeben hätte, wo nicht irgendwo ein ehrlicher oder unehrlicher Krieg im Gange gewesen wäre. Und ereignete es sich einmal, daß der abgeschlossene Friede sie in die Heimath schickte, bevor schon an neuer Stelle die Trom- mel wieder geschlagen war, oder daß der Winter sie zur Unthä- tigkeit gezwungen hatte, so zogen sie mit der gemachten Beute — denn nicht leicht verschmähten sie eine — nach Haus und ver- brachten sie, wie sie gewonnen war, bis wieder ein bekannter Oberst seinen Ruf ergehen ließ. Dann „fleugt und schneit es zu wie die Fliegen in dem Sommer, daß sich doch jemand zu Tode verwundern möchte, wo dieser Schwarm nur aller herkam und sich den Winter erhalten hat.“ Kein abenteuerlicheres und wechselvolleres Leben ist denk- bar, als wie es dieser Haufe trieb. Der Krieg war ihre Lebens- 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. aufgabe, und dieses Handwerk trieb sie durch die ganze Welt von der Jugend, vielleicht von der Kindheit an, denn nicht wenigen war auch das Lager die Geburtsstätte gewesen, bis Wunden oder das kommende Alter sie zum Dienst, zur Ertragung der Mühsale unfähig gemacht hatten. Ein freier Haufe zogen sie ins Feld, denn freiwillig, unter guten, ehrenvollen Bedingungen hatten sie zur Fahne geschworen; ein selbstvertrauendes, übermüthiges, trotziges Volk, denn sie wußten, daß von ihnen die Entscheidung abhing. Ueberlustig, wenn sie im Siege waren und im Strome des Glückes schwammen, aber auch verzagt und kleinlaut oder meuternd, wenn es ihnen den Rücken zugekehrt hatte. Dann waren sie schlimm zu behandeln von Seiten ihrer Führer, zumal wenn ihnen der Sold nicht pünktlich ausgezahlt werden konnte. Wenn der Feind heranrückte und im Angesichte war, fielen diese „frommen Landsknechte“ auf die Kniee und verrichteten ihr Ge- bet zu Gott um gnädigen Sieg, stimmten auch wohl ein geist- liches Lied an und dankten ihm in gleicher Weise nach gewonne- ner Feldschlacht. Diese Frömmigkeit hielt sie aber nicht ab, auch in Kirchen ihre Beute zu machen und mit dem Heiligen ihren Spott zu treiben. Einmal reich an rasch und leicht gewonnener Beute schwelgten sie bei allem Ueberfluß im Lager oder in der eroberten Stadt, dem Trunk und Spiel gleich ergeben, und dann wieder darbten sie im Elend, von Bauer und Bürger gehetzt, vom langen Marsche abgerissen, im fremden Land, im Feld oder in einer belagerten Stadt, Wochen lang, Monate lang dem Hun- ger und tödtlichen Krankheiten ausgesetzt. Zu Tausenden hat sie unter solchen Umständen das mörderische Klima Italiens hinge- rafft. Die priesen sich glücklich, welche in der Schlacht einen ehrlichen Soldatentod fanden, denen Trommel und Pfeifen das Sterbelied sangen. „Kein selger Tod ist in der Welt, Als wer vom Feind erschlagen Auf grüner Heide, im freien Feld, Darf nicht hören groß Wehklagen. Im engen Bett sonst einer allein III. Die Neuzeit. Muß an den Todesreihen, Hier aber findt er Gesellschaft fein, Fallen mit wie Kräuter im Maien. Ich sag ohne Spott, Kein sel’ger Tod Ist in der Welt, Als so man fällt Auf grüner Haid Ohn Klag und Leid. Mit Trommelklang Und Pfeifengesang Wird man begraben. Davon wir haben Unsterblich Ruhm. Mancher Held frumm Hat zugesetzt Leib und Blut Dem Vaterland zu gut.“ So abenteuerlich wie ihr Leben war auch der Anblick dieser Schaaren: ein bunt zusammengewürfelter Haufe; trotzige, ver- wegene Kerle mit mächtigen Schritten unter ihrem Spieß daher- schreitend, das kurze, breite Schwert quer vor den Magen ge- schnallt; wilde, bärtige, wettergebräunte Gesichter, denen Schlach- ten und Kriegsjahre ihre Spuren eingegraben hatten; alte Grau- bärte, die bereits allen Herren gedient, und neben ihnen bartlose Jünglinge, die kaum den Knabenschuhen entwachsen waren. Hinter ihnen zog der lange Troß der „Huren und Buben“ einher unter Anführung des „Hurenweibels“, eines alten bärtigen Kriegsmanns, der hoch zu Roß saß und den derben „Vergleicher“ in der Hand führte. Seine Aufgabe war, die an Zahl nicht ge- ringere Masse der Knechte, Buben und Weiber zusammenzuhal- ten, daß sie auf dem Marsch oder bei den Operationen nicht hin- derten. In diesem Troß folgten die Packwagen mit Beute und Bedarf beladen, etwaige Gefangene, alles lebendige Schlacht- vieh; die Weiber mit umgebundenen Kopftüchern oder kokett mit Federbarett, den Rock zu besserem Marschiren hoch aufgeschürzt, trugen das Kochgeschirr und den Schnappsack, die Buben halfen mit, soviel sie konnten. Mit der wilden, phantastischen Kleidung 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. dazu war so ein Landsknechtshaufe das Staunen und der Schrecken aller Leute, wohin er kam. Der Anblick war so fürch- terlich, daß sie bei Hans Sachs — es war aber schon in der spä- teren Zeit ihrer Entartung — selbst dem Teufel Grausen erre- gen. In dem Schwank: „der Teuffel lest kein Landsknecht zur Helle faren“ (1558) spricht Beelzebub zu Lucifer: „Wilder Leut hab ich nie gesehn: Ihr Kleider auf den wildsten Sitten Zerflambt, zerhauen und zerschnitten, Eins Theils ihr Schenkel blecken theten, Die andern groß weit Hosen hetten, Die ihnen bis auf die Füß rab hingen, Wie die behosten Tauber gingen; Ihr Angesicht schramet und knebelpartet, Auf das allerwildest geartet: In Summa wüst aller Gestalt, Wie man vor Jahrn uns Teufel malt.“ Schon zu Lebzeiten Maximilians hatten sie die tolle Will- kür ihrer Kleidung so ins Maßlose getrieben, daß die feinen Hof- herren dem Kaiser Vorstellungen machten und ihm riethen, der- gleichen Uebermaß öffentlich zu verbieten. Allein Maximilian, der zwar früher von dem stattlichen Häuflein der Nürnberger, das ihm Wilibald Pirkheimer ganz gleich in Roth gekleidet zu- geführt hatte, herzlich erfreut worden war, dachte hier anders und antwortete lachend: „Ach was närrischer Bekümmerniß ist das! Gönnet ihnen doch für ihr unselig und kümmerlich Leben, dessen Endschaft sie stündlich gewärtig sein müssen, ein wenig Freud und Ergötzlichkeit; sie müssen oftmals, wenn ihr dahinten steht, davornen die Köpfe zerstoßen. Es ist der Speck auf der Falle, darmit man solche Mäuse fängt. Seid ihr zufrieden und lasset sie machen; wann diese Hoffart aufspringt, wagen sie ge- meinlich all ihr Gut, und es währet nicht länger dann von der Vesper bis die Hühner auffliegen.“ Spaniern und Franzosen waren sie in solchem Aufzug ein Greuel; die feinen Leute konn- ten der wilden maßlosen Weise keinen Geschmack abgewinnen. III. Die Neuzeit. So beschreibt sie ein Franzose beim Sturm auf Rom: „Das Barett sitze wegen seiner Größe nur schlecht auf dem Kopf, schlott- rig weit seien die Hosen, ebenso die Schuhe und noch weiter die Harnische, und an der ganzen Kleidung von Kopf zu Fuß sei wegen der Uebertreibung nichts, was die Augen erfreuen könne.“ Aber es gab Zeiten, in denen sie auch einen andern Anblick gewährten. In langen Feldzügen, zumal wenn ihnen das Glück nicht immer hold gewesen war, dann hielt das lappenhafte Zeug nicht lange zusammen. Mit zerfetzter Kleidung, die der Blößen genug gab, abgerissen an den Schuhen, mochten sie den Italie- nern wohl Grund zu allerlei Spott geben. So wagte es der Venetianer Feldherr Bartolomeo d’Alviano an Georg Fronds- berg das Anerbieten zu machen: wenn seine nackten Landsknechte die Waffen niederlegen wollten, so würde er sie mit weißen Stä- ben aus dem Lande ziehen lassen. Aber der Vater der Lands- knechte kannte seine Kinder und erwiderte: er habe nackte Kna- ben, wenn aber jeder einen Pokal Wein im Busen habe, so seien sie ihm lieber denn die Venediger, die Harnisch antragen bis auf die Füße. Schlimm erging es dem Befehlshaber Roms Renzo da Ceri, der zu den Seinen äußerte, als Bourbon mit den Lands- knechten und Spaniern zu dem grausenvollen Sturm heranrückte: er wolle die Stadt wohl erhalten vor den schwarzen Köpfen und den deutschen Weinsäufern; es wären elende Leute, denen Hun- ger und Tod im Magen stäke, die nackt und bloß, weder Schuhe noch Kleider und rostige Degen hätten, mit denen man nicht einen Salat möchte abschneiden. Es war nur natürlich, daß, sobald ein solches Volk im Ge- biet der Trachten und der Mode sich an die Spitze der Bewegung stellte, die Entwicklung sich rasch überstürzen mußte, zumal da die Haupteigenschaft der Kleidung dieser Zeit ohnehin schon ein Erzeugniß des Freiheitsdranges war. Indem nun das nackte Bein des Landsknechts sich wieder bedeckte und die Jacke durch Wiederherstellung der arg verschnittenen Aermel und des fehlen- den Bruststückes sich ergänzte, begann gleichzeitig die Zerschlitzung den ganzen Körper zu überwuchern. Was man damit zu erzielen 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. suchte, nachdem der ursprüngliche Zweck, freie Beweglichkeit, er- reicht und dann zur Nebensache geworden, war ein buntes renom- mistisches Aeußere sowohl in den Farben wie in den Formen. Die Farbenvertheilung und Zerstückelung hatte das sechszehnte Jahrhundert bereits vom funfzehnten überkommen, und der Landsknecht gedachte nicht diese ihm so entsprechende Errungen- schaft aufzugeben. Wo er also einen Schlitz in irgend ein Klei- dungsstück machte, unterlegte er denselben mit andersfarbigem Stoff, was auch zur Deckung etwaiger Blößen nothwendig er- schien; oder es war auch das ganze Kleidungsstück mit einem farbigen Unterfutter versehen, welches überall durch die Schlitze hervortrat. In letzterem Fall wurde freilich nur die Wirkung von zwei Farben erreicht, wenn nicht noch andere Mittel ange- wendet waren, denn theils ließ sich das Unterfutter mit der Un- terlegung zugleich anwenden, theils konnte auch der obere ge- schlitzte Stoff aus einer Anzahl beliebiger Farben zusammenge- setzt sein, und endlich konnten an den verschiedenen Stücken, an Barett, Wamms, Beinkleid, Schuhen wieder verschiedene Far- ben symmetrisch und unsymmetrisch vertheilt werden. Beim Beinkleid erfand der Landsknecht für seine Zerschlitzung eine große Vereinfachung, indem er über die eigentliche unzerschlitzte Hose eine weite zerschlitzte Kniehose zog, zu welcher die erstere sich dann wie ein durchscheinendes Unterfutter verhielt. Daher nannte Franz von Sickingen die Landsknechte „seine Gesellen von den Halbhosen mit den langen Spießen.“ Vom Knie ab- wärts war das Beinkleid immer unzerschlitzt, und der Lands- knecht zog zu größerem Schutze auch Strümpfe darüber, die er unter dem Knie festband oder schlotternd herabhängen ließ. Die Mode dieser Halbhosen wie der Strümpfe verschwand wieder, lebte aber, wie wir sehen werden, nach dem Jahre 1550 in neuer durchgreifender Gestalt wieder auf. Wenn nun diese Farbenvertheilung, die der des funfzehnten Jahrhunderts in aller Willkür und Tollheit um nichts nachstand, den buntesten Eindruck hervorbrachte, so wurde doch derselbe durch die Art, wie die Schlitze gemacht waren, noch unendlich III. Die Neuzeit. erhöht. Nirgends war eine Schranke, irgend ein Gesetz, welches der überschwänglichsten Laune ein Hinderniß geboten hätte; die Reichsordnung von 1530 nahm den Soldaten im Felde aus- drücklich von aller Verpflichtung aus und erlaubte ihm in Stoff und Schnitt sich zu kleiden, wie er wollte. Zuerst waren es ein- fache, grade Schnitte gewesen, welche entweder senkrecht oder rundherum den Gelenken Luft verschafft hatten. Sowie man darüber hinausging, brauchte man auch nicht bei diesen einfachen Schlitzen stehen zu bleiben. Um das Knie herum bildete sich ein schleifenartiger Kranz, der fast stehend wurde. Man versuchte es erst noch auf den Schenkeln, anf Brust, Rücken und Aermeln kleine grade Schlitze zu machen, aber man stellte sie bald figürlich zusammen, sowie man auch mit krummen, welligen, flammenden abwechselte. Man bildete Kreuze, Sterne, Blumen, Arabesken in Tapetenmuster an geeigneten Plätzen, z. B. auf Brust und Rücken, Sonnen mit flammenden Strahlen, die von einem Mit- telpunkt, einer geschlitzten Rosette, ausgehen. Die Schlitze wach- sen zu solchen Massen an, daß, was übrig bleibt, nur mehr oder weniger schmale bandartige Streifen sind, welche wieder noch mit kleinen Einschnitten versehen werden. Zuweilen bestehen diese Streifen beim Beinkleid aus verschiedenfarbigen geflochtenen Gurten, aus deren weiten Zwischenräumen das Unterfutter her- vorscheint; zuweilen sind sie so schmal, daß sie den untergelegten Stoff nur wie mit einem Netz überziehen, und auf die Knoten- punkte sind kleine bunte Läppchen in Gestalt von Blumen oder Sternen aufgenäht. Ein toller, wenn auch nicht grade phanta- siereicher Kopf hat gar den Einfall gehabt, mit dem einen Bein seiner Hose ein ganzes Fenster mit den kleinen runden Butzen- scheiben und der Bleieinfassung nachahmen zu wollen. Andere schneiden dreieckige und viereckige Löcher in den obern Stoff und lassen die Lappen hängen; andere zerschneiden wieder den Rand der Schlitze in Zacken oder wellige Linien. In dieser bunten Willkür ist alle Symmetrie verschwunden; wenigstens sind es die bei weitem seltneren Fälle, wenn ein Arm dem andern, die Brust dem Rücken, ein Schenkel dem andern in dem Muster der 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Schlitze wie in der Farbe entspricht. Oft capriciren sich diese tollen Köpfe einen recht grell in die Augen fallenden Widerspruch hervorzubringen, indem sie z. B. den einen Arm oder das eine Bein, oder beide zusammen, auf die wildeste und farbenbunteste Art zerschlitzen, und die gegenseitige Hälfte, vielleicht einen Kranz von Schlitzen um Knie und Ellbogen ausgenommen, mög- lichst einfach, einfarbig, etwa roth oder schwarz, und ganz unzer- schnitten lassen. Im Volk wurde dies renommistische Aeußere der Landsknechte, soviel auch davon in die allgemeine Bürgertracht überging, nicht mit freundlichen Augen angesehen, und der ein- zelne hatte viel Hohn und Spott darüber zu erfahren. Künstler, welche die Kreuzigung Christi darzustellen hatten, hingen auch wohl einen Landsknecht in der vollen Pracht seiner Kleidung bis auf die Schuhe und das Federbarett als einen der Schächer an das Kreuz. Die Landsknechte selbst waren um so zufriedener da- mit und nannten das „zerhauen und zerschnitten nach adelichen Sitten.“ Es konnte nicht ausbleiben, daß bei diesen Uebertreibungen auch die Form der Kleidungsstücke Veränderungen erleiden mußte. Eine solche war zeitweilig schon an der übergezogenen Schlitzhose eingetreten, dauernder wurden andere Veränderungen am Wamms. Schon aus andern Gründen, wie wir das noch näher sehen werden, war das Hemd und nach ihm die Jacke wieder bis zum Halse in die Höhe gegangen, unter der landsknechtischen Modelaune verlor sie auch die anliegenden Aermel, welche sich zu faltigen und sackartig herumhängenden Massen erweiterten; nur am Handgelenk schlossen sie eng. Dessenungeachtet verzich- teten sie nicht auf die Zerschlitzung, welche an diesen weiten Aer- meln ihr Spiel trieb, wie früher an den engen; sie hatte nur noch größeren Raum erhalten. Ferner wurde in dieser Zeit die leichte Jacke zum gesteppten Wamms. Um die Pracht seiner Kleidung für die Augen der Zuschauer nicht wirkungslos zu ma- chen, auch wohl leichterer und flotterer Beweglichkeit wegen ent- III. Die Neuzeit. sagte der Landsknecht meistens aller weiten und verhüllenden Oberkleidung; wir sehen ihn daher gewöhnlich ohne Mantel oder Oberrock abgebildet. Später hing er sich freilich das kleine spa- nische Mäntelchen um die Schulter. Um es aber doch etwas wärmer zu haben und einigermaßen gegen den Wechsel der Wit- terung gesichert zu sein, unterfütterte er das Wamms mit dicker Baumwolle, worin er wahrscheinlich dem Beispiel des Spaniers folgte. Das gesteppte Wamms blieb lange und mußte sich später noch weitere Einflüsse der spanischen Mode gefallen lassen. Man sollte glauben, daß die Pracht der landsknechtischen Hose mit der oben geschilderten Willkür der Zerschlitzung und bunten Farbenvertheilung ihren Höhepunkt erreicht hätte, allein dem war nicht so; sie sollte noch eine neue Entwicklungsphase beginnen und in derselben es in kürzester Frist bis zu dem gren- zenlosesten Uebermaß der Entartung bringen. Denn in der That war es nun die volle Entartung in einen widerspruchsvollen Un- sinn, sowie die Landsknechte selbst zu einem zucht- und ehrlosen Kriegsgesindel wurden, während man die frühere Lappen- und Farbenlust noch der naiven Renommisterei eines flotten Solda- tenhandwerks zu gute gerechnet hatte. Zweierlei Veränderungen erlitt das Beinkleid in der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts, beide durch die Lands- knechte. Die eine und weit unscheinbarere sollte die folgenreichste werden; sie schuf gradezu das Beinkleid der Neuzeit, obwohl es bis dahin noch der Entwicklung einer ganzen Reihe von Formen bedurfte. Das war die Trennung in die Kniehose und den Strumpf, welche wir schon früher in der übergezogenen Schlitz- hose und dem kamaschenartigen Strumpf des Landsknechts an- gedeutet finden. Es wiederholt sich nun gewissermaßen, was schon da gewesen war. Ein Franzose versichert uns, daß die deut- schen Kriegsleute die Sitte gehabt hätten, beim Sturm die Ho- sen am Knie aufzuschneiden; nun hatten sie es leichter, sie löse- ten die Bänder und ließen die Strümpfe fallen. Das gefiel ihnen und sie pflegten nun auch anderswo mit nacktem Knie zu erschei- nen, wo sie sich ein trotzig wildes, herausforderndes Ansehn 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. geben wollten. In diesem Aufzuge, das eine Bein fast nackt, das andre aufs bizarrste bedeckt, im übrigen aber wohl und reich gekleidet, zeigten sich auch die deutschen Hauptleute, welche in französischen Diensten standen, am feinen, italienisch eleganten Hofe der Königin Katharina von Medicis zu Paris und harrten im Vorsaal des Louvre mitten unter den geputzten und gezierten französischen Hofleuten. Welche Entwicklung dann weiter mit dem Strumpfe und der Kniehose in der feinen Welt vor sich ging, werden wir später sehen. Die zweite Veränderung des Beinkleides, so colossal sie auch in ihrer Ausdehnung war, und so gewaltiges Aufsehen sie er- regte, hatte doch keine bleibenden Folgen. Nach kaum funfzig- jähriger Lebensdauer verschwand sie wieder spurlos, ohne daß sich eine Entwicklung an sie anknüpfte. Der Zeit nach gehört sie zwar der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts, unserm nächsten Abschnitt, an, welche unter dem Einflusse der spanischen Reaction stand, da sie aber nur ein entarteter Ausfluß der refor- matorischen Bewegung ist, welcher sich spurlos verläuft, so ziehen wir sie an dieser Stelle in die Darstellung hinein. Schon gegen das Jahr 1550 war es bei den Deutschen mehr und mehr Sitte geworden, den unterlegten Stoff faltig und flatternd aus den Schlitzen heraustreten zu lassen. Diese Mode trieben nun die Landsknechte zuerst ins Colossale und zwar unter einer ganz bestimmten Form. Die nur bis zum Knie her- abgehende Hose, welche von festerem Stoffe war, wurde von oben herab in lauter senkrechte, etwa handbreite oder schmälere Streifen rundherum zerschnitten, welche oben und am Knie zu- sammenhingen. Um das Bein herum zog man nun durch diese Schlitze eine solche Menge leichtern und andersfarbigen Stoffes, daß er aus den Oeffnungen heraus in dichten faltigen Massen bis gegen die Füße herabfiel. Das war die eigentliche Plu- derhose , welche nun fortwährend mit diesem Namen bezeich- net wird, obschon auch die zerschlitzte in der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts bereits also genannt wurde. Die Entstehung dieser neuen Form des Beinkleids, welche nicht ver- III. Die Neuzeit. fehlte, sofort das größte Aufsehen zu erregen, wird von verschie- denen Zeugnissen gleich nach 1550 angegeben. Eine Nürnberger Chronik berichtet, daß dieselbe im Jahre 1553 im Lager des Kurfürsten Moriz vor Magdeburg erfunden sei. Sie giebt an, daß ein Landsknecht zur eigentlichen Hose vier bis fünf Ellen wollenes Tuch und zwanzig Ellen Seidenzeug zur Unterlage verwendet habe. Oldekopp schreibt in seinen Annalen für das Jahr 1555: „Um diese Zeit kamen die großen Hosen auf; Schlodder oder durchzogene Hosen wurden gemacht von 6 Ellen Englisch Tuch und 99 Ellen Karteken durchzogen, hatten vorn so große Ritze auch kraus mit Karteken durchzogen, was biswei- len ganz schändlich ließ.“ Ein altes Volkslied dieser Zeit, wel- ches sich auf einem fliegenden Blatt von 1555 gedruckt findet, weiset ebenfalls das Verdienst der Erfindung den Landsknechten zu und macht folgende Beschreibung: „Welcher nun will wissen, was doch erfunden sei: die Kriegsleut sind geflissen auf solche Buberei, sie lassen Hosen machen mit einem Ueberzug, der hangt bis auf die Knochen, dran han sie nicht genug.“ „Ein Latz muß sein daneben wol eines Kalbskopfs groß, Karteken drunter schweben Seiden ohn alle moß, kein geld wird da gesparet und sollt er betteln gon, damit wird offenbaret, wer ihn wird geben den lon.“ Während die Nürnberger Chronik noch ein verhältnißmäßig bescheidenes Maß des zu diesem Beinkleid verwandten Stoffes angiebt, spricht Oldekopp zwei Jahre später bereits von einer erstaunlichen Anzahl Ellen. Warum es grade 99 sind, erklär 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. uns ächt landsknechtisch die folgende Anekdote. Es wird erzählt, ein Landsknecht habe sich 99 Ellen unterfüttern lassen, „da ist er gefragt worden, warum er nit hab 100 Ellen genommen, hat er geantwort, neun und neunzig sei ein lang Wort und gut lands- knechtisch, hundert aber sei kurz und nit so prächtig zu reden.“ Andreas Musculus, der in seiner Predigt wider den Hosenteufel diese Erzählung mittheilt, sagt, daß zu dieser Zeit (1555) 20, 30 und 40 Ellen Kartek zum Unterfutter gewöhnlich gewesen seien, fügt aber hinzu: „wie man es aber darein bringet, da laß ich die Schneider für sorgen, ich acht wohl, sie behalten auch ihr Theil davon.“ Er selbst erwähnt noch in zweifelndem Tone, daß einer 130 Ellen unter eine Hose gebracht habe, und andere sprechen gar von 200. Will man nun mit Musculus einiges davon für den Schneider abziehen, anderes auf Rechnung ge- wöhnlicher Uebertreibung setzen, so würde bei der deutlichen Ver- sicherung vieler Augenzeugen immer noch eine solche Masse übrig bleiben, daß die Möglichkeit der Verwendung nur durch die Fein- heit des Stoffes erklärlich wird. Und allerdings wurde ein sehr dünner Seidenstoff, Kartek oder Rasch (Arras), dazu genommen. So wurde aber die Pluderhose ein sehr kostbares Kleidungsstück, und oft konnte der Landsknecht die Beute eines ganzen Feldzugs hineinstecken, um das Vergnügen zu haben, zu dem Federhut, dem bärtigen Gesicht und dem gesteppten Wamms und den fal- tigen Aermeln noch mit der flatternden und rauschenden Masse Seidenstoffes um die Beine einherstolziren zu können, ein Mu- ster von soldatischer Eleganz in seinen eigenen Augen, aber ein Greuel für die ganze anständige und solide Welt. „Es rauschete, wenn die Hosenhelden kamen, als wenn der Elbstrom durch die Brücke oder über ein Wehr liefe.“ Und doch fand er der Nachahmer gar viele. Die Jugend, namentlich die studentische, folgte alsbald seinem Beispiele und übertrieb es vielleicht noch, daß selbst der große Philologe Hie- ronymus Wolf in der Einleitung eines gelehrten Buches über Demosthenes mit Hinblick auf die Pluderhose der Studenten den Stoßseufzer nicht unterdrücken kann: O secula! o mores! o III. Die Neuzeit. disciplinam academicam! Die Studenten waren es auch, welche den ersten Widerspruch der Geistlichen hervorriefen. Im Jahre 1555 hatte eines Sonntags in der Oberkirche zu Frankfurt an der Oder der Diaconus gegen diese Mode gepredigt, und als er am nächsten Sonntag wieder die Kanzel betrat, fand er sich gegenüber an einem Pfeiler ein Paar mächtige Pluderhosen, welche die Studenten dort aufgehängt hatten. Da trat der Ge- neralsuperintendent der Mittelmark und Professor in Frankfurt, Dr. Andreas Musculus, selbst auf und hielt eine gewaltige Rede, welche er sodann (1556) mit einer Widmung an den Bür- germeister der Stadt Frankfurt in den Druck gab, unter dem Titel: „Vom zerluderten, Zucht- und Ehrverwegenen pludrigten Hosenteufel; Vermahnung und Warnung.“ Außerdem hat er für diesen Teufel noch andere Beiwörter: er nennt ihn lumpend, zerlumpet, unverschämt, zerflammt und flammicht. Der gelehrte Geistliche findet folgende acht Sünden auf, welche mit der Plu- derhose begangen werden: 1) wider die Scham, Zucht und Ehrbarkeit von Natur den Menschen angeboren und eingepflanzet; 2) wider Gott, seine Einsatzung und Ordnung; 3) wider den Bund, Pflicht und Eid der heiligen Taufe; 4) wider das 4. Gebot und Gehorsam der Aeltern; 5) wider die Gewohnheit, Gebrauch und Recht aller Völker auf Erden; 6) wider unsre jetzige Religion und Lehr des heiligen Evan- gelii; 7) wider das Ebenbild Gottes, danach der Mensch geschaffen; 8) wider den gemeinen Nutz und Wohlfahrt teutscher Nation. Diese acht Sünden bilden auch die Eintheilung seiner Predigt. Zur Charakterisirung des Stils sei die folgende Probe aus der 6. Sünde mitgetheilt. Nachdem er nachgewiesen, daß die Plu- derhose vorzugsweise in protestantischen Ländern sich finde, und daß sie ein Werk des Teufels sei, welcher am liebsten da wohne, „da die Kinder Gottes am dicksten stehen,“ fährt er fort: „Deßhalb folgt hieraus unwidersprechlich (ob der Hosenteufel 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. gleich noch so sauer dazu sehe und solches nicht gern hören will), daß alle die, es seien Landsknecht, Edel, Hofleut over noch grö- ßeren Standes, so sich mit solchen unzüchtigen Teufelshosen be- kleiden, des neuen herfürkommenden Hosenteufels, aus dem aller- hintersten Ort der Höllen, geschworne und zugethane Gesellen und Hofgesinde seind, durch welche als seine Mittel und Werk- zeug dieser letzte Hosenteufel das hoch und theuer Wort Gottes verunreinigt, das heilige Evangelium und Sacrament veruneh- ret, zum Aergerniß, bösen Geschrei und übeln Nachreden, setzet und bringet, daß sich die Feinde des Herrn Christi und dieser jetzigen seiner Lehr daran stoßen, ärgern und gänzlich schließen, daß nicht möglich sei, man sing, sag und schreib von dieser Lehr, wie und was man will, daß sie von Gott sei. Nach welcher Verkündigung und Offenbarung und eben in denselbigen Län- dern, da sie an Tag kommen, die Leut zu solcher unzüchtiger und unmenschlicher Kleidung gerathen seind, daß die da wöllen für fromme Christen und Gottes Kinder gehalten sein und sehn doch in Wahrheit mit solcher Kleidung dem unflethigen Teufel ähnli- cher als Menschen, geschweige denn Gottes Kindern.“ Dem Vorgange des Musculus folgten andere Geistliche und griffen tapfer in Rede und Schrift die Pluderhose mit dem übrigen Luxus an. Dennoch aber breitete sie sich immer mehr aus und ergriff, wenn auch in bedeutend gemäßigter Gestalt, den soliden Handwerker wie den Edelmann und drang selbst zu den Höfen der Fürsten vor, sodaß sie förmlich als eine deutsche nationale Tracht dem spanischen Beinkleid entgegentreten konnte. Wir werden auf diesen Kampf später wieder zurückkommen. Alle städtischen Kleiderordnungen dieser Zeit nehmen Notiz von ihr und müssen wenigstens ein gewisses Quantum des durchzogenen Stoffes zugestehen. Der Braunschweiger Rath erlaubt seinen Bürgern (1579) zwölf Ellen Seide, und ähnlich der von Rostock (1585) zwölf bis vierzehn Ellen, aber nur den Adligen. Der Rath von Magdeburg, der im Jahre 1583 eine sehr ausführliche Kleiderordnung erließ, bestimmt die Größe nach dem Werth des Seidenstoffes. Die höchste Anzahl ist achtzehn Ellen Kartek, Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 4 III. Die Neuzeit. aber diese wird allein den Schöffen, denen von den Geschlechtern, den vornehmsten Personen aus den Innungen und den Wohl- habenden von der Gemeinde zugestanden. Bei der Leichtigkeit, welche die Pluderhose renommistischen Uebertreibungsgelüsten darbot, hörte die strengste Opposition nicht auf. Die Geistlichen gedachten die Gemüther in Furcht zu setzen, und wie sie mit dem Teufel gedroht hatten, so schreckten sie nun mit Mißgeburten und Wunderzeichen, welche den Zorn des Himmels andeuten sollten. Im Februar 1583 sollte ihrer Aussage gemäß ein Schaf zu Templin in der Uckermark außer zwei wohlgestalteten Lämmern ein Stück Fleisch zur Welt gebracht haben, welches ein Paar Pluderhosen darstellte. In demselben Jahre habe auch eine Frau in Prenzlau ein Kind geboren, wel- ches mit Pluderhosen zur Welt gekommen sei, die bis auf die Füße hingen, und zudem habe es noch um den Hals und die Hände große Krösen gehabt. Schon Musculus hatte ähnliche Geschichten vorgebracht. Mehr Wirkung that vielleicht der Widerstand einiger pro- testantischer Fürsten, welche sehr summarisch verfuhren. In Dänemark, wo die Pluderhose bis zu achtzig Ellen gekommen war, wurde sie rundweg verboten und jedem, der sich damit öffentlich sehen ließe, angedroht, daß sie ihm sofort am Leibe zer- schnitten werden solle. Der Kurfürst Joachim II. von Branden- burg ließ einst drei Landsknechte aufgreifen, die mit ihren Hosen auf der Straße einherrauschten und zu größerem Aufsehen einen Musikanten mit der Geige vor sich her aufspielen ließen. Er stellte sie öffentlich in einem vergitterten Gefängniß drei Tage lang aus, und der Fiedler mußte die ganze Zeit vor ihnen spielen. Ein ander Mal sah er einen adligen Herrn, der am Sonntag in prächtiger Pluderhose zur Kirche ging. Der Kurfürst ließ ihm rasch den Hosengurt zerschneiden, daß der ganze Pluder zur Erde fiel, in welchem Aufzuge er dann nach Hause eilen mußte. Mus- culus erzählt, daß mehrere Fürsten ein scharfes Verbot hätten ausgehen lassen, das eben so gut für den Hofjunker wie für den Landsknecht galt, und zugleich hätten sie alle Henker in ihren 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Landen in die „zerluderte“ Tracht gekleidet. Aehnliches berichtet Fischart in seiner drastischen Weise: „Gleichwie auch zu unserer Zeit ein namhafter Fürst den Lumpenhöslern und Zotten Junck- herrn ihr Zottengelümp zu erleiden, eins Tags einen Hencker in der neuen Kleidungsweiß, die damal Braunschweigisch hieß, an- thun ließ, und den auf die Schloßbrück, da alle Hofleut fürzo- gen, stellen, damit er ihnen durch diß schön Schindermuster das Gesäß gefräß versauerte, und hat dannoch damit so viel geschafft, daß die Lumpen sind abkommen.“ Local und momentan mag das der Fall gewesen sein, was Fischart hier vom Ende der Pluderhosen erzählt, aber weder die Predigten der Geistlichen, noch die Strafen der Fürsten konnten erreichen, was die veränderte Zeit- und Geschmacksrichtung von selber herbeiführte. Ohnehin war die Pluderhose schon der letzte directe Ausläufer der reformatorischen Bewegung gewesen, den nur die Landsknechte so lange fortgeführt hatten. Genau zu der- selben Zeit, als der freie Landsknecht zum gedrillten Soldaten wurde, um das Jahr 1590, verschwand auch die Pluderhose wieder; sie verlor mit ihm ihren Halt. Zur Soldatenschule, zum militärischen Exercitium paßte sie nicht mehr. Wer sie am läng- sten behielt, noch bis ins 17. Jahrhundert hinein, war der freie Schweizer, bei welchem sie sogar, zur leblosen Form erstarrend, nationale Tracht wurde, sodaß sie nun den Namen Schweizer- tracht erhielt. Was die Entstehung anbetrifft, so hatte, wie wir gesehen haben, der Schweizer kein größeres Recht darauf, sie als eine nationale in Anspruch zu nehmen, wie etwa der Schwabe mit aufgekrämptem Hut, Kniehosen, Strümpfen und Schnallen- schuhen auf die französische Hoftracht. Uebrigens muß derselbe die Pluderhose schon mit großer Lebhaftigkeit angenommen ha- ben, wie früher das aufgeschlitzte Beinkleid, denn in Hans Weigels Trachtenbuch vom Jahre 1579 findet er sich mit mächtiger Pluderhose abgebildet, deren heraushängender Stoff hintennach fliegt. (Fischart redet darum auch von „Schweizer Hemdfähnlein.“) Unter dem Bilde stehen die folgen- den Verse: 4* III. Die Neuzeit. „Der Schweizer, wenn er prangt und pracht, Geht er in seiner alten Tracht, Und ist an in ein löblicher Sitt, Daß sie ihre Kleidung verändern nit.“ Dieses Rufes ungeachtet, dessen sich der Schweizer in Bezug auf Beständigkeit in der Kleidung zu erfreuen scheint, hatte er, wie zahlreiche Bilder zu erkennen geben, die ganze Umwandlung der Trachten im sechszehnten Jahrhundert mit durchgemacht und sich von keinem Extrem ferngehalten. Aber in der zweiten Hälfte begann allerdings der Bildungstrieb bei ihm in dieser Hinsicht zu erstarren, und vielleicht schlugen sich hier nationale Formen früher als anderswo in fester Gestalt nieder. Obwohl das Uebermaß landsknechtischer Kleiderpracht fast von allen Seiten her angegriffen wurde, obwohl es die einen mit spöttischen Augen ansahen, andere mit Achselzucken betrach- teten, andre, denen die Gewalt gegeben war, verbietend und strafend entgegentraten, so blieb es doch nicht aus, daß sie alle mehr oder weniger von der Mode der Aufschlitzung überwuchert wurden. Wie die reformatorische Bewegung alle mit einander, freundlich oder feindlich, willig oder leidend, in ihre Strömung hineinzog, so verschonte auch diese Mode kein Alter und keinen Stand; nur die Geistlichkeit wußte sich ihr zu entziehen, wozu auch die protestantische mitgerechnet werden muß. Aber das ganze Heer der Philister, für das ohnehin eine solche Zeit der panischen Schrecken voll ist, erlitt eine totale Niederlage: Mei- ster und Geselle, der Krämer und der Rathsherr und was es sonst von ehrsamen Leuten in einer guten Stadt damaliger Zeit gab, sie zogen alle das flotte Kleid einer frischen, bewegten Zeit an, wie viele auch sauer dazu sehen mochten. Wir haben schon oben dargelegt, wie das leichte, renom- mistische Federbarett und ein stattlicher Bart sich der Männer- welt bemächtigt und allen Köpfen den gemeinsamen Typus auf- drückt: in sturmbewegter, wechselvoller Zeit ein freies, männli- ches Wesen. Es ist ebenso mit der übrigen Kleidung: während am ganzen Leibe die bunten Schlitze ihr luftig loses Spiel treiben, 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. legt sich der breite mächtige Ueberwurf mit stark ausladendem Pelzkragen darüber und giebt der stattlichen Erscheinung wieder den Charakter ruhiger, stolzer, selbstbewußter Männlichkeit; wäh- rend jene alles Gemeinsame aufzuheben, alle Einheit zu verflüch- tigen scheinen, erhalten wir durch diesen wieder den Eindruck, als ob sie alle gleich aussähen, der eine wie der andre. Und grade der Ueberwurf, die Schaube, ist es andererseits wieder, welche die charakteristischen Unterschiede der Stände giebt. So findet diese so unendlich reiche, vielbewegte, widerspruchsvolle und doch so von einem Geiste getragene Zeit in allem ihren Widerschein am menschlichen Aeußern. Wenn wir uns so etwa um das Jahr 1510 auf ein reiches patrizisches Ballfest, wovon ein Bild vor uns liegt, begeben und die Toilette der Herren ein wenig mit historischem Auge mustern wollen — heut zu Tage hat freilich nur noch die der Damen Interesse —, so finden wir die Mode der Schlitze noch im Beginn. Zwar blühen die Farben, namentlich Gelb und Roth, in üppigster Weise, in Streifen, getheilt und in ganzen Stücken, was aber die Aufschlitzung betrifft, so beginnen nur hier und da erst Schultern und Ellbogen sich in bescheidener Weise Luft zu machen; das enge, straffe Beinkleid ist noch ganz unzerschnitten. Uebrigens muß der Tanz nicht grade Sprünge und rasche, heftige Bewegungen erfordert haben, denn wir sehen selbst die alten Herren, denen die lange und weite, ganz schwarze Schaube bis auf die Füße fällt und mit breitem Pelzkragen die nackten Schultern bedeckt, auch diese sehen wir noch den Damen die Hand reichen und ein Tänzchen wagen. Man weiß noch nicht recht, was aus diesen alten Herren zu machen ist. Der höchst ehrbare dunkle Ueberwurf, an Länge und Weite gleich colossal, und dazu starke Decolletirung mit breitem goldenen Hemdsaum, mit bunter Haarkappe und breiten, noch ganz formlosen Schu- hen — dieser Widerspruch deutet an, daß eine Uebergangsstufe vorhanden ist: das Ehrenkleid des sechszehnten Jahrhunderts, die Schaube, muß die Blöße des funfzehnten decken, freilich in einer Gestalt, die noch keineswegs der neuen Zeit entspricht. III. Die Neuzeit. Dagegen blüht noch die Jugend aufs üppigste in stutzerhafter Zierlichkeit; die Ahnungen von einer kriegerischen, lustigen, an Abenteuern, aber auch an Noth und Gefahren reichen Zeit schei- nen noch nicht in ihnen aufgestiegen zu sein. Doch beginnen sich schon wieder die Blößen zu verhüllen; die nackten Arme sind ganz verschwunden, und Nacken und Schultern sind wenigstens theilweise durch ein Mäntelchen mit kleinem stehenden Kragen verdeckt, welches von hinten her über beide Schultern gelegt ist, an den Seiten zwar kaum die Schenkel erreicht, mit spitzen Zip- feln aber vorn bis gegen die Kniee herabfällt. Es ist faltenlos, hellfarbig und auch aus mehreren senkrechten Streifen rundum zusammengesetzt. Das Hemd macht noch immer keine Anstalt, wieder bis zum Halse hinaufzugehen. Von nun an geht es aber rasch vorwärts im Geiste der neuen Zeit, und zehn Jahre später ist fast alles schon vollendet. Hans Burgkmairs großer Triumphzug, dessen Zeichnungen im Jahre 1515 begonnen wurden, giebt zu erkennen, wie weit die bürger- liche Kleidung damals von der Aufschlitzung ergriffen war. Schon umziehen sich die Kniee mit einem Kranz von schleifen- artigen, zerschlitzten Bändern und an den Schenkeln erblicken wir bereits die Anfänge der ganzen Musterung, wie wir sie bei den Landsknechten haben kennen lernen. Fast noch mehr ist das Wamms umgestaltet worden, dessen Aermel bereits so weit sind, daß es auf die Schaube umgestaltend einzuwirken beginnt. In der langen ehrbaren Form, wie dieses Oberkleid in das sechs- zehnte Jahrhundert herübergekommen war, hatte es gewöhnlich lange Aermel gehabt, die, mit doppelter Oeffnung versehen, meist nur als Hängeärmel benutzt wurden; die Arme finden sich dann durch das obere Loch durchgesteckt. Rundum hatten diese Oeff- nungen an ihren oft zackig ausgeschnittenen Rändern reichen Be- satz gehabt. Bei der großen Weite der Aermel des Wammses mit ihren faltigen Schlitzen wurden die hängenden der Schaube sehe unbequem, und man entledigte sich ihrer ganz und machte die Oeffnung um so größer. Doch finden sich noch in den zwan- ziger Jahren beide Moden neben einander. Fast früher noch war 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. eine zweite Veränderung mit der Schaube vor sich gegangen: sie war kürzer geworden. In ihrer alten Länge bis auf die Füße herabreichend, hatte sie etwas Unmännliches, was der neuen Richtung nicht zusagen konnte. In den zwanziger Jahren war sie im Allgemeinen bis zu den Knieen verkürzt. An Weite frei- lich durfte sie schon der bauschigen Unterkleidung wegen nicht einbüßen, und zudem wurde das stolze stattliche Ansehen nur er- höht, wenn die pelzverbrämten Ränder vorn mit überreicher Fülle sich weit über einander schlagen ließen. Darin gefiel sich der Ritter wie der Kaufherr. Auch der Pelzkragen hatte an Größe eher gewonnen als verloren; er legte sich breit über die Schultern. In dieser Gestalt war die Schaube gegen das Ende der zwanziger Jahre zu großer Einheit gekommen und wurde so in allen Ständen, denen sie überhaupt zukam, getragen. Währenddeß war auch die Zerschlitzung zu völliger Allge- meingültigkeit gelangt, wenn auch natürlich der Gebrauch hier ein beschränkter, dort ein erweiterter war. Gegen das Jahr 1530 legen sich in allen Ständen die weiten, in Wülsten herumge- schlitzten Aermel des Wammses aus den Armlöchern der Schaube heraus, und wenn dieselbe aus einander schlägt, sehen wir dar- unter mannigfache bunte Musterung, die bei manchem Herrn vornehmen und reichen Standes stark an landsknechtische Will- kür erinnert. Schon geht auch der Handwerksgesell mit geschlitz- tem Wamms und gleicher Hose zur Arbeit. Die weiten Aermel freilich kann er nicht gebrauchen; sein Wamms ist ärmellos und statt derselben umzieht die Schultern ein schmaler zerschlitzter Wulst, aus dem das Hemd bis zum Handgelenk hervortritt. Noch im Jahr 1518 hatten die österreichischen Landstände in der vor- geschlagenen Luxusordnung die Absicht gehabt, alle „getheilten, zerstückten Kleider“ zu verbieten; es wäre umsonst gewesen, wenn auch ihr Wille zum Gesetz erhoben worden. Die große Reichsordnung von 1530 schränkt das Verbot auf die niedern Stände ein: den Bauern soll Hose und Wamms „in alle Weg unzertheilt, unzerschnitten und unzerstückelt“ sein, und desglei- chen werden den „gemeinen Bürgern, Handwerkern und gemeinen III. Die Neuzeit. Krämern“ nebst den „Handwerksknechten und Gesellen“ die „zer- hauenen und zerschnittenen Kleider“ verboten; bei den übrigen Classen wird keine Bemerkung mehr darüber gemacht. Aber in dieser Beziehung wenigstens hatte das Gesetz keinen Erfolg, denn immer mehr und üppiger dringt diese Mode in die untern Stände ein, und nach dem Jahre 1530 trifft man nicht selten auf den Abbildungen, z. B. den Kupferstichen von Hans Sebald Beham, Bauern, welche um die Kniee herum die geschlitzten Bänder tra- gen, und auch an den Schultern und andern Stellen mit ähnli- cher Zierde versehen sind. In einzelnen ländlichen Gegenden finden sich die Schlitze noch gegen das Ende des sechszehnten Jahrhunderts fast in ihrer ersten ursprünglichen Gestalt, als sie sich überall anderswo längst in andere Formen verwandelt hat- ten, — wir erkennen darin das erste Werden der Volkstrachten. Endlich mußte auch das Hemd dem neuen Geiste huldigen. Bei starkem Bart, gekürztem Haar und einem so stattlichen Aeußern zeigte sich das Weibische der männlichen Decolletirung, und das Hemd beginnt nun mit seinem goldenen Saum gegen den Hals heraufzuwachsen und zwar so, daß es ihn wie mit einem kleinen Kragen umlegt. Städtische Stutzer, die sich der neuen Richtung nicht erwehren konnten und doch dieser Eitelkeit nicht entsagen mochten, machten es noch hier und da mit durchsichtig klarem Stoffe den Frauen nach, welche sich nicht so rasch in die Verhüllung finden konnten. Aber auch das war umsonst, als später auch das Wamms dem Hemd folgte und langsam über Schulter und Nacken zum Halse emporstieg. Als es den Rand desselben erreicht hatte und somit das Hemd bis auf den goldenen Saum zu verdecken schien, wächst der weiße Stoff sofort oben zu einer kleinen Krause wieder heraus, welche der Keim einer mäch- tigen Entwicklung wurde. Da dieselbe aber erst gegen die Mitte des Jahrhunderts begann und ihre Blüthe in die zweite Hälfte fällt, so werden wir sie erst im nächsten Abschnitt betrachten. Das Hemd spielt bis zu der Zeit der großen selbständigen Krause, namentlich aber bevor der Rand der Jacke den Hals er- reicht hatte, eine große Rolle. Wie früher wurde der obere Rand 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. noch immer von einem breiten, in Gold, Silber und Seide ge- stickten Saum gebildet, der sich so lange erhielt, bis um die Mitte des Jahrhunderts auch die Jacke einen stehenden Halskragen er- hielt oder in anderm Fall die sich breit machende Krause ihn nicht mehr sichtbar werden ließ. Von ihm herab war das Hemd ge- wöhnlich rund um Nacken, Schultern und Brust herum in eine große Zahl möglichst kleiner, feiner Falten gelegt, die senkrecht zum Rand der Jacke herabliefen. Obwohl es sich somit in der Form verändert hatte, stand es doch in demselben, vielleicht noch in höherem Werthe als einige Jahrzehnte früher, wo es oft die ganze Brust vom Gürtel herauf und den größten Theil der Arme zu decken hatte. Auf Feinheit des Stoffes und Schönheit der Stickerei wurde viel gegeben. Es war die Arbeit der Damen, welche mit solchen Hemden an Befreundete und Verwandte theure Andenken gaben. Das war auch Sitte im fürstlichen Stande; die deutschen Prinzessinnen jener Zeit waren in der feinsten Na- delarbeit geübt. So überschickte einst die Markgräfin Sabine von Brandenburg dem Herzog von Preußen ein solches mit eige- ner Hand verfertigtes Hemd als Neujahrsgeschenk mit der Bitte, es von ihr als eine geringe Verehrung anzunehmen. Gegen das Jahr 1530 ist keine männliche Decolletirung mehr zu erblicken; auch hierin war große Uebereinstimmung ein- getreten. So konnte trotz der bunten Aufschlitzung im Jahre 1528 mit Recht gesagt werden: „Der Männer Schmuck ist fast gleich im deutschen Land, die Röcke bis auf die Waden unter die Kniee, weite Aermel mit viel Falten, und hoch zu Halse.“ Je mehr dies für die Form der Kleider gilt, um so mehr suchte man von oben herab und in einzelnen Classen selbst durch Stoff und Farben Unterschiede festzuhalten, was auch bis zu einem gewissen Grade gelang. Auf das deutlichste spricht dies die wichtigste der in der eigentlichen Zeit der Reformation weniger zahlreichen Kleider- ordnungen aus. Wenn auf dem folgenschweren Reichstag zu Augsburg im Jahre 1530 Kaiser und Reich auch die „unordent- liche und köstliche Kleidung“ ins Auge faßten, so geschah es nicht, III. Die Neuzeit. um einem allgemeinen Luxus, dem Ruin des Vermögens zu steuern, sondern um den Unterschied von Ständen, wie er mehr und mehr aus Gesetz und Leben verschwand, im Aeußern wenig- stens aufrecht zu erhalten. Das geht aus dem einleitenden Pa- ragraphen hervor: „Nachdem ehrlich, ziemlich und billig, daß sich ein jeder, weß Würden oder Herkommen der sei, nach seinem Stand, Ehre und Vermögen trage, damit in jedem Stand unter- schiedlich Erkantnuß sein mög, so haben wir uns mit Churfür- sten, Fürsten und Ständen nachfolgender Ordnung der Kleidung vereinigt und verglichen, die wir auch bei Straf und Peen, dar- auf gesetzt, gänzlich gehalten haben wollen.“ Die Classen werden, von unten an gerechnet, in folgender Weise gestellt. Zuerst kommen „die Bauersleute auf dem Lande“, dann die „Bürger und Inwohner in den Städten“, welche wieder in drei Abtheilungen zerlegt werden: 1) „die gemeinen Bürger und Handwerker“, 2) „die Kauf- und Gewerbsleute“, 3) „Bür- ger in den Städten, so vom Rath, Geschlechtern oder sonst für- nehmen Herkommens sind und ihrer Zins und Renten geleben.“ Sodann folgt der Adel, vor dessen Gesammtheit die Ritter und neben ihnen die Doctoren noch besonders bevorzugt sind; dem Adel werden die unadeligen Beamten der Fürsten, Hofmeister, Kanzler, Marschalk und Rath, gleichgestellt; ferner Grafen und Herren, und endlich die Fürsten als höchster Stand, für welche keine Bestimmungen mehr getroffen sind. Nebenbei handeln noch besondere Paragraphen von den reisigen Knechten, von Kriegs- leuten, von Bergknappen, Schreibern in Kanzleien, Vögten und andern Beamten, von gemeinen und unehrlichen Weibern, von Nachrichtern und von der Juden Kleidung. Stoff, Farbe und Werth, in einzelnen Fällen auch die Kleidungsstücke und die Form derselben geben die Bestimmungen ab. Außerdem daß für die Fürsten keinerlei Beschränkungen stattfinden, ist ihnen noch Zobel „und dergleichen höchstes Futter“ vorbehalten, insbesondere aber Gold- und Silberbrokat, dessen sich Grafen und Herren nicht einmal zur Verbrämung bedienen sollen, doch wird in dieser Hin- sicht für sie selbst, wenn sie Ritter sind, sowie für ihre Frauen 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. eine Ausnahme gestattet. Dagegen bleibt wieder den Grafen und Herren vor dem übrigen Adel Sammet und Carmoisin vor- behalten; die letztere Farbe wird ausdrücklich allen übrigen Stän- den abgesprochen und der Sammet dem Adel und der vornehm- sten Bürgerclasse nur zum Wamms oder zur Verbrämung in be- stimmtem Maße zugelassen. Damast, Seide und Atlas sind die Vorzüge des Adels und der Doctoren, welche Stoffe den unteren Ständen nur in beschränkter Weise zum Besatz oder zu kleineren Kleidungsstücken erlaubt werden. Kamelot ist der Hauptstoff für die Bürger der beiden obern Classen; die erste hat den Vor- zug, den Kamelotrock, die Schaube, mit drei Ellen Sammet ver- brämen zu dürfen. Den untersten Ständen bleiben im Allge- meinen nur die einheimischen Stoffe gestattet, unter denen die besseren niederländischen wieder besondern Beschränkungen unter- worfen sind. In ähnlicher Weise wird über das Rauchwerk be- stimmt: Lämmer- und Ziegenfell und dergleichen kommt den Bauern zu, den niedern Bürgern außerdem noch Fuchs und Iltis, Marder aber den Geschlechtern und dem Adel, Zobel und Her- melin sind der Fürsten Vorrecht. Am eingehendsten lautet die Verordnung über den Schmuck, der damals an Ketten und Geschmeide Männer wie Frauen in reichem Maße zu zieren pflegte. Den Bauern und ihren Frauen und dem gemeinen Bürger und Handwerksmann, sowie dessen Gesellen wird er gänzlich abgesprochen, nur allein des Handwer- kers Hausfrau darf einen goldenen Ring tragen, doch nicht über fünf oder sechs Gulden werth und ohne Edelstein. Den Kauf- und Gewerbsleuten werden goldene Ringe gestattet, ihren Frauen Gürtel im Werth von zwanzig Gulden, von gleichem Werth ein Schmuck, „Schloß und Gesperr“, am Halskoller, und ihren Töch- tern und Jungfrauen ein Haarbändlein im Werth von zehn Gul- den. Der Ring, den die Rathsherrn und die von den Geschlech- tern tragen, darf bis funfzig Gulden werth sein, und ebensoviel die Kette der Frauen und dreißig Gulden ihr Gürtel. Beim Adel wird der Werth der Ringe nicht mehr bestimmt, ihre Kette darf einen Werth von zweihundert Gulden haben, „die sie doch III. Die Neuzeit. mit einem Schnürlein umwinden oder durchziehen sollen, wie von Alters herkommen“. Von dieser letzteren Bestimmung ist ein adliger Ritter frei, doch soll die Kette nicht über vierhundert Gul- den werth sein. Für die Edelfrauen wird der Schmuck an Heft- lein, Halsbändern und andern Kleinodien, Ringe ausgenommen, auf zweihundert Gulden festgesetzt, wozu noch für vierzig Gul- den an Schmuck der Haube und des Baretts kommen und eben- soviel an goldenen Borten und Gürteln. Grafen und Herren sind Ketten zu fünfhundert Gulden erlaubt und ihren Frauen zu sechshundert. — Einige andere Bestimmungen dieser sehr ins Einzelne gehenden Verordnung, das Barett und die Zerschlitzung betreffend, kennen wir bereits, auf andere, die sich auf die Frauen beziehen, werden wir noch zurückkommen. Den Fürsten sowohl wie den Behörden der Städte wurde aufgegeben, dieses Gesetz in ihre Lande einzuführen und zu über- wachen; es geschah aber nicht oder doch nur sehr unzureichend, sodaß im Jahre 1548 eine Erneuerung folgte mit verschärfter Drohung und Festsetzung einer Geldstrafe für die säumigen Obrigkeiten. Wenn dennoch uns aus den unzähligen Bildern dieser kunstreichen Zeit eine vollständig auch im Aeußern geglie- derte Welt entgegentritt, so ist das mehr Zeichen und Frucht eines gesunden Lebens und natürlicher, freier Entwicklung als Erfolg zweifelhafter Luxusgesetze. Es ist wieder die Schaube, „das Ehrenkleid“, wie sie in der österreichischen Verordnung ausdrücklich genannt wird, es ist die- ser stattliche weite Ueberwurf, ohnehin schon das charakteristische Kleidungsstück des Mannes in der Reformationsperiode, an welchem diese Unterschiede sich offenbaren. Die Schaube ist das Fürstenkleid, der Ehrenrock des Patriziers und das Sonntags- kleid des Bürgers und des wohlhabenden Bauern. Von „gülden und silbern Stück“, d. h. von Gold- und Silberbrokat, mit Zo- bel oder Hermelin gefüttert und ausgeschlagen und mit gleichem breit ausgelegten Kragen umhüllte er die fürstlichen Schultern. Der Brokatstoff konnte reines Metallfadengewirke sein mit rei- cher Musterung, „Gold übergoldet“, „Silber über Silber“, ein 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Stoff, der später seltner wurde, oder er hatte farbigen Grund von Sammet und Atlas, oder es war seltner, wie das auch schon in den früheren Zeiten geschah, das metallene Muster auf die letzteren Stoffe gestickt. Statt des lästigen Rauchwerks, das nur im Winter oder bei hoher Festlichkeit getragen wurde, unterfüt- terte und besetzte man den Brokat gewöhnlicher mit Sammet und Atlas, als dessen Farbe vor allen Carmoisin in höchster Bedeu- tung gehalten wurde. In den beiden ersten Jahrzehnten des sechszehnten Jahrhunderts fiel die fürstliche Schaube bei allen einigermaßen feierlichen Gelegenheiten bis gegen die Füße herab, wie wir das bei Kaiser Maximilian auf den großen Holzschnitt- werken, die er veranstaltete, so oft sehen. Der junge Karl V. trug sie schon kürzer und an Schultern und Kragen modisch leicht geschlitzt, aber später legte er sie ganz ab und vertauschte sie mei- stens mit dem spanischen Mantel. Roth, sei es nun Sammet oder Atlas oder einfache Seide, mit feinem Pelzkragen, braun oder von grauem Marder, liebte diesen Rock der Ritter und überhaupt der höhere Edelmann. Rauchwerk war auch bei ihm der kostbarste Stoff zu Futter und Verbrämung, aber die Bequemlichkeit ließ ihn häufig durch Sam- met und Seide ersetzen. Dann fanden sich auch auf Schulter, Kragen und Brust wohl leichte, zierliche Schlitze ein, welche schmetterlingsartige Verzierung sonst gar wenig zu dem würde- vollen Stück passen wollte. Wenn der Ritter auf Roth verzich- tete, wählte er doch am liebsten die hellen Farben und die blitzende Seide. Den Gegensatz bildet der Städter, der Patrizier und der wohlhabende Kaufmann und Gewerbsmann, der ganze Kern des Bürgerstandes. Bei weitem am tiefsten in die geistige und poli- tische Bewegung hineingezogen, ist es, als ob sie sich des Ernstes der Zeit, aber auch zugleich ihrer eigenen Bedeutung bewußt fühlen. Mit fester, oft stolzer Haltung schlagen sie die weiten Flügel der dunkeln, meist schwarzen Schaube über einander, als wollten sie in Scham verhüllen, was die lockere Mode von leich- tem Schlitzwerk an ihrem Leibe hervorgerufen hat. Besatz und III. Die Neuzeit. Futter sind dunkelbrauner Pelz oder grauer Marder, auch schwar- zer Sammet und Atlas. Selbst Schuhe und Barett pflegen schwarz zu sein, wenn erstere auch die breiten Schnäbel haben und letzteres zerschnitten ist; die bunten Schuhe, das rothe Sam- metbarett und überhaupt das lustige Gelb, Roth, Blau überlas- sen sie dem Adel und der Jugend. Die letztere ist der breiten dunklen Schaube weniger ge- neigt: Würde und stolze, feste Haltung passen nicht zur raschen Beweglichkeit junger Jahre; sie zieht die lebhaften Farben vor, die bunten Federn auf dem zerschlitzten Barett und die zerhauene Kleidung. Zwar finden wir auf Bildern selbst Kinder wohlha- bender Aeltern von dem weiten Oberrock umhüllt, und Jünglinge und junge Männer durften gewiß auf den Besitz desselben und seinen Gebrauch in bestimmten Fällen nicht Verzicht leisten, aber sie zogen es vor, einen kurzen, sehr weiten Mantel um die Schul- tern zu legen, den sie antikisirend von der rechten Seite her über die Brust und die linke Schulter faltenreich schlugen. Der junge Geselle vom Handwerkerstande trug überhaupt kein Oberkleid, weder Schaube noch Mantel, sondern wie der Kriegsmann nur Wamms und Beinkleid, mehr oder weniger zerschnitten, nebst Barett und Schuhen. Mit Jacke, der alten Blouse und Hose, Schuhen oder Stiefeln, mit dem alten Filzhut und formloser Mütze begnügte sich auch der Bauer, zu dem die Zerschlitzung nur langsam und immer nur in geringem Maße drang. Es ist selten, wenn er einen vorn offenen Rock von der Grundform der Schaube und „von grobem Zwilch“ darüber zieht, aber derselbe entbehrt der Fülle und Weite und damit des Auszeichnenden dieses Kleidungsstückes. Dem Bürger stellen sich bescheiden zur Seite die Männer der Reformation und die Gelehrten von Fach. Sie erscheinen schwarz gekleidet von Kopf zu Fuß. Ihr Barett ist zur einfachen Mütze geworden, der Ueberwurf, obwohl weit, hat doch die statt- liche Breite und namentlich den großen Kragen verloren; er ist ganz ohne Kragen und mit weiten offenen, an den Schultern faltig angenähten Aermeln versehen, eine Form, welche fromme, 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. evangelisch gesinnte Bürger gern nachahmen. Beinkleid und Schuhe sind ganz ohne Schlitzung, obwohl die letzteren die breite Form haben. Der Vollständigkeit wegen sei noch eines männlichen Klei- dungsstückes gedacht, welches wir in den ersten Jahrzehnten des sechszehnten Jahrhunderts nicht selten erblicken, das aber außer- halb der organischen Entwicklung liegt. Wir lesen oft in der Kriegsgeschichte dieser Zeit namentlich von der stolzen französischen Ritterschaft, wie sie in blankem Harnisch mit goldenen und silber- nen Waffenröcken gegen die Landsknechte dahersprengt. Die Bilder zeigen uns, daß dieser Waffenrock nicht über dem ganzen Harnisch liegt, da dieser, ciselirt, vergoldet und mit reicher Tau- schirarbeit versehen, für sich zu wirken hatte, sondern wie aus Brust- und Rückenharnisch heraustretend gleich einem weiten faltigen Schurz von glänzendem gold- oder silbergewirkten Stoff sich rund um Hüften und Lenden legt und etwa bis zum Knie oder ein wenig tiefer herabfällt. Wir finden diesen Waffenrock gleichzeitig auch bei der deutschen Ritterschaft, und können ihn als den gewöhnlichen Begleiter der ritterlichen Rüstung auf den Bildern des Theuerdank, des Weißkunig, des burgkmairischen Triumphzuges und sonst überall erblicken, und zwar ist er immer mit reicher blumiger Musterung gezeichnet, sodaß er von Brokat oder wenigstens Damast sein muß. Aber dieser Waffenrock blieb nicht bei der Ritterschaft und der Rüstung allein. Nicht selten trägt ihn zu derselben Zeit der Landsknecht ohne jegliches Har- nischstück. Dann gleicht er in seinem obern Theil vollkommen dem geschlitzten Wamms, wie wir es haben kennen lernen, und der untere Theil erscheint nur wie an der ritterlichen Rüstung in der Taille ringsum angenäht, wodurch er diesen Rock vollkommen von der alten Tunica und dem aus ihr entsprossenen Rock oder Lendner unterscheidet. Aus dem kriegerischen Leben kam er auch ins bürgerliche, obwohl in verhältnißmäßig vereinzelten Fällen, und hielt sich selbst bis gegen die Mitte des Jahrhunderts, bis die neue Phase des Beinkleids durch Pluder und Puffen ihm den Raum zur Existenz nahm. Noch auf Aldegrevers Hochzeitszug, III. Die Neuzeit. der uns wahre Musterbilder städtisch-vornehmer Eleganz giebt, treffen wir ihn mehrfach an. — Da die ganze Periode der reformatorischen Bewegungen den Mann in den Grundfesten seiner geistigen und bürgerlichen Existenz erschüttert und in neue Bahnen wirft, da der Ernst der Zeit auf ihm lastet und alle seine Kräfte in Thätigkeit ruft, so trägt auch die äußere Erscheinung dieser Menschenwelt einen vor- zugsweise männlichen Charakter. Wie im zwölften und drei- zehnten Jahrhundert in der Entwicklung der Trachten die Frau voranging und weiblich edler Geschmack den Weg zeigte und die Formen angab, nach denen sich auch die männliche Kleidung rich- tete, so ist jetzt der umgekehrte Fall eingetreten: der Mann ist der Führer, welcher selbständig und erfinderisch im Gebiet der Mode einherschreitet, und die Frau folgt und wandelt ihr Aeuße- res nach dem Vorbild und im Geiste des Mannes. Es ist nicht zu ihrem Nachtheil, denn wenn ihr auch etwas von der aben- teuerlichen Lust und Eitelkeit des Landsknechts anfliegt, so ringt sie sich doch aus der narrenhaften Verschrobenheit und Bizarrerie, aus den unnatürlichen Zwangsformen des funfzehnten Jahrhun- derts heraus zu freier, stolzer, fast männlicher Haltung, zu voller, malerischer Schönheit ohne Zwang und Unnatur. Es liegt etwas Nobles, Imponirendes in den weiblichen Erscheinungen dieser Zeit, wie sie uns die Kunst, getreu die Natur copirend, vorführt. Frei von aller Sentimentalität — die derb gesunde Zeit kannte sie nicht — stehen sie im Gegensatz zu den Frauen des dreizehnten Jahrhunderts, welche die schwanke Haltung und die fast empfindsame Neigung des Kopfes charakterisirt. Begün- stigt von der Kleidung, bewegen sie sich so frei wie natürlich und so anmuthig wie würdevoll. Aber das dauerte gleich der männlichen Herrlichkeit nur kurze Zeit, denn wie rasch die allge- meine Bewegung sie emporgerissen hatte zu völliger Umwand- lung, ebenso rasch erfolgte der nothwendige Rückschlag. Die Frauenkleidung strebte ebenso nach Freiheit und nach Natürlichkeit und andrerseits nach Einheit und Charakter im Gegensatz zur Zerfahrenheit der früheren Zeit. In ihrer 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Entwicklung schreitet sie genau der männlichen parallel, sodaß wir Schritt für Schritt dieselben Stufen und nicht bloß Aehn- lichkeit, sondern oft vollkommene Identität erkennen können. Das ist z. B. mit der Bedeckung des Kopfes der Fall, deren Gleichheit bei Männern und Frauen wir schon oben bei der Ent- wicklung der männlichen Kopftracht erwähnt haben. Wir verließen im letzten Capitel des vorigen Buches den Kopf der Frau gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts fast gebeugt oder verhüllt unter einer großen Menge verschieden- artiger Hauben , die ehrbar oder elegant sein sollten, aber die weibliche Figur mit den colossalsten und ungeheuerlichsten Formen entstellten; das Haar, in Flechten aufgebunden, war ganz von ihnen verdeckt oder noch durch eine besondere kostbare Haube un- sichtbar gemacht. Da gab es turbanartige mächtige Wülste oder ellenhohe kegelförmige, spitze Aufsätze mit langen wehenden Schleiern, oder weiße feine Tücher über ein breites Drahtgestell in colossaler Größe um den Kopf gespannt, so daß mit Hülfe der Kinnbinde nur ein Theil des Gesichts sichtbar blieb. Alle diese und andere Formen verschwinden, schrumpfen zusammen und machen endlich der einen Form Platz, dem Barett mit der Haar- haube. Jene ungeheure weiße Haube z. B., mit welcher sich ehrsame Frauen das Ansehen von Würde und Anständigkeit geben wollen, wenn sie auch oft bis gegen den Gürtel hinab de- colletirt sind, aus welcher aber auch ebenso oft ein jugendliches Gesicht und lebhaft begehrende Augen hervorsehen, — wir können von Stufe zu Stufe beobachten, wie sie zusammensinkt und sich kleiner um den Kopf legt, bis sie am Ende auch von den ältesten Köpfen der wohlhabenden Stände verschwindet. Im Jahre 1500 tragen sie junge Frauen auf bekannten Handzeich- nungen Dürer’s schon in sehr verkleinerter Gestalt, ältere aber noch um 1520 auf Portraitmedaillen und unzähligen Votivbildern. Dienstmägde oder Frauen der untersten Stände hüllen ihren Kopf noch länger darein, doch in einer Gestalt, die ähnlich einem umgebundenen Tuche schon mehr und mehr von dem veränderten Geschmack der Zeit ergriffen zu sein scheint. Später werden wir Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 5 III. Die Neuzeit. sie sogar nach dem Falle des Baretts als eine specifisch städtische Tracht wieder emportauchen sehen. Das Schicksal dieser miß- gestalteten Haube theilen alle die andern, unter denen um das Jahr 1510 sich noch eine für jüngere Damen selbst als ballmäßig besonders geltend macht. Es ist eine Haube, welche anliegend die Haare des Vorderkopfes schlicht bedeckt, vom Scheitel aber nach hinten sich wieder in Art einer Kugel von Kopfesgröße er- hebt; sie erscheint immer gelb, und ist somit entweder von Gold- stoff oder von gelber Seide, die mit Stickereien versehen ist. Das Jahr 1520 scheint sie kaum erlebt zu haben. In etwas kleinerer Gestalt sehen wir sie häufig auf Bildern der nieder- ländischen Schulen dieser Zeit bei älteren wie bei jüngeren Frauen wohlhabender Stände; es sind die frommen Stifterinnen von Altargemälden, welche sie auf denselben tragen. Mit dieser Art von Kopftracht findet sich noch häufig der klare Schleier verbunden, welcher vor dem Barett, zu dem er nicht passen will, eine Zeit lang in den Hintergrund tritt. In der Zeit der Predigten des Geiler von Kaisersberg, da das Alte und das Neue sich zu scheiden begannen, bildet er noch einen Hauptgegenstand weiblicher Eitelkeit und zwar in der uns schon von früher bekannten gelben Farbe. „Item“, sagt er, „die Weiber tragen gelb Schleier alle Wochen, so müssen sie die Schleier waschen und wiederum gelb färben. Darumb so ist der Saffran so thür, daz ist ein gewisse Wahrheit, es ist ohn Zweiffel Gott mißfällig.“ Auf Bildern nach dem Jahr 1510 werden die Schleier seltner, wenn sie auch noch hier und da, z. B. auf dürerischen Kupferstichen mit weltlichen Gegenständen zu treffen sind. An einzelnen Orten scheint aber doch ihre Bedeutung noch eine wichtigere gewesen zu sein. So wird von Augsburg noch vom Jahre 1517 erzählt, daß die dortigen Damen sich an fest- lichen Tagen mit großen Schleiern das Gesicht fast ganz verhüll- ten. Das ist gegen alle abendländische Sitte, welche zur Freude die Reize enthüllt, aber nicht verbirgt, und es scheint daher in dieser augsburgischen Weise noch etwas von der Verkehrtheit des funfzehnten Jahrhunderts übrig geblieben zu sein. Der fröhliche 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Kaiser Maximilian, der den Damen Augsburgs sehr gewogen war, konnte auch in seinen alten Tagen dergleichen nicht leiden, und als er in dem genannten Jahre zu einem Geschlechtertanz eingeladen war, erbat er sich von den Damen die Gunst, daß sie dabei die Schleier ablegen und mit offenen Gesichtern erscheinen möchten. Das geschah denn auch. Durch den Mund des Bür- germeisters Peutinger eröffneten sie dem Kaiser, daß sie seinem Befehle nachzukommen bereit wären. In der Blüthezeit der Barette fristet der Schleier gewissermaßen nur sein Dasein, und es hat wenig zu bedeuten, wenn in der Augsburger Ordnung von 1530 der goldgeränderte Schleier den Frauen der Bauern und Handwerker abgesprochen und denen der Kaufleute nur ein Rand von fünf Finger Breite zugestanden wird. Auch hier ist es mehr auf Wahrung des Ranges und Standes abgesehen. Wir haben bereits oben bemerkt, wie noch am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts das Barett auf den weiblichen Kopf überzugehen beginnt und schon Geiler die Bemerkung von der Gleichheit des männlichen und weiblichen Kopfes macht. Nichts ist mehr geeignet, unsre Behauptung zu verdeutlichen, daß die weibliche Kleidung der vorherrschenden Richtung der Zeit gemäß männlichen Charakter annimmt. Zwar wird die Calotte andrer- seits auch Eigenthum des Mannes, aber sie erscheint immer als das Unwesentliche dem alles überragenden Barett gegenüber. Dieses vollendet seine Herrschaft in demselben Maße, wie die verschiedenen Gestalten der Hauben zurückweichen und verschwin- den. Ums Jahr 1510 ist noch alles eine bunte Mischung, sodaß wir z. B. auf einem städtischen Geschlechterball neben verschie- denen unausgebildeten Formen des Baretts die gelbe Kugelhaube fast in gleicher Geltung sehen können, während ganz im Hinter- grunde auf den Bänken der Zuschauer die ältlichen Frauen in der großen weißen Haube sitzen. Zwischen den Jahren zwanzig und dreißig kommt das Barett wenigstens bei allen denen, die noch Ansprüche an das Leben machen, zur Alleinherrschaft, und zwar durch alle Stände hindurch von der Fürstin bis herab zur dienen- den Magd und zum Weib des Landsknechts, das ihn im Troß 5* III. Die Neuzeit. begleitet, so weit nicht vorgeschriebene Ordnung und ein festes Regiment in den untersten Ständen eine Schranke setzte. Was die Form betrifft, so entwickelt sich das Barett der Frauen mit der Calotte völlig so wie das der Männer. Die Zerschlitzung, die Durchziehung andersfarbigen Stoffes, der Behang und Besatz mit Schmuck, Medaillen und Schnüren, die wallenden bunten Straußfedern, alles ist beiden gemeinsam. Auch die Frauen lieben das gelbseidene oder rothsammtne Barett mit dunklem Stoff durchzogen und von weißen Federn überwallt, oder bei blondem Haar ein schwarzes mit Roth oder Gelb. Goldstoff oder gelbe Seide mit Stickerei ziehen sie rothen und blauen Stoffen für die Calotte vor, obwohl auch diese sich finden. Es ist bemerkenswerth, wie sich zu dieser Kopftracht das weibliche Haar verhält. Anfangs macht sich auch bei ihm das Ringen nach Freiheit geltend, und man sieht es aus den alten ver- hüllenden Gefängnissen sich hervordrängen. Schon Geiler nimmt mit äußerstem Aergerniß wahr, wie einzelne Frauen, die das Barett mit Hahnenfeder tragen, ihr Haar den Rücken hinab hängen lassen, und wirklich sehen wir auf Bildern hier und da ähnliches ganz wie im dreizehnten Jahrhundert, nur daß das Barett an die Stelle des Gebendes oder des Schapels getreten ist. Es finden sich einzelne Beispiele davon bis in die zwanziger Jahre. Dann fehlt gewöhnlich die Calotte, und das Barett deckt oder ziert in kokettem Aufsatz allein den Kopf. Es scheint diese Sitte, wenn sie auch selbst im vornehmen Bürgerstande nicht ohne Beispiele ist, für besonders eitel gegolten zu haben, denn in den deutschen Holzschnitten zu Petrarch’s Trostspiegel ist die Figur der Eitelkeit so abgebildet, mit einem Pfau neben sich, das lange aufgelösete Haar unter einer Netzhaube heraus breit über Schultern und Rücken herabwallend. In ihrer Freude an sich selbst spricht sie die Worte: „Wie gefall ich dir, bin ich nicht schön, hübsch und wohlgestalt?“ „Ja wahrlich“, antwortet die Vernunft, „du bist hübsch und putzt, eine schöne Tanztochter, wer flicht dir nur die Zöpfe ein?“ — Es steht mit dieser Be- freiung des Haares in Verbindung, wenn sich im Jahr 1497 die 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Tracht der Bräute in Augsburg in ähnlichem Sinne veränderte. Bis dahin hatten sie an diesem Ehrentage auf dem Haupt einen Schleier „mit viel Falten und zwei Ecken“ getragen, in diesem Jahr aber geschah es bei der Hochzeit der Anna Fugger mit einem Ungar Georg Turzo zum ersten Mal, daß die Braut „mit hinter sich hangenden Haarzöpfen und einem Kranz von Kräutern und schönen Blumen auf bloßem Haupt und auch nur in einem engen und nachschleifenden Oberrock (ohne Mantel) bei uns gen Kirchen geführt wurde.“ Unter den Haarzöpfen ist hier wie früher wohl nur das lange gelockte Haar gedacht, welches sich dann noch länger und an verschiedenen Stellen als Tracht der Bräute und Brautjungfern erhalten hat. Aber das völlig freie Haar schien sich nicht mit dem übrigen männlichen Charakter des Kopfes vereinigen zu lassen, und nach- dem es kaum den Versuch zur Freiheit gemacht hat, sehen wir es wieder in die Haarhaube oder Calotte eingeschlossen. Doch nicht völlig, denn, als ob es Protest gegen diesen Zwang in solcher ungebundenen Zeit einlegen wollte, stehlen sich immer einzelne Locken an Stirn, Schläfen und im Nacken heraus und treiben, scheinbar unbeachtet und vernachlässigt, ein loses Spiel. Wir können das so unzählige Male beobachten, z. B. an cranachschen Frauen, daß es förmlich als Regel erscheint. — Zöpfe und Flechten bleiben in dieser Zeit der Stolz der jungen Dorfschönen, denen Barett und Haarhaube verboten und nur allein „ein Haar- bändlein von Seide“ gestattet war. Ein goldenes Band muß auch zuweilen die Haare einer stolzeren, vornehmeren Schönen umschlingen und unter dem Barett die Calotte ersetzen. Auch die Fußbekleidung der Frauen folgt genau der männlichen. Zwar werden die Füße äußerst selten sichtbar, theils weil die lange Kleidung sie verhüllte, theils weil es wider den Anstand war, und es ist wahrlich kein Schade darum, da die Schönheit des Fußes ohnehin durch die mißgestaltete Form des Schuhes verloren ging. Wenn aber irgend eine zufällige Situation auf Bildern einen freien Blick gestattet, so sehen wir die Fußspitze in demselben breiten Schnabel stecken, der farbig III. Die Neuzeit. und mit kleinen bunten Schlitzen verziert sein kann; zum festeren Schluß laufen ein oder mehrere Bänder über den Fuß. Die Bedeckung des Leibes, das eigentliche Kleid oder der Rock , strebte zunächst dahin, sich aller Fesseln und Hindernisse zu entledigen, welche die Enge oder die Uebertreibung hervorge- rufen hatten, und zugleich einen gewissen Grad von Naturgemäß- heit und freier Schönheit zu erreichen. Demzufolge verkleinert sich unten die Schleppe und oben die Decolletirung, und die Taille sinkt von ihrer Höhe hart unter den Brüsten zu der ihr von Natur angewiesenen Stelle herab, ohne durch allzugroße Länge wieder ins andre Extrem zu verfallen. Noch zu den Zei- ten der Predigten Geilers spielen die „langen Schwänze der Frauen, die sie auf dem Erdreiche hernachziehen“ eine so bedeu- tende Rolle, daß sie den bittersten Tadel dieses Sittenpredigers ihren Trägerinnen zuziehen; zehn Jahre später zeigen sie sich in bedeutend verkürzter Gestalt und nur noch in der Minderzahl gegen die neue Mode, wonach das Kleid rundum in gleicher Länge nur eben den Boden erreicht oder doch nicht weit auf den- selben fällt. Diese Mode kam dann zu allgemeiner Geltung und zwar so, daß sie auch im Auslande als eine vorzugsweise deutsche bezeichnet wird. So heißt es z. B. von Anna von Cleve in dem englischen Bericht über ihre erste Zusammenkunft mit Hein- rich VIII. von England, sie habe ein reiches Kleid mit Gold ge- tragen, rund ohne irgend eine Schleppe nach deutscher Mode. Es wurde dann aber dieser kurze, schleppenlose Schnitt des Klei- des, das freilich nie die Füße sichtbar werden lassen durfte, im ganzen civilisirten Abendlande für das sechszehnte Jahrhundert ziemlich allgemeine Tracht, so daß die Schleppe nur noch der Etiquette des Hoflebens blieb. Auch die deutschen Kleiderord- nungen dieses Jahrhunderts nehmen auf sie keine Rücksicht mehr. Was die Decolletirung und die übrige Entblößung be- trifft, die, wie wir gesehen haben, um das Jahr 1500 auf Brust und Rücken bis gegen den Gürtel sich herabzog, so war die frei bewegte Zeit nicht dazu angethan, sie sofort in’s Gegentheil, in nonnenhafte Verhüllung, hinüberzuführen, obwohl ehrwürdige 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Matronen des Bürgerthums zuweilen diesen Eindruck machen. Es war etwas anderes mit der Männerwelt, die nur zum Be- wußtsein ihrer selbst zu kommen brauchte, um diese für sie wei- bische Mode abzulegen; bei ihnen ging es rascher. Die Frauen brachten es für die ersten Jahrzehnte nur zu einem bescheidneren Maße, das ihnen bei der übrigen freien, aber nicht leichtfertigen Kleidung wohl anstand. So können wir es schon um das Jahr 1510 und ebenso noch vielfach in den dreißiger Jahren erblicken. Dann aber, da der erste Rausch der allgemeinen Erregung ver- flog und die Reaction im eigenen Bewußtsein sich einstellte, als statt der Gewissensfreiheit die Sündhaftigkeit des Menschen den Grundgedanken für das religiöse Leben in Kirche und Haus ab- gab, da wurde die Schönheit zur Sünde, zur Schuld, und auf’s ängstlichste suchte man die Reize zu verhüllen, welche die Natur etwa für die irdische Lebensbahn mitgegeben hatte. Bis unter Kinn und Ohr und möglichst noch darüber hinaus und hoch hin- auf in den Nacken wurde alles steif und geschlossen verdeckt. Die Arme fühlten zuerst diesen Umschwung der Zeit. Wir haben gesehen, wie sich an ihnen um die Mitte des funfzehnten Jahrhunderts zum ersten Male in christlicher Zeit eine Enthül- lung bis gegen den Ellbogen eingestellt hatte: ihre Zeit schien noch nicht gekommen, und daher sehen wir diese Sitte bereits um das Jahr 1510 so allgemein verschwunden, daß vereinzelte spätere Fälle dagegen nicht in Betracht kommen. Im Gegen- theil, da zugleich der Längenaufschnitt des Aermels sich wieder schließt, wächst dieser nicht bloß zum Handgelenk, sondern erhält hier einen Vorstoß, der sich über die Hand bis zu den Fingern legt und somit als Ersatz des Handschuhs dienen, aber auch zu- rückgeschlagen werden konnte. Doch verschwindet er bald wieder, obwohl er sich anfangs ziemlich allgemein zeigt. Bis gegen das Jahr 1520 hat das Kleid oben einen Ausschnitt von mäßiger Tiefe, welcher sich nur leise im Rücken senkt, die Schultern größ- tentheils enthüllt, vorn aber sich unter die Brüste oder selbst bis zum Gürtel in sehr verschiedenem Schnitte herabsenkt und stets von mehr oder weniger kostbarem Besatze begleitet ist. Zuweilen III. Die Neuzeit. geht er grade herunter und seine aus einander stehenden Seiten sind durch Schnürsenkel gehalten. Doch ist die Brust nicht ent- blößt wie früher, sondern mit einem besondern Einsatz oder Brust- stück bedeckt, welches hier an die Stelle des Brusthemdes tritt. Letzteres erscheint zuweilen gar nicht oder oben mit krausem, ge- sticktem Saum. Das Bruststück hat immer andere Farbe als das Kleid und sucht namentlich durch den Gegensatz mit ihm zu wir- ken; ist letzteres z. B. roth, so ist jenes schwarz und umgekehrt. Da man zu den Kleidern noch die hellen Farben liebt, nament- lich Roth und Gelb in den verschiedensten Arten, so findet sich das Bruststück gewöhnlich von schwarzem oder sonst dunkelfar- bigem Sammet, welcher tiefer wirkte als anderer Stoff. Außer- dem erhält es reiche Verzierung und Besatz am Rand und in senk- rechten Streifen von Gold- und Silberbrokat oder gleicher Stickerei mit Blumen, Namenszügen, Sinnsprüchen u. dergl., oder von Seide und Atlas, worüber Geschmack, Vermögen und auch hier und da die Luxusgesetze bestimmten. Die prächtigsten Muster dieser Art können wir namentlich auf cranachschen Bil- dern sehen, dessen reichgeschmückte Frauengestalten, insbesondere aber seine vielgesehenen Ehebrecherinnen, für uns die Bedeutung von Modebildern haben. Nach dem Jahr 1520 gewinnt das Brusthemd wieder größere Bedeutung. In einzelnen, dann immer zahlreicheren Fällen dringt es aus dem Saum des Kleides und des Brustein- satzes heraus und strebt in derselben Weise, wie das schon früher bei den Männern geschah, nur in reicherer Entwicklung, zum Halse. Wie es einerseits vielfach aus klarem, durchsichtigem Stoffe besteht, so muß es andrerseits noch längere Zeit sich mit der vollen Decolletirung in die Herrschaft theilen, und das noch in den dreißiger Jahren. Am Halse hat es einen reichen gelben, in Gold oder Seide gestickten Saum, und auch sonst ist es häufig über und über reich bestickt, mit goldenen Borten besetzt und in eine Unzahl kleiner Falten gelegt. Später wächst dann das Leibchen gleich dem Wamms des Mannes ebenfalls in die Höhe, bedeckt auch den stehenden Saum am Halse bis zum Kinn und 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. treibt hier das Hemd in Anfangs unscheinbarer feiner und zier- licher Krause heraus. Solches geschah schon gegen die Mitte des Jahrhunderts. Im Verhältniß zur Weise des Mannes und besonders des Landsknechts überzieht die Zerschlitzung die Frauenkleidung nur in geringem Maße, sodaß sie mehr wie eine leichte Zierde, wie ein angeflogener bunter Schmetterling erscheint. Nur die Aermel werden bedeutender davon ergriffen und verändert. Wenn auch der Längenaufschnitt, den wir am Ende des vorigen Jahrhun- derts so häufig trafen, verschwindet, so bleiben doch die Quer- schnitte um Ellbogen und Schultern mit dem heraustretenden Hemd wohl längere Zeit, doch werden sie später durch aufgenähte leichte, faltige Puffen ersetzt. In den Zwischenräumen liegt der Aermel eng an, doch ist er vielfach in verschiedenen Mustern mit leichten, kleinen Einschnitten und unterlegtem farbigen Stoff versehen. Dann aber erweitert sich der ganze Aermel und die Schlitzung überzieht ihn nach allen Richtungen, sodaß er oft an die weiten Aermel des Landsknechts erinnert, oft aber auch wie mit einer Reihe Volants umzogen erscheint. Im Uebrigen haben die Schlitze stets winzige, bescheidene Gestalt: so verbreiten sie sich um die Schultern, über das Bruststück und den Rücken und na- mentlich auch, stellvertretend für den Besatz, in mehreren Reihen um den unteren Saum des Kleides. So lange die Decolletirung dauerte, hatte auch der Koller noch seine eigentliche Bedeutung. Wir kennen ihn schon aus dem funfzehnten Jahrhundert. In seiner Form blieb er sich so ziemlich gleich, sodaß er wie ein Kragen von hinten um den Hals gelegt und, vorn mit seinen beiden Seiten durch eine Heftel oder sonst wie zusammengehalten, Hals, Schultern, Nacken und die offene Brust verhüllte. Da sein Zweck war, außer dem Schutze des Teints auch vor Erkältung zu wahren, so war er gewöhnlich von wärmerem Stoff z. B. von Sammet oder mit Pelz gefüt- tert. Doch hielt die Nützlichkeit nicht ab, ihn möglichst kostbar zu machen, mit reichem Besatz von Borten, mit Schmuck und Perlen und feiner Stickerei, der eigenen Arbeit geübter Damen- III. Die Neuzeit. hände, zu zieren, sowie mit dem feinsten Rauchwerk zu unter- legen, zumal als er mit zunehmendem Schwinden der Decolle- tirung nicht ebenfalls aus dem Gebrauche kam. Fürstliche Damen trugen ihn auch von Goldstoff mit Hermelin. So war er ein Luxusartikel geworden, der unter allen Umständen getragen werden konnte, bis er wieder von Stufe zu Stufe in seinem Werthe herabsank. Die Sitte wohlgekleideter Damen, zwei Kleider über einander zu tragen, welche durch das ganze Mittelalter geherrscht hatte, kam auch jetzt nicht außer Gebrauch, doch zeigt sie sich in dieser freieren Zeit weit seltner. Gewöhnlich genügt das eine, ohnehin schon reich geschmückte. Doch sehen wir zuweilen auf Bildern Damen mit Federbarett und weiten geschlitzten Aermeln und auch sonst völlig nach der Mode gekleidet, welche ein oberes Prachtkleid von modischem Schnitt ganz wie früher mit der linken Hand in die Höhe genommen haben, wodurch unten ein zweites Kleid sichtbar wird. Zu größerer und entschiednerer Bedeutung gelangt diese Sitte wieder in der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts. Der Mantel wurde am wenigsten in die allgemeine Um- gestaltung hineingezogen und zwar aus dem Grunde, weil er zu einer vollständigen Toilette gewissermaßen ein überzähliges Klei- dungsstück war, welches nur die äußerste, der Mode feindlich entgegentretende Ehrbarkeit und besondere Umstände, wie schlech- tes Wetter, anzulegen nöthigten. Vom königlichen Ornat abge- sehen, ist er daher eigentlich nur in bürgerlichen Kreisen heimisch. Im Allgemeinen behält er die Form des fünfzehnten Jahr- hunderts bei: um Schultern und Hals zusammengezogen, fließen eine Menge ziemlich steifer Falten senkrecht nach allen Seiten herab; doch wird er im sechszehnten Jahrhundert weiter und stoffreicher, daß man sich besser darein hüllen konnte. Der Gürtel der Frau bleibt wie früher ein reiner Schmuck, soweit er nicht dazu diente, an einem langen, hängenden Bande die Tasche und das Messer oder den Dolch mit reich verzierter, meist mit Silberarbeit belegter Scheide zu tragen. Die Damen 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. jener Zeit führten gern diese gefährliche Waffe bei sich. Die Frau konnte den Gürtel tragen oder nicht, wie sie wollte; das erstere erscheint fast gewöhnlich in Anbetracht der genauen Be- stimmungen, welche die Luxusgesetze darüber vorschreiben. Von Sammet oder Seide, auch von feinem Leder, mit Metallarbeit beschlagen und wohl mit Edelsteinen besetzt, so lag er lose um die Hüften und das eine Ende, oder ein Anhang, der die oben genannten Gegenstände trug, fiel vorn tief herab. In Verbindung mit der Blüthe der Goldschmiedekunst, die in dieser Zeit ohne an Technik einzubüßen von der Gothik zur Renaissance überging, war der Schmuck überhaupt bei den Frauen ein höchst begehrter Artikel. Luther sagt darüber in seiner Weise, „es sei so ein toll Thier um ein Weib, daß es mit Schmuck nicht zu sättigen sei“, und ein ander Mal: „Wenn man jetzund eine Braut schmücken will, muß man soviel Seide und Perlen haben, grade als sollte die Braut nicht geschmückt sein, sondern nur sehen lassen, wie schwer sie tragen könne, wenn das ge- schmücket heißet, so könne man auch wohl einen Karren schmücken, der könnte des Dings viel tragen.