Das Wesen des Christenthums von Ludwig Feuerbach. Leipzig: Otto Wigand . 1841. Vorwort . D ie in verschiedenen Arbeiten zerstreuten, meist nur gelegent- lichen, aphoristischen und polemischen Gedanken des Verfassers über Religion und Christenthum, Theologie und speculative Religionsphilosophie findet der geneigte und ungeneigte Leser im vorliegendem Werke concentrirt, aber jetzt ausgebildet, durch- geführt, begründet — conservirt und reformirt, beschränkt und erweitert, gemäßigt und geschärft, je nachdem es eben sachge- mäß und folglich nothwendig war, aber keineswegs wohlge- merkt! vollständig erschöpft und zwar schon aus dem Grunde nicht, weil der Verfasser, abgeneigt allen nebulosen Allgemein- heiten, wie bei allen seinen Schriften, so auch bei dieser nur ein ganz bestimmtes Thema verfolgte. Vorliegendes Werk enthält die Elemente wohlgemerkt! nur die und zwar kritischen Elemente zu einer Philosophie der positiven Religion oder Offenbarung, aber natürlich, wie sich im Voraus erwarten läßt, einer Religions-Philosophie weder in dem kindisch phantastischen Sinne unserer christlichen My- thologie, die sich jedes Ammenmährchen der Historie als That- sache aufbinden läßt, noch in dem pedantischen Sinne unserer speculativen Religionsphilosophie, welche, wie weiland die Scholastik, den Articulus fidei ohne weiteres als eine logisch- metaphysische Wahrheit demonstrirt. Die speculative Religionsphilosophie opfert die Religion der Philosophie, die christliche Mythologie die Philosophie der Religion auf, jene macht die Religion zu einem Spielball der speculativen Willkühr, diese die Vernunft zum Spielball eines phantastischen religiösen Materialismus, jene läßt die Reli- * gion nur sagen, was sie selbst gedacht und weit besser sagt, diese läßt die Religion anstatt der Vernunft reden, jene un- fähig, aus sich heraus zu kommen, macht die Bilder der Re- ligion zu ihren eigenen Gedanken , diese, unfähig, zu sich zu kommen, die Bilder zu Sachen . Es versteht sich allerdings von selbst, daß Philosophie oder Religion im Allgemeinen, d. h. abgesehen von ihrer speci- fischen Differenz identisch sind, daß, weil es ein und dasselbe Wesen ist, welches denkt und glaubt, auch die Bilder der Re- ligion zugleich Gedanken und Sachen ausdrücken, ja, daß jede bestimmte Religion, jede Glaubensweise auch zugleich eine Denkweise ist, indem es völlig unmöglich ist, daß irgend ein Mensch Etwas glaubt, was wirklich wenigstens seinem Denk- und Vorstellungsvermögen widerspricht. So ist das Wunder dem Wundergläubigen nichts der Vernunft Wider- sprechendes, vielmehr etwas ganz Natürliches, als eine sich von selbst ergebende Folge der göttlichen Allmacht, die gleich- falls für ihn eine sehr natürliche Vorstellung ist. So ist dem Glauben die Auferstehung des Fleisches aus dem Grabe so klar, so natürlich als die Wiederkehr der Sonne nach ihrem Untergang, das Erwachen des Frühlings nach dem Winter, die Entstehung der Pflanze aus dem in die Erde gelegten Samen. Nur wann der Mensch nicht mehr in Harmonie mit seinem Glauben ist, fühlt und denkt, der Glaube also keine den Menschen mehr penetrirende Wahrheit ist, nur dann erst wird der Widerspruch des Glaubens, der Religion mit der Vernunft mit besonderm Nachdruck hervorgehoben. Aller- dings erklärt auch der mit sich einige Glaube seine Gegen- stände für unbegreiflich, für widersprechend der Vernunft; aber er unterscheidet zwischen christlicher und heidnischer, erleuchte- ter und natürlicher Vernunft. Ein Unterschied, der übrigens nur so viel sagt: dem Unglauben nur sind die Glaubensgegen- stände vernunftwidrig; aber wer sie einmal glaubt, der ist von ihrer Wahrheit überzeugt, dem gelten sie selbst für die höchste Vernunft. Aber auch inmitten dieser Harmonie zwischen dem christ- lichen oder religiösen Glauben und der christlichen oder religiö- sen Vernunft bleibt doch immer ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Glauben und der Vernunft übrig, weil auch der Glaube sich nicht der natürlichen Vernunft entäußern kann. Die natürliche Vernunft ist aber nichts andres als die Vernunft κατ̛ ἐζοχὴν, die allgemeine Vernunft, die Vernunft mit allgemeinen Wahrheiten und Gesetzen, der christliche Glaube, oder, was eins ist, die christliche Vernunft dagegen ist ein In- begriff besonderer Wahrheiten, besonderer Privilegien und Ex- emptionen, also eine besondere Vernunft. Kürzer und schär- fer: die Vernunft ist die Regel, der Glaube die Ausnahme von der Regel. Selbst in der besten Harmonie ist daher eine Col- lision zwischen beiden unvermeidlich, denn die Specialität des Glaubens und die Universalität der Vernunft decken sich, sätti- gen sich nicht vollkommen, sondern es bleibt ein Ueberschuß von freier Vernunft, welcher für sich selbst , im Widerspruch mit der an die Basis des Glaubens gebundenen Vernunft, wenigstens in besondern Momenten, empfunden wird. So wird die Differenz zwischen Glauben und Vernunft selbst zu einer psychologischen Thatsache. Und nicht das, worin der Glaube mit der allgemeinen Vernunft übereinstimmt, begründet das Wesen des Glaubens, sondern das, wodurch er sich von ihr unterscheidet. Die Be- sonderheit ist die Würze des Glaubens — daher sein Inhalt selbst äußerlich schon gebunden ist an eine besondere , histo- rische Zeit, einen besondern Ort, einen besondern Namen. Den Glauben mit der Vernunft identificiren, heißt den Glau- ben diluiren, seine Differenz auslöschen. Wenn ich z. B. den Glauben an die Erbsünde nichts weiter aussagen lasse, als dieß, daß der Mensch von Natur nicht so sei, wie er sein soll, so lege ich ihm nur eine ganz allgemeine rationalistische Wahr- heit in den Mund, eine Wahrheit, die jeder Mensch weiß, selbst der rohe Naturmensch noch bestätigt, wenn er auch nur mit einem Felle seine Schaam bedeckt, denn was sagt er durch diese Bedeckung anders aus, als daß das menschliche Indivi- duum von Natur nicht so ist, wie es sein soll. Freilich liegt auch der Erbsünde dieser allgemeine Gedanke zu Grunde, aber das, was sie zu einem Glaubensobject, zu einer religiö- sen Wahrheit macht, dieß ist gerade das Besondere, das Diffe- rente, das nicht mit der allgemeinen Vernunft Uebereinstim- mende. Allerdings ist immer und nothwendig das Verhältniß des Denkens zu den Gegenständen der Religion als ein sie be - und erleuchtendes , in den Augen der Religion, oder wenigstens der Theologie, ein sie diluirendes und destruirendes Verhältniß — so ist es auch die Aufgabe dieser Schrift, nach- zuweisen, daß den übernatürlichen Mysterien der Religion ganz einfache, natürliche Wahrheiten zu Grunde liegen — aber es ist zugleich unerläßlich, die wesentliche Differenz der Philosophie und Religion stets festzuhalten, wenn man anders die Religion, nicht sich selbst expectoriren will. Die wesent- liche Differenz der Religion von der Philosophie begründet aber das Bild . Die Religion ist wesentlich dramatisch. Gott selbst ist ein dramatisches, d. h. persönliches Wesen. Wer der Religion das Bild nimmt, der nimmt ihr die Sache, hat nur das Caput mortuum in Händen. Das Bild ist als Bild Sache. Hier in dieser Schrift nun werden die Bilder der Reli- gion weder zu Gedanken — wenigstens nicht in dem Sinne der speculativen Religionsphilosophie — noch zu Sachen ge- macht, sondern als Bilder betrachtet — d. h. die Theologie wird weder als eine mystische Pragmatologie , wie von der christlichen Mythologie, noch als Ontologie , wie von der speculativen Religionsphilosophie, sondern als psychische Pa- thologie behandelt. Die Methode, die aber der Verfasser hiebei befolgt, ist eine durchaus objective — die Methode der analytischen Chemie. Daher werden überall, wo es nur nöthig und mög- lich war, Documente, theils gleich unter dem Text, theils in einem besondern Anhange, angeführt, um die durch die Ana- lyse gewonnenen Conclusionen zu legitimiren, d. h. als ob- jectiv begründete zu erweisen. Findet man daher die Resultate seiner Methode auffallend, illegitim, so sei man so billig, die Schuld nicht auf ihn, sondern auf den Gegenstand zu schieben. Daß der Verf. diese seine Zeugnisse aus dem Archiv längst vergangner Jahrhunderte herholt, das hat seine guten Gründe. Auch das Christenthum hat seine classischen Zeiten gehabt — und nur das Wahre, das Große, das Classische ist würdig gedacht zu werden ; das Unclassische gehört vor das Forum der Komik oder Satyre. Um daher das Christen- thum als ein denkwürdiges Object fixiren zu können, mußte der Verf. von dem feigen, charakterlosen, comfortabeln, belle- tristischen, coquetten, epikureischen Christenthum der modernen Welt abstrahiren, sich zurückversetzen in Zeiten, wo die Braut Christi noch eine keusche, unbefleckte Jungfrau war, wo sie noch nicht in die Dornenkrone ihres himmlischen Bräutigams die Rosen und Myrten der heidnischen Venus einflocht, um über den Anblick des leidenden Gottes nicht in Ohnmacht zu versinken; wo sie zwar arm war an irdischen Schätzen, aber überreich und überglücklich im Genusse der Geheimnisse einer übernatürlichen Liebe. Das moderne Christenthum hat keine andern Zeugnisse mehr aufzuweisen als — Testimonia paupertatis. Was es allenfalls noch hat — das hat es nicht aus sich — es lebt vom Allmosen vergangner Jahrhunderte. Wäre das moderne Christenthum ein der philosophischen Kritik würdiger Gegen- stand, so hätte sich der Verfasser die Mühe des Nachdenkens und Studiums, die ihm seine Schrift gekostet, ersparen kön- nen. Was nämlich in dieser Schrift so zu sagen a priori be- wiesen wird, daß das Geheimniß der Theologie die An- thropologie ist, das hat längst a posteriori die Geschichte der Theologie bewiesen und bestätigt. „Die Geschichte des Dogmas“ allgemeiner ausgedrückt: der Theologie überhaupt ist die „Kritik des Dogmas“ der Theologie überhaupt. Die Theologie ist längst zur Anthropologie geworden. So hat die Geschichte realisirt, zu einem Gegenstande des Bewußtseins gemacht, was an sich — hierin ist die Methode Hegels voll- kommen richtig, historisch begründet — das Wesen der Theo- logie war. Obgleich aber „die unendliche Freiheit und Persönlichkeit“ der modernen Welt sich also der christlichen Religion und Theologie bemeistert hat, daß der Unterschied zwischen dem producirenden heiligen Geist der göttlichen Offenbarung und dem consumirenden menschlichen Geist längst aufgehoben, der einst übernatürliche und übermenschliche Inhalt des Christen- thums längst völlig naturalisirt und anthropomorphosirt ist; so spukt doch immer noch unsrer Zeit und Theologie, in Folge ihrer unentschiedenen Halbheit und Charakterlosigkeit, das übermenschliche und übernatürliche Wesen des alten Christen- thums wenigstens als ein Gespenst im Kopfe. Allein es wäre eine Aufgabe ohne alles philosophische Interesse gewesen, wenn der Verfasser den Beweis, daß dieses moderne Gespenst nur eine Illusion, eine Selbsttäuschung des Menschen ist, zum Ziele seiner Arbeit sich gesetzt hätte. Gespenster sind Schatten der Vergangenheit — nothwendig führen sie uns auf die Frage zurück: was war einst das Gespenst, als es noch ein Wesen von Fleisch und Blut war? Der Verf. muß jedoch den geneigten, insbesondere aber den ungeneigten Leser ersuchen, nicht außer Acht zu lassen, daß er, wenn er aus der alten Zeit herausschreibt, darum noch nicht in der alten, sondern in der neuen Zeit und für die neue Zeit schreibt, daß er also das moderne Gespenst nicht außer Augen läßt, während er sein ursprüngliches Wesen be- trachtet, daß überhaupt zwar der Inhalt dieser Schrift ein pathologischer oder physiologischer, aber doch ihr Zweck zu- gleich ein therapeutischer oder praktischer ist. Dieser Zweck ist — Beförderung der pneumatischen Wasserheilkunde — Belehrung über den Gebrauch und Nutzen des kalten Wassers der natürlichen Vernunft — Wiederherstellung der alten einfachen jonischen Hydrologie auf dem Gebiete der speculativen Philosophie, zunächst auf dem der speculativen Religionsphilosophie. Die alte jonische, ins- besondere Thales’sche Lehre lautet aber bekanntlich in ihrer ursprünglichen Gestalt also: das Wasser ist der Ursprung aller Dinge und Wesen, folglich auch der Götter; denn der Geist oder Gott, welcher nach Cicero dem Wasser bei der Geburt der Dinge als ein besonderes Wesen assistirt, ist offenbar nur ein Zusatz des spätern heidnischen Theismus. Nicht widerspricht das sokratische Γνῶϑι σαυτὸν, wel- ches das wahre Epigramm und Thema dieser Schrift ist, dem einfachen Naturelement der jonischen Weltweisheit, wenn es wenigstens wahrhaft erfaßt wird. Das Wasser ist nämlich nicht nur ein physisches Zeugungs- und Nahrungsmittel, wo- für es allein der alten beschränkten Hydrologie galt; es ist auch ein sehr probates psychisches und optisches Remedium. Kaltes Wasser macht klare Augen. Und welche Wonne ist es, auch nur zu blicken in klares Wasser! wie seelerquickend, wie geisterleuchtend so ein optisches Wasserbad! Wohl zieht uns das Wasser mit magischem Reize zu sich hinab in die Tiefe der Natur, aber es spiegelt auch dem Menschen sein eignes Bild zurück. Das Wasser ist das Ebenbild des Selbst- bewußtseins, das Ebenbild des menschlichen Auges — das Wasser der natürliche Spiegel des Menschen. Im Wasser entledigt sich ungescheut der Mensch aller mystischen Umhül- lungen; dem Wasser vertraut er sich in seiner wahren, seiner nackten Gestalt an; im Wasser verschwinden alle supranatu- ralistischen Illusionen. So erlosch auch einst in dem Wasser der jonischen Naturphilosophie die Fackel der heidnischen Astro- theologie. Hierin eben liegt die wunderbare Heilkraft des Wassers — hierin die Wohlthätigkeit und Nothwendigkeit der pneumati- schen Wasserheilkunst, namentlich für so ein wasserscheues, sich selbst bethörendes, sich selbst verweichlichendes Geschlecht, wie großen Theils das gegenwärtige ist. Fern sei es jedoch von uns, über das Wasser, das helle, sonnenklare Wasser der natürlichen Vernunft uns Illusionen zu machen, mit dem Antidotum des Supranaturalismus selbst wieder supranaturalistische Vorstellungen zu verbinden. Ἄϱιστον ὕδωϱ, allerdings; aber auch ἄϱιστον μέτϱον. Auch die Kraft des Wassers ist eine in sich selbst begränzte, in Maaß und Ziel gesetzte Kraft. Auch für das Wasser gibt es unheilbare Krankheiten. So ist vor Allem incurabel die Venerie, die Lustseuche der modernen Frömmler, Dichtler und Schöngeist- ler, welche, den Werth der Dinge nur nach ihrem poetischen Reize bemessend, so ehr- und schamlos sind, daß sie selbst auch die als Illusion erkannte Illusion, weil sie schön und wohlthätig sei, in Schutz nehmen, so wesen- und wahrheits- los, daß sie nicht einmal mehr fühlen, daß eine Illusion nur so lange schön ist, so lange sie für keine Illusion, sondern für Wahrheit gilt. Doch an solche grundeitle, lustsüchtige Sub- jecte wendet sich auch nicht der pneumatische Wasserheilkünstler. Nur wer den schlichten Geist der Wahrheit höher schätzt als den gleißnerischen Schöngeist der Lüge, nur wer die Wahrheit schön, die Lüge aber häßlich findet, nur der ist würdig und fähig, die heilige Wassertaufe zu empfangen. Inhalt . Einleitung. Seite Das Wesen des Menschen im Allgemeinen 1 Das Wesen der Religion im Allgemeinen 17 Erster Theil. Die Religion in ihrer Uebereinstimmung mit dem Wesen des Menschen. Gott als Gesetz oder als Wesen des Verstandes 37 Das Geheimniß der Incarnation oder Gott als Liebe, als Herzenswesen 48 Das Geheimniß des leidenden Gottes 60 Das Mysterium der Trinität und Mutter Gottes 71 Das Geheimniß des Logos und göttlichen Ebenbildes 85 Das Geheimniß des kosmogonischen Princips in Gott 96 Das Geheimniß der Natur in Gott 105 Das Geheimniß der Vorsehung und Schöpfung aus Nichts 126 Die Bedeutung der Creation im Judenthum 142 Die Allmacht des Gemüths oder das Geheimniß des Ge- betes 154 Das Geheimniß des Glaubens — das Geheimniß des Wunders 163 Das Geheimniß der Auferstehung und übernatürlichen Geburt 175 Das Geheimniß des christlichen Christus oder des persön- lichen Gottes 183 Der Unterschied des Christenthums vom Heidenthum 197 Die christliche Bedeutung des freien Cälibats und Mönch- thums 212 Der christliche Himmel oder die persönliche Unsterblichkeit 225 Seite Zweiter Theil. Die Religion in ihrem Widerspruch mit dem Wesen des Menschen. Der wesentliche Standpunkt der Religion 248 Der Widerspruch in dem Begriffe der Existenz Gottes 266 Der Widerspruch in der Offenbarung Gottes 277 Der Widerspruch in dem Wesen Gottes 290 Der Widerspruch in den Sacramenten 320 Der Widerspruch von Glaube und Liebe 335 Schlußanwendung 369 Anhang. Anmerkungen und Beweisstellen 381 Einleitung . Das Wesen des Menschen im Allgemeinen. D ie Religion beruht auf dem wesentlichen Unterschiede des Menschen vom Thiere — die Thiere haben keine Reli- gion. Die ältern kritiklosen Zoographen legten wohl dem Ele- phanten unter andern löblichen Eigenschaften auch die Tugend der Religiosität bei; allein die Religion der Elephanten gehört in das Reich der Fabeln. Cuvier, einer der größten Kenner der Thierwelt, stellt, gestützt auf eigne Beobachtungen, den Ele- phanten auf keine höhere Geistesstufe als den Hund. Was ist aber dieser wesentliche Unterschied des Menschen vom Thiere? Die einfachste und allgemeinste, auch populärste Antwort auf diese Frage ist: das Bewußtsein — aber Be- wußtsein im strengen Sinne; denn Bewußtsein im Sinne des Selbstgefühls, der sinnlichen Unterscheidungskraft, der Wahr- nehmung der äußern Dinge nach bestimmten sinnfälligen Merk- malen, solches Bewußtsein kann den Thieren nicht abgespro- chen werden. Bewußtsein im strengsten Sinne ist nur da, wo einem Wesen seine Gattung , seine Wesenheit Gegen- stand ist. Das Thier ist wohl sich als Individuum — darum hat es Selbstgefühl — aber nicht als Gattung Gegenstand — darum mangelt ihm das Bewußtsein, welches seinen Namen Feuerbach . 1 vom Wissen ableitet. Wo Bewußtsein, da ist Fähigkeit zur Wissenschaft. Die Wissenschaft ist das Bewußtsein der Gattungen . Im Leben verkehren wir mit Individuen, in der Wissenschaft mit Gattungen. Aber nur ein Wesen, dem seine eigene Gattung, seine Wesenheit Gegenstand ist, kann andere Dinge oder Wesen nach seiner wesentlichen Natur zum Gegenstande machen. Das Thier hat daher nur ein einfaches, der Mensch ein zweifaches Leben: bei dem Thiere ist das innere Leben eins mit dem äußern — der Mensch hat ein inneres und äußeres Leben. Das innere Leben des Menschen ist das Leben im Verhältniß zu seiner Gattung, seinem allgemeinen Wesen. Der Mensch denkt, d. h. er conversirt, er spricht mit sich selbst . Das Thier kann keine Gattungsfunction verrichten ohne ein anderes Individuum außer ihm; der Mensch aber kann die Gattungsfunction des Denkens, des Sprechens — denn Denken, Sprechen sind wahre Gattungsfunctionen — ohne einen Andern verrichten. Der Mensch ist sich selbst zu- gleich Ich und Du; er kann sich selbst die Stelle des Andern vertreten, eben deßwegen, weil ihm seine Gattung, sein We- sen , nicht nur seine Individualität Gegenstand ist. Die Religion im Allgemeinen, als identisch mit dem Wesen des Menschen, ist identisch mit dem Selbstbewußt- sein , mit dem Bewußtsein des Menschen von seinem Wesen . Aber die Religion ist, allgemein ausgedrückt, Bewußtsein des Unendlichen; sie ist also und kann nichts andres sein als das Bewußtsein des Menschen von seinem , und zwar nicht end- lichen, beschränkten, sondern unendlichen Wesen. Ein wirk- lich endliches Wesen hat keine, auch nicht die entfernteste Ahnung , geschweige Bewußtsein von einem unendlichen Wesen , denn die Schranke des Wesens ist auch die Schranke des Bewußtseins . Das Bewußtsein der Raupe, deren Leben und Wesen auf eine bestimmte Pflanzenspecies eingeschränkt ist, erstreckt sich auch nicht über dieses beschränkte Gebiet hinaus. Sie unterscheidet wohl diese Pflanze von an- dern Pflanzen, aber mehr weiß sie nicht. Solches beschränk- tes, aber eben wegen seiner Beschränktheit infallibles, untrüg- liches Bewußtsein nennen wir darum auch nicht Bewußtsein, sondern Instinkt. Bewußtsein im strengen oder eigentlichen Sinne und Bewußtsein des Unendlichen ist identisch. Beschränktes Bewußtsein ist kein Bewußtsein; das Bewußt- sein ist wesentlich unendlicher Natur Objectum intellectus esse illimitatum sive omne verum ac, ut loquuntur, omne ens ut ens, ex eo constat, quod ad nul- lum non genus rerum extenditur, nullumque est, cujus cog- noscendi capax non sit , licet ob varia obstacula multa sint, quae re ipsa non norit. Gassendi . (Opp. omn. Phys.) . Das Bewußtsein des Unendlichen ist nichts andres als das Bewußtsein von der Unendlichkeit des Bewußtseins . Oder: im Bewußtsein des Unendlichen ist dem Bewußten nur die Unendlichkeit des eignen Wesens Gegenstand . Der geistlose Materialist sagt: „Der Mensch unterscheidet sich vom Thiere nur durch Bewußtsein, er ist ein Thier, aber mit Be- wußtsein“, er bedenkt also nicht, daß in einem Wesen, das zum Be- wußtsein erwacht, eine qualitative Veränderung und Differen- zirung des ganzen Wesens vor sich geht. Uebrigens soll mit dem Ge- sagten keineswegs das Wesen der Thiere herabgesetzt werden. Hier ist der Ort nicht, tiefer einzugehen. Aber was ist denn das Wesen des Menschen, dessen er sich bewußt ist, oder was constituirt die Gattung, die eigent- liche Menschheit im Menschen? Die Vernunft, der Wille , 1* das Herz . Zu einem vollkommenen Menschen gehört die Kraft des Denkens, die Kraft des Willens, die Kraft des Herzens. Die Kraft des Denkens ist das Licht der Erkennt- niß, die Kraft des Willens die Energie des Charakters, die Kraft des Herzens die Liebe. Vernunft, Liebe, Willenskraft sind Vollkommenheiten , die Vollkommenheiten des mensch- lichen Wesens, ja absolute Wesensvollkommenheiten . Wollen, Lieben, Denken sind die höchsten Kräfte , sind das absolute Wesen des Menschen qua talis, als Menschen, und der Grund seines Daseins. Der Mensch ist, um zu denken, um zu lieben, um zu wollen. Was aber der Endzweck, ist auch der wahre Grund und Ursprung eines Wesens. Aber was ist der Zweck der Vernunft? die Vernunft. Der Liebe? die Liebe. Des Willens? die Willensfreiheit. Wir denken, um zu denken, lieben, um zu lieben, wollen, um zu wollen, d. h. frei zu sein. Wahres Wesen ist denkendes, liebendes, wollendes Wesen. Wahr, vollkommen, göttlich ist nur, was um sein selbst willen ist. Aber so ist die Liebe, so die Vernunft, so der Wille. Die göttliche Dreieinigkeit im Menschen über dem individuellen Menschen ist die Einheit von Vernunft, Liebe, Wille. Vernunft (in ihren sinnlichen Formen: Einbildungs- kraft, Phantasie, Vorstellung, Meinung) Toute opinion est assez forte pour se faire esposer au prix de la vie. Montaigne . , Wille, Liebe oder Herz sind keine Kräfte, welche der Mensch hat — denn er ist nichts ohne sie, er ist, was er ist, nur durch sie — sie sind als die sein Wesen, welches er weder hat , noch macht , constituirenden Kräfte, Elemente oder Principien, die ihn be- seelenden, bestimmenden, beherrschenden Mächte — göttliche, absolute Mächte , denen er keinen Widerstand entgegensetzen kann. Wie könnte der gefühlvolle Mensch dem Gefühl, der Lie- bende der Liebe, der Vernünftige der Vernunft widerstehen? Wer hat nicht die zermalmende Macht der Töne erfahren? Aber was ist die Macht der Töne als die Macht der Gefühle? Die Musik ist die Sprache der Gefühle — der Ton das laute Gefühl, das Gefühl, das sich mittheilt. Wer hätte nicht die Macht der Liebe erfahren oder wenigstens von ihr gehört? Wer ist stärker? die Liebe oder der individuelle Mensch? Hat der Mensch die Liebe, oder hat nicht vielmehr die Liebe den Menschen? Wenn die Liebe den Menschen bewegt, selbst mit Freuden für den Geliebten in den Tod zu gehen, ist diese den Tod überwindende Kraft seine eigne individuelle Kraft oder nicht vielmehr die Kraft der Liebe? Und wer, der je wahrhaft gedacht, hätte nicht die Macht des Denkens, die freilich stille, geräuschlose Macht des Denkens erfahren? Wenn Du in tiefes Nachdenken versinkest, Dich und was um Dich verges- send, beherrschest Du die Vernunft oder wirst Du nicht von ihr beherrscht und verschlungen? Ist die wissenschaftliche Be- geisterung nicht der schönste Triumph, den die Vernunft über Dich feiert? Ist die Macht des Wissenstriebs nicht eine schlechterdings unwiderstehliche, Alles überwin- dende Macht ? Und wenn Du eine Leidenschaft unterdrückst, eine Gewohnheit ablegst, kurz einen Sieg über Dich selbst er- ringst, ist diese siegreiche Kraft Deine eigne persönliche Kraft, für sich selbst gedacht, oder nicht vielmehr die Willensenergie, die Macht der Sittlichkeit, welche sich gewaltsam Deiner be- meistert und Dich mit Indignation gegen Dich selbst und Deine individuellen Schwachheiten erfüllt? Der Mensch ist nichts ohne Gegenstand . Große, exemplarische Menschen — solche Menschen, die uns das We- sen des Menschen offenbaren, bestätigten diesen Satz durch ihr Leben. Sie hatten nur eine dominirende Grundleidenschaft: die Verwirklichung des Zwecks, welcher der wesentliche Ge- genstand ihrer Thätigkeit war. Aber der Gegenstand, auf welchen sich ein Subject wesentlich, nothwendig bezieht, ist nichts andres, als das eigne , aber gegenständliche Wesen dieses Subjects. Ist derselbe ein mehreren der Gattung nach gleichen, der Art nach aber unterschiedenen Individuen gemeinschaftlicher Gegenstand, so ist er wenigstens so, wie er diesen Individuen je nach ihrer Verschiedenheit Object ist, ihr eignes aber gegenständliches Wesen. So ist die Sonne das gemeinschaftliche Object der Planeten, aber so, wie sie dem Merkur, der Venus, dem Saturn, dem Ura- nus, so ist sie nicht der Erde Gegenstand. Jeder Planet hat seine eigne Sonne . Die Sonne, die und wie sie den Ura- nus erleuchtet und erwärmt, hat kein physisches (nur ein astro- nomisches, wissenschaftliches) Dasein für die Erde; und die Sonne erscheint nicht nur anders, sie ist auch wirklich auf dem Uranus eine andere Sonne als auf der Erde. Das Ver- halten der Erde zur Sonne ist daher zugleich ein Verhalten der Erde zu sich selbst oder zu ihrem eignen Wesen, denn das Maaß der Größe und der Intensität des Lichts, in welchem die Sonne der Erde Gegenstand ist, ist das Maaß der Ent- fernung, welches die eigenthümliche Natur der Erde begrün- det. Die Sonne jedes Planeten ist der Spiegel seines eignen Wesens. An dem Gegenstande wird daher der Mensch seiner selbst bewußt: das Bewußtsein des Gegenstands ist das Selbstbewußtsein des Menschen. Aus dem Gegenstande erkennst Du den Menschen; an ihm erscheint Dir sein We- sen: der Gegenstand ist sein offenbares Wesen, sein wah- res objectives Ich. Und dieß gilt keineswegs nur von den geistigen, sondern auch den sinnlichen Gegenständen. Auch die dem Menschen fernsten Gegenstände sind, weil und wie- fern sie ihm Gegenstände sind, Offenbarungen des menschli- chen Wesens. Auch der Mond, auch die Sonne, auch die Sterne rufen dem Menschen das Γνῶϑι σαυτὸν zu. Daß er sie sieht und sie so sieht, wie er sie sieht, das ist ein Zeug- niß seines eignen Wesens. Das Thier wird nur ergriffen von dem das Leben unmittelbar afficirenden Lichtstrahl, der Mensch dagegen auch noch von dem kalten Strahl des entferntesten Sternes. Nur der Mensch hat reine, intellectuelle, interesse- lose Freuden und Affecte — nur der Mensch feiert theoretische Augenfeste. Das Auge, das in den Sternenhimmel schaut, jenes nutz - und schadenlose Licht erblickt, welches nichts mit der Erde und ihren Bedürfnissen gemein hat, dieses Auge blickt in diesem Lichte in sein eignes Wesen, seinen eignen Ursprung. Das Auge ist himmlischer Natur. Darum erhebt sich der Mensch über die Erde nur mit dem Auge; darum beginnt die Theorie mit dem Blicke nach dem Himmel. Die ersten Philosophen waren Astronomen. Der Himmel erinnert den Menschen an seine Bestimmung, daran, daß er nicht blos zum Handeln, sondern auch zur Beschauung bestimmt ist. Das absolute Wesen des Menschen ist sein eignes Wesen . Die Macht des Gegenstandes über ihn ist daher die Macht seines eignen Wesens . So ist die Macht des Gegenstands der Liebe die Macht der Liebe , die Macht des Gegenstands der Vernunft die Macht der Vernunft selbst. Den Menschen, dessen Wesen der Ton bestimmt, beherrscht das Gefühl — wenigstens das Gefühl, welches im Tone sein entsprechendes Element findet. Nicht der Ton für sich selbst, nur der inhaltsvolle, der sinn- und gefühlvolle Ton hat Macht auf das Gefühl. Das Gefühl wird nur durch das Gefühl- volle, d. h. durch sich selbst, sein eignes Wesen bestimmt . So auch der Wille, so auch und unendlich mehr die Vernunft. Was für eines Gegenstandes wir uns daher auch nur immer bewußt werden: wir werden stets zugleich auch unsres eignen Wesens uns bewußt. Wir können nichts Anderes bethäti- gen, ohne uns selbst zu bethätigen. Und weil Wollen, Füh- len, Denken Vollkommenheiten sind, Perfectionen, Realitäten, so ist es unmöglich, daß wir mit Vernunft die Vernunft, mit Gefühl das Gefühl, mit Willen den Willen als eine beschränkte, endliche d. i. nichtige Kraft empfinden, oder wahrnehmen. Endlichkeit nämlich und Richtigkeit sind iden- tisch. Endlichkeit ist nur ein Euphemismus für Nichtigkeit. Endlichkeit ist der metaphysische, der theoretische , Nichtig- keit der pathologische, praktische Ausdruck. Was dem Verstande endlich , ist nichtig dem Herzen . Es ist aber unmöglich, daß wir uns des Willens, des Gefühls, der Ver- nunft als endlicher Kräfte bewußt werden, weil jede Vollkom- menheit, jede ursprüngliche Kraft und Wesenheit die unmit- telbare Bewahrheitung und Bekräftigung ihrer selbst ist. Man kann nicht lieben, nicht wollen, nicht denken, ohne diese Thätigkeiten als Vollkommenheiten zu empfinden, nicht wahrnehmen, daß man ein liebendes, wollendes, denkendes Wesen ist, ohne darüber eine unendliche Freude zu empfin- den. Bewußtsein ist das sich selbst Gegenstand Sein eines Wesens; daher nichts Apartes, nichts von dem Wesen, das sich seiner bewußt ist, Unterschiednes. Wie könnte es sonst sich seiner bewußt sein? Unmöglich ist es darum, einer Voll- kommenheit als einer Unvollkommenheit sich bewußt zu wer- den, unmöglich , das Gefühl als beschränkt zu empfin- den, unmöglich, das Denken als beschränkt zu denken . Bewußtsein ist Selbstbethätigung, Selbstbejahung, Selbstliebe , — Selbstliebe nicht im Sinne der thierischen — Freude an der eignen Vollkommenheit. Bewußtsein ist das charakteristische Kennzeichen eines vollkommnen Wesens . Bewußtsein ist nur in einem gesättigten, vollendeten Wesen. Selbst die menschliche Eitelkeit bestätigt diese Wahr- heit. Der Mensch steht in den Spiegel. Er hat einen Wohl- gefallen an seiner Gestalt. Dieses Wohlgefallen ist eine noth- wendige, unwillkührliche Folge von der Vollendung, von der Schönheit seiner Gestalt. Die schöne Gestalt ist in sich gesät- tigt, sie hat nothwendig eine Freude an sich, sie spiegelt sich nothwendig in sich selbst. Eitelkeit ist es nur, wenn der Mensch seine eigne individuelle Gestalt beliebäugelt, aber nicht wenn er die menschliche Gestalt überhaupt bewundert. Er soll sie bewundern. Allerdings liebt jedes Wesen sich, sein Sein und soll es lieben. Sein ist ein Gut. Quidquid essentia dignum est, scientia dignum est. Alles was ist hat Werth, ist ein Wesen von Distinction. Wenigstens gilt dieß von der Species, von der Gattung. Darum bejaht, behauptet es sich. Aber die höchste Form der Selbstbejahung, die Form, welche selbst eine Auszeichnung ist, eine Vollkommenheit, ein Glück, ein Gut, ist das Bewußtsein. Jede Beschränkung der Vernunft oder überhaupt des Wesens des Menschen beruht auf einer Täuschung, einem Irrthum. Wohl kann und soll selbst das menschliche Indi- viduum — hierin besteht sein Unterschied von dem thieri- schen — sich als beschränkt fühlen und erkennen; aber es kann sich seiner Schranken, seiner Endlichkeit nur bewußt werden, weil ihm die Vollkommenheit, die Unendlichkeit der Gattung Gegenstand ist, sei es nun als Gegenstand des Gefühls, oder des Gewissens, oder des denkenden Bewußtseins. Macht es gleichwohl seine Schranken zu Schranken der Gattung , so beruht dieß auf der Täuschung, daß es sich mit der Gat- tung unmittelbar identificirt — eine Täuschung, die mit der Bequemlichkeitsliebe, Trägheit, Eitelkeit und Selbstsucht des Individuums aufs innigste zusammenhängt. Eine Schranke nämlich, die ich blos als meine Schranke weiß, demüthigt, beschämt und beunruhigt mich. Um mich daher von die- sem Schamgefühl, von dieser Unruhe zu befreien, mache ich die Schranken meiner Individualität zu Schranken des menschlichen Wesens selbst. Was mir unbegreiflich, ist auch den Andern unbegreiflich; was soll ich mich weiter kümmern? es ist ja nicht meine Schuld; es liegt nicht an mei- nem Verstande; es liegt am Verstande der Gattung selbst. Aber es ist Wahn, lächerlicher und zugleich frevelhafter Wahn, das, was die Natur des Menschen constituirt, das Wesen der Gattung, welches das absolute Wesen des Individuums ist, als endlich, als beschränkt zu bestimmen. Jedes Wesen ist sich selbst genug . Kein Wesen kann sich d. h. seine Wesenheit negiren; kein Wesen ist sich selbst ein beschränktes. Jedes Wesen ist vielmehr in sich und für sich unendlich. Jede Schranke eines Wesens existirt nur für ein andres Wesen außer und über ihm. Das Leben der Ephemeren ist außerordentlich kurz im Vergleich zu länger lebenden Thie- ren; aber gleichwohl ist für sie dieses kurze Leben so lang, als für Andere ein Leben von Jahren. Das Blatt, auf dem die Raupe lebt, ist für sie eine Welt, ein unendlicher Raum. Was ein Wesen zu dem macht, was es ist , das ist eben sein Talent, sein Vermögen, sein Reichthum, sein Schmuck. Wie wäre es möglich, sein Sein als Nichtsein, seinen Reich- thum als Mangel, sein Talent als Unvermögen zu gewahren? Hätten die Pflanzen Augen, Geschmack und Urtheilskraft — jede Pflanze würde ihre Blume für die schönste erklären; denn ihr Verstand, ihr Geschmack würde nicht weiter reichen als ihre producirende Wesenskraft. Was die producirende We- senskraft als das Höchste hervorbrächte, das müßte auch ihr Geschmack, ihre Urtheilskraft als das Höchste bekräftigen, an- erkennen. Was das Wesen bejaht, kann der Verstand , der Geschmack, das Urtheil nicht verneinen ; sonst wäre der Verstand, die Urtheilskraft nicht mehr der Verstand, die Ur- theilskraft dieses bestimmten, sondern irgend eines andern We- sens. Das Maaß des Wesens ist auch das Maaß des Verstandes . Ist das Wesen beschränkt, so ist auch das Ge- fühl, auch der Verstand beschränkt. Aber einem beschränkten Wesen ist sein beschränkter Verstand keine Schranke; es ist viel- mehr vollkommen glücklich und befriedigt mit demselben; es empfindet ihn, es lobt und preist ihn als eine herrliche, gött- liche Kraft; und der beschränkte Verstand preist seinerseits wie- der das beschränkte Wesen, dessen Verstand er ist. Beide pas- sen aufs genauste zusammen; wie sollten sie mit einander zerfal- len können? Der Verstand ist der Gesichtskreis eines Wesens. So weit Du siehst, so weit erstreckt sich Dein Wesen, und um- gekehrt. Das Auge des Thieres reicht nicht weiter, als sein Be- dürfniß, und sein Wesen nicht weiter, als sein Bedürfniß. Und so weit Dein Wesen , so weit reicht Dein unbeschränk- tes Selbstgefühl , so weit bist Du Gott . Der Zwiespalt von Verstand und Wesen, von Denkkraft und Productions- kraft im menschlichen Bewußtsein ist einerseits ein nur indivi- dueller, ohne allgemeine Bedeutung, andrerseits nur ein schein- barer. Wer seine schlechten Gedichte als schlecht erkennt, ist, weil in seiner Erkenntniß , auch in seinem Wesen nicht so beschränkt, wie der, welcher seine schlechten Gedichte in sei- nem Verstande approbirt. Kein Wesen kann also in seinen Gefühlen, Vorstellungen, Gedanken seine Natur verläugnen. Was es auch setzt — es setzt immer Sich selbst. Jedes Wesen hat seinen Gott , sein höchstes Wesen in sich selbst . Preisest Du die Herrlichkeit Gottes, so preisest Du die Herrlichkeit des eignen Wesens. Alle Bewunderung ist im Grunde Selbstbewunderung, alles Lob Selbstlob; jedes Urtheil, das Du über Anderes fällst, ein Urtheil über Dich selbst. Rühmliches zu rühmen, ist selbst Ruhm, Tugenden eines Andern anzuerkennen, zu fühlen, selbst Tugend. Was des Lichtes sich freut, das ist in sich selbst ein illuminirtes, aufgeklärtes Wesen. Gleich und Gleich ge- sellt sich gern. Nur der helle Kopf verlangt nach Licht; nur Licht vernimmt Licht. Denkst Du folglich das Unendliche, so denkst und be- stätigst Du die Unendlichkeit des Denkvermögens ; fühlst Du das Unendliche, so fühlst und bestätigst Du die Unend- lichkeit des Gefühlsvermögens . Der Gegenstand der Vernunft ist die sich gegenständliche Vernunft , der Ge- genstand des Gefühls das sich gegenständliche Gefühl . Hast Du keinen Sinn, kein Gefühl für Musik, so vernimmst Du auch in der schönsten Musik nicht mehr, als in dem Winde, der vor Deinen Ohren vorbeisauft, als in dem Bache, der vor Deinen Füßen vorbeirauscht. Was ergreift Dich also, wenn Dich der Ton ergreift? Was vernimmst Du in ihm? was anders, als die Stimme Deines eignen Herzens? Darum spricht das Gefühl nur zum Gefühl, darum ist das Gefühl nur dem Gefühl, d. h. sich selbst verständlich — darum, weil der Gegenstand des Gefühls selbst nur Gefühl ist. Die Mu- sik ist ein Monolog des Gefühls. Aber auch der Dialog der Philosophie ist in Wahrheit nur ein Monolog der Ver- nunft. Der Gedanke spricht nur zum Gedanken. Der Far- benglanz der Krystalle entzückt die Sinne; die Vernunft inter- essiren nur die Gesetze der Krystallonomie. Der Vernunft ist nur das Vernünftige Gegenstand. Alles daher, was im Sinne der hyperphysischen trans- cendenten Speculation und Religion nur die Bedeutung des Secundären , des Subjectiven , des Mittels , des Or- gans hat, das hat im Sinne der Wahrheit die Bedeutung des Primitiven , des Wesens , des Gegenstandes selbst. Ist z. B. das Gefühl das wesentliche Organ der Religion, so drückt das Wesen Gottes nichts andres aus, als das We- sen des Gefühls . Der wahre, aber verborgene Sinn der Rede: „das Gefühl ist das Organ des Göttlichen,“ lautet: das Gefühl ist das Nobelste, Trefflichste, d. h. Göttliche im Menschen. Wie könntest Du das Göttliche vernehmen durch das Gefühl, wenn das Gefühl nicht selbst göttlicher Na- tur wäre? Das Göttliche wird ja nur durch das Göttliche, Gott nur durch sich selbst erkannt. Das göttliche Wesen, wel- ches das Gefühl vernimmt, ist in der That nichts als das von sich selbst entzückte und bezauberte Wesen des Ge- fühls — das wonnetrunkene, in sich selige Gefühl . Es erhellt dieß schon daraus, daß da, wo das Gefühl zum Organ des Unendlichen, zum subjectiven Wesen der Re- ligion gemacht wird, der Gegenstand derselben seinen objecti- ven Werth verliert. So ist, seitdem man das Gefühl zur Hauptsache der Religion gemacht, der sonst so heilige Glau- bensinhalt des Christenthums gleichgültig geworden. Wird auch auf dem Standpunkt des Gefühls dem Gegenstand noch Werth eingeräumt, so hat er doch diesen nur um des Gefühls willen. Würde ein anderer Gegenstand dieselben Gefühle er- regen, so wäre er eben so willkommen. Der Gegenstand des Gefühls wird aber eben nur deßwegen gleichgültig, weil, wo einmal das Gefühl als das subjective Wesen der Religion ausgesprochen wird, es in der That auch das objective We- sen derselben ist, wenn es gleich nicht als solches, wenigstens direct, ausgesprochen wird. Direct sage ich; denn indirect wird dieß allerdings eingestanden, indem, wenn einmal das Gefühl für das Organ des Göttlichen gilt, das Gefühl als solches , jedes Gefühl als Gefühl für religiös erklärt, also der Unterschied zwischen specifisch religiösen und irreli- giösen oder wenigstens nicht religiösen Gefühlen aufgehoben wird und aufgehoben werden muß. Warum denn anders als we- gen seines Wesens, seiner Natur machst Du das Gefühl zum Or- gan des unendlichen, des göttlichen Wesens? Ist aber nicht die Natur des Gefühls überhaupt auch die Natur jedes speciellen Ge- fühls, sein Gegenstand sei nun welcher er wolle? Was macht also dieses Gefühl zum religiösen? der bestimmte Gegenstand? Mit nichten, denn dieser Gegenstand ist selbst nur ein reli- giöser , wenn er nicht ein Gegenstand des kalten Verstandes oder Gedächtnisses, sondern des Gefühls ist. Was also? die Natur des Gefühls, an der jedes Gefühl, ohne Unterschied des Gegenstandes, Theil hat. Das Gefühl ist also heilig ge- sprochen, lediglich weil es Gefühl ist; der Grund der Reli- giosität ist die Natur des Gefühls, liegt in ihm selbst . Ist aber dadurch nicht das Gefühl als das Absolute, als das Göttliche selbst ausgesprochen? Wenn das Gefühl durch sich selbst gut, religiös, d. h. heilig, göttlich ist, hat das Ge- fühl seinen Gott nicht in sich selbst ? Wenn Du aber dennoch ein Object des Gefühls festsetzen, zugleich aber Dein Gefühl wahrhaft auslegen willst, ohne mit Deiner Reflexion etwas Fremdartiges hineinzulegen, was bleibt Dir übrig, als zu unterscheiden zwischen Deinen indi- viduellen Gefühlen und zwischen dem allgemeinen Wesen, der Natur des Gefühls, als abzusondern das Wesen des Gefühls von den störenden, verunreinigenden Einflüssen, an welche in Dir, dem bedingten Individuum, das Gefühl gebunden ist? Was Du daher allein vergegenständlichen, als das Unend- liche aussprechen, als dessen Wesen bestimmen kannst, das ist nur die Natur des Gefühls. Du hast hier keine andere Be- stimmung für Gott als diese: Gott ist das reine, das un- beschränkte, das freie Gefühl . Jeder andre Gott, den Du hier setzest, ist ein von Außen Deinem Gefühl aufgedrun- gener Gott. Das Gefühl ist atheistisch im Sinne des or- thodoxen Glaubens, als welcher die Religion an einen äußern Gegenstand anknüpft. Das Gefühl läugnet einen gegen- ständlichen Gott — es ist sich selbst Gott . Die Nega- tion des Gefühls nur ist auf dem Standpunkt des Gefühls die Negation Gottes . Du bist nur zu feige oder zu be- schränkt, um mit Worten einzugestehen, was Dein Gefühl im Stillen bejaht. Gebunden an äußere Rücksichten, in den Banden des gemeinsten Empirismus noch befangen, unfähig die Seelengröße des Gefühls zu begreifen, erschrickst Du vor dem religiösen Atheismus Deines Herzens und zerstörst in diesem Schrecken die Einheit Deines Gefühls mit sich selbst , indem Du Dir ein vom Gefühl unterschiednes, objecti- ves Wesen vorspiegelst, und Dich so nothwendig wieder zu- rückwirfst in die alten Fragen und Zweifel: ob ein Gott ist oder nicht ist? Fragen und Zweifel, die doch da verschwun- den, ja unmöglich sind, wo das Gefühl als das Wesen der Religion bestimmt wird. Das Gefühl ist Deine innigste und doch zugleich eine von Dir unterschiedene, unabhängige Macht, es ist in Dir über Dir: es ist selbst schon das Objective in Dir, Dein eigenstes Wesen, das Dich als und wie ein an- deres Wesen ergreift, kurz Dein Gott — wie willst Du also von diesem objectiven Wesen in Dir noch ein an- deres objectives Wesen unterscheiden? wie über Dein Gefühl hinaus? Das Gefühl wurde aber hier nur als Beispiel hervorge- hoben. Dieselbe Bewandtniß hat es mit jeder andern Kraft, Fähigkeit, Potenz, Realität, Thätigkeit — der Name ist gleich- gültig — welche man als das wesentliche Organ eines Gegenstandes bestimmt. Was subjectiv die Bedeutung des Wesens, das hat eben damit auch objectiv die Bedeutung des Wesens. Der Mensch kann nun einmal nicht über sein wahres Wesen hinaus. Wohl mag er sich vermittelst der Phantasie Individuen anderer, angeblich höherer Art vorstel- len, aber von seiner Gattung, seinem Wesen kann er nimmer- mehr abstrahiren; die Wesensbestimmungen, die positiven letz- ten Prädicate, die er diesen andern Individuen gibt, sind im- mer aus seinem eignen Wesen geschöpfte Bestimmungen — Bestimmungen, in denen er in Wahrheit nur sich selbst abbil- det und vergegenständlicht. Das Wesen der Religion im Allgemeinen. Was im Allgemeinen, selbst in Beziehung auf die sinn- lichen Gegenstände, von dem Verhältniß des Subjects zum Object bisher behauptet wurde, das gilt insbesondere von dem Verhältniß des Subjects zum religiösen Gegenstande . Im Verhältniß zu den sinnlichen Gegenständen ist das Bewußtsein des Gegenstandes wohl unterscheidbar vom Selbst- bewußtsein; aber bei dem religiösen Gegenstand fällt das Be- wußtsein mit dem Selbstbewußtsein unmittelbar zusammen. Der sinnliche Gegenstand ist außer dem Menschen da, der religiöse in ihm , ein selbst innerlicher — darum ein Ge- genstand, der ihn eben so wenig verläßt, als ihn sein Selbst- bewußtsein, sein Gewissen verläßt — ein intimer, ja der al- lerintimste, der allernächste Gegenstand. „Gott, sagt Augu- stin und Malebranche, ist uns näher als wir uns selbst. Gott ist enger mit uns verbunden als der Leib mit der Seele, als wir mit uns selbst.“ Der sinnliche Gegenstand ist an sich ein indifferenter , unabhängig von der Gesinnung, von der Urtheilskraft; der Gegenstand der Religion aber ist ein aus- erlesener Gegenstand: das vorzüglichste, das erste, das höchste Wesen; er setzt wesentlich ein kritisches Urtheil voraus, den Unterschied zwischen dem Göttlichen und Nichtgöttlichen, dem Anbetungswürdigen und Nichtanbetungswürdigen Unusquisque vestrum non cogitat, prius se debere Deum nosse, quam colere. M. Minucii Felicis Octavianus . c. 24. . Und hier gilt daher ohne alle Einschränkung der Satz: der Gegen- stand des Subjects ist nichts andres als das gegenständ- liche Wesen des Subjects selbst. Wie der Mensch sich Gegenstand, so ist ihm Gott Gegenstand; wie er denkt, wie er Feuerbach . 2 gesinnt ist, so ist sein Gott. So viel Werth der Mensch hat, so viel Werth und nicht mehr hat sein Gott. Das Bewußt- sein Gottes ist das Selbstbewußtsein des Menschen, die Erkenntniß Gottes die Selbsterkenntniß des Men- schen Wenn daher in der Hegel’schen Religionsphilosophie auf dem Standpunkt der mystisch-speculativen Vernunft der oberste Grundsatz der ist: „ das Wissen des Menschen von Gott ist das Wissen Got- tes von sich selbst ,“ so gilt dagegen hier auf dem Standpunkt der natürlichen Vernunft der entgegengesetzte Grundsatz: das Wissen des Menschen von Gott ist das Wissen des Menschen von sich selbst . . Aus seinem Gotte erkennst Du den Menschen, und hinwiederum aus dem Menschen seinen Gott; beides ist iden- tisch. Was dem Menschen Gott ist, das ist sein Geist, seine Seele , und was des Menschen Geist, seine Seele, sein Herz, das ist sein Gott : Gott ist das offenbare Innere, das ausgesprochne Selbst des Menschen; die Reli- gion ist die feierliche Enthüllung der verborgnen Schätze des Menschen, das Eingeständniß seiner innersten Gedanken, das öffentliche Bekenntniß seiner Liebesgeheimnisse . Wenn aber die Religion, das Bewußtsein Gottes, als das Selbstbewußtsein des Menschen bezeichnet wird, so ist dieß nicht so zu verstehen, als wäre der religiöse Mensch sich direct bewußt, daß sein Bewußtsein von Gott das Selbstbewußtsein seines Wesens ist, denn der Mangel dieses Bewußtseins be- gründet eben die differentia specifica der Religion. Um die- sen Mißverstand zu beseitigen, ist es besser zu sagen: die Re- ligion ist die erste und zwar indirecte Selbsterkenntniß des Menschen. Die Religion geht daher überall der Philosophie voran, wie in der Geschichte der Menschheit, so auch in der Geschichte der Einzelnen. Der Mensch verlegt sein Wesen zu- erst außer sich , ehe er es in sich findet. Das eigne Wesen ist ihm zuerst als ein andres Wesen Gegenstand. Der geschicht- liche Fortgang in den Religionen besteht deßwegen darin, daß das, was der frühern Religion für etwas Objectives galt, als etwas Subjectives, d. h. was als Gott angeschaut und an- gebetet wurde, jetzt als etwas Menschliches erkannt wird. Die frühere Religion ist der spätern Götzendienst: der Mensch hat sein eignes Wesen angebetet. Der Mensch hat sich ver- objectivirt, aber den Gegenstand nicht als sein Wesen erkannt; die spätere Religion thut diesen Schritt. Jeder Fortschritt in der Religion ist daher eine tiefere Selbsterkenntniß. Aber jede bestimmte Religion, die ihre ältern Schwestern als Götzendie- nerinnen bezeichnet, nimmt sich selbst — und zwar nothwen- dig, sonst wäre sie nicht mehr Religion — von dem Schick- sal, dem allgemeinen Wesen der Religion aus; sie schiebt nur auf die andern Religionen, was doch — wenn an- ders Schuld — die Schuld der Religion überhaupt ist. Weil sie einen andern Gegenstand, einen andern Inhalt hat, weil sie über den Inhalt der frühern sich erhoben, wähnt sie sich er- haben über die nothwendigen und ewigen Gesetze, die das Wesen der Religion constituiren, wähnt sie, daß ihr Gegen- stand, ihr Inhalt ein übermenschlicher sei. Aber dafür durch- schaut das ihr selbst verborgne Wesen der Religion der Denker, dem die Religion Gegenstand ist, was sich selbst die Religion nicht sein kann. Und unsre Aufgabe ist es eben, nachzuweisen, daß der Gegensatz des Göttlichen und Mensch- lichen ein durchaus illusorischer, daß folglich auch der Gegen- stand und Inhalt der christlichen Religion ein durchaus mensch- licher ist. 2* Die Religion, wenigstens die christliche, ist das Ver- halten des Menschen zu sich selbst , oder richtiger: zu seinem (und zwar subjectiven Die Bedeutung dieser parenthetischen Beschränkung wird im Ver- laufe erhellen. Wesen , aber das Verhalten zu seinem Wesen als zu einem andern Wesen. Das göttliche Wesen ist nichts andres als das menschliche Wesen oder besser: das Wesen des Menschen , gereinigt, befreit von den Schranken des individuellen Menschen Les perfections de Dieu sont celles de nos ames , mais il les possede sans bornes .... il y a en nous quelque puis- sance, quelque connaissance, quelque bonté, mais elles sont toutes entieres en Dieu. Leibnitz . (Theod. Préface.) Nihil in anima esse putemus eximium , quod non etiam divinae naturae pro- prium sit .... Quidquid a Deo alienum, extra definitionem animae. S. Gregorius Nyss. (Krabingerus Lips. 1837. p. 43.) , verobjectivirt, d. h. angeschaut und verehrt als ein and- res von ihm unterschiednes, eignes Wesen — alle Be- stimmungen des göttlichen Wesens sind darum menschliche Bestimmungen. In Beziehung auf die Bestimmungen, die Prädicate des göttlichen Wesens wird dieß denn auch ohne Anstand zugege- ben, aber keineswegs in Beziehung auf das Subject dieser Prädicate. Die Negation des Subjects gilt für Irreligiosität, ja für Atheismus, nicht aber die Negation der Prädicate. Aber was keine Bestimmungen hat, das hat auch keine Wir- kungen auf mich; was keine Wirkungen, auch kein Dasein für mich. Alle Bestimmungen negiren, ist so viel als das Wesen selbst negiren. Ein bestimmungsloses Wesen ist ein unge- genständliches Wesen, ein ungegenständliches ein nichtiges Wesen. Wo der Mensch alle Bestimmungen von Gott ent- fernt, da ist ihm Gott nur noch ein negatives Wesen. Dem wahrhaft religiösen Menschen ist Gott kein bestimmungsloses Wesen, weil er ihm ein gewisses, wirkliches Wesen ist. Die Bestimmungslosigkeit und mit ihr identische Unerkennbarkeit Gottes ist daher nur eine Frucht der neuern Zeit, ein Product der modernen Ungläubigkeit. Wie die Vernunft nur da als endlich bestimmt wird und be- stimmt werden kann, wo dem Menschen der sinnliche Genuß oder das religiöse Gefühl oder die ästhetische Anschauung oder die mo- ralische Gesinnung für das Absolute, das Wahre gilt: so kann nur da die Unerkennbarkeit oder Unbestimmbarkeit Gottes als ein Dogma ausgesprochen und fixirt werden, wo dieser Ge- genstand kein Interesse mehr für die Erkenntniß hat, wo die Wirklichkeit allein den Menschen in Anspruch nimmt, das Wirkliche allein für ihn die Bedeutung des wesentlichen, des absoluten, göttlichen Gegenstandes hat, aber doch zugleich noch im Widerspruch mit dieser rein weltlichen Tendenz ein alter Rest von Religiosität vorhanden ist. Der Mensch ent- schuldigt mit der Unerkennbarkeit Gottes vor seinem noch übrig- gebliebenen religiösen Gewissen seine Gottvergessenheit, sein Verlorensein in die Welt; er negirt Gott praktisch durch die That — all sein Sinnen und Denken hat die Welt inne — aber er negirt ihn nicht theoretisch ; er greift seine Existenz nicht an; er läßt ihn bestehen. Allein diese Existenz tangirt und incommodirt ihn nicht; sie ist eine nur negative Existenz, eine Existenz ohne Existenz , eine sich selbst widersprechende Existenz, — ein Sein, das seinen Wirkungen nach nicht un- terscheidbar vom Nichtsein ist. Die Negation bestimmter, po- sitiver Prädicate des göttlichen Wesens ist nichts andres als eine Negation der Religion, welche aber noch einen Schein von Religion für sich hat, so daß sie nicht als Negation erkannt wird — nichts andres als ein subtiler, verschlag- ner Atheismus . Die angeblich religiöse Scheu, Gott durch bestimmte Prädicate zu verendlichen, ist nur der irreligiöse Wunsch, von Gott nichts mehr wissen zu wollen, Gott sich aus dem Sinne zu schlagen. Wer sich scheut, endlich zu sein, scheut sich zu existiren . Alle reale Existenz, d. h. alle Existenz, die wirklich , re vera Existenz ist, die ist qua- litative, bestimmte und deßwegen endliche Existenz . Wer ernstlich, wirklich, wahrhaft an die Existenz Gottes glaubt, der stößt sich nicht an den selbst derbsinnlichen Eigenschaf- ten Gottes. Wer nicht durch seine Existenz beleidigen, wer nicht derb sein will, der verzichte auf die Existenz. Ein Gott, der sich durch die Bestimmtheit beleidigt fühlt, hat nicht den Muth und nicht die Kraft zu existiren. Die Qualität ist das Feuer, die Lebensluft, der Sauerstoff, das Salz der Exi- stenz. Eine Existenz überhaupt , eine Existenz ohne Quali- tät ist eine geschmacklose , eine abgeschmackte Existenz. In Gott ist aber nicht mehr als in der Religion ist. Nur da, wo der Mensch den Geschmack an der Religion verliert, die Religion selbst also geschmacklos wird, nur da wird daher auch die Existenz Gottes zu einer abgeschmackten Existenz. Es gibt übrigens noch eine gelindere Weise der Negation der göttlichen Prädicate als die directe, eben bezeichnete. Man gibt zu, daß die Prädicate des göttlichen Wesens endliche, insbesondre menschliche Bestimmungen sind; aber man ver- wirft ihre Verwerfung; man nimmt sie sogar in Schutz, weil es dem Menschen nothwendig sei, sich bestimmte Vorstellun- gen von Gott zu machen, und weil er nun einmal Mensch sei, so könne er sich auch keine andern als eben menschliche Vorstellungen von ihm machen. In Beziehung auf Gott, sagt man, sind diese Prädicate freilich ohne objective Bedeu- tung, aber für mich kann er, weil und wenn er für mich sein soll, nicht anders erscheinen als so, wie er mir erscheint, nämlich als ein menschliches oder doch menschenähnliches Wesen. Allein diese Unterscheidung zwischen dem, was Gott an sich und dem, was er für mich ist, zerstört den Frieden der Religion, und ist überdem an sich selbst eine grund- und haltungslose Distinction. Ich kann gar nicht wissen, ob Gott etwas andres an sich oder für sich ist, als er für mich ist; wie er für mich ist, so ist er Alles für mich. Für mich liegt eben in diesen Prädicaten, unter welchen er für mich ist, sein Ansichselbstsein, sein Wesen selbst; er ist für mich so, wie er für mich nur immer sein kann. Der religiöse Mensch ist in dem, was Gott in Bezug auf ihn ist — von einer andern Beziehung weiß er als Mensch nichts — vollkommen be- friedigt, denn Gott ist ihm, was er dem Menschen über- haupt sein kann . In jener Distinction setzt sich der Mensch über sich selbst, d. h. über sein Wesen, sein absolutes Maaß hinweg; aber diese Hinwegsetzung ist nur eine Illusion. Den Unterschied nämlich zwischen dem Gegenstande, wie er an sich, und dem Gegenstand, wie er für mich ist, kann ich nur da ma- chen, wo ein Gegenstand mir wirklich anders erscheinen kann , als er erscheint; aber nicht, wo er mir so erscheint, wie er mir nach meinem absoluten Maaße erscheint, wie er mir erscheinen muß . Wohl kann meine Vorstellung eine sub- jective sein, d. h. eine solche, an welche die Gattung nicht gebunden ist. Aber wenn meine Vorstellung dem Maaße der Gattung entspricht, so fällt die Unterscheidung zwischen An- sichsein und Fürmichsein weg; denn diese Vorstellung ist selbst eine absolute . Das Maaß der Gattung ist das absolute Maaß, Gesetz und Kriterium des Menschen. Aber die Reli- gion hat eben die Ueberzeugung, daß ihre Vorstellungen, ihre Prädicate von Gott solche sind, die jeder Mensch haben soll und haben muß , wenn er die wahren haben will, daß sie die nothwendigen Vorstellungen der menschlichen Natur, ja, die objectiven, die gottgemäßen Vorstellungen sind. Jeder Religion sind die Götter der andern Religionen nur Vorstel- lungen von Gott , aber die Vorstellung, die sie von Gott hat, ist ihr Gott selbst, Gott, wie sie ihn vorstellt, der ächte, wahre Gott, Gott, wie er an sich ist. Die Religion begnügt sich nur mit einem ganzen, rückhaltslosen Gott. Die Re- ligion will nicht eine bloße Erscheinung von Gott; sie will Gott selbst, Gott in Person . Die Religion gibt sich selbst auf, wenn sie das Wesen Gottes aufgibt. Sie ist keine Wahrheit mehr, wo sie auf den Besitz des wahren Gottes verzichtet. Der Skepticismus ist der Erzfeind der Religion. Aber die Unterscheidung zwischen Object und Vorstellung, zwi- schen Gott an sich und Gott für mich ist eine skeptische irreli- giöse Unterscheidung. Was dem Menschen die Bedeutung des Ansichseienden hat, was ihm das höchste Wesen ist, das, worüber er nichts Höheres sich vorstellen kann, dieses ist ihm eben das gött- liche Wesen. Wie könnte er also bei diesem Gegenstande noch fragen: was er an sich sei? Wenn Gott dem Vogel Gegen- stand wäre, so wäre er ihm nur als ein geflügeltes Wesen Gegenstand: der Vogel kennt nichts Höheres, nichts Selige- res als das Geflügeltsein. Wie lächerlich wäre es, wenn die- ser Vogel urtheilte: mir erscheint Gott als ein Vogel, aber was er an sich ist, weiß ich nicht. Das höchste Wesen ist dem Vogel eben das Wesen des Vogels. Nimmst Du ihm die Vorstellung vom Wesen des Vogels , so nimmst Du ihm die Vorstellung des höchsten Wesens . Wie könnte er also fragen: ob Gott an sich geflügelt sei? Fragen: ob Gott an sich so ist, wie er für mich ist, heißt fragen: ob Gott Gott ist? heißt über seinen Gott sich erheben, gegen ihn sich em- pören. Wo sich daher einmal das Bewußtsein des Menschen be- mächtigt, daß die religiösen Prädicate nur Anthropomorphis- men sind, da hat sich schon der Zweifel , der Unglaube des Glaubens bemächtigt. Und es ist nur die Inconsequenz der Herzensfeigheit und der Verstandesschwäche, die von diesem Bewußtsein aus nicht bis zur förmlichen Negation der Prädi- cate und von dieser bis zur Negation des zu Grunde liegenden Subjects fortgeht. Bezweifelst Du die objective Wahrheit der Prädicate, so mußt Du auch die objective Wahrheit des Subjects dieser Prädicate in Zweifel ziehen. Sind Deine Prädicate Anthropomorphismen, so ist auch das Subject der- selben ein Anthropomorphismus. Sind Liebe, Güte, Persön- lichkeit u. s. w. menschliche Bestimmungen, so ist auch das Subject derselben, welches Du ihnen voraussetzest, auch die Existenz Gottes, auch der Glaube, daß überhaupt ein Gott ist, ein Anthropomorphismus — eine durchaus menschliche Voraussetzung. Woher weißt Du, daß der Glaube an Gott überhaupt nicht eine Schranke der menschlichen Vorstellungs- weise ist? Höhere Wesen — und Du nimmst ja deren an — sind vielleicht so selig in sich selbst, so einig mit sich, daß sie sich nicht mehr in der Spannung zwischen sich und einem hö- hern Wesen befinden. Gott zu wissen und nicht selbst Gott zu sein, Seligkeit zu kennen und nicht selbst zu genießen, das ist ein Zwiespalt, ein Unglück. Höhere Wesen wissen nichts von diesem Unglück; sie haben keine Vorstellung von dem, was sie nicht sind. Du glaubst an die Liebe als eine göttliche Eigenschaft, weil Du selbst liebst, Du glaubst, daß Gott ein weises, ein gütiges Wesen ist, weil Du nichts Besseres von Dir kennst als Güte und Verstand, und Du glaubst, daß Gott existirt, daß er also Subject ist — was existirt, ist ein Subject, werde dieses Subject nun als Substanz oder Person oder Wesen oder sonstwie bestimmt und bezeichnet — weil Du selbst existirst, selbst Subject bist. Du kennst kein höheres menschliches Gut, als zu lieben, als gut und weise zu sein, und eben so kennst Du kein höheres Glück, als überhaupt zu existiren, Subject zu sein; denn das Bewußtsein aller Realität, alles Glückes ist Dir an das Bewußtsein des Subjectseins, der Existenz gebun- den. Gott ist Dir ein Existirendes, ein Subject aus demsel- ben Grunde, aus welchem er Dir ein weises, ein seliges, ein persönliches Wesen ist. Der Unterschied zwischen den göttli- chen Prädicaten und dem göttlichen Subject ist nur dieser, daß Dir das Subject, die Existenz nicht als ein Anthropo- morphismus erscheint , weil in diesem Deinem Subjectsein die Nothwendigkeit liegt, daß Dir Gott ein Existirendes, ein Subject ist, die Prädicate dagegen als Anthropomorphis- men erscheinen , weil die Nothwendigkeit derselben, die Nothwendigkeit, daß Gott weise, gut, bewußt u. s. w. ist, keine unmittelbare, mit dem Sein des Menschen identische, sondern durch sein Selbstbewußtsein, die Thätigkeit des Denkens ver- mittelte Nothwendigkeit ist. Subject bin ich, ich existire, ich mag weise oder unweise, gut oder schlecht sein. Existiren ist dem Menschen das Erste, das Subject in seiner Vorstellung, die Voraussetzung der Prädicate. Die Prädicate gibt er da- her frei, aber die Existenz Gottes ist ihm eine ausgemachte, unantastbare, schlechterdings unbezweifelbare, absolut gewisse, objective Wahrheit. Aber gleichwohl ist dieser Unterschied nur ein scheinbarer. Die Nothwendigkeit des Subjects liegt nur in der Nothwendigkeit des Prädicats. Du bist Subject nur als menschliches Subject. Die Gewißheit und Realität Deiner Existenz liegt nur in der Gewißheit und Realität Dei- ner menschlichen Eigenschaften. Was das Subject ist, das liegt nur im Prädicat; das Prädicat ist die Wahrheit des Subjects. Das Subject ist nun das personificirte, das existi- rende Prädicat. Subject und Prädicate unterscheiden sich nur wie Existenz und Wesen. Die Negation der Prädi- cate ist daher die Negation des Subjects . Was bleibt Dir vom menschlichen Subject übrig, wenn Du ihm die mensch- lichen Eigenschaften nimmst? Selbst in der Sprache des ge- meinen Lebens setzt man die göttlichen Prädicate: die Vorse- hung, die Weisheit, die Allmacht statt des göttlichen Subjects. Die Gewißheit der Existenz Gottes, von welcher man gesagt hat, daß sie dem Menschen so gewiß, ja gewisser, als die eigne Existenz sei, hängt daher nur ab von der Gewißheit der Qualität Gottes — sie ist keine unmittelbare Gewiß- heit. Dem Christen ist nur die Existenz des christlichen , dem Heiden die Existenz des heidnischen Gottes eine Ge- wißheit. Der Heide bezweifelte nicht die Existenz Jupiters, weil er an dem Wesen Jupiters keinen Anstoß nahm, weil er sich Gott in keiner andern Qualität vorstellen konnte, weil ihm diese Qualität eine Gewißheit, eine göttliche Realität war. Die Realität des Prädicats ist allein die Bürgschaft der Exi- stenz . Ein wahrer Atheist ist daher auch nur der, welchem die göttlichen Prädicate, die Liebe, die Weisheit, die Gerech- tigkeit Nichts sind, aber nicht der, welchem das Subject die- ser Prädicate Nichts ist. Wenn es nun aber ausgemacht ist, daß, was das Subject ist, lediglich in den Bestimmungen des Subjects liegt, d. h. daß das Prädicat es ist, wodurch das Subject uns allein in sei- nem Wesen Gegenstand ist; so ist auch erwiesen, daß, wenn die göttlichen Prädicate Bestimmungen des menschlichen We- sens sind, auch das Subject derselben menschlichen We- sens ist. Die göttlichen Prädicate sind aber einerseits allge- meine, andererseits persönliche. Die allgemeinen sind die me- taphysischen, aber diese dienen nur der Religion zum äußer- sten Anknüpfungspunkte; sie sind nicht die charakteristischen Bestimmungen der Religion. Die persönlichen Prädicate allein sind es, welche das Wesen der Religion constituiren, in welchen das göttliche Wesen der Religion Gegenstand ist. Solche Prädicate sind, z. B. daß Gott Person, daß er der moralische Gesetzgeber, der Vater der Menschen, der Heilige, der Gerechte, der Gütige, der Barmherzige ist. Es erhellt nun aber sogleich von diesen und andern Bestimmungen, oder wird wenigstens im Verlaufe erhellen, daß sie, namentlich als persönliche Bestimmungen, rein menschliche Bestimmungen sind und daß sich folglich der Mensch in der Religion im Ver- halten zu Gott zu seinem eignen Wesen verhält, denn der Religion sind diese Prädicate nicht Vorstellungen, nicht Bilder , die sich der Mensch von Gott macht, unterschieden von dem, was Gott an sich selbst ist, sondern Wahrheiten, Sachen, Realitäten. Die Religion weiß nichts von Anthro- pomorphismen: die Anthropomorphismen sind ihr keine An- thropomorphismen. Das Wesen der Religion ist gerade, daß ihr diese Bestimmungen das Wesen Gottes ausdrücken. Nur der über die Religion reflectirende, sie, indem er sie vertheidigt, vor sich selbst verläugnende Verstand erklärt sie für Bil- der. Aber der Religion ist Gott wirklicher Vater, wirk- liche Liebe und Barmherzigkeit, denn er ist ihr ein wirkliches, ein lebendiges, persönliches Wesen, seine wahren Bestimmun- gen sind daher auch lebendige, persönliche Bestimmungen. Ja die adäquaten Bestimmungen sind gerade die, welche dem Verstande den meisten Anstoß geben, welche er in der Reflexion über die Re- ligion verläugnet. Die Religion ist wesentlich Affect; noth- wendig ist ihr daher auch objectiv der Affect göttlichen Wesens. Selbst der Zorn ist ihr kein Gottes unwürdiger Affect, wofern nur diesem Zorne ein religiöser Zweck zu Grunde liegt. Quodsi (igitur) irae detrahatur imperfectio, quae in rationis ob- nubilatione dolorisque sensu consistit, tantumque vidicandi voluntas relinquatur, Deo tribui potest, scripturae sacrae exemplo. .... Omnis scil. affectus , exceptis illis, qui per se mali aliquid involvunt, qua- lis est invidia, quam veteres (nein! auch die Christen, nur nicht dem Namen nach) inepte diis suis tribuebant, si pro appetitu rationali ha- beatur, seposito nempe sensitivo tumulto, Deo adscribi potest. Leib- nitz L. ad Placcium . Es ist aber hier sogleich wesentlich zu bemerken, daß — und diese Erscheinung ist eine höchst merkwürdige, das innerste Wesen der Religion charakterisirende — je menschlicher im Wesen das göttliche Subject ist, um so größer scheinbar die Differenz ist, welche zwischen Gott und dem Menschen ge- setzt wird, um so mehr das Menschliche, wie es als solches dem Menschen Gegenstand seines Bewußtseins ist, negirt wird. Der Grund hievon ist: weil das Positive in der An- schauung des göttlichen Wesens allein das Menschliche, so kann die Anschauung des Menschen, wie er Gegenstand des Bewußtseins ist, nur eine negative sein. Um Gott zu be- reichern, muß der Mensch arm werden; damit Gott Alles sei, der Mensch nichts sein. Aber er braucht auch nichts für sich selbst zu sein, weil Alles, was er sich nimmt, in Gott nicht verloren geht, sondern in ihm erhalten wird. Der Mensch hat sein Wesen in Gott, wie sollte er es also in sich und für sich haben? Warum wäre es nothwendig, dasselbe zwei- mal zu setzen, zweimal zu haben? Je ähnlicher daher Gott in der Wahrheit dem Menschen ist, desto unähnlicher wird der Mensch Gott gemacht oder erscheint er sich selbst. Allein diese Selbstverneinung ist nur Selbstbejahung. Was der Mensch sich entzieht, was er an sich selbst entbehrt, genießt er nur in um so unvergleichlich höherem und reicheren Maaße in Gott. Die Mönche gelobten die Keuschheit dem göttlichen We- sen, sie negirten die Geschlechterliebe an sich, aber dafür hatten sie im Himmel, in Gott, an der Jungfrau Maria das Bild des Weibes — ein Bild der Liebe. Sie konnten um so mehr des wirklichen Weibes entbehren, je mehr ihnen ein ideales, vor- gestelltes Weib ein Gegenstand wirklicher Liebe war. Je größere Bedeutung sie auf die Negation der Sinnlichkeit legten, je größere Bedeutung hatte für sie die himmlische Jungfrau: sie trat ih- nen selbst an die Stelle Christi, an die Stelle Gottes. Je mehr das Sinnliche negirt wird, desto sinnlicher ist der Gott, dem das Sinnliche geopfert wird . Aber diese himmlische Jungfrau ist nur eine sinnfällige Erscheinung einer allgemeinen, das Wesen der Religion betreffenden Wahrheit. Der Mensch negirt nur von sich, was er in Gott setzt . So negirt der Mensch in der Religion seine Vernunft: er weiß nichts aus sich von Gott, seine Gedanken sind nur weltlich, irdisch: er kann nur glauben, was Gott ihm geoffenbart. Aber dafür sind die Gedanken Gottes menschliche, irdische Ge- danken; er hat Plane wie der Mensch im Kopf; er accomo- dirt sich den Umständen und Verstandeskräften, wie ein Lehrer seinen Schülern; er berechnet genau den Effect seiner Gaben und Offenbarungen; er beobachtet den Menschen in all seinem Thun und Treiben; er weiß Alles — auch das Irdischste, das Gemeinste, das Schlechteste. Kurz der Mensch negirt Gott gegenüber sein Wissen, sein Denken, um in Gott sein Wissen, sein Denken zu setzen. Der Mensch gibt seine Person auf, aber dafür ist ihm Gott, das allmächtige, unbeschränkte We- sen, ein persönliches Wesen; er negirt die menschliche Ehre, das menschliche Ich; aber dafür ist ihm Gott ein selbstisches, egoistisches Wesen , das in Allem nur sich, nur seine Ehre, seinen Nutzen sucht, Gott also die Selbstbefriedi- gung der eignen, gegen alles Andere mißgünstigen Selbstisch- keit, Gott der Selbstgenuß des Egoismus Gloriam suam plus amat Deus quam omnes creaturas . „Gott kann nur sich lieben, nur an sich denken, nur für sich selbst arbeiten. Gott sucht, indem er den Menschen macht, seinen Nutzen, seinen Ruhm“ u. s. w. S. P. Bayle . Ein Beitrag zur Geschichte der Philos. u. Menschh. p. 104 — 107. . Die Reli- gion negirt ferner das Gute als eine Beschaffenheit des mensch- lichen Wesens: der Mensch ist schlecht, verdorben, unfähig zum Guten; aber dafür ist Gott nur gut, Gott das gute Wesen. Es wird die wesentliche Forderung gemacht, daß das Gute als Gott dem Menschen Gegenstand sei; aber wird denn da- durch nicht das Gute als eine wesentliche Bestimmung des Menschen ausgesprochen? Wenn ich absolut, d. h. von Na- tur, von Wesen böse, unheilig bin, wie kann das Heilige, das Gute mir Gegenstand sein? gleichgültig ob dieser Gegenstand von Außen oder von Innen mir gegeben ist. Wenn mein Herz böse, mein Verstand verdorben ist, wie kann ich was hei- lig, als heilig, was gut, als gut wahrnehmen und empfin- den? Wie kann ich ein schönes Gemälde als schönes wahr- nehmen, wenn meine Seele eine absolute ästhetische Schlech- tigkeit ist? Wenn ich auch selbst kein Maler bin, nicht die Kraft habe, aus mir selbst Schönes zu produciren, so habe ich doch ästhetisches Gefühl, ästhetischen Verstand, indem ich Schö- nes außer mir wahrnehme. Entweder ist das Gute gar nicht für den Menschen, oder ist es für ihn, so offenbaret sich hierin dem einzelnen Menschen die Heiligkeit und Güte des mensch- lichen Wesens. Was absolut meiner Natur zuwider ist, wo- mit mich kein Band der Gemeinschaft verknüpft, das ist mir auch nicht denkbar, nicht empfindbar. Das Heilige ist mir nur als Gegensatz gegen meine Persönlichkeit, aber als Ein- heit mit meinem Wesen Gegenstand. Das Heilige ist der Vorwurf meiner Sündhaftigkeit; ich erkenne mich in ihm als Sünder; aber darin tadle ich mich, erkenne ich, was ich nicht bin, aber sein soll, und eben deßwegen an sich, meiner Be- stimmung nach, sein kann; denn ein Sollen ohne Können tangirt mich nicht, ist eine lächerliche Chimäre, ohne Affection des Gemüths. Aber eben indem ich das Gute als meine Be- stimmung, als mein Gesetz erkenne, erkenne ich, sei es nun be- wußt oder unbewußt, dasselbe als mein eignes Wesen. Ein anderes , seiner Natur nach von mir unterschiednes Wesen tangirt mich nicht. Die Sünde kann ich als Sünde nur em- pfinden, wenn ich sie als einen Widerspruch meiner mit mir selbst, d. h. meiner Persönlichkeit mit meiner Wesenheit empfinde. Als Widerspruch mit dem absoluten, als einem andern Wesen gedacht, ist das Gefühl der Sünde unerklärlich, sinnlos. Der Unterschied des Augustinianismus vom Pelagianis- mus beruht im Grunde nur auf einer religiösen Illusion. Beide sagen Dasselbe; nur der eine rationalistisch, der andere mystisch illusorisch; beide haben das nämliche Ziel, das näm- liche Object; nur kommt der eine in gerader und darum kürze- ster Linie zum Ziel, während der andere Umwege macht. So lange das Gute als eine Wesensbestimmung Gottes ausge- sprochen wird, so lange ist die augustinische Lehre eine Lüge, und ihr Unterschied vom Pelagianismus in der Grundbe- stimmung nur eine religiöse Illusion Eine Illusion, die aber, wie aus dieser Schrift sich ergibt, das eigen- thümliche Wesen der Religion, und daher insofern einen wesentlichen Unter- schied begründet. . Denn was dem Gott des Menschen gegeben wird, das wird in Wahrheit dem Menschen selbst gegeben; was der Mensch von Gott aussagt , das sagt er in Wahrheit von sich selbst aus . Der Augustinianismus wäre nur dann eine Wahrheit, wenn der Mensch den Teufel zu seinem Gotte hätte, den Teufel , und zwar mit dem Bewußtsein , daß er der Teufel ist, als sein höchstes Wesen verehrte und feierte. Aber so lange der Mensch ein gutes Wesen als Gott verehrt, so lange schaut er in Gott sein eignes gutes Wesen an. Wie mit der Lehre von der Grundverdorbenheit des mensch- lichen Wesens, ist es mit der damit identischen Lehre, daß der Mensch nichts Gutes, d. h. in Wahrheit Nichts aus sich selbst, aus eigner Kraft vermöge. So wie die Lehre von der Grundverdorbenheit des Menschen nur dann, wie eben gesagt, eine Wahrheit wäre, wenn der Mensch den Ausbund der Häßlichkeit mit Bewußtsein und Wohlgefallen als das Ideal der höchsten Schönheit und Liebenswürdigkeit, als sein Feuerbach . 3 wahres und höchstes Wesen verehrte und anbetete: so wäre die Negation der menschlichen Kraft und Thätigkeit nur dann eine wahre Negation, wenn der Mensch auch in Gott die mo- ralische Thätigkeit negirte und sagte, wie der orientalische Nihilist oder Pantheist: das göttliche Wesen ist ein absolut willen- und thatloses, indifferentes, nichts von Discrimen des Bösen und Guten wissendes Wesen. Aber wer Gott als ein thätiges Wesen bestimmt und zwar als ein moralisch thätiges, moralisch kritisches Wesen, als ein Wesen, welches das Gute liebt, wirkt, belohnt, das Böse bestraft, verwirft, verdammt, wer Gott so bestimmt, der negirt nur scheinbar die menschliche Thätigkeit, in Wahrheit macht er sie zur höchsten, reellsten Thätigkeit. Wer Gott menschlich handeln läßt, erklärt die menschliche Thätigkeit für eine göttliche; der sagt: ein Gott, der nicht thätig ist und zwar moralisch oder menschlich thätig, ist kein Gott und macht daher vom Begriffe der Thätigkeit, re- spective der menschlichen — denn eine höhere kennt er nicht — den Begriff der Gottheit abhängig. Was ich zu einer Eigen- schaft, einer Bestimmung Gottes mache, das habe ich schon vorher für etwas Göttliches erkannt. Eine Qualität ist nicht dadurch göttlich, daß sie Gott hat, sondern Gott hat sie, weil sie an und für sich, durch sich selbst göttlich ist, weil Gott nicht Gott ist, wenn sie ihm mangelt . Der Mensch — dieß ist das Geheimniß der Religion — vergegenständlicht sich sein Wesen und macht dann wieder sich zum Object die- ses vergegenständlichten, in ein Subject verwandelten Wesens; er denkt sich, ist sich Object, aber als Object eines Objects , eines andern Wesens. So hier. Der Mensch ist ein Object Gottes. Daß der Mensch gut oder schlecht, das ist Gott nicht gleichgültig; nein! er hat ein lebhaftes, inniges Interesse daran, daß er gut ist; er will, daß er gut, daß er selig sei — denn ohne Güte keine Seligkeit. Die menschlichen Gesinnun- gen und Handlungen sind also Gott nicht gleichgültig; sie sind Gegenstände Gottes, also göttliche Gegenstände, Gegenstände von höchstem Werthe und Interesse, weil sie für Gott Werth und Interesse haben. Die Nichtigkeit der menschlichen Thä- tigkeit widerruft also der religiöse Mensch wieder dadurch, daß er seine Gesinnungen und Handlungen zu einem Gegenstande Gottes, den Menschen zum Zweck Gottes — denn was Ge- genstand im Geiste, ist Zweck im Handeln — die göttliche Thätigkeit zu einem Mittel des menschlichen Heils macht. Gott wirkt auf den Menschen, ist thätig, damit der Mensch gut und selig werde. So wird der Mensch, indem er schein- bar aufs Tiefste erniedrigt wird, in Wahrheit aufs Höchste erhoben! Der Mensch bezweckt sich selbst in und durch Gott . Der Mensch bezweckt Gott, aber Gott bezweckt nichts, als das moralische und ewige Heil des Menschen, also be- zweckt der Mensch nur sich selbst. Die göttliche Thätigkeit un- terscheidet sich nicht von der menschlichen. Wie könnte aber auch die göttliche Thätigkeit auf mich als ihr Object, ja in mir selber wirken, wenn sie eine andere, eine wesentlich andere wäre, wie einen menschlichen Zweck haben, den Zweck, den Menschen zu bessern, zu beglücken, wenn sie nicht selbst eine menschliche wäre? Bestimmt der Zweck nicht die Handlung? Wenn der Mensch seine moralische Besserung sich zum Zwecke setzt, so hat er göttliche Entschlüsse, göttliche Vorsätze, wenn aber Gott des Menschen Heil bezweckt, so hat er menschliche Zwecke und diesen Zwecken entsprechende mensch- liche Thätigkeit. So ist dem Menschen in Gott nur seine eigene Thätigkeit Gegenstand . Aber weil er die eigne 3* Thätigkeit nur als eine objective , das Gute nur als Object anschaut, so empfängt er nothwendig auch den Impuls , den Antrieb nicht von sich selbst, sondern von diesem Object . Er schaut sein Wesen außer sich und dieses Wesen als das Gute an; es versteht sich also von selbst, es ist nur eine Tautologie, daß ihm der Impuls zum Guten auch nur daher kommt, wo- hin er das Gute verlegt. Gott ist das ab - und ausgesonderte subjectivste Wesen des Menschen, also kann er nicht aus sich handeln, also kommt alles Gute aus Gott. Je subjectiver Gott ist, desto mehr entäußert der Mensch sich seiner Subjectivität , weil Gott per se sein entäußertes Selbst ist, welches er aber doch zu- gleich sich wieder vindicirt. Wie die arterielle Thätigkeit das Blut bis in die äußersten Extremitäten treibt, die Venenthätig- keit wieder zurückführt, wie das Leben überhaupt in einer fort- währenden Systole und Diastole besteht, so auch die Religion. In der religiösen Systole stößt der Mensch sein eignes Wesen von sich aus, er verstößt, verwirst sich selbst; in der religiösen Diastole nimmt er das verstoßne Wesen wieder in sein Herz auf. Gott nur ist das aus sich handelnde, aus sich thätige Wesen — dieß ist der Act der religiösen Repulsionskraft, Gott ist das in mir, mit mir, durch mich, auf mich, für mich handelnde Wesen, das Princip meines Heils, meiner guten Gesinnungen und Handlungen, folglich mein eignes gutes Princip und Wesen — dieß ist der Act der religiösen Attrac- tionskraft. Erster Theil . Die Religion in ihrer Uebereinstimmung mit dem Wesen des Menschen. Gott als Gesetz oder als Wesen des Verstandes. Die Religion ist das bewußtlose Selbstbewußtsein des Menschen. In der Religion ist dem Menschen sein eignes Wesen Gegenstand, ohne daß er weiß, daß es das seinige ist; das eigne Wesen ist ihm Gegenstand als ein andres We- sen . Die Religion ist die Entzweiung des Menschen mit sich: er setzt sich Gott als ein ihm entgegengesetztes Wesen gegenüber. Gott ist nicht , was der Mensch ist — der Mensch nicht , was Gott ist. Gott ist das unendliche, der Mensch das endliche Wesen, Gott vollkommen, der Mensch unvollkom- men, Gott ewig, der Mensch zeitlich, Gott allmächtig, der Mensch unmächtig, Gott heilig, der Mensch sündhaft. Gott und Mensch sind Extreme: Gott das schlechthin Positive, der Inbegriff al- ler Realitäten, der Mensch das schlechtweg Negative, der In- begriff aller Nichtigkeiten. Aber der Mensch vergegenständlicht in der Religion sein eignes geheimes Wesen. Es muß also nachgewiesen werden, daß auch dieser Gegensatz, dieser Zweispalt, mit welchem die Religion anhebt, ein Zwiespalt des Menschen mit sei- nem eignen Wesen ist. Die innere Nothwendigkeit dieses Beweises ergibt sich übrigens schon daraus, daß, wenn wirklich das göttliche We- sen, welches Gegenstand der Religion ist, ein andres wäre, als das menschliche, eine Entzweiung, ein Zwiespalt gar nicht statt finden könnte. Ist Gott wirklich ein andres Wesen, was kümmert mich seine Vollkommenheit? Entzweiung findet nur statt zwischen Wesen, welche mit einander zerfallen sind, aber Eins sein sollen, Eins sein können und folglich im We- sen, in Wahrheit Eins sind. Es muß also schon aus diesem allgemeinen Grunde das Wesen, mit welchem sich der Mensch entzweit fühlt, ein ihm eingebornes Wesen sein, obwohl es zugleich anderer Beschaffenheit sein muß, als das Wesen oder die Kraft, welche ihm das Gefühl, das Bewußtsein der Einheit, der Versöhnung mit Gott oder, was eins ist, mit sich selbst gibt. Dieses Wesen ist die Intelligenz — der Verstand Absichtlich wird hier der in neuerer Zeit mit Unrecht so zurückge- setzte Verstand als Ausdruck der Intelligenz überhaupt genommen, weil dieser Ausdruck ein höchst scharfer, bestimmter, pikanter und doch zugleich populärer ist. . Gott als Extrem des Menschen gedacht, ist das objective Wesen des Verstandes . Das reine, vollkommne, mangellose gött- liche Wesen ist das Selbstbewußtsein des Verstandes , das Bewußtsein des Verstandes von seiner eignen Vollkom- menheit . Der Verstand weiß nichts von den Leiden des Herzens; er hat keine Begierden, keine Leidenschaften, keine Bedürfnisse und eben darum keine Mängel und Schwächen, wie das Herz. Reine Verstandesmenschen, Menschen, die uns das Wesen des Verstandes personificiren und versinnbildlichen, sind enthoben den Gemüthsqualen, den Passionen, den Exces- sen der Gefühlsmenschen; sie sind für keinen endlichen, d. i. be- stimmten Gegenstand leidenschaftlich eingenommen; sie „ver- pfänden“ sich nicht; sie sind frei. „Nichts bedürfen,“ „nicht sich den Dingen, sondern die Dinge sich unterwerfen,“ „Alles ist eitel,“ diese und ähnliche Sätze sind Mottos von Verstan- desmenschen. Der Verstand ist das neutrale, apathische, unbe- stechliche, unverblendete Wesen in uns — das reine affectlose Licht der Intelligenz. Der Verstand ist das kategorische rück- sichtslose Bewußtsein der Sache als Sache , weil er selbst objectiver Natur, das Bewußtsein des Widerspruchlosen , weil er selbst widerspruchslose Einheit, die Quelle der logischen Identität ist, das Bewußtsein des Gesetzes , der Nothwen- digkeit , der Regel , des Maaßes , weil er selbst Gesetzesthä- tigkeit, die Nothwendigkeit der Natur der Dinge als Selbst- thätigkeit , die Regel der Regeln, das absolute Maaß, das Maaß der Maaße ist. Durch den Verstand nur kann der Mensch im Widerspruch mit seinen theuersten persönlichen und menschlichen Gefühlen urtheilen und handeln, wenn es also der Verstandesgott, das Gesetz gebietet. Der Vater, welcher seinen eignen Sohn, weil er ihn schuldig erkannt, als Richter zum Tode selbst verurtheilt, vermag dieß nur als Verstandes- nicht als Gefühlsmensch. Der Verstand zeigt uns die Fehler selbst unsrer Geliebten — selbst unsre eignen. Er versetzt uns deßwegen so oft in peinliche Collision mit uns selbst, mit unserm Herzen. Wir wollen dem Verstande nicht Recht lassen: wir wollen nicht aus Schonung, aus Nachsicht das wahre, aber harte, aber rücksichtslose Urthel des Verstandes vollstrecken. Der Verstand ist das eigentliche Gattungsvermögen — das Herz vertritt die besondern Angelegenheiten, die Indi- viduen , der Verstand die allgemeinen Angelegenheiten; er ist die übermenschliche, unpersönliche Kraft oder Wesen- heit im Menschen. Nur durch den Verstand und in dem Ver- stande hat der Mensch die Kraft, von sich selbst , d. h. von seinem subjectiven Wesen zu abstrahiren, sich zu erheben zu all- gemeinen Begriffen und Verhältnissen, den Gegenstand zu un- terscheiden von den Eindrücken, die er auf das Gemüth macht, ihn an und für sich selbst , ihn ohne Beziehung auf den Menschen zu betrachten. Die Philosophie, die Mathematik, die Astronomie, die Physik, kurz die Wissenschaft überhaupt, ist der thatsächliche Beweis, weil das Product, dieser in Wahrheit unendlichen und göttlichen Thätigkeit. Dem Verstande wider- sprechen daher auch die religiösen Anthropomorphis- men ; er negirt sie von Gott. Aber dieser anthropomor- phismenfreie, rücksichtslose, affectlose Gott ist nichts andres, als das eigne gegenständliche Wesen des Ver- standes . Das Wesen des Verstandes, wie es dem Menschen in- nerhalb der Religion Gegenstand wird, ist Gott als allge- meines, unpersönliches, abstractes, d. i. metaphysi- sches Wesen, Gott als Gott, Gott als Gegensatz der mensch- lichen Nichtigkeit. Aber dieses Wesen hat für die Religion nicht mehr Bedeutung, als für eine besondere Wissenschaft ein allgemeiner Grundsatz, von welchem sie anhebt: es ist nur der oberste, letzte Anhalts- und Anknüpfungspunkt, gleichsam der mathematische Punkt der Religion. Das Bewußtsein der mensch- lichen Nichtigkeit, welches sich mit dem Bewußtsein dieses We- sens verbindet, ist keineswegs ein religiöses Bewußtsein; es bezeichnet vielmehr den Skeptiker, den Materialisten, den Na- turalisten, den Pantheisten. Der Skeptiker, der Materialist verliert den Glauben an Gott — wenigstens den Gott der Religion — weil er den Glauben an den Menschen , we- nigstens den Menschen der Religion , verliert. So wenig es daher der Religion mit der menschlichen Nichtigkeit Ernst ist und sein kann, so wenig ist ihr Ernst mit dem Wesen, wel- ches eins ist mit dem Bewußtsein dieser Nichtigkeit. Ernst ist es der Religion nur mit den Bestimmungen, welche dem Men- schen das Wesen des Menschen und zwar das subjective We- sen, sein Gemüth vergegenständlichen. Es liegt wohl im Interesse der Religion, daß das Wesen, welches ihr Gegenstand, ein andres sei als der Mensch; aber es liegt eben so, ja noch mehr in ihrem Interesse, daß dieses andre Wesen zugleich ein menschliches sei. Daß es ein andres sei, dieß betrifft nur die Existenz , daß es aber ein menschliches sei, die innere Wesenheit desselben. Wenn es ein andres dem Wesen nach wäre, was könnte dem Menschen an seinem Sein oder Nichtsein gelegen sein? Wie könnte er an der Existenz desselben so inniges Interesse nehmen, wenn nicht sein eignes Wesen dabei betheiligt wäre? Der Mensch verhält sich in der Religion zum Wesen des Menschen als ei- nem andern Wesen, aber eben so verhält er sich wieder zu diesem andern als dem eignen Wesen. Er will, daß Gott sei, aber eben so will er, daß er sein Gott, ein Wesen für ihn , ein menschliches Wesen sei. Ein specielles , aber gleichwohl allgemeingültiges Bei- spiel bestätige dieß. „Wenn ich das glaube, daß allein die menschliche Natur für mich gelitten hat, so ist mir der Christus ein schlechter Heiland , so bedarf er wohl selbst ei- nes Heilandes.“ Es wird also über den Menschen hinaus- gegangen, ein andres vom Menschen unterschiednes Wesen aus Heilsbedürfniß postulirt. Aber so wie dieses andre Wesen gesetzt ist, so entsteht auch sogleich das Verlangen des Men- schen nach sich selbst , nach seinem Wesen, so wird auch so- gleich der Mensch wieder gesetzt. „Hie ist Gott, der nicht Mensch ist und noch nie Mensch worden. Mir aber des Gottes nicht .... Es sollt mir ein schlechter Christus bleiben, der .... allein ein bloßer abgesonderter Gott und göttliche Person .... ohne Menschheit . Nein Ge- sell, wo Du mir Gott hinsetzest, da mußt Du mir die Menschheit mit hinsetzen .“ Luther . Concordienbuch. Art. 8. Erklär. Der Mensch will in der Religion sich in Gott befriedi- gen. Aber wie könnte er in ihm Trost und Frieden finden, wenn er ein wesentlich andres Wesen wäre? Wie kann ich den Frieden eines Wesens theilen, wenn ich nicht seines We- sens bin? Wenn sein Wesen ein andres, so ist auch sein Friede ein wesentlich andrer , kein Frieden für mich . Wie kann ich also seines Friedens theilhaftig werden, wenn ich nicht seines Wesens theilhaftig werden kann, wie aber seines Wesens theilhaftig werden, wenn ich wirklich andern Wesens bin? Frieden empfindet alles was lebt nur in seinem eignen Wesen, nur in seinem eignen Element. Empfindet also der Mensch Frieden in Gott, so empfindet er ihn nur, weil Gott erst sein wahres Wesen, weil er hier erst bei sich selbst ist, weil Alles, worin er bisher Frieden suchte und was er bisher für sein Wesen nahm, ein andres fremdes Wesen war. Und soll und will daher der Mensch in Gott sich befriedigen, so muß er Sich in Gott finden. Ein Gott, welcher nur das objective Wesen des Ver- standes ausdrückt, befriedigt darum nicht die Religion, ist nicht der Gott der Religion. Der Verstand interessirt sich nicht nur für den Menschen, sondern auch für die Wesen au- ßer dem Menschen, für die Natur . Der Verstandes- mensch vergißt sogar über der Natur sich selbst. Die Christen verspotteten die heidnischen Philosophen, weil sie statt an sich, an ihr Heil, nur an die Dinge außer ihnen gedacht hätten. Der Christ denkt nur an sich Ate incipiat cogitatio tua et in te finiatur, nec frustra in alia distendaris, te neglecto. Praeter salutem tuam nihil cogites. De int. Domo . (Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard). Si te vigilanter homo attendas, mirum est, si ad aliud unquam inten- das . Divus Bernardus (Tract. de XII gradibus humil. et superbiae.) . Der Verstand betrachtet mit demselben Enthusiasmus den Floh, die Laus, als das Ebenbild Gottes, den Menschen. Nicht der Religionsbegei- sterung, dem Verstandesenthusiasmus verdanken wir das Dasein einer Botanik, einer Zoologie, einer Mineralogie, ei- ner Astronomie. — Kurz der Verstand ist ein universa- les, pantheistisches Wesen, die Liebe zum Universum , aber die Religion, insbesondere die christliche, ein durchaus anthropotheistisches Wesen, die Liebe des Menschen zu sich selbst , die ausschließliche Selbstbejahung des menschlichen und zwar des subjectiv menschlichen Wesens; denn allerdings bejaht auch der Verstand das Wesen des Men- schen, aber das objective, das auf den Gegenstand um des Gegenstandes willen sich beziehende Wesen, dessen Darstellung eben die Wissenschaft ist. Es muß auch noch etwas ganz Andres, als das Wesen des Verstandes, dem Menschen in der Religion Gegenstand werden, wenn er sich in ihr befriedigen soll und will, und dieses Etwas wird und muß den eigentli- chen Kern der Religion enthalten. Die in der Religion, zumal der christlichen, vor allen an- dern objectiven Bestimmungen hervortretende Verstandes- oder Vernunftbestimmung ist diejenige, welche, indem sie Gott vom Menschen unterscheidet, unmittelbar zugleich eine wesentliche Beziehung auf den Menschen ausdrückt. Diese Bestimmung ist die der moralischen Vollkommenheit . Gott ist der Religion als moralisch vollkommnes Wesen Gegenstand. Gott wohnt nur in einem reinen Herzen; nur dem reinen Sinne ist er zugänglich. Warum, wenn er nicht selbst das reine mora- lische Wesen ist? Nihil est autem quod hominem adeo Deo dissimilem faciat, quemadmodum peccatum. Augustin . (bei Petrus Lombardus Sent. I. II. dist. 35. c. 7.) Qui innocentiam colit, Domino supplicat, qui justi- tiam, Deo libat; qui fraudibus abstinet, propitiat Deum, qui hominem pe- riculo subripit, opimam victimam caedit. Haec nostra sacrificia, haec Dei sacra sunt: sic apud nos religiosior est ille qui justior. M. Minu. Felicis Octav . c. 32. Uebrigens finden sich ähnliche Gedanken genug auch bei den sogenannten Heiden. Die Sünde ist ein Widerspruch mit dem göttlichen Wesen — in der Sprache der Religion, die Alles personificirt: Gott haßt die Sünde, sie ist ihm zuwider. War- um ist sie aber ein Widerspruch mit dem göttlichen Wesen? weil sie die Natur des Menschen ist? weil sie in seinem Wesen liegt? Mit Nichten. Wenn der Mensch in der Sünde seiner Natur gemäß handelte, so handelte er, wie er handeln soll, so wäre seine Sünde ein comme il faut, ein Wohlklang, kein Mißton in der Welt. Also widerspricht nur die Sünde dem göttlichen Wesen, weil sie dem menschlichen Wesen , dem, was der Mensch sein soll, sein kann, widerspricht. Die Sünde beleidigt Gott, weil sie des Menschen Wesen beleidigt. Wäre das göttliche Wesen ein andres, vom menschlichen unterschie- denes, so könnte die Sünde, wie schon entwickelt, keinen Wi- derspruch gegen das göttliche Wesen ausdrücken; sie wäre demselben absolut indifferent. Der Widerspruch der Sünde mit Gott ist daher nur der Widerspruch des individuellen Men- schen mit seinem Wesen. Das religiöse Bewußtsein setzt sein eignes Wesen sich als Object entgegen, als mangel- und sünd- loses, vollkommen heiliges Wesen — es ist sein eignes We- sen, denn es ist das Gesetz des Menschen, es stellt die Forde- rung an ihn zu sein, wie es selbst ist: „Heilig ist Gott, ihr sollt heilig sein wie Gott;“ sein eignes Gewissen , denn wie könnte es sonst vor diesem Wesen erzittern, wie vor ihm sich anklagen, wie es zum Richter seiner innersten Gedanken und Gesinnungen machen? Aber es wird angeschaut als ein andres objectives Wesen. Indem nun der religiöse Mensch sein Wesen sich entgegensetzt als absolut heiliges Wesen, em- pfindet er sich, wie er ist, wie er sich seiner bewußt ist, im Wi- derspruch mit diesem Wesen, nicht entsprechend dieser Forderung, diesem Gesetze, ihm zu gleichen, als unvollkommen, als sünd- haft. Der Mensch ist entzweit mit seinem eignen Wesen; er ist nicht , wie er sein soll und folglich sein kann, und in die- sem Zwiespalt fühlt er sich unglücklich, nichtig, verdammt, um so mehr, als ihm in der Religion das moralische Gesetz nicht nur als Gesetz und als sein eignes, wahres Wesen, sondern als ein andres persönliches Wesen Gegenstand ist, welches die Sünder haßt, von seiner Gnade, der Quelle alles Heils und Glücks ausschließt. Das Bewußtsein der moralischen Vollkommenheit ist herz- los , denn es ist das Bewußtsein meiner persönlichen Nich- tigkeit und zwar der allerempfindlichsten, der moralischen Nichtigkeit. Das Bewußtsein der göttlichen Allmacht und Ewigkeit im Gegensatze zum Bewußtsein meiner Beschränkt- heit in Zeit und Kraft thut mir nicht wehe; denn die Allmacht, die Ewigkeit ist für mich nicht das Gesetz, selbst ewig, selbst allmächtig zu sein. Aber der moralischen Vollkommenheit kann ich mir nicht bewußt werden, ohne derselben zugleich als eines Gesetzes für mich bewußt zu werden, denn das Bewußtsein der moralischen Vollkommenheit ist im Grunde nichts andres als das Bewußtsein dessen, was ich sein soll . Die morali- sche Vollkommenheit hängt, wenigstens für das moralische Be- wußtsein, nicht von der Natur, sondern vom Willen ab; sie ist eine Willensvollkommenheit, der vollkommne Wille. Den vollkommnen Willen, den Willen, der eins mit dem Gesetze, der selbst Gesetz ist, kann ich nicht denken, nicht mir vorstellen, ohne ihn zugleich als Willensobject, d. h. als Sollen für mich zu denken. Kurz die Vorstellung des moralisch vollkommnen Wesens ist keine nur theoretische, friedliche, sondern zugleich praktische, zur Handlung, zur Nacheiferung auffordernde, mich in Spannung, Differenz, Zwiespalt mit mir selbst versetzende Vorstellung; denn indem sie mir zuruft: was ich sein soll, sagt sie mir zugleich ohne alle Schmeichelei ins Gesicht: was ich nicht bin . Aber in dieser Zwietracht mit sich selbst kann es der Mensch nicht aushalten; er empfindet vielmehr das dringende Bedürf- niß, den unheilvollen Zwiespalt zwischen sich, dem Sünder, und dem vollkommnen Wesen aufzuheben. Der Gedanke des schlechthin vollkommnen Wesens läßt den Menschen kalt und leer , weil er die Lücke zwischen sich und diesem Wesen ge- wahrt, fühlt; d. h. er widerspricht dem menschlichen Her- zen . Der Mensch muß daher nicht nur die Macht des Ge- setzes, das Wesen des Verstandes, er muß auch die Macht der Liebe , das Wesen des Herzens bejahen, vergegen- ständlichen, wenn er anders in der Religion sich befriedigen, zur Ruhe kommen will und soll. Der Verstand urtheilt nur nach der Strenge des Gesetzes; das Herz accommodirt sich, ist nachsichtig, rücksichtsvoll, billig, κατ̕ ἄνϑϱωπον. Dem Gesetze, das nur die moralische Voll- kommenheit uns vorhält, genügt Keiner, aber darum genügt auch nicht das Gesetz dem eigentlichen Menschen im Men- schen, dem Herzen. Das Gesetz verdammt; das Herz erbarmt sich auch des Sünders. Das Herz gibt mir das Bewußtsein, daß ich Mensch bin, das Gesetz nur das Bewußtsein, daß ich nichtig, daß ich Sünder bin Omnes peccavimus . ..... Parricidae cum lege coeperunt et illis facinus poena monstravit. Seneca . . Wodurch also erlöst sich der Mensch von der Pein des Sündenbewußtseins, von der Qual des Nichtigkeitsgefühles? wodurch stumpft er der Sünde ihren tödtlichen Stachel ab? Nur dadurch, daß er sich des Herzens , der Liebe als der höchsten , als der absoluten Macht und Wahrheit be- wußt wird, daß er das göttliche Wesen nicht nur als Gesetz, als moralisches Wesen, als Verstandeswesen, sondern vielmehr als ein liebendes, herzliches, selbst subjectiv mensch- liches Wesen anschaut . Die Liebe ist der Terminus medius, das substanzielle Band, das Vermittelungsprincip zwischen dem Vollkommnen und Unvollkommnen, dem sündlichen und sündhaften Wesen, dem Allgemeinen und Individuellen, dem Gesetz und dem Herzen, dem Göttlichen und Menschlichen. Die Liebe ist Gott selbst und außer ihr ist kein Gott. Die Liebe macht den Menschen zu Gott und Gott zum Menschen. Die Liebe stärket das Schwache und schwächet das Starke, erniedrigt das Hohe und erhöhet das Niedrige, idealisirt die Materie und materialisirt den Geist. Die Liebe ist die wahre Einheit von Mensch und Gott, Natur und Geist. In der Liebe ist die gemeine Natur Geist und der vornehme Geist Materie. Lieben heißt vom Geiste aus: den Geist, von der Materie aus: die Materie ne- giren. Liebe ist Materialismus. Immaterielle Liebe ist ein Unding. Aber zugleich ist die Liebe der Idealismus der Natur Der Unterschied zwischen dem Idealismus — wenigstens dem wah- ren, naturbegründeten Idealismus — und dem Materialismus ist nur die- ser, daß jener ein geist- und sinnvoller Materialismus, dieser aber, der gewöhnlich so genannte Materialismus aber geistloser Materialismus ist. . Liebe ist Esprit . Nur die Liebe macht die Nach- tigall zur Sängerin; nur die Liebe schmückt die Befruchtungs- werkzeuge der Pflanze mit einer Blumenkrone. Und welche Wunder thut nicht die Liebe selbst in unserm gemeinen bürger- lichen Leben! Was der Glaube, die Confession, der Wahn trennt, verbindet die Liebe. Selbst unsre hohe Noblesse iden- tificirt humoristisch genug die Liebe mit dem bürgerlichen Pö- bel. Was die alten Mystiker von Gott sagten, daß er das höchste und doch das gemeinste Wesen sei, das gilt in Wahr- heit von der Liebe, und zwar nicht einer erträumten, imaginä- ren Liebe, nein! von der wirklichen Liebe, von der Liebe, die Fleisch und Blut hat, von der Liebe, die alle lebendigen Wesen als eine allgemeine Macht durchbebt. Das Geheimniß der Incarnation oder Gott als Liebe, als Herzenswesen. Das Bewußtsein der Liebe ist es, wodurch sich der Mensch mit Gott oder vielmehr mit sich, mit seinem Wesen, welches er im Gesetz als ein andres Wesen sich gegenüberstellt, ver- söhnt. Die Anschauung, das Bewußtsein der göttlichen Liebe, oder, was eins ist, Gottes als eines selbst menschlichen Wesens — diese Anschauung ist das Geheimniß der Incarnation . Die Incarnation ist nichts andres als die thatsächliche sinnliche Erscheinung von der menschlichen Na- tur Gottes. Die Incarnation war nur eine Folge der gött- lichen Liebe und Barmherzigkeit. Seinetwegen ist Gott nicht Mensch geworden. Die Noth, das Bedürfniß des Menschen — ein Bedürfniß, das übrigens heute noch ein Bedürfniß des religiösen Gemüths — war der Grund der Incarnation. Aus Barmherzigkeit wurde er Mensch — er war also schon in sich selbst ein menschlicher Gott, ehe er wirklicher Mensch wurde; denn er fühlte das menschliche Bedürfniß; es ging ihm das menschliche Elend zu Herzen. Die Incarnation war eine Thräne des göttlichen Mitleids, also nur eine Erscheinung ei- nes menschlich fühlenden, darum wesentlich menschlichen We- sens. Wenn der menschgewordne Gott in der Incarnation als das Erste gesetzt und betrachtet wird, so erscheint freilich die Menschwerdung Gottes als ein unerwartetes, frappirendes, wunderbares, geheimnißvolles Ereigniß. Allein der mensch- gewordne Gott ist nur die Erscheinung des gottgeword- nen Menschen, was freilich im Rücken des religiösen Be- wußtseins liegt; denn der Herablassung Gottes zum Men- schen geht nothwendig die Erhebung des Menschen zu Gott vorher. Der Mensch war schon in Gott, war schon Gott selbst , ehe Gott Mensch wurde. Wie hätte sonst Gott Mensch werden können? Ex nihilo nil fit . Ein Gott, der sich nicht um Menschliches kümmert, wird nicht um des Menschen willen Mensch werden. Ein König, der nicht auf seinem Herzen das Wohl seiner Unterthanen trägt, der nicht schon auf dem Throne mit seinem Geiste in den Wohnungen derselben weilt, nicht schon in seiner Gesinnung, wie das Volk spricht, ein gemei- Feuerbach . 