Briefe zu Befoͤrderung der Humanitaͤt. Briefe zu Befoͤrderung der Humanitaͤt. Herausgegeben von J. G. Herder . Erste Sammlung. Riga, 1793. bei Johann Friedrich Hartknoch . 1. M it Freude und Zustimmung, m. Fr., ist Ihr Vorschlag zu einem Briefwechsel uͤber die Fort - oder Ruͤckschritte der Humanitaͤt in aͤlteren und neue - ren , am meisten aber in denen uns naͤchsten Zeiten von unsern saͤmmtlichen Freunden aufgenommen und bewillkommet worden. „ Ich bin ein Mensch , sagte D., und nichts was die Menschheit betrift , ist mir fremde . Mit jedem Jahr des Lebens faͤllt uns ein betraͤchtlicher Theil des Flitterstaats nieder, mit dem uns A 3 von Kindheit auf, so wie in Handlungen, so auch in Wissenschaften, in Zeitvertreib und Kuͤnsten die Phantasie schmuͤckte. Un- gluͤcklich ist, wer lauter falsche Federn und falsche Edelsteine an sich trug; gluͤcklich und dreimal gluͤcklich, wem nur die Wahrheit Schmuck ist, und der Quell einer theilneh- menden Empfindung im Herzen quillet. Er fuͤhlt sich erquickt, wenn andre, blos Men- schen von außen, rings um ihn winseln und darben; im allgemeinen Gut, im Fort- gange der Menschheit findet er sich gestaͤrkt, seine Brust breiter, sein Daseyn groͤßer und freier. — Sein Daseyn groͤßer und freier, fiel L. ein: denn indem er sich uͤber den schleichen- den, alltaͤglichen Gang der Dinge erhoben fuͤhlet, athmet er ein reineres Element: er vergißt den niedrigen Kummer, der ihm da und dort das Herz druͤckte, wenn er den Strom der Zeit stockend, und sich in einem stehenden Sumpf gesenkt glaubte. Der Strom der Zeit steht nie still; jetzt rieselt er sanft, jetzt rauscht er gewaltig; allenthal- ben aber wehet auf ihm Othem des Le- bens. — In die Gedanken- oder Handlungs- sphaͤre andrer groͤßerer Menschen versetzt, sagte B., nehmen wir Theil an ihrem Geist: wir denken mit ihnen, auch wenn wir mit ihnen nicht wirken konnten, und freuen uns ihres Daseyns. Je reiner die Gedanken der Menschen sind, desto mehr stimmen sie zusammen; die wahre unsichtbare Kirche durch alle Zeiten, durch alle Laͤnder ist nur Eine. — Und in diese wollen wir rein eintreten, meine Freunde, fuͤgte A. hinzu, mit unge- theiltem Herzen, mit reinen Haͤnden. Kein Partheigeist soll unser Auge benebeln; keine A 4 Schmeichelei unser Angesicht schaͤnden. Un- ter uns ist, wie jener Apostel sagte, kein Jude noch Grieche , kein Knecht noch Freier , kein Mann noch Weib ; wir sind Eins und Einer . Indem wir an uns und nicht an die Welt schreiben, gehen wir aller eitlen Ruͤcksichten muͤßig; warum sollten wir heucheln? Das lohnte der Muͤhe nicht, die Feder einzutunken; wir duͤrften sodann nur lesen. — Lesen! sagte das ganze Chor, und ging in ein Detail uͤber das, was jener hier, dieser dort gelesen hatte; alle waren dar- uͤber einig, daß es der Seele eine Arznei sey, wenn sie vom zertheilten, vielfachen Lesen in sich zuruͤckgezogen werde, und wie durch ein Geluͤbde, oder vor einem heiligen Gericht, uͤber das was sie gehoͤrt, gelesen, gesehen hat, sich selbst redliche Rechenschaft gebe. Diese Rechenschaft wollen wir uns ein- ander geben, fuͤgte ich hinzu; und so ward ein Bund der Humanitaͤt geschloßen, vielleicht wahrer, wenigstens unanmaßen- der und stiller, als je einer geschloßen ward. Fangen Sie nun an, mein Freund; unsre Freunde sind, wie Sie wissen, hie und da zerstreuet; alle sind bereit, sie warten auf Ihren Anklang Die Namen der correspondirenden Freunde sind unter die Briefe nicht gesetzt: denn was koͤnn- ten uns Buchstaben bezeichnen, das die Briefe nicht selbst erklaͤrten? Anmerk . d. Herausg . . A 5 2. E ndlich ist mir die Lebensbeschreibung eines meiner Lieblinge in unserm Jahrhundert, Benjamin Franklins , von ihm selbst fuͤr seinen Sohn geschrieben, zu Haͤnden ge- kommen; aber bedauren Sies, nur in der franzoͤsischen Uebersetzung, und nur ein kleines Stuͤck derselben, die fruͤheren Le- bensjahre des Mannes, ehe er voͤllig in seine politische Laufbahn trat Sie sind jetzt auch Deutsch uͤbersetzt: B. Franklins Jugendjahre , uͤbersetzt von Buͤrger . Berl. 1792. A. d. H. . Sollte die Politik der Englaͤnder vermoͤgend seyn, das Uebrige und Ganze in der Ursprache zu unterdruͤcken: so bedauren Sie mit mir den sinkenden Geist der Nation, und lassen in- dessen dies Buch ja unter uns circuliren. Sie wissen, was ich von Franklin immer gehalten, wie hoch ich seinen gesun- den Verstand, seinen hellen und schoͤnen Geist, seine sokratische Methode, vorzuͤglich aber den Sinn der Humanitaͤt in ihm geschaͤtzt habe, der seine kleinsten Auf- saͤtze bezeichnet. Auf wie wenige und klare Begriffe weiß er die verworrensten Materien zuruͤckzufuͤhren! Und wie sehr haͤlt er sich allenthalben an die einfachen, ewigen Ge- setze der Natur, an die unfehlbarsten prak- tischen Regeln, ans Beduͤrfniß und In- teresse der Menschheit! Oft denkt man, wenn man ihn lieset: „wußte ich das nicht auch? aber so klar sahe ichs nicht, und weit gefehlt, daß es bei mir schlichte Maxime des Lebens wurde.“ Zudem sind seine Einkleidungen so leicht und natuͤr- lich, sein Witz und Scherz so gefaͤllig und fein, sein Gemuͤth so unbefangen und froͤ- lich, daß ich ihn den edelsten Volks - schriftsteller unsers Jahrhunderts nen- nen moͤchte, wenn ich ihn durch diesen miß- brauchten Namen nicht zu entehren glaubte. Unter uns wird er dadurch nicht entehrt! Wollte Gott, wir haͤtten in ganz Europa ein Volk, das ihn laͤse, das seine Grund- saͤtze anerkennte, und zu seinem eignen Besten darnach handelte und lebte; wo waͤren wir sodann! Franklins Grundsaͤtze gehen allenthalben darauf, gesunde Vernunft, Ueberlegung, Rechnung, allgemeine Billigkeit und wechsel- seitige Ordnung ins kleinste und groͤßeste Geschaͤft der Menschen einzufuͤhren, den Geist der Unduldsamkeit, Haͤrte, Traͤgheit von ihnen zu verbannen, sie aufmerksam auf ihren Beruf, sie in einer milde fortge- henden, unangestrengten Art geschaͤftig, fleißig, vorsichtig und thaͤtig zu machen, indem er zeigt, daß jede dieser Uebungen sich selbst belohnet, jede Vernachlaͤßigung derselben im Großen und Kleinen sich selbst strafe. Er nimmt sich der Armen an, nicht anders aber als daß er ihnen Wege des Fleißes mit uͤberwiegender Vernunft er- oͤffnet. Mehrmals hat er es erwiesen, wie hell und bestimmt er in die Zukunft sah, wie entwirrt die verworrensten Geschaͤfte der Leidenschaft in einfachen Resultaten vor seinem Auge lagen. Einen solchen Mann von sich selbst sprechen, am Rande des Le- bens ihn seinem Sohn erzaͤhlen zu hoͤren, wer er sey? und wie er, was er ist, ge- worden? wen das nicht reizend belehrte! — Hoͤren Sie nun den guten Alten, und Sie finden in seiner Lebensbeschreibung durchaus ein Gegenbild zu Rousseau's Con- feßionen. Wie diesen die Phantasie fast immer irre fuͤhrte; so verlaͤßt jenen nie sein guter Verstand, sein unermuͤdlicher Fleiß, seine Gefaͤlligkeit, seine erfindende Thaͤtig- keit, ich moͤchte sagen, seine Vielverschlagen- heit und ruhige Beherztheit. Begleiten Sie ihn in diesem Betracht aus der Bude des Lichtziehers in die Werkstaͤte des Messer- schmiedes, in die Buchdruckerei, von Bo- ston nach Neu-York, nach Philadelphia, London u. f. und bemerken, wie er allent- halben zu Hause ist, sich zu finden weiß, Freunde gewinnt, uͤberall ins groͤßere All- gemeine blickt und in jedem Verhaͤltniß einen fortstrebenden Geist zeiget. Die Ga- lerie seiner Bekannten und Mitgenossen, die er dabei aufstellt, wie dieser hier ver- dirbt, dort jener zu Grunde geht; und wie Er dies oft voraussiehet und zu seinem Be- sten gebrauchet, ist aͤußerst lehrreich. Fuͤr junge Leute kenne ich fast kein neueres Buch, das ihnen so ganz eine Schule des Fleißes, der Klugheit und Sittsamkeit seyn koͤnnte, als dieses. Und wie ruhig ists gedacht! wie angenehm-scherzhaft erzaͤhlt der liebens- wuͤrdige Alte! Gluͤcklich, wer auf sein Le- ben zuruͤcksehen kann, wie Franklin, dessen Bestrebungen das Gluͤck so herrlich gekroͤnt hat. Nicht der Erfinder der Theorie elek- trischer Materie und der Harmonika ist mein Held, (obwohl auch in diesen ruhmwuͤrdi- gen Erfindungen Ein- und derselbe Geist wirkte;) der zu allem Nuͤtzlichen und Wah- ren aufgelegte, und auf die bequemste Weise werkthaͤtige Geist, Er der Menschheit Leh- rer, einer großen Menschengesellschaft Ord- ner sey unser Vorbild. Auch außer denen ihm freilich aͤußerst vortheilhaften Zeit- und Landesumstaͤnden mag er uns dieses seyn: denn Franklins Geist faͤnde sich uͤberall zu- recht, auch da wo wir leben. Zu diesem Zweck werden Sie in seinem Leben besonders bemerken, wie er sich, trotz seiner Armuth und mechanischen Be- rufsart, selbst literarische Bildung gab, seinen Styl formte, und jedes Mittel, auch die Buchdruckerei, dazu anwandte; wie er in dieser die popularsten Wege, Zei- tungen, Kalender, einzelne Blaͤtter, die gemeinsten und beliebtesten Einkleidungen auffand, um Ideen unter das Volk zu bringen, und sich durch die Stimme der Nation zu belehren; wie endlich von fruͤhen Jahren an Er nicht sowohl gelehrte, als belehrende Gesellschaften liebte, deren Mit- glieder sich mit einander uͤbten. Auch dieser- halb wuͤnschte ich jedem gutartigen Juͤnglinge diese diese Jugendjahre Franklins in die Haͤnde. Der Unbeguͤterte, der sich selbst nicht ver- laͤßt, wird finden, daß er von Gott durch dessen großes und vielfaches Organ, die Menschheit, nie verlassen werde; er wird auf das zuruͤckgefuͤhrt, was der edle Juͤng- ling Persius fuͤr den Zweck aller menschlichen Weisheit erkannte: Quid sumus; et quidnam victuri gignimur; ordo Quis datus; aut metae quam mollis flexus et unde; Quis modus argento; quid fas optare; quid asper Vtile nummus habet; patriae carisque pro- pinquis Quantum elargiri deceat; quem te Deus esse Jussit et humana qua parte locatus es in re, Disce — B Naͤchstens sende ich Ihnen Franklins Plan zu einer seiner fruͤheren Gesellschaf- ten; lassen Sie unsre Freunde daraus oder dabei bemerken, was fuͤr uns dienet: denn das Philadelphia, fuͤr welches diese Gesell- schaft gestiftet ist, kann uͤberall liegen. 3. Fragen zu Errichtung einer Gesellschaft der Humanitaͤt von Benjamin Franklin . „ H aben Sie heut Morgen die Fragen durchgelesen, um zu erwaͤgen, was Sie der Gesellschaft uͤber Eine derselben zu sagen haben moͤchten, naͤmlich I. Ist Ihnen irgend etwas in dem Schriftsteller, welchen Sie zuletzt ge- lesen, aufgestoßen, das merkwuͤrdig oder zur Mittheilung an die Gesell- schaft schicklich ist? besonders in der Geschichte, Moral, Poesie, Natur- kunde, Reisebeschreibungen, mecha- B 2 nischen Kuͤnsten oder andern Theilen der Wissenschaften? (Mich duͤnkt, die Frage ist fuͤr uns ge- schrieben. Wie einst die Pythagoraͤer, so sollte jeder Rechtschaffene am Abend sich selbst fragen, was er, vielleicht unter vielem Nichtswuͤrdigen, heut wirklich Nuͤtzliches gelesen und bemerkt habe? Jeder gebildete Mensch wird sich auf diesem Wege in kurzem nach einem andern sehnen, dem er sein Merkwuͤrdiges mittheile, und der ihm das Seinige mittheile: denn das einsame Lesen ermattet: man will sprechen, man will sich ausreden. Kommen nun verschiedne Men- schen mit verschiednen Wissenschaften, Cha- rakteren, Denkarten, Gesichtspunkten, Liebhabereien und Faͤhigkeiten zusammen: so erwecken, so vervielfachen sich unzaͤhlbare Menschengedanken. Jeder traͤgt aus seinem Schatze vom Wucher seines Tages etwas bei, und in jedem andern wird es vielleicht auf eine neue Art lebendig. Geselligkeit ist der Grund der Humanitaͤt, und eine Ge- sellung menschlicher Seelen, ein wechsel- seitiger Darleih erworbener Gedanken und Verstandeskraͤfte vermehrt die Masse mensch- licher Erkenntnisse und Fertigkeiten unend- lich. Nicht jeder kann alles lesen; die Frucht aber von dem was der andre be- merkte, ist oft mehr werth als das Gelesene selbst.) 2. Haben Sie etwa neuerlich eine Ge- schichte gehoͤrt, deren Erzaͤhlung der Gesellschaft angenehm seyn koͤnnte? (So gemein diese Frage scheinet, so ein fruchtbares Samenkorn kann sie in der Hand verstaͤndiger Menschen werden. Aus Geschichte wird unsre Erfahrung; aus Er- B 3 fahrung bildet sich der lebendigste Theil unsrer praktischen Vernunft. Wer nicht zu hoͤren versteht, verstehet auch nicht zu be- merken; und aus dem Erzaͤhlen zeigt sich, ob jemand zu hoͤren gewußt habe. Frank- lins beste Einkleidungen gingen aus solchen verstaͤndig-angehoͤrten lebendigen Thatsa- chen hervor; von ihnen empfingen sie ihre gefaͤllige Gestalt, ihre leichte Wendung. In Zeiten, da man viel hoͤrte, viel erzaͤhlte und wenig las, schrieb man am besten; so ists noch in allen Materien, die aus leben- diger Ansicht menschlicher Dinge entspringen muͤssen und dahin wirken. Schrift und Rede ist bei uns oft zu weit von einander getrennt; daher sind Buͤcher oft Leichname oder Mumien, nicht lebendig-beseelte Koͤr- per. Griechen und Roͤmer, auch unter Galliern und Britten die erlesenste Schrift- steller waren sprechende oder gar handelnde Personen; der Geist der Rede und Hand- lung athmet also auch in ihren Schriften. Ueberhaupt aͤußert sich in den entscheidend- sten Faͤllen der wahre Geist der Humanitaͤt mehr sprechend und handelnd, als schrei- bend. Wohl dem Menschen, der in lob- wuͤrdiger und angenehmer lebendiger Geschichte lebet! 3. Hat irgend ein Buͤrger nach Ihrem Bewußtseyn neulich in seinen Ver- richtungen Fehler begangen? und was war nach Ihrer erhaltenen Nach- richt die Ursache davon? 4. Haben Sie neulich vernommen, daß irgend einem Buͤrger etwas besonders gegluͤckt sey? und durch welche Mit- tel? haben Sie z. B. gehoͤrt, auf was Weise ein jetzt reicher Mann hier oder sonst irgendwo zu seinem Ver- moͤgen kam? B 4 Fragen, die in einem aufstrebenden jungen Handelsstaat von der nuͤtzlichsten Wirkung seyn konnten, und in keinem Staate unnuͤtz seyn werden, in dem In- dustrie, Erfindung, Unternehmung noch nicht gar ausgetilgt sind. Ein auf den Mitbuͤrger neidisches Auge schadet sich selbst am meisten; wo findet dies aber meh- rere Nahrung, als in despotischen Ver- fassungen, wo von Schmeichelei, Gunst, Betrug und Willkuͤhr so vieles abhaͤngt? In Verfassungen von freier Concurrenz der Verstandes - und Gemuͤthskraͤfte, so wie der Kunst und des Fleißes ist das Auge der Mitkaͤmpfer und Mitwerber gewiß nicht traͤger, aber verstaͤndiger auf einander ge- richtet. Man gewoͤhnet sich Gluͤck und Un- gluͤck, Reichthum und Armuth, Verdienst und Traͤgheit natuͤrlich anzusehen, for- schet den Mitteln nach, wodurch jener sich hob, dieser sank; so lernt man von beiden. Schon der alte Hesiodus unterschied zwo Gattungen der Eifersucht, die boͤse und die gute; diese beschreibt er als nuͤtzlich, jene als niedertraͤchtig und schaͤdlich. Je mehr sich die Einrichtung menschlicher Dinge bessert, um so mehr muß auch der falschen Eifersucht Zaum und Zuͤgel angelegt werden, indem naͤmlich die freie und edle Eifersucht emporkommt. Wer sollte sich nicht einen Zustand denken koͤnnen, in welchem alle Handlungen und Vortheile der Menschen natuͤrlich betrachtet, mithin auch also ge- schaͤtzt und erworben werden? Da tritt so- dann das Gute und Boͤse gleich ans Licht; jeder darf frei daruͤber sprechen und daran lernen. Wie weit Wir aber noch von die- sem Ziele sind, mag nur der Markt der Wissenschaft zeigen. Wie selten urtheilt ein Beurtheiler fremder Werke nach der B 5 strengen Frage: „welche Fehler hat mein „Mitbuͤrger begangen? und was ist die Ur- „sache davon? hat dieser, redlich betrach- „tet, seine Sache weiter gebracht? wodurch „ists ihm gelungen? und was siehet andern „Mitbuͤrgern noch zuruͤck?