“ Außer dem schon oben er- wähnten Schmuck der Barette, sowie einem breiten Halsschmuck, den Cranachs Frauenbilder häufig tragen, waren es besonders Ringe und Ketten. Die letzteren hingen in großer Zahl, aus sehr mannigfach und kunstreich zusammen gefügten Gliedern be- stehend, weit und lang um Nacken und Brust und dienten ent- weder für sich selbst zum Schmuck oder trugen Medaillen, Ge- schmeide oder kleine geweihte Sachen, welche verborgen im Busen steckten. Es ist nicht selten, daß eine Dame mit sechs oder mehr solcher verschiedenen Ketten mit Perlschnüren gemischt sich behängt hat. Auf Einzelheiten des Schmuckes werden wir noch in der nächsten Periode zurückkommen, sowie namentlich auf den reichen Besatz der Kleider mit Perlen. In dem Reichthum der Stoffe wie in der Lebhaftigkeit der Farben standen die Damen dieser Zeit nicht hinter früheren zu- rück. Nur das ehrwürdige Alter und besonders die Matronen des Bürgerstandes kleideten sich dunkel, die jüngeren dagegen III. Die Neuzeit. und die Damen höherer Stände hell und kostbar, es sei denn, daß sie z. B. durch den Gegensatz eines tief dunklen Sammet- kleides zu goldenem Besatz und goldenem oder rothem Bruststück und rothem Barett mit weißen Federn oder in ähnlicher Weise hätten eine besondere Wirkung hervorbringen wollen. Gelbe und rothe Kleider sind namentlich in den ersten Jahrzehnten be- sondere Mode, doch haben sie immer dunklen Besatz von breite- ren und schmäleren Streifen an allen Säumen und um die Arme herum. Auch ist um der entgegengesetzten Wirkung des Lichtes willen ein gleichfarbiger Besatz von Atlas oder Seide auf Sam- met und umgekehrt nicht selten; häufig findet sich dies, schwarz auf schwarz, bei der Tracht des würdigen Alters. Beliebt ist die Verbindung von Schwarz und Gelb in sehr verschiedener Weise, sei es, daß erstere Farbe bloß den Besatz und die Unterfütterung der Schlitze abgiebt, oder daß die eine Farbe die des Leibchens, die andere die des Rockes ist — denn es ist nicht nöthig, daß beide dieselbe haben —, oder daß zu gelbem Leibchen der Rock aus gelben und schwarzen senkrecht wechselnden Streifen besteht. Man sieht, daß im Allgemeinen die kräftigen Gegensätze in Mode waren. Das bezeugen auch die Gold- und Silberstoffe, die frei- lich wie Carmoisin den höchsten Ständen vorbehalten bleiben sollten. Wenn sie nicht Gold über Gold oder Silber über Sil- ber waren, sondern mit Sammet oder Seide in Verbindung stan- den, so verlangten sie schon eine intensive Farbe, damit diese nicht vom Glanze des Metalls getödtet würde. Am wirkungs- vollsten war daher immer der tiefe, das Licht einsaugende Sam- met, der gern in Schwarz, Braun, Roth, in dunklem Grün und leuchtendem Blau, in Purpur und Violett mit dem Golde in Verbindung trat. Ein ähnlicher Stoff mußte zu ganzem Gold- oder Silberstoff als Unterfutter den Gegensatz bilden, oder um- gekehrt. So wird ein Damenkleid von purpurnem Sammet mit Goldstoff gefüttert erwähnt, eines von Silberstoff mit carmoisin- rothem Sammet gefüttert, eines von Carmoisinatlas mit Vogel- augen (Pfauenaugen?) gestickt und mit Futter von purpurnem Sammet und mit goldenem Besatz; ein anderes von carmoisin- 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. rothem Sammet mit Goldstoff und carmoisinrothem Damast schachbrettartig gefüttert; ein anderes hatte oben Goldstoff und unten grünen Sammet und grünen Taffet und war mit carmoi- sinrothem Atlas besetzt. Alle diese Kleider gehörten zur Aus- stattung einer Prinzessin. Ein feines Gefühl für die Lichtwir- kung verräth ein sehr beliebter Stoff von Gold auf gelbem Atlas. Auch aschgrauer Atlas wurde um die Mitte des Jahrhunderts ein sehr gesuchter modischer Stoff. Einzelne dieser kostbaren Artikel wurden später sehr selten und konnten selbst von den ersten Modehandelshäusern jener Zeit, die in directem Verkehr mit den Fürstenhöfen standen, nicht beschafft werden. So schreibt einmal (1545) der Chef eines der angesehensten Häuser dieser Art, der Florentiner Lorenz de Vil- lani in Leipzig, an den Herzog Albrecht von Preußen: „Ich habe in dem an mich verfertigten Schreiben zwei Verzeichnisse von etli- chen goldenen und silbernen Tuchen, dazu auch andere Seiden- waaren, so Ew. Gnaden förderlich zu übersenden begehren, ge- funden. Soviel 1. die 22 Ellen silbern Stück Silber über Sil- ber, dazu 109 Ellen rothen goldenen Sammet betrifft, mag E. F. G. ich unterthänigst nicht verhalten, daß solche beide Stücke fürwahr nirgends zu bekommen sind, denn ich in der Wahrheit sagen darf, daß ich in zehn Jahren kein silbern Stück Silber über Silber gesehen habe. So ist der rothe goldne Sammet dieser Zeit auch gar seltsam und wüßte derwegen an keinem Ort darum anzusuchen, denn wo ich dessen in neulichen Tagen gehabt oder anderswo zu überkommen gewußt, hätte ich der durchlauchtigsten Fürstin und Frau Elisabeth, geborne Markgräfin zu Branden- burg, Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg Wittwe, auch ein ziemliches Antheil Ellen desselben (an dessen Statt sie doch, dieweil nirgends keiner aufzubringen gewesen, so viel rothen gol- denen Atlas genommen hat) für Ihrer fürstlichen Gnaden Sohn Herzog Erichs Hochzeit überschicken müssen.“ Wie die meisten dieser Stoffe aus Italien kamen, aus Fa- briken zu Florenz, Mailand, Venedig, früher Lucca u. a., viele freilich auch in Deutschland, namentlich in den Fabriken der Nie- III. Die Neuzeit. derlande gewebt wurden, bis hier der spanische Krieg zerstörend eintrat, so waren auch großentheils die Handelshäuser selbst ita- lienische, z. B. in Nürnberg Thomas Lapi und Lucas Andreas Durisani. Briefe und Rechnungen von ihnen belehren uns auch über den Werth dieser Stoffe. So schreibt der letztere in einem Briefe an den Geschäftsträger des Herzogs von Preußen: „Mö- get uns doch auch behülflich sein, mit unserm gnädigen Herrn Herzog in Preußen zu handeln, wenn er etwas von seidnem Ge- wande und goldnen Stücken von allerlei Gattung bedürfen würde, daß er solche von uns nehmen wolle, denn ihr wißt, daß wir schier alle Kurfürsten, Fürsten und Herren, die hieländisch sind, sonderlich auch selbst die Welschen, die von uns kaufen, mit solcher Waare versehen. Wir wollen dem Herzog einen Kauf geben, daran er ein Wohlgefallen haben würde, und wie er ihn bei andern solchermaßen nicht bekommen könnte, als mit allerlei Gattungen von reichen goldenen und silbernen Stücken mit Gold überguldet und mit Sammet, die Elle um 8, 9, 10 bis 18 Gul- den, ferner goldenen Sammet und goldene Stücke, die Elle um 5 oder 6 Gulden, allerlei Carmesin, rothe und braune Sammet und sonst allerlei Damast und Atlas von allen Farben.“ Eine Rechnung des Thomas Lapi vom Jahre 1535 giebt uns folgende Preise, bei denen wir freilich den damaligen Werth des Geldes in Anschlag zu bringen haben: ein Stück rother goldener Atlas von 29 Ellen ist berechnet auf 313 Gulden, ein goldenes Stück Atlas von gezogenem Golde von 12 Ellen zu 120 Gulden, ein silbernes Stück Atlas von gezogenem Silber von 12 Ellen zu 108 Gulden. Im Jahre 1536 sandte derselbe Kaufmann dem Herzog von Preußen zwei ganz goldene und silberne Stücke von gezogenem Gold und Silber, wovon das goldene von 38 Nürn- berger Ellen 380 Gulden, das silberne von 40 Nürnberger Ellen 360 Gulden kosten sollte. 2 Stücke rothen und aschgrauen Da- mastes, die 170 Gulden kosten sollten, fanden der Herzog und die Herzogin für sich zu schlecht. Im Werthe folgen nun die verschiedenen Stoffe, wie man sie aus den Kleiderordnungen kennen lernt, und die im Verhält- 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. niß denen früherer Zeiten gleichblieben: Sammet und Atlas, einfacher und gemusterter, die verschiedenen Seidenstoffe, Sendel, Rasch u. s. w., Kamelot, die feinen Wollstoffe aus Mecheln, Leiden und andern niederländischen Städten, dann die gröberen einheimischen Fabrikate, die Elle zu 2 Gulden, zu einem oder einem halben Gulden, Barchent und „grober Zwilch“, wie er den Bauern und der arbeitenden Classe vorgeschrieben war, nebst den baumwollenen und linnenen Stoffen für die Frauen. — Das Jahr 1530 läßt sich als den Zeitpunkt betrachten, in welchem die Reformation im Trachtenwesen ihren Höhepunkt, ihre Vollendung erreicht hatte. Es ist bedeutungsvoll das Jahr des Augsburger Reichstages, welcher, wenn auch auf welthisto- risch bedeutenden Gebieten, ebenfalls den Höhepunkt der Bewe- gung bezeichnet. Und zwar war die Umgestaltung der Trachten innerhalb der Grenzen des Vaterlandes bis dahin eine rein deut- sche gewesen und, vielleicht den ersten Anstoß ausgenommen, frei und ungehindert von jedem fremden Einfluß, nur allein von der Strömung der Zeit getragen. Aber von nun wirken mehr- fach äußere und fremde Elemente ein. Zunächst erschlafft die Bewegung in sich selbst, und es erfolgt nach der Erregung die Abspannung. Obwohl auf dem Gebiet der Trachten die aben- teuerlichen Landsknechte fortwährend in demselben Geiste einwir- ken und das lustige, übermüthige Treiben wach zu erhalten suchen, können wir doch an Einzelheiten beobachten, wie die Ebbe ein- tritt und die Fluthen sich verlaufen. Wieder ist der Kopf der Barometer. Schon werden die ganz kurzen Haare des Mannes häufiger gefunden, und das Barett fängt an, seine willkürlich freie Gestalt und die reiche Federfülle allmählig einzubüßen; es wird eine flache, steife Platte, oder häufiger und bleibender ver- kleinert sich der Rand, der Deckel schrumpft zusammen, und so wird das Barett ein kleines seidenes Mützchen, bis es sich zur Hutform wieder aufrichtet. Währenddeß verschwindet die Haar- haube. Das Wamms des Mannes, nunmehr wattirt und ge- steppt, legt sich enger und steifer um den Leib, steigt bis unter das Kinn empor und beschränkt den Kopf in seiner freien Bewe- III. Die Neuzeit. gung. Die Schuhe verlieren die unmäßige Breite, und, anschei- nend natürlicher, decken sie mehr den Fuß und laufen in eine zier- liche Spitze aus. Auch die Schaube muß sich beugen und von ihrer freien, stattlichen Weite einbüßen; sie nimmt so eine conventio- nellere Form an und, Schritt um Schritt aus den Höhen der Gesellschaft zurückgedrängt, muß sie sich auf die städtischen Kreise beschränken. — Bei den Frauen verschwinden aufs neue die sich vordrängenden Locken unter der Haube, und das Barett wandelt sich bei ihnen um wie bei den Männern, um endlich mehr frauen- mäßigen Kopftrachten zu weichen. Wie das Kleid zum Halse emporwächst und die entblößte Brust völlig und dauernd verdeckt, schließt es sich auch enger und steifer um die Glieder, weiset am Rock allen überflüssigen Stoff, allen Faltenwurf ab, er sei denn ein künstlicher, und wächst gar wieder aus in unnatürliche, die Schönheit des menschlichen Körpers entstellende Formen. Obwohl diese Reaction um das Jahr 1550 noch keineswegs vollendet oder nur ihrem Höhepunkt nahe ist, so ist sie doch in allen Theilen deutlich ausgesprochen und leicht erkennbar. Es ist wie ein allgemeiner Rückzug, auf dem freilich ein guter Theil der Beute früherer Siege mitgeführt wird, der aber eine ganz andere Richtung nimmt, als zurück zum Ausgang der Bewegung. Die Ursachen lagen im Wechsel der Zeit, in dem eigenen Innern des Volkslebens tief begründet, aber die Formen, in welche die Reaction sich verkörperte, kamen großentheils von außen her. Wie die politisch-religiöse Bewegung in den romanischen Ländern einen ganz anderen Weg eingeschlagen und ein anderes und meist rasches Ende gefunden hatte, so war auch dort die Umgestaltung der Trachten, die von denselben Formen in demselben Geiste ihren Ausgang genommen, mitten in ihrer Entwicklung gehemmt und zu ganz anderem Resultat und anderen Formen gelangt, welche nun in Deutschland auf vorbereitetem Boden zum Kampfe auftraten. Zweites Kapitel. Die Reaction und die spanische Tracht . 1550 — 1600. Im Sturm und Drang der reformatorischen Bewegung war die deutsche Menschenwelt aus ihrem Gleise weit hinausgeschleu- dert worden, und als die Reaction eintrat, war, wie das tief in der menschlichen Natur begründet liegt, physisch wie moralisch, im Einzelnen wie im Völkerleben, in allgemeiner Erschlaffung die Widerstandsfähigkeit erloschen, und fast willenlos beugte man sich der rückwärts drängenden Strömung. Wir haben schon oben angedeutet, wie sich dies politisch in der Erstarkung der fürstlichen Macht aussprach: das Regiment kam in festere Hände, die Zügel wurden straffer angezogen und die Staatsmaschine in einheitlicheren, formelleren, von dem Willen des Einzelnen ge- leiteten Gang gebracht. Der Bürgerstand dagegen, der sich so eben noch in stolzem Bewußtsein an der Spitze der Bewegung gefühlt hatte, schien sich nun mit ängstlicher Scheu eher zurück- zuziehen als vorzudrängen, und indem er sich nach oben und nach unten abschloß, theilweise auch ausgeschlossen wurde, sonderte sich die Gesellschaft in sociale Classen und verharrte in der neuen Rangordnung. Aber die Bewegung war eine vorzugsweise religiöse gewe- sen, und so mußte auch auf diesem Gebiet der größte und sicht- barste Rückschlag erfolgen, zumal als nach dem Religionsfrieden Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 6 III. Die Neuzeit. das Erreichbare erreicht schien und eine neue Anspannung der Kräfte kein Ziel und keinen Erfolg mehr vor sich sah. So hört die lebendige Fortführung der Lehre auf; sie erstarrt in Formeln und Dogmen, um deren Buchstaben die Theologen in Ermange- lung anderer Gegner mit den eigenen Glaubensgenossen erbit- terte Kämpfe führen. Gleicherweise bethätigt Schulgezänk das Leben der Gelehrten in der Oeffentlichkeit. Das Volk nahm wenig Theil an solchem Kampfe, obwohl er von der Kanzel herab wie in der Schrift geführt wurde, denn es hatte genug mit sich selbst zu thun. Ihm war das Gefühl allgemeiner Sündhaftigkeit ge- kommen; es war, als ob die Angst der Sünde, die Schuld auf dem Gewissen lastete, und die Geistlichkeit war bemüht, die Hölle heiß zu machen, um von der gewonnenen Herrschaft über die Ge- wissen nichts einzubüßen. Als Andreas Musculus einmal den „Hosenteufel“ erfunden hatte, tauchten eine Menge verschiedener Teufel auf, einer schrecklicher ausgemalt als der andere, bis ein ganzes theatrum diabolorum von solchen Predigten zusammen- gestellt werden konnte. Da gab es denn noch einen Zauberteu- fel, einen Heiligenteufel, einen Bannteufel, Jagdteufel, Fluch- teufel, Gesindteufel, Saufteufel, Eheteufel, Geizteufel, Schrap- teufel, Hoffartsteufel, Pestilenzteufel und andere noch, wie sie die Geistlichen für nöthig hielten, um bei dem Sinken des reli- giösen Lebens wenigstens moralisirend ihren Einfluß zu behaup- ten und ihren theologischen Eifer zu bethätigen. Es ist merkwürdig, wie ihnen in diesem Bestreben absicht- lich oder unabsichtlich, aber einstimmend die Kunst zu Hülfe kommt, besonders der Kupferstich, welcher nun in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wie der Holzschnitt in der ersten mit dem Volke verwächst und bildlich alle Regungen seines Lebens offenbart. Während der Katholicismus in unzähligen kleinen Kupferstichen das Leben der Einsiedler und die Marter der Hei- ligen vorführt und sie unter das Volk verbreitet, den religiösen Sinn wieder zu erwecken, sind es im Protestantismus vorzugs- weise moralisirende Gegenstände. Zu den beliebtesten gehören die klugen und thörichten Jungfrauen und Allegorien wie die 2. Die Reaction und die spanische Tracht. sieben Tugenden und die sieben Todsünden. Ein neuer Gegen- stand dieser Zeit ist die büßende Magdalena, während das funfzehnte Jahrhundert in ihr nur die reiche schöne Dame, die Freundin des Herrn, sieht. Neu ist Hercules am Scheidewege und wenigstens die Auffassung auf einem Kupferstich von Jo- hann Sadeler, auf welchem eine Buhlerin mit dem Spiel der Laute einen Jüngling an sich zu locken sucht, den ein Weiser von der Verführerin zurückhält. Wenn einer der früheren Meister, wie etwa Hans Sebald Beham, diesen Gegenstand behandelt hätte, so würde er frischweg den Weisen weggelassen haben; in dieser moralisirenden Zeit darf die Tugend dabei nicht fehlen. Vor allen am bezeichnendsten sind die wirklich ekelhaften Höllen- bilder des älteren Breughel, (die Peter von der Heiden in einem ganzen Cyclus gestochen hat,) in den ungeheuerlichsten Gestal- ten und den entsetzlichsten Dingen Ausgeburten einer moralisch todtkranken Phantasie, die uns nur mit ästhetischem Grauen er- füllen, aber vielleicht wohl im Stande waren, einer bußferti- gen und wundergläubigen Zeit die Hölle fürchterlich genug zu machen. Wo die Bußfertigkeit beginnt, hört die Naivetät auf; mit dem Schuldbewußtsein verliert sich die Unbefangenheit des Ge- müths, die Freiheit im Handeln und Denken, der Tact, der auch unbewußt das Rechte, wie im Reiche der Kunst das Schöne trifft. Die Naivetät ist das verlorene Paradies für die Kunst dieser Periode; sie fühlt den Verlust, aber an der allgemeinen Schuld theilnehmend, vermag sie nicht wieder hineinzudringen. Im Streben nach der Natur, in welcher sich die große Periode Dü- rers und seiner Schule so schrankenlos erging, verfehlt sie in allen Dingen das rechte Maß und das wahre Leben, die sie in der eigenen Gegenwart nicht finden konnte. So bleibt sie bald — und das sind die schwächeren Talente — im Ausdruck weit hin- ter der Wirklichkeit zurück, bald übertreibt sie die Empfindung zur Sentimentalität, den Affect zum Affectirten, sie übertreibt die Stellungen, die Bewegungen, das ganze dramatische Leben bis zur gewaltsamen Verzerrung, oder zwängt sie ein in das ver- 6* III. Die Neuzeit. meinte Maß antiker Classicität, das bei ihr zur Aftergrazie wird. Es entsteht so der vollendetste Manierismus, dessen Vertreter die talentvollsten und hochgefeiertsten Künstler sind — ein Zeichen, daß die ganze Zeit grade so dachte und fühlte wie sie —, Künst- ler wie Johann von Aachen, Bartholomäus Spranger, Hems- kerk und vor allen Heinrich Goltzius, der Meister im Kupferstich. Namentlich der letzte, welcher mit seiner populären Kunst weit großartigere Erfolge errang, giebt die schlagendsten Beispiele. So ist es ihm, dem Meister der Technik, völlig unmöglich Kin- der zu zeichnen; so oft er sie darstellt, sind es häßliche, gezierte und affectirte, altkluge Geschöpfe, ohne alle Spur von Unschuld und Naivetät; Adam und Eva im Paradiese ist nur ein entklei- detes vornehmes Paar vom Hofe König Philipps II. , vom Schei- tel bis zur Zehe, im Ausdruck und jeder Bewegung aufs strengste nach spanischer Etiquette geschult; Apollo, der mit Pfeil und Bogen auf Wolken daherschreitet, ist „jeder Zoll ein Spanier.“ Wenn Goltzius und seine Schule das Schmachtende, Sehnsüch- tige oder die Unschuld ausdrücken wollen, so gehen die Augen über; nie sind sie klar und deutlich gezeichnet und die Augen- sterne sind fast unsichtbar: sie sind nach oben in die Höhlung ge- zogen mit „himmelndem“ Blick. Diese Unschuld des Blickes hat bei ihm das ganze Paradies — ein Lieblingsgegenstand —, Adam und Eva nicht mehr wie Schaf und Löwe, Elephant und Ochs, der Hase, das Kameel, Gans, Adler und natürlich auch die Schlange, die Verführerin. Statt mit der Wahl der Gegen- stände gleich ihren Vorgängern hineinzugreifen ins volle Men- schenleben, quälen sie sich herum mit allen möglichen und un- möglichen, verständlichen und unverständlichen Allegorien, bei denen die erklärende Schrift zur Nothwendigkeit wird. Andrer- seits ist ihnen im Gefühl ihres eigenen Mangels die einfache Natur noch nicht natürlich genug. Nichts ist z. B. bezeichnender als die Darstellung der Verkündigung, wie sie Johann Sadeler nach Sustris gestochen hat: während Maria bei den Alten vor- bereitet im Gebet und knieend die hohe Botschaft empfängt, sitzt sie hier im Zimmer und näht . — Einzelne Künstler, die sich 2. Die Reaction und die spanische Tracht. an ihre Vorgänger anschließen, halten sich noch eine Zeitlang frei von dieser Richtung, wie in Deutschland der treffliche Jost Amman mit seinen unzähligen populären Holzschnitten. In Italien be- wahrten sich vor dem allgemeinen Manierismus nur die großen Venetianer durch eine edle Sinnlichkeit, die uns aus der Frische und der Lust des Lebens, aus dem warmblühenden Colorit, aus den hohen, in üppiger Leibesfülle sich wiegenden Gestalten ent- gegentritt. Einen Abglanz davon können wir auch in den gleich- zeitigen venetianischen Trachten erkennen. Endlich erscheint alles unter dem ertödtenden Hauch dieser Richtung erstarren zu wollen, bis der Rückschlag eintritt. Wir haben schon oben am Schluß des vorigen Capitels im Allgemeinen angedeutet, wie sich die Kleidung dieser neuen Zeit- strömung gemäß umwandelt. Vor der Angst des Gewissens und den Ermahnungen der Geistlichen schwindet der letzte Rest der Entblößung, und es scheint fast, als wolle man die Glieder ver- stecken unter der bergenden Hülle. Das helle, lustige oder tief kräftige Farbenspiel, welches den Körper überzog, weicht, wenig- stens im ganzen bürgerlichen Stande, einer dunkeln, oft trauri- gen Einfarbigkeit, die sich in den republikanischen und calvinisti- schen Niederlanden noch länger als die viel bekannte schwarze Tracht erhalten hat. Indem nun auch die Freiheit und Bequem- lichkeit erliegt und steife Formen aufs Neue den Körper einengen, die nur zu bald zu Mißgestalten und Unnatürlichkeiten werden, ja selbst ins Ungeheure ausarten, und andrerseits an die Stelle der alten stattlichen und stolzen Breite und Würde gespreizte Zier- lichkeit tritt, so läßt sich die ganze äußere Erscheinung der dama- ligen Menschenwelt grade wie die Kunst als dem Affectirten und Manierirten verfallen bezeichnen. Da aber dieses unter dem Eindringen undeutscher Elemente, vor allen der spanischen geschah, so haben wir uns vorher nach diesen und ihrer Entste- hung ein wenig näher umzusehen, da wir wissen, wie um das Jahr 1500 die Kleidung in der ganzen abendländischen Welt so ziemlich den gleichen Charakter trug. Man kann sagen, der eine Schlachtentag bei Villalar (1522), III. Die Neuzeit. an welchem die Communeros von Castilien vor der Krone erla- gen, lieferte Spanien willenlos in die Hände Karls V. und ent- schied zugleich über das Schicksal der spanischen Kleidung. Denn wie politisch und religiös sich hier dieselbe Bewegung gezeigt hatte, von welcher anderswo die Welt entflammt war, so war auch für den Menschen dasselbe Bedürfniß vorhanden gewesen, der lästigen Enge sich zu entwinden. Wir können auch in Spa- nien sehen, wie die Kleider an den Gelenken sich öffnen, wie der Aermel sich schlitzt von oben bis unten und das faltige Hemd oder farbiger Stoff bauschend heraustritt. Aber es wollte hier in keiner Weise gelingen: die religiösen Neuerungen erdrückte die Inquisition, die politischen fanden ihren Todestag bei Villa- lar, Ruhe und Stille kehrten in die eingeschüchterte Nation zu- rück, und so war es unmöglich, daß die Kleidung sich zu der Freiheit und zu der Entartung entfalten konnte, wie in Deutsch- land unter dem Brausen des reformatorischen Sturmes. Aehn- lich erging es in Italien und Frankreich: auch hier ein gleicher Anfang und ein baldiges Ende, wenn auch unter abweichenden socialen Einflüssen ein mannigfach anderer Gang eintrat. Unter dem straffen Regiment des Königs und der absoluten Unterwürfigkeit der Geister und der Gewissen, wie sie die In- quisition im rechtgläubigen Spanien zurückgeführt hatte, schrumpft die Bewegung in sich selbst zusammen und kehrt bald zur Steife und Enge, freilich nun unter ganz anderen Formen, zurück. Die Schlitze verschwinden wieder oder zeigen sich an bedeutungslosen Stellen nur als leichte Zierde von aufgenähtem buntfarbigen Stoff und als leise Erinnerungen der aufgeregteren Zeit. Die ganze Kleidung sitzt straff und gespannt über den Körper, aber nicht unmittelbar, sondern bezeichnend genug hat sich der Spa- nier statt des lustig ausgebauschten, umherflatternden Stoffes mit dicken, runden Wülsten umlegt. So liegt das Beinkleid von den Schuhen herauf aufs engste den Beinen an, daß sich jede Muskel markirt, eine Eigenschaft, die in der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts durch die in Aufnahme kommen- den seidenen Tricots wesentlich erhöht wurde und an Eleganz 2. Die Reaction und die spanische Tracht. gewann. Jedoch über die Oberschenkel und den Unterleib ist ge- wissermaßen eine zweite Hose gezogen, welcher auch die Wah- rung des Anstandes bei der Kürze des Mantels zukommt: es sind zwei dicke, runde, mit Pferdehaaren ausgestopfte Polster, welche von unten her wie in sich gezogen erscheinen und mit far- bigen handbreiten Bändern senkrecht umzogen sind, genau wie bei der Pluderhose die Masse des herausgehängten Stoffes von den Binden gehalten wird. Auch hier sind beide, Bänder und Polster, von verschiedener Farbe. Gleiche Polster pflegen sich um die Schultern zu legen, obwohl auch oft die Aermel glatt und eng sind. Das Wamms, denn nur dieses trägt der Spa- nier, reicht nur herab in die Taille zum Beginn des Beinkleides, da die mächtigen, breit vortretenden Wülste eine größere Länge verboten; höchstens liegt es mit schmalen Schößen ein paar Fin- ger breit darauf. Dafür aber senkt es sich vorn immer tiefer und tiefer in einer Spitze herunter, welche keilförmig nach der Mitte zu mit Baumwolle oder Pferdehaaren ausgestopft wurde und endlich wie ein dickes Polster vor Brust und Bauch herabhing. Das ist der sogenannte, in dieser Zeit viel erwähnte Gänse- bauch . Die Kriegsleute machten einen eigenthümlichen Gebrauch davon, indem sie ihn als ein selbständiges Stück wie einen Brustpanzer vorlegten und mit Riemen um die Achseln befestig- ten. Seine Spur finden wir auch an dem Harnisch dieser Zeit, welcher vorn einen vorstehenden scharfen Grat zeigt, eine innere Höhlung andeutend, welche durch den Gänsebauch ausgefüllt wurde. In gleicher Weise sehen wir die hängenden Hüftklappen der Rüstung um des wulstigen Beinkleides willen eine immense Weite annehmen. Ueberhaupt erscheint das ganze Wamms mit Baumwolle reich gesteppt und häufig mit vielen kleinen farbigen Flecken in Art der Schlitze zierlichst benäht. Auch den breiten Schuhen entsagte der Spanier zuerst. Während sie in England noch unter der Königin Marie (1553 —58) durch eine Proclamation verboten wurden, waren sie in Spanien längst allgemein umgewandelt. Der noble Herr trug sie im Allgemeinen der Form des Fußes gemäß und vorn in eine III. Die Neuzeit. elegante Spitze zulaufend; sie bedeckten im Gegensatz zu den breiten, welche nur Zehen und Absatz umschlossen, nunmehr wie- der den ganzen Fuß, doch blieben die Knöchel frei. Zur Zierde waren auch sie mit den farbigen Fleckchen besetzt. Sonst war ihre Farbe sehr verschieden; wir sehen sie dunkel — schwarz wohl nur in Einstimmung zur übrigen Kleidung — lederfarben, hell- farbig, am feinsten und elegantesten waren sie von weißer Seide. Das Wamms hatte sich nach dem Brustausschnitt am Ende des funfzehnten Jahrhunderts schon früh wieder geschlossen und rückte nun zum Halse empor, den bunten Saum des Hem- des vor sich herdrängend, wie wir das in Deutschland schon ge- sehen haben. Als Karl V. nach seiner Kaiserwahl auf deutschem Boden erschien, trägt er noch den Hals und etwas mehr völlig nackt, aber nicht lange, denn er folgt ganz der spanischen Weise. Bald ist nicht bloß das Hemd, sondern auch das Wamms am Halse und umgiebt denselben mit einem steifen, stehenden Kra- gen. Wie gepreßt dringt nun der Saum des Hemdes heraus und legt sich in kleiner, einfacher oder gestickter Krause herum. Diese wächst und indem sie sich als besonderer Kragen vom Hemde trennt, ist ihrer Ausdehnung keine Schranke mehr gesetzt; mit Hülfe von Stärke und Brenneisen wird sie in Ordnung gehalten und, aus mehreren Reihen übereinander geschichteter Falten be- stehend, wird sie um den Hals gebunden, daß sie steif und eng unter Kinn und Ohr anschließt und den ganzen Kopf völlig um- rahmt. Schon damals machte man den Vergleich mit dem Haupte des Johannes auf der Schüssel der jungen Herodias. Natürlich konnte ein solcher Kragen nicht ohne Einfluß auf Haar und Bart bleiben, die er in ihrem Wachsthum wesent- lich beschränkte. Ohnehin mußten auch sie die Umwandlung der Zeit mitleidend über sich ergehen lassen. Nicht einmal die Kolbe war kurz genug, wieviel weniger das lange Haar des funfzehnten Jahrhunderts, vielmehr wurde der ganze Kopf in geringer, gleichmäßiger Kürze des Haares geschoren. Auch dem Barte wurde durch die Krause nur eine sehr bedingte Länge gestattet, und der Spanier hielt ihn rund um Kinn und Wangen in einer 2. Die Reaction und die spanische Tracht. solchen Kürze, daß beide einander nicht genirten; am Kinn je- doch ließ er ihm gern eine etwas längere Spitze, und namentlich liebte er dazu einen starken Schnurrbart, dem er auch freieres Wachsthum gestattete, ohne ihn gleich, wie es am Schluß des Jahrhunderts Mode wurde, mit den Spitzen in die Höhe zu drehen. Zu dieser gezierten Toilette des Kopfes paßt nicht das leichte Barett, sondern nur der Hut . Jenes war in Spanien gar nicht zur Ausbildung gekommen; es hatte gleich der Aufschlitzung nur den Anfang gemacht und dann fofort dem Hut wieder weichen oder selbst zu einer ähnlichen festen Form sich crystallisiren müs- sen. Während in Deutschland der Hut bis zum Bauer herabge- drückt war, behauptete er sich in Spanien grade auf den höchsten und stolzesten Köpfen; nur im Volk, wohin die Bewegung so gut wie gar nicht gedrungen war, erinnerten noch mancherlei Kopfbedeckungen an das funfzehnte Jahrhundert. Der Hut war steif und ähnelte häufig moderner Form; der Kopf erhebt sich sehr hoch, und der Rand schwindet allmählig zu unscheinbarer Schmalheit zusammen. Das Barett, wo es getragen wird, steigt aus seiner Flachheit zu ganz ähnlicher Gestalt und Höhe mit gleichem Rande empor: es pflegt dann von Seide zu sein, welche mit feingelegten Falten über ein Drahtgestell gespannt zu sein scheint. In der Farbe ist es gewöhnlich dunkel, gleich dem Hut, meistens braun. Für den Spanier ist der Mantel so charakteristisch, wie für den Deutschen der breite Ueberwurf, die pelzgefütterte Schaube; jener knüpft damit auch direkter an das funfzehnte Jahrhundert an, wo wir das kurze Mäntelchen bei der Jugend mehrfach vorfanden. „Das Mäntelchen von starrer Seide“, auf die linke Schulter gelegt und kaum den Rücken deckend, so ist es ein Stück der eleganten Kleidung; dann war es auch gern hell- farbig, anders oben und anders das Futter, und mit Sammet- streifen, wenn nicht mit kostbarerem Schmuck von Edelsteinen und Perlen ringsum besetzt. Für gewöhnlich wurde es weiter und länger getragen, daß es sich bequem von einer Schulter auf die andere schlagen ließ. III. Die Neuzeit. Zur Vervollständigung der Tracht eines Spaniers war noch der lange Stoßdegen ein nothwendiges Erforderniß. Der dicken Polster des Beinkleides wegen konnte er ihn nicht grade herabhängend tragen, auch nicht vor den Magen geschnallt, wie der Landsknecht sein kurzes Schwert, sondern er trug ihn „ge- stürzt“, d. h. horizontal nach hinten oder mit der Spitze höher als mit dem Heft. Aber alle Spanier führten ihn „bis herab auf die Schuster und die Schneider und die andern Künstler“, wie Vecellio sagt. Wenn wir nun das Bild eines nobeln Spaniers in kurzen Umrissen uns vergegenwärtigen, so wird er ganz vor uns stehen, wie König Philipp ihn wollte — „stolz lieb ich den Spanier“ — oder wie uns sein Charakter aus der Geschichte bekannt ist. Den wohlzugestutzten Kopf mit mächtigem Schnurrbart deckt ein steifer Hut oder das hochgeformte Barett, und die breite Radkrause umgiebt den Hals und zwingt das Haupt zu gleicher, steifer Hal- tung, ein Mäntelchen liegt auf der Schulter, nur des starren Scheines wegen, denn es wärmt nicht und deckt nicht; ein aus- gestopftes Wamms mit langspitziger Taille umgiebt prall den Leib, und um Hüften und Oberschenkel legen sich die dicken Polster des Beinkleides, das im übrigen auf’s zierlichste und ge- nauste anliegt; gekrauste Manschetten gleich dem Kragen am Halse, Handschuhe, feine Schuhe und der gestürzte lange Stoß- degen vollenden die manierirte Tracht. Keine Falte ist am gan- zen Leibe zu entdecken, sie sei denn eine künstlich gelegte und mit Draht und Brenneisen hervorgebracht; alles ist rund und prall, aber die natürlichen Formen übertreibend oder ihnen zuwider. In dem Gezierten und Geputzten erkennen wir den Stutzer, in dem zugeknöpften Wesen und in der dadurch bedingten steifen und gespreizten Haltung einerseits die Verschlossenheit und Schweigsamkeit des Spaniers, andererseits seinen Ernst und seine Gravität — mit einem Worte die Grandezza. Ein Blick auf diese Gestalt bringt uns den ganzen Hof des unzugänglichen Philipp in die Erinnerung, den finstern, fanatischen Geist, die Freudenlosigkeit und endlich die unbeugsame Strenge der Eti- 2. Die Reaction und die spanische Tracht. quette, die von Burgund in viel verschärfterem Maße auf Spanien übergegangen war. Wir begreifen in diesem Costüm die gespreizte und in allen tragikomischen Streichen des Schicksals unerschütterte Höflichkeit, wie sie die Blume der irrenden Ritterschaft, Don Quichote, das classische Wunderproduct dieser Zeit, an den Tag legt, seine ausgesuchte Artigkeit, bei der lächerlichen Trauergestalt die feinsten und edelsten Manieren des Ritterthums, sowie die zierlichst gedrechselten Redensarten, die duftenden Blüthen der Höflichkeit, die nun allen Ernstes von Spanien aus mit der spanischen Mode den Weg zu den Höfen und den gebildeten Clas- sen der christlichen Länder machten. Das Bild des Spaniers hat auch seine Gegenseite, von welcher ihn seine Feinde auffaßten, die seinen Uebermuth und seinen Stolz nicht zu ertragen vermochten. Freilich stand Spanien damals noch auf dem Höhepunkte der Macht und dem Gipfel des Ruhmes und dünkte sich das erste Land der Welt zu sein. Die Satire fand in seiner äußeren Erscheinung nichts als Eitel- keit, Aufgeblasenheit, leere Hohlheit und Renommisterei. Auf einem fliegenden Blatte, welches seine Untugenden in Bildern und Versen darstellt und zu dieser Zeit in den Niederlanden er- schien, wird die folgende Beschreibung von ihm gemacht: Ein Pfau auf der Gassen. „Macht Platz, ihr Leut, jetzt kommt die Sau, Welch sich verwandelt in ein Pfau, Mit großen Kragen einhergeht, Damit ziert er sein Gravitet. Wenn sich der Pfau zu zeigen begehrt, Umgürt er sich mit eim Schwert, Langsam, hoffertig einhertritt, Zehlet im Gehen alle Schritt, Thut auf den Seiten umher gaffen, Ob auch die Leut ansehn den Affen, Wer ihn nicht ehrt für ein Hidalgo, Schilt er ein Perro oder Galgo. Er ist der Mann, der alls erfahren, Und in India oft gefahren, III. Die Neuzeit. Jetzt kommt er aus Orient, Morgen lauft er nach Occident, In Asia und Afrika, Gar zu gemein ist Europa. Von China redt er gar gewiß, Als der solchs hat erfahren am Tisch.“ Die bisherige Beschreibung galt nur dem nobeln Spanier, vorzugsweise wie er sich in Deutschland und den Niederlanden in diesem Jahrhundert mit eleganter Tournüre darstellt. Sie be- darf noch einiger Vervollständigung. Denn theils hatten sich in Spanien, sei es durch die Beziehungen mit der sarazenischen Welt, sei es durch die schnellere Unterdrückung der reformatori- schen Bewegung, früher als anderswo verschiedenartige Volks- trachten festgesetzt, die wir freilich hier nicht berücksichtigen können theils fanden auch in der vornehmen Welt Abweichungen statt, die sich durch größere oder geringere Eleganz unterschieden. So gehörte die oben geschilderte „Pumphose“, wie man sie in Deutsch- land nannte, mit den übergezogenen „angehäkelten“ Polstern zur feinsten Tracht; im Volk oder überhaupt bei weniger eleganter Toilette trug man die Hose bis zum Knie hin dickwulstig ausge- stopft und Strümpfe dazu, wenigstens seit der Mitte des Jahr- hunderts; auf dem Lande war sie auch schlicht nach alter Weise. Dieser Umstand erklärt uns eine Stelle im Don Quichote, da die gute Sanchica grade dazu kommt, wie der Page ihrer Mutter die Nachricht von der Statthalterschaft Sancho Pansa’s bringt. „Sagt mir, lieber Herr,“ fragt sie, „trägt denn mein Herr Vater vielleicht angehäkelte Hosen, seitdem er Statthalter ist?“ Ohne Zweifel, meint der Page. „Ach du liebster Gott,“ versetzt Sanchica, „o wie muß das das Herz erquicken, meinen Vater mit Pumphosen zu sehen! ist es nicht recht besonders, daß ich, seit ich auf der Welt bin, das schrecklichste Verlangen habe, meinen Vater in angehäkelten Hosen zu sehen?“ — Von andern Herrlich- keiten zierlicher Männerkleidung erzählt uns Altesidora in dem verliebten Lied, das sie nächtlicher Weile vor den Fenstern des irrenden Ritters singt; sie gebraucht sie als Lockmittel: 2. Die Reaction und die spanische Tracht. „Wie viel Mützchen sollt’st du kriegen, Wie viel Strümpf’ silberbeschlagen, Wie viel schöne Damasthosen, Wie viel Mäntel Linnen Hollands.“ Wir sehen also, daß auch Mäntel von feiner holländischer Lein- wand getragen wurden, wahrscheinlich im Sommer der Kühlung wegen, da der Spanier nur den Stoff, nicht die Fa ç on nach der Jahreszeit wechselte. In Vecellio’s Trachtenbuch wird uns eine spanische Dame etwa vom Jahre 1520 oder wenig früher vorgeführt, welche noch völlig der Zeit vor dem Eintritte der Reaction ange- hört. Wenn sie auch in Einzelheiten von der deutschen Mode abweicht, so ist doch der Gesammtcharakter völlig derselbe, denn alles ist frei und leicht, ohne Uebertreibung und giebt der natür- lichen Beweglichkeit der Glieder, der freien Herrschaft über den Körper keinerlei Hinderniß. Das Haar ist schlicht und nur theil- weise von einer netzartigen Haube bedeckt, der Hals bloß und die Brust halb decolletirt, indem aus dem tieferen runden Ausschnitt des Leibchens das in feine Falten gelegte und gesäumte Hemd heraustritt. Das Kleid, mit mäßig hoher Taille und nirgends beengend, fällt lang und in faltenreicher Weite zum Boden herab. Nach der Beschreibung Vecellio’s hat es keine Aermel; diese be- stehen für sich, sind von weiter feiner Leinwand, an den Schul- tern befestigt, mehrfach umbunden und gleichen so ganz den auf- geschnittenen Aermeln mit heraustretendem Hemd. Aber die ge- fällige, einfache und leichte Anmuth verändert sich bei der Spanierin vielleicht noch früher als anderswo in’s Gegentheil, in enge Einpressung, faltenlose Steifheit und nonnenhafte Verhül- lung. Wir brauchen nur wenige Jahrzehnte weiter zu gehen, um die eigentliche sogenannte spanische Tracht in der vornehmen Frauenwelt schon auf ihrem Höhepunkte zu erblicken. Zu seiner Zeit — es ist das freilich schon gegen das Ende des Jahrhunderts — spricht Vecellio von der allerengsten Einschnürung der Brust und der Seiten, an welche die Spanierinnen sich von Kindheit an gewöhnen und die sie fortsetzen, so lange sie leben. Schon III. Die Neuzeit. geraume Zeit früher erscheint der Reifrock — zum ersten Mal in der Geschichte — als ein nothwendiges und unterscheiden- des Stück der vornehmen weiblichen Tracht. Es ist Therese Pansa, die Frau des neuen Statthalters, welche in ihrem Eifer, sich des neuen Standes würdig zu kleiden, uns das verräth. Als sie die glückliche Botschaft erhalten hat, sagt sie zum Geistlichen: „Herr Pfarrer, horcht mir doch aus, ob es hier nicht einen giebt, der nach Madrid geht oder nach Toledo, daß er mir einen runden Reifrock kauft, recht und gerecht, nach der Mode und so schön man ihn nur haben kann, denn, meiner Seel, ich will der Statt- halterschaft meines Mannes, soviel ich nur immer kann, Ehre machen.“ Dieser Reifrock spannte den Rock des unteren Kleides in faltenloser Weite wie eine Glocke aus und ahmte von der engen Taille an genau das geschweifte Profil derselben nach. Die Brust war vom Leibchen ganz verdeckt, und auch die Aermel schlossen eng an, waren jedoch an den Schultern gewöhnlich mit hohen Wülsten umlegt, die später wieder vergingen. Die De- colletirung war ganz verschwunden, und statt deren legte sich die breite Krause mit den großen und eingebrannten Falten um den Hals. Das Oberkleid, dessen Gebrauch in Spanien bei der Be- deutung des Mantels nicht unter allen Umständen ein nothwen- diger war, schloß sich dem Oberkörper eng an, um in keiner Weise Wuchs und Fülle, welche bei den Spanierinnen viel galt, zu verdecken. Da es aber bei der nunmehrigen Steifheit mit der Hand nicht in die Höhe genommen wurde, sodaß auf diese Weise das untere Kleid hätte sichtbar werden können, so wurde es von oben herab vom Kinn bis zum Fuß aufgeschnitten und erhielt eine Reihe nach Vermögen kostbarer Knöpfe von Gold, von Edel- steinen oder anderem Stoffe. Jedoch wurde es nur bis zum Gürtel geschlossen, und von hier öffnete es sich nach unten, sodaß das Unterkleid nun gleichfalls vorn sich zeigte. Beide Gewänder, verschieden an Stoff und Farbe, pflegten unten mit breitem Be- satz umzogen zu sein und waren bei besonderen Gelegenheiten mit Juwelen, Perlen und Geschmeide über und über bestickt. 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Die Aermel des Oberkleides mußten sich nach denen des unteren richten; hatte dieses schon die Schulterpuffen, so war jenes ärmellos, sonst konnte es ebenfalls mit anliegenden Aermeln und den Puffen versehen sein. Später wurde es auch in Spanien wie anderswo Sitte, die Oberärmel hängend von den Schultern in größerer oder geringerer Länge herabfallen zu lassen. An den Händen traten radförmig die gekrausten Manschetten heraus. Die Halskrause drängte im Nacken nach oben und trieb die Frisur in die Höhe. Wir haben gesehen, der Mann half sich, indem er das Haar kurz hielt; die Frau, welche seinem Beispiele nicht folgen konnte, sammelte oben die Haare in einer Netzhaube oder wußte sie in anderer, bald sehr mannigfacher Weise mit Nadeln auf dem Kopfe zu befestigen und setzte darüber einen Hut, der in seiner Form dem männlichen glich und sich mit Schnur und Feder verziert findet; oft ist er nur bloßer Schmuck, ein handgroßes Hütchen von Seide. Zur Kopftracht der Spanierin gehörte noch eigenthümlich der Schleier, welchen die Dame oben an der Haube oder im Haar befestigte und frei über den Rücken herab fallen ließ. Nur die Duennas, diese aus der spanischen schönen Literatur so bekannten strengen Damen, die sich nicht durch Jugend und Schönheit auszuzeichnen pflegten, trugen ihn verhüllend, weiß, gefaltet und so lang, daß sie von Kopf zu Fuß davon bedeckt und eingewickelt waren, „mehr ihres Amtes und Gebrauches halber, als ihrer Jahre wegen.“ Eine andre Eigenthümlichkeit, die den Kopf der würdigen Duenna kenntlich machte, war die Brille ; wenigstens scheint diese damals nicht mehr ganz neue Erfindung in Spanien sich nur selten in höhere Stände verirrt zu haben. Jener aber war sie gewissermaßen Amtszeichen wie der lange verhüllende Schleier nebst einer großen Menge von Röcken mit Schleppe und breiter Ausstopfung, daher sie Don Quichote die „weißschleirichten, brei- ten und bebrillten Duennas“ nennt. In der Form von Augen- gläsern oder Lorgnetten waren die Brillen unter der Regierung der Königin Elisabeth in England sehr modern; keine Dame ging aus, ohne ein solches pocket-looking-glass am Gürtel III. Die Neuzeit. oder in der Tasche mit sich zu führen, und die jungen Herren machten es ebenso. Zuweilen befand sich auch das Glas in die Mitte des Fäderfächers eingefügt. Der Mantel , den wir schon als ein charakteristisches Stück der männlichen Tracht kennen lernten, gehört auch der spanischen Frau in derselben Weise an. Vornehme Damen trugen ihn schon damals in der Kürze einer Mantille, bürgerliche länger und die ganze Figur verhüllend. Man nahm ihn über den Kopf und schloß ihn, da er sehr weit war, mit den Händen auf der Brust in solcher Weise, daß oft nur die Augen sichtbar blieben. Bis zu diesem Grade war es freilich vorzugsweise in den bürgerlichen Classen gebräuchlich, eine Sitte, welche ihre Entstehung wohl ebenso dem langen Verkehr mit den Sarazenen verdankt, wie sie dem spanischen Charakter des sechszehnten Jahrhunderts ent- spricht. Die Farbe war damals wie heute die schwarze oder wenigstens eine dunkle. Nur der Frömmigkeit oder dem Eifer, sich in den Augen der Inquisition rechtgläubig zu zeigen, verdankt eine andere Eigen- thümlichkeit spanischer Damen ihre Entstehung. Wie sie nämlich am Gürtel sich mit Reliquien behängten, so legten sie um die Hüften den Strick irgend eines geistlichen Ordens aus schwarzer, brauner oder weißer Wolle gefertigt. So entsprach er ganz der vorgeschriebenen Regel, doch scheint er dieselbe bald aufgegeben zu haben und dann an Stelle des Gürtels zum bloßen Schmuck geworden zu sein, worüber denn die fromme Bedeutung verloren gehen mochte. Wir finden nämlich in der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts bei deutschen wie französischen und italienischen Frauen den Gürtel in Gestalt eines gedrehten Strickes, der auch in der Art, wie er umgelegt ist, dem Ordens- strick entspricht, nur daß die Knoten durch edlen Schmuck ersetzt sind. Hans Weigels Trachtenbuch giebt der Beispiele mehrere. Wie die Zeit der Reaction zu widersinnigen Uebertreibungen sich hinneigt, zeigt besonders eine Art der Fußbekleidung , welche in Spanien und Italien am gebräuchlichsten war, doch auch anderswo nicht ohne Beispiel blieb. Es sind dies hohe 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Unterschuhe oder vielmehr Pantoffeln, welche ihrem Ursprunge nach wohl nur eine Umwandlung der uns aus dem funfzehnten Jahrhundert bekannten sein mögen, da die Beschaffenheit des Bodens ihrer vielleicht nicht überall entbehren ließ. Allein da- mit ist die außerordentliche Höhe, welche diese Fußgestelle von Kork und Holz erreichten, nicht erklärt. Sie war sehr verschieden und richtete sich auch nach der Größe ihrer Trägerinnen. Ganz kleine Damen trugen sie, wenn wir den Erzählungen Glauben schenken wollen, bis zu einer Höhe von zwei bis drei Fuß; die eines halben Fußes war nichts seltenes. Begünstigt wurde diese Tracht durch die langen Kleider, welche ausgespannt den Boden rings erreichten, sodaß weder die wirkliche Größe der Dame noch die Höhe ihrer Schuhe genau beurtheilt werden konnte. In niedern Ständen jedoch wurden sie sichtbar getragen, wie wir das in den Trachtenbüchern bei italienischen und spanischen Frauen sehen. Ueberhaupt war die Sitte diesen mehr eigen wie der vor- nehmen Welt, in welcher sie weder zu der Größe und Allgemein- heit noch zu einer gleich langen Dauer gekommen zu sein scheint; und vorzugsweise dienten sie wohl zum nothwendigen Gebrauch auf der Straße, da Senften oder gar Kutschen erst in dieser Zeit aufkamen. Obwohl der Gang mit ihnen sehr beschwerlich war, sodaß eine Dame sich auf zwei Dienerinnen oder zwei Knaben stützte oder die Hülfe zweier begleitenden galanten Herren in An- spruch nahm, welche sie unter die Achsel faßten, so wird doch grade von den spanischen Damen dieser Zeit versichert, sie hätten sich durch einen so leichten und graziosen Gang ausgezeichnet, daß selbst Französinnen ihn in hundert Jahren nicht erlernt hät- ten — ein Zeichen, daß sie sich der hohen Schuhe nur in Aus- nahmsfällen bedienten. In Vecellio’s Trachtenbuch tragen sehr viele der italienischen Damen hölzerne Pantoffel, aber sie sind kaum wenige Zoll hoch, zierlich und elegant geschnitten und mit Schmuck versehen; in ihnen ruhen feinere Schuhe ohne Ab- sätze. Nur Bürgerinnen einzelner Gegenden und die öffentlichen Frauen tragen sie höher, letztere nach der Angabe Vecellio’s von mehr als ein viertel Elle; die Füße lassen sie sehen. So heißt Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 7 III. Die Neuzeit. auch die Unterschrift einer ähnlichen Frau aus Venedig in einem alten deutschen Trachtenbuch: „Ein Venedisch Cortisan Hat unter dem Gewand Hosen an, Hoch Pantoffel, seltsam zugricht, Eine große Zahl man deren sicht.“ Wenn sie sichtbar werden, zeigen sie sich gewöhnlich reich verziert, mit Sammet oder Goldstoff beschlagen, mit Franzen herum oder mit Metallbeschlag in mannigfachen Mustern. Das obere Leder, welches die Füße hält, ist oft nur durch einen Riemen ersetzt. In Deutschland hat die Mode in dieser Zeit, da sie nicht mit den späteren Steckelschuhen zu verwechseln ist, keine Rolle gespielt, wenn auch wie früher wieder verzierte Pantoffeln zuweilen getra- gen werden; die sittenrichtenden Prediger, die des Luxus der feinen Fußbekleidung zum öftern gedenken, hätten gewiß nicht verfehlt, einen so willkommenen Gegenstand nach Gebühr zu würdigen. Ganz dem Gange gemäß, wie die Dinge in Spanien sich consolidirten und der Fortschritt in der Geschichte seit der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts aufhörte, setzte sich auch das Co- stüm fest, nachdem es einmal von dem Umschwung im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts zur vollen Ausbildung gelangt war. Noch bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts finden wir in der vornehmen Welt Spaniens im wesentlichen dieselbe Tracht, nachdem sich in England, Frankreich und Deutschland bereits eine andere Costümperiode auf ihre Höhe geschwungen hatte und theilweise schon wieder im Untergange begriffen war; diese ging mit der ganzen naturalistischen Richtung des dreißigjährigen Kriegs fast spurlos an Spanien vorüber. Der spanische Con- servatismus im Costüm erregte in hohem Grade die Aufmerk- samkeit der übrigen modischen Welt, während dem Franzosen schon die Proteusnatur zugeschrieben ward, der Deutsche aber als der Nachahmer galt. In Paris fand darum allgemeines Be- dauern statt, als die schöne Prinzessin Elisabeth als Gemahlin Philipps II. an den traurigen und strengen Hof von Madrid 2. Die Reaction und die spanische Tracht. ging. Bis dahin war sie mit ihrer Schwester Margaretha für Frankreich die Herrscherin im Reich der Moden gewesen, nun- mehr konnte sie Putz und Kleidung nicht erfinderisch in derselben Weise verändern. Sie entschädigte sich dafür, wie erzählt wird, durch beständigen Wechsel der Kleider: keines trug sie zweimal, und doch waren sie so kostbar, daß das wohlfeilste wenigstens drei- bis vierhundert Thaler kostete. Philipp war sehr streng in diesen Dingen und hatte besondere Vorschriften darüber gegeben. Als im Jahr 1565 die Zusammenkunft der Königin Elisabeth mit ihrer Mutter in Bayonne stattfinden sollte, that Philipp sei- ner Gemahlin zu wissen, sie möge für ihre Person alles anord- nen, wie es ihr gefalle, aber nicht erlauben, daß ihre Damen sich im Widerspruch mit der Pragmatica neue Kleider machen ließen; die, welche sie besäßen, wären reich und schön genug und sollten noch neun Monat lang getragen werden; ebenso sollten alle Her- ren ihrer Begleitung jenem Gesetze gemäß gekleidet sein und keine goldenen oder silbernen Zierrathen tragen; er hoffe, man werde in Frankreich nach derselben Ansicht verfahren, damit eine Zusammenkunft, welche lediglich Vergnügen bezwecke, nicht Ver- anlassung zu übermäßigen Ausgaben werde.“ Die spanische Kleidung der vornehmen Stände, wie wir sie bisher geschildert haben, wurde im Wesentlichen die Tracht aller höheren Classen und großentheils auch der bürgerlichen in der ganzen abendländischen Welt. Die Ursache lag nicht bloß in dem überwiegenden Einflusse und Ansehn Spaniens und der ausge- dehnten verwandtschaftlichen Verbindungen des Hauses Habs- burg. Es ist ebenso der ähnliche, wenn auch nicht gleiche Gang der Geschichte in den einzelnen Ländern zu berücksichtigen, wel- cher ähnliche Formen in der Kleidung erzeugte oder die Völker geneigt machte, die ihnen entsprechenden aus der Fremde ohne Widerstand anzunehmen. So finden wir in allen Trachtenbü- chern ziemlich das gleiche Bild wieder. Wenn dennoch von nationalen Unterschieden öfter geredet wird, so liegen diese mehr in dem größeren oder geringeren Maße der herrschenden Moden, in Uebertreibung oder Mäßigung, mehr in der beschränkten Will- 7* III. Die Neuzeit. kür des Individuums, die sich freilich auch zu nationaler Allge- meinheit steigern konnte, mehr in der besondern Anwendung des Details begründet, als daß sich wesentliche und charakteristische Verschiedenheiten hervorgethan hätten. Am weitesten entfernte sich von der spanischen Tracht die italienische , wozu ohne Zweifel die immer noch blühende Kunst beitrug, wenn sie auch ihre Höhe hinter sich hatte und vielfach dem Manierismus anheimfiel, sowie nicht minder das volle, im freudigen Genuß des Daseins sich ergehende Leben, welches, von Poesie und Kunst verherrlicht, in den Republiken wie an den feinen und geistreichen Höfen in großartigem Stil geführt wurde. Es sind davon freilich die spanischen Besitzungen auszunehmen, Neapel und das Mailändische, wo die strengeren spanischen Formen die herrschenden wurden. Im übrigen, nament- lich in Rom, Florenz und Venedig, herrschte mehr Maß und mehr Freiheit, und die Italiener werfen den Spaniern und den Franzosen insbesondere ihre Uebertreibungen und ihren Mangel an Geschmack vor. „Ihre Kleidung sei reich“, sagten sie, „aber ungeschickt; sie trügen die Reifröcke in einem unsinnigen Um- fange, der nicht mehr im Verhältniß zu dem schmalen Leibe stehe; mit Schmuck, Diamanten und Perlen überlüden sie Arme, Schultern und Kopf ohne Ordnung und Geschmack, wogegen die Italienerinnen durch geschickte Vertheilung mit wenigerem einen doppelten Eindruck machten; die vielen reichen und äußerst sorg- fältigen Stickereien litten ebenfalls an den oben erwähnten Feh- lern: die Zeichnung wäre mangelhaft und alles so kleinlich, überhäuft und verwirrt, daß sich nichts deutlich absetzte und man den Grund des Gewandes nicht unterscheiden könnte; in Italien würde nicht so sorgfältig gearbeitet, aber mit halben Kosten ein viel größerer Glanz und Schein bewirkt.“ Die Italienerinnen verschmähten die übertriebene Einengung sowie die straffe Ausspannung des Kleides in der starren, falten- losen Weite der Spanierin und Französin; sie schnürten sich nicht mehr, als sie zur Hebung ihrer Fülle nöthig hielten, und dulde- ten am Rock, dem sie auch gern eine mäßige Schleppe gestatte- 2. Die Reaction und die spanische Tracht. ten, einen ziemlichen Faltenwurf, sodaß wir sie noch häufig nach der alten graziosen Sitte das Oberkleid mit der linken Hand ein wenig emporheben sehen. Die Puffen an der Schulter wiesen sie nicht zurück, aber sie bedienten sich ihrer mehr wie einer leich- ten, gefälligen Zierde, denn zur Verunstaltung der Körperformen. Am meisten unterschied sich wohl die Toilette des Kopfes und des Halses, und hierin mögen die Italienerinnen für die spätere, auf die spanische folgende Mode den Weg angegeben haben. In Mailand zwar und auch wohl anderswo finden wir noch ums Jahr 1600 die große Krause in ausgedehntester Gestalt und da- mit eine enge Verhüllung von Hals, Schultern und Brust, aber in Venedig, Florenz, Rom, Pisa, Ferrara und andern Städten gehen die Damen der vornehmen wie der bürgerlichen Classen gewöhnlich halb decolletirt, mit offener Brust und verdeckten Schultern. Hiernach richtet sich die Form des Kragens, welcher stets dem Ausschnitt des Kleides folgt, sei es, daß er der Krause gleich in runde Falten ringsum eingebrannt ist, oder flach ge- steift und mit Spitzen rings umsäumt, von Schultern und Nacken sich emporrichtet und so bei einer Betrachtung en face gewisser- maßen die Folie des Kopfes bildet. Während sich diese Mode in Italien schon gegen das Jahr 1580 ausgebildet hat, werden wir sie in Deutschland, das bis dahin unter der Herrschaft der spanischen Krause schmachtete, erst zwanzig Jahre später wieder- finden. Den Hals trugen somit die Italienerinnen frei. Aber auch vom Haar verbannten sie zuerst alle Hüte, Hauben oder Mützen, begnügten sich mit der bloßen Frisur und schmückten sie mit kost- baren Nadeln, Perlen und Geschmeide. Nur den Schleier füg- ten sie daran und ließen ihn wallend über den Rücken oft bis auf den Boden herabreichen oder verhüllten sich zur Hälfte da- mit. In der Art das Haar zu frisiren herrschte große Willkür, und der individuelle Geschmack der Damen fand hinlängliche Gelegenheit sich zu bethätigen; doch haben alle Frisuren das Gemeinsame, daß das Haar von Schläfen und Stirn aufwärts gestrichen, und mit Nadeln gehalten oder hinten am Scheitel in III. Die Neuzeit. ein Nest oder einen Knoten gesammelt ist, sodaß auch der Nacken vollkommen frei bleibt. Einzelne bestimmte Formen kehren öfter wieder. Darunter ist besonders eine auffallend, bei welcher sich über der Stirn zu beiden Seiten des Scheitels zwei stattliche, sehr künstlich aufgebaute Lockenhörner erheben, womit die Da- men, wie Vecellio sagt, die Göttin der Keuschheit nachahmen wollen, welche die Kunst als Luna mit dem Halbmond über der Stirn darstellt. Auch in Deutschland fand diese Frisur viele Liebhaberinnen, ohne daß dieselben den poetischen Hintergedan- ken dabei hatten. Die größte Mühe um das Haar gaben sich die Venetia- nerinnen, welche nach der Versicherung ihres Landsmannes Ve- cellio von allen Italienerinnen am meisten die natürliche Schön- heit durch die Kunst zu verbessern beflissen waren. Wie wir das schon im Mittelalter gesehen haben, so war noch mehr in dieser Zeit das blonde Haar von ihnen aufs höchste geschätzt, und um es künstlich herzustellen, unterzogen sie sich einem sehr lästigen Verfahren, bei welchem sie sich selbst bedienen mußten. Nicht grade seltne Bilder geben uns davon die deutlichste Anschauung. Die venetianischen Häuser pflegten auf dem Dache eine offene hölzerne Altane zu haben. Auf diese setzten sich die Damen, ge- hüllt in ein hemdartig weites, langes Gewand von weißer Seide oder der feinsten Leinwand und bedeckt mit dem außerordentlich breiten Rande eines Strohhutes ohne Boden oder Kopf, über welchen die aus der Oeffnung herausgezogenen Haare ausge- breitet waren. So vorbereitet, nahmen sie einen Schwamm, der an der Spitze eines Stäbchens befestigt war, tauchten ihn in ein nebenstehendes künstliches Wasser, welches man kaufen konnte oder sich selbst im Hause bereitete, und wuschen mit demselben die vor der Sonne auseinander gelegten Haare. So saßen sie den ganzen Tag, Tage lang, von der Sonne beschienen, je heißer desto besser, bis unter dieser Procedur das Haar blond wurde. Der breite Hut schützte Gesicht, Nacken und Schultern vor dem Verderbniß des Teints. Die Tracht der italienischen Männer wich weniger ab von 2. Die Reaction und die spanische Tracht. der spanischen Hauptform, nur mäßigten sie mit mehr Geschmack die Ausartung. Sie trugen, wenn sie elegant gingen, den sei- denen Hut und die Krause und hatten das Beinkleid ohne die Trennung am Knie ganz nach spanischer Weise, doch die Wülste um Hüften und Oberschenkel in bedeutend geringerer Dicke. An den Schultern trugen sie die Puffen nicht und ermäßigten die Ausstopfung. Die Franzosen gelten in dieser Zeit noch durchaus als Nachahmer, was Brantome selbst, der Lobredner seiner Lands- leute, zugiebt, indem er eingesteht, sie hätten die Erfindungen der Spanier nachgeahmt. Und zwar waren sie keineswegs glück- lich darin, noch bewiesen sie einen ausnehmend feinen Geschmack, sodaß die oben angeführten Vorwürfe des Italieners völlig be- gründet sind. Nicht nur überluden sie sich in ganz unerhörter Weise mit Schmuck, sondern trieben noch die Auswüchse der spanischen Tracht ins Extrem. Erst gegen das Ende des sechs- zehnten Jahrhunderts machen sie sich in ihrer veränderlichen Weise von ihrem Vorbild los, seitdem dasselbe in seiner einmal vollendeten Tracht unwandelbar erstarrte, und neigen mehr den italienischen Moden zu oder stellen sich auf eigne Füße. Von großem Verdienst für Frankreich waren in dieser Beziehung die beiden schönen Schwestern Elisabeth, die spätere Königin von Spanien, Philipps II. Gemahlin, und Margaretha von Na- varra, die Gemahlin Heinrichs IV. , welche sich nach Kräften be- strebten, erfinderisch zu sein, obwohl es ihnen zunächst nicht wei- ter gelang, als die spanische Weise fortzuführen und das Detail zu ändern; selbständig verfuhren sie zuerst im Kopfputz, nachdem die französischen Damen lange genug unter dem spanischen Hut sich befunden hatten. Brantome ist der größte Bewunderer der schönen Margaretha und weiß ihre Erfindungsgabe in der Toi- lette nicht genug zu rühmen. „Unsere schöne Königin“, sagt er, „mochte einen Hut oder eine Haube aufsetzen, oder einen großen Schleier anlegen, so wußte man immer nicht, in welchem Kopf- putz sie am schönsten war. Sie verschönerte alles, was sie an- legte, durch irgend eine neue Erfindung, und wenn andere Da- III. Die Neuzeit. men dasselbe nachmachten, so stand es ihnen lange nicht so gut, wie ich tausendmal wahrgenommen habe. Ich sah die schöne Königin während der ersten Versammlung der Stände zu Blois an eben dem Tage, an welchem ihr Bruder, der König, seine erste Rede hielt. Sie trug damals ein schwarzes Kleid mit orange- farbenen Streifen und Blumen und ihren großen majestätischen Schleier. Sie machte auf alle Anwesenden einen solchen Ein- druck, daß ich von mehr als dreihundert Personen hörte: sie seien in die Betrachtung der göttlichen Schönheit der Königin so ver- loren gewesen, daß sie auf die treffliche Rede des Königs nicht genug hätten achten können.“ An dem feinen Franzosen dieser Zeit bis gegen das Jahr 1600 ist nichts Originelles: mit dem gesteiften seidenen Hut, mit kurzem Haar und Bart und der breiten Krause, mit dem gestepp- ten und gepufften Wamms, dessen lange Taille und Gänsebauch er ins Uebermaß steigert, mit dem langen straffen Beinkleid, den Polstern um die Hüften und den zierlichen geschlitzten Schuhen gleicht er dem Spanier, dem Italiener, dem Engländer und dem Deutschen, soweit dieser der fremden Tracht folgt. Um die Schul- tern hat er ebenfalls das seidene Mäntelchen gelegt, und an der Seite hängt ihm der Stoßdegen. An mächtiger Ausladung der Polster des Beinkleides stand er niemand nach, eben so wenig an der Breite des Kragens wie an der Länge des Degens, sodaß man damals in Frankreich sagte, der Ruf eines jungen Cava- liers bestände in dem Umfang seiner Halskrause und in der Länge seines Degens. Nur was den Bart betrifft, so übertraf er darin an Zierlichkeit und Pflege den Spanier sowohl wie die andern Nationen. Doch geschah es erst unter Heinrich IV. , daß er den Backen- und Kinnbart ganz wegließ und um so größere Sorgfalt dem Ueberrest auf der Oberlippe und unter der Unterlippe, dem sogenannten Henri quatre zuwandte. Damals schrieb ein fran- zösischer Schriftsteller: „Ich hege die größte Achtung für diesen jungen Menschen, der sehr bemüht ist um einen schönen Schnurr- bart und die Zeit als wohlgenutzt betrachtet, welche er darauf verwendet, ihn aufzurichten; jemehr er ihn betrachtet, um so 2. Die Reaction und die spanische Tracht. mehr bereitet sich seine Seele zu männlichen und heroischen Hand- lungen vor.“ Heinrich III. , der eitelste und weibischste der französischen Könige, folgte noch ganz der spanischen Weise, wie er denn auch die steife Etiquette dieses Hofes der französischen Lebhaftigkeit aufzudrängen suchte. Mit statuenartiger Unbeweglichkeit, indem er weder Kopf noch Hände noch Füße regte, glaubte er bei feier- lichen Gelegenheiten die Ehrfurcht der königlichen Majestät be- haupten zu müssen. Im Uebrigen war sein Putz wie seine Be- schäftigung durchaus weibischer Natur: sich selbst und die Köni- gin zu frisiren, ihrer beider Kragen gehörig zu stärken und in Falten zu legen, war seine liebste Arbeit, sodaß er an seinem Vermählungstage selbst die Messe darüber versäumte. Bei Bäl- len und andern Hoffesten kleidete er sich gar weiblich als Ama- zone mit offener Brust und Perlhalsbändern, wie er andrerseits den Damen seines Hofes männliche Kleidung anbefahl und sich also von ihnen bedienen ließ. An seinem Halse lagen drei Schei- benkragen von feinster Leinwand über einander und über diesen noch eine doppelte Krause. Heinrich IV. liebte fast nicht weniger den Putz an sich selbst wie an den Angehörigen seines Hofes; unter ihm aber traten die spanischen Moden wieder zurück, und es zeigten sich die Anfänge einer neuen Zeit, die sich mit dem Sturz der großen Krause ankündigte. Auch das Beinkleid näherte sich damals mehr einer naturgemäßen Form, indem die Aus- stopfung sich bis zum Knie herab verjüngte. Mit dieser Verän- derung hängt die Aufnahme des seidenen Strumpfes zusammen. Die französischen Damen waren es, welche vor allen den Reifrock übertrieben, sodaß sie nicht nur den fremden Tadel, sondern auch die einheimische Satire wachriefen. Uebrigens gaben ihnen, wie wir sehen werden, selbst deutsche Bürgerfrauen wenig nach. Beide Geschlechter hatten sich demnach, was die Ausladung der Hüften betrifft, nichts vorzuwerfen. Dadurch unterschied sich der Reifrock des sechszehnten Jahrhunderts von dem des achtzehnten und der heutigen Crinoline, daß jener fast durchaus ohne Falten über sein Untergestell ausgespannt war, III. Die Neuzeit. starrend von Seide oder Brokat. Der Reifrock selbst bestand aus Draht, Fischbein oder Eisenreifen, und die Dame, welche ihn trug, glich einer Handglocke oder einem umgestürzten Pokale. Letzteres Gleichniß ist in der That praktisch benutzt worden, und es sind noch heutigen Tages Pokale des sechszehnten Jahrhun- derts vorhanden, welche umgestürzt eine Reifrockdame in der Tracht dieser Zeit darstellen. Zuweilen wurde auch nur ein aus- gestopftes Kissen um die Hüften gelegt. Es erzählte sich die bos- hafte Welt von der Königin Margaretha, daß sie ein derartiges Kissen, in welchem sich große Taschen befanden, um die Hüften getragen habe. In jeder Tasche habe eine Schachtel gesteckt mit dem Herzen eines ihrer ermordeten Liebhaber. Denn sie sorgte stets dafür, daß ihre Herzen nach dem Tode einbalsamirt wur- den. Davon wurde die Königin nun täglich dicker und ließ deß- halb ihre Röcke immer weiter machen und ebenso die Aermel, und um ihre Taille dünner erscheinen zu lassen, befahl sie, daß man dünnes Eisenblech in die Röcke nähe. Es heißt, es habe wenig Thüren gegeben, durch welche sie eingehen konnte. Man nannte die Reifröcke damals vertugalles, vertugades und ver- tugadins, d. i. vertus galles, vertuguardiens. Was die Tracht an Hals und Brust betrifft, so folgten auch hier die Französinnen der verhüllenden und verunstaltenden Mode der Spanierinnen. Aber schon Margaretha von Navarra machte sich davon los und ahmte die freiere Weise italienischer Damen nach, indem sie sich decolletirte und den Kragen mit dem Aus- schnitt des Kleides verband. So sind die Worte Brantome’s über sie näher zu erklären: „Sie mochte aber die Form der Klei- der und des Putzes ändern, so oft sie wollte, so bedeckte sie nie ihren schönen Hals und ihren schönen Busen, dessen Anblick sie der Welt nicht zu entziehen wagte.“ Anfangs fand die neue Sitte viel Widerspruch, wurde aber doch schon unter der Regie- rung Heinrichs IV. in Frankreich sehr allgemein. Auch in Bezug auf den Kopfputz verfuhr die Königin Margaretha möglichst will- kürlich, soweit es der allgemein herrschende Charakter erlaubte: bald trug sie einen kleinen Hut nach spanischer Weise, bald eine 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Haube, die aber das über den Schläfen emporgerichtete Haar un- bedeckt ließ, bald frisirte sie ihr natürliches schwarzes Haar in sehr mannigfaltiger Art, immer jedoch so, daß es von Stirn und Nacken sich aufrichtete; zuweilen auch trug sie eine niedliche Per- rücke, d. h. einen kleinen Haaraufsatz. Auch des Schleiers wußte sie sich in verschiedener Art vortheilhaft zu bedienen. Hüte und Hauben, von denen die ersteren spanisch geformt waren, wurden auch mit Federn geschmückt. Die Erste, welche es wagte, der französischen Sitte entgegen die Federn so anzubringen, daß sie gegen oder über die Stirn hereinwankten, war wieder die Köni- gin Margaretha. Man nannte diese Weise adoniser. Dem Könige aber gefiel sie gar nicht, und als eine Hofdame Marga- rethens Beispiel folgte, ließ er sie wissen, daß er ihr das nächste Mal, wenn sie wieder so erscheine, eine deutsche Flöte reichen lasse. Das sollte eine Anspielung auf flandrische Flötenspielerin- nen sein, die sich so trugen. Allein dessenungeachtet fuhren die Damen dennoch fort sich zu adonisiren. Es gab auch Weisen, die Federn aufzustecken, welche man à la Guelfe und à la Gibel- line nannte. Unter Heinrich IV. wurde noch vorzugsweise bei den Damen eine Sitte gebräuchlich, welche wohl ihren Ursprung aus Italien herzuleiten hat, die Sitte des Maskentragens. Wenn wir von den Carnevalsfesten absehen, so bediente man sich ihrer zuerst auf Reisen, um den Teint vor Luft und Sonne zu schützen. Hein- rich IV. kam die Maske auch bei seinen verliebten Abenteuern wohl zu statten. Man trug sie bei jedem Besuche, oder wo vor- nehme Herren und Damen sonst öffentlich oder selbst in Gesell- schaft sich zeigten. Heinrich IV. erschien mit derselben auch im geheimen Rath, wo sie ihm nur seine geliebte Gabriele d’Etr é es, die überall ihm folgte, abnahm, um ihn küssen zu können. Nur die Königin Margaretha emancipirte sich von der Sitte. Bran- tome erzählt, daß sie nur selten eine Maske getragen habe; mit entblößtem Gesicht sei sie einst selbst in der Prozession zu Blois gegangen. In Deutschland wollte die Maske keinen Boden fin- den, obwohl Anspielungen vorkommen; in England dagegen III. Die Neuzeit. war sie wenigstens in dem Maße gebräuchlich, daß sie die Auf- merksamkeit eines Satirikers erregte. „Wenn sie ausreiten“, sagt er von seinen Landsmänninnen, „haben sie Masken oder Larven von Sammet, mit Löchern vor den Augen, aus denen sie herausschauen, sodaß ein Mann, wenn er ihre Gestalt nicht ken- nen würde, denken möchte, er begegne einem Ungeheuer oder Teufel.“ In England fällt die Herrschaft der spanischen Tracht mit der Regierung der Königin Elisabeth (1558—1603) zusammen, nachdem die Verbindung ihrer Vorgängerin Maria mit Philipp II. jedenfalls Vorschub geleistet hatte. Es giebt Bilder der Eli- sabeth aus ihrer Jugendzeit, auf welchen sie wenigstens halb de- colletirt ist, wie sie auch in späterem Alter als jungfräuliche Kö- nigin wieder that; im Allgemeinen aber können sich die Englän- der ihre „gute Königin Bess“ nicht ohne eine ungeheure Rad- krause denken. Sie war sehr eitel und hielt daher wie auf die ausgesuchteste Etiquette und sublimste Artigkeit ihrer stets ver- liebten Unterthanen, so auch auf eine gewählte und kostbare Toi- lette. Bei ihrem Tode belief sich ihr Kleidervorrath auf 3000 Stück. Als sie einst dem französischen Gesandten Marschall Bi- ron Audienz gab, trug sie ein Kleid, an welchem nicht weniger als hundert Personen drei Wochen lang gearbeitet hatten. Die Aechtheit ihres rothblonden Haares wurde vielen Zweifeln unter- zogen, indessen wissen wir, daß es eben in jener Zeit Mode war bei den erhöhten Frisuren fremde Haare einzuflechten, ohne daß man grade aus der Unächtheit einen Vorwurf machte. Die Engländer und Engländerinnen erfreuten sich damals in Anbetracht ihres Aeußeren eines guten Rufes in der Welt; es hieß von ihnen, sie gingen stolz und prächtig und zeigten ihren Reichthum, obwohl sie von Uebertreibungen nicht freizusprechen sind und keinerlei Erfindungsgabe in dieser Zeit bewähren. Ein Florentiner, also gewiß ein competenter, wenigstens unparteii- scher Richter, urtheilt von ihnen also: „Die Frauen stehen in Hinsicht auf Schönheit, Anmuth, Kleidung und gute Sitten den Sieneserinnen oder den geachtetsten Italiens nicht nach. Männer 2. Die Reaction und die spanische Tracht. und Frauen haben eine weiße Haut; um diese natürliche Farbe zu erhalten oder zu erhöhen, lassen sich die letzteren jährlich zwei bis drei Mal zur Ader, statt sich wie die Italienerinnen zu schmin- ken.“ Also grade noch wie im Mittelalter. Die Kleidung hat wenig Auszeichnendes noch in der Form Unterscheidendes, nur wird die Kostbarkeit der Stoffe vielleicht noch höher als anderswo getrieben. Ein englischer Gewährs- mann berichtet es als etwas gewöhnliches, daß tausend Eichen- stämme und hundert Ochsen zur Herstellung eines Anzugs dar- aufgingen, und daß ein Modenarr ein ganzes Landgut an seinem Leibe trug. Wamms und Beinkleid stopften sie mit Werg und Haaren fleißig aus, und besonders scheinen sie für die Pumphose im ausgedehntesten Maße Vorliebe gehabt zu haben; es wird sogar berichtet, daß die Sitze im Parlament deßhalb erweitert werden mußten. Nach anderer Nachricht ist noch für diejenigen, welche sich ganz besonders in dieser Mode ausgezeichnet haben, eine besondere Bank auf einem erhöhten Gerüst an der Wand angebracht worden, wovon man noch später in den vorhandenen Löchern die Spuren sah, als nach dem Ausgange dieser Mode das Gerüst wieder hinweggenommen worden. Den Schnurrbart und Kinnbart liebten die englischen Herren stattlich nach spani- scher Art. Die Damen trugen die Kleider grade nicht in übermäßiger Weite über den Reifrock ausgespannt, doch im Anfang der Re- girung der Elisabeth sehr hohe Puffen um die Schultern. Auf einen gut gestärkten, großen krausen Kragen hielten sie sehr viel. Im zweiten Jahr der Regirung dieser Königin begann man die Kragen von feinem Kammertuch zu machen, statt wie bisher von holländischer Leinwand. Nun war aber große Verlegenheit, da niemand in England den neuen Stoff stärken oder steifen konnte. Die Königin schickte deßhalb um einige holländische Frauen und machte die Frau ihres Kutschers Guillan zu ihrer ersten Stärke- rin. Dann kam im Jahre 1564 die Frau Dingham van der Plasse, eine Flamländerin, mit ihrem Mann nach London her- über und übte dort öffentlich die Profession einer Kragenstärkerin III. Die Neuzeit. aus. Mit großer Freude und Ermuthigung wurde sie vom Adel und der Gentry des Landes aufgenommen, und sie war auch die erste, welche öffentlich die Kunst des Stärkens lehrte. Ihr Lehr- geld betrug vier oder fünf Pfund für jede Schülerin und zwan- zig Schilling außerdem für die Mittheilung, wie die Stärke zu sieden oder zu machen sei. Die Stärke bestand meist aus feinem Weizenmehl, das man in seiner natürlichen Farbe ließ oder blau, roth, purpur u. s. w. färbte. Eine Mrs. Turner brachte eine von ihr erfundene gelbe Stärke in Mode, aber dieselbe fiel wie- der, als diese Dame, bei einem Morde betheiligt, in einem gro- ßen Steifkragen von ihrer eigenen Erfindung zu Tyburn hinge- richtet wurde. Da der Stoff der Krause immer feiner wurde, „so fein, daß der gröbste Faden darin nicht so dick ist wie das feinste Haar“, und an Umfang fortwährend gewann, da zugleich die verschiedenen Schichten sich in drei, vier Reihen übereinander lagerten und oft fast nur aus Spitzen bestanden und zudem mit Gold beschwert wurden, so reichte die Stärke allein nicht mehr aus, denn der Kragen durfte nicht auf die Schultern fallen, son- dern mußte steif hinausstehen. Er wurde in Folge dessen durch einen über ein Drahtgestell ausgespannten, mit Spitzen besetzten Scheibenkragen unterstützt. Das gab bald Veranlassung zu einer großen Umänderung, indem nach dem Mißkredit der spanischen Moden dieser Unterkragen die neue Form herlieh. Um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts trugen die englischen Frauen Hüte und Hauben, aber mit dem Unterschied, daß jene, in männlicher Form nach spanischer Weise, den adligen Damen zukamen, diese aber, aus Pelz oder von weißem Tuche gemacht, als veränderte Ueberreste vergangener Moden die Bür- gerfrauen kenntlich machten. Es war also bereits ein starker Rückschlag erfolgt, denn den Anfang des Jahrhunderts und die Wiedergeburt der neuen Zeit hatten die englischen Damen mehr noch als die deutschen mit langem, über die Schultern und den Rücken herabfließendem Haar begrüßt. Mit dem Wachsen der Krause verloren alle Kopfbedeckungen ihren Werth, und wenn Hüte und Hauben noch erwähnt werden, so waren sie — den 2. Die Reaction und die spanische Tracht. ehrbaren Bürgerstand ausgenommen — nur ein Schmuck, der das Haar nicht verdeckte. Die Coiffüre baute sich nach oben, unterstützt durch „Gabeln von Draht,“ „geschmückt mit großen, wundersam gearbeiteten Gewinden von Gold und Silber, mit Hörnern, Goldreifen, Diademen, Glas u. a.; obenauf stand ein zierliches Hütchen oder Häubchen von Sammet, von Gold- und Silberstoff, ein durchscheinendes Netzhäubchen, ein Drahtkäpp- chen mit drei Ecken oder Hörnern, „den Bischofsmützen ähnlich.