4 ner Mann ist, ein solcher König wird auch nicht körperlich von seinem Throne herabsteigen, um seine Untergebenen zu be- glücken mit seiner persönlichen Gegenwart. Ist also nicht schon der Unterthan zum König emporgestiegen, ehe der König zum Unterthan herabsteigt? Und wenn sich der Unterthan durch die persönliche Gegenwart seines Königs geehrt und beglückt findet, bezieht sich dieses Gefühl nur auf diese sichtbare Erschei- nung als solche, oder nicht vielmehr auf die Erscheinung der Gesinnung, des menschenfreundlichen Wesens, welches der Grund dieser Erscheinung ist? Das Tiefe, d. h. das Widersprechende, das Unbegreifliche, welches man in dem Satze: Gott ist oder wird Mensch, fin- det, kommt nur daher, daß man den Begriff oder die Bestim- mungen des allgemeinen, uneingeschränkten, d. i. lediglich me- taphysischen Wesens mit dem Begriffe oder den Bestimmungen des religiösen Gottes unmittelbar verbindet oder vielmehr vermischt — eine Vermischung, die überhaupt die Einsicht in das Wesen der Religion erschwert. Aber es handelt sich in der That nur um die menschliche Gestalt eines Gottes, der schon ein Wesen , im tiefsten Grunde seiner Seele ein barm- herziger, d. i. menschlicher Gott ist. In der kirchlichen Lehre wird dieß so ausgedrückt, daß es nicht die erste Person der Gottheit, sondern die zweite ist, welche sich incarnirt — die zweite Person, welche die Welt geschaffen, welche der zum Menschen redende Gott ist, welche den Menschen in und vor Gott vertritt S. hierüber z. B. Tertullian . adv. Praxeam c. 15. 16. , kurz nichts andres als der göttliche Mensch ist — die zweite Person, die aber fürwahr, wie sich zeigen wird, der eigentliche Gott, die wahre , erste Person der Religion ist. Und nur ohne diesen Termi- nus medius, welcher aber der Terminus a quo der Incarna- tion, erscheint die Incarnation unbegreiflich, mysteriös, „specu- lativ,“ während sie im Zusammenhang mit demselben eine sich von selbst verstehende Folge ist. Die Behauptung daher, daß die Incarnation eine rein empirische Thatsache sei, von der man nur aus der Offenbarung Kunde erhalte, ist eine Aeuße- rung des stupidesten religiösen Materialismus, denn die In- carnation ist ein Schlußsatz, der auf einer sehr begreiflichen Prämisse beruht. Aber eben so verkehrt ist es, wenn man aus puren speculativen, d. i. metaphysischen Gründen die Incar- nation der kirchlichen, orthodoxen Theologie deduciren will, denn die Metaphysik gehört nur der ersten Person an, welche sich nicht incarnirt, keine dramatische Person ist. Aus diesem Exempel erhellt, wie sich die genetisch-kri- tische , die speculativ-rationelle oder speculativ-empirische Methode, die Methode der pneumatischen Wasserheilkunde, von der purlautern speculativen Methode unterscheidet. Die gene- tisch-kritische oder speculativ-rationelle Methode philosophirt nicht über die Menschwerdung als ein besonderes, stupen- des Mysterium, wie die vom mystischen Schein verblendete Speculation; sie zerstört vielmehr die Illusion, als stecke ein ganz besondres Geheimniß dahinter, sie kritisirt das Dogma und reducirt es auf seine natürlichen Elemente , auf seinen innern Ursprung — auf die Liebe . Der Mittelpunkt der In- carnationslehre, des mystischen „ Gottmenschen “ ist die Liebe Gottes zum Menschen; inwiefern Gott den Menschen liebt, Gott an den Menschen denkt, Gott für den Menschen fürsorgt, ist er schon Mensch ; Gott begibt schon in sich seiner Gottheit, entäußert, anthropomorphirt sich, indem er liebt. 4* Die wirkliche Incarnation ist nun das geistliche Argument ad hominem von dieser innerlichen wesentlichen Menschheit Gottes. Das Dogma aber oder die Religion stellt uns zweierlei dar: Gott und die Liebe . Gott ist die Liebe; was heißt aber das? Ist Gott noch Etwas außer der Liebe? ein von der Liebe unterschiedenes Wesen? Ist es so viel, als wie ich auch von einer menschlichen Person im Affect ausrufe: sie ist die Liebe selbst? Allerdings; sonst müßte ich den Namen: Gott, der ein besondres persönliches Wesen, ein Subject im Unter- schiede von Prädicat ausdrückt, fahren lassen. Also wird die Liebe zu etwas Besondren gemacht. Gott hat aus Liebe seinen eingebornen Sohn gesandt. Die Liebe wird so zurück und herabgesetzt, verfinstert durch den dunkeln Hintergrund: Gott. Sie wird nur zu einer persönlichen, wenn auch wesen- bestimmenden Eigenschaft; sie behält daher im Geiste und Ge- müthe, objectiv und subjectiv, den Rang nur eines Prädicats, nicht des Subjects, nicht der Substanz; sie verschiebt sich mir als eine Nebensache, ein Accidenz aus den Augen; bald tritt sie als etwas Wesentliches vor mich hin; bald verschwindet sie mir wieder. Gott erscheint mir auch noch in andrer Gestalt, als in der der Liebe, auch in der Gestalt der Allmacht, einer finstern, nicht durch die Liebe gebundnen Macht, einer Macht, an der auch, wenn gleich in geringerem Maaße, die Dämone, die Teufel participiren. So lange die Liebe nicht zur Substanz, zum Wesen selbst erhoben wird, so lange lauert im Hintergrunde der Liebe ein Subject, das auch ohne Liebe noch Etwas für sich ist, ein liebloses Ungeheuer, ein dämonisches Wesen, dessen von der Liebe unterscheidbare und wirklich unterschiedene Per- sönlichkeit an dem Blute der Ketzer und Ungläubigen sich ergötzt — das Phantom des religiösen Fanatismus . Aber gleichwohl ist das Wesentliche in der Incarnation, ob- wohl noch gebunden an die Nacht des religiösen Bewußtseins, die Liebe. Die Liebe bestimmte Gott zur Entäußerung seiner Gottheit So, in diesem Sinne feierte der alte unbedingte begeisterungsvolle Glaube die Incarnation. Amor triumphat de Deo, sagt der heil. Bernhard. Und nur in der Bedeutung einer wirklichen Selbstentäußerung, Selbstver- läugnung der Gottheit liegt die Realität, die Vis der Incarnation, wenn gleich diese Selbstnegation nur eine Phantasievorstellung ist, denn bei Lichte betrachtet negirt sich in der Incarnation Gott nicht, sondern er zeigt sich nur als das, was er ist , als ein menschliches Wesen. Was die Lüge der spätern rationalistisch-orthodoxen und biblisch-pietistisch-ratio- nalistischen Theologie gegen die wonnetrunknen Vorstellungen und Aus- drücke des alten Glaubens in Betreff der Incarnation vorgebracht, ver- dient keine Erwägung, geschweige eine Widerlegung. Wie aber selbst der alte charaktervolle Glaube die Wahrheit der Incarnation, die Wahrheit des Gottmenschen wieder geläugnet — darüber im Anhang. . Nicht aus seiner Gottheit als solcher, nach wel- cher er das Subject ist in dem Satze: Gott ist die Liebe, son- dern aus der Liebe, dem Prädicat kam die Verläugnung seiner Gottheit; also ist die Liebe eine höhere Macht als die Macht der Gottheit. Die Liebe überwindet Gott . Die Liebe war es, der Gott seine göttliche Majestät aufopferte. Und was war das für eine Liebe? eine andere als die unsrige? als die, der wir Gut und Blut opfern? War es die Liebe zu sich ? zu sich als Gott ? Nein! die Liebe zum Menschen. Aber ist die Liebe zum Menschen nicht menschliche Liebe? Kann ich den Menschen lieben, ohne ihn menschlich zu lieben, ohne ihn so zu lieben, wie er selbst liebt, wenn er in Wahrheit liebt? Wäre sonst nicht die Liebe vielleicht teuflische Liebe? Der Teufel liebt ja auch die Menschen, aber nicht um des Men- schen, sondern um seinet willen, also aus Egoismus, um sich zu vergrößern, seine Macht auszubreiten. Aber Gott liebt, indem er den Menfchen liebt, den Menschen um des Menschen willen, um ihn gut, glücklich, selig zu machen. Liebt er also nicht so den Menschen, wie der wahre Mensch den Menschen liebt? Hat die Liebe überhaupt einen Plural? Ist sie nicht überall sich selbst gleich? Was ist also der wahre, reine Text der Incarnation als der Text der Liebe schlechtweg, ohne Bei- satz, ohne Differenz von göttlicher und menschlicher Liebe; denn wenn es auch eine eigennützige Liebe unter den Menschen gibt, so ist doch die wahre menschliche Liebe, die allein dieses Namens würdige diejenige, welche dem Andern zu Liebe das Eigne opfert. Wer ist also unser Erlöser und Versöhner? Gott oder die Liebe? Die Liebe, denn Gott als Gott hat uns nicht erlöst, sondern die Liebe, welche über die Differenz von göttlicher und menschlicher Persönlichkeit erhaben ist. Wie Gott sich selbst aufgegeben aus Liebe, so sollen wir auch der Liebe Gott aufopfern; denn opfern wir nicht Gott der Liebe auf, so opfern wir die Liebe Gott auf , und wir haben trotz des Prädicats der Liebe den Gott, das böse Wesen des religiösen Fanatismus. Indem wir nun aber diesen Text aus der Incarnation gewonnen, so haben wir zugleich das Dogma in seiner Un- wahrheit und Nichtigkeit dargestellt, die Illusion aufgehoben, als stecke ein ganz besondres Geheimniß dahinter, das schein- bar übernatürliche und überverständige Mysterium auf eine einfache , dem Menschen natürliche Wahrheit reducirt — eine Wahrheit, die nicht der christlichen Religion allein, son- dern jeder Religion als Religion mehr oder minder angehört. Jede Religion setzt nämlich voraus, daß Gott nicht gleichgül- tig ist gegen die Wesen, die ihn verehren, daß also Menschliches ihm nicht fremd, daß er als ein Gegenstand menschlicher Ver- ehrung selbst ein menschlicher Gott ist. Jedes Gebet enthüllt das Geheimniß der Incarnation, jedes Gebet ist in der That eine Incarnation Gottes . Im Gebete ziehe ich Gott in das menschliche Elend herein; ich lasse ihn Theil neh- men an meinen Leiden und Schwächen. Gott ist nicht taub gegen meine Klagen; er erbarmt sich meiner; er verläugnet also seine göttliche Majestät, seine Erhabenheit über alles Menschliche und Endliche; er wird Mensch mit dem Menschen; denn erhört er mich, erbarmt er sich meiner, so wird er afficirt von meinem Leiden. Die Theologie freilich, welche die metaphysischen Ver- standesbestimmungen der Apathie, der Immutabilität, Ewigkeit und andere dergleichen abstracte Wesensbestimmungen im Kopfe hat und festhält, die Theologie freilich läugnet die Passibi- lität Gottes, läugnet aber eben damit auch die Wahrheit der Religion Der heilige Bernhard hilft sich mit einem köstlich sophistischem Wortspiel: Impassibilis est Deus, sed non incompassibilis cui proprium est misereri semper et parcere ( Super Cantica . Sermo 26.) als wäre nicht Mitleiden Leiden, freilich Leiden der Liebe, Leiden des Her- zens. Aber was leidet, wenn nicht das theilnehmende Herz? Ohne Liebe keine Leiden. Die Materie, die Quelle des Leidens, ist eben das allgemeine Herz, das allgemeine Band der Natur. . Denn die Religion, der religiöse Mensch glaubt im Acte der Andacht des Gebets an eine wirkliche Theilnahme des göttlichen Wesens an seinen Leiden und Be- dürfnissen, glaubt an einen durch die Innigkeit des Gebets, d. h. durch die Kraft des Gemüths bestimmbaren Wil- len Gottes, glaubt an eine wirkliche, gegenwärtige, durch das Gebet bewirkte Erhörung. Der wahrhaft religiöse Mensch legt unbedenklich sein Herz in Gott; Gott ist ihm ein Herz, ein Gemüth, das für alles Menschliche empfänglich ist. Das Herz kann nur zum Herzen sich wenden; das Gemüth findet nur in sich selbst , in seinem Wesen, nur in einem Gotte, der ist, wie und was das Gemüth, seine Befriedigung. „Wir be- dürfen einen willkührlichen Gott .“ Die Behauptung, daß die Erfüllung des Gebetes von Ewigkeit her schon bestimmt, schon in den Plan der Welt- schöpfung ursprünglich mit aufgenommen sei, ist eine leere ab- geschmackte Fiction einer mechanischen Denkart, die absolut dem Wesen der Religion widerspricht. Ueberdem ist ja auch in dieser Fiction Gott eben so ein vom Menschen bestimmbares Wesen, als in der wirklichen, gegenwärtig auf die Kraft des Gebets erfolgten Erhörung; nur daß der Widerspruch mit der Immutabilität und Unbestimmbarkeit Gottes, d. h. die Schwie- rigkeit in die täuschende Ferne der Vergangenheit oder Ewig- keit hinausgeschoben wird. Ob Gott jetzt auf mein Gebet hin sich zur Erfüllung meines Gebets entschließt oder sich einst da- zu entschlossen hat, das ist im Grunde ganz eins. Es ist die größte Inconsequenz, die Vorstellung eines durch das Gebet, d. h. die Kraft des Gemüths bestimmbaren Gottes als eine unwürdige anthropomorphistische Vorstellung zu ver- werfen. Glaubt man einmal ein Wesen, welches Gegenstand der Verehrung, Gegenstand des Gebetes, Gegenstand des Ge- müthes ist, ein Wesen, welches ein vorsehendes, fürsor- gendes ist — eine Vorsehung, welche nicht ohne Liebe denk- bar — ein Wesen also, welches ein liebendes ist, die Liebe zum Bestimmungsgrunde seiner Handlungen hat, so glaubt man auch ein Wesen, welches, wenn auch nicht ein anato- misches , doch ein psychisches menschliches Herz hat. Das religiöse Gemüth legt überhaupt Alles in Gott — Das aus- genommen, was es selbst verschmäht . Die Christen gaben ihrem Gotte zwar keine ihren moralischen Begriffen widerspre- chende Affecte, aber die Empfindungen und Gemüthsaffecte der Liebe, der Barmherzigkeit gaben sie ihm ohne Anstand und mußten sie ihm geben. Und die Liebe, die das religiöse Ge- müth in Gott setzt, ist eine eigentliche, nicht nur so vorgespie- gelte, vorgestellte, eine wirkliche, wahrhafte Liebe — Gott wird geliebt und liebt wieder; in der göttlichen Liebe vergegenständ- licht, bejaht sich nur die menschliche Liebe. In Gott vertieft sich nur die Liebe in sich als die Wahrheit ihrer selbst. Gegen die eben entwickelte Bedeutung der Incarnation kann man erwidern, daß es mit der christlichen Incarnation doch eine ganz besondre, wenigstens andre Bewandtniß habe — was allerdings auch in gewisser Hinsicht wahr ist, wie selbst später gezeigt werden wird — als mit den Menschwerdungen der heidnischen, etwa griechischen oder indischen Götter. Diese seien bloße Menschenproducte oder vergötterte Menschen; aber im Christenthum sei die Idee des wahren Gottes gegeben; hier werde die Vereinigung des göttlichen Wesens mit dem mensch- lichen erst bedeutungsvoll und „speculativ.“ Jupiter verwandle sich auch in einen Stier; die heidnischen Menschwerdungen seien bloße Phantasien. Im Heidenthum sei nicht mehr in dem Wesen Gottes als in der Erscheinung Gottes; im Christen- thum dagegen sei es Gott, sei es ein andres, übermenschliches Wesen, welches als Mensch erscheine. Aber dieser Einwurf widerlegt sich durch die bereits gemachte Bemerkung, daß auch die Prämisse der christlichen Incarnation schon das menschliche Wesen enthält. Gott liebt den Menschen; Gott hat überdem einen Sohn in sich; Gott ist Vater ; die Verhältnisse der Menschlichkeit sind von Gott nicht ausgeschlossen; Menschliches ist Gott nicht unbekannt, nicht ferne. Es ist daher auch hier nicht mehr im Wesen Gottes als in der Erscheinung . In der Incarnation gesteht die Religion nur ein , was sie au- ßerdem nicht Wort haben will, daß Gott ein durchaus mensch- liches Wesen ist. Die Incarnation, das Geheimniß des Gott- menschen, ist daher keine mysteriöse Composition von Ge- gensätzen , kein synthetisches Factum, wofür es der specu- lativen Religionsphilosophie gilt, weil sie eine besondere Freude am Widerspruch hat; sie ist ein analytisches Factum — ein menschliches Wort mit menschlichem Sinne. Wäre ein Wi- derspruch vorhanden, so läge dieser schon vor und außer der Incarnation; der Widerspruch läge schon in der Verbindung der Vorsehung , der Liebe mit der Gottheit ; denn ist diese eine wirkliche, so ist sie keine von unsrer Liebe we- sentlich unterschiedene — es sind nur die Schranken zu be- seitigen — und so ist die Incarnation nur der kräftigste, in- tensivste, offenherzigste Ausdruck dieser Vorsehung, dieser Liebe. Die Liebe weiß ihren Gegenstand nicht mehr zu beglücken, als daß sie ihn mit ihrer persönlichen Gegenwart erfreut, daß sie sich sehen läßt. Den unsichtbaren Wohlthäter von Angesicht zu Angesicht zu schauen, ist das heißeste Verlangen der Liebe. Seligkeit liegt im bloßen Anblick des Geliebten. Der Blick ist die Gewißheit der Liebe. Und die Incarnation soll nichts sein, nichts bedeuten, nichts wirken als die zweifellose Gewiß- heit an der Liebe Gottes zum Menschen. Die Liebe bleibt, aber die Incarnation auf der Erde geht vorüber; die Erschei- nung war eine zeitlich und räumlich beschränkte, Wenigen zu- gängliche; aber das Wesen der Erscheinung ist ewig und all- gemein. Wir sollen noch glauben an die Erscheinung, aber nicht um der Erscheinung, sondern um des Wesens willen; denn uns ist nur geblieben — die Anschauung der Liebe. Der klarste, unwidersprechlichste Beweis, daß der Mensch in der Religion sich als göttlicher Gegenstand , als gött- licher Zweck Object ist, daß er also in der Religion nur zu seinem eignen Wesen , nur zu Sich selbst sich verhält — ist die Liebe Gottes zum Menschen : der Grund und Mit- telpunkt der Religion. Gott entäußert sich um des Menschen willen selbst seiner Gottheit. Hierin liegt der erhebende Ein- druck der Incarnation: das höchste, das bedürfnißlose Wesen demüthigt, erniedrigt sich um meinetwillen. In Gott kommt daher mein eignes Wesen mir zur Anschauung ; ich habe für Gott Werth; die göttliche Bedeutung meines Wesens wird mir offenbar. Wie kann denn der Werth des Menschen höher ausgedrückt werden, als wenn Gott um des Menschen willen Mensch wird, wenn der Mensch der Endzweck, der Ge- genstand der göttlichen Liebe ist? Die Liebe Gottes zum Men- schen ist eine wesentliche Bestimmung des göttlichen We- sens: Gott ist ein mich , den Menschen überhaupt, lieben- der Gott. Darauf ruht der Accent, darin liegt der Grundaf- fect der Religion. Gottes Demuth macht mich demüthig, seine Liebe liebend. Nur die Liebe ist der Gegenstand der Liebe: nur was liebt, wird wieder geliebt. Die Liebe Gottes zum Menschen ist der Grund der Liebe des Menschen zu Gott: die göttliche Liebe verursacht, erweckt die menschliche Liebe. „ Las- set uns ihn lieben, denn Er hat uns erst geliebet .“ 1. Johannes 4, 19. Was liebe ich also in und an Gott? Die Liebe und zwar die Liebe zum Menschen . Wenn ich aber die Liebe liebe und anbete, mit welcher Gott den Menschen liebt, liebe ich nicht den Menschen, ist meine Gottesliebe nicht, wenn auch indirecte, Menschenliebe ? Ist denn nicht der Mensch der Inhalt Gottes , wenn Gott ihn liebt? Ist nicht das mein Innigstes, was ich liebe? Habe ich ein Herz, wenn ich nicht liebe? Nein! Die Liebe nur ist das Herz des Menschen . Aber was ist die Liebe ohne Das, was ich liebe? Was ich also liebe, das ist mein Herz , das ist mein Inhalt, das ist mein Wesen. Warum trauert der Mensch, warum verliert er die Lust zum Leben, wenn er den geliebten Gegenstand ver- liert? Warum? weil er mit dem geliebten Gegenstande sein Herz, das Princip des Lebens, verloren. Liebt also Gott den Menschen, so ist der Mensch das Herz Gottes — des Men- schen Wohl seine innigste Angelegenheit. Ist also nicht, wenn der Mensch der Gegenstand Gottes ist, der Mensch sich selbst in Gott Gegenstand , nicht der Inhalt des göttli- chen Wesens das menschliche Wesen , wenn Gott die Liebe, der wesentliche Inhalt dieser Liebe aber der Mensch ist, nicht die Liebe Gottes zum Menschen , der Grund und Mittelpunkt der Religion, die Liebe des Menschen zu sich selbst , vergegenständlicht, angeschaut als die höchste objective Wahrheit, als das höchste Wesen des Menschen? Ist denn nicht der Satz: „Gott liebt den Menschen“ ein Orientalismus — die Religion ist wesentlich orientalisch — welcher auf Deutsch heißt: das Höchste ist die Liebe des Menschen? — Das Geheimniß des leidenden Gottes. Der Glaube an den aus Liebe Mensch gewordnen Gott — und dieser Gott ist der Mittelpunkt der christlichen Religion — ist nichts andres als der Glaube an die Liebe , der Glaube aber an die Liebe der Glaube an die Wahr- heit und Gottheit des menschlichen Herzens . Der sei- ner selbst bewußte, der denkende Mensch erkennt das Herz als Herz , den Verstand als Verstand , beide in der Einheit ih- rer Wesenheit und Wirklichkeit, als göttliche, absolute Mächte. Aber die Religion, ihrer sich nicht bewußt, und beruhend auf der Scheidung der Wesenheit von der Wirklichkeit des Wesens des Menschen, als eines andern Wesens, vom wirk- lichen individuellen Menschen, vergegenständlicht auch das Wesen des Herzens, wie des Verstandes, als ein andres, ob- jectives und zwar persönliches Wesen. Eine Wesensbestimmung des menschgewordnen oder, was eins ist, des menschlichen Gottes, also Christi, ist die Passion . Die Liebe bewährt sich durch Leiden . Alle Gedanken und Empfindungen, die sich zunächst an Christus anschließen, con- centriren sich in dem Begriffe des Leidens. Gott als Gott ist der Inbegriff aller menschlichen Vollkommenheit, Christus der Inbegriff alles menschlichen Elends. Die heidnischen Phi- losophen feierten die Actuosität, die Spontaneität der Intelli- genz als die höchste, als die göttliche Thätigkeit; die Christen heiligten das Leiden, setzten das Leiden selbst in Gott. Wenn Gott als Actus purus der Gott der Philosophie, so ist dage- gen Christus, der Gott der Christen, die Passio pura — der höchste metaphysische Gedanke, das être suprême des Her- zens . Denn was macht mehr Eindruck auf das Herz als Leiden? und zwar das Leiden des an sich Leidlosen, des über alles Leiden Erhabenen, das Leiden des Unschuldigen, des Sün- denreinen, das Leiden lediglich zum Besten Anderer, das frei- willige Leiden, das Leiden der Liebe, der Selbstaufopferung? Aber eben deßwegen weil die Passionsgeschichte die ergreifendste Geschichte für das menschliche Herz oder überhaupt für das Herz ist — denn es wäre ein lächerlicher Wahn des Menschen, sich ein andres Herz als das menschliche vorstellen zu wollen — so folgt daraus aufs unwidersprechlichste, daß in ihr nichts ausgedrückt, nichts vergegenständlicht ist als das Wesen des Herzens , daß sie zwar nicht in dem menschlichen Verstande oder Dichtungsvermögen, aber doch im menschlichen Herzen ihren Ursprung hat. Das Christenthum, seinem bessern Theil nach, gereinigt von den widersprechenden eigenthümli- chen Elementen des religiösen Bewußtseins, die erst später in Betracht kommen, ist eine Invention des menschlichen Herzens. Aber das Herz erfindet nicht, wie die freie Phantasie oder In- telligenz; es verhält sich leidend, empfangend; alles, was aus ihm kommt, erscheint ihm als gegeben, tritt gewaltsam auf, wirkt mit der Kraft der dringenden Nothwendigkeit. Das Herz bewältigt, bemeistert den Menschen; wer einmal von ihm er- griffen, ist von ihm als seinem Dämon, seinem Gotte ergriffen. Das Herz kennt keinen andern Gott, kein trefflicheres Wesen als sich , als einen Gott, dessen Name zwar ein besonderer , ein andrer sein mag, dessen Wesen, dessen Substanz aber das eigne Wesen des Herzens ist. Und aus dem Herzen, aus dem innern Drange, Gutes zu thun, für die Menschen zu leben und sterben, aus dem göttlichen Triebe der Wohlthätig- keit , die Alle beglücken will, die Keinen, auch den Verworfen- sten, den Niedrigsten nicht, von sich ausschließt, aus der sittli- chen Pflicht der Wohlthätigkeit im höchsten Sinne, wie sie zu einer innern Nothwendigkeit , d. i. zum Herzen geworden, aus dem menschlichen Wesen also, wie es sich als Herz und durch das Herz offenbart, ist die Pars melior, der bessere Theil des Christenthums entsprungen. Was nämlich die Religion zum Prädicat macht, Das dürfen wir nur immer zum Subject , und, was sie zum Sub- ject , zum Prädicat machen, also die Orakelsprüche der Reli- gion umkehren , als contre-véritez auffassen, so haben wir das Wahre. Gott leidet — Leiden ist Prädicat — aber für die Menschen, für Andere, nicht für sich. Was heißt das auf Deutsch? nichts andres als: Leiden für Andere ist gött- lich Die Religion spricht durch Exempel. Das Exempel ist das Gesetz der Religion. Was Christus gethan, ist Gesetz. Christus hat gelitten für Andere, also sollen wir dasselbe thun..... Quae necessitas fuit ut sic exinaniret se, sic humiliaret se, sie abbreviaret se Dominus majestatis, nisi ut vos similiter faciatis ? (Bernardus in Die nat. Domini.) Aber diese Wahrheit negirt die Eifersucht der Religion auf den Menschen, auf die Moral dadurch wieder, daß sie das Handeln und Leiden für Andere, für die Menschen nur zu einem Handeln und Leiden für Christus, für Gott und seine Ehre macht. Doch davon erst später. ; wer für Andere leidet, seine Seele läßt, handelt gött- lich, ist den Menschen Gott. Aber leidende, sich selbst auf- opfernde Liebe ist das höchste Wesen des Herzens. Christus also das sich selbst gegenständliche Herz — der Eindruck und Inhalt seiner Leidensgeschichte ein rein menschlicher. Denn daß Christus zugleich Gott war, Gott im Sinne der Religion oder Dogmatik, ist eine vage, nichtige, phantastische Vorstel- lung. Der positive, reale Eindruck auf Kopf und Herz, der Eindruck, der allein den objectiven Inhalt in seiner Wahr- heit ausdrückt, ist: daß er freiwillig litt, daß er nicht zu leiden brauchte, wenn er nicht hätte leiden wollen, daß er litt unver- schuldet, daß er litt für Andere, litt aus freier Liebe. Aber solches Leiden geht wohl über den gemeinen, aber nicht über den Menschen an sich, über den wahren Menschen. Denke ich dagegen zugleich mit diesem menschlichen Leiden den suprana- turalistischen religiösen oder dogmatischen Inhalt, den leidenden Christus zugleich als Gott, so geht alle Wahrheit verloren, so litt er, so zu sagen, nur auf der einen Seite, auf der andern aber nicht — denn was war für ihn als Gott, als den seiner Gottheit, seiner Ewigkeit und himmlischen Seligkeit Bewußten sein Leiden? — so war sein Leiden nur ein Leiden für ihn als Menschen, nicht als Gott, nur ein scheinbares, kein wahres Leiden — kurz eine bloße Komödie . Das Leiden Christi repräsentirt jedoch nicht nur das sitt- liche Leiden, das Leiden der Liebe, der Kraft, sich selbst zum Wohle Anderer aufzuopfern: es repräsentirt auch das Leiden als solches , das Leiden inwiefern es ein Ausdruck der Pas- sibilität überhaupt ist. Die christliche Religion ist so wenig eine übermenschliche, daß sie selbst die menschliche Schwachheit sanctionirt. Wenn der heidnische Philosoph selbst bei der Nach- richt von dem Tode des eignen Kindes die Worte ausruft: Ich wußte, daß ich einen Sterblichen gezeugt; so vergießet dagegen Christus Thränen über den Tod des Lazarus — einen Tod, der doch in Wahrheit nur ein Scheintod war. Wenn Sokra- tes mit unbewegter Seele den Giftbecher leert, so ruft dagegen Christus aus: „wenn es möglich, so gehe dieser Kelch von mir.“ Haerent plerique hoc loco.... Ego autem non solum excusan- dum non puto, sed etiam nusquam magis pietatem ejus majestatemque demiror. Minus enim contulerat mihi, nisi meum suscepisset af- fectum . Ergo pro me doluit, qui pro se nihil habuit, quod doleret.... Suscepit enim tristitiam meam , ut mihi suam laetitiam largiretur.... Non me fefellit, ut aliud esset et aliud videretur. Tristis videbatur ettristis erat. Ambrosius . (Exposit. in Lucae Evangel. l. X. c. 22.) Christus ist in dieser Beziehung das Selbstbekenntniß der menschlichen Sensibilität. Der Christ hat, ganz im Ge- gensatz gegen das heidnische, namentlich stoische Princip mit seiner rigorosen Willensenergie und Selbstständigkeit, das Be- wußtsein der eignen Reizbarkeit und Empfindlichkeit in das Bewußtsein Gottes aufgenommen; in Gott findet er sie, wenn sie nur keine sündliche Schwachheit, nicht negirt, nicht ver- dammt Quando enim illi (Deo) appropinquare auderemus in sua impassibilitate manenti. Bernardus (Tract. de XII grad. hum. et sup.) . Leiden ist das höchste Gebot des Christenthums — die Geschichte des Christenthums selbst die Leidensgeschichte der Menschheit . Wenn bei den Heiden das Jauchzen der sinnlichen Lust sich in den Cultus der Götter mischte, so gehö- ren bei den Christen, natürlich den alten Christen , die Seufzer und Thränen des leidenden Herzens, des Gemüths zum Gottesdienst. Wie aber ein sinnlicher Gott, ein Gott des Lebens, der Lebensfreude da verehrt wird, wo sinnliches Freu- dengeschrei zu seinem Cultus gehört, ja wie dieses Freudenge- schrei nur eine sinnliche Definition ist von dem Wesen der Götter, denen dieses Geschrei gilt: so sind auch die Herzens- seufzer der Christen Töne, die aus der innersten Seele, dem innersten Wesen ihres Gottes kommen. Der Gott des Gottes- dienstes, bei den Christen des innern Gottesdienstes, nicht der Gott der sophistischen Theologie ist der wahre Gott des Men- schen. Aber mit Thränen, den Thränen der Reue und Sehnsucht , glaubten die Christen, natürlich die alten Chri- sten , ihrem Gott die höchste Ehre anzuthun. Die Thränen sind also die sinnlichen Glanzpunkte des christlich religiösen Gemüths, in denen sich das Wesen ihres Gottes abspiegelt. Aber ein Gott, der an Thränen Gefallen hat, ist nichts andres als das gegenständliche Wesen des leidenden Herzens — des Gemüths . Zwar heißt es in der christlichen Religion: Feuerbach . 5 Christus hat Alles für uns gethan, hat uns erlöst, versöhnt mit Gott; und es ließe sich daher hieraus der Schluß ziehen: Lasset uns fröhlichen Sinnes sein, was brauchen wir uns dar- über zu kümmern, wie wir uns mit Gott versöhnen sollen; wir sind es ja schon. Aber das Imperfectum des Leidens macht einen stärkern, anhaltendern Eindruck, als das Perfectum der Erlösung. Die Erlösung ist nur das Resultat des Leidens; das Leiden der Grund , die Quelle der Erlösung. Das Lei- den befestigt sich daher tiefer im Gemüthe; das Leiden macht sich zu einem Gegenstande der Nachahmung, die Erlösung nicht. Wenn Gott selber litt um meinetwillen, wie soll ich fröhlich sein, wie mir eine Freude gönnen, wenigstens auf dieser ver- dorbnen Erde, die der Schauplatz seiner Leiden war Deus meus pendet in patibulo et ego voluptati ope- ram dabo ? (Formula hon. vitae. Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard.) ? Soll ich besser sein als Gott? soll ich also sein Leiden mir nicht an- eignen? Ist was Gott, mein Herr thut, nicht mein Vorbild? Oder soll ich nur den Gewinn, nicht auch die Kosten tragen? Weiß ich nur, daß er mich versöhnt, erlöst hat? Ist mir seine Leidensgeschichte nicht auch Gegenstand? Soll sie mir nur ein Gegenstand kalter Erinnerung sein oder gar ein Gegenstand der Freude, weil dieses Leiden mir die Seligkeit erkauft? Aber wer kann so denken, wer sich ausschließen wollen von den Lei- den seines Gottes, außer der verworfenste religiöse Egois- mus ? Die christliche Religion ist die Religion des Leidens. Die Bilder des Gekreuzigten, die uns heute noch in allen Kirchen begegnen, stellen uns keinen Erlöser, sondern nur den Gekreu- zigten, den Leidenden dar. Selber die Selbstkreuzigungen unter den Christen sind psychologisch tief begründete Folgen ihrer religiösen Anschauung. Wie sollte dem nicht die Lust kommen, sich selbst oder Andere zu kreuzigen, der stets das Bild eines Gekreuzigten im Sinne hat? Wenigstens sind wir zu diesem Schlusse eben so gut berechtigt, als Augustin und andere Kir- chenväter zu dem Vorwurf gegen die heidnische Religion, daß die unzüchtigen religiösen Bilder die Heiden zur Unzucht auf- forderten. Aber so sehr dem objectiven Gemüthe, dem Herzen des natürlichen oder selbstbewußten Menschen das Leiden wider- spricht, weil in ihm der Trieb zur Selbstthätigkeit, zur Kraft- äußerung der vorherrschende ist: so sehr entspricht dem sub- jectiven , nur einwärts gekehrten, weltscheuen, nur auf sich concentrirten Herzen , d. i. dem Gemüthe das Leiden. Leiden ist eine Selbstnegation, aber eine selbst sub- jective, dem Gemüthe wohlthätige — auch ganz abgesehen davon, daß das christliche Leiden, selbst das Leiden des Mär- tyrerthums identisch ist mit der Hoffnung der himmli- schen Seligkeit S. z. B. I. Petri 4, 1. 13. Römer 8, 17. 18. II. Korinth. 4, 10. 17. Abstine … ab omnibus seculi delectationibus , ut post hanc vitam in coelo laetari possis cum angelis. (de modo bene viv. Serm. 23. Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard.) — die Anschauung eines leidenden Got- tes daher die höchste Selbstbejahung, die höchste Wol- lust des leidenden Herzens . Gott leidet , heißt aber nichts andres als: Gott ist ein Herz . Das Herz ist die Quelle, der Inbegriff aller Lei- den. Ein Wesen ohne Leiden ist ein Wesen ohne Herz. Im Verstande sind wir selbstthätig; im Herzen leiden, d. i. empfin- den wir. Das Geheimniß des leidenden Gottes ist 5* daher das Geheimniß der Empfindung . Ein leidender Gott ist ein empfindender, empfindsamer Gott Pati voluit, sagt der „letzte Kirchenvater“ der katholische Luther, der heil. Bernhard (in der cit. Schrift de grad. ) pati voluit , ut com- pati sciret, miser fieri , ut misereri disceret (Hebrae. 5, 15.) . Aber was der Religion nur Prädicat, das ist in Wahrheit das Subject, die Sache selbst, das Wesen. Der Satz: Gott ist ein empfin- dendes Wesen, ist nur die religiöse Periphrase des Satzes: die Empfindung ist absoluten, göttlichen Wesens . Die Religion ist nichts andres als das vergegenständlichte Selbst- bewußtsein des Menschen — so verschieden daher, als verschie- den das Selbstbewußtsein des Menschen, d. h. der Gegenstand, dessen der Mensch sich als seines höchsten Wesens bewußt ist. Der Mensch hat aber nicht nur das Bewußtsein einer Thätig- keitsquelle, sondern auch Leidensquelle in sich. Ich empfinde; und empfinde die Empfindung, nicht blos das Wollen, nicht blos das Denken, welches nur zu oft im Gegensatze mir mir und meinen Empfindungen ist, als zu meinem Wesen gehörig, und obwohl als die Quelle aller Leiden und Schmerzen, doch zugleich als eine herrliche, göttliche Macht und Vollkommen- heit. Was wäre der Mensch ohne Empfindung? Sie ist die musikalische Macht im Menschen. Aber was wäre der Mensch ohne den Ton? So gut der Mensch einen musikalischen Trieb, eine innere Nöthigung in sich fühlt, im Tone, im Liede seine Empfindungen auszuhauchen, so nothwendig strömt er in reli- giösen Seufzern und Thränen das Wesen der Empfindung als gegenständliches göttliches Wesen aus. Die Religion ist die Reflexion, die Spiegelung des menschlichen Wesens in sich selbst . Was ist, hat nothwendig einen Gefallen an sich. Weil es ist, ist es vor- trefflich. Sein ist ein Glück, ein Vorzug. Was ist, liebt sich. Tadelst Du, daß es sich liebt, so machst Du ihm den Vorwurf, daß es ist. Sein heißt Sich bejahen, Sich lieben. Wer des Lebens überdrüssig, nimmt sich das Leben. Wo die Empfin- dung daher nicht zurückgesetzt oder unterdrückt wird, wie bei den Stoikern, wo ihr Sein gegönnt wird, da ist ihr auch schon religiöse Macht und Bedeutung eingeräumt, da ist sie auch schon auf die Stufe erhoben, auf welcher sie sich in sich spiegeln und reflectiren, in Gott in ihren eignen Spiegel blicken kann. Gott ist der Spiegel des Menschen . Was für den Menschen wesentlichen Werth hat, was ihm für das Vollkommne, das Treffliche gilt, woran er wahres Gefallen hat, das allein ist ihm Gott . Wem die Empfin- dung für eine herrliche Eigenschaft, für eine Realität gilt, dem gilt sie eben damit für eine göttliche Eigenschaft , eine gött- liche Essenz. Der empfindende, gefühlvolle Mensch glaubt an einen empfindenden, gefühlvollen Gott, glaubt nur an die Wahrheit seines eignen Seins und Wesens, denn er kann nichts andres glauben, als was er selbst in seinem Wesen ist. Sein Glaube ist das Bewußtsein dessen, was ihm heilig ist. Aber heilig ist dem Menschen nur, was sein In- nerstes , sein Eigenstes , der letzte Grund , das Wesen seiner Individualität ist. Dem empfindungsvollen Menschen ist ein empfindungsloser Gott ein leerer, todter, abstracter, ne- gativer Gott, weil ihm das fehlt , was dem Menschen werth und heilig ist, und weil nur der Gott den Menschen befrie- digt , welcher des Menschen eignes Wesen enthält und aus- drückt. Gott ist dem Menschen das Collectaneenbuch seiner höchsten Gedanken und Empfindungen, das Stammbuch , in welches er die Namen der ihm theuersten, heiligsten Wesen einträgt. Es ist ein Zeichen einer haushälterischen Gemüthlichkeit, ein weiblicher Trieb, zu sammeln und das Gesammelte zusam- men zu halten, nicht den Wogen der Vergeßlichkeit, dem Zu- fall der Erinnerung, überhaupt nicht sich selbst zu überlas- sen und anzuvertrauen, was man Werthes hat kennen lernen. Der Freigeist ist der Gefahr eines dissoluten Lebens ausgesetzt, der Religiöse, weil er Alles in Eins zusammenfaßt, ist der Ge- fahr, sich im sinnlichen Leben zu verlieren, entnommen, aber dafür der Gefahr der Illiberalität, der geistlichen Selbst- und Gewinnsucht ausgesetzt. Der Ir- oder wenigstens Nichtreli- giöse erscheint daher auch, wenigstens dem Religiösen, als der Menschliches Vergötternde, als der Subjective, Eigenmächtige, Hochmüthige, nicht deßwegen, weil ihm nicht auch an sich heilig wäre, was dem Religiösen heilig ist, sondern nur, weil Das, was der Nicht-religiöse nur in seinem Kopfe behält, der Religiöse außer sich als Object sich gegenüber und zugleich über sich setzt, daher das Verhältniß der Subordination, der Subjection in sich aufnimmt. Kurz der Religiöse hat, weil ein Collectaneenbuch, einen Sammelpunkt, einen Zweck . Ohne Religion erscheint den Menschen das Leben als ein zweckloses. In der That setzten auch alle tüchtigen Menschen sich einen höchsten Zweck. Das Geheimniß eines im höhern Sinne sitt- lichen Lebens beruht auf dieser Teleologie. Nicht der Wille als solcher, nicht das vage Wissen, nur der Zweck, in dem sich die theoretische Thätigkeit mit der praktischen verbindet, gibt dem Menschen einen sittlichen Grund und Halt, d. h. Cha- rakter. Der gewöhnliche Mensch verliert sich ohne Religion (im gewöhnlichen, aber weltgültigen Sinne), es fehlt ihm der Punkt der Sammlung, des Zusammenhalts. Jeder Mensch muß sich daher einen Gott d. h. einen Endzweck setzen. Der Endzweck ist der bewußte und gewollte wesentliche Lebenstrieb, der Genieblick, der Lichtpunkt der Selbsterkenntniß — die Ein- heit von Natur und Geist im individuellen Menschen. Wer einen Endzweck, hat ein Gesetz über sich : er leitet sich nicht selbst nur; er wird geleitet. Wer keinen Endzweck, hat keine Heimath, kein Heiligthum. Größtes Unglück ist Zwecklosigkeit. Selbst wer sich gemeine Zwecke setzt, kommt besser durch, auch wenn er nicht besser ist, als wer keinen Zweck sich setzt. Der Zweck beschränkt; aber die Schranke ist der Tugend Meisterin. Wer einen Zweck hat, einen Zweck, der an sich wahr und we- senhaft ist, der hat darum eo ipso Religion — wenn auch nicht im Sinne der gewöhnlichen, der herrschenden Religion, aber doch im Sinne der Vernunft, der Wahrheit, der univer- sellen Liebe, der allein wahren Liebe. Das Mysterium der Trinität und Mutter Gottes. So wenig ein Gott ohne Empfindung, ohne Leidensver- mögen einem empfindenden, leidenden Wesen genügt, so wenig genügt auch wieder ein Wesen nur mit Empfindung, ein We- sen ohne Activität und Spontaneität, als auf welcher allein der Begriff der Intelligenz, der Willenskraft, des Selbstbe- wußtseins beruht. So sehr es den Menschen drängt, die Em- pfindung zu vergöttern, d. h. zu bejahen, so sehr drängt es ihn, den Geist, den Verstand, den Willen, das Selbstbewußtsein, die Selbstthätigkeit in ihrer Wesenheit zu vergegenständlichen. Kurz nur ein Wesen, welches den ganzen Menschen in sich trägt, kann auch den ganzen Menschen befriedigen. Das Bewußtsein des Menschen von sich in seiner Totalität ist das Bewußtsein der Trinität. Das Geheimniß dieses Myste- riums ist nichts andres als das Geheimniß des Menschen selbst. Was als Abdruck, Bild, Aehnlichkeit, Gleichniß von der Religion und Theologie bezeichnet wird, dürfen wir nur als die Sache selbst , das Wesen , das Urbild , das Original erfassen, so haben wir das Räthsel gelöst. Die angeblichen Bilder, durch die man die Trinität zu veranschau- lichen, begreiflich zu machen suchte, waren vorzüglich: Geist, Verstand, Gedächtniß, Wille, Liebe, mens, intellectus, me- moria, voluntas, amor . Gott denkt und zwar denkt er sich, erkennt er sich, und das Gedachte, das Erkannte ist Gott selbst. Die Vergegen- ständlichung des Selbstbewußtseins ist das Erste, was in der Trinität uns begegnet. Das Selbstbewußtsein drängt sich nothwendig, unwillkührlich dem Menschen als etwas Absolutes auf. Sein ist für ihn eins mit Selbstbewußtsein, Sein mit Bewußtsein ist für ihn Sein schlechtweg. Der Unterschied von Sein und Nichtsein ist für ihn an das Bewußtsein gebunden. Ob ich gar nicht bin, oder bin, ohne daß ich weiß, daß ich bin, ist gleich. Selbstbewußtsein hat für den Menschen, hat in der That an sich selbst absolute Bedeutung. Ein Gott, der sich nicht weiß, ein Gott ohne Bewußtsein, ist kein Gott. Wie der Mensch sich nicht denken kann ohne Bewußtsein, so auch nicht Gott. Das göttliche Selbstbewußtsein ist nichts andres als das Bewußtsein des Bewußtseins als absoluter Wesenheit . Uebrigens ist damit keineswegs die Trinität erschöpft. Wir würden vielmehr ganz willkührlich verfahren, wenn wir darauf allein das Geheimniß der Trinität zurückführen und einschränken wollten. Das Bewußtsein in seiner abstracten Bedeutung ist nur Sache der Philosophie. Die Religion aber ist das Bewußtsein des Menschen von sich in seiner empiri- schen Totalität, in welcher die Identität des Selbstbewußtseins nur als die beziehungsreiche, erfüllte Einheit von Ich und Du existirt. Die Religion, wenigstens die christliche, abstrahirt von der Welt; sie bezieht sich auf die Dinge in ihrer Erscheinung, nicht in ihrem Wesen, denn dieses ist nur Gegenstand des Denkens, der Wissenschaft; die Welt und Alles, was in der Welt, ist ihr nichtig; nur Gott allein das Wesen. Der reli- giöse Mensch zieht sich vor der Welt in sich zurück. Innerlich- keit gehört zum Wesen der Religion. Der religiöse Mensch führt ein abgezogenes, in Gott verborgenes, stilles, weltfreu- denleeres Leben. Tritt er auch in die Welt, so tritt er doch nur in polemische Verhältnisse zu ihr; er sucht die Welt, die Men- schen anders zu machen, als sie sind, der Welt abzugewinnen, Gott zuzuführen. Er bezieht alle Dinge und Wesen nur auf Gott; er liebt die Menschen, aber nicht um ihret- sondern um Gottes willen; er liebt in ihnen nicht sie selbst , sondern ih- ren Vater, ihren Erlöser. Der religiöse Mensch sondert sich aber nur von der Welt ab, und zwar von der Welt nicht nur im gemeinen Sinne, in jenem Sinne, in welchem die Nega- tion der Welt zum Leben jedes wahren ernsten Menschen ge- hört, sondern auch in jenem Sinne, in welchem die Wissen- schaft dieses Wort nimmt, sich selbst Weltweisheit nennend; er sondert sich nur ab von der Welt, weil Gott selbst ein von der Welt abgesondertes , d. i. ein außer- und überwelt- liches Wesen ist. Gott als Gott ist ein abgesondertes, unweltliches Wesen — streng, abstract philosophisch ausge- drückt, das Nichtsein der Welt. Um sich mit Gott zu verbin- den, löst der Mensch alle Bande mit der Welt. Gott selbst als außerweltliches Wesen ist nichts andres als das von der Welt in sich zurückgezogene , aus allen Banden und Ver- wicklungen mit der Welt herausgerißne, über die Welt hinweg sich setzende, d. i. weltlose Innere des Menschen, gesetzt als gegenständliches Wesen . Aber der Mensch kann nur abstrahiren von der mensch- lichen Individualität, nicht vom menschlichen Wesen, von der Erscheinung der Welt, aber nicht von ihrem Wesen. Er muß also in die Abstraction Das, wovon er abstrahirt oder zu ab- strahiren glaubt, wieder aufnehmen. Und so setzt denn auch wirklich die Religion Alles, was sie bewußt negirt, unbewußt wieder in Gott , aber mit dem Merkmale der Absonderung, der Abstraction. Gott als Gott, Gott der Vater ist der abgesonderte Gott, das a- und antikosmische , anthropomorphismenlose Wesen, Gott in Beziehung nur auf sich; Gott der Sohn die Beziehung Gottes auf uns, aber er erst der wirkliche Gott. In Gott als Gott wird der Mensch beseitigt, im Sohne kehrt er wieder. Der Vater ist die metaphysische Essenz, wie sich an sie die Re- ligion anschließt, weil sie unvollständig wäre, wenn sie nicht auch das metaphysische Element in sich aufnähme; im Sohne ist er erst Gegenstand der Religion; Gott, als Gegenstand der Religion, als religiöser Gott, ist Gott als Sohn. Im Sohne wird der Mensch Gegenstand ; in ihm concentriren sich alle menschliche Bedürfnisse. So sehr der religiöse Mensch vor der Außenwelt sich ver- birgt, in sein einsames Innere sich zurückzieht, so ist ihm doch ein wesentliches Bedürfniß das Andre, die Welt, der Mensch. Er ist sich selbst ein abstractes Du; er hat eben deßwegen ein Bedürfniß nach einem wirklichen Du. Verschmäht der reli- giöse Mensch auch die natürliche Freundschaft und Liebe; so ist ihm doch wenigstens religiöse Gemeinschaft ein Bedürfniß. Gott als Gott, als einfaches Wesen, ist allein , ein einsa- mer Gott. Gott als Gott ist selbst nichts andres als die ab- solute, hypostasirte Einsamkeit und Selbstständigkeit , denn einsam kann nur sein, was selbstständig ist. Einsam sein können, ist ein Zeichen von Denk- und Charkaterkraft. Ein- samkeit ist das Bedürfniß des Denkens, Gesellschaft das Bedürfniß des Herzens. Denken kann man allein, lieben nur selbander . Einsamkeit ist Autarkie — bedürf- nißlos sind wir nur in der Intelligenz, nur im Acte des Denkens. Gott als Gott ist nichts andres als das Bewußtsein der Denkkraft, der Kraft, von allen Andern zu abstrahiren und für sich allein mit sich sein zu können, wie sie inner- halb der Religion, d. h. als ein vom Menschen unterschied- nes, apartes Wesen den Menschen Gegenstand wird. Aber von einem einsamen Gott ist das dem Menschen wesentliche Bedürfniß der Liebe, der Gemeinschaft, des realen, erfüll- ten Selbstbewußtseins , des Alter Ego im engsten und weitesten Sinne ausgeschlossen Gott ohne Sohn ist Ich , Gott mit Sohn ist Du. Ich ist Ver- stand, Du ist Liebe. Liebe aber mit Verstand und Verstand mit Liebe ist Geist; Geist aber die Totalität des Menschen als sol- chen, der totale Mensch . . Dieses Bedürfniß daher befriedigt; aufgenommen in die stille Einsamkeit des göttlichen Wesens, ist Gott der Sohn — ein anderes , zweites Wesen, unterschieden vom Vater der Persönlichkeit nach, aber dem Wesen nach mit ihm identisch — sein Alter Ego . Gemeinschaftliches Leben nur ist wahres, in sich befriedigtes, göttliches Leben, Gott ist ein ζῶον πο- λιτικὸν — dieser einfache Gedanke, diese natürliche Wahr- heit ist das Geheimniß des übernatürlichen Mysteriums der Trinität. Aber die Religion spricht auch diese, wie jede andere Wahrheit verkehrt, d. h. indirect aus, indem sie eine all- gemeine Wahrheit zu einer besondern und das wahre Subject nur zum Prädicat macht, indem sie sagt: Gott ist ein gemein- schaftliches Leben, ein Leben und Wesen der Liebe und Freundschaft . Die dritte Person in der Trinität drückt ja nichts weiter aus als die Liebe der beiden göttlichen Personen zu einander, ist die Einheit des Vaters und Sohns, der Be- griff der Gemeinschaft, widersinnig genug selbst wieder als ein persönliches, besondres Wesen gesetzt Der heil. Geist verdankt seine persönliche Existenz nur einem Na- men, einem Worte. Selbst die ältesten Kirchenväter identificirten bekannt- lich noch den Geist mit dem Sohne. Auch seiner spätern dogmatischen Persönlichkeit fehlt die Consistenz. Er ist die Liebe, mit der Gott sich und die Menschen und hinwiederum die Liebe, mit welcher der Mensch Gott und den Menschen liebt. Also die Identität Gottes und des Menschen, wie sie innerhalb der Religion dem religiösen Menschen, d. i. als ein selbst beson- deres Wesen, Gegenstand wird. Aber für uns liegt diese Einheit schon im Vater, noch mehr im Sohne. Wir brauchen daher den heil. Geist nicht zu einem besondern Gegenstande unserer Untersuchung zu machen. Nur diese Bemerkung noch. Inwiefern der heil. Geist die subjective Seite repräsen- tirt, so ist er eigentlich die Repräsentation des religiösen Gemüths vor sich selbst , der religiösen Begeisterung , des religiösen Affects , oder die Personification, die Bejahung, die Vergegenständlichung der Reli- gion in der Religion. Der heil. Geist ist daher die seufzende Creatur, die Sehnsucht der Creatur. . Das Mysterium der Trinität war eben deßwegen für den religiösen Menschen ein Gegenstand der überschwänglichsten Bewunderung, Begeisterung und Entzückung, weil ihm hier die Befriedigung der innersten menschlichen Bedürfnisse, welche er in der Wirklichkeit negirte, des Bedürfnisses der naturgemä- ßen, der intensivsten Liebe, des wirklichen Selbstbewußtseins, welches nichts andres als die Anschauung oder das Gefühl des Andern als meinen eignen Wesens ist, zur Anschauung kam. Nur ein dreieiniger Gott ist für den religiösen Menschen ein Gegenstand der Liebe, weil ihm in der Trinität selbst die Liebe Gegenstand ist. Daß es im Grunde nicht mehr als zwei Personen sind, denn die dritte Person repräsentirt, wie gesagt, nichts andres als die Liebe, obwohl selbst wieder als ein besondres Wesen vorgestellt, dieß liegt darin, daß dem strengen Begriffe der Liebe das Zwei genügt. Zwei ist das Princip und eben damit der vollkommne Ersatz der Vielheit. Würden mehrere Personen gesetzt, so würde nur die Kraft der Liebe geschmälert; sie würde sich zerstreuen. Aber Liebe und Herz sind identisch. Ohne Liebe kein Herz. Das Herz ist kein besondres Vermögen — das Herz ist der Mensch, der in sofern er liebt. Die zweite Person ist daher die Selbstbe- jahung des menschlichen Herzens, das Princip des gemeinschaftlichen Lebens, der Liebe — die Wärme, der Vater das Licht, obwohl das Licht hauptsächlich ein Prädicat des Sohns war, weil in ihm die Gottheit erst dem Menschen licht, klar, verständlich wird. Aber dessen ungeachtet können wir dem Vater, als dem Repräsentanten der Gottheit als sol- cher, des kalten Wesens der Intelligenz, das Licht als hyper- tellurisches Princip, dem Sohne die tellurische Wärme zuschrei- ben. Gott als Sohn erwärmt erst den Menschen, hier wird Gott aus dem Object des Auges, des kalten indifferenten Licht- sinnes ein Object des Gefühls, des Affects, der Begeisterung, der Entzückung, aber nur weil der Sohn selbst nichts andres ist als die Glut der Liebe , der Begeisterung Exigit ergo Deus timeri ut Dominus, honorari ut pater, ut spon- sus amari . Quid in his praestat, quid eminet? Amor. Bernardus (Sup. Cant. Ser. 83.) . Gott als Sohn ist die primitive Incarnation, die primitive Selbstver- läugnung Gottes; denn als Sohn ist er endliches Wesen; denn er ist ab alio , von einem Grunde; der Vater dagegen grundlos, a se , von sich selbst. Es wird also in der zweiten Person die wesentliche Bestimmung der Gottheit, die Bestim- mung des von sich selbst Seins aufgegeben. Aber Gott der Vater zeugt selbst den Sohn; er resignirt also auf seine rigo- rose ausschließliche Göttlichkeit; er ist herablassend, erniedrigt sich, setzt das Princip der Endlichkeit, des von einem Grunde Seins in sich; er wird im Sohne Mensch, zwar zuvörderst nicht der Gestalt, doch dem Wesen nach. Aber eben dadurch wird auch Gott erst Gegenstand des Menschen, Gegenstand des Gefühls, des Herzens. Das Herz ergreift nur, was aus dem Herzen stammt. Aus der Beschaffenheit des subjectiven Verhaltens ist untrüg- lich der Schluß auf die Beschaffenheit des Objects dieses Ver- haltens. Der reine, freie Verstand negirt den Sohn, der durch das Gefühl bestimmte, vom Herzen überschattete Verstand nicht; er findet vielmehr die Tiefe der Gottheit im Sohne, weil er in ihm das Gefühl findet, das Gefühl, das an und für sich etwas Dunkles ist und darum dem Menschen für etwas My- steriöses gilt. Der Sohn ergreift das Herz, weil der wahre Vater des göttlichen Sohnes das menschliche Herz ist, der Sohn selbst nichts ist als das göttliche Herz , das sich als göttliches Wesen gegenständliche menschliche Herz . Ein Gott, in dem nicht selbst das Wesen der Endlichkeit, das Wesen des Abhängigkeitsgefühls , das Princip der Empirie, des nicht von sich selbst Seins ist, ein solcher Gott ist kein Gott für ein empirisches, endliches Wesen. So wenig der religiöse Mensch einen Gott lieben kann, der nicht das Wesen der Liebe in sich hat, so wenig kann der Mensch, kann überhaupt ein endliches Wesen Gegenstand eines Gottes sein, der nicht den Grund, das Princip der Endlichkeit in sich hat. Es fehlt einem solchen Gott der Sinn, der Verstand, die Theil- nahme für Endliches. Wie kann Gott der Vater der Men- schen sein, wie, so zu sagen, seine entfernteren Verwandten lie- ben, wenn er nicht selbst einen Sohn in sich hat, wenn er nicht aus eigner Erfahrung , nicht in Beziehung auf sich selbst weiß, was Lieben heißt? So nimmt auch der ver- einzelte Mensch weit weniger Antheil an den Familienleiden eines Andern, als wer selbst im Familienbande lebt. Gott der Vater liebt daher die Menschen nur im Sohne und um des Sohnes willen . Die Liebe zu den Menschen ist eine von der Liebe zum Sohne abgeleitete Liebe. Der Vater, der Sohn in der Trinität sind darum auch nicht im bildlichen Sinne, sondern im allereigentlichsten Sinne Vater und Sohn. Der Vater ist wirklicher Vater in Beziehung auf den Sohn; der Sohn wirklicher Sohn in Beziehung auf den Vater. Ihr wesentlicher persönli- cher Unterschied besteht nur darin, daß jener der Erzeuger, dieser der Erzeugte ist. Nimmt man diese natürliche empi- rische Bestimmtheit weg, so hebt man ihre persönliche Existenz und Realität auf. Die Christen, natürlich die al- ten Christen, welche die heutigen verliebten, galanten, zucker- süßen, geschwätzigen, gesellschaftssüchtigen Christen wohl schwer- lich als ihre Brüder in Christo anerkennen würden, setzten an die Stelle der natürlichen Liebe und Einheit eine nur reli- giöse Liebe und Einheit; sie verwarfen das wirkliche Fami- lienleben, die innigen Bande der natursittlichen Liebe als ungöttliche, unhimmlische, d. h. in Wahrheit nichtige Dinge. Aber dafür hatten sie zum Ersatz in Gott einen Vater und Sohn, die sich mit innigster Liebe umfingen, mit jener inten- siven Liebe, welche nur die Naturverwandtschaft einflößt. Ganz in der Ordnung war es daher auch, daß um die göttliche Familie, den Liebesbund zwischen Vater und Sohn zu ergänzen, noch eine dritte und zwar weibliche Person in den Himmel aufgenommen wurde; denn die Persönlichkeit des heiligen Geistes ist eine zu vage und precäre, eine zu sichtliche blos poetische Personification der gegenseitigen Liebe des Va- ters und Sohns, als daß sie dieses dritte ergänzende Wesen hätte sein können. Die Maria wurde zwar nicht so zwischen den Vater und Sohn hingestellt, als hätte der Vater den Sohn vermittelst derselben erzeugt, weil die Vermischung des Man- nes und Weibes den Christen etwas Unheiliges, Sündhaftes war; aber es ist genug, daß das mütterliche Princip neben Vater und Sohn hingestellt wurde. Es ist in der That auch nicht abzusehen, warum die Mutter etwas Unheiliges, d. i. Gottes Unwürdiges sein soll, wenn einmal Gott Vater, Gott Sohn ist. Wenn gleich der Vater nicht Vater im Sinne der natürlichen Zeugung, die Zeugung Gottes vielmehr eine andere sein soll, als die natür- liche, menschliche und daher aus sehr begreiflichen Gründen eine unbegreifliche, übernatürliche, mysteriöse Zeugung ist; so ist er doch immerhin wirklicher, nicht nomineller oder bildlicher Vater in Bezug auf den Sohn. Und die uns jetzt so befremd- liche Composition der Mutter Gottes ist daher nicht mehr be- fremdlich oder paradox als der Sohn Gottes, widerspricht nicht mehr den allgemeinen metaphysischen Bestimmungen der Gott- heit, als die Vater- und Sohnschaft. Die Maria paßt viel- mehr ganz in die Kategorie der Dreieinigkeitsverhältnisse, weil sie ohne männliche Befruchtung den Sohn gebar, wie Gott Vater ohne weiblichen Schooß den Sohn erzeugte, so daß also die Maria eine nothwendige, innerlich herausgeforderte, ergänzende Antithese zum Vater im Schooße der Dreieinigkeit bildet. Auch haben wir ja schon, wenn auch nicht in concreto und explicite , doch in abstracto und implicite das weibliche Princip im Sohne. Der Sohn Gottes ist das milde sanfte Wesen, das weibliche Gemüth Gottes; im Sohn gibt Gott sein rigoroses, ausschließliches Selbstbewußtsein auf. Gott als Vater ist nur Zeuger, das Activum, das Princip der männlichen Spontaneität; aber der Sohn ist gezeugt, ohne selbst zu zeugen, Deus genitus, das Passivum, das leidende empfangende We- sen: der Sohn empfängt vom Vater sein Sein. Der Sohn ist als Sohn, natürlich nicht als Gott, abhängig vom Vater, der väterlichen Autorität unterworfen In der strengen Orthodoxie wird allerdings jede Subordination des Sohnes aufs sorgfältigste vermieden, aber eben dadurch, wie überhaupt durch die völlige Einheit und Gleichheit, geht auch die Realität der Unter- schiede und Personen, hiemit der mystische Reiz der Trinität verloren. Uebrigens ist diese Bemerkung überflüssig. Alle Einwendungen, die man gegen die Auffassungsweise im ersten Theil dieser Schrift vorbringen kann, kommen im zweiten Theil zwar nicht ausdrücklich, was zu langweilig wäre, aber dem Princip nach zur Sprache. . Der Sohn ist also das weibliche Abhängigkeitsgefühl in Gott; der Sohn dringt uns daher auch unwillkührlich das Bedürfniß nach einem wirklichen weiblichen Wesen auf In der jüdischen Mystik ist Gott nach einer Partei ein männliches, . Feuerbach . 6 Der Sohn, auch der natürliche menschliche Sohn, ist an und für sich ein Mittelwesen zwischen dem männlichen Wesen des Vaters und dem weiblichen der Mutter; er ist gleichsam noch halb Mann, halb Weib, indem er noch nicht das volle rigorose Selbstständigkeitsbewußtsein hat, welches den Mann charakterisirt, und mehr zur Mutter als zum Vater sich hinge- zogen fühlt. Die Liebe des Sohnes zur Mutter ist die erste Liebe des männlichen Wesens zum weiblichen. Die Liebe des Mannes zum Weibe, des Jünglings zur Jungfrau empfängt ihre religiöse — ihre einzig wahre religiöse — Weihe in der Liebe des Sohns zur Mutter. Die Mutterliebe des Sohnes ist die erste Sehnsucht, die erste Demuth des Mannes vor dem Weibe. Nothwendig ist daher auch mit dem Gedanken an den Sohn Gottes der Gedanke an die Mutter Gottes verbun- den — dasselbe Herz das eines Sohnes Gottes, bedarf auch einer Mutter Gottes. Wo der Sohn ist, da kann auch die Mutter nicht fehlen. Dem Vater ist der Sohn eingeboren, aber dem Sohne die Mutter. Dem Vater ersetzt der Sohn das Be- dürfniß der Mutter, aber nicht der Vater dem Sohne. Dem Sohne ist die Mutter unentbehrlich; das Herz des Sohnes ist das Herz der Mutter. Warum wurde denn Gott der Sohn nur im Weibe Mensch? Hätte der Allmächtige nicht auf an- dere Weise, nicht unmittelbar als Mensch unter den Menschen erscheinen können? Warum begab sich also der Sohn in einen weiblichen Schooß? Warum anders, als weil der Sohn die der heilige Geist ein weibliches Urwesen, aus deren geschlechtlicher Vermi- schung der Sohn und mit ihm die Welt entstanden. Gfrörer Jahrh. d. H. I. Abth. p. 332—34. Auch die Herrnhuter nannten den heil. Geist die Mutter des Heilands. Sehnsucht nach der Mutter ist, weil sein weibliches, liebevolles Herz nur in einem weiblichen Leibe den entsprechenden Aus- druck fand? Zwar weilt der Sohn nur neun Monden lang unter dem Obdach des weiblichen Herzens, aber die Eindrücke, die er hier empfängt, sind unauslöschlich. Die Mutter kommt dem Sohne nimmer aus dem Sinne und Herzen. Wenn da- her die Anbetung des Sohnes Gottes kein Götzendienst, so ist auch die Anbetung der Mutter Gottes kein Götzendienst. Schämt sich Gott nicht einen Sohn zu haben, so braucht er sich auch nicht einer Mutter zu schämen. Wenn wir daraus die Liebe Gottes zu uns erkennen sollen, daß er seinen einge- bornen Sohn, d. h. das einzige Kind, das Liebste und Theuerste, was er hatte, für uns zum Heile dahin gab; so können wir diese Liebe noch weit besser erkennen, wenn uns in Gott ein Mutterherz entgegenschlägt. Die höchste und tiefste Liebe ist die Mutterliebe. Der Vater tröstet sich über den Verlust des Sohnes; er hat ein stoisches Princip in sich. Die Mutter dagegen ist untröstlich; die Mutter ist die Schmerzenreiche, aber die Trostlosigkeit die Wahrheit der Liebe. Wo der Glaube an die Mutter Gottes sinkt, da sinkt auch der Glaube an den Sohn Gottes und den Gott Vater. Der Vater ist nur da eine Wahrheit, wo die Mutter eine Wahr- heit ist. Die Liebe ist an und für sich weiblichen Geschlechts und Wesens. Der Glaube an die Liebe Gottes ist der Glaube an das weibliche als ein göttliches Princip. Liebe ohne Natur ist ein Unding, ein Phantom. An der Liebe er- kennt die heilige Nothwendigkeit und Tiefe der Natur! Der Protestantismus Es ist hier wie anderwärts natürlich immer nur der religiöse oder theologische Protestantismus gemeint. hat die Mutter Gottes auf die 6* Seite gesetzt Im Concordienbuch Erklär. Art. 8. heißt es jedoch noch von ihr: „Darum sie wahrhaftig Gottes Mutter und gleichwohl eine Jungfrau geblieben ist.“ ; aber das zurückgesetzte Weib hat sich dafür schwer an ihm gerochen. Die Waffen, die er gegen die Mut- ter Gottes gebraucht, haben sich gegen ihn selbst, gegen den Sohn Gottes, gegen die gesammte Dreieinigkeit gekehrt. Wer einmal die Mutter Gottes dem Verstande aufopfert, hat nicht mehr weit hin, auch das Mysterium des Sohnes Gottes als einen Anthropomorphismus aufzuopfern. Der Anthropomor- phismus wird allerdings versteckt, indem das weibliche Wesen ausgeschlossen wird, aber nur versteckt, nicht aufgehoben. Frei- lich hatte der Protestantismus auch kein Bedürfniß nach einem himmlischen Weibe, weil er das irdische Weib mit offnen Armen in sein Herz aufnahm. Aber eben deßwegen hätte er auch so ehrlich und consequent sein sollen, mit der Mutter auch den Vater und Sohn dahin zu geben. Nur wer keine irdi- schen Eltern hat, braucht himmlische Eltern. Der dreieinige Gott ist der Gott des Katholicismus; er hat eine innige, inbrünstige, nothwendige, wahrhaft religiöse Bedeu- tung nur im Gegensatze zur Negation aller substanziellen Sit monachus quasi Melchisedech sine patre, sine matre, sine genealogia : neque patrem sibi vocet super terram. Imo sic se existemet, quasi ipse sit solus et Deus . (Speculum Monach. unter den unächten Schriften des heil. Bernh.) Melchisedech .... refertur ad exemplum, ut tanquam sine patre et sine matre sacerdos esse debeat. Ambrosius (irgendwo.) Bande, im Gegensatze zum Anachoreten-, Mönchs- und Non- nenwesen. Der dreieinige Gott ist ein inhaltsvoller Gott, deßwegen da ein Bedürfniß, wo von dem Inhalt des wirkli- chen Lebens abstrahirt wird. Je leerer das Leben , desto voller , desto concreter, wie man zu reden beliebt, desto reicher ist Gott . Die Entleerung der wirklichen Welt und die Er- füllung der Gottheit ist ein Act. Gott entspringt aus dem Gefühl eines Mangels ; was der Mensch vermißt — sei dieses nun ein bestimmtes, bewußtes oder unbestimmtes Ver- missen — das ist Gott . So bedarf das trostlose Gefühl der Leere und Einsamkeit einen Gott, in dem Gesellschaft , ein Verein sich innigst liebender Wesen ist. Hier haben wir den wahren Erklärungsgrund, warum die Trinität in der neuern Zeit zuerst ihre praktische und end- lich auch ihre theoretische Bedeutung verlor. Das Geheimniß des Logos und göttlichen Ebenbildes. Die wesentliche Bedeutung der Trinität für die Religion concentrirt sich in dem Begriffe der zweiten Person. Das warme Interesse der christlichen Menschheit an der Trinität war hauptsächlich nur das Interesse an dem Sohne Gottes. Der heftige Streit über das Homousios und Homoiousios war kein leerer, obwohl nur ein Buchstabe den Unterschied aus- macht. Es handelte sich hier um die Gottebenbürtigkeit, um die göttliche Würde der zweiten Person, hiemit um die Ehre der christlichen Religion selbst Aus demselben Grunde bestand auch die lateinische Kirche so fest auf dem Dogma, daß der heil. Geist nicht vom Vater allein , wie die grie- chische Kirche behauptete, sondern zugleich auch vom Sohne ausgehe. S. hierüber J. G. Walchii Hist. Contr. Gr. et Lat. de proc. Spiritus s. Jenae 1751. ; denn ihr wesentlicher cha- rakteristischer Gegenstand ist eben die zweite Person; was aber der wesentliche Gegenstand einer Religion, das ist auch ihr wesentlicher, wahrer Gott. Der wahre, reale Gott einer Religion ist überhaupt erst der sogenannte Mittler , weil dieser nur der unmittelbare Gegenstand der Religion ist. Wer sich statt an Gott, an den Heiligen wendet, der wendet sich an den Heiligen nur in der Voraussetzung, daß dieser Al- les über Gott vermag , daß, was er bittet, d. h. wünscht und will, Gott gutwillig vollstreckt, d. h. daß Gott in den Händen des Heiligen ist. Die Bitte ist das Mittel, unter dem Scheine der Demuth und Unterwürfigkeit, seine Herr- schaft und Superiorität über ein andres Wesen auszuüben. Der König herrscht, aber regiert nicht — dieser Grundsatz gilt auch von dem Regiment der Heiligen. Woran ich mich zu- erst in meinem Geiste wende, das ist mir auch in Wahrheit das erste Wesen. Ich wende mich an den Heiligen, nicht weil der Heilige von Gott , sondern weil Gott von dem Heiligen abhängig ist , Gott von den Bitten, d. h. von dem Willen und Herzen des Heiligen bestimmt und beherrscht wird. Die Unterschiede, welche die katholischen Theologen zwischen Latria, Dulia, Hyperdulia machen, sind abgeschmackte, grundlose Sophismen. Kurz, der Gott hinter dem Mittler ist nur eine abstracte müßige Vorstellung, die Vorstellung oder Idee der Gottheit; und nicht, um sich mit dieser Idee zu versöhnen, sondern um sie zu entfernen , zu negiren Dieß ist besonders deutlich in der Menschwerdung ausgesprochen. Gott gibt auch, negirt seine Majestät und überweltliche Macht, d. i. seine Unendlichkeit, um Mensch zu werden, d. h. der Mensch negirt den Gott, der nicht selbst Mensch ist, bejaht nur den Gott, welcher den Menschen be- jaht. Exinanivit , sagt der heil. Bernhard, majestate et potentia, non bo- nitate et misericordia . Das Unveräußerliche, das nicht zu Negirende ist die göttliche Güte und Barmherzigkeit, d. i. die Selbstbejahung des menschlichen Herzens. , um einzugestehen, daß sie kein Gegenstand für die Religion ist, tritt der Mittler dazwischen. Der Gott über dem Mittler ist nichts andres als der kalte Verstand über dem Herzen — ähnlich dem Fatum über den olympischen Göttern. Gott als Vater, d. i. Gott als Gott — denn der Vater ist das Princip der ganzen Dreieinigkeit, principium totius trinitatis — ist, um diesen Gegenstand noch einmal aufzu- nehmen, nur Gegenstand des Denkens . Er ist das un- sinnliche, gestaltlose, unfaßbare, bildlose Wesen, das abstracte, negative Wesen; er wird nur durch Abstraction und Ne- gation ( via negationis ) erkannt, d. i. Gegenstand. Warum? weil er nichts ist als das gegenständliche Wesen der Denk- kraft , überhaupt der Kraft oder Thätigkeit, wodurch sich der Mensch der Vernunft, des Geistes, der Intelligenz bewußt wird Wer sich daher an die Denkmacht stößt, der setze dafür irgend eine andre geistige Macht, etwa die Willensmacht oder was ihm sonst beliebt. So schrieben einige Theologen dem heil. Geist vorzugsweise die Liebe, dem Sohne die Weisheit, dem Vater die Macht potentia zu. . Der Mensch kann keinen andern Geist , d. h. — denn der Begriff des Geistes ist lediglich der Begriff der Erkenntniß, der Vernunft , jeder andre Geist ein Gespenst der Phantasie — keine andre Intelligenz oder Vernunft ahn- den, vorstellen, glauben, denken als die Vernunft, die ihn er- leuchtet. Er kann nichts weiter als die Intelligenz abson- dern von den Schranken seiner Individualität . Gott als Gott ist daher nichts andres als die von den Schranken der Individualität, der Leiblichkeit — denn Individua- lität und Leiblichkeit sind untrennbar — abgesonderte In- telligenz . Gott, sagten die Scholastiker, die Kirchenväter und lange vor ihnen schon die heidnischen Philosophen: Gott ist Geist, reiner Geist, immaterielles Wesen, Intelligenz. Von Gott als Gott kann man sich kein Bild machen; aber kannst Du Dir von der Vernunft, von der Intelligenz ein Bild ma- chen? Hat sie eine Gestalt? Ist ihre Thätigkeit nicht die un- faßbarste, die undarstellbarste? Gott ist unbegreiflich; aber kennst Du das Wesen der Intelligenz? Hast Du die geheim- nißvolle Operation des Denkens, das geheime Wesen des Selbstbewußtseins erforscht? Ist nicht das Selbstbewußtsein, die Intelligenz das Räthsel der Räthsel? Haben nicht schon die alten Mystiker, Scholastiker und Kirchenväter die Unfaß- lichkeit und Undarstellbarkeit Gottes mit der Unfaßlichkeit und Unbegreiflichkeit der menschlichen Seele verglichen, erläutert? nicht also in Wahrheit das Wesen Gottes mit dem Wesen der Seele identificirt? Der Unterschied zwischen dem „ unendlichen und end- lichen Geist,“ welcher so sehr die hyperphysischen Speculanten torquirt, ist nichts als der Unterschied zwischen dem Geiste an sich, der Intelligenz an sich , abgesondert von den Schran- ken der Individualität, und dem seiner Schranken sich be- wußten Individuum . Der religiöse Mensch faßt alle Dinge, weil er sich nicht in ihr Wesen vertieft, nur auf den überwelt- lichen Gott sich bezieht, nur im Scheine auf; der Schein ist ihm das Wesen; das wirkliche Wesen der Dinge an sich daher ein andres Wesen , ein von ihnen unterschiednes Wesen — Gott . Die Intelligenz, der Verstand oder die Vernunft, wie der Religiöse sie mit Bewußtsein faßt, ist ihm, weil nur in ihrem Scheine Gegenstand, nicht Gott, son- dern vielmehr etwas Endliches, Menschliches; aber das ihm unbekannte Wesen der Intelligenz, die Intelligenz, wie sie nicht Gegenstand seines Bewußtseines ist, als ein andres gegenständliches Wesen gesetzt, das ist ihm Gott überhaupt, Gott im Allgemeinen, Gott der Vater, d. i. die Idee der Gottheit oder der abstracte Gott . Aber die Intelligenz als solche entspricht, als eine abge- zogne unsinnliche Thätigkeit und Wesenheit, nicht dem sinnli- chen und gemüthlichen Menschen. Den sinnlichen und gemüth- lichen Menschen beherrscht und beseligt nur das Bild . Die bildliche, die gemüthliche, die sinnliche Vernunft ist die Phan- tasie . Das zweite Wesen in Gott, in Wahrheit das erste Wesen der Religion, ist das gegenständliche Wesen der Phantasie . Die Bestimmungen der zweiten Person sind vorzüglich Bilder . Und diese Bilder kommen nicht her von dem Unvermögen des Menschen, den Gegenstand nicht anders denken zu können als bildlich — was eine ganz falsche Inter- pretation ist — sondern die Sache selbst kann gar nicht an- ders gedacht werden, denn bildlich, weil die Sache selbst Bild ist . Der Sohn heißt daher auch expreß das Ebenbild Gottes Proprium est filio esseimaginem , quia illi convenit se- cundum proprietatem originis. .... Filius ex eo, quod ab alio est, habet quem imitetur ..... ideo dicit Augustinus , quod eo imago est quo filius. Albertus M. de mir. sci. Dei. P. I. Tr. VIII. Qu. 35. m. 2. . Sein Wesen ist, daß er Bild ist. Der Sohn ist das befriedigte Bedürfniß der Bilderschau; das vergegenständ- lichte Wesen der Bilderthätigkeit als einer absoluten, gött- lichen Thätigkeit. Der Mensch macht sich ein Bild von Gott, d. h. er verwandelt das abstracte Vernunftwesen , das Wesen der Denkkraft in ein Phantasiewesen . Er setzt aber dieses Bild in Gott selbst, weil es natürlich nicht seinem Bedürfniß entsprechen würde, wenn er dieses Bild nicht als objective Realität wüßte, wenn dieses Bild für ihn nur ein subjectives, von Gott unterschiednes , von ihm gemachtes wäre. In der That ist es auch kein gemachtes, kein willkühr- liches; denn es drückt die Nothwendigkeit der Phantasie aus, die Nothwendigkeit, die Phantasie als eine göttliche Macht zu bejahen. Der Sohn ist der Abglanz der Phantasie, das Lieb- lingsbild des Herzens; aber eben deßwegen, weil er nur der Phantasie Gegenstand, ist er nur das gegenständliche Wesen der Phantasie. Es erhellt hieraus, wie befangen die dogmatische Specu- lation ist, wenn sie, völlig übersehend die innere Genesis des Sohnes als des Gottesbildes, den Sohn als ein metaphysi- sches Ens, als eine Gedankenwesenheit demonstrirt, da eben der Sohn das Bedürfniß nach einem andern Wesen, als das metaphysische Wesen ist, ausdrückt, gewisser Maaßen ein Ab- sprung, ein Abfall von der Idee der Gottheit ist — ein Abfall, den aber natürlich der religiöse Mensch in Gott selbst setzt, um den Abfall zu rechtfertigen, nicht als Abfall zu empfinden. Der Sohn ist das oberste und letzte Princip des Bilderdienstes ; denn er ist das Bild Gottes; das Bild tritt aber nothwen- dig an die Stelle der Sache . Die Verehrung des Heiligen im Bilde ist die Verehrung des Bildes als des Heili- gen . Das Bild ist das Wesen der Religion, wo das Bild der wesentliche Ausdruck, das Organ der Religion ist. Das Concilium zu Nicäa führte unter andern Gründen für den religiösen Gebrauch der Bilder als Autorität auch den Gregor von Nyssa an, welcher sagt, daß er ein gewisses Bild, welches Isaaks Opferung darstellte, nie habe ansehen können, ohne darüber bis zu Thränen gerührt zu werden, weil es ihm so lebendig diese heilige Geschichte vergegenwärtigt habe. Aber die Wirkung des abgebildeten Gegenstandes ist nicht die Wirkung des Gegenstandes als solche , sondern die Wirkung des Bildes . Der heilige Gegenstand ist nur der Heiligen- schein , in welchen das Bild seine geheimnißvolle Macht ver- hüllt. Der religiöse Gegenstand ist nur ein Vorwand der Phantasie, um ihre Herrschaft über den Menschen ungehin- dert ausüben zu können. Für das religiöse Bewußtsein knüpft sich freilich und zwar nothwendig die Heiligkeit des Bildes nur an die Heiligkeit des Gegenstandes. Aber das religiöse Bewußtsein ist nicht der Maaßstab der Wahrheit. So sehr übrigens auch die Kirche zwischen dem Bilde und dem Gegen- stand des Bildes unterschieden, geläugnet hat, daß dem Bilde die Verehrung gelte, so hat sie doch zugleich nolens volens die Wahrheit indirect wenigstens eingestanden und die Heilig- keit des Bildes ausgesprochen Sacram imaginem Domini nostri Jesu Christi et omnium salva- toris aequo honore cum libro sanctorum evangeliorum adorari decerni- mus. … Dignum est enim ut … propter honorem qui ad principalia refertur, etiam derivative imagines honorentur et adorentur. Gener. Const. Conc . VIII. Act. 10. can. 3. . Aber das letzte, höchste Princip der Bilderverehrung ist die Verehrung des Gottesbildes in Gott. Der „Abglanz Got- tes“ ist der entzückende Glanz der Phantasie, der in den sicht- baren Bildern nur zur äußern Erscheinung gekommen. Wie innerlich, so war auch äußerlich das Bild des Gottesbildes das Bild der Bilder. Die Bilder der Heiligen sind nur opti- sche Vervielfältigungen des einen und selben Bildes. Die speculative Deduction des Gottesbildes ist daher nichts als eine unbewußte Deduction und Begründung des Bilderdien- stes, denn die Sanction des Princips ist nothwendig auch die Sanction seiner nothwendigen Consequenzen; aber die Sanction des Urbildes ist die Sanction des Abbildes. Wenn Gott ein Bild von sich hat, warum soll ich kein Bild von Gott haben? Wenn Gott sein Ebenbild wie sich selbst liebt, warum soll auch ich das Bild Gottes nicht wie Gott selbst lieben? Wenn das Bild Gottes Gott selbst ist, warum soll das Bild des Heiligen nicht der Heilige selbst sein? Wenn es keine Superstition ist, daß das Bild, welches sich Gott von sich macht, kein Bild, kein Gedanke, sondern Substanz, Person ist, warum soll es denn Superstition sein, daß das Bild des Hei- ligen die empfindende Substanz des Heiligen selbst ist? Das Bild Gottes ist lebendig; warum soll denn das Bild des Hei- ligen todt sein? Das Bild Gottes thränt und blutet; warum soll denn das Bild des Heiligen nicht auch thränen und blu- ten? Soll der Unterschied daher kommen, daß das Heiligenbild ein Product der Hände? Ei; die Hände haben dieses Bild nicht gemacht, sondern der Geist, der diese Hände beseelte, die Phantasie, und wenn Gott sich ein Bild von sich macht, so ist dieses Bild auch nur ein Product der Einbildungskraft. Oder soll der Unterschied daher kommen, daß das Gottesbild ein von Gott selbst producirtes, das Heiligenbild aber ein von ei- nem andern Wesen gemachtes ist? Ei; das Heiligenbild ist auch eine Selbstbethätigung des Heiligen; denn der Heilige erscheint dem Künstler; der Künstler stellt ihn nur dar, wie er sich selbst ihm dargestellt. Eine andere mit dem Wesen des Bildes zusammenhän- gende Bestimmung der zweiten Person ist, daß sie das Wort Gottes ist Ueber die Bedeutung des Wortes: Logos im N. T. ist viel geschrie- ben worden. Wir halten uns hier an das Wort Gottes als die im Chri- . Das Wort ist ein abstractes Bild, die imaginäre Sache, oder inwiefern jede Sache immer zuletzt auch ein Object der Denkkraft ist, der eingebildete Gedanke, daher die Menschen, wenn sie das Wort, den Namen einer Sache kennen, sich ein- bilden, auch die Sache selbst zu kennen. Das Wort ist eine Sache der Einbildungskraft. Schlafende, die lebhaft träumen, Kranke, die phantasiren, sprechen. Was die Phantasie erregt, macht redselig, was begeistert, beredt. Sprachfähigkeit ist ein poe- tisches Talent. Die Thiere sprechen nicht, weil es ihnen an Poesie fehlt. Der Gedanke äußert sich nur bildlich; die Aeußerungs- kraft des Gedankens ist die Einbildungskraft; die sich äußernde Einbildungskraft aber die Sprache. Wer spricht, bannt, fasci- nirt den, zu dem er spricht; aber die Macht des Worts ist die Macht der Einbildungskraft. Ein Wesen, ein geheimnißvolles, magisch wirkendes Wesen war nur den alten Völkern, als Kin- dern der Einbildungskraft, das Wort. Selbst die Christen noch und nicht nur die gemeinen, sondern auch die gelehrten, die Kirchenväter, knüpften an den bloßen Namen : Christus geheimnißvolle Heilkräfte Tanta certe vis nomini Jesu inest contra daemones, ut non- nunquam etiam a malisnominatum sit efficax. Origenes adv. Cel- sum . I. I. S. auch I. III. . Und noch heute glaubt das ge- meine Volk, daß man durch bloße Worte den Menschen be- stenthum geheiligte Bedeutung. Ueber den Logos bei Philo s. Gfrörer . Philo setzt statt Logos auch ῥημα ϑεοῦ. S. auch Tertullian . adv. Praxeam c . 5, wo er zeigt, daß es auf Eins hinauskommt, ob man Logos mit Sermo oder Ratio übersetzt. Daß übrigens das Wort der richtige Sinn des Logos ist, geht schon daraus hervor, daß die Schöpfung im A. T. von einem ausdrücklichen Befehl abhängig gemacht wird und daß man von jeher in diesem schöpferischen Worte den Logos erblickt hat. Freilich hat der Logos auch den Sinn von Virtus, Spiritus, Kraft, Verstand u. s. w., denn was ist das Wort ohne Sinn, ohne Verstand, d. i. ohne Kraft? zaubern könne. Woher dieser Glaube an eingebildete Kräfte des Wortes? nur daher, weil das Wort selbst nur ein Wesen der Einbildungskraft ist, aber eben deßwegen narkotische Wir- kungen auf den Menschen äußert, ihn unter die Herrschaft der Phantasie gefangen nimmt. Worte besitzen Revolutionskräfte, Worte beherrschen die Menschheit. Heilig ist die Sage ; aber verrufen die Sache der Vernunft und Wahrheit. Die Bejahung oder Vergegenständlichung des Wesens der Phantasie ist daher zugleich verbunden mit der Bejahung oder Vergegenständlichung des Wesens der Sprache: des Wortes . Der Mensch hat nicht nur einen Trieb, eine Nothwendigkeit, zu denken, zu sinnen, zu phantasiren; er hat auch den Trieb zu sprechen , seine Gedanken zu äußern, mitzutheilen. Gött- lich ist dieser Trieb, göttlich die Macht des Wortes. Das Wort ist der bildliche, der offenbare, der ausstrahlende, der glän- zende, der erleuchtende Gedanke. Das Wort ist das Licht der Welt. Das Wort leitet in alle Wahrheit, erschließt alle Geheimnisse, veranschaulicht das Unsichtbare, vergegenwärtigt das Vergangne und Entfernte, verendlicht das Unendliche, ver- ewigt das Zeitliche. Die Menschen vergehen, das Wort be- steht; das Wort ist Leben und Wahrheit. Dem Wort ist alle Macht übergeben: das Wort macht Blinde sehend, Lahme gehend, Kranke gesund, Todte lebendig — das Wort wirkt Wunder und zwar die allein vernünftigen Wunder. Das Wort ist das Evangelium, der Paraklet der Menschheit. Denke Dich, um Dich von der göttlichen Wesenheit der Sprache zu überzeugen, einsam und verlassen, aber der Sprache kundig und Du hörtest zum ersten Male das Wort eines Menschen: würde Dir nicht dieses Wort als ein Engel erscheinen, nicht als die Stimme Gottes selbst, als die himmlischste Musik er- klingen? Das Wort ist in der That nicht ärmer, nicht seelen- loser als der musikalische Ton, obwohl der Ton unendlich mehr zu sagen scheint , als das Wort, und deßwegen, weil ihn dieser Schein, diese Illusion umgibt, tiefer und reicher als das Wort erscheint. Das Wort hat erlösende, versöhnende, beglückende Kraft. Die Sünden, die wir bekennen, sind uns vergeben kraft der gött- lichen Macht des Wortes. Versöhnt scheidet der Sterbende, der noch die längst verschwiegene Sünde bekannt. Die Verge- bung der Sünde liegt im Eingeständniß der Sünde. Die Schmerzen, die wir dem Freunde offenbaren, sind schon halb geheilt. Worüber wir sprechen, darüber mildern sich unsre Leidenschaften; es wird helle in uns; der Gegenstand des Zor- nes, des Aergers, des Kummers erscheint uns in einem Lichte, in welchem wir die Unwürdigkeit der Leidenschaft erkennen. Worüber wir im Dunkel und Zweifel sind, wir dürfen nur darüber sprechen — oft in dem Augenblick schon, wo wir den Mund aufthun, um den Freund zu fragen, schwinden die Zwei- fel und Dunkelheiten. Das Wort macht endlich den Menschen frei . Wer sich nicht äußern kann, ist ein Sklav. Sprachlos ist darum die übermäßige Leidenschaft, die übermäßige Freude, der übermäßige Schmerz. Sprechen ist ein Freiheitsact ; das Wort ist selbst Freiheit. Mit Recht gilt deßwegen die Sprachbildung für die Wurzel der Bildung. Wo das Wort cultivirt wird, da wird die Menschheit cultivirt. Die Barbarei des Mittelalters schwand mit der Bildung der Sprache. Wie wir nichts Andres als göttliches Wesen ahnden, vorstellen, denken können, denn das Vernünftige, welches wir denken, denn das Gute, welches wir lieben, das Schöne, wel- ches wir empfinden; so kennen wir auch keine höhere, geistige, wirkende Macht und Kraftäußerung, als die Macht des Wor- tes. Gott ist der Inbegriff aller Realität . Alles, was der Mensch als Realität empfindet oder erkennt, muß er in Gott setzen. Die Religion muß sich daher auch der Macht des Wortes als einer göttlichen Macht bewußt werden. Das Wort Gottes ist die Göttlichkeit des Wortes, wie sie in- nerhalb der Religion dem Menschen Gegenstand wird; denn es gehört, wie bereits gezeigt, zur differentia specifica der Religion, daß sie überall das eigentliche Subject zum Prädi- cat und eine allgemeine Wahrheit zu einer particulären macht — so hier das allgemeine Wesen des Wortes zu einem beson- dern, persönlichen Wesen — aber zugleich so, daß doch immer die allgemeine Wahrheit, die Natur der Sache, durch die par- ticuläre Wahrheit hindurch schimmert. Das Geheimniß des kosmogonischen Princips in Gott. Die zweite Person ist als der sich offenbarende, äußernde, sich aussprechende Gott ( Deus se dicit ) das weltschöpferi- sche Princip in Gott. Das heißt aber nichts Andres als: die zweite Person ist das Mittelwesen zwischen dem un- sinnlichen Wesen Gottes und dem sinnlichen Wesen der Welt, das göttliche Princip des Endlichen , des von Gott Unterschiedenen. Die zweite Person hat einen, obwohl der Vorstellung nach zeitlosen, Anfang, einen Grund; sie ist ge- zeugt, das erste der erzeugten Wesen. Sie hat also als ge- zeugt, als nicht a se, von sich seiend, die allgemeine Grund- bestimmung des Endlichen in sich Hylarius .... Siquis innascibilem et sine initio dicat filium, quasi duo sine principio et duo innascibilia, et duo innata dicens, duos . Aber zugleich ist sie noch nicht ein wirkliches endliches Wesen, außer Gott gesetzt; sie ist vielmehr noch identisch mit Gott — so identisch als es mit dem Vater der Sohn ist, der zwar eine andre Person, aber doch gleiches Wesen mit dem Vater hat. Die zweite Person repräsentirt uns daher nicht den reinen Begriff der Gottheit, aber auch nicht den reinen Begriff der Menschheit oder Wirklichkeit überhaupt — sie ist ein Mittelwesen zwischen beiden Gegen- sätzen. Der Gegensatz von dem unsinnlichen oder unsichtbaren göttlichen Wesen und dem sinnlichen oder sichtbaren Wesen der Welt ist aber nichts andres als der Gegensatz zwischen dem Wesen der Abstraction und dem Wesen der sinnlichen Anschauung , das die Abstraction mit der sinnlichen Anschau- ung Verknüpfende aber die Phantasie oder Einbildungs- kraft : folglich ist der Uebergang von Gott zur Welt ver- mittelst der zweiten Person nur der vergegenständlichte Uebergang von der Abstractionskraft vermittelst der Phantasie zur Sinnlichkeit . Die Phantasie ist es allein, durch die der Mensch den Gegensatz zwischen Gott und Welt aufhebt, vermittelt. Alle religiösen Kosmogonien sind Phanta- sien — jedes Mittelwesen zwischen Gott und Welt, es werde nun bestimmt, wie es wolle, ein Phantasiewesen. Die psycho- logische Wahrheit und Nothwendigkeit, die allen diesen Theo- und Kosmogonien zu Grunde liegt, ist die Wahrheit und Nothwendigkeit der Einbildungskraft als des Ter- minus medius zwischen dem Abstracten und Concre- ten . Und die Philosophie, die ihrer selbstbewußte Philosophie faciat Deos, anathema sit. Caput enim quod est principium omnium, filius . Caput autem quod est principium Christi, deus . .... Fi- lium innascibilem confiteri impiissimum est. Petrus Lomb. Sent . I. I. dist. 31. c. 4. Feuerbach . 7 hat daher, in Beziehung auf diese Materie, wenn sie dieselbe zu einem Gegenstande ihrer Untersuchung macht, nur die all- gemeine Aufgabe, das Verhältniß der Einbildungskraft zur Vernunft, die Genesis des Bildes, wodurch ein Object des Gedankens zu einem Object des Sinnes, des Gefühls wird, zu begreifen. Das Wesen der Einbildungskraft ist jedoch die volle er- schöpfende Wahrheit des kosmogonischen Wesens nur da, wo der Gegensatz von Gott und Welt nichts ausdrückt als den unbestimmten Gegensatz von dem unsinnlichen, unsichtbaren, unfaßlichen Wesen, Gott, und dem sichtbaren, handgreiflichen Wesen der Welt. Wird dagegen das kosmogonische Wesen abstracter erfaßt und ausgedrückt, so, wie es von der religiösen Speculation geschieht, so haben wir auch eine abstractere psycho- logische Wahrheit als seine Grundlage zu erkennen. Die Welt ist nicht Gott, sie ist das Andere, der Gegen- satz Gottes, oder wenigstens — wenn dieser Ausdruck zu stark sein sollte, weil er das Kind beim rechten Namen nennt — das von Gott Unterschiedene. Aber das von Gott Unterschie- dene kann nicht unmittelbar aus Gott kommen, sondern nur aus einem Unterschied von Gott in Gott. Die andere Per- son ist der sich in sich von sich unterscheidende, sich selbst sich gegenüber und entgegen setzende, darum sich Gegenstand seiende, bewußte Gott. Die Selbstunterscheidung Gottes von sich ist der Grund des von ihm Unterschiedenen — das Selbstbewußtsein also der Ursprung der Welt. Gott denkt die Welt erst dadurch, daß er sich gedacht — sich Denken ist sich Zeugen, die Welt denken die Welt schaffen. Die Zeugung geht der Schöpfung vor. Die productive Idee der Welt, ei- nes anderen Wesens, das nicht Gott ist, wird vermittelt durch die productive Idee eines anderen Wesens, das Gott gleich ist. Dieser kosmogonische Proceß ist nun aber nichts andres als die mystische Periphrase eines psycho-logischen Proces- ses, nichts andres als die Vergegenständlichung der Einheit des Bewußtseins und Selbstbewußtseins . Gott denkt sich — so ist er bewußt, selbstbewußt — Gott ist das Selbst- bewußtsein als Object, als Wesen gesetzt; aber indem er sich weiß, sich denkt, so denkt er auch damit zugleich ein Andres als Er selbst ist; denn Sich wissen ist Sich unterscheiden von Anderem, sei dieses nun ein mögliches, nur vorgestelltes, oder ein wirkliches. So ist also zugleich die Welt — wenigstens die Möglichkeit, die Idee der Welt — gesetzt mit dem Bewußt- sein oder vielmehr vermittelt durch dasselbe. Der Sohn, der von sich gedachte, der gegenständliche, der urabbildliche, der an- dere Gott ist das Princip der Weltschöpfung. Die Wahrheit, die zu Grunde liegt, ist das Wesen des Menschen: die Iden- tität seines Selbstbewußtseins mit dem Bewußtsein von einem Andern, welches mit ihm identisch , und von einem Andern, welches nicht mit ihm identisch ist. Und das zweite, das we- sensgleiche Andre ist nothwendig das Mittelglied, der Termi- nus medius zwischen dem Ersten und Dritten. Der Gedanke eines Andern überhaupt , eines wesentlich Andern ent- steht mir erst durch den Gedanken eines im Wesen mir glei- chen Andern . Das Bewußtsein der Welt ist das Bewußtsein meiner Beschränktheit — wüßte ich nichts von einer Welt, so wüßte ich nichts von Schranken — aber das Bewußtsein meiner Be- schränktheit steht im Widerspruch mit dem Triebe meiner Selbst- 7* heit nach Unbeschränktheit. Ich kann also von der Selbstheit, sie absolut gedacht — Gott ist das absolute Selbst — nicht unmittelbar zu ihrem Gegentheil übergehen; ich muß diesen Widerspruch einleiten, vorbereiten, mäßigen durch das Bewußt- sein eines Wesens, welches zwar auch ein anderes ist und in sofern mir die Anschauung meiner Beschränktheit gibt, aber so, daß es zugleich mein Wesen bejaht, mein Wesen mir vergegen- ständlicht. Das Bewußtsein der Welt ist ein demüthigendes Bewußtsein — die Schöpfung war ein „Act der Demuth“ — aber der erste Stein des Anstoßes, an dem sich der Stolz der Ichheit bricht, ist das Du, der Alter Ego. Erst stählt das Ich seinen Blick in dem Auge eines Du, ehe es die Anschauung eines Wesens erträgt, welches ihm nicht sein eignes Bild zu- rückstrahlt. Der andere Mensch ist das Band zwischen mir und der Welt. Ich bin und fühle mich abhängig von der Welt, weil ich zuerst von andern Menschen mich abhängig fühle. Bedürfte ich nicht des Menschen, so bedürfte ich auch nicht der Welt. Ich versöhne, ich befreunde mich mit der Welt nur durch den andern Menschen. Ohne den Andern wäre die Welt für mich nicht nur todt und leer, sondern auch sinn- und verstandlos. Nur an dem Andern wird der Mensch sich klar und selbstbewußt; aber erst, wenn ich mir selbst klar, wird mir die Welt klar. Ein absolut für sich allein existirender Mensch würde sich selbstlos und unterschiedslos in dem Ocean der Na- tur verlieren; er würde weder sich als Menschen, noch die Natur als Natur erfassen. Der erste Gegenstand des Menschen ist der Mensch. Der Sinn für die Natur, der uns erst das Bewußt- sein der Welt als Welt erschließt, ist ein späteres Erzeugniß; denn er entsteht erst durch den Act der Absonderung des Men- schen von sich. Den Naturphilosophen Griechenlands gehen die sogenannten sieben Weisen voran, deren Weisheit sich un- mittelbar nur auf das menschliche Leben bezog. Das Bewußtsein der Welt ist also für das Ich vermittelt durch das Bewußtsein des Du. So ist der Mensch der Gott des Menschen . Daß er ist , verdankt er der Natur , daß er Mensch ist, dem Menschen . Wie er nichts physisch vermag ohne den andern Menschen, so auch nichts geistig. Vier Hände vermögen mehr als zwei; aber auch vier Augen sehen mehr als zwei. Und diese vereinte Kraft unterscheidet sich nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ von der vereinzel- ten . Einzeln ist die menschliche Kraft eine beschränkte, ver- einigt eine unendliche Kraft. Beschränkt ist das Wissen des Einzelnen, aber unbeschränkt die Vernunft, unbeschränkt die Wissenschaft, denn sie ist ein gemeinschaftlicher Act der Mensch- heit, und zwar nicht nur deßwegen, weil unzählig Viele an dem Bau der Wissenschaft mit arbeiten, sondern auch in dem innerlichen Sinne, daß das wissenschaftliche Genie einer be- stimmten Zeit die Gedankenkräfte der vorangegangenen Genies in sich vereinigt, wenn auch selbst wieder auf eine bestimmte, individuelle Weise, seine Kraft also keine vereinzelte Kraft ist. Witz, Scharfsinn, Phantasie, Gefühl, als unterschieden von der Empfindung, Vernunft als subjectives Vermögen, alle diese sogenannten Seelenkräfte sind Kräfte der Menschheit , nicht des Menschen als eines Einzelwesens, sind Culturproducte, Producte der menschlichen Gesellschaft. Nur wo sich der Mensch am Menschen stößt und reibt , entzündet sich Witz und Scharf- sinn — mehr Witz ist daher in der Stadt als auf dem Lande, mehr in großen, als kleinen Städten — nur wo sich der Mensch am Menschen sonnt und wärmt , entsteht Gefühl und Phan- tasie — die Liebe, ein gemeinschaftlicher Act, ohne Erwiederung darum der größte Schmerz, ist der Urquell der Poesie — und nur wo der Mensch mit dem Menschen spricht , nur in der Rede, einem gemeinsamen Acte, entsteht die Vernunft. Fragen und Antworten sind die ersten Denkacte. Zum Denken gehö- ren ursprünglich Zwei. Erst auf dem Standpunkt einer höhern Cultur verdoppelt sich der Mensch, so daß er jetzt in und für sich selbst die Rolle des Andern spielen kann. Denken und Sprechen ist darum bei allen alten und sinnlichen Völkern identisch; sie denken nur im Sprechen, ihr Denken ist nur Conversation. Gemeine Leute, d. h. nicht abstract gebildete Leute verstehen noch heute Geschriebenes nicht, wenn sie nicht laut lesen, nicht aussprechen, was sie lesen. Wie richtig ist es in dieser Be- ziehung, wenn Hobbes den Verstand des Menschen aus den Ohren ableitet! Auf abstracte logische Kategorien reducirt, drückt das kos- mogenetische Princip in Gott nichts weiter aus als den tau- tologischen Satz: das Verschiedene kann nur aus einem Prin- cip der Verschiedenheit, nicht aus einem einfachen Wesen kommen. So sehr die christlichen Philosophen und Theologen der Schöpfung aus Nichts das Wort geredet, so haben sie doch wieder den alten Grundsatz: aus Nichts wird Nichts, weil er ein Gesetz des Denkens ausspricht, nicht ganz umgehen kön- nen. Sie haben zwar keine wirkliche Materie als Princip der unterschiednen materiellen Dinge gesetzt, aber sie haben doch den göttlichen Verstand — der Sohn aber ist die Weisheit, die Wissenschaft, der Verstand des Vaters — als den Inbe- griff aller Dinge , als die geistige Materie zum Princip der wirklichen Materie gemacht. Der Unterschied zwischen der heidnischen Ewigkeit der Materie und der christlichen Schöpfung in dieser Beziehung ist nur, daß die Heiden der Welt eine reale, objective, die Christen eine nicht sinnliche Ewigkeit vindi- cirten. Die Dinge waren, ehe sie existirten, aber nicht als Object des Sinnes, sondern des subjectiven Verstandes. Die Christen, deren Princip das Princip der absoluten Subjectivi- tät, denken Alles nur durch dieses Princip vermittelt. Die durch ihr subjectives Denken gesetzte, die vorgestellte, sub- jective Materie ist ihnen daher auch die erste Materie — weit vorzüglicher als die wirkliche objective Materie. Aber dessen ungeachtet ist dieser Unterschied nur ein Unterschied in der Weise der Existenz. Die Welt ist ewig in Gott. Oder ist sie etwa in ihm entstanden, wie ein plötzlicher Einfall, eine Laune? Allerdings kann sich auch dieß der Mensch vorstellen, aber dann vergöttlicht der Mensch nur seinen eignen Unsinn. Bin ich dagegen bei Vernunft, so kann ich die Welt nur ableiten aus ihrem Wesen , ihrer Idee, d. h. eine Art ihrer Existenz aus einer andern Art — mit andern Worten: ich kann die Welt immer nur aus sich selbst ableiten. Die Welt hat ihren Grund in sich selbst , wie Alles in der Welt, was auf den Namen einer Gattungswesenheit Anspruch hat. Die differen- tia specifica, das eigenthümliche Wesen, das, wodurch ein be- stimmtes Wesen ist, was es ist , dieß ist immer ein im gemei- nen Sinne Unerklärliches, Unableitbares, ist durch sich, hat seinen Grund in sich. So ist es nun auch mit der Vielfachheit und Verschie- denheit, wenn wir die Welt auf diese abstracte Kategorie im Gegensatz zur Einfachheit und Identität des göttlichen Wesens reduciren. Die wirkliche Verschiedenheit kann nur abgeleitet werden aus einem in sich selbst verschiedenen Wesen. Aber ich setze die Verschiedenheit nur in das ursprüngliche Wesen, weil mir schon ursprünglich die Verschiedenheit eine positive Realität ist. Wo und wenn die Verschiedenheit an sich selbst Nichts ist, da wird auch im Princip keine Verschiedenheit ge- dacht. Ich setze die Verschiedenheit als eine wesentliche Kate- gorie, als eine Wahrheit, wo ich sie aus dem ursprünglichen Wesen ableite und umgekehrt: beides ist identisch. Der ver- nünftige Ausdruck ist: die Verschiedenheit liegt eben so noth- wendig in der Vernunft, als die Identität. Da nun aber eben die Verschiedenheit eine positive Ver- nunftbestimmung ist, so kann ich die Verschiedenheit nicht ab- leiten, ohne schon die Verschiedenheit vorauszusetzen; ich kann sie nicht erklären außer durch sich selbst , weil sie eine ur- sprüngliche, durch sich selbst einleuchtende, durch sich selbst sich bewährende Realität ist. Wodurch entsteht die Welt, das von Gott Unterschiedene? durch den Unterschied Gottes von sich in Gott selbst. Gott denkt sich, er ist sich Gegenstand, er unter- scheidet sich von sich — also entsteht dieser Unterschied, die Welt, nur von einem Unterschied anderer Art, der äußere von einem innerlichen, der seiende von einem thätigen, einem Un- terscheidungsacte, also begründe ich den Unterschied nur durch sich selbst, d. h. er ist ein ursprünglicher Begriff, ein Non plus ultra meines Denkens, ein Gesetz, eine Nothwendigkeit, eine Wahrheit. Der letzte Unterschied, den ich denken kann, ist der Unterschied eines Wesens von und in sich selbst . Der Un- terschied eines Wesens von einem andern versteht sich von selbst, ist schon durch ihr Dasein gesetzt, eine sinnfällige Wahrheit: es sind zwei . Für das Denken begründe ich aber erst den Un- terschied, wenn ich ihn in ein und dasselbe Wesen aufnehme, wenn ich ihn mit dem Gesetze der Identität verbinde. Hierin liegt die letzte Wahrheit des Unterschieds. Das kos- mogenetische Princip in Gott , auf seine letzten Elemente reducirt, ist nichts andres als der nach seinen einfachsten Mo- menten vergegenständliche Denkact . Wenn ich den Un- terschied aus Gott entferne, so gibt er mir keinen Stoff zum Denken; er hört auf ein Denkobject zu sein; denn der Unter- schied ist ein wesentliches Denkprincip . Und wenn ich daher Unterschied in Gott setze, was begründe, was verge- genständliche ich anders, als die Wahrheit und Nothwendigkeit dieses Denkprincipes? Das Geheimniß der Natur in Gott. Einen interessanten Stoff zur Kritik der kosmo- und theo- gonischen Phantasien liefert die von Schelling aufgefrischte, aus Jacob Böhm geschöpfte Lehre von der ewigen Natur in Gott. Gott ist reiner Geist, lichtvolles Selbstbewußtsein, sittliche Persönlichkeit; die Natur dagegen ist, wenigstens stellenweise, verworren, finster, wüste, unsittlich oder doch nicht sittlich. Es widerspricht sich aber, daß das Unreine aus dem Reinen, die Finsterniß aus dem Lichte komme. Wie können wir also aus Gott diese offenbaren Instanzen gegen eine göttliche Abkunft ableiten? Nur dadurch, daß wir dieses Unreine, dieses Dunkle in Gott setzen, in Gott selbst ein Princip des Lichtes und der Finsterniß unterscheiden. Mit andern Worten: nur dadurch können wir den Ursprung des Finstern erklären, daß wir über- haupt die Vorstellung eines Ursprungs aufgeben, die Finsterniß als seiend von Anbeginn an voraussetzen Es liegt außer unserm Zwecke, diese craß mystische Ansicht zu kriti- siren. Es werde hier nur bemerkt, daß die Finsterniß nur dann erklärt wird, wenn sie aus dem Lichte abgeleitet wird, daß aber nur dann die . Das Finstere in der Natur ist aber das Irrationelle, Materielle, die eigentliche Natur im Unterschiede von der In- telligenz. Der einfache Sinn dieser Lehre ist daher: die Natur, die Materie kann nicht aus der Intelligenz erklärt und abgeleitet werden; sie ist vielmehr der Grund der Intelligenz, der Grund der Persönlichkeit, ohne selbst einen Grund zu haben; der Geist ohne Natur ist ein unreelles Abstractum; das Bewußtsein ent- wickelt sich nur aus der Natur. Aber diese materialistische Lehre wird dadurch in ein mystisches, aber gemüthliches Dun- kel gehüllt, daß sie nicht allgemein, nicht mit den klaren schlich- ten Worten der Vernunft ausgesprochen, sondern vielmehr mit dem heiligen Empfindungsworte Gottes betont wird. Wenn das Licht in Gott aus der Finsterniß in Gott entspringt, so entspringt es nur, weil es in dem Begriffe des Lichts über- haupt liegt, daß es Dunkles erhellt, also das Dunkle voraus- setzt, aber nicht macht. Wenn Du also einmal Gott einem allgemeinen Gesetze unterwirfst — was denn nicht anders als nothwendig ist, wofern Du nicht Gott zum Tummelplatz der sinnlosesten Einfälle machen willst — wenn also eben so gut in Gott, als an und für sich, als überhaupt, das Selbstbe- wußtsein durch ein natürliches Princip bedingt ist, warum ab- strahirst Du nicht von Gott? Was einmal Gesetz des Be- wußtseins an sich, ist Gesetz für das Bewußtsein jedes persön- lichen Wesens, es sei Mensch, Engel, Dämon, Gott oder was Du nur immer Dir sonst noch als Wesen einbilden magst. Worauf reduciren sich denn, bei Lichte besehen, die beiden Prin- Ableitung des Dunkeln in der Natur aus dem Lichte als eine Unmöglichkeit erscheint, wenn man so blind ist, daß man nicht auch in der Finsterniß noch Licht erblickt, nicht bemerkt, daß das Dunkel der Natur kein absolutes, son- dern gemäßigtes, durch das Licht temperirtes Dunkel ist. cipien in Gott? Das eine auf die Natur, wenigstens die Na- tur, wie sie in Deiner Vorstellung existirt, abstrahirt von ihrer Wirklichkeit, das andere auf Geist, Bewußtsein, Persönlichkeit. Nach seiner einen Hälfte, nach seiner Rück- und Kehrseite nennst Du Gott nicht Gott, sondern nur von seiner Vorder- seite, sein Gesicht, wornach er Dir Geist, Bewußtsein zeigt: also ist sein specifisches Wesen, das worin er Gott ist, Geist, Intelligenz, Bewußtsein . Warum machst Du denn aber, was das eigentliche Subject in Gott als Gott, d. i. als Geist ist, zu einem bloßen Prädicat, als wäre Gott als Gott, auch ohne Geist, ohne Bewußtsein Gott? warum anders als weil Du denkst als Sklave der mystisch religiösen Imagination, weil das primäre Princip in Dir die Imagination, das secun- däre, formelle nur, das Denken ist, weil es Dir nur wohl und heimlich ist im trügerischen Zwielicht des Mysticismus? Mysticismus ist Deuteroskopie. Der Mystiker speculirt über das Wesen der Natur oder des Menschen, aber in und mit der Einbildung , daß er über ein anderes , von beiden unterschiedenes, persönliches Wesen speculirt. Der Mystiker hat dieselben Gegenstände, wie der einfache, selbstbewußte Denker; aber der wirkliche Gegenstand ist dem Mystiker nur Object, nicht als er selbst , sondern als ein eingebildeter , und daher der eingebildete Gegenstand ihm der wirkliche Gegenstand. So ist hier, in der mystischen Lehre von den zwei Principien in Gott, der wirkliche Gegenstand die Pa- thologie , der eingebildete die Theologie ; d. h. die Pa- thologie wird zur Theologie gemacht. Dagegen ließe sich nun eigentlich nichts sagen, wenn mit Bewußtsein die wirkliche Pathologie als Theologie erkannt und ausgesprochen würde; unsre Aufgabe ist es ja eben, zu zeigen, daß die Theologie nichts ist als eine sich selbst verborgene, als die esoterische Pa- tho-, Anthropo- und Psychologie, und daß daher die wirkliche Anthropologie, die wirkliche Pathologie, die wirkliche Psycho- logie weit mehr Anspruch auf den Namen Theologie haben, als die Theologie selbst, weil diese doch nichts weiter ist als eine imaginäre Psychologie und Anthropologie. Aber es soll der Inhalt dieser Lehre oder Anschauung — und darum ist sie eben Mystik und Phantastik — nicht Pathologie, sondern Theologie, Theologie im alten oder gewöhnlichen Sinne des Wortes sein; es soll hier das Leben eines andern von uns unterschiednen Wesens aufgeschlossen werden, und es wird doch nur unser eignes Wesen aufgeschlossen, aber zugleich wieder verschlossen, weil es das Wesen eines andern Wesens sein soll. Bei Gott, nicht bei uns menschlichen Individuen — das wäre eine viel zu triviale Wahrheit — soll sich die Vernunft erst nach der Leidenschaft der Natur einstellen, nicht wir, sondern Gott soll sich aus dem Dunkel verworrner Gefühle und Triebe zur Klar- heit der Erkenntniß emporringen, nicht in unsrer subjectiven beschränkten Vorstellungsweise, sondern in Gott selbst soll der Nervenschrecken der Nacht eher sein, als das freudige Bewußt- sein des Lichtes; kurz, es soll hier nicht eine menschliche Krank- heitsgeschichte, sondern die Entwicklungs- d. i. Krankheits- geschichte Gottes — Entwicklungen sind Krankheiten — dargestellt werden. Leider! gehört aber das Sollen der Einbildung, die Wahrheit, die Objectivität nur dem patholo- gischen Element an. Wenn daher der kosmogenetische Unterscheidungsproceß in Gott uns das Licht der Unterscheidungskraft als eine göttliche Wesenheit zur Anschauung bringt; so repräsentirt uns dagegen die Nacht oder Natur in Gott die Leibnitz’schen Pensées confuses als göttliche Kräfte oder Poten- zen . Aber die Pensées confuses, die verworrnen, dunkeln Vorstellungen und Gedanken, richtiger Bilder repräsentiren das Fleisch , die Materie : eine reine, von der Materie abgeson- derte Intelligenz hat nur lichte, freie Gedanken, keine dunkeln, d. i. fleischliche Vorstellungen, keine materiellen, die Phan- tasie erregende, das Blut in Aufruhr bringende Bilder. Die Nacht in Gott sagt daher nichts andres aus, als: Gott ist nicht nur ein geistiges, sondern auch materielles, leibli- ches, fleischliches Wesen ; aber wie der Mensch Mensch ist und heißt nicht nach seinem Fleisch, sondern seinem Geist, so auch Gott. Aber die Nacht spricht dieß nur in dunkeln, mystischen, unbestimmten, hinterhaltigen Bildern aus. Statt des kräftigen, aber eben deßwegen präcisen und picanten Ausdrucks Fleisch setzt sie die vieldeutigen, abstracten Worte: Natur und Grund . „Da nichts vor oder außer Gott ist, so muß er den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. Das sagen alle Philosophien, aber sie reden von diesem Grund als einem bloßen Begriff , ohne ihn zu etwas Reellem und Wirk- lichem zu machen. Dieser Grund seiner Existenz, den Gott in sich hat, ist nicht Gott absolut betrachtet, d. h. sofern er existirt; denn er ist ja nur der Grund seiner Existenz. Er ist die Natur — in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber doch unterschiednes Wesen . Analogisch (?) kann dieses Verhältniß durch das der Schwerkraft und des Lichts in der Natur erläutert werden.