“ Und doch ist diese Frage die einzig billige, nuͤtzliche und gerechte; sonst urtheilen nur Sklaven oder Despoten. Von uns sey dieser Geist des kleinen Neides oder des uͤbermuͤthigen Stolzes gleich fern, aber die edle Eifersucht auf alles Gute, Nuͤtzliche und Schoͤne, dessen die menschliche Natur faͤhig ist, sey unsre Goͤttinn!) 5. Ist Ihnen irgend ein Mitbuͤrger be- kannt, der neulich eine wuͤrdige Handlung gethan hat, welche Preis und Nachahmung verdienet? Oder der einen Fehler begangen, wel- cher uns zur Warnung und zu dessen Vermeidung dienlich seyn kann? 6. Welche ungluͤckliche Wirkungen ha- ben Sie neulich an der Unmaͤßig- keit, Unvorsichtigkeit, an der Hitze oder irgend einem Laster oder Thor- heit wahrgenommen? Welche gluͤck- liche Wirkungen hingegen haben Sie von der Nuͤchternheit, Klugheit, Maͤßigkeit, oder irgend einer andern Tugend erfahren? (So fragt ein Lehrer der Humanitaͤt: so frage jeder Vater und Hausvater die Seinen. Wie weit waͤren wir gelangt, wenn uͤber alle Fehler und Tugenden der Menschen, in Beziehung auf ihre Folgen, nur so klar und unbewunden gesprochen werden koͤnnte, als wir bei uns gedenken. Was die falsche Bescheidenheit oder gar eine demuͤthige Heuchelei hier verschweigt, das entdeckt und uͤbertreibt dort eine kecke Laͤster- zunge desto aͤrger. So wird endlich der Sinn der Menschheit verruͤckt, und das moralische Auge geblendet. Alles scheint uns natuͤrlich, nur die Natur des Menschen nicht, deren Weisheit und Thorheit mit ihren klaren Folgen, uns unanschaubare Dinge, unaussprechliche Raͤthsel bleiben sollen. Und doch welche Natur von außen und innen laͤge uns naͤher, als die Natur des Menschen?) 7. Sind Sie oder jemand ihrer Bekann- ten neulich krank oder verwundet ge- wesen? Welche Mittel wurden ge- braucht und welches waren die Wir- kungen? (So hoch die Arzneikunst gestiegen ist: so hat jeder geschicktere Arzt anerkannt, daß sie zum Wohl des Menschengeschlechts noch viel hoͤher steigen koͤnne und steigen werde. Daher die fast schon unzaͤhlbaren Bemer- kungen einzelner Aerzte; daher die Be- muͤhungen großmuͤthiger Menschen, er- probte Mittel aus der Dunkelheit ans Licht zu ziehen; daher endlich die Bemuͤhun- gen ganzer Gesellschaften, aus andern Welt- theilen, waͤre es auch von Wilden, der- gleichen Heil- und Huͤlfsmittel zu gewin- nen und in Europa zu verbreiten. Ist das Wort Humanitaͤt kein leerer Name: so muß sich die leidende Menschheit dessen am mei- sten zu erfreuen haben.) 8. Faͤllt Ihnen etwas ein, wodurch die Versammlung dem Menschenge- schlecht, Ihrem Vaterlande, Ih- ren Freunden oder sich selbst nuͤtzlich seyn koͤnnte? 9. Ist irgend ein verdienter Auslaͤnder seit der letzten Zusammenkunft in der Stadt angekommen? und was ha- ben Sie von seinem Charakter oder Verdiensten vernommen oder selbst bemerkt? Glauben Sie, daß es im Vermoͤgen der Gesellschaft stehe, ihm gefaͤllig zu seyn, oder ihn, wie er es verdient, aufzumuntern? 10. Kennen Sie irgend einen jungen verdienten Anfaͤnger, der sich neu- lich etablirt hat, und welchen die Gesellschaft auf irgend eine Weise aufzumuntern vermoͤgend waͤre? 11. Haben Sie einen Mangel in den Gesetzen Ihres Vaterlandes neulich bemerkt, um deßwillen es rathsam waͤre, die gesetzgebende Macht um Verbesserung anzusprechen? Oder ist Ihnen ein wohlthaͤtiges Gesetz be- kannt, was noch mangelt? 12. Haben Sie neulich einen Eingriff in die rechtmaͤßigen Rechte des Volks bemerkt? 13. Hat irgend Jemand neulich Ihren guten Namen angegriffen, und was kann die Gesellschaft thun, um ihn sicher zu stellen? 14. Ist irgend ein Mann, dessen Freund- schaft Sie suchen, und welche die Gesellschaft oder ein Glied derselben Ihnen zu verschaffen vermoͤgend ist? 15. Haben Sie neulich den Charakter eines Mitgliedes angreifen hoͤren, und auf welche Weise haben Sie ihn geschuͤtzt? Hat Sie irgend jemand beeintraͤchtiget, von welchem die Ge- sellschaft vermoͤgend ist, Ihnen Ge- nugthuung zu verschaffen? 16. Auf was Weise kann die Gesell- schaft oder ein Mitglied derselben Ih- nen in irgend einer Ihrer ehrsamen Absichten befoͤrderlich seyn? 17. Haben Sie irgend ein wichtiges Geschaͤft unter der Hand, bei wel- chem Sie glauben, daß der Rath der Gesellschaft Ihnen dienlich seyn koͤnnte? 18. Welche Gefaͤlligkeiten sind Ihnen neulich von einem nicht anwesenden Mann erzeigt worden? 19. Ist irgend eine Schwierigkeit in An- gelegenheiten vorhanden, welche sich auf Meinungen, auf Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit beziehen und die Sie gern auseinander gesetzt haben moͤchten? 20. Finden Sie irgend etwas in den jetzigen Gebraͤuchen oder Verfah- rungs- rungsarten der Gesellschaft fehlerhaft, welches verbessert werden koͤnnte? (Ohne alle Anmerkung sprechen diese Fragen zum Herzen wie zum Verstande. Manche geheime Gesellschaft, die zur Beße- rung der Menschheit wirken wollte, mag auch dahin gegangen seyn; diese kann vor den Augen der Welt allenthalben, als ein Bund der Edlen und Guten fort- dauern: denn sie ist auf die Tugend selbst gegruͤndet.) Folgendes waren die Fragen, die jeder, der in der Gesellschaft aufgenommen werden wollte, die Hand auf seine Brust gelegt, beantworten mußte: 1. Haben Sie irgend eine besondre Ab- neigung gegen Eins der hiesigen Mit- glieder? C 2. Erklaͤren Sie aufrichtig, daß Sie das Menschengeschlecht, ohne Ruͤck- sicht von welcher Handthierung oder Religion jemand sey, uͤberhaupt lieben. 3. Glauben Sie, daß Jemand an Koͤr- per, Namen oder Gut, blos speku- lativer Meinungen oder der aͤußer- lichen Art des Gottesdienstes wegen, gekraͤnkt werden muͤsse? 4. Lieben Sie die Wahrheit um der Wahrheit willen, und wollen sich bestreben, sie unpartheiisch zu suchen, und wenn sie sie gefunden, auch an- dern mitzutheilen? Die Hand aufs Herz, meine Bruͤder! Ja, Amen. 4. G lauben Sie nicht, m. Fr., daß Sie der einzige Liebhaber Franklins in unsrer klei- nen Zahl sind. Alle Bruͤder reichen Ihnen die Hand auf seine Fragen, und von F. werden Sie naͤchstens ein Kaͤstchen von Ame- rikanischem Holz empfangen, in dem Sie eine Sammlung kleiner und groͤße - rer Aufsaͤtze Franklins finden, un- ter welchen Ihnen wahrscheinlich manches neu seyn wird. Freund F. hat sie mit vieler Sorgfalt zusammengesucht, und glaubt daran einen moralisch-politischen Schatz zu haben Es wird davon eine niedliche Ausgabe im Deutschen veranstaltet werden: denn die meisten, . C 2 Ist es nicht sonderbar, daß in alten und neuen Zeiten die hoͤchste und fruchtbarste Weisheit immer aus dem Volk entsprun- gen, immer mit Naturkenntniß, wenigstens mit Liebe zur Natur und Ansicht der Dinge verbunden, immer von ruhiger Unbefangen- heit des Geistes, von heiterm Scherz be- gleitet gewesen und am liebsten unter der Rose gewohnt hat? Doch warum nenne ich dies sonderbar, da es Natur der Sache selbst ist. Nur wer die Menschen kennet, kann fuͤr sie sorgen; nur wer durch das Beduͤrfniß geweckt, durch Noth gereizt, in mancherlei Verhaͤltnissen umhergetrieben, die suͤße Frucht der Muͤhe schmeckte, kann diese auf die bequemste Art andern zu kosten alle sehr intereßante Stuͤcke, sind zerstreut, oder gar nicht bekannt. A. d. H. geben. Er hat sich die schwere Wahrheit leicht gemacht; so macht er sie auch andern angenehm und faßlich. Daß Franklins Leben ganz und im Ori- ginal erscheinen werde, will ich nicht zweif- len. Dem beßern Theil der Englischen Na- tion ist es bekannt genug, daß er kein Auf - ruͤhrer gewesen, daß er zum Frieden und zur Aussoͤhnung die Einsichtvollesten Vor- schlaͤge gethan habe, die, wie Weißagungen eines Propheten, die Zeit genugsam bestaͤrkt hat. Aeußerst schwer ging er an den Ge- danken, daß England und Amerika sich trennen sollten; er fand es diesem Lande selbst nicht vortheilhaft, und hielt auch das fuͤr gefaͤhrlich, daß es zur Freiheit so bald gelangte. Da nun die Zeit hieruͤber mit einer gebietenden Stimme bereits entschie- den und England auf andre Weise schadlos gehalten hat: so glaube ich, daß nur wenige C 3 Augen sich schließen duͤrfen, und Franklins Lebensgeschichte wird uns gegoͤnnet seyn und bleiben. Lesen Sie in beikommendem Ne - krolog Nekrolog von Schlichtegroll , Gotha 1791. die wenigen Fragmente seines politischen Lebens, und Sie werden den schoͤnen Friedensstern , der in Franklin leuchtete, bis auf den Augenblick, da er in der westlichen Welt untergeht, segnen. Die letzte Rede, mit der er den Beitritt der widersinnigen Provinzen zur Constitution bewirkte, so ganz in seinem Geist und Cha- rakter, ist der scheidende Strahl dieses Sternes. Aber ach, indem ich Ihnen den Nekro- log zusende, wie truͤbe sinkt mein Blick! Kein Stern mehr; ich wandle auf einem Kirchhofe, und schaue traurig zur Erde nie- der, insonderheit unter den Deutschen Ge- beinen. Die Pyramide hinten auf dem Umschlage duͤnkt mich Cestius Pyramide zu Rom, neben welcher der Auslaͤnder-Pro- testanten, meistens der Deutschen Koͤrper ruhn, verscharret hier in der Fremde. Welch eine niederschlagende Erinnerung giebt uns das Leben der Meisten! Die in der Folge angefuͤhrten Namen sind alle aus dem ersten Jahrgange des Nekrolo- gen. Mehrere waren damals noch nicht erschienen. A. d. H. Arm geboren, fleißig, redlich, eines Theils Talent- an- dern Theils Verdienstreich kamen sie nicht weiter, als daß sie ihr Leben entweder muͤhsam durchlebten, oder in der Haͤlfte desselben fast unbemerkt niedergingen und starben. Loudon glaͤnzt als ein Gestirn C 4 in diesem Todtenthale; aber lesen Sie, wie es auch ihm gegangen? wie schwer es ihm gemacht worden? und wie er zuletzt sein Grabmahl von Truͤmmern einer unerstuͤrm- ten Pforte sich selbst als ein castrum doloris aufgerichtet. Aus dem Wirtenberger Hahn , diesem wahrhaftig Newtonischen Kopfe, aus Schaͤffer , Ferber , Reiz , Meier , und so manchen andern, was waͤre in Eng- land geworden? (Was aus Herschel nicht geworden waͤre, wenn er in der Han- noverschen Hofkapelle diente!) Und wie gings dem verdienten Crollius in Zwei- bruͤck, dem guten Meggenhofen in Bayern! wie verschwand Crugot , dieser sanft- und hellleuchtende Stern so bald un- ter Wolken! Auf welche Irrwege ward Basedow gefuͤhrt, und wie traurig schrei- tet der arme Ephraim Kuh seine Lauf- bahn danieder! — Diese liegen nun neben Joseph II. , neben Elliot , Howard , Franklin , Kreittmayr hier begraben. Sie schlafen freilich neben einander alle- sammt in Frieden; aber der Name auf ihren Leichsteinen giebt mehr zu denken, als selbst in Gray 's Elegie auf dem Land- kirchhofe ausgedruͤckt seyn moͤchte. Dem Todten, meine Freunde, gebuͤhrt eine Thraͤne; so manchem Deutschen Todten gebuͤhrt mehr als Ein Seufzer. C 5 5. D er Truͤbsinn, der Sie bei dem Nekrolog angewandelt hat, ist nicht ganz ohne Grund; laßen Sie uns diesen aber naͤher beleuchten. Sollte die Grabstaͤte selbst, die hier errich- tet worden, daran nicht etwa mit Schuld seyn? Der Name Todtenregister, ist schon ein trauriger Name. Laß Todte ihre Tod - ten begraben ; wir wollen die Gestorb- nen als Lebende betrachten, uns ihres Le- bens, ihres auch nach dem Hingange noch fortwirkenden Lebens freuen, und eben deß- halb ihr bleibendes Verdienst dankbar fuͤr die Nachwelt aufzeichnen. Hiemit verwan- delt sich auf einmal das Nekrologium in ein Athanasium , in ein Mnemeion ; sie sind nicht gestorben , unsre Wohlthaͤter und Freunde: denn ihre Seelen, ihre Ver- dienste ums Menschengeschlecht, ihr Anden- ken lebet. Damit veraͤnderte sich auch der Entwurf dieses Buches, und gewiß zu seinem Vor- theil, wenn anders der Entwurf auszu- fuͤhren waͤre. 1. Nur deren Leben gehoͤrte in diese Sammlung, die zum Besten der Menschheit wirklich beigetragen haben ; und es waͤre Hauptblick des Er- zaͤhlers, wie sie dies thaten? wie sie die wurden, die sie waren? womit sie zu kaͤm- pfen, was sie zu uͤberwinden hatten? wie weit sie's brachten und was sie andern zu thun nachließen? endlich wie sie ihr Ge- schaͤft, das Werk ihres Lebens, selbst an- sahn? Eine treue Erzaͤhlung hievon, wo moͤglich aus dem Munde, oder den Schrif- ten der Entschlafnen, oder von denen die sie nahe gekannt und bemerkt haben, waͤre wie eine Stimme aus dem Grabe , wie ein Testament des Verstorbnen uͤber sein eigenstes Eigenthum, uͤber seinen edelsten Nachlaß. 2. Hieraus folgte, daß bei Maͤnnern der Wissenschaft man sich nothwendig auf den Werth und die Wirkung ihrer Schriften , bei thaͤtigen Geschaͤftsmaͤn- nern auf den Beruf einlaßen muͤßte, in welchem sie der Menschheit dien - ten . Bei Crugot z. B. sind seine Pre - digten vom Verfasser des Christen in der Einsamkeit nicht genannt, mit denen er doch, zumal im zweiten Theil, seinen Zeitgenossen so weit vorschritt. Cru - gots wenige Schriften verdienen zu blei- ben, so lange die Deutsche Sprache bleibt; und es war mir ein angenehmer Umstand, hier zu finden, daß Carmer den Christen in der Einsamkeit zum Druck gefoͤrdert ha- be. Wie nun? sollte der helldenkende, liebenswuͤrdige Mann, dessen Moral so ganz die reine Humanitaͤt Christi athmet, ohne hinterlaßene, des Drucks wuͤrdige Schriften gestorben seyn? Und sollte Car - mer , sollten die zwei Prinzen und die Prin- zeßin, die, wie die Biographie sagt, ihren Verdienstvollen Lehrer in ihm ehrten und liebten, sollten die Freunde, die ihn naͤher kannten, dies Geschenk fuͤr Welt und Nach- welt verloren seyn laßen? Ich hoffe nicht: denn nebst Sack und Spalding war Crugot nicht nur in jenen Gegenden, sondern fuͤr Deutschland uͤberhaupt einer der ersten Verbreiter des guten Geschmacks und einer hellen Philosophie im Kreise seines Berufes. Er muß nicht todt seyn; sondern er lebe! 3. Da schwerlich etwas Langweiligeres, als ein unbestimmtes Leichenlob seyn kann: so sind eben die zartesten Saiten des mensch- lichen Herzens auch hier, wie mich duͤnkt, aufs leiseste zu beruͤhren. Familien- Freun- des- Privatsituationen, wenn sie nicht auf einem hellen Detail beruhen, ertragen in allgemeinen Ausdruͤcken selten ein langes Lob; man uͤberschlaͤgts oder ermuͤdet. Ueber- haupt ist das, was der Lehrer der Menschen vom Innern der Moralitaͤt sprach, auch in Absicht auf die Darstellung derselben wahr: „was fuͤrs Auge des Allsehenden allein ge- hoͤret und vor ihm gethan ward, will nicht vor dem Auge der Menschen prangen, ge- setzt, daß es auch der wahreste Freund des Verstorbnen vorzeigte.“ Anders ists mit bestimmten Thatsachen; die sprechen durch sich selbst, sie ermahnen, lehren, troͤsten. 4. Eingaͤnge zu Lebensbeschreibungen durch einen Allgemeinsatz sind hoͤchst mißlich. Welcher Allgemeinsatz erschoͤpft ein mensch- liches Leben? welcher verfuͤhrt nicht oͤfter, als er zurechtweiset? In den lateinischen memoriis sind solche Gemeinplaͤtze herge- bracht; hier, wuͤnscht man, wachse die Be- merkung an ihrer natuͤrlichen Stelle im Fort- gange der Erzaͤhlung hervor, oder sie ver- siegle zuletzt den Eindruck des Ganzen. Ueber Manches dieser Leben haͤtte viel Star- kes koͤnnen gesagt werden, bald mit einem strengen Blick, bald mit einem herzdurch- dringenden Seufzer. 5. Denn freilich, m. Fr., ists wahr: Deutschland weinet um manche sei - ner Kinder ; es ruft: sie sind nicht mehr , sie gingen gekraͤnkt, Beistand- und Trostlos unter. Hier also auf dem Grabe des Verstorbnen, als auf einer heiligen Freistaͤte, muͤssen Wahrheit und Menschlich- keit, diese sanft und ruͤhrend, jene unpar- theiisch und strenge ihre Stimmen erheben, und sprechen: „dieser Mann ward unter- druͤckt, jener gemißbraucht, dieser verlockt und gestohlen. Ohne Recht und Urtheil schmachtete er viele Jahre im Felsenkerker; das Auge seines Fuͤrsten weidete sich an ihm; seine spaͤte Entlassung ward Gnade, und nie bekam er die Ursache seines Gefaͤngnisses zu wissen, bis an den Tag seines Todes.