“ Immer blieb das Haar sichtbar, das an Stirn und Schläfen hin- aufgekräuselt war. Sandblond war die Lieblingsfarbe, welche in England nicht selten ist, bei etwaigem Mangel aber durch Färbung oder falsches Haar hergestellt wurde. Darauf beziehen sich die Verse Shakespeare’s: The golden tresses of the dead, The right of sepulture, were shorn away, To live a second live on second head, And beautys dead fleece made another gay. Wir könnten so die Herrschaft der spanischen Mode noch weiter durch die Länder verfolgen, in den skandinavischen Norden hinauf und ostwärts bis nach Rußland und Siebenbürgen hin- ein, wohin auf den Wegen der Civilisation und des Handels auch die ausgestopften Puffen und die große Krause drangen. Wir kehren aber nach Deutschland zurück, wo sich die Verhält- nisse wesentlich anders gestalteten wie in den romanischen Län- dern. Denn in den letzteren lenkte die Bewegung und mit ihr auch die Kleidung von selbst in ein gleiches Bett ein, sodaß gegen die in Spanien schneller zur Reife gediehenen Formen kein Wider- stand aufkommen konnte, während in Deutschland der Strom über seine Ufer getreten war und aller Schranken gespottet hatte. Dadurch war es möglich geworden, daß sich in Deutschland eine eigenthümliche Tracht herausgebildet hatte, welche sich durch charakteristische Merkmale von der fremden wesentlich unterschied. Die spanischen Moden fanden somit einen Gegner vor, der im Besitze des Feldes ihnen dasselbe streitig machte. Auf das Detail III. Die Neuzeit. der Kleidung angewandt, läßt sich dieser Kampf zurückführen auf den der Freiheit, Weite und Fülle gegen Enge und Be- schränkung: die Aufschlitzung und der ausgebauschte, luftig pludrige Stoff sahen sich den mit Werg und Pferdehaaren aus- gestopften Puffen und Polstern gegenüber, die Schaube stand dem Mantel entgegen, das Federbarett dem spanischen Hut und der Faltenwurf dem Reifrock. Vieles war es, was den fremden Formen den Boden be- reitete und wirksame Hülfe leistete. Einmal war die reforma- torische Bewegung überhaupt auf dem Rückzuge begriffen, sodaß sich der Widerstand schwächte und die deutschen Formen sich von selbst den spanischen annäherten. Sodann wurde ihnen durch das habsburgische Herrscherhaus und die enge Verbindung des- selben mit Spanien die Brücke zum Uebergang nach Deutschland gebaut. Bald waren sie in Besitz des kaiserlichen Hofes, nach diesem der übrig gebliebenen katholischen Fürstenhöfe, und von hier aus wurden sie tiefer dringend in den katholischen Ländern ohne Widerstand aufgenommen, sodaß es fast schien, als wolle sich auch die Trachtenwelt Deutschlands nach dem Bekenntniß in eine katholische und eine protestantische sondern. Aber soweit kam es nicht, da der Widerstand, der ihnen protestantischerseits ent- gegengestellt wurde, ein zu geringer oder nur theilweiser war. Selbst die diesem Bekenntnisse folgenden Fürstenhöfe, so buch- stäblich sie es mit dem Glauben nahmen, fügten sich doch gern und bald der fremden Mode, weil die deutsche es durch ihre Extravaganzen mit der feinen Sitte verdorben hatte. So fand die Pluderhose grade an diesen Fürsten die heftigsten Gegner. Was an deutschen Höfen der fremden Weise mehr hinder- lich als förderlich war, wenigstens dem damit verbundenen über- triebenen Luxus steuerte, war die größere Einfachheit, ein ge- wisser bürgerlicher Familiengeist, den die Reformation wohlthä- tig hervorgerufen hatte. Im schärfsten Contrast zu dem, was wir von der Kleiderpracht der spanischen und der englischen Eli- sabeth erzählt haben, steht das Folgende, was uns über die Herzogin Dorothea von Preußen berichtet wird: „Auf die Leib- 2. Die Reaction und die spanische Tracht. wäsche des Herzogs verwandte sie selbst immer die größte Auf- merksamkeit. Sie schickt der Näherin eine Anzahl Hemden und den nöthigen Zwirn dazu, bestimmt selbst die Breite, Weite und Länge der Aermel und Kragen, bittet aber zugleich, die Arbeit möglichst zu fördern, weil es mit den Hemden des Herzogs schon sehr auf die Neige gehe. Die Näherin ersucht die Fürsten, ihr die alten Hemden einstweilen zur Ausbesserung zuzuschicken, denn, fügt sie hinzu, sie habe ja auch der Herzogin deren Kleider, wenn sie zerrissen gewesen, wieder mit allem Fleiße so zusammengenäht und unterhalten, daß sie dieselben noch jetzt trage; wenn sie das nicht gethan, so würde die Herzogin sie haben ablegen und wohl dreißig Mark mehr für neue geben müssen“. Dieselbe Fürstin bestellt selbst alles, was sie brauchte, beim Kaufmann; hatte sie das nöthige Geld nicht, so ließ sie sich auch wohl mit dem Ver- käufer in einen Honigtausch ein. Sie bestimmt, wie ihrem Ge- mahl die Hemden gemacht werden sollen und schreibt der Näherin darüber: „Nachdem sein Lieb die Hemden nicht so enge wie zu- vor, sondern etwas weiter zu haben gesinnt, so überschicken wir euch hiermit bei den Hemden auch ein Maß, wie weit die Aermel sein sollen.“ Nach allen Seiten hin stand sie auf die regste Weise in eigenhändigem brieflichen Verkehr mit den Kaufleuten zu Leipzig, Nürnberg, Danzig und andern Orten und bestellte selbst alles, was zur ganzen Garderobe des Hofes, sowohl für die fürstlichen Personen wie für die Dienerschaft nothwendig war; sie schickte Muster und Zeichnungen oder ließ sich dergleichen kommen, wozu sie unter andern auch den Geschäftsträger des Herzogs in Rom benutzte. Eine ähnliche hauswirthschaftliche Thätigkeit innerhalb der Sphäre der Frau wird uns auch von andern Fürstinnen erzählt, z. B. von der Herzogin Elisabeth von Braunschweig. Da schon bald nach dem Jahre 1530 im deutschen Kleider- wesen die Reaction eintritt, welche sich in der allmähligen Zu- sammenziehung und Versteifung ankündigt, während andrerseits die Landsknechte die Bewegung aufrecht halten, so ist es schwer, den Beginn des spanischen Einflusses in sichtbaren Spuren nach- Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 8 III. Die Neuzeit. zuweisen. Bald nach der Mitte des Jahrhunderts aber ist der- selbe doch schon so bekannt und tiefgewurzelt, daß ein gegen den Luxus eifernder Geistlicher in seiner Warnung vor den fremden Moden das Ding auf den Kopf stellen konnte, indem er sagt: „Die spanische Kleidung hat uns die unzüchtigen, gottlosen Spanier in’s Land gebracht.“ Die ersten Jahrzehnte nach 1550 waren die Zeit, in welcher die beiden Moden, die deutsche und die spanische, sich theils die Wage hielten, indem die einen dieser, die andern jener folgten, theils sich in bunter und widersprechen- der Weise an demselben Körper vereinigt fanden. Dadurch ge- währte allerdings wohl die deutsche Menschenwelt einen bunt- scheckigen Anblick, der das Auge verwirrte und das Urtheil der Zeitgenossen über die Herleitung des Details in die Irre führte. Zugleich wurde der Kanzelberedtsamkeit ein willkommenes Thema geboten, die umsomehr diese Seite in’s Auge faßte, als der Kleidung von der sittlichen keinerlei Vorwürfe zu machen waren; die Sünden waren ästhetische, nicht moralische, wenn man nicht die allzugroße Kostbarkeit dahin rechnen will. Es ist daher bei den rhetorischen Schilderungen des Trachtenzustandes, wie wir sie in den Predigten finden, vieles auf Rechnung des reforma- torisch-protestantischen Eifers zu setzen. Wenn nun zu gleicher Zeit an allen Ecken und Enden des Reiches die Luxusgesetze und Kleiderordnungen wieder auftauchten und mit der minutiösesten, das fünfzehnte Jahrhundert weit übertreffenden Ausführlichkeit, nachdem das Reich seine von ihm im Jahre 1530 zu Augsburg aufgestellten und damals erfolglosen Prinzipien wiederholt auf’s neue zur Nachachtung anbefohlen hatte, so ist auch davon, neben der wachsenden Ausgleichung der Stände und dem Bemühen sie geschieden zu halten, mehr das neu erweckte und religiös gestärkte Pflichtgefühl der Obrigkeiten die Ursache als die wirkliche in der Zeit begründete Nothwendigkeit. Denn wenn wir von einzelnen grotesken Erscheinungen wie die Pluderhose absehen, so ist es auffallend, wie grade damals, als diese Predigten mit den ver- schiedenen Teufelstiteln von den Kanzeln herabdonnerten, die Trachtenbücher und Portraits namentlich im Bürgerstande die 2. Die Reaction und die spanische Tracht. ehrbarsten und anständigsten Gestalten der Männer und Frauen in einfach dunkler Farbe aufweisen, denen man nur allein Form- losigkeit und Unschönheit vorwerfen kann. Erst in den letzten Jahrzehnten unterlagen die Uebertreibungen des Kragens, des Reifrockes und anderes gerechterem Tadel. Wenn nun auch die Predigten im Ganzen ein schiefes Bild darbieten, so sind sie doch um ihrer selbst willen interessant genug und im Einzelnen immerhin als Quelle zu benutzen. Sie werden daher auch in der folgenden Darstellung eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Unter den älteren Predigten ist die eingehendste der Hof- fartsteufel des Herrn Magister Westphal. Wie er den damaligen Kleiderzustand Deutschlands mit seiner Brille anschaut, lehrt die folgende Stelle, die wir daraus mittheilen: „Wenn man sich in der weiten Welt umsiehet und Achtung darauf giebt, so wird man finden, daß fast alle Völker, Länder und Nationes ihre eigene besondere gewisse Tracht, Art und Form der Kleidung haben, daß man sagen kann, das ist ein Polisch, Böhemisch, Ungerisch, Spanisch Kleid oder Tracht. Allein wir Deutschen haben nichts gewisses, sondern mengen dies jetzt erzählte und noch viel mehr alles durcheinander, tragens Welsch, Französisch, Husernisch, und gar nahe ja allerdinge Türkisch dazu, und wissen für großer Thorheit nit, wie wir unser beginnen sollen oder wollen … Darum denn jener Maler, der dem türkischen Kaiser alle Nationes mit ihrer Tracht und Kleidung abmalen sollte, nicht unbillig der deutschen Unbeständigkeit, wiewohl sehr höflich ge- spottet und gestrafet hat, indem er alle Völker auf’s Kaisers Be- fehl mit ihrer Kleidung werklich malet, den deutschen Mann aber malete er gar nackend und bloß, allein ein Stück Tuch oder Ge- wand malet er ihm unter den Arm, und als er gefragt wird, warum er solches gethan, sintemal je die Deutschen nicht nackend gingen? Antwort er: Er hette es darum gethan, daß er nit wüßte, was für eine Art der Kleidung oder welche Manier und Muster er ihm zueignen und sie darein malen sollte, Ursache, sie wolltens allen andern Völkern nachthun, bleiben bei keinem, 8* III. Die Neuzeit. sondern hätten schier alle Jahr oder Monat was Neues … Darum hätte er ihm ein Stück Gewand unter den Arm gegeben, damit er möchte zum Schneider gehen und es machen lassen, wie er wollte, und das ist doch ja die Wahrheit, ob’s schon weder gut noch löblich ist. Denn wer wollte oder könnte wohl erzählen die mancherlei wunderlichen und seltsamen Muster und Art der Kleidung, die bei Mann und Weibspersonen oder Volk in dreißig Jahren her, auf und wieder abkommen ist, von Ketten, Schau- ben, Mentlen, Pelzen, Körsen, Röcken, Kappen, Kollern, Hüten, Stiefeln, Jacken, Schörtzen, Wammesen, Hartzkappen, Hemden, Kragen, Brustlatzen, Hosen, Schuhen, Pantoffeln, Büchsen, Schwertern, Dolchen, Taschen, Pulverflaschen, Beuteln, Gür- teln, Kränzen, Borten, Schleiern und was des Dings mehr ist. Da hat’s müssen sein polisch, bald böhemisch, ungarisch, türkisch, französisch, welsch, englisch oder teuflisch, nürnbergisch, braun- schweigisch, fränkisch oder sächsisch, kurz, lang, eng, weit, schlecht, gefalten, auf ein und zwei recht, verbrennet, verkördert, ver- wülstet, verbörtelt, mit Frenzlin, mit Zotten, mit Knotten, ganz, zerschnitten, gefüttert, ungefüttert, unterzogen, gefüllet, mit Ermeln, ohne Ermel, gezupft, geschoben, unternähet, gefrenset, mit Tallaren, ohne Tallaren, mit verlornen Ermeln, mit Narren- käpplin, bunt, krauß, spitz, stumpf, mit Tradeln, Zotten, und auch ohn denselben, da hats ledern, filtzin, tüchin, leinen, Vor- statt, Kartek, Sammt, Carmesin, Zeudel, Dart, Narren hin, Macheyer, Parchent, Schetter, Pomasin, Scharlach, Lündisch, Schifftuch, Sammt, Mechlisch, Gisner, Finsterwalder ꝛc. des Dings ohn Maßen und Ziel, das wahrlich für das Warme noch Kalte dienet. Jetzt hat man den Schweizerschnitt, bald den Kreuzschnitt, den Pfauenschwanz in die Hosen geschnitten, und eine solche schändliche, gräuliche und abscheuliche Tracht daraus worden, daß ein fromm Herz dafür erschrickt und seinen großen Unwillen daran siehet. Denn kein Dieb am Galgen so häßlich hin und wieder bommlet, zerludert und zerlumpet ist, als die jetzigen Hosen der Eisenfresser und Machthansen, pfui der Schande!“ 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Später gegen das Ende des Jahrhunderts, als auch der Ernst vor wachsender Leichtfertigkeit wieder verschwand, erheben auch andere ihre klagenden Stimmen, woraus man sieht, daß der Erfolg der Teufelspredigten kein allzugroßer gewesen ist. So schreibt Graf Reinhard von Solms: „Bei dem jungen Adel ist keine andere Uebung, denn bis in Mittag schlafen, die andere Hälfte des Tages müssig schlinkschlanken gehen und mit dem Frauenzimmer alfanzen, oder mit den Hunden spielen und die halbe Nacht darauf saufen; darauf alle Gedanken und auf wälsche neue närrische Kleidung und Tracht legen, und, wenn es zu einem ernstlichen Zuge kommt, von nichts denn nur von Zärt- lichkeit wissen und sich bekümmern, wie man geschmückt und ge- ziert, als ob man zum Tanze reisen solle, ausziehe, wie man Pferde von einer Farbe und einen Haufen buntgekleideter Diener und unnützer Ausläufer mit sich habe, darnach die Bärte stutze und dergleichen Leichtfertigkeit treibe, zu eigenem und gemeinem Unrath.“ Als das eigentliche Symbol der spanischen Reaction tritt der Hut auf den Kampfplatz in der steifen Form, wie wir ihn bereits haben kennen lernen, hoch und gewöhnlich sich zuspitzend, mit einem schmalen Rande, der kaum einen oder höchstens zwei Finger breit ist. In doppelter Weise erringt er einen vollstän- digen Sieg über das Barett, den Vertreter des reformatorischen Prinzips. Zunächst verändert sich dieses selbst, wie wir das schon angedeutet haben, und sucht dem Hute ähnlich zu werden: es wirft die Schlitzung und den durchgezogenen Stoff bei Seite, zieht Rand und Boden ein und versteift sein schlaffes Wesen, daß es gegen die Mitte des Jahrhunderts mehr einem kleinen Hütchen gleicht als seiner alten, federumwallten Gestalt. Aber in dieser verschrumpften, steifen und platten Form hält es der Bürgerstand dennoch fast bis gegen das Ende des Jahrhunderts aufrecht, sodaß ein Chronist seinen Ausgang erst im Jahr 1590 melden kann. Aber lange bevor dieses Ereigniß eintrat, hatte sich das Barett in der vornehmen Welt, von welcher es damals nicht grade ausgeschlossen blieb, noch weiter verändert. In einer III. Die Neuzeit. späteren Predigt heißt es: „Große breite spanische Barett werden getragen wie die Scheffelboden, die treibt man in die Höhe und macht Falten daran.“ Das entspricht genau den Bildern. Den Hüten gleich gipfeln sich die Barette über der schmalen Krämpe empor und sind am obern Rande in gleichmäßige kleine Falten sorgfältig gelegt. Oft scheint nur der Stoff den Unterschied zu machen, und da auch dieser beiden gleichmäßig wurde, indem es so gut seidene und sammtne Hüte gab, wie filzene, so ist es kein Wunder, daß die Barette dieser Form nicht blos spanische genannt, sondern die Benennungen mit einander verwechselt werden. Den zweiten Sieg erlangte der Hut in seiner eigenen Ge- stalt, indem er schließlich auch diese neuen Formen des Baretts verdrängte und von allen männlichen Köpfen ohne Ausnahme Besitz ergriff, sodaß sich die nachfolgende Entwicklung an ihn allein anknüpft. Im Jahre 1583 kommen in der sehr ausführ- lichen Magdeburger Kleiderordnung die Hüte und Barette noch als eine ganz gleichmäßige, weder durch den Rang noch den Stoff unterschiedene Tracht der Bürger und Bürgersöhne vor; es heißt darin: „De itzgemelden mögen ock Sammit, Syden unde Atlas Hüllen, Barreth edder Höde dragen, doch ane Goltschnöre, Gül- den edder Sülvern Krentze edder Wehden, ock ane Perlen unde Edelsteine. Ock de Feddern nicht mit Golde edder Sülver schmücken. Süß schal nemandt dragen Sammit, Dammaßken edder Syden Atlas Hüllen, Höde edder Barreth“ u. s. w. Im Jahr 1593 ist auch die Kopfbedeckung der Bauern nach der neuen Weise zugerichtet, was um so leichter möglich war, als bei ihnen allein der alte Filzhut nicht vom Barett verdrängt worden; es bedurfte hier bloß einer leichten Umformung. „Also sind dieses Jahr“, heißt es, „die großen, langen, spitzigen Hüte und hernach die lieblichen, schönen, ansehnlichen Schlumperhosen, die keinen Boden haben, unter das gemeine Handwerks-, Bürgers- und Bauersvolk gekommen.“ — Von diesem Sieg des Hutes datirt in strenger Entwicklung die moderne Kopfbedeckung des Mannes. An die Wandlung von Barett und Hut knüpft sich auch 2. Die Reaction und die spanische Tracht. eine Veränderung, welche mit ihrem Schmucke vor sich ging. Zwar blieben Medaillen, Geschmeide, goldene und silberne Schnüre nach wie vor im Gebrauch, der sich eher erweiterte als verringerte, aber die Masse der bunten und wallenden Federn, welche für das Barett und gleichzeitig für den ritterlichen Helm so charakteristisch gewesen war, zog sich in einen kurzen gedrun- genen Busch zusammen, welcher meistens grade über der Stirn steckte, sodaß die Federn vorn herüberschwankten, eine Sitte, die, wie schon oben erwähnt, in Frankreich als eine deutsche bezeichnet wurde. Gegen Ende des Jahrhunderts wird der Federbusch selten sichtbar, bis ihn die Soldatenlust des dreißigjährigen Krieges zu noch groteskerem Dasein wieder belebt. Etwas dieser Zeit Eigenthümliches scheint es zu sein, was Magister Westphal in seiner Predigt erwähnt, daß die Männer „der Jungfrauen Haare für Straußfedern tragen, welches auch eine neue Hoffart ist aus dem Venusberge“. Die Tracht des Haupthaares hängt mehr mit dem Kra- gen zusammen als mit dem Hut. Die breite, unter Kinn und Ohr heraufdrängende Krause formt den deutschen Kopf ganz nach dem Bilde des spanischen. Das Haupthaar wird kurz, denn es kann über Nacken und Ohr nicht herunter, und der breitgestutzte Vollbart spitzt sich nach dem Kinne zu, bis er gegen das Ende des Jahrhunderts von den Backen ganz zu verschwinden beginnt. Stutzer richten das Haupthaar über der Stirn in die Höhe oder lassen es am ganzen Kopf emporstarren; das nennt man jetzt in anderer Bedeutung wie früher ein „kolbichtes Haar“. In Joh. Strauß Predigt heißt es: „Die natürlichen Haare, die da eine Zierde des Hauptes sind, wie ein schöner Wald auf einem Berge, die nimmt man ihm und macht es kölbicht. Und wiewohl das eine Entschuldigung hat, wie man weiß, und dienet zur Gesund- heit, doch muß die Hoffart mit unterlaufen, daß man gepüffte Kolben macht, daraus man siehet, wie ein raucher Igel.“ Es ist das offenbar eine Nachahmung der weiblichen Haarcoiffüren. Ebenfalls stutzerisch und noch vereinzelt ist es, aber gewisser- maßen eine Vorahnung der künftigen, mit der Krause unverträg- III. Die Neuzeit. lichen Mode, was ein anderer Prediger, Osiander, 1586 tadelt: „Ferner so gewöhnen sie vorn die Haar über sich, daß sie müssen gestroblet sein, als wann ein Sau zornig ist, daß ihr die Borsten über sich stehen; und hinten und zur Seiten muß es gar lang und zottig sein. Dieses stehet gar zierlich, dann es ein fein An- sehen hat, als wann junge Katzen eine Zeitlang davon gesogen hetten.“ Schon in der Mitte des Jahrhunderts war die dicke, in wellige, runde Falten gelegte Krause, in Deutschland auch Kröse genannt, bei den Männern wie bei den Frauen, denen sie ganz gemeinsam war, völlig ausgebildet, sodaß sie bereits die Landsknechte mitsammt dem Hute trugen. Damals aber war sie noch mit dem Hemd verbunden, von dem sie alsbald, da sie an Umfang und Dicke so außerordentlich zunahm, getrennt werden mußte. Sie wurde dann wie ein besonderer Kragen um den Hals gelegt und vorn oder hinten zugebunden, völlig so, wie wir sie als eine Art Versteinerung wohl noch heute hier und da bei älteren protestantischen Geistlichen erblicken. Der Krause am Halse entsprachen immer kleinere an den Händen, welche steif abstehende Art von Manschetten freilich den Gebrauch der Hände mannigfach erschwerte. Da vom Hemd nur die Krausen sicht- bar blieben, so war es sehr gewöhnlich, daß jenes nur aus gröberem Stoffe bestand, während mit der Feinheit dieser ein großer Luxus getrieben wurde. Es dürfte nicht uninteressant sein, im Vergleich zur Gegenwart die damaligen Preise der gekrausten Hemden, wie sie im wohlhabenden Bürgerstande gebräuchlich waren, kennen zu lernen. Wir entnehmen sie der schon erwähn- ten Magdeburger Ordnung von 1583: „Eenes Mannes edder Brüdegams Hemde, derer van den Geschlechten, shal in alles sampt dem Kragen, Wäsche unde neyelohn över veer Daler nicht werth syn. Der Schepen (Schöffen), unde vornemsten Personen under allen Inninges vorwandten, unde vörnemesten von Kop- lüden unde wolhebbenden van der Gemein, dre Daler, unde der gemeinen Börger anderthalven Daler, Denstboden und Gesinde einen Daler.“ 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Wie es sich mit der Kröse oder dem „Mühlsteinkragen“ noch um 1594 verhielt, schildert uns der Adelsspiegel: „Es sehe doch einer von Wunderswegen, welch ein Unstand es ist, wenn ein feiner junger Held (viel närrischer stehet’s den Alten an) also herein zeucht, daß ihm ein Haufen Leinwad, zusammen gekreuselt, gedrehet und gehalten, bis über die Ohren und den Kopf herum, wie eine umlaufende Wehre oder Stacket, über sich ragend oder bis auf die Schultern herabhängend um den Hals herpampelt, wie man die schendlichen Gekröse jetzund machet, oder auch wohl vorne über die Hände herfürhangen, wie dem Adler die Federn über die Klauen. Es stehet doch zumal heßlich und giebt keine Anzeigung eines mannlichen tapfern Gemüts, das etwan wich- tigen, nöthigen und nützlichen Sachen fleißig nachdenken und um den gemeinen Nutzen sich bekümmern möchte.“ In Bezug auf das Beinkleid vermochte die spanische Tracht nur einen sehr getheilten Sieg zu erringen, denn nicht nur gelangte es in seiner eigentlichen oben beschriebenen Gestalt bloß in den Höhen der Gesellschaft zur unbedingten Herrschaft, son- dern die folgende für alle Zeit wichtige Entwicklung knüpfte auch direct an die Haupterrungenschaft der deutschen Pluderhose an, nämlich an die Knieeöffnung oder die Trennung von Hose und Strumpf. In Hans Weigels Trachtenbuch (1579) tragen zwar schon Nürnberger Patrizier die spanische Hose, aber der deutsche adlige Hofmann geht in der Pluderhose und im bauschigen Wamms. Vecellio bildet ihn nach und versichert, daß die Deut- schen so gekleidet gingen, wenn sie nach Italien kämen. Freilich ist es nicht mehr ganz die Hose des Landsknechts, denn der aus- gebauschte Stoff tritt nur breit heraus und fällt nicht bis zu den Füßen herab. Breite und Masse des Stoffes sind überhaupt noch die Eigenschaften der spezifisch deutschen Kleidung, mit wel- cher sie der spanischen Zierlichkeit und affectirten Steifheit ent- gegentritt; diesen Charakter zeigt auch das bauschige Wamms. Die deutschen Fürsten waren die heftigsten Gegner dieser Tracht, wovon wir schon einige Beispiele oben bei der Pluder- hose haben kennen lernen. Ein anderes wird in Spangenbergs III. Die Neuzeit. Adelsspiegel von Herzog Wilhelm von Sachsen erzählt. „Der- selbe hatte einen stattlichen von Adel am Hofe, welcher etwas ungebräuchlich zerschnittene Kleider zu tragen angefangen, damit der Fürst nicht allerdings zufrieden gewesen und derhalben ein- mal zu ihm gesagt: Lieber, thue das zerflammete Fatzenwerk hinweg und gehe zu meinem Hofschneider und laß dir ein Kleid machen, wie ich trage, ich will befehlen, er soll dir eins von dem besten Gewand schneiden. Der Edelmann aber darauf gesagt: Gnädiger Fürst, ich habe aber Lust solche Kleidung zu tragen, bin deren nun auch gewöhnt und mag kein ander Muster haben. Darauf der Fürst zu ihm gesprochen: So bin ich’s aber nicht ge- wöhnet und mag solche Kleider an meinem Hofe nicht wissen, und hat ihm alsbald hiermit seinen Abscheid geben, und ist die- sem eigensinnigen Junker ebendamit recht geschehen.“ Die Geistlichkeit stellte sich ebenfalls auf die Seite des spa- nischen Beinkleids, der „Pumphose“, wie sie in Deutschland im Gegensatz zur Pluderhose genannt wurde. Fischart redet auch von den „spanischen Heerpauken“ im Gegensatz zu den „Schwei- zer Hemdfähnlein.“ — „Die Pomphosen zieren wohl“, heißt es in der Predigt des Johann Strauß, „wenn sie ohne Lätz gemacht werden und nicht so gar weit; jetzt aber müssen sie mit Haar aus- gefüllt sein, daß einer darin pauset wie ein Malzsack.“ Diese Worte beziehen sich vielleicht schon auf ein drittes Beinkleid, wel- ches, das deutsche und spanische zum Theil vereinigend, beide verdrängen sollte. Es war die Pumphose, welchen Namen sie be- hielt, nicht mit den kurzen Polstern, welche über das lange tricot- artige Beinkleid angezogen wurden, sondern eine den Strumpf zur Ergänzung erfordernde Kniehose, deren Ausstopfung an den Hüften beginnend bis zum Knie herablief. Ihre erste Ausbil- dung mag sie in Frankreich oder wahrscheinlicher in Italien er- halten haben, in welchen Ländern wir sie am frühsten in dieser Gestalt erblicken. Zerschlitzung und Ausbauschung findet bei ihr gar nicht statt, wohl aber Besatz von Knöpfen, Sammetstreifen, Spitzen und anderem namentlich an der Seitennaht herab. In den Niederlanden gelangte sie zuerst wieder zu groteskerer Ge- 2. Die Reaction und die spanische Tracht. stalt, denn die Ausladung an Hüften und Oberschenkeln lag ein- mal, gleich dem Reifrock der Frauen, im Zeitgeschmack. Die dicken Polster, gleich „Mehlsäcken“, ausgestopft mit Werg, Wolle oder gar mit Kleie und Weizen, hingen von den Hüften bis zum Knie um die Beine, straff gespannt oder auch schlaffer als „Schlumperhose.“ In dieser Gestalt ging sie tief herunter durch alle Schichten des Volkes, nachdem sie besonders bei den Solda- ten des spanisch-niederländischen Kriegs beliebt geworden war. In Holland wurde sie dann, nachdem sie aus der modischen Welt wieder verschwunden war, unterscheidende Volkstracht und war als solche noch in diesem Jahrhundert sichtbar. Auch in Deutsch- land wurde die Ausstopfung in gleicher Weise wie in den Nieder- landen übertrieben und erregte die Opposition der Fürsten wie der Geistlichen; dessenungeachtet hielt sie sich nicht bloß, sondern war um das Ende des Jahrhunderts sogar in dem Grade vor- herrschende Tracht, daß die alte spanische Form fast auf fürstliche Personen beschränkt blieb, und auch die deutsche Pluderhose sich nur noch in vereinzelten Beispielen zeigt. Das Wamms blieb insofern unverändert, als es, von der starken Ausladung des Beinkleides abhängig, sich nicht verlän- gern konnte; nur durch das unnatürliche Herabrücken der Taille wuchs es ein wenig. Daher sehen wir fast immer die Schöße, wenn man sie bei ihrer Kleinheit so nennen kann, nur etwa zwei Finger breit unter den Gürtel herabreichen. Die deutsche Mode giebt sich noch bis gegen das Ende des Jahrhunderts, aber immer seltner an den weiten zerschnittenen oder bauschigen Aermeln zu erkennen, während die spanische mit engen, wenn auch wattirten Aermeln, größeren oder kleineren Schulterwülsten und nament- lich mit Ausstopfung der Brust um so mehr Boden gewinnt. Das deutsche Wamms wird von Magister Strauß also beschrie- ben: „Der Leib am Wamms, ob er wohl fein glatt angemacht wird, so muß er doch mit Seide durch- und umsteppet sein. Vorn sind seltsame Kneuffel daran von Stein, Corallen, Glas oder Horn. Ober ist ein Kragen darauf, der weit hinausstarret. Er- mel sind daran, die einer wegen der Weite und Größe kaum am III. Die Neuzeit. Arm tragen kann, darein mancher sein Hab und Gut verstecket, wie jener Fürst zu einem seiner Ritter sagt: ich halt, du hast dein Rittergut in die Ermel gestecket. Diese Ermel müssen vorn auch eingefeltet sein, daß sie Kröß gewinnen, die trägt man an Armen, wie die Gartenknechte ihre Commißseckel an den Armen tragen.“ Im Jahre 1586 gedenkt Osiander auch des Gänse- bauchs in Deutschland: „Ein gar herrlicher Schmuck aber seind die häßlichen langen ausgefüllte Ganßbäuch, die oben gleich un- der dem Hals anfangen und herab bis weit unter die Gürtel hangen, wie ein Erker an eim Haus hanget, das er schier um- ziehen möchte.“ Gleich den Pumphosen wurde auch der Gänse- bauch in den Niederlanden zur größtmöglichen Ausbildung ge- bracht. Das Wamms wurde zur Zierde mit buntem Besatz in Streifen von Seide, Sammet oder Goldstoff oder mit goldenen und silbernen Schnüren versehen, welche letztere oft lose darauf lagen und wie ein Netz das ganze Kleidungsstück sammt den Pol- stern des Beinkleids überzogen. Portraits vornehmer Personen geben uns häufige Beispiele. Am erbarmenswürdigsten erging es in diesem großen Kampfe der Schaube , dem breiten, stattlichen, pelzverbrämten deutschen Ehrenkleide. Am Schlusse des Jahrhunderts ist es kaum noch wiederzuerkennen, wenn man nicht den Gang, den es genommen hat, verfolgen könnte. Um seinem Gegner, dem spa- nischen kurzen Mantel, gegenüber sich halten zu können, sucht es sich ihm möglichst zu nähern und sich so auf der Höhe des Mo- dernen zu behaupten. Früher in reicher Weite bis auf das Knie und darunter herabfallend, schwindet es nun zusammen, daß es kaum die Hüften erreicht und somit dem Mäntelchen an Kürze gleich kommt. Die Aermel werden soweit abgeschnitten, daß sie bloß die Schulterpuffen umfassen, oder ganz abgelegt, und indem auch die Schulterlöcher sich schließen und der Kragen sich stehend im Nacken aufrichtet, ist kaum noch ein Unterschied vom spani- schen Mantel. Denn auch die Fütterung und Verbrämung mit Pelz ist seltner geworden. Es ist die erste Zeit, da vor dem Ueberwiegen südlicher Feinheit, Leichtigkeit und Zierlichkeit das 2. Die Reaction und die spanische Tracht. edle Rauchwerk, diese halb an nordische Kälte, halb an die bar- barische Vorzeit erinnernde Zierde, die männliche Kleidung als Schmuck zu verlassen beginnt; bald folgte die weibliche nach, we- nigstens in der modischen Welt, natürlich soweit nicht die Mode von der Strenge des Winters beeinträchtigt wurde. Wie die Schaube an Länge und Weite verliert, ebenso auch an Schwere des Stoffes: Sammet und mehr noch die leichte Seide ersetzen den soliden Pelz. Auf den Höhen der Gesellschaft findet das Mäntelchen ohnehin leichteren Zugang. Um das Jahr 1580 eignet die kurze, ärmellose Schaube, wie Weigels Trachtenbuch an vielen Beispielen lehrt, schon überall dem vornehmen Mann; in ihrer alten, wenigstens längeren Gestalt gehört sie nur noch dem ehrbaren Alter, welches der Mode opponirt, oder sie ist ein Zeichen der Würde, denn sie ist die Amtstracht der Bürgermeister und Rathsherren in den Städten geworden, als welche wir sie noch bis zum neunzehnten Jahrhundert verfolgen können. Als ein weiter Oberrock und Festtagskleidung blieb sie auch bei den niedern Ständen der Städte wie des Landes, soweit noch einige Wohlhabenheit vorhanden war, und tauchte von hier aus später wieder zu neuem Glanze empor. In der folgenden Periode herrscht der Mantel durchaus. In dieser Zeit findet sich die Schaube häufig mit dem mehr norddeutschen Wort „Harzkappe“ bezeichnet, welcher Name auch auf die kleinere Form überging, obwohl diese im Munde des Volks verächtlich „Puffjacke“ genannt wurde, als ob sie des Na- mens Rock gar nicht würdig sei. Johann Strauß giebt in seiner Weise wieder folgende Beschreibung: „Die ehrbaren Leibröcke und Harzkappen gehen ab und kommen auf die Puffjacken. Die sind gar auf die Kürze abgerichtet, auf daß der Stoßdegen hinten hervorragen kann, und vorn müssen sie offen sein, daß man die Kneuffel am Wamms und anderes mehr sehen mag. Die Hefte daran müssen gar groß und ungeschaffen sein, die Schlingen wie die Geschirrrinken, die Haken wie die Schnäbel an Löffelgänsen. Ich fragte einmal einen solchen Löffel, wozu so große Haken die- neten? Da hing er seinen Hut und eine Kanne Bier daran: da III. Die Neuzeit. sehet ihr, sagte er, wozu es dienet.“ Wir sehen, die Geistlichkeit stellt sich hier auf die deutsche Seite und tritt für die alte Schaube auf. Ebenso eifert Osiander gegen die kurzen Mäntel: „In den Mänteln ist allerlei Zierlichkeit herfür kommen, darunter diese der hübschsten eine sein soll, wann einer ein Mäntelin trägt, das kaum zum Gürtel reicht, und wann er darauf sitzen wollte, müßte er es zuvor austhun. Dasselbig Mäntelin muß mit vielen Bre- men bis gar nahe oben an belegt sein, damit man kaum sehen möge, aus was Zeug es gemacht sei, und muß auf der Seiten unter dem rechten Arm gefaßt oder auf die linke Schulter gehängt und das überig über den halben Leib hinabhangen, damit man nicht eigentlich wissen möge, ob ein solcher Hofmann ein Mantel an sich habe, oder ob er in Hosen und Wamms ohne ein Mantel daher gehe.“ Am schnellsten erlagen die breiten Schuhe , welche, einst der Stolz des Stutzers und des stutzerischen Landsknechts, schon um das Jahr 1550 in keinerlei Ehre mehr standen. In Weigels Trachtenbuch werden sie nur von einem paar ehrwürdigen, grau- bärtigen Bürgern getragen. Die gespitzte Form, einfach oder mit zierlichen Schlitzen und den Fuß bedeckend, hatte längst den Sieg davon getragen; in der Farbe aber herrschte in Deutschland, dem übrigen Farbengeschmack entsprechend, das Dunkle, gewöhn- lich das Schwarze vor. Daneben ist mancherlei Schmuck im Ge- brauch, den wir z. B. aus dem Magdeburger Verbot (1583) kennen lernen: „So schöllen ock noch Manspersonen noch junge Gesellen ere Scho mit Sülvern stifften, edder süss mit Sülver beschlan laten, Ock süss nicht mit Sammit edder Syden gestep- pet dragen.“ Stutzer, der späteren Mode vorausgreifend, folg- ten auch darin ausländischer Weise, daß sie wie im funfzehnten Jahrhundert wieder Pantoffel über die Schuhe legten. „Auch muß man nicht allein im Winter (welches etlichermaßen ein Ent- schuldigung hätte), sondern auch mitten im Sommer auf Pan- toffeln daher schlürfen; und junge Kerle schleifen dieselbigen an den Füßen hernach, und klopfen darmit wie die alte sechzigjäh- rige oder siebenzigjährige Weiber.“ 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Im Kampf mit dem Ausland hatte die passive Natur des Weibes der neuen Mode weniger Widerstand entgegen zu setzen und erlag ihnen in der That früher und vollständiger. Wenn dennoch die Frauentracht in der Höhezeit oder am Ausgang dieser Periode, nämlich in den letzten Jahrzehnten des sechszehn- ten Jahrhunderts, bei großer Ehrbarkeit im Einzelnen einen bunteren Anblick zu gewähren scheint, als man bei der geschilder- ten Gleichmäßigkeit der herrschenden Tracht in der ganzen gebil- deten abendländischen Welt erwarten sollte, so rührt das daher, daß eben in dieser Periode die Bildung sogenannter Volkstrach- ten ihren Anfang nimmt, indem sich einerseits die Stände auch äußerlich von einander scheiden, andrerseits bei beginnender und wachsender Diminutivcentralisation in Stadt und Land die locale Sonderung eintritt. Die Elemente zu dieser Trachtenscheidung, die bald den Anschein einer babylonischen Trachtenverwirrung gewinnt, geben größtentheils die laufenden Moden her, wie sie hier und dort, im Verlauf der Zeiten früher oder später, zur Er- starrung gelangen, theils aber auch das nun in die Flucht ge- schlagene und versprengte Costüm der Reformationsperiode, und endlich tauchen einzelne ältere Trachtenstücke aus den Tiefen der Gesellschaft wieder empor, ohne gleich dem Filzhut aufs Neue in den Strom der Mode gelangen zu können. Es gilt zwar die- ser gänzlich neue Proceß für die Männer wie für die Frauen, doch wird er bei jenen um ihrer größeren Einfachheit willen und wegen der Natur der Geschlechter in diesen Dingen für die gegen- wärtige Periode weit weniger sichtbar. Damit hängt zusammen, wenn die bekannten Trachtenbücher, wie das nach Hans Weigel benannte und von Jost Amman gezeichnete oder das von Vecel- lio, Werke, die erst durch solche ständische und locale Scheidung eigentlich ermöglicht werden, wenn sie die Frauen in ungleich höherem Grade berücksichtigen. Fast von jeder bedeutenden Stadt ihres Heimathlandes führen sie uns eines oder mehrere Frauenbilder vor mit scheinbar großen Verschiedenheiten, aus denen dennoch ein der herrschenden Mode kundiges Auge sofort die Ueberzeugung gewinnen wird, daß das Allgemeine und Ge- III. Die Neuzeit. meinsame durchaus vorherrschend ist, und somit die besondere Trachtenbildung erst im Werden sich befindet. Wir werden noch näher darauf zurückkommen, nachdem wir den Gang der großen und allgemeinen Entwicklung in der vornehmen oder modischen Frauenwelt Deutschlands haben kennen lernen. Der Anblick die- ser ist bald ein völlig einstimmiger, trotz der farbigen und aben- teuerlichen Schilderungen eifernder Prediger. Es handelte sich bei den Frauen weniger um den Kampf der einzelnen Stücke wie bei der männlichen Tracht, als um den allgemeinen Charakter, um eine freie und wenn auch nicht weite, doch bequeme Gewandung von vollem Fluß und Wurf, von flot- ten, oft fast männlichen Formen im Gegensatz zu gezierter, ma- nierirter, selbst unnatürlicher Steifheit: es ist der Kampf einer, man möchte sagen, revolutionären Grazie mit der hofmäßigen. Aber die Schlacht war eigentlich schon entschieden, ehe sie be- gann. Wir haben gesehen, wie sich das Reformationscostüm schon vor dem Jahre 1550 auf dem Rückzuge befindet, und bald nach diesem Zeitpunkte ist es rasch in’s Gegentheil umgeschlagen; fast verschwinden uns die Uebergänge. Schon damals ist die Decolletirung so gänzlich ge- wichen, daß wenigstens an der Ehrbarkeit deutscher Frauen und Jungfrauen in ihrem Aeußern die Geistlichen nichts auszusetzen haben. Eine gleichzeitige Stimme sagt: „Der Weiber Kleidung ist jetzt köstlich, aber ehrbar gemacht, und wenig (ausgenommen den fürwitzigen Ueberfluß) zu tadeln.“ In Jost Ammans Frauen- trachtenbuch, dem „Frauwenzimmer“, ist in den begleitenden Versen die Ehrbarkeit ein fast stehendes Beiwort; so heißt es: „Zu Heidelberg eins Burgers Weib Gekleidet ist an ihrem Leib Fein sauberlich und doch erbarlich, Wie das in der Stadt ist bräuchlich.“ Von den Frauen in Lübeck wird gesagt: „Auf Zucht und alle Ehrbarkeit Ist auch gerichtet ihr ganzes Kleid;“ 2. Die Reaction und die spanische Tracht. und von der Schwäbin von Hall: „Ein sauber schlecht und ehrbar Tracht, Ohn allen Ueberfluß und Pracht.“ In der That sind die Frauengestalten überall so verhüllt, daß nur das Gesicht frei bleibt, da die große Krause oder selbst der Kragen des Leibchens sich dicht unter das Kinn und die Ohren drängt. Oft wird dort, wo die alte Haube mit der breiten Kinn- binde im Bürgerstande wieder aufgelebt ist, auch vom Gesicht noch der größte Theil verdeckt. Es ist äußerst selten, wenn dem Kleid noch ein geringerer Ausschnitt bleibt, und das feingefaltete Hemd nebst der großen Krause die alleinige Bedeckung abgiebt, und zwar scheint das besonders festliche Tracht, nach heutiger Redeweise, Balltoilette zu sein. Die einzige Ausnahme macht in einigen Städten die Brautkleidung, welche gern alterthüm- liche Sitte festhält, so in Danzig, Nürnberg, Köln, wo die Braut und auch wohl die Brautjungfern halbe Decolletirung mit eckigem Ausschnitt tragen. Die übertriebene Entblößung, wie sie noch um’s Jahr 1500 statt fand, ist so sehr in’s Gegentheil umgeschlagen, daß sich nunmehr die Verhüllung Tadel zuzieht. Die Ursache kann freilich zweifelhaft bleiben, wenn es im Hof- fartsteufel heißt: „Daher auch vielleicht des Adels hoffärtig und geprächtig Vermümmeln genommen ist, aber von vielen miß- brauchet wird, denn sich wol etwa viel nicht aus Scham ver- mümmeln, sondern daß sie klar und weiß bleiben oder wollen mit den schönen Schleiern prangen.“ Dieser Grund lag aber z. B. nicht im Lande Hadeln vor, wo es am Ende des sechszehnten Jahrhunderts Sitte geworden war, daß sich die Frauen in der Kirche das Haupt mit dem Mantel verhüllten. Das erregte selbst Anstoß bei der Obrigkeit und veranlaßte den Herzog Franz zu der Bestimmung (1597), daß Jungfrauen und Frauen, alt und jung, ohne Unterschied vor und nach der Predigt, in dem Beicht- stuhl, bei der Communion, bei Taufen und Copulationen mit unverhülltem Haupt zugegen sein sollten; nur Wittwen, solange sie den Wittwenstuhl nicht verrücken, und Kinder, deren Aeltern gestorben sind, haben das Recht, drei Monate lang die Todten Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 9 III. Die Neuzeit. mit verhülltem Haupt in der Kirche zu betrauern. Diese Ver- ordnung erscheint bereits als ein Zeichen der neuen Zeitrichtung. Die Mode der Aufschlitzung, welche der Natur der Sache gemäß bei den Frauen mehr eine bloße Zierde geblieben war, als daß sie umgestaltend auf die gesammte Kleidung eingewirkt hätte, ist schon binnen wenigen Jahrzehnten aus der eigentlich modischen Damenwelt wieder völlig verschwunden, und an der einzigen Stelle, wo sie von größerer Bedeutung gewesen war, an den Aermeln, durch Wülste ersetzt. Diese treten schon gleich nach dem Jahre 1550 an den Schultern in solcher Höhe auf, daß sie der weiblichen Figur ein widernatürliches Ansehen geben. Der Kopf, ohnehin dicht in Kragen und Krause steckend, erscheint tief zwischen die Schultern versenkt, sodaß der etwaige Eindruck eines schönen Wuchses völlig vernichtet wird. Nichts Unvor- theilhafteres läßt sich denken, denn die schöne Linie der Ab- senkung vom Hals zur Schulter ist in’s grade Gegentheil ver- kehrt. Uebrigens konnten sich diese Schulterpuffen in ihrer außerordentlichen Höhe nicht lange vor der wachsenden Breite der Krause behaupten, und so verschwinden sie schon in den siebziger Jahr entweder ganz oder nehmen die tiefer liegende und bescheidnere Gestalt an, wie wir ihr häufig in Weigel’s Trachtenbuch begegnen. Zwei Kleider, ein oberes und ein unteres , gehören nun auch wieder in Deutschland zur vollständigen Toilette einer wohl- gekleideten Dame von Stand. Die Magdeburger Ordnung von 1583 unterscheidet ausdrücklich die Oberröcke und die Unterröcke, unter welchen letzteren wir uns immer volle Kleider zu denken haben. Obwohl beide einer engen und langen Taille nebst Ein- pressung des Körpers zustreben, findet sich doch das Oberkleid eine Zeitlang im vornehmen und vornehmsten Stande und dann auch im bürgerlichen in auffallender Weite getragen; es vertritt gewissermaßen die Stelle des altmodischen Mantels. Darnach hat es seine größte und anschließende Enge unmittelbar unter den Achseln und, völlig ohne Taille, läuft es von hier ohne Brechung, ohne irgend eine Falte, sich erweiternd wie eine Glocke 2. Die Reaction und die spanische Tracht. oder vielmehr wie ein umgekehrter Trichter, bis zum Boden aus, auf den es rundum im Kreise aufstößt. Denkt man sich nun die hohen Schulterpuffen und die breite, den Kopf umrahmende Krause hinzu, so ist nirgends im Contour noch etwas von der menschlichen Figur übrig geblieben; ein Schattenriß würde kaum den Gegenstand ahnen lassen. Solche Kleider werden als „weite Röcke“ in fürstlichen Inventarien ausdrücklich erwähnt und ihnen die „engen Kleider“ entgegengesetzt. An Stoff und Schmuck waren sie nicht weniger kostbar. Sie hatten eine Oeffnung von oben herab, und standen auch entweder ganz oder theilweise offen, um das untere Kleid sichtbar werden zu lassen, oder waren ver- mittelst kostbarer Knöpfe und Schnüre geschlossen. Was die Aermel betrifft, so wichen sie von den gewöhnlichen nicht ab. Nicht lange und überhaupt nicht ausschließlich hielten sich diese weiten Oberkleider, sondern indem sie Taille annahmen und sich dem Oberkörper anlegten, erhielten sie genau dieselbe Gestalt, wie wir sie bei den Spanierinnen näher beschrieben haben. So wurden sie dann durchgängig in Deutschland getragen mit größeren oder geringeren Abweichungen im bürgerlichen Stande. Schleppen und Falten wiesen sie fast ganz ab, und wo die letz- teren gestattet wurden, waren sie künstlich und regelmäßig neben einander gelegt. Es konnte natürlich auch das Unterkleid allein getragen werden, wie denn das zu Hause und im mittleren Bürgerstande als gewöhnliche Sitte zu betrachten ist. Es durfte daher an Stoff wie an Schmuck nicht minder kostbar sein als das obere. Wäh- rend in den höchsten Ständen zu Prachtkleidern gern die ge- musterten Brokatstoffe genommen wurden oder Damaste in man- cherlei Farben und Mustern, scheint in der bürgerlichen Welt das Unterkleid mehr einfarbig gewesen zu sein. Uebrigens wurde es reich mit Atlas, Seide, Sammet und Borten besetzt, wozu in den höheren Ständen noch Stickereien, Gold- und Silberschnüre, Perlen und Edelsteine kamen. In seinem Schnitt macht es den uns nunmehr bekannten Weg durch: mit langer Taille, die durch Schnürung gehoben wird, und vorn tief sich senkender Spitze 9* III. Die Neuzeit. engt es den Oberkörper ein und weiset unten den Faltenwurf zwar nicht sofort ab, aber beschränkt die Freiheit desselben und unterwirft ihn einer geregelten Ordnung. Auch diese Falten werden geglättet, als der Reifrock nach Deutschland kommt. Schon im Hoffartsteufel wird desselben gedacht: „Es ist gar ein neuer Fund, daß man die Weiberröcke unten in Schwei- fen mit alten Feigenkörben, ja mit Draht starrend machet; welches vorhin mit Filz geschehen ist.“ Im Anfang ist die Form noch insoweit gemäßigt, als der Rock von der Hüfte abwärts sich in der geschweiften Linie der Glocke profilirt und in weiter Kreis- linie rings auf den Boden stößt. Die Absicht dabei war natür- lich die Taille durch den Gegensatz schmaler erscheinen zu lassen. „Es muß auch der Schlunz im Koth sein, da man die Gassen mit kehret, voller Filz unten sein, auf daß der Rock sich ausbreite, wie man die Tocken schnitzet und malet, auf daß er mitten einen Schein gäbe, als wären sie fein schmal, wenn es gleich vier- eckigte, bäurische, starke Madonnen sind, so wills doch kleinlich geachtet sein. Da schnüret und preßt man sich, daß man unge- sund darüber wird, alles für großer Demuth, kannst du wohl denken. Derselbe Filz aber unten an den Röcken zieht sich ge- meiniglich durch das ganze Kleid, daß nichts denn lauter Filz darinnen steckt.“ Der Filz wurde größerer Bequemlichkeit halber schon bald durch Draht oder Eisenreife ersetzt, an deren Stelle auch elastische Stahlbügel traten, wie aus dem sehr bezeichnen- den Ausdruck der Magdeburger Verordnung zu schließen sein dürfte: „De Springer under den Röcken schöllen Frouwen und Jungfrouwen yn allen Stenden dorch uth vorbaden syn.“ Einen eigenthümlichen Grund zur Verbreitung giebt Osiander an: „Ferner haben wir noch ein Hoffart aus fremden Landen gebracht, nämlich die Reif unten an den Weibskleidern, die haben diesen Nutzen und Zierlichkeit: Wann ein Weibsbild nahe zu einem Tisch steht, oder aber niedersitzen will, so stehn die obersten Kleider von wegen des Reifes über sich, eines Schuchs hoch, also daß man darunter die andern geringen und nachgil- tigen Kleider sehen kann.“ 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Um das Jahr 1600, als sich schon mannigfach die Anzeichen einer neuen Costümperiode sichtbar machen, hat der Reifrock in Deutschland noch keineswegs an Bedeutung verloren; aber seine Form ist nicht zum Vortheil der weiblichen Erscheinung geändert. Städterinnen tragen ihn so, daß er förmlich einer Tonne gleicht. Folgen wir seinem Profil, so beginnt er von der Taille ab rund- um in völlig horizontaler Linie auf ein bis zwei Fuß Weite oder darüber abzustehen und dann, im rechten Winkel sich brechend, fällt er senkrecht nicht ganz bis auf den Boden herab. Im Jahr 1612 verbietet die sächsische Ordnung alle „Leibeisen“ oder die „großen Eisen und Wülste unter den Röcken.“ Als die modische Welt den Reifrock aufgegeben hat, spielt er noch eine Zeitlang seine Rolle bei den Bürgerfrauen mit den andern herunter ge- kommenen Trachtenstücken, und selbst auch bei den (protestan- tischen) Klosterjungfrauen. Eine braunschweigisch-lüneburgische Verordnung vom Jahre 1619 verbietet ihnen „mit Eisen oder sonst weit ausgesperrte Röcke zu tragen.“ Seiner Zeit werden wir ihn wieder zu neuem Lebensgange emporwachsen sehen. Als Ersatz des für gewöhnlich der bürgerlich städtischen Tracht überlassenen Mantels konnte unter Umständen das weite Oberkleid dienen, gewöhnlicher aber die kurze Schaube oder die Mantille , welcher Name schon damals in Deutschland ge- hört wurde. Die männliche Schaube war bisher nicht von den Frauen getragen worden, geht nun aber in allen Formen auf sie über, sowie sie sich in der oben angegebenen Weise verkürzt und sich, leichter und zierlicher geworden, dem kurzen Mantel nähert. Und grade so geschieht es mit dem letzteren selbst, auch diesen schlägt die modische Dame um ihre Schultern. Die gestrengen Tadler, die Geistlichen, bemerken das sofort und lassen sich dar- über mit gar wenig Galanterie aus: „Die Mantelichen oder Harzkappen waren zwar vor Alters der Geistlichen, nachmals in Niederland der Kaufleute und anderer ehrlicher Bürger Ehren- kleid, in welches doch endlich auch die Kriegsleute gekrochen sein. Aber die Weiber haben keine Ruhe gehabt, bis sie dieselbe über ihr knickknackend Ribbenfell gezogen und mit dem levitischen III. Die Neuzeit. Priesterkleid auch das Amt ergriffen. Die Kappen oder Mäntel sind vor langen Jahren des Mannes Zierde gewesen: aber die affentheurlichen neusüchtigen Weiber könnens nicht lassen, sie müssen auch Kappen umnehmen, mit breiten Aufschlägen und mit Sammet aufs herrlichste und stattlichste herausputzen, damit der Siemann gesehen werde.“ Von der gesammten Tracht des Kopfes und des Halses macht sich die Krause am meisten breit; ihrer Größe gegenüber verschwindet der Eindruck selbst eines reichen Kopfputzes. Im Allgemeinen gilt hier dasselbe, was oben von dem Kragen der Männer gesagt ist; in der Sache selbst ist kein Unterschied. Von den mancherlei gleichzeitigen Stimmen wollen wir nur die des Osiander hören, welche auf die Beschaffenheit des Kragens näher eingeht: „Sonderlich aber haben wir aus fremden Landen her- gebracht und gelernet große, lange, breite, dicke Kröß um den Hals machen aus köstlicher, zarter, theurer Leinwad. Die müssen gestärkt und mit heißem Eisen aufgezogen werden. Wiewohl nun solches ein unnothwendiger Kost, den man viel nützlicher in ander Weg’ anwenden könnte, jedoch ist dies das wenigste. Denn einmal ist an solcher großen Krösen nichts nutzlichs und nichts zierlichs, und verstendige Leut, so es sehen, haben ein Un- lust darob. Dann es siehet eben und anders nit, dann wie man malet das Haupt Johannis des Täufers in einer Schüssel. Und pranget manches mit einem schönen Krös und darf wohl ein ge- ring Hemd dabei sein. Diese Krös muß man auch mit einem feinen silbern oder andern Draht, der sonderlich dazu gemacht ist, unterbauen, daß er das Krös trage, gleichwie man ein aus- gezogene Linden mit etlichen Säulen untersetzet und unterstützet: also erfordert immer ein Hoffart die andere.“ Sowie die Krause zu ihrer colossalen Größe anwächst und namentlich im Nacken sich aufzurichten beginnt, drängt sie die ganze Frisur nach oben. Bis dahin sehen wir noch die alte Tracht sich versteifen und langsam umgestalten. Noch in den Jahren von 1570 bis 1580 ist die Haarhaube , wie sie zum Barett gehört, nicht bloß im bürgerlichen Stand die gewöhnliche 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Tracht: meist von Goldstoff und netzartig mit Schnüren um- zogen oder bestickt mit Seide oder Perlen, schließt sie mit mäßigen Wülsten zu beiden Seiten des Kopfes das Haar fast vollständig ein, und darüber ruht denn, schief aufgesetzt und mit bunten Federn über der Stirn, das verkleinerte seidene oder sammtne Barett. Es ist so hutähnlich geworden, daß es sich gewöhnlich nur als Hut bezeichnet findet. Die Kleinheit war es vornämlich, welche wieder den Anstoß erregte. „Und erstlich haben wir aus Welschland herausgebracht kleine sammatine Hütlin, die tragen die Weibsbilder, nicht zu bedecken das Haupt, sondern allein zur Zierd und Hoffart, die seind so klein, daß sie nicht den vierten Theil des Haupts bedecken mögen. Und siehet eben, als wann ein Weib ein Apfel auf den Kopf setzte und spräche: „Das ist ein Hut.“ Die goldenen Hauben waren nicht billig: in einer Lübecker Hochzeitsordnung von 1566 werden die der ersten Classe, welche als Morgengabe geschenkt wurden, auf zwölf Thaler geschätzt. Neben dieser Haube begegnen wir in den Trachtenbüchern nicht selten bei Bürgerfrauen und Bürgertöchtern zwei lang ge- flochtenen blonden Zöpfen zu dem kleinen Barett oder einer Pelzhaube; an den Spitzen mit Bändern umwunden, fallen sie den Rücken hinab, sind aber auch zuweilen am Kopf aufgebun- den. Blond war die Lieblingsfarbe aller Stände wie bei den Italienerinnen, unterlag aber auch in Deutschland in Bezug auf die Aechtheit der Farbe wie des Stoffes vielfachen Zweifeln und Anfechtungen. Den Vorwürfen der Geistlichen zufolge war auch das „Bleichen“ und Färben der Haare und das Versetzen mit fremdem Haar von den deutschen Frauen gekannt und geübt. „Die natürlichen Haare thügen nichts, sie müssen gebleicht sein oder ein Flechten von todtem Haar und großen Zöpfen wie die Bergseil“, sagt der eine, ein anderer redet von „feinen, großen, dicken, gelben, geborgeten oder erkauften Haarflechten“; es heißt auch: „es ist jetzunder ein gemeiner Brauch, einer Todten, die hübsches Haar hatte, die Haar abzuschneiden und in das Haar zu flechten“. Im Hoffartsteufel wird sogar ganz die Weise der III. Die Neuzeit. Italienerinnen angedeutet: „Da bleichet man zu jüngst das Haar, henket sie über einen Gang, wäschet sie mit sonderlicher darzu gerichteter Laugen.“ Der Gebrauch der falschen Haare wurde noch gewöhnlicher, als in den letzten Jahrzehnten des sechszehnten Jahrhunderts die der Mode folgende Welt die gewöhnliche Haube und das hut- artige Barett aufgab und das Haar in freierer und offener Weise frisirte. Es war das schon früher zuweilen, doch in seltneren Fällen geschehen, und dann in directerer Nachahmung der spa- nischen Mode der Hut in mehr männlicher Form darauf gesetzt worden. Im Jahr 1586 erregt die neue Weise, mit welcher sich auch wohl der Miniaturhut verbunden zeigt, die Aufmerksamkeit des Osiander, welcher uns die folgende Beschreibung giebt: „Darnach damit man auch mit dem Haar sondere Hoffart treibe, so machen die Weibsbilder mit ihren Haaren einen Säuhag. Dann die Haar müssen über sich gezogen werden, über einen Draht: gleichwie man in den Säuhägen die Ruthen über die Tremel zeucht.“ Das Haar richtete sich dabei von Stirn und Schläfen und aus dem Nacken aufwärts und gipfelte sich dann gekräuselt in vielfacher Weise empor. Diese Frisuren folgten im Ganzen denen der Italienerinnen, die wir oben haben kennen lernen; auch die zweigehörnte der keuschen Luna fand Beifall in Deutschland. Vielerlei Schmuck wurde mit ihnen verbunden. Durch Nadeln und Draht in ihrer Höhe fest gehalten, durch klebrige Stoffe gesteift, hatten sie nicht selten ein schweres Ge- wicht von Geschmeide zu tragen. So finden wir bei vornehmen Damen hohe Diademe, Perlschnüre, hängenden Schmuck, Ju- welen in reicher Zahl, gefaßt und geformt in den reichen Weisen der Renaissance. Sehr gewöhnlich ist noch eine besondere Haube oder eine Art von Hut, welche, entstanden, wie es scheint, aus der früheren Goldhaube, von den höchsten Häuptern wie von wohlhabenden Bürgerinnen getragen wurde und in Frankreich, in den Niederlanden, in England und überall in Deutschland gleich beliebt war. Ihre Ausbildung findet erst in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts statt; um das Jahr 1600 aber 2. Die Reaction und die spanische Tracht. schmückt sie alle hohen Damenhäupter. Man pflegt sie wohl die Stuarthaube zu nennen, vielleicht weil Maria Stuart we- nigstens eine der ersten war, die sie trug. Portraits von ihr mit derselben sind noch erhalten. Hutartig, aber niedrig bedeckt sie das Hinterhaupt, und der Rand senkt sich mit einer Spitze am Scheitel über die Stirn herab, während sie nach den Seiten in weiten Bogen die von den Schläfen aufgerichteten Haare um- spannt. Der Stoff konnte golden sein, war aber wohl häufiger Sammet oder Seide; der Rand ist mit Perlenreihen oder ande- rem Schmuck, mit den feinsten Spitzen umzogen, und von der Spitze hängt zuweilen ein Geschmeide auf die Stirn herab. Die Schuhe der deutschen Damen machen nicht viel Auf- sehen, da sie ohnehin wegen der fast auf den Boden stoßenden Röcke selten sichtbar wurden, und die Mode der Stelzenpantoffel noch keinen Eingang fand. Als Stoff war feines, weiches semi- sches Leder in Gebrauch, daneben auch Sammet und Seide in hellen und dunklen Farben. In der Form folgten sie der herr- schenden Mode mit zierlicher Zuspitzung und größerer Bedeckung des Fußes. Den Schmuck weisen sie aber trotz ihrer Verborgen- heit nicht ab: sie wurden fein geschlitzt, mit Gold- und Silber- schnüren umzogen, ja selbst auch bei ihnen soll sich die Krause wie an Hand und Hals eingestellt haben. Auch der überflüssige Gebrauch der Pantoffel, welche man damals „Trippen“ oder „Trippschuhe“ nannte, wird den Damen vorgeworfen. Es sind uns nunmehr noch einige Gegenstände übrig, welche die männliche und weibliche Kleidung zugleich vervollständigen oder zum Putz, zum Schmuck, zur Pflege der Schönheit und son- stiger Toilette gehören. Dahin sind zunächst die Handschuhe zu rechnen. Die Handschuhe erscheinen im sechszehnten Jahrhundert durchaus als stete Begleiter der Herren und Damen, wenn sie sich außer ihrem Hause befinden, doch war es nicht Sitte, sie im Zimmer anzubehalten, sodaß wir sie in den Trachtenbüchern fast beständig in der Hand gehalten finden: es gilt die gleiche Regel für beide Geschlechter. Selbst beim Tanze waren sie abgezogen. III. Die Neuzeit. Es geht das aus einer Erzählung vom Könige Heinrich III. von Frankreich hervor. Als derselbe auf seiner Reise von Polen nach Frankreich durch Wien kam, erregte er große Aufmerksamkeit bei den Damen, weil er beim Essen wie beim Tanze die Handschuhe anbehielt. Die Damen fragten, ob es eine französische oder pol- nische Höflichkeit sei, die Ursache lag aber darin, daß er „aus- brochene Hände“ hatte. Vom Stutzer wird ausdrücklich gesagt, er erscheine mit „den profumirten Handschuhlein in der Hand, oder den einen halb an die Hand gezogen, und den andern um die Finger gewickelt.“ Im Gebrauch der Handschuhe machten Vornehmheit und Alter wenig Unterschied; die Frauen trugen sie bis zur Bürgerin herab, und der ergraute Rathsherr nicht weniger wie der stutzerische Junker. Den Rang des heutigen Pariser Fabrikats nahm damals das spanische ein; es war das beliebteste in der vornehmen Welt. Ihm zunächst kamen die Handschuhe von feinem, weichem semischen Leder. Gelb war die gewöhnlichste Farbe namentlich Blaßgelb oder Strohgelb, ob- wohl die weißen noch für feiner galten; daneben finden sich in häufigem Gebrauch die dunkelbraunen, wie es scheint von der Naturfarbe des Leders, die wir mit den dänischen von Randers vergleichen können. Auch die Form ist im Allgemeinen ganz die heutige, nur ging in der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhun- derts die Schlitzung auch auf die Handschuhe über, und demge- mäß findet sich diese Zierde mitten auf der flachen Hand wie an den einzelnen Gliedern der Finger, namentlich auch über den Ringen, die damals in ziemlich colossaler Form getragen wurden. Sonst wurden die Handschuhe noch mit reichem Schmuck und mit goldenen Knöpfchen versehen. Die Damen bestickten sie mit Seide, Silber und Gold und schenkten sie als liebe Gaben an verwandte und befreundete Herren; auch fürstliche Damen thaten das. Die Königin Margaretha von Navarra, Heinrichs IV. erste Gemahlin, trug auf Bällen Handschuhe, die mit Diamanten be- setzt waren. Besonders liebte man, die Handschuhe zu parfümi- ren oder mit wohlriechender Salbe einzureiben. Die „bisamir- ten“, ( sweet-washed, wie man in England sagte,) „die mit 2. Die Reaction und die spanische Tracht. köstlichem Unguent angesalbten“ Handschuhe erregten ein großes Aergerniß der Moralisten, aber die Sitte war allgemein. Nicht so ist es mit den „großen ungeheuren Hensken“, von denen ein Prediger spricht, „die etliche auch im Sommer tragen, soweit, daß einer ein ziemlich paar geraumer Aermel daraus könnte ma- chen lassen.“ Es kann nur eine vorübergehende und local be- schränkte Modelaune gewesen sein, denn lange Handschuhe sind nur zu entblößten Armen naturgemäß, und letztere Sitte tritt erst wieder im folgenden Jahrhundert hervor. Wie wir schon oben angedeutet haben, verdankt der Strumpf durch die Trennung des Beinkleides am Knie erst dieser Costümperiode seine eigentliche Entstehung, oder datirt wenigstens von ihr an sein selbständiges Dasein, seine lebendige Entwicklung als ein bedeutungsvolles Stück der menschlichen Kleidung. Bis dahin war er selbst da, wo er wirklich existirt hatte, als ein Theil oder Anhängsel des Beinkleides wie im frü- heren Mittelalter von der langen Oberkleidung verborgen und unbeachtet geblieben und bei den Schleppkleidern der Frauen ohnehin keiner Berücksichtigung würdig gehalten; noch weniger hatten die kamaschenartigen Ueberzüge der Bauern, welche hier und da vorkommen, zu irgend einer Art von modischer Existenz durchdringen können. Sein neues und charakteristisches Leben wurde aber auch erst jetzt ermöglicht, da gleichzeitig die Strumpf- strickerei erfunden wurde, die allein ihn befähigte, den Ansprü- chen, welche die Schönheit des Beines an ihn machte, vollkom- men Genüge zu leisten. Durch mehrfache Zeichen wird seine Wirksamkeit bedeutungsvoll angekündigt. Erst in diesem Jahr- hundert tritt in der deutschen Kunst das männliche Bein, nament- lich der Unterschenkel, in sein Recht ein; im ganzen funfzehnten Jahrhundert und noch im Anfang des sechszehnten kam es trotz der Enge des Beinkleids völlig zu kurz; die Künstler schienen mit Vernachlässigung der unteren Hälfte des Körpers alle Kraft auf den Kopf zu concentriren. Zugleich geht mit der weiblichen Welt eine ähnliche Sinnes- und Geschmacksänderung vor: ein schönes Bein einer schönen Frau gilt den Männern nun als ein beson- III. Die Neuzeit. deres Reizmittel der Liebe, und damals konnte, worauf früher niemand verfallen wäre, Brantome eine eigene Abhandlung schreiben: Sur la beauté de la belle Jambe et la vertu qu’elle a. Trotz der Verborgenheit wurde nun die ganze Chaussüre einer besondern Sorgfalt unterzogen, wie sie früher nur etwa den Fü- ßen zu Theil geworden war, und diejenigen Kammerfrauen und Zofen hoher Damen standen in der höchsten Gunst und Gnade ihrer Gebieterinnen, welche es verstanden, ihnen die Strümpfe aufs beste ohne eine Spur von Falte „wie das Fell einer Trom- mel“ in straffer Enge zu befestigen und das Knieband aufs zier- lichste umzulegen. Brantome gesteht übrigens, daß es unter Umständen doch den Damen möglich war, hiermit Parade zu machen, namentlich seitdem die Königin von Ungarn, die Schwe- ster Kaiser Karls V. , einmal mit ihrem Hofstaat ein allegorisch- mythologisches Spiel aufgeführt hatte, wobei die Damen als Nymphen erschienen. Es wurde dann beliebte Mode für die Hofleute, in eigener Person solche Ballette aufzuführen, in wel- chen die Damen à la nymphale sich kleideten, d. h. mit Röcken, welche nur bis zum Knie reichten. Als der Strumpf und mit ihm das Bein zur Anerkennung gekommen, machten sich davon noch andere Einflüsse in der Ge- sellschaft geltend. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß dies mit der Herrschaft der spanischen Etiquette zusammentrifft, welche damals, aus den Höhen der Höfe herabsteigend, die verschiede- nen Lebenskreise der gebildeten Welt mehr und mehr in ihre er- starrenden Fesseln zu schlagen begann. Der Strumpf und die Ziergrazie der Etiquette gehören nothwendig zusammen, und wenn das spanische Costüm den Kniestrumpf Anfangs abwies als ein Erzeugniß deutscher Ungebundenheit und landsknechtischer freiheitslüsterner Renommisterei, so ersetzte es diesen Mangel dadurch, daß es fast zuerst die Strickerei für sein langes anschmie- gendes Beinkleid benutzte: seidene Tricotbeinkleider mußten für die Zierlichkeit des Strumpfes und des Kniebandes entschädigen. Die Franzosen und die Italiener erkannten rascher die Bedeu- tung der deutschen Erfindung, nahmen sie an, wandelten sie 2. Die Reaction und die spanische Tracht. aber in ihrem Sinne um. Erst mit dem Strumpf verschwinden die gehenden, trippelnden und hopfenden Bewegungen des spät mittelalterlichen Tanzes, welche Kunst nun erst in ein System edler oder vielmehr eleganter Bewegungen nach den Regeln einer akademischen Grazie gebracht wurde. Als die Heimath derselben ist Italien und zwar, wie es scheint, vorzugsweise das spanische zu betrachten, welches auch die ersten „Professoren der Tanz- kunst“ aufstellte. Von hier gingen auch am Ende des sechszehn- ten Jahrhunderts die ersten großen Werke aus, welche den Tanz mit Illustrationen theoretisch und systematisch behandeln. Doch vermochten trotzdem die Folgen in Deutschland sich noch nicht in höherem Grade sichtbar zu machen, da bald eine neue Periode naturalistisch entgegentrat, und der dreißigjährige Krieg und die Herrschaft des colossalen soldatischen Stulpstiefels Strumpf und Schuh eine Zeitlang ganz zurückdrängten. Erst nach dem Kriege werden wir die Franzosen die unterbrochene Richtung wieder auf- nehmen sehen, und damit betrat der Strumpf unter Ludwig XIV. sein goldenes Zeitalter’. Im Jahre 1552 trugen die französischen Herren noch keine Strümpfe, sondern das lange Beinkleid nach spanischer Weise. Damals kam aber in Deutschland der Strumpf zum Durchbruch, zwar noch nicht von Seide, sondern von Baumwolle oder Wolle. Die ersten seidenen gestrickten Beinkleider trug in Frankreich Kö- nig Heinrich II. im Jahre 1559 bei der Hochzeit seiner Schwe- ster mit dem Herzog von Savoyen; ein paar Jahrzehnte später aber, zu Brantome’s Zeiten, waren mit der gepufften Kniehose auch die seidenen Strümpfe mit Knieband bei den Herren allge- mein geworden. Brantome erzählt, er habe viele Liebhaber ge- kannt, die, wenn sie sich neue seidene Strümpfe gekauft, ihre Schönen darum ersucht hätten, sie erst acht oder zehn Tage an- zulegen, wonach sie die also eingeweihten dann mit großer Ver- ehrung und Befriedigung getragen hätten. Gestrickte Beinkleider der Herren und gleiche Strümpfe der Frauen scheinen in England schon einige Jahrzehnte früher im Gebrauch gewesen zu sein, doch neben ihnen und später noch die III. Die Neuzeit. aus wollenem oder anderem Zeug vom Schneider zugeschnittenen oder gefertigten. Um die Verbreitung dieses leichten Erwerbs- zweiges in England machte sich die Königin Elisabeth ein großes Verdienst, sodaß derselbe gegen das Jahr 1577 schon auf dem Lande ausgeübt wurde. Heinrich VIII. war der erste, der in England ein gestricktes seidenes Beinkleid trug, welches er durch Zufall aus Spanien erhalten hatte. Es scheint am Ende seiner Regirung gewesen zu sein, denn es wird noch sehr viel Werth darauf gelegt, als sein Sohn Eduard VI. von einem Kaufmann ein gleiches Paar aus Spanien erhielt. Erst seitdem Elisabeth im dritten Jahre ihrer Regirung 1561 von ihrer Seidenhändle- rin ebenfalls ein Paar gestrickter seidener Strümpfe von schwar- zer Farbe bekam und seitdem keine andern mehr tragen wollte, wurde diese Art Hosen und Strümpfe heimischer in England, zumal als die Strümpfe mit dem Verschwinden des spanischen Beinkleids auch auf die Männerwelt übergingen. Dazu kam noch am Ende des sechszehnten Jahrhunderts die Erfindung des Strumpfwirkerstuhls durch William Lee, sodaß nun auch das Fabrikat billiger wurde. In Deutschland trug man die lange Strumpfhose oder die Kniestrümpfe, je nach dem Vorherrschen des spanischen oder des deutschen Beinkleides. Die gestrickte Seide ist aber noch eine Zeitlang von großer Seltenheit. Denn als im Jahre 1569 der geheime Rath Barthold von Mandelsloh, der als Gesandter in Italien gewesen war und von dort ein Paar seidene Strümpfe mitgebracht hatte, an einem Wochentage mit denselben bei Hofe erschien, vermerkte der Markgraf Johannes zu Küstrin diesen Luxus sehr ungnädig und sagte ihm: „Bartholde, ich habe auch seidene Strümpfe, aber ich trage sie nur des Sonn- und Fest- tags.“ Am Ende des sechszehnten Jahrhunderts trägt an dem brandenburgischen Hofe der gelehrte Alchimist Leonhard Thur- neisser, der sich gern kostbar kleidete, die seidenen Strümpfe all- täglich. In Magdeburg müssen sie 1583 auch schon eine Rolle spielen, doch gelten sie noch für einen derartigen Luxus, daß die Kleiderordnung dieses Jahres sie durchaus untersagt. Aehnlich 2. Die Reaction und die spanische Tracht. geschieht es in der allgemeinen sächsischen Ordnung von 1612, worin sie allen „Schössern, Amtsvögten, Verwaltern, Bürger- meistern und Rathsverwandten“ und natürlich auch allen, die im Range unter ihnen sind, verboten werden. Die späteren Luxus- gesetze gehen allmählig damit von Classe zu Classe abwärts: so z. B. erlaubt sie ein Braunschweiger Gesetz von 1650 bis zur dritten Classe des Bürgerstandes, die von ihrem Gebrauche aus- geschlossen ist, eine hildesheimische Verordnung von 1663 unter- sagt sie den Kammerdienern und Copisten. Die eleganteste Farbe der Strümpfe war namentlich für die Damen die weiße, obwohl wir bei der englischen Königin Elisa- beth schwarze kennen gelernt haben. Bei den Männern richtete sie sich mehr nach der des Beinkleides, mit welcher sie fast durch- gängig zusammenstimmen mußte, und daher wurden dann die schwarzen besonders allgemein, wo diese Tracht wie in den republi- kanischen Niederlanden und auch in Spanien zur gewöhnlichen und selbst eleganten geworden war. In Deutschland gingen auch die schwarzen Strümpfe in die Amtstracht städtischer Be- hörden über, der Geistlichen nicht zu gedenken. — Damen tru- gen im Sommer auch filetartig durchbrochene Strümpfe. Ein eigenthümlicher Schmuck, der sich früh einstellte, war der Zwickel . Wir finden ihn schon in der zweiten Hälfte des sechs- zehnten Jahrhunderts so gebräuchlich, daß ein Prediger sagt: „An den Strümpfen weiß ich nichts zu tadeln ohne die Zwickel, so mit Lilien eingemacht sind.“ Sein ursprünglicher Zweck war offenbar durch Einziehung über dem Gelenk den Strumpf straf- fer zu machen oder wenigstens so erscheinen zu lassen, um damit die Eleganz eines wohlgeformten Beines zu erhöhen. Der Zwickel erhielt sich, solange der Strumpf noch ein sichtbares Dasein führte, bis er unter dem langen Beinkleid verschwand. In dieser Periode wurde auch das Taschentuch für Män- ner und Frauen allgemein und sogar ein Gegenstand des Luxus. Der oben mehrfach erwähnte Anstandskatechismus schreibt auch den Knaben seinen fleißigen Gebrauch vor. „Frage: Ist’s auch höflich mit dem Barett oder Rock die Nasen schneuzen? Antw.: III. Die Neuzeit. Nein, denn solches gehört sich zu thun mit dem Facilletlein, so aber dapfer Leut vorhanden, soll sich der Knabe fein umkehren und sauber machen.“ Dem Namen nach (fazzoletto) dürfte sein Ursprung in Italien zu suchen sein. In Vecellio’s Trachtenbuch tragen die Damen es sehr gewöhnlich in der Hand, und ebenso auch in Jost Amman’s Frauenzimmer. Die Magdeburger Ord- nung (1583) sieht sich genöthigt, seinen Preis nach den Classen zu bestimmen und seine Verzierung zu beschränken: „Des Brüde- gammes unde der Mannes Personen vam Geschlecht ere Schnüf- feldöke schal eines över anderthalven Daler nicht werth syn; der gemeinen Börger einen halven Daler, unde der Denstboden einen halven gülden, by peen einer Marck. Overst de Freuchenge- schlinge van Sülver unde Golde schöllen an den Schnüffeldöken gar vorbaden syn, by peen dryer Marck.“ Eine dresdener Klei- derordnung von 1595 verbietet den untern Ständen, mit Ta- schentüchern ein Hochzeitsgeschenk an die Brautleute zu machen. Der Stoff war Kammertuch oder feine Leinwand und der Besatz bestand aus kostbaren Spitzen; auch hohle, durchbrochene Nähte faßten das Tuch ein und an den Ecken hingen kleine Quästchen. Eine weitere Zierde war Stickerei mit Gold und Silber, mit Perlen, Goldrosen oder andern werthvollen Gegenständen. Ge- wöhnlich war das Taschentuch weiß, doch waren die farbigen auch in den höchsten Ständen gebräuchlich; selbst fürstliche Damen Frankreichs trugen auf Bällen solche, mit spanischen Kanten be- setzt. In Weigels Trachtenbuch — wir haben ein altcolorirtes Exemplar vor uns — führt eine Jungfrau aus Breslau ein Lilataschentuch mit weißen Kanten bei sich. Schon im sechszehnten Jahrhundert feuchteten die Damen ihre Taschentücher mit wohlriechendem Wasser an, das zugleich zur Conservirung und Verbesserung des Gesichtsteints dienen sollte. Die im Jahr 1575 herausgekommene Weiberzierung des Alessio giebt das Recept, ein solches Wasser zu bereiten, „um Schnauptücher darin zu beizen oder dunken, welche das Ange- sicht schön weiß und wohlgefärbt machen, so man es damit ab- wischt oder abstreicht, und je baß man das Gesicht damit reibet, 2. Die Reaction und die spanische Tracht. je schöner es wird. Diese Tücher währen sechs Monate lang.“ Ob der Erfolg auf die Dauer der rechte gewesen, dürfte sich be- zweifeln lassen, da die Ingredienzen theilweise etwas gefährlicher Art waren: „Alaun, Malvasir, Borris, Gummi Tragant und arabicum wird mit Quecksilbersublimat und Bleiweiß, Eierklar, Terpentin, Essig und Imber gekocht, auch Myrten, Campher, funfzig Schnecken, eine gerupfte feiste Henne, Pommeranzen, Citronen und Zuckercandel zugemischt.“ In dieses Wasser wur- den die Tücher siebenmal getaucht. „Und so du solchen zum sie- benden Mal gethan hast, seind sie recht zubereitet, köstlich und fürtrefflich für Königin und andere köstliche Weiber.“ Man nannte solche Tücher mouchoirs de Venus und behielt sie lange im Gebrauch, doch nahm man später weniger gefährliche Be- standtheile dazu. Obwohl der Fächer noch nicht die Rolle spielt wie im acht- zehnten Jahrhundert, wo er ein steter Begleiter der Damen war und ein ergänzendes Hülfsmittel für die stumme Sprache der Augen und Gebärden, so war doch schon in der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts sein Gebrauch ein sehr gewöhn- licher, und was die Form betrifft, so übertraf er an Eleganz und Mannigfaltigkeit noch seinen späteren Nachfolger. Dreierlei Hauptformen begegnen uns auf zahlreichen Bildern, von denen diejenige, welche ihn aus Federn bildet, wohl die häufigste ist. Buntgefärbte Straußenfedern sind es gewöhnlich, welche schei- benartig oder als Wedel in einem vereinigten dicken Busch um einen Knopf oder ähnlich geformten und reich verzierten Schmuck, welcher sich auf einer Handhabe befindet, befestigt sind. Die Damen tragen ihn frei in der Hand oder hängend an einer Kette oder Schnur, welche vom Gürtel ausgeht. Wir haben oben ge- sehen, wie in England sich auch wohl ein Sehglas im Knopfe befand. Die zweite Art hat die Form eines kleinen Fähnleins, welches Ausdrucks man sich auch damals bediente: es ist dies ein mehr oder minder verzierter Stiel, der etwa die Länge von einem bis anderthalb Fuß hat, und an dessen einem Ende sich mit seiner längeren Seite das Fähnlein in der Größe eines klei- Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 10 III. Die Neuzeit. nen Quartblattes befestigt findet. Es bestand aus einem Rah- men, über den Seidenstoff oder auch Strohgeflecht ausgespannt war. Der Seidenstoff zeigt sich oft kostbar und kunstreich bemalt und um den Rand herum reich geschmückt. Die dritte Art ist die- jenige, welche nachher die allein gebräuchliche wurde, der be- kannte Faltenfächer, welcher im sechszehnten Jahrhundert schon ganz die Gestalt wie im achtzehnten hatte: die beiden äußersten deckenden Glieder von Holz oder Elfenbein waren oft geschnitzt und die Seide oder das Papier, welche die inneren Rippen überzog, be- malt oder in anderer Weise verziert. Da der ursprüngliche Zweck des Fächers war, Kühlung zu verschaffen, so verdankt man seine Entstehung den wärmeren Ländern, und es blieb für diese Periode auch sein Gebrauch in Italien wenigstens ein ausge- dehnterer als in Deutschland. Hier wurde der Fächer sehr häu- fig durch ein frisches Blumenbouquet, welches an der Spitze eines Stiels befestigt war, ersetzt. Der Schleier , der vom Barett zurückgedrängt worden, vermag sich, was Deutschland betrifft, auch für diesen Zeitraum noch nicht zu einiger Bedeutung zu erheben, während in Italien und Spanien Luft und Sonne ihn nie außer Gebrauch gesetzt hatten. In diesen Ländern ist er, sei es von dünnerem oder dich- terem Stoff, fast eine Nothwendigkeit, während die damals nach- ahmenden Französinnen ihn mehr als Putzstück trugen. Als sol- ches bedienten sich seiner auch wohl die deutschen Frauen zu dem spanischen Hut, denn es werden erwähnt „Schleier, gelb und klar, mit silbernen und güldenen Streiflein, mit hohlen Nähten“, oder sie folgten dem moralistischen Zuge der Reactionsperiode und „vermümmelten sich.“ Desgleichen war die Schleppe , welche eigentlich schon von der Reformation außer Gebrauch gesetzt war, von der Tracht des gewöhnlichen Lebens ganz ausgeschlossen. Nur hier und da gehörte sie gleich dem langen aufgelöseten Haar und den von der Schulter bis auf den Boden herabfallenden Aermeln zur hoch- zeitlichen Tracht: Braut und Brautjungfern trugen sie, ließen 2. Die Reaction und die spanische Tracht. sie nachschleifen oder legten sie über den Arm. In Nürnberg hießen solche Kleider Flügelröcke. Ebenfalls war sie aus dem Hofleben nicht verbannt, doch auch hier nur bei feierlichen Ge- legenheiten gebräuchlich. Bei der Vermählung Heinrichs IV. mit Maria Medicis hatte das Brautkleid der Königin eine Schleppe von funfzehn Ellen Länge, „mit eitel güldenen Lilien besetzt, darinnen sie glänzte, wie die Sonne in den Wolken.