“ Aber dieser Grund ist das Nicht- intelligente in Gott. „Was der Anfang einer Intelligenz (in ihr selber) ist, kann nicht wieder intelligent sein.“ „Aus diesem Verstandlosen ist im eigentlichen Sinne der Verstand geboren. Ohne dieß vorausgehende Dunkel gibt es keine Realität der Creatur.“ „Mit solchen abgezognen Begrif- fen von Gott als Actus purissimus, dergleichen die ältere Philosophie aufstellte, oder solchen, wie sie die neuere, aus Für- sorge, Gott ja recht weit von aller Natur zu entfernen, immer wieder hervorbringt, läßt sich überall nichts ausrichten . Gott ist etwas Realeres , als eine bloße moralische Weltord- nung und hat ganz andre und lebendigere Bewegungs- kräfte in sich, als ihm die dürftige Subtilität abstracter Idealisten zuschreibt. — Der Idealismus, wenn er nicht ei- nen lebendigen Realismus zur Basis erhält, wird ein eben so leeres und abgezogenes System, als das Leibnitzische, Spi- nozische oder irgend ein anderes dogmatisches.“ „So lange der Gott des modernen Theismus das einfache, rein wesenhaft sein sollende, in der That aber wesenlose — Wesen bleibt, das er in allen neuern Systemen ist, so lange nicht in Gott eine wirk- liche Zweiheit erkannt und der bejahenden, ausbreitenden Kraft eine einschränkende, verneinende entgegengesetzt wird; so lange wird die Läugnung eines persönlichen Gottes wissen- schaftliche Aufrichtigkeit sein.“ „Alles Bewußtsein ist Concen- tration, ist Sammlung, ist Zusammennehmen, Zusammenfassen seiner selbst. Diese verneinende, auf es selbst zurückgehende Kraft eines Wesens, ist die wahre Kraft der Persönlichkeit in ihm, die Kraft der Selbstheit, der Egoität.“ „Wie sollte eine Furcht Gottes sein, wenn keine Stärke in ihm wäre? Daß aber Etwas in Gott sei, das bloß Kraft und Stärke sei, kann nicht befremden, wenn man nur nicht behauptet, daß er allein dieses und sonst nichts andres sei.“ Schelling über das Wesen der menschlichen Freiheit. 429. 432. 427. Denkmal Jacobi’s S. 82, 97—99. Aber was ist denn nun Kraft und Stärke, die nur Kraft und Stärke ist im Unterschiede von der geistigen Macht der Güte und Intelligenz, als die leibliche Kraft und Stärke? Ist denn eine bloße Kraft, eine bloße Stärke ohne ein wirk- liches leibliches Substrat nicht auch „dürftige Subtilität eines abstracten Idealismus?“ Kennst Du im Unterschiede von der Macht der Güte und der Macht der Vernunft eine andere Dir zu Gebote stehende Kraft als die Muskelkraft ? Wenn Du durch Güte und Vernunftgründe nichts ausrichten kannst, so mußt Du zur Stärke Deine Zuflucht nehmen. Kannst Du aber etwas „ ausrichten “ ohne kräftige Arme und Fäuste? Kennst Du im Unterschiede von der Macht der morali- schen Weltordnung „andere und lebendigere Bewegungs- kräfte“ als die Hebel der peinlichen Halsgerichtsord- nung ? Gibt es ein anderes System „ lebendigen Realis- mus’s “ als das System des organischen Leibes ? Ist Natur ohne Leib nicht ein leerer, abgezogner Begriff? das Geheimniß der Natur nicht das Geheimniß des Leibes ? Kennst Du eine andere Existenz, ein anderes Wesen der Na- tur, als die leibliche Existenz, als das leibliche Wesen? Ist aber nicht der höchste, der realste, der lebendigste Leib der Leib von Fleisch und Blut ? Kennst Du eine andere der Intelligenz ent- gegengesetzte Kraft, als die Kraft von Fleisch und Blut, eine andere Stärke der Natur als die Stärke der sinnlichen Triebe ? Ist aber nicht der stärkste, der der Intelligenz entgegengesetzteste Naturtrieb der Geschlechtstrieb? Wer erinnert sich nicht an den alten Spruch: Amare et Sapere vix Deo competit? Wenn wir also eine Natur, ein dem Lichte der Intelligenz ent- gegengesetztes Wesen in Gott setzen wollen, können wir uns einen lebendigeren, realeren Gegensatz denken, als den Gegen- satz von Amare und Sapere, von Geist und Fleisch , von Freiheit und Geschlechtstrieb ? Du entsetzest Dich über diese Descendenzen und Consequenzen? O! sie sind die legitimen Sprossen von dem heiligen Ehebündniß zwischen Gott und Natur. Du selbst hast sie gezeugt unter den günstigen Auspi- cien der Nacht. Ich zeige sie Dir jetzt nur im Lichte. Persönlichkeit, Egoität, Bewußtsein ohne Natur ist Nichts oder, was eins, ein hohles, wesenloses Abstractum. Aber die Na- tur ist, wie bewiesen und von selbst klar ist, nichts ohne Leib . Der Leib ist allein jene verneinende, einschränkende, zusammenziehende, beengende Kraft, ohne welche keine Persönlichkeit denkbar ist. Nimm Deiner Persön- lichkeit ihren Leib — und Du nimmst ihr ihren Zusammen- halt. Der Leib ist der Grund, das Subject der Per- sönlichkeit . Nur durch den Leib unterscheidet sich die reale Persönlichkeit von der eingebildeten eines Gespenstes. Was wären wir für abstracte, vage, leere Persönlichkeiten, wenn uns nicht das Prädicat der Impenetrabilität inhärirte, wenn an demselben Orte, in derselben Gestalt, worin wir sind, zugleich Andere sich befinden könnten? Nur durch die räumliche Aus- schließung bewährt sich die Persönlichkeit als eine wirkliche. Aber der Leib ist nichts ohne Fleisch und Blut. Fleisch und Blut ist Leben , und Leben allein die Realität, die Wirklichkeit des Leibes. Aber Fleisch und Blut ist nichts ohne den Sauerstoff der Geschlechtsdifferenz . Die Ge- schlechtsdifferenz ist keine oberflächliche oder nur auf gewisse Kör- pertheile beschränkte; sie ist eine wesentliche ; sie durchdringt Mark und Bein . Die Substanz des Mannes ist die Männ- lichkeit, die des Weibes die Weiblichkeit. Sei der Mann auch noch so geistig und hyperphysisch — er bleibt doch immer Mann; eben so das Weib. Die Persönlichkeit ist daher nichts ohne Geschlechtsdifferenz ; die Persönlichkeit unterscheidet sich wesentlich in männliche und weibliche Persönlichkeit. Wo kein Du, ist kein Ich; aber der Unterschied von Ich und Du, die Grundbedingung aller Persönlichkeit, alles Bewußt- seins, ist nur ein realer, lebendiger, feuriger als der Unterschied von Mann und Weib . Das Du zwischen Mann und Weib hat einen ganz andern Klang, als das mo- notone Du zwischen Freunden. Natur im Unterschiede von Persönlichkeit kann gar nichts anderes bedeuten als Geschlechtsdifferenz. Ein persönliches Wesen ohne Natur ist eben nichts andres als ein Wesen ohne Geschlecht, und umgekehrt. Natur soll von Gott prädicirt wer- den „in dem Sinne wie von einem Menschen gesagt wird, er sei eine starke, eine tüchtige, eine gesunde Natur.“ Aber was ist krankhafter, was unausstehlicher, was naturwidriger als eine Person ohne Geschlecht oder eine Person, die in ihrem Charakter, ihren Sitten, ihren Gefühlen ihr Geschlecht verläug- net? Was ist die Tugend, die Tüchtigkeit des Menschen als Mann? die Männlichkeit. Des Menschen als Weibes? die Weiblichkeit. Aber der Mensch existirt nur als Mann und Weib. Die Tüchtigkeit, die Gesundheit des Menschen besteht demnach nur darin, daß er als Weib so ist, wie er als Weib sein soll, als Mann so, wie er als Mann sein soll. Du ver- wirfst „den Abscheu gegen alles Reale, der das Geistige durch jede Berührung mit demselben zu verunreinigen meint.“ Also verwirf vor allem Deinen eignen Abscheu vor dem Geschlechts- unterschied. Wird Gott nicht durch die Natur verunreinigt, so wird er auch nicht durch das Geschlecht verunreinigt. Deine Scheu vor einem geschlechtlichen Gott ist eine falsche Feuerbach . 8 Schaam — falsch aus doppeltem Grunde. Einmal, weil die Nacht, die Du in Gott gesetzt, Dich der Schaam überhebt; die Schaam schickt sich nur für das Licht; dann, weil Du mit ihr Dein ganzes Princip aufgibst. Ein sittlicher Gott ohne Na- tur ist ohne Basis. Aber die Basis der Sittlichkeit ist der Geschlechtsunterschied. Selbst das Thier wird durch den Ge- schlechtsunterschied aufopfernder Liebe fähig. Alle Herrlichkeit der Natur, all’ ihre Macht, all’ ihre Weisheit und Tiefe con- centrirt und individualisirt sich in der Geschlechtsdifferenz. Warum scheust Du Dich also, die Natur Gottes bei ihrem wahren Namen zu nennen? Offenbar nur deßwegen, weil Du überhaupt eine Scheu vor den Dingen in ihrer Wahr- heit und Wirklichkeit hast, weil Du Alles nur durch den trügerischen Nebel des Mysticismus erblickst. Aber eben deß- wegen, weil die Natur in Gott nur ein trügerischer, wesen- loser Schein , ein phantastisches Gespenst der Natur ist, — denn sie stützt sich, wie gesagt, nicht auf Fleisch und Blut, nicht auf einen realen Grund — also auch diese Be- gründung eines persönlichen Gottes eine fehlgeschossene ist: so schließe auch ich mit den Worten: „die Läugnung eines per- sönlichen Gottes wird so lange wissenschaftliche Aufrichtig- keit,“ ich setze hinzu: wissenschaftliche Wahrheit sein, als man nicht mit klaren, unzweideutigen Worten ausspricht und beweist, erstens a priori , aus speculativen Gründen, daß Ge- stalt, Oertlichkeit, Fleischlichkeit, Geschlechtlichkeit nicht dem Be- griffe der Gottheit widersprechen, zweitens a posteriori — denn die Realität eines persönlichen Wesens stützt sich nur auf empirische Gründe — was für eine Gestalt Gott hat, wo er existirt — etwa im Himmel — und endlich welchen Ge- schlechtes er ist, ob er ein Männlein oder Weiblein oder gar ein Hermaphrodit . Uebrigens hat schon anno 1682 ein Pfarrer die kühne Frage aufgeworfen: „ Ob Gott auch ehelich sei und ein Weib habe? Und wie viel er Wei- sen (modos) habe, Menschen zu Wege zu bringen ?“ Mögen sich daher die tiefsinnigen speculativen Reli- gions-Philosophen Deutschlands diesen ehrlichen, schlichten Pfarrherrn zum Muster nehmen! Mögen sie den g ê nanten Rest von Rationalismus, der ihnen noch im schreiendsten Wi- derspruch mit ihrem innersten Wesen anklebt, muthig von sich abschütteln und endlich die mystische Potenz der Natur Got- tes in einen wirklich potenten, zeugungskräftigen Gott reali- siren! Amen. Die Lehre von der Natur in Gott ist Jakob Böhm ent- nommen. Aber im Original hat sie eine weit tiefere und in- teressantere Bedeutung als in ihrer zweiten castrirten und mo- dernisirten Auflage. J. Böhm ist ein tiefinniges, tiefsinniges religiöses Gemüth; die Religion ist das Centrum seines Lebens und Denkens. Aber zugleich hat sich die Bedeutung, welche die Natur in neuerer Zeit erhielt — im Studium der Naturwis- senschaften, im Spinozismus, Materialismus, Empirismus — seines religiösen Gemüthes bemächtigt. Er hat seine Sinne der Natur geöffnet, einen Blick in ihr geheimnißvolles Wesen geworfen, aber sie erschreckt ihn; und er kann diesen Schrecken der Natur nicht zusammenreimen mit seinen religiösen Vorstel- lungen. „Als ich anschauete die große Tiefe dieser Welt, darzu die Sonne und Sternen, sowohl die Wolken, darzu Regen und Schnee, und betrachtete in meinem Geiste die ganze Schöpfung dieser Welt; darinnen ich dann in allen Dingen Böses und Gutes fand, Liebe und Zorn, in den unvernünftigen Creatu- 8* ren, als in Holz, Steinen, Erden und Elementen, sowohl als in Menschen und Thieren. .... Weil ich aber befand, daß in allen Dingen Böses und Gutes war, in den Elementen so- wohl als in den Creaturen und daß es in der Welt dem Gott- losen so wohl ginge als den Frommen, auch die Barbarischen Völker die besten Länder inne hätten und daß ihnen das Glück noch wohl mehr beystünde als den Frommen: ward ich dero- wegen ganz melancholisch und hoch betrübet und konnte mich keine Schrift trösten, welche mir doch fast wohl bekannt war: darbey dann gewißlich der Teufel nicht wird gefeyret haben, welcher mir dann oft Heidnische Gedanken einbleuete, deren ich allhie verschweigen will.“ Kernhafter Auszug … J. Böhms. Amsterdam 1718. p. 58. Aber so schrecklich sein Gemüth das finstre, nicht mit den religiösen Vorstellungen eines himm- lischen Schöpfers zusammenstimmende Wesen der Natur er- greift, so entzückend afficirt ihn andrerseits die Glanzseite der Natur. J. Böhm hat Sinn für die Natur. Er ahndet, ja empfindet die Freuden des Mineralogen, die Freuden des Bo- tanikers, des Chymikers, kurz die Freuden der „gottlosen Na- turwissenschaft.“ Ihn entzückt der Glanz der Edelsteine, der Klang der Metalle, der Geruch und Farbenschmuck der Pflan- zen, die Lieblichkeit und Sanftmuth gewisser Thiere. Ich kann es (nämlich die Offenbarung Gottes in der Lichtwelt, den Pro- ceß wo „aufgehet in der Gottheit die wunderliche und schöne Bildung des Himmels in mancherley Farben und Art und er- zeiget sich jeder Geist in seiner Gestalt sonderlich“) ich kann es, schreibt er an einer andern Stelle, mit nichts vergleichen als mit den alleredelsten Steinen als Jerubin, Schmaragden, Del- fin, Onir, Saffir, Diamant, Jaspis, Hyacinth, Amethyst, Berill, Sardis, Carfunkel und dergleichen.“ Wo anders: „Anlangend aber die köstlichen Steine, als Carfunkel, Jeru- bin, Schmaragden, Delfin, Onyr und dergleichen, die die al- lerbesten seynd, die haben ihren Ursprung wo der Blitz des Lichtes in der Liebe auffgangen ist. Dann derselbe Blitz wird in der Sanfftmuth geboren und ist das Hertze im Centro der Quellgeister, darum seynd dieselben Steine auch sanffte, kräftig und lieblich.“ Wir sehen, J. Böhm hatte keinen übeln mine- ralogischen Geschmack. Daß er aber auch an den Blumen Wohlgefallen, folglich botanischen Sinn hatte, beweisen unter Anderm folgende Stellen: „Die himmlischen Kräfte gebären himmlische freudenreiche Früchte und Farben, allerley Bäume und Stauden, darauf wächst die schöne und liebliche Frucht des Lebens: Auch so gehen in diesen Kräfften auf allerley Blu- men mit schönen himmlischen Farben und Geruch. Ihr Schmack ist mancherley, ein jedes nach seiner Qualität und Art, ganz heilig, Göttlich und Freudenreich.“ „So du nun die himm- lische Göttliche Pomp und Herrlichkeit willst betrachten, wie die sey, was für Gewächse, Lust oder Freude da sey, so schaue mit Fleiß an diese Welt , was für Früchte und Gewächse aus dem Salniter der Erden wächst von Bäumen, Stauden, Kraut, Wurzeln, Blumen, Oehle, Weine, Getreide und alles was da ist und dein Herz nur forschen kann: Das ist alles ein Vorbild der himmlischen Pomp.“ L. c. p. 480. 338. 340. 323. J. Böhm’n konnte nicht ein despotischer Machtspruch als Erklärungsgrund der Natur genügen; die Natur lag ihm zu sehr im Sinne und auf dem Herzen; er versuchte daher eine natürliche Erklärung der Natur ; aber er fand na- türlicher und nothwendiger Weise keine andern Erklärungs- gründe als eben die Qualitäten der Natur, die den tiefsten Eindruck auf sein Gemüth machten. J. Böhm — dieß ist seine wesentliche Bedeutung — ist ein mystischer Naturphilo- soph, ein theosophischer Vulkanist Merkwürdiger Weise wandelte der Philosophus teutonicus wie geistig, so auch physisch auf vulkanischem Grunde . „Die Stadt Gör- litz ist durchaus mit lauter Basalt gepflastert.“ Charpentier Mineral. Geographie der Chursächsischen Lande. p. 19. und Neptunist , denn im „ Feuer und Wasser urständen nach ihm alle Dinge.“ Die Natur hatte Jakob’s religiöses Gemüth fascinirt — nicht umsonst empfing er von dem Glanze eines zinnernen Geschir- res sein mystisches Licht — aber das religiöse Gemüth webt nur in sich selbst ; es hat nicht die Kraft, nicht den Muth, zur Anschauung der Dinge in ihrer Wirklichkeit zu dringen; es erblickt Alles durch das Medium der Religion, Alles in Gott, d. h. Alles im entzückenden, das Gemüth ergreifenden Glanze der Imagination, Alles im Bilde und als Bild. Aber die Natur afficirte sein Gemüth entgegengesetzt; er mußte diesen Gegensatz daher in Gott selbst setzen — denn die Annahme von zwei selbstständig existirenden entgegengesetzten Urprinci- pien hätte sein religiöses Gemüth zerrissen — er mußte in Gott selbst unterscheiden ein sanftes, wohlthätiges und ein grimmiges, verzehrendes Wesen. Alles Feurige, Bittere, Herbe, Zusammenziehende, Finstere, Kalte kommt aus einer göttlichen Herbigkeit, Bitterkeit, alles Milde, Glänzende, Erwärmende, Weiche, Sanfte, Nachgiebige aus einer milden, sanften, erleuch- tenden Qualität in Gott. „Das seynd nun die Creaturen auf Erden, im Wasser und in der Luft, die Vögel, eine jede Crea- tur aus seiner eignen Scientz, aus Gutem und Bösem ..... wie man das vor Augen siehet, daß gute und böse Creaturen seynd; als gifftige Thiere und Würmer nach dem Centrum der Natur der Finsterniß , aus Gewalt der grimmen Eigen- schaft , welche auch nur begehren im Finstern zu wohnen , als da sind diejenigen, so in den Löchern wohnen und sich vor der Sonnen verbergen . An jedes Thieres Essen und Wohnung siehet man, woraus das herkommen sey, denn eine jede Creatur begehret in seiner Mutter zu wohnen und sehnet sich nach ihr, wie das klar vor Augen ist.“ „Das Gold, Silber, Edelgesteine und alles lichte Ertzt hat seinen Ur- sprung vom Lichte , welches vor den Zeiten des Zornes ꝛc. geschienen hat.“ „Alles was im Wesen dieser Welt weich, sanft und dünn ist, das ist ausfließend und sich selber ge- bend und ist dessen Grund und Urstand nach der Einheit der Ewigkeit, da die Einheit immerdar von sich ausfleußt, wie man dann an dem Wesen der Dünnheit, als am Wasser und Lufft keine Empfindlichkeit oder Peinen verstehet, was dasselbe Wesen einig in sich selber ist.“ L. c. p. 468, 617—18. Kurz, der Himmel ist so reich als die Erde. Alles was auf der Erde, ist im Himmel, was in der Natur, in Gott . Aber hier ist es göttlich, himmlisch, dort irdisch, sichtbarlich, äußerlich, materiell , aber doch dasselbe. „Wann ich nun schreibe von Bäumen, Stau- den und Früchten, so mußt Du es nicht irdisch, gleich dieser Welt verstehen, dann das ist nicht meine Meinung, daß im Himmel wachse ein todter harter hölzerner Baum oder Stein der in irdischer Qualität stehet. Nein, sondern meine Meinung ist himmlisch und geistlich , aber doch wahrhaftig und eigentlich , also ich meine kein ander Ding, als wie ich’s in Buchstaben setze ,“ d. h. im Him- mel sind dieselben Bäume und Blumen, aber die Bäume im Himmel sind die Bäume, wie sie in meiner Imagination duften und blühen, ohne grobe materielle Eindrücke auf mich zu machen; die Bäume auf Erden die Bäume in meiner sinn- lichen, wirklichen Anschauung . Der Unterschied ist der Unterschied zwischen Imagination und Anschauung . „Nicht ist das mein Fürnehmen, sagt er selbst, daß ich wollte aller Sternen Lauff, Ort oder Namen beschreiben oder wie sie jährlich ihre Conjunction oder Gegenschein oder Quadrat und dergleichen haben, was sie jährlich und stündlich wirken. Wel- ches durch die lange Verjährung ist erfahren worden von den hochweisen und klugen Geistreichen Menschen, durch fleißiges Anschauen und Auffmerken und tiefen Sinn und Rechnen. Ich habe dasselbe auch nicht gelernet und studiret und lasse dasselbe die Gelehrten handeln: sondern mein Fürnehmen ist nach dem Geist und Sinne zu schreiben, und nicht nach dem Anschauen .“ L. c. p. 339, p. 69. Die Lehre von der Natur in Gott will durch den Natu- ralismus den Theismus , namentlich den Theismus, wel- cher das höchste Wesen als ein persönliches Wesen betrachtet, begründen. Der persönliche Theismus denkt sich aber Gott als ein von allem Materiellen abgesondertes persönliches We- sen; er schließt von ihm alle Entwicklung aus, weil diese nichts andres ist als die Selbstabsonderung eines Wesens von Zu- ständen und Beschaffenheiten, die seinem wahren Begriffe nicht entsprechen. Aber in Gott findet dieß nicht statt, weil in ihm Anfang, Ende, Mitte sich nicht unterscheiden lassen, weil er mit einem Mal ist, was er ist, von Anbeginn an so ist, wie er sein soll, sein kann; er ist die reine Einheit von Sein und Wesen, Realität und Idee, That und Wille. Deus suum Esse est. Der Theismus stimmt hierin mit dem Wesen der Religion überein. Alle auch noch so positiven Religionen beruhen auf Abstraction ; sie unterscheiden sich nur in Dem, was gesetzt wird als Das, wovon abstrahirt werden soll. Auch die Homerischen Götter sind bei aller Lebenskräftigkeit und Menschenähnlichkeit abstracte Gestalten ; sie haben Leiber wie die Menschen, aber doch keine so plumpe, beschwerliche, beschränkte, keine sterbliche. Die erste Bestimmung des gött- lichen Wesens ist: es ist ein abgesondertes, destillirtes Wesen. Es versteht sich von selbst, daß diese Abstraction keine willkührliche , sondern durch den wesentlichen Standpunkt des Menschen bestimmte ist. So wie er ist, so wie er über- haupt denkt, so abstrahirt er. Die Abstraction drückt ein Urtheil aus — ein bejahen- des und verneinendes zugleich, Lob und Tadel . Was der Mensch lobt und preist, das ist ihm Gott ; Quidquid enim unus quisque super caetera colit: hoc illi Deus est. (Origenes Explan. in Epist. Pauli ad Rom. c. l.) was er tadelt, verwirft, das Ungöttliche. Die Religion ist ein Urtheil — die Affirmation dessen, was der Mensch als sein Wesen an- schaut. Was dem Menschen werth und theuer, das gibt er nicht den zerstörenden Elementen der Außenwelt preis; er ver- wahrt es in sein Schatzkästchen, d. h. er macht es zu einem unantastbaren Heiligthum . Die wesentlichste Bestimmung in der Religion, in der Idee des göttlichen Wesens ist demnach die Abscheidung des Preiswürdigen vom Tadelhaften, des Vollkommnen vom Unvollkommnen, kurz des Positiven vom Negativen. Der Cultus selbst besteht in nichts Anderm als in der fortwährenden Erneuerung des Ursprungs der Religion — in der kritischen, aber feierlichen Sonderung des Göttlichen vom Ungöttlichen. Das göttliche Wesen ist das durch den Tod der Ab- straction verklärte menschliche Wesen — der abgeschie- dene Geist des Menschen. In der Religion befreit sich der Mensch von den Schranken des Lebens; hier läßt er fallen, was ihn drückt, hemmt, widerlich afficirt; Gott ist das von aller Widerlichkeit befreite Selbstgefühl des Men- schen ; frei, glücklich, selig fühlt sich der Mensch nur in seiner Religion, weil er nur hier seinem Genius lebt, seinen Sonn- tag feiert. Die Vermittlung, die Begründung der göttlichen Idee liegt für ihn außer dieser Idee — die Wahrheit dersel- ben schon im Urtheil , darin, daß Alles, was er von Gott ausschließt, die Bedeutung des Ungöttlichen, das Ungöttliche aber die Bedeutung des Nichtigen hat. Würde er die Ver- mittlung dieser Idee in die Idee selbst aufnehmen, so würde sie ihre wesentlichste Bedeutung, ihren wahren Werth, ihren beseligenden Zauber verlieren. Das göttliche Wesen ist die reine, von allem Andern, allem Objectiven losgemachte, sich nur zu sich selbst verhaltende, nur sich selbst genie- ßende, sich selbst feiernde Subjectivität des Menschen — sein subjectivstes Selbst, sein Innerstes . Der Proceß der Absonderung, der Scheidung des Intelligenten vom Nicht-in- telligenten, der Persönlichkeit von der Natur, des Vollkomm- nen vom Unvollkommnen fällt daher nothwendig in das Sub- ject, nicht in das Object, und die Idee der Gottheit nicht an den Anfang, sondern an das Ende der Sinnlichkeit, der Welt, der Natur — „ wo die Natur aufhört, fängt Gott an “ — weil Gott das Non plus ultra, die letzte Gränze der Abstraction ist. Das, wovon ich nicht mehr abstrahiren kann, ist Gott, — der letzte Gedanke, den ich zu fassen fähig bin — der letzte, d. i. der höchste. Id quo majus nihil cogi- tari potest, Deus est. Daß nun dieses Omega der Sinn- lichkeit auch das Alpha wird, ist leicht begreiflich, aber das Wesentliche ist, daß es das Omega ist. Das Alpha ist erst die Folge; weil es das Letzte, so ist es auch das Erste. Und das Prädicat: das erste Wesen hat keineswegs sogleich kosmo- gonische Bedeutung, sondern nur die Bedeutung des höchsten Ranges. Die Schöpfung in der mosaischen Religion hat den Zweck, Jehovah das Prädicat des höchsten und ersten, des wahren, ausschließlichen Gottes im Gegensatz zu den Götzen zu sichern „ Ich bin der Herr, der alles thut.“ „ Ich bin der Herr und ist keiner mehr.“ „ Ich bin Gott und keiner mehr .“ „ Ich bin es der Herr , beides der Erste und der Letzte .“ Jesaias c. 41—47 . Hieraus ergibt sich die erst später ausführlicher zu entwickelnde Bedeutung der Creation. . Dem Bestreben, die Persönlichkeit Gottes durch die Natur begründen zu wollen, liegt daher eine unlautere, heillose Ver- mischung der Philosophie und Religion , eine völlige Kritik - und Bewußtlosigkeit über die Genesis des persönlichen Gottes zu Grunde. Wo die Persönlichkeit für die wesentliche Bestimmung Gottes gilt, wo es heißt: ein unpersönlicher Gott ist kein Gott, da gilt die Persönlichkeit schon an und für sich für das Höchste und Realste, da liegt das Urtheil zu Grunde: was nicht Person, ist todt, ist Nichts; nur persönliches Sein ist reales, ist absolutes Sein, ist Leben und Wahrheit; die Natur ist aber unpersönlich, also ein nich- tiges Ding. Die Wahrheit der Persönlichkeit stützt sich nur auf die Unwahrheit der Natur: die Persönlichkeit ist Alles, weil die Natur Nichts ist. Die Persönlichkeit von Gott prä- diciren heißt nichts andres als die Persönlichkeit für das ab- solute Wesen erklären; aber die Persönlichkeit wird nur im Unterschiede, in der Abstraction von der Natur erfaßt. Freilich ist ein nur persönlicher Gott ein abstracter Gott; aber das soll er sein, das liegt in seinem Begriffe; denn er ist nichts andres als das sich außer allen Zusammenhang mit der Welt setzende , sich von aller Abhängigkeit von der Natur freimachende persönliche Wesen des Menschen. In der Persönlichkeit Gottes feiert der Mensch die Ueber- natürlichkeit, Unsterblichkeit, Unabhängigkeit, Unbe- schränktheit seiner eignen Persönlichkeit . Das Bedürfniß eines persönlichen Gottes hat überhaupt darin seinen Grund, daß der persönliche Mensch erst in der Persönlichkeit bei sich ankommt, erst in ihr Sich findet. Sub- stanz, reiner Geist, bloße Vernunft genügt ihm nicht, ist ihm zu abstract, d. h. drückt nicht ihn selbst aus, führt ihn nicht auf sich zurück. Befriedigt, glücklich ist aber der Mensch nur, wo er bei sich, bei seinem Wesen ist. Je persönlicher daher ein Mensch, desto stärker ist für ihn das Bedürfniß eines persön- lichen Gottes. Der freie Geist kennt nichts Höheres, als die Freiheit; er braucht sie nicht an ein persönliches Wesen anzu- knüpfen; die Freiheit ist ihm durch sich selbst , als solche, ein reales, positives Wesen. Ein mathematischer, astronomischer Kopf, ein reiner Verstandesmensch, ein objectiver Mensch, der nicht in sich befangen ist, der frei und glücklich sich nur fühlt in der Anschauung objectiv vernünftiger Verhältnisse, in der Vernunft, die in den Dingen selbst liegt, ein solcher wird die Spinozische Substanz oder eine ähnliche Idee als sein höch- stes Wesen feiern, voller Antipathie gegen einen persönlichen, d. i. subjectiven Gott. Jacobi war darum ein classischer, weil (in dieser Beziehung wenigstens) consequenter, mit sich einiger Philosoph. Wie sein Gott, so war seine Philosophie — per- sönlich, subjectiv. Der persönliche Gott kann nicht anders wissenschaftlich begründet werden, als wie ihn Jacobi und seine Schüler begründeten. Die Persönlichkeit bewährt sich nur auf selbst persönliche Weise. Sicherlich läßt sich, ja soll sich die Persönlichkeit auf na- türlichem Wege begründen; aber nur dann, wann ich aufhöre, im Dunkeln des Mysticismus zu munkeln, wenn ich heraus- trete an den hellen lichten Tag der wirklichen Natur, und den Begriff des persönlichen Gotres mit dem Begriff der Persön- lichkeit überhaupt vertausche. Aber in den Begriff des per- sönlichen Gottes, dessen positiver Begriff eben die befreite, abgeschiedene, von der einschränkenden Kraft der Na- tur erlöste Persönlichkeit ist, eben diese Natur wieder ein- zuschwärzen, das ist eben so verkehrt, als wenn ich in den Nektar der Götter Braunschweiger Mumme mischen wollte, um dem ätherischen Trank eine solide Grundlage zu geben. Allerdings lassen sich nicht aus dem himmlischen Safte, der die Götter nährt, die Bestandtheile des animalischen Blutes ableiten. Allein die Blume der Sublimation entsteht nur durch Verflüchtigung der Materie; wie kannst Du also in der subli- mirten Substanz eben die Stoffe vermissen, von welchen Du sie geschieden? Allerdings läßt sich das unpersönliche Wesen der Natur nicht aus dem Begriffe der Persönlichkeit erklären. Erklären heißt Begründen; aber wo die Persönlichkeit eine Wahrheit oder vielmehr die absolute Wahrheit ist, da hat die Natur keine positive Bedeutung und folglich auch keinen positiven Grund . Die eigentliche Schöpfung aus Nichts ist hier allein der zureichende Erklärungsgrund; denn sie sagt nichts weiter als: die Natur ist Nichts , spricht also präcis die Bedeutung aus, welche die Natur für die absolute Persön- lichkeit hat. Das Geheimnitz der Vorsehung und Schöpfung aus Nichts. Die Schöpfung ist das ausgesprochene Wort Gottes, das schöpferische kosmogenetische Wort, das innerliche, mit dem Gedanken identische Wort. Aussprechen ist ein Willensact, die Schöpfung also ein Product des Willens . Wie der Mensch in dem Worte Gottes die Göttlichkeit des Wortes, so bejaht er in der Schöpfung die Göttlichkeit des Willens , und zwar nicht des Willens der Vernunft, sondern des Willens der Einbildungskraft , des absolut subjectiven, unbe- schränkten Willens . Der höchste Gipfel des Subjectivi- tätsprincips ist die Schöpfung aus Nichts. Wie die Ewigkeit der Welt oder Materie nichts weiter bedeutet als die Wesen- haftigkeit der Materie; so bedeutet die Schöpfung der Welt aus Nichts weiter nichts als die Nichtigkeit der Welt. Mit dem Anfang eines Dings ist unmittelbar dem Begriffe, wenn auch nicht der Zeit nach, das Ende desselben gesetzt. Der An- fang der Welt ist der Anfang ihres Endes. Wie gewonnen, so zerronnen. Der Wille hat sie ins Dasein gerufen, der Wille ruft sie wieder zurück ins Nichts. Wann? die Zeit ist gleich- gültig. Das Schwert, das ihr Todesurtheil vollstreckt, schwebt stets über ihrem Nacken. Ihr Sein oder Nichtsein hängt nur vom Willen ab. Aber dieser Wille ist nicht ihr eigner Wille — kein Ding kann sein Nichtsein wollen — aber auch schon deßwegen nicht, weil sie selbst willenlos ist. Daß sie also nichtig ist, das ist nur die Kraft des Willens. Der Wille, daß sie ist, ist in Einem der Wille, wenigstens der mögliche Wille, daß sie nicht ist . Die Existenz der Welt ist daher eine momentane, willkührliche, unzuverlässige , d. h. eben nichtige Existenz. Die Schöpfung aus Nichts ist der höchste Ausdruck der Allmacht . Aber die Allmacht ist nichts als die allen objecti- ven Bestimmungen und Begränzungen sich entbindende, diese ihre Ungebundenheit als die höchste Macht und Wesenheit feiernde Subjectivität — die Macht des Vermögens, subjectiv alles Wirkliche als ein Unwirkliches, alles Vorstellbare als ein Mögliches zu setzen — die Macht der Einbildungskraft oder des mit der Einbildungskraft identischen Willens, die Macht der Willkühr Der tiefere Ursprung der Schöpfung aus Nichts liegt im Gemüth — was eben so wohl direct als indirect in dieser Schrift ausgesprochen und be- wiesen wird. Die Willkühr aber ist eben der Wille des Gemüths , die Kraftäußerung des Gemüths nach Außen. . Der bezeichnendste, stärkste Aus- druck subjectiver Willkühr ist das Belieben, das Wohlgefallen. — „Es hat Gott beliebt, eine Körper- und Geisterwelt ins Dasein zu rufen“ — der unwidersprechlichste Beweis, daß die eigne Subjectivität, die eigne Willkühr als das höchste We- sen, als allmächtiges Weltprincip gesetzt wird. Die Schöpfung aus Nichts als ein Werk des allmächtigen Wil- lens fällt aus diesem Grunde in eine Kategorie mit dem Wunder Creatio est miraculosa. Albertus M. (I. P. Summae de qua- tuor coaequaevis. Qu. I. art. 8.) Darum ist auch die Schöpfung aus Nichts , oder vielmehr sie ist das erste Wunder nicht nur der Zeit, sondern auch dem Range nach — das Prin- cip , aus dem sich alle weitern Wunder von selbst ergeben. Der Beweis ist die Geschichte selbst. Alle Wunder hat man aus der Allmacht, die die Welt aus Nichts geschaffen, gerechtfer- tigt, erklärt und veranschaulicht. Wer die Welt aus Nichts gemacht, wie sollte der nicht aus Wasser Wein machen, aus einem Efel menschliche Worte hervorbringen, aus einem Felsen Wasser hervorzaubern können? Aber das Wunder ist, wie wir weiter sehen werden, nur ein Product und Object der Ein- bildungskraft — also auch die Schöpfung aus Nichts als das primitive Wunder. Man hat deßwegen die Lehre von der Schöpfung aus Nichts für eine übernatürliche erklärt, auf welche die Vernunft nicht von selbst hätte kommen können und sich auf die heidnischen Philosophen berufen, als welche aus einer schon vorhandenen Materie die Welt durch die göttliche Vernunft bilden ließen. Allein dieses übernatürliche Princip ist kein andres, als das Princip der Subjectivität, welches sich im Christenthume zur unbeschränkten Universalmonarchie erhob, während die alten Philosophen nicht so subjectiv waren, das absolut subjective Wesen als das schlechtweg, das ausschließlich absolute Wesen zu erfassen, weil sie durch die Anschauung der Welt oder Wirklichkeit die Subjectivität beschränkten — weil ihnen die Welt eine Wahrheit war. Die Schöpfung aus Nichts ist, als identisch mit dem Wunder, eins mit der Vorsehung ; denn die Idee der Vor- sehung ist — ursprünglich, in ihrer wahren religiösen Bedeu- tung, wo sie noch nicht bedrängt und beschränkt worden durch den ungläubigen Verstand — eines mit der Idee des der natuͤrlichen Vernunft unbegreiflich, nur ein Articulus fidei, wie der- selbe sagt: de mirab. sci. Dei. P. I. Tract. 13. Qu. 53. membr. I. Wunders . Der Beweis der Vorsehung ist das Wunder Certissimum divinae providentiae testimonium praebent miracula. H. Grotius de verit. rel. christ . l. I. §. 13. . Der Glaube an die Vorsehung ist der Glaube an eine Macht, der alle Dinge zu beliebigem Gebrauche und Gebote stehen, deren Kraft gegenüber alle Macht der Wirklichkeit Nichts ist . Die Vorsehung hebt die Gesetze der Natur auf; sie un- terbricht den Gang der Nothwendigkeit, das eiserne Band, das unvermeidlich die Folge an die Ursache knüpft; kurz sie ist der- selbe unbeschränkte, allgewaltige Wille , der die Welt aus Nichts ins Sein gerufen. Das Wunder ist eine Crea- tio ex nihilo, eine Schöpfung aus Nichts . Wer Wein aus Wasser macht, der macht Wein aus Nichts, denn der Stoff zum Wein liegt nicht im Wasser; widrigensfalls wäre die Her- vorbringung des Weins keine wunderbare, sondern natürliche Handlung. Aber nur im Wunder bewährt, beweist sich die Vorsehung. Dasselbe, was die Schöpfung aus Nichts, sagt daher die Vorsehung aus. Die Schöpfung aus Nichts kann nur im Zusammenhang mit der Vorsehung, mit dem Wunder begriffen und erklärt werden ; denn das Wunder will eigentlich nichts weiter aussagen, als daß der Wunderthäter Derselbe ist, welcher die Dinge durch sei- nen bloßen Willen aus Nichts hervorgebracht — Gott, der Schöpfer. Die Vorsehung bezieht sich aber wesentlich auf den Menschen. Um des Menschen willen macht die Vor- sehung mit den Dingen, was sie nur immer will, um seinet- willen hebt sie die Gültigkeit und Realität des sonst allmäch- tigen Gesetzes auf. Die Bewunderung der Vorsehung in der Natur, namentlich der Thierwelt, ist nichts andres als eine Feuerbach . 9 Bewunderung der Natur und gehört daher nur dem, wenn auch religiösen, Naturalismus an Der religiöse Naturalismus ist allerdings auch ein Moment der christlichen — mehr noch der mosaischen, so thierfreundlichen Religion. Aber er ist keineswegs das charakteristische , das christliche Moment der christlichen Religion. Die christliche, die religiöse Vorsehung ist eine ganz andere , als die Vorsehung, welche die Lilien kleidet und die Raben speist. Die natürliche Vorsehung laͤßt den Menschen im Wasser untersin- ken, wenn er nicht schwimmen gelernt hat, aber die christliche, die religiöse Vorsehung führt ihn an der Hand der Allmacht über das Wasser hinweg. ; denn in der Natur offen- bart sich auch nur die natürliche, nicht die göttliche Vor- sehung, die Vorsehung, wie sie Gegenstand der Reli- gion . Die religiöse Vorsehung offenbart sich nur im Wunder — vor Allem im Wunder der Menschwerdung, dem Mittelpunkt der Religion. Aber wir lesen nirgends, daß Gott um der Thiere willen Thier geworden sei — ein solcher Ge- danke schon ist in den Augen der Religion ein ruchloser, gott- loser — oder daß Gott überhaupt Wunder um der Thiere oder Pflanzen willen gethan habe. Im Gegentheil: wir le- sen, daß ein armer Feigenbaum, weil er keine Früchte trug zu einer Zeit, wo er keine tragen konnte, verflucht wurde, nur um den Menschen ein Beispiel zu geben, was für eine Macht der Glaube über die Natur sei, daß die dämonischen Plage- geister zwar den Menschen aus -, aber dafür den Thieren ein getrieben wurden. Wohl heißt es: „kein Sperling fällt ohne des Vaters Willen vom Dach;“ aber diese Sperlinge ha- ben nicht mehr Werth und Bedeutung, als die Haare auf des Menschen Haupt, die alle gezählt sind. Das Thier hat — abgesehen vom Instinkt — keinen an- dern Schutzgeist, keine andere Vorsehung als seine Sinne oder überhaupt Organe. Ein Vogel, der seine Augen verliert, hat seine Schutzengel verloren; er geht nothwendig zu Grunde, wenn nicht ein Wunder geschieht. Aber wir lesen wohl, daß ein Rabe dem Propheten Elias Speisen gebracht habe, nicht jedoch (wenigstens meines Wissens), daß je um seinetwillen ein Thier auf andere Weise als natürliche erhalten worden sei. Wenn nun aber ein Mensch glaubt, daß auch er keine andere Vorsehung habe, als die Kräfte seiner Gattung, seine Sinne, seinen Verstand; so ist er in den Augen der Religion und aller Derer, welche der Religion das Wort reden, ein ir- religiöser Mensch, weil er nur eine natürliche Vorsehung glaubt, die natürliche Vorsehung aber eben in den Augen der Religion so viel als keine ist. Die Vorsehung bezieht sich darum wesentlich nur auf den Menschen — selbst unter den Menschen eigentlich nur auf die religiösen . „Gott ist der Heiland aller Menschen, sonderlich aber der Gläubigen .“ Sie gehört wie die Religion nur dem Menschen an — sie soll den wesentlichen Unterschied des Menschen vom Thiere ausdrücken, den Menschen der Gewalt der Naturmächte ent- reißen. Jonas im Leibe des Fisches, Daniel in der Löwen- grube sind Beispiele, wie die Vorsehung den (religiösen) Men- schen vom Thiere unterscheidet. Wenn daher die Vorsehung, welche in den Fang- und Freßwerkzeugen der Thiere sich äu- ßert und von den frommen christlichen Naturforschern so sehr bewundert wird, eine Wahrheit ist, so ist die Vorsehung der Bibel, die Vorsehung der Religion eine Lüge, und umgekehrt. Welch’ erbärmliche und zugleich lächerliche Heuchelei, leider, Natur und Bibel zugleich huldigen zu wollen! Die Natur, wie widerspricht sie der Bibel! die Bibel, wie widerspricht sie der Natur! Der Gott der Natur offenbart sich darin, daß er dem Löwen die Stärke und schicklichen Organe gibt, um zur Erhal- 9* tung seines Lebens im Nothfall selbst ein menschliches Indivi- duum erwürgen und fressen zu können; der Gott der Bibel aber offenbart sich darin, daß er das menschliche Individuum den Freßwerkzeugen des Löwen wieder entreißt Der Verfasser hatte bei dieser Entgegensetzung der religiösen oder biblischen und natürlichen Vorsehung besonders die fade, bornirte Theologie der englischen Naturforscher vor Augen. ! Die Vorsehung ist ein Vorzug des Menschen; sie drückt den Werth des Menschen im Unterschied von den andern na- türlichen Wesen und Dingen aus; sie entreißt ihn dem Zu- sammenhange des Weltganzen . Die Vorsehung ist die Ueberzeugung des Menschen von dem unendlichen Werth sei- ner Existenz — eine Ueberzeugung, in der er den Glauben an die Realität der Außendinge aufgibt — der Idealismus der Religion — der Glaube an die Vorsehung daher eins mit dem Glauben an die persönliche Unsterblichkeit, nur mit dem Unter- schiede, daß hier in Beziehung auf die Zeit der unendliche Werth als unendliche Dauer des Daseins sich bestimmt. Wer keine besondern Ansprüche macht, wer gleichgültig gegen sich ist, wer sich mit der Natur identificirt, wer sich als einen Theil im Ganzen verschwinden sieht, der glaubt keine Vorsehung, d. h. keine besondere Vorsehung; aber nur die besondere Vor- sehung ist Vorsehung im Sinne der Religion. Der Glaube an die Vorsehung ist der Glaube an den eignen Werth — daher die wohlthätigen Folgen dieses Glaubens, aber auch die falsche Demuth, der religiöse Hochmuth, der sich zwar nicht auf sich verläßt, aber dafür dem lieben Gott die Sorge für sich überläßt — der Glaube des Menschen an sich selbst . Gott bekümmert sich um mich; er beabsichtigt mein Glück, mein Heil; er will, daß ich selig werde ; aber Dasselbe will ich auch; mein eignes Interesse ist also das Interesse Gottes, mein eigner Wille Gottes Wille, mein eig- ner Endzweck Gottes Zweck ; — die Liebe Gottes zu mir nichts als meine vergötterte Selbstliebe . Woran glaube ich also in der Vorsehung, als an die göttliche Realität und Bedeutung meines eignen Wesens? Aber wo die Vorsehung geglaubt wird, da wird der Glaube an Gott von dem Glauben an die Vorsehung abhängig ge- macht. Wer läugnet, daß eine Vorsehung ist, läugnet, daß Gott ist; oder — was dasselbe — Gott Gott ist; denn ein Gott, der nicht die Vorsehung des Menschen, ist ein lächer- licher Gott, ein Gott, dem die göttlichste, anbetungswürdigste Wesenseigenschaft fehlt. Folglich ist der Glaube an Gott nichts als der Glaube an die menschliche Würde Qui Deos negant, Nobilitatem generis humani destruunt. ( Baco . Verul. Serm. Fidel. 16.) , der Glaube des Menschen an die absolute Realität und Bedeutung seines Wesens . Aber der Glaube an die (re- ligiöse) Vorsehung ist der Glaube an die Schöpfung aus Nichts und vice versa: diese kann also auch keine andere Bedeutung haben, als die eben entwickelte Bedeutung der Vorsehung, und sie hat auch wirklich keine andere. Die Religion spricht dieß hinlänglich dadurch aus, daß sie den Menschen als den Zweck der Schöpfung setzt Bekanntlich sagten auch die Stoiker: deorum et hominum causa factum esse mundum, quaeque in eo sint omnia. ( Cicero de nat. Deor. l. II. ) . Alle Dinge sind um des Menschen willen, nicht um ihretwillen. Wer diese Lehre, wie die from- men christlichen Naturforscher, als Hochmuth bezeichnet, erklärt das Christenthum selbst für Hochmuth; denn daß die „ materielle Welt “ um des Menschen willen ist, das will unendlich weniger sagen, als daß Gott oder wenigstens, wenn wir Paulus folgen, ein Wesen, das fast Gott, kaum zu un- terscheiden von Gott ist, um des Menschen willen Mensch wird . Wenn aber der Mensch der Zweck der Schöpfung, so ist er auch der wahre Grund derselben, denn der Zweck ist das Princip der Thätigkeit. Der Unterschied zwischen dem Menschen als Zweck der Schöpfung und dem Menschen als Grund derselben ist nur, daß der Grund der verborgne, inner- liche Mensch, das Wesen des Menschen, der Zweck aber der sich offenbare, der empirische, individuelle Mensch ist, daß der Mensch sich wohl als den Zweck der Schöpfung weiß , aber nicht als den Grund, weil er den Grund, das Wesen als ein andres persönliches Wesen von sich unterscheidet Bei Clemens Alex . ( Coh. ad gentes ) findet sich eine interes- sante Stelle. Sie lautet in der lateinischen Uebersetzung (der schlechten Würzburger Ausgabe 1778): At nos ante mundi constitutionem fuimus, ratione futurae nostrae productionis, in ipso Deo quodammo- do tum praeexistentes . Divini igitur Verbi sive Rationis, nos crea- turae rationales sumus, et per eum primi esse dicimur, quoniam in principio erat Verbum . Hier ist das menschliche Wesen — denn dieses ist das Geheimniß des Logos, als welcher nichts will und denkt, als das Heil des Menschen — deutlich genug als das schöpferische Princip ausgesprochen. . Allein dieses andre Wesen, dieses schöpferische Princip ist in der That nichts andres als sein von den Schranken der Individualität und Materialität, d. i. Objectivität abgesondertes subjec- tives Wesen , der unbeschränkte Wille, die außer allen Zu- sammenhang mit der Welt gesetzte Persönlichkeit, welche sich durch die Schöpfung, d. h. das Setzen der Welt, der Objec- tivität, des Andern als eines unselbstständigen, endli- chen, nichtigen Daseins die Gewißheit ihrer Allein- wirklichkeit gibt. Bei der Creation handelt es sich nicht um die Wahrheit und Realität der Natur oder Welt, sondern um die Wahrheit und Realität der Persönlichkeit, der Subjectivität im Unterschiede von der Welt . Es han- delt sich um die Persönlichkeit Gottes; aber die Persönlichkeit Gottes ist die von allen Bestimmungen und Begrän- zungen der Natur befreite Persönlichkeit des Menschen. Daher die innige Theilnahme an der Creation, der Ab- scheu vor pantheistischen Kosmogonien ; die Creation ist, wie der persönliche Gott überhaupt, keine wissenschaftliche, son- dern persönliche Angelegenheit , kein Object der freien Intelligenz , sondern des Gemüthsinteresses; denn es han- delt sich in der Creation nur um die Garantie, die letzte denk- bare Bewährung und Bescheinigung der Persönlichkeit oder Subjectivität als einer ganz aparten, gar nichts mit dem We- sen der Natur gemein habenden, einer supra - und extramun- danen Wesenheit Hieraus erklärt es sich, warum alle Versuche der speculativen Theo- logie und der ihr gleichgesinnten Philosophie, von Gott auf die Welt zu kommen oder aus Gott die Welt abzuleiten, mißglücken und mißglücken müssen. Nämlich darum, weil sie von Grund aus falsch und verkehrt sind, nicht wissen, worum es sich eigentlich in der Creation handelt. . Der Mensch unterscheidet sich von der Natur. Die- ser sein Unterschied ist sein Gott — die Unterschei- dung Gottes von der Natur nichts andres als die Unterscheidung des Menschen von der Natur . Der Gegensatz von Pantheismus und Personalismus oder Anthro- potheismus löst sich in die Frage auf: ist das Wesen des Men- schen ein transcendentes oder immanentes , ein supra- naturalistisches oder naturalistisches Wesen? Unfrucht- bar, eitel, kritiklos, ekelhaft sind darum die Speculationen und Streitigkeiten über die Persönlichkeit oder Unpersönlichkeit Got- tes; denn die Speculanten nennen das Kind nicht beim rechten Namen; sie stellen das Licht unter den Scheffel; sie speculiren in Wahrheit nur über sich selbst , speculiren selbst nur im Interesse ihres eignen Glückseligkeitstriebes , und doch wollen sie es nicht Wort haben, daß sie sich nur über sich selbst die Köpfe zerbrechen, speculiren in dem Wahne, die Ge- heimnisse eines andern Wesens auszuspähen. Der Pantheis- mus identificirt den Menschen mit der Natur — sei es nun mit ihrer augenfälligen Erscheinung oder ihrem abgezoge- nen Wesen — der Personalismus isolirt, separirt ihn von der Natur, macht ihn aus einem Theile zum Ganzen , zu einem absoluten Wesen für sich selbst . Dieß ist der Unter- schied. Wollt ihr daher über diese Dinge ins Reine kommen, so vertauscht eure mystische, verkehrte Anthropologie, die ihr Theologie nennt, mit der wirklichen Anthropologie und speculirt im Lichte des Bewußtseins und der Natur über die Differenz oder Identität des menschlichen Wesens mit dem Wesen der Natur. Ihr gebt selbst zu, daß das Wesen des pantheistischen Gottes nichts ist als das Wesen der Natur. Warum wollt ihr denn nun nur die Splitter in den Augen eurer Gegner, nicht aber die doch so leicht wahrnehmbaren Balken in euren eignen Augen bemerken, warum bei euch eine Ausnahme von einem allgemein gültigen Gesetz machen? Also gebt auch zu, daß euer persönlicher Gott nichts andres ist als euer eigenes persönliches Wesen, daß ihr, indem ihr die Ueber- und Außernatürlichkeit eures Gottes glaubt und construirt, nichts andres glaubt und construirt als die Ueber- und Außernatürlichkeit eures eignen Selbstes . Wie überall, so verdecken auch in der Creation die beigemisch- ten, allgemeinen, metaphysischen oder selbst pantheistischen Bestimmungen das eigentliche Princip der Creation. Aber man braucht nur aufmerksam zu sein auf die nähern Bestimmungen, um sich zu überzeugen, daß das Princip der Creation nichts andres als die Selbstbewährung der Subjectivität im Unter- schiede von der Natur ist. Gott producirt die Welt außer sich — zuerst ist sie nur Gedanke, Plan, Entschluß, jetzt wird sie That und damit tritt sie außer Gott hinaus als ein von ihm unterschiednes, relativ wenigstens, selbstständiges Object. Aber eben so setzt die Subjectivität überhaupt, die sich von der Welt unterscheidet, sich als ein von ihr unterschiednes Wesen, erfaßt die Welt außer sich als ein andres Wesen — ja dieses Außersichsetzen und das Sichunterscheiden ist Ein Act. Indem daher die Welt außer Gott gesetzt wird, so wird Gott für sich selbst gesetzt, unterschieden von der Welt. Was ist also Gott anders als euer subjectives Wesen, wenn die Welt außer ihn tritt Man kann hiegegen auch nicht einwenden die Allgegenwart Got- tes, das Sein Gottes in allen Dingen, oder das Sein der Dinge in Gott. Denn abgesehen davon, daß durch den einstigen wirklichen Untergang der Welt das außer Gott Sein der Welt, d. h. ihre Ungöttlichkeit deutlich ge- nug ausgesprochen ist — Gott ist nur im Menschen auf specielle Weise; aber nur da bin ich zu Hause, wo ich speciell zu Hause bin. Und das Sein der Dinge in Gott ist, wo es keine pantheistische Bedeutung hat, die aber hier wegfällt, eben so nur eine Vorstellung ohne Realität, drückt nicht die speciellen Gesinnungen der Religion aus. ? Was anders wird durch diese That einge- standen, als was mit Worten geläugnet wird, nämlich, daß das göttliche Wesen das Wesen der eignen Subjectivität ist? Indem die listige Reflexion hinzutritt, so wird freilich der Unterschied zwischen Extra und Intra als ein endlicher, menschlicher (?) Unterschied geläugnet. Aber auf das Läugnen des Verstandes, der ein purer Miß- und Unverstand der Religion, ist nichts zu geben. Ist es ernstlich gemeint, so zerstört es das Fundament des religiösen Bewußtseins; es hebt die Möglichkeit, ja das Princip der Schöpfung auf, denn sie beruht nur auf der Rea- lität dieses Unterschieds. Ueberdieß geht der Effect der Schö- pfung, die ganze Majestät dieses Actes für Gemüth und Phan- tasie verloren, wenn das Außersichsetzen nicht im wirklichen Sinne genommen wird. Was heißt denn machen, schaffen, hervorbringen anders als etwas, was zunächst nur ein Sub- jectives, insofern Unsichtbares, Nichtseiendes ist, gegenständlich machen, versinnlichen, so daß nun auch andre, von mir unter- schiedne Wesen es kennen und genießen, also Etwas außer mich setzen, zu etwas von mir Unterschiedenem machen? Wo nicht die Wirklichkeit oder Möglichkeit eines Außer mir Seins ist, da ist von Machen, Schaffen keine Rede. Gott ist ewig, aber die Welt entstanden; Gott war, als die Welt noch nicht war; Gott ist unsichtbar, unsinnlich; aber die Welt ist sinnlich, ma- teriell; also außer Gott; denn wie wäre das Materielle als solches, die Masse, der Stoff in Gott? Die Welt ist in dem- selben Sinne außer Gott, in welchem der Baum, das Thier, die Welt überhaupt außer meiner Vorstellung, außer mir selbst ist — ein von der Subjectivität unterschiednes Wesen. Nur da, wo ein solches Außersichsetzen zugegeben wird, wie bei den ältern Theologen, haben wir daher die unverfälschte, unver- mischte Lehre des religiösen Bewußtseins. Die speculativen Theologen dagegen schwärzen allerlei pantheistische Bestim- mungen mit ein, obwohl sie das Princip des Pantheismus negiren, aber sie bringen deßwegen auch nur ein absolut sich widersprechendes, unausstehliches Geschöpf zur Welt. Die Schöpfung der Welt drückt nichts aus als die Sub- jectivität, welche sich durch das Bewußtsein, daß die Welt er- schaffen , ein Product des Willens , d. h. eine selbstlose, machtlose, nichtige Existenz ist, die Gewißheit der eignen Realität und Unendlichkeit gibt. Das Nichts, aus dem die Welt hervorgebracht wurde, ist ihr eignes Nichts . Indem Du sagst: die Welt ist aus Nichts gemacht, denkst Du Dir die Welt selbst als Nichts, räumst Du alle Schranken Deiner Phantasie, Deines Gemüths, Deines Willens aus dem Kopfe; denn die Welt ist die Schranke Deines Willens, Dei- nes Gemüths ; die Welt allein bedrängt Deine Subjectivi- tät; sie allein ist die Scheidewand zwischen Dir und Gott, Deinem seligen vollkommen Wesen . Du ver- nichtest also subjectiv die Welt; Du denkst Dir Gott allein für sich, d. h. die schlechthin unbeschränkte Subjecti- vität, die Subjectivität, die sich selbst allein genießt , die nicht der Welt bedarf , die nichts weiß von den schmerz- lichen Banden der Materie . Im innersten Grunde Dei- ner Seele willst Du, daß keine Welt sei; denn wo Welt ist, da ist Materie, und wo Materie, da ist Druck und Stoß, Raum und Zeit, Schranke und Nothwendigkeit. Gleichwohl ist aber doch eine Welt, doch eine Materie. Wie kommst Du aus der Klemme dieses Widerspruchs hinaus? Wie schlägst Du Dir die Welt aus dem Sinne, daß sie Dich nicht stört in dem Wonnegefühl der unbeschränkten Subjectivität? Nur dadurch, daß Du die Welt selbst zu einem Willensproduct machst, daß Du ihr eine willkührliche , stets zwischen Sein und Nicht- sein schwebende, stets ihrer Vernichtung gewärtige Existenz gibst. Allerdings läßt sich die Welt, oder die Materie — denn beide lassen sich nicht trennen — nicht aus dem Creationsacte er- klären; aber es ist gänzlicher Mißverstand, solche Forderung an die Creation zu stellen; denn es liegt dieser der Gedanke zu Grunde: es soll keine Welt, keine Materie sein; und es wird daher auch täglich ihrem Ende sehnlichst entgegengeharrt. Die Welt in ihrer Wahrheit existirt hier gar nicht; sie ist nur als der Druck, die Schranke der Subjectivität Gegenstand; wie sollte die Welt in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus ei- nem Princip, das die Welt negirt, sich deduciren, begründen lassen? Um die entwickelte Bedeutung der Creation zu erkennen, bedenke man nur dieß Eine ernstlich, daß es sich in der Crea- tion keineswegs um die Schöpfung von Kraut und Vieh, von Wasser und Erde, für die ja kein Gott ist, sondern um die Schöpfung von persönlichen Wesen, von Geistern , wie man zu sagen pflegt, handelt. Gott ist der Begriff oder die Idee der Persönlichkeit als selbst Person , die in sich selbst seiende von der Welt abgeschlossene Subjectivität, das als ab- solutes Sein und Wesen gesetzte bedürfnißlose Fürsichselbstsein, das Ich ohne Du. Da aber das absolute nur für sich selbst Sein dem Begriffe des wahren Lebens, dem Begriffe der Liebe widerspricht, da das Selbstbewußtsein wesentlich gebunden ist an das Bewußtsein eines Du, da in die Dauer wenigstens die Einsamkeit sich nicht vor dem Gefühle der Langweiligkeit und Einförmigkeit bewahren kann: so wird sogleich von dem göttlichen Wesen fortgeschritten zu andern bewußten Wesen, der Begriff der Persönlichkeit, der zuvörderst nur in Ein We- sen condensirt ist, zu einer Vielheit von Personen erweitert Hier ist auch der Punkt, wo die Creation uns nicht nur die göttliche Macht, sondern auch die göttliche Liebe repräsentirt. Quia bonus est (Deus), sumus. (Augustin.) Anfangs, vor der Welt war Gott allein für . Wird die Person physisch gefaßt, als wirklicher Mensch, als welcher sie ein bedürftiges Wesen ist, so tritt sie erst am Ende der physischen Welt, wenn die Bedingungen ihrer Existenz vor- handen, als der Endzweck der Creation auf. Wird dagegen der Mensch abstract als Person gedacht, wie es von der reli- giösen Speculation geschieht, so ist dieser Umweg abgeschnit- ten; es handelt sich in gerader Linie um die Deduction der Person, d. h. um die Selbstbegründung , die letzte Selbst- bewährung der menschlichen Persönlichkeit. Zwar wird die göttliche Persönlichkeit auf alle mögliche Weise von der mensch- lichen distinguirt, um ihre Identität zu verschleiern; aber diese Unterschiede sind entweder rein phantastische oder bloße Ver- sicherungen, Vorspiegelungen, welche die That der Deduction in ihrer Nichtigkeit zeigt. Alle positiven Gründe der Creation reduciren sich nur auf die Bestimmungen, auf solche Gründe, welche dem Ich das Bewußtsein der Nothwendigkeit eines an- dern persönlichen Wesens aufdrängen. Speculirt so viel als ihr wollt: ihr werdet nie eure Persönlichkeit aus Gott heraus- bringen, wenn ihr sie nicht schon vorher hineingebracht habt, wenn nicht Gott selbst schon der Begriff eurer Persönlichkeit, euer eignes subjectives Wesen ist. sich. Ante omnia Deus erat solus, ipse sibi et mundus et Iocus et omnia . Solus autem; quia nihil extrinsecus praeter ipsum . (Tertullian.) Aber kein höheres Glück gibt es, als Andere zu beglücken, Seligkeit liegt im Actus der Mittheilung. Aber mittheilend ist nur die Freude, die Liebe. Der Mensch setzt daher die mittheilende Liebe als Prin- cip des Seins. Extasis boni non sinit ipsum manere in seipso (Dio- nysius A.) Alles Positive begründet sich nur durch sich selbst . Die göttliche Liebe ist die sich selbst begründende, sich selbst be- jahende Lebensfreude . Das höchste Selbstgefühl des Lebens, die höchste Lebensfreude ist aber die Liebe , die beglückt. Gott ist das Glück der Existenz. Die Bedeutung der Creation im Judenthum. Die Creationslehre stammt aus dem Judenthum; sie ist selbst die charakteristische Lehre, die Fundamentallehre der jüdi- schen Religion. Das Princip, das ihr hier zu Grunde liegt, ist aber nicht sowohl das Princip der Subjectivität, als viel- mehr des Egoismus . Die Creationslehre in ihrer charakte- ristischen Bedeutung entspringt nur auf dem Standpunkt, wo der Mensch praktisch die Natur nur seinem Willen und Be- dürfniß subjicirt, und daher auch in seiner Vorstellungskraft zu einem bloßen Machwerk, einem Product des Willens degra- dirt. Jetzt ist ihm ihr Dasein erklärt , indem er sie aus sich , in seinem Sinne erklärt und auslegt. Die Frage: woher ist die Natur oder Welt? setzt eigentlich eine Verwunderung dar- über voraus, daß sie ist, oder die Frage: warum sie ist? Aber diese Verwunderung, diese Frage entsteht nur da, wo sich der Mensch bereits von der Natur separirt und sie zu einem bloßen Willensobject gemacht hat. Der Verfasser des Buchs der Weisheit sagt mit Recht, daß „die Heiden vor Bewun- derung der Schönheit der Welt sich nicht zum Begriffe des Schöpfers erhoben hätten .“ Wem die Natur ein schönes Object ist, dem erscheint sie als Zweck ihrer selbst , für den hat sie den Grund ihres Daseins in sich selbst, in dem entsteht nicht die Frage: warum ist sie? Der Begriff der Na- tur und Gottheit identificirt sich in seinem Bewußtsein, seiner Anschauung von der Welt. Die Natur, wie sie in seine Sinne fällt, ist ihm wohl entstanden, erzeugt, aber nicht er- schaffen im eigentlichen Sinne, im Sinne der Religion, nicht ein willkührliches Product, nicht gemacht. Und mit diesem Entstandensein drückt er nichts Arges aus; die Entstehung in- volvirt für ihn nichts Unreines, Ungöttliches; er denkt sich seine Götter selbst als entstanden. Die zeugende Kraft ist ihm die erste Kraft: er setzt als Grund der Natur daher eine Kraft der Natur; eine reale, gegenwärtige, in seiner Anschauung sich bethätigende Kraft als Grund der Realität. So denkt der Mensch, wo er sich ästhetisch oder theoretisch — denn die theo- retische Anschauung ist ursprünglich die ästhetische, die Aesthetik die prima philosophia — zur Welt verhält, wo ihm der Be- griff der Welt der Begriff des Kosmos, der Herrlichkeit, der Göttlichkeit selbst ist. Nur da, wo solche Anschauung Grund- princip war, konnten Gedanken gefaßt und ausgesprochen wer- den, wie der des Anaxagoras: der Mensch sei geboren zur Anschauung der Welt Bei Diogenes L. lib. II. c. III . §. 6. heißt es wörtlich „zur An- schauung der Sonne, des Mondes und des Himmels.“ Aehnliche Gedanken bei andern Philosophen. So sagten auch die Stoiker: Ipse autem homo ortus est ad mundum contemplandum et imitandum. (Cic. de nat.) . Der Standpunkt der Theorie ist der Standpunkt der Harmonie mit der Welt. Die sub- jective Thätigkeit, diejenige, in welcher der Mensch sich be- friedigt, sich freien Spielraum läßt, ist hier allein die sinnliche Einbildungskraft. Er läßt hier, indem er sich befriedigt, zu- gleich die Natur in Frieden gewähren und bestehen, indem er seine Luftschlösser, seine poetischen Kosmogonien nur aus na- türlichen Materialien zusammensetzt. Wo dagegen der Mensch nur auf den praktischen Standpunkt sich stellt und von diesem aus die Welt betrachtet, den praktischen Standpunkt selbst zum theoretischen macht, da ist er entzweit mit der Natur, da macht er die Natur zur unterthänigsten Dienerin sei- nes selbstischen Interesses, seines praktischen Egoismus’s. Der theoretische Ausdruck dieser egoistischen, praktischen An- schauung , welcher die Natur an und für sich selbst Nichts ist, ist: die Natur oder Welt ist gemacht, geschaffen, ein Pro- duct des Befehls . Gott sprach: es werde die Welt und es ward die Welt, d. i. Gott befahl : es werde die Welt und ohne Verzug stand sie auf diesen Befehl hin da Hebraei Numen verbo quidquid videtur efficiens describunt et quasi imperio omnia creata tradunt, ut facilitatem in eo quod vult efficiendo, summamque ejus in omnia potentiam ostendant. Psal. 33, 6. Verbo Jehovae coeli facti sunt. Ps. 148, 5. Ille jussit eaque creata sunt. J. Clericus . Comment. in Mosem. Genes. I. v. 3. . Aber der Utilismus ist die wesentliche Anschauung des Judenthums. Der Glaube an eine besondere göttliche Vor- sehung ist charakteristischer Glaube des Judenthums; der Glaube an die Vorsehung der Glaube an Wunder; der Glaube an Wunder aber ist es, wo die Natur nur als ein Object der Willkühr, des Egoismus, der eben die Natur nur zu willkühr- lichen Zwecken gebraucht, angeschaut wird Quidquid est creatum, δυνάμει tale est, ut possit ex quocun- que fieri quodlibet , respectu omnipotentiae Dei et misericor- diae. C. Peucer de praec. divinationum generibus. p. 81. Servestae 1591. . Das Wasser theilt sich entzwei oder ballt sich zusammen, wie eine feste Masse, der Staub verwandelt sich in Läuse, der Stab in eine Schlange, der Fluß in Blut, der Felsen in eine Quelle, an demselben Orte ist es zugleich Licht und Finsterniß, die Sonne steht bald stille in ihrem Laufe, bald geht sie zurück. Und alle diese Widernatürlichkeiten geschehen zum Besten Israels, le- diglich auf Befehl Jehovah’s , der sich um nichts als Israel kümmert, nichts ist als die personificirte Selbstsucht des israeli- tischen Volks, mit Ausschluß aller andern Völker, die absolute Intoleranz — das Geheimniß des Monotheismus. Die Griechen betrachteten die Natur mit den theoretischen Sinnen; sie vernahmen himmlische Musik in dem harmonischen Laufe der Gestirne; sie sahen aus dem Schaume des allgebä- renden Oceans die Natur in der Gestalt der Venus Anadyo- mene emporsteigen. Die Israeliten dagegen öffneten der Na- tur nur die gastrischen Sinne; nur im Gaumen fanden sie Ge- schmack an der Natur; nur im Genusse des Manna wurden sie ihres Gottes inne. „Zwischen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen Brots satt werden und inne werden, daß ich der Herr euer Gott bin .“ Mose II. c. 16, 12. Essen ist der feierlichste Act oder doch die Initiation der jüdischen Religion. Im Essen feiert und erneuert der Israelite den Creationsact; im Essen erklärt der Mensch die Natur für ein an sich nich- tiges Object. Als die siebenzig Aeltesten mit Mose den Berg hinanstiegen, da „ sahen sie Gott und da sie Gott ge- schauet hatten, tranken und aßen sie .“ Mose II. 24, 10, 11. Tantum abest , bemerkt ein Exeget, ut mor- tui sint, ut contra convivium hilares celebrarint . Der Anblick des höchsten Wesens beförderte also bei ihnen nur den Appetit zum Essen. „Und Jacob that ein Gelübde und sprach: So Gott wird mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der Herr mein Gott sein .“ Mose I. c. 28, 20. Der Grieche trieb Humaniora, die Artes liberales , die Philosophie; der Israelite erhob sich nicht über das Brotstu- dium der Theologie . Dem Griechen war die Natur ein Diamant; er konnte sich nicht satt sehen an seinem wundervol- len Farbenspiel, an seinen regelmäßigen Formen, an seiner Feuerbach . 10 himmlischen Klarheit und Durchsichtigkeit; er erblickte in ihm seinen reinen, von keinem praktischen Egoismus getrübten Geist im Spiegel; er erkannte Vernunft, Geist in der Natur; er blickte in ihre Tiefe — darum war ihm die Natur ewig . Kurz, der Grieche betrachtete die Natur mit den Augen des enthu- siastischen Mineralogen , der Jude mit den Augen des seinen Vortheil berechnenden Mineralienhändlers . Die Juden haben sich in ihrer Eigenthümlichkeit bis auf den heutigen Tag erhalten. Ihr Princip, ihr Gott ist das praktischste Princip von der Welt — der Egoismus und zwar der Egoismus in der Form der Religion . Der Egoismus ist der Gott der seine Diener nicht zu Schanden werden läßt. Der Egoismus ist wesentlich monotheistisch , denn er hat nur Eines, nur Sich zum Zweck. Der Egoismus sammelt, concentrirt den Menschen auf sich; er gibt ihm ein con- sistentes Lebensprincip; aber er macht ihn theoretisch bornirt, weil gleichgültig gegen Alles, was nicht unmittelbar auf das Wohl des Selbst sich bezieht. Die Wissenschaft entsteht daher — wie die Kunst, nur aus dem Polytheismus , denn der Polytheismus ist der offne, neidlose Sinn für alles Schöne und Gute ohne Unterschied, der Sinn für die Welt, für das Universum. Die Griechen sahen sich in der weiten Welt um, um ihren Gesichtskreis zu erweitern; die Juden beten noch heute mit gen Jerusalem gekehrtem Gesichte. Kurz, der monotheisti- sche Egoismus raubte den Israeliten den freien theoretischen Trieb und Sinn. Salomo allerdings übertraf „alle Kinder gegen Morgen“ an Verstand und Weisheit und redete (han- delte, agebat ) sogar „von Bäumen, von der Ceder zu Li- banon bis zu dem Ysop, der an der Wand wächst,“ auch von „Vieh, Vögeln, von Gewürme und von Fischen.“ ( I. Könige 4, 30—34.) Aber Salomo diente auch dem Jehovah nicht mit ganzem Herzen; Salomo huldigte fremden Göttern und Weibern; Salomo hatte also polytheistischen Sinn und Geschmack. Der polytheistische Sinn ist die Grundlage der Wissenschaft . Naturstudium ist vom Standpunkt des Jehovah aus Götzendienst ; denn der Naturforscher vertieft sich in den Gegenstand um des Gegenstandes willen; er wid- met ihm enthusiastische, göttliche Verehrung. Kein Studium ist wahr, fruchtbar, productiv ohne Enthusiasmus. Ein der Wissenschaft unwürdiges, ein feiles Subject ist Jeder, dem sein Gegenstand nicht der höchste, der absolute ist. Heilig muß dem Menschen sein, was er zum wesentlichen Gegenstand seines Lebens und Denkens macht. Heuchelei ist alle Wissen- schaftlichkeit mit einer ihrem Gegenstande fremden Religiosität. In der Wissenschaft gilt keine andre als die wissenschaft- liche Frömmigkeit — die Pietät gegen die Wissenschaft, die Gesinnung der Gründlichkeit, der Treue, der Aufrichtigkeit, der Wahrhaftigkeit, mit welcher sich der Mensch seinem Gegen- stande ergibt. Eins nun mit dieser Bedeutung, welche die Natur überhaupt für den Hebräer hatte, ist auch die Bedeutung ihres Ursprungs. In der Art, wie ich mir die Genesis eines Dings erkläre, spreche ich nur unverhohlen meine Meinung, meine Gesinnung von demselben aus. Denke ich despectirlich davon, so denke ich mir auch einen despectirlichen Ursprung. Das Ungeziefer, die In- secten leiteten sonst die Menschen vom Aas und sonstigem Un- rath ab. Nicht weil sie das Ungeziefer von einem so unappe- titlichen Ursprung ableiteten, dachten sie so verächtlich davon, sondern weil sie so dachten, weil ihnen ihr Wesen so verächt- 10* lich erschien, dachten sie sich einen, diesem Wesen entsprechen- den, einen verächtlichen Ursprung. Den Juden war die Natur ein bloßes Mittel zum Zwecke des Egoismus, ein bloßes Wil- lensobject. Das Ideal, der Abgott des egoistischen Willens ist aber der Wille, welcher unbeschränkt gebietet, welcher, um seinen Zweck zu erreichen, sein Object zu realisiren, keiner Mit- tel bedarf, welcher, was er nur immer will, unmittelbar durch sich selbst, d. h. den bloßen Willen ins Dasein ruft. Den egoistischen Menschen schmerzt es, daß die Befriedigung seiner Wünsche und Bedürfnisse eine vermittelte ist, daß für ihn eine Kluft vorhanden ist zwischen der Realität und dem Wunsche, zwischen dem Zwecke in der Wirklichkeit und dem Zwecke in der Vorstellung. Er setzt daher, um diesen Schmerz zu heilen, um sich frei zu machen von den Schranken der Wirklichkeit als das wahre, als sein höchstes Wesen das Wesen, welches durch das bloße: Ich will den Gegenstand hervorbringt. Deßwegen war dem Hebräer die Natur, die Welt das Product eines dic- tatorischen Wortes, eines kategorischen Imperativs , eines zauberischen Machtspruchs . Was für mich keine theoretische Bedeutung hat, was mir kein Wesen in der Theorie ist, dafür habe ich auch keinen theoretischen , keinen positiven Grund. Durch den Wil- len bekräftige, realisire ich nur seine theoretische Nich- tigkeit . Was wir verachten, das würdigen wir keines Blickes. Was man ansieht, achtet man. Anschauung ist Anerken- nung . Was man anschaut, das fesselt durch geheime An- ziehungskräfte, das überwältigt durch den Zauber, den es auf das Auge ausübt, den frevelnden Uebermuth des Willens, der Alles nur sich unterwerfen will. Was einen Eindruck auf den theoretischen Sinn, auf die Vernunft macht, das entzieht sich der Herrschaft des egoistischen Willens; es reagirt, leistet Wi- derstand. Was der vertilgungssüchtige Egoismus dem Tode weiht, das gibt die liebevolle Theorie dem Leben wieder. Die so sehr verkannte Ewigkeit der Materie oder Welt bei den heidnischen Philosophen hat keinen andern Sinn, als daß ihnen die Natur eine theoretische Realität war Uebrigens dachten sie bekanntlich verschieden hierüber. (S. z. B. Aristoteles de coelo l. I. c. 10.) Aber ihre Differenz ist eine untergeord- nete, da das schaffende Wesen bei ihnen mehr oder weniger selbst ein kosmi- sches Wesen ist. . Die Heiden waren Götzendiener, d. h. sie schauten die Natur an ; sie thaten nichts andres, als was die tiefchristlichen Völ- ker heute thun, wenn sie die Natur zum Gegenstande ihrer Bewunderung, ihrer unermüdlichen Forschung machen. „Aber die Heiden beteten ja die Naturgegenstände an.“ Allerdings; allein die Anbetung ist nur die kindliche, die religiöse Form der Anschauung . Anschauung und Anbetung unterscheiden sich nicht wesentlich. Was ich anschaue, vor dem demüthige ich mich, dem weihe ich das Herrlichste, was ich habe, mein Herz, meine Intelligenz zum Opfer. Auch der Naturforscher fällt vor der Natur auf die Kniee nieder, wenn er eine Flechte, ein Insect, einen Stein selbst mit Lebensgefahr aus der Tiefe der Erde hervorgräbt, um ihn im Lichte der Anschauung zu verherrlichen und im Andenken der wissenschaftlichen Mensch- heit zu verewigen. Naturstudium ist Naturdienst , und Götzendienst nichts als die erste Naturanschauung des Menschen; denn die Religion ist nichts andres als die erste, darum kindliche, volksthümliche, aber befangene, unfreie Natur- und Selbstanschauung des Menschen. Die Hebräer dagegen erhoben sich über den Götzendienst zum Gottesdienste, über die Creatur zur Anschauung des Creators, d. h. sie erhoben sich über die theoretische Anschauung der Natur, welche den Götzendiener bezauberte, zur rein praktischen Anschauung, welche die Natur nur den Zwecken des Egoismus unterwirft. „Daß Du auch nicht Deine Augen aufhebest gen Himmel und sehest die Sonne und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels und fallest ab und betest sie an und dienest ih- nen, welche der Herr, dein Gott verordnet hat (d. i. geschenkt, largitus est ) allen Völkern unter dem ganzen Himmel.“ Deuteron, c. 4, 19. Nur in der unergründlichen Tiefe und Gewalt des hebräi- schen Egoismus hat also die Schöpfung aus Nichts, d. h. die Schöpfung als ein bloßer befehlshaberischer Act, ihren Ur- sprung. Aus diesem Grunde ist auch die Schöpfung aus Nichts kein Object der Philosophie — wenigstens in keiner andern Weise, als in welcher sie hier es ist — denn sie schneidet mit der Wurzel alle wahre Speculation ab, bietet dem Denker, der Theorie keinen Anhaltpunkt dar; sie ist eine für die Theorie bodenlose, aus der Luft gegriffene Lehre, die nur den Utilismus, den Egoismus bewahrheiten soll, nichts enthält, nichts andres ausdrückt, als den Befehl , die Natur nicht zu einem Gegen- stande des Denkens, der Anschauung, sondern der Nutznießung zu machen. Aber freilich je leerer sie für die natürliche Phi- losophie, um so tiefer ist ihre „speculative“ Bedeutung; denn eben weil sie keinen theoretischen Anhaltspunkt hat, läßt sie der Speculation einen unendlichen Spielraum zu willkührlicher bodenloser Deutelei. Es ist in der Geschichte der Dogmen und Speculationen, wie in der Geschichte der Staaten. Uralte Gebräuche und In- stitute schleppen sich mit fort, nachdem sie längst ihren Sinn verloren. Was einmal gewesen, das will sich nicht mehr das Recht nehmen lassen, für immer zu sein; was einmal gut war, das will nun auch für alle Zeiten gut sein. Hinterdrein kom- men dann die Deutler, die Speculanten und sprechen von dem tiefen Sinne, weil sie den wahren Sinn nicht mehr kennen Aber natürlich nur bei der absoluten Religion, denn bei den andern Religionen heben sie die uns fremden, ihrem ursprünglichen Sinn und Zweck nach unbekannten Vorstellungen und Gebräuche als sinnlos und lächerlich hervor. Und doch ist in der That die Verehrung des Kuhurins, den der Parse und Indier trinkt, um Vergebung der Suͤnden zu erhalten, nicht lächerlicher als die Verehrung des Haarkamms oder eines Fetzens vom Rocke der Mutter Gottes. . So betrachtet auch die religiöse Speculation die Dogmen, los- gerissen aus dem Zusammenhang, in welchem sie allein Sinn haben; sie reducirt sie nicht kritisch auf ihren wahren innern Ursprung; sie macht vielmehr das Secundäre zum Primitiven und das Primitive zum Secundären. Gott ist ihr das Erste; der Mensch das Zweite. So kehrt sie die natürliche Ordnung der Dinge um! Das Erste ist gerade der Mensch, das Zweite das sich gegenständliche Wesen des Menschen: Gott. Nur in der spätern Zeit, wo die Religion bereits Fleisch und Blut geworden, kann man sagen: wie der Gott so der Mensch, ob- wohl auch dieser Satz immer nur eine Tautologie ausdrückt. Aber im Ursprung ist es anders und nur im Ursprung kann man Etwas in seinem wahren Wesen erkennen. Erst schafft der Mensch Gott nach seinem Bilde und dann erst schafft wieder dieser Gott den Menschen nach seinem Bilde. Dieß bestätigt vor Allem der Entwicklungsgang der israelitischen Religion. Daher der Satz der theologischen Halbheit, daß die Offenbarung Gottes gleichen Schritt mit der Entwicklung des Menschengeschlechts hält. Natürlich; denn die Offenbarung Gottes ist nichts andres als die Offenbarung, die Selbstent- faltung des menschlichen Wesens. Nicht aus dem Creator ging der supranaturalistische Egoismus der Juden hervor, son- dern umgekehrt jener aus diesem: in der Creation rechtfertigte nun gleichsam vor dem Forum seiner Vernunft der Israelite seinen Egoismus. Allerdings konnte sich auch der Israelite als Mensch, wie leicht begreiflich, selbst schon aus praktischen Gründen, nicht der theoretischen Anschauung und Bewunderung der Natur ent- ziehen. Aber er feiert nur die Macht und Größe Jehovahs, indem er die Macht und Größe der Natur feiert. Und diese Macht Jehovahs hat sich am herrlichsten gezeigt in den Wun- derwerken, die sie zum Besten Israels gethan. Es bezieht sich also der Israelite in der Feier dieser Macht immer zuletzt auf sich selbst; er feiert die Größe der Natur nur aus demselben Interesse, aus welchem der Sieger die Stärke seines Gegners vergrößert, um dadurch sein Selbstgefühl zu steigern, seinen Ruhm zu verherrlichen. Groß und gewaltig ist die Natur, die Jehovah gemacht, aber noch gewaltiger, noch größer ist Israels Selbstgefühl. Um seinetwillen steht die Sonne stille; um seinetwillen erbebt nach Philo bei der Verkündigung des Gesetzes die Erde; kurz, um seinetwillen verändert die ganze Natur ihr Wesen. „ Die ganze Creatur, so ihre eigene Art hatte, veränderte sich wieder nach Deinem Ge- bote, dem sie dient, auf daß Deine Kinder unversehrt bewahrt würden .“ Weisheit, 19, 6. Gott gab Mose nach Philo Macht über die ganze Natur. Jedes der Elemente gehorchte ihm als dem Herrn der Natur . S. Gfrörer’s Philo . Israels Bedürfniß ist das all- mächtige Weltgesetz, Israels Nothdurft das Schicksal der Welt . Jehovah ist das Bewußtsein Israels von der Heilig- keit und Nothwendigkeit seiner Existenz — eine Nothwendig- keit, vor welcher das Sein der Natur, das Sein anderer Völ- ker in Nichts verschwindet — Jehovah die Salus populi, das Heil Israels, dem Alles was im Wege steht aufgeopfert wer- den muß, Jehovah das ausschließliche, monarchische Selbstge- fühl, das vernichtende Zornfeuer in dem racheglühenden Auge des vertilgungssüchtigen Israels, kurz, Jehovah das Ich Israels, das sich als der Endzweck und Herr der Natur Gegenstand ist. So feiert also der Israelite in der Macht der Natur die Macht Jehovahs und in der Macht Jehovahs die Macht des eignen Selbstbewußtseins. „Gelobt sei Gott! Ist Hülfsgott uns, ein Gott zu unserm Heil .“ „Jehovah Gott ist meine Kraft .“ „Gott selbst des Helden (Josua) Wort gehorchte , denn Er, Jehovah selbst stritt mit vor Israel.“ „Jehovah ist Kriegsgott .“ Nach Herder . Wenn sich gleich im Verlaufe der Zeit der Begriff des Jehovah in einzelnen Köpfen erweiterte und seine Liebe, wie von dem Verfasser des Buchs Jona, auf die Menschen über- haupt ausgedehnt wurde, so gehört dieß doch nicht zur wesent- lichen Charakteristik der israelitischen Religion. Der Gott der Väter, an den sich die theuersten Erinnerungen knüpfen, der alte historische Gott bleibt doch immer die Grundlage einer Religion Die Bemerkung stehe noch hier, daß allerdings die Bewunderung der Macht und Herrlichkeit Gottes überhaupt, so auch Jehovahs in der Natur zwar nicht im Bewußtsein des Israeliten, aber doch in Wahr- heit nur die Bewunderung der Macht und Herrlichkeit der Natur ist. (S. hierüber P. Bayle, Ein Beitrag ꝛc. p. 25—29.) Aber dieß förmlich zu beweisen, liegt außer unserm Plan, da wir uns hier nur auf das Christen- thum, d. h. die Verehrung Gottes im Menschen ( Deum colimus per Christum . Tertullian. Apolog. c. 21.) beschränken. Gleichwohl ist jedoch das Princip dieses Beweises auch in dieser Schrift ausgesprochen. . Die Allmacht des Gemüths oder das Geheimniß des Gebetes. Israel ist die historische Definition der specifischen Natur des religiösen Bewußtseins, nur daß dieses hier noch mit der Schranke eines besondern, des Nationalinteresses behaftet war. Wir dürfen daher diese Schranke nur fallen lassen, so haben wir die christliche Religion. Das Judenthum ist das welt- liche Christenthum , das Christenthum das geistliche Ju- denthum . Die christliche Religion ist die vom National- egoismus gereinigte jüdische Religion, allerdings zugleich eine neue, andere Religion; denn jede Reformation, jede Reinigung bringt, namentlich in religiösen Dingen, wo selbst das Unbe- deutende Bedeutung hat, eine wesentliche Veränderung her- vor. Dem Juden war der Israelite der Mittler, das Band zwischen Gott und Mensch; er bezog sich in seiner Beziehung auf Jehovah auf sich als Israeliten; Jehovah war selbst nichts andres als die Identität, das sich als absolutes Wesen gegen- ständliche Selbstbewußtsein Israels, das Nationalgewissen, das allgemeine Gesetz, der Centralpunkt der Politik „Der größte Theil der hebräischen Poesie, den man oft nur fuͤr geistlich hält, ist politisch .“ Herder . . Lassen wir die Schranke des Nationalbewußtseins fallen, so bekommen wir statt des Israeliten — den Menschen . Wie der Israelite in Jehovah sein Nationalwesen vergegenständlichte, so vergegen- ständlichte sich der Christ in Gott sein von der Schranke der Nationalität befreites, menschliches und zwar subjectiv mensch- liches Wesen. Wie Israel das Bedürfniß, die Noth seiner Existenz zum Gesetz der Welt machte, wie es in diesem Bedürf- niß selbst seine politische Rachsucht vergötterte; so machte der Christ die Bedürfnisse des menschlichen Gemüths zu den abso- luten Mächten und Gesetzen der Welt. Die Wunder des Christenthums, die eben so wesentlich zur Charakteristik dessel- ben gehören, als die Wunder des A. T. zur Charakteristik des Judenthums, haben nicht das Wohl einer Nation zu ihrem Gegenstande, sondern das Wohl des Menschen — aller- dings nur des christgläubigen, denn das Christenthum an- erkannte den Menschen nur unter der Bedingung, der Be- schränkung der Christlichkeit, im Widerspruch mit dem wahr- haft, dem universell menschlichen Herzen, aber diese verhäng- nißvolle Beschränkung kommt erst später zur Sprache. Das Christenthum hat den Egoismus des Judenthums zur Sub- jectivität vergeistigt — obwohl sich auch innerhalb des Chri- stenthums diese Subjectivität wieder, z. B. im Herrnhutianis- mus, als purer Egoismus ausgesprochen — das Verlangen nach irdischer Glückseligkeit , das Ziel der israelitischen Religion, in die Sehnsucht himmlischer Seligkeit , das Ziel des Christenthums, verwandelt. Der höchste Begriff, der Gott eines politischen Gemein- wesens, eines Volks, dessen Politik aber in der Form der Religion sich ausspricht, ist das Gesetz , das Bewußtsein des Gesetzes als einer absoluten, göttlichen Macht; der höchste Begriff, der Gott des unweltlichen, unpolitischen menschlichen Gemüths, die Liebe — die Liebe, die dem Geliebten alle Schätze und Herrlichkeiten im Himmel und auf Erden zum Opfer bringt, die Liebe, deren Gesetz der Wunsch des Ge- liebten und deren Macht die unbeschränkte Macht der Phan- tasie, der intellectuellen Wunderthätigkeit ist. Gott ist die Liebe, die unsre Wünsche, unsre Gemüthsbe- dürfnisse befriedigt — Er ist selbst der realisirte Wunsch des Herzens, der zur Gewißheit seiner Erfüllung, seiner Realität, zur zweifellosen Gewißheit, vor der kein Widerspruch des Ver- standes, kein Einwand der Erfahrung, der Außenwelt besteht, gesteigerte Wunsch. Gewißheit ist für den Menschen die höchste Macht; was ihm gewiß , das ist ihm das Seiende, das Gött- liche. Gott ist die Liebe — dieser Ausspruch, der höchste des Christenthums — ist nur der Ausdruck von der Selbst- gewißheit des menschlichen Gemüthes , von der Gewiß- heit seiner als der allein seienden, d. i. absoluten, göttli- chen Macht — der Ausdruck von der Gewißheit, daß des Menschen innere Herzenswünsche objective Gültigkeit und Rea- lität haben, daß es keine Schranke, keinen positiven Gegensatz des menschlichen Gemüths gibt, daß die ganze Welt mit aller ihrer Herrlichkeit und Pracht Nichts ist gegen das menschliche Gemüth . Gott ist die Liebe — d. h. das Gemüth ist der Gott des Menschen, ja Gott schlechtweg, das absolute Wesen. Gott ist das sich gegenständliche Wesen des Gemüths, das schrankenfreie, reine Gemüth — Gott ist der in das Tempus finitum, in das gewisse selige Ist verwandelte Optativ des menschlichen Herzens, die rücksichts- lose Allmacht des Gefühls, das sich selbst erhörende Gebet, das sich selbst vernehmende Gemüth , das Echo unserer Schmerzenslaute. Aeußern muß sich der Schmerz; unwill- kührlich greift der Künstler nach der Laute, um in ihren Tö- nen seinen eignen Schmerz auszuhauchen. Er befriedigt sei- nen Schmerz, indem er ihn vernimmt, indem er ihn vergegen- ständlicht; er erleichtert die Last, die auf seinem Herzen ruht, indem er sie der Luft mittheilt, seinen Schmerz zu einem all- gemeinen Wesen macht. Aber die Natur erhört nicht die Klagen des Menschen — sie ist gefühllos gegen seine Leiden. Der Mensch wendet sich daher weg von der Natur, weg von den sichtbaren Gegenständen überhaupt — er kehrt sich nach Innen, um hier verborgen und geborgen vor den gefühllosen Mächten, Gehör für seine Leiden zu finden. Hier spricht er seine drückenden Geheimnisse aus, hier macht er seinem ge- preßten Herzen Luft. Diese freie Luft des Herzens , die- ses ausgesprochne Geheimniß, dieser entäußerte Seelen- schmerz ist Gott . Gott ist eine Thräne der Liebe in tiefster Verborgenheit, vergossen über das menschliche Elend. „ Gott ist ein unaussprechlicher Seufzer , im Grund der Seelen gelegen“ — dieser Ausspruch Sebastian Frank von Wörd in Zinkgrafs Apophthegmata deutscher Nation. ist der merkwürdigste, tiefste, wahrste Ausspruch der christlichen Mystik. Das tiefste Wesen der Religion offenbart der einfachste Act der Religion — das Gebet — ein Act, der unendlich mehr oder wenigstens eben so viel sagt, als das Dogma der Incarnation, obgleich die religiöse Speculation dasselbe als das größte Mysterium anstiert. Aber freilich nicht das Gebet vor und nach der Mahlzeit, das Mastgebet des Egoismus, sondern das schmerzensreiche Gebet, das Gebet der trostlosen Liebe, das Gebet, welches die den Menschen zu Boden schmet- ternde Macht seines Herzens ausdrückt, das Gebet, welches in der Verzweiflung beginnt und in der Seligkeit endet. Im Gebet redet der Mensch Gott mit Du an; er erklärt also laut und vernehmlich Gott für sein Alter Ego; er beich- tet Gott, als dem ihm nächsten, innigsten Wesen seine geheim- sten Gedanken, seine innigsten Wünsche, die er außerdem sich scheut, laut werden zu lassen. Aber er äußert diese Wünsche, in der Zuversicht, in der Gewißheit , daß sie erfüllt werden. Wie könnte er sich an ein Wesen wenden, das kein Ohr für seine Klagen hätte? Was ist also das Gebet, als der mit der Zuversicht in seine Erfüllung geäußerte Wunsch des Herzens ? Es wäre ein schwachsinniger Einwand, zu sagen, Gott erfülle nur die Wünsche, die Bitten, welche in seinem Namen oder im In- teresse der Kirche Christi geschehen, kurz nur die Wünsche, welche mit seinem Willen übereinstimmen; denn der Wille Gottes ist eben der Wille des Menschen , oder vielmehr Gott hat die Macht , der Mensch den Willen : Gott macht den Menschen selig, aber der Mensch will selig sein. Ein einzelner, dieser oder jener Wunsch kann allerdings nicht erhört werden; aber darauf kommt es nicht an, wenn nur die Gattung, die wesentliche Tendenz genehmigt ist. Der Fromme, dem eine Bitte fehlschlägt, tröstet sich daher damit, daß die Erfüllung derselben ihm nicht heilsam gewesen wäre. Nullo igitur modo vota aut preces sunt irritae aut infrugiferae et recte dicitur, in petitione rerum corporalium aliquando Deum exaudire nos, non ad volunta- tem nostram, sed ad salutem . Oratio de precatione. in Decla- mat. Melanchthonis . T. III. was anders das Wesen, das diese Wünsche er- füllt, als das sich selbst Gehör gebende, sich selbst genehmi- gende, sich ohne Ein- und Widerrede bejahende mensch- liche Gemüth ? Der Mensch, der sich nicht die Vorstellung der Welt aus dem Kopf schlägt, die Vorstellung, daß Alles hier nur vermittelt ist, jede Wirkung ihre natürliche Ursache hat, jeder Wunsch nur erreicht wird, wenn er zum Zweck ge- macht und die entsprechenden Mittel ergriffen werden, ein sol- cher Mensch betet nicht; er arbeitet nur: er verwandelt die er- reichbaren Wünsche in Zwecke reeller Thätigkeit, die übrigen Wünsche, die er als subjective erkennt, negirt er oder betrach- tet sie eben nur als subjective, fromme Wünsche. Kurz, er be- schränkt, bedingt sein Wesen durch die Welt, als deren Mit- glied er sich denkt, seine Wünsche durch die Vorstellung der Nothwendigkeit. Im Gebete dagegen schließt der Mensch die Welt und mit ihr alle Gedanken der Vermittlung, der Abhän- gigkeit, der traurigen Nothwendigkeit von sich aus; er macht seine Wünsche, seine Herzensangelegenheiten zu Gegenständen des unabhängigen, allvermögenden, des absoluten Wesens, d. h. er bejaht sie unbeschränkt . Gott ist das Jawort des mensch- lichen Gemüths — das Gebet die unbedingte Zuversicht des menschlichen Gemüthes zur absoluten Identität des Sub- jectiven und Objectiven , die Gewißheit, daß die Macht des Herzens größer als die Macht der Natur, daß das Her- zensbedürfniß die absolute Nothwendigkeit , das Schicksal der Welt ist. Das Gebet verändert den Na- turlauf — es bestimmt Gott zur Hervorbringung einer Wir- kung, die mit den Gesetzen der Natur im Widerspruch steht. Das Gebet ist das absolute Verhalten des mensch- lichen Herzens zu sich selbst, zu seinem eigenen We- sen — im Gebete vergißt der Mensch, daß eine Schranke sei- ner Wünsche existirt, und ist selig in diesem Vergessen. Das Gebet ist die Selbsttheilung des Menschen in zwei Wesen — ein Dialog des Menschen mit sich selbst, mit seinem Herzen. Es gehört mit zur Wirkung des Gebets, daß es laut, deutlich, nachdrucksvoll ausgesprochen wird. Un- willkührlich quillt das Gebet über die Lippen heraus — der Druck des Herzens zersprengt das Schloß des Mundes. Aber das laute Gebet ist nur das sein Wesen offenbarende Gebet: das Gebet ist wesentlich, wenn auch nicht äußerlich ausge- sprochene Rede — das lateinische Wort oratio bedeutet bei- des — im Gebete spricht sich der Mensch unverhohlen aus über das, was ihn drückt, was ihm überhaupt nahe geht; er vergegenständlicht sein Herz; — daher die moralische Kraft des Ge- bets. Sammlung, sagt man, ist die Bedingung des Gebets. Aber sie ist mehr als Bedingung: das Gebet ist selbst Sammlung — Beseitigung aller zerstreuenden Vorstellungen, aller störenden Einflüsse von Außen, Einkehr in sich selbst, um sich nur zu seinem eignen Wesen zu verhalten. Nur ein zuversichtliches, aufrichtiges, herzliches, inniges Gebet, sagt man, hilft, aber diese Hülfe liegt im Gebete selbst. Wie überall in der Reli- gion das Subjective, Secundäre, Bedingende die prima causa , die objective Sache selbst ist — so sind auch hier diese subjectiven Eigenschaften das objective Wesen des Gebets selbst Aus subjectiven Gründen vermag auch mehr das gemein- schaftliche als einzelne Gebet. Gemeinsamkeit erhöht die Gemüths- kraft, steigert das Selbstgefühl. Was man allein nicht vermag, ver- mag man mit Andern . Alleingefühl ist Beschränktheitsgefühl; Ge- meingefühl Freiheitsgefühl. Darum drängen sich die Menschen, von Naturgewalten bedroht, zusammen. Multorum preces impossibile est, ut non impetrent, inquit Ambrosius … Sanctae orationis fervor quanto inter plures collectior, tanto ardet diutius ac inten- . Die oberflächlichste Ansicht vom Gebet ist, wenn man in ihm nur einen Ausdruck des Abhängigkeitsgefühles sieht. Allerdings drückt es ein solches aus, aber die Abhängigkeit des Menschen von seinem Herzen, von seinen Gefüh- len . Wer sich nur abhängig fühlt, der öffnet seinen Mund nicht zum Gebete; das Abhängigkeitsgefühl nimmt ihm die Lust, den Muth dazu; denn Abhängigkeitsgefühl ist Noth- wendigkeitsgefühl. Das Gebet wurzelt vielmehr in dem unbedingten, um alle Nothwendigkeit unbekümmerten Ver- trauen der Subjectivität, daß ihre Angelegenheiten Gegen- stand des absoluten Wesens sind, daß das allmächtige unend- liche Wesen der Vater der Menschen, ein theilnehmendes, gefühlvolles, liebendes Wesen ist, daß also die dem Menschen theuersten, heiligsten Empfindungen göttliche Reali- täten sind. Das Kind fühlt sich aber nicht abhängig von dem Vater als Vater ; es hat vielmehr im Vater das Gefühl seiner Stärke, das Bewußtsein seines Werths, die Bürgschaft seines Daseins, die Gewißheit der Erfüllung seiner Wünsche; auf dem Vater ruht die Last der Sorge; das Kind dagegen lebt sorglos und glücklich im Vertrauen auf den Vater, seinen lebendigen Schutzgeist, der nichts will, als des Kindes Wohl und Glück. Der Vater macht das Kind zum Zweck, sich selbst zum Mittel seiner Existenz. Das Kind, welches seinen Vater um Etwas bittet, wendet sich nicht an ihn als ein von ihm unterschiedenes, selbstständiges Wesen, als Herrn, als Person überhaupt, sondern an ihn, wie und wiefern er ab- hängig bestimmt ist von seinen Vatergefühlen , von der sius cor Divinum penetrat … Negatur singularitati, quod conceditur charitati. Sacra Hist . de gentis hebr. ortu. P. Pau I. Mezger . Aug. Vind. 1700. p. 668. 669 . Feuerbach . 11 Liebe zu seinem Kinde Trefflich ist der Begriff des Abhängigkeitsgefühles, der All- macht, des Gebetes, der Liebe in der lesenswuͤrdigen Schrift: Thean- thropos . Eine Reihe von Aphorismen. Zürich. 1838 entwickelt. . Die Bitte ist nur ein Ausdruck von der Gewalt , die das Kind über den Vater ausübt — wenn man anders den Ausdruck Gewalt hier anwenden darf, da die Gewalt des Kindes nichts ist, als die Gewalt des Vaterherzens selbst . Die Sprache hat für Bitten und Befehlen dieselbe Form — den Imperativ. Die Bitte ist der Imperativ der Liebe . Und der amatorische Imperativ hat unendlich mehr Macht als der despotische. Die Liebe befiehlt nicht; die Liebe braucht ihre Wünsche nur leise anzu- deuten, um schon der Erfüllung derselben gewiß zu sein; der Despot muß schon in den Ton eine Gewalt hineinlegen, um andere, gegen ihn an sich gleichgültige Wesen zu Vollstreckern seiner Wünsche zu machen. Der amatorische Imperativ wirkt mit elektro-magnetischer Kraft, der despotische mit der mecha- nischen Kraft eines hölzernen Telegraphen. Der innigste Ausdruck Gottes im Gebet ist das Wort: Vater — der innigste, weil sich hier der Mensch zu dem absoluten Wesen als dem seinigen verhält, das Wort Vater eben selbst der Ausdruck der innigsten, intensivsten Identität ist, der Ausdruck, in dem unmittelbar die Gewähr meiner Wünsche, die Garantie meines Heils liegt. Die Allmacht, an die sich der Mensch im Gebete wendet, ist nichts als die Allmacht der Güte , die zum Heile des Menschen auch das Unmögliche möglich macht — in Wahrheit nichts andres als die Allmacht des Her- zens , des Gefühls , welches alle Verstandesschranken durch- bricht, alle Gränzen der Natur überflügelt, welches will, daß nichts Andres sei als Gefühl, nichts sei, was dem Herzen widerspricht . Der Glaube an die Allmacht ist der Glaube an die Irrealität der Außenwelt, der Objectivität, — der Glaube an die absolute Realität des Gemüths. Das Wesen der Allmacht drückt nichts aus als das Wesen des Gemüths . Die Allmacht ist die Macht, vor der kein Gesetz, keine Determination gilt und besteht, aber diese Macht ist eben das Gemüth, welches jede Determination, jedes Gesetz als Schranke empfindet und deßwegen aufhebt. Die Allmacht thut nichts weiter, als daß sie den innersten Willen des Ge- müths vollstreckt, realisirt . Im Gebete wendet sich der Mensch an die Allmacht der Güte — das heißt also nichts andres als: im Gebete betet der Mensch sein eignes Herz an , schaut er das Wesen seines Gemüths als das ab- solute Wesen an. Das Geheimniß des Glaubens — das Geheimniß des Wunders. Der Glaube an die Macht des Gebets — und nur da, wo dem Gebete eine Macht und zwar eine objective Macht zugeschrieben wird, ist noch das Gebet eine religiöse Wahr- heit — ist eins mit dem Glauben an die Wundermacht und der Glaube an Wunder eins mit dem Wesen des Glaubens überhaupt. Nur der Glaube betet; nur das Gebet des Glau- bens hat Kraft. Der Glaube ist aber nichts andres als die Zuversicht zur Realität des Subjectiven im Gegen- satz zu den Schranken, d. i. Gesetzen der Natur und Ver- nunft, d. h. der natürlichen Vernunft. Das specifische Ob- ject des Glaubens ist daher das Wunder — Glaube ist 11* Wunderglaube, Glaube und Wunder absolut unzer- trennlich . Was objectiv das Wunder, oder die Wunder- macht, das ist subjectiv der Glaube — das Wunder ist das äußere Gesicht des Glaubens, der Glaube die innere Seele des Wunders — der Glaube das Wunder des Geistes , das Wunder des Gemüths, das sich im äußern Wunder nur vergegenständlicht. Dem Glauben ist nichts unmöglich — und diese Allmacht des Glaubens verwirklicht nur das Wunder. Das Wunder ist nur ein sinnliches Beispiel von dem, was der Glaube vermag. Unbegränztheit, Uebernatür- lichkeit der Subjectivität, Ueberschwänglichkeit des Gefühls, — Transcendenz ist daher das Wesen des Glaubens. Der Glaube bezieht sich nur auf Dinge, welche, im Widerspruch mit den Schranken, d. i. Gesetzen der Natur und Vernunft Talis quippe homo est, qui simul est Deus , Qui contra conditiones corporis humani, clausas fores Penetravit, omnibus Euclideis demonstrationibus Contemptis , qui lapidem sepul- chralem transivit, Aristotele Longum valere jusso , qui aquis marinis non aliter ac terrae solo inambulavit, omnibus Philosophis neglectis. N. Frischlini Phasma. Act. III. Sc. III. S. hieruͤber auch im Anhang. Es ist daher unverzeihliche Willkühr, wenn die specu- lative Theologie das Wunder als etwas dem Glauben Aeußerliches auf die Seite setzt. Allerdings ist das äußerliche factische Wunder als solches nur ein Phänomen, aber ein Phänomen von dem innersten Wesen des Glau- bens. , die Realität des menschlichen Gemüths, der menschlichen Wün- sche vergegenständlichen. Der Glaube entfesselt die Wünsche der Subjectivität von den Banden der natürlichen Vernunft. Er genehmigt, was Natur und Vernunft versagen; er macht den Menschen darum selig , denn er befriedigt seine subjectiv- sten Wünsche. Und kein Zweifel beunruhigt den wahren Glau- ben. Der Zweifel entsteht nur da, wo ich aus mir selbst her- ausgehe, die Gränzen meiner Subjectivität überschreite, wo ich auch dem Andern außer mir, dem von mir Unterschiedenen Realität und Stimmrecht einräume, wo ich mich als ein sub- jectives, d. i. beschränktes Wesen weiß und nun durch das Andere außer mir meine Gränzen zu erweitern suche. Aber im Glauben ist das Princip des Zweifels selbst verschwunden, denn dem Glauben gilt eben an und für sich das Subjective für das Objective, das Absolute selbst . Der Glaube ist eben nichts andres als der Glaube an die absolute Rea- lität der Subjectivität . Die rauhe Wirklichkeit existirt gar nicht für ihn, das Wirkliche ist ihm das Unwirkliche; wie sollte also das Audiatur et altera pars hier statt finden können? Der Glaube beschränkt sich nicht durch die Vorstellung einer Welt , eines Weltganzen , einer Nothwendigkeit . Für den Glauben ist nur Gott , d. h. die schrankenfreie Subjectivität . Wo der Glaube im Menschen aufgeht , da geht die Welt unter , ja sie ist schon untergegangen. Der Glaube an den wirklichen Untergang und zwar an einen demnächst bevorstehenden , dem Gemüth präsenten Untergang dieser den christlichen Wünschen widerspre- chenden Welt ist daher ein Phänomen von dem innersten Wesen des christlichen Glaubens, ein Glaube, der sich gar nicht abtrennen läßt von dem übrigen Inhalt des christli- chen Glaubens, mit dessen Aufgebung das wahre positive Christenthum aufgegeben, verläugnet wird Dieser Glaube ist der Bibel so wesentlich, daß sie ohne ihn gar nicht begriffen werden kann . Die Stelle 2. Petri 3, 8. spricht nicht, wie dieß aus dem ganzen Capitel hervorgeht, gegen einen nahen Unter- gang, denn wohl sind 1000 Jahre wie ein Tag vor dem Herrn, aber auch ein Tag wie 1000 Jahre, und die Welt kann daher schon morgen nicht . Das Wesen des Glaubens, welches sich durch alle seine Gegenstände bis ins Speciellste hinein bestätigen läßt, ist: daß das ist , was der Mensch wünscht — er wünscht unsterblich zu sein, also ist er unsterblich; er wünscht , daß ein Wesen sei, welches alles vermag, was der Natur und Vernunft unmög- lich ist , also existirt ein solches Wesen; er wünscht, daß eine Welt sei, welche den Wünschen des Gemüths entspricht, eine Welt der unbeschränkten Subjectivität , d. i. der unge- störten Empfindung, der ununterbrochnen Seligkeit; nun exi- stirt aber dennoch eine dieser subjectiven Welt entgegengesetzte Welt, also muß diese Welt vergehen — so nothwendig ver- gehen als nothwendig ein Gott, das absolute Wesen der Sub- jectivität, besteht. Glaube, Liebe, Hoffnung ist die christliche Dreieinigkeit. Die Hoffnung bezieht sich auf die Erfüllung der Verheißungen — der Wünsche, die noch nicht erfüllt sind, aber erfüllt werden ; die Liebe auf das Wesen, wel- ches diese Verheißungen gibt und erfüllt , der Glaube auf die Verheißungen, die Wünsche, welche bereits erfüllt, histo- rische Thatsachen sind. Das Wunder ist ein wesentlicher Gegenstand des Chri- stenthums, wesentlicher Glaubensinhalt. Aber was ist das Wun- der? Ein realisirter supranaturalistischer Wunsch — sonst nichts. Der Apostel Paulus erläutert das Wesen des christlichen Glaubens an dem Beispiel Abrahams. Abraham konnte auf natürlichem Wege nimmer auf Nachkommenschaft hoffen. Jehovah verhieß sie ihm gleichwohl aus besonderer mehr sein. Daß überhaupt in der Bibel ein sehr nahes Weltende er- wartet und prophezeiht, obgleich nicht Tag und Stunde bestimmt wird, kann nur ein Lügner oder ein Blinder läugnen. S. hierüber auch Lützelberger ’s Schriften. Gnade. Und Abraham glaubte, der Natur zum Trotz. Darum wurde ihm auch dieser Glaube zur Gerechtigkeit, zum Ver- dienst angerechnet; denn es gehört viele Kraft der Subjectivi- tät dazu, etwas im Widerspruch mit Erfahrung, wenigstens vernünftiger, gesetzmäßiger Erfahrung dennoch als gewiß an- zunehmen. Aber was war denn der Gegenstand dieser gött- lichen Verheißung? Nachkommenschaft: der Gegenstand eines menschlichen Wunsches. Und woran glaubte Abraham, wenn er Jehovah glaubte? an ein Wesen, welches alles vermag, alle menschlichen Wünsche erfüllen kann. „ Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein 1. Mose 18, 14. ?