“ Eine sehr bekannte Deutsche Geschichte, uͤber welche jetzt der zweite Theil von Schubarts selbst geschriebenem Leben Auskunft giebt. A. d. H. Wahre Begegnisse dieser Art muͤßten von Munde zu Munde, von Tagebuch zu Tage- buch buch fortgepflanzt werden: denn wenn Le- bendige schweigen, so moͤgen aus ihren Graͤbern die Todten aufstehn und zeugen. Auf diese Weise gefuͤhrt, was waͤre lehr- reicher und nuͤtzlicher, als ein solches Regi- ster der Todten? Es ist kein Boͤsewicht auf der Erde, den nicht, wenn sein schuldloser oder gar edler Gegner mit hingestreckten Armen daliegt, und die Todtenglocke uͤber ihm ertoͤnet, das, wodurch er ihm im Leben wehe that, jetzt im Herzen steche und nage. Die Schlangen der Rache, des Neides und Undanks entschlafen am Grabe des Todten und wenden sich gegen den lebenden Ver- brecher. Hier also sitze, wie dort auf Ajax Grabe, Tugend und Menschenwuͤrde, und waͤge und richte. Ich weiß wohl, wie schwer dies alles auszufuͤhren sey, zumal in Deutschland. Eben aber, daß Moͤsers patriotische Phan- D tasie „ Aufmunterung und Vorschlag zu einer westphaͤlischen Biogra - phie “ hier in einem weiteren Umfange er- fuͤllet werden koͤnnte, daß, wenn sonst nir- gend, wenigstens auf einem Gottesacker die verdienten Maͤnner mehrerer und aller Deutschen Provinzen sich zusammen faͤnden, und endlich doch in der Erde sich als Landes- leute, als Bruͤder, als Mitarbeiter an Einem Werk des Menschenberufs erkennten; das allein schon sollte jeden Gutgesinnten aufmuntern, aus seiner Gegend, wie er weiß und kann, zur Vervollkommnung des Ganzen mit beizutragen. 6. Vor allen Dingen aber wuͤnschte ich eigne Biographien erlesner merk - wuͤrdiger Menschen . Wie weit stehen wir Deutsche hierinn andern Nationen, Franzosen, Englaͤndern, Italienern nach! wir lebten, dachten, muͤheten uns; aber wir konnten nicht schreiben. Die rauhe oder ermattete Hand, die das Schwerdt, den Scepter, das Handwerk- und Kunst- werkzeug, wohl auch die breite Canzleifeder fuͤhrte, verachtete meistens die Reißfeder muͤhsamer Selbstschilderung; mit der alten Chronikenzeit ging auch das haͤusliche und Familiengefuͤhl, fuͤr die Seinen und mit ihnen fortzuleben, großen Theils zu Grabe. Was also von merkwuͤrdigen alten Selbst- beschreibungen gerettet, was von neuen hie und da entdeckt werden kann, sollte gerettet und genuͤtzt werden, bis (ich weiß gewiß, daß die Zeit kommt) merkwuͤrdig: Geschaͤfte auch freiere Gesinnungen und diese den Geist einer edeln Publicitaͤt erwecken werden, bei dem alle Staͤnde im Lichte wandeln . Praecipuum munus annalium, ne virtutes fileantur; vtque pravis dictis factisque ex posteritate et infamia metus fit. D 2 Der Patriot. Von allen Helden, die der Welt Als ewige Gestirne glaͤnzen, Durch alle Gegenden bis an der Erde Graͤnzen, O Patriot, bist du mein Held. Der du, von Menschen oft verkannt, Dich ganz dem Vaterlande schenkest, Nur seine Leiden fuͤhlst, nur seine Groͤße den est, Und lebst und stirbst fuͤrs Vaterland. Umsonst sucht von der Tugend Bahn Der Eigennutz dich zu verdraͤngen, Und fuͤhret wider dich, mit Jauchzen und Gesaͤngen, Die lockende Verfuͤhrung an; Und ihr Gefolg, die guͤldne Pracht, Den stolzen Reichthum, mit der Ehre, Die Pfauenfluͤgel schwingt, und einem Freudenheere Das um die suͤße Wohllust lacht. Siegprangender als Caͤsar war, Schlaͤgt sich durch diesen furchtbarn Haufen Die große Seele durch, mit Gold nicht zu erkaufen, Nicht zu erschuͤttern durch Gefahr. Denn wie ein Fels, der unbewegt, Wann Wogen sich auf Wogen thuͤrmen, Im Oceane steht, und ruhig, in den Stuͤrmen Den ganzen Zorn des Himmels traͤgt: So stehest Du mit festem Muth, Und trotzest, ohne Freund, verlassen, Dem Grimm der Maͤchtigen, der Boͤsen, die dich hassen, Und ihrer ungerechten Wuth. D 3 Das Vaterland begluͤckt zu sehn, Ist dir die goͤttlichste der Freuden, Ist dir Ambrosia, selbst in dem haͤrtsten Leiden, Wann Buͤrger dich undankbar schmaͤhn. Bis dich der Himmel wieder ruft, Die lichte Wohnung wahrer Helden, Und wer du warest, einst des Volkes Thraͤnen melden, Verstroͤmt um deine stille Gruft. Unruͤhmlich, unbeweint im Tod, Vermodern in vergeßnen Hoͤlen Die Buͤrger schlimmer Art, in deren kleinen Seelen, Nur niedrer Eigennutz gebot. Die Schaͤndlichen! Das Vaterland, Das ihnen, was sie hatten, Leben, Ruh, Ehr' und Ueberfluß und sichre Luft gegeben, Bat huͤlflos mit erhobner Hand; Sie aber wichen scheu zuruͤck, Und nuͤtzten den erzuͤrnten Himmel Zu haͤßlichem Gewinn, und dachten im Getuͤmmel Nur sich und ihres Hauses Gluͤck. Ihr Haus entflieht der Rache nicht, Die endlich den Verbrecher findet: Was mit verruchter Hand ein Boͤsewicht gegruͤndet, Zerstoͤrt ein andrer Boͤsewicht. Des Buͤrgers Gluͤck bluͤht mit dem Staat, Und Staaten bluͤhn durch Patrioten. Athen besiegten Stolz und Eigennutz und Rotten, Noch eh' es Philipps Ehrfurcht that. Und so fiel Rom, die Koͤniginn Der Koͤnige von allen Zonen, Von ihrem Thron gestuͤrzt; und ihre guͤldnen Kronen Nahm ein erkaufter Barbar hin. D 4 Oft wann in schauervoller Nacht Ihr Schutzgeist ihren Schutt umflieget, Stillschweigend uͤbersieht, wie Rom im Staube lieget, In Truͤmmern seiner alten Pracht; Und dann die großen Thaten denkt, Die sein geliebtes Volk vollbrachte, So lang' fuͤrs Vaterland der Buͤrger Liebe wachte, Von niedrer Absicht unbeschraͤnkt: Als alles fremden Goldes Feind, Ein Curius und Scipione Und die Fabricier und maͤnnliche Catone Noch lebten, mit dem Staat vereint: Dann klagt er laut: „sie sind nicht mehr!“ Des Kolosseums oͤde Mauern Beginnen rund umher antwortend mit zu trauern, Tiefbrausend wie ein stuͤrmisch Meer: „Sie sind nicht mehr, und Rom starb nach! Erhoben durch die Patrioten, Fiel mein geliebtes Rom, als allen Buͤrger- rotten Ein patriotisch Herz gebrach: Daß dieser Fall der großen Stadt Die sicher-stolzen Voͤlker lehre, Der groͤßte Staat sey schwach, der ungezaͤhlte Heere, Doch keine Patrioten hat. Uz D 5 6. E in Athanasium , ein Mnemaion Deutschlands! Wahrlich unser Vaterland ist zu beklagen, daß es keine allgemeine Stimme, keinen Ort der Versammlung hat, wo man sich saͤmmtlich hoͤret. Alles ist in ihm zertheilt, und so manches schuͤtzet diese Zertheilung; Religionen, Secten, Dialek- te, Provinzen, Regierungen, Gebraͤuche und Rechte. Nur auf dem Gottesacker kann uns etwa eine Stelle gemeinsamer Ueberlegung und Anerkennung gestattet werden. Aber warum nur hier? Arbeiten nicht in allen, vom hoͤchsten bis zu den niedrigsten Staͤnden, sichtbare und unsichtbare Kraͤfte, diese gemeinsame Ueberlegung und Aner- kennung zu erleichtern, zu bewirken? Ein Theil Deutschlandes hatte sich vor dem an- dern mit unleugbaren Vorschritten ein großes Voraus gegeben; der andre Theil eifert ihm nach, und wir koͤnnen bald an der Stelle seyn, ein Ebenmaas zu finden. Jeder biedre Mensch muß sich bestreben, dieses zu foͤrdern, und gluͤcklicher Weise scheinen mir Diejenigen, die die biedersten Deutschen seyn sollen, die Fuͤrsten, auf den- selben Weg zu treten. Gewiß, der Unter- schied der Religionen macht es nicht: denn in allen Religionen Deutschlands giebt es aufgeklaͤrte, gute Menschen. Der Unter- schied von Dialekten, von Bier- und Wein- laͤndern macht es auch nicht, was uns von einander haͤlt und sondert; ein leidiges Staatsinteresse, eine Anmaßung mehreren Geistes, mehrerer Cultur auf der Einen, auf der andern Seite mehreren Gewichts, mehreren Reichthums u. f. war es, was uns entzweiet; und dem, duͤnkt mich, muß und wird die allmaͤchtige Zeit obsiegen. Denn sagen Sie, was hindert uns Deutsche, uns allesammt als Mitarbeiter an Einem Bau der Humanitaͤt anzuerken- nen, zu ehren, und einander zu helfen? Haben wir nicht alle Eine Sprache? ein gemeinschaftliches Intereße? Eine Ver- nunft? Ein und dasselbe menschliche Herz? Der Philosophie und Kritik hat man nirgend den Weg versperren koͤnnen; sie arbeitet sich uͤberall durch; sie wird in allen guten Koͤpfen rege. Ihre Regeln sind allenthalben die- selbe; ihr Zweck allenthalben nur Einer. Auch der Wetteifer verschiedner Provinzen gegen einander kann nicht anders, als diesen Zweck befoͤrdern. Ruhm und Dank verdienet also ein jeder, der die Gemeinschaft der Laͤnder Deutsch- lands durch Schriften, Gewerbe und An- stalten zu befoͤrdern sucht; er erleichtert die Zusammenwirkung und Anerkennung meh- rerer und der verschiedensten Kraͤfte; er bin- det die Provinzen Deutschlands durch geistige und also die staͤrksten Bande. Daß uns eine Hauptstadt fehle, thut zu unsrer Sache gewiß nichts. Der Ausbil- dung des Geschmacks mag ihr Mangel eine Hinderniß seyn; und auch der Geschmack kann durch sie eben so wohl verderbt und gefeßelt werden, als sie ihm Anfangs Poli- tur und Fluͤgel verleihen mochte. Einsichten aber, ruhige Ueberlegungen, thaͤtige Ver- suche, Empfindungen und Aeußerungen dessen, was oͤrtlich und allenthalben zu unserm Frieden dienet; sie verschmaͤhen die Mauern einer Hauptstadt und suchen das freie Land; ihre Werkstaͤte ist das gesammte Deutschland. Je mehrere und leichtere Boten allenthalben her, allenthalben hin gelangen; desto mehr wird die Mittheilung der Gedanken befoͤrdert, und kein Fuͤrst, kein Koͤnig wird diese zu hemmen suchen, der die unendlichen Vortheile der Geistes- Industrie, der Geistescultur, der gegen- seitigen Mittheilung von Erfindungen, Ge- danken, Vorschlaͤgen, selbst von begangenen Fehlern und Schwaͤchen einsieht. Jedes dieser Stuͤcke kommt der Menschen-Natur, mithin auch der Gesellschaft zu gut; der Fehler wird entdeckt, der Irrthum wird gebessert, Gedanke weckt Gedanken, Em- pfindungen und Entschluͤsse regen und trei- ben. Denn das ist eben die große und gute Einrichtung der menschlichen Natur, daß in ihr, wenn ich so sagen darf, alles im Keim da ist, und nur auf seine Entwickelung wartet. Entschließet sich die Bluͤthe nicht heute: so wird sie sich morgen zeigen. Auch alle moͤglichen Antipathien sind in der mensch- lichen Natur da; jedem Gift ist nicht nur sein Gegengift gewachsen, sondern die ewige Tendenz der waltenden lebendigen Kraft geht dahin, aus dem schaͤdlichsten Gift die kraͤftigste Arznei zu bereiten. Ach, die Extreme liegen in unsrer engebeschraͤnkten Natur so nahe, so dicht bei einander, daß es oft nur auf einen geschickten Fingerdruck ankommt, aus dem Einfalls- den Ab- sprungswinkel zu machen, da unabaͤnder- lichen Gesetzen nach beide in ihrem Ver- haͤltniß einander gleich sind. Gedanken zu hemmen; dies Kunststuͤck hat noch keine irrdische Politik erfunden; ihr selbst waͤre es auch sehr unzutraͤglich. Aber Gedanken zu sammlen, zu ordnen, zu lenken, zu gebrauchen; dies ist ihr, fuͤr alle Zeiten hin- aus, unabsehlicher großer Vortheil. Doch die Seite des Verstandes ists nicht allein, in Absicht welcher ich Deutschland einen gemeinsamen Zusammenhang wuͤnsch- te; vielmehr ists die Seite des Charakters, der Entschluͤße, der Unternehmung. Wir wissen alle, daß die Deutschen von jeher mehr gethan, als von sich reden gemacht haben; das thun sie auch noch. In jeder Provinz Deutschlands leben Maͤnner, die ohne Franzoͤsische Eitelkeit, ohne Engli- schen Glanz, gehorsam, oft leidend, Dinge thun, deren Anblick jedermann schoͤ- nen und großen Muth einspraͤche, wenn sie bekannt waͤren. Denen vollends wuͤnsche ich keinen Hof, keine Hauptstadt; einen Altar der Biedertreue wuͤnsche ich Ihnen, Ihnen, an dem sie sich mit Geist und Herzen versammeln. Er kann nur im Geist exsistiren, d. i. in Schriften; und, o daß ausgezeichnet vor allen eine solche Schrift da waͤre! An ihr wuͤrden sich Seelen ent- flammen und Herzen staͤrken. Der Deut- sche Namen, den jetzt viele Nationen gering zu halten sich anmaßen, wuͤrde vielleicht als der erste Name Europa's erscheinen, ohne Geraͤusch, ohne Anmaßung, nur in sich selbst stark, vest und groß. E 7. W ir sind daruͤber einig, daß wenn Ein großer Name auf Europa maͤchtig gewirkt hat, es Friedrich gewesen. Als er starb, schien ein hoher Genius die Erde verlassen zu haben; Freunde und Feinde seines Ruhms standen geruͤhrt; es war, als ob er auch in seiner irrdischen Huͤlle haͤtte un- sterblich seyn moͤgen. Sie denken leicht, wie begierig ich auf seine nachgelassenen Schriften war Oeuvres posthumes de Frederic II. Berlin 1788. : hier, sagte ich, lebt und spricht noch sein Geist nach dem Ableben seines alten vielgeuͤbten Koͤrpers. Briefe, Ge- spraͤche, ja Worte von ihm, die, so lang' er Koͤnig war, als Ehre gesucht, als Schaͤtze umhergetragen wurden, sind jetzt ein gemeines Gut. Man kann sie uner- schrocken pruͤfen, im Zusammenhange seines langen Lebens beherzigen; man darf ihnen widersprechen, und sie mit seinen Thaten vergleichen. Zuerst also griff ich nicht nach Werken, die er absichtlich fuͤr die Welt geschrieben hatte, sondern nach seinem Briefwechsel, und unter diesem auf den laͤngsten und in- tereßantsten mit Voltaͤre. Er erstreckt sich von 1736 bis 1777, also uͤber vierzig Jahre, und zeigt die Seele des großen Koͤniges in den verschiedensten Situationen seines Le- bens. Ich will einige Zuͤge und Stellen auszeichnen. E 2 Ein Prinz von 23 Jahren, der Erbe eines koͤniglichen Thrones, sucht in weiter Entfernung den Mann auf, den er fuͤr den ersten Schriftsteller seiner Zeit haͤlt, in dem er, wie er selbst sagt, „nicht nur Schaͤtze „des Geistes, Stuͤcke mit so viel Geschmack, „Delicateße und Kunst gearbeitet, daß ihre „Schoͤnheiten bei jedem neuen Lesen neu „scheinen, sondern auch jene Philoso - „ phie “ findet, die unser koͤnigliche Juͤng- ling insonderheit werth haͤlt. Er uͤbersendet ihm seinen Wolf , erbittet sich dagegen seine Schriften, seinen Unterricht in Brie- fen, und wird ein Schuͤler des Philosophen, nicht aus Eitelkeit, sondern ernst und be- scheiden. „Autoren, sagt er, sind die Ge- setzgeber des menschlichen Geschlechts; ihre Schriften verbreiten sich in alle Theile der Welt; sie manifestiren Ideen, die andre sich einpraͤgen. Ist in ihnen Staͤrke des Gedankens mit Feuer des Ausdrucks ver- einigt, so bezaubern sie und ruͤhren. Bald athmet eine Menge Menschen die Liebe zum menschlichen Geschlecht, die sie ihr durch einen gluͤcklichen Impuls einhauchten. Sie bilden gute Buͤrger, treue Freunde, Unter- thanen, die Aufruhr und Tyrannei in gleichem Grade verabscheun, voll Eifer, nur fuͤrs allgemeine Beste. Ihnen, den Schriftstellern, ist man die Tugenden schul- dig, die die Sicherheit und den Reiz des Lebens ausmachen; was ist man ihnen nicht schuldig?