“ Schon mehrfach ist angedeutet worden, wie diese Periode ihren eigenthümlichen Charakter grade in der Farbe zur Erschei- nung bringt und dadurch namentlich zum funfzehnten Jahrhun- dert und auch noch zur Reformationsperiode in den entschieden- sten Gegensatz tritt. Vor der Bußfertigkeit und der Ehrbarkeit verschwindet all die bunte Farbenlust, und selbst die Landsknechte mit ihren pludrigen Massen werden hierin bescheidener. Wir haben gesehen, wie die symmetrische und unsymmetrische Farben- theilung über den ganzen Körper von Kopf zu Fuß in der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts noch in fröhlicher Blüthe steht, in der zweiten bleibt sie nur noch dem Schweizer, der gerne mit dem alten Costüm „prangt und pracht“, bis sie im folgenden Jahrhundert zweigetheilt in des Landes Farben bei den Weibeln und andern öffentlichen Dienern stehn bleibt und in dieser Weise in die Gegenwart hereinreicht. Auch in deutschen Städten konnte man bei den Stadtdienern noch bis Ende des vorigen Jahrhun- derts, vielleicht auch noch im gegenwärtigen, diese Versteinerung einer tausendjährigen Sitte erkennen. Zugleich mit der bunten Zusammensetzung weicht auch die Lebhaftigkeit der Farben, und die dunklen oder die gebrochenen erhalten den Vorzug. Es ist das freilich mehr noch in der Männerwelt der Fall als bei den Frauen, doch auch bei diesen bringt ein einfarbig dunkles Ober- kleid gewöhnlich dieselbe Wirkung hervor. Es ist im wohlhaben- den wie im niedern Bürgerstand nichts seltnes und sogar als die Regel zu betrachten, daß Wamms und Beinkleid, mag es nun die Pluderhose oder das spanische sein, von einer wenig wirkungs- vollen Farbe sind, und nimmt man schwarze Schuhe und schwar- zen Hut und eine dunkelbraune Schaube oder Mantel dazu, so 10* III. Die Neuzeit. ist es eigentlich nur die lichtbraune Pelzverbrämung, welche eini- ges Leben in die düstere Farbenstimmung bringt. Schwarz und Weiß sind die Farben, welche diese Zeit auf ihrer Höhe charak- terisiren, die Farben der Trauer und der Buße, welche, ursprüng- lich von der Geistlichkeit für die Kirche und den Tisch des Herrn in Anspruch genommen, jetzt auch die der Festfreude und der Amtstracht werden. Der Rath der Stadt Braunschweig schrieb sie auf das Betreiben der Geistlichkeit auch den Frauen beim Besuch des Abendmahls vor, wo sie denn allgemein bis auf den heutigen Tag in Gebrauch geblieben sind. Vorzüglich war es wohl die reformirte Kirche, welche zur Verbreitung der schwarzen Tracht in der Weltlichkeit das meiste beitrug, doch muß man hin- zufügen, daß sie auch von dem spanischen Katholicismus und mit persönlicher Vorliebe von Philipp II. begünstigt wurde. Da- durch wurzelte sie namentlich in den Niederlanden durch alle Stände so tief ein, daß nicht einmal die nun folgende Periode des Naturalismus, welche doch vor allem die dortige Kunst um- schuf, sie verdrängen konnte. In Folge dessen sehen wir sie auch den Bildern des Rubens und seiner Schule, namentlich den Por- traits, den Charakter der ruhigen, ernsten, selbstbewußten Würde aufdrücken; bei der Einfachheit der Farben, wodurch sich die Nie- derländer auszeichnen, ist sie hier von entschieden malerischer Wirkung. — In Frankreich und Italien lagen die Gründe zu dieser Geschmacksänderung weniger vor, und daher behielt man hier in höherem Grade helle und lebhafte Farben bei. Doch dürfte es wohl als ein Zeichen für die Allgemeinheit der ernste- ren Richtung zu betrachten sein, daß der König Heinrich III. von Frankreich zuerst bei der Trauer sich nicht mehr der rothen Klei- dung bediente wie seine Vorfahren, sondern der schwarzen. Auch an den deutschen Höfen und beim höheren Adel folgte man bei allen festlichen Gelegenheiten mehr der fremden fröhlicheren Weise. Trotz dieser äußeren Ehrbarkeit war man jedoch keineswegs gewillt, dem Luxus zu entsagen: was dem äußeren bunten Scheine abging, ersetzte man durch die Kostbarkeit des Stoffes 2. Die Reaction und die spanische Tracht. und des Schmuckes . Die zahlreichen Luxusordnungen, welche immer diesen Punkt und fast allein ins Auge fassen, scheinen von wenig Wirkung gewesen zu sein, denn die Klagen wieder- holen sich immer aufs Neue. „Es ist jetzt kein Bürger so arm,“ heißt es im Schrapteufel des Milichius, „kein Handwerksgesell und Pflugbengel so gering, welcher nit wölle Sammat und Sei- den tragen, der Barchent und Harras und gemeines Tuch ist alles zu schlecht worden. Manch armer Tropf und manch arme Magd bringen kaum zehn Gulden zusammen, wenn sie zur Ehe greifen und hänget jedes irgend für zwanzig oder dreißig Gulden Klei- der an sich.“ Gegen das Ende des Jahrhunderts machte auch die Einfachheit, welche die Reformation an Fürstenhöfen herbei- geführt hatte, rasch einem steigenden Luxus wieder Platz. Wenn die Augsburger Ordnung den Edelfrauen nur vier Kleider des kostbareren Stoffes, Sammt, Damast oder Seide, gestatten wollte, so war das funfzig Jahre später eine Zahl, die inne zu halten eine Lächerlichkeit gewesen wäre. Die Geistlichen klagen, daß man nicht bloß alle Tage ein anderes Kleid tragen wolle, sondern täglich mehrere Mal wechsele. Im Anfang des sieben- zehnten Jahrhunderts hinterließ eine Edelfrau 32 vollständige Anzüge, während ihr Mann, Hans Meinhard von Schönberg, deren 72 besaß nebst einer ungefähr gleichen Anzahl mit Gold und Silber gestickter Handschuhe und 21 Hüten, wozu 26 Stück farbige Federn gehörten. Aber der Luxus mit Kleiderstoffen, welche die Gesetze auf Grundlage der erneuerten Augsburger Reichsordnung bis ins siebzehnte Jahrhundert den einzelnen Classen aufs allergenauste vorschreiben, war noch das wenigste. Ihr Werth wurde noch weit überboten durch die Verzierung an Spitzenbesatz, Stickerei und Goldborten, Perlen und Juwelen, wodurch sich zugleich der Lohn der Arbeit ins Unglaubliche steigerte, sodaß dieser allein bei einem männlichen Gewand auf 600 Thaler kommen konnte; frei- lich wurde auch Wochen lang von mehreren Personen daran ge- arbeitet. Auf gefällige Muster, zu welchen natürlich in dieser Periode die Ornamentik der Renaissance die allein herrschende III. Die Neuzeit. war, wurde viel Werth gelegt. Man erhielt sie meistens aus Italien, jetzt dem einzigen Lande der Kunst und des Geschmacks, woher auch Frankreich die seinigen holte. Wenn ein neues Mu- ster, eine neue Zeichnung angekommen war, wanderte sie von Hand zu Hand, von einer Fürstin zur andern, ein Privatverkehr, der die heutigen Modejournale ersetzen mußte. Große Handels- häuser hatten auch deren eine Auswahl vorräthig. Außer den Modellen ließ man sich auch geschickte Putzmacherinnen aus Ita- lien kommen, die an Fürstenhöfen beständig Arbeit hatten. So schreibt die Herzogin Dorothea von Preußen dem Geschäftsträ- ger ihres Gemahls in Rom: „Da ihr euch uns zu dienen mit allem Fleiße angeboten, so ist unser gnädiges Begehren, ihr wol- let uns etliche säuberliche Formen und Modelle auf die welsche Art, mit weißer Seide ausgenäht, sonderlich auf die neue Art, da die Leinwand ausgestochen und durch sonderliche Kunst mit Rosen und Blumenwerk wieder mit weißem Zwirn eingezogen wird, bestellen und mitbringen. Sonderlich aber geschähe uns zu gnädigem Gefallen, wenn ihr uns irgend ein feines tugend- sames Weib oder Jungfrau, die nicht leichtfertiger Art wäre, mit euch brächtet, oder aber wo diese nicht zu erlangen wäre, eine solche Mannsperson, die solche Modelle und Formen, des- gleichen auch goldene Borten, so man jetzo aus Welschland bringt, machen könne.“ Putzmacherinnen waren umsomehr erforderlich, als zu ande- rem Besatz in dieser Periode auch die Spitzen kamen. Um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts war die eigentliche Spitzen- klöppelei im sächsischen Erzgebirge erfunden worden und hatte sich rasch verbreitet. Schon vor dem Jahr 1570 erschien das erste Modellbuch für Spitzen im Holzdruck, und um das Jahr 1600 gab es bereits eine ganze Anzahl davon. Vorzüglich war es der Kragen, der in allen krausen Windungen mit Spitzen um- zogen wurde und zwar in so wachsender Breite, daß bald die Spitze die Hauptsache wurde und nur ein kleines Stück Zeug noch am Halse übrig blieb, sie zu halten; jetzt namentlich bedurfte die Krause der künstlichen Stützmittel. In gleicher Weise traten 2. Die Reaction und die spanische Tracht. die Spitzen an die Manschetten und auch die Stuarthaube um- zogen sie. Um das Jahr 1600 gab es auch farbige Spitzen und solche, in welche feine Gold- und Silberfäden hineingeflochten waren. Bei weitem luxuriöser, und das namentlich in der männlichen Welt, wurde ihr Gebrauch in der nächstfolgenden Periode. Nichts gleicht aber dem außerordentlichen Luxus, welcher mit Schmuck aller Art, mit Perlen, Edelsteinen und kostbar gefaßtem Geschmeide getrieben wurde. Aus dieser Zeit, der Blüthe deutscher Renaissance, stammen die reichsten und wunder- barsten Arbeiten der Goldschmiedekunst, welche, ursprünglich be- stimmt, Haus und Tafel prunkvoll zu verzieren, nunmehr die kostbarsten Raritäten der Kunstkabinette sind. Zu keiner Zeit leistete dieses Gewerbe in technischer Beziehung Höheres, aber auch zu keiner Zeit hatte es zahlreichere und werthvollere Auf- träge auszuführen. Die Anwendung von Juwelen und edlen Metallen wuchs in jeder Weise zum Schmuck des Hauses wie des Menschen; man überzog die Kleider damit, band ihn ins Haar oder flocht ihn um die Stirn; man hing ihn ins Ohr, legte ihn um Hals, Arm, Hand und Finger, man ließ die rei- chen Gürtel mit Taschen und Messern herabhängen und bestickte auch die Schuhe mit Perlen und Edelsteinen und heftete Gold und Silber daran. Nicht ohne Einfluß auf diese übertriebene Lust war die Entdeckung der neuen Welt und die Eröffnung sei- ner Schätze. Es machte daher auch Spanien den Anfang, an dessen Geschmack sich Frankreich anschloß, während sich, wie wir oben gesehen haben, die Italiener einer edleren Maßhaltigkeit rühmten. Ein Spanier ist entzückt, wenn er von den Kleidern der Damen in seinem hochtrabenden Pathos rühmen kann: „Hier fanden ihren Mittelpunkt die Edelsteine des Orients und die edlen Metalle des Occidents in solcher Menge, daß sie das Geheimniß der Kleider bewachten, ohne die ihnen untergelegten Farben zu verrathen.“ Fast möchte man geneigt sein, diese Worte buchstäblich zu nehmen, wenn man lieset, daß die Königin Maria Medicis bei der Taufe ihres Sohnes einen Rock mit 32,000 III. Die Neuzeit. Perlen und 3000 Diamanten besetzt getragen habe. Die Herren standen den Damen nicht nach. Unter den Prächtigen der Präch- tigste am französischen Hofe war der bekannte Marschall Bassom- pierre, von dem die folgende Geschichte erzählt wurde. Als einst zur Taufe der Dauphine alle Sticker und Schneider in Paris bereits vollauf beschäftigt waren, gerieth er in nicht geringe Ver- legenheit. Doch half ihm sein Schneider mit der Nachricht, daß soeben ein Kaufmann aus den Niederlanden mit einer ganzen Pferdeladung von Perlen angekommen sei. Von diesem kaufte er funfzig Pfund Perlen und wählte sich einen violetten Gold- stoff mit Palmzweigen, die in einander geflochten waren. So kam ihm dieses Prachtkleid freilich auf 14,000 Thaler zu stehen und die Stickerei allein auf 600. König Heinrich III. trug auf seinen Kleidern einmal nicht weniger als 4000 Ellen Goldbor- ten. Bei der Hochzeit des Königs Sigismund von Polen mit der Erzherzogin Constanzia kostete die Kleidung des Brautpaars 700,000 Thaler, nicht eingerechnet die großen Diamanten, deren sich fünf im Werth von einer Million Goldes am Hut des Kö- nigs befanden. Als Heinrich IV. mit Maria Medicis zu Lyon die Vermählung feierte, schenkte er ihr ein Halsband im Werth von 200,000 Kronen, ein Bruststück von 100,000, und weiter für 200,000 Kronthaler an Ringen und andern Kleinodien. Von Philipp II. wird erzählt, daß er einst seiner Gemahlin Eli- sabeth eine Schüssel voll des kostbarsten Salates geschenkt habe: die Topasen bedeuteten das Oel, die Rubine den Essig, Perlen und Diamanten das Salz und Smaragden den grünen Salat. Bescheidener freilich lauten die Nachrichten von deutschen Fürstenhöfen, in Bezug auf welche wir einen Maßstab an der folgenden Ausstattung der Prinzessin Anna von Preußen bei ihrer Vermählung mit Johann Sigismund von Brandenburg (1594) erhalten. Ein goldenes Halsband mit 18 Rosen von Edelsteinen, darunter 5 Rubinrosen, 4 Diamantrosen und 9 glänzende Perlstücke, von Meister Gabriel Lange in Nürnberg verfertigt, kostete 3750 Mark, ein anderes 3115 Mark und ein drittes mit 32 Diamanten, Perlen und goldenen Rosen 1487 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Mark. Ein viertes Halsband im Werthe von 3000 Mark schenkte die fürstliche Mutter der Braut aus ihrem eigenen Klei- nodienschatze. Ferner eine goldene Kette für 265 Mark, 60 Ringe mit Rubinen an Werth 360 Mark, 48 in Augsburg verfertigte und mit 396 Mark bezahlte sogenannte Kreuzringe. Für Perlen zum Schmuck wurden 1745 Mark verwendet, sodaß mit noch einigen andern Kleinodien die Ausstattung in dieser Beziehung 14,633 Mark betragen hatte. Selbst im Verhältniß zu dieser Summe erscheint das unbedeutend, was im Jahr 1589 die ein- zige Tochter des Landgrafen Wilhelm von Hessen-Cassel bei ihrer Vermählung mit dem Grafen Ludwig von Nassau-Weilburg an Schmuckgegenständen unter ihrer Ausstattung miterhielt: zwei Ketten mit Perlen für 150 Gulden, ein gülden Pferdlein mit Rubinen, Diamanten und Perlen für funfzig Gulden, zwei Kleinodien, darin Fides stand, mit Edelsteinen aller Art für 220 Gulden. Indessen liegen auch andere Angaben vor. In dem Inventar der Schmucksachen des schon oben erwähnten Hans Meinhard von Schönberg, eines reichen Edelmannes, welcher im Jahre 1615 starb, kommen unter andern die folgen- den Gegenstände vor: eine Diamantkette in Gold gefaßt von 115 Gliedern, die nachher um 1200 Gulden verkauft wurde; eine goldene Rosenkette von 40 Diamantrosen, eine Medaille mit 63 Diamanten besetzt; eine goldene Rose mit 41 Diamanten nebst drei kleinen dergleichen, 9 Diamantknöpfe, zwei blau emaillirte Sterne, jeder mit 6 Diamanten; ein Hutband von 23 goldenen Sternen, jeder mit 7 Diamanten, nebst der dazu gehörigen Schnalle mit 9 großen und 23 kleinen Diamanten besetzt, welches Kleinod um 800 Gulden verkaust wurde; ein goldener Federbusch mit goldener Huthafte mit 20 Diamanten; 42 goldene Wammsknöpfe, jeder mit 7 Diamanten besetzt, die der Kurfürst von Brandenburg für 1200 Kronen kaufte, und vieles andere noch. Der Schmuck an Perlen allein füllt zwei enggeschriebene Folioseiten. Darunter kommen drei Hutbänder mit Rosen von Perlen vor. Funfzehn große Perlen wurden für 3286 Gulden verkauft. III. Die Neuzeit. Die Perlen erfreuten sich ganz vorzüglicher Gunst. Außer- dem daß es an den Höfen besondere Perlenhefter oder Perlen- arbeiter als besoldete Diener gab, war es auch eine Lieblings- arbeit der Damen, einige zur Kleidung oder Toilette gehörige Stücke wie Hüte und Hauben, Kragen, Aermel, Handschuhe mit ihnen zu besticken und diese Gegenstände als theure Erinnerun- gen zu verschenken. Die Muster waren Blumen und Laubge- winde in der Weise der Renaissance, Buchstaben, Namenszüge und Sprüche, auch figürliche und allegorische Darstellungen. Die Fürstinnen kauften zum Vorrath ein. So bestellte sich eine Fürstin bei dem fuggerischen Factor in Nürnberg vier verschiedene Sorten: von der größten Sorte verlangt sie 10 Unzen, die Unze zu ungefähr 10 oder 12 Gulden, von der zweiten Sorte etwa 14 Unzen, die Unze zu 10 Mark, von der dritten ebensoviel, die Unze zu 8 Mark, und von der vierten kleinsten Sorte 15, die Unze zu 6 Mark. Außer den Schmuckgegenständen, welche die Kleider über- zogen, wohin auch die Hutschnüre und Hutbänder gehören, war die Mannigfaltigkeit derselben noch eine sehr bedeutende. Im Haar saßen Gehänge, Kronen, Reife, Diademe, Perlschnüre, Nadeln und anderes; Ohrringe und Ohrgehänge kamen jetzt auf’s Neue zum großen Aergerniß der Geistlichkeit in Mode; den Hals umzogen Perlenschnüre; aus Steinen zusammengefügte Bänder, goldene Ketten, welche Portraitmedaillen, Kreuze, Cru- cifixe und andere weltliche oder fromme Gegenstände trugen, hingen auf die Brust herab; Gürtel oder Leibborten, die mit ihrem Behang, mit Tasche, Dolch oder reich verzierten Messer- scheiden tief herabhingen, lagen lose um die Hüften; Armringe umspannten das Handgelenk, und vor allem wurde auf kostbare und zahlreiche Fingerringe viel gegeben. Ringe waren besonders beliebte Geschenke, und wurden auch zum Dank und zur Erinne- rung von Seiten der Fürsten an verdiente und befreundete Per- sonen verehrt. Zu den Schmucksachen sind auch die „Paternoster“ zu rechnen, welche wie Ketten umgehängt wurden und von Ko- rallen und reicher Juwelierarbeit waren; unten hing ein frommer 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Schmuck daran, ein goldener Heiliger, ein Marienbild mit Je- suskind, eine Dreifaltigkeit, und vorzugsweise wohl der Patron des Trägers. Es findet sich somit in dieser bußfertigen und doch gefallsüchtigen und eitlen Zeit das Fromme und das Weltliche hier an einem und demselben Gegenstand vereinigt. Auch gab es wohlriechende Paternoster. Der Schmuck des sechszehnten Jahrhunderts übertraf den heutigen, wenn auch nicht an Kostbarkeit des Materials und nicht immer an Originalität der Gedanken, so doch gewiß an ge- schmackvollerer Form und zierlicherer Fassung. Es kam hier eine ausgebildete Ornamentik zu Hülfe, an deren Mangel eben das heutige Kunstgewerbe krankt. Die zu Grunde gelegten Ideen waren nicht immer besonders sinnreich: Thierfiguren, ohne viel Bedeutung gewählt, und Allegorien gaben die Hauptgrundlage her. So ließ sich der Herzog von Preußen im Jahre 1544 zu Nürnberg ein Medaillon verfertigen, welches oben eine Krone hatte, die von zwei goldenen, weiß emaillirten Löwen gehalten wurde; unter der Krone war ein großes Rubinherz, welches 180 Gulden kostete, und unter diesem der Buchstabe A in Dia- manten; über der Krone stiegen drei Diamantlilien auf, die einen Werth von 120 Gulden hatten. Ueberdies war das Ganze mit orientalischen Perlen besetzt, sodaß es ohne den Arbeitslohn auf 682 Gulden geschätzt wurde. Was die Bedeutung betrifft, so schrieb darüber der Künstler dem Fürsten: „Ich schicke hiermit den Buchstaben A und hoffe, er soll gefallen. Ich hätte ihn wohl von lauter Diamanten gemacht, wenn es an Bedeutung der Farben als Smaragd und Rubin gewesen wäre. Der Sma- ragd oben bedeutet die Keuschheit zwischen dem Rubin in feuri- ger Liebe auf den beiden Füßen des A in Diamant, welches die Beständigkeit in steter Liebe und Leib ist, mit einem Hängper- lein, welches die Tugend bedeutet, hinten mit geschmelztem Blüm- lein Vergißmeinnicht mit Jelängerjelieber.“ Schon früher finden sich Beispiele solcher allegorischer Schmucksachen. So behing sich Johann von Leiden, der König der Wiedertäufer, mit einer Kette und merkwürdigem Schmuck daran. Derselbe stellte den Erdball III. Die Neuzeit. vor, über welchem ein kleines goldenes Kreuz schwebte; daneben waren zwei Schwerter, ein goldenes und ein silbernes, und die Inschrift: König der Gerechtigkeit über die ganze Welt. Einen ähnlichen Schmuck trug die Königin. Für die Feinheit und Reinheit der Haut , sowie den Teint wurde die größte Sorgfalt angewendet, wenn auch die Mittel keineswegs immer ungefährlich waren. Eine Schminke z. B., deren Gebrauch ein ganz gewöhnlicher war, bestand aus Blei- weiß mit rother Farbe vermischt. Zum Waschen hatte man eine Menge verschiedenartiger künstlicher Wasser und feiner Seifen; die beliebtesten unter den letzteren waren die venetianische und die neapolitanische. Alle mußten wohlriechend sein, theils um die quacksalberische Renommisterei zu erhöhen, theils weil man glaubte, daß diese Wohlgerüche die Luft verbesserten und die bösen und schädlichen Dünste vertrieben. Man führte daher stets duftende Sachen bei sich, wie man sie auch in den Schränken zwischen die Kleider legte. Bisamapfel, auch Thesemknöpfe (von desem , gährender Stoff, Hefe) nannte man solche wohlriechende Kugeln, welche die Damen vom Gürtel herabhangen hatten. Ein Buch von 1540 giebt die Anweisung, dergleichen zu bereiten; es heißt darin: „Von Poma Ambre oder Bisamknöpfe will ich etliche anzeigen und beschreiben, darvon das Herz, Hirn, und leibliche Geist nit ringe Erquickung, Stärk und Kräft empfahen mögen, und erstlich von den hitzigen Bisamknöpfen, welche zum füglichsten Winterszeit bei trüber Luft gebraucht werden: Dazu nimm in den Apotheken gelb wohlriechend Sandelholz 2 Quint- lein, Paradeis oder Aloeholz 1½ Quintlein, der edlen purpur- farben Rosenblätter gedörrt, der kleinen gedörrten wohlriechen- den Basilien Blätter und Samen, Lavanderblumen, Majoran, Roßmarin, des Krausenbalsams oder Münzens, jedes 1 Qntl., auserlesene Zimmetrinden, Muscatnuß und Plüet, jedes ½ Quintlein, feister auserlesener Nägelein, Cardomomelin, Cori- ander des gemeinen, des schwarzen Corianders jedes 1 Quint- lein, diese Stück stoß klein zusammen und thu dazu folgende wohlriechende Gummi als: Laudanum 2 Loth, Benzoe oder 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Asse dulcis 1 Loth, Storacis Calamite ½ Loth, nimm gut Ro- senwasser oder Levanderwasser, erweich die Gummi im warmen Mörser und mit dem warmen Stößer, und vermisch dann die obigen Stuck darunter bis ein Klotz daraus wird, magst den Bi- sam und Ambra zerreiben soviel du wilt mit Rosen- oder Laven- derwasser und darunter mischen, so hast du ein köstlichen Bisam- knopf.“ Dann folgen noch weitere Zuthaten für andere Winter- bisamäpfel und endlich auch das Recept für die Sommerbisam- knöpfe. Ferner werden Recepte gegeben für Rauchkerzen, Rauch- kügelein und Räucherpulver auf den Ofen oder auf die Gluth zu werfen, für venetianische „wohlschmakende Seife zu dem Bart und dem Haupt,“ für wohlriechende Säcklein von Seidenzeug mit Pulver gefüllt, zwischen die Kleider zu legen, für wohl- riechende Oele und Wasser: es sind meistens dieselben Stoffe, die sich in verschiedener Mischung vollständiger oder unvollstän- diger wiederholen. Eine besondere Art von Parfüm, welche am Ende des sechszehnten und im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts vor- zugsweise in bürgerlichen Classen Mode war, bestand aus kleinen Kränzen oder künstlichen Blumenbouquets, in welche verschiedene Gewürze wie Nelken, oder andere wohlriechende Stoffe, vergol- det und versilbert mit Draht hinein verflochten waren. Die Kränze legte man auch wie Armbänder um die Hand. Zur Reinigung der Zähne bedienten sich die Frauen eines Zahnpulvers oder des Salzes oder Alauns, welches letztere aber für schädlich erklärt wurde. Knaben empfahl man die Zähne Morgens mit frischem Wasser zu spülen, denn Zahnpulver sei weibisch. Zur letzten Vollendung der Toilette war noch der Spiegel ein ganz unentbehrliches Stück. Seinen Gebrauch zu Hause schildert der Hoffartsteufel in folgender Weise: „Und ist nun unter andern Stücken der Hoffart nicht die geringste Uebung für den Spiegel, daß man Leute findet unter Manns- und Weibs- personen, die ihre eigne Uebung vor dem Spiegel haben, hin und her treten, hinten und vorn sich schauen, sich renken, lenken, III. Die Neuzeit. biegen, den schwäbischen Tritt, so zum Gepräng gehört, ver- suchen, wie fein verzumpfen, sanft und leise, mit zerbrochenen Tritten auf tausend Gülden einherschwanzeliren“ u. s. w. In Form kleiner verzierter Taschenspiegel, auf deren Rückseite sich auch wohl ein geliebtes Portrait befand, führten sie die Damen auch außer dem Hause stets bei sich, ja die Spötter und Tadler sagten ihnen nach, sie hätten in den Gebetbüchern die Spiegel mit in die Kirche genommen und sich darin beschaut, statt andächtig die Gebete zu lesen. Die ganze Eitelkeit der Frauen faßt die folgende Schil- derung zusammen, welche zwar ursprünglich der Fremde ent- nommen ist, aber in der deutschen Bearbeitung auch auf Deutsch- land ihre Anwendung finden soll. „Da fehlet es an keinem Waschen, Schminken und Malen, daß sie nur allzeit gleich schön sein: Da können die Apotheker nicht Bleiweiß genug zuführen, da kann man nicht Alaun, floris Cristalli, boracis praeparati, destillirten Essig, Bohnenwasser, Kühedreckwasser und andere dergleichen Sachen genug zuwege bringen. Da erfrischet man das Angesicht und machet eine zarte glänzende Haut mit Pfirsich- kernwasser und Limonensaft; da kräuset man das Haar und machet es steif auf der Stirn, mit Dragant und Saft von Quit- tenkern, und kommt eine Theurung beides in Weinstein und un- gelöschten Kalk, daß sie nur gute Laugen haben mögen, damit sie sich frisch und roth machen und es der Morgenröthe gleich thun. Da hat man die schönsten und besten Spiegel, auf daß ja nie- mand betrogen werde. Da hat man das beste Rosen- und andere wohlriechende Wasser, die besten Geruch von Bisam, Zibet und Ambra, damit ja Niemand in Ohnmacht falle: da hat man köst- liche Ohrlöffel, Kämm, Bürsten, Scherlein, damit ja niemand ein Schade von Unrath zugefügt werde. Da hat man Schachteln und Büchslein voll allerhand köstlichen Recepten und Salben, die sie selbst auf alle Fälle bereitet und verfertiget haben. Da gehen ihre stattliche Mägde oder Kammerzelter um sie her, finden alle Zeit etwas zu putzen und zurecht zu legen, da finden sie hin- ten und vorn zu helfen, die Falten zu strecken, ja auch wann es 2. Die Reaction und die spanische Tracht. vonnöthen, lassen sie ihnen den Schweif nachtragen. Da siehet man bisweilen die Madonna an dem Fenster stehen mit zur An- dacht geneigtem Haupt, mit einer güldenen Ketten am Hals, Armbanden an den Händen und Ringen an den Fingern, mit Perlen an den Ohren, mit schönen Blumen in der Hand: in Summa auf das schönste herausgeputzet und geschmücket wie eine Jesabel.“ — — Nachdem wir den Gang der allgemeinen Mode in ihren Einzelheiten durch die Länder bis zum Schlusse des sechszehnten Jahrhunderts verfolgt und insbesondere auch Deutschland ihr haben erliegen sehen, bleibt noch die andere Seite des Trachten- wesens dieser Zeit zu berühren, diejenigen Kreise der Gesellschaft nämlich, welche von dem Reich der wechselnden Mode aus- schieden und später zu ihr in Opposition traten. Freilich, da eben jene in ihrem großen Gange und ihrer organischen Ent- wicklung vorzugsweise der Gegenstand unsrer Darstellung ist, so können wir die Volkstrachten , die städtischen wie die länd- lichen, nur andeutungsweise in Betracht ziehen. Wir haben an ihnen nur die Bestandtheile der ewig sich erneuernden Mode ge- wissermaßen nach ihrem Tode zu verfolgen, wie sie dürr und abgestorben, vom jungen Laube verdrängt, weggeworfen und vom Sturm der Zeiten hierhin und dorthin geschleudert sind. Wir haben oben in der Einleitung des ersten Capitels aus- einanderzusetzen gesucht, wie erst im sechszehnten Jahrhundert durch die politische und sociale Zersplitterung des deutschen Reichs die Bedingungen gegeben wurden, unter denen sich local eigen- thümliche und bleibende Trachten bilden konnten. Aber es ge- schah nicht viel mehr, als daß eben die Bedingungen ermöglicht wurden; nur die Anfänge zeigen sich, die uns den Weg deutlich erkennen lassen, auf welchem die Bildung vor sich geht; bleibende Resultate, Einzelheiten abgerechnet, werden nicht zu Tage ge- fördert, und wo sich wirklich das Princip des Beharrens mit größerer Entschiedenheit ausspricht, da fegt es der dreißigjährige Krieg wieder vom Boden hinweg. Dem allgemeinen Charakter nach bequemte sich die Tracht III. Die Neuzeit. durch alle Stände hindurch der herrschenden Mode, und wurde nur in Einzelheiten, in Form und Schnitt, selbstständig. Wenn wir zunächst die städtisch bürgerliche Welt in’s Auge fassen, so bietet der Mann so gut wie gar keine Eigenthümlichkeiten dar; bis auf den Handwerker nnd seinen Gesellen, selbst bis auf den Bauer sucht er sich der laufenden Mode nach Kräften wenigstens anzunähern. Er kürzt das Haar, wo er der Sitte des funfzehn- ten Jahrhunderts gefolgt war, und läßt sich den Bart wachsen; er trägt das Federbarett, soweit es ihm erlaubt ist, und später das steife verkleinerte, und da es in Mißkredit kommt, holt er wieder den alten Filzhut hervor, der in den Tiefen der Gesell- schaft nie verschwunden war. Auch mit dem Hemd folgt er den Wandlungen, läßt die Jacke oder das Wamms wieder herauf- wachsen über die nackten gebräunten Schultern, Nacken und Hals, und legt selbst die eingebrannte Krause unter Kinn und Ohr heraus, soweit das Gesetz oder die Armuth ihm nicht ein Hemm- niß waren. Man konnte damals um das Jahr 1560 und 1570 den Zimmermann mit der Axt und den Tischler mit der Säge in der großen landsknechtischen Pluderhose bei der Arbeit sehen, und als die theure Lust verging, stopften sie nunmehr die unge- schlitzte Pumphose aus mit Werg und Kleie von der Hüfte bis zum Knie. Der Bauer freilich mit seiner harten Arbeit auf freiem Felde wollte nicht viel davon wissen. Um das Jahr 1580 reichte auch das eigentlich spanische Beinkleid neben dem deutschen tief in den Bürgerstand hinab; tiefer noch die gespitzten und feinge- schlitzten oder buntbenähten Schuhe, welche jeder Handwerks- mann bei der Arbeit trug. Nur das grauhaarige Alter hielt, wie an den Erinnerungen der Jugend, so auch an der Tracht seines Blüthenalters fest, ohne daß dieselbe auf größere Ehrbarkeit An- spruch machen konnte. Etwas anderes schon ist es mit der Frau. Zwar folgt auch sie mit enger Taille und weit gespanntem Rock, mit Steife und Verhüllung der modischen Weise, doch stellen sich auch mannig- fach verschiedene Besonderheiten ein, die sich local festzusetzen suchen. Das Kleid zwar hat nichts Eigenthümliches: mit Wülsten 2. Die Reaction und die spanische Tracht. um die Schulter oder ohne dieselben schließt es anliegend an die Arme, reicht bis zum Halse hinauf und fällt von den Hüften in glatter Spannung oder regelmäßig eingelegten Falten herab. Eigenthümlich und durch die Arbeit hervorgerufen scheint es, wenn die Aermel lösbar sind und die Arme selbst bei sonntäg- licher Tracht bloß von den Aermeln des Hemdes bedeckt werden, welche die Dienstmägde zur Schulter heraufstreifen. Die Bür- gerin trägt das Kleid von der gewöhnlichen Länge, nur die Magd läßt die Füße sehen, und bei der Bäuerin sind oft kaum die Kniee bedeckt. Auch die Krause ist ein Allgemeingut geworden selbst bis auf das Landvolk hinaus, und, wenn irgend möglich, läßt sich auch die Handwerksfrau und selbst die Dienstmagd im sonn- täglichen Putz oder wohl gar bei der Arbeit die krausen Man- schetten nicht nehmen. Zu den Dingen, wodurch sich die Frau des Bürgerstandes, die Handwerksfrau, die Krämerin, ja selbst die Patrizierin von der Mode scheidet, gehören die beiden langen geflochtenen Haar- zöpfe, welche sie über den Rücken herabfallen lassen. Wir haben ihrer schon oben Erwähnung gethan. Schon damals trugen sie die Schwäbinnen. Ueber dem Haar hatten die Städterinnen meistens das gewöhnliche modische Hütchen, das aus dem Barett entstanden war, und häufig noch die netzumsponnene Goldhaube dazu, natürlich ohne die Zöpfe. Daneben aber erscheint auch merkwürdiger Weise noch das alte Barett in der vollen Größe und fast in alter Gestalt auf den Köpfen Heidelberger und Frank- furter, auch wohl Nürnberger Dienstmägde: so tief sank der Stolz der Reformationstracht; der einzige formelle Unterschied besteht darin, daß statt der farbigen Schlitze und des wallenden Gefieders ein buntes Rauchwerk den breiten Rand umzieht. Von der freien Eleganz freilich, mit der es sonst von vornehmen Da- men getragen wurde, ist keine Spur übrig geblieben. Pelzhauben treten überhaupt jetzt mehrfach im bürgerlichen Stand, namentlich in der dienenden Classe, wieder hervor und kommen später noch zu größerer Bedeutung. So gelangt das Rauchwerk in der Volkstracht zu Ansehn, während es aus der Mode verschwindet. Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 11 III. Die Neuzeit. Neben den barettartigen oder aus dem Barett entstandenen Kopf- bedeckungen tauchen auch wieder alte vorreformatorische Hauben aus der Vergessenheit auf: da ist z. B. die weiße verhüllende Haube, die an Ansehn und Größe immer tiefer sinkend gegen das Jahr 1520 unsern Blicken entschwunden war; nun hüllt sie auf’s neue alte wie jugendliche Köpfe ein, doch nur die der Ver- heiratheten. Nicht in der breiten Form wie früher schließt sie sich näher dem Kopfe an und über die Stirn hereinragend, führt sie auch den Namen „Stirnhaube.“ Mit ihr verbunden und selbst auch mit dem Hütchen und der großen Halskrause zeigt sich noch die breite entstellende Kinnbinde, welche Wangen, Mund und Kinn verdeckt. Das paßt sehr wenig zusammen und eines genirt das andre, aber um der größeren Verhüllung und Ehrbarkeit willen, zur Sicherung der Gewissensruhe wird dieser lästige Widerspruch geduldet. Besonders belehrend über die Lebensschicksale eines von der Mode verworfenen Kleidungsstückes ist der Goller . Wie wir früher gesehen haben und wie auch sein Name andeutet, war er ursprünglich ein anschließender Hals- und Schulter- kragen von dichterem Stoffe, erfunden in der Zeit der tiefen De- colletirung zum Schutze des Teints und zur Erwärmung. So- wie das Leibchen zum Halse hinaufgerückt ist, hat es ihn über- flüssig gemacht und die Mode wirft ihn bei Seite. Nicht so aber die Volkstracht, welche ihn bei Bürgerfrauen wie bei Dienst- mägden als zwecklose Luxustracht in doppelter Gestalt beibehält. In der einen bleibt er wie sonst ein Schulterkragen von Wolle, Sammet oder Seide, in der andern verändert er sich zu einer Art Leibchen mit kurzen gepufften Schulterärmeln, welches aber kaum unter Achseln und Brüste herunter reicht. So führt er in Norddeutschland auch den Namen „Brüstchen“. Seine Spuren sind in der Volkstracht bis auf die Gegenwart zu verfolgen. Durchaus ein bürgerliches Stück der Frauentracht blieb auch der Mantel in dieser Periode, natürlich vom Krönungs- mantel und ähnlichen Prachtstücken abgesehen. Er wurde nur außerhalb des Hauses getragen, und auch da eigentlich nur zum 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Schutz gegen das Wetter, oder der Verhüllung wegen in der Kirche. Seine Form war einfach: meistens mit hoch im Nacken aufstehendem Kragen lag er eng gefaltet um die Schultern und fiel mit diesen gleichmäßigen Falten bis zu den Knieen oder et- was tiefer herab. Eine Frau im Mantel glich ganz einem can- nelirten Kegel. Bei Regenwetter wurde er auch in der Art über den Kopf gelegt, daß der Kragen wie ein Schirm über die Stirn hinausragte. In der Regenzone des Niederrheins und des nord- westlichen Deutschlands trugen die ehrbaren Frauen auch den Mantel wie ein großes Schirmdach mit Fischbein oder Draht über den Kopf ausgespannt. Obwohl er in dieser Gestalt auch gegen die Sonne dienen mußte, war er doch eigentlich bestimmt ein Regenschirm zu sein; dieser selbst in seiner heutigen Gestalt ist erst eine Erfindung der Zopfzeit, der Zeit des Philisterthums, sodaß sich historisch das Witzwort Brentano’s beglaubigt: Das sicherste Kennzeichen eines Philisters sei, daß ihn nie der Regen ohne Regenschirm treffe. In dieser Periode hört auch die Schürze auf, ein bloßes Schutzmittel bei der Arbeit zu sein; sie wird von Frauen und Jungfrauen selbst der wohlhabenden bürgerlichen Stände als eine Zierde getragen und darum mit kostbaren Borten, mit Stickereien, Perlen und anderem Besatz versehen, sodaß die Klei- derordnungen auch hierauf ihre genauen Bestimmungen erstrecken lassen. Man sieht, wie im sechszehnten Jahrhundert die Bürger- tracht, indem sie zur Mode in Gegensatz tritt, im Ganzen sich noch mehr ständisch als local sondert, doch lassen sich auch in letzterer Beziehung die ersten Merkmale erkennen, indem das eine Stück hier, ein anderes dort sich dauernd niederläßt. Es ist ähnlich mit der Tracht der Bauern . Die Reformationszeit hatte bei ihnen nicht viel anders einzuwirken vermocht, als daß sie die Sonderbarkeiten des funfzehnten Jahrhunderts, wo sie eingedrungen waren, wieder vertilgt hatte. Im Verlauf der dreißiger und vierziger Jahre ist von der Aufschlitzung kaum et- was anderes zu sehen als hier und da ein Kranz von Schlitzen 11* III. Die Neuzeit. oder Bändern um das Knie herum, viel seltner ähnliches an Armen oder Schultern: häufiger zeigen sich noch nackte Kniee mit großen, schlotternden Stiefeln. Die gewöhnliche Tracht des Bauern ist ein breitkrämpiger Hut, nackter Hals, eine kurze Jacke oder ein blousenähnlicher Rock, und wenn er wohlhabend ist und das Sonntagskleid anlegt, trägt er noch über der Jacke einen vorn offenen Oberrock, der sich von der Schaube nur durch den Mangel an Fülle, Breite und Besatz unterscheidet; an der Seite führt er auch ein dem Säbel oder dem kurzen Schwert ähnliches Messer in lederner Scheide. So geben uns die Kupferstiche der Kleinmeister mit den beliebten Bauernfesten und Bauernschläge- reien reiche Beispiele. Die Bäuerin , sei sie nun Frau oder Mädchen, trägt durchweg in Deutschland den ähnlichen Charak- ter. Was sie vor allem in ihrem Stande erkennbar macht, ist der kurze Rock, der, selbst wenn er länger ist, wenigstens auf den Hüften aufgebunden erscheint, und daneben das Lockre, Lose, selbst Liederliche, womit auch städtische Weise sich nach- geahmt findet. Das Haar bedeckt ein haubenartig umbundenes Tuch oder irgend ein verschrumpfter Rest der reichen Hauben- formen des funfzehnten Jahrhunderts, oder wenn keines von beiden, so ist es in Zöpfe geflochten, die entweder nestartig auf- gebunden sind oder frei den Rücken herabfallen. Das Leibchen ist oft ärmellos, und dann sind bei der Arbeit, aber auch beim Tanz, die Hemdsärmel bis zu den Schultern heraufgestrichen. Noch findet sich der Ausschnitt und reicht oft bis unter die Brüste, und nicht immer sind dieselben vom Brusthemd, vom Koller oder einem kamisolartigen Oberleibchen bedeckt. Bei der Hochzeit trägt auch die junge Bäuerin die Zöpfe losgeflochten und das aufgelösete Haar wallend über Rücken und Schultern ausge- breitet. Nach dem Jahre 1550 dringen die Moden schon tiefer nach unten bis in die entlegensten Gegenden, und es dürften nament- lich die protestantischen Geistlichen sein, welche ihr Vorschub lei- sten, indem sie die Ehrbarkeit predigen. So verschwindet nun alle und jede Decolletirung auch auf dem Lande, und Jacke wie 2. Die Reaction und die spanische Tracht. Leibchen gehen steif unter Kinn und Ohr, aber damit wächst auch die Kröse bei Männern wie bei den Frauen heraus. An Ellbogen, Knieen und Schultern bleiben zuweilen noch eine Zeit- lang kleine Schlitze oder aufgenähte bunte Streifen als leichte Zierde; weit häufiger sind die dicken Wülste, welche sich um und über die Schultern erheben, und wohl heute noch hier und da als die „Schinkenärmel“ erkennbar sind. Die Pluderhose des Landsknechts, die auch der Bürger und Handwerksgesell sich an- geeignet hatten, wies der Bauer zurück, und es sind daher gegen Ende des Jahrhunderts eine enge Kniehose, Strümpfe und Schuhe bei wohlhabender ländlicher Bevölkerung keine seltene Erscheinung. Größeren Beifall fand aber die „Pumphose“ oder die „Schlumperhose“, und sie nahm in vielen Gegenden dauern- den, auch wohl bleibenden Besitz. Besonders gründete sie in den tiefer liegenden Gegenden eine feste Herrschaft, während das Gebirg sie nicht gebrauchen konnte und das kurze Beinkleid, den Strumpf und das nackte Knie vorzog. An der Niederelbe bei Hamburg in den s. g. Vierlanden können wir noch heute die Pumphose sehen, und der Holländer betrachtete sie fast als natio- nales Palladium, wenn er auch die Bestandtheile änderte. In der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts schildert sie der Englän- der Oliver Goldsmith nach eigener Anschauung in folgender Weise: „Der richtige Holländer ist eine der sonderbarsten Figu- ren auf der Welt; auf einem schmalen Kopf voll Haar trägt er einen halb aufgekrämpten engen Hut mit schwarzem Band besetzt, keinen Rock, aber sieben Westen und neun Paar Hosen, sodaß seine Hüften beinahe unter den Achseln anfangen.“ In dieser Breite seiner Erscheinung, der ein wohlgenährter Körper zu Hülfe kommt, symbolisirt sich das Phlegma und die schwere Würde des holländischen Nationalcharakters. Die Ehehälfte entspricht ihm darin völlig, indem sie nach den Worten Goldsmith’s für jedes Paar Hosen des Gemahls zwei Unterröcke anzieht. Das ist nur die volksmäßige Umwandlung des Reifrocks, der Vertugalla, welche zugleich mit der männlichen Pumphose unter das Land- volk sich verbreitet hatte. — Eine damals originelle Beinbeklei- III. Die Neuzeit. dung ist nur die Schifferhose, die an den nördlichen Küsten die Seeleute tragen; weit und lang bis zu den Füßen und unten offen, gleicht sie genau der heutigen Turnerhose: die Art der Schiffsarbeit bedingt ihre Gestalt, und sie ist darum unwandel- bar geblieben. Die gewöhnliche Fußbekleidung ist der Schuh, welcher den ganzen Fuß in ziemlich plumper Gestalt bedeckt, aber die Marschgegenden und der schwere leimige Boden lassen den Stiefel dort in größerem Gebrauch erscheinen. So kann eigentlich im sechszehnten Jahrhundert von einer Volkstracht im heutigen Sinne des Worts weder in Städten noch auf dem Lande die Rede sein; es sind nur die Anfänge des Werdens sichtbar, die überall unter denselben Gesetzen vor sich gehen. Es dürfte kein deutscher Stamm, keine noch so ent- legene Gegend davon auszunehmen sein. Gehen wir z. B. zu den Dithmarsen, einem Völkchen, das, freiheitsliebend und ab- geschlossen im ganzen Mittelalter, noch am Schlusse desselben die blutigsten und glücklichsten Kämpfe für seine Unabhängigkeit ge- führt hat. In seiner Tracht findet sich in der zweiten Hälfte oder gegen den Schluß des sechszehnten Jahrhunderts keine Spur von Originalität. Da ist z. B. ein Mann aus dem Städtlein Eider- stadt — unsre Quelle ist Braun’s Städtebuch —, der erscheint völlig modern in der Weise um 1570: ein runder spanischer Hut mit mäßiger Krämpe und Feder, ein gestutzter, gegen das Kinn spitz zulaufender Vollbart, mäßige Pluderhose mit Pluderlatz, aber bis über die Kniee hohe umgekrämpte Stiefel, kurzes Wamms und an der Seite einen kurzen, bäurischen Säbel. Ein anderer trägt die Pluderhose in landsknechtischer Weise, den rau- hen Landsknechtshut mit schmalem Rand und Feder, langen Voll- bart und das kurze spanische Mäntelchen. Ein dritter ist mit der Schifferhose bekleidet, einem gewöhnlichen Wamms mit Schul- terwülsten und dem geschlitzten spitzigen Schuh. Einer trägt die spanische Hose, andre abgerundete Schuhe: nirgends erblickt man etwas Festes oder Originelles. Die Frauen tragen theil- weise noch wulstige Hauben, die stark ans funfzehnte Jahrhundert erinnern, theils dick geflochtene Zöpfe, die Brust bedeckt und auch 2. Die Reaction und die spanische Tracht. den Koller dazu, regelmäßig enggefaltete, weite Röcke, die aber nicht tief über das Knie herabreichen, an der Seite Taschen und Messer und des Kothes wegen auch Unterschuhe. Einige der Frauen tragen Halskrausen und Schulterpuffen, bei den meisten sind die Aermel eng. Aehnliches ließe sich nun überall aus Deutschland berichten, vom Niederrhein, aus der Pfalz, von Augsburg, Bremen u. s. w. Ueberall treten die Krausen und das verhüllende Wamms und Leibchen auf beim Bauer wie beim Bürger, Schulterpuffen, die Kniehose und der gestrickte Strumpf, das kurze Röckchen der Frauen, glatt oder in enge Falten gelegt, der Hals- oder Brust- koller, die Schürze, die langen Flechten, die den Fuß bedeckenden Schuhe oder statt derselben bei den Männern der hohe Krämp- stiefel, welcher in der nächsten Periode zu hohen Ehren gelangen sollte. Mit dem siebzehnten Jahrhundert aber werden die Son- derungen auch in localer Beziehung sichtbarer, jenachdem die Moden zu verschiedenen Zeiten an die einzelnen Gegenden her- antreten. Drittes Kapitel. Der Naturalismus und das Stutzerthum des dreißigjährigen Kriegs . 1600—1650. Wir lernten in der vorigen Periode die Entstehung des spanischen Costüms kennen, wir sahen es zur allgemeinen Herr- schaft über die civilisirte Welt des Abendlandes gelangen, aber wir hatten auch schon Gelegenheit anzudeuten, wie einzelne be- zeichnende Veränderungen seinen Sturz voraus verkündeten. Sein Verderben hängt mit der Geschichte Spaniens in Politik und Cultur zusammen: verblutend an dem langen Kampfe mit den Niederlanden, entsagte dieses Land der Ehre, die erste Rolle im christlichen Völkerleben zu spielen; im Absolutismus erstarrt, blieb es auch in innerer Entwickung hinter den übrigen Staaten zurück, und so hielt es denn auch mit Zähigkeit an seiner einmal ausgebildeten Tracht fest, als ob sie einer Weiterbildung nicht fähig sei oder vielmehr als Ideal derselben nicht bedürfe. Aber währenddeß schritt die Mode überall anderswo unaufhaltsam vorwärts, sich wandelnd mit dem Wesen der Zeiten. Frankreich trat nun sofort in allen Dingen an die Stelle Spaniens, wenn es seinen Einfluß auch erst in der nächstfolgen- den Periode bis zur absoluten Herrschaft ausdehnen sollte. Wie es die Entwicklung der Dinge mit sich gebracht hatte, daß Spanien und der Katholicismus Verbündete geworden und der letztere dem ersteren in Deutschland Eingang verschafft hatte, so waren 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. es nun wieder die protestantischen Fürsten, insbesondere die cal- vinistischen, deren Stellung zum Reich und zum Kaiser sie zu den innigsten Beziehungen mit Frankreich veranlaßte und dem französischen Wesen Thür und Thor öffnete. Längere oder kür- zere Zeit am Hofe zu Paris lebend, brachten sie von dort Frank- reichs Sprache, Litteratur und Sitte mit und bürgerten sie in der Heimath ein. Damals begannen die Reisen der deutschen Prinzen zu fremden Höfen, und es ist nicht zu läugnen, daß eben hierdurch sich die calvinistischen Fürstenhäuser eine Zeit- lang vor den altlutherischen, wie Chursachsen, durch größere Bildung und ein feineres, geistigeres Leben auszeichneten. Diese hielten noch an Deutschland fest und wollten nichts von Frank- reich wissen. Indessen als die guten Früchte der Reformation vergessen waren und die Geistlichen den Fürsten gegenüber will- fährig nachgiebige Beichtväter wurden, blieb von der alten Ehr- barkeit und Ehrenhaftigkeit nicht viel übrig als Trinkgelage und Jagdfreuden. Die katholischen Höfe mit dem kaiserlichen folg- ten erst italienischen Einflüssen, bis sie endlich alle mit einander Frankreich in seine Netze zog. Die Folge der dauernden Herrschaft Frankreichs für das ganze Culturleben der höheren und gebildeten Gesellschaft ist, daß sich dieses in allen seinen Zweigen, im Umgangston, in der Denk- und Sprechweise, in der Sitte und ebenso auch in der Tracht nach dem einen Vorbilde zu einer überall gleichen Phy- siognomie umwandelt. Die Geschichte des Costüms betritt da- durch eine geschlossene Bahn, einen völlig einheitlichen Gang, die Mode erhält den Charakter der Unerbittlichkeit, die nichts anderes neben sich duldet: à la mode ist das Schlagwort der neuen Zeit, und was nicht alamode ist, wird als altfrän- kisch verworfen. Es ist somit für die eigentliche „Gesellschaft“ — und das ist eben diejenige, welche das Reich der Mode um- faßt — kein Kampf verschiedenartiger Trachtenformen mehr vor- handen; die Rivalität der Nationen spielt hier keine Rolle mehr: es ist auf dem einen graden Wege, auf dem Frankreich voran- geht, den aber die allgemeine Entwicklung der Culturzustände III. Die Neuzeit. vorzeichnet, ein beständiges Auf- und Absteigen, ein Werden und Vergehen, ein Erzeugen neuer Formen, denen unbedingt zu folgen hat, wer sich auf der Höhe der Zeit halten, wer mit der Mode gehen will. Um so fester ziehen sich ihrerseits die bür- gerlichen und ländlichen Kreise zusammen, und hier allein findet ein Kampf statt, ein Kampf gegen das Eindringen der Mode, aber erst nachdem sich feste Trachtenformen aus dem wechselvollen Strome abgesetzt haben, und nachdem ihr Ursprung, der ihre Originalität in Zweifel setzen konnte, in Vergessenheit ge- rathen ist. Es ist mit der Herrschaft Frankreichs im Gebiet der Trach- ten, wie es früher mit dem spanischen Costüm war; die Welt der Ereignisse und der Lauf der Dinge hatte ihm den Boden be- reitet und die Geister zur Unterwerfung willfährig gemacht. Auch jetzt um das Jahr 1600 tritt der gleiche Fall ein: der Rückschlag gegen die spanische Zwangsherrschaft und die Richtung, in wel- cher er erfolgte, leisteten Frankreich Vorschub, öffneten ihm das Thor und bahnten den Weg, doch traten bald die Ereignisse in Deutschland mit so wuchtvoller Schwere auf, daß die Entwick- lung des Costüms sich hier überstürzte, selbst von der vorge- zeichneten Bahn abwich und in dieser Abweichung nicht ohne Rückwirkung auf Frankreich blieb. In so unwiderstehlicher Weise äußerte der dreißigjährige Krieg seine Wirkungen auch auf diesem Gebiet. Das neue Jahrhundert beginnt fast überall mit einer mehr oder weniger deutlich ausgesprochenen Opposition gegen den Zwang, das hohle Pathos und den gespreizten Manierismus in Kunst, Sitte und Tracht. Man wird sich der Unnatürlichkeit des Zustandes bewußt und will sich losringen von diesen Fesseln und in die rechte Bahn der Natur wieder einlenken. Der erste Rück- schlag erfolgte in Italien und zwar auf dem Gebiet der Kunst. Es war die Familie der Caracci, welche mit viel Talent und größerer Energie den Manieristen den Krieg erklärten, aus welchem sie auch als Sieger hervorgingen. Allein ihr Genie war nicht groß genug, um sie sofort in die rechte Bahn zu werfen. 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Statt mit originaler Schöpferkraft die Natur allein zur Führerin zu nehmen, schlossen sie sich ihren großen Vorgängern an, stell- ten sie als Muster auf und zogen von ihnen die Regeln ab, die sie in ein System zusammenbrachten. So schufen sie die erste akademische Kunst, in deren Wesenheit es lag, daß sie immer hinter den Vorbildern zurückbleiben mußte und den Schein des verstandesmäßig Gemachten nicht abzustreifen vermochte. Was sie erreichten, war zwar größere Einfachheit und Naturwahrheit, aber ihre Schule verlief sich in Schematismus und Unbedeutend- heit. Indem aber die Eklektiker einem verstandesmäßig zusam- mengesetzten Ideal nachstrebten, abseits vom Wege der Natur, warf die Opposition gegen sie eine Reihe mächtiger begabter Künstler in das Extrem des Naturalismus. Es waren Michel Angelo da Caravaggio, Spagnoletto und ihre Nachfolger, welche die irdischen Leidenschaften walten ließen, die das Heilige durch ihre Darstellung profanirten und statt des Idealschönen das Häß- liche, die gemeine Natur feierten. Ganz anders ging es in den Niederlanden. Hier hatte das Volk in dem langen Kriege für religiöse und nationale Unab- hängigkeit einen Lebenskampf durchzumachen gehabt, welcher einer Wiedergeburt gleich kam; alles Gemachte und Gesuchte, jede Manier schien abgestreift, der Volksgeist war frei von Be- fangenheit und vermochte im Einklang mit der Natur und in ursprünglicher Frische zu empfinden und zu schaffen. Da trat Rubens auf mit der unversiegbaren Fülle der genialsten Schöpfer- kraft, erfaßte das Leben, wie es sich im Großen und Kleinen um ihn bewegte, allseitig und in ursprünglicher Schönheit und wußte die Gegenstände in gleicher Vielseitigkeit und gleicher Lebensfülle künstlerisch darzustellen. Er kannte die Höhen und die Tie- fen, das Erhabene und das Kindliche, das Tragische und das Komische, den Menschen, die Thierwelt und die unbelebte Natur, und selbst in dem todten Gegenstand wußte er den Kern, den Lebensfonds, zu finden und wiederzugeben. So gab es keine Seite der Geschichte und der Natur, keinen Zweig der Kunst, den er nicht schöpferisch erfaßte, andern die Bahn weisend. Und III. Die Neuzeit. daß er sie alle, seine Mitstrebenden und das ganze jüngere und nachfolgende Geschlecht, seines Weges zu führen wußte, alle Künstler, welche Gegenstände sie erwählten und welche Technik sie übten, daß ein ganzes Jahrhundert der Kunst genug hatte, die von ihm angeschlagenen Richtungen zu gehen und zugleich mit originaler Meisterschaft zur Vollendung zu führen, davon war der Grund, daß er sie auf die Natur hinführte und sie lehrte, in ihr mit freiem Blick die ursprüngliche, ungetrübte Schönheit zu erblicken. Diesem Naturalismus verdanken die Niederlande eine Blüthenperiode der Kunst, die keiner andern zu weichen braucht an Schönheit wie an Originalität. Nicht so gut erging es Frankreich auf dem naturalistischen Wege. Seine Läuterungsperiode der religiösen Bürgerkriege war nicht tiefgehend gewesen, und es fehlte ihm ein Rubens, der den rechten Weg hätte führen können. So wurde zwar der Manie- rismus abgestreift, aber es mangelte der entgegengesetzten Rich- tung an Muth, schöpferischer Kraft und unbefangener Empfin- dung. Die Sehnsucht nach der Natur aus den verzerrten und verschrobenen, überfeinerten Gesellschaftszuständen spricht sich in mannigfacher Weise aus. Ein Zeichen davon ist der ungemeine Beifall, mit welchem grade in dieser Zeit der erste Schäferroman, Honor é d’Urf é e’s Asträa, aufgenommen wurde: alles fand Wohl- gefallen an dem Unschuldigthun der verliebten arkadischen Schä- fer und Schäferinnen, aber es war nur eine Koketterie, denn Urf é e hatte dem zierlichen Salonwesen nur ein ländlich-idyllisches Kleid angezogen. Der blasirten Welt gefiel dieses neue Masken- spiel. Aehnlich blieb der ganze Naturalismus in Frankreich nur eine Koketterie. Indeß wurde doch seit dem Tode Heinrichs III. , der sich auf dem Throne zur Carricatur Philipps II. gemacht hatte, die steife spanische Weise am französischen Hofe gestürzt, und ein leichterer, freierer und geistvollerer, wenn auch nicht sitt- licherer Ton eingeführt. Dieser letztere kam auch nach Deutschland herüber und be- herrschte zunächst die Höfe, während in der Masse des Volks der entsetzliche Krieg den Naturalismus nicht zu so glücklicher Wir- 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. kung kommen ließ, wie in den Niederlanden. Eine freiere Rich- tung kündigte sich im gesellschaftlichen Leben an, wie in der Litte- ratur und in der Kunst. Für die letztere aber war diese Zeit die am allerwenigsten günstige, sodaß sie sich nirgends zu einer origi- nalen Aeußerung, nicht einmal zur Entfaltung der vorhandenen Kräfte erhob; wenn wir von dem volksmäßigen Kupferstich ab- sehen, welcher der Zeitgeschichte diente, so verschwindet die Kunst fast unsern Blicken. Die Sprache erlag dem unglaublich raschen Eindringen des Fremden, aber sofort auch regt sich die naturge- mäße Opposition in den Verbindungen zur Reinigung der Sprache, deren erste, „die fruchtbringende Gesellschaft“, im Jahr 1617 ge- stiftet wurde. Aber es lag in dieser Zeit, daß, was geschah, durch Ueberstürzung fast mehr verdarb als gut machte. So geriethen diese Gesellschaften auf den Gedanken, statt der fremden Wörter neue deutsche zu erfinden, und machten nun aus dem bunten Ge- mengsel eine noch unverständlichere Carricatur. Es war rühm- lich und zeitgemäß, wenn die poetischen Köpfe in der Nation die gelehrte Dichtkunst aufgaben und deutsche Verse statt der lateini- schen machten und, wie Opitz, sogar die Natur als Führerin auf- stellten, aber theils blieb es bei dem Aufstellen dieses guten Vor- bildes, theils fügte man sich im besseren Fall dem französischen Einfluß, im schlechteren und in der Prosa allgemeineren dagegen artete der Naturalismus in widerliche Roheit der Gedanken, der Formen und der Sprache aus. In dieser Richtung wirkte der lange Krieg auf die verderblichste Weise, indem er alles Schöne im Keim erstickte, allem Leben den moralischen Halt und den rech- ten Maßstab der Dinge nahm. Er stumpfte das Gefühl ab, trieb die Freiheit und Natur zur Verwilderung, die Beschränkung und Befangenheit zur Uebertreibung und Ungebundenheit, die Bußfertigkeit, Frömmigkeit und Gottesfurcht, die Gustav Adolf noch im Heere aufrecht zu erhalten suchte, ja selbst den Religions- haß zur Gleichgültigkeit, zur Gottlosigkeit bis zum Spott des Heiligen. So war in den beiden letzten Jahrzehnten des Kriegs alles in seinen äußersten Gegensatz umgeschlagen. Denselben Weg werden wir nun auch in der Geschichte des III. Die Neuzeit. Costüms zu verfolgen haben. An jedem Ende des Weges steht ein renommistischer Stutzer als höchste Blüthe: hier am Anfang der steife Spanier, von Kopf zu Fuß ein Höfling, zierlich und gespreizt, unnatürlich beengt, mit straff gespannten Wülsten um- legt, gemessen und absichtsvoll in jeder Bewegung, geschmückt, aber solide und kostbar, unfrei, aber selbstzufrieden und eitel und stolz auf seine, wie er meint, imponirend elegante Erscheinung; ihm gegenüber am andern Ende der soldatische Renommist oder seine Carricatur, der civilistische Stutzer, lockre, leichte Gesellen, ohne Ehrgefühl, das dem Spanier das Rührmichnichtan ist, Flattergeister, Glücksritter, die von heute auf morgen leben, Schaumblasen des Kriegs, frei und ungenirt wie der Vogel in der Luft oder das Thier des Waldes, oft aber auch wie das ge- hetzte Wild, lose und schlottrig in der Kleidung, die, nirgends anschließend, herumhängt und herumflattert, langlockig, mit breitem Schlapphut und colossalem Gefieder behängt, mit lappi- gem Schmuck, mit leichter Waare, die nicht viel kostet, aber lustig umherfliegt, bis sie am nächsten Zaun oder Dornbusch in Fetzen hängen bleibt. Dazwischen liegt ein malerisch reizvolles Costüm, die Freude unsrer Künstler von der Leinwand wie von den Bret- tern, frei und keiner Bewegung ein Hinderniß darbietend, reich an Farben, Formen und natürlichen Falten, elegant und doch nicht gezwungen, luftig, aber nicht schlottrig, mit seinem flotten, kriegerischen Ausdruck den kühnen und tapfern Parteigängern des dreißigjährigen Kriegs, den Rittern von der Pike, ent- sprechend im Gegensatz zur schwereren Pracht des altadeligen Ritters von ehemals. Der männliche Kopf ist auch diesmal wieder der Wetter- prophet, indem er sich gegen das kurze Haar, den stehenden Kra- gen und den steifen Hut zu sträuben beginnt. Schon 1586 stoßen wir bei Osiander auf die ersten schon oben erwähnten Andeu- tungen. Allein so lange die Krause noch ihre steife, unter den Ohren und im Nacken emporstehende Gestalt behielt, waren solche Versuche erfolglos und vereinzelt. Mit dem Beginne des siebzehnten Jahrhunderts fängt aber diese Schranke zu fallen an, 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. und damit wird dem Haupthaar die Freiheit des Wachsthums zurückgegeben. Indeß konnte das nur allmählig und langsam geschehen, denn die Krause leistete heftigen Widerstand und war erst nach Verlauf von drei Jahrzehnten völlig beseitigt oder um- gewandelt. In doppelter Gestalt, deren Anfänge wir bereits um 1600 bemerken können, gab sie der neuen Zeitströmung nach. Einmal, und das war für den Wuchs des Haupthaares zunächst der günstigere Fall, behielt sie zwar ihre Breite und „schlangen- windige“ Dicke, trat aber von Kinn und Ohren zurück und legte sich herab auf Schultern und Rücken. In dieser Form können wir sie noch bis über das Jahr 1630 hinaus verfolgen, dann verschwindet sie völlig aus der modischen Welt; indeß fristet sie noch, wie schon erwähnt, bei Rathsherren und Geistlichen fast zwei Jahrhunderte lang ein lebloses, der organischen Weiter- bildung unfähiges Dasein. Die zweite Weise, in welcher sich die Krause ändert, ist be- deutungsvoller, denn durch sie entsteht der für das Costüm des dreißigjährigen Kriegs so charakteristische Spitzenkragen . Wir haben schon in der vorigen Periode gesehen, daß die große dreifach gewundene Krause zur Stütze ein Untergestell erhalten hatte, einen scheibenförmigen Kragen, der über Gold- oder Sil- berdraht ausgespannt war. Indem nun dieser schlichte Unter- kragen mehr und mehr bloß aus den feinsten, kostbarsten und kunstreichsten Spitzen in den zierlichsten Mustern gebildet wurde, verlor die Krause selbst an Bedeutung, sodaß sie ganz wegge- lassen werden konnte und man den Unterkragen allein trug. Dieser neue Kragen war durch die breiten Spitzen, welche fast unmittelbar am Halse begannen, ein kostbares Stück, und wir sehen ihn daher in den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahr- hunderts vorzugsweise von fürstlichen Personen getragen. Allein in dieser steifen, durch Draht gestützten Gestalt widerstrebte er der Zeitströmung, da er im Nacken aufgerichtet stand wie sein Vorgänger. So muß auch er sich bequemen und legt sich nun schlaff auf die Schultern herab. Zu diesen beiden gesellt sich noch eine dritte Form, der III. Die Neuzeit. schlichte wallonische Reiterkragen, welcher, in dem niederländischen Kriege viel gesehen, unter diesem Namen schon in der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts nach Spanien gekommen war. Seine Einfachheit und Billigkeit empfahl ihn für den Kriegsgebrauch, weßhalb er auch so ziemlich den ganzen dreißig- jährigen Krieg hindurch sich neben dem Spitzenkragen behauptet: es war ein schlichter weißer, unverzierter Kragen, der etwa in Handbreite oder mehr sich um den Halsrand des Wammses her- umlegt. Bis zum Jahre 1630 gehen alle diese Formen neben ein- ander her, dann aber wird für den Schluß dieser Periode der schlaffe und breite weiße Kragen mit gezacktem Spitzenrand weit überwiegend. Das Haar hat damit völlige Freiheit erhalten und macht auch von derselben den ausschweifendsten Gebrauch. Beide, die Männer des Krieges wie des Friedens, lassen es nun wach- sen, bis es sich wallend um die Schultern legt. Auf der Mitte der Stirn wird es gescheitelt, und dann sinkt es kunstvoll nach beiden Seiten wellig oder mit geringelten Locken in schönem Flusse herab. Aber bei soviel Haupthaar konnte dem Barte unmöglich ebensoviel Freiheit und Fülle gestattet werden; es wäre des Gu- ten zu viel gewesen. Vielmehr bemächtigt sich seiner die Stutzer- haftigkeit dieser Zeit und behandelt ihn in zierlicher Weise. Es ist somit die Umkehr der vorigen Periode: damals kurzes Haupt- haar und Vollbart, jetzt Locken und Spitzbart. Dem Bart auf der Oberlippe ist Anfangs noch einiges Wachsthum gestattet, aber er wird hinaufgebürstet und gesteift. An die Wangen legt sich das Scheermesser und hält sie gänzlich glatt; Kinn und Unterlippe behalten ihren Schmuck, Anfangs in breiterer Gestalt, bald aber nach unten zugespitzt. So entsteht die Form, die wir heute den „Wallensteiner“ nennen. Die Franzosen waren auf diesem Wege in noch ausgesuchterer Zierlichkeit mit dem Henri quatre vorangegangen. In Deutschland bemächtigt sich der Wallensteiner in gleicher Weise der civilen wie der militärischen Gesichter, und auch nicht die Geistlichen ließ er ungeschoren. 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Schon in den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts folgen z. B. die Köpfe aller Erzbischöfe und Bischöfe, wie uns zahlreiche Portraits lehren, mit Locken und Spitzbart der neuen Mode, und die protestantische Geistlichkeit konnte sich später nur unschwer wieder davon trennen. Gleichzeitig mußte sich auch der steife Hut umwandeln, dem der deutsche Kopf sich nicht mehr fügen wollte, obwohl eben erst der schlaffe Filzhut des Bauern sich nach ihm geformt zu haben schien. Dieser aber war es, welcher, praktischer für den Kriegsgebrauch, heraufdrang und die seidenen und sammtnen Hüte aus dem Felde schlug. Der erste Gewinn war, daß der neue Filz sich nachgiebig um den Kopf herumschmiegte; aber die rechte Form war nicht sobald gefunden, und man schwankte hin und her zwischen breiter und schmaler Krämpe, hohem und nie- derm, rundem und spitzem Kopf, sodaß Philander von Sitte- wald im „Alamode Kehrauß“ noch in dieser Weise darüber reden konnte: „Wie viel Gattungen von Hüten habt ihr in wenig Jahren nicht nachgetragen? Jetzt ein Hut wie ein Ankenhafen, dann wie ein Zuckerhut, wie ein Cardinalshut, dann wie ein Schlapphut, da ein Stilp (Krämpe) Ehlen breit, da ein Stilp Fingers breit; dann von Geissenhaar, dann von Kameelshaar, dann von Biberhaar, von Affenhaar, von Narrenhaar; dann ein Hut als ein Schwarzwälder Käß, dann wie ein Holländer Käß, dann wie ein Münster-Käß.“ Bei allen diesen Formen blieb die schlaffe Nachgiebigkeit die Haupteigenschaft, zu welcher dann der breite Rand, den man nach Belieben auf der Seite aufkrämpen konnte, völlig allgemein und dauernd wurde. Mit ihr verband sich die wallende Feder als bedeutungsvolle Zierde der kriegerisch flotten Zeit, nebst vielerlei anderem Schmuck, auf den wir noch zurückkommen werden. Das Wamms war im sechszehnten Jahrhundert durch die gewaltige Ausladung des Beinkleides an den Hüften zur Puff- jacke zusammengeschrumpft; erst mit dem Falle desselben konnte es wieder naturgemäßes Wachsthum erhalten. Zwar ging die Hose , was Deutschland betrifft, noch mit der vollen Masse der Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 12 III. Die Neuzeit. Ausstopfung ins neue Jahrhundert hinüber, aber der veränderte Geschmack kündigt sich sofort dadurch an, daß die pralle Run- dung einer faltig schlotternden Masse weicht, die um den Ober- schenkel herumhängt. Alle Schlitzung oder mehrfarbig aufgenäh- ten Zierrath weiset sie ab. Statt dessen gewinnt die äußere Sei- tennaht größere Bedeutung, indem sie mit einer Reihe prunken- der Knöpfe besetzt und von unten her gewöhnlich eine Strecke offen gehalten wird, welche Oeffnung mit feinem weißen Stoffe unterlegt erscheint. Um die Kniee oder vielmehr unter denselben ist diese Form des Beinkleides mit einem farbigen Bande ge- schlossen, welches zu den Seiten in einer großen Schleife herab- fällt. Der Anstoß zu einer weiteren Veränderung ging ebenfalls von Paris aus. Hier zuerst wurde etwa gegen das Jahr 1630 alle und jede Ausstopfung abgewiesen, sodaß sich nunmehr das Beinkleid völlig naturgemäß etwa in der modernen Weite bis unter das Knie herabsenkt, wo es mit einem Spitzenrande um- geben sich anschließt. In dieser einfachen und tadellosen Form ging es auch nach Deutschland hinüber, doch hier wie in Frank- reich blieb es nicht lange dabei. Der lockre Sinn dieser Zeit öff- nete es am Knie und weitete es von den Hüften herab gleich- mäßig, sodaß es luftig und frei, aber formlos umherrauschte und beim Stehen keine Falten bot. In dieser Gestalt erreichte es die Mitte des Jahrhunderts. Sowie die Ausladung des Beinkleids verschwand, erhiel- ten die Schöße des Wammses wieder Freiheit nach unten zu wachsen, doch erreichten sie in ihrer Länge, obwohl das Maß ein schwankendes blieb, höchst selten nur die Oberschenkel. Der all- gemein ansteckende Soldatengeist duldete das auch beim ehrsamen Bürger nicht anders. Natürlich schwand auch von diesem Klei- dungsstück die Ausstopfung, sodaß an diese einst so mächtige Mode bald nichts mehr erinnerte als ein um die Achselnaht herum angehängtes Stück Zeug, das wir noch lange an der militäri- schen Uniform verfolgen können: es war der Rest der wulstigen Schulterpuffen. Damit rückte auch die Taille naturgemäßer wie- der aufwärts. Das genügte aber dem beweglichen Sinn noch 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. nicht. Nicht bloß wurde es Mode, die untern Knöpfe des Wamm- ses offen zu halten, um hier mit der Feinheit des faltig hervor- scheinenden Hemdes zu prunken; das Wamms verlor sogar die Taille gänzlich und erhielt von der Achselhöhle herab überall gleiche Weite. So entsprach es der offenen Form des Beinkleids. Zu gleicher Luftigkeit entwickelten sich die Aermel, nachdem sie die Wülste verworfen hatten: sie werden weit und faltig und schlitzen sich oft der ganzen Länge nach in mehrfache Streifen, daß sie selbst an hundert Jahre früher gangbare Moden erinnern. Seit dem Jahre 1630 etwa geht daraus eine Form als die blei- bende hervor: darnach schließen die Aermel an Schulter und Handgelenk, aber an der vordern Seite öffnet sie ein Schlitz in der vollen Länge, wodurch ein möglichst feiner Hemdstoff in fal- tiger Masse erscheint — das feinste Weißzeug wurde eben eine besondere Liebhaberei dieser Periode. Zu den Aermeln gehören stets die Manschetten , welche auf’s genauste die Wandlungen des Kragens mitmachen: sowie die dicke Krause auf die Schulter herunterfällt, legen sich auch die gekrausten Manschetten auf die Arme zurück, und dem schlaf- fen Spitzenkragen folgen die gleichen spitzenumsäumten Man- schetten, mit denen auch der Soldat sein Lederwamms und Büf- felcollett verziert. Dies letztere, das weiße, hellgelbe oder natürlich braune Leder, mußte nun im Krieg die spanische gesteppte Baumwolle und selbst den Brustharnisch ersetzen. Es wurde zum Wamms benutzt wie zum eigentlichen Collett , einem kurzen ärmellosen Rock, den der Reitersmann und der Offizier gewöhnlich über das Wamms gelegt haben. Auch der hasenfüßige Stutzer und Pflastertreter suchte mit dem Lederwamms soldatisch zu re- nommiren. Den Kriegsgebrauch kündigt ebenfalls der Mantel an, der auch im städtischen Leben dem solidbürgerlichen Oberrock fast ausschließlich vorgezogen wurde. Der letztere schien sich ganz auf die Amtstracht zurückgezogen zu haben. Nur wurde der Mantel länger und weiter getragen als in der spanischen Periode, doch 12* III. Die Neuzeit. nicht tiefer als das Knie, und von den Kriegsleuten und ihren Nachahmern togaähnlich über die Schulter geschlagen oder vom zierlichen Stutzer nur an die eine Schulter gehängt, damit all der Schmuck von Spitzen, Bändern, Schleifen nicht verdeckt und verdrückt werde. Worin sich aber am meisten und am offenbarsten die Wir- kung des Kriegs auf das Costüm ausspricht, das ist die Fuß- bekleidung . Der Civilist wie der Soldat ging mit Schuh und Strumpf ins siebzehnte Jahrhundert hinüber. Bis zu den Knöcheln heraufreichend und vorn spitz zulaufend bedeckte der Schuh den ganzen Fuß, oder wenn er oben ausgeschnitten war, so lief ein Riemen mit Schnalle um die Beugung. Aber grade als ob die gespitzten Schuhe zur steifen, die stumpfen und breiten zur freien Tracht gehörten, so wird auch jetzt wieder in der natura- listischen Zeit wie hundert Jahre früher die Spitze abgestumpft und ein grader, breiter Schnitt endigt nun den Schuh. Oben- auf sitzt eine Schleife oder seidene Bandrosette, die selbst der Soldat trägt. In dieser Gestalt behauptet der Schuh sich un- umschränkt bei Vornehm und Gering, bei Reich und Arm bis zum Beginn des Kriegs. Sowie aber die Werbetrommeln durch das weite Land ertönen und Abenteurer aller Art von Stadt und Land wie einst in landsknechtischer Zeit um die Fahnen sich sam- meln, da taucht auch der große Stiefel aus der Tiefe hervor und gelangt zum ersten Mal in der Geschichte zu hohen Ehren. Anfänglich ein Ordonnanzstück des Reitermannes, geht er auch auf das Fußvolk über, wie ihn jeder Offizier trägt, sodaß er förmlich als das charakteristische Zeichen der Kriegstracht angese- hen wird. Da nun in der drohenden Zeit sich gern jeder ein möglichst kriegerisches und wehrfähiges Aussehen geben wollte, so ging der Reiterstiefel mitsammt den rasselnden Sporen und dem breiten Spornleder auch auf die friedliche Welt, selbst die des Pariser Salons, über. Bald nach dem Jahre 1630 sehen wir die feinsten Herren damit in den Salons erscheinen oder vor den Modeläden mit ihrer Dame im Arm auf und ab flaniren. Die Deutschen brauchten nicht erst nachzufolgen, da ja der Krieg, 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. der die Stiefeln zur Mode gebracht, eben ein deutscher war. Freilich waren sie beim Pariser Herrn von etwas zierlicherer Form, aber, ebenfalls weit und faltig, hatten sie die umgekrämp- ten abstehenden Stulpen, die nur der Reiter bis oben hinauf zog. Bis zu Ende des Kriegs gewann der Stiefel immer mehr Boden, ohne freilich den Schuh ganz verdrängen zu können, der mit dem Frieden sofort wieder die Herrschaft übernahm. Bis soweit hatte sich die Kleidung unter dem Einfluß des Naturalismus und des Kriegs entwickelt, ohne daß im Allgemei- nen viel zu tadeln gewesen wäre. Die spanische Steifheit und die zur Eleganz gehörenden Mißformen waren völlig beseitigt und ein freies, malerisches und der Feinheit nicht ermangelndes Costüm an seine Stelle getreten. Allein die haltlose, aus den Fugen gegangene Zeit drängte zur Uebertreibung und Ueberstür- zung, sodaß dem Manierirten und Gespreizten bald wieder das andere Extrem gegenüber trat, das Groteskphantastische, und die Natürlichkeit sich in Unnatur verkehrte, wie dem höfisch abgemes- senen Wesen die ungebundene, zügel- und zuchtlose Ausgelassen- heit des Soldaten folgte. In dem langen verheerenden Kriege, dessen Art und Weise ohnehin der Menschlichkeit entsagt hatte, verlor die Welt den sittlichen Halt und Gehalt. Es war eine Zeit des raschen Wech- sels und darum auch des raschen Lebens. Niemand konnte dar- auf rechnen, noch morgen sein zu nennen, was er heute besaß; wenn er heute im friedlichen Glücke genoß, wälzte sich morgen die Kriegswoge daher, verschlang ihn oder trieb ihn am Bettel- stabe von Haus und Hof ins Elend hinein. Wer wollte sich Mühe geben, seinen Besitz zu sichern und für Jahre hinaus zu sorgen: ein rascher Genuß des Vorhandenen und wieder Jagen nach neuem Gewinn, das war ein zeitgemäßeres Leben. Das Trachten nach dem Glück führte den falschen Schein, die Heuche- lei und die Lüge im Gefolge mit sich: konnte einer nicht errei- chen, was er wollte, suchte er wenigstens dafür zu gelten, um vom Credit zu leben und zu genießen, solange es ging, bis die magere Zeit kam, wo er im Elend zu Grunde ging oder aben- III. Die Neuzeit. teuernd der Trommel folgen konnte. So fuhr der Hochmuths- teufel in die Welt, die Leerheit, Hohlheit, Aufgeblasenheit und Renommisterei. Die Strudel des Kriegs schleuderten eine Menge Leute aus den untersten Schichten der Gesellschaft an die Oberfläche, in den großen Strom der Begebenheiten, Abenteurer, Glücksritter, faustgewandte Wagehälse, die rechten Kinder der Zeit, die allein zur Fahne der Fortuna schworen, auch wohl in ihrem Dienst zu hohen Ehren gelangten. Aber das ist eine verhältnißmäßig kleine Zahl, die immer mehr vor den eigentlichen Renommisten und dem marodirenden Gesindel verschwindet. Haufenweise zogen sie durch Freundes und Feindes Land, sich immer neu recrutirend aus den Unzähligen, die der Krieg habelos und heimatlos ge- macht hatte. Von dem chevaleresken Charakter des aufstrebenden Glücksritters, von dem freien, kühnen und trotzigen Sinn des ächten Soldaten war ihnen nichts gegeben; es waren feige Hor- den, die zu keiner Fahne schworen, oder es nur des Scheines wegen thaten, um ungestrafter ihre Plünderungszüge ausführen zu können. Freundes und Feindes Land galt ihnen gleich, und stießen sie auf einen Haufen, der sich zur Gegenpartei bekannte, so schloß man einen freundschaftlichen Vertrag, sich gegenseitig im Revier nicht zu stören, d. h. des Feindes Land zu plündern, des Freundes ausplündern zu lassen, oder gemeinsam das edle Werk zu vollführen. Freilich machten sie dadurch sich selber recht- los und vogelfrei, von aller Welt verfolgt und gehetzt, und wie sie Räubern gleich in Wäldern sich verbargen und ihre Mord- und Brandüberfälle gegen Dörfer und Städte im Dunkel der Nacht ausführten, so war auch, wenn sie ergriffen wurden, ihr Lohn die Strafe des Räubers. Wir haben die lebendigste Schil- derung von diesem Bandenwesen in der zweiten Hälfte des gro- ßen Krieges von Moscherosch im Philander von Sittewald, den er selbst eine Zeitlang mit solcher Horde herumziehen läßt. Wol- len wir sie in ihrem Aeußeren kennen lernen, brauchen wir nur die Radirungen Callot’s zu betrachten, und wir haben sie in allen Wechselfällen des Kriegs mordend, plündernd und sengend, 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. als Sieger und verfolgt, renommistisch aufgeputzt und bettler- haft zerlumpt. Diese Söhne des Kriegs, die flotten, freien Glücksritter wie das scheue Gesindel, wurden die Vorbilder der städtischen Müssiggänger. Mehr oder weniger war die ganze civilistische Welt von der soldatischen Eitelkeit und dem hohlen Scheinwesen angesteckt und trug solches Stutzerthum im Aeußeren zur Schau. „Weil wir leben in dem Krieg, muß ich alle meine Sachen, Wammesachsel, Kleid und Schoß nach der Rüstung lassen machen.“ So entschuldigt die stutzerische Jugend ihr kriegerisches Aussehen. Es folgten allmählig auch die Alten, sodaß wir z. B. am Ende des Kriegs bei dem Friedensschlusse zu Nürnberg die sämmtlichen Gesandten, die gelehrten Doctoren und Diplomaten wie die Ge- nerale und Obersten, in gleicher Weise gestiefelt und gespornt sehen. Vor allen aber kommt dies Unwesen an den Stutzern und Pflastertretern zur Erscheinung, die sich jetzt wie eine geschlossene Kaste von der übrigen Menschheit sondern und auch von dersel- ben also betrachtet werden. Man sah sie damals in London, wo sie auf der Promenade der fashionablen Welt, dem St. Pauls- gang an der St. Paulskirche, Vormittags bis elf Uhr und Nach- mittags von drei bis sechs flanirten, während der Schneider hin- ter dem Pfeiler lauschte, um sich die neue Mode zu merken; man sah sie in Paris vor den Läden, namentlich des heutigen Palais royal, auf und ab spaziren; man konnte sie in Deutschland überall in allen Städten finden. Alamode zu sein in allen Dingen, in Kleidung, Sprache und Leben, das war ihre Aufgabe. Ihre Redeweise war ein Gemisch von Deutsch, Französisch, Italienisch oder Spanisch nebst einzelnen ihnen eigenthümlichen Wörtern, die sich mit dem Rothwelsch oder mit studentischer Sprechweise vergleichen lassen. Nach wohldurchschwärmter Nacht spät zu Bette gegangen, standen sie spät wieder auf, um den Tag mit Flaniren hinzubringen, den Damen den Hof zu machen, sich in schönem Putz bewundern zu lassen und durchzubringen, was sie III. Die Neuzeit. erschwindelt hatten. Sporen klirrten an ihren Stiefeln, aber ein Pferd besaßen sie nicht; den langen Stoßdegen führten sie an der Seite, aber zum Kampfe ließen sie es trotz aller Rodomonta- den nicht kommen, sondern viel eher sich mit der eigenen Wehre davonprügeln. Treffliche „Löwen“ dieser Art sind jene beiden sogenannten Hauptleute Daradiridatumtarides Windbrecher von Tausendmord und Horribilicribifax von Donnerkeil auf Wust- hausen, die Andreas Gryphius in dem nach dem letzteren be- nannten Lustspiel uns vorführt. Mit den fürchterlichsten Dro- hungen rücken diese eifersüchtigen Helden auf einander, um nach langem Wortkampfe endlich nicht zu Thaten überzugehen, sondern sich als alte Waffenbrüder wieder zu erkennen, hoch erfreut, daß so zur rechten Zeit großes Unglück verhütet werde. Auf Beifall freilich bei der Mitwelt durften diese Helden nicht rechnen, wenn sie auch nur in üppigster Blüthe verkörper- ten, was im Grunde die ganze Welt mit ihnen theilte. Als die äußersten Spitzen einer übertreibenden Zeit waren sie nothwen- dig Carricatur, und so durften sie für den Spott von Seiten der Gegner, der „Altfränkischen“, nicht sorgen; er wurde ihnen reich- lich zu Theil. Es erschienen damals an sehr verschiedenen Orten Deutschlands, größtentheils zwischen den Jahren 1630 und 1640, eine große Anzahl einzelner Kupferstiche mit begleitenden Versen, bilderbogenartig, welche diese Stutzer zum Gegenstand der Satire machen. Diesen fliegenden Blättern zufolge steht an der Spitze der Stutzer eine mythische Person „Monsieur Alamode“ genannt. Er concentrirt in sich alle die verschiedenen Eigenschaften, das soldatische Aeußere, die soldatische Renommisterei und Aufschnei- derei, die bunte Sprache, den Kleiderputz, die müssiggängerische Lebensweise, die Galanterie, aber auch den Haß und die Verfol- gung der Gegner. Was er zur Herstellung seines Aeußern be- durfte, das natürlich immer blühend und schön sein mußte, fin- den wir in den folgenden Versen, die er in voller Pracht sterbend auf dem Bette als Testament einem Schreiber dictirt: 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. „Als erstlich legier und schaff ich Meinen tollen Hut, der über sich Gebunden ist mit einem Band, Den Narren all im ganzen Land. Den können sie von meinetwegen Tragen und guter Possen pflegen, Wanns kommen für eine Gasterei, Dann dieser Hut hat vielerlei Der Mucken und der Narrenpossen, Die ich nit all hab ausgelassen. „Fürs ander schaff die Feder drauf, So mit eim Kleinod geheftet auf, Ich allen jungen steifen Gsöllen, Die in den Krieg fort ziehen wöllen, Darbei man zsehen hab zur Frist, Wie der Soldat geflidert ist.