“ Doch wozu versteigen wir uns bis zu Abraham hinauf? Die schlagendsten Beweise haben wir ja viel näher. Das Wunder speist Hungrige, heilt von Natur Blinde, Taube, Lahme, errettet aus Lebensgefahren, belebt selbst Todte auf die Bitten ihrer Verwandten. Es befriedigt also menschliche Wün- sche — Wünsche, die aber zugleich, zwar nicht immer an sich selbst , wie der Wunsch, den Todten zu beleben, doch inso- fern , als sie die Wundermacht, wunderbare Hülfe ansprechen, transcendente, supranaturalistische Wünsche sind. Aber das Wunder unterscheidet sich dadurch von der natur- und vernunftgemäßen Befriedigungsweise menschlicher Wünsche und Bedürfnisse, daß es die Wünsche des Menschen auf eine dem Wesen des Wunsches entsprechende , auf die wünschens- wertheste Weise befriedigt. Der Wunsch bindet sich an keine Schranke, kein Gesetz: er ist ungeduldig; er will unverzüg- lich, augenblicklich erfüllt sein. Und siehe da! so schnell als der Wunsch, so schnell ist das Wunder. Die Wunderkraft rea- lisirt augenblicklich , mit einem Schlag, ohne alles Hin- derniß die menschlichen Wünsche. Daß Kranke gesund wer- den, das ist kein Wunder, aber daß sie unmittelbar auf einen bloßen Machtspruch hin gesund werden, das ist das Ge- heimniß des Wunders. Nicht also durch das Product oder Object , welches sie hervorbringt — würde die Wundermacht etwas absolut Neues, nie Gesehenes, nie Vorgestelltes, auch nicht einmal Erdenkbares verwirklichen, so wäre sie als eine wesentlich andere und zugleich objective Thätigkeit fac- tisch erwiesen — sondern allein durch den Modus , die Art und Weise unterscheidet sich die Wunderthätigkeit von der Thätigkeit der Natur und Vernunft. Allein die Thätigkeit, welche dem Wesen, dem Inhalt nach eine natürliche, sinn- liche, nur dem Modus nach eine übernatürliche, über- sinnliche ist, diese Thätigkeit ist nur die Phantasie oder Ein- bildungskraft. Die Macht des Wunders ist daher nichts andres als die Macht der Einbildungskraft . Die Wunderthätigkeit ist eine Zweckthätigkeit. Die Sehn- sucht nach dem verlornen Lazarus, der Wunsch seiner Ver- wandten, ihn wieder zu besitzen, war der Beweggrund der wunderbaren Erweckung — die That selbst, die Befriedigung dieses Wunsches, der Zweck. Allerdings geschah zugleich das Wunder „ zur Ehre Gottes , daß der Sohn Gottes dadurch geehret werde,“ aber die Schwestern des Lazarus, die nach dem Herrn schicken mit den Worten: „siehe, den du lieb hast, der liegt krank“ und die Thränen , die Jesus vergoß, vindi- ciren zugleich dem Wunder einen menschlichen Ursprung und Zweck. Der Sinn ist: der Macht, die selbst Todte erwecken kann, ist kein menschlicher Wunsch unerfüllbar. Die Zweck- thätigkeit beschreibt bekanntlich einen Kreis: sie läuft im Ende auf ihren Anfang zurück. Aber die Wunderthätigkeit unter- scheidet sich dadurch von der gemeinen Verwirklichung des Zwecks, daß sie einen Zweck ohne Mittel realisirt, daß sie eine unmittelbare Identität des Wunsches und der Er- füllung bewirkt, daß sie folglich einen Kreis beschreibt, aber nicht in krummer , sondern in gerader, folglich der kürzesten Linie. Ein Kreis in gerader Linie ist das mathematische Sinn- und Ebenbild des Wunders. So lächerlich es daher wäre, einen Kreis in gerader Linie construiren zu wollen, so lächer- lich ist es, das Wunder philosophisch deduciren zu wollen. Das Wunder ist für die Vernunft sinnlos, undenkbar, so un- denkbar als ein hölzernes Eisen, ein Kreis ohne Peripherie. Ehe man die Möglichkeit bespricht, ob ein Wunder geschehen kann, zeige man die Möglichkeit, ob das Wunder, d. h. das Undenkbare denkbar ist . Was dem Menschen die Einbildung der Denkbarkeit des Wunders beibringt, ist, daß das Wunder als eine sinnliche Begebenheit vorgestellt wird und der Mensch daher seine Ver- nunft durch, zwischen den Widerspruch sich einschiebende, sinn- liche Vorstellungen täuscht. Das Wunder der Verwandlung des Wassers in Wein z. B. sagt in Wahrheit nichts andres als: Wasser ist Wein, nichts andres als die Identität zweier sich absolut widersprechender Prädicate oder Subjecte; denn in der Hand des Wunderthäters ist kein Unterschied zwischen beiden Substanzen; die Verwandlung ist nur die sinnliche Er- scheinung von dieser Identität des sich Widersprechenden. Aber die Verwandlung verhüllt den Widerspruch, weil die natür- liche Vorstellung der Veränderung sich dazwischen einschiebt. Allein es ist ja keine allmählige, keine natürliche, so zu sagen organische , sondern eine absolute, stofflose Verwandlung — eine reine creatio ex nihilo . In dem geheimniß- und verhängnißvollen Wunderact, in dem Act, der das Wunder zum Wunder macht, ist urplötzlich, ununterscheidbar Wasser Wein — was eben so viel sagen will, als Eisen ist Holz oder ein hölzernes Eisen. Der Wunderact — und das Wunder ist nur ein flüchti- ger Act — ist daher kein denkbarer, denn er hebt das Princip der Denkbarkeit auf — aber eben so wenig ein Object des Sinnes, ein Object wirklicher oder nur möglicher Erfahrung. Wasser ist wohl Gegenstand des Sinnes, auch Wein; ich sehe jetzt wohl Wasser, hernach Wein; aber das Wunder selbst, das was dieses Wasser urplötzlich zum Wein macht, dieß ist, weil kein Naturproceß, ein reines Perfectum ohne vorherge- hendes Imperfectum ohne Modus, ohne Mittel und Weise ist, kein Gegenstand wirklicher oder nur möglicher Erfahrung. Das Wunder ist ein Ding der Einbildung — eben deßwegen auch so gemüthlich , denn die Phantasie ist die dem subjec- tiven Gemüthe allein entsprechende Thätigkeit, weil sie alle Schranken, alle Gesetze, welche dem Gemüthe wehethun, be- seitigt, und so dem Menschen die unmittelbare, schlechthin un- beschränkte Befriedigung seiner subjectivsten Wünsche vergegen- ständlicht Freilich ist diese Befriedigung — eine Bemerkung, die sich übri- gens von selbst versteht — insofern beschränkt, als sie an die Religion, den Glauben an Gott gebunden ist. Aber diese Beschränkung ist in Wahr- heit keine Beschraͤnkung, denn Gott selbst ist das unbeschränkte, das ab- solut befriedigte, in sich gesättigte Wesen des menschlichen Gemüthes. . Gemüthlichkeit ist die wesentliche Eigenschaft des Wunders. Wohl macht auch das Wunder einen erhabnen, erschütternden Eindruck, insofern als es eine Macht ausdrückt, vor der nichts besteht — die Macht der Phantasie. Aber die- ser Eindruck liegt nur in dem vorübergehenden Act des Thuns — der bleibende, wesenhafte Eindruck ist der gemüthliche. In dem Momente, wo der geliebte Todte aufgeweckt wird, erschrecken wohl die umstehenden Verwandten und Freunde über die au- ßerordentliche, allmächtige Kraft, die Todte in Lebende ver- wandelt; aber in demselben ungetheilten Momente — denn die Wirkungen der Wundermacht sind absolut schnell — wo er aufersteht, wo das Wunder vollbracht ist, da fallen auch schon die Verwandten dem Wiedererstandnen in die Arme und füh- ren ihn unter Freudenthränen nach Hause, um hier ein ge- müthliches Fest zu feiern. Aus dem Gemüthe entspringt das Wunder, auf das Gemüth geht es wieder zurück . Selbst in der Darstellung verläugnet es nicht seinen Ursprung. Die adäquate Darstellung ist allein die gemüthliche. Wer sollte in der Erzählung von der Erweckung des Lazarus, des größten Wunders, den gemüthlichen, behaglichen Legendenton verkennen Die Legenden des Katholicismus — natürlich nur die bessern, wahrhaft gemüthlichen — sind gleichsam nur das Echo von dem Grundton, der schon in dieser neutestamentlichen Erzählung herrscht. — Das Wun- der könnte man füglich auch definiren als den religiösen Humor . Be- sonders hat der Katholicismus das Wunder von dieser seiner humoristischen Seite ausgebildet. ? Gemüthlich ist aber eben das Wunder, weil es, wie gesagt, ohne Arbeit, ohne Anstrengung die Wünsche des Menschen befriedigt. Arbeit ist gemüthlos, ungläubig, ratio- nalistisch; denn der Mensch macht hier sein Dasein abhängig von der Zweckthätigkeit, die selbst wieder lediglich durch den Begriff der gegenständlichen Welt vermittelt ist. Aber das Gemüth kümmert sich nichts um die objective Welt; es geht nicht außer und über sich hinaus; es ist selig in sich. Das Element der Bildung, das nordische Princip der Selbstentäu- ßerung geht dem Gemüthe ab. Die Apostel und Evangeli- sten waren keine wissenschaftlich gebildete Männer. Bildung überhaupt ist nichts andres als die Erhebung des Indivi- duums über seine Subjectivität zur objectiven universalen Anschauung, zur Anschauung der Welt . Die Apostel waren Volksmänner; das Volk lebt nur in sich, im Gemü- the; darum siegte das Christenthum über die Völker. Vox populi vox Dei. Hätte das Christenthum über einen Philo- sophen, einen Geschichtschreiber, einen Dichter der classischen Zeit gesiegt? Die Philosophen, die zum Christenthum übergin- gen, waren schwache, schlechte Philosophen. Alle diejenigen, die noch classischen Geist in sich hatten, waren feindselig oder doch gleichgültig gegen das Christenthum. Der Untergang der Bildung war identisch mit dem Sieg des Christenthums. Der classische Geist, der Geist der Bildung ist der sich selbst durch Gesetze — freilich nicht willkührliche, endliche, sondern wahrhafte, an und für sich gültige Gesetze beschränkende, durch die Nothwendigkeit , die Wahrheit der Natur der Dinge Gefühl und Phantasie bestimmende, kurz der objective Geist. An die Stelle dieses Geistes trat mit dem Christenthum das Princip der unbeschränkten, maaßlosen, überschwänglichen, su- pranaturalistischen Subjectivität — ein in seinem innersten Wesen dem Princip der Wissenschaft, der Bildung entgegen- gesetztes Princip Bildung in dem Sinne, in dem sie hier genommen wird. Welt- bildung wäre der richtige Ausdruck, wenn dieser nicht im Sprachgebrauch eine zu gemeine und oberflaͤchliche Bedeutung erhalten hätte. — Höchst charakteristisch für das Christenthum — ein populärer Beweis des Gesag- ten — ist es, daß nur die Sprache der Bibel, nicht die eines Sophokles oder Plato, also nur die unbestimmte gesetzlose Sprache des Ge- müths, nicht die Sprache der Kunst und Philosophie für die Sprache, . Mit dem Christenthum verlor der Mensch den Sinn, die Fähigkeit, sich in die Natur, das Universum hineinzudenken. So lange das wahre, ungeheuchelte, un- verfälschte, rücksichtslose Christenthum existirte, so lange das Christenthum eine lebendige, praktische Wahrheit war, so lange geschahen wirkliche Wunder, und sie gescha- hen nothwendig, denn der Glaube an todte, historische, ver- gangne Wunder ist selbst ein todter Glaube, der erste Ansatz zum Unglauben oder vielmehr die erste und eben deßwegen schüchterne, unwahre, unfreie Weise, wie der Unglaube an das Wunder sich Luft macht. Aber wo Wunder geschehen, da verfließen alle bestimmten Gestalten in den Nebel der Phan- tasie und des Gemüths; da ist die Welt, die Wirklichkeit Nichts, da ist das objective , wirkliche Wesen allein das wunderthätige, gemüthliche, d. i. subjective Wesen. Für den bloßen Gemüthsmenschen ist unmittelbar, ohne daß er es will und weiß, die Einbildungskraft die höchste Thä- tigkeit, die ihn beherrschende; als die höchste, die Thätigkeit Gottes, die schöpferische Thätigkeit. Sein Gemüth ist ihm eine unmittelbare Wahrheit und Realität; so real ihm das Gemüth ist — und es ist ihm das Realste, Wesenhafteste; er die Offenbarung des göttlichen Geistes im Christenthum galt und heute noch gilt. — Aber waren denn nicht viele Kirchenväter, wie z. B. Ter- tullian, Clemens A., Hieronymus, Origenes sehr gelehrte Leute? Ver- danken wir nicht ihnen sogar viele Kenntnisse des heidnischen Alterthums? Wer wird dieß läugnen? Aber ist der ein Freund und Beförderer des Pie- tismus, der die Tractätlein der Pietisten sammelt und citirt, um sie zu prostituiren? Nur auf den wissenschaftlichen Sinn allein kommt es an. Aber diesen sollten sie auch ihrer Zeit und Bestimmung nach nicht haben. Richtig; aber sie konnten auch ihrem Grundprincip nach keinen ha- ben. — Wenn die Concilien von den Geistlichen Kenntnisse verlangen, so verstehen sie darunter natürlich immer nur kirchliche oder theologische Kenntnisse. kann nicht von seinem Gemüthe abstrahiren, nicht darüber hinaus — so real ist ihm die Einbildung. Die Phantasie oder Einbildungskraft, (die hier nicht unterschieden werden, ob- wohl an sich verschieden) ist ihm nicht so, wie uns Verstan- desmenschen, die wir sie als die subjective von der objectiven Anschauung unterscheiden, Gegenstand; sie ist unmittelbar mit ihm selbst, mit seinem Gemüthe identisch , und als iden- tisch mit seinem Wesen , seine wesentliche , gegenständliche, nothwendige Anschauung selbst. Für uns ist wohl die Phan- tasie eine willkührliche Thätigkeit, aber wo der Mensch das Princip der Bildung, der Weltanschauung nicht in sich aufge- nommen, wo er nur in seinem Gemüthe lebt und webt, da ist die Phantasie eine unmittelbare, unwillkührliche Thätig- keit. Die Erklärung der Wunder aus Gemüth und Phantasie gilt Vielen heutigen Tags freilich für oberflächlich. Aber man denke sich hinein in die Zeiten, wo noch lebendige, gegenwär- tige Wunder geglaubt wurden, wo die Realität der Dinge außer uns noch kein geheiligter Glaubensartikel war, wo die Menschen so abgezogen von der Weltanschauung lebten, daß sie tagtäglich dem Untergang der Welt entgegen sahen, wo sie nur lebten in der wonnetrunknen Aussicht und Hoffnung des Himmels, also in der Einbildung — denn mag der Himmel sein, was er will, für sie wenigstens existirte er, so lange sie auf Erden waren, nur in der Einbildungskraft — wo diese Einbildung keine Einbildung , sondern Wahrheit, ja die ewige, allein bestehende Wahrheit, nicht ein thatloses müßiges Trostmittel nur, sondern ein praktisches , die Handlun- gen bestimmendes Moralprincip war, welchem die Men- schen mit Freuden das wirkliche Leben, die wirkliche Welt mit allen ihren Herrlichkeiten zum Opfer brachten — man denke sich da hinein und man muß in der That selbst sehr oberfläch- lich sein, wenn man die psychologische Genesis für oberflächlich erklärt. Kein stichhaltiger Einwand ist es, daß diese Wunder im Angesicht ganzer Versammlungen geschehen sind oder geschehen sein sollen: Keiner war bei sich, Alle erfüllt von überschwänglichen, supranaturalistischen Vorstellungen, Empfindungen; Alle beseelte derselbe Glaube, dieselbe Hoffnung, dieselbe Phantasie. Wem sollte es aber unbekannt sein, daß es auch gemeinschaftliche oder gleich- artige Träume, gemeinschaftliche oder gleichartige Visionen gibt, zumal bei gemüthlichen, in und auf sich beschränkten, enge zusam- menhaltenden Individuen? Doch dem sei wie es wolle. Ist die Erklärung der Wunder aus Gemüth und Phantasie ober- flächlich, so fällt die Schuld der Oberflächlichkeit nicht auf den Erklärer, sondern auf den Gegenstand selbst — auf das Wun- der; denn das Wunder drückt, bei Lichte besehen, eben gar nichts weiter aus, als die Zaubermacht der Phantasie, die ohne Widerspruch alle Wünsche des Herzens erfüllt. Das Geheimniß der Auferstehung und übernatürlichen Geburt. Die Qualität der Gemüthlichkeit gilt nicht nur von den praktischen Wundern, wo von selbst diese Qualität in die Augen springt, da sie unmittelbar das Wohl, den Wunsch des menschlichen Individuums betreffen; sie gilt auch von den theoretischen oder eigentlich dogmatischen Wundern. So von dem Wunder der Auferstehung und übernatürlichen Geburt. Der Mensch hat, wenigstens im Zustande des Wohl- seins, den Wunsch, nicht zu sterben. Dieser Wunsch ist ur- sprünglich eins mit dem Selbsterhaltungstriebe. Was lebt, will sich behaupten, will leben, folglich nicht sterben. Dieser erst negative Wunsch wird in der spätern Reflexion und im Ge- müthe, unter dem Drucke des Lebens, besonders des bürgerli- chen und politischen Lebens, zu einem positiven Wunsche, zum Wunsche eines Lebens und zwar bessern Lebens nach dem Tode. Aber in diesem Wunsche liegt zugleich der Wunsch nach Gewißheit dieser Hoffnung. Die Vernunft kann diese Hoffnung nicht erfüllen. Man hat daher gesagt: alle Be- weise für die Unsterblichkeit sind ungenügend, oder selbst, daß sie die Vernunft gar nicht aus sich erkennen, viel weniger beweisen könne. Und mit Recht: die Vernunft gibt nur all- gemeine Beweise; die Gewißheit meiner persönlichen Fortdauer kann sie mir nicht geben, und diese Gewißheit ver- langt man eben. Aber zu solcher Gewißheit gehört eine un- mittelbare persönliche Versicherung, eine thatsächliche Bestäti- gung. Diese kann mir nur dadurch gegeben werden, daß ein Todter, von dessen Tode wir vorher versichert waren, wieder aus dem Grabe aufersteht, und zwar ein Todter, der kein gleichgültiger, sondern vielmehr das Vorbild der Andern ist, so daß auch seine Auferstehung das Vorbild, die Garantie der Auferstehung der Andern ist. Die Auferstehung Christi ist daher der realisirte Wunsch des Menschen nach unmittel- barer Gewißheit von seiner persönlichen Fortdauer nach dem Tode — die persönliche Unsterblichkeit als eine sinnliche, unbezweifelbare Thatsache. Die Frage nach der Unsterblichkeit war bei den heidnischen Philosophen eine Frage, bei welcher das Interesse der Persön- lichkeit außer dem Spiele blieb. Es handelte sich hier nur um die Natur der Seele, des Geistes, des Lebensprincipes. Im Gedanken von der Unsterblichkeit des Lebensprincipes liegt keineswegs der Gedanke, geschweige die Gewißheit der persön- lichen Unsterblichkeit. Darum drücken sich die Alten so unbe- stimmt, so widersprechend, so zweifelhaft über diesen Gegen- stand aus. Die Christen dagegen in der zweifellosen Gewiß- heit, daß ihre persönlichen, gemüthlichen Wünsche erfüllt wer- den, d. h. in der Gewißheit von dem göttlichen Wesen ihres Gemüths, ihrer Persönlichkeit, von der Wahrheit und Unan- tastbarkeit ihrer subjectiven Gefühle, machten, was bei den Alten die Bedeutung eines theoretischen Problems hatte, zu einer unmittelbaren Thatsache , eine theoretische , eine an sich freie Frage zu einer bindenden Gewissens- sache , deren Läugnung dem Majestätsverbrechen des Atheis- mus gleich kam. Wer die Auferstehung läugnet, läugnet die Auferstehung Christi, wer Christi Auferstehung läugnet, läug- net Christus, wer aber Christus läugnet, läugnet Gott. So machte das „geistige“ Christenthum eine geistige Sache zu einer geistlosen Sache! Den Christen war die Unsterblichkeit der Vernunft, des Geistes viel zu abstract und negativ; den Christen lag nur die persönliche, gemüthliche Unsterblichkeit am Herzen; aber die Bürgschaft dieser liegt nur in der fleischlichen Auferstehung. Die Auferstehung des Fleisches ist der höchste Triumph des Christenthums über die erhabene, freilich ab- stracte, Geistigkeit und Objectivität der Alten. Darum wollte auch die Auferstehung den Heiden durchaus nicht in den Kopf. Aber wie die Auferstehung, das Ende der heiligen Ge- schichte — eine Geschichte, die aber nicht die Bedeutung einer Historie, sondern der Wahrheit selber hat — ein realisirter Feuerbach . 12 Wunsch, so ist es auch der Anfang derselben, die übernatür- liche Geburt, obgleich diese sich nicht auf ein unmittelbar per- sönliches Interesse, sondern mehr nur auf ein particuläres subjectives Gefühl bezieht. Je mehr sich der Mensch der Natur entfremdet, je subjec- tiver, d. i. über- oder widernatürlicher seine Anschauung wird, desto größere Scheu bekommt er vor der Natur oder wenig- stens vor gewissen natürlichen Dingen und Processen, die sei- ner Phantasie mißfallen, ihn widerlich afficiren. Der freie, objective Mensch findet allerdings auch Ekelhaftes und Wider- liches in der Natur, aber er begreift es als eine natür- liche, unvermeidliche Folge und überwindet in dieser Einsicht seine Gefühle als nur subjective, unwahre Gefühle. Der subjective, nur im Gemüthe und in der Phantasie lebende Mensch dagegen fixirt, beanstandet diese Dinge mit einem ganz besondern Widerwillen. Er hat das Auge jenes un- glücklichen Findlings, welcher auch an der schönsten Blume nur die kleinen „schwarzen Käferchen“, die auf ihr herumlie- fen, bemerkte und durch diese Wahrnehmung den Genuß an der Anschauung der Blume sich verbitterte. Der subjective Mensch macht aber seine Gefühle zum Maaßstab dessen, was sein soll . Was ihm nicht gefällt, was sein transcendentes, über- oder widernatürliches Gemüth beleidigt, das soll nicht sein . Kann auch das, was ihm wohlgefällt, nicht sein ohne das, was ihm mißfällt — der subjective Mensch richtet sich nicht nach den langweiligen Gesetzen der Logik und Physik, sondern nach der Willkühr der Phantasie — er läßt daher das Mißfällige an einer Sache weg, das Wohlgefällige aber hält er fest. So gefällt ihm wohl die reine, unbefleckte Jungfrau; aber wohl gefällt ihm auch die Mutter, jedoch nur die Mut- ter, die keine Beschwerden leidet, die Mutter, die schon das Kindlein auf den Armen trägt. An und für sich ist die Jungfrauschaft im innersten Wesen seines Geistes, seines Glaubens sein höchster Begriff, das Cornu copiae seiner supranaturalistischen Gefühle und Vor- stellungen, sein personificirtes Ehr- und Schamgefühl vor der gemeinen Natur Tantum denique abest incesti cupido, ut nonnullis rubori sit etiam pudica conjunctio. M. Felicis Oct. c. 31. Der Pater Gil war so außerordentlich keusch, daß er kein Weib von Gesicht kannte, ja er fürchtete sich sogar, nur sich selbst anzufassen, se quoque ipsum attingere quodammodo horrebat . Der Pater Coton hatte einen so feinen Geruch in diesem Punkte, daß er bei Annäherung von unkeuschen Personen einen unerträglichen Gestank wahrnahm. ( Bayle Dict. Art. Mariana Rem. C. ) Aber das oberste, das göttliche Princip dieser hyperphysischen Delicatesse ist die Jungfrau Maria; daher sie bei den Katholiken heißt: Virginum gloria, Virginitatis coro- na, Virginitatis typus et forma puritatis, Virginum ve- xillifera, Virginitatis magistra, Virginum prima, Virgi- nitatis primiceria . . Aber zugleich regt sich doch auch ein natürliches Gefühl in seiner Brust, das barmherzige Gefühl der Mutterliebe. Was ist nun in dieser Herzensnoth, in diesem Zwiespalt zwischen einem natürlichen und über- oder widernatürlichen Gefühl zu thun? Der Supranatura- list muß Beides verbinden, in einem und demselben Subjecte zwei sich gegenseitig ausschließende Prädicate zusammenfas- sen Salve sancta parens, enixa puerpera Regem, Gaudia matris habens cum Virginitatis honore . (Theol. schol. Mezger T. IV. p. 132.) . O welche Fülle gemüthlicher, holdseliger, übersinnlich sinnlicher Gefühle liegt in dieser Verknüpfung! Hier haben wir den Schlüssel zu dem Widerspruch im 12* Katholicismus, daß zugleich die Ehe, zugleich die Ehelosigkeit heilig ist. Der dogmatische Widerspruch der jungfräu- lichen Mutter oder mütterlichen Jungfrau ist hier nur als ein praktischer Widerspruch verwirklicht. Aber gleichwohl ist diese wunderbare, der Natur und Vernunft widersprechende, dem Gemüthe und der Phantasie aber im höchsten Grade ent- sprechende Verknüpfung der Jungferschaft und Mutterschaft kein Product des Katholicismus; sie liegt selbst schon in der zweideutigen Rolle, welche die Ehe in der Bibel, namentlich im Sinne des Apostels Paulus spielt. Die Lehre von der übernatürlichen Zeugung und Empfängniß Christi ist eine wesentliche Lehre des Christenthums, eine Lehre, die sein inneres dogmatisches Wesen ausspricht, die auf demselben Fundament, wie alle übrigen Wunder und Glaubensartikel beruht. So gut die Christen an dem Tode, den der Philo- soph, der Naturforscher, der freie, objective Mensch überhaupt für eine natürliche Nothwendigkeit erkennt, überhaupt an den Gränzen der Natur, welche dem Gemüthe Schranken, der Vernunft aber vernünftige Gesetze sind, Anstoß nahmen und sie daher durch die Macht der Wunderthätigkeit beseitig- ten, so gut mußten sie auch an dem Naturproceß der Zeugung Anstoß nehmen und ihn durch die Wundermacht negiren. Und wie die Auferstehung, so kommt auch die übernatürliche Geburt Allen, nämlich Gläubigen, zu Gute; denn die Empfängniß der Maria, als unbefleckt durch das männliche Sperma, welches das eigentliche Contagium der Erbsünde ist, war ja der erste Neinigungsact der sünden-, d. i. naturbeschmutzten Menschheit. Nur weil der Theanthropos nicht angesteckt war von der Erb- sünde, konnte Er, der Reine, die Menschheit reinigen in den Augen Gottes, welchen der natürliche Zeugungsproceß ein Gräuel, weil er selbst nichts andres als das übernatürliche Gemüth ist. Selbst die trocknen, so willkührlich kritischen protestanti- schen Orthodoxen betrachteten noch die Empfängniß der gott- gebärenden Jungfrau als ein großes, verehrungs- und an- staunungswürdiges, heiliges, übervernünftiges Glaubensmyste- rium S. z. B. J. D. Winckler Philolog. Lactant. s. Brunsvigae. 1754. p. 247—254. . Aber bei den Protestanten, welche den Christen nur auf den Glauben reducirten und beschränkten, im Leben aber Mensch sein ließen, hatte auch dieses Mysterium nur dogma- tische, nicht mehr praktische Bedeutung. Sie ließen sich durch dieses Mysterium in ihrer Heirathslust nicht irre ma- chen. Bei den Katholiken, überhaupt den alten unbeding- ten unkritischen Christen war, was ein Mysterium des Glaubens auch ein Mysterium des Lebens, der Mo- ral S. hierüber auch „Philos. und Christenthum“ von L. Feuer- bach. . Die katholische Moral ist christlich, mystisch, die pro- testantische Moral war schon von Anfang an rationali- stisch . Die protestantische Moral ist und war eine fleischliche Ver- mischung des Christen mit dem Menschen — dem natürlichen, politischen, bürgerlichen, socialen Menschen oder wie ihr ihn sonst im Unterschiede vom christlichen nennen wollt — die katholische Moral bewahrte auf ihrem Herzen das Geheim- niß der unbefleckten Jungfräulichkeit. Die katholische Moral war die Mater dolorosa, die protestantische eine wohlbeleibte, kindergesegnete Hausfrau. Der Protestantismus ist von Grund aus der Widerspruch zwischen Glauben und Leben . Nicht so der Katholicismus. Die übernatürlichen Glaubens- principien waren ihm zugleich übernatürliche Moralprin- cipien . Eben deßwegen weil das Mysterium der Virgo Deipara bei den Protestanten nur noch in der Theorie oder vielmehr in der Dogmatik, aber nicht mehr in praxi galt, sag- ten sie, daß man sich nicht vorsichtig, nicht zurückhaltend genug darüber ausdrücken könne, daß man es durchaus nicht zu einem Object der Speculation machen dürfe. Was man praktisch negirt, hat keinen wahren Grund und Bestand mehr im Menschen, ist nur noch ein Gespenst der Vorstellung. Deßhalb verbirgt, entzieht man es dem Verstande. Gespen- ster vertragen nicht das Tageslicht. Selbst auch die spätere, übrigens schon in einem Briefe an den heiligen Bernhard, der sie aber verwirft, ausgespro- chene, Glaubensvorstellung, daß auch die Maria unbefleckt ohne Erbsünde empfangen worden sei, ist keineswegs eine „ son- derbare Schulmeinung ,“ wie sie Ranke in seiner Ge- schichte der Reformation nennt. Sie ergab sich vielmehr aus einer natürlichen Folgerung und einer frommen dankbaren Gesinnung gegen die Mutter Gottes. Was ein Wunder, was Gott gebiert, muß selbst wunderbaren, göttlichen Ur- sprungs und Wesens sein. Wie hätte Maria die Ehre ha- ben können vom heiligen Geiste beschattet zu werden, wenn sie nicht vorher schon von Hause aus wäre purificirt worden? Konnte der heil. Geist in einem von der Erbsünde besudelten Leibe Wohnung nehmen? Wenn ihr das Princip des Chri- stenthums, die heil- und wundervolle Geburt des Heilands nicht sonderbar findet — o! so findet doch auch die naiven, einfältigen, gutmüthigen Folgerungen des Katholicismus nicht sonderbar. Das Geheimniß des christlichen Christus oder des per- sönlichen Gottes. Die Grunddogmen des Christenthums sind realisirte Her- zenswünsche — das Wesen des Christenthums ist das Wesen des Gemüths. Es ist gemüthlicher, zu leiden als zu handeln, gemüthlicher, durch einen Andern erlöst und befreit zu werden, als sich selbst zu befreien, gemüthlicher, von einer Person als von der Kraft der Selbstthätigkeit sein Heil abhängig zu ma- chen, gemüthlicher statt des Objects des Strebens ein Object der Liebe zu setzen, gemüthlicher, sich von Gott geliebt zu wis- sen, als sich selbst zu lieben mit der einfachen, natürlichen Selbstliebe, die allen Wesen eingeboren, gemüthlicher, sich in den liebestrahlenden Augen eines andern persönlichen We- sens zu bespiegeln, als in den Hohlspiegel des eignen Selbsts oder in die kalte Tiefe des stillen Oceans der Natur zu schauen, gemüthlicher überhaupt, sich von seinem eignen Gemüthe als von einem andern , aber doch im Grunde demselbigen Wesen afficiren zu lassen, als sich selbst durch die Vernunft zu bestimmen. Das Gemüth ist über- haupt der Casus obliquus des Ich, das Ich im Accusativ . Das Fichte’sche Ich ist gemüthlos, weil der Accusativ dem Nominativ gleich ist, weil es ein Indeclinabile. Aber das Gemüth ist das von sich selbst afficirte und zwar das von sich als wie von einem andern Wesen afficirte Ich — das passive Ich. Das Gemüth verwandelt das Activum im Menschen in ein Passivum, und das Passivum in ein Activum. Das Denkende ist dem Gemüthe das Gedachte, das Gedachte das Denkende. Das Gemüth ist träumerischer Natur; darum weiß es auch nichts Seligeres, nichts Tieferes als den Traum. Aber was ist der Traum? Die Umkeh- rung des wachen Bewußtseins. Im Traume ist das Han- delnde das Leidende, das Leidende das Handelnde; im Traume nehme ich meine Selbstaffectionen als Affectionen von Außen, die Gemüthsbewegungen als Ereignisse, meine Vorstellungen und Empfindungen als Wesen außer mir wahr, leide ich, was ich außerdem thue. Der Traum bricht die Strahlen des Lichts doppelt — daher sein unbeschreiblicher Reiz. Es ist dasselbe Ich, dasselbe Wesen im Traume, wie im Wachen; der Unterschied ist nur, daß im Wachen das Ich sich selbst af- ficirt , im Traume von sich selbst, als wie von einem andern Wesen afficirt wird. Ich denke mich — ist gemüthlos, rationalistisch; ich bin gedacht von Gott und denke mich nur als gedacht von Gott — ist gemüthvoll, ist religiös. Das Gemüth ist der Traum mit offnen Augen; die Religion der Traum des wahren Bewußtseins; der Traum der Schlüs- sel zu den Geheimnissen der Religion. Das höchste Gesetz des Gemüths ist die unmittelbare Einheit des Willens und der That, des Wunsches und der Wirklichkeit. Dieses Gesetz erfüllt der Erlöser. Wie das äußerliche Wunder im Gegensatz zur natürlichen Thätigkeit die physischen Bedürfnisse und Wünsche des Menschen unmit- telbar realisirt; so befriedigt der Erlöser, der Versöhner, der Gottmensch im Gegensatze zur moralischen Selbstthätigkeit des natürlichen oder rationalistischen Menschen unmittelbar die innern moralischen Bedürfnisse und Wünsche, indem er den Menschen der Vermittlungsthätigkeit seinerseits überhebt. Was Du wünschest, ist bereits ein Perfectum. Du willst Dir die Seligkeit erwerben, verdienen. Du kannst es nicht — d. h. in Wahrheit: Du brauchst es nicht . Es ist schon geschehen, was Du erst machen willst. Du hast Dich nur pas- siv zu verhalten, Du brauchst nur zu glauben, nur zu genie- ßen. Du willst Dir Gott geneigt machen, seinen Zorn be- schwichtigen, Frieden haben vor Deinem Gewissen. Aber die- ser Friede existirt schon; dieser Friede ist der Mittler, der Gott- mensch — Er ist Dein beschwichtigtes Gewissen, Er die Erfül- lung des Gesetzes und damit die Erfüllung Deines eignen Wunsches und Strebens. Als der Erfüller des Gesetzes ist aber jetzt nicht mehr das Gesetz, sondern der Erfüller das Muster, die Richtschnur, das Gesetz Deines Lebens. Wer das Gesetz erfüllt, annullirt das Gesetz. Das Gesetz hat nur Autorität, nur Gültigkeit der Gesetzwidrigkeit gegenüber. Wer aber das Gesetz vollkommen erfüllt, der sagt zum Gesetz: was du willst, das will ich von selbst, und was du nur befiehlst, bekräftige ich durch die That; mein Leben ist das wahre, das lebendige Gesetz. Der Erfül- ler des Gesetzes tritt daher nothwendig an die Stelle des Ge- setzes, und zwar als ein neues Gesetz, ein Gesetz, dessen Joch sanft und milde ist. Denn statt des nur commandirenden Gesetzes stellt er sich selbst als Beispiel , als ein Object der Liebe , der Bewunderung und Nacheiferung hin und wird dadurch zum Erlöser von der Sünde. Das Gesetz gibt mir nicht die Kraft, das Gesetz zu erfüllen; nein! es ist bar- barisch; es befiehlt nur, ohne sich darum zu bekümmern, ob ich es auch erfüllen kann und wie ich es erfüllen soll ; es über- läßt mich rath- und hülflos nur mir selbst . Aber wer mir mit seinem Beispiel voranleuchtet, der greift mir unter die Arme, der theilt mir seine eigne Kraft mit. Das Gesetz lei- stet keinen Widerstand der Sünde, aber Wunder wirkt das Beispiel. Das Gesetz ist todt; aber das Beispiel animirt, begeistert, reißt den Menschen unwillkührlich mit sich fort. Das Gesetz spricht nur zum Verstande und setzt sich direct den Trieben entgegen; das Beispiel dagegen schmiegt sich an einen mächtigen, sinnlichen Trieb — an den unwillkühr- lichen Nachahmungstrieb an. Das Beispiel wirkt auf Ge- müth und Phantasie. Kurz, das Beispiel hat magische, d. h. sinnliche Kräfte; denn die magische, d. i. unwillkührliche An- ziehungskraft ist eine wesentliche Eigenschaft, wie der Materie überhaupt, so der Sinnlichkeit insbesondre. Die Alten sagten, wenn die Tugend sich sehen lassen könnte oder würde, so würde sie durch ihre Schönheit Alle für sich gewinnen und begeistern. Die Christen waren so glück- lich, auch diesen Wunsch erfüllt zu sehen. Die Heiden hatten ein ungeschriebenes, die Juden ein geschriebenes Gesetz, die Christen ein Exempel, ein Vorbild, ein sichtbares, persönlich lebendiges Gesetz, ein Fleisch gewordnes, ein menschliches Ge- setz. Daher die Freudigkeit namentlich der ersten Christen — daher der Ruhm des Christenthums, daß nur es allein die Kraft habe und gebe, der Sünde zu widerstehen. Und dieser Ruhm soll ihm nicht abgestritten werden. Nur ist zu bemer- ken, daß die Kraft des Tugendexempels nicht sowohl die Macht der Tugend, als vielmehr die Macht des Beispiels über- haupt ist, gleichwie die Macht der religiösen Musik nicht die Macht der Religion, sondern die Macht der Musik ist Interessant ist in dieser Beziehung das Selbstbekenntniß Au- gustins . Ita fluctuo inter periculum voluptatis et experimentum salubritatis: magisque adducor .... cantandi consuetudinem appro- bare in ecclesia, ut per oblectamenta aurium infirmior animus in affectum pietatis assurgat. Tamen cum mihi accidit, ut nos am- plius cantus , quam res quae canitur moveat, poenaliter me pec- care confiteor. Confess. I. X. c. 33. , daß daher das Tugendbild wohl tugendhafte Handlungen zur Folge hat, aber ohne die Gesinnungen und Beweggründe der Tugend. Aber dieser einfache und wahre Sinn von der erlö- senden und versöhnenden Macht des Beispiels im Unterschiede von der Macht des Gesetzes, auf welchen wir reducirten den Gegensatz von Gesetz und Christus, ist keineswegs der volle erschöpfende Sinn der religiösen oder dogmatischen Erlösung und Versöhnung. Hier reducirt sich Alles auf die persönliche Kraft jenes wunderbaren Mittelwesens, welches weder Gott, noch Mensch allein, sondern ein Mensch ist, der zugleich Gott und ein Gott, der zugleich Mensch ist, und welches daher nur im Zusammenhang mit der Bedeutung des Wunders begrif- fen werden kann Die Theologen beschränkten zwar den Ausdruck μέσος, μεσίτης, medius, mediator nur auf das Munus und Officium Christi . Aber gleichwohl ist in seiner Substanz die menschliche und göttliche Natur auf eine mystische, d. i. wunderbare Weise verknüpft. (S. hierüber im Anhang.) Wie hätte er auch dieses vermittelnde Amt übernehmen können, wenn er nicht seiner Natur nach ein Mittelwesen wäre? . Das Wunder ist der realisirte Wunsch des Menschen, frei zu sein von den Bedingungen, Schranken, Gesetzen, an welche der Vernunft und Natur nach die Befrie- digung der physischen Bedürfnisse geknüpft ist; der wunderbare Erlöser ist der realisirte Wunsch des Gemüths, frei zu sein von den Gesetzen der Moral, d. h. von den Bedingungen, an welche die Tugend auf dem natürlichen Wege gebunden ist, der realisirte Wunsch, von den moralischen Uebeln augen- blicklich, unmittelbar, mit einem Zauberschlag, d. h. auf abso- lut subjective, gemüthliche Weise erlöst zu werden. Der höchste Selbstgenuß der Subjectivität, die höchste Selbstgewißheit des Menschen überhaupt ist, daß Gott für ihn handelt, für ihn leidet, für ihn sich opfert . Daß die Wunderkraft eins ist mit dem Begriffe des Mit- telwesens, ist historisch selbst schon dadurch erwiesen, daß die Wunder des Alten Testaments, die Gesetzgebung, die Vorse- hung, kurz alle die Elemente, welche das Wesen der Religion constituiren, schon vor dem Christenthum in die göttliche Weis- heit, in den Logos verlegt wurden. Die Gottheit, an welche der Logos selbst wieder angeknüpft wurde, ist nur das Be- wußtsein der Vernunft, eine abstracte metaphysische Idee kein Wesen, keine Person; mit dem Logos erst beginnt die Reli- gion. Dieser Logos schwebt bei Philo noch in der Luft zwi- schen Himmel und Erde, bald als ein Abstractum, bald als ein Concretum, d. h. Philo schwankt zwischen sich selbst als Philosoph und sich als religiösen Israeliten, zwischen dem po- sitiven Element der Religion und der metaphysischen Idee, je- doch so, daß das abstracte Element selbst bei ihm ein mehr oder weniger phantastisches ist. Im Christenthum kam erst dieser Logos zu vollkommner Consistenz, das Abstractum wurde ein entschiednes Concretum, d. h. die Religion concentrirte sich jetzt ausschließlich auf das Element, das Object, welches ihre wesentliche Differenz begründet. Der Logos ist das personifi- cirte Wesen der Religion, der Logos daher das Wesen des Christenthums. Die Kirche hat hierin einen sehr guten Tact bewiesen, daß sie so sehr auf die Wesenseinheit des Logos (Christus) mit Gott drang Negas ergo Deum, si non omnia filio, quae Dei sunt , deferuntur. Cum enim dixerit: omnia quae pater habet mea sunt, cur tu non omnia quae divinae naturae sunt etiam in filio confiteris? Ambrosius de Fide ad Gratianum . l. III. c. 7. . Die Unterordnung Christi un- ter Gott bei Paulus war nur ein Rest noch jüdisch alexandri- nischer Bildung, jedenfalls nur eine theoretische, ohne prakti- sche Bedeutung in Bezug auf das wesentliche Thema, den eigentlichen religiösen Text seines Lebens. Kurz, der Logos ist erst der Gott im Sinne der Religion, der offenbare, der wirk- liche Gott. Wenn daher Gott als das Wesen des Ge- müths bestimmt wurde, so hat dieß erst im Logos seine volle Wahrheit. Gott als Gott ist noch das verschloßne, verborgne Ge- müth; das aufgeschloßne, offne, sich gegenständliche Ge- müth oder Herz ist erst Christus — es versteht sich übrigens von selbst, daß auch hier wieder, denn Das constituirt eben das Wesen der Religion, dieses sich offenbare Herz als ein andres, selbstständiges Wesen angeschaut wird; aber in Beziehung auf Gott als Gott, relativ, ist erst in Christus das Gemüth voll- kommen seiner selbst gewiß und versichert, außer al- lem Zweifel über die Wahrhaftigkeit und Göttlichkeit seines eignen Wesens ; denn Christus schlägt nichts dem Gemüthe ab; er erfüllt alle seine Bitten. In Gott verschweigt noch das Gemüth, was ihm auf dem Herzen liegt; es seufzt nur; aber in Christus spricht es sich vollkommen aus; hier be- hält es nichts mehr für sich zurück. Der Seufzer ist der noch ängstliche Wunsch; er drückt sich mehr durch die Klage aus, daß das nicht ist, was er wünscht, als daß er offen, positiv heraussagt, was er will; im Seufzer zweifelt noch das Ge- müth an der Rechtskräftigkeit seiner Wünsche. Aber in Chri- stus ist alle Seelenangst verschwunden; Er ist der in Siegesge- sang über seine Erfüllung übergegangne Seufzer, die frohlo- ckende Gewißheit des Gemüths von der Wahrheit und Wirk- lichkeit seiner in Gott verborgnen Wünsche; der thatsächliche Sieg über den Tod, über alle Gewalt der Welt und Natur, die nicht mehr nur gehoffte, die bereits vollbrachte Auferste- hung Quod est Christus, erimus Christiani , si Christum fuerimus sequuti. C. Cyprianus de idolorum vanitate . cap. 7. ; Er ist das Herz, das aller drückenden Schranken, aller Leiden frei und ledig ist, das selige Gemüth — die sichtbare Gottheit. Gott zu sehen, dieß ist der höchste Wunsch, der höchste Triumph des Herzens. Christus ist dieser erfüllte Wunsch, dieser Triumph. Gott nur gedacht, nur als Denkwesen, d. i. Gott als Gott ist immer nur ein entferntes Wesen, das Verhältniß zu ihm ein abstractes , gleich dem Freundschafts- verhältniß, in welchem wir zu einem räumlich entfernten, per- sönlich uns unbekannten Menschen stehen. So sehr auch seine Werke, die Beweise von Liebe, die er uns gibt, uns sein We- sen vergegenwärtigen; es bleibt doch stets eine unausgefüllte Lücke, das Herz unbefriedigt; wir sehnen uns darnach, ihn zu sehen. So lange uns ein Wesen nicht von Angesicht zu An- gesicht bekannt ist, sind wir doch immer noch im Zweifel, ob es wohl ist und so ist, wie wir es vorstellen; erst im Sehen liegt die letzte Zuversicht, die vollständige Beruhigung. Chri- stus ist der persönlich bekannte Gott, Christus daher die selige Gewißheit, daß Gott ist und so ist, wie es das Ge- müth will und bedarf, daß er ist. Gott als Gegenstand des Gebets ist wohl schon ein menschliches Wesen, indem er an menschlichem Elend Theil nimmt, menschliche Wünsche erhört, aber er ist doch noch nicht als wirklicher Mensch dem reli- giösen Bewußtsein Gegenstand. Erst in Christus ist daher der letzte Wunsch der Religion realisirt, das Geheimniß des reli- giösen Gemüthes aufgelöst — aufgelöst aber in der der Re- ligion eigenthümlichen Bildersprache — denn, was Gott im Wesen ist, das ist in Christus zur Erscheinung gekom- men. In sofern kann man die christliche Religion die abso- lute nennen. Daß Gott, der an sich nichts andres als das Wesen des Menschen ist, auch als solches verwirklicht werde, als Mensch dem Bewußtsein Gegenstand sei, das ist das Ziel der Religion. Und dieses erreichte die christliche Religion in der Menschwerdung Gottes, die keineswegs ein vorüberge- hender Act ist, denn Christus bleibt auch noch nach seiner Himmelfahrt Mensch, Mensch von Herzen und Mensch von Gestalt, nur daß jetzt sein Leib nicht mehr ein irdischer, dem Leiden unterworfner Körper ist. Die Menschwerdungen Gottes bei den Orientalen, wie namentlich den Indern, haben keine so intensive Bedeutung als die christliche. Eben weil sie oft geschehen, werden sie gleichgültig, verlieren sie ihren Werth. Die Menschheit Gottes ist seine Persönlichkeit. Gott ist ein persön- liches Wesen, heißt: Gott ist ein menschliches Wesen, Gott ist Mensch . Die Persönlichkeit ist ein Abstractum, das nur als wirklicher Mensch Realität hat Hieraus erhellt die Unwahrhaftigkeit und Eitelkeit der modernen Speculation uͤber die Persönlichkeit Gottes. Schämt ihr euch nicht eines persönlichen Gottes, so schämt euch auch nicht eines fleischlichen Got- tes . Eine abstracte farblose Persönlichkeit, eine Persönlichkeit ohne Fleisch und Blut ist ein hohles Gespenst. . Der Sinn, der den Menschwerdungen Gottes zu Grunde liegt, ist daher un- endlich besser erreicht durch eine Menschwerdung, eine Per- sönlichkeit. Wo Gott in mehreren Personen nach einander erscheint, da sind diese Persönlichkeiten verschwindende. Aber es handelt sich eben um eine bleibende Persönlichkeit, eine ausschließende Persönlichkeit. Wo viele Incarnationen vor- kommen, da ist Raum gegeben für noch unzählig viele andere; die Phantasie ist nicht beschränkt; da treten auch die bereits wirklichen in die Kategorie der nur möglichen oder vorstellba- ren, in die Kategorie von Phantasien oder von bloßen Er- scheinungen. Wo aber ausschließlich eine Persönlichkeit als die Incarnation der Gottheit geglaubt und angeschaut wird, da imponirt diese sogleich mit der Macht einer historischen Persönlichkeit ; die Phantasie ist abgethan, die Freiheit, noch andere sich vorzustellen, aufgegeben. Diese Eine Persönlich- keit nöthigt mir den Glauben an ihre Wirklichkeit auf. Der Charakter der wirklichen Persönlichkeit ist eben die Ausschließ- lichkeit — das Leibnitz’sche Principium des Unterschieds, daß nichts Existirendes dem andern vollkommen gleich ist. Der Ton, der Nachdruck, mit dem die Eine Persönlichkeit ausge- sprochen wird, macht einen solchen Effect auf das Gemüth, daß sie unmittelbar als eine wirkliche sich darstellt, aus einem Object der Phantasie zu einem Object der gemeinen histori- schen Anschauung wird. Die Sehnsucht ist die Nothwendigkeit des Ge- müths ; und das Gemüth sehnt sich nach einem persönlichen Gott. Aber diese Sehnsucht nach der Persönlichkeit Gottes ist nur eine wahre, ernste, tiefe, wenn sie die Sehnsucht nach Einer Persönlichkeit ist, wenn sie sich mit Einer begnügt. Mit der Mehrheit der Personen schwindet die Wahrheit des Bedürfnisses , wird die Persönlichkeit zu einem Luxusar- tikel der Phantasie . Was aber mit der Gewalt der Nothwendigkeit , das wirkt mit der Gewalt der Wirk- lichkeit auf den Menschen. Was namentlich dem Gemüth ein nothwendiges , das ist ihm unmittelbar auch ein wirk- liches Wesen. Die Sehnsucht sagt: es muß ein persönli- cher Gott sein, d. h. er kann nicht nicht sein, das befriedigte Gemüth: er ist . Die Bürgschaft seiner Existenz liegt für das Gemüth in der Nothwendigkeit seiner Existenz — die Nothwendigkeit der Befriedigung in der Gewalt des Bedürf- nisses. Die Noth kennt kein Gesetz außer sich. Die Noth bricht Eisen. Das Gemüth kennt keine andere Nothwendig- keit, als die Gemüthsnothwendigkeit, die Sehnsucht: es per- horrescirt die Nothwendigkeit der Natur, die Nothwendigkeit der Vernunft. Nothwendig ist also dem Gemüthe ein subjec- tiver, gemüthlicher, persönlicher Gott; aber nothwendig nur Eine Persönlichkeit, und diese Eine nothwendig eine historische, wirkliche Persönlichkeit. Nur in der Einheit der Persönlich- keit befriedigt, sammelt sich das Gemüth. Die Mehrheit zer- streut. Wie aber die Wahrheit der Persönlichkeit die Einheit, die Wahrheit der Einheit die Wirklichkeit — so ist die Wahr- heit der wirklichen Persönlichkeit — das Blut . Der letzte, von dem Verfasser des vierten Evangeliums mit besonderm Nachdruck hervorgehobne Beweis, daß die sichtbare Person Gottes kein Phantasma, sondern wirklicher Mensch gewesen, ist, daß Blut aus seiner Seite am Kreuze geflossen. Wo der persönliche Gott eine wahre Herzensnoth ist, da muß er selbst Noth leiden. Nur in seinem Leiden liegt die Gewißheit seiner Wirklichkeit; nur darauf der wesentliche Ein- und Nach- druck der Incarnation. Gott zu sehen genügt dem Gemüthe nicht. Die Augen geben noch keine hinlängliche Bürgschaft. Die Wahrheit der Gesichtsvorstellung bekräftigt nur das Ge- fühl. Aber wie subjectiv das Gefühl, so ist auch objectiv die Fühlbarkeit, Antastbarkeit, Passibilität das letzte Kriterium der Wirklichkeit — das Leiden Christi daher die höchste Wonne , Feuerbach . 13 die letzte Zuversicht, der höchste Selbstgenuß, der höchste Trost des Gemüthes ; denn nur im Blute Christi ist der Durst nach einem persönlichen, d. i. menschlichen, theilnehmenden, empfindenden Gotte gestillt. „Darum wir es für einen schädlichen Irrthum halten, da Christo nach seiner Menschheit solche (nämlich göttliche) Majestät entzogen, dadurch den Christen ihr höchster Trost ge- nommen, den sie in … Verheißung von der Gegenwärtigkeit und Beiwohnung ihres Haupts, Königs und Hohenpriesters haben, der ihnen versprochen hat, daß nicht allein seine bloße Gottheit, welche gegen uns arme Sünder, wie ein verzehren- des Feuer gegen dürre Stoppeln ist, sondern Er, Er, der Mensch , der mit ihnen geredet hat, der alle Trübsal in sei- ner angenommenen menschlichen Gestalt versucht hat , der dahero auch mit uns , als mit Menschen und seinen Brü- dern ein Mitleiden haben kann, der wolle bei uns sein in allen unsern Nöthen, auch nach der Natur, nach welcher er unser Bruder ist und wir Fleisch von seinem Fleische sind Concordienb . Erklär. Art. 8. .“ Oberflächlich ist es, wenn man gesagt, das Christenthum sei nicht die Religion von einem persönlichen Gott, sondern von drei Persönlichkeiten. Diese drei Persönlichkeiten haben allerdings in der Dogmatik Existenz; aber auch hier ist die Per- sönlichkeit des heil. Geistes nur ein willkührlicher Machtspruch, welcher durch die unpersönlichen Bestimmungen, wie z. B. die, daß der heil. Geist die Gabe, das donum des Vaters und Sohnes sei, widerlegt wird Schon Faustus Socinus hat dieß aufs Trefflichste gezeigt. S. des- . Schon der Ausgang des heil. Geistes stellt seiner Persönlichkeit ein schlechtes Prognosti- kon, denn nur durch die Zeugung, nicht aber durch das unbe- stimmte Aus- und Hervorgehen oder durch die Spiratio wird ein persönliches Wesen hervorgebracht. Und selbst der Vater, als Repräsentant des rigorosen Begriffes der Gottheit, ist nur der Einbildung und Behauptung nach, aber nicht seinen Be- stimmungen nach ein persönliches Wesen: er ist ein abstracter Begriff, ein rein rationalistisches Wesen. Die plastische Persönlichkeit ist nur Christus. Zur Persönlichkeit ge- hört Gestalt . Die Gestalt ist die Wirklichkeit der Persönlich- keit. Christus allein ist der persönliche Gott — Er der wahre, wirkliche Gott der Christen, was nicht oft genug wiederholt werden kann. In ihm allein concentrirt sich die christliche Religion, das Wesen der Religion überhaupt. Nur Er entspricht der Sehnsucht nach einem persönlichen Gott; nur Er ist eine mit dem Wesen des Gemüths identische Exi- sen Defens. Animadv. in Assert. Theol. Coll. Posnan. de trino et uno Deo Irenopoli. 1656. cap. 11. Man lese in dieser Beziehung besonders die Schriften der christlichen Orthodoxen gegen die Heterodoxen, z. B. gegen die Socinianer. Neuere Theologen erklären bekanntlich auch die kirchliche Gottheit Christi für unbiblisch; aber gleichwohl ist diese unläugbar das charakteristische Princip des Christenthums, und wenn sie auch nicht so in der Bibel schon steht, wie in der Dogmatik, dennoch eine nothwendige Consequenz der Bibel. Was kann ein Wesen, welches die leibhafte Fülle der Gottheit, welches allwissend (Joh. 16, 30.) und allmächtig ist (Todte erweckt, Wunder wirkt), welches allen Dingen und Wesen der Zeit und dem Range nach vorangeht, welches das Leben in sich selbst hat (wenn auch als gegeben) gleichwie der Vater das Leben in sich hat, was kann dieses Wesen, consequent gefolgert, anders als Gott sein? „Christus ist dem Willen nach mit dem Vater eins;“ aber Willenseinheit setzt Wesenseinheit voraus. „Christus ist der Abgesandte, der Stellvertreter Gottes;“ aber Gott kann sich nur durch ein göttliches Wesen vertreten lassen. Nur den, in welchem ich gleiche oder doch ähnliche Eigenschaften wie in mir finde, kann ich zu meinem Stellvertreter wählen, sonst blamire ich mich selbst. 13* stenz ; nur auf ihn häufen sich alle Freuden der Phanta- sie und alle Leiden des Gemüths ; nur in ihm erschöpft sich das Herz und erschöpft sich die Phantasie. Christus ist die Identität von Herz und Phantasie . Dadurch unterscheidet sich das Christenthum von andern Religionen, daß in diesen Herz und Phantasie auseinander gehen, im Christenthum aber zusammenfallen. Die Phantasie vagirt hier nicht sich selbst überlassen herum; sie folgt dem Zuge des Herzens; sie beschreibt einen Kreis, dessen Mittel- punkt das Gemüth ist. Die Phantasie ist hier beschränkt durch Herzensbedürfnisse, realisirt nur die Wünsche des Gemüths, bezieht sich nur auf das Eine, was Noth ist; kurz sie hat, we- nigstens im Ganzen, eine praktische, concentrische, keine aus- schweifende, nur poetische Tendenz. Die Wunder des Chri- stenthums, empfangen im Schooße des nothleidenden, bedürf- tigen Gemüths, keine Producte nur der freien, willkührlichen Selbstthätigkeit, versetzen uns unmittelbar auf den Boden des gemeinen, wirklichen Lebens; sie wirken auf den Gemüthsmen- schen mit unwiderstehlicher Gewalt, weil sie die Nothwendig- keit des Gemüths für sich haben. Kurz, die Macht der Phan- tasie ist hier zugleich die Macht des Herzens, die Phantasie nur das siegreiche, triumphirende Herz . Bei den Orien- talen, bei den Griechen schwelgte die Phantasie, unbekümmert um die Noth des Herzens, im Genusse irdischer Pracht und Herrlichkeit; im Christenthume stieg sie aus dem Pallaste der Götter herab in die Wohnung der Armuth, wo nur die Noth- wendigkeit des Bedürfnisses waltet, demüthigte sie sich unter die Herrschaft des Herzens. Aber je mehr sie sich extensiv be- schränkte, um so mehr gewann sie an intensiver Stärke. An der Noth des Herzens scheiterte der Muthwille der olympischen Götter; aber allmächtig wirkt die Phantasie im Bunde mit dem Herzen. Und dieser Bund der Freiheit der Phantasie mit der Nothwendigkeit des Herzens ist Christus. Alle Dinge sind Christo unterthan ; Er ist der Herr der Welt, der mit ihr macht, was er nur will; aber diese über die Natur unbe- schränkt gebietende Macht ist selbst wieder unterthan der Macht des Herzens : Christus gebietet der tobenden Natur Stillschweigen, aber nur um zu erhören die Seufzer der Noth- leidenden Ueber den Unterschied von Herz und Gemüth im Anhange. . Der Unterschied des Christenthums vom Heidenthum. Christus ist die Allmacht der Subjectivität, das von allen Banden und Gesetzen der Natur erlöste Herz, das mit Aus- schluß der Welt nur auf sich allein concentrirte Gemüth, die Realität aller Herzenswünsche, die Himmelfahrt der Phanta- sie, das Auferstehungsfest des Herzens — Christus daher der Unterschied des Christenthums vom Heidenthum . Im Christenthum concentrirte sich der Mensch nur auf sich selbst; erfaßte er sich als das allein berechtigte, allein we- senhafte Wesen; löste er sich vom Zusammenhang des Weltganzen los ; machte er sich zu einem selbstgenügsamen Ganzen, zu einem absoluten, außer- und überweltlichen Wesen . Eben dadurch, daß er sich nicht mehr als einen Theil der Welt ansah, den Zusammenhang mit ihr unterbrach, fühlte er sich als unbeschränktes Wesen — denn die Schranke der Subjectivität ist eben die Welt, die Objectivität — hatte er keinen Grund mehr, die Wahrheit und Gültigkeit seiner subjectiven Wünsche und Gefühle zu bezweifeln. Die Heiden dagegen, nicht auf sich zurückgezogen, nicht in sich selbst vor der Natur sich verbergend, beschränkten ihre Subjectivität durch die Anschauung der Welt. So sehr die Alten die Herrlichkeit der Intelligenz, der Vernunft feierten, so waren sie doch so liberal , so objectiv , auch das Andere des Geistes, die Ma- terie leben und zwar ewig leben zu lassen, im Theoretischen, wie im Praktischen; die Christen bewährten ihre, wie prakti- sche, so theoretische Intoleranz auch darin, daß sie ihr ewi- ges subjectives Leben nur dadurch zu sichern glaubten, daß sie, wie z. B. in dem Glauben an den Untergang der Welt, den Gegensatz der Subjectivität, die Natur vernichteten. Die Al- ten waren frei von sich, aber ihre Freiheit war die Freiheit der Gleichgültigkeit gegen sich; die Christen frei von der Natur, aber ihre Freiheit war nicht die Freiheit der Vernunft, die wahre Freiheit — die wahre Freiheit ist nur die durch die Weltanschauung sich beschränkende — sondern die Frei- heit des Gemüths und der Phantasie, die Freiheit des Wunders . Die Alten entzückte der Kosmos so sehr, daß sie selbst sich darüber aus dem Auge verloren, sich im Ganzen ver- schwinden sahen; die Christen verachteten die Welt; was ist die Creatur gegen den Creator? was Sonne, Mond und Erde gegen die menschliche Seele? Die Welt vergeht, aber der Mensch und zwar der individuelle, persönliche Mensch ist ewig. Wenn die Christen den Menschen aus aller Gemeinschaft mit der Natur losrissen und dadurch in das Extrem einer vornehmen Delicatesse verfielen, die schon die entfernte Vergleichung des Menschen mit dem Thiere als gottlose Verletzung der Men- schenwürde bezeichnete; so verfielen dagegen die Heiden in das andere Extrem, in die Gemeinheit, welche den Unterschied zwi- schen Thier und Mensch aufhebt, oder gar, wie z. B. Celsus, der Gegner des Christenthums, den Menschen unter die Thiere degradirt. Die Heiden betrachteten aber den Menschen nicht nur im Zusammenhang mit dem Universum; sie betrachteten den Men- schen, d. h. das Individunm nur im Zusammenhang mit an- dern Menschen, in Verbindung mit einem Gemeinwesen. Sie unterschieden strenge das Individuum von der Gattung, das Individuum als Theil vom Ganzen des Menschengeschlechts und subordinirten dem Ganzen das einzelne Wesen. Wie willst Du klagen über den Verlust Deiner Tochter? schreibt Sulpi- cius an Cicero. Große, weltberühmte Städte und Reiche sind untergegangen und Du geberdest Dich so über den Tod eines homunculi, eines Menschleins. Wo ist Deine Philosophie? Der Begriff des Menschen als Individuum war den Alten ein durch den Begriff der Gattung vermittelter, secundärer Be- griff. Dachten sie auch hoch von der Gattung, hoch von den Vorzügen der Menschheit, hoch und erhaben von der Intelli- genz, so dachten sie doch gering vom Individuum. Das Chri- stenthum dagegen ließ die Gattung fahren, hatte nur das In- dividuum im Auge und Sinne. Das Christenthum , frei- lich nicht das heutige Christenthum, welches nur noch den Namen und einige allgemeine Sätze vom Christenthum behal- ten hat, ist der directe Gegensatz des Heidenthums — es wird nur wahrhaft erfaßt, nicht verunstaltet durch will- kührliche, speculative Deutelei, wenn es als Gegensatz er- faßt wird; es ist wahr, so weit als sein Gegensatz falsch ist , aber falsch, so weit sein Gegensatz wahr ist . Die Alten opferten das Individuum der Gattung auf; die Chri- sten die Gattung dem Individuum. Oder: das Heidenthum dachte und erfaßte das Individuum nur als Theil im Unter- schiede von dem Ganzen der Gattung, das Christenthum da- gegen nur in seiner unmittelbaren, unterschiedlosen Einheit mit der Gattung. Dem Christenthum war das Individuum Gegenstand einer unmittelbaren Vorsehung, d. h. ein unmittelbarer Gegenstand des göttlichen Wesens . Die Heiden glaub- ten eine Vorsehung des Einzelnen nur vermittelst der Gattung, des Gesetzes, der Weltordnung, also nur eine mittelbare, na- türliche, nicht wunderbare Vorsehung Allerdings glaubten auch die heidnischen Philosophen, wie Plato, Sokrates, die Stoiker (s. z. B. J. Lipsius Physiol. Stoic. l. I. diss. XI. ), daß die göttliche Vorsehung sich nicht nur auf das Allgemeine, sondern auch das Einzelne, Individuelle erstrecke; aber sie identificir- ten die Vorsehung mit der Natur , dem Gesetz , der Nothwendig- keit . Allerdings glaubten auch die Stoiker, die speculativen Ortho- doxen des Heidenthums, Wunder der Vorsehung (s. Cic. de nat. Deor. I. II. u. de Divinat. l. I. ); aber ihre Wunder hatten doch keine solche supranaturalistische Bedeutung, wie bei den Christen, obwohl auch sie schon an die supranaturalistische Vorstellung: Nihil est quod Deus ef- ficere non possit appellirten. Was überhaupt die übereinstimmenden Gedanken der Heiden und Christen betrifft, so verweise ich auf die (freilich meist sehr kritiklosen) Zusammenstellungen derselben in den Schriften älterer Theologen und Philosophen, z. B. Aug. Steuchi Eugub. etc. de perenni philosophia I. X. Basil. 1542 (interes- sant besonders wegen des für jene Zeit so merkwürdigen Gedankens: Hi (die heidnischen Philosophen) loquuntur natura rationeque ma- gistra , quod litterae sacrae oraculo .... pene miraculum (sit) eos ratione vidisse, quod post nuntius coelestis revelavit.) Theoph. Galeus Philos. gener. Londini 1676, der mit orthodoxer Bornirtheit und Mißgunst Alles aus der Bibel ableitet, Hugo Gro- tius Annotationes in N. T., der stets zu den Aussprüchen der Bibel die verwandten Aussprüche der Heiden gesellt. ; die Christen aber lie- ßen die Vermittlung fallen, setzten sich in unmittelbaren Con- nex mit dem vorsehenden, allumfassenden, allgemeinen Wesen; d. h. sie identificirten unmittelbar mit dem allgemeinen We- sen das einzelne Wesen. Aber der Begriff der Gottheit fällt mit dem Begriff der Menschheit in Eins zusammen. Alle göttlichen Bestimmun- gen, alle Bestimmungen, die Gott zu Gott machen, sind Gat- tungsbestimmungen — Bestimmungen, die in dem Ein- zelnen, dem Individuum beschränkt sind, aber deren Schranken in dem Wesen der Gattung und selbst in ihrer Existenz — in- wiefern sie nur in allen Menschen zusammengenommen ihre entsprechende Existenz hat — aufgehoben sind. Mein Wissen, mein Wille ist beschränkt; aber meine Schranke ist nicht die Schranke des Andern, geschweige der Menschheit; was mir schwer, ist dem Andern leicht; was einer Zeit unmöglich, un- begreiflich, ist der kommenden begreiflich und möglich. Mein Leben ist an eine beschränkte Zeit gebunden, das Leben der Menschheit nicht. Die Geschichte der Menschheit besteht in nichts anderm als einer fortgehenden Ueberwindung von Schranken , — Schranken, die immer der vorangegang- nen Zeit für Schranken der Menschheit , und darum für absolute, unübersteigliche Schranken galten. Die Zu- kunft enthüllt aber immer, daß die angeblichen Schranken der Gattung nur Schranken der Individuen waren. Die Ge- schichte der Wissenschaften, namentlich der Philosophie und Naturwissenschaft liefern hiefür die interessantesten Belege. Es wäre höchst interessant und lehrreich, eine Geschichte der Wis- senschaften lediglich aus diesem Gesichtspunkt zu schreiben, um den Wahn des Menschen, als könnte er etwas Höheres als seine Gattung denken, seine Substanz beschränkt denken und fühlen, in seiner ganzen Nichtigkeit zu zeigen. Unbeschränkt ist also die Gattung, beschränkt nur das Individuum. Aber das Gefühl der Schranke ist ein peinliches; von die- ser Pein befreit sich das Individuum in der Anschauung des vollkommnen Wesens; in dieser Anschauung besitzt es, was ihm außerdem fehlt. Gott ist nichts andres bei den Christen als die Anschauung von der unmittelbaren Einheit der Gattung und Individualität , des allgemeinen und individuellen Wesens. Gott ist der Begriff der Gattung als eines Individuums , der Begriff oder das Wesen der Gattung, welche als Gattung, als allgemeines Wesen, als der Inbegriff aller Vollkommenheiten , aller von den Schranken, die in das Bewußtsein und Gefühl des In- dividuums fallen, gereinigten Eigenschaften oder Realitäten, zugleich wieder ein individuelles, persönliches Wesen ist. Ipse suum Esse est. Wesen und Existenz ist bei Gott iden- tisch, d. h. eben nichts andres, als er ist der Gattungsbegriff, das Gattungswesen unmittelbar zugleich als Existenz, als In- dividuum. Der höchste Gedanke von dem Standpunkt der Religion aus ist: Gott liebt nicht, er ist selbst die Liebe; er lebt nicht, er ist das Leben; er ist nicht gerecht, sondern die Gerechtigkeit selbst, nicht eine Person, sondern die Persönlich- keit selbst — das Abstractum, die Idee unmittelbar als Con- cretum Dicimur amare et Deus; dicimus nosse et Deus. Et multa in hunc modum. Sed Deus amat ut charitas, novit ut veritas etc. Bernhard (de consider. l. V.). . Eben wegen dieser unmittelbaren Einheit der Gattung und Individualität, dieser Concentration aller Allgemeinhei- ten und Realitäten in ein persönliches Wesen ist Gott ein tief gemüthliches, die Phantasie entzückendes Object, während die Idee der Menschheit eine gemüthlose ist, weil die Menschheit nur als ein Abstractum, als das Wirkliche aber, im Unter- schied von diesem Abstractum, die unzählig vielen einzelnen beschränkten Individuen uns in unserer Vorstellung erschei- nen Der Ausdruck: Menschheit, Gattung führt allerdings manche unangemessene Vorstellungen mit sich, aber sie verdienen keine Berück- sichtigung, da sie nur auf einer oberflächlichen Ansicht von dem so geheimnißvollen, unbegriffnen Wesen der Gattung beruhen. . In Gott dagegen befriedigt sich unmittelbar das Ge- müth, weil hier Alles in Eins zusammengefaßt, Alles mit einem Mal, d. h. weil hier die Gattung unmittelbar Exi- stenz, d. i. Individualität ist. Gott ist die Liebe, die Gerech- rigkeit als selbst Subject, das vollkommne, allgemeine Wesen als ein Wesen, die unendliche Extension der Gattung als ein compendiarischer Inbegriff. Aber Gott ist nur die Anschauung des Menschen von seinem eignen Wesen , Gott sein wahres Wesen — die Christen unterscheiden sich also dadurch von den Heiden, daß sie das Individuum unmittelbar mit der Gattung identificirten, daß bei ihnen das Individuum die Bedeutung der Gattung hat, das Individuum für sich selbst für das vollkommne Dasein der Gattung gilt — dadurch, daß sie das menschliche Individuum vergötterten , zum absoluten Wesen machten. Charakteristisch besonders ist die Differenz des Christen- thums und Heidenthums in Betreff des Verhältnisses des In- dividuums zur Intelligenz, zum Verstande, zum Νοῦς. Die Christen individualisirten den Verstand, die Heiden mach- ten ihn zu einem universalen Wesen. Den Heiden war der Verstand, die Intelligenz das Wesen des Menschen, den Christen nur ein Theil ihrer selbst , den Heiden war darum nur die Intelligenz , die Gattung , den Christen das In- dividuum unsterblich, d. i. göttlich . Hieraus ergibt sich von selbst die weitere Differenz zwischen heidnischer und christ- licher Philosophie. Der unzweideutigste Ausdruck, das charakteristische Sym- bolum dieser unmittelbaren Identität der Gattung und Indivi- dualität im Christenthum ist Christus, der reale Gott der Christen. Christus ist das Urbild, der existirende Begriff der Menschheit, der Inbegriff aller moralischen und göttlichen Vollkommenheiten, mit Ausschluß alles Negativen, reiner, himmlischer, sündloser Mensch, Gattungsmensch, der Adam Kadmon, aber nicht an- geschaut als die Totalität der Gattung, der Menschheit, sondern unmittelbar als Individuum, als eine Person. Christus, d. h. der christliche, religiöse Christus ist daher nicht der Mittelpunkt, sondern das Ende der Geschichte. Dieß geht eben so aus dem Begriffe, als der Historie hervor. Die Christen erwarteten das Ende der Welt, der Geschichte. Chri- stus selbst prophezeit in der Bibel, allen Lügen und Sophis- men unserer Exegeten zum Trotz, klar und deutlich das nahe Weltende . Die Geschichte beruht nur auf dem Unterschiede des Individuums von der Gattung. Wo dieser Unterschied aufhört, hört die Geschichte auf, geht der Verstand, der Sinn der Geschichte aus. Es bleibt dem Menschen nichts weiter übrig, als die Anschauung und Aneignung dieses realisirten Ideals und der formelle, quantitative Ausbreitungstrieb — die Predigt, daß Gott erschienen und das Ende der Welt ge- kommen ist. Deßwegen, weil die unmittelbare Identität der Gattung und des Individuums über die Gränzen der Vernunft und Natur hinausgeht, war es auch ganz natürlich und nothwen- dig, dieses universale, ideale Individuum für ein überschwäng- liches, übernatürliches, himmlisches Wesen zu erklären. Ver- kehrt ist es daher, aus der Vernunft die unmittelbare Identi- tät der Gattung und des Inviduums deduciren zu wollen; denn es ist nur die Phantasie, die diese Identität bewerkstelligt, die Phantasie, der nichts unmöglich — dieselbe Phantasie, die auch die Schöpferin der Wunder ist; denn das größte Wun- der ist das Individuum, welches zugleich die Idee, die Gat- tung, die Menschheit in der Fülle ihrer Vollkommenheit und Unendlichkeit, d. h. der Gottheit ist. Verkehrt ist es daher auch, den historisch dogmatischen Christus beizubehalten, aber die Wunder auf die Seite zu schieben. Wenn Du das Prin- cip festhältst, wie willst Du seine nothwendigen Consequenzen verläugnen? Die gänzliche Abwesenheit des Begriffes der Gattung im Christenthum bekundet besonders die charakteristische Lehre des- selben von der allgemeinen Sündhaftigkeit der Menschen. Es liegt nämlich dieser Lehre die Forderung zu Grunde, daß das Individuum nicht ein Individuum sein soll, eine Forderung, die aber selbst wieder zu ihrem Fundament die Voraussetzung hat, daß das Individuum für sich selbst ein vollkommnes Wesen, für sich selbst die adäquate Darstellung oder Existenz der Gattung ist Allerdings ist das Individuum etwas Absolutes, in der Sprache Leibnitz’s, der Spiegel des Universums, des Unendlichen. Aber als existirendes ist das Individuum selbst wieder nur ein bestimmter, indi- vidueller, darum endlicher Spiegel des Unendlichen. Darum gibt es viele Individuen. . Es fehlt hier gänzlich die objective An- schauung, das Bewußtsein, daß das Du zur Vollkommenheit des Ich gehört, daß die Menschen erst zusammen den Men- schen ausmachen, die Menschen nur zusammen das sind und so sind, was und wie der Mensch sein soll und sein kann. Alle Menschen sind Sünder. Ich gebe es zu; aber sie sind nicht Sünder alle auf gleiche Weise; es findet vielmehr ein sehr großer, ja wesentlicher Unterschied statt. Der eine Mensch hat Neigung zur Lüge, der Andere aber nicht: er würde eher sein Leben lassen, als sein Wort brechen oder lügen; der Dritte hat Neigung zur Trinklust, der Vierte zur Geschlechts- lust, der Fünfte aber hat alle diese Neigungen nicht — sei es nun durch die Gnade der Natur oder die Energie seines Cha- rakters. Es compensiren sich also auch im Moralischen , wie im Physischen und Intellectuellen, gegenseitig die Men- schen, so daß sie im Ganzen zusammengenommen so sind, wie sie sein sollen, den vollkommnen Menschen darstellen. Darum bessert und hebt der Umgang unwillkührlich, ohne Verstellung ist der Mensch ein anderer im Umgang, als allein für sich. Wunder wirkt namentlich die Liebe und zwar die Geschlechterliebe. Mann und Weib berichten und ergänzen sich gegenseitig, um so vereint erst die Gattung, den vollkomm- nen Menschen darzustellen Bei den Indern (Menu Ges.) ist erst derjenige „ein voll- ständiger Mann, der aus drei vereinigten Personen, seinem Weibe, sich selbst und seinem Sohne besteht. Denn Mann und Weib und Vater und Sohn sind Eins.“ Auch der alttestamentliche, irdische Adam ist unvollständig ohne das Weib, sehnt sich nach ihm. Aber der neu- testamentliche, der christliche, der himmlische, der auf den Untergang dieser Welt berechnete Adam hat keine geschlechtlichen Triebe und Functionen mehr. . Ohne Gattung ist die Liebe undenkbar. Die Liebe ist nichts andres als das Selbstge- fühl der Gattung innerhalb der Geschlechtsdifferenz. In der Liebe ist die Realität der Gattung , die sonst nur eine Vernunftsache, ein Gegenstand des Denkens ist, eine Ge- fühlssache , eine Gefühlswahrheit , denn in der Liebe spricht der Mensch seine Ungenügsamkeit an seiner Individua- lität für sich aus, postulirt er das Dasein des Andern als ein Herzensbedürfniß, rechnet er den Andern zu seinem eignen Wesen, erklärt er nur sein durch die Liebe mit ihm verbund- nes Leben für wahres menschliches, dem Begriffe des Men- schen, d. i. der Gattung entsprechendes Leben. Mangelhaft, unvollkommen, schwach, bedürftig ist das Individuum; aber stark, vollkommen, befriedigt, bedürfnißlos, selbstgenugsam, unendlich die Liebe , weil in ihr das Selbstgefühl der Individualität das geheimnißvolle Selbstgefühl der Vollkom- menheit der Gattung ist. Aber wie die Liebe, wirkt auch die Freundschaft, wo sie wenigstens intensiv ist, wie sie es bei den Alten war — daher wir auch nicht den Christen, sondern den Heiden den tiefen Ausspruch verdanken, daß der Freund der Alter Ego sei. Freunde compensiren sich; Freundschaft ist ein Tugendmittel und mehr: sie ist selbst Tugend, aber eine gemeinschaftliche Tugend. Nur zwischen Tugendhaften kann Freundschaft statt finden, wie die Alten sagten. Aber doch kann nicht vollkommne Gleichheit, es muß vielmehr Un- terschied statt finden, denn die Freundschaft beruht auf einem Ergänzungstriebe. Der Freund gibt sich durch den Andern, was er selbst nicht besitzt. Die Freundschaft sühnt durch die Tugenden des Einen die Fehler des Andern. Der Freund rechtfertigt den Freund vor Gott. Er liebt in dem Freunde die seinen Fehlern entgegengesetzten Tugenden. So fehlerhaft auch ein Mensch für sich selbst sein mag: er beweist doch darin schon einen guten Kern, wenn er tüchtige Menschen zu Freun- den hat. Wenn ich auch selbst nicht vollkommen sein kann, so liebe ich doch wenigstens an Andern die Tugend, die Voll- kommenheit. Wenn daher einst der liebe Gott wegen mei- ner Sünden, Schwächen und Fehler mit mir rechten will, so schiebe ich als Fürsprecher, als Mittelspersonen die Tugenden meiner Freunde ein. Wie barbarisch, wie unvernünftig wäre der Gott, der mich verdammte wegen Sünden, welche ich wohl begangen, aber selbst in der Liebe zu meinen Freunden, die frei von diesen Sünden waren, verdammte. Wenn nun aber schon die Freundschaft, die Liebe, die selbst nur subjective Realisationen der Gattung sind, aus für sich unvollkommnen Wesen ein, wenigstens relativ, vollkomm- nes Ganzes machen, wie viel mehr verschwinden in der Gat- tung selbst, welche nur in der Gesammtheit der Menschheit ihr adäquates Dasein hat und eben darum nur ein Gegenstand der Vernunft ist, die Sünden und Fehler der einzelnen Men- schen! Das Lamento über die Sünde kommt daher nur da an die Tagesordnung, wo das menschliche Individuum in seiner Individualität sich als ein für sich selbst vollkommnes, completes, des Andern nicht zur Realisirung der Gat- tung, des vollkommenen Menschen, bedürftiges Wesen Gegen- stand, wo an die Stelle des Bewußtseins der Gattung das ausschließliche Selbstbewußtseins des Indivi- duums getreten ist, wo das Individuum sich nicht als einen Theil der Menschheit weiß, sondern sich mit der Gattung identificirt, und deßwegen seine Sünden, seine Schranken, seine Schwächen zu allgemeinen Sünden, zu Sünden, Schran- ken und Schwächen der Menschheit selbst macht. Aber gleich- wohl kann der Mensch das Bewußtsein der Gattung nicht verlieren, denn sein Selbstbewußtsein ist wesentlich an das Bewußtsein des Andern gebunden. Wo darum dem Men- schen nicht die Gattung als Gattung Gegenstand ist, da wird ihm die Gattung als Gott Gegenstand. Den Man- gel des Begriffs der Gattung ergänzt er durch den Begriff Gottes, als des Wesens, welches frei ist von den Schranken und Mängeln, die das Individuum, und, nach seiner Meinung, die das Individuum mit der Gattung identificirt, die Gattung selbst drücken. Aber dieses von den Schranken der Individuen freie, unbeschränkte Wesen ist eben nichts andres als die Gat- tung, welche die Unendlichkeit ihres Wesens darin offenbart, daß sie sich in unbeschränkt vielen und verschiedenartigen In- dividuen verwirklicht. Wären alle Menschen absolut gleich , so wäre allerdings kein Unterschied zwischen der Gattung und dem Individuum. Aber dann wäre auch das Dasein vieler Menschen ein reiner Luxus. Ein Einziger genügte hinläng- lich dem Zweck der Gattung. Alle miteinander hätten an dem Einen, der das Glück der Existenz genösse, ihren hinreichenden Ersatzmann. Allerdings ist das Wesen der Menschen Eines , aber dieses Wesen ist unendlich ; sein wirkliches Dasein daher unendliche, sich gegenseitig ergänzende Verschiedenartigkeit, um den Reichthum des Wesens zu offenbaren. Die Einheit im Wesen ist Mannigfaltigkeit im Dasein . Zwischen Mir und dem Andern — aber der Andere ist der Repräsentant der Gattung, auch wenn er nur Einer ist, er ersetzt mir das Be- dürfniß nach vielen Andern, hat für mich universelle Bedeutung, ist der Deputirte der Menschheit, der in ihrem Namen zu mir Einsamen spricht, ich habe daher, auch nur mit Einem verbunden, ein gemeinsames, menschliches Leben — zwischen Mir und dem Andern findet daher ein wesentlicher, Feuerbach . 14 qualitativer Unterschied statt. Der Andere ist mein Du — ob dieß gleich wechselseitig ist — mein Alter Ego, der mir gegenständliche Mensch, mein aufgeschlossenes Innere — das sich selbst sehende Auge. An dem Andern habe ich erst das Bewußtsein der Menschheit. Durch ihn erst erfahre, fühle ich, daß ich Mensch bin; in der Liebe zu ihm wird mir erst klar, daß er zu mir und ich zu ihm gehöre, daß wir beide nicht ohne einander sein können, daß nur die Gemein- samkeit die Menschheit constituirt. Aber eben so findet auch moralisch ein qualitativer , ein kritischer Unterschied zwi- schen dem Ich und Du statt. Der Andere ist mein gegen- ständliches Gewissen: er macht mir meine Fehler zum Vor- wurf, auch wenn er sie mir nicht ausdrücklich sagt: er ist mein personificirtes Schaamgefühl. Das Bewußtsein des Moralgesetzes, des Rechtes, der Schicklichkeit, der Wahrheit selbst ist nur an das Bewußtsein des Andern gebunden. Wahr ist, worin der Andere mit mir übereinstimmt — Uebereinstimmung ist das erste Kriterium der Wahrheit, aber nur deßwegen, weil die Gattung das letzte Maaß der Wahrheit ist. Was ich nur denke nach dem Maaße meiner Individualität, daran ist der Andere nicht gebunden, das kann anders gedacht werden, das ist eine zufällige, nur subjective Ansicht. Was ich aber denke im Maaße der Gattung, das denke ich, wie es der Mensch überhaupt nur immer denken kann und folglich der Einzelne denken muß , wenn er normal, gesetzmäßig und folg- lich wahr denken will. Wahr ist, was mit dem Wesen der Gattung übereinstimmt , falsch, was ihr widerspricht. Ein anderes Gesetz der Wahrheit gibt es nicht. Aber der Andere ist mir gegenüber der Repräsentant der Gattung, der Stellvertreter der Andern im Plural, ja sein Urtheil kann mir mehr gelten, als das Urtheil der zahllosen Menge. „Mache der Schwärmer sich Schüler, wie Sand am Meere; der Sand ist Sand; die Perle sei mein, Du o vernünftiger Freund!“ Die Beistimmung des Andern gilt mir daher für das Krite- rium der Normalität, der Allgemeinheit, der Wahrheit meiner Gedanken. Ich kann mich nicht so von mir absondern, um vollkommen frei und interesselos mich beurtheilen zu können; aber der Andere hat ein unpartheiisches Urtheil; durch ihn be- richtige, ergänze, erweitre ich mein eignes Urtheil, meinen eignen Geschmack, meine eigne Erkenntniß. Kurz, es findet eine qualitative, kritische Differenz zwischen den Men- schen statt. Aber das Christenthum löscht diese qualitativen Unterschiede aus, es schlägt alle Menschen über einen Leisten, betrachtet sie wie ein und dasselbe Individuum, weil es keinen Unterschied zwischen der Gattung und dem Individuum kennt: ein und dasselbe Heilmittel für alle Menschen ohne Unterschied, ein und dasselbe Grund- und Erbübel in allen. Eben deßwegen, weil das Christenthum aus überschwäng- licher Subjectivität nichts weiß von der Gattung, in welcher allein die Lösung, die Rechtfertigung, die Versöhnung und Heilung der Sünden und Mängel der Individuen liegt, be- durfte es auch einer übernatürlichen, besondern, selbst wieder nur persönlichen subjectiven Hülfe, um die Sünde zu überwin- den. Wenn ich allein die Gattung bin, wenn außer mir keine anderen, qualitativ anderen Menschen existiren oder, was völ- lig eins ist, wenn kein Unterschied zwischen mir und den An- dern ist, wenn wir Alle vollkommen gleich sind, wenn meine Sünden nicht neutralisirt und paralysirt werden durch die entgegengesetzten Eigenschaften anderer Menschen; so ist frei- 14* lich meine Sünde ein himmelschreiender Schandfleck, ein em- pörender Greuel, der nur durch außerordentliche, außermensch- liche, wunderbare Mittel getilgt werden kann. Glücklicher Weise gibt es aber eine natürliche Versöhnung. Der An- dere ist per se der Mittler zwischen mir und der heiligen Idee der Gattung. Homo homini Deus est. Meine Sünde ist dadurch schon in ihre Schranke zurückgewiesen, in ihr Nichts verstoßen, daß sie eben nur meine, aber deßwegen noch nicht auch die Sünde des Andern ist. Die christliche Bedeutung des freien Cälibats und Mönchthums. Der Begriff der Gattung und mit ihm die Bedeu- tung des Gattungslebens war mit dem Christenthum ver- schwunden. Der früher ausgesprochne Satz, daß das Chri- stenthum das Princip der Bildung nicht in sich enthält, erhält dadurch eine neue Bestätigung. Wo der Mensch die Gattung unmittelbar mit dem Individuum identificirt und diese Iden- tität als sein höchstes Wesen, als Gott setzt, wo ihm also die Idee der Menschheit nur als die Idee der Gottheit Gegenstand ist: da ist das Bedürfniß der Bildung verschwunden; der Mensch hat Alles in sich , Alles in seinem Gotte, folglich kein Bedürfniß, sich zu ergänzen durch den Andern, den Repräsen- tanten der Gattung, durch die Anschauung der Welt über- haupt — ein Bedürfniß, auf welchem allein der Bildungstrieb beruht. Allein für sich erreicht der Mensch seinen Zweck — er erreicht ihn in Gott, Gott ist selbst dieses erreichte Ziel, dieser realisirte höchste Zweck der Menschheit ; aber Gott ist jedem Individuum allein für sich gegenwärtig. Gott nur ist das Bedürfniß des Christen, — den Andern, die Menschengattung, die Welt bedarf er nicht nothwendig dazu. Das innere Bedürfniß des Andern fehlt. Gott vertritt mir eben die Gattung, den Andern; ja in der Abkehr von der Welt, in der Absonderung werde ich erst recht gottesbedürf- tig , empfinde ich erst recht lebendig die Gegenwart Gottes, empfinde ich erst, was Gott ist, und was er mir sein soll. Wohl ist dem Religiösen auch Gemeinschaft, gemeinschaftliche Erbauung Bedürfniß, aber das Bedürfniß des Andern ist an sich selbst doch immer etwas höchst Untergeordnetes. Das Seelenheil ist die Grundidee, die Hauptsache des Christen- thums, aber dieses Heil liegt nur in Gott, nur in der Con- centration auf ihn. Die Thätigkeit für Andere ist eine gefor- derte, ist Bedingung des Heils, aber der Grund des Heils ist Gott, die unmittelbare Beziehung auf Gott. Und selbst die Thätigkeit für Andere hat nur eine religiöse Bedeutung, hat nur die Beziehung auf Gott zum Grund und Zweck — ist im Wesen nur eine Thätigkeit für Gott — Verherrlichung seines Namens, Ausbreitung seines Ruhmes. Aber Gott ist die absolute Subjectivität, die von der Welt abgeschiedene, überweltliche , von der Materie befreite , von dem Gat- tungsleben und damit von der Geschlechtsdifferenz ab- gesonderte Subjectivität . — Die Scheidung von der Welt, von der Materie, von dem Gattungsleben ist daher das wesentliche Ziel des Christen Cui Deus portio est, nihil debet curare, nisi Deum .... Deus enim est sine peccato, Et ideo qui peccatum fugit, ad ima- ginem est Dei ..... Melius fugit qui fugit illecebram saecula- rem .... Fuga ergo mors est .... Hoc est fugere hinc: mori . Und dieses Ziel realisirte sich auf sinnliche Weise im Mönchsleben. Es ist Selbstbetrug, das Mönchthum nur aus dem Orient ableiten zu wollen. Wenigstens muß man, wenn diese Ab- leitung gelten soll, dann auch so gerecht sein und die dem Mönchthum entgegengesetzte Tendenz der Christenheit nicht aus dem Christenthum, sondern aus dem Geiste, aus der Na- tur des Occidents überhaupt ableiten. Aber wie erklärt sich dann die Begeisterung des Abendlandes für das Mönchsleben? Das Mönchthum muß vielmehr geradezu aus dem Christen- thum selbst abgeleitet werden: es war eine nothwendige Folge von dem Glauben an den Himmel , welchen das Christenthum der Menschheit verhieß. Wo das himmlische Leben eine Wahrheit, da ist das irdische Leben eine Lüge — wo Alles die Phantasie, die Wirklichkeit Nichts. Wer ein ewiges himmlisches Leben glaubt, dem verliert dieses Leben seinen Werth. Oder vielmehr es hat schon seinen Werth ver- loren: der Glaube an das himmlische Leben ist eben der Glaube an die Nichtigkeit und Werthlosigkeit dieses Lebens . Das Jenseits kann ich mir nicht vorstellen , ohne mich nach ihm zu sehnen , ohne mit einem Blicke des Mitleids oder der Verachtung auf dieses erbärmliche Leben herabzuschauen. Das himmlische Leben kann kein Gegenstand, kein Gesetz des Glau- bens sein, ohne zugleich ein Gesetz der Moral zu sein: es muß meine Handlungen bestimmen Eo dirigendus est spiritus quo aliquando est iturus. Meditat. sacrae Joh. Gerhardi . Med. 46. , wenn anders mein Leben mit meinem Glauben übereinstimmen soll: ich darf mich nicht hängen an die vergänglichen Dinge dieser Erde. Ich darf nicht, aber ich mag auch nicht, denn was elementis hujus mundi, abscondere vitam in Deo. Am- brosius . Liber de fuga seculi. c. 2. 4. 7. sind alle Dinge hienieden gegen die Herrlichkeit des himmli- schen Lebens Affectanti coelestia, terrena non sapiunt. Aeternis inhianti, fastidio sunt transitoria. Bernhard . (Epist. Ex persona Heliae mo- nachi ad parentes). Nihil nostra refert in hoc aevo, nisi de eo quam celeriter excedere. Tertullian . Apol. adv. Gentes. c. 41. ? Allerdings hängt die Qualität jenes Lebens von der Qua- lität, der moralischen Beschaffenheit dieses Lebens ab, aber die Moralität ist selbst bestimmt durch den Glauben an das ewige Leben. Und diese dem überirdischen Leben entsprechende Mo- ralität ist nur die Abkehr von dieser Welt, die Negation dieses Lebens. Die sinnliche Bewährung dieser geistigen Abkehr aber ist das klösterliche Leben. Alles muß sich zuletzt äußerlich, sinnlich darstellen Ille perfectus est qui mente et corpore a saeculo est elon- gatus. De modo bene vivendi ad Sororem . S. VII. (Unter den unächten Schriften Bernhards.) . Was innere Gesinnung, muß sich prak- tisch realisiren. Das klösterliche, überhaupt ascetische Leben ist das himmlische Leben, wie es sich hienieden bewährt und bewähren kann. Wenn meine Seele dem Himmel angehört, warum soll ich, ja wie kann ich mit dem Leibe der Erde ange- hören? Die Seele animirt den Leib. Wenn aber die Seele im Himmel ist, so ist der Leib verlassen, todt — abgestorben also das Medium, das Verbindungsglied zwischen der Welt und der Seele. Der Tod, die Scheidung der Seele vom Leibe, wenigstens von diesem groben materiellen, sündhaften Leibe, ist der Eingang zum Himmel. Wenn aber der Tod die Be- dingung der Seligkeit und moralischen Vollkommen- heit ist, so ist nothwendig die Abtödtung, die Mortification das einzige Gesetz der Moral . Der moralische Tod ist die nothwendige Anticipation des natürlichen Todes — die nothwendige; denn es wäre die höchste Immoralität, dem sinnlichen Tod, der kein moralischer, sondern natürlicher, dem Menschen mit dem Thiere gemeiner Act ist, den Erwerb des Himmels zu überlassen. Der Tod muß daher zu einem mo- ralischen Act , einem Act der Selbstthätigkeit erhoben werden. „ Ich sterbe täglich ,“ sagt der Apostel. Und die- sen Spruch machte der heilige Antonius, der Gründer des Mönchthums S. indeß hierüber Hieronymus de vita Pauli primi Eremitae . , zum Thema seines Lebens. Aber das Christenthum, entgegnet man, hat nur eine geistige Freiheit gewollt. Richtig; aber was ist die geistige Freiheit, die nicht in die That übergeht, die sich nicht sinnlich bewährt? Die sinnliche Freiheit ist allein die Wahrheit der geistigen Freiheit. Ein Mensch, der an den irdischen Schätzen das geistige Interesse wirklich verloren, der wirft sie auch bald zum Fenster hinaus, um vollkommen sein Herz zu entledigen. Was ich nicht mehr mit der Gesinnung habe, das ist mir zur Last , wenn ich es dennoch habe, denn ich habe es im Widerspruch mit meiner Gesinnung. Also weg damit! Was die Gesinnung entlassen, das halte auch die Hand nicht mehr fest. Nur die Gesinnung ist die Schwerkraft des Händedrucks; nur die Gesinnung heiligt den Besitz. Wer sein Weib so ha- ben soll, als habe er es nicht, der thut besser, wenn er sich gar kein Weib nimmt. Haben, als habe man nicht, heißt haben ohne die Gesinnung des Habens, heißt in Wahrheit nicht haben. Und wer daher sagt: man solle ein Ding haben so, als habe man es nicht, der sagt nur auf eine feine , schlaue, schonende Weise: man soll es gar nicht haben. Was ich aus dem Herzen fahren lasse, das ist nicht mehr mein , das ist vo- gelfrei. Der heilige Antonius faßte den Entschluß, der Welt zu entsagen, als er einst den Spruch hörte: „Willst Du voll- kommen sein, so gehe hin, verkaufe, was Du hast und gib es den Armen, so wirst Du einen Schatz im Himmel haben und komm und folge mir nach.“ Der heilige Antonius gab die allein wahre Auslegung dieses Ausspruchs. Er ging hin und verkaufte seine Reichthümer und gab sie den Armen. Nur so bewährte er seine geistige Freiheit von den Schätzen dieser Welt Natürlich hatte das Christenthum nur solche Kraft, als, wie Hieronymus an die Demetrias schreibt, domini nostri adhuc ca- lebat cruor et fervebat recens in credentibus fides . . Solche Freiheit, solche Wahrheit widerspricht nun freilich dem heutigen Christenthum, welchem zufolge der Herr nur eine geistige Freiheit gewollt, d. h. eine Freiheit, die durchaus keine Opfer erheischt, die bei vollem Wanste frei ist von den Be- gierden des Fleisches, bei vollem Geldbeutel frei von den irdischen Sorgen. Deßwegen sagte ja auch der Herr: „mein Joch ist sanft und leicht.“ Wie barbarisch, wie unsinnig wäre das Christenthum, wenn es den Menschen zumuthete, die Schätze dieser Welt aufzuopfern! Dann paßte ja das Chri- stenthum gar nicht für diese Welt . Aber das sei ferne! Das Christenthum ist höchst praktisch und weltklug. Es überläßt die Freiheit von den Schätzen und Lüsten dieser Welt dem natürlichen Tode , — die Selbsttödtung der Mönche ist un- christlicher Selbstmord — aber der Selbstthätigkeit den Erwerb und Genuß der irdischen Schätze. Die ächten Christen zwei- feln zwar nicht an der Wahrheit des himmlischen Lebens, Gott bewahre! Darin stimmen sie noch heute mit den alten Mön- chen überein; aber sie erwarten dasselbe geduldig, ergeben in den Willen Gottes, d. h. in den Willen der Selbstsucht , der wohlbehaglichen Genußsucht dieser Welt Wie anders die alten Christen! Difficile, imo impossibile est, ut et praesentibus quis et futuris fruatur bonis. Hie- ronymus . (Epist. Juliano.) Aber freilich sie waren abstracte Chri- sten. Und jetzt leben wir im Zeitalter der Versöhnung ! Ja wohl! . Doch ich wende mich mit Ekel und Verachtung weg von dem moder- nen Christenthum, wo die Braut Christi bereitwillig selbst der Polygamie huldigt, wenigstens der successiven Polygamie, die sich aber nicht wesentlich in den Augen des wahren Chri- sten von der gleichzeitigen unterscheidet, aber doch zugleich — o schändliche Heuchelei! — auf die ewige, allverbindende, un- widersprechliche, heilige Wahrheit des Wortes Gottes schwört, und kehre zurück mit heiliger Scheu zur verkannten Wahrheit der keuschen Klosterzelle, wo noch nicht die dem Himmel angetraute Seele mit einem fremden Leibe sich ver- mischte Alle Ausdrücke sind erlaubt in der Schrift, wo sie bezeichnend, wo sie nothwendig sind. ! Das unweltliche, übernatürliche Leben ist wesentlich auch eheloses Leben. Das Cälibat — freilich nicht als Gesetz — liegt gleichfalls also im innersten Wesen des Christenthums. Hinlänglich ist dieß schon in der übernatürlichen Herkunft des Heilands ausgesprochen. In diesem Glauben heiligten die Christen die unbefleckte Jungfräulichkeit als das heil- bringende Princip, als das Princip der neuen, der christlichen Welt . Komme man nicht mit solchen Stellen der Bibel wie etwa: Mehret euch, oder: was Gott zusammen- gefügt, soll der Mensch nicht scheiden, um damit die Ehe zu sanctioniren! Die erste Stelle bezieht sich, wie schon Tertullian und Hieronymus bemerkten, nur auf die menschenleere, nicht aber bereits erfüllte Erde, nur auf den Anfang, nicht aber auf das mit der unmittelbaren Erscheinung Gottes auf Erden ein- getretne Ende der Welt. Und auch die zweite bezieht sich nur auf das Alte Testament. Juden stellten die Frage: ob es auch recht sei, daß sich ein Mensch scheide von seinem Weibe: die zweckmäßigste Abfertigung dieser Frage war obige Antwort. Wer einmal eine Ehe schließt, der soll sie auch heilig halten. Schon der Blick nach einer andern ist Ehebruch. Die Ehe ist an und für sich schon eine Concession gegen die Schwachheit der Sinnlichkeit, ein Uebel, das daher so viel als möglich be- schränkt werden muß. Die Unauflöslichkeit der Ehe ist ein Nimbus, ein Heiligenschein, welcher gerade das Gegentheil von Dem ausspricht, was die vom Scheine geblendeten und perturbirten Köpfe dahinter suchen. Die Ehe ist an sich eine Sünde, eine Schwachheit, die Dir nur unter der Bedingung erlaubt und verziehen wird, daß Du Dich auf ein einziges — bedenke es wohl! — ein einziges Weib für immer beschränkst. Kurz, die Ehe ist nur im Alten , aber nicht mehr im Neuen Testament geheiligt: das N. T. kennt ein höheres, ein über- natürliches Princip, das Geheimniß der unbefleckten Jung- fräulichkeit. „Wer es fassen mag, der fasse es.“ „ Die Kin- der dieser Welt freyen und lassen sich freyen , welche aber würdig sein werden, jene Welt zu erlangen in der Auferstehung von den Todten, die werden weder freyen, noch sich freyen lassen . Denn sie können hinfort nicht sterben, denn sie sind den Engeln gleich und Got- tes Kinder , dieweil sie Kinder sind der Auferstehung.“ Im Himmel freyen sie also nicht; vom Himmel ist das Princip der Geschlechtsliebe als ein irdisches, weltliches aus- geschlossen . Aber das himmlische Leben ist das wahre , das beständige, ewige Leben des Christen. Warum soll also ich, der ich für den Himmel bestimmt bin, ein Band knüpfen, das in meiner wahren Bestimmung aufgelöst ist? Warum soll ich, der ich an sich, der Potenz nach ein himmlisches Wesen bin, nicht hier schon diese Möglichkeit verwirklichen Praesumendum est hos qui intra Paradisum recipi volunt, tandem debere cessare ab ea re, a qua Paradisus intactus est. Tertullian. de exhort. cast . c. 13. ? Ja die Ehe ist schon aus meinem Sinne, meinem Herzen verbannt , indem sie aus dem Himmel , dem wesentlichen Gegenstand meines Glaubens, Hoffens und Lebens verstoßen ist. Wie kann in meinem vom Himmel erfüllten Herzen noch ein irdi- sches Weib Platz haben? Wie kann ich mein Herz zwischen Gott und dem Menschen theilen? Die Liebe des Christen zu Gott ist nicht eine abstracte oder allgemeine Liebe, wie die Liebe zur Wahrheit, zur Gerechtigkeit, zur Wissenschaft; sie ist die Liebe zu einem subjectiven, persönlichen Gott , also selbst eine subjective persönliche Liebe . Ein wesentliches Attri- but dieser Liebe ist es, daß sie eine ausschließliche, eifer- süchtige Liebe ist, denn ihr Gegenstand ist ein persönliches und zugleich das höchste Wesen, dem kein andres gleich kommt. „Halte Dich zu Jesus (aber Jesus Christus ist der Gott des Christen) im Leben und im Tode; verlaß Dich auf seine Treue: er allein kann Dir helfen, wenn Dich Alles ver- läßt. Dein Geliebter hat die Eigenschaft, daß er keinen An- dern neben sich dulden will: er allein will Dein Herz haben, allein in Deiner Seele wie ein König auf seinem Throne herr- schen.“ Was kann Dir die Welt ohne Jesus nützen? „Ohne Christus sein, ist Höllenpein; mit Christus sein, himmlische Sü- ßigkeit.“ „Ohne Freund kannst Du nicht leben; aber wenn Dir nicht Christi Freundschaft über Alles geht, so wirst Du über Maaßen traurig und trostlos sein.“ „Liebe Alle um Jesu willen , aber Jesus um seinetwillen . Jesus Chri- stus allein ist der Liebenswerthe .“ „Mein Gott, meine Liebe (mein Herz): ganz bist Du mein und ganz bin Ich Dein .“ „Die Liebe … hofft und vertraut immer auf Gott, auch wenn ihr Gott nicht gnädig ist (oder bitter schmeckt non sapit); denn ohne Schmerz lebt man nicht in der Liebe.....“ „Um des Geliebten willen muß der Liebende Alles, auch das Harte und Bittere gern sich gefallen lassen.“ „Mein Gott und mein Alles.... In Deiner Gegenwart ist mir Alles süß, in Deiner Abwesenheit Alles widerlich..... Ohne Dich kann mir nichts gefallen.“ „O wann wird endlich jene selige, jene ersehnte Stunde kommen, daß Du mich ganz mit Deiner Gegenwart erfüllst und mir Alles in Allem bist! So lange mir dieß nicht vergönnt ist, ist meine Freude nur Stück- werk.“ „Wo war es mir je wohl ohne Dich? oder wann in Deiner Gegenwart wehe? Ich will lieber arm sein um Dei- netwillen, als reich ohne Dich . Ich will lieber mit Dir auf der Erde ein Pilger, als ohne Dich Besitzer des Himmels sein. Wo Du bist, ist der Himmel ; Tod und Hölle, wo Du nicht bist. Nur nach Dir sehne ich mich.“ „Du kannst nicht Gott dienen und zugleich am Vergänglichen Deine Freude ha- ben: Du mußt Dich entfernen von allen Bekannten und Freun- den und von allem zeitlichen Troste Deinen Geist absondern. Die Gläubigen Christi sollen sich nach der Ermahnung des heiligen Apostels Petrus nur als Pilger und Fremd- linge dieser Welt ansehen Thomas a Kempis de imit. (l. II. c. 7. c. 8. l. III. c. 5. c. 34. c. 53. c. 59.) Felix illa conscientia et beata virginitas, in cujus corde praeter amorem Christi .... nullus alius ver- satur amor. Hieronymus . (Demetriadi, virgini Deo conse- cratae .) Aber freilich das ist wieder eine sehr abstracte Liebe, die im Zeitalter der Versöhnung, wo Christus und Belial ein Herz und eine Seele sind, nicht mehr schmeckt. O wie bitter ist die Wahrheit! .