Geschichte der franzoͤsischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Von F. C. Dahlmann . Leipzig, Weidmann’ sche Buchhandlung. 1845. Vorwort . Sollte Einer diese Schrift als eine Ergänzung meines Buches über die englische Revolution betrach- ten wollen, so finde ich wenig dagegen einzuwenden. Es ist dasselbe Thema, nur unserer Gegenwart näher geführt und von einer weit unmittelbarer europäischen Bedeutung. Freilich habe ich meine Feder gerade an dem Zeitpuncte der französischen Revolution nieder- gelegt, da der Welttheil anfängt von ihr ergriffen zu werden, allein, wie mir doch scheint, an einem Orte, welcher zur verweilenden Betrachtung einladet; weiter gehend hätte ich kaum früher abzubrechen ge- wußt als mit dem Ausgange des Zeitalters Napo- leon Bonaparte’s. Das aber wäre vor der Hand selbst für das Wagniß einer kürzeren Darstellung zu weit- aussehend gewesen. Zu meiner eigenen Beruhigung wünsche ich vielmehr schon jetzt die Zeit herbei, da ich dieses Buch wie ein fremdes zu betrachten im Stande sein werde, um von mir selbst zu erfahren, ob meine Auffassung denn tief und eigenthümlich ge- nug ist, um es zu rechtfertigen, daß die büchervolle Welt hier mit einem neuen Werke über diesen so un- zählige Male behandelten Gegenstand heimgesucht wird. Bonn , 5. August 1845. F. C. Dahlmann. Erstes Buch. Die Vorspiele der Revolution. Französische Revolution. 1 1. Die Verhaͤltnisse . Es sind nicht mehr als siebzig Jahre seit der sechzehnte Ludwig den Thron seiner Väter bestieg, und noch leben hie und da Menschen, welche sich der Zeit entsinnen, da er jung und voll gutherziger Hoffnung war: wenn es aber eine Kunst gäbe die Weltgeschichte nach Erfahrungen aus- zumessen, so lägen viele Jahrhunderte zwischen ihm und uns, zwischen seinem Märtyrerthum und wohl auch dem unsrigen. Unsere Jugend hat ganz Recht, wenn sie von ihren Alten verlangt, sie sollen ihr diese schwierige Zeit auslegen helfen, den Weg ihr zeigen, welchen sie selber in den Jahren der Kraft, manchmal abirrend, aber mit Ehre gingen. Sie will zu jenen Standpuncten hinauf gefördert seyn, wo die düster verworrenen Trümmerhaufen zurück- treten vor den ernsten Grundzügen eines Neubaues der Geschichte, welchen eine unbegreiflich hohe Waltung unter Wehgeschrei zur Welt bringt. Wer auf diesem Pfade sich irgendwie entzieht, nach Art der Buhlerinnen halb zeigt und halb verbirgt, da aufhört wo er anfangen sollte, Ereignisse 1* häuft wo es sich darum handelt die herbe Frucht der Selbsterkenntniß zu pflücken, der mag bequem sich im Va- terlande betten und überall wo es hoch hergeht hochwill- kommen seyn, allein ein ächter Jünger der Geschichte, ein Mann der Wahrheit, ein Freund Deutschlands ist er nicht. Der Franzose verdankt seinem Erbkönigthum ein nicht genug zu preisendes Gut, seine Staatseinheit. Was sie bedeute lernte er früh genug dem Deutschen gegenüber schätzen, stieg gewaltig, während dieser tief und tiefer in Zerstückelung versank, und brachte dem wohlthuenden Machtgefühle rings umher im großen Staatenkreise nicht unwillig das Opfer vieler inneren Freiheit. Das unbe- wußte Streben über die Verschränkungen des Lehnwesens hinaus zu dem Ziele der Staatseinheit ehrte er schon an seinem heiligen Ludwig, und wenn er vergleichend nach- wog, was ihm Ludwig XI. und der große Staatsmann Ludwigs XIII. gegeben und was beide ihm dafür genom- men hatten, er hätte es am Ende doch nicht viel anders gemocht. Denn Frankreich war einmal in seinem Über- gewichte auf dem Festlande durchaus an die Stelle unsres armen Deutschlands getreten, und das blieb unverkennbar das Werk seiner einheitlichen Königsmacht. Allein ein großes Gelingen der Menschen und ihr Übermuth sind, wie es scheint, für immer unzertrennliche Wandnachbaren. Der vierzehnte Ludwig verstieg sich übermüthig in das Ge- biet der nicht mehr beherrschbaren Dinge, verlangte auch Glaubenseinheit in seinem Reiche und trieb die Anders- gläubigen fort. Daneben rundete er auf deutsche Unkosten sein Frankreich vollends ab; weil er aber gar nicht auf- hören wollte zu erwerben, bewaffnete er am Ende den Welttheil wider sich und vereitelte die Arbeit seiner Mini- ster, welche unermüdet fortfuhren neue Quellen des Wohl- standes zu eröffnen. Bei dem Allen stand der Herr doch zuletzt auch in der Abendsonne seines Lebens strahlend da, schied ungebeugt von seinem Hofadel, welcher ihm das Volk bedeutete und der in dankbarer Vergeltung auch nie müde ward fern von seinen Landsitzen dem Winke herri- scher Augenbrauen zu dienen. Nach der inneren Wunde des Gemeinwesens hatte Niemand ein Recht zu fragen als der majestätische Greis, der nicht danach fragte. Einmal verrieth sie sich zwar in den Worten, welche der König we- nige Tage vor seinem Ende zu seinem Urenkel, der ihm folgen sollte, segnend sprach: „Ahme mir nicht nach in der Lust an Krieg und Bauten, trachte die Lasten deines Volks zu erleichtern; es ist mein Unglück, daß ich es nicht konnte.“ Das will sagen: „daß ich es nicht der Mühe werth hielt.“ Denn niemals durfte bei dem Prunke seiner Feste, auch in den letzten trüben Jahren nicht, da der Tod Ludwigs Haus verödete, etwas davon durchblicken, daß damals in den Staatscassen das Geld für die Nothwen- digkeiten der Verwaltung fehlte. Wo freilich der Staat in seinem Fürsten enthalten ist, da ist der Überfluß am Hofe die erste Nothwendigkeit und die letzte, alles Andere gilt für Nebenwerk. Ganz in der Stille stiehlt sich indeß vielleicht ein ernster Einzelner bei Seite, mißt die Schäden des Gemeinwesens nach ihrem Umfange aus und senkt die Sonde in ihre Tiefen. Fenelon schrieb zur Zeit des spa- nischen Erbfolgekrieges: „Wir leben nur durch ein Wun- der fort; es ist eine abgängige Maschine, die allein aus Gewohnheit noch fortgeht und bei dem ersten Anstoße zer- brechen muß. Ich fürchte unser größestes Übel besteht darin, daß Niemand unserm Staate auf den Grund sieht, ja man ist entschlossen es nicht thun zu wollen, man schließt geflissentlich die Augen, öffnet die Hand stets um zu nehmen, ohne zuzusehen, ob auch etwas da ist, wovon man nehmen könne. Das Wunder von heute muß für das Wunder von gestern einstehn, und dieses Wunder muß sich morgen wiederholen, bis es dann endlich zu spät seyn wird. Das Volk führt kein menschliches Leben mehr, es ist ein Zigeunerleben.“ Fenelons Herzensmeinung, die er vor seinem ehemaligen Zögling, dem Herzog von Bour- gogne, der damals der Krone am nächsten stand, keines- wegs versteckte, war: man müsse, um einen Boden für die Zukunft zu gewinnen, die Notabeln von Frankreich zu Ra- the ziehen, gründlicher noch würden Reichsstände helfen, allein es sey auch mehr Gefahr dabei. „Die Nation,“ schrieb er, „muß sich selber retten.“ Seit dem Tode Ludwigs XIV. behauptete die aus- wärtige Politik Frankreichs nur kurze Zeit ihren hohen Standpunct und der Abgrund der Finanzen that sich dro- hender auf. Jener nicht unedle Stolz des Franzosen auf seine europäische Bedeutung verlor plötzlich allen Halt un- ter einem Regiment der Lüste, und auch wer diese theilte verzieh den Machthabern die dem Vaterlande angethane Kränkung nicht. Unter dem Verstorbenen gab es keine Opposition, jetzt erhub sich eine, zu einer Zeit da in der Hauptstadt die alte celtische Unzucht sich mit keinem Schleier mehr deckte, seit der König selber mit dem Bei- spiele voranging, während leichtsinnig begonnene Kriege das Capital eines Waffenruhmes ohne Gleichen vergeu- deten. Man war überhaupt in ein Zeitalter getreten, da eine öffentliche Meinung über die weltlichen Dinge in der ersten Entfaltung stand; man meinte und untersuchte nicht sowohl in jedem Volk für sich mehr, als gemeinschaftlich in allen Völkern von Bildung; weit entfernte Denker be- kämpften oder unterstützten sich lebendiger als je zuvor in Fragen der unmittelbaren Gegenwart. So ziemlich überall befand man daß die Staatsrechte, welche behan- deln was in jedem Staate für sich rechtmäßig ist, nicht mehr ausreichten; man verstieg sich in das weitläuftige Gebiet des Zweckmäßigen, in welchem die Politik ihre Heimat hat, und Frankreich bestand ungünstig in der Probe politischer Vergleichung. Montesquieu verlieh in seinem Geiste der Gesetze an England, den Erbfeind seines Vaterlandes, den Preis der besten Verfassung, Rousseau flüchtete sich aus den Verderbnissen der Zeit in die Nach- barschaft eines Naturzustandes, welcher aller höheren Bil- dung den Krieg erklärt, und spendete mit freigebiger Hand den Völkern so das Recht wie die Pflicht sich eine natur- gemäße Regierung einzurichten. Solche weitaussehende Feldzüge gegen den praktischen Bestand der gern genießen- den Welt liebte nun zwar Voltaire nicht, beschränkte sich auf den kleineren Krieg, welchen er mit unvergleich- licher Behendigkeit gegen das vaterländische Herkommen in Staat und Kirche führte. Mit den Fortschritten der Naturwissenschaften vertraut, behauptete er gar leicht das Feld im Kampfe gegen die Altgläubigen, wo diese auf der Geschichtschreibung des Schöpfungswerkes in den Büchern Mose oder auf der Sonne Josua’s bauten. Den gefähr- lichsten Angriffspunct auf die Kirchenverfassung zeigte ihm aber die freche Verderbtheit der höhern Geistlichkeit selber an, von welcher ein ehrlicher Pfarrer die treuherzige Ver- sicherung gab: „vier oder fünf von ihnen glauben wohl noch an Gott.“ Den Glauben an Gott nun ließ Voltaire ebenfalls bestehen, aber zertrümmerte um so unbarmherziger Alles was darüber hinausging. Daneben dichtete er, ein hingegebener Freund der Macht, Loblieder auf jeden Mai- tressenminister, der gerade am Ruder stand, und zog seinen Nutzen davon, ohne daß sich sein Urtheil gefangen gab; denn mit derselben geistreichen Feder entschädigte er sich dann wieder durch einen Brief an einen Vertrauten, in welchem er von einem unvermeidlich drohenden großen Umsturze schrieb und etwa senfzend hinzusetzte: „Wie Schade daß ich nicht mehr Zeuge davon seyn kann! Glückliche Jugend, die die tolle Wirthschaft erleben wird!“ Faßt man aber diese drei hervorragenden Köpfe zusammen und fügt noch als vierten Mann den genialen Diderot hinzu, der noch mehr ätzende Elemente im Geiste trug, so erkennt man recht deutlich, daß der vierzehnte Ludwig bei weitem höhere Güter als bloß industrielle antastete, da- mals als er seine fleißigen Reformirten ausstieß. Denn er schnitt mit ihnen das Asyl für eine unabwendbare Ent- wickelung der menschlichen Geisteskräfte ab, welche sich in dieser bedächtig prüfenden Glaubensform unschädlich hätte ablagern können. Der Protestantismus ist ja nun einmal begnügt, wo man ihn auch allenfalls bloß duldet, der Katholicismus dagegen will die Alleinherrschaft führen, und Ludwigs Dragoner verhalfen ihm dazu. Aber herrscht denn am Ende eine Kirche wirklich, von welcher sich die ersten Köpfe der Nation mit Trotz und Geringschätzung abwenden? Ganz anders stand auch diese Sache im deut- schen Reiche. Denn in demselben achtzehnten Jahrhundert trug der deutsche Reichsboden vier groß begabte Männer, welche ihr gediegenes Wesen aufrichtig hinstellen durften wie es war, unbekümmert darum, wie es zu den Glau- benssatzungen stehe, welchen der westphälische Frieden Schutz verleiht: Winckelmann, Lessing, Goethe und Schil- ler. Pflanzen dieser edeln Gattung konnten allein auf einem Boden gedeihen und ihre unsterblichen Früchte zeiti- gen, auf welchem der Protestantismus ein Recht des Da- seyns hat und sich zugleich mit dem Katholicismus friedlich eingewöhnen und ausgleichen soll, da dann der unwider- stehliche Werth solcher höheren Naturen den seichten Ver- ketzerungstrieb nach beiden Seiten zu Boden wirft. Was diese deutschen Männer, nicht ohne heißen Kampf zwar, aber ohne Verbitterung ihres lichten Inneren überwanden, die Hindernisse, welche dumpfer Glaubenseifer einer edeln Geistesbildung entgegensetzt, an diesen Klippen scheiterten jene starken Geister Frankreichs, und es schlug hier die verwandte Richtung in den Witz des Grimmes und eine giftige Leichtfertigkeit um, weil sie keinen erlaubten Boden fand. Das Werk von Montesquieu erlebte im ersten Jahre seines Erscheinens zwölf Auflagen und keine einzige von diesen durfte Frankreich angehören. Was geistreich war, war auch umwälzend, durfte in der Heimat nicht erschei- nen, allein je ärger man es trieb, um so größer die Ge- wißheit überall im Vaterlande gelesen zu werden. Vol- taire und Diderot, nicht zufrieden mit der Bekämpfung des Klerus, kündigten dem Christenthum Krieg an und schnit- ten sich hiemit selber einen tiefsinnigeren Bildungsgang und den beruhigten Blick auf die Entwickelung des Men- schengeschlechtes ab. Und keine Frage mehr, der Blitz, der aus immer schwerer überhängendem Gewölk Frankreichs Thron bedrohte, mußte zugleich seinen Kirchenstaat treffen. Denn die Schriften dieser Männer drangen überall ein, nicht bloß in die höheren und mittleren Lagen der Gesell- schaft, auch die höchsten Personen schwelgten in dem Reize dieser verbotenen Ideen. Während König Ludwig XV. jede Entwürdigung des Lebens erschöpfte, ging es in einem stillen Flügel seines Schlosses nachdenklich zu. Hier lebte in Abgeschiedenheit sein Sohn, der Dauphin, mit seiner sächsischen Gemahlin in frommer ehelicher Eintracht. Be- ruhigt bei dem Glauben der Väter, nicht einmal den Je- suiten gram, studirte man hier nicht minder eifrig seinen Montesquieu und verhandelte über die unabweislichen Forderungen einer guten Staatsverfassung, tadelte auch im Kreise weniger Vertrauten diesen unwürdigen Anschluß des versailler Cabinets an Österreich, von einer schlauen Maitresse gestiftet, die sich nothwendig machen wollte. In diesen prunklosen Räumen fand Preußens Friedrich wäh- rend des siebenjährigen Krieges seine begeisterten Bewun- derer, und wenn, wie das regelmäßig geschah, die fran- zösischen Officiere zu Ende jedes Sommers nach Paris zu- rückströmten, um die Winterfreuden der Hauptstadt ja nicht zu verfehlen, gar nicht mehr bei dem Heere draußen zu halten waren, da fand es sich, daß deren Held eben auch dieser Friedrich, ihr Besieger, war, und die Hauptstadt gab ihnen Recht. Aber der Dauphin starb früh, erst sechs und † 1765. Dec. 20. dreißigjährig. Als sein ältester Sohn erwuchs, der nach- herige Ludwig XVI., ließ er sich freilich eine Gemahlin aus Österreich gefallen, allein der Gegensatz der Gesin- nung blieb. Auch in den Gemächern des neuen Dauphins besprach man die Schriften der Denker, die nicht auf kirch- lichem Grunde bauten, oder der sogenannten Philosophen, eines Voltaire, Rousseau, Diderot, Helvetius, und der junge Fürst trug eine Färbung derselben davon, aus wel- cher er sich in späteren Tagen ein Gewissen machte. Ein Kreis von jungen Leuten von gehobenerer Lebensart aus den ersten Familien, den Noailles, den Dillons, den Se- gurs, den Lafayettes tauschte hier kühne Freiheitsideen aus und es fiel den arglosen Jünglingen nicht ein, daß, wenn diese sich einmal verwirklichten, es keine Obristen von sieben Jahren in ihrer Verwandtschaft mehr geben werde. Die veränderte Grundrichtung der Zeit ließ sich nicht verheimlichen, sie brach aller Orten hervor, war Lud- wig dem XV. selber ehemals in seiner Liebhaberei für die Ökonomisten nahe getreten, und dieser ruchlose Greis, dessen natürliche Gaben nie ganz erstarben in dem Schlamme der Lüste, dachte sicherlich nicht allein an seine vier Milliarden Schulden und sein großes jährliches De- ficit bei einer Einnahme wie kein anderes Reich in der Welt sie besaß, wenn er in seiner letzten Zeit manchmal wiederholte: „Nun ich komme schon durch, ich alter Mann, aber mein Enkel mag sich in Acht nehmen.“ Dieser Enkel ward am 23. August 1754 geboren, seine Mutter Maria Josepha, Tochter des Kurfürsten Frie- drich August II. von Sachsen, der als König von Polen der dritte August hieß. Am 10. Mai 1774 folgte er sei- nem Großvater auf dem Throne, kaum zwanzigjährig, nur funfzehn Jahre älter als der Knabe, der junge Corse, wel- cher dereinst sein Nachfolger werden sollte. An dem wohlwollenden Charakter, der Sittenreinheit des jungen Königs zweifeln auch seine Widersacher nicht; aber von Anfang her verlautet die Klage über seine ver- drießliche, ungefällige Außenseite, die keine Spur von königlicher Haltung trägt. Wie prächtig erschien die welt- gebietende Gestalt Ludwigs XIV., wie gewinnend Lud- wig XV., sobald er es seyn wollte! Allein wie dieser in seinem wüsten Leben seine Töchter verabsäumte, so auch seine männliche Nachkommenschaft. Es war ein Rest von Scham, der ihn abhielt die Erben seines Thrones in die unmittelbare Nähe seiner niedrigen Lüste zu bringen. Die Gestalt des jungen Königs war nicht unedel, aber Gang und Haltung unbehülflich; er ist ein so schwerfälliger Reiter, die ganze Person vernachlässigt, das Haar unor- dentlich, die Hände manchmal geschwärzt durch seine Vor- liebe für Schlosser- und Schmiedearbeit. Auch sein Organ war ungebildet und im Eifer kreischend. Die Hofleute er- zählten sich, wie er manchmal so gar roh auffahre, was sie seine Rüsselschläge nannten. Im Übrigen ein leidlich un- terrichteter Herr, großer Freund der Geographie, trefflich geeignet eine wohlbehaltene Erbherrschaft lange Jahre zu führen und weiter zu vererben. Später hat man, nach Vorbedeutungen lüstern, Gewicht darauf gelegt, daß er am Tage vor dem Jahrestage jener alten blutigen Bartholo- mäusnacht geboren worden, seine Gemahlin aber, mit welcher ihn die Politik verband, sogar am Tage des Erd- bebens von Lissabon, am 2. November 1755. Es war Marie Antonie von Österreich, die Toch- ter Marien Theresiens und des Kaisers Franz, dessen Stammland Lothringen durch das einzige politische Ge- lingen zur Zeit Ludwigs XV. an Frankreich kam. Die zärtliche Mutter erniedrigte sich vor der Pompadour, um ihrer Tochter die Hoheit eines Thrones und eines Blut- gerüstes zu bereiten. Die Ehe ward 1770 geschlossen. Man übergab die junge funfzehnjährige Dauphine an der Rheingränze zu Straßburg an Frankreich. Unser großer Goethe, derzeit als Jüngling zu Straßburg verweilend, gewahrte auch hier die traurigste Vorbedeutung; denn auf den zum Empfange des jungen Paares festlich ausgespann- ten Teppichen sah man die Hochzeit Jasons mit Medeen abgebildet. Aber eine andere ernsthaftere Ungeschicklichkeit verwandelte die prächtigen Vermählungsfeste, die nun in Versailles und Paris sich drängten, in eine Trauerfeier. Ein Feuerwerk soll auf dem Platze Ludwigs des Funfzehn- ten, welcher eben erst mit der Statue dieses Königs geziert ist, abgebrannt werden; aus übel angewandter Sparsam- keit sind schlechte Anstalten gegen das Gedränge getroffen. Da bricht in den Gerüsten Feuer aus und über hundert Menschen werden erdrückt, wohl tausend starben an den Folgen. Es war der 30. Mai 1770. Auf diesem Platze fiel zwei und zwanzig Jahre darauf das Haupt des Kö- nigs und der Königin. Der König, mit einem körperlichen Gebrechen behaftet, welches erst später geheilt ward, schien seine junge Ge- mahlin zu Anfang mit Kälte zu betrachten. Einer seiner Brüder, der Graf von Artois, war früh beerbt, die könig- liche Ehe ward erst im dritten Jahre vollzogen. Marie Antoinette, jung, reizend, lebenslustig, ernsthafter Bildung und Lectüre abgeneigt, konnte sich in das steife Hofceremo- niell nicht finden, beseitigte so viel davon als möglich und suchte die bequemere Hausweise, die durch den lothringi- schen Fürstenstamm an den wiener Hof gekommen war, einzuführen. Sie brachte zuerst statt der schwerfälligen alten Pracht den raschen Wechsel in Kleidung und Woh- nung auf, der freilich um so kostspieliger ausfiel. Ein Misgriff war es, daß sie ihren Umgang und ihre Lust- barkeiten zu häufig von den einförmigen Liebhabereien ihres Gemahls trennte, dem die Jagd unentbehrlich war, an welche sich sorgfältig geführte Tagebücher über seine Hunde und die Summe des erlegten Wildpretts schlossen. Die Königin fand an prachtvollen Kopfzeugen von beispielloser Höhe, mit gewaltigen Federn geschmückt, Gefallen, welche unter ihrem Vorgange den Kopf der Da- men verrückten, indem sie ihn in die Mitte ihrer Gestalt verpflanzten. Diese Hofcirkel waren voller Wechsel, Mun- terkeit und Scherz, man sang, man tanzte, recitirte Ge- dichte, fein und unfein wie der Tag sie brachte, maskirte sich, bewunderte die Königin, wenn sie im engen Cirkel auf dem Theater ihre Grazie zeigte: ein luftiges Eingehen in die Schlüpfrigkeit des verderbtesten Welttones konnte da nicht ausbleiben, wenn auch jede ernstere Verirrung vermieden ward. Die Künste und die Wissenschaften fan- den hier keinen Zutritt und Frankreich empfand das. Der König übte gegen dieses Treiben eine Art kleiner Oppo- sition; auf seine Veranlassung erschien auf dem Schloß- theater in Gegenwart der Königin der Harlekin Carlin mit einer ungeheuren Pfauenfeder auf der Mütze und blieb ungestraft; vollends mislang seiner Gemahlin jeder Ver- such, der französischen Politik wieder eine österreichische Wendung zu geben. Denn hier widerstand der König, ließ sie überhaupt nicht tief in die Karten sehen, gab sei- nen Ministern Recht, die in den alten Pfad, welchen Bernis und Choiseuil zum Nachtheile des Reiches verlie- ßen, wieder einlenkten. Hatte doch schon die Maitresse des verstorbenen Königs, Gräfin Dubarry, sich ein Vergnügen daraus gemacht, der Welt zu zeigen, daß eine österreichi- sche Dauphine und eine an Österreich hingegebene Politik nicht nothwendig zusammengehörten. Das Ministerium des Herzogs von Choiseuil überlebte jene Heirath, die sein Werk, nur kurze Zeit, und all’ sein Bemühen, sich jetzt wieder nothwendig für das Auswärtige zu machen, schei- terte. So oft er an den Hof kam, er mußte immer wieder unverrichteter Sache zurück auf seinen Landsitz zu Chan- teloup. Der jüngste Bruder des Königs, Graf von Artois, überbot die Königin in glänzenden Lustbarkeiten und weihte sich jeder Art modischer Ausgelassenheit, in Pferde- rennen und Anzug nach englischem Muster ein Original, eben so originell im Aufwande weit über seine Einkünfte hinaus. Dem Könige erlaubte er von Jahr zu Jahr seine Schulden zu decken und gab ihm kaum einen Dank dafür. Der hat im Jahre 1781, in einer Zeit schon großen Dran- ges, anderthalb Millionen Livres für ihn bezahlt, das Jahr darauf vier Millionen, das dritte Jahr zwei Millio- nen, und gleichwohl blieben noch vierzehn bis funfzehn Millionen zu zahlen übrig. Auf die Vorwürfe eines Mi- nisters erwiederte Artois: „Was kann der König mir thun?“ Und als nun das Gewitter näher kam und Alles auf Sparsamkeit und ein anderes Regierungsprincip drang, sah man bei Niemand sonst höhnenderen Stolz und ein so trotziges Verschmähen jeder Verbesserung. Den Finanzmann Necker, auf den man doch in Geldsachen zäh- len konnte, schalt er gerade ins Gesicht, schimpfte ihn einen elenden Bürgerlichen, drohte ihm, erzählt man, so- gar mit dem Tode. Die Misstimmung zwischen ihm und dem Könige wuchs ohne eigentlichen Bruch. Der ältere Bruder, Monsieur, Graf von Provence, war eben wie Artois mit einer sardinischen Prinzessin verbunden, wel- cher er jedoch wenig Zuneigung bewies. Monsieur zog sich mehr zurück vom Hofe, ohne ihn aus den Augen zu verlieren. Ein glückliches Gedächtniß unterstützte seine ge- schichtlichen Studien, er galt für einen gewiegten Poli- tiker, nicht ohne Grund, wie er das zu seiner Zeit als Herrscher über Frankreich dargethan hat. Auf den König, seinen Bruder, schien er wenig zu geben, und als die ersten Ausbrüche erfolgten, beargwohnte der König ihn, fürch- tete, er möchte auf die Seite der Neuerer treten. Eine Französische Revolution. 2 Schwester war an den Thronerben von Sardinien verhei- rathet, die andere, Elisabeth, ein Kind von zehn Jahren. In Zurückgezogenheit vom Hofe lebten die Tanten des Kö- nigs, Töchter Ludwigs XV., welche die junge Königin schon als Österreicherin nicht liebten und an ihren neuen Weisen ein Ärgerniß nahmen; man vernachlässigte sich wechselseitig. Von der Seitenlinie der Orleans hielt man sich in alter Eifersucht getrennt. Der jetzige König der Franzosen stand in seinem ersten Lebensjahre. Also auch in seiner Familie fand der junge König keine haltbare Stütze; fand er sie bei seinen Ministern? Ludwig dachte bescheiden von seinen Kräften, sah sich nach einem ersten Minister um und fiel zuerst auf Machault, einen strengen und einsichtig sparsamen Mann, dessen früheres Ministerium ein Opfer des österreichischen Systems ge- worden war. Allein der ältesten Tante Adelaide, die eini- gen Einfluß über den König festhielt, misfiel an Machault, daß er überall, wo Staat und Kirche zusammentrafen, un- beugsam auf des Staates Seite stand; sie brachte den Grafen Maurepas in Vorschlag, als einen Mann, mit dem sich reden ließ. Gewiß auch er gehörte nicht zu der Zahl der Frommen, aber er war frivol, mithin kein Mann von lästigen Grundsätzen; zu seinem Lobe gereichte, daß er ein Ministerium, welches ihm im siebzehnten Lebens- jahre zufiel, gleich zu Anfang der Maitressenwirthschaft durch die Frau von Pompadour verloren hatte. Jetzt ward er dreiundsiebzigjährig, am Ende doch nicht älter als weiland Cardinal Fleury, zum zweiten Male Minister und erster Minister. Seine Neider meinten, er sey das eine Mal zu frühe, das andere Mal zu spät zur Macht gelangt; allein Maurepas war der in diesen Regionen Alles ver- mögenden bequemen Formen mächtig, und als er inne ward daß sein Gebieter mit dem unschuldigen Ernste der Jugend nach ein Paar rechtschaffenen Männern verlangte, welche ihm den Druck des Volks erleichtern hülfen, gab er dieser Schwäche nach, willigte in die Ernennung von Turgot und Malesherbes, deren Charakter und Einsicht in allgemeiner Achtung stand, wenn schon sie nicht für kirchlich gelten konnten. Auf die Frage des Königs: „Aber ist es wahr daß Turgot nie in die Messe geht?“ antwortete Maurepas: „Sire, ich weiß nur daß der Abbé Terray jeden Tag hinein ging.“ Terray hatte neuerdings das Finanzwesen zu Grunde gerichtet und sich aus dem Elende der unteren Classen schamlos bereichert; man baute auf Turgot. Das Heerwesen lag in tiefem Verfalle und man berief in das Kriegsministerium den Grafen St. Germain, der nach einer langen Ungnade jetzt wieder zu Ehren kam. Wirklich stand es so, daß nach allen Seiten schleunig eingeschritten werden mußte, wenn das morsche Band, welches hier 25 Millionen Menschen auf 10,000 Qua- dratmeilen zusammenhielt, noch länger in alter Weise dauern sollte, so gar übel war es mit Menschen und Sachen rings bestellt. Gewöhnlich aber gewinnen ver- 2* derbte Ordnungen erst von dem Augenblicke an, da die Hand eines ehrlichen Mannes sich hineinmischt, ein recht verlorenes Ansehn. Licht und Schatten treten bei der Un- tersuchung greller auseinander, und es ist mit den verfal- lenen Staatssachen nun einmal von Grund aus anders bewandt, als etwa mit einem verfallenden Ritterschlosse, von welchem man einen beliebigen Theil seinem Schicksal überläßt, einen andern beliebigen sich wohnlich ausbaut. Mit dem Staate geht es wie mit dem menschlichen Kör- per, ein verletztes Organ zieht das andere in die Mitlei- denheit. Man konnte die jährliche Einnahme der Krone damals auf 400 bis 430 Millionen Livres anschlagen. Damit ließen sich alle Ausgaben für die verschiedenen Zweige des öffentlichen Dienstes bequem bestreiten, und man hätte auf einen jährlichen Überschuß rechnen können, wenn die Staatsschuld nicht gewesen wäre, deren Höhe niemand so eigentlich kannte, die sich aber von Jahr zu Jahr durch ihre Zinsforderung in Erinnerung brachte. So lange nun Terray in den Finanzen schaltete, zahlte er, so- bald das Geld ihm ausging, keine Zinsen, keine Leib- renten, setzte den ohnehin sehr ungleichartigen Zins will- kürlich herab, hielt zugleich die Generalpächter an, die Auflagen ausbündiger zu erheben und schärfer einzutreiben als bisher, was diese gern thaten. Der so vermehrte Er- trag kam aber nicht den Pächtern allein zu gute, sie muß- ten nach ihren Contracten, wenn der Mehrertrag eine ge- wisse Gränze überschritt, den Vortheil mit der Krone theilen. Dergestalt half Terray sich rüstig durch, ward ein vielbeliebter Mann, und bloß das Volk litt. Jetzt aber wollte man von Terray nichts mehr wissen; es sollte dem Volke geholfen werden, in die verwohnten Gemächer der Willkür sollte die Gerechtigkeit einziehen. Mit andern Worten: Man wollte das Volk erleichtern, also weniger von ihm einnehmen, man wollte zu gleicher Zeit mehr ausgeben, weil man die Staatsgläubiger zu befriedigen dachte. Das durch so edle Vorsätze zu vergrößernde De- ficit konnte allein durch tief greifende Ersparungen gedeckt werden. Alle Kosten sparenden Einrichtungen führen aber zu jeder Zeit den Haß des mächtigen Theiles der Bevölke- rung herbei, welcher sein Leben bisher von Misbräuchen gefristet hat; ihre Entwickelung ist langsam, kostspielig sogar, nur durch Leidensjahre, nur durch vielen Unfrieden hindurch darf ein standhafter Sinn hoffen zum Frieden zu gelangen. Ein besonderer Umstand erschwerte noch die finanziellen Schwierigkeiten. Die Rechtspflege im Reiche hatte bis dahin der Krone sehr wenig gekostet, denn seit König Franz dem Ersten waren alle königlichen Richter- stellen käuflich, in der Art daß die Krone die eingezahlte Kaufsumme den Käufern verzinste. Von diesen Zinsen lebten dann die Richter und bezogen daneben nur unbedeu- tende Besoldungen. Die Staatsschuld freilich war dadurch um über 300 Millionen Livres vermehrt und ganz aus- drücklich war zugesagt daß im Falle der Aufhebung einer Richterstelle das Kaufgeld zurückgezahlt werden solle. Nun aber begab es sich daß König Ludwig XV. mit den sämmtlichen höchsten Gerichtshöfen seines Reiches, funf- zehn an der Zahl, von welchen dreizehn den Namen Par- lament führten, in wiederholten, zuletzt unversöhnlichen Zwiespalt gerieth. Alle diese Gerichtshöfe, und das pa- riser Parlament vor allen, rühmten sich nämlich des Rech- tes, der königlichen Gesetzgebung gegenüber ein Veto ein- legen zu dürfen. Wirklich erlangten neue Gesetze nicht frü- her ihre Gültigkeit, als bis sie in die Register der Parla- mente eingetragen waren, und dieser Eintragung weiger- ten sie sich nicht selten, ließen diese keineswegs als eine lediglich für die Publication der Gesetze erforderliche Förm- lichkeit gelten. Wenn der Rechtsgrund ihres Anspruches zur Frage kam, so machten sie sich gern als Reichsstände im Kleinen geltend, welche von den eigentlichen Reichs- ständen, deren Ausfluß sie wären, das Recht überkommen hätten, die von dem Könige ihnen zugesandten Gesetze zu beglaubigen und als Beweis der Zustimmung einzuzeich- nen; als aber im Jahre 1614 die Reichsstände wirklich beisammen waren, und zwar zum letzten Male, behaup- teten die Parlamente ihr Recht an der Gesetzgebung darum nichts desto weniger üben zu müssen. Nun verstand Ludwig XIV. vortrefflich solche Anforderungen zum Schweigen zu bringen: „sie sollen eintragen ohne Auf- schub, mögen ihre Bedenken hinterher schicken;“ und dem pariser Parlament blieb nichts übrig, als sich an seinem Testament zu rächen, indem es dasselbe aufhob. Allein unter Ludwig XV. lebte der Widerstand der Parlamente um so heftiger wieder auf, je schimpflicher die Maßregeln der Regierung waren, und der Franzose freute sich daß es doch noch irgendwo im Staate ein Recht des Widerstan- des gebe, mochte es mit seiner Begründung aussehen wie es wollte. Als sich indessen im Jahre 1770 alle Par- lamente des Reiches mit einander verbündeten und in idealer Auffassung ihres Verhältnisses als Gliedmaßen eines und desselben Körpers angesehen seyn wollten, hob sie der König mit einem Schlage sämmtlich auf. Jetzt 1771. fragte es sich aber nicht allein um die Gehalte für die neu errichteten höchsten Gerichtshöfe, womit eine neue Staats- last geschaffen war, sondern zugleich um die Verzinsung und Rückzahlung jener Kaufgelder an die entsetzten und verwiesenen Parlamentsmitglieder. Der letzte Punct konnte nun freilich einen Mann wie Terray wenig anfech- ten; er that selbst aus Grundsatz wenig für diese Leute, als in verdienter Ungnade stehend. Nach seiner Entfer- nung kam das allerdings in Frage, da wieder von Recht und Unrecht die Rede seyn sollte. Es konnte sogar zwei- felhaft scheinen, ob es nicht gerathen sey die alten Parla- mente wieder herzustellen, deren rauhe Stimme dem Ohr des Franzosen wohlthat, ihn tröstete über den Verlust sei- ner Reichsstände. Von der anderen Seite aber war gerade ihr mürrischer und selbstsüchtiger Widerstand zu fürchten, wenn vielleicht für die Wiederherstellung der Finanzen zur Aufhebung von Steuerfreiheiten geschritten werden müßte. Eine Maßregel dieser Art ging besonders die Geistlichkeit an; und da war es nun wiederum keine kleine Aufgabe sich zwischen den Stufen des Altars und den Büchern der Philosophen durchzuwinden, welche durchaus von keinen solchen Privilegien mehr und am wenigsten zu Gunsten des Klerus wissen wollten, und deren Lehren in jedermanns Munde waren. Lag es aber nicht ohnehin in der Natur der Sache daß man im Volk sich nach der Wurzel der Misbräuche erkundigte, an welche die Art gelegt werden sollte? In ei- ner noch hoffnungslosen Zeit, als man neuerlich die Par- lamente aufhob, erschienen hunderte von Flugschriften; in vielen derselben wurden Reichsstände verlangt und die Verfasser behaupteten, das Volk habe ein Recht darauf. Eine dieser Schriften forderte die Franzosen auf die Steuern zu verweigern, bis die Nation wieder im Besitze ihrer Rechte sey. Wenn von dieser grausamen Verkettung der Verhält- nisse auch nur einige wenige Kettenglieder dem Auge des jungen Königspaares vorschwebten, so begreift sich leicht, wie ihm in jener ernsten Stunde zu Muthe seyn mußte, als ein plötzliches Gewoge im Schlosse, das Gedonner vieler nahenden Schritte beiden die Verkündigung gab, nun sey der alte König todt. Sie warfen sich nieder auf die Kniee und beteten laut: „Mein Gott, leite und behüte uns! wir sind noch zu jung zu herrschen!“ 2. Das Schicksal der Reformen. Nach und nach räumten alle Minister der vorigen Re- gierung ihre Plätze, der despotische Kanzler Maupeou, welcher die Parlamente gestürzt hatte, der freche Finanz- mann Terray, die übel berüchtigten Herzoge von Aiguillon und von Vrilliere. Von den neu eintretenden standen Males- herbes und Turgot in der ersten Linie der öffentlichen Mei- nung, ohne Nebenmann in ganz Frankreich. Sie waren von frühher vertraut, tauschten verwandte Ansichten aus, die gleichwohl durch die Verschiedenheit ihrer Natur und Laufbahn sich mannigfach abweichend bedingten. Lamoignon de Malesherbes ging seinem Freunde an Jahren und in seiner Stellung voran. Körperlich unbeholfen und schwer- fällig war er als junger Mann die Verzweiflung seines Tanzmeisters, den sein Gewissen sogar trieb sich eines Tages bei dem Vater seines Zöglings, dem damaligen Parlamentspräsidenten Lamoignon eine förmliche Audienz zu erbitten. „Herr Präsident, sprach er, „ich bin es dem Vertrauen, mit welchem Sie mich beehrt haben, schuldig Ihnen zu erklären, nicht allein daß Ihr Herr Sohn nie- mals gut tanzen wird, sondern auch daß er unfähig ist in der Magistratur oder in der Armee seinen Weg zu machen. Wie sein Gang leider beschaffen ist, kann er es höchstens in der Kirche zu etwas bringen.“ Nichts desto weniger ließ der Vater, als er 1750 zum Kanzler von Frankreich stieg, seine Stelle als erster Präsident des Obersteuercol- legiums auf seinen kaum dreißigjährigen, aber schon als Parlamentsrath bewährten Sohn übergehen und vertraute ihm zugleich die Aufsicht über das Bücherwesen. Beide Ämter verwaltete dieser nicht auf die gewöhnliche Weise. Es schien ihm schimpflich für sein Vaterland, daß Werke wie der eben erst in Genf ans Licht getretene Geist der Ge- setze im Auslande erscheinen mußten, um hernach durch eine Hinterthüre hereinzuschlüpfen, und er gab sich alle mögliche Mühe, um dem freien Worte über alle Theile der inneren Verwaltung Raum zu verschaffen, die Censur auf Angriffe gegen die Religion, die Sitten und die königliche Würde zu beschränken. Allein seine Denkschriften über diesen Ge- 1758. genstand, fünf an der Zahl, kamen doch am Ende nicht über die Gemächer des damaligen Dauphins hinaus, und die lange Liste der Verbote französischer Classiker, an deren Spitze Fenelons Telemach stand, in welchem man von jeher eine Satire auf die Regierung Ludwigs XIV. witterte, wuchs mit jedem Werke von Voltaire, Rousseau, Hel- vetius, Mably, Condillac, und dehnte sich bis auf die französische Übersetzung von Hume’s englischer Geschichte aus. Als in späteren Jahren unter Betheiligung von 1762. Malesherbes ein Abdruck von Rousseau’s Emil in Paris gewagt ward, zog dieser dem Verfasser eine Verurtheilung durch das pariser Parlament und einen Verhaftsbefehl zu, welchem Rousseau sich durch die Flucht entzog. Als Präsi- dent der Obersteuerkammer suchte Malesherbes die bedräng- ten Steuerpflichtigen insoweit mindestens der Willkür der Generalpächter zu entziehen, daß sie mit Bestimmtheit er- führen, was sie zu zahlen hätten, die öffentlich ausliegen- den Steuerrollen einsehen dürften. Allein sein Bemühen scheiterte an dem Widerstande der Geldmänner und ihres Beschützers Terray, und von einem Könige, der insge- heim für eigene Rechnung Kornhandel trieb, war kein of- fenes Ohr für die Bedrängniß der kleinen Leute zu hoffen. Mit eben so wenigem Erfolg, aber nicht minder freimüthig erhob er an der Spitze seines Collegiums die Stimme für den Fortbestand der Parlamente und wagte an Reichs- stände zu erinnern. Der Ausgang war daß die Steuer- kammer das Schicksal der Parlamente theilte, Aufhebung, und Verweisung ihrer Mitglieder. Innerlich getrost zog sich Malesherbes in sein Familienleben und die menschen- freundliche Verwaltung seiner Güter zurück. Unterdessen hatte Turgot in beschränkteren Verhältnissen große Dinge ausgerichtet. Zu Paris geboren, Sprößling 1727. eines altadlichen Geschlechtes aus der Normandie, hatte er sich für den geistlichen Stand bestimmt und machte seine theologischen Studien in der Sorbonne durch. Hierauf aber wandte er sich der Rechtsgelehrsamkeit und zugleich den Naturwissenschaften zu und machte sich, schon Parla- mentsrath, einen gewissen Namen dadurch daß er am 8. Januar 1760 einen Kometen im Orion mit unbewaff- netem Auge entdeckte. Damals nämlich hatte er das prie- sterliche Gewand seit vielen Jahren abgelegt und nach dem Beispiele seines Vaters und Großvaters den Weg zur Ma- gistratur eingeschlagen. Von seinen ersten Studien aber blieb ihm die Vorliebe für die großen Alten, welche er in den Ursprachen las und in metrischen Übersetzungen in seine Muttersprache übertrug, ohne selbst vor der Nachbil- dung des Hexameters zu erschrecken. Er war schon maître des requêtes als er deutsch lernte, und mit so gutem Er- folge, daß durch ihn seine Landsleute in die Bekanntschaft mit Geßners Idyllen und theilweise auch dem Klopstockschen Messias eingeführt werden konnten. Wie nun diese Rich- tung seines Geistes, unterstützt von einer edeln Erschei- nung und feinen Sitten, ihn der Frauenwelt ungemein em- pfahl, so unterschied er sich von fast allen seinen Zeitge- nossen durch die Zartheit, mit welcher er dieses Verhält- niß behandelte. Niemals auch konnte er sich mit der Art befreunden, wie man in Frankreich die Ehe unter den höheren Ständen als ein Handelsgeschäft, mit Geburt und Reichthum marktend vollbrachte, wovon die erkältende Wir- kung auf die Kinder des Hauses vererbte; und er blieb un- vermählt. Für seine früh begonnenen staatswirthschaftlichen Studien nahm er den Vater der Ökonomisten Quesnay zum Leiter, lernte durch ihn persönlich und durch seine Werke die natürliche Quelle des Reichthums und der Auf- lagen kennen, aber vor der erdrückenden Einseitigkeit seines Systems bewahrte ihn eine enge Befreundung mit dem Herrn von Gournay, der als ein Vorläufer Adam Smith’s betrachtet werden darf. Er begleitete Gournay häufig auf den Reisen, welche dieser als Intendant des Handels zu machen hatte, und schrieb seine Lobrede, als er starb. Nicht lange aber, so fand sich die Gelegenheit für Turgot seine Grundsätze und Kenntnisse in Ausübung zu bringen, er ward zum Intendanten der Generalität Limoges ernannt: 1761. ein Steuerbezirk von ansehnlicher Ausdehnung, aber ein armes Gebirgsland, nur zwei bedeutendere Städte Limoges und Angouleme darin. Die Bevölkerung zahlte ihre Hauptsteuern nach einem vor mehr als zwanzig Jahren schlecht ausgearbeiteten Kataster ohne alle fortlaufende Be- richtigung, zu den Wegebauten wurden die armen Land- leute zwei bis drei (fr.) Meilen weit her entboten, um mit Niedergeschlagenheit eine Arbeit zu verrichten, die sie nicht verstanden. Schlimmer als Alles war das allgemeine Mistrauen; man zitterte vor jeder Verwaltungsmaßregel, wies aus unbestimmter Furcht selbst die helfende Hand zu- rück. War doch nicht einmal derjenige sicher, welcher seine Steuern redlich getilgt hatte! Denn der Steuerbeamte hatte das Recht, sobald in einem Kirchspiele ein Rest blieb, die vier Höchstbesteuerten des Kirchspiels gefangen zu setzen, bis der Ausfall ersetzt war, einerlei ob sie persönlich et- was schuldig waren oder nicht. Der neue Intendant rief die Pfarrer zu Hülfe, die in redlicher Armuth ihrer Seelsorge warteten. Sie gaben ihm Auskunft, und eine gleichmäßigere Vertheilung der Steuern, eine verbesserte Heberolle schuf einen kleinen Anfang von Vertrauen. Hieran schloß sich der Plan, die Wegelast in eine Geldabgabe zu verwan- deln und dem mindest fordernden Gemeindemitgliede die Arbeit zuzuschlagen. Auch hier stemmte sich Anfangs die Furcht, die Regierung möchte sich der Gelder zu anderen Zwecken bemächtigen, der beabsichtigten Verbesserung ent- gegen. Dennoch bequemten sich endlich alle Gemeinden der Generalität zu gleichmäßigen Beiträgen, ohne Rück- sicht darauf, wer gerade zu bauen hatte, nur daß freilich die Privilegirten nicht herbeigezogen werden durften. Genug schon ohnehin daß die Regierung die Änderungen des In- tendanten duldete, ohne sie mit Gesetzes Kraft zu versehen. Die jährliche Wegelast schwankte zwischen 40,000 und 100,000 Thalern, aber jedermann fühlte sich erleichtert und die Straßen in dieser schwierigen Gebirgsgegend wa- ren niemals so gut gewesen als jetzt. Ähnlich ward es mit den Kriegsfuhren eingerichtet. Zu einem besonders glän- zenden Siege über träges Herkommen durfte aber Turgot sich Glück wünschen, als ihm gelang den an seine Gerste, seinen Buchweitzen und seine Kastanien so ge- wöhnten Landmann, daß er von Weitzen nichts wissen wollte, zum Kartoffelbau zu bewegen. Manche weit vor- theilhaftere und vornehmere Intendantur hatte Turgot schon ausgeschlagen und sich zum Lohne nur die Schonung seiner Einrichtungen erbeten, als ihn der junge König zu sich nach Versailles entbot. Denn Ludwig entsann sich daß Turgot einst gegen eine drückende Steuerforderung Ter- ray’s unerschrocken protestirt und am Ende seinen Ab- schied gefordert hatte. Maurepas stellte nichts in den Weg. Der alte Herr hatte durch die Entlassung von Aiguillon und Vrilliere höchst ungern zwei Verwandte der öffentlichen Meinung zum Opfer gebracht; zu einigem Ersatze gelang es ihm an Maupeou’s Stelle einen dritten Verwandten einzuschwärzen, indem er dem Miromenil, einem Manne gemeinen Schlages, die Würde des Siegelbewahrers ver- schaffte, allein mit den Finanzen, so viel sah er ein, ließ sich nun einmal nicht länger scherzen. Inzwischen war der- zeit Terray noch nicht ganz beseitigt und Turgot mußte einst- weilen als Seeminister eintreten. Schon hatte er neues Le- 1774. Jul. 20. ben in die Kriegshäfen gebracht, indem er den Arbeitern achtzehnmonatliche Rückstände auszahlte; schon war, denn die Colonien gehörten seinem Ministerium an, ein Plan für die Verbesserung des Zustandes der Negersclaven zum Zwecke ihrer allmähligen Befreiung ausgearbeitet, als ihn nach nur 35 Tagen die Entfernung Terray’s in die Finan- zen rief. Dem unwürdigsten Manne folgte ein Charakter Aug. 24. von antiker Einfachheit und Stärke, redlich entschlossen die ganze Kraft seines Willens an die Wiederherstellung einer ehrenhaften Staatswirthschaft zu setzen. „Kein Staatsbankerutt, weder zugestanden noch verdeckt, keine neue Steuern, kein Anleihen;“ das waren die Grund- sätze, welche er vor dem Könige mündlich bekannte und schriftlich dann ihm wiederholte; Alles soll durch Wirth- schaftlichkeit, durch eine billigere Vertheilung der Steuern, durch Beflügelung des Gewerbes verbessert werden. Nur vor allen Dingen keine Halbheit und Schwäche bei der Ausführung! „Ihre Güte selber, Sire, muß Sie gegen Ihre Güte bewaffnen,“ schrieb er. Man gefällt sich dar- in diesen seltenen Mann so geradehin unter die Ökono- misten zu stellen, und seiner Theorie der Abgaben, wie sie sich in seinen Schriften entwickelt, möchte schwerlich beizutreten seyn, allein den praktischen Staatsmann soll man überhaupt nicht weiter nach seinem System bemessen als er es zur Anwendung bringt, und wir erblicken ihn nirgend dadurch beengt. Turgot fand unvollständige Fi- nanzrechnungen vor, ein directes Deficit von über 22 Mil- lionen, 78 Millionen Steuern waren schon vorwegge- nommen, und jeder Verwaltungszweig steckte in Schulden. Von der andern Seite konnte gerade die Fülle von Mis- bräuchen, welche auf der Besteurung lastete, für einen Sparpfennig gelten, sobald es nur gelang sie abzustellen. Seiner Entwürfe froh wünschte Turgot den Malesherbes zum Helfer, diesen Biedermann, voll Erfahrung im Steuerfache und seinen Freund. Gleichwohl gab es einen Punct von erster Wichtigkeit, in welchem beide Staats- männer aus einander gingen. Malesherbes lebte noch fern von Geschäften froh und friedlich in seinem ländlichen Exil, als im Ministerrathe des Königs zur Frage kam, ob man die alten Parlamente wie- derherstellen solle. Turgot und die Mehrzahl der Minister war dagegen; ohne die despotischen Maßregeln Maupeou’s zu billigen, glaubten sie, man dürfe Nutzen aus dem einmal Geschehenen ziehen. Turgot zumal sah in der Wiederkehr der Parlamente den Widerstand gegen die Reformen orga- nisirt, deren umfassenden Plan er im Kopfe trug; auch die Theorie mußte ihm Recht geben wenn er behauptete, eine solche Verbindung der gesetzgebenden Gewalt mit der gesetzanwendenden, wie sie sich in den Parlamenten Frank- reichs gebildet hatte, sey gefährlich für den Staat. Soll die gesetzgebende Gewalt des Königs beschränkt seyn, so muß es durch Reichsstände geschehen wie vor Alters. Zu den Reichsständen nun bekannte sich seit lange Malesherbes, ja er hatte noch ganz kürzlich von seinem Landsitze her eine Denkschrift, die zu ihrer Berufung rieth, an den Grafen Maurepas gerichtet: Turgot wünschte weder das Eine noch das Andere, wollte sein Werk weder Parlamenten noch Reichsständen vertrauen; auch hätte er die letzteren bei dem Könige, wie das Wetterglas der Grundsätze da- mals stand, nicht durchzusetzen gewußt. Sein Plan war, das was ihm in dem beschränkten Kreise seiner Intendan- tur, vielfach gekreuzt von Oben, dennoch zum Verwun- dern in dreizehnjähriger Thätigkeit geglückt war, jetzt im großen Maßstabe zu vollbringen. Er dachte die Last der Steuern zunächst lediglich durch eine angemessenere Ver- Französische Revolution. 3 theilung im Kreise der anerkannt Pflichtigen und eine wohl- feilere Erhebung zu vermindern, und wollte beide Ge- schäfte in die Hand von Grundbesitzern legen, welche zu dem Ende in jeder Gemeine frei gewählt werden sollten. Auf diese soll auch das Armenwesen übergehen und es wird mit dieser Schöpfung zugleich der Weg zur Wieder- herstellung freier Municipalitäten angebahnt. In der That brauchte man ja nur in der Zeit eine gewisse Strecke zurückzugehen und man fand in den meisten Provinzen solche Einrichtungen in Thätigkeit, welche die Willkür der letzten Regierungen zuerst untergraben, dann niedergetreten hatte. Turgot wollte von Gemeinderäthen zu Kreisräthen, von da zu Provinzialständen allmählig übergehen. Als letztes Ziel schwebten auch ihm im Stillen Reichsstände vor, keine mittelalterliche Generalstaaten freilich, die wie- der in drei Stände unbehülflich aus einander liefen; und der unerläßliche vierte Stand bäuerlicher Grundbesitzer mußte ja erst recht eigentlich von vorneher erschaffen wer- den; wenn es auch nur in einigen Provinzen eigentliche Leibeigene gab, deren Zahl man im Ganzen auf 1½ Mil- lionen anschlug. Auch seinen Lieblingsplan die Grund- steuer über alle Classen der Grundbesitzer auszudehnen und der Steuerkraft entsprechend anzuordnen, stellte Turgot noch zurück. An den Versuch die zum Theil in Pacht ge- gebenen allgemeinen Auflagen aus den Händen der Päch- ter zu reißen, wenn auch nur so, daß man die bisherigen Pächter allein auf die Erhebung beschränkt hätte, ließ sich vorläufig gar nicht denken. Die Generalpächter und ihre Beamten kannten fast allein praktisch diesen Zweig der Ver- waltung, weßhalb man sie gern zur Erhebung auch der- jenigen Steuern heranzog, welche nicht in Pacht gegeben waren. Ein Sturm auf dieses Gebiet hätte alle Aristo- kratien verletzt. Diese zitterten schon und murmelten von einem Attentat auf die Krone, als sie vernahmen, der neue Minister habe nicht allein die ungeheure Liste von Pensionen, die besonders den Hofadel anging, dem Kö- nige vorgelegt und darin eine jährliche Ausgabe von 28 Millionen aufgedeckt, sondern auch ein Verzeichniß der so- genannten Croupiers hinzugefügt, welche ihren Namen von dem Gewinnantheile ( croupe ) führten, den ihnen die Generalpächter auszuzahlen angewiesen waren, und wie der König im Hamlet, mit einem weinenden und einem lachen- den Auge auszahlten; denn wenn dadurch ihr Gewinn sich verkürzte, so wurden doch von der anderen Seite die hohen Herren Theilnehmer mächtig dafür interessirt, daß die Pachtungen in denselben Händen sich verlängerten und un- ter den vortheilhaftesten Bedingungen, die denn freilich für das Volk der Steuerpflichtigen um so nachtheiliger ausfielen. Nun war der neue Minister des Auswärtigen, Herr von Vergennes, sonst kein Liebhaber menschenfreundlicher Satzungen, insofern mit Turgot einverstanden, daß er sich mit Entschiedenheit gegen die Herstellung der Parla- mente erklärte. Vergennes war nach Diplomaten-Art ein Verehrer unumschränkter Königsmacht und hatte dem über 3* die Gebühr gekränkten Königthum neuerdings in Schwe- den wesentliche Dienste geleistet, indem er den Staats- streich Gustavs III. unterstützte. Von den Prinzen er- klärte sich Monsieur ebenfalls in einem schriftlichen Gut- achten gegen die Parlamente. Die übrigen Prinzen und Pärs, namentlich die Orleans, dachten schon anders; sie erblickten in der Vernichtung des pariser Parlaments, in welchem ihnen Sitz und Stimme zustand, eine Beein- trächtigung ihrer Rechte. Auch die Königin redete der Her- stellung der alten guten Unordnung eifrig das Wort; dem Könige aber fiel ein Stein vom Herzen, als der Siegel- bewahrer, welcher selber früherhin Parlamentspräsident in Rouen gewesen war, einen Plan der Wiederherstellung unter gewissen Cautelen einreichte, welchen Maurepas seine Zustimmung gab. Ihre Pflicht ist einzuzeichnen, auch in dem Falle daß sie widersprechen, ein Verbrechen wäre es wenn je sie wieder wagten ihre Amtsthätigkeit einzu- stellen, und schon hat man dafür Sorge getragen einen Gerichtshof zu bestimmen, der in solch unverhofftem Falle ohne Weiteres für sie eintreten soll. Die Herstellung des pariser Parlaments erfolgte am 12ten November 1774 in einem sogenannten Throngericht ( lit de justice ). Dieselbe feierliche Handlung, welche so oft schon als letztes Mittel den hartnäckigen Widerstand dieser Körperschaft gebrochen hatte: der König, vom Throne, diesem höchsten Richter- stuhle, herab seinen unumschränkten Willen verkündigend, beging jetzt ihre Wiedereinsetzung. Man erblickte in der Hauptstadt mit Entzücken diese scharlachrothen, mit Her- melin gefütterten Röcke, diese alterthümlichen Mörserhau- ben wieder, das Abzeichen der Präsidenten der großen Kammer, und wenn der alte Geist des Ablehnens und Pro- testirens sich gleichfalls wieder einfand, nur um so erwünsch- ter für die Pariser. Der König und sein Mentor hatten in- zwischen kein kleines Gefallen daran, daß ihnen, so oft sie ins Theater traten, der Jubel des Publicums entgegen- scholl; und Turgot hatte seine erste große Erfahrung gemacht. Dem pariser Parlamente folgte die Wiedereröffnung auch der übrigen Parlamente von Frankreich auf dem Fuße nach; die Herstellung auch der Obersteuerkammer rief den Malesherbes in die Hauptstadt zurück. Alsbald widmete er seine ganze Kraft einer schwierigen Ausarbeitung, welche alle Misbräuche des bisherigen Steuerwesens aufdeckt, ein Werk voll Ernstes und Gewissenhaftigkeit. Wir lesen darin die Krankheitsgeschichte des französischen Gemein- wesens, und es lohnt der Mühe daß man sie lese. Der Verfasser hebt mit der Klage an daß sein Colle- gium hier reden müsse, welches so gern die Pflicht diese traurigen Wahrheiten auszusprechen Anderen überlassen hätte. Allein die Eifersucht der Minister hat seit länger als einem Jahrhundert die Stände der Monarchie zum Schweigen gebracht: es ist der Nation unmöglich gemacht zu ihrem Könige zu reden; nur der Magistratur ist diese Befugniß noch verblieben. So muß es denn gesagt seyn: Es giebt kein Recht in Frankreich dem Generalpächter ge- genüber. Der Vornehme mag noch allenfalls Mittel finden sich dieser willkürlichen Gewalt zu erwehren, Genug- thuung zu erlangen, aber der gemeine Mann nimmer. Der Obersteuerhof ( cour des aides ) und die ihm unterge- ordneten Gerichtshöfe sollen ihrer Bestimmung nach Rich- ter über alle Steuern seyn, allein man hat die meisten Steuersachen den Intendanten der Provinzen zugewendet, und in den Sachen, die ihm noch geblieben sind, wird sein Erkenntniß von dem Generalpächter an die Finanz- verwaltung gebracht und dort cassirt. Nimmt man dazu die Unbestimmtheit der Vorschriften über die Rechte der Pächter, die ihren Unterbedienten freigelassenen Unter- suchungen auf den Landstraßen und Haussuchungen, be- sonders wegen Schmuggelei, wobei ein Theil der Straf- gelder diesen Unterbedienten zufällt, so bleibt kein Zweifel: der Pächter ist der höchste Gesetzgeber über die Gegenstände seines eigenen persönlichen Interesses. Um ihrer spähen- den Habsucht zu entgehen, schließt man heimliche Verträge über manche Geschäfte, welche der gerichtlichen Beglaubi- gung bedürften, entgeht so vielleicht der Abgabe, aber legt den Grund zu einer Menge unabsehlicher Rechtshän- del, und die Angeberei im Lande ist ohne Ende. Das sind die Mittel, durch welche mehr als 150 Millionen jährlich in die königliche Casse kommen. Nicht um Wohl- wollen fragt es sich, sondern um Gerechtigkeit. Sicher- lich, diese schweren Auflagen sind nothwendig, mit wel- chen die Unterthanen fortfahren die Siege der Vorfahren Eurer Majestät zu bezahlen, aber mögen Sie es wagen, Sire, wie Ludwig XII. im Munde Ihrer Hofleute für geitzig zu gelten, so peinlich es seyn mag, da die Früchte einer königlichen Freigebigkeit stets in der nächsten Nähe des Thrones bleiben, die Früchte königlicher Spar- samkeit dagegen sich in eine schwer erkennbare Ferne verstreuen. Zunächst aber ist es Pflicht des Königs den Schutz der Gesetze seinem Volk zu gewähren, welches, ohne die gänzliche Aufhebung des Pachtwesens für jetzt zu begehren, nur Sicherheit gegen seine weitere Ausdehnung und vor der Abrufung der Beschwerden von den Gerichts- höfen verlangt, Übel, welche neuerdings bis zum Äußer- sten gesteigert sind. Muß man übermäßige Steuern tra- gen, so müssen die Steuergesetze streng seyn, aber dieses verhindert nicht daß sie genau seyen, daß die Belastung der verschiedenen Provinzen gleichmäßig sey, daß die Zoll- linien im Innern aufhören, durch welche jede Provinz zu einem Staate für sich wird, von einem stehenden Heere von Zöllnern umstellt. So weit die Forderung der Ge- rechtigkeit. Freilich gab es eine Zeit, da die Franzosen ihren Königen gegenüber nicht bloß von Gerechtigkeit, da sie von Freiheit sprachen. Seit aber die Waffengewalt von den Vasallen auf die Krone übergegangen ist, steht das anders, ständische Beschwerden werden als gefährlich betrachtet. Immerhin! wenn nur nicht dafür in Frank- reich eine Regierungsform, würdig des Orients, aufge- kommen wäre: die geheime Verwaltung . Ihr Werk ist diese allgemeine Verwaltungs-Despotie, welche selbst die Thränen des Volks nicht dulden will. Man hat auf diesem Wege zuerst die Generalstaaten vernichtet, welche seit nun 160 Jahren nicht versammelt sind, nachdem man sie früher selber berufen und fast überflüssig gemacht hatte; denn man schrieb ohne ihre Einwilligung Steuern aus. Nicht besser ist es den meisten Provinzen mit ihren besonderen Ständen ergangen, und wo man sie gelassen hat, da setzt man ihnen immer engere Schranken. Der Despotismus macht täglich neue Eroberungen. Die Provinzen, welche ihre Stände einbüßten, behielten doch als sogenannte Wahllande ( pays d’élection ) noch einen Rest der ehemali- gen Freiheiten übrig, indem ihnen erlaubt ward die Ver- theilung mindestens ihrer Auflagen durch Mitbürger ihrer eigenen Wahl besorgen zu lassen: allein nur der Name ist davon übrig geblieben; die Provinz erwählt jene Be- vollmächtigten nicht mehr, sie sind zu bloßen Werkzeugen der Intendanten herabgesunken. Ebenmäßig ist auch jeder Gemeinde ihr natürliches Recht ihre eigenen Angelegen- heiten zu verwalten, entzogen, der geringste Dorfbeschluß ist von der Genehmigung der Unterbeamten des Intendan- ten abhängig. „Man hat der ganzen Nation Vormünder gegeben.“ Vorstellungen aus der Provinz, welche sich auf die Rechte derselben oder auf die der ganzen Nation beziehen, werden, sobald sie von einem Einzelnen aus- gehen, als eine strafbare Verwegenheit, wenn von Meh- reren unterzeichnet, als eine unerlaubte Verbindung be- handelt. Nach der Vernichtung der wahren Volksvertreter haben die Könige allerdings erklärt, die Gerichtshöfe wür- den die Vertreter des Volks seyn, allein jeder Gerichtshof ist auf sein Gebiet beschränkt und auf die Gerichtspflege. Dergestalt können alle möglichen Misbräuche in der Ver- waltung begangen werden ohne daß der König etwas da- von erfährt, weder durch die Volksvertreter, denn in den meisten Provinzen giebt es keine, noch durch die Gerichts- höfe, denn in Bezug auf alle Gegenstände der Verwaltung er- klärt man sie für incompetent, noch durch Einzelne, denn sie sind durch Beispiele der Strenge belehrt, daß es ein Verbre- chen ist sich an die Gerechtigkeit seines Souveräns zu wenden. So schwer lastet überall das Geheimniß der Verwaltung. Einen Beleg dazu geben die Wegefrohnen, die kein Gesetz des Königreiches genehmigt, und keine Last, über welche das Volk mehr seufzt als diese. Eben so der Zwanzigste, welcher seit 40 Jahren besteht, und kein Pflichtiger darf die Heberollen einsehn. Das ward dem verstorbenen Kö- nige 1756 vorgestellt und die Minister mußten es einge- stehen, worauf der König die Niederlegung der Heberollen zur öffentlichen Einsicht befahl; allein gleich die folgenden Minister wußten einen Widerruf dieses Befehles zu be- wirken. So liegt es fortwährend in der Hand der Be- amten einen Pflichtigen, welchem sie wohlwollen, zu be- günstigen, was natürlich auf Kosten Anderer geschieht, deren Beitrag vermehrt wird, um den Ausfall zu decken, und den Verletzten bleibt alle Möglichkeit der Beschwerde- führung abgeschnitten, weil sie die Heberolle nicht kennen. Und wenn sie sie kennten, tritt ihnen nicht sofort eine an- dere Heimlichkeit, die der Personen, eben so hemmend entgegen? Denn keinen Unterbeamten giebt es, der nicht der Form nach im Namen eines Höheren verführe, wel- cher seine Vollmacht unterzeichnet hat, ohne ihre Grund- lagen zu untersuchen. Darum wagt man im Dorfe nicht sich gegen den Unterbeamten zu beschweren, denn er hat seine Vollmacht vom Intendanten, in der Stadt nicht gegen den Intendanten, denn er stützt sich auf eine Cabi- netsorder; und wenn selbst eines der höchsten Collegien sich erkühnt Gegenvorstellungen gegen ministerielle Befehle, deren Inhalt vielleicht nur ihren Commis deutlich bekannt ist, zu versuchen, so heißt man ihn einen Verwegenen, denn diese Befehle sind vom König selbst unterzeichnet. Die Sachen stehen so als hätte die Regierung ihren Beam- ten von jeder Abstufung erklärt: „Diese Summe Geldes bedürfen wir, nehmt sie von wem ihr wollet, ihr seyd für nichts verantwortlich, als daß ihr sie anschaffet.“ Drei directe Abgaben bestehen: die Taille, die Kopf- steuer und der Zwanzigste. — Ich unterbreche aber hier für eine Weile den Gang der Denkschrift, um zu bemer- ken, daß die Taille die einzige Steuer war, welche er- höht werden konnte, ohne einer Einzeichnung von Seiten der Parlamente zu bedürfen. Sie war, nach ihrem Haupt- ertrage bemessen, eine Grundsteuer, welche in einigen Steuerbezirken des Südens bloß das gemeine Grundeigen- thum traf, das der beiden privilegirten Stände ganz frei ausgehen ließ. In dem übrigen Frankreich aber wurde dieses mit herbeigezogen, zunächst unter der Form einer Benutzungssteuer, welche der Pächter zu zahlen hat; aber auch die selbstbewirthschafteten privilegirten Grundstücke blieben nur dann frei, wenn nicht mehr als vier Pflüge zu ihrer Bearbeitung verwandt wurden. Hier ward auch das bewegliche Vermögen nebst Capitalien und Gewerben taillepflichtig gemacht, jedoch nicht bedeutend davon er- griffen. Die Kopfsteuer traf in ihrer ursprünglichen Form allein die ärmere Classe, bei den bürgerlichen Grundbe- sitzern machte man den Anschlag nach Verhältniß ihres Beitrages zur Taille, bei dem Adel, dem Militär, den Beamten ward nach Rang und Titel gefragt u. s. w. Die Abgabe des Zwanzigsten kam im Jahre 1749 auf; sie war sonach die dritte Grundsteuer, welche der nicht privilegirte Grundbesitzer zu tragen hatte, ward übrigens von allen Grundstücken und Häusern im Königreiche, mit alleiniger Ausnahme der geistlichen, nach dem Maßstabe ihres Wer- thes entrichtet. Nicht lange, so verdoppelte man die Ab- gabe durch einen zweiten Zwanzigsten, verwandelte ferner durch einen nochmaligen Zusatz diesen Zehnten in einen Neunten und eine Zeitlang wurden von einigen Gegenständen sogar drei Zwanzigste erhoben. Keine dieser drei Hauptabga- ben war verpachtet; ihr Gesammtertrag blieb nicht gar weit hinter der Hälfte der jährlichen Staatseinnahmen zurück. Die Denkschrift bemerkt über sie: Die Taille gilt für unveränderlich, allein in Wahrheit wird sie jedes Jahr erhöht, durch Hinzufügung von verschiedenen Abgaben, die nicht dazu gehören. Die Grundsätze ihrer Vertheilung über die Provinzen und demnächst über die einzelnen Ge- meinden und vollends die Individuen sind für die Einzel- nen ein völliges Geheimniß, in welches einzudringen so- gar der Obersteuerhof vergeblich versucht hat. Nur durch freigewählte Provinzialversammlungen ließe sich hier Bes- serung schaffen. Wie es mit der Kopfsteuer stehe, mag das Eine beweisen, daß Intendanten sich oftmals gerühmt haben, sie hätten die Einwohner ihrer Generalität be- droht, sie auf den doppelten Satz zu bringen, falls sie sich gegen gewisse Anordnungen der Regierung sperrten. Die ganze Abgabe müßte beseitigt werden. Der Zwanzigste aber hat von jeher die meisten Gegenvorstellungen erweckt, weil er am allerwillkürlichsten angelegt ist, und auf dieser fehlerhaften Grundlage immerfort erhoben und erhöht wird. Hier müßte ein Kataster in die Mitte treten. Die Summe von Allem ist: Es kommt nicht auf die Abschaffung einzelner Misbräuche an, sondern auf die Umschaffung der Verwaltung und daß dieser Schöpfung die Dauer gesichert sey über des Königs Regierung hin- aus. Das Vertrauen auf die gegenwärtige Verwaltung (Turgot) darf unsern Mund nicht schließen. Ist es denn wahr, was man zu wiederholen liebt, daß König und Mi- nister stets dasselbe Interesse haben? Wo es sich vom Ruhme der Waffen, von der Geltung der königlichen Macht nach Außen und Innen handelt, da gewiß. Allein in vielen Fällen wird das königliche Ansehn nur zum Vorwand ge- nommen, unter welchem die Herrschaft des Ministers das kleinste Detail sich vorbehält, um überall Freunde fördern, Feinde verfolgen, sich an der eigenen Machtvollkommen- heit weiden zu können. Darum seine Neigung für die Heimlichkeit der Verwaltung, ganz im Widerspruch mit dem königlichen Interesse. Denn des Königs Interesse ist hell zu sehen über seine Minister, das der Minister aber nicht selten das Licht zu meiden. Das Volk hat stets das- selbe Interesse mit seinem Könige, allein die Großen und Alles was Zutritt zum Könige hat, theilt das Interesse seiner Minister, woraus folgt daß dieser Bund fast im- mer den Sieg über das vereinigte Interesse des Königs und des Volks davonträgt. Es kommt also darauf an daß König und Nation sich einander nähern, daß sie diese doppelten Schranken durchbrechen lernen. Wie aber könnte das geschehen? Das einfachste und der Verfassung dieser Monarchie gemäßeste Mittel wäre die versammelte Nation selbst zu hören oder mindestens Versammlungen in jeder Provinz zu gestatten. „Es darf Ihnen nicht verhehlt wer- den, Sire, daß der einmüthige Wunsch der Nation auf Ge- neralstaaten oder mindestens Provinzialstände gerichtet ist.“ Und doch hat sich seit länger als einem Jahrhundert die Eifersucht der Minister und vielleicht auch die der Hofleute den Nationalversammlungen ( assemblées nationales ) wi- dersetzt, „und wenn Frankreich so glücklich seyn sollte daß Ew. Majestät sich dazu eines Tages entschlösse, sehen wir vorher, daß man unendliche Formschwierigkeiten er- schaffen wird, die sich doch gar leicht heben lassen, sobald Ew. Majestät es wollen wird; denn sie sind nicht von der Art ein wirkliches Hinderniß dem entgegenzusetzen, was durch die glühenden Wünsche eines Volks, welches Sie lieben, von Ihnen geheischt wird.“ — „Wir wissen recht gut, daß unsere Vorschläge eine Neuerung sind, allein es giebt nützliche und oftmals nothwendige Neuerungen. Hätte man beharrlich alle Neuerungen verworfen, so leb- ten wir noch unter der Herrschaft der Tyrannei, der Un- wissenheit und Barbarei.“ So weit Malesherbes und sein Obersteuerhof. Turgot war einverstanden, nur daß er die Freude seines Freundes über die Herstellung der Parlamente nicht theilte, nur daß er die Reichsstände mehr in den Hintergrund gestellt wünschte. Malesherbes meinte daß die Reichsstände aus Grundbesitzern, ohne Rücksicht auf den Adel, aus Bür- gerlichen, nicht aus Priestern erwachsen müßten, aber in seiner Denkschrift ist darüber nichts enthalten. Diese ward am 5. Mai 1775 eingegeben und erweckte dem Grafen Maurepas und seinem Vertrauten dem Siegelbewahrer nicht geringe Sorge. Auf den Rath Beider erwiederte der Kö- nig, welchen gerade in denselben Tagen Aufläufe wegen einer Getraidetheurung beunruhigten, in ausweichender Fassung, man dürfe nicht zu Vielerlei auf einmal ändern, und es floß sogar der Zweifel ein, ob denn wirklich Mis- bräuche stattfänden. Auf diesen Bescheid nahm Males- herbes seinen Abschied und zog sich wieder in sein geliebtes Landleben zurück. Hier fand ihn nach nur wenig Mo- naten die dringende Bitte seines Freundes Turgot, zurück- zukehren und das Ministerium des königlichen Hauses, aus welchem Vrilliere wie aus einer Festung mit Noth und Mühe endlich vertrieben war, zu übernehmen. Für Malesherbes, den kein Gelüste nach Gewalt beherrschte, hatte die Aussicht wenig Reiz für Hoffnungen zu arbeiten, die sich schon entblättert hatten. Es war ziemlich klar, der König wünschte wackere Männer in seiner Nähe, allein ihre Entwürfe durften ihn nicht gerade belästigen. Schon begann der Dunstkreis, welcher die Throne umhüllt, seine Wirkung zu üben, die unumgänglichsten Verbesserungen schienen nicht ganz so dringend mehr. Gleichwohl gab Ludwig Turgots Bitten um Malesherbes willig nach, und Maurepas, beunruhigt durch die Einmischung der Köni- gin, die durchaus dieses Mal das Vergnügen haben wollte einen Minister zu schaffen, und irgend einen unbe- deutenden Menschen protegirte, verzichtete schnell auf jeg- liche Einwendung. Erst auf die dritte Einladung nahm Malesherbes seine Weigerung zurück, behielt sich lediglich volle Freiheit zurückzutreten vor. In seine neue Lauf- Jul. bahn begleiteten ihn zwei Lieblingsplane; sie mindestens schienen nicht überspannt zu seyn. Zu dem Ministerium des königlichen Hauses, welches man jetzt Ministerium des Innern nennt, gehörten auch die Kirchensachen; Ma- lesherbes schmeichelte sich mit der Hoffnung, der bedrängten Lage der französischen Reformirten ein Ende machen, einer halben Million Franzosen endlich die Freiheit wieder ver- schaffen zu können Gott auf ihre Weise zu verehren, ihnen so vielfache Leiden zu vergüten. Diese Sache der Mensch- heit mußte das gütige Herz des Monarchen gewinnen, nur schien es nicht gerade rathsam mit ihr anzufangen; erst vor wenig Wochen war ja der König gekrönt und er hatte es doch über sein Herz nicht zu bringen vermocht, daß aus seinem Krönungseide die Worte gestrichen würden, welche ihn zur Ausrottung der Ketzer verpflichteten. Allein ein Anderes griff der neue Minister rasch an, das Unwesen der Haftbriefe, welches er schon in jener Denkschrift mit sittlicher Entrüstung gerügt hatte. Sein Vorgänger war über ein halbes Jahrhundert im Amte gewesen und man konnte auf jedes Jahr wohl tausend lettres de cachet rech- nen. Da war kein hoher Beamter, kein Bischof, der nicht einen Vorrath davon empfing, aber auch niedere Be- hörden, namentlich die unteren Steuerbeamten, die Com- mis der Generalpächter wurden reichlich damit ausgestattet. Malesherbes nahm die großen Staatsgefängnisse persön- lich in Augenschein, und mancher unschuldig Verhaftete verdankte ihm seine Freiheit; schwieriger war es eine für die Dauer sicherstellende Maßregel auszufinden, vornämlich jenem tief eingewurzelten Misbrauche gegenüber, welcher die Ertheilung von Verhaftsbriefen an Hausväter höheren Standes gestattete, die dann gegen Mitglieder ihrer Familie beliebigen Gebrauch davon machten, wenn es, wie man das nannte, galt, die Ehre des Hauses zu retten. Malesherbes erbat sich bei dem Könige — seltenes Bei- spiel von einem Minister! — eine Verminderung seiner Macht. Keine Verhaftung solcher Art, daß sie weder Untersuchung noch Strafe zur Folge hat, soll künftig statt- finden können, ohne daß beide Theile vorher von einer zu dem Ende niederzusetzenden Behörde vernommen sind. Diese soll verpflichtet seyn auch in anderen Verhaftungs- fällen ohne Aufschub ein erstes Verhör anzustellen. Der König hielt „in dem Jahrhundert, in welchem wir leben“ einen mäßigen Gebrauch der Verhaftsbriefe für eine der Krone unentbehrliche Sicherheitsmaßregel; jene Behörde billigte er, ohne sie einzusetzen. Da zogen denn nun zwei Männer mit einander an dem- selben Joche, beide so einsichtig, erfahren, treu, uneigen- nützig, so frei von gegenseitiger Eifersucht wie der begehr- lichste Wunsch es nur verlangen kann; und allen ihren edeln Vorsätzen wird die Spitze abgebrochen, aus dem einfachen Grunde weil das wahr ist was Malesherbes ein- mal gegen den König aussprach: „Die Ursache alles Un- glückes ist, Sire, daß Ihre Nation keine Verfassung hat.“ Die treibende Kraft im Staate geht durch eine Natur der Dinge, die sich nicht spotten läßt, nun einmal vom Volke aus, ungefährlich, wenn charakteristische Formen für seine Thätigkeit gefunden sind. In Frankreich, wo diese For- men theils freventlich zerbrochen, theils abgeschlissen Französische Revolution. 4 waren, mußten da die Noth drängte wider die Natur der Dinge die Minister die Treiber seyn; denn das Volk durfte nicht und war allenfalls gedurft hätte, der gefiel sich in den Misbräuchen; der König aber war bloß wohlwollend, und der alte selbstsüchtige Mann, welchen er seinen wei- sen Maurepas zu nennen pflegte, war ein seichter Witz- ling ohne Gewissen und Grundsatz. Turgots starkes Ge- müth ließ sich inzwischen durch keine ungünstige Vorbedeu- tung irren. Ein Diener der Wahrheit ging er seinen steti- gen Weg, ohne sich durch die Ungewißheit, wie lange seine Macht dauern werde, zu Übereilungen hinreißen zu lassen. Er untersuchte und beschränkte die Ausgabeetats sämmtlicher Ministerien, mit Ausnahme der auswärtigen Angelegenheiten, verminderte in Einverständniß mit Ma- lesherbes die Ausgaben des königlichen Hofhalts, nach einem Plane, der, ohne gleich zu scharf einzuschneiden, allmählig beschränken und binnen neun Jahren in gänz- liche Vollziehung treten sollte, kündigte hochverzinste Staatsschulden auf und traf Anstalt an ihre Stelle wohl- feilere Anleihen, zu vier vom Hundert, zu setzen, zu wel- chen Holland dem zuverlässigen Verwalter Hoffnung gab. Wenn nun für die Zukunft die Pensionsliste, wie sich be- rechnen ließ, durch Todesfälle jährlich um eine halbe Mil- lion entlastet ward, wenn die von der Krone selbst erhobe- nen Steuern durch Verminderung der Hebungsbeamten minder kostspielig eingingen, so vermehrten sich eben da- durch die Einnahmen ohne einen Zuwachs des Druckes, und man hatte angefangen sich einer verderblichen Groß- muth zu entäußern. Künftig auch sollte, das war schon laut ausgesprochen, von keinen Anweisungen auf Antheile an dem Gewinne der Generalpächter, von fünf oder gar von zwanzig Procenten, zum Vortheil gewisser Günstlinge, mehr die Rede seyn, wenn man gleich die einmal erwor- benen Ansprüche dieser Art bestehen ließ. Da nun auch der Finanzminister alle herkömmlichen Geschenke von Sei- ten der Generalpächter zurückwies, mochten diese nun ein für allemal mit 400,000 Livres oder jährlich mit deren 50,000 entrichtet werden, so konnten in Zukunft die Pacht- contracte vortheilhafter für die Finanzen und im Geiste der Milde gegen die Unterthanen abgeschlossen werden. Tur- gots allgemeiner Plan war, durch zu errichtende Provin- zialstände das ganze Steuerwesen allmählig in dem Sinne umzugestalten, daß zwar, insoweit die alten Steuern bei- behalten würden, alle bisherigen Exemptionen fortbestän- den, bei neu anzulegenden Steuern dagegen wegfielen. Nun aber sollten alle Steuern, welche den gemeinen Mann hart belasteten, als namentlich die Salzsteuer, demnächst aufhören und durch neue, mithin allgemeine er- setzt werden. So wenig indeß war ihm die Vermehrung der königlichen Einkünfte die Hauptsache, daß er sich der Einführung eines Lotto beharrlich widersetzte. Um so mehr versprach er sich von einer schärferen Controle, und vor allen Dingen von einem beschleunigten Rechnungswesen. Bei dem Regierungsantritte des jetzigen Königes gab es 4* Cassen, deren Rechnungen um fünf Jahre zurückstanden, manche sogar um zwölf und dreizehn Jahre. Von nun an soll im Laufe jedes Jahres der Finanzetat des vorhergehenden Wirthschaftsjahres zum vollständigen Abschlusse kommen. Im Übrigen ward dem Landmanne gleich jetzt eine große Erleichterung durch die Aufhebung der Kriegsfuhren gegen eine mäßige Abfindung zu Theil. Eben so sollen die Wegebauten überall im Reiche zu Gelde angeschlagen wer- den und nach den Vorschriften der natürlichen Billigkeit von dem gedrückten besitzlosen Landvolk ohne Weiteres auf die Grundbesitzer übergehen, mit alleiniger Ausnahme des geistlichen Grundbesitzes, der freilich beinahe ein Sechstel des ganzen Reichsbodens betrug, aber aus all- gemeinen Gründen verschont ward. Turgot dachte die Zeit walten zu lassen, zunächst durch Beseitigung des Zunftzwanges die tiefe Kluft zwischen Städter und Land- mann auszufüllen, und vor allen Dingen dem letzteren die leidigen Frohnen abzunehmen. Der König wird hierin auf seinen Domänen mit gutem Beispiele voran gehen, die Frohnen ablösbar stellen und außerdem jeden Vasallen, der auf seine Lehnsrechte zum Besten seiner Eingesessenen verzichtet, dadurch entschädigen daß er ihn seiner Pflich- ten gegen den Oberlehnsherrn enthebt. Turgot hatte freilich schon bei einer früheren Veran- lassung erfahren, in welcher traurigen Vereinsamung ein Staatsmann dasteht, der zu großen Umgestaltungen be- rufen, keine öffentlichen Organe zur Stütze findet. Er ist, wenn nicht zur Schwäche, so zur Despotie verurtheilt. Vielleicht in keinem Betracht war Frankreich so sehr einem beschränkten Herkommen unterthan geworden als in Bezug auf den Vertrieb des Getraides. Man glaubte seit Col- bert Minister war, diesem wichtigsten Nahrungsmittel die angestrengteste Sorge der Polizei widmen zu müssen. Nicht nur daß jede Provinz ihre eigene Zolllinie besaß, die sich höher und höher gegen die Ausfuhr hob, sobald der Preis Miene machte sich zu steigern, man privilegirte gewöhnlich in jeder irgend bedeutenden Stadt eine Anzahl Personen für diesen Handel, wies ihrer Gesellschaft zu- gleich einen abgegränzten Landbezirk an, binnen welches Bezirkes sie allein aufkaufen und durch ebenfalls privile- girte Auf- und Ablader ihr Getraide in privilegirte städti- sche Mühlen bringen lassen durfte. Wenn nun das für eine solche Gesellschaft im gewöhnlichen Laufe der Dinge einen unverhältnißmäßig großen Gewinn brachte, so war sie dagegen, sobald eine Besorgniß großer Theurung ein- trat, aller Willkür von Oben preisgegeben. Man visitirte, man schrieb Preise vor und strafte als Wucherpreis was über den Maßstab hinausging, welchen eine kurzsichtige Behörde sich gebildet hatte. Daneben öffnete man dann zugleich die theils königlichen theils städtischen Maga- zine, welche mit unmäßigen Kosten beständig gefüllt wur- den und deren meist schlecht bestellter Inhalt doch der wirk- lichen Noth so wenig gewachsen war. Um so augenschein- licher ward der Muth der Kornhändler, dieser natürlichen Magaziniers, durch den Mithandel der Regierung gelähmt, und selbst Ludwig XV. gab der Schule der Ökonomisten, welche eine unbedingte Freiheit des Getraidehandels ver- langte, hin und wieder in so weit nach, daß er die lästig- sten Beschränkungen aufhob. Allein jede ungünstige Erndte führte auch zu den altherkömmlichen Misverständnissen zu- rück. Als im Jahre 1770 dergleichen wieder im Werke war, erhob sich Turgot als Intendant kräftig dagegen; aber jenem gewissenlosen Terray und einem Könige gegen- über, welcher selbst ganz gern auf den Hunger seiner Un- terthanen speculirte, scheiterten sieben gründliche und be- redte Vorstellungen. Jetzt da Turgot am Ruder saß, ging er keineswegs so weit als sein System, trug im Minister- rathe nicht auf freie Ausfuhr ins Ausland an, ihm ge- nügte die hergestellte Freiheit des inneren Verkehrs und daß die Magazine auf Staatsrechnung aufhörten. Zum Unglück aber fiel gerade die nächste Erndte ungünstig aus und die Kornpreise fingen an zu steigen. Mehrerer Orten erhuben sich Unruhen, und als ein Schwarm Bauern nach Versailles und an das Schloß kam, war der König schwach genug ihnen vom Balcon herab wohlfeileres Brod zu ver- 1775. Mai 2. sprechen. Nichts desto weniger zog die Bande weiter in die Hauptstadt, Bäckerläden wurden in Paris erstürmt, Ge- traideschiffe auf der Seine geplündert. Auffallend war es dabei daß die Thäter ganz wohlgemuth einherzogen, Brod und Getraide nicht raubten, sondern in den Koth und ins Wasser warfen, dagegen Gerstenbrod mit Kleie und Asche vermischt unter die Leute brachten. Zu gleicher Zeit gingen Adressen ohne Unterschrift an den König ein, und eine da- von, welche die Zurückberufung Terray’s erbat, kam sogar durch die Königin an den König. Dieser aber ließ sich durch Turgot überzeugen daß ein Versprechen wohlfeilen Brodes mehr enthalte als was ein König erfüllen könne, und als hierauf die bewaffnete Macht freie Hand bekam, kehrte die öffentliche Ruhe bald zurück. Nur zwei Hinrichtungen er- folgten. Da man aber bei den Verhafteten reichliches Sil- bergeld und zum Theil bedeutende Summen in Goldstücken fand, so gewann die Meinung Bestand, der ganze hauptstäd- tische Tumult sey künstlich angestellt, um Turgot zu verder- ben. Turgot selbst hatte außer einigen Parlamentsmitglie- dern den Prinzen von Conti, das Haupt der vierten Linie des Königshauses, im Verdacht der Anstiftung, und aller- dings kannte man diesen Herrn so, daß er, verliebt in jeden Skandal, am liebsten doch dem Könige und seinen Ministern wehe that. Die unfreundliche Gesinnung des pariser Parlaments that sich schon während des Tumultes kund; es wollte die ganze Untersuchung gegen die Meuter an sich ziehen und bewies zugleich einige Sympathie mit ihnen, indem es um niedrigere Kornpreise bat. Ein lit de justice mußte seine Einmischung zurückweisen. Um so gewisser sah der Minister voraus daß seine Veränderungen in den Froh- nen, dem Zunftwesen, der Grundsteuer, wie sie sich nun in sieben gleichzeitigen Edicten kundgaben, den lebhaftesten Widerstand erfahren würden; er bereitete den König auf die Nothwendigkeit eines abermaligen lit de justice vor. Ludwig gab seine Einwilligung, und als das Parlament eine Gegenvorstellung nach der anderen machte, sogar eine Schrift verbrennen ließ, welche der Ablösung der Frohnen das Wort redete, erzwang der Spruch vom Throne die 1776. März 12. Einzeichnung der Edicte. Das war aber auch die letzte Kraftanstrengung des Königs; nur zwei Monate ver- gingen und Turgot war nicht mehr im Amte. Denn als nun die Königin, verdrießlich über diese langweilige Spar- samkeit, in den Chorus der schwelgerischen Hofleute ein- stimmte; als der Klerus, zwar noch unverletzt, aber klug voraussehend, welch ein Sturm seine 130 Millionen Livres jährlicher Einkünfte bedrohe, alle Minen springen ließ gegen den Mann, der an Gott glaubte und nicht in die Messe ging; als sogar in Leichenreden sich Verwünschungen gegen die Ökonomie und ihr System einmischten und man mit heller Stimme öffentlich fang: Der König ist bereits belehrt Daß er selbst zu den Misbräuchen gehört; als endlich alle Minister, außer den beiden Verbündeten, die Neuerungen mit kalten Blicken maßen, da war es kin- derleicht für den Grafen Maurepas die letzte Arbeit zu thun. Denn diesem schwoll längst die Brust vor Unwillen gegen den Verwegenen, der ihn behandelte als ob er gar nicht da wäre, der, wenn Alles aufs Beste ging, ihn entbehr- lich machen mußte. Und schwindelte nicht ohnedieß dem Könige schon der Kopf, so oft ihm Turgot eine neue Denk- schrift mitbrachte? So war es denn doch wirklich nicht ge- meint gewesen. Auch Ludwig arbeitete wohl zu Zeiten mit der Feder und hatte noch kürzlich über die Kaninchengehege der Grundherren und über den Schaden, welchen sie in Saaten und Weinstöcken stiften, eine gründliche Ausar- beitung geliefert, allein ganz andere Gebiete waren es ja, auf welche ihn Turgot tagtäglich führte, ihm fürder keine Ruhe ließ. Ludwig überzeugte sich, seine beiden Minister die Philosophen würden ihn am Ende ins Unglück brin- gen, wenn schon wohlmeinend, wollten sie doch höher hin- aus als die monarchische Form es ertrage. Die Träume eines ehrlichen Mannes, meint der König, dürfen nicht den Staat beherrschen, und giebt dem Maurepas darin Recht daß Turgot viel zu eigenwillig ist. Er unterzeich- net seine Entlassung. Gern zwar hätte er den biegsameren und manchmal nicht ganz regelrechten Malesherbes um seine Person noch festgehalten; allein dieser hat schon längst, auf ein Besserwerden verzichtend, zu wiederholten Malen seinen Abschied erbeten. Jetzt ist nun vollends sei- nes Bleibens nicht mehr. „Sie Glücklicher,“ sprach ge- rührt der Monarch, „Sie können abdanken!