“ Nachdem er noch in besondern Versen, die sich nicht gut wieder- geben lassen, des Kragens, des Wammses und des Beinkleides sowie der Strümpfe und Schuhe gedacht, heißt es weiter: „Die Stiefel und die scharfen Sporen, Mit denen ich mein Roß geschoren, Legier und schenk ich diesen Leuten, Die auf dem Esel pflegen zu reuten: Oder wann ihnen die nit eben, Mögen sie es eim Floßmann geben, Dem sie auch taugen stattlich wol, Wann er zu Wasser reuten soll. „Den Mantel, Degen und Favor, Den schenk ich meim gewesten Sartor, Damit derselb von meinetwegen Ein schönen Mantel anzulegen Im Jahr, wann ist der Schneider Föst, Der hats verdient am allerbest. „Die Schuch, Nestl, Kämpl, Bürsten, Messer, Löffl, Pantoffl, Spiegl, Handschuh, Tätzl, Ring, Becher, Glöser, III. Die Neuzeit. Kanten, Teller, Bücher, Pult und anders mehr, So ich gebraucht von Kindheit her, Legier und schenk ich meinen Gsölln, Die Al Modo bleiben wölln.“ Wie Monsieur Alamode und seine Genossen angesehen und auch verfolgt wurden, zeigen die folgenden Verse, welche einem Mitgliede der Gesellschaft in den Mund gelegt werden: „Ja eben das ist auch mein Klag, Man hat uns sämmtlich Jahr und Tag Offentlich in Druck umgeführt, Spöttlich mit Worten gevexiert, Nennt uns Eselsköpf, Junkerzauser, Auch Monsierische Gernemauser, Gassentreter und Hahnentanzer, Alamodische Vielkramanzer, Gar viel Fresser und wenig Schaffer, Mitnachtbuhler, bis Mittagschlafer, Könnten eim Jeden geben Tadel, Und seind oft selbst nit vom Adel, Prangen doch daher wie die Hägel, Sein Delpel, Rülpen und grob Flegel, Tragen alamodische Kleider, Haben oft nit bezahlt den Schneider, Desgleichen dem Kaufmann sein Tuch, Dem Schuster nit Stiefel noch Schuch, Wöllen durchtreten alle Gassen, Und thun der Eltern Gut verprassen.“ Sie selbst zwar wundern sich, daß sie so verachtet und verfolgt werden, und glauben ganz etwas anderes verdient zu haben: „Die wir doch das unser spendirn Auf Kleidung, Pracht, buhlen, hofiren, Auf schöne Frauen sie zu zieren, Auf musiciren, fechten, ringen, Auf tanzen, alamodisch springen, Auf reiten, rennen, schlittenfahren Thun wir keinen Unkosten sparen.“ 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Am Schlusse des Blattes werden sie noch einmal in einer Anrede an den Leser ernsthaft in der Kürze geschildert: „Günstiger Leser, das Gedicht Ist nur allein auf die gericht, So sich Alamodisch ohnbescheiden Nach allerlei Landsgebrauch kleiden, Und treiben viel Hochmuth und Pracht, Wöllen auch dafür sein geacht, Daß jedermann muß ihnen weichen, Stumpfieren andre ihresgleichen, Und sein doch selbst nur arme Gsellen, Die mehr als andre sein wöllen.“ Was den Monsieur Alamode und seine Freunde und Freun- dinnen nach dem Tode erwartete, stellt ein anderes fliegendes Blatt zum warnenden Beispiel dar. Monsieur Alamode ist ge- storben, und wir sehen ihn direct den Weg in den offenen flam- menspeienden Höllenrachen nehmen. Ein großes Gefolge von Herren und Damen, alles im schönsten Putz, begleitet ihn. Wie es die Pflicht eines freundlichen und höflichen Wirthes ist, seine Gäste an der Thüre zu empfangen, so steht zwischen den Zähnen des weitaufgerissenen Rachens der Herr und Besitzer der Hölle in feinster alamodischer Tournüre, freundlich grüßend und ein- ladend, den Hut in der Hand. Als Musikanten gehen vier ala- modisch gekleidete Teufel dem Zuge vorauf. Ihnen folgt die Hauptperson, würdigst gekleidet, Arm in Arm geleitet von zwei fein gekleideten Herren mit Bocksfüßen und Geierkrallen; sodann der lange Zug, von Schmeißfliegen umschwärmt, welche die süß- duftenden Salben herbeigezogen haben. Ein paar beigedruckte Verse sprechen aus, daß alle solche Gesellen der Hölle verfallen sind, „allen wackern Alamode Monsieure aber, so bei Zeit von der leidigen und verdammlichen Hochfahrt abstehen, denen soll gewiß ein fröhliche Auferstehung bald folgen.“ Indessen war die Strömung der Zeit stärker als die sati- rische, ernsthafte oder gar gesetzgeberische Opposition; unter dem Zusammenwirken der Alamode-Monsieurs und des militärischen III. Die Neuzeit. Stutzerthums trat das phantastisch-lockre Unwesen, die Putzsucht, das Behängen mit leichter flatternder Waare an allen Ecken und Enden hervor. Vom Kopf bis zum Fuß, von den höchsten Spitzen der Gesellschaft herab nahm die Tracht diesen Charakter an, den Monsieur Alamode freilich zur Carricatur übertrieb. Was mit dem Haupthaar geschah, als es einmal lang geworden war und sich zu locken begann, giebt die Vorbemerkung in einer Verordnung des Straßburger Magistrats an, welche schon vom Jahr 1628 datirt: „Item, wann die Mannspersonen die Haupthaar gleich den Weibern zieren, seidene Bändel, Ring- lein und anders an Zöpfen einflechten und andre weibliche Phantasien damit vornehmen.“ In der That begnügen sich die Männer nicht damit, das Lockenhaar einfach um die Schultern wallen zu lassen, wie es noch die ersten Helden der Zeit, z. B. ein Bernhard von Weimar, thaten. Zangen, heiße Eisen und Salben zu benutzen, um den gewünschten Fluß und Fall herzu- stellen, war etwas ganz Gewöhnliches. Eben darum aber, weil alle Welt das wellige oder gelockte Haar trug, verschmähte der Stutzer diese geregelte Zierlichkeit und suchte vielmehr mit be- sonderer Kunst sich den Schein genialliederlicher Nachlässigkeit zu geben. Darum sehen wir auf Bildern sein Haar langzottig, struppig und wüst am Gesicht herunter fallen. Schwarz mußte es sein, wenn er den Damen gefallen wollte, denn diese liebten damals keine andere Farbe des Haares. Hatte die Natur ihm diesen Vorzug versagt, so half er durch Farbe und Bleikämme nach und streute Pulver in’s Haar. Auch die Augbrauen und den Bart färbte er schwarz. Auch hierin also, sehen wir, hat sich der Geschmack gegen die vorige Periode, welche sich um der blonden Farbe willen einer unangenehmen Mühe unterzog, völ- lig geändert. Der Zopf, dessen bei dieser eitlen Männerwelt öfter Erwähnung geschieht, hing nicht hinten im Nacken, wie sein berühmterer Nachfolger des achtzehnten Jahrhunderts: beide haben nichts mit einander zu thun. Der Zopf in dieser Periode war rein stutzerische Tracht, wenn auch die höchsten Häupter nicht verschmähten sich damit zu zieren: es waren ein paar zusammen- 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. geflochtene Locken, die vorn an der einen Seite des Gesichts rechts oder links vom Ohr herunter hingen oder auch wohl an beiden Seiten, und am untern Ende, welches auf Schulter und Brust herabzureichen pflegte, einen kleinen Schmuck, eine große Perle, einen Edelstein, eine Schleife oder dergleichen trugen. Dem Stutzer war das wohl ein theures Andenken seiner Dame, „Favor“ oder „Faveur“ genannt. Allzuhäufig war dieser Zopf außerhalb der stutzerischen Welt nicht, doch trugen ihn auch, wie die Portraits beweisen, historisch bekannte Personen von Rang und Ansehn und selbst König Christian IV. von Dänemark und sein Sohn der Kronprinz Friedrich, später der dritte dieses Namens. Mehrere Portraits des ersteren, die in verschiedenen Jahren gemacht sind, zeigen ihn in gleicher Weise mit dem Zopf, dessen Ende eine Perle trägt. Auch sonst banden sich die Herren allerlei leichte Schmuck- sachen in’s Lockenhaar, wie sie den ganzen Körper damit behäng- ten. Man nannte sie insgesammt Faveurs, ein Ausdruck, der noch aus der alten Turnierzeit herrührt und die kleinen Pfänder und Liebeszeichen der Damen, Handschuhe, Bänder, Schärpen und dergleichen bezeichnet, mit denen geziert die Ritter in die Schranken ritten. Wenn der Stutzer dem Haupthaar einen nachlässigen, ver- wilderten Anstrich zu geben suchte, so wandte er um so mehr Sorgfalt an den Bart . Die Wangen wurden jeden Morgen glatt rasirt, aber den Kinnbart ließ er an schmaler Stelle wachsen, so lang er wollte, und klebte ihn zusammen in eine lange feine Spitze. Auch an den Schnurrbart bringt er nicht das Messer, sondern Farbe, Pech und das heiße Eisen, steift ihn und dreht ihn über den Mundwinkeln aufwärts, daß die Spitzen nach den Augen zu stechen; daher es heißt, „den Knebel über sich gestürzt.“ Das ist der allgemeine Typus, dessen unbestrittene Herrschaft zwischen die Jahre 1630 und 1640 fällt. Dann aber stellen sich gegen den Ausgang des Kriegs mancherlei Abweichungen ein, die alle darauf hinauslaufen, den Bart noch weiter zu verkleinern und namentlich vom Kinn ganz zu entfernen. Diese Spielarten III. Die Neuzeit. der Bartmode schildert Philander in seiner drastischen, ernst- komischen Weise folgendermaßen: „Da deine Vorfahren es für die größte Zierde gehalten haben, so sie einen rechtschaffenen Bart hatten, so wollet ihr den wälschen unbeständigen Narren nach alle Monat, alle Wochen eure Bärte beropfen und be- scheren, bestümmlen, bestutzen, ja alle Tag und Morgen mit Eisen und Feuer peinigen, foltern und marteln, ziehen und zer- ren lassen? jetzt wie ein Zirkel-Bärtel, jetzt wie ein Schnecken- Bärtel, bald ein Jungfrauen-Bärtel, ein Teller-Bärtel, ein Spitz- Bärtel, ein Maikäfer-Bärtel, ein Entenwädele, ein Schmalbärtel, ein Zucker-Bärtel, ein Türkisch-Bärtel, ein Spanisch-Bärtel, ein Italienisch-Bärtel, ein Sonntags-Bärtel, ein Oster-Bärtel, ein Lill-Bärtel, ein Spill-Bärtel, ein Drill-Bärtel, ein Schmutz- Bärtel, ein Stutz-Bärtel, ein Trutz-Bärtel u. s. w.“ Es würde überflüssige, wie vergebliche Mühe sein, sich nach Formen für diese Ausdrücke umzusehen, welche mehr der Phantasie des Sa- tirikers als der Wirklichkeit angehören. In seinem Eifer setzt er dann hinzu: „Nun ist eure meiste Sorge, sobald ihr Morgens aufgestanden, wie ihr den Bart rüsten und zuschneiden möget, damit ihr vor junge Narren und Lappen könntet durchwischen. O ihr Weiber-Mäuler! Ihr unhärige! In den Löffeljahren geht ihr zuzapfen, zutrillen, zuropfen, bis die Gauchshaar her- auswollen; und wann ihr durch Gunst der Natur dieselbige end- lich erlanget habt, so wißt ihr ihnen nicht Marter genug, bis ihr sie wieder vertreibet! Ihr Bart-Schinder! Ihr Bart-Schneider! Ihr Bart-Stutzer! Ihr Bart-Zwacker! Ihr Bart-Folterer! Ihr Bart-Wipperer! Ihr Bart-Marteln! Ihr Bart-Peiniger! Ihr Bart-Abtreiber! Ihr Falsche Bart-Münzer! Ihr Bart-Ver- derber! Ihr Bart-Narren! Ihr Bart-Mörder!“ Das groteskeste Stück der männlichen Tracht war der Hut . Als er einmal die große breite Krämpe und das schlaffe Wesen gewonnen hatte, war er diesen windigen Köpfen recht; sie hätten etwas Steifes nicht auf sich erdulden können. Nachgiebig wie er war, machten sie mit ihm, was sie wollten. Der Kopf erhöhte sich bald zuckerhutförmig, bald stieg er wieder zu bescheidener 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Niedrigkeit herab; der Rand dehnte sich ellenbreit aus, daß er wie ein Schirmdach den ganzen Mann deckte; nach hinten zu fiel eine ungemessene Feder über den Rücken, nicht selten bis zur Kniebeuge herab. In dieser Form nannte ihn der Stutzer in seinem Rothwelsch sehr bezeichnend „Respondent“, denn er mußte nun allen Launen und Stimmungen seines Trägers wie eine Wetterfahne entsprechen. Vorn über die Stirn hereingedrückt mit seitwärts aufgeschlagener Krämpe saß er renommistisch heraus- fordernd. War er zurückgeschlagen und die Krämpe erhoben über der Stirn, so verkündete er heiteres Wetter und gute Laune: das Gesicht war offen, die Stirn frei und die Augen leuchteten son- nig und heiter. Aber die höchste Trauer war eingezogen, Trüb- sinn und Schwermuth, Geldmangel, Unglück in der Liebe, wenn er über Stirn und Auge hereingedrückt und der Rand, sogar ohne Feder, allseitig heruntergelassen war. So fanden Stolz und Niedergeschlagenheit, Zorn und Sanftmuth, Lust und Trauer, Rauflust, Trotz und Feigheit ihren Ausdruck, ihren Wi- derschein in diesem Hut. — Außer der langen Feder verzierte ihn noch der Soldat und der Bürger nicht minder wie der Stutzer mit den Faveurs, mit Ketten und Schnüren, mit Edelsteinen und Gold und Silber, mit Rosetten und Schleifen. Die Blüthezeit des großen Schlapphutes fällt mit der von Haar und Bart zusammen; gegen das Ende des Kriegs trafen auch ihn die Veränderungen, welche seine groteske Gestalt zu beschränken suchten. Das Extrem kann sich nicht lange auf seiner Höhe behaupten. Die Körper waren ermattet von den An- strengungen und Leiden des langen Kriegs; die Geister erschlaff- ten und hatten nicht mehr die Schwungkraft zu übertreibenden Aeußerungen renommistischen Uebermuths oder chevaleresker Keckheit; und wie die Menschen selbst, der Dinge müde, wider- willig einen allen lästigen Frieden schlossen, so bequemten sich auch wieder die Köpfe einer steiferen Form des Hutes. Dem Hute nahe an Monstrosität kam der Stiefel , ob- wohl der Schuh daneben noch lange nicht aus der modischen III. Die Neuzeit. Welt weichen wollte. Obwohl er keineswegs von zierlicher Form war, vorne breit gestumpft und mit hohen Absätzen, die man schon damals roth zu färben liebte, so bot er doch für die so be- liebte Zierde der „Goldrosen“ oder seidenen Blumen von mäch- tiger Größe eine bessere Gelegenheit als der Stiefel, bei welchem das Spornleder diese Stelle in der Beugung des Fußes ein- nahm. Zugleich konnte mit dem Strumpf der reiche Schmuck am Knie zu besserer Wirkung kommen. Indessen haben wir schon gesehen, wie dennoch seit dem Jahre 1630 etwa der Stiefel für einige Jahrzehnte den Sieg davon trägt. Freilich muß auch er trotz seiner colossalgrotesken Gestalt und des derben festen Stoffes den leichten Besatz annehmen. Schleifen besetzten zu beiden Seiten das Spornleder, zarte Spitzen umzogen das schlotternde dicke Leder der Stulpen, mochten sie herunterhängen oder aufgekrämpt sein, und ihre weite Mündung wurde vom feinsten Weißzeug ausgefüllt. Dazu trug der feine Herr auch noch Galoschen oder Pantoffeln, zu den Stiefeln sowohl wie zu den Schuhen, welche mit hölzernen Sohlen schon von fern her die Ankunft ihres Trägers klappernd verkündigten. Wamms und Beinkleid, weit, luftig und schlotternd, wie sie geworden waren, mußten namentlich den leichten Zierrath annehmen. Spitzen, die auch mit feinen Goldfäden in allerlei Mustern von Sternen und Blumen durchflochten waren, um- zogen den Kragen, die Manschetten und das geöffnete Beinkleid am Knie. Um die Achseln herum und vom Schultersaum rings um Brust und Rücken herum, desgleichen um den untern Saum des Wammses, um die Ränder des Beinkleids am Knie hingen Bänder und Schleifen, Nesteln genannt, die Metallstifte und andere Faveurs trugen, welche bei jeder Bewegung klirrend zu- sammenschlugen. Ueberall saßen Schleifen und Schnüre, in so- genannte Liebesknoten geschlungen. Ein Favoritplatz für sie war die Außenseite am Knie: hier war das Knieband in eine mäch- tige Schleife gebunden oder mit großer Rosette verziert, hier hing ein ganzes Bündel von Nesteln und klirrenden Stiften, hier befestigte der Stutzer Pfauenfedern mit schillerndern Farben. 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Wenn man sich nun noch den Hut, die Stiefel oder Schuhe und selbst das Haar mit ähnlichem Schmuck bedeckt denkt und die De- genkuppel, die jetzt über die Schultern hing, mit Spitzen, Borten, Perlen und Goldarbeiten besetzt, so mag Philander Recht haben, wenn er sagt: „Und möchte mancher meinen, er sehe einen Kram- gaden aufgethan oder in einen Paternoster-Laden, so mit mancher- lei Farben von Nesteln, Bändeln, Zweifelstricken, Schlüpfen und anderm, so sie favores nennen, sind sie an Haut und Haaren, an Hosen und Wamms, an Leib und Seel behenket, beschlenket, be- knöpfet und beladen.“ Parfümirte farbige Handschuhe, die gewöhn- lich in der linken Hand getragen wurden, und ein mächtiger hoher Knotenstock mit Knopf oder Krücke, den man auch in der Hand fürst- licher Personen finden kann, vollendeten das Bild des Stutzers. Es ist aber noch zu bemerken, daß vor dieser windigen Ei- telkeit und dem flotten Soldatengeist auch die ernsten, dunklen Farben wieder verschwanden, welche die Reactionsperiode modern gemacht hatte. Es wurde auf’s neue eine lustig bunte Welt, die an hellen Farben Gefallen fand, doch hatten bei so viel anderer Zierde die einfarbigen Stoffe vor den buntgemusterten den Vor- zug. Die schwarze Kleidung oder die dunkle blieb in Deutsch- land allenfalls in der bürgerlichen Welt, welche sich vor der Mode zurückzog, namentlich aber in den republikanischen und re- formirten Niederlanden, wo sie noch Jahrzehnte in Ehren und Ansehn stand. Zur Bezeichnung für dieses tolle Stutzerthum, das auf der Straße mit dem Sarraß rasselte, die Sporen klirren und die Metallstifte klingen ließ, das mit den Stulpen und dem andern überflüssigen Stoff einherrauschte und mit den Pantoffeln klap- perte, hatte man damals eine eigene Art Sprache erfunden, die nicht Philander von Sittewald allein gebrauchte. So heißt z. B. die Ueberschrift eines fliegenden Blattes: „Kartell stutzerischen Aufzugs der durchsichtigen, hochgefiederten, wohlgespornten und weitgestiefelten, langschwarzhärigen, zigeunerischen, wohlver- nestelten, langlapphosischen, milztägischen, wohlherausstaffirten, weltbekannten Cavalliere. Sammt deren hochgeputzten, hoch- Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 13 III. Die Neuzeit. haargepüfften, wohlangestrichenen Büchsleinblasern, wie auch unten mitten und oben zerhackten, zerspaltenen und geputzten Cortesi, Concubin und Mätressin, des welschfranzösischen, jetzt- mals teutschen, Aufzugs genannt.“ Diese Sprache erscheint nicht weniger grotesk, wie das Aussehen der Stutzer selbst. Die Verse, welche dieser Ueberschrift folgen und zur Er- läuterung von vier derartigen Modefiguren dienen, sind so im Sinne dieser Herren selbst geschrieben, daß wir uns nicht ent- halten können, sie größtentheils hier wieder zu geben: „Horchet ihr Teutschen insgemein, Seht wie wir vier Cavallier sein, So will mans haben nun hinfür Das heißt a la mode Monsier. „Man soll sich nit um d’vorig Zeit Jetzunder lang mehr sehen weit, Man will haben unser Manier, Das heißt ja al’ modo Musier. „Der Stutz gefällt auch den Damen recht, Daß wir uns nit halten so schlecht, Sondern nachthun, was stutzerisch, Al’ modo heißt cavallierisch. „Wir wissen nun die Ordnung wohl, Wie sich ein jeder halten soll, Erstlich in unsern Hüten breit, Drum heißt’s al’ modo zu der Zeit. „Darunter wir uns stellen bald, Jetzt saur, jetzt süß auf manche Gestalt, Mit den Gebärden dazu schnell, Drum ist al’ modo unser Titel. „Auch führen wir nach der edlen Art Eine tollfliegende Feder zart, Das scheint dann recht heroisch drein, A la modo wir mussiren fein. 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. „Ein langes Haar dem Haupt steht schön, Darvon ein Zopf herunter kühn, Darein der Damen Herz Favor Geflochten al’ modo Monsor. „Die Bärt sollen gestutzet sein, All Härlein hinab bis aufs ein, Den Knebel über sich gestürzt: Sic a la modo: und fein beherzt. „Der Hals soll ledig stehn und dann Der Kragen hernieder liegen than, In Fälten klein, eng wohl zusammen, Oui Moussier sprechen die Damen. „Die Wämmser sollen sein zerschnitten Auf beeden Aermeln und damitten Die Lappen sollen hangen munter Auf a la modo subtil besonder. „Die Hosen sollen unterm Knie, Nicht oben wie die Schweizerküh, Getragen und genestelt sein, Auf al’ modo mussirisch fein. „Die Degen muß man führen strack Beim Herz und nicht beim Hosensack, Wohl oben her zu ragen für So heißt’s a la modo Mussier. „Gestiefelt soll man gehen her, Oben geschnabelt weit umher, Das dienet dann dem Mussier wohl, Auf a la modo es sein soll. „Die Sporn, die müssen klinglen grell, Darneben ausgeputzet hell, Der Klang und Glanz geben ein Zier, Das ist a la modo Mussier. „Daß dann wir nun so gehen her Im Reitrock bloß, ohn Mäntel mehr, Das gfällt uns eben so all vier, Als auf la modo Monsier. “ 13* III. Die Neuzeit. Dies Blatt ist schon vom Jahr 1628. Ein paar Jahrzehnte darnach ist, wenn auch mit einigen Veränderungen, dieselbe Stutzerherrlichkeit noch in voller Pracht, wie wir aus der folgen- den Beschreibung erkennen: „Fransche Hüt mit kleinen Räuden, So sich nach dem Winde wenden Oben platt wie die Tellören, Darauf mancherlei Favören, Welche thun frech anzusehen Vorne an der Spitze stehen. Lange Haar und kleinen Bart, So geputzt nach franscher Art, Große Spitzen, kleine Kragen, Die ihm fast bis auf den Magen Vorne länglich niederhenken, In gar großer Spitze schrenken, Lange Wämmser, lange Rücken, Kurze Schöß von acht Stücken, Große Manen Aermel. , weite Palten Aermelumschläge. , Hosen, die ganz ohne Falten, Nestel hängen um die Hosen Mit viel lächerlichen Schosen, Nestel, die da viel Getummel Machen und manch groß Gerummel, Nestel, die herum thun hangen, Wie die Därmer in den Schrangen. Halbe Hemd von Schir gemacht Ist auch ein Alamode Tracht, Noch Canonen und Finetten Spitzenmanschetten. , Und von Haare Brasiletten, Ring von Gold und Diamanten, Ausgeschliffen mit viel Kanten, Stehen da in großen Ehren Auf den langen Krebisscheeren, Hänschen so durchparfümiret Und mit Zibet wohlbeschmieret. 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Seiden Strümpf von Naples her, Arlasch Knieband steif und schwer, Und zu sagen ohne Ruhm Rosen wie die Sonnenblum; In den Corduanschen Schuhen Sanft des Hasen Füße ruhen, Welche so getheilet stehen, Daß sie in zwo Hörner gehen: Ja wie lange Adlersklauen, Da den Kindern möcht für grauen, Und mit Stieflen aufgezogen Kommen, welche ungelogen Sein so weit gleich wie ein Spann, Da man Milch in tragen kann, Deren Stulpen niederwippen Wie der alten Weiber Lippen. Kleine Mäntel von Tabienen, So von aus und innen schienen, Wo sie nicht in Mänteln hangen, So von glänzend’n Arlasch prangen.“ Hören wir nun auch, wie der schöne Herr in diesem Aufzug sich auf der Straße gebärdet: „Wann endlich nichtes mehr ihm dünkt, das möge feilen An der Vollkommenheit, thut er nicht lange weilen, Spricht: Oeffne mir die Thür (nach großer Herren Weise), Damit so geht er fort, fein langsam und fein leise, Da geht Monsieur dann hin mit eng und weiten Schritten Und mißt die Gassen ab fein richtig in der Mitten, Ohn Reputation kein Tritt muß thun bestehen, Zwei Tritt auf einen Schlag kann nur der Junker gehen, Das Haupt steht hoch empor, als wollt er Fliegen fangen, Nachsinnet schwere Sach, die er nicht kann erlangen, Gleich den Philosophis, die da nach hohen Dingen, So ihn verborgen noch, ihr hohe Sinnen zwingen, Der Arm, der hält den Tact und bummelt hin und her, Als wär’ er los am Leib und nicht zu halten mehr. So läßt die Dame denn das Mädchen auf ihn passen. Da tritt er leiser her als sonst in andere Gassen, Bis ihn das Mädchen sieht, das eilet bald hinein, Spricht: Jungfruw, kamet her, da geyt Jost Knacke hen. III. Die Neuzeit. Obschon er ist ein Weil ohn das von ihrem Haus, Hat sie doch den Geruch und guckt zum Fenster aus, Das macht sein krauses Haar, das da gar dick besprengt Mit Puder de cypro als wär es ganz versengt, Da macht er Baselmans baise-main Handkuß. , bis an die Erd sich neiget, Nach Alamodo Art die Knie und Beine beuget, Zehn Schritte weit vom Haus macht er das Haupt schon bloß, Mit Fingern wirft die Küß“ .... Obwohl wir öfter versichert finden, daß die Frauen dieser Periode der männlichen Eitelkeit den Vorrang streitig machen, blei- ben sie doch, wie das auch bei so kriegerisch bewegten Zeitverhält- nissen naturgemäß ist, hinter derselben zurück. Dennoch halten sie sich in der Entwicklung der neuen Trachtenform, die auch diesmal den genausten Parallelismus befolgt, zeitlich immer auf der gleichen Stufe. Ja fast früher schon scheinen die aufgerichteten Frisuren zu Fall gebracht zu sein und das gelockte Haar sich wieder ein- gestellt zu haben, und namentlich darf man annehmen, daß die Schwankungen zwischen den verschiedenen Kragenformen sich in der weiblichen Welt zuerst ausgeglichen. In England heißt es schon in den letzten Jahren der Königin Elisabeth von den Damen, daß ihnen die Liebeslocken über die Schultern flatterten, „den Winden rückwärts stumme Küsse zuwerfend.“ Es ist interessant zu verfolgen, wie unter dem wachsenden Einflusse des Naturalismus allmählig die Stuarthaube und der steife spanische Hut und das Federhütchen abgeworfen werden oder dem Alter überlassen bleiben, das allen Ansprüchen an die Welt entsagt hat; wie die Haarhörner und ähnliche Gebäude sinken und das Haar sich in kleinerem Lockengekräusel um den Kopf sammelt, bis es die Massen nach unten sendet und endlich mit vollen Locken sich über Schultern und Rücken ergießt. Funf- zig Jahre später werden wir wieder genau den umgekehrten Pro- zeß zu verfolgen haben. Wenn aber das Haar der Frauen somit 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. zur freien Schönheit wieder durchgedrungen war, so ermangelte es doch in den einzelnen Coiffüren nicht einer gesuchten Zierlich- keit, wie sie dieser Zeit gemäß war. Um das Jahr 1630 und später noch war es eine allgemein verbreitete Weise, die nächsten Haare des Vorderhauptes, die durch einen querlaufenden Scheitel gesondert waren, in ganz kleinen, feinen Löckchen, zierlichst neben einander gelegt, über die Stirn ein wenig hereinfallen zu lassen, ohne diese zu verhüllen, die übrigen Haare aber, in der Mitte gescheitelt, in reicher, scheinbar verwirrter Fülle kleiner Locken um die Ohren und im Nacken anzusammeln. Hiermit, sowie auch mit der folgenden gegen Ende des Kriegs häufigern Fri- sur, waren auch wohl am Hinterhaupt ein von Flechten zu- sammengelegtes Nest verbunden. Diese zweite Form bestand in längeren Locken, welche sich von einem über der Mitte der Stirn beginnenden Scheitel tief über Rücken und Schultern herabsenkten. Völlig freies und in seiner vollen Länge aufge- lösetes Haar erscheint in den höchsten Ständen nur bei der eigentlichen Brauttracht. So trug sie frei fliegend bis auf’s Knie herab die englische Prinzessin Elisabeth bei ihrer Vermählung mit dem Pfalzgrafen Friedrich; nach Tische aber machte sie eine an- dere Frisur. Eben damals verschwand diese Brauttracht wieder aus der bürgerlichen Welt. Wenn schon das Haar, so frei wie es erscheint, nichts we- niger als der Kunst ermangelt, vielmehr Brenneisen, Salben, Papilloten und falsche Haare nebst dem Spiegel, der stets an der Seite hängt, eine bedeutende Rolle spielen, so fehlte ihm auch nicht wie dem männlichen der Schmuck der Bandrosen, Schlei- fen, Nesteln und ähnlicher leichter Waare. Oft steckte ein Reiherbusch im freien Haar, oft legte sich eine lange, breite Straußfeder quer über das Haupt und wallte mit ihrer Spitze zur Schulter herab. Eine eigentliche Kopfbedeckung zeigt die jüngere Dame selten, und nur als der Schlapphut zur ausge- bildeten Herrschaft gekommen, giebt es auch vielfach Damen, welche ihn auf das umlockte Haupt setzen, freilich in eleganterer und doch freier Zierlichkeit mit minder grotesker, aber schwung- III. Die Neuzeit. voller Feder. Ich erinnere hier an Rubens bekanntes Portrait: die Dame mit dem Federhut. Dagegen ist es nicht selten, daß sich ein kurzer Schleier oder ein dünnes, wohl meist schwarzes Tüchlein auf das Haupt gelegt findet, welches spitzenbesetzt, leicht und lose zurückflattert, doch nicht über den Nacken her- unterfällt: es ist ein malerischer Schmuck, keine Verhüllung. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Locken gar bald die steife Krause zu Fall brachten. Wir können hier wieder genau denselben Prozeß verfolgen, wie er männlicherseits vor sich ge- gangen ist, nur daß am Ende eine der weiblichen Welt ganz eigenthümliche Form den Sieg davon trägt. Es legt sich die dicke Kröse herab auf die Schultern oder sie wird durch den drahtgestützten scheibenförmigen Spitzenkragen, das bisherige Untergestell, ersetzt. Daß nun nicht bloß der letztere ebenfalls schlaff herabsinkt, sondern beide fast ganz und früh verdrängt werden, davon ist die Ursache die jetzt wieder mit Macht auftre- tende Decolletirung . Es war die Zeit der Büßung vor- über, die Predigten hatten ihre Kraft verloren, die „Teufel“ schreckten nicht mehr: die Welt hatte die Angst und Befangen- heit wieder abgethan, wurde freilich auch leichtsinniger und leicht- fertiger. So konnten auch die Frauen die peinliche Verhüllung wieder von sich legen und sich als freie Herrinnen ihrer Schön- heit zeigen. Wir haben in der vorigen Periode gesehen, wie in den un- abhängigen italienischen Staaten allein die Decolletirung nie ganz verschwunden war, aus dem Grunde, weil die reformatori- schen Bewegungen hier theilnahmlos vorübergezogen waren und eben darum auch keine Reaction in den Gewissen hatte eintreten können. So hatte sich hier, da man doch der neuen Spitzenmode nicht entsagen konnte noch mochte, eine neue Kragenform gebil- det, eine Spitzenkante, welche, gesteift und aufrecht stehend, am ausgeschnittenen Saum des Leibchens befestigt war und densel- ben ringsum begleitete. Dieser Kragen ging nun um das Jahr 1600 nach Frankreich, England, den Niederlanden und Deutsch- land über und wurde bald mit wachsender Ausbreitung der De- 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. colletirung fast der alleinige in der ganzen modischen Welt. Anfangs noch emporstehend, gab er bald der Zeitrichtung nach und legte sich in zackigen Spitzen um die Schultern und über den Rücken. Die dicke Krause und sogar noch in gesteifter Form behielten nur noch Spanier und Spanierin die ganze erste Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts hindurch, und gegen das Jahr 1640 sehen wir sie wohl noch auf den Schultern einer alten ehrbaren Dame liegen, die der freien Mode opponirt und an der theuren Jugenderinne- rung festhält. Den vom Halse anfangenden schlaffen Kragen trugen feinere Damen nur zum Schutze des Teints, häufiger wurde er bei Bürgerfrauen und Bürgerfräulein gesehen. Der Mode des gesteiften Scheibenkragens blieben die Damen des österreichischen Kaiserhauses am längsten treu. Was die Form der Decolletirung betrifft, so ließ der Aus- schnitt des Kleides die Achseln mehr oder weniger bedeckt und senkte sich vorn auf der Brust in einer Spitze oder Rundung her- unter, die nicht selten so tief ging, daß sie die Brüste zur Hälfte entblößte. Am Ende dieser Periode und im Anfang der nächsten ändert er sich aber und läuft dann horizontal rings um Schul- tern, Rücken und Brust. Seit dem Jahr 1620 etwa zeigen sich auch wieder die ersten Entblößungen des Unterarms, doch sind sie noch sehr vereinzelt; im Ganzen kündigt sich diese werdende Mode mehr dadurch an, daß der Aermel sich am Handgelenk lockert und ein wenig von demselben zurücktritt. Dadurch erlei- den aber die Manschetten keine Aenderung, welche sich wie bei den Herren genau nach dem Kragen richten. Die übrige Kleidung der Frauen verläugnet ebensowenig den Einfluß der Zeitrichtung. Diesem weicht zunächst, gleich der wulstigen Ausladung an der männlichen Hüfte, der Reifrock, die Vertugalla, an welchem nur die bürgerliche Welt noch mit einiger Zähigkeit festzuhalten sucht. Um das Jahr 1630 haben die Röcke wieder einen vollkommen freien Faltenwurf und legen sich mit unbedeutender Schleppe auf den Boden. Aber die höchsten Kreise und die großen Feste ausgenommen, liebt man nicht mehr die schweren Stoffe, welche mit ihrer reichen Masse im funfzehnten III. Die Neuzeit. Jahrhundert die großartig, aber scharf gebrochenen Falten erga- ben; bei dem leichten Sinn herrscht auch die leichte Waare vor. Zum Prachtanzug gehörten auch jetzt zwei Kleider, doch ließ man auf diesem Höhepunkt der Periode das obere in ungehindert freien Falten herabfallen, und nur vorn war es in einem breiten Streifen geöffnet, aus welchem das Unterkleid sichtbar wurde; häufig war dieser schürzenartige Streifen ein eingesetztes Stück, welches hell zu dunklem Kleid oder umgekehrt in Wirkung trat. In den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts, als noch der Reifrock im Verschwinden war, findet sich nicht selten das Oberkleid ringsum horizontal etwa um ein Drittel des Un- terrocks aufgenommen und umgeschlagen, sodaß die eigentliche Farbe des Oberkleides, das Futter und das Unterkleid in drei breiten Streifen zusammen wirkten, eine Mode, welche gegen den Schluß dieser Periode wieder in Aufnahme kam. Am auffallendsten zeigt sich die Aehnlichkeit der männlichen und weiblichen Kleidung an Wamms und Leibchen, welches letz- tere nur im Brustausschnitt seinen weiblichen Charakter bewahrt. Schon ums Jahr 1615, als noch die alte Mode vorherrschend war, wird diese Bemerkung gemacht: „Die Wämmser sind der Männer Tracht. Was für ein Unterschied aber ist heutiges Ta- ges zwischen der Männer Wamms und der Weiber Mieder und Brüstchen? Wahrlich ein kleiner oder wohl gar keiner.“ Das ändert sich auch nicht, als die Wülste sich wieder in offene, weite, bauschige Aermel verwandeln. Vom Jahr 1629 ist die folgende Bemerkung: „Besiehe doch heutiges Tages unser allamodisches Fräulein, kannst du auch einen Unterschied der Wämmser merken von der Männer Wämmser, ist eines sowohl als das andere zer- fetzt, verschnitzelt und geflappet.“ Die Aehnlichkeit geht selbst so weit, daß die Leibchen wachsen und Schöße erhalten, die denen des Wammses völlig gleichen. Dadurch werden sie vom Kleid unabhängig. Auf der Brust werden sie geknöpft oder durch Schnüre gehalten, das Leibchen des Kleides aber, welches sich mit einer gesteiften Fischbeinspitze herabsenkt, gewöhnlich mit Schnürsenkel zusammengezogen. Die Taille rückt in solcher Zeit 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. ordnungsmäßig aus der erzwungenen Tiefe wieder zu natürlicher Höhe herauf, in welcher sie sich auch im Allgemeinen die ganze Periode hindurch erhält. Die Schuhe der Frauen werden selten sichtbar und haben außer größerer Feinheit nichts Unterscheidendes von denen der Männer; nur wird hier und da noch über die hohen Unterschuhe Klage geführt. Auch der Damenschuh erhält den graden Schnitt an der Spitze und hohe Absätze und wird mit Gold und Silber bestickt, mit bunten Rosetten und Schleifen hesetzt. Die klap- pernden Galoschen darunter tragen die Frauen wie die Männer. So lange noch die wulstigen und gesteppten Aermel mit den weit gebauschten im Kampfe lagen und aus beiden sich eine ver- einigte Form gebildet hatte, welche aus breiten, aber schlaffen Wülsten bestand, so lange besaß die Frauenkleidung, namentlich vom Rücken gesehen, etwas Entstellendes, was sie nicht zur vol- len Schönheitsentfaltung kommen ließ. Als aber diese in die frei gebauschten, offenen und weit faltigen Aermel übergingen, und nun nirgends mehr Zwang, Enge oder Mißform und gro- teske Uebertreibung zu erblicken war, da hatte die Kleidung der Frauen und mit derselben ihre Haltung und Bewegung jene noble, freie Eleganz, die natürliche Grazie, den Schwung, die leichte und doch stolze Schönheit gewonnen, die uns an den Por- traits des Rubens und van Dyck so bewundernswürdig erschei- nen. Offenbar harmoniren hier wieder die Natur und die Künst- lerseelen in unüberterfflicher Weise. Trotzdem ist nicht anzunehmen, daß die Damen jener win- digen Eitelkeit entsagt haben sollten, welche die Männer dieser Periode auszeichnet. Auf’s bestimmteste versichern das die fol- genden Verse, welche noch zu jenem Stutzerlied gehören, das wir oben mitgetheilt haben: „Die Damen halten gleich den Brauch, Daß sie herstutzen wie wir auch, In Haaren, Hut, Federn, Wämmsen, Zerhackt, zerstückt, mit langen Schößen. III. Die Neuzeit. „Wir könnten doch kein fremde Tracht, Die seltsam gnug seie gemacht, Erdenken, das nit bald nachthun Die Damen auf al modo schon. „Sie können alle Cavallier Ja weit gar übertreffen schier Mit ihrem neuen Stolz und Stutz, Bieten uns allen weit den Trutz.“ Indessen zu jenen Monstrositäten der Form, wie sie der Schlapp- hut und die Stulpstiefeln aufweisen, versteigen sich die Damen nicht. Ihr „Stutz“, wie jenes Bild sagt, beschränkt sich auf den leichteren und grazioseren Schmuck, auf die Federn und die Locken, das Geschlinge von Liebesknoten, auf Schleifen, Bänder, Rosen und Nesteln mit den klirrenden Stiften, auf Stickereien, insbesondere auf die Spitzen, mit welchen Dingen sie freilich sich ganz und gar vom Scheitel bis zur Fußspitze überzogen. Dazu kommt noch eine häufig kokette Decolletirung, eine Unzahl der Schönheitsmittel und Instrumente, der häufige Gebrauch des Spiegels, die Wohlgerüche und dergl. „Sie erkühlen das Antlitz mit pfirsichblühend Wasser, bestreichen und zärteln das Fleisch mit Limonensaft, mit Eselsmilch. Sie erhalten sich mit Rosenwasser, Wein und Alaun. Sie gebrauchen sich der Tra- ganttäfelein von Quittenkernen, des gebrannten Wassers, des ungelöschten Kalks ihnen ein recht vollkommen Bleiweiß-Sälb- lein zu präpariren. Siehe, da werden gesehen ausstaffirte Spie- gel, Rosen- und Spicanardiwasser, Bisam, Zibeth, Rauchwerk, schmäkend Pulver von Aloes, Cipern, Stabwurz, Schmakküge- lein, Bisamknöpf, Muscatnüsse. Da sieht man Strähl (Kämme), Spiegel, Ohrenlöffel, Haareisen, Haarscheeren, Rupfzwänglein und Pfriemen. Da stehen Schächtelein, Büchslein, irdene Ge- schirrlein, gläserne Fläschlein, Schüsselein, Scherblein, Häfelein, Eierschalen, Muscheln, gespickt und ausgefüllet von allerhand Pflästerlein und Sälblein.“ Für alle solche Kleinigkeiten hatte die berühmte Marion de l’Lormes einst ihrem Geliebten in einem 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Jahr bei einem einzigen Parfümeur die Rechnung einer Kleinig- keit von 50,000 Thaler gemacht. In besonders allgemeinem Brauch werden die Schminken angegeben, und zwar färbten vornehme Damen sich weiß im Ge- sicht oder aßen, um den Teint zu bleichen, Kohlen, Kreide und anderes, während die Frauen und Jungfrauen des Bürgerstan- des Roth auflegten. Es war nicht das einzige Falsche an ihnen: die Augenbrauen wurden schwarz gefärbt, das Haar aber damals zuerst mit Puder bestreut. Die Erwähnung desselben und der „weißen krausen Locken“ ist nicht selten, indessen war die Sitte noch nicht allgemein wie im achtzehnten Jahrhundert, sondern galt immer als besonderes Zeichen tadelnswerther Eitelkeit. Ebenso kam die Mode der Schönpflästerchen auf, hielt sich aber noch innerhalb derselben Grenzen, obwohl sie gegen das Jahr 1650 im Detail schon sehr ausgebildet ist. Damals machte Philander die folgende Beschreibung: „Und ich sahe deren einen Haufen, die im Gesichte waren, als ob sie geschröpft hätten oder sich picken und hacken lassen: dann an allen Orten, die sie gern wollten beschauet haben, waren sie mit schwarzen kleinen Pflä- sterlein behänget und mit runden, langen, breiten, schmalen, spitzen Mücklein, Flöhen und anderen fitzirlichen, zum Anblick dringenden, zum Zugriff zwingenden, Mannsfallen Gestalten bekleidet.“ Auch der falschen hölzernen oder ausgestopften Brüste gedenket er, und daß der falschen Locken eine häufige Erwähnung geschieht, auch in der männlichen Stutzerwelt, darf uns um so weniger Wunder nehmen, als die eigentliche Perrücke schon ein paar Jahrzehnte zu Paris in Blüthe stand. Wir werden im Zu- sammenhang darauf zurückkommen. Es ist natürlich, daß das ganze in so renommistischer und herausfordernder Weise auftretende Stutzerthum auch die Op- position gegen sich wach rief, indessen ließ die Schwere der Zeit, die ganz andere Sorgen von sich zu wälzen hatte, sie nicht zur Wirkung kommen. Zunächst opponirte das Alter der thörich- ten Jugend, indem es mit der Beständigkeit die Ehrenhaftigkeit der „guten alten Zeit“ dem leichten Wechsel entgegenstellt. III. Die Neuzeit. „Also sind vor vielen Jahren alte tapfre Biederleut’ Ohne Scheu dahergegangen zu der guten alten Zeit.“ Und so können wir denn auch noch lange Zeit die alten Herren und Damen mit der breiten Kröse, dem steifen Hut und ähnli- chem erblicken. Ihnen erscheint als Ideal „der Spanier Stand- haftigkeit in unverrückter Handhabung ihrer Bekleidungsart.“ Dem Vorwurf der Wankelmüthigkeit begegnet in Harsdörfers Frauenzimmer-Gesprächspiel das junge adelige Fräulein Angelica von Keuschewitz in folgender Weise: „Wenn man die Sachen von außen besiehet, möchte ich wohl wissen, wie man sich doch kleiden müßte, daß es jedermann gefiele. Entweder finden die Alten oder die Jungen etwas dawider zu sprechen, und ist sich fast unmöglich zu hüten, daß man nicht entweder von den einen ausgelacht oder von den andern getadelt werde. Diejenigen, so die Kleidungsarten nicht zu verändern gedenken, da doch alles und jedes in dieser Welt dem Wechsel und Veränderung unter- worfen ist, sollten noch Pelz von Ziegenfellen oder Feigenblätter nach Adams erster Kleidung zu tragen schuldig sein, oder ja mit Grund darthun, von welchem Tagesgemerk her die Kleidungs- gestalt herzunehmen.“ Die Prediger scheinen im Anfange des siebzehnten Jahr- hundert die Vergeblichkeit ihres Widerstandes eingesehen zu ha- ben, da ihnen die Neigung der Gewissen nicht mehr zu Hülfe kam, und sie gaben ihn daher wenigstens von der Kanzel herab mehr oder weniger auf. Indessen finden sich Beispiele, daß sie ihrerseits die Obrigkeiten zu Luxusgesetzen direct veranlassen. Auch die Kleiderordnungen , welche ohnehin während des Kriegs vor dringenderen Pflichten zurücktreten, haben den ge- wünschten Erfolg nicht, zumal sie noch immer als den Hauptge- sichtspunkt den Unterschied der Stände und Classen aufstellen, die Beschränkung des Luxus aber oder der übertreibenden Moden als Nebensache erscheint. Das eigentliche Stutzerthum wird erst in den letzten Jahren des Kriegs und nach demselben berücksich- tigt. Die ausführlichste aller Verordnungen, die sächsische Jo- 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. hann Georgs I. vom Jahr 1612, hat nur die Classenscheidung im Auge, indem sie noch an die alte Reichstagsordnung von 1548 anknüpft. Doch stellen sich in diesem Punkte einige Verschiebun- gen ein, indem die Doctoren, die früher dem adeligen Ritter gleichgestellt waren, also mit ihren Frauen über dem einfachen Edelmann standen, jetzt in ihrem Werthe sinken und dagegen die fürstlichen Beamten bedeutend in der Schätzung steigen. Die sächsische Ordnung läßt den Doctoren und ihren Frauen die alten Privilegien nur aus Gnaden — „wir können sie ihnen gnädigst gönnen“ — doch auch in unbeschränktem Maße nur denjenigen, „so unsere Räthe und deroselben Weiber und Kinder.“ Den Doc- toren folgen gleich die „Hofdiener, so nit graduiret,“ desgleichen die Sekretarien, Räthe u. s. w. Dann werden die Pfarrer mit ihren Weibern und Kindern bloß vermahnt, sich in ziemlicher Tracht und Kleidung zu halten, damit man nicht nöthig habe, sie zu strafen. Ihnen folgen die Schösser, Amtsvögte, Verwalter, Bürgermeister und Rathsverwandte, diesen die Handelsleute, Krämer und vermögende Bürger, so nicht von ihrem Handwerk, sondern von ihren Gütern, Renten oder anderem bürgerlichen Gewerb sich allein ernähren. Endlich kommen die gemeinen Bürger und Handwerker, die Dienstboten und schließlich der Bauersmann. Städtische Ordnungen stellen die Doctoren noch den Bürgermeistern gleich, welchen letzteren natürlich „zu Ehren der Stadt“ ein Mehr, z. B. zwei Ketten statt einer, gestattet wird. Auch die Braunschweiger Ordnung von 1618 hebt die- jenigen Doctoren hervor, welche fürstliche Räthe sind. Gegen die Mitte des Jahrhunderts und später richten sich auch die Ordnungen gegen die leichte Luxuswaare, insbesondere gegen die Spitzen, „Knüppels“, „Knüttelse“, „Knüttelwerk“, und die gestickten seidenen Strümpfe, sowie ebenfalls gegen die Ent- blößung. So werden in der Braunschweiger Ordnung von 1662 ganz kategorisch „auf einmal cassiret verboten in specie die vielfältige Bändertrachten, sammt Kragenbenähung, also und dergestalt, daß alle Frauen und Jungfrauen, welche hinfüro mit denen schmalen güldenen, silbernen oder auch seidenen überflüssi- III. Die Neuzeit. gen Bändern, an Haupt oder Kleidern, dann mit benähet oder unbenäheten Kanten, Klöppels und Spitzen (da sie gleich ge- stricket oder gewebet) an Kragen und sonst ihren üppigen Hoffart sehen lassen werden, wie nicht minder dieselbe, so mit ganz oder halb, zumal ärgerlich- und schändlich-entblößeten Brüsten (ob sie gleich dieselbe mit einem durchsichtigen dünnen Flor zum Schein überdecket haben würden) einhergehen, gestracks Angesichts auf die Bruchstube gefordert und nach Gestalt und Größe der Ver- brechung unnachlässig abgestrafet werden sollen.“ — Die Holstei- ner Ordnung von 1636 faßt auch die stutzerhaften Schneiderge- sellen ins Auge: „Nachdem auch fremde Handwerks-, vorab Schneidergesellen, mit ihrer Kleidung, Gebrämels, Zauchen und großen Hosenbändern nicht geringe Aergerniß geben, wird ihnen solches auch hiermit untersaget und ernstlich geboten, sich hinfüro ihrem Handwerk gemäße Trachten anzuthun.“ Zu Hildesheim wurden die Ordnungen gegen die silbernen und goldenen Spitzen, köstlichen Leibchen, „stattlich ausgeputzten Ufgesetzten“ und gestick- ten Schuhe 1640, 1659 und 1663 wiederholt; ausdrücklich wer- den noch die „krausen Haare“ und die „nackten entblößten Hälse“ verboten; keine Frau, „sie sei so fürnehm als sie sich schätzen wolle,“ durfte bei 6 Thaler Strafe krause Haarlocken tragen. Die Frage, in wieweit diese Ordnungen wirklich befolgt wurden, lassen wir durch Lauremberg, den wir sogleich werden näher kennen lernen, beantworten: „De löfflyke Kleder-Ordonantz Werd geholden wedder halff noch gantz, Der hogen Avericheit Mandaten Achtet man als Scholappen up der Straten.“ Größer wird auch der Einfluß nicht gewesen sein, den die ernste und die komische Satire auszuüben suchte. Es waren in der litterarischen Welt wahrlich die Besten der Nation, welche, zur Partei der „Altfränkischen“ gehörig, sich wie ein Schild vor ihre Landsleute stellten und dem ganzen alamodischen Wesen, das sie als ein fremdländisches betrachteten, den Krieg erklärten. 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Hiermit aber stehen sie schon auf der Grenzscheide der nächsten Periode, welche als die unbedingte Herrschaft des französischen Wesens zu betrachten ist. Der Krieg hatte nun bereits einige Jahrzehnte gedauert und Deutschland in allen Dingen den natio- nalen Halt verloren: es gab weder eine deutsche Politik noch eine deutsche Sitte; die vornehme Welt folgte der Fremde; kaum vermochte man noch die deutsche Sprache zu erkennen unter dem Ballast der Fremdwörter, für die sie nur das Gefäß zu sein schien. Der Bürgerstand folgte den höheren Ständen oder zog sich scheu und theilnahmlos in sich zusammen. Die Partei der Altfränkischen, der eigentlichen Patrioten, griff natürlich dieses Wesen in seiner Gesammtheit an, berücksichtigte aber dabei ganz insbesondere die Kleidung, weil sie dem inneren Scheinwesen den sichtbaren Ausdruck verlieh. Wenn sie jedoch den fremden Mo- den in der alten Tracht eine nationale Form entgegenzustellen glaubte, so beruhte das allerdings auf einer Täuschung, denn die alten Formen, die hier und da zur Amtstracht, zur Bürger- oder Volkstracht erstarrten, waren ja, wie wir sahen, ihrerseits Nach- ahmungen des spanischen Costüms gewesen. Von der eigentlich deutschen Tracht der Reformationsperiode war so gut wie nichts übrig geblieben. Drei Männer sind es vorzugsweise, welche wir in dieser Beziehung hier in Kürze zu berücksichtigen haben. Der erste ist Joh. Mich. Moscherosch , welcher (geb. 1601, gest. 1669) nach Geburt und Leben dem deutschen Südwesten angehört. Er ist Prosaiker und ernster, strafender Moralist; der Grundzug sei- ner Satire ist die Indignation, die sittlich-patriotische Entrüstung über das alamodische Schein- und Unwesen seiner Zeit. Von diesem Standpunkt des wahrhaft deutschen Mannes schildert er es nach allen Seiten auf das rücksichtsloseste bis zur vollen Ver- nichtung in seinem Hauptwerk: „Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald d. i. Straff-Schrifften.“ Es sind Visionen, in denen er die Zeit in den Dingen und Men- schen an sich vorübergehen läßt oder unter der Figur Philanders selbst miterlebt. Eines dieser Gesichte — es sind im Ganzen Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 14 III. Die Neuzeit. vierzehn — behandelt die alamodische Kleidung insbesondere unter dem Titel: „ A la mode Kehrauß.“ Es ist Philander, ein guter Deutscher, wie sie damals waren, aber alamodisch in Klei- dung und Sprache, den der Zufall auf das Schloß Geroldseck führt, wo die Sage die alten Helden Ariovist, Armin, Witte- kind, Siegfried und andere hausen läßt. Unter diese Leute ge- räth das moderne Weltkind, die nun allerdings seinem ganzen äußern Wesen vom Kopf zu Fuß und der Sprache obendrein den Kehraus machen. Immer ist es der patriotische Standpunkt, den Moscherosch in den Tadelsworten der Bewohner von Geroldseck einnimmt. Da heißt es z. B.: „Kum hieher! sprach Herr Teutsch Meyr; und als ich nahe zu ihm kam, Solstu ein Teutscher sein? sprach er; deine ganze Gestalt giebt uns viel ein anders zu er- kennen. Und glaub ich gewiß, daß du darum deinen Hut unter- wegs von dir geworfen, nur daß man die närrische Form nicht sehen sollte. Denn sobald kann nicht ein wälsche närrische Gat- tung aufkommen, daß ihr, ungerathne Nachkömmlinge, nicht sobald dieselbe müßt nachäffen und fast alle viertel Jahr ändern, auch dafür haltet, wo ein ehrlicher gewissenhafter Mann bei sei- ner alten ehrlichen Tracht bleibe, daß er ein Hudler, ein Halunk, ein Alber, ein Esel, ein Tölpel sein müsse.“ Ein anderer faßt Philander bei den Haaren und sagt: „Ist dann das ein Teut- sches Haar? Bist du ein Teutscher, warum mußt dn ein wälsches Haar tragen? warum muß es dir also über die Stirn herunter hangen, als einem Dieb? Man soll ja einen ehrlichen Mann aus der Stirne erkennen, welche guten Theils seines Gemüths Zeug- nuß ist; und wer seine Stirne also verhüllet, das Ansehen hat, als müsse er sich vor etwas schämen, daß er ein Schelmenstück begangen habe. Warum muß dir das Haar also lang über die Schulter herab hangen, als einem Weibe? warum läßt du es nicht, so du es länger tragen wolltest, auf teutsche Weise überm Kopf einschlupfen, als bei uns her Brauch ist?“ Dem Moscherosch verwandt an Geist und Bestreben war der Schlesier Friedrich von Logau (geb. 1604, gest. 1655). Auch ihn erfüllte die Empörung über die sittliche und politische 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Verkommenheit des Vaterlandes und die Herrschaft des Fremd- wesens, aber seine Waffe dagegen ist nicht die Satire, sondern das beißende Epigramm, das er mit größter Schärfe und voll- kommenster Freiheit und Freimüthigkeit handhabt. Er richtete es gegen jedes Laster und jeden Stand, an welchem er ein sol- ches zu finden glaubte. Die Kleidung berührt er dabei nur im Allgemeinen, insofern er darin die Unterwürfigkeit unter Frank- reich erkennt. So heißt es: Französische Kleidung. „Diener tragen insgemein ihrer Herren Liverei: Solls dann sein, daß Frankreich Herr, Deutschland aber Diener sei? Freies Deutschland, schäm dich doch dieser schnöden Kriecherei!“ In einem andern Epigramm: „Fremde Tracht“ spricht er aber die Beziehung zwischen der Kleidung des Menschen und seinem inneren Wesen aufs bestimmteste aus: „ Alamode -Kleider, Alamode -Sinnen: Wie sichs wandelt außen, wandelt sichs auch innen.“ Der dritte, Hans Wilmsen Lauremberg (geb. 1591, gest. 1659) gehört dem deutschen Norden an. Obwohl seine platt- deutsch geschriebenen Satiren unter dem Titel: „De veer olde beröhmede Schertzgedichte“ mehrere Auflagen erlebten, scheinen sie doch schwerlich über die niederdeutsche Heimath hinausgekom- men zu sein. Der Dialect selbst war ein Hinderniß, den er er- wählte, um sich gleich im Aeußern vom alamodischen Hochdeutsch zu unterscheiden. Freilich vermehrte er dadurch die komische Kraft seiner Verse, und auf diese hatte er es besonders angelegt. Er seinerseits zieht den lachenden Demokrit dem weinenden Heraklit vor; er sieht nicht ein, warum er beweinen soll, was andere ver- brochen haben. Die Verdorbenheit der Welt erscheint ihm wie eine Komödie belachenswerth; wollte er darüber weinen, würde er sich selbst den Narren zugesellen. So geisselt er das Verkehrte und Falsche in der Welt, die Thorheiten, mit heiterer Ironie, Witz und derbem Humor, wobei er freilich die Grenzen des An- 14* III. Die Neuzeit. standes wenig berücksichtigt; einmal im Zuge überläßt er sich frei und ungehindert seiner Laune. Der Kleidung widmet er die ganze zweite Satire: „Von Alemodischer Kleder-Dracht.“ Er geisselt die Modethorheiten, namentlich des Bürgerstandes, in ergötzlicher Weise und würzt seine Darstellung mit einer Menge Anekdoten, deren Wahrheit freilich dahingestellt bleiben muß. Viertes Kapitel. Die Staatsperrücke und die absolute Herrschaft der französischen Mode . 1650—1720. Als endlich der heiß ersehnte Friede im Jahr 1650 endgül- tig vom Nürnberger Rathhaus herab verkündet wurde, war die sociale Welt aus den Fugen gegangen und wartete des Meisters, der sie wieder einrichten sollte, einerlei, ob gut oder schlecht. Ein solcher fand sich in der Person Ludwigs XIV. , und man muß gestehen, er war in dieser Beziehung ein großer Meister, mag man auch immerhin und mit Recht den Weg, welchen er die menschliche Gesellschaft führte, für den falschen halten und ihn selbst nur als ein unbewußtes Werkzeug der Geschichte betrachten. Ordnung und Maß war, was noth that nach der Verwilderung, feste Schranken den gelösten Leidenschaften, Zucht und Sitte dem socialen Leben, in welchem die Roheit des Krieges den Tact, das Schamgefühl, die Humanität erstickt hatte. Die Aufgabe war schwer und die Heilung langwierig, da der Schaden ein innerer und allgemeiner geworden. Generationen pflegen über solchen Curen der Geschichte ins Grab zu sinken. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die angewendeten Mittel Anfangs bloß for- mell erscheinen, und unter ihrer Verhüllung die geistige und moralische Versunkenheit noch lange fortlebt, und wenn andrer- seits eben sie zum entgegengesetzten Extrem, aus der Verwilde- rung und Roheit zur Beschränkung, Erstarrung und Ueberfeine- III. Die Neuzeit. rung führen. So kommt es, daß die gesuchte und rasch entartete Natur wieder verloren geht, und die zweite Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts gewissermaßen an das Ende des sechszehnten an- knüpft, doch nicht ohne durch die dazwischen liegende Periode formell völlig verändert zu sein. Denn es sind nun eben zwei Richtungen, welche, an allen Dingen sichtbar, nicht sowohl mit einander im Kampf zu liegen scheinen, als sie einen gemeinsamen Charakter bilden, dessen Wesenheit grade in diesem klaffenden Widerspruch besteht. Das ist von der einen Seite her der Geist des Absolutismus, dessen Wurzeln im sechszehnten Jahrhundert ruhen. Politisch offenbart er sich als die unumschränkte fürstliche Hoheit und gipfelt in dem bekannten Wort Ludwigs XIV.: l’état c’est moi; social aber erkennen wir ihn in der Verschrumpfung des fröhlichen, frischen Lebens, in der Herrschaft leeren, erstarrten Formenwesens, in der Etiquette, in Spießbürgerei und Philisterthum. Dem gegenüber tritt die andere Seite, in welcher noch der Sturm des Krieges zu brausen scheint; es ist eine Neigung zum Grotesken, sogar Großartigen, neben Hohlheit, Aufgeblasenheit, Stolz, Eitelkeit, Unnatur und selbst Roheit oder Abstumpfung des Gefühls. Beide Richtungen treten im äußersten Extrem auf. Man- gel an Maß und Maßhaltigkeit ist der Grundzug der ganzen Periode; es gelingt nicht, zwischen beiden Seiten eine Verschmel- zung herzustellen oder die rechte Mitte zu finden. Und man konnte das um so weniger, als man in eitler Selbstzufriedenheit der Einbildung lebte, mit diesen Uebertreibungen sich grade im Besitz des Wahren und Schönen zu befinden. Dieser Ueberzeu- gung gab man sich blindlings mit einer solchen Kraft und Aus- schließlichkeit hin, daß ein anderer Geschmack unmöglich Gnade finden konnte: was nicht aus diesem Geiste neu geschaffen war, wurde unerbittlich umgewandelt, mußte sein Kleid anziehen, oder von der Erde verschwinden. Die schonungslose Unbarmherzigkeit des herrschenden Geschmacks riß die alten Baudenkmäler nieder als Ueberbleibsel einer barbarischen Zeit oder baute sie um in die eigene Form. Nicht einmal die Natur, die freie, ließ er unge- 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. französ. Mode. schoren: Wege und Stege, Pflanzen und Gewässer mußten dem Zwang seiner Tyrannei sich fügen und sich in seine Formen be- quemen. Selbst dem Menschenantlitz, dem Individuellsten, was es giebt, drückte er sein Siegel auf, sodaß alle Portraits einen historischen Physiognomiker anblicken wie Kinder ihrer Zeit. Es ist zunächst das Leben selbst in seinen gesellschaftlichen und Sittenzuständen, welches diesen Doppelcharakter offenbart. Es ist kaum nöthig an die bekannte Demoralisation zu erinnern, welche den Hof Ludwigs XIV. und mit ihm sein ganzes Zeitalter kennzeichnet; daß es in der deutschen Gesellschaft nicht besser war, ist bei den entsetzlichen Wirkungen des Kriegs nicht zu verwun- dern. Aber es läßt sich gleichzeitig beobachten, wie mit wachsen- der Auflösung der Moralität die höfische Etiquette sich steigert, wie die Umgangsformen, der gesellige Ton steifer und enger wer- den, eine ceremoniöse, feierliche und gespreizte Galanterie ein- reißt, zu der sich gar Bigotterie und Pietismus gesellt. Ludwig XIV. war ein vortrefflicher Lehrer in allen diesen Dingen und sein Hof dafür das allgemeine Muster. Während die Familien- bande sich lockern, die Maitressenwirthschaft und unnatürliche Laster mit schamloser Offenheit betrieben werden, ja zum guten Ton gehören, wird überall die Tugend mit Worten gefeiert. Ih- res Lobes ist man voll in denselben Gedichten, die von Schmutz strotzen; Theaterzettel, welche die unfläthigsten Possen ankündi- gen, berufen sich auf die Moral; den Tugenden setzt man Bild- säulen und bringt sie als allegorische Figuren in den Ernst und den Scherz des Lebens; die Tugend allein gilt für beständig, weltlicher Ruhm und weltliche Freuden als schnell vergänglicher Rauch. Ludwigs XIV. Zeitalter ist das der ausgesuchtesten und ausgebildetsten Galanterie. Die Dame genoß im gesellschaftli- chen Leben die Verehrung einer Heiligen; mit Handküssen und den tiefsten Verbeugungen nahte man sich ihr; Complimente, die süßesten, geziertesten Redensarten, die ein besonderes Stu- dium verlangten, umschwirrten sie. Voll Scheu und Ehrfurcht hielt man sich wie vor einem höheren Wesen in respectvoller Ent- III. Die Neuzeit. fernung. Wenn sich zu andern Zeiten beim Tanze die Paare umschlingen, blieb man damals in gemessener Entfernung oder berührte sich aufs zarteste mit den Fingerspitzen; der ganze Tanz war eigentlich nur eine fortgesetzte Verbeugung; beim Spaziergange, statt Arm in Arm zu gehen, reichte der Herr den seinigen gebogen dar, und die Dame legte nur die Finger- spitzen der linken Hand auf seine rechte. Im geselligen Verkehr war der Wunsch der Dame Gesetz des Herrn; sie zu beleidigen, war Verbrechen. Solche Unterwürfigkeit konnte auch zur wirkli- chen werden, denn es ist die Zeit der Maitressenherrschaft. In allen Zweigen des öffentlichen und privaten Lebens erkennen wir den Einfluß, das Spiel der Frauenhände: wir finden sie thätig in der Politik, in der Kunst, in der Wissenschaft selbst, denn die gelehrten Frauen waren in dieser Zeit nur zu gewöhnlich; im Hause herrschten sie ohnedies. Aber diese Verehrung des weiblichen Geschlechts hat auch ihre Kehrseite. Zu keiner Zeit lauteten die Artigkeiten, die Blu- men der Galanterie zierlicher und feiner, aber zu keiner Zeit ist auch in der oppositionellen Litteratur und von der Kanzel herab gegen „das liebwertheste und galanteste Frauenzimmer“ eine grö- bere und rohere Sprache geführt worden. Davon ist aus einem Buche, welches für den Kanzelgebrauch sich empfiehlt, die fol- gende Stelle ein kleines, bescheidenes Beispiel. „Wann nun ein solches hoffärtiges Rabenaas von ihrem Mann die Einwilligung erhalten, ihr stinkendes Wustgewölb in einen solchen kostbaren Zeug zu verhüllen, und einzuwicklen (dann ein in Kleidern pran- gendes Weib ist nach Aussag des Heiligen Bernardi nichts anders als stercus involutum , ein eingewickelter Koth), da muß alsobald der Schneider mit einem Dutzet Gesellen auf der Werkstatt seine flüchtige Capriolen machen“ u. s. w. Die Satire greift nicht bloß einzelne Thorheiten der Mode und der Sitte an, sondern das ganze weibliche Geschlecht als solches, ja man stritt sich in der Litteratur lebhaft darüber, und es scheint fast allen Ernstes, ob die Frau überhaupt noch zum Menschengeschlecht zu rechnen sei. Die damals wirklich über alle Begriffe von sich ein- 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. französ. Mode. genommene Männerwelt sah den Balken im eigenen Auge nicht; kein Mann hatte eine Ahnung, welchen Thoren er unter der Perrücke verbarg. Damals schrieb ein Geistlicher ein Buch: „Der christliche Weltweise beweinet die Thorheit derer andern fünf- undzwanzig Närrinnen“, welchem auch die obige Stelle entnom- men ist. Man schrieb Abhandlungen, ob ein Ehemann seine Frau schlagen dürfe, was in der Praxis auch von der Geistlich- keit empfohlen wurde, und ähnliche erbauliche Betrachtungen. — Gedichte priesen und schilderten die Schönheit der Frau in den überschwänglichsten Ausdrücken und Vergleichen. Da war das Angesicht weiß wie Schnee, die Lippen Corallenzinken, die Zähne Perlen, auf beiden Wangen waren Lilien und Rosen, die Augen Sonnen, welche Pfeile und Flammen strahlten, die Augenbrauen zwei Bögen von Ebenholz u. s. w. Oder es hieß: „— Dieselbe war ein Bild, Der Tugend einlosieret, und Schönheit führt das Schild, Der Mund war rother Sammt, die Lippen ausgeetzet Mit Röslein und Rubin: mit Lilien untersetzet, Narcissenweiß der Hals; die Finger waren Schnee, Die Nägel Perlen gleich, das Haar wie Gold und Klee.“ Im Gegensatz zu dieser Ausmalung, die sich unzählig wie- derholt, gefiel sich die Satire darin, alle nur erdenklichen Häß- lichkeiten am weiblichen Geschlecht aufzusuchen und sie mit ekel- haftester Schilderung in Verse zu bringen. Daß es in Sachen der Moralität mit dem Bürgerthum nicht besser stand, wie mit den vornehmen, gebildeten Classen, das vermag am besten das Theater zu zeigen, oder vielmehr das Volksdrama, das den Händen der Dichter ganz entwunden war. Die Schauspieler machen ihre Stücke selbst, berechnet auf den Geschmack und die Empfänglichkeit des Volks. Es bedurfte der allerstärksten Reizmittel, um nur auf die abgestumpften Sinne einen Eindruck hervorzubringen. In Bezug auf Handlung, Sprache, Action wurden alle Zügel losgelassen. Eine Begeben- heit drängte die andere ohne einen Faden der Ordnung; Gefahr folgte auf Gefahr, Abenteuer auf Abenteuer; politische Begeben- heiten, Heldenthaten und Greuelscenen, Zauberstücke, Verwand- III. Die Neuzeit. lungen, Traumerscheinungen, Himmel und Hölle, die Allegorie, das Ballet, die Musik, Illumination und Feuerwerk, gemischt mit Prügeleien und den unfläthigen Possen Hanswursts, mit equilibristischen und akrobatischen Künsten bilden den perrücken- artig krausen und massenhaften Inhalt einer „Haupt- und Staatsaction.“ Der übertriebenen Ausdrucksweise entsprach ein fratzenhaftes Gebärdenspiel, ein Herumfahren auf der Bühne, die maßlose Darstellungweise autodidaktischer Kraftgenies. Der Krieg hatte die Menschen an den Anblick des Scheußlichsten ge- wöhnt, und das Theater setzte das fort. Ein Hauptmittel des Reizes für das männliche und weibliche Publikum war die Er- regung der geheimen Lust des Grausens und Entsetzens. So wurden alle ekelhaften Scheußlichkeiten auf der Bühne offen auf- geführt. Judas erhängt sich, der Bauch platzt und die Gedärme fallen heraus; die Söhne des Andronicus werden abgeschlachtet und ihr Blut in Schalen aufgefangen; das Aufhängen und Köpfen geschieht in möglichster Natürlichkeit, und die Leichen und abgeschlagenen Köpfe bleiben zur Ausstellung liegen; Ge- spenster erscheinen „mit dem abgehauenen Kopf in der Hand und entblößtem blutigen Störtzel;“ dazu die Qualen der Märtyrer, der Gespießten und im Feuer Aufgehängten: das war die Augenweide des guten bürgerlichen Publikums nach dem dreißig- jährigen Krieg. Und wie widerlich klingt dabei im Umgang und in Liebesscenen der Bühnenprinzen und Prinzessinnen der ge- spreizt ceremoniöse Ton, die geschraubten Complimente, die don- quichotische Höflichkeit, die Handküsse, die mit granziöser Ver- beugung der eigenen Hand applicirt werden, der ganze steife, zur Carricatur gewordene, widerlich vornehme Hofton, gepaart mit Lüsternheit, mit Küssen und Zärtlichkeiten, mit verzweiflungs- vollen Betrachtungen über die Macht der Venus und Lobprei- sungen der Tugend. In ähnlicher Weise mußte für die vornehmen Stände die Oper alle nur erdenklichen Reizmittel loslassen. Es ist schon bezeichnend, daß grade die Oper Liebling dieses Geschlechts wurde, welches nicht zu Gedanken und wahren Empfindungen 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. französ. Mode. angeregt, sondern durch Sinnenreize beschäftigt sein wollte. Die Oper konnte alles sein, ein Mysterium so gut wie ein Schäfer- spiel oder ein Heldendrama, tragisch oder komisch, und alles zu- sammen. Alle Mittel wurden verschwendet, den höchsten Zauber der Decoration und der Maschinerie zu entfalten; sie führte die Augen und Ohren des Publikums durch Himmel und Hölle; sie unterhielt mit Balletten, mit Zauberscenen und Verwandlungen; sie brannte Feuerwerke ab, brachte Schlachten und Kanonen- donner auf die Bühne; Pferde, Esel, Kameele erschienen und das Brüllen und Brummen von Ungeheuern und wilden Thieren mußte mitwirken zu musikalischen Effecten. Endlich nach voll- ständigster Ueberreizung und Blasirtheit fand sogar Hanswurst mit seinen derben Späßen und gemeinem Gefolge Eingang in die vornehme Gesellschaft der Oper. Wie der Pomp und die Massenhaftigkeit in Oper und Schauspiel, herrschte die Phrase im Stil der Prosa. Mit der Pracht der Sprache, welche auch die Roheit nicht ablegte, ver- band sich die „Zierde“ oder Zierlichkeit. Dadurch wurde der Stil noch manierirter, denn indem ihm gewissermaßen Schrauben angelegt wurden, verlor er die wilde Freiheit, welche er in der Herrschaft des Bombastes noch gehabt hatte: er wurde hoch- trabend, pathetisch, pompös, steifen Gangs wie auf hohen Ab- sätzen gehend und die Schleppe hinter sich herschleifend, und schmückte sich zugleich mit zierlichen, gedrechselten Redensarten, mit fein gekräuselten Floskeln. Die Satzfügung wurde ver- schroben, undeutsch, unklar und dunkel. Wie der Kopf des Mannes unter der Lockenmasse der Perrücke verschwindet, so war jeder Gedanke in ein geschraubtes, steifes, verschnörkeltes Satz- gebäude eingeschlossen, durch welches man sich mühevoll durch- arbeiten muß, um den Inhalt zu finden: man glaubt in einem Irrgarten zu sein. Was die Kunst betrifft, so wollen wir nur der Architektur und der Gartenkunst gedenken, welche beide das doppelseitige Wesen der Zeit in großartigster Weise zur Schau tragen. Auch hier ist nach der einen Seite Massenhaftigkeit, Colossalität der III. Die Neuzeit. Formen, Verhältnisse und Intentionen und nach der andern ein kleinlich unruhiges Wesen, Steifheit, Abgeschmacktheit und Un- sinn der Gedanken in den Verzierungen. Wenn die Baukunst in ihrer imposanten und noblen Verschwendung des Raumes und der Massen Würde, Pracht und Majestät erreicht, so hebt sie diese Wirkung durch die übertriebene und immer gebrochene Gliederung, durch die Ueberladung mit Detail wieder auf. Die großartigen Palastanlagen, mit denen jeder Fürst die berühmten zu Versailles nachzuahmen suchte, sprechen durchaus im Pathos zu uns: colossal in den Dimensionen, oft von ausgezeichneter Schönheit in den Verhältnissen, mit scharfen, weit heraussprin- genden Profilen und gekrönt von reichem plastischen Bilderwerk, werfen sie auf die großen, freien, sonnigen Höfe ihre breiten Schattenmassen, aber ein Blick auf die Lichtseite des Gebäudes, und wir erkennen einen unendlichen Wechsel der gebrochenen Linien, einen krausen Wust von Vorsprüngen und Vertiefungen des architektonischen oder bildnerischen Schmucks, daß unter der unruhigen und kleinlichen Zerlegung von Licht und Schatten der Eindruck wieder verschwindet. Da drehen sich die Säulen in tauartigen Spiralen, da bäumen und brechen sich die Giebel in allerlei Formen und Unformen; die Fenster werden zerschnitten mit Bögen und graden Linien; Thürme und Dächer gestalten sich wie Zwiebeln und Birnen; die Kuppeln werden flach ge- drückt, umgekehrt schüsselförmig, selbst oval: kurz, jeder Theil weicht willkürlich heraus aus seiner ihm naturgemäß angewie- senen Grenze und Richtung. An die Palastbauten schließen sich die Gartenanlagen im Geiste wie im Plane auf’s engste an. Aber fast in noch höherer Weise tragen sie den Charakter der Zeit zur Schau, denn hier sind es nicht Kunstwerke aus einem unfreien Material, denen sie ihre Formen giebt, sondern es ist die Natur selbst, welche sonst der menschlichen Gesetze zu spotten pflegt. Auch hier ist die Großartigkeit der Anlage, die Nichtachtung von Raum und Mitteln nicht zu verkennen: weite Perspectiven eröffnen sich dem Blick, Wassermassen beleben die Räumlichkeiten in großen Bas- 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. sins oder den künstlichsten Springbrunnen; plastische Figuren in reichen Gruppe sind überall aufgestellt. Aber jedes Detail, jeder Baum, jede Pflanze ist mit unerbittlichster Consequenz der stil- gemäßen Behandlung unterzogen. Statt des lebendigen, freien Wuchses sehen wir die langen, graden Wände von gleich be- schnittenem Grün; aus ihnen herauswachsend beleben zwar Bäume die lange Flucht, aber sie haben sich ebenfalls der Scheere bequemen müssen. In der Eintheilung herrscht nur die grade Linie, die uns in der Natur am unangenehmsten berührt. Durch den ganzen Garten in den Wegen entlang, an den Ecken und Rändern der Rasenflächen sind kleine Taxus oder Cypressen auf- gestellt, welche die künstlerische Scheere des Gärtners und seine willkürliche Phantasie in allerlei sinnlose Gestalten gleich Schach- figuren gebracht hat, denen doch wieder auf’s unverkennbarste das Siegel der Zeit aufgedrückt ist. Lange Alleen sind zu Bo- gengängen mit den regelrechtesten Kreuzgewölben zugeschnitten; die Stämme bilden die Säulen mit laubigem Capitäl. Die Skulpturen, die wir hier finden, wie die ganze Plastik dieser Zeit, tragen dasselbe Gepräge: stilgemäß in Stellung und Be- wegung wie vom französischen Tanzmeister geschult, mit der ganzen, affectirten Aftergrazie, mit flatternden und doch schwer und eckig gebrochenen Gewändern, bilden sie die passendsten Be- wohner dieser verkünstelten, verschnittenen Natur. Sehen wir auf den Gesammteindruck, so läßt sich nichts denken, was einstimmiger, consequenter im Charakter durchge- führt wäre als so ein Palast mit Gartenanlagen vom Ende des siebzehnten oder Anfang des achtzehnten Jahrhunderts: das wilde Wasser, der freie Wald, der spröde Stein, sie fügen sich diesem Geist, der mit Riesenmassen spielt und auch das Kleinste nicht vorüber läßt, ohne es in seiner Form nach seinem Geiste umzuwandeln. Aber es gehört nothwendig die passende Staffage hinein, wie wir sie werden kennen lernen: diese feinen Herren in goldbordirtem Degenkleid mit stattlicher blonder Perrücke, in zierlichem Tänzerschritt die Füße gemessen bewegend, neben ihnen die enggeschnürteu Damen mit langer Taille, die geschminkten III. Die Neuzeit. Gesichter mit Schönpflästerchen von der grotesken Fontange überwallt, den Fächer zierlichst in der Hand schwenkend und die andern mit den Fingerspitzen auf den Arm des Begleiters legend, und Mohrenknaben, die ihnen die Schleppe tragen. Wenn dann das Mondenlicht in einer prächtigen Sommernacht auf die groß- artigen Räume fällt: da ragen die dunkeln Gebäude in ihren großen Verhältnissen so mächtig in den lichten Himmel empor und werfen breite tiefe Schatten über die erleuchteten Flächen; die krausen Ornamente verschwimmen im dämmernden Lüstre und verwirren wie unklare, duftige Spukgestalten die Sinne; ge- spensterhaft leuchten die weißen Figuren aus den tiefen Schatten der dunklen Baumwände hervor; die weiten, stillen Bassins und die springenden Wasser glänzen und blitzen im Licht, die Fon- tainen und Cascaden rauschen in der schweigenden Nacht — das Ganze ist ein völlig harmonisches Bild voll Zauber, Stimmung und Charakter. Wir können hier die Doppelseite dieser Periode nicht weiter verfolgen. Sie ist übrigens unschwer erkennbar in wachsender Virtuosität, in der Bravour des Vortrags wie in den Lichteffec- ten Rembrandts, in der Abschwächung der Kunst von der Historie des Rubens durch die Allegorie und das Genre zur Landschaft, zum Stillleben und zur Blumenmalerei; sie ist erkennbar in dem Lohensteinischen Schwulst, in der Glätte und Sinnlichkeit der Lyrik, in dem Wust der breiten Romane; es ist selbst bezeichnend, daß die duftlose stolze Tulpe mit der Pracht ihrer satten, vollen Farben und mit ihrer steifen Haltung in beispielloser Weise die Lieblingsblume dieses Geschlechts wurde. Daß die gesammten Aeußerungen des geistigen und socia- len Lebens in so durchgängiger Weise sich gewissermaßen unifor- mirten, davon ist zum größten Theil die Ursache die immer aus- gedehntere und bald fast unbedingte Herrschaft Frankreichs in allen Zweigen der Cultur. Der autokratische Wille Ludwigs XIV. , der in der Durchführung keine Rücksicht kannte, verstand es, Frankreich in kürzester Frist in eine gemeinsame Form zu gießen. Dies sowohl wie nicht weniger der Glanz seines Hofes, der 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. französ. Mode. Geist und die Pracht seiner Feste imponirten den deutschen Fürsten, die in ihm ihr Vorbild fanden. Dazu kam, daß die französische Litteratur, damals in die Periode ihrer Blüthe tre- tend, weitaus noch der in Geschmacklosigkeit versunkenen deut- schen überlegen war und so sich allen Gebildeten von selbst auf- drängte. Was die calvinistischen Fürsten schon im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts und früher noch begonnen, die engste geistige Verbindung mit dem französischen Hofe, das wurde nun ganz allgemein. Kein Prinz, fast kein deutscher Edelmann, der einiges Streben hatte, welcher nicht seine staatsmännische und modern gesellschaftliche Bildung von Paris holte. Die Gesandten vermittelten den beständigen Verkehr und überschickten neben po- litischen Neuigkeiten auch ebensowohl die litterarischen und die der Mode. An Widerstand war in diesen Kreisen nicht zu denken, und das deutsche Volk war durch den langen, verödenden Krieg gebeugt und willenlos und erholte sich erst wieder ein wenig zu patriotischen Gefühlen an den Siegen des Prinzen Eugen. So konnte Ludwig, der Deutschland in geistiger Knechtschaft hielt, ein Stück nach dem andern vom Reiche losreißen, während der deutsche Reichstag sich mit so wichtigen Fragen beschäftigte, wie die, wer von den Gesandten das Recht habe, seinen Stuhl ganz oder halb auf den Teppich oder mit den vordern Beinen auf die Franzen zu setzen. Wir haben bereits oben bemerkt, wie mächtig schon zu Logau’s Zeit der französische Einfluß sich geltend machte. Noch viel mehr gilt von den letzten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts, was er um die Mitte sagt: „Frankreich hat es weit gebracht, Frankreich kann es schaffen, Daß so manches Land und Volk wird zu seinem Affen.“ Das Symbol der französischen Herrschaft, das Panier, welches Frankreich über alle Köpfe der gebildeten Welt schwingt, ist die Perrücke . Wenn die ganze Kleidung dieser Zeit den Geist, aus dem sie geboren ist, nicht verleugnet, vielmehr in jeder Linie, in jeder Falte zu erkennen giebt, so ist doch der Haupt- träger desselben die Perrücke, wie sie überhaupt das charak- III. Die Neuzeit. teristische Zeichen der ganzen Toilette ist. In ihrer Wesenheit ist sie falsch und unnatürlich; sie beraubt den Kopf des eigenen Schmuckes ohne Noth und setzt ihm einen nachgemachten auf; grotesk in ihrer Unform, großartig im Umfang, das Symbol der Eitelkeit und Aufgeblasenheit, ein Hohn für alles Maß und alle Schönheit, ist sie doch dabei beschränkend, hemmend, raubt die freie Bewegung, nimmt den Kopf ein und zwingt ihn zu steifer Haltung. Indem sie gleich geformt mit ihrer leuchtenden Locken- masse und in blonder Süßlichkeit den männlichen Kopf um- rahmt, bedingt sie selbst den Gesichtsausdruck und uniformirt ihn: aus allen diesen Portraits spricht zu uns die beschränkte Selbstgefälligkeit und ein hohles, affectirtes Pathos. Keine Zeit war zufriedener mit sich selbst, und keine hat der Nachwelt eine größere Zahl oft colossaler Portraits hinterlassen; die unbedeu- tendsten Personen ließen zwanzig, dreißig Mal ihr werthestes Conterfei im theuren Kupferstich von sich ausgehen. So kann man mit Recht dieses Zeitalter das der Perrücke nennen, denn jede Aeußerung desselben, jedes Ding trägt sie. Die Phrase ist die Perrücke des Stils, das Ceremoniell, die Etiquette die des Hofwesens und der Gesellschaft; die Kunst trägt sie in der Bravour des Vortrags und in der affectirten Salongrazie, die Architektur in der Ueberladung ihres krausen Ornaments, die Oper in dem Pomp und das Schauspiel in der Massenhaftigkeit des Inhalts wie in dem Schwulst und der vor- nehm gespreizten Redeweise. Das Unterscheidende der Perrücke dieser Zeit von den frü- heren besteht wesentlich darin, daß diese nur einen Mangel der Natur verheimlichen sollten, jene aber der Natur zum Trotz in der Falschheit ihre eigentliche Bedeutung hat. Sie negirt das Eigenhaar; es muß fallen, damit die Perrücke, ein Werk der Mode, Platz findet. Eine Ausnahme davon lassen nur die rö- mischen Damen der Kaiserzeit zu, welche sich aus dem blonden Haar germanischer Frauen Aufsätze von mancherlei Gestalt machen ließen; und vereinzelt gab es auch wohl römische Männer dieser entarteten Periode, welche solchem Beispiele der Frauen 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. folgten. Das falsche Haar ist im Mittelalter nicht grade etwas seltnes, und wir haben seiner im ersten Theil öfter zu gedenken gehabt, immer aber dient es nur die Blöße zu bedecken oder auf- zubessern, was die Natur kärglich verliehen hat. Daß man auch die vollständige Perrücke kannte, ersehen wir aus den folgenden Versen, die dem dreizehnten Jahrhundert angehören: „Man lieset von einem Ritter das, Daß er kahl von Nature was Und ohne Haar; das was ihm leid; Nun hat er eine Gewohnheit, Daß er aufbaut ein Hauben gut Mit Haare“ u. s. w. Es wird dann weiter berichtet, wie er beim Turnier zu großem Lärm den Helm und die Haarhaube zugleich verloren habe. Zur Zeit der Reformation scheint die Perrücke schon häu- figer vorgekommen zu sein und das erfindungsreiche Nürnberg sich eines besondern Rufes in ihrer Fabrication erfreut zu haben, doch wer das Unglück hatte eine zu tragen, suchte es bestmöglich zu verbergen. So schreibt der Herzog Johann von Sachsen an seinen Schösser zu Koburg, Arnold von Falkenstein, im Jahr 1518: „Unser Begehr ist, du wollest Uns ein hübsch gemacht Haar auf das beste zu Nürnberg bestellen, und doch in Geheim, daß es nicht gemerket werde, daß es Uns solle, und je dermaßen, daß es kraus und geel sei und also zugericht, daß man solches unvermerkt auf ein Haupt möge aufsetzen.