“ Die Liebe zu Gott als einem persönlichen Wesen ist also eine eigentliche, förmliche, persönliche, ausschließliche Liebe . Wie kann ich also Gott, sage Gott, und zugleich ein sterbliches Weib lieben. Setze ich dadurch nicht Gott auf gleichen Fuß mit dem Weib? Nein! einer Seele, die Gott wahrhaft liebt, ist die Liebe zum Weibe eine Unmöglichkeit — ein Ehebruch. Wer ein Weib hat, sagt der Apostel Paulus — den man nicht unrich- tig den eigentlichen Stifter des Christenthums genannt hat — denket, was des Weibes ist, wer keines hat, denkt nur, was des Herrn ist. Der Verheirathete denkt daran, daß er dem Weibe gefalle, der Unverheirathete daran, daß er Gott gefalle. Der wahre Christ hat, wie kein Bedürfniß der Bildung, weil diese ein dem Gemüthe widerliches, weltliches Princip ist, so auch kein Bedürfniß der (natürlichen) Liebe . Gott ersetzt ihm den Mangel, das Bedürfniß der Bildung, Gott deßglei- chen den Mangel, das Bedürfniß der Liebe, des Weibes, der Familie. Der Christ identificirt unmittelbar mit dem Indivi- duum die Gattung: er streift daher die Geschlechtsdifferenz als einen lästigen, zufälligen Anhang von sich ab. Mann und Weib zusammen machen erst den wirklichen Menschen aus, Mann und Weib zusammen ist die Existenz der Gattung — denn ihre Verbindung ist die Quelle der Vielheit, die Quelle ande- rer Menschen. Der Mensch daher, der seine Mannheit nicht negirt, der sich fühlt als Mann und dieses Gefühl als ein natur- und gesetzmäßiges Gefühl anerkennt, der weiß und fühlt sich als ein Theilwesen , welches eines andern Theilwesens zur Hervorbringung des Ganzen, der wahren Menschheit, bedarf. Der Christ dagegen erfaßt sich in seiner überschwäng- lichen, transcendenten Subjectivität als ein für sich selbst vollkommnes Wesen. Aber dieser Anschauung war der Ge- schlechtstrieb entgegen; er stand mit seinem Ideal, seinem höch- sten Wesen in Widerspruch; der Christ mußte daher diesen Trieb negiren. Wohl empfand auch der Christ das Bedürfniß der Ge- schlechterliebe, aber nur als ein seiner himmlischen Bestimmung widersprechendes, nur natürliches — natürlich in dem gemei- nen, verächtlichen Sinne, den dieses Wort im Christenthum hat — nicht als ein moralisches, inniges Bedürfniß, nicht als ein, um mich so auszudrücken, metaphysisches, d. i. wesentliches Bedürf- niß, welches der Mensch aber nur da empfinden kann, wo er die Geschlechtsdifferenz nicht von sich absondert, sondern vielmehr zu seinem innern Wesen rechnet. Heilig ist darum nicht die Ehe im Christenthume — wenigstens nur scheinbar, illusorisch — denn das natürliche Princip der Ehe, die Geschlechterliebe — mag auch die bürgerliche Ehe unzählige Mal diesem Prin- cip widersprechen — ist im Christenthum ein unheiliges , vom Himmel ausgeschlossenes . Was aber der Mensch von seinem Himmel ausschließt , das schließt er von seinem wahren Wesen aus Dieß läßt sich auch so ausdrücken: die Ehe hat im Christen- thum nur eine moralische , aber keine religiöse Bedeutung, kein . Der Himmel ist sein Schatz- kästchen. Glaube nicht dem, was er auf der Erde etablirt, was er hier erlaubt und sanctionirt: hier muß er sich accomo- diren; hier kommt ihm Manches in die Quere, was nicht in sein System paßt; hier weicht er Deinem Blick aus, denn er befindet sich unter fremden Wesen, die ihn schüchtern machen. Aber belausche ihn, wo er sein Incognito abwirft und sich in seiner wahren Würde, seinem himmlischen Staate zeigt. Im Himmel spricht er, wie er denkt ; dort vernimmst Du seine wahre Meinung. Wo sein Himmel, ist sein Herz — der Himmel ist sein offnes Herz. Der Himmel ist nichts, als der Begriff des Wahren, Guten, Gültigen, dessen, was sein soll ; die Erde nichts als der Begriff des Unwahren, Ungültigen, dessen, was nicht sein soll. Der Christ schließt vom Himmel das Gattungsleben aus: dort hört die Gattung auf, dort gibt es nur reine, geschlechtslose Individuen, Geister, dort herrscht die absolute Subjectivität — also schließt der Christ von seinem wahren Leben das Gattungsleben aus; er negirt religiöses Princip und Vorbild . Anders bei den Griechen, wo z. B. „Zeus und Here das große Urbild jeder Ehe ( Creuzer Symb.), bei den alten Parsen, wo die Zeugung als „die Vermehrung des Men- schengeschlechts, die Verminderung des Arhimanischen Reichs ,“ also eine religiöse Pflicht und Handlung ist (Zend-Avesta), bei den Indern, wo der Sohn der wiedergeborne Vater ist. So der Frau ihr Gemahl nahet, wird er wiedergeboren selbst Von der, die Mutter durch ihn wird. (Fr. Schlegel.) Bei den Indern darf kein Wiedergeborner in den Stand eines Sa- nyassi, das ist eines in Gott versunkenen Einsiedlers treten, wenn er nicht vorher drei Schulden bezahlt, unter andern die, daß er recht- licher Weise einen Sohn gezeugt hat . Bei den Christen dage- gen, wenigstens den katholischen, war es ein wahres religiöses Freu- denfest, wenn Verlobte oder schon Verheirathete — vorausgesetzt, daß es mit beiderseitiger Einwilligung geschah — den ehelichen Stand auf- gaben, der religiösen Liebe die eheliche Liebe aufopferten. das Princip der Ehe als ein sündiges, ein zu negirendes; denn das sündlose, das positive Leben ist das himmlische Insofern das religiöse Bewußtsein alles zuletzt wieder setzt, was es anfangs aufhebt, das jenseitige Leben daher zuletzt nichts andres ist als das wiederhergestellte dießseitige Leben, so muß consequent auch das Geschlecht wiederhergestellt werden. Erunt … similes angelorum. Ergo homines esse non desinent .... ut apostolus apostolus sit et Maria Maria. Hieronymus (ad Theodoram viduam.) Aber wie der jenseitige Körper ein unkörperlicher Körper, so ist nothwendig das dortige Geschlecht ein differenzloses, d. i. geschlechtloses Geschlecht. . Der christliche Himmel oder die persönliche Unsterb- lichkeit. Das ehelose, überhaupt ascetische Leben ist der directe Weg zum himmlischen unsterblichen Leben, denn der Himmel ist nichts andres als das übernatürliche, gattungsfreie, geschlechtslose, absolut subjective Leben. Dem Glauben an die persönliche Unsterblichkeit liegt der Glaube zu Grunde, daß die Geschlechtsdifferenz nur ein äußerlicher Anflug der Indi- vidualität, daß an sich das Individuum ein geschlechtsloses, für sich selbst vollständiges, absolutes Wesen ist. Wer aber keinem Geschlecht angehört, gehört keiner Gattung an — die Geschlechtsdifferenz ist die Nabelschnur, durch welche die Indi- vidualität mit der Gattung zusammenhängt — und wer keiner Gattung angehört, der gehört nur sich selbst an, ist ein schlecht- hin bedürfnißloses, göttliches, absolutes Wesen. Nur da daher, wo die Gattung aus dem Bewußtsein verschwindet, wird das himmlische Leben zur Gewißheit. Wer im Bewußtsein der Gattung und folglich ihrer Realität lebt , der lebt auch Feuerbach . 15 im Bewußtsein der Realität der Geschlechtsdifferenz . Er betrachtet dieselbe nicht als einen mechanisch eingesprengten zufälligen Stein des Anstoßes; er betrachtet sie als einen inni- gen, einen chemischen Bestandtheil seines Wesens. Er weiß sich wohl als Mensch , aber zugleich in der Bestimmtheit der Geschlechtsdifferenz, die nicht nur Mark und Bein durchdringt, sondern auch sein innerstes Selbst, die wesentliche Art seines Denkens, Wollens, Empfindens bestimmt. Wer daher im Bewußtsein der Gattung lebt, wer sein Gemüth und seine Phantasie beschränkt, bestimmt durch die Anschauung des wirk- lichen Lebens, des wirklichen Menschen, der kann sich kein Leben denken, wo das Gattungsleben und damit die Ge- schlechtsdifferenz aufgehoben ist: er hält das geschlechtslose In- dividuum, den himmlischen Geist für eine gemüthliche Vor- stellung der Phantasie. Aber eben so wenig, wie von der Geschlechtsdifferenz, kann der reale Mensch von seiner sittlichen oder geistigen Be- stimmtheit, die ja aufs innigste mit seiner natürlichen Be- stimmtheit zusammenhängt, abstrahiren. Eben, weil er in der Anschauung des Ganzen lebt, so lebt er in der Anschauung seiner nur als eines Theilwesens, das nur ist, was es ist, durch die Bestimmtheit, die es eben zum Theil des Ganzen oder zu einem relativen Ganzen macht. Jeder hält daher mit Recht sein Geschäft, seinen Stand, seine Kunst oder Wissen- schaft für die höchste: denn der Geist des Menschen ist nichts als die wesentliche Art seiner Thätigkeit. Wer etwas Tüchti- ges in seinem Stande, seiner Kunst ist, wer, wie man im Leben sagt, seinen Posten ausfüllt, mit Leib und Leben seinem Berufe ergeben ist, der denkt sich auch seinen Beruf als den höchsten und schönsten. Wie sollte er in seinem Geiste ver- läugnen, in seinem Denken erniedrigen, was er durch die That celebrirt, indem er mit Freuden demselben seine Kräfte weiht? Was ich gering schätze, wie kann ich dem meine Zeit, meine Kräfte weihen? Muß ich dennoch, so ist meine Thätig- keit eine unglückliche, denn ich bin zerfallen mit mir selbst. Arbeiten ist Dienen. Wie kann ich aber einem Gegenstand dienen, mich ihm subjiciren, wenn er mir nicht im Geiste hoch steht? Kurz, die Beschäftigungen bestimmen das Urtheil, die Denkart, die Gesinnung des Menschen. Und je höher die Art der Beschäftigung, desto mehr identificirt sich der Mensch damit. Was überhaupt der Mensch zum wesentlichen Zweck seines Lebens macht, das erklärt er für seine Seele; denn es ist das Princip der Bewegung in ihm. Durch seine Zwecke, durch die Thätigkeit, in welcher er diese Zwecke reali- sirt, ist aber der Mensch zugleich, wie Etwas für sich, so Etwas für Andere , für das Allgemeine, die Gattung. Wer daher in dem Bewußtsein der Gattung als einer Realität lebt, der hält sein Sein für Andere, sein öffentliches, gemein- nütziges Sein für das Sein, welches eins ist mit dem Sein seines Wesens, für sein unsterbliches Sein. Er lebt mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen für die Menschheit. Wie könnte er eine besondere Existenz für sich noch im Rückhalt ha- ben, wie sich von der Menschheit scheiden? Wie sollte er im Tode verläugnen, was er im Leben bekräftigte? Aber sein Glaube im Leben war: Nec sibi sed toti genitum se credere mundo . Das himmlische Leben oder — was wir hier nicht unter- scheiden — die persönliche Unsterblichkeit ist eine charakteri- stische Lehre des Christenthums. Allerdings findet sie sich zum Theil auch schon bei den heidnischen Philosophen, aber hier 15* hat sie nur die Bedeutung einer subjectiven Phantasie , weil sie nicht mit ihrer Grundanschauung zusammenhing. Wie widersprechend äußern sich nicht z. B. die Stoiker über diesen Gegenstand! Erst bei den Christen fand die persönliche Unsterblichkeit das Princip, woraus sie sich mit Nothwendig- keit als eine sich von selbst verstehende Wahrheit ergibt. Den Alten kam die Anschauung der Welt, der Natur, der Gattung stets in die Quere, sie unterschieden zwischen dem Lebensprin- cip und dem lebenden Subject, zwischen der Seele, dem Geiste und sich selbst ; während der Christ den Unterschied zwischen Seele und Person, Gattung und Individuum aufhob, unmit- telbar in sich selbst daher setzte, was nur der Totalität der Gattung angehört. Aber die unmittelbare Einheit der Gat- tung und Individualität ist eben das höchste Princip, der Gott des Christenthums — das Individuum hat in ihm die Bedeutung des absoluten Wesens — und die noth- wendig immanente Folge dieses Princips eben die persönliche Unsterblichkeit. Oder vielmehr: der Glaube an die persönliche Un- sterblichkeit ist ganz identisch mit dem Glauben an den persönlichen Gott — d. h. dasselbe , was der Glaube an das himmlische, unsterbliche Leben der Person ausdrückt, das- selbe drückt Gott aus, wie er den Christen Gegenstand war — das Wesen der absoluten, uneingeschränkten Subjecti- vität . Die uneingeschränkte Subjectivität ist Gott, aber die himmlische Subjectivität ist nichts andres als die uneinge- schränkte, die von allen irdischen Beschwerden und Schranken erledigte Subjectivität — der Unterschied nur der , daß Gott der geistige Himmel, der Himmel der sinnliche Gott ist, daß in Gott nur in abstracto gesetzt wird, was im Himmel mehr ein Object der Phantasie ist. Gott ist nur der im- plicirte, involvirte Himmel , der wirkliche Himmel der explicirte Gott . Gegenwärtig ist Gott das Himmelreich, in Zukunft der Himmel Gott. Gott ist die Bürgschaft , die, aber noch abstracte, Präsenz und Existenz der Zukunft — der anticipirte compendiöse Himmel . Unser eignes zukünftiges, aber von uns, wie wir gegenwärtig in dieser Welt, in diesem Leibe existiren, unterschiednes, nur ideal gegen- ständliches Wesen ist Gott — Gott ist der Gattungsbegriff, der sich dort erst realisiren, individualisiren wird. Gott ist die himmlische, reine, freie Wesenheit , die dort als himmlische reine Wesen existiren wird, die Seligkeit, die dort in einer Fülle seliger Individuen sich entfaltet. Gott ist also nichts andres als der Begriff oder das Wesen des absoluten, des seligen, himmlischen Lebens, das aber hier selbst noch zusam- mengefaßt wird in eine ideale Persönlichkeit. Deutlich genug ist dieß ausgesprochen in dem Glauben, daß das selige Leben die Einheit mit Gott ist. Hier sind wir unterschieden und getrennt von Gott, dort fällt die Scheidewand; hier sind wir Menschen, dort Götter; hier ist die Gottheit ein Monopol, dort ein Gemeingut; hier eine abstracte Einheit, dort eine concrete Vielheit Bene dicitur, quod tunc plene videbimus eum sicuti est, cum similes ei erimus, h. e. erimus quod ipse est . Quibus enim potestas data est filios Dei fieri, data est potestas, non quidem ut sint Deus, sed sint tamen quod Deus est : sint sancti, futuri plene beati, quod Deus est . Nec aliunde hic sancti, nec ibi futuri beati, quam ex Deo qui eorum et sanctitas et beatitudo est, De vita solitaria (Unter den unächten Schriften des h. Bernhard). Finis autem bonae voluntatis beatitudo est: vita aeterna ipse Deus. Augustin . (bei Petrus Lomb. l. II. dist. 38. c. 1.) . Was die Erkenntniß dieses Gegenstandes erschwert, ist nur die Phantasie, welche einerseits durch die Vorstellung der Persönlichkeit Gottes, anderseits durch die Vorstellung der vie- len Persönlichkeiten, welche sie zugleich gewöhnlich in ein mit sinnlichen Farben ausgemaltes Reich verlegt, die Einheit des Be- griffs auseinandertrennt. Aber in Wahrheit ist kein Unter- schied zwischen dem absoluten Leben , welches als Gott und dem absoluten Leben , welches als der Himmel ge- dacht wird, nur daß im Himmel in die Länge und Breite aus- gedehnt wird, was in Gott in Einen Punkt concentrirt ist. Der Glaube an die Unsterblichkeit des Menschen ist der Glaube an die Göttlichkeit des Menschen, und umgekehrt der Glaube an Gott der Glaube an die reine, von allen Schranken erlöste und folglich eo ipso unsterbliche Subjec- tivität. Die Unterschiede, die man setzt zwischen der unsterb- lichen Seele und Gott, sind entweder nur sophistische oder phantastische, wie wenn man z. B. die Seligkeit der Himmels- bewohner wieder in Schranken einschließt, in Grade eintheilt, um einen Unterschied zwischen Gott und den himmlischen We- sen zu etabliren. Die Identität der göttlichen und himmlischen Subjectivi- tät erscheint selbst in den populären Beweisen der Unsterblich- keit. Wenn kein andres besseres Leben ist, so ist Gott nicht gerecht und gut. Die Gerechtigkeit und Güte Gottes wird so abhängig gemacht von der Fortdauer der Individuen; aber ohne Gerechtigkeit und Güte ist Gott nicht Gott — die Gottheit, die Existenz Gottes wird daher abhängig gemacht von der Existenz der Individuen . Wenn ich nicht un- sterblich bin, so glaube ich keinen Gott; wer die Unsterblich- keit läugnet, läugnet Gott. Aber das kann ich unmöglich glauben: so gewiß Gott ist, so gewiß ist meine Seligkeit. Gott ist eben die Gewißheit meiner Seligkeit. Das Inter- esse, daß Gott ist , ist eins mit dem Interesse, daß ich bin , ewig bin. Gott ist meine geborgne , meine gewisse Exi- stenz: er ist die Subjectivität der Subjecte, die Persönlichkeit der Personen. Wie sollte daher den Personen nicht zukom- men, was der Persönlichkeit zukommt? In Gott mache ich eben mein Futurum zu einem Präsens oder vielmehr ein Zeitwort zu einem Substantiv ; wie sollte sich eins vom andern trennen lassen? Gott ist die meinen Wünschen und Gefühlen ent- sprechende Existenz: er ist der Gerechte, der Gütige, der meine Wün- sche erfüllt. Die Natur, diese Welt ist eine meinen Wünschen, meinen Gefühlen widersprechende Existenz. Hier ist es nicht so, wie es sein soll — diese Welt vergeht — Gott aber ist das Sein, welches so ist, wie es sein soll. Gott erfüllt meine Wünsche — dieß ist nur populäre Personification des Satzes: Gott ist der Erfüller, d. i. die Realität , das Erfülltsein meiner Wünsche . Aber der Himmel ist eben das meinen Wünschen, meiner Sehnsucht adäquate Sein — also kein Unterschied zwischen Gott und Himmel . Gott ist die Kraft , durch die der Mensch seine ewige Glückseligkeit reali- sirt — Gott die absolute Persönlichkeit, in der alle einzelnen Personen die Gewißheit ihrer Absolutheit, ihrer Seligkeit und Unsterblichkeit haben — Gott die höchste letzte Gewißheit der Subjectivität von ihrer absoluten Wahrheit und Wesenhaftigkeit. Die Unsterblichkeitslehre ist die Schlußlehre der Reli- gion — ihr Testament, worin sie ihren letzten Willen äußert. Hier spricht sie darum unverhohlen aus, was sie sonst ver- schweigt. Wenn es sich sonst um die Existenz eines andern Wesens handelt, so handelt es sich hier offenbar nur um die eigne Existenz ; wenn außerdem der Mensch in der Religion sein Sein vom Sein Gottes abhängig macht, so macht er hier die Realität Gottes von seiner eignen Realität abhängig; was ihm sonst die primitive, unmittelbare Wahrheit, das ist ihm daher hier eine abgeleitete, secundäre Wahrheit: wenn ich nicht ewig bin, so ist Gott nicht Gott , wenn keine Unsterblichkeit , so ist kein Gott . Und diesen Schluß hat schon der Apostel gemacht. Wenn wir nicht auferstehen, so ist Christus nicht auferstanden und Alles ist Nichts. Edite, bibite . Allerdings kann man das scheinbar oder wirklich Anstößige, was in der populären Argumentation liegt, beseiti- gen, indem man die Schlußform vermeidet, aber nur dadurch, daß man die Unsterblichkeit zu einer analytischen Wahr- heit macht, so daß eben der Begriff Gottes , als der abso- luten Persönlichkeit oder Subjectivität, per se schon der Begriff der Unsterblichkeit ist. Gott ist die Bürgschaft meiner zukünftigen Existenz, weil er schon die Gewißheit und Realität meiner gegenwärtigen Existenz, mein Heil, mein Trost, mein Schirm vor den Gewalten der Außenwelt ist; ich brauche also die Unsterblichkeit gar nicht expreß zu folgern, nicht als eine aparte Wahrheit herauszustellen; habe ich Gott, so habe ich Unsterblichkeit . So war es bei den tiefern christlichen Mystikern: ihnen ging der Begriff der Unsterblichkeit in dem Begriff Gottes auf: Gott war ihnen ihr unsterbliches Leben — Gott selbst die subjective Seligkeit, also das für sie , für ihr Bewußtsein, was er an sich selbst , d. i. im Wesen der Religion ist. Somit ist bewiesen, daß Gott der Himmel ist, daß beide dentisch sind. Leichter wäre der umgekehrte Beweis gewesen, nämlich, daß der Himmel der eigentliche Gott der Menschen ist. Wie der Mensch seinen Himmel denkt, so denkt er seinen Gott; die Inhaltsbestimmtheit seines Himmels ist die Inhalts- bestimmtheit seines Gottes, nur daß im Himmel sinnlich aus- gemalt, ausgeführt wird, was in Gott nur Entwurf, Con- cept ist. Der Himmel ist daher der Schlüssel zu den innersten Geheimnissen der Religion. Wie der Himmel objectiv das aufgeschloßne Wesen der Gottheit, so ist er auch subjectiv die offenherzigste Aussprache der innersten Gedanken und Gesin- nungen der Religion. Daher sind die Himmelreiche so ver- schieden als die Religionen und so viel unterschiedne Religio- nen, als wesentliche Menschenunterschiede sind. So unter- schieden Das ist, was für die Menschen die Bedeutung des Höchsten, des Guten, Wahren, Heiligen hat, so unterschieden ist der Himmel, so unterschieden der Gott . Auch die Christen selbst denken sich sehr verschiedenartig den Himmel Und eben so verschiedenartig ihren Gott. So haben die from- men christlichen Deutschthümler einen „ deutschen Gott “ nothwen- dig, also auch die frommen Spanier einen spanischen Gott, die Franzosen einen französischen Gott. In der That existirt auch so lange Vielgötterei , so lange es viele Völker gibt. Der reale Gott eines Volks ist der Point d’honneur seiner Nationalität. . Nur die Pfiffigen unter ihnen denken und sagen gar nichts Bestimmtes über den Himmel oder das Jenseits über- haupt, weil es unbegreiflich sei und daher immer nur nach einem dießseitigen, nur für das Dießseits gültigen Maaßstab gedacht werde. Alle Vorstellungen hienieden seien nur Bilder, mit denen sich der Mensch das seinem Wesen nach unbekannte, aber seiner Existenz nach gewisse Jenseits vergegenwärtige. Es ist hier eben so wie mit Gott: das Dasein Gottes sei ge- wiß — aber was er sei oder wie er sei, das sei unerforsch- lich. Aber wer so spricht, der hat sich das Jenseits schon aus dem Kopfe geschlagen; er hält es nur noch fest, entweder weil er über solche Dinge gar nicht denkt, oder weil es ihm nur noch ein Herzensbedürfniß ist; aber er schiebt es, zu sehr er- füllt mit realen Dingen, so weit als möglich sich aus dem Gesichte; er negirt mit seinem Kopfe , was er mit seinem Herzen bejaht ; denn er negirt das Jenseits, indem er dem- selben seine Beschaffenheiten nimmt, durch die allein ein Gegenstand ein für den Menschen wirklicher und wirksamer ist. Die Qualität ist nicht vom Sein unterschieden — die Quali- tät ist nichts als das wirkliche Sein. Sein ohne Beschaf- fenheit ist eine Chimäre — ein Gespenst. Durch die Qualität wird mir erst das Sein gegeben; nicht erst das Sein und hin- tendrein die Qualität. Die Lehre von der Unerkennbarkeit und Unbestimmbarkeit Gottes, wie die von der Unerforschlichkeit des Jenseits sind daher keine ursprünglich religiösen Lehren: sie sind vielmehr Producte der Irreligiosität , die aber selbst noch in der Religion befangen ist oder vielmehr hinter der Religion sich versteckt, und zwar eben deßwegen, weil ursprüng- lich das Sein Gottes nur mit einer bestimmten Vorstel- lung Gottes, das Sein des Jenseits nur mit einer be- stimmten Vorstellung desselben gegeben ist. So ist dem Christen nur die Existenz seines Paradieses, des Paradieses, welches die Qualität der Christlichkeit hat, nicht aber das Paradies der Muhamedaner oder das Elysium der Griechen eine Gewißheit . Die erste Gewißheit ist überall die Quali- tät; das Sein versteht sich von selbst, wenn einmal die Qua- lität gewiß ist. Im Neuen Testament kommen keine Beweise oder solche allgemeine Sätze vor, worin es heißt: es ist ein Gott oder es ist ein himmlisches Leben; sondern es werden nur Beschaffenheiten aus dem Leben des Himmels angeführt: „dort werden sie nicht freyen.“ Das ist natürlich, kann man entgegnen, weil schon das Sein vorausgesetzt ist. Allein man trägt hier schon eine Distinction der Reflexion in den ursprüng- lich nichts von dieser Distinction wissenden religiösen Sinn hinein. Freilich ist das Sein vorausgesetzt, aber nur weil die Qualität schon das Sein ist , weil das ungebrochne reli- giöse Gemüth nur in der Qualität lebt, gleichwie dem na- türlichen Menschen nur in der Qualität, die er empfindet, das wirkliche Sein, das Ding an sich liegt. So ist in jener neu- testamentlichen Stelle das jungfräuliche oder vielmehr ge- schlechtslose Leben als das wahre Leben vorausgesetzt, das jedoch nothwendig zu einem zukünftigen wird, weil dieses wirk- liche Leben dem Ideal des wahren Lebens widerspricht. Aber die Gewißheit dieses zukünftigen Lebens liegt nur in der Ge- wißheit von der Beschaffenheit dieser Zukunft als des wahren, höchsten, dem Ideal adäquaten Lebens. Wo das jenseitige Leben wirklich geglaubt wird, wo es ein gewisses Leben, da ist es; eben weil ein gewisses , auch bestimmtes . Wenn ich nicht weiß, was und wie ich einst bin, wenn ein wesentlicher, absoluter Unterschied zwischen meiner Zukunft und Gegenwart ist; so weiß ich auch einst nicht, was und wie ich ehedem war, so ist die Einheit des Bewußtseins aufgehoben, ein andres Wesen dort an meine Stelle getreten, mein künftiges Sein in der That nicht vom Nichtsein unterschieden. Ist dagegen kein wesentlicher Unter- schied, so ist auch das Jenseits ein von mir bestimmbarer und erkennbarer Gegenstand. Und so ist es auch wirklich: ich bin das bleibende Subject in dem Wechsel der Beschaffenheiten, ich bin die Substanz, die Dießseits und Jenseits zur Einheit verbindet. Wie sollte mir also das Jenseits unklar sein? Im Gegentheil: das Leben dieser Welt ist das dunkle, unbegreif- liche Leben, das erst durch das Jenseits klar und licht wird; hier bin ich ein vermummtes, verwickeltes Wesen; dort fällt die Maske; dort bin ich, wie ich in Wahrheit bin. Die Be- hauptung daher, es sei wohl ein anderes, ein himmlisches Le- ben, aber was und wie es sei, das bleibe hier unerforschlich, ist nur eine Erfindung des religiösen Skepticismus , der auf absolutem Mißverstand der Religion beruht, weil er sich gänzlich ihrem Wesen entfremdet hat. Das, was die irreli- giös-religiöse Reflexion nur zum bekannten Bilde einer unbe- kannten, aber dennoch gewissen Sache macht, das ist im Ur- sprung, im ursprünglichen wahren Sinn der Religion nicht Bild, sondern die Sache, das Wesen selbst. Der Unglaube, der zugleich noch Glaube ist, setzt die Sache in Zweifel, aber er ist zu gedankenlos und feig, um sie direct zu bezweifeln: er setzt sie nur so in Zweifel, daß er das Bild oder die Vorstel- lung bezweifelt, d. h. das Bild nur für ein Bild erklärt. Aber die Unwahrheit und Nichtigkeit dieses Skepticismus ist schon historisch constatirt. Wo man einmal zweifelt an der Reali- tät der Bilder der Unsterblichkeit, zweifelt, daß man so existi- ren könne, wie es der Glaube vorstellt, z. B. ohne materiellen, wirklichen Leib oder ohne Geschlechtsdifferenz, da zweifelt man auch bald an der jenseitigen Existenz überhaupt. Mit dem Bilde fällt die Sache — eben weil das Bild die Sache selbst ist. Der Glaube an den Himmel oder überhaupt ein jenseiti- ges Leben beruht auf einem Urtheil . Er spricht Lob und Tadel aus; er ist kritischer Natur; er macht eine Blumen- lese aus der Flora dieser Welt. Und dieses kritische Florile- gium ist eben der Himmel. Was der Mensch schön, gut, an- genehm findet, das ist für ihn das Sein, welches allein sein soll ; was er schlecht, garstig, unangenehm findet, das ist für ihn das Sein, welches nicht sein soll und daher, wenn und weil es dennoch ist, ein zum Untergang verdammtes, ein nich- tiges ist. Wo das Leben nicht im Widerspruch gefunden wird mit einem Gefühl, einer Vorstellung, einer Idee und dieses Gefühl, diese Idee nicht für absolut wahr und berechtigt gilt, da entsteht nicht der Glaube an ein andres, himmlisches Le- ben. Das andere Leben ist nichts andres als das Leben im Einklang mit dem Gefühl, mit der Idee , welcher die- ses Leben widerspricht . Das Jenseits hat keine andere Bedeutung, als diesen Zwiespalt aufzuheben, einen Zustand zu realisiren, der dem Gefühl entspricht, in dem der Mensch mit sich im Einklang ist. Ein unbekanntes Jenseits ist eine lächerliche Chimäre: das Jenseits ist nichts weiter als die Realität einer bekannten Idee , die Befriedigung eines bewußten Verlangens, die Erfüllung eines Wunsches Ibi nostra spes erit res. Augustin (irgendwo). : es ist nur die Beseitigung der Schranken , die hier der Rea- lität der Idee im Wege stehen. Wo wäre der Trost, wo die Bedeutung des Jenseits, wenn ich in ihm in stockfinstere Nacht blicke? Nein! dort strahlt mir mit dem Glanze des gediegenen Metalls entgegen, was hier nur mit den trüben Farben des oxydirten Erzes glänzt. Das Jenseits hat keine andere Be- deutung, keinen andern Grund seines Daseins, als den, zu sein die Scheidung des Metalls von seinen beigemengten frem- den Bestandtheilen, die Scheidung des Guten vom Schlech- ten, des Angenehmen vom Unangenehmen, des Lobenswürdi- gem vom Tadelnswerthen. Das Jenseits ist die Hochzeit , wo der Mensch den Bund mit seiner Geliebten schließt. Längst kannte er seine Braut, längst sehnte er sich nach ihr; aber äußere Verhältnisse, die gefühllose Wirklichkeit stand seiner Verbindung mit ihr entgegen. Auf der Hochzeit wird seine Geliebte nicht ein anderes Wesen; wie könnte er sonst so heiß nach ihr sich sehnen? Sie wird nur die Seinige, sie wird jetzt nur aus einem Gegenstand der Sehnsucht ein Gegenstand des wirklichen Besitzes. Das Jenseits ist hienieden allerdings nur ein Bild, aber nicht ein Bild eines fernen, unbekannten Dings, sondern ein Porträt von dem Wesen, welches der Mensch vor allen andern bevorzugt, liebt. Was der Mensch liebt, das ist seine Seele. Die Asche geliebter Todten schloß der Heide in Urnen ein; bei den Christen ist das himmlische Jenseits das Mausoleum, in das er seine Seele verschließt. Zur Erkenntniß eines Glaubens, überhaupt der Religion, ist es nothwendig, selbst die untersten, rohsten Stufen der Re- ligion zu beachten. Man muß die Religion nicht nur in einer aufsteigenden Linie betrachten, sondern in der ganzen Breite ihrer Existenz überschauen. Man muß die verschie- denen Religionen auch bei der absoluten Religion gegenwär- tig haben, nicht hinter ihr, in der Vergangenheit zurücklassen, um eben sowohl die absolute als die andern Religionen rich- tig würdigen und begreifen zu können. Die schrecklichsten Ver- irrungen, die wildesten Ausschweifungen des religiösen Be- wußtseins lassen oft die tiefsten Blicke auch in die Geheimnisse der absoluten Religion werfen. Die scheinbar rohsten Vor- stellungen sind oft nur die kindlichsten, unschuldigsten, wahr- sten Vorstellungen. Dieß gilt auch von den Vorstellungen des Jenseits. Der „Wilde,“ dessen Bewußtsein nicht über die Gränzen seines Landes hinaus geht, der ganz mit ihm zusam- mengewachsen ist, nimmt auch sein Land in das Jenseits auf und zwar so, daß er entweder die Natur läßt wie sie ist, oder sie ausbessert, und so die Beschwerden seines Lebens in der Vorstellung des Jenseits überwindet Aeltern Reisebeschreibungen zufolge denken sich jedoch manche Völker das künftige Leben nicht identisch mit dem gegenwärtigen oder besser, sondern sogar noch elender. — Parny ( Oeuv. chois. T. I. Me- lang .) erzählt von einem sterbenden Negersclaven, der sich die Ein- weihung zur Unsterblichkeit durch die Taufe mit den Worten verbat: je ne veux point d’une autre vie, car peut-être y serais-je en- core votre esclave . . Es liegt in dieser Beschränktheit der uncultivirten Völker ein ergreifender Zug. Das Jenseits drückt hier nichts andres aus als das Heim- weh. Der Tod trennt den Menschen von den Seinigen, von seinem Volke, seinem Lande. Aber der Mensch, der sein Be- wußtsein nicht erweitert hat, kann es in dieser Trennung nicht aushalten; er muß wieder zurück in sein Heimathland. Die Neger in Westindien entleibten sich, um in ihrem Vaterlande wieder aufzuleben. Auch „nach Oisians Vorstellung schweben die Geister Derer, die in einem fremden Lande sterben, nach ihrer Heimath zurück Ahlwardt (Ossian Anm. zu Carthonn.). .“ Es ist diese Beschränktheit das directe Gegentheil von dem phantastischen Spiritualismus, welcher den Menschen zu einem Vagabunden macht, der, gleich- gültig selbst gegen die Erde, von einem Stern zum andern läuft. Und es liegt ihr allerdings eine reelle Wahrheit zu Grunde. Der Mensch ist, was er ist, durch die Natur, so viel auch seiner Selbstthätigkeit angehört; aber auch seine Selbst- thätigkeit hat in der Natur, respective seiner Natur, ihren Grund. Seid dankbar gegen die Natur! Der Mensch läßt sich nicht von ihr abtrennen. Der Germane, dessen Gottheit die Spontaneität ist, verdankt seinen Charakter eben so gut seiner Natur, als der Orientale. Der Tadel der indischen Kunst, der indischen Religion und Philosophie ist ein Tadel der indischen Natur. Ihr beklagt euch über den Recensenten, der eine Stelle in euren Werken aus dem Zusammenhang reißt, um sie dadurch dem Spotte Preis zu geben. Warum thut ihr selbst, was ihr an Andern tadelt? Warum reißt ihr die indische Religion aus dem Zusammenhang, in welchem sie eben so vernünftig ist als eure absolute Religion? Der Glaube an ein Jenseits, an ein Leben nach dem Tode ist daher bei den „wilden“ Völkern im Wesentlichen nichts weiter als der directe Glaube an das Dießseits , der unmittelbare, ungebrochne Glaube an dieses Leben. Die- ses Leben hat für sie, selbst mit seinen Localbeschränktheiten, allen, absoluten Werth; sie können nicht davon abstrahiren , sich keine Abbrechung denken; d. h. sie glauben geradezu an die Unendlichkeit , die Unaufhörlichkeit dieses Le- bens . Erst dadurch, daß der Glaube der Unsterblichkeit ein kritischer Glaube wird, daß man nämlich unterscheidet zwischen dem, was hier zurück und dort übrig bleibt, hier vergehen, dort bestehen soll, erst dadurch gestaltet sich der Glaube an das Leben nach dem Tode zum Glauben an ein anderes Leben. Aber gleichwohl fällt auch diese Kritik, diese Unterscheidung schon in dieses Leben. So unterschieden die Christen zwischen dem natürlichen und christlichen , dem sinnlichen, weltlichen und geistlichen, heiligen Leben. Das himmlische, das andere Leben ist kein andres Leben, als das hier schon von dem nur natürlichen Leben unterschiedne, aber hier zugleich noch mit demselben behaftete geistliche Leben. Was der Christ schon hier von sich ausschließt, wie das Geschlechtsleben, das ist auch vom andern Leben ausgeschlossen. Der Unterschied ist nur, daß er dort davon frei ist , wovon er hier frei zu sein wünscht und sich durch den Willen, die Andacht, die Ca- steiung frei zu machen sucht. Darum ist dieses Leben für den Christen ein Leben der Qual und Pein, weil er hier noch mit seinem Gegensatz behaftet ist, mit den Lüsten des Fleisches, den Anfechtungen des Teufels zu kämpfen hat. Der Glaube der cultivirten Völker unterscheidet sich also nur dadurch von dem Glauben der uncultivirten, wodurch sich überhaupt die Cultur von der Uncultur unterscheidet — da- durch, daß der Glaube der Cultur ein unterscheidender, aussondernder, abstracter Glaube ist. Wo unterschieden wird, da wird geurtheilt; wo aber geurtheilt, da entsteht die Scheidung zwischen Positivem und Negativem. Der Glaube der wilden Völker ist ein Glaube ohne Urtheil. Die Bildung dagegen urtheilt: dem gebildeten Menschen ist nur das gebil- dete Leben das wahre, dem Christen das christliche. Der rohe Naturmensch tritt ohne Anstand, so wie er steht und geht, ins Jenseits ein: das Jenseits ist seine natürliche Blöße. Der Gebildete dagegen nimmt an einem solchen ungezügelten Le- ben nach dem Tode Anstand, weil er schon hier das ungezü- gelte Naturleben beanstandet. Der Glaube an das jenseitige Leben ist daher nur der Glaube an das dießseitige wahre Leben: die wesentliche Inhaltsbestimmtheit des Dießseits ist auch die wesentliche Inhaltsbestimmtheit des Jenseits; der Glaube an das Jenseits demnach kein Glaube an ein an- deres unbekanntes Leben, sondern an die Wahrheit, Un- endlichkeit, folglich Unaufhörlichkeit des Lebens, das schon hier für das authentische Leben gilt. Feuerbach . 16 Wie Gott nichts andres ist als das Wesen des Men- schen, gereinigt von dem, was dem menschlichen Individuum, sei es nun im Gefühl oder Denken als Schranke, als Uebel erscheint: so ist das Jenseits nichts andres als das Dießseits, befreit von Dem, was als Schranke, als Uebel erscheint. So bestimmt und deutlich die Schranke als Schranke, das Uebel als Uebel von dem Individuum gewußt wird, eben so be- stimmt und deutlich wird von ihm das Jenseits, wo diese Schranken wegfallen, gewußt. Das Jenseits ist das Gefühl, die Vorstellung der Freiheit von den Schranken, die hier das Selbstgefühl, die Existenz des Individuums beeinträchtigen. Der Gang der Religion unterscheidet sich nur dadurch von dem Gang des natürlichen Menschen, daß sie den Weg, wel- chen dieser in gerader als der kürzesten Linie macht, in einer krummen und zwar der Kreislinie beschreibt. Der natürliche Mensch bleibt in seiner Heimath, weil es ihm hier wohlge- fällt, weil er vollkommen befriedigt ist; die Religion, die in einer Unzufriedenheit, einer Zwietracht anhebt, verläßt die Heimath, geht in die Ferne, aber nur um in der Entfernung das Glück der Heimath um so lebhafter zu empfinden. Der Mensch trennt sich in der Religion von sich selbst, aber nur, um immer wieder auf denselben Punkt zurückzukom- men, von dem er ausgelaufen . Der Mensch negirt sich, aber nur um sich wieder zu setzen, und zwar jetzt in verherr- lichter Gestalt; je mehr er sich in seinen Augen erniedrigt, desto höher steigt er in den Augen Gottes. Und er negirt sich, weil der positive Mensch, der Positivus der Menschheit Gott ist; er erniedrigt sich, weil Gott der erhöhte Mensch ist. Gott ist Mensch: darum muß der Mensch von sich selbst so niedrig als möglich denken. Er braucht nichts für sich zu sein, weil das, was er ist, schon sein Gott ist. Gott ist sein Ich; darum muß er sich verläugnen. So negirt der Mensch auch das Dießseits, aber nur um am Ende es als Jenseits wieder zu setzen Dort wird daher Alles wieder hergestellt. Qui modo vi- vit, erit , nec me vel dente, vel ungue Fraudatum revomet pa- tefacti fossa sepulchri. Aurelius Prud . (Apotheos. de resurr. carnis hum .) Und dieser in euren Augen rohe, fleischliche und deß- wegen von euch desavouirte Glaube ist der allein consequente, der allein redliche, der allein wahre Glaube. Zur Identität der Person gehört die Identität des Leibes. . Das verlorne aber wiedergefundne und in der Freude des Wiedersehens um so heller strahlende Dießseits ist das Jenseits. Der religiöse Mensch gibt die Freuden dieser Welt auf; aber nur um dafür die himmlischen Freuden zu ge- winnen, oder vielmehr er gibt sie deßwegen auf, weil er schon in dem wenigstens idealen Besitze der himmlischen Freuden ist. Die himmlischen Freuden sind allerdings andere Freuden, als die irdischen, aber es sind doch immerhin Freuden; die Gattung, die Substanz haben sie gemein mit den irdischen; sie sind nur anderer, höherer Art. Die Religion kommt so, aber auf einem Umweg zu dem Ziele, dem Ziele der Freude, worauf der natürliche Mensch in gerader Linie zueilt. Das Wesen im Bilde ist das Wesen der Religion . Die Re- ligion opfert die Sache dem Bilde auf. Das Jenseits ist das Dießseits im Spiegel der Phantasie — das bezaubernde Bild, im Sinne der Religion das Urbild des Dießseits: dieses wirk- liche Leben nur ein Schein, ein Schimmer jenes idealen bild- lichen Lebens. Das Jenseits ist das im Bilde angeschaute, von aller groben Materie gereinigte — das verschönerte Dieß- seits, oder positiv ausgedrückt: das schöne Dießseits κατ̕ ἐξοχην. 16* Die Verschönerung, die Verbesserung setzt einen Tadel, ein Mißfallen voraus. Aber das Mißfallen ist nur ein ober- flächliches. Ich spreche der Sache nicht Werth ab; nur so, wie sie ist, gefällt sie mir nicht; ich negire nur die Beschaffen- heiten, nicht die Substanz, sonst würde ich auf Vertilgung dringen. Ein Haus, das mir absolut mißfällt, lasse ich ab- tragen, aber nicht verschönern. Der Glaube an das Jenseits gibt die Welt auf, aber nicht ihr Wesen ; nur so, wie sie ist, gefällt sie nicht. Die Freude gefällt dem Jenseitsgläubiger — wer sollte die Freude nicht als einen Positiv empfinden? — aber es mißfällt ihm, daß hier auf die Freude entgegengesetzte Empfindungen folgen, daß sie vergänglich ist. Er setzt daher die Freude auch ins Jenseits, aber als ewige, ununterbrochne göttliche Freude — das Jenseits heißt darum das Freuden- reich — wie er hier schon die Freude in Gott setzt; denn Gott ist nichts als die ewige, ununterbrochene Freude als Subject . Die Individualität gefällt ihm, aber nur nicht die mit objectiven Trieben belastete; er nimmt daher die Indivi- dualität auch mit, aber die reine, die absolut subjective. Das Licht gefällt; aber nicht die Schwere, weil sie als eine Schranke dem Individuum erscheint, nicht die Nacht, weil in ihr der Mensch der Natur gehorcht; dort ist Licht, aber keine Schwere, keine Nacht — reines, ungestörtes Licht. Wie der Mensch in der Entfernung von sich, in Gott immer wieder nur auf sich selbst zurückkommt, immer nur sich um sich selbst dreht ; so kommt der Mensch auch in der Entfernung vom Dießseits immer wieder zuletzt nur auf das- selbe zurück. Je außer- und übermenschlicher Gott im Anfang erscheint, desto menschlicher zeigt er sich im Verlaufe oder Schlusse. Ebenso: je übernatürlicher im Anfang oder in der Ferne beschaut das himmlische Leben aussieht, desto mehr stellt sich am Ende oder in der Nähe betrachtet die Identität des himmlischen mit dem natürlichen Leben heraus — eine Iden- tität, die sich zuletzt bis auf das Fleisch, bis auf den Leib er- streckt. Zunächst handelt es sich um die Scheidung der Seele vom Leibe, wie in der Anschauung Gottes um die Scheidung des Wesens von dem Individuum — das Individuum stirbt einen geistigen Tod, der todte Leib, der zurückbleibt, ist das menschliche Individuum, die Seele, die sich davon geschieden, Gott. Aber die Scheidung der Seele vom Leibe, des Wesens vom Individuum, Gottes vom Menschen ist nicht von Bestand. Jede Trennung thut wehe. Die Seele sehnt sich wieder nach ihrem verlornen Theile, nach ihrem Leibe, wie Gott, die abge- schiedene Seele, sich wieder nach dem wirklichen Menschen sehnt. Wie Gott daher wieder Mensch wird, so kehrt die Seele wieder in ihren Leib zurück — und die vollkommene Iden- tität des Dieß- und Jenseits ist jetzt wieder hergestellt. Zwar ist dieser neue Leib ein lichtvoller, verklärter, wunderbarer Leib, aber — und das ist die Hauptsache — es ist ein ande- rer und doch derselbe Leib Ipsum (corpus) erit et non ipsum erit. Augustinus . (v. J. Ch. Doederlein. Inst. Theol. Christ. Altorf. 1781. §. 280 .) , wie Gott ein anderes und doch dasselbe Wesen als das menschliche ist. Wir kommen hier wieder auf den Begriff des Wunders, welches Wider- sprechendes vereinigt. Der übernatürliche Körper ist ein Kör- per der Phantasie, aber eben deßwegen ein dem Gemüthe des Menschen adäquater, weil ihn nicht belästigender — ein rein subjectiver Körper Caro et sanguis regnum Dei non possidebunt. Non quod car- nis illic substantia futura non sit, sed quod carnalis omnis . Der Glaube an das Jenseits ist nichts anderes als der Glaube an die Wahrheit der Phantasie, wie der Glaube an Gott der Glaube an die Wahrheit und Unend- lichkeit des menschlichen Gemüthes. Oder: wie der Glaube an Gott nur der Glaube an das abstracte Wesen des Men- schen ist, so der Glaube an das Jenseits nur der Glaube an das abstracte Dießseits. Aber der Inhalt des Jenseits ist die Seligkeit, die ewige Seligkeit der Individualität oder Subjectivität, die hier durch die Natur beschränkt und beeinträchtigt existirt. Der Glaube an das Jenseits ist daher der Glaube an die Freiheit der Subjectivität von den Schranken der Natur — also der Glaube an die Ewigkeit, Unendlichkeit, Absolutheit der Subjectivität, und zwar nicht in ihrem Gattungsbegriffe, der sich in immer neuen Individuen entfaltet, sondern dieser bereits existirenden Individuen — folglich der Glaube des Men- schen an sich selbst . Aber der Glaube an das Himmelreich ist eins mit dem Glauben an Gott — es ist derselbe Inhalt in beiden — Gott ist die reine, absolute, von allen Natur- schranken erledigte Subjectivität: er ist schlechtweg, was die menschlichen Individuen nur sein sollen , sein werden — der Glaube an Gott ist daher der Glaube des Menschen an necessitudo sit defutura. Divus Bernhardus. Tract. de dili- gendo Deo . Resurgent ergo sanctorum corpora sine ullo vitio, sine ulla deformitate , sicut sine ulla corruptione, onere, difficultate .... una erit aetas omnium resurgentium, sc. juvenilis. Petrus L. I. IV. dist. 44. c. 2 . Der himmlische Leib ist daher insofern, nämlich als ein Leib ohne alle Beschwerlichkeit und Begierlichkeit, d. h. alle Sinnlichkeit , nicht der wiederhergestellte gegenwärtige, sondern ehe- malige, ursprüngliche, adamitische Leib. Insofern ist die Auferstehung: ἡ εἰς τὸ ἀϱχαῖον τῆς φύσεως ἡμῶν ἀποκατάστασις. S. Gregorius de anima et resurr . (Lips. 1837. p. 142.) sein eignes Wesen, an die Unendlichkeit seiner selbst — das göttliche Wesen das menschliche und zwar subjectiv menschliche Wesen in seiner absoluten Freiheit und Unbe- schränktheit. Unsere wesentlichste Aufgabe ist hiermit erfüllt. Wir haben das außerweltliche, übernatürliche und übermenschliche Wesen reducirt auf die Bestandtheile des menschlichen Wesens als seine Grundbestandtheile. Wir sind im Schlusse wieder auf den Anfang zurückgekommen. Der Mensch ist der Anfang der Religion, der Mensch ist der Mittelpunkt der Religion, der Mensch ist das Ende der Religion. Die Religion ist das von der Welt abgeschlossene Ver- halten des Menschen zu seinem Wesen — das innere, das in sich selbst verborgene Leben des Menschen. Die positive, wahre Bedeutung und Lehre der Religion ist: Mensch gehe in Dich! sei bei und in Dir selbst zu Hause ! sammle Dich: bete ! Beten heißt: sich sammeln, den zerstreuenden Dialog des Lebens in den ernsten Monolog der Selbstbesin- nung übersetzen. Hierin stimmt die Philosophie mit der Reli- gion überein; hierin und nur hierin allein liegt die sittliche Heilkraft und die theoretische Wahrheit der Religion. Zweiter Theil . Die Religion in ihrem Widerspruch mit dem Wesen des Menschen. Der wesentliche Standpunkt der Religion. Die Religion ist das Verhalten des Menschen zu seinem eignen Wesen — darin liegt ihre Wahrheit — aber zu seinem Wesen nicht als dem seinigen, sondern als einem andern, aparten, von ihm unterschiedenen, ja entgegengesetzten Wesen — darin liegt die Unwahrheit, darin die Schranke, darin das böse Wesen der Religion, darin die unheilschwangere Quelle des religiösen Fanatismus, darin das oberste, metaphysische Princip der blutigen Menschenopfer, kurz, darin die prima materia aller Gräuel, aller schaudererregenden Scenen in dem Trauerspiel der Religionsgeschichte. Und dieses Verhalten zu Gott als einem andern Wesen ist einerseits ein natürliches, unwillkührliches, unbewußtes, andererseits ein bewußtes, durch Reflexion vermitteltes. Das unbewußte Verhalten wurzelt im Ursprung der Religion selbst, beruht auf ihrem wesentlichen Standpunkt. Dieser Standpunkt ist der praktische . Der Zweck der Religion ist das Wohl, das Heil, die Seligkeit des Menschen; die Beziehung des Menschen auf Gott nichts anderes als die Beziehung desselben auf sein Heil: Gott ist das realisirte Seelenheil oder die un- beschränkte Macht, das Heil, die Seligkeit des Menschen zu verwirklichen Praeter salutem tuam nihil cogites ; solum quae Dei sunt cures. Thomas a K. (de imit. 1. I. c. 23.) Contra salutem propriam cogites nihil. Minus dixi: contra, praeter díxisse de- . Alle positiven religiösen Bestimmungen Got- tes drücken diese Beziehung auf das Heil aus. Das Höchste und Innigste der Religion faßt sich in dem Gedanken zusam- men: Gott ist die Liebe, die selbst um des Menschen willen Mensch wurde. Die christliche Religion namentlich unter- scheidet sich darin von andern Religionen, daß keine so nach- drücklich wie sie das Heil des Menschen hervorgehoben. Darum nennt sie sich auch nicht Wahrheits- oder Gotteslehre, sondern Heilslehre. Aber dieses Heil ist nicht weltliches, irdisches Glück und Wohl. Im Gegentheil die tiefsten, wahrsten Chri- sten haben gesagt, daß irdisches Glück den Menschen von Gott abzieht, dagegen weltliches Unglück, Leiden, Krankheiten den Menschen zu Gott zurückführen und daher sich allein für den Christen schicken. Warum? weil im Unglück der Mensch nur praktisch gesinnt ist, im Unglück er sich nur auf das Eine, was Noth, bezieht, im Unglück Gott als Bedürfniß des Menschen empfunden wird Wer übrigens nur aus dem Unglück die Realität der Religion beweist, beweist auch die Realität des Aberglaubens. . Die Lust, die Freude expandirt den Menschen, das Unglück, der Schmerz contrahirt und concen- trirt ihn — im Schmerze verneint der Mensch die Realität der Welt; alle Dinge, welche die Phantasie des Künstlers und die Vernunft des Denkers bezaubern, verlieren ihren Reiz, ihre Macht für ihn; er versinkt in sich selbst, in sein Gemüth. Dieses in sich versunkne, auf sich nur concentrirte, in sich nur sich beruhigende, die Welt verneinende, gegen die Welt, die Natur überhaupt idealistische, in Beziehung auf den Menschen realistische, nur auf sein nothwendiges inneres Heilbedürfniß bueram. Bernhardus (De consid. ad Eugenium pontif. max. 1. II.) Qui Deum quaerit , de propria salute sollicitus est. Clemens Alex . (Cohort. ad gent.) bezogene Wesen oder Gemüth ist — Gott . Gott als Gott, Gott, wie er Gegenstand der Religion und nur so, wie er dieser Gegenstand, ist er Gott, nämlich Gott im Sinne eines Nomen proprium, nicht eines allgemeinen, metaphysischen Wesens, Gott ist wesentlich nur ein Gegenstand der Reli- gion, nicht der Philosophie, des Gemüthes, nicht der Vernunft, der Praxis, nicht der bedürfnißlosen Theorie, der Herzensnoth, nicht der Gedankenfreiheit, kurz ein Gegenstand, ein Wesen, welches nicht das Wesen des theoretischen, sondern des prak- tischen Standpunkts ausdrückt. Die Religion knüpft an ihre Lehren Fluch und Segen, Verdammung und Seligkeit. Selig ist, wer glaubt, unselig, verloren, verdammt, wer nicht ihr glaubt. Sie appellirt also nicht an die Vernunft, sondern an das Gemüth, an den Glück- seligkeitstrieb, an die Affecte der Furcht und Hoffnung. Sie steht nicht auf dem theoretischen Standpunkt; sonst müßte sie die Freiheit haben, ihre Lehren auszusprechen, ohne an sie praktische Folgen anzuknüpfen, ohne gewissermaaßen zu ihrem Glauben zu nöthigen; denn wenn es heißt: ich bin verdammt, wenn ich nicht glaube, so ist das ein feiner Gewissenszwang zum Glauben; die Furcht vor der Hölle zwingt mich zu glau- ben. Selbst, wenn mein Glaube auch seinem Ursprung nach ein freier sein sollte — die Furcht mischt sich doch immer mit ein; mein Gemüth ist immerhin befangen; der Zweifel, das Princip der theoretischen Freiheit erscheint mir als Verbrechen. Der höchste Begriff, das höchste Wesen der Religion ist aber Gott: das höchste Verbrechen also der Zweifel an Gott oder gar der Zweifel, daß Gott ist. Was ich mir aber gar nicht zu bezweifeln getraue, nicht bezweifeln kann, ohne mich in meinem Gemüthe beunruhigt zu fühlen, ohne mich einer Schuld zu zeihen, das ist auch keine Sache der Theorie, sondern eine Gewissenssache, kein Wesen der Vernunft, sondern des Ge- müths. Da nun aber der praktische Standpunkt allein der Stand- punkt der Religion ist, da ihr folglich auch nur der praktische, vorsätzliche, nur nach seinen bewußten, sei es nun physischen oder moralischen Zwecken handelnde und die Welt nur in Be- ziehung auf diese Zwecke und Bedürfnisse, nicht an sich selbst betrachtende Mensch für den ganzen, wesentlichen Menschen gilt; so fällt ihr Alles, was hinter dem praktischen Bewußt- sein liegt, aber der wesentliche Gegenstand der Theorie ist — Theorie im ursprünglichsten und allgemeinsten Sinne, im Sinne der theoretischen Anschauung und Erfahrung, der Vernunft, der Wissenschaft überhaupt — außer den Menschen und die Natur hinaus in ein besonderes persönliches Wesen. Alles Gute, doch hauptsächlich nur solches, welches unwill- kührlich den Menschen ergreift, welches sich nicht zusammen- reimt mit Vorsatz und Absicht, welches über die Gränzen des praktischen Bewußtseins hinausgeht, kommt von Gott ; alles Schlimme, Böse, Ueble, doch hauptsächlich nur solches, welches ihn unwillkührlich mitten in seinen besten moralischen Vorsätzen überfällt oder mit furchtbarer Gewalt fortreißt, kommt vom Teufel . Zur Erkenntniß des Wesens der Religion gehört die Erkenntniß des Teufels, des Satans, der Dämone Ueber die biblischen Vorstellungen vom Satan, seiner Macht und Wirkung s. Lützelberger ’s Grundzüge der Paulinischen Glaubenslehre und G. Ch. Knapp ’s Vorles. über d. christl. Glaubensl. §. 62—65. Hieher gehören auch die dämonischen Krankheiten, die Teufelsbesitzungen. Auch diese Krankheiten sind in der Bibel, der göttlichen Offenbarung, begründet. S. Knapp (§. 65. III. 2. 3.). . Man kann diese Dinge nicht weglassen, ohne die Religion gewaltsam zu verstümmeln. Die Gnade und ihre Wirkungen sind der Gegensatz der Teufelswirkungen. Wie die unwillkührlichen, aus der Tiefe der Natur auflodernden sinnlichen Triebe über- haupt alle ihr unerklärlichen Erscheinungen des moralischen und physischen Uebels der Religion als Wirkungen des bösen Wesens erscheinen, so erscheinen ihr auch nothwendig die un- willkührlichen Bewegungen der Begeisterung und Entzückung als Wirkungen des guten Wesens, Gottes, des heiligen Geistes oder der Gnade. Daher die Willkühr der Gnade — die Klage der Frommen, daß die Gnade sie bald beseligt, heimsucht, bald wieder verläßt, verstößt. Das Leben, das Wesen der Gnade ist das Leben, das Wesen des unwillkührlichen Gemüths. Das Gemüth ist der Paraklet der Christen. Die gemüth- und be- geisterungslosen Momente sind die von der göttlichen Gnade verlassenen Lebensmomente. In Beziehung auf das innere Leben kann man übrigens auch die Gnade definiren als das religiöse Genie ; in Be- ziehung auf das äußere Leben aber als den religiösen Zu- fall . Der Mensch ist gut oder böse keineswegs nur durch sich selbst, durch eigene Kraft, durch seinen Willen, sondern zugleich durch jenen Complex geheimer und offenbarer Determinationen, die wir, weil sie auf keiner innern Nothwendigkeit beruhen, der Macht „Seiner Majestät des Zufalls,“ wie Friedrich der Große zu sagen pflegte, zuschreiben Schelling erklärt in seiner Schrift über die Freiheit dieses Räthsel durch eine in der Ewigkeit, d. h. vor diesem Leben vollbrachte Selbstbe- stimmung. Welche phantastische, illusorische Supposition! Aber gerade solche puerile, bodenlose Phantastik ist das innerste Geheimniß unserer modernen religiösen Speculanten, das Geheimniß der „christlich-germa- nischen“ Tiefe. Je schiefer, je tiefer. . Die göttliche Gnade ist die mystificirte Macht des Zufalls. Hier haben wir wieder die Bestätigung von dem, was wir als das wesentliche Gesetz der Religion erkannten. Die Religion negirt, verwirft den Zufall, Alles von Gott abhängig machend, Alles aus ihm erklärend; aber sie negirt ihn nur scheinbar ; sie versetzt ihn nur in die göttliche Willkühr . Denn der göttliche Wille, welcher aus unbegreiflichen Gründen , d. h. offen und ehrlich herausgesagt, aus grundloser absoluter Willkühr , gleichsam aus göttlicher Laune, die Einen zum Bösen, zum Un- glück, die Andern zum Guten, zur Seligkeit bestimmt, prädestinirt, hat kein einziges positives Merkmal für sich, welches ihn von der Macht „Seiner Majestät des Zufalls“ unterschiede. Das Geheimniß der Gnadenwahl ist also das Geheimniß, oder die Mystik des Zufalls . Ich sage die Mystik des Zufalls; denn in der That ist der Zufall ein Mysterium, obwohl überhudelt und ignorirt von unserer speculativen Religions-Philosophie, welche über den illusorischen Mysterien des absoluten We- sens, d. h. der Theologie die wahren Mysterien des Den- kens und Lebens, so auch über dem Mysterium der göttlichen Gnade oder Wahlfreiheit das profane Mysterium des Zufalls vergessen hat Man wird diese Enthüllung des Mysteriums der Gnadenwahl zweifelsohne verrucht, gottlos, teuflisch nennen. Ich habe nichts dage- gen: ich bin lieber ein Teufel im Bunde mit der Wahrheit, als ein Engel im Bunde mit der Lüge. . Doch wieder zurück zu unserem Gegenstande. Der Teufel ist das Negative, das Böse, das aus dem Wesen, nicht dem Willen kommt, Gott das Positive, das Gute, welches aus dem Wesen, nicht dem bewußten Willen kommt — der Teufel das unwillkührliche, unerklärliche Böse, Schlimme, Ueble, Gott das unwillkührliche, unerklärliche Gute. Beide haben dieselbe Quelle — nur die Qualität ist verschieden oder ent- gegengesetzt. Deßhalb hing auch fast bis auf die neueste Zeit der Glaube an den Teufel aufs innigste zusammen mit dem Glauben an Gott, so daß die Läugnung des Teufels eben so gut für Atheismus galt, als die Läugnung Gottes. Nicht ohne Grund; wenn man einmal anfängt, die Erscheinungen des Bösen, Ueblen aus natürlichen Ursachen abzuleiten, so fängt man auch gleichzeitig an, die Erscheinungen des Guten, des Göttlichen aus der Natur der Dinge, nicht aus einem übernatürlichen Wesen abzuleiten und kommt endlich dahin, entweder Gott ganz aufzuheben, oder wenigstens einen andern als den Gott der Religion zu glauben, oder, was das Ge- wöhnlichste ist, die Gottheit zu einem müßigen, thatlosen We- sen zu machen, dessen Sein gleich Nichtsein ist, indem es nicht mehr wirkend in das Leben eingreift, nur an die Spitze der Welt, an den Anfang als die erste Ursache, die prima causa hingestellt wird. Gott hat die Welt erschaffen — dieß ist das Einzige, was hier von Gott noch übrig bleibt. Das Per- fectum ist hier nothwendig; denn seitdem läuft die Welt wie eine Maschine ihren Gang fort. Der Zusatz: er schafft immer, er schafft noch heute, ist nur der Zusatz einer äußerlichen Re- flexion; das Perfectum drückt hier adäquat den religiösen Sinn aus; denn der Geist der Religion ist ein vergange- ner, wo die Wirkung Gottes zu einem Fecit oder Creavit gemacht wird. Anders; wenn das wirklich religiöse Be- wußtsein sagt: das Fecit ist heute noch ein Facit ; hier hat dieß, obwohl auch ein Product der Reflexion, doch einen gesetzmäßigen Sinn, weil hier Gott überhaupt handelnd ge- dacht wird. Die Religion wird überhaupt aufgehoben, wo sich zwischen Gott und den Menschen die Vorstellung der Welt, der soge- nannten Mittelursachen einschleicht. Hier hat sich schon ein fremdes Wesen, das Princip der Verstandesbildung einge- schlichen — gebrochen ist der Friede, die Harmonie der Reli- gion, welche nur im unmittelbaren Zusammenhang des Menschen mit Gott liegt. Die Mittelursache ist eine Capitu- lation des ungläubigen Verstandes mit dem noch gläubigen Herzen. Der Religion zufolge. wirkt allerdings auch Gott vermittelst anderer Dinge und Wesen auf den Menschen. Aber Gott ist doch allein die Ursache , allein das handelnde und wirksame Wesen. Was Dir der Andere thut, das thut Dir im Sinne der Religion nicht der Andere, sondern Gott. Der Andere ist nur Schein, Mittel, Vehikel, nicht Ursache. Aber die Mittel- ursache ist ein unseliges Mittelding zwischen einem selbststän- digen und unselbstständigen Wesen: Gott gibt wohl den ersten Impuls; aber dann tritt ihre Selbstthätigkeit ein Hieher gehört auch die geist- und wesenlose Lehre vom Concursus Dei, wo Gott nicht nur den ersten Impuls gibt, sondern auch in der Handlung der causa sccunda selbst mit wirkt. Uebrigens ist diese Lehre nur eine besondere Erscheinung von dem widerspruchsvollen Dualismus zwischen Gott und Natur, der sich durch die Geschichte des Christenthums hindurchzieht. . Die Religion weiß überhaupt aus sich selbst nichts von dem Dasein der Mittelursachen; dieses ist ihr vielmehr der Stein des Anstoßes; denn das Reich der Mittelursachen, die Sinnenwelt, die Natur ist es gerade, welche den Menschen von Gott trennt Dum sumus in hoc corpore, peregrinamur ab eo qui summe est. Bernard . Epist. 18. (in der Basler Ausgabe von 1552.) Der Begriff des Jenseits ist daher nichts als der Begriff der wahren, vollendeten, von den dießseitigen Schranken und Hemmungen befreiten Religion, das Jen- . Darum glaubt die Religion, daß Einst diese Scheidewand fällt. Einst ist keine Natur, keine Materie, kein Leib, wenigstens kein solcher, der den Menschen von Gott trennt: einst ist nur Gott und die fromme Seele allein . Die Religion hat nur aus der sinnlichen, natürlichen, also un- oder wenigstens nicht religiösen Anschauung Kunde vom Dasein der Mittelursachen , d. h. der Dinge, die zwischen Gott und dem Menschen sind. Und wenn daher die Religion eine mittelbare Wirkung Gottes annimmt, so kommt dieß nur daher, daß sich die empirische Anschauung geltend macht, welche die Religion aber dadurch sogleich niederschlägt, daß sie die Wirkungen der Natur zu Wirkungen Gottes macht. Gott allein ist ihr das wahrhaft Seiende, Wirkende, Thätige. Dieser religiösen Idee widerspricht aber der natürliche Verstand und Sinn, welcher den natürlichen Dingen wirkliche Selbst- thätigkeit einräumt. Und diesen Widerspruch der sinnlichen mit ihrer, der religiösen, Anschauung löst die Religion eben dadurch, daß sie die unläugbare Wirksamkeit der Dinge zu einer Wirksamkeit Gottes vermittelst dieser Dinge macht. Der positive Begriff ist hier der Begriff Gottes, der negative die Welt. Dagegen da, wo die Mittelursachen in Activität ge- setzt, so zu sagen, emancipirt werden, da ist der umgekehrte Fall — die Natur das Positive, Gott ein negativer Begriff. Die Welt ist selbstständig in ihrem Sein, ihrem Bestehen; nur seits, wie schon oben gesagt, nichts als die wahre Meinung und Gesinnung, das offene Herz der Religion. Hier glauben wir; dort schauen wir; d. h. dort ist nichts außer Gott, nichts also zwischen Gott und der Seele, aber nur deßwegen, weil nichts zwischen beiden sein soll , weil die unmittel- bare Einheit Gottes und der Seele die wahre Meinung und Gesinnung der Religion ist. ihrem Anfang nach noch abhängig. Gott ist hier nur ein hypothetisches, abgeleitetes, aus der Noth eines beschränkten Verstandes, dem das Dasein der von ihm zu einer Ma- schine gemachten Welt ohne ein selbstbewegendes Princip un- erklärlich ist, entsprungnes, kein ursprüngliches, absolut noth- wendiges Wesen mehr. Gott ist nicht um seinetwillen, son- dern um der Welt willen da, nur darum da, um als die prima causa die Meltmaschine zu erklären . Der beschränkte Verstandesmensch nimmt einen Anstoß an dem ursprünglich selbstständigen Dasein der Welt, weil er sie nur vom prakti- schen Standpunkt aus, nur in ihrer Gemeinheit, nur als Werkmaschine, nicht in ihrer Majestät und Herrlichkeit, nicht als Kosmos ansieht. Er stößt also seinen Kopf an der Welt an. Der Stoß erschüttert sein Gehirn — und in dieser Er- schütterung hypostasirt er denn außer sich den eignen Anstoß als den Urstoß, der die Welt ins Dasein geschleudert, daß sie nun, wie die durch den mathematischen Stoß in Bewegung gesetzte Materie, ewig fortgeht, d. h. er denkt sich einen mecha- nischen Ursprung. Eine Maschine muß einen Anfang haben; es liegt dieß in ihrem Begriffe; denn sie hat den Grund der Bewegung nicht in sich . Alle Kosmogonie ist Tautologie — dieß sehen wir auch an diesem Beispiel. In der Kosmogonie erklärt sich oder rea- lisirt nur der Mensch den Begriff, den er von der Welt hat; sagt er dasselbe , was er außerdem von ihr aussagt. So hier: ist die Welt eine Maschine, so versteht es sich von selbst, daß sie „sich nicht selbst gemacht“ hat, daß sie vielmehr gemacht ist, d. h. einen mechanischen Ursprung hat. Hierin stimmt allerdings das religiöse Bewußtsein mit dem mechanischen überein, daß ihm auch die Welt ein bloßes Feuerbach . 17 Machwerk, ein Product des Willens ist; denn die Religion betrachtet die Dinge nicht vom theoretischen, sondern praktischen Standpunkt. Aber sie stimmen nur einen Augenblick, nur im Moment des Machens oder Schaffens mit einander überein — ist dieses schöpferische Nu verschwunden, so ist auch die Harmonie vorüber. Der Mechanikus braucht Gott nur zum Machen der Welt; ist sie gemacht, so kehrt sie sogleich dem lie- ben Gott den Rücken, und freut sich von Herzen ihrer gottlo- sen Selbstständigkeit. Aber die Religion macht die Welt, nur um sie immer im Bewußtsein ihrer Nichtigkeit, ihrer Abhängigkeit von Gott zu erhalten. Die Schöpfung ist bei dem Mechaniker der letzte dünne Faden, an dem die Reli- gion mit ihm noch zusammenhängt; die Religion, welcher die Nichtigkeit der Welt eine gegenwärtige Wahrheit ist (denn alle Kraft und Thätigkeit ist ihr Gottes Kraft und Thätigkeit) ist bei ihm nur noch eine Reminiscenz aus der Jugend; er verlegt daher die Schöpfung der Welt, den Act der Reli- gion , das Nichtsein der Welt — denn im Anfange, vor der Erschaffung war keine Welt, war nur Gott allein — in die Ferne, in die Vergangenheit, während die Selbst- ständigkeit der Welt, die all sein Sinnen und Trachten absorbirt, mit der Macht der Gegenwart auf ihn wirkt. Der Mechaniker unterbricht und verkürzt die Thätigkeit Gottes durch die Thätigkeit der Welt. Gott hat bei ihm wohl noch ein historisches Recht, das aber seinem Natur- recht widerspricht, er beschränkt daher so viel als möglich die- ses Gott noch zustehende Recht, um für seine natürlichen Ur- sachen und damit für seinen Verstand um so größern und freiern Spielraum zu gewinnen. Es hat mit der Schöpfung im Sinne des Maschinisten dieselbe Bewandtniß, wie mit den Wundern , die er sich auch gefallen lassen kann und wirklich gefallen läßt, weil sie einmal existiren, wenigstens in der religiösen Meinung. Aber — ab- gesehen davon, daß er sich die Wunder natürlich , d. h. mechanisch erklärt — er kann die Wunder nur verdauen, wenn und indem er sie in die Vergangenheit verlegt. Für die Gegenwart aber bittet er sich Alles hübsch natürlich aus. Wenn man etwas aus der Vernunft, aus dem Sinne verloren, etwas nicht mehr glaubt aus freien Stücken, sondern nur glaubt, weil es geglaubt wird oder aus irgend einem Grunde geglaubt werden muß, kurz, wenn ein Glaube ein innerlich vergangner ist; so verlegt man auch äußerlich den Gegenstand des Glau- bens in die Vergangenheit. Dadurch macht sich der Unglaube Luft, aber läßt zugleich noch dem Glauben ein, wenigstens historisches , Recht. Die Vergangenheit ist hier das glück- liche Auskunftsmittel zwischen Glaube und Unglaube: ich glaube allerdings Wunder, aber Nota bene keine Wunder , die geschehen , sondern einst geschehen sind, die Gottlob! be- reits lauter Plusquamperfecta sind. So auch hier. Die Schöpfung ist eine unmittelbare Handlung oder Wirkung Gottes, ein Wunder, denn es war ja noch nichts außer Gott. In der Vorstellung der Schöpfung geht der Mensch über die Welt hinaus, abstrahirt von ihr; er stellt sie sich vor als nichtseiend im Momente der Erschaffung; er wischt sich also aus den Augen, was zwischen ihm und Gott in der Mitte steht, die Sinnenwelt; er setzt sich in unmittelbare Berührung mit Gott. Aber der Maschinist scheut diesen unmittelbaren Contact mit der Gottheit; er macht daher das Praesens, wenn er sich anders so hoch versteigt, sogleich zu einem Per- fectum ; er schiebt Jahrtausende zwischen seine natürliche oder 17* materialistische Anschauung und zwischen den Gedanken einer unmittelbaren Wirkung Gottes ein. Im Sinne der Religion dagegen ist Gott allein die Ursache aller positiven Wirkungen, Gott allein der letzte aber auch einzige Grund, womit sie alle Fragen, welche die Theorie aufwirft, beant- wortet oder vielmehr abweist; denn die Religion bejaht alle Fragen mit Nein : sie gibt eine Antwort, die eben so viel sagt wie keine, indem sie die verschiedensten Fragen immer mit der nämlichen Antwort erledigt, alle Wirkungen der Natur zu un- mittelbaren Wirkungen Gottes, zu Wirkungen eines absichtli- chen, persönlichen, außer- oder übernatürlichen Wesens macht. Gott ist der den Mangel der Theorie ersetzende Begriff . Er ist die Erklärung des Unerklärlichen, die nichts erklärt, weil sie Alles ohne Unterschied erklären soll — er ist die Nacht der Theorie, die aber dadurch Alles dem Gemüthe klar macht, daß in ihr das Maaß der Finsterniß, das unterscheidende Ver- standeslicht ausgeht; das Nichtwissen, das alle Zweifel löst , weil es alle niederschlägt , Alles weiß, weil es nichts Be- stimmtes weiß, weil alle Dinge, die dem Theoretiker imponi- ren, verschwinden, ihre Individualität verlieren, im Auge der gött- lichen Macht nichts sind. Die Nacht ist die Mutter der Religion. Der wesentliche Act der Religion, in dem sie bethätigt, was wir als ihr Wesen bezeichneten, ist das Gebet. Das Gebet ist allmächtig . Was der Fromme im Gebete ersehnt, erfüllt Gott. Er betet aber nicht um geistige Dinge nur Nur der Unglaube an das Gebet hat das Gebet schlauer Weise nur auf Geistiges eingeschränkt. , die liegen ja so in der Macht des Menschen; er betet auch um Dinge, die außer ihm liegen, in der Macht der Natur stehen, eine Macht, die er eben im Gebete überwinden will; er greift im Gebet zu einem übernatürlichen Mittel, um an sich natürliche Zwecke zu erreichen. Gott ist ihm nicht die causa remota, sondern die causa proxima, die unmittelbare, allernächste wir- kende Ursache aller natürlichen Wirkungen. Alle sogenannte Mittelkräfte und Mittelursachen sind ihm im Gebete Nichts. Wären sie ihm Etwas, so würde daran die Macht, die In- brunst des Gebetes scheitern. Sie sind ihm vielmehr gar nicht Gegenstand; sonst würde er ja nur auf vermitteltem Wege sei- nen Zweck zu erreichen suchen. Aber er will unmittelbare Hülfe. Er nimmt seine Zuflucht zum Gebete in der Gewiß- heit, daß er durchs Gebet mehr, unendlich mehr vermag als durch alle Anstrengung und Thätigkeit der Vernunft und Natur, daß das Gebet übermenschliche und übernatürliche Kräfte besitzt In der rohsinnlichen Vorstellung ist daher das Gebet ein Zwangs- oder Zaubermittel. Diese Vorstellung ist aber eine unchristliche, (obwohl sich auch bei vielen Christen die Behauptung findet, daß das Gebet Gott zwingt) denn im Christenthum ist Gott an und für sich das selbstbefriedigte Gemüth, die nichts dem (natürlich religiösen) Gemüthe abschlagende All- macht der Güte. Der Vorstellung des Zwangs liegt aber ein gemüthloser Gott zu Grunde. . Aber im Gebet wendet er sich unmittelbar an Gott. Gott ist ihm also die unmittelbare Ursache, das erfüllte Gebet, die Macht, die das Gebet realisirt. Aber eine unmittelbare Wirkung Gottes ist ein Wunder — das Wun- der liegt daher wesentlich in der Anschauung der Religion. Die Religion erklärt Alles auf wunderbare Weise. Daß Wunder nicht immer geschehen, das versteht sich von selbst, wie, daß der Mensch nicht immer betet. Aber daß nicht immer Wunder geschehen, das liegt außer dem Wesen der Religion, nur in der empirischen, oder sinnlichen Anschauung. Wo aber die Religion beginnt, beginnt das Wunder. Jedes wahre Gebet ist ein Wunder , ein Act der wun- derthätigen Kraft . Das äußerliche Wunder selbst macht nur sichtbar die innerlichen Wunder, d. h. in ihm tritt nur in Zeit und Raum, darum als ein besonderes Factum ein, was an und für sich in der Grundanschauung der Religion liegt, näm- lich daß Gott überhaupt die übernatürliche, unmittelbare Ur- sache aller Dinge ist. Das factische Wunder ist nur ein af- fectvoller Ausdruck der Religion — ein Moment der Begei- sterung. Die Wunder ereignen sich nur in außerordentlichen Fällen, in solchen, wo das Gemüth exaltirt ist — daher gibt es auch Wunder des Zorns . Mit kaltem Blute wird kein Wunder verrichtet. Aber eben im Affect offenbart sich das Innerste. Der Mensch betet auch nicht immer mit glei- cher Wärme und Kraft. Solche Gebete sind deßwegen erfolg- los. Aber nur das affectvolle Gebet offenbart das Wesen des Gebetes. Gebetet wird, wo das Gebet an und für sich für eine heilige Macht, eine göttliche Kraft gilt. So ist es auch mit dem Wunder. Wunder geschehen — gleichviel, ob wenige oder viele — wo eine wunderbare Anschauung die Grund- lage ist. Das Wunder ist aber keine theoretische Anschauung von der Welt und Natur; das Wunder realisirt praktische Bedürfnisse und zwar im Widerspruch mit den Gesetzen, die dem Theoretiker imponiren ; im Wunder unterwirft der Mensch die Natur als eine für sich selbst nichtige Exi- stenz der Realität seiner Zwecke ; das Wunder ist der Su- perlativus des geistlichen oder religiösen Utilismus; alle Dinge stehen im Wunder dem nothleidenden Menschen zu Diensten. Also erhellt hieraus, daß die wesentliche Weltan- schauung der Religion die Anschauung vom praktischen Stand- punkt aus ist, daß Gott — denn das Wesen der Wunder- macht ist eins mit dem Wesen Gottes — ein rein praktisches Object ist, aber ein solches, welches den Mangel und das Bedürfniß der theoretischen Anschauung ersetzt, kein Object des Denkens, des Erkennens, so wenig als das Wunder, welches nur dem Nicht-Denken seinen Ursprung verdankt. Stelle ich mich auf den Standpunkt des Denkens, des Forschens, der Theorie, wo ich die Dinge in sich reflectire, in ihrer Bezie- hung auf sich betrachte, so verschwindet mir in nichts das wunderthätige Wesen, in nichts das Wunder — versteht sich, das religiöse Wunder, welches absolut verschieden ist vom natürlichen Wunder, ob man gleich beide immer mit einander verwechselt, um die Vernunft zu bethören, unter dem Scheine der Natürlichkeit das religiöse Wunder in das Reich der Vernünftigkeit und Wirklichkeit einzuführen. Die Religion betrachtet also die Dinge nur von dem prakti- schen Standpunkt aus. Selbst der Mensch ist ihr nur als prakti- sches, moralisches Subject, darum nicht in seiner Gattung, nicht, wie er im Wesen ist, sondern nur in seiner beschränkten, bedürftigen Individualität Gegenstand. Aber eben deßwegen, weil sie abstrahirt von dem Standpunkt, von dem Wesen der Theorie, so bestimmt sich das ihr verborgene, nur dem theore- tischen Auge gegenständliche, wahre, allgemeine Wesen der Natur und Menschheit zu einem andern, wunderbaren, übernatürlichen Wesen — der Begriff der Gattung zum Begriffe Gottes , der selbst wieder ein individuelles Wesen ist, aber sich dadurch von den menschlichen Individuen unterscheidet, daß er die Eigenschaften derselben im Maaße der Gattung besitzt. Nothwendig setzt daher in der Religion der Mensch sein Wesen außer sich , sein Wesen als ein andres Wesen — nothwendig, weil das Wesen der Theorie außer ihm liegt, weil all sein bewußtes Wesen aufgeht in die praktische Subjectivität. Gott ist sein Alter Ego, seine andere verlorne Hälfte; in Gott ergänzt er sich ; in Gott ist er erst vollkommner Mensch. Gott ist ihm ein Bedürfniß ; es fehlt ihm Etwas, ohne zu wissen, was ihm fehlt — Gott ist dieses fehlende Etwas , Gott ihm unentbehrlich; Gott gehört zu seinem Wesen . Die Welt ist der Religion Nichts Man könnte dagegen die bekannte Stelle im ersten Capitel des Rö- merbriefes anführen. Aber auf die Einwürfe der theologischen Bibelstellen- gelehrsamkeit ist es nicht der Mühe werth zu antworten. — die Welt, die nichts andres ist als der Inbegriff der Wirklichkeit, in ihrer Herrlichkeit offenbart nur die Theorie ; die theoretischen Freuden sind die schönsten intel- lectuellen Lebensfreuden, aber die Religion weiß nichts von den Freuden des Denkers, nichts von den Freuden des Natur- forschers. Ihr fehlt die Anschauung des Universums , das Bewußtsein des wirklichen Unendlichen, das Bewußtsein der Gattung. Nur in Gott ergänzt sie den Mangel des Lebens, den Mangel eines wesenhaften Inhalts, den in unendlicher Fülle das wirkliche Leben den offnen Augen des schaulustigen Theoretikers darbietet. Gott ist ihr der Ersatz der verlornen Welt — Gott ist ihr die reine Anschauung, das Leben der Theorie . Die praktische Anschauung ist eine schmutzige , vom Egoismus befleckte Anschauung. Ich verhalte mich hier zu einem Dinge nur um meinetwillen. Um sein selbst willen schaue ich es nicht an; es ist mir vielmehr im Grunde ein ver- ächtliches Ding, wie ein Weib, das nur um des sinnlichen Genusses willen Gegenstand ist. Die praktische Anschauung ist eine nicht in sich befriedigte Anschauung, denn ich ver- halte mich hier zu einem mir nicht ebenbürtigen Gegenstand. Die theoretische Anschauung dagegen ist eine freudenvolle, in sich befriedigte, selige Anschauung, denn ihr ist der Gegenstand ein Gegenstand der Liebe und Bewunderung , er strahlt im Lichte der freien Intelligenz wunderherrlich, wie ein Diamant, durchsichtig, wie ein Bergkrystall; die Anschauung der Theorie ist eine ästhetische Anschauung; die praktische dagegen eine unästhetische . Die Religion ergänzt daher in Gott den Mangel der ästhetischen Anschauung . Nich- tig ist ihr die Welt für sich selbst, die Bewunderung, die An- schauung derselben Götzendienst ; denn die Welt ist ihr ein blo- ßes Gemächte Pulchras formas et varias, nitidos et amoenos colores amant oculi. Non teneant haec animam meam; teneat eam Deus qui haec fecit , bona quidem valde, sed ipse est bonum meum, non haec. Augustin . Confess. 1. X. c. 34. . Gott ist ihr daher die reine unbeschmutzte, d. i. theoretische oder ästhetische Anschauung. Gott ist das Object, zu dem sich der religiöse Mensch objectiv verhält; in Gott ist ihm der Gegenstand um sein selbst willen Gegenstand. Gott ist Selbstzweck; Gott hat also für die Religion in specie die Bedeutung, welche für die Theorie der Gegenstand über- haupt hat. Das allgemeine Wesen der Theorie ist der Religion ein besonderes Wesen. Allerdings bezieht sich in der Religion der Mensch in der Beziehung auf Gott wie- der auf seine Bedürfnisse sowohl im höhern als niedern Sinne: „gib uns unser tägliches Brot;“ aber Gott kann nur alle Bedürfnisse des Menschen befriedigen, weil er selbst für sich kein Bedürfniß hat — die bedürfnißlose Seligkeit ist. Der Widerspruch in dem Begriffe der Existenz Gottes. Die Anschauung des menschlichen Wesens als eines an- dern, für sich existirenden Wesens ist als identisch mit dem Begriffe der Religion ursprünglich eine unwillkührliche, kind- liche, unbefangne. Aber, wenn die Religion an Jahren und mit den Jahren an Verstande zunimmt, wenn innerhalb der Religion die Reflexion über die Religion erwacht, das Be- wußtsein von der Identität des göttlichen Wesens mit dem menschlichen zu dämmern beginnt; so wird die ursprünglich unwillkührliche und harmlose Scheidung Gottes vom Men- schen zu einer absichtlichen, ausstudirten Unterscheidung, welche keinen andern Zweck hat, als diese bereits in das Bewußtsein eingetretne Identität wieder aus dem Bewußtsein wegzu- räumen. Gott, das objective Wesen der Religion, ist das sich selbst gegenständliche Wesen des Menschen. Die Religion ist das kindliche Wesen der Menschheit. Das Kind sieht sein Wesen, den Menschen außer sich — als Kind ist der Mensch sich als ein andrer Mensch Gegenstand. Die Religion bejaht, heiligt, vergöttert, d. i. vergegenständlicht das menschliche Wesen. Dieß ist das allgemeine Wesen der Religion. Die bestimmte Reli- gion, den Unterschied der Religionen begründet nur, was vom menschlichen Wesen oder wie dieses Was erfaßt und verge- genständlicht wird, z. B. ob in unmittelbarer Einheit mit der Natur oder im Unterschiede von ihr. Je näher daher die Re- ligion ihrem Ursprunge nach steht, je wahrhafter, je aufrichtiger sie ist, desto weniger verheimlicht sie dieses ihr Wesen. Das heißt: im Ursprunge der Religion ist gar kein qualitativer oder wesentlicher Unterschied zwischen Gott und dem Men- schen. Und an dieser Identität nimmt der religiöse Mensch keinen Anstoß; denn sein Verstand ist noch in Harmonie mit seiner Religion. So war Jehovah im alten Judenthum nur ein der Existenz nach vom menschlichen Individuum unter- schiednes Wesen; aber qualitativ, seinem innern Wesen nach war er völlig gleich dem Menschen, hatte er dieselben Leiden- schaften, dieselben menschlichen, selbst körperlichen Eigenschaf- ten. Erst im spätern Judenthum trennte man aufs schärfste Jehovah vom Menschen und nahm seine Zuflucht zur Alle- gorie , um den Anthropopathismen einen andern Sinn un- terzustellen, als sie ursprünglich hatten. So war es auch im Christenthum. In den ältesten Urkunden desselben ist die Gott- heit Christi noch nicht so entschieden ausgeprägt, wie später. Bei Paulus namentlich ist Christus noch ein zwischen Him- mel und Erde, zwischen Gott und dem Menschen oder über- haupt den dem Höchsten untergeordneten Wesen schwebendes, unbestimmtes Wesen — der Erste der Engel, der Erstgeschaffne, aber doch geschaffen; meinetwegen auch gezeugt, aber dann sind auch die Engel, auch die Menschen nicht geschaffen, son- dern gezeugt; denn Gott ist auch ihr Vater. Christus ist da- her hier noch ein familiäreres Wesen — wenn gleich mehr nur ein phantastisches Wesen. Erst die Kirche identificirte ihn ausdrücklich mit Gott, machte ihn zu dem ausschließlichen Sohn Gottes, bestimmte seinen Unterschied von den Menschen und Engeln, und gab ihm so das Monopol eines ewigen, un- creatürlichen Wesens. Merkwürdig, aber wohl begründet ist es hiebei, daß je mehr im Grunde und Wesen der Religion Gott ein menschen- ähnliches, richtiger: nicht vom Menschen unterschiednes Wesen ist, um so mehr von der Reflexion über die Religion, von der Theologie der Unterschied Gottes vom Menschen hervorge- hoben, die Identität geläugnet wird Inter creatorem et creaturam non potest tanta similitu- do notari, quin inter eos major sit dissimilitudo notanda. La- ter. Concil. can. 2. (Summa omn. Conc. B. Carranza. Antv. 1559. p. 326.) — Der letzte Unterschied zwischen dem Menschen und Gott, dem endlichen und unendlichen Wesen überhaupt, zu welchem sich die religiös-speculative Imagination emporschwingt, ist der Unterschied zwischen Etwas und Nichts , Ens und Non-Ens; denn nur im Nichts ist alle Gemeinschaft aufgehoben. Jedes bestimmte Prädicat drückt eine Gemeinschaftlichkeit mit andern Wesen aus. . Da aber der Mensch nichts Höheres denken und fassen kann, als das Wesen des Menschen, so bleibt ihm, um Gott vom Menschen recht zu distinguiren, zu einem andern, entgegengesetzten, übermenschli- chen Wesen zu machen, nichts übrig, als gerade Das in Gott als eine gute, ja göttliche Eigenschaft zu setzen, was er im Menschen als eine schlechte Eigenschaft verwirft, so daß Gott aus einem menschlichen zu einem unmenschlichen Wesen, aus einem Vater der Liebe zu einem Tyrannen absoluter, selbst- süchtiger Willkühr, kurz, aus einem guten ein böses Wesen wird. Merkwürdige Belege dieser Behauptung liefert die Ge- schichte der Theologie. Die dem Begriffe nach erste Weise, wie die Reflexion über die Religion, die Theologie das göttliche Wesen zu einem andern Wesen macht, außer den Menschen hinaussetzt, ist die Existenz Gottes, welche zum Gegenstande eines förmlichen Beweises gemacht wird. Die Beweise vom Dasein Gottes hat man für dem We- sen der Religion widersprechend erklärt. Sie sind es; aber nur der Beweisform nach. Die Religion stellt unmittelbar das innere Wesen des Menschen als ein gegenständliches, andres Wesen dar. Und der Beweis will nichts weiter, als bewei- sen, daß die Religion Recht hat. Das vollkommenste Wesen ist das Wesen, über welches kein höheres gedacht werden kann — Gott ist das Höchste, was der Mensch denkt und den- ken kann. Diese Prämisse des ontologischen Beweises — des interessantesten Beweises, weil er von Innen ausgeht — spricht das innerste geheimste Wesen der Religion aus. Das, was das Höchste für den Menschen ist, wovon er nicht mehr abstrahiren kann, was die positive Gränze seiner Vernunft, seines Gemüths, seiner Gesinnung ist, das ist ihm Gott — id quo nihil majus cogitari potest. Aber dieses höchste Wesen wäre nicht das höchste, wenn es nicht existirte; wir könnten uns dann ein höheres Wesen vorstellen, welches die Existenz vor ihm voraus hätte; aber zu dieser Fiction gestat- tet uns schon von Vorn herein der Begriff des vollkommensten Wesens keinen Raum. Nicht sein, ist Mangel; Sein: Voll- kommenheit, Glück, Seligkeit. Einem Wesen, dem der Mensch Alles gibt, Alles opfert, was ihm hoch und theuer, kann er auch nicht das Gut, das Glück der Existenz vorenthalten. Das dem religiösen Sinn Widersprechende liegt nur darin, daß die Existenz abgesondert gedacht wird, und dadurch der Schein entsteht, als wäre Gott nur ein gedachtes, in der Vorstellung existirendes Wesen, ein Schein, der übrigens so- gleich aufgehoben wird; denn der Beweis beweist eben, daß Gott ein vom Gedachtsein unterschiednes Sein, ein Sein au- ßer dem Menschen, außer dem Denken, ein reales Sein, ein Sein für sich zukommt. Der Beweis unterscheidet sich nur dadurch von der Reli- gion, daß er das geheime Enthymema der Religion in einen förmlichen Schluß faßt, explicirt und deßwegen un- terscheidet, was die Religion unmittelbar verbindet; denn was der Religion das Höchste, Gott, das denkt sie nicht als einen Gedanken, in Abstracto, das ist ihr unmittelbar Wahrheit und Wirklichkeit. Daß aber die Religion selbst auch einen geheimen, unentfalteten Schluß macht, das gesteht sie in ihrer Polemik gegen andere Religionen ein. Ihr Heiden habt euch eben nichts Höheres als eure Götter vorstellen können, weil ihr in sündliche Neigungen versunken waret. Eure Götter be- ruhen auf einem Schlusse, dessen Prämissen eure sinnlichen Triebe, eure Leidenschaften sind. Ihr dachtet so: das treff- lichste Leben ist, unbeschränkt seinen Trieben zu leben, und weil auch dieses Leben das trefflichste, wahrste Leben war, so machtet ihr es zu euerm Gott. Euer Gott war euer sinnlicher Trieb; euer Himmel nur der freie Spielraum der im bürger- lichen, überhaupt wirklichen Leben beschränkten Leidenschaften. Aber in Beziehung auf sich natürlich ist sie sich keines Schlus- ses bewußt, denn der höchste Gedanke, dessen sie fähig, ist ihre Schranke, hat für sie die Kraft der Nothwendigkeit, ist ihr kein Gedanke, keine Vorstellung, sondern unmittelbare Wirklichkeit. Die Beweise vom Dasein Gottes haben zum Zweck, das Innere zu veräußern, vom Menschen auszuscheiden Zugleich aber auch den Zweck, das Wesen des Menschen zu bewahrheiten. Die verschiedenen Beweise sind nichts andres als ver- schiedene, höchst interessante Selbstbejahungsformen des menschlichen Wesens. So ist z. B. der physikotheologische Beweis die Selbstbeja- hung des zweckthätigen Verstandes. Jedes philosophische System ist in diesem Sinne ein Beweis vom Dasein Gottes. . Durch die Existenz wird Gott ein Ding an sich : Gott ist nicht nur ein Wesen für uns, ein Wesen in unserm Glauben, unserm Gemüthe, unserm Wesen, er ist auch ein Wesen für sich , ein Wesen außer uns . Wodurch die Wahrheit der Religion am meisten begrün- det werden soll, dadurch gerade wird ihr wahres Wesen, die wahre Bedeutung, das Leben des Menschen im Verhältniß zu seinem Wesen zu sein, ihr genommen. Indem sie des Menschen Wesen zu einem andern, dem Menschen entgegen- gesetzten Wesen macht, setzt sie sich mit dem Menschen, mit der Vernunft, mit der Ethik, mit sich selbst in Widerspruch. Alle ihre Lehren verkehren sich in ihr Gegentheil, alle ihre Begriffe werden sich selbst aufhebende Widersprüche. Ein solcher Be- griff ist vor Allem der Begriff der Existenz Gottes. Gott soll nicht blos Glaube, Gefühl, Gedanke, nicht blos Gemüth, Intelligenz sein; er soll nicht nur ein geglaubtes, gefühltes, gedachtes, sondern ein vom gefühlten, gedachten, d. i. innerli- chen Sein unterschiednes, reales Sein haben. Aber ein vom Gedachtsein unterschiednes Sein ist kein andres als sinnli- ches Sein. Der Begriff der Sinnlichkeit liegt übrigens schon in dem charakteristischen Ausdruck des Außerunsseins . Die sophi- stische Theologie wird freilich das Wort: außer uns nicht in eigentlichem Sinne nehmen und dafür den unbestimmten Ausdruck des von uns unabhängig und unterschieden Seins setzen. Allein wenn dieses Außerunssein nur uneigentlich ist, so ist auch die Existenz Gottes eine uneigentliche. Und doch handelt es sich ja eben nur um eine Existenz im eigentlichsten Verstande, und ist der bestimmte, reale, nicht ausweichende Ausdruck für Unterschiedensein allein Außerunssein. Reales, sinnliches Sein ist solches, welches nicht ab- hängt von meinem mich selbst Afficiren, von meiner Thätig- keit, sondern von welchem ich unwillkührlich afficirt werde, welches ist, wenn ich auch gar nicht bin, es gar nicht denke, fühle. Das Sein Gottes müßte also örtliches, überhaupt qua- litativ, sinnlich bestimmtes Sein sein. Aber Gott wird nicht gesehen, nicht gehört, nicht sinnlich empfunden. Er ist für mich gar nicht , wenn ich nicht für ihn bin. Wenn ich keinen Gott glaube, so ist kein Gott für mich. Wenn ich nicht göttlich gesinnt und gestimmt bin, wenn ich mich nicht erhebe über das sinnliche Leben, so ist er mir gar nicht Gegen- stand. Er ist also nur, indem er gefühlt, gedacht, geglaubt wird — der Zusatz: für mich ist unnöthig. Also ist sein Sein ein reales, das doch zugleich kein reales — ein geistiges Sein, hilft man sich. Aber geistiges Sein ist eben nur Gedachtsein, Gefühltsein, Geglaubtsein. Also ist sein Sein ein Mittelding zwischen sinnlichem Sein und Gedachtsein, ein Mittelding voll Widerspruch. Oder: es ist ein sinnliches Sein, dem aber alle Bestimmungen der Sinnlichkeit abgehen — also ein un- sinnliches sinnliches Sein, ein Sein, welches dem Be- griffe der Sinnlichkeit widerspricht oder nur eine vage Exi- stenz überhaupt , die im Grunde eine sinnliche ist, aber, um diesen Grund nicht zur Erscheinung kommen zu lassen, aller Prädicate einer realen sinnlichen Existenz beraubt wird. Aber eine solche Existenz überhaupt widerspricht sich . Zur Exi- stenz gehört volle, bestimmte Realität. Eine nothwendige Folge dieses Widerspruchs ist der Atheismus . Die Existenz Gottes hat das Wesen einer empirischen Existenz, ohne doch die Wahrzeichen derselben zu haben; sie ist an sich eine Erfahrungssache und doch in der Wirklichkeit kein Gegenstand der Erfahrung. Sie fordert den Menschen selbst auf, sie in der Wirklichkeit aufzusuchen; sie schwängert ihn mit sinnlichen Vorstellungen und Präten- sionen; werden diese daher nicht befriedigt, findet er vielmehr die Erfahrung im Widerspruch mit diesen Vorstellungen, so ist er vollkommen berechtigt, diese Existenz zu läugnen. Kant hat bekanntlich in seiner Kritik der Beweise vom Dasein Gottes behauptet, daß sich das Dasein Gottes nicht aus der Vernunft beweisen lasse. Kant verdiente deßwegen keinen solchen Tadel, als er von Hegel erfuhr. Der Begriff der Existenz Gottes in jenen Beweisen ist ein durchaus empi- rischer . Aber aus einem Begriffe a priori kann ich nicht die empirische Existenz ableiten. Nur in sofern verdient Kant Tadel, als er damit etwas Besonderes aussagen wollte. Es versteht sich dieß von selbst. Die Vernunft kann nicht ein Ob- ject von sich zum Object der Sinne machen. Ich kann nicht im Denken das, was ich denke, zugleich außer mir als ein sinnliches Ding darstellen. Der Beweis vom Dasein Gottes geht über die Gränzen der Vernunft; richtig; aber in demsel- ben Sinne, in welchem Sehen, Hören, Riechen über die Grän- zen der Vernunft geht. Thöricht ist es, der Vernunft darüber einen Vorwurf zu machen, daß sie nicht eine Forderung be- friedigt, die nur an die Sinne gestellt werden kann. Dasein, empirisches Dasein geben mir nur die Sinne. Und das Da- sein hat bei der Frage von der Existenz Gottes nicht die Be- deutung der innern Realität , der Wahrheit, sondern die Bedeutung einer förmlichen, äußerlichen Existenz. Darum hat auch volle Wahrheit die Behauptung, daß der Glaube, daß Gott sei oder nicht sei, keine Folgen für die inneren mora- lischen Gesinnungen habe. Wohl begeistert der Gedanke: es ist ein Gott; aber hier bedeutet das Ist die innere Realität; hier ist die Existenz ein Moment der Begeisterung, ein Act der Feuerbach . 18 Erhebung. Aber so wie die Existenz zu einer prosaischen, em- pirischen Wahrheit geworden, so ist auch die Begeisterung er- loschen. Die Existenz ist an und für sich eine indifferente Sache; darum keineswegs nothwendig, daß der Atheist, indem er läug- net, daß Gott ist, auch die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Güte, die Weisheit verwirft. Diese Prädicate haben eine in- nere Realität; sie dringen durch ihren Gehalt dem Menschen ihre Anerkennung auf, erweisen sich ihm unmittelbar durch sich selbst als wahr; sie bezeugen sich selbst die Güte, die Gerech- tigkeit. Die Weisheit ist dadurch keine Chimäre, daß die Exi- stenz Gottes eine Chimäre ist, noch dadurch eine Wahrheit, daß diese eine Wahrheit ist. Der Begriff Gottes ist abhän- gig von dem Begriffe der Gerechtigkeit, Güte u. s. w.; ein Gott, der nicht gerecht, nicht gütig, ist kein Gott, aber nicht umgekehrt. Die Gerechtigkeit, überhaupt jede Bestimmung, welche die Göttlichkeit Gottes ausmacht, wird durch sich selbst erkannt und bestimmt, Gott aber durch die Gerechtigkeit; nur in dem Falle, daß ich Gott und Gerechtigkeit schon identificirt habe, Gott unmittelbar als die Realität der Idee der Ge- rechtigkeit denke, bestimme ich Gott durch sich selbst. Die Religion wird daher, inwiefern sie sich auf die Exi- stenz Gottes als eine empirische Wahrheit gründet, zu einer für die innere Gesinnung gleichgültigen Angelegenheit. Ja wie nothwendig in dem Cultus der Religion die Ceremonie, der Gebrauch, das Sacrament für sich selbst , ohne den Geist, die Gesinnung zur Sache selbst wird: so wird endlich auch der Glaube nur an die Existenz Gottes, abgesehen von der innern Qualität, von dem geistigen Inhalt, zur Hauptsache der Religion. Wenn Du nur glaubst an Gott, glaubst über- haupt, daß Gott ist, so bist Du schon gerettet. Ob Du Dir unter diesem Gott ein wirklich göttliches Wesen oder ein Un- geheuer, einen Nero oder Caligula denkst, ein Bild Deiner Leidenschaft, Deiner Rach- und Ruhmsucht, das ist eins — die Hauptsache ist, daß Du kein Atheist bist. Die Geschichte der Religion hat diese Folgerung, die wir hier aus dem Be- griffe der Existenz ziehen, hinlänglich bewiesen. Hätte sich nicht die Existenz Gottes für sich selbst als religiöse Wahr- heit in den Gemüthern befestigt, so würde man nie zu jenen schändlichen, unsinnigen, gräuelvollen Vorstellungen von Gott gekommen sein, welche die Geschichte der Religion brandmar- ken. Die Existenz Gottes war eine gemeine, empirische und doch zugleich heilige Sache — was Wunder, wenn auf die- sem Grunde auch nur die gemeinsten, rohsten, unheiligsten Vorstellungen und Gesinnungen aufkeimten. Die Moralität befestigt sich an einen ihr äußerlichen Grund, an die Existenz Gottes. Der Atheismus galt und gilt noch jetzt für die Negation aller Moralprincipien, aller sittlichen Gründe und Bande: wenn Gott nicht ist, so hebt sich aller Unterschied zwischen Gut und Böse, Tugend und Laster auf . Der Unterschied liegt also nur an der Exi- stenz Gottes; die Realität der Tugend nicht in ihr selbst , sondern außer ihr. Allerdings wird also an die Existenz Got- tes die Realität der Tugend angeknüpft, aber nicht aus tu- gendhafter Gesinnung, nicht aus Ueberzeugung von dem in- nern Werth und Gehalt der Tugend. Im Gegentheil der Glaube an Gott, als die nothwendige Bedingung der Tugend, ist der Glaube an die Nichtigkeit der Tugend für sich selbst . Es ist übrigens bemerkenswerth, daß der Begriff der em- pirischen Existenz Gottes sich erst in neuerer Zeit, wo über- 18* haupt der Empirismus und Materialismus in Flor kam, voll- kommen ausgebildet hat. Allerdings ist auch schon im ur- sprünglichen, einfältigen, religiösen Sinne Gott eine empiri- sche , selbst an einem Orte befindliche Existenz . Aber sie hat doch hier nicht eine so nackte prosaische Bedeutung; die Einbildungskraft identificirt wieder den äußerlichen Gott mit dem Gemüthe des Menschen. Die Einbildungskraft ist überhaupt der wahre Ort einer abwesenden, den Sinnen nicht gegenwärtigen , aber gleichwohl dem Wesen nach sinnlichen Existenz. Nur die Phantasie löst den Widerspruch zwischen einer zugleich sinnlichen, zugleich unsinnlichen Exi- stenz; nur die Phantasie bewahrt vor dem Atheismus. In der Einbildungskraft hat die Existenz sinnliche Wirkun- gen — die Existenz bethätigt sich als eine Macht; die Einbil- dungskraft gesellt zu dem Wesen der sinnlichen Existenz auch die Erscheinungen derselben. Wo die Existenz Gottes eine lebendige Wahrheit, eine Sache der Einbildungskraft ist, da werden auch Gotteserscheinungen geglaubt. Wo dagegen das Feuer der religiösen Einbildungskraft erlischt, wo die mit einer an sich sinnlichen Existenz nothwendig verbundnen sinn- lichen Wirkungen oder Erscheinungen wegfallen, da wird die Existenz zu einer todten , sich selbst widersprechenden Existenz, die rettungslos der Negation des Atheismus anheim fällt. Der Glaube an die Existenz Gottes ist der Glaube an eine besondere, von der Existenz des Menschen und der Natur unterschiedne Existenz. Eine besondere Existenz kann sich nur auf besondere Weise constatiren. Dieser Glaube ist daher nur dann ein wahrer lebendiger, wenn besondere Wirkun- gen, unmittelbare Gotteserscheinungen, Wunder geglaubt werden. Nur da, wo der Glaube an Gott sich identifi- cirt mit dem Glauben an die Welt , der Glaube an Gott kein besonderer Glaube mehr ist, wo das allgemeine Wesen der Welt den ganzen Menschen einnimmt, verschwindet natür- lich auch der Glaube an besondere Wirkungen und Erscheinun- gen Gottes. Der Glaube an Gott hat sich gebrochen, ist ge- strandet an dem Glauben an die Welt, an die natürlichen als die allein wirklichen Wirkungen. Wie hier der Glaube an Wunder nur noch der Glaube an historische, vergangne Wun- der, so ist auch die Existenz Gottes hier nur noch eine histo- rische, an sich selber atheistische Vorstellung. Der Widerspruch in der Offenbarung Gottes. Mit dem Begriff der Existenz hängt der Begriff der Of- fenbarung zusammen. Die Selbstbezeugung der Existenz, das authentische Zeugniß, daß Gott existirt, ist die Offenba- rung. Die nur subjectiven Beweise vom Dasein Gottes sind die rationellen Beweise; der objective , der allein wahre Beweis von seinem Dasein ist seine Offenbarung. Gott spricht zu dem Menschen — die Offenbarung ist das Wort Gottes — er gibt einen Laut von sich, einen Ton, der das Gemüth ergreift und ihm die frohe Gewißheit gibt, daß Gott wirklich ist. Das Wort ist das Evangelium des Lebens — das Kri- terium von Sein und Nichtsein. Der Offenbarungsglaube ist der Culminationspunkt des religiösen Objectivismus. Die subjective Gewißheit von der Existenz Gottes wird hier zu einer unbezweifelbaren, äußern historischen Thatsache. Die Existenz Gottes ist an sich selbst schon als Existenz ein äußer- liches empirisches Sein, aber doch nur noch ein gedachtes, vorgestelltes, darum bezweifelbares Sein, — daher die Be- hauptung, daß alle Beweise keine befriedigende Gewißheit geben — dieses gedachte, vorgestellte Sein als wirkliches Sein, als Thatsache ist die Offenbarung . Gott hat sich geoffen- bart, sich selbst demonstrirt . Wer kann also noch zweifeln? Die Gewißheit der Existenz liegt mir in der Gewißheit der Offenbarung. Ein Gott, der nur ist, ohne sich zu offenbaren, der nur durch mich selbst für mich ist, ein solcher Gott ist nur ein abstracter, vorgestellter, subjectiver Gott: nur ein Gott, der mich durch sich selbst in Kenntniß von sich setzt, ist ein wirklich existirender, sich als seiend bethätigender , objectiver Gott. Der Glaube an die Offenbarung ist die unmittelbare Gewißheit des religiösen Gemüths, daß das ist, was es glaubt, was es wünscht, was es vorstellt . Die Religion ist ein Traum, in dem unsere eigenen Vorstellungen als Wesen außer uns erscheinen. Das religiöse Gemüth unterscheidet nicht zwischen Subjectiv und Objectiv — es zweifelt nicht; die Sinne hat es nur, nicht um Anderes zu sehen, sondern um seine Vorstellungen außer sich als Wesen zu er- blicken. Dem religiösen Gemüth ist eine an sich theoretische Sache eine praktische, eine Gewissenssache — eine Thatsache. Thatsache ist, was aus einem Vernunftgegenstand zu einer Gewissenssache gemacht wird, Thatsache ist, was man nicht bekritteln, nicht antasten darf, ohne sich eines Frevels Die Negation einer Thatsache hat keine unverfängliche, an sich in- differente, sondern eine schlimme moralische Bedeutung — die Bedeutung des Läugnens . Darin, daß das Christenthum seine Lehren und Glau- bensartikel zu sinnlichen, d. h. unläugbaren, unantastbaren That- sachen machte, durch sinnliche Thatsachen also die Vernunft über- wältigte , den Geist gefangen nahm, darin haben wir auch den wahren, den letzten, primitiven Erklärungsgrund, warum und wie sich im Christenthum, und zwar nicht nur im katholischen, sondern auch prote- stantischen, in aller Förmlichkeit und Feierlichkeit der Grundsatz ausspre- schuldig zu machen, Thatsache ist, was man nolens volens glauben muß, Thatsache ist sinnliche Gewalt, kein Grund, Thatsache paßt auf die Vernunft, wie die Faust aufs Auge. O ihr armseligen deutschen Religions-Philosophen, die ihr uns die Thatsachen des religiösen Bewußtseins an den Kopf werft, um unsre Vernunft zu betäuben und uns zu Knechten eures kindischen Aberglaubens zu machen, seht ihr denn nicht, daß die Thatsachen eben so relativ, so verschieden, so subjectiv sind als die Vorstellungen der Religionen? Waren die Götter des Olymps nicht auch einst Thatsachen, sich selbst bezeugende Existenzen Praesentiam saepe divi suam declarant. Cicero (de nat. D. 1. II.) Ciceros Schriften de nat. D. und de divinatione sind beson- ders auch deßwegen so interessant, weil hier für die Realität der heidnischen Glaubensgegenstände im Grunde dieselben Argumente geltend gemacht werden, welche noch heute die Theologen und Positivisten überhaupt für die Realität der christlichen Glaubensgegenstände anführen. ? Galten nicht auch die lächerlichsten Mirakelgeschichten der Hei- den für Facta? Waren nicht auch die Engel, auch die Dämone historische Personen? Sind sie nicht wirklich erschienen? Hat nicht einst der Esel Bileams wirklich geredet? Wurde nicht selbst von aufgeklärten Gelehrten noch des vorigen Jahrhunderts der sprechende Esel eben so gut als ein wirkliches Wunder geglaubt, als das Wunder der Incarnation oder sonst ein anderes Wunder? O ihr großen tiefsinnigen Philosophen studirt doch vor Allem die Sprache des Esels Bileams! Sie klingt nur dem Unwis- senden so fremdartig, aber ich bürge euch dafür, daß ihr bei chen und geltend machen konnte, daß die Ketzerei, d. h. die Negation einer Glaubensvorstellung oder Thatsache ein Strafobject der weltlichen Obrig- keit, d. h. ein Verbrechen sei. Die sinnliche Thatsache in der Theorie wird in der Praxis zur sinnlichen Gewalt. Das Christenthum steht hierin weit unter dem Muhamedanismus, welcher nicht das Verbrechen der Ketzerei kennt. näherm Studium in dieser Sprache selbst eure Muttersprache erkennen und finden werdet, daß dieser Esel schon vor Jahr- tausenden die tiefsten Geheimnisse eurer speculativen Weisheit ausgeplaudert hat. Thatsache, meine Herren! ist, um es euch nochmals zu wiederholen, eine Vorstellung, an deren Wahrheit man nicht zweifelt, weil ihr Gegenstand kein Ob- ject der Theorie, sondern des Gemüths ist, welches wünscht, daß ist, was es wünscht, was es glaubt, Thatsache ist, was zu läug- nen verboten ist, wenn auch nicht äußerlich, doch innerlich, That- sache ist jede Möglichkeit, die für Wirklichkeit gilt, jede Vorstellung, die für ihre Zeit, da, wo sie eben Thatsache ist, ein Bedürfniß ausdrückt und eben damit eine nicht überschreitbare Schranke des Geistes ist, Thatsache ist jeder realisirte Wunsch, kurz That- sache ist Alles, was nicht bezweifelt wird, aus dem einfachen Grunde, weil es nicht bezweifelt wird, nicht bezweifelt werden soll. Das religiöse Gemüth ist, seiner bisher entwickelten Natur zufolge, in der unmittelbaren Gewißheit, daß alle seine un- willkührlichen Selbstaffectionen Eindrücke von Außen, Erschei- nungen eines andern Wesens sind. Das religiöse Gemüth macht sich zu dem leidenden , Gott zu dem handelnden Wesen. Gott ist seine entäußerte Activität , die es nur in- sofern sich wieder aneignet, also indirect, daß es sich zum Ob- ject dieser Activität macht. Gott ist die Activität; aber was ihn zur Thätigkeit bestimmt , was seine Thätigkeit, die zu- vörderst nur Allvermögen, potentia ist, zur wirklichen Thä- tigkeit macht, das eigentliche Motiv, der Grund ist nicht Er — er braucht nichts für sich, er ist bedürfnißlos — sondern der Mensch , das religiöse Subject oder Gemüth. Das Gott zur Thätigkeit Bestimmende ist der Mensch; aber zugleich wird wieder der Mensch bestimmt von Gott, er macht sich zum Passivum; er empfängt von Gott bestimmte Offenbarun- gen, bestimmte Beweise seiner Existenz. Es wird also in der Offenbarung der Mensch von sich, als dem Bestimmungs- grund Gottes, als dem Gott Bestimmenden bestimmt , — d. h. die Offenbarung ist nur die Selbstbestimmung des Menschen , nur daß er zwischen sich den Bestimmten und sich den Bestimmenden ein Object — Gott, ein anderes Wesen — einschiebt. Der Mensch vermittelt durch Gott sein eignes Wesen mit sich — Gott ist das Band , das Vin- culum substantiale zwischen dem Wesen , der Gattung und dem Individuum . Der Offenbarungsglaube enthüllt am deutlichsten die cha- rakteristische Illusion des religiösen Bewußtseins. Die allge- meine Prämisse dieses Glaubens ist: der Mensch kann nichts aus sich selbst von Gott wissen: all sein Wissen ist nur eitel, irdisch, menschlich. Gott aber ist ein übermenschliches Wesen: Gott erkennt nur sich selbst. Wir wissen also nichts von Gott, außer was er uns geoffenbart. Nur der von Gott mitgetheilte Inhalt ist göttlicher, übermenschlicher, übernatürlicher Inhalt. Mittelst der Offenbarung erkennen wir also Gott durch sich selbst; denn die Offenbarung ist ja das Wort Gottes, der von sich selbst ausgesprochene Gott. In dem Offenbarungs- glauben negirt sich daher der Mensch, er geht außer und über sich hinaus ; er setzt die Offenbarung dem mensch- lichen Wissen und Meinen entgegen ; in ihr erschließt sich ein verborgenes Wissen, die Fülle aller übersinnlichen Ge- heimnisse; hier muß die Vernunft schweigen; hier hat sich der Mensch nur gläubig, nur passiv zu verhalten. Aber gleichwohl ist die göttliche Offenbarung eine von der menschlichen Na- tur bestimmte Offenbarung. Gott spricht nicht zu Thieren oder Engeln, sondern zu Menschen — also eine menschliche Sprache mit menschlichen Vorstellungen . Der Mensch ist der Gegenstand Gottes, ehe er sich dem Menschen äußerlich mittheilt; er denkt an den Menschen; er bestimmt sich nach seiner Natur, nach seinen Bedürfnissen . Gott ist wohl frei im Willen; er kann offenbaren oder nicht; aber nicht frei im Verstande; er kann dem Menschen nicht offenbaren, was er nur immer will, sondern was für den Menschen paßt, was seiner Natur, wie sie nun einmal ist, gemäß ist, wenn er sich anders einmal offenbaren will; er offenbart, was er offenbaren muß , wenn seine Offenbarung eine Offenbarung für den Menschen, nicht für irgend ein anderes Wesen sein soll. Was also Gott denkt für den Menschen, das denkt er als von der Idee des Menschen bestimmt , das ist entsprungen aus der Reflexion über die menschliche Natur . Gott versetzt sich in den Menschen und denkt so von sich , wie dieses andere Wesen von ihm denken kann und soll ; er denkt sich nicht mit seinem, sondern mit menschlichem Denk- vermögen . Gott ist in dem Entwurf seiner Offenbarung nicht von sich , sondern von der Fassungskraft des Men - schen abhängig. Was aus Gott in den Menschen kommt, das kommt nur aus dem Menschen in Gott an den Men- schen, d. h. nur aus dem Wesen des Menschen an den erschei- nenden Menschen, aus der Gattung an das Individuum. Also ist zwischen der göttlichen Offenbarung und der sogenann- ten menschlichen Vernunft oder Natur kein anderer als ein illusorischer Unterschied — auch der Inhalt der gött- lichen Offenbarung ist menschlichen Ursprungs , denn nicht aus Gott als Gott, sondern aus dem von der mensch- lichen Vernunft, dem menschlichen Bedürfniß be- stimmten Gott, d. h. geradezu aus der menschlichen Vernunft, aus menschlichem Bedürfniß ist derselbe entsprungen. So geht auch in der Offenbarung der Mensch nur von sich fort, um auf einem Umweg wieder auf sich zurückzukom- men ! So bestätigt sich auch an diesem Gegenstand aufs schlagendste, daß das Geheimniß der Theologie nichts andres als die Anthropologie ist! Uebrigens gesteht das religiöse Bewußtsein selbst in Be- ziehung auf vergangne Zeiten die Menschlichkeit des geoffen- barten Inhalts ein. Dem religiösen Bewußtsein einer spätern Zeit genügt nicht mehr ein Jehovah, der von Kopf bis zu Fuß Mensch ist, ungescheut seine Menschheit zur Schau trägt. Das waren nur Vorstellungen, in welchen sich Gott der da- maligen Fassungsgabe der Menschen accommodirt, d. h. nur menschliche Vorstellungen. Aber in Beziehung auf seinen gegenwärtigen Inhalt weil es in ihn versenkt ist, läßt es dieß nicht gelten. Gleichwohl ist jede Offenbarung nur eine Offenbarung der Natur des Menschen an den existirenden Menschen . In der Offenbarung wird dem Menschen seine verborgene Natur aufgeschlossen, Gegen- stand. Er wird von seinem Wesen bestimmt, afficirt als von einem andern Wesen. Er empfängt aus den Händen Gottes was ihm sein eignes unbekanntes Wesen als eine Nothwen- digkeit unter gewissen Zeitbedingungen aufdringt. Die Ver- nunft, die Gattung wirkt auf den praktischen Menschen nur unter der Vorstellung eines persönlichen Wesens. Die Gesetze der Ethik haben für ihn nur Kraft als Gebote eines gött- lichen Willens , welcher zugleich die Macht hat, zu strafen und den Blick, welchem nichts entgeht. Was ihm sein eignes Wesen, seine Vernunft, sein Gewissen sagt, verbindet ihn nicht, weil der praktische Mensch der subjective ist, der also im Ge- wissen, in der Vernunft, inwiefern er sie als die seinige weiß, keine allgemeine, objective Macht erblickt; er muß daher das Wesen, welches ihm moralische Gesetze gibt, von sich aus- scheiden und als ein eignes persönliches Wesen sich ent- gegensetzen . Der Offenbarungsglaube ist ein kindlicher Glaube und nur so lange respectabel , so lange er kindlich ist. Das Kind wird aber von Außen bestimmt. Und die Offenbarung hat eben den Zweck, durch Hülfe Gottes zu bewirken, was der Mensch nicht durch sich selbst erreichen kann. Deßhalb hat man die Offenbarung die Erziehung des Menschengeschlechts genannt. Dieß ist richtig; nur muß man die Offenbarung nicht außer die Natur des Menschen hinauslegen. So sehr der Mensch von Innen dazu getrieben wird, in Form von Erzählungen und Fabeln moralische und philosophische Lehren darzustellen, so nothwendig stellt er als Offenbarung dar, was ihm von Innen gegeben wird. Der Fabeldichter hat einen Zweck — den Zweck, die Menschen gut und gescheut zu ma- chen; er wählt absichtlich die Form der Fabel als die zweck- mäßigste, anschaulichste Methode; aber zugleich ist er selbst durch seine Liebe zur Fabel, durch seine eigne innere Natur zu dieser Lehrweise gedrungen. So ist es auch mit der Of- fenbarung, an deren Spitze ein Individuum steht. Dieses hat einen Zweck, aber zugleich lebt es selbst in den Vorstel- lungen, vermittelst welcher es diesen Zweck realisirt. Der Mensch veranschaulicht unwillkührlich durch die Ein- bildungskraft sein innres Wesen ; er stellt es außer sich dar. Dieses veranschaulichte , durch die unwiderstehliche Macht der Einbildungskraft auf ihn wirkende Wesen der Gattung, des Menschen, als Gesetz seines Denkens und Han- delns — ist Gott . Hierin liegen die wohlthätigen moralischen Wirkungen des Offenbarungsglaubens auf den Menschen. Aber wie die Natur „ ohne Bewußtsein Werke hervorbringt, die aussehen, als wären sie mit Bewußtsein hervorgebracht,“ so erzeugt die Offenbarung moralische Handlungen, aber ohne daß sie aus Moralität hervorgehen — moralische Handlungen, aber keine moralischen Gesinnungen. Die moralischen Gebote wer- den wohl gehalten, aber sie sind dadurch schon der innern Ge- sinnung, dem Herzen entfremdet, daß sie als Gebote eines äußerlichen Gesetzgebers vorgestellt werden, daß sie in die Ka- tegorie willkührlicher, polizeilicher Gebote treten. Was gethan wird, geschieht, nicht, weil es gut und recht ist, so zu handeln, sondern weil es von Gott befohlen ist. Der Inhalt an sich selbst ist gleichgültig; was nur immer Gott befiehlt, ist recht Quod crudeliter ab hominibus sine Dei jussu fieret aut factum est, id debuit ab Hebraeis fieri , quia a Deo, vitae et necis summo arbitro, jussi bellum ita gerebant. J. Clericus (Comm. in Mos. Num. c. 31. 