“ Am 12. Mai 1776 schied Turgot aus dem Ministerium, in wel- chem er ein Jahr und nicht volle neun Monate gesessen. Sofort wurden durch ein Edict die Wegefrohnen wieder- hergestellt. Etwas länger hielt sich ein dritter Reformator, der neue Kriegsminister Graf St. Germain, im October 1775 ernannt. Dieser merkwürdige Mann fand seine Jugend- bildung bei den Jesuiten. Siebzehnjährig warf er das Or- denskleid von sich und trat als Unterlieutenant ein. Eine Ehrensache vertrieb ihn aus Frankreich, er nahm Dienste bei einem deutschen Fürsten nach dem andern, bis ihn der Marschall von Sachsen zur Rückkehr in sein Vaterland be- wog. Hier machte er in schon hohen Graden den sieben- jährigen Krieg mit; die Achtung vor seiner Fähigkeit war so verbreitet wie der Ruf von seiner bissigen und unhof- männischen Gemüthsart. Die Frau von Pompadour nannte ihn nur den schlechten Patron und diese Titulatur fand Beifall als er mitten im Kriege seinen Befehl am Niederrhein aufgab, hastig austrat, Alles aus Unzu- friedenheit mit seinem Oberbefehlshaber dem Herzog von Broglie. Der Hof war froh den Bären los zu seyn, man schickte ihm seinen Abschied nach und hatte nichts dagegen daß er in die Dienste der Krone Dännemark als Feldmarschall und Präsident des Kriegscollegiums trat; dort nämlich be- durfte man eines kräftigen Armes, um ein verfallenes Kriegs- wesen rasch wiederherzustellen. Denn Kaiser Peter III. von Rußland drohte für schwere Unbilden, die sein Stamm in Schleswig-Holstein erlitten, unversöhnliche Rache zu neh- men; sein Gedanke war, den König Friedrich V. von Dän- nemark allernächstens nach Trankebar an die Küste Koro- mandel zu verpflanzen. Da war nun St. Germain ganz an seiner Stelle, schuf ein Heer, bemannte die Flotte und als es an Geld gebrach, ward die erste Anwendung seiner Kriegsmacht gegen die Stadt Hamburg gemacht; sie mußte einen Theil ihrer Reichthümer daran strecken. Schon stan- den beide Heere einander kampffertig auf meklenburgischem Boden in der Nähe von Wismar gegenüber als der Tod des Kaisers die größeste Gefahr abwandte, in welcher Dännemark jemals geschwebt hat. Der Vielgewanderte hätte sich nun wohl am Ende hier zur Ruhe begeben; vom Könige Christian VII. entlassen bezog er einen Gnadenge- halt; allein die blutige Katastrophe des Ministers Struen- see, dem er zugethan war, vertrieb ihn auch von hier. Man findet ihn mit 100,000 Thalern ab, die er in Ham- burg unterbringt; er zieht sich auf ein Dorf im Elsaß zu- rück, wo er den Acker baut. Und er muß das bald im ei- gentlichsten Sinne des Wortes thun, da sein hamburger Banquier seine Zahlungen einstellt. St. Germain wäre in die tiefste Armuth versunken, hätten sich nicht alle Of- ficiere der deutschen Regimenter in französischen Diensten zusammengethan und einen Jahrgehalt dem Greise ausge- worfen, der von den Höheren gehaßt, allenthalben die Liebe seiner Untergebenen zu gewinnen verstand. So ward denn auch die Regierung fast gezwungen sich seiner wieder zu erinnern; sie trat mit einem Jahrgehalt ins Mittel. Seitdem hält er es nun aber auch für seine Pflicht den al- ten Maurepas mit Denkschriften zu belästigen, die von der elenden Einrichtung des französischen Heeres handeln. Damals standen noch die Reformpläne in ihrer Blütenzeit; der Platz des Kriegsministers war gerade durch einen To- desfall erledigt, auf den Betrieb von Malesherbes trat St. Germain an die Stelle. Was dem alten Herrn be- sonders misfiel war das sogenannte königliche Haus im Heere; denn diese königlichen Haustruppen oder Garden bedeuteten in der Armee ungefähr das was die Parlamente in der bürgerlichen Ordnung, eine Art Staat im Staate, bei welchem an die gewöhnliche Disciplin gar nicht zu denken war. Das war nun zwar im geringeren Grade bei dem Fußvolk der Fall, welches aus sechs Bataillons fran- zösischer Garden und vier Bataillons Schweizergarden be- stand, im höchsten Grad aber bei der Reiterei, deren Kern acht Escadrons Gardes du Corps bildeten. Denn alle Gemeinen der berittenen Haustruppen waren Edelleute mit Lieutenants-Rang. An diese am meisten bevorrechte- ten Haustruppen schlossen sich dann wieder andere Truppen- abtheilungen an, als Grenadiere zu Pferde, Gensdarmen, Carabiniers, deren Officiere höheren Rang hatten als die übrigen des Heeres. Durch das ganze Heer ging aber ein tief greifender Misbrauch: die Officierstellen waren der großen Mehrzahl nach käuflich und wurden eben darum ohne Maß vervielfältigt; man konnte auf drei Gemeine einen Officier zählen, die Unterofficiere mitgerechnet. Man hatte 60,000 Officiere im Heere. Diese üble Weise stammte von den letzten unglücklichen Kriegsjahren Lud- wigs XIV. her, da jede Hülfsquelle benutzt ward, die der erschöpften Staatscasse aufhelfen konnte. Denn nun machte man für Geld jedweden der sich anbot eine Compagnie zu errichten, zum Kapitän und ließ ihm frei die niederen Grade zu verkaufen, damit er seiner Auslage nachkomme. So boten Eitelkeit und Gewinnsucht einander die Hand, um die Zahl der Officiere möglichst anschwellen zu lassen. Diesen Krebs des Heeres auszurotten und alle Abthei- lungen einer gleichmäßigen Disciplin zu unterwerfen ohne Bevorrechtung, war der Plan des neuen Kriegsministers. Ein Alter von achtundsechzig Jahren ließ ihn keine lange Wirksamkeit hoffen; sein Plan war fertig und abgerundet, nichts fehlte als ihn schleunig in seiner ganzen Ausdeh- nung in Vollzug zu setzen. Denn eine gleichzeitig durch- greifende Umgestaltung bietet stets den Vortheil daß sie eine Schaar Zufriedener der Schaar von Misvergnügten, die nie ausbleibt, gegenüberstellt; und ein gesundes Staatsprincip, an die Stelle eines morschen, faulenden gesetzt, erfrischt zugleich den Blutumlauf im ganzen Volks- körper. Allein wir kennen schon den König und seinen Hofmeister, und St. Germain ließ mit sich handeln. Allmählige Verbesserungen waren das Wiegenlied des Ho- fes; ich weiß nicht ob man dergleichen damals schon Ent- wickelung nannte. Aber die Entwickelung eines baufälli- gen Hauses ist sein Umsturz. Jetzt wurden einige bevor- zugte Corps aufgehoben, andere vermindert, allein das falsche Princip blieb und wucherte. Man hatte hier Un- willen erregt, dort die gesteigerte Erwartung unbefriedigt gelassen. Ein öffentlich aufgestellter Grundsatz ward durch Ausnahmen herabgewürdigt, und nun gab es bald keinen Halt mehr. Der Kriegsminister hatte verkündigt, aller Stellenverkauf im Heere solle aufhören, für die eingezahl- ten Summen werde Entschädigung erfolgen; das aber hielt den König nicht ab, auf einen Schlag hundert Ka- pitäne für Geld zu machen. Als St. Germain nun vol- lends Lust bezeigte die Stockschläge im Heere einzuführen und Hiebe mit der flachen Klinge wirklich in Ausführung brachte; als er unbedachter Weise das Ehrendenkmal Lud- wigs XIV. , das pariser Invalidenhaus antastete, da ver- lor er auch in den unteren Ordnungen der Krieger seine frühere Geltung. Auch seine umständlichen Andachts- übungen in alter Jesuitenweise, seine Seminarien für Feldpriester entsprachen der Zeitrichtung nicht. Schließlich 1777. Sept. schüttelte man ihn ganz ab, er aber, der, je schlechtere Geschäfte er machte, sich um so fester an sein Ministerium † 1778. Jan. 15. klammerte, starb an seiner Ungnade nach wenig Monaten. So feierte die Hofpartei nach allen Seiten Triumphe. Malesherbes erzählte manchmal von diesen Dingen im vertrauten Kreise: „Wir hatten für uns den König, Turgot und mich, allein der Hof war uns entgegen, und die Höf- linge sind weit mächtiger als die Könige.“ 3. Die holden Jahre der Selbsttaͤuschung. Frankreich führte mit krankem Blicke das Leben eines Gesunden fort; man entschlug sich der Sorgen zu einer Zeit, da der ewig junge Weltgeist seine Flügel prüfte, sich dann aufschwang und bald von seinen Thaten zu reden gab. In den letzten Jahren Ludwigs XV. verschlief das Cabinet von Versailles das schlimme Wetter der Politik, merkte nichts von der ersten Theilung von Polen bis sie völlig zu Stande war; allein der Lärm, den jetzt Nord- amerika im alten Welttheile machte, als es plötzlich auf seine Füße gerichtet sich mitten unter die bejahrten eben- bürtigen Häupter stellte, hätte Siebenschläfer wecken müssen. Turgot war noch am Ruder als diese Frage weltge- schichtlich ward. Er sah den jungen kriegerischen Adel Frankreichs brennend vor Lust am Kampfe theilzunehmen, häßliche vaterländische Scharten auf Kosten Englands aus- zuwetzen; niemand bewunderte dieses Volk unerschrockener Republikaner aufrichtiger als Turgot; der lateinische Vers unter dem Bilde Benjamin Franklins, welcher die Ver- dienste dieses seltenen Bürgers um die Menschheit eben so kurz als eigenthümlich preist: Eripuit coelo fulmen, sceptrumque tyrannis, Dieser entriß dem Himmel den Blitz, den Tyrannen das Scepter, wird ihm zugeschrieben; allein seine Denkschrift an den König über Frankreichs Stellung zu diesem inhaltsschwe- ren Ereigniß mußte freilich andere Bahnen gehn. Sie ist wenig Wochen vor seiner Entlassung verfaßt. Turgot er- kennt in dem ganzen Vorgange einen großen und unver- meidlichen Wendepunct der Zeit: nichts natürlicher als daß Kinder, die sich der elterlichen Leitung entwachsen fühlen, ihren eigenen Weg versuchen, und in dem Falle daß die Eltern nicht verständig genug sind ihnen eine ihrer Kraft entsprechende freie Bewegung zu gestatten, sich wohl gar völlig losreißen. Er sieht voraus daß die Colonien der übrigen Reiche unseres Welttheiles diesem Beispiele folgen werden, und meint, Spanien ins Besondere werde weise thun, sich auf eine gänzlich veränderte Colonial- Politik zu rüsten; übrigens sey es ein Irrthum zu glau- ben daß die gelungene Losreißung Englands Macht und Wohlfahrt zu Grunde richten müsse. Seine Meinung in Bezug auf Frankreich ist: Ein Staat, welcher ein fort- laufendes Deficit von 20 Millionen hat, und dessen er- stes Bedürfniß ist durch eine tiefgreifende Reform die Lasten des Volks zu erleichtern, muß die vielleicht unwiederbring- liche Zeit zu diesem Zwecke benutzen, darf einen solchen Krieg nicht führen. „Die französische Flotte ist in Ver- fall, man kann die Ausgaben zu ihrer Wiederherstellung nicht bestreiten zu einer Zeit, da die einzige Rettung in der Sparsamkeit zu finden ist. Uns unserer gegenwärtigen Stärke bedienen hieße unsere Schwäche verewigen.“ Diese Ansicht drang damals durch und ward eine Weile festgehalten, auch nachdem die Reformen schon aufgege- ben waren. Wie weise das nun seyn mochte, die französische Ju- gend fühlte sich nicht überzeugt und fand einen mächtigen Halt an dem ersten Staatsmanne der Zeit, welcher von Anfang her auf der Seite der Nordamerikaner stand, wie- wohl sein Vaterland ihr Bedränger war. Es ist kaum möglich, einem Mitbürger einen größeren Zuwachs an materieller Macht und geistiger Erfrischung zu verdanken als England seinem großen Chatham, so lange er an der Spitze der Verwaltung stand; und derselbe Mann erblickte von Anfang her in dem was gegen jene Provinzen geschah eine Verletzung der jedem Engländer angeborenen Rechte, zugleich aber auch der Rechte, die jedem Menschen ge- bühren. Schon 1765 sprach er ein Wort von langem Widerhall in Frankreich: „ich freue mich daß Amerika widerstand. Drei Millionen Menschen, so abgestorben für jede freiheitliche Regung, daß sie sich gutwillig zu Sclaven machen lassen, würden geeignete Werkzeuge ge- wesen seyn auch die übrigen in Sclaverei zu stürzen.“ Und nicht müde wird er in den nächsten Jahren zu wiederholen: Französische Revolution. 5 „Das Recht Steuern aufzulegen und das Recht Repräsen- tanten zu schicken ist unzertrennlich. Alle Zeit ist der Satz von den Bürgern dieses Reiches heilig gehalten, daß was ein Mann rechtlich erworben hat, sein unbedingtes Eigen- thum ist, welches er nach freiem Willen geben, das ihm aber niemand nehmen kann ohne seine Einwilligung“. 1774. Kurz vor dem völligen Bruche sprach er: „Ich will den Grundsatz in mein Grab nehmen: Ihr habt kein Recht 1775. Amerika zu besteuern,“ und als man schon kriegte: „Han- delt, wie ein guter liebreicher Vater einen theuern Sohn behandelt. Statt der harten und strengen Gebote erlasset eine Amnestie für alle ihre jugendlichen Irrthümer, um- fasset sie noch einmal freundlich, und ich wage zu behaup- ten daß Ihr in ihnen Kinder finden werdet, würdig ihres Vaters.“ Bald darauf aber ward die Rechtlosigkeit der deutschen Unterthanen-Verhältnisse Ursache, daß das Band zwischen Mutter- und Tochterland unwiederherstellbar brach. Denn als unsere Landesväter von Braunschweig 1776. und Hessen-Cassel, Anspach und Waldeck 20,000 Deut- sche der englischen Regierung verkauften, die oft vergeblich widerstrebenden zwangen sich für Nordamerika einschiffen zu lassen, wobei der Erbprinz von Hessen-Cassel noch sei- nen besonderen Profit aus verhandelten Hanauern zog, seit- dem galten die Bande des Bluts zwischen England und Ame- 1777. rika nichts mehr. Abermals aber vernahm man Chathams Stimme über dieses „Handeln und Markten mit jedem kläglichen kleinen deutschen Fürsten, der seine Unterthanen für die Schlachtbank eines Auslandes los werden möchte. — Diese erkaufte Hülfe, der Ihr vertrauet, entzündet einen unheilbaren Groll im Gemüthe Eurer Widersacher, die ihr mit den feilen Söhnen des Raubes und der Plünde- rung überschwemmet, sie und ihr Eigenthum grausamen Miethlingen opfernd. Wäre ich Amerikaner wie ich Eng- länder bin, so lange bewaffnete Fremdlinge bei mir lande- ten, ich legte nimmer die Waffen nieder, nimmer! nim- mer! nimmer!“ Mit noch gewaltigeren Worten strafte er daß die Minister selbst die wilden Eingeborenen, die ro- then Häute zu Hülfe gerufen hätten. Damals geschah es daß der Graf Suffolk dem Redner einwarf, es sey einmal nothwendig sich der Wilden als Helfer zu bedienen und man mache billig gegen seine Feinde von allen Mitteln Gebrauch, welche Gott und die Natur in unsere Hände gelegt haben. Da stand Lord Chatham noch einmal auf: „Ich bin erstaunt, empört solche Grundsätze in diesem Hause, diesem Lande bekennen zu hören, Grund- sätze, eben so verfassungswidrig als unmenschlich und un- christlich. Mylords! Es war nicht meine Absicht noch einmal Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, aber ich kann meinen Unwillen nicht unterdrücken, ich fühle mich getrie- ben durch jede Pflicht. Mylords, es ist unser Aller Schul- digkeit als Mitglieder dieses Hauses und als Christen ein- zusprechen, damit solche Grundsätze dem Throne nicht nahen, das Ohr der Majestät beflecken. Die Gott und die Natur in unsere Hände legte! Ich weiß nicht, welche 5* Begriffe dieser Lord von Gott und Natur haben mag, al- lein ich weiß daß solche verabscheuungswürdige Grund- sätze der Religion und der Menschlichkeit im gleichen Maße widerstreiten. Wie! die heilige Weihe Gottes und der Na- tur den Schlachtungen des indianischen Skalpiermessers beilegen! dem kannibalischen Wilden, der die verstüm- melten Schlachtopfer seines hinterlistigen Überfalles fol- tert, mordet, röstet und verzehrt, wörtlich, Mylords, verzehrt! Solche scheußliche Grundsätze widersprechen je- dem Gebot der Religion, der göttlichen und der natür- lichen, und jedem edeln Gefühl der Menschlichkeit, und, Mylords, sie empören jedes Ehrgefühl; sie empören mich als Freund des ehrlichen Krieges, als Feind der grausa- men Mordlust. Diese verdammenswerthen Grundsätze und dieses noch verdammlichere Aussprechen derselben fordern daß der Abscheu laut werde. Ich rufe die ehrwürdige Bank auf, die heiligen Hüter des Evangeliums, die from- men Diener unserer Kirche, ich beschwöre sie die Hand zum heiligen Werk zu bieten und die Religion ihres Gottes zu behaupten! Ich appellire an die Weisheit und das Ge- setz dieser gelehrten Bank, daß sie die Gerechtigkeit ihres Landes vertheidige und rette. Ich fordere die Bischöfe auf in ihrem fleckenlosen Gewande, die gerechten Richter in ihrem Hermelin, daß sie sich und uns schützen vor dieser Besudelung. Ich rufe die Ehre Eurer Herrlichkeiten an, daß Ihr die Würde Eurer Vorfahren achtet und die Eure wahret. Ich rufe den Geist und die Menschlichkeit meines Vaterlandes zum Schutze unserer Volksthümlichkeit auf, beschwöre den Genius unserer Constitution. Von den Wänden dieser Halle herab (man erblickte damals noch an ihnen die Zerstörung der Armada durch Lord Howard von Effingham), von den bunten Teppichen dieser Halle her- ab zürnt der unsterbliche Ahnherr dieses edeln Lords, un- willig über die Schmach seines Landes. Umsonst führte er Eure siegreichen Flotten gegen die prangende Armada Spa- niens, umsonst vertheidigte er die Ehre, die Freiheiten, die Religion, die protestantische Religion dieses Landes gegen die willkürlichen Grausamkeiten des Papstthums und der Inquisition, wenn diese mehr als papistischen Grausamkeiten und inquisitorischen Missethaten unter uns gebilligt und zur Satzung werden, aufgeboten inmitten unserer alten Genossen, Freunde und Verwandte; die er- barmungslosen Kannibalen losgelassen, die da dürstet nach dem Blute des Mannes, des Weibes und des Kindes! die ungläubigen Wilden getrieben — gegen wen? Gegen Eure protestantischen Brüder! ihr Land zu verwüsten, in ihre Häuser zu brechen, ihr Geschlecht, ihren Namen zu zerstö- ren durch diese furchtbaren Höllenhunde der Wildniß! Höl- lenhunde der Wildniß, sage ich. Spanien ließ seine Blut- hunde los, um die unglücklichen Völkerschaften Amerikas zu vernichten, und wir übertreffen noch das Beispiel spa- nischer Grausamkeit! Wir hetzen diese wilden Höllenhunde gegen unsere Brüder und Landsleute in Amerika, die mit uns eine Sprache, ein Gesetz, eine Freiheit und Religion haben, die unser sind durch das Band der heiligsten mensch- lichen Gefühle. — Mylords, ich bin alt und schwach, und jetzt nicht im Stande weiter zu sprechen, aber mein Gefühl und mein Unwille waren zu stark, als daß ich weniger hätte sagen können. Ich hätte diese Nacht keine Ruhe fin- den können in meinem Bette, hätte mein Haupt nicht auf mein Kissen niederlegen können, wenn ich nicht meinem ewigen Abscheu gegen so ausgeartete, ungeheure Grund- sätze Luft gemacht hätte.“ Wohl versuchte man die Einwendung, und es geschah das mit schadenfroher peinlicher Gründlichkeit, es habe ja Chatham in den Tagen seiner Gewalt, damals als er Hand in Hand mit dem großen Friedrich ging, und es für ihn Canada galt, jene Wildenhülfe gleichfalls nicht verschmäht. Wäre dem wirklich so, was Chatham indeß entschieden abläugnete, so ließ sich erwiedern, daß dieses Mittel da- mals gegen den Erbfeind Englands angewendet ward und daß dieser zuerst Gebrauch davon machte; aber eine andere Entgegnung wäre vielleicht noch zutreffender gewesen, welche auf den ersten Anblick trivial scheinen kann, diese nämlich, daß verschiedene Zeitalter verschiedene Grund- sätze gebären. Denn erst seit dem pariser und hubertsbur- ger Frieden schlug zugleich mit dem endlich durchdringen- den Sinne für kirchliche Duldung jene höhere Gesittung Wurzel, welche ein Gebiet der allgemeinen Menschheit festhält, das durch die Zertrennung in zwistige Staaten nicht verloren gehen darf. Ein Engländer, der im Jahre 77 Paris besuchte, schreibt in seinem Reiseberichte: „Man spricht jetzt hier in allen Kaffeehäusern und in allen Gesellschaften von natio- naler und politischer Freiheit so freimüthig wie nur irgend in einem britischen Parlament oder in einem londoner Kaf- fechause oder in einem Club der Oppositionspartei. Der Hof sieht hiebei durch die Finger und denkt nicht an das bekannte alte Sprüchwort: mutato nomine de te fabula narratur.“ Man suchte und fand seine Ideale jenseit des Oceans im Westen, und selbst die kühlere Gesellschaft gab ihren Bei- trag, verließ ihre Whisttische, spielte Boston, den tapfe- ren Bostonern zu Ehren, die das Panier des Widerstandes zuerst erhuben. Da kam die Botschaft von der Capitulation eines englischen Heeres bei Saratoga, und jetzt trat der Bostoner Benjamin Franklin schon öffentlich in den könig- lichen Gemächern von Versailles auf, der siebzigjährige Greis, so anspruchslos und doch so vielsagend seine Er- scheinung; denn sie bezeugte das Wunder seines Lebens, den armen Buchdruckerjungen von ehemals und jetzt unter den Stiftern eines der größesten Staaten der Welt nach Washington den Ruhmgekröntesten. Seiner einfachen Un- terhaltung über die Probleme des Staates und der großen Natur, welcher er mit Apparaten, die jedem Kinde zu Gebote stehen, die Zunge gelöst hatte, kam in diesen ari- stokratischen Kreisen volle Hingebung entgegen. Denn über- all schmachtet der Mensch nach einem heimlichen Trunke Begeisterung, woran er in der langen Lebenssteppe sich labe. Nun widerstand auch das französische Cabinet nicht länger, erkannte die Unabhängigkeit der nordamerikani- 1778. Febr. schen Provinzen an, schloß einen Freundschaft- und Han- delstractat mit ihnen. Auf die Nachricht gaben die Führer der Opposition in beiden Häusern des englischen Parla- ments die Erklärung, die Pflicht der Regierung sey dem Beispiele Frankreichs zu folgen, den unausbleiblichen dop- pelten Krieg zu vermeiden. Lord Chatham dachte anders. Am 7. April 1778 erschien er im Oberhause, entschlossen neben seinen alten Gegnern im Hause nun auch seine bis- herigen Anhänger zu bekämpfen. England sollte den Muth von ihm lernen nach beiden Seiten zugleich die Spitze zu bieten. Als sein Freund der Herzog von Richmond den Antrag machte, den König um die Entfernung seiner Mi- nister und zugleich um die Entfernung aller See- und Landtruppen aus Nordamerika zu ersuchen, stand Chatham auf, an zwei Freunde gelehnt, dieselben die ihn mühsam auf Krücken in den Saal hineingeleitet, ein sterbender Mann, von dessen abgemagertem Gesichte unter seiner mäch- tigen Perüque kaum ein Zug weiter unterschieden ward als neben der großen Adlernase dieses durchdringende Augen- paar. Er hob die Hand von einer Krücke auf, sah gen Himmel und es ward als er die Lippen zu leiser Rede öff- nete, so still im Saale, daß man, nach dem Ausdrucke Eines der dabei war, das Fallen eines Taschentuches würde haben hören können. „Ich danke Gott,“ sprach er, „daß ich im Stande gewesen bin heute hieher zu kom- men, um meine Schuldigkeit zu erfüllen und über einen Gegenstand zu reden, der mir so innig am Herzen liegt. Ich bin alt und schwach, habe einen Fuß, mehr als einen Fuß im Grabe; ich bin aus dem Bette aufgestanden, um in der Sache meines Vaterlandes hier zu stehen, vielleicht um niemals mehr in diesem Hause zu reden. Mylords, sprach er mit allmählig steigender Kraft, ich freue mich daß das Grab mich noch nicht eingeschlossen hat, daß ich noch lebe, um meine Stimme zu erheben gegen die Zerstückelung dieses alten herrlichen Reiches. Niedergedrückt von Gebre- chen wie ich bin reicht meine Kraft wenig aus zum Beistande für mein Vaterland in dieser gefährlichen Zeitlage; allein, Mylords, so lange ich meiner Sinne und meines Gedächt- nisses mächtig bin, werde ich nimmermehr meine Stimme dazu geben, den königlichen Sprossen des Hauses Braun- schweig, die Erben der Prinzessin Sophia ihres schönsten Erbtheiles zu berauben. Wo ist der Mann, der zu solch einer Maßregel rathen kann? Mylords! Seine Majestät ist Erbfolger in einem Reiche, so mächtig an Ausdehnung als unbescholten an seinem Rufe. Sollen wir den Glanz dieser Nation durch eine schimpfliche Übergabe ihrer Rechte und schönsten Besitzthümer beflecken? Soll dieses große Königreich, welches die dänischen Beutezüge, die schotti- schen Einfälle und die normännische Eroberung überlebt, das die furchtbare Invasion der spanischen Armada bestan- den hat, nun dem Hause Bourbon zu Füßen fallen? Ge- wiß, Mylords, dieses Volk ist nicht mehr was es war. Soll ein Volk, welches funfzehn Jahre lang das Schrecken der Welt war, heute so tief sinken, daß es zu seinem alten eingewurzelten Feinde spricht: Nimm Alles was wir ha- ben, nur gieb uns Frieden? Es ist unmöglich! — Um Gottes Willen, wenn es denn durchaus nothwendig ist, sich entweder für Krieg oder Frieden zu erklären, und der letztere kann nicht mit Ehren erhalten werden, warum fängt man nicht den ersteren ohne Verzug an? Ich bin, das gestehe ich, nicht hinlänglich von den Hülfsquellen des Königreichs unterrichtet, allein ich vertraue darauf daß sie hinreichen seine gesetzlichen Rechte zu vertheidigen. Jeder Zustand ist besser als der der Verzweiflung. Laßt uns mindestens den Versuch machen, und müssen wir fal- len, laßt uns fallen wie Männer.“ Er hatte noch nicht Alles gesagt, was ihm sein stolzes Gemüth, seine na- gende Sorge, die Trennung werde der Untergang seines Vaterlandes seyn, eingab; seine Absicht war einen ewi- gen Bund zwischen England und Amerika vorzuschlagen; aber seine Kraft ging zu Ende. Als jedoch der Herzog von Richmond seinen Antrag wieder aufnahm und ausführte daß es jetzt nicht darauf ankomme, wie vor zwanzig Jahren, Frankreich und das an Frankreich gekettete Spanien mit der vereinigten Kraft von England und Amerika und von einem Chatham zu bestehen, sondern es mit Frankreich und Spanien und Amerika aufzunehmen ohne Amerika und Chatham, allein auf England gestützt, da richtete sich der Siebzigjährige noch einmal mit Heftigkeit auf seine Füße, aber er sank in plötzlicher Ohnmacht zurück und wäre auf den Boden gestürzt ohne die Unterstützung seiner Freunde. Da strömten alle Lords um ihn zusammen, keine Sitzung mehr, jedermann befliß sich Chathams jüngstem siebzehn- jährigen Sohne beizustehen, daß er den Vater nur weg- bringe. Noch einen Monat schleppte sich sein Kampf hin, bis der 11. Mai ihn hinwegnahm. Hier aber offenbarte sich der Segen höherer Sitte, welcher aus den Grund- sätzen ächter Freiheit quillt. Über die kleinliche Wuth des Hofes, über den beschränkten Widerwillen des Königs Georg III. gegen Chatham, den er die Aufruhrstrompete nannte, trug die Meinung eines dankbaren Landes den glänzendsten Sieg davon. Seine Leiche ward in der West- minsterabtei bestattet und eben daselbst ihm ein Denkmal gesetzt, welches den Staatsmann zeigt, „unter dessen Amtsführung die göttliche Vorsehung Großbritannien er- hob zu einer jedem früheren Zeitalter unbekannten Höhe der Wohlfahrt und des Ruhmes;“ denn das sind die Worte der Inschrift. Den Charakter Chathams besitzen wäre in Frankreich Hochverrath gewesen. Hier konnte das Ungemeine nur im Versteck aufgehen, ungesetzlich groß werden, wie ein küh- ner Strauch die Felswand durchbricht. Als noch Alles in Versailles in der Schwebe stand, ob man den Krieg auch wolle, den man drohte, brachen die Zeichen der Zeit wie Zähne in einem jungen Kopfe durch. Der Marquis von Lafayette verließ zwanzigjährig Frau und Kind, die Ge- nüsse des Reichthums und den Glanz des Hofes, um in einem anderen Welttheile der Geschichte in die Hand zu arbeiten. Alle Vorbereitungen zu diesem Schritte wurden in der Stille getroffen, der junge französische Capitän reiste unter dem Vorwande eines Besuches bei seinem Oheim dem Marquis von Noailles, welcher damals Ge- sandter in England war, nach London, kaufte hier ein kleines Kriegsschiff und ließ es an die spanische Küste mit einer Anzahl Officiere abgehen, welche er mitzubringen versprochen hatte; dort sollen sie seiner warten. Allein diese Vorbereitungen hatten den Verdacht der englischen Regierung erregt, man beklagte sich, und als Lafayette, der inzwischen nach Paris zurückgekehrt war, um sein Haus zu bestellen, sich schon auf der Reise befand, ohne Paß, ohne Urlaub und Abschied, holte ihn ein Verhaftsbefehl ein. Er sah sich in Bordeaux als Deserteur festgehalten. In- dessen fand er Mittel zu entkommen und günstige Winde trugen ihn im April 77 an die Küste des Landes seiner Verheißung. Lafayette diente auf eigene Kosten ohne Sold Anfangs als Freiwilliger, aber bald, nachdem er im un- günstigen Glücke seine Ausdauer bewährt hatte, auf Washingtons Antrag als General-Major an der Spitze einer Division. Und nicht lange darauf lag es eigentlich nur an ihm und seiner dankbaren Unterordnung unter dem großen Manne, den er als Vater verehrte, wenn er in fernerer Abhängigkeit von Washington blieb, kein Com- mando für sich erhielt; denn alle Neigung kam ihm ent- gegen und was diese nicht bewirkte, das that gemeine Ei- fersucht gegen den Landsmann. Als nun aber Lafayette nach Verlauf von nicht zwei Jahren wieder im Vaterlande, in der bewegten Hauptstadt erschien, ein zarter blonder Jüngling und schon so thatenreich, wie war da sein viel- getadelter Jugendstreich in Aller Augen durch den Erfolg gerechtfertigt! War doch Frankreich selbst schon für Ame- rika in die Schranken getreten, hatte seine erste Hülfsflotte entsendet. Maurepas freilich fuhr den Ankömmling em- pfindlich an, schon weil er in Stiefeln bei ihm eingetreten, und der König wollte ihn durchaus nicht sehen; allein was ging ihm ab, auf den die Pariser allein sahen, so oft er im Theater erschien, jede passende Stelle im Stücke Beifall klatschend auf ihn bezogen? Und die Königin klatschte mit, sah ihn häufig. Da mußte denn auch der König am Ende freundlich auf den jungen General blicken, welchem der dankbare Congreß hier einen Ehrendegen überreichen ließ. Schon tritt der Krieg mit England in seiner ganzen Bedeutung in den Vordergrund; Spanien verspricht sich ebenfalls zu entscheiden, seine Flotte mit der französischen zu vereinen; denn erst lange hinterher hat man in Madrid erkannt, welche mächtige Einwirkung die Unabhängigkeit der Söhne Englands auf die spanischen Colonialreiche in Amerika haben müsse. Ganz ernstlich aber war in Frank- reich derzeit eine Landung auf der Küste von England im Werke, man vereinigte an der Westsee zu dem Ende wohl 40,000 Mann nebst zahlreichen Transportschiffen, und hieher sandte der König den Lafayette als nunmehrigen Generalmajor in französischen Diensten. Mit jener Lan- dung ging es nun zwar nicht über die Drohung hinaus, dagegen bestimmte man eine zweite und größere Hülfs- macht für Amerika. Eine Flotte mit 12,000 Mann Lan- dungstruppen, geführt vom Grafen Rochambeau, ist in Rüstung, sie wird zugleich eine Anleihe von mehreren Millionen für Nordamerika mitbringen und Lafayette soll als Bote dieser frohen Neuigkeit vorangehen. Auch legt man thätig Hand ans Werk, und wenn auch zunächst nur 6000 Mann eintreffen, schon die Botschaft hat den gesun- kenen Muth Amerikas wieder angefacht und man verehrt in Lafayette nicht bloß den Überbringer einer frohen Kunde, nein auch den Mann, der jene Kraftanstrengung Frank- reichs durch seinen glühenden Eifer herbeigeführt hat. Und diese Tapferen Frankreichs stellen sich unter den Oberbe- fehl Washingtons. Und auch jene Geldhülfe, wie willkom- men erschien sie! war doch das Papiergeld der jungen Freistaaten fast auf seinen Papierwerth herabgesunken! Jetzt aber erfolgte jene große Entscheidung daß General 1781. Oct. 19. Cornwallis in Yorktown vor Washington die Waffen strecken mußte; und das stolze England, welches neuer- dings noch den Holländern den Fehdehandschuh hinwarf, bloß weil sie mit den Nordamerikanern in Unterhandlung wegen Anerkennung ihrer Unabhängigkeit traten, mußte die Hoffnung aufgeben ein Ersatzheer schicken zu kön- nen. Lafayette kehrte zum zweiten Male nach Frankreich zurück und nun führte ihm die Königin selber seine junge Gemahlin entgegen und auch Ludwig empfing ihn freund- lich. Aber Frankreich rüstete zum dritten Male für Ame- rika; man wollte dieses Mal die Landungstruppen auf 24,000 Mann bringen, in der Hoffnung mit einem Theile davon den Verlust von Canada wieder einzubringen. Al- lein die Weltgeschichte hatte ihr entscheidendes Wort be- reits gesprochen und so reichte die Drohung einer neuen Kraftanstrengung hin, die Unabhängigkeit Amerikas ward vom Mutterlande anerkannt, und Frankreich schloß nach 1782. Nov. 30. langer Zeit wieder einmal einen ruhmvollen Frieden zu Versailles. 1783. Nun kehrten die französischen Regimenter nach Hause, allein man erkannte in ihnen nicht die Söldner des alt- königlichen Frankreichs mehr, in dem Grade war ihr Sinn verwandelt, seit der Zeit da in dem Fortgange des Krieges das Anfangs kalte Verhältniß zwischen Franzosen und Amerikanern sich zu einer herzlichen Waffenbrüderschaft ge- staltete. Nicht bloß die Männer, welche schon in hohen militärischen Graden standen, ein Alexander Berthier, ein Mathieu Dumas blickten die alte Welt mit andern Augen an als zuvor, auch bei den Gemeinen war tief eingedrungen jener edle Stolz des Bürgers, der für eine Freiheit ficht; sie hatten mit Erstaunen die Gewalt des Gesetzes mächtig da hervortreten sehen, wo kein Königswille ihm zu Hülfe kam. Als der Graf von Rochambeau eines Tages vor sei- nem Heere, umgeben vom Generalstabe, ritt, trat ihn ein Amerikaner an, und indem er ihm leise mit der Hand die Schulter berührt, überreichte er ein Papier und sprach: „Im Namen des Gesetzes, Ihr seyd mein Gefangener.“ Der Feldherr verstand Ort und Zeit, mäßigte die Hitze einiger jungen Officiere und sprach lächelnd: „So führt mich fort, wenn Ihr dazu im Stande seyd.“ „Nein, er- wiederte der Amerikaner, ich habe meine Pflicht gethan und Eure Excellenz kann ihren Weg fortsetzen, wenn sie sich der Gerechtigkeit widersetzen will; in diesem Falle bitte ich nur um ungehinderte Rückkehr. Soldaten von der Bri- gade von Soissonnais haben mehrere Bäume für ihre Wacht- feuer verbrannt; der Eigenthümer verlangt Entschädigung, hat sich den Verhaftbefehl gegen Euch erwirkt und ich habe ihn vollzogen.“ Rochambeau stellte unbedenklich den Intendanten seines Heeres als Bürgen und bezahlte auf schiedsrichterlichem Wege 2000 Livres Entschädigung. Unter den Gefeierten aus dem neuen Welttheile ging Lafayette allen Andern weit voran. Mochte auch Mancher, der in sein Cabinet trat, den Kopf bedenklich schütteln, wenn er hier in einem kostbaren Rahmen die Erklärung der Rechte von Nordamerika erblickte und daneben eine leere Columne mit der Überschrift: Erklärung der Rechte des fran- zösischen Volks , der neue Freistaat des Oceans war ein- mal fertig mit Allem was sich unvermeidlich daran knüpfte, und im Wappen der Lafayettes stand sehr leserlich die De- 1784. vise: Cur non ? Noch einmal schiffte Lafayette nach Ame- rika, nahm von Washington in dessen stillem Landsitze von Mount-Vernon den letzten Abschied. Als er darauf nach Berlin kam, sah man den alten Friedrich, wie er auf der 1785. großen Heerschau zu Potsdam mit dem Jünglinge die Reihen seiner Grenadiere mühsam durchging, ihn ihre Evolutionen bewundern ließ; eine kurze freundliche Begrü- ßung zwischen alter und neuer Zeit, auf nie Wiedersehen! Als nun Alles zu Ende war, machte man auch die Rechnung auf. Der Krieg hatte Frankreich mehr als eine Milliarde, hatte wohl 1250 Millionen Livres gekostet, mit anderen Worten, er hatte den Betrag der Staatsein- künfte von drei Jahren verschlungen. Französische Revolution. 6 4. Das erste Anklopfen der Revolution. In der nächsten Zeit nach Turgots Sturze thaten ge- wöhnliche Handlanger ihren Dienst in den Finanzen: seit aber der nahende Krieg außerordentliche Opfer heischte, warf Maurepas seine Augen auf Necker. Dieser war Aus- länder, zu Genf 1732 geboren, wo sein Vater die Pro- fessur des Staatsrechts bekleidete; er leitete sein Geschlecht aus dem Brandenburgischen. Der junge Mann widmete sich Anfangs den Wissenschaften, weil er aber ohne Ver- mögen war, schlug er auf den Wunsch seines Vaters eine andere Laufbahn ein, ging nach Paris zu seinem Oheim Vernet aufs Comtoir, und bald finden wir ihn als Com- pagnon des ersten Banquierhauses der Hauptstadt, des Hauses Thelusson. Die Leitung der Geschäfte kam in seine Hände, gelungene Speculationen in Getraide legten den Grund zu seinem Reichthum, öftere zu Terray’s Zeit den bedrängten Finanzen gewährte Nothhülfen machten ihn zugleich zum Manne der Krone und des Staates. Al- lein der Reiz der Geldgeschäfte genügte weder seinem Ehr- geize noch seiner Bildung, er that den Kaufmann ab, 1772. lebte fortan als Geschäftsträger von Genf und Millionär in Paris, und wie er schon früher sich schriftstellerisch im Fache der Staatswirthschaft versucht und durch seine Lob- rede auf Colbert selbst einen Preis der Akademie gewonnen hatte, so trat er nun dem Minister Turgot mit einer Schrift über die Korngesetzgebung entgegen. Turgot, immer groß 1775. gesinnt, ließ den Schriftsteller frei walten, der ihm seine Laufbahn erschweren wollte, indem er in dem praktischen Staatsmanne ein System bekämpfte, mochte von einem Verbote des Buches nichts wissen. Lag es doch jedermann vor Augen, daß die Maßregeln Turgots für die Befreiung des Getraidehandels im Innern keineswegs die Ausfuhr aus dem Reiche freigaben, und wer Galiani’s Dialogen über den Getraidehandel kannte, wußte auch daß in die- sen schon fünf Jahre früher mit überlegener Meisterschaft Alles das entwickelt war, was sich an Bedenken gegen die unbedingte Freiheit der Ausfuhr aufstellen läßt. Aber Neckers Ruf wuchs eben durch diese klug gewählte Gegner- schaft und wenig Monate nach dem Sturze Turgots erhielt er eine Anstellung in den Finanzen, zuerst als Director 1776. Oct. des Schatzes, dann als Generaldirector der Finanzen; 1777. Jun. denn daß ein Ausländer, ein Protestant und ein vorma- liger Banquier, nicht von Familie, Finanzminister hieße wollte sich nicht schicken. Gleichwohl sollte er der Minister seyn, und es war daher eine keineswegs unbedeutende Kleinigkeit daß ihm der mangelnde Titel eines Controleur- 6* general den unmittelbaren Vortrag bei dem Könige ab- schnitt. Als Necker sich im Besitze einer Macht befand, nach welcher er etwas zu lüstern die Hand ausgestreckt hatte, hielt er in der höheren Verwaltung im Ganzen Tur- gots Bahnen ein, und über Nordamerika befragt, rieth auch er vom Kriege ab. Nachdem gleichwohl Krieg be- schlossen war, nahm er zu Anleihen seine Zuflucht, wobei ihm die pariser Discontocasse, eine Einrichtung Turgots, auf Privatcredit gegründet, ungemeine Dienste leistete. Der Geschicklichkeit Neckers das Geldwesen auf seinen ver- schlungenen Wegen zu behandeln ließ jedermann Gerech- tigkeit widerfahren, seine Uneigennützigkeit stand außer Zweifel, sein Haus, durch eine Frau von Charakter und Bildung vertreten, war eines der wenigen in der Haupt- stadt, in welchem ein geistreicher Umgang sich niemals von der Sitte trennte. Von dem früheren Theoretiker Necker merkte man fortan nichts mehr. Das Geschäft des Finanzministers ist nicht wenig dem feldherrlichen ver- wandt. Beide verstehen sich auf die Regeln ihrer Kunst, allein ihre Schlachten und Siege werden nur durch den glücklichen Blick erfochten, welcher alle Conjuncturen im rechten Augenblicke zu vereinigen weiß. Freilich spielt die Macht, welche Einer ins Feld führt, immer ihre große Rolle, und Necker war dem alten Maurepas nur insofern will- kommen als er das Organisiren unterließ. Auch durfte der Protestant nichts gegen die Geistlichkeit wagen, der Aus- länder dem Adel seine Pensionen nicht beschneiden. So blieben dem eifrigen Finanzmanne allein die Hülfen seines Bodens übrig, als da sind sparen durch weniger Ausge- ben und wohlfeiler Einnehmen, Gewinn in Geld- und Handelsgeschäften machen, hier schuldig bleiben, dort vorwegnehmen, öffentlich und versteckt anleihen. Necker ließ es der Schatzkammer niemals an Mitteln fehlen, den Krieg mit Nachdruck zu führen, und das Parlament ge- währte den Hunderten von Millionen, die er anlieh, ohne Widerstand die Einzeichnung in sein Protocoll, zufrieden daß er keine neue Steuern einführte, wenn er auch die Er- höhung einiger in der Stille durchzuführen verstand. Die Staatsschuld war um ungefähr 300 Millionen gewachsen, deren regelmäßige Verzinsung nichts zu wünschen übrig ließ, als der Krieg erst recht begehrlich ward, neue Stützen des Credits nothwendig machte. Da erhielt Necker vom Könige die Erlaubniß seinen Finanzbericht, sein Compte rendu au Roi durch den Druck bekannt machen zu dürfen. 1781. Es war damit in der That für den kalten Prüfer nicht son- derlich viel geleistet. Necker schildert uns einen Zustand der Ruhe und weist nach daß Frankreich, Dank seiner treuen Sorge, Kraft genug besitze, um in solchem Zustande seine ordentlichen Verpflichtungen zu erfüllen und noch da- zu einen ansehnlichen Überschuß zu gewinnen. Nun war aber ein unabsehlicher Krieg entstanden, welcher durch außerordentliche Anstrengungen bestritten werden mußte. Wie weit diese gingen lag nicht vor; auch war allein der gesunde Zustand der Schatzkammer, daß bei ihr Einnahme und Ausgabe im günstigen Verhältnisse standen, nachge- wiesen, aber über ein Drittel der jährlichen Staatsein- nahmen gelangte nicht in diese, floß in andere öffentliche Cassen, über deren Verhältnisse nichts erhellte. Die ideale Darstellung Neckers stellte einen Überschuß von 10 Millio- nen in Aussicht, aber die unerbittliche Wirklichkeit hat das Jahr 1781 mit einem Unterschusse von über 218 Millionen belastet, zu dessen Deckung und für die Bedürfnisse des nächsten Kriegsjahres eine neue Anleihe von 426 Millionen nöthig war, wovon jedoch nur ein Theil in Neckers Ver- waltung fällt. Ungeachtet dieser schwachen Seiten — und wie Wenige rechnen denn am Ende nach! machte Neckers Darstellung einen fast unglaublichen Eindruck. Denn aus dieser Veröffentlichung sprach eine Huldigung, in überraschen- der Weise der öffentlichen Meinung dargebracht; wie ein Blitz schlug die Wahrheit durch daß die Staatsfinanzen eine Sache des Volks sind, desselben Volks, welches durch harte Steuern sie hervorbringt. Aber unmittelbar nach dem Blitze kehrte die alte Nacht zurück. Necker ward wie Turgot in dem Augenblicke gestürzt, da er am höchsten stand. Der alte boshafte Maurepas fragte jedermann: „Haben Sie das blaue Mährchen ( le conte bleu ) gelesen?“ auf den blauen Umschlag des Compte rendu hindeutend, und doch hatte er ihm selber im Ministerrathe seine Billigung geschenkt. Er blieb nicht dabei stehen, entschlossen den Mann zu verderben, welcher kürzlich der Königin zu zwei Triumphen über seinen Einfluß verholfen hatte; denn zwei Minister waren wider Willen des Alten eingeschwärzt, in die Marine de Castries, in das Kriegswesen Graf Segur. Da strömte plötzlich eine Zahl von Flugschriften gegen Necker aus, eifrig befördert und verbreitet von allen Denen, welchen das Ersparungssystem zuwider war, na- mentlich dem Grafen von Artois, und Necker verdarb seine Sache, indem er mit krankhafter Reizbarkeit Verfolgungen gegen die Verfasser anstellte. Nicht lange so ward der König stutzig, wandte sich an Vergennes und vernahm von diesem, daß es allerdings gewagt sey ein so zartes Geschäft wie die Verwaltung der Finanzen in die Hände eines Aus- länders niederzulegen, der Protestant sey und republika- nische Grundsätze mit der Muttermilch eingesogen habe. Als nun Necker gerade jetzt einen Beweis der königlichen Gunst seinen Feinden gegenüber begehrte, den Eintritt in das Cabinet mit Sitz und Stimme als wirklicher Finanz- minister erbat, traf ihn das Nein des Königs so bitter, daß selbst die Bitten der Königin nichts über ihn vermoch- ten; er reichte seine Entlassung ein, die ihm gern ertheilt Mai 20. ward, wenig Wochen nach Turgots Tode. Neckers Ent- fernung ward wie ein öffentliches Unglück betrauert und er selbst hat später die Hast bereut, mit welcher er seine Finanzarbeiten und die eben erst nach Turgots Plane in ein Paar Provinzen versuchsweise eingeführten Provin- zialversammlungen im Stiche ließ. Nur ein halbes Jahr noch Geduld, mit dem öffentlichen Zutraun sich getröstet, und Maurepas hatte seine Schuldigkeit gethan, war todt! †Nov.21. Vier Wochen vor seinem Ableben ward ein Brief geschrie- ben, der den Unwerth dieses Mannes dem Könige offen vor die Augen legt. Der Briefsteller war Graf d’Angiviller, Jugendgespiele des Königs, ein Mann, der nicht Minister Ludwigs seyn wollte, aber es sich nicht nehmen ließ ihn mit allen Kräften seines Wesens zu lieben und dann und wann die Gelegenheit ergriff ihm eine Strafpredigt zu halten. Wir haben ihn in späteren Tagen als Ausgewanderten in Holstein unter dem bescheidenen Namen Trueman gesehen, in ehrenvoller Armuth bis an seinen Tod verschmähend, die Rückkehr in sein Vaterland durch eine Anerkennung Napo- leons zu erkaufen. Seine Antwort war stets: ein altes Kleid könne man ablegen, aber nicht einen alten Eid. Er nun schrieb an den König bei Gelegenheit der Geburt und Taufe des ersten kurz vor dem Ausbruche der Revolution geb.Oct.22. 1781. wieder verstorbenen Dauphins einen Brief, welcher nach des Grafen Tode in Ludens Nemesis gedruckt ist, warnt den König vor seiner jähen Hitze, eben so sehr vor seiner gefährlichen Vertraulichkeit mit Leuten die kein Vertrauen verdienen, mahnt ihn Er selber zu seyn, von seinem Mis- trauen in sich selbst abzustehen. „Aber ich werde Thor- heiten begehen, werden Sie mir sagen. Ja, Sire, viel- leicht, aber diese Thorheiten werden die Ihren seyn und jetzt begehen Sie die von Fremden. Wenn Sie die Ihren begehen, so kann das bei dem guten Verstande, welchen Ihnen Gott verliehen hat, nicht lange dauern, und Sie lernen davon, aber die von Fremden sind und bleiben nutz- los.“ Über Maurepas urtheilt er so: „Sire, erinnere sich Ew. M. daß nachdem Sie ihn gewählt hatten, ich mir die Freiheit nahm zu Ihnen zu sprechen: das ist ein Mann von vielem Geiste, der fast mit Allem auf dem Rei- nen ist, höchst entschieden, in Geldsachen ehrlich und un- eigennützig, allein er, der mit 17 Jahren Minister ward unter einer verderbten und sittenlosen Regentschaft und her- nach sich durch Maitressen-Intriguen winden mußte, sieht in allen Geschäften reine Privatangelegenheiten. — — Ein Minister, besonders ein Premier-Minister sollte sei- nem Herrn die Wahrheit und die ganze Wahrheit sagen. Herr von Maurepas, ein alter Hofmann, unterrichtet, ent- schieden, gleicht in nichts seinem Herrn. Spaßhaft bis zum Possenreißen bringt er diesen Charakter in die Be- handlung aller Geschäfte. Ew. M. sind furchtsam, er dreist bis zum Cynimus, Ew. M. lieben die Ehrbarkeit, er reißt Zoten und ist einer der ersten gewesen, über diesen Cha- rakter Ew. M. mit den jungen Leuten Scherz zu treiben, die es nun eifrig dem alten Lehrer nachmachen, für den das Lachen ein Geschäft ist.“ Der Eindruck von Neckers Entlassung haftete unge- wöhnlich tief und dauernd; es wird versichert daß die Nachricht von einem der folgenreichsten Kriegsereignisse, der Capitulation des englischen Generals Cornwallis in York- Oct. 19. town bei der allgemeinen Niedergeschlagenheit der Gemü- ther in Frankreich fast keine Freude zu erwecken im Stande war. Und zur unglücklichsten Stunde mußte nun noch der neue Kriegsminister, sonst ein Mann von Einsicht, eine Ordonnanz ausgehen lassen, welche alle nordamerikanischen Sympathien verletzte. Mehr aus Nachgiebigkeit gegen die den König beherrschenden Einflüsse als aus eigener Überzeugung willigte nämlich Segur in eine Verfügung, welche den Bürgerstand fast gänzlich von Officierstellen ausschloß. Zwar ward schon unter der vorigen Regierung darauf gesehen daß die höheren Officierstellen vom Capi- tän an, gleich wie die höheren und einträglicheren geistlichen Ämter, dem Adel möglichst vorbehalten blieben; allein in der Ausübung stand die Sache damals leidlicher. Es ward eine einfache Bescheinigung des Adels durch vier Edelleute begehrt, und diese für Geld und gute Worte zu erlangen war für Einen, der sonst zur guten Gesellschaft gehörte, gerade nicht schwer. Jetzt aber schrieb man eine Mai 22. förmliche Adelsprobe vor, von welcher bloß die Söhne der Ludwigsritter ausgenommen waren. Hierin empfand der Bürgerstand eine schwere Beeinträchtigung seines Fort- kommens, und tiefer noch schnitt der unbürgerliche Grund- satz in die verletzten Gemüther ein. Blieb doch selbst der Tod eines Maurepas nicht unbeklagt; denn bei der schon allbekannten Schwäche des Königs drang sich die Be- sorgniß auf, die Königin, eben so lüstern nach Ein- fluß als unfähig für den Ernst der Geschäfte, werde jetzt anfangen den Premierminister zu spielen. Der König vermißte seinen Maurepas, der so manches Jahr über seinem Kopfe im niedrigen Mittelgeschosse des Versailler Schlosses hörbar regiert hatte, zollte ihm seine gutherzigen Thränen und beließ in der Verwaltung der Finanzen den Staatsrath Joly de Fleury, welchen der Verstorbene Neckern zum Nachfolger gegeben hatte. Dieser wenig achtbare Mann erhöhte die Auflagen rücksichtslos und mehrte die Staatsschuld durch kostspielige Anleihen, um die Lasten des Krieges zu tragen. Die Provinzialver- sammlungen stellte er gleich ab, denn er theilte gänzlich den Grundsatz von Vergennes, daß es im Gemeinwesen dann am besten stehe, wenn alle Gewalt in einer einzigen Hand concentrirt sey. Ludwig fing an sich mehr zu ver- trauen; das Regierungsgeschäft war, von Verbesserern befreit, in den Bereich gewöhnlicher Begriffe herabgesun- ken. Gleichwohl ward man daran erinnert daß Necker klug gethan hatte, indem er an die Steuern nicht rührte. Denn wenngleich das pariser Parlament in dankbarer Freude über Neckers Fall, der über die Parlamente wie Turgot dachte, die neuen Steuern so stillschweigend wie die neuen Anleihen protocollirte: das Parlament von Be- sançon erhob verschiedene Einwendungen und verstieg sich in wachsender Erbitterung bis zu dem verhaßten Antrage auf Berufung von Reichsständen. Noch schroffer stellten sich die Verhältnisse in der Bretagne, wo man noch seine alten Stände besaß. Diese empfanden es übel daß ihnen die Regierung das Recht streitig machte, Männer ihrer Wahl als Deputirte an das Hoflager zu schicken, die Er- nennung derselben dem Gouverneur der Provinz zuwenden 1782. wollte. Als sie am Ende Zutritt erlangt, vernahmen sie mit Entrüstung daß ihre Freiheiten als widerrufbare Pri- vilegien, von den Vorfahren des Königs gnädigst bewil- ligt, behandelt würden. Dieser Ansicht aber widersprachen die Stände in einer Gegenvorstellung voll altbretagnischen Stolzes. „Unsere Vorrechte und Freiheiten“ so schreiben sie „sind wesentliche Bedingungen des Vertrages, durch welchen Sie die Betragne erworben haben. Wir können Ihnen, Sire, die traurigen Folgen von Ausdrücken nicht verhehlen, welche den alten Grundsätzen unseres National- rechtes von Grundaus widerstreiten. Sie sind höchst be- unruhigend für Unterthanen, welche ihrem Souverain eben so ergeben als auf ihre Verfassungsrechte eifersüchtig sind, für Unterthanen, nicht an knechtischen Gehorsam, sondern an eine durch verständige Gesetze geleitete Unterwürfigkeit gewöhnt, welche Eure Majestät zu achten geschworen ha- ben. Diese Gesinnung ist in unserm Herzen eins mit der Liebe zum Vaterlande. Ja, Sire, diesen heiligen Namen kennen die Bretagner: sie haben ein Vaterland: sie haben Pflichten zu erfüllen: sie haben Rechte, die sie um des Interesses Ihres Staates willen nicht vergessen dürfen. Als Vater Ihrer Völker werden Sie allein die Herrschaft der Gesetze ausüben; die Gesetze herrschen durch Sie und Sie herrschen durch die Gesetze. Die Bedingungen, welche Ihnen unsern Gehorsam sichern, machen einen Theil der positiven Gesetze Ihres Königreiches aus.“ Der Wider- stand ging so weit, daß Soldaten in den Sitz des Land- tages, die Stadt Rennes einrückten. Nun erfolgte eine Unterwerfung, welcher die Minderzahl des Adels wider- sprach. Ludwig war Despot geworden ohne es zu wollen. Unterdessen gewann Vergennes täglich mehr Gebiet bei dem Könige und schien geneigt an die Stelle von Mau- repas zu treten. Da er aber Widerstand bei den andern Ministern fand, stand er ab und Joly de Fleury, der sich an ihn gehangen, mußte fallen. Der Friede war inzwi- 1783. März. schen wieder hergestellt; um so weniger fühlte sich der Kö- nig geneigt seine Antipathie gegen Necker zu überwinden, er hatte einen vollkommen ehrlichen Mann an dem Staats- rathe D’Ormesson gefunden, der freilich bescheiden einge- stand daß er von den Finanzen wenig verstehe; diesen zwang er beinahe die Finanzen zu übernehmen. Allein die Dinge gingen schief; der redliche Mann hatte das Schick- sal seines Königes, er ward aus Unbeholfenheit manchmal despotisch, was die Finanzen am wenigsten dulden, und als er an die Generalpächter rührte, war sein Fall ent- schieden. Nach nur sieben Monaten war Frankreich aber- Oct. mals ohne Finanzminister. Die Welt der Schurken schrie Triumph als es der ungeschickten Ehrlichkeit so übel ge- lungen war, und aus einer nicht kleinen Zahl von Bewer- bern, die jetzt mit kecker Stirn in die lange Reihe derjeni- gen traten, von deren Rechtlichkeit nichts zu fürchten war, griff Ludwigs unglückliche Hand gerade den Schlimmsten heraus. Der Herr von Calonne war als Intendant der Generalität Lille so übel berufen, solch ein Schuldenmacher im eigenen Hauswesen, daß ihn der König auf die erste Empfehlung barsch verwarf. Allein die heitere Zuversicht, mit welcher der funfzigjährige Mann sich geltend machte, sichere Abhülfe versprach, auf tausend von den Finanz- pedanten übersehene Hülfsmittel in ruhiger Haltung hin- wies, gewann ihm jene höchsten Kreise bald, welchen sor- genvolle Stirnen ein Gräuel sind. Jener d’Ormesson hatte beiden Brüdern des Königs die Bezahlung ihrer Schulden rund abgeschlagen, Calonne ließ ganz andere Glöcklein klingen und Artois war entzückt von ihm. Da nun die Königin beifällig nickte, Vergennes nicht widersprach, Nov. 3. so ließ der König sich einen Mann gefallen, der ihm gute Tage in Aussicht stellte. Ungeschickt und bescheiden wie er war legte Ludwig der zuversichtlichen Gewandtheit einen schöpferischen Werth bei. Wirklich warf die neu auf- gehende Finanzsonne gleich ihre ersten Strahlen auf alle Wipfel des Landes; die Brüder des Königs blickten be- friedigt, die Königin erhielt St. Cloud zum Geschenk, die Steuerpächter wurden aller Sorge quit daß ihr gesegneter Betrieb, der nach mäßiger Schätzung jedem Theilnehmer jährlich reine 75,000 Livres einbrachte, plötzlich aufhören werde, verarmte Große wurden ihre Güter für übertriebene Preise an die Krone los, Steuern wurden ihnen erlassen, manchmal sogar zurückgezahlt. Calonne hatte Zeit für je- dermann, und Meister in aller Leichtigkeit der Formen, kostete er dem Könige wenig Zeit, wußte augenblicklich Rath in Verlegenheiten. Schüttelte Ludwig auch zu Zeiten den Kopf über die maßlose Prachtliebe eines Ministers, dessen Schulden er so eben erst bezahlt hatte: er verzieh so einleuchtenden Verdiensten diese Eigenheit und machte sie durch strenge Sparsamkeit von seiner Seite gewisser- maßen wieder gut. Calonne schloß große Anleihen mit Leichtigkeit; man legte sein Geld gern bei ihm an, weil er ungewöhnliche Vortheile bot. Ein Großer des Hofes rief mit Entzücken aus: „Ich wußte wohl daß Calonne den Staat retten würde, aber ich hätte nie im Leben geglaubt daß es so schnell geschähe.“ Während nun Calonne in der Hauptstadt rettete, in- dem er eine Anleihe der andern unter verführerischen Be- dingungen folgen ließ, schrieb man aus den Provinzen daß niemals noch die Eintreibung der Steuern mit so er- drückender Strenge geübt sey. Überall aber gestand man sich, aus Frankreich sey nun doch nicht Amerika geworden, der kurze Rausch war verflogen und machte in den mittleren und unteren Lagen der Gesellschaft einer giftigen Erbitterung Platz. Gegen den König? Dieser bot nur immer eine und dieselbe Seite des übel berathenen guten schwachen Willens dar. Mit Marien Antonien war es anders bewandt. Sie hatte ihren ehrenfesten, manchmal mürrisch aufbrausenden Eheherrn allmählig in einen Liebhaber verwandelt, der ihren anmuthigen Bitten nichts verweigern konnte. Die treue Gattin hat ihm vor Kurzem sein drittes Kind, den zweiten Sohn geboren, allein die Mutterfreuden füllen 1785. ihren beweglichen Sinn nicht aus. Der lafayettischen Amerikaner war sie ohnehin überdrüssig. Wenn sie dann, von dem Anblick des neuerfundenen Luftballons oder einer Vorstellung der Hochzeit des Figaro begeistert, in die Staatsgeschäfte hineinflatterte, ein Staatsamt für einen Beschützten wie eine leichte Gunst erbat: es that nicht gut, aber gar selten daß sie ihren Busenfreunden den Polignacs nicht am Ende freudestrahlend die Nachricht bringen konnte, es sey ihr doch geglückt. Dafür rächte sich das Publicum mit eisiger Kälte, sobald sie sich allein ohne den König blicken ließ; einmal verstimmt, hieß man sie eine Ver- schwenderin, und insofern mit Recht, als sie ein Beispiel zu geben hatte; man nannte sie auch die Österreicherin und that ihr Unrecht, weil sie, ohne ihrer Heimat zu ver- gessen, wirklich Französin geworden war. Mit einem Wort, man wünschte ihr etwas anhaben zu können, und die Gelegenheit ließ nicht auf sich warten. Mariä Himmelfahrt, der 15. August 1785, bot den Versaillern einen merkwürdigen Anblick dar. Man war- tete auf den feierlichen Kirchgang der höchsten Herrschaf- ten, statt dessen fuhr über den Schloßhof ein vornehmer Gefangener unter Bedeckung. Es war der Cardinal Louis de Rohan, Bischof von Straßburg, Großalmosenier von Frankreich; Gerüchte flogen von einem entwendeten kost- baren Halsbande, von der Beleidigung einer erhabenen Frau. Bald vernimmt man, die Sache komme vor das Parlament, denn es sey dem Cardinal abgeschlagen von seinen Standesgenossen gerichtet zu werden. Der Cardinal stand in großer Misachtung. Ein hoher Fürst der Kirche, funfzigjährig, lebte er seinen Lüsten und einer maßlosen Verschwendung, die ihn des Steines der Weisen, wel- chen er im Verkehr mit Cagliostro suchte, sehr bedürftig machte. An diesen glaubte er, sonst an nichts und machte kein Hehl daraus. Zu seinen Liebschaften gehörte die Gräfin Lamotte, welche einige Aufmerksamkeit dadurch er- regte daß sie aus Familienpapieren nachwies, sie stamme aus dem königlichen Hause der Valois durch einen Bastard Heinrichs II. Sie und ihr Gemahl der Graf waren ver- schmitzte Abenteurer, die den Cardinal umgarnten, seine Leidenschaften für ihre Bettelhaftigkeit ausbeuteten. Rohan hatte früher die Gesandtenbahn gemacht, und abgefeimter ist nichts als die gewöhnliche Jüngerschaft der Diplomatie. Man sieht Menschen an ihr zu Grunde gehen, mit welchen die Natur es gut gemeint hatte; bei dem gewöhnlichen Schlage bleibt vollends nur ein stehender Sumpf zurück. Die verbrauchten Werkzeuge eines fremden Willens wollen dann am Schlusse auch die Genugthuung eines eigenen Willens haben, als Staatsminister im Besitze eines Bruch- theils des Königthums sterben, der Ambos möchte Ham- mer seyn. Hat es Fortgang damit, so kommen nun alle die krummen häßlichen Mittel, welche, Staat gegen Staat gebraucht, für erlaubt gelten, auf das eigene Volk in An- wendung, welches ein Recht hat offen und verständlich re- giert zu werden. Nach diesem Elysium sehnte sich Rohan. Er hatte schöne Beweise seiner Brauchbarkeit gegeben, ver- Französische Revolution. 7 stand fremde Briefe zu öffnen und Nachschlüssel zu gebrau- chen, hatte davon während seiner Gesandtschaft zu Wien seinem Hofe die Proben vorgelegt. Gleichwohl datirte sich gerade von dort her seine Ungunst bei Hofe. Er hatte ärger- liche Dinge über Marien Theresien berichtet, wie sie über die Theilung von Polen Thränen vergieße, und doch ihren Antheil so munter in die Tasche stecke. Das vergab ihm die Tochter nie. Auch der König verbarg seinen Unwillen nicht gegen einen Prälaten ohne Religion und Sitten, von welchem man wußte daß er die zur Linderung des mensch- lichen Elends ihm als Almosenier zufließenden Gelder zum guten Theile selbst verzehre. Nun machte Rohan den Ver- such den Verliebten bei der Königin zu spielen, und fuhr gänzlich ab damit. Der Mann aber wollte schlechterdings Minister seyn; als er nicht aufhörte mit seinen Vertrauten über die fatale Ungnade der Königin zu reden, erwuchs den Lamottes der Plan daraus ihn auf diesem Wege zu plündern. Eines Tages überraschte die Gräfin den Car- dinal mit der Erzählung, ein Großes sey ihr gelungen, sie habe seit einiger Zeit Zutritt bei der Königin, es sey ihr geglückt, das Mistrauen der Monarchin zu besiegen, er habe entschiedene Hoffnungen. Von nun an eine ganze Kette von Täuschungen, die ärgste diese: dem Cardinal wird eine Unterredung mit der Königin im Lustwäldchen von Versailles zugesagt. Ein öffentliches Mädchen, Oliva, welches viele Ähnlichkeit mit Marien Antonien hatte, über- nimmt die Rolle derselben, flüstert die Worte: „das Ge- schehene ist vergessen,“ läßt eine Rose fallen. Der ent- zückte Cardinal hat nur eben Zeit den Fuß seiner Gebieterin zu küssen als ein Geräusch entsteht, und die Dame, in welcher er seine Königin verehrt, flüchtet eilig. Allein der Zweck? Nicht lange, so werden dem Cardinal wegen vor- übergehender Geldverlegenheiten der Königin bedeutende Summen abgeborgt, und bald darauf gilt es ein Diaman- tenhalsband, von den Juwelieren Böhmer und Bassange verfertigt, welches die Königin durch ihren neuen Günst- ling heimlich an sich bringen möchte. Mit diesem Pracht- schmucke ohne Gleichen verhielt es sich so: er war Anfangs für die berüchtigte Gräfin Dubarry verfertigt, aber Ludwig XV. starb darüber. Nun stand er für die Königin um 1,600,000 Livres zu Kauf; die Versuchung war groß, der König kei- neswegs abgeneigt, allein man überwand sich, „ein Paar Linienschiffe gegen die Engländer fruchten mehr,“ hieß es. Der Ankauf unterblieb sonach. Fast unbegreiflich aber ist es, wie jetzt der Cardinal an einen heimlichen Ankauf glauben konnte, gleich als werde es der Königin genügen wie dem Grethchen im Faust in der Stille ihres Kämmerleins am Spiegelglas damit vorüberzugehen. Allein ein Billet mit nachgemachter Unterschrift der Königin, ein zur Empfang- nahme des Schmuckes untergeschobener Kammerdiener in der Livrey der Königin überzeugten ihn; nur daß er die Juweliere in das Geheimniß zog, um sich vor Zahlungs- verlegenheiten sicher zu stellen. Auch hätten diese dem cre- ditlosen Prälaten nimmer solch ein Kleinod anvertraut. 7* Jetzt aber trugen sie kein Bedenken. Während nun der Gemahl der Betrügerin nach England ging, um dort das Halsband stückweise zu Gelde zu machen, richtete der Car- dinal sich zum künftigen Minister ein, welchen ihm sein Freund Cagliostro längst geweissagt hatte, und nur Eins nahm ihn Wunder, die Königin noch immer so zurückwei- send und ohne Halsband zu erblicken. Da rückte der erste Zahlungstermin heran; der weibliche Calonne — denn es giebt Naturen, für welche der Spruch: Bedenke das Ende! nicht geschrieben steht, dachte noch immer nicht ernstlich daran sich rasch aus dem Staube zu machen. Zu- erst versucht sie einem schwerreichen Manne, der auch gern am Hofe etwas gegolten hätte, Gelegenheit zu geben, sich die Königin unendlich zu verpflichten; der aber denkt zu- letzt doch: Ehren sind gut, Geld ist besser, tritt zurück. Hierauf opfert sie einen Theil ihres Erlöses, 30000 Livres auf, bringt diese dem Cardinal, wieder mit einem vorgeb- lichen Billet der Königin, als Abschlagszahlung; Ende August soll der Rest erfolgen. Allein die Juweliere, selbst bedrängt, wollen nicht warten, drohen mit einer Wechsel- klage, wagen am Ende einen Brief an die Königin, wünschen ihr Glück zu dem Besitze des schönsten Halsbandes in der Welt, bitten demüthig, man möge sie nicht vergessen. Die Antwort lautet, die Königin wisse von nichts, ein fre- cher Betrug müsse gespielt seyn. Das melden sie dem Car- dinal. Dieser fühlt sich zerschmettert, einen verlorenen Mann. Dennoch erscheint er Mariä Himmelfahrt in Versailles, wohin sein Amt als Großalmosenier ihn ruft. Wer hat ihn betrogen? die Lamotte? oder die Königin? die Monarchin, die er gesprochen, deren Briefe er in Hän- den hatte? Wie aber wenn die Königin in der Bedrängniß allen Verkehr mit ihm abläugnet, was die Gräfin ihn jetzt fürchten läßt? Nun er besaß ja doch ihre eigenen Briefe! Die Königin, schon gewohnt ihren Gemahl zu lenken, ging nicht zuerst zu diesem, ihm die erlittene Schmach zu klagen, sie sprach mit ihrer Kammerfrau der Campan, be- rief zwei Männer zu sich, die in ihrem engeren Vertrauen standen, den Baron von Breteuil und den Abbé Vermont, beides Hofleute vom gewöhnlichen Schlage und Feinde Rohans. Breteuil vergab es dem Cardinal nicht daß er ihm ehemals seine Bahn gestört, in der Wiener Gesandt- schaft ihn ausgestochen, ihn genöthigt vor der Hand bei kleineren Höfen zu bleiben. Das hatte zwar in der Folge sich wieder völlig ausgeglichen, Breteuil ward nach Rohan Gesandter in Wien und hatte gegenwärtig als Minister des königlichen Hauses (in besseren Tagen das Ministerium von Malesherbes) ihn nun vollends überholt; allein der verhaßte Mann durfte nicht wieder aufkommen; und Abbé Vermont, der aus einem demüthigen Lehrer in der fran- zösischen Sprache bei Marien Antonien, welchen sich die Kaiserin aus Paris verschrieb, neuerdings ein Mann von Geltung geworden war, hatte zu oft in früheren Tagen den wegwerfenden Übermuth des Cardinals erfahren, um nicht derselben Meinung zu seyn. Vergeblich daß Vergennes und Miromenil widerriethen ein Feuer anzufachen, von welchem nicht zu berechnen war, wessen Dach es ergreifen werde. Wenn man Alles ruhig erwog, so lag in dem Ge- schehenen von Seiten des Cardinals viele Abgeschmacktheit, große Unverschämtheit, aber kein Verbrechen; man hatte ihn fortan in Händen, man konnte ihn seinen Gläubigern oder, je nachdem er es trieb, dem unbarmherzigen Geläch- ter der Pariser preisgeben. Unter diesem milden Ludwig XVI. sind doch immer Tausende von Verhaftsbriefen aus- gegeben; warum nicht einen davon auf die Beseitigung der Lamotte verwenden? Allein der Cardinal sollte nun einmal mit dem äußersten Aussehn beschimpft, durch eine Verurtheilung gründlich vernichtet werden. Als nun die Verbündeten die Sache endlich an den König brachten, war dessen erster Gedanke, das sey ein Gaunerstreich des Cardinals, durch welchen dieser seinen zerrütteten Angelegenheiten aufhelfen wolle, und er sagte seiner Gemahlin jede Genugthuung zu. Breteuil, auf die Vernehmung der Juweliere gestützt, reichte ein Gutachten ein, umsonst wiesen Vergennes und Miromenil noch einmal auf den guten Leumund der Königin und, wenn man allen Umschweif zusammenfaßt, auf den Satz hin, welchen der Nachfolger Ludwigs Napoleon in die Worte bringt: „Die Völker rächen sich gern an uns wegen der Huldigungen, welche sie uns darbringen.“ Man sagt der Hochzeit des Figaro von Beaumarchais nach daß sie die Laster und Thorheiten der vornehmen Welt mit berechneter Schaden- freude bloßstelle; hier ward eine Umarbeitung derselben von höchster Hand beschlossen, und gleich morgen am hohen Festtage soll die Aufführung vor den Augen des ganzen Hofes seyn. Kurz vor der Messe wird der Cardinal in das Cabinet des Königs berufen; er findet hier den Kö- nig, die Königin und mehrere Minister. Ein leidenschaft- licher Auftritt erfolgt, mag nun der Cardinal die Vor- würfe der erbitterten Königin mit Gegenbeschuldigungen erwidert oder, wie Andere erzählen, in tiefer Zerknirschung seine Verirrung eingestanden haben. Aber als er aus dem Cabinet tritt, wird er vor Aller Augen verhaftet; nur daß die Ehrfurcht des Officiers dem Kirchenfürsten vor der Ab- fahrt in die Bastille noch eine kurze Frist vergönnt, welche er be- nutzt um seinen Generalvicar zu der Vernichtung seiner gehei- men Papiere durch ein Billet anzuweisen. Auch die Gräfin wird verhaftet, ihr Gemahl entkommt. Die Anklage ward im Namen des Königs wegen Beleidigung seiner Gemahlin vor dem Parlament erhoben. Die Untersuchung zog sich in die Länge und verwickelte sich sehr als die Lamotte ihren Gönner gänzlich im Stiche ließ und ohne Einmischung der Königin so aussagte, daß der Cardinal als ein gemeiner Betrüger in der Art erschien, wie ihn der König sich ge- dacht hatte. Allein in Folge mehrerer Verhaftungen und Ermittelungen mußte sie diesen Standpunct verlassen, und am 31. Mai 1786 erfolgte der Spruch des Parlaments, in welchem dreißig Stimmen gegen zwanzig den Cardinal völlig freisprachen, die Gräfin aber zu Brandmark, Staub- besen und lebenslänglicher Einsperrung verurtheilten. Man wußte, welche Mühe sich der Hof gegeben hatte, um die Verurtheilung Rohans zu erlangen; mit um so größe- rem Jubel gab eine unermeßliche Volksmenge dem Losge- sprochenen das Geleite zuerst zurück in die Bastille und dann zu seinem Palast. Als darauf die Entlassung Rohans von seiner Würde als Großalmosenier und seine Confinirung in eine Abtei erfolgte, erblickte man hierin eine unwürdige Rache der Königin, und als nun gar die Lamotte nach kurzer Gefangenschaft entkam, von England aus mit einer Denkschrift drohte, war der Hof schwach genug ihr diese für eine große Summe abzukaufen. Nichts desto weniger erschien das Pasquill und die Ehre der Königin unterlag fortan den unwürdigsten und unverdientesten Beschuldigungen. Der in den stolzen Rohans tief gekränkte hohe Adel mischte der unfläthigen Schmähung der Menge den ätzenden Scharf- sinn der Verläumdung bei, und auch die Schwäche des Königs ging nicht leer aus. Kurze Zeit darauf kündigte Calonne seinem Gebieter an, man müsse Bankerutt machen oder eine Versammlung der Notabeln berufen. Bis jetzt, wenn man Alles sich recht erwägt, tragen an dem was in Frankreich geschah, die vielverklagten hoh- len Speculationen, welche die wirklichen Verhältnisse über- springen wollen, gar keine Schuld. Denn da wo der Staat allein im Könige enthalten ist, führt Unfähigkeit von Oben eine Staatsveränderung von selbst herbei, so- bald die Regierung in ihrer Verlegenheit genöthigt ist, ihr Volk zu Hülfe zu rufen. Wer hier Rath zu ertheilen fähig war, der kannte auch den Werth natürlich geglieder- ter Staatsordnungen. Man erblickte eine solche im alten Styl im nahen England, wo unter nicht glänzender be- gabten Königen als Ludwig Alles seinen stetigen sicheren Gang ging; zu einer anderen Staatsordnung gewagterer Art hatte man kürzlich selbst auf des Königs Befehl die Bausteine über den Ocean mühsam herbeigetragen. Auch König Ludwig und seine Minister zeigten keine Spur von philosophischer Ansteckung; denn die Hülfsmittel, welche sie in ihrer Noth ergriffen, waren alt, eher veraltet zu nen- nen, oft schon empfohlen. Es waren die Notabeln, es waren die Etats-généraux. 5. Es wird der Revolution aufgethan. Calonne gab von Anfang her seinen kostspieligen An- leihen die Färbung, eine gänzliche Tilgung der Staats- schuld sey im Werke, was freilich ungewöhnliche Anstren- gungen erfordere. Man wird in den nächsten fünfund- zwanzig Jahren zwölf bis dreizehn hundert Millionen til- gen, und so folgerecht weiter schreiten. Wer durfte da noch tadeln, wenn zu so erhabenen Zwecken in den näch- sten Paar Jahren vier bis fünfhundert Millionen geliehen wurden? Der Staat konnte dabei nur gewinnen, und augenscheinlich gewannen die Capitalisten, welche ihre Gelder ungemein vortheilhaft anlegten; auch muß man zugeben daß Calonne in seinen Börsenoperationen eine Fülle von jenen Finanzkünsten entwickelte, welche zur Ver- lockung der Habsucht und zur Berückung der Unerfahren- heit dienen. Jetzt freilich da der Schatz leer war, mit Anticipationen es nicht mehr vorwärts ging, niemand mehr leihen und das Parlament nicht mehr protocolliren wollte, kehrte der Mann mit einer Frechheit ohne Gleichen plötzlich die Sache um. Jetzt tragen auf einmal die zahl- losen Misbräuche alle Schuld, sie, die ein gut regiertes Frankreich unmöglich machen; jetzt wirft er alle Verbesse- rungen, die nur Turgot je im Sinne hatte und Necker mit unbedeutenden Abänderungen auffrischte, und mehr als das in eine Denkschrift zusammen: gleiche Besteurung von 1786. Aug. Grund und Boden, Provincialversammlungen, Veräuße- rung der Domänen (die er soeben noch hat vermehren hel- fen), Vertheilung von Gemeindeländereien, freie Ge- traideausfuhr, Aufhebung der Wegefrohnen und der Zoll- linien im Innern. Mit dem Allen und versteht sich zu- gleich mit einer Anzahl von neuen Auflagen soll das Defi- cit getilgt werden. Allein von wem erlangt er eine Ge- währleistung für seine Reformen? Schwerlich vom Parla- ment; denn dieses bereut längst seine Willfährigkeit gegen ihn, ist auch in seiner aristokratischen Zusammensetzung der Beseitigung von Privilegien nichts weniger als hold. Also soll man Reichsstände berufen? Allein das hieße das Andenken Ludwigs XIV. entweihen, welcher zuerst die Despotie zur Religion erhob. Unantastbar muß, darin sind das königliche Haus, der Hof und die Minister sich einig, der von jenem großen Monarchen aufgestellte Grund- satz bleiben „daß ein König überall seinen Entschluß sel- ber fassen müsse, weil selbst da wo die Einsicht ihn ver- läßt, er sich auf seinen Instinct verlassen darf, welchen Gott in alle Menschen und vorzüglich in die Könige gelegt hat.“ Dagegen ist es ein natürliches Recht des Königs sich mit Rathgebern eigener Wahl für bestimmte Zwecke auszurüsten. Schon Karl der Große berief Notabeln; Kö- nig Franz der Erste, der die Reichsstände niemals ver- sammelte, berief Notabeln, als er eines Gutachtens über den Madrider Frieden mit dem Kaiser bedurfte, ob er an diesen auch gebunden sey. Als die Reichsstände schon ganz in Abgang gekommen waren, hat man 1626 noch Notabeln berufen. Also Notabeln! Der König stand wieder da, wo er zu Turgots Zeit gestanden hatte, damals als er die Hände sinken ließ, aber unter wie viel nachtheiligeren Umständen jetzt! An- fangs ganz erstaunt daß sein Minister gegenwärtig die- selben Reformen predige, die sein Übermuth früher ver- höhnt hatte, ergab er sich doch darin, denn es wohnt der gutmüthigen Schwäche ein eigenes Vertrauen auf die Macht der geheimnißvollen Künste bei, welche ihrer Mei- nung nach den Lasterhaften zu Gebote stehen. Ohne dem bösen Geiste zu trauen, verschrieb er sich ihm, nachdem Vergennes, der mit in das Geheimniß gezogen war, sein Ja zu den Notabeln gesagt hatte, nicht ohne Bedenken zwar, allein es kam darauf an, den drohenden Wider- spruch der Parlamente durch eine große Autorität zu ent- waffnen. Man ward über 144 Personen einig, natürlich meistens Privilegirte, nur etwa ein halbes Dutzend Bür- gerliche darunter. Wer wird nun die Privilegirten ver- mögen sich gegen die Privilegien zu erklären? Calonne, stets reich an Auskunftsmitteln, hatte sich ein eigenes Kunststück erdacht, um durch die Minderzahl der Mitglie- der ihre Mehrzahl zu beherrschen. Hätte er der ungetheil- ten Versammlung die Entscheidung vertraut, so bedurfte es mindestens 73 ministerieller Stimmen, was seine Schwierigkeit haben konnte. Ganz anders wenn die Ver- sammlung, nachdem sie ihre Mittheilungen empfangen, sich nun in Sectionen zerfällte, in diesen arbeitete und abstimmte. Sieben Curien, die man Büreaus nennt, werden gebildet, in zweien derselben sitzen 22, in den übrigen 20 Mitglieder. Hat das Ministerium in vier Bü- reaus die Majorität für sich, die sich mit 44 bis 46 Stim- men gewinnen läßt, so ist der Widerstand von 98 oder 100 Stimmen gelähmt. So gerüstet trat Calonne in die Schranken. Am 29. December 1786 verkündigte der Kö- nig seinen Willen, auf den 29. Januar kommenden Jahres eine Versammlung der Notabeln zu berufen. Allein der Termin mußte viermal umgesetzt werden, weil Calonne mit seinen Vorlagen noch nicht fertig war. In der Zwi- schenzeit starb Vergennes und Graf Montmorin trat an seine Stelle. Als nun am 22. Februar die Eröffnung der Notabeln 1787. erfolgte, sprach der König einfache Worte von gewohntem unwichtigen Wohlwollen; um so künstlicher rechtfertigte der Minister den Geist seiner Verwaltung, redete von ei- nem alten Deficit in den Finanzen, seit Jahrhunderten obwaltend, welches sich nothwendiger Weise letzter Zeit habe vermehren müssen. Seine Höhe ließ er unausge- sprochen, als der Aufgabe der Notabeln fremd. Diese sollten einen Abgrund ausfüllen helfen, dessen Tiefe und Umfang sie nicht ausmessen durften. So eingeleitet traten die neuen Anforderungen, bis dahin als strenges Geheim- niß verwahrt, ans Licht. In jedem der Büreaus führte ein Prinz von Geblüt den Vorsitz, Erzbischöfe, Bischöfe, Herzoge, Marschälle, Staatsräthe, erste Präsidenten saßen darin. Diesen erschien eine solche Behandlung uner- träglich, und das von einem Manne, welchem man Ver- schleuderungen, die in viele Millionen gingen, nachwei- sen konnte. Je widerwärtiger der Mehrzahl die neue Grundsteuer war, auf der Grundlage gleichmäßiger Be- lastung, deren Billigkeit sich freilich nicht abläugnen ließ, um so hitziger vertiefte man sich in den Zorn gegen den Unverschämten, der solche Ansinnen stellen durfte. Er soll die Größe des Schadens zeigen, der geheilt seyn muß, und man will den Urheber wissen. Monsieur selbst giebt im ersten Büreau hiezu den Anstoß. Vergeblich erinnert Calonne, die vorgesteckte Linie dürfe nicht überschritten werden, es bleibt dabei. Calonne, in allen Büreaus be- droht, that Rückschritte, erklärte sich bereit mit einem Ausschusse offener herauszugehen, und sechs Mitglieder von jedem Büreau eröffneten bei Monsieur ihre Zusam- menkünfte. Als der Finanzminister hier ein Deficit von 112 ja 115 Millionen zugestand und sich mit der Behaup- tung deckte, schon unter Necker, der die Welt mit einem Überschusse getäuscht, habe es 48 und im Grunde 70 Millio- nen betragen, wollte man nun durchaus wissen, wer von Beiden der Betrüger sey, und ganz besonders hartnäckig erwiesen sich die Prälaten, deren Führer, der Erzbischof von Toulouse, Lomenie de Brienne mit ihnen regelmäßig abgesonderte Berathungen pflog. Sie rechneten ein Defi- cit von 140 Millionen heraus und nicht wenige unter ih- nen sprachen von Reichsständen, als allein berechtigt die neue Grundsteuer, welcher man um Alles hätte entrinnen mögen, zu bewilligen. In dieser Bedrängniß nahm Ca- lonne seine Zuflucht zur höchsten Gewalt, und Ludwig verkündigte den Büreaus, ihre Aufgabe sey nicht über den Grund der Steuer, sondern über ihre Form zu berathen. Hierüber ward in der Hauptstadt viel gescherzt. Ein Koch legt seinen Hühnern die Frage vor: Mit welcher Brühe wollt ihr gegessen werden? Sie darauf: Aber wir wollen gar nicht gegessen werden. Er: Ihr verwech- selt den Stand der Frage; man fragt euch, mit welcher Brühe ihr gegessen werden wollt. Zu gleicher Zeit machte im zweiten Büreau, in welchem Artois präsidirte, der Marquis Lafayette durch eine Menge von Anträgen zu schaffen, wollte das Lotto, die Verhaftsbriefe abgeschafft, die Domänen besser beaufsichtigt wissen, damit sie weder verschleudert, noch im unpassendsten Zeitpuncte durch An- käufe vermehrt würden. Die Bewilligung von Steuern knüpfte er in aller Form an Reichsstände; nur für die Frist bis zu ihrem Zusammentritte können sich nach seiner Meinung die Notabeln ermächtigt halten Steuern zu be- willigen. Die allgemeine Stille, welche auf diese Rede eintrat, unterbrach der Graf von Artois: „Wie, mein Herr, Sie verlangen die Berufung der Generalstaaten?“ — „Ja, gnädigster Herr, und wo möglich noch etwas Besseres.“ — „Sie wollen also, ich soll dem Könige ein- berichten daß Herr von Lafayette den Antrag macht die Generalstaaten zu berufen?“ — „Ja, gnädigster Herr.“ — Der Antrag fiel im Büreau, obgleich mehrfach un- terstützt; allein der Unwille gegen den Urheber aller dieser Nöthen ward in dem Grade persönlich, daß man Vor- schläge ablehnte, welche man aus jeder andern Hand be- reitwillig angenommen hätte, als z. B. die Aufhebung der inneren Zolllinien, welche schon die letzten Reichs- stände von 1614 als ein öffentliches Unglück beklagten, dessen Beseitigung Colbert betrieben hatte. Es war augen- scheinlich Plan in allen diesen Verwerfungen. Auch ließ Calonne, erbittert daß sein eigenes Messer ihn verwunde, die Notabeln durch Brochüren angreifen, welchen ohne Mühe der Beweis gelang daß viele dieser Ablehnungen dem Gemeinwohle widerstritten. Darüber beschwerte sich dann wieder die Versammlung bei dem Könige; dieser re- dete zur Güte bei den Einzelnen, weil er aber der Ver- sammlung im Ganzen grollte, hielt er seinen Minister noch fest, als schon die feinspürenden Hofleute anfingen sich von ihm loszulösen. Da Calonne den Miromenil auf einem Versuche ihn zu stürzen betraf, erlangte er vom Kö- nige daß dieser entfernt und der Parlamentspräsident Lamoignon an seiner Statt Siegelbewahrer ward. Ohne die Freundschaft der Königin hätte auch Breteuil seinen Platz verloren. Marie Antonie war Calonnen gram, seit er, ohne sie zu fragen, die Notabeln eingeleitet; jetzt da Alles so schief ging, gewann sie Macht über ihn als einen Herab- würdiger der Krone, sie unternahm einen Hauptsturm auf den König und Miromenil hatte die Freude den Urheber seines Falles rasch nachstürzen zu sehen. Calonne ward April 8. 9. entlassen und als sich bald hernach eine Verschleuderung von 12 Millionen auf Börsenoperationen ohne alle Auto- risation herausstellte, nach Lothringen verwiesen. Weil aber auf den Antrag des Parlaments eine peinliche An- klage ihm drohte, entwich er lieber nach England. Diese Entlassung geschah viel zu spät und doch zu frühe, denn es war noch kein neuer Finanzminister gefunden. Montmorin hatte mehrmals schon an Necker erinnert, jetzt wagte er auf ihn zurückzukommen, rechnete dabei auf La- moignon und Breteuil. Aber letzterer fiel im Augenblicke der Entscheidung ab. An Neckers etwas selbstgefällig dociren- der Persönlichkeit hatte der König von jeher zu überwin- den gehabt und sein vor drei Jahren erschienenes Werk über die Finanzverwaltung hatte ihn verstimmt. Es durf- ten diese peinlichen Wahrheiten in Frankreich nicht feil ge- boten oder mindestens nicht öffentlich besprochen werden und der König ließ Neckern damals bedeuten nicht mehr nach Paris zu kommen. Nun aber erschien gerade in den letzten Tagen wieder eine Schrift von ihm, welche seine Französische Revolution. 8 angefochtenen Rechnungen gegen Calonne vertheidigte. Sie traf diesen nicht mehr im Amte, gleichwohl ward sie höchsten Orts übel empfunden, der Überlästige, der so ganz und gar nicht begreifen wollte daß die Wahrheit in Frankreich zu den Regierungsrechten gehöre, mußte sich auf zwanzig Stunden von Paris entfernen. Da das so eben erst verfügt war, brauchte Breteuil bloß hinzuwerfen, wie viel man sich durch einen Widerruf vergeben würde, welcher geradehin das Geständniß der Unentbehrlichkeit dieses Plebejers enthalte. Nachdem er sich dadurch Bahn gebrochen, rückte er mit seinem Candidaten hervor, wel- chen ihm die Königin aus Herz gelegt hatte. Es war Brienne, der Erzbischof von Toulouse. „Der Mann glaubt nicht an Gott!“ rief der König aus. Dagegen ward eingewandt, der Prälat habe große Studien ge- macht, sey mit Turgot, dessen Autorität Alles galt seit er nicht mehr im Wege stand, verbunden gewesen, im Eifer gegen die Protestanten komme ihm niemand gleich und er habe bei den Notabeln stets die zarte Linie des Schicklichen eingehalten. Wirklich hatte der Erzbischof mehr den geheimen Schürer gemacht, um sich den Weg zur Größe nicht zu versperren. Und er erreichte sein Ziel, trat in den Mai als Chef des Finanzrathes, so daß der neue Controleur Laurent de Villedeuil unter ihm stand. Sein Erstes war den Notabeln jene lang ersehnten Finanz- rechnungen vorzulegen. Diese machten Übel ärger; man war nicht klüger über den Umfang des Deficit gewor- den und nicht geneigter zu neuen Steuern. Als am Ende der hohe Adel zu der Entscheidung kam, den Grundsatz der gleichen Vertheilung anzuerkennen und wirklich in den Büreaus dafür den Ausschlag gab, erhoben sich aus dem Provinzialadel ungestüme Stimmen dagegen: „Der hat gut schenken,“ sprach man, „welcher vorher weiß daß ihm seine Opfer mit reichlichen Zinsen ersetzt werden. Ihr ziehet Pensionen von je 60,000, wo nicht gar 160,000 Livres, und wenn Ihr gleichwohl das Unglück habt Schul- den zu machen, fließen Euch abermals Hunderttausende zu. Mit uns Leuten aus der Provinz steht es anders.“ Auch die vom Klerus mochten von dem Grundsatze der Gleichmäßigkeit nichts wissen, und wie vielfach auch Brienne an den Steuern veränderte, ermäßigte, in Sachen des Eigennutzes sehen auch Einfältige scharf, es blieben im- mer Steuern und es war der ärgerliche Weg Calonne’s. Ja hätte Brienne bloß durch Ersparungen und ohne damit jemand lästig zu fallen den Ausfall zu ergänzen vermocht, er wäre der rechte Mann gewesen. So aber war das Ende doch daß man die Steuern abschlug, als zu deren Bewil- ligung nicht befugt. Dabei von allen Seiten Überdruß der Sitzungen, bis auf den einen Lafayette, der nicht müde ward fruchtlose Anträge zu häufen, den Reformir- ten geholfen wissen wollte und sogar noch einmal die Reichsstände anregte, indem er eine Anleihe in Vorschlag brachte, welche bis zu deren Berufung den Staatsbedarf decken sollte. Am 25. Mai Entlassung der Notabeln. 8* So kam es nun doch darauf zurück daß man allein auf die eigene Kraft gestützt es mit dem Parlament aufneh- men mußte. Brienne machte vorsichtig mit solchen Maß- regeln den Anfang, für welche die Notabeln sich ausge- sprochen hatten, mit der Freiheit des Kornhandels im In- nern, der Ablösung der Frohnen, den Provinzialversamm- lungen, in welchen der dritte Stand eben so viele Mit- glieder haben soll als die beiden privilegirten zusammen und worin man nach Köpfen stimmen wird. Hierin war ein volksfreundliches Princip enthalten, wiewohl man der Thätigkeit dieser Versammlungen einen sehr beschränkten Kreis absteckte, sie auch keineswegs aus freier Wahl der Provinz, sondern so hervorgehen ließ, daß die Regierung die eine Hälfte der Mitglieder ernannte mit der Vollmacht, die andere Hälfte hinzuzuwählen. Als es mit den ersten Einzeichnungen beim Parlament geglückt war, folgte die Stempelsteuer nach, den Beschluß sollte die Grundsteuer machen, dem Betrage nach sehr mild gestellt, aber auf der Grundlage der Gleichmäßigkeit. Allein sobald es an die Steuern kam, forderte das Parlament statt zu proto- colliren Einsicht in die öffentlichen Einnahmen und Aus- gaben, wollte auch wissen, was aus den zugesagten Er- sparungen geworden sey. Als darauf ein Abschlag er- folgte, maßen dergleichen dem Parlament durchaus nicht zustehe, sprach der Parlamentsrath Sabathier de Cabre, gleich als pflichte er der Regierung bei: „Wir brauchen auch keine Finanzetats, es sind Etats-généraux, die wir brauchen,“ und das Parlament gab die Erklärung ab: die Nation, durch Reichsstände vertreten, habe allein das Recht eine dauernde Steuer zu bewilligen. Das hieß eine Juli. ganz neue Bahn betreten; es war ein entschiedener Sieg der jüngeren Parlamentsräthe über die älteren. Der hef- tigste Redner unter jenen war Duval d’Espréménil, kein Jüngling mehr, er stand in seinem fünften Jahrzehnt, aber von Natur Enthusiast. Wie ihm früher in Cagliostro und Mesmer das Heil der Welt erschien, so malte ihm jetzt seine Phantasie das Bild der Reichsstände, mit dem Parlament verknüpft, vor, jene als die mächtigere aber wechselnde Erscheinung, dieses als eine Darstellung der Reichsstände im verjüngten Maßstabe, aber bleibend. Die Sache ließ sich hören und konnte auch denjenigen jüngeren Räthen, die sonst mehr in nordamerikanischen Ideen leb- ten, wie Duport, zusagen. Auf die milden Warnungen des Königs antwortete das Parlament mit gesteigertem Selbstgefühl, sprach jetzt unbedingt die Nothwendigkeit von Reichsständen, insofern Steuern irgend einer Art be- gehrt würden, aus. So war denn alle auf die Notabeln gesetzte Hoffnung gescheitert, ein Lit de justice mußte Aug. 6. aushelfen, allein das Parlament protestirte schon vor dem- selben gegen seine Ergebnisse, in der Sitzung tönten aus dem Munde des ersten Präsidenten dem Könige die herben Worte entgegen, die Steuern wären unter seiner Regie- rung um 200 Millionen vermehrt und der Verfassungs- grundsatz der französischen Monarchie daß die Steuern von denen bewilligt würden, welche sie bezahlten, werde mis- achtet; und nach der Sitzung protestirte man abermals gegen die erzwungene Einzeichnung der Steueredicte. Die jungen Räthe, durch den Beifall der Pariser berauscht, überboten sich einander. Die Königin war in diesen Ta- gen in ihrem Park von St. Cloud nicht vor Beleidigun- gen sicher, man hielt sie zurück von Paris, damit sie den Zuruf: „Madame Deficit“ nicht höre. Als das Parla- ment die Steueredicte für nichtig und erschlichen erklärte, zum dritten Male Reichsstände fordernd, sah man den d’Espréménil von der vor dem Palaste harrenden Menge mit Jubel empfangen, in seinen Wagen getragen. Auf die Nachricht erhielt das Parlament Befehl seinen Palast in der Cité und die Hauptstadt sofort zu räumen, seine Amtsverrichtungen in Troyes fortzusetzen. Den Rückschlag darauf gaben der Rechnungshof und das Obersteuercolle- gium, indem beide nun ebenfalls gegen die auch ihnen abgezwungene Protocollirung protestirten, ebenfalls Reichs- stände begehrend, daneben die Rückberufung des Parla- ments an den gewohnten Ort seiner Thätigkeit. Aber die wogende Menge zog die Standhaftigkeit des Obersteuer- hofes in Zweifel, sie drang in den Justizpalast, wo die- ses hohe Collegium neben dem Parlamente residirte, er- brach die Thüren, ließ nicht eher ab, bis ihr das Pro- tocoll vorgezeigt war. Während so die Schwierigkeiten der Zeit zu drohenden Gefahren heranwuchsen, sah man die Königin regelmäßig in dem Ministerrathe in des Königs Zimmer und aus allen Kräften für Brienne’s Maßregeln thätig. Eines Ta- ges als sie dahin auf dem Wege war, hörte sie unbemerkt die Worte eines Musikers der Kapelle: „eine Königin, die ihre Pflicht kennt, bleibt in ihren Zimmern und strickt Filet;“ allein sie nannte bereits ihr unglückliches Geschick, was ihre Lust und ihr Stolz war, die Einmischung in Staatssachen. Durch den Einfluß der Königin stieg Brienne, der ein öffentliches Zeichen des allerhöchsten Vertrauens begehrte, gerade jetzt zum Premierminister. Dadurch beleidigt traten Segur und de Castries zurück, und Brienne beförderte seinen verdienstlosen Bruder zum Kriegsminister, das Seewesen erhielt Graf La Luzerne, der freilich gerade in Domingo sich befand, und das zu einer Zeit da ein Krieg nicht unwahrscheinlich war. Da- mals inzwischen ward Holland den preußischen Waffen preisgegeben, welche die Leiden des Erbstatthalters, des Schwagers Friedrich Wilhelms II. , zu rächen kamen. Aber Viele in Frankreich waren der Meinung, Necker an der Spitze der Finanzen und eine kräftige Kriegsdemon- stration durch versammelte 20,000 Mann, als deren An- führer man Lafayette nannte, würden das schwankende Ansehn der Krone im rechten Augenblicke wieder befestigt haben. Unterdessen traf das Parlament an seinem Verban- nungsorte vergebliche Anstalten zur Fortsetzung seiner Amtsgeschäfte, denn kein Advocat erschien. Um so häufiger trafen Deputationen der Untergerichte ein, welche ihm Glückwünsche zu seinem ehrenvollen Misgeschicke brachten. Um so eifriger auch wiederholte das Parlament seinen An- trag auf Reichsstände, dieses Mal mit dem Zusatze daß die Monarchie Gefahr laufe in eine Despotie überzugehen, wenn das Schicksal der Personen durch Verhaftsbriefe, das des Eigenthums durch Throngerichte entschieden und der Lauf der Gerechtigkeit durch Versetzungen gehemmt werde. Und nicht lange so schloß sich diesen Hauptschau- spielern der laute Chorus der übrigen Parlamente an. Überall ertönt das Verlangen nach Reichsständen. Jetzt aber lenkte Brienne in einen Ausweg ein. Ihm blieb nicht unbekannt daß die Mitglieder des Parlaments sich in Troyes sehr unbehaglich fühlten, hierauf baute er einen Vergleich. Die Regierung nahm die im Throngericht ein- gezeichneten Edicte zurück und erhielt dafür den zweiten Zwanzigsten in alter Form bewilligt. So verglichen sich Regierung und Parlament, beide auf Kosten ihrer Grund- sätze. Den Finanzen war für eine kurze Frist ausgeholfen, den Parlamentsräthen blühten die Freuden der Hauptstadt wieder, aber die Selbstachtung, an der Wurzel verletzt, wächst sobald nicht wieder nach. Um endlich für die Dauer Rath zu schaffen, erfand Brienne einen Hauptstreich, der ihm zugleich die öffent- liche Meinung wieder gewinnen und die Schatzkammer füllen soll. Der König wird die Zusage geben binnen fünf Jahren Reichsstände zu berufen; sie sollen sich mit den nothwendigen Verbesserungen beschäftigen. Um aber zu dem Ende Alles hinlänglich vorbereiten zu können, muß in der Zwischenzeit für die Staatsbedürfnisse gesorgt seyn. Das geschieht durch eine Anleihe von 420 Millionen, in fünf Jahren zahlbar. Man wird im ersten Jahre 120 Millionen brauchen zur Deckung des Deficit, in jedem nächsten stufenweise weniger, im fünften wird man mit deren 60 reichen und diese wegen des wiederbefestigten Credits zu sehr niedrigen Zinsen erwerben können. Als König und Königin sich wegen der Reichsstände Sorge machten, fehlte es an leichtfertigen Trostsprüchen nicht: „Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Sind inzwischen die nöthigen Verbesserungen im Innern gemacht, so hat man freie Hand die Reichsstände auch nicht zu berufen, inso- fern sie dann keinen Zweck mehr haben, oder auch sie zu berufen als ein Schauspiel ohne Wirklichkeit, sobald nur die Leidenschaften beruhigt sind.