“ Auch vom Ulrich von Hutten, den seine lange Krankheit des natürlichen Schmuckes beraubt haben mochte, erzählt man, daß er „eine ziemliche Kolbe von falschem Haar“ getragen. So lange noch das Haar in der mäßigen Länge der soge- nannten Kolbe getragen wurde, mochte die Herstellung von Per- rücken, die einigermaßen natürliches Ansehn hatten, nicht allzu- schwierig sein, aber es war gewiß eine Aufgabe der Verzweiflung, als mit der spanischen Mode das überall kurz geschorne Haar aufkam. So konnte die Perrücke im Anfange des nächsten Jahr- Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 15 III. Die Neuzeit. hunderts fast wieder als eine neue Erfindung gelten, jedenfalls war sie in dem Grade verbessert worden, daß sie den Anforde- rungen der neuen Mode genügte. Der Name des verdienstvollen Mannes soll Ervais fein und Paris natürlich seine Vaterstadt oder wenigstens der Ort, wo die Erfindung an’s Licht trat. Er war es, der das Tressiren der Haare zwischen Seidenfäden er- fand und der Perrücke den ganzen Lockenfluß, wie er damals Mode war, zu geben wußte. Das war es auch, was sie wieder in’s Leben rief. Bei den langen natürlichen oder gebrannten Locken, wie man sie damals auf die Schultern herabfallen ließ, offenbarte sich leichter ein etwaiger Mangel der Natur, und man war um so mehr bedacht ihn zu ersetzen, je größer damals die stutzerische Eitelkeit sich zeigte. Im Jahr 1620 erschien auf dem Kopf des Abb é s de la Riviere die erste derartige Perrücke in Paris; sie bestand aus Haaren, welche mit einer Nähnadel neben einander auf ein dünnes Seidennetz in der Lage der natürlichen aufgenäht waren. So lautet eine Nachricht. Indeß schreibt ein italienischer Dichter Mariano in einem Briefe aus Paris, datirt vom 16. April 1615, von den Pariser Herren: „Auf dem Kopfe tragen sie einen andern falschen aus Haaren nachgemachten Kopf, den man Perrücke nennt.“ Noch in den zwanziger Jahren folgte Ludwig XIII. selbst. Der Uebergang vom Bedürfniß zur Mode war ein sehr leichter. Nichts war einfacher, als ein natürliches, wenn auch noch so reiches Haar, welches der damaligen Mode widerstrebte, durch ein falsches Kunstwerk zu ersetzen, und es mußte das zur Nothwendigkeit werden, als eben die neue Er- findung der Lockenmode die Möglichkeit gab, sich über die Schranken der Natur auszudehnen. So kam es bald dahin, daß Kahlheit oder Fülle des eigenen Haares ganz gleichgültig waren: man setzte die Perrücke auf und trug sie eben wie ein anderes Kleidungsstück. Ludwig XIV. widerstrebte in seiner Jugendzeit der neuen Mode, indeß, als sich für ihn selbst ein gewisses Bedürfniß her- ausstellte, trug er kein Bedenken mehr, sich selbst die Perrücke aufzusetzen. Nun griff er in seiner Weise absolutistisch durch. 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. Im Jahr 1655 ernannte er auf einmal 48 Hofperrüquiers, und im nächsten Jahr errichtete er eine Innung derselben, 200 an Zahl, für die Stadt Paris und ihre Vorstädte. Das war ein Staatsstreich, mit welchem er auf einen Schlag Frankreich die unbedingte Herrschaft in der ganzen modischen Welt sicherte. In Deutschland haben bis zu dieser Zeit, also bald nach der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, alle ehrbaren Leute wenn auch langes, doch ihr eigenes Haar getragen; nur das bedürf- nißvolle Alter und namentlich die stutzerhafte Jugend, deren Augen auf Frankreich gerichtet waren, hatten vorbedeutende Ausnahmen gemacht. Diese sind es, welche schon vor dem Ende des Kriegs von den strafenden Worten der Altfränkischen getrof- fen werden. Wenn wir in Anselm van Hulle’s ausgezeichnetem Werk die Portraitköpfe der deutschen Friedensgesandten mustern, so werden wir ihnen ansehen, daß sie sämmtlich ihr eigenes Haar tragen. Das Edict Ludwigs XIV. bezeichnet auch für Deutsch- land den Umschwung, denn die Fürsten desselben folgten eiligst seinem Beispiel. Bald trugen die sämmtlichen Höfe bis zum La- quaien herab die Perrücke. Von hier verbreitete sie sich über die ganze modische Welt vom Edelmann zum vornehmen Bürger, zum Gelehrten und Studenten, ja in nicht seltenen Fällen bis zum Handwerksmann. Das war geschehen, ehe noch zwei Jahr- zehnte verflossen. Nur allein die Geistlichkeit, welche vor der Hand auch die einzige und heftige Opposition bildete, machte noch kurze Zeit eine Ausnahme. Es ist der Geistlichkeit in Bezug auf die Mode immer so gegangen und geht ihr noch heutiges Tages so, daß sie sich in beständigem und seltsamem Streit mit derselben befindet, in welchem sie allemal unterliegt. Anfangs widersetzt sie sich mit der Energie, die ihr eigenthümlich ist, dem Hereindringen des Neuen, nimmt es aber selbst an, sobald es allgemeine Tracht ge- worden und den Geruch der Stutzerhaftigkeit verloren hat. Wenn nun die ewig wechselnde Mode wieder über diese Form hinweg- schreitet, so hält die Geistlichkeit daran mit derselben Zähigkeit und Ausdauer fest, mit welcher sie dieselbe früher verdammte. 15* III. Die Neuzeit. Es liegt das nicht bloß an ihnen, sondern sie wird darin von der Volksmeinung unterstützt, welche das Alte und Veraltete gern für das Ehrwürdige nimmt und seine Seelsorger in solchem Aeußeren zu sehen gewohnt ist. Wir haben ein Beispiel davon an der spanischen Krause gehabt. Aehnlich ging es nun mit dem langen und mit dem falschen Haar. Im Jahr 1642, also in einer Zeit, als nicht bloß die ge- sammte Laienwelt langes Haar trug, sondern in Paris die Per- rücke schon die meisten vornehmen Häupter bedeckte, erhob sich in Holland ein großer Streit über die langen Haare der Geist- lichen. Natürlich trat die Jugend dafür auf, und das Alter wi- dersetzte sich, gestützt auf die paulinischen Worte in 1. Kor. XI, 15: „Lehret das nicht die Natur, daß einem Mann eine Unehre ist, so er lange Haare zeuget?“ Ein Geistlicher, Namens Gott- fried Uden, schrieb unter dem angenommenen Namen Irenäus Poimenander in holländischer Sprache ein Buch: „Absalon oder von den Haaren“, worin er gegen ihre Länge eiferte. Ihm traten andere bei, und unter ihnen Borst, ein Prediger zu Dortrecht, mit einer gedruckten Predigt über die angeführte Stelle aus dem ersten Korintherbrief. Auch die theologische Facultät zu Utrecht billigte ihre Ansicht. Verschiedene Gegner, welche die langen Haare vertheidigten, wagten es noch nicht, unter eigenem Namen zu schreiben. Der Streit wurde hitziger und veranlaßte in den holländischen Provinzen eine große Anzahl von Synoden, um diese wichtige Frage zu entscheiden. Noch fielen sie sämmtlich zu Gunsten der alten Tracht aus, und es wurde beschlossen, nicht bloß die unbekannten Vertheidiger der langen Haare zu erforschen, die „Langhaarigen“, sondern auch ihre geistlichen Anhänger und und Träger, von der christlichen Gemeinde auszuschließen. In- deß war der Eifer umsonst und die Mühe wider den Strom zu schwimmen eine vergebliche. Als sich die heißen Köpfe ein wenig beruhigt hatten, schrieb der berühmte Salmasius einen Dialog über diesen Gegenstand und bewies, daß die Beschaffenheit des Haupthaars zu den indifferenten Dingen gehöre. Seitdem ver- flossen nur wenige Jahrzehnte, und der holländische Geist- 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. liche trug nicht bloß das lange Haar, sondern selbst die Per- rücke. In Deutschland hatte man sich die Sache etwas kühler an- gesehen und nicht soviel Lärm geschlagen. Obwohl schwäbischen Geistlichen durch Synodalreceß noch im Jahr 1665 und 1668 die „stratiotisch-langen Haare“ verboten wurden, gilt doch als Regel für die protestantische Geistlichkeit fast die ganze zweite Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts hindurch ein langes, gelock- tes, doch wenig cultivirtes Eigenhaar und dazu ein feiner Schnurrbart. Kaum aber hat das lange Haar auf den geistlichen Häup- tern den Sieg davon getragen, so bereitet die Perrücke neue Con- flicte. Von wenig Bedeutung war der Widerstand, den die Pre- diger dieser Mode überhaupt entgegenstellten; er fand gar keine Beachtung, und sie gaben ihn daher bald auf. Etwas anderes war es mit der Frage, ob ein Geistlicher die Perrücke und zwar auch bei geistlichen Handlungen tragen dürfe. Natürlich fanden sich sofort eine große Anzahl, welche gar zu gern der Mode ge- huldigt und sich ebenfalls den gelehrten, hochansehnlichen An- strich gegeben hätten, doch erreichten die Gegner wenigstens das, daß sie ein paar Jahrzehnte die Sache zurückhielten, bis der Reiz der Neuheit längst verschwunden war. Während für den Laien das Jahr 1670 als der Zeitpunkt angenommen werden muß, wo die Perrücke ein nothwendiges Anstandsstück wurde, um- flatterte sie die geweihten Häupter erst zwischen 1690 und 1700 mit ihrer Lockenfülle. Die Puritaner freilich und in Deutschland die Pietisten wollten noch lange oder überhaupt gar nichts davon wissen, und Männer wie Spener und Francke haben nie die Perrücke getragen. Doch sie blieben Ausnahmen und standen in der Opposition gegen ihre Amtsgenossen. Solche Leute bedeck- ten, wenn ihnen das Gebrechen des Alters nahe trat, das Haupt mit dem kleinen runden Sammetkäppchen, Soli Deo genannt, weil sie es nie abnahmen außer vor Gott und somit ihm allein die Ehre gaben. Es ist wunderbar, wie rasch die Perrücke sich in dieser neuen III. Die Neuzeit. und letzten Eroberung festsetzte. Zwischen 1680 und 1690 don- nern noch die Predigten gegen sie; 1692 hatte der Dresdner Landtag nach langer Debatte festgestellt, daß die Geistlichen mit gutem Gewissen Perrücken tragen durften, jedoch mit weniger Aufwand und mehr Anstand, und zwei Jahre darauf beantwor- tete zu Leipzig M. Johann Philipp Gros die Streitfrage dahin, daß es ebensowenig sündlich sei, sich der Haare der Thiere zur Bedeckung des Hauptes zu bedienen als der Wolle oder der Felle. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts aber gilt das eigene Haar schon für Hoffart. Gegen das Jahr 1720 ereignete es sich, daß ein junger Candidat seine schönen schwarzen Haare abschneiden und sich eine Perrücke machen lassen mußte, weil ein Consistorialrath ihm den Vorwurf machte, er triebe Hoffart da- mit. Nun konnte die Geistlichkeit von der Perrücke nicht wieder loskommen. Sie hielt dieselbe das ganze achtzehnte Jahrhundert fest, unbekümmert um Zopf und gepudertes Eigenhaar, denn die Perrücke war nun einmal in den Geruch der Altehrwürdigkeit gekommen, und nicht einmal der Sturm der Revolution schien sie verwehen zu können. Mit noch größerem Widerstand hatte die katholische Geist- lichkeit zu ringen. Daß Pariser Abb é s, die bekanntlich damals zu den Galanten gehörten, schon früh selbst vorangingen, wissen wir bereits. Die Päpste aber waren lange dagegen. Im Jahr 1688 trat die Perrücke im Bisthum Hildesheim in solcher Be- deutung auf, daß die Priester darin das Meßopfer darbringen wollten. Der Bischof wollte die Streitfrage nicht selbst ent- scheiden und wandte sich deßhalb an die Nuntiatur zu Köln, welche erwiderte, daß die Erlaubniß für einen Priester in der Perrücke Messe zu lesen zu den Reservaten des Papstes gehöre. Der Bischof versprach daher alles zu thun, um diese Sitte in seiner Diöcese nicht aufkommen zu lassen. Im Jahr 1693 unter- sagte ein päpstlicher Erlaß den Priestern und Geistlichen das Tragen der Perrücke gänzlich. Dasselbe that Clemens XI. 1703, indeß stieß er schon auf solchen Widerstand, daß er sein Verbot auf die Meßpriester und Ordensgeistlichen beschränkte. Aber 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. 1729 wiederholte Benedict XIII. das allgemeine Verbot, und der Cardinal Alberoni fiel deßhalb in Ungnade und mußte den Hof meiden, weil er von der Perrücke nicht lassen wollte. Indeß kehrte er nach dem Tode dieses Papstes wieder aus der Verban- nung zurück, und seitdem scheint der Widerstand mehr und mehr erloschen zu sein. Den Vorschriften des Dienstes wurde dadurch genügt, daß die Perrücke oben eine Klappe erhielt, welche als Tonsur zurückgeschlagen wurde. Im Jahr 1781 ist einer Ver- ordnung zufolge im Bisthum Hildesheim die Perrücke bei der Messe nicht mehr verboten, wohl aber der Zopf als etwas durch- aus Unwürdiges. Im Anfang ihrer Entstehung suchte die Perrücke möglichst treu ein natürliches gelocktes Haar zu copiren. Da sie aber aus einem nothwendigen Uebel zur Mode wurde, so mußte und wollte sie sich auch von der Natur in besonderer, auffallender Weise unterscheiden. Ihre wachsende Größe trug dazu bei, sowie nicht weniger die antinaturalistische Zeitrichtung. In der Gestalt, wie die Perrücke in der Mitte des Jahrhunderts nach Deutschland kommt, ist sie unschwer vom Eigenhaar zu unterscheiden. Die ersten Fürstenportraits, welche mit ihr geschmückt sind, zeigen noch nicht die sanft herabwallende Masse einer geordneten Locken- fülle, sondern ein rohes, wüstes Haargebäude mit kleinen, krau- sen, wirren Löckchen oder einem wilden Durcheinander, welches unfreundlich noch halb den rohen Kriegsgeist athmet und wie ein unfertiges Machwerk aussieht, das sich erst aus dem Chao- tischen gestalten will. Aber das galante Frankreich überwindet bald diesen Ausfluß der schweren Zeit. Noch im Jahr 1663 trägt Ludwig XIV. selbst diese halbwilde Perrücke mit Locken, die wirr über die Stirn hereinfallen, aber ein anderes Portrait von 1672 in ganzer Figur und eines des Dauphin von 1675 zeigen, daß damals in Paris die neue Staatstracht, wie sie der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts angehört, und mit ihr auch die Perrücke, die volle Ausbildung und Schönheit er- reicht hatte. Wie aus einer sonnenlichten Wolke, nicht aus dunklem Wetter, schaut das bartlose Gesicht aus seiner Umhüllung III. Die Neuzeit. heraus; die Fülle der blonden Locken, nicht steif, aber doch wohl geordnet, senkt sich vom Haupt herab, umfließt sanft die Schul- tern und ergießt sich tief den Rücken hinunter. Diese Perrücke war es, von welcher Ludwigs Leibperrüquier Binette absolu- tistischer noch als sein König sagte, „er mache die Köpfe aller Unterthanen kahl, um den Kopf des Monarchen zu bedecken.“ In dieser Gestalt und Größe wurde die Perrücke, die Staats- oder Alongeperrücke , der gefeierte Liebling der Zeit, das Schlagwort, der prägnanteste Ausdruck ihres ganzen Wesens. Daß man sie Frankreich verdankte, darin waren alle Stimmen einig, die Verehrer wie die Gegner, so lange es noch solche gab. In unsern Augen, bei unsrer heutigen willkürlichen oder gar nachlässigen Behandlung des Haars, verbindet sich mit so überstattlicher Erscheinung gar leicht der Zug des Grotesk- komischen; ein ironisches Lächeln spielt um unsern Mund, und es ist uns, als ob die geistige Organisation darunter von eigen- thümlicher Beschaffenheit sein müßte. Bei den Zeitgenossen aber war sie der Heiligenschein, der Nimbus der Hoheit, Würde und Majestät; sie war das prächtige Bild der Sonne, die in freund- licher Größe die hellen Morgennebel durchbricht, und indem man des mähnenumlockten Löwen gedachte, des Königs der Thiere, verknüpfte sich mit ihr der Begriff allbezwingender Stärke. Wenn sie ihren Träger zu gemessener Bewegung verurtheilte, so ge- reichte das nicht zu ihrem Nachtheil, denn diese war ohnehin Vor- schrift am Hofe des großen Ludwig und somit ein nothwendiges Erforderniß der feinen Sitte. Von schönem Blond mußte die Perrücke sein: auch darin huldigte sie nur dem Zeitgeist. Denn wie in der wilden Kriegsperiode am Haar das finstre Schwarz, die Farbe des Cholerikers, sich der allgemeinen Vorliebe erfreut hatte, so mußte jetzt, da die Zeit milder und friedlicher, die Le- bensformen gesitteter und höfischer wurden, das sanfte, milde Blond wieder den Vorzug erhalten. Als dann die Negation der Freiheit noch stärker anwuchs und der Horizont des Lebens noch enger wurde, als im achtzehnten Jahrhundert abstarb, was das siebzehnte noch an Kraft und Energie übrig gelassen hatte, und 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. nur die leeren Formen in erschreckender Starrheit blieben: da erlag diesem langsamen Tode auch das Blond, und an seine Stelle trat die Farbe des Greisenalters, das Weiß des Puders. Die große blonde Alongeperrücke zu tragen, konnte freilich nicht Jedermanns Sache sein, denn in ihrer vollsten Schönheit kostete sie 1000 Thaler, und nur Paris allein verstand es, oder erfreute sich wenigstens dieses Rufes, sie in kunstreicher Voll- endung zu verfertigen. So zierte sie nur die hohen Häupter auf Erden. Die Unze des dazu gehörigen Frauenhaares kam in erster Qualität an Farbe und Länge auf 40 bis 50 Livres. Es ent- wickelte sich allmählig, wie einst in der römischen Kaiserzeit, doch in ausgedehnterem Maße, mit dem Menschenhaar ein sehr ein- träglicher Handel, den für Deutschland die französischen Emigr é s in die Hände nahmen, sogut wie sie sich auch als Perrückenmacher und Kammerdiener niederließen. Der erste König von Preußen, bekanntlich der beste Schüler Ludwigs XIV. in der Etiquette und im Glanz des Hofwesens, suchte diese Fabrikation auch in Berlin heimisch zu machen; selbst seine gewöhnliche kleine Perrücke, die ihn unterschied, wenn er en confidence unter all den Staats- perrücken seines Hofes erschien, war Berliner Fabrikat und kostete nur funfzehn Thaler. Er wußte diese Mode auch für sich ein- träglich zu machen, denn er legte allen Perrückenträgern, doch keineswegs in Absicht die Mode zu beschränken, eine Steuer auf. Alle Civil- und Militärbeamten von den vornehmsten bis zu den Sekretären und wer von gleichem Range war, bezahlten jährlich einen Thaler; die übrigen Beamten, Magistratsräthe, Sekretäre, Kammerbediente, Kaufleute, Bürger und andre sechszehn Gro- schen; die Lakaien, zünftigen Handwerker und Leute geringeren Standes zwölf Groschen; niemand war ausgenommen als die Prediger, Schulrectoren, Schüler, Kinder unter zwölf Jahren, Offiziere und gemeine Soldaten. Da die Erhebung dieser Steuer Schwierigkeiten machte, verpachtete er sie an einen französischen Flüchtling Elie Papus de la Verdaugie, der sie von 1701 an inne hatte, bis sie 1717 durch Friedrich Wilhelm I. wieder auf- gehoben wurde. III. Die Neuzeit. Es ist nicht gesagt, daß alle, die in der preußischen Verord- nung erwähnt sind, auch nothwendig die Perrücke getragen ha- ben, denn der Jüngling z. B. legte sie erst gewissermaßen als Zeichen der Männlichkeit an; der Student trug sie schon durch- gängig. Es gab auch ganz billige Perrücken, die sich wohl der Handwerker verschaffen konnte. Die gewöhnliche Alongeperrücke, wie sie der vornehme Mann trug, kostete 50 Thaler; billigere waren zu haben zu 15, auch zu 5 und 6 Thaler. Aber diese waren natürlich kleiner oder nicht von Menschenhaar, wie denn des Ziegen- und Pferdehaares zum öftern Erwähnung geschieht. Auch die Farbe machte einen bedeutenden Unterschied im Preise. Blond oder wenigstens Hellbraun war die Galafarbe. Für gewöhnlich begnügte sich auch der wohlhabende Mann von Stande mit einer dunkleren oder schwarzen. Um aber die Wir- kung der Farbe zu mildern, benutzte man den schon früher, wie wir gesehen haben, nicht unbekannten Puder auch für die Per- rücke und später selbst für die blonde. So uniformirten sich die Köpfe wie die ganze Gesellschaft. Indeß spielt der Puder seine Hauptrolle erst bei der Zopffrisur des achtzehnten Jahrhunderts. Die grandiose Form der Alongeperrücke hielt sich unverän- dert wohl ein Menschenalter durch. Doch nahm sie allmählig eine zweigetheilte Form an und wurde dann so getragen, daß der eine Flügel nach vorn über die Schulter geworfen wurde, während der andere sich den vollen Rücken hinab ergoß. Diese Theilung vollendete sich im ersten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts, indem von der Mitte der Stirn aus als Scheitel ein Einschnitt gemacht wurde, zu dessen Seiten sich die Haare höher und höher aufthürmten, wie die Seitenwände eines Thals. Man nannte das im Vergleich mit der Damenkopftracht devant à la Fontange . Um das Jahr 1720 sanken die Erhöhungen wieder, während der Einschnitt breiter wurde, sodaß sie nur noch wie ferne, sanfte und flache Höhenzüge das Thal begleiteten. Bereits mußten sich auch zugleich die gewaltigen Flügel unliebe Beschränkungen gefallen lassen, denn das neue Jahrhun- dert und der Geist des Zopfes regte sich. Aller freien und selbst 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. starken Bewegung konnte das Zeitalter der Staatsperrücke, wel- ches sich ein ritterliches nannte, nicht entsagen. Der Tanz zwar hatte sich fügsam gezeigt, und die langsamen und abgezirkelten Bewegungen, die zierlichen Pas, die steifen Biegungen des Kör- pers, „gerad im Leib, steif auf den Zehen“, das affectirt gemes- sene Arbeiten mit Armen und Händen genirten die stolze Perrücke nicht mehr. Aber Reiten und Fechten waren damals nothwen- dige Bestandtheile der feinen Bildung, und es mußte ein Mittel ersonnen werden, welches bewirkte, daß die Perrücke diese gewalt- samen Uebungen wenigstens duldete. Insbesondere waren es die Cavallerieoffiziere, die als Modeherren ihrer Zeit voranschrei- tend der Perrücke nicht entsagen durften und sie daher mit ihrem Dienst in Einklang bringen mußten. Hier verfuhr der Deutsche, der reinen Nothwendigkeit folgend, einmal wieder selbstständig, allein er war in seiner Erfindung höchst unglücklich: indem er die flatternde Masse der Haare hinten in einen Strang zusam- menband, erfand er sehr folgenreich — den Zopf . Der galante Franzose half auch der Noth ab, aber sein Auskunftsmittel wurde alsobald wieder eine Zierde der Eleganz: er steckte die überflüssi- gen Haare in ein zierliches, flaches, seidenes Säckchen, versah es mit schöner Schleife und erfand so den Haarbeutel . Natür- lich, daß auch diese Erfindung auf Deutschland überging, die deutsche Weise modificirte oder gar vielfach völlig an ihre Stelle trat. Wie sich eine Wahrheit erst langsam Bahn bricht, so war mit dem Zusammenbinden der Haarmassen das, was wir eigent- lich unter Zopf verstehen, noch nicht ohne Weiteres geschaffen, denn dieser in seiner vollendeten Ausbildung gehört dem Eigen- haar und negirt die Perrücke; er fand nur in der angegebenen neuen Weise seinen Ursprung und sein Vorbild. Es brauchte dann aber nur, was ursprünglich aus Bequemlichkeit geschehen war, zum Gesetz der Mode zu werden. Wo und wie dies ge- schah, werden wir später sehen. Die Perrücke hatte nun den Höhepunkt ihrer Geschichte hin- ter sich, doch war sie keineswegs aus dem Felde geschlagen, son- III. Die Neuzeit. dern starb langsam, sehr langsam ab, was sich in der allmähligen Abnahme des Grandiosen ausspricht. Nicht ohne inneren Zu- sammenhang hielt besonders der Gelehrtenstand mit Zähigkeit an ihr fest, denn sie war so recht das Symbol jener aufgeblasenen Pedanterie, die damals in höchster Blüthe stand, jener Fülle der Polyhistorie, die sich nur ordnungslos über den Gegenstand „verbreitete“, nicht aber ihn in seiner Tiefe und Wesenheit er- faßte. Das Zusammenbinden der herabfallenden Haarmassen oder auch das Zusammenschlagen in einen Knoten, welcher auf der Schulter auflag — von beiden geben die Portraits zahlreiche Beispiele — tritt gleichzeitig mit dem oben erwähnten Sinken und Verflachen des Scheitels ein. Bald nahm man die franzö- sische Sitte an, band den Zopf der Perrücke mit einer zierlichen Schleife oder steckte ihn zugleich in den mit der Zeit kleiner ge- wordenen Haarbeutel, eine Sitte, welche gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in der civilen Welt ziemlich allgemein wurde. Die noch übrig gebliebenen Locken der Perrücke wurden steifer und geordneter, und ungefähr von den Schultern an — bis soweit gingen sie damals noch herunter — schichteten sie sich in regelmäßigen horizontalen Rollen über einander bis gegen die Höhe des Kopfes hinauf, welche eine platte Fläche geworden war. Das war die Form um das Jahr 1750. Die weitere Er- starrung giebt sich darin zu erkennen, daß die Lockenrollen von den Schultern aufwärts zurückweichen und endlich, als Gesell- schafter von Zopf oder Haarbeutel, nur eine oder zwei über dem Ohre sitzen bleiben; sie heißen in der zierlichen Ausdrucksweise jener Zeit ailes de pigeon, Taubenflügel. Aber da wo die Per- rücke das Gesicht umgrenzt, wurde das Haar in einen runden Wulst zurückgestrichen, daß es in sanft gebogener, aber scharfer Linie das Gesicht schneeweiß umrahmte; denn nunmehr war der Puder unausweichliche Regel geworden. Diese Linie hieß die Vergette; sie in vollendeter Schönheit herzustellen, war die höchste Aufgabe des Friseurs jener Zeit. Gering war sie nicht, und die Bequemlichkeit hatte ebenfalls nichts gewonnen. Denn 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. da diese Form sich aus dem Eigenhaar herstellen ließ, so geschah auch mit ihr der Uebergang, welcher durch das Militär längst vermittelt war. Die Perrücke war auf dem Stock frisirt worden, und ihr Eigenthümer hatte es sich währenddeß in der Schlaf- haube bequem sein lassen; jetzt mußte er seinen eigenen Kopf Stunden lang den Händen des Friseurs überlassen. Und wenn diese zwar kleine, aber viel künstlichere Frisur endlich durch Mas- sen von Pomade hergestellt und mit Puder überdeckt war, so be- durfte sie einer viel sorgfältigeren Schonung, damit das schöne Gebäude nicht zerstört oder der Puder verwischt würde. Damit sind wir bereits, indem wir die Entwicklung der Perrücke bis zu ihrer letzten Form verfolgten, über die Grenzen der vorliegenden Periode hinausgekommen, und wir müssen zum Anfang wieder zurückkehren und uns nach der übrigen Toilette des Mannes umsehen. Der Bart folgt in seiner Geschichte fast in umgekehrter Richtung der des Haupthaares und der Perrücke: ihr Wachsen bedingt seinen Fall. Wir sahen ihn bereits in der vorigen Pe- riode vor der stattlichen Lockenfülle sich auf Ober- und Unterlippe und auf das Kinn beschränken, und auch hier traf ihn der Friede nur in sehr gemäßigter Form an. Als die Perrücke ihre Herr- schaft in Deutschland antrat, also um das Jahr 1660, waren nur noch Reste vorhanden. Zehn Jahre später dürfte kaum ein Portrait noch den Kinnbart aufweisen, und selbst ein winziges Restchen an der Unterlippe gehört zu den äußersten Seltenheiten. Etwas länger hielt sich der Schnurrbart, wenn auch in zierlichster Gestalt; nur der gemeine Soldat trug ihn zu seinem Eigenhaar in derberer Form. In der civilen Welt mußte er noch vor dem Schlusse des Jahrhunderts der Ueberfülle der Perrücke und dem höfischen Wesen, das für die freundlichne, füß lächelnden Mie- nen ein glattes Gesicht verlangte, völlig weichen. Vor seinem Tode zeigte er den letzten Ueberrest in doppelter Gestalt: entwe- der begleitete er wie ein feiner schwarzer Pinselstrich die Linie des Mundes und endigte über den Mundwinkeln in einer Drehung wie ein zierliches Amorettenlöckchen — in dieser Form trägt ihn III. Die Neuzeit. auch die protestantische Geistlichkeit noch länger als die Laien- welt —, oder er war von den äußeren Enden her zugeschnitten und so zugestutzt, daß nur unter der Nase ein paar stumpfe Fleck- chen übrig blieben, die vollkommen Schönpflästerchen glichen. „Twe klene Knewelkens sitten noch under der Nesen.“ In ganz feiner, zierlicher Gestalt trug ihn noch Ludwig XIV. zwischen 1670 nnd 1680, daher diese Form à la royale genannt wurde; und ebenso auch der Kaiser Leopold. Dann aber wurden alle modischen Gesichter glatt, sodaß kaum einer noch sein Bärt- chen in das neue Jahrhundert hinüber nahm, die protestantische Geistlichkeit in nicht seltenen Fällen ausgenommen. Es konnte nicht ausbleiben, daß die dominirende Perrücke auch auf den Hut umgestaltend einwirkte. Zur grotesken Staatsperrücke ein ebenso grotesker Schlapphut mit ellenlanger Feder wäre freilich dem damaligen Modegeist wie jedem ästheti- schen Auge etwas Entsetzliches gewesen: es lag ein innerer, nicht zu überwindender Widerspruch darin. Die Zeit verlangte knappe Formen, und so hatte schon beim Friedensschluß der Schlapphut von seiner genialliederlichen Form eingebüßt, der Kopf war steifer geworden, der Rand kleiner, weniger schlaff, und die Feder blieb oben statt den Rücken herunterzufallen. So aber, wie er jetzt geworden, niedrig und steif mit scheibenförmi- gem Rande, der jede Wellenlinie abweiset ist er trotz Nesteln, Schleifen und anderem Schmuck ein rohes Machwerk. Zur Steifheit muß sich wieder zierliche Eleganz, Bewegung im Con- tour gesellen. So richtet sich der Rand allmählig wieder auf, erst auf einer Seite und zwar auf der linken, dann auf zweien, bis er endlich mit drei Krämpen die feste, bestimmte Form erhal- ten hat, mit welcher er wie ein Diener die Alongeperrücke in ihrer Höhezeit begleitet. Klein und fein, mehr einem Kopfschmuck ähnlich, sodaß er oft künstlich befestigt werden mußte, paßt er trefflich zu ihr, da sie ja bereits die eigentlich schützende Bedeckung des Kopfes abgiebt. Aber trotz der Unbequemlichkeit wurde er damals noch aufgesetzt. Der Untergang der Perrücke stürzte auch 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. ihn von seiner Höhe. Die neue Frisur des achtzehnten Jahrhun- derts mit ihrer überaus künstlichen und der Schonung bedürfti- gen Ordnung konnte keinen Hut mehr auf sich dulden, ohne daß er die zarten Taubenflügel geknickt, die Vergette verdrückt und den Schmetterlingsstaub des Puders verwischt haben würde: da klappte er zweiseitig zusammen, um fortan als Dreispitz unter dem Arm getragen zu werden. Mit dieser Wandlung änderte sich auch sein Schmuck. Als der dreikrämpige Hut fertig war, waren die Ränder mit goldenen Borten eingefaßt und statt der wallen- den Feder mit feinem Gefieder, Plümage, einem leichten Ueber- rest, rings besetzt worden. Der Klapphut aber duldete nur noch die Borten. — Der feinste Stoff war damals Biberhaar, und er war so geschätzt, daß in deutschen Städten, z. B. Braunschweig (Verordnung von 1650), der ganze Castorhut Jedermann ver- boten war, und ein halber wurde nur den ersten Classen ge- stattet. Völlig unter dem Einfluß der Perrücke steht noch der Halskragen . Da die Flügel derselben ihn auf Schultern und Rücken völlig zudeckten, so war kein Grund vorhanden, an diesen Stellen noch den theuren Spitzenluxus zu treiben. Der Kragen veränderte daher seinen Schnitt in der Weise, daß nur noch zwei viereckige schlichte oder mit breiten Spitzen besetzte Stücke vorn unter dem Kinn in Verbindung mit Schnüren und Quasten sich herablegten. Die Ueberreste davon sehen wir noch heut zu Tage auf der Kanzel in den s. g. Beffchen, die somit, seitab von der Mode liegen geblieben, Perrücke und Zopf überlebt haben. Aber dieser Kragen war nur eine Uebergangsform. Einer andern Pe- riode angehörend, wurde er bei beiden Geschlechtern völlig besei- tigt, und an seine Stelle trat das weiße Halstuch , welches, unter dem Kinn geknotet, von hier in zwei fächerartig gefalteten und ausgebreiteten Zipfeln, die ebenfalls mit Spitzen besetzt wurden, herabfiel. Die übrige Toilette, also die eigentliche Bekleidung, Rock, Wamms und die Bedeckung des Beines und des Fußes, wan- delte sich ganz im Geist der Verengerung und einer steifen, aber III. Die Neuzeit. prunkenden Hofeleganz um, wie sie der Autokratie und der Eti- quette Ludwigs XIV. conform war. Bis sie aber zu dieser Voll- endung gekommen, machte sie ein Uebergangscostüm durch, welches noch von dem windig lockern Wesen des kriegerischen Stutzerthums durchweht ist. Wir können es, wie überall in Deutschland, so auch an dem Leibe des großen Königs selbst bis gegen das Jahr 1670 verfolgen. Dazu gehört noch das kurze, zur Jacke gewordene, vorn aufgeknöpfte Wamms mit offenen Aermeln und heraustretendem Hemd und ein Beinkleid, welches ein ganz originales Ansehn hat, nebst Schuhen und Strümpfen. Wir haben in der vorigen Periode gesehen, wie gegen 1650 das Beinkleid weit offen die Kniee umflatterte. Der neue Geist zeigt sich zunächst darin, daß er es wieder zusammen- faßt und unter dem Knie zusammenbindet, ohne aber von der Weite zu nehmen. Auf diese Form bezieht sich das folgende Epigramm: „Man sagt: Das Weit an Hosen blieb immer oben stehn? Jetzt sieht man Hosen weiter um Bein als Gürtel gehn.“ Noch 1667 trägt Ludwig XIV. diese Hose. Aber so war sie noch nicht vollständig, sondern es lag vom Gürtel ab eine Art weiten Schurzes um sie herum, der wie die abgeschnittenen Schöße des Wammses aussieht und einem kurzen Unterrock gleich kommt, daher die Engländer dieses ganze Beinkleid petticoat-breeches (Unterrockhose) nannten. So absonderlich wie diese Mode war, so war sie doch allgemein verbreitet durch Frankreich, Deutschland und England; nur der Spanier trug sein enges Beinkleid nach wie vor. Aber von Dauer konnte sie nicht sein, und mit dem Jahr 1670 geht sie in der modischen Welt in die enge Kniehose über, während die niedern Bürger- classen noch die unter dem Knie geschlossene pludrige Hose, aber ohne den Schurz, festhalten. Zu dem Uebergangscostüm finden wir im Anfang noch den Kriegsmantel. Aber bald weicht er ganz vor dem Ueberwurf oder Oberrock zurück, welchen der Krieg aus allen Kreisen der 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. besseren Gesellschaft verbannt gehalten hatte. Nun tritt er in sehr bemerkenswerther Weise wieder in seine alten Rechte ein. Es ist in der That noch die alte Schaube, oder, wenn wir noch weiter zurückgehen wollen, die obere Tunica, mit welcher wir es hier zu thun haben. Der wohlhabende Bauer hatte sie als sein Staats- oder Kirchenkleid freilich in einer bäurischen Form fort und fort getragen. Von ihm aus stieg sie in folgender Weise wieder auf- wärts zur höchsten Ehre. Wir müssen uns erinnern, daß mit dem dreißigjährigen Krieg die stehenden Heere ihren Anfang nehmen. Dieselben bedurften nun sowohl der Disciplin wie des Prunkes wegen nothwendig der Uniformirung. Ohnehin lag die Neigung dazu in der Zeit. Eine Uniform aber wird nicht erfunden, oder wurde es wenigstens nicht: man nahm, was man vorfand, und änderte um zu gleichem Schnitt und gleicher Farbe. Nun brachte der Rekrut, welcher meist dem Landvolk oder dem unteren Bürger- stande angehörte, einen langen, weiten Rock mit, der wie ein Sack faltenlos und ohne Taille bis auf’s Knie herabhing. Es war sein bestes Kleid, seine Art von Ueberwurf, eben die ein- zige, die sich erhalten hatte. Dieser Rock nun wurde Uniform- stück. In Deutschland sehen wir ihn noch völlig so mehrere Jahrzehnte beim gemeinen Soldaten (noch 1680), bei den Hand- werkern, insbesondere auch bei den niedern Beamten der Städte, den Stadt- und Gerichtsdienern, bei welchen er sich in dieser un- schönen Form am längsten erhielt. Sowie er beim Militär zum Uniformrock geworden war, mußten ihn auch die Offiziere tra- gen, und damit lag zugleich die Nothwendigkeit vor, ihn nach zeitgemäßer Eleganz zu ändern. Es geschah so, daß er unter der Perrücke nicht wie das Wamms zu winzig schien, dabei aber doch eine gewisse Zierlichkeit erhielt. So bekam er zunächst Taille und mußte sich dem Oberkörper eng anschließen, sodaß nun aus dem weiten Ueberwurf, völlig der Richtung der Zeit entsprechend, ein Justaucorps wurde. Anstatt der Nesteln und Haken wurde er von oben bis unten mit glänzenden Knöpfen besetzt, die Knopflöcher und Säume ringsum mit Goldborten und Gold- Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 16 III. Die Neuzeit. franzen gefaßt und dieser Goldbesatz in Blumen und Arabesken über das ganze Stück verbreitet. Vorn an den Schößen erhielt er Taschen, die er vielleicht schon von unten her mitgebracht hatte, mit Klappen bedeckt, deren Zierde wieder Knöpfe und Borten waren. Die Aermel schlossen ziemlich eng an, aber sie reichten kaum über den Ellbogen herab und waren hier in brei- ten verzierten „Palten“ umgeschlagen, aus denen bis zum Hand- gelenk die weißen, feinen, weitfaltigen Hemdärmel mit schlaffen Manschetten hervortraten. So entstand das Staatskleid Lud- wigs XIV. , vollendet seit dem Anfang der siebziger Jahre, ein Prunkstück, wenn eines, und doch bemitleidenswerth armselig im Vergleich zu der alten, breiten und stolzen Pelzschaube der Re- formationsperiode. Dagegen trat das Wamms an Bedeutung zurück, wenn es sich auch streckte und dehnte, es dem Oberrock gleich zu thun. Es war immer unter demselben verborgen, es sei denn, daß man Bequemlichkeit halber den Oberrock abgelegt hätte. Der oben erwähnte Schurz verschwand wieder, die Schöße verbanden sich auf’s neue mit dem Wamms und reichten fast zum Knie herab. Aermel und Taille mußten natürlich ebenfalls anschließen. In dieser Weise hielten sich beide, Rock und Wamms, mit der ge- sammten Staatstracht Ludwigs XIV. fast unverändert ein halbes Jahrhundert von 1670 bis gegen 1720. Gleichzeitig mit der Vollendung des Justaucorps kam die eng anschließende Kniehose , von Seide oder Sammt, zur all- gemeinen Herrschaft; sie gehörte nothwendig zu diesem ganzen Costüm. Eben so nothwendig aber waren nunmehr wieder Strümpfe und Schuhe . Die kriegerischen Stiefeln mit ihrem freien, schlappen Wesen und den hängenden Stulpen konn- ten trotz ihres Spitzenschmucks sich unmöglich in den galanten französischen Hofton finden. Sie verschwinden mit unglaublicher Schnelligkeit wieder aus der modischen Welt, obwohl noch beim Friedenscongreß selbst die gelehrten Abgesandten sie getragen hatten. Bald sehen wir sie in Deutschland nur noch an Reitern, Dragonern, Studenten und ähnlichen Renommisten, und auch 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. bei diesen in steifer Form. Ihre Ueberbleibsel sind die studen- tischen Kanonen. Die Schuhe erhielten hohe und spitze rothe Absätze, welche den affectirten Gang noch steifer machen mußten. Zugleich verwandelten sich die großen Rosetten in Schnallen mit steifen Bändern und Schleifen. Auf die Strümpfe wurde mit Recht ein großer Werth gelegt, da es in dieser tanzmeisterlichen Zeit eine Hauptaufgabe des wohlerzogenen Menschen war, beim Sitzen, Stehen, Gehen und Tanzen das Bein zierlichst nach der Regel zu bewegen. Alle Blicke waren auf Fuß und Bein gerich- tet, und es mußte daher durch wohlgespannten Strumpf die plastische Schönheit desselben in möglichst günstige Wirkung ge- bracht werden. Man liebte mancherlei Farben für den Strumpf, doch vermied der Mann von feiner Bildung und gutem Geschmack die grellen, weil sie den Eindruck zierlicher Formen wieder ver- nichtet hätten. Der Zwickel wurde goldig oder farbig eingenäht. Aller übrige Schmuck wurde an Bein und Knie, sonst Lieb- lingsplätzchen, nunmehr mit Wülsten, Rosen, Nesteln und der- gleichen energisch abgewiesen. Zum ersten Mal wieder seit dem Beginn des sechszehnten Jahrhunderts entwickelte sich die Frauentracht in selbststän- diger Weise und wurde nicht mehr wie bisher von der männ- lichen in’s Schlepptau genommen. Und doch, obwohl sie zu ganz andern Formen gelangt, steht sie unter dem Einfluß der- selben Zeitströmung und kann somit den gleichen Charakter nicht verleugnen. Auch sie bildet sich nach der einen Seite zu grotesker und unförmlicher Mißgestalt, nach der andern wird sie steif und eng und zwingt die Trägerin zu affectirt abgemessener Bewegung, die man grazios nannte. Ihre charakteristischen Stücke sind die Fontange, die Schnürbrust und die Schleppe. Wir haben die Kleidung der Frauen am Ende des Kriegs als von ziemlich leichter und loser Art verlassen: Locken, die über die nackten Schultern herabfielen, eine starke Decolletirung, weite, bauschige Aermel, eine mäßig hohe Taille, ein natürlicher, ungehemmter Fall des weiten Rockes, und daneben viel luftig leichter Schmuck von Bändern, Spitzen, Schnüren, Federn und 16* III. Die Neuzeit. dergleichen. Das neue Regiment des Antinaturalismus wußte dieser Freiheit bald ein Ende zu machen und Regel, Ordnung und Zwang einzuführen. Am interessantesten in diesem Sinne ist die Ausbildung der Kopftracht , die sich Schritt vor Schritt bis zu einer völlig entgegengesetzten, aber der Perrücke gleich bedeutenden Gestalt verfolgen läßt. Das Haar verlor den ungehinderten Fall und rückte langsam nach oben, indem es aus dem Nacken in Flechten heraufgenommen und in einen Knoten oder ein Nest geschlungen wurde, während die Seitenlocken sich verkürzten zu dünnen, regel- rechten Spiralen, und über ihnen an den Seiten das Haar sich wulstig in die Höhe bauschte. Mit leichtem Schmuck versehen, ist das die Art, wie sie dem Uebergangscostüm bis etwa 1670 angehört; wir können sie auf allen Thronen und überall in der modischen Gesellschaft erblicken. Wir bemerken hier wieder das Streben, das Haar nach oben zu frisiren, was wir immer beobachten können, wenn die Lebens- und Gesellschaftsformen sich versteifen, mögen auch die Sitten lockrer werden. Immer mehr drängt die Frisur nach oben, und auf der nächsten Stufe legt sie sich mit kleinen, künstlich herge- stellten Löckchen in absichtlicher, scheinbarer Verwirrung — der Uebergangsform der Perrücke entsprechend — um den Kopf. Nun tritt die Neigung zum Grandiosen auf, aber statt gleich den Flügeln der Perrücke hinunterzugehen, wuchs die Frauenfrisur in die Höhe. Das natürliche Haar, worauf doch nicht gleich der Männerwelt Verzicht geleistet werden konnte, wurde nach Mög- lichkeit lockig hinaufgethürmt und mit Eiweiß und andern klebri- gen Stoffen so erhalten; allein, obwohl man nicht selten fremde Haare hineinflocht, so genügte das doch nicht: man brachte bunte Bänder und Schleifen an und baute daraus allmählig ein un- geheures Gebäude empor. Die Grundlage war ein Häubchen, welches das Haarnest im Nacken umfaßte; von diesem aus thürmte sich ein complicirtes Drahtgestell empor mit klarem weißen Stoff überspannt und buntfarbigen Bandschleifen dazwischen, terrassenartige Schichten bildend, von denen die hintere immer 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. die vorstehende überragte. Madame de Fontanges war es, die schöne aber geistlose Maitresse Ludwigs XIV. (gestorben 1681), welche als Taufpathin dieser Haube dient, weil sie einst auf der Jagd zum Schutz gegen die Sonne den Kopf in ähnlicher Weise mit Laub überbaut hatte. In Amaranthes Frauenzimmerlexikon (1715) ist die Beschreibung folgende: „ Fontange oder Aufsatz ist ein von weißen Spitzen oder Flor über einen absonderlich dazu gebogenen und umwundenen Draht in die Höhe gethürmte und faltenweise über einander gesteckte Haube, zwei-, drei-, oder vierfach hinter einander aufgezogen, um die Ohren herum abge- schlagen, gefältelt und mit geknüpften Bandschleifen von aller- hand Couleur sowohl von vorn als hinten gezieret und beflecket. Die gehörigen Theile dazu, woraus die Fontange geknüpft und zusammengestecket wird, sind der Haubendraht, die Commode, das Nest von Draht, der Teller darüber, die Pavillote und das Band.“ In vollendeter Form erhob sich dieses Gebäude wenig- stens anderthalb Kopflängen über dem Scheitel. Mit reißender Schnelligkeit verbreitete sich die Fontange gleich der Perrücke durch die Länder, ergriff von allen weiblichen Köpfen Besitz, die nur irgend darauf Anspruch machten mit der Mode zu gehen, und behauptete sich in dieser Eroberung über ein Menschenalter. „Wat schall ick van der dullen Dracht, van den Fontangen seggen, Denu de Jungfern alltomahl ahn Underscheed anleggen? Man legt dat Hahr up Isern Drat mit sünderlicken Flyt, Man neiht dat Band up Isern up: O rechte Isern Tydt, Man mackt se uther wysen hoch und hett de Maht verlahren, Man bout hier Pyramiden up. O recht hochbeende Jahren!“ So schreibt man aus Hamburg. Aber rascher noch als die Per- rücke erreichte die Fontange ihr Ende, als seit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts das Groteske und selbst Großartige, wie es die Glanzperiode Ludwigs XIV. gehabt hatte, mit diesem König selber und unter der bußfertigen Frömmelei der Maintenon dahinschwand. Schon vor dem Jahr 1710 giebt es Damen der III. Die Neuzeit. höchsten Kreise, die sie abgelegt haben, und das Jahr 1720 er- blickt sie schwerlich noch in diesen Regionen. Hier wurde sie rasch und völlig bei Seite geworfen, während sie in der untern bürger- lichen Welt langsam wieder zur Haube herabstieg. Es dürfte nicht schwer halten, hier und da auf den Köpfen der Bäuerinnen noch heutiges Tages ihre Spuren zu entdecken. Im Anfange dieser Periode war noch das schwarze Haar auch in der Damenwelt das am meisten geschätzte. Der Blei- kamm wurde daher fleißig benutzt und diente dann auch zugleich das Alter zu verbergen. Darauf bezieht sich das folgende Epigramm: „Ein Bleikamm schwärzt die Haare, Doch jüngt er nicht die Jahre: Das Alter kann er lügen, Hilft aber nicht zum wiegen.“ Da war es denn freilich den Damen, die in ewiger Jugend er- scheinen wollten, höchst willkommen, als mit der Vorliebe für Braun und Blond auch der Puder in größere Aufnahme kam und Jugend und Alter, ein schönes und ein häßliches Haar, alles vollkommen gleich machte. Aber es war nicht der Ausdruck der Jugend, den der Puder brachte, sondern der des Greisenalters, als ob er sagen wollte, es sei eine abgelebte Zeit, die man be- trete. Man fühlte das freilich selber nicht und war auf’s herr- lichste mit sich und dem Puder zufrieden, wie die folgende Aeuße- rung zeigt: „Insonderheit aber, wann man die Haarlocken mit wohlriechenden Pulvern überstreuet, so macht des Pulvers Weiße der Haare Schwärze so anmuthig schön, daß eine Jungfrau in gepuderten Haaren mehr einem Engel als Menschen ist zu gleichen.“ Es war mit eine Folge des Puders, des Schnees auf dem Haupte, daß eine Dame, wenn sie dennoch ein jugendliches An- sehen sich bewahren wollte — und welche hätte nicht die Absicht gehabt! — daß sie die Farben der Jugend, Weiß und Roth, in ihrem Gegensatze verstärken mußte. So sehen wir schon in 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. diesem und noch mehr im folgenden Jahrhundert einen außer- ordentlichen Gebrauch von den Schminken machen. Es waren nicht bloß „die lilienweißen Wangen, mit Purpur angemahlt“, überall, wo die Haut sichtbar wurde, und wie wir sehen werden, geschah das in ausgedehnter Weise, darf man auch künstliche Erhöhung des Teints annehmen. Die Satiriker reden oft da- von. So heißt es in der s. g. Jungfern-Anatomie: „Gott hat das Jungferthier nicht schön genug gezieret, Es will, wie Thais, fort mit Schminken sein beschmieret, Es will noch schöner sein, als die Natur gewollt, Damit sich’s möge nur durch Schönheit machen hold. „Wenn ich erzählen sollt, die Schminken alle sagen, Müßt ich vier Wochen erst die Apotheker fragen, Wodurch die Stirne glänzt, wodurch die Backen roth, Das ist dem Jungfernvolk ihr täglich liebes Brod. „Da müssen sein Zibeth, der Bisam, Balsam, Puder, Es muß bestrichen sein das ganze Leibgepluder Mit Salben bester Art. Es wäscht, es badet sich Das stolze Jungferthier ganz wunder-, wunderlich. Sie pflegen sonsten auch die Backen scharf zu reiben Mit rothem Leder sich die Röthe drauf zu treiben; Ja jene Jungfrau aß nicht mehr als Sauerkraut, Vermeinte dadurch auch zu kriegen schöne Haut.“ Ein besonderes und viel gebrauchtes Mittel, den Gesichts- teint fein und zart zu erhalten, war die Nachtmaske , von welcher das Frauenzimmerlexikon die folgende Beschreibung macht: „Masquin ist eine aus weißem Wachs, Froschlaich- wasser, Pomade, Wallrath und Kampfer verfertigte und auf eine zarte Leinwand gestrichene Massa, woraus sich die Dames Mas- quen über das Gesicht zuschneiden und zu verfertigen pflegen, welche ihnen zarte und weiße Haut machen soll.“ Die Verstärkung der Gegensätze und dadurch beabsichtigte Hebung des Teints rief auch den Gebrauch der Mouches oder Schönheitspflästerchen hervor, wenn auch vielleicht ihre erste Anwendung dazu gedient hatte, Unreinheiten der Haut zu III. Die Neuzeit. verdecken. Rachel sagt davon in seinem Gedicht von den „bösen Sieben“: „Sie klebet an’s Gesicht, wiewol es unverletzet, Ein schwarzes Pflastermahl, damit der weiße Schein Der schneegleich Wollen-Haut mag offenbarer sein.“ Anfangs hatten diese kleinen schwarzen Taffetstückchen, die man in einer feinen silbernen oder hölzernen Büchse verwahrte, runde Form, aber man blieb nicht lange dabei, sondern schnitt sie in Figuren aus, in Sonne, Mond oder Sterne, in Gestalt von Fliegen, Käfern und andern kleinen Thieren, oder worauf sonst die Phantasie der Damen verfallen mochte. In Bezug auf die Plätze, wo sie angeklebt wurden, entwickelte sich ein völliges System mit bestimmten Namen, eine stumme, aber verständliche Sprache, die jedesmalige Stimmung, Laune und Absicht der Trägerin anzudeuten. Trat eine hochgebietende Dame, die Mouche mitten auf der Stirn, in den Salon, so erkannte die versammelte Gesellschaft an diesem Zeichen, la majestueuse ge- genannt, daß die Dame bereit sei, die ihr gebührenden Hul- digungen in Empfang zu nehmen; Gang, Gebärde, Blick waren natürlich mit der Bedeutung der Mouche in Harmonie gebracht. Wenn die Mouche heitere Laune verkünden sollte, so fand sie ihr reizendes Plätzchen auf der Falte, welche das Lächeln in die Wange zieht; sie hieß l’enjouée. La passionnée saß im äußern Winkel des Auges, la galante mitten auf der Wange, la baiseuse im Winkel des Mundes, l’effrontée über der Nase, la coquette über den Lippen und la reveleuse , die enthüllende, an der Gränzscheide verborgener Reize, auf dem Busen. Ein einziges Fleckchen pflegte selten zu genügen, es müßte denn sein, daß es durch seine Einsamkeit eben die entsagende Stimmung hätte bezeichnen sollen; häufig ist wohl ein halbes Dutzend und mehr noch von verschiedener Größe und Form über Gesicht und Busen vertheilt. Bei der Männerwelt blieb diese Sitte keineswegs ohne Wi- derspruch, und sie veranlaßte manches beißende Epigramm. So lautet eines von Hoffmannswaldau: 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. „Was pflegst du doch mit schwarzen Flecken, Mit Mouchen dein Gesicht, schwarze Chloris, zu bedecken? Du hast die Tugenden verpachtet Und bist ein öffentliches Haus, Wo alles kann logiren, Und um dir Gäste zuzuführen, Steckst du gewiß allhier die Zeichen aus.“ Schwach klingt dagegen die Vertheidigung, welche mehr schüch- tern als wahr die Dichterin Frau von Ziegler unternahm: „Ihr Spötter, tadelt nicht an uns der Mouchen Schein, Seht ihr denn Sonn und Mond befreit von Flecken sein? Mir dünkt es sei erlaubt, mit selbigen die Flecken, Die die Natur uns macht, im Antlitz zu bedecken.“ Viel eher hätte sie den Spott zurückwerfen können, denn von der Perrücke und andern Thorheiten abgesehen, scheint es wirk- lich nicht wenige süße Herren gegeben zu haben — auf Mode- bildern sind sie nicht selten — welche gleichfalls ihr Gesicht mit Schönpflästerchen verzierten. Den Charakter der Frauenkleidung dieser Zeit bedingen, wie schon oben angegeben, die Schleppe und die Schnür- brust , wozu sich noch die Decolletirung gesellt. Zu den beiden letzten hatte schon die vorige Periode den Anfang gelegt; die Schleppe aber gehört der Zeit Ludwigs XIV. als allgemeine Tracht eigenthümlich an. Zwei Kleider, das untere und die Robe, als zur vollkom- menen Damentoilette gehörig, überkommt diese Periode schon von der Vergangenheit. Die Robe hatte die vordere Oeffnung vom Halse bis herab zu den Füßen, welche sie auch beibehielt. Wenn sie angezogen war, berührten ihre Seiten sich nur in der Spitze der langen und engen Taille; dann liefen sie nach oben auseinander gleich den Schenkeln eines spitzen Winkels über die Schultern, welche sie halb bedeckten, während der untere Theil, der eigentliche Rock, alsogleich nach hinten übergeschlagen wurde, daß die untere und obere Farbe sammt der des Kleides in gleicher III. Die Neuzeit. Weise wirkten; in einer langen und vollen Schleppe fiel sie so- dann auf den Boden. Das war die Form, wie sie sich am Hofe Ludwigs XIV. herausbildete und welche mit absoluter Autokratie allen Schwankungen des Uebergangscostüms ein Ende machte. Sie behauptete sich, Kleinigkeiten der Mode abgerechnet, die ganze lange Regirung Ludwigs hindurch. Vornehmen Damen, die sich öffentlich zeigten oder in Gärten promenirten, trug ein Diener die Schleppe, oder, was bei weitem nobler war, ein Mohrenknabe. Bedenkt man, daß die Robe eigentlich nie oder selten ge- blümte Muster zeigte, sondern in vollen und tiefen Farben, die nur durch Gold und Silber gehöht waren, auf’s kräftigste wirkte; daß sie aus dem schwersten Sammt- oder Seidenstoff bestand, also nur in großen, mächtigen und eckigen Falten sich brach; daß sie ihrer ganzen Form nach, die noch auf den Hüften durch Wülste erhöht war, ausbauschte und das Maß weit überschritt: so läßt sich leicht einsehen, daß das Grandiose und Groteske der vorliegenden Periode in Bezug auf die weibliche Toilette neben der Fontange sich vorzugsweise in diesem Kleidungsstück aus- sprach, und daß dasselbe die Erscheinung einer Dame um so mehr in diesem Sinne wirken ließ, als es einen langsam majestätischen Gang gebot. Auch das Kleid, obwohl es vorn fast senkrecht herunterfiel, trug hierzu bei, wenigstens bei der vornehmen Dame, durch die Schwere des Stoffs, welcher sanfte und fließende Falten verhinderte, sowie durch die großblumigen Muster, wäh- rend das Leibchen mit der langen und engen, durch die Schnür- brust erzwungenen Taille, der feine Spitzenbesatz an Arm und Brust die übertriebene Zierlichkeit auf’s deutlichste aussprechen. Es liegt somit ein nicht geringer Gegensatz in der obern und untern Hälfte einer weiblichen Erscheinung jener Zeit; dadurch ist sie unnatürlich, gemacht, affectirt, das Gegentheil von An- muth und feiner, freier Grazie. Etwas Neues war die Schnürbrust damals nicht mehr, da ihr bereits die Verbindung mit der Vertugalla im sechszehn- ten Jahrhundert zu großer Bedeutung verholfen hatte. Als die 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. Taille dann in der Periode des Naturalismus fast zu weit hin- auf rückte, verlor sie an Ansehen, um jetzt auf’s neue antinatura- listisch bis zur französischen Revolution ihre eigentliche Blüthe- zeit durchzumachen. Sie ist als die Hauptrepräsentantin des Zeitgeistes in Bezug auf Einengung und Beschränkung zu be- zeichnen, und fand selbst in die bürgerlichen Kreise den Ein- gang, welche sonst der Mode widerstrebten. Eine ausführliche Beschreibung giebt das Frauenzimmerlexikon: danach besteht sie aus einer Anzahl Fischbeinstäben, welche mit Stoff verbunden und mit Achselbändern versehen sind, „unten aber um und um mit eitel abgetheilten Schuppen oder s. g. Schößlein, worinnen das Frauenzimmer ihren Leib zusammenzuschnüren und zu be- festigen pfleget“; der Schnürsenkel befindet sich auf dem Rücken. Nicht selten aber muß die Schnürbrust selbst als Mieder oder Leibchen dienen; sie ist dann mit Seide, Taffet, Damast über- zogen, mit Gold und Silber gestickt, und vorn mit gleichen Schnürsenkeln versehen. So wird sie auf zahlreichen Bildern sichtbar. Es war ein Prachtstück, das in allen Ständen getragen wurde und heutiges Tages noch vielfach in der Volkstracht zu sehen ist. Die Schnürbrust drängte wieder die Taille herab, wie sie den Busen erhob, und erhöhte diesen Eindruck durch die vorn sich tief herabsenkende steife Spitze mit dem Blankscheit . „Bald schnürt sie sich behend und läßt ein Hölzlein schnitzen, Damit sie unvermerkt den schmalen Leib kann spitzen.“ Mit der Länge der Taille wuchs der Widerspruch zwischen der gewaltigen, hinten emporstarrenden, durch Wülste erhöhten Robe und der feinen, auf kleinstem Raum darauf sitzenden Büste, so- daß die äußere Erscheinung einer Dame immer unnatürlicher wurde. Verfolgen wir das Profil derselben auf der Rückseite von der hohen Fontange herab bis zum Ende der massenhaften Schleppe, ohne uns die Vorderseite hinzuzudenken, so möchten wir kaum vermuthen, daß diese Linie bei den Sprüngen und spitzen Winkeln, welche sie macht, einer menschlichen Gestalt an- gehört. Daß durch übermäßiges Schnüren an die Stelle der III. Die Neuzeit. freien und leichten Beweglichkeit und grazioser, gazellenartiger Elasticität ein geziertes und affectirtes, grotesk steifes Wesen trat, war natürlich, fiel aber niemand auf, da man grade in dieser Unnatur die Schönheit suchte und auch zu finden glaubte. Es war daher ein vergebliches Bemühen der Aerzte, wenn sie vom Standpunkte der Gesundheit aus eine Reihe Bücher gegen das Corsett verfaßten; sie schrieben und opponirten umsonst, so lange die Mode dauerte, bis ein Weltereigniß kam und besseren Erfolg hatte. Die Entblößung traf diesmal Arm und Brust in gleicher Weise. In Bezug auf den Arm hatte die vorhergehende Periode nur erst die Andeutungen gegeben, indem sich die Aermel des Kleides zwar bis zum Ellbogen zurückgezogen und hier in weiten „Palten“ umgelegt hatten, aber der Unterarm war noch mit dem weiten, faltigen, feinen Hemdstoff, mit dem sich Spitzenman- schetten verbanden, bedeckt gewesen. So ist noch die Form der Uebergangszeit bis 1670. Nur selten wird ein Stück des Unter- arms sichtbar. Dann aber öffnet sich der weiße Stoff und hängt nun mit feinem Spitzenbesatz frei, luftig und faltig aus dem wei- ten Halbärmel des Kleides heraus. Damit vollendet sich an dieser Stelle die französische Hoftracht. Der Unterarm ist nun seiner Bedeckung ledig, doch konnte die Koketterie dieser Zeit, die sich auf das Lüstre, den Reiz des Helldunkels wie keine andere verstand, mit der halben Verhüllung eines schönen Arms durch den klaren, herumflatternden Stoff ein lockendes Spiel treiben. Fast dieselbe Mode sahen wir in unsern Tagen wieder auftauchen. Aehnlich hatte sich die Decolletirung gestaltet und der Kragen sich demgemäß verändert. Wir haben schon gesehen, wie er auf der Gränzscheide der Periode nicht mehr am Halse schließt, sondern herabfallend in gleicher Breite rings den Aus- schnitt des Kleides begleitet. In der Art, wie er zum Ueber- gangscostüm (1650—1670) sich verwandelt hat, ist er kaum noch ein Kragen zu nennen. Es ist ein klarer, loser Stoff, welcher, an verschiedenen Stellen durch Schleifen von Goldschnüren und 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. Bändern oder durch Geschmeide faltig zusammengefaßt, sich um Schultern und Brust am Saum herumzieht. Als nun die Robe, von der Spitze des Leibchens aus einander gehend, den obern Saum des Kleides überschnitt und einen Theil der Schultern verdeckte, mußte sich auch diese Kragenform ändern und damit überhaupt der Kragen verschwinden. Nun erhielt das Hemd einen Spitzenbesatz, der wie am Arm, so an Brust und Schultern aus Kleid und Robe in freien Falten hervorquoll, nichts ver- deckte, aber doch über die Tiefen seine leichten Schatten warf. So blieb es bis in den Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Man kann nicht sagen, daß die Decolletirung in dieser Periode zugenommen habe, eher war das Gegentheil der Fall, und nur das läßt sich zugestehen, daß sie sich mit der französischen Tracht weiter in den bürgerlichen Kreisen ausbreitete. Dieser Umstand mochte auch wohl die lebhaften Angriffe hervorrufen, welche von Seiten der Aerzte und der Sittenrichter in Ernst und Scherz gegen sie gerichtet wurden. Da heißt es: „Frauenvolk ist offenherzig: sowie sie sich kleiden itzt, Geben sie vom Berg ein Zeichen, daß es in dem Thale hitzt.“ Oder: „Jungfern, die die Venushügel blößen unverholen, Blasen zu dem Liebesfeuer jedem auf die Kohlen.“ Am ernsthaftesten meint es der Verfasser einer Schrift, welche im Jahr 1686 erschien und den Titel führt: „Die zu jetziger Zeit lüderlich und leichtsinnig entblößeten Brüste des Frauenzimmers und die darauf gehörige und hochnöthige Decke.“ Die versificirte Vorrede beginnt also: „Komm, Lüsteler, anher, der du nach Brüsten siehest, die schändlich seyn entblößt und weit herausgelegt, Lies diese Blätter durch, eh du dich so bemühest; ich weiß, die schnöde Lust sich nicht so sehr mehr regt. Kommt näher doch anher, ihr Frauen und Jungfrauen, die ihr mit Brüste-Schmuck vielfältig gehet um; III. Die Neuzeit. Ach leset, was hier steht, ich weiß, es wird euch grauen, forthin also zu thun. Denkt, daß das Christenthum Ein andres haben will“ … Der Verfasser glaubt sich dann gegen den Vorwurf verwahren zu müssen, als hasse er das weibliche Geschlecht: er meine nicht „gottselige, zucht- und tugendliebende Frauen und Jungfrauen“, welche er „für Gottes sonderbares, künstliches Geschöpfe und Töchter“ hält. Merkwürdiger Weise beginnt er mit einer „Be- schreibung der Weiberbrüste und derselben Lobsprüche“, und kommt dabei mit vieler Gelehrsamkeit, obwohl nicht auf ana- tomischem oder physiologischem Wege, zu dem Resultat: „Darum seien die weiblichen Brüste hoch zu loben; darum heißen sie sedes amorum, indem der allerweiseste Weiberschöpfer solche nicht al- lein äußerlich schön gebildet, mit einer artlichen Runde, sub- tilenen Weiche und mehr als alabasternen Weiße begabet, auch künstlich neben einander gesetzt, als zwei junge Rehen-Zwillinge, die unter Rosen weiden.“ Die Entblößung sei übrigens nicht bloß Sünde, sondern schwere Sünde, teuflische Sünde und „laufe wider den ganzen Katechismum.“ Noch ein merkwürdigerer Ge- danke des Verfassers ist der, daß er sein Buch von einer adligen Dame in Versen lobend begleiten läßt. Frau Eva Maria von R. beginnt also: „Ich kann nicht anders als gut heißen und belieben, Was du, mein Werther, hast von Brüsten hier geschrieben, Von Thorheit meines Volks. Die Brust ist ehrenwerth, Doch daß sie ehrbarlich allzeit bedecket werd, Das ist der Ehren Schmuck, den Gottes Geist selbst rühmet An den Großmüttern, so uns allen auch geziemet“ .... Es scheint, als ob die natürlichen Reize, die in hinläng- licher Fülle zur Schau getragen wurden, den schweren ächten Schmuck an edlen Metallen und Edelsteinen überflüssig gemacht hätten. Schon der phantastische Flattergeist der vorigen Periode behing sich lieber mit dem leichten Tand von Federn und Bän- dern, was sich noch im Uebergangscostüm fortsetzt. Dann sehen 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. wir in der Zeit Ludwigs XIV. , die höchste Gala ausgenommen, wo man sich mit allem belud, was man hatte, die Damen sehr einfach geschmückt: hier und da ein Geschmeide in den Haaren, regelmäßig eine Perlenschnur mit einem Kreuzchen daran um den Hals und am Arm ein gleiches Band. Zu diesem Geschmack der feinen Welt hatte sich die bürgerliche freilich noch nicht er- hoben: hier trug man, was man aus dem sechszehnten Jahr- hundert her, der eigentlichen Blüthezeit des Schmuckes, von Vätern und Müttern ererbt hatte und fügte den windigen Tand der nächstvergangenen Periode hinzu. Die Entblößung des Arms veränderte auch den Hand- schuh , der nun lang bis zum Ellbogen getragen wurde, da der Arm des Schutzes bedurfte. Gestickt und mit Spitzen garnirt, konnten sie damals sehr hoch zu stehen kommen. — Ganz die- selbe Ursache rief auch in dieser Zeit den Gebrauch des Muffs hervor, der völlig die Gestalt des heutigen hatte. Es trugen ihn die Herren wie die Damen, da auch bei jenen der untere Theil des Armes nur mit dem Hemd bedeckt war. Die Schuhe , welche um das Jahr 1650 vorn noch einen graden, breiten Schnitt hatten, spitzten sich zeitgemäß wieder zu. An Natürlichkeit gewannen sie nicht, denn sie erhielten so hohe, spitzzulaufende rothe Absätze, daß der Fuß nur wie auf zwei Punkten in schräger Richtung ruhte. Der Gang, der ohnehin durch die Kleidung steif und langsam war, wurde dadurch noch mehr gehindert und nichts weniger als erleichtert, wenn die Dame draußen, um gegen Staub und Schmutz gesichert zu sein, Galoschen trug. Uebrigens waren die Schuhe von den feinsten Stoffen, von gepreßtem Leder, Seide, Sammt, gestickt und sonst verziert, was auch mit den farbigen Strümpfen geschah. Wie die männliche Erscheinung noch durch Degen und Stock ergänzt wurde — wir kommen in der nächsten Periode darauf zurück —, so die weibliche durch den Fächer , dessen Gebrauch und Form sich nicht änderte; nur hatte der Faltenfächer die übrigen verdrängt. Zuweilen zog die Dame auch jetzt schon den männlichen Stock vor. III. Die Neuzeit. Als sich das gesammte Costüm einmal zu der Vollständig- keit herausgebildet hatte, daß ein Stück mit Nothwendigkeit das andere bedingt, gemäß dem nunmehr universalistischen Charakter der Zeit, wie er in dem großen König selbst sein Ideal findet, da ergriff es auch mit derselben Universalität, mit derselben Aus- schließlichkeit Besitz von allen gebildeten Kreisen des christlichen Abendlandes, von allem, was nur nach der Mode und mit der Mode zu gehen trachtete. Und noch mehr. Dieses Geschlecht gefällt sich so sehr in seinem Kleide, daß es daneben, sei es in der Kunst, in der Geschichte oder auf der Bühne, kein anderes mehr gelten läßt. Die ersonnenen Figuren der Allegorie, die Tugenden und die Laster z. B., die Personen der Mythologie und der Geschichte, die Helden und Heldinnen der Tragödie — sie werden alle mit Perrücke und Fontange, mit goldbordirtem Rock oder Robe und Schleppe, mit Schuhen und Strümpfen völlig salonfähig gemacht. Selbst der Grazie legt man ein Wachtelhündchen in den Schooß und der Sphinx setzt man die Fontange auf. Pallas im Kriegswagen mit Helm und Schwert und die Venus im Roccocosessel, beide mit der Schnürbrust, mit Schönpflästerchen und andern Toilettengegenständen sind in vollständiger Tournüre, nur das nackte Bein und Sandalen erinnern an den Olymp, den Göttersitz. Selbst der Schäfer Paris, der die Miene eines träumerisch am Felsen dahingegos- senen Schwärmers annimmt, schmachtend in unbefriedigter Sehn- sucht, bemitleidet von Hund und Schafen, er trägt die Perrücke, Schönpflästerchen auf der Wange wie ein männlicher Stutzer, um den Hals ein gesticktes Tuch, Manschetten an den Händen, den goldbordirten Rock und Weste, Schuhe mit hohen Absätzen und Zwickelstrümpfe. Ja nicht einmal Christus und die Erz- väter bleiben ungeschoren; auch sie tragen wohl die Perrücke und das kleine Bärtchen à la royale . Auf der Bühne konnte man damals den „Herrn Cato“ sehen mit der Staatsperrücke und dem dreieckigen Hütchen, mit der ganzen salonfähigen Kleidung und dem feinen Degen an der Seite, und Iphigenie mit Fontange, Robe und Schnürbrust und mit dem wehenden Taschentuch in 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. der Hand. Es ist das eben die Consequenz der Zeit, die im Ge- fühl des Rechten und Schönen that, was das funfzehnte Jahr- hundert und das frühere Mittelalter in naiver Unkunde gegen die Geschichte gesündigt hatten. Aber man muß sagen, es war gewissermaßen eine nothwendige Consequenz, der letzte Schritt, denn eben die Götter der Kunst und die Helden des Theaters waren völlig Kinder ihrer Zeit, vom Künstler und Dichter so ge- fühlt und geschaffen, in jedem Wort und jeder Gebärde — kurz, in solcher Weise Kunstwerke aus einem Guß. Wie anders ist nun grade in dieser Zeit der Anblick der bürgerlichen Welt ! Nach der einen Seite, nach oben hin, haben wir den vollständigsten, durchgebildetsten Universalismus der Mode; wer abweicht, steigt in der Stufenleiter der mensch- lichen Gesellschaft herab; ein Kleid, die gleiche Form, der gleiche Schnitt bedeckt sie alle. Aber nach unten hin ist die Bildung der Volkstrachten in den Städten wie auf dem Lande in vollem Gange. Da sind stehen gebliebene Stücke des sechszehnten Jahr- hunderts, zur Amtstracht erstarrt oder vom eigensinnigen Alter halsstarrig festgehalten, oder sie haben sich gewissermaßen auf Irrwegen, abgekommen von der großen Heerstraße der Mode, umgebildet zu neuen und wieder festgewordenen Formen, denen kaum noch ein kundiges Auge den ersten Ursprung ansieht. Da steht auch noch die flotte, freie Tracht des großen Kriegs in frei- lich stark beschnittener Blüthenpracht, und daneben schauen an- dere mit sehnsüchtig neidischem Blick nach der Mode der vorneh- men Welt, harrend nach dem Neuen, das über den Rhein her- überkommen soll. Und das alles zusammen, das Alte und das Neue und die inzwischen eingetretenen Veränderungen, findet sich oft in wunderlicher Mischung an demselben Körper vereinigt. Niemand nimmt daran Anstoß, da doch jedes Stück seiner Zeit entspricht und in einem Costüm das eine nothwendig zum andern gehört. So verhält es sich z. B. mit den Amtstrachten in den deutschen Reichsstädten, die in denselben gewissermaßen ein Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 17 III. Die Neuzeit. Symbol ihres ganzen inneren Zustandes finden. In Verfassung und Lebensformen erstarrt, aus denen der Geist, die Bewegung und Fortbildung gewichen ist, können sie doch die Anforderungen der neuen Zeit nicht abweisen und müssen es sich gefallen lassen, daß beides, das Alte und das Neue, sich neben einander und mit einander einzurichten sucht, wie wunderlich es auch oft her- gehen mag. Das ist nicht anders, wenn wir einen Raths- herrn in seiner vermeintlich stolzen und ehrwürdigen Tracht sehen, wie sie allen diesen Städten, Lübeck, Hamburg, Augsburg, Nürnberg u. a. gemeinsam ist. Derselbe trägt wirklich noch die alte Schaube als sein eigentliches Staats- und Ehrenkleid — wir erkennen sie auf’s deutlichste —, aber es ist vorbei mit der alten Pracht und Herrlichkeit. Was wir erblicken, ist nur ein Schatten von dem mächtig breiten Pelzüberwurf, dem Symbol des alten stolzbewußten Patrizierthums: ein dünner seidner Rock ohne Taille mit kurzen, zierlich benähten Schulterärmeln, aus denen die mächtig breiten Palten oder Aermelumschläge des fran- zösischen Justaucorps, das er darunter trägt, sich hervordrängen. Um den Hals sitzt fast breiter als je die spanische Krause, und darauf legen sich, in ihrem Flusse gehemmt, die Flügellocken der Perrücke, die in der modischen Welt ja selbst den letzten Rest des Kragens vernichtet hatte. Um die widerspruchsvolle Mischung zu erhöhen, sitzt auf der Perrücke noch der steife spanische Hut von Seide, mit spitzem, rings um in Falten gelegtem Kopfe und breiterem Rande. Das ist eine wunderliche Tracht, auf welche die antiquarische Partei, über ihr Alter in arger Täu- schung befangen, dennoch stolz ist und welche sie bezeichnet als „wohl recht eine Krone und Zierde der löblichen Antiquität, ja gleichsam eine unauslöschlich brennende Glorfackel von dem aller- ältesten Anfang.“ Um so stolzer ist sie darauf, als sie sich nicht verhehlen kann, daß das Neue immer mehr Boden gewinnt, wie die folgende Stelle zeigt, welche im Jahr 1669 in Nürnberg ge- schrieben wurde: „Und obzwar wohl die allschädlichen Schaben französischer und anderer unziemlicher Kleidermoden bei ge- ringeren Standstrachten etlichermaßen ziemlich in die altehr- 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. bare Antiquität sich eingeschlichen, auch selbige beinahe ganz verzehret und verändert, ja wohl gar mit solcher schändlichen Veränderung bei vielen die altdeutsch gesinnten Gemüther zu- gleich angestecket haben, daß man anstatt der altehrbaren Ehren- trachten ein freches Modakleid und wollüstiges Affengeputz zum Theil ergriffen, so ist und bleibet doch die uralte Staats- und Kirchentracht in ihren Habiten dadurch unverändert und unan- getastet, als welche da billig die helle Ruhmfackel der Ehre und des Alterthums unserer preißlöblichen Noris sich zu sein er- weiset.“ In diesem überschwänglich perrückenhaften Ton geht es noch weiter. In der That kleidete sich damals schon die ganze Männer- welt der deutschen Städte, die untersten Classen und einzelne Gegenden wie Holland ausgenommen, nach französischer Weise; Krause, Kragen und die luftig leichte Kleidung hatte sie ab- gelegt. „Deutschland hat das Leben uns, Frankreich aber Kleider geben, Es verändert uns das Kleid, und wir ändern unser Leben.“ Etwas anderes ist es mit dem weiblichen Geschlecht, bei welchem sich neben der französischen Tracht eine Menge verschie- dener Formen ziemlich das ganze Jahrhundert hindurch behaup- teten und selbst noch in das achtzehnte mit hinüber gingen. Hier ist die große Krause noch 1650 selbst bei jüngeren Damen nichts seltnes, während gleichzeitig die Klagen über Entblößung der Brust schon vorhanden sind. Bald werden die hohen „Auf- sätze“ in den Kleiderordnungen beschränkt, und gleich nach 1670 zeigt sich auch auf Bildern die Fontange, aber mit dem am Hin- terhaupt befestigten Regentuch verbunden, einem mantelartigen Umhang, mit dem die Bürgerin und selbst die Patrizierin großen Luxus trieb, und welches die vornehme Welt gar nicht kannte. Eine Menge verschiedener Kopftrachten bilden sich in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts aus den alten Formen her- aus, so die Marderhaube , eine ungeheure Pelzkugel, die 17* III. Die Neuzeit. Flinderhaube , eine stattliche Erweiterung des kleinen Gold- oder Silberhäubchens, das Muschelbund und viele andere. Fast jede Stadt hat andere Namen, die wir aus Chroniken und Luxusordnungen kennen lernen. Selbst den hohen spanischen Männerhut tragen noch Nürnberger Damen im Sommer über der Flinderhaube. Auf diese Zustände der bürgerlichen Classen paßt die Be- schreibung, welche Rachel in der schon erwähnten Jungfern- anatomie giebt. „Das Haar muß zimperlich zu beiden Seiten hangen, Damit man nicht zu sehr sieht ihre silbern Wangen; Ein andre das Gesicht mit Floren hat bedeckt, Und ihrer Schönheit Pracht darunter hat versteckt. „Ein andre läuft daher in ihrer Buschelmützen; Ein andre schauet man in weißem Schleier sitzen; Ein andre trägt die Mütz der Männer aufgesetzt, Ein andre vielmals auch an Hauben sich ergetzt.“ Diese verschiedenen Kopftrachten, denen sich in gleicher Weise originell gestaltete Jacken, Leibchen und Mäntel zugesel- len, galten allgemein als deutsche und nationale und mit localer Beschränkung waren sie es auch in der That. Dennoch finden sie bei den Gesetzgebern nicht allzugroße Begünstigung, und es dürfte der seltnere Fall sein, daß eine Kleiderordnung sich gegen die fremden, d. h. französischen Moden richtet. Der Grund liegt einfach darin, daß diese deutschen Trachten viel kostbarer waren als die französische; mit der Marder- und Flinderhaube z. B. konnte die leichte Fontange keinen Vergleich eingehen. Und nach dem Elend des dreißigjährigen Kriegs, der den Leichtsinn und die Verschwendung nur gefördert hatte, sahen es die Gesetze wirklich mehr auf die Beschränkung des Luxus ab als auf den Unterschied der Classen, den die mit absoluter Herrschaft auf- tretende französische Mode ohnehin im Aeußern mehr und mehr verwischte. Das ist auch die Ursache, warum die Kleiderord- nungen, deren in dieser Periode noch eine ziemliche Anzahl vor- 4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode. kommen, allmählig verschwinden und im nächsten Jahrhundert ganz erlöschen. Interessant ist im Kampf mit der französischen Mode die Trachtengeschichte Straßburgs. Diese Stadt hatte sich bisher durch eigenthümliche Formen ausgezeichnet und sie mit Vorliebe festgehalten. Als sie aber im Jahr 1685 französisch wurde, da mußten Bürgermeister und Rath unter Bestätigung und Ver- schärfung des französischen Intendanten ein Mandat erlassen, welches die deutsche Tracht verbot und binnen vier Monaten die französische anzulegen befahl. Die Stadt fügte sich. Allein im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts bildeten sich grade aus der französischen Mode wieder neue feste Formen als Volkstracht heraus, welche zu Goethe’s Zeit, wie wir aus Wahrheit und Dichtung wissen, wieder als deutsche galten im Gegensatz zur Mode von Paris. Auch diesen machte ein absoluter Befehl ein Ende, der nur die wenigen höflichen Worte in einer „Procla- mation der Volksrepräsentanten“ enthielt: „Die Bürgerinnen Straßburgs sind eingeladen die deutsche Tracht abzulegen, da ihre Herzen fränkisch gesinnt sind.“ Aber es war das Schreckens- jahr 1793, und die Volksrepräsentanten, deren Namen darunter standen, waren St. Just und Lebas. Es ist leider an dieser Stelle nicht weiter möglich, der länd- lichen Volkstracht im Einzelnen nachzugehen, da sie sich nun ins Unendliche zersplittert, wenn sie auch ihre gemeinsame Aus- gangsquelle hat. Zwar hatte der dreißigjährige Krieg unter dem, was das sechszehnte Jahrhundert übrig gelassen, nament- lich an dem männlichen Aeußern bedeutend aufgeräumt und seine eigenen Formen an die Stelle gebracht, aber auch diese gingen bald wieder aus einander. Es kam dann in den Kriegen Ludwigs XIV. das Französische dazu, nachdem auch die eigen- thümlichen städtischen Bildungen bereits auf das Land hinaus- gedrungen waren. So verschieden nach Zeit, Ort und Um- ständen das geschah, so verschieden und bunt zusammengesetzt aus den Formen mehrerer Gegenden und mehrerer Zeiten ent- wickelten sich auch die Volkstrachten. Noch heute können wir III. Die Neuzeit. manches von den damaligen Gestaltungen erkennen, so an dem kurzen Rock und dem Filzhut des Baiern den dreißigjährigen Krieg, Ludwigs XIV. Hofkleidung aber an dem langen Schooß- rock, Schnallenschuhen, Kniehosen und Strümpfen und an dem aufgekrämpten Hut des schwäbischen Bauern. Es ist auch ein Beispiel von der Geschichte irdischer Herrlichkeit. Fünftes Kapitel. Die Periode des Zopfes und die Revolution . 