7.) Multa gessit Samson, quae vix possent defendi , nisi Dei , a quo homines pendent, instrumentum fuisse cen- seatur . (Ders. Comm. in Iudicum c. 14, 19. ) . Stimmen diese Gebote mit der Vernunft, mit der Ethik über- ein, so ist es ein Glück, aber zufällig für den Begriff der Of- fenbarung. Die Ceremonialgesetze der Juden waren auch ge- offenbarte, göttliche und doch an sich selbst zufällige, willkührliche Gesetze. Die Juden erhielten sogar von Jehovah das Gnadengebot, zu stehlen ; freilich in einem besondern Fall. Der Offenbarungsglaube erstickt aber nicht nur den mo- ralischen Sinn und Geschmack, die Aesthetik der Tugend; er vergiftet, ja tödtet auch den göttlichsten Sinn im Menschen — den Wahrheitssinn , das Wahrheitsgefühl . Die Offen- barung Gottes ist eine bestimmte, zeitliche Offenbarung: Gott hat sich geoffenbart ein für alle Mal anno so und so viel, und zwar nicht dem ewigen Menschen, den Menschen aller Zeiten und Orte, der Vernunft, der Gattung, sondern bestimmten, beschränkten Individuen. Als eine örtlich und zeitlich be- stimmte muß die Offenbarung schriftlich fixirt werden, damit auch Andern der Genuß derselben zu Gute komme. Der Glaube an die Offenbarung ist daher zugleich, wenigstens für Spätere, der Glaube an eine schriftliche Offenbarung; die nothwen- dige Folge und Wirkung aber eines Glaubens, in welchem ein historisches , ein nothwendig unter allen Bedingungen der Zeitlichkeit und Endlichkeit verfaßtes Buch die Be- deutung eines ewigen, absolut, allgemein gültigen Wortes hat — Aberglaube und Sophistik . Der Glaube an eine schriftliche Offenbarung ist nämlich nur da noch ein wirklicher, wahrer, ungeheuchelter und insofern auch respectabler Glaube, wo geglaubt wird, daß Alles , was in der heiligen Schrift steht, bedeutungsvoll, wahr, heilig, göttlich ist. Wo dagegen unterschieden wird zwischen Menschlichem und Göttlichen, relativ und absolut Gültigem, Historischem und Ewigem, wo nicht Alles ohne Unterschied, schlechterdings unbedingt wahr ist, was in der heiligen Schrift steht; da wird das Urtheil des Unglau- bens , daß die Bibel kein göttliches Buch ist, schon in die Bibel hineingetragen, da wird ihr, indirect wenigstens, d. h. auf eine verschlagne, unredliche Weise der Charakter einer göttlichen Offenbarung abgesprochen. Einheit, Unbedingtheit, Ausnahmslosigkeit, unmittelbare Zuverlässigkeit ist allein der Charakter der Göttlichkeit. Ein Buch das nur die Noth- wendigkeit der Unterscheidung , die Nothwendigkeit der Kritik auferlegt, um das Göttliche vom Menschlichen, das Ewige vom Zeitlichen zu scheiden, ist kein göttliches, kein zuverlässiges, kein untrügliches Buch mehr, ist verstoßen in die Klasse der profanen Bücher; denn jedes profane Buch hat die- selbe Eigenschaft, daß es neben oder im Menschlichen Göttli- ches, neben oder im Individuellen Allgemeines und Ewiges enthält. Ein wahrhaft gutes oder vielmehr göttliches Buch ist aber nur ein solches, wo nicht Einiges gut, Anderes schlecht, Einiges ewig, Anderes zeitlich, sondern wo Alles wie aus einem Gusse, Alles ewig, Alles wahr und gut ist. Was ist aber das für eine Offenbarung, wo ich erst den Apostel Paulus, dann den Petrus, dann den Jacobus, dann den Johannes, dann den Matthäus, dann den Marcus, dann den Lucas anhören muß, bis ich endlich einmal an eine Stelle komme, wo meine gottesbedürftige Seele ausrufen kann: εὕϱηκα; hier spricht der heilige Geist selbst; hier ist Etwas für mich, Etwas für alle Zeiten und Menschen. Wie wahr dachte dagegen der alte Glaube, wenn er die Inspiration selbst bis auf das Wort, selbst bis auf den Buchstaben ausdehnte! Das Wort ist dem Ge- danken nicht gleichgültig. Der bestimmte Gedanke kann nur durch ein bestimmtes Wort gegeben werden. Ein anderes Wort, ein anderer Buchstabe — ein anderer Sinn. Aberglaube ist allerdings solcher Glaube; aber dieser Aberglaube ist nur der wahre, unverstellte, offne, seiner Consequenzen sich nicht schämende Glaube . Wenn Gott die Haare auf dem Haupte des Menschen zählt, wenn kein Sperling ohne seinen Willen vom Dache fällt, wie sollte er sein Wort, das Wort, an dem die ewige Seligkeit des Menschen hängt, dem Unverstand und der Willkühr der Scribenten überlassen, warum sollte er ihnen nicht seine Gedanken, um sie vor jeder Ent- stellung zu bewahren, in die Feder dictiren? „Aber wenn der Mensch ein bloßes Organ des heiligen Geistes wäre, so würde ja damit die menschliche Freiheit aufgehoben Sehr richtig bemerkten schon die Jansenisten gegen die Jesuiten: Vouloir reconnoitre dans l’Ecriture quelque chose de la foiblesse et de l’esprit naturel de l’homme, c’est donner la liberté à chacun d’en faire le discernement et de rejetter ce qui lui plaira de l’Ecriture, comme venant plûtot de la foiblesse de l’homme que de l’esprit de Dieu. Bayle Dict. Art. Adam (Jean) Rem. E. !“ O welch ein erbärmlicher Grund! Ist denn die menschliche Freiheit mehr werth als die göttliche Wahrheit? Oder besteht die mensch- liche Freiheit nur in der Entstellung der göttlichen Wahrheit? So nothwendig aber mit dem Glauben an eine bestimmte historische Offenbarung als die absolute Wahrheit Aberglaube, so nothwendig ist mit ihm die Sophistik verbunden. Die Bibel widerspricht der Moral, widerspricht der Vernunft, widerspricht sich selbst unzählige Male; aber sie ist das Wort Gottes, die ewige Wahrheit, und „die Wahrheit kann und darf sich nicht widersprechen Nec in scriptura divina fas sit sentire aliquid contra- rietatis . Petrus L. I. II. dist. II. c. I. Gleiche Gedanken bei den Kir- chenvätern. — Zu bemerken ist noch, daß, wie der katholische Jesui- tismus hauptsächlich die Moral , so der protestantische Jesuitis- mus hauptsächlich die Bibel , die Exegese zum Tummelplatz seiner So- phistik hat. .“ Wie kommt der Offenbarungsgläubige aus diesem Widerspruch zwischen der Idee der Offenbarung als göttlicher, harmonischer Wahrheit und der vermeintlichen wirk- lichen Offenbarung heraus? Nur durch Selbsttäuschungen, nur durch die albernsten Scheingründe, nur durch die schlech- testen, wahrheitslosesten Sophismen. Die christliche So- phistik ist ein Product des christlichen Glaubens , insbe- sondre des Glaubens an die Bibel als die göttliche Offenba- rung. Die Wahrheit, die absolute Wahrheit ist objectiv in der Bibel, subjectiv im Glauben gegeben, denn zu dem, was Gott selbst spricht, kann ich mich nur gläubig, hingebend, anneh- mend verhalten. Dem Verstande, der Vernunft bleibt hier nur ein formelles, untergeordnetes Geschäft; sie hat eine fal- sche , ihrem Wesen widersprechende Stellung. Der Ver- stand für sich selbst ist hier gleichgültig gegen das Wahre, gleichgültig gegen den Unterschied von Wahr und Falsch; er hat kein Kriterium in sich selbst ; was in der Offenbarung steht, ist wahr , wenn es auch direct dem Verstande wider- spricht ; er ist dem Zufall der allerschlechtesten Empirie wi- derstandslos preis gegeben: was ich nur immer finde in der göttlichen Offenbarung, muß ich glauben und mein Verstand, wenn’s Noth thut, vertheidigen ; der Verstand ist der Canis Domini ; er muß sich alles Mögliche ohne Un- terschied — die Unterscheidung wäre Zweifel , wäre Fre- vel — aufbürden lassen als Wahrheit; es bleibt ihm folglich nichts übrig als ein zufälliges , indifferentes, d. i. wahr- heitsloses, sophistisches Denken, ein ränkevolles, in- triguantes Denken — ein Denken, das nur auf die grund- losesten Distinctionen und Ausflüchte, die schmählichsten Pfiffe und Kniffe sinnt. Je mehr aber schon der Zeit nach der Mensch sich der Offenbarung entfremdet, je mehr der Verstand zur Selbstständigkeit heranreift, desto greller tritt auch noth- wendig der Widerspruch zwischen dem Verstande und Offenba- rungsglauben hervor. Der Gläubige kann dann nur noch im bewußten Widerspruch mit sich selbst, mit der Wahrheit , Feuerbach . 19 mit dem Verstande , nur durch freche Willkühr , nur durch schamlose Lügen — nur durch die Sünde gegen den heiligen Geist die Heiligkeit und Göttlichkeit der Offenbarung bewahrheiten. Der Widerspruch in dem Wesen Gottes. Das oberste Princip, der Centralpunkt der christli- chen Sophistik ist der Begriff Gottes . Gott ist das menschliche Wesen und doch soll er ein andres, übermensch- liches Wesen sein. Gott ist das allgemeine, reine Wesen, die Idee des Wesens schlechtweg und doch soll er persönliches, individuelles Wesen sein; oder: Gott ist Person und doch soll er Gott, allgemeines, d. h. kein persönliches Wesen sein. Gott ist; seine Existenz ist gewiß, gewisser als die unsrige; er hat ein abgesondertes, von uns und von den Dingen unter- schiednes, d. i. individuelles Sein, und doch soll sein Sein ein geistiges, d. h. ein nicht als ein besondres wahrnehmbares Sein sein. Im Soll wird immer geläugnet, was im Ist behauptet wird. Der Grundbegriff ist ein Widerspruch, der nur durch Sophismen verdeckt wird. Ein Gott, der sich nicht um uns kümmert, unsere Gebete nicht erhört, uns nicht sieht und liebt, ist kein Gott; es wird also die Menschlichkeit zum wesentlichen Prädicat Gottes gemacht; aber zugleich heißt es wieder: ein Gott, der nicht für sich existirt, außer dem Menschen, über dem Menschen, als ein andres Wesen, ist ein Phantom; es wird also die Un- und Außermenschlich- keit zum wesentlichen Prädicat der Gottheit gemacht. Ein Gott, der nicht ist, wie wir , nicht Bewußtsein, nicht Einsicht, d. h. nicht persönlichen Verstand, persönliches Be- wußtsein hat, wie etwa die Substanz des Spinoza, ist kein Gott. Die wesentliche Identität mit uns ist die Haupt- bedingung der Gottheit; der Begriff der Gottheit wird ab- hängig gemacht von dem Begriffe der Persönlichkeit, des Bewußtseins, quo nihil majus cogitari potest . Aber ein Gott, so heißt es zugleich wieder, der nicht wesentlich von uns unterschieden , ist kein Gott. Der Charakter der Religion ist die unmittelbare, unwill- kührliche, unbewußte Anschauung des menschlichen Wesens als eines andern Wesens. Dieses gegenständlich angeschaute Wesen aber zum Object der Reflexion, der Theologie ge- macht, so wird es zu einer unerschöpflichen Fundgrube von Lügen, Täuschungen, Blendwerken, Widersprü- chen und Sophismen . Ein besonders charakteristischer Kunstgriff und Vortheil der christlichen Sophistik ist die Unerforschlichkeit , die Un- begreiflichkeit des göttlichen Wesens. Das Geheimniß dieser Unbegreiflichkeit ist nun aber, wie sich zeigen wird, nichts weiter, als daß eine bekannte Eigenschaft zu einer unbekannten, eine natürliche Qualität zu einer über-, d. h. unnatürlichen Ouali- tät gemacht und eben dadurch der Schein , die Illusion er- zeugt wird, daß das göttliche Wesen ein andres als das menschliche und eo ipso ein unbegreifliches sei. Im ursprünglichen Sinne der Religion hat die Unbe- greiflichkeit Gottes nur die Bedeutung eines affectvollen Aus- drucks. So rufen auch wir im Affect bei einer überraschenden Erscheinung aus: es ist unglaublich, es geht über alle Be- griffe, ob wir gleich später, wenn wir zur Besinnung gekom- men, den Gegenstand unsrer Verwunderung nichts weniger als unbegreiflich finden. Die religiöse Unbegreiflichkeit ist 19* nicht das geistlose Punctum, welches die Reflexion so oft setzt, als ihr der Verstand ausgeht, sondern ein pathetisches Aus- rufungszeichen von dem Eindruck, welchen die Phantasie auf das Gemüth macht. Die Phantasie ist das ursprüngliche Organ und Wesen der Religion. Im ursprünglichen Sinne der Religion ist zwischen Gott und Mensch einerseits nur ein Unterschied der Existenz nach, inwiefern Gott als selbststän- diges Wesen dem Menschen gegenübersteht, andererseits nur ein quantitativer , d. h. ein Unterschied der Phantasie nach , denn die Unterschiede der Phantasie sind nur quantita- tive. Die Unendlichkeit Gottes in der Religion ist quanti- tative Unendlichkeit. Gott ist und hat Alles, was der Mensch, aber in unendlich vergrößertem Maaßstabe — daher der entzückende Eindruck, den die religiösen Vorstellungen auf das Gemüth machen. Gottes Wesen ist das explicirte, objective oder vergegenständlichte Wesen der Phanta- sie Dieß zeigt sich besonders auch in dem Superlativ und in der Prä- position: Ueber, ὑπεϱ, die den göttlichen Prädicaten vorgesetzt werden und von jeher — wie z. B. bei den Neuplatonikern, den Christen unter den heid- nischen Philosophen — eine Hauptrolle in der Theologie spielten. . Gott ist ein sinnliches Wesen , aber befreit von den Schranken der Sinnlichkeit — das unbeschränkte sinn- liche Wesen . Aber was ist die Phantasie? — die schran- kenlose, die unbeschränkte Sinnlichkeit . Gott ist die ewige Existenz, d. h. die immerwährende, die Existenz zu allen Zeiten : Gott ist die allgegenwärtige Existenz, d. h. die Exi- sten an allen Orten : Gott ist das allwissende Wesen, d. h. das Wesen, dem alles Einzelne, alles Sinnliche , ohne Unterschied, ohne Zeit und Ortsbeschränkung Gegen- stand ist. Ewigkeit und Allgegenwart sind sinnliche Eigenschaften, denn es wird in ihnen nicht die Existenz in der Zeit und im Raume; es wird nur die ausschließliche Beschränkung auf eine bestimmte Zeit , auf einen bestimmten Ort negirt. Eben so ist die Allwissenheit eine sinnliche Eigenschaft, sinnliches Wissen. Die Religion nimmt keinen Anstand, Gott selbst die edleren Sinne beizulegen. Gott sieht und hört Alles. Aber die göttliche Allwissenheit ist ein sinnliches Wissen , von dem die Eigenschaft, die wesentliche Bestimmtheit des wirk- lichen, sinnlichen Wissens negirt ist. Meine Sinne stellen mir die sinnlichen Gegenstände nur außer und nach einan- der vor; aber Gott stellt alles Sinnliche auf einmal vor, alles Räumliche auf unräumliche, alles Zeitliche auf unzeit- liche, alles Sinnliche auf unsinnliche Weise Scit itaque Deus, quanta sit multitudo pulicum, culi- cum, muscarum et piscium et quot nascantur, quotve moriantur, sed non scit hoc per momenta singula, imo simul et semel omnia. Pe- trus L. I. I. dist. 39. c. 3. . Das heißt: ich erweitere meinen sinnlichen Horizont durch die Phantasie; ich vergegenwärtige mir in der confusen Vorstellung der All- heit alle auch die örtlich abwesenden Dinge und setze nun diese über den beschränkt sinnlichen Standpunkt mich erhebende, wohl- thätig afficirende Vorstellung als eine göttliche Wesenheit. Ich fühle als eine Schranke mein nur an den örtlichen Standpunkt, an die sinnliche Erfahrung gebundnes Wissen; was ich als Schranke fühle, hebe ich in der Phantasie auf, die meinen Gefühlen freien Spielraum gewährt. Diese Negation durch die Phantasie ist die Position der Allwissenheit als einer göttlichen Macht und Wesenheit. Aber gleichwohl ist zwischen der Allwissenheit und meinem Wissen nur ein quantitativer Unterschied; die Qua- lität des Wissens ist dieselbe. Ich könnte ja auch in der That gar nicht die Allwissenheit von einem Gegenstande oder Wesen außer mir prädiciren, wenn sie wesentlich von mei- nem Wissen unterschieden, wenn sie nicht eine Vorstellungs- art von mir selbst wäre, nicht in meinem Vorstellungs- vermögen existirte. Das Sinnliche ist so gut Gegenstand und Inhalt der göttlichen Allwissenheit, als meines Wissens. Die Phantasie beseitigt nur die Schranke der Quantität, nicht der Qualität. Unser Wissen ist beschränkt, heißt: wir wissen nur Einiges, Weniges, nicht Alles. Die wohlthätige Wirkung der Religion beruht auf dieser Erweiterung des sinnlichen Bewußtseins. In der Religion ist der Mensch im Freien , sub divo ; im sinnlichen Bewußt- sein in seiner engen, beschränkten Wohnung. Die Re- ligion bezieht sich wesentlich, ursprünglich — und nur in seinem Ursprung ist Etwas heilig, wahr, rein und gut — nur auf das unmittelbar sinnliche Bewußtsein; sie ist die Beseitigung der sinnlichen Schranken. Abgeschloßne, beschränkte Menschen und Völker bewahren die Religion in ihrem ur- sprünglichen Sinne, weil sie selbst im Ursprung, an der Quelle der Religion stehen bleiben. Je beschränkter der Gesichtskreis des Menschen, je weniger er weiß von Geschichte, Natur, Philosophie, desto inniger hängt er an seiner Religion. Darum hat auch der Religiöse kein Bedürfniß der Bil- dung in sich. Warum hatten die Hebräer keine Kunst, keine Wissenschaft, wie die Griechen? weil sie kein Bedürfniß dar- nach hatten. Und warum hatten sie kein Bedürfniß? Jehovah ersetzte ihnen dieses Bedürfniß. In der göttlichen Allwissen- heit erhebt sich der Mensch über die Schranken seines Wissens; in der göttlichen Allgegenwart über die Schranken seines Lo- calstandpunkts, in der göttlichen Ewigkeit über die Schranken seiner Zeit. Der religiöse Mensch ist glücklich in seiner Phan- tasie; er hat Alles in nuce immer beisammen; sein Bündel ist immer geschnürt. Jehovah begleitet mich überall; ich brauche nicht aus mir herauszugehen; ich habe in meinem Gotte den Inbegriff aller Schätze und Kostbarkeiten, aller Wis- sens- und Denkwürdigkeiten . Die Bildung aber ist ab- hängig von Außen, hat mancherlei Bedürfnisse, denn sie überwindet die Schranken des sinnlichen Bewußt- seins und Lebens durch reelle Thätigkeit , nicht durch die Zaubermacht der religiösen Phantasie. Daher hat auch die christliche Religion , wie schon öfter erwähnt wurde, in ihrem Wesen kein Princip der Cultur, der Bil- dung in sich , denn sie überwindet die Schranken und Be- schwerden des irdischen Lebens nur durch die Phantasie , nur in Gott, im Himmel . Wer aber Alles in Gott hat, himmlische Seligkeit schon in der Phantasie genießt, wie sollte der jene Noth, jene Penia empfinden, die der Trieb zu aller Cultur ist? Die Cultur hat keinen andern Zweck, als einen irdischen Himmel zu realisiren; aber der religiöse Him- mel wird auch nur durch religiöse Thätigkeit realisirt oder erworben Ueber die Lüge des modernen Christenthums, welches ein himmli- sches Leben glaubt, aber diesen Glauben durch die That widerlegt, siehe „ Christenthum und Philosophie von L. F.“ . Der ursprünglich nur quantitative Unterschied zwischen dem göttlichen und menschlichen Wesen wird nun aber von der Reflexion zu einem qualitativen Unterschiede ausge- bildet, und dadurch, was ursprünglich nur ein Gemüthsaffect, ein unmittelbarer Ausdruck der Bewunderung, der Entzückung, ein Eindruck der Phantasie auf das Gemüth ist, als eine objective Beschaffenheit , als wirkliche Unbegreiflichkeit fixirt. Die beliebteste Ausdrucksweise der Reflexion in dieser Beziehung ist, daß wir von Gott wohl das Daß , aber nim- mermehr das Wie begreifen. Daß z. B. Gott das Prädicat des Schöpfers wesentlich zukommt, daß er die Welt und zwar nicht aus einer vorhandenen Materie, sondern durch seine All- macht aus Nichts geschaffen, das ist klar, gewiß, ja unbezwei- felbar gewiß; aber wie dieß möglich, das natürlich geht über unsern beschränkten Verstand. Das heißt: der Gattungs- begriff ist klar, gewiß, aber der Artbegriff ist unklar, un- gewiß. Der Begriff der Thätigkeit , des Machens, Schaf- fens ist an und für sich ein göttlicher Begriff ; er wird daher unbedenklich auf Gott angewendet. Im Thun fühlt sich der Mensch frei, unbeschränkt, glücklich, im Leiden be- schränkt, gedrückt, unglücklich. Thätigkeit ist positives Selbstgefühl . Positiv überhaupt ist, was im Menschen von einer Freude begleitet ist — Gott daher, wie wir schon oben sagten, der Begriff der reinen, unbeschränkten Freude . Es gelingt uns nur, was wir gern thun. Alles überwindet die Freudigkeit. Eine freudige Thätigkeit ist aber eine solche, die mit unserem Wesen übereinstimmt, die wir nicht als Schranke, folglich nicht als Zwang empfinden. Die glücklichste, seligste Thätigkeit ist jedoch die producirende. Lesen ist köstlich; Lesen ist passive Thätigkeit, aber Lesenswür- diges Schaffen ist noch köstlicher. Geben ist seliger als Nehmen, heißt es auch hier. Der Gattungsbegriff der her- vorbringenden Thätigkeit wird also auf Gott angewendet, d. h. in Wahrheit als göttliche Thätigkeit und Wesenheit reali- sirt, vergegenständlicht. Es wird aber abgesondert jede beson- dere Bestimmung , jede Art der Thätigkeit — nur die Grundbestimmung, die aber wesentlich menschliche Grundbe- stimmung: die Hervorbringung außer sich bleibt. Gott hat nicht Etwas hervorgebracht, Dieses oder Jenes, Besonderes, wie der Mensch, sondern Alles , seine Thätigkeit ist schlecht- hin universale, unbeschränkte . Es versteht sich daher von selbst , es ist eine nothwendige Folge, daß die Art, wie Gott dieß Alles hervorgebracht, unbegreiflich ist, weil diese Thätigkeit keine Art der Thätigkeit ist, weil die Frage nach dem Wie hier eine ungereimte ist, eine Frage, die durch den Grundbegriff der unbeschränkten Thätigkeit an und für sich abgewiesen ist. Jede besondere Thätigkeit bringt auf besondere Weise ihre Wirkungen hervor, weil hier die Thätigkeit selbst eine bestimmte Weise der Thätigkeit ist; es entsteht hier nothwendig die Frage: wie brachte sie dieß hervor? Die Antwort auf die Frage aber: wie hat Gott die Welt gemacht, fällt nothwendig negativ aus, weil die die Welt schaffende Thätigkeit selbst jede bestimmte Thätig- keit, die allein diese Frage privilegirte, jede an einen bestimm- ten Inhalt , d. h. eine Materie gebundene Thätigkeitsweise von sich negirt . Es wird in dieser Frage zwischen das Subject, die hervorbringende Thätigkeit, und das Object, das Hervorgebrachte, ein nicht hieher gehöriges, ein ausgeschloßnes Mittelding: der Begriff der Besonderheit unrechtmäßiger Weise eingeschaltet. Die Thätigkeit bezieht sich nur auf das Collectivum: Alles , Welt: Gott hat Alles hervorgebracht, aber nicht Etwas — das unbestimmte Ganze, das All, wie es die Phantasie zusammenfaßt, aber nicht das Bestimmte, Besondere, wie es in seiner Besonderheit den Sinnen, in seiner Totalität als Universum der Vernunft Gegenstand ist. Alles Etwas entsteht auf natürlichem Wege — es ist ein Bestimm- tes und hat als solches, was nur eine Tautologie ist, einen bestimmten Grund, eine bestimmte Ursache. Nicht Gott hat den Diamant hervorgebracht, sondern der Kohlenstoff; dieses Salz verdankt seinen Ursprung nur der Verbindung dieser be- stimmten Säure mit einer bestimmten Basis, nicht Gott. Gott hat nur Alles zusammen ohne Unterschied hervorge- bracht. Gott hat freilich in der religiösen Vorstellung alles Ein- zelne geschaffen, weil es schon in Allem mitbegriffen ist, aber nur indirect; denn er hat das Einzelne nicht auf einzelne, das Bestimmte nicht auf bestimmte Weise hervorgebracht; sonst wäre er ja ein bestimmtes Wesen. Unbegreiflich ist es nun frei- lich, wie aus dieser allgemeinen, unbestimmten Thätigkeit das Besondere, Bestimmte hervorgegangen; aber nur, weil ich hier das Object der sinnlichen, natürlichen Anschauung, das Beson- dere einschwärze, weil ich der göttlichen Thätigkeit ein andres Object, als das ihr gebührende unterstelle. Die Religion hat keine physikalische Anschauung von der Welt; sie interessirt sich nicht für eine natürliche Erklärung, die immer nur mit der Entstehung gegeben werden kann. Aber die Entstehung ist ein theoretischer, naturphilosophischer Begriff. Die heidnischen Philosophen beschäftigten sich mit der Entstehung der Dinge. Aber das christlich religiöse Bewußtsein abhorrirte diesen Be- griff als einen heidnischen, irreligiösen, und substituirte den praktischen oder subjectiv menschlichen Begriff der Er- schaffung , der nichts ist als ein Verbot, die Dinge sich auf natürlichem Wege entstanden zu denken, ein Interdict aller Physik und Naturphilosophie. Das religiöse Bewußtsein knüpft unmittelbar an Gott die Welt an; es leitet Alles aus Gott ab, weil ihm nichts in seiner Besonderheit und Wirklich- keit, nichts als ein Object der Theorie Gegenstand ist. Alles kommt aus Gott — das ist genug, das befriedigt vollkom- men das religiöse Bewußtsein. Die Frage: wie Gott erschaf- fen? ist ein indirecter Zweifel, daß Gott die Welt ge- schaffen. Mit dieser Frage kam der Mensch auf den Atheis- mus, Materialismus, Naturalismus. Wer so fragt, dem ist schon die Welt Gegenstand als Object der Theorie, der Phy- sik, d. h. in ihrer Wirklichkeit, in der Bestimmtheit ihres In- halts. Dieser Inhalt widerspricht aber der Vorstellung der unbestimmten, immateriellen, stofflosen Thätigkeit. Und dieser Widerspruch führt zur Negation der Grundvorstellung. Die Schöpfung der Allmacht ist nur da an ihrem Platze, nur da eine Wahrheit, wo alle Ereignisse und Phänomene der Welt aus Gott abgeleitet werden. Sie wird, wie schon erwähnt, zu einer Mythe aus vergangner Zeit, wo sich die Physik ins Mittel schlägt, wo die bestimmten Gründe, das Wie der Erscheinungen der Mensch zum Gegenstand seiner Forschung macht. Dem religiösen Bewußtsein ist daher auch die Schöpfung nichts Unbegreifliches, d. h. Unbefriedigendes, höchstens nur in den Momenten der Irreligiosität, des Zwei- fels, wo es sich von Gott ab und den Dingen zuwendet, wohl aber der Reflexion, der Theologie, die mit dem einen Auge in den Himmel, mit dem andern in die Welt schielt. So viel in der Ursache ist, soviel ist in der Wirkung. Eine Flöte bringt nur Flötentöne, aber keine Fagot- und Trompe- tentöne hervor. Wenn Du einen Fagotton hörst, aber außer der Flöte von keinem andern Blasinstrument je etwas gehört und gesehen hast, so wird es Dir freilich unbegreiflich sein, wie aus der Flöte ein solcher Ton hervorkommen kann. So ist es auch hier — nur ist das Gleichniß insofern unpassend, als die Flöte selbst ein bestimmtes Instrument ist. Aber stelle Dir vor, wenn es möglich, ein schlechthin universales Instru- ment, welches alle Instrumente in sich vereinigte, ohne selbst ein bestimmtes zu sein, so wirst Du einsehen, daß es ein thörichter Widerspruch ist, einen bestimmten Ton, der nur einem bestimmten Instrument angehört, von einem Instrument zu verlangen, wovon Du eben das Charakteristische aller be- stimmten Instrumente weggelassen. Es liegt aber zugleich dieser Unbegreiflichkeit der Zweck zu Grunde, die göttliche Thätigkeit der menschlichen zu ent- fremden, die Aehnlichkeit, Gleichförmigkeit oder vielmehr we- sentliche Identität derselben mit der menschlichen zu beseitigen, um sie zu einer wesentlich andern Thätigkeit zu machen. Dieser Unterschied zwischen der göttlichen und menschlichen Thätigkeit ist das Nichts . Gott macht — er macht außer sich Etwas, wie der Mensch. Machen ist ein ächt, ein grund- menschlicher Begriff. Die Natur zeugt, bringt hervor, der Mensch macht . Machen ist ein Thun, das ich unterlassen kann, ein absichtliches, vorsätzliches, äußerliches Thun — ein Thun, bei dem nicht unmittelbar mein eigenstes innerstes We- sen betheiligt ist, ich nicht zugleich leidend, angegriffen bin. Eine nicht gleichgültige Thätigkeit dagegen ist eine mit mei- nem Wesen identische, mir nothwendige, wie die geistige Production, die mir ein inneres Bedürfniß ist und eben deß- wegen mich aufs tiefste ergreift, pathologisch afficirt. Geistige Werke werden nicht gemacht — das Machen ist nur die äu- ßerlichste Thätigkeit daran — sie entstehen in uns In neurer Zeit hat man daher auch wirklich die Thätigkeit des Genies zur weltschöpferischen Thätigkeit gemacht, und dadurch der religionsphilosophischen Imagination ein neues Feld geöffnet. — Ein interessanter Gegenstand der Kritik wäre die Weise, wie von jeher die religiöse Speculation die Freiheit oder vielmehr Willkührlichkeit, d. i. Unnothwendigkeit der Schöpfung, die dem Verstande widerspricht, mit der Nothwendigkeit derselben, d. h. mit dem Verstande zu ver- mitteln suchte. Aber diese Kritik liegt außer unserm Zwecke. Wir kritisiren die Speculation nun durch die Kritik der Religion, beschrän- ken uns nur auf das Ursprüngliche, Fundamentale. Die Kritik der Speculation ergibt sich durch bloße Folgerung. . Ma- chen aber ist eine indifferente, darum freie, d. i. willkührliche Thätigkeit. Bis so weit ist also Gott ganz mit dem Menschen einverstanden, gar nicht von ihm unterschieden, daß er macht; im Gegentheil es wird ein besonderer Nachdruck darauf ge- legt, daß sein Machen frei, willkührlich, ja beliebig ist. Gott hat es beliebt, gefallen, eine Welt zu erschaffen. So ver- göttlicht hier der Mensch das Wohlgefallen an seinem eignen Gefallen, seiner eignen Beliebigkeit und grundlosen Willkühr- lichkeit. Die grundmenschliche Bestimmung der göttlichen Thä- tigkeit wird durch die Vorstellung der Beliebigkeit selbst zu einer gemein menschlichen — Gott aus einem Spiegel des menschlichen Wesens zu einem Spiegel der menschlichen Eitel- keit und Selbstgefälligkeit. Aber nun löst sich auf einmal die Harmonie in Dishar- monie auf; der bisher mit sich einige Mensch entzweit sich: — Gott macht aus Nichts : er schafft ; Machen aus Nichts ist Schaffen — dieß ist der Unterschied. Die positive Bestimmung ist eine menschliche: aber, indem die Bestimmt- heit dieser Grundbestimmung sogleich wieder negirt wird, macht sie die Reflexion zu einer nicht menschlichen. Mit die- ser Negation geht aber der Begriff, der Verstand aus; es bleibt nur eine negative, inhaltslose Vorstellung übrig, weil schon die Denkbarkeit, die Vorstellbarkeit erschöpft ist, d. h. der Un- terschied zwischen der göttlichen und menschlichen Bestimmung ist in Wahrheit ein Nichts, ein Nihil negativum des Ver- standes. Das naive Selbstbekenntniß dieses Verstandesnichts’ ist das Nichts als Object . Gott ist Liebe, aber nicht menschliche Liebe, Verstand, aber nicht menschlicher, nein! ein wesentlich andrer Ver- stand. Aber worin besteht dieser Unterschied? Ich kann mir keinen Verstand denken oder vorstellen außer in der Bestimmt- heit, in welcher er sich in uns bethätigt; ich kann den Ver- stand nicht entzweitheilen oder gar viertheilen, so daß ich meh- rere Verstände bekäme, ein Verstandesgesetz hat für mich ab- solute, ausnahmslose Gültigkeit; ich kann nur einen und selben Verstand denken. Ich kann allerdings und muß so- gar den Verstand an sich denken, d. h. frei von den Schran- ken meiner Individualität; aber hier löse ich ihn nur ab von an sich fremdartigen Beschränkungen; ich lasse nicht die we- sentliche Bestimmtheit weg. Die religiöse Reflexion da- gegen negirt gerade die Bestimmtheit, welche Etwas zu dem macht, was es ist . Nur das, worin der göttliche Verstand identisch ist mit dem menschlichen, nur das ist Etwas , ist Verstand , ein realer Begriff; das aber, was ihn zu einem andern, ja wesentlich andern machen soll, ist objectiv nichts, subjectiv eine bloße Einbildung . Ein andres pikantes Beispiel ist das unerforschliche Geheimniß der Zeugung des Sohnes Gottes. Die Zeu- gung Gottes ist natürlich eine andere als die gemeine na- türliche, ja wohl! eine übernatürliche Zeugung, d. h. in Wahrheit eine nur illusorische, imaginäre — eine Zeugung, welcher die Bestimmtheit, durch welche die Zeugung Zeu- gung ist, abgeht, denn es fehlt die Geschlechtsdifferenz — eine Zeugung also, welcher die Natur und Vernunft wi- derspricht , aber eben deßwegen, weil sie ein Widerspruch ist, weil sie nichts Bestimmtes ausspricht, Nichts zu den- ken gibt, der Phantasie einen um so größern Spielraum läßt und dadurch auf das Gemüth den Eindruck der Tiefe macht. Gott ist Vater und Sohn — Gott, denke nur! Gott . Der Affect bemeistert sich des Gedankens; das Gefühl der Iden- tität mit Gott setzt den Menschen vor Entzückung außer sich — das Fernste wird mit dem Nächsten , das Andre mit dem Eigensten , das Höchste mit dem Niedrigsten, das Ueberna- türliche mit dem Natürlichen bezeichnet, d. h. das Ueber- natürliche als das Natürliche , das Göttliche als das Menschliche gesetzt, geläugnet, daß das Göttliche etwas Andres ist als das Menschliche. Aber diese Identität des Göttlichen und Menschlichen wird sogleich wieder geläugnet : was Gott mit dem Menschen gemein hat, das soll in Gott etwas ganz Andres bedeuten als im Menschen — so wird das Eigene wieder zum Fremden, das Bekannte zum Unbe- kannten, das Nächste zum Fernsten. Gott zeugt nicht , wie die Natur, ist nicht Vater, nicht Sohn, wie wir — nun wie denn ? ja das ist eben das Unbegreifliche, das unaussprech- lich Tiefe der göttlichen Zeugung. So setzt die Religion das Natürliche, das Menschliche, was sie negirt, immer zuletzt wieder in Gott, aber im Widerspruch mit dem Wesen des Menschen, mit dem Wesen der Natur, weil es in Gott etwas Andres sein soll , aber in Wahrheit doch nichts An- dres ist. Bei allen andern Bestimmungen des göttlichen Wesens ist nun aber dieses Nichts des Unterschieds ein verborgnes; in der Schöpfung hingegen ein offenbares, ausgesprochnes, gegenständliches Nichts — darum das officielle, noto- rische Nichts der Theologie in ihrem Unterschiede von der Anthropologie . Die Grundbestimmung aber, wodurch der Mensch sein eignes ausgeschiednes Wesen zu einem fremden, unbegreifli- chen Wesen macht, ist der Begriff, die Vorstellung der Selbst- ständigkeit , der Individualität oder — was nur ein ab- stracterer Ausdruck ist — der Persönlichkeit . Der Begriff der Existenz realisirt sich erst in dem Begriffe der Offenbarung, der Begriff der Offenbarung aber als der Selbstbezeugung Gottes, erst in dem Begriffe der Persönlichkeit. Gott ist per- sönliches Wesen — dieß ist der Machtspruch, der mit einem Schlage das Ideale in Reales, das Subjective in Objectives verzaubert. Alle Prädicate, alle Bestimmungen des göttli- chen Wesens sind grundmenschliche; aber als Bestimmungen eines persönlichen, also andern , vom Menschen unterschieden und unabhängig existirenden Wesens scheinen sie unmittelbar auch wirklich andere Bestimmungen zu sein, aber so, daß doch zugleich noch immer die wesentliche Identität zu Grunde liegen bleibt. Damit entsteht für die Reflexion der Begriff der sogenannten Anthropomorphismen . Die An- thropomorphismen sind Aehnlichkeiten zwischen Gott und dem Menschen. Die Bestimmungen des göttlichen und menschli- chen Wesens sind nicht dieselben , aber sie ähneln sich ge- genseitig . Daher ist auch die Persönlichkeit das Antidotum gegen den Pantheismus ; d. h. durch die Vorstellung der Per- sönlichkeit schlägt sich die religiöse Reflexion die Identität des göttlichen und menschlichen Wesens aus dem Kopfe . Der rohe, aber immerhin bezeichnende Ausdruck des Pantheis- mus’ ist: der Mensch ist ein Ausfluß oder Theil des göttli- chen Wesens; der religiöse dagegen: der Mensch ist ein Bild Gottes; oder auch: ein Gott verwandtes Wesen; denn der Mensch stammt der Religion zufolge nicht aus der Natur, son- dern ist göttlichen Geschlechts, göttlicher Abkunft. Verwandt- schaft ist aber ein unbestimmter, ausweichender Ausdruck. Es gibt Grade der Verwandtschaft — nahe und ferne Verwandt- schaft. Was für eine Verwandtschaft ist gemeint? Für das Verhältniß des Menschen zu Gott im Sinne der Religion paßt jedoch nur ein einziges Verwandtschaftsverhältniß — das nächste, innigste, heiligste, das sich nur immer vorstellen läßt — das Verhältniß des Kindes zum Vater. Gott und Mensch unterscheiden sich demnach also: Gott ist der Vater des Menschen, der Mensch der Sohn, das Kind Gottes. Hier ist zugleich die Selbstständigkeit Gottes und die Abhän- gigkeit des Menschen, und zwar unmittelbar als ein Gegen- stand des Gefühls gesetzt, während im Pantheismus der Theil eben so selbstständig erscheint als das Ganze, welches als ein aus seinen Theilen Zusammengesetztes vorgestellt wird. Aber gleichwohl ist dieser Unterschied nur ein Schein . Der Vater ist nicht Vater ohne Kind; beide zusammen bilden ein gemein- schaftliches Wesen. In der Liebe gibt eben der Mensch seine Selbstständigkeit auf, sich zu einem Theile herabsetzend — eine Selbsterniedrigung, eine Selbstdemüthigung, die nur da- durch sich ausgleicht, daß der Andere sich gleichfalls zu einem Theile herabsetzt, daß sich beide einer höhern Macht — der Macht des Familiengeistes, der Liebe unterwerfen. Es findet Feuerbach . 20 daher hier dasselbe Verhältniß zwischen Gott und Mensch statt, wie im Pantheismus, nur daß es sich hier als ein persönli- ches, patriarchalisches, dort als ein unpersönliches, allgemei- nes darstellt, nur daß im Pantheismus logisch , darum be- stimmt, direct ausgesprochen, was in der Religion durch die Phantasie umgangen wird. Die Zusammengehörigkeit oder vielmehr Identität Gottes und des Menschen wird näm- lich hier dadurch verschleiert, daß man beide als Personen oder Individuen und Gott zugleich, abgesehen von seiner Va- terschaft , als ein selbstständiges Wesen vorstellt — eine Selbstständigkeit, die aber auch nur Schein ist, denn wer, wie der religiöse Gott, von Herzensgrund aus Vater ist, hat in seinem Kinde selbst sein Leben und Wesen. Das gegenseitige innige Abhängigkeitsverhältniß von Gott als Vater und Mensch als Kind kann man nicht durch diese Distinction auflockern, daß nur Christus der natürliche Sohn, die Menschen aber die Adoptivsöhne Gottes seien, daß also nur Gott zu Christo als dem eingebornen Sohne, keineswegs aber zu den Menschen in einem wesentlichen Abhängigkeits- verhältniß stehe. Denn diese Unterscheidung ist auch nur eine theologische, d. h. illusorische. Gott adoptirt nur Menschen , keine Thiere. Der Grund der Adoption liegt in der menschli- chen Natur. Der von der göttlichen Gnade adoptirte Mensch ist nur der seiner göttlichen Natur und Würde sich bewußte Mensch. Ueberdem ist ja der eingeborne Sohn selbst nichts andres als der Begriff der Menschheit, als der von sich selbst präoccupirte Mensch, der sich vor sich selbst und vor der Welt in Gott verbergende Mensch. Der Logos ist der ge- heime, verschwiegene Mensch; der Mensch der offenbare, der ausgesprochne Logos. Der Logos ist nur der Avant-propos des Menschen. Was vom Logos, gilt also vom Wesen des Menschen. Aber zwischen Gott und dem eingebornen Sohne ist kein reeller Unterschied — wer den Sohn kennt, kennt den Vater — also auch nicht zwischen Gott und Mensch. Dieselbe Bewandtniß hat es nun auch mit der Eben- bildlichkeit Gottes. Das Bild ist hier kein todtes, sondern lebendiges Wesen. Der Mensch ist ein Bild Gottes, heißt nichts weiter als: der Mensch ist ein Gott ähnliches Wesen. Die Aehnlichkeit zwischen lebendigen Wesen beruht auf Na- turverwandtschaft. Die Ebenbildlichkeit reducirt sich also auf die Verwandtschaft. Der Mensch ist Gott ähnlich, weil das Kind Gottes. Die Aehnlichkeit ist nur die in die Sinne fallende Verwandtschaft; aus jener schließen wir überall auf diese. Die Aehnlichkeit ist nun aber eben so eine täuschende, illusorische, ausweichende Vorstellung, als die Verwandtschaft. Nur die Vorstellung der Persönlichkeit ist es, welche die Na- turidentität beseitigt. Die Aehnlichkeit ist die Identität, welche es nicht Wort haben will, daß sie Identität ist , welche sich hinter ein trübendes Medium, hinter den Nebel der Phan- tasie versteckt. Beseitige ich diesen Nebel, diesen Dunst, so komme ich auf die nackte Identität . Je ähnlicher sich We- sen sind, desto weniger unterscheiden sie sich; kenne ich den Ei- nen, so kenne ich den Andern. Die Aehnlichkeit hat aller- dings ihre Grade. Aber auch die Aehnlichkeit zwischen Gott und Mensch hat ihre Grade. Der Gute, Fromme ist Gott ähnlicher, als der Mensch, welcher nur die Natur des Men- schen überhaupt zum Grunde seiner Aehnlichkeit hat. Es läßt sich also auch hier der höchste Grad der Aehnlichkeit anneh- men, sollte dieser auch nicht hienieden, sondern erst im Jen- 20* seits erreicht werden. Aber was einst der Mensch wird, das gehört auch jetzt schon zu ihm, wenigstens der Möglichkeit nach. Der höchste Grad der Aehnlichkeit ist nun aber, wo zwei Individuen oder Wesen dasselbe sagen und ausdrücken, so daß weiter kein Unterschied statt findet, als daß es eben zwei Individuen sind. Die wesentlichen Qualitäten, die , durch welche wir Dinge unterscheiden, sind in beiden diesel- ben. Ich kann sie daher nicht durch den Gedanken, durch die Vernunft — für diese sind alle Anhaltspunkte verschwunden — ich kann sie nur durch die sinnliche Vorstellung oder An- schauung unterscheiden. Würden mir meine Augen nicht sa- gen: es sind wirklich zwei der Existenz nach verschiedne We- sen — meine Vernunft würde beide für ein und dasselbe We- sen nehmen. Darum verwechseln sie selbst auch meine Augen miteinander. Verwechselbar ist, was nur für den Sinn, nicht für die Vernunft, oder nur dem Dasein, nicht dem Wesen nach verschieden ist. Sich völlig ähnliche Personen haben daher einen außerordentlichen Reiz wie für sich selbst, so für die Phantasie. Die Aehnlichkeit gibt zu allerlei Mystificationen und Illusionen Anlaß, weil sie selbst nur eine Illusion ist; denn mein Auge spottet meiner Vernunft, für die sich der Be- griff einer selbstständigen Existenz stets an den Begriff eines bestimmten Unterschieds anknüpft. Die Religion ist das Licht des Geistes, welches sich in dem Medium der Phantasie und des Gemüths entzweibricht, dasselbe Wesen als ein gedoppeltes veranschaulicht. Die Aehnlichkeit ist die Identität der Vernunft , welche auf dem Gebiete der Wirklichkeit durch die unmittelbar sinnliche Vorstellung, auf dem Gebiete der Religion aber durch die Vorstellung der Einbildungskraft getheilt, unterbrochen wird, kurz, die durch die Vorstellung der Individualität oder Persönlichkeit entzweite Vernunftidentität . Ich kann keinen wirklichen Unterschied zwischen Vater und Kind, Urbild und Ebenbild, Gott und Mensch entdecken, wenn ich nicht die Vorstellung der Persönlichkeit zwischen einschiebe. Die Aehn- lichkeit ist die äußerliche Identität; die Identität, die durch die Vernunft, den Wahrheitssinn bejaht , durch die Einbil- dung verneint wird, die Identität, welche einen Schein des Unterschieds bestehen läßt — eine Scheinvorstel- lung , die nicht geradezu Ja, nicht geradezu Nein sagt. Gott ist Person — das heißt: Gott ist nicht nur ein ge- fühltes, vorgestelltes, geliebtes, gedachtes, er ist selbst ein lie- bendes, denkendes und zwar sich selbst liebendes, sich selbst denkendes Wesen. Die Persönlichkeit Gottes ist die entäußerte, vergegenständlichte Persönlichkeit des Menschen. Vermittelst der Persönlichkeit macht der Mensch seine eignen Selbstbestim- mungen und Gemüthsbewegungen zu göttlichen Bestimmungen, wie wenn er z. B. seine Gewissensfurcht in den Zorn Gottes, seinen Frieden vor dem Gewissen in göttliches Wohlgefallen verwandelt. Auf diesem Processe der Selbstentäußerung, Selbstvergegen- ständlichung beruht auch im Grunde die neuere, Hegel ’sche spe- culative Lehre, welche das Bewußtsein des Menschen von Gott zum Selbstbewußtsein Gottes macht, nur mit dem Unterschiede, daß hier dieser Proceß ein selbstbewußter ist und daher zugleich, in einem und demselben Momente das entäußerte Wesen in den Menschen wieder zurückgenommen wird. Gott wird nicht nur von uns gedacht — er denkt sich selbst. Dieses sein Gedachtwerden ist der Speculation zufolge das Sich Denken Gottes; sie iden- tificirt die beiden Seiten. Die Speculation ist hier bei weitem tiefer als die Religion, denn das Gedachtsein Gottes ist nicht, wie das eines äußerlichen Gegenstandes. Gott ist ein innres, geistiges Wesen, das Denken, das Bewußtsein ein innerer, geistiger Act, das Gedachtwerden Gottes daher die Beja- hung dessen, was Gott ist, das Wesen Gottes als Act bethätigt . Daß Gott gedacht, gewußt wird, ist wesentlich, daß dieser Baum gedacht wird, ist dem Baume zufällig, un- wesentlich. Gott ist ein unentbehrlicher Gedanke, eine Noth- wendigkeit des Denkens . Wie ist es nun aber möglich, daß diese Nothwendigkeit nur eine subjective, nicht zugleich objective ausdrücken soll? wie möglich, daß Gott, wenn er für uns sein , uns Gegenstand sein soll, nothwendig gedacht werden muß, wenn Gott an sich selbst, wie ein Klotz, gleich- gültig dagegen ist, ob er gedacht, gewußt wird oder nicht? Nein! es ist nicht möglich. Wir sind genöthigt, das Gedacht- werden Gottes zum Sich selbst Denken Gottes zu machen. Der religiöse Objectivismus hat zwei Passiva, zweierlei Gedachtwerden. Einmal wird Gott von uns gedacht, das andre Mal von sich selbst. Gott denkt sich, unabhängig davon, daß er von uns gedacht wird — er hat ein von unserm Be- wußtsein unterschiednes, unabhängiges Selbstbewußtsein. Es ist dieß allerdings auch consequent, wenn Gott einmal als wirkliche Persönlichkeit vorgestellt wird; denn die wirkliche, menschliche Person denkt sich und wird gedacht von einer andern; mein Denken von ihr ist ihr ein gleichgültiges, äußer- liches. Es ist dieß der höchste Punkt des religiösen Anthro- popathismus. Um Gott von allem Menschlichen frei und selbstständig zu machen, macht man aus ihm lieber geradezu eine menschliche Persönlichkeit, indem man sein Denken in ihm einschließt , das Gedachtwerden von ihm ausschließt , als in ein andres Wesen fallend. Diese Gleichgültigkeit gegen uns, gegen unser Denken ist das Zeugniß seiner selbststän- digen, d. i. äußerlichen, persönlichen Existenz. Die Re- ligion macht allerdings auch das Gedachtwerden Gottes zum Selbstdenken Gottes; aber weil dieser Proceß hinter ihrem Bewußtsein vorgeht, indem Gott unmittelbar vorausgesetzt ist als ein für sich existirendes, persönliches Wesen, so fällt in ihr Bewußtsein nur die Gleichgültigkeit der beiden Seiten. Die Speculation aber identificirt, was die Religion entzweit. Da der Speculation zufolge das Gedachtwerden Gottes mit seinem Selbstdenken zusammenfällt, so fällt in der Wahr- heit beides in ein und dasselbe Wesen . Gott wird uns hier vindicirt, zurückgegeben als unser eignes Wesen: er wird von uns gedacht, von uns gewußt, und dieses Denken, dieses Wissen ist sein eignes Wissen und Denken, unsre subjective Thätigkeit objective Thätigkeit, unser Wesen also Gottes Wesen. Es wird hier also eingestanden , was die Religion ver- schweigt , durch die Phantasie umgeht, aber so, daß dieses Eingeständniß der Speculation selbst noch nur ein indirectes, unklares, unvollkommnes ist; denn es wird zugleich noch Gott im religiösen Sinne festgehalten, Gott als ein objectives, von uns unterschiednes Wesen gesetzt. Es ist daher außeror- dentlich schwer, diesen Gedanken der Speculation zu fassen, weil das göttliche und das menschliche Wesen doch noch als zwei Wesen vorgestellt werden und das Bewußtsein des Einen das Selbstbewußtsein des Andern sein soll, während doch das Selbstbewußtsein die innigste, einfachste Identität eines Wesens mit sich selbst ausdrückt, so daß also hier das Untheilbare an Zwei vertheilt erscheint. Sollte diese Auffassung auch nur ein „Mißverstand“ sein, was sie in Wahrheit aber nicht ist, so liegt doch der Grund hievon keineswegs in dem Mißverstehenden allein. Die Schwierigkeit des Verständnisses liegt vielmehr in der Unklarheit der Sache selbst, die Möglichkeit unangemessener Vor- stellungen ist nicht beseitigt; es fehlt die einfache Sprache der Wahrheit , es liegt die Duplicität des religiösen Be- wußtseins zu Grunde; es ist nicht die Identität des menschli- chen Wesens mit sich selbst , sondern die Identität des gött- lichen und menschlichen Wesens ausgesprochen Hieher gehört auch der religiöse Mysticismus, dessen Reiz auf Gemüth und Phantasie eben darin liegt, daß er in der innigsten We- senseinheit zweier Wesen lebt und webt. Hegel citirt selbst in seiner Religionsphilosophie den schönen mystischen Ausspruch: „das Auge, mit dem mich Gott sieht, ist das Auge, mit dem ich ihn sehe, mein Auge und sein Auge ist eins.“ H. hat daher nicht vermittelst des Rationalismus, sondern des Mysticismus, nicht auf rationelle, sondern mystische Weise den Gegensatz des göttlichen und menschlichen Wesens aufgelöst. Das Wissen von Gott ist nach H. ein gemeinschaftlicher Act. „Daß der Mensch von Gott weiß, ist nach der wesentlichen Gemeinschaft ein ge- meinschaftliches Wissen.“ Die Einheit des Göttlichen und Mensch- lichen ist daher bei H. immer noch eine dualistische, zwiespältige, zwei- deutige, keine wahre, wie überhaupt die Einheit des Endlichen und Un- endlichen, des Natürlichen und Geistigen, des Sinnlichen und Uebersinn- lichen, und zwar deßwegen, weil bei ihm noch die alte Feindschaft gegen das Natürliche, Sinnliche zu Grunde liegt, was schon darin deutlich genug ausgesprochen ist, daß die Natur nach ihm ein Abfall von der Idee, der dissolute, der lüderliche Begriff, der Begriff in der Irre, der verlorne Sohn des Neuen Testamentes ist. Was insbesondere aber den Zwiespalt des göttlichen und menschlichen Wesens anbelangt, so konnte H. schon deßwegen denselben nicht auf wahrhafte Weise auflösen, weil er, aus Präoccupation für die Orthodoxie, das höchste Mysterium, das Räthsel der Speculation in dem dogmatischen Gottmenschen vollkommen auf- . Ist aber in der That das göttliche und menschliche Wesen identisch, wozu noch Zwei ? Der gerade, einfache, wahre, sachgemäße Ausdruck ist: das göttliche Wesen ist gar nichts andres als das menschliche Wesen selbst . Der indirecte, ver- kehrte, mystische, aber deßwegen „ tiefe “ Ausdruck — alles Natürliche unnatürlich, alles Einfache verkehrt und widerspre- chend ausgedrückt ist Tief, ist Speculativ im modernen Sinn — der mystische Ausdruck ist die Identität von Zweien , das Und — dieses Und daher die Akme der religiösen Speculation, indem damit einerseits die Religion, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, andererseits die Speculation zufrieden gestellt, beruhigt wird. Zwei ist der Schein der Religion, der übrig geblieben und die Augen der Speculation verblendet, die Copula dagegen die Befriedigung des Gedankens, der in dem Göttli- chen das Menschliche erkennt. Der Wahrheit nach ist aber diese Identität, wie gesagt, nur der verschrobene Ausdruck der Identität des menschlichen Wesens mit sich selbst , welcher zufolge der Mensch nichts als Gott setzen kann, was nicht menschlichen Wesens ist. Aller Identität, die nicht wahrhafte Identität, Identität mit sich selbst ist, liegt noch die Trennung in Zwei zu Grunde, indem sie zugleich aufgehoben wird oder aufgehoben werden soll. Jede Einheit solcher Art ist ein Widerspruch mit sich selbst und mit dem Verstande — eine Halbheit — eine Phan- gelöst fand. Aber in dem Gottmenschen ist eben so wohl die Einheit, als die Unvereinbarkeit, der Zwiespalt, der Widerspruch des göttlichen und menschlichen Wesens ausgesprochen. S. hierüber im Anhang. Hegel’s Philosophie, insbesondere Religionsphilosophie ist ein Kampf der Spe- culation und Religion, in welchem bald die Religion von der Speculation, bald die Speculation von der Religion überwältigt wird. tasie . Dieß bestätigt vor Allem das unselige Zwittergeschöpf der Schelling’schen Identitätsphilosophie. Wenn wirklich Geist und Natur identisch sind, so ist die Wahrheit dieser Identität die Identität der Natur mit sich selber . Wir brauchen nichts weiter mehr als Natur: es gibt dann nicht mehr eine Natur- und Geistesphilosophie, sondern Alles ist Naturlehre. So nur bekommen wir ein System der Identität — wahrer Identität im Gegensatze zu der scheinbaren, träumerischen Iden- titätslehre der Schelling’schen Philosophie, gleichwie wir nur dann ein wahres System der Identität des göttlichen und menschlichen Wesens bekommen, wenn wir nicht mehr eine be- sondre, von der Psychologie oder Anthropologie unterschiedne Religionsphilosophie oder Theologie haben, sondern die An- thropologie selbst als Theologie erkennen. Die Religion realisirt oder verobjectivirt aber nicht nur das menschliche oder göttliche Wesen überhaupt als persönliches Wesen; sie realisirt auch die Grundbestimmungen oder Grund- unterschiede desselben wieder als Personen. Die Trinität ist daher ursprünglich nichts andres als der Inbegriff der wesentli- chen Grundunterschiede, welche der Mensch im Wesen des Menschen wahrnimmt. Je nachdem dieses erfaßt wird, je nachdem sind auch die Grundbestimmungen, worauf die Tri- nität gegründet wird, verschieden. So hat man in neuerer Zeit hauptsächlich die Trinität nur auf den Act des Bewußt- seins reducirt. Gott denkt sich, was Gott denkt, ist zwar auch Gedanke, aber als Gedanke Gottes zugleich Wesen. Das Wesentliche für uns ist aber hier nur dieß, daß Gedankenun- terschiede oder auch wirkliche Unterschiede des Einen und selben menschlichen Wesens als Substanzen , als göttliche Per- sonen hypostasirt werden. Und darin daß diese unterschiedne Bestimmungen in Gott Hypostasen, Subjecte, Wesen sind, soll eben der Unterschied liegen zwischen diesen Bestimmungen, wie sie in Gott und eben diesen Bestimmungen, wie sie im Menschen existiren, in Folge des ausgesprochenen Gesetzes, daß nur in der Vorstellung der Persönlichkeit die menschliche Per- sönlichkeit ihre eignen Bestimmungen sich alienirt und alterirt. Die Persönlichkeit existirt aber nur in der Einbildungskraft; die Grundbestimmungen sind daher auch hier nur für die Einbildung Hypostasen, Personen, für die Vernunft, für das Denken nur Relationen oder nur Bestimmungen. Die Trinität ist der Widerspruch von Polytheismus und Monotheismus, von Phantasie und Vernunft, Einbildung und Realität. Die Phantasie ist die Dreiheit, die Vernunft die Einheit der Per- sonen. Der Vernunft nach sind die Unterschiedenen nur Unterschiede , der Phantasie nach die Unterschiede Unter- schiedene , welche daher die Einheit des göttlichen Wesens aufheben. Für die Vernunft sind die göttlichen Personen Phan- tome, für die Einbildung Realitäten. Die Trinität macht dem Menschen die Zumuthung, das Gegentheil von dem zu denken, was man sich einbildet und das Gegentheil von dem sich einzubilden, was man denkt — Phantome als Realitäten zu denken Es ist sonderbar, wie die speculative Religionsphilosophie gegen den göttlichen Verstand die Trinität in Schutz nimmt, und doch mit der Beseitigung der persönlichen Substanzen und mit der Erklärung, daß das Verhältniß von Vater und Sohn nur ein dem organischen Leben ent- . Es sind drei Personen, aber sie sind nicht wesentlich unterschieden. Tres personae, aber una essentia . So weit geht es natürlich zu. Wir denken uns drei und selbst mehrere Personen, die im Wesen identisch sind. So wir Menschen unterscheiden uns von einander durch persönliche Unterschiede, aber in der Hauptsache, im Wesen, in der Menschheit sind wir eins. Und diese Identification macht nicht nur der speculirende Verstand, sondern selbst das Gefühl . Dieses Individuum da ist Mensch wie wir; punctum satis; in diesem Gefühle verschwinden alle andern Unterschiede — ob reich oder arm, gescheut oder dumm, schuldig oder unschuldig. Das Gefühl des Mitleids, der Theilnahme ist daher ein substanzielles, we- senhaftes, ein speculatives Gefühl. Aber die drei oder mehrere menschlichen Personen existiren außer einander, haben eine getrennte Existenz, auch wenn sie die Einheit des Wesens noch außerdem durch innige Liebe verwirklichen, bestätigen sollten. Sie constituiren durch die Liebe eine moralische Person, aber haben, jede für sich, eine physikalische Existenz. Wenn sie auch gegenseitig noch so sehr von einander erfüllt sind, sich nicht entbehren können, so haben sie doch immer ein formel- les Fürsichsein . Fürsichsein und Außerandernsein ist iden- nommenes unangemessenes Bild sei, der Trinität die Seele , das Herz aus dem Leibe reißt. Wahrlich, wenn man die Kunstgriffe cabbali- stischer Willkühr , welche die speculativen Religionsphilosophen zu Gunsten der absoluten Religion anwenden, auch den endlichen Religionen zu Gute lassen kommen dürfte oder wollte, so wäre es nicht schwierig, auch schon aus den Hörnern des ägyptischen Apis die Pandora- büchse der christlichen Dogmatik herauszudrechseln . Man bedürfte hiezu nichts weiter als die ominöse, zur Rechtfertigung jedes Unsinns geschickte Trennung von Verstand und speculativer Vernunft. tisch, wesentliches Merkmal einer Person, einer Substanz. Anders bei Gott, und nothwendig anders, denn es ist das- selbe in ihm, was im Menschen, aber als ein Andres , mit dem Postulat: es soll ein Andres sein . Die drei Per- sonen in Gott haben keine Existenz außer einander ; sonst würden uns im Himmel der christlichen Dogmatik mit aller Herzlichkeit und Offenheit zwar nicht wie im Olymp viele, aber doch wenigstens drei göttliche Personen in individueller Gestalt, drei Götter entgegenkommen. Die Götter des Olymps waren wirkliche Personen, denn sie existirten außer einander, sie hatten das Wahrzeichen der Realität der Persönlichkeit in ihrer Individualität, stimmten aber im Wesen, in der Gottheit überein; sie hatten verschiedne persönliche Attribute, aber waren jeder einzeln ein Gott; in der Gottheit gleich, als exi- stirende Subjecte verschieden: sie waren wahrhafte göttliche Personen. Die drei christlichen Personen dagegen sind nur vorgestellte, eingebildete, vorgeheuchelte Personen — allerdings andere Personen als die wirklichen Personen, eben weil sie nur eingebildete, nur Schemen von Persönlich- keiten sind, zugleich aber dennoch wirkliche Personen sein wol- len und sollen . Das wesentliche Merkmal persönlicher Rea- lität, das polytheistische Element ist ausgeschlossen, negirt als ungöttlich. Aber eben durch diese Negation wird ihre Persönlichkeit nur zu einem Scheine der Einbildung. Nur in der Wahrheit des Plurals liegt die Wahrheit der Per- sonen . Die drei christlichen Personen sind aber nicht tres Dii, drei Götter — sie sollen es wenigstens nicht sein — sondern unus Deus . Die drei Personen endigen nicht, wie zu erwarten, in einem Plural, sondern Singular; sie sind nicht nur Unum, Eins — solches sind auch die Götter des Poly- theismus — sondern nur Einer, Unus . Die Unität, Einheit hat hier nicht die Bedeutung des Wesens nur, sondern zugleich der Existenz ; die Einheit ist die Existenzialform Gottes. Drei ist Eins: der Plural ein Singular. Gott ist ein aus drei Personen bestehendes persönliches Wesen Die Einheit hat nicht die Bedeutung des Genus, nicht des Unum sondern des Unus . (S. Augustin . und Petrus Lomb. l. I. dist. 19. c. 7. 8. 9.) Hi ergo tres , qui unum sunt propter ineffabilem conjunctionem deitatis, qua ineffabiliter copulantur, unus Deus est . (Petrus L. l. c. c . 6.) . Die drei Personen sind also nur Phantome in den Augen der Vernunft, denn die Bedingungen oder Bestimmungen, durch welche sich ihre Persönlichkeit realisiren müßte, sind durch das Gebot des Monotheismus aufgehoben. Die Einheit läugnet die Persönlichkeit; die Selbstständigkeit der Personen geht unter in der Selbstständigkeit der Einheit; sie sind bloße Relationen . Der Sohn ist nicht ohne den Vater, der Vater nicht ohne den Sohn, der heilige Geist, der überhaupt die Symmetrie stört, drückt nichts aus als die Beziehung beider auf einander, die aber hier im offenbarsten, auch dem Blind- gläubigen augenfälligen Widerspruch mit der Bestimmung, eine bloße Beziehung zu sein, selbst wieder zu einer selbststän- digen Person gemacht wird. Die göttlichen Personen unter- scheiden sich aber nur dadurch von einander, wodurch sie sich gegenseitig auf einander beziehen. Das Wesentliche des Va- ters als Person ist, daß er Vater, des Sohnes, daß er Sohn ist. Was der Vater noch außer seiner Vaterschaft ist, das betrifft nicht seine Persönlichkeit; darin ist er Gott, und als Gott identisch mit dem Sohne als Gott. Darum heißt es: Gottvater, Gottsohn, Gott h. Geist, Gott ist in allen Dreien gleich, Dasselbe. „Ein anderer ist der Vater, ein anderer der Sohn, ein anderer der heilige Geist, aber nichts Anderes , sondern das, was der Vater ist auch der Sohn und der h. Geist“ d. h. es sind verschiedene Personen, aber ohne Verschiedenheit des Wesens. Die Persönlichkeit geht also lediglich in das Verhältniß der Vaterschaft auf, d. h. der Begriff der Person ist hier nur ein relativer Begriff, der Begriff einer Relation. Der Mensch als Vater ist gerade darin, daß er Vater ist, unselbstständig, we- sentlich in Bezug auf den Sohn; er ist nicht ohne den Sohn Vater; durch die Vaterschaft setzt sich der Mensch zu einem re- lativen, unselbstständigen, unpersönlichen Wesen herab. Es ist vor Allem nöthig, sich nicht täuschen zu lassen durch diese Verhältnisse, wie sie in der Wirklichkeit, im Menschen existiren. Der menschliche Vater ist außer seiner Vaterschaft noch selbst- ständiges, persönliches Wesen; er hat wenigstens ein formelles Fürsichsein, eine Existenz außer seinem Sohne; er ist nicht nur Vater mit Ausschluß aller andern Prädicate eines wirk- lichen persönlichen Wesens. Die Vaterschaft ist ein Verhält- niß, das der schlechte Mensch sogar zu einer ganz äußerlichen, sein persönliches Wesen nicht tangirenden Relation machen kann. Aber im Gottvater ist kein Unterschied zwischen dem Gottvater und dem Gottsohn als Gott; nur die abstracte Va- terschaft constituirt seine Persönlichkeit, seinen Unterschied von dem Sohne, dessen Persönlichkeit gleichfalls nur die abstracte Sohnschaft begründet. Aber zugleich sollen diese Relationen, wie gesagt, nicht bloße Relationen, Unselbstständigkeiten, sondern wirkliche Per- sonen, Wesen, Substanzen sein. Es wird also wieder die Wahrheit des Plurals, die Wahrheit des Polytheismus be- jaht Quia ergo pater Deus et filius Deus et spiritus s. Deus, cur non dicuntur tres Dii ? Ecce proposuit hanc propositionem (Au- gustinus) attende quid respondeat ..... Si autem dicerem: tres Deos , contradiceret scriptura dicens: Audi Israel: deus tuus unus est. Ecce absolutio quaestionis: quare potius dicamus tres personas quam tres Deos , quia scil. illud non contradicit scriptura. Petrus L. l. I. dist. 23, c . 3. Wie sehr stützte sich doch auch der Katholi- cismus auf die heilige Schrift! und die Wahrheit des Monotheismus verneint. Die Forderung der Realität der Personen ist die Forderung der Irrealität der Einheit, und umgekehrt die Forderung der Rea- lität der Einheit die Forderung der Irrealität der Personen. So löst denn auch in dem heiligen Mysterium der Trinität sich Alles auf in Täuschungen, Phantasmen, Widersprüche und Sophismen. Der Widerspruch in den Sacramenten. Wie das objective Wesen der Religion, das Wesen Gottes — so löst sich auch, aus leicht begreiflichen Gründen, das subjective Wesen derselben in lauter Widersprüche auf. Die subjectiven Wesensmomente der Religion sind einer- seits Glaube und Liebe , andererseits, inwiefern sie sich in einem Cultus äußerlich darstellt, die Sacramente der Taufe und des Abendmahls . Das Sacrament des Glaubens ist die Taufe, das Sacrament der Liebe das Abendmahl. Streng genommen, gibt es nur zwei Sacramente, wie zwei subjective Wesensmomente der Religion: Glaube und Liebe; denn die Hoffnung ist nur der Glaube in Bezug auf die Zukunft; sie wird daher mit demselben logischen Unrecht, als der heilige Geist zu einem besondern Wesen gemacht. Die Identität der Sacramente mit dem entwickelten spe- cifischen Wesen der Religion, stellt sich nun, abgesehen von andern Beziehungen, sogleich dadurch heraus, daß die Basis derselben natürliche Dinge oder Stoffe sind, welchen aber eine ihrer Natur widersprechende Bedeutung und Wirkung ein- geräumt wird. So ist das Subject oder die Materie der Taufe das Wasser, gemeines, natürliches Wasser, gleichwie überhaupt die Materie der Religion unser eignes natürliches Wesen ist. Aber wie unser eignes Wesen die Religion uns entfremdet und entwendet, so ist auch das Wasser der Taufe zugleich wieder ein ganz anderes Wasser, als das gemeine; denn es hat keine physische, sondern hyperphysische Kraft und Bedeutung: es ist das Lavacrum regenerationis, reinigt den Menschen vom Schmutze der Erbsünde, treibt den angebornen Teufel aus, versöhnt mit Gott. Es ist also ein natürliches Wasser eigentlich nur zum Schein, in Wahrheit übernatürli- ches. Mit andern Worten: das Taufwasser hat übernatürliche Wirkungen — was aber übernatürlich wirkt, ist selbst überna- türlichen Wesens — nur in der Vorstellung, in der Imagination. Aber dennoch soll zugleich wieder der Taufstoff na- türliches Wasser sein. Die Taufe hat keine Gültigkeit und Wirksamkeit, wenn sie nicht mit Wasser vollbracht wird. Die natürliche Qualität hat also doch auch für sich selbst Werth und Bedeutung, weil nur mit dem Wasser, nicht mit einem andern Stoffe sich die übernatürliche Wirkung der Taufe auf übernatürliche Weise verbindet. Gott könnte an sich vermöge seiner Allmacht die nämliche Wirkung an jedes beliebige Ding knüpfen. Aber er thut es nicht; er accommodirt sich der natürlichen Qualität; er wählt einen seiner Wirkung entsprechenden, ähnlichen Stoff. Ganz wird Feuerbach . 21 also das Natürliche nicht zurückgesetzt; es bleibt vielmehr immer noch eine gewisse Analogie, ein Schein von Natürlichkeit übrig. Der Wein repräsentirt das Blut , das Brot das Fleisch Sacramentum ejus rei similitudinem gerit, cujus signum est. Petrus Lomb . l. IV. dist. 1. c . 1. . Auch das Wunder richtet sich nach Aehnlichkeiten; es verwandelt Wasser in Wein oder Blut, eine Species in eine andere, unter Beibehaltung des unbestimmten Gattungs- begriffs der Flüssigkeit. So also auch hier. Das Wasser ist die reinste, klarste sichtbare Flüssigkeit: vermöge dieser seiner Naturbeschaffenheit das Bild von dem fleckenlosen Wesen des göttlichen Geistes. Kurz, das Wasser hat zugleich für sich selbst , als Wasser, Bedeutung; es wird ob seiner natürli- chen Qualität geheiligt, zum Organ oder Vehikel des heiligen Geistes erkoren. Insofern liegt der Taufe ein schöner tiefer Natursinn zu Grunde. Indeß dieser schöne Sinn geht sogleich wieder verloren, indem das Wasser eine transcendente Wirkung hat — eine Wirkung, die es nur durch die übernatürliche Kraft des heiligen Geistes, nicht durch sich selbst hat. Die natürliche Qualität wird insofern wieder gleichgültig: wer aus Wein Wasser macht, kann willkührlich mit jedem Stoffe die Wirkungen des Taufwassers verbinden. Die Taufe kann daher nicht ohne den Begriff des Wun- ders gefaßt werden. Die Taufe ist selbst ein Wunder. Dieselbe Kraft, welche die Wunder gewirkt, und durch sie, als that- sächliche Beweise der Gottheit Christi die Juden und Heiden in Christen umgewandelt, dieselbe Kraft hat die Taufe einge- setzt und wirkt in ihr. Mit Wundern hat das Christenthum angefangen, mit Wundern setzt es sich fort. Will man die Wunderkraft der Taufe läugnen, so muß man auch die Wunder überhaupt läugnen. Das wunderwirkende Taufwasser hat seine natürliche Quelle in dem Wasser, welches an der Hoch- zeit zu Kana in Wein verwandelt wurde. Der Glaube, der durch Wunder bewirkt wird, hängt nicht ab von mir, von meiner Selbstthätigkeit, von der Freiheit der Ueberzeugungs- und Urtheilskraft. Ein Wunder, das vor meinen Augen geschieht, muß ich glauben, wenn ich nicht ab- solut verstockt bin. Das Wunder nöthigt mir auf den Glau- ben an die Gottheit des Wunderthäters In Beziehung auf den Wunderthäter ist allerdings der Glaube (die Zuversicht zu Gottes Beistand) die causa efficiens des Wunders (s. z. B. Matth. 17, 20. Apstgesch. 6, 8). Aber in Beziehung auf den Zuschauer des Wunders — und davon handelt es sich hier — ist das Wun- der die causa efficiens des Glaubens. . Allerdings setzt es in gewissen Fällen Glauben voraus, nämlich da, wo es als Belohnung erscheint, außerdem aber nicht sowohl wirklichen Glauben, als vielmehr nur gläubigen Sinn, Disposition, Bereitwilligkeit, Hingebung im Gegensatz zu dem unglaublich verstockten und böswilligen Sinn der Pharisäer. Das Wunder soll ja beweisen, daß der Wunderthäter wirklich der ist, für den er sich ausgibt. Erst der auf das Wunder gestützte Glaube ist bewiesener, begründeter, objectiver Glaube. Der Glaube, den das Wunder voraussetzt, ist nur der Glaube an einen Messias, einen Christus überhaupt , aber den Glauben, daß dieser Mensch hier der Christus ist — diesen Glauben — und dieser ist die Hauptsache — bewirkt erst das Wunder. Uebri- gens ist auch die Voraussetzung selbst dieses unbestimmten Glaubens keineswegs nothwendig. Unzählige wurden erst durch die Wunder gläubig; das Wunder war also die Ursache ihres Glaubens. Wenn daher die Wunder dem Christenthum nicht 21* widersprechen — und wie sollten sie ihm widersprechen? — so widerspricht demselben auch nicht die wunderbare Wirkung der Taufe. Im Gegentheil es ist nothwendig, der Taufe eine supernaturalistische Bedeutung zu geben, wenn man ihr eine christliche Bedeutung geben will. Paulus wurde durch eine plötzliche wunderbare Erscheinung, wie er noch voll des Christenhasses war, bekehrt. Das Christenthum kam gewaltsam über ihn. Man kann sich nicht mit der Ausflucht helfen, daß bei einem Andern diese Erscheinung nicht denselben Erfolg würde gehabt haben, daß also die Wirkung derselben doch dem Paulus selbst zugerechnet werden müsse. Denn wären Andere derselben Erscheinung gewürdigt worden, so würden sie sicher- lich eben so christlich geworden sein, als Paulus. Allmächtig ist ja die göttliche Gnade. Die Ungläubigkeit und Unbekehr- lichkeit der Pharisäer ist kein Gegengrund; denn eben ihnen entzog sich die Gnade. Der Messias mußte nothwendig, einem göttlichen Decret zufolge, verrathen, mißhandelt, gekreuzigt werden. Also mußten Individuen sein, die ihn mißhandelten, die ihn kreuzigten; also mußte schon im Voraus die göttliche Gnade diesen Individuen sich entzogen haben. Freilich wird sie sich ihnen nicht ganz und gar entzogen haben, aber nur, um ihre Schuld zu vergrößern, keineswegs mit dem ernstlichen Willen, sie zu bekehren. Wie wäre es möglich gewesen, dem Willen Gottes, vorausgesetzt natürlich, daß es wirklich sein Wille, nicht bloße Velleität war, zu widerstehen? Paulus selbst stellt seine Bekehrung und Umwandlung als ein, von seiner Seite völlig verdienstloses Werk der göttlichen Gnade hin. Ganz richtig. Der göttlichen Gnade nicht widerstehen d. h. die göttliche Gnade aufnehmen, auf sich wirken lassen — das ist ja selbst schon etwas Gutes, folglich eine Wirkung der Gnade des heiligen Geistes. Nichts ist verkehrter, als das Wunder mit der Lehr- und Denkfreiheit, die Gnade mit der Willensfreiheit vermitteln zu wollen. Die Religion scheidet das Wesen des Menschen vom Menschen. Die Thätigkeit Gottes ist die entäußerte Selbstthätigkeit des Menschen. Gott handelt statt des Menschen: der Mensch verhält sich nur passiv, weil er sein Selbst außer sich, in Gott setzt. Es ist die größte Inconsequenz, wenn man die Erfahrung, daß die Menschen durch die heilige Taufe nicht geheiligt, nicht umgewandelt werden, als ein Argument gegen den Glau- ben an eine wunderbare Wirkung der Taufe anführt, wie dieß von rationalistisch-orthodoxen Theologen geschehen ist Freilich trotzte auch schon den ältern unbedingt gläubigen Theolo- gen die Erfahrung das Geständniß ab, daß die Wirkungen der Taufe we- nigstens in diesem Leben sehr beschränkt seien. Baptismus non aufert omnes poenalitates hujus vitae. Mezger. Theol. schol. T. IV. p . 251. S. auch Petrus L. l. IV. dist. 4. c. 4. l. II. dist. 32. c . 1. ; denn auch die Wunder, auch die objective Kraft des Gebetes, über- haupt alle übernatürlichen Wahrheiten der Religion widerspre- chen der Erfahrung. Wer sich auf die Erfahrung beruft, der verzichte auf den Glauben. Wo die Erfahrung eine Instanz ist, da ist der religiöse Glaube und Sinn bereits verschwunden. Die objective Kraft des Gebets läugnet der Ungläubige nur deßwegen, weil sie der Erfahrung widerspricht, der Atheist geht noch weiter, er läugnet selbst die Existenz Gottes, weil er sie in der Erfahrung nicht findet. Die innere Erfahrung ist ihm kein Anstoß; denn was Du in Dir selbst erfährst von einem andern Wesen, das beweist nur, daß Etwas in Dir ist, was nicht Du selbst bist, was unabhängig von Deinem persönlichen Willen und Bewußtsein auf Dich wirkt, ohne daß Du weißt, was dieses geheimnißvolle Etwas ist. Aber der Glaube ist stärker, als die Erfahrung. Die wider ihn sprechenden Instanzen stören den Glauben nicht in seinem Glauben; er ist selig in sich; er hat nur Augen für sich , allem Andern außer ihm verschlossen. Allerdings fordert die Religion auch auf dem Standpunkt ihres mystischen Materialismus immer zugleich das Moment der Subjectivität, so auch bei den Sacramenten, aber hierin eben offenbart sich ihr Widerspruch mit sich selbst . Und dieser Widerspruch tritt besonders grell in dem Sacrament des Abendmahls hervor; denn die Taufe kommt ja auch schon den Kindern zu Gute, ob man gleich auch selbst bei ihr, als Be- dingung ihrer Wirksamkeit, das Moment der Subjectivität geltend gemacht, aber sonderbarer Weise in den Glauben An- derer, in den Glauben der Eltern oder deren Stellvertreter verlegt hat. Der Gegenstand des Sacramentes des Abend- mahls ist nämlich der Leib Christi selbst. Aber gleichwohl wird der Glaube, die Gesinnung des Menschen dazu erfordert, daß die entsprechende Wirkung dieses Leibes statt findet. Habe ich nicht die entsprechende Gesinnung, so wirkt dieser Leib nicht anders auf mich als ein gewöhnlicher Brotteig. Es ist ein Object da; es ist der Leib Gottes selbst; aber die Wirkung ist keine objective , keine leibliche , sondern geistige, d. i. subjective , nur von mir selbst abhängige. Wir haben hier wieder nur in einem sinnfälligen Beispiele, was wir überhaupt im Wesen der Religion fanden. Das Object oder Subject in der religiösen Sytaxe ist immer ein wirkliches menschliches oder natürliches Subject oder Prädicat; aber die nähere Be- stimmung, das wesentliche Prädicat dieses Prädicats wird negirt. Das Subject ist ein sinnliches, das Prädicat aber ein nicht sinnliches d. h. diesem Subjecte widersprechendes . Derselbe Fall ist auch hier. Es ist ein wirklicher Leib da; aber es fehlen ihm die nothwendigen Prädicate der Wirklichkeit . Einen wirklichen Leib unterscheide ich von einem eingebildeten Leibe nur dadurch, daß jener leibliche Wirkungen, unwillkührliche Wirkungen auf mich macht. Wenn also das Brot der wirkliche Leib Gottes wäre, so müßte der Genuß desselben unmittelbar, unwillkührlich heilige Wirkungen in mir hervorbringen; ich brauchte keine besondere Vorbereitung zu treffen, keine heilige Gesinnung mitzubringen. Wenn ich einen Apfel esse, so bringt mir der Apfel von selbst den Geschmack des Apfels bei. Ich brauche nichts weiter als höchstens einen nicht überladnen Magen, um den Apfel als Apfel zu empfinden. Die Katho- liken fordern von Seiten des Körpers Nüchternheit als Be- dingung des Genusses des Abendmahls. Dieß ist genug. Mit meinen Lippen ergreife ich den Leib, mit meinen Zähnen zermalme ich ihn, mit meiner Speiseröhre bringe ich ihn in den Magen; ich assimilire mir ihn nicht geistig, sondern leib- lich. Warum sollen also seine Wirkungen nicht körperlich sein? Warum soll dieser Leib, der leiblichen, aber zugleich himmli- schen, übernatürlichen Wesens ist, nicht auch körperliche und doch zugleich heilige, übernatürliche Wirkungen in mir hervor- bringen? Wenn meine Gesinnung, mein Glaube erst den Leib zu einem mich heiligenden Leib macht, das trockne Brot in pneumatisch animalische Substanz transsubstanziirt, wozu brauche ich noch ein äußerliches Object? Ich selbst bringe ja die Wirkung des Leibes auf mich, also die Realität desselben hervor; ich werde von mir selbst afficirt . Wo ist die ob- jective Kraft und Wahrheit? Wer unwürdig das Abendmahl genießt, der hat nichts weiter als den physischen Genuß von Brot und Wein. Wer nichts mitbringt, nimmt nichts mit fort. Die specifische Differenz dieses Brotes von gemeinem natürlichen beruht daher nur auf dem Unterschiede der Gesin- nung beim Tische des Herrn von der Gesinnung bei irgend einem andern Tische. „Welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket ihm selber das Gericht, daß er nicht un- terscheidet den Leib des Herrn 1. Korinther 11, 29. . Diese Gesinnung hängt aber selbst wieder nur ab von der Bedeutung, die ich diesem Brote gebe. Hat es für mich die Bedeutung, daß es nicht Brot, sondern der Leib Christi selbst ist, so hat es auch nicht die Wirkung von gemeinem Brote. In der Bedeutung liegt die Wirkung . Ich esse nicht, um mich zu sättigen; ich ver- zehre deßwegen nur ein geringes Quantum. So wird also schon hinsichtlich der Quantität, die bei jedem andern mate- riellen Genusse eine wesentliche Rolle spielt, die Bedeutung gemeinen Brotes äußerlich beseitigt. Aber diese Bedeutung existirt nur in der Phantasie ; den Sinnen nach bleibt der Wein Wein, das Brot Brot. Die Scholastiker halfen sich darum mit der köstlichen Distinc- tion von Substanz und Accidenzen. Alle Accidenzen, welche die Natur von Wein und Brot constituiren, sind noch da; nur das, was diese Accidenzen ausmachen, das Subject, die Substanz fehlt, ist verwandelt in Fleisch und Blut. Aber alle Eigenschaften zusammen , diese Einheit ist die Substanz selbst. Was ist Wein und Brot, wenn ich ihnen die Eigenschaften nehme, die sie zu dem machen, was sie sind? Nichts. Fleisch und Blut haben daher keine objective Existenz: sonst müß- ten sie ja auch den ungläubigen Sinnen Gegenstand sein. Im Gegentheil: die allein gültigen Zeugen einer objectiven Existenz — der Geschmack, der Geruch, das Gefühl, das Auge reden einstimmig nur der Realität von Wein und Brot das Wort. Wein und Brot sind in der traurigen Wirklichkeit na- türliche, in der Einbildung aber göttliche Substanzen. Der Glaube ist die Macht der Einbildungskraft , welche das Wirkliche zum Unwirklichen, das Unwirkliche zum Wirklichen macht — der directe Widerspruch gegen die Wahr- heit der Sinne, die Wahrheit der Vernunft . Der Glaube verneint, was die objective Vernunft bejaht, und be- jaht, was sie verneint Videtur enim species vini et panis, et substantia panis et vini non creditur . Creditur autem substantia corporis et sangui- nis Christi et tamen species non cernitur. Divus Bernardus (ed. Bas. 1552. p. 189—191.) . Das Geheimniß des Abendmahls ist das Geheimniß des Glaubens Auch noch in anderer, hier nicht entwickelter, aber anmer- kungsweise zu erwähnender Beziehung, nämlich folgender. In der Religion, im Glauben ist der Mensch sich als das Object , d. i. der Zweck Gottes Gegenstand. Der Mensch bezweckt sich selbst in und durch Gott. Gott ist das Mittel der menschlichen Existenz und Se- ligkeit. Diese religiöse Wahrheit, gesetzt als Gegenstand des Cultus, als sinnliches Object ist das Abendmahl. Im Abendmahl ißt, ver- zehrt der Mensch Gott — den Schöpfer des Himmels und der Erde — als eine leibliche Speise, erklärt er durch die That des „mündlichen Essens und Trinkens“ Gott für ein bloßes Mittel des Menschen. Hier ist der Mensch als der Gott Gottes gesetzt — das Abendmahl daher der höchste Selbstgenuß der menschlichen Subjectivität. Auch der Pro- testant verwandelt hier zwar nicht dem Worte, aber der Wahrheit nach Gott in ein äußerliches Ding, indem er ihn sich als ein Object des sinnlichen Genusses subjicirt. — daher der Genuß des- selben der höchste, entzückendste, wonnetrunkenste Moment des gläubigen Gemüths. Die Negation der objectiven, unge- müthlichen Wahrheit, der Wahrheit der Wirklichkeit, der ge- genständlichen Welt und Vernunft — eine Negation, welche das Wesen des Glaubens ausmacht — erreicht im Abend- mahl ihren höchsten Gipfel, weil hier der Glaube ein unmit- telbar gegenwärtiges, evidentes, unbezweifelbares Object negirt , behauptend: es ist nicht, was es laut des Zeugnisses der Vernunft und Sinne ist ; behauptend: es ist nur Schein, daß es Brot, in Wahrheit ist es Fleisch. Der Satz der Scholastiker: es ist den Accidenzen nach Brot, der Substanz nach Fleisch, ist nämlich nur der abstracte, erklärende Gedankenausdruck von dem, was der Glaube annimmt und aussagt, und hat daher keinen andern Sinn als: dem Sin- nenschein oder der gemeinen Anschauung nach ist es Brot, der Wahrheit nach aber Fleisch. Wo daher einmal die Einbil- dungskraft des Glaubens eine solche Gewalt über die Sinne und Vernunft sich angemaßt hat, daß sie die evidenteste Sinnenwahrheit läugnet, da ist es auch kein Wunder, wenn sich die Gläubigen selbst bis zu dem Grade exaltiren konnten, daß sie wirklich statt Wein Blut fließen sahen. Solche Bei- spiele hat der Katholicismus aufzuweisen. Es gehört wenig dazu, außer sich, sinnlich wahrzunehmen, was man im Glau- ben, in der Einbildung als wirklich annimmt. So lange der Glaube an das Mysterium der Coena Domini als eine heilige, ja die heiligste, höchste Wahrheit die Menschheit beherrschte, so lange war auch das herrschende Princip der Menschheit die Einbildungskraft. Alle Kriterien der Wirklichkeit und Unwirklichkeit, der Unvernunft und Ver- nunft waren verschwunden — Alles, was man sich nur im- mer einbilden konnte, galt für reale Möglichkeit. Die Reli- gion heiligte jeden Widerspruch mit der Vernunft, mit der Na- tur der Dinge. Spottet nicht über die albernen Quästionen der Scholastiker! Sie waren nothwendige Consequenzen des Glaubens. Was nur Gemüthssache ist, sollte Vernunftsache sein, was dem Verstande widerspricht, sollte ihm nicht wider- sprechen. Das war der Grundwiderspruch der Scholastik, woraus sich alle andern Widersprüche von selbst ergaben. Aber gelten nicht heute noch die Glaubensdinge für reale Dinge? Und es ist von keiner besondern Erheblichkeit, ob ich die protestantische oder katholische Abendmahlslehre glaube. Der Unterschied ist nur der, daß sich im Protestantismus erst auf der Zunge im Actus des Genusses Fleisch und Blut auf eine völlig wunderbare Weise mit Wort und Wein verbinden; im Katholicismus aber schon vor dem Genuß durch die Macht des Priesters, der jedoch hier nur im Namen des Allmäch- tigen handelt Creator vini est qui vinum provehit in sanguinem Christi. Bernard . Non suis sermonibus sacerdos, sed utitur sermonibus Christi. Ergo sermo Christi conficit hoc sacramentum. Quis sermo Christi? Nempe is quo facta sunt omnia. Ambrosius de sacram, I. IV. c. 4. , Brot und Wein wirklich in Fleisch und Blut verwandelt werden. Der Protestant weicht nur kluger Weise einer bestimmten Erklärung aus: er gibt sich nur keine sinnfällige Blöße , wie die fromme unkritische Einfalt des Katholicismus, dessen Gott, als ein äußerliches Object selbst von einer Maus aufgezehrt werden kann; er beherbergt seinen Gott bei sich, da, wo er ihm nicht mehr entrissen werden kann und sichert ihn dadurch eben so vor der Macht des Zufalls, als des Spottes; verzehrt aber dessen ungeachtet eben so gut, wie der Katholik, im Brote und Weine wirkliches Fleisch und Blut. Wie wenig unterschieden sich namentlich anfänglich die Protestanten von den Katholiken in der Abendmahlslehre! So entstund zu Anspach ein Streit über die Frage: „ob der Leib Christi auch in den Magen komme, wie andre Speisen verdaut werde und also auch durch den natürlichen Gang wie- der ausgeworfen werde?“ Aber obgleich die Einbildungskraft des Glaubens die objective Existenz zu einem bloßen Scheine, die gemüthliche, imaginäre Existenz zur Wahrheit und Wirklichkeit macht; so ist doch an sich oder der Wahrheit nach das wirklich Gegen- ständliche nur der natürliche Stoff. Selbst der göttliche Leib in der Büchse des katholischen Priesters ist an sich nur im Glauben göttlicher Leib; dieß äußerliche Ding, in das er das göttliche Wesen verwandelt, nur ein Glaubensding ; denn der Leib ist ja auch hier nicht als Leib sichtbar, fühlbar, schmeckbar. Das heißt: das Brot ist nur der Bedeutung nach Fleisch. Zwar hat für den Glauben diese Bedeutung den Sinn des wirklichen Seins — wie denn überhaupt in der Ekstase der Inbrunst das Bedeutende zum Bedeuteten selbst wird — es soll nicht Fleisch bedeuten, sondern sein. Aber dieses Sein ist ja eben kein fleischliches; es ist selbst nur ge- glaubtes, vorgestelltes, eingebildetes Sein, d. h. es hat selbst nur den Werth, die Qualität einer Bedeutung. Ein Ding, das für mich eine besondere Bedeutung hat, ist ein andres in meiner Vorstellung, als in der Wirklichkeit. Das Bedeutende ist nicht selbst das, was damit bedeutet wird. Was es ist, fällt in den Sinn; was es bedeutet, nur in meine Gesinnung, Vorstellung, Phantasie, ist nur für mich, nicht für den Andern, nicht objectiv da. So auch hier. Wenn darum Zwingli gesagt, das Abendmahl habe nur subjective Bedeutung, so hat er dasselbe gesagt, was die Andern; nur zerstörte er die Illu- sion der religiösen Einbildungskraft ; denn das Ist im Abendmahl ist selbst nur eine Einbildung, aber mit der Ein- bildung, daß es keine Einbildung ist. Zwingli hat nur ein- fach, nackt, prosaisch, rationalistisch, darum beleidigend ausge- sprochen, was die Andern mystisch, indirect aussagten, in- dem sie eingestanden Selbst auch die Katholiken. Hujus sacramenti effectus , quem in anima operatur digne sumentis , est adunatio hominis ad Christum Concil. Florent. de S. Euchar. , daß nur von der würdigen Gesinnung die Wirkung des Abendmahls abhängt, d. h. daß nur für den Brot und Wein das Fleisch und Blut des Herrn, der Herr selbst sind , für welchen sie die übernatürliche Bedeutung des göttlichen Leibes haben, denn nur davon hängt die wür- dige Gesinnung, der religiöse Affect ab. Wenn aber das Abendmahl nichts wirkt , folglich nichts ist — denn nur was wirkt, ist — ohne die Gesinnung, ohne den Glauben, so liegt in diesen allein die Realität desselben; die ganze Begebenheit geht im Gemüthe vor sich. Wirkt auch die Vorstellung, daß ich hier den wirklichen Leib des Heilands empfange, auf das religiöse Gemüth, so stammt doch selbst wieder diese Vorstellung aus dem Gemüthe; sie bewirkt nur fromme Gesinnungen, wenn und weil sie selbst schon eine fromme Vorstellung ist. So wird also auch hier das reli- giöse Subject von sich selbst als wie von einem andern Wesen vermittelst der Vorstellung eines eingebilde- ten Objects afficirt . Ich könnte daher recht gut auch ohne Vermittlung von Wein und Wort, ohne alle kirchliche Ceremonie in mir selbst, in der Einbildung die Handlung des Abendmahls vollbringen. Es gibt unzählige fromme Gedichte, deren einziger Stoff das Blut Christi ist. Hier haben wir daher eine ächt poetische Abendmahlsfeier. In der lebhaften Vorstellung des leidenden, blutenden Heilands identificirt sich das Gemüth mit ihm; hier trinkt die fromme Seele in poeti- scher Begeisterung das reine, mit keinem widersprechenden sinnlichen Stoff vermischte Blut; hier ist zwischen der Vor- stellung des Blutes und dem Blute selbst kein störender Gegen- stand vorhanden. Aber obgleich das Abendmahl, überhaupt das Sacra- ment gar nichts ist ohne die Gesinnung, ohne den Glauben, so stellt doch die Religion das Sacrament zugleich als etwas für sich selbst Reales , Aeußerliches, vom menschlichen We- sen Unterschiedenes dar, so daß im religiösen Bewußtsein die wahre Sache: der Glaube, die Gesinnung nur zu einer Ne- bensache , zu einer Bedingung , die vermeintliche, die ima- ginäre Sache aber zur Hauptsache wird. Und die noth- wendigen, immanenten Folgen und Wirkungen dieses religiö- sen Materialismus, dieser Subordination des Menschlichen unter das vermeintliche Göttliche, des Subjectiven unter das vermeintliche Objective, der Wahrheit unter die Imagination, der Moralität unter die Religion — die nothwendigen Folgen sind Superstition und Immoralität , Superstition, weil mit einem Dinge eine Wirkung verknüpft wird, die nicht in der Natur desselben liegt, weil ein Ding nicht sein soll, was es der Wahrheit nach ist, weil eine bloße Einbildung für objec- tive Realität gilt; Immoralität, weil sich nothwendig im Ge- müthe die Heiligkeit der Handlung als solcher von der Mora- lität separirt, der Genuß des Sacraments, auch unabhängig von der Gesinnung, zu einem heiligen und heilbringenden Act wird. So gestaltet sich wenigstens die Sache in der Praxis, die nichts von der Sophistik der Theologie weiß. Wodurch sich überhaupt die Religion in Widerspruch mit der Vernunft setzt, dadurch setzt sie sich auch immer in Widerspruch mit dem sittlichen Sinne. Nur mit dem Wahrheitssinn ist auch der Sinn für das Gute gegeben. Verstandesschlechtig- keit ist immer auch Herzensschlechtigkeit. Wer seinen Verstand betrügt und belügt, der hat auch kein wahrhaftiges, kein ehrli- ches Herz. Sophistik verdirbt den ganzen Menschen. Aber Sophistik ist die Abendmahlslehre. Mit der Wahrheit der Gesinnung wird die Unwahrheit der leibhaften Gegenwart Gottes und hinwiederum mit der Wahrheit der objectiven Existenz die Unwahrheit der Gesinnung ausgesprochen. Der Widerspruch von Glaube und Liebe. Die Sacramente versinnlichen den Widerspruch von Idealismus und Materialismus , von Subjectivis- mus und Objectivismus , welchen das innerste Wesen der Religion constituirt. Aber die Sacramente sind nichts ohne Glaube und Liebe. Der Widerspruch in den Sacramenten führt uns daher zurück auf den Widerspruch von Glaube und Liebe . Die Religion ist das Verhalten des Menschen zum eig- nen Wesen als einem andern , aber zugleich wieder philan- thropischen, humanen , d. i. wesentlich menschlichen We- sen. Die Religion scheidet das Wesen des Menschen vom Menschen, um es wieder mit ihm zu identificiren. Das geheime Wesen der Religion ist die Identität des göttli- chen Wesens mit dem menschlichen — die Form der Religion aber oder das offenbare, bewußte Wesen derselben der Un- terschied . Gott ist das menschliche Wesen: er wird aber gewußt als ein andres Wesen. Die Liebe ist es nun, welche den Grund, das verborgne Wesen der Religion offen- bart, der Glaube aber, der die bewußte Form constituirt. Die Liebe identificirt den Menschen mit Gott, Gott mit dem Men- schen, darum den Menschen mit dem Menschen; der Glaube trennt Gott vom Menschen, darum den Menschen von dem Menschen; denn Gott ist nichts andres als der mystische Gat- tungsbegriff der Menschheit, die Trennung Gottes vom Menschen daher die Trennung des Menschen vom Menschen, die Auflösung des gemeinschaftlichen Bandes. Durch den Glauben setzt sich die Religion mit der Sittlichkeit, der Ver- nunft, dem einfachen Wahrheitssinn des Menschen in Wider- spruch; durch die Liebe aber setzt sie sich wieder diesem Wider- spruch entgegen. Der Glaube isolirt Gott, er macht ihn zu einem besondern, andern Wesen; die Liebe universalisirt; sie macht Gott zu einem gemeinen Wesen, dessen Liebe eins ist mit der Liebe zum Menschen. Der Glaube entzweit den Men- schen im Innern, mit sich selbst , folglich auch im Aeußern; die Liebe aber ist es, welche die Wunden heilt, die der Glaube in das Herz des Menschen schlägt. Der Glaube macht den Glauben an seinen Gott zu einem Gesetz ; die Liebe ist Freiheit , sie verdammt selbst den Atheisten nicht, weil sie selbst atheistisch ist, selbst, wenn auch nicht immer theo- retisch, doch praktisch die Existenz eines besondern, dem Men- schen entgegengesetzten Gottes läugnet. Die Liebe hat Gott in sich , der Glaube außer sich ; er entfremdet Gott den Men- schen, er macht ihn zu einem äußerlichen Object . Der Glaube geht in seiner, ihm wesentlich eingebornen Aeußerlichkeit bis zum äußerlichen Factum, bis zum historischen Glauben fort. Es liegt daher insofern im Wesen des Glaubens selbst, daß er zu einem ganz äußerlichen Be- kenntniß werden kann, mit dem bloßen Glauben als solchen superstitiöse, magische Wirkungen verknüpft werden Daher hat der bloße Name Christi schon Wunderkräfte. . Die Teufel glauben auch, daß Gott ist, ohne aufzuhören, Teufel zu sein. Man hat daher unterschieden zwischen Gott glauben und an Gott glauben. Aber in diesem an Gott glauben ist schon die Assimilationskraft der Liebe mit eingemischt, die kei- neswegs in dem Begriffe des Glaubens als solchen und in- wiefern er sich auf äußerliche Dinge bezieht, liegt. Die dem Glauben immanenten, aus ihm selbst stammenden Unterschiede oder Urtheile sind allein die Unterschiede von rechtem, äch- ten und unrechten, falschen Glauben, oder überhaupt von Glaube und Unglaube . Der Glaube scheidet: das ist wahr, das falsch. Und sich nur vindicirt er die Wahrheit. Der Glaube hat eine bestimmte, besondere Wahrheit, die daher nothwendig mit Negation verbunden ist, zu seinem Inhalte. Der Glaube ist seiner Natur nach exclusiv. Eines nur ist Wahrheit, Einer nur ist Gott, Einer nur, dem das Mono- pol des Gottessohnes angehört; alles Andere ist Nichts, Irr- thum, Wahn. Jehovah allein ist der wahre Gott; alle andern Götter sind nichtige Götzen . Der Glaube hat etwas Besonderes für sich im Sinne; er stützt sich auf eine besondere Offenbarung Gottes; er ist zu sei- nem Besitzthum nicht auf gemeinem Weg gekommen, auf dem Wege, der allen Menschen ohne Unterschied offen steht. Was Allen offen steht, ist etwas Gemeines, was eben deßwegen kein besondres Glaubensobject bildet. Daß Gott der Schöpfer ist, konnten alle Menschen schon aus der Natur erkennen, aber was dieser Feuerbach . 