“ So sahe Friedrich die Wissenschaften an, und dies blieb sein Bekenntniß. Die Ta- lente, die hiezu dienten schaͤtzte er an Vol- taͤre, in seiner Jugend fast uͤber die Maße, in seinem hoͤheren Alter maͤßiger; doch blieb ihm stets die hohe Achtung fuͤr einige große Stuͤcke seines Lehrers, die er von E 3 andern sehr unterschied, und ihm daruͤber offen seine Meinung sagte. Unter Waffen und im hoͤchsten Alter hielt er die Wissen- schaften nicht nur fuͤr sein schoͤnstes Ver- gnuͤgen, sondern auch dem Staat und der menschlichen Gesellschaft unentbehrlich; ohne sie, meinte er, wuͤrden und blieben Fuͤrsten, Staͤnde und Voͤlker Barbaren ; Wissen- schaften allein haben die Welt erleuchtet, und einige auserwaͤhlte Seelen des Men- schengeschlechts veredelt. Bluͤht, ihr freundlichen Kuͤnste Ein von Goͤtz uͤbersetztes Gedicht Frie- drichs. Anmerk. d. Herausg. , Bluͤht! Die goldenen Fluthen Des Paktolus benetzen Euch in Zukunft die Wurzeln Eures heiligen Hains. Euch gebuͤhret zu herrschen Ueber schwaͤchere Geister, Und vor euren Altaͤren Alle Soͤhne des Irrthums Feiernd opfern zu sehn. In der Mitternacht hoͤr' ich Oft den himmlischen Wohllaut Eures Wettgesangs, hoͤre Polyhymniens Saiten Und Uraniens Lied. Und zerfließe vor Wonne: Denn ihr singet die Thaten Der unsterblichen Goͤtter, Unterrichtet die Weisen Und Regenten der Welt. Angenehme Gefuͤhle Und mein Genius reißen Allgewaltig mich zu euch, Ketten ewig an Euren Siegeswagen mich an. E 4 Fast immer toͤnet diese Stimme um mein Ohr, wenn ich Friedrichs Schriften lese. Man wandelt in ihnen wie auf klaßischem Boden; ein Gefuͤhl fuͤr die Wuͤrde, den Werth, die Schoͤnheit der Wissenschaften ist in seine kleinsten und groͤßesten Aufsaͤtze verbreitet. Insonderheit lebt sein Geist in einer ge- wißen Reihe erwaͤhlter groͤßerer Seelen , die er, meistens aus dem Alter- thum, sich zu Lieblingsnamen seiner Phan- tasie, zu Vorbildern, an denen er gern verweilet, ausersehen hatte. In Hand- lungen des Krieges und des Friedens, in Geschaͤften der Regierung, und in Bezie- hungen der Menschheit kommen sie ihm oft wieder, als alte Lehrer und Freunde; so wie es denn bekannt ist, daß er nur wenige Schriftsteller, diese aber immer von neuem las und in seine Gedanken praͤgte. Nach gewißen Jahren wollte ihm das Neue nicht mehr gnug thun; er fand eine Spitzfindig- keit oder einen mathematischen Calcul in Schriften, wohin dieser nicht gehoͤrte. Die alten großen Formen weniger Hauptgedan- ken lagen in ihm, von denen er sich ungern trennen mochte. In Sachen des Vortrags sah er Voltaͤre als die letzte Stuͤtze des Ge- schmacks an, der unter Ludwig XIV. ge- wesen war, und unter Ludwig XV. und XVI. freilich nicht mehr seyn konnte. Dagegen sieht er seine eignen Aufsaͤtze in Versen blos als Reimereien zum Vergnuͤgen, in Prose als Uebungen zu Entwicklung seiner Ge- danken an, und spricht von ihnen ohn' alle Anmaßung. Diese Bescheidenheit ist, wie man offenbar sieht, kalte Ueberzeugung; er fuͤhlt, was ihm fehle, und warum er nicht seyn koͤnne, was z. B. Voltaͤre war. Er wills auch nicht seyn: denn er fuͤhlt E 5 seinen groͤßern Beruf, ob er gleich den an- dern, ein großer Schriftsteller zu seyn, als angenehmer erkennet und in Augenblicken des Enthusiasmus fast zu beneiden scheinet. Bald aber setzt sein Geist sich ins Gleichge- wicht: „gesunder Verstand, meint er, ein edler Trieb zur Ehre, und unausgesetzte Thaͤtigkeit sey seine Gabe, die wolle und muͤße er auf seiner Stelle ausbilden, an- wenden und gebrauchen. Fast unglaublich ists auch, wie weit er in diesen Punkten nicht etwa nur Voltairen, sondern auch seinen saͤmmtlichen correspon- direnden Freunden uͤberlegen ist. Wenige, aber große Grundsaͤtze liegen als unerschuͤt- terliche Fundamente in seiner Seele; wenige aber veste Maximen sind seine treuen Ge- faͤhrten, auf die er zuletzt, und als Koͤnig oft mit sehr leichter Muͤhe, alles zuruͤck- fuͤhrt. Einige derselben wollten ihm im siebenjaͤhrigen Kriege zuweilen untreu wer- den; er nimmt aber seine große Seele zu- sammen, und verbeißt die verachtende Bit- terkeit, mit der er insonderheit die Regie- rungen der Welt, ihre Unterhaͤndler und Werkzeuge, wohl auch den groͤßeren Theil des menschlichen Geschlechts ansieht. Ganz scheint er indeßen von dieser zu langen und großen Ueberstrengung sich nie wieder er- holt zu haben; sein Geist kehrte, nach Endi- gung des siebenjaͤhrigen Krieges, zu seinen fruͤheren Vergnuͤgen zwar zuruͤck, war hei- ter, vest und wirksam; aber er blieb stren- ger und ernster. Mit Bewunderung habe ich, (wenige Vorurtheile ausgenommen,) die fast allgemeine Billigkeit, Maͤßigung und Enthaltsamkeit des großen Koͤniges in seinen Urtheilen von Sachen, Begebenheiten und Personen mir ausgezeichnet. Es war eine selbststaͤndige, große Seele. Und daß sein Herz den Empfindungen der Humanitaͤt, der Freundschaft, der Bruder- und Schwesterliebe, dem Zuge zu allem Großen und Guten, nicht verschloßen gewesen, zeigen hundert Stellen seiner Schriften, tausend Momente seines Lebens. In juͤngern Jahren hatte er einen Brief uͤber die Humanitaͤt geschrieben, von dem er viel zu halten scheint, den ich aber in seinen Schriften nicht finde; er sagt von ihm: „Es scheint, man staͤrke sich in einer Ge- sinnung, wenn man seinem Geist alle Gruͤnde vorhaͤlt, die sie unterstuͤtzen. Und dies be- stimmte mich, uͤber die Humanitaͤt zu schrei- ben. Sie ist, nach meiner Meinung, die einzige Tugend und soll insonderheit denen als Eigenthum zugehoͤren, die ihr Stand in der Welt unterscheidet. Ein Landesherr, er sei groß oder klein, soll als ein Mensch angesehen werden, dessen Beruf es ist, menschlichem Elende abzuhelfen, so viel er kann; er ist ein Arzt, die mancherlei Un- faͤlle seiner Unterthanen zu heilen. Die Stimme der Ungluͤcklichen, das Seufzen der Elenden soll zu ihm gelangen. Sey es aus Mitleid mit ihnen, oder aus einer Ruͤck- kehr des Gedankens auf ihn selbst, so muß ihn die traurige Lage der Leidenden ruͤhren, und wenn sein Herz irgend Empfindung hat, werden sie Huͤlfe bei ihm finden. „Ein Fuͤrst ist gegen sein Volk was das Herz dem Koͤrper ist. Dies empfaͤngt das Blut aus allen Gliedern, und stoͤßt es mit Gewalt bis an ihre aͤußersten Enden zuruͤck. Der Fuͤrst empfaͤngt die Treue und den Ge- horsam seiner Unterthanen; er giebt ihnen Ueberfluß, Gluͤckseligkeit, Ruhe, und was irgend zum Wachsthum und zum Wohl der Gesellschaft thun kann, wieder. „Dies sind Maximen, die im Herzen jedes Menschen von selbst entspringen muͤßen; das Gefuͤhl giebt sie, wenn man nur etwas nachdenkt; man hat keinen großen Cursus der Moral noͤthig, um sie zu lernen. „Tyrannen betrachten die Sache anders. Sie sehen die Welt, als fuͤr sie geschaffen, an; und um uͤber gewisse gewoͤhnliche Un- gluͤcksfaͤlle erhoben zu seyn, verhaͤrten sie ihr Herz vor denselben. Wenn sie ihre Un- terthanen unterdruͤcken, wenn sie hart, ge- waltthaͤtig und grausam sind; so kommt dies daher, daß sie das Boͤse nicht kennen, das sie veruͤben; sie haben es nie selbst ge- fuͤhlt, darum gehen sie so leicht daruͤber. Sie sind nicht im Fall des Mutius Scaͤ - vola gewesen, der vorm Porsenna die Hand ins Feuer steckte, und dadurch die Wirkung des Feuers auf seine Hand wohl kennen lernte. „Mit Einem Wort. Die ganze Haus- haltung des menschlichen Geschlechts ist ein- gerichtet, um Menschenliebe einzufloͤßen. Die Aehnlichkeit der Menschen unter ein- ander; die Gleichheit ihres Looses und das unentbehrliche Beduͤrfniß, das Einer vom andern hat; Ungluͤcksfaͤlle, die die Bande des Beduͤrfnisses noch staͤrker anziehen; die natuͤrliche Neigung, die man zu seines Gleichen hat; unsre Selbsterhaltung, die uns Humanitaͤt predigt; die ganze Natur scheint sich zu vereinigen, um uns eine Pflicht einzupraͤgen, die unser Gluͤck macht, und taͤglich neue Annehmlichkeiten auf unser Leben verbreitet.“ Wenn Friederich immer so gefuͤhlt und gethan hat, als er hier schreibt, (und es war gewiß sein Ernst, da er es schrieb; auch wurden ihm in den unhumansten Situationen seines Lebens diese Gesinnun- gen nie ganz fremde,) so wollen wir ihn als einen Heiligen anrufen, daß er uns seinesgleichen humane Denker, vaͤterliche Regenten, Aerzte und Herzen des Volks erbitten helfe. Auch wollen wir wuͤnschen, daß alle Fuͤrsten und Prinzen die meisten seiner Werke, (sie sind ja franzoͤsisch ge- schrieben) lesen moͤgen, und zwar also als ob sie den großen Koͤnig selbst hoͤrten. 8. Wenn 8. W enn Koͤnig Friederichs Lob auf die Humanitaͤt Ihnen gefaͤllig gewesen, so laßen Sie sich einige kuͤrzere Gedanken und Maximen vortragen, die ich in diesen an- genehmen Briefen bezeichnet. „Traurige Folge der menschlichen Hin- faͤlligkeit! der Mensch ist nicht alle Tage sich selbst gleich. Oft zerstoͤren sich ihre Ent- schluͤße eben so schnell, als sie sie faßten. Der Spanier sagt sehr vernuͤnftig: „dieser F Mann ist brav gewesen .“ Koͤnnte man nicht eben so wohl sagen, daß große Maͤnner es nicht immer, nicht allezeit sind?“ „Wenn ich etwas wuͤnschte, so waͤre es, gelehrte und gescheute Leute um mich zu haben; ich glaube nicht, daß eine Sorge um sie sich nicht sehr belohnte. Zuerst ist es eine Achtung, die man ihrem Verdienst schuldig ist; sodann ein Bekenntniß des Beduͤrfnißes, das man hat, von ihnen Licht zu bekommen. Ich komme kaum von Er- staunen zuruͤck, wenn ich denke, daß eine cultivirte Nation, die, vom Genie unter- stuͤtzt, im Besitz des guten Geschmacks ist, den Schatz nicht kennet, den sie in ihrem eignen Schooße traͤgt. „Meine jetzige Muße laͤßt mir Zeit, mich zu beschaͤftigen, wie ich will. Sie soll mir also nuͤtzlich und eine weise Muße werden, indem ich Philosophie und Geschichte studire, und mich mit Poesie und Musik vergnuͤge. Ich lebe jetzt als Mensch, und ziehe dies Leben der majestaͤtischen Gravitaͤt und dem tyrannischen Zwange der Hoͤfe unendlich vor. Ueberhaupt kann ich keine Lebensart, nach der Elle abgemeßen, ausstehn; nur die Freiheit hat fuͤr mich Reize. Wenn Personen von einem gewissen Range die Haͤlfte ihrer Laufbahn erreichen, so urtheilt man ihnen den Preis zu, den andre nur erhalten, wenn sie die ganze Laufbahn zuruͤckgelegt haben. Woher die- ses? Entweder wir sind weniger faͤhig, das F 2 recht zu machen, was wir thun sollen; oder es sind niedrige Schmeichler, die unsre klein- sten Handlungen geltend machen und zum Himmel erheben. Der verstorbne Koͤnig von Polen rechnete große Summen ziemlich leicht; alle Welt pries seine hohe Kenntniß der Mathematik, von der er doch kein Wort verstand. Mehrere Beispiele mag ich nicht anfuͤhren. In unsern Tagen hat es durch- aus keinen großen Fuͤrsten gegeben, der wirklich unterrichtet war, als Peter den Ersten.“ (Und auch bei diesem macht Frie- drich in der Folge mit Recht große Aus- nahmen.) „Wie verschieden ist ein betrachtendes, von einem handelnden Leben! Ein Mann, der sich nur mit Denken beschaͤftigt, kann gut denken und sich uͤbel ausdruͤcken; ein handelnder Mann, wenn er sich auch mit aller ersinnlichen Grazie ausdruͤckte, darf nie schwach handeln; wie man z. B. dem Koͤnige von England Jacob I. vorwarf, daß er nie etwas Schlechtes gesagt, nie etwas Lobwuͤrdiges gethan habe. Es fuͤget sich oft, daß die, die gegen Handlungen andrer am meisten declamiren, es schlechter als sie machen, wenn sie sich in den naͤmlichen Umstaͤnden befinden. Daß es ja mir nicht also gehe! Denn leichter ists freilich zu tadeln, als zu thun; leichter Lehren zu geben, als sie auszuuͤben. Und dann lassen Menschen sich ja so leicht verfuͤhren, bald durch Anmaßung, bald durch den Glanz ihres Standes, oder durch Hinterlist der Boͤsen, daß ihr Gewissen bestrickt wird, auch wenn sie die reinsten und besten Ab- sichten von der Welt haͤtten. F 3 „Ich habe wenig Verdienst und Gelehr- samkeit; aber viel guten Willen, und eine unerschoͤpfliche Achtung und Freundschaft fuͤr Personen von entschiedenem Werth. Da- bei bin ich alle der Bestaͤndigkeit faͤhig, die die wahre Freundschaft fodert. „Koͤnige ohne Freundschaft und ohne Erkenntlichkeit scheinen mir dem Koͤnige gleich zu seyn, den Jupiter den Froͤschen gab. Ich kenne die Undankbarkeit nur in so fern, als ich selbst durch sie gelitten habe, und kann, ohne Affectation fremder, mir unnatuͤrlicher Gesinnungen, behaupten, daß ich jeder Groͤße entsagen wuͤrde, wenn sie die Freundschaft ausschloͤße. „Ich verachte die Jesuiten zu sehr, als daß ich ihre Schriften lesen sollte; ein schlech- tes Herz verdunkelt bei mir die Faͤhigkeiten des Geistes. Ueberdem leben wir nur so kurze Zeit, und unser Gedaͤchtniß ist so schwindend, daß nur das Ausgesuchteste uns unterrichten sollte. „Die Deutschen Prinzen verachten ge- meiniglich die Gelehrten. Die unmodische Kleidung, der Buͤcherstaub, der diesen et- wa anhangt, und das wenige Verhaͤlt- niß, das zwischen einem Kenntnißreichen Kopf und dem leeren Hirn dieser Herren statt finden kann, macht, daß sie sich uͤber ihr Aeußeres aufhalten, und den großen Mann ohne Hofkleid ganz und gar nicht ge- F 4 wahr werden Diese und einige andre Bemerkungen Friedrichs haben sich Gottlob seitdem hie und da veraͤndert. A. d. H. . Der Hoͤfling haͤlt das Urtheil des Fuͤrsten zu hoch, als daß er an- ders als Er zu denken sich getrauen sollte; sie affectiren also auch, die zu verachten, die tausendmal mehr als sie selbst werth sind. O Zeiten! o Sitten! Ich, der ich mich uͤberhaupt nicht fuͤr das Zeitalter ge- schaffen fuͤhle, in dem wir leben, mag dem Beispiele meiner Herren Mitbruͤder nicht nachfolgen; ich predige ihnen unaufhoͤrlich, daß der Gipfel der Unwissenheit Hochmuth sey, und glaube, daß ein großer Mann, der uͤber mir ist, auch meine Achtung verdiene. „Das lebhafteste Vergnuͤgen, das ein vernuͤnftiger Mensch in der Welt haben kann, ist neue Wahrheiten zu entdecken; das naͤchste nach diesem ist, alter Vorur- theile los zu werden. „Die meisten Prinzen haben eine besondre Leidenschaft fuͤr die Stammbaͤume; eine Art Eigenliebe, die bis auf die entferntsten Vor- fahren hinaufsteigt, ja die sie nicht nur fuͤr Vorfahren in gerader, sondern auch in jeder Seitenlinie intereßiret. Ihnen sagen, daß unter ihren Ahnen schlechte, mithin veraͤchtliche Menschen gewesen, hieße ihnen ein Schimpf, den sie nie verzeihen; und wehe dem profanen Autor, der in das Heiligthum ihrer Geschichte verwegen draͤn- ge, und die Schande ihres Hauses unter F 5 die Leute braͤchte! Wenn diese Delikateße sich blos auf den guten Ruf ihrer Ahnen muͤtterlicher Seits erstreckte, so waͤre er noch zu entschuldigen; aber verlangen, daß funfzig, sechzig Vorfahren, alle nach der Reihe, die honnetsten Menschen von der Welt gewesen seyn, das heißt die Tugend in Eine Familie bannen, und dem mensch- lichen Geschlecht Unrecht thun. Eines Tages hatte ich die Unbedachtsamkeit, in Gegen- wart Jemandes zu behaupten, daß ein Herr von — so etwas gethan habe, das einem Cavalier nicht gezieme; ungluͤcklicher Weise war dieser Herr von — zweites Ge- schwisterkind mit dem, in dessen Gegenwart ich dies sagte. Er formalisirte sich sehr dar- uͤber, und als ich ihn um die Ursache fragte, mußte ich erst durch einen langen Stamm- baum paßiren, um meine Beleidigung zu erfahren. Da war nun kein andrer Rath, als dem Unwillen meines Beleidigten alle meine Vorfahren Preis zu geben, die etwa nicht verdient haͤtten, es zu seyn. Man tadelte mich; ich rechtfertigte mich aber da- mit, daß jeder Mann von Ehre, jeder honette Mann meines Stammes sey, und daß ich sonst keinen dafuͤr erkennte. „Gern wuͤrde ich unter einem gemaͤßig- ten Klima leben, gern als Privatmann die Freundschaft und Achtung wuͤrdiger Men- schen verdienen, und dem entsagen, wor- nach die Meisten luͤsten und streben; aber ich fuͤhle zu sehr, daß wenn ich nicht Prinz waͤre, ich wenig seyn wuͤrde. Euch reicht Euer Verdienst zu, geachtet, beneidet, be- wundert zu werden; ich habe Ahnen, Wap- pen, Titel, Einkuͤnfte noͤthig, um die Au- gen der Menschen auf mich zu ziehen. Ein großer Fuͤrst fiel einmal in die Haͤnde seiner Feinde; er sahe seine Hofleute um sich her weinen, verzweifeln: „ Ach , sagte er, an Euren Thraͤnen merke ich , daß ich noch Koͤnig bin !