1720—1805. Wir werden in dieser Periode, von dem Sinken der Staats- perrücke an bis zur Entfesselung der elementaren Natur durch die französische Revolution mitten unter den wie in eine Sackgasse verrannten Gesellschaftszuständen, abermals zwei sich entgegen- stehende Richtungen zu verfolgen haben, die aber weniger wie die beiden Seiten am Geist der Staatsperrücke einen gemein- samen Charakter bilden, als sie sich mehr oder weniger aus- schließen und gegenseitig bekämpfen. Sie treten daher auch nicht von Anfang an mit gleicher Stärke und Energie auf, sondern die eine und dann die andere macht sich in dem Grade vor- herrschend oder wenigstens kenntlich, daß der ganze Zeitraum sich in zwei Abschnitte zerlegt, deren Scheide etwa die Mitte des Jahrhunderts bildet. Diese Richtungen lassen sich wieder als Naturalismus und Antinaturalismus bezeichnen, von denen der letztere nur die Fortsetzung des schon hundertfunfzig Jahre in der Bewegung begriffenen Stromes ist, den die Ideen der Neuzeit immer auf’s Neue zu durchbrechen und abzuleiten suchen. Aber die antinaturalistische Richtung des achtzehnten Jahrhunderts unterscheidet sich von derjenigen der vorhergehenden Periode da- durch, daß sie wesentlich nur die Abschwächung, das Aussterben der bewegenden Kräfte und Ideen enthält, welche jener noch III. Die Neuzeit. einen großartigen Charakter aufzudrücken vermochten. Insofern aber grade mit ihnen sich die Zeit auf falschem Wege befunden hatte, liegt in diesem Verfall auch eine leise Neigung zum Bes- seren, freilich ebenso auch eine zunehmende Versteifung in Formen und Formeln, denen das Leben entweicht. Wir haben schon in der Geschichte der Perrücke gesehen, wie dies Symbol der aufgeblasenen, von Eitelkeit strotzenden Herrlichkeit bald nach dem Beginn des neuen Jahrhunderts zu immer kleinerer und bescheidnerer Form zusammensinkt, wie immer dicker der Puder sich darüber legt und mit seinem Schnee an die Kälte des Winters und die Schwäche des Greisenalters erinnert. Ebenso könnten wir, wenn wir uns tiefer in die Cul- turzustände einlassen wollten, das geistige Leben in Schwächlich- keit dahin siechen sehen. Enger und enger zieht sich das Bürger- thum in die Spießbürgerlichkeit, in die kleinsten, völlig abge- schlossenen Kreise der Familien und Freundschaften zurück und läßt die Dinge da draußen gehen, wie sie wollen. Es ist frei- lich nicht Schade darum, wenn aus der Poesie der colossale Bombast und Schwulst eines Lohenstein und seiner Nachfolger vertrieben wird, wenn die schamlose Sinnlichkeit in Worten sich züchtiger anläßt, wenn die Ungeheuerlichkeiten und Absurditäten aus der Oper und dem Volksdrama und die Späße Hanswursts und das wüthige Rasen der Komödianten von der Bühne ver- jagt werden; aber es ist kaum ein Gewinn zu achten, wenn nun leere Nüchternheit, fast die reine Prosa oder höchstens schön- klingende Gemeinplätze an die Stelle treten und die sogenann- ten aristotelischen drei Einheiten jegliche Freiheit nehmen. Auch hierfür holte man die Muster aus Frankreich. Es ist wahr, auch die großartigen Prachtbauten aus der Periode Ludwigs XIV. waren mit einem bombastisch sinnlosen Schwulst der Ornamente überladen worden; aber es hatte sich doch Kraft und Kühnheit geäußert in dem hohen, tiefe Schatten werfenden Relief, in den hervorspringenden Profilen, in den sich brechenden und bäumenden Linien: jetzt schwindet das alles zu- sammen, die Profile ziehen sich ein, die Ornamente werden flach 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. oder hören ganz auf, kein Wechsel mehr von Licht und Schatten, und endlich langt die ganze Architektur, nur allein auf Nützlich- keit beruhend, bei dem Idealstil des Büreaukratismus, beim Casernenstil, an. Wie die Malerei in ihren Gegenständen sich abschwächt, haben wir schon oben angedeutet. Nach der großen lebensvollen Historie des Rubens und seiner nächsten Schüler und Nachfolger steigt sie in ihrer Neigung zum Genre, zur Landschaft, zum Stillleben und zur Blumenmalerei herab, worin wir freilich auch immerhin die leise Ahnung eines erwachenden Naturgefühls er- kennen mögen. Daneben liegt, die Herrlichkeit Ludwigs XIV. begleitend, die pathetische Historie Lebrun’s, die nur zu gern, Bewegung und Ausdruck übertreibend, das Maß des Schönen überschritt. Im achtzehnten Jahrhundert tritt nun das Gegen- theil ein. Wie im Hofleben und im geselligen Verkehr der höhe- ren Stände die Leichtigkeit des Umgangs durch die immer enger und bindender werdenden Formen der Etiquette beschränkt wird, wie dem Körper in Haltung, beim Gehen, Stehen, Sitzen, im Verbeugen die bestimmtesten Gesetze vorgeschrieben sind, Gesetze, von deren Kenntniß und Beobachtung der Grad der Bildung abhängig gemacht wird: so dringt etwas Aehnliches von Vor- schriften und Regeln in die Kunst ein. Für die Composition wird ein geometrisches Schema aufgestellt, man verlangt Com- positionen nach der Diagonale, horizontale, pyramidale und wie der Unsinn weiter lautet. In allem Einzelnen muß „die Schön- heitslinie“ herrschen, eine beliebig angenommene Wellenlinie, der sich z. B. auch das Portrait in der Weise fügen muß, daß Augen, Kopf, Schultern, Arme, Leib u. s. w. immer mit Nei- gung nach rechts und links abwechseln. So wird zugleich „die Ponderallinie“ hergestellt, aus welcher ein Portrait nicht heraus- fallen darf. Diese Zeit hielt es für nothwendig, wie es auch Wolf in der Philosophie that, alle die einfachsten, selbstverständ- lichsten Dinge in ein vernünftiges Schema zu bringen und auf Regeln abzuziehen. Wie ernst man das meinte, geht daraus hervor, daß selbst Hogarth, der geistreichste Künstler seines Jahr- III. Die Neuzeit. hunderts und der schärfste Beobachter der Lächerlichkeiten des- selben, mit seinen überaus gründlichen Untersuchungen über die Schönheitslinie diese Thorheit am eifrigsten trieb. Es ist dieselbe Sucht zu schematisiren, oder wenn man will dasselbe Schönheits- und Stilgefühl, welches im Militärwesen den sogenannten Gamaschendienst hervorrief, der mit dem Zopf und der Gleichmacherei dieser Zeit, die alles über einen Kamm schor und die Menschen wie Bausteine behandelte, auf’s engste verschwistert ist. Die schnurgrade Linie der Fronte, die kerzen- grade Haltung, die Höhengleichheit aller Köpfe und die exacten, absolut gleichen Tempos, das ist’s, was das Wesen des Sol- daten ausmacht, welches in der Potsdamer Garde sprichwörtlich sich idealisch verkörpert findet. Der Soldat ist absolut willenlos und hat nicht Freiheit der Bewegung noch eine Ehre für sich. Der Grenadier ist somit der völlige Gegensatz des flotten, freien Landsknechts, der, obwohl er weiß, daß im Haufen die Macht liegt, dennoch seine eigene Ehre und, den augenblicklichen Dienst abgerechnet, auch seinen eigenen Willen sich bewahrt. Wie diese beiden Typen der militärischen Welt den Gegensatz bilden, so verhalten sich auch in der That die Reformationsperiode und das achtzehnte Jahrhundert zu einander. Es ist höchst bezeichnend, daß der erste Friedrich Wilhelm von Preußen es sein mußte, trotz seiner deutschesten Gesinnung und anerkannt tüchtigen Eigenschaften, welcher den Gamaschen- dienst auf die Spitze trieb, denn er war zu gleicher Zeit der eigen- willigste Autokrat und kann als der Erfinder des Zopfes be- zeichnet werden, der ja allgemein als das prägnanteste Symbol dieser Zeit gilt. Denn vergegenwärtigen wir uns die Gestalt der Zopffrisur, die knappe Zusammenfassung der Haare, das Süßlichkleine, Erzwungene und Affectirte, weiß angetüncht, mit dem widerlichen Anhängsel im Nacken, das, ächt und unächt, noch besonders gesteift wird, so haben wir Schwäche und Kleinig- keitskrämerei, Pedanterie und Systemmacherei, den Gamaschen- dienst und Manierirtheit mit einander verkörpert. Und doch schlummert auch in ihm die Ahnung einer neuen 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Zeit. Es ist das Eigenhaar , welches mit ihm wieder zu Ehren kommt, wie viel falsche Zöpfe auch im Nacken hingen. Er negirt das hohle, falsche Pathos der Perrücke, wie sich die Nüchternheit dem Schwulst und die altkluge „Aufklärung“ dem Wust des Aberglaubens und der verkehrten Lebensverhältnisse entgegenstellt. Wie sehr auch diese Richtung Anfangs nur leise auftritt und bald sich in die Prosa des Lebens oder in Frivolität verrennt, so werden doch auch manche natürliche und einfach wahre Klänge angeschlagen wie in den Gedichten Günthers, und manches wahre und innige religiöse Gefühl dringt durch den Pietismus wieder in die erkalteten Herzen ein. Wir haben die Entstehung des eigentlichen Zopfes, wenn wir von seinem Vorbilde, dem oben erwähnten Knoten der Per- rücke, absehen, beim Militär zu suchen und zwar zunächst beim preußischen. Der Soldat hatte überall bis in das 18. Jahr- hundert hinein sein mäßig langes Eigenhaar getragen und der Reitersmann und der Grenadier dazu einen tüchtigen Schnurr- bart behalten; die Perrücke als Ordonnanzstück einzuführen, wie gern man es auch gesehen hätte, erregte doch zu große finanzielle Bedenken und ließ sich daher höchstens bei der Hofwache durch- führen. Der Offizier freilich konnte eine Ausnahme machen, und um’s Jahr 1700 trägt zum Beispiel der österreichische General unter dem Hut mit der dreifachen Krämpe die große Alongeperrücke, deren Flügel zusammt den Zipfeln des zierlichen Halstuchs über den Küraß und die eisernen Schulterblätter herabfallen — allerdings kein sehr harmonisches noch kriegerisches Bild; das Feldlager und der Salon treten hier in unmittelbarste Berührung mit einander. Friedrich Wilhelm I. , ein ebenso großer Feind des dama- ligen Franzosenthums, der gesellschaftlichen Demoralisation wie der gewaltigen Staatsperrücke und des überflüssigen Prunkes am Hofe, reorganisirte in diesem Sinne, sobald er zur Regirung gekommen war. Er selbst legte sofort die Haarwolken ab und trug nur noch eine kleine braune Stutzperrücke, die man den „Muffer“ nannte; ganz vermochte auch er sich nicht von der III. Die Neuzeit. Mode loszusagen. Es wird von seiner Haartracht erzählt: „Der König hatte das schönste Haar in der Welt gehabt von einem dunklen Blond, allein er hatte es abschneiden lassen und lange Zeit braune Zopfperrücken getragen; in den letzten Jahren seines Lebens trug er kleine, selbst weiße Perrücken, die zwar schlecht gemacht waren, die aber, wie einem schönen Gesicht alles gut steht, ihn doch gut kleideten.“ In gleichem Sinne mußte sich Hof und Beamtenwelt umgestalten, und die fremden Staats- perrücken und Haarbeutel, welche als Gesandte oder in anderer Eigenschaft bei ihm erschienen und die sein Eigenwille nicht er- reichen konnte, verhöhnte er dadurch, daß er alles, was für un- ehrlich galt, Henker, Schinder und Büttel, ebenso kleiden ließ. Die folgenreichste Umänderung nahm er mit dem Militär vor, dessen Aeußeres er in allen Dingen vereinfachte, wodurch es bald zum Muster für die übrigen Staaten wurde. Das lange, ohnehin für den Gamaschendienst unbequeme Eigenhaar des Sol- daten ließ er hinten zusammenfassen und in einen Zopf binden, dessen Ruhm alsbald in seiner Länge und Dicke bestand. Das war die erste Ehre, welche dem natürlichen Haar wieder zu Theil wurde. Indem ihn auch der Offizier annahm bis zum General hinauf, erhielt der Zopf auch für die höheren Kreise der Gesell- schaft ein gewisses Bürgerrecht, obwohl er nur langsam in die civile Welt überging, und die Offiziere der nichtpreußischen Ar- meen, der Franzosen, Engländer und der andern Deutschen, noch Jahrzehnte lang bis über die Mitte des Jahrhunderts hin- aus eine ansehnliche Perrücke trugen. Der Uebergang und der Sieg des Zopfes wurde dadurch erleichtert, daß er sich auch seiner Gegnerin anhing, und somit Beutelperrücke und Zopfperrücke noch neben dem Eigenhaar ihren Kampf auszukämpfen hatten. Der Salon wollte noch lange nichts von ihm wissen — in Preußen gab es eigentlich damals keinen solchen unter dem bür- gerlichen Regiment des Königs —; vor allen aber widersetzten sich diejenigen, welche die Würde, die Gravität des Amtes und der Wissenschaft in Anspruch nahmen, die Geistlichen und die Gelehrten. Sie hielten auch am längsten an der großen Form 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. der Perrücke fest, die man damals die spanische oder perruque quarrée nannte, während sich die übrige Welt der Zopffrisur gemäß der verkleinerten bediente. Die folgende Geschichte ist ein Beispiel von der Opposition, welche der „preußische“ Zopf von dieser Seite erfuhr. Es mag gegen das Jahr 1750 gewesen sein. „Noch immer“, so erzählt Jemand aus seiner eigenen Ge- schichte, „erinnere ich mich lebhaft der Angst, die ich in meinen Knabenjahren ausstand. Ich war auf einer Trivialschule Cur- rentschüler und trug wie alle meine Kameraden den preußischen steifen Haarzopf. Von diesem war nun des Herrn Schulinspec- tors Hochwürden ein abgesagter Feind. So oft er Schulvisita- tion hielt, so oft hielt er eine Strafpredigt und immer war das Thema davon der preußische Zopf. Er gab wirklich Befehl, daß alle preußischen Haarzöpfe ohne Ansehung und ohne Unter- schied, sie mochten lang oder kurz, dick oder dünn, falsch oder wahr, ausgestopft oder unausgestopft sein, gänzlich ausgerottet werden sollten: aber mein guter alter Rector wandte die meinem preußischen Haarzopfe fürchterlich drohende Gefahr in Gnaden ab, und ich pflegte und nährte und bebänderte ihn, bis daß der- selbige der ehrsamen Candidatenperrücke, wie sich’s auch nicht anders ziemt, Platz machen mußte.“ Dann berichtet er weiter: „Ich muß auch erzählen, was uns unser lieber Rector in den- selben weit aussehenden und gefahrvollen Zeiten erzählte, um uns mit den Leiden anderer zu trösten. „„Zu meiner Zeit““, er- zählte er, „„trugen die meisten Schüler ihr Haar rund abgeschnit- ten. Nur einige die schon in der obersten Classe waren, bald auf die Akademie ziehen und Stutzer machen wollten, ließen ihre Haare wachsen, und damit sie nicht auf dem Rücken herumflat- terten, machten sie sich zweiknotige Zöpfe. Der Pastor des Orts hielt dies für sündlich. Er ging deswegen öfters aus, um auf dieselbigen Jagd zu machen. In dieser Absicht trug er beständig eine Scheere bei sich. Wenn ihm nun ein Currentschüler mit einem Haarzopf begegnete, so rief er ihn zu sich, als ob er etwas mit ihm reden wolle. Während der Unterredung wußte er III. Die Neuzeit. seine Scheere unvermerkt an den Haarzopf zu bringen und solchen zu packen und — weg war der Haarzopf.“ Quarréeperrücke, Beutel- und Zopfperrücke und die Zopf- frisur des Eigenhaares gleichen sich nun darin, daß sie in glei- cher Weise des Puders bedurften; es war davon eigentlich niemand ausgenommen, wenn er nicht, wie z. B. die pietisti- schen Geistlichen, Spener, Francke u. a. die Sitte durchbrach, was aber damals noch eine seltene Erscheinung war. Der Puder fand seinen Halt an der Pomade, mit welcher das Haar vorher eingeschmiert wurde. Aufgetragen wurde er mit einem flaum- artigen Büschel, einer von Seide oder Garn zusammengedrehten Quaste, oder er wurde mit einem kleinen Blasebalg in die Haare geblasen. Um einen Begriff von dem Verbrauch des Weizenmehls zu geben, aus welchem vorzugsweise der Puder fabrizirt wurde, hat man die folgende Berechnung gemacht: Man brauchte, um einen Kopf vollständig zu pudern, täglich 5 Quentchen, und wenn es zweimal geschah, täglich 2½ Loth Puder. Rechnet man damals auf den preußischen Staat zwölf Millionen Einwohner und läßt man von diesen acht Millionen, Männer wie Frauen — eine allerdings wohl etwas hochgegriffene Zahl — täglich sich Eigenhaar oder Perrücke bepudern, so wurden, rechnet man nur eiu Loth durchschnittlich auf den Kopf, hierzu täglich 250,000 und in einem Jahr 91,250,000 Pfund Puder consumirt, wozu im Durchschnitt 2,281,250 Berliner Scheffel erforderlich waren. Wir haben schon in der vorigen Periode bei der Geschichte des Hutes angedeutet, welche Wandlungen die Veränderung der Haartracht an ihm hervorbrachte. Schon die große Perrücke hatte ihn zu einem dreikrämpigen zierlichen Toilettenstück gemacht, dessen Aufgabe nicht mehr darin bestand, den Kopf zu schützen. Die kleinere, aber zierlichere und viel unduldsamere Perrücken- form und die Zopffrisur oder der Haarbeutel mit der pomadisirten schön geschwungenen Vergette wollten ihn gar nicht mehr dulden, und so mußte ihn der feine Herr in der Hand tragen und wenn er diese frei haben wollte, unter dem Arm. Da dieses allgemeine Sitte wurde, und die Rechte außerdem den Stock führte, so 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. mußte man eine Form haben, mit welcher er sich bequemer unter den Arm legte. Man ließ darum die eine Krämpe weg und machte ihn zweiseitig, so daß er sich flach zusammenklappen ließ. Dann nahm er auch die dreigespitzte Form an, und statt der Plu- mage, welche der Arm verdrückt hätte, besetzte man ihn nur noch mit Borten, Tressen und Kokarden oder ließ ihn ganz einfach. Zu dieser Gestalt vollendete er sich seit der Mitte des Jahrhun- derts. Auch das Militär nahm ihn zweikrämpig an, jedoch, da er immer tragbar bleiben mußte, nur mit Abweichungen, die end- lich zu sehr verschiedenen Formen führten, von der Grenadier- mütze an bis zum Napoleonshütchen. Die Veränderungen, welche sonst mit der männlichen Kleidung vorgehen, sind verhältnißmäßig unbedeutend. Es entstehen durchaus keine neue Formen oder solche, die wesentliche Charakterunterschiede andeuteten, nur tritt wie an der Perrücke das Groteske und Grandiose zurück, und es offenbart sich immer steigend die Nüchternheit, die Pedanterie und Versteifung. So schwinden die Goldfranzen, die breiten Borten und Stickereien mehr und mehr zusammen, die Aermel verengern sich und die Palten oder Umschläge werden kleiner, bis sie sich gegen das Jahr 1780 als sinnlose Zugabe um das Handgelenk legen, in der Weise, wie sie heute noch ohne alle Ursache als todte Er- innerung vorhanden sind. Mit ihnen werden die herausgebausch- ten Hemdärmel zu bloßen Spitzenmanschetten. Auch die großen Taschen und die mächtigen Knöpfe werden kleiner und beschei- dener, und das Justaucorps legt sich wo möglich noch enger um den Leib. Im Uebrigen blieb es in der ersten Hälfte des acht- zehnten Jahrhunderts wie es war. Ebenso das Wamms . Einmal zum Rock geworden, nahm es bis um 1750 so gut wie gar keine Veränderungen an: nüch- tern, ohne Falte und ohne Schmuck sitzt es unter dem Oberrock. Nur allein auf der Brust beginnt es sich vom Halse her zu öffnen, um der herauswachsenden Busenkrause , dem Jabot , Platz zu machen. Dieses tritt an die Stelle des Halstuches. Der Hals wird frei, und wir mögen darin wieder ein Zeichen sehen, III. Die Neuzeit. an welchem sich die kommende Befreiung und Entfesselung an- kündigt. Nach der Mitte des Jahrhunderts aber gehen mit Justau- corps und Wamms größere Veränderungen vor sich, freilich bei beiden noch in dem alten Geiste. Das letztere schrumpft von unten her zusammen, daß es zur Schoßweste wird. Da diese An- stands halber auch zu Hause nicht mehr allein getragen werden konnte, so mußte sie sich noch größere Beschränkungen gefallen lassen: sie verlor die unnützen Aermel, und das Rückenstück, welches nicht sichtbar wurde, konnte nun von anderem und schlech- terem Stoffe gemacht werden. Um so mehr konnte man die vor- dere Hälfte verzieren, und sie überzieht sich nicht bloß an den Taschen und Rändern, sondern über die ganze Fläche mit zier- licher, bunter Seidenstickerei von Blumen und Arabesken. So entsteht unsre Weste , ein durchweg modernes Kleidungsstück, in genauem Verfolg der Rest der unteren Tunica. Schon in den achtziger Jahren gehen mehrere Westenformen neben einander her: man trägt die lange Schoßweste und die Weste so kurz, wie sie heute getragen wird; man findet sie mit einer Reihe Knöpfen und übergeschlagen mit doppelter Reihe. Nicht minder bedeutungsvoll war die Veränderung des Ober- rocks, denn er wird zum Frack . Auch sein Vorbild dürfen wir beim Militär suchen, welches im achtzehnten Jahrhundert viel- fach tonangebend wurde, um so mehr als die Fürsten die Uni- form anzulegen begannen, eine Sitte, die, vom deutschen Fried- drich Wilhem I. ausgegangen, ganz wider den Geschmack der französischen Könige lief. Ihre Triumphe waren sie gewohnt im Thronsaal und im Salon zu feiern, nicht auf der Parade. Der Reitersmann, der Anfangs den weiten Rock wie der Fußgänger trug, pflegte sich die langen Schöße dadurch sitzgerecht machen, daß er die Zipfel nach außen umklappte und sie mit Haken oder Knopf befestigte. Bei andersfarbigem Unterfutter that das gute Wirkung, und man führte darum die Sitte auch beim Fußvolk ein. Bald aber wurden aus den umgeschlagenen Zipfeln Auf- schläge, welche bei allen Heeren eingeführt wurden und das acht- 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. zehnte Jahrhundert und selbst die Revolution bis zum Waffen- rock überdauerten. In dieser militärischen Form ging der Frack zwar nur selten auf den civilen Mann über, aber durch den sie- benjährigen Krieg war der Ruhm und das Ansehen der preußi- schen Offiziere, die massenweise jetzt in die bürgerliche Welt zu- rücktraten und ihren Ehrenrock behielten, in der Art gestiegen, daß man sich gar zu gern ein ähnliches, halb militärisches Aeußere gab. Aus diesem Grunde suchte man den Rock dem Militärfrack ähnlich zu machen, nicht indem man die Zipfel umschlug, son- dern indem man sie beschnitt. Doch setzte man dessen ungeachtet die Knöpfe, woran die Zipfel hätten befestigt werden können, hinten an. Obwohl sie unnütz geblieben sind, wie sie es von An- fang an waren, sind wir ihrer heute noch nicht los. Vergebens fragen wir nach dem Warum. So hat sich nun die antike, griechisch-römische Kleidung in die moderne umgewandelt. Wir sind bei der letzten Form ange- kommen: die obere faltenreiche Tunica, die wohl bis zu den Füßen herabreichte, ist zum simpeln, nüchternen, form- und fal- tenlosen Frack geworden, und die untere hat sich in die zierliche, geblümte Weste verwandelt, für deren Existenz wir kaum einen vernünftigen Grund auffinden mögen. Wenn man wollte, könnte man auch hieran den Gegensatz des antiken und des modernen Lebens deduciren. Noch eine nicht uninteressante Veränderung des Rockes oder Frackes dürfen wir nicht unerwähnt lassen. Als sich die Locken der Perrücke und die Frisur wieder von den Schultern bis über die Ohren heraufzogen, rückte, ähnlich wie es im sechszehnten Jahrhundert geschehen war, der Rock nach, und als er hoch ge- nug gekommen war, legte er sich mit mehr oder weniger stark ausladendem Kragen um, dem sich die Ueberschläge auf der Brust anschlossen. Auch hiervon haben wir den Nachkommen im heu- tigen Rockkragen, der auf- und absteigt je nach der herrschenden Tracht des Haares. Als das Wamms zur Weste und der Rock zum Frack ge- worden, konnte diese Kleidung nicht mehr gegen die Strenge der Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 18 III. Die Neuzeit. Witterung genügen. Man suchte Abhülfe in einem dritten Rock oder im Mantel. Natürlich nahm dieser Rock die bisherige Form zum Muster, bildete dann aber eine große Reihe bald enger bald weiter, bald langer bald kurzer, immer aber wärmender oder schützender Oberröcke aus. Das sind die wechselnden Formen des ganz modernen Paletots , damals Sürtout genannt, dessen Ge- schichte wir hier nicht weiter verfolgen wollen. Die Bein- und Fußbekleidung unterlag bis gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts nur unwesentlichen Verände- rungen, denn die eine mit ihrer straffen Enge, die andere mit den Schnallen und hohen Absätzen entsprach vollkommen den An- forderungen der Zeit. Nur das Verhältniß von Hose und Strumpf änderte sich insofern, als der letzteré schon in der Zeit Lud- wigs XIV. über das Knie herauf gerückt war, in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts aber wieder an die alte Stelle zurücksank. Was konnte diesem fein manierlichen Ge- schlecht, das sich jede Stellung, Lage und Bewegung vom fran- zösischen Tanzmeister vorschreiben ließ, auch entsprechender sein als das anliegende Beinkleid und der faltenlose Strumpf, wo- durch nicht im leisesten eine schöne Bewegung oder zierliche Stel- lung, in welche man so viel Absicht hineinlegte, verloren ging. Selbst das Militär wagte noch lange nicht zum Stiefel zurückzu- kehren, der in keiner Weise salonfähig war, sondern suchte die Vorzüge desselben durch die Gamaschen zu erreichen. Wie eine Dressur des Beines und Fußes, so verlangte die damalige Bildung auch ein elegantes, zierliches Spiel der Hände, die immer angenehm beschäftigt oder in graziöser Ruhe sein muß- ten. Es gab dazu einige Erleichterungsmittel wie den Hut, mit dem es namentlich beim Gruß artige Schwenkungen zu machen galt, die nie fehlende Tabatiere , mit welcher sich die Finger beschäftigten, und den Stock . Der letztere ist mit andern Din- gen als Hinterlassenschaft der Zopfzeit auch auf uns gekommen. Damals trug man ihn länger und meist schwerer mit schön be- malten Porzellanknöpfen oder den bekannten im Roccoco verzier- 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. ten Gold- und Silberknöpfen. Man findet noch häufig diese Erbstöcke aus der Großväter oder Urgroßväter Zeit. Der Stock machte den Degen an der Seite nicht über- flüssig, ja derselbe gehörte in seiner zierlichen Salongestalt mit dem blitzenden, brillantirten Stahlgriff so nothwendig zum Gan- zen, daß König Ludwig von Bayern mit Recht das Costüm die „Degentracht“ nennen konnte. Eigentlich ist er nur als ein Ueber- bleibsel der ersten kriegerischen Hälfte des siebzehnten Jahr- hunderts zu betrachten, aber er verwuchs ganz mit der neuen Zeit, welche bei ihrer Schwächlichkeit um so eifriger sich ein wehrhaftes Ansehn zu geben suchte. Grade wie in der manierir- ten spanischen Zeit wurde er auch jetzt in mehr horizontaler als senkrechter Lage getragen. Schon im siebzehnten Jahrhundert mußte er den Handwerksburschen verboten werden, die seiner freilich auf der Wanderschaft bei der Unsicherheit der Straßen wohl bedurften. Im achtzehnten waren die vornehmen Stände, bei denen ihn auch die Kinder zur Gala trugen, sehr eifersüchtig auf seinen Gebrauch, doch konnten sie nicht verhindern, daß er in einer Allgemeinheit getragen wurde, welche fast nur die Geist- lichen ausschloß. Bei der Verweltlichung der damaligen Geist- lichkeit gab es nicht wenig Candidaten, die sich sehr nach ihm sehnten. Eine hannoverische Ordnung von 1731 verbietet den Degen allen Pagen und Lakaien des Hofes oder der Hofbeamten, allen Livr é ebedienten ohne Ausnahme, allen Köchen, Schülern, Kauf- und Ladendienern, allen Gesellen der Maler, Gold- schmiede, Bildhauer, Uhrmacher, Glasschneider und aller derer, die sich Künstler nennen, den Handwerksburschen, Knechten und Gesellen, Reisende ausgenommen. Auch der studirenden Jugend wird er verboten, Kinder von „Standespersonen“ und solche, welche schon wirkliche Akademien besuchen, also Studenten, aus- genommen; den Musikanten, Barbier- und Apothekergehülfen ist er nicht gestattet, den beeidigten Provisoren aber erlaubt. In- deß ging es mit diesen Gesetzen nicht besser wie mit den übrigen Kleiderordnungen. Es ist kaum nöthig zu erwähnen, daß in allen diesen Din- 18* III. Die Neuzeit. gen Paris und der französische Hof die alleinigen Muster vor- schrieben, soweit sich nicht der militärische Geist des Preußen- thums selbstständig äußerte und in die civile Welt oppositionell übergriff. Die folgenden Verse von 1751 geben zeitgemäß die Schilderung eines deutschen Stutzerherrchens nach französischem Muster. Der deutsche Franzose. Ich trag ein spitz gewölbt Toupé, Vier Daumen breit gehts in die Höh, Die mouton irten Puderlocken Bewegen sich als Silberglocken. Kein Engelskopf wird so geschnitzt, Als mir mein nettes Härchen sitzt, Ein großer Beutel mit zween Dutzen Muß wohlgeschürzt am Halse stutzen. Das Hemd steht nach Pariser Tracht Mit einem Blitzer zugemacht. Des offnen Busens Leckerbissen Schattirt ein ponceau ‒ seidnes Kissen. Battistne Blätter um die Hand, Gleich Sonnenschirmen ausgespannt. An perlenfarbig seidnen Strümpfen Darf sich gar keine Falte rümpfen. Der blanken Kniee schwarzer Sammt Steht durch zwei Wickel aufgedammt. Die Weste strotzt von beiden Seiten, Der Rock kann mit dem Reifrock streiten. Des Unterfutters Himmelblau Werf ich im Gehn galant zur Schau, Des Aermels wohlgeschnittnen Flügel Bedecket ein brokad ner Spiegel. Ring, Tabatier, Etui und Uhr Berühr ich als was Schlechtes nur. O ventre bleu! Die schönste Dose Verlor ich neulich — à la Rose Pour attraper la belle main De Madame de Pontchartrain. Mein Tanzen, Fechten, Reiten, Singen Läßt sich in keinen Abriß bringen, 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Oeilladen, Grace, Tour und Port, Darin besteht mein größtes Fort. Diantre! das Deutsche will nicht fließen, Drum muß ich den Artikel schließen. An der Frauenkleidung treten uns bis in die letzten Jahrzehnte des achtzehnten Jahrhunderts nur zwei Theile mit bedeutungsvoller Geschichte entgegen. Das ist die Kopftracht und der Reifrock , während die Bekleidung des Oberkörpers mit dem Schnürleib, der Decolletirung, den halbentblößten Aer- meln nur dem Wechsel der kleinen Moden unterworfen ist, im Charakter aber zunächst keine Aenderung erleidet. Beide, die Frisur und der Rock, scheinen im Anfange einen entgegengesetz- ten Weg einzuschlagen, denn jene steigt ein halbes Jahrhundert hindurch von der grotesken Höhe der Fontange zu möglichster Kleinheit herab, während dieser bis zur französischen Revolution ballonartig anschwillt. Aber wir haben schon einmal gesehen, wie der Reifrock mit einer Zeit zusammenhängt, in welcher das Leben erstirbt und sich in feste, conventionelle Formen zusammen- zieht, und es erhebt sich dann wieder in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die Frisur zu einer Höhe, daß sie an Unnatur und grandioser Ungestalt dem Reifrock nicht nachsteht. Wenn ungefähr das Jahr 1720 allgemein als das Ende der Fontange angenommen werden muß, so konnte man doch schon bald nach 1700 in den höchsten Ständen Damen mit freier Frisur sehen: es war nur diese hohe Band- und Spitzenhaube weggelassen und übrigens das Haar in gleicher Weise mit künst- lichen Locken perrückenähnlich nach oben gethürmt und mannig- faches Geschmeide dazwischen befestigt. Aber wie die Perrücke, so sanken auch von Jahr zu Jahr diese Locken, und das gesammte Haar sammelte sich immer dichter gedrängt und in scheinbar wirrem Gelock um den Kopf und ließ Ohren, Hals und Nacken völlig frei. Nur ein Paar lange, geringelte Locken fallen hinter dem Ohr herab und werfen kokett ihre leichten, flüchtigen Wol- kenschatten über die weißen oder geweißten Schultern. Die Damen der höheren Stände trugen diese Frisur, mit welcher der III. Die Neuzeit. Puder nothwendig verbunden war, ohne alle Spur von Haube, aber die der bürgerlichen Kreise, und selbst jugendliche Gesichter, legten wohl ein kleines, leichtes Spitzenhäubchen darüber. So dauerte diese Kopftracht, welche das schönste Haar auf möglichst kleinen Raum zusammen zu drängen suchte, die dreißi- ger und vierziger Jahre hindurch bis in den Anfang der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Da können wir beobach- ten, wie das Frauenhaar auf’s neue sich erhebt und in raschestem Anlauf sich zu den wunderbarsten und colossalsten Ungestalten emporthürmt, während das männliche in Haarbeutel oder Zopf regungslos unter seiner Schneedecke verharrt, und nur die Ver- gette sich à la chinois über der Stirn zum „spitz gewölbten Toup é “ emporzurichten sucht. Anfangs war die Aufrichtung der Damenfrisur eben nur eine Nachahmung der Vergette oder überhaupt der männlichen Haartracht: von Stirn und Schläfen aufgestrichen, legt sich das Haar um einen runden Wulst, Lockenrollen liegen über den Ohren, und im Nacken ist es dem Haarbeutel ähnlich zum Chignon zusammengefaßt. Allein das lange Haar der Frauen begünstigte die excessive Mode; dem Manne, der eben erst im Begriff stand, sein eigenes Haar wieder zu gewinnen, waren von der Natur selbst Schranken gesetzt, die Frau kannte dergleichen nicht mehr. Noch um das Jahr 1770 bis gegen 1775 zeigte sich diese Richtung in verhältnißmäßig bescheidener Weise; aber wieder fünf Jahre später ist das Maß in einer Art überschritten, daß das Gesicht im Vergleich zur gethürmten Frisur verschwindend klein erscheint. Cubisch genommen, dürfte die Behauptung nicht übertrieben sein, daß die Frisur oft den zwölffachen Raum des Kopfes ein- nahm und ihn mit seiner drei- und vierfachen Länge in der Höhe überragte. Die Form dieser Frisuren ist im Allgemeinen die, daß die Haare mit Pomade für jede willkürliche Windung nach- giebig und haltbar gemacht und mit Puder überstreut, aus Stirn und Schläfen über wulstige Kissen nach oben gestrichen und mit Nadeln auf denselben befestigt werden; an den Seiten aber senken sich in größerer oder geringerer Anzahl horizontale Lockenrollen 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. herab, zwei „Brustlocken“ umspielen den Busen, während die Haare des Hinterhauptes frei den Rücken herabfallen, was man à la Conseillère nannte, oder gewöhnlicher mit den Spitzen von unten wieder aufgenommen und im Nacken als Chignon befestigt sind. Später umfaßte der Chignon auch andere Formen. Innerhalb dieser allgemeinen Umrisse aber, in welchen die Phantasie von der Mode gebannt gehalten wurde, herrschte wei- ter kein Gesetz, und es ergingen sich darin die Launen der Damen und Haarkünstler mit einer Freiheit oder vielmehr einer Will- kür, welche weitaus alles überbot, was nur das funfzehnte Jahr- hundert von abenteuerlichen und mißgestalteten Kopftrachten zu Tage gefördert hatte. Der Begriff einer Haarfrisur oder Kopf- bedeckung hört ganz auf; was der Caprice einfällt, mag die Mythologie, die Geschichte, die Natur oder sonst die umgeben- den Dinge den Gedanken leihen, es findet sein Andenken, sein Ehrendenkmal, sein Abbild auf dem Kopf der Damen. Einmal erfunden und mit Mühe und Noth hergestellt, fehlt es alsobald nicht an Nachahmerinnen, und mit der Schnelligkeit der Mode fliegt die neue Erfindung durch die civilisirte Welt, um schon am nächsten Tage von einem andern Haargebäude wieder verdrängt zu werden. Denn in der That gebiert jeder Tag nicht bloß eine, sondern eine Menge solcher Ungestalten, da jede tonangebende Dame, jeder Haarkünstler zu solcher Erfindung befähigt war, und nur die immerwährende Neuheit ihren Modeeinfluß sicherte. Obwohl es ebensowohl unmöglich ist, die Menge der ein- ander drängenden und vertreibenden Coiffüren anzugeben, wie durch die Beschreibung ein Bild der abenteuerlichen Gestalten entstehen zu lassen, will ich doch einiger dieser Sonderbarkeiten beispielsweise näher gedenken. Die Dame, welche sich à la Flore coiffirte, trug hoch oben auf der starrenden Frisur einen aus den Haarflechten — wir wollen aber nicht behaupten, daß es ächte waren — künstlich gewundenen Korb, der mit natürlichen Blu- men aller Art angefüllt war. Aehnlich war die Frisur à la Pomone; der Korb oder die Schüssel war aus Taffet fabrizirt, und darin lagen im Weinlaub Trauben, Limonien, Birnen und III. Die Neuzeit. andere Früchte. Noch andere Göttinnen genossen das Glück, in dieser Weise gefeiert zu werden: es gab Coiffüren à la Ceres, à la Calipso, à la Junon, und selbst der Minerva Helm, aus leichtem Seidenstoff kunstreich fabrizirt, mit Federn und rauhem Busch, prangte auf Damenköpfen. Eine Dame gerieth auf den Einfall, ihre Frisur mit einem Viermaster mit schwellenden Se- geln zu krönen — ein Gedanke, von dem man nicht weiß, ob er ihrer Erfindungsgabe oder ihrem Geschmack mehr Ehre macht. Eine andre baute sich oben ein Zelt mit wehender Fahne, eine dritte einen vollständigen Blumengarten, eine vierte bekränzte sich à la Victoire mit einem Wald von Eichen und Lorbeer. Andere feierten berühmte Personen und nannten ihre Coiffüren caprice de Voltaire oder chapeau à la Hamlet oder à la Bayard, à la Randan, letzte nach einer beliebten damaligen Schauspielerin; nach der Oper gab es Coiffüren à la Tarare, à la Figaro u. a. Was sich nur Bemerkenswerthes auf der Bühne des Lebens oder der Breter ereignete, wurde auf diese Weise, man kann nicht sagen, verewigt, denn schon der nächste Tag brachte eine andere Neuigkeit, auch nicht der Nachwelt überliefert, wohl aber be- schäftigte es die Damenköpfe in zwar äußerlicher, doch sehr mühevoller Weise. Auch geistige und seelische Beziehungen glaubte man in diesen Formen ausdrücken zu können; es gab eine Frisur, die nannte man consideration, andere philosophale, inclination, à la Philanthropine, à la bonne fortune u. s. w. Diese Namen lauten zwar alle französisch, aber keineswegs waren die Pariserinnen die einzigen, welche den Ruhm der Erfindung in Anspruch zu nehmen hatten; er wurde ihnen vielfach von den Damen Wiens und Berlins und selbst von denen Leipzigs und Frankfurts streitig gemacht. Später waren die deutschen Damen ihrer eigenen Phantasie sogar völlig überlassen, als die Revo- lution Frankreich ergriff und erst die Mode in Paris zum Still- stand brachte und sie dann in eine andere Richtung hineinwarf. Allmählig bilden sich aus der unübersehbaren, gesetzlosen Fülle zwei Grundformen heraus, die freilich in sich wieder die äußerste Willkür zulassen. Zwar thürmte man das Haar noch 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. wie bisher und versah es mit den Seitenlocken und dem Chignon, brachte aber obendrauf entweder einen Hut oder eine Haube an, jenachdem man sich en négligé oder en grande parure kleidete. Neglig é ist nicht grade im heutigen Sinne zu verstehen, sondern man nannte damals so jede Toilette, welche nicht fest- liche Ballkleidung war oder zu Hofe getragen wurde. Da die Hoftracht immer im Verhältniß mehr Stabilität hat, so ist es vorzugsweise das Neglig é im damaligen Sinne, an welchem die Geschichte der Mode vor sich geht. Der Damenhut, wie er jetzt auf’s neue wieder aufkommt, ist nur eine Nachahmung des männlichen, nicht aber des dreieckigen, sondern des runden Hutes, wie wir ihn noch heute sehen, und der damals zuerst gegen die Herrschaft des dreieckigen auf den Kampfplatz trat. Wir werden darauf zurückkommen. Aber die Damen trugen ihn in weit viel- facherer Gestalt als die Herren, und immer ziemlich grotesk, daß er sich noch gegen die mächtige Frisur, die er decken sollte, in einigem Ansehn halten konnte. Sie trugen ihn von Castor mit hohem oder niedrigem Kopf, mit schmalem oder breitem, auch rauhem Rande, à l’ourse genannt, und sie trugen ihn leichter von Seide, Taffet, geflochtenem Stroh und anderen Stoffen. Mit Rand und Kopf fingen sie ein launenhaft phantastisches Spiel an und wußten hunderte von Formen herauszubringen, denen sie Aehren, Blumen, Bänder und viel anderen Schmuck hinzugesellten. Hier haben wir den Anfang des modernen Da- menhutes, der nun in raschen Lebenszügen eine sehr wechselvolle Geschichte betritt, die ihn am Ende auf den heutigen und viel- leicht letzten Standpunkt gebracht hat, denn sein Kampf mit dem „letzten Versuch“, mit „Pamela“ und ihrem Gelichter dürfte ein verzweiflungsvoller sein. Noch weit mannigfacher waren die Formen der Haube, und man kann sagen, sie kannten gar keine Grenzen, denn da ihr eigentliches Material fast nur ein Stück Zeug war, sei es nun Seide, Atlas, der so beliebte Linon oder sonst irgend ein klarer, feiner Stoff, so kam es nur darauf an, es in irgend eine Form zu bringen und mit der Coiffüre zu verbinden. Regeln war III. Die Neuzeit. niemand unterworfen. Zu weiterem Schmuck gesellten sich dann noch Blumen, Bänder, Perlschnüre, Blonden und derglei- chen wie beim Hut hinzu. Von dieser Willkür und Mannigfal- tigkeit ist es nicht möglich, selbst durch einzelne Bilder einen hin- länglichen Begriff entstehen zu lassen: die Kopftrachten drängten sich in diesen Jahren, namentlich von 1780 bis in die neunziger hinein, in dem Maße hervor, daß sie fast den allein interessiren- den Gegenstand der Modejournale auszumachen schienen. Wenn die Haube zur grande parure gehörte, so war sie deßhalb doch nicht vom Neglig é ausgeschlossen, vielmehr gab es Formen derselben, welche grade dieses im heutigen Sinne be- zeichneten. Das waren z. B. die Dormeusen und Baig- neusen , Hauben, welche ältere Damen oder Bürgerfrauen der größeren Einfachheit und Bequemlichkeit halber trugen, aber auch vornehme Damen aufsetzten, wenn sie, z. B. in der Kirche oder auf Promenaden, durch absichtliches Neglig é sich von den geputzten Bürgerinnen unterscheiden wollten. Im Allgemeinen trug der Hut, namentlich der Castor, damals noch etwas revolu- tionären oder emancipationssüchtigen Charakter, etwas frei- oder schöngeistig Stutzerhaftes, was wir in der Männerwelt noch näher werden kennen lernen. Einer Art von Hauben, welche auch zur höchsten Toilette gültig war, müssen wir noch beson- ders gedenken, das sind alle die Formen, welche man à la Turque nannte, und deren scheinbares Vorbild der Turban war. Wir sagen scheinbares, denn man hätte ihn kaum ohne es zu wissen in diesem weißen oder farbigen Stoff erkannt, der sich nicht um die Stirn, sondern um die Frisur einen oder anderthalb Fuß höher in phantastischer Weise herumschlang. Die Vorliebe für das à la Turque, welches auch auf die Robe überging und sich noch länger in wechselnden Formen gegenüber dem à la Grecque erhielt, verdankt ihre Entstehung dem Interesse, welches man in der Friedenszeit der achtziger Jahre an dem Türkenkriege nahm. Als die hohen Hauben in ihre Blüthezeit traten, näherte sich der Reifrock , wenigstens bei dem gewöhnlichen Anzug, 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. schon wieder seinem Falle. Mit dem Beginn des achtzehnten Jahrhunderts zum zweiten Male in’s Leben gekommen, fällt sein Werden und Wachsen mit dem Sinken der Fontange und mit der kleinen Frisur zusammen, so daß wir die ganze Regirungs- zeit Ludwigs XV. als seine vorzüglichste Periode betrachten müssen. Man sagte damals von den Frauen: „Was ihnen an der Höh’ des Hauptes ist benommen, Dasselbe haben sie an Breite itzt bekommen; Das Fundament wird weit, der Gipfel aber klein, Und alles muß dabei nicht nach der Baukunst sein.“ Die neue Mode trat sofort in solcher Ausdehnung auf, daß schon im Jahr 1714 sich eine litterarische Fehde darüber er- hob, welche sich in Spottschriften für und wider fortsetzte. Es liegt uns von dem genannten Jahre eine, wie es scheint, ernst- lich gemeinte Vertheidigungsschrift vor, welche den Titel führt: „Eines Galanten und gelehrten Frauenzimmers Gutachten von zwey curieuser Leute Sentiment über die Contusch- und Reiffen- Röcke. Gedruckt in Meissen Anno 1714.“ Es mußte also be- reits ein doppelter Angriff vor sich gegangen sein, gegen den Reifrock wie gegen die Contusche, ein durch jenen erst entstan- denes Kleidungsstück. Die Schrift wirft nicht mit Unrecht die Vorwürfe auf die Männer und ihre Perrücke zurück und bringt dann zum Lobe des Reifrocks und seines Erfinders unter anderem fol- gendes vor: „Ja der kluge Erfinder desselben hat allerdings verdienet, daß er von den Edelsten unsers Geschlechtes mit bil- ligen Panegyricis bei Lebenszeit bis in Himmel erhoben, bei seinem Absterben aber, wie einstens Mons. Frauenlob, zu Grabe getragen worden wäre, und daß man ihm den allermöglichsten, uns aber nicht disreputirlichen Douceur in gewissen Jubilaeis machte und den Tag der Erfindung mit einigen Freudenbezei- gungen feierlich beginge. Denn, bedenket nur, geliebte Schwe- stern, was vor Nutzen und Bequemlichkeit hat er uns durch seine kluge Erfindung zuwege gebracht. Es ist einmal nicht nur unter uns, sondern unter dem männlichen Geschlechte eine aus- III. Die Neuzeit. gemachte Sache, daß man zwar ein von der Natur wohlgebilde- tes Frauenzimmer lobet, diejenige aber, die sie dabei mit einer geschickten Taille versehen, den andern vorziehet. Absonderlich hat das helle Perspectiv des männlichen Auges an uns wahrge- nommen, daß uns etwas dicke Hüften einen sonderlichen Ornat geben, mit wenigen, daß der etwas dicke Untertheil unseres Kör- pers unsern Gang und Tanz sonderlich ziere und um ein großes Theil ansehnlicher mache, als wenn ein Mägdchen wie ein Rock- Stecken oder anatomirter Hering aussehe.“ Wenn die Männer die vollen Hüften der Damen liebten, so war ihnen schwerlich mit solchem falschen Ersatz gedient. Aber das war nicht allein der Punkt des Angriffs und der Ver- theidigung. In einem andern fliegenden Blatt von 1738 kom- men im Zwiegespräch die folgenden Verse vor: Erasto . „Es ist doch wahr, daß diese Tracht Das Weibsvolk ganz unkenntlich macht: Sie sehen wie die kleinen Spinnen, Die machen viel Gespinnst, und sitzen mitten drinnen. Silinde . „Nein! dieser Staat ist nicht zur Pracht, Vielmehr ganz klüglich ausgedacht: Die Damen dürfen nicht so schwitzen, Die Arme könen sich auch auf die Sättel stützen. Erasto . „Und eben dieser Pomp und Paus Sieht just als wie ein Nähpult aus; Muß man dann nicht zur Schande sagen: Das Frauenzimmer mag nicht mehr die Arme tragen? Silinde . „Die Arme thun’s allein noch nit, Der Fuß hat einen bessern Schritt: Man kann auch viel geschwinder gehen, Und darf die vielen Schürz’ nicht heben und verdrehen.“ Der Grund, welcher gewöhnlich zur Vertheidigung des 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Reifrocks vorgebracht wird, daß er kühl halte und vor der Hitze des Sommers schütze, wird an anderer Stelle mit folgenden Versen abgelehnt: „Wie kommt es, daß man auch im Winter also gehet, Wann oft ein rauher Nord auf unsre Glieder wehet? Warum legt man alsdenn den Reifrock nicht von sich? Doch nein, es kann nicht sein, denn jetzt besinn’ ich mich, Weßwegen ich nur dies zu einer Nachricht melde: Was vor die Hitze hilft, das hilft auch vor die Kälte.“ Weitere Vorwürfe vom Standpunkt der Männer aus erfah- ren wir in einem andern fliegenden Blatt, welches schon der zwei- ten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts angehört und allzufrüh den Reifrock bereits wieder verbannt glaubt. Der dazu gehörige Kupferstich stellt dar, wie ein mächtiger Reifrock von zwei Män- nern mit einer Stange auf den Schultern zum Thore hinaus- getragen wird. Unter den begleitenden Versen finden sich die folgenden: „Den Reifrock pfleget man vorjetzt sehr weit zu nehmen, Daß sich die Glocken selbst vor ihnen müssen schämen; Weil sie bei Weitem nicht von solchem Umfang seyn; Zwei Reifröck’ nehmen just die breiten Gassen ein. „Dann sieht man eine Dam’ jetzt in die Kirche gehen, So muß sie sich halb rechts und bald halb links verdrehen, Bis sie sich durch die Leut’, mit ihrem Reifrock schwenkt, Und mit viel Müh und Schweiß zu ihrem Stuhl hindrängt. „In Kutschen sehen sie, als wie die Wolkensitzer, Man sieht von ihrem Aug kaum einen scharfen Blitzer; Dieweil der Reifrock sich in alle Höh’ erstreckt, So, daß er manchesmal das halb Gesicht bedeckt. „Es kann kein Cavalier mehr neben ihnen gehen, Er muß beinah drei Schritt vom Frauenzimmer stehen; So, daß ja, wann er will von ihnen einen Kuß, Er solchen mit Gefahr des Lebens wagen muß. „Denn wer das Honig will von ihren Lippen saugen, Der muß jetzt Stühl und Bänk und Feuerleitern brauchen, Bis er zum Purpurmund nur hingelangen kann, Und mit viel Angst und Müh sein Opfer bringet an.“ III. Die Neuzeit. Wir brauchen hier keine Vergleichung mit der neuesten Gegenwart aufzustellen, sie ergiebt sich in allen Einzelheiten von selbst; so auch in der folgenden Beschreibung, die ein medizini- scher Schriftsteller mittheilt: „Der glockenartige Reifrock ist vorn und hinten so zusammengedrückt, daß er eiförmig wird. Er be- steht aus vier Reifen von elliptischer Form, deren einer immer größer ist als der andere. Der untere, als der weiteste Reifen, hat gemeiniglich sieben bis acht Ellen im Umfang der ganzen Weite nach, weniger die aufwärts folgenden, der oberste nurvier Ellen. Am obersten Reifen sind auf beiden Seiten zwei Halb- zirkel, Bügel genannt, angeheftet, davon der unterste Bügel nicht so weit und groß ist als der darauf folgende oberste Halb- zirkel. Die Bügel haben den Nutzen, daß der Reifrock oben nicht sogar spitzig zulaufen und von einem allzuengen Raume sich nicht auf einmal in die Weite ausbreiten möchte. Die Rei- fen sind aus Fischbein oder Rohr; sie sind eine halbe Elle von einander entfernt, der Zwischenraum ist mit linnenem, wollenem oder seidenem Zeuge ausgefüllt, auch mit Bändern und Tressen besetzt. Darüber werden nun die weiten Röcke und Kleider ge- zogen.“ Wie heute wurden auch damals die Reifen häufig aus Stahl statt aus Fischbein gemacht. Letzteres stieg bedeutend im Preise, worüber die Mägde sich zu beschweren begannen, da sie zu ihren gesteiften Miedern viel Fischbein bedurften. Ein ver- sifizirtes fliegendes Blatt behandelt diesen Gegenstand und läßt sogar die Mägde ihre Klage vor die Obrigkeit bringen. Es heißt darin: „Man klaget sonst auch noch bei dieser neuen Tracht, Daß man das Fischbein hat dadurch sehr rar gemacht, Sodaß dasselbige an allen End und Orten, Wie jedermann wohl weiß, viel theurer ist geworden. „Es ist das Mägdevolk darüber voll Verdruß, Weil es das Fischbein itzt so theuer zahlen muß, Wenn es sich etwa will ein Mieder machen lassen; Da schwört und fluchet es und fänget an zu rasen. 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. „Da heißts: der Henker hol doch unsrer Frauen Pracht, Dieweil sie das Fischbein so theuer hat gemacht. Man hat vor kurzer Zeit mir vor gewiß gesaget, Daß sich das Mägdevolk beim Richter hab beklaget“ .... Dann folgt die Supplik der Mägde. Wir können auch heutiges Tages die Erscheinung wahrnehmen, daß das Fischbein in Folge der Crinoline im Preise steigt. Anfangs profilirte sich der Reifrock, wie er unten einen Kreis bildete, in der Höhe gleich einem Halbkreise, sodaß also die ganze untere Hälfte einer Dame völlig die Gestalt einer Halbkugel hatte. Aber dies Maß war noch zu bescheiden: theils wuchs der Reifrock an Ausdehnung, theils hob er sich an den Seiten über den Hüften, sodaß Arme und Ellbogen bequem darauf ruhen konnten, wie das schon oben in den Versen ange- deutet war. Da nun seine Ausdehnung so gewaltig wurde, daß er nicht die Thüren, nicht einmal die Flügelthüren der Palast- säle passiren konnte, sa erfanden die Damen ein Mittel, die schwierigen engen Passagen zu defiliren. Die hintere und vor- dere Seite wurden flacher zusammengedrückt, wodurch freilich die Gestalt en face noch an Ungeheuerlichkeit gewann; aber wenn die Dame nun eine Schwenkung machte, so konnte sie mit eini- ger Unbequemlichkeit Thüren und Corridore wie ein Schiff die Canäle passiren. Komisch war es nun, einen Herrn sich da- neben geberden zu sehen, der sie etwa zu führen hatte. Ohnehin vertrat er mit engem Frack, Kniehose und Strümpfen die mög- lichste Stockähnlichkeit gegenüber ihrer aufgeblasenen Weite. Die Führung konnte natürlich nur mit der Hand geschehen, da er sich nicht soweit nahen konnte, ihr den Arm darzubieten. Zur Seite stehend, hätte er oftmals kaum die Hand zu erreichen vermocht; er trat darum einen bis zwei Schritte schräg voraus, und so faßte er zurückgebogen ihre Fingerspitzen zierlichst mit den seinigen. Der Reifrock wurde völlig allgemein; er verbreitete sich durch die höheren Stände bis tief in die bürgerliche Welt herab, bis auf’s Land zur Frau Pfarrerin nebst Töchtern, und selbst die III. Die Neuzeit. Dienstmägde suchten zu ihren fischbeingesteiften Miedern im sonntäglichen Putz die Hüften zu erweitern. Im engen Ge- dränge, im Schauspiel und in der Kirche, wo die Sitze abge- messen waren, zeigte sich diese Mode besonders lästig, und es mag daher die Geschichte des Städtchens Fürstenau nicht ver- einzelt dastehen. Hier nahm die Frau Pastorin zuerst zwei Kirchensitze für ihre Person in Anspruch, aber das Recht wurde ihr bestritten, und der darauf folgende Prozeß entschied gegen sie. Auch heute reicht oft ein Sopha nur für eine Dame aus. In der ersten Periode des Reifrocks im sechszehnten Jahr- hundert, hatte die Vertugalla ihr männliches Gegenstück in der Pluderhose und Puffhose gefunden; jetzt blieb es bei der engen Kniehose. Aber doch findet sich eine ähnliche Erweiterung, wenn es auch mehr als vorübergehende Mode betrachtet werden muß, daß die Herren mit Fischbein oder sonst in künstlicher Weise die Schöße ihrer Röcke auszubreiten suchten. Sie hielten damals viel auf eine schlanke Taille. In dem oben angeführten fliegenden Blatt sagt darum Silinde zu Erasto: „Seht eure ausstaffirten Röck, Sie sehen, wie die Schwärmerstöck, Sie breiten sich aus wie die Drachen, Die sich den Augenblick zum Fliegen fertig machen.“ Und unter den Versen des „deutschen Franzosen“ hieß es: „Der Rock kann mit dem Reifrock streiten.“ Im Hofleben hielt sich der Reifrock in seiner grotesken Ge- stalt bis zur französischen Revolution, wenn er auch einige Stöße und Angriffe erleiden mußte. Kaiser Joseph war der erste, welcher ihn vom Wiener Hofe verbannte, wo bis dahin demselben sieben Ellen Weite vorgeschrieben waren; er erlaubte jedermann nach Belieben in moderner Kleidung zu Hof zu ge- hen. In der gewöhnlichen Tagestracht des damaligen s. g. Ne- glig é sinkt er schon seit dem Jahr 1770 wieder zusammen, während ihn die Grande Parure nach wie vor auch in der vornehm bürgerlichen Welt erforderte. Schon um das Jahr 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. 1780 können wir weibliche Gestalten sehen, denen der Rock flach und senkrecht von den Hüften herabfällt. Wenn wir hieran auch erkennen mögen, daß wir uns einer andern Zeit nähern, so war derselben doch keineswegs ein so friedlicher Triumph gestattet. Es geschieht noch im Geiste der alten Zeit, im Geiste des Zopfes und des Reifrocks, wenn nun statt des letzteren die fal- schen Culs und Bouffanten in Mode kommen, und was die Ge- stalt en face verliert, somit das Profil der Rückseite ihr wieder zulegt. Mit dem Fall des Reifrocks und dem Wachsen des Culs kehrt auch die Robe in ihre alten Rechte zurück. Vor der unge- messenen Weite ihrer Unterlage war ihr im gewöhnlichen Leben kein Raum mehr übrig geblieben, und sie wurde daher bis in die letzten Jahrzehnte des Jahrhunderts nur zur höchsten Gala getragen. Dann wird sie wieder allgemeiner, doch ohne die lange Schleppe, welche die Periode Ludwigs XIV. ausgezeichnet hatte. Das Unterkleid, welches mit Falbeln, Volants, Blon- den und Stickereien unten reich besetzt wurde, mußte immer sichtbar bleiben, und deßhalb wurde der Rock der Robe stets rundum in sehr mannigfaltiger Weise aufgebunden. Erst der Gräkomanie der neunziger Jahre erlag die Robe gänzlich. Eine häufige Ersetzung der Robe in der Zeit des Reifrocks, häufiger aber noch des Mantels, bot die s. g. Contouche dar. Das Frauenzimmerlexikon (1715) beschreibt sie auf folgende Weise: „Contouche ist ein auf absonderliche Art aus allerhand seidenen auch wollenen Zeugen verfertigter weiter Ueberzug und halbes Oberkleid, so fast einem weiten und langen Manteln mit Aermeln gleichet, und dessen sich das Frauenzimmer sowohl in- als außerhalb des Hauses zu ihrer commodité bedienet, und selbigen mit einem Bande oben über die Brust vornher zuzu- binden pfleget; diejenigen, so man in dem Hause trägt, sind etwas kürzer als die andern und werden, weil sie ganz klein und kurz seind, von etlichen auch Cossäcklein benennet.“ Die Con- touche schloß demnach über den Schultern an und erweiterte sich dann ohne alle Taille, sodaß die Trägerin mit ihr, mochte sie Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 19 III. Die Neuzeit. nun länger oder kürzer sein, einem wohlgebildeten Kegel mit sehr breiter Basis im Verhältniß zur Höhe gleichkam. Es war also von der menschlichen Gestalt nicht viel übrig geblieben, Kopf und Arme ausgenommen. Im Uebrigen war aber nichts dagegen einzuwenden, da sie zu Hause bequem war, draußen den Mantel gut vertrat und unter allen Umständen den untern Putz schützte. Dennoch fand sie ihre männlichen Gegner und bedurfte schon 1714 der weiblichen Vertheidigung, wie wir das oben gesehen haben. Spott und ernste Angriffe halfen auch hier nicht, sondern bewirkten vielmehr das Gegentheil. Jene Ver- theidigung schließt mit den Worten: „Laßt Mopsum immer auf Contusch und Reifenröcke Verleumdungspulver streun bei einer jeden Ecke, Sucht ihm vielmehr zum Trotz darinnen stets zugehn, Weil sie commode sein, daneben artig stehn.“ So lange wie der Reifrock oder Culs und Bouffanten in Blüthe standen, so lange lebte auch die Schnürbrust , denn eines bedingte das andere, da es ja darauf ankam, die Schlankheit der Figur — d. h. nach der Auffassung jener Zeiten — durch den Gegensatz zu heben. Demnach ruht der Obertheil des Körpers mit dem möglichst kleinen Umfang auf den ins Unge- heure ausgedehnten Hüften. Ebenso erforderte die Schmalheit der Taille wieder ihre übertriebene Länge. Auch hier trat erst die Revolution mit ihrer Gräkomanie umgestaltend ein. Dieselbe bewirkte auch die endliche Umbildung der weib- lichen Fußbekleidung . Bis dahin hatten sich nach wie vor die hohen Absätze gehalten, um so mehr da die Füße mit viel bedeutenderer Wichtigkeit auftraten, seitdem das Reifengestell rundum das Kleid hob und die Füße sichtbar machte. Zum ersten Mal war eigentlich jetzt in der Geschichte der weiblichen Kleidung der Damenfuß völlig emancipirt und gehörte nun zu den sichtbaren Reizen, während man früher seine Schönheit viel- mehr hatte ahnen müssen und lassen. Das blieb auch, als der Reifrock sank; selbst die französische Revolution mit ihrem à la 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. grecque und die Restauration konnten und wollten diese Zierde nicht wieder verbergen. Hatten aber die Damen schon von jeher viel auf eine zierliche Fußbekleidung gegeben, so war sie jetzt zur Nothwendigkeit geworden. Der Schuh, vorne spitz geformt, deckte gewöhnlich nicht viel mehr als die Zehen und war na- mentlich hinten und an den Seiten äußerst schmal; doch kamen auch halbstiefelartige Formen nicht selten vor. Immer hatte er sehr hohe gefärbte Absätze, welche im Contour schön geschweift waren. Sein Stoff war das feinste farbige Leder, gewöhnlicher aber noch Seide oder Atlas, seine Zierde Stickerei und Bänd- chen und Schnalle. Draußen bei schlechtem Wetter wurden Ga- loschen verschiedener Art getragen, welche, wie die hohen Absätze, den Gang keineswegs erleichterten. Wie wir das modische Costüm bis hierher als ein der Zopf- zeit eigenthümlich angehörendes haben kennen lernen, mit der Puderfrisur, sei sie hoch oder niedrig, sei sie Schwanzperrücke oder Eigenzopf, mit der Nüchternheit der männlichen Erschei- nung und der Aufgeblasenheit der weiblichen, so fand es in der ganzen civilisirten Welt noch bei weitem größeren Eingang als die Staatsperrücke und ihr Gefolge. Denn vor dem Zopfcostüm beginnt selbst in Rußland und Polen das Nationalcostüm, we- nigstens weiblicherseits, zu wanken, und in Deutschland weichen sogar die kaum consolidirten Volkstrachten in bedenklicher Weise vor ihm zurück. Wenn wir von den Amtstrachten ab- sehen, welche erst die französische Revolution oder in ihrem Ge- folge die veränderten Stadtverfassungen beseitigten, so verliert sich aus den Städten im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts alles dasjenige wieder, was das sechszehnte und siebzehnte an original scheinenden Formen zurückgelassen hatte, oder es bleibt einzig und allein bei gewissen arbeitenden Classen stehen. So können wir z. B. in Hamburg und Lübeck bei den Packern, Trä- gern und andern Handlangern des kaufmännischen Verkehrs noch heutiges Tages die weite Kniehose in der Form wie zur Zeit des dreißigjährigen Kriegs nebst Strümpfen und Schuhen fin- den. Die gesammte bürgerliche Welt, soviel sie sich nur einiger- 19* III. Die Neuzeit. maßen der Selbstständigkeit erfreut, bis auf den einfachsten Handwerksmann mit Frau und Tochter legen der Aeltern und Großältern Kleidung ab und folgen der Mode, so gut es eben gehen will. Es sind darum auch nicht mehr bestimmte Vor- rechte, bestimmte abgestufte Preise der Stoffe oder des Schmuckes, welche die willkürlich von oben her festgesetzten Stände oder Classen scheiden, nicht mehr neue und veraltete Moden, sondern der Geschmack allein, der wahre oder vermeinte, wie er grade in zeitgemäßer Weise herrschte, und neben dem Geschmack die im Vermögenszustand liegenden Gränzen. Dieses Zurückweichen der Volkstrachten vor dem Zopfcostüm ist ebenso deutlich, wenn auch nicht mit derselben Ausnahms- losigkeit, auf dem Lande zu bemerken. Wenn wir weiter keine Nachrichten darüber hätten, so würden wir aus dem Resultat, wie es uns heute vorliegt, den vollgültigsten Beweis schöpfen können. Wir mögen die deutschen Volkstrachten mustern bis überall an die Gränzen der deutschen Zunge, von dem Hirten des Berner Oberlandes und der Sennerin an bis hinab zum Marschbauern, zum Ditmarsen, Friesen und Holländer, vom Rheine bis nach Mähren und zur Memel, wir werden kaum irgend eine Tracht finden, die in unzerstörter Vollständigkeit aus einer dem Zopf voraufgehenden Periode datirte. Viel- mehr ist der größte Theil desjenigen, was uns noch heut zu Tage in bunter Vermischung der Zeiten und Formen als Volks- tracht entgegentritt, der Periode des Zopfes und zwar der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zuzuschreiben, so sehr, daß uns oft die ganzen Figuren, Männer wie Frauen, gleich leben- digen, nur allerdings verbauerten Repräsentanten der glorwür- digen Costümperiode Ludwigs XVI. vorkommen. Nicht minder werden wir noch kräftig an die Löwen und Löwinnen der Revo- lution gemahnt, und selbst Erinnerungen an die Anfänge des neunzehnten Jahrhunderts können wir nicht abweisen. Diese Umwandlung der Volkstrachten macht sich in so bedeutender Weise geltend, daß man von der Herrschaft des Zopfes an ihre zweite Bildungsperiode beginnen könnte. 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Wenn diese Erscheinung einerseits im ganzen Wesen der Zeit begründet liegt, so fand sich doch auch eine Ursache, die in directerer Weise mitwirkte. Wir müssen uns erinnern, daß die Periode des Zopfes auch die einer „erleuchteten und aufgeklär- ten“ Büreaukratie ist. Der Büreaustaat, der bekanntlich alles schematisirt und auf Regeln zieht, liebt die Gleichmacherei, und so waren die bunten Volkstrachten ein schreiender Mißklang in dem farblosen Bilde seiner Weltanschauung. Wie er alle Häuser weiß anstrich, die Ornamente herunterputzte und die Gesimse herabschlug, um blanke Fläche zu haben, so hätte er auch am liebsten die ganze Welt mit dem Puder seiner Altklugheit über- streut und ihr den Zopf angehängt, den er selber trug. Zumal da die Volkstracht keineswegs eine billige Kleidung zu sein pflegte, so vermeinte er zugleich dem Luxus zu steuern, wenn er ihr opponirte. Ein Gesetz, welches dahin zielte, war namentlich die Verordnung, die vom Kurfürsten Maximilian Joseph 1749 für München erlassen und in den folgenden Jahren wiederholt und eingeschärft wurde. Gegen die reichen Goldborten vorzugsweise gerichtet, traf sie vor allem die Riegelhauben und die goldenen Brusteinsätze der Münchner Bürgerfrauen. Die Execution wurde mit wenig Rücksicht ausgeführt. Als am Neujahrstage 1750 früh zwischen sechs und sieben Uhr die Frauen in ihrem Staat zur Kirche gingen, wenig bekümmert um das vorher erlassene Mandat, standen schon die Amtsdiener bereit und rissen ihnen die goldbordirten Hauben vom Kopf und die goldenen Bruststücke aus dem Mieder. Andere Frauen hatten bis zur Kirche schwarze Hauben getragen und dann unter dem Portal die goldenen auf- gesetzt, welche sie verborgen mit sich gebracht hatten: allein es wurde den Amtsleuten bekannt, und als sie aus der Kirche traten, wurden sie untersucht und des verbotenen Schmuckes beraubt. Mit den Frauen der Rathsherren hatte man öffentlich etwas mehr Schonung, aber man notirte sie und legte ihnen auf die Nacht militärische Execution in’s Haus. Wenn es nun auch hier und da der Büreaukratie und mehr noch dem allgemeinen Geiste des Zopfes gelang, einen starken III. Die Neuzeit. Riß in die Volkstracht zu machen, so kam es doch nicht soweit, daß auch die Ursachen zu jeglicher Fortbildung derselben mit der Wurzel ausgerissen wurden. Denn kaum ist diese Periode vor- über und die Menschheit in eine neue Bahn geschleudert, so bleibt das Landvolk, wenn auch nicht beim Zopfe selbst, doch bei der Zopftracht stehen und consolidirt sie wieder zu localer Eigenthümlichkeit. Dies ist in Verbindung mit den Ueberresten der älteren Volkstracht dasjenige, was wir heute sehen und was ebenfalls nun wieder dem Aussterben nahe erscheint. Grade als die Herrschaft des Zopfes unter der Protection der erleuchteten Büreaukratie und der berühmten „Aufklärung“ in die schönste Blüthe trat, gleich nach der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, beginnt auch die Gegenwirkung im natura- listischen Sinne sich zu regen. Es ist die Litteratur, welche diesmal den Vortritt hat, denn nicht im socialen Leben der hö- fischen und der vornehmen Kreise überhaupt, und noch weniger in der einfach bürgerlichen oder spießbürgerlichen Welt, dem da- maligen Sitz des Philisterthums, haben wir dergleichen zu suchen. Der Staat hat diese harmlose Welt in seine vormundschaftliche Pflege genommen und ist bemüht, sie wie ein unschuldiges, un- mündiges Kind vor allen Gefahren des öffentlichen Lebens zu bewahren; nur die Aufklärung, obwohl sie sonst die Schwester der Büreaukratie ist, desselben Geistes Kind und ihre beste Freundin, betritt doch oft in ihrem Eifer, „das Licht der Vernunft“ auszubreiten, gefährliche Bahnen, indem sie das Hohe und das Heilige mit flacher Pietätlosigkeit betastet, nicht anders es be- trachtend wie das Gewöhnliche und Gemeine. Wir können die Folgen davon in wachsender Frivolität bis zur Revolutions- periode auch in Deutschland verfolgen. Im Ganzen aber lebte das Bürgerthum, wozu ich auch die Masse der s. g. Gebildeten rechnen will, stillzufrieden unter seiner Vormundschaft. Diese Zeit, „da der Großvater die Großmutter nahm“, ist die Zeit be- haglich ruhigen Daseins und bornirter Philistergemüthlichkeit, 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. da man von aller Oeffentlichkeit abgezogen die harmlosen Ge- sellschaftslieder von Rosen und Veilchen und dem Pfeifchen voll Knaster sang, da man sich die zarten, blumigen Stammbuchverse schrieb mit den Versicherungen ewiger Liebe und Freundschaft und den Vergißmeinnichtkranz dazu malte oder in sentimentaler Rührung unter der Trauerweide den bemoosten Stein und den Aschenkrug. Das war eigentlich die einzige Opposition, welche diese Welt den unnatürlichen Zuständen, von denen sie wohl ein Ge- fühl, aber kein Bewußtsein hatte, zu bieten wagte: Sentimen- talität und Thränenseligkeit. Wie dem kummerbedrückten Men- schen unter Thränen die Erleichterung des Herzens kommt, so fand auch diese an Seele und Charakter kranke Welt Trost und Beruhigung und endlich selbst Genuß und Vergnügen in Thränen- bächen. Man glaubt sie rinnen und rieseln zu hören, seitdem Miller’s Siegwart die Schleusen geöffnet hat — so reichlich fließen sie. Dieser Zug der Wehmuth, der die Harmlosigkeit des Da- seins unterbricht, ist das unbewußte Suchen und Sehnen nach der verlornen Natur und Wahrheit, die man erst im Donner- sturm der Revolutionsperiode wieder finden sollte. Daß das Gewitter so nahe sei, davon hatte man in diesen Kreisen keine Ahnung: hier trank und sang man, liebte und küßte, sprach von den Angelegenheiten des Hauses und des Herzens, und dann ging man hinaus, sah in den Mond, der bei solchen Gelegen- heiten immer schien, und löste sich in Thränen seliger Rührung auf — man wußte nicht warum und wie. Und natürlich, wie die Menschen weich und wehmüthig wurden, so schlugen die Nachtigallen klagender, Nachtviolen und Levkojen und Apfel- blüthen dufteten süßer, den Schafen und Ziegen gingen die Augen über — kurz, die belebte und unbelebte Natur gab den Menschen ihre volle Theilnahme zu erkennen. Diesem ganzen städtischen und ländlichen Idyllenwesen, dem geßnerischen wie auch dem vossischen, der thränenfeuchten Siegwarterei und dem halberstädtischen Freundschaftsbunde, der oberflächlichen Aufklärung und eben so der Geheimbündelei, III. Die Neuzeit. dem allen klebt der leibhaftige Zopf an, freilich ohne daß er den Trägern sichtbar wird, da er eben hinten hängt. Aber daneben giebt es andere Geister, die in anderer Weise aber nicht minder kräftig als Rousseau der Unnatur opponiren. Während die einen befriedigt in eitler Selbstgefälligkeit bloß mit sich und der Freund- schaft beschäftigt sind, durchbrechen andere gewaltsam die conven- tionellen Schranken der Sitte und des Lebens und in gleichem diejenigen Fesseln, welche der klügelnde Verstand, der Schema- tismus und Dogmatismus dem Dichten und Denken angelegt haben. So tritt der harmlosen Bornirtheit die Sturm- und Drang- periode gegenüber, der weinenden Empfindsamkeit die urwüchsige Kraftgenialität. Wenn diese nach Freiheit und Fessellosigkeit drängende Be- wegung auch zunächst und vorzugsweise in der Litteratur ihren Kampfplatz fand, so konnte es nicht ausbleiben, daß die Stürmer und Dränger auch den übrigen Zwang bei Seite warfen und sich im socialen Leben als dieselben bethätigten, als welche sie in der litterarischen Welt auftraten. Ein Lenz und Klinger, die Stol- berge und andere, die Weimaraner gefielen sich in kraftgenia- lischem Toben, wenn sie auch alle, Lenz ausgenommen, der als Opfer des Sturmes und Dranges fiel, wieder zur Sitte und Ordnung zurückkehrten; und selbst Schiller schrieb nicht bloß die Räuber, er entfloh auch dem unerträglichen Zwange zu Stutt- gart. In dieser socialen Beziehung freilich blieb ihr Einfluß ge- ringer als in der Litteratur, da sie für sich standen und zunächst nur ihre Umgebung hinzureißen vermochten. Aber es schloß sich ihnen dann, wenn auch in gemäßigterer Weise, die ganze Classe der Schön- und Freigeister an. Es ist nicht schwer, diese Bewegung der Geister auch am Costüm zu erkennen, und wir haben außerdem noch directe Zeug- nisse darüber. Es mag übertrieben sein, wenn Böttiger von einem der Kraftgenies, dem Schweizer Kaufmann, erzählt, daß er, „um seinen Genieberuf zu beurkunden, in einer grünen Fries- jacke, mit entblößter Brust, mähnenartig flatternden Haaren und einem gewaltigen Knotenstock“ in Weimar einhergegangen und 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. so in der Fürstin Zimmer und an des Fürsten Tafel gekommen sei; dennoch liegt Wahrheit darin. Viele, die an der Bewegung theilnahmen, ließen den Puder beiseit, zauseten den Zopf aus- einander und gingen in langem, wild durchwirrtem Haar einher. Derartige Portraits, namentlich von Künstlern, treffen wir sehr häufig an. Oft scheint es uns, als ob wir eine vollständige An- ticipation der französischen Revolutionstrachten vor uns hätten; denn auch das Hemd öffnet sich, wie von Kaufmann erzählt wird, und Frack, Weste und Beinkleid werden locker, weit und schlottrig. Aber dieses wilde Costüm blieb nur die Auszeichnung der extravagantesten Genies; die große Menge der Schön- und Frei- geister, welche damals eine bedeutende und einflußreiche Classe der Gesellschaft ausmachten, trugen sich zwar als die vom Zeit- geist Emancipirten in besonderer und in einer den Augen der damaligen Welt immerhin sehr auffallenden Weise, doch keines- wegs in phantastisch oder unanständig übertriebenen Formen. Ihre bedeutungsvollsten Kennzeichen waren der runde Cylinder- hut und der Stiefel , wozu allenfalls noch der Stock statt des Degens kam; doch muß man hinzufügen, daß auch der ein- fache Frack , unbordirt und von ungeblümtem Stoff, im Ge- gensatz zu dem reichgeschmückten Staatsrock, den nur eine sehr geringe Umschneidung der Schöße frackähnlich machte, als ein Zeichen der Emancipation von Sitte und Herkommen galt. Noch war der Frack nicht salonfähig geworden, viel weniger hoffähig. Aber bald sollte er diese Eroberung machen, in deren Besitz er sich noch heute mit absoluter Macht behauptet. Goethe war es, der ihm den ersten Triumph errang. Als er im Jahr 1775 nach Weimar kam, siegessicher wie ein herr- schender Gott, trug er die „Werthermontirung“, und augenblick- lich legte dieselbe der Herzog und der ganze Hof an. Es war das die Kleidung, in welcher Werther sich erschossen hatte: blauer Frack mit Messingknöpfen, gelbe Weste, Lederbeinkleider und Stulpenstiefel. Es war aber das mit dem runden Hut eben die Tracht der emancipirten Geister. Alle diejenigen nun, die mit III. Die Neuzeit. dem Werther geliebt und gelitten hatten, kleideten sich auch in seiner Weise, und selbst den empfindsamen Damen mußte diese Tracht verehrungswürdig erscheinen, weil Werther sagt: „in diesen Kleidern, Lotte, will ich begraben sein, denn du hast sie berührt, geheiliget .“ Die Puderfrisur und der Zopf waren damit aber noch nicht abgelegt, sie gehörten im Gegentheil noch zu dieser Tracht, wie die Sentimentalität den Schöngeistern nahe stand. Selbst als Karl August im Jahr 1780 den Zopf wirklich ablegte und das Haar rund schnitt, änderte das nichts am Kopfe der Eleganten. Es ist aber das bezeichnend, daß schon in den beiden letzten Jahrzehnten vor der französischen Revolution diejenigen als die Eleganten, als die Stutzer und Löwen galten, welche mit dem einfachen blauen oder braunen Frack, mit rundem Hut und Stulpstiefeln der neuen freieren Mode folgten; nur mußten auch sie, wenn sie im Salon erschienen, Schuhe und Strümpfe tragen und den dreieckigen Hut unter dem Arm und den Degen an der Seite führen. Die eigentliche Anerkennung verschaffte der neuen Tracht erst die französische Revolution und in ihrem Gefolge der Umschwung der Ideen und Gesellschaftsformen. Ehe wir darauf weiter eingehen und namentlich die Ge- schichte des Hutes und der Stiefeln sowie das Ende des Zopfes näher verfolgen, haben wir noch eine dem männlichen Stutzer- thum ähnliche Erscheinung bei den Frauen zu bemerken. Wir wissen, daß in den Kreisen der schöngeistigen Welt die Frauen an allen Begebenheiten des litterarischen Lebens selbst activ theil- nahmen, wie denn ohne sie die Sentimentalitätsperiode gar nicht denkbar wäre. In ähnlicher Weise, den Schöngeistern gleich, emancipiren sie sich von der Mode und schaffen sich nach dem Muster des männlichen ein eigenes Costüm. Einige streichen das Haar selbst herunter und binden es hinten mit einer Schleife zu einer Art Zopf zusammen; gewöhnlicher jedoch wölben sie es einfacher als die Mode, von Stirn und Schläfen kugelartig in die Höhe in den s. g. hérisson (Stachelschwein). Aber sie fangen schon an, den Puder wegzulassen, oder bestreuen ihren 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. „Igel“ mit blondem Puder. Zur Bedeckung tragen sie zwar auch zu Zeiten die Dormeuse, was denn allerdings mit der übrigen Kleidung in Widerspruch ist, allein gewöhnlich bedienen sie sich des runden Herrenhutes, der sich auch, wie wir das schon oben gesehen haben, auf der hochgethürmten Frisur findet. Das auf- fallendste an dieser männlich gearteten Damentracht ist über dem weiblichen Rock der Frack, der auch in weiteren bürgerlichen Kreisen zu großer Allgemeinheit kommt. Im Schnitt gleicht er völlig dem männlichen mit stehendem oder umgelegtem Kragen, mit umgelegten Patten, mit engen, langen Aermeln und den Schößen, die nur kürzer, oft sehr kurz zu sein pflegen. Die Dame trägt ihn auch von denselben Stoffen und Farben wie der Herr, aber auch, was später gewöhnlicher wird, mehr leibchen- artig von helleren und leichteren Damenstoffen. Den Namen Frack führt er nicht bei den Frauen, sondern wir finden ihn ge- wöhnlich als Caraco oder longue veste bezeichnet. Es ge- hörte dann ebensowohl die kurze Neglig é weste der Herren dazu. Der Rock des Kleides erlitt dadurch weiter keine Verände- rung, nur konnte freilich der ohnehin im Sinken begriffene Reif- rock nicht dabei geduldet werden. Die männliche Erscheinung einer solchen Dame wird noch durch den Spazierstock erhöht, den sie statt des sonst immer gebräuchlichen Fächers in der Hand führt. Im Uebrigen kam der Faltenfächer , der ganz seine alte Form beibehielt, nicht aus dem Gebrauch, sondern setzte als Liebestelegraph auf Spaziergängen und im Salon sein stummes Spiel fort. Mütter brauchten ihn, ihren Töchtern geheime Winke in der Gesellschaft zu geben; andere verbargen dahinter ihre Ver- legenheit; fast am wenigsten diente er seinem ursprünglichen Zweck, Kühlung zuzufächeln. Wenn er seine Form auch nicht änderte, so begleitete er doch mit seinen bunten, bedeutungs- vollen Verzierungen alle Ereignisse der großen Welt, welche das öffentliche Interesse auf eine Zeit gefesselt hatten. So gab es Fächer à la Cagliostro, welche mit Pyramiden und flammenden Sternen auf seine ägyptische Weisheit und seine Freimaurerei III. Die Neuzeit. anspielten. Bei der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms II. wurden Huldigungsfächer angekündigt, die mit mythologischen und allegorischen Gegenständen, von der Hand Chodowiecki’s gestochen, an diese Begebenheit erinnerten. Die schönste Aus- wahl hatte wohl der Fächerfabrikant Löschenkohl in Wien, dessen am 15. Mai 1786 veröffentlichtem Verzeichniß wir einige Bei- spiele entnehmen wollen: „ Physiognomische Fächer , wozu die Köpfe aus Lavaters Physiognomik genommen sind, und die dem schönen Geschlecht bei Erwählung eines Liebhabers vorzüg- lich nützlich sein können. Sollten diese Fächer jenen Beifall er- halten, den man zu hoffen Ursache hat, so wird nach und nach die ganze Sammlung Lavaters physiognomischer Kenntnisse auf gleiche Art erscheinen. Fächer zur geheimen Sprache der Liebe , vermittelst welcher sich Personen in einer Gesellschaft unterreden können, ohne von andern bemerket zu werden. Fächer mit optischer Mädchenwahl ; hier erblickt man Mannsper- sonen, die sich auf solche Art unter Schönen allerlei Arten eine Geliebte wählen“ u. s. w. Auch hatte Herr Löschenkohl Fächer, auf denen Lotte bei Werthers Grab und Lotte in Ohnmacht mit Albert dargestellt war. Das freiere, in Formen und Farben einfachere Costüm kam zwar verhältnißmäßig früh in Deutschland zu einigem Ansehen, indem es hier theilweise an den vielen nach dem siebenjährigen Kriege zum Civil zurückgekehrten Offizieren und überhaupt an dem spezifisch preußischen Militärgeiste Anhang fand, insbesondere aber die Schön- und Freigeister in allen Classen und Ständen für sich gewann, dennoch aber ist es in seinen Formen aus der Fremde herübergekommen. Wir müssen den runden Hut und den einfachen Frack bei den Quäkern und Pflanzern, bei den Re- publikanern Nordamerika’s aufsuchen, von denen sie die freund- schaftlichen, im Unabhängigkeitskriege bewährten Beziehungen mit Frankreich bald diesem Lande zuführten. England zeichnete sich ohnehin zu jener Zeit, sowie auch durch die ganze Periode der Revolution dadurch aus, daß es männlicher- wie weiblicher- seits die einfachere, solidere Eleganz liebte und sich von allen 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Extravaganzen und Auswüchsen der französischen Moden fern hielt. Zum englischen Reitcostüm, welches zugleich die allgemeine Stutzertracht war, gehörte der runde Hut in etwas kleinerer und steiferer Form als ihn der Quäker trug, sodann der Frack und endlich die hohen Stiefeln mit lederfarbenen, braunen Stulpen; häufig auch die schwefelgelbe Lederhose. Wir dürfen annehmen, daß dieses Costüm von England aus nach Deutschland gekom- men ist, wo es dann unter dem Namen „Werthertracht“ be- kannter wurde. Allein weder in England noch in Frankreich noch in Deutsch- land hatte dasselbe bis dahin vermocht, sich eine eigentlich gesell- schaftliche Stellung zu erringen; es machte nur als etwas Be- sonderes seinen Träger interessant, sei es als Freigeist und revo- lutionären Verächter der Sitte oder als einen der herzenskranken Malcontenten, der die Unbefriedigkeit der Gegenwart, das un- bewußte Sehnen nach politischer und socialer Genesung als Welt- schmerz in seinem Inneren trug. Zum ersten Mal trat es in be- deutungsvoller Weise als bewußtes Parteizeichen bei der Ver- sammlung der französischen Notabeln auf, wo der dritte Stand im einfachen Frack, freilich noch in Schuhen und Strümpfen, sich auch äußerlich in Opposition zum goldbordirten Adel stellte, der das Glanzcostüm Heinrichs IV. affectirte. Es war dieser letztere Umstand freilich auch ein Zeichen, daß selbst in den höch- sten Kreisen der Glaube an die unübertrefflichen Vorzüge des Zopfcostüms zu sinken begann, aber der Versuch blieb vereinzelt wie ein ähnlicher, den einmal der Hof Ludwigs XVI. machte. Man wollte sich der herrschenden Tracht und mit ihr der ganzen steifen Etiquette entledigen und mit dem Costüm auch wohl zu dem übrigen frei galanten Wesen des französischen Hofes im sechszehnten Jahrhundert zurückkehren. Der Plan fand den Bei- fall der jungen Königin und wurde vom König nicht gemißbilligt, und so wurde der Befehl erlassen, daß auf einem Ball der Köni- gin die sämmtlichen Herrn im Costüm der Zeit Heinrichs IV. er- scheinen sollten. Da zeigte sich nun zwar die Jugend sehr zu ihrem Vortheile, aber das Alter, das bisher unter dem Puder III. Die Neuzeit. und sonst durch künstliche Mittel die verrätherischen Zeichen ver- borgen und die flüchtigen Reize erheuchelt hatte, wurde in seiner Blöße aufgedeckt. Die eitle Zeit vermochte sich noch nicht dar- über hinwegzusetzen, und so dachte man nicht weiter an den Ernst, den man beabsichtigt hatte, sondern erinnerte sich der Sache nur noch als eines heitern Maskenscherzes. Wir sehen, es blieb der Revolution noch ein hinlänglicher Zopf übrig, von welchem sie die Welt zu befreien hatte. Wir wollen uns denselben noch einmal in einem Gesammtbilde der männlichen und weiblichen Erscheinung vor die Erinnerung bringen. Der vornehme Herr trägt bei Galakleidung den französischen Rock, der nur vorn in frackähnlichem Schnitt mit den Schößen weit aus einander steht; der stehende Kragen, die Säume vorn herab, die großen Taschen, die dem Frack abgehen, und die Umschläge an den Händen sind reich mit Gold und Sil- ber bestickt. Auch die lange, weiße oder hellbunte Schoßweste ist mit denselben oder ähnlichen Mustern bestickt; zwei Uhrgehänge — denn wer es konnte, trug zwei Uhren — fallen darunter her- aus. Das Beinkleid geht eng bis unter das Knie herab und hat hier ebenfalls Stickerei und Schnalle. Zur Gala gehören die weißen Zwickelstrümpfe, schwarze Schuhe mit großen silbernen Schnallen und noch immer mit rothen Absätzen. Aus der Weste tritt der Busenstreif heraus, und um das weiße Halstuch legen sich — damals zuerst — die kleinen dreiseitigen Hemdkragen ganz in der Form der heutigen Vatermörder. Das Haar hat sich unter dem Vorgang der Damen allmählig von der Vergette zur Igelform umgestaltet, doch ist es noch unausweichlich mit Puder überstreut; an den Seiten hängen die Lockenrollen, und im Nacken sitzt der Zopf und die breite haarbeutelartige Bandschleife. Der dreieckige Hut unter dem Arm und an der Seite der Degen mit brillantirtem Stahlgriff vollenden das Musterbild. Etwas anders sah die Erscheinung in der Demi-Parure, im Neglig é aus, in dem Zustande, den man damals en chenille nannte, während dieser „Raupe“ gegenüber der Mann en grande parure als Schmetterling zu betrachten ist. 