22 Gott in Person für sich selbst ist, das ist eine besondere Gna- densache, Inhalt eines besondern Glaubens. Aber eben deß- wegen, weil nur auf besondere Weise geoffenbart, ist auch der Gegenstand dieses Glaubens selbst ein besonderes Wesen. Der Gott der Christen ist wohl auch der Gott der Heiden, aber es ist doch ein gewaltiger Unterschied, gerade ein solcher Unterschied, wie zwischen mir, wie ich dem Freunde und mir, wie ich einem Fremden, der mich aus der Ferne nur kennt, Gegenstand bin. Gott, wie er den Christen Gegenstand, ist ein ganz anderer als wie er den Heiden Gegenstand ist. Die Christen kennen Gott von Person, von Angesicht zu Angesicht. Die Heiden wissen nur — und das ist schon fast zu viel ein- geräumt — „ was “ Gott ist, aber nicht: „ wer “ Gott ist, weßwegen die Heiden auch in Götzendienst verfielen. Die Identität der Heiden und Christen von Gott ist daher eine ganz vage; was die Heiden mit den Christen und umgekehrt gemein haben — wenn wir anders so liberal sein wollen, etwas Gemeinsames zu statuiren — dieß ist nicht das speci- fisch christliche , nicht das, was den Glauben constituirt. Worin die Christen Christen sind, darin sind sie eben von den Heiden distinguirt. Sie sind es aber durch ihre besondre Gotteserkenntniß; ihr Unterscheidungsmerkmal ist also Gott . Die Besonderheit ist das Salz, welches dem gemei- nen Wesen erst Geschmack beibringt. Was ein Wesen ins- besondre ist, das erst ist es. Nur wer mich in specie kennt, kennt mich . Der specielle Gott also, der Gott, wie er insbesondre den Christen Gegenstand, der persönliche Gott, der erst ist Gott. Und dieser ist den Heiden, den Ungläubigen überhaupt unbekannt, nicht für sie. Er soll allerdings auch für die Heiden werden, aber mittelbar , erst dadurch, daß sie aufhören Heiden zu sein, daß sie selbst Christen wer- den. Der Glaube particularisirt und bornirt den Men- schen; er nimmt ihm die Freiheit und Fähigkeit , das Andre , das von ihm Unterschiedne nach Gebühren zu schätzen. Der Glaube ist in sich selbst befangen . Der philosophische, überhaupt wissenschaftliche Dogmatiker beschränkt sich allerdings auch mit der Bestimmtheit seines Systems. Aber die theoretische Beschränktheit hat, so unfrei, so kurzsichtig und engherzig sie auch ist, doch noch einen freieren Charakter, weil an und für sich das Gebiet der Theorie ein freies ist, wo hier die Sache nur, der Grund, die Vernunft entscheidet. Aber der Glaube macht wesentlich seine Sache zu einer Gewis- senssache und einer Sache des Interesses , des Glückse- ligkeitstriebes , denn sein Object ist selbst ein besonderes, persönliches , auf Anerkennung dringendes und von dieser Anerkennung die Seligkeit abhängig machendes Wesen. Der Glaube gibt dem Menschen ein besonderes Ehr- und Selbstgefühl . Der Gläubige findet sich ausgezeichnet vor andern Menschen, erhoben über den natürlichen Men- schen; er weiß sich als eine Person von Distinction im Besitze besonderer Rechte. Die Gläubigen sind Aristokraten, die Ungläubigen Plebejer. Gott ist dieser personificirte Unterschied und Vorzug des Gläubigen vor dem Ungläu- bigen Celsus macht den Christen den Vorwurf, daß sie sich rühm- ten: Est Deus et post illum nos . (Origenes adv. Cels. ed. Hoe- schelius. Aug. Vind. 1605. p. 182.) . Aber weil der Glaube das eigne Wesen als ein andres Wesen vorstellt, so schiebt der Gläubige seine Ehre nicht unmittelbar in sich , sondern in diese andere Person. 22* Das Bewußtsein seines Vorzugs ist das Bewußtsein die- ser Person , das Gefühl seiner selbst hat er in dieser an- dern Persönlichkeit Puer natus est nobis : non judaeis; nobis non manichaeis, nobis non marcionitis. Propheta dicit: Nobis h. e. credentibus, non incredulis. Ambrosius (de fide ad Grat. I. III. c. 4.) . Wie der Diener in der Würde seines Herrn sich selbst fühlt, ja sich mehr zu sein dünkt, als ein freier selbstständiger Mann von niedrigerem Stande als sein Herr, so auch der Gläubige Ein ehemaliger Adjutant des russischen Generals Münnich sagte: „da ich sein Adjutant war, fühlte ich mich größer als nun, wo ich commandire .“ . Er spricht sich alle Ver- dienste ab, um blos seinem Herrn die Ehre des Verdienstes zu lassen, aber nur weil dieses Verdienst ihm selbst zu gute kommt, weil er in der Ehre des Herrn sein eignes Ehrge- fühl befriedigt. Der Glaube ist hochmüthig, aber er unter- scheidet sich von dem natürlichen Hochmuth dadurch, daß er das Gefühl seines Vorzugs, seinen Stolz in eine andere Person überträgt, die ihn bevorzugt, eine andere Person, die aber sein eignes geborgnes Selbst, sein personificirter und befriedigter Glückseligkeitstrieb ist, denn diese Persönlich- keit hat keine andern Bestimmungen, als die, daß sie der Wohlthäter, der Erlöser, der Heiland ist, also Bestimmungen, in denen der Gläubige sich nur auf sich , auf sein eignes ewiges Heil bezieht. Kurz, wir haben hier das charakteri- stische Princip der Religion, daß sie das natürliche Activum in ein Passivum verwandelt. Der Heide erhebt sich, der Christ fühlt sich erhoben. Der Christ verwandelt in eine Sache des Gefühls, der Receptivität, was dem Heiden eine Sache der Spontaneität ist. Die Demuth des Gläubigen ist ein umge- kehrter Hochmuth — ein Hochmuth, der aber nicht den Schein der äußern Kennzeichen des Hochmuths hat. Er fühlt sich ausgezeichnet; aber diese Auszeichnung ist nicht Resultat sei- ner Thätigkeit, sondern Sache der Gnade; er ist ausgezeich- net worden: er kann nichts dafür. Er macht sich überhaupt nicht zum Zweck seiner eignen Thätigkeit, sondern zum Zweck, zum Gegenstand Gottes. Der Glaube ist wesentlich bestimmter Glaube. Gott in dieser Bestimmtheit nur ist der wahre Gott. Dieser Jesus ist Christus, der wahre, einzige Prophet, der einge- borne Sohn Gottes. Und dieses Bestimmte mußt Du glau- ben, wenn Du Deine Seligkeit nicht verscherzen willst. Der Glaube ist gebieterisch . Es ist daher nothwendig, es liegt im Wesen des Glaubens , daß er als Dogma fixirt wird. Das Dogma spricht nur aus , was der Glaube ursprüng- lich schon auf der Zunge oder doch im Sinne hatte. Daß, wenn einmal auch nur ein Grunddogma fixirt ist, sich daran speciellere Fragen anknüpfen, die dann wieder dogmatisch ent- schieden werden müssen, daß sich hieraus eine lästige Vielheit von Dogmen ergibt, dieß ist freilich eine Fatalität, hebt aber nicht die Nothwendigkeit auf, daß sich der Glaube in Dogmen fixire, damit Jeder bestimmt weiß, was er glauben soll und wie er seine Seligkeit sich erwerben kann . Was man heutiges Tages selbst vom Standpunkt des gläubigen Christenthums aus verwirft, bemitleidet als Ver- irrung, als Mißverstand, oder gar belacht, das ist lautere Folge des innern Wesens des Glaubens. Der Glaube ist seiner Natur nach unfrei, befangen , denn es handelt sich im Glauben wie um die eigne Seligkeit , so um die Ehre Got- tes selbst. Aber wie wir ängstlich sind, ob wir einem Höher- stehenden die gebührende Ehre erweisen, so auch der Glaube. Den Apostel Paulus erfüllt nichts als der Ruhm, die Ehre , das Verdienst Christi. Dogmatische, ausschließliche, scrupulöse Bestimmtheit liegt im Wesen des Glaubens. In Speisen und andern dem Glauben indifferenten Dingen ist der Glaube allerdings liberal, aber keineswegs in Bezug auf Glaubensgegenstände . Wer nicht für Christus, ist wider Christus; was nicht christlich, ist antichristlich . Aber was ist christlich? Dieses muß absolut bestimmt, dieß kann nicht frei gestellt werden. Ist der Glaubensinhalt gar niedergelegt in Bücher, die von verschiedenen Verfassern stammen, niedergelegt in der Form zufälliger, sich widerspre- chender gelegentlicher Aeußerungen, so ist die dogmatische Be- gränzung und Bestimmung selbst eine äußerliche Nothwen- digkeit . Nur der kirchlichen Dogmatik verdankt das Chri- stenthum seinen Fortbestand. Es ist nur die Charakterlosigkeit , der gläubige Un- glaube der neuern Zeit, der sich hinter die Bibel versteckt und die biblischen Aussprüche den dogmatischen Bestimmungen entgegensetzt, um durch die Willkühr der Exegese von den Schranken der Dogmatik sich frei zu machen. Aber der Glaube ist schon verschwunden, gleichgültig geworden, wenn die Glau- bensbestimmungen als Schranken empfunden werden. Es ist nur die religiöse Indifferenz unter dem Scheine der Religiosität , welche die ihrer Natur und ihrem Ursprung nach unbestimmte Bibel zum Maaß des Glaubens macht, und unter dem Vorwande, nur das Wesentliche zu glauben, nichts glaubt, was den Namen des Glaubens verdient, z. B. an die Stelle des bestimmten charaktervollen Gottessohnes der Kirche das vage, hohle Negativ eines sündlosen Menschen setzt, eines Menfchen, der wie kein Andrer sich den Namen des Gottessohnes vindiciren dürfe. Daß es aber wirklich nur der religiöse Indifferentismus ist, der sich hinter die Bibel versteckt, dieß erhellt daraus, daß man selbst Das, was in der Bibel steht, aber dem jetzigen Standpunkt der Bildung widerspricht , als nicht obligirend betrachtet oder gar läugnet, ja sogar Handlungen, die christlich sind, nothwendig aus dem Glauben folgen, wie die Absonderung der Gläubigen von den Ungläubigen, jetzt als unchristliche bezeichnet. Die Kirche hat mit vollem Rechte Anders - oder über- haupt Ungläubige Dem Glauben, wo er noch Feuer im Leibe, Charakter hat, ist immer der Andersg läubige gleich dem Ungläubigen, dem Atheisten. verdammt, denn dieses Verdammen liegt im Wesen des Glaubens. Der Glaube erscheint zu- nächst nur als unbefangne Absonderung der Gläubigen von den Ungläubigen; aber diese Sonderung ist eine höchst kriti- sche Scheidung . Der Gläubige hat Gott für sich , der Un- gläubige gegen sich — nur als möglicher Gläubige hat er nicht Gott gegen sich, aber als wirklicher Ungläubiger — darin liegt eben der Grund der Forderung, den Stand des Unglaubens zu verlassen. Was aber Gott gegen sich hat, ist nichtig, verstoßen, verdammt . Denn was Gott gegen sich hat, ist selbst wider Gott. Glauben ist gleichbedeutend mit Gutsein, nicht glauben mit Bösesein . Der Glaube, beschränkt und befangen, schiebt Alles in die Gesinnung. Der Ungläubige ist ihm aus Verstocktheit , aus Bosheit un- gläubig Schon im N. T. ist mit dem Unglauben der Begriff des Ungehorsams verknüpft. , ein Feind Christi. Der Glaube assimilirt sich da- her nur die Gläubigen, aber die Ungläubigen verstößt er. Er ist gut gegen die Gläubigen, aber böse gegen die Ungläubi- gen. Im Glauben liegt ein böses Princip . Es ist nur der Egoismus, die Eitelkeit, die Selbstgefäl- ligkeit der Christen, daß sie in andern Religionen die Splitter, aber nicht die Balken in ihrem eignen Glauben erblicken. Nur die Art der religiösen Glaubensdifferenz ist anders bei den Christen, als bei andern Völkern. Es sind nur klimatische Unterschiede oder die Unterschiede der Volkstemperamente, die den Unterschied begründen. Ein an sich kriegerisches oder überhaupt feurig sinnliches Volk wird natürlich seinen religiö- sen Unterschied auch durch sinnliche Thaten, durch Waffenge- walt bethätigen. Aber die Natur des Glaubens als solchen ist überall dieselbe. Wesentlich verurtheilt, verdammt der Glaube . Allen Segen, alles Gute häuft er auf sich, auf seinen Gott , wie der Liebhaber auf seine Geliebte, allen Fluch, alles Ungemach und Uebel wirft er auf den Unglau- ben. Gesegnet, gottwohlgefällig, ewiger Seligkeit theilhaftig ist der Gläubige; verflucht, von Gott verstoßen und vom Men- schen verworfen der Ungläubige; denn was Gott verwirft, darf der Mensch nicht annehmen , nicht schonen; dieß wäre eine Kritik des göttlichen Urtheils. Die Türken ver- tilgen die Ungläubigen mit Feuer und Schwert, die Christen mit den Flammen der Hölle . Aber die Flammen des Jen- seits schlagen auch schon in das Dießseits herein, um die Nacht der ungläubigen Welt zu erleuchten. Wie der Gläu- bige schon hienieden die Freuden des Himmels anticipirt, so müssen auch hier schon zum Vorgeschmack der Hölle die Feuer des Höllenpfuhls lodern, wenigstens in den Momenten der höchsten Glaubensbegeisterung . Das Christenthum ge- bietet allerdings keine Ketzerverfolgungen, noch weniger Be- kehrung mit Waffengewalt. Aber insofern der Glaube ver- dammt, erzeugt es nothwendig feindselige Gesinnungen, die Gesinnungen, aus welchen die Ketzerverfolgung entspringt. Den Menschen zu lieben, der nicht glaubt an Chri- stus, ist eine Sünde gegen Christus , heißt den Feind Christi lieben Si quis spiritum Dei habet, illius versiculi recordetur: Nonne qui oderunt te, Domine, oderam ? (Psalt. 139, 21.) Bernhar- dus . Epist. (193) ad magist. Yvonem Cardin. . Was Gott, was Christus nicht liebt, das darf der Mensch nicht lieben; seine Liebe wäre ein Wider- spruch gegen den göttlichen Willen, also Sünde. Gott liebt zwar alle Menschen, aber nur wenn und weil sie Christen sind oder wenigstens sein können und sein wollen. Christ sein heißt von Gott geliebt sein , nicht Christ sein von Gott gehaßt werden, ein Gegenstand des göttlichen Zorns sein. Der Christ darf also nur den Christen lieben , den An- dern nur als möglichen Christen; er darf nur lieben , was der Glaube heiligt, segnet . Der Glaube ist die Taufe der Liebe . Die Liebe zum Menschen als Menschen ist nur die natürliche . Die christliche Liebe ist die übernatürliche , verklärte, geheiligte Liebe; aber die christliche liebt auch nur Christliches. Der Satz: „ liebet eure Feinde ,“ bezieht sich nur auf Privatfeindschaften unter Christen, aber nicht auf die öffentlichen Feinde, die Feinde Gottes , die Feinde des Glaubens , die Ungläubigen . Wer den Menschen liebt, der Christus läugnet, Christus nicht glaubt, verläug- net seinen Herrn und Gott: der Glaube hebt die natur- gemäßen Bande der Menschheit auf ; er setzt an die Stelle der allgemeinen , natürlichen Einheit eine particuläre. Wende man nicht dagegen ein, daß es in der Bibel heißt: „richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet,“ daß der Glaube also Gott wie das Gericht, so das Verdammungs- urtheil überlasse. Auch dieser und andere ähnliche Sprüche gelten nur im christlichen Privatrecht , aber nicht im christlichen Staatsrecht , gehören nur der Moral , nicht der Dogmatik an. Es ist schon Glaubensindifferenz, solche moralische Aussprüche auf das Gebiet der Dogmatik zu zie- hen. Der Glaube gibt nicht Pardon. Er würde sich selbst aufgeben, wenn er milde von seinem Gegensatz urtheilte. Die Unterscheidung zwischen dem Ungläubigen und Men- schen ist eine Frucht moderner Humanität . Dem Glau- ben geht der Mensch im Glauben auf; der wesentliche Un- terschied des Menschen vom Thiere beruht für ihn nur auf dem religiösen Glauben. Nur der Glaube begreift in sich alle Tugenden, die den Menschen gottwohlgefällig machen. Gott aber ist das Maaß, sein Wohlgefallen die höchste Norm. Der Gläubige ist also allein der legitime, normale Mensch, der Mensch wie er sein soll, der Mensch, den Gott anerkennt . Wo die Unterscheidung zwischen Mensch und Glaube gemacht wird, da hat sich der Mensch schon vom Glauben abgetrennt ; da gilt der Mensch schon für sich selbst , un- abhängig vom Glauben. Der Glaube ist daher nur dort ein wahrer, ungeheuchelter , wo die Glaubensdifferenz in aller Schärfe wirkt. Wird die Differenz des Glaubens abge- stumpft, so wird natürlich auch der Glaube selbst indifferent, charakterlos. Nur in an sich indifferenten Dingen ist der Glaube liberal. Der Liberalismus des Apostel Paulus hat zur Voraussetzung die Annahme des Grundartikels des Glau- bens. Wo Alles auf den Grundartikel des Glaubens an- kommt, entsteht der Unterschied zwischen Wesentlichem und Un- wesentlichem. Im Gebiet des Unwesentlichen gibt es kein Ge- setz, da seid ihr frei. Aber natürlich nur unter der Bedin- gung, daß ihr dem Glauben sein Recht ungeschmälert laßt, gewährt euch der Glaube Rechte, Freiheiten. Es wäre daher ganz falsch, sich so zu helfen, daß man sagte, der Glaube überlasse das Gericht Gott. Er überläßt ihm nur das moralische Gericht, und nur das Gericht über den erheuchelten oder aufrichtigen Glauben der Christen. Welche zur Linken, welche zur Rechten Gottes stehen werden, das weiß der Glaube. Nur in Rücksicht der Personen weiß er es nicht; aber daß nur die Gläubigen überhaupt Erben des ewigen Reichs sind, das ist außer Zweifel. Aber auch davon abge- sehen: der zwischen den Gläubigen und Ungläubigen un- terscheidende , der verdammende und belohnende Gott ist nichts andres als der Glaube selbst. Was Gott ver- dammt, verdammt der Glaube , und umgekehrt. Der Glaube ist ein sein Gegentheil schonungslos verzehrendes Feuer So verfluchte der Apostel Paulus „den Zauberer Elymas,“ weil er dem Glauben widerstand, zur Blindheit. Apostelgesch. 13, 8—11. . Dieses Feuer des Glaubens als objectives Wesen angeschaut ist der Zorn Gottes oder was eins ist, die Hölle , denn die Hölle hat offenbar ihren Grund im Zorn Gottes. Aber diese Hölle hat der Glaube in sich selbst , in seinem Verdammungsurtheil. Die Flammen der Hölle sind nur die Funken von dem vertilgenden, zornglühenden Blick, den der Glaube auf die Ungläubigen wirft. Der Glaube ist also wesentlich parteiisch . Wer nicht für Christus ist, der ist wider Christus. Für mich ; oder: wider mich . Der Glaube kennt nur Feinde oder Freunde , keine Unparteilichkeit; er ist nur für sich eingenommen. Der Glaube ist wesentlich intolerant — wesentlich , weil mit dem Glauben immer nothwendig der Wahn verbunden ist, daß seine Sache die Sache Gottes sei, seine Ehre die Ehre Gottes . Der Gott des Glaubens ist an sich nichts andres als das objective Wesen des Glaubens , der Glaube, der sich Gegenstand ist. Es identificirt sich daher auch im re- ligiösen Gemüthe und Bewußtsein die Sache des Glau- bens mit der Sache Gottes. Gott selbst ist betheiligt; das Interesse der Gläubigen ist das innerste Interesse Gottes selbst . „Wer Euch antastet , heißt es beim Pro- pheten Sacharja, der tastet seinen (des Herrn) Augapfel an Tenerrimam partem humani corporis nominavit, ut apertissime intelligeremus, eum (Deum) tam parva Sanctorum suorum con- tumelialaedi , quam parvi verberis tactu humani visus acies laeditur. Salvianus l. 8. de gubern. Dei. .“ Was den Glauben verletzt, verletzt Gott, was den Glauben negirt, negirt Gott selbst. Der Glaube kennt keinen andern Unterschied als den zwi- schen Gottes- und Götzendienst . Der Glaube allein gibt Gott die Ehre; der Unglaube entzieht Gott, was ihm gebührt. Der Unglaube ist eine Injurie gegen Gott, ein Majestätsver- brechen. Die Heiden beten Dämone an; ihre Götter sind Teufel . „Ich sage, daß die Heiden, was sie opfern, das opfern sie den Teufeln und nicht Gott . Nun will ich nicht, daß ihr in der Teufel Gemeinschaft sein sollt I Korinther 10, 20. . Der Teufel ist aber die Negation Gottes; er haßt Gott, will, daß kein Gott sei. So ist der Glaube blind gegen das Gute und Wahre, das auch dem Götzendienst zu Grunde liegt; so erblickt er in Allem, was nicht seinem Gotte, d. i., ihm selbst huldigt, Götzendienst und im Götzendienst nur Teu- felswerk . Der Glaube muß daher auch der Gesinnung nach nur negativ sein gegen diese Negation Gottes : er ist also wesentlich intolerant gegen sein Gegentheil, über- haupt gegen das, was nicht mit ihm stimmt. Seine Toleranz waͤre Intoleranz gegen Gott, der das Recht zu unbedingter Alleinherrschaft hat. Es soll nichts bestehen, nichts existiren, was nicht Gott, nicht den Glauben anerkennt. „Daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen alle derer Kniee, die im Him- mel und auf Erden und unter der Sonne sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters Philipper 2, 10. 11. In morte pagani Christianus gloriatur, quia Christus glorificatur. Divus Bernardus . Sermo exhort. ad Milites Templi. .“ Darum postulirt der Glaube ein Jenseits, eine Welt, wo der Glaube keinen Gegensatz mehr hat oder dieser Gegensatz wenigstens nur noch dazu exi- stirt, um das Selbstgefühl des obsiegenden Glaubens zu ver- herrlichen. Die Hölle versüßt die Freuden der seligen Gläubigen . „Hervortreten werden sie, die Auserwählten, um zu schauen die Qualen der Gottlosen, und bei diesem An- blick werden sie nicht von Schmerz ergriffen; im Gegentheil, indem sie die unaussprechlichen Leiden der Gottlosen sehen, danken sie freudetrunken Gott für ihre Errettung Petrus L. l. IV. dist. 50, c. 4. Dieser Satz ist aber keineswegs ein Ausspruch des Petrus L. selbst. Petrus L. ist viel zu bescheiden, schüchtern und abhängig von den Autoritäten des Christenthums, als daß er so eine Behauptung auf seine eigne Faust hin wagte. Nein! Dieser Satz ist ein allgemeiner Ausspruch, ein charakteristischer Ausdruck der christli- .“ Der Glaube ist das Gegentheil der Liebe . Die Liebe erkennt auch in der Sünde noch die Tugend, im Irrthum die Wahrheit. Nur seit der Zeit, wo an die Stelle der Macht des Glaubens die Macht der naturwahren Einheit der Mensch- heit, die Macht der Vernunft, der Humanität getreten, erblickt man auch im Polytheismus, im Götzendienst überhaupt Wahr- heit oder sucht man wenigstens durch positive Gründe zu er- klären, was der in sich selbst befangene Glaube nur aus dem Teufel ableitet. Darum ist die Liebe nur identisch mit der Vernunft , aber nicht mit dem Glauben. Denn wie die Vernunft, so ist die Liebe freier, universeller, der Glaube aber engherziger, beschränkter Natur. Nur wo Vernunft, da herrscht allgemeine Liebe. Die Vernunft ist selbst nichts andres als die universale Liebe. Der Glaube hat die Hölle erfunden, nicht die Liebe, nicht die Vernunft. Der Liebe ist die Hölle ein Greuel, der Vernunft ein Unsinn. Es wäre erbärmlich, in der Hölle nur eine Verirrung des Glaubens, einen falschen Glauben erblicken zu wollen. Die Hölle steht auch schon in der Bibel. Der Glaube ist überhaupt überall sich selbst gleich, wenigstens der positiv religiöse Glaube, der Glaube in dem Sinne, in welchem er hier genommen wird und genommen werden muß, wenn man nicht die Elemente der Vernunft, der Bildung mit dem Glauben vermischen will — eine Vermi- chen , der gläubigen Liebe. — Die Lehre einiger Kirchenväter, wie z. B. des Origenes, des Gregors von Nyssa, daß die Strafen der Ver- dammten einst enden würden, stammt nicht aus der christlichen oder kirchlichen Lehre, sondern aus dem Platonismus. Ausdrücklich wurde daher auch die Lehre von der Endlichkeit der Höllenstrafen nicht nur von der katholischen, sondern auch protestantischen Kirche (Augsb. Confess. Art. 17.) verworfen. schung, in welcher freilich der Charakter des Glaubens un- kenntlich wird. Wenn also der Glaube nicht dem Christenthum widerspricht, so widersprechen ihm auch nicht die Gesinnungen, die aus dem Glauben, nicht die Handlungen, die aus diesen Gesin- nungen sich ergeben. Der Glaube verdammt: alle Handlungen, alle Gesinnungen, welche der Liebe, der Humanität, der Ver- nunft widersprechen, entsprechen dem Glauben. Alle Greuel der christlichen Religionsgeschichte , von denen unsere Gläubigen sagen, daß sie nicht aus dem Christenthum gekom- men sind, weil aus dem Glauben , aus dem Christenthum entsprungen. Es ist dieses ihr Läugnen sogar eine nothwendige Folge des Glaubens; denn der Glaube vindicirt sich nur das Gute, alles Böse aber schiebt er auf den Unglauben oder nicht rechten Glauben oder auf den Menschen überhaupt. Aber gerade darin, daß der Glaube läugnet, daß das Böse im Christenthum seine Schuld sei, haben wir den schlagenden Beweis, daß er wirklich der Urheber davon ist, weil der Be- weis von seiner Beschränktheit, Parteilichkeit und Intoleranz, vermöge welcher er nur gut ist gegen sich, gegen seine Anhänger, aber böse, ungerecht gegen alles Andere. Das Gute, was von Christen geschehen, hat dem Glauben zufolge nicht der Mensch, sondern der Christ, der Glaube; aber das Böse der Christen hat nicht der Christ, sondern der Mensch gethan. Die bösen Glaubenshandlungen der Christenheit entsprechen also dem Wesen des Glaubens — des Glaubens, wie er sich selbst schon in der ältesten und heiligsten Urkunde des Christen- thums, der Bibel ausgesprochen. „So Jemand euch Evan- gelium anders predigt, denn das ihr empfangen habt, der sei verflucht ἀνάϑεμα ἔστω „Fugite, abhorrete hunc doctorem.“ Aber warum soll ich ihn fliehen? weil der Zorn, d. h. der Fluch Gottes auf seinem Haupte ruht. .“ Galater 1, 9. „Ziehet nicht am fremden Joche mit den Ungläubigen, denn was hat die Gerechtigkeit für Genieß mit der Ungerechtigkeit? Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsterniß? Wie stimmet Chri- stus mit Belial? Oder was für ein Theil hat der Gläu- bige mit dem Ungläubigen ? Was hat der Tempel Gottes für eine Gleiche mit den Götzen? Ihr aber seid der Tempel des lebendigen Gottes, wie denn Gott spricht: Ich will in ihnen wohnen und wandeln und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein. Darum gehet aus von ihnen, und son- dert euch ab, spricht der Herr und rühret kein Unreines an: so will ich euch annehmen.“ 2 Korinther 6, 14—17. „Wenn nun der Herr Jesus wird geoffenbart werden vom Himmel sammt den Engeln seiner Kraft und mit Feuerflammen, Rache zu geben über die, so Gott nicht erkennen und über die so nicht gehorsam sind dem Evangelio unsers Herrn Jesu Christi , welche werden Pein leiden, das ewige Verderben von dem Angesicht des Herrn und von seiner herrlichen Macht, wenn er kommen wird, daß er herrlich erscheine mit seinen Heiligen und wunderbar mit allen Gläubigen .“ 2 Thessalonicher 1, 7—10. „ Ohne Glauben ist es unmöglich Gott gefallen.“ Hebräer 11, 6. „Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle die an ihn glau- ben , nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Johannes 3, 16. „Ein jeglicher Geist, der da bekennet, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen , der ist von Gott , und ein jeglicher Geist, der da nicht bekennet, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist nicht von Gott . Und das ist der Geist des Widerchrists .“ 1 Johannes 4, 2. 3. „Wer ist ein Lügner , ohne der da läugnet, daß Jesus der Christ sei. Das ist der Widerchrist , der den Vater und den Sohn läugnet.“ 1 Johannes 2, 22. „Wer übertritt und bleibet nicht in der Lehre Christi, der hat keinen Gott ; wer in der Lehre Christi bleibet, der hat beide, den Vater und den Sohn. So Jemand zu Euch kommt und bringet diese Lehre nicht, den nehmet nicht zu Hause und grüßet ihn auch nicht. Denn wer ihn grüßet, macht sich theilhaftig seiner bösen Werke.“ 2 Joh. 9—11. So spricht der Apostel der Liebe. Aber die Liebe, die er feiert, ist nur die christliche Bruder- liebe . „Gott ist der Heiland aller Menschen, sonderlich aber der Gläubigen.“ 1 Timoth. 4, 10. Ein verhängnißvolles Sonderlich! „Lasset uns Gutes thun an Jedermann, aller- meist aber an den Glaubensgenossen !“ Galater 6, 10. Ein gleichfalls sehr verhängnißvolles Allermeist! „Einen ketzerischen Menschen meide, wenn er einmal und abermal ermahnet ist, und wisse, daß ein solcher verkehrt ist und sündigt, als der sich selbst verurtheilet hat Nothwendig ergibt sich hieraus eine Gesinnung, wie sie z. B. Cyprian ausspricht. Si vero ubique haeretici nihil aliud quam ad- versarii et antichristi nominantur, si vitandi et perversi et a semet ipsis damnati pronuntiantur; quale est ut videantur damnandi a nobis non esse, quos constat apostolica con- testatione a semet ipsis damnatos esse . Epistol. 74. (Edit. Gersdorf.) . Titus 3, 10. 11. „Wer an den Sohn glaubet, der hat das ewige Leben. Wer dem Sohne nicht glaubet, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihm.“ Johannes 3, 36. „Und wer der Kleinen Einen ärgert, die an mich glauben , dem wäre Feuerbach . 23 es besser, daß ihm ein Mühlstein an seinen Hals gehänget würde und er in das Meer geworfen würde.“ Marcus 9, 42. Matthäi 18, 6. „ Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden, wer aber nicht glaubet , der wird verdammet werden .“ Marcus 16, 16. Der Unterschied zwi- schen dem Glauben, wie er sich in der Bibel bereits ausgespro- chen, und dem Glauben, wie er sich in der spätern Zeit geltend gemacht, ist nur der Unterschied zwischen dem Keime und der Pflanze. Im Keime kann ich freilich nicht so deutlich sehen, was in der reifen Pflanze mir in die Augen fällt. Und doch lag die Pflanze schon im Keime. Aber was in die Augen fällt, das natürlich wollen die Sophisten nicht mehr anerkennen. Sie halten sich nur an den Unterschied zwischen der explicirten und implicirten Existenz; die Identität schlagen sie sich aus dem Sinne. Der Glaube geht nothwendig in Haß , der Haß in Ver- folgung über, wo die Macht des Glaubens keinen Wider- stand findet, sich nicht bricht an einer dem Glauben fremden Macht, an der Macht der Liebe, der Humanität, des Rechts- gefühls. Der Glaube für sich selbst erhebt sich nothwendig über die Gesetze der natürlichen Moral . Die Glaubenslehre ist die Lehre der Pflichten gegen Gott — die höchste Pflicht der Glaube . So viel höher Gott als der Mensch, so viel höher stehen die Pflichten gegen Gott als gegen den Menschen. Und nothwendig treten die Pflichten gegen Gott in Collision mit den gemein menschlichen Pflichten. Gott wird nicht nur geglaubt, vorgestellt als das gemeinsame Wesen, der Vater der Menschen, die Liebe — solcher Glaube ist Glaube der Liebe — er wird auch vorgestellt als persönliches We- sen, als Wesen für sich . So gut sich daher Gott als ein Wesen für sich vom Wesen des Menschen absondert , so gut sondern sich auch die Pflichten gegen Gott ab von den Pflichten gegen den Menschen — separirt sich im Gemüthe der Glaube von der Moral, der Liebe Der Glaube ist zwar nicht „ohne gute Werke,“ ja es ist so un- möglich nach Luthers Ausspruch, Werke vom Glauben zu scheiden, als unmöglich, Brennen und Leuchten vom Feuer zu scheiden. Aber gleichwohl — und das ist die Hauptsache — gehören die guten Werke nicht in den Artikel von der Rechtfertigung vor Gott , d. h. man wird gerecht vor Gott und „selig ohne die Werke allein durch den Glauben .“ Der Glaube wird also doch ausdrücklich von den guten Werken unter- schieden : nur der Glaube gilt vor Gott, nicht das gute Werk; nur der Glaube ursachet die Seligkeit, nicht die Tugend; nur der Glaube hat also substanzielle , die Tugend nur accidentelle Bedeutung, d. h. nur der Glaube hat religiöse Bedeutung, göttliche Autorität , nicht die Moral. — Bekanntlich behaupteten Einige sogar, daß die guten Werke nicht nur nicht nöthig, sondern auch sogar „ schädlich zur Se- ligkeit “ seien. Ganz richtig. . Erwidere man nicht, daß der Glaube an Gott der Glaube an die Liebe, das Gute selbst, der Glaube also schon ein Ausdruck des sitt- lich guten Gemüths ist. Im Begriffe der Persönlichkeit ver- schwinden die ethischen Bestimmungen; sie werden zur Neben- sache , zu bloßen Accidenzen. Die Hauptsache ist das Sub- ject, das göttliche Ich. Die Liebe zu Gott selbst ist, weil Liebe zu einem persönlichen Wesen, keine moralische, sondern per- sönliche Liebe. Unzählige fromme Lieder athmen nur Liebe zum Herrn, aber in dieser Liebe zeigt sich kein Funke einer er- habnen sittlichen Idee oder Gesinnung. Der Glaube ist sich das Höchste, weil sein Object eine göttliche Persönlichkeit. Er macht daher von sich die ewige Seligkeit abhängig, nicht von der Erfüllung der gemeinen menschlichen Pflichten. Was aber die ewige Seligkeit zur Folge hat, das bestimmt sich im Sinne des Menschen noth- 23* wendig zur Hauptsache . Wie daher innerlich dem Glauben die Ethik subordinirt wird, so kann, so muß sie auch äußerlich, praktisch ihm untergeordnet, ja aufgeopfert werden. Es ist nothwendig, daß es Handlungen gibt, in denen der Glaube im Unterschiede oder vielmehr im Widerspruch mit der Moral zur Erscheinung kommt — Handlungen die moralisch schlecht , aber dem Glauben nach löblich sind, weil sie nur das Beste des Glaubens bezwecken. Alles Heil liegt am Glau- ben; Alles daher wieder an dem Heil des Glaubens . Ist der Glaube gefährdet, so ist die ewige Seligkeit und die Ehre Gottes gefährdet. Alles privilegirt daher der Glaube, wenn es nur die Beförderung des Glaubens zum Zwecke hat; denn er ist ja, streng genommen, das einzige subjective Gute im Menschen, wie Gott selbst das einzige gute und positive Wesen; das erste , das höchste Gebot daher: Glaube ! Eben deßwegen, weil kein natürlicher innerer Zusammen- hung zwischen dem Glauben und der moralischen Gesinnung statt findet, es vielmehr im Wesen des Glaubens an sich liegt, daß er indifferent ist gegen die moralischen Pflichten „Placetta de Fide II. Il ne faut pas chercher dans la nature de choses mêmes la veritable cause de l’inseparabilité de’la foi et de la pieté. Il faut, si je ne me trompe, la chercher uniquement dans la vo- lonté de Dieu … Bene facit et nobiscum sentit, cum illam conjunctio- nem (d. h. der Sanctitas oder Virtus mit dem Glauben) a benefica Dei vo- luntate et dispositione repetit; nec id novum est ejus inventum, sed cum antiquioribus Theologis nostris commune“ J. A. Ernesti . (Vindiciae arbitrii divini. Opusc. theol. p. 297.) Si quis dixerit … qui fidem sine charitate habet, Christianum non esse, anathema sit. Concil. Trid . , daß er die Liebe des Menschen der Ehre Gottes aufopfert, eben deßwegen wird gefordert, daß der Glaube gute Werke im Gefolge haben, daß er durch die Liebe sich bethätigen soll. Der gegen die Liebe indifferente oder lieblose Glaube wi- derspricht der Vernunft, dem moralischen Gefühl, dem natürli- chen Rechtssinn des Menschen, als welchem sich die Liebe un- mittelbar als Gesetz und Wahrheit aufdringt. Der Glaube wird daher im Widerspruch mit seinem Wesen an sich durch die Moral beschränkt. Ein Glaube, der nichts Gutes wirkt, sich nicht durch die Liebe bethätigt, ist kein wahrer, kein lebendiger. Aber diese Beschränkung stammt nicht aus dem Glau- ben selbst . Es ist die vom Glauben unabhängige Macht der Liebe, die ihm Gesetze gibt; denn es wird hier die mora- lische Beschaffenheit zum Kriterium der Aechtheit des Glaubens, die Wahrheit des Glaubens von der Wahr- heit der Ethik abhängig gemacht — ein Verhältniß, das aber dem Glauben widerspricht. Wohl mag der Glaube den Menschen selig machen; aber so viel ist gewiß: er flößt ihm keine wirklich sittlichen Gesin- nungen ein. Bessert er den Menschen, hat er moralische Ge- sinnung zur Folge, so kommt das nur aus der innern, vom religiösen Glauben unabhängigen Ueberzeugung von der un- umstößlichen Realität der Moral. Nur die Moral ist es, die dem Gläubigen ins Gewissen ruft: Dein Glaube ist nichts, wenn er Dich nicht gut macht, keineswegs aber der Glaube. Wohl kann, nicht ist es zu läugnen, die Gewißheit ewiger Seligkeit, der Vergebung der Sünden, der Begnadigung und Erlösung von allen Strafen, den Menschen geneigt machen, Gutes zu thun. Der Mensch, der dieses Glaubens ist, hat Alles; er ist selig; er wird gleichgültig gegen die Güter dieser Welt; kein Neid , keine Habsucht, kein Ehrgeiz, kein sinnliches Verlangen kann ihn fesseln; alles Irdische schwindet im Hin- blick auf die himmlische Gnade und die ewige überirdische Se- ligkeit. Aber die guten Werke kommen bei ihm nicht aus den Gesinnungen der Tugend selbst. Nicht die Liebe selbst, nicht der Gegenstand der Liebe, der Mensch , die Basis aller Moral , ist die Triebfeder seiner guten Handlungen. Nein! er thut Gutes nicht um des Guten, nicht um des Menschen, sondern um Gottes willen — aus Dankbarkeit gegen Gott, der Alles für ihn gethan und für den er daher auch seinerseits wieder Alles thun muß, was nur immer in seinem Vermögen steht. Er unterläßt die Sünde, weil sie Gott, seinen Heiland, seinen Wohlthäter beleidigt „Wie kann ich Dir dann Deine Liebesthaten im Werk erstatten? doch ist noch etwas, das Dir angenehme, wenn ich des Fleisches Lüste dämpf und zähme, daß sie aufs neu mein Herz nicht entzünden mit neuen Sün- den.“ „Will sich die Sünde regen, so bin ich nicht verlegen, der Blick auf Jesu Kreuze ertödtet ihre Reize.“ Gesangbuch der evangel. Brü- derge meinen . . Der Begriff der Tugend ist hier der Begriff des vergeltenden Opfers. Gott hat sich für den Menschen geopfert; dafür muß sich jetzt wieder der Mensch Gott opfern. Je größer das Opfer, desto besser die Handlung. Je mehr etwas dem Menschen, der Natur widerspricht, je grö- ßer die Negation, desto größer auch die Tugend. Diesen nur negativen Begriff des Guten hat besonders der Katholicismus verwirklicht und ausgebildet. Sein höchster moralischer Be- griff ist der des Opfers — daher die hohe Bedeutung der Verneinung der Geschlechtsliebe — der Castitas . Die Keusch- heit ist die charakteristische Tugend des katholischen Glau- bens — deßwegen, weil sie keine Basis in der Natur hat — die überschwänglichste, transcendenteste, phantastischste Tugend, die Tugend des supranaturalistischen Glaubens Auch der Protestantismus anerkannte noch diese Tugend und setzte — dem Glauben die höchste Tugend, aber an sich keine Tugend. Der Glaube macht demnach zur Tugend, was an sich, seinem Inhalt nach keine Tugend ist; er hat also keinen Tugendsinn; er muß nothwendig die wahre Tugend herabsetzen, weil er eine bloße Scheintugend so erhöht, weil ihn kein andrer Begriff als der der Negation, des Widerspruchs mit der Na- tur des Menschen leitet. Aber obgleich die der Liebe widersprechenden Handlungen der christlichen Religionsgeschichte dem Christenthum entspre- chen , und daher die Gegner des Christenthums recht ha- ben, wenn sie demselben die Greuelthaten der Christen Schuld geben; so widersprechen sie doch auch zugleich wie- der dem Christenthum, weil das Christenthum nicht nur eine Religion des Glaubens, sondern auch der Liebe ist, nicht nur zum Glauben, sondern auch zur Liebe uns verpflich- tet. Die Handlungen der Lieblosigkeit Man entschuldige durch den Gegensatz dieses matte Wort. , des Ketzerhas- ses entsprechen und widersprechen zugleich dem Christen- thum? Wie ist das möglich? Allerdings. Das Chri- stenthum sanctionirt zugleich die Handlungen, die aus der Liebe , und die Handlungen, die aus dem Glauben die Ehelosigkeit, als eine höhere Gabe, über die Ehe. Nur hat sie für ihn keine praktische Bedeutung mehr, weil der natürliche Mensch zu schwach sei für diese himmlische Tugend, d. h. in Wahrheit, weil die christ- liche Moral die schwache Seite des Protestantismus ist, weil in ihm der natürliche Mensch den christlichen, wenigstens auf dem Gebiete der Moral, übermannt hatte. — Es versteht sich von selbst, daß die christliche Keusch- heit eine ganz andere ist als die heidnische, etwa römische Pudicitia. Hier wurde z. B. das Weib beschränkt, ut non solum virginitatem illibatam, sed etiam oscula ad virum sincera perferret. Val. Maximus l. VI. c. 1. §. 4. ohne Liebe kommen. Hätte das Christenthum nur die Liebe zum Gesetze gemacht , so hätten die Anhänger des- selben recht, man könnte ihm die Greuelthaten der christlichen Religionsgeschichte nicht als Schuld anrechnen; hätte es nur den Glauben zum Gesetz gemacht, so wären die Vorwürfe der Ungläubigen unbedingt, ohne Einschränkung wahr. Das Christenthum hat die Liebe nicht frei gegeben; sich nicht zu der Höhe erhoben, die Liebe absolut zu fassen . Und es hat diese Freiheit nicht gehabt, nicht haben können, weil es Religion ist — die Liebe daher der Herrschaft des Glau- bens unterworfen. Die Liebe ist nur die exoterische , der Glaube die esoterische Lehre des Christenthums — die Liebe nur die Moral , der Glaube aber die Religion der christlichen Religion. Gott ist die Liebe. Dieser Satz ist der höchste des Chri- stenthums. Aber der Widerspruch des Glaubens und der Liebe ist schon in diesem Satze enthalten. Die Liebe ist nur ein Prädicat, Gott das Subject. Was ist aber dieses Sub- ject im Unterschiede von der Liebe? Und ich muß doch nothwendig so fragen, so unterscheiden. Die Nothwendig- keit der Unterscheidung wäre nur aufgehoben, wenn es umge- kehrt hieße: die Liebe ist Gott , die Liebe das absolute Wesen . So bekäme die Liebe die Stellung der Substanz. In dem Satze: „Gott ist die Liebe“ ist das Subject das Dunkel , hinter welches der Glaube sich versteckt; das Prä- dicat das Licht , das erst das an sich dunkle Subject erhellt. Im Prädicat bethätige ich die Liebe, im Subject den Glauben . Die Liebe füllt nicht allein meinen Geist aus: ich lasse einen Platz für meine Lieblosigkeit offen , indem ich Gott als Subject denke im Unterschied vom Prädi- cat. Der Begriff eines persönlichen, für sich seienden Wesens ist nichts weniger als identisch mit dem Begriffe der Liebe; es ist vielmehr auch Etwas außer und ohne die Liebe . Es ist daher nothwendig, daß ich bald den Gedan- ken der Liebe verliere, bald wieder den Gedanken des Sub- jects, bald der Gottheit der Liebe die Persönlichkeit Gottes , bald wieder der Persönlichkeit Gottes die Liebe aufopfere. Die Geschichte des Christenthums hat diesen Wi- derspruch hinlänglich constatirt. Der Katholicismus beson- ders feierte die Liebe als die wesentliche Gottheit so begeistert, daß ihm in dieser Liebe ganz die Persönlichkeit Gottes ver- schwand. Aber zugleich opferte er wieder in einer und dersel- ben Seele der Majestät des Glaubens die Liebe auf. Der Glaube hält sich an die Selbstständigkeit Gottes; die Liebe hebt sie auf. Gott ist die Liebe, heißt: Gott ist nichts für sich ; wer liebt, gibt seine egoistische Selbstständigkeit auf; er macht, was er liebt, zum Unentbehrlichen, Wesentlichen seiner Existenz. Der Begriff der Liebe ist der der Identität. Aber zugleich taucht doch wieder, während ich in die Tiefe der Liebe das Selbst versenke, der Gedanke des Subjects auf und stört die Harmonie des göttlichen und menschli- chen Wesens, welche die Liebe gestiftet. Der Glaube tritt mit seinen Prätensionen auf und räumt der Liebe nur so viel ein, als überhaupt einem Prädicat im gewöhnlichen Sinne zukommt. Er läßt die Liebe sich nicht frei entfalten; er macht sie zu einem Abstractum, sich zum Concretum, zur Sache , zum Fundament . Die Liebe des Glaubens ist nur eine rheto- rische Figur, eine poetische Fiction des Glaubens — der be- trunkne , der sich selbst betäubende Glaube. Kommt der Glaube wieder zu sich , so ist auch die Liebe dahin. Nothwendig mußte sich dieser theoretische Widerspruch auch praktisch bethätigen. Nothwendig; denn die Liebe ist im Christenthum befleckt durch den Glauben, sie ist nicht frei, nicht wahrhaft erfaßt. Eine Liebe, die durch den Glauben beschränkt , ist eine unwahre Liebe Die einzige dem Wesen der Liebe nicht widersprechende Beschrän- kung ist die Selbstbeschränkung der Liebe durch die Vernunft , die Intel- . Die Liebe kennt kein Gesetz, als sich selbst. Sie ist göttlich durch sich selbst ; sie bedarf nicht der Weihe des Glaubens; sie kann nur durch sich selbst begründet werden. Die Liebe, die durch den Glauben gebunden, ist eine engherzige, falsche , dem Be- griffe der Liebe, d. h. sich selbst widersprechende Liebe, eine scheinheilige Liebe, denn sie birgt den Haß des Glau- bens in sich; sie ist nur gut, so lange der Glaube nicht ver- letzt wird. In diesem Widerspruch mit sich selbst , verfällt sie daher, um den Schein der Liebe zu behalten, auf die teuflischsten Sophismen, wie Augustin in seiner Apologie der Ketzerverfolgungen. Die Liebe ist beschränkt durch den Glauben ; sie findet daher auch die Handlungen der Lieb- losigkeit , die der Glaube gestattet, nicht im Widerspruch mit sich ; sie legt die Handlungen des Hasses , die um des Glaubens willen geschehen, als Handlungen der Liebe aus. Und sie verfällt nothwendig auf solche Widersprüche, weil es schon an und für sich ein Widerspruch ist, daß die Liebe durch den Glauben beschränkt ist. Duldet sie einmal diese Schranke , so hat sie ihr eignes Urtheil, ihr einge- bornes Maaß und Kriterium , ihre Selbstständigkeit aufgegeben; sie ist den Einflüsterungen des Glaubens widerstandlos preis gegeben. Hier haben wir wieder ein Exempel, daß Vieles, was nicht dem Buchstaben nach in der Bibel steht, dem Princip nach doch in ihr liegt. Wir finden dieselben Widersprüche in der Bibel, die wir im Augustin, im Katholicismus überhaupt, finden, nur daß sie hier bestimmt ausgesprochen werden, eine augenfällige , darum empörende Existenz bekommen. Die Bibel verdammt durch den Glauben, begnadigt durch die Liebe. Aber sie kennt nur eine auf den Glauben gegründete Liebe. Also auch hier schon eine Liebe, die verflucht, eine un- zuverlässige Liebe, eine Liebe, die mir keine Garantie gibt, daß sie sich nicht als Lieblosigkeit bewährt; denn anerkenne ich nicht die Glaubensartikel, so bin ich außer das Gebiet und Reich der Liebe gefallen, ein Gegenstand des Fluchs, der Hölle, des Zornes Gottes, dem die Existenz der Ungläubi- gen ein Aerger, ein Dorn im Auge ist. Die christliche Liebe hat nicht die Hölle überwunden , weil sie nicht den Glauben überwunden. Die Liebe ist an sich ungläu- big, der Glaube aber lieblos . Ungläubig aber ist deß- wegen die Liebe, weil sie nichts Göttlicheres kennt als sich selbst , weil sie nur an sich selbst , als die absolute Wahrheit glaubt. Die christliche Liebe ist schon dadurch eine besondere , daß sie christliche ist, sich christliche nennt. Aber Univer- salität liegt im Wesen der Liebe. So lange die christliche Liebe die Christlichkeit nicht aufgibt, nicht die Liebe schlechtweg zum obersten Gesetze macht, so lange ist sie eine Liebe, die den Wahrheitssinn beleidigt, denn die Liebe ist es eben, die den Unterschied zwischen Christenthum und sogenanntem Heiden- ligenz . Liebe, die die Strenge, das Gesetz der Intelligenz verschmäht, ist theoretisch eine falsche, praktisch eine verderbliche Liebe. thum aufhebt, — eine Liebe, die durch ihre Particularität mit dem Wesen der Liebe in Widerspruch tritt, eine abnorme, lieb- lose Liebe, die daher längst auch mit Recht ein Gegenstand der Ironie geworden ist. Die wahre Liebe ist sich selbst genug ; sie bedarf keiner besondern Titel, keiner Autorität. Die Liebe ist das universale Gesetz der Intelligenz und Na- tur — sie ist nichts andres als die Realisation der Einheit der Gattung auf dem Wege der Gesinnung. Soll diese Liebe auf den Namen einer Person gegründet werden, so ist dieß nicht möglich, als dadurch, daß mit dieser Person supersti- tiöse Begriffe verbunden werden, seien sie nun religiöser oder speculativer Art. Aber mit der Superstition ist immer Particularismus, mit dem Particularismus Fanatismus ver- bunden. Die Liebe kann sich nur gründen auf die Einheit der Gattung, der Intelligenz, auf die Natur der Menschheit; nur dann ist sie eine gründliche , im Princip geschützte, garan- tirte, freie Liebe, denn sie stützt sich auf den Ursprung der Liebe, aus dem selbst die Liebe Christi stammte. Die Liebe Christi war selbst eine abgeleitete Liebe. Er liebte uns nicht aus sich, kraft eigner Vollmacht, sondern kraft der Natur der Menschheit. Stützt sich die Liebe auf seine Person, so ist diese Liebe eine besondere , die nur so weit geht, als die An- erkennung dieser Person geht, eine Liebe, die sich nicht auf den eignen Grund und Boden der Liebe stützt. Sollen wir deßwegen uns lieben, weil Christus uns geliebt? Solche Liebe wäre affectirte , nachgeäffte Liebe. Können wir nur wahr- haft lieben, wenn wir Christus lieben? Aber ist Christus die Ursache der Liebe? Oder ist er nicht vielmehr der Apostel der Liebe? nicht der Grund seiner Liebe die Einheit der Menschen- natur? Soll ich Christus mehr lieben als die Menschheit? Aber solche Liebe, ist sie nicht eine chimärische Liebe? Kann ich über den Begriff der Gattung hinaus? Höheres lieben als die Menschheit? Was Christus adelte, war die Liebe; was er war, hat er von ihr nur zu Lehen bekommen; er war nicht Pro- prietär der Liebe, wie er dieß in allen superstitiösen Vorstel- lungen ist. Der Begriff der Liebe ist ein selbstständiger Be- griff, den ich nicht erst aus dem Leben Christi abstrahire; im Gegentheil ich anerkenne dieses Leben nur, weil und wenn ich es übereinstimmend finde mit dem Gesetze, dem Begriffe der Liebe. Historisch ist dieß schon dadurch erwiesen, daß die Idee der Liebe keineswegs nur mit dem Christenthum und durch dasselbe in das Bewußtsein der Menschheit erst kam, keines- wegs eine nur christliche ist. Sinnvoll gehen der Erscheinung dieser Idee die Greuel des römischen Reichs zur Seite. Das Reich der Politik, das die Menschheit auf eine ihrem Begriffe widersprechende Weise vereinte, mußte in sich zerfallen. Die politische Einheit ist eine gewaltsame . Roms Despotismus mußte sich nach Innen wenden, sich selbst zerstören. Aber eben durch dieses Elend der Politik zog sich der Mensch ganz aus der herzzerdrückenden Schlinge der Politik heraus. An die Stelle Roms trat der Begriff der Menschheit, damit an die Stelle des Begriffs der Herrschaft der Begriff der Liebe. Selbst die Juden hatten in dem Humanitätsprincip der grie- chischen Bildung ihren gehässigen religiösen Separatismus gemildert. Philo feiert die Liebe als die höchste Tugend. Es lag im Begriffe der Menschheit selbst, daß die nationellen Dif- ferenzen gelöst wurden. Der denkende Geist hatte schon frühe die civilistischen und politischen Trennungen des Menschen vom Menschen überwunden. Aristoteles unterscheidet wohl den Menschen vom Sklaven und setzt den Sklaven als Menschen auf gleichen Fuß mit dem Herrn, indem er selbst Freundschaft zwischen beiden schließt. Sklaven waren selbst Philosophen. Epiktet, der Sklave, war Stoiker; Antonin, der Kaiser, war es auch. So einte die Philosophie die Menschen. Die Stoi- ker Auch die Peripatetiker; aber sie gründeten die Liebe, auch die gegen alle Menschen, nicht auf ein besonderes, religiöses , sondern ein natürliches Princip. lehrten, der Mensch sei nicht um seinetwillen, sondern um der Andern willen , d. h. zur Liebe geboren — ein Aus- spruch, der unendlich mehr sagt, als das rühmlichst bekannte, die Feindesliebe gebietende Wort des Kaisers Antonin. Das praktische Princip der Stoiker ist insofern das Princip der Liebe. Die Welt ist ihnen eine gemeinsame Stadt, die Men- schen Mitbürger. Seneca namentlich feiert in den erhabensten Aussprüchen die Liebe, die Clementia, die Humanität beson- ders gegen die Sklaven. So war der politische Rigorismus, die patriotische Engherzigkeit und Bornirtheit verschwunden. Eine besondere Erscheinung dieser menschheitlichen Be- strebungen — die volksthümliche , populäre, darum religiöse Erscheinung dieses neuen Princips war das Christenthum. Was anderwärts auf dem Wege der Bildung sich geltend machte, das sprach sich hier als religiöses Gemüth, als Glau- benssache aus. Darum machte das Christenthum selbst wie- der eine allgemeine Einheit zu einer besondern , die Liebe zur Sache des Glaubens, aber setzte sie eben dadurch in Wi- derspruch mit der allgemeinen Liebe. Die Einheit wurde nicht bis auf ihren Ursprung zurückgeführt. Die Nationaldifferen- zen verschwanden; dafür tritt aber jetzt die Glaubensdiffe- renz , der Gegensatz von Christlich und Unchristlich , hef- tiger als ein nationeller Gegensatz, häßlicher auch, in der Ge- schichte auf. Alle auf eine particuläre Erscheinung gegründete Liebe widerspricht, wie gesagt, dem Wesen der Liebe, als welche keine Schranken duldet, jede Particularität überwindet. Wir sollen den Menschen um des Menschen willen lieben. Der Mensch ist dadurch Gegenstand der Liebe, daß er Selbstzweck , daß er ein vernunft- und liebefähiges Wesen ist. Dieß ist das Gesetz der Gattung, das Gesetz der Intelligenz. Die Liebe soll eine unmittelbare Liebe sein, ja sie ist nur, als unmit- telbare , Liebe. Schiebe ich aber zwischen den Andern und mich, der ich eben in der Liebe die Gattung realisire , die Vorstellung einer Individualität ein, in welcher die Gattung schon realisirt sein soll, so hebe ich das Wesen der Liebe auf, störe die Einheit durch die Vorstellung eines Dritten außer uns; denn der Andere ist mir dann nur um der Aehnlichkeit oder Gemeinschaft willen, die er mit diesem Urbild hat, nicht um seinetwillen, d. h. um seines Wesens willen Gegen- stand der Liebe. Es kommen hier alle Widersprüche wieder zum Vorschein, die wir in der Persönlichkeit Gottes haben, wo der Begriff der Persönlichkeit nothwendig für sich selbst, ohne die Qualität , welche sie zu einer liebens- und verehrungs- würdigen Persönlichkeit macht, im Bewußtsein und Gemüth sich befestigt. Die Liebe ist die subjective Realität der Gat- tung, wie die Vernunft die objective Realität derselben. In der Liebe, in der Vernunft verschwindet das Bedürfniß einer Mittelsperson . Christus ist selbst nichts als ein Bild, unter welchem sich dem Volksbewußtsein die Einheit der Gattung aufdrang und darstellte. Christus liebte die Men- schen: er wollte sie alle ohne Unterschied des Geschlechts, Al- ters, Standes, der Nationalität beglücken, vereinen. Christus ist die Liebe der Menschheit zu sich selbst als ein Bild — der entwickelten Natur der Religion zufolge — oder als eine Per- son — eine Person, die aber nur die Bedeutung eines Bildes hat, nur eine ideale ist. Darum wird als Kennzeichen der Jünger die Liebe ausgesprochen. Die Liebe ist aber, wie ge- sagt, nichts andres als die Bethätigung, die Realisation der Einheit der Gattung durch die Gesinnung. Die Gattung ist kein Abstractum; sie existirt im Gefühle, in der Gesinnung, in der Energie der Liebe. Die Gattung ist es, die mir Liebe ein- flößt. Ein liebevolles Herz ist das Herz der Gattung. Also ist Christus als das Bewußtsein der Liebe das Bewußt- sein der Gattung . Alle sollen wir eines in Christus sein. Christus ist das Bewußtsein unsrer Identität. Wer also den Menschen um des Menschen willen liebt, wer sich zur Liebe der Gattung erhebt, zur universalen, dem Wesen der Gattung adäquaten Liebe Die handelnde Liebe ist und muß natürlich immer eine be- sondere, beschränkte , d. h. auf das Nächste gerichtete sein. Aber sie ist doch ihrer Natur nach eine universale , indem sie den Men- schen um des Menschen willen, den Menschen im Namen der Gattung liebt. Die christliche Liebe dagegen ist ihrer Natur nach exclusiv. , der ist Christ, der ist Christus selbst. Er thut, was Christus that, was Christus zu Christus machte. Wo also das Bewußtfein der Gattung als Gat- tung entsteht, da verschwindet Christus, ohne daß sein wah- res Wesen vergeht; denn Er war ja der Stellvertreter des Bewußtseins der Gattung, das Bild, unter welchem die Gat- tung dem Volke das Bewußtsein der Gattung als das Gesetz seines Lebens beibrachte. Schlußanwendung. In dem entwickelten Widerspruch zwischen Glaube und Liebe haben wir den praktischen, handgreiflichen Nöthigungs- grund, über das Christenthum, über das eigenthümliche We- sen der Religion überhaupt uns zu erheben. Wir haben be- wiesen, daß der Inhalt und Gegenstand der Religion ein durchaus menschlicher ist, und zwar menschlicher in dem doppelten Sinne dieses Wortes, in welchem es eben sowohl etwas Positives, als Negatives bedeutet, daß die Religion nicht nur die Mächte des menschlichen Wesens, sondern selbst auch die Schwachheiten, die subjectivsten Wünsche des mensch- lichen Herzens, wie z. B. in den Wundern, unbedingt be- jaht — bewiesen, daß auch die göttliche Weisheit mensch- liche Weisheit , daß das Geheimniß der Theologie die Anthropologie , des absoluten Geistes der sogenannte end- liche subjective Geist ist. Aber die Religion hat nicht das Bewußtsein von der Menschlichkeit ihres Inhalts; sie setzt sich vielmehr dem Menschlichen entgegen, oder wenigstens sie ge- steht nicht ein , daß ihr Inhalt menschlicher ist. Der noth- wendige Wendepunkt der Geschichte ist daher dieses offne Be- kenntniß und Eingeständniß , daß das Bewußtsein Got- tes nichts andres ist als das Bewußtsein der Gattung, daß der Mensch sich nur über die Schranken seiner Individualität erheben kann und soll, aber nicht über die Gesetze, die posi- tiven Wesensbestimmungen seiner Gattung , daß der Mensch kein andres Wesen als absolutes Wesen denken, ahnden, vorstellen, fühlen, glauben, wollen, lieben und ver- ehren kann als das Wesen der menschlichen Natur Mit Einschluß der Natur , denn wie der Mensch zum We- sen der Natur — dieß gilt gegen den gemeinen Materialismus — . Feuerbach . 24 Unser Verhältniß zur Religion ist daher kein nur nega- tives , sondern ein kritisches ; wir scheiden nur das Wahre vom Falschen — obgleich allerdings die von der Falschheit ausgeschiedene Wahrheit immer eine neue , von der alten we- sentlich unterschiedne Wahrheit ist. Die Religion ist das erste Selbstbewußtsein des Menschen. Heilig sind die Reli- gionen eben weil sie die Ueberlieferungen des ersten Bewußt- seins sind. Aber was der Religion das Erste ist, Gott, das ist an sich, der Wahrheit nach das Zweite, denn er ist nur das sich gegenständliche Wesen des Menschen und was ihr das Zweite ist, der Mensch, das muß daher als das Erste gesetzt und ausgesprochen werden. Die Liebe zum Men- schen darf keine abgeleitete sein; sie muß zur ursprünglichen werden. Dann allein wird die Liebe eine wahre, heilige, zuverlässige Macht. Hinter die religiöse Liebe kann sich, wie bewiesen, auch der Haß sicher verbergen. Ist das Wesen des Menschen das höchste Wesen des Menschen, so muß auch praktisch das höchste und erste Gesetz die Liebe des Menschen zum Menschen sein. Homo homini Deus est — dieß ist der oberste praktische Grundsatz — dieß der Wendepunkt der Weltgeschichte. Die Verhältnisse des Kindes zu den Eltern, des Gatten zum Gatten, des Bruders zum Bruder, des Freundes zum Freunde, überhaupt des Menschen zum Menschen, kurz, die moralischen Verhältnisse sind per se wahrhaft religiöse Verhältnisse. Das Leben ist so gehört auch die Natur zum Wesen des Menschen — dieß gilt ge- gen den subjectiven Idealismus , der auch das Geheimniß unsrer „absoluten“ Philosophie, wenigstens in Beziehung auf die Natur ist. Nur durch die Verbindung des Menschen mit der Natur können wir den supranaturalistischen Egoismus des Christenthums überwinden. überhaupt in feinen wesentlichen, substanziellen Verhält- nissen durchaus göttlicher Natur . Seine religiöse Weihe empfängt es nicht erst durch den Segen des Priesters. Die Religion will durch ihre an sich äußerliche Zuthat einen Ge- genstand heiligen; sie spricht dadurch sich allein als die heilige Macht aus; sie kennt außer sich nur irdische, ungöttliche Ver- hältnisse; darum eben tritt sie hinzu, um sie erst zu heiligen, zu weihen. Aber die Ehe — natürlich als freier Bund der Liebe — ist durch sich selbst , durch die Natur der Verbindung, die hier geschlossen wird, heilig . Nur die Ehe ist eine religiöse , die eine wahre ist, die dem Wesen der Ehe, der Liebe ent- spricht. Und so ist es mit allen sittlichen Verhältnissen. Sie sind nur da moralische , sie werden nur da mit sittlichem Sinne gepflogen, wo sie durch sich selbst als religiöse gelten. Wahrhafte Freundschaft ist nur da, wo die Gränzen der Freundschaft mit religiöser Gewissenhaftigkeit bewahrt wer- den, mit derselben Gewissenhaftigkeit, mit welcher der Gläubige die Dignität seines Gottes wahrt. Heilig ist und sei Dir die Freundschaft, heilig das Eigenthum, heilig die Ehe, heilig das Wohl jedes Menschen, aber heilig an und für sich selbst. Im Christenthum werden die moralischen Gesetze als Ge- bote Gottes gefaßt; es wird die Moralität selbst zum Kriterium der Religiosität gemacht; aber die Ethik hat dennoch unterge- ordnete Bedeutung, hat nicht für sich selbst die Bedeutung der Religion. Diese fällt nur in den Glauben. Ueber der Moral schwebt Gott als ein vom Menschen unterschiedenes Wesen, dem das Beste angehört, während dem Menschen nur der Abfall zukommt. Alle Gesinnungen, die dem Leben , dem Menschen zugewendet werden sollen, alle seine besten Kräfte 24* vergeudet der Mensch an das bedürfnißlose Wesen. Die wirk- liche Ursache wird zum selbstlosen Mittel, eine nur vorgestellte imaginäre Ursache zur wahren, wirklichen Ursache. Der Mensch dankt Gott für die Wohlthaten, die ihm der Andere selbst mit Opfern dargebracht. Der Dank, den er seinem Wohl- thäter ausspricht, ist nur ein scheinbarer, er gilt nicht ihm, sondern Gott. Er ist dankbar gegen Gott, aber undankbar gegen den Menschen. So geht die sittliche Gesinnung in der Religion unter! So opfert der Mensch den Menschen Gott auf! Die blutigen Menschenopfer sind in der That nur roh- sinnliche Ausdrücke von den Geheimnissen der Religion. Wo blutige Menschenopfer Gott dargebracht werden, da gelten diese Opfer für die höchsten, das sinnliche Leben für das höchste Gut. Deßwegen opfert man das Leben Gott auf, und zwar in außerordentlichen Fällen; man glaubt damit ihm die größte Ehre zu erweisen. Wenn das Christenthum nicht mehr, we- nigstens in unsrer Zeit , blutige Opfer seinem Gott dar- bringt, so kommt das nur daher, daß das sinnliche Leben nicht mehr für das höchste Gut gilt. Man opfert dafür Gott die Seele , die Gesinnung , weil diese für höher gilt. Aber das Gemeinsame ist, daß der Mensch in der Religion eine Ver- bindlichkeit gegen den Menschen — wie die, das Leben des Andern zu respectiren, dankbar zu sein — einer religiösen Ver- bindlichkeit, das Verhältniß zum Menschen dem Verhältniß zu Gott aufopfert. Die Christen haben durch den Begriff der Bedürfnißlosigkeit Gottes, die nur ein Gegenstand der reinen Anbetung sei, allerdings viele wüste Vorstellungen beseitigt. Aber diese Bedürfnißlosigkeit ist nur ein metaphysischer Begriff, der keineswegs die differentia specifica der Religion begrün- det. Das Bedürfniß der Anbetung nur auf eine Seite, auf die subjective verlegt, läßt wie jede Einseitigkeit, das religiöse Gemüth kalt; es muß also, wenn auch nicht mit ausdrücklichen Worten, doch der That nach eine dem subjectiven Bedürfniß entsprechende Bestimmung in Gott gesetzt werden, um Gegen- seitigkeit herzustellen. Alle positiven Bestimmungen der Religion beruhen auf Gegenseitigkeit „ Wer mich ehrt, den will ich auch ehren , wer aber mich verachtet, der soll wieder verachtet werden.“ I. Samuel. 2, 30. Jam se o bone pater, vermis vilissimus et odio dignissimus sempiterno, tamen con- fidit amari, quoniam se sentit amare, imo quia se amari praesen- tit, non redamare confunditur … Nemo itaque se amari diffi- dat, qui jam amat. Bernardus Ad Thomam. (Epist. 107) . Ein sehr schöner und wichtiger Ausspruch. Wenn ich nicht für Gott bin, ist Gott nicht für mich; wenn ich nicht liebe, bin ich nicht geliebt. Das Passivum ist das seiner selbst gewisse Activum, das Object das seiner selbst gewisse Subject. Lieben heißt Mensch sein, Geliebtwerden heißt Gott sein. Ich bin geliebt, sagt Gott, ich liebe, der Mensch. Erst später kehrt sich dieß um und verwandelt sich das Passivum in das Activum und umgekehrt. . Der religiöse Mensch denkt an Gott, weil Gott an ihn denkt, er liebt Gott, weil Gott ihn zuerst geliebt hat u. s. w. Gott ist eifersüchtig auf den Men- schen — die Religion eifersüchtig auf die Moral „Der Herr sprach zu Gideon: des Volks ist zu viel, das mit dir ist, daß ich sollte Midian in ihre Hände geben; Israel möchte sich rühmen wider mich und sagen: Meine Hand hat mich erlöset“ d. h. ne Israel sibi tribuat, quae mihi debentur . Richter 7, 2. „So spricht der Herr: Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen ver- läßt . Gesegnet aber ist der Mann, der sich auf den Herrn verläßt und der Herr seine Zuversicht ist.“ Jeremia 17, 5. 7. ; sie saugt ihr die besten Kräfte aus; sie gibt dem Menschen, was des Menschen ist, aber Gott, was Gottes ist. Und Gottes ist die wahre, seelenvolle Gesinnung, das Herz . Wenn wir in Zeiten, wo die Religion heilig war, die Ehe, das Eigenthum, die Staatsgesetze respectirt finden, so hat dieß nicht in der Religion seinen Grund, sondern in dem ursprünglich, natürlich sittlichen und rechtlichen Bewußtsein, dem die rechtlichen Verhältnisse als solche für heilig gelten. Wem das Recht nicht durch sich selbst heilig ist, dem wird es nun und nimmermehr durch die Religion heilig. Das Ei- genthum ist nicht dadurch heilig geworden, daß es als ein göttliches Institut vorgestellt wurde, sondern weil es durch sich selbst, für sich selbst für heilig galt, wurde es als ein göttliches Institut betrachtet. Die Liebe ist nicht dadurch heilig, daß sie ein Prädicat Gottes, sondern sie ist ein Prädicat Gottes, weil sie durch und für sich selbst göttlich ist. Die Heiden verehren nicht das Licht, nicht die Quelle, weil sie eine Gabe Gottes ist, sondern weil sie sich durch sich selbst dem Menschen als etwas Wohlthätiges erweist, weil sie den Leidenden erquickt; ob dieser trefflichen Qualität erweisen sie ihr göttliche Ehre. Der Unterschied aber zwischen den Heiden und Christen ist nur, daß diese moralische oder geistige, jene natürliche Gegenstände anbeteten. Wo die Moral auf die Theologie , das Recht auf göttliche Einsetzung gegründet wird, da kann man die un- moralischsten, unrechtlichsten, schändlichsten Dinge rechtfertigen und begründen . Ich kann die Moral durch die Theologie nur begründen, wenn ich selbst schon durch die Moral das göttliche Wesen bestimme. Widrigenfalls habe ich kein Kriterium des Moralischen und Unmoralischen, sondern eine unmoralische, willkührliche Basis, woraus ich alles Mögliche ableiten kann. Ich muß also die Moral, wenn ich sie durch Gott begründen will, schon in Gott setzen, d. h. ich kann die Moral, das Recht, kurz alle substanziellen Verhält- nisse nur durch sich selbst begründen , und begründe sie nur wahrhaft, so wie es die Wahrheit gebietet, wenn ich sie durch sich selbst begründe. Etwas in Gott setzen oder aus Gott ableiten, das heißt nichts weiter als etwas der prüfenden Vernunft entziehen, ohne Rechenschaft abzulegen, als etwas Unbezweifelbares, Unverletzliches, Heiliges hinstellen. Selbst- verblendung, wo nicht selbst böse, hinterlistige Absicht, liegt darum allen Begründungen der Moral, des Rechts durch die Theologie zu Grunde. Wo es Ernst mit dem Recht ist, be- dürfen wir keiner Anfeuerung und Unterstützung von Oben her. Wir brauchen keine christlichen Könige; wir brauchen nur Könige , die Könige sind, groß gesinnt, gerecht und weise Es ist der größte Widerspruch mit dem Christenthum, das Kö- nightum aus dem Christenthum abzuleiten. Der wahre Christ singt viel- mehr mit Asmus : „Ich danke Gott, daß ich nicht König worden bin.“ . Das Richtige, Wahre, Gute hat überall seinen Hei- ligungsgrund in sich selbst, in seiner Qualität . Wo es Ernst mit der Ethik ist, da gilt sie eben an und für sich selbst für eine göttliche Macht. Für das Volk mag sich aller- dings der Bestand der ethischen und rechtlichen Verhältnisse an den Bestand der positiven Religion knüpfen, aber nur dann, wann die religiösen Bestimmungen, die Bestimmungen Gottes selbst sittliche Bestimmungen sind. So kommen wir immer wieder auf die Begründung des Rechts, der Ethik durch sich selbst. Hat die Moral keinen Grund in sich selbst, so gibt es auch keine innere Nothwendigkeit zur Moral; die Moral ist dann der bodenlosen Willkühr der Religion preis gegeben. Es handelt sich also im Verhältniß der selbstbewußten Vernunft zur Religion nur um die Vernichtung einer Illu- sion — einer Illusion aber, die keineswegs indifferent ist, sondern vielmehr grundverderblich auf die Menschheit wirkt, den Menschen, wie um die Kraft des wirklichen Lebens, so um den Wahrheits- und Tugendsinn bringt; denn selbst die Liebe, an sich die innerste, wahrste Gesinnung, wird durch die Religiosität zu einer nur scheinbaren, illusorischen , indem die religiöse Liebe den Menschen nur um Gotteswillen, also nur scheinbar den Menschen, in Wahrheit nur Gott liebt. Und wir dürfen nur die religiösen Verhältnisse umkehren, das, was die Religion als Mittel setzt, immer als Zweck fas- sen, was ihr das Untergeordnete, die Nebensache, die Bedin- gung ist, zur Hauptsache, zur Ursache erheben, so haben wir die Illusion zerstört und das ungetrübte Licht der Wahrheit vor unsern Augen. Die Sacramente der Taufe und des Abend- mahls, die wesentlichen, charakteristischen Symbole der christ- lichen Religion, mögen uns diese Wahrheit bestätigen und veranschaulichen. Das Wasser der Taufe ist der Religion nur das Mittel, durch welches sich der heilige Geist dem Menschen mittheilt. Durch diese Bestimmung setzt sie sich aber mit der Vernunft, mit der Wahrheit der Natur der Dinge in Widerspruch. Einer- seits liegt etwas an der objectiven, natürlichen Qualität des Wassers, andererseits wieder nicht, ist es ein bloßes willkühr- liches Mittel der göttlichen Gnade und Allmacht. Von diesen und andern unerträglichen Widersprüchen befreien wir uns, eine wahre Bedeutung geben wir der Taufe nur dadurch, daß wir sie betrachten als ein Zeichen von der Bedeutung des Wassers selbst. Die Taufe soll uns darstellen die wunder- bare, aber natürliche Wirkung des Wassers auf den Menschen. Das Wasser hat in der That nicht nur physische, sondern eben deßwegen auch moralische und intellectuelle Wirkungen auf den Menschen. Das Wasser reinigt den Menschen nicht nur vom Schmutze des Leibes, sondern im Wasser fallen ihm auch die Schuppen von den Augen: er sieht, er denkt klarer; er fühlt sich freier; das Wasser löscht die Glut unreiner Begierden. Wie viele Heilige nahmen zu der natürlichen Qualität des Wassers ihre Zuflucht, um die Anfechtungen des Teufels zu überwinden! Was die Gnade versagte, gewährte die Natur. Das Wasser gehört nicht nur in die Diätetik, sondern auch in die Pädagogik . Sich zu reinigen, sich zu baden, ist selbst die erste, obwohl unterste Tugend Offenbar ist auch die christliche Wassertaufe nur ein Ueberbleibsel der alten Naturreligionen, wo, wie in der parsischen, das Wasser ein religiöses Reinigungsmittel war. (S. Rhode: Die heilige Sage ꝛc. p. 305, 426 u. f. Nork Mythen der alten Perser). Hier hatte jedoch die Wassertaufe einen viel wahreren und folglich tieferen Sinn, als bei den Christen, weil sie sich auf die natürliche Kraft und Bedeutung des Wassers stützte. Aber freilich für diese einfachen Naturanschauungen der alten Re- ligionen hat unser speculativer, wie theologischer Supranaturalismus keinen Sinn und Verstand. — Wenn daher die Perser, die Inder, auch noch die Hebräer, körperliche Reinlichkeit zu einer religiösen Pflicht machten, so waren sie hierin weit vernünftiger als die christlichen Heiligen, welche in der körperlichen Unreinlichkeit das supranaturalistische Princip ihrer Religion veranschaulichten und bewährten. Die Ueberna- türlichkeit in der Theorie wird in der Praxis zur Widernatürlichkeit. Die Uebernatürlichkeit ist nur ein Euphemismus für Wider- natürlichkeit . . Im Schauer des Was- sers erlischt die Brunst der Selbstsucht. Das Wasser ist das nächste und erste Mittel, sich mit der Natur zu befreunden. Das Wasserbad ist gleichsam ein chemischer Proceß, in welchem sich unsre Ichheit in dem objectiven Wesen der Natur auflöst. Der aus dem Wasser emportauchende Mensch ist ein neuer, wiedergeborner Mensch . Die Lehre, daß die Moral nichts ohne Gnadenmittel vermöge, hat einen guten Sinn, wenn wir an die Stelle der imaginären übernatürlichen Gnadenmittel natürliche Mittel setzen. Die Moral vermag nichts ohne die Natur. Die Ethik muß sich an die einfachsten Naturmittel anknüpfen. Die tiefsten Geheimnisse liegen in dem Gemei- nen , dem Alltäglichen , was die supranaturalistische Religion und Speculation ignoriren, die wirklichen Geheimnisse ima- ginären, illusorischen Geheimnissen, so hier die wirkliche Wun- derkraft des Wassers einer eingebildeten Wunderkraft aufopfernd. Das Wasser ist das einfachste Gnaden- oder Arzneimittel gegen die Krankheiten der Seele, wie des Leibes. Aber das Wasser wirkt nur, wenn es oft, wenn es regelmäßig gebraucht wird. Die Taufe als ein einmaliger Act ist entweder ein ganz nutz- loses und bedeutungsloses, oder, wenn mit ihr reale Wirkungen verknüpft werden, ein abergläubisches Institut. Ein vernünf- tiges, ehrwürdiges Institut ist sie dagegen, wenn in ihr die moralische und physische Heilkraft des Wassers, der Natur überhaupt versinnlicht und gefeiert wird. Aber das Sacrament des Wassers bedarf einer Ergän- zung. Das Wasser als ein universales Lebenselement erinnert uns an unsern Ursprung aus der Natur, welchen wir mit den Pflanzen und Thieren gemein haben. In der Wassertaufe beugen wir uns unter die Macht der reinen Naturkraft; das Wasser ist der Stoff der natürlichen Gleichheit und Freiheit, der Spiegel des goldnen Zeitalters. Aber wir Menschen un- terscheiden uns auch von der Pflanzen- und Thierwelt, die wir nebst dem unorganischen Reiche unter den gemeinsamen Namen der Natur befassen — unterscheiden uns von der Natur. Wir müssen daher auch unsre Distinction , unsre specifische Differenz feiern. Die Symbole dieses unsers Unterschieds sind Wein und Brot . Wein und Brot sind ihrer Materie nach Natur-, ihrer Form nach Menschenproducte. Wenn wir im Wasser erklären: der Mensch vermag nichts ohne Natur; so erklären wir durch Wein und Brot: die Natur vermag nichts, wenigstens Geistiges, ohne den Menschen; die Natur bedarf des Menschen, wie der Mensch der Natur . Im Wasser geht die menschliche, geistige Thätigkeit zu Grunde; im Wein und Brot kommt sie zum Selbstgenuß. Wein und Brot sind übernatürliche Producte — im allein gültigen und wahren, der Vernunft und Natur nicht widersprechenden Sinne. Wenn wir im Wasser die reine Naturkraft anbeten, so beten wir im Weine und Brote die übernatürliche Kraft des Geistes , des Bewußtseins, des Menschen an. Darum ist dieses Fest nur für den zum Bewußtsein gezeitigten Menschen; die Taufe wird auch schon den Kindern zu Theil. Aber zugleich feiern wir hier das wahre Verhältniß des Geistes zur Natur: die Natur gibt den Stoff, der Geist die Form. Das Fest der Wassertaufe flößt uns Dankbarkeit gegen die Natur ein, das Fest des Brotes und Weines Dankbarkeit gegen den Menschen. Wein und Brot gehören zu den ältesten Erfindungen. Wein und Brot vergegenwärtigen, versinnlichen uns die Wahrheit, daß der Mensch des Menschen Gott und Heiland ist. Das Essen und Trinken sind die Mysterien des Abend- mahls — das Essen und Trinken sind in der That an und für sich selbst religiöse Acte ; sie sollen es wenigstens sein. Denke daher bei jedem Bissen Brotes, der Dich von der Qual des Hungers erlöst, bei jedem Schlucke Wein, der Dein Herz erfreut, an den Gott , der Dir diese wohlthätigen Gaben ge- spendet — an den Menschen ! Aber vergiß nicht über der Dankbarkeit gegen den Menschen die Dankbarkeit gegen die heilige Natur! Vergiß nicht, daß der Wein das Blut der Pflanze und das Mehl das Fleisch der Pflanze ist, welches dem Wohle Deiner Existenz geopfert wird! Vergiß nicht, daß die Pflanze Dir das Wesen der Natur versinnbildlicht, die sich liebevoll Dir zum Genusse hingibt! Vergiß also nicht den Dank, den Du der natürlichen Qualität des Brotes und Weines schuldest! Und willst Du darüber lächeln, daß ich das Essen und Trinken, weil sie gemeine, alltägliche Acte sind, deßwegen von Unzähligen ohne Geist, ohne Gesinnung ausgeübt werden, religiöse Acte nenne; nun so denke daran, daß auch das Abend- mahl ein gesinnungsloser, geistloser Act bei Unzähligen ist, weil er oft geschieht, und versetze Dich, um die religiöse Be- deutung des Genusses von Brot und Wein zu erfassen, in die Lage hinein, wo der sonst alltägliche Act unnatürlich, gewalt- sam unterbrochen wird. Hunger und Durst zerstören nicht nur die physische, sondern auch geistige und moralische Kraft des Menschen, sie berauben ihn der Menschheit, des Verstandes, des Bewußtseins. O wenn Du je solchen Mangel, solches Unglück erlebtest, wie würdest Du segnen und preisen die na- türliche Qualität des Brotes und Weines, die Dir wieder Deine Menschheit, Deinen Verstand gegeben! So braucht man nur den gewöhnlichen gemeinen Lauf der Dinge zu unterbrechen, um dem Gemeinen ungemeine Bedeutung, dem Leben als sol- chem überhaupt religiöse Bedeutung abzugewinnen. Hei- lig sei uns darum das Brot, heilig der Wein, aber auch heilig das Wasser! Amen. Anhang . Anmerkungen und Beweisstellen Die griechischen Stellen wurden zur Erleichterung des Drucks und der Correctur in der deutschen oder lateinischen Uebersetzung ge- geben. . G ott als Gott ist das objective Wesen der Ver- nunft oder des Verstandes, Gott als Mensch, als Gegenstand der Religion, ist das objective Wesen des Herzens oder Gemüthes . Verstand und Herz oder Ge- müth — als identisch mit dem Herzen gedacht — unterschei- den sich aber also. Die Vernunft ist das Selbstgefühl der Gattung als solcher; das Gemüth das Selbstgefühl der Indi- vidualität. Das Herz ist die Liebe des Menschen zu den Seinigen, die Vernunft die Liebe des Menschen zur Gattung, die Vernunft ist der Mensch im Allgemeinen, das Herz der Mensch in specie, das Herz ein nur persönliches , die Ver- nunft ein dingliches Vermögen, das Herz vertritt die Person, die Vernunft die Sache. Ich bin — ist Sache des Herzens; Ich denke — Sache des Kopfes. Cogito ergo sum? Nein! sentio ergo sum. Fühlen nur ist mein Sein , Denken ist mein Nichtsein , Denken die Position der Gattung, die Vernunft das Nichts der Persönlichkeit. Den- ken ist ein geistiger Selbstbegattungsact, der populäre Beweis ist die Sprache. Sprechen ist eine gegenseitige Befruchtung, Begattung. Nur die Wesen verstehen sich, die zu einer Gat- tung gehören; der Mittheilungstrieb ist der geistige Geschlechts- trieb. In der Vernunft sieht sich der Mensch im Ganzen ver- schwinden; die Vernunft ist der Anblick des Sternenhimmels, der Anblick des Weltmeers, der Anblick einer unbegränz- ten Ebene, das Gemüth der Anblick des menschenfreund- lichen Mondes, der Anblick des sanftmurmelnden Mühlbaches, der Anblick eines abgeschlossenen eng begränzten Thales. Das Herz contrahirt, die Vernunft expandirt den Menschen — Unterschiede, die alle nur in der Antithese Gültigkeit haben, denn auch die Vernunft contrahirt, auch das Herz expandirt, aber in anderer Art. Die Vernunft ist kalt, weil sie nicht dem Menschen schmeichelt, nicht ihm allein das Wort redet; das Herz aber ist der Mensch, der nur allein für sich Partei nimmt. Das Herz erbarmt sich wohl auch der Thiere, aber nur, weil auch das Thier ein Herz hat. Das Herz liebt nur, was es mit sich selbst identificirt . Was Du diesem Wesen anthust, das thust Du mir selbst an. Das Herz liebt überall nur sich selbst, kommt nicht über sich hinaus; das Herz gibt uns nicht den Begriff eines Andern, eines von Uns Unterschiedenen. Die Vernunft dagegen erbarmt sich der Thiere, nicht weil sie sich selbst in ihnen findet oder sie mit dem Menschen identificirt, sondern weil sie dieselben als vom Menschen unterschiedne, nicht nur um des Menschen willen existirende, sondern auch als selbstberechtigte Wesen anerkennt. Das Herz opfert die Gattung dem Individuum, die Vernunft das Individuum der Gattung auf. Der Mensch ohne Ge- müth ist ein Mensch, der keinen eignen Heerd hat. Das Ge- müth ist das Hauswesen , die Vernunft die Res publica des Menschen. Die Vernunft ist die Wahrheit der Na- tur , das Herz die Wahrheit des Menschen . Populä- rer: die Vernunft ist der Gott der Natur , das Herz der Gott des Menschen . Alles, was der Mensch wünscht, aber die Vernunft, aber die Natur versagt, ge- währt ihm das Herz. Gott, Unsterblichkeit, Freiheit im su- pranaturalistischen Sinne existiren nur im Herzen. Das Herz ist selbst die Existenz Gottes , die Existenz der Unsterblichkeit . Begnügt euch mit dieser Existenz! Ihr versteht euer Herz nicht — das ist das Uebel. Ihr wollt eine factische, eine äußere, eine objective Unsterblichkeit, einen Gott außer euch . O welche Täuschung! — Aber wie das Herz den Menschen von den Schranken und zwar wesenhaften Schranken der Natur erlöst; so erlöst dagegen die Vernunft die Natur von den Schranken der äußerlichen Endlichkeit. Wohl ist die Natur das Licht und Maaß der Vernunft — dieß gilt gegen den naturlosen Idealismus. Nur was natürlich wahr, ist auch logisch wahr. Was keinen Grund in der Natur, hat gar keinen Grund. Was kein physikalisches, ist auch kein metaphysisches Gesetz. Jedes wahres Gesetz der Metaphysik läßt sich und muß sich physika- lisch bewähren lassen. Aber zugleich ist auch die Vernunft das Licht der Natur — dieß gilt gegen den geist- und ver- nunftlosen Materialismus. Die Vernunft ist die zu sich selbst gekommene, in integrum sich restituirende Natur der Dinge . Die Vernunft reducirt die Dinge aus den Entstel- lungen und Veränderungen, die sie im Drange der Außen- welt erlitten, auf ihr wahres Wesen zurück. Die meisten, ja fast alle Krystalle — um in die Augen fallende Beweise zu ge- ben — kommen in der Natur in noch ganz andern Gestalten vor, als in ihrer Grundgestalt; ja viele Krystalle kommen nie in ihrer Grundgestalt zum Vorschein. Indeß die Vernunft der Mineralogie hat die Grundform ausgemittelt. Es ist daher nichts thörichter, als die Natur der Vernunft als ein ihr an sich unbegreifliches Wesen entgegenzusetzen. Wenn die Vernunft die veränderten und verunstalteten Formen auf die primitive Grundform zurückführt, thut sie nicht, was die Natur selbst im Sinne hatte, aber nur in Folge äußerer Hin- dernisse nicht ausführen konnte? Was thut sie also anders als daß sie die äußern Störungen, Einflüsse und Hemmungen beseitigt, um ein Ding so darzustellen, wie es sein soll, das Dasein der Idee gleich zu machen; denn die Grundgestalt ist die Idee des Krystalls. Ein anderes populäres Beispiel. Der Granit besteht aus Glimmer, Quarz und Feldspath. Aber oft sind ihm noch andere Steinarten beigemengt. Hät- ten wir nun keine andern Führer und Docenten als die Sinne, so würden wir ohne Bedenken alle die Steine, die wir nur immer im Granit finden, auch zu ihm rechnen; wir würden zu Allem, was uns die Sinne vorsagten, Ja sagen und so nie zum Begriffe des Granits kommen. Aber die Vernunft sagt zu den leichtgläubigen Sinnen: Quod non. Sie unterscheidet; sie sondert die wesentlichen von den zu- fälligen Bestandtheilen. Die Vernunft ist die Hebamme der Natur; sie explicirt , sie läutert , sie corrigirt , sie be- richtet und ergänzt die Natur. Was nun das Wesentliche vom Unwesentlichen, das Nothwendige vom Zufälligen, das Eigne vom Fremden sondert, was das gewaltsam Getrennte der Einheit und das gewaltsam Vereinte seiner Freiheit zurück- gibt, ist das nicht göttlichen Wesens? solches Thun nicht das Thun der höchsten, der göttlichen Liebe? nicht das Thun einer erlösenden Macht? Und wie wäre es möglich, daß die Ver- nunft das lautere Wesen der Dinge, den Originaltext der Natur herstellte, wenn sie selbst nicht das lauterste, reinste, originalste Wesen wäre? Aber die Vernunft hat keine Vor- liebe für diese oder jene Gattung der Dinge. Sie umfaßt mit gleichem Interesse das ganze Universum: sie interessirt sich für alle Dinge und Wesen ohne Unterschied, ohne Aus- nahme — sie würdigt den Wurm, den der menschliche Egois- mus mit Füßen tritt, derselben Aufmerksamkeit, als den Men- schen, als die Sonne am Firmament. Die Vernunft ist also das allumfassende , das allbarmherzige Wesen , die Liebe des Universums zu sich selbst . Nur der Vernunft ist das große Werk der Auferstehung und Apokatastasis aller Dinge und Wesen, der allgemeinen Erlösung und Versöhnung aufgetragen. Auch nicht das vernunftlose Thier, auch nicht die sprachlose Pflanze, auch nicht der gefühllose Stein soll von diesem Allerseligenfest ausgeschlossen sein. Aber wie wäre es möglich, daß sich die Vernunft für alle Wesen ohne Aus- nahme interessirte, wenn die Vernunft nicht selbst unbeschränk- ten, universalen Wesens wäre? Ist es möglich, daß sich be- schränktes Wesen mit unbeschränktem Interesse oder beschränktes Interesse mit unbeschränktem Wesen verträgt? Woraus erkennst Du denn die Beschränktheit des Wesens als eben aus der Beschränktheit des Interesses? So weit das Interesse, so weit erstreckt sich das Wesen. Unendlich ist der Wissenstrieb, unendlich also die Vernunft. Die Vernunft ist die oberste Wesensgattung — darum schließt sie alle Gattungen in das Gebiet des Wissens ein. Die Vernunft kann daher der Ein- zelne nicht in sich fassen. Die Vernunft hat nur in der Gat- tung ihre adäquate Existenz und zwar in der Gattung, wie sie nicht nur in der Vergangenheit und Gegenwart bereits sich explicirt hat, sondern auch in der uns unbekannten Zu- kunft noch expliciren wird. Woraus man gewöhnlich die Endlichkeit der Vernunft zu beweisen sucht, gerade das beweist ihre Unendlichkeit, wie umgekehrt das, woraus man gewöhn- lich die Unendlichkeit des Gefühls, des Gemüths oder Herzens beweist, gerade die Beschränktheit des Gemüths enthüllt. Das Individuum faßt in sich das ganze Herz, aber nicht die ganze Vernunft. Mein Denken, mein Wissen ist beschränkt, weil die Vernunft unbeschränkt ist, mein Gefühl, mein Herz unbe- schränkt, weil das Herz an sich selbst beschränkt ist, ganz in mich aufgeht. In der Vernunftthätigkeit fühle ich einen Un- terschied zwischen mir und der Vernunft; dieser Unterschied ist die Gränze der Individualität; im Gefühl fühle ich keinen Unterschied zwischen mir und dem Herzen ; mit dem Unter- schied fällt auch das Gefühl der Beschränktheit weg. Dieß sind freilich wieder Unterschiede, die nur antithetische Gül- tigkeit haben, denn das Herz des Menschen als Vernunft- wesens ist so unbeschränkt als die Vernunft selbst, indem ich nur dafür mich theoretisch interessire, wofür ich Gefühl habe. Feuerbach . 25 Die Vernunft ist also das von den Schranken der End- lichkeit, des Raums und der Zeit gereinigte Wesen der Na- tur und des Menschen in ihrer Identität — das allgemeine Wesen, der allgemeine Gott; das Herz aber, in seiner Dif- ferenz von der Vernunft gedacht, der Privatgott des Men- schen. Alle Bestimmungen Gottes als Gottes, als allgemeinen, rationalistischen Wesens, sind Vernunftbestimmungen — alle Be- stimmungen Gottes als religiösen Gottes sind Bestimmungen des menschlichen Herzens. Gott ist das emancipirte , das von den Schranken, d. i. Gesetzen der Natur erlöste Herz des Menschen. Das schrankenlose Herz ist das Gemüth; Gott das unbeschränkte Selbstgefühl des menschlichen Ge- müthes . Damit kommen wir auf die Differenz von Herz und Gemüth . Das Gemüth im Einklang mit der Natur ist das Herz, das Herz im Widerspruch mit der Natur ist das Gemüth. Oder: das Herz ist das objective, realistische Gemüth, dieses das subjective, idealistische oder richtiger spiritualistische Herz. Die Thräne, welche die Braut Christi über ihren himmlischen Bräutigam vergießt, kommt aus dem Gemüthe, aber die Thräne der realistischen Braut über den irdischen natürlichen Bräutigam quillt aus dem Herzen. Das Gemüth ist transcendenten, übernatürlichen Wesens — das kranke , das leidende , mit der Natur zerfallene, mit der Welt entzweite Herz — die Sehnsucht nach Gott und Unsterblichkeit , oder auch wirklich schon, wenn es mit Wil- lenskraft die Negation der Welt vollbracht hat, keinen Wider- spruch mehr empfindet, der überschwengliche Genuß himmli- scher Seligkeit und Unsterblichkeit — die Entzückung bis in den Himmel. Das Herz anerkennt auch, was dem Her- zen widerspricht , anerkennt die Macht des Schicksals, an- erkennt auch den Tod der Geliebten, aber das Gemüth dul- det nichts , was ihm widerspricht ; es ist das intolerante, ungebührliche, überschwengliche, sich allein , sich als das ab- solute Wesen, als das Wesen der Wesen setzende Herz. Darum hat das Herz nur wahre, das Gemüth nur scheinbare Leiden. Die Schmerzen des Herzens sind Thatsachen , die Schmer- zen des Gemüthes Vorstellungen . Das Herz blutet, das Gemüth weint. Christus weint über den Tod des Laza- rus. Das Herz hat die Natur zur Basis , es hat physio- logische Bedeutung; das Herz ist eine physikalische Wahr- heit — nicht aber das Gemüth, d. h. das Gemüth gedacht im Unterschiede vom Herzen. Das Herz ist activ , das Gemüth passiv , das Herz hülfreich, das Gemüth trost- reich . Das Herz ist Leiden als Mitgefühl , als Mitlei- den, das Gemüth Leiden als Selbstgefühl , jenes handelt für Andere , dieses läßt Andere für sich handeln. Das Herz ist bestimmtes , das Gemüth unbestimmtes Gefühl, jenes bezieht sich nur auf wirkliche , dieses auch auf er- träumte Gegenstände. Das Gemüth ist das träumerische Herz . Wenn wir Unsterblichkeit wünschen aus Liebe zu Andern , so kommt dieser Wunsch aus dem Herzen ; wenn wir aber Unsterblichkeit wünschen um unsretwillen , aus Mißbehagen, aus Unzufriedenheit mit der wirklichen Welt, so kommt dieser Wunsch aus dem Gemüthe . Im Herzen bezieht sich der Mensch auf Andere , im Gemüthe auf sich . Das Herz ist die Sehnsucht, zu beglücken , das Gemüth, selbst unendlich glücklich zu sein . Das Herz befriedigt sich nur im Andern , das Gemüth in sich selbst . Das in sich selbst befriedigte Gemüth ist Gott. Das Mittel- alter ist gemüthlich, aber herzlos; der christliche Himmel ge- müthlich, aber herzlos, denn er hat zur Seite die Hölle des Glaubens. Das Herz ist unabhängig vom Christenthum, ja es löscht die religiösen Differenzen aus, denn es ist universell, umfaßt alle Menschen, weil es selbst aus der Gattung, dem gemeinschaftlichen Ursprung abstammt. Das Herz beseligt auch den Ungläubigen, aber das Gemüth ist christlichen Glaubens, hat wenigstens im christlichen Glau- ben seinen vollen, entsprechenden Ausdruck gefunden. Kurz, das Herz ist das philosophische, das rationalistische, welt- offne, sonnenklare Gemüth; das Gemüth das mystische, 25* dunkle, weltscheue Herz — das Herz das Naturrecht des Menschen, das Gemüth das willkührliche positive Recht. Allerdings hat auch, wie sich von selbst versteht, das Gemüth Grund in der Natur. Aengstliche Vorstellungen z. B. in Betreff der Zukunft, bange Ahndungen, unbestimmte und deß- wegen namenlose Gefühle sind Eigenschaften des Gemüths. Allerdings hat auch das Gemüth an und für sich, abgesehen von allen positiven Religionen, eine reale Bedeutung. In dieser ist es das in sich glückliche, das contemplative, specula- tive Herz. Aber es ist auch, als wesentlich auf sich concen- trirt, das sich selbst quälende, das nur mit sich beschäftigte, das von sich fortwollende und doch nicht von sich fortkommende Herz. Dieser bisher gemachte Unterschied zwischen Ge- müth und Herz ist keineswegs nur ein willkührlicher. „Ge- müth stammt von muthen, verlangen, wünschen ab… Es bezeichnet also das innere Principium des Menschen von der Seite seines gesammten Begehrungsvermögen, der vernünfti- gen und sinnlichen und dadurch unterscheidet es sich sowohl von Geist als von Seele. Nieder am Staube zerstreun sich unsre gaukelnden Wünsche, Eins wird unser Gemüth droben ihr Sterne bei euch . (Schiller.) Das Herz bezeichnet die geselligen Neigungen , womit wir an dem Wohl und Wehe Anderer Theil nehmen“ und zwar nur „die geselligen Neigungen, die sich durch Liebe äußern. Hab ich treu im Busen Dich getragen, Dich geliebt, wie je ein Herz geliebt. Horen.“ J. A. Eberhard Synonymik. Art. Geist. Der Unterschied von Christenthum und Heidenthum oder Philosophie reducirt sich nur auf den Unterschied von Gemüth und Vernunft oder richtiger Gemüth und Herz. Denn auch die heidnischen Phi- losophen hatten Herz, Gemüth, aber ihr Gemüth war selbst ein kosmisches, realistisches, durch die Natur bestimm- tes ; denn sie hatten ihr Herz in wirklichen Gegenständen, in der Freundschaft, in der Gattenliebe, in der Familie, während die Christen ihr Gemüth in und als Gott selbst setzten. Der Christ findet Gott nicht in der Vernunft; sie ist ihm vielmehr ein atheistisches Wesen, negativ, unbestimmt, indirect ausge- drückt: sie kann Gott nicht fassen, nicht begreifen; denn der Gott, den die Vernunft setzt, ist immer ein Vernunftwesen, das eigne Wesen der Vernunft. Der Christ findet Gott nur im Gemüthe, eben weil das Gemüth sein wahrer Gott ist. Das Christenthum machte das Herz zu Gott, zum absoluten, allmächtigen Wesen — dieß ist das Mysterium, welches den Heiden und Philsophen verschlossen war, dieß das ganze Mysterium des Christenthums, woraus sich auf eine eben so ungezwungene, als speculative, eben so mit der Philosophie, als mit der Empirie übereinstimmende Weise alle Erscheinun- gen der christlichen Geschichte von Anbeginn an bis auf den heutigen Tag erklären lassen. Hieraus erhellt auch, daß das Bestreben unserer positiven Speculanten oder richtiger Phantasten, die Rechts-, Staats- und Naturverhältnisse, kurz Alles, was dem Gemüthe, dem christlichen Gott wider- spricht und daher im Himmel, d. i. in der Wahrheit des Christenthums aufgehoben wird, aus diesem Gotte abzuleiten, eben so auf einer Ignoranz der Natur, des Staats, des Rechts, als des Christenthums selbst beruht, daß also dieses Bestreben eben so unvernünftig, unphilosophisch als unchrist- lich ist. Aber gerade dadurch, daß das Christenthum die na- turgemäße Bestimmung und Begränzung des Herzens negirte, setzte es sich wieder in Widerspruch mit dem wahren, univer- sellen Herzen — das übernatürliche Herz wurde ein unnatür- liches. Wenn daher in dieser Schrift Gemüth und Herz bald als gleichbedeutend gebraucht, bald in dem angegebenen Sinne unterschieden werden, so trägt die Schuld dieses Widerspruchs keineswegs nur die Willkühr des Verfassers und des Sprach- gebrauchs, der Gemüth bald für den ganzen Menschen, bald für Herz setzt, sondern auch der Gegenstand selbst . Das Christenthum ist der Widerspruch von Herz und Gemüth , weil der Widerspruch von Glaube und Liebe. Der Glaube kommt aus dem Gemüthe , die Liebe aber aus dem Herzen . In der Religion bezweckt der Mensch sich selbst, oder ist er sich selbst als Gegenstand, als Zweck Got- tes Gegenstand. Das Geheimniß der Incarnation ist das Geheimniß der Liebe Gottes zum Menschen, das Geheimniß der Liebe Gottes aber das Geheimniß der Liebe des Menschen zu sich selbst. Gott leidet — leidet für mich — dieß ist der höchste Selbstgenuß, die höchste Selbstgewißheit des menschlichen Gemüths . „Also hat Gott die Welt geliebet , daß er seinen eingebor- nen Sohn gab.“ Evangel. Joh . 3, 16. „Ist Gott für uns , wer mag wider uns sein ? welcher auch seines eig- nen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat ihn für uns Alle dahingegeben.“ Römer 8, 31. 32. „Preiset Gott seine Liebe gegen uns, daß Christus für uns gestorben ist.“ Ebend . 5, 8. „Was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebet hat und sich selbst für mich dargegeben.“ Galater 2, 20. Siehe auch Epistel an Titum 3, 4. Hebräer 2, 11. Credimus in unum Deum patrem … et in unum Dominum Jesum Christum filium Dei … Deum ex Deo … qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit et incarnatus et homo factus est passus. Fides Nicae- nae Synodi .... Servator … ex praeexcellenti in homines charitate non despexit carnis humanae im- becillitatem, sed ea indutus ad communem venit homi- num salutem. Clemens Alex . (Stromata l. VII. Ed. Wircel. 1779.) Christianos autem haec universa docent providentiam esse, maxime vero divinissimum et propter excellentiam amoris erga homines incre- dibilissimum providentiae opus, dei incarnatio , quae propter nos facta est. Gregorii Nysseni (Phi- losophiae l. VIII. de provid. c. I. 1512. B. Rhenanus. Jo. Cono interp.) Venit siquidem universitatis crea- tor et Dominus: venit ad homines , venit propter ho- mines , venit homo. Divus Bernardus Clarev . (de adventu Domini. Basil. 1552.) Plus nos amat Deus quam filium pater.... Propter nos filio non pe- percit . Et quid plus addo? et hoc filio justo et hoc filio unigenito et hoc filio Deo. Et quid dici amplius potest? et hoc pro nobis , i. e. pro malis etc. Salvia- nus (de gubernatione Dei. Rittershusius 1611. p. 126 —27.) Quid enim mentes nostras tantum erigit et ab immortalitatis desperatione liberat, quam quod tanti nos fecit Deus , ut Dei filius … dignatus no- strum inire consortium mala nostra moriendo perferret. Petrus Lomb . (lib. III. dist. 20. c. 1.) … Attamen si illa quae miseriam nescit, misericordia non praeces- sisset , ad hanc cujus mater est miseria, non accessis- set. D. Bernardus (Tract. de XII gradibus hum. et sup.) Ecce omnia tua sunt, quae habeo et unde tibi ser- vio. Verum tamen vice versa tu magis mihi servis, quam ego tibi . Ecce coelum et terra quae in ministe- rium hominis creasti, praesto sunt et faciunt quotidie quaecunque mandasti. Et hoc parum est: quin etiam An- gelos in ministerium hominis ordinasti. Transcendit au- tem omnia, quia tu ipse homini servire dignatus es et te ipsum daturum ei promisisti. Thomas a Kempis (de imit. l. III. c. 10.) Ego omnipotens et altissimus, qui cuncta creavi ex nihilo, me homini propter te humiliter subjeci ..... Pepercit tibi oculus meus, quia pretiosa fuit anima tua in conspectu meo (ibid. c. 13.) Fili ego descendi de coelo pro salute tua, suscepi tuas miserias, non necessitate, sed charitate trahente (ibid. c. 18.). Si consilium rei tantae spectamus, quod totum pertinet, ut s. litterae demonstrant, ad salutem generis humani, quid potest esse dignius Deo, quam illa tanta hujus salutis cura, et ut ita dicamus, tantus in ea re sumptus? .... Itaque Jesus Christus ipse cum omni- bus Apostolis … in hoc mysterio Filii Dei ἐν σαϱκὶ φανεϱωϑέντος angelis hominibusque patefactam esse di- cunt magnitudinem sapientis bonitatis divinae . J. A. Ernesti . (Dignit. et verit. inc. Filii Dei asserta. Opusc. Theol. Lipsiae 1773. p. 404—5. Wie matt, wie geistlos gegen die Aussprüche des alten Glaubens!) Propter me Christus suscepit meas infirmitates, mei corporis subiit passiones, pro me peccatum h. e. pro omni homine, pro me maledictum factus est etc. Ille flevit, ne tu homo diu fleres. Ille injurias passus est, ne tu injuriam tuam doleres. Ambrosius (de fide ad Gratianum. l. II. c. 4.). Deine Monarchieen Sind es wohl nicht eigentlich, Die die Herzen ziehen Wundervolles Herz an Dich Sondern Dein Menschwerden In der Füll der Zeit, Und Dein Gang auf Erden Voll Mühseligkeit. Dieses ist das Große, Nicht zu übersehn, Aus des Vaters Schooße In den Tod zu gehn Für verlorne Sünder, O Du höchstes Gut! Daß sie Gottes Kinder Würden durch Dein Blut. Unsre Seele lebet, Unser ganzes Herze lacht, Wenn der vor uns schwebet Christus, der uns selig macht, Wenn wir ihn im Bilde Sehn wie er voll Noth Sich für uns so milde Hat geblut’t zu Tod, Weg ihr Herrlichkeiten Und Du eitle Ehr! Wer zu allen Zeiten Nur ein Sünder wär , Der wär immer selig, Fröhlich und vergnügt, Weil die Kraft unzählig , Die im Elend liegt . Führst Du gleich das Steuerruder Der gestirnten Monarchie Bist Du dennoch unser Bruder; Fleisch und Blut verkennt sich nie . Das mächtigste Gereize , Davon mein Herz zerfließt, Ist, daß mein Herr am Kreuze Für mich verschieden ist. Das ist mein eigentlicher Trieb: Ich liebe Dich für Deine Lieb , Daß Du Gott Schöpfer , edler Fürst Für mich das Lämmlein Gottes wirst. O wüßts und glaubts doch Jedermann, Daß unser Schöpfer Fleisch annahm Und seiner armen Menschen Noth Zu Liebe ging in bittern Tod. Und daß er wieder auferstund Und für uns droben sitzt itztund Als Herr der ganzen Creatur In unsrer menschlichen Natur . Dank sei Dir theures Gotteslamm Mit tausend Sünderthränen, Du starbst für mich am Kreuzesstamm Und suchtest mich mit Sehnen . Dein Blut, Dein Blut das hats gemacht, Daß ich mich Dir ergeben, Sonst hätt’ ich nie an Dich gedacht In meinem ganzen Leben . Hättst Du Dich nicht selber an mich gehangen , Ich wär Dich nimmer suchen gangen. O süße Seelenweide In Jesu Passion ! Es regt sich Schaam und Freude , Du Gotts und Menschensohn, Wenn wir im Geist Dich sehen Für uns so williglich Ans Kreuz zum Tode gehen Und jedes denkt: für mich . Ich glaubs und fühls im Herzen: Mein Heiland liebet mich . Der Vater nimmt uns in seinen Hut, Der Sohn wäscht uns mit seinem Blut, Der heilig Geist ist stets bemüht, Daß er uns pfleget und erzieht. Was hat mein armes Herze Vor Liebe krank gemacht? Ach Jesu Tod und Schmerze, Darein ich ihn gebracht. Ach König groß zu aller Zeit Doch mir niemalen größer Als in dem blutgen Marterkleid. Mein Wohlergehn im Herzen Kommt von den bittern Schmerzen Des Lammes Gottes her Ich kann vor Liebesthränen Der Sache kaum erwähnen; Ach seht nur seine Wunden an! Ihr auserwählten Wunden, Wie seid ihr mir so schön! Mein Herz wünscht alle Stunden Euch gläubig anzusehn. Ach bliebe durch den steten Blick Der Eindruck seiner Marter Recht tief in mir zurück. Mein Freund ist mir und ich bin ihm Wie’s Gnadenstuhles Cherubim: Wir sehn einander immer an, So viel er mag, so viel ich kann. Er sucht in meinem Herzen Ruh Und ich eil immer seinem zu: Er wünscht zu sein in meiner Seel Und ich in seiner Seitenhöhl . Diese Lieder sind entnommen dem „Gesangbuch zum Ge- brauch der evangelischen Brüdergemeine. Gnadau, 1824.