“ Wenige Worte, aber voll großen Sinnes! „Bruͤssel und fast das ganze Deutsch- land ist seiner alten Barbarei noch nicht los; die Kuͤnste werden in ihm wenig ge- achtet, also auch wenig cultiviret. Der Adel dient unter den Truppen, oder mit sehr leichten Studien tritt er in Collegia und spricht das Recht, daß es eine Lust ist. Edelleute mit Renten leben auf dem Lande, oder vielmehr in den Waͤldern, wo sie denn auch so wild werden als die Thiere, die sie jagen. Der Adel unsres Landes gleicht zwar im Ganzen dem andern Deutschen Adel; doch hat er mehr Lust, sich zu unterrichten, mehr Lebhaftigkeit und wenn ich sagen darf, mehr Genie als der groͤßere Theil der Na- tion, insonderheit der Westphaͤlische, Fraͤn- kische, Schwaͤbische, Oesterreichische Adel. Dies giebt Hofnung, daß die Kuͤnste einst auch hier, aus der untern Classe gezogen, gute Haͤuser und Palaͤste bewohnen werden. Berlin hat, (wenn ich mich so ausdruͤcken darf) Funken aller Kuͤnste in sich, man sieht das Genie von allen Seiten hervorglim- men, und es beduͤrfte nur eines gluͤcklichen Hauchs, um das Leben den Wissenschaften wieder zu geben, die Athen und Rom einst beruͤhmter machten, als ihre Eroberungen im Kriege. Ich freue mich, diese gluͤck- lichen Produktionen meines Vaterlandes zu sehen: sie sind Rosen die unter Dornen und Disteln wachsen, Funken des Genies, die durch die Asche hervorblicken, mit denen sie ungluͤcklicher Weise bedeckt sind. (Ge- schrieben im Jahr 1739.) „Eben hatte ich einen Brief angefangen uͤber die Mißbraͤuche der Mode und der Gewohnheit , als die Ge- wohnheit des Erstgeburtrechts mich auf den Thron rief und mir meinen Brief weg- zulegen befahl. Gern haͤtte ich ihn in eine Satyre gegen diese Gewohnheit umgeaͤndert, wenn nicht Satyre aus dem Munde der Fuͤrsten verbannt seyn muͤßte. „Gewoͤhnlicher Weise macht man sich in der Welt von den großen Revolutionen der Reiche eine aberglaͤubige Idee; wenn man in den Coulissen ist, sieht man, daß die groͤßten Zauberscenen durch die gemeinsten Triebfedern, durch Taugenichte hervorge- bracht werden, die, wenn sie sich oͤffent- lich, wie sie sind, zeigten, nur den Un- willen des Publikum auf sich ziehen wuͤr- den. Betrug, Hinterlist, Doppelsinn, Treulosigkeit sind ungluͤcklicher Weise der herrschende Charakter der meisten Men- schen, die an der Spitze der Nationen stehen, und ihnen Exempel seyn sollten. In solchen Faͤllen ists demuͤthigend, das mensch- liche Herz kennen zu lernen; tausendmal schon habe ich meine liebe Einsamkeit, meine Studien, meine Freunde, meine ehemalige Unabhaͤngigkeit zuruͤckwuͤnschend bedauret. (1742.) „Meine Ode auf den Krieg enthaͤlt meine wahren Gedanken. Man unterscheide den Stand des Mannes von ihm selbst; man kann Krieg fuͤhren aus Gruͤnden, ein Staatsmann seyn aus Pflicht und ein Phi- losoph aus Neigung. Fast nie sind die Menschen an Plaͤtzen, die sie sich selbst waͤh- len wuͤrden; daher giebts so viele schlechte Schuster, schlechte Priester, schlechte Mini- ster und Fuͤrsten. (1749.) „Hier ist eine Apologie der armen Koͤnige, uͤber die jedermann glossiret; und doch beneidet jeder ihr vorgegebnes Gluͤck hundertmal. Die Versifikation ist unvoll- kommen; dies Studium erfordert einen Menschen ganz; mich ziehen tausend Pflich- ten, tausend Beschaͤftigungen aus einan- der. Ich bin ein angeketteter Galeeren- sklave auf dem Schiff des Staats, oder ein ein Pilot, der weder sein Steuer verlassen, noch einschlafen darf, ohne Furcht das Schicksal des ungluͤcklichen Palinurs zu haben. Die Musen fodern Stille und eine gaͤnzliche Gleichheit der Seele; keine von beiden ist mein Theil. Es giebt auch ge- wisse privilegiirte Seelen, die im Tumult der Hoͤfe sowohl, als im Gefaͤngniß der Bastille, oder auf dem Strohsack der Reise dichten koͤnnen; die meinige ist nicht von dieser Zahl. Es ist eine Ananas, die nur im Treibhause fortkommt, an frischer Luft aber verdirbt.“ (1749.) — — Doch ich ermuͤde Sie mit Vor- zeigung ausgerissener Blumen, die eigent- lich nur auf der Stelle, da sie stehen, in G der Situation, die sie hervorbrachte, den schoͤnsten Reiz haben. Stuͤnde mir die Versification eines Jacobi zu Gebot, und ich haͤtte Ihnen die eingestreueten Verse in der leichten Manier des Originals mit- geben koͤnnen; freilich da waͤre es anders! 9: S ie wollen also, daß ich meine Blumen- lese auch in den reiferen, schwereren Jahren des Koͤnigs fortsetze; Ihr Wille geschehe. Fast mit jedem Jahre waͤchst meine stille Be- wunderung des großen Mannes, und in den Zeiten des siebenjaͤhrigen Krieges steigt sie fast zum hohen tragischen Mitleid. Eine Seele, die zum Genuß, zur schoͤnsten Wirk- samkeit in Zeiten der Ruhe und des Frie- dens geschaffen war, die in jugendlichen Jahren ihren ersten und zweiten Ausflug nach dem Kranz kriegerischer Ehre gleichsam nur in der Begeisterung des Augenblicks, G 2 gelockt oder aufgefodert von Staatsgruͤnden, von sogenannten Rechten und der damaligen Lage Europa's, rasch und gluͤcklich gethan hatte, muß jetzt diesen leicht erworbenen Kranz schwer und theuer erkaufen. Alle Maͤchte Europa's vereinigen sich, den schwachgeglaubten, einzelnen Mann zu er- druͤcken, und seine unglaubliche Tapferkeit, sein unerschuͤtterter Muth fodert, statt ihre Rache zu besaͤnftigen, diese nur mehr auf. Er sieht die niedrigen Urheber und Werk- zeuge seines fast schon unvermeidlichen Un- gluͤcks; mehr als Ein Ungewitter zieht er mit kuͤnstlich-kuͤhner Hand auf seine Feinde selbst hernieder; und doch sammeln sich die Wolken immer furchtbarer uͤber ihn zusam- men. In diesen Augenblicken der Gefahr, des Sieges, der groͤßeren Gefahr und des fast unvermeidlichen Untergangs sind tief aus der Seele des Helden geschriebene Briefe Dinge, die wir bei keiner andern Nation, weder bei Alten noch Neueren, finden. Aus Cato, Caͤsars, Brutus, Otho Seele haben wir nichts dergleichen; keiner von ihnen hat auch die Gefahren bestanden, aus denen Friedrich sich, vielleicht in Jahrtausenden unerreichbar, herauszog. Da wirds merk- wuͤrdig, was dieser starke, friedliche Mann jetzt uͤber Menschen, uͤber das Schicksal der Welt dachte. Sogleich der erste vortrefliche Brief (9. Octob. 1759.) der sich mit den Worten endigt: Pour moi, menacé du naufrage, Je dois, en affrontant l' orage, Penfer, vivre et mourir en Roi und mehrmals uͤbersetzt ist, enthuͤllet die Denkart des Koͤniges. In andern sind fuͤrchterliche Ausruffe mit gefaßter Staͤrke: „Ich kann meinen Feinden sagen, wie G 3 Demosthenes den Atheniensern: wohl dann! wenn Philippus todt ist, was waͤre es, ihr Athenienser? Ihr wuͤrdet euch bald einen andern Philippus machen. O Oestreicher, euer Hochmuth, eure Sucht alles zu be- herrschen, wuͤrden euch bald andre Feinde machen; der Freiheit Deutschlands und Europa's wird es nie an Vertheidigern fehlen!“ Indessen betruͤbt ihn der Tod seiner Schwester aufs zarteste, „fuͤr die er sein Le- ben unter diesen Ungluͤcksfaͤllen gern wuͤrde hingegeben haben.“ Er wird geschlagen, und sagt, wie Franz: „Alles ging verlohren, nur nicht die Ehre.“ „Je aͤlter man wird, je mehr uͤberredet man sich, daß die heilige Majestaͤt, der Zufall , drei Viertheile dieser elenden Welt regieret, und daß die, die sich die Weisesten zu seyn einbilden, die groͤßten Narren der Gattung sind, die ohne Federn auf zwei Fuͤßen gehet, zu der wir zu gehoͤren die Ehre haben. „In den großen Bewegungen, denen ich entgegen gehe, habe ich nicht Zeit, zu wissen, ob jemand Pasquille gegen mich schreibt in Europa; das weiß ich, und dessen bin ich Zeuge, daß meine Feinde, mich zu erdruͤcken, alle Kraͤfte aufbieten. Ich weiß nicht, ob es der Muͤhe lohnet. „Es scheint, man vergißt in diesem Krie- ge, was Wohlstand sey. Die policirtesten Nationen kriegen wie wilde Thiere. Ich schaͤme mich der Menschheit; ich erroͤthe uͤber das Jahrhundert. Laßet uns die G 4 Wahrheit gestehen: Philosophie und Kuͤnste verbreiten sich nur auf eine geringe Zahl Menschen. Die große Masse, das Volk und der gemeine Adel bleiben das, wo- zu sie die Natur gemacht hat, boshafte Thiere.“ „Ihr habt der Sorbonne ein Grab ge- macht; baut auch dem Parlement ein Grab- mahl. Es radotirt so stark, daß es mit ihm bald aus seyn muß.“ „Ihr wuͤnschet Frieden; wendet euch an die, die ihn der Welt geben koͤnnen. Das sind aber Leute, die ihren Kopf voll hoch- muͤthiger Projekte haben; sie wollen eigen- maͤchtige Schiedsrichter der Regenten seyn, und das moͤgen Menschen, die wie ich denken, nicht leiden. Ich liebe den Frie- den; aber keinen andern, als einen guten, standhaften, Ehrenvollen Frieden. Sokra- tes und Plato haͤtten wie ich gedacht, wenn sie auf dem verwuͤnschten Punkt gestanden haͤtten, den ich in dieser Welt einnehme. „Glaubt Ihr, daß es ein Vergnuͤgen sey, dies alberne Leben fortzufuͤhren? Men- schen, die man nicht kennt, um sich sterben sehen und sie dem Tode selbst zu uͤberliefern, Tag fuͤr Tag seine Bekannte und Freunde zu verlieren, seinen Ruf dem Eigensinn des Ungefaͤhrs unaufhoͤrlich ausgesetzt zu sehen, das ganze Jahr durch in Unruhe und scheuer Erwartung zuzubringen, ohne End' und Maas sein Leben und Gluͤck aufs Spiel zu setzen? „Gewiß, ich kenne den Werth der Ruhe, die Annehmlichkeiten der Gesellschaft und die Freuden des Lebens; auch ich wuͤnsche G 5 gluͤcklich zu seyn, wie irgend Jemand. So sehr ich aber diese Guͤter begehre, so wenig mag ich sie durch Niedertraͤchtigkeit und Ehrlosigkeit erkaufen. Die Philosophie lehrt uns, unsre Pflicht thun, unserm Vaterlande selbst mit unserm Blut treu dienen, ihm unsre Ruhe, ja unser ganzes Daseyn aufopfern. „Trotz aller Schulen der Philosophie wird der Mensch immerhin das boͤsartigste Thier der Welt bleiben; Aberglaube, Ei- gennutz, Rache, Verrath, Undankbarkeit werden bis ans Ende der Zeiten blutige, traurige Scenen hervorbringen, weil Lei- denschaften uns beherrschen, selten die Ver- nunft. Immer wirds Kriege, Proceße, Verwuͤstungen, Pest, Erdbeben, Banque- route geben; um solche Dinge drehen sich die Annalen der Welt. Fuͤr Ungluͤcksfaͤlle ist die Aegide des Zeno gemacht; die Kraͤnze aus dem Garten Epikurs sind fuͤr das Gluͤck. „Ich stehe auf dem Punkt, mich mit den Rußen zu setzen; es bleiben mir also nur die Koͤnigin von Ungarn, die Mandarinen des heil. Reichs und die Lapplaͤndischen Raͤuber fuͤrs kuͤnftige Jahr uͤbrig. Mein Herz hat mich diesen Gang thun heißen, ein Gefuͤhl der Menschlichkeit, das gern die Stroͤme Bluts versiegen machen moͤchte, die beinah unsre ganze Sphaͤre uͤberschwem- men, das gern den Moͤrdereien, Barba- reien, Mordbrennereien und allen den Ab- scheulichkeiten ein Ende machen moͤchte, die Menschen gegen einander ausuͤben, und durch die ungluͤckliche Gewohnheit, sich im Blute zu baden, Tag fuͤr Tag wilder wer- den. Dauret dieser Krieg fort, so muß Europa in die Finsterniß der Unwissenheit zuruͤckfallen, und unsre Zeitgenossen werden wilde Thiere. Es ist Zeit, diesen Scheuß- lichkeiten ein Ende zu machen. Alle dies Ungluͤck ist eine Folge der Ehrsucht Oester- reichs und Frankreichs. Laß sie ihren un- geheuren Projekten Graͤnze setzen; laß, wenn die Vernunft sie nicht weise machen kann, sie durch die Erschoͤpfung ihrer Finanzen, durch den uͤbeln Zustand ihrer Sachen weise werden! Erroͤthen moͤgen sie, wenn sie hoͤren, daß der Himmel, der die Schwa- chen gegen den Anfall der Starken unter- stuͤtzt hat, den ersten auch Maͤßigung gnug verlieh, um von ihrem Gluͤck keinen Miß- brauch zu machen, und diesen den Frieden anzutragen. Das ist alles, was ein ar- mer, ermatteter, gereizter, gekratzter, ge- bißener, hinkender, geknickter Loͤwe Euch sagen kann. (1759.) „Schwert und Tod haben unter uns abscheulich gewuͤtet, und was das traurig- ste ist, wir sind noch nicht am Ende der Tragoͤdie. Ihr koͤnnt leicht denken, was so grausame Stoͤße auf mich fuͤr Wirkung gehabt haben; ich huͤlle mich in meinen Stoicismus, so gut ich es kann. Fleisch und Blut empoͤren sich oft gegen die tyran- nische Herrschaft der Vernunft; sie muͤßen aber nachgeben. Wenn ihr mich sehen soll- tet, wuͤrdet Ihr mich kaum wiedererkennen: ich bin alt, verfallen, greis, voll Runzeln; ich verliere Zaͤhne und Lustigkeit. Wenn das fortwaͤhrt, wird an mir nichts uͤber- bleiben, als die Tollheit, Verse zu machen, und eine unverletzbare Anhaͤnglichkeit an meine Pflichten, und an die wenigen tugend- haften Menschen, die ich kenne. Meine Laufbahn ist schwer, voll Dornen und Di- steln. Ich habe allen Gram erprobt, der irgend die Menschheit kraͤnken kann, und mir oft die schoͤnen Verse wiederholet: Begluͤckt, wer in der Weisen Tempel u. f. „Ihr eifert gegen Jesuiten und Aber- glauben. Es ist gut, gegen den Irrthum zu streiten; glaubt aber nicht, daß die Welt sich je aͤndern werde. Der menschliche Geist ist schwach; mehr als drei Viertheile der Menschen sind zu Sklaven des ungereimte- sten Fanatismus gebohren. Die Furcht vor Hoͤlle und Teufel benebelt ihnen die Augen; sie verabscheuen den Weisen, der ihnen Licht schaffen will. Der große Haufe unsres Ge- schlechts ist dumm und boshaft. Umsonst suche ich in ihm das Bild der Gottheit, das ihm, wie die Theologen sagen, aufgepraͤgt worden. Jeder Mensch hat ein wildes Thier in sich; wenige wissen es zu baͤndigen, die meisten lassen ihm den Zuͤgel, wenn die Furcht der Gesetze sie nicht zuruͤckhaͤlt. „Vielleicht findet ihr mich zu menschen- feindlich. Ich bin krank; ich leide; und habe mit einem Halbdutzend *** und *** zu thun, die einen Sokrates und Antonin selbst außer Faßung bringen moͤchten. Ihr seyd gluͤcklich, dem Rath des Candide zu folgen und euren Garten zu bauen; nicht Jedermann in der Welt kann es so gut ha- ben. Der Ochs muß den Pflug ziehen, wie die Nachtigall singen, der Delpihn schwim- men, und ich Krieg fuͤhren. „Je mehr ich dies Handwerk treibe, desto mehr uͤberrede ich mich, daß das Gluͤck die groͤßeste Rolle dabei spiele. Ich glaube nicht, daß ich es lange treiben werde; meine Gesundheit nimmt zusehends ab, und es kann leicht seyn, daß ich bald in das Land wandre, wo Gram und Schmerz, wo unsre Vergnuͤgen und Hoffnungen uns nicht mehr folgen, wo man sich in dem Zustande findet, in dem man vor der Geburt war. Vielleicht belustigt Ihr euch bald mit meiner Grab- schrift, und gebt Rechenschaft von mir, wie Babouc dem Engel Ithuriel von Paris gab — —“ Gnug. Muß man nicht unwillig wer- den, wenn man sieht, wie ein bluͤhender Baum, eine so große, schoͤne Seele, nicht vom Sturme des Schicksals, sondern von giftigen Winden und Stuͤrmen einer herrsch- suͤchtigen Politik weniger schlechter Menschen so so gebeugt und zerknickt wird? Die veste Eiche daurete aus; der schoͤne Palmbaum erhob sich; seine froͤhliche, jugendliche Ge- stalt kam ihm aber nie ganz wieder. Frie- drich that seinem Lande wohl, wie sein Geist im großen Ganzen es erforderlich und noͤthig hielt; aber hart zu seyn hatte er wider Willen in einer schweren Schule gelernet. Er sahe die Gefahr seiner Laͤnder, seiner Krone, der Fortdauer seiner Macht; denn er hatte sie gegen ganz Europa behaupten muͤßen. Wie anders, als daß er fortan ernst und strenge an die Zukunft dachte? und der von ihm gegruͤndeten Monarchie wenigstens das zum Schutz ließ, was er ihr lassen konnte, Gerechtigkeit, innere Ord- nung, Kriegsheere und Geld. Man ver- zeihe ihm, wenn er fuͤr diese Dinge auch auf harten Wegen sorgte. Die boͤse Politik, die leider das Staatssystem Europa's aus- H macht, zwang ihn dazu; und freilich gingen manche zartere Zweige der Humanitaͤt, die der an sich selbst fuͤhlbare, froͤhliche Charak- ter Friederichs gewiß wuͤrde angebauet