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Der Mann kleidete sich en negligé, wenn er seinen gewöhn- lichen Tagesgeschäften und Arbeiten nachging. Dann trugen nur noch die äußersten Pedanten, die alten Herren, die noch ganz in der Erinnerung ihrer Jugendgalanterie lebten, den drei- eckigen Hut unter dem Arm; sonst drückte man den Hut à l’ An- drosmane auf die gepuderte Zopffrisur. Dieser Hut ist das Vorbild des napoleonischen: der Kopf war rund und ziemlich klein, im Nacken stand eine breite Krämpe hochaufgerichtet, und die beiden Seitenkrämpen, die eigentlich nur eine waren, bilde- ten eine Kante über der Stirn. Rock und Weste hatten keine oder doch nur eine Andeutung von Stickerei; die letztere war kürzer und ohne Schöße. Die Strümpfe waren farbig, meist buntgestreift, und den Degen ersetzte das lange Bambusrohr mit Knopf, Band und Quaste. Ueber dem Rock und Frack lag auch, je nach dem Wetter, ein langer, buntgestreifter Sürtout oder Oberrock. Die gestreiften und geblümten Stoffe liebte noch vorzugs- weise der wohlhabende deutsche Bürgersmann. Der bunte kost- bare Rock oder Oberrock, die geblümte und bestickte Weste, ein- mal zur Hochzeit angeschafft, mußten fast ein Menschenalter aus- halten und pflegten dann in verkleinerter Gestalt auf die Kinder überzugehen. So ist des Großvaters bunte seidene Weste mit großen Taschen und Klappen darüber eine traditionelle Erinne- rung der Familien geblieben, und in mancher mag sie sich gar als ehrwürdiges, mit Pietät geschontes Erbstück noch bis heute erhalten haben. Wir wollen beispielsweise ein paar solcher Muster Lyoner Fabrikats, wie sie im Jahr 1786 Mode waren, aufführen; man sieht ihnen an, daß die künstlerische Phantasie ziemlich zu Ende war. Es gab einen Moir é westenstoff von vio- lettem Grund mit grüner Bordüre, in welcher lauter Affen waren, die silberne Sonnenschirme trugen; ein anderer violetter Moir é - stoff hatte weiße Bordüre und grünes Eichenlaub mit Figuren von der Niederjagd, Hasen, Hunde, Feldhühner, Vögel; ein anderer wieder hatte die höhere Jagd; einer wird so beschrieben: „Grund fumée de Londres, mit Gartenwerk und Vogelfang, III. Die Neuzeit. die Bordüre weiß und grün von Gemüse, mit Garteninstrumen- ten, Vogelkäfigen, auf den Taschen Obstbäume und Körbe, Gärt- ner und Gärtnerin, Milchesel und Ziegen.“ Wenn wir von jenem Costüm der Damen absehen, welches sie der schöngeistigen Männerwelt nachgebildet hatten, und wel- ches ebenfalls England seinen ersten Ursprung verdankte, so hatte die Frauentracht , namentlich bei hoher Toilette, mochte sie der Frau Gräfin oder der Frau Amtmännin angehören, noch nichts von ihrem alten Charakter verloren. Noch thürmten sich die Frisuren mit mächtigen Hauben und Hüten in „sublimer Voll- kommenheit“ kunstvoll in die Höhe, und die Frauen achteten es für nichts, wenn sie mit Hintansetzung aller häuslichen und müt- terlichen Pflichten Stunden lang sich dem Friseur hingaben oder mit eigenen Händen noch länger an sich herumkünstelten. Es war keine Seltenheit, ja sogar ein gewöhnliches Ereigniß, wenn ein großes Fest bevorstand und demzufolge Mangel an kunst- fertigen Friseurhänden sich einstellte, daß die Damen schon am Tage vorher sich coiffiren ließen und nun in ängstlicher Stellung die Nacht und den Tag verbringen mußten, um das Gebäude zu schützen und möglichst frisch zu erhalten. Noch lag die Brust in gleicher Weise offen wie früher, und die Arme waren bis zum Ellbogen entblößt. Die Schnürbrust herrschte unerbittlich und drückte die Taille lang und eng herab; dann breitete sich das Kleid, durch Reifrock oder Bouffanten und Culs gestützt, in mächtiger Weise aus, und darüber legte sich mit reichen Gar- nirungen die offene, faltenreiche Robe. Die spitzen und zarten farbigen Schuhe hatten noch immer die hohen, ausgeschweiften Absätze, welche gewöhnlich von anderer Farbe wie der Schuh zu sein pflegten. Nur eine Neuigkeit war schon in der letzten Zeit vor dem Ausbruch der französischen Revolution an der Damenkleidung entstanden, das Brusttuch oder Fichu , welches die starke De- colletirung zum Schutze des Teints ähnlich wie im funfzehnten Jahrhundert das Goller hervorgerufen hatte. In seiner gewöhn- lichen Weise legte es sich wie ein Shawl um den Nacken und 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. kreuzte sich über der Brust ungefähr so, doch breiter, wie wir es heute noch hier und da in der Volkstracht wiederfinden. Auch seinen Ursprung dürfen wir in England suchen, aber die Eng- länderinnen, denen sonst die maßvolle Eleganz nachgerühmt wird, mißbrauchten es in arger Weise. So schreibt man schon vom 14. December 1785 aus London: „Ich muß noch einer Sonderbarkeit gedenken, die heuer hier im Schwunge ging. Es wurde mämlich unter unsern Damen Mode, sich den Busen durch das Halstuch außerordentlich hoch aufzubauen und dick zu machen. Man trug zu dem Ende in den Halstüchern Bügel und Car- cassen von Draht, die solch einen sonderbaren Florberg unter dem Kinn einer Dame empor schwellten, daß sie nicht darüber wegsehen konnte. Zum Glück aber sind diese unnatürlichen Ge- schwulste zu ihrer natürlichen schönen Form und Niveau wieder herabgesunken.“ Das letzte dürfte in diesem Maße zu bezweifeln sein, denn nicht nur werden in den nächsten Jahren zum öftern Anspielungen auf die Busengestelle von Draht gemacht, wir sehen es auch den Bildern an, daß sie noch in Gebrauch sind. Die Mode kam auch mit den Fichus nach Frankreich und Deutsch- land, und in jenem Lande mögen wir sie an den Pariserinnen der ersten Revolutionsjahre deutlich erkennen, bis sie vor dem griechischen Costüm verschwanden. Aber in anderer Gestalt be- gegnen wir den falschen Busen im Jahr 1798 wieder zuerst in England. „Die Damen haben“, so wird dem Journal des Luxus geschrieben, „die Sitte, durch wächserne Anlagen ihren Armen Füllung und Rundung zu geben, auf etwas noch Substantielleres angewandt, und sich statt der Busen, wenn die Natur die ihnen versagte, künstliche Stellvertreter von Wachs zugelegt, die so künstlich angepaßt und eingerichtet sind, daß Argus selbst mit allen seinen hundert Augen den kleinen, unschuldigen Betrug nicht gemerkt haben würde, wenn nicht ein unbescheidener Plau- derer, der die neue Erfindung bei den Busenfabrikanten ausge- kundschaftet hatte, durch eine öffentliche Bekanntmachung zum Verräther geworden wäre.“ Farbe und Geäder waren so kunst- voll nachgemacht, daß auch die natürlichen und ächten in den Falke , Trachten- und Modenwelt. II. 20 III. Die Neuzeit. Verdacht kamen falsch zu sein. Die Satire bemächtigte sich bald dieses Gegenstandes, und man erzählte sich, man habe die neuen Wachsbusen nun auch mit Springfedern versehen, wodurch man Seufzer und Herzklopfen natürlich nachmachen könne; ja man habe sogar die Verfeinerung angebracht, auf der wächsernen Oberfläche ein jungfräuliches Erröthen erscheinen zu lassen u. dergl. m. Uebrigens sah man auch in Paris im Jahr 1805 in einem Putzmacherladen des Palais royal künstliche Busen-, Schulter- und Rückenstücke von fein geröthetem Leder mit darauf gemaltem feinen Geäder; Ressorts ahmten das künstliche Athmen nach; der Preis war sieben Napoleonsd’or. Die damalige über- triebene Decolletirung hatte dergleichen künstliche Aushülfen der Eitelkeit nothwendig erscheinen lassen. Hiermit sind wir aber schon in die Zeit der französischen Revolution eingetreten; sehen wir nun, wie sie umwandelnd auf das Costüm einwirkte. In den ersten Jahren schien es fast, als wollte die Mode in Paris still stehen, und als sei alles Interesse, auch das der Damen, von den drängenden Ereignissen der Politik in Anspruch genommen. Selbst der Correspondent des Modejournals hat Mühe, seine Berichte auszufüllen, und spricht weit mehr von der Politik als von den eigentlichen Gegenständen seiner Briefe. Während die Form im Großen, der ganze Charakter der Klei- dung noch zu bleiben scheint wie er war, erinnern uns nur Ein- zelheiten mit ihren wechselnden Namen an die gleich der Mode rasch vorübereilenden Tagesereignisse und an die Männer, welche die Aura popularis heute hebt und morgen stürzt. So hatte man gleich im Anfang Tabatieren à la Necker, man hatte eine couleur de Bastille, eine Robe à la Nation, Fächer à la Mira- beau und auch einen ganzen Anzug à l’Egalité. Eine vorüber- gehende Laune war es, wenn im Jahr 1790 nach dem Vorgange der kleinen Stadt Issoudun ganz Frankreich seine silbernen Schuhschnallen auf dem Altar des Vaterlandes zum Opfer bringen und fortan nur tombackne Schnallen oder schwarze Bänder tragen wollte. Bald darauf trug man in ganz Frankreich auf’s neue 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. die silbernen. Ebenso war es nur ein Einfall, wenn einige junge Leute (1792) die gesammte Männerwelt mit der rothen phry- gischen Mütze und einem s. g. phrygischen Costüm, das aus einem blauen spanischen Mantel und weißen Beinkleidern und Strümpfen in einem Stück bestehen sollte, zu beschenken gedach- ten. Noch konnte Petion, der Maire, den Unsinn dadurch zu- rückweisen, daß er sagte, man müsse die Sache der Freiheit nicht durch solche Affenspiele lächerlich machen. Bald schien in der That die Modeschöpfung von Paris erloschen zu sein, denn schon 1792 klagt der Correspondent, daß etwas Neues nicht mehr er- scheine und die Pariserin nur noch im Neglig é sich trüge, und im Beginn des nächsten Jahres unter der Lähmung des Terro- rismus hören seine Briefe für das Journal des Luxus vol- lends auf. Dennoch aber können wir nicht umhin, wenn wir die Pa- riser Toiletten dieser Jahre näher mustern, bereits den Einfluß der gewaltigen Bewegung anzuerkennen. Man glaubt es selbst den Damenköpfen anzusehen, daß sie mit andern Dingen be- beschäftigt sind, und wenn sie auch gleich groteske Gebäude von Haar, Hauben und Hüten aufführen, so ist es doch, als ob es mit weniger Liebe und Sorgfalt, mit größerer Nachlässigkeit ge- schähe. Auch die Schärpen, die sie jetzt fliegend um den Leib binden, der Nationalgarde gleich, lassen ihre Theilnahme an den Tagesereignissen ahnen. Mehr noch können wir diese Wahr- nehmung an den Männern machen. Je mehr die Revolution ganz Paris und Frankreich in ihren Strudel hineinzieht und die Royalisten durch die Flucht sich ihr entziehen, umsomehr geht die neue einfache Fracktracht von dem schöngeistigen und littera- rischen Gebiet auf das politische über und wird zum Partei- zeichen. Was es nur in Paris von Stutzern gab, trägt den un- verzierten Frack und den runden Hut, aber noch größtentheils Schnallenschuhe und die gestreiften Strümpfe. Vor allem sieht man dem Kopf den revolutionären Charakter an: der Puder wird bald als royalistisch verfolgt, die Frisur rauher und wilder, die Haare wüst nach hinten gekämmt und häufig schon der Zopf 20* III. Die Neuzeit. weggelassen. Gänzlich freilich erlag er auch in Paris noch keines- wegs, aber viele Stutzer trugen ihn nicht aus dem eigenen Haar, sondern befestigten einen falschen von langer und dünner Gestalt oben an den Rockkragen. Die Sitte findet sich auch in Deutsch- land, und so trug ihn zuletzt noch der Offizier. Mit der Revo- lution wächst auch der Stock des Stutzers: aus dem leichten Rohr wird ein dicker Knotenstock, der oft keulenartiges Ansehen gewinnt und in jenen gefahrvollen Zeiten gewiß als kräftiges und nothwendiges Schutzmittel gute Dienste zu leisten hatte. Die ganze Erscheinung des revolutionären Stutzerthums macht keine Ansprüche auf Eleganz, wie sie noch in hohem Maße mit dem Zopfe verbunden war; sie affectirt eine simple Rusticität und hat etwas von dem, was der deutsche Student mit dem Ausdruck „knotig“ zu bezeichnen pflegt; selbst die Damen kleide- ten sich à la paysanne. Doch war der eigentliche Charakter des Costüms bis zum Terrorismus hin noch nicht umgeschaffen. Da aber, als man mit dem Königthum fertig war, drängte sich der Gedanke auf, man müsse die ganze bisherige Bekleidungsweise als „roya- listisch“ ablegen und eine neue „republikanische“ einführen, für welche man natürlich die griechisch-römische Tracht zum Muster nahm. Ohnehin war ja in jener Zeit der Classicismus in Blüthe, und antike Formen begannen die Baukunst, die Plastik, die Malerei und alle Gegenstände des Kunstgewerbes zu beherrschen. Vor allem sollten die Hosen abgeschafft werden, ein Vorschlag, der freilich keine weiteren Folgen hatte, als daß dem Extrem und Auswurf der Revolution der Name „Sansculottis- mus“ blieb; den Hosen sollten Schuhe und Strümpfe folgen, an ihre Stelle die Sandalen treten und Kleid und Frack durch Tunica und Toga ersetzt werden. Der berühmte Maler David, der bekanntlich in der Kunst ein ebenso starrer und kalter Classicist war wie in der Politik ein starrer Republikaner und getreuer Anhänger Robespierre’s, der- selbe war es, welcher unter der Schreckensherrschaft des letzteren sich die Umwandlung des Costüms im classischen Sinne angelegen 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. sein ließ. Zuerst brachte er seinen Vorschlag in den Clubbs vor und ließ ihn eifrigst discutiren, und dann ging er damit vor den Nationalconvent. Wirklich erreichte er auch, daß bei den großen Festen, die Robespierre veranstaltete, als er die Existenz Gottes wieder decretirte, die Chöre der Jungfrauen und Jünglinge, der Knaben und Mädchen in dem „Statuencostüm“, wie man es damals mehr spottweise nannte, erschienen. Allein die Aus- führung entsprach nicht ganz seinen Erwartungen, denn die Pariserinnen hatten zu seinen Modellen an Zugaben und An- hängselchen soviel von dem Ihrigen hinzugethan, daß er das Geständniß machte, das Pariser Muscadin-Unwesen sei eine durchaus unheilbare Krankheit. Auch im Uebrigen war der Erfolg ein sehr zweifelhafter. Die Sache machte viel von sich reden, schien aber Anfangs mehr den Spott und die Satire zu reizen als zur Nachahmung anzu- regen. Und dazu kam, daß nicht lange darauf der Sturz Robes- pierre’s und die Verhaftung David’s erfolgte. Dennoch blieb der Beifall mit der Zeit nicht aus, und zwar in dem Maße trat er ein, daß die weibliche Kleidung völlig umgeschaffen wurde, wenn auch nicht in einer Weise, die den strengen Classicismus David’s hätte befriedigen können. Schon das Jahr 1794 bezeichnet den Wendepunkt. Zu- nächst, und was das wichtigste war, fällt die Schnürbrust und alles, was noch von Reifrock, Culs und Bouffanten übrig war, und die Taille, wenn eigentlich noch von einer solchen die Rede sein konnte, rückt bis unter die Brüste. Zugleich sinken alle gro- tesken Hauben und Frisuren, und Coiffüren von griechischer Nachahmung oder vielmehr die der römischen Kaiserzeit treten an die Stelle. Ein anderes Zeichen ist, daß die hohen Absätze ver- schwinden und die Schuhe sich fußgerecht mit einer kleinen Spitze gestalten. Bald sprach man nicht mehr von Kleid und Robe, sondern nur noch von der Tunica . Einzelne Damen, die den Ton angaben, suchten aber wirk- lich sich in ächterer, oder vielmehr kühnerer Weise mit der Nudi- tät einer Göttin zu gräcisiren. So erschien die schöne, in vollstem III. Die Neuzeit. Ebenmaß gewachsene Madame Tallien, deren politische Rolle bekanntlich nicht gering war, auf einem Ball in der großen Oper in einer weißatlassenen Tunica auf bloßem Leibe, die über das linke Knie heraufgeschürzt war und das ganze Bein bis an die Obertheile bloß zeigte; um die Hüfte trug sie einen kostbaren gestickten, blauatlassenen Schurz; die Tunica ohne Aermel war über beiden Schultern durch Agraffen festgehalten; die ganz bloßen Arme hatten dreifache Armbänder; an jedem Finger und jeder Fußzehe steckte ein Ring; die Haare waren in ein durch- brochenes Casquet, mit Perlen und Edelsteinen besetzt, gefaßt; alles war mit Diamanten und Juwelen besäet; unter den Füßen waren natürlich Sandalen. Trotzdem aber will die neunziger Jahre hindurch das eigent- liche griechische Costüm in wenigstens erkennbar ächten Formen noch keineswegs so recht Platz greifen; was man damals à la Grecque nannte, hat nur die oben angegebenen Eigenschaften, die hohe Taille, den freien Fall des Kleides u. s. w. und häufig mußte die Nudität à la sauvage das Beste thun. Daneben spielen auch andere Moden, die freilich den Grundcharakter nicht ändern, und die griechischen Frisurformen hatten die wenn auch verkleinerten Hüte und Hauben nicht ganz verdrängen können. Wir haben schon oben bemerkt, wie das Interesse, welches der Türkenkrieg einflößte und welches die ägyptische Expedition wieder zu neuem Leben anfachte, neben dem à la Grecque das à la Turque in Mode gebracht hatte; aber die Eigenthümlich- keit desselben beschränkte sich auf turbanartige Hauben und Ara- beskenverzierungen der Kleider. Auch neue englische Moden kamen herüber, und mit ihnen namentlich der Spenzer , die kurze Jacke, welche, wenn die Anekdote recht erzählt, durch Zu- fall entstanden, von längerer Dauer bei der weiblichen Kleidung sein sollte. Lord Spencer soll nämlich auf der Jagd beim Ritt den einen Schoß seines Frackes an einem Ast verloren und, um nicht halbgeschweift heimzukehren, auch den andern herunter- gerissen haben. Bei den Herren war die darnach entstandene Mode sehr vorübergehend. 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Aber grade als die Revolutionswogen sich bereits gelegt hatten und die Bewegung unter dem Consulat in feste Ufer ein- lief, da trat das griechische Costüm in weit bestimmterem Cha- rakter hervor. Nicht ohne Einfluß darauf ist die Nacktheit, welche seit der Scheide des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts auf einige Jahre hin alles bisher Dagewesene übertraf. Schon 1799 erschienen Pariser Damen, solche freilich, welche sich auf der Höhe der Revolution bewegten, in seidenen, fleischfarbenen Tricotpantalons mit Lilazwickeln und Kniebändern und darüber mit einer Chemise oder einem ächten Hemde, das bloß durch ein Paar schmale frisirte Bänder auf den nackten Schultern hing und die ganze Oberhälfte des Leibes völlig entblößt zeigte; der ganze wie aus Luft gewebte Anzug wog kaum 16 Loth. Das mag das Extrem sein, aber die Menge der modischen Parise- rinnen ist in diesem und den nächsten Jahren nicht weit davon entfernt. Die Kleider, die einzigen, von dünnem, sanft fließen- dem Stoff, den die Aerzte umsonst bekämpften, lassen Brust und Arme völlig frei; dem Hemde oder vielmehr der Tunica gleich geschnitten, sind sie unter der Brust faltig zusammen gefaßt und fließen den Körper herab, indem sie wie an den griechischen Sta- tuen die Hauptformen hervortreten lassen; mit kleiner Schleppe legen sie sich auf den Boden. Häufig lag über dieser Tunica noch ein dünnes, durchsichtiges Florgewand als Stellvertreter der Flügel des griechischen Chiton, an Gestalt ziemlich der Tu- nica gleich, aber nur bis auf die Hüften reichend, oder statt dessen ein frei nach der Laune umgeworfener Shawl. Man kann diese der griechischen sich anschließende Kleidung in ihrer freien und leichten Weise, die freilich eine außerordent- liche Anzahl von Verschiedenheiten und Capricen zuließ, bis zur Zeit des französischen Kaiserreichs verfolgen. Da tritt mit dem Kaiserhofe wieder gewissermaßen ein Regulator der Moden auf, welcher der Freiheit und Willkür Schranken setzt und so im Sinne einer Reaction umgestaltend wirkt, wenn er sich auch an das Vorhandene anschließt. Dieselbe Geschichte in Beziehung auf das à la Grecque III. Die Neuzeit. hat die Kopftracht der Pariserinnen durchzumachen, und nach ihnen dann bald auch die der übrigen modischen Welt. Auch hier stößt bei David’s Bestrebungen die antike Nachahmung noch auf Widerspruch und muß sich erst durchkämpfen. Wenn auch mit den Jahren 1794 und 95 die mächtigen Gebäude zu- sammenstürzen und die Masse der Haare in verschiedenfach künst- licher Weise sich herabsenkt, so saß der Chignon, gewissermaßen der weibliche Zopf, immer noch im Nacken. Zudem brachte der männliche Tituskopf , der nun aufkam, auch die weiblichen Häupter in Verwirrung; ihm ähnlich wurden insbesondere Vor- derhaupt und Stirn mit herübergekämmtem wirren Gelock zu unfreundlichem Anblick bedeckt. Aber vor der Titusfrisur fiel doch der Chignon, und nun wurde das Haar der Frauen ver- schnitten und wild um den Kopf gekräuselt: Nacken, Hals und Rücken wurden frei. Erst gegen das Ende des Jahrhunderts er- greift die Gräkomanie die Haare, und obwohl man mit großer Freiheit zu Werke ging, bildete man doch die Formen im Cha- rakter der mannichfachen Frauenköpfe aus der römischen Kaiser- zeit. Ja so sehr folgte man den damaligen Moden, daß man selbst die Damenperrücken wieder einführte, deren Muster bekanntlich in ablösbaren Marmorfrisuren noch an Statuen vor- handen sind. So erlebte jetzt die Perrücke noch ein Nachleben, gleichsam einen Frauensommer, nachdem sie soweit verschwunden war, daß sie in der Männerwelt nur noch der Geistlichkeit den Anschein des Ehrwürdigen zu geben oder die Blöße des Alters zu bedecken hatte. Diese Damenperrücken waren sehr künstlicher Art, den an- tiken Formen nachgebildet und in der Farbe so gewählt, daß sie gegen Gesicht und Augenbrauen abstachen: eine Blondine z. B. mit weißem Teint und hellen Brauen setzte eine schwarze Per- rücke auf, und die Brünette trug eine blonde. Täglich wechselte man auch mehrere Male mit verschiedenen nach Grad und Be- schaffenheit der Toilette. Man schreibt darüber im März 1800 aus Paris: „Selbst an einem und demselben Tage macht die Kunst der Perrücken oft an derselben Person drei verschiedene 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Metamorphosen bemerkbar. Früh fliegt Orphise in ihrem durch- schimmernden Nymphenrock nach Passy. Sie ist als Göttin en anneau de Saturne coiffirt. Blitzschnell verschwindet ihr beflü- gelter Phaeton durch die staunende Menge. Um drei Uhr schim- mert sie in tausend neuen Reizen bei der Promenade auf den Boulevards. Ihre Perrücke à la Berenice zieht alle Augen auf sich. Abends strahlt aus ihrem schwarzen Haare à la Diane ein halber Mond voll Brillanten.“ Sie würde freilich nicht die Ge- duld haben, täglich drei solche Frisuren am Eigenhaar herstellen zu lassen. Man schreibt übrigens von Hamburg und andern deutschen Städten ganz dasselbe; die Damenperrücken standen hier in gleicher Mode. Ein um so größeres Ansehn hatten die Friseure: sie nann- ten sich selbst Akademiker, und die Dame sagte: mon Acadé- micien. Aehnlich war es mit den Schneidern. Da sie die Kör- per zu drapiren und nicht zu bekleiden hatten, so betrachteten sie sich als Künstler und wollten dafür angesehen werden; sie nann- ten sich in diesem Sinne Costumiers. Heute sind sie weniger stolz: sie setzen ihren Ruhm darin, Kaufleute zu sein, mar- chands tailleurs. Weit weniger Interesse bietet im Grunde die revolutionäre Entwicklung des männlichen Costüms . Nachdem die rothe phrygische Mütze wieder abgelegt und der Sansculottismus als Grille ausgelacht worden, dachte niemand daran, auch die männliche Tracht gleich der weiblichen zu antikisiren. Unbeküm- mert um solche absichtliche und gemachte Neuerungen geht sie ihres Weges weiter. Das Frackcostüm mit dem runden Hut hatte schon unter dem Terrorismus in Frankreich die Alleinherr- schaft angetreten; es fehlten nur die Stiefel, welche zwar über- all zu Recht waren, jedoch bis zur Kaiserzeit hin Strümpfe und Schuhe nicht völlig zu verdrängen vermochten. Der wüste Geist der Revolution nahm nun mit diesem Costüm selbst seine Um- wandlungen vor. Der runde Hut, an Kopf und Rand größer und schlaffer werdend, mußte sich allerlei groteske Unformen ge- fallen lassen, und unter ihm entsprach das Haar diesen Gestal- III. Die Neuzeit. ten. Während unter dem Terrorismus der Puder ein Todesver- brechen gewesen war, kehrte er nach dem Sturz Robespierre’s noch eine kurze Weile zurück; allein es war nur ein flüchtiges Schneegestöber im Frühling. Im Gegentheil liebte man jetzt den schwarzen Kopf und suchte diese Farbe, wo sie fehlte, künst- lich hervorzubringen. Eine Zeit lang hatten die Stutzer noch den falschen Zopf wie eine dünne Ruthe an den Kragen gehängt; dann ließen sie auch diesen weg, und nun herrschte der Titus- kopf allein, ein wild um den Kopf und über die Stirn herein- gewirrtes kurzes Haar, oder ein längeres, welches ebensowild nach hinten geworfen und im Nacken in einen kleinen finger- langen Zopf gebunden war. Letzteres trug bekanntlich Napoleon als General Bonaparte. Das eine wie das andere machte auf Toilette keinen Anspruch; in ächt sansculottischem Geist schien es weder Kamm noch Pomade zu erfordern. Und grade zu derselben Zeit ging mit dem Haarwuchs eine Neuerung vor sich, welche eine Zierde männlichen Stutzerthums dem kommenden Geschlecht und selbst noch der Gegenwart wer- den sollte. Zum erstenmal wieder erscheint der Bart mit eini- ger Berechtigung, nachdem ein volles Jahrhundert hindurch ihn die platte, schwächliche Eleganz des Zopfes verbannt gehalten hat. Daß er grade in dieser Zeit vom langen Schlafe aufer- stand, wird man natürlich finden, wenn man sich der Reforma- tionsperiode erinnert, wo ihn der Freiheitsdrang der Zeit eben- falls wieder hervortrieb. Aber als ob er nicht recht gedeihlichen Boden finden könne, giebt er sich erst als Backenbart in beschränk- ter Weise kund, in der Art, die man „Favorit“ nennt. Es ist dabei bemerkenswerth, daß man auch falsche Backenbärte trug, wie 1798 von Hamburg geschrieben wird, Backenhaare auf das feinste Pergament geleimt, welches man in die Schläfen klebte: es ist nur eine von den vielen Modefalschheiten dieser Zeit. Von der Busenkrause oder dem Jabot halten die Pariser der Revolution nicht viel: es ist ihnen in seiner Feinheit zu royalistisch, nicht plebejisch genug. Sie knöpfen die Weste bis zum Halse völlig zu, aber zu Extravaganzen geneigt, verdicken 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. sie das weiße oder hellbunte Halstuch , daß es weit über das Kinn vorsteht; die Löwen des Tages oder, wie sie damals ge- nannt wurden, die „Incroyables“ banden auch wohl drei dersel- ben über einander. Sowie der einfache, ungeschmückte Frack zur allgemeinen Tracht in Frankreich geworden war, emancipirten sich die In- croyables wieder von ihm und nahmen, um sich den äußersten volksmäßigen Anstrich zu geben, aus der untersten Classe des Volks den Rock herauf, welcher, eine plebejische Umformung des Rockes oder Wammses aus der Zeit Ludwigs XIV. , in dem Allgemeinen seines Schnittes ganz dem heutigen gleicht. Wir sind also hiermit, etwa um das Jahr 1797, auf das erste Er- scheinen unseres gewöhnlichen Männerrockes in der gesellschaft- lichen Welt gekommen. Allein damals blieb er noch die Tracht der Incroyables. Vom Frack unterschied ihn wie heute nur die Vollständigkeit der Schöße; sonst hatte er den hohen umgelegten Kragen und die breiten Brustüberschläge. Mit dem Kampfe zwischen Stiefel und Schuh steht die Ge- schichte des Beinkleides in Verbindung. Sowie die engli- schen Stulpstiefeln auftraten, rückte die Hose am Knie ein we- nig herunter, um den Saum im Stiefel zu verbergen; an den Seiten erhielt sie dann eine kurze, mit Knöpfen versehene Schlitzung, damit sie um das Knie fester schließen konnte. Da man im Beginn der neunziger Jahre dann auch Halbstiefel trug, welche nur bis zur Wade reichten, und ebenfalls die verlängerte Hose in sie hineinzog, so war der letzte Schritt, der in der Ver- wilderung des Terrorismus geschah, nicht mehr schwer: man zog das Beinkleid über die Stiefel und verlängerte es bis zum Fuß. Unter dem Directorium machte sich zwar abermals wieder eine Reaction zu Gunsten von Schuh und Strümpfen geltend, und schon jubelten die Freunde des Alten, daß die süße Zier- lichkeit gerettet sei und das wohlgeformte Bein ebenso wie früher mit leichtem Schuh und elegantem Strumpf und nicht mit dem plumpen, schweren Stiefel im Salon auftreten könne: aber da schreitet die Entwicklung auf’s neue, ohne sich zu überstürzen, in III. Die Neuzeit. ruhiger, jedoch unaufhaltsamer Entwicklung vorwärts, der sich nun auch Deutschland sowie die andern Länder nicht mehr ent- ziehen können. Im Ganzen behielt das lange Beinkleid (die Pantalons) noch eine mäßige, anliegende, oft tricotartige Enge, und nur die Incroyables gefielen sich in weiten, faltigen Nan- kinghosen. Das Bild des Incroyable ist mit dem großen, unförm- lichen runden Hut, mit dem wirren Tituskopf oder dem langen, schlichten, wie mit den Fingern durchkämmten, strähnigen Haar, mit dem dreifachen Halstuch, Rock, weitem Beinkleid und Stie- feln noch nicht fertig. Zu seiner Ergänzung gehören wesentlich, vom Backenbart nicht zu reden, große ovale Ringe, die im Ohr- läppchen hängen, und der kurze, keulenartige Knotenstock, der meist auf der Schulter oder unter dem Arm getragen wurde. Man darf nicht glauben, daß Frankreich oder Paris allein in den Strudeln der Revolution diese Blüthen des Stutzer- thums erzeugte. Schon 1798 hatte sie Deutschland, in Nach- ahmung befangen, wenigstens in seinen Hauptstädten. Hören wir, was der Correspondent im Journal des Luxus (10. Jan. 1798) von Berlin schreibt: „Fast jeder Stand, jede Classe, z. B. das Militär (nämlich außer der Uniform), die Akademien, die junge Kaufmannswelt, der junge Adel der Höfe und Residenzen hat seine eigenen Uebertreibungen und Carricaturen im Costüm. England und Frankreich lieferten aber Deutschland immer die ersten Originale dazu, und waren stets die Klippen, an denen der Verstand und gute Geschmack unsrer jungen Welt so oft scheiterte. Frankreich stellte uns erst seine süßen Petitsmaitres und Elegants, hernach seine cynischen Sansculottes, und nun seine wildfreien Incroyables, sowie England seine Maccaronis, Fine gentlemen und Bloods auf, und unsre jungen Deutschen französirten und anglisirten sich nach Herzenslust und schraubten natürlich die Wirbel noch um etwas höher, um doch auch von dem Ihrigen etwas hinzuzuthun.“ Der Correspondent liefert in der beigegebenen Zeichnung einige Musterbeispiele aus Berlin, denen an Haar und Hut, 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Halstuch und Frack bis auf „lange, weite Matrosenhosen von Nanking im Winter“ nichts von der ganzen revolutionären Stutzerherrlichkeit abgeht. Die Wirkungen der französischen Moderevolution auf Deutschland machen sich zuerst in ächt deutscher Weise bemerk- lich: man beginnt mit dem Raisonnement. Man zieht die Zweck- mäßigkeit der bisherigen Tracht, sowie nicht minder ihre Un- schönheit und Unnatürlichkeit in Zweifel und unterzieht sie einer öffentlichen Discussion. Man kann freilich an dem, was von jenseits des Rheins als Neues geboten wird, auch nicht viel Vorzüge entdecken. In diesem Dilemma macht man verschiedene Vorschläge zu völlig neuen, willkürlich ersonnenen Costümen, als ob es nicht in der Geschichte und in der Natur der Sache liege, das Vorhandene fort- und umzubilden, sondern als ob der Ge- genstand eine tabula rasa sei und der Mensch eine nackte Sta- tue, die man zu drapiren habe. Eine Frage, die unter solchen Umständen angeregt wurde, grade in der Zeit, als Deutschland wenige Jahre vor seiner tiefsten Erniedrigung stand, war die Einführung einer Nationaltracht . Ein Patriot machte den Vorschlag, es auf dem Wege der Subscription und der Vereinigung durchzuführen: patriotisch gesinnte Männer sollten an allen grö- ßeren und kleineren Orten Deutschlands auftreten, Vereine bilden und Unterschriften sammeln, die Anzahl derselben dem unbekannten Erfinder der Idee mittheilen, und wenn sie in hin- länglicher Weise vorhanden, sollten nach einem währenddeß ver- breiteten Modell an einem und demselben Tage durch ganz Deutschland die Freunde und Freundinnen des Nationalcostüms in der neuen Tracht öffentlich erscheinen. Der Plan wurde im Journal des Luxus und der Moden von einer Dame mit sieg- reichen Gründen bekämpft, und seitdem hörte man nichts mehr davon. Aber die Mode selbst und der Uebergang der revolutionären Tracht nach Deutschland kümmerte sich wenig darum und ging mit sichrem Schritt dem Siege entgegen, freilich nicht ohne daß von oben her mannigfache Opposition gemacht wurde. Der III. Die Neuzeit. Landgraf von Hessen-Cassel, derselbe, welcher später als Kur- fürst nach dem Auskehren der westphälischen Wirthschaft den Zopf in seinen Staaten wieder einzuführen suchte, bediente sich eines Mittels, welches wohl öfter angewandt worden ist. Er suchte die neue Tracht, die er für ein Zeichen des Jakobinismus hielt, verächtlich zu machen und kleidete deßhalb (1799) eine ge- wisse Classe von Zuchthäuslern, die s. g. Galerensklaven, wie man sie in Cassel nannte, in dieselbe. So trugen sie den gro- ßen Rundhut, einen Frack mit langem und breitem Schnitt von dem gröbsten und schlechtesten Tuch von violetter Farbe, vorn mit einer Reihe weit stehender Knöpfe, ungeheuer weit und schlotternd; weite Pantalons von Trillig; einen schrecklichen Halstuchwulst von einer weit größeren Peripherie als der Kopf selbst; Schnabelschuhe, wenigstens eine Elle lang, von hartem, schlechtem Leder mit zollhohen, plumpen Rahmensohlen, einen Kopf à la Charles XII. , rattenkahl abgesäbelt, dessen Sturzeln sie alle Tage in die Höhe wichsen mußten. So werden sie ge- schildert, und so erschienen sie zum Schrecken aller Stutzer, mit Ketten an den Gliedern und Werkzeugen zur Straßensäuberung in den Händen, freilich von einer Wache begleitet, an öffent- lichen Orten, im Theater, auf der Straße, überall, wo der Stutzer seinen Lieblingsaufenthalt hatte. Wenn auch die Casselaner Stutzer vor solchem Anblick flo- hen, so half die Maßregel auf die Dauer so wenig wie die An- griffe, die man anderswo gegen den runden Hut als das Hauptzeichen des Jakobinismus schleuderte. Es heißt unter an- derm: „Der runde Hut schändet die Figur des Mannes eben so sehr als die Hundsohren, womit er sich zu schmücken beliebt. Unter der Ueberflügelung seines Hutes scheint er irgend eine schändliche Absicht, eine schwarze That auszubrüten, sowie der Bediente in der Komödie mit niedergestülptem Hut, zu dem sein Kamerad sagte: er gleiche einem Mitverschwornen, wie ein Wassertropfen dem andern .... Wenn ehemals in Paris ein Missethäter zur öffentlichen Preisstellung ausgeführt ward, so bat er seinen Henker um die Erlaubniß, seinen Hut niederschla- 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. gen zu dürfen, und so mit niedergeschlagenen Hutkrämpen in dieser Figur konnte er, die Schande seines Vergehens aus- drückend, einen heilsamen Effect auf die Zuschauer machen. Offenbar ist der runde Hut dem behülflich, der den Blicken an- derer entschlüpfen will, ein Mann von sehr feinem Gefühl wird daher schon sich dadurch zweideutig zu machen fürchten. Dieser Hut ist dadurch der Verworfenheit und Schande ein Schlupf- winkel, und da er zudem die Gesichts- und Körperform entstellt, so darf er nicht allein gelten. Noch mehr, wie könnte sich ein Mann mit einer ausgezeichneten Staatskleidung stellen, wenn er den runden Hut dazu trüge? Dies ist platte Unmöglichkeit! Diese Art von Kopfbedeckung wird daher immer nur für Leute ohne — Rang paßlich sein.“ Wir bemerken, es ist derselbe schwarze Cylinderhut, den wir heute tragen. Dies schrieb man 1797 von Holstein aus. Gleichzeitig aber heißt es: „Der runde Hut gewinnt alle Tage mehr Platz im An- zuge der Männer, selbst in den obersten Classen. Bald wird der dreieckigte aus seinem sonst so wohl begründeten Besitzthum fast ganz verdrängt, und nur noch der Gefährte des Amtsrockes, des Staatskleides und der militärischen Uniform sein.“ In diesem Sinne hatte damals ein Engländer den sonderbaren Einfall, eine politische Karte von Deutschland zu entwerfen, auf welcher er den vorherrschenden Stand der revolutionären oder monarchischen Gesinnungen der deutschen Städte durch einen beigesetzten run- den oder dreieckigen Hut bezeichnete. Er sei auf die Hüte gereist, sagte er. In Hamburg sei ein Huttriangel eine wahre Selten- heit, in Berlin wolle der runde Hut, vermuthlich weil das Mili- tär dort herrschender sei, schon weit weniger gedeihen, und in Dresden getraue sich der Beamtete und schon in reifern Jahren stehende Mann, den respectswidrigen runden Hut höchstens nur bei einer Landpartie aufzusetzen. Der heftigste Gegner der runden Hüte war Kaiser Paul von Rußland, der ebenfalls den Jakobinismus unter ihnen wit- terte. Sie waren schon ziemlich tief in Rußland eingedrungen und wurden wie der Frack selbst von Beamten und Offizieren III. Die Neuzeit. getragen, nicht selten in sonderbarer Zusammenstellung mit an- dern Stücken der russischen Nationaltracht. Da verbot der Kai- ser sie für ganz Rußland ohne alle Ausnahme und mit solcher Strenge, daß er selbst einen englischen Offizier über die Gränze escortiren ließ, der mit einem runden Hut, damals einem Or- donnanzstück seiner Uniform, in Petersburg auf der Parade er- schienen war. Gegen die allgemeine Strömung der Zeit waren alle solche Mittel vergebens: der runde Hut gelangte schon in den ersten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts zu allgemeiner Anerken- nung in Deutschland. Wie sehr er seitdem auf den Köpfen fest- gewurzelt ist, obwohl man ihm weder Schönheit noch Zweck- mäßigkeit nachrühmen kann, zeigt der neuste Kampf der Gegen- wart, den er mit dem kleinen grauen Schlapphut auszufechten hat. Der letztere hat ganz dieselbe Geschichte durchzumachen wie der runde Cylinderhut in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts, und es dürfte kein Zweifel sein, daß er, seiner politischen Anrüchigkeit nunmehr entledigt, den Sieg davon tragen wird. Der Krieg um den Hut ist wie der Kampf mit der Haupt- armee; mit der Niederlage des dreieckigen fallen der Puder, der Zopf, auch der kleine fingerlange, und die deutschen Köpfe werden „tituficirt.“ Desgleichen verdrängen Stiefel und lan- ges Beinkleid die Schuhe, Strümpfe und die Kniehose aus dem gewöhnlichen Leben; nur zu Hofe gehen sie noch. Natürlich blei- ben eine Menge Pedanten und alter Herren übrig, welche an den Erinnerungen und Ueberresten ihrer goldenen galanten Ju- gendzeit festhalten. Ein Hauptereigniß war es, als König Friedrich Wilhelm II. schon im Sommer 1797 im Bade zu Pyr- mont in Pantalons erschien. Man kann etwa das Jahr 1804 oder 1805 als den Zeit- punkt betrachten, in welchem das neue Costüm, seiner revolu- tionären Bedeutung enthoben, zu einer Herrschaft kam, an deren Umsturz Niemand mehr denken konnte. Die schweren Kriege Preußens und Oesterreichs befreiten auch die Armee vom Zopf. 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Was in den vornehmsten Ständen noch übrig geblieben war, um die Anforderungen des Salons zu wahren, davon vertilgten die Befreiungskriege den letzten Rest, dem die kaiserliche Re- action Frankreichs noch eine Weile das Leben gefristet hatte. Weniger heftig war in Deutschland der Kampf und Wider- stand gegen die neuen Moden in der weiblichen Welt . Man kann nicht sagen, daß die deutschen Damen dieser Zeit originelle Erfindungs- oder nur Umbildungsgabe bewiesen hätten, obwohl ihnen die Gelegenheit wurde, da unter der Herrschaft des Terro- rismus die Pariser Vorbilder ausblieben. Die Engländerinnen ergriffen für eine kurze Zeit die Zügel der Regirung im Reich der Mode; wenigstens muß man ihnen nachsagen, und es ist das in jener Zeit oft genug ausgesprochen worden, daß sie nicht bloß sich von den Extravaganzen der Pariserinnen, vom weib- lichen Sansculottismus, frei erhielten, sondern auch die Ein- flüsse Frankreichs zwar über sich ergehen ließen, aber doch zu originellen Formen und Erscheinungen umbildeten. Wenn eine Pariserin in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts einer Grie- chin gleicht, soweit das eben eine Pariserin vermag, so erinnert die Engländerin mehr an romantische Gestalten, an die Ritter- frauen und Ritterfräulein, wie sich die damalige Kunst und spä- ter die Düsseldorfer Romantik dieselben dachte. Die Englände- rin mäßigt die hohe Taille, die Decolletirung und die dünnen Gewänder und weiß den antiken Kopfputz in eigenthümlicher Weise zu verändern, sodaß ihre Erscheinung immer den An- strich des Aristokratischen, den Schein edler Sitte darbietet. Leider war es nicht so mit den deutschen Frauen. Sie waren nur zu sehr geneigt, was ihnen Neues und Unerhörtes von Frankreich kam, noch zu übertreiben. Obwohl in den Jah- ren 1793 und 1794 die Verbindung zwischen Paris und Deutschland eine begreiflicher Weise, wie schon angedeutet sehr unterbrochene und feindliche war, so können wir doch die Entwicklung der deutschen Frauentracht ganz im Banne der revolutionären Luft vorwärts schreiten sehen. Gleichzeitig er- liegen die hohen Hauben, und schon 1795 beginnt das Kleid an Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 21 III. Die Neuzeit. der Brust griechischen Schnitt anzunehmen, und die Taille steigt unter die Brüste. In diesem Jahr spricht man auch in Deutsch- land schon von der griechischen Chemise, und bald hört man nur noch von einer Tunica reden. Zu ihrer großen Verwunderung kamen die eleganten Herren vom alten Datum im Jahr 1796 auf einmal zu dem Bewußtsein, daß die Frauen keine Taille mehr hätten, und machten großes Geschrei davon. Man ant- wortete ihnen, wozu denn eine solche nöthig sei? und deducirte ihnen die Ueberflüssigkeit, ja Unschönheit derselben an der grie- chischen Statue: was nöthig und wünschenswerth sei, Schön- heit und Beweglichkeit zugleich, gebe die lange Tunica, „weit genug um den Gang nicht zu zwängen, für den Winter von warmem gefütterten Zeuge, von leichtem für den Sommer; und um sie den Formen des Körpers so sehr als möglich anzu- schmiegen, umschlingt man sie mit einem Bande, einem Gürtel, einer Schärpe, dort wo es ihn am mindesten zwängt. Dieser Ort ist natürlich die Zone unmittelbar über der Magenhöhle.“ In dieser Weise hatte die Mode bisher niemals räsonnirt; sie hatte sich wenig um Vernunft und Aesthetik bekümmert. In der Hauptsache blieb das auch jetzt. Zwar drang die Tunica mit ihrer hohen Taille in gewissem Grade bis zur Allgemeingültigkeit durch, obwohl selbst die geistlichen Herrn mit orthodoxem Eifer für die lange Taille und die Schnürbrust in die Schranken tra- ten. Schönheit wie Zweckmäßigkeit wurde jedoch nicht erreicht: die deutsche Dame so wenig wie die Pariserin vermochte sich mit Würde in der Griechentracht zu fassen; im besten Falle waren sie Schauspielerinnen. Die Haupteigenschaft der antiken Tracht suchte man in der Nacktheit, und hierin standen auch deutsche Damen nicht hinter den französischen zurück. Selbst im Winter sollte ein einziges hemdähnliches, oft dünnes Gewand genügen, sodaß die Gefahr zu erfrieren zuweilen nahe genug war. Diese Unannehmlichkeit, Krankheiten, die daraus entstanden, die Ermahnungen der Aerzte halfen gleich wenig. Im April 1797 schreibt man aus Frank- furt: „In der That ist jetzt die Nuditätenmode bei manchen un- 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. serer Schönen des Tages soweit gediehen, daß sie von oben herab einer schönen Wilden fast ganz gleichen, und nunmehr nach Ein- führung der langen fleischfarbenen Pantalons und nach Abschaf- fung der Hemden ihnen schlechterdings nichts mehr fehlt als das elegante Tigerfell oder der leichte Federschurz um die Lenden, um das Costüm à la sauvage mitten in Deutschland, wo ja das Klima dieser Tracht so günstig ist, zu vollenden. Denken Sie sich nun vollends das non plus ultra alles Lächerlichen: alte Weiber von fast funfzig Jahren in dieser Tracht — und ich kann es Ihnen beschwören, ich habe welche so gesehen.“ Ver- setzen wir uns zehn Jahre weiter zurück, so befinden wir uns noch mitten in der Blüthe der Reifröcke, der Culs und Bouffan- ten, und nun diese körperliche Unmittelbarkeit, ein Afterbild des Griechenthums! Um aber nicht zu meinen, daß solche Erschei- nungen nur vereinzelt seien, wollen wir noch die folgende Stelle eines Frankfurter Briefes vom 15. December 1802 mittheilen: „Erwarten Sie keine Pelz- und Wintermoden von mir. Unsere Damen sind wenigstens auf dem einen Punkt der Kälte alle unverwundbar, alle in die Griechheit wie Achilles in den Styx getaucht.“ Nicht weniger machten alsbald die Frisuren der deutschen Damen auf das Griechenthum Ansprüche. Sie verfolgten in ihrer Nachahmung genau denselben Gang wie die französischen, nur daß englische Umbildungen hier und da die Menge der For- men noch bunter machten. Die hohen Hauben sanken, das Haar wurde rauh und struppig, den Incroyables ähnlich, frisirt, der Chignon abgeschnitten, und nun stritten sich der starr auf- strebende, besenartige Tituskopf und die antiken Coiffüren mit allen möglichen Perrücken von Schwarz, Braun, Blond und selbst Orange um die Herrschaft. Daneben spielt denn auch der befiederte Turban seine Rolle, und als ob man sich der strup- pigen Pudelköpfe schämte, bedeckte man sie wieder mit den Hau- ben und Hüten, die dann in directer Linie bis auf die heutigen Formen herabgestiegen sind. Aber eben da griechische Formen und Nacktheit in freilich 21* III. Die Neuzeit. schon entartender Blüthe standen, um 1804 und 1805, trat die Reaction und dann die Restauration ein, womit die Mode ihren modernen Entwicklungsgang in strenger, aber heute noch nicht abgeschlossener Linie betritt. Es war das neugeschaffene napo- leonische Kaiserthum, welches, nach imperialistischem Glanz be- gierig, in die Vergangenheit zurückgriff. Schon 1802 sah es am Hofe des ersten Consuls wenig republikanisch aus. Die Stiefel und die langen Beinkleider, die Säbel und Cocarden waren ver- schwunden, und die schöne Zeit des Roccoco kam mit Schnallen- schuhen und seidenen Strümpfen, mit Salondegen und den Hüten unter dem Arm, mit den reich bestickten Be dienten wieder zum Vorschein. Der erste Consul selbst trug goldgestickten veil- chenblauen Sammet, weißseidene Strümpfe, Schuhe mit gol- denen Schnallen und dazu wenigstens eine einzige, wenn auch seltsame Erinnerung an die Revolution, eine schwarze Hals- binde. Schon galt es für anstößig, daß Moreau auf einem Ball des Kriegsministers mitten unter den Uniformen in schwarzer Tuchkleidung erschien. Aber wenn auch das Kaiserthum in diesem Geiste nur noch durchgreifender und prunkender verfuhr, so konnte es doch die alten Moden in das Leben, in den Gang der Ge- schichte nicht wieder zurückbringen; sie führten nur eine todte, von Hofdecreten abhängige Existenz. Dennoch trat die Reaction ein, aber sie ging an den wirklich und noch lebendig vorhandenen Formen, wie sie die Revolution geschaffen hatte, vor sich, völlig unbekümmert um das, was sich an den Höfen ereignete. Es blieben die Errungenschaften, der einfache Frack und der Rock, der runde Cylinderhut, Pantalons und Stiefel; und bei der Frauentracht mußten die Veränderungen von dem unaufgebausch- ten Kleide und der hohen Taille, von der starken Decolletirung, von der antikisirenden Kopftracht nebst Hut und Haube aus- gehen. Beim Frauenkleid oder der Tunica zeigt sich, beispiels- weise gesagt, die Reaction augenblicklich darin, daß das fließende, wallende Gewand zum kurzen straffen Kleid wird und allen Fal- tenwurf zurückweiset. Im Moment gewahren wir wieder, wie in allen ähnlichen Zeiten, die Neigung zu versteifen und zu ver- 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. engen. Wenn nun die Restauration an Kopf und Kragen, mit Barett und Federn und Puffen in das sechszehnte Jahrhundert und in die Zeit des dreißigjährigen Kriegs zurückgreift, so ist da- von einerseits der moderne Eklekticismus die Ursache, dem es schwer wird, noch wirklich Neues zu erzeugen, andrerseits aber der Einfluß der Romantik, welche die Costüme jener Zeit für die mittelalterlich ritterlichen nahm. Wir können nicht weiter auf die Entwicklung des gegen- wärtigen Costüms eingehen: sie liegt der Erinnerung der Mit- lebenden noch zu nahe und ist nicht abgeschlossen genug, um als Ganzes übersehen werden zu können, wenn auch die politischen Ereignisse und die culturgeschichtlichen Wandlungen bedeutend genug eingewirkt haben, um in den Formen deutlich erkennbar zu sein. Wir wollen zum Schluß nur noch in Kürze den großen Gang des Geschmackes in den letzten Perioden an einem Gegen- stande uns wieder vorführen, den wir bisher vernachlässigten, um ihn im Zusammenhang zu betrachten, an der Farbe . Wir rufen uns das Ende des sechszehnten Jahrhunderts in die Erinnerung zurück, als der Umschlag der reformatorischen Bewegungen vom politischen und confessionellen auf das mora- lische Gebiet und auf das Gewissen des Einzelnen und ebenso die dadurch entstandene Bußfertigkeit, sowie nicht minder die neu erwachte Energie des Katholicismus dem Antlitz der Mensch- heit die unbefangene Heiterkeit und ihrem Aeußern den hellen, bunten Farbenreiz genommen hatten. Selbst die starre Seide des Spaniers, der so gern in glühendem Roth, Weiß und bren- nendem Geld einherstolzirte, war dem schwarzen Sammet ge- wichen. Von Kopf zu Fuß kleiden sich in Schwarz der vornehme Niederländer und der deutsche Rathsherr, wozu nur die goldene Kette und der weiße Kragen den Gegensatz bilden; ehrbar dunkle Farben wählt auch der deutsche Bürger und zwar fast immer eine und dieselbe für den ganzen Anzug. Kaum daß noch der Lands- knecht am weitärmeligen Wamms und flatternder Pluderhose etwas Farbe in das ernste Bild bringt; und selbst die Frauen können sich trotz ihrer leichteren Art der allgemeinen Richtung III. Die Neuzeit. nicht entziehen. Nur die höchsten Festtage des Lebens zeigen sie in heller, glänzender, bunter Pracht. Wenn man die zahlreichen Portraits der Niederländer be- trachtet, des Rubens, van Dyck und ihrer Zeitgenossen, so sollte man meinen, es sei der Anblick der Menschen in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts derselbe geblieben. Allein selbst in den Niederlanden waren es nur die Männer und zwar vorzugs- weise der wohlhabenden Classen, denen der solide, schwere Ernst des schwarzen Sammets gefiel, und den sie mit nobler Haltung zu verbinden wußten; die Frauen machten ein glänzendes, fast farbenüppiges Gegenbild dazu, das aber der allgemeine Ge- schmack, der Farbensinn, den die niederländische Kunst hervor- rief, zu wirkungsvoller, doch wohlthuender Harmonie zusammen stimmte. In Deutschland war alsbald die Aufregung des Krieges drauf und dran, den finstern Ernst der Kleidung zu ver- jagen, so sehr, daß nun die protestantischen Geistlichen selbst die Hülfe der Obrigkeiten herbeiriefen, um wenigstens für die Kirche den schwarzen Anzug aufrecht zu erhalten. Vordem hatte nie- mand daran Anstoß genommen wenn die heitere Farbenlust auch in der Kirche zum Gottesdienst sich einstellte, zumal die alte Kirche selbst ihre feierlichen Handlungen mit höchster Pracht be- gleitete. Die Zeit des dreißigjährigen Kriegs sah überall im Leben die hellen Farben wieder emporblühen und überließ das Schwarz der protestantischen Geistlichkeit und rathsherrlicher Würde in den Reichsstädten, die mit zähem Beharren beim Alten blieben. Auf die übrige Welt scheint etwas vom niederländischen Farbensinn übergegangen zu sein; man verbindet die vollen Farben mit gebrochenen und weiß sie zusammen zu stimmen, vielleicht unabsichtlich, aber doch mit richtigem Gefühl. Das ändert sich in dem Zeitalter des großen Ludwig. Wir haben oben kennen lernen, wie der Charakter dieser Periode sich aus den stärksten Gegensätzen zusammenbildet. Die abgestumpf- ten Naturen bedurften starker Reizmittel; für Feinheit war kein Gefühl vorhanden, und so schwindet der künstlerische Sinn, der Reiz der vollendeten Harmonie, die eigentliche Farbenstimmung. 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Man liebt nun die vollen und ganzen Farben; je kräftiger, satter oder leuchtender sie wirken, um so besser. Ein feuriges oder tiefdunkles Roth, ein leuchtendes oder gesättigtes Blau, das grelle, brennende Gelb und ein warmes Grün nebst dem wir- kungsvollen, hervorstrahlenden Golde sind freilich durchaus keine Mängel in dem farbigen Bilde der Menschheit, aber damals setzte man sie unverbunden ohne Zwischenstufen in breiten Mas- sen neben einander. Die Wirkung ist eine blendende, betäubende, und solche Pracht entsprach vollkommen den Intentionen Lud- wigs XIV.; man konnte keine schreienden Mißtöne wahrnehmen, aber das Uebermaß des Farbenprunkes schlug das feine Gefühl wie mit Kolben todt. Dieser Sinn gehörte nicht bloß Lud- wig XIV. und dem französischen Hof allein; er war Gemeingut oder vielmehr Gemeinübel der ganzen Zeit. Alles kleidete sich in ähnlichen Gegensätzen, und Blau und Roth mit reichem Golde dazu waren die Lieblingsfarben. Diesem Geschmacke entsprach auch die Vorliebe für die schwersten Sammt- und Seidenstoffe, welche, in bauschiger Masse getragen, den großgebrochenen, brei- ten und eckigen Faltenwurf hervorbrachten. Nun kam die Schwäche und Süßlichkeit des Zopfes. Wie das architektonische Gefühl sich an die starken Profilirungen stieß und an die Massenhaftigkeit des vortretenden Ornaments, so wurde der Farbensinn von der Ueberkraft des früheren Colorits zurückgestoßen. Man brach die Farben und dämpfte sie zu un- bestimmten Mischfarben. Man wollte selbst das Schwarz nicht mehr haben und bekämpfte es von allen Seiten; sogar die schwarze Trauer sollte aufgehoben werden. Grau, Grünlich, Bräunlich, Changeant aller Art und dergleichen waren die Farben, welche der charakterlosen Schwäche, dem unbestimmten Sehnen und Schweben in der Welt der Gefühle, der unbewußten Unzu- friedenheit mit der allerdings trostlosen Gegenwart, der träume- rischen Sentimentalität trefflichst zusagten. Das zarte Blaßrosa kann als die Lieblingsfarbe der schönen Seelen betrachtet werden. Selbst die bunten, geblümten Kleiderstoffe waren aus diesen Mischfarben zusammengesetzt; kräftigere, lebhafte Farben, die III. Die Neuzeit. allenfalls sich darin befanden, waren nur so nebenbei und standen so zurück, daß sie nur halfen das ungewisse, unbestimmbare Lüstre des Ganzen zu vollenden. Ein Mann, der in guter Ge- sellschaft in Türkischroth oder purpurgeblümtem Stoff erschien, verrieth damit augenblicklich seinen Ungeschmack und seine Her- kunft, mochte er auch noch so kostbar gekleidet sein. Die französische Revolution brachte der männlichen Welt eine gewisse Gleichgültigkeit gegen die Farben, welcher schon theilweise der vorhergehende Geschmack entsprochen hatte. Unter dem Ernst des Lebens, unter den politischen und persönlichen Sorgen verschwand die alte Lust, die sich in der Zopfzeit gegen- über der später eintretenden Sentimentalität noch in still behag- lichem Dasein als bescheidene Lebensfreude erhalten hatte. Tra- ditionell steht der Großväter Jugendzeit noch vor unsrer kind- lichen Erinnerung als die eines behaglichen, aber beschränkten Familienglückes. Ruhig im Backenlehnstuhl sitzend, ließ man weit dahinten die Völker auf einander schlagen, ohne sich zu alteri- ren. Aber die Revolution brach wie ein Störenfried in dieses stille Glück; der Mann war aus dem gleichen, in sich zurück- kehrenden Gleise seines Daseins gerissen, hatte den Halt und damit auch die Freude an dem Dasein verloren. Er legt die schönen buntgeblümten Westen und Röcke ab, stellt den Stock mit dem vergoldeten Knopf in die unbeachtete Ecke, und trägt nur eine Zeit lang noch, wie ein Hinsterben der alten Lust, die in gebrochenen Farben gestreiften Gewänder. Namen wie cou- leur boue de Paris, couleur soupirs étouffés, couleur de larmes indiscrètes, couleur de nymphe émue geben schon für sich die veränderte Zeitrichtung zu erkennen. Die dunklen oder die Mißfarben gewinnen die Oberhand, und als ein Hauptvor- zug erscheint, daß die Farbe nicht schmutzt. Diese Rützlichkeits- frage aufzuwerfen, fiel früher niemand ein. So tragen die Männer der Revolutionsperiode Braun und Bräunlich in ver- schiedener Brechung, Bouteillen- und Olivengrün, Kaffeebraun, Violett und was sonst hierher gehört, höchstens daß eine hellere Weste und das schwefelgelbe oder nankinggelbe Beinkleid eine 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. einförmige Variation in das traurige Bild hineinbringen. Das heutige Männergeschlecht hat die Abneigung gegen die Farbe überkommen. Bei der höchsten Lust und dem tiefsten Ernst haben wir weiter nichts übrig behalten als die Negationen der Farbe, Schwarz und Weiß; und selbst im gewöhnlichen Leben, nament- lich in der Heiterkeit des Sommers, ist Grau mit allen seinen Nüancen die Lieblingsfarbe. Die Frauen haben sich darin besser gestellt, und es ist als ein Glück zu betrachten, daß durch sie die moderne Staffage doch etwas Farbe gewinnt. In der Revolution freilich waren auch sie nahe daran, vollkommen in dieser Beziehung Schiffbruch zu leiden. Es trat der umgekehrte Gang ein wie in der männlichen Welt. Während diese ein immer ernsteres und trüberes Aus- sehen gewann, verblaßte die ohnehin schon nicht lebhafte Frauen- kleidung in ihrem Gesammtanblick mehr und mehr. Man glaubt den Kampf, das Widerstreben gegen dieses Absterben zu sehen, wenn die Damen zu ihrem Kleid von verblaßtem Rosa oder Vio- lett noch ein lebhafteres blaues oder rothes Band, z. B. das eine Zeit beliebte Nacarat, im Kopfputz oder an der Schulter anzubringen wissen. Umsonst, es tritt die Gräkomanie hervor, und mit ihr kommt Weiß zur fast alleinigen Herrschaft. Nur ganz bescheiden erscheinen daneben noch in der Gesellschaft blaß angehauchte farbige Stoffe. Die Reaction und Restauration, wie sie die griechische Nachahmung allmählig unkenntlich machen, so geben sie auch wieder Farbe der weiblichen Erscheinung. Es ist charakteristisch, in welcher Art dies geschieht. Zunächst näm- lich erhalten Farbe alle diejenigen Theile, mit welchen das Griechenthum nichts zu thun hat, Schuhe, Handschuhe, Hüte und Hauben. So waren z. B. vor dem Jahr 1810 Damen ganz in der weißen Tunica mit farbigen Schuhen und Hand- schuhen ballmäßig gekleidet. Man sah vielfach weißgekleidete Damen, welche z. B. rothe oder gelbe oder olivengrüne Schuhe trugen und dazu blaue, grüne, braune Handschuhe. Auch Hut und Federn duldeten Farbe. Dann sprang sie auf die Schärpe oder den Gürtel und den Besatz des Kleides über, und endlich III. Die Neuzeit. gab es auch wieder volle, doch einfach farbige Kleider, denen bald die bunten folgten. Heutiges Tages haben wir sie alle mitein- ander, aber um so schwerer ist auch die Aufgabe der Dame, die richtige Wahl zu treffen und verschiedene Farben zur feinge- stimmten Harmonie zu bringen. Sach- und Namenregister. Die chronologische Eintheilung des Werkes nach Perioden, in welchen der Haupt- sache nach jedesmal dieselben Gegenstände wiederkehren, macht, streng genommen, ein Register überflüssig; indeß ließ doch das Interesse an historischen Persönlichkeiten, ein erleichtertes Auffinden der zahlreichen technischen Bezeichnungen und eine bequemere Zu- sammenstellung des durch die Perioden aus einander gerückten Details ein solches wün- schenswerth erscheinen. Aus diesen Rücksichten ist es zusammengestellt und daher manches, was unnöthig schien, weggelassen, wie die Personen der Dichtungen oder solche, welche bloß als Quelle genannt sind. A dalbert, Erzbischof von Rheims I, 71. Alamode II, 169. Alamode, Monsieur II, 184. Alberoni, Cardinal II, 231. Altfränkisch II, 169. Amerika, Modeeinfluß II, 300. Amtstracht in den Reichsstädten, 17. Jahrh. II, 257. Anjou, Fulco von, I, 245. Arbeitsleute, 15. Jahrh. I, 311. Aermel, 15. Jahrh. I, 306. Aermel, lange, 12. Jahrh. I, 106; 14. Jahrh. I, 209. Auchenfurt, Ritter von, I, 105. B äder I, 87. Baiern, Volkstracht II, 262. Baigneuse II, 282. Baldachin I, 163. Ballfest, niederländisches, 15. Jahrh. I, 280. Ballfest von 1510, II, 53. Barett der Frauen II, 67. Barett der Männer II, 24. Barragan I, 161. Bart, alte Zeit I, 63; 12—13. Jahrh. I, 138; 14. Jahrh. I, 205; 16. Jahrh. II, 20; 17. Jahrh. II, 189. 237; 18—19. Jahrh. II, 314. Bartlosigkeit, 15. Jahrh. I, 230. Bassompierre II, 152. Bauern, elsässische, Ueppigkeit, 15. Jahrh. I, 313. Bauern, österreichische, Luxus, 13. Jahrh. I, 155. Bauernhaar, 13. Jahrh. I, 141. Bauerntracht, 12—14. Jahrh. I, 154; 16. Jahrh. II, 160. 163. Baugen I, 15. Beinkleid, alte Zeit, I, 5. 24. 60. 64; 12—15. Jahrh. I, 135. 202; 16. Jahrh. II, 30. 121; 17. Jahrh. II, 177. 192. 240; 18. Jahrh. II, 274. 315. Beinkleid, spanisches, II, 86. Bernauer, Agnes, I, 232. Bettler, 15. Jahrh. I, 315. Bisamapfel II, 156. Blankscheit II, 251. Böhmen, Elisabeth, Königin, I, 211. Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 22 Sach- u. Namenregister. Böhmen, Wenzel, König, I, 134. 138. 139. Böhmen, Luxustrachten, 14. Jahrh. I, 217. Borst, Prediger, II, 228. Botenlauben, Beatrix, I, 110. Botenlauben, Otto, I, 134. Bouffanten II, 289. Brandenburg, Joachim II., II, 50. Brandenburg, Prinzessinnen, Töchter des Albrecht Achilles, I, 295. Braunschweig, Anna, I, 239. Braunschweig, Elisabeth, II, 113. Brige, Margaretha, I, 289. Brille, 16. Jahrh. II, 95. Bruche I, 136. Bruno, Erzbischof, I, 69. Brüstchen II, 162. Brusthemd I, 298. 305. Bruststück, 16. Jahrh. II, 72. Brusttuch II, 304. Buckeram I, 161. Bundschuh I, 313. Bureaukratie II, 293. Bürgertracht II, 159. 161. Bürgertracht s. auch Volkstracht. Burgund, Etiquette, I, 265. 271. Burgund, Hochzeitszug, I, 22. Burgund, Hoftracht, I, 260. Burgund, Karl der Kühne, I, 264. Burgund, Maria, Taufe, I, 261. Busen, falsche, II, 305. Busenkrause II, 271. Byzanz, Tracht, I, 56. 59. 62. 69. C alotte II, 27. Capistrano, Johann, I, 175. Caraco II, 299. Cassel, Opposition gegen das revo- lutionäre Stutzerthum, II, 318. Cemmerer, Henne, I, 290. Chatter, Haartracht, I, 12. Chenille II, 302. Chignon II, 278. Chlamys I, 20. Cimbern I, 2. Claudius Civilis I, 12. Cleve, Adolf, I, 242. Coiffüren, hohe, 18. Jahrh. II, 279. Collett II, 179. Consulartracht I, 26. Contouche II, 289. Corsett I, 111. Cotte-hardie I, 270. Cul II, 289. Cyclat I, 163. D änemark, Christian IV., II, 189. Dänemark, Friedrich III., II, 189. David, Maler, II, 308. Decolletirung, 10. Jahrh. I, 67; 16. Jahrh. II, 70. 126; 17. Jahrh. II, 200. 252. Decolletirung der Männer I, 285; II, 56. Degen, 18. Jahrh. II, 274. Degen, spanischer, II, 90. Deutschland, Beatrix, I, 100. Deutschland, Ferdinand I., II, 23. Deutschland, Friedrich I., I, 133. 138. 139. 140. Deutschland, Günther, I, 205. Deutschland, Heinrich II., I, 62. Deutschland, Heinrich VI., I, 134. 136. 138. 139. Deutschland, Karl der Große, I, 30. Deutschland, Karl der Kahle, I, 56. Deutschland, Karl V., II, 23. Deutschland, Ludwig der Fromme, I, 41. Deutschland, Lutgard und Töchter Karls d. Gr., I, 33. Deutschland, Maria Blanca, I, 291. Deutschland, Maximilian I., I, 286; II, 23. Deutschland, Otto I., I, 57. Deutschland, Otto III., I, 61. Deutschland, Sigismund, I, 230. Dienstboten, 15. Jahrh. I, 314. Ditmarsen, II, 166. Doppelkleid, 12. Jahrh. I, 100; 14. Jahrh. I, 169. 212; 15. Jahrh. I, 304; 16. Jahrh. II, 130. Dormeuse II, 282. Dupfing I, 202, 213. Dürer, Albrecht, I, 286; II, 23. Dusing I, 242. E hingen, Wolf von, I, 292. Ehrbarkeit der männlichen Tracht, 15. Jahrh. I, 300. Eid, Bischof von Meissen, I, 64. Sach- u. Namenregister. Eitelkeit, weibische, der Männer, 15. Jahrh. I, 285. Emailleschmuck I, 289. Enge der Tracht, 14. 15. Jahrh. I, 194. 213. 223. England, Eleonore, I, 103. England, Elisabeth, Königin, II, 108. England, Elisabeth, Prinzessin, II, 199. England, Heinrich II., I, 245. England, Heinrich V., I, 226. England, Isabella, I, 103. 235. England, Mathilde, I, 70. England, Richard II., I, 226. Engländer, 16. Jahrh. II, 108. Engländerinnen, 18—19. Jahrh. II, 321. Ervais II, 226. F ächer II, 145. 255. 299. Falschheiten der Tracht I, 209. II, 305. 314. Faltenwurf, Karolingerzeit, I, 47; 13. Jahrh. I, 97. Farben, älteste Zeit, I, 7; 12—14. Jahrh. I, 158; 15. Jahrh. I, 294; 16. Jahrh. II, 147. Farben, allegorische, 14. 15. Jahrh. I, 253; 16—19. Jahrh. II, 325. Farbentheilung, 16. Jahrh. II, 41. Farbentheilung s. auch Mi-parti. Faveurs II, 189. Favorit II, 314. Fichu II, 304. Flinder I, 303. Flinderhaube I, 260. Fontange II, 245. Fontanges, Mad. de, II, 245. Frack II, 272. 297. Frack der Frauen II, 299. Frank, Dorothea, I, 289. Franken I, 26. 37. Franken, Frauentracht, I, 37. Franken, Haartracht, I, 10. 26. Franken, kurzer Rock, I, 57. Franken, Chlodwig, I, 26. Franken, Chlotilde, I, 26. 29. Franken, Rigunthe, I, 28. Frankreich, Franz I., II, 21. Frankreich, Heinrich III., II, 105. 148. 152. Frankreich, Heinrich IV., II, 105. 152. Frankreich, Isabella, I, 212. 260. Frankreich, Ludwig XIII., II, 226. Frankreich, Ludwig XIV., II, 213. 226. 231. 327. Frankreich, Ludwig XVI., II, 301. Frankreich, Maria Medicis, II, 151. Frankreich, Modeherrschaft, II, 169. 222. Franzosen, 16. Jahrh. II, 103. Freigeister des 18. Jahrh. II, 296. Fries I, 161. Fritschal I, 161. G alakleidung, 18. Jahrh. 2. Hälfte, II, 302. 304. Gänsebauch II, 87. Gebende I, 119. Geckengesellschaft I, 142. Geistlichkeit, Haartracht, 17. 18. Jahrh. II, 228. Geistlichkeit, Luxus, 10. Jahrh. I, 69. 71; 14. Jahrh. I, 175. Geistlichkeit, reformirte, II, 62. Geistlichkeit, Verhältniß zur Mode, II, 227. Gelehrtentracht, 15. Jahrh. I, 301; 16. Jahrh. II, 62. Geschmack, 9. Jahrh. I, 47. Goldgier I, 43. Goldstoff I, 235; II, 75. Goller I, 168. 308; II, 73. 162. Goethe in Werthermontirung II, 297. Gräcismus II, 308. Grande Parure, 18. Jahrh. II, 281. Grecque, à la, II, 310. Gros, Johann Philipp, II, 230. Gugel I, 204. 215. Guillan, Frau, II, 109. Gürtel, 12. Jahrh. I, 112; 14. Jahrh. I, 168. 201. 213; 16. Jahrh. II, 74. 96. H aar, blondes, I, 8. 90. Haar, falsches, 15. Jahrh. I, 287; 16. Jahrh. II, 111. 135. Haar, schwarzes, 17. Jahrh. II, 246. Haarbeutel II, 235. Haarfärben I, 8. 287; II, 102. Haarhaube II, 27. Haarpflege, 15. Jahrh. I, 286. 22* Sach- u. Namenregister. Haarschmuck, 16. Jahrh. II, 136. Haartracht der Frauen, alte Zeit, I, 8. 33. 36. 66. 67; 12. 13. Jahrh. I, 117; 14. 15. Jahrh. I, 169. 214; 16. Jahrh. II, 68; 17. Jahrh. II, 198. 244; 18. Jahrh. II, 277. Haartracht der Männer, alte Zeit, I, 9. 59. 63; 12—14. Jahrh. I, 138. 206; 14. 15. Jahrh. I, 229; 16. Jahrh. II, 19. 119; 17. Jahrh. II, 174. 188. 223; 18. Jahrh. II, 266. 281. 312. 323. Haartracht, spanische, II, 88. Halstuch II, 239. 315. Handschuhe, alte Zeit, I, 69; 12. 13. Jahrh. I, 123; 14. 15. Jahrh. I, 309; 16. Jahrh. II, 137; 17. Jahrh. II, 255. Hängeärmel I, 224. 230. Harzkappe II, , 125. Häßlichkeit, 13. Jahrh. I, 95. Hauben, 15. Jahrh. I, 302; 16. Jahrh. II, 65; 17. Jahrh. II, 259; 18. Jahrh. II, 281. Hauben, burgundische, I, 274. Hautpflege I, 86; II, 156. Heilige in burgundischer Tracht, I, 263. Hemd I, 64. 102. 127; II, 56. Hemdpreise, 16. Jahrh. II, 120. Hemd, bunter Einsatz, I, 298. 305. Henri quatre II, 104. Herisson, Frisur, II, 298. Herold, der Däne, Taufe, I, 42. Herzogshut I, 142. Hof Karls des Großen I, 33. Hoffartsteufel II, 115. Hofluxus, 10. Jahrh. I, 69. Hofluxus, fränkischer, I, 33. Hoftracht, burgundische, I, 266. Hoftracht, kaiserlich französische, II, 324. Hoike I, 207. 210. Holländer II, 165. Holzhausen, Gudela, I, 221. Hornfessel I, 243. Hose s. Beinkleid. Hosenteufel II, 48. Hulle I, 215. Hut, 10. Jahrh. I, 60; 12. 13. Jahrh. I, 122. 142; 14. 15. Jahrh. I, 227. 302; 16. Jahrh. II, 89; 17. Jahrh. II, 177. 190. 238; 18. Jahrh. II, 270. 281. 297. Hut à l’Androsmane II, 203. Hut, burgundischer, I, 269. Hut Karls des Kühnen I, 269. Hut, runder, 18. Jahrh. II, 297; Kampf mit dem dreieckigen II, 318. Hut, spanischer, II, 89. Hut im Kampf mit dem Barett II, 117. Hutten, Ulrich von, II, 117. I ncroyable II, 315. Italiener, 16. Jahrh. II, 100. Jabot II, 271. Jacke I, 198. 298. Jagdrock, 13. Jahrh. I, 132. Jagdzug Karls des Großen I, 33. Judenhut I, 143. Justaucorps II, 241. 271. K amelot I, 161. Kamm I, 69. Kappe I, 117. 131. Kleiderordnungen I, 179. Kleiderordnungen des Adels I, 189. Kleiderordnungen von Augsburg I, 188; II, 57. Kleiderordnung von Braunschweig II, 207. Kleiderordnung von Constanz I, 223. Kleiderordnung von Florenz I, 180. Kleiderordnung von Hannover II, 275. Kleiderordnung von Hildesheim II, 208. Kleiderordnung von Holstein II, 208. Kleiderordnung Karls des Großen I. 40. Kleiderordnung Karls VII. von Frank- reich I, 180. Kleiderordnung von Mailand I, 180. Kleiderordnungen von München I, 187; II, 293. Kleiderordnung von Nürnberg I, 181. 237. Kleiderordnung Philipps des Schönen von Frankreich I, 179. Kleiderordnungen des Reichs I, 190; II, 57. Sach- u. Namenregister. Kleiderordnungen in Sachsen I, 188; II, 207. Kleiderordnung von Speier I, 181. Kleiderordnung von Straßburg I, 184; II, 261. Kleiderordnungen von Ulm I, 185. Kleiderordnung von Zürich I, 183. Kleidervorrath, 15. Jahrh. I, 291. Kleinspalt I, 166. Klingenberg, Johannes, I, 222. Kniehose II, 44. 242. Kolbe II, 22. Koller s. Goller. Kopfschmuck der Frauen I, 119. Kopfschmuck s. auch Haartracht. Kragen II, 200. 239. 252. Kragen, wallonischer, II, 176. Krause II, 95. 120. 134. 174. Krausenstärke II, 109. Kröse II, 120. Kruseler I, 215. Kursat I, 111. Kürsen I, 111. Kurzabold I, 117. Kürze der Tracht, 14. Jahrh. I, 194. L acerna I, 19. Lancaster, Heinrich von, I, 199. Landsknechte II, 34. Lange, Gabriel, II, 152. Langobarden I, 23. Langobarden, Adelwald I, 24. Langobarden, Algis, I, 17. Langobarden, Arichis, I, 25. Langobarden, Haartracht, I, 11. Latour-Landry, Ritter, I, 176. 193. Lauremberg, Hans Wilmsen, II, 211. Leibchen, Trennung vom Kleid, I, 307. Leinwand I, 6. 24. 163. Leinwand, byzantinische, I, 70. Lendner I, 168. 199. Liechtenstein, Ulrich von, I, 97. 121. 126. Liutprand, Bischof, I, 69. Loden I, 169. Logau, Friedrich von, II, 210. Löschenkohl, Fächerfabrikant, II, 300. St. M agdalena in niederländischem Putz I, 280. Mahoitres I, 267. Mandelsloh, Barthold von, II, 142. Manschetten II, 179. 201. Mantel, älteste Zeit, I, 3. 37. 38; 12. 13. Jahrh. I, 115. 133; 14. Jahrh. I, 169. 206. 210; 14. 15. Jahrh. I, 234. 308; 16. Jahrh. II, 74. 162; 17. Jahrh. II, 179. Mantel, friesischer, I, 37. Mantel, gallischer, I, 38. Mantel, Hoftracht, 15. Jahrh. I, 273. Mantel, kurzer, 15. Jahrh. I, 300. Mantel, spanischer, II, 89. 96. Mantille II, 133. Marderhaube II, 259. St. Maria Tracht, 15. Jahrh. I, 281. Marktverkäufer 15. Jahrh. I, 311. Masken II, 107. Mecklenburg, Albrecht, II, 237. Mi-parti I, 60. 68. 146. Mode, Entstehung I, 192. Moscherosch, Johann Michael, II, 209. Mouches II, 247. Muff II, 255. Muffer II, 267. Muschelbund II, 260. Musculus, Andreas, II, 48. Muster der Kleider II, 48. 303. Mütze 13. Jahrh. I, 144; 14. 15. Jahrh. I, 226; 15. Jahrh. I, 302. Mütze, rothe, phrygische, II, 307. N achtmaske II, 247. Narrenkopftracht, 13. Jahrh. I, 141. Narrenmutter von Dijon I, 242. Nassau-Weilburg, Ludwig Graf und Gem. II, 153. Nationaltracht, vorgeschlagene, II, 317. Navarra, Margaretha, II, 103. 106. Negligé, 18. Jahrh. II. 281. 303. Niederlande, bunte Trachten, I, 279. Nithart I, 155. Notabeln, französische, II, 301. Nuditäten I, 278. II, 309. 311. 322. Nürnberg, Friedrich, Burggraf I, 250. Nürnberg, Friedrich, Burggraf, Fa- milie desselben I, 211. Sach- u. Namenregister. O berrock, 14. Jahrh. I, 206. 226; 17. Jahrh. II, 240. Oberrock des Stutzers, 15. Jahrh. I, 299. Oberrock s. auch Trappert, Schaube. Opposition gegen den Luxus, 14. Jahrh. I, 175. Oppositionstracht gegen die Mode- thorheiten, 14. Jahrh. I, 219. P aletot II, 274. Pallium I, 19. Pantalons II, 316. 320. Pantoffel I, 249. Papst Julius II., II, 21. Päpste, Verbot der Perrücke, II, 230. Parfüms II, 144. 156. Paternoster II, 154. Paysanne, à la, II, 308. Pelz I, 5. 40. 292. Pelz s. auch Rauchwerk. Perlen, 15. Jahrh. I, 289; 16. Jahrh. II, 154. Perrücke II, 223. Perrücke der Damen II, 312. Pfalz, Philipp, I, 251. Pfauenhut I, 143. Pfellel I, 163. Pietisten II, 229. Plantagenet, Gottfried I, 245. Plasse, Dingham van der, II, 109. Pluderhosen I, 202; II, 45. Polen, Sigismund, II, 152. Preußen, Anna, II, 152. Preußen, Dorothea, II, 112. 150. Preußen, Friedrich I., II, 233. Preußen, Friedrich Wilhelm I., II, 267. Preußen, Friedrich Wilhelm II., II, 320. Puder II, 205. 234. 246. 270. 314. Puffjacke II, 125. Pumphose II, 92. 122. 165. Purpur I, 69. Putzsucht, 13. Jahrh. I, 153. Q uarréeperrücke II, 269. R athsherr, 17. Jahrh. II, 258. Rauber, Andreas von, II, 24. Rauchwerk, 12—14. Jahrh. I, 164. Regenschirm II, 163. Reifrock, 16. Jahrh. II, 94. 105. 132; 18. Jahrh. II, 282. Reitcostüm, englisches, 18. Jahrh. II, 301. Restauration, 19. Jahrh. II, 324. Revolutionstracht II, 306. Rhorbach, Bernhard, I, 290. Rise, I, 121. Riviere, de la, II, 226. Robe, II, 249. 289. Robe, burgundische, I, 270. Rock, moderner, II, 315. Rockkragen, 18. Jahrh. II, 273. Römertracht, Unterschied von der deutschen, I, 18. Rußland, Paul, II, 319. S achsen, Anna, I, 289. Sachsen, Friedrich, I, 239, Sachsen, Johann, II, 225. Sachsen, Rudolf I., I, 239. Sachsen, Haartracht, I, 11. Sachsenhausen, Rudolf, I, 205. Sagum I, 4. 19. Salmasius II, 228. Sammet I, 163. Sansculottismus II, 308. Schamlosigkeit der Kleidung 15. Jahrh. I, 284. 297. Schapel I, 119. 142. Schapperun I, 131. Scharlach I, 160. Schaube I, 301. II, 53. 60. 124. Schaube der Frauen II, 133. Schecke I, 199. Schellentracht I, 149. 236. Schinkenärmel II, 165. Schleier, 12. 13. Jahrh. I, 121. 14. Jahrh. I, 216; 15. Jahrh. I, 276. 303; 16. Jahrh. II, 66. 146. Schleppe, 14. Jahrh. I, 210; 16. Jahrh. II, 146; 17. Jahrh. II, 249. Schleppe am burgundischen Hof I, 271. Schlitzung II, 32. 40. 55. Schminke I, 7. 87; II, 156. 205. 247. Sach- u. Namenregister. Schmuck, altgermanischer, I, 12; in karolingischer Zeit, I, 48; 12—14. Jahrh. I, 99. 150. 216; 15. Jahrh. I, 288; 16. Jahrh. II, 75. 149. 151; 17. Jahrh. II, 254. Schnabelschuhe I, 245. Schneidergesellen zu Friedberg I, 296. Schnürbrust II, 250. 290. Schnurrbart, 14. Jahrh. I, 205. Schönbartläufer I, 241. Schönberg, Hans Meinhard von, II, 149. 153. Schöngeister des 18. Jahrh. II, 296. Schönheitslehre 13. Jahrh. I, 83. Schönheitsmittel I, 217; II, 204. Schönheitspflästerchen II, 205. 247. Schottland, Jakob I., I, 249. Schuhe, alte Zeit, I, 22. 27. 60. 62. 66; 12—14. Jahrh. I, 123. 137. 203; 14. 15. Jahrh. I, 245; 16. Jahrh. II, 69. 87. 126. 137; 17. Jahrh. II, 180. 203. 242. 255; 18. Jahrh. II, 274. 290. Schuhe, breite, II, 28. Schuhe, hohe, II, 96. Schulterpuffen II, 130. Schürbrant I, 161. Schürze II, 163. Schwaben, Volkstracht, II, 262. Schwanz I, 112. Schwänzelein I, 112. Schweden, Erich XIII., I, 237. Schweizertracht, 16. Jahrh. II, 51. Sei I, 161. Seide I, 22. 161. Seidennater I, 290. Sendal I, 163. Sendelbinde I, 228. Serge I, 161. Siboto, Graf, I, 133. 140. Siglat I, 163. Slawietin, Albrecht, I, 247. Soli Deo II, 229. Solms, Reinhard, II, 117. Sorel, Agnes, I, 273. Spanien, Elisabeth, II, 103. Spanier, 16. Jahrh. II, 85. 93. Spenzer, II, 310. Spiegel I, 69. 157; II, 157. Spielleute, 12—14. Jahrh. I, 154. Spitzen II, 150. 207. Spitzenkragen II, 175. Stände, niedere, 12—14. Jahrh. I, 154; 15. Jahrh. I, 310. Standesunterschiede, alte Zeit, I, 50; 15. Jahrh. I, 293; 16. Jahrh. II, 58. Stickereien I, 70. 290. Stiefel, 10. Jahrh. I, 60; 12. 13. Jahrh. I, 137; 17. Jahrh. II, 180. 161. 242; 18. Jahrh. II, 297. Stock, 18. Jahrh. II, 274. 308. Stoffe, alte Zeit, I, 6. 24. 70. 12—14. Jahrh. I, 160; 14. 15. Jahrh. I, 235. 292; 16. Jahrh. II, 75. 148. Stoffe, geblümte, 18. Jahrh. II, 303. Stola I, 19. Stralberg, Hert, I, 290. Straßburg, Volkstrachten, 17. 18. Jahrh. II, 261. Strickgürtel II, 96. Strohhut der Sachsen I, 60. 143. Strumpf II, 44. 139. 242. Strümpfe, weiße, der Langobarden I, 23. Stuarthaube II, 137. Stutzer 16. Jahrh. II, 173; 17. Jahrh. II, 173. 183; 18. Jahrh. II, 276. 298. Stutzertracht, revolutionäre, II, 307. 316. Stutzertracht, schöngeistige, der Frauen, 18. Jahrh. II, 298. Stutzerthum, weibliches, 17. Jahrh. II, 203. Sukenie I, 111. Surkot I, 111. Surtout I, 111. T abatiere II, 274. Taille, hohe, 14. 15. Jahrh. I, 233; 18. 19. Jahrh. II, 322. Tallien, Madame, II, 310. Tanhäuser I, 135. Tarnkappe I, 132. Tasche der Frau I, 125. Taschentuch II, 143. Tassel I, 116. 169. Taufkleidung, 9. Jahrh. I, 41. Teint, 13. Jahrh. I, 85; 16. Jahrh. II, 156. Tessel, s. Tassel. Sach- u. Namenregister. Thesemknöpfe II, 156. Thüringen, Hermann, I, 135. Tituskopf II, 312. 314. Toiletteninstrumente I, 68. Toilettenkünste I, 7; II, 158. Trappert I, 207. 210. 301. Tscheckenbürlin, Hieronymus, I, 286. Tunica I, 19. 62; II, 309. 311. Turner, Mrs. II, 110. Turque, à la, II, 310. U ebergangscostüm, 1650—1670, II, 240. Ueberwurf II, 53. Uden, Gottfried, II, 228. Ulfson, Karl, I, 273. Unterkleid I, 100. Unterschuhe, 14. 15. Jahrh. I, 249. V enetianerinnen II, 102. Verdaugie, de la, II, 233. Vergette II, 236. Volkstracht II, 13. 159. 257. 291. W affenrock I, 145. 200; II, 63. Wallensteiner II, 176. Wamms, 14. Jahrh. I, 199; 15. Jahrh. I, 298; 16. Jahrh. II, 30. 123; 17. Jahrh. II, 177. 192. 242; 18. Jahrh. II, 271. Wamms, spanisches, II, 88. Wappenrock, s. Waffenrock. Warendorp, Bruno von, I, 222. Warkus I, 131. Wasser, wohlriechendes, II, 144. Werthern, Heinrich von, I, 244. Werthertracht II, 297. Werthheim, Grafen, I, 205. Weste II, 272. Westgothen I, 23. Wien, Luxustrachten, 14. Jahrh. I, 217. Winter, Frau, I, 288. 291. Wollstoffe I, 160. Z ähne II, 157. Zatteln I, 208. 225. Zollern, Eitelfritz von, II, 24. Zopf, 12. 13. Jahrh. I, 122; 17. Jahrh. II, 189; 18. Jahrh. II, 235. 266. 308. Zwickel, II, 143. Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.