“ Auf den 19. November ließ der König eine königliche Sitzung ( séance royale ) im Parlament ansagen. Eine solche war in der äußeren Erscheinung dem Throngerichte verwandt. In beiden sah man den König unter dem Thronhimmel auf einem Kissen sitzend, zwei Seitenkissen stützen seine Ellenbogen, ein viertes seinen Rücken, ein fünftes unten die Füße; allein im Throngericht ging der Kanzler umher und sammelte die Stimmen der einzelnen Mitglieder ein, und zwar gegen das sonstige Herkommen zuerst bei den Pärs, den geborenen und den ernannten, dann erst bei den Präsidenten mit der Mörserhaube, den geistlichen Räthen und so weiter, die Befragten aber ga- ben ihre Meinung mit leiser Stimme in demüthiger Weise ab, worauf der König dann vom Kissen ( lit ) her seinen unumschränkten Willen verkündigte und die Einzeichnung befahl. In der königlichen Sitzung dagegen ertheilte der König die Erlaubniß laut abzustimmen und die Mehrzahl der Stimmen gab die Entscheidung. Nun hatte Brienne sich einer günstigen, wenn auch nicht glänzenden Mehr- heit zum Voraus versichert und Alles versprach einen gün- stigen Ausgang, wenn nicht der Siegelbewahrer Lamoig- non gewesen wäre. Zwar gaben einige Sätze in des Kö- nigs Rede Anstoß, welche den ungestümen Bittstellern um Reichsstände eine verdeckte Weisung ertheilten. „Es ist nicht nöthig gewesen mich um eine Versammlung der No- tabeln anzugehen; ich werde niemals fürchten mich mitten unter meinen Unterthanen zu befinden. Ein König von Frankreich fühlt sich nie wohler als umgeben von ihrer Liebe und Treue. Aber mir allein gebührt es über den Nutzen und die Nothwendigkeit solcher Versammlungen zu urtheilen und ich werde niemals dulden daß man zudring- lich von mir begehrt, was man von meiner Einsicht und Liebe für mein Volk erwarten muß, dessen Wohl und Wehe unauflöslich mit dem meinen verbunden ist.“ Aber Lamoignon hatte beschlossen ein Übriges zu thun. Ein Altgläubiger der Unumschränktheit hielt er in Einverständ- niß mit der Königin für nöthig, gerade an diesem Tage der wachsenden Freigeisterei gegenüber ein politisches Glau- bensbekenntniß aufzustellen. Nachdem er also in her- kömmlicher Entwickelung der kurzen Rede des Königs ei- nige Ersparnisse aufgezählt, aber zugleich bemerkt hat daß diese aus mehreren Gründen ihre volle Wirksamkeit erst im Verlaufe der nächsten fünf Jahre würden entfalten kön- nen, verkündigt er den Willen des Monarchen die erbe- tenen Generalstaaten nach fünf Jahren zu berufen, nur daß diese nie etwas mehr als Rathgeber der Krone, als ein erweiterter Staatsrath bedeuten könnten; denn so ver- lange es die ihm von Gott verliehene Hoheit, deren Rechte ungeschmälert zu erhalten er der Nation, seinen Nach- folgern und sich selber schuldig. „Dem Könige allein ge- hört die souveräne Gewalt in seinem Königreiche, er ist in Hinsicht auf ihre Ausübung Gott allein verantwortlich. Kraft dieser souveränen Gewalt gehört ihm die Gesetzge- bung, unabhängig und ungetheilt.“ Gaben nun auch die Würdenträger und Mitglieder der großen Kammer und überhaupt die älteren Räthe ihre laute Beistimmung zu der Einzeichnung, und sah man schon wohin die Mehr- heit sich neige, so ließen sich doch andere Mitglieder nicht abhalten nur einen Theil der Anleihe zu genehmigen und die Bitte um eine frühere Einberufung der Reichsstände dringend auszusprechen. Auch mußte der Premierminister ziemlich deutlich vernehmen daß man ihm den Plan wohl zutraue mit der königlichen Verheißung der Reichsstände ein leeres Gaukelspiel zu treiben, und seinen Untergebenen den damaligen Generalcontroleur Lambert trafen herb die Worte: „Seit acht Monaten sind Sie der vierte General- controleur, und Sie machen einen Plan, der fünf Jahre braucht, um in Erfüllung zu gehen?“ D’Espréménil sprach wohl zwei Stunden lang mit jener inneren Bewe- gung, die den Redner macht, bat in sonst bescheidenen Ausdrücken um die Berufung der Reichsstände auf 1789. Die Sitzung wollte nicht enden; jede halbe Stunde gin- gen Boten an die Königin nach Versailles, die wegen des Gelingens ihres Werkes doch in großen Sorgen stand. Die Abstimmung hatte sieben Stunden gedauert, der erste Präsident hatte die Stimmen gesammelt und erwartete nun den Befehl des Königs sie zu zählen, um demnächst die Anleihe als Ergebniß der Stimmenmehrheit zur Ein- zeichnung zu bringen. Zu allgemeiner Überraschung aber näherte der Siegelbewahrer sich dem Throne und empfing den Befehl des Königs, die Einzeichnung zu verkündigen. Da erwachte alle Reizbarkeit der Magistrate, deren Mehr- zahl ihren guten Willen so schlimm gelohnt sah, und ein Prinz vom Geblüt, der Herzog von Orleans erhub sich nach einiger Zögerung. Dieser Herr, der seit zwei Jah- ren in Rang und Reichthum seines verstorbenen Vaters eingetreten war, stand bis dahin bei den Parisern in übelm Ansehn. Man vergab ihm nicht daß er im Garten seines Palais-Royal die schönen schattigen Baumgänge hatte umhauen lassen und ihn mit Gallerien umzogen, für deren Benutzung zu Kaufgeschäften und manchem nicht ge- rade ehrenhaften Erwerb er ungeheure Summen erhob. Die entstellende Spur seiner Ausschweifungen und eine tiefe sittliche Abspannung las man auf seinem sonst wohl- gestalten Gesichte. Seit er der Königin durch unziemliche Bewerbungen misfiel, seit er die Stelle eines Großad- mirals nicht erhielt, weil sein Muth im letzten Seekriege zweifelhaft erschien, war er mit dem Hofe zerfallen. Er sprach nicht ohne Verwirrung: „Sire, ich erlaube mir die Frage, ob die heutige Sitzung ein lit de justice ist?“ Worauf der König: „Sie ist eine königliche Sitzung.“ — „So bitte ich um die Erlaubniß,“ fuhr der Herzog fort, „die Erklärung niederlegen zu dürfen daß ich diese Form der Einzeichnung als ungesetzlich betrachte; man muß, um das Parlament der Verantwortlichkeit zu über- heben, hinzufügen, sie sey auf ausdrücklichen Befehl des Königs geschehen.“ — „Die Einzeichnung ist gesetzlich,“ erwiderte der König, „weil ich die Meinung Aller ver- nommen habe.“ Als der König den Saal verlassen hatte, brach die Bewegung der Gemüther frei hervor. Man umgab den Herzog, sagte ihm Dank. Unter denen die zum Frieden riethen, erblickte man Malesherbes, der kürzlich durch seinen Verwandten den Siegelbewahrer wieder in das Conseil gekommen war. Ihm lag es ganz besonders am Herzen daß ein zweites, in derselben Sitzung verlesenes Edict, für welches auch Breteuil großen Eifer bezeigte, nicht über der allgemeinen Spaltung zu Grunde gehe. Dieses betraf die Reformirten, ihre endliche Wiederein- setzung in einen geringen Theil ihrer seit so lange verlore- nen bürgerlichen Rechte, nicht als ob sie wieder Zutritt zu bürgerlichen Ämtern erhalten sollten, nur daß ihre Ehen, Geburten und Todesfälle künftig der gesetzlichen Anerkennung und Bezeugung nicht entbehrten. Das Par- lament ließ sich nicht aufhalten; es sagte sich in der- selben Sitzung von jedem Antheile an der Einzeichnung des Anleiheedicts aus dem Grunde los, weil die Stim- men nicht gezählt wären. Tags darauf verwies der König den Herzog von Or- leans auf eines seiner Landgüter, ließ zwei Parlaments- räthe, Sabathier und Fréteau auf die hierischen Inseln bringen. Das Parlament ward nach Versailles beschieden und sein Protest dort aus dem Protocoll ausgemerzt; und daß man sich ja nicht unterstehe ihn wiederherzustellen! Doch versichert der König zugleich, sein Wort wegen der Reichsstände, spätestens auf das Jahr 1791, werde ihm heilig seyn. Damit niemand bezweifeln könne, auf welcher Seite die gute Sache sey, ward Brienne mit dem Erzbis- thum Sens, weit reicher als sein bisheriges, der nicht minder habsüchtige Lamoignon mit einem großen Geldge- schenke belohnt. Das Parlament beschränkte sich auf einen 1788. Jan. 4. Beschluß gegen die Verhaftsbriefe, ganz im Allgemeinen, als streitend mit dem Staats- und dem Naturrechte. Allein auch diese kleine Genugthuung ward ihm aus seinem Pro- tocoll gestrichen. Aber es kam wieder und machte nun auf jene drei Märtyrer für die gemeinschaftliche Sache die lebendige Anwendung. Auch die übrigen Parlamente stimmten ein. Und die Sprache dieser Vorstellungen tönte immer gehässiger; selbst auf die Königin, daß die Erbitte- rung gegen den Herzog von Orleans allein von ihr aus- gehe, ward hingedeutet. Das Edict wegen der Refor- mirten ließ man sich gefallen, obgleich es Widerspruch fand, besonders von Seiten d’Espréménil’s, der nur Jan. 19. eine seeligmachende Kirche kannte. Die Verlegenheit des Premierministers stieg, denn die Anleihen, mit dem Widerspruche des Parlaments be- haftet, hatten keinen Fortgang, und als man Miene machte die Zwanzigsten nach dem neuen Grundsatze der Gleich- mäßigkeit gewinnreicher zu erheben, sträubten sich die Provinzen; mehrere derselben wollten auch von den neuen Provinzialversammlungen durchaus nichts wissen. Allein die Noth ist die Mutter der Erfindungen. Brienne setzte sich mit seinem juristischen Freunde Lamoignon zusammen, beide heckten den Plan aus den Knoten zu durchhauen, in Maupeou’s Art einen Streich gegen die Parlamente zu führen. Es war um die Zeit, da an fernen Küsten der Weltumsegler Lapeyrouse und seine Gefährten zu Grunde gingen, an deren Unternehmung König Ludwig schöne Hoffnungen geknüpft hatte. Als die traurigen Vermuthun- gen sich allmählig zur Gewißheit steigerten, sprach der König: „Ich wußte es schon daß ich nicht glücklich bin.“ Eine Zeitlang herrschte von Oben her eine räthselhafte unheimliche Stille. Es konnte nicht Unthätigkeit seyn, da die Verlegenheiten der Schatzkammer wuchsen. Die Ahn- dung daß große Dinge im Werke wären ging durch ganz Frankreich, wie viel spannender durch die Hauptstadt! Hier wußte man daß in Versailles eine militärisch um- stellte Druckerpresse arbeite; keiner der Arbeiter durfte aus dem Gebäude. Militärische Vorsichtsanstalten waren in allen Provinzen genommen. Was eigentlich beabsichtigt werde blieb innerhalb des engen Kreises der Eingeweih- ten, dennoch sprach sich allerlei herum und für die Parla- mente ward in den entferntesten Enden von Frankreich ge- fürchtet. Es kam Alles darauf an, vor dem vielleicht tödt- lichen Schlage noch einmal die Stimme zu erheben. König Ludwig hatte vierzehn Jahre regiert, als am 3. Mai 1788 d’Espréménil seine Collegen aufforderte fol- gende Erklärung zu genehmigen: „Das Parlament ist durch offenkundige Thatsachen und den Zusammenhang sattsam bekannter Umstände davon unterrichtet daß ein Schlag die Nation treffen soll, dessen nächstes Ziel die Magistratur ist. In Erwägung nun daß die Unternehmungen der Mi- nister gegen die Magistratur augenscheinlich ihren Grund darin haben daß der Hof sich zwei unseligen Auflagen widersetzt, sich für incompetent in Steuersachen erklärt, die Berufung der Generalstaaten beantragt und die per- sönliche Freiheit der Bürger in Schutz genommen hat; Daß die gedachten Unternehmungen folglich keinen andern Zweck haben können, als mit Umgehung, wenn es möglich ist, der Reichsstände zu den alten Verschleu- derungen zurückzukehren und zu diesem Zwecke Mittel anzuwenden, welche das Parlament zum Widerstande auffordern müßten, da es seine Pflicht ist, mit uner- schütterlicher Standhaftigkeit alle Plane, welche die Rechte und Verpflichtungen der Nation gefährden, zu bekämpfen, gestützt auf dem Ansehn der Gesetze, dem Worte des Königs, dem öffentlichen Glauben und der Bestimmung der öffentlichen Abgaben; In Erwägung endlich daß das System des einzigen Willens, welches sich in den verschiedenen unserm Herrn und Könige abgewonnenen Antworten klärlich darstellt, den traurigen Plan der Minister die Grund- lagen der Monarchie zu vernichten aufdeckt, gegen wel- chen der Nation keine andere Hülfe bleibt als eine förm- liche Erklärung des Parlaments über die Grundsätze, zu deren Wahrung es verpflichtet ist und die Gesinnungen, zu welchen es sich immerdar bekennen wird: Erklärt das Parlament daß Frankreich eine Monarchie ist, welche vom Könige nach Gesetzen regiert wird; Daß einige unter diesen Gesetzen Grundgesetze sind, welche umfassen und heiligen das Recht des regierenden Hauses zum Throne, von Mann zu Mann in Folge der Erstgeburt, mit Ausschließung der Töchter und ihrer Abkömmlinge; das Recht der Nation die Steuern durch ihre vor- schriftsmäßig einberufenen und zusammengesetzten Generalstaaten frei zu bewilligen; das rechtliche Herkommen und die Capitulationen der Provinzen; die Unentsetzbarkeit der Magistrate; Französische Revolution. 9 das Recht der höchsten Gerichtshöfe in jeder Provinz die Befehle des Königs in Hinsicht auf ihre Urkundlich- keit zu untersuchen und nur in dem Falle einzutragen, wenn sie den Verfassungsordnungen der Provinz und den Grundgesetzen des Staates entsprechen; das Recht jedes Bürgers in keinem Falle vor andere Richter gestellt zu werden als seine natürlichen, das heißt diejenigen welche das Gesetz ihm anweist; endlich das Recht, ohne welches alle anderen nichtig sind, auf Niemandes Befehl, wer es auch sey, anders verhaftet werden zu dürfen als um ohne Verzug in die Hände der competenten Richter überzugehen; Protestirt besagtes Parlament gegen jeden Angriff, der auf die oben ausgesprochenen Grundsätze gemacht werden könnte; Erklärt einstimmig daß es von denselben in keinem Falle abweichen könne; daß diese Grundsätze, welche sämmtlich auf gleich festem Grunde stehen, alle Mit- glieder des Parlaments verpflichten und in ihrem Eide begriffen sind; daß folglich keines seiner Mitglieder das Recht und die Absicht hat die geringste Neuerung in dieser Hinsicht durch sein Benehmen gut zu heißen, noch in irgend einer anderen Behörde als in diesem Parla- ment, zusammengesetzt aus denselben Personen und mit denselben Rechten bekleidet, Platz zu nehmen; und für den Fall daß die Gewalt durch Zersprengung des Par- laments dasselbe außer Stand setzen sollte die im gegen- wärtigen Beschlusse enthaltenen Grundsätze selbst zu vertheidigen, erklärt besagtes Parlament daß es die- selben von jetzt an als ein unverletzliches Pfand nie- derlegt in die Hände des Königs, seiner erhabenen Familie, der Pärs des Reiches, der Generalstaaten, und eines jeden der sey’s versammelten oder getrenn- ten Stände, welche die Nation ausmachen.“ Alle Mitglieder traten einstimmig bei und vollzogen die unverzügliche Versendung dieser Erklärung in alle Be- zirke ihres weitläuftigen Gerichtssprengels. Schon den Tag vorher sprach sich das Parlament zu Pau und am 5ten das zu Rennes, durch dieselben allgemeinen Befürch- tungen bestimmt, ebenfalls verwahrend aus. Um so we- niger Grund den Verbreitungen zu glauben daß d’Espré- ménil durch Bestechung eines Druckers oder seiner Frau in den Besitz der Edicte gelangt sey, was mit der schriftlichen Erklärung im Widerspruch stände und er selber stets ge- läugnet hat. Gleich am nächsten Morgen cassirte der König die Er- klärung nebst einem etwas früher gefaßten Beschlusse gegen die Erhebung des Zwanzigsten nach neuen Grundsätzen, dessen Urheber ein junger Rath Goislard de Monsabert war. Gegen ihn und d’Espréménil erging ein Verhafts- befehl, allein es gelang ihnen sich in ihren Palast zu ret- ten. Auf die Nachricht versammelt sich das Parlament, beschließt eine Deputation an das Hoflager. Diese aber bleibt ohne Erfolg; denn der Hof benutzt eine in der Eile unterlassene Förmlichkeit der Anmeldung, um sie zurückzu- weisen. Mittlerweile sieht man den Palast von Truppen umstellt; es ist Mitternacht, da tritt ein Gardeofficier als 9* Überbringer königlicher Befehle ein, verliest seine Voll- macht: „Ich befehle dem Herrn Marquis d’Agoult sich unver- züglich zu dem Palast zu begeben, an der Spitze von sechs Compagnien meines Garderegiments, sich aller Ausgänge zu bemächtigen und die Herren Duval d’Espréménil und Goislard de Monsabert in der großen Kammer oder wo es sonst seyn mag, gefan- gen zu nehmen und sie in die Hände der Beamten der Vogtei des Palastes, die mit meinen Befehlen ver- sehen sind, abzuliefern. Gezeichnet Ludwig .“ Aber der Officier kannte jene Männer, die er weg- führen sollte, nicht von Person. Auf seine Nachfrage tönte ihm der Ruf entgegen: „Wir sind alle d’Espréménil und Monsabert.“ Da zog er sich zurück und erschien erst am andern Morgen um eilf Uhr wieder vor der Versammlung, die ihre Sitzung keinen Augenblick unterbrochen hatte, die- ses Mal begleitet von einem Unterbeamten, der sämmt- liche Mitglieder kennen mußte. Dennoch wagte dieser zu erklären, er sehe die beiden Herren nicht. Nun aber machte d’Espréménil dem Auftritte ein Ende, gab sich zu erkennen, stand auf, protestirte und nahm mit der Er- mahnung die öffentliche Sache nicht zu verlassen von sei- nen Amtsbrüdern Abschied. Ebenso Goislard. Beide ver- ließen die Insel des Palastes, um in weitentfernte Haft- orte abzufahren, dieser nach dem Lyonner Fort Pierre en Cize, jener auf die Insel St. Marguerite an der Küste der Provence, wo ehemals die eiserne Maske räthselhaf- ten Andenkens in dem festen Schlosse verwahrt ward. Als nach aufgehobener dreißigstündiger Sitzung die Mitglieder den Palast verließen, wurden hinter ihnen die Pforten verschlossen und blieben mit Wachen besetzt. Die so schweigsam vorbereiteten Edicte enthielten Gu- tes und Schlimmes, aber nichts was geeignet war die Gährung der Gemüther zu beschwichtigen. Die Verifici- rung und Eintragung der Gesetze wird den Parlamenten des Königreichs ganz entzogen und einer cour plenière (ein Wort, welches niemand recht verstand) übertragen, dessen Kern die Prinzen von Geblüt, als geborene Pärs, die übrigen Pärs und die Mitglieder der großen Kammer des pariser Parlaments bilden werden; dazu aber kommt ein Zusatz von einer Zahl von vornehmen an den Hof ge- knüpften Herren, deren Interesse schon einer gefährlichen Selbständigkeit das Gegengewicht halten wird. Ohne klare Entscheidung blieb die Frage, ob ein Einspruch der cour plenière hindernde Macht habe, eben so eine andere, ob künftig Reichsstände über jedwede neue Steuer berathen oder vollends entscheiden sollen. So viel erfährt man: In dringenden Fällen ist die cour plenière verpflichtet die Steuern vorläufig einzuzeichnen, bis daß die Reichsstände zusammenkommen, auch behält sich der König die Macht bevor solche Anleihen zu machen, welche keine neue Steuern nach sich ziehen. Was mögen das nur aber für seltsame Anleihen seyn? und wer entscheidet ob der Fall so dringend ist? Vor Allem jedoch: Wie konnten die bei- den Planschmiede hoffen die große Kammer für ihre Neue- rung zu gewinnen, da sie zu gleicher Zeit die Gerichts- barkeit sämmtlicher Parlamente durch 47 ganz neu zu er- richtende Mittelgerichte beschnitten? Diese, Oberämter genannt, sollen über alle bürgerliche Streitigkeiten, welche nicht über 20,000 Livres hinausgehen, erkennen, in pein- lichen Sachen aber überall, wo weder Geistliche noch Edelleute die Angeklagten sind. Und das hieß nun vollends dem dritten Stande ins Auge schlagen! In diesem Geleite misfielen selbst manche unläugbare Verbesserungen, als z. B. die wirklich längst nöthigen Mittelgerichte, zwischen Parlament und Untergericht (Amt) stehend, die Besei- tigung einer Menge von Ausnahmegerichten, ferner daß die Folter, schon seit acht Jahren im Processe abgeschafft, fortan auch nicht mehr vor der Hinrichtung, zum Zwecke der Entdeckung von Mitschuldigen, in Anwendung kom- men darf. Um nun aber für diese Neuerungen einen gesetzlichen Eintritt ins Leben zu gewinnen, mußte abermals ein lit Mai 8. de justice daran, dieses Mal zu Versailles früh Morgens neun Uhr gehalten. Die Rede des Königs begann mit den Sturm drohenden Worten: „Es giebt keine Aus- schweifung, welcher sich mein Parlament von Paris nicht seit einem Jahre überlassen hätte.“ Der Übergang zur Hauptsache mit den Worten: „Ein großer Staat bedarf einen einzigen König“ (Wären denn für einen kleinen meh- rere Könige noth?), „ein einziges Gesetz, eine einzige Einregistrirung,“ konnte gerade nicht für geistreich gelten. In der gern vernommenen Äußerung „daß die états-géné- raux nicht nur das eine Mal, sondern jedes Mal, wenn die Bedürfnisse des Staates es erfordern, versammelt werden sollen,“ war doch noch immer nicht deren regel- mäßige Wiederkehr enthalten. Als nun die Einzeichnung nicht ohne Widerspruch abgezwungen war, protestirten alle Mitglieder des Parlaments gleich nach der Sitzung von einem versailler Gasthofe aus, und die von der ersten Kammer weigerten sich in die cour plenière zu treten. Ihre Beharrlichkeit ward nicht wenig durch die Nachrichten aus den Provinzen bestärkt. Die Mehrzahl der bretagnischen Edelleute unterzeichnete eine Erklärung, in welcher sie ei- nen jeden für ehrlos erklären, der eine Stelle in der neuen Ordnung der Dinge annähme; und sie glaubten hiemit noch nicht genug gethan zu haben. Man faßte eine An- klage der Minister ab und schickte zwölf Abgeordnete, um solche dem Könige zu überreichen. Diese nun fanden ihr Unterkommen in der Bastille. Sogleich aber reiste eine zweite noch zahlreichere Deputation ab, um ihre Loslassung zu verlangen; der Intendant der Provinz, Bertrand de Molleville, Anfangs übereifrig in des Königs Dienst, sah sich zur Flucht genöthigt. Es schien hier eine blutige Entscheidung bevorzustehen, und fast nicht minder aufre- gend wirkten die Berathungen der ergrimmten bretagner Deputirten in der Hauptstadt, an welchen außer allen in Paris gerade anwesenden Edelleuten aus der Bretagne auch viele andere Adlige theilnahmen, und nicht bloß als Zuhörer, auch als Mitunterzeichner. Durch diesen Mis- griff verlor Lafayette sein Commando, Andere büßten ihre Pensionen, ihre Hofämter ein. In der Bretagne mußte ein Regiment aufgelöst werden, weil die Officiere sich weigerten ihren Befehlshabern zu gehorchen. Auch in der Provence, im Languedoc und im Roussillon zeigten sich ernsthafte Vewegungen , nirgend aber gefährlicher als im Dauphiné. Als hier der unvorsichtige Gouverneur Verhaftsbriefe gegen die Parlamentsglieder anwandte, brachte ihn ein Aufstand in Grenoble bald in die Lage daß er den Beistand seiner Gefangenen für die eigene Rettung anrufen mußte. Die Truppen bewiesen sich auch hier lau, mancher Officier gab bedenkliche Erklärungen. Am Ende nahmen einige Männer von Gewicht, gleich bedacht der Anarchie zu steuern wie den Kampf gegen die Minister nicht aufzugeben, sich des Gemeinwesens an, stellten auf eigene Verantwortlichkeit die Provinzialstände des Dau- phiné wieder her, welche seit 1628 nicht zusammengekom- men waren. Ein noch junger Mann von ernster Bildung, der königliche Richter in Grenoble, Mounier, trat an die Spitze dieser ständischen Schöpfung, welche ohne Erlaub- niß der Regierung gestaltet, kaum von ihr geduldet, den- noch die zarte Gränze des Gehorsams einzuhalten bemüht Aug. war. Schließlich aber gerieth man doch dahin daß man vor Allem auf Reichsstände antrug. Man konnte sich in diesem Betracht nicht der Voreiligkeit anklagen. Einige Monate früher ward der Klerus vom Premierminister ver- sammelt (es war seine letzte Versammlung im altkönig- lichen Frankreich) und um eine Beihülfe von 1,800,000 Livres für dieses Jahr und um eben so viel für das nächste angesprochen; die Beihülfe schlug er ab und stimmte in den allgemeinen Wunsch nach Reichsständen ein. Juni 15. Um diese Zeit reichte Malesherbes eine Denkschrift ein, bat die Unruhen nicht für unbedeutend zu halten, das habe der Londner Hof gethan den Amerikanern gegen- über, der Kaiser eben so in seinen Niederlanden, und beide haben sich getäuscht. Seine Hoffnung ist nicht auf histo- rische Stände gerichtet, nach deren Zusammensetzung Brienne in den Archiven forschen läßt und die Schriftstel- lerwelt sogar einladet sich über diesen Gegenstand zu ver- breiten, Malesherbes verlangt Stände, die das Leben, wie es wirklich vorliegt, abbilden; er glaubt sie in frei- gewählten Grundbesitzern zu erkennen. Auf diese gestützt, meint er, könne man den Parlamenten getrost entgegen- treten. Las der König diese Denkschrift? Er schien sich um diese Zeit der Regierungsangelegenheiten geflissentlich zu entschlagen; er jagte. Brienne hatte seinen Vorrath von Finanzkünsten er- schöpft; noch einmal versuchte er die Sprödigkeit der öf- fentlichen Meinung zu überwinden, indem er seine cour plenière bis zu der Versammlung der Reichsstände ver- tagte, diese aber schon auf den ersten Mai des nächsten Aug. 8. Jahres ankündigte. Darüber freute man sich, aber es lag zu sehr das Bekenntniß seiner Finanzverlegenheiten darin, als daß man Dankbarkeit empfunden hätte. Nicht zunächst das Volk, die Regierung bedurfte der Reichs- stände. Wirklich griff Brienne in den letzten Wochen zu den Mitteln der Verzweiflung. Schon waren öffentliche Zahlungen angekündigt, die theilweise in Papiergeld, in Schatzkammerscheinen geschehen sollten, man fürchtete ei- nen Eingriff in die Barschaften der Discontocasse, als Brienne an Necker die Frage richtete, ob er sein General- controleur werden wolle. Necker war klug genug nicht un- ter ein Dach zu treten, welches mit dem Einsturz drohte. Als sein Nein eintraf, spielte Brienne den Großmüthigen, Aug. 25. nahm seine Entlassung und ward mit dem Cardinalshute, mit reichen Spenden aller Art und durch die Thränen der Königin für den Verlust seiner Macht entschädigt. Nicht lange, so wurden die verhaßten Edicte aufgehoben und die Parlamente ihrem alten Geschäftskreise zurückgegeben. Auch Lamoignon schied trauernd und mit vielem Gelde ge- tröstet vom Amte. Sein Nachfolger ward Barentin. Allgemeiner ausschweifender Jubel erscholl als man von dem Falle des Erzbischofs vernahm und daß Necker mit freier Hand in die Finanzen trete. Die Zukunft Frank- reichs beruhte von nun an hauptsächlich darauf, ob Necker zur Klarheit darüber gelangte daß die Reichsstände unend- lich viel mehr bedeuteten als der Drang der Finanzen. Zweites Buch . Das neue Frankreich und sein Koͤnigthum. 1. Die Form der Reichsstaͤnde. So lange die unumschränkte Herrschaft dauert ist der Staat ein mythologisches Wesen; Alles kommt darauf an den Mythus festzuhalten daß Macht und Weisheit, un- auflöslich verschlungen, auf demselben Throne sitzen, ohne sich einander zu verdrängen. Sobald aber regelmäßig wie- derkehrende Ständeversammlungen berufen werden, nimmt das Wissen vom Staate seinen Anfang. Es ist nun von Oben her anerkannt daß der Inhaber der Macht ungenü- gend berathen seyn könne. Eine Lücke im Staatswesen ist zugestanden, welche durch Einsicht aus dem Volke her er- gänzt werden soll. Aber jede Einsicht ist Macht, aus Vie- len und Erlesenen redend große Macht. Darum werden Reichsstände, wie man sich auch stelle, immer eine ent- scheidende Stimme führen, und beharrt eine Staatsregie- rung dabei sie als bloß rathgebend zu behandeln, so ver- tieft sie sich in einen Wortstreit, bei welchem sie nothwen- dig den Kürzeren ziehen muß. Besonders entscheidend mußten die Generalstaaten Ludwigs XVI. auftreten, und es war von Anfang an zu fürchten daß sie die Regierung an sich reißen möchten. Darum durfte ihr Versammlungs- ort für das Mal vor allen Dingen nicht in der bereits ge- fährlich aufgeregten Hauptstadt seyn. Auch Versailles stand viel zu nahe und bot als der glänzende Mittelpunct aller Misbräuche und Hoffarth ohnehin keinen für das Königthum günstigen Anblick dar. Wenn der König die Versammlung sey es nach Troyes oder Orleans beschied, und die Königin vermocht werden konnte ihn nicht zu be- gleiten, so waren vielfache Anstöße entfernt. Aber freilich gehörte noch weit mehr dazu, um einen günstigen Aus- gang sicher zu stellen. Niemand zog damals das Recht der Krone in Zweifel die Form der Reichsstände vorzuschrei- ben. Hier kam es nicht auf antiquarische Untersuchungen an, wie es vor 175 Jahren damit gestanden. Die Beru- fung der Reichsstände bedeutete in diesem Augenblicke nichts Geringeres als eine neue Verfassung, zugleich konnte die Verbesserung der Finanzen nur durch wesentliche Umge- staltungen in der Verwaltung bewirkt werden; Alles hing davon ab einer Versammlung das Daseyn zu geben, welche tiefgreifende Beschlüsse mit Besonnenheit zu fassen und die Macht der Krone sie durchzuführen weise in Ehren zu halten verstand. Nun ist es ein Irrthum zu glauben, die Grundformen der englischen Verfassung hätten einen bloß nationalen Grund. Die innerste Natur des Geschäf- tes führt darauf daß Berathschlagungen, auf deren Gelingen das Heil des Gemeinwesens beruht, in zwei verschiedenen und verschiedenartigen Versammlungen gepflogen und allein diejenigen Gegenstände, über welche beide sich Eins geworden sind, dem Könige zur Entscheidung vorgelegt werden. Diese Form der Verhandlung vermeidet die Zu- fälligkeiten, welche stets an der Stimmenmehrheit in einer einzigen Versammlung haften, vermeidet das von mehr als zwei Kammern unzertrennliche verhaßte Gefühl von einer Minorität der Köpfe beherrscht zu werden, vermei- det die Gefahren leidenschaftlicher, häufig bald hernach bereuter Beschlüsse, indem der lobenswerthe Ehrgeiz jeder Kammer dahin geht auf ihre Amtsgenossin berichtigend einzuwirken. Ganz besonders aber gewährt diese Ordnung treuen Schutz der Krone vor der Erschütterung, welche die brausende Welle der Berathungen so vieler Köpfe leicht hervorbrächte, schlüge sie ungebrochen immerfort geradezu an den Thron an. Von der anderen Seite wirkt sie eben so kräftig für die Freiheit, sowohl in außerordentlichen Fällen dem Despoten gegenüber, der in der Unwandel- barkeit einer erblichen Kammer das entschiedenste Hinder- niß seiner Plane findet, als im ordentlichen Laufe der Dinge, weil ein in beiden Kammern übereinstimmend gefaß- ter Beschluß als die wirkliche Stimme des Volks vor dem Throne erscheint, mithin in der Regel die königliche Ge- nehmigung nach sich zieht. Diese Einsicht stand auch seit Montesquieu den Franzosen von Bildung nicht mehr fern, sie ließ sich bei den Einen auf Englands altbewährten Vorgang, bei den Andern auf die Nordamerikaner stützen, welche mit so ganz und gar keinem aristokratischen Mate- rial versehen und wahrlich nicht danach gestimmt der Mut- ter nachzuäffen, um ihrer eigenen Wohlfahrt willen die Bildung von Senaten den Volkskammern gegenüber nicht verschmäht haben. Und eben mit Nordamerika war auch gleich der klägliche Einwand abgeschnitten daß England wohl bewundert, aber nicht nachgeahmt werden dürfe. Denn wo sich auch eine so treffliche Gliederung der Volks- mannigfaltigkeit nicht findet, wie sie in England sich dem Unterhause gegenüber als Oberhaus gestaltet, da finden sich doch sicherlich die Unterschiede des Alters, der Würde und der Amtserfahrung, mithin Elemente zu einem Senat von bleibenden, vielleicht lebenslänglichen Mitgliedern, der rascher wechselnden Volkskammer gegenüber. In Frank- reich aber bot sich schon in den Pärs, deren derzeit im Ganzen ungefähr 60 waren, kein verächtliches Material auch zu erblichen Mitgliedern dar, und keine Frage daß die hohe Geistlichkeit, wenn auch bloß durch die sieben geistlichen Pärs vertreten, sich hier mehr zu Hause gefühlt hätte als, wie es später kam, mit der niederen Geistlichkeit in demselben Standessaale zusammengesperrt und von ihr überstimmt. Was aber die Gesinnung betrifft, so zeigte die Hälfte der Pärs und ein bedeutender Theil des Adels bald daß er nicht blind an der Steuerfreiheit seines Stan- des hafte, und wenn dem Könige, wie billig, freie Hand blieb außerdem Mitglieder jedes Standes, durch Ver- dienste und Erfahrung ausgezeichnet, zur ersten Kammer zu ernennen, so ließ sich ein Oberhaus erwarten, welches keineswegs mit bloß erborgtem Lichte geglänzt hätte. Selbst der Staatsbankerutt, unabwendbar drohend, wenn man unverrichteter Sache aus einander ginge, und in sei- nem Gefolge eine Staatsumwälzung, legte eine furcht- bare Waffe in des Ministers Hände, welcher sie gegen Starrköpfe wie Artois zu gebrauchen verstand. Auch die zwar aufgeregte, aber durchaus noch nicht unverbesserlich irregeführte öffentliche Meinung war für eine getheilte Reichsstandschaft zu gewinnen, wovon die um diese Zeit erschienenen Schriften von Mounier, Bergasse, von dem Bischof von Langres de la Luzerne, dem Grafen Laura- gais und andern genugsam Zeugniß geben, und in Be- nutzung dieses sicheren Fahrwassers ließ sich dann ferner von Anfang her den Provinzen kundthun daß ihre Depu- tirten zwar mit Aufträgen versehen, aber an keine Vor- schriften gebunden werden dürften. Daneben mußten Be- stimmungen für die Wähler und die Wählbarkeit zur zwei- ten Kammer erlassen werden, und für jetzt war zu wün- schen daß beide Berechtigungen an einen gewissen Grund- besitz, übrigens ohne Unterschied des Standes, geknüpft würden. Zur Aushülfe konnte eine gewisse Steuerquote hinzutreten. Weil aber die besten Grundsätze nur dann etwas für die Welt bedeuten, wenn sie von Lebendigen zu rechter Zeit vertreten werden, so galt es nun vor allen Dingen für den praktischen Staatsmann, durch die Kraft der Überzeugung, welche von hoher Stelle aus mächtig Französische Revolution. 10 wirkt, eine Schaar von Gleichgesinnten um sich zu ver- sammeln, die emporstrebenden Talente durch Aussichten zu beflügeln und Alles in folgerechte Thätigkeit zu setzen. Ein Paar Männer aus dem engeren Kreise rückten dann wahrscheinlich in die Stellen einiger unbrauchbarer Mini- ster ein, damit in jeder Kammer die Rechte der Krone durch ihre höchsten Diener mit der Unmittelbarkeit des Worts vertreten und die nöthigen Aufklärungen ertheilt würden. Gewiß, das waren schwere Aufgaben, deren Kämpfe sich kein Staatsmann von freien Stücken erwählt, allein die Sachen waren bereits dahin gediehen, daß das Gewagteste für das Sicherste gelten konnte, wenn es nur das Gepräge von Einsicht und Willensstärke trug. Necker war zum Principalminister zwar nicht ernannt, wie Brienne, aber er ward als ein solcher behandelt und sein Ehrgeiz entzog sich dieser Stellung keineswegs. Wenn er nun nicht bloß Finanzmann, wenn er wirklich Staats- mann war, so mußten die eben aufgestellten Erwägun- gen seinen Geist beschäftigen und zur angestrengtesten Thä- tigkeit bestimmen. Was ihn dabei in Verlegenheit setzen konnte, war daß sein leichtfertiger Vorgänger die Frist bis zu den Reichsständen so kurz gestellt hatte. Mit einem Aufschub aber anfangen war gehässig und wegen der nach Bewilligungen drängenden Finanzen überaus schwierig. Was that nun Necker? Allein es soll dem Zusammenhange der Begebenheiten nicht vorgegriffen werden. In Behandlung der Finanzen ließ Necker nichts zu wünschen übrig. Er half den dringendsten Bedürfnissen durch ein Paar Millionen ab, die er aus eigenem Ver- mögen einschoß, und gab dem Patriotismus Anderer da- durch einen Antrieb. Keine Rede mehr von aufgedrunge- nem Papiergelde. Die Hauptsache freilich mußte doch am Ende die Discontocasse, das Ehrendenkmal Turgots, thun. Es war verzeihlich oder eher löblich daß Necker in dieser äußersten Noth den König bewog, die Verwalter der Dis- contocasse von ihrer Verpflichtung durchaus keine Geldge- schäfte mit den Finanzen zu machen zu entbinden, so daß er in den ersten acht Monaten seiner Verwaltung nach und nach wohl 60 Millionen von ihr anlieh. Gleichwohl mußte eine Menge von Zahlungen unberichtigt bleiben. Es war verzeihlich daß er in diesem Drange, welchen er späterhin vergeblich abläugnen möchte, sogar dahin ge- rieth, die Eröffnung der Versammlung der Reichsstände noch zu verfrühen, vorausgesetzt daß in der Zwischenzeit für die Lösung dieser Hauptaufgabe das Genügende vor- bereitet werden konnte. Ein unbedachter Schritt des Parlaments erleichterte im rechten Augenblicke Neckers staatsmännische Thätigkeit. Der König verkündigte die Reichsstände schon auf nächsten Sept.23. Januar. Nun registrirte das Parlament zwar dieses Edict, aber fügte die Clausel hinzu: „in der im Jahre 1614 beobachteten Form.“ Das hieß Reichsstände beru- fen, in welchen jeder Stand ein Veto gegen den andern gehabt hätte; es war unmöglich mit einer solchen Ver- 10* sammlung die nöthigen Verbesserungen zu bewirken. Auf einen Schlag aber war es jetzt auch mit der Popularität des pariser Parlaments und der Achtung zu Ende, welche ihm selbst ruhige Beobachter eine Zeitlang zollen mochten. Man warf ihm öffentlich seinen Standesegoismus vor, daß es nicht an das Volk, nur an seinen erblichen Adel denke, das Vorrecht jedes Mitgliedes dieses Parlaments. Als der freigegebene d’Espréménil auf seiner Rückreise durch Frankreich seine Parlamentsapotheosen wiederholte, ward er wie ein faselnder Geck betrachtet. Hierauf ließ sich etwas gründen. Der Widerstand dieses Parlaments, welcher eben noch unüberwindlich scheinen konnte, war durch seine eigene Schuld gebrochen. Wenn nichtsdesto- weniger Necker sich nicht stark genug hielt ein Zweikam- mersystem sofort durchzusetzen, so öffnete sich ihm ein zwei- ter Weg. Der ganze dritte Stand, das heißt ungefähr 24 Millionen Franzosen und außerdem eine Anzahl ein- sichtiger Männer vom Adel stimmten darin überein daß der dritte Stand mindestens so viel Repräsentanten erhal- ten müsse als Geistlichkeit und Adel zusammengenommen. Man konnte dafür sogar das Herkommen anführen, weil wirklich in den alten Etats-généraux der dritte Stand ge- wöhnlich am zahlreichsten erschien, obgleich er in einigen Provinzen bloß aus Städtern bestand, während er in den andern auch die Landleute begriff. Den privilegirten Stän- den konnte das gleichgültig seyn, sobald jeder Stand für sich abstimmte, wovon auf älteren Reichstagen freilich auch das Gegentheil vorgekommen. Gegenwärtig aber ging mit dem Begehren nach Verdoppelung des dritten Standes die zweite Forderung Hand in Hand daß nicht mehr nach Ständen gestimmt, sondern nach Köpfen durch- gestimmt werde. Doppelt so stark erschienen zu seyn und doch unterliegen zu müssen wäre nur eine Erniedrigung mehr gewesen. Neuerliche Ereignisse hatten die Befriedi- gung beider Wünsche in Aussicht gestellt. Der König hatte die Provinzialverwaltungen in Steuersachen auf diesem Fuß eingerichtet: Verdoppelung des dritten Standes und Durchstimmen nach Köpfen; die Provinzialstände, welche das Dauphiné sich gab, auf derselben Grundlage einge- richtet, erhielten königliche Bestätigung. Wenn nun der König bei Berufung der Reichsstände, auf das Herkom- men und die Billigkeit, insbesondere in Bezug auf Steuer- sachen gestützt, diese Grundform des Reichstags verkün- digte, so gewann er die Stimme des Volks für sich. Ein Theil des Adels und die höhere Geistlichkeit konnte das übel empfinden, allein vom Reichstage darum ausbleiben hieße Alles aufs Spiel setzen wollen. Zu gleicher Zeit aber konnte der König, indem er in seinem Berufungs- schreiben den nächsten Reichstag bloß auf Steuersachen beschränkte, die privilegirten Stände darüber beruhigen, daß ihre Einbußen nicht über die Gleichheit der Besteue- rung hinausgehen würden; er konnte endlich weiter gehen- den Hoffnungen so entgegenkommen, daß in dem Ausschrei- ben hinzugefügt ward, ein Ausschuß, theils vom Könige theils von den Ständen ernannt, werde nach Entlassung der Reichsstände zusammentreten, um an der künftigen Verfassungsordnung zu arbeiten, auf deren Grund sodann die reichsständische Versammlung des Jahres 90 werde berufen werden. Dergestalt ließ sich noch immer, den König stets leitend voran, zu einem Zweikammersystem gelangen. Necker ergriff den unseligsten Ausweg von allen, ließ den König nichts entscheiden; er, der froh seyn muß un- beengt vom Parlament zu seyn, schafft sich künstlich eine neue Hemmung, beruft die früheren Notabeln zum zwei- ten Male; sie sollen ihm Rath geben in Bezug auf die Form der Reichsstände. Diese sitzen vom 6ten November bis zum 12ten December. Die nächste Folge davon ist schon daß nun im Januar nichts aus den Reichsständen werden kann; die weitere Folge daß er am 13ten Decem- ber so klug ist als er am 5ten November war. Ihre Zu- sammensetzung war die alte, nur daß man sich jetzt in sechs Büreaus, statt sieben theilte, weil einer der den Vorsitz führenden Prinzen, der Herzog von Penthièvre mittlerweile gestorben war. Für die Verdoppelung des dritten Standes entschied sich ein einziges Büreau, das von Monsieur, und nur mit der zufälligen Mehrheit einer einzigen Stimme. Dasselbe machte auch den Grundsatz geltend daß die größeren Ämter zahlreicher vertreten werden sollten als die kleineren, doch ebenfalls ohne Erfolg. Ein einziger Punct von Be- lang ging durch, wahrscheinlich weil man die Folgen nicht ahnte, daß nämlich auch die niedere Geistlichkeit für wählbar erklärt ward und eben so der ganze Adel, ohne Rücksicht darauf, ob er mit Lehen oder überhaupt nur mit Grundstücken angesessen sey. Es läßt sich nicht bezweifeln daß eine Verständigung mit dem Parlament viel weiter geführt hätte. Die Mehrzahl seiner Mitglieder bereute bitter jenen Schritt des Wider- spruchsgeistes, welchen es mit seiner Volksgunst bezahlt hatte; manche Räthe wünschten in die Reichsstände, sey’s vom Adel, sey’s in den dritten Stand gewählt zu werden. Das Parlament verrieth seine versöhnliche Stimmung durch ein Erklärung an den König, worin es die Zahl Dec. 5. der Abgeordneten jedes Standes, als weder durch Gesetz noch Herkommen bestimmt, dem königlichen Ermessen an- heimstellte und einige volksfreundliche Wünsche hinzufügte, als da sind: die Berufung der Reichsstände in festgesetzten Zwischenräumen, die Verklagbarkeit der Minister durch die Reichsstände vor dem Parlament, die Besteurung nicht länger nach dem Stande, sondern nach der Steuer- kraft; sogar der Preßfreiheit ward gedacht und daß die Verantwortlichkeit der Verfasser vor dem Gesetz an die Stelle der Censur treten möge. Es war der Augenblick gekommen, da es möglich schien diese erste Körperschaft des Staates, welche einzusehen anfing daß ihr Licht er- bleiche, sobald es wieder Reichsstände gebe, für die Stützung eines Verbesserungsplans ohne Umwälzung zu gewinnen. Aber Necker hatte keinen Plan und auf seinen Rath lehnte der König eine Annäherung, welche sämmt- liche Parlamente des Reiches nach sich gezogen hätte, mit trockenen Worten ab. Es gab eine zeitgemäße folgenreiche Überzeugung, die man als durchgedrungen betrachten durfte. Das ist die künf- tighin gleiche Vertheilung der Steuern. In Bezug auf diesen Punct hatten sich beide, Notabeln und das Parla- ment, der öffentlichen Meinung angeschlossen. Dreißig Dec. 20. Herzoge und Pärs gaben eine Erklärung an den König in demselben Sinne ab. Selbst eine sonst alle Neuerungen verdammende, unvernünftig heftige Adresse von fünf Prinzen von Geblüt, den Grafen von Artois an der Spitze, giebt im Angesicht des Monarchen zu daß die Großmuth der beiden ersten Stände sie wohl dahin führen dürfte. Dieser Umstand, wohlbenutzt, mußte große reichs- ständische Erfolge sicherstellen. Allein Necker benutzte nichts, man sieht ihn nie von seiner Throneshöhe herabsteigen, um menschliche Verbin- dungen zu knüpfen. Er kennt nur sein Cabinet und seine damals unumschränkte Macht über König und Königin, nebst den Meinungen der Hofleute. Es sollen in diesen Monaten der Aufregung wohl an 3000 Flugschriften in Frankreich erschienen seyn, und die verschiedensten Mei- nungen machen sich geltend, aber nirgend entdeckt sich eine Spur daß Necker Federn für seine Zwecke in Bewegung gesetzt hätte. Auch ergiebt sich das Talent nur Solchen, welche etwas nachhaltig wollen. Man kann jedermann den Weg zeigen, nur nicht dem, der nicht weiß wohin er will. Während Necker mit dem Winde trieb, glaubte er Alles zu lenken, weil sein Fahrzeug ein Steuerruder hatte und man ihn den Steuermann hieß. Was er am Ende aus dem Staatsrathe verkündigte, war: Der Abgeordne- Dec. 27. ten sollen mindestens tausend seyn; ihre Zahl wird für jeden Amtsbezirk nach Maßgabe seiner Bevölkerung und seiner Steuerquote bestimmt; Pfarrer sind wählfähig und wahlfä- hig, ebenso unangesessene Edelleute und Nichtkatholiken; trotz den Notabeln soll die Verdoppelung des dritten Standes stattfinden, welcher übrigens so wenig als die andern Stände in der Wahl seiner Abgeordneten an seine Stan- desgenossen gebunden ist. Der Hauptpunct, welcher der Verdoppelung erst Werth gab, bleibt der Entscheidung der Stände selber, „der Liebe zum Staatswohle“ anheim- gestellt, unter Vorbehalt jedoch der königlichen Genehmi- gung. Lediglich eine Andeutung erfolgt daß bei Geldfragen eine gemeinsame Berathschlagung wünschenswerth scheine. Die Sache war hiemit, da man die Gesinnung der Mehr- zahl des Adels kannte, gegen die Wünsche des dritten Standes entschieden, so lange Alles in gesetzlicher Ord- nung blieb; zu gleicher Zeit fühlte sich der dritte Stand durch die Verdoppelung angestachelt, auf irgend einem Wege gleichwohl zum Ziele der Ständevereinigung zu ge- langen. So schwere Unterlassungssünden und ihre furchtbaren Folgen haben Neckern nicht abgehalten am Ende seiner Tage das Bekenntniß abzulegen: „daß er die Welt voller Fehler sehe und man ihm selber deren viele vorgeworfen habe, allein bei der täglichen Gelegenheit zu den wichtig- sten Fehlgriffen habe er sich nach der gewissenhaftesten Un- tersuchung in Absicht der ganzen Vergangenheit zu seiner eigenen Verwunderung auch nicht einen einzigen Vorwurf machen können.“ Das Jahr 88 ging unfroh zu Ende. Einem sehr trocke- nen Sommer mit Hagelschlag waren Miswachs und Theu- rung gefolgt. Die Regierung setzte Prämien auf die Korn- einfuhr und verdoppelte diese. Schon am 26sten Novem- ber fror die Seine zu, am letzten Jahrestage stand das reaumürsche Thermometer 18¾ Grade unter dem Gefrier- punct. Die ältesten Leute wußten von keinem so strengen Winter zu sagen und der so lange angehalten hätte. Trotz diesen allgemeinen Leiden brach in der Bretagne unter den gerade versammelten Ständen die lange genährte Zwie- tracht in lichte Flammen aus. Der Bürgerstand wollte die Verdoppelung und was aus ihr folgte, der Adel pro- testirte gegen die Neuerungen der Minister. Studenten und junge Bürger griffen zu den Waffen, unter den Füh- rern sah man einen jungen Rechtsgelehrten, Namens Victor Moreau. Als nun der Adel sich und sein Gesinde und einen Haufen Tagelöhner bewaffnet dagegen stellte, schrieben jene an die anderen Städte der Bretagne, und ihre junge Mannschaft brach zur Hülfe auf. Es kam in Rennes zu blutigen Auftritten, bis daß die Edelleute sich zurückzogen. Die Regierung, auf den Adel erzürnt, griff nicht weiter ein, als daß sie den Landtag schloß. In der Hauptstadt war man es endlich müde geworden, den Strohmann Brienne und seine Strohfrau den Lamoignon öffentlich zu verbrennen, und den Herzog von Orleans, wenn er sich wie zufällig dabei blicken ließ, zu beklatschen. Die Raufereien mit der Polizei ließen nach. Allein man stritt sich, ob die Bäcker oder die Aufkäufer die meiste Schuld an den theuern Brodpreisen trügen, und wer die Aristokraten dazwischen schob, fand großen Beifall. Dar- über herrschte nur eine Stimme, man müsse Alles an die reichsständischen Wahlen setzen. 2. Die Wahlbewegung. Noch waren die bretagner Stürme nicht beschwichtigt, die junge Mannschaft stand unter den Waffen, und ward von Müttern, Schwestern, Gattinnen und Geliebten mit Manifesten begrüßt, die ihnen Mundvorrath und im Falle 1789. Jan. 24. rühmlicher Wunden Verpflegung boten, — als das Wahl- gesetz erschien. Die Aufgabe desselben war verwickelt, denn eine Wahl der Wähler sollte angeordnet und zugleich dafür gesorgt werden daß nach altem Herkommen jede De- putation ihre schriftlichen Instructionen, ihr sogenanntes Cahier mit sich bringe. Da erhält nun was den dritten Stand betrifft jeder Franzose von 25 Jahren, der seinen Wohnort in einer Gemeinde des Wahlbezirks hat und in der Steuerrolle steht, das Recht zu wählen und gewählt zu werden, weil aber nicht füglich Alle unmittelbar an der Wahl theilnehmen können, ist Anstalt getroffen, ein Procent dieser Berechtigten aus Corporationen, Zünften oder sonst wählen zu lassen. Diese erste Auswahl begiebt sich auf das Stadthaus, bringt dort ihre Klagen und Wünsche zu Papier, ernennt dann abermals aus eigener Mitte Einen Mann von deren Hundert zum engeren Aus- schusse, welcher dann zu seiner Zeit gleichzeitig mit den beiden anderen Ständen die Deputirtenwahl vollbringt. So in kleineren Amtsbezirken. Wo aber Oberämter sind, zu denen mehrere Unterämter gehören, da findet noch eine dritte Verminderung der Theilnehmer statt, indem in jedem Bezirk drei Viertel des engeren Ausschusses zurück- treten, die übrig bleibende Viertheile dann aber am Haupt- orte des Oberamts sich versammeln, ihre verschiedenen Instructionen zu einer Gesammtschrift vereinigen und die Wahl der Abgeordneten durch verschlossene Zettel vollbrin- gen. Keine Stadt aber wählt als solche für sich, sondern stets in Verbindung mit ihrem Amte, mit einziger Aus- nahme der Hauptstadt des Reiches. Durch diese Anordnung, deren Hauptgliederung hier angegeben ist, ward ein nützlicher Zweck erreicht: man beugte tumultuarisch wählenden Volksversammlungen vor; allein bei weitem wichtigere Aufgaben wurden verfehlt, indem man so gut wie gar keine Bedingungen an die Wähl- und Wahlfähigkeit knüpfte, ganz besonders aber dadurch daß man, statt durch einen verständig belehrenden Erlaß die Cahiers abzuschneiden, oder ihre Abfassung mindestens der Willkür zu überlassen, sie geradezu vor- schrieb. Auf früheren Reichstagen spielten dergleichen Be- schwerdeschriften allerdings eine Rolle, aber damals ward dergleichen was den dritten Stand betrifft von Behörden angefertigt in Form kniefälliger Vorstellungen über Local- und Provinzialverhältnisse, jetzt lockte man von einer zahlreichen Versammlung, deren Mitglieder als Neulinge zusammentrafen, ein langes Register von Nationalbe- schwerden hervor. Denn die begangenen Finanzsünden waren männiglich bekannt. Es hieß der Tadelsucht Flü- gel geben, um in Formen sich auszusprechen, deren Mi- schung von Alt und Neu kaum unglücklicher erdacht werden konnte. Eine Instruction widersprach der anderen und gleichwohl wollte jede nach ihrer Art den Staat neuaufgebaut wissen. Aber auch die beiden privilegir- ten Stände, deren Cahiers sonst mehrentheils darin übereinstimmten daß sie die Erhaltung der alten Ver- fassung mit drei von einander abgesonderten Ständen befahlen, verwickelten sich in einen seltsamen Wider- spruch; denn man las in vielen doch zu gleicher Zeit das Begehren regelmäßig versammelter Reichsstände, keine Steuer ohne Reichsstände, Theilung der gesetzge- benden Gewalt mit dem Könige, kurz Alles was den Ministern wehthun konnte ohne dem dritten Stande wohl- zuthun. Nichts dergleichen aber enthielt die alte Ver- fassung; denn schon manches Menschenalter vor 1614 wurden die Etats-généraux nach Belieben berufen, ward besteuert und Gesetze gegeben ohne sie. Aus den meisten Cahiers der Geistlichkeit sprach ein Geist der Unduld- samkeit: Ehen zwischen Katholischen und Protestanten sollen verboten seyn, keine Taufe als in katholischen Kirchen, kein Patronatsrecht protestantischer Gutsbesitzer, eine geistliche Commission soll die gesammte Büchercen- sur versehen, die Geistlichkeit muß Leiterin der Volks- erziehung seyn, Schade daß ein gelehrter Orden, „des- sen Aufhebung man nicht genug bejammern kann,“ daran verhindert ist. Es wäre ungerecht von einer Neuerungs- wuth des dritten Standes hier zu reden, statt von der Unerfahrenheit aller Stände in Staatssachen. Denn wenn einige Cahiers des dritten Standes dem Könige jeden Antheil an der gesetzgebenden Gewalt und die Macht die Ständeversammlung aufzulösen entziehen, so wollen einige Cahiers der Geistlichkeit ihm sogar seine Minister vorschreiben. Der Adel möchte die Mitwirkung zu den Abgaben ganz dem Könige nehmen, vornämlich aber eine Hand über das Heerwesen bekommen, kein willkürliches Avancement mehr und die Unterlieutenants- stellen sollen nach dem Vorschlage der Provinzialstände (will sagen, mit Adlichen) besetzt werden. Auch sollen alle Militärpersonen einen Eid schwören sich in keinem Falle zur Überbringung und Vollstreckung ministerieller Befehle und überhaupt gegen ihre Mitbürger brauchen zu lassen, den einen Fall ausgenommen, daß die Nation ihnen geböte gegen einen aufrührerischen Theil der Na- tion zu marschiren. Die ausländischen Truppen sollen schwören selbst im Falle des Aufruhrs nicht einzugrei- fen: der dritte Stand begehrte verständiger die Entlas- sung der ausländischen Truppen. Im Dauphiné halten, von Mounier geleitet, alle drei Stände einstimmig dar- in zusammen daß der dritte Stand die doppelte Reprä- sentation erhalte und die Durchstimmung nach Köpfen stattfinde; man wird vor Anerkennung dieser Grundsätze an keinem Beschlusse der Reichsstände Antheil nehmen. Charakteristisch steht das Elsaß da; es will fortfahren als auswärtige Provinz außerhalb der Zolllinie zu stehen, damit sein Verkehr mit Deutschland nicht leide; doch wäre es ihm ganz recht, wenn zugleich der Absatz sei- ner Erzeugnisse nach Frankreich hin begünstigt würde. Die elsasser Lutheraner waren durch Staatsverträge von Alters her vor der Verfolgungssucht geschützt. Das Weichbild von Paris ward ausnahmsweise von der Stadt getrennt, stellte für sich zwölf Deputirte, also sechs vom dritten Stande. Die ungeheure Stadt von 750,000 Einwohnern bildete ohnehin eine schwierige Aufgabe. Ihr sind im Ganzen vierzig Deputirte zuge- billigt. Die Hauptstadt, in welcher man bisher sich nach zwanzig Quartieren zurechtfand, wird zu dem Ende März 28. in sechzig Bezirke getheilt. In diesen ist der Anfang der Wahlbewegung für den dritten Stand; nur daß man hier denn doch mit den Bedingnissen für die Theil- nahme es etwas genauer nimmt. In Ermangelung sonstiger Befugnisse, wie daß man zu einer Zunft ge- hört, ist eine Kopfsteuer von mindestens sechs Livres jährlich vorgeschrieben. Im Dauphiné hatte man eine Grundsteuer von vierzig Livres für die Theilnahme an den Wahlen für nicht zu hoch gehalten. Es war eine gewaltige Bewegung im April unter den Parisern. Wer sonst kein Kirchengänger war, ging jetzt hinein, denn hier wurden die weiteren Versammlungen gehalten, die Cahiers vorbereitet; hier auch geschieht die Wahl der Wähler; ihrer kommen fünf auf jeden Wahlbezirk. Am 26sten April versammelten sich die Wähler von Paris im großen Saale der erzbischöflichen Residenz. Hundert- funfzig Geistlichen, eben so viel Edelleuten saßen mehr als dreihundert Bürgerliche gegenüber, denn diese hat- ten zum Theil noch Ersatzmänner gewählt und mitge- bracht. Hier wurden die Vollmachten durch einen Be- amten des Stadtrathes untersucht, worauf die beiden ersten Stände sich in ihren besondern Saal zurückzogen. Der dritte Stand hätte nun vorschriftsmäßig unter dem Vorsitz des städtischen Beamten sein Geschäft vollfüh- ren sollen, allein schon in den Bezirksversammlungen hatte man dieses Hemmniß abgeschüttelt, indem man entweder den Beamten zum Vorsitzer wählte, oder wenn der in dieser Form nicht präsidiren wollte, ein Mitglied an seine Stelle setzte. Letzteres wiederholte sich nun hier und die Advocaten Target und Camus traten als Präsident und Vicepräsident ein; der berühmte Astro- nom Bailly ward Secretär, der Arzt Guillotin Vice- secretär. Hierauf beschloß man einstimmig, von der durch das Gesetz gestatteten Redaction der Cahiers in Verbindung mit den beiden andern Ständen keinen Französische Revolution. 11 Gebrauch zu machen, und übertrug dieses Geschäft einem Ausschusse von 36 Mitgliedern. Das Alles nahm den ganzen Tag weg. Da die Regierung in keiner Art ein- schritt, so beschloß man bald hernach weder einen Edel- mann noch einen Geistlichen zu wählen, ging aber von diesem Beschlusse wieder zurück als man vernahm, der Abbé Sieyes, dessen politische Flugschriften man bewun- derte, sey noch nirgend gewählt. So fiel die letzte Wahl von allen auf ihn. Das Cahier von Paris, aus der Ver- arbeitung von 60 Schriften erwachsen, bildete ein ansehn- liches Heft, welches in nordamerikanischer Weise mit ei- ner Erklärung der Menschenrechte anhob, sich dann in sechs Abschnitten über die Verfassung, die Finanzen, den Ackerbau und den Handel, die Kirche, die Gesetzgebung und endlich über die besonderen Angelegenheiten der Hauptstadt verbreitete. Den König faßte man auf als mit der ganzen ausübenden Gewalt und einem Antheil an der gesetzgebenden bekleidet, verpflichtete seine Abgeordneten ganz ausdrücklich auf die Durchstimmung nach Köpfen, war übrigens damit zufrieden, wenn die allgemeinen Stände künftig jedes dritte Jahr zusammenkämen, nur daß es in der Hauptstadt geschehe, welche sich inzwischen durch Schleifung der Bastille würdig machen wird sie auf- zunehmen. Man arbeitete noch an diesem Werk und an den Wahlen, als bereits in Versailles (denn für Versail- les hatte der König auf den Rath seiner Gemahlin und des Grafen von Artois gegen Neckers Wunsch, der lieber die Hauptstadt erwählt hätte, entschieden) die Reichs- stände zusammentraten, ward erst vierzehn Tage später fer- Mai 19. tig. Damals aber war bereits Alles so aufgeregt, daß die pariser Wähler des dritten Standes beschlossen sich über- haupt nicht aufzulösen, sondern von Zeit zu Zeit Ver- sammlungen zu halten, um ihre zwanzig Abgeordneten beobachten und deren Zweifel lösen zu können. Der Ein- spruch der königlichen Commissarien für das Wahlgeschäft blieb unbeachtet. Man besaß somit neben den 1200 Reichsständen in Versailles eine berathschlagende Bürger- versammlung von drei bis vierhundert Mitgliedern in der Hauptstadt. Und was hinderte die Wähler in den Pro- vinzen es eben so zu machen? Zu gleicher Zeit verbreitete sich die Nachricht daß gar keine Edelleute aus der Bretagne kämen. Der Adel dort hatte beschlossen den Reichstag nicht zu beschicken und der hohe Klerus machte gemeinschaftliche Sache mit ihm. Um so trotziger traten die 42 Abgeordneten seines dritten Standes auf; manches drohende Wort von ihnen wies auf Entwürfe hin, wie sie doch nur in wenigen Cahiers vorgekommen waren, als: überhaupt keinen Adel mehr, oder nur persönlichen, oder er mag mit den Familien, die ihn gegenwärtig besitzen, aussterben. Aus den Verbin- dungen, welche diese Bretagner knüpften, ist späterhin der Jacobinerclub hervorgegangen. Jetzt konnte man schon einen Überschlag machen, der die Physiognomie der Versammlung andeutete. Der Adel 11* blieb hinter der ihm erlaubten Zahl von 300 aus dem be- merkten Grunde zurück, man erblickte in seinen Reihen eine Anzahl Mitglieder der höchsten Gerichtshöfe; in alle Lücken, welche die hohe Geistlichkeit (das heißt, mit we- nig Ausnahmen, der Adel im geistlichen Gewande) ließ, trat die niedere Geistlichkeit ein, und man sah am Ende in dem geistlichen Dreihundert, welches bis zu 308 Mit- gliedern überschwoll, 207 theils Pfarrer, theils Geweihte ohne Kirchenamt, meistens Schulmänner sitzen, eine mächtige Verstärkung des Bürgerstandes. Im dritten Stande saßen über 200 Advocaten und Notare, gegen 200 eigentliche Beamte, meistens bei den Untergerichten an- gestellt, 176 Bürger, Kaufleute und Landwirthe, ein Paar Geistliche, einige Ärzte, 15 Edelleute. Man zählte im Ganzen 621 Mitglieder dritten Standes heraus. Au- genscheinlich war der Grundbesitz im dritten Stande un- genügend vertreten. Das Wahlgesetz hatte nichts vorge- sehen und die Abneigung Edelleute zu wählen, welche fast allein die großen Landgüter besaßen, war allgemein. Was den Parisern ausnahmsweise einen Mann geist- licher Weihen empfahl, erklärt sich aus den Leistungen dieses Mannes. Immanuel Joseph Sieyes sah in der al- ten Stadt Frejus in der Provence das Licht, welche in alten Tagen, da sie noch Forum Julii hieß, den Julius Agricola gebar. Seine Jugenderziehung empfing er im geistlichen Seminar, studirte dann in Paris und empfing von der Sorbonne den Grad des Licentiaten. Ein Kano- nikat führte ihn in die Bretagne, und als Mitglied der Geistlichkeit in den dortigen Provinzialständen weihte er sich zuerst in die öffentlichen Geschäfte ein. Er war zum Generalvicar des Bischofs von Chartres gestiegen, als die Zeit der Reichsstände erschien, deren Bedeutung sein Scharfblick schnell durchdrang. „Kein Buch,“ sagt er von sich selber, „hat mir eine innigere Befriedigung gewährt als die Schriften von Locke und Condillac;“ allein er war nicht der Mann abgezogener Studien, welche ihren Lohn in sich selber tragen; um sich und seinen Überzeu- gungen den Weg in die Außenwelt zu bahnen, schlenderte er rasch hinter einander drei politische Schriften in das Publicum, ohne sich zu nennen zwar, aber als Verfasser allgemein gekannt. Sein Auge sieht im Staate von Frank- reich die völlig umgekehrte Naturordnung; die Krone trägt hier den ganzen Staat; es ist eine Pyramide die auf ihrer Spitze steht ( Mignet ), keine andere Hülfe als man muß sie umdrehen, auf ihre eigentliche Basis stellen. Diese Basis ist das Volk. Dieses macht in Wahrheit den ganzen Inhalt der Pyramide aus, weil es aber für sein Wohl nicht füglich als Gesammtheit wirksam seyn kann, so verwirft Sieyes die reine Demokratie und giebt der re- präsentativen Verfassung den Vorzug, läßt auch die Krone ohne Bedenken den Höhepunct der Pyramide bilden; denn die monarchische Ordnung stellt nun einmal die Freiheit der Einzelnen sicherer als jede andere. Aber er hält der Krone die Forderung der Freiheit unablässig entgegen, dem Adel die der Gleichheit, zögernder seiner Geistlichkeit die Forderung der ewigen Vernunft. Seine Schrift: „Was ist der dritte Stand?“ erschien im Januar 89; sie gewann ihm die Wahlstimme der Pariser und flog in 30,000 Exemplaren durch die ganze civilisirte Welt. Sie will den dritten Stand über seine natürlichen Rechte belehren, in- dem sie drei Fragen aufwirft und beantwortet. Die erste: Was ist der dritte Stand? Antwort: Alles. Was ist er bis heute in seiner politischen Bedeutung gewesen? Nichts. Was verlangt er? Etwas zu seyn. Er spricht: Der dritte Stand ist in Wahrheit die Nation, 25 Millionen stark tritt er 80,000 Geistlichen und 120,000 Edelleuten gegen- über, die ohne ihn Nichts sind. Sagt Ihr, der Adel da- tire von der Eroberung, nun der dritte Stand wird jetzt erobern, sich seinen Adel verdienen. Er wird jetzt eine Constitution schaffen, denn es giebt in Frankreich keine. Diese Constitution wird keine Nachahmung der englischen seyn, die für ihre Zeit anstaunenswerth ist, aber in ihrer Verwickelung den gesellschaftlichen Fortschritten eines Zeit- alters, welches einfachen Freiheitsgenuß begehrt, nicht entspricht. Denn alle Einrichtungen der bürgerlichen Ge- sellschaft sind in dem einzigen Zwecke enthalten daß nie- mand den Andern beeinträchtige, und dürfen nicht dar- über hinausgehen. Er wirft den Blick auf Frankreichs Geschichte. Nimmt man wenige Jahre Ludwigs XI. hin- weg, so beherrscht nicht der König, sondern der Hofadel Frankreich. Wie steht es jetzt? Die Aristokratie allein kämpft zugleich gegen Vernunft, Gerechtigkeit, Volk, Mi- nister und König an. Der dritte Stand verlangt daß nach Köpfen, nicht nach Ständen gestimmt werde, denn jedes Standesprivilegium ist Beeinträchtigung, jedes Privile- gium der Ehre ist sogar Beschimpfung. Die Mitglieder des dritten Standes müssen allein aus ihm selbst gewählt werden. Sagt Ihr: der dritte Stand allein kann ja keine Generalstände bilden? Gut, so bildet er eine Nationalver- sammlung. — Der scharfsinnige Mann verschwieg daß die beiden privilegirten Stände reichlich die Hälfte alles fran- zösischen Grundeigenthums besaßen; denn er hätte sonst die Kette seiner Folgerungen um ein Glied verlängern, die Herausgabe dieser Güterfülle fordern müssen, als dem Volk einst widerrechtlich abgewonnen und durch schmäh- liche Becinträchtigung so lange vorenthalten. So weit aber ging er keineswegs. Dagegen hielt er drei schwere Gewichte bereit, um sie ehestens in die Wage zu werfen, der er sein Glück vertraut hatte: der dritte Stand muß die Nation die er ist auch bedeuten, eine Nationalbewaff- nung muß diese neue Ordnung beschützen, eine neue Lan- deseintheilung muß, indem sie eine neue Verwaltung be- gründet, die Wiederkehr der alten Ordnung unwiderruf- lich abschneiden. Gelang das, so war die bürgerliche Ge- sellschaft von bisher mit wenig scharfen Schnitten abge- schlachtet, und es war nicht Rousseau, es war der Abbé Sieyes, der das Alles rein aus sich selbst erdacht hatte, ein kränklicher unscheinbarer Mann und doch ein Eroberer, der mit der Macht von ein Paar leicht verständlichen Ge- danken ausgerüstet, die Landstraßen einer Revolution baute, ihre Signale aufsteckte. Es ist nicht wahr daß die Revolution das Werk der jungen Leute ist. D’Espréménil, Sieyes und Graf Mi- rabeau standen in gleichem Alter, waren Vierziger oder wenig darüber. Necker, der das Meiste, wider Willen, dazu gethan, stand schon ziemlich hoch in den Funfzigen. Soll ich nun von Mirabeau reden? Es ist der nächste Landsmann von Sieyes; beide sind Provençalen; allein mit diesem ist man fertig sobald man seine Lehren kennt, die in Kurzem wie Thalerstücke handgreiflich in Frankreich umlaufen, in jenem ist ein tragischer Abschnitt der Ge- schichte der Menschheit enthalten, freilich sehr französisch gefärbt. Mirabeau’s Vorfahren die Arrighetti gehörten zu den Gibellinen von Florenz. Sie wurden um 1267 von dort vertrieben und zogen in die Provence. Mirabeau selbst hat seine Familiengeschichte beschrieben. Es sind das Alles Leute von eiserner Körperkraft, heroische Naturen, heißblütig, voll von den wilden Fehlern jener Zeitalter, aber frei von kleinlichen. Einer unter ihnen ist Malthe- ser, giebt dem Großmeister eine Ohrfeige und rettet sich glücklich durch Schwimmen auf ein Schiff, welches gerade die Anker lichtet. Er wird dann ausgestoßen aus dem Or- den, doch später wieder aufgenommen, und eine große Anzahl der jüngeren Söhne des Hauses gehörte dem Orden an. Die anderen thaten sonst Kriegsdienste, und wenn dann die Bruchtheile eines solchen Mirabeau in den ver- schiedensten Regionen begraben lagen, kehrte der Rest zu- rück auf das väterliche Schloß Mirabeau, und trieb dort mehr Lärmen noch als sonst irgend wer, der seine Glied- maßen beisammen hatte. In schon sehr zahmer Zeit lebte Mirabeau’s Großvater, stark, groß, schön, ganz Kriegs- mann, allein er bringt es im spanischen Erbfolgekriege doch nicht weiter als zum Brigadier, weil er von Hof- gunst nichts wissen will. Ihm genügt daß sein Lieblings- held, Marschall Vendome ihn anerkennt, besonders als er an der Adda gegen Eugen Stand gehalten. Vendome sagte einmal: „Mirabeau ist groß.“ „Ja,“ wirft einer vom Generalstabe ein, „beinahe sechs Fuß.“ „Nein,“ ruft der Feldherr, „er ist groß am Tage der Schlacht.“ Als er es einmal besonders brav gemacht, betheuert ein Marechal de Camp, der das Verdienst hat Bruder des untüchtigen Kriegsministers Chamillard zu seyn, er werde es bei seinem Bruder zu beloben wissen und empfängt zur Antwort: „Herr, Euer Bruder ist sehr glücklich Euch zu besitzen, denn ohne Euch wäre er der größeste Narr im Königreiche.“ Sein Starrsinn sprengte die spanische Etiquette, nöthigte den König von Spanien ihm in Ita- lien persönlich die Parole zu geben, und was mehr ist, er wagte es mit dem bei seinem Könige allmächtigen Pa- ter La Chaise seinen Scherz zu treiben. Allein der Tag kam, da er, wenn wir ihm selber glauben, getödtet ward; sein rechter Arm wird ihm verstümmelt, ein Schuß zerreißt ihm die Sehnen des Halses, so daß er einen sil- bernen Halsring fortan tragen muß, um den Kopf nur gerade zu halten. Jetzt beschließt er sich zurückzuziehen, nicht um Wort zu halten und zu sterben, er heirathet aus wirklicher Liebe ein junges schönes vortreffliches Fräulein. Vendome stellte ihn dem Könige vor als den Mann, der seit die Franzosen in Italien eingerückt bis zur Räumung nicht aus dem Sattel kam; als der König nicht viel dar- auf zu geben schien, sprach Mirabeau: „Ja Sire, da hätte ich meine Fahnen verlassen und mir am Hofe so eine Vettel erkaufen sollen, das hätte mir Beförderung und weniger Wunden gebracht.“ Der König wendete sich bloß ab, aber Vendome sprach hernach: „Ich hätte Dich ken- nen sollen. Künftig stelle ich Dich noch dem Feinde, aber nie in meinem Leben dem Könige vor.“ Wirklich that er noch eine Zeitlang Dienste, zog sich dann auf sein Fami- liengut Mirabeau in der Provence, welches der König zum Marquisat erhöhte, zurück und schaltete dort wie bis- her bei seinem Regiment, gebieterisch, ungestüm, aber mit redlicher Sorgfalt. Wie früher ihm niemand mehr zuwi- der war als die Commissäre, die sein Regiment inspicir- ten, so verfolgte er jetzt die Mauthbeamten auf jede Weise, und sie waren bei der geringsten Überschreitung, mochte sie ihn selbst oder seine Bauern angehen, ihres Lebens nicht sicher. Man wußte schon, mit ihm sey nichts anzu- fangen, aber an seine Wittwe stiegen die Anforderungen von nicht bezahlten Gebühren auf 50,000 Livres und sein Vermögen war am Ende sehr gesunken. Bei dem Lawschen Bankunwesen verlor er 100,000 Thaler, und er war nicht zu bewegen mit dem werthlosen Papiergelde, das ihm wurde, seine Schulden zu bezahlen, wiewohl die Gesetze es gestatteten. Starb 1737. Von den überlebenden Söhnen war der Marquis Mi- rabeau, der Vater unseres Mirabeau, jetzt der Stamm- halter. Das mirabeausche Blut war von jeher durch Stra- pazen und Wunden verdünnt worden; aber der Marquis verließ ziemlich bald die kriegerische Laufbahn, welche un- ter Ludwig XV. keine Lorbeern versprach. Sein Gedanke ist durch Schriftstellerei eine neue Art des Ruhmes in die Familie zu bringen; in diesem Hause wird aber Alles zur Leidenschaft. Schon als junger Mensch schreibt er Me- moiren und giebt seiner Nachkommenschaft Rath, schrift- stellert über Nationalökonomie, wird die mächtigste Stütze von Quesnay’s System, er hat viele Tausende von Brie- fen und über 400 Folianten an Abschriften hinterlassen. Seine meisten Briefe sind an einen jüngeren Bruder, der Bailli des Maltheser Ordens und lange Zeit Gouverneur von Guadeloupe ist, gerichtet. Die Briefe des Marquis athmen eine natürliche Wohlredenheit, allein sobald er für den Druck schreibt, verfällt er in einen pomphaften, verwickelten, unleidlichen Styl, vergeblich die Warnun- gen des gutherzigen Bruders; ein Buch folgt dem andern. Noch schlimmer daß der Marquis an der trefflichen unbe- scholtenen Ehe seines Vaters kein Muster nahm. Dieser wollte von seiner Verlobten durchaus kein Vermögen, nicht einmal eine Aussteuer; der Marquis heirathet ein Ver- mögen, er wird der Geizhals des Hauses. Das Verneh- men der Eheleute, von jeher kalt, wird feindselig, seit der Mann mit einem schlauen Weibe, das ihn zu benutzen weiß, unrühmliche Gemeinschaft hat. Dazu kommen öko- nomische Verwickelungen, besonders durch seine verun- glückten Versuche als Landwirth, Volksbeglücker, Späher nach Minen und Güterkäufen veranlaßt. Die eilf Kinder erwuchsen fast als ob sie Waisen wären. Er war der Schrecken des Hauses und doch innerlich überzeugt von seiner Gutherzigkeit, wie er denn wirklich jedermann, der seinem Gebot sich unterwarf, und, wenn es möglich wäre, seinen Ami des hommes und seine ökonomischen Epheme- riden las, gern dienstlich war, seine Einsassen gut hielt, keinen Armen leicht ungetröstet ziehen ließ. Seine Mei- nung sagte er starr in Schriften heraus, einerlei ob sie den Hof verletzte. Seine „Theorie der Steuer“ brachte ihn auf kurze Zeit nach Vincennes, er hatte das Allerhei- ligste, die Generalpächter angetastet. Nicht zu bewegen war er, eine seiner Schriften dem Dauphin, nachherigem König Ludwig XVI. zu widmen, er schrieb sie dem Groß- herzog Leopold von Toscana zu, mit welchem wie mit dem Markgrafen von Baden, seinem ökonomistischen Glaubens- genossen, er in vertrautem Briefwechsel stand. Es war mit diesem Marquis nicht mehr wie zur Zeit seiner Vor- fahren, aber auch er handelte und sprach aus einer Fülle des Wesens heraus; es waren reiche Naturen. Ihm nun ward als fünftes Kind Gabriel Honoré am 9ten März 1749 geboren. Er brachte einen unnatürlich großen Kopf und zwei Backenzähne mit auf die Welt. Es war der erste Sohn, der Vater bildete sich ein, er habe just einen Sohn gewollt und drum sey’s so gekommen, schrieb dem Bruder: „der dicke Junge schlägt seine Amme und sie pufft ihn wieder.“ Im dritten Jahre überfielen ihn bösartige Blattern; die Mutter, die nach Frauen Art gern doctorte, legte ihm Umschläge auf sein geschwol- lenes Gesicht, die zugeschwollenen Augen; da hinterblie- ben tiefe Furchen, eine ganz zerrissene Haut. Der Vater schrieb dem Oheim: „dein Neffe ist häßlich wie Satan seiner,“ ließ die anderen Kinder impfen. Sein Ältester hinterblieb als der Häßliche in einer von Alters her schö- nen Familie. Die Erziehung war streng, der Vater half dem Lehrer züchtigen, verzweifelte bald an dem Jungen, der einen bloßen Querkopf und Narren verspreche, alle Verkehrtheiten der Mutter habe, aber freilich unbegreif- lich große Anlagen, ein wunderbares Gedächtniß. Giebt ihn am Ende in eine Pension, die strengste die er finden kann, er muß dort Pierre Buffiere nach einem Landgute seiner Mutter heißen, denn ein ruhmvoller Name soll nicht den Züchtigungen einer Schulbank preisgegeben werden. Außer sich ist der Vater, als er entdeckt, die Mutter habe ihm heimlich Geld geschickt, schneidet ihm allen Brief- wechsel ab. Mit achtzehn Jahren muß er in ein Regi- ment; da macht er einige Schulden, verspielt einmal 40 Louisd’or. Der Vater hält ihn darum nur um so karger („das ist der Geist seiner Mutter wieder“), nun eine Liebschaft, an sich ganz unverfänglich, mit einem gerin- gen Mädchen. Der häßliche Unterlieutenant hat das Glück seinen Obersten bei der Schönen auszustechen. Dieser weiß sich zu rächen, und Mirabeau verläßt sein Regiment als er gerade den Dienst hat, flieht nach Paris zu väter- lichen Freunden. Von hier begann eine Reihe von Ver- folgungen für ihn. Sein Vater läßt gerade ökonomisches Brod backen, 600 Pfund den Tag, um seinen Gutsun- terthanen ein besseres und wohlfeileres Nahrungsmittel zu verschaffen, aber hat kein Ohr des Erbarmens für die ehrerbietigen Bitten seines Sohnes. Nicht als ob er blind gegen die angeborene Wildheit seines Geschlechtes wäre, die nothwendig ihre Zeit zum Ausrasen haben muß. Schreibt er doch selbst von dem jetzt so sanften würdigen Bailli: „Als der jung war, gab es drei vier Jahre daß er keine vier Tage auf freiem Fuß war. Kaum daß der Tag anbrach, so fiel er auch über den Brantewein her, und dann ward er mit Jedem handgemein, den er auf dem Wege traf, bis man seiner Herr ward und ihn fest- nahm. Sonst aber ein Ehrenmann bis zum Übermaß, und seine Chefs, erfahrene Leute, versprachen immer mei- ner Mutter, aus ihm werde noch etwas Vortreffliches. Aber niemand war im Stande ihn aufzuhalten, bis er plötzlich sich selber aufhielt.“ So gut sollte es seinem Nef- fen nicht werden. Der Alte beschloß ihn von nun an durch Verhaftsbriefe zu beherrschen. Zuerst Verbannung nach der Insel Rhé; aber bald vernimmt der Vater: „er be- zaubert seinen Aufseher, der ihn gegen meinen Befehl in der Citadelle spazieren läßt, bezaubert meine Freunde und alle Welt.“ Nun dachte er ihn in die holländischen Colo- nien zu schicken, was nicht viel besser war als in den Tod. Doch soll es zunächst bei Corsica beruhen. Diese Insel, von den Genuesen 1767 an Frankreich abgetreten, hat er für Frankreich vollends erobern helfen, ist dort an der Wiege des Kindes Bonaparte vorübergegangen. Man gab 1770. ihm das Zeugniß eines tapferen und geschickten Officiers; das mußte sogar sein Vater einräumen; nur daß man ja nicht von ihm verlange, die Geschichte von Corsica, die der junge Mann hier geschrieben hat, drucken zu lassen. Doch trat nach seiner Rückkehr der alte Oheim wieder ein und die Brücke zum Wiedersehen wird mit den Büchern des Marquis geschlagen. „Laß ihn meine Economiques und die beiden ersten Jahrgänge der Ephémérides du citoyen lesen.“ Jetzt schrieb er noch einen ökonomischen Katechis- mus, schickte ihn für den Sohn. Der las wirklich, ob- gleich die trockene Einseitigkeit des Systems ihn anekelte. Nun soll aber Pierre Buffiere, denn so muß er noch im- mer heißen, auch ganz und gar Landwirth werden, den Officier aufgeben. Endlich sehen sie sich und der Vater ist erstaunt über den Menschen. „Was aber soll man mit diesem Übermaß von Verstand und Blut anfangen? Der muß die Kaiserin von Rußland heirathen, sonst weiß ich keine, die für ihn paßt.“ Inzwischen giebt er ihm — denn er fügt sich seinen Planen, greift die Landwirthschaft mit gewaltigem Eifer an — doch eine Frau von 600,000 Livres und noch weit glänzenderen Aussichten, eine Ma- rignan. Allein ihre Eltern lebten, und waren in Ver- wickelungen, keine eigentliche Mitgift erfolgte und der Marquis kargte, auch aus Grundsatz, um den Sohn un- ter Aufsicht zu halten. Dieser machte nun Schulden und fing, während der Vater gerade abwesend, kostspielige Bauten an. Die Strafe blieb nicht aus. Der Vater ver- weist ihn durch einen Verhaftsbrief vom Gute in eine kleine Stadt, er wird gerichtlich confinirt und interdicirt. Hier, in Manosque, schreibt er seinen Versuch über den Despotismus. Von nun an erweitert sich die Kluft zwi- schen Vater und Sohn mit jedem Tage. Wegen einer Eh- rensache hat der junge Mann den ihm angewiesenen Auf- enthalt auf kurze Zeit verlassen; es kommt heraus. Zur Strafe wird er, der schon selber einen Sohn hat, auf 1774. Juni. das Felsenschloß If am Hafen von Marseille gebracht, das Jahr darauf nach Fort de Jour hoch im Jura, hart an der Gränze des Pays de Vaud. Auch hier weiß er sich gegen des Vaters Willen einen freieren Aufenthalt zu ver- schaffen, erhält im nahen Pontarlier Zutritt bei dem Prä- sidenten Marquis de Monnier, lernt dessen junge liebens- würdige Gattin kennen, die durch Mirabeau berühmt gewordene Sophie. Sie war aus adlichem Hause, wo der Töchter Schicksal damals insgemein der männlichen Nachkommenschaft geopfert ward. Ihre ältere Schwester kam in ein Kloster. Sophie sollte zwölfjährig zuerst den 63jährigen berühmten Büffon heirathen, doch der noch ältere Monnier erhielt den Vorzug. Sie war nicht glück- lich, aber ertrug das Leben, als ihr auf einmal Mira- beau’s Umgang zeigte, wie reich ein Menschenleben wer- den kann. Man darf nicht sagen daß er wie ein gemeiner Verführer sich seiner Beute bemächtigt habe, er wider- stand, suchte stärker zu werden, indem er seine Frau in den dringendsten Ausdrücken einlud seine Gefangenschaft zu theilen. Als eine Erwiderung von eisiger Kälte kam, da freilich schlugen alle Wellen der Leidenschaft über ihm zusammen. Die Eifersucht des Gemahls erwachte oder ward durch fremde Anzeigen wider Willen geweckt. Ent- führung und Flucht waren der Ausgang. Da das Paar sich in der nahen Schweiz nicht sicher wußte, ging es wei- ter nach Holland. Am 10ten Mai 1777 ward Mirabeau als Verführer und Entführer einer Ehefrau vom Amtsgerichte von Pon- tarlier zur Enthauptung im Bilde und 40,000 Livres Ent- schädigung verurtheilt. Der Vater verwandte 20,000 Livres darauf der Schuldigen habhaft zu werden, und es gelang. Hören wir wie der Ami des hommes in einem Briefe an den Bruder sich Glück dazu wünscht. „Da es keine Familiengerichtsbarkeit mehr giebt, so muß man zu Französische Revolution. 12 dem barbarischen Despotismus der Verhaftsbriefe, wenn es die Züchtigung verbrecherischer Kinder gilt, lieber grei- fen, als zu den langsamen Förmlichkeiten einer blinden und pedantischen Gerechtigkeit. — Laß die Leute mich für einen Nero halten — ich fürchte nur mein eigenes Gewis- sen. — Meinen Proceß habe ich gewonnen (er meint den mit seiner Frau, von welcher er getrennt lebte), ich habe ihn gewonnen; ich wollte jene Närrinnen einsperren lassen (wieder seine Frau und seine jüngere Tochter, welche letztere er auf ein Paar Jahre in ein Kloster steckte), es ist geschehen; ich wollte jenen Tollkopf einstecken lassen, er sitzt.“ — Zu derselben Zeit feierte er sich als den Mann, der sein ganzes Leben für die Erleichterung der Armuth und den allgemeinen Unterricht geopfert habe. 1777 Juni. Sophie ward in Paris unter Aufsicht gestellt, Mira- beau kam nach Vincennes. Von hier stammen jene Ker- kerbriefe an Sophien, voll von Poesie und ausschweifen- der Leidenschaft, welche nach des Verfassers Tode wider Recht ins Publicum kamen. Vergeblich bestürmte er den Grafen Maurepas um seine Freilassung: man soll ihn, bittet er, mit den Truppen nach Amerika schicken und nur die Todtenliste wird von ihm Zeugniß geben, wenn es nicht seine Thaten thun. Von Verzweiflung und Krank- heit erschöpft, nährt er Gedanken von Selbstmord, doch ermannt sich sein Geist wieder. Der Alte aber beharrt unbeweglich. Da stirbt des Gefangenen rechtmäßiger Sohn, ein fünfjähriger Knabe, und nun wachen dem Alten Familiengedanken auf. „Unser Kind ist todt, Vic- tor,“ schreibt der Bailli, „deine Familie ist vernichtet, der Herr hat es gegeben, hat es genommen.“ Der Mar- quis darauf: „Die letzte Hoffnung unseres Namens ist da- hin. — Nach so Vielem was ich ertragen, glaubte ich an meine Stärke; Gott hat mich enttäuschen wollen. — Ich habe getrachtet ein guter Sohn, guter Bruder, guter Gatte, guter Vater, guter Nachbar zu seyn, gesetzlich in Geschäften, billig in Verträgen, habe niemals jemanden übel gewollt, und doch scheine ich ein Gegenstand des himmlischen Zornes zu seyn.“ Er vergleicht sich mit dem Regulus in der Tonne, umgeben von Bösewichtern; „die Mutter und von fünf Kindern ihrer viere eingesperrt.“ Der Oheim brachte nun in aller Stille den Gefangenen dazu seinem Vater unterwürfig zu schreiben, erinnerte zu- gleich den Bruder an den Schmerz der Provençalen, wenn eines seiner besten und kraftvollsten Geschlechter ausgehen sollte. Als auch Sophie schreibt, sich selbst alle Schuld beimißt, bricht das Eis etwas. „Ich glaube, alle Narren und Närrinnen der Welt haben sich verschworen mir Re- spect zu bezeigen.