ha- ben, dabei verlohren. Hat uͤberhaupt die Menschheit in Europa einen groͤßeren Feind, als diese Politik der Hoͤfe in jenem soge- nannten großen Staatensystem , nebst allem, was dazu gehoͤret? Die Folge des Briefwechsels enthaͤlt eine Fortsetzung dieses Auszuges. A. d. H. 10. An den Kaiser. D en Priester rufst du wieder zur Juͤngerschaft Des großen Stifters, machest zum Unterthan Den Jochbeladnen Landmann, machst den Juden zum Menschen. Wer hat geendet, Wie du beginnest? Wenn von des Ackerbau's Schweiß nicht fuͤr Ihn auch triefet des Bauren Stirn, Pfluͤgt er nicht Eigenthum dem Saͤugling, Seufzet er mit, wenn von Ernte- Lasten H 2 Der Wagen seufzt: so buͤrdet Tyrannen- Recht Dem Unterdruͤckten Landes-Erhaltung auf, Dienst, den die blutge Faust des Staͤrkern Grub in die Tafel. Und die zerschlaͤgst Du. Wen faßt des Mitleids Schauer nicht, wenn er sieht, Wie unser Poͤbel Kanaans Volk entmenscht? Und thut der 's nicht, weil unsre Fuͤrsten Sie in zu eiserne Feßel schmie- den? Du loͤsest ihnen, Retter, die rostige Eng-angelegte Feßel vom wunden Arm; Sie fuͤhlens, glaubens kaum. So lange Hats um die Elenden her geklirret. Wir weinten Unmuth, daß uns der Roͤmer Rom Zwar nicht beherrschte, aber doch peinigte; Und blutig ist die andre Thraͤne, Daß uns der Roͤmlinge Rom beherr- schet, Daß Deutschlands Kaiser Buͤgel des Zelters hielt, Daß Deutschlands Kaiser nackt um die Teufelsburg Herging, erfror, wenn nicht Mathildis — Aber du kommst kaum und siehst, so siegst Du. Nun mag der Dreikron-tragende Obermoͤnch Mit allen seinen Purpurbemaͤntelten Moͤnchlein das Kanonsrecht, wie weit es Walte, beschielen: denn Du wirst sehen! H 3 So bewillkommte Klopstock den Kaiser Joseph auf seinem Kaiserthrone; mit wel- cher sonderbaren Empfindung lasen wir die Ode, die ich vorher nicht gekannt hatte, eben jetzt nach seinem vernommenen Tode. Es entspann sich daruͤber zwischen meinem Freunde und mir eine Art elegischen Ge- spraͤchs, das ich Ihnen hersetzen will, so weit ich mich dessen erinnere. Gespraͤch nach dem Tode des Kaiser Josephs II. A. Ein sonderbares Ding ist der Tod eines Monarchen. Wir sahen ihn bei Joseph vorher, wir wußten, daß der Kranke sich ihm nahte; und jetzt, da uͤber ihm die Todtenglocken toͤnen, welch eine andre Empfindung! Ohne ihn gekannt, und von ihm eine Wohlthat genoßen zu haben, haͤtte ich weinen moͤgen, da ich die letzten Umstaͤnde seines Lebens las. Vor neun Jahren, da er auf den Thron stieg, ward er als ein Huͤlfsgott angebetet, und von ihm das Groͤßeste, Ruͤhmlichste, fast das Unmoͤgliche erwartet; jetzt traͤgt man ihn als ein Soͤhnopfer der Zeit zu Grabe. Hat je ein Kaiser, hat je ein Sterblicher, moͤchte ich sagen, mehr gewollt, sich mehr bemuͤhet, mehr angestrebet, rastloser ge- wirket, als Er? Und welch ein Schicksal, vorm Angesichte des Todes in den besten Lebensjahren die Erreichung seiner Ab- sichten nicht nur aufgeben, sondern die ganze Muͤhe und Arbeit seines Lebens foͤrmlich widerrufen , feierlich aus - streichen zu muͤßen, und so zu sterben! Mir ist kein Beispiel in der Geschichte bekannt, daß es einem Monarchen so hart gegangen waͤre. H 4 B. Das war das Schicksal des Monar - chen ; setzen Sie noch das Verhaͤngniß hinzu, das ihn, als Menschen traf. Das Einzige, was er in seinem Hause mit Zaͤrtlichkeit liebt, der letzte Gegen- stand seiner Familienhoffnung wird ihm genommen; und damit der Schmerz so empfindlicher sey, eben nach dem Auf- blick der Freude, unerwartet genommen! Sein Liebling muß so dicht vor ihm das Opfer des Grabes werden, daß seine Leiche die Ihrige aus dem Kaiserhause gleichsam wegdraͤngt, und sein Leben sich nur so lange zu fristen scheint, damit vor seinen Augen noch dessen letzte Freude zerknickt werde! — „Begrabet sie, sprach er, damit fuͤr meine Leiche Platz werde!“ Ein einziges Schicksal! A. Der Ungluͤckliche konnte zuletzt nicht sagen: „ich kam, ich sah, ich siegte !“ kaum: „ich kam, ich sah, ich wollte !“ B. Beruhigen Sie sich. Auch darinn schon liegt viel, wie Er sagen zu koͤnnen: ich sah und wollte ! Er hat viel, sehr viel, und weniges muͤßig gesehen. Allenthalben, wo es in andern Laͤndern beßer war, oder ihm beßer zu seyn schien, sammlete er, mit rastloser Thaͤtigkeit Gedanken, Entwuͤrfe in seine Seele — A. Die der Tod ihm jetzt alle raubet! — Ja, ja! er hat Vieles, fast zu Vieles gesehen. Nicht nur die Laͤnder Europa's, die er bereisete; nicht nur das Innere seiner Laͤnder, die er als Erbe und Mit- regent fruͤh und lange genug, bis zum kleinsten Detail, kennen lernte; nicht dies nur! Er sah eben damit auch Gruben des Schlammes, die ihn erbitterten, Pfuͤtzen H 5 und Moraͤste von Untreue, Schwelgerei, Ueppigkeit, Traͤgheit, Unordnung, die er mit Gewalt ausfuͤllen und zum gesun- den Garten machen wollte, und in deren Abgrunde er erliegt. Der Unrath schlaͤgt uͤber ihm zusammen, und vielleicht kommt die ganze, alte Verfassung wieder. B. Das wollen wir nicht glauben. Er be- kommt einen Nachfolger, der ein gepruͤf- ter Haushaͤlter, ein versuchter Regent ist, von dem Joseph selbst zum Theil ge- lernt und geborgt hatte — A. Und doch wollte Er, fast ohne Ausnah- me, der letzten Absicht nach, lauter Billi- ges, Nuͤtzliches, Gutes! Oft war, was er wollte, nur Erste Pflicht der Vernunft, der Humanitaͤt, der gesellschaftlichen Rechte; an etwas Außerordentliches und Ueberfeines war waͤhrend seiner Regie- rung lange noch nicht zu denken. Den- noch erregt er in allen Provinzen und Laͤndern, auch bei Staͤnden, denen er am meisten helfen wollte, murrende Un- zufriedenheit; er stirbt beim Ausbruch eines allgemeinen Ungewitters, des Auf- ruhrs in seinem weiten Reiche — B. Wollen wir nicht, m. Fr., diesen Ort verlassen, wo die Todtenglocken uns uͤber- taͤuben? Was hilft uͤber einen Ungluͤcks- fall das bloße Staunen? Wir wollen freie Luft suchen und uns daruͤber frei unterreden. (Wir gingen auf eine angenehme Hoͤhe, auf der die zahlreichen Doͤrfer der rings- um liegenden Ebene ein angenehmer An- blick waren. Die Todtenglocken, die von den Landkirchthuͤrmen in der Ent- fernung toͤnten, machten eine sanftere Harmonie, und unser Gespraͤch knuͤpfte sich bald von neuem an.) B. Woher glauben Sie denn, daß das un- gewoͤhnliche Schicksal Josephs gekommen sey? Alle Dinge in der Welt haben ihre Ursache. A. Wie mich duͤnkt, stand er dem großen Friedrich zu nahe ; und es war Natur der Sache — B. Wie so zu nahe? Friedrich hat ihm doch nicht geschadet. Er hat ihm zu einem groͤßern Schlesien, den Koͤnigreichen Gallizien und Ludomirien geholfen; aus dem Bairischen Succeßionskriege gegen Friedrich kam Joseph auch mit fast uner- warteter Ehre. Ueberdem hat Friedrich von ihm meistens sehr guͤnstig geurtheilt, und der alte Koͤnig glaubte wohl nicht, daß Joseph ihm sobald nachfolgen wuͤrde. A. So meyne ichs nicht. Denken Sie sich die Lebensgeschichte des Kaisers. Mit ihm als einem Saͤuglinge mußte seine Mutter nach Ungarn fluͤchten und ihn als einen Gegenstand des Mitleidens den Staͤnden zeigen; vor wem fluͤchtete sie? gegen wen erbat sie sich Mitleid und Bei- stand? Was war also natuͤrlicher, als daß der Name Friedrichs dem Kinde und Juͤnglinge oft genannt werden mußte: denn eben auch die Jahre, in denen der Geist des Menschen aufwacht, fielen bei Joseph in die Zeit des siebenjaͤhrigen Krieges — B. Dem er dazu nicht beiwohnen durfte ! A. Nothwendig ward Friedrich ihm als Nachbar, als Feind seines Hauses, noch mehr aber als der Koͤnig und Kriegs- mann, fuͤr den er damals mit einem ganz einzelnen Gluͤck und Ruhm galt — B. Und immer gelten wird! — A. Ein Gegenstand der dringendsten Nach- eiferung. B. Und worinn eiferte er ihm zuerst nach? A. In Allem. Er wollte selbst regie - ren , wie Friederich. B. Das Selbstregieren ist ein erhabener Gedanke; waͤre es aber vom Alleinbe - fehlen nicht sehr unterschieden? Frie- drich theilte die Geschaͤfte, die auszufuͤh- ren waren, mit großem Bedacht nicht nur ein, sondern auch aus. Er ver- richtete, was fuͤr ihn gehoͤrte, mit Leich- tigkeit und uͤberließ andern, was sie thun sollten. A. Das that Joseph auch. Haben Sie das Reglement nicht gelesen, das er bei seiner zweiten Reise nach Italien den Chefs aller seiner Departements nachließ? Er wollte nur befohlen haben, und sie soll- ten ausfuͤhren; sie sollten seine Befehle selbst nach Ort und Stelle modificiren. B. Das ist mehr, als ein Gesetzgeber sonst zu verstatten pflegt. Aber auf die Ge- schaͤfte und die Geschaͤftigkeit des Monar- chen selbst wieder zu kommen, Friedrich sah nicht nur, sondern er uͤbersah auch Vieles, sobald er nur seinen Hauptzweck erreichte. A. Ob dieses ein uneingeschraͤnktes Lob waͤre? B. Dafuͤr gebe ich es auch nicht; gnug, als ein einzelner Mensch erreichte er damit seinen Endzweck. Er blickte in das De- tail der Dinge nicht zu tief, damit er sich nicht verwirrte. A. Die Ersparung wuͤrde Joseph mit der Zeit auch gelernt haben. B. Friedrich fing nicht zu viel, nicht Alles auf Einmal an. A. Joseph thats, weil fuͤr ihn so viel, ja Alles zu thun war. Vielleicht ahndete er, daß er nicht lange leben wuͤrde; zu- dem verwickelte ihn Eins ins andre; er glaubte, nichts koͤnne ganz geschehen, wenn nicht Alles begonnen wuͤrde. Hatte er darinn so ganz Unrecht? B. Nicht Unrecht; aber es ging uͤber Men- schenkraͤfte. Ueberdem zerstreuete Friedrich sich nicht; er reisete nicht — A. Dem Kaiser waren diese Zerstreuungen Belehrung; sie waren ihm das einzige Vergnuͤgen, seiner Gesundheit selbst un- entbehrlich. B. Friedrich, der in juͤngern Jahren zu reisen außerordentliche Lust hatte, ent- sagte, sobald er Regent war, allen Rei- sen in fremde Laͤnder; er betrachtete sich als Steuermann auf dem Schiff seiner Staaten. So angenehm er in Gesell- schaften haͤtte werden koͤnnen; so begnuͤgte er sich dennoch an Einer Gesellschaft weni- weniger erlesenen Freunde , und waͤhlte sich eine andre noch einsamere Ergoͤtzung, die er unausgesetzt, obwohl sehr regel- maͤßig trieb, ja die ihm bald so unent- behrlich ward, als den Morgenlaͤndern das Opium — A. Sie meynen die Lectuͤre? B. Die Lectuͤre und Schriftstellerei; das Lesen und Schreiben; beide sind von einander auch vielleicht unzertrennlich. Durchs Schreiben lernt man lesen und hoͤren; durchs Hoͤren lernt man schreiben, und wird dazu getrieben, begeistert. A. Ob das aber einen Regenten nicht zu sehr zerstreuen moͤchte? Kaiser und Autor! B. Autor muß ein Kaiser und jeder Regent unausbleiblich werden, indem er Gesetze, Verordnungen bekannt macht. Soll er also nur vor fremde Werke seinen Namen I schreiben, so schreibet er sie meistens nur vor Werke, deren er sich selbst schaͤmet. A. Das war Josephs Fall nicht. Er schrieb selbst Gesetze. B. Und groͤßtentheils vortrefliche. Glauben Sie aber, daß das ewige Gesetzschreiben einem Regenten gnug ist, zur geistigen Erheitrung, zur Verjuͤngung seiner Seele? Friedrich las und schrieb blos und allein zu Bildung seines Geistes, zur Erfrischung und Ordnung seiner Gedanken: dann vergaß er Politik und Staatssorgen. Er lebte unter den Alten, dachte mit ihnen, mit großen Maͤnnern einer edlern Zeit. Er staͤrkte sich damit in jener hohen Einfalt vester Grundsaͤtze und der Erfuͤllung seiner Pflichten; er ward selbst ein Alter — A. Welches alles freilich dem immer-thaͤti- gen Joseph entgehen mußte! — B. Ihn, scheint es, hatte die Muse, als er gebohren ward, mit ihrem himmli- schen Auge nicht gesegnet. Jesuiten hatten ihn nicht gelehrt, was Friedrich in der schweren Schule seiner Jugend durch eignen Aufschwung seines Geistes sich selbst lehrte. A. Von Schriftstellern soll er uͤberhaupt nicht groß gedacht haben. B. So wenig groß, daß er den ganzen Buͤcherhandel fuͤr einen Kaͤsehandel an- sah. Ihm war also die Hauptquelle der innern hoͤheren Freude und Ermunterung versagt, aus welcher Friedrich schoͤpfte. Er wußte nur in unsrer Zeit zu leben; daher auch sein Zeitalter unklaßisch ge- blieben. A. Es hat indessen doch vortrefliche Schrift- steller in Wien, in Boͤhmen, selbst in Ungarn unter ihm gegeben. I 2 B. Unter ihm; aber nicht durch ihn. A. Bei Friedrich mochte das derselbe Fall seyn. B. Friedrich fand die Literatur seiner Laͤn- der auf einem Fuß, daß sie sich selbst forthelfen konnte. Sie war sogar gegen die Barbarei seines Vorgaͤngers bestan- den; mithin, sobald Er nur die Freiheit zu denken nachließ, und selbst einen großen, edlen Geschmack zeigte; so eiferte man nach, ja man flog voran. A. Auch Joseph verstattete die Freiheit zu denken. B. Vortreflich; und noch edler, daß er sie nie zuruͤckrief, wenn die Freiheit gleich Frechheit ward, und ihn selbst antastete. Moͤge dieser große Geist sich auf seine Nachkommen fortbreiten! Damit aber er- fuͤllte Joseph die Hoffnungen lange nicht, die man fast unglaublich von ihm hatte — A. Ueberspannte Hoffnungen! B. Nicht uͤberspannte; weil alles fuͤr ihn bereit stand und nur auf seinen Wink wartete. Welch ein Zeitalter haͤtte Jo- seph erwecken koͤnnen, fuͤr sich und fuͤr andre! Bei dem unendlich vielen, was er sah, uͤbersah er dieses. A. Der deutschen Sprache und Schaubuͤhne indeß hat er doch genutzet. B. Ich glaube es. Und wie viel andern haͤtte er mit der leichtesten Muͤhe nutzen koͤnnen, wenn ihm von Kindheit auf der Geschmack daran beigebracht waͤre! Un- gluͤcklich ist ein kuͤnftiger Regent, dem in seiner Jugend der Quell verschloßen oder truͤbe gemacht wird, der ihm in seiner kuͤnftigen, ewig zerstreuenden und er- muͤdenden Laufbahn doch allein die schoͤnste Erquickung geben kann und muß. Nur I 3 durch die Wissenschaften gewinnt ein Re- gent das Maas seiner selbst, eine Samm- lung seiner Gedanken, ein geistiges Or- gan die Dinge anzusehen und zu ge- nießen. Ohne Liebe zur Wissenschaft bleibt er ein sinnlicher Mensch, dem bei aller seiner Thaͤtigkeit von außen in ent- scheidenden Faͤllen dennoch das innere Auge, das innerste Herz zu fehlen scheinet. (Hier verbreitete sich unser Gespraͤch auf einzelne verdiente Maͤnner in den Oesterreichischen Staaten, auf die reiche Ernte, die in diesem weiten Felde fuͤr die kuͤnftige Zeit zu erwarten stehet; end- lich beschieden wir uns auf den morgen- den Tag zu dieser Stunde wieder auf diesen angenehmen Huͤgel. Und wir setzten das Gespraͤch fort:) B. Mich duͤnkt, aus unserm gestrigen Ge- spraͤch erhellete, daß Joseph dem alten Koͤnige nicht in Allem, nicht im Vor- nehmsten nachgeeifert habe; wissen Sie etwas anderes, worinn dieser ihm schaͤd- lich gewesen? A. In dem Kriegs - in dem Erobe - rungsgeist , den er ihm wider Willen einfloͤßte. B. Friedrich ihm? So viel ich weiß, war seit dem siebenjaͤhrigen Kriege dem großen Koͤnige die Lust zu kriegen ganz vergan- gen; er suchte und predigte Frieden. Zur Theilung Polens that nicht Er den Vor- schlag; und als er ihn annahm, begnuͤgte er sich mit dem kleinsten Theil des Er- werbes. Seinetwegen haͤtte Joseph im- mer in Ruhe regieren, und seine Staaten ordnen koͤnnen; ja als er nach Bayern J 4 griff, setzte eben Friedrich sich seinem Laͤnder - Erwerb blos in der Absicht entgegen, daß kuͤnftig ein so boͤser Zun- der zu Kriegen, der Laͤnder - Erwerb , in Deutschland nicht mehr statt haben sollte. Mich duͤnkt, dieser Habgeist dorfte Joseph nicht eben anderswo her- kommen; leider war er ja die ererbte Politik des Habsburgischen Hauses. Jo- seph dachte, wie bekannt ist, an die Laͤn- der, die Oestreich hatte aufopfern muͤssen, und vergaß, wie es zu manchen Laͤndern gekommen sey. Offenbar war auch, wenigstens im damaligen Moment, der Zeitgeist fuͤr dergleichen Erwerbe nicht ge- stimmt. Mit seinen Anspruͤchen auf Bayern und die Schelde verlor der Kai- ser das Zutrauen Europa's; mit An- maßungen in Deutschland verlor er das Zutrauen des Reichs, vielleicht mehr, als ers verdiente. Mit dem traurigen Tuͤr- kenkriege endlich — A. Denken Sie nicht an diesen Krieg. Feldherrn, Freunde, Gesundheit, Ruhe und Leben opferte der zu freigebige Bunds- genoß einem Feldzuge auf, der ihm viel- leicht haͤtte fremde seyn moͤgen — B. Und fremde seyn muͤssen, da die innere Einrichtung seines Reichs, sein maͤnnlich großes Werk alle seine Kraͤfte foderte. Jetzt, indem er die Krimm durchwander- te, wohin nie ein Roͤmischer Kaiser ge- kommen war, und nie einer zu einem solchen Zweck haͤtte kommen moͤgen, fin- gen die Niederlande an zu gluͤhen. A. Und im ungluͤcklichen Tuͤrkenkriege loder- ten fast alle Provinzen in hellen Flammen auf. Verwuͤnscht seyn uͤberhaupt alle Eroberungskriege! Aus dem civilisirten Europa wenigstens sollten sie durch einen J 5 allgemeinen Fuͤrstenbund alle ver- bannt seyn. Koͤnig Friedrich mit seinem eroberten Schlesien, das er durch seinen siebenjaͤhrigen Krieg schwer gnug ver- theidiget hat, moͤge die Reihe der Erobe- rer, als beinah unuͤbertreflich, schließen! B. So werden auch in Friedenszeiten die deßhalb gemachten druͤckenden Anstalten aufhoͤren. Glauben Sie, m. Fr., reine Bemuͤhungen zum Besten der Menschheit koͤnnen in einem Staat schwerlich ge- deihen, so lange der Eroberungsgeist die Fahne schwingt, und die erste Staats- livrei traͤget. Wir sind sodann und bleiben, was wir bereits zu Tacitus Zeit waren, „auch im Frieden zum Kriege ge- waffnete Barbaren.