“ Als endlich die Minister selbst nahe daran waren einzuschreiten, kam Mirabeau frei nach vierte- 1780 Dec. halbjähriger Gefangenschaft. Die Wiedervereinigung mit seiner Frau gelang nicht; eben so wenig aber knüpfte sich das Verhältniß mit So- phien wieder an. Diese stand im Begriffe, nachdem ihr Mann gestorben, ein anderes Bündniß aus wahrer 12* Neigung einzugehen; aber ihr Verlobter starb und sie machte ihrem Leben durch Kohlendampf ein Ende. Vater und Sohn sehen sich nach neun Jahren wieder. Da aber der Marquis auch jetzt nicht zu bewegen war ein festes Jahrgehalt seinem Sohne auszusetzen, machte dieser sich mehr unabhängig, half sich mit Schuldenmachen und dem Ertrage zahlreicher literarischer Arbeiten. Er trat mit Calonne in Verbindung, und schrieb Anfangs im Inter- esse seiner Finanzplane. Als er aber dessen Unwürdigkeit erkannte, beschloß er öffentlich mit ihm zu brechen, ging nach Berlin, um von dort aus seine Blitze zu schleudern. Hier sah er Friedrich den Großen, ward gern von ihm 1785. empfangen. Die Hand eines Freundes hielt sein Send- schreiben an Calonne von der Veröffentlichung zurück; es ist Talleyrand-Perigord. Dieser Mann war Mirabeau’s Leidensgenosse, auch er ein Opfer jener schrankenlosen Hausmacht in den Familien des hohen Adels. Er ward in Paris geboren, die Eltern gaben ihn gleich aus dem Hause in die Vorstadt einer Amme hin. Diese verwahr- loste das Kind, er that einen Fall, der ihn für sein Leben lang gebrechlich machte. Nun mußte er, der Erstgeborene eines alten glänzenden Hauses, in die bescheidene Lauf- bahn eines Nachgeborenen treten, die weltlichste Seele wider Willen in den geistlichen Stand. Aber Abteien flos- sen ihm zu, er ward Generalagent der französischen Geist- lichkeit, ward als solcher der Verwalter ihres ungeheuren Vermögens und rüstete in dieser Stellung während des nordamerikanischen Krieges einen Kaper gegen die Eng- länder aus. Er nun deckte damals Calonne mit seinem Schilde, lediglich in der Absicht seinem älteren Freunde, dessen Kraftfülle ohne Nutzen wucherte, einen Wirkungs- kreis durch die Regierung zu verschaffen. Diese erkannte den Vortheil, den ein in Berlin wohl aufgenommener Mann in einem Zeitpunct bringen könne, da eine Regie- rungsveränderung in Preußen bevorstand. Mirabeau’ging nach Berlin ab wenig Wochen vor dem Tode Friedrichs. An seinen Nachfolger richtete er ein Schreiben voll eingrei- fender Rathschläge, rieth an die Stelle des bisherigen Militärzwanges Nationalcompagnien, nach Kirchspren- geln gebildet, zu setzen, die sich unter sich einüben, ihre Oberen wählen, verlangte unabsetzbare Richter, die von Gehalt, nicht von Sporteln leben, völlige Freiheit der Presse als des einzigsten Mittels für den König die Wahr- heit zu erfahren, eiferte gegen das Lotto, sprach endlich herben Tadel gegen das ganze Wirthschaftssystem des ver- storbenen Königs aus, namentlich gegen den ungeheuren Staatsschatz. Es war die Zeit der ersten Notabeln gekom- men, Talleyrand fand seinen Platz in ihnen, Mirabeau bewarb sich vergeblich um eine der Secretärstellen, er sah 1787 Jan. bei seiner Rückkehr beide besetzt. Nun griff er öffentlich Ca- lonne an in seiner vortrefflichen Schrift über die Agiotage, richtete nach dessen Falle zwei Briefe gegen Necker, wel- chem er, im Princip richtig, aber nach Lage der Umstände mit Unbilligkeit sein System der Anleihen zum Vorwurf macht; er hätte mit Steuern aushelfen sollen. Mit größe- rem Rechte hielt er ihm seine Schrift über den Getraide- handel vor, durch welche er an dem Sturze des einzigen Ministers, welcher der Wiedergeburt von Frankreich ge- wachsen war, an Turgots Sturze gearbeitet habe. Um den Folgen eines Verhaftsbriefes zu entgehen, der ihn wegen der Schrift gegen Calonne traf, kam Mirabeau zum dritten Male nach Deutschland, und brachte jetzt mit Beihülfe des Majors und Professors Mauvillon in Braun- schweig sein großes denkwürdiges Werk über die preußische Monarchie zu Stande. Vielfach, wo er Preußen nannte, hatte er Frankreich im Auge. Der Vater, dem er sein Werk gewidmet, nahm es wohl auf, meinte, der Haupt- nutzen desselben sey zu zeigen, wie Friedrich der Große mit allem guten Willen, all seiner Wachsamkeit sich doch im Einzelnen unzählige Male geirrt habe. Aufs Neue bot aber Mirabeau der Regierung seine Dienste an, wandte sich an den Minister Montmorin. Die Sache lag ganz einfach vor; man hätte ihn im Va- terlande benutzen, oder unter dem Scheine der Dienste einen gefährlichen Gegner an ihm entfernen sollen. Denn in seiner wachsenden Bedrängniß erklärt er sich bereit, wo- hin man will, „nach Warschau, St. Petersburg, Con- stantinopel, Alexandrien“ zu gehen. Weder das Eine noch das Andere geschah. Es ist nicht anders, diese mi- nisterielle Unfähigkeit ein politisches Genie zu würdigen, gepaart mit dem unerbittlichen Geize des alten Vaters hat einen Hauptimpuls zur Revolution abgegeben. In allen seinen Nöthen war Mirabeau geradezu der Einzige, der durch allen den Tageslärmen hindurch die stille Bil- dung einer neuen Geschichte von Frankreich mit des Gei- stes Augen sah, bevor sie noch in die Erscheinung trat. Schon am 10ten November 87 schrieb er an ein Mitglied des Parlaments, die Berufung der Generalstaaten habe nicht Zeit bis 1792, sie sey unvermeidlich, möge nun Achilles oder Thersites Minister seyn; er wünschte dem (unbekannten) Correspondenten Glück zu der belle part dans la révolution qui constituera la France. Demselben schrieb er am 18ten November, man dürfe 120 Millionen als Provisorium bewilligen, unter der Bedingung daß die Etats-généraux 1789 versammelt würden, durchaus aber nicht die ganze Forderung. Nach jener verhängniß- vollen königlichen Sitzung vom 19ten November schrieb er an Montmorin, beschwor ihn Muth zu fassen: „Es giebt Augenblicke wo der Muth Klugheit ist.“ Die Antwort des Ministers war eine Aufforderung gegen das Parlament zu schreiben. Er aber antwortete mit der Beweisführung daß man das Parlament nur stürzen könne, wenn man die Nation zur Gehülfin habe. Wenn man freilich dieses Weges wollte, hätte man den König nicht sollen sagen lassen daß allein der Wille des Monarchen das Gesetz macht. „Ich werde nie die Parlamente bekriegen als in Gegenwart der Nation. — Sehen wir nicht an der Stelle der von ihnen usurpirten Rechte eine durch unsere Ein- willigung bestätigte Constitution erwachsen, welcher ehr- liche Mann würde dann dazu helfen wollen, die letzte Spur unserer sterbenden Freiheiten zu vertilgen? Die Ge- neralstände sind eben so nothwendig als die einzige Hülfs- quelle der Finanzen wie als das einzige Mittel das Kö- nigreich zu constituiren und umgekehrt. — Aber leider ist es die Krankheit der Minister heute das nicht geben zu wollen, was ihnen morgen entrissen wird. — Sobald der nothwendige Schritt geschehen ist, die Regierung das Vertrauen der Nation wieder erlangt hat, werden die Par- lamente durch die Gewalt der Dinge auf ihr wahres Maß herabsinken.“ Er schließt ungefähr so: „Herr Graf, compromittiren Sie nicht einen eifrigen Diener, der an dem Tage, an welchem die Pflicht ihm gebietet sich sei- nem Vaterlande zu weihen, seine Gefahren für nichts an- schlagen wird; aber der um den Preis aller Kronen sich nicht in einer zweideutigen Sache bloßstellen will. Würde ich nicht dieses geringe Talent, dessen Einfluß Sie zu hoch anschlagen, aufopfern, wenn ich dieser unbeugsamen Un- abhängigkeit entsagte, welche allein mich nützlich meinem Lande und meinem Könige machen kann? An dem Tage da begeistert von meinem Gewissen und stark durch meine Überzeugung ich als reiner Bürger, treuer Unterthan, jungfräulicher Schriftsteller mich in das Handgemenge stürze, werde ich sagen können: Höret einen Mann, der nie in seinen Grundsätzen geschwankt, nie die öffentliche Sache verrathen hat.“ Zu dieser Zeit gab er seine Schriften über die Gefäng- nisse und über die Preßfreiheit heraus, letztere nach John Milton und mit dem Motto: „Wer einen Menschen töd- tet, tödtet ein vernünftiges Geschöpf, wer aber ein gutes Buch vernichtet, tödtet die Vernunft selber.“ Mirabeau hielt fest an dem Satze, die Regierung habe durch die Aufforderung an das Publicum, sie mit ihrem guten Rathe für die Reichsstände zu unterstützen, auf die Censur ver- zichtet, und Tausende von Flugschriften setzten das praktisch durch. Um die Zeit da die berühmte Brochüre von Sieyes ans Licht trat, ging sein Landsmann in die Provence, mit 1789 Jan. dem Adel an der Wahl von Abgeordneten für die General- stände theilzunehmen. Er that durch seinen Oheim bei dem Vater Schritte, wünschte die großen mirabeauschen Hauslehen in der Adelskammer zu repräsentiren; der aber meinte: das komme ihm, dem Inhaber, doch wohl eher zu. Nun fragte es sich, ob der Adel den Sohn, als nicht wirklichen Besitzer von Lehen zulassen, noch mehr, ob er ihn zum Abgeordneten wählen werde. Allein das schlimmste Hinderniß steht noch zurück. Für seine Geltung in den Reichsständen war sein Selbstgefühl ihm Bürge, allein wer bürgte dem Bedrängten für sein Reisegeld hin in die Provence und wieder zurück? Nun hatte er ein geistreiches, aber vielfach anstößiges Buch abgefaßt: Geheime Ge- schichte des berliner Hofes. Er bietet seine Handschrift dem Grafen Montmorin an, will man ihn entschädigen, so soll sie nicht erscheinen. Dieser leistet eine Zahlung, stellt aber die Bedingung dabei, Mirabeau soll nicht in die Provence gehen, auf seine Deputirtenwahl verzichten. Aber Mirabeau geht in die Provence und läßt sich noch dazu von einer hübschen Buchhändlersfrau überreden, ihren Mann durch eine Copie seiner Handschrift glücklich zu machen. So floß ihm Geld aus zwei Quellen zu. Das Parlament verbrannte sein Buch und beförderte nur dessen Verbreitung. Seit dem Tage zog sich Talleyrand von Mi- rabeau zurück, er der ihn vielleicht hätte retten können. So kam der Mann mit Unehre belastet in die Provence, allein auch seine Gegner gestehen daß sein Benehmen dort ehrenhaft, voll Würde und Mäßigung war. Seit funf- zehn Jahren hatte er die landständischen Versammlungen der Provence als Mitglied der mit Lehen angesessenen Rit- terschaft besucht, auch dieses Mal war er schriftlich einbe- rufen, und niemand tastete in den ersten Sitzungen seine Gerechtsame an. Nun erhub sich aber ein heftiger Streit unter den Privilegirten über die Frage, wer die Wahl zu den Reichsständen zu treffen habe und wer wählbar sey. Die Prälaten und der Lehnsadel sprachen: „Wir allein,“ die Stimme des Landes ward nicht müde zu wiederholen: „Die gesammte Geistlichkeit, der gesammte Adel.“ Jene hatten das Herkommen, diese die provisorische Verfügung des Königs zum Zwecke der Reichsstände und die Lebens- verhältnisse für sich. Kaum aber hatte Mirabeau, der Einzige seines Standes, in einer Rede voll Einsicht und edler Mäßigung dargelegt daß der königliche Befehl eben so sehr Gehorsam heische als die königliche Absicht ihn verdiene, daß auch die Stimme von 600,000 Einwohnern einen Werth habe, 180 Berechtigten gegenüber, als auch der Sturm über ihn ausbrach. Man befand jetzt daß die mirabeauschen Lehen auf seines Vaters Namen gingen, daß auch sein Ehecontract ihn nicht zum Lehnseigenthümer mache, seine Ausstoßung ward entschieden. Auch sein Protest hiegegen trägt keine Spur von Leidenschaft; er ist ein anderer Mensch, sobald er in die Sphäre öffentlicher Verhältnisse tritt. Um so gewisser konnte er von nun an der Gunst des dritten Standes seyn, es wäre denn daß ein Verhaftsbrief wegen seiner berliner Briefe dazwischen träte. Diese Sorge trieb ihn schleunig nach Paris, und als er erfahren, für seine Person sey nichts zu fürchten, eben so rasch wieder zurück in die Provence. Sein Ein- tritt hier war ein Triumphzug, allenthalben strömte ihm die Bevölkerung entgegen, man feierte mit lautem Zuruf den König und Mirabcau. An den Zauber seiner Unter- haltung sah man Alt und Jung gefesselt; wer ihn von den Irrthümern seiner Jugend reuig erzählen hörte, überredete sich gern, diesem Manne gehörten bloß seine Tugenden, seine Laster wären ihm äußerlich angespritzt. Aber Theu- rung herrschte auch in der Provence; der geringe Mann forderte in Marseille einen niedrigeren Satz für Brod und Fleisch; die Obrigkeit hat im ersten Schrecken nachgegeben, und weiß nun nicht wie sie Wort halten soll. Da nimmt das Gouvernement zu dem Manne des Volks seine Zu- flucht und Mirabeau wagt es auf ein Paar meisterhaft ge- März 25. schriebenen Seiten das Volk zu belehren daß es einen hö- heren Preis für sein Brod zahlen müsse, wenn es nicht verhungern will. Und es nimmt die Lehre an. Von da beruft man ihn nach Aix, wo das Volk die Magazine ge- plündert hat, auch hier ist er der Friedensstifter, läßt die Soldaten abziehen, übergiebt die Sicherheitssorge einer Bürgerbewaffnung. Jetzt fällt die Wahl des dritten Stan- des der beiden Bezirke von Marseille und Aix auf ihn. Er April 7. befindet sich gerade in Aix und nimmt diese Wahl an. Die Erzählung, er habe seinem Adel förmlich entsagt, habe einen Tuchladen in Marseille gekauft, ist eine Fabel. Die Geschicke Frankreichs erfüllten sich, indem zwei Provençalen, so ungleichartig wie Wasser und Feuer sind, sich in der Kammer des dritten Standes zusammenfanden, der ihrer beiderseitigen Vergangenheit fremd war. Es ge- hörte Neckers Wahlordnung und eine wunderbare Verket- tung von Umständen dazu daß sie nur überhaupt gewählt wurden. Dagegen bahnte sich vor Talleyrand-Perigord überall leicht der Weg. Er war kürzlich Bischof von Autun geworden und seine Geistlichkeit wählte ihn; er nahm von ihr mit einer Rede Abschied, welche die Gleichheit aller Stände vor dem Gesetz empfahl, die Freiheit des Gedan- kens verherrlichte. In der Woche vor Eröffnung der Reichsstände ward das Haus eines ehrlichen pariser Fabrikanten Reveillon in der Vorstadt St. Antoine von Gesindel erstürmt und April 28. ausgeplündert. Als Alles vorüber war, erschien die be- waffnete Macht, feuerte und nahm einige Verhaftungen vor. Der Umstand daß man bei den Verhafteten Sechs- frankenthaler fand, dergleichen sich zu Tagelöhnern nicht so leicht verirren, gab, an spätere Erfahrungen geknüpft, der Vermuthung Raum, es fänden sich in der Hauptstadt Leute von großem Vermögen, welche gelegentlich hätten erproben wollen, wie theuer wohl eine Emeute zu stehen komme; denn die Aufregung gegen Reveillon, der Hun- derte von Arbeitern mit Milde und Redlichkeit ernährte, war offenbar künstlich angefacht. Doch rauschte der ganze Vorgang damals schnell vor dem Gedächtniß vorüber; je- dermann dachte an Versailles, und wer von Paris dahin kam, weidete sein Auge an der Geschäftigkeit der Arbeiter, welche in einem der Schloßgebäude einen gewaltigen Saal, der zur Aufbewahrung von Teppichen, Kronleuchtern, Decorationen, Theater- und Maskenkleidern diente und jetzt wieder dient, für die Eröffnung der Reichsstände prachtvoll einrichteten. Er hieß der Saal der kleinen Ver- gnügungen, la salle des menus oder menus plaisirs. Man versprach sich ein recht großes Vergnügen davon. 3. Der Geburtstag der Revolution. Zu den Reichsständen ließ sich nun Alles vorschriftsmäßig an. Die große Stadt Versailles füllte sich Anfang Mai mit Fremden, die allmählig angereisten Abgeordneten wurden mit den jedem Stande gebührenden Förmlichkeiten dem Mai 4. Könige vorgestellt, und schon zu der kirchlichen Feier in der Kirche des heiligen Ludwig strömten die Hauptstäd- ter herbei, die große ständische Procession zu sehen, die vom dritten Stande voran, Alle ganz schwarz nach Vor- schrift, mit einem schmalen seidenen Mäntelchen hinten herabhängend angethan, bis auf einen Bauer aus der Bretagne, der in der Landestracht einherging; dann der Adel mit reich galonirtem Mantel, mit Degen und Feder- hut wie zur Zeit Heinrichs des Vierten, in dessen Reihen man nur einen Prinzen vom Geblüt, den Herzog von Or- leans bemerkte, denn der Graf von Artois hatte auf die Wahl, welche ihn getroffen, auf königlichen Befehl verzichten müssen. Langsam folgte zuletzt der Klerus; aber die Prä- laten in farbigen Prachtgewanden und weißen Chorhemden durften mit den schlichten Pfarrern in bescheidener Amts- tracht nicht verschmelzen; der umsichtige Ceremonienmei- ster hatte ein Musikchor zwischen beiden eingeschoben. Den Tag darauf am 5ten Mai wurden die Reichs- stände eröffnet. Der Klerus nahm an der rechten, der Adel an der linken Seite des Thrones Platz. Die schwarze Schaar des dritten Standes lagerte im Hintergrunde des großen prächtigen Saales. Ein Paar tausend Menschen füllten die hinter den Säulen laufenden doppelten Galle- rien. Als das Königspaar eintrat, umgeben von den Prinzen von Geblüt, den Herzogen und Pärs, geleitet von Ministern, Staatsräthen, Hofleuten, stand Alles auf und freudige Zurufe wurden gehört. Der König er- hob sich vom Throne, verlas unbedeckten Hauptes seine Rede: „Er habe gern eine in Abgang gekommene Ge- wohnheit erneuert, die Reichsstände berufen und so hof- fentlich eine neue Quelle für das Glück seiner Unterthanen eröffnet. Bei seiner Thronbesteigung habe er eine unge- heure Staatsschuld vorgefunden, sie sey unter seiner Re- gierung noch vermehrt durch einen wenn auch ehrenvollen Krieg; indem neue Auflagen nöthig wurden, sey die un- gleiche Vertheilung derselben noch auffallender ans Licht getreten. Um so beruhigender die Bereitwilligkeit, welche sich in den beiden ersten Ständen offenbare, auf ihre Vor- züge in der Besteurung zu verzichten. Sparsamkeit werde das Übrige thun; die Finanzetats sollen vorgelegt werden. Die Geister sind in großer Aufregung, eine Sucht nach Neuerungen ist erwacht; aber die Weisheit der Versamm- lung wird diese beschwichtigen, ihre Eintracht wird die heißen Wünsche ihres Souveräns, des ersten Freundes seiner Völker, zu ehren wissen.“ Als der König sich ge- setzt und bedeckt hatte, bedeckten sich sämmtliche Edelleute. Der dritte Stand war gereizt durch einige demüthigende Formen, welche die Höflinge für ihn erdacht hatten, da- mit er den Abstand seiner Geburt keinen Augenblick ver- gesse, und mehrere seiner Mitglieder bedeckten sich eben- falls, während andere Hut ab! riefen, und wieder andere dagegen Hut auf!, bis der König dessen inne ward, und indem er seine Kopfbedeckung abnahm, Alles wieder ins Gleis brachte. Von der Rede des Siegelbewahrers, mit leiser zitternder Stimme verlesen, ward wenig verstanden. Die Regierung des Königs belobend und wegen ihrer Un- bestimmtheit wenig gewinnend, obwohl die Worte: „öf- fentliche Freiheit“ und „Staatsbürger“, bisher unge- wohnte Klänge, darin vorkamen, deckte sie den Grund- fehler der Regierung auf, die Form der ständischen Bera- thung unentschieden zu lassen. Nach Barentin nahm Necker das Wort, las viel zu lang, indem er über drei Stunden mit finanziellen Details ausfüllte, wovon der Verfolg ihn sogar bis auf den Schnupftabak führte, dessen Anwen- dung auf die Nasen des Menschengeschlechts er eine Me- thode nannte. Eine Staatsschuld giebt er von 3,090 Mil- lionen an, ein Deficit von nur 56 Millionen, fordert die beiden ersten Stände auf zunächst den Verzicht auf ihre Steuerfreiheit, jeder Stand für sich, zu beschließen, dann weiter durch Commissarien über die Form der Verhand- lung zu berathen. Welch eine Regierungsweisheit ist aber das, die über solch einen Gegenstand erst eine Meinung sammeln will? Neckers Andeutung geht, gleich der Baren- tins, dahin, die Berathung in zwei oder drei Kammern werde dem Neuerungsgeiste entgegenwirken, in gewissen Fällen dagegen scheine gemeinschaftliche Berathung in ei- ner Kammer die Schnelligkeit und Eintracht der Beschlüsse sicher zu stellen. Eine leere Rednerei Neckers, welche nie- manden täuschte, ist seine Ausführung, für die Ordnung der Finanzen habe es der Reichsstände nicht bedurft, ihre Berufung sey ein freies Geschenk königlicher Weisheit und Huld. Der König erfüllte als ehrlicher Mann seine Zu- sage, allein er that es ungern, that es mit Sorge, konnte nicht anders. Mirabeau hatte auf eigene Hand ein politisches Ta- gesblatt begonnen ( Journal des Etats généraux ), immer noch in der kühnen Voraussetzung, alle Censur habe auf- gehört. Hier erschien gleich den nächsten Tag eine scharfe Kritik der Rede Neckers, die Behauptung ward aufgestellt, die Etats-généraux hätten in ungetrennter Versammlung über die Frage zu entscheiden, ob sie fortfahren wollten beisammen zu seyn oder nicht. Aber das Blatt ward unter- drückt und seine Fortsetzung verboten. Nichts desto weni- ger ging es unter verändertem Titel fort, Mirabeau be- klagte sich öffentlich in einem Briefe an seine Wähler über Französische Revolution. 13 den erlittenen Eingriff in sein Recht und die Wähler von Paris unterbrachen ihre Geschäfte, um einen einstimmigen Beschluß der Misbilligung gegen die Verfügung des Mai 7. Staatsrathes zu fassen und zu veröffentlichen. Inzwischen waren die Abgeordneten dritten Standes, einer bloß zuschauenden Regierung gegenüber, ungemein thätig. Alle Umstände vereinigten sich zu ihren Gunsten. Mai 6. Den Tag nach der Eröffnung fanden sie sich wieder in dem großen Saale von gestern zusammen, der ihnen bleiben sollte, während dem Adel und der Geistlichkeit kleinere Gemächer angewiesen wurden. So erschienen jene von Anfang her als der Mittelpunct der großen Bewegung, und weil mit den Abgeordneten zugleich auch viele Men- schen sonst eindrangen und die Gallerien erfüllten, nicht selten auch neben befreundeten Abgeordneten Platz nehmen durften, wurden ihre Sitzungen öffentlich ohne alle Be- schlußnahme oder Gestattung. An die Nothwendigkeit der Gegenwart von Staatsministern oder Regierungscommis- sarien hatte niemand im Ministerium gedacht, nicht ein- mal an eine Vorschrift, wie es mit der Untersuchung der Vollmachten zu halten sey. Die Regierung konnte das als ihr ausschließliches Recht betrachten, nachzusehen, ob je- der Erschienene rechtmäßig gewählt sey, und so hatte sie dieses Verhältniß bei den vorläufigen Wahlen zum Zwecke der Deputirtenwahl behandelt. Es ließ sich aber auch das Geschäft an die Reichsstände übertragen, nur daß die Form der Behandlung vorgeschrieben würde. Hier aber war der Art nichts verfügt, Alles stillschweigend den Ge- neralständen, wie sie sich einigen würden, überlassen, und eben hieran knüpften, im Stillen einverstanden, die Leiter des dritten Standes ihren Feldzugsplan an. „Wie ist es doch“, sprach man, „daß die Geistlichkeit und der Adel nicht in den Ständesaal kommen?“ denn so nannte man jetzt die- sen großen Saal. „Wir sind außer Stand ein gültiges Geschäft vorzunehmen, ehe unsere Vollmachten in Gegen- wart der drei Stände untersucht und richtig befunden sind, und Adel und Geistlichkeit befinden sich im gleichen Falle. Wir müssen jeden Anschein vermeiden, als hielten wir uns für constituirt, ehe das geschehen, ein Ältester mag bei uns Vorsitzer seyn, wir besprechen uns als Einzelne, warum nicht? aber kein Protocoll darf geführt, kein Staatsgeschäft vorgenommen werden“. Die Schwierigkeit bestand darin, zugleich Etwas und Nichts zu seyn; man kam überein in der Eigenschaft von muthmaßlichen Abge- ordneten mit Geistlichkeit und Adel in Verbindung zu tre- ten, sie durch einzelne Mitglieder um ihr Erscheinen er- suchen zu lassen. Allein der Adel beschloß rasch mit großer Mehrheit die Prüfung für sich vorzunehmen, ebenso, doch zögernder und mit geringer Mehrheit die Geistlichkeit. Dadurch aber war die Verwickelung nur vergrößert. Denn Geistlichkeit und Adel galten bei dem dritten Stande weder für constituirt, noch konnten sie sich als Generalstaaten geltend machen, so lange der dritte Stand auf seiner schlauen Trägheit beharrte. So ließ man sich denn zu 13* Commissarien aller drei Stände herbei; aber die Abgeord- neten der Gemeinen, denn so benannten sich die vom drit- ten Stande in diesen Tagen, gaben weder zu, daß für die- sen in seiner Wahlordnung so mannigfach abweichenden Reichstag das gelte was vor Jahrhunderten gegolten, noch misglückte ihnen der Beweis daß wirklich auch auf ein Paar alten Reichstagen die Prüfung der Vollmachten gemeinsam vorgenommen sey. Bis in die dritte Woche hatte man sich gestritten, Frankreich sah vergeblich nach den Thaten seiner Vertreter aus, und die Freude der Höf- linge brach fast schon in ein helles Jauchzen aus, als Klerus und Adel sagen ließen, sie hätten auf ihre Steuer- freiheit Verzicht geleistet. Dieser Versuch die Gemeinen von ihrer Bahn abzulenken, scheiterte; sie nahmen die Botschaft kalt an und beharrten, sie wollten keine bloße Steuerveränderung mehr, ihr Sinn stand nach einer neuen Verfassung. Man hielt damals bei ihnen sehr kurze Sitzun- gen; jedes Mitglied redete einfach von seinem Platze aus; nur daß ausnahmsweise, wenn etwas besonders Wich- tiges vorzubringen war, ein Mitglied auf die Erhöhung, das Büreau trat, wo der Alterspräsident seinen Platz hatte. Man war in die vierte ständische Woche getreten, als auf Mirabeau’s Antrag einige Vertreter der Gemei- nen bei der Geistlichkeit erschienen, sie im Namen des Gottes des Friedens beschwörend, gemeinschaftliche Sache mit ihnen zu machen. Dieser Schritt erschütterte die Ge- müther der Geistlichen und wenig fehlte, so wäre an die- sem Tage die Vereinigung unmittelbar erfolgt. Der Bi- Mai 27. schof von Chartres, der alte Gönner von Sieyes, ein von seinem Berufe in Redlichkeit erfüllter Prälat, drang tief bewegt darauf. Dennoch ward es für das Mal abgewen- det, und der König trat eilig mit Vergleichsvorschlägen dazwischen. Jeder Stand soll zunächst für sich prüfen, den beiden anderen Einsicht der Acten geben; bleiben dann angefochtene Vollmachten übrig, so treten Commissarien der drei Stände zusammen, schließlich entscheiden die Kam- mern, können sie sich nicht einigen, der König. Diesen Vorschlägen, deren Dolmetscher Necker in dem Ausschusse der drei Stände war, fügte die Geistlichkeit sich gleich; geschah es daß auch der Adel nachgab, so war dem unpri- vilegirten Stande eine große Gefahr bereitet; er mußte dann entweder aus seiner geschützten Stellung weichen und auf Hoffnungen verzichten, die ihm Alles bedeuteten, oder sich gegen Vorschläge auflehnen, die, wenn sie als Vorschriften den Etats-généraux vorangegangen wären, jedermann befriedigt hätten. Allein der Adel hatte schon einige Tage vorher einen Beschluß gefaßt, welcher die Berathung jedes Standes für sich und das Veto jedes Standes für unabänderliche Grundsätze der französischen Monarchie erklärte, und diesem Beschlusse getreu fiel seine Erklärung dahin aus, daß er allein über die Wahlen seines Standes zu entscheiden habe. Alsbald erklärten die Gemei- nen, ein Vergleichsvorschlag, welchen eine der Parteien ver- worfen habe, sey fruchtlos, und die Conferenzen brachen ab. Juni 9. Die Gemeinen standen jetzt besser als vor dieser Ge- fahr. Sie hatten nicht den Krieg erklärt und durften wie- der auf die Geistlichkeit hoffen. Wenn sie nun zugleich ei- nen Schritt des Selbstgefühls kühn in die Welt hinaus thaten, er konnte für geboten durch die Nothwendigkeit gelten, den Reichsständen ein Resultat zu sichern. Aber verschoben durfte er nicht länger werden, denn dieselbe Gefahr konnte wiederkehren, wenn die starrsten Köpfe des Adels, durch die Polignacs angefeuert, sich etwa bedeu- ten ließen. Es war der 10te Junius als Mirabeau sprach: „Die Gemeinen können länger nicht ohne Gefahr in diesem Zu- stande der Unentschiedenheit verharren, und ich bin unter- richtet daß ein Mitglied der pariser Deputation einen An- trag von der größten Wichtigkeit zu stellen hat.“ Der Abbé Sieyes trat auf, entwickelte daß die Versammlung der Gemeinen, ohne ein Verbrechen gegen die Nation auf sich zu laden, nicht länger unthätig bleiben könne, man müsse handeln und, um handeln zu können, die Prüfung der Vollmachten vornehmen, auch zu diesem Ende eine letzte Ladung an die Geistlichkeit und den Adel ergehen las- sen, binnen einer Stunde sich im Ständesaale einzufin- den. Wer nicht erscheint ist ausgeschlossen. Der Antrag ward mit großem Beifalle aufgenommen; nur einige Här- ten milderte man, setzte auf Targets Vorschlag statt „La- dung“ Einladung, setzte die Frist von einem Tage und ließ die Erwägung gelten, daß statt die nicht Erschienenen auszuschließen, man stets die Thüre zur Vereinigung of- fen lassen müsse. Der dritte Stand hatte das Recht die Hälfte zu bedeu- ten, welches ihm seine Verdoppelung in Aussicht stellte, nicht erlangen sollen, und war jetzt auf dem Wege sich für das Ganze zu erklären. Mirabeau kannte die Gefahr jedes Schrittes auf dem schlüpfrigen Boden der Neuerung. Als einige Wochen früher ein heftiger bretagner Advocat Le Chapelier in diese Bahn einlenkte, trat er ihm entge- Mai 18. gen: „Ein so wichtiger, so neuer, so tief entscheidender Schritt wie der, uns für die Nationalversammlung zu er- klären, die anderen Stände als nicht erschienen auszu- schließen, kann nicht reiflich genug erwogen und ermessen, nicht würdig genug gethan werden; er müßte selbst andere Handlungen nach sich ziehen, ohne welche unser ganzer Erfolg eine Auflösung seyn würde, welche Frankreich den schrecklichsten Unordnungen überlieferte.“ An demselben Tage, an welchem er an Sieyes’ Seite den gefürchteten Schritt gleichwohl that, trachtete er für die Regierung, die er erschütterte, neue Stützen zu gewinnen. Unter den Deputirten des dritten Standes aus der Auvergne befand sich Malonet, ein Mann von Grundsätzen und Einsicht, also redlicher und muthiger Freund der Freiheit, Feind gewalt- samer Umwälzung, weil die zusammenbrechende Ordnung die Freiheit unter ihren Trümmern zu begraben pflegt. Malouet stand in alter Verbindung mit den Ministern Necker und Montmorin. Staatskundiger als beide glaubte er keineswegs daß sich Alles so von selber machen dürfe und werde, wie Necker wähnte, keineswegs daß es ge- lingen könne nichts thuend das Heft in den Händen zu be- halten. Malouet warnte beide als es noch Zeit war, trieb sie, mit nützlichen und gerechten Zugeständnissen den Reichsständen entgegen zu kommen, ohne Kargheit billige Wünsche zu befriedigen, bevor diese nur ausgesprochen würden, und eben dadurch sich die Macht zu sichern, schäd- lichen und umwälzenden Planen entgegenzutreten. Seine Warnungen machten Eindruck auf Montmorin, Neckern bewegten sie nicht. Durch politische Schwärmerei und Selbstgefälligkeit getäuscht, fuhr dieser fort in den bevor- stehenden Reichsständen lediglich die Erhabenheit einer zu den edelsten menschlichen Zwecken berufenen Versamm- lung zu erblicken, und seines redlichen Willens sich ganz bewußt, rechnete er auf ihre Leitsamkeit und die unsterb- liche Dankbarkeit des französischen Volks. Malouet mußte sich mit der Antwort zufrieden stellen, es sey gefährlich, mit Adel und Geistlichkeit es zu verderben, ohne gewiß zu wissen, ob man auch mit seinen Anerbietungen dem drit- ten Stande Genüge thue. Nun traten die Reichsstände in Thätigkeit. Malouet wünschte so redlich wie Mounier von ihrer Versammlung eine Verjüngung Frankreichs, sah, wie dieser, das Mittel dazu in der Durchstimmung nach Köpfen, aber ihn betrübte der wachsende Zwiespalt der Stände, die träumerische Unthätigkeit der Krone. Da ging ihm an dem entscheidenden 10ten Junius eine Hoff- nung von unerwarteter Seite auf. Mirabeau bat ihn um eine Unterredung für denselben Tag. Diese hat Malouet, der sein Leben bis über die napoleonischen Zeiten verlän- gerte, aus frischer Erinnerung niedergeschrieben. Mira- beau ging offen heraus: er wende sich an einen verständi- gen Freund der Freiheit, dazu den Freund von Necker und Montmorin. Auf beide gebe er wenig, allein man brauche sich auch nicht zu lieben, genug, wenn man sich verstän- dige. Jetzt frage es sich, ob der Monarch und die Monar- chie den Sturm, welcher im Anzug ist, überleben, oder ob die Fehler, welche man begangen hat und ohne Zwei- fel noch begehen wird, uns Alle verschlingen sollen. „Ich wünsche,“ schloß er, „die Absichten der beiden Minister zu kennen und wende mich an Sie, um eine Zusammen- kunft mit ihnen zu erhalten. Die Minister würden sehr strafbar und sehr beschränkten Geistes, selbst der König würde nicht zu entschuldigen seyn, wenn sie sich anmaßten diese Reichsstände auf dasselbe Ergebniß zurückzuführen, welches alle anderen gehabt haben. Das wird nimmer- mehr geschehen. Die Herren müssen einen Plan haben; wenn dieser Plan vernünftig ist, im monarchischen Sinne, so will ich ihn unterstützen, alle meine Kräfte, allen mei- nen Einfluß anspannen, um den Einbruch der Demokra- tie, die uns bedroht, abzuwenden.“ Malouet war in gleichem Maße überrascht und erfreut, sprach denselben Abend mit beiden Ministern. Aber Montmorin wollte mit einem Manne nichts zu schaffen haben, der, wie er sagte, ein Spiel mit seiner Ehre treibe, erinnerte an den doppel- ten Verkauf der berliner Briefe. Necker willigte ein, man sah sich am 11ten; Malouet war nicht anwesend. Ein kurzer Zwiesprach! Als Necker kalt und argwöhnisch seinen alten Widersacher fragte: welche Vorschläge der Herr Graf zu machen habe? gleich als gelte es einen Handel zu treffen, einen Preis der politischen Bestechung festzu- stellen, erwiderte Mirabeau mit wenig wilden Worten, ging davon. In der Versammlung rief er dem Malouet im Vorbeigehen zu: „Euer Mann ist ein Gimpel, er soll von mir hören.“ Am 12ten Junius Abends ward zur Prüfung der Voll- machten geschritten. Man theilte sich, um schneller zum Ziele zu kommen, in zwanzig Ausschüsse; der Wahlbezirke waren 176; jedem Ausschusse ward sein Antheil zugewie- sen. So wie ein Wahlbezirk an die Reihe kam, unterließ man nicht die Herren von der Geistlichkeit, die Herren vom Adel jedesmal aufzurufen, und die Antwort: „Nie- mand anwesend,“ ward im Protocoll verzeichnet. Als man am nächsten Tage fortfuhr, traten drei Pfarrer, nicht unerwartet, ein, legten ihre Vollmachten zur Prüfung auf das Büreau. Sie wurden mit Entzücken empfangen. Den Tag darauf erschienen deren sechs, unter ihnen Gre- goire. Eben kamen noch zwei Pfarrer an, als man nach Beendigung der Prüfung der Vollmachten sich am 15ten auf Antrag von Sieyes mit der Frage zu beschäftigen be- gann, welchen Namen die jetzt constituirte Versammlung führen soll. Es war klar: eine Versammlung, welche fortfährt sich den dritten Stand zu nennen, darf nicht drei Stände bedeuten wollen; aber Etats-généraux sich zu heißen, war ebenfalls unthunlich, so lange die Mehrzahl der Geistlichkeit, der ganze Adel draußen blieb. Sieyes ermäßigte einstweilen seine bekannte Theorie, schlug die Benennung „Versammlung der bekannten und beglau- bigten Vertreter der französischen Nation“ vor. Diese Be- zeichnung hatte nichts Ansprechendes und es stand ihr auch das entgegen, daß sie nicht von Dauer seyn konnte. Mi- rabeau’s Vorschlag, „Vertreter des französischen Volks,“ zu dessen Stützung er Volk als den größeren Theil der Nation definirte, erregte sogar Unwillen, wegen der Ge- ringschätzung die nun einmal in Frankreich an dem Worte Volk haftete, und die Hinweisung des Redners auf Cha- thams „Majestät des Volks,“ selbst auf die Holländer und die Schweizer, welche die geringschätzigen Namen: Geusen und Hirten bald zu Ehren zu bringen wußten, seine Worte: „Warum sich Namen geben, die der Eitel- keit schmeicheln?“ wurden von der verletzten Versammlung fast tumultuarisch zurückgewiesen. Endlich ward unter meh- reren Vorschlägen auch der Name Nationalver- sammlung genannt. Dieser Ausdruck war schon manch- mal vorgekommen, Malesherbes, Mirabeau, selbst der König hatte ihn unverfänglich gebraucht; jetzt aber er- wählt, bedeutete er nicht weniger als die Theorie, zu welcher Sieyes sich in seiner berühmten Schrift bekannt hatte: „der dritte Stand ist Alles.“ Sieyes, dem jener Ausdruck unmöglich fremd geblieben seyn konnte, gab sich die Miene der Nachgiebigkeit, indem er innerlich trium- phirte. Eine leidenschaftliche Discussion erfolgte, selbst das Publicum auf den Gallerien mischte sich mit Klatschen und Murren ein, Malouet ward sogar thätlich bedroht, aber der Vorsitzende, Bailly verschob die Entscheidung bis auf den nächsten Tag. Mirabeau entzog sich dieser Sitzung, deren Ergebniß er voraussah und nicht billigte. Er hatte die Abstimmung nach Köpfen durchzusetzen, seine Schach- partie, wie er sich unter Freunden ausdrückte, Zug für Zug zu gewinnen gedacht; jetzt aber sah er ein Va-banque vor Augen, welches einer Partei von beiden Alles kosten wird. Er wollte keinen Namen, welcher die freie Geneh- migung des Königs nimmermehr erlangen konnte. Als in der Sitzung vom 16ten die Worte fielen: „wenn das Volk gesprochen habe, sey die königliche Genehmigung über- flüssig,“ gab er die tiefsinnige Entgegnung: „Ich, meine Herren, ich halte das Veto des Königs in dem Grade für nothwendig, daß ich lieber in Konstantinopel leben würde als in Frankreich, wenn er es nicht hätte: ja ich erkläre, nichts würde mir schrecklicher scheinen als eine souveräne Aristokratie von sechshundert Personen, welche morgen sich unabsetzbar, übermorgen sich erblich machen könnten, und am Ende, wie die Aristokraten aller Länder der Welt, Alles an sich reißen würden.“ Der 17te Junius entschied mit 491 gegen 90 Stimmen die Erklärung des dritten Standes zur Nationalversammlung. Gegen die Motive dieses Beschlusses, von Sieyes aufgestellt, ließ sich von seinem Standpuncte aus nichts einwenden. „Diese Ver- sammlung repräsentirt achtundneunzig Hundertstel der Be- völkerung. Eine solche Mehrzahl darf nicht unthätig blei- ben, weil eine solche Minderzahl sich weigert. Diese Minderzahl darf kein Veto länger üben. Die National- versammlung ist verpflichtet ohne Aufschub an der Wieder- herstellung des öffentlichen Wohles zu arbeiten, allein sie wird stets mit entgegenkommender Wärme jene Minder- zahl empfangen, ihre Vollmachten einsehen und sie zulas- sen.“ Sieyes besaß keine rednerische Gaben, sprach lieber durch Andere als selbst, ward wenn man ihm widersprach, leicht ärgerlich, auch mochte er die Ungunst scheuen, welche sich immer gegen überwiegenden Einfluß waffnet. So kam es an demselben Tage durch einen fremden Mund, der sich ihm lieh, zu dem weit reichenden Beschlusse daß sämmtliche bisherige Steuern bis zum Tage der Auflö- sung der Nationalversammlung entrichtet werden sollen, aber länger nicht. Die Nationalversammlung hatte hie- mit ihre Bereitwilligkeit erklärt die Regierung des franzö- sischen Staates anzutreten. Sie schickte ihre Beschlüsse in die Provinzen. Das Glück war mit der Kühnheit. Nur zwei Tage darauf beschloß die geistliche Kammer mit einer Mehrheit Juni 19. von 149 Stimmen gegen 115 die gemeinsame Prüfung der Vollmachten, jedoch unter Vorbehalt des Unterschiedes der Stände. Um so angelegentlicher rieth die Minderzahl der Geistlichkeit und die große Mehrzahl des Adels dem Könige zur Auflösung der Reichsstände. Aber diese Maß- regel hatte ihr großes Bedenken. Durfte man die auf ei- nen verbesserten Zustand der Dinge gespannten Hoffnun- gen täuschen? und wie, wenn die ohnehin Noth leidenden Provinzen, den Beschluß der Gemeinen ehrend, mit einer allgemeinen Steuerverweigerung antworteten? Als am Sonnabend, den 20sten Junius Morgens acht Uhr die Gemeinen in die Sitzung gingen und das Publicum doppelt stark zuströmte, begierig die Geistlichen zum ersten Male im Schoße der Nationalversammlung zu erblicken, begegnete man Waffenherolden auf den Straßen, welche diese Kundmachung verlasen. „Da der König be- schlossen hat eine königliche Sitzung bei den Generalstaa- ten Montag den 22sten Junius zu halten, machen die in den drei Versammlungssälen der Stände zu treffenden Vorbereitungen eine Aussetzung der Versammlungen bis zur Haltung der gedachten Sitzung nöthig. Seine Maje- stät wird durch eine neue Kundmachung die Stunde zur Kenntniß bringen, in welcher sie sich Montag in die Ver- sammlung der Stände begeben wird.“ Was sie eben ge- hört, das lasen sie als Anschlag am Ständehause zum zweiten Male. Die Abgeordneten sahen sich an der Thüre des Saales von Bewaffneten zurückgewiesen; bloß den Präsidenten Bailly ließ man nebst den Secretären ein, um die Papiere in Sicherheit zu bringen. Wie man nun in den Straßen zu Hunderten beisammen stand, war der Be- schluß bald gefaßt, man wolle, es koste was es wolle, Versammlung halten, und zwar gleich; denn die Auflö- sung ward allgemein gefürchtet. Aber wo? Nach längerem Schwanken brachte der pariser Abgeordnete, Arzt Guillo- tin das Ballhaus in Vorschlag und Bailly forderte einige Deputirte auf sich eilends dieses Raumes zu versichern. Der Eigenthümer fühlte sich geehrt, in den Saal wo man bisher Ball schlug und rappirte die Nationalversammlung einzuführen. Einige an der Thüre aufgestellte Abgeord- nete verhinderten, daß die wogende Volksmenge zugleich eindrang. Als der Präsident die Sitzung eröffnete, erhielt Mounier das Wort. Dieser hatte sich vor wenig Tagen noch vergebens bemüht die Usurpation abzuwenden, durch welche sich der dritte Stand zur Nationalversammlung er- hob; jetzt aber war der Schritt geschehen, man mußte ihn behaupten, ohne rückwärts zu blicken, oder auf jede vaterländische Hoffnung, an die Reichsstände geknüpft, mußte verzichtet werden. Denn wenn nicht etwas gegen diese im Werke war, wozu dann den Ständesaal neben friedlichen Arbeitern mit Bewaffneten erfüllen? Ließ sich denn kein anderes Local ausfindig machen? Durfte die Würde der Versammlung gekränkt werden, indem man ihre Mitglieder durch öffentlichen Ausruf und Anschlag unterrichtete, ihren Präsidenten aber kurz vor der Sitzung durch ein Billet des Oberceremonienmeisters? Verlangte doch das Herkommen in solchen Fällen, wenn sie auch nur das Parlament angingen, daß der König selbst dem Präsi- denten schreibe! Unter steigender Aufregung, während Einige davon sprachen, man müsse geradezu nach Paris wandern, dahin den Sitz der Versammlung verlegen, Le Chapelier aber verlangte, man müsse dem Könige schrei- ben, sein Thron sey von Feinden des Vaterlandes umla- gert, gewann Mounier alle Gemüther für den Vorschlag, sich gegenseitig durch einen Eidschwur zum treuen Zusam- menstehn, wo es denn sey, zu verpflichten, diesen Eid in Schrift zu bringen und zu unterzeichnen. Die Formel des Eidschwurs entwarf Sieyes. Der Präsident stieg auf den Tisch und verlas so laut, daß auch die Menge draußen sie hören konnte, die Worte: „Wir schwören uns nie- mals von der Nationalversammlung zu trennen und uns allenthalben zu versammeln, wo die Umstände es erfordern werden, bis die Verfassung des Königreiches vollendet und auf festen Grundlagen errichtet seyn wird.“ Als man die Unterschriften nachsah, hatte ein einziger Abgeordne- ter als „nicht beistimmend“ unterzeichnet. Auf Befragen erklärte dieser, (Martin d’Auch) er könne nicht schwören einen vom Könige nicht genehmigten Beschluß auszufüh- ren, und die Bemerkung des Präsidenten, wie der von der Versammlung stets anerkannte Grundsatz daß die Ver- fassung und die Gesetzgebung der königlichen Genehmigung bedürfen, durch den Eid nicht ausgeschlossen sey, machte ihn nicht irre. Man ließ ihn aber gewähren, um ei- nen Beweis der Achtung für die Freiheit der Meinungen zu geben, und war um so mehr erfreut, unter den Eidab- leistern einige Herren von der Adelskammer, einen Mathieu Montmorency, Clermont-Tonnerre und Lally-Tollendal zu erblicken. Die königliche Sitzung ward um einen Tag verscho- ben, dieses Mal durch ein königliches Handschreiben an den Präsidenten, welches zugleich den Eintritt in den Ständesaal bis dahin verbot. Eine beabsichtigte zweite Versammlung im Ballhause aber schnitt der Graf von Artois ab, indem er dem Eigenthümer sagen ließ, er wolle Montag dort spielen. Aber auch diese List schlug in ihr Gegentheil um, die Gemeinen versammelten sich in der Kirche des heiligen Ludwig, und hier traten vor aller Juni 22. Welt Augen die 149 Geistlichen zu ihnen ein, meistens arme Pfarrer, es ist wahr, aber geführt von zwei Erzbi- schöfen, drei Bischöfen. So verstärkt konnte man dem nächsten Tage getroster entgegensehen. In der königlichen Sitzung ward sofort Neckers Anblick Juni 23. vermißt. Er war im Ministerrathe, überrascht von der Thatkräftigkeit des dritten Standes, mit seinen alten Ge- danken herausgetreten, nur daß was er früher anheimgab, sich jetzt zum Befehl des Königs umgestalten sollte. Der König sollte demnach die gemeinsame Berathung über alle gemeinsamen Angelegenheiten bewilligen, die getrennte Berathung befehlen, sobald es sich von Rechten der ein- zelnen Stände handelte. Dieser Plan war von jeher arm- selig, unpraktisch, denn es wird sich ewig fragen, was Franzoͤsische Revolution. 14 denn nun gemeinsame, was bloße Standesangelegenheit sey, aber die stürmische Adels- und Hofpartei bekämpfte ihn als viel zu nachgiebig, mit der Würde der Krone un- verträglich, und warf ihn mit Hülfe der Königin und des Grafen von Artois um. Es soll und muß dabei bleiben, daß es von der Einwilligung jedes der drei Stände und der Einwilligung des Königs abhängt, ob über einen Gegenstand gemeinsam berathen werden soll, und es muß gleich jetzt erklärt werden, daß die künftige Reichsverfassung nicht zu den Gegenständen gemeinsamer Berathung gehört. Necker bot hierauf seine Entlassung an, ließ sich jedoch halten, allein er blieb von der königlichen Sitzung aus, gegen sein, wie die Königin stets behauptet hat, aus- drücklich am Abend vorher gegebenes Versprechen. Als der König mit seiner glänzenden Umgebung ein- trat, tönte ihm ein schwacher Zuruf von einem Theile der Geistlichkeit und dem Adel entgegen, die Gallerien standen leer, waren abgesperrt. Der König eröffnete mit allgemeinen Äußerungen, wie sehr seine Hoffnungen ge- täuscht worden, knüpfte Ermahnungen an. Hierauf ver- las der Siegelbewahrer 15 Artikel, deren erster die Be- schlüsse des dritten Standes vom 17ten aufhebt als unge- setzlich und verfassungswidrig. Die drei Stände, in drei Kammern berathend, haben allein das Recht den Körper der Vertreter der Nation zu bilden. Zwar können sie, wenn der König es erlaubt, auch zusammentreten, und was le- diglich diese Sitzung betrifft, ermahnt der König selbst dazu in Bezug auf Gegenstände von allgemeinem Nutzen, aber ausgenommen sind von der gemeinsamen Berathung ganz ausdrücklich alle alten und verfassungsmäßigen Rechte der drei Stände, die künftige reichsständische Verfassung, nebst den Lehngütern, den nutzbaren Rechten und den Eh- renrechten der beiden ersten Stände (Art. 7 u. 8.). Auf- gehoben werden alle Instructionen der Abgeordneten, welche bindende Vorschriften enthalten; wer sich dadurch in seinem Gewissen beschwert achtet, möge sich neue In- structionen erbitten. Der letzte Artikel verbietet die Zulas- sung von irgend jemand, der den Ständen nicht angehört, zu den Sitzungen, als streitend mit der guten Ordnung, der Schicklichkeit und selbst der Freiheit der Abstimmung. Der König nahm abermals das Wort, kündigte der Versammlung eine lange Reihe königlicher Wohlthaten an, fügte hinzu: „ich darf sagen, ohne mich zu täuschen, daß niemals noch ein König so viel für eine Ration gethan hat,“ worauf der Siegelbewahrer diese in 35 Artikeln verlas. Ihr Inhalt aber entsprach dem königlichen Worte nicht. Allerdings sollen fortan keine neue Steuern ohne Einwilligung der Reichsstände erhoben werden, Grund- steuerprivilegien und die Wegefrohn sollen aufhören; allein alle Lehn- und Herrenrechte werden beibehalten und der Grundsatz der künftigen Gleichheit der Besteurung wird von der Verwirklichung der Geneigtheit abhängig gemacht, welche Geistlichkeit und Adel in diesem Betracht an den Tag gelegt haben. Mit der Verlegung der Zolllinie an 14* die Reichsgränze, mit Abschaffung der Salzsteuer wird man sich beschäftigen; eben so mit der Freiheit der Presse, mit den Verhaftsbriefen und zwar mit diesen so, daß die Generalstaaten Mittel ausfindig machen sollen, ihre Ab- schaffung mit der öffentlichen Sicherheit, mit der Noth- wendigkeit sey’s in gewissen Fällen die Ehre der Familien zu schonen, sey’s drohenden Aufstand schnell zu unter- drücken, sey’s den Staat vor verbrecherischen Einverständ- nissen mit dem Auslande zu bewahren, in Einklang zu bringen. Aber das Alles ist am Ende nur Nebensache. Hätte auch der König alle jene Zusagen, deren sich Necker in seinen Büchern rühmt daß sie in seinem Plane standen, in der bindendsten Form gegeben, er hätte damit doch nichts mehr bewirkt, als wenn er den Franzosen bestän- digen Sonnenschein und reiche Erndten bewilligt hätte. Denn ohne die Zustimmung der Reichsstände hatte keine dieser Zusagen Werth, diese aber war nicht zu hoffen, wenn das Veto jedes Standes verewigt ward. Der König nahm zum dritten Male das Wort: Sein Eifer für das öffentliche Wohl sey durch das Gelesene be- thätigt; lassen die Stände ihn im Stich, so wolle er als wahrhafter Repräsentant seiner Völker allein ihr Glück gründen. Man solle sich erinnern daß kein ständischer Be- schluß zum Gesetz werde ohne königliche Genehmigung. Man dürfe ihm nicht mistrauen ohne Ungerechtigkeit. Die Schlußworte sind: „Ich befehle Ihnen, meine Herren, sich sogleich zu trennen und sich morgen früh jeder in das Zimmer seines Standes zu begeben, um die Sitzungen wieder aufzunehmen. Ich befehle demgemäß dem Ober- ceremonienmeister die Säle in Stand setzen zu lassen.“ Der König entfernte sich und der Adel und ein Theil des Klerus verließ den Saal. Die Übrigen blieben unbe- weglich sitzen. Nicht lange so trat der Oberceremonien- meister, der den König begleitet hatte, wieder ein. Dieser Marquis de Brézé, ein sehr junger Mann, war alt im Studium aller Förmlichkeiten, eine peinliche Natur, ganz der Mann seines Amtes. Er hätte nicht ein Tüttelchen von dem Herkommen früherer Jahrhunderte fahren lassen mögen. Ihm verdankte der dritte Stand seine fatale Ju- ristentracht, und ginge es nach ihm, so hätten seine Depu- tationen nur knieend wie vor Alters zum Könige reden dür- fen. In den letzten schweren Wochen war der Dauphin, ein Knabe von sieben Jahren gestorben; als eine ständi- † Juni 4. sche Deputation bei dem Begängniß erschien, meldete de Brézé dieses der Leiche mit den Worten an: „Gnädigster Herr, die Deputirten der Etats-généraur!“ Noch heute hatte er die Abgeordneten des dritten Standes ohne Barm- herzigkeit dem Platzregen preisgegeben, sie durften ihm nicht in den Saal, bis er den beiden ersten Ständen ihre Ehrenplätze angewiesen hatte. Jetzt wieder eintretend fragte de Brézé: „Sie haben, meine Herren, die Be- fehle des Königs vernommen?“ Als der Präsident aus- weichend antwortete, man habe sich vertagt nach dem Schlusse der königlichen Sitzung, zur Aufhebung der Ver- sammlung gehöre eine Besprechung mit derselben, erhub sich Mirabeau gegen de Brézé, sprach: „Die Gemeinen von Frankreich haben beschlossen zu berathschlagen. Wir haben die Absichten vernommen, welche man dem Könige untergeschoben hat. Sie aber, der Sie nicht sein Organ bei der Nationalversammlung seyn können, Sie der Sie hier weder Sitz, noch Stimme, noch ein Recht zu sprechen haben, Sie sind nicht der Mann, der uns an seine Rede erinnern darf. Gehen Sie und sagen Sie Ihrer Herr- schaft daß wir durch die Gewalt des Volks hier sind, und daß man uns von hier nicht anders fortbringt als durch die Gewalt der Bajonette.“ Man hörte Mirabeau’s harte, grimmige Stimme, die heute bis zum Donner anschwoll, weit durch den Saal, und die ganze Versammlung rief: „Das ist der Wille der Versammlung.“ Das war die Revolution. 4. Die pariser Revolution. Als der Ceremonienmeister verschwunden war, sprach Sieyes: „Das französische Volk hat uns gesendet und wir haben geschworen es in seinen Rechten wiederherzustellen. Welche Macht auf Erden könnte Euch das Recht rauben, Eure Sender zu vertreten? Wir sind heute was wir gestern waren, laßt uns berathschlagen.“ Auf Mirabeau’s Vor- schlag erklärte die Nationalversammlung jedes ihrer Mit- glieder für unverletzlich, wer dagegen handelt, soll als ehrlos und Verräther an der Nation, als schuldig eines Kapitalverbrechens behandelt werden. Die anwesenden Mitglieder der Geistlichkeit nahmen, insoweit ihre Voll- machten geprüft waren, an der Abstimmung Theil. Längst war was im Saale geschehen auch draußen in der Stadt verbreitet. Schon als der König durch die lange Hecke, welche Tausende von Soldaten bildeten, in sein Schloß zurückkehrte, war man unterrichtet, und die Menge stand lautlos da, kein Ruf der Liebe erscholl. Als der Marquis de Brézé erschien, seine Meldung machte, sprach Ludwig trübe und tonlos: „Nun wohlan, wenn die Her- ren vom dritten Stande ihren Saal nicht verlassen wollen, so bleibt nichts übrig als sie darin zu lassen.“ Diese Ant- wort war, als Geständniß einer Niederlage schwach, sonst aber den Umständen angemessen. Der König hätte die Ge- meinen leicht durch eines seiner Regimenter, die er in den letzten Wochen nach Versailles gezogen, vertreiben, ver- wunden und einkerkern lassen können, er aber hätte Frank- reich nimmermehr verhindert sie zu rächen. Es wäre das Signal zum Bürgerkriege gewesen. Aber den dritten Stand umgab, als er endlich aus dem Saale trat, eine jauchzende Volksmenge, welche ihn nur verließ, um mit vielen Drohungen gegen die anderen Stände die Amtswohnung Neckers, die in einem Flügel des königlichen Schlosses war, aufzusuchen, damit sich’s offenbare, ob denn die Nachricht wahr sey, daß dieser Volksfreund abdanke. Necker beruhigte die Tausende, die seiner harrten, persönlich. Er hatte so eben den dringen- den Bitten des Königspaares nachgegeben, sein Bleiben zugesagt, der König hatte ihm sein Bedauern ausgespro- chen, verkehrten Rathgebern sein Ohr geliehen zu haben. Necker wandte sein Bemühen dahin, den Monarchen mit einer Demüthigung auszusöhnen, welche jetzt eben so un- abwendbar war, als ein Paar Monate früher mit gerin- ger Voraussicht leicht vermeidlich. Aber Neckers Freude an der Volksgunst ließ keine Selbstanklage bei ihm auf- kommen. Mittlerweile blieben die Wachen stehen, welche den Zutritt zu dem Ständesaale der ungeduldigen Menge manchmal mit Gewalt verwehrten. Das hielt die Mehr- zahl der Geistlichkeit nicht ab, jetzt ihren Übergang zum dritten Stande ohne Vorbehalt zu vollführen; unter den Juni 24. Auswanderern befand sich Talleyrand, Bischof von Au- tun. Ein Gleiches zu thun schlug in der Adelskammer der Graf von Clermont-Tonnerre vor, vom Grafen Lally- Tollendal mit Nachdruck unterstützt. „Bedenken wir,“ sprach Lally, „daß es eine Gewalt der Dinge giebt, stär- ker als die Gewalt der Menschen. Nähme jene einen zu schnellen Lauf, so wäre das einzige Mittel ihn zu verzö- gern das, sich ihr anzuschließen. Es hat eine Zeit ge- geben, da man die Sclaverei aufheben mußte, und sie ist aufgehoben, eine andere da man den dritten Stand in die Nationalversammlungen eintreten lassen mußte, und er ist eingetreten. Jetzt haben wir eine Zeit, da die Fortschritte der Einsicht, die zu lange verkannten Rechte der Mensch- heit diesem dritten Stande, der 24 Millionen zählt, die Gleichheit der Rechte, welche ihm gebührt, zutheilen wer- den. Diese dritte Revolution hat begonnen und nichts wird sie aufhalten.“ Die Versammlung beschloß den An- trag nicht in Erwägung zu ziehen; niemand widersprach heftiger als d’Espréménil und der Vicomte von Mira- beau, jüngerer Bruder des Grafen. Da aber traten den nächsten Tag 47 Mitglieder der Adelskammer in den Saal Juni 25. der Nationalversammlung, unter ihnen der Herzog von Orleans. Jetzt aber gab auch der König dem Andringen Neckers nach, forderte die beiden ersten Kammern schrift- Juni 27. lich auf, sich mit der dritten zu vereinigen. Es bedurfte ei- nes zweiten förmlichen Befehles, um den Widerwillen des Adels zu brechen. Das war das Resultat eines fast zweimonatlichen Kampfes, welcher dem Königthum unheilbare Wunden schlug. Äußerlich war auf einmal Alles Friede und Freude; freiwillige Illumination der Stadt Versailles, dreitägige Festlichkeiten, Beifallsrufe dem Könige und selbst der Kö- nigin, wo sie sich nur zeigten; Wohlmeinende wünschten sich einander mit den Worten Glück: „Die Revolution ist beendigt.“ In Wahrheit lag von nun an das Schicksal Frankreichs in den Händen der Nationalversammlung; ihre Weisheit und Mäßigung allein konnte die verletzte Krone wiederherstellen. Wehe ihm und seinem Stamme, wenn der König es mit Gewalt versuchte! Wirklich war ein Geist der Versöhnlichkeit und Beson- nenheit bei der Nationalversammlung eingekehrt; man misbilligte laut verschiedene Versuche die öffentliche Ruhe zu stören; man befand, daß die Berathung in einer so über- aus zahlreichen Versammlung keineswegs genüge, um den Gegenständen hinlänglich auf den Grund zu kommen, beschloß deßhalb die Hälfte der Woche engeren Sitzungen zu widmen, und als man nun zum Zwecke der Vorbera- thung aller wichtigeren Fragen die ganze Versammlung in 30 Büreaus theilte, fand sich, daß in jedem Büreau ent- weder ein Geistlicher oder ein Adlicher zum Vorsitzenden gewählt war; man vergönnte den Prälaten und Edelleu- ten ihre Sitze beisammen einzunehmen und ließ sogar die besonderen Zusammenkünfte ungerügt, welche eine Anzahl entflammter Edelleute noch immer in ihrem Standessaale hielten; man begnügte sich auf die schriftlichen Instructio- nen weiter keine Rücksicht zu nehmen, ohne durch ihre An- nullirung einen Sturm zu erregen: sie hinderten niemand seine Meinung zu sagen, wer sich aber gebunden fühlte, enthielt sich, wie Lafayette und Andere thaten, der Ab- stimmung, man nahm mit Wohlgefallen eine Arbeit auf, welche Mirabeau in Bezug auf die Geschäftsordnung im englischen Unterhause abgefaßt hatte, und beschloß über keinen Antrag an demselben Tage zu berathschlagen, da er gemacht sey, jeden Punct der Constitution aber erst nach der Berathung von drei Tagen zur Abstimmung zu bringen. Aber von dieser Bahn der Mäßigung ward auf einmal wieder abgelenkt, und das alte Mistrauen kehrte zurück, als kein Zweifel mehr übrig blieb, die Regierung ziehe ein Heer zwischen Versailles und Paris zusammen. Freilich waren in beiden Städten unruhige Auftritte vor- gefallen; der versailler Pöbel hatte den Erzbischof von Juni 25. Paris mit Steinwürfen verfolgt und ihm in sein Haus eindringend das Versprechen abgezwungen in die National- versammlung zu treten; ein Vorgang, der dem Ansehn der Regierung auch dadurch schadete, daß Truppenabthei- lungen zur Stelle waren und die Gewaltthat nicht hinder- ten. Noch tiefer griff der Vorgang in der Hauptstadt, welchen die Zuchtlosigkeit eines ganzen Regiments veran- laßte, desjenigen, welches den Namen französische Gar- den führte. Dieses, 4000 Mann stark, ward theils in Paris, theils in Versailles zum inneren Dienste ge- braucht, da die gewöhnliche Scharwache für die Ordnung nicht mehr ausreichte. Das Regiment war mit seinem neuen, peinlich strengen Chef unzufrieden und neigte sich zur Volkssache hin. Als man auch in Paris die Ver- einigung der drei Stände mit Lustbarkeiten beging, ver- ließen Mehrere vom Regiment trotz des Verbotes ihre Ka- sernen, nahmen an dem allgemeinen Jubel Theil. Zur Strafe wurden die Schuldigsten in die Abtei gebracht, das Gefängniß für Militärs in der Vorstadt St. Germain. Aber ein Volkshaufe stürmte herbei und befreite seine Freunde. Das waren also zwei recht schlimme Fälle, welche Vorsicht in Behandlung des Militärs anempfahlen, sicher- lich aber keinen Antrieb in sich enthielten, immer mehr Regimenter zusammen zu ziehen. Nichtsdestoweniger ver- sammelten sich 30,000 Mann, darunter eine Anzahl deut- scher Regimenter, und man sprach noch von vielen Tau- senden, die erwartet würden. Ihr Befehlshaber, der Herzog von Broglie, nahm sein geräuschvolles Haupt- quartier in Versailles. Jedermann ahnte, daß außerordent- liche Dinge im Werke wären, und die drohenden Reden der jungen Officiere ließen keinem Zweifel Raum; nur der König und Necker schienen nichts zu bemerken. Dieser brütete über seinen Finanzverlegenheiten, und wiewohl er aus den frechen Blicken der Hofleute und gelegentlichen Schmähreden des Grafen von Artois, aus den geheimen Besprechungen, von welchen man ihn ausschloß, deutlich abnahm daß er übel angeschrieben sey, ließ er Alles sei- nen Weg gehen; den König aber hatte man glauben ma- chen, das wären nothwendige Vorsichtsmaßregeln, und so schwer das Geld aufzutreiben war, so sehr die Theu- rung durch die Anhäufung der Truppen vermehrt ward, er ließ es geschehen. Von gescheiterten Entwürfen, die verderblich gewirkt haben, spricht hinterher niemand gern, allein es steht außer Zweifel, daß damals von einem neuen Ministerium, von Auflösung oder Verlegung der Stände- versammlung, von Verhaftung ihrer gefährlichsten Mit- glieder die Rede war und daß die Königin, von Natur beherzt und durch die Vorgänge der letzten Wochen im tiefsten Innern verletzt, mit dem Grafen von Artois an der Spitze stand. Mit Breteuil, der auf seinem Landgute lebte, ward ununterbrochen correspondirt. Von dem Kö- nige wußte man, er sey zu Allem zu bewegen, nur nicht das Blut seines Volks zu vergießen; wenn es aber in Versailles oder in der Hauptstadt zu irgend einem Aus- bruche kam, mußten die Ereignisse seinen Willen fort- reißen und man glaubte wie auf die Treue, so auch auf die Einsicht des erfahrnen Herzogs von Broglie in der Stunde der Gefahr bauen zu können. Der Inhalt dieser unseligen Entwürfe ward nicht ganz treu verschwiegen, und jedermann konnte sich von der stets wachsenden Truppenzahl auf dem Wege nach Paris, zu Sevres, in Paris auf dem Marsfelde durch seine Augen überzeugen. Mirabeau’s Antrag, den König um die Ent- fernung der Truppen zu ersuchen, fand daher die einstim- Juli 8. mige Genehmigung der Nationalversammlung, eben so die von ihm entworfene beredte Adresse, an deren Über- reichung er selber theilnahm. Sie schildert die getroffene Maßregel als zugleich unnütz und gefahrvoll. „Wo wäre denn die Gefahr von den Truppen, werden freilich unsere Feinde sagen wollen, wenn die Versammlung selbst keine Furcht hegte? Es ist, Sire, eine dringende und allge- meine Gefahr vorhanden, Gefahr über alle Berechnungen menschlicher Klugheit hinaus; Gefahr für die Bevölkerung der Provinzen! Schleicht sich in diese der Argwohn ein, unsere Freiheit sey bedroht, so giebt es keinen Zügel mehr, der sie zurückhält. Die Entfernung schon vergrößert, übertreibt Alles, verdoppelt die Beunruhigung, schärft, vergiftet sie. Gefahr für die Hauptstadt! Mit welchen Augen wird ihre darbende, unsäglich gequälte Volksmenge die drohen- den Soldaten betrachten, welche ihr den Rest ihrer Lebens- mittel streitig machen? Die Gegenwart der Truppen führt Aufregung und Meuterei herbei, eine allgemeine Gäh- rung, und an die erste That der Gewalt, unter dem Vor- wande einer Polizeimaßregel ausgeführt, kann sich eine schreckliche Folgenreihe von Unheil knüpfen. Gefahr für die Truppen! Französische Soldaten, die man in den Mittelpunct der Berathschlagungen ruft, sie, die die Lei- denschaften und die Interessen ihres Volks theilen, können leicht vergessen, daß ein Eid sie zu Soldaten gemacht hat, und sich erinnern, daß die Natur sie zu Menschen machte. Gefahr, Sire, droht auch unsern Arbeiten, welche unsere erste Pflicht sind und nur unter der Bedingung wahren Er- folg und ungestörten Fortgang haben können, wenn wir von jedermann als völlig frei betrachtet werden. Aber es liegt außerdem in den Leidenschaften der Menschen eine ge- fährliche Ansteckung; wir sind nur Menschen; das Mis- trauen gegen uns selbst, die Furcht schwach zu erscheinen können uns über das Ziel hinaus führen; man wird uns mit heftigen, übertriebenen Rathschlägen bestürmen, und die nüchterne Vernunft, die ruhige Weisheit ertheilen ihre Orakelsprüche nicht inmitten von Tumult, von Unordnung und Aufruhr. Sire, noch eine weit schrecklichere Gefahr liegt im Hintergrunde, und unser bestürztes Erscheinen möge Ihnen Zeuge davon seyn. Zu mancher großen Re- volution ist der Anstoß weit weniger auffallend gewesen, und mehr als ein volksverderbliches Unternehmen hat sich minder traurig, minder furchtbar angekündigt.“ Es wa- ren Worte der Weissagung, die sich bald genug erfüllten. Der König antwortete nach drei Tagen, die Zusam- Juli 11. menziehung von Truppen sey durch die bekannten schmäh- lichen Auftritte hervorgerufen und sogar für die Freiheit der reichsständischen Berathungen nothwendig; dafern je- doch ein ungegründetes Mistrauen stattfinde, sey der König bereit die Generalstaaten nach Noyons oder Soissons zu verlegen, in welchem Falle er für seine Person sich nach Compiegne begeben werde. An demselben Tage ward Necker entlassen und zugleich bedeutet, das Königreich ungesäumt und ohne Aufsehn zu räumen. Mont- morin und alle übrigen Minister bis auf Barentin nah- men ihren Abschied. Necker erhielt das Schreiben des Königs, als er gerade im Begriffe stand sich mit Gästen zu Tische zu setzen. Er ließ Alles seinen Gang gehen. Nach der Mahlzeit forderte er Madame Necker zu einer Spazierfahrt auf, theilte ihr im Wagen den königlichen Befehl mit, nahm auf der ersten Post unter einem frem- den Namen Vorspann nach Brüssel, ging von da in die Schweiz. So rechtfertigte er das Vertrauen des Königs, der den Vorschlag Breteuil’s abwies, Neckern verhaften zu lassen, weil zu fürchten sey, er werde sich nach Paris begeben und die wogende Hauptstadt in Aufruhr setzen. An die Spitze des Ministeriums und der Finanzen trat, plötzlich aus dem Dunkel springend, Tags vorher erst an- gekommen, Breteuil; Broglie ward Kriegsminister. In Paris gab es zwei Puncte der Bewegung, das Stadthaus und das Palais-royal. An beiden Orten wur- den zahlreich besuchte Zusammenkünfte zu politischen Zwecken gehalten. Im Stadthause saßen die Wähler von Paris; die städtische Behörde hatte ihnen den Saal dort zu Ver- sammlungen eingeräumt, welche die Regierung untersagte ohne sie zu hindern. Man discutirte hier in aller Form, wünschte der Nationalversammlung zu ihren Thaten und ihrem Namen durch eine Deputation Glück und diese De- putation ward angenommen; man erließ auch Ermahnun- gen an die Pariser, Ruhe und Ordnung aufrecht zu halten. Kürzlich war Mirabeau mit seinem Vorschlage, die Bitte um Bildung einer Nationalgarde in Versailles und Paris in jene Adresse an den König aufzunehmen, durchgefallen; der Gedanke an eine hauptstädtische Bürgerbewaffnung war aber auch schon im Stadthause besprochen. Man mußte die gesetzliche Haltung dieser Versammlungen rüh- men, wäre ihr Daseyn nur gesetzlich gewesen. Völlig regellos ward aber im Palais-royal, sey’s in Kaffeehäusern, sey’s im Garten discutirt, und die Nationalversammlung lud eine schwer zu büßende Schuld des Unbedachtes auf sich, als sie eine Deputation des Palais-royal annahm, welche ihr eine Dankadresse mit einigen Tausend Unterschriften überbrachte. Als nun die Nachricht von Neckers Entlassung in die Hauptstadt kam, rannte Alles in das Palais-royal. Man Juli 12. sah hier im Garten einen jungen Mann, mit einem Pistol bewaffnet, heftig declamirend von einem Tische herab. Es war der Advocat Camille Desmoulins, er stotterte ohne Unterlaß, und doch ward jedes seiner Worte von den Umstehenden verschlungen. Denn er brachte Kunde von Versailles, rief dann zu den Waffen; „denn noch heute,“ sprach er, „verlassen die Regimenter das Mars- feld, gehen auf das rechte Seineufer über, rücken noch Französische Revolution. 15 heute in Paris ein. Vor Allem müssen die Patrioten sich ein Erkennungszeichen geben.“ Camille riß ein Blatt vom Baume, steckte es an seinen Hut, und bald war kein Blatt mehr an den Bäumen zu erreichen. Alles legte die grüne Kokarde an. Man suchte nach Waffen, Säbeln, Pistolen, Knitteln. Einer rief, man müsse an solchem Trauertage die Theater schließen, und gleich vertheilte man sich, brachte die Maßregel in Vollzug. Einige dran- gen in ein Cabinet von Wachsfiguren im Palais-royal, nahmen die Büsten Neckers und des Herzogs von Orleans weg, hüllten sie in Trauerflöre, trugen sie umher. Wirk- lich standen mehrere Regimenter Fußvolk und Reuterei, reichlich mit Kanonen versehen, unter dem Befehl des Schweizers Besenval bereits auf den elisäischen Feldern, selbst auf dem Platze Ludwigs XV ., dicht am Garten der Tuillerien. Alle Drohungen der Gewalt waren angehäuft. Suchte man denn einen Feind? Und gerade diese heraus- fordernde Stellung reizte die Menge, so daß einige Stein- würfe erfolgten. Da bezwang aber der Prinz von Lam- besc, Obrister des Regiments Royal-Allemand, nicht länger seine Ungeduld, warf sich mit einer Schaar seiner Reuter in den Tuilleriengarten, wo der Sonntag eine große Zahl harmloser Spaziergänger zusammengeführt hatte. Nun stob Alles auseinander, einige Verletzungen mögen vorgefallen seyn; aber der Ruf von einem Gemetzel flog durch die nächsten Gassen. Gleich liefen Viele auf das Stadthaus, verlangten und erhielten Waffen, einige Hundert Flinten. Nun trat ein anderes Ereigniß dazu. Jenen Herumträgern der Büsten hatte sich ein Soldat des Regiments Französische-Garden zugesellt; der will nicht ausweichen als man auf eine Patrouille Royal-Allemand stößt, wird darum verwundet, wo nicht gar getödtet. Da aber rottet sich Alles zusammen, was von französischen Garden in der Nähe, feuert auf eine Abtheilung Royal- Allemand, und macht sich spät Abends noch, unter dem Rufe „es lebe der dritte Stand!“ auf, um die Truppen auf dem Platze Ludwigs XV . aufzusuchen. Zum Glücke fand man den Platz leer; alle Regimenter waren bereits auf das Marsfeld und weiter abgezogen. So hatte sich die bewaffnete Macht gezeigt, hatte Un- ruhen erregt und sich zurückgezogen, und ein Theil dersel- ben war abtrünnig geworden. Den nächsten Tag früh Juli 13. Morgens sah man die Wähler auf dem Stadthause ver- sammelt; die Municipalität vereinigt sich mit ihnen. Man wählt einen fortwährenden Ausschuß, welcher für die Sicherheit und die Lebensmittel der Hauptstadt sorgen soll. Der nächste Beschluß ist, aus den besten Bürgern von Paris eine Miliz zu bilden zur Aufrechthaltung der allge- meinen Sicherheit. Man will sie auf 48,000 Mann brin- gen, und zwar so, daß man zunächst 200 Mann aus je- dem der 60 Districte aushebt und hiermit vier Tage lang fortfährt. Im Stadthause ist das Hauptquartier. Nie- mand darf künftig Waffen tragen, der nicht in seinem District eingeschrieben ist und so das Recht erworben hat, 15* sich mit der Kokarde der Bürgermiliz zu schmücken. Die Farbe dieser Kokarde darf schon darum nicht länger grün seyn, weil das die Farbe des Grafen von Artois ist; man nimmt die Farben der Stadt Paris, blau und roth an. Das war geschehen, als aus dem Hauptquartier der Be- fehl an die französischen Garden eintraf gleich Paris zu verlassen, nach St. Denis, wo auch ein Lager stand, ab- zumarschieren. Es war zu spät. Alle Gemeinen versagten den Gehorsam und stellten sich unter den Befehl des Stadt- hauses. Auch einige Officiere folgten nach. Auf solche Weise gebot die Regierung des Stadthauses, denn so werden wir sie nennen müssen, über ein Regiment von 3000 geübten Soldaten mit Kanonen und Kanonieren. Das Beispiel wirkte weiter; eine Menge Deserteure von den andern Regimentern kam in der Hauptstadt an. Aber in denselben Stunden da man im Stadthause sich eigenmächtig ein Heer erschuf, zum Theil aus des Königs Soldaten zusammengesetzt, ließ der König schon den Gedanken an die Ausführung von Gewaltschritten völlig fallen. Er schrieb (denn an der Ächtheit der Urkunde scheint kein Zweifel zu seyn) den 13ten Julius Morgens 11 Uhr an den Grafen von Artois: „Ich hatte, mein lie- ber Bruder, Eurem Andringen und den Vorstellungen einiger treuen Unterthanen nachgegeben; allein ich habe nützliche Überlegungen gepflogen. In diesem Augenblicke Widerstand entgegenstellen hieße die Monarchie dem Ver- derben aussetzen, das heißt, uns Alle verderben. Ich habe meine Befehle zurückgenommen; meine Truppen werden Paris verlassen; ich will sanftere Mittel anwenden. Redet mir nicht mehr von einem Machtstreiche; ich halte es für klüger Zeit zu gewinnen, dem Ungewitter auszuweichen, Alles von der Zeit, von dem Erwachen der wackeren Leute und der Liebe der Franzosen für ihren König zu erwarten.“ Ludwig XVI . war der Hartnäckigkeit Karl Stuarts fremd und so ward der Bürgerkrieg vermieden. Der National- versammlung gegenüber hielt er noch fest, schlug ihr des- selbigen Tages ihre wiederholte Bitte um Entfernung der Truppen, nicht minder die Bitte um Genehmigung einer Bürgergarde für Paris entschieden ab. Die Versammlung antwortete hierauf mit der Erklärung, daß Necker und die übrigen verabschiedeten Minister ihre Achtung und ihr Be- dauern mit sich nähmen, und machte die gegenwärtigen Minister verantwortlich für alle unglücklichen Folgen der neuesten Maßregeln. Da man nächtliche Verhaftungen einzelner Mitglieder fürchtete, erklärte man sich für perma- nent, blieb die Nacht beisammen, und wählte, um die Mühwaltung des Präsidenten, des hochbejahrten Erzbi- schofs von Vienne zu erleichtern, den ersten Vicepräsiden- ten, Lafayette. Mittlerweile ging es den Männern des Stadthauses bereits wie dem Zauberlehrling, der die Geister, welche er aufgeboten hat, nicht wieder zu bannen weiß. Sie hatten einer gewaltigen bewaffneten Macht das Daseyn gegeben, und wußten sie kaum einen vollen Tag zu be- herrschen. So viele von ihrer Tagesarbeit zu den Waffen aufgerufene Tausende wollen und können nicht müßig feiern, sie verlangen vollständig bewaffnet zu seyn und durch Thaten sich ihrer Nationalversammlung würdig zu beweisen. Damals wurden neben Camille Desmoulins die Namen Danton, Marat, Santerre zuerst genannt; man sprach von der Rothwendigkeit die Bastille zu erobern. Bastille bedeutet so viel als Festung. Diese Bastille ward im vierzehnten Jahrhundert am Thore des heiligen Anto- nius erbaut, um die unruhigen Pariser im Zaum zu hal- ten. König Karl V . legte sie an, sie ward unter seinem Nachfolger Karl VI . fertig um 1383. Es war ein altes Schloß mit acht finstern Thürmen, wovon die Kanonen aus den Schießscharten drohend auf die Hauptstädter blick- ten; über den tiefen Graben führten zwei Zugbrücken ne- ben einander, eine für Wagen, eine für Fußgänger, in das dunkele Thor; dann das Wohnhaus des Gouver- neurs, noch eine solche Doppel-Zugbrücke und man stand in der Festung. Ihr Daseyn war den Parisern von jeher ein Gräuel. Die Geschichten von den dort schmachtenden Opfern willkürlicher Verhaftung erbten sich durch Gene- rationen fort. Kein Wunder darum daß die Wähler von Paris die Schleifung der Bastille mit in ihr Cahier brach- ten: an dem Orte wo sie gestanden soll ein Ehrendenkmal für Ludwig XVI . als den Hersteller der öffentlichen Frei- heit errichtet werden. Von seiner Seite ließ der Gouver- neur, Herr von Launay, seit der Erstürmung von Re- veillons Hause die Festungswerke ausbessern und in den letzten Nächten hatte man große Pulvervorräthe aus dem Arsenal herbeigeschafft; aber die Besatzung blieb die alte, 32 Schweizer und 80 französische Invaliden, ihr Mund- vorrath bestand aus zwei Säcken Mehl und etwas Reis. Dienstag Morgen mit Tagesanbruch zog ein bewaff- Juli 14. neter Haufe aus dem Palais-royal nach dem Hotel der Invaliden, verlangte die Auslieferung des dort verwahr- ten Waffenvorraths. Als der Commandant zögerte, sprang man in die Gräben, ganze Schaaren kletterten den Wall hinan. Da ließ der Commandant das Gatter öffnen, die Pariser gewannen 28,000 Flinten und 20 Kanonen. So eroberten sie sich selber hier die Waffen, um welche sie bisher auf dem Stadthause die erste städtische Obrigkeit, den s. g. Vogt der Kaufleute, Herrn von Flesselles ver- geblich bestürmt hatten. Der, um seine Verantwortlich- keit besorgt, hatte sie hierhin und dorthin geschickt, wo sie nichts fanden; ein Schiff mit 5000 Pfund Pulvers auf der Seine, wovon er ihnen geschwiegen, spürten sie selbst auf. War nun der Handstreich mit dem Invalidenhause so über alle Erwartung leicht gelungen, warum nicht auch mit der Bastille? Wie gern wäre man auf dem Stadthause, wo man ernstlich Erhaltung der Ruhe wünschte, dem zuvorgekom- men! Man schickte früh Morgens zu dem Gouverneur der Bastille, bat ihn die Kanonen, deren Anblick das Volk nur erbittere, zurückziehen zu lassen, was auch geschah, schickte hernach, als die Gefahr drohender ward, die Men- schenmasse sich häufte, eine zweite Deputation mit der Bitte, der Gouverneur möge eine Abtheilung Bürgermiliz aufnehmen, um gemeinsam mit der Garnison Besatzungs- dienste zu thun. Aber es war nicht mehr möglich bis zur Bastille durchzudringen. Dennoch versuchte man es vom Stadthause aus mit einer dritten Deputation. Diese soll, einen Tambour und eine Fahne voran, sich Platz schaffen, das Volk vom Schießen abhalten; aber sie kann nicht allenthalben seyn, hier läßt man sich sagen, dort aber feuert man lustig fort aus Flinten gegen Mauern, von welchen die Kugeln abprallen. Endlich erwiedert der Gou- verneur das Feuer, und Einige aus der Menge fallen. Schon aber kommen Kanonen herbei, es bilden sich zwei Sturmhaufen. Dreihundert von jenen französischen Gar- den, einer, Elie, früher Sergent in einem anderen Re- giment, führt sie an; der zweite Haufe besteht aus Hand- werkern, ein Uhrmachergeselle aus Genf, Hullin, ist der Führer. So kam Ordnung in den Angriff, der mit wun- derbarer Kühnheit geschieht. Ein glücklicher Schuß sprengt die Ketten der ersten Zugbrücke; sie fällt. So kamen die Stürmer in den ersten Hof, stellten hier ihre Kanonen auf. Ihre Zahl war sehr geschmolzen; sie hatten mehr als 80 Mann an Todten, eben so Viele an Verwundeten verloren, aber nichts von ihrem Muthe. Launay war ein Befehlshaber ohne Entschlossenheit, aber ein Soldat von Ehre. Als er das Gelingen des Sturmes sah, wollte er sich mit der Festung in die Luft sprengen; einer seiner Un- terofficiere hielt ihn mit Gewalt zurück. Man steckte die weiße Fahne auf, als Zeichen der Capitulation, und Lau- nay schrieb die Worte: „Wir haben 20 Centner Pulver, wir sprengen das Schloß in die Luft, nehmt Ihr die Ca- pitulation nicht an.“ Man steckt das Papier durch eine Öffnung der zweiten noch aufgezogenen Zugbrücke, mit Hülfe einer übergelegten Diele nimmt es einer der Stür- mer in Empfang. Elie verbürgt sein Wort für die Sicher- heit der Besatzung. Noch aber verhandelte man um Abzug mit kriegerischen Ehren, um Bestätigung der Capitulation auf dem Stadthause, als die angstvollen Invaliden die Zugbrücke fallen ließen. Da erhub sich das Jubelgeschrei des Volks: „Die Bastille ergiebt sich.“ Das begab sich, während mehrere Regimenter königlicher Truppen unter dem General von Besenval auf dem Marsfelde standen. Besenval aber that nichts weiter als daß er dem Comman- danten der Bastille den schriftlichen Befehl zusandte, sich aufs Äußerste zu halten, und Verstärkung zu schicken ver- sprach. Der Überbringer ward unterwegs aufgefangen und auf das Stadthaus geschleppt. Elie und Hullin bo- ten Alles auf um Launay und seine Besatzung zu schützen. Der Zug zum Stadthause ward angetreten. Als man auf den Greveplatz kam, wurden Launay und sein Major von einer andringenden Horde ihren heldenmüthigen Ver- theidigern entrissen. Nicht lange so sah man ihre zerfleisch- ten Körper und Launay’s Haupt auf einer Pike. Ein Paar Kanoniere wurden an einem Laternenpfahl aufgeknüpft. Flesselles erkannte sein Schicksal, als man ihm zurief: er solle ins Palais-royal, um dort gerichtet zu werden. Lau- nay’s Kopf war ihm dahin vorangegangen. Als Flesselles auf den Greveplatz trat, nahte sich ein unbekannter jun- ger Mensch, schoß ihn nieder, und man trug seinen Kopf umher. Die Eroberer behielten die Bastille im Besitz; die wenigen Gefangenen, nur sieben, darunter ein Paar Wahnsinnige, wurden befreit. Nach ein Paar Tagen ward unter Trompetenschall durch ganz Paris verkündigt, die Schleifung der Bastille sey auf dem Stadthause be- schlossen. Die Bastille ward um vier Uhr Nachmittags genom- men; die Nationalversammlung erfuhr davon durch den Herrn von Wimpfen, Deputirten von Caen, der gerade in Paris war, und ungeachtet die Minister alle Verbin- dung zwischen Versailles und der Hauptstadt hatten ab- sperren lassen, glücklich durchkam. Auch die Minister wa- ren unterrichtet; ihre Sorge war daß nur der König nicht um seine Nachtruh komme und sie verschwiegen es ihm. Aber der Herzog von Liancourt, dem des Königs Heil aufrichtig am Herzen lag, bediente sich des Vorrechts sei- Juli 15. nes Hofamtes, ließ ihn wecken, verkündigte ihm was ge- schehen. „Also ein Aufstand?“ rief der Monarch. „Nein, Sire,“ sprach Liancourt, „das ist eine Revolution.“ Ludwig hatte gestern zwei verschiedenen Deputationen der Nationalversammlung, welche die Entfernung der Truppen begehrten, von innern Zweifeln zerrissen, aber dennoch widerstanden. Jetzt war er sich selbst wieder gegeben. Tief erschüttert durch das Blutvergießen in der Hauptstadt, aber wohl damit zufrieden, von seiner Zusage Gewalt zu üben befreit zu seyn, ließ er seine Brüder rufen; Mon- sieur stimmte bei und Artois beugte sich vor der Nothwen- digkeit. Eben war die Nationalversammlung im Begriffe eine dritte Deputation mit herben Beschwerden und Anklagen auf das Schloß zu senden, als Liancourt die Nachricht brachte, der König schicke sich an in die Versammlung zu kommen, er bringe Frieden und Versöhnung. Ludwig war gewinnend, sobald der reine Strahl seiner Herzens- güte hervorbrechen durfte. Man war sich ziemlich einig ge- worden den Monarchen mit finsterer Stille zu empfangen, die Worte waren gesprochen: „Das Schweigen des Volks ist die Schule der Könige,“ aber als er nun in den Saal trat, der ehrliche und so bedrängte Mann, allein von sei- nen Brüdern begleitet, tönten ihm Bewillkommnungen ent- gegen. Und Beifallsrufe unterbrachen seine Rede, als er nun zum ersten Male die bisher versagte Benennung: „Nationalversammlung“ einfließen ließ, gleich als ver- stände sie sich von selber, die Entfernung der Truppen als schon befohlen verkündigte, mit dem unverhehlten Kum- mer seines Herzens einen Ausdruck des Vertrauens ver- band, daß die Versammlung rathen und helfen werde. Die Antwort des Präsidenten erinnerte daran, daß die im Rathe des Königs vorgenommenen Veränderungen als die Haupt- quelle der betrübenden Unruhen betrachtet werden müßten. Obgleich nun Ludwig eine Äußerung über diesen Punct vermied, war die Begeisterung allgemein, und als der König den Saal zu verlassen Miene machte, sprach die Versammlung den Wunsch aus ihn zum Schlosse beglei- ten zu dürfen; worauf der König den Weg zu Fuß antrat. So kam es zu einem öffentlichen Versöhnungsfeste, in des- sen Taumel ganz Versailles, sogar die Königin, hinein- gezogen ward; den Schlußpunct machte ein Tedeum in der königlichen Capelle. An demselben Tage sah man eine Deputation der Na- tionalversammlung auf dem pariser Stadthause, 88 Mit- glieder stark; der König hatte diese Vermittelung selbst gewünscht und Monsieur stellte ihnen seine Wagen zur Verfügung. Auch hier war der Jubel allgemein, denn die Abgeordneten brachten die königliche Bestätigung der Bür- gerbewaffnung mit, und als die französischen Garden von der ihnen angekündigten Verzeihung nichts wissen wollten, ward auch über diesen Punct hinweggegangen. Kein Vogt der Kaufleute weiter; Bailly ward zum Maire von Paris ernannt, Lafayette zum Oberbefehlshaber der Mi- liz, die von nun an (16. Juli) Nationalgarde heißen soll. Auch hier machte ein Tedeum den Beschluß. Am 17ten erschien der König in Paris. Er hatte außerordentliche Erschütterungen des Gemüthes überstan- den, seine Minister, die Urheber verderblicher Entschlüsse, endlich entlassen, Neckern geschrieben daß er wiederkehre; er hatte Abschied genommen von seinem jüngsten Bruder; denn Artois wollte nicht länger in Frankreich bleiben, seit der König den Vorschlag sich dem abziehenden Heere an- zuschließen, welchen Breteuil und Broglie, von der Kö- nigin unterstützt, kurz vor ihrem Ausscheiden machten, das heißt, den Vorschlag zum Bürgerkriege, verworfen hatte; mit dem Grafen von Artois aber reisten die Prin- zen von Condé, von Conti, die Polignacs, und kurz darauf setzten sich auch Breteuil, Barentin, Broglie, der Prinz von Lambesc und viele Andere, um König und Va- terland unbekümmert, in persönliche Sicherheit. Ludwigs Entschluß nach Paris zu gehen war weise; er durfte sich nach Entfernung des Heeres nicht mistrauisch vom Volk zurückhalten; aber die Königin nahm von ihm einen Ab- schied fast der Verzweiflung den Gemahl je wieder zu sehen; er bestellte durch eine schriftlich niedergelegte Acte den einzigen Bruder, der ihm blieb, scheidend zum Ge- nerallieutenant des Königreiches für den äußersten Fall, hörte die Messe, empfing das Abendmahl, und man las in seiner Miene eine stille tiefe Betrübniß, als er an der Barrière seiner Hauptstadt eintraf. Hier empfing ihn der neue Maire an der Spitze der Municipalität mit Worten der Glückwünschung, deren ungeschickt zugespitzter An- fang war: „Sire, ich bringe Eurer Majestät die Schlüs- sel Ihrer guten Stadt Paris; es sind dieselben, welche Heinrich dem Vierten überreicht wurden. Er hatte sein Volk wieder erobert; heute ist es das Volk, welches seinen König wieder erobert hat.“ Nun der Zug nach dem Stadt- hause durch die unermeßlich lange Doppelreihe Bewaffne- ter, bewaffnet und gekleidet wie es zutraf, selbst Flinten tragende Frauen, sogar Mönche darunter. Der König er- kannte die Eroberung, welche eine neue Ordnung der Dinge an ihm gemacht hatte, die Schatten der letzten Merowinger mochten ihn umschweben. Er empfing von seinem Majordom Bailly auf dem Stadthause die Kokarde mit den Farben der Stadt Paris und befestigte sie an sei- nen Hut, hörte Reden an, welche Bailly in seinem Na- men beantwortete, er selbst vermogte es nicht; er ward an ein Fenster des Stadthauses geführt, dem Volk vor- gestellt, welches ihm zurief. Abends ging es nach Ver- sailles zurück, man sah sich mit Thränen wieder. 5. Die Schoͤpfungen der Nationalver- sammlung. In denselben Tagen da der Kampf zwischen der Re- gierung und der Nationalversammlung begann, nahmen die Verfassungsarbeiten ihren Anfang. Man wollte dem Vaterlande zeigen, daß man weit mehr mit seiner Pflicht als mit seiner Gefahr beschäftigt sey. Von dieser Ver- sammlung, in welcher ein mächtiges Genie und viele Ta- lente, viele Männer von edler und bewährter Gesinnung saßen, erwartete der bei Weitem größte Theil der Bevöl- kerung Frankreichs seine politische Wiedergeburt, und man durfte hoch gespannte Erwartungen nicht übertrieben schelten. Die Kurzsichtigkeit der Regierung, welche weder die Grundlinien der künftigen Staatsverfassung bezeich- nete, noch einen Verfassungsentwurf zur Berathung vor- legte, hätte zwar einen üblen Ausgang von Anfang her voraussehen lassen müssen, allein bei der kläglichen Un- wissenheit über Staatssachen, welche bei unumschränkt regierten Völkern zu Hause ist, freute man sich in und außer der Versammlung der freien Hand, welche ihr ge- lassen war. Da nun die Rathgeber der Krone zu der Ver- sammlung wie Fremde standen, so befand sich niemand darin, dessen Obliegenheit es gewesen wäre, immerfort an die Grundwahrheit zu erinnern, daß die Wirksamkeit einer Regierung stets die Hauptsache im Staate bleibt, weil mit der Ordnung mindestens die Möglichkeit der Freiheit gegeben ist, welche nothwendig verloren geht, wenn Ordnungslosigkeit dauernd wird. Die Nationalver- sammlung war durch eine gelungene Revolution an die Spitze von Frankreich getreten. Fortan mußte es ihr erstes Anliegen seyn, die schwankende Macht der Krone wieder zu befestigen und das bereits sicher gestellte Recht der Gegen- wart mit der Vergangenheit zu verknüpfen, überhaupt aber an der Bescheidenheit der Natur ein Muster zu neh- men, welche niemals von unvollkommenen Bildungen durch einen Sprung zu den vollkommensten übergeht. Denn schon hatte sich die Entwickelung finsterer Gewalten angekündigt, für die Krone und die Nationalversammlung gleich gefährlich. Im bretagnischen Club in Versailles ward jener Anfall auf den Erzbischof von Paris angezet- telt, und nicht bloß die Helden der Bastille statteten im Palais-royal Bericht ab, auch die Mörder empfingen dort ihren Auftrag oder ihren Lohn. Dort saß auch der Herzog von Orleans wie eine Spinne in ihrem Gewebe, allein sein Kleinmuth, größer als sein Ehrgeiz, zerriß jeden Tag wieder sein Gespinnst, und manche die orleanssches Geld ver- wandten, gaben auf den Plan seiner minder abgespannten Stunden, dem schwachen Könige eine Regentschaft unter dem Titel eines Generallieutenants des Königreiches ab- zudringen, wenig oder nichts. Daß Mirabeau unter sei- nen Verbündeten gewesen sey, wird von Männern, die diesem nahe standen ohne sich über ihn zu verblenden, ent- schieden in Abrede gestellt. Die Nationalversammlung hatte ein Comité ernannt, Juli 6. um über die Reihenfolge der zu berathenden Verfassungs- fragen ihr Gutachten abzugeben. Eben hatte Mirabeau seine berühmte Adresse wegen Entfernung der Truppen beantragt, als Mounier Bericht erstattend auftrat. Seine Juli 8. Bemerkung war einleuchtend, die neue Verfassung werde eine Umgestaltung der Gesetzgebung zur Folge haben, allein die Ausarbeitung der Verfassungsurkunde müsse, als die Grundform des Staatsganzen bestimmend, das erste Ge- schäft seyn; ganz anders aber war es mit dem daran ge- knüpften Vorschlage beschaffen, an die Spitze der Verfas- sungsurkunde eine Erklärung der Menschenrechte zu stellen. Das hatten die Nordamerikaner aufgebracht, indem sie, um den Vorwurf der Rebellion abzuwälzen, dem Könige von England in ihrer Unabhängigkeitserklärung punct- weise aufwiesen, er habe die natürlichsten Rechte der Menschheit an ihnen gekränkt. Die meisten einzelnen Staaten dort machten das ferner ohne Noth in ihren be- sonderen Verfassungsurkunden nach, so seltsam sich die natürlichen Menschenrechte auch da wo Sclaven gehalten wurden ausnahmen; dergleichen nun vollends in Frank- Französische Revolution. 16 reich aufzustellen, war nicht der geringste Grund vorhan- den. Inzwischen war das Comité selbst der Meinung, man müsse diese Arbeit bis ganz zuletzt, bis so lange ver- sparen, daß alle übrigen Theile der Constitution vorher ausgearbeitet wären. Wann es aber dazu kommen werde, ließ sich fürwahr kaum absehen, wenn es bei dem höchst unpraktischen Vorschlage blieb, den Verfassungsentwurf keinem Ausschusse zu vertrauen, sondern die vom Comité namhaft gemachten Artikel: Menschenrechte, Grundlagen der Monarchie, Rechte der Nation, Rechte des Königs und so weiter, gleichzeitig in allen Büreaus berathen und die Abweichungen durch einen Vermittelungs-Ausschuß ausgleichen zu lassen. Allein es ist hiebei in keiner Art geblieben. Ein Ver- fassungsausschuß von Achten ward beliebt, dessen Mit- glieder der Erzbischof von Bordeaux, der Bischof von Au- tun, die Grafen Lally-Tollendal und Clermont-Tonnerre und vom dritten Stande Mounier, Sieyes, Le Chapelier und Bergasse wurden; und kaum waren die Menschen- rechte auf die Bahn gebracht, als auch Lafayette leicht- füßig von der Frage Ob auf das Wie hinübersprang, ei- Juli 11. nen Entwurf hervorzog und zur Annahme empfahl. Er geht von der natürlichen Freiheit und Gleichheit aller Menschen aus, folgert daraus für den Einzelnen eine An- zahl jedem Menschen angeborener unverjährbarer Rechte, für das Ganze die Volkssouveränität. Aus der Volkssou- veränität geht dann weiter das Recht der künftigen Ge- schlechter hervor, durch eine heute beschlossene Staatsver- fassung nicht für immer gebunden zu seyn. Das Volk wird demnach durch außerordentlich berufene Abgeordnete von Zeit zu Zeit die nöthigen Abänderungen beschließen. Allein um nur bei seinem Ausgangspuncte stehen zu bleiben, so leidet dieser an einem doppelten Gebrechen. Denn weder sind die Menschen von Natur frei und gleich, noch ist der Staat als eine künstliche Einrichtung zu begreifen, welcher ein staatloser Naturstand vorangegangen wäre. Jeder Mensch erwächst hülfsbedürftig und beherrscht, und ist er erwachsen, so sieht er sich von Menschen umgeben, ihm ungleich an Gestalt, Fähigkeiten, Stand, Vermögen. Auch ist durchaus kein Grund anzunehmen, das sey je- mals anders gewesen; der Staat ist so alt als die Mensch- heit. Ging man einmal darauf aus, das französische Volk auf eine belehrende Weise in die Wohlthaten seiner neuen Verfassung vorredend einzuleiten, so mußte das auf dem gerade entgegengesetzten Wege geschehen, indem man jene Ungleichheiten anerkannte, als durch Gott und Natur und die Macht der Geschichte begründet, allein zu gleicher Zeit darthat, das Ziel einer guten Staatsverfassung sey, das schädliche Übermaß solcher Unterschiede zu beseitigen und Allem was billig unter den Menschen gleich und frei ist gerechte Geltung zu verschaffen. So konnte man der öffent- lichen Dankbarkeit Nahrung geben, indem man den Fran- zosen zu der Vergleichung der ehemaligen Generalstaaten mit dem jetzigen Reichstage, der Steuerbefreiungen mit 16* der Steuergleichheit führte. Jene Menschenrechte dagegen stellten ihn auf einen Standpunct, von welchem aus jede durch die bürgerliche Gesellschaft gebotene Beschränkung seiner natürlichen Freiheit und Gleichheit, wenn nicht un- billig, doch beklagenswerth erschien. Es war sogar zu fürchten, daß die Gelehrten der Menschenrechte einen Sprung weiter vom Staatsrechte in das Privatrecht ver- suchen und eine Gleichtheilung alles Eigenthums be- schließen möchten. Wenn Mirabeau auch diese Wahrheiten nicht hinläng- lich im Zusammenhange durchschaute, so besaß er doch staatsmännischen Tact genug, um die Gebrechlichkeit sol- cher menschenrechtlichen Satzungen zu erkennen. Als La- fayette fertig war, sprach er lachend zu einem Nachbar: „Diese unverjährbaren Rechte des guten Lafayette werden kein Jahr vorhalten.“ Weil aber die Versammlung an dem Köder hängen blieb, ließ auch er sich von den jungen Männern, die er beständig zur Hand hatte (denn Mira- beau verstand, wie wenige, die Kunst für sich arbeiten zu lassen) einen Entwurf der Menschenrechte anfertigen, auch Sieyes blieb nicht zurück, an dreißig Entwürfe strömten zusammen, und so ernannte man am Ende allein für die- sen Gegenstand einen Ausschuß von fünf Mitgliedern, des- Aug. 18. sen Berichterstatter Mirabeau ward. Wir sehen aber die- sen sonst so kühnen Redner hier völlig in sein Gegentheil verwandelt. Er schildert die Leistung des Ausschusses als einen schwachen Versuch, wie er es wirklich war, das kaum irgend zu Leistende zu leisten, und besteht für seine Person darauf, sich hierin von seinen Collegen trennend, daß die schließliche Redaction bis zur Vollendung aller andern Theile der Constitution Anstand finde; denn nur so allein lasse sich die Gefahr vermeiden, Principien aufzu- stellen, welche man in der Anwendung nicht wieder erken- nen möchte. Allein sein immer schärfer hervortretendes Bedenken gegen eine gefährliche politische Gasconnade, wie man sie im Sinne hatte, trug ihm von der Gegen- partei heftige Vorwürfe ein, als wolle er unter dem Scheine der Verzögerung die Menschenrechte überhaupt be- seitigen. Was er oft im Kreise seiner Vertrauten beklagte, daß der schlimme Ruf einer wüsten Jugend ihm seine Bahn erschwere, mußte er jetzt öffentlich erfahren. Den Ausfällen, die ihn trafen, stellte er die Antwort entge- gen: „Sicherlich, inmitten einer höchst stürmischen Ju- gend habe ich durch die Schuld Anderer, allein hauptsäch- lich durch eigene Schuld großes Unrecht begangen, und wenige Menschen haben in ihrem Privatleben mehr Vor- wand als ich der Verläumdung, mehr Nahrung der übeln Nachrede gegeben; allein, ich wage es Euch alle zu Zeu- gen zu rufen, kein Schriftsteller, kein öffentlicher Cha- rakter hat größeres Recht als ich, sich muthiger Gesinnun- gen, uneigennütziger Ansichten, einer stolzen Unabhängig- keit und der Gleichmäßigkeit unbeugsamer Grundsätze zu rühmen.“ Nach einer unerquicklichen Debatte, welche durch viele Sitzungen des Julius und August sich schlang, besonders auch darum unerquicklich, weil die Mehrzahl mit aufgeschriebenen Reden gegen beliebige, manchmal gar nicht vorgekommene Einwendungen auf selbstgewähl- tem Terrain manövrirte, statt wie in England dem bald hier bald dort angreifenden Feinde eine entscheidende Schlacht zu liefern: trug ein Entwurf, aus dem sechsten Aug. 19. Büreau eingegangen, den Sieg davon, welcher, es ist wahr, gemäßigte Überzeugungen vermittelt und nament- lich die Anerkennung ausspricht, daß schon in der natür- lichen Beschaffenheit der Menschen ihre Ungleichheit ent- halten sey. Weil aber die Versammlung sich vorbehielt später noch daran zu ändern, sowohl durch Hinzufügen als Hinwegschneiden, hatte man im Grunde Nichts be- schlossen, und wirklich weicht die Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers, welche an der Spitze der vollendeten Verfassungsurkunde steht, durchaus ab von jener damals genehmigten. Ging man so in der Aufstellung der Menschenrechte höchst umständlich und tappend zu Werke, ohne gleich- wohl zur Erkenntniß seines Grundirrthumes durchzudrin- gen, so ward dagegen das still zuschauende Europa durch die Hast überrascht, mit welcher eine andere Frage von höchst praktischem Belange zur Erledigung kam. Seit die Plane des Hofes an der Erstürmung der Bastille scheiter- ten, bildete sich in großen hauptstädtischen Kreisen die Meinung zur politischen Lehre aus, die Massen dürf- ten nicht zur Ruhe kommen und müßten dann und wann durch eine That der Volksrache einen sichtbaren Beweis ihrer Macht und Gesinnung geben. Dergleichen, meinte man, sey nach zwei Seiten dienlich, gut um den Hof in Furcht, gut um die Nationalversammlung im Fahrwasser der Freiheit zu erhalten. Als ein Opfer dieser Maxime fiel Foulon, einer von den kürzlich entlassenen Ministern, und sein Schwiegersohn Berthier von Sauvigny, eben noch Intendant von Paris, beide an demselben Tage öf- Juli 22. fentlich fortgeschleppt und ermordet, ihre Köpfe vom Pö- bel auf Piken getragen, und es war nicht bloß Pöbel da- bei. In der ersten Bewegung des Schmerzes sagten Bailly und Lafayette, die vergeblich zu schützen, zu retten gestrebt hatten, sich von ihren Stellen los. Doch ließen sie sich überreden wieder einzutreten. Bailly hoffte Hülfe von ei- ner besseren Organisation des Stadtregiments und wirk- lich legte der beständige Ausschuß der Wähler die Regie- rung nieder, und eine Municipalität von 120 Mitgliedern, zwei aus jedem District, trat an die Stelle; Lafayette Juli 30. setzte sein Vertrauen auf die jetzt zu vollendende Organi- sation seiner Nationalgarde, welche derzeit aus 6000 Mann Besoldeten, deren Kern das Regiment französischer Garden bildete, und 24,000 Mann unbesoldeter Bürger, dazu 1000 Officiere, bestand, und reichlich mit Geschütz, über 100 Kanonen, bald auch mit einigen Compagnien Reuterei versehen war. Die Hauptweihe aber glaubte er seinem Werk zu geben, indem er nun mit der bisher dop- pelfarbigen Nationalcocarde als Zeichen des geschlossenen inneren Friedens die weiße Farbe der Bourbons vereinigte. Er übergab diese den Nationalgarden bei ihrer ersten gro- Juli 26. ßen Heerschau mit den Worten: „Diese Cocarde wird die Runde um den Erdkreis machen.“ Was aber ruhigen Beobachtern die meiste Sorge erweckte, war daß ein Theil der Nationalversammlung die Klagen der Besseren über die Entweihung der jungen Freiheit durch blutige Gräuel lau, einige sogar mit Misbilligung anhörten. Maximi- lian Robespierre, Advocat in Arras, sprach von einer Juli 20. furchtbaren Verschwörung gegen die Nation, deren Be- kämpfung gesetzlich sey, und erklärte den Versuch da hin- dern zu wollen für einen Angriff auf die Vertheidiger der Freiheit. Von diesem Manne sagte Mirabeau, er sehe aus wie eine Katze, die Essig getrunken hat; ein an- deres Mal bemerkte er, der Mensch scheine an Alles zu glauben, was er sage. Barnave, ein Talent der Ver- sammlung, welches sich bisher den Rathschlägen Mou- niers untergeordnet hatte, vergaß sich damals bis zu den Worten: „War denn das vergossene Blut so rein?“ Das Beispiel von Paris hätte die Provinzen fortgerissen, wä- ren auch keine Anstifter von dort zu ihrer Aufwiegelung thätig gewesen. Mit wie großer Mühe hatte man in der Hauptstadt dem gemeinen Manne wenigstens einen Theil der Waffen wieder entwunden, die ein stürmischer Tag in seine Hände gab, indem man sie ihm abkaufte! Nun aber griff man überall auf dem flachen Lande zu den Waf- fen, theils durch von Emissären ausgesprengte Befürch- tungen geschreckt, wobei besonders Duport im Spiele war, theils um sich an Beamten und Edelleuten zu rä- chen, Klöster zu zerstören und Schlösser, oft um mit ihnen die alten Papiere zu vernichten, in welchen ihre harten Pflichtigkeiten verzeichnet standen. Mehrere Ermordungen von Vornehmen wurden gemeldet. In dem Dauphiné, wo bisher die Stände einträchtig zusammenhielten, sah man den Brand von 30 Schlössern leuchten; doch griff der ständische Ausschuß dort gleich kräftig ein, errichtete Na- tionalgarden, und, thätiger als in der Hauptstadt, ließ man nicht eher ab, als bis die Verbrecher ergriffen und die Schuldigsten hingerichtet waren. So ward daselbst die Ruhe wieder hergestellt. Als aber die Nachricht von diesen Vorgängen nach Paris kam, hielten viele Edelleute, Mitglieder der Na- tionalversammlung, Rath unter einander und beschlossen durch das Opfer ihrer Lehnsrechte gegen mäßige Entschä- digung die Gemüther zu versöhnen, sich aber den Sicher- stand dessen was ihnen bleiben müsse zu erkaufen. Der Herzog von Aiguillon, Sohn des vormaligen Ministers war im Begriff in der Abendsitzung des 4ten August solchen Antrag zu stellen, und es geziemte ihm, weil jedermann wußte, daß er aus dieser Quelle große Einkünfte zog, als ihm der Vicomte von Noailles, Lafayette’s Schwager, ein jüngerer Sohn seines Hauses, der keine solche Opfer zu bringen hatte, mit einiger Eitelkeit zuvorkam. Genug der Antrag geschah und ward vom Herzog von Aiguillon mehr entwickelt, sowohl aus Gründen der Sicherheit, als um eine gerechte Unzufriedenheit zu beseitigen und das besondere Wohl dem allgemeinen unterzuordnen unter Auf- hebung aller Steuerfreiheiten den Grundsatz einer künftig völlig gleichen Vertheilung der Steuern zu sanctioniren, imgleichen aus denselben Gründen und in Rücksicht auf das Gedeihen des Ackerbaues den Grundsatz der Ablösbarkeit aller Lehns- und Herrenrechte auf Begehren der Pflichtigen. Die Ablösung möge zu Eins von Dreißig (3⅓ Procent) oder nach einem andern für jede Provinz für sich zu beschließenden Maßstabe geschehen, nur daß, da diese Einkünfte wirkliches Eigenthum und sogar das einzige Einkommen manches Besitzers sind, sie, insoweit die Ablösung nicht erfolgt ist, fortbestehen. Die persön- lichen Dienste dagegen sollen ohne Ablösung erlöschen. Ein Landmann aus der Bretagne erhob sich in seiner Bauerntracht, erinnerte daran daß in Frankreich noch Menschen wie Thiere vor den Wagen gespannt werden dürften, daß noch ein Recht bestehe, welches Bauern nö- thige zur Nachtzeit die Teiche zu peitschen, damit die Frösche nicht durch ihr Quaken den Schlaf ihrer wollüsti- gen Herren stören. „Wartet keinen Augenblick,“ schloß er, „oder sollen Eure Gesetze einem verwüsteten Frank- reich zu Theil werden?“ Ein Edelmann versuchte dem überwiegenden Beifalle, welcher diese Anträge begleitete, eine andere Richtung zu geben, indem er bemerkte, es dürfte wohl rathsam seyn, den Anfang der Verbesserungen mit Streichung der Jahrgelder und zum Theil übermäßi- gen Gehalte des Hofadels zu machen; alsbald aber er- klärten sich Viele, die das anging, zu solchem Opfer er- bötig. Der Enthusiasmus war entzündet, schon häuften und mischten sich die Anträge. Der Vicomte von Beau- harnais verlangt ein Strafgesetz, welches Gleichheit der Strafen ohne Standesunterschied feststelle, er verlangt die Zulassung jedes Franzosen zu jedem öffentlichen Amt in der Kirche, der Verwaltung und im Heerwesen. Einer vom dritten Stande begehrt die Aufhebung der Patrimonial- gerichte. Die Einrede eines elsaßer Abgeordneten, man möge doch an die Lehnrechte denken, welche vielen deut- schen Reichsfürsten Kraft unzweifelhafter Staatsverträge im Elsaß zuständen, fand keinen Eingang. Vielmehr trat Graf Mathieu de Montmorency auf, verlangte die Ab- stimmung über sämmtliche Anträge. Das lief der Ge- schäftsordnung entgegen; allein man hatte sich letzter Zeit schon über so Vieles hinweggesetzt und namentlich den Be- schluß, wöchentlich nur drei allgemeine und öffentliche Sitzungen zu halten, die übrigen Tage in den Büreaus zu arbeiten, in dem Grade verlassen, daß man täglich zwei allgemeine Sitzungen, eine Morgens, die andere Abends hielt. Allein der Präsident Le Chapelier (der Vorsitz in der Nationalversammlung wechselte alle vierzehn Tage) machte darauf aufmerksam daß jedenfalls doch zuvor die Ansicht der Geistlichkeit vernommen werden müsse. Als nun auch die Prälaten sich geneigt erklärten, den Abkauf ihrer Feudallasten zuzulassen, und zugleich versprachen, sie wollten den Erlös nicht zu ihrer Bereicherung, sondern zu reichlicheren Almosen verwenden, als sogar blutarme Pfarrer das Anerbieten ihrer Accidentien machten, dessen Annahme man freilich ausschlagen mußte, stiegen die Bei- fallsrufe und die Anträge drängten sich noch stürmischer: Abschaffung aller der Leibeigenschaft verwandten Ver- hältnisse, welche unter dem Namen der todten Hand für anderthalb Millionen Franzosen noch bestehen; Setzung sämmtlicher Zehenten zu Gelde und Ablösbarkeit derselben; Aufhebung des ausschließlichen Jagdrechtes, mithin der barbarischen Strafen gegen Jagdfrevler; Aufhebung der Taubenhäuser und Kaninchengehege; Verbesserung der Gilden; Abschaffung aller Ämterverkäufe; Aufhebung der Privilegien der einzelnen Provinzen von Frankreich — und endlich als unmittelbare Folge des letzten Antrages: man will überhaupt künftighin nicht mehr Provençale, Langue- docker, Burgunder, alle wollen Franzosen seyn, zweifeln auch durchaus nicht an der gleichen Gesinnung ihrer Com- mittenten; und die Städte und die Ämter wollen keinen Schritt hinter den Provinzen zurückbleiben, auch sie ent- sagen ihren Vorzügen. Bei diesem letzten Aufschwunge zum Ziele der Gleichheit ward der Taumel der Begeiste- rung so allgemein, ein solcher Andrang zur Rednerbühne, solch ein Zusammenhäufen in Gruppen unter vielen Um- armungen trat ein, daß die Secretäre darauf verzichten mußten die Fülle der Anträge zu verzeichnen; sie haben es erst nachträglich gethan. Nun verlangte der Herzog von Liancourt noch eine Medaille zum Andenken der That die- ses Tages, der Erzbischof von Paris ein Te Deum. Lally- Tollendal lenkte wohlgesinnt auf die Dankbarkeit gegen den König zurück, als die Quelle aller dieser Wohlthaten. Ludwig XVI. wird den Titel: „Wiederhersteller der fran- zösischen Freiheit“ führen. Alles ward wie angetragen auch beschlossen; man hatte von 8 Uhr Abends an geses- sen, trennte sich um 2 Uhr Morgens, und erwachte in einem umgeschaffenen Frankreich. Die nächsten Sitzungen brachte man mit den Redactio- nen der Anträge zu, und ging zum Theil noch eine gute Strecke über dieselben hinaus. Das geschah vornämlich in Absicht auf den Zehenten der Geistlichkeit, welchen man zuvor abkäuflich gestellt hatte, der jetzt ohne Entschädigung fallen sollte. An diesem Tage ward Sieyes mit der Ruthe seiner eigenen Grundsätze gezüchtigt. Er so wenig als Mi- rabeau waren in der Sitzung der Gleichmachung gegen- wärtig gewesen, letzterer durch einen Familienrath in Bezug auf den kürzlichen Tod seines Vaters verhindert, † Juli 11. allein am 10ten August erhub sich Sieyes, räumte ein daß der Naturalzehnte die für den Ackerbau verderblichste Steuer sey, bestand aber um so nachdrücklicher auf seiner Ablösung; denn auch abgesehen von dem Bedürfnisse der Geistlichkeit sey durchaus kein Grund vorhanden, mit einem Jahresertrage von mindestens 70 Millionen Livres den Grundbesitzern ein Geschenk zu machen, ihnen, von denen keiner den Zehenten in Wahrheit bezahlt, denn er hat sein Grundstück um eben so viel wohlfeiler gekauft als der Ca- pitalwerth seines Zehenten ist. Auf die ganz entgegenge- setzte Seite stellte sich aber Mirabeau, und statt dabei stehen zu bleiben daß die Zehenten einen milden Ablö- sungssatz verdienen, oder allenfalls ihren Ertrag der dar- benden Staatscasse zuzuweisen, nannte er die Zehenten eine Steuer für den Unterhalt der Geistlichkeit, den Grundbesitzern unbillig auferlegt, verlangte ihre Aufhe- bung ohne alle Entschädigung, brachte zugleich die Besol- dung der Geistlichkeit aus öffentlichen Mitteln in Anre- gung. Mirabeau erkannte das praktische Moment der Be- schlüsse vom 4ten August, ihre Unwiderruflichkeit. Die Art wie sie zu Stande kamen betrachtete er als charakte- ristisch für seine Nation, die, ein Spielball ihrer Lebhaf- tigkeit, die vernünftigsten Dinge auf die tollste Art voll- bringe. Als der Zehente ohne Entschädigung fiel, sagte Sieyes: „Sie wollen frei seyn und verstehen nicht gerecht zu seyn.“ Seitdem war er erbittert auf die Versammlung, sprach nur selten. Bei einer Unterredung zwischen den bei- den Vätern der Revolution, wie Mirabeau sich und Sieyes nannte, fielen die Worte: „Mein lieber Abbé, Sie ha- ben den Stier losgekettet und beklagen sich daß er Sie seine Hörner fühlen läßt?“ Auch die weiteren Folgen der vierten Augustnacht, zunächst für den Adel, sah Mirabeau klar voraus. Der französische Adel hatte die einzigen Klam- mern, welche er im Bewußtseyn der Nation hatte, selbst gesprengt, nichts hielt ihn mehr. Der Titularadel fiel am 20sten Julius 1790. Ihm folgten am 30sten October 1791 die Ritterorden nach, und da von Anfang her der französische Landmann sich nur die Aufhebung der Feudal- lasten und Zehenten zu eigen machte, für ihre Zahlung bis zu geschehener Ablösung keine Ohren hatte, so hob man am Ende am 25sten August 1792 alle diese Lasten ohne Entschädigung auf. Endlich: nur ein Paar Monate verliefen seit jener Augustnacht, und es gab in Frankreich keine Provinzen mehr, an ihre Stelle traten 83 Departe- ments. Bis dahin hatte man in Frankreich Provinzen mit althistorischen Namen als politische Eintheilung, Gouver- nements als militärische, Generalitäten als administra- tive und finanzielle, Diöcesen als kirchliche, Balliagen Senechausséen und Parlamentsbezirke als gerichtliche Ein- theilung. Jetzt ward der gesammten Eintheilung das De- partement zum Grunde gelegt, bei dessen Abgränzung und Benennung, woran der König als Liebhaber der Geo- graphie Freude hatte, große Rücksicht auf Berge und Flüsse genommen ward, aber möglichst geringe auf den alten Zusammenhang der Bevölkerung. Jedes Departement ist in Districte, jeder District in Cantons getheilt, deren ei- nem jede der 44,000 politischen Gemeinden von Frank- reich angehört. Die Folge davon ist nun ferner ein ganz neues System der Verwaltung, deren herrschender Mittel- punct in ganz anderer Art als bisher die Hauptstadt wird. Und zu dem Allen bahnte doch jene unvergeßliche Nacht der Gleichmachung allein den Weg, und von dem Allen war doch wieder Sieyes allein der Grundleger und rühmte sich dessen im spätesten Alter, wenn er gleich nach seiner Oct. Weise einen anderen Antragssteller vorschob. Gewiß der vierte August hat diesem ungemein eiteln Manne die Eine herbe Kränkung durch einen reichlichen Zuwachs an Selbst- zufriedenheit vergütet. In den letzten Tagen des August hielten Mounier und Lally-Tollendal im Namen des Verfassungsausschusses Vortrag über die Grundformen der künftigen Verfassung. Es kam dabei hauptsächlich auf die Beantwortung von drei Lebensfragen an. Sie lauten: Soll die Nationalversammlung permanent seyn? Soll sie ungetheilt bleiben oder in Kammern zer- fallen? Soll der König ein Veto haben, und wenn eines, welch eines? Unter Permanenz der Nationalversammlung verstand man im Ausschusse eine zu gesetzlich bestimmter Zeit zu- sammentretende Nationalversammlung, welche der König wohl vertagen, aber nicht auflösen darf, ohne sogleich neue Wahlen anzuordnen. Man beantragt eine solche, die jeden ersten December zusammentritt und vier Monate bei- sammen bleibt. Der Ausschuß, das heißt, die Mehrheit desselben begehrt zwei Kammern, die eine von 600 Abge- ordneten, auf drei Jahre gewählt, die andere ein Senat von 200 auf Lebenszeit bestellten, vom Könige genehmigten Mitgliedern. Ein Alter von 35 Jahren, ein gewisser Grundbesitz ist erforderlich, übrigens steht jedem Verdienste der Eintritt in den Senat offen. Jede Kammer hat ein Veto gegen die andere, eben so gebührt dem Könige ein unbedingtes, nicht bloß aufschiebendes Veto. Mit die- sen nach Lage der Dinge lobenswerthen Grundlagen steht freilich im schneidenden Widerspruche der zugleich empfoh- lene Grundsatz: die zu gründende Verfassung bedürfe der königlichen Sanction nicht, weil sie erst diese Sanction feststelle. Aber wenn man die Nothwendigkeit erkannte, dem Königthum der Zukunft das unbedingte Veto einzu- räumen, so mußte man vor allen Dingen anerkennen, daß dieses Veto und weit mehr als das dem Könige der Ge- genwart schon zustehe. Oder hatte denn König Ludwig XVI. abdicirt, und es handelte sich um die Bedingungen seiner Wiedereinsetzung? Man machte in der Nationalversammlung den Versuch die Fragen getrennt zu behandeln, allein es ergab sich bald, das sey unmöglich. Alle drei sind Lebensfragen für die Krone, am tiefsten aber dringt die Vetofrage ein, sie, die grade für den gewöhnlichen Betrachter kinderleicht zu beantworten ist. Die Politiker des Palais-royal und des bretagnischen Clubs waren längst darüber einig, es sey ein Unsinn und ein Frevel gegen die Menschheit, den Willen von 25 Millionen Menschen von der Willkür ei- nes Einzigen abhängig zu machen; hier eine National- versammlung, dort ein König mit dem Veto, das heiße Französische Revolution. 17 zwei Souveräns in demselben Staate aufstellen. Man mischte die Massen geschäftig ein, manche Franzosen hiel- ten das Veto für eine neue Auflage, andere für die Ur- sache des Brodmangels. Im Palais-royal ging ein schrift- licher Vorschlag herum, nach Versailles zu ziehen zur Un- terstützung der patriotischen Abgeordneten; die Vetofreunde müssen ausgestoßen und nachdem sie so ihrer Unverletzbarkeit beraubt sind, muß ihnen der Proceß gemacht werden. Auf diesem Felde der Vetofrage entwickelte Mirabeau seine Meisterschaft, während Sieyes, Begriffe spaltend, unter die Mittelmäßigkeit herabsank. Aber Neckers ge- brechlicher Nachen lief eben hier kläglich auf den Strand. Sept. 1. Mirabeau läßt alle Gerechtigkeit der Besorgniß wider- fahren, in die Hände eines einzigen Menschen die Macht niederzulegen, daß er sagen dürfe: „Ich widersetze mich der allgemeinen Einsicht.“ Allein, indem der Redner sich in Acht nimmt, nicht gegen die Lieblingsansichten von der Entstehung des Staats durch willkürliche Satzungen an- zustoßen, giebt er zu bedenken, daß ja auch schlechte Wah- len von Volksvertretern möglich sind, daß es diesen ein- fallen kann, wenn ihnen kein königliches Veto gegenüber steht, ihre Vertretungszeit nach Belieben zu verlängern, zu verewigen, ja sogar die ausübende Gewalt in sich auf- zunehmen, wie das Alles in England in den Tagen der Revolution gegen Karl I. vorgekommen. Ganz gewiß, er will es nicht läugnen, kann das Veto des Fürsten sich ei- nem guten Gesetze widersetzen, allein es kann auch be- wahren vor einem schlechten Gesetze. Im schlimmsten Falle wird dann die ihrer jährlichen Wiederkehr versicherte Ver- sammlung die Steuern und das Heer verweigern oder nur für kurze Zeit bewilligen. Der Fürst wird hierauf viel- leicht die Nationalversammlung auflösen, nun verpflichtet ihn aber die Verfassung binnen drei Monaten eine neue Versammlung zu berufen. Das Volk wird alsdann, wenn es mit seinen Vertretern wirklich einverstanden ist, diesel- ben Vertreter wieder wählen. Was bleibt dem Fürsten übrig als sich zu fügen? Wenn aber dem Fürsten das Veto abgeht, wie hilft sich dann ein Volk gegen schlechte Ver- treter anders als durch Aufstand? „Wir werden,“ fährt er fort, „jedes Jahr zusammenkommen; denn bedenket wohl die ungeheure uns obliegende Verpflichtung. Die Finanzen allein werden vielleicht die Arbeit eines halben Jahrhunderts erfordern. Dann das bürgerliche und das peinliche Gesetzbuch! Wie? die Engländer, bei denen, so zu sagen, Alles schon gethan ist, versammeln sich von Jahr zu Jahr, und finden stets zu thun, und die Franzo- sen, bei welchen Alles noch zu thun ist, sollten sich nicht jedes Jahr versammeln? Wir werden also eine permanente Versammlung haben und in ihr allein schon ein hinläng- liches Gegengewicht gegen das königliche Veto. Wer frei- lich jede große Gewalt fürchtet, wird es Despotismus nennen, wenn der König sagen kann: „Das ist der Wille meines Volks, aber der meine steht ihm entgegen, und mein Wille soll gelten.“ Aus dieser Furcht ist das sus- 17* pensive Veto hervorgegangen; das will sagen: der König soll die Sanction allerdings verweigern können; es steht ihm frei vielleicht in diesem Falle die Nationalversamm- lung aufzulösen, den Eintritt einer durch neue Wahlen erneuten Versammlung zu erwarten; aber wenn diese neue Versammlung ihm das von ihm verworfene Gesetz zum zweiten Male darbietet, ist er gezwungen es zuzulassen; denn er hat die Gewißheit erhalten, dieses sey wirklich der Volkswunsch. Allein bedenket wohl, wie hoch Ihr den König mit der einen Hand gestellt habt und wie tief Ihr ihn mit der anderen herabdrücken wollet! Hier steht er als erblicher Herrscher, als unverletzlicher, auf einer von keiner Ehrsucht erreichbaren Höhe, berufen über 25 Millionen zu befehlen, auf einer Strecke von 30,000 Qua- drat-Lieues allenthalben der Beschützer zu seyn, und dort wollet Ihr diesen Mann der Macht zwingen Gesetze aus- zuführen, in die er nicht gewilligt hat. Wollet Ihr alle Schrecken eines blutigen Aufruhrs daran setzen? Gut, es steht in Eurer Hand, aber verkannt habt Ihr alsdann jene weit sicherer zum Ziele führende Macht, die Macht der öffentlichen Meinung. Wenn sie wahrhaftig in Wirk- samkeit tritt, in dem Augenblicke erhebt sie auch den Ge- setzvorschlag weit über die Willkür auch des mächtigsten Fürsten hinaus; er könnte nicht länger widerstehen ohne ein Gegenstand des Abscheues zu werden. Seine Einwil- ligung ist in Wahrheit nichts anders als das feierliche Versprechen, das Gesetz, welches er genehmigt hat, in Ausübung bringen zu wollen. Untergeordnete Gewalten im Staate müssen allerdings ausführen auch was sie nicht billigen, obgleich es nie gehörig geschieht; die höchste Macht im Staate zwingen wollen, heißt sich an ihre Stelle setzen. Wird die bedrohte höchste Macht nicht Widerstand leisten? Wird sie keine Helfer finden? Blicket auf Schweden hin; wie schnell ist dieses Reich dem Despotismus verfallen! aus keinem anderen Grunde, als weil man dort den Kö- nig, wiewohl Erbkönig, doch zum duldenden und blinden Werkzeuge des Senats machen wollte. Haben wir einmal die Krone einer bestimmten Familie übergeben, daß sie ein Erbtheil ihrer Erstgeborenen sey, dann ist es unklug diese zu beunruhigen, indem man sie einer gesetzgebenden Ge- walt unterwirft, deren Geltung man in königlichen Hän- den läßt, und gleichwohl des Königs Meinung verachten will. Diese Verachtung geht zuletzt auf die Person über; der Inhaber aller Macht des französischen Reiches kann aber nicht verachtet werden ohne die größte Gefahr.“ Der Redner schließt mit den Worten: „So führt denn eine folgerechte Betrachtung, aus dem menschlichen Her- zen und aus der Erfahrung geschöpft, dahin daß der Kö- nig das Recht haben muß auf die Nationalversammlung einzuwirken, indem er sie wieder erwählen läßt. Diese Einwirkung ist nothwendig, um dem Könige ein gesetz- liches und friedliches Mittel zu sichern, von seiner Seite Gesetzen die Annahme zu verschaffen, die er nützlich für die Nation hält, und welchen gleichwohl die Nationalver- sammlung sich widersetzen möchte. Darin liegt auch durch- aus keine Gefahr. Denn der König muß nothwendig auf den Beifall der Nation rechnen, wenn er, um die Zu- stimmung zu einem Gesetze zu erlangen, die Nation zur Wahl von neuen Mitgliedern auffordert; wenn aber die Nation und der König sich vereinigen, so kann der Wider- stand des gesetzgebenden Körpers nur zwei Ursachen ha- ben, entweder die Verderbtheit seiner Mitglieder, und dann ist ihr Abgang ein Glück, oder einen Zweifel über die öffentliche Meinung, und das beste Mittel diesen zu lösen ist dann ohne Zweifel die Wahl neuer Mitglieder. — Ich fasse Alles in einem Worte zusammen: Jährlich- keit der Nationalversammlung, Jährlichkeit des Heeres, Jährlichkeit der Steuer, Verantwortlichkeit der Minister, und die königliche Sanction ohne alle Beschränkung in Worten, aber in der That befriedigend begränzt: das ist das Palladium der Nationalfreiheit und die köstlichste Hand- habung der Freiheit, die einem Volk nur werden kann.“ Mirabeau giebt in dieser Rede über zwei Fragen von den dreien seine entschiedene Meinung ab, er will das absolute königliche Veto, will eine jährlich wiederkehrende und insofern permanent zu nennende Nationalversammlung. Weniger zufriedenstellend erscheint sein Urtheil über die Frage, ob es eine oder mehrere Kammern geben solle. Hier muß man zwar vor allen Dingen den praktischen Staatsmann von dem Theoretiker der Schule unterschei- den. Jener bedarf des Beifalles, um zu wirken, und auch die beste Theorie stellt er bei Seite, wo sie auf die gege- benen Verhältnisse keine Anwendung findet und doch etwas gethan werden muß. Der französische Adel nahm von jeher eine schiefe Stellung gegen die Verfassung, und der vierte August hatte über die ganze vaterländische Aristokratie den Stab gebrochen. Welcher Zukunft sahen die Prälaten ent- gegen? Der Zehente dahin, und schon war den Gütern der Geistlichkeit als der besten Stütze in der Finanznoth nachgefragt. In jenen 200 Senatoren, wer sie auch vor- schlagen mochte, erblickte man unwillig die Pflanzschule einer neuen Aristokratie, lediglich Werkzeuge der Minister. Was allenfalls noch haltbar scheinen möchte, sprach Mi- rabeau in einer späteren Sitzung kurz so aus: „Ich will Sept. 9. zwei Kammern, wenn sie nur zwei Sectionen einer ein- zigen seyn sollen, und ich will nur eine einzige, wenn die eine ein Veto gegen die andere haben soll.“ Er sah die Gemüther bereits entschieden, warf dieses Mittelding noch so hin. In derselben Sitzung beschlossen 849 Stim- men gegen 89 die Untheilbarkeit der Nationalversamm- lung. Über die Permanenz war schon früher im Sinne des Ausschusses entschieden. Die Vetofrage blieb übrig. Sieyes schnitt alle diese Fragen, welche Mirabeau mit Blick und Sinn für das vielfach verschlungene Leben organisch behandelt hatte, mit einem Scheermesser hand- werksmäßig durch, ließ kein Veto irgend einer Art zu. Keine Ahnung in ihm von jener Vermittelung, welche selbst der Mathematiker anerkennt, sobald er mit seiner Formel in das Reich der Naturkräfte tritt. „Nach meiner Definition,“ sprach Sieyes, „ist Gesetz der Wille der Regierten; mithin kann die Regierung keinen Theil an der Bildung des Gesetzes haben. Vergeblich würde man den Beweis versuchen, daß dem Könige ein irgend ausgezeich- neter Antheil an der Bildung des Gesetzes gebühre. Könnte sein Wille auch nur dem Antheile von zwei Abgeordneten gleichstehen, warum nicht dem Willen von 25 Millionen? Die Stimme des Königs kann lediglich wie die Stimme eines Präsidenten gelten. Welche Vorstellung man sich auch von einem Veto mache, sie ist immer diesem Princip entgegen. Der Inhaber der ausübenden Gewalt macht keinen integrirenden Theil des Gesetzes aus: denn das Recht ein Gesetz zu verhindern ist nichts anders als das Gesetz machen; darin ist gar kein Unterschied. Der Mensch welcher sagt: ich will nicht daß das und das geschehe, sagt ganz eigentlich: ich will daß das was Ihr wollet nicht sey. Mithin muß die Majorität der gesetzgebenden Gewalt unabhängig von der ausübenden Gewalt han- deln, und das Veto, einerlei ob absolut oder suspensiv, ist nichts anders als ein Verhaftsbrief, gegen den öffent- lichen Willen geschleudert. Ohne Grund sagt man: wenn die ausübende Gewalt nicht mit einem absoluten oder doch einem aufschiebenden Veto bekleidet ist, so wird die gesetzgebende Gewalt in dieselbe eingreifen. Denn es ist die Constitution ja dazu da, die Gewalten zu binden, ohne daß sie etwas verändern, etwas neuern können. Die Constitution wird die Trennungslinie unverbrüchlich fest- setzen, fortan ist keine Veränderung möglich. Ein auf- schiebendes Veto festsetzen, heißt nichts anders als sagen: Die Völker verlangen von uns Gesetze; wir aber wollen festsetzen was sie verhindern kann. Betrachtet das wahre Verhältniß: der gesetzgebende Körper entsteht durch Wahl, ist zahlreich, nimmt Theil am öffentlichen Wohle, er steht unter dem Einflusse des Volks; der Inhaber der vollzie- henden Gewalt ist erblich, unentfernbar, seine Minister schaffen ihm sein besonderes Interesse. Wie kann man bei so ungleichem Stande der Dinge noch immer die Miene annehmen als fürchte man die möglichen Misgriffe der Gesetzgebung, nicht im Geringsten aber die Misgriffe der Minister? Welche Parteilichkeit! Ganz gewiß jedoch, der gesetzgebende Körper kann sich möglicher Weise übereilen und irren, und es ist gut sich davor zu schützen. Läßt man überhaupt ein Veto und mehr als eine Kammer zu, so werde ich dafür stimmen daß dieses Veto in die Versamm- lung selber falle, daß damit die Hände bewaffnet werden, in welchen es am nützlichsten ruhen würde, daß man zu dem Ende die Versammlung in drei Sectionen theile; eine davon würde jedes Jahr erneuert, denn jedes Jahr soll man ein Drittel der Versammlung durch Wahl erneuern, worauf dann die bisherige dritte Section in die zweite, die bisherige zweite in die erste Stelle rückt, und die Mehrheit der Stimmen, durch die drei Sectionen durch- gezählt, bringt das Gesetz hervor ꝛc.“ Dergestalt stellte der Mann, welchem zwei Kammern zu viel waren, deren drei auf. Die Discussion war geschlossen, aber der Tag der Abstimmung noch nicht gekommen, noch schwankte die Wage, als Necker dazwischen trat. Necker war dem Rufe des Königs gefolgt. Seine Reise von Basel nach Paris glich einem Triumphzuge; dennoch mußte er schon unterwegs erfahren, wie es mit dem kö- niglichen Ansehn stehe. Der König hatte den General von Besenval veranlaßt sich in seine Schweiz zurückzuziehen, allein man hielt den verhaßten Mann unterwegs fest, und Neckers Ermahnung, den königlichen Befehl zu achten, blieb fruchtlos: man wollte den Befehl des pariser Stadt- hauses erwarten. Als nun der neue Minister zum ersten Male in die Hauptstadt kam, benutzte er die Jugend sei- Juli 30. ner Volksgunst, begab sich in das Stadthaus, wo gerade die Wähler beschäftigt waren die neu gewählte Stadt- obrigkeit zu installiren, um ihr Platz zu machen, richtete an sie Alle Worte dankbarer Rührung, und vom allgemei- nen Beifalle begrüßt, dem Volk draußen gezeigt, bat er, diesen schönen Tag durch eine allgemeine Amnestie zu ei- nem unvergeßlichen zu machen. Kaum hatte Necker geen- digt, als man ihm von allen Seiten beifiel; ein Beschluß wird aufgesetzt, der von allen Kanzeln in ganz Frankreich verlesen werden soll; keine Gewalt mehr, Verzeihung, öffentliche Ruhe. Necker vergoß Thränen der Rührung, kehrte beseligt nach Versailles zurück, verkündigte dem Königspaare die Beendigung der Revolution. Traurige Täuschung eines unvorsichtigen, von dem Taumel augen- blicklicher Gunst berauschten Ministers! Necker hatte einen zwiefachen Misgriff begangen, indem er zugleich die Na- tionalversammlung und die königliche Gerechtsame verletzte. Das Stadthaus hatte hier nichts zu beschließen, nicht ein- mal die Nationalversammlung. Eine Bitte um Amnestie, von dieser an den König gerichtet, von dem Könige kraft seines Begnadigungsrechtes gewährt, würde vor ganz Frankreich die wiederhergestellte Eintracht der höchsten Ge- walten bethätigt haben. Dennoch wäre es nützlich und großmüthig gewesen, eine hochherzige Richtung zu begün- stigen, indem man den begangenen Verstoß in der Natio- nalversammlung verbesserte. Allein Mirabeau war nicht der Mann, einen Widersacher, den er geringschätzte und dessen Platz er einzunehmen hoffte, zu schonen. Einige Districte von Paris wurden aufgeregt, die über ihre Über- eilung bestürzten Wähler beeilten sich ihrem Beschlusse eine andere Auslegung zu geben, die Nationalversammlung sprach sich fast einstimmig gegen eine allgemeine Amnestie Juli 31. aus, und Necker mußte beschämt seinem Könige gestehen, seine Hoffnung auf Beendigung der Revolution sey eine Täuschung gewesen. Seit diesem Tage war Necker wieder bloß Finanzmini- ster und ein schwer bedrängter. Noch waren die Beschlüsse des 4ten August nicht vollständig redigirt, als er die auf den Höhen der Philanthropie schwebende Versammlung in die gemeine Prose des Tages mit der Erklärung herabzog, der öffentliche Credit sey verschwunden, denn es würden keine Abgaben bezahlt. Er schlug zur nächsten Aushülfe die mäßige Anleihe von 30 Millionen vor, welche zu 5 Procent zu beziehen er die Einleitung getroffen und Zu- sicherungen erhalten habe. Dieser Zins war höchst mäßig, das wußte Mirabeau so gut wie einer, dennoch vereitelte die Versammlung Neckern seinen Plan, indem sie ihn auf 4½ Procent beschränkte. Nun aber ging die Anleihe nicht ein und man mußte sich bald darauf dazu verstehen, eine viel größere, 80 Millionen zu bewilligen und dem Finanz- minister das Geschäft zu überlassen. Die Noth drängte von allen Seiten. Es ergab sich plötzlich daß man seit drei Monaten von der Hand in den Mund lebe; jede Nacht war man auf dem Stadthause in Sorge, ob auch die Lebensmittel wirklich anlangen würden, von welchen die ungeheure Bevölkerung sich den nächsten Tag nähren sollte. Der Ausschuß der Lebensmittel arbeitete unermüd- lich, allein die Unsicherheit des Eigenthums, die wach- sende Anarchie war es, welche vom Sammeln, vom Her- beibringen der Vorräthe abschreckte. So standen die Dinge, als Necker durch seine Einmi- schung in die Vetofrage alle Hoffnungen der aufrichtigen und verständigen Freunde der Monarchie vereitelte. Mag es nun Mangel an Einsicht in die Tiefen der Politik, oder der Hang eine erschütterte Popularität wiederherzu- stellen, gemischt mit Widerwillen gegen Mirabeau, gewe- sen seyn: Necker stellte dem Könige vor, man dürfe nicht zu viel wagen; wenn man nicht einer großen Majorität für das absolute Veto gewiß sey, scheine es rathsamer sich zum Voraus zufrieden mit dem bloß aufschiebenden zu erklären, welches im Grunde eben so viele Vortheile und weniger Gefahren in sich trage als das absolute. Er faßte eine schriftliche Ausführung dieser Einfälle ab, theilte diese im Conseil mit und erhielt leicht von der Nachgiebigkeit des Königs die Erlaubniß sein Be- denken weiter an die Nationalversammlung gelangen zu lassen. Nun setzte zwar Mirabeau durch daß man, ohne den Neckerschen Bericht nur einmal zu verlesen, bei dem Schlusse der Discussion beharrte, aus dem Grunde, weil, wenn für des Königs Meinung, sie auch für die der Abgeordneten wieder eröffnet werden müsse, weil fer- ner der Umstand, daß der König das absolute Veto nicht begehre, die Versammlung nicht abhalten dürfe, es ihm aus höheren Staatsgründen dennoch beizulegen; allein die Überzeugungen waren einmal erschüttert, und man verließ die Krone, die sich selbst verlassen hatte. Im- mer leerer wurden die Sitze zur rechten Hand des Prä- sidenten, immer besetzter die zu seiner Linken; denn wäh- rend dieser Debatte bildete sich zuerst die Gewohnheit, in gegnerischen Massen aus einander zu treten. Am 11ten September entschieden 673 Stimmen gegen 325 für ein lediglich aufschiebendes Veto, für einen König, der noch immer erblich, für seine Person unverletzlich und heilig, der Urquell aller Ehren und Gnaden, reich an Prädica- ten auch der Macht ist, allein er ist mächtig allein in Bezug auf die Ausführung der Gesetze, ohnmächtig in Bezug auf ihren Inhalt, ein Diener fremden Willens. Als Mounier, Lally-Tollendal, Clermont-Tonnerre und Bergasse die Grundlagen ihrer Verfassungsarbeit ver- worfen sahen, legten sie ihre Stellen im Verfassungsaus- schusse nieder. Da nun auch der Erzbischof von Bordeaux neuerdings in das Ministerium Neckers und Montmorins als Siegelbewahrer getreten war, so blieben vor der Hand allein der Bischof von Autun, Sieyes und Le Chapelier im Ausschusse zurück. 6. Der Koͤnig und die Nationalver- sammlung nach Paris. Bisher hatte die Nationalversammlung die Zügel der Macht mit fester Hand gehalten. Ihre Stützen, der wo- genden Hauptstadt gegenüber, waren Bailly und Lafayette; aber auch die große Mehrzahl der Pariser folgte mit Ver- trauen den Beschlüssen der Reichsstände. Als die Redner vom Palais-royal es darauf anlegten einen Sturm von Adressen gegen das königliche Veto loszulassen, gelang es ihnen nur in wenigen Districten eine vorübergehende Aufregung hervorzurufen. Als die Stadt Rennes durch ihren Abgeordneten Chapelier eine Adresse einreichte, wo- rin sie alle Vetofreunde für Verräther und Feinde des Va- terlandes erklärte, sprach Mirabeau in seiner hochfahrenden Weise, es müsse jedem kleinen Neste in Frankreich so gut wie der Stadt Rennes freistehen Abgeschmacktheiten vor- zubringen, aber auch der Nationalversammlung sich nicht darum zu bekümmern, und die Sache war damit abge- than. Nun aber kam der Tag, da die Versammlung sich selber untreu ward. Man hatte das aufschiebende Veto im Allgemeinen genehmigt, allein seine Dauer noch nicht bestimmt. Auf Barnave’s Vorschlag beschloß man dieser Entscheidung so lange Anstand zu geben, bis die königliche Sanction der Beschlüsse vom 4ten August eingegangen wäre. War es aber weise oder auch nur anständig, Ver- fassungsbestimmungen so zu sagen von dem Wohlverhal- ten des Königs abhängig zu machen? Die königliche Ant- wort kam; sie rühmte den Geist jener Beschlüsse, sprach dabei Bedenken gegen einige Puncte in der mildesten Fas- sung aus, machte diese gerade nur als Bedenken, keines- wegs als Ablehnung geltend, als z. B. die financielle Schwierigkeit, gerade jetzt die Capitalien zurückzahlen zu müssen, mit welchen die Richterstellen erkauft worden, die Nothwendigkeit mit dem heiligen Stuhle wegen der abzu- schaffenden Annaten zuvörderst in Unterhandlung zu treten. Am tiefsten traf die Bemerkung über den Zehenten, so leise sie ausgesprochen war. Das Opfer, von Seiten der Geist- lichkeit gebracht, erhielt alles Lob; allein warum den Grundbesitzern ein Geschenk mit so vielen Millionen ma- chen? Warum nicht lieber diese zum allgemeinen Nutzen der bedrängten Staatscasse zuweisen? So gerecht diese Rüge war, sie konnte nicht ungelegener kommen, Mira- beau hatte durch ähnliche Äußerungen schon früher den Verdruß der Versammlung erregt. Man fühlte keine Nei- gung eine Übereilung einzusehen, die man außer Stand zu verbessern war. Denn schon war die Kunde von die- sen Beschlüssen durch ganz Frankreich erschollen, die kleinern Grundbesitzer jubelten einer Ordnung der Dinge ent- gegen, die solche Spenden brachte; Zurücknahme schien in hohem Grade gefährlich. Statt aber einen Weg der Vermittelung bei dem Könige zu suchen, rief Le Chape- lier jenen schon einmal vom Verfassungsausschusse ausge- sprochenen, aber damals nicht weiter erörterten gefähr- lichen Satz zu Hülfe, welcher der Nationalversammlung die alleinige Entscheidung über die Constitution beilegt, und trat mit der Behauptung auf, die Sanction des Kö- nigs bedeute in Bezug auf die Beschlüsse vom 4ten August lediglich deren Bekanntmachung. Das nun war von Cha- pelier nicht zum Verwundern, schmählicher war Mira- beau’s Billigung, weil er, tiefere Überzeugungen hegend, vorzog, seine Popularität zu gelegener Zeit wieder aufzu- frischen, indem er einen seiner Blitze gegen den Thron schleuderte. „Die Mehrzahl von uns,“ sprach er, „hat geglaubt, die Prüfung der constituirenden Gewalt in ihrem Verhältnisse zum Fürsten sey im Grunde überflüssig und unter solchen Umständen gefährlich. Aber diese Prü- fung ist nur überflüssig, wenn wir Alle mindestens still- schweigend die unbeschränkten Rechte der constituirenden Gewalt voraussetzen. Werden sie in Zweifel gezogen, so wird die Untersuchung nothwendig, und die Hauptgefahr bestünde in der Unentschiedenheit der Frage. Wohl frei- lich sind wir keine nackte Wilden vom Orinoko her, die eine bürgerliche Gesellschaft erst bilden wollen. Wir sind eine alte Nation und ohne Zweifel zu alt für unser Zeit- Französische Revolution. 18 alter, wir haben eine gegebene Regierung, einen gegebe- nen König, gegebene Vorurtheile. Man muß diese Dinge möglichst der Revolution anbequemen, plötzliche Über- gänge verhüten. Man muß es bis zu dem Augenblicke, da aus dieser Duldung eine praktische Verletzung der Grundsätze der nationalen Freiheit hervorginge, ein völli- ger Misklang in der gesellschaftlichen Ordnung. Sobald zwischen der alten Ordnung der Dinge und der neuen eine Kluft entsteht, da gilt es den Sprung wagen, den Schleier lüften und — vorwärts!“ Man hätte, fügte er hin- zu, nicht nöthig gehabt, jene Beschlüsse dem Könige zur Sanction vorzulegen, denn sie sind keine Gesetze, sie gehen theils die Verfassung an, theils sind sie Ausflüsse der Aufopferung von Privatinteressen. Da die Vorlage aber einmal geschehen ist, bringt er die Sendung des Präsiden- ten an den König in Antrag, mit der Erklärung daß die Versammlung die unverzügliche Bekanntmachung ihrer Be- Sept. 18. schlüsse erwarte. Robespierre sprach: „Bedarf denn die Nation für die Verfassung eines anderen Willens als des ihrigen?“ Der Jurist Rewbell, Abgeordneter des Wahl- bezirks von Colmar und Schlettstadt, wunderte sich daß man so viel Aufhebens von den Lehnsrechten fremder Für- sten im Elsaß mache, Fürsten, die sich stets an die Mini- ster wenden, statt an die Nation. Nach zwei Tagen er- Sept. 20. folgte die königliche Bestätigung ohne Vorbehalt. Derge- stalt ward es dem Könige verwehrt, auch nur das erste Mal von seinem verkümmerten Veto Gebrauch zu machen. Dieses Veto aber dehnte man nun großmüthig bis auf die dritte Legislatur aus, indem man unter Legislatur den Sept. 21. Zeitraum von zwei Jahren verstand, über welchen die Wirksamkeit derselben Volksvertreter nicht hinausgehen darf. Ein vom Könige verworfener Gesetzvorschlag darf in derselben Legislatur nicht wieder vorgelegt werden. Wäre er aber in drei einander folgenden Legislaturen in derselben Fassung vorgelegt, so wird die königliche Sanc- tion als wirklich erfolgt betrachtet. Der über die Krone erfochtene Triumph schadete der Freiheit zwiefach. Die Redner vom Palais-royal rühm- ten sich der Bekehrung der Nationalversammlung zu dem von ihnen längst verfochtenen politischen Glaubensbekennt- niß, und die Abgeordneten von gemäßigten Grundsätzen fingen an in abgesonderten Kreisen zu berathen, ob nicht der Krone durch irgend eine außerordentliche Maßregel aufzuhelfen sey. Unter diesen war der treugesinnte Ma- louet besonders thätig; man suchte den alten Plan hervor, die Versammlung nach Tours oder Soissons zu verlegen, ein untüchtiger, dermalen ganz unausführbarer Behelf, welchen der König mit Recht verwarf. Unglücklicher Weise glaubt man gern, wenn recht lange berathschlagt ist, daß dann doch etwas geschehen müsse. Ludwig gab dem Rathe Beifall, das Regiment Flandern nach Versailles zu ver- legen. Das hieß die Schreier abermals zu der Verdäch- tigung reizen, daß den Volksvertretern Gewalt geschehe, es hieß den König dürftig schützen, wenn etwas Ernstes 18* im Werke war. Das Regiment zählte nur 1000 Mann, und wer schützte denn diese vor der verführerischen Stimme der nicht mehr abzuläugnenden Revolution? Gewiß ein klägliches Palliativ, während man darauf beharrte, den einzigen Mann, der, wenn Rettung möglich war, hätte retten können, der so eben gezeigt hatte daß er auch ver- derben könne, diesen nicht zu wollen. Was Mirabeau durch die Macht seines Wesens vermöge, offenbarte er in diesen Tagen, als der ewige Unglücksbote Necker wieder Sept. 24. eintrat, meldete, um das Äußerste, einen Bankerutt zu ver- meiden, sey eine äußerste Anstrengung nöthig; er verlangte den vierten Theil von jedem reinen Jahreseinkommen, als außerordentliche Steuer, ein für alle Male in Terminen zu entrichten, deren letzter der 1ste April 92 seyn solle. Tagelöhner sind frei, eben so jedes Einkommen unter 40 Livres; übrigens soll keine Nachforschung, auch kein Eid stattfinden, eine einfache schriftliche Erklärung genügt. Necker rechnete auf über 400 Millionen; er selbst bot 100,000 Livres als seinen Antheil an. Allerdings eine ungeheure Anmuthung an Abgeordnete, die mit der Hoff- nung erschienen waren, die Lasten des Volks zu vermin- dern; aber Necker, sonst so unsicher, war kühn auf dem Felde seiner Kunst. In dieser großen Angelegenheit hat Mirabeau drei Mal geredet; niemals erscheint sein Genie erhabener als wenn er seine grimmige Augenbraue, wie sein Vater es nannte, den Vorurtheilen einer ganzen Versammlung entgegenstemmt. Seine Meinung war, man könne Neckern nicht nachrechnen, habe überhaupt keine Zeit mit Berathungen zu verlieren, darum müsse man dem Manne des Vertrauens von ganz Frankreich volles Ver- trauen schenken, seinen Plan annehmen, ohne ihn zu ver- bürgen. Das Lob Neckers, reichlich und in edler Haltung gespendet, hatte aus diesem Munde doppelten Werth. Mirabeau verließ den Saal, um im Auftrage der Ver- sammlung ein seiner Ansicht entsprechendes Decret zu ent- werfen. Während seiner Abwesenheit ging die Debatte fort und als er wieder eintrat, waren manche Aushülfen vorgeschlagen, Mirabeau’s Entwurf ward angefochten, von Manchen aus Mistrauen gegen den Urheber. Mira- beau hat oft, wie Andere thaten, geschriebene Reden auf die Bühne gebracht, nur daß sein innerer Drang ihn ge- wöhnlich nicht lange bei dem Papier fest hielt. Jetzt schwang er sich auf die Tribune, den unvorhergesehenen Sturm nieder zu kämpfen. „Meine Herren! Inmitten dieser stürmischen Debat- ten — sollte es mir wohl gelingen durch eine ganz kleine Anzahl von Fragen Licht in die Berathung zurückzuführen? Würdigen Sie mich, meine Herren, einer Antwort. Hat nicht der Finanzminister Ihnen das schrecklichste Gemälde unserer gegenwärtigen Lage gegeben? Hat er Ihnen nicht gesagt daß jeder Verzug die Gefahr vermehrt? daß ein Tag, eine Stunde, ein Augenblick den Tod bringen kann? Haben wir einen Plan an die Stelle des von ihm vorge- schlagenen zu setzen?“ — Ja! rief hier Einer aus der Ver- sammlung. — „Ich beschwöre den Herrn, der hier Ja ge- rufen hat, zu erwägen daß sein Plan nicht bekannt ist; daß man Zeit bedarf um ihn zu entwickeln, zu untersuchen, aus einander zu setzen; daß, könnten wir ihn auch gleich jetzt berathen, doch möglicher Weise sein Urheber sich ge- täuscht hat; daß, möge er jeden Irrthum vermieden haben, man doch glauben könne daß er sich irrte; daß wo alle Welt Unrecht hat, alle Welt wieder Recht hat; daß also möglicher Weise der Urheber dieses Plans, so sehr er Recht hat, doch von aller Welt Unrecht bekomme, weil das größte Talent der öffentlichen Zustimmung bedarf, um über die Umstände zu triumphiren. Auch ich halte Herrn Neckers Vorschlag nicht für den bestmöglichen, aber der Himmel bewahre mich daß ich unter so kritischen Umstän- den nicht meine Vorschläge mit den seinen messe. Ver- geblich würde ich die meinen für vorzüglicher halten; man wetteifert nicht in einem Augenblicke mit einer wunderba- ren Volksgunst, durch glänzende Verdienste erworben, mit einer langen Erfahrung, mit dem Rufe des ersten bekann- ten Finanztalents, und wenn man Alles sagen soll, mit Zufälligkeiten, welche einer Bestimmung, wie sie keinem andern Sterblichen zu Theil geworden ist, das Daseyn gaben.“ „Wir müssen also auf Herrn Neckers Plan zurückkom- men. Aber haben wir die Zeit ihn zu prüfen, seine Grund- lagen zu erforschen, seine Berechnungen zu beglaubigen? Nein, nein, tausendmal nein! Unbedeutende Fragen, ge- wagte Vermuthungen, ein unsicheres Betasten, das ist Al- les, wozu wir es in diesem Augenblicke bringen können. Was werden wir also vollbringen mit einem Vorbehalt längerer Erwägung? Wir werden den rechten Augenblick verfehlen, werden unsere Eigenliebe erhitzen, um Verände- rungen an einem Plane zu beschließen, in dessen Zusam- menhang wir nicht eingedrungen sind, werden durch un- sere unbesonnene Einmischung den Einfluß eines Ministers schwächen, dessen Geltung in den Finanzen größer als die unsere ist und seyn muß. Gewiß, meine Herren, das zeugte weder von Weisheit noch von Vorsicht! Aber zeugt es denn mindestens von Treu und Glauben?“ „Ja, wären nicht so feierliche Erklärungen gegeben, die unsere Ehrfurcht vor der öffentlichen Treue, unsern Ab- scheu vor dem ehrlosen Wort Bankerutt verbürgen, so würde ich es wagen, die geheimen und vielleicht ach! uns selbst unbewußten Beweggründe zu erspähen, welche in uns diese unbedachte Scheu vor einer öffentlichen Hand- lung des Vertrauens erwecken, die, wenn nicht schnell vollbracht, sicherlich unwirksam und wahrhaft zwecklos ist. Dann würde ich denjenigen, welche sich vielleicht mit dem Gedanken, die öffentliche Treue zu brechen, aus Furcht vor übermäßigen Opfern, aus Scheu vor Steuern, befreunden möchten, zurufen: Was ist denn der Bankerutt anders als die grausamste, die unbilligste, die ungleichmä- ßigste und unglückseligste aller Steuern? — Meine Freunde, höret ein Wort, ein einziges Wort.“ „Zwei Jahrhunderte von Verunteruungen und Erpres- sungen haben den Abgrund gegraben, der unser König- reich verschlingen will. Man muß ihn ausfüllen, diesen furchtbaren Abgrund. Wohlan denn! hier ist die Liste der französischen Grundeigenthümer. Treffet eine Auswahl der reichsten, um weniger Bürger zu opfern. Aber wählt aus; denn muß es nicht so seyn daß eine kleine Zahl um- komme, um das ganze Volk zu erretten? Gut denn. Zweitausend solcher Notabeln besitzen was dazu gehört das Deficit auszufüllen. Führt die Ordnung in Eure Fi- nanzen zurück, Glück und Friede in das Reich. Stoßt sie nieder, schlachtet mitleidslos diese traurigen Opfer, stürzet sie in den Abgrund und er wird sich schließen. — Ihr be- bet schaudernd zurück? O wenig folgerechte Männer, klein- müthige Männer, die Ihr seyd! Seht Ihr denn nicht, daß wenn Ihr den Bankerutt beschließt, oder was noch verhaß- ter ist, ihn herbeiführt ohne ihn zu beschließen, Ihr Euch mit einem viel größeren Verbrechen befleckt und unbegreifli- cher Weise mit einem Verbrechen ohne Nutzen; denn jenes fürchterliche Opfer würde mindestens dem Deficit ein Ende machen. Glaubt Ihr denn wirklich, daß wenn Ihr nichts bezahlet, Ihr auch nichts mehr schuldig seyd? Glaubt Ihr, daß die Tausende, die Millionen Menschen, welche in einem Augenblick durch den fürchterlichen Ausbruch oder durch seine Gegenstöße Alles einbüßen was den Trost ihres Lebens und vielleicht seine einzige Stütze ausmachte, Euch die Früchte Eurer Missethat werden ruhig genießen lassen? Ihr stoische Zuschauer der nicht zu berechnenden Übel, welche diese Katastrophe über Frankreich aus- speien wird, gleichgültige Egoisten, die Ihr wähnen könnet, jene Zuckungen der Verzweiflung und des Elends würden, wie so viele andere, rasch vorüberstreichen, um so rascher, je heftiger sie gewesen sind; seyd Ihr so gewiß, daß so viele brodlose Menschen Euch ruhig werden die Ge- richte durchkosten lassen, deren Zahl und Köstlichkeit keine Schmälerung duldet? Nein, Ihr werdet zu Grunde gehen und aus dem allgemeinen Brande, welchen Ihr ohne Schau- der entzündetet, wird der Verlust Eurer Ehre auch keinem einzigen Eurer scheußlichen Genüsse Errettung bringen.“ „Seht, dahin gehen wir. Ich höre von Vaterlands- liebe reden, vom Aufschwunge, vom Aufrufe der Vater- landsliebe. Ach entweiht nicht die Worte Vaterland und Vaterlandsliebe. Ist sie denn so hochherzig, die Kühnheit, einen Theil seines Einkommens hergeben um alle seine Habe zu retten? Nein, meine Herren, es ist ein einfaches Rechenexempel, und wer da Anstand nimmt, kann den Unwillen lediglich durch die Verachtung entwaffnen, welche seine Dummheit einflößen muß. Ja, meine Her- ren, es ist der gemeinste Menschenverstand, die alltäglichste Einsicht, der roheste Eigennutz, den ich aufrufe. Ich sage Euch nicht mehr wie ehemals wohl: Wollet Ihr die Er- sten seyn, die der Welt das Schauspiel eines Volks geben, welches sich versammelt, um den öffentlichen Glauben zu brechen? Ich sage Euch nicht mehr: Welchen Anspruch habt Ihr auf Freiheit, welche Mittel zu ihrem Schutze, wenn Eure ersten Schritte die Schandbarkeiten der verdor- bensten Regierungen hinter sich lassen? wenn Eure Ver- fassung nicht durch die Würdigkeit ihrer Stifter überwacht und verbürgt wird? Was ich Euch sage ist: Ihr werdet Alle in den gemeinsamen Untergang hineingezogen werden und für das Opfer, welches die Regierung von Euch ver- langt, spricht kein Interesse lebhafter, als das Eurige.“ „Stimmt also für diese außerordentliche Steuer, und möge sie ausreichen! Stimmt dafür, weil wenn Ihr auch Zweifel, dunkle und unbestimmte, über das ergriffene Mittel haben möget, Ihr doch keine über ihre Nothwen- digkeit und über unser Unvermögen habt, eine andere, mindestens unmittelbare Aushülfe an ihre Stelle zu setzen. Stimmt dafür, weil die öffentlichen Verhältnisse keine Verzögerung dulden und wir für jeden Aufschub verant- wortlich seyn würden. Hütet Euch Frist zu verlangen, das Unglück gewährt keine Fristen. Endlich, meine Herren, (und hier benutzt der Redner einen neuerlichen Anlaß, da man ihn selber misverständlich mit einer tu- multuarischen Drohung im Palais-royal, gegen die Freunde des Veto gerichtet, in Verbindung brachte, und ein Mitglied der Nationalversammlung im ersten Schreck ihn als Catilina bezeichnete) Ihr habt kürzlich auf Anlaß eines lächerlichen Antrags im Palais-royal, eines spaß- haften Aufstandes, der nur in der reizbaren Einbildung oder in den verkehrten Planen einiger Übelgesinnten Be- deutung hatte, die tollen Worte vernommen: Catilina ist vor Roms Thoren und Ihr berathschlagt? Und wahrlich, es gab damals in unserer Nähe keinen Catilina, keine Ge- fahr, keine Faction, kein Rom. Aber heute ist der Banke- rutt, der scheußliche Bankerutt da, er droht zu verschlingen, Euch, Euer Eigenthum, Eure Ehre, und Ihr berath- schlagt!“ Auf diese Worte erscholl ein Sturm des Beifalls und der Bewunderung, die Versammlung, wider Willen fort- gerissen, beugte sich vor dem Genie, welches sie nicht liebte, dem sie mistraute; die schlichte Fassung des Beschlusses, welche Mirabeau jetzt entwarf: „In Betracht der Dring- lichkeit der Umstände und nach Vernehmung des Finanz- berichtes, nimmt die Nationalversammlung den Plan des Finanzministers mit Vertrauen an,“ begegnete keinem Widerspruche mehr. Dagegen zogen andere finstere Wolken auf. Seit län- ger trug man sich in der Hauptstadt mit dem Gedanken, man müsse den König und seine Familie einladen bei sei- nen guten Parisern zu wohnen; kein besseres Mittel gebe es gegen den Brodmangel. Dieser drohte freilich, war aber doch niemals noch wirklich eingetreten, und man hätte sich vielleicht beruhigt ohne eine vom Hofe began- gene, schwer bestrafte Unbesonnenheit. Das Regiment von Flandern war wirklich in Versailles eingerückt; es sollte, um mit den Gardes-du-corps Freundschaft zu schließen, festlich von diesen bewirthet werden. Der präch- tige Opernsaal ward dazu eingeräumt. Alle Logen füllten sich am 1sten October mit Zuschauern. Die Officiere ta- felten auf der Bühne, die Gemeinen sah man reichlich im Parterre bewirthet. Alles überließ sich kameradschaftli- cher Freude, als die Erscheinung der Königin, ihren Dau- phin an der Hand, dem Feste plötzlich einen politischen Charakter gab. Schon waren die Gemüther sehr erhitzt, als auch der König, eben von der Jagd zurückgekehrt, in den Saal trat. Nun spielte die Musik das bekannte be- deutungsvolle Lied: „O Richard, o mein König, die ganze Welt verläßt Dich!“ In das Lebehoch für den König mischte sich manch ungestümer Ausruf gegen die Nationalversammlung ein. Es ist nicht wahr daß man die dreifarbige Cocarde beschimpft, mit Füßen getreten hat, allein die Damen nahmen ihre weißen Bänder ab und verwandelten sie in Cocarden, vertheilten diese, und der König ließ es geschehen daß man die weiße Cocarde auch die folgenden Tage in dem Schlosse trug, in welchem er selbst die dreifarbige führte. Von diesem Auftritte verbreiteten sich die übertrieben- sten Gerüchte in die Hauptstadt und der Pariser kam da- rauf zurück, es tauge nimmermehr daß sein König ferner da draußen in Versailles hause, ohne die entsetzliche Noth der hier bei jedem Tagesanbruche vor den Bäckerläden kämpfenden Menge auch nur zu kennen. Viele fürchteten, man werde den König ehestens überreden, noch weiter von Paris fortzureisen. Mounier war gerade Präsident der Nationalversamm- lung, die durch diese Auszeichnung einem Verdienste hul- digte, welches sie neuerlich, als es Alles galt, im Stiche gelassen hatte; es war der 5te October, Morgens zwischen 11 und 12, als Mirabeau dem Präsidenten zuraunte: „40,000 Pariser rücken auf uns zu, heben Sie die Sitzung auf, gehen Sie in das Schloß, statten Sie Bericht ab.“ Mounier hat späterhin in dieser Mittheilung den Beweis einer strafbaren Mitwissenschaft von Seiten Mirabeau’s erblickt, und nichts als Hinterlist in seinem Rathe: er spricht sich in einer Druckschrift darüber aus. Allein Mou- nier geht irre; der gewissenhafteste der französischen Ge- schichtschreiber der Revolution, Joseph Droz, tritt aus ent- scheidenden Gründen dem Urtheile der Nationalversamm- lung bei, welche nach angestellter gerichtlicher Untersuchung keinen Grund zur Anklage gegen Mirabeau fand. Zu der- selben Zeit, da Mirabeau warnte, verbreitete sich die Nach- richt von dem Anzuge in ganz Versailles, und es lag sehr nahe eine Aufhebung der Sitzung zu beschließen, um die Nationalversammlung vor einer Herabwürdigung durch aufgezwungene Deputationen und eindringende Pöbelmas- sen zu retten. Mounier wandte eine unnütze Standhaftig- keit statt der nöthigen Umsicht an, indem er fortfuhr Sitzung zu halten. In Paris aber stand es mit den Pla- nen und den Thaten also. Die Freunde der Anarchie oder, wenn man will, der Republik beschlossen, die wieder erwachte Misstimmung auszubeuten, um den König und, was damit zusammen- hing, die Nationalversammlung nach Paris zu versetzen. Beide waren ihnen in Versailles zu unabhängig. Allein solange die Nationalgarde treu blieb, hatte eine Bewe- gung in der Hauptstadt wenig Aussicht auf solch ein Ge- lingen. Man mußte diese zu gewinnen trachten. Wirk- lich drangen die Aufwiegler bei den besoldeten Com- pagnien, soweit sie aus jenen französischen Garden bestan- den, durch. Diese meuterische Truppe richtete schon Mitte Septembers an Lafayette die Bitte nach Versailles rücken und von ihrem alten Rechte die Wachen im königlichen Schlosse zu beziehen Gebrauch machen zu dürfen. Offenbar war das nur ein Vorwand und Lafayette redete ihnen die- sen damals aus. Allein der stille Plan blieb, bildete sich aus und auf die Nachricht vom Banket im Opernhause wuchsen ihm plötzlich Flügel. Am Sonntag den 4ten Oc- tober hörte man Soldaten sich laut verabreden: „Morgen geht’s vor sich! Weiber sollen voran; sie sind so gut wie eine Verstärkung: denn wer wird auf Weiber schießen? und wer darf nach Brod schreien, wenn nicht Weiber?“ Camille Desmoulins forderte Sonntags öffentlich zum Zuge nach Versailles für den nächsten Morgen auf. Das hat die gerichtliche Untersuchung bei dem Stadtgerichte völlig ins Klare gebracht. Oct. 5. Wie verabredet, so gethan. Mit Tagesanbruch bilden sich Weiberhaufen, besonders in den Vorstädten, ziehen um 7 Uhr auf den Greveplatz, schreien nach Brod, dazu be- waffnete Männer. Nun wird zwar gleich vom Stadthause in die Districte geschickt, die Nationalgarde aufgeboten, allein Gewalt mag man gegen die Weiber nicht brauchen, und so gelingt es den Rotten in das Stadthaus einzubre- chen, sich des Waffenvorraths dort zu bemächtigen. End- lich kommt Bewegung in den Haufen; ein junger Mann, Maillard, der sich bei Eroberung der Bastille ausgezeich- net, tritt an die Spitze, verspricht die Menge nach Ver- sailles zu führen, läßt Weiber und Männer, wohl 6000, unter Trommelschlag antreten. Hernach hat er vor Ge- richt ausgesagt, er habe das, weil er den Ruf: nach Versailles! gehört, lediglich zu dem Zwecke gethan, das Stadthaus zu befreien. Schon sind sie fort, da rücken von allen Seiten Nationalgarden auf den Greveplatz: es ist für die Ordnung hier nichts mehr zu thun, allein sie sel- ber schließen der Bewegung sich an; die besoldeten Com- pagnien führen das Wort. Als Lafayette herbeikommt, treten ihn Deputirte aus ihrer Mitte an, verlangen drin- gend, nach Versailles geführt zu werden, denn der Kö- nig müsse nach Paris. Dessen aber weigerte sich Lafayette, widerstand Stunden lang, auch als sein Leben bedroht ward; erst als ihm der Gemeinderath nicht allein die Vollmacht, sondern den Befehl dazu ertheilte und ihm zugleich vier seiner Mitglieder zugesellte, um die Wünsche der Hauptstadt dem Könige vorzutragen, gab er nach, doch unter der Bedingung daß die Hälfte der freiwilligen Nationalgarde ihn begleite. Denn mit ihrem Beistande hoffte er den Frevel der besoldeten Compagnien in Zaum zu halten. Es war 5 Uhr Nachmittags als er aufbrach. Aber schon um 4 Uhr fing das Weiberheer an in Versailles einzurücken. Eben stand die Nationalversammlung im Be- griffe den König durch eine Deputation ersuchen zu lassen, er möge die Genehmigung der Menschenrechte, welche nur bedingt gegeben war, unbedingt ohne Aufschub ertheilen, als die Meldung kam: „die Weiber sind angekommen, verlangen Zulaß.“ Er ward gewährt, und Maillard trat an ihrer Spitze vor der Nationalversammlung als Redner auf, mit schamloser Übertreibung des Brodmangels und der Beschwerden gegen die Gardes-du-corps, als Be- schimpfer der Nationalcocarde. Nun zeigte es sich, wie weise es gewesen wäre, der Sitzung bei Zeiten ein Ende zu machen, statt die Nationalversammlung dem Gespötte preiszugeben. Denn nicht nur daß die Weiber oben die Gallerien erfüllten, man sah deren aus der Hefe des Volks, untermischt mit bewaffneten Männern, neben den Abgeordneten Platz nehmen, man mußte ihre laute Un- terhaltung mit denen da oben ertragen. Vergeblich das Bemühen Mirabeau’s, der Donner seiner Stimme stellte nur für Augenblicke die Ordnung wieder her. Was war zu thun? Der Präsident befand sich mit vielen Abgeord- neten bei dem Könige, um ihm die bedrängte Lage der Hauptstadt zu vergegenwärtigen, und der Vicepräsident, Bischof von Langres, wußte keinen andern Rath als den- jenigen, der von Anfang her der beste gewesen wäre: die Aufhebung der Sitzung. Der Sitzungssaal aber blieb im Besitze der Eindringlinge. Nicht so leicht als mit den Abgeordneten der Nation war mit dem königlichen Schlosse und seinen Hütern fertig zu werden. Die berittenen adlichen Garden (gardes-du- corps), 500 an der Zahl, das Regiment Flandern, die Schweizergarden, die versailler Nationalgarde hatten noch gerade zu rechter Zeit ihre Stellung zum Schutze der Schloßzugänge eingenommen, und Maillards Heer nahm sich wohl in Acht mit diesen anzubinden. Nur einige Flin- tenschüsse auf einzelne Posten fielen, vereinzelte Gardes- du-corps wurden verwundet. Um so eifriger erforschte man in friedlicher Annäherung die Stimmung der könig- lichen Kriegsmacht und brachte bald heraus daß im Regi- ment Flandern ein zweifelhafter Wille herrsche, die ver- sailler Nationalgarde aber fest entschlossen sey, gegen ihre pariser Brüder nicht zu kämpfen. Schon unterhandelte auch der König mit abgeordneten Weibern, gab erst münd- lich, dann schriftlich die Zusicherung dem Brodmangel ab- zuhelfen, während von draußen her weibliche Stimmen zu ihm drangen, die den Kopf der Königin verlang- ten. Beim Eintritte der Dunkelheit sah man die meisten Truppen in ihre Quartiere abziehen. Allein es war das nur ein anständiges Mittel sich der verdächtigen versailler Bürgerbewaffnung zu entledigen, und man zog die Gardes-du-corps und Flandern gleich wieder heran. Französische Revolution. 19 Spät um 10 Uhr berief Mounier durch Trommelschlag die Nationalversammlung, zeigte ihr an, der König habe die Menschenrechte bestätigt. Da ging — es war gegen Mitternacht — die Meldung Lafayette’s ein von seiner und seines Heeres Ankunft. Mounier war aufs Äußerste betroffen und verbarg in der ersten Bewegung seinen Arg- wohn gegen Lafayette’s Absichten nicht einmal vor diesem selber. Jetzt aber riethen, wie schon bei dem ersten An- zuge der Weiber, mehrere Minister dem Könige sich mit der bewaffneten Macht nach Rambouillet zu entfernen: denn wenn auch die pariser Nationalgarde die Übersiede- lung des Königs in die Hauptstadt begehrte, war Wider- stand unmöglich. Wozu aber die Auflehnung derselben gegen ihren General und überhaupt der Zug hieher als um dieses einen Zweckes willen? Auch legten die Abge- ordneten von Paris, als sie nun mit Lafayette vor den König traten, die Bitten der Hauptstadt aussprachen, am meisten Gewicht auf den Punct daß der König dem französischen Volk einen Beweis seiner Liebe dadurch geben möge, daß er fortan den schönsten Palast von Europa, in- mitten der größten Stadt seines Reiches, bevölkert von dem zahlreichsten Theile seiner Unterthanen, zur Wohnung nehme. Ludwig zwar glaubte mit einer allgemeinen güti- gen Zusage, die Sache in Erwägung ziehen zu wollen, davon zu kommen, und verwarf den Rath einer schnellen verstohlenen Abreise jetzt um so entschiedener, als Lafayette ihm die Versicherung gab, er habe von seiner National- garde das eidliche Versprechen des völligsten Gehorsams gegen König und Nationalversammlung erhalten. Die unbesonnene Zuversicht Lafayette’s auf leere Worte ging so weit, daß er den König bewog, den französischen Garden die alten Wachtposten im Äußeren des Schlosses wieder zu vertrauen. Der erschöpfte Fürst ging um 2 Uhr zur Oct. 6. Ruhe, auch die Nationalversammlung ließ den Gedanken an eine Nachtsitzung fahren und machte müden Pari- sern und Pariserinnen Platz, die im Saale sich zum Schlafen einrichteten. Auch Lafayette suchte endlich sein Quartier in der Stadt Versailles; er will dort die ganze Nacht wach geblieben seyn, nur drei Viertelstunden den mat- ten Körper gestreckt haben. Immerhin! Der gutmüthig ver- trauende Mann ward wie ein Kind von den Ereignissen über- rascht. Denn früh Morgens 6 Uhr drang ein bewaffneter Pöbelhaufe durch ein Paar Eingänge in den Palast ein, ohne daß die Wachen, französische Garden, Widerstand leisteten. Es war zunächst auf die seit den Auftritten im Opernsaale so tödtlich gehaßte Adelgarde abgesehen, und nicht lange, so erblickte man zwei Gardes-du-corps erschla- gen, ihre Köpfe auf Piken gesteckt. Der Haufe drang weiter die Haupttreppe hinauf gerade zu den Gemächern der Königin. Hier traten ihnen aus den Vorzimmern ein- zelne Gardes-du-corps entgegen, mehr abmahnend als ab- wehrend, denn der König hatte ihnen vor Schlafengehen jeden ernstlichen Gebrauch ihrer Waffen wiederholt unter- sagt. Die aufgeschreckte Königin flüchtete kaum bekleidet 19* mit ihren Frauen zu den Zimmern des Königs, welcher selbst gegangen war, sie und die königlichen Kinder auf- zusuchen; es dauerte eine Weile ehe man sich zusammen- fand. Von nun an sammelten sich die im Schlosse befind- lichen Gardes-du-corps zur Vertheidigung der Gemächer des Königs, allein gebunden durch Befehle wie sie waren, fiel einer nach dem andern in die Hände des Pöbels, ward in den untern Hof hinabgeschleppt, und ohne die lange Berathung über die Art ihrer Hinrichtung wären sie alle verloren gewesen. Endlich aber eilte, freilich eine volle Stunde zu spät, Lafayette mit Truppen herbei, unter- stützte sogleich die französischen Garden in ihrem Bemühen, die dem Tode Geweihten zu retten, und vollbrachte es. Der Ruf erscholl: Gnade den Garden! Nun aber wollte die Menge den König sehen. Er trat auf den Balcon, bat um Schonung für seine Gardes-du-corps. Aber als Preis der Gnade tönte ihm das Geschrei entgegen: „Der König nach Paris!“ Zugleich verlangte man nach der Königin. Die muthige Tochter Marien Theresiens erschien mit ih- ren Kindern auf dem Balcon, Lafayette schützend neben ihr. Es ward eilf Uhr Morgens, mancher Rath war drinnen gepflogen und wieder verzichtet, als der König noch einmal den Balcon betrat und dem Volk erklärte: er sey entschlossen nach Paris zu ziehen. Alsbald ertönte ein Freudenfeuer aus allen Gewehren. Man vernahm im Sitzungssaale der Nationalversammlung, nur ein Paar hundert Schritte von da, schnell was das bedeute, und auf den Vorschlag von Mirabeau und Barnave gab die Versammlung die Erklärung ab, sie sey unzertrennlich von der Person des Königs. Der doppelte Zweck des Zuges nach Versailles war erreicht. Nur kurze Frist und es ging schon fort. Sieben lange Stunden, von zwei Uhr bis neun, verbrachte der König im Wagen, begleitet von seiner Familie, um- strömt von einer verworrenen Masse von 40,000 eifernden, schießenden, manchmal höhnenden, drohenden Menschen, welche jede raschere Bewegung hinderten. Oft auch schol- len Jubelgesänge dazwischen und man beglückwünschte sich wegen der nun überstandenen Hungersnoth mit dem häufig wiederkehrenden Gesange: „Hier bringen wir den Bäcker, die Bäckerin und den kleinen Bäckerjungen.“ Das Ge- wühl ward undurchdringlich als man um sieben die Bar- rieren der Hauptstadt erreichte. Man brauchte zwei Stun- den von da bis zum Stadthause. Hier hatte der König noch die Glückwünsche des Gemeinderathes zu überstehen, fuhr dann ab in die öden Gemächer der seit so lange un- bewohnten, noch gar nicht für seinen Empfang eingerich- teten Tuillerien, wo er fortan unter dem Schutze der hauptstädtischen Nationalgarde leben sollte. Die adliche Garde war schon entlassen. Für den Lebensretter der kö- niglichen Familie galt damals Lafayette; von diesem Retter aber wußte man daß er zwar aus Pflichtgefühl seinem Könige treu diene, jedoch im Herzen Republi- kaner sey. Oct. 9. Als der König nun seinen freien Entschluß, fortan in der Hauptstadt zu residiren, öffentlich kundgab, erwählte die Nationalversammlung die Reitbahn der Tuillerien, da wo jetzt die Straße Rivoli steht, zu ihrem künftigen Sitze. Weil aber die Einrichtung Zeit erforderte, eröffnete man Oct. 19. vorläufig im erzbischöflichen Palast die Sitzungen. Keine 800 Mitglieder fanden sich zusammen: 120 Mitglieder nahmen ihre Entlassung, unter ihnen Mounier und Lally- Tollendal; Bergasse blieb ohne Anzeige weg. Man soll aber am Vaterlande und an der Menschheit nie verzwei- feln, nie so hoch sich gegen beide stellen, daß man sie tief unter sich erblickte, nie so gering von sich denken, als ob man nichts mehr nütze, wenngleich weit in der Minder- zahl stehend. Lafayette schrieb mit rührender Wärme an Mounier, vermochte ihn jedoch nicht umzustimmen. Um so entschiedener bestand Lafayette auf der Entfernung des Herzogs von Orleans, welchen die öffentliche Stimme als den Urheber der Auftritte vom 5ten und 6ten October bezeichnete, und er mußte sich bequemen unter dem Vor- wande einer diplomatischen Sendung nach England zu gehen. 7. Mirabeau kaͤmpft fuͤr den Thron. Dasselbe Jahr 1789, so mächtig im Schaffen und Zer- stören, begrub noch die Parlamente. Schlau benutzte man dazu die Ferienzeit, welche regelmäßig am 7ten Septem- ber eintrat und über zwei Monate währte, in welcher Zeit dann bloß eine Ferienkammer in Thätigkeit war. Man verlängerte den Parlamenten ihre Ferien auf unbestimmte Nov. Zeit, ließ die Ferienkammer fortarbeiten bis man mit der neuen Gerichtsordnung fertig wäre. Vergeblich legte die pariser Ferienkammer gegen dieses „Begraben bei leben- digem Leibe“ Protest ein, fruchtlos verstiegen sich auch die Ferienkammern der übrigen Parlamente zu bald trotzi- gen, bald beweglichen Erklärungen. Der Stab ward ge- 1790 Sept. 6. 7. brochen und man vernahm im Volk mit Gleichgültigkeit den Umsturz dieser alten Rechtsgewalten, welche unvor- sichtig den ersten Anstoß zur Neuerung gaben. Von der neuen Ordnung stand so viel schon fest daß in peinlichen Sachen Geschworene erkennen sollten, aber nicht nach Ein- stimmigkeit wie in England, sondern nach Mehrzahl der Stimmen. Auch an die Bildung von Schiedsgerichten, Friedensgerichten und Vergleichscommissionen ward die Hand gelegt. Die Gerechtigkeit wird zwar fortfahren im Namen des Königs verwaltet zu werden, allein der König ernennt die Richter nicht mehr; er wird bloß das Wahl- protocoll einsehen und wenn alle Förmlichkeiten erfüllt sind, erklären: „sie sind ernannt.“ Die Ernennung steht den sämmtlichen Wählern eines Districts zu, und beschränkt sich auf sechs Jahre. Man glaubte die Volksfreiheit zu vergrößern, indem man die Unentfernbarkeit der Richter aufopferte. Ebenfalls noch in dem alten Jahre ward das Schick- sal der Geistlichkeit entschieden; man stellte ihre sämmt- lichen Güter und Einkünfte den darbenden Finanzen zur Oct. 10. Verfügung, auf Antrag des Bischofs von Autun Talley- rand-Perigord. Dieser schlug das Gesammteinkommen der Geistlichkeit auf 150 Millionen an, davon sollen ihr 100 vor der Hand verbleiben, bald aber werden, vermöge des Absterbens vieler Nutznießer von aufzuhebenden Pfrün- den, deren 80 vollkommen ausreichen. So hat der Staat 70 Millionen jährlich gewonnen, die ein Capital von 2 Milliarden repräsentiren, welches man nach Belieben durch Verkauf der Güter flüssig machen kann, und für die Pfarrer ist besser gesorgt als zuvor: denn keiner von ihnen, der nicht vom Staate mindestens 1200 Livres jährlich be- ziehen wird, sein Pfarrhaus ungerechnet. Auf diesen Grund- Nov. 2. lagen kam nach heftiger Debatte ein Beschluß zu Stande. An diese freundliche Finanzaussicht schloß sich ein Drit- tes an, gleichfalls noch vor dem Jahresschlusse vollbracht. Letzter Zeit ging überhaupt wenig an Steuern ein, am wenigsten von jener außerordentlichen Steuer, dem Triumphe der Beredsamkeit Mirabeau’s, viele Barschaf- ten wanderten mit den Auswanderern aus, andere ver- bargen sich. Als Necker, schwer niedergedrückt von der Lage der Dinge, seine Vorschläge machte, abermals Hülfe bei der Discontocasse suchend, verwarf die Nationalver- sammlung diese, setzte eine Anleihe von 80 Millionen Dec. 17. und den Verkauf von Kirchengütern und Domänen bis zum Belaufe von 400 Millionen an die Stelle. Zu gleicher Zeit sollen für 400 Millionen Scheine, Assignaten ge- nannt, ausgegeben werden, denen sich ein guter Curs versprechen läßt, weil der Staat sich bereit erklärt, sie nicht allein mit 5 Procent zu verzinsen, sondern auch gleich wieder bei jenen Verkäufen an Zahlungsstatt anzuneh- men. Keine Assignate unter 1000 Livres; so können sie nicht in den kleinen Verkehr übergehen. Niemand ist ver- pflichtet sie anzunehmen, auch sollen sie schon 1795 ver- nichtet werden. Als nun die Stadt Paris mit gutem Bei- spiele voranging, sich bereit erklärte für 200 Millionen Nationalgüter zu kaufen, um diese dann vereinzelt wieder 1790 März. loszuschlagen, so folgten andere Municipalitäten nach und die Maßregel hatte Fortgang. Weil aber der Quell des Übels blieb, die Steuereinnahmen versiegten, mußte man dennoch bald zum gezwungenen Curs seine Zuflucht neh- men und hiemit war die Bahn beschritten, welche in den Bankerutt auszumünden pflegt. Hinter allen diesen laut schallenden Thaten der Natio- nalversammlung, neben welcher der königliche Name kaum je genannt ward, bewegt sich eine geheime Geschichte des bis zum Sterben bedrängten Königthums, an welcher Mirabeau Theil hat. Seit der Übersiedelung in die Tuil- lerien fing man in den höheren Regionen an einzusehen, was ein Mann von Mirabeau’s Schlage werth sey. So viel man ihm auch vorwarf, er hatte mit Allem was er für die Freiheit gethan ein ernstes Streben für die Wah- rung der ächten Kronrechte vereinigt. Allein stehend, ohne alle Partei in der Nationalversammlung, bildete er eine Macht durch sein Genie, und jedermann kannte zugleich die schwache Seite dieser Macht. Seine Verschuldung war durch das väterliche Erbtheil wenig verbessert; noch hatte er den Rock nicht bezahlt, in welchem er 1772 Hochzeit hielt. Wenn einer ihn mahnte, gab er etwa zur Antwort: „Ach er soll wieder kommen, wenn ich Minister bin.