“ A. Das Lob des Kriegshelden gebe ich gern auf, und beklage vielmehr, daß Joseph diesen Dienst auch persoͤnlich sich so sauer werden ließ, als selten ein ge- meiner Soldat thun wuͤrde. B. Friedrich war nie Soldat; er war Feld- herr. A. So wollen wir denn lieber von Josephs Feldzuͤgen gegen den Aberglauben , gegen die Intoleranz und Pfaffe - rei reden. Hier ist doch sein Verdienst unstreitig. B. Unstreitig; ich hoffe auch unsterblich. A. Es ward ihm auch sauer gnug. Die Hyder gewann immer neue Koͤpfe. Und doch war im Meisten seine Absicht eben so unverkennbar, als gerecht, nuͤtzlich, un- entbehrlich. Was war z. B. rechtmaͤßi- ger, als daß er die Geistlichkeit seines Landes fremder Gerichtsbarkeit, die Suͤn- den seines Landes fremder Dispensation entnahm? B. Oder billiger, als die Freiheit, die er der Buͤchercensur gab? A. Oder pflichtmaͤßiger, als daß er die Kloͤster verminderte, und den Unterricht des Volks vermehrte? B. Oder ruͤhmlicher, als daß er alle Re- ligionspartheien vor Bedruͤckungen schuͤtz- te? Aber, m. Fr., wer haͤtte ihm bei diesem Allen die Haͤnde binden koͤnnen? A. Sie kennen die Hyder nicht! B. Wenn der Kaiser es unverruͤckt ge- wollt, wenn er bei jedem Schritt, den er thun wollte, die Folgen uͤberdacht, die Auskunft gegen sie zum voraus be- stimmt, so viel moͤglich, alle Aergerniße vermieden, sodann aber auch ruhig den Bann oder das Interdict erwartet haͤtte. A. Dazu waͤre es wohl nie gekommen; die innern Verdrießlichkeiten und Unordnun- gen aber waren desto groͤßer. B. Laßen Sie es uns gestehen; an denen der Kaiser zum Theil selbst Schuld war. Durch Nachgeben, durch Aergerniße, durch unvorgesehene Folgen u. f. Ueber- haupt scheinet es, daß er bei der Reli- gionsaͤnderung auf keinen vesten Grund gebauet habe; alles blieb schwan- kend, und die harte Behandlung der Deisten in Boͤhmen — A. Diese war eine Uebereilung! B. Nein! es war eine Folge des Unwillens, daß sich diese Leute von ihm selbst nicht bekehren laßen wollten. Ein andrer Re- gent haͤtte sich gefreuet, ein Voͤlkchen solcher Art zu finden; und wenn ers mit seinem Schutze beehrt haͤtte, wuͤrde er hie und da vielleicht nicht unverwerfliche Funken erweckt haben. Jetzt ward der Name, den Jeder hochschaͤtzen muß, er sey Christ, Jude, Tuͤrk, Heide, der Name Deist vom toleranten Joseph ge- mißhandelt; das thut mir weh, fuͤr ihn selbst und zum Besten der Menschheit. (Hier verbreitete sich das Gespraͤch aber- mals auf mehrere Anstalten des Kaisers, auf die Beschaffenheit und die Vertheidi- ger seines Kirchenrechts u. f.; am folgen- den Tage endlich kamen wir zu den Haupt- merkwuͤrdigkeiten seiner Regierung.) A. Daß Joseph sich des unterdruͤckten Land- manns annahm, wird also wohl sein groͤßester Ruhm bleiben. B. Sein groͤßester, und wahrlich ein huma- ner Ruhm. Golden sind die Grundsaͤtze, die er in mehreren Befehlen aͤußert: „Ist „es nicht Unsinn, zu glauben, sagt er, „daß die Obrigkeiten das Land besetzen, „bevor noch Unterthanen waren, und daß „sie das Ihrige unter gewissen Bedin- „gungen an die letztern abgetreten haben? „Muͤßten sie nicht auf der Stelle vor „Hunger davon laufen, wenn niemand „den Grund bearbeitete? Eben so absurd „waͤre es, wenn sich ein Landesfuͤrst ein- „bildete, das Land gehoͤre ihm und nicht „Er dem Lande zu; Millionen Menschen „seyn fuͤr ihn, und nicht Er fuͤr sie ge- „macht, um ihnen zu dienen.“ A. Aehnliche Stellen sind in allen seinen Befehlen. Er kannte den Quell des Ver- derbens, und nahm sich seiner bis auf den Grund an. Jede Saite des mensch- lichen Elends hat er beruͤhret. B. Daß Joseph dies that, bleibt sein ewiger Ruhm, wenn er gleich nicht allenthalben durchdrang. Seine Verordnungen gegen die Leibeigenschaft, uͤber Majorate, Steuern u. f. enthalten so viel Merk- wuͤrdiges, daß eine spaͤtere Zeit gewiß beßer und sichrer verfolgen wird, was Er hie und da uͤbereilt angab. Vielleicht trauete er gelesenen Theorien zu sehr, that große Schritte, und lebte nicht lange gnug, seine Schritte zu behaupten. A. Welchen Widerstand hat er auch hierinn erfahren! B. Einen groͤßeren, als ihm selbst die Pfaffen in ihrem Kreise entgegensetzen konnten. Der Widerstand wird immer wider kommen, sobald ein Regent sich des Landmanns annimmt, zumal in denen von Slavischen Nationen bewohnten Laͤn- dern. Hier gilts aber, was Kaiser Siegmund sagte: „wer uͤber ein Ding nicht springen kann, muß drunter weg- kriechen.“ A. Das duͤnkte Joseph nicht der koͤnigliche Weg. B. B. Drum ist er auch dem Sprunge erlegen. Alles, m. Fr., laͤßt sich in der Welt nicht auf Einmal, nicht mit Gewalt ausfuͤhren, dazu ohne Gehuͤlfen, ohne Werkzeuge, woran es dem Kaiser so sehr fehlte. A. Das wundert mich indeß, daß er auch das Volk nicht mehr gewann, gegen welches er doch so popular war. Er suchte das Beste desselben so entschie- den! — B. Stieß aber dabei auch das Volk in Manchem so vor die Stirn, beleidigte unschuldige, ja angenehme Vorurtheile desselben so sehr, daß der arme Haufe von Pfaffen und andern sich gegen seinen eignen Wohlthaͤter selbst ins Netz jagen ließ. A. Welche unschuldige Vorurtheile des Volks hat er beleidigt? K B. Aus Vielen fuͤhre ich nur wenige an; zuerst das Vorurtheil der Sprache . Hat wohl ein Volk, zumal ein uncultivirtes Volk etwas Lieberes, als die Sprache seiner Vaͤter? In ihr wohnet sein ganzer Gedankenreichthum an Tradition, Ge- schichte, Religion und Grundsaͤtzen des Lebens, alle sein Herz und Seele. Einem solchen Volk seine Sprache nehmen oder herabwuͤrdigen, heißt ihm sein einziges unsterbliches Eigenthum nehmen, das von Eltern auf Kinder fortgeht. A. Und doch kannte Joseph mehrere dieser Voͤlker persoͤnlich und sehr genau. B. Um so mehr ists zu verwundern, daß er den Eingriff nicht wahrnahm, den er sich damit in ihre beliebtesten Rechte erlaubte. „Wer mir meine Sprache verdraͤngt, (glaubt der Idiot nicht ungruͤndlich,) will mir auch meine Vernunft und Lebens- weise, die Ehre und Rechte meines Volks rauben.“ Wahrlich, wie Gott alle Spra- chen der Welt duldet, so sollte auch ein Regent die verschiednen Sprachen seiner Voͤlker nicht nur dulden, sondern auch ehren. A. Er wollte aber eine schnellere Betreibung der Geschaͤfte, eine schnellere Cultur be- wirken. B. Die beste Cultur eines Volks ist nicht schnell; sie laͤßt sich durch eine fremde Sprache nicht erzwingen; am schoͤnsten, und ich moͤchte sagen, einzig gedeihet sie auf dem eignen Boden der Nation, in ihrer ererbten und sich forterbenden Mund- art. Mit der Sprache erbeutet man das Herz des Volks, und ists nicht ein großer Gedanke, unter so vielen Voͤlkern, Un- garn, Slaven, Wlachen u. f. Keime des K 2 Wohlseyns auf die fernste Zukunft hin ganz in ihrer Denkart, auf die ihnen eigenste und beliebteste Weise zu pflanzen? A. Was brauchte Joseph dazu fuͤr Haͤnde! Ihm schien es ein groͤßerer Gedanke, alle seine Staaten und Provinzen, wo moͤg- lich, zu Einem Codex der Gesetze , zu Einem Erziehungssystem , zu Einer Monarchie zu verschmelzen. B. Ein Lieblingsgedanke unsres Jahrhun- derts! Ist er aber ausfuͤhrbar? ist er billig und nuͤtzlich? Brabanter und Boͤh- men, Siebenbuͤrger und Lombarden, stehen sie auf Einer Stuffe der Cultur? gehoͤren sie also in Ein Institut der Er- ziehung? in Einen Codex der Gesetze und Strafen? Gott selbst hat sich eine solche Zusammenschmelzung nicht erlaubt; da- her er jedes Volk nach seiner Weise un- terrichtet. A. Leider war der ganze Normalzuschnitt der Collegien und Schulen ein Exjesuiti- scher, armer Begriff! — B. Der indessen ganze Voͤlker aufbrachte. Ueber Armseligkeiten solcher Art empoͤrte sich die Universitaͤt Loͤwen, die Nieder- lande machten dem erregten Feuer gerne Platz; so grif es weiter! — A. Und doch meinte es auch hierinn Joseph gut mit den Voͤlkern. Was er ihnen gab, war freilich nicht das Beste; aber doch ein Beßeres, als sie besaßen. Er war selbst nicht beßer erzogen worden. B. Und seine Gesetzbuͤcher ? A. Mit denen ging er freilich etwas schnell zu Werk. K 3 B. In einer Nothdringenden Sache mußte die Bahn gebrochen werden. Was ich dabei am meisten bedaure, ist, daß Jo- seph durch manche Gesetze seinen eignen Absichten voͤllig entgegen zu arbeiten schien. A. Zum Beyspiel? B. Z. B. in seinem Criminalcodex die Haͤu- fung der Verbrechen gegen den Staat . A. Dagegen er ja aber die Verbrechen der beleidigten Majestaͤt aufhob. B. Geringe Aufopferung gegen ein viel groͤßeres Unheil, dem Platz gemacht wurde. Zum Verbrechen gegen den Staat kann alles, auch das kleinste Vergehen gegen die Polizei gemacht werden. Denn was waͤre nicht gegen den Staat, sobald man statt der sichtbaren, doch nur leib- haften Majestaͤt, dies willkuͤhrliche, unbestimmte Phantom auf den Thron erhoͤbe? A. Freilich, auch die Mitleidswerthesten Krankheiten der Natur koͤnnen sodann zu Rebellen gegen den Staat gemacht werden, z. B. der ungluͤckliche Selbst- mord. Der Aermste der Menschen hat sich dem Staat entzogen ; mithin muͤßen alle koͤrperliche Beschimpfungen, die niedrigsten Schlaͤge sein Loos seyn. Was die guͤtige Natur selbst nicht ver- hindern konnte, will der Monarch im Namen des Staats durch knechtische Be- schimpfungen nicht verhindern, sondern raͤchen und strafen. B. Schweigen Sie, Freund. Die Ver- nachlaͤßigung, ja ich moͤchte sagen, die Vernichtung des Gefuͤhls fuͤr Ehre und Schande hat mich in Jo- K 4 sephs Gesetzgebung ganz irre gemacht. Vernichte das Gefuͤhl der Ehre, den Na- men der Familie und Verwandten, die den Todten gebuͤhrende Achtung u. f.; womit willst du es ersetzen? Die Natur selbst straͤubt sich gegen solche Einrichtun- gen, die Joseph daher bald selbst ein- schraͤnken, einstellen mußte, oder auch bald ungluͤcklicher Weise nicht einstellte. In wenigen Jahren haͤtte er auf Straßen und Gaßen zwischen lauter Verbrechern gegen den Staat wandeln muͤßen; ein fuͤrs Volk, fuͤr den Regenten, und fuͤr alles, was Mensch oder Halbmensch ist, abscheulicher Anblick! — A. Ich weiß selbst nicht, wie Joseph bei seinem uͤbrigens guten Herzen zu diesem Mangel an Mitempfindung und Deli- cateße kam? B. Ein Wort wuͤrde Ihnen dies erklaͤren. Koͤnnen Sie es laͤugnen, daß bei Jo- seph der Schein der Selbstherrschaft das Meiste, ja Alles verderbte? A. Kaum wage ichs zu laͤugnen. Er wollte das Beste, aber er wollte es als De - spot . Selbst in dem schoͤnen, ich moͤchte sagen vaͤterlichen Aufsatze, den er an die Chefs seiner Collegien schrieb, von dem wir gesprochen haben, sind davon Spuren. B. Und die willkuͤhrliche Verkuͤrzung zuge- sicherter Gehalte? koͤnnte manche der- selben auch die aͤußerste Noth entschul- digen? A. Kaum. B. Und die Benutzung der Waisengelder fuͤr den Staat? Und die Art der Kloster- K 5 aufhebung und der Veraͤußerung geist- licher Guͤter? Und die Verwaltung der Religionskaßen? Und die Conduiten- listen? Und die Verfuͤgungen auf die- selbe? Warum ließ er sich in Ungarn nicht kroͤnen? warum entzog er den Un- garn ihre Krone? Ich koͤnnte noch lange so fragen. A. Und doch war er in seinem muͤhseligen Leben nichts weniger, als ein Sardanapal. Er diente dem Staat als Tagloͤhner, als unablaͤßiger Werkmann. B. Wie gefaͤhrlich ists, auf der oder jener Stelle, aus der oder jener Fuͤrstengat- tung zum Thron, zu Thronen geboh - ren zu seyn ! Eine ungluͤckliche Fee bringt an der Wiege des Prinzen einen unausloͤschlichen Queerstrich in die Seele des Kindes, und giebt ihm die schreckliche Verwuͤnschung mit, daß nach Verhaͤlt- niß der besten Bemuͤhungen des un- gluͤcklichen Halbgotts der Queerstrich fuͤr ihn selbst und andre unzerstoͤrlich wachse. A. Ungluͤcklich! B. Wem unterlag also Joseph? Nicht der Schwachheit der menschlichen Natur; sondern der geglaubten, und von Kind- heit auf genaͤhrten Allgewalt des Selbstbeherrschers . Nicht das Schicksal; die Natur der Dinge, der Wille seiner Unterthanen hat ihn ge- beuget. (Natuͤrlicher Weise ging das Gespraͤch hier auf eine Menge einzelner Umstaͤnde seines Lebens und Todes uͤber, die mein Freund wußte; es erhob sich endlich wieder:) A. Seine Fehler hat Joseph schwer ge- buͤßet — B. Und in sein Grab genommen; das Gute, das er gewollt und Anfangs weise bewirkt hat, wird, obwohl Eines Theils in zerfallenden Resten, bleiben, und der- einst gluͤcklicher an den Tag treten: denn es ist dem groͤßten Theile nach ein reines Gute zum Ertrage der Mensch - heit . Er hat es seinen Nachfolgern schwer gemacht — A. Ich daͤchte, leicht gemacht: sie duͤrfen nur seiner Bahn folgen. B. Vor der Hand schwer gemacht. Er hat an allen Saͤulen geruͤttelt und den Staat beweget. Wer kuͤnftig hin eine Saͤule nur angreift, wird die Aufmerk- samkeit aller auf sich ziehen, und man wird ihn durch Liebkosungen und Schreck- bilder von dem Werk abzuziehen suchen, das Joseph begann und unmoͤglich endi- gen konnte. Er hat die Beduͤrfniße seiner Staaten tiefer gekannt, als viel- leicht kein Regent unsrer Zeiten. A. Und aͤmsiger besorgt, als vielleicht kein Regent unsrer Zeiten. B. Oft ist der Wille groͤßer, als die That; das Unternehmen edler als die Ausfuͤh- rung. Ich weiß nicht, ob viele nach seinem Tode viel zu seinem Lobe schrei- ben werden; aber was man dazu aus Ansicht der Dinge schreibt, wird die billigere Nachwelt gut heißen, seinen Schatten ehren, und nicht mehr mit Be- dauren, sondern mit frohem Erstaunen einst sagen: „auch Er schon sah dies, und wollte !