“ Ein Freund blieb ihm, der Graf La Mark, später unter dem Namen des Prinzen August von Ahremberg bekannt. Auf La Marks Anregung und durch Lafayette’s Vermitte- lung unterredete sich Montmorin mit ihm; allein den Mini- ster trug der Schwung seiner Gedanken doch nicht weiter als bis zu einer ehrenvollen Entfernung Mirabeau’s, er ließ etwas von einem Gesandtschaftsposten in Constanti- nopel fallen. Den in London wollte dieser allenfalls gelten lassen; allein es kam derzeit überhaupt nicht weiter als daß der König eine Summe Geldes zur Tilgung eines Theiles seiner Schulden aufwandte. Aber Montmorins Scheu, einen Mirabeau zum Collegen zu haben, ward bei Weitem von der Besorgniß übertroffen, welche die linke Seite der Nationalversammlung vor einer Verbindung des- selben mit dem Hofe hegte, besonders das sogenannte Triumvirat. Unter dieser Bezeichnung verstand man die Abgeordneten Duport, Barnave und Alexander de Lameth. Diese getrauten sich die Revolution gemeinschaftlich im freiheitlichsten Sinne zu leiten. Sie waren bisher thätige Mitglieder des bretagnischen Clubs, welchen Le Chape- lier gründete. Seit dem Umzuge nach Paris nahm dieser in einem Saale des Klosters der Jacobinermönche seinen Sitz, die Triumvirn verschafften auch Nichtabgeordneten den Zugang, vornehmlich den Männern der Tagespresse. Der Zweck war dem Strome der Revolution einen noch rascheren Fluß zu verschaffen. Zu diesem Ende fing man an in allen Departements Clubs zu organisiren, welche mit dem Centralclub der Freunde der Verfassung, denn so nannten sich die Jacobiner, in lebendiger Verbindung ste- hen und von ihm geleitet werden sollten. Ihnen gegenüber versuchten nun freilich die besonnenen Freunde der Freiheit sich ebenfalls durch einen engeren Verein zu stärken, Malouet und Clermont-Tonnerre entwarfen dazu den Plan, und Lafayette war geneigt zum Beitritte. Allein an sich besteht schon Mäßigung, weil ihr Wesen Hemmung ist, schwer gegen treibende Kraft; und diese wackeren Männer woll- ten nichts weniger als eine Gegenrevolution. Darum stan- den sie, eingeklemmt von beiden Parteien, in geringer Stärke da, verschmähten daneben jede Verstärkung außer- halb des Kreises der Abgeordneten. Das Programm ihrer gemeinsamen Grundsätze zu entwerfen übernahm Malouet; eine recht schwierige Aufgabe. Dem Könige soll eine wahrhaft executive Gewalt zurückgegeben werden, indem die Nationalgarde nicht minder als das Heer unter seinem Oberbefehle steht: die katholische Religion soll Staatsre- ligion bleiben, ohne daß andere Formen der Gottesvereh- rung Verfolgung erleiden: mit dem Verkaufe geistlicher Güter darf weiter nicht vorgeschritten werden als am 17ten December beschlossen ist, damit die noch vorhandenen geist- lichen Güter in geistlichen Händen bleiben: Preßfreiheit soll Statt haben, aber gezügelt durch ein Preßgesetz. Über manchen dieser Puncte war man aber am Ende weniger innerlich einig als daß man äußerlich nachgab, um nur etwas zu Stande zu bringen, und Alles stockte hier, wäh- rend die kühnen Organisationen Duports schon das ganze Frankreich affiliirten. Mirabeau’s Plane, der Regierung die Mittel an die Hand zu geben, um die Revolution zu zügeln, gingen ihren eigenthümlichen Weg. Schon am 6ten November stellte er den Antrag, um die Eintracht zwischen der gesetz- gebenden und der ausübenden Gewalt zu befördern, die Minister unverzüglich einzuladen, ihren Platz in der Na- tionalversammlung mit berathender Stimme einzunehmen, bis die Verfassung demnächst ihre künftige Stellung fest- setze. Da durchdrang Einige von der linken Seite der Arg- wohn, Mirabeau wolle seinen künftigen Einfluß sicher stellen, und einer, sonst ein achtbarer Mann, Professor des kanonischen Rechtes, der Bretagner Lanjuinais, stellte, seinen Verdacht wenig verheimlichend, den Gegenantrag Nov. 7. auf, kein Mitglied der Nationalversammlung dürfe wäh- rend der Legislatur und auch die nächsten drei Jahre eine Ministerstelle oder ein Amt oder sonst irgend eine Gunst- bezeugung von der Staatsregierung annehmen, bei Strafe der Nichtigkeit und des Verlustes seiner activen Bürger- rechte für die Dauer von fünf Jahren. Es ist unmöglich zugleich eindringender und mit schlagenderer Ironie einen unsinnigen Vorschlag zu bekämpfen als hier Mirabeau that. Er kann nicht begreifen, wie es mit der verkündig- ten Gleichheit der Rechte bestehe, daß 1200 Abgeordnete ihrer nicht genießen sollen, solche Abgeordnete, welche die Wahl des Volks als seine Auserlesenen bezeichnet hat. Giebt es einen solchen Überfluß an Begabtheiten? oder soll der König gezwungen seyn Hofschranzen und über- haupt solche Leute, welchen das Volk sein Vertrauen nicht geschenkt hat, denen vorzuziehen, welchen es Ver- trauen schenkt? — „Nein ich glaube nicht daß das der Zweck des Antrages ist, weil niemand mich zwingen wird, eine abgeschmackte Sache zu glauben. Es muß ein gehei- mer Grund seyn und ich will versuchen, ob ich ihn er- rathen kann. Es ist vielleicht nützlich, zu verhindern daß dieses oder jenes Mitglied der Versammlung in das Mi- nisterium trete. Darum aber, um diesen besonderen Zweck zu erreichen, ist es nicht nöthig einen großen Grundsatz aufzuopfern, und ich habe den Muth es zu übernehmen, Euch die Mitglieder, welche der Antragsteller zu fürchten scheint, zu bezeichnen. Es sind offenbar nur zwei, der Antragsteller und ich. Es ist seine äußerste Bescheidenheit, die ihn fürchten läßt in das Ministerium berufen zu wer- den, und er will diese Verlegenheit durch eine allgemeine Ausschließung von sich abwenden. Daneben hat er einige Volksgerüchte mich angehend vernommen, und er weiß am besten wie unfähig ich bin Minister zu seyn, zumal wenn ich dadurch der Belehrung und des Rathes beraubt würde, welchen ich so glücklich bin in dieser Versammlung täglich zu empfangen. Darum, meine Herren, ist mein Vorschlag: die verlangte Ausschließung auf Herrn von Mirabeau, den Abgeordneten von Aix zu beschränken.“ Aber Mirabeau’s Witz sprühte und brannte Wunden, man lachte, man bewunderte ihn, und beschloß doch zu- letzt, mit einiger Beschränkung zwar des ersten Antrages, keines der gegenwärtigen Mitglieder der Nationalver- sammlung dürfe während dieser Legislatur eine Stelle von der Staatsregierung annehmen. So schnitt man dem Red- ner ins Herz, und zwang ihn zugleich, für immer aus- geschlossen vom Ziele seines flammenden Ehrgeizes, die Miene eines Lächelnden zu behalten. Das aber ist der tägliche Gang der Welt, und die Wunden die wir nicht nennen, sind gerade diejenigen, an welchen wir verbluten. Noch vor diesem Decret ließ Mirabeau durch La Mark an Monsieur einen schriftlichen Entwurf gelangen, in des- sen Ausführung er die Rettung des Königs, ich sage mehr, die Rettung der Krone erblickte. Nichts hier von einer raschen Entfernung an die Gränze, nichts auch von einer Flucht in das Innere, nichts von einem Aufrufe des Adels: dergleichen rathen hieße Hülfe von Fremden wol- len, hieße den Bürgerkrieg anrathen, und es giebt nun einmal keinen Adel mehr. Der König muß seine Freiheit wieder erlangen, ohne sich von der Nationalversammlung und der öffentlichen Freiheit zu trennen. Das muß durch einen öffentlichen Schritt geschehen; er ist gefährlich, aber Gefahr wird allein mit Gefahr überwunden. Man bedarf zur Ausführung einer bewaffneten Macht von 20,000 Mann; diese läßt sich in wenig Tagen zwischen Rouen und Paris zusammenziehen. Am lichten Tage reist der König ab nach der ihm ergebenen reichen Stadt Rouen im Innern des Reiches, in der Normandie, welche mit An- jou und Bretagne in so nahen Beziehungen steht. Er er- läßt von dort eine Proclamation an das Volk. Ihr In- halt: Man hat den König in Versailles, noch mehr in Paris seiner Freiheit beraubt: daher der Vorwand der Unzufriedenen sich den Beschlüssen der Nationalversamm- lung nicht zu fügen, weil diesen die Stütze der königlichen Gewalt gebricht. Der König muß frei seyn, um die Frei- heit gründen zu können. Er beruft die Versammlung zu sich, um ihre Arbeiten fortzusetzen, um sie ohne anarchi- sche Einflüsse zu beendigen. Monsicur war überrascht von der Schrift, durchdrungen, allein um so weniger zum Beitritte, zur Mittheilung an den König geneigt, als er so eben für einen andern Entwurf die Beistimmung der Königin gewonnen hatte. Dieser war eben so listig feige, Verderben drohend gerade in seinem Gelingen, als jener kühn, vielleicht überkühn: denn wer stand dafür ein daß nicht über Ludwigs schwaches Gemüth in Rouen die Mei- nung der Höflinge obsiegte, welche die Krone des heiligen Ludwig allein in ihrer Unumschränktheit erkannten? Mon- sieur legte seinen Plan auf ein Entwischen des Königs in den Norden, in die Picardie an, nach Peronne, von wo man im schlimmsten Falle die belgische Gränze nicht weit hatte. Von dort aus sollte der König die Nationalver- sammlung für aufgelöst und alle ihre Beschlüsse für ungül- tig erklären. Die nöthige Mannschaft zur Ausführung zu werben, die Gelder zu negotiiren war ein Marquis de Favras, früher in Monsieurs Diensten stehend, beauf- tragt, ein kühner Abenteurer, wenn nicht an Genie, doch in der Zahl seiner Gläubiger dem Grafen Mirabeau gewachsen. Aber seine Werber verriethen ihn und Weih- nachtsabend brachte man den Favras gefangen in das Stadt- haus. Auf einmal schallt es durch Paris von einer Ver- schwörung, an deren Spitze Monsieur steht. Dieser Fürst konnte, wenn es galt, beherzt auftreten, allein er gab der List gern den Vorzug. Jetzt drängte ihn die Noth zu einem kühnen Entschlusse. Ohne etwas zuzugestehen, fragte er einen Vertrauten um Rath. Dieser rieth, schleunig sich auf das Stadthaus zu verfügen, dort kecklich zu erklären, was falsch ist, ihm sey Alles fremd, was den Favras an- gehe. Auch bei Mirabeau wird angefragt. Dieser billigt zwar jenen Rath, allein es dünkt ihm nicht genug damit gethan. Monsieur soll auf dem Stadthause erklären, und Mirabeau schreibt für ihn die Phrase auf: „seit dem Tage, da er in den Notabeln für die Verdoppelung des dritten Standes sich ausgesprochen, habe er auch erkannt daß eine gewaltige Umwälzung vor der Thüre und der König berufen sey sich an ihre Spitze als Gründer der Freiheit zu stellen.“ Dieses Bekenntniß legte Monsieur auf dem Stadthause ab, und der Maire antwortete mit Dec. 26. Bezeugungen der ehrfurchtsvollsten Ergebenheit. Aber Favras liebte das Leben. Schon hatte er im Gefängnisse eine schriftliche Erklärung aufgesetzt, deren umständliche Aufrichtigkeit den Bruder des Königs und die Königin un- fehlbar zu Grunde gerichtet hätte; er ließ den Civillieute- nant des pariser Stadtgerichtes, welches von seinem Sitze im alten Kastell an der Wechsler-Brücke, die zur Cité führt, den Namen Chatelet trägt, zu sich laden, damit dieser sein Geständniß empfange. Allein Talon, so hieß der Mann, gab ihm zu bedenken, welch ein unermeßliches Unglück er durch diesen Schritt verschulde, ohne Hoffnung sich selbst zu retten, dahingegen die Geretteten dankbare Französische Revolution. 20 Sorge für seine Familie tragen würden. Und Favras lie- ferte das Papier aus, welches erst in späten Tagen durch Talons Tochter in die Hände Ludwigs XVIII. gekommen ist. Nicht lange darauf aber jauchzte der pariser Pöbel, 1790 Febr. 18. als er auf dem Greveplatze einen Edelmann, den Favras, henken sah. Wenig Tage nach jenem Auftritte auf dem Stadthause ließ Graf Mirabeau an Monsieur einen anderen Rettungs- plan gelangen. Monsieur soll an die Spitze des Conseils treten, factisch zum Generallieutenant des Königs werden. Der Bruder des Königs liebte die Macht und wäre wohl geneigt gewesen, allein er glaubte in dem Königspaare keine Geneigtheit zu erkennen. Doch begriff der Geschmei- chelte von nun an williger Mirabeau’s Unentbehrlichkeit, und vermittelte einen förmlich unterzeichneten Vertrag zwi- schen dem Könige und dem Grafen, in welchem dieser eine Gesandtschaftsstelle annimmt, vorläufig aber und mindestens vier Monate lang 50,000 Livres monatlich empfangen soll; wogegen Mirabeau verspricht den Kö- nig durch seine Beredsamkeit in Allem zu unterstützen, was Monsieur für dem Wohle des Staates und dem Interesse des Königs, die als unzertrennbar zu betrachten, entspre- chend halten wird, imgleichen verspricht in der Versamm- lung zu schweigen, insofern ihn die Gründe Monsieurs nicht überzeugen. Es ist sicher vergeblich, wenn der Adop- tivsohn Mirabeau’s Montigny, der Gründer der wichtigen sogenannten Memoiren Mirabeau’s, die Urkunde dieses Vertrages für unächt erklärt; allein ohne Zweifel traute sich Mirabeau in dem Vollgefühle seiner Überlegenheit die Kraft zu, in jedem Falle Monsieur zu seiner Meinung fortzureißen, und Favras lebte damals noch, ein Schreck- bild für den Prinzen! Wirkliche Folgen hat der Vertrag übrigens weder von der einen noch von der anderen Seite gehabt. Dem Prinzen, der mit der Königin nicht gut stand, ward die Leitung der Regierung keineswegs ver- traut, und dem Könige sich aufzudringen lag nicht in sei- ner Absicht. Der König liebte Neckern nicht, aber in einem Zuge stimmten ihre Sinnesarten zusammen, beide überließen sich gern einem Ergusse ihrer Gefühle, und aufrichtig wie ihr Inneres war, glaubten sie die Gemüther durch solche Ausströmungen von Wohlwollen zu beherrschen. Am 4ten Februar kündigte der König der Nationalversammlung seine Gegenwart an, verbat alle Empfangsfeierlichkeiten. Er hielt eine Rede, welche Necker entworfen hatte. Sie be- klagt die Gewaltthaten, Angriffe auf Personen und Gü- ter, welche aus dem Süden von Frankreich gemeldet wer- den, die Hemmung der Rechtspflege, beschwört die Ver- sammlung, das Volk über sein wahres Interesse, welches an die Handhabung der ausübenden Macht geknüpft ist, zu belehren. „Es wird irre geführt, dieses gute Volk, welches mir so lieb ist, und von welchem ich geliebt werde, wie man mir versichert, wenn man mich in meinem Kum- mer trösten will. — Wohl hätte ich einen sanfteren Weg 20* zu dieser neuen Ordnung der Dinge gewünscht, aber nicht minder aufrichtig ist darum meine Anhänglichkeit an den Grundsätzen constitutioneller Freiheit. Mögen alle Einzel- nen, die noch bittere Erinnerungen hegen, diese heute mir zum Opfer bringen; meine Erkenntlichkeit und Liebe soll sie bezahlen.“ Die Versammlung war gerührt, unterbrach die Rede mit Beifallklatschen, schickte dem Monarchen eine Deputation nach. Diese ward auch der Königin vorge- stellt. Sie sprach: „Sehet hier meinen Sohn; ich will ihm ohne Ende von den Tugenden des besten der Väter erzählen, will ihn bei Zeiten die öffentliche Freiheit lieben lehren, und er wird ihre festeste Stütze seyn.“ Fragt man aber nach dem Ergebnisse des ganzen Auftrittes: es war der allgemeine Bürgereid. Die durch die königlichen Worte begeisterte Versammlung beschloß daß jeder Abgeordnete ohne Ausnahme den Eid ableisten solle, der Nation, dem Gesetze und dem Könige treu zu seyn und mit aller Kraft die Staatsverfassung aufrecht zu halten, welche die Na- tionalversammlung beschließen und der König annehmen wird. Die Nationalversammlung ging sogleich mit dem Beispiele voran und alle 44000 Municipalitäten Frank- reichs folgten nach. Allein es ließ sich vernünftiger Weise nicht hoffen durch politische Eide Menschen zu binden, die im Innern längst dem Königthum als einer Unvernunft barbarischer Zeitalter abgesagt hatten, nicht hoffen durch einen Act royalistischer Aufwallung den französischen Adel zu versöhnen, der seine Sterbestunde vor Augen sah, die Prälaten zu gewinnen, deren Güter man verkaufte, über deren Klöster und Mönchsorden ohne Ausnahme man im Begriffe stand ein unbarmherziges Gericht zu verhängen. Febr. 13. Der aufgezwungene Eid ward von den Freunden der alten Ordnung als eine neue bittere Kränkung empfunden. Als der Vicomte de Mirabeau, man pflegte ihn wegen seiner Dicke auch Mirabeau-tonneau zu nennen, den Sitzungs- saal verließ, warf er wüthend seinen Degen auf den Bo- den, rief: „Wenn der König sein Scepter zerbricht, muß ein treuer Unterthan seinen Degen zerbrechen.“ Dieser wunderliche heftige Mann pflegte sein Schicksal zu bekla- gen: „In jeder anderen Familie,“ sprach er, „würde ich für einen gescheuten Kopf aber lockeren Zeisig gelten, mit diesem Bruder behaftet heißt man mich einen Dumm- kopf, sonst aber einen ganz ordentlichen Menschen.“ Faßt man Alles zusammen: die Gluten vom 4ten Februar, an keinen politischen Plan geknüpft, verdampften wirkungs- los. Ein guter Beurtheiler sagt: „Necker stellte einen Säu- lengang hin, welcher zu keinem Gebäude führte.“ Im Frühling 1790 ward die Nationalversammlung plötzlich daran erinnert daß Frankreich nicht allein stehe unter den Staaten. Großbritannien hatte mit der Krone Spanien sorgliche Händel und rüstete; es schien nothwen- dig, Frankreich müsse gleichfalls rüsten. Darüber kam eine Botschaft vom Minister des Auswärtigen an die Na- tionalversammlung, damit die Mittel dazu in Aussicht ge- stellt würden. Alsbald aber rief man bei den Jacobinern, die Gegenrevolution sey im Anzuge, und Alexander La- meth übernahm es der Nationalversammlung das aus- schließliche Recht über Krieg und Frieden zu sichern. Mi- rabeau begehrte, man solle sich zunächst an die concrete Frage der Gegenwart halten, die getroffenen Vorsichts- maßregeln billigen; denn es handle sich hier gar nicht von Krieg erklären, bloß von sich vertheidigen, wofür zu sor- gen allzeit die Sache der vollziehenden Gewalt sey; die allgemeine Frage, wie es mit dem Rechte über Krieg und Frieden zu halten, müsse vom Verfassungsausschusse vor- bereitet werden. Wirklich ward mit großer Übereinstim- Mai 15. mung ein Dank dem Könige wegen seiner Fürsorge votirt; nichtsdestoweniger debattirte man eine ganze Woche lang über die allgemeine Frage: Soll der König künftig das Recht über Krieg und Frieden haben? Die Geschichte von Frankreich seit manchem Jahrhundert, wer dürfte das läugnen? antwortete mit lauter Stimme: Nein . Sol- len die Kriege wiederkehren, die aus wildem Ehrgeiz, aus Eitelkeit, die vielleicht zu alleinigen Ehren einer Mätresse geführt sind? Barnave, Karl Lameth, Pétion und wie Viele nicht sonst, legten die alleinige Entscheidung über Krieg und Frieden in die Hände der Nationalversammlung nieder. Aber auch auf der rechten Seite erhoben sich be- redte und eifrige Männer als Vertheidiger der nothwen- digen Rechte der Krone, unter ihnen der Abbé von Mon- tesquiou, Cazalès, der Abbé Maury. Erst am fünften Tage tritt Mirabeau auf. Er zeigt daß man vergeblich von beiden Seiten sich in die Extreme werfe. Dem Könige gebührt die Wache für das Auswärtige, und das ist sein Recht; droht aber Krieg, so bedarf er des Geldes der Nation, und dieses zu bewilligen oder zu verneinen und im Falle des irgendwie verschuldeten Krieges die Mi- nister zur Strafe zu ziehen ist das Recht der Nationalver- sammlung. So erhalten beide Theile ihr natürliches Ge- biet für die Beantwortung dieser Frage. Der leitende Grundsatz für Beide muß seyn: Frankreich verzichtet auf jede Eroberung. Dringt man dem Könige von seinem Rechte das Geringste ab, nöthigt man ihn das nothwen- dige Geheimniß der Verhandlungen mit fremden Mächten zu entschleiern, darf seine angegriffene Flotte, angegriffen in fernen Meeren vielleicht, sich nicht vertheidigen, darf sie selbst nicht zuvorkommen, bevor die Nationalversamm- lung den Krieg genehmigt hat, so sündigt man gegen die Natur der Dinge und stürzt das Vaterland in Gefahr. Seine Worte machten tiefen Eindruck, allein Barnave nahm den Tag darauf den Handschuh auf, hielt fest dar- an, der König dürfe und müsse einleiten, vorbereiten, auch Verträge unterzeichnen, allein die Bestätigung, das Ja und Nein über Krieg und Frieden gebühre allein der Nationalversammlung. Tadle man die Hauptstadt nicht, daß sie, genöthigt sich in die feinsten Fragen der Politik zu vertiefen, in eine gewaltige, unermeßliche Aufregung ge- rieth. Je unverständlicher die Lösung für den ungeübten Sinn, um so glühender die Bemühung von vielen Tau- senden, und vielen tausend Franzosen, damit zu Stande zu kommen. Nun dazu die Aufwiegler, deren Logik die Fäuste sind. Eine Flugschrift erschien unter dem Titel: „Der große Verrath des Grafen Mirabeau enthüllt.“ Als Mirabeau den Verfasser, einen jungen Mann Na- mens Lacroix zur Verantwortung zog, nannte er vor Gericht das Triumvirat als seinen Anstifter. In diesen Tagen schrieb Mirabeau nach Deutschland an seinen Freund Mauvillon: „Wir befinden uns in einer großen Krise und es wird nicht die letzte seyn, aber was auch ge- schehen mag, Euer Freund wird leben und sterben als ein gu- ter und vielleicht als ein großer Bürger.“ Als er am 22sten Mai im Begriffe stand auf die Rednerbühne zu treten, sprach er zu seiner Umgebung: „Einerlei, man wird mich von hier im Triumph oder in Stücken hinwegtragen.“ Gleichwohl war er seines dialektischen Sieges zum voraus sicher. Barnave hatte sich den Tag vorher mit vieler Fülle und Kraft der Rede auf den beliebten Gemeinplätzen der durch ungerechte Kriege gestifteten Gräuel ergangen, er hatte auch die Sentimentalität eingemischt: man dürfe dem Könige keine Betrübniß bereiten, indem man das traurige Recht Blut zu vergießen in seine Hände lege; allein der Nerv seiner politischen Beweisführung blieb bei den trockenen Sätzen von Sieyes stehen: „In der Natio- nalversammlung wohnt der Beschluß, in dem Könige die Ausführung, folglich“ — — Und das schien den Hörern so ganz einfach und unwidersprechlich. Allein dieser Unter- bau hielt nicht mehr Stich, seit dem Könige durch das Veto wenn auch nur ein aufschiebender Antheil am Be- schlusse eingeräumt war. Als Mirabeau diesen Misgriff Barnave’s bemerkte, sagte er zu seinem Nachbar und Freunde Frochot, demselben der in späteren Tagen auf Anlaß der Malletschen Verschwörung in Napoleons Un- gnade fiel: „Da hab’ ich ihn fest!“ lieh ihm seinen Blei- stift ab, schrieb ein Paar Worte auf, sprach: „Genug des Hörens, ich habe meine Entgegnung, gehen wir!“ Beide spazierten nun in dem Garten der Tuillerien, und Mirabeau unterhielt sich dort auf das lebhafteste mit Neckers Tochter, der Frau von Staël. Mirabeau’s Rede, welche damals für eine Weltbege- benheit galt, von allen Gesandten, welche zahlreich der ganzen Verhandlung beiwohnten, an ihre Höfe verschickt ward, nahm diesen Gang: „Ganz gewiß, es ist von großem Werthe für die An- näherung streitender Parteien, wenn man sich mit Auf- richtigkeit darüber aufklärt, worin man einig ist und wor- in man von einander abweicht. Zur Verständigung tragen freundliche Verhandlungen mehr bei als verläumderische Einflüsterungen, tolle Beschuldigungen, gehässige Eifer- süchteleien und die Umtriebe ränkesüchtiger Bosheit. Seit acht Tagen verbreitet man daß der Theil dieser Versamm- lung, welcher dem königlichen Willen einen Antheil an der Entscheidung über Krieg und Frieden sichern will, die öffentliche Freiheit meuchelmorde, verbreitet Gerüchte von Untreue und Bestechung, ruft die Volksrache herbei, um eine Tyrannei der Meinungen zu begründen. Man will, so scheint es, ein Verbrechen daraus machen daß über eine der feinsten und schwierigsten Fragen der gesellschaftlichen Ordnung zwei verschiedene Meinungen stattfinden. Was mich betrifft, es ist nur wenig Tage her daß man mich im Triumph tragen wollte, und heute schreit man durch alle Gassen die große Verrätherei des Grafen Mi- rabeau aus. Es bedurfte für mich dieser Lehre nicht, um zu wissen daß vom Capitol nur wenig Schritte bis zum tarpejischen Felsen sind, aber ein Mann, der für die Vernunft, für sein Vaterland kämpft, hält sich nicht so leicht für überwunden. Wem sein Gewissen sagt, er habe sich wohl verdient um das Vaterland gemacht und vor Allem er nütze ihm noch jetzt; wer sich an keiner leeren Berühmtheit weidet und die Erfolge eines Tages ver- schmäht, wo wahrer Ruhm auf dem Spiele steht, der Mann trägt in sich die Belohnung seiner Dienste, die Lust seiner Mühen, den Preis seiner Gefahren; er darf seine Erndte, seine Zukunft, das Einzige was ihn reizt, die Zukunft seines Namens allein von der Zeit, diesem unbestechlichem Richter erwarten, welcher Allen Gerech- tigkeit widerfahren läßt. Mögen diejenigen, welche seit acht Tagen meine Meinung prophezeiten ohne sie noch zu kennen, welche diesen Augenblick meine Rede verläumden ohne sie verstanden zu haben, mich beschuldigen ohnmäch- tigen Götzenbildern Weihrauch zu streuen in demselben Augenblicke da sie umgestürzt sind, oder der feige Söld- ling derer zu seyn, welche ich unaufhörlich bekämpft habe; mögen sie als einen Feind der Revolution den Mann be- zeichnen, der ihr vielleicht nicht unnütz gewesen ist und der, wäre sie seinem Ruhme fremd, doch allein bei ihr seine Sicherheit finden könnte; mögen sie der Wuth eines getäuschten Volks den Mann überliefern, der seit zwan- zig Jahren jede Unterdrückung bekämpft; der zu den Fran- zosen von Freiheit sprach, von Verfassung, von Wider- stand, als jene feilen Verläumder die Milch der Höfe sogen, sich nährten von Misbräuchen. — Was geht das mich an? Diese Stöße von tief Unten nach hoch Oben sollen mich nicht in meiner Bahn aufhalten. Ich sage ihnen: Antwortet wenn ihr könnet, und dann verläumdet so viel ihr wollet.“ Nach diesem Eingange dringt er auf Barnave ein: „Ihr behauptet: die Nation stellt zwei verschiedene Ge- walten zu ihren Vertretern auf, die eine für den Willen, die andere für die That, Ihr nennt die erste den gesetzge- benden Körper, die andere König. Ihr habt Unrecht und seyd von einem richtigen Ausgangspuncte in eine falsche Folgerung gerathen. Es ist nicht wahr daß der gesetzgebende Körper und die gesetzgebende Gewalt einerlei sind. Der gesetzgebende Körper ist nur ein Theil der gesetzgeben- den Gewalt, seit unsere Verfassung im Veto dem Könige einen Antheil an der gesetzgebenden Gewalt gegeben hat. Wie mögt Ihr nur die Begriffe so verwirren, daß Ihr in Eurer Rede die Erklärung des allgemeinen Willens der gesetzgebenden Gewalt beileget, das ist der National- versammlung und dem Könige, in Eurem Gesetzentwurfe aber allein dem gesetzgebenden Körper , das ist allein der Nationalversammlung? Durch Letzteres frevelt Ihr an unserer Verfassung, stürzet alle Gesetze um, die wir ge- macht haben. Wenn der gesetzgebende Körper allein ge- nug ist, sobald es sich davon handelt den allgemeinen Wil- len in Bezug auf den Krieg auszudrücken, so erhaltet Ihr, da der König dann weder Theilnahme, noch Einfluß, noch Controle, noch Etwas von dem besitzt was die Verfas- sung der ausübenden Gewalt bewilligt hat, für die Ge- setzgebung zwei verschiedene Principien, das eine für die gewöhnliche Gesetzgebung, das andere für die Gesetzge- bung, die den Krieg, das heißt, die fürchterlichste Krisis angeht, welche den politischen Körper erschüttern kann. Dort bedürft Ihr der Zustimmung des Königs, hier nicht — und Ihr sprecht von Gleichartigkeit, Einheit und Zu- sammenhang der Verfassung! Ihr antwortet mir nicht; ist dem nicht so? — Fürwahr eine seltsame Verfassung, die dem Könige die höchste ausführende Macht überträgt, aber den Krieg erklärt haben will, ohne daß der König zur Berathschlagung darüber auffordert und Mittheilun- gen macht! Ihr habt dann keine beschließende National- versammlung mehr, sie wird handelnd, sie herrscht. Oder wollet Ihr dem Könige die Initiative geben? Was ver- steht Ihr darunter? Soll er der Nationalversammlung bloß Mittheilungen machen? oder hat er das Recht auch vorzu- schlagen, welche Partei zu ergreifen sey? Und wenn er nun den Frieden will, soll der gesetzgebende Körper ihm befehlen dürfen wider seinen Willen Krieg zu führen? Ich wiederhole es, der gesetzgebende Körper regiert dann, un- sere Verfassung verliert ihre Natur, sie soll monarchisch seyn und sie würde rein aristokratisch werden. Ihr habt nichts geantwortet auf diesen Einwurf und werdet nie im Stande seyn darauf zu antworten. Ihr redet immerdar allein von Verhinderung der ministeriellen Übergriffe, ich aber rede zu Euch von den Mitteln, die Übergriffe einer re- präsentativen Versammlung zu verhindern; ich rede zu Euch von der Nothwendigkeit Halt zu machen, ja nicht zu viel der natürlichen Strömung nachzugeben, welche jede Verfassung unvermerkt auf das Princip zurücktreibt, aus welchem sie entsprungen ist.“ Auch Mirabeau hatte diesem Princip, dem Alles da- mals beherrschenden, der Souveränität des Volks in sei- nem Gesetzentwurfe gehuldigt. Sie machte es ihm un- möglich, rein heraus zu sagen, wie wir wohl thun: „Der König hat das Recht über Krieg und Frieden.“ Nichts- destoweniger warf ihm Barnave vor, er lege unbedingt in die Hände des Königs und seiner Minister das Recht Feindseligkeiten anzufangen, einen Angriff zu machen. Nicht ohne einige Sophistik, obgleich dem Wesen nach wahr, erwidert Mirabeau darauf: „Nein ich gebe dem Könige dieses Recht nicht, weil ich es ihm förmlich nehme; ich erlaube den Angriff nicht, weil ich vorschlage ihn zu bestrafen. Was thue ich denn? Ich untersuche eine Mög- lichkeit, welche Ihr so wenig ändern könnet als ich. Ich weiß es nicht zu machen daß der höchste Inhaber aller Kräfte der Nation nicht große Mittel und Gelegenheiten habe Misbrauch damit zu treiben; aber findet sich dieser Übelstand nicht in allen Systemen? Immerhin nennt ihn die schlimme Seite des Königthums, aber denkt Ihr wirklich daß menschliche Einrichtungen, daß eine Regie- rungsform, von Menschen für Menschen errichtet, frei von Übelständen seyn könne? Denkt Ihr uns der Vortheile des Königthums zu berauben, weil das Königthum Ge- fahren hat? Sagt es immer rein heraus! Uns bleibt dann zu überlegen, ob wir, weil das Feuer brennt, die Wärme und das Licht missen wollen, welches wir von ihm ent- lehnen. Alles in der Welt kann bestehen, mit Ausnahme der Inconsequenz; sagt uns: wir brauchen keinen König, aber sagt uns nicht: wir brauchen einen machtlosen, einen unnützen König.“ „Es ist,“ so schließt er endlich, „mehr als Zeit diese langen Verhandlungen zu beendigen. Fortan wird man, wie ich hoffe, den wahren Schwierigkeitspunct nicht mehr verheimlichen. Ich will die Mitwirkung der ausübenden Gewalt zur Bildung des allgemeinen Willens in Hinsicht auf Krieg oder Frieden, wie die Verfassung sie in allen bereits festgestellten Theilen unseres Systems festgesetzt hat. Meine Gegner wollen das nicht. Ich will daß das Oberaufsichtsrecht, welches dem einen der Vertreter des Volks gebührt, ihm nicht abgehe, ihm nicht entrissen werde gerade bei den wichtigsten Thätigkeiten der Staats- kunst, meine Gegner aber wollen daß der eine dieser Ver- treter ausschließlich das Recht des Krieges besitze, gleich als ob, selbst angenommen daß die ausübende Gewalt der Bildung des allgemeinen Willens fremd bliebe, wir allein über die Kriegserklärung zu berathen hätten, als ob nicht die Ausübung dieses Rechtes eine Reihenfolge von gemischten Thätigkeiten mit sich führte, bei welchen That und Wille sich drängen und durchdringen.“ „Sehet da die Linie, die uns trennt. Irre ich mich, dann noch einmal, laßt meinen Gegner mich zurechtwei- sen, oder vielmehr laßt ihn in seinem Gesetzentwurfe die Worte: gesetzgebender Körper in gesetzgebende Gewalt verändern, und wir sind vollkommen einig, wenn nicht in der Praxis, so doch mindestens in der Theorie, und wir wollen dann sehen, ob nicht mein Gesetzentwurf bes- ser als jeder andere diese Theorie verwirklicht.“ „Man hat Euch vorgeschlagen, über diese Frage durch die Vergleichung der Männer zu entscheiden, welche sie bejahen und verneinen; man hat Euch gesagt, Ihr würdet an der einen Seite Männer sehen, welche auf Beförde- rung in der Armee hoffen, oder die auswärtigen Angele- genheiten verwalten wollen, Männer die mit den Mini- stern und ihren Agenten verbunden sind; auf der andern Seite den friedlichen, tugendhaften, unbekannten, von Ehrgeiz unberührten Bürger, welcher sein Glück und sein Daseyn im allgemeinen Glücke findet.“ „Ich will diesem Beispiele nicht nachahmen. — Ich glaube nicht daß Männer, welche der öffentlichen Sache als wahrhafte Waffenbrüder dienen sollen, sich wie feile Gladiatoren bekämpfen dürfen, durch Beschuldigungen und Ränke mit einander ringen dürfen, statt mit Einsicht und Talent, in der wechselseitigen Vernichtung straf- bare Erfolge suchen dürfen, die Tropäen eines Tages, die für jedermann und selbst für den Ruhm verderblich sind. Allein ich will Euch sagen: unter denjenigen, welche meine Lehre annehmen, werdet Ihr alle gemäßigten Männer finden, welche nicht glauben daß die Weisheit in den Ex- tremen bestehe, noch daß der Muth zu zerstören niemals dem Muthe wiederaufzubauen Platz machen dürfe; Ihr werdet dazu die Mehrzahl jener entschlossenen Bürger zäh- len, welche zu Anfang der Etats-généraux (denn so hieß damals die Nationalversammlung, als sie noch in den Windeln der Freiheit eingeschnürt lag) so viele Vorurtheile mit Füßen traten, so vielen Gefahren Trotz boten, so vie- len Widerstand besiegten, um in den Schooß der Gemei- nen zu gelangen, welchen diese Hingebung den Muth und die siegende Kraft gab, wovon der Erfolg Eure ruhmvolle Revolution gewesen ist; Ihr werdet dort jene Volkstribu- nen finden, welche die Nation noch lange, trotz des Ge- kläffes einer neidischen Mittelmäßigkeit, zu den Befreiern des Vaterlandes zählen wird. Ihr werdet dort Männer sehen, deren Name die Verläumdung entwaffnet und deren Ruf als Privatleute und öffentliche Charaktere auch den zügellosesten Libellisten vom Angriffe zurückschreckt; Män- ner endlich, welche ohne Makel, ohne Eigennutz, ohne Furcht bis zum Grabe stolz seyn werden, solche Freunde und solche Feinde gefunden zu haben.“ Mirabeau durfte es wagen nahe am Ziele seiner Rede sich auf die Basis seiner eigenen Verdienste selbstbewußt zu stellen, doch lenkt er ganz am Schlusse fein zu einem noch höheren Standpuncte jener Glücklichen ab, welche einen unbefleckten Privatcharakter mit hohem politischen Verdienst verbinden, wobei wohl jedermann zunächst auf Lafayette hinblickte, welcher es in dieser Frage treulich mit Mirabeau hielt. Diesem standen überall die Flecken seiner Jugend, das unordentliche Leben auch seiner reiferen Tage, das Mistrauen der Guten hemmend entgegen, und wie trübten sie auch diesen Triumph! Denn ein Triumph war es. Man ließ Barnave nicht wieder zu Worte: mit der größten Stimmenmehrheit, keine 50 in der Minori- tät, siegte Mirabeau, nur daß die Fassung seines An- trages der damals geltenden Ansicht etwas näher gebracht ward. Er lautete nun: „Das Recht über Krieg und Frie- den gehört der Nation; der Krieg kann allein durch einen Beschluß der Nationalversammlung erklärt werden, wel- cher auf den ausdrücklichen und nothwendigen Vorschlag des Königs gefaßt und von ihm sanctionirt ist.“ Mira- beau gab seine beiden Reden im Druck heraus und fügte Französische Revolution. 21 ein Schreiben an die Behörden der Departements hinzu, worin folgende Stellen zugleich die tiefe Bekümmerniß sei- nes Inneren aussprechen: „Meine Herren! So lange man bloß mein Privatleben verläumdet hat, habe ich ge- schwiegen, sey es weil ein strenges Schweigen eine Ab- büßung von rein persönlichen Fehlern ist, wie sehr sie auch zu entschuldigen seyn möchten, und weil ich die Achtung edler Männer allein von der Zeit und meinen Diensten er- wartete, sey es weil die Ruthe des öffentlichen Tadels, selbst von feindlichen Händen gebraucht, mir ehrwürdig erscheint; sey’s endlich und hauptsächlich, weil es mir stets ein engherziger Egoismus und ein lächerlicher Mis- griff däucht, seine Mitbürger von Dingen zu unterhalten, die sie am wenigsten interessiren.“ „Aber heute da man meine Grundsätze als öffentlicher Charakter angreift, heute da man in der Meinung, welche ich vertheidige, meinen sämmtlichen Meinungsgenossen den Krieg macht, kann ich mich nicht zurückziehen ohne ei- nen Ehrenposten zu verlassen, ohne, so zu sagen, das kostbare Unterpfand zu verletzen, welches mir anvertraut ist, und ich glaube derselben Nation, deren Interesse ich, wie meine Ankläger sagen, verrathe, eine besondere Re- chenschaft von meiner Meinung geben zu müssen, die man verunstaltet. Es reicht mir nicht hin daß die Nationalver- sammlung mich von dieser verhaßten Beschuldigung rein gewaschen hat, indem sie fast einstimmig mein System annahm; ich muß auch noch von dem Tribunal gerichtet werden, dessen Unterthan und Organ der Gesetzgeber sel- ber ist. Dieses Urtheil ist um so wichtiger als ich, den man bis dahin zu den nützlichen Volkstribunen zählte, dem Volk um so strengere Rechenschaft schuldig bin. Dieses Urtheil ist selbst um so nothwendiger, weil es sich davon handelt, über die Principien sich auszusprechen, welche die wahre Theo- rie der Freiheit von der falschen unterscheiden, ihre wah- ren Apostel von den falschen Aposteln, die Freunde des Volks von seinen Verderbern; denn das Volk hat in einer freien Verfassung auch seinen Hofhalt, seine Schmarozer, seine Schmeichler, seine Schranzen, seine Sklaven.“ Mirabeau’s Schluß ist: „Das sind die wahren Freunde des Volks, welche es belehren daß den Bewegungen, welche uns nöthig waren um aus dem Nichts hervorzu- gehen, friedliche Organisationen folgen müssen; daß man dem Mistrauen ein Ende machen, den elenden Schutt hin- wegschaffen und unter der Mitwirkung aller Willen zum Wiederaufbau schreiten muß; daß es Zeit ist, endlich aus dem Zustande der rechtmäßigen Insurrection zu dem dauer- haften Frieden einer gesellschaftlichen Ordnung überzu- gehen, und daß man keineswegs allein durch dieselben Mittel die Freiheit bewahrt, durch welche sie erobert ist.“ Die unparteiische Geschichte wird den Werth dieser Grundsätze darum nicht geringer anschlagen, weil sie aus einer Feder flossen, welche damals schon dem Cabinet ge- heime Zusagen gemacht hatte. Dasmal war der kaiserliche Gesandte Graf von Mercy der Vermittler, wieder durch den 21* Grafen Lamark; an der anderen Seite stand diesesmal ein- leitend die Königin. Seit dem März dauerte die Unterhand- lung, am 10ten Mai gab Mirabeau seine Zusage. Er ver- pflichtete sich den wahren Interessen der Monarchie mit sei- nem ganzen Ansehn zu dienen, da er den Gedanken nicht er- trage, nur zu einer großen Zerstörung geholfen zu haben. Es genügt, um in seinen Sinn einzugehen, daß Alles, wozu er sich verpflichtete, auf der Grundlage dieses Satzes beruht: „Ich erkläre dem Könige daß ich eine Gegenrevolution für eben so gefährlich und verbrecherisch halte, wie ich von der anderen Seite für chimärisch jede Hoffnung und jeden Plan halte in Frankreich eine Regierung zu begründen, deren Haupt der nothwendigen Gewalt ermangelt dem Gesetze eine kräftige Vollziehung zu geben.“ Ludwig antwortete, er habe von jeher nur eine gesetzlich beschränkte Macht ge- wünscht. Dreiundvierzig Noten wurden seitdem zwischen dem Königspaare und Mirabeau gewechselt, einige Mi- nister ins Vertrauen gezogen, und Ende Mai erlangte Mirabeau eine geheime Unterredung mit der Königin in einem der königlichen Gärten. Beim Abschiede erbat er sich die Hand der Königin zum Kusse und rief: „Madame, die Monarchie ist gerettet.“ Sein Geist sprühte damals von Entwürfen und Hoffnungen: „Die Königin, schrieb er, ist der einzige Mann, den der König um sich hat.“ 8. Die letzten Stuͤtzen des Thrones weichen. Bei der Würdigung von Mirabeau’s nunmehriger Stellung zu der Krone kommt es wenig darauf an, wie große Summen der große Staatsmann empfangen hat, er der sein Verhältniß gegen Vertraute treffend mit den Worten bezeichnete: „Man kauft mich, aber ich verkaufe mich nicht.“ Der König bezahlte an ihm keinen feilen Helfer, der sein besseres Bewußtseyn um des Eigennutzes willen verläugnete, er belohnte in ihm einen Mann, der bessere Rathschläge ertheilte, als seine öffentlich be- zahlten Minister im Stande waren. Gewiß ist es ehren- voller einen Jahrgehalt nicht anzunehmen, zu welchem man sich nicht vor aller Welt bekennen darf, und hier stoßen wir auf das Verhängniß, welches sich überall an dieses Mannes Fersen klammert, daß er nun und nimmer zu einer völlig reinen Lebenslage gelangen kann. Was fruchteten ihm die 18 Livres Diäten, die seit Kurzem je- dem Abgeordneten bewilligt waren? In des Königs Hand lag allein die Macht, ihn als einen völlig Gesunden gerade aufzurichten, sich zu ihm als seinem Rathgeber öffent- lich zu bekennen, allein der König war einmal keines festen Entschlusses fähig, geschweige denn eines solchen, wel- chem ein Decret der Nationalversammlung, so wenig es ihn verpflichtete, im Wege stand. Mirabeau hat sich mit der Königin nur zweimal im Geheimen verabredet, hat den König einmal vielleicht, am 8ten Januar 1790; vielleicht kein einziges Mal gesprochen. Seine Aufgabe ist, schrei- bend, immer wieder schreibend, Vorurtheile zu bekämpfen, Muth einzusprechen, der Willenlosigkeit Kraft einzuimpfen. Noch eine Schwierigkeit! Während Mirabeau im Ver- trauen der Königin starke Fortschritte macht, fängt der König an Lafayette’s Rath einzuholen, dieses grundred- lichen Mannes, aber dessen eines Auge stets auf Amerika, das andere auf Frankreich ruht, der mithin Alles schief sieht und die Misgriffe der Nationalversammlung für ge- diegenes Gold hält. Aber auch die Königin, die den La- fayette einmal nicht leiden kann, machte ihrem Berather vollauf zu schaffen. Wie muß er sie beständig warnen: „Ja keine Gardes-du-corps wieder! Vertrauen allein zu solchen Königsfreunden, welche Freunde freier Verfassung sind! Ja kein Zusammenstecken mit den Ausgewanderten, diesen falschen verderblichen Freunden!“ von welchen wirklich ein Theil damals schon mit dem Plane umging, nach einer gelungenen Gegenrevolution den König durch das pariser Parlament entsetzen zu lassen, weil er an der Krone gefrevelt durch einen eben so unverständigen wie verderblichen Verzicht auf ihre angestammten Rechte. Mi- rabeau’s Thätigkeit war ungeheuer, man möchte sie über- menschlich nennen. Nach den Sitzungen der Nationalver- sammlung sah derselbe späte Abend ihn oft bei den Jaco- binern und dann wieder in einem andern Club jüngster Stiftung, in welchem Männer sich trafen, die neuerdings für gemäßigt galten. Sieyes war der erste Präsident; La- fayette, Talleyrand, Röderer, mit Mirabeau näher ver- bunden, Bailly, Le Chapelier, der in der Frage über Krieg und Frieden sich an Mirabeau schloß, Dupont de Nemours nahmen Theil; man nannte sich den Club von 1789. Dazu die nimmer ruhenden Liebesabenteuer des Mannes, seine Vergnügungen, wie seine Arbeiten, über- schwänglich. Ein böses Augenübel hielt ihn eine Reihe von Tagen von der Nationalversammlung entfernt, doch sah man ihn am 11ten Junius wieder, Franklins Tod verkündigend. Seinem Antrage, dem großen Manne, der den Blitz und die Tyrannen bändigte, für welchen die dankbaren Bürger der vierzehn Freistaaten zwei Monate lang Trauer trugen, eine dreitägige Trauer in der Versamm- lung zu widmen, begegnete allgemeiner Beifall. Wer nur machte Mirabeau nicht zu schaffen? Endlich mußte er noch für seinen eigenen Bruder auftreten. Dieser, von Natur unerträglich heftig, verwickelte sich mit jedem Tage mehr in eine unhaltbare Gegnerschaft. Er war Malteser, hatte in Amerika tapfere Dienste gethan, aber für die National- versammlung taugten seine drohenden, aristokratischen Redensarten nicht. Ein einziges Mal rüstete er sich auf eine förmliche Rede, da schrieb ihm der alte Vater: „Wenn man einen Bruder in der Nationalversammlung hat wie Ihr, und ein Mann ist wie Ihr, dann läßt man seinen Bruder sprechen und schweigt still.“ Jetzt vernahm er, auch sein Regiment sey von der Neuerung ergriffen, mehrere Officiere wären von den Soldaten als Aristokraten verjagt; sogleich reiste er ab, um Ord- nung zu stiften, trieb es hier aber so gewaltthätig, daß er kaum mit dem Leben davon kam, und eine mißliche Untersuchung schwebte über seinem Haupte. Sein Bru- der ehrte das Versprechen, welches er dem Oheim ge- geben hatte, niemals die politischen Zwiste in Familien- feindschaft ausbrechen zu lassen, und nahm sich des be- drängten Vicomte insoweit an daß er jeden Rechtsschutz, welcher dem Abgeordneten der Nation zustand, für ihn erlangte. Allein die Anklage war nicht abzuwenden und der jüngere Mirabeau wanderte nach Deutschland aus, wo er mit den Emigranten rüstete, aber bald am Schlage 15. Sept. 1792. gestorben ist. Jetzt aber kam der Tag, da die Art an die Wurzel von Geistlichkeit und Adel gelegt ward. Beides mis- billigte Mirabeau und beides sah er sich außer Stand zu verhindern, fühlte auch durchaus keine Neigung in sich, seine Popularität an die Beschützung von Gebäu- den zu setzen, welche der Strom der öffentlichen Mei- nung unterwühlt hatte. Und dennoch steht das Erb- königthum, von keiner erblichen Aristokratie umkleidet, wie ein nackter, viel umstürmter Thurm auf weiter Ebene da, dessen Baustyl niemand so leicht begreift. In Be- zug auf die Geistlichkeit hätte Mirabeau gewünscht, daß man sie in Ruhe lasse. Niemand sah klarer als er vor- aus, welche Folgen es haben werde, wenn der Gedanke, die Geistlichen ganz in die bürgerlichen Beamten einzu- reihen, sie mithin von den Wählern der Districte wäh- len zu lassen, zur Ausführung käme. Man drängte da- durch den König auf einen Punct hin, auf welchem auch die Schwachen stark zu seyn pflegen; denn er konnte von nun an nicht mehr mit unbeschwertem Gewissen die Constitution annehmen. Man ließ ihm die Wahl zwi- schen der Krone und seinem Glauben; gab er leicht ge- sinnt der Krone den Vorzug, treu konnte er einer Ver- fassung nicht seyn, die ihn untreu gegen sich selbst ge- macht hatte. Allein das war doch nur die kleinere Hälfte der Gefahr. Wenn Decrete der Nationalversamm- lung die römischkatholische Kirchenverfassung in die Luft sprengten, so hieß das nicht bloß das neue Frankreich vollends isoliren in der Staatengesellschaft, es hieß zu der politischen Entzweiung einen unabsehlichen Streit religiöser Überzeugungen fügen, hieß nach manchen An- zeichen das Signal zum bürgerlichen Kriege geben. Hier den Kampf für die Kirchenverfassung aufzunehmen, zu warnen vor dem Abgrunde, welchem man entgegenging, wäre auch eines von kirchlichen Überzeugungen unberühr- ten Staatsmannes würdig gewesen. Mirabeau betrach- tete diese Fragen, wahrscheinlich mit Recht, als schon entschieden, sobald sie nur in der Nationalversammlung aufgenommen würden, und vermied die Sitzungen, in welchen über Geistlichkeit und Adel berathschlagt ward. Das Decret der Nationalversammlung über den Adel Juni 20. lautete: „Die Nationalversammlung beschließt daß der Erbadel für immer in Frankreich abgeschafft ist; daß folg- lich die Titel marquis, chevalier, écuyer, comte, vi- comte, messire, prince, baron, vidame, noble, duc, und alle andere ähnliche Titel weder von jemand, wer es auch sey, gegeben, noch angenommen werden kön- nen; daß jeder Bürger allein seinen wahren Familien- namen führen darf; daß niemand seine Dienerschaft Livreien darf tragen lassen, noch Wappen führen darf; daß der Weihrauch allein zu Ehren der Gottheit in den Tempeln flammen soll, und niemanden, wer es auch sey, darf angeboten werden; daß die Titel monseigneur und messeigneurs weder einer Körperschaft noch einem Individuum ferner gegeben werden dürfen, eben so we- nig die Titel excellence, altesse, éminence, gran- deur .“ Doch werden im Verfolg des Decrets die öffent- lichen Denkmäler und Urkunden, welche solche verbotene Titel tragen möchten, ausdrücklich in Schutz genommen, auch soll die Vollziehung, was namentlich Livreien und Wappen betrifft, bis zum 14ten Julius für Paris aus- stehen und drei Monate für die Provinzen, und Aus- länder sollen nicht davon betroffen werden. So stand der König, schon seit länger aus einem König von Frank- reich in einen König der Franzosen verwandelt, mit sei- nem Sire und seiner Majestät ganz vereinzelt da. We- nig fehlte so hätte er unlängst auf einen Antrag Pé- tions auch das „von Gottes Gnaden“ verloren, ohne die Bemerkung Mirabeau’s: „Diese Worte enthalten eine der Gottheit erwiesene Huldigung, welche alle Völ- ker der Welt ihr schuldig sind.“ Was Mirabeau über die ganze Neuerung dachte, verhehlt er seinem Freunde Mauvillon nicht: „Ich denke gerade wie Sie in Hin- sicht der Titel, Livreien u. s. w. Nichts unmöglicher als die Gewalt der Erinnerungen aus den Herzen der Menschen herauszureißen; der wahre Adel ist in diesem Sinne eine eben so unzerstörbare als geheiligte Sache. Die Formen werden wechseln, die Verehrung wird blei- ben. Laß jedermann gleich vor dem Gesetze seyn, jedes Monopol, besonders jedes sittliche, verschwinde; alles Übrige ist Eitelkeit, dahin oder dorthin verlegt.“ Als die Zeitungsschreiber ihre Lust daran hatten ihn nun nach seinem Geschlechtsnamen Riquetti den Älteren zu nennen, sprach er: „Ihr habt Europa vier Tage lang mit Eurem Riquetti irre gemacht!“ Aber Camille Des- moulins ließ es sich nicht nehmen, die Königin jetzt in seinem Blatte die Frau des Königs und den Kö- nig selbst gelegentlich den Ältesten der Capets zu nennen. Die Gunst der öffentlichen Meinung stand der Na- tionalversammlung fast unbedingt zur Seite. Fielen grobe Ruhestörungen vor, die Franzosen glaubten das Böse mit dem Guten hinnehmen zu müssen und bauten auf die Hülfe der Versammlung und des Königs. Das frohe Selbstgefühl eines freier aufathmenden Volks entfal- tete seine Schwingen. Man will sich die schönen jüngst errungenen Güter der Selbständigkeit um keinen Preis entreißen lassen. Die Nationalgarden mehrerer Städte leisten sich wechselseitig Bundeseide auf treue Verthei- digung der Verfassung und des Königs; sie verbrüdern sich zu demselben Zwecke mit den Linientruppen, erneuern gemeinsam den Bürgereid. Man fühlt sich in guten Vor- sätzen gestärkt, aber es scheint nicht genug damit gethan, die Gedanken wachsen, man möchte aus diesen Bun- desvereinen einen allgemeinen Verein, der das ganze Vaterland umfaßt, einen Gesammtbund auf gleiche Grund- sätze hervorgehn sehen. Das aber kann allein würdig in Paris geschehen; im Angesicht der Nationalversamm- lung und des Königs müssen die Abgeordneten aller Vereine sich zum großen Bunde zusammenschließen, seine Gelübde beschwören, sein Fest feiern; der Tag darf kein anderer als der Jahrestag des 14ten Julius seyn, wel- cher die Bastille fallen sah. Der Maire Bailly trat an Juni 5. der Spitze einer Deputation des Gemeinderathes an die Schranken der Nationalversammlung; sein Antrag auf ein Bundesfest des französischen Volks ward mit Be- geisterung begrüßt. Zu den Vorbereitungen kommt die ganze Hauptstadt in Bewegung; auf dem Marsfelde soll die große Eidesleistung seyn, man braucht 150,000 Erd- arbeiter, um hier die Grundlagen des gewaltigen Am- phitheaters zu errichten, dessen Spuren man noch heute dort erkennt. Denn unzählige frohe Menschen sollen hier beisammen Platz finden. Da greift Alles zum Spa- ten und zur Hacke, alle Stände mischen sich, man sieht Mönche und Pfarrer graben, vornehme Frauen nehmen Theil, in langen Zügen kommt man aus den benach- barten Dörfern mit fröhlicher Musik herbei. Selbst der König, der seit seiner Übersiedelung zum augenschein- lichen Nachtheile seiner Gesundheit weder ausritt noch jagte, sich kaum blicken ließ, kam um zuzusehen und frohe Miene zu machen. Nun die Erwartung der Fö- derirten. Ihrer werden viele, über 16000 seyn, von jedem Regiment vier alte Krieger, einen Officier an der Spitze, von je 200 Mann Nationalgarden ein Abgeord- neter. Zu ihrer gastlichen Aufnahme läßt sich einschrei- ben wer Raum und wer keinen hat. Endlich kommt der Tag des Festes, aber mit ihm Regen ohne Unter- Juli 14. laß. Nichtsdestoweniger harren auf dem Marsfelde seit früh um sechs Uhr 300,000 Franzosen jedes Alters und Geschlechtes, sitzend, stehend, auf den Zug, der sich langsam vom fernen Bastilleplatze heranbewegt. Unter- dessen weiden sie sich an dem Anblicke des Altars des Vaterlandes, der inmitten des Marsfeldes hoch ansteigt, deuten seine Sinnbilder, besprechen seine Inschriften. Vor der Militärschule erhebt sich über den amphitheatralischen Stufen der Königsthron mit seinem Baldachin, rechts un- mittelbar neben demselben findet in gleicher Höhe der Sessel des Präsidenten der Nationalversammlung seinen Platz, zu beiden Seiten werden die Mitglieder Platz neh- men. Gern wäre Mirabeau zur Zeit dieses Festes Prä- sident gewesen und er verbarg es nicht, aber Lafayette war seiner Wahl entgegen und widerstand selbst dem Zu- reden des Königspaares. Wollte er, den der König für diesen Tag zum Oberbefehlshaber der gesammten bewaff- neten Macht in der Hauptstadt ernannt hatte, durch keine Größe verdunkelt werden? oder war seine Meinung auf- richtig, wenn er erklärte, an diesem Tage dürfe nur ein durchaus unbescholtener Mann die erste Stelle in der Na- tion einnehmen? Genug er beharrte und die Nationalver- sammlung erwählte den Marquis de Bonnay, einen ach- tungswürdigen gemäßigten Mann, am 5ten Julius zum Präsidenten. Schon aber langen, es ist neun Uhr, die ersten Abtheilungen des endlosen Zuges an, man sieht die Föderirten departementsweise geschaart, alle in Waffen. So wie sie eintreten, stellen sie ihre Gewehre zur Pyra- mide zusammen; um den gewaltiger strömenden Regen froher zu ertragen, umtanzt jedes Departement seine Waffenpyramide und die Zuschauer klatschen Beifall von oben. Nun aber verkünden Kanonenschüsse den Anfang der Feier, und jedes Departement stellt sich rasch geordnet um seine Pyramide. Man erblickt jetzt den Altar des Va- terlandes umgeben von 300 Geistlichen, und sieht diese unwillkürlich darauf an daß sie seit vorgestern zu bürger- lichen Beamten gemacht sind, welche nach den Gebräuchen der ursprünglichen Kirche vom Volk erwählt werden sollen, doch bemerkt man weiter keine Veränderung an ihnen als daß ihre weißen Meßgewänder mit dreifarbigen Bändern verziert sind. Nun wird Hochamt gehalten, hierauf Fah- nenweihe. Im Angesichte der Oriflamme von Frankreich, einer neu verfertigten Reichsfahne, die den altehrwür- digen Namen trägt, spricht Bischof Talleyrand von Autun den Segen über die Paniere der 83 Departements, wel- chen drei Millionen französische Nationalgarden folgen werden. Jetzt empfängt Lafayette aus den Händen des Königs die Formel des zu leistenden Bundeseides. Er steigt die Stufen des Altars hinan, legt seinen Degen ab, giebt mit einer Fahne das Zeichen und spricht die Eides- worte: „Wir schwören, für immer der Nation, dem Ge- setz, dem Könige getreu zu seyn und mit allen Kräften die von der Nationalversammlung beschlossene und von dem Könige genehmigte Verfassung aufrecht zu halten, nach Vorschrift der Gesetze die Sicherheit der Personen und des Eigenthums, den freien Verkehr mit Getraide und Lebens- mitteln im Innern des Königreiches, die Erhebung der öffentlichen Abgaben ohne Unterschied zu beschützen, und in unauflöslichen Banden der Verbrüderung mit allen Franzosen zu leben;“ und die unermeßliche Menge oben und unten, Volk, Nationalgarden, Soldaten rufen: „wir schwören,“ kriegerische Instrumente und Kanonen fallen ein und in demselben Augenblicke bricht die Sonne durch das schwere Gewölk. Der Präsident der National- versammlung spricht, vor seinem Sessel stehend, densel- ben Eid, und alle Mitglieder der Nationalversammlung wiederholen ihn. Zuletzt der König vom Throne; er er- hob seine Hand gegen den Altar und sprach mit lauter Stimme: „Ich, König der Franzosen, schwöre, die ganze Gewalt, welche mir durch das Verfassungsgesetz des Staates übertragen ist, anzuwenden, um die von der Na- tionalversammlung beschlossene und von mir angenommene Verfassung aufrecht zu halten und die Gesetze ausführen zu lassen.“ Während des allgemeinen Jubels erhub die Königin, welche eine Loge an der Militärschule einnahm, den Dauphin auf ihren Armen. Den Schluß machte ein Tedeum um sechs Uhr Abends; es knüpften sich aber noch einige festliche Tage an. Und die große Mehrzahl der Bundesbrüder brachte eine fröhliche und gute Stimmung in ihre Departements zurück, nicht zur Freude der dema- gogischen Schriftsteller der Hauptstadt, welche gegen diese Eintracht wütheten. Camille Desmoulins, der sich in seinem mit Talent geschriebenen Tagesblatte unverhohlen den Generalprocurator der Laterne nannte, ermahnte, die Laterne in Ehren zu halten, dieses Kriegsgesetz der Na- tion, für Verbrecher gegen die Nation bestimmt, nicht zur Bestrafung von Dieben herabzuwürdigen. Der junge häßliche Marat drängte in einer Flugschrift: „Es ist aus mit uns,“ eine Unzahl von Verschwörungen auf wenig Seiten zusammen, schalt den König, weil er seinen Eid nicht am Altar geleistet, verlangte die Einsperrung der Österreicherin und ihres Schwagers, hieß Lafayette einen Verräther, der die eiteln und blinden Pariser National- garden durch Schmeicheleien ködre, nannte es eine kläg- liche Menschlichkeit sich zu scheuen fünf- bis sechshundert Köpfe springen zu lassen; man werde diese Empfindsam- keit mit dem Blute von Millionen Brüdern bezahlen müs- sen. In seinem Blatte, dem Volksfreund, verlangte er 800 Galgen und daß Riquetti der Ältere zuerst gehängt werde. Wenn solch ein Giftpfeil abgeschossen war, pflegte dann der Schütze für einige Tage zu verschwinden, und Polizei und Gerichte fragten vergeblich nach dem Arzte Marat. Die ernstlichsten Besorgnisse erweckte das Heerwesen und diese waren durch das große Bundesfest merklich ge- steigert. Es lag Alles daran daß die Linienregimenter ih- ren Beruf nicht mit dem der Nationalgarden verwechselten. Man war aber auf den Weg dazu schon durch die Verbrü- derungen, die gemeinsam beschworenen Bürgereide in den Departements gerathen. Die Aufhebung des Adels führte einen großen Schritt weiter, die Gemeinen fingen an ihre adlichen Officiere als Männer zu betrachten, die durch ein altes Unrecht, einen jetzt glücklich überwundenen Mis- brauch zu ihren Stellen gelangt waren; zu betrachten und Französische Revolution. 22 allgemach auch zu behandeln: man verschwieg sich nicht daß im Dienste, daß in der Cassenführung Vieles anders werden müsse. Nun kam das pariser Fest, an welchem die 1200 Mann deputirte Linientruppen neben den 15000 deputirten Nationalgarden fast verschwanden. Der Sol- dat erschien sich hier als solcher klein, um so rascher lernte er sich als Bürger begreifen, Casernenvereine, Casernen- berathschlagungen stiften. Seitdem war die Macht der Officiere gelähmt, unzählige Widersetzlichkeiten erfolgten, Aug. 6. ein Decret der Nationalversammlung, welches diese Ver- eine aufhob, brachte die Flamme des Aufruhrs in Nancy zum Ausbruch. Die ganze Besatzung, aus drei Regimen- tern bestehend, empörte sich; der General Bouillé, ein kühner Krieger und ein Ehrenmann, der die Revolution nicht liebte, aber den Verfassungseid, einmal geleistet, Aug. 31. halten wollte, mußte in die Festung mit stürmender Hand eindringen und durch ein Blutvergießen dem Gesetze den Sieg verschaffen. Mirabeau stützte kräftig die Meinung, daß die Nationalversammlung ihren Dank gegen den Heerführer und seine Truppen ausspreche, und drang durch; er auch sprach kühn den Vorschlag aus, das alte Heer aufzulösen und sogleich ein neues wieder zu bilden, dessen Mitglieder einen Eid schwören sollen, in welchem die Nationalversammlung die Pflichten des Soldaten mit Klarheit niederlegen wird. Dieser Antrag hatte keine Folge. In den nächsten Tagen trat Necker ab; entmuthigt, von körperlichen Anstrengungen und Seelenleiden nieder- gedrückt, zuletzt sogar für seine persönliche Sicherheit in Sorgen, nahm und empfing er seinen Abschied. Ein freund- Sept. 4. liches Wort, er gesteht es selbst, hätte ihn zum Bleiben bewogen, allein die Nationalversammlung schien seinen Abgang kaum zu beachten. Zweimal auf seiner Reise an- gehalten, gleich als ob er der Gerechtigkeit entrinnen wolle, er der zwei Millionen von seinem Vermögen dem Schatze geliehen hatte, bedurfte er der Dazwischenkunft der Nationalversammlung, um unter vielfachen Kränkun- gen in die Schweiz zu gelangen. Neckers politische Lauf- bahn ist hiemit zu Ende. Seine Zurückgezogenheit stützte ein reines Gewissen und eine nie getrübte, in seiner Schriftstellerei durchweg ausgeprägte wunderbare Selbst- zufriedenheit mit allen seinen staatsmännischen Leistungen. „Malebranche,“ sprach Mirabeau, „sieht Alles in Gott, Necker Alles in Necker.“ Was Neckern zunächst forttrieb, war die obschwebende finanzielle Frage. Man hatte bereits 330 Millionen As- signaten ausgegeben und beschlossen sie auf 400 Millionen zu bringen. Wollte man auf diesem Wege fortfahren, so mußte man denjenigen Recht geben, welche zwei Milliar- den Assignaten forderten. Necker war keineswegs dieser Meinung; er bewies daß man mit 200 Millionen neuer Assignaten die Bedürfnisse des öffentlichen Dienstes decken könne, rieth hier anzuhalten, alle rückständige Verbind- lichkeiten mit Schuldscheinen zu 5 Procent verzinslich zu bestreiten. Schon verloren in den Departements die As- 22* signaten, obgleich sie dem Inhaber zu Ende jedes Jahres mit 3 Procent verzinst wurden, 6 bis 10 Procent und das baare Geld ward so selten, daß man in manchen Städten sich mit Scheinen, auf geringe Werthe lautend, aushalf, um nur im täglichen Verkehr sich auseinander- setzen zu können. Denn die kleinste Assignate betrug noch immer 200 Livres. Nichtsdestoweniger verlangte Mira- beau: man soll die Assignaten dreist vermehren, mit den- selben die öffentlichen Verbindlichkeiten tilgen, zu gleicher Zeit aber dem Papiergelde durch den Verkauf sämmtlicher Nationalgüter eine solide Grundlage geben; denn alle der- gestalt zurückströmenden Assignaten sollen sofort vernichtet werden. Er mußte es in der Debatte oft genug hören, daß er in früheren Schriften gegen alles Papiergeld geeifert, es „die umlaufende Pest“ genannt hatte. Allein mit ihm hielten es alle diejenigen, welche in dem Verkaufe der Na- tionalgüter, „dieses Brautschatzes der Revolution,“ eine Gewährleistung ihres Bestandes vermöge des Gesammt- interesses aller Käufer erblickten, darum die Verkäufe mög- lichst beschleunigt und durch die Zerstückelung der Güter- massen die Zahl der freien Grundbesitzer Frankreichs ver- mehrt zu sehen wünschten. Die Debatte, durch Bittschrif- ten Für und Wider aus den Departements mannigfach ge- kreuzt, ging durch den Monat September, die Stimmen theilten sich dasmal nicht in gewohnter Weise; am leb- haftesten sprach im Sinne der alten Staatsordnung der Abbé Maury, am einsichtigsten Talleyrand aus Finanz- gründen gegen Mirabeau. Aber weder Mirabeau noch Talleyrand stand dabei im Grunde recht auf eigenen Füßen; jener folgte den Anschlägen seines Vertrauten Clavière, ei- nes vertriebenen Genfers, welcher sich damals durch Schriften und Ausarbeitungen im Sinne der neuen Ord- nung der Dinge den Weg zum künftigen französischen Fi- nanzminister bahnte; Talleyrand dagegen hatte sich von dem Banquier Panchaud einschulen lassen, der, wie es auch mit seiner Integrität als Kaufmann stehen mochte, eine tiefe praktische Einsicht in die Finanzen besaß. Am Ende freilich löste sich der Kampf, auf dessen Ausgang ganz Frankreich gespannt war, so ziemlich in einen Wort- streit auf. Man ging auf beiden Wegen, sowohl dem der Anleihen als dem des Papiergeldes, dem Staatsban- kerutt unvermeidlich entgegen, so lange man kein Mittel ausfand, den Gehorsam im Volke wiederherzustellen, welcher der Quell aller Steuerzahlung ist. Jene patrio- tische Steuer, von welcher man sich Wunder versprochen, ging etwa vom vierten Theile der Gemeinden ein. Der Beschluß der Nationalversammlung fiel mit schwacher Mehr- heit (508 gegen 423 Stimmen) dahin aus, die Assignaten Sept. 29. von 400 auf 1200 Millionen, alle unverzinslich, zu brin- gen. Zinsen werden fortan auch von den ersten 400 nicht Oct. 8. mehr bezahlt, und die kleinste Assignate kommt auf 50 Li- vres zu stehen. Mit den 1200 Millionen aber will man nun auch ganz gewiß es genug seyn lassen. Einer der Kunstgriffe der Aufwiegler war, alle Un- ruhen und Widersetzlichkeiten, wovon die Nachricht ein- ging, der Untüchtigkeit oder dem übeln Willen der Mini- ster des Königs aufzubürden. Während die Krone in Machtlosigkeit versank, verlangte man daß die Minister als die Anstifter des öffentlichen Unglücks in den Anklage- stand versetzt würden. Paris hatte so eben statt der neuen Eintheilung in 60 Districte eine allerneueste in 48 Sectio- nen erhalten, und eine ihr entsprechende Municipalität or- ganisirte sich, als die Sectionen den Entschluß faßten, der Nationalversammlung die Ministeranklage aus Herz zu legen. Weigerte sich auch Bailly, der ungeachtet mancher Gegnerschaft wieder erwählte Maire, diesen Auftrag zu vertreten, er durfte die lästige Pflicht nicht ablehnen, die Abgesandten der Sectionen an die Schranken der Versamm- Nov. 10. lung zu führen. Ihr Redner war Danton, eben noch ein dunkler Advocat, jetzt als Miterstürmer der Bastille, Vor- sitzender des Cordeliersdistricts allgenannt; seine athle- tische Figur, seine Medusenaugen in dem breiten von Blattern besprengten Gesichte, diese aufgeworfenen Nüstern und Lippen, die Schildhalter anmuthloser Zuversichtlich- keit, verkündigten den angehenden Mirabeau des gemei- nen Mannes. Er las seine Bittschrift mit ungeheurer Heftigkeit, eine so rauhe dröhnende Stimme hatte diese Wände noch nicht erschüttert, und sein Vortrag enthielt vulcanische Ausbrüche einer bisher unerhörten Staats- weisheit. „Ganz Frankreich hatte Grund zu glauben daß die Minister eine Entlassung einreichen würden, welche die Nationalversammlung das Recht hat nach ihrem Gut- dünken zu fordern.“ — „Wer hat das je behauptet?“ unterbrach Maury, aber Cazalès hieß ihn schweigen mit den Worten: „Man muß Alles hören, auch die politi- schen Abgeschmacktheiten;“ man will das politische Wun- derthier ausreden lassen. Nun folgt ein Schlagsatz dem andern: „Die Pariser Commune ist mehr im Stande als jede andere, das Betragen der Minister zu würdigen; denn sie besteht aus Bürgern, die gewissermaßen allen 83 Depar- tements angehören, sie ist die erste Schildwache der Con- stitution und sie ist es, welche die schnelle, die unmittel- bare Entfernung der Minister begehrt.“ Er zählt die Ver- gehen derselben auf. Champion der Siegelbewahrer hat den Text mehrerer Decrete der Nationalversammlung ver- fälscht — „Das ist nicht wahr“ rufen mehrere Stimmen dazwischen. — Guignard hat seine Politik im Divan ge- lernt, mit seinem Damascener bedroht er die Köpfe der Patrioten, will 6000 königliche Haustruppen bilden, ohne daß die Nationalversammlung darum gefragt ist. De la Tour-du-Pin ist unfähig jedes Entschlusses, aber Feind der Revolution, denn er hält seine Pergamente und seine Eitelkeit für den wahren Adel — und in diesem Tone bis zu Ende fort. Die Versammlung ging zwar in Bezug auf den Antrag in der nächsten Sitzung zur Tagesordnung über, aber die in der Adresse gefallenen Worte: „Die Gemeine hat das Recht ihren Verdacht auch ohne Beweise auszusprechen“ und „es muß sogleich ein Gerichtshof für die Verbrechen der verletzten Nation errichtet werden“ wu- cherten in den Gemüthern der Menge, und diesen Philo- sophen des nackten Willens, welcher, die Gewalt der Fäuste im Hinterhalt, keiner Gründe mehr bedarf, war die Ehre der Sitzung zu Theil geworden. Auch gingen die Minister allmählig von selbst ab bis auf den minder ge- tadelten Montmorin; aber der König sollte doch nun ein- mal Minister haben, und wenig fehlte so hätte er in sei- ner Apathie dem albernen Rathe Bergasse’s nachgegeben, die Nationalversammlung um Bezeichnung derselben zu bitten, wäre nicht Mirabeau dazwischen getreten. Das Jahr 1790 endigte überaus traurig für den Kö- nig; denn das Werk, dessen Grund man am 12ten Ju- lius legte, ward am 27sten November vollendet, die neue Juli 12. Verfassung der Geistlichkeit. An jenem ersten Tage ward beschlossen: In jedem Departement soll ein Bischof seyn, zehn Erzbisthümer im ganzen Königreiche: die Wahl der Bischöfe und der Pfarrer geschieht nach dem Muster der ursprünglichen Kirche durch das Volk nach Stimmenmehr- heit: alle Kirchendiener werden aus dem königlichen Schatze besoldet, ohne daß Accidenzien stattfinden. Man rechnete aber, daß diese Besoldungen insgesammt, die Jahr- gelder der Mönche und Nonnen mit eingeschlossen, nur die Hälfte der bisherigen Einkünfte der Geistlichkeit ver- zehren würden. Diese Neuerungen drangen tief in die Kirchenverfassung ein, allein es schien nicht ganz unmöglich, die Zulassung des Papstes für sie zu gewinnen, Pius VI. , der dem Kaiser Joseph in verwandter Richtung zwar we- nig zugestanden, aber Vieles nachgesehen hatte. Allein als Ludwig seine schmerzliche Genehmigung zögernd gege- Aug. 24. ben hatte und nun den Papst beschwor ihm in diesem grau- samen Drange zu Hülfe zu kommen, entgegnete Pius: „Seine Majestät wolle nicht glauben daß ein rein politi- scher Körper die allgemeine Lehre und Zucht der Kirche verändern könne, Beschlüsse fassen könne wegen der Wahl der Bischöfe oder wegen Aufhebung bischöflicher Sitze. Ferne sey es daß Seine Majestät ihr ewiges Heil daran wage oder das Heil ihrer Völker, mittelst einer voreiligen Genehmigung zum Ärgernisse der ganzen katholischen Welt. Hat der König den Rechten seiner Krone entsagen können, so darf doch keine Rücksicht ihn verleiten, seine Pflicht gegen Gott und die Kirche zu opfern, deren ältester Sohn er ist.“ Diese Worte, sorgsam verheimlicht, lasteten darum nicht minder schwer auf des Königs Gemüthe. Nun kam das Decret vom 27sten November. Jeder Geistliche, der sey’s ein Kirchenamt, sey’s ein Schulamt verwaltet, soll den Eid leisten: „Ich schwöre mit Sorgfalt für die Gläubigen zu wachen, deren Leitung mir anvertraut ist; ich schwöre der Nation treu zu seyn, dem Gesetze und dem Könige; ich schwöre mit aller meiner Macht die französische Consti- tution aufrecht zu erhalten und namentlich die Decrete, welche die bürgerliche Verfassung der Geistlichkeit an- gehen.“ Wer diesen Eid in gewisser Frist nicht leistet, hat sein Kirchenamt verwirkt. Das hieß einen harten Zwang auf die Gewissen legen, so lange die päpstliche Bestätigung fehlte, und wohl hätte dem Könige, ganz anders überzeugt wie er war, sein Gewissen sagen können, der Augenblick sey gekommen, da die irdische Krone ge- opfert werden müsse, um die ewige zu erlangen. Papst Pius wünschte nichts mehr, als eine muthige Erklärung des Königs durch einen Blitz vom Vatican unterstützen zu können. Allein der König that nichts weiter als daß er seine Genehmigung hinausschob. Das hatte drei Wochen Dec. 23. gedauert, da schickte die Nationalversammlung ihren Präsi- denten zum Könige, bat ihn die Gründe seiner Zögerung anzugeben. Ludwig erwiderte, seine Achtung gegen die Religion sey die Ursache, nicht minder sein Wunsch (auf Unterhandlungen mit Rom hindeutend) die Unruhen zu vermeiden, welche der neuen Ordnung drohten. Der Prä- sident mußte noch einmal zurückkehren und nun gab Lud- Dec. 26. wig nach. Seitdem sah er kein Heil mehr, wünschte Frankreichs Gränze im Rücken zu haben. Noch machte der Bischof von Clermont einen Versuch, schlug die Eidesformel vor: „Ich schwöre der Nation, dem Gesetze und dem Könige treu zu seyn und mit meiner ganzen Macht in Allem was der Staatsordnung gemäß ist die von der Nationalversammlung decretirte und vom Könige angenommene Verfassung aufrecht zu halten, mit ausdrücklicher Ausnahme derjenigen Gegenstände, welche wesentlich von der geistlichen Autorität abhängen;“ es gelang ihm nicht, und über ein Drittel der geistlichen Mit- glieder der Nationalversammlung leistete den vorgeschriebe- nen Eid, unter ihnen Talleyrand und Gregoire. Am 4ten Januar war die gesetzte Frist abgelaufen und der nament- 1791. liche Aufruf aller Mitglieder der Nationalversammlung geistlichen Standes, welche den Eid noch nicht geleistet, trat auf den Antrag Barnave’s ein. Aber hier folgte eine Weigerung der anderen, nur ein einziger Pfarrer schwur. Und es machte großen Eindruck in ganz Frankreich als man vernahm, so manchem Bischof, so vielen Pfarrern habe ihre kirchliche Überzeugung mehr als ihr Kirchenamt ge- golten. Seitdem war in Frankreich eine Menge von geist- lichen Stellen unbesetzt und man unterschied zwischen be- eidigten und unbeeidigten Priestern, welche letzteren nun nicht länger für Priester gelten sollten, aber in den Augen der Gläubigen um so mehr dafür galten. An diesem De- cret schliff der Bürgerkrieg seine Waffen. Denn wie lange wird es dauern, so theilt sich Frankreich in zwei Parteien, die eine sprechend: „Weg mit einer Freiheit, die uns un- ser ewiges Heil, unsere Kirche nimmt,“ die andere da- gegen: „Wir sind frei und glücklich, weg mit einer Kirche, die uns diese himmlischen Güter rauben will; uns bleibt der Gott, der die Welt geschaffen hat, der Gott der Frei- heit.“ Bischof Talleyrand weihte die neuen Bischöfe, machte dann von der ihm angeborenen feinen Witterung Gebrauch und trat mit raschem Sprunge aus dem gefähr- lichen geistlichen Stande hinüber in die Weltlichkeit. Febr. Mirabeau erkannte vollkommen die Tiefe des Ab- grundes, welchen die Nationalversammlung durch die Be- schlüsse über die Geistlichkeit unter ihren Füßen eröffnete. Das zeigt ein Brief von ihm vom 27sten Januar. „Das ist eine neue Wunde und die giftigste von allen; sie wird den Brand vollends in die vielen Schwären bringen, von welchen unser politischer Körper zernagt, zerfressen und aufgelöst wird. Wir hatten uns einen König im Bilde gemacht, einen König ohne Macht, einen gesetzgebenden Körper, der verwaltet, der untersucht, der richtet, der belohnt, der straft, der Alles thut, außer was er thun sollte. Nun aber stellen wir die kirchliche Spaltung an die Seite der politischen; wir hatten noch nicht Widersetzlich- keiten genug, wir schaffen uns neue nach Lust, nicht Ge- fahren genug, wir rufen die allerschlimmsten hervor, nicht Verlegenheiten genug, wir schaffen uns die unentwirrbar- sten; das kann das Ende von Allem herbeiführen, wenn die Versammlung nicht bald müde wird den Anarchisten zu gehorchen.“ Derselbe Mirabeau aber erkannte, wohin die Woge der öffentlichen Meinung unaufhaltsam gehe, und machte sich wider innere Überzeugung zum Genossen Barnave’s, um seinen Einfluß in der Versammlung zu behaupten. Allerdings ging bei hoher Ehrfurcht gegen die Religion, welche Mirabeau in seinen Reden nie verläug- net, die Freiheit seiner Ansicht, der bestehenden Kirchen- ordnung gegenüber, weit. Wir finden in seinem Nach- lasse eine ausführliche, völlig ausgearbeitete Rede gegen den Cölibat der Priester. Allein wenn er diese gleich, um die Stürme der Zeit nicht zu vermehren, zurückhielt, so wagte er von der anderen Seite nicht mit seiner wahren Ansicht herauszutreten. Denn innerlich war er der Mei- nung, die er auch vor Vertrauten kundgab, dem Staate sey genug geschehen, wenn es bei dem gewöhnlichen Bür- gereide bleibe, welchen die geistlichen Mitglieder der Na- tionalversammlung bereits geleistet hatten, und er billigte weder das öffentliche Aufsehn des Namensaufrufes, noch überhaupt daß man zu einem Thun wider die Überzeu- gung zwinge oder eine Unterlassung durch Entsetzung strafe. Aber seine Einsicht blieb thatlos. Das Einzige, was er vollbrachte, war eine Maßregel, die der drohenden Ver- ödung so vieler Kirchenämter vorbeugen sollte; denn die Nationalversammlung genehmigte auf seinen Vorschlag, daß von nun an ein fünfjähriger Kirchendienst, statt eines fünfzehnjährigen, zum Pfarramte befähigen sollte und nach Verhältniß so weiter in den höheren Kirchenwürden. Soll man nun Mirabeau’s ganzes Treiben, seit er den Bund mit der Krone geschlossen, als eine Handlungs- weise betrachten, die ihr eigenes Werk zerstört? und sie verurtheilen als das Zeugniß einer Gesinnung voll inneren unlauteren Widerspruches? Ganz gewiß muß man das Erste bis zu einem gewissen Puncte, aber schwerlich darf man Letzteres. Der Schlüssel liegt nahe genug; wer ihn aber brauchen will, darf das innerste Wollen dieses wun- derbaren Mannes nicht mit seiner Lage vermengen, er muß beide aus einander zu halten wissen, so oft sie auch in einander greifen. Kein Zweifel, diese nach Macht und Ruhm dürstende Seele hatte ein hohes Ziel im Sinne. Die Nachwelt sollte von ihm sagen: „Er hat, um Frank- reich frei zu machen, die Ordnung erschüttert, Frankreich ist frei! und derselbe Mann hat die Ordnung wieder her- gestellt; er hat die Flecken einer wüsten Jugend durch ein unsterbliches Werk seines Mannesalters abgewaschen.“ Allein das Werk, im Übermuthe des Selbstgefühls be- gonnen, will sich nicht vollenden, jene entstellenden Flecken weichen nicht: zuerst schließt ihn sein Ruf von der höch- sten Stelle hart am Throne, die seinem Genie gebührte, aus, hierauf ein unsinniger Beschluß der Nationalver- sammlung. Nichtsdestoweniger ist er der Rath des Kö- nigspaares geworden, allein sein Rath ringt hier mit ei- ner Unschlüssigkeit, welche stets neue Recepte verlangt ohne den bittern Trank je anzurühren, und wird von ihr besiegt; draußen aber nennt man ihn einen Verräther an der Freiheit, sobald er Mäßigung predigt, denn man ahnt sein Verhältniß zum Hofe. So krankte er in der letz- ten Zeit, von der Unhaltbarkeit seiner doppelsinnigen Lage gepeinigt, schwerer als je an seinem Rufe. Zu einem Ab- geordneten sprach er: „Ich weiß schon, Sie lieben mich nicht; ich sage mehr, Sie achten mich nicht.“ Zu einem Vertrauten sprach er: „Ach wenn ich in die Revolution einen Ruf gebracht hätte, ähnlich dem von Malesherbes, welche Zukunft hätte ich meinem Lande gesichert! welch einen Ruhm an meinen Namen geknüpft!“ Allein sein stolzer Geist raffte sich immer wieder auf. Eine Unsterb- lichkeit sollen ihm seine Widersacher nicht rauben, den Ruhm, der Freiheit einen Boden gegeben zu haben, in Frankreich und durch Frankreich in Europa, — denn er blickte gern hinaus auf die ganze bürgerliche Gesellschaft im Welttheile. Der träge Ballast des Mittelalters ist fort- geschafft, das Lehnswesen unwiederbringlich vernichtet, frei der Boden des Landmanns und sein Geschäft; auch an die Veraltungen des Kirchenthums ist die Art gelegt, keine Staatsreligion mehr, keine Herrschaft Roms über den Staat. So trieb er vor aller Welt Augen das Werk der Neugestaltung weiter, sinniger freilich als die Andern der linken Seite, aber doch wirklich während er im Ver- borgenen sich zur Wiederherstellung der Ordnung an Men- schen verpfändet hat, die in seiner Ordnung stets nur Un- ordnung erblicken werden. Hätte er also wirklich den Kö- nig getäuscht? oder beide Theile? Vor dem König, der Königin und Montmorin wollte er Ruhe haben, wenn er gelegentlich sagte, er stelle diese Dinge an, damit sich die Nationalversammlung ihr eigenes Grab grabe. Denn das war nicht der Fall; er achtete aufrichtig die rasche Besei- tigung morscher Zustände für ein hohes Verdienst um die Zukunft, obgleich er, wäre ihm freie Hand gegeben, die Masse der Streitfragen, welche Frankreich isoliren muß- ten, nicht so gehäuft haben würde. Aber so viele Vor- würfe auch gegen ihn ausgesprochen sind, dessen hat ihn niemand noch zu beschuldigen gewagt, die Rathschläge, welche er dem Königshause gab, wären nicht ehrlich, wä- ren nicht zweckmäßig gewesen. Damals kreuzte sich eine Menge von Planen für die Errettung des Königthums. Der vormalige Minister Bre- teuil war in die Schweiz ausgewandert. Er wandte sich von Solothurn durch eine Mittelsperson (Oct. 1790) an die Königin. Der König soll heimlich Paris verlassen, sich in eine Festung werfen, welche der treue Bouillé ihm angeben wird. Dort wählt er sich seine Minister, spricht von dort die Grundlagen der künftigen Staatsordnung aus und bietet sie an. Im Nothfalle werden fremde Mächte zu dem Gelingen durch Truppen mitwirken, und Breteuil un- ternimmt es, sie günstig dafür zu stimmen; der Ausgewan- derten aber soll man sich so wenig als möglich bedienen. Breteuil meinte es aufrichtig mit dem Könige, ohne seine eigene Zukunft, wenn er der Retter wäre, darüber zu ver- gessen. Denn nicht ohne Eifersucht vernahm er daß Herr von Calonne in Turin angekommen sey, wo der Graf von Artois mit vielen Ausgewanderten unter dem Schutze der sardinischen Regierung lebte. Breteuil sah voraus daß Calonne nicht ruhen werde, bis er sich die Palme zuge- wendet hätte. Wirklich heckte man auch dort einen Ret- tungsplan aus, dessen Grundlage die Überzeugung war, ganz Frankreich harre sehnsüchtig auf die Rückkehr seiner Ausgewanderten, mit Ausnahme einer kleinen Zahl ver- stockter Bösewichter. Alles soll von Lyon aus geschehen, wo man Einverständnisse hat, wo der Commandant gewonnen ist: der König soll sich dahin begeben, die zweite Stadt des Königreiches wird von nun an die erste seyn. Allein Ludwig verwarf diesen Plan und ließ den Prinzen verbieten ihn zu verfolgen; er hatte bereits Schritte in der Richtung Breteuils gethan, Anfang December an den Kaiser und andere Mächte geschrieben, ließ den Bouillé erforschen. Dieser nun hatte einen dritten Entwurf fertig. Nichts hier von geheimer, immer gefährlicher, immer herabwürdigender Flucht. Bouillé schließt sich an die Lage der auswärtigen Angelegenheiten an. Durch die Decrete vom 5ten August 1789 sehen sich verschiedene deutsche Fürsten, weltliche und geistliche, in ihren Interessen ver- letzt. Kann der Kaiser bewogen werden eine drohende Demonstration zu machen, ein Truppencorps an der fran- zösischen Gränze zusammenzuziehen, so ist eine Gegenrü- stung Frankreichs die nothwendige Folge davon. Bouillé wird Sorge tragen die getreuesten Regimenter zu versam- meln. Die Truppen werden sich alsdann die Gegenwart des Königs erbitten, die Behörden des Departements, in welchem Bouillé den Befehl hat und beliebt ist, sind leicht vermocht ein Gleiches bei der Nationalversammlung zu thun, und in dieser kann ja der König auf Unterstützung zählen; Bouillé stand nämlich im Geheimniß der Verbin- dung mit Mirabeau. Ist das aber so weit gelungen, so kann das Weitere kaum fehlen: der König wird, von Truppen die ihn lieben, welchen er vertraut, umgeben, als Friedensstifter auftreten. Auch dieser Plan hatte seine Französische Revolution. 23 Schwächen, sein Gelingen hing von zwei Gewalten ab, von dem Auslande und von der Nationalversammlung, aber er hatte den unermeßlichen Vorzug, den König nicht zu verwickeln und seine Thatkraft erst in Anspruch zu neh- men, wenn keine Wahl mehr bleibt. Inzwischen erklärte sich Bouillé bereit auch zur Ausführung des Breteuilschen Anschlages zu helfen, ohne ihm darum mehr zu vertrauen. Einen vierten Plan bildete Mirabeau im Februar 1791 Jan. 29 bis Febr. 13. aus, wunderbar genug gerade zu der Zeit, da er Prä- sident der Nationalversammlung war. Er bekleidet diese Würde zum ersten Male, denn Eifersucht und Mistrauen sind Ursache daß man ihn bei 42 Wahlen übergangen hat, aber keine Präsidentur ist mit solcher Sicherheit und Geschicklichkeit, mit solcher Achtung gegen die Versamm- lung und zugleich so Achtung gebietend geführt als die dreiundvierzigste. Mirabeau’s Plan war: Man muß eine Auflösung der Nationalversammlung bewirken, indem sie von den Departements aus gefordert wird. Dahin bringt man es, indem man unter dem Vorwande, die Einthei- lung des Königreichs in Departements, Districte, Can- tons völlig ins Leben zu rufen, aller Orten hin königliche Commissarien absendet; diese müssen die Gemüther dafür stimmen und daß die neuen Wahlen einsichtig geschehen. Die neue Versammlung unterwirft die Verfassung einer Revision, deren Grundlagen sind: die Theilung des ge- setzgebenden Körpers in zwei Kammern, das absolute Veto des Königs und sein Recht die zwei Kammern auf- zulösen. Ferner: laut der von der Nationalversammlung beliebten Verfassung darf der König keinen Beamten sus- pendiren ohne die Nationalversammlung davon zu benach- richtigen, und diese hat das Recht die Suspension zu ver- werfen oder zu bestätigen; das muß ein Ende haben; die Regierung muß wieder zur Regierung gelangen, indem die Verwaltungsbehörden in den Departements und die Municipalitäten unter die wirkliche Aufsicht des Königs und seiner verantwortlichen Minister treten; eben so die Nationalgarde. Dagegen bleiben die Resultate des 5ten August unangetastet, aber bloß der dritte Theil der Gü- ter der Geistlichkeit wird für die Bedürfnisse des Staats verwendet. Dieser Entwurf ward von Mirabeau in einer nächtlichen Zusammenkunft mitgetheilt, welche bei dem Febr. Minister Montmorin stattfand. Man kennt das Geheim- niß (durch Droz) aus ungedruckten Memoiren Malouets, welcher zugegen war. Man blieb von 10 bis 2 Uhr bei- sammen. Mirabeau war damals krank und matt; ein Fie- ber nöthigte ihn zwei Tage lang die Präsidentur abzutre- ten; man sah ihn diesen Abend mit entzündeten Augen sitzend, welche blutig unterlaufen aus ihren Höhlen tra- ten, allein die Gewalt seiner Beredsamkeit erfocht den ge- wohnten Sieg. Mirabeau enthüllte in dieser Unterredung nicht alle seine Geheimnisse. König und Königin kannten damals schon die Grundzüge seines Anschlags durch den Grafen Lamark; allein in der Unterhaltung mit diesem war der Königin ein Wort entfallen, welches Lamark auf 23* einen Abreiseplan deuten mußte, bei welchem man auf Bouillé rechne. Er verbarg seine Bestürzung, vertraute aber ihren Grund dem Freunde, der statt irre zu werden alsbald den Gedanken auffaßte, man müsse sich durch Bouillé verstärken. Auf seinen Antrieb theilte Lamark dem Königspaare mit, Mirabeau wünsche daß Bouillé seinen Plan kenne, er, der einzige General von Einfluß bei der Armee und der vielleicht mithelfen müsse. Somit erhält Lamark den Auftrag nach Metz zu Bouillé zu eilen. Dieser wird ganz gewonnen für einen Anschlag, welcher die Vor- theile seines und des Breteuilschen Entwurfes vereinigt, ohne an ihren Gebrechen zu kranken, schreibt dem Könige, er möge sich an Mirabeau halten, diesen Mann durch jede Gunst an sich fesseln. Ein Versuch, welchen gleichzei- tig Mirabeau auf Lafayette machte, ob er ihn für seine Entwürfe gewinnen könne, scheiterte. Lafayette traute nicht, man ging entfremdeter aus einander als man ge- kommen war. Um so größer aber Mirabeau’s Freude über das Gelingen Lamarks; er sah Hoffnungen mit Erfüllung gekrönt, die er kaum mehr genährt hatte. Mit verjüngter Kraft stemmte er sich der Anarchie entgegen. Die alten Tanten des Königs fühlten sich in Frankreich nicht mehr zu Hause, seit die Decrete über die Geistlichkeit sie in ih- rer gewohnten Andacht beunruhigten, beeidigte Priester vorschrieben; sie wollten den vaterländischen Boden je eher je lieber verlassen, nahmen eine Reise nach Italien zum Vorwande. Mirabeau hätte diese Reise gern verhindert, die in einem Augenblicke, da Alles darauf ankam dem Kö- nige Popularität zu gewinnen, störend dazwischen trat: allein was bedeutet für Tanten die Politik? er richtete nichts aus. Was er aber vorhergesagt hatte, traf ein. Die Damen wurden unterwegs angehalten. Nun blieb Febr. 19. Mirabeau fest dabei, es gebe kein Gesetz, welches der Reise der Prinzessinnen entgegenstünde, das Wohl des Volks aber gebiete die Beobachtung der Gesetze — und dem geschah so. Bald hernach aber wollte man die Aus- wanderung verboten wissen. Mirabeau erklärte ein Gesetz über die Auswanderungen für unausführbar. Er ersuchte die Versammlung, eine Stelle eines Schreibens anhören zu wollen, welches er an den König von Preußen bei sei- ner Thronbesteigung gerichtet habe; in derselben bittet er den unumschränkten Herrscher, seine Unterthanen allein durch das Glück, welches sie genießen, an seinen Staat zu fesseln, keineswegs durch ein tyrannisches Verbot der Auswanderung. Ein Theil der Versammlung, ohne sei- nen allgemeinen Grundsatz zu bekämpfen, wollte die Lage der Gegenwart in Erwägung gezogen wissen und schlug vor, einen Ausschuß von drei Mitgliedern zu bestellen, der über jeden einzelnen Fall mit dictatorischer Gewalt entscheiden solle. Hierauf Mirabeau: „Wohl, so nennet das nicht ein Gesetz über die Auswanderungen was eine polizeiliche Maßregel seyn würde. Ohne Zweifel steht eine solche in Eurer Macht. Aber daraus daß Ihr sie ergreifen könnet, folgt noch nicht daß Ihr es thun sollet. Ihr sollt es nicht, denn sie ist unausführbar.“ Er sprach weiter: „Ich er- kläre mich für entbunden von jedem Eide der Treue gegen diejenigen, welche die Ehrlosigkeit begingen, ein dictatori- sches Comité zu ernennen. Die Popularität, um welche ich mich beworben und welche ich die Ehre gehabt habe zu genießen wie nur irgend jemand sonst, ist kein schwa- ches Schilfrohr; ich will sie tief in die Erde pflanzen, daß sie Wurzel schlage auf dem unerschütterlichen Boden von Vernunft und Freiheit. Wenn Ihr ein Gesetz gegen die Febr. 28. Auswanderer gebt, schwöre ich ihm niemals zu gehorchen.