“ A. Kennen Sie seinen Brief, den er im Jahr 1784. an die Stadt Ofen schrieb, als sie ihm eine Ehrensaͤule setzen wollte? Hier ist er: „Wenn die Vorurtheile werden aus- „gewurzelt, und wahre Vaterlandsliebe, „und Begriffe fuͤr das allgemeine Beste „werden beigebracht seyn; wenn Jeder- „mann in einem gleichen Maaße das „Seinige mit Freude zu den Beduͤrfnißen „des Staats, zu dessen Sicherheit und „Aufnahme beitragen wird; wenn Auf- „klaͤrung durch verbeßerte Studien, „Vereinfachung in der Belehrung der „Geistlichkeit, und Verbindung der wah- „ren Religionsbegriffe mit den buͤrger- „lichen Gesetzen; wenn eine buͤndigere „Justiz, Reichthum durch vermehrte Popu- „lation und verbeßerten Ackerbau; wenn „Erkenntniß des wahren Intereße des „Herrn gegen seine Unterthanen, und „dieser gegen ihren Herrn; wenn Indu- „strie, Manufacturen, und deren Ver- „trieb, die Circulation aller Producte in „der ganzen Monarchie unter sich werden „eingefuͤhrt seyn, wie ich es sicher hoffe; „alsdann verdiene ich eine Ehrensaͤule, „nicht aber jetzt.“ B. Wenn dies alles geschehen ist, bedarf der große Wollende keiner Ehrensaͤule mehr; sein Unternehmen, sein schwerer Anfang ist ihm allein schon ein Koloß fuͤr die Nachwelt. So endete unser Gespraͤch; und die Glocken verhallten. Wuͤnschen Sie nicht auch mit mir ein Leben Josephs zur Lehre fuͤr die Nachwelt? 11. W ie kommt es, m. Fr., daß unsre Poesie, verglichen mit der Poesie aͤlterer Zeiten, an oͤffentlichen Sachen so wenig Theil nimmt? Die Poesie der Hebraͤer in den heiligen Buͤchern ist ganz patriotisch; die Poesie der Griechen nach ihren Hauptarten nahm in den besten Zeiten sehr vielen, die Poesie der Roͤmer einen bei weitem schon geringeren Antheil an oͤffentlichen Begebenheiten und Geschaͤften. Seitdem endlich die Barden und Leiermaͤnner ziehender Heere Trompe- tern und Paukern ihre Stellen uͤberließen, seitdem — Doch Doch sofern beantworte ich mir die Frage selbst, auf die ohnedem andre bereits ge- antwortet haben. Wie kommts aber, daß auch seitdem die Dichterei gedruckte Kunst ist, ihr Antheil an der gemeinen Sache zu verschiedenen Zeiten so ungleich gewesen, und jetzt sogar gering zu seyn scheinet? Mehrere tapfere Gedichte auch aus unserm Vaterlande von Luther , Opitz , Logau , und nach einem großen Sprunge der Zeiten von Kleist , Gleim , Uz , Klopstock , Stolberg , Buͤrger u. a. sind uns in Herz und Seele geschrieben; ist diese Muse anjetzt entschlafen? Oder hat sie, wie Baal, etwas Anderes zu schaffen, daß sie vom Geiste der Zeit nicht erweckt, das Geraͤusch um sich her nicht hoͤret? Mich duͤnkt, so ist es; sie hat etwas Anderes zu schaffen: schlagen Sie daruͤber die neueren Dichter nach. Und doch er- L warten wir, wenn wir von einem neuen Dichter hoͤren, zuerst und vor allem ein Wort des Herzens zum Herzen, einen Laut der allgemeinen Stimme, des Wunsches und Strebens der Nationen, den Hauch und Nachklang des maͤchtigen Zeitgeistes. Der goͤttliche Mund der Muse ist in aller Welt gepriesen. Sie darf Dinge sagen, die die Prose nicht zu sagen wagt, und floͤßet sie unvermerkt in Herz und Seele. Gab sie der Fabel einst jenen lieblichen Ton, jene Suͤßigkeit, nach welcher wir auch nach Jahrtausenden noch, wie nach einer Er- quickung lechzen; wie? und sie sollte der auf uns dringenden Wahrheit wenigstens einen gefaͤlligen Anzug, eine einladende Ge- stalt nicht zu geben vermoͤgen? Oft beunruhigen mich in meiner Ein- samkeit die Schatten jener alten maͤchtigen Dichter und Weisen. Jesaias, Pindar, Alcaͤus, Aeschylus stehen als gewaffnete Maͤnner vor mir, und fragen: „was wuͤr- den wir in euren Zeiten gedacht, gesagt, gethan haben?“ Luthers edler Schatte schließet sich an sie an, und wenn die Er- scheinung voruͤber ist, finde ich um mich Oede. Gewiß, meine Freunde, wir wollen auf Alles merken, was uns der goͤttliche Bote, die Zeit, darbent. Keiner ihrer edlen Laute soll uns entschluͤpfen. Glauben Sie nicht, daß ich damit die armselige Zunft jener Tyrannenbaͤndiger und Regentenwuͤrger zuruͤckwuͤnsche, die vor einigen Jahren ihre Wuth ausließ. Es war Geschrei, darum ists verhallet; ein Nachklang ohne Kraft und Wesen. Die wahre Muse ist sittsam; lene con- silium et dat et dato gaudet alma ; diesen L 2 sanften Rathschluß empfing sie vom Himmel und haucht ihn dem Geiste der Zeit ein — Finire quaerentem labores Aonio recreat antro. Hold und schoͤn klingen mir hieruͤber die Toͤne der Alten, und ich wuͤnschte, daß wie einst dem Horaz so auch mir die Muse des Simonides, Alcaͤus, Stesichorus noch ertoͤnte Anspielung auf Horaz Ode 9. B. 4. Non fi priores Maeonius tenet Sedes Homerus, Pindaricae latent, Coaeque et Alcaei minaces, Stesichorique graues camoenae. A. d. H. . Aber sie liegt im Staube, und wir muͤßen uns nur an dem, was der Ver- gessenheit entrann, den Geist erheben und das Herz staͤrken. Mit unbeschreiblicher Freude habe ich in diesen Tagen jenes feine Echo der Griechen , den Horaz, ge- lesen und wiedergelesen. Er lebte in einer kritischern Zeit als wir leben, war mit Gluͤck und Person an August und Maͤcen gefeßelt; und wie edel, wie stolz und un- terrichtend ist seine Muse! Sie bricht die Bluͤthe der Zeit und schwebt auf den Fitti- gen ihres reinsten Lufthauches. L 3 12. M ich duͤnkt, Ihre Fragen uͤber den ge- ringen Antheil, den die heutige Dichtkunst an den Haͤndeln der Zeit nimmt, haben Sie sich selbst beantworten koͤnnen: denn der Stoff dazu liegt voͤllig in Ihrem Briefe. Schaffen Sie uns den Zustand der Griechen wieder; und Alcaͤus , Pindar , Aeschylus , sind mit ihnen auch da. In vielerlei Ruͤcksicht aber wuͤrden wir diese Zeiten nicht wuͤnschen; und uns dagegen an unserer dichterischen Untheilnehmung begnuͤgen. So waͤre es auch in Ansehung der Zeiten Horaz oder gar der Kreuzzieher und Harfner. Opitz und Logau fuͤhlten die Drangsale des dreißigjaͤhrigen Krieges; wider ihren Willen mußten sie an dem Elen- de, das er verbreitete, Theil nehmen; der Widerschein seiner Flammen glaͤnzt in ihren Gedichten. Kleist , Uz und Gleim trafen auf die Zeiten der Preußisch-Oester- reichschen Kriege; alle drei fanden darinn unverwelkliche Lorbeern, der erste aber auch bei vieler Noth, die er als Krieger mit be- druͤcktem Herzen sah, seinen blutigen Tod. Was diese Dichter uns aus theurer Erfah- rung sangen, warum muͤßte es uns, durch neue Erfahrung theuer erkauft, wieder ge- sungen werden? Toͤnt uns Kleists Stim- me nicht noch? Die folgenden Verse sind aus Kleists erster eigner Ausgabe des Fruͤhlings genom- men; wer will, vergleiche sie mit der jetzt gang- baren Ausgabe. A. d. H. L 4 Ihr, denen Zwanglose Voͤlker der Herrschaft Steuer vertrauten, Fuͤhrt ihr durch Flammen und Blut sie zur Gluͤckseligkeit Hafen? Was wuͤnscht ihr, Vaͤter der Menschen, noch mehrere Kinder? Ists wenig Viel Millionen begluͤcken? Erforderts wenige Muͤhe? O mehrt derjenigen Heil, die eure Fittige suchen, Deckt sie, gleich bruͤtenden Adlern. Verwandelt die Schwerter in Sicheln, Erhebt die Weisheit im Kittel und trocknet die Zaͤhren der Tugend. Die ruͤhrende Stimme seines Grab - und Geburtsliedes , seine Sehnsucht nach Ruhe , sein Abschied hinter Cißi- des und Paches toͤnt noch jedem Leser ins Herz, nachdem der Dichter die Gesinnungen seiner Seele mit Leben und Blut versiegelt. So ists mit den patriotischen Oden Uz , Klopstocks ; und der Preußische Kriegs- saͤnger ist eben sowohl Volks- Friedens- Staatssaͤnger geworden, hat bis auf die neuesten Zeiten fast an jeder großen Ange- legenheit Antheil genommen, die seinem Gesichtskreise irgend nur nahe lag Seitdem sind Gleims Zeitgedichte in einer Sammlung erschienen, (1792.) die keinem, der am Geiste der Zeit Antheil nimmt, unin- tereßant seyn kann. A. d. H. — — Aber, m. F., nach unsrer Lage der Dinge halte ich das zu nahe, zu starke Theilnehmen der Dichter an politischen An- gelegenheiten beinahe fuͤr schaͤdlich. Zubald nimmt der Dichter einseitige Parthei, und thut der besten Sache, (geschweige einer schwachen, wankenden) mit dem besten L 5 Willen Schaden. Dadurch schwaͤcht er die gute Wirkung seiner Gedichte selbst: denn in kurzem ist die Situation der Zeit vor- uͤber; man siehet die Dinge anders an; man behandelt ihn als einen abgekommenen Barden. Also bleibe die Poesie in ihrem reinen Aether, der Sphaͤre der Mensch - heit , coetusque vulgares et vdam Spernat humum fugiente penna. In diesem hoͤheren, freieren Raume be- gegnen sich alle politische Meinungen als Freundinnen und Schwestern: denn im Elysium wohnt keine Feindschaft. Sehr gut also, daß unsre Musenalma- nache aͤußerst wenige politische Oden mit sich fuͤhren. Bald wuͤrden zween gegen ein- ander im Streit liegen; und uͤberhaupt ists doch nur Spiel, wenn Genien mit Waffen der großen Goͤtter spielen. Das aber glauben Sie, daß die Poesie als eine Stimme der Zeit unwandel- bar dem Geiste der Zeit folge; ja oft ist sie eine helle Weißagung zukuͤnftiger Zeiten. Lesen Sie in Stolbergs Jamben, 1784 gedruckt, (S. 66.) den Rath und mehrere Gedichte; lesen Sie mehrere, fruͤhere und spaͤtere Oden Klopstocks , und laͤugnen noch, daß auch auf Deutschen Hoͤhen oder in ihren Thaͤlern ein prophetischer Geist der Zeiten wehe. Schade nur, daß er nicht vernommen wird: denn um aller Deutschen Redlichkeit willen, welcher Mann von Ge- schaͤften laͤse ein Gedicht, um in ihm die Stimme der Zeit zu hoͤren! — Wir, meine Freunde, wollen den Gar- ten der Grazien und Musen in der Stille bauen. Verstaͤndiger Homer , edler Pin - dar , und ihr sanften Weisen, Pythago - ras , Sokrates , Plato , Aristoteles , Epikur , Zeno , Mark - Antonin , Erasmus , Sarpi , Grotius , Fene - lon , St . Pierre , Penn , Franklin , sollt die heiligen Mitwohner unsrer fried- lichen Gaͤrten werden. Das aufschießende Korn bedarf mancherlei Witterung; die Saat in der Erde will Ruhe und milden, erquickenden Regen. 13. M ilden erquickenden Regen wuͤnschet die keimende Saat der Humanitaͤt in Europa; keine Stuͤrme. Die Musen wohnen fried- lich auf ihren heiligen Bergen, und wenn sie ins Schlachtfeld, wenn sie in die Raths- kammern der Großen treten, entbieten sie Frieden. Eine edle wuͤrdige That zu loben ist ihnen ein suͤßeres Geschaͤft, als alle Fluͤche Alcaͤus oder Archilochus auf taube Unmenschen herabzudonnern. Wenn es z. B. in unsern Zeiten einen Regenten gaͤbe, der an seinem Theil dem barbarischen Menschen-Erkauf im andern Welttheil entsagte, und damit andern Staaten zu ihrem Erroͤthen ein Beispiel gab; wenn er nach Jahrhunderten der erste waͤre, der die Sklaverei willkuͤhrlicher Frohnen und andre erdruͤckende Lasten sei- nem Volk entnahm, und ein andres seiner Voͤlker von eben so druͤckenden Einschraͤn- kungen im Handel befreiete; wenn dieser Regent ein Hoffnungsvoller koͤniglicher Juͤngling, und Einrichtungen dieser Art nur das Vorspiel seiner Regierung waͤren; Heil dem Dichter, der solche Thaten ohne alle Schmeichelei wuͤrdig und schoͤn dar- stellte! Heil jedem Leser und Hoͤrer, der diesem Saͤnger einer reinen Humanitaͤt mit reinem Herzen zujauchzte! Daͤnnemark ist das friedliche, gluͤckliche Land, dem dieser Stern aufgehet: sein Kronprinz ist der koͤnigliche Juͤngling, der seine Laufbahn also beginnet, und F. L. Stolberg , der Dichter, der ihm hieruͤber wuͤrdig danket. An den Kronprinzen von Daͤnnemark. N och nie erscholl ein Name der Maͤch- tigen Zu meiner Leier, Juͤngling; ich weihte sie Den Freunden nur und Gott, und suͤßem Haͤuslichen Gluͤck, und der Liebe Thraͤnen, Und Dir, Natur, im Hain und am Meer- gestad', Und Dir, o Freiheit! Freiheit, du Hochgefuͤhl Der reinen Seelen! Deinen Becher Kraͤnzt' ich mit Blumen des kuͤhnen Liedes. Und werd' ihn kraͤnzen, weil eine Nerve mir Noch zucket! werd' ihn kosten mit zitternder Und blauer Lippe, wenn des Todes Hand mir ihn reichet in hehrer Stunde. Nun wind' ich junge Blumen im Kranze Dir, O Juͤngling, weil du fruͤh es nicht achtetest Zu herrschen uͤber Sklaven, weil du Forschetest, hoͤrtest, beschloßest, thatest! Das Das Joch des Landmanns druͤckte Jahr- hunderte; Du brachst es! Hoͤr' es, heiliger Schatte du Von meinem Vater, der das Beispiel Diesseit der Eider und dann am Sund gab Des Dichters Vater war der erste in Holstein, der den Bauern seines Guts Freiheit und Eigenthum gab. Die Koͤniginn Sophia Magdalena aus dem Hause Brandenburg, Groß- mutter des jetzigen Koͤniges von Daͤnnemark, gab den Bauern des Amts Hirschholm auf seinen Rath, und nach der Einrichtung, die er Trotz . Du brachst es, Juͤngling! wandtest erroͤthend dich Vom Dank des Landes, sahst auf dem Ocean Der Handlung Bande, die des Neides Hand und der Habsucht im Finstern knuͤpfte: M Zerrißest leicht wie Spinnengewebe sie, Daß nicht die stolze Fichte des Normanns mehr Dem Bruderhafen huldigt, eh sie Schwellende Segel dem Ostwind oͤffne Den Norwegern ist die Ueberfahrt nach Westindien leichter als den Daͤnen, deren Schiffe der Kategat oft aufhaͤlt. Jene dieses Vortheils zu berauben, verpflichtete man die Schiffer, vor der Fahrt nach Westindien erst in Koppenhagen einzulaufen. Man nannte das sich praͤsentiren . . Nicht gleiche Gaben spendet des Vaters Hand Den Voͤlkern. Eisen starret im Schachte dort, Hier wanken Aehren, unsres Tisches Freude gedeihet auf fernen Bergen. aller in den Weg gelegten Schwierigkeiten mit Muth durchsetzte, Freiheit und Eigenthum. Zum freien Tausche ladet der Vater ein; Doch schmiedet, hart und kluͤgelnd, der blinde Mensch Dem Tausche Zwang; der biedre Normann Kaufte sein Brot auf verengtem Markte. Nun reifen fremde Saaten fuͤr ihn, wenn fruͤh- Erwacht der Winter auf dem Gebuͤrge sich Ausstrecket, und von starrer Schulter Glaͤnzende Flocken in Thaͤler schuͤttelt. Ich sah dich handeln, Juͤngling, und freute mich, Doch nur mit halber Freude. Lud Danien Nicht haͤufend noch auf seine Schulter Fluch des zertretnen, zerrißnen Volkes, M 2 Uneingedenk der heiligen Lehren, und Fuͤr jene Ader fuͤhllos, die Gottes Hand Im Herzen spannte, daß sie klo- pfend Unrecht und Recht und Erbarmen lehre? Von Menschen kaufte Menschen der Mensch, und ward Ein Teufel! — Wer vermag den getruͤbten Blick Zu heften auf des armen Mohren Elend und Schmach und gezuckte Geißel? Aufs schwangre Weib, das jammernd die Haͤnde ringt Am krummen Ufer; — Thraͤnenlos starret sie Dem fernen Segel nach; noch schallt ihr Dumpf in den Ohren das Hohn- gelaͤchter Des Treibers, noch der klirrenden Kette Klang, Und ihres Mannes Klage, das Angstgeschrei Der juͤngsten Tochter, die der Wuͤtrich Ihr aus umschlingenden Armen los- riß. — Du setzest Ziel dem Graͤuel, ein nahes Ziel! Erroͤthend staun' und ahme dem Beispiel nach Der Britte, will er werth der Freiheit Seyn, die auf Weisheit und Recht sich gruͤndet. Gott setze deinen Tagen ein fernes Ziel, O Juͤngling! keins dem Segen, der dein einst harrt. Sei deinen Tausenden noch lange Bruder! Nur Einer ist Aller Vater. F. L. Gr. z. Stolberg . Wenn mehrere solcher Gesaͤnge uͤber Anlaͤße solcher Art uns zukommen, meine Bruͤder: so wollen wir einander unsre Freude ja mittheilen: denn besangen Horaz und Pindar je ein edleres Thema edler? Inhalt der ersten Sammlung. Br. 1. Ein Bund der Humanitaͤt zwischen Freunden S. 5. — 2. Ueber Benj. Franklins Lebens- beschreibung von ihm selbst S. 10. — 3. Franklins Fragen zu Errichtung einer Gesellschaft der Humanitaͤt mit Anwendungen S. 19. — 4. Ueber Schlichtegrolls Nekro- log S. 35. — 5. Deßgleichen S. 42. Br. 6. Ueber die Verbindung der Deut- schen Voͤlker und Provinzen zum Anbau der Humanitaͤt S. 58. — 7. Koͤnig Friedrichs nachgelaßene Werke S. 66. — 8. Einige Gedanken und Maximen desselben S. 81. — 9. Fortsetzung _ S. 99. — 10. Klopstocks Ode an den Kaiser. Ge- spraͤch nach dem Tode des Kai- sers Josephs des Zweiten S. 115. — 11. Von Theilnehmung der Poesie an oͤffentlichen Begebenheiten und Geschaͤften S. 160. — 12. Fortsetzung S. 166. — 13. Fortsetzung. Stolbergs Ode an den Kronprinzen von Daͤnne- mark S. 173.