“ Diese Worte sind berühmt geworden, obgleich sie ihr Ziel übersprangen, und vielleicht eben darum. Aber so erging es dem großen Redner öfter und besonders in seiner letzten Zeit. Denn an dieser stehen wir, seine Tage sind gezählt. Es fügte sich daß der König in den ersten Tagen des März erkrankte. „Was kümmert uns,“ schrieb Camille Desmoulins in seinem Blatte, „der Schnupfen vom Äl- testen der Capets!“ War es nun daß das körperliche Mis- gefühl seine morschen Entschlüsse überwältigte, kaum ge- März 15. nesen schrieb Ludwig einen Brief an Bouillé: alle frühere Verabredung ist darin rein vergessen, er will fort, flüch- ten mit seiner Familie, vor Ende April muß Alles dazu bereit seyn. Die Kunde dieser Abtrünnigkeit erreichte den Mirabeau nicht mehr. Damals litt er schon an heftigen Anfällen von Schmerzen der Eingeweide, die ihm doch nicht verboten sich immer wieder aufzuraffen. Vom 20sten bis zum 27sten März ward über die Bergwerke debattirt. Mirabeau verfocht mit ungemeiner Lebhaftigkeit das Prin- cip der Oberaufsicht des Staates oder, wie man damals sagen mußte, der Nation auf den Bergbau, infofern näm- lich daß die Bearbeitung wirklich stattfinde und in keinen Raubbau ausarte, allein er verfocht das Näherrecht des Besitzers von Grund und Boden gegen den Anspruch des Entdeckers des Bergwerks. Er ist in dieser Angelegenheit fünfmal aufgetreten und immer mit der ihm eigenthümlichen sprühenden Gluth, welche jeden Widerstand vertilgt, das letzte Mal am 27sten. Als er an diesem Tage in die Sitzung ging, sprach er bei seinem Lamark vor, der bei dem Aus- gange als Bergwerkbesitzer mit seinem Vermögen interessirt war. Er blieb dort eine volle Stunde bewußtlos auf dem Sopha liegen, fuhr dann in die Sitzung, hielt seine Rede über die Minen, und kehrte mit dem Gefühle tödtlicher Er- schöpfung nach Hause. Der Kranke pflegte den Grund sei- nes Übels vom Februar 1788 zu leiten, da ihn was er cho- lera-morbus nannte befallen habe; er habe das Leben von zehn kräftigen Menschen in sich getragen, von da an sey er aus dem Sommer in seinen Herbst getreten. Seine Augen- leiden schrieb er dem feuchten Local in den Sälen des Reit- hauses zu. An demselben 27sten, da er seine letzte Rede hielt, wollte er noch das italiänische Theater besuchen, man sah ihn schwanken, er mußte am Eingange umkehren. Der Ruf von Mirabeau’s Fähigkeiten war unermeßlich, weit größer als seine Popularität. Es war so angenommen daß für ihn das einfältige Wort „unmöglich,“ wie er selbst es nannte, nicht gelte, alle großen Dinge gingen auf seinen Namen; der Fuhrmann nannte sein Stangenpferd, welches die schwerste Arbeit thun muß, seinen Mirabeau. Auf die Nachricht von seiner Krankheit füllte sich die Straße in der er wohnte ( rue de la chaussée d’Antin ) mit Volk: die Menge trug Sorge an beiden Seiten seines Hauses ab- zusperren, damit das Geräusch der Wagen ihn nicht störe. Aber man wollte von seinem Befinden wissen und es reichte nicht hin schriftliche Nachricht bei dem Pförtner niederzu- legen, man mußte die Bulletins drucken lassen. Der König schickte ein Paar Mal des Tages ganz öffentlich. Der Ja- cobinerclub, dessen Präsident Mirabeau letzten Winter eine Weile gewesen war, schickte eine Deputation, an deren Spitze Barnave stand. Der Kranke konnte sie nicht sehen, doch sprach er als er vernahm, Alexander Lameth habe sich ausgeschlossen: „ich kannte ihn bisher als einen Aufwieg- ler, aber noch nicht als einen Narren.“ Mirabeau ließ bei seinen Leiden den Gang der Nationalversammlung nie aus den Augen, sprach gern von den auswärtigen Angelegen- heiten, besonders von den geheimen Entwürfen Englands: „Dieser Pitt ist der Minister der Vorbereitungen; er re- giert durch das was er droht mehr als durch das was er thut. Hätte ich gelebt, ich glaube, ich hätte ihm Verdruß gemacht.“ Um ihn waren außer seinem Arzte Cabanis und seiner Schwester Madame Le Saillant gewöhnlich seine Freunde Lamark und Frochot. Als er zu Letzterem sagte: „Ich habe Schulden, deren Größe ich nicht kenne, auch mein Vermögen kenne ich nicht,“ übernahm Lamark die Ausrichtung derjenigen Legate, welche sein Vermögen übersteigen möchten. Die letzte Arbeit dieses Mannes, den seine eigenen Angelegenheiten so wenig angingen, war eine Rede über die Vererbungen und Einsetzungen durch Testa- ment, ein Gegenstand, dessen Grund der berühmte Rechts- gelehrte Merlin, Deputirter von Douay, gelegt hat: Die Vererbung soll künftighin nicht mehr verschiedenartig nach Provinzen, sondern nach einem durchstehenden Grundsatze geregelt seyn; der Vorzug der Erstgeburt und des Mannes- stammes fällt weg, und so lange das Vermögen in directer Linie bleibt, wird das Verfügungsrecht sehr beschränkt seyn. Am Morgen vor seinem Todestage hörte man Kanonen- schüsse. Der Kranke fuhr auf und rief: „Fängt sie schon an, die Leichenfeier des Achilles?“ Den Morgen darauf am 2ten April, ganz frühe, sprach er zu Cabanis: „Mein Freund, ich sterbe heute;“ er wollte aufstehen, sich zum letzten Male ankleiden lassen, aber vermochte es nicht. Da ließ er sein Bette nah an das Fenster tragen, sah in seinen Garten hinaus in den Sonnenschein. Hier war eine Ab- theilung von seinem Bataillon Nationalgarden aufgestellt, dessen Befehlshaber er seit Kurzem geworden war. Lange sprach er dann mit den Freunden, besonders über die Zu- kunft von Frankreich. Hier fielen die Worte: „Ich trage in meinem Herzen die Todtentrauer der Monarchie; die Aufrührer werden sich in ihre Trümmer theilen.“ Noch kam Talleyrand, um den Sterbenden zu sehen, und die so lange unterbrochene freundschaftliche Verbindung knüpfte sich für wenige Momente wieder. Ihm übergab Mirabeau jene letzte Ausarbeitung. Bald darauf verlor er die Sprache. Als die Schmer- zen furchtbar wuchsen, schrieb er sein Verlangen auf, daß man der unnützen Qual ein Ende durch Opium machen möge. Ein besänftigendes Mittel ward gerade zubereitet, als ein gewaltiger Krampf ihn durchzuckte und tödtete, um † April 2. 9¾ Uhr Morgens, im 42sten Jahre seines Lebens. Die Nationalversammlung beschloß dem Leichenbegäng- nisse Mirabeau’s in ihrer Gesammtheit beizuwohnen. Man wird die Leiche in der Kirche der heiligen Genoveva beisetzen und hier sollen künftig die Leichen großer Männer ruhen. Gleich am Todestage verlas Talleyrand in der Versammlung das hinterlassene Werk des Verstorbenen. Die Behörden des Departements und der Stadt, nicht minder der Jacobinerclub widmeten ihm eine achttägige Trauer. Alle Minister, außer Einem, Duportail, der ein beißendes Wort Mirabeau’s nicht verschmerzen konnte, sah man im Gefolge der Leiche. Drittes Buch. Der Übergang zur Republik. 1. Der Koͤnig fluͤchtig, gefangen, suspen- dirt, wieder angestellt. Am Tage nach der königlichen Bestätigung des Eides der Geistlichkeit ließ Marat folgenden Brief an den König gedruckt ausgehen: „Sire, Wären Sie als einfacher Bürger geboren, so würden Sie vielleicht verdienen auf Ihr Wort geglaubt zu wer- den; allein, geboren auf einem Throne, mit allen Ge- brechen Ihrer Erziehung, und nach sechsunddreißig an dem verderbtesten Hofe von Europa verlebten Jahren, von einer wedelnden Dienerschaft umkrochen, durch heil- lose Minister und treulose Hofleute zum Verbrechen ange- leitet und von Ihrer Familie zur fortwährenden Aufleh- nung gegen Ihre Pflichten verführt: welches Vertrauen können Ihre Versicherungen von Anhänglichkeit und Treue gegen das Vaterland da noch einflößen? Mögen Ihre fei- len Agenten Beifall solchen Betheurungen klatschen, und Ihre leichtgläubigen Mitbürger einen albernen Chor dazu singen, das ist in der Ordnung; aber schmeicheln Sie sich nicht mit der Hoffnung, hellsehende Patrioten zu blen- den. In deren Augen gehören Sie den Despoten an. „Das ist die Albernheit der Könige, sich für Wesen höherer Natur als andere Menschen zu halten; ihre Thor- heit geht bis zu der Anmaßung, daß der Himmel sie ge- schaffen habe um zu befehlen, ihr Leben in Müssiggang, Prunk und Üppigkeit zu verbringen. Sie hören so oft sich die unumschränkten Herren der Erde nennen, daß sie es am Ende glauben, ihre Landsleute für Sclaven halten, ge- boren um ihren Vergnügungen zu fröhnen, für verächt- liche Wesen, die sie ihren Launen ungestraft opfern dürfen. „Soll ich von ihren Neigungen reden? Eine nur zu traurige Erfahrung hat uns belehrt daß ein unersättlicher Durst nach Macht jedes andere Gefühl in ihrer Brust er- stickt. Wer wüßte nicht daß die Moral der Könige ihnen eine Pflicht aus der Hinterlist macht, aus der Lüge, dem Betrug, der Treulosigkeit, dem Verrath, dem Todtschlag, der Giftmischerei und dem Elternmorde, sobald es die Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer angemaßten Herr- schaft gilt. Die Missethaten der Könige bilden den In- halt der Geschichte, und die tiefe Herabwürdigung fast aller Völker der Erde giebt den schlagenden Beweis dieser entsetzlichen Wahrheit. „Antworten Sie mir, sechzehnter Ludwig; was ha- ben Sie bis jetzt gethan, um vom Himmel das Wunder- werk zu verdienen daß er Ihre Seele vor der Ansteckung jener Bösewichter, von welchen Sie umringt und belagert sind, behüten, daß er Ihnen Licht und Tugend verleihen sollte, um über ihre höllischen Lehren zu triumphiren? Glauben Sie ja nicht, daß ich hier die unumstößlichen Grundsätze in Anwendung bringen will, welche den Phi- losophen befähigen, Gericht über Könige zu halten: Nein, aus Ihrer Vergangenheit richte ich Sie; ich richte Sie nach Ihnen selber. „Reden Sie, welches Vertrauen können wir dem Worte, den Versicherungen, den Eiden eines Königs schenken, der die Nation allein zu dem Zwecke versammelt, daß sie den Abgrund, welchen die Verschleuderungen sei- ner Minister, der Prinzen des Hauses, seiner Günstlinge und der übrigen Hofschurken höhlten, ausfüllen möge? eines Königs, der die Nationalversammlung aufzulösen suchte, sobald nur sein Wille einigen Widerstand erfuhr? eines Königs, welcher mit kaltem Blute sechs Wochen lang an der Ausführung des höllischen Planes arbeitete, die Hauptstadt in Blut und Flammen zu setzen, lediglich um ihre unglücklichen Einwohner für die hochherzige Un- terstützung zu bestrafen, welche sie den Repräsentanten der Nation gegen die Angriffe des Despotismus zu versprechen schienen? eines Königs, der diese seine furchtbaren Ent- würfe nur dann aufgab, als das Volk zu den Waffen griff, um sich selbst sein Recht zu verschaffen? eines Kö- nigs, welcher mit Verachtung seiner feierlichen Eide, fast in demselben Augenblicke, da sein großmüthiges Volk ihm verziehen hat, sein Ohr den treulosen Rathschlägen seines Hofes leihend, eine neue Verschwörung gegen sein frei gewordenes Volk anspinnt? eines Königs, der sein Flehn um Verzeihung vergessend, sobald er sich wieder mächtig glaubt, wieder im Tone des Herrn zu reden wagte, An- stalt zur Niedermetzelung der Unzufriedenen machte, auf den Fall aber daß das Glück ihm nicht günstig wäre, zum Entrinnen? eines Königs, welcher genöthigt zum zweiten Mal um Gnade zu bitten kaum seine Verzeihung erlangt hatte, als er auch wieder Ränke spann? eines Königs, der für die unzähligen Anklagen gegen seine tausendfach verrätherischen und pflichtvergessenen Minister stets sein Ohr verschloß? eines Königs, der statt sie mit Schmach bedeckt fortzujagen, sie unter das Obdach seines Schutzes stellte, gleich als ob er selbst der Urheber aller ihrer schreck- lichen Complotte wäre, und der zu ihrer Entlassung erst dann seine Einwilligung gab als das Volk mit Geschrei ihre schuldigen Köpfe forderte? „Sehen Sie da das treue Gemälde Ihres Verhaltens seit achtzehn Monaten. Seyn Sie also Ihr eigener Rich- ter und sagen Sie uns, wenn Sie den Muth haben, ob ein solcher König einen anderen Namen als den eines dummen Automaten oder eines treulosen Betrügers ver- dient! Und Sie reden uns von Ihrer Anhänglichkeit an die Constitution, und Sie erinnern uns an Ihren Eid treu dem Vaterlande zu seyn, und Sie reden uns von dem Bürgersinne Ihrer Frau, und Sie begehren von uns, wir sollen Ihrem Worte vertrauen? Ja wollte der Himmel daß wir Ihnen endlich glauben könnten! Aber könnten wir das, ohne uns selbst für Dummköpfe zu geben, ohne auf unsere Freiheit, unsere Ruhe, unser Glück zu verzich- ten, ohne unsere Freunde, Eltern, Brüder, Kinder, Wei- ber, ohne uns selbst zu opfern? Sire, Sie sind der Freund unserer Freiheit, wie Ihre Gattin die Freundin der Fran- zosen ist. Selbst der Ton, in welchem Sie sich darüber ausdrücken, muß Argwohn erwecken. Denn wie wäre es wohl der Würde eines Königs, dem nicht Verstellung zur Gewohnheit geworden ist, irgend angemessen uns zu sa- gen: „ich will offen und freimüthig mit Euch reden!“ Die Wahrheit, die Sie uns schuldig sind und uns verber- gen, wollen wir Ihnen sagen; haben Sie den Muth zu- zuhören und lernen Sie davon. „Ihre gegenwärtigen Minister sind Spitzbuben, treu- lose Verräther, wie ihre Vorgänger, auf deren Irrwegen sie fortgehen. Ein abscheuliches Complott ward seit eini- ger Zeit in Ihrem Cabinet gesponnen, man wollte die pa- triotischen Bürger ermorden und mit bewaffneter Hand Ihren Despotismus herstellen. Die bestochene Mehrzahl der Nationalversammlung, die Häupter des Heeres und der pariser Municipalität, alle Befehlshaber der Linien- truppen, Ihre Agenten und Trabanten rings im ganzen Königreiche legten Hand an für den günstigen Erfolg. Ihr Schwager der Österreicher und Ihre Mitbrüder, die Kö- nige von Spanien Neapel und Sardinien, zogen Truppen zu Ihrer Unterstützung zusammen. Die entflohenen Capets Französische Revolution. 24 sollten an der Spitze der verschworenen Unzufriedenen in unsere Provinzen zurückkehren; und Sie, Sire, die Sie einen Vorwand zur Entzündung des bürgerlichen Krieges, zum Blutvergießen und zum Umsturze der Constitution, deren Erhaltung Sie beschworen haben, suchten, fanden ihn in der Widersetzlichkeit der Geistlichkeit. Sie haben geduldet, daß diese ihre Beschwerden nach Rom ge- bracht, in der Hoffnung daß das Volk zu Gunsten ränke- süchtiger meuterischer Priester die Waffen ergreifen werde, damit der Fanatismus den Staat in Flammen setze und das Blut der Freiheitsfreunde durch die Hand von Ver- schwörern fließe. Der Himmel hat diesen abscheulichen Plan vereitelt, und erst nachdem Sie sein Mislingen nach allen Richtungen erfahren, willigen Sie in die Annahme des Decrets, welches die meuterischen Priester bändigen soll; Ihren hartnäckigen Widerstand aber beschönigen Sie mit dem lächerlichen Vorwande, man müsse den erhitzten Gemüthern Frist zur Beruhigung lassen, als ob nicht die- ser hartnäckige Widerstand gerade das Mittel wäre, sie zu einem verzweifelten Wagniß zu treiben und die Fackel des Krieges zu entzünden. „Wohlan, Sire, da sind sie in aller Reinheit diese abscheulichen Wahrheiten, welche aus Ihrem Munde nicht zu entschlüpfen wagten; ihre Bekanntmachung müßte Sie vor Schrecken erstarren machen. Möchten sie Ihre Stirn mit einer heiligen Röthe überziehen und Ihr von Bösewichtern umlagertes verführtes Herz zum Gefühle Ihrer Pflichten zurückrufen! Ihre Minister haben, indem sie Sie zum gelehrigen Werkzeuge ihrer Betrügereien machten, nur in ihrem gewöhnlichen Berufe gearbei- tet; ich aber erfülle die heiligste Pflicht, indem ich diese Betrügereien vor den unwilligen Augen des Publikums entschleiere. „Aber nein, die Nation will kein Urtheil fällen; sie vertraut sich aufs Neue Ihrem Worte, sie verzeichnet förmlich Ihre Zusicherungen, um über Ihren guten Glau- ben, über die Aufrichtigkeit Ihrer Eide aus dem Eifer zu entscheiden, mit welchem Sie die Züchtigung der Präla- ten betreiben werden, welche wagen möchten sich wider- spänstig gegen das von Ihnen genehmigte Decret zu be- weisen, jetzt noch wagen sollten den ihnen abzuverlan- genden Bürgereid zu verweigern oder zu verletzen. Sollte auch nur ein Einziger durch Ihre Nachlässigkeit ihn zu fahen und den Gerichten auszuliefern entrinnen, so gelten Sie, Sire, für einen Feind der öffentlichen Freiheit, für einen treubrüchigen Verschwörer, für den elendesten Mein- eidigen, für einen Fürsten ohne Ehre, ohne Scham, für den letzten der Menschen. Möge die Scheu, vor den Au- gen von ganz Europa mit Schmach bedeckt zu werden, Ihr Herz vor den Rathschlägen der Sie umgebenden Bösewich- ter verschließen: möge sie Ihnen ein Beweggrund seyn, diese von freien Stücken dem Schwerte der Gesetze zu überliefern! Tragen Sie endlich Scheu, die Wahrheit, welche sich Ihnen zu nahen wagt, zurückzustoßen. Auf 24* dieser neuen Probe beruht das Urtheil, welches Gegen- wart und Zukunft über Sie fällen werden.“ Paul Marat , der Volksfreund. Ein Paar Wochen nach Mirabeau’s Tode machte der König die Erfahrung daß seine Person unfreier als die April 18. des geringsten Franzosen sey. Er wollte auf einige Tage nach St. Cloud, um sein Gemüth und seine Gesundheit durch den ländlichen Aufenthalt, die Bewegung der Jagd zu erfrischen, die heilige Osterwoche in Stille mit un- beeidigten Priestern zu begehen; vielleicht auch geschah es, um einen Versuch zu machen, ob eine weitere Reise, öf- fentlich angestellt, ausführbar seyn möchte. Dieser Ver- such mislang. Der Verdacht der Flucht war verbreitet, vergeblich daß Lafayette und Bailly Alles aufboten, die aufgestellten Nationalgarden gehorchten nicht, und der wilde Danton führte sein Bataillon herbei, ohne irgend berufen zu seyn. Der König saß mit der Königin andert- halb Stunden im Wagen, unsäglichen Kränkungen aus- gesetzt, und mußte am Ende aussteigen, bleiben. La- fayette, tief gekränkt, reichte seine Entlassung ein; da gab es neue Versicherungen, neue Eide, und Lafayette be- April 25. hielt den Befehl. Um so ungeduldiger betrieb nun die Königin den Plan der geheimen Entweichung. Unter unzähligen Vorsichts- anstalten, Verabredungen mit Bouillé, Feststellungen und Umstellungen des Abreisetages kam man endlich auf den 21sten Junius überein. Glücklich gelang gegen Mitter- nacht den Vereinzelten die leise Entfernung aus den Tuil- lerien, durch einen Nebenausgang. Man ging Anfangs irre, fand sich aber wieder zusammen und athmete auf als man in einem Miethwagen, dessen Kutscher Graf Fersen, ein Schwede in französischen Kriegsdiensten, war, unbe- hindert durch die Barriere an die Station von Bondy kam, wo ein vierspänniger Reisewagen wartete. Man schlug den Weg nach der Festung Montmedy ein; hier wollte der Monarch, von treuen Truppen geschützt, seine Frei- heit wiederfinden. In derselben Nacht aber reiste Mon- sieur in anderer Richtung der Gränze zu und erreichte glück- lich Brüssel. Es ward acht Uhr Morgens ehe man in Pa- Juni 21. ris vernahm was über Nacht geschehen sey. Da entstand ein gewaltiges Strömen des Volks, besonders zu den Tuillerien, man sah Pikenmänner darunter. Tiefgekränkt fühlte sich Lafayette; er hatte kürzlich den König wegen der umlaufenden Gerüchte gefragt, und zur Antwort er- halten: „Kein Gedanke an eine Entfernung,“ worauf der General sich mit seinem Kopfe gegen die Nationalver- sammlung verbürgte daß nichts dergleichen im Werke sey. Jetzt besprach er sich schleunig mit Bailly und Alexander Beauharnais, derzeit Präsidenten der Nationalversamm- lung, und vernahm aus Beider Munde die Versicherung: solle Frankreich die Schrecken eines Bürgerkrieges vermei- den, so müsse man den König anhalten auf seiner Flucht. Einen der fliehen will anhalten heißt aber ihn verhaften. Verhaftet man Könige? Lafayette nahm die Verantwort- lichkeit der That auf sich, und ehe noch die Nationalver- sammlung zusammentrat, waren schon seine Officiere in Bewegung. Sie überbrachten an alle Nationalgarden, alle Gemeinden des Königreiches den von ihrem General un- terzeichneten Befehl, sich der Entweichung des Königs zu widersetzen. Die Nationalversammlung trat, rasch entboten, um 10 Uhr Morgens zusammen. Während die Menge draußen ihren Zorn an königlichen Wappen und Namenzügen aus- ließ, ward hier mit einiger Schonung der königlichen Würde der Beschluß gefaßt, daß die Feinde des Staates, welche die Entführung des Königs veranstaltet, verhaftet werden sollen. Zugleich erklärte man sich für permanent, nahm von den in der Hauptstadt anwesenden Generalen die Zusicherung ihres Gehorsams in Empfang, übertrug die vollziehende Gewalt an die Minister. Allein die De- crete der Versammlung bedürfen keiner Sanction mehr, der Siegelbewahrer wird sie unterzeichnen und besiegeln; dergestalt wohnte man sich in die Republik ein. Die Ge- sandten der fremden Mächte sollen unverzüglich von dem Geschehenen unterrichtet, die eigenen Gesandten demge- mäß angewiesen werden. Das gethan, ging die Ver- sammlung mit gewohnter Zuversicht zur Tagesordnung über, berieth über das künftige Strafgesetz. Nicht lange freilich, so führte eine Unterbrechung auf die beklemmende Frage des Augenblickes zurück. Denn der Intendant der Civilliste übersendet dem Präsidenten ein ihm so eben zu- gegangenes Packet: es ist eine Proclamation an die Fran- zosen, welche der unbedachtsame unglückliche König zurück- gelassen hat, von seiner eigenen Hand geschrieben. Sie enthält ein Gemälde der unzähligen von ihm erduldeten Kränkungen, zugleich einen Protest gegen alle Erlasse, welche seit dem 6ten October 89 ihm abgedrungen sind. Also war der König nicht entführt, er war entflohn, und am zweiten Sitzungstage 10 Uhr Abends drang der Ruf Juni 22. in die Versammlung: „Man hat ihn! er ist verhaftet!“ Die königliche Familie hatte sich, seit es von Bondy weiter ging, frohen Hoffnungen überlassen. Der König ließ sich sogar am Schlage blicken und es gefiel ihm wohl wenn er von Einzelnen erkannt ward. Einige gute Wün- sche streiften an den rollenden Rädern vorüber. Als man über Chalons hinaus war, fühlte man sich wie neugebo- ren, jetzt mußte man ja auch bald auf die von Bouillé aufgestellten Reuterabtheilungen stoßen. Das kam nun freilich nicht ganz so, vielmehr zeigte es sich daß Bouillé mit gutem Grunde vor der ganzen Maßregel gewarnt hatte, weil solche Piquets, zu schwach um zu schützen, doch stark genug sind, um den Argwohn zu wecken. Wirklich hatte die Umgegend, sowie nur die erste Abtheilung von 40 Pferden sich blicken ließ, unbestimmten Verdacht ge- schöpft: die Reuter zogen sich zurück, als man in den na- hen Dörfern Sturm läutete, in der Meinung, es sey auf Eintreibung von Steuern abgesehn. Als die Reisenden in St. Menehould anlangten, herrschte auch dort große Auf- regung wegen des Detachements Dragoner, welches seit gestern eingerückt war. Der Capitän desselben ritt an den Schlag, sprach mit dem Könige, welcher unvorsichtig fort- fuhr sich zu zeigen, und der Postmeister des Orts Drouet glaubte ihn zu erkennen. Dennoch war er seiner Sache nicht gewiß, die durch einen Courier vorausbestellten Pferde waren angeschirrt, es blieb für den Augenblick nichts zu thun, allein sein Vorsatz war gefaßt. Als der Wagen abfuhr, schwang sich Drouet, der früher bei den Dragonern stand, auf sein Pferd, nahm noch einen Kriegscameraden mit sich; seine Absicht ist auf Feldwegen den Reisenden zuvorzukommen, welche auf schlechter Straße manchen Höhenzug zu überwinden haben. Mitt- lerweile hatte sich die Vermuthung des Postmeisters her- umgesprochen, und als die Dragoner dem Wagen folgen wollten, ließ die Menge sie nicht fort. Sie selbst schlossen sich der Volksstimme an, ließen es sogar geschehen daß ihr Officier verhaftet ward. Ähnlich ging es auf der näch- sten Station in Clermont, nur daß der Officier glücklich davon kam. Im Flecken Varennes müssen abermals Pferde gewechselt werden; diese sind nicht gleich zur Stelle; es ist fast Mitternacht: da erschallt plötzlich Drouets Stimme zu den Postillonen: „Im Namen der Nation verbiete ich Euch weiter zu fahren, Ihr fahret den König.“ Zugleich fügt er einen Zwang seinen Drohungen hinzu, zieht einen auf der Gasse stehenden Packwagen auf die nahe Brücke hinauf; man hilft ihm diesen umstürzen; jetzt ist der Weg gesperrt, nun kann der König nicht über die Brücke. Bald auch waren die Behörden wach, die Sturmglocke läutete, und als nun die Menge von allen Seiten herbeiströmte, hatten die auch hier aufgestellten Mannschaften Noth nur davon zu kommen; der jüngere Bouillé war dabei; er eilte seinen Vater zu benachrichtigen. Der Beamte der Ge- meinde, ein kleiner Krämer und Lichtzieher, hieß Sausse, trat schüchtern an die Kutsche, bat den König in demüthi- gen Ausdrücken, unter sein Dach zu treten. Hier ange- kommen, ließ Ludwig die Verstellung fahren, gab sich zu erkennen, erklärte daß er Paris verlassen habe, um un- zähligen Kränkungen zu entgehen, aber in Frankreich bleibe; er warf sich in die Arme Sausse’s, beschwor ihn, vereint mit der Königin, um seine und der Seinigen Rettung. Dann sich ermannend sprach er: „Sie verlangen meine Befehle, lassen Sie meinen Wagen unverzüglich anspan- nen, um meinen Weg nach Montmedy fortzusetzen.“ Das begab sich in der Gegenwart Vieler, die, in das Haus schon eingedrungen, die königliche Familie mit neugieri- gen Blicken musterten. Hätte Sausse auch gewollt, er konnte, so umgeben, nichts für den König thun. Eben so stand es mit dem Haufen Husaren, der im Verlaufe der Nacht unter verschiedenen Officieren sich in Varennes zusammengefunden hatte. Den König und seine Familie schnell beritten machen, sie in die Mitte nehmen und sich heraushauen, mitten durch die Nationalgarden hin- durch, war der heherzte Rath der Officiere, welcher aber, wie es scheint, nicht minder an der Gesinnung der Husa- ren als an der des Königs scheitern mußte. Dieser will auf allen Fall Bouillé’s Ankunft abwarten, der, meinte er, ganz gewiß kommt: außerdem hält er sich daran daß ja die Gemeinde von Varennes ihrem Könige die Reise nicht abgeschlagen, nur verlangt hat daß er warte bis morgen früh. Aber Bouillé kam nicht; statt seiner er- schien ein Adjudant Lafayette’s, begleitet von einem Of- ficier der pariser Nationalgarde. Sie überreichen dem Kö- nige ein Decret der Nationalversammlung, welches seine Rückkehr fordert, gestützt auf ein früheres Decret, welches dem Könige verbietet sich weiter als 20 Lieues vom Sitze der Nationalversammlung zu entfernen. Der König sprach: „Dieses Decret habe ich nie sanctionirt.“ Morgens acht Uhr saß der König wieder im Wagen, aber die Reise ging zurück nach Paris. Eine Stunde nach seiner Abfahrt er- schien Bouillé mit einem Reuterregiment vor dem von Tau- senden umringten, rings abgesperrten Varennes. Da wandte er um und rettete sich mit seinem Stabe über die französische Gränze hinaus nach Luxemburg. Von hier schrieb er an die Nationalversammlung einen Drohbrief, dessen Schluß zu erkennen giebt, wie sehr es diesem Tapfern an politischer Voraussicht gebreche: „Ich wollte mein Vaterland, den König und seine Familie retten: Sehet da mein Verbrechen! Ihr werdet über ihre Erhal- tung Rechenschaft geben müssen, nicht mir, aber allen Königen; und ich verkünde Euch, daß, krümmt man ihnen auch nur ein Haar, kein Stein von Paris auf dem andern bleiben wird. Ich kenne die Wege und werde sie den fremden Heeren selbst zeigen, die Vergeltung wird Euch ereilen. Dieser Brief ist nur der Vorläufer eines Mani- fests der Souveräne Europa’s: sie werden Euch vernehm- licher kundthun was Ihr zu thun und zu fürchten habt. Gott befohlen, meine Herren, ich schließe ohne Förmlich- keiten; meine Gesinnungen sind Euch bekannt.“ Die Rückreise der königlichen Familie, auf einer Strecke von etwa 30 deutschen Meilen, dauerte volle vier Tage, so unermeßlich war die Volksmenge auf allen Straßen zu- sammengeströmt, und je näher man der Hauptstadt rückte, um so langsamer schritt der unheimliche Zug vorwärts, auf dem Bocke drei Leibgarden sitzend, ihres Todes ge- wärtig, weil sie auf der Reise Courierdienste gethan, um den Wagen Nationalgarden, die meisten zu Fuß, halb- verdrängt von der stets wachsenden Schaar von Landleu- ten, die mit Forken und Sensen bewaffnet auf Ackerpfer- den heransprengten, alle den Hut auf, ohne Begrüßung des Fürsten; als ein Edelmann, von Dampierre, heran- trat, mit Schmerz im Blick seine Ergebenheit denen im Wagen bezeugte, büßte er die That mit dem augenblick- lichen Tode. Bei Epernay begegnete man den Commissa- rien der Nationalversammlung. Zwei von ihnen, Bar- nave und Pétion nahmen in dem königlichen Wagen Platz; der dritte Latour-Maubourg vermied das. Den 25sten Abends erreichte man die Hauptstadt. In der Vorstadt St. Antoine war angeschlagen: „Wer dem Könige zu- klatscht, kriegt Schläge, wer ihn beleidigt, wird gehan- gen.“ Durch eine doppelte Reihe von Nationalgarden ging der Weg zu den Tuillerien. Hier ward die königliche Familie einer Abtheilung der Nationalgarde übergeben, die für ihre Sicherheit wachen und für den König, die Königin und den Dauphin einstehen soll. Lafayette ist von nun an der Wächter seines Königs. Die executive Gewalt bleibt bis weiter noch in den Händen der Minister, der Sanction des Königs bedarf es bis weiter nicht. So ward denselben Morgen decretirt. Diese übel berathene Flucht und ihr Mislingen entriß der Majestät ihr letztes Gewand. Der König ist ein Ge- fangener, welcher über die Beweggründe seiner Entwei- chung von Commissarien der Nationalversammlung förm- lich vernommen wird. Ludwig besaß nicht den Muth ei- nes vollkommen wahrhaften Bekenntnisses. Zwar blieb er in der ausgestellten Erklärung bei den erduldeten Mis- handlungen als den Ursachen seiner Entfernung aus Pa- ris, nicht aus dem Königreiche, stehen, er behauptete aber durch seinen Protest die Grundlagen der Verfassung nicht angegriffen zu haben, erst seit dem 6ten October sey sein Zustand unfrei gewesen, ein Einverständniß mit aus- wärtigen Mächten habe nicht stattgefunden. Er fügte noch, gleichsam entschuldigend, hinzu, erst auf seiner Reise habe er die Überzeugung gewonnen, wie günstig die Volks- stimme der neuen Verfassung sey, und gern opfere er seine persönlichen Interessen dem Glücke des Volks. Die Kö- nigin ward ebenfalls vernommen; ihre Aufgabe war leich- ter; sie hielt an der Pflicht der Gattin fest, Mann und Kinder nicht zu verlassen. Man fand ein Bild des Grames vor; ihre Haare waren in den wenigen Tagen weiß ge- worden. Nun siegte zwar in der Nationalversammlung nach heftigem Kampfe der Grundsatz ob daß der König Juli 15. nicht vor Gericht gestellt werden dürfe, allein wie wollte man diese Unverletzlichkeit seiner Person festhalten, wenn man den Tag darauf ihr Fundament, die Unverletzlichkeit seiner Würde, zu Trümmern schlug? Denn decretirt ward, Juli 16. die königliche Gewalt solle bis zu dem Zeitpuncte suspen- dirt seyn, da die Verfassungsurkunde dem Könige könne zur Annahme vorgelegt werden. Unter solchen Umständen hätte der Rath, welchen der gepriesene Condorcet öfter im Gespräch mit geistreichen Freunden gab, alle Aufmerksamkeit verdient. Er läßt sich ungefähr so zusammenfassen. „Die Monarchie ist in ihre Elemente aufgelöst. Der König ist gefallen, lasset ihn lie- gen. Ihn wieder künstlich zu heben, den erklärten Feind Eurer Verfassung, um ihn dann von größerer Höhe den Todessturz thun zu lassen, wäre unmenschlich und wider- sinnig. Es wäre aber auch gefährlich; denn der Sturz des Wiedererhöhten erfordert eine neue Revolution, und sehet dann wohl zu, daß nicht auf den leeren Platz schnell- füßig die Anarchie sich setze.“ Befolgte man diesen Rath- schlag, that besonnen den von nun an unvermeidlichen Schritt, so ließ sich ein Präsident für die Republik Frank- reich retten, aber freilich Ludwig konnte dieser Präsident nicht mehr seyn, auch nicht der Herzog von Orleans, den, seit er wieder von England zurück, niemand beachtete. Allein Condorcet saß nicht in der Nationalversammlung und selbst als ihr Mitglied würde er nicht durchgedrungen seyn. Denn je weniger das Königthum noch haltbar war, um so entschlossener war diese, es am Zipfel festzuhalten, denn freilich ihr Ruhm bei der Nachwelt, ihr ganzes Ver- fassungswerk beruhte darauf. Es wird glaubhaft behaup- tet daß für die Republik damals keine dreißig Stimmen in der Versammlung waren; von dem dunkeln Gefühle daß sie gleichwohl hereinbreche betroffen, suchte mancher Ab- geordnete damals Stützen auf, die er früher verschmäht hatte. Seit Mirabeau’s Tode näherte sich Alexander La- meth durch Montmorin dem Hofe. Lehren weiser Mäßi- gung tönten selbst aus Duports Munde. Insbesondere bemerkte man an Barnave eine große Veränderung, seit er von jener Begleitung der königlichen Familie zurück- kehrte. Die Eifersucht gegen Mirabeau trübte seinen Blick nicht mehr, und das traurige Schicksal dieses Königspaares drang ihm tief ins Herz. Während sein Gefährte Pétion sich selbstgefällig zwischen König und Königin zur Tafel setzte, hielt sich Barnave bescheiden zurück; zweimal un- terredete er sich insgeheim mit der Königin während der Reise, bot ihr seine Dienste mit Wärme an. Er war es auch, der mannhaft der äußersten Linken entgegentrat, als sie den Satz aufstellte, die Unverletzlichkeit des Königs reiche gerade so weit als die Verantwortlichkeit seiner Mi- nister, keinen Zoll weiter; wo er von dieser ungedeckt bleibe, da sey er verwundbar; nun habe kein Minister um seine Reise gewußt, keiner seinen Protest unterzeich- net — also! Barnave legte damals der Versammlung die ernste Frage vor: „Wollen wir die Revolution endigen? oder wollen wir sie wieder anfangen? — Ich fürchte kei- neswegs die fremden Mächte, auch die Ausgewanderten nicht. Ach es ist nicht unsere Schwäche die ich fürchte, un- sere Stärke fürchte ich, unsere Stürme, die endlose Ver- längerung unseres Revolutionsfiebers. — Bedenket wohl, was nach Euch geschehen wird. Ihr habt Alles zerstört was zu zerstören war. Ihr habt gethan was die Freiheit, was die Gleichheit forderte, keiner willkürlichen Gewalt ist geschont, keine Usurpation der Eigenliebe ist Euch ent- wischt, Ihr habt alle Menschen gleich gemacht, beides vor dem bürgerlichen und dem politischen Gesetze, Ihr habt dem Staate zurückgegeben Alles was ihm genommen war. Ein Schritt weiter und die Revolution stürzt sich in Ge- fahr; ein Schritt weiter auf der Bahn der Freiheit, und unser Erstes wäre die Vernichtung des Königthums; ein Schritt weiter auf der Bahn der Gleichheit, und unser Erstes wäre ein Angriff auf das Eigenthum.“ So Bar- nave und er gewann den Sieg. Nicht wenige aber die dem Königthum übel wollten, beriefen sich auf die große politische Autorität von Sieyes. Dieser brach hierauf sein Juli 6. verbissenes übellauniges Schweigen, erklärte öffentlich im Moniteur, er gebe der Monarchie den Vorzug vor der re- publikanischen Verfassung, wiewohl er in einer Civilliste von 30 Millionen Gefahr für die Freiheit sehe. „Nicht um alten Gewohnheiten zu schmeicheln, auch nicht aus einem abergläubischen Hange für den Royalismus ziehe ich die Monarchie vor. Ich ziehe sie vor, weil ich für er- wiesen halte daß es in der Monarchie mehr Freiheit für den Bürger giebt als in der Republik. Jeden andern Be- weggrund würde ich für kindisch halten. Die beste Regie- rungsform ist nach meinen Begriffen diejenige, in welcher nicht Einer bloß, auch nicht Einige, sondern Alle die größte Breite der möglichen Freiheit genießen. Wenn ich diesen Charakter in der Monarchie entdecke, so ist es klar daß ich sie den andern Regierungsformen vorziehe. Das ist das ganze Geheimniß meiner Principien und mein auf- richtiges Glaubensbekenntniß. Vielleicht gewinne ich bald Zeit diese Frage zu entwickeln und einen ehrlichen Kampf mit den Republikanern zu bestehen. Ich will ihnen keine Gottlosigkeit, keinen Frevel Schuld geben, sie nicht be- leidigen. Mehrere unter ihnen kenne ich, die ich von gan- zem Herzen ehre und liebe. Allein Gründe sollen sie ha- ben, und ich hoffe ihnen zu beweisen, nicht daß die Mon- archie unter diesen und jenen Verhältnissen vorzuziehen ist, sondern daß man unter jeder Voraussetzung mit ihr freier ist als in der Republik.“ Als nun aber der berühmte Thomas Payne, nordamerikanischen Andenkens, den Handschuh aufnahm und sich für den geschworenen Feind dieser Hölle der Monarchie erklärte, da offenbarte es sich in einem zweiten Moniteur-Artikel, was denn dieser ange- Juli 16. staunte Theoretiker Sieyes unter Monarchie verstehe. Er bezeichnet mit dem Stempel der Verwerfung jede historische Monarchie, die englische nicht minder als die ottomani- sche, sieht in dem Monarchen allein den unverantwort- lichen Wähler von 6 verantwortlichen Monarchen, den Ministern. Der Unterschied zwischen Monarchie und Re- publik besteht, recht begriffen, lediglich darin, daß dort der Einzelne, hier eine Mehrheit die Minister ein- und ab- setzt. Weit richtiger aber, sich hierin der Einheit eines Individuums zu vertrauen als einer Stimmenmehrheit, weit angemessener, den Staatsbau in eine Spitze als in einen Söller ausgehn zu lassen. Allerdings ist es eine Ab- geschmacktheit, den unverantwortlichen Monarchen erblich zu machen, allein die Formen der Wahlmonarchie, welche die Geschichte bietet, sind nicht minder abgeschmackt, und man darf es der Nationalversammlung nicht verargen, daß sie, mit derartigen Fragen wenig noch vertraut, als sie an ihr Geschäft ging, die abgeschmackte Erblichkeit einer eben so abgeschmackten Wahl, die den bürgerlichen Krieg im Gefolge hat, vorzog. Allerdings ist man jetzt mehr eingeübt in Wahlfragen und unser Staatskünstler weiß eine für die höchste Würde ganz geeignete Wahlform. Nichtsdestoweniger ist er keineswegs der Meinung, daß man unter den gegebenen Verhältnissen die beschlossene Con- Französische Revolution. 25 stitution in diesem Punct abändere, zumal die Versamm- lung gewiß seyn kann, daß alle Theile von Frankreich sich in der schon bekannten Verfassung am sichersten vereinigen werden. Man muß endlich fertig werden; auch bleibt ja der Nation immer noch offen, künftig einmal durch eine constituirende Versammlung jene Änderung zu treffen. Das Resultat ist: Sieyes hat in Verfolgung des Zieles gesell- schaftlicher Freiheit die von Andern als ihr Äußerstes be- wunderte Republik weit hinter sich zurückgelassen, und ist bei der wahrhaften Monarchie angelangt. Er hat übri- gens seine Untersuchungen über diesen Punct schon vor Anfang der Revolution abgeschlossen. Dergestalt würde, wir dürfen es nicht bezweifeln, in den Augen von Sieyes ein gewählter Präsident einen Monarchen bedeuten, und sicherlich auch einer, der für wenige Jahre gewählt ist; denn warum sollte man die gesellschaftliche Freiheit mit den Altersschwächen eines Individuums belasten? Stand es nun so mit der monarchischen Theorie des als Monarchist rings verschrieenen Mannes, so darf man sich nicht wundern daß ein Jünger Payne’s, Brissot, der in Nordamerika das Gedeihen der Grundsätze bewun- dert hatte, welche jener dort aussäen half, in seinem Jour- nal und im Jacobinerclub ohne Scheu erklärte, er gehorche zwar wie billig der einmal über Frankreich verhängten Monarchie, allein sie höre darum nicht auf, die Geißel der Menschheit zu seyn. Brissot war in etwas anständigeren Formen der Nachtreter von Camille Desmoulins und Ma- rat, deren Blätter längst alle Monarchie als Ungereimt- heit und Schlechtigkeit behandelten, und zu derselben Mei- nung bekannte sich die damalige Mehrheit des Jacobiner- clubs, vor Allen sein Stentor Danton. Sein Satz war, König Ludwig müsse entweder für einen Verbrecher oder für wahnsinnig erklärt werden. Da traten nun freilich die Mitglieder der Nationalversammlung, mit Ausnahme von Leuten wie Robespierre und Pétion, lieber aus dem Ja- cobinerclub und bildeten einen Verein für sich im Kloster der Feuillans; allein die Jacobiner hatten jetzt nur um so freiere Hand, und nicht lange so war auf offenem Mars- felde die Unterzeichnung einer Volksbittschrift ins Werk gerichtet, deren Unterzeichner erklären, daß der König am 21sten Junius auf die ihm übertragene Krone verzichtet hat, und auf die Wahl einer neuen constituirenden Versamm- lung antragen, die den vormaligen König richte und eine neue ausübende Gewalt aufstelle. Aber während sich auf den morschen Stufen des Altars des Vaterlandes von je- nem Bundesfeste her die Unterschriften häuften, in vielen Exemplaren gleichzeitig eingesammelt, erschien, um diesen Eifer zu stören, ein Mann, der über das Königthum in- nerlich nicht viel anders dachte als die Unterzeichner. La- fayette rückte mit der Nationalgarde an, zerstreute die wi- Juli 17. dersetzliche Menge durch eine Flintensalve, welche Ver- wundete und Todte hinterließ. In dem ersten Schrecken flüchteten Camille Desmoulins und Danton aus der Hauptstadt, Marat versteckte sich, und Robespierre, ob- 25* gleich geschützt durch die Würde des Abgeordneten, hielt sich eine Zeit lang nicht sicher in seinem Hause. Man fürchtete die Schließung des Jacobinerclubs und des noch ausschweifenderen der Cordeliers. Vergebliche Furcht! Die Nationalversammlung verfolgte ihren Sieg nicht. Von der großen Mehrzahl derselben ward die Krone nicht aus politischer Überzeugung, auch nicht aus Treue gegen Lud- wig XVI. geschützt, sondern weil sie einen integrirenden Theil des Verfassungspalastes ausmachte, welcher nach mehr als zweijähriger Arbeit nun doch endlich fertig wer- den mußte, an dem man vor allen Dingen nicht wieder einreißen durfte, ohne den Verdacht decemviralischer Usur- pationsplane auf sich zu laden. Um so widersinniger war es freilich daß die Versamm- lung unlängst den schwachen Hoffnungsfaden durchschnit- ten hatte, welcher den Bestand ihres Werks an die Eigen- liebe seiner Schöpfer knüpfte. Bereits am 16ten Mai ver- zichtete die Versammlung fast mit Einstimmigkeit auf die Wählbarkeit ihrer Mitglieder zu der gesetzgebenden Natio- nalversammlung, welche der sogenannten constituirenden auf dem Fuß folgen soll; der Taumel der fünften August- nacht schien wiedergekehrt, man wollte vor aller Welt den Beweis der völligsten Selbstverläugnung geben. Vor aller Welt vielleicht, aber gewiß nicht im verschwiegenen In- nern des sich selbst prüfenden Gemüthes. Ohne Zweifel hat uns Mirabeau’s Tod hier eines Meisterstückes der Rede beraubt. Wie würde er den Unverstand, der sich für lautere Tugend giebt, beschämt, die Tücke der verstock- ten Royalisten aufgedeckt haben, die in heimlichem Triumph hofften, an der rohen Thatkraft einer neuen ungeschulten Versammlung das verhaßte Constitutionswerk nächstens scheitern zu sehen! Denn weit lieber war diesen die Re- publik, als doch unhaltbar, gegen solch ein Königthum. Wie würde er vollends der schnöden Eifersucht, die, selbst ohne Hoffnung zur Macht, gern auch Andern den Weg dazu versperrt, ihren dürftigen Schleier abgezogen, den einsichtigeren Theil aber, der vor dem Vorwurfe selbst- süchtiger Herrschsucht verstummte, ermuthigt haben Alles aufzubieten, damit die Kräfte, die das Werk gestiftet, auch zur Erhaltung desselben verwendet würden! Denn alle Leidenschaften und Verstocktheiten, unterstützt von dem dieser Nation einwohnenden Gefallen an theatralischer Tu- gend, wirkten zu diesem Beschlusse albernster Selbstver- läugnung zusammen. Eben so verfehlt war, daß nach jenem Decret, welches die königliche Macht noch nach des Kö- nigs Rückkehr von seiner mislungenen Flucht suspendirt bleiben ließ, während einige Mitglieder unwillig austra- ten, ein anderer Theil der Versammlung, ungefähr 300, eine Erklärung unterzeichneten, daß allein die Hoffnung, für die persönlichen Interessen des Königs und der königlichen Familie noch wirken zu können, sie bei Männern zurück- halte, welche über den Trümmern der Monarchie die Mis- gestalt einer Republik errichten wollten: die Unterzeichne- ten würden daher an Berathungen, welche jene Interessen nicht berührten, keinen Antheil ferner nehmen. Das hieß sich selbst zur Ohnmacht verurtheilen. Verlor so die Na- tionalversammlung während der letzten Monate ihrer Thä- tigkeit zusehends an Kräften, so zählte dagegen der Jaco- binerclub so viele Mitglieder als Necker jener zugewiesen hatte, reichlich 1200, stieg auf 1800, und wenn er seine Ableger durch ganz Frankreich überschlug, es waren ihrer leicht drittehalbhundert, so stand ihm eine Heeresmacht zu Gebote. Denn von der bescheidenen Zeit an, da der Club der Bretagner Deputirten sich für 400 Franken Miethe die Aufnahme im Jacobinerkloster der Straße St. Honoré erkaufte, welch eine Bahn hatte er durchmessen! Von dem geräumigen Speisezimmer der Mönche ging man zu ihrem großen Bibliotheksaale, endlich zu ihrer Kirche über, im- mer weil es an Raum gebrach. Jetzt aber war auch Alles in erwünschter Anordnung festgestellt: der Hochsitz des Präsidenten, die Sessel der Secretäre, die Rednerbühne, die Geschäftsordnung, ein eigenes Journal, welches die Debatten und Beschlüsse des Clubs veröffentlicht, Alles nach dem Muster der Nationalversammlung, welche man auf jedem ihrer Schritte begleitet; auch die Sitzungen wa- ren öffentlich, wenngleich durch Eintrittskarten bedingt. Am bequemsten aber war es geradezu nur als thätiges Mitglied einzutreten, denn dazu genügte letzter Zeit schon der Vorschlag von nicht mehr als 6 Mitgliedern. Gewiß, vom pariser Mutterclub aus ließ sich Frankreich beherr- schen, auch wenn man nicht mehr zugleich in der National- versammlung saß, vorausgesetzt daß man seiner Bered- samkeit vertraute, die sich jetzt hauptsächlich in Improvi- sationen geltend machte. Auch ertrug Duport nur kurze Zeit die Entfernung von seiner Hände Werk, kehrte zurück in den Schooß der Jacobiner, und viele Abgeordnete folg- ten seinem Beispiele. Mittlerweile trat der Ausschuß ins Leben, welcher seit länger zum Zwecke der Revision der Verfassung ernannt war. Wie gern wäre Mirabeau damals hineingetreten, aber man fand Mittel ihn auszuschließen. Seine Mitglie- der waren: Duport, Barnave, Alexander Lameth, Cler- mont-Tonnerre, der redlich gemäßigte Beaumetz, endlich Pétion und Buzot. Bloß die beiden letzteren waren erklärte Republikaner, sie sahen ein daß sie nichts ausrichten wür- den und zogen sich bald von den Sitzungen zurück. Somit hatten die Hauptbegründer der auf republikanischen Grund- sätzen ruhenden Monarchie freie Hand. Ihre Aufgabe war zu redigiren, Ungehöriges auszuscheiden, Dunkelhei- ten und Widersprüche in diesen unzähligen Decreten zu entfernen. Die Verfolgung dieses Zieles konnte zu wesent- lichen Verbesserungen führen, sicherlich aber zu keinem Umbau durch die Hand von Männern, deren Haupt- triumphe sich an die Hauptfehler der Verfassung knüpften, mochte auch mancher von ihnen wünschen damals nicht triumphirt zu haben. Der Revisionsausschuß hielt oft ge- meinschaftliche Sitzungen mit dem Verfassungsausschusse. Die damaligen Mitglieder des letzteren waren: Sieyes, Talleyrand, Thouret, Chapelier, Target, Rabaud St. Etienne und Desmeuniers. Allein Sieyes hüllte sich in sein mürrisches Schweigen, Talleyrand sah zu, die übri- gen waren entzückt von der Verfassung, mit Ausnahme von Chapelier. Mit diesem und Barnave besprach sich Ma- louet, ohne Vergleich der bewährteste Charakter in der gan- zen Versammlung, dessen treugepflegte Überzeugungen von keiner Zuthat persönlichen Ehrgeizes erstickt wurden. Sie entwarfen den Plan, eine gründliche Verbesserung der Ver- fassung im Sinne der Ordnung in der Nationalversamm- lung zu bewirken, noch während der Revisionsausschuß seine Arbeit thäte. Die Verfassungsurkunde ward der Ver- sammlung durch eine Verlesung, welche Thouret über- Aug. 5. nahm, bekannt gemacht. Nun griff Malouet ihr metaphy- sisches Princip an. „Eine Regierungsform, welche mit der Freiheit eine weise Fürsorge für ihre Dauerhaftigkeit verbindet, darf nicht auf die größte politische Freiheit be- rechnet seyn, sie muß berechnet seyn auf die größte Sicher- heit und Freiheit der Personen und des Eigenthums. Ihr habt das Gegentheil gethan; Ihr stelltet in Eurer Ver- theilung der Gewalten die politische Freiheit in der größ- ten Ausdehnung an die Spitze und möchtet nun die mög- lichst große Sicherheit der Personen und des Eigenthums daran knüpfen. Ihr stellet das Volk als den Souverän hin, der freilich seine Souveränität nicht selbst ausüben könne, Ihr lasset ihn zu dem Ende Gewalten übertragen; allein es ist gar schwer, denjenigen zum Unterthan um- zuschaffen, welchem man beständig sagt, in ihm wohne die Herrschaft. Er wird bei jedem Anlasse auf den ersten Grundsatz zurückgehen, wird die Gewalten zurückziehen, sie umwandeln. Mithin ist der erste Fehler Eurer Verfas- sung diese abstract aufgestellte Souveränität.“ So bahnte sich Malouet den Weg zum Umsturze der Erklärung der Rechte und hatte schon an die Nothwendigkeit, vor allen Dingen den König auf freien Fuß zu setzen, erinnert, als ihn Buzots Stimme unterbrach: „Was man Euch vor- schlägt ist nichts weniger als eine Gegenrevolution.“ Als- bald erhub sich gewaltige Aufregung und ein Getöse, Cha- pelier und Barnave wichen dem Sturme, sie vermochten es nicht über sich, ihre eigene staatsmännische Laufbahn zu bekämpfen, sie selbst unterstützten den Antrag daß die lei- tenden Grundsätze unantastbar bleiben müssen. Fortan nahm die Revision sowohl in dem Ausschusse als in der Versammlung einen äußerst raschen Gang, alle Grund- lagen blieben wie sie waren, die Vertheilung der Gewal- ten ward in keinem Stücke geändert, die Aufhebung jenes Beschlusses wegen der Nichtwählbarkeit der Mitglieder der Nationalversammlung ward zwar von dem Ausschusse be- antragt, aber verworfen; für später soll indeß die Wieder- wahl zur nächstfolgenden Versammlung gestattet seyn, nicht aber zum dritten Male. Beide Ausschüsse schlugen den Artikel vor: „Die Minister werden in der gesetzgebenden Nationalversammlung Zutritt haben; sie werden daselbst einen ausgezeichneten Platz erhalten und auf ihr Verlangen über alle Gegenstände gehört werden und Aufklärungen geben, sobald man sie darum ersucht.“ Dieser Artikel ward verworfen und ein anderer trat an die Stelle, wel- cher ihre Redefreiheit auf die ihrem Ressort angehörigen Gegenstände beschränkte, es sey denn daß sie die Erlaub- niß erhielten diese Gränze zu überschreiten. Die Frage entstand, wie es gehalten werden solle, wenn sich das Bedürfniß einer Veränderung der Verfas- sung offenbare. Nach mancher Debatte fand Frochots ge- mäßigter Vorschlag Beifall, welcher jede directe Einwir- kung des souveränen Volks entfernte. Wenn drei auf ein- ander folgende Legislaturen sich für die Veränderung eines Verfassungsartikels übereinstimmend entschieden haben, soll die Veränderung stattfinden; aber es ist nicht gestattet, in den beiden nächsten Legislaturen eine Veränderung in Vorschlag zu bringen. Am 3ten September endigte mit der Revision die Ver- fassungsarbeit. So unbedeutend die Veränderungen wa- ren, ließ sich Robespierre es nicht nehmen, sie als ein Na- tionalunglück zu beklagen; er verlangte daß auch nicht ei- nen Augenblick über die Annahme mit der executiven Ge- walt unterhandelt werde. Diese ward inzwischen, damit sie der ihr zugedachten Regierung nicht entrinne, seit dritte- halb Monaten strenge in ihrem eigenen Schlosse bewacht, so strenge, daß die Königin kaum für den Kleiderwechsel hinlänglich freie Zeit behielt und die wachthabenden Of- ficiere manchmal Nachts durch die offene Thüre hin nach- sahen, ob König und Königin sich auch in ihren Betten befänden. Jetzt aber am Abend des 3ten September begab sich eine Deputation von 60 Mitgliedern bei Fackelschein in die Tuilerien; ihrer wartete der König, von seinen Ministern umgeben. Thouret, zum dritten Male Präsi- dent, sprach: „Die Vertreter der Nation bringen Eurer Majestät die Verfassungsurkunde, welche die unverjähr- baren Rechte des französischen Volks heiligt, dem Thron seine wahre Würde zurückstellt, und der Verfassung des Reiches ein verjüngtes Daseyn giebt.“ Zugleich wurden die Wachen zurückgezogen, und Ludwig befahl nun der Garde, die ihm eben noch zu befehlen hatte. Am 13ten ertheilte der König schriftlich seine Genehmigung, unbe- dingt, ohne gleichwohl zu verhehlen daß er in Betracht der Größe des Reiches mehr Macht für die ausübende Gewalt gewünscht hätte, bei so getheilten Meinungen vertraue er jedoch die Entscheidung der Erfahrung. Den Tag darauf leistete der König persönlich den Eid auf die Verfassung, stehend vor den sitzenden Nationalvertretern; die Königin befand sich mit ihrem Gefolge in einer Sei- tenloge. Als Ludwig, begleitet von der jubelnden Ver- sammlung, sein Schloß erreicht hatte, warf er sich in einen Sessel und beklagte weinend die erlittene Demüthigung. Noch beschloß die Versammlung ein unwirksames De- Sept. 29. cret gegen die Clubs und ihre Anmaßung, sich als politi- sche Körperschaften geltend zu machen, politische Beschlüsse zu fassen und auf die Behörden einwirken zu wollen, statt sich auf wechselseitige Aufklärung zu beschränken. Aber am 30sten September entließ der König die Nationalver- sammlung mit der Mahnung an ihre Mitglieder, ihre Grundsätze der Ordnung und Gesetzlichkeit in den Depar- tements zu verbreiten. Der Präsident Thouret nahm dann das Wort: „Die constituirende Versammlung erklärt daß ihr Auftrag erfüllt ist und daß sie von diesem Augenblicke an ihre Sitzungen schließt.“ 2. Die gesetzgebende Versammlung und das Ausland. Während die constituirende Versammlung ihr Werk nachbesserte, wurden die Mitglieder der folgenden Legis- latur gewählt und nach Paris beschieden, damit die höchste Gewalt auch keinen Tag in ihrer Thätigkeit feiere. In die alten Räume der Reitbahn ziehen fremde Gesichter ein, Oct. 1. an welchen dem Pariser zuerst ihre Jugend auffällt, es sind mehrentheils Männer unter dreißig Jahren. Aber der Saal füllt sich auch nicht wie sonst; ihrer sind, und wir loben das, nicht mehr 1200, nur 745. Wie man aber gerade zu dieser Zahl kam? Es greift das auf die früher besprochene neue Reichseintheilung in Departements, Districte und Cantons zurück. Im Canton nimmt das Wahlgeschäft seinen Anfang, das will sagen die Wahl der Wähler; denn bei diesen keineswegs empfehlenswer- then Wahlcollegien, aus welchen die erste Nationalver- sammlung nothgedrungen hervorging, ist man stehen ge- blieben. In jedem Canton tritt zu dem Ende eine Urver- sammlung zusammen, die im Durchschnitt 600 bis 900 active Bürger enthält, das heißt Zahler einer jährlichen Steuer von mindestens drei Tagelohnen, übrigens mit Heimathsrecht im Canton, volle 25 Jahre alt, der dienen- den Classe nicht angehörig ꝛc. Ist der Canton bevölkerter, so zerfällt er in mehr als eine Urversammlung, deren jede im Durchschnitt vier oder fünf Wähler zu ernennen hat. Um aber wählbar zum Wähler zu seyn, muß man entwe- der ein gewisses jährliches Einkommen als Eigenthümer oder Pächter beziehen oder auch eine jährliche Miethe von gewisser Höhe bezahlen, welches Alles dann für Städte über 6000 Einwohner und darunter und drittens für das Land verschiedenartig normirt ist. Schließlich treten dann sämmtliche Wähler eines Departements zum Wahlcolle- gium zusammen, in der Regel an dem Hauptorte desselben. Die Zahl sämmtlicher Abgeordneten zur Nationalversamm- lung ist laut der Verfassungsurkunde neunmal so groß als die Zahl sämmtlicher Departements im Königreiche. Das nun würde 747 Abgeordnete bringen, wenn nicht eine Ausnahme dazwischen träte. Denn diese Abgeordneten werden keineswegs so beschafft, daß jedes Departement deren 9 stellte. Vielmehr wird der Anspruch jedes Depar- tements nach drei Gesichtspuncten abgeschätzt, welche in der Gesammtrepräsentation gleiches Gewicht haben sollen, nach Verhältniß nämlich seines Territoriums, seiner Be- völkerung und seiner Steuerquote. Nun hat man zwar bei der Departementaleintheilung die Gleichheit der Gebiete im Auge behalten und kann da ohne sonderliche Verletzung der Theorie jedem Departement seine volle Dreizahl der Gebietsvertreter zubilligen, doch macht das hauptstädtische (Département de Paris) eine Ausnahme, indem es wegen seiner Kleinheit nur einen einzigen Vertreter dieser Art da- vonträgt, und eben daher stammt der Ausfall von zwei Deputirten dieser Kategorie und die Gesammtsumme von nur 745 Abgeordneten. Dagegen wird dieses Departe- ment hinlänglich durch sein Übergewicht in den beiden an- deren Kategorien, besonders dem Steuerbeitrage entschä- digt, und erhält im Ganzen 24 Abgeordnete; das Depar- tement Rhone und Loire, worin Lyon, stellt aus ähnlichen Gründen deren 15. Jedes der 83 Wahlcollegien hat außer den Abgeordneten auch noch ein Drittel Ersatzmänner zu wählen, aber, und diese Verbesserung wird, wie manche andere im Wahlwesen, der Revisionsarbeit verdankt, alle früher ersonnenen Beschränkungen ihrer Wählerfreiheit fal- len weg. Welches Alters, Standes, Gewerbes, Ver- mögens einer auch sey, wer die Eigenschaften des activen Bürgers besitzt, darf unter die Vertreter der Nation sich stellen (ein vollkommen richtiges Princip, vorausgesetzt daß die richtigen Wähler gefunden sind). Trifft einen ent- fernbaren Beamten die Wahl, so muß er eines von beiden Verhältnissen aufgeben; dagegen darf der unentfernbare Richter sich einstweilen ersetzen lassen. Die Zahl der ge- wählten Advocaten war noch größer als in der ersten Ver- sammlung; man sprach von Dreihunderten. Als die neue Versammlung allmählig in Fluß kam und man anfing einander kennen zu lernen, bildete sich so- fort die frühere Scheidung wieder, indem die Gleichge- sinnten sich rechtshin oder linkshin zusammen setzten, mit der alten Bedeutung beider Seiten, vergeblich daß der Präsident den Ausdruck „rechte Seite“ nicht dulden wollte. Weiterhin trat jedoch auf der linken Seite eine noch nicht vorgekommene Trennung ein, als eine Gruppe dort sich auf den unteren Bankreihen zusammenhielt, die andere unlustig die höheren Sitze suchte. Diese Männer des Ber- ges, wie man sie nannte, blickten verstimmt auf ihre Nach- barn in der Ebene, die ihre politische Farbe trugen, aber sich besser dünkten als sie. Freilich kam die Mehrzahl von diesen aus dem großen, gewerbreichen, vermögenden Bor- deaux im Departement der Gironde und es fanden sich un- ter diesen Girondisten Männer von ausgezeichneten Gaben, vor Allen Vergniaud, Guadet, Gensonné, Grangeneuve; und Männer von Bildung, wie Condorcet und Brissot, beide von den Parisern gewählt, schlossen sich ihnen an. Der Charakter der Girondisten prägt sich am offenherzig- sten, obgleich nicht gerade auf die ehrenhafteste Weise in Brissot aus. Sie alle sind keine Freunde der Monarchie, halten sie für eine veraltete, ziemlich unverständige Regie- rungsform, allein sie erkennen ihre Verpflichtung der Con- stitution zu gehorchen bis zu einem gewissen Grad an. Wenn unversehens eine Republik aus Frankreich würde, sie hätten gewiß nichts dawider, aber in eine Herrschaft der rohen Massen, des Pöbels darf es nicht umschlagen; und das wird, meinen sie, ihr politisches Talent, ihre Beredsamkeit schon zu verhindern wissen. Ganz anders aber dachte der Berg hinter und über ihnen. Er sah in diesen feinen Bordeauxer und Pariser Herren eine ihm keines- wegs genehme Aristokratie des vermöglichen Talents und der Bildung, die man zwar vorläufig gelten lassen konnte, insofern sie dazu half, die rechte Seite unten zu halten, aber lange durfte ihr Reich nicht währen; denn der Berg steuerte mit vollen Segeln auf die Republik und die Herr- schaft der Massen zu. Ihre natürliche Wurzel sah die Berg- partei im Jacobinerclub, hier fand sie ihren Robespierre, der seit seinem Rücktritt von der Macht in allem Glanze der Selbstverläugnung strahlte, hier Danton, Camille Desmoulins, Marat, hier die neuen Größen, den gewe- senen Schauspieler Collot d’Herbois, den Fleischer Legendre, den Journalisten Tallien, Alles Nicht-Deputirte, aber Männer von entschiedenem Einfluß in den Volkskreisen der Hauptstadt. Auf der rechten Seite der Nationalversamm- lung saßen die Deputirten, welche es mit dem Eide auf die neue Verfassung ernstlich meinten; man darf keine Ei- ferer für die alte Ordnung der unumschränkten Monarchie unter ihnen suchen, aber Männer, wie Mathien Dumas und Pastoret, die das Leben und den beweglichen Cha- rakter ihrer Landsleute in Krieg und Frieden kannten, hät- ten der Krone gern alle noch mögliche Macht gesichert. Ihre Hoffnung war, diejenigen Collegen, welche noch eine Meinung zu suchen schienen, und es mochten derer Französische Revolution. 26 ein Paar Hundert seyn, für sich und ihren Club, den der Feuillants, zu gewinnen. Auch gelang es ihnen zu- nächst damit, ihren Clubsaal belebten in den nächsten Monaten wohl drittehalb Hundert Deputirte. Hier ward es aufrichtig beklagt, als der verdienstvolle, durch Er- fahrung gemäßigte Bailly von der Mairie der Haupt- stadt jetzt zurücktrat und der laxe unzuverlässige Pétion an dessen Stelle gewählt ward, welcher einen der hef- tigsten Jacobiner, den Manuel, zum Procureur-Syndic erhielt, dessen Substitut dann Danton ward. Wie gern wäre Lafayette Maire geworden, da er laut der neuen Oct. 8. Ordnung den Oberbefehl der Nationalgarde niederlegen mußte, welcher jetzt unter den Chefs ihrer sechs Legio- nen von Monat zu Monat wechselt. Aber Lafayette’s Bewerbung scheiterte an der momentanen Eintracht der- jenigen, welchen er zu wenig königlich, und derer, wel- chen er es viel zu viel war. Die Freunde der Ruhe weissagten wenig Gutes aus diesen beiden Verände- rungen. Mittlerweile vollendete die Nationalversammlung bin- nen drei Tagen die Prüfung der Vollmachten unter ihrem Alterspräsidenten; als die Hälfte der Deputirten und einer darüber beisammen, war Präsidentenwahl, und so glimpf- lich ließen sich die Sachen an, daß Pastoret gewählt ward. Eine Deputation ging auf das Schloß, um den König zu benachrichtigen daß die Versammlung constituirt sey, und die Bestimmung des Tages zu erhalten, an welchem der König erscheinen werde, sie zu begrüßen. Die De- putirten kehrten ärgerlich zurück, man hatte sie mehrere Stunden warten lassen, ihre Verstimmung theilte sich der Versammlung mit und sogleich ward ein Beschluß gefaßt, welcher die Empfangsehren des Königs beschränkte und ihm die Titel Majesté und Sire entzog. Erst den Oct. 5. Tag darauf war man abgekühlt genug, um einzusehen daß solch ein Beschluß keineswegs eine Maßregel der inneren Polizei der Versammlung sey, sondern der kö- niglichen Sanction bedürfe, und trat davon zurück. Aber Oct. 6. während der Debatte ging manches Licht auf. Die Gi- rondisten, an ihrer Spitze Vergniaud, verriethen daß es ihnen ganz recht sey, die Krone noch tiefer zu stel- len, und die für dasmal geschlagene Partei nahm an einem Theile ihrer Gegner Rache. Dafür nämlich mußte sie eine Anzahl Mitglieder der vorigen Versammlung (exconstituants) halten, welche in der Hauptstadt ge- blieben waren, um die neue Versammlung einzuschulen, und welche sogar während der Sitzung von gewissen vorbehaltenen Gallerieplätzen aus Mittheilung mit Ein- zelnen pflogen. Letzterem ward gleich ein Ende gemacht, um so eher ließ sich hoffen durch einige Siege über die constituirende Versammlung volle Genugthuung zu er- langen. Und so geschah es. Man begann mit der Aufhe- bung ihres Beschlusses wegen der Clubs und anderer Volksgesellschaften, und nahm fortan Bittschriften und 26* Nov. Deputationen von diesen an, nur daß man sie auf den Sonntag beschränkte. Man erlaubte dem gemeinen Manne, den nichtactiven Bürgern, welche keinen Zutritt zur Na- Dec. tionalgarde hatten, eine andere städtische Bewaffnung nebenher zu bilden, Piken zu tragen, nur daß jeder Pi- kenmann sich förmlich einzeichnen lasse und die Piken- mannschaft unter dem Befehlshaber der Nationalgarde stehe. Man ließ endlich im Verlaufe des Winters neben der Nationalcocarde noch ein anderes äußeres Abzeichen, die rothe Mütze, aufkommen, Anfangs allein von der niedern Classe als Erklärung der Freiheitsliebe getragen, allein mit dem nächsten Frühling wurden auch einige Girondistenköpfe roth, und Versuche kamen vor, sie bei den Jacobinern, ja selbst in die Nationalversammlung einzuführen, nur daß ein gewisser guter Ton noch da- gegen war. Allein die Masse, welcher für die Welt- herrschaft nichts fehlt als die Ordnung, organisirte sich, und es gab bereits ein Gebiet in Frankreich, wo sie die Herrschaft führte. In jenen frühen Jahrhunderten des Mittelalters, da Frankreich noch der Einheit seines Territoriums so fern stand, kamen zwei provençalische Gebiete, die Grafschaft Venaissin und der Staat von Avignon, an den päpst- lichen Stuhl, erstere 1274 durch eine unbedachte könig- liche Schenkung, letzterer 1348 durch einen mit einer schönen fürstlichen Sünderin, welche der Absolution und des Geldes gleich dringend bedurfte, vortheilhaft abge- schlossenen Handel. Die Lästigkeit dieser Enclave war schon oft empfunden, sie schien unerträglich jenen Män- nern, welche die neue Eintheilung des französischen Ge- bietes zu Stande brachten. Die Päpste hielten diese ent- fernten Unterthanen mild, ihr Zehenter betrug kaum den sechzigsten Theil ihrer Erndte; dennoch konnte es nicht fehlen daß diese Provençalen sich als Franzosen fühlten, und ein Theil von ihnen ward von der großen Bewe- gung ergriffen, welcher das französische Volk folgte. Im Jahre 1790 richtete man in Avignon eine Municipalität und Nationalgarden in neufranzösischer Art auf, schloß mit der Grafschaft eine Föderation. Aber auch die päpst- liche Regierung hatte ihre Partei, es kam zwischen bei- den Theilen zu Feindseligkeiten, welchen das Einschrei- ten französischer Nationalgarden aus der Nachbarschaft ein Ende machte. Jetzt riß man in Avignon die päpst- lichen Wappen ab, erbat durch eine Deputation die Ein- verleibung in Frankreich. Anders stand es mit Venaissin; hier dachte die Hauptbevölkerung päpstlich. Die Natio- nalversammlung entschied sich nach längeren Debatten, schickte Truppen nach Avignon. Diese aber, statt sich zu begnügen die französische Partei in Avignon zu be- schützen, drangen in Venaissin ein, und ermordeten ihren eigenen General, als er ihrer Zuchtlosigkeit wehren wollte. Das geschah im April 1791. Nun bemächtigten sich die Soldaten der Regierung, an ihre Spitze trat ein Wü- therich, Jourdan genannt, sie häuften Gräuel auf Gräuel, die Nationalversammlung schickte Commissarien, welche nichts ausrichteten; endlich beschloß die constituirende Sept. 14. Versammlung kurz vor dem Ablaufe ihrer Machtvollkom- menheit die Vereinigung beider Gebiete mit Frankreich, als durch die Stimme ihrer Bevölkerung entschieden. Sie sollten zum Departement der Rhonemündungen geschla- Sept. 23. gen werden, allein ein neuer Beschluß, erst nach Er- öffnung der gesetzgebenden Versammlung (Oct. 2.) be- kannt gemacht, schuf ein eigenes Departement Vaucluse, das 84ste, aus ihnen. Nichtsdestoweniger dauerten die Metzeleien der Horden Jourdans unter den Freiheits- feinden fort, ein erhabenes Beispiel für die Pikenmän- ner der Hauptstadt. Die bürgerliche Verfassung der französischen Geistlich- keit war von der constituirenden Versammlung beschlos- sen, ohne in die Verfassungsurkunde aufgenommen zu Nov. 29. seyn. Jetzt soll ihre Durchführung erfolgen. Ein Decret erschien: „Binnen acht Tagen müssen die noch unbeei- digten Priester sich vor ihren Municipalitäten zur Eides- leistung stellen; man wird Listen der beeidigten und der eidweigernden Priester abfassen; die letzteren verlieren ihre Pensionen und werden als in Verdacht der Empö- rung gegen das Gesetz und der bösen Gesinnung gegen das Vaterland stehend, sobald irgendwo Unruhen aus- brechen, von diesem Orte entfernt, und wenn sie als Anstifter erscheinen, in zweijährige Haft gebracht.“ Gegen die Gewaltsamkeit dieser Maßregel erhoben sich Stimmen in der Verwaltung des Departements der Hauptstadt, an deren Spitze der 81jährige (Herzog von) Rochefou- cauld stand. Die sämmtlichen Mitglieder dieser Verwal- tung wurden von dem Collegium der Wähler des De- partements für zwei Jahre ernannt. Alle activen Bür- ger, die einen zehntägigen Arbeitslohn steuern, sind wählbar; ihrer 36 bilden die Verwaltung des Depar- tements; ihr Vorstand ist der General-Procureur-Syndic. Dieser Oberbehörde untergeordnet sind die Verwaltungs- räthe der Districte, eben so ernannt, jeder von nur 12 Mitgliedern, mit einem General-Procureur an der Spitze. In der Oberbehörde des pariser Departements saßen Männer, welche eben noch unter den Umbildern von Frankreich in der ersten Linie standen, Sieyes, Talley- rand, Beaumetz, und wir zählen dazu auch Röderer, aus Metz gebürtig und in der ersten Nationalversamm- lung Deputirter dieser wichtigen Stadt, dessen Bedeu- tung freilich weniger in den großen politischen Fragen als im Steuerausschusse, wo es auf die indirecten Steuern ankam, hervortrat. Denn er war es, der die seit Col- bert und Turgot so oft beantragte Verlegung der Zölle an die äußere Gränze des Staates durchsetzte und den Grund zu der Abgabe des Enregistrement legte. Mit- glieder dieser Behörde also beschlossen eine Bittschrift an den König, welche ihre Unterzeichner ehrt, allein es sind deren überhaupt nur zehn, und wir vermissen insbe- sondere die Namen von Sieyes und Röderer. Man geht von der eindringlichen Bitte an den König aus, er möge in der Erhaltung der Constitution das einzige Heil Frank- reichs erblicken, und knüpft daran die Bitte, gegen das letzte Decret der Nationalversammlung sein Veto einlegen zu wollen. „Sire, die Nationalversammlung hat sicher- lich das Gute gewollt und will es beständig: wir erwei- sen ihr gern diese Huldigung, verschaffen ihr gern Genug- thuung, ihren strafbaren Widersachern gegenüber; sie hat die unzähligen Übel ausrotten wollen, wovon gerade jetzt die kirchlichen Zwistigkeiten die Ursache oder der Vorwand sind. Allein wir glauben daß dieser löbliche Vorsatz sie zu Maßregeln verleitet hat, welche die Constitution, die Ge- rechtigkeit, die Klugheit nicht dulden. „Für die Zukunft soll für alle Geistliche außer Dienst der Genuß ihrer Jahrgelder von der Ableistung des Bür- gereides abhängen, während die Constitution ganz aus- drücklich und buchstäblich diese Pensionen der National- schuld gleichstellt. Kann denn aber die Weigerung irgend einen Eid zu leisten, und wäre dieser der allergesetzlichste, ein anerkanntes Recht des Gläubigers vernichten? und kann in irgend einem Falle es dem Schuldner zustehen, hinterher eine Bedingung zu stellen, welche ihn von einer früher eingegangenen Verpflichtung befreien soll? „Die constituirende Versammlung hat in Bezug auf die unbeeidigten Priester gethan was sie thun konnte. Diese haben den vorgeschriebenen Eid verweigert, sie hat dieselben ihrer Functionen beraubt, und indem sie sie außer Besitz setzte, sie auf eine Pension beschränkt. Das ist die Strafe, das ist das Urtheil. Wie kann man nun eine neue Strafe über einen schon abgeurtheilten Gegenstand aussprechen, solange kein neues Vergehn des Indivi- duums den Stand der Frage verändert? „Die unbeeidigten Priester sind entsetzt, und nun will die Nationalversammlung sie noch für verdächtig der Em- pörung gegen das Gesetz erklären, wenn sie sich weigern einen Eid zu leisten, der von keinem Bürger sonst, wel- cher nicht in Amtspflicht steht, gefordert wird. Kann denn das Gesetz überhaupt Menschen für verdächtig der Empö- rung gegen das Gesetz erklären? Hat man das Recht der- gestalt ein Verbrechen zu präsumiren? „Das Decret der Nationalversammlung will daß die Geistlichen, welche den Eid noch nicht geleistet oder ihn zurückgenommen haben, bei allen Unruhen wegen Reli- gionssachen sollen provisorisch entfernt werden dürfen, und man soll sie gefangen nehmen, sobald sie dem Befehle sich zu entfernen nicht gehorchen. Heißt das aber nicht das System der Befehle nach Willkür zurückrufen, wenn einer, der sich nicht bewußt ist gegen ein Gesetz angestoßen zu ha- ben, verbannt oder gefangen gesetzt werden kann? „Das Decret befiehlt, die Departements-Directorien sollen Verzeichnisse der unbeeidigten Priester anfertigen und diese dem gesetzgebenden Körper einreichen, mit Bemer- kungen dabei über die persönliche Aufführung eines jeden, als ob es in der Macht der Directorien stände Menschen zu classificiren, welche, da sie keine öffentlichen Beamten sind, sich in der allgemeinen Classe der Bürger verlieren; als ob Verwalter sich entschließen könnten Verzeichnisse zu bilden und bekannt zu machen, welche in den Tagen der Aufregung sich in blutige Proscriptionslisten verwandeln können; als ob sie überhaupt fähig wären ein inquisitori- sches Verfahren einzuleiten, welches aus der buchstäb- lichen Ausführung des Decretes nothwendig flösse. „Sire, bei dem Lesen dieser Verfügungen haben alle die Individuen, welche Ihnen diese Bittschrift darbringen, sich gefragt, ob sie diese Art von Hingebung in sich füh- len: Alle haben ein tiefes Stillschweigen beobachtet. „Müßten sie denn nicht zu jedem Mitbürger sprechen: sagt uns, welches Glaubens ihr seyd, gebt Rechenschaft von euren Religionsmeinungen, unterrichtet uns von eu- rem bisherigen Gewerbe, und es wird sich zeigen ob ihr Recht auf gesetzlichen Schutz habt, ob es uns erlaubt ist euch in Frieden zu lassen. Seyd ihr geistlich, so zittert, wir heften uns dann an eure Fersen, spähen alle eure Privathandlungen aus, eure geheimsten Beziehungen erforschen wir: wie regelmäßig auch eure Betragen seyn mag, bei dem ersten Auflaufe in dieser unermeßlichen Stadt, wobei man das Wort Religion ausspricht, ziehen wir euch hervor aus eurer Zurückgezogenheit, und möget ihr noch so unschuldig seyn, wir haben die Macht euch von eurem Heerde zu treiben, den ihr euch wähltet. „Wenn Frankreich, das freie Frankreich dahin geriethe diese Sprache zu hören, wo ist der Mann, der sich ent- schließen könnte ihr Organ zu seyn? „Die Nationalversammlung verweigert allen denen, die den Bürgereid nicht leisten, das freie Bekenntniß ih- rer Gottesverehrung. Aber diese Freiheit kann niemanden geraubt werden: keine Macht konnte sie geben, keine Macht kann sie wieder nehmen; es ist von allen Arten des Eigen- thums das die erste, die unverletzlichste. Sie ist für im- mer geheiligt in der Erklärung der Rechte, in den Funda- mental-Artikeln der Constitution: sie ist demnach unan- tastbar. „Die constituirende Nationalversammlung hat sich viel- leicht niemals größer, nie Ehrfurcht gebietender in den Au- gen der Nation gezeigt, als damals wie sie inmitten der Stürme des Fanatismus diesem Princip eine glänzende Huldigung darbrachte. Es war verloren gegangen in den Jahrhunderten der Unwissenheit und des Aberglaubens, in den ersten Freiheitstagen mußte es sich wiederfinden; allein es darf nicht zum zweiten Male verloren gehen, in diesem Punct so wenig als in einem anderen darf die Frei- heit Rückschritte machen. „Vergebens wird man euch sagen, der unbeeidigte Priester sey verdächtig. Waren denn unter Ludwig XIV. die Protestanten nicht verdächtig in den Augen der Regie- rung, sobald sie sich der herrschenden Religion nicht unter- werfen wollten? Waren die ersten Christen nicht den rö- mischen Kaisern verdächtig? Waren die Katholiken nicht in England lange Zeit verdächtig? Es giebt keine Reli- gionsverfolgung, die man nicht unter diesem Vorwande rechtfertigen kann. Soll denn ein ganzes Jahrhundert von Philosophie nur dazu gedient haben uns zu der Unduld- samkeit des sechzehnten Jahrhunderts zurückzuführen, und das auf der Straße der Freiheit? Überwache man immer- hin die unbeeidigten Priester, treffe man sie ohne Erbar- men mit der ganzen Schärfe des Gesetzes, wenn sie es verletzen oder das Volk zum Ungehorsam aufreizen: nichts ist gerechter, nichts ist nothwendiger als das; allein bis das geschieht, achte man ihren Cultus wie jeden anderen und beunruhige sie nicht in ihren Überzeugungen. Weil keine Religion Gesetz ist, so sey auch keine Religion Verbrechen. „Sire, das Departement von Paris hat sich von jeher eine Ehre daraus gemacht, diese Principien standhaft be- kannt zu haben; wir sind überzeugt daß dasselbe ihnen zum Theil den kirchlichen Frieden verdankt, dessen es sich jetzt erfreut. Wohl freilich wissen wir daß es systematische Unruhstifter giebt, deren Treiben so bald nicht endet, und die man vergeblich hoffen würde zu patriotischen Gesinnun- gen zurückzuführen; aber die Vernunft und die Erfahrung aller Jahrhunderte bezeugen daß das wahre Mittel sie in Schranken zu halten darin besteht, daß man sich völlig ge- recht gegen sie beweist und daß die Unduldsamkeit und die Verfolgung, weit entfernt den Fanatismus zu ersticken, seine Wuth nur mehr entflammen. „Aus allen diesen Beweggründen und im heiligen Namen der Freiheit bitten wir Sie, Sire, Ihre Geneh- migung dem Decret vom 29sten November und den vorher- gehenden Tagen über die kirchlichen Unruhen zu verwei- gern; allein zu gleicher Zeit beschwören wir Sie mit aller Ihrer Macht den Wunsch, welchen die Nationalversammlung Ihnen kürzlich mit so vieler Kraft und so vielem Grunde ausgedrückt hat, zu unterstützen, daß die Rebellen, welche an den Gränzen des Königreiches sich verschwören, in Zaum gehalten werden mögen. Wir beschwören Sie kei- nen Augenblick zu verlieren, welchen feste, kraftvolle und entscheidende Maßregeln gegen jene Unsinnigen erfordern, die dem französischen Volk mit solcher Kühnheit zu drohen wagen. Hiedurch und hiedurch allein werden Sie zur Beschämung der übelwollenden, zum Troste der guten Bürger alles das Gute stiften, welches Ihr Herz wünscht und ganz Frankreich von Ihnen erwartet. Wir bitten Sie also, Sire, diesem doppelten Gesuche zu entsprechen und beide nicht von einander trennen zu wollen.“ So schrieben am 5ten December 1791 jene Männer, im Einverständniß mit den Ministern Montmorin und Bertrand de Molleville, und der König übte sein Veto. Dec. 19. Schon einige Wochen früher hatte er, einem Decret gegen Nov. 12. die Emigrirten gegenüber, davon Gebrauch gemacht, dieses war das zweite Mal, und es hatte Bestand; ein Versuch, die königliche Sanction bei dringenden Fällen für unnöthig zu erklären, mislang. Reden wir zuletzt von jenem ersten Veto, weil es mit den wichtigsten Entscheidungen verknüpft ist. Die Auswanderung war seit Eroberung der Bastille in verschiedenen großen Stößen erfolgt, vorzüglich nach Deutschland und in das Erzbisthum Trier; in Coblenz war der Hofhalt der ausgewanderten Königsbrüder. Von hier aus schrieben Monsieur und der Graf von Artois an den König, bevor er sich noch über die Constitution er- Sept. 10. klärt hatte, legten Protest ein gegen die neue Ordnung der Dinge. Und was sie sprachen, das waren nicht bloß Wünsche oder machtlose Drohungen. Aus den Werbeplätzen des Prinzen von Condé zu Worms, dessen Bischof der Kurfürst von Maynz war, des Cardinals Rohan und des Vicomte de Mirabeau zu Ettenheim im Breisgau, zum Straßburger Hochstift gehörig, und vornämlich des Gra- fen von Artois zu Coblenz, im Gebiete seines gastfreien Mutterbruders Ludwig Wenzels von Kursachsen, des Trier- schen Erzbischofs, stellte sich eine Emigrantenmacht von über 20,000 Mann zusammen, ein Heerd, wie Brissot sprach, der Gegenrevolution. So kam es zum Decret des 9ten November: „Die jenseit der Gränze des König- reichs versammelten Franzosen sind der Verschwörung gegen ihr Vaterland verdächtig, und wenn sie am 1. Januar 1792 noch versammelt sind, dieser Verschwörung schuldig, mithin der Todesstrafe verfallen; ihre Einkünfte fallen, so- lange sie am Leben, an die Nation, doch unbeschadet der Ansprüche ihrer Frauen, Kinder und Gläubiger. Gleich von jetzt an hören alle Einkünfte der abwesenden franzö- sischen Prinzen auf und sie sind, wenn sie bis zum nächsten 1. Januar nicht zurückkehren, der Todesstrafe verfallen, eben so alle ausgewanderte öffentliche Beamte, bürger- liche und militärische.“ Der König schrieb sogleich seinen Brüdern, mahnte sie an die Rückkehr, versagte aber dem Decret seine Zustimmung, unter Bezeugung aller Bereit- willigkeit einige Artikel desselben zu genehmigen, falls eine Trennung der Artikel zugelassen werde. Bald aber traten die auswärtigen Angelegenheiten ganz an die Oberstelle. Der auswärtigen Angelegenheiten Frankreichs will ich nur insoweit gedenken, als sie für das Verständniß der inneren dienen. Es sind die Beschlüsse vom 5ten August 1789, welche Zwiespalt zwischen dem deutschen Reiche und dem Lande der Revolution hervorriefen. Durch die Abrundung, welche Frankreich plötzlich seinem Staate gab, fiel eine Menge von geistlichen und weltlichen Hoheitsrech- ten und nutzbaren Rechten weg, welche bis dahin alther- kömmlich vom deutschen Nachbarlande her mit ihren ver- witterten Ecken tief in Frankreich hineinragten. Wie viele französische Unterthanen standen nicht unter der geistlichen Obhut eines deutschen Bischofs! Wie viele deutsche Lan- deshoheiten machten sich nicht auf französischem Gebiete geltend, mit Steuerfreiheit, Zehnten, Frohnen, Patri- monialgerichten, Leibeigenen ausgestattet, durch Staats- verträge geschützt, und von dem Allen sollte von nun an nicht mehr die Rede seyn! Die hauptsächlich verletzten deutschen Reichsstände waren die drei geistlichen Kurfürsten, die rheinischen Bischöfe, die Häuser Hessen-Darmstadt, Baden, Nassau, Würtemberg, Zweibrück, ein Theil der Reichs- ritterschaft, und es ging diese Frage keineswegs bloß die späteren Einbußen des deutschen Reiches, sondern außer Lothringen und Elsaß, auch die Freigrafschaft und Henne- gauische und Luxemburgische Gebiete an. Nun hätte sich zwar eine Ausgleichung auf dem Wege der Entschädigung finden lassen, und die Nationalversammlung erklärte sich dazu geneigt, aber sie that das lediglich in Bezug auf das Elsaß, und ohne der Ausführung ihrer Beschlüsse Anstand zu geben. Von deutscher Seite schlug man die zu vergü- tenden Verluste auf mindestens 100 Millionen Livres an, wollte aber der Mehrzahl nach überhaupt von Entschädi- gung nichts wissen, Kurmaynz trat mit Anträgen hervor, hinter welchen der Krieg lauerte, Kurtrier wollte seine Suffraganen, die Bischöfe von Metz, Toul und Verdun durchaus nicht fahren lassen. Die meisten geistlichen Her- ren, deren politischer und kirchlicher Glaube zugleich ver- letzt war, verwarfen beharrlich jede Entschädigung. Ver- geblich sprach Kurhannover auf dem Reichstag dawider die Sache auf eine gefährliche Spitze zu stellen; es zeigte sich bei der Mehrzahl der Gekränkten wenig Neigung zu bedenken daß Österreich und Preußen vor nur wenig Mona- ten mit gezücktem Schwert gegen einander gestanden, und wie so gar nichts ohne die Einigkeit dieser das an allen Gliedern gebrochene Heiligthum des deutschen Reiches ver- möge. Der neue Kaiser Leopold II. billigte die Rüstungs- plätze der Emigranten auf deutschem Reichsboden nicht, gewährte selbst keine, und auch sein Bruder, der Kurfürst von Cöln, ließ sich nicht hinreißen. In dem Kaiser kämpfte die Entrüstung gegen die französische Revolution mit seinen fried- fertigen Neigungen und der Zorn trug manchmal den Sieg davon. Er besprach sich mit dem Grafen von Artois, führte durch seinen Gesandten den Grafen Mercy mit seiner Schwe- ster der Königin einen langen geheimen Briefwechsel, der ihn darüber ins Klare setzte daß sie die Emigranten fast eben so sehr als die Jacobiner verabscheue und von der völligen Unfähigkeit ihres wankelmüthigen Gemahls, die Regierung zu führen, schmerzlich durchdrungen sey. Daneben unter- handelte er mit Preußen und Spanien, und traf mit dem preußischen Könige in Pillnitz zusammen. Der König fand, als er am 25sten August 1791 in diesem kursächsischen Lust- schlosse erschien, den Kaiser schon vor. Beide Monarchen brachten ihre Kronprinzen mit. Am Abend beim Souper ward plötzlich der Graf von Artois angesagt, der mit dem Herrn von Calonne und Bouillé und Polignac so eben angekommen. Der Kaiser verhehlte dem Könige nicht daß er den Krieg nicht wünsche, daß auch sein alter Lascy, den er mitgebracht, ganz dagegen sey, daß er für seine Nieder- lande fürchte, und allenthalben wo die Franzosen, deren Hülfsquellen groß, einrückten, die Verbreitung französi- scher Grundsätze vor Augen sehe. Beide Monarchen ver- einigten sich zu der Erklärung, daß sie in Gemäßheit der Aug. 27. von Monsieur und dem Grafen von Artois ausgesproche- nen Vorstellungen und Wünsche die Lage, in welcher der Französische Revolution. 27 König von Frankreich sich befindet, als einen Gegenstand des allgemeinen Interesses aller europäischen Souveräns betrachten, daß sie keinen Augenblick an der übereinstim- menden Überzeugung dieser zweifeln, in Folge welcher sie denn ihre Mitwirkung nicht entziehen werden, um den König von Frankreich in Stand zu setzen, die Grundlagen einer monarchischen Regierung wieder mit völliger Freiheit zu befestigen, wie solche den Rechten der Souveräne und der Wohlfahrt der Franzosen in gleichem Grade gemäß ist. In diesem Falle — und diese Schlußphrase wird Calonne zugeschrieben — sind beide Majestäten entschlossen mit der nöthigen Macht zu solchem gemeinsamen Zwecke zu verfahren, und werden mittlerweile ihren Truppen die ge- eigneten Befehle geben, um in Thätigkeit treten zu kön- nen. — In dieser Note, die in Kurzem Europa durchflog, lag zwar keine Kriegserklärung, wohl aber eine Kriegs- drohung, und kein Zweifel daß der Preußische König den Krieg lebhaft betrieb und für eine leichte Sache hielt. „Mit dem Kriege hat es nichts zu bedeuten,“ schrieb der alte kriegskundige Prinz Heinrich. Über Bürger und ein zuchtloses Heer triumphirt sich’s leicht.“ Wie mühelos war es im Herbst 1787 den 20,000 Preußen gelungen die rebellirenden Holländer ihrem Erbstatthalter wieder zu unterwerfen! Mußten die Belgier sich nicht geben als im November 1790 Österreich wirklich Ernst machte! War es nicht erst ein halbes Jahr her daß die aufrührerischen Lütti- cher gezwungen wurden bei ihrem Bischof Gnade zu suchen! Mit mehr Bedenken betrachtete Kaiser Leopold die Sache: er liebte den Frieden, ihm machten schon genug die Grund- sätze der Neuerung zu schaffen, welche sein Bruder Joseph rings in seinen Reichen ausgestreut hatte. Österreich ist auf der alten Ordnung gebaut, beides in Staat und Kirche; jeder Versuch hier umzuwandeln bedroht den wunderlich zusammengesetzten Staatskörper mit Auflösung. Wie nahe der Auflösung hatte es der Bruder Joseph nicht schon ge- bracht! Zurück also, schleunig zurück in das alte Geleise! Mit dem Preußischen Staate ist es durchaus anders bewandt. Seine Basis ruht auf der größten Abweichung vom Herkommen, welche jemals geschehen, auf der Mar- tin Luthers. Die erste große politische That der Reforma- tion war die Verwandlung des geistlichen Ordenslandes Preußen in ein Erbherzogthum im Hause der brandenbur- gischen Hohenzollern. Als hernach 1613 Kurfürst Johann Sigismund aus einem Lutheraner zum Reformirten ward: — es war ein Act der Politik, seinen jüngsten Unterthanen, den Jülichschen, und deren Nachbarn, den reformirten Hol- ländern zu Gefallen, die ihm den neuen Erwerb sollten schützen helfen. Abermals eine ungeheure Abweichung vom Herkommen, die aber außer der Erweiterung des kirchlichen Horizonts, an welchem man allmählig zwischen Theologie und Christenthum zu unterscheiden anfing, auch den Staat als solchen fester stellte, während dahingegen das Haus Sachsen, in der Geburtsstätte der Reforma- tion wurzelnd, durch Unsicherheit im Religionswesen und 27* später durch den Religionswechsel um der polnischen Krone willen seine Anwartschaft auf eine große Zukunft in Deutschland verwirkt hat. Der erste Gründer der preußi- schen Staatseinheit war der große Kurfürst Friedrich Wil- helm, indem er alle landständischen Schranken gewaltsam niederbrach. Er betrachtete sich als die Stütze des deut- schen Protestantismus und reichte dem großen Oranier, welcher die Stütze des Protestantismus im ganzen Welt- theile werden sollte, zu seinem langgepflegten Beginnen treu die Hand. Er war im Geheimniß jener Unterneh- mung, welche die Stuarts stürzte, hob dafür einen Feld- herrn den berühmten Schomberg bei sich auf, und seine Lippen, auf denen der Tod schon schwebte, verriethen ge- wissermaßen das Geheimniß seiner Seele als er seine bei- den letzten Parolen austheilte; sie hießen London und Amsterdam. Sein Sohn gab dann dem Staate die Hal- tung und das stolze Trachten, welches in der Königskrone wohnt. Sein Enkel rief mit unablässigem Bemühen die wirthschaftliche Einheit und die der Heeresmacht herbei. Nun Friedrich der Große! Durch sein Schlesien, durch seine drei schlesischen Kriege stellte er dieses noch unver- ständliche zweideutige Preußen plötzlich neben Österreich als ebenbürtig hin, und schuf zugleich das preußische Na- tionalgefühl, auch durch sein Landrecht das provinziale Trachten dem staatischen unterordnend. Friedrichs Nach- folger brauchte den Blick vor dem jungen Frankreich nicht niederzuschlagen, wenn er seines hohen Berufes sich ge- hörig bewußt war. Er konnte auf die lange Reihe seiner Vorfahren hinweisen und sagen: „Sehet, diese Männer haben in rastloser Arbeit das vollführt, was Eure Kö- nige, Franzosen, im Wohlbehagen an den Genüssen un- umschränkter Macht versäumten und darum jetzt von der Umwälzung ereilt sind, weil ihre Selbstsucht die Aufgabe so hoher Macht verkannte: die Hinwegräumung des nicht mehr haltbaren mittelalterlichen Staates. Wozu Euch eine warme Augustnacht genügte, das haben jene, freilich langsam, in Menschenaltern vollbracht. Entspricht noch nicht Alles bei uns Euren Begriffen, sehet her, ob nicht unsere Zustände reif sind zu einer weiteren Entwickelung durch Entfesselung des ländlichen und städtischen Gewerbes, und ob sie nicht sicherer begründet sind. In der kirchlichen Freiheit sind meine Preußen Euch voraus, das beweist Eure neueste Priesterverfolgung. Was freilich Eure poli- tische Freiheit angeht, auf die Ihr so stolz seyd, von wel- cher Ihr Eure Zeit datiren wollt, gewiß sie fehlt den Preußen, aber seyd Ihr der Euren denn so sicher, daß Ihr sie lange behaupten werdet? Und fragt Ihr nach Preußens Zukunft, wer sagt Euch denn daß die Hohenzollern ihre Unumschränktheit von vier Menschenaltern anders als wie einen fruchtbaren Durchgangspunct verstehen, daß der Sinn des großen Friedrich, welcher den ersten Diener des Staats in sich erkannte, vor ihren Ohren verklungen ist? Was jemals Herrliches unter den Menschen gelungen ist, Alles das liegt zwischen den großen Axen, von welchen die Welt gehalten wird, liegt zwischen Ordnung und Freiheit mit- ten inne. Ohne Ordnung keine Sicherheit, ohne Sicher- heit keine Freiheit, und Eure Ordnung sie liegt am Tode.“ Es war nicht schwer Friedrich dem Zweiten zu folgen. Niemand in der Welt ist verpflichtet ein großer Mann zu seyn, und eine gewisse Freudenlosigkeit, welche in den letzten Jahrzehnten an diesem vereinsamten Throne haftete, erleichterte den Wechsel ungemein. Ein Volk sieht gern einem frischen Prinzengeschlechte ins Auge, und seit der Alte Polen theilen half und sich zu vieler Unterwürfigkeit gegen Rußland bequemte, war es Einsichtigen klar daß der auf dem Einzigen ruhende Staat für dasmal nicht weiter zum Ziele schreiten werde. Friedrich hinterließ ein- geschulte Arbeiter, keinen Mann von Charakter. Wenn sein Nachfolger einige schreiende Härten der Verwaltung entfernte, womit sogleich ein kleiner Anfang gemacht ward; wenn er zugleich seine religiösen Neigungen mild walten ließ, manche im Übermuth der Größe zerrissenen Fäden menschlich wieder anknüpfte, so war ihm die Liebe des Volks gewiß; wichtige Bedürfnisse des Zeitalters lagen am Tage, man konnte zu ihrer Befriedigung weite Wege gehen, fremde Erfahrungen benutzend, ohne daß von ei- ner Veränderung in der Staatsverfassung für jetzt die Rede zu seyn brauchte; für jetzt, wiederhole ich. Denn arglistiger ist kein Satz erfunden und einfältiger nachge- sprochen als die Behauptung, es könne der Segen einer freien Verwaltung auch ohne eine gewisse Summe politi- scher Rechte der Unterthanen bestehen. Allein das Trach- ten dieser Bischofswerder und Wöllner, betrogener Betrü- ger, die dem neuen Könige unvermerkt die Last der Regie- rung abnahmen und mit frommer Ergebung in ihren Vortheil auf die eigenen Schultern luden, war durchaus auf jenen Stein der Weisen gerichtet, welcher die Güter dieser Welt ausschließlich in die Hände der Gläubigen bringt. Wie sie ihren König mit Geistererscheinungen täuschten, die sich sogar bis zu Christus verstiegen, eben so zuversichtlich verschlossen sie die Augen vor den Geistern, welche wirklich erschienen waren. Weil aber dem Volk eine gleiche Geistesstärke nicht zuzutrauen, legte man durch ein Religionsedict eine breite Binde um seine Augen und verpflichtete drohend seine Lehrer zu aller formalen Recht- gläubigkeit des sechzehnten Jahrhunderts, setzte den Preß- zwang wieder in Thätigkeit, welchen Friedrich hatte ver- alten lassen. Während mancher Deutsche schwermüthig be- geistert ahnte, das neue Licht von Frankreich her werde auch einen Strahl in unsere vaterländischen Abgründe werfen, schloß man in Berlin alle Läden zu und beschloß sich auf den Weg zu machen, um die Irrlichter Frankreichs auszuputzen. In diese Stimmungen und Meinungskämpfe fiel Ed- mund Burke’s gewichtiges Buch über die französische Re- volution, im November 1790 erscheinend, breit hinein. Der außerordentliche Mann hatte sich die Sache leicht ge- macht. Ohne in den Nothstand des französischen Volks, die Zerrüttung seiner Finanzen, die Rechtlosigkeit so vieler Verhältnisse irgend einzugehen, ohne Geneigtheit von den unzähligen Misgriffen der französischen Regierung, welche die Nation mit der Umwälzung vertraut machten, auch nur einen einzigen aufzudecken, bürdete er diesem leichtsin- nigen Volk und der Bosheit seiner Verführer Alles auf, stellte das Englische 1688 und 89 dem Französischen 1788 und 89 triumphirend gegenüber, und ließ den Gedanken gar nicht aufkommen daß seine Landsleute denn doch wirk- lich anderthalb Jahrhunderte gebraucht haben, um von ei- ner Verwirrung in Staats- und Kirchensachen ohne Glei- chen, von Bürgerkrieg und Königsmord zu dieser mit Recht gepriesenen Mäßigung zu genesen. Er aber will nicht ein- mal durch das Blutgerüst Karls I. gestört seyn, schilt den Doctor Price, weil er zusammenwerfe was man unter- scheiden müsse. Kein Gedanke daran, den Franzosen auch nur einigermaßen zu Gute kommen zu lassen daß bei ihnen die kirchliche Umwälzung mit der politischen unvermeidlich zusammenfiel, und das in einem Zeitalter überhaupt ge- schwächter Gewalt des Herkommens, und das in einem Volk, dessen politische Organe kläglich zerbrochen waren. Burke, der mit edler Wärme die in der Geschichte wal- tende Vorsehung verehrt, richtet gleichwohl keinen Blick auf die vielen durch Unumschränktheit morsch gewordenen Throne unseres Welttheils, die keine vorwitzige Volks- hand zum Wanken brachte; ihn ficht nicht an die tragische Bedeutung Dännemarks, wo ein Arzt das königliche Scepter ergriff und man es litt, und er es wieder verlor und Hin- richtung erfuhr, begleitet von der Beschimpfung einer Kö- nigin, und man es litt, und wo ein Menschenalter hin- durch eine usurpirte Herrschaft der anderen folgte, bloß weil im ganz unumschränkt regierten Staate niemand das Recht hat, zwischen einem Herrscher, der seiner Sinne nicht mächtig ist, und einem der es ist zu unterscheiden, außer dieser Herrscher selber. Zwar nimmt Burke sich wohl in Acht eine solche Verfassungsform anzurathen, wohl wis- send daß jeder Engländer dann sein Buch mit Verachtung zurückschieben würde; er macht die Krone des Beherrschers von Großbritannien sogar von der Erfüllung der gesetz- lichen Bedingungen des Souveränitätsvertrages abhängig — and whilst the legal conditions of the compact of so- vereignity are performed by him (as they are perfor- med) he holds his crown —; allein dieser Umstand stimmt ihn durchaus nicht billiger gegen die Völker, welche, durch grausame Erfahrungen belehrt, es eben so gut haben möchten. Er schildert nach seinen flüchtigen Reisebemer- kungen den Zustand Frankreichs vor der Revolution als recht erwünscht, seine hohe Geistlichkeit, seinen Adel als löblich gesinnt; er bezeichnet die damalige Verfassung als immer noch die beste unter den schlechtgerathenen monar- chischen Regierungsformen, obgleich voll von Misbräu- chen, „wie sie überall sich häufen müssen da wo die Mon- archie der beständigen Aufsicht einer Volksvertretung ent- behrt.“ Was aber sind, wenn man ihm glaubt, die Fol- gen des frevelhaften Umsturzes gewesen? Ein durch Aus- wanderungen verödetes, entkräftetes, verarmtes Frank- reich. „Man muß Frankreich“ so sprach er auch im Par- lament, „als ausgestrichen aus dem System Europa’s betrachten.“ Mit einem Wort, Burke’s Darstellung, so hoch sie als rednerisches Werk steht, so unvergeßlich ihre überwältigende politische Wirkung ist, kann als historische Schilderung kaum niedrig genug gestellt werden. Nun ist der Engländer gewiegt genug, um politische Parteischriften auch als solche zu würdigen; allein es han- delte sich damals nicht bloß davon ein unparteiisches Ur- theil über die französische Revolution zu begründen, es fragte sich, ob diejenigen Recht hatten, welche nun auf dem Englischen Boden einen Umbau der Verfassung nach dem gefeierten Muster Frankreichs beginnen wollten. Und hier zeigte sich Burke’s scharfer Blick, welcher, so blind für die französische Revolution als weit wirkendes Welt- ereigniß, dennoch die nächsten Folgen, die Unmöglichkeit daß eine monarchische Verfassung, so entstanden und so beschaffen wie die neufranzösische, Bestand haben könne, klarer erkannte als sonst jemand in der Welt. Der parla- mentarische Kampf, den er darüber mit seinem jüngeren Freunde und politischen Zöglinge Charles Fox bestand, bildet eine rührende Episode dieser erschütternden Zeit. Denn Fox, weder in Kenntnissen noch an Welterfahrung mit Burke vergleichbar, und in seinem Privatleben durch väterliche Verzärtelung fast so zerrüttet wie Mirabeau durch das Gegentheil, athmete in vollen Zügen die Lebensluft ein, welche der Anfang der französischen Revolution über den schwindsüchtig alternden Welttheil ausströmte, und die Schwingen seiner warmen, naturgewaltigen Rede entfal- teten sich prächtig in diesem Element. Wie innig hätte er gewünscht an der Seite seines älteren Freundes, dessen Genie Chatham zuerst erkannte als er die Rechte der Nord- amerikaner vertrat, nun an der Verjüngung des eigenen Vaterlandes arbeiten zu können! Denn er ahnte in dem was in Frankreich geschah ein zum Durchbruche ringendes allgemeingültiges Bildungsgesetz. Allein je mehr sich Fox für die Menschenrechte erwärmte, um so kälter fand er seinen Freund, der sittlich verletzt durch so viele Gräuel der Unordnung, staatsmännisch überzeugt von der Unhalt- barkeit dieser Schöpfungen, jede Nachahmung dieses Trei- bens ablehnte. Das Ende einer Freundschaft, die fast ein Vierteljahrhundert bestanden hatte, kündigte sich 1790 zu- erst durch einen Bruch zwischen Burke und Sheridan an, die sich einander im Grunde nie leiden konnten. Aber seit dem Februar 1791 trafen die Männer, die sich liebten, ernstlicher auf einander, und die Frage, ob die neue Ver- fassung für Canada aristokratische Bestandtheile und von welcher Beschaffenheit erhalten solle, führte die Krise her- bei. Noch besuchten sie sich gegen Ende April, man sah sie zu Zeiten in ernstem Gespräch mit einander gehen und zugleich in das Unterhaus treten. Aber am 6ten Mai ent- faltete Burke die Nothwendigkeit, das Recht sowohl als die Pflicht des Parlaments, jenem Lande eine Verfassung nach dem Muster der englischen Constitution zu geben, kei- neswegs aber auf der Bahn der französischen Menschen- rechte den gefährlichen Versuch zu machen die Nation durch die Nation zu regieren, was nirgend zu rathen, und am allerwenigsten in einem Gebiete, wo Franzosen mit ame- rikanischen Ansiedlern, die aus den vereinigten Staaten ausgewandert, untermischt lebten. Warnend wies er auf die Lage der französischen Colonien in Westindien, beson- ders Domingo hin, wo ein friedlicher Zustand durch die pariser Menschenrechte in ein wechselseitiges Morden aller Hautfarben umgeschlagen ist. Das Mutterland hat Trup- pen entsenden müssen und diese Menschenrechtler ermorden ihren eigenen Anführer. Soll man dem nachahmen? Von da ging der Redner zu dem inneren Zustande von Frank- reich über, zu dem Könige, welchen der erste Kerkermei- ster von Frankreich, Lafayette genannt, in Verwahrung hält, und so ferner. Als man hier Burke’n zur Ordnung rief, trat Fox diesem Rufe bei, erklärte solche Abschwei- fungen, welche die Quebecfrage nichts angingen, nicht billigen zu können, wie er denn dabei beharre die franzö- sische Revolution eines der ruhmvollsten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit zu nennen, ohne darum die ge- genwärtige französische Constitution zu preisen, welche vieler Nachbesserung durch Erfahrung bedürfe. Aber die Willkürherrschaft sey doch entfernt und das Beste des Volks werde berücksichtigt, Vieles darin verdiene Nachahmung, und sein Freund habe sein vielgelesenes Buch geschrieben, ohne hinlänglich unterrichtet zu seyn; vollends verdienten die Menschenrechte, als jeder vernünftigen Constitution zum Grunde liegend, diesen Spott durchaus nicht. Sei- nem Freunde und Meister verdanke er Alles was er von Politik wisse und namentlich in Bezug auf Nordamerika den Satz: daß der Aufstand eines ganzen Volks nothwen- dig müsse veranlaßt seyn, daß man ein ganzes Volk nicht in Anklagezustand versetzen könne. Warum denn aber jetzt nur von teuflischen und gotteslästerlichen Franzosen reden? Nun sprach Burke schwer gereizt gegen Fox, der nach zwei- undzwanzigjähriger Freundschaft ihn persönlich angreife, sein ganzes politisches Leben antaste, und nicht zufrieden mit den eigenen Plänkeleien eine ganze zum Gehorsam ein- geübte Mannschaft auf ihn loslasse, bei welchen verletzen- den Worten er von Charles Grey zur Ordnung gerufen ward. Aber Burke, heftiger erregt, wies auf seine lan- gen Dienste, seine grauen Haare hin; in diesem Alter müsse man sich sonst keine Feinde suchen, oder seinen Freunden Gelegenheit geben zu entweichen; aber für die britische Constitution wage er Alles, und seiner öffent- lichen Pflicht getreu, wolle er mit dem letzten Athemzuge rufen: „Flieht die französische Constitution!“ Leise sagte Fox: das führe noch keinen Untergang der Freundschaft mit sich, aber Burke darauf: Ja dem sey so: er wisse was ihn sein Verfahren koste, die Erfüllung seiner Pflicht koste ihn seinen Freund, ihre Freundschaft sey zu Ende. Fox stand auf, er war eine Zeitlang unfähig zu reden, seine Thränen flossen und als er endlich Worte fand, dran- gen diese nicht mehr über die Kluft zerrissener Freundschaft hinüber. Es war ein weltgeschichtlicher Hergang. In diesem England, welches seinen Bewohnern mensch- lich auszuwachsen gestattet, verstanden Viele was hier ge- schehen. Manches Talent mäßigte sich seitdem, ohne sein Ziel aufzugeben. Von Charles Grey, dem vor wenig Ta- gen (17. Juli 1845) verstorbenen, wissen wir daß er sich mit Männern verband, welche, ohne gewaltsame Mittel zu be- günstigen, mit edler Beharrlichkeit die Gebrechen hervorho- ben, an welchen jede menschliche Verfassung krankt, welche sich Verbesserungen entziehen will. An dieser Phalanx fand Chathams Sohn Pitt, der seit den französischen Ausbrü- chen jeder Veränderung abholde, seine beharrlichen Geg- ner, und nach vierzigjährigem Kampfe hat Grey die Eman- cipation der Katholiken mitwirkend erlebt und ist bei der Reform des Parlaments der Führer gewesen. Beides ge- schah im entschiedensten Gegensatze gegen Burke’s Ausspruch in jenem Buche: „Wir sind entschlossen, eine festgestellte Kirche, eine festgestellte Monarchie, eine festgestellte Aristo- kratie und eine festgestellte Demokratie gerade in dem Ver- hältnisse zu behalten, worin jede existirt, und in keinem anderen,“ und die Männer die das vollbrachten erhiel- ten England, indem sie es umgestalteten. Allein an den deutschen Höfen fuhr man fort seine politische Magerkeit mit Burke’s Brocken zu mästen, und Burke ist eine der Fackeln des unbedachtesten Krieges geworden. 3. Der Krieg und die Republik. Der Mäßigung des Kaisers Leopold kam im Septem- ber 1791 die Erklärung Ludwigs XVI. zu Statten, daß er aus freiem Entschlusse die neue Verfassung seines Reiches angenommen habe. Dem widersprachen nun freilich öf- fentlich die Emigrirten, auch König Gustav von Schwe- den widersprach, er der eben so gern von seiner schwedi- schen Revolution erzählte als ihn die französische anekelte, und selbst der Kaiser glaubte seiner Würde die Gegen- erklärung schuldig zu seyn, die Verbindung der Mächte bestehe noch. Die Hauptsache war: die Rüstungen der Ausgewanderten am Rheine dauerten fort. Da trat in der Nationalversammlung Brissot als Kriegsredner auf, hielt seine drei Reden über die Nothwendigkeit der Kriegserklä- rung, die dritte am 17ten Januar 1792. Der König 1792. ward immer heftiger gedrängt; er soll den Mächten eine Frist setzen, bis zu welcher ihre Verbindung für aufgelöst erklärt und das Emigrantenheer entlassen seyn muß; man besteht auf dem 1sten März. An eben diesem Tage stirbt der Kaiser, sein Ältester, Franz der Zweite, folgt, und am 16ten März geht mit der Todeswunde Gustavs von Schwe- den der romantische Entwurf unter, an der Spitze von Russen und Schweden durch eine Landung an der Nordküste von Frankreich und einen raschen Marsch auf Paris die Revo- lution zu schließen. Fürst Kaunitz, „der alte Kutscher von Europa,“ wollte zwar ungern mit Umwerfen endigen und nahm die Aufgabe keineswegs so leicht wie der Berliner Hof, dennoch hielt er seinen Ingrimm gegen die Neue- rung jetzt weniger im Zaum, es ward erklärt, man könne wegen der Jacobiner nicht umhin eine Macht in Belgien zusammenzuziehen. Wirklich ließ sich Ludwig die Entlas- sung seiner Minister, die, weil sie den Frieden wollten, mit Anklagen bedroht wurden, abnöthigen und nahm ein Mi- nisterium von Jacobinern nach Brissots Rathe an. Der Generallieutenant Dumouriez ward Minister des Aus- wärtigen, Clavière, der Freund Mirabeau’s, Finanzmi- nister, Servan Kriegsminister; dem Innern ward Ro- land vorgesetzt, der einzige Biedermann im Ministerium, allein darum nicht minder Schwärmer für unbegränzte Freiheit als jemand sonst im Jacobinerclub. Mit ihm schwelgte in dem Gefühle der hohen Bestimmung Frank- reichs, der ganzen Welt Ehre und Freiheit zu bringen, seine hochherzige Frau, die bei hohem Gemüth und kräf- tigem Verstande doch Worte für Thaten nahm, den fla- chen Brissot für einen ganzen Mann und einen Charakter hielt. Der begabteste unter Brissots Ministern war ohne Vergleich Dumouriez. Dieser Durchtriebene spottete seiner Collegen, die an Frau Rolands Arbeitstische ihre Staats- sachen zu berathen kamen, und schuf sich sogleich ein selb- ständiges Gebiet, indem er sich 6 Millionen für geheime Ausgaben vorbehielt, von welchen er keine Rechenschaft geben wollte. Bei den Jacobinern sprach Robespierre gegen den Krieg, theils aus Misgunst gegen den Einfluß Brissots und der Gironde, theils weil er wie so viele Jacobiner die Constitution haßte, insofern sie einen König enthielt, welcher leicht durch den Krieg, wie dieser auch gehen mochte, an Macht gewinnen konnte. Niemand aber ging mit beklommnerem Herzen in den Krieg als Ludwig. Man sah Thränen in seinen Augen, als er am 20. April in der Nationalversammlung dem Gutachten seines Con- seils, von Dumouriez verlesen, seine Beistimmung ertheilte und den Antrag machte, dem Könige von Ungarn und Böhmen den Krieg zu erklären. Der Beschluß ward in derselben Sitzung gefaßt. Der Widerstand der Feuillants, so nannte man damals die Freunde der constitutionellen Monarchie, blieb wirkungslos. In diesem Schritte, ohne Finanzen und Heer wie man war, lag alle Verwegenheit der Revolution, aber keine so baare Unvernunft. Man hoffte, auf alte Eifersucht bauend, das deutsche Reich, welches zur Zeit noch ohne Kaiser war, und Preußen von Österreich zu trennen, man baute auf Sympathien in Belgien. Zugleich schickte man den Talleyrand-Perigord nach London, um, wenn es Französische Revolution. 28 möglich wäre, ein Bündniß zwischen Frankreich und Eng- land zu erlangen. Talleyrand durfte, als früheres Mit- glied der constituirenden Versammlung, zwar nicht als Botschafter auftreten, allein er überwand die Schwierig- keiten seiner Stellung. Gewiß, an ein Bündniß war nicht entfernt zu denken, allein die Zusicherung, daß England nicht Partei nehmen werde, konnte für ein Großes gelten. Von Kaiserin Katharina wußte man daß sie ihren lieben Nachbarn den Krieg eben so gern gönnte, als selber drau- ßen blieb. Man kannte Spanien und Sardinien genug, um beide nicht zu fürchten. Im äußersten Falle machte man überall auf die Völker Rechnung. Ich sagte: Frankreich war ohne Heer, und meinte ein disciplinirtes Heer. Man hatte sonst noch die alte gewor- bene Truppe, allein seine Officiere waren zum Theil aus- gewandert, zum Theil unerfahren, die gedienten wurden als adlich mit Mistrauen betrachtet, auch traute man allen den Regimentern nicht, welche aus geworbenen Auslän- dern bestanden. Man hoffte sie bald durch zahlreiche Frei- willige, die aus den Nationalgarden in die Linie träten, ersetzen zu können. Übrigens zählte man 150,000 Bewaff- nete und vielleicht darüber, die in drei Heere von fast glei- cher Stärke an der deutschen Gränze vertheilt waren, unter den Generalen Rochambeau, Lafayette und Luckner. Ich nannte Frankreich ohne Finanzen, weil es mit Papiergeld wirthschaftete, welches in gewaltigen Lasten ins Lager versandt und hier, wie aus langem Stroh das Häcksel für die Pferde, von den großen Bogen für die Soldaten zurechtgeschnitten ward. Allein im Kriege kommt das Be- dürfniß vieler Zahlungsmittel auch den schlechteren zu Gute, und wenn der Krieg nur gut ging, so ließ es sich rechtfertigen daß man die Assignaten jetzt auf 1900 Mil- lionen brachte. Am 28sten April begannen die Feindseligkeiten, nach Dumouriez’s Plane. Man will durch einen raschen Einfall in Belgien die neuerdings erst beruhigten Unzufriedenen hier ermuthigen. Nur 30,000 Österreicher standen im Lande; wie sich Preußen auch entscheiden mochte, für jetzt galt das gleich, seine Macht war noch nicht im Felde. Allein so fein Dumouriez auch rechnete, sein Anschlag er- fuhr ein schmähliches Mislingen. Gleich beim ersten Ein- rücken kehrten Tausende von Angreifern vor wenig Hun- dert Österreichern um und wandten, Verrath rufend, ihre Waffen gegen die eigenen Officiere, so daß der bewährte Rochambeau seinen Befehl mit der Erklärung niederlegte, es sey ihm unmöglich da zu bleiben, wo Feiglinge dem Feinde den Rücken kehrten und Bösewichter ihre Officiere niederschössen. Die Feindseligkeiten endigten so schnell als sie begonnen hatten. „Ich habe das seit sechs Monaten vorausgesagt,“ schrieb Marat, „die Armee hätte damit anfangen sollen, ihre Generale zu massacriren.“ In diesen blutigen Worten lag einige Wahrheit: denn alle drei Feldherrn waren Gegner Dumouriez’s und seines Angriffs- krieges. 28* Inzwischen war für den französischen Boden nichts zu besorgen, solange Preußen zauderte, und man sprach in der Hauptstadt vornämlich von der Nothwendigkeit, sich vor den inneren Feinden bei Zeiten sicher zu stellen. Unter diesen verstand das Volk die Hofpartei (auch Königin oder österreichisches Comité genannt) und die eidweigernden Priester. Gegen letztere schleuderte die Nationalversamm- Mai 25. lung ein Decret, welches jeden von ihnen zur Deportation verurtheilte, sobald zwanzig Einwohner seines Aufent- haltsortes darauf antragen würden. Aber der Haß, ja die Wuth des gemeinen Mannes gegen die Königin stei- gerte sich mit jedem Tage und hatte insofern Grund, als sie in den Heeren des Auslands ihre Befreier erblickte und mit dem Wiener Hofe beständigen geheimen Verkehr un- terhielt. Jede Vermuthung dieser Art ward zur Gewißheit ausgeprägt und mit der schreiendsten Farbe des Verraths bemalt. Allein es ward auch für eine Gegenmine gesorgt, um bei der Annäherung des Feindes so verderbliche Plane in die Luft zu sprengen. Unter dem Vorwande der Wie- derbegehung des Bastillefestes will man 20,000 auserle- sene Nationalgarden aus den Departements nach Paris bringen und hierauf in einem Lager bei Soissons fest- halten, mit der Bestimmung, nöthigenfalls zum Schutze der Hauptstadt verwandt zu werden. Dieser Entwurf ging sogar von einem der königlichen Minister aus, dem Kriegs- minister Servan, der in Einverständniß mit Roland und Clavière, ohne dem Könige und den übrigen Ministern etwas darüber mitzutheilen, ihn als Antrag an die Natio- nalversammlung brachte, welche denselben schleunig zum Decret erhob. Dumouriez, welcher die Krone, soweit es Juni 8. sein Vortheil zuließ, gern gestützt hätte, der Gironde keineswegs zugethan, benutzte diesen unverzeihlichen Ver- stoß für die Entfernung der drei Minister; als er aber zu gleicher Zeit inne ward daß der König entschlossen sey beiden Decreten seine Genehmigung zu versagen, war er schlau genug, dem Sturme auszuweichen, nahm seine Entlassung, ging zum Heere Luckners ab. Juni 18. Am 19ten Junius sprach der König nach langer Zöge- rung sein Veto gegen beide Decrete aus, und gleich den Tag darauf, am dritten Jahrestage des Ballhausschwures, setzten sich die Pikenmänner der Hauptstadt in Bewegung. Juni 20. Mögen Andere untersuchen, wer das von Anfang her an- gestiftet, und was in diesen Auftritten über den gelegten Plan hinausging. Gewiß ist, die Gironde zürnte dem Könige, weil er zu Feuillants-Ministern zurückgekehrt war, und von Männern, die in Betracht der Zeitlage es schon vor einem Vierteljahre angemessen fanden, für die endlich eingefangenen Kopfabhacker von Avignon eine Amnestie auszuwirken, läßt sich keine Gewissenhaftigkeit in Wahl der Mittel erwarten. Dennoch hat man nicht immer ge- than, was man wohl gethan haben könnte und zu begün- stigen geneigt ist. Aus den Vorstädten St. Antoine und St. Marçeau quoll der Aufstand hervor, eine Anzahl Na- tionalgarden, nicht viele, voran, gleich als gälte es ein gesetzliches Vorhaben, aber Tausende von Rothmützen mit Piken, Spießen, Äxten hinterdrein. Der Anführung unterzieht sich der Brauer Santerre, Befehlshaber eines Bataillons Nationalgarden aus St. Antoine; unter den Wegweisern erkennt man den nervigen Fleischer Legendre, und auch jenen Maillard vom 5ten October. Die Natio- nalversammlung war gewarnt, sie berathschlagte noch über die Mittel die Tuilerien zu schützen, als Santerre für sich und seine Mitdeputirten, die Vertreter von 8000 Bittstellern, Gehör erbat. Vergniauds beredte Stimme unterstützte den Antrag, und die Versammlung willfahrte dem Eintritte bewaffneter Männer. Ihre Rede enthielt Klagen über die Unthätigkeit der Heere nach angefangenem Kriege; sie schildert den König, der seine patriotischen Minister fortgeschickt hat, als Verräther an der Volkssache. „Wir verlangen die Vollziehung der Menschenrechte! Darf ein Mensch, den man aus Rücksicht ( par un souvenir ) an seinem Posten gelassen hat, sich gegen den Willen von 25 Millionen auflehnen? Hat die ausübende Macht Schuld, so werde sie vernichtet.“ Nicht lange darauf drang die ganze Masse in den Sitzungssaal ein und durchzog densel- ben unter kriegerischer Musik. Dieser schimpfliche Auftritt dauerte viele Stunden lang, denn wer nur wollte, auch Weiber und Kinder schlossen sich an, und noch wälzte sich das Gewühl hier fort, als der Vortrab dieser Hor- den bereits in den Tuilerien schaltete. Denn hier hatte man sich freilich in Vertheidigungszustand gesetzt, die Na- tionalgarden waren endlich erschienen, auch fanden sich ein Paar Hundert Edelleute ein, bereit ihr Leben für das königliche Haus zu opfern, aber letztere entließ der König, und die Nationalgarden hielten doch nicht hinlänglich fest. Die Verführung, hier versucht und dort, fand ihren Ein- gang, und eine kleine Pforte genügte, um den weiten Palast mit bewaffneten Vorstädtern zu erfüllen. Als man an die Thür des königlichen Gemaches schlug, ließ der König aufschließen, und bald erblickte man den Monarchen mitten unter dem wüsten Haufen, mit der rothen Mütze bekleidet und auf das Wohl der Nation trinkend. Als Legendre ihn Monsieur anredete, mischten sich Erstaunen und Unwillen in Ludwigs Blicken, aber auf den Zuruf der Menge: Be- stätigung der Decrete! Nieder mit den Priestern! erwi- derte er mit Ruhe, dies sey nicht der Augenblick zur Ent- scheidung. Erst als ganz verspätet Pétion im Schlosse erschien, auf einem Stuhle stehend die Menge wegschmei- chelte, leerten sich allmählig die Gemächer; worauf der Maire im Moniteur erklärte: „Niemand würde in dem ganzen Auftritte etwas mehr erblickt haben, als eine fried- liche Deputation der Vorstädte von imposanter Haltung ohne Verletzung der Personen und des Eigenthums, wäre diese nicht zufällig, wie eine Masse, welche dem Gesetze der Schwere folgt, in das königliche Schloß gerathen; kein vernünftiger Mensch könne darin etwas von Vorbedacht entdecken.“ Daß der König ein Verfahren gegen Pétion anstellen ließ, sicherte diesem lediglich einen Triumph, und da man bereits von mehreren Tausend Föderirten wußte, die sich auf den Weg nach Paris zum Bastillefeste gemacht hatten, so kam es wenig darauf an, ob der König sein Veto festhielt oder zurücknahm. Aber niemanden verwundete die Kunde von dieser be- ginnenden Tyrannei der Ausgelassenheit schmerzlicher als Lafayette. Schon einmal hatte er aus dem Lager ein Schrei- Juni 16. ben an die Nationalversammlung gerichtet, die Jacobiner verklagend, die Versammlung ermahnend an die Stelle der Herrschaft der Clubs die Herrschaft des Gesetzes zu setzen; Juni 28. jetzt aber erschien er selbst in der Versammlung, sprach seine und seines Heeres Entrüstung aus, verlangte die strengste Untersuchung; allein er ward mit Unwillen gehört, kaum mit der Anklage verschont, und schied mit dem bittern Ge- fühle seiner völligen Machtlosigkeit. Nun bildete er einen Plan aus, den König nach Compiegne zu bringen, nicht heimlich, sondern wie es damals Mirabeau meinte, auf dem Wege einer öffentlichen Abreise, welche Lafayette und Luckner, die das Constitutionsfest nächstens (14. Juli) nach Paris bringen wird, den Tag darauf persönlich decken werden. Allein der König war zu tief gebeugt, um noch etwas zu wagen, und die Königin betheuerte, lieber um- kommen zu wollen, als diesem Manne ihr Leben zu ver- danken. Sie zählte recht eigentlich die Tage bis zur Ankunft ihrer Befreier. Juni 26. Und sie versprachen zu kommen. Denn endlich erschien die Kriegserklärung des Berliner Hofes, und 45,000 Preu- ßen, 6000 Hessen und 20,000 Österreicher rückten heran, um den Marsch auf Paris vereinigt anzutreten; dazu kamen 12,000 Emigrirte, welche jedoch die französische Königin nicht werkthätig gebraucht zu sehen wünschte, damit die Leidenschaften eines bürgerlichen Krieges ver- mieden würden. Das hieß den Widerstand des französi- schen Volks nicht hoch anschlagen. Den Oberbefehl über die gesammte Macht erhielt der regierende Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, aus der Kriegs- schule Friedrichs, seines Oheims, und derselbe, welcher jüngst die Holländer zu Paaren trieb. Gewiß keine leichte Aufgabe ein so gemischtes Heer zu befehligen, zumal bei persönlicher Anwesenheit des preußischen Königs, und der Herzog bewies der Welt seine Unfähigkeit, sie selbständig zu lösen, noch vor dem Aufbruche, indem er sich ein Kriegs- manifest, dessen Inhalt seinen Ansichten widerstritt, durch Juli 25. Emigranteneinfluß aufdringen ließ. Denn in dieser Arbeit entsprach dem richtigen Ziele nichts als die Versicherung beider Mächte, keine Vergrößerungen zu beabsichtigen und sich in die innere Regierung von Frankreich nicht mischen zu wollen. Was weiter folgt sind Drohbefehle, wie sie selbst nach einer gewonnenen Feldschlacht nicht an der Stelle gewesen seyn würden. Den französischen National- garden wird aufgegeben, provisorisch die Ordnung aufrecht zu erhalten bis zur Ankunft der kaiserlichen und königlichen Truppen, dafern sie aber Widerstand zu leisten wagen, sollen sie als Rebellen gestraft werden. Eben so alle Be- wohner von Städten, Flecken, Dörfern, welche die Waf- fen ergreifen, und ihre Häuser werden verbrannt. In Ab- sicht der Linientruppen hat es nun zwar bei der Ermahnung, zum Könige zurückzukehren, sein Bewenden; was dagegen die Stadt Paris angeht, so werden alle Mitglieder der Nationalversammlung, der Municipalität, der National- garde wegen jedes Vergehns gegen den König und seine Familie verantwortlich gemacht, „und außerdem erklären Ihre Kaiserliche und Königliche Majestäten, daß wenn dem Schlosse der Tuilerien Gewalt oder Zwang geschieht und die geringste Gewaltthätigkeit dem Könige, der Königin und der königlichen Familie zugefügt wird, — sie eine exemplarische und für immer denkwürdige Rache nehmen werden, indem sie die Stadt Paris der militärischen Execution und einer gänzlichen Zerstörung überliefern, die schuldigen Aufrührer aber dem verdienten Strafgericht.“ Dagegen werden dieselben Majestäten sich bei Seiner aller- christlichsten Majestät verwenden, den Bewohnern von Paris, wenn sie sich unterwürfig zeigen, ihr Unrecht, ihre Verirrungen zu verzeihen. Der König wird eingeladen, sich einer Escorte, welche man ihm senden wird, zu bedie- nen, um sich in eine Gränzstadt zu begeben und daselbst nach seinem Willen und durch Berufungen, welche ihm zweckmäßig scheinen, die künftige Verwaltung des König- reiches festzusetzen. Hiemit aber schien noch nicht einmal genug gethan. Der Herzog schickte eine nachträgliche Er- Juli 27. klärung hinterdrein, welche in dem Falle der Entführung des Königs und seiner Familie aus seiner Hauptstadt alle Ortschaften, welche sich solchem Beginnen nicht widersetzen, mit denselben äußersten und unerläßlichen Strafen wie die Stadt Paris bedroht. Wer da behaupten wollte, der französische Königsthron sey durch diese Coblenzer Manifester umgestürzt, sagte ganz gewiß zu viel. Allein ein zweckmäßigeres Mittel, den König zum Volksfeind zu stempeln und alle politischen Parteien in Frankreich zum einträchtigen Widerstande zu entflammen, konnte nicht erdacht werden. Ein König, dessen völlige Unfähigkeit ein Recht der Herrschaft nach dem andern dem Volk überliefert hat, soll nun durch einen „militärischen Spaziergang“ von Ausländern, welche Polen theilten, dieses selbige Volk mit gebundenen Hän- den ausgeliefert erhalten, damit er diejenige Strafe an ihm übe, welche die Rachsucht der Ausgewanderten seiner Schwäche dictiren wird. Ganz dahin sind also alle hohen Gedanken, welche seit drei Jahren Frankreich begeisterten und den aufmerksamen Welttheil in ein zwischen Hoffnung und Sorge getheiltes Erstaunen setzten, eine schmählichere Unterwürfigkeit als jede frühere tritt an ihre Stelle. Denn das steht ja fest: diese Zurückgekehrten werden nicht allein ihre Habe zurückfordern, welche neuerdings erst der ver- letzten Nation als Schadloshaltung zugesprochen ist, der- März 30. selbe Sturm, welcher das politische Recht der Franzosen entblättert, wird dem dienstlosen Leben des Landmannes, dem geliebten Grundsatze der Gleichheit in Besteurung und persönlichen Rechten, wird dieser herrlichen Fülle allver- theilten bürgerlichen Grundbesitzes ein Ende machen, Alles Segnungen, welche, so neu sie sind, doch so innig im Volksbewußtseyn haften, wie sich der Regen des Himmels mit der durstenden Flur vermählt. Wer es versteht mensch- liche Dinge mit dem Maße menschlicher Kräfte zu messen, der begreift auch, wie die Lehre der Marats: „Es ist ein Verbrechen König zu seyn,“ von nun an geläufig werden konnte. In der Nationalversammlung irrten die Gedanken in Erwartung des feindlichen Einbruches geschäftig hin und her. Man ahnte in den Tuilerien einen schlummernden Feind, welchen die Kanone des Auslands wecken konnte, und gleichwohl trug man Bedenken ihn zu entwaffnen, die Verfassung in demselben Augenblicke zu verändern, da sie auf dem Schlachtfelde vertheidigt werden sollte. Somit wechselten freundliche Ausgleichungsversuche mit herben Anklagen. Man erklärte den einen Tag weder die Republik noch zwei Kammern zu wollen, den andern hörte man Brissot gläubig zu, wie er die Verschwörung des Hofes gegen die junge Freiheit enthüllte. Am großen Bundesfeste Juli 14. erschien der König in einen Brustpanzer von funfzehnfachem italiänischen Atlas gehüllt. Aber keine Dolche bedrohten ihn, wenn das nicht ein Dolchstich war daß ein Redner des Tages sprach: „Alle Könige verschwören sich zum Untergange des französischen Volks; schwören wir den Untergang der Könige.“ Und fast kein Hoch für den König ward gehört, um so häufigere für Pétion. Die Erklärung, das Vaterland sey in Gefahr, war geschehen, und daß der König nicht mehr an der Spitze bleiben könne galt für ausgemacht. Vergniaud, Guadet, Gensonné betrieben einen Verzicht des Königs zu Gunsten seines Dauphins, als Brissot die Nationalversammlung zu einer Untersuchung aufforderte, welche durch den Artikel der Verfassungsur- kunde: „Sollte sich der König an die Spitze eines Heeres stellen und dieses gegen die Nation führen oder sollte er sich einem solchen Unternehmen, falls dasselbe in seinem Namen ausgeführt würde, nicht förmlich widersetzen, so wird er angesehen, als habe er dem Königthum entsagt“ — allerdings begründet ward. Die Nationalversammlung hatte bereits den Beschluß gefaßt zu untersuchen, ob der Juli 26. durch die Constitution vorgesehene Fall eingetreten sey, als das große Manifest der Feinde in der Hauptstadt eintraf. Es stand im Moniteur vom 3ten August, und an demsel- ben Tage verlangte Pétion im Namen der Hauptstadt die Erklärung des verwirkten Thronrechtes in Rücksicht auf den nahenden Feind, nicht bloß jene beiden Despoten, „die ein eben so unverschämtes als abgeschmacktes Mani- fest erlassen haben,“ sondern eine Schaar von Vaterlands- mördern, Franzosen, geführt von den Brüdern des Königs. Entsetzung des Königs und Ernennung der Minister durch die Nationalversammlung, jedoch mit Ausschließung ihrer Mitglieder, war sein Antrag, und die Nationalversamm- lung beschloß denselben am 9ten August in Erwägung zu ziehen. Als sie aber an diesem Tage die Verwirkungsfrage bis auf einen andern Tag aussetzte, gab eine Section der Hauptstadt ( des Quinze-vingt in der Vorstadt St. Antoine) die Erklärung ab, daß wenn nicht die Entsetzung noch den- selben Tag ausgesprochen werde, man um Mitternacht die Sturmglocke läuten, Generalmarsch schlagen und die Tui- lerien angreifen werde. Da lud die Nationalversammlung Röderern, der kürzlich nach dem Rücktritte der gemäßigten Mitglieder der Departementalverwaltung an die Spitze derselben gelangt war, und den Maire Pétion vor ihre Schranken, befragte Beide, ob sie hinlängliche Sicher- heitsmaßregeln getroffen, und beruhigte sich bei ihren allge- meinen Zusagen. Man wußte in den Tuilerien seit mehreren Tagen was bevorstand, jetzt war sogar die Stunde angekündigt, und Schweizer, Linientruppen, Nationalgarden, schwere Ge- schütze wurden herbeigezogen. Die Nationalgarde stand unter Mandats Anführung, eines treuen und bedächtigen Mannes. Dieser traf Abends seine Anstalten, und ließ dem Pétion, der zugleich mit Röderer auf das Schloß be- schieden war, keine Ruhe, bis er ihm den schriftlichen Be- fehl ertheilte, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Über 200 Edelleute stellten sich zur Vertheidigung ein; diese zwar hätte Mandat gern entfernt gesehn, ihr Anblick erin- nerte die Nationalgarden an eine Zeit, welche nicht wieder- kehren durfte. Mit dem Schlage Zwölf läuteten die Sturmglocken, der Generalmarsch setzte die Vorstädter von St. Marceau, von einem Namens Fournier geführt, in Bewegung, die von St. Antoine rückten unter Santerre und Westermann herbei; mit den Marseillern kamen Danton, Camille Desmoulins, Carra; wir werden mit diesen die Haupt- planmacher des Tages genannt haben. Der erste Streich wird auf dem Stadthause geführt. Man dringt ein, setzt die versammelte alte Municipalität ab, bildet eine neue, in welche ein Theil der bisherigen Mitglieder übergeht, als da sind, außer dem abwesenden Maire Pétion, Manuel, welcher kürzlich mit Pétion wegen des 20sten Junius verklagt und freigesprochen ward, und Danton, aber auch der in späteren Tagen ehrenwerthe Name Royer Collards taucht hier zum ersten Male in solcher Genossen- schaft auf. Unter den neuen Mitgliedern befinden sich Namen von einer bald furchtbaren Berühmtheit, als Fabre d’Eglantine, Chaumette, Hebert, Billaud-Varennes, der thatscheue Robespierre trat erst den folgenden Tag nach erfochtenem Siege ein. Dieser neue Gemeinderath beschied nun den Pétion, als sein erstes Mitglied, aus dem Schlosse zu sich, und man wagte dort nicht ihn zu verweigern. Er erschien, doch nur um wieder zu verschwinden. Denn war er im Schlosse wider Willen unter Aufsicht gehalten, hier im Stadthause ließ er sich gern als einen Verdächtigen unter Wache stellen, um nicht mit seinem an Mandat er- theilten Befehle, durch das was jetzt bevorsteht, in zu schreienden Widerspruch zu treten. Denn nunmehr wird Mandat beschieden: er soll augenblicklich erscheinen. Dieser wußte nichts von dem Umsturze der rechtmäßigen Behörde, gleichwohl war er unschlüssig, endlich ließ er sich bereden den kurzen Weg anzutreten und schied in der Hoffnung bei Zeiten wieder zurück zu seyn. Allein kaum ist er angelangt, hat erstaunt die fremden Gesichter erblickt, so wird er als Verbrecher verhört, zur Abführung nach der Abtei verurtheilt und unten auf dem Platze ermordet. Der Plan war meisterhaft berechnet und durchgeführt. Mit Mandats Falle brach der ganze Widerstand der Tui- lerien zusammen. Denn als nun das Heer der Vorstädte sich nahte, 20,000 an der Zahl, da trat vergeblich der König zur Musterung seiner Bataillone hinaus; ließ auch ein Theil der Truppen den König leben, viel lautere Stim- men brachten der Nation und dem Pétion ein Hoch! und zuletzt scheuchte ein mächtiges: Nieder mit dem Veto! Nieder mit dem Verräther! den Fürsten blaß und entmu- thigt in sein Schloß zurück. Wohl sprach Röderer, den Schein rettend, jetzt den Befehl aus, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, allein in demselben Augenblicke drehten die königlichen Kanoniere ihre Geschütze um, richteten sie gegen das Schloß, und die Vorstädter drangen schon ohne Wider- stand zu finden durch alle Eingänge ein. Es war 8 Uhr Morgens, da erschienen Mitglieder des neuen Gemeinde- rathes in den Tuilerien, meldeten, das Volk verlange die Entsetzung des Königs. Hierauf gab Röderer den Rath, der König möge, da Widerstand unmöglich, sich in den Schooß der Nationalversammlung begeben, dort seine Sicherheit suchen. Und unter der Bedeckung von 200 Schweizern und einer Abtheilung Nationalgarde brach Ludwig auf, begleitet von Gemahlin und Schwester und den königlichen Kindern. Als er in die Versammlung trat, sprach er: „Ich bin hieher gekommen, um ein großes Verbrechen zu verhindern, und ich denke daß ich nirgend sicherer seyn kann als in Ihrer Mitte,“ nahm dann Platz an der Seite des Präsidenten Vergniaud. Allein auf die Bemerkung daß der gesetzgebende Körper nicht in Gegen- wart der vollziehenden Gewalt berathen dürfe, mußte der Monarch seinen Ehrenplatz verlassen und mit seiner Familie in die enge Loge eines Schnellschreibers für die Tages- presse treten. Hier sah man ihn den langen Tag hindurch bis nach Mitternacht unbeweglich sitzen; die Krone von Frankreich ward vor seinen Augen zerbrochen. Zuerst fielen die Tuilerien in die Hände ihrer Bestür- mer, unvertheidigt. Denn kaum hatte der König das Schloß verlassen, als die Nationalgarde abzog; sie be- trachtete ihre Aufgabe als beendigt. Soll sie leere Wände vertheidigen? Wie gern hätte der König nur seine Schweizer gerettet, ein neu angekommenes Regiment, welches sicher nicht, das wußte er, ohne seinen Befehl vom Platze wich! Aber ehe noch die Deputirten der Nationalversammlung zur Stelle kamen und dazwischen treten konnten, hörten sie schon den Donner der Kanonen. Der Kampf hatte begonnen, zuerst im Freien; hierauf, als die Schweizer Französische Revolution. 29 vor der Übermacht zurückwichen, setzte er sich in den Gän- gen des Schlosses und seinen Gemächern fort, und wo es die Verfolgung von Flüchtigen galt, auch in den Straßen rings. Man sprach von 700 gemordeten Schweizern, aber auch von den friedlichen Schloßeinwohnern wurde was vorkam geschlachtet; ein Theil des Schlosses stand in Flammen. Es war zehn Uhr Morgens; da erschien eine Deputation des Gemeinderathes vor der Nationalversamm- lung, erklärte, man werde keine Hand rühren um den Brand zu löschen, es sey denn daß die Entsetzung des Kö- nigs ausgesprochen werde. Hierauf beantragte Vergniaud die Suspension der königlichen Gewalt und daß der König mit seiner Familie unter Aufsicht gestellt werde, die Bestellung eines Erziehers für den königlichen Prinzen, ingleichen die Berufung eines Nationalconvents, welcher über die künftige Verfassung Frankreichs die Entscheidung treffen wird. Während der Debatte und Abstimmung sah man den König ruhig dasitzend, auf das Gesimse seiner Loge gestützt, unveränderten Angesichts. Der Dauphin schlief auf dem Schooße der Königin. Für den Rest der Nacht ward nun die königliche Familie im Sitzungsge- bäude nothdürftig untergebracht; sie sollte demnächst im Schlosse Luxembourg wohnen. Allein hiegegen sprach der Gemeinderath ein, verlangte einen besser zu bewachenden Aufenthalt und entschied für den Tempelthurm, die alte Re- sidenz der Tempelherren. Hier standen Pétion und Santerre, Mandats Nachfolger, für die Staatsgefangenen ein. Das nächste Geschäft war die Wahl neuer Minister. Die Nationalversammlung setzte einige der früher vom Könige entlassenen durch Abstimmung wieder ein, Roland, Servan, Clavière; da Dumouriez beim Heere nicht ge- mißt werden konnte, trat Lebrun an seine Stelle, Minister der Marine ward der große Mathematiker Monge. Als Justizminister trat aber Danton ein, der große Feldherr des zehnten Augusts; seine eigene Verwunderung, sich an diesem Platze zu finden, sprach er mit den Worten aus: „Mich hat die Kanonenkugel, welche gegen die Tuilerien flog, ins Ministerium getragen.“ Der Preis, um welchen Mirabeau sein ganzes Leben hindurch vergeblich warb, fiel diesem Manne auf einen Schlag zu, und daneben hatte der Verschuldete große Summen vom Hofe, und noch vor wenig Tagen, als die Angst stieg, viele Tausende heimlich gezogen. Er konnte, und vielleicht schloß er in seinem rohen Sinne so mit sich ab, seine Gegenrechnung darauf stellen, daß am 10ten August das Leben des Königs und seines Hauses in Dantons Hand gegeben war und geschützt ward. Unvermeidlich aber erschien jetzt Lafayette’s Sturz, der, so oft schon verklagt und freigesprochen, seine innere Entrüstung laut kundgab, nicht bloß gegen diesen die höchste Staatsgewalt frech usurpirenden Gemeinderath, sondern eben so stark gegen diese Nationalversammlung, die so feige als gleißnerisch den Thaten der Gewalt eine gesetzliche Form gebe. Wie, wenn es ihm glückte sein Heer 29* und die nächsten Departements für die Erhaltung der mit Füßen getretenen Constitution, des Gegenstandes seiner ehrlichen Begeisterung, zu gewinnen? Die Nationalver- sammlung schickte drei Commissäre ab, um die neuen Be- schlüsse zu verbreiten und neue Eide den Heeren abzuneh- men. Diese ließ Lafayette zu Sédan durch die Obrigkeit verhaften, als gesendet von einer Versammlung, welche bei Fassung jener Beschlüsse sich im unfreien Zustande be- funden habe. Das hieß ein großes Werk beginnen, dessen Durchführung geradezu unmöglich war. Alle Ehre dem reinen Willen, allein dem ist so. Will Lafayette, welcher weiß daß sein Heer ihn liebt, dieses zu dem Feinde hin- überführen, um dann vereint mit den Auswärtigen und den Ausgewanderten die Königsmacht wieder herzustellen? Unmöglich für ihn, hochgesinnt wie er ist, das zu wollen, eben so unmöglich daß er sein Heer dazu vermöge. Will er denn sich mit dem Heere gegen die Hauptstadt wenden, dort der Verfassung den Sieg erzwingen und dann zurück gegen den auswärtigen Feind? Dahin hätte ein Mann wie Lafayette sich wohl geneigt. Aber wird sich nicht durch die gerissene Lücke der Feind den Weg ins Vaterland bah- nen, die zwieträchtige Revolution besiegen? Ist er auch der übrigen Oberfeldherrn irgend gewiß? Wird die An- hänglichkeit seines Heeres, welches die höchste Gewalt in der Nationalversammlung zu ehren gewohnt ist, so weit reichen? Die Nationalversammlung war unermüd- lich, schickte neue Commissäre, neue Befehle, die Vorge- setzten der anderen Heere und Heeresabtheilungen unter- warfen sich diesen Befehlen, wenn auch zum Theil zau- dernd, aber doch wirklich, und Dumouriez, welcher un- ter Luckner ein Corps commandirte, ging Allen in Bereit- willigkeit voran, denn er schätzte richtig die nächste Zu- kunft. So stand Lafayette plötzlich allein, und als am 19ten August die Nationalversammlung ihn für einen Ver- räther erklärte, blieb ihm von aller seiner Macht und sei- ner Liebe beim Heere nichts weiter, als daß er den Tag darauf mit einigen Officieren, darunter Latour-Maubourg und Alexander Lameth, ungestört sein Lager verlassen und die Belgische Gränze suchen konnte. Seine Absicht war über Holland nach Nordamerika zu gehen. Aber unedel hielt man ihn als Kriegsgefangenen fest und schleppte Jahre lang von einer Festung zur andern den Mann, der bei aller Unreife seiner politischen Schöpfungen dennoch dem Verständnisse der Zeit näher stand als seine Kerker- meister. So saß nun der König gefangen, und der Feld- herr, welcher gern sein Leben geopfert hätte, um ihn zu befreien, ebenfalls. Wohin Lafayette wollte, dahin ge- langte mit Gewandtheit Talleyrand. Dieser war vor kur- zem erst aus England zurück; jetzt ging er ohne Auftrag von neuem dahin. Als später England den kriegführenden Mächten beitrat, litt ihn Pitt dort nicht mehr, im Vater- lande drohte ihm Anklage, so ging er mit Beaumetz in die nordamerikanischen Staaten. Aber Dumouriez brach die frische Frucht seiner Will- fährigkeit und trat an Lafayette’s Stelle in den Oberbe- fehl ein; den verdächtigten ungeschickten Luckner ersetzte Kellermann. Mit Recht sagt Dumouriez in seinen Denk- würdigkeiten: der Herzog von Braunschweig hätte seinen Angriff auf ein Heer ohne Feldherrn machen sollen, zu ei- ner Zeit da Lafayette geflohen war und Dumouriez ihn noch nicht ersetzt hatte. Aber der Oberfeldherr der deut- schen Mächte, innerlich unklar, gegen jeden hohen Rath- schlag sich tief verbeugend, keinem mit Hingebung folgend, schritt behutsam über Trier und Luxemburg vor, vollbrachte die Vereinigung mit den 20,000 Österreichern unter Clair- Aug. 19. fait, und hatte als er endlich die Gränze überschritt in zwanzig Tagen immer doch seine vierzig Stunden Weges zurückgelegt. Als Danton auf die Coblenzer Redensarten vom 25sten Julius das blutige Werk des 10ten Augusts zur Antwort gab, rief König Friedrich Wilhelm in ritter- licher Ungeduld: „Wohlan, wenn der König nicht zu ret- ten ist, so retten wir das Königthum.“ Sein Feldherr dachte anders; man hatte auf eine royalistische Bewegung in Frankreich gerechnet; diese Hoffnung schien durch den 10ten August vereitelt; der Herbst war vor der Thüre, schon kündigten ihn Regengüsse an; der Herzog hätte sich für diesen Feldzug auf einen Festungskrieg beschränken mö- gen, allein der königliche Wille schob ihn vorwärts. Wei- ter aber kam es auch nicht, und so stand er zwar nicht stille, wußte aber der Forderung, rasch auf Paris vorwärts zu dringen, mochte sie nun vom Könige oder von überlästigen Emigranten kommen, Tag für Tag eine Einwendung aus der Kriegswissenschaft entgegenzustellen. Sein Zug ging über Longwy und Verdun, Festungen, deren Werke, wie man von Bouillé wußte, ganz vernachlässigt waren. Auch ergab sich Longwy am 23sten August auf ein Bombarde- ment ohne eigentliche Vertheidigung; am 2ten September fiel Verdun. Der Commandant Beaurepaire schoß sich eine Kugel durch den Kopf, als nach kurzer Beschießung Ein- wohner und Besatzung die Übergabe verlangten. Die Preußen standen keine dreißig Meilen von Paris. Mittlerweile hatte Dumouriez schon am 28sten August einen Kriegsrath in Sédan versammelt. Die Meinung seiner Generale war, man müsse sich auf die große Straße von Chalons zurückziehen, die Hauptstadt schützen. Du- mouriez verspricht die Sache zu überlegen. Da, wäh- rend er Abends spät noch mit einem seiner vertrauten Of- ficiere Thouvenot über der Karte sinnt, findet er einen ret- tenden Rathschlag aus. Südlich von Sédan zieht sich nach St. Menehould hin und darüber hinaus viele Meilen lang ein Zweig der Ardennen, der Gebirgswald der Ar- gonne. Durch die dichte Waldung, von Gewässern und Sümpfen häufig unterbrochen, führen nur fünf Engpässe. Hier hindurch muß der Feind, wenn er von Lothringen aus in die Champagne tritt; dringt er glücklich hindurch, so vertauscht er den elendesten Theil der Champagne mit ihren lachendsten Gegenden. Dumouriez erkannte hier die Thermopylen Frankreichs, und die erste über dem eroberten Verdun aufgehende Sonne fand ihn schon in diesen Päs- sen, deren Besetzung der deutsche Feldherr verabsäumt hatte. Auch ließ dieser ihm eine volle Woche Zeit sich hier zu befestigen, Verstärkungen aus dem Innern und von der Belgischen Gränze an sich zu ziehen, ingleichen dem Kellermann nach Metz hin die Hand zur Verbindung zu reichen. Als die Preußen endlich erschienen, konnten sie Sept. 10. nicht durchdringen, sie fanden sich im unfruchtbarsten Theile der Champagne wider Erwarten festgehalten. Dumouriez schrieb nach Paris an seine Obern: „Hier sind die Ther- mopylen, ich aber werde glücklicher seyn als Leonidas.“ Dieses Standhalten, dieses erste Gelingen war un- schätzbar für die Befestigung der Gemüther, und wirkte auch dann noch fort, als Dumouriez, mehr kühn als vor- sichtig, durch die Vernachlässigung des Engpasses Croix- aux-bois auf einmal alle Vortheile seiner Stellung ein- büßte. Clairfait, denn auch die Österreicher standen an der Seite der ungeduldig Treibenden, bemächtigte sich des schwach besetzten Passes mit stürmender Hand, und Du- mouriez hatte alle mögliche Mühe, sich nach manchem Verlust aus den Defileen hinauszuwinden, die eben noch sein Schutz gewesen waren. Ohne die unerschütterliche Unthä- tigkeit des Herzogs hätte er, abgeschnitten und zerstückelt, hier seinen Untergang finden müssen. Allein auch jetzt be- harrte Dumouriez auf dem Plane keinen Rückzug gegen Paris nach Chalons anzutreten, er nahm eine Seitenstel- lung im Süden von St. Menehould, und mahnte aus allen Kräften den Kellermann, welcher seit der Argonne schon geneigter war sich zu bequemen, ihn dort zu finden. Im Gesichte von St. Menehould erheben sich mehrere An- höhen im Kreise; eine von ihnen trägt die Mühle von Valmy. So langsam Kellermann heranrückte, so ließ der Herzog von Braunschweig ihm dennoch Zeit am 19ten anzukommen. Er bildete jetzt den linken Flügel Du- mouriez’s, mit welchem dieser gegen Paris gewendet da- stand; die Verbündeten, auf der Chaussee von Chalons, mußten, wenn sie dem Feinde ins Auge sehen wollten, gegen Deutschland hinblicken. Und sie rückten wirklich am 20sten September auf den Feind, denn der König, der eine Schlacht verlangte, befahl es so; es galt beide französi- sche Feldherren an demselben Schlachttage zu vernichten. Diese, vereinigt 53,000 Mann stark, hielten auf den Hö- hen Stand und eine furchtbare Kanonade begann früh Morgens von beiden Seiten. Als es zehn Uhr war, be- schloß der Herzog die Erstürmung der Anhöhe von Valmy. Schon drangen drei seiner Sturmhaufen heran, und Kel- lermann wartete ihrer, als plötzlich der Herzog nachsprengte, zuerst langsamer vorrücken hieß, weil Clairfait noch nicht zur Stelle sey, um zu gleicher Zeit den feindlichen rechten Flügel anzugreifen, bald darauf aber den Rückzug anord- nete. „Hier schlagen wir uns nicht,“ sprach er zu seiner Umgebung. Bloß das Kanoniren ging fort. Hierauf um vier Uhr abermals Aufstellung der Preußen gleichwie zum Sturme, denn so wollte es der König, und abermals kein Angriff, denn so gefiel es dem Herzog. Es blieb bei der Kanonade, es sollte keine Schlacht von Valmy werden. Wohl 20,000 Kanonenkugeln waren hin und wieder geflo- gen, Hunderte lagen an jeder Seite todt und verwundet, Nichts war geschehen und doch das Größte. Ein Pulver- verknallen wie zum blutigen Scherz der Mächtigen war ge- halten auf einer Stätte, in deren Nähe, wenige Meilen von da, die gewaltigste Schlacht der beginnenden germa- nischen Zeit, die des Attila geschlagen ward. Und doch lag in dem Geplänkel von Valmy mehr Entscheidung für die Menschengeschichte als auf den catalaunischen Feldern. Am Abend des 20sten Septembers sank der Nebel der Täu- schungen, welcher noch dick auf den Gemüthern desselben Morgens lastete. Die größte Bestürzung nahm den Platz des ungemessensten Selbstvertrauens ein, „jeder ging vor sich hin, man sah sich nicht an, oder wenn es geschah, so war es um zu fluchen oder zu verwünschen.“ In einem Kreise, der am Abend in tiefer Finsterniß unter Sturm und Regen lagerte (denn der Regen machte schon seit Wo- chen alle Wege grundlos und brachte Tausende von Ruhr- kranken hervor) befand sich Deutschlands Goethe, der im Gefolge des Herzogs von Sachsen-Weimar kam. Als man ihn um seine Meinung fragte, sprach er: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und Ihr könnt sagen, Ihr seyd dabei gewesen.“ Seit der Kanonade von Valmy und dem Rückzuge der Preußen, wenig Tage hernach, schlug die französische Frei- heit ihre Wohnung in den französischen Heeren auf; denn hier ward ihr durch Kriegszucht, fortan williger anerkannt, eine Stätte bereitet, ohne daß die Freudigkeit des Sinnes dabei verlor. Der Anfang einer neuen Heeresordnung, einer neuen Strategie schloß sich bald an dieses erste Ge- lingen, Schöpfungen des Krieges kündigten sich an, welche ihre Stelle im Welttheile eben so entschieden errungen ha- ben als der Anspruch auf politische Freiheit aus derselben Quelle. In der Hauptstadt aber, wo man dem armen Kö- nige den geringen Rest seiner Macht leichten Spieles ent- rissen hatte, gab es keine Freiheit mehr, nur einen wilden Kampf der Parteien um die Herrschaft. Wenn so die Wür- fel der Geschichte gefallen sind, darf die Historie einfache Wege suchen; mag das Zeitungscollegium alle möglichen Einzelheiten häufen, sie beschränkt sich gern auf den war- nenden Gang der leitenden Begebenheiten. Der zehnte August war die That des neuen Gemeinde- rathes von Paris, dessen Personal sich in Tyrannen-Art selbst eingesetzt hat. Nicht an die Nationalversammlung und den Vollziehungsrath der Minister ihrer Wahl, nein an den Gemeinderath ging durch des Königs Sturz die Regierung über. Nicht lange, so hebt dieser den Departe- mentsrath, welcher ihm allenfalls die Herrschaft streitig machen konnte, eigenmächtig auf, vergeblich daß die Na- Aug. 22. tionalversammlung widerspricht; sie mag den Heeren drau- ßen und den Departements Befehle zusenden, in Paris herrscht sie nicht mehr. Hier übernehmen die Pikenmänner, vor welchen am zehnten August die Nationalgarden abzo- gen, von freien Stücken die Polizei, sobald es auf etwas von Bedeutung ankommt; ohne Unterlaß aber berathschla- gen die 48 Sectionen der Hauptstadt über die Angelegen- heiten dieses gewaltigen Mittelpuncts der werdenden Re- publik. Diesen Sectionsversammlungen giebt der Jacobi- nerclub einheitliche Haltung und die den Jacobinerclub leiten sind gerade auch dieselben, welche im Gemeinderathe den Ausschlag geben, vor Allen Danton und Robespierre. Robespierre wird nächstens beweisen daß die Tiger zum Katzengeschlechte gehören, noch aber streichelt er lieber und tritt in waglichen Fällen gern in den Schatten des unge- heuren Danton, welchen man den Minotaur der Revolution genannt hat. Schon sind die Sitzungen des vielköpfigen Gemeinderathes öffentlich, sein Zeitungsschreiber ist Marat. Der hat aus dem Schiffbruche der königlichen Habe glück- lich am Sturmtage der Tuilerien vier Druckerpressen ge- kapert; nun nimmt er seine eigene Tribüne im Sitzungs- saale des Gemeinderathes ein, bildet eine politische Macht, das heißt eine Macht zur Verfügung Dantons, welcher den schmutzigen, in seiner ganzen Erscheinung ekelhaften Menschen, diese Gosse für fremden Unrath und doch ein Talent der Feder, ungern vorwies, wie er denn der Frau Roland, welche das Meerwunder einmal bei sich zu sehen wünschte, es mit den Worten abschlug: das sey eine un- nütze und sogar widerwärtige Sache, mit diesem Original, aus welchem nichts herauszubringen, zu verkehren. Gewiß ist, Marat, der Mensch ohne Anstellung, bedeutete nichts Kleines, während Pétion, der erste im Gemeinderathe, eine leichtsinnig eitle lästige Natur, Alles in fremde Hände übergehn ließ. Diese waren eben so schlau gewandt als kraftvoll. Danton erfuhr täglich im Ministerrathe daß er gegen Rolands strenge Grundsätze nichts vermöge. Nim- mermehr hätte sich dieser zu Blutthaten verstanden. Folg- lich muß der Minister des Innern geschwächt werden, ihm muß vor allen Dingen die Polizei aus den Händen ge- wunden werden. Wie willig nun aber die Girondisten, die sich für so weise hielten, in Dantons Fallen gingen! We- gen der dringlichen Umstände, Feinde an den Gränzen, Feinde im Innern, trägt Gensonné in der Nationalver- sammlung darauf an daß den Municipalitäten die Sorge für die hohe Sicherheitspolizei in ihrem ganzen Umfange übertragen werde, und dringt durch. Jetzt mochte die Na- tionalversammlung immerhin aus der eigenen Mitte einen allgemeinen Sicherheitsausschuß hervorsteigen lassen, ein Aug.12. vornehmer Titel! allein die wirkliche Gewalt stand bei dem Aufsichtscomité, welches der Gemeinderath aufstellte, nur sieben Mitglieder, welche aber alsbald ihre Hände durch die Ernennung von Commissären vervielfältigten, unter wel- chen Marat erscheint. Sieben Tage weiter und die Natio- nalversammlung, der man keine Ruhe ließ, gab auch die Aufstellung eines außerordentlichen Gerichtshofes nach; die Richter werden aus den Sectionen genommen, die Ap- pellation an den Cassationshof fällt weg. Die Wahl zum Präsidenten dieses Gerichtshofes lehnte Robespierre doch ab. Jetzt aber war freier Spielraum gewonnen und der Gemeinderath beschloß alle Verdächtigen einfangen zu las- sen; da wanderten Barnave, Karl Lameth, Montmorin ins Gefängniß. Nun erschien ein geschärftes Decret der Nationalversammlung gegen die unbeeidigten Priester: sie sollen binnen acht Tagen aus dem Departement, binnen vierzehn Tagen aus dem Königreiche weichen; kehrt einer zurück, so trifft ihn zehnjähriges Gefängniß. Ganz das Ge- gentheil aber wird über die Familien der Emigranten ver- hängt, sie dürfen nicht allein dableiben, sie müssen es, sol- len als Geißeln dienen, werden confinirt auf ihren Wohn- ort, ihr Eigenthum wird in Register gebracht. Die Paß- gesetze sind schon seit einem halben Jahre streng genug, um einen Austritt von Paßlosen über die Gränze, ja selbst ein Reisen im Innern ohne Paß zu verwehren, und was hindert, sie noch mehr zu schärfen! Als die Nachrichten von den Fortschritten der Verbündeten einliefen, als vollends die Botschaft von dem Falle von Longwy kam, reiften blu- tige Entschlüsse. Damals beschloß die Nationalversamm- lung 30,000 Mann aus dem Pariser Departement auszu- heben, und Danton betrieb die Aushebung und daß ihnen Sold werde mit der äußersten Rastlosigkeit; allein wie thörigt ist es doch, so hört man aus demselben Munde, die bewaffnete Mannschaft wegsenden und zu Hause den Ver- rath lassen, welcher ihr in den Rücken fallen wird! Man muß die Königlichen in Schrecken jagen. Der Plan war die Gefängnisse der Hauptstadt rasch zu füllen, um sie noch rascher wieder auszuleeren. Dergleichen aber spricht sich nicht vor nervenschwachen Leuten aus, es muß das Ge- heimniß einiger starken Köpfe bleiben; der Gemeinderath als solcher verfügt bloß was in seiner Befugniß, ja in so drangvollen Augenblicken in seiner Pflicht liegt: Sperrung der Hauptstadt, acht und vierzig Stunden lang, Haus- suchung nach den Verdächtigen, Abführung derselben in die Gefängnisse; eben dahin müssen auch alle unbeeidigten Priester, um sie, so wird verbreitet, für die Deportation zu sammeln. Es scheint, die Nationalversammlung war nicht ohne Ahnung von Gräueln; sie ermannte sich plötz- lich, gab dem girondistischen Antrage Beifall, daß dieser Gemeinderath, der seine Gewalt seit dem 10ten August bloß usurpirt hat, entsetzt und ein anderer an seine Stelle erwählt werde. Ohnmächtiger Versuch! Wie oft hatte Aug.30. nicht die Nationalversammlung diesen Gemeinderath aner- kannt, ihm für seine kraftvollen Maßregeln Dank gesagt! Als eine Deputation desselben, Pétion, Manuel, Tallien an der Spitze, vor den Schranken erschien, erfolgte die Zu- Aug.31. rücknahme. Am 2ten September kam die Nachricht in den Gemein- derath, Verdun werde belagert. Denselben Nachmittag er- fuhr Paris, was der Justizminister unter Schreck einjagen Sept.2. verstehe. Ich bin der Meinung daß sein Plan sich auf die Ermordung der gefangenen eidlosen Priester, ingleichen die rasche Aburtheilung und Niedermetzelung der politischen Gefangenen beschränkte; allein die Ausführung ging weit über diese Gränze hinaus. Die That ward an den Prie- stern, welche als überführte Verbrecher betrachtet wurden, ohne alle beschönigende Form vollbracht. Gedungene Mör- derhaufen drangen zu den Karmelitern ein, trieben die in der Kirche zusammengesperrten Geistlichen in den Kloster- garten und schossen nun unter den Haufen; weil aber doch viele bloß verwundet, manche unversehrt blieben, mußte man sie einzeln tödten, ließ die Leichen liegen, man zählte deren 163, darunter der Erzbischof von Arles und zwei Bischöfe. In eben der Art ward mit den Priestern in an- dern Verwahrungsplätzen verfahren, man stieß oder schlug sie nieder, warf ihre Leichen aus den Fenstern auf die offene Gasse. Dagegen war in den Gefängnissen der Abtei St. Germain und in La Force, in welchen man die politisch Verdächtigen planmäßig zusammengehäuft hatte, ein regel- mäßiges Verfahren veranstaltet. Wir finden in der Abtei den wohlbekannten Maillard wieder, dieses Mal als Prä- sidenten eines Geschworenengerichtes von zwölf pariser Bürgern. Es hat seinen Sitz in der Stube hart am Pfört- chen zur Straße hin erwählt und arbeitet ohne Unter- brechung Tag und Nacht. Der Präsident, im grauen Rocke, den Säbel an der Seite, sieht die Gefangenenliste durch, läßt einen nach dem anderen von ein Paar Bewaffneten vorführen, ein förmliches Verfahren beginnt, Fragen und Antworten wechseln, nicht einmal die Öffentlichkeit fehlt, denn eine Anzahl gesprächiger Weiber ist zugelassen; aber der alte Pförtner steht unbeweglich die Hand auf dem Thür- schlosse da, wartend ob er das Pförtchen öffne. Endlich spricht der Präsident seine Meinung über den Gefangenen aus; wer von den Geschworenen gerade noch wach ist — denn einige schlummern unter Flaschen und Tellern hinge- streckt auf der Bank, — giebt seine Erklärung, und gewöhn- lich öffnet sich dann die Todespforte. Der Gefangene wird ins Freie gestoßen und findet dort den augenblicklichen Tod; drinnen aber wird er ordentlich eingezeichnet, auch werden einzelne Freisprechungsscheine ausgetheilt. Vor diesem Tribunal mußte Montmorin, der vormalige Minister, er- scheinen. Als er mit großer Heftigkeit gegen solche Richter protestirte, sprach einer von ihnen zum Präsidenten: „Die Verbrechen Montmorins sind bekannt, da er aber mit uns nichts zu schaffen haben will, so verlange ich seine Abfüh- rung nach La Force.“ „Ja nach La Force!“ schrieen Alle. Montmorin glaubte sich gerettet, allein es war das Stich- wort für seinen Tod. In La Force rief man umgekehrt statt des Todesurtheils: „Nach der Abtei.“ So sehr überlegt war Alles. Allein man rückte über diesen Förmlichkeiten langsam vorwärts. Die Gemeinderäthe Manuel und Bil- laud-Varennes gingen ab und zu, die Geschworenen an- feuernd, belobend. Letzterer sagte den blutigen Arbeitern draußen jedem 24 Livres Tagelohn zu, ungerechnet natür- lich, was die Erschlagenen von Geld und Gut an sich tru- gen. Mehrere Tage und Nächte vergingen dennoch, ehe die Abtei mit 122 Ermordeten ihr Geschäft abschloß; La Force Französische Revolution. 30 zählte deren 167 oder darüber. Manchmal ließ sich auch Danton blicken, allein mit kluger Zurückhaltung. Er war es, der mit dem Aufsichtscomité, welches sich in diesen Ta- gen den Namen des Ausschusses für das öffentliche Heil beilegte und in welches Marat als ordentliches Mitglied eintrat, die großen Maßregeln verabredete, draußen aber sehen wir ihn Einzelne retten, Duport, Barnave, Karl Lameth verdankten ihm ihre Entlassung aus den Gefäng- nissen. Auch gleicht das weiter gehende Gefängnißmorden weit mehr dem Marat und seinem Gelichter ( son peuple ) als Dantons Anordnungen, ich meine das Niedermetzeln der zu den Galeeren verurtheilten Verbrecher bei den Bern- hardinern, der heillosen Weiber in der Salpetrière und nun vollends der dreitägige Kampf im Bic ê tre, um mit Kartätschen und endlich sogar mit in die Keller geleitetem Wasser gemeine Verbrecher und Wahnsinnige, die sich ihres Lebens wehrten, zu vertilgen. Während alles des angestellten Blutvergießens wird vor den Behörden der Name des Volks beständig mis- braucht, welches sich in seiner gerechten Rachewuth durchaus nicht bändigen lasse. Die Volksmenge aber mischte sich die- ses Mal durchaus nicht mit ihren Leidenschaften ein; sie ehrte sogar das um den Tempel hin ausgespannte mit einer warnenden Inschrift bezeichnete Band, welches die könig- liche Familie schützen sollte. Erst als in La Force die Prin- Sept.3. zessin Lamballe erwürgt und von ihrer nackten gräßlich ver- stümmelten Leiche das Haupt getrennt war, verletzten ge- dungene Mörder diese Freistätte des entweihten König- thums, ruhten auch nicht bis sie über den Trümmern von ein Paar absichtlich, um den Tempel zu isoliren, niederge- rissenen Häusern so hoch geklettert waren, daß sie der ent- setzten Königin den blutigen Kopf ihrer Freundin mit Hülfe der Pike zeigen konnten. Manche der Gedungenen kamen auch in die Häuser von Girondisten, um diese gefangen abzuführen, und ließen sie gehen auf ihre Weigerung, irrten dann mit ihren Scheinen auf zu zahlenden Tagelohn von einer Behörde zur andern, bis sie Befriedigung fanden. Denn einen sichern Anhaltspunct in Bezug auf ihre Schuld- ner besaßen sie an einem Rundschreiben, welches der Aus- schuß des öffentlichen Heiles gleich beim Anfange des Mor- dens an alle Departements erließ, dieses Hauptinhalts: „Brüder und Freunde, ein abscheuliches Complott, vom Hofe zur Ermordung aller Patrioten Frankreichs angestiftet, und worin viele Mitglieder der Nationalversammlung ver- wickelt sind, hat am 9ten des vorigen Monats die Gemeinde von Paris in die traurige Nothwendigkeit versetzt, sich der Macht des Volks zu bedienen, um die Nation zu retten. — Jetzt aber hat die Gemeinde von Paris vernommen, daß barbarische Horden auf sie anrücken, und beeilt sich ihre Brüder in allen Departements zu unterrichten, daß ein Theil der frechen Verschwörer, welche in den Gefängnissen verwahrt wurden, vom Volk getödtet ist; eine Handlung der Gerechtigkeit, welche ihm unerläßlich schien, um in dem Augenblicke seines Auszuges gegen den Feind die Legionen 30* der innerhalb seiner Mauern versteckten Verräther durch Schrecken zu bändigen; und ohne Zweifel wird die ganze Nation nach der langen Kette von Verräthereien, welche sie bis an den Rand des Abgrundes gebracht haben, wett- eifern einer so nützlichen und so nothwendigen Maßregel nachzuahmen , und alle Franzosen werden gleich den Parisern sagen: Wir ziehen gegen den Feind, allein wir werden keine Banditen in unserm Rücken lassen, die un- sere Frauen und Kinder ermorden.“ Hier folgen sieben Unterschriften: Duplain. Panis. Sergent. Lenfant. Ma- rat . Lefort. Jourdeuil. Auch zeigten sich in Rheims, in Meaux, in Lyon und anderer Orten Nacheiferer. Am wil- desten begab sich die Ermordung von über 50 Gefangenen, die von Orleans nach Versailles gebracht wurden und weiter nach Paris sollten. Die Pariser Mörder gingen diesen entgegen, vergeblich daß der Maire von Versailles sie zu retten suchte. Unter den hier Ermordeten befand sich Delessart, der frühere Minister. Versailles hatte die ganze Schwere der Revolution schon empfunden. Seit der Entfernung des Hofes sank die Stadt von 80,000 Ein- wohnern auf 25,000 herab. Fragt man, wo in diesen vier Tagen und Nächten des Mordens bei Sonnen- und bei Fackelschein die National- garde blieb, so lautet die Antwort daß Santerre sie unge- achtet aller Mahnungen Rolands unaufgeboten ließ. Und die Nationalversammlung? Sie forderte den Gemeinde- rath auf, über den Zustand der Stadt zu berichten; der aber berichtete, Paris sey ruhig, und dabei blieb es. Und als das Morden vorbei, erschien der freundliche Schleicher Sept.6. Pétion, bat, man möge ihm erlauben einen Schleier über das Geschehene zu werfen, man müsse hoffen daß diese traurigen Scenen sich nicht wiederholen würden, die alte Brüderlichkeit kehre schon zurück. Und war denn der Brief, welchen der strenge Roland am 3ten September an die Nationalversammlung schrieb, in viel anderem Sinne ab- gefaßt? Roland findet den zehnten August vortrefflich und läßt noch allenfalls den vergangenen Abend gelten. Aber nun nicht weiter! Warum aber nicht weiter, wenn nur überall so weit? Rolands Theorie ist durch den zehnten August ins Leben gerufen, die Dantons erst durch die Septembermorde. Geben Theorien den Ausschlag für Tha- ten der Gewalt, so stehen beide Männer in gleichem Rechte. Allein die Worte Rolands, des Ministers, der thörichter Weise bald hernach nicht müde wird ein Straf- gericht über die Septembermänner herabzurufen, ohne zu bedenken daß er sie zum Kampfe der Verzweiflung zwingt, sind bezeichnend für die Denkart der Zeit. „Ich weiß daß die Revolutionen nicht berechenbar nach den gewöhnlichen Regeln sind, allein ich weiß auch daß die Macht, welche sie hervorbringt, sich bald unter den Schutz der Gesetze stellen muß, wenn sie eine gänzliche Auflösung vermeiden will. Der Zorn des Volks und die Bewegung der Insur- rection gleichen einem Strome, der alle Hindernisse durch- bricht, welche keine andere Macht je vernichtet hätte, aber dessen Überschwemmung weit hinaus Alles zerstören und verwüsten muß, wenn er nicht bald in sein Bette zurück- kehrt. Kein Zweifel, ohne den Tag des 10ten waren wir verloren ; der Hof, seit lange vorberei- tet, erwartete nur die Stunde, um alle seine Verräthereien zu krönen, über Paris die Todesfahne zu entfalten und es durch Schrecken zu beherrschen. Das Gefühl des Volks, immer gerecht und zutreffend, wenn die öffentliche Mei- nung unverdorben ist, eilte dem Augenblicke voran, wel- cher für sein Verderben bestimmt war, und benutzte ihn zum Verderben der Verschwörer.“ Dann von den Thaten des zweiten Septembers: „Gestern war ein Tag, von dessen Ereignissen man vielleicht den Schleier nicht lüften darf; ich weiß daß das Volk, furchtbar in seiner Rache, doch eine Art Gerechtigkeit hineinbringt; es opfert nicht Alles auf was seiner Wuth sich darbietet: es richtet diese gegen Solche, welche es schon zu lange mit dem Schwerte des Gesetzes verschont zu haben glaubt und welche die Ge- fahr der Umstände ihm als Schlachtopfer bezeichnet, die unverzüglich fallen müssen.“ Stand es so mit den eidlo- sen Priestern? Gewiß, Roland war eine weit reinere Seele als Danton, allein in der politischen Anschauung beider machte bloß das Datum einen kleinen Unterschied. Roland hatte den inneren Feind in den Tuilerien gefürch- tet und er freut sich des erfolgreich angewandten Schreckens. Danton fürchtete in ausgedehnterem Maße den inneren zu- gleich und den äußeren Feind und machte von einer größe- ren Dosis Schrecken Gebrauch. Was wird es geben, wenn die Furcht Marats und Robespierre’s freie Hand be- kommt? In denselben Tagen, da die Einen aus Paris in dich- ten Schaaren ins Feld rückten, die Anderen drinnen für die gute Sache mordeten, hielt Dumouriez die Feinde in Sept.3.4. der Argonne auf. Am Tage der Kanonade von Valmy hielt aber der gesetzgebende Körper seine letzte Geschäfts- Sitzung. Zwar trat er am nächsten Morgen, den 21sten September noch einmal zusammen, allein lediglich um die Botschaft zu empfangen, der Nationalconvent sey consti- tuirt, und sich hierauf für immer aufzulösen. An seine Stelle tritt eine Versammlung, weit volksmäßiger gewählt als die vorige; denn der aristokratische Unterschied zwischen gewöhnlichen und thätigen Bürgern ist für diese Welt ganz aufgehoben; jeder einundzwanzigjährige Franzose, der nicht Dienstbote ist, kann Wähler seyn, und jeder Fran- zose kann mit fünfundzwanzig Jahren sowohl im Wahl- collegium als im Nationalconvent sitzen; man hat aber die Wahlcollegien bloß um der Eile willen noch beibehalten, weil es darauf ankommt in kürzester Frist einer Versamm- lung das Daseyn zu geben, welche in den Tuilerien künf- tig wohnen, vor allen Dingen aber das Königthum ab- schaffen wird. Dumouriez wußte aus erster Hand durch seinen ge- treuen Correspondenten, den Justizminister, daß diese Ent- scheidung unmittelbar bevorstehe, nichtsdestoweniger un- ternahm er es, den Herzog von Braunschweig zu überzeu- gen, er habe nicht allein den Willen, sondern auch die Kraft, die Macht der Krone wiederherzustellen, versteht sich erst nachdem die Preußen ihm durch die schleunige Räu- mung Frankreichs freie Hand, sein Heer zu gebrauchen, ver- schafft haben werden. Wunderbarer Umschwung der Dinge! Keine vierundzwanzig Stunden sind seit jener entscheidungs- vollen Kanonade verflossen und wir finden beide Heerfüh- rer in einer Unterhandlung, welche sich unter einer Aus- wechselung von Gefangenen versteckt, und bereits am Abend Sept.22. des dritten Tages tritt ein Waffenstillstand ein. So un- bedingt Dumouriez den Antrag verwirft, gemeinschaftliche Sache mit den Verbündeten zu machen, sein Heer zur Ret- tung des Königs gegen Paris zu führen, eben so nach- drücklich macht er durch seine Abgeordneten geltend, es gebe kein anderes Mittel, die Tage des Königs und die Monarchie zu sichern, als den Rückzug der Preußen und die Lossagung dieser Macht von einem Kriege, welchen sie un- gereizt, gegen alle gesunde Politik, Österreich zu Gefallen unternommen habe. Eben das war die nicht ganz verbor- gene Ansicht des Herzogs; als dieser aber die Wiederein- setzung Ludwigs XVI. in die Macht, welche er vor dem 10ten August besessen, zur Basis jeder Friedensunterhand- lung machte (ein ungeheures Zugeständniß von Seiten ei- nes Fürsten, welcher das Coblenzer Manifest hatte aus- gehen lassen), antwortete Dumouriez mit der Meldung: der französische Nationalconvent habe an seinem ersten Sitzungstage das Königthum aufgehoben und in seiner zweiten Sitzung die Stiftung der französischen Republik be- Sept.22. schlossen. Und dem war so. Auf die Nachricht wollte Fried- rich Wilhelm, tief erschüttert, sogleich die Unterhandlun- gen abgebrochen wissen, verlangte eine Schlacht und setzte diese sogar auf den 29sten fest. Allein an demselben Tage überzeugte der Herzog den König von der Nothwen- digkeit den Rückzug anzutreten, welchen man ungestört, Dank seiner Sorgfalt, werde vollbringen können. Wirk- lich hatte der Vollziehungsrath, welcher officiell jede Un- terhandlung bis zur Räumung des französischen Bodens abschnitt, dem General Dumouriez unter der Hand ge- stattet, dem Feinde einen unbeunruhigten Rückzug bis an die Maas zuzugestehen, immer in der Hoffnung, das Ber- liner Cabinet gänzlich von dem Wiener zu trennen. Der- gestalt ward der Tag nach dem projectirten Schlachttage der Anfang eines schmählichen Rückzuges, zum unsäglichen Sept.30. Schmerze der Emigranten, deren Corps nicht einmal in den geheimen Stillstand begriffen werden durfte. Als die Preußen an der Maas bei Verdun standen, überließ Du- mouriez das Weitere in Bezug auf sie den Generalen Kel- lermann und Dillon und beeilte sich, was er längst ge- wünscht, die Offensive gegen die kaiserlichen Niederlande zu eröffnen, führte seine Hauptmacht dahin ab. Eben da- hin begab sich unmuthig Clairfait mit seinem Corps, nach- Oct.21. dem die Preußen Verdun und Longwy ohne Widerstand durch eine Übereinkunft geräumt hatten. Wenn noch hie und da eine schwache Beunruhigung der Zurückziehenden erfolgte, so diente das eher zur Rettung der politischen Ehre Preußens; denn das verwundete Gemüth des Kö- nigs würde einen öffentlichen Bruch der gegen Österreich übernommenen Pflichten nicht ertragen haben, wenngleich sein Wille sich den Rathschlägen seiner Lombards, Lucche- sinis und Haugwitze gefangen gab. Allein auch diese konnten für jetzt keinen förmlichen Frieden mit Frankreich wünschen, denn nimmermehr würde in diesem Falle Kai- serin Katharina eingewilligt, haben daß Preußen durch eine neue Theilung von Polen die längst ersehnte Ver- größerung mit Thorn und Danzig erlange. Zwei Monate und fünf Tage hatten die Preußen französischen Boden inne gehabt als sie auf ihrem Rück- zuge am 23sten October die Gränze, das Luxemburgische erreichten. Als man hier die gerettete Heerschaar mustert, zeigt es sich daß ein Drittel von denen, welche in die Champagne rückten, nicht wiedergekehrt ist, und gleich- wohl sind höchstens 2000 durch die Waffen gefallen. Und während der Berechnung der Verluste wird man durch die Schreckensnachricht überrascht: „Wir Deutsche sind nicht mehr die Angreifer, uns greift man an; am 19ten Octo- ber ist General Custine vor Mainz gerückt, ohne Belage- rungsgeschütz, er fordert die Reichsfestung auf und sie er- giebt sich ihm gleich am 21sten, und in Mainz beginnt die Revolutionirung von Deutschland.“ Will man mehr? Zehn Tage vor der Kanonade von Valmy erklärte die Na- tionalversammlung der Krone Sardinien den Krieg, weil sie bewaffneten Emigranten Einfälle in Frankreich gestat- tete. Noch im Laufe Septembers erobert der General Montesquiou Savoyen fast ohne Widerstand, und Gene- ral Anselme steht in Piemont. Am 21sten November wird Savoyen als Departement Montblanc mit der französi- schen Republik vereinigt, den 4ten Februar 1793 bildet die Grafschaft Nizza das Department der Seealpen. So schnell wird vergessen daß das freie Frankreich nicht er- obern will. Noch mehr. Dumouriez ist in Belgien einge- drungen, hat am 6ten November 1792 das regelrechte kai- serliche Heer bei Jemappes aufs Haupt geschlagen, und nun wird allen Völkern der Erde Freiheit und Gleichheit verkündigt. Und unser deutsches Reich? Nachdem der erste Feldzug der Deutschen ohne Theilnahme des Reiches schmählich verloren ist, — Mainz, Aachen, Frankfurt sind in feindlichen Händen — beschließt das deutsche Reich am 22sten December den Krieg, ein Vierteljahr später die Er- klärung des Krieges (23. März 1793) und sechs Wochen später (30. April) die Bekanntmachung dieser Erklärung. In denselben Tagen legten Rußland und Preußen an eine neue Theilung Polens die Hand, und gleichzeitig ward Lud- wig dem XVI. und dem polnischen Volk der Proceß ge- macht. Wenn es aber Weisungen von oben giebt, welche die irren Bahnen der schwachen Sterblichen erleuchten, so sind diese damals ertheilt, als neben den frechen Königsmord der kalt berechnete Volksmord trat. Seitdem ist eine lange Zeit vergangen, die damals Knaben waren sind zu Grei- sen geworden, unverrückt weist der große Zuchtmeister der Welt immerfort auf dieselbe Aufgabe hin, sucht seine stör- rig-trägen Schüler mit unsäglichen Leiden heim. Und den- noch wollen die Einen nicht lernen daß es ein Unsinn und ein Frevel ist, unsern von monarchischen Ordnungen durch- drungenen Welttheil in Republiken des Alterthums um- modeln zu wollen, die Andern umklammern hartnäckig das geliebte Götzenbild einer monarchischen Unumschränktheit, welche ja ihre unvergeßliche Zeit gehabt hat, gegenwärtig aber, verlassen von dem Glauben der Völker, ein so eit- les Geräusch treibt, wie die klappernden Speichen eines Rades, dessen Nabe zerbrochen ist. Inhalt . Seite Erstes Buch . Die Vorspiele der Revolution. 1. Die Verhältnisse 3 2. Das Schicksal der Reformen 25 3. Die holden Jahre der Selbsttäuschung 63 4. Das erste Anklopfen der Revolution 82 5. Es wird der Revolution aufgethan 106 Zweites Buch . Das neue Frankreich und sein Kö- nigthum. 1. Die Form der Reichsstände 143 2. Die Wahlbewegung 156 3. Der Geburtstag der Revolution 190 4. Die pariser Revolution 215 5. Die Schöpfungen der Nationalversammlung 239 6. Die König und die Nationalversammlung nach Paris 271 7. Mirabeau kämpft für den Thron 295 8. Die letzten Stützen des Thrones weichen 325 Seite Drittes Buch . Der Übergang zur Republik. 1. Der König flüchtig, gefangen, suspendirt, wieder an- gestellt 365 2. Die gesetzgebende Versammlung und das Ausland 397 3. Der Krieg und die Republik 431 Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig. Druckfehler . Seite 293. Zeile 7 v. u. und öfter lies: Tuilerien statt: Tuillerien. 〃 311. 〃 10 v. o. lies: Dingt statt: Dringt.