“ Wir sehen an den bisher gegebenen Beispielen deutlich genug, daß das tiefste Mysterium der christlichen Religion sich in das Geheimniß der menschlichen Selbstliebe auflöst, daß aber die religiöse Selbstliebe sich dadurch von der natürlichen un- terscheidet, daß sie das Activum in ein Passivum verwandelt. Allerdings abhorrirt das tiefere, das mystische religiöse Gemüth solchen nackten unverhohlenen Egoismus, wie er in den Herrn- hutischen Liedern ausgesprochen ist; es reflectirt sich in Gott nicht ausdrücklich auf sich selbst zurück; vielmehr es vergißt, negirt sich selbst, fordert selbstlose, interesselose Liebe zu Gott, bezieht Gott auf Gott, nicht auf sich. Causa diligendi Deum, Deus est. Modus sine modo diligere.. Qui Domino con- fitetur, non quoniam sibi bonus est, sed quoniam bonus est, hic vere diligit Deum propter Deum et non pro- pter seipsum . Te enim quodammodo perdere, tan- quam qui non sis et omnino non sentire te ipsum et a temetipso exinaniri et pene annullari, coelestis est con- versationis, non humanae affectionis (also das Ideal der Liebe, das aber erst im Himmel realisirt wird). Bernhardus Tract. de dilig. Deo (ad Haymericum). Aber diese freie selbstlose Liebe ist nur der Moment der höchsten religiösen Be- geisterung, der Moment der Einigung des Subjects mit dem Object. So wie der Unterschied hervortritt — und er tritt nothwendig hervor — so bezieht sich auch sogleich das Subject als Object Gottes auf sich selbst zurück. Und auch hievon abgesehen: das religiöse Subject negirt nur sein Ich, seine Persönlichkeit, weil es in Gott den Genuß der seligen Persön- lichkeit hat, Gott per se das realisirte Wohl der Seele, Gott das höchste Selbst- und Wonnegefühl des menschlichen Ge- müths ist. Daher der Ausspruch: Qui Deum non diligit, seipsum non diligit . Weil und wie Gott leidet, so und darum muß auch der Mensch hinwiederum leiden. Die christliche Religion ist die Religion des Leidens . Videlicet vestigia Salvatoris sequimur in theatris. Tale nobis scilicet Christus reliquit exemplum, quem flevisse legimus, risisse non legimus. Salvianus (l. c. l. VI. §. 181.) Christianorum ergo est pressuram pati in hoc saeculo et lugere quorum est aeterna vita. Origenes (Explan. in Ep. Pauli ad Rom. l. II. c. II. in- terp. Hieronymo.) Non est discipulus super magistrum. Statim sequitur, nec servus super Dominum suum, quia cum magister et dominus ipse perpessus sit persecutionem et traditionem et occisionem, multo magis servi et disci- puli eandem expendere debebunt, ne quasi superiores exemti de iniquitate videantur, quando hoc ipsum suffi- cere eis ad gloriam debeat, aequari passionibus Domini et magistri. Tertulliani Scorpiace. c. IX. Si quidem aliquid melius et utilius saluti hominum quam pati fuis- set, Christus utique verbo et exemplo ostendisset … Quoniam per multas tribulationes oportet nos in- trare in regnum Dei. Thomas a Kempis (de imit. l. II. c. 12.) Wenn übrigens die christliche Religion als die Religion des Leidens bezeichnet wird, so gilt dieß natürlich nur von dem Christenthum der alten verirrten Christen. Schon der Protestantismus negirte das Leiden Christi als ein Mo- ralprincip . Der Unterschied zwischen Katholicismus und Protestantismus in dieser Beziehung besteht eben darin, daß dieser aus Selbstgefühl sich nur ans Verdienst , jener aus Mitgefühl auch ans Leiden Christi, als Gebot und Exem- pel des Lebens, hielt. „Lämmlein! ich wein nur vor Freu- den übers Leiden ; das war Deine , aber Dein Verdienst ist meine !“ — „Ich weiß von keinen Freuden , als nur aus Deinem Leiden.“ — „Es bleibt mir ewiglich im Sinn, daß Dich’s Dein Blut gekostet, daß ich erlöset bin .“ „O mein Immanuel! wie süß ist’s meiner Seel’, wenn Du mich läßt genießen Dein theures Blutvergießen.“ „Sünder wer- den herzensfroh, daß sie einen Heiland haben, .... ihnen ist es wunderschön , Jesum an den Kreuz zu sehn.“ (Gesangb. d. ev. Brüdergemeinde). Nicht zu verwundern ist es daher, wenn die heutigen Christen nichts mehr vom Leiden Christi wissen wollen. Die haben ja erst herausgebracht, was das wahre Christenthum ist — sie stützen sich ja allein auf das göttliche Wort der heiligen Schrift. Und die Bibel hat, wie männiglich bekannt, die köstliche Eigenschaft, daß man Alles in ihr findet, was man nur immer finden will . Was einst , das steht natürlich jetzt nicht mehr drinn. Das Princip der Stabilität ist längst auch aus der Bibel verschwunden; so veränderlich die menschliche Meinung so ver- änderlich ist die göttliche Offenbarung. Tempora mutantur. Davon weiß auch die heilige Schrift ein Lied zu singen. Aber das ist eben der Vorzug der christlichen Religion, daß man ihr das Herz aus dem Leibe reißen und doch noch ein guter Christ sein kann. Nur darf nicht der Name angetastet werden. In die- sem Punkte sind auch die heutigen Christen noch sehr empfind- lich; ja der Name ist es, worin noch allein die modernen Christen mit den alten übereinstimmen. Wie einst der bloße Name Christi Wunder wirkte, so auch jetzt noch; aber freilich Wunder anderer, ja entgegengesetzter Art. Einst trieb nämlich der Name Christi den Antichristen , jetzt treibt er umgekehrt den Christen aus dem Menschen aus. Siehe über die Metamorphosen der christlichen Wunder „Philosophie und Christenthum v. L. F.“ Das Geheimniß der Trinität ist das Geheimniß des gesellschaftlichen Lebens . Unum Deum esse confitemur. Non sic unum Deum, quasi solitarium , nec eundem, qui ipse sibi pater, sit ipse filius, sed patrem verum , qui genuit filium ve- rum , i. e. Deum ex Deo … non creatum, sed genitum. Concil. Chalced . (Carranza Summa 1559. p. 139.) Si quis quod scriptum est: Faciamus hominem, non patrem ad filium dicere, sed ipsum ad semetipsum asserit di- xisse Deum, anathema sit. Concil. Syrmiense . (ibid. p. 68.) Professio enim consortii sustulit intelligentiam singularitatis, quod consortium aliquid nec potest esse sibi ipsi solitario , neque rursum solitudo solitarii re- cipit: faciamus … Non solitario convenit dicere: facia- mus et nostram. Petrus Lomb . (l. I. dist. 2. c. 3. e.) Auch die Protestanten erklären noch diese Stelle so: Quod profecto aliter intelligi nequit, quam inter ipsas trini- tatis personas quandam de creando homine institutam fuisse consultationem J. F. Buddei . (Comp. Inst. Theol. dog. cur. J. G. Walch. l. II. c. 1. §. 45.) Die Unterschiede im göttlichen Wesen der Drei- einigkeit sind natürliche, physikalische Unterschiede . Iam de proprietatibus personarum videamus … Ait Au- gustinus in libro de fide ad Petrum: Aliud est genuisse quam natum esse, aliudque est procedere quam genuisse et natum esse. Unde manifestum est, quod alius est pater, alius filius, alius spiritus s. Et est proprium solius patris , non quod non est natus ipse, sed quod unum filium genuerit , propriumque solius filii, non quod ipse non genuit, sed quod de patris essentia natus est .... Hylarius in l. III. de trinitate: .... Nos filii Dei sumus, sed non talis hic filius. Hic enim verus et proprius est filius origine , non adoptione, veritate, non nuncupatione, nativitate, non creatione. Petrus L. (l. I. dist. 26. c. 2 u. 4). Daß auch in der Bibel der Filius Dei einen wirklichen Sohn bedeutet, das geht unzweideutig aus der Stelle hervor: „ also hat Gott die Welt geliebt , daß er sei- nen eingebornen Sohn gab.“ Soll die Liebe Gottes, die uns diese Stelle vorhält, eine Wahrheit sein, so muß auch der Sohn eine und zwar, deutsch gesagt, physikalische Wahrheit sein. Darauf liegt der Accent, daß er seinen Sohn für uns dahin gab — darin nur der Beweis von der Größe seiner Liebe. Richtig trifft daher den Sinn der Bibel das Gesang- buch der evangelischen Brüdergemeinde, wenn es darin „von dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, der auch unser Vater ist“ also heißt: Sein Sohn ist ihm nicht zu theuer, Nein! er gibt ihn für mich hin, Daß er mich vom ew’gen Feuer Durch sein theures Blut gewinn. Also hast Du die Welt geliebt, Daß sich Dein Herz drein ergibt, Den Sohn, der Deine Freud’ und Leb’n , In Noth und Tod dahin zu geb’n. Gott ist ein in sich dreifaches, dreipersönliches Wesen, heißt: Gott ist nicht nur ein metaphysisches, abstractes, geistiges, sondern physikalisches Wesen . Der Centralpunkt der Tri- nität ist der Sohn, denn der Vater ist Vater nur durch den Sohn; das Geheimniß der Zeugung aber das Geheimniß der Physik. Der Sohn ist das in Gott befriedigte Bedürfniß der Sinnlichkeit oder des Herzens , denn alle Herzenswün- sche, selbst der Wunsch eines persönlichen Gottes, und der Wunsch himmlischer Seligkeit sind sinnliche Wünsche. Dieß erhellt besonders daraus, daß der Sohn auch inmitten der göttli- chen Dreieinigkeit den menschlichen Leib zu einem wesentlichen bleibenden Attribut hat. Ambrosius : scriptum est Ephes. I.: Secundum carnem igitur omnia ipsi subjecta tra- duntur. Chrysostomus : Christum secundum carnem pater jussit a cunctis angelis adorari. Theodoretus : Corpus dominicum surrexit quidem a mortuis, divina glorificata gloria .... corpus tamen est et habet, quam prius habuit, circumscriptionem . (S. Concordien- buchs-Anhang. „Zeugnisse der h. Schrift und Altväter von Christo“ und Petrus L. l. III. dist. 10. c. 1. 2.) Ueberein- stimmend hiemit singt die evangelische Brüdergemeine: „Will in Lieb’ und Glauben Dich stets umfassen, bis ich, wenn einst mein Mund wird erblassen, Dich leiblich seh .“ „Wir dan- ken Dir, Herr Jesu Christ, daß Du gen Himmel g’fahren bist. Dein Abschied und was da geschehn, zielt auf ein fröhlichs Wiedersehn : Die Reise, die das Haupt gethan, ist gleichfalls seiner Glieder Bahn.“ „Dein’ Augen, Deinen Mund, den Leib für uns verwundt, drauf wir so fest vertrauen, das werd ich alles schauen .“ Deßwegen ist auch der Sohn Gottes der Lieblingssohn des menschlichen Herzens, der Bräutigam der Seele, der Gegenstand einer förmlichen, persönlichen Liebe . O Domine Jesu, si adeo sunt dulces istae la- chrymae , quae ex memoria et desiderio tui ex- citantur, quam dulce erit gaudium, quod ex manifesta tui visione capietur? Si adeo dulce est flere pro te , quam dulce erit gaudere de te . Sed quid hujusmodi secreta colloquia proferimus in publicum? Cur ineffabiles et innarrabiles affectus communibus verbis conamur ex- primere? Inexperti talia non intelligunt. Zelotypus est sponsus iste .... Delicatus est sponsus iste. Scala Claustralium (sive de modo orandi. Unter den unächten Schriften des h. Bernhard.) Luge propter amorem Jesu Christi, sponsi tui, quousque eum videre possis. (De modo bene vivendi. Sermo X. Ebend.) Der Unterschied zwischen dem sohnerfüllten oder sinnlichen und dem sohnlosen oder sinnlichkeitslosen Gott ist nichts weiter als der Unterschied zwischen dem mystischen und dem rationel- len, vernünftigen Menschen. Der vernünftige Mensch lebt und denkt ; er ergänzt den Mangel des Denkens durch das Leben , und den Mangel des Lebens durch das Denken , sowohl theoretisch, indem er aus der Vernunft selbst sich von der Realität der Sinnlichkeit überzeugt, als praktisch, indem er die Lebensthätigkeit mit der geistigen Thätigkeit verbindet. Was ich im Leben habe, brauche ich nicht im Geiste, nicht im metaphysischen Wesen, nicht in Gott zu setzen — Liebe, Freund- schaft, Anschauung, die Welt überhaupt gibt mir, was mir das Denken nicht gibt, nicht geben kann, aber auch nicht geben soll . Aber eben deßwegen lege ich im Denken die sinnlichen Herzensbedürfnisse beiseite, um die Vernunft nicht durch Be- gierden zu verdunkeln — in der Sonderung der Thätig- keiten besteht die Weisheit des Lebens und Denkens — ich brauche keinen Gott, der mir durch eine mystische, imagi- näre Physik den Mangel der wirklichen ersetzt. Mein Herz ist befriedigt, wenn ich geistig thätig bin — ich denke daher dem ungebehrdigen, seine Gränzen überspringenden, sich in die Angelegenheiten der Vernunft ungebührlich einmischenden Her- zen gegenüber kalt, indifferent, abstract, d. h. frei — ich denke also nicht, um mein Herz zu befriedigen, sondern um meine durch das Herz nicht befriedigte Vernunft zu befriedigen; ich denke nur im Interesse der Vernunft, aus rei- nem Erkenntnißtriebe , will von Gott nur den Genuß der lautern, unvermischten Intelligenz. Nothwendig ist daher der Gott des rationellen Kopfes ein andrer , als der Gott des nur sich selbst im Denken, in der Vernunft befriedigen wollenden Herzens. Und dieß will eben der mystische Mensch, der nicht das läuternde Feuer der scheidenden und begränzenden Kritik verträgt; denn sein Kopf ist stets umnebelt von den Dämpfen, die aus der ungelöschten Brunst seines begehrlichen Gemüths aufsteigen. Er kommt nie zum abstracten, d. h. interesselosen, freien Denken, aber eben deßwegen auch nie zur Anschauung der Dinge in ihrer einfachen Natür- lichkeit, Wahrheit und Wirklichkeit ; er identificirt daher, ein geistiger Hermaphrodit und Onanist, unmittelbar, ohne Kritik das männliche Princip des Denkens und das weib- liche der sinnlichen Anschauung, d. h. er setzt sich einen Gott, in dem er in der Befriedigung seines Erkenntnißtriebes unmittelbar zugleich seinen Geschlechtstrieb , d. h. den Trieb nach einem persönlichen Wesen befriedigt. So ist auch nur aus der Unzucht eines mystischen Hermaphroditismus, aus einem wollüstigen Traume, aus einer krankhaften Meta- stase des Zeugungsstoffes in das Hirn das. Monstrum der Schelling’schen Natur in Gott entsprossen; denn diese Natur re- präsentirt, wie gezeigt, nichts weiter als die das Licht der In- telligenz verfinsternden Begierden des Fleisches. In Betreff der Trinität noch diese Bemerkung. Die äl- tern Theologen sagten, daß die wesentlichen Attribute Gottes als Gottes schon aus dem Lichte der natürlichen Vernunft erhellten. Warum anders aber kann die Vernunft aus sich selbst das göttliche Wesen erkennen, als weil das göttliche Wesen nichts andres ist als das eigne objective Wesen Feuerbach . 26 der Intelligenz? Von der Trinität aber sagten sie, daß sie nur aus der Offenbarung erkennbar sei. Warum nicht aus der Vernunft? weil sie der Vernunft widerspricht, d. h. weil sie kein Vernunftbedürfniß, sondern ein sinnliches, gemüthliches Bedürfniß ausdrückt. Uebrigens heißt: Etwas stammt aus der Offenbarung, überhaupt nur so viel als: Etwas ist uns nur auf dem Wege der Tradition zugekommen. Die Dog- men der Religion sind entsprungen zu gewissen Zeiten, aus bestimmten Bedürfnissen, unter bestimmten Verhältnissen und Vorstellungen; deßwegen den Menschen einer spätern Zeit, in der diese Verhältnisse, Bedürfnisse, Vorstellungen verschwun- den, etwas Unverständliches, Unbegreifliches, nur Ueberliefer- tes, d. h. Geoffenbartes. Der Gegensatz von Offenbarung und Vernunft reducirt sich nur auf den Gegensatz von Geschichte und Vernunft, nur darauf, daß die Menschheit zu einer ge- wissen Zeit nicht mehr kann , was sie zu einer andern Zeit recht gut vermochte, gleichwie auch der Mensch als Individuum nicht gleichgültig zu jeder Zeit, sondern nur in den Momenten besonderer Aufforderung von Außen und Aufregung von Innen sein Vermögen entfaltet. So entstehen die Werke des Genies immer nur unter ganz besondern, nur einmal so zusammentref- fenden innern und äußern Bedingungen; sie sind ἅπαξ λεγό- μενα. „Einmal ist alles Wahre nur.“ Daher dem Menschen in spätern Jahren oft die eignen Werke ganz fremd und unbe- greiflich vorkommen. Er weiß jetzt nicht mehr, wie er sie er- zeugte und erzeugen konnte, d. h. er kann sie sich jetzt nicht mehr aus sich erklären, noch weniger wieder hervorbringen. Das soll aber auch nicht sein. Solche Repetition wäre un- nöthig, und, weil unnöthig, geistlos. Wir wiederholen es: „Einmal ist alles Wahre nur.“ Nur was einmal , geschieht nothwendig , und nur, was nothwendig, ist wahr . Die Noth ist das Geheimniß jeder wahren Schöpfung. Nur wo Noth, da wirkt Natur, und nur wo Natur, da wirkt Genie, der Geist der unfehlbaren Wahrheit. So thöricht es daher wäre, wenn wir in reifern Jahren die Werke unsrer Jugend, weil ihr Inhalt und Ursprung uns fremd und unbegreiflich gewor- den, aus einer besondern Inspiration von Oben her ableiten wollten; so thöricht ist es, den Lehren und Vorstellungen einer vergangenen Zeit deßwegen, weil die nachgekommenen Men- schen sie nicht mehr in ihrer Vernunft finden, einen die mensch- lichen Kräfte übersteigenden, einen göttlichen, d. h. imaginären, illusorischen Ursprung zu vindiciren. Die Schöpfung aus Nichts drückt die Ungöttlich- keit, Wesenlosigkeit d. i. die Nichtigkeit der Welt aus. Das Nichts, aus dem die Welt geschaffen, ist ihr eig- nes Nichts . Sanctus Dominus Deus omnipotens in principio, quod est in te, in sapientia tua, quae nata est de substantia tua, fecisti aliquid et de nihilo. Fecisti enim coelum et terram non de te , nam esset aequale unigenito tuo, ac per hoc et tibi, et nullo modo justum esset, ut aequale tibi esset, quod in te non esset . Et aliud praeter te non erat, unde faceres ea Deus … Et ideo de nihilo fe- cisti coelum et terram. Augustinus (Confessionum l. XII. c. 7.) Creatio non est motus, sed simplicis divinae voluntatis vocatio ad esse eorum, quae antea nihil fue- runt et secundum seipsa et nihil sunt et ex nihilo sunt. Albertus M. (de mirab. sci. Dei P. II. Tr. I. Qu. 4. art. 5. memb. II.) Creatura in nullo debet parificari Deo, si autem non habuisset initium durationis et esse, in hoc parificaretur Deo. (ibid. Quaest. incidens I.) Die Vorsehung ist das religiöse Bewußtsein des Menschen von seinem Unterschiede von den Thieren, von der Natur überhaupt . „Sorget Gott für die Ochsen?“ Paulus . (1 Korin- ther 9, 9.) Nunquid curae est Deo bobus? inquit Paulus. Ad nos ea cura dirigitur, non ad boves, equos, asinos, qui in usum nostrum sunt conditi. J. L. Vivis Val. (de 26* veritate fidei chr. Bas. 1544. p. 108.) Nunquid enim cura est Deo de bobus? Et sicut non est cura Deo de bobus, ita nec de aliis irrationalibus. Dicit tamen scriptura (sapient. 6) quia ipsi cura est de omnibus. Providentiam ergo et curam universaliter de cunctis, quae condidit, habet..... Sed specialem providentiam atque curam habet de rationabilibus. Petrus L. (l. I. dist. 39. c. 3.) Hier haben wir wieder ein Beispiel, wie die christliche Sophistik ein Product des christlichen Glaubens ist, insbesondere des Glaubens an die Bibel als das Wort Got- tes. Gott kümmert sich nicht um die Ochsen; Gott kümmert sich um Alles, also auch die Ochsen. Das sind Widersprüche; aber das Wort Gottes darf sich nicht widersprechen. Wie kommt nun der Glaube aus diesem Widerspruch heraus? Nur dadurch, daß er zwischen die Position und Negation des Sub- jects ein Prädicat einschiebt, welches selbst zugleich eine Po- sition und Negation , d. h. selbst ein Widerspruch, eine theologische Illusion, ein Sophisma, eine Lüge ist. So hier das Prädicat: Allgemein. Eine allgemeine Vorsehung ist eine illusorische, in Wahrheit keine . Nur die specielle Vor- sehung ist Vorsehung — Vorsehung im Sinne der Religion. Die Negation der Vorsehung ist Negation Got- tes . Qui ergo providentiam tollit, totam Dei sub- stantiam tollit, et quid dicit nisi Deum non esse? … Si non curat humana , sive sciens, sive nesciens, cessat omnis causa pietatis, cum sit spes nulla salutis. Joa. Tri- themius . (Tract. de providentia Dei.) Nam qui nihil aspici a Deo affirmant, prope est ut cui adspectum adi- munt, etiam substantiam tollant. Salvianus (l. c. l. IV.) Nec sane multum interest, utrum id (Deos esse) neget, an eos omni procuratione atque actione privet. Cicero (de Nat. D. II. 16.) „Aristoteles geräth fast auf die Meinung, daß, obgleich er Gott nicht ausdrücklich einen Narren nennt, er ihn doch für einen solchen halte, der von unsern Sachen nichts wisse, nichts von unserm Vorhaben er- kenne, verstehe, sehe, nichts betrachte als sich selbst. … Aber was geht uns ein solcher Gott oder Herr an? was vor Nutzen haben wir davon? Luther (in Walchs Phi- los. Lexikon. Art. Vorsehung.). Die Vorsehung ist daher der un- widersprechlichste, augenfälligste Beweis, daß es sich in der Reli- gion, im Wesen Gottes selbst um gar nichts andres handelt, als um den Menschen , daß das Geheimniß der Theologie die Anthropologie, der Inhalt, der Gehalt des unendlichen Wesens das „endliche“ Wesen ist. Gott sieht den Men- schen, heißt: der Mensch sieht sich nur selbst in Gott; Gott sorgt für den Menschen, heißt: die Sorge des Menschen für sich selbst ist sein höchstes Wesen . Die Realität Gottes wird abhängig gemacht von der Thätigkeit Gottes. Ein nicht activer Gott ist kein realer, wirklicher Gott. Aber keine Acti- vität ohne Gegenstand. Erst der Gegenstand macht die Thä- tigkeit aus einem bloßen Vermögen zu wirklicher Thätigkeit. Dieser Gegenstand ist der Mensch. Wäre nicht der Mensch, so hätte Gott keine Ursache zur Thätigkeit. Also ist der Mensch das Bewegungsprincip, die Seele Gottes. Ein Gott, der nicht den Menschen sieht und hört, nicht den Menschen in sich hat , ist ein blinder und tauber, d. h. müßiger, leerer, inhaltsloser Gott. Also ist die Fülle des göttlichen Wesens die Fülle des menschlichen — also die Gottheit Gottes die Menschheit. Ich für mich — das ist das trostlose Geheimniß des Epiku- reismus, des Stoicismus, des Pantheismus; Gott für mich — dieß ist das trostreiche Geheimniß der Religion, des Christianismus. Ist der Mensch um Gottes, oder Gott um des Menschen willen? Allerdings ist der Mensch in der Religion um Gottes willen, aber nur weil Gott um des Menschen wil- len ist. Ich für Gott, weil Gott für mich . Die Vorsehung ist identisch mit der Wunder- macht, die supernaturalistische Freiheit von der Na- tur, die Herrschaft der Willkühr über das Gesetz . Li- berrime Deus imperat naturae — Naturam saluti hominum attemperat propter Ecclesiam.... Omnino tri- buendus est Deo hic honos, quod possit et velit opitu- lari nobis, etiam cum a tota natura destituimur, con- tra seriem omnium secundarum causarum… Et multa accidunt plurimis hominibus, in quibus mirandi eventus fateri eos cogunt, se a Deo sine causis secundis servatos esse. C. Peucerus (de praecip. Divinat. gen. Servestae 1591. p. 44.) Ille tamen qui omnium est con- ditor, nullis instrumentis indiget. Nam si id continuo fit, quicquid ipse vult, velle illius erit author atque in- strumentum; nec magis ad haec regenda astris indiget, quam cum luto aperuit oculos coeci, sicut refert historia Evangelica. Lutum enim magis videbatur obturaturum oculos, quam aperturum. Sed ipse ostendere nobis voluit omnem naturam esse sibi instrumentum ad quid- vis, quantumcunque alienum. J. L. Vives (l. c. 102.) Die Allmacht der Vorsehung ist die Allmacht des von allen Determinationen und Naturgesetzen sich entbindenden menschlichen Gemüths. Diese Allmacht realisirt das Gebet. Das Gebet ist allmächtig . „Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen.... Des Gerechten Gebet vermag viel. Elias war ein Mensch, gleichwie wir, und er betete ein Gebet, daß es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und sechs Monate. Und er betete abermal und der Himmel gab den Regen und die Erde brachte ihre Frucht.“ Jacobi 5, 15 — 18. „So ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein solches mit dem Feigenbaum thun, sondern so ihr werdet sagen zu diesem Berge: Hebe Dich auf und wirf Dich ins Meer, so wird es geschehen. Und alles was ihr bittet im Gebet , so ihr glaubet, so werdet ihr es empfan- gen.“ Matthäi 21, 21—22. Daß unter diesen Bergen, die die Kraft des Gebets oder Glaubens überwindet, nicht nur so im Allgemeinen res difficillimae, wie die Exegeten sagen, welche diese Stelle nur für eine sprüchwörtliche, hyperbolische Redensart der Juden erklären, sondern vielmehr der Natur und Vernunft nach unmögliche Dinge zu verstehen sind, dieß beweist eben das Exempel mit dem augenblicklich verdorr- ten Feigenbaum, auf den sich diese Stelle bezieht. Es ist hier unbezweifelbar ausgesprochen die Allmacht des Gebets, des Glaubens, vor welcher die Macht der Natur in Nichts ver- schwindet. Mutantur quoque ad preces ea quae ex na- turae causis erant sequutura, quemadmodum in Eze- chia contigit, rege Juda, cui, quod naturales causarum progressus mortem minabantur, dictum est a propheta Dei: Morieris et non vives; sed is decursus naturae ad regis preces mutatus est et mutaturum se Deus praeviderat. J. L. Vives (l. c. p. 132.) Saepe fatorum saevitiam lenit Deus, placatus piorum votis. Melanch- thon (Epist. Sim. Grynaeo.) Celsus fordert die Christen auf, dem Kaiser zu helfen, nicht den Kriegsdienst zu verwei- gern. Darauf erwidert Origenes: Precibus nostris pro- fligantes omnes bellorum excitatores daemonas et pertur- batores pacis ac foederum plus conferimus regibus, quam qui arma gestant pro Republica. Origenes (adv. Cel- sum. S. Gelenio int. l. VIII.) Der Glaube ist die Freiheit und Seligkeit des Gemüths in sich selbst. Das sich in dieser Freiheit bethätigende, vergegenständlichende Gemüth, die Reaction des Gemüths gegen die Natur ist die Will- kühr der Phantasie. Die Glaubensgegenstände wi- dersprechen daher nothwendig der Natur, nothwen- dig der Vernunft, als welche die Natur der Dinge repräsentirt . Quid magis contra fidem, quam credere nolle, quid- quid non possit ratione attingere? … Nam illam quae in Deum est fides, beatus papa Gregorius negat plane habere meritum, si ei humana ratio praebeat experimen- tum. Bernardus (gegen Abälard Ep. ad dom. Papam Innocentium.) Partus virginis nec ratione colligitur, nec exemplo monstratur. Quodsi ratione colligitur , non erit mirabile. Conc. Toletan . XI. Art. IV. (Summa. Carranza.) Quid autem incredibile, si con- tra usum originis naturalis peperit Maria et virgo permanet: quando contra usum naturae mare vidit et fu- git atque in fontem suum Jordanis fluenta remearunt? Non ergo excedit fidem, quod virgo peperit, quando le- gimus, quod petra vomuit aquas et in montis speciem maris unda solidata est. Non ergo excedit fidem, quod homo exivit de virgine, quando petra profluit, scaturivit ferrum supra aquas, ambulavit homo supra aquas. Am- brosius (Epist. L. X. Ep. 81. Edit. Basil. Amerbach. 1492 u. 1516.) Mira sunt fratres, quae de isto sacramento dicuntur.... Haec sunt quae fidem necessario exigunt, rationem omnino non admittunt. Bernardus (de Coena Dom.) Quid ergo hic quaeris naturae ordinem in Chri- sti corpore, cum praeter naturam sit ipse partus ex virgine. Petrus Lomb . (l. IV. dist. 10. c. 2.) Laus fidei est credere quod est supra rationem, ubi homo ab- negat intellectum et omnes sensus . (Addit. Hen- rici de Vurimaria. ibid. dist. 12. c. 5.) Das Christenthum machte den Menschen zu einem außerweltlichen, übernatürlichen Wesen . „Wir haben hier keine bleibende Stadt , sondern die zukünftige suchen wir.“ Hebräer 13, 14. „Der erste Mensch Adam ist gemacht in das natürliche Leben und der letzte Adam in das geistliche Leben. Der erste Mensch ist von der Erde und irdisch, der andere Mensch ist der Herr vom Himmel.“ 1. Ko- rinther 15, 45. 47. „Unser Wandel (nicht Wandel, sondern unser Indigenat, Heimathsrecht, πολίτευμα civitas aut jus civitatis ) ist im Himmel , von dannen wir auch warten des Heilands Jesu Christi, des Herrn, welcher unsern nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde seinem verklär- ten Leibe , nach der Wirkung, damit er kann auch alle Dinge ihm unterwürfig machen.“ Philipper 3, 20. 21. Coelum de mundo: homo supra mundum. Ambrosius (Epist. 1. VI. Ep. 38 nach der cit. Ausg.) Agnosce o homo digni- tatem tuam, agnosce gloriam conditionis humanae. Est enim tibi cum mundo corpus .... sed est tibi etiam sublimius aliquid, nec omnino comparandus es cae- teris creaturis. Bernardus (Opp. Basil. 1552. p. 79.) At Christianus … ita supra totum mundum ascendit, nec consistit in coeli convexis, sed transcensis mente locis supercoelestibus ductu divini spiritus velut jam extra mundum raptus offert Deo preces. Origenes (con- tra Celsum. ed. Hoeschelio p. 370.) Totus quidem iste mundus ad unius animae pretium aestimari non potest . Non enim pro toto mundo Deus animam suam dare voluit, quam pro anima humana dedit. Sublimius est ergo animae pretium, quae non nisi san- guine Christi redimi potest. Medit. devotiss . c. II. (Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard.) Sapiens anima .... Deum tantummodo sapiens hominem in ho- mine exuit, Deoque plene et in omnibus affecta, omnem infra Deum creaturam non aliter quam Deus atten- dit. Relicto ergo corpore et corporeis omnibus curis et impedimentis omnium quae sunt praeter Deum oblivisci- tur, nihilque praeter Deum attendens quasi se solam, solumque Deum existimans etc. De Nat. et Dign. Amoris divini c. 14, 15. (Ebend.) Quanta est nobilitas animae, Christum Jesum habere sponsum . De in- ter. Domo c. 33. (Ebend.) Der Cälibat und das Mönchthum — natürlich nur in ihrer ursprünglichen, religiösen Bedeutung und Gestalt — sind sinnliche Erscheinungen, nothwendige Folgen von dem supernaturalistischen, extramundanen We- sen des Christenthums . Allerdings widersprechen sie auch — der Grund davon ist selbst implicite in dieser Schrift ausgesprochen — dem Christenthum; aber nur weil das Christenthum selbst ein Wi- derspruch ist. Sie widersprechen dem exoterischen, praktischen, aber nicht dem esoterischen, theoretischen Christenthum; sie wi- dersprechen der christlichen Liebe, inwiefern diese sich auf den Menschen bezieht, aber nicht dem christlichen Glauben , nicht der christlichen Liebe, inwiefern sie nur um Gottes willen die Menschen liebt, sich auf Gott, als das außerweltliche, übernatürliche Wesen, bezieht. Vom Cälibat und Mönchs- thum steht nun freilich nichts in der Bibel. Und das ist sehr natürlich. Im Anfang des Christenthums handelte es sich nur um die Anerkennung Jesu als des Christus, des Messias, nur um die Bekehrung der Heiden und Juden. Und diese Bekehrung war um so dringender, je näher man sich die Zeit des Gerichts und Weltuntergangs dachte, — also periculum in mora. Es fehlte überhaupt Zeit und Gelegenheit zum Stillleben, zur Contemplation des Mönchthums. Nothwendig waltete daher damals eine mehr praktische und auch libera- lere Gesinnung vor, als in der spätern Zeit, wo das Chri- stenthum bereits zu weltlicher Herrschaft gelangt und damit der Bekehrungstrieb erloschen war. Apostoli (sagt ganz rich- tig die Kirche: Carranza l. c. p. 256.) cum fides incipe- ret , ad fidelium imbecillitatem se magis demitte- bant, cum autem evangelii praedicatio sit magis ampliata, oportet et Pontifices ad perfectam continentiam vitam suam dirigere. So wie einmal das Christenthum sich welt- lich realisirte, so mußte sich auch nothwendig die supernatura- listische, überweltliche Tendenz des Christenthums zu einer selbst weltlichen Scheidung von der Welt ausbilden. Und diese Gesinnung der Absonderung vom Leben, vom Leibe, von der Welt, diese erst hyper- , dann antikosmische Tendenz ist ächt biblischen Sinnes und Geistes. Außer den bereits an- geführten und andern allgemein bekannten Stellen mögen noch folgende als Beispiele dastehen. „Wer sein Leben auf dieser Welt hasset, der wird es erhalten zum ewigen Leben.“ Jo- hannes 12, 25. „Ich weiß, daß in mir, d. i. in meinem Fleische wohnet nichts Gutes.“ Römer 7, 18. 14. (Veteres enim omnis vitiositatis in agendo origenes ad corpus referebant. J. G. Rosenmüller Scholia.) „Weil nun Chri- stus für uns im Fleisch gelitten hat, so wapnet euch auch mit demselbigen Sinne, denn wer im Fleisch leidet , der höret auf von Sünden.“ 1. Petri 4, 1. „Ich habe Lust abzu- scheiden und bei Christo zu sein .“ Philipper 1, 23. „Wir sind aber getrost und haben viel mehr Lust, außer dem Leibe zu wallen und daheim zu sein bei dem Herrn.“ 2. Ko- rinth. 5, 8. Die Scheidewand zwischen Gott und Mensch ist demnach der Leib (wenigstens der sinnliche, wirkliche Leib), der Leib also, als ein Hinderniß der Vereinigung mit Gott etwas Nichtiges, zu Negirendes. Daß unter der Welt, welche im Christenthum negirt wird, keineswegs nur das eitle Genuß- leben, sondern die wirkliche objective Welt zu verstehen ist, das geht auf eine populäre Weise schon aus dem Glauben hervor, daß bei der Ankunft des Herrn, d. h. der Vollendung der christlichen Religion Himmel und Erde vergehen werden. Al- lerdings erwarteten auch die Juden mit heißer Sehnsucht den Untergang der bestehenden Welt. Aber stammt denn das Chri- stenthum nicht aus dem Judenthum? Hat das Christenthum je seinen Zusammenhang mit diesem seinen Ursprung abgebro- chen, verläugnet? Ueberhaupt, wenn man Alles, was das Christenthum mit andern Religionen gemein hat, als nicht christlich von ihm ausmerzen will, was bleibt denn noch von ihm übrig? — Nichts als ein Nomen proprium. Nicht zu übersehen ist der Unterschied zwischen dem Glau- ben der Christen und dem Glauben der heidnischen Philoso- phen an den Untergang der Welt. Der christliche Welt- untergang ist nur eine Krisis des Glaubens , — die Scheidung des Christlichen von allem Antichristlichen, der Triumph des Glaubens über die Welt, ein Gottesurthel, ein antikosmischer, supernaturalistischer Act . „Der Him- mel jetztund und die Erde werden durch sein Wort gesparet, daß sie zum Feuer behalten werden am Tage des Gerichts und Verdammniß der gottlosen Menschen .“ 2. Petri 3, 7. Der heidnische Weltuntergang ist eine Krisis des Kos- mos selbst , ein gesetzmäßiger, im Wesen der Natur begrün- deter Proceß. Sic origo mundi, non minus solem et lu- nam et vices siderum et animalium ortus, quam quibus mutarentur terrena, continuit. In his fuit inundatio, quae non secus quam hiems, quam aestas, lege mundi ve- nit. Seneca Nat. Qu. l. III. c. 29. Es ist das der Welt immanente Lebensprincip, das Wesen der Welt selbst, welches diese Krisis aus sich erzeugt. Aqua et ignis terrenis do- minantur. Ex his ortus et ex his interitus est . (ibid. c. 28.) Quidquid est, non erit; nec peribit, sed resolve- tur. (Idem Epist. 71.) Die Christen schlossen sich von dem Weltuntergang aus . „Und er wird senden Engel mit hellen Posaunen und sie werden sammeln seine Auser- wählten von den vier Winden, von einem Ende des Him- mels bis zu dem andern.“ Matthäi 24, 31. „Und ein Haar von eurem Haupt soll nicht umkommen. Und alsdann wer- den sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke, mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfähet zu geschehen, so sehet auf und hebet eure Häupter auf, darum daß sich eure Erlösung nahet.“ Lucas 21, 18, 27—28. „So seid nun wacker allezeit und betet, daß ihr würdig werden mö- get zu entfliehen diesem allen, das geschehen soll und zu ste- hen vor des Menschen Sohn.“ Ebend. 36. Die Heiden dagegen identificirten ihr Schicksal mit dem Schick- sal der Welt .... Hoc universum, quod omnia divina humanaque complectitur .... dies aliquis dissipabit et in confusionem veterem tenebrasque demerget. Eat nunc aliquis et singulas comploret animas . Quis tam superbae impotentisque arrogantiae est, ut in hac natu- rae necessitate, omnia ad eundem finem revocantis, se unum ac suos seponi velit. Seneca Cons. ad Polyb. c. 20 u. 21. Ergo quandoque erit terminus rebus huma- nis.... Non muri quenquam, non turres tuebuntur. Non proderunt templa supplicibus . (Nat. Qu. L. III. c. 29.) Hier haben wir also wieder den charakteristischen Un- terschied des Heidenthums und Christenthums. Der Heide vergaß sich über der Welt , der Christ die Welt über sich . Wie aber der Heide seinen Untergang mit dem Untergang der Welt, so identificirte er auch seine Wiederkunft und Unsterb- lichkeit mit der Unsterblichkeit der Welt. Dem Heiden war der Mensch ein gemeines , dem Christen ein auserlesnes We- sen, diesem die Unsterblichkeit ein Privilegium des Men- schen, jenem ein Commungut , das er sich nur vindicirte, in- dem und wiefern er auch andere Wesen daran Theil nehmen ließ. Die Christen erwarteten demnächst den Weltun- tergang , weil die christliche Religion kein kosmisches Entwick- lungsprincip in sich hat — alles was sich entwickelte im Chri- stenthum, entwickelte sich nur im Widerspruch mit seinem ur- sprünglichen Wesen — weil mit der Existenz Gottes im Fleisch, d. h. mit der unmittelbaren Identität des Wesens der Gat- tung mit dem Individuum Alles erreicht, der Lebensfaden der Geschichte abgeschnitten, kein andrer Gedanke der Zukunft übrig war, als der Gedanke an eine Repetition, an die Wiederkunft des Herrn. Die Heiden dagegen verlegten den Welt- untergang in die ferne Zukunft , weil sie, lebend in der Anschauung des Universums, nicht um ihretwillen Himmel und Erde in Bewegung setzten, weil sie ihr Selbstbewußtsein erweiterten und befreiten durch das Bewußtsein der Gat- tung , die Unsterblichkeit nur setzten in die Fortdauer der Gat- tung, die Zukunft also nicht sich reservirten, sondern den kom- menden Generationen übrig ließen. Veniet tempus quo posteri nostri tam aperta nos nescisse mirentur . Seneca (Nat. Quae. l. 7. c. 25.) Wer die Unsterblichkeit in sich setzt , hebt das geschichtliche Entwicklungsprincip auf. Die Chri- sten warten zwar nach Petrus einer neuen Erde und eines neuen Himmels. Aber mit dieser christlichen Erde ist nun auch das Theater der Geschichte für immer geschlossen, das Ende der wirklichen Welt gekommen. Die Heiden dagegen setzen der Entwicklung des Kosmos keine Gränze, sie lassen die Welt nur untergehen, um wieder verjüngt als wirkliche Welt zu er- stehen, gönnen ihr ewiges Leben. Der christliche Weltunter- gang war eine Gemüthssache , ein Object der Furcht und Sehnsucht, der heidnische eine Sache der Vernunft und Na- turanschauung. Die unbefleckte Jungfräulichkeit ist das Princip des Heils, das Princip der neuen, christlichen Welt . Virgo genuit mundi salutem ; virgo peperit vi- tam universorum… Virgo portavit, quem mundus iste capere aut sustinere non potest .... Per virum autem et mulierem caro ejecta de paradiso: per virginem juncta est Deo. Ambrosius (Ep. L. X. Ep. 82.) Jure laudatur bona uxor, sed melius pia virgo praefertur, dicente Apostolo (I. Cor. 7.). Bonum con- jugium, per quod est inventa posteritas successionis hu- manae; sed melius virginitas , per quam regni coele- stis haereditas acquisita et coelestium meritorum reperta successio. Per mulierem cura successit: per virginem salus evenit . (Ders. Ep. 81.) Castitas jungit hominem coelo..... Bona est castitas conjugalis, sed melior est continentia vidualis. Optima vero integritas virgi- nalis. De modo bene vivendi . Sermo 22. (Unter den unächten Schriften Bernhards) Pulchritudinem ho- minis non concupiscas (ibid. S. 23.). Fornicatio major est omnibus peccatis … Audi beati Isidori verba: Fornicatione coinquinari deterius est omni peccato. (ibid.) Virginitas cui gloriae merito non praefertur? Angelicae? Angelus habet virginitatem, sed non carnem, sane feli- cior, quam fortior in hac parte. Bernhardus (Ep. 113. ad Sophiam Virginem). Memento semper, quod para- disi colonum de possessione sua mulier ejecerit. Hieronymus (Ep. Nepotiano.) Wenn nun aber die Enthaltung von der Befriedigung des Geschlechtstriebes die Negation der Geschlechtsdifferenz und folglich der Geschlechtsliebe — denn was ist diese ohne jene? — das Princip des christlichen Himmels und Heils ist; so ist nothwendig die Befriedigung des Geschlechtstriebes, der Ge- schlechtsliebe, worauf sich die Ehe gründet, die Quelle der Sünde und des Uebels . So ist es auch. Das Geheimniß der Erbsünde ist das Geheimniß der Geschlechtslust. Alle Men- schen sind in Sünden empfangen, weil sie mit sinnlicher, d. i. natürlicher Freude und Lust empfangen wurden. Der Zeu- gungsact ist, als ein genußreicher sinnlicher, ein sündiger Act. Die Sünde pflanzt sich fort von Adam an bis auf uns herab, lediglich weil die Fortpflanzung der natürliche Zeugungsact ist. Dieß also das große Geheimniß der christlichen Erbsünde. Atque hic quam alienus a vero sit, etiam hic reprehen- ditur, quod voluptatem in homine Deo authore crea- tam asserit principaliter. Sed hoc divina scriptura redar- guit, quae serpentis insidiis atque illecebris infusam Adae atque Evae voluptatem docet, siquidem ipse ser- pens voluptas sit .... Quomodo igitur voluptas ad pa- radisum revocare nos potest, quae sola nos paradiso exuit? Ambrosius (Ep. L. X. Ep. 82). Voluptas ipsa sine culpa nullatenus esse potest. Petrus L. (l. IV. dist. 31. c. 5.) Omnes in peccatis nati sumus, et ex car- nis delectatione concepti culpam originalem nobiscum traximus. Gregorius (Petrus L. l. II. dist. 30. c. 2.) Firmissime tene et nullatenus dubites omnem hominem, qui per concubitum viri et mulieris concipitur, cum originali peccato nasci .... Ex his datur intelligi, quid sit originale peccatum scl. vitium concupiscentiae , quod in omnes concupiscentialiter natos per Adam intra- vit. (ibid. c. 3. s. auch dist. 31. c. 1.) Peccati causa ex carne est. Ambrosius (ibid.) Homo natus de muliere et ob hoc cum reatu. Bernhardus (de consid. l. II.) Peccatum quomodo non fuit, ubi libido non defuit? .... Quo pacto, inquam aut sanctus asseretur conceptus, qui de spiritu s. non est, ne dicam de peccato est? Ders. (Epist. 174. Edit. cit.) Es erhellt hieraus zur Genüge, daß die fleischliche Ver- mischung an und für sich selbst das Grundübel der Menschheit und folglich die Ehe, inwiefern sie auf den Geschlechts- trieb sich gründet , ehrlich herausgesagt, ein Product des Teufels ist. Der Christ hat freilich gesagt, daß den Reinen alles rein, daß alle Creatur als Geschöpf Gottes gut sei. Aber aus demselben Munde, der diesen Satz ausgesprochen, ist der entgegengesetzte gekommen, daß wir alle von Natur φύσει Kinder des Zornes Gottes sind. Wäre wirklich und wahrhaft das Natürliche als das Gute anerkannt, so würde das Christenthum mit allen seinen übernatürlichen Leh- ren und Gnadenmitteln zusammenstürzen, als welche eben die Verdorbenheit der Natur zur Voraussetzung haben. Wohl ist die Creatur als Geschöpf Gottes gut, aber so, wie sie erschaf- fen worden, so existirt sie ja längst schon nicht mehr. Der Teufel hat die Creatur Gott abspenstig gemacht und bis in den Grund hinein verdorben. „Verflucht sei der Acker um deinet- willen.“ Der Fall der Creatur ist aber nur eine Hypothese, wodurch sich der Glaube den lästigen, beunruhigenden Wider- spruch, daß die Natur ein Product Gottes ist und dennoch so, wie sie wirklich ist, sich nicht mit Gott, d. h. dem christlichen Gemüthe zusammenreimen läßt, aus dem Sinne schlägt. Allerdings hat das Christenthum nicht das Fleisch als Fleisch, die Materie als Materie für etwas Sündhaftes, Un- reines erklärt, im Gegentheil aufs heftigste gegen die Ketzer, welche dieses aussprachen und die Ehe verwarfen, geeifert (s. z. B. Clemens Alex. Stromata lib. III. und den h. Bernhard: Super Cantica. Sermo 66.) — übrigens, auch ganz abge- sehen von dem Haß gegen die Ketzer , der so häufig die heilige christliche Kirche inspirirte und so weltklug machte, aus Gründen, aus denen keineswegs die Anerkennung der Natur als solcher folgte, und unter Beschränkungen , d. i. Nega- tionen , welche diese Anerkennung der Natur zu einer nur scheinbaren, illusorischen machen. Der Unterschied zwischen den Ketzern und Rechtgläubigen ist nur der, daß diese indi- rect , verschlagen, heimlich sagten, was jene unumwunden, direct, aber eben deßwegen auf eine anstößige Weise aus- sprachen. Von der Materie läßt sich die Lust nicht absondern. Die materielle Lust ist nichts weiter als, so zu sagen, die Freude der Materie an sich selbst , die sich selbst bethä- tigende Materie. Jede Freude ist Selbstbethätigung, jede Lust Kraftäußerung, Energie. Jede organische Function ist im normalen Zustande mit Wohllust verbunden — selbst das Athmen ist ein wohllüstiger Act, der nur deßwegen nicht als solcher empfunden wird, weil er ein ununterbrochener Proceß ist. Wer daher nur die Zeugung, die fleischliche Ver- mischung als solche, überhaupt das Fleisch als solches für rein, aber das sich selbst genießende Fleisch, die mit sinnlicher Lust verknüpfte fleischliche Vermischung für Folge der Erb- sünde und folglich selbst für Sünde erklärt , der anerkennt nur das todte , aber nicht lebendige Fleisch, der macht uns einen blauen Dunst vor, der verdammt, verwirft den Zeugungsact , die Materie überhaupt , aber unter dem Scheine , daß er sie nicht verwirft, daß er sie anerkennt . Die nicht heuchlerische, nicht verstellte — die offenherzige, aufrichtige Anerkennung der Sinnlichkeit ist die Anerkennung des sinnlichen Genusses . Kurz wer, wie die Bibel, wie die Kirche, nicht die Fleischeslust anerkennt — versteht sich die natürliche, nicht die widernatürliche — der anerkennt nicht das Fleisch . Was nicht als Selbstzweck — keineswegs darum auch als letzter Zweck — anerkannt wird, das wird nicht anerkannt. Wer mir den Wein nur als Arznei erlaubt, verbietet mir den Genuß des Weines. Komme man nicht mit der freigebigen Spendung des Weines auf der Hochzeit zu Cana. Denn diese Scene versetzt uns ja unmittelbar durch die Verwandlung des Wassers in Wein über die Natur hinaus, auf das Gebiet des Supernaturalismus. Wo, wie im Chri- Feuerbach . 27 stenthum, als der wahre , ewige Leib ein supernaturalistischer, spiritualistischer Leib gesetzt wird, d. h. ein Leib, von dem alle objectiven , sinnlichen Triebe, alles Fleisch weggelassen ist, da wird die wirkliche, d. i. die sinnliche, fleischliche Materie negirt, als nichtig gesetzt. Allerdings hat das Christenthum nicht die Ehelosigkeit — freilich später für die Priester — zu einem Gesetz gemacht. Aber eben deßwegen, weil die Keuschheit oder vielmehr die Ehe-, die Geschlechtslosigkeit die höchste, überschwänglichste, supernaturalistischste, die κατ̕ ἐξοχὴν himmlische Tugend ist, so kann und darf sie nicht zu einem gemeinen Pflichtobject erniedrigt werden; sie steht über dem Gesetze , sie ist die Tu- gend der christlichen Gnade und Freiheit . Virginitas non est jussa, sed admonita, quia nimis est excelsa. De modo bene viv . Sermo 21.... Et qui matrimonio jun- git virginem suam, benefacit, et qui non jungit melius facit . Quod igitur bonum est, non vitandum est, et quod est melius, eligendum est. Itaque non imponitur, sed pro- ponitur. Et ideo bene Apostolus dixit: De virginibus autem praeceptum non habeo, consilium autem do. Ubi prae- ceptum est, ibi lex est, ubi consilium, ibi gratia est .... Praeceptum enim castitatis est, consilium integritatis. … Sed nec vidua praeceptum accipit, sed consilium. Con- silium autem non semel datum, sed saepe repetitum. Ambrosius (Liber de viduis). Das heißt: die Ehelosig- keit ist kein Gesetz im gemeinen oder jüdischen, aber ein Gesetz im christlichen Sinne oder für den christlichen Sinn, welcher die christliche Tugend und Vollkommenheit sich zu Gewissen, zu Gemüthe zieht, kein gebieterisches, sondern vertrauliches, kein offenbares, sondern ein heimliches, esoterisches Gesetz — ein bloßer Rath, d. h. ein Gesetz, das sich nicht als Gesetz auszu- sprechen wagt, ein Gesetz nur für den feiner Fühlenden, nicht für die große Masse. Du darfst heirathen; ja wohl! ohne alle Furcht, eine Sünde zu begehen, d. h. eine offenbare, namhafte, plebejische Sünde; aber desto besser thust Du, wenn Du nicht Dich verheirathest; indeß das ist nur mein unmaaßgeblicher, freundschaftlicher Rath. Omnia licent, sed non omnia ex- pediunt. Was im Vordersatze zugegeben, das wird im Nach- satz widerrufen. Licet, sagt der Mensch, non expedit, sagt der Christ. Aber nur was für den Christen gut, ist für den Menschen, wofern er ein christlicher sein will, das Maaß des Thuns und Lassens. Quae non expediunt, nec licent — so schließt das Gefühl des christlichen Adels. Die Ehe ist daher nur eine Indulgenz gegen die Schwachheit oder vielmehr Stärke des Fleisches, ein Naturnachlaß des Christenthums, ein Abfall von dem wahrhaft, dem vollendet christlichen Sinn; aber in- sofern gut, löblich, heilig selbst, als sie das beste Arzneimittel gegen die Fornicatio ist. Um ihrer selbst willen, als Selbst- genuß der Geschlechtsliebe, wird sie nicht anerkannt, nicht ge- heiligt; — also ist die Heiligkeit der Ehe im Christenthum nur Scheinheiligkeit , nur Illusion, denn was man nicht um sein selbst willen anerkennt, wird nicht anerkannt , aber mit dem trügerischen Scheine, daß es anerkannt wird . Die Ehe ist sanctionirt, nicht um das Fleisch zu heiligen und be- friedigen, sondern um das Fleisch zu beschränken, zu unter- drücken, zu tödten, — um durch den Teufel den Teufel aus- zutreiben. „Es ist besser freyen, denn Brunst leiden.“ 1 Ko- rinther 7, 9. Aber wie viel besser ist, sagt Tertullian, diesen Spruch entwickelnd, weder freyen noch Brunst leiden. … Pos- sum dicere quod permittitur, bonum non est (ad Uxo- rem l. I. c. 3.). De minoribus bonis est conjugium, quod non meretur palmam, sed est in remedium . … Prima institutio habuit praeceptum , secunda indulgentiam . Didicimus enim ab Apostolo, humano generi propter vi- tandam fornicationem indultum esse conjugium. Petrus Lomb . (l. IV. dist. 26. c. 2.) Die christliche Sophistik wird dagegen erwidern, daß nur die nicht christliche Ehe, nur die nicht vom Geiste des Christenthums consecrirte, d. h. mit frommen Bildern verblümte Natur unheilig sei. Allein wenn die Ehe, wenn die Natur erst durch die Beziehung auf Christus 27* geheiligt wird, so ist eben damit nicht ihre Heiligkeit, sondern nur die Heiligkeit des Christenthums ausgesprochen, so ist die Ehe, die Natur an und für sich selbst unheilig. Und was ist denn der Heiligenschein, womit das Christenthum die Ehe umgibt, um den Verstand zu benebeln, anders als eine fromme Illusion? Kann der Christ seine ehelichen Pflichten erfüllen, ohne nolens volens der heidnischen Liebesgöttin zu opfern, ohne sinnliche Erregung, ohne Fleischeslust? Ja wohl. Der Christ hat nur zum Zweck die Bevölkerung der christlichen Kirche, nicht die Befriedigung des Fleisches, die Befriedigung der Liebe. Der Zweck ist heilig, aber das Mittel an sich selbst unheilig. Und der Zweck heiligt, entschuldigt das Mittel. Conjugalis concubitus generandi gratia non habet culpam. Der Christ, wenigstens der wahre, negirt also, wenigstens soll er negiren die Natur, indem er sie befriedigt; er will nicht, er verschmäht vielmehr das Mittel für sich selbst , er will nur den Zweck in abstracto; er thut mit religiösem, suprana- turalistischen Abscheu , was er, aber widerwillig, mit na- türlicher, sinnlicher Lust thut . Der Christ gesteht sich nicht offenherzig seine Sinnlichkeit ein, er verläugnet vor seinem Glauben die Natur und hinwiederum vor der Natur seinen Glau- ben, d. h. er desavouirt öffentlich, was er im Geheimen thut. O wie viel besser, wahrer, herzensreiner waren die Heiden, die aus ihrer Sinnlichkeit kein Hehl machten, während die Christen läugnen, daß sie das Fleisch befriedigen, indem sie es befriedigen! Noch heute halten die Christen theoretisch an ihrer himmlischen Ab- und Zukunft fest; noch heute verläugnen sie aus supra- naturalistischer Schaam ihr Geschlecht und gebehrden sich bei jedem derb sinnlichen Bilde, als wären sie Engel, noch heute unterdrücken sie, selbst mit polizeilicher Gewalt, jedes offenher- zige, freimüthige Selbstbekenntniß der Sinnlichkeit, aber nur um durch das öffentliche Verbot sich den geheimen Genuß der Sinnlichkeit zu würzen. Was ist also, kurz und gut gesagt, der Unterschied der Christen und Heiden in dieser delicaten Materie? Die Heiden bestätigten , die Christen widerleg- ten ihren Glauben durch ihr Leben. Die Heiden thun, was sie wollen, die Christen, was sie nicht wollen, jene sündigen mit, diese wider ihr Gewissen, jene einfach, diese doppelt, jene aus Hypertrophie, diese aus Atrophie des Fleisches. Das specifische Laster der Heiden ist das ponderable, sinnliche Laster der Unzucht, der Christen das imponderable theolo- gische Laster der Heuchelei — jener Heuchelei, wovon der Jesuitismus zwar die auffallendste, weltgeschichtlichste, aber gleichwohl nur eine besondere Erscheinung ist. „Die Theo- logie macht sündhafte Leute“ sagt Luther — Luther dessen po- sitive Eigenschaften einzig sein Herz und Verstand so weit sie natürlich , nicht durch die Theologie verdorben waren. Der christliche Himmel ist die christliche Wahr- heit. Was vom Himmel, ist vom wahren Christen- thum ausgeschlossen. Im Himmel ist der Christ da- von frei, wovon er hier frei zu sein wünscht, frei von dem Geschlechtstrieb, frei von der Materie, frei von der Natur überhaupt . „In der Auferstehung werden sie weder freyen, noch sich freyen lassen; sondern sie sind gleich wie die Engel Gottes im Himmel.“ Matthäi 22, 30. „Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise, aber Gott wird diesen und jenen hinrichten“ (καταϱγήσει entbehrlich machen). I Korinth. 6, 13. „Davon sage ich aber lieben Brüder, daß Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben, auch wird das Verwesliche nicht erben das Unverwesliche.“ (Ebend. 15, 50). „Sie wird nicht mehr hungern, noch dürsten, es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne oder irgend eine Hitze.“ Offenb. Joh. 7, 16. „Und wird keine Nacht da sein und nicht bedürfen einer Leuchte oder des Lichts der Sonne.“ Ebend. 22, 5. Comedere, bibere, vigilare, dormire, quiescere, laborare et caeteris ne- cessitatibus naturae subjacere, vere magna miseria est et afflictio homini devoto, qui libenter esset absolutus et liber ab omni peccato. Utinam non essent istae ne- cessitates , sed solum spirituales animae refectiones, quas heu! satis raro degustamus. Thomas a K. (de imit. l. I. c. 22 u. 25. S. hierüber auch z. B. S. Gregorii Nyss. de anima et resurr. Lipsiae 1837. p. 98. p. 144. 153.) Wohl ist die christliche Unsterblichkeit im Unterschiede von der heidnischen nicht die Unsterblichkeit des Geistes, sondern die des Fleisches . … Scientia immortalis visa est res illis (den heidnischen Philosophen) atque incorruptibilis. Nos autem, quibus divina revelatio illuxit … novimus, non solum mentem , sed affectus perpurgatos , neque animam tantum, sed etiam corpus ad immortalitatem assum- ptum iri suo tempore. Baco de Verul . (de augm. Scien. l. I.) Celsus warf deßwegen den Christen ein desiderium cor- poris vor. Aber dieser unsterbliche Körper ist, wie schon be- merkt, ein immaterieller, d. h. durchaus gemüthlicher, subjecti- ver Leib — ein Leib, welcher die directe Negation des wirklichen natürlichen Leibes ist. Und es handelt sich daher in diesem Glauben nicht sowohl um die Anerkennung oder Verklärung der Natur, der Materie als solcher, als vielmehr nur um die Realität des Gemüths, der Subjectivität, welcher der wirkliche objective Leib zur Last ist und daher statt dessen ein angemes- sener, ihren Wünschen entsprechender Körper zu Theil wird. Was die Engel eigentlich sind, denen die himmlischen Seelen gleichen werden, darüber gibt die Bibel eben so wenig, wie über andere wichtige Dinge, bestimmte Aufschlüsse, sie werden nur von ihr Geister πνεύματα genannt und als ho- minibus superiores bezeichnet. Die spätern Christen sprachen sich, und mit vollem Rechte, auch hierüber bestimmter aus, jedoch verschiedentlich. Die einen gaben ihnen Körper, die andern nicht — eine übrigens nur scheinbare Differenz, da der englische Leib nur ein phantastischer ist. Was jedoch den Körper der Auferstehung betrifft, so hatten sie hierüber nicht nur verschiedene, sondern auch sehr entgegengesetzte Vorstellungen — Widersprüche, die aber in der Natur der Sache liegen, sich nothwendig ergeben aus dem Grundwiderspruch des religiösen Bewußtseins, welcher sich in dieser Materie, wie gezeigt, darin offenbart, daß es im Wesen derselbe individuelle Leib, den wir vor der Auferstehung hatten, und doch wieder ein anderer, — ein anderer und doch wieder derselbe sein soll. Und zwar derselbe Leib selbst bis auf die Haare, cum nec periturus sit capillus, ut ait Dominus: Capillus de capite vestro non peribit (Augustinus und Petrus L. I. IV. dist. 44, c. 1.) Jedoch zugleich wieder so derselbe, daß alles Lästige, alles dem naturentfremdeten Gemüthe Widersprechende beseitigt wird. Immo sicut dicit Augustinus: Detrahentur vitia et rema- nebit natura. Superexcrescentia autem capillorum et unguium est de superfluitate et vitio naturae. Si enim non peccasset homo, crescerent ungues et capilli ejus usque ad determinatam quantitatem , sicut in leonibus et avibus. (Addit. Henrici ab Vurimaria ibid. Edit. Basiliae 1513.) Welch determinirter, naiver, treuherziger, zuversichtlicher, harmonischer Glaube! Der aufer- standne Körper als derselbe und doch zugleich ein andrer, neuer Leib hat auch wieder Haare und Nägel — sonst wäre er ein verstümmelter, einer wesentlichen Zierde beraubter Körper, folglich die Auferstehung nicht die restitutio in integrum — und zwar dieselben Nägel und Haare, aber zugleich jetzt so beschaffen, daß sie mit dem Wesen des neuen Körpers im Einklang sind. Dort ist ihnen der Trieb des Wachsthums genommen, dort überschreiten sie nicht das Maaß der Schick- lichkeit. Dort brauchen wir daher nicht mehr die Haare und Nägel abzuschneiden — eben so wenig als die sinnlichen Triebe der übrigen Fleischesglieder, weil schon an und für sich der himmlische Leib ein abstracter, verschnittener Leib ist. Warum gehen denn die gläubigen Theologen der neuern Zeit nicht mehr in derlei Specialitäten ein, wie die ältern Theologen? Warum? weil ihr Glaube selbst nur ein allgemeiner, unbestimmter, d. h. nur geglaubter, vorgestellter, eingebildeter Glaube ist, weil sie aus Furcht vor ihrem mit dem Glauben längst zerfallnen Ver- stande, aus Furcht, ihren schwachsinnigen Glauben zu verlie- ren, wenn sie bei Lichte, d. h. im detail die Dinge betrachten, die Consequenzen d. h. die nothwendigen Bestimmungen ihres Glaubens unterdrücken, vor dem Verstande verheimlichen. Der Widerspruch im göttlichen Wesen ist das oberste Princip der christlichen Sophistik . Alle Bestimmungen des göttlichen Wesens sind Selbstbe- jahungen, Selbstbegründungen des menschlichen Wesens, die aber dadurch unbegreiflich und unerforschlich werden, daß sie in Gott etwas Andres bedeuten und sein sollen, als sie in der That sind und sein können. So ist die göttliche Weisheit, der hervorbringende Verstand Gottes nichts andres als der sich als das absolute Wesen der Dinge bejahende und begründende Verstand im Menschen. Dem Verstande ist nur der Verstand ein reales Wesen. Der Verstand oder nur ein Wesen mit Verstand ist sich selbst Zweck , um sein selbst willen, nicht selbstloses Mittel. Und nur, was sich selbst Zweck ist, handelt nach Zwecken, handelt mit Absichten; aber nur Zweck thätigkeit ist Selbstthätigkeit, und nur Selbstthätigkeit Thätigkeit, die ihren Grund in sich selbst hat. Das Dasein eines verständigen Wesens erklärt sich durch sich selbst: es hat eben den Grund seines Daseins in sich, weil es Selbstzweck ist. Was aber selbst keine Absichten hat, muß den Grund seines Daseins in der Absicht eines andern Wesens haben. Die Welt hat daher für den Verstand nur Sinn, nur Verstand, wenn er sie daraus, woraus er sich Alles erklärt und deutlich macht, d. h. aus sich selbst erklärt und ableitet, wenn er den Verstand als Grund und Zweck der Welt setzt. Denn die Lehre, daß die Welt nicht für sich , sondern für den Menschen oder überhaupt ein verständiges Wesen, dieses also der Zweck der Welt sei, ist im Grunde identisch mit der Lehre, daß die Zweckthätigkeit, der Verstand die Welt hervorgebracht habe. So ist also der göttliche Verstand nichts andres als der sich bewährende mensch- liche Verstand — der Unterschied daher jenes von diesem nur eine fromme Illusion, eine Phantasie oder eine raffinirte Selbst- täuschung, eine Lüge. Die Ableitung der Welt aus dem Ver- stande, das rationelle Bedürfniß einer verständigen Ursache stützt sich ja eben auf die Wahrnehmung, daß in der Welt im Widerspruch mit ihrem — vorausgesetzten, sei es nun wirklichen oder vermeintlichen — Wesen Ordnung, Zweck, Verstand obwaltet, daß die Welt nach Gesetzen bestimmt und regiert wird, die der Mensch eben als verständige, mit seinem Ver- stande übereinstimmende erkennt. Er findet z. B. daß die Thiere zu ihren verschiedenen Lebensbestimmungen passende Organe haben, daß also auch hier das Verstandesgesetz gilt, daß man, um einen bestimmten Zweck zu erreichen, ein bestimmtes entsprechendes Mittel ergreifen muß; er findet, daß sich der chemische Stoff in Würfeln, Rhomben, Octaedern krystallisirt, daß also auch in der Natur die Gesetze der Arithmetik und Geome- trie, wenn auch mit Modificationen, walten, auch in ihr zwei mal zwei vier ist. Wäre es anders in der Natur, zwei mal zwei nicht vier, die gerade Linie ein Kreis, das Quadrat ein Dreieck, kurz widersprächen ihre Gesetze den Gesetzen des Ver- standes, so würde es dem Menschen nie, auch nicht im Traume einfallen, diese boshafte Satyre auf den Verstand aus dem Verstande abzuleiten. Welch eine Selbsttäuschung ist es also, den Grund dieses Verstandes in der Natur oder vielmehr die- sen Verstand selbst, dessen Annahme sich nur gründet auf die Wahrnehmung der Uebereinstimmung desselben mit dem Ver- stande des Menschen, zu einem andern, vom Verstande des Menschen wesentlich unterschiednen Verstande zu machen! Welch ein Selbstbetrug! Dem Verstande ist das Bewußtsein seiner Einheit und Universalität wesentlich; er ist selbst nichts andres als das Bewußtsein seiner als der absoluten Iden- tität , d. h. was dem Verstande für verstandesgemäß gilt, das ist ihm ein absolutes Gesetz; es ist ihm unmöglich zu denken, daß, was sich widerspricht, falsch, unsinnig ist, irgend wo wahr, und was wahr, was vernünftig, irgend wo falsch, unvernünftig sei. Von einem wesentlich andern Verstande habe ich auch nicht die entfernteste Vorstellung, die entfernteste Ahnung. Vielmehr ist jeder vermeintlich andere Verstand, den ich setze, nur eine Position meines eignen Verstandes, eine Idee, Vorstellung von mir, eine Vorstellung, die innerhalb mein Denkvermögen fällt, also meinen Verstand ausdrückt und bejaht. Was ich denke und zwar als das Höchste denke, das ist eben der höchste Grad meiner Denkkraft, das Maaß dessen, was ich überhaupt zu denken vermag . Was ich denke , das thue ich selbst — natürlich bei rein theoretischen oder intellectuellen Dingen — was ich als verbunden denke, verbinde ich, was ich denke als getrennt, unterscheide ich in meinem Denken. Denke ich also z. B. in dem göttlichen Verstande die Anschauung oder Wirklichkeit des Gegenstandes mit der Vorstellung desselben unmittelbar verbunden, so verbinde ich sie wirklich; mein Ver- stand oder meine Einbildungskraft ist also das Verbindungs- vermögen dieser Unterschiede oder Gegensätze. Wie könntest Du sie Dir denn verbunden vorstellen — sei diese Vorstellung nun eine confuse oder deutliche — wenn Du sie nicht in Dir selbst verbändest? Wie könntest Du überhaupt eine Schranke in Gott aufheben, wenn Du sie nicht an Dir selbst als Schranke empfändest und aufhöbest, wie in Gott eine Realität setzen, wenn Du sie nicht selbst als Realität empfändest? Was ist also Gott anders als das höchste, ungetrübteste, freieste Selbst- gefühl des Menschen? was der Verstand Gottes anders, als der seiner selbst gewisse, seiner selbst bewußte Verstand des Menschen? Die christliche Religion ist ein Widerspruch. Sie ist die Versöhnung und zugleich der Zwiespalt, zu- gleich die Einheit und der Gegensatz von Gott und Mensch. Dieser personificirte Widerspruch ist der Gottmensch — die Einheit der Gottheit und Mensch- heit in ihm Wahrheit und Unwahrheit . Es ist schon oben behauptet worden, daß, wenn Christus zugleich Gott, Mensch und zugleich ein andres Wesen war, welches als ein des Leidens unfähiges Wesen vorgestellt wird, sein Leiden nur eine Illusion war. Denn sein Lei- den für ihn als Menschen war kein Leiden für ihn als Gott . Nein! was er als Mensch bekannte, läugnete er als Gott. Er litt nur äußerlich, nicht innerlich, d. h. er litt nur scheinbar, doketisch , aber nicht wirklich, denn nur der Er- scheinung, dem Ansehn, dem Aeußern nach war er Mensch, in Wahrheit, im Wesen aber, welches eben deßwegen nur den Gläubigen Gegenstand war, Gott. Ein wahres Leiden wäre es nur gewesen, wenn er zugleich als Gott gelitten hätte. Was nicht in Gott selbst aufgenommen, wird nicht in die Wahrheit, nicht in das Wesen, die Substanz aufgenommen. Unglaublich aber ist es, daß die Christen selbst, theils direct, theils indirect, eingestanden haben, daß ihr höchstes, hei- ligstes Mysterium nur eine Illusion, eine Simulation ist. Eine Simulation, die übrigens schon dem durchaus unhisto- rischen, theatralischen, illusorischen Evangelium Johannis zu Grunde liegt, wie dieß unter Anderm besonders aus der Auferweckung des Lazarus hervorgeht, indem hier der allmäch- tige Gebieter über Tod und Leben offenbar nur zur Ostentation seiner Menschlichkeit sogar Thränen vergießet und ausdrücklich sagt: „Vater ich danke Dir, daß Du mich erhöret hast, doch ich weiß, daß Du mich allezeit hörest, sondern um des Volks willen , das umher stehet, sage ich es, daß sie glauben.“ Diese evangelische Simulation hat nun die christliche Kirche bis zur offenbaren Verstellung ausgebildet. Si credas susce- ptionem corporis, adjungas divinitatis compassionem , portionem utique perfidiae, non perfidiam declinasti. Cre- dis enim, quod tibi prodesse praesumis, non credis quod Deo dignum est … Idem enim patiebatur et non patie- batur … Patiebatur secundum corporis susceptionem, ut suscepti corporis veritas crederetur et non patie- batur secundum verbi impassibilem divinitatem. … Erat igitur immortalis in morte, impassibilis in passione. … Cur divinitati attribuis aerumnas corporis et infirmum doloris humani divinae connectis naturae? Ambro- sius (de incarnat. domin. sacr. c. 4 u. 5.). Juxta hominis naturam proficiebat sapientia, non quod ipse sapientior esset ex tempore … sed eandem, qua plenus erat, sa- pientiam caeteris ex tempore paulatim demonstrabat … In aliis ergo non in se proficiebat sapientia et gratia. Gregorius in homil. quadam (bei Petrus Lomb. l. III. dist. 13. c. 1.) Proficiebat ergo humanus sensus in eo secundum ostensionem et aliorum hominum opi- nionem . Ita enim patrem et matrem dicitur ignorasse in infantia, quia ita se gerebat et habebat ac si agnitionis expers esset. Petrus L. (ibid. c. 2.) Ut homo ergo dubitat ut homo locutus est. (Ambrosius.) His verbis innui videtur, quod Christus non inquantum Deus vel Dei filius, sed inquantum homo dubitaverit affectu humano. Quod ea ratione dictum accipi potest: non quod ipse dubitaverit, sed quod modum gessit dubitantis et hominibus dubitare videbatur. Petrus L. (ibid. dist. 17. c. 2.) Wir haben im ersten Theil unsrer Schrift die Wahrheit, im zweiten die Unwahrheit der Religion dargestellt. Wahrheit ist nur die Identität Gottes und des Menschen — Wahrheit nur die Religion, wenn sie die menschlichen Bestim- mungen Gottes als menschliche bejaht, Falschheit, wenn sie dieselben negirt, Gott als ein andres Wesen sondernd vom Menschen. So hatten wir im ersten Theil zu beweisen die Wahrheit des Leidens Gottes; hier haben wir den Beweis von der Unwahrheit dieses Leidens, und zwar nicht den sub- jectiven, sondern den objectiven — das Eingeständniß der Theologie selbst, daß ihr höchstes Mysterium, das Leiden Got- tes nur eine Täuschung, Illusion ist. Habe ich also falsch geredet, wenn ich sagte, das oberste Princip des Christenthums sei die Hypokrisie? Läugnet nicht auch der Theanthropos, daß er Mensch ist, während er Mensch ist? O widerlegt mich doch! Es ist daher die höchste Kritiklosigkeit, Unwahrhaftigkeit, Willkührlichkeit, die christliche Religion nur als Religion der Versöhnung, nicht auch als die Religion des Zwiespalts zu demonstriren, in dem Gottmenschen nur die Einheit, nicht auch den Widerspruch des göttlichen und menschlichen We- sens zu finden. Christus hat nur als Mensch , nicht als Gott gelitten — Leidensfähigkeit ist aber das Zeichen wirkli- cher Menschheit — nicht als Gott ist er geboren, gewachsen an Erkenntniß, gekreuzigt; d. h. alle menschlichen Bestimmun- gen sind von ihm als Gott entfernt geblieben. Si quis non confitetur proprie et vere substantialem differen- tiam naturarum post ineffabilem unionem, ex quibus unus et solus extitit Christus, in ea salvatam, sit con- demnatus. Concil. Later . I. can. 7. (Carranza.) Das göttliche Wesen ist in der Menschwerdung, ungeachtet der Be- hauptung, daß Christus zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch gewesen, eben so gut entzweit mit dem menschlichen Wesen, als vor derselben, indem jedes Wesen die Bestim- mungen des andern von sich ausschließt , obwohl beide, aber auf eine unbegreifliche, miraculöse, d. i. unwahre , der Natur des Verhältnisses, in dem sie zu einander stehen, widersprechende Weise zu einer Persönlichkeit verknüpft sein sollen. Auch die Lutheraner, ja Luther selbst, so derb er sich über die Gemeinschaft und Vereinigung der menschlichen und göttlichen Natur in Christo ausspricht, kommt doch nicht über ihren unversöhnlichen Zwiespalt hinaus. „Gott ist Mensch und Mensch ist Gott, dadurch doch weder die Naturen, noch derselben Eigenschaften mit einander vermischt werden, sondern es behält eine jede Natur ihr Wesen und Eigenschaf- ten .“ „Es hat der Sohn Gottes selbst wahrhaftig, doch nach der angenommenen menschlichen Natur gelitten und ist wahrhaftig gestorben, wiewohl die göttliche Natur weder leiden, noch sterben kann .“ „Ist recht geredet: Gottes Sohn leidet. Denn obwohl das eine Stück (daß ich so rede) als die Gottheit nicht leidet , so leidet dennoch die Person, welche Gott ist, am andern Stück als an der Menschheit ; denn in der Wahrheit ist Gottes Sohn für uns gekreuzigt, das ist die Person , die Gott ist; denn sie ist, Sie (sage ich) die Person ist gekreuzigt nach der Menschheit .“ „Die Person ists, die alles thut und leidet, eins nach dieser Natur , das andre nach jener Natur , wie das alles die Gelehrten wohl wissen.“ Concordienb. Erklär. Art. 8. So sind also nur in der Person, d. h. nur in einem Nomen proprium, nur dem Namen nach, aber nicht im Wesen, nicht in der Wahrheit die beiden Naturen zur Einheit verbun- den. Quando dicitur: Deus est homo vel homo est Deus, propositio ejusmodi vocatur personalis. Ratio est, quia unionem personalem in Christo supponit. Sine tali enim naturarum in Christo unione nunquam dicere potuissem Deum esse hominem aut hominem esse Deum. … Abs- tracta autem naturae de se invicem enuntiari non posse, longe est manifestissimum. … Dicere itaque non licet, divina natura est humana aut deitas est humanitas et vice versa. J. F. Buddei (Comp. Inst. Theol. dogm. l. IV. c. II. §. 11.) So ist also die Einheit des göttlichen und menschlichen Wesens in der Incarnation nur eine Täu- schung, eine Illusion. Das alte Dissidium von Gott und Mensch liegt auch ihr noch zu Grunde und wirkt um so ver- derblicher, ist um so häßlicher, als es sich hinter den Schein, hinter die Imagination der Einheit verbirgt. Darum war auch der Socinianismus nichts weniger als flach, wenn er wie die Trinität, so auch das Compositum des Gottmenschen negirte — er war nur consequent, nur wahrhaft. Gott war ein dreipersönliches Wesen und doch sollte er zugleich schlecht- hin einfach ein ens simplicissimum sein, so läugnete die Einfachheit die Trinität; Gott war Gott-Mensch und doch sollte die Gottheit nicht von der Menschheit tangirt oder auf- gehoben werden, d. h. wesentlich von ihr geschieden sein; so läugnete die Unvereinbarkeit der göttlichen und menschlichen Bestimmungen die Einheit der beiden Wesen. Wir haben demnach schon im Gott-Menschen selbst den Läugner, den Erzfeind des Gottmenschen, den Rationalismus , nur daß er hier zugleich noch mit seinem Gegensatze behaftet war. Der Socinianismus negirte also nur, was der Glaube selbst ne- girte, zugleich aber im Widerspruch mit sich wieder behaup- tete; er negirte nur einen Widerspruch, nur eine Unwahrheit. Gleichwohl haben aber doch auch wieder die Christen die Menschwerdung Gottes als ein Werk der Liebe gefeiert, als eine Selbstaufopferung Gottes, als eine Verläugnung seiner Majestät — Amor triumphat de Deo — denn die Liebe Gottes ist ein leeres Wort, wenn sie nicht als wirkliche Auf- hebung seines Unterschieds vom Menschen gefaßt wird. Wir haben daher im Mittelpunkt des Christenthums den am Schluß entwickelten Widerspruch von Glaube und Liebe. Der Glaube macht das Leiden Gottes zu einem Scheine, die Liebe zu einer Wahrheit. Nur auf der Wahrheit des Leidens beruht der wahre, positive Eindruck der Incarnation. So sehr wir da- her den Widerspruch und Zwiespalt zwischen der menschlichen und göttlichen Natur im Gottmenschen hervorgehoben haben, so sehr müssen wir hinwiederum die Gemeinschaft und Einheit derselben hervorheben, vermöge welcher Gott wirklich Mensch und der Mensch wirklich Gott ist. Hier haben wir darum den unwidersprechlichen, unumstößlichen und zugleich sinnfälligen Beweis, daß der Mittelpunkt, der höchste Gegenstand des Christenthums nichts andres als der Mensch ist, daß die Chri- sten das menschliche Individuum als Gott und Gott als das menschliche Individuum angebetet haben. „Le- bendig machen, alles Gericht und alle Gewalt haben im Him- mel und auf Erden, alles in seinen Händen haben, alles unter seinen Füßen unterworfen haben, von Sünden reinigen u. s. w. sind .... göttliche unendliche Eigenschaften , welche doch nach Aussage der Schrift dem Menschen Christi gegeben und mitgetheilt sind.“ „Daher gläuben, lehren und bekennen wir, daß des Menschen Sohn .... jetzt nicht allein als Gott, sondern auch als Mensch Alles weiß, Alles vermag, allen Creaturen gegenwärtig ist .“ „Demnach verwer- fen und verdammen wir ..... 15) daß er (der Sohn Got- tes) nach der menschlichen Natur der Allmächtigkeit und anderer Eigenschaften göttlicher Natur allerding nicht fähig sei.“ Concordienb. summar. Begr. u. Erklär. Art. 8. Unde et sponte sua fluit, Christo etiam qua humanam naturam spectato cultum religiosum deberi. Bud- deus . l. c. l. IV. c. II. §. 17. Dasselbe lehren ausdrück- lich die Kirchenväter und Katholiken. Z. B. Eadem ad- oratione adoranda in Christo est divinitas et huma- nitas . … Divinitas intrinsece inest humanitati per unio- nem hypostaticam: ergo humanitas Christi seu Chri- stus ut homo potest adorari absoluto cultu latriae. Theol. Schol . (sec. Thomam Aq. P. Mezger. T. IV. p. 124.) Zwar heißt es: nicht der Mensch, nicht Fleisch und Blut für sich selbst , sondern das mit Gott verbundne Fleisch wird an- gebetet, so daß der Cultus nicht dem Fleische oder dem Men- schen, sondern Gott gilt. Aber es ist hier wie mit dem Hei- ligen- und Bilderdienste. Wie der Heilige nur im Bilde, Gott nur im Heiligen verehrt wird, weil man das Bild, den Heili- gen selbst verehrt, so wird Gott nur im menschlichen Flei- sche angebetet, weil das menschliche Fleisch selbst angebetet wird. Was im Bewußtsein der Religion Prädicat ist, ist im Wesen, im ihr selbst verborgnen Grunde derselben das wahre Subject. Gott wird Fleisch, Mensch, weil schon im Grunde der Mensch Gott ist. Wie könnte es Dir nur in den Sinn kommen, das menschliche Fleisch mit Gott in so in- nige Beziehung und Berührung zu bringen, wenn es Dir etwas Unreines, Niedriges, Gottes Unwürdiges wäre? Wenn der Werth , die Würde des menschlichen Fleisches nicht in ihm selbst liegt, warum machst Du nicht andres, nicht thie- risches Fleisch zur Wohnstätte des göttlichen Geistes.“ Zwar heißt es: der Mensch ist nur das Organ „ in, mit und durch “ welches die Gottheit wirket „wie die Seele im Leibe.“ Aber auch dieser Einwand ist durch das eben Gesagte schon widerlegt. Gott wählte den Menschen zu seinem Organ, sei- nem Leibe, weil er nur im Menschen ein seiner würdiges, ein ihm passendes, wohlgefälliges Organ fand. Wenn der Mensch gleichgültig ist, warum incarnirte sich denn Gott nicht in einem Thiere? So kommt Gott nur aus dem Menschen in den Menschen. Die Erscheinung Gottes im Menschen ist nur eine Erscheinung von der Göttlichkeit und Herrlichkeit des Menschen. Noscitur ex alio, qui non cognoscitur ex se — dieser triviale Spruch gilt auch hier. Gott wird erkannt aus dem Menschen, den er mit seiner persönlichen Gegenwart und Einwohnung beehrt, und zwar als ein menschliches We- sen , denn was einer bevorzugt, auserwählt, liebt, das ist sein gegenständliches Wesen selbst; und der Mensch wrid aus Gott erkannt, und zwar als ein göttliches Wesen , denn nur Gotteswürdiges, nur Göttliches kann Object, kann Or- gan und Wohnsitz Gottes sein. Zwar heißt es ferner: es ist nur dieser Jesus Christus ausschließlich allein , kein andrer Mensch sonst, der als Gott verehrt wird. Aber auch dieser Grund ist eitel und nichtig. Christus ist zwar Einer nur, aber Einer für Alle . Er ist Mensch, wie wir, „un- ser Bruder und wir sind Fleisch von seinem Fleische und Bein von seinem Bein.“ Jeder erkennt daher sich in Christo, jeder findet sich in ihm repräsentirt. „ Fleisch und Blut ver- kennt sich nicht .“ Man mag sich daher drehen und wen- den, läugnen und lügen so viel als man will: es steht un- umstößlich fest: die Christen beten das menschliche In- dividuum an als das höchste Wesen — als Gott . Frei- lich nicht mit Bewußtsein; denn dieß eben constituirt die Illu- sion des religiösen Princips. Aber in diesem Sinne beteten Feuerbach . 28 auch die Heiden nicht die Götterstatüe an; denn auch dem frommen Heiden war die Götterstatüe keine Statüe, sondern der Gott selbst. Aber dennoch beteten sie eben so gut die Sta- tüe an, als die Christen das menschliche Individuum, ob sie es gleich natürlich nicht Wort haben wollen. Und die Christen haben nicht nur das menschliche Indi- viduum nach seinem Wesen; sie haben selbst — was eine ganz natürliche Consequenz ist — den Körper des menschlichen In- dividuums — was ist das Individuum ohne Leib? — ja selbst die einzelnen Theile dieses Körpers angebetet. So fin- det sich z. B. unter den — ich weiß nicht mehr, aber es ist hier gleichgültig, ob ächten oder unächten — Schriften des heili- gen Bernhards eine Rhythmica oratio ad unum quodlibet membrorum Christi patientis et a cruce pendentis, worin folgende Stellen vorkommen, z. B. Ad Pedes: Plagas tuas rubicundas Et fixuras tam profundas Cordi meo fac inscribi Ut configar totus tibi Te modis amans omnibus. Ne repellas me indignum De tuis sanctis pedibus . Coram cruce procumbentem Hosque pedes complectentem Jesu bone non me spernas. Ad Manus: Manus sanctae! vos amplector Et gemendo condelector, Grates ago plagis tantis Clavis duris, guttis sanctis Dans lacrymas cum osculis. In cruore tuo lotum Me commendo tibi totum. Ad Latus: Salve Latus Salvatoris, In quo latet mel dulcoris, In quo patet vis amoris, Ex quo scatet fons cruoris. In hac fossa me reconde, Infer meum cor profunde, Ubi latens incalescat Et in pace conquiescat. At faciem: Salve caput cruentatum Totum spinis coronatum. .... Tuum caput hic inclina In meis pausa brachiis. Aehnliche Gedichte an die einzelnen Körpertheile Christi, nur ärmer an Geschmack, Poesie und Empfindung, aber reicher an blutdürstigem Egoismus finden sich in dem schon excerpir- ten Gesangbuch der evangelischen Brüdergemeinen. Der Widerspruch in den Sacramenten ist der Wi- derspruch vom Naturalismus und Supernaturalis- mus . Das Erste in der Taufe ist die Position des Was- sers . Si quis dixerit aquam veram et naturalem non esse de necessitate Baptismi atque ideo verba illa domini nostri Jesu Christi: Nisi quis renatus fuerit ex aqua et Spiritu sancto, ad metaphoram aliquam detorserit, ana- thema sit. Concil. Trident . (Sessio VII. Can. II. de Bapt.) De substantia hujus sacramenti sunt verbum et elementum . … Non ergo in alio liquore potest consecrari baptismus nisi in aqua. Petrus Lomb . (l. IV. dist. 3. c. 1. c. 5.) Ad certitudinem baptismi re- quiritur major quam unius guttae quantitas...... Ne- cesse est ad valorem baptismi fieri contactum physi- cum inter aquam et corpus baptizati, ita ut non sufficiat, vestes tantum ipsius aqua tingi..... Ad certitudinem baptismi requiritur, ut saltem talis pars corporis ablua- tur, ratione cujus homo solet dici vere ablutus, v. 9. collum, humeri, pectus et praesertim caput . Theo- log. Schol. (P. Mezger Aug. Vind. 1695. T. IV. p. 230 — 31.) Es kommt also wesentlich auf das Wasser an. Aber nun kommt die Negation des Wassers. Die Bedeutung der Taufe ist nicht die natürliche Kraft des Wassers, sondern viel- mehr die übernatürliche, allmächtige Kraft des Wortes Got- tes, welches das Wasser zu einem Sacrament eingesetzt und nur vermittelst dieses Stoffes auf eine übernatürliche, wun- 28* derbare Weise sich dem Menschen mittheilt, aber eben so gut auch irgend einen anderen beliebigen Stoff wählen könnte, um die nämliche Wirkung hervorzubringen. So sagt z. B. Luther: „Also fasse nun den Unterschied, daß viel ein ander Ding ist Taufe, denn alle andere Wasser, nicht des natürli- chen Wesens halben, sondern daß hie etwas edleres darzu kömmt. Denn Gott selbst seine Ehre hinansetzet, seine Kraft und Macht daran legt .... wie auch Sct. Augustin gelehret hat: accedat verbum ad elementum et fit sacramentum.“ (Der große Katechismus.) Aber wie mit dem Wasser in der Taufe, die nichts ohne das Wasser ist, obgleich es an sich gleichgültig ist, eben so ist es mit dem Wein und Brot in der Eucharistie, selbst bei den Katholiken, wo doch die Substanz von Brot und Wein durch die Gewalt der Allmacht destruirt wird. Accidentia eucha- ristica tamdiu continent Christum, quamdiu retinent illud temperamentum, cum quo connaturaliter panis et vini substantia permaneret: ut econtra, quando tanta fit temperamenti dissolutio, illorumque corruptio, ut sub iis substantia panis et vini naturaliter remanere non posset, desinunt continere Christum. Theol. Schol. (Mezger l. c. p. 292.) Das heißt also: so lange das Brot Brot bleibt, so lange bleibt das Brot Fleisch; ist das Brot weg, ist auch das Fleisch weg. Daher muß auch eine gehörige Portion Brot, wenigstens eine so große, daß das Brot als Brot er- kennbar ist, zugegen sein, um consecrirt werden zu können. (Ebend. p. 284.) Uebrigens ist die katholische Transsubstan- tiation, die conversio realis et physica totius panis in cor- pus Christi nur eine consequente Fortsetzung von den Wun- dern im A. u. N. T. Aus der Verwandlung des Wassers in Wein, des Stabes in eine Schlange, der Steine in Was- serbrunnen (Psalm 114), aus diesen biblischen Transsubstan- tiationen erklärten und begründeten die Katholiken die Verwand- lung des Brotes in Fleisch. Wer einmal an jenen Verwand- lungen keinen Anstoß nimmt, der hat kein Recht, keinen Grund, diese Verwandlung zu beanstanden. Das Princip der prote- stantischen Abendmahlslehre widerspricht nicht weniger der Vernunft, als das katholische. Absurda minus offendent eum, qui meminerit de rebus coelestibus ex verbo Dei, non ex Geometria faciendum esse judicium. Melanch- thon Ep. ad Oecolampadium de S. Coena.) Camerarius Vita Mel. ed. Strobel p. 405.) Quis Deum devoret in coena ? quis sanguinem illius bibat? Noli tu tumul- tuari Carolstadi: Nam multa sunt quae rationi adversan- tur, vera tamen sunt et verbo Dei nituntur: itaque non ingenio humano, sed vera fide apprehendenda sunt. Quid enim tam absurdum dictu, quam aqua peccatum ablui ? Quid tam absonum , quam esu pomi totum ge- nus humanum in aeternum exitium praecipitari? N. Frischlini Phasma. Act. III. Sc. III. Auch die Prote- stanten nahmen in der Abendmahlslehre ebenso wie die Katho- liken zur Allmacht, der Quelle aller vernunftwidersprechenden Vorstellungen, ihre Zuflucht. (Concord. summ. Begr. Art. 7. Affir. 3. Negat. 13.) Ein köstliches, ja wahrhaft incomparables und zugleich höchst lehrreiches Exempel von der theologi- schen Unbegreiflichkeit und Uebernatürlichkeit liefert die in Betreff des Abendmahls (Concordienbuch summar. Begr. Art. 7.) gemachte Unterscheidung zwischen Mündlich und Fleischlich oder Natürlich . „Wir gläuben, lehren und bekennen, daß der Leib und Blut Christi nicht allein geist- lich durch den Glauben , sondern auch mündlich , doch nicht auf kapernaitische, sondern übernatürliche, himm- lische Weise, um der sacramentlichen Vereinigung willen, mit dem Brote und Wein empfangen werden.“ Probe namque discrimen inter manducationem oralem et natura- lem tenendum est. Etsi enim oralem manducationem adseramus atque propugnemus, naturalem tamen non ad- mittimus .... Omnis equidem manducatio naturalis etiam oralis est, sed non vicissim oralis manducatio statim est naturalis .... Unicus itaque licet sit actus, unicumque organum , quo panem et corpus Christi, itemque vinum et sanguinem Christi accipimus, modus (ja wohl der modus) nihilominus maximopere differt, cum panem et vinum modo naturali et sensibili, corpus et san- guinem Christi simul equidem cum pane et vino , at modo supernaturali et insensibili , qui adeo etiam a nemine mortalium (sicherlich auch von keinem Gotte) expli- cari potest, revera interim et ore corporis accipia- mus . Jo. Fr. Buddeus (l. c. Lib. V. c. I. §. 15.) Welch’ eine Heuchelei! Mit demselben Munde, womit er seinen Gott zwischen die Lippen preßt und sein Blut in sich saugt, um sich seiner wirklichen, d. i. fleischlichen Existenz zu versichern, mit demselben Munde läugnet der Christ und zwar im heiligsten Momente seiner Religion, die fleischliche Gegenwart, den fleischli- chen Genuß Gottes. So läugnet er also auch hier, daß er das Fleisch befriedigt, während er es in der That befriedigt. Der Widerspruch der christlichen Religion ist der Widerspruch von Glaube und Liebe . Der Glaube opfert die Liebe zur Liebe der Liebe zu Gott als einem vom Menschen unterschiednen persönlichen Wesen auf. Wohl ist Gott der mystische Gattungsbegriff der Mensch- heit — was die Religion dadurch ausspricht, daß sie Gott zum gemeinsamen Vater der Menschen macht — und wer daher Gott liebt, liebt insofern die Menschen. Die Liebe zu Gott ist die mystische Liebe zum Menschen. Aber Gott ist nicht nur das gemeinsame — er ist auch ein besondres Wesen, ein Wesen für sich — ein Subject. Wie sich daher theore- tisch in dem Satze: Gott ist die Liebe, das Subject von dem Prädicat der Liebe unterscheidet, so scheidet sich auch nothwen- dig praktisch das Wesen, die Persönlichkeit Gottes von der Liebe . Wo sich das Wesen von der Liebe scheidet, ent- springt die Willkühr . Die Liebe handelt aus Nothwen- digkeit , die Persönlichkeit aus Willkühr . Die Persön- lichkeit bewährt sich als Persönlichkeit nur durch Willkühr; die Persönlichkeit ist herrschsüchtig, ehrgeizig; sie will sich nur geltend machen. Die höchste Feier Gottes als eines persönli- chen Wesens ist daher die Feier Gottes als eines schlechthin unumschränkten, willkührlichen Wesens. Die Persönlichkeit als solche ist indifferent gegen alle substanziellen Bestimmun- gen; die innere Nothwendigkeit, der Wesensdrang erscheint ihr als Zwang . Hier haben wir das Geheimniß der christlichen Liebe. Die Liebe Gottes als Prädicat eines persönlichen Wesens hat hier die Bedeutung der Gnade : Gott ist ein gnädiger Herr, wie er im Judenthum ein strenger Herr war. Die Gnade ist die beliebige Liebe — die Liebe, die nicht aus innerem Wesensdrang handelt, sondern was sie thut, auch nicht thun , ihren Gegenstand, wenn sie wollte, auch verdammen könnte — also die grundlose , die unwe- sentliche , die willkührliche , die absolut subjective , die nur persönliche Liebe. Wo die Liebe in diesem Sinne er- faßt wird, da wird daher eifersüchtig darüber gewacht, daß der Mensch sich nichts zum Verdienste anrechne, daß der göttlichen Persönlichkeit allein das Verdienst bleibe; da wird sorgfältigst jeder Gedanke an eine Nothwendigkeit beseitigt, um auch sub- jectiv durch das Gefühl der Verbindlichkeit und Dankbarkeit ausschließlich die Persönlichkeit feiern und verherrlichen zu kön- nen. Die Juden vergötterten den Ahnenstolz; die Christen dagegen verklärten und verwandelten das jüdisch-aristokratische Princip des Geburtsadels in das demokratische Princip des Verdienstadels. Der Katholik macht die Seligkeit vom Ver- dienste des Werkes , der Protestant vom Verdienste des Glaubens abhängig. Aber der Begriff der Verbindlichkeit und Verdienstlichkeit verbindet sich nur mit einer Handlung, einem Werke, das nicht von mir gefordert werden kann oder nicht nothwendig aus meinem Wesen hervorgeht. Die Werke des Dichters, des Philosophen können nur äußerlich betrachtet unter den Gesichtspunkt der Verdienstlichkeit gestellt werden. Sie sind Werke des Genies — nothgedrungne Werke: der Dichter mußte dichten, der Philosoph philosophiren. Die höchste Selbstbefriedigung lag für sie in der beziehungs- und rücksichtslosen Thätigkeit des Schaffens. Eben so ist es mit einer wahrhaft edlen moralischen Handlung. Für den edlen Menschen ist die edle Handlung eine natürliche : er zweifelt nicht, ob er sie thun soll, er legt sie nicht auf die Wage der Wahlfreiheit; er muß sie thun. Nur wer so handelt, ist auch ein zuverlässiger Mensch. Die Verdienstlichkeit führt im- mer die Vorstellung mit sich, daß man etwas, so zu sagen, nur aus Luxus , nicht aus Nothwendigkeit thut. Die Chri- sten feierten nun wohl die höchste Handlung in ihrer Religion, die Menschwerdung Gottes als ein Werk der Liebe. Aber die christliche Liebe hat insofern, als sie sich auf den Glauben stützt, auf die Vorstellung Gottes als eines Herrn, eines Do- minus, die Bedeutung eines Gnadenactes, einer an sich Gott überflüssigen, bedürfnißlosen Liebe. Ein gnädiger Herr ist ein solcher, der von seinem Rechte abläßt, ein Herr, der thut aus Gnade, was er als Herr zu thun nicht nöthig hat, was über den stricten Begriff des Herrn hinausgeht. Gott hat als Herr nicht nur nicht die Pflicht, dem Menschen wohl- zuthun; er hat sogar das Recht — denn er ist durch kein Ge- setz gebundner Herr — den Menschen zu vernichten, wenn er will. Kurz, die Gnade ist die unnothwendige Liebe, die Liebe im Widerspruch mit dem Wesen der Liebe, die Liebe, die nicht Wesen, nicht Natur ausdrückt, die Liebe, welche der Herr, das Subject, die Person — Persönlichkeit ist nur ein abstracter, moderner Ausdruck für Herrlichkeit — von sich unterschei- det als ein Prädicat, welches sie haben und nicht haben kann, ohne deßwegen aufzuhören, sie selbst zu sein. Noth- wendig mußte sich daher auch im Leben, in der Praxis des Chri- stenthums dieser innere Widerspruch realisiren, das Subject vom Prädicat, der Glaube von der Liebe scheiden. Wie die Liebe Gottes zum Menschen nur ein Gnadenact war, so wurde auch die Liebe des Menschen zum Menschen nur zu einem Gnadenact des Glaubens . Die christliche Liebe ist der gnädige Glaube, wie die Liebe Gottes die gnädige Per- sönlichkeit oder Herrschaft. (Ueber die göttliche Willkühr s. z. B. J. A. Ernesti’s schon oben citirte Abhandlung: Vindi- ciae arbitrii divini. ) Der Glaube hat ein böses Wesen in sich . Der christliche Glaube, sonst nichts ist der Grund der christlichen Ketzerverfolgungen und Ketzerhinrichtungen. Der Glaube anerkennt den Menschen nur unter der Bedingung, daß er Gott, d. h. den Glauben anerkennt. Der Glaube ist die Ehre, die der Mensch Gott erweist. Und diese Ehre gebührt ihm unbedingt. Dem Glauben ist die Basis aller Pflichten der Glaube an Gott — der Glaube die absolute Pflicht, die Pflichten gegen die Menschen nur abgeleitete, untergeord- nete Pflichten. Der Ungläubige ist also ein rechtloses — ein vertilgungswürdiges Subject. Was Gott negirt, muß selbst negirt werden. Das höchste Verbrechen ist das Verbre- chen der laesae majestatis Dei. Gott ist dem Glauben ein persönliches und zwar das allerpersönlichste, unverletzlichste, berechtigtste Wesen. Die Spitze der Persönlichkeit ist die Ehre — eine Injurie gegen die höchste Persönlichkeit also nothwendig das höchste Verbrechen. Die Ehre Gottes kann man nicht als eine zufällige, rohsinnliche, anthropomorphisti- sche Vorstellung desavouiren. Ist denn nicht auch die Per- sönlichkeit, auch die Existenz Gottes eine sinnliche, anthropo- morphistische Vorstellung? Wer die Ehre negirt, sei so ehr- lich, auch die Persönlichkeit aufzuopfern. Aus der Vorstellung der Persönlichkeit ergibt sich die Vorstellung der Ehre, aus dieser die Vorstellung der religiösen Injurie. Quicunque Magistratibus male precatus fuerit, pro eorum arbitrio poenas luito; quicunque vero idem scelus erga Deum ad- miserit … lapidibus blasphemiae causa obruitur. Moses (III. 24, 15. 16.) Eos autem merito torqueri, qui Deum nesciunt, ut impios, ut injustos, nisi profanus nemo deliberat: quum parentem omnium et dominum omnium non minus sceleris sit ignorare , quam laedere. Minucii Fel. Oct. c. 35. Ubi erunt legis praecepta divinae, quae dicunt: honora patrem et ma- trem, si vocabulum patris, quod in homine honorari prae- cipitur, in Deo impune violatur? Cypriani Epist. 73. (ed. Gersdorf.) Si hi qui nummos adulterant morte mulctantur, quid de illis statuendum censemus , qui fidem pervertere conantur? Paulus Cortesius (in Sententias (Petri L.) III. l. dist. VII.) Si enim il- lustrem ac praepotentem virum nequaquam exhonorari a quoquam licet, et si quisquam exhonoraverit, decretis legalibus reus sistitur et injuriarum auctor jure damna- tur: quanto utique majoris piaculi crimen est, in- juriosum quempiam Deo esse? Semper enim per dignitatem injuriam perferentis, crescit culpa facientis, quia necesse est, quanto major est persona ejus qui con- tumeliam patitur, tanto major sit noxa ejus, qui facit. Also spricht Salvianus (de gubernat. Dei l. VI. p. 218. edit. cit.), Salvianus, den man genannt Magistrum Epi- scoporum, sui saeculi Jeremiam, Scriptorem Christianis- simum, Orbis christiani magistrum. Aber die Häresie, der Unglaube überhaupt — die Häresie ist nur ein bestimmter, beschränkter Unglaube — ist eine Blasphemie, also das höchste, strafbarste Verbrechen. So schreibt, um von unzähligen Bei- spielen nur eines anzuführen, J. Oecolampadius an Servet: dum non summam patientiam prae me fero, dolens Jesum Christum filium Dei sic dehonestari, parum christiane tibi agere videor. In aliis mansuetus ero: in blasphe- miis quae in Christum, non item. (Historia Mich. Ser- veti. H. ab Allwoerden Helmstadii 1727. p . 13.) Denn was ist Blasphemie? Jede Negation einer Vorstellung, einer Bestimmung, wobei die Ehre Gottes, die Ehre des Glaubens betheiligt ist. Servetus fiel als ein Opfer des christlichen Glaubens. Calvin sagte noch zwei Stunden vor seinem Tode zu Servet: Ego vero ingenue praefatus, me nun- quam privatas injurias fuisse persecutum, und schied von ihm mit bibelfester Gesinnung: ab haeretico homine, qui αὐτοκατάκϱιτος peccabat, secundum Pauli prae- ceptum discessi (ibid. p. 120). Es war also keineswegs persönlicher Haß, wenn auch dieser mit im Spiel gewesen sein mag, es war der religiöse Haß , der S. auf den Scheiter- haufen brachte — der Haß, der aus dem Wesen des Glau- bens entspringt. Selber Melanchthon billigte bekanntlich Ser- vets Hinrichtung. Die Schweizer Theologen, welche die Genfer um ihren Rath fragten, erwähnten zwar in ihren Ant- worten schlangenkluger Weise nichts von der Todesstrafe, aber stimmten doch darin mit den Genfern überein, horrendos Serveti errores detestandos esse, severiusque idcirco in Servetum animadvertendum. Also keine Differenz im Princip, nur in der Art und Weise der Bestrafung. Selbst Calvin war so christlich , daß er die grausame Todesart, wozu der Genfer Senat S. verurtheilte, mildern wollte. Auch die spätern Chri- sten und Theologen billigten noch die Hinrichtung Servets. (S. hierüber z. B. M. Adami Vita Calvini p. 90. Vita Bezae p. 207. Vitae Theol. exter. Francof. 1618). Wir haben daher diese Hinrichtung als eine Handlung von allgemeiner Bedeutung — als ein Werk des Glaubens und zwar nicht des römisch-katholischen, sondern des reformirten, des auf die göttliche Offenbarung reducirten, des evangelischen Glaubens anzusehen. — Daß man die Ketzer nicht durch Gewalt zum Glauben zwingen müsse, dieß allerdings behaupteten die mei- sten Kirchenlichter, aber gleichwohl lebte in ihnen doch der boshafteste Ketzerhaß. So sagt z. B. der heilige Bernhard ( Super Cantica S. 66.) in Betreff der Ketzer: Fides sua- denda est, non imponenda, aber er setzt sogleich hinzu: quamquam melius procul dubio gladio coercerentur, illius videlicet, qui non sine causa gladium portat, quam in suum errorem multos trajicere permittantur. — Wenn der jetzige Glaube keine solchen eclatanten Greuelthaten mehr her- vorbringt, so kommt das nur daher, daß unser Glaube kein unbedingter, entschiedner, lebendiger, sondern vielmehr ein skep- tischer, eklektischer, ungläubiger, durch die Macht der Kunst und Wissenschaft gebrochner und gelähmter Glaube ist. Wo keine Ketzer mehr verbrannt werden, da hat der Glaube selbst kein Feuer mehr im Leibe. Der Glaube, der erlaubt Anderes zu glauben, verzichtet auf seinen göttlichen Ursprung, degradirt sich selbst zu einer nur subjectiven Meinung . Der Glaube, der Andern den Zweifel an sich gestattet, ist ein dubiöser , ein an sich selbst zweifelnder Glaube. Nicht dem christli- chen Glauben, nicht der christlichen d. h. der durch den Glauben beschränkten Liebe, nein! dem Zweifel an dem christlichen Glauben, dem Sieg der religiösen Skepsis, den Freigeistern, den Häretikern verdanken wir die Toleranz der Glaubensfreiheit . Die von der christlichen Kirche verfolgten Ketzer nur verfochten die Glau- bensfreiheit. Die christliche Freiheit ist Freiheit nur im Unwesentlichen , den Grundartikel des Glaubens gibt sie nicht frei. Der Glaube scheidet den Menschen vom Menschen, setzt an die Stelle der naturbegründeten Einheit und Liebe eine übernatürliche — die Einheit des Glau- bens . Inter Christianum et gentilem non fides tantum debet, sed etiam vita distinguere … Nolite, ait Aposto- lus, jugum ducere cum infidelibus … Sit ergo inter nos et illos maxima separatio. Hieronymus (Epist. Caelantiae matronae). … Prope nihil gravius quam co- pulari alienigenae … Nam cum ipsum conjugium vela- mine sacerdotali et benedictione sanctificari oporteat: quomodo potest conjugium dici ubi non est fidei concordia ? … Saepe plerique capti amore feminarum fidem suam prodiderunt. Ambrosius . Ep. 70. Lib. IX. Non enim licet christiano cum gentili vel judaeo inire conjugium. Petrus L. (l. IV. dist. 39. c. 1.) Auch diese Scheidung ist keineswegs unbiblisch . Wir sehen ja vielmehr, daß die Kirchenväter sich gerade auf die Bibel berufen. Die bekannte Stelle des Apostels in Betreff der Ehen zwischen Heiden und Christen bezieht sich nur auf Ehen, die schon vor dem Glauben bestanden, nicht auf solche, die erst geschlossen werden sollen. Man sehe, was hierüber schon Petrus L. sagt in dem eben citirten Buche. Qui amat patrem et matrem plus quam me, non est me dignus Matth. 10 … in hoc vos non agnosco parentes, sed hostes … Alioquin quid mihi et vobis? Quid a vobis habeo nisi peccatum et miseriam? Bernardus (Epist. 111. Ex persona Heliae monachi ad parentes suos.) Etsi impium est, contemnere matrem, contemnere tamen propter Christum piissimum est. Bernhardus (Ep. 104. S. auch Epist. 351. ad Hu- gonem novitium.) Audi sententiam Isidori : multi cano- nicorum, monachorum … temporali salute suorum paren- tum perdunt animas suas … Servi Dei qui parentum suo- rum utilitatem procurant a Dei amore se separant. De Modo bene vivendi (S. VII.). Omnem hominem fide- lem judica tuum esse fratrem. (ibid. Sermo 13.) Ambro- sius dicit, longe plus nos debere diligere filios quos de fonte levamus, quam quos carnaliter genuimus . (Petrus L. l. IV. dist. 6. c. 5. addit. Henr. ab Vurim.) Ut Episcopi vel clerici in eos qui Catholici Christiani non sunt , etiam si consanguinei fuerint, nec per do- nationes rerum suarum aliquid conferant. Concil. Car- thag . III. can. 13. (Summa Carranza). Cum haereti- cis nec orandum, nec psallendum. Concil. Car- thag . IV. can. 72. (ibid.) Der Glaube hat die Bedeutung der Religion, die Liebe nur die der Moral . Dieß hat besonders entschieden der Protestantismus ausgesprochen. Der Ausdruck, daß die Liebe nicht vor Gott gerecht mache, sondern nur der Glaube, sagt eben nichts weiter aus, als daß die Liebe keine religiöse Kraft und Bedeutung habe. (S. Apologia der augsburgischen Confess. Art. 3. Von der Liebe und Erfüllung des Gesetzes.) Zwar heißt es hier: „Darum was die Scholastici von der Liebe Gottes reden, ist ein Traum und ist unmöglich Gott zu lieben, ehe wir durch den Glauben die Barmherzigkeit erkennen und ergreifen. Denn alsdann erst wird Gott objectum ama- bile, ein lieblich, selig Anblick.“ Es wird also hier zum ei- gentlichen Object des Glaubens die Barmherzigkeit, die Liebe gemacht. Allerdings unterscheidet sich zunächst der Glaube auch nur dadurch von der Liebe, daß er außer sich setzt, was die Liebe in sich setzt. Allerdings ist der Glaube im protestantischen Sinne der Glaube an die Vergebung der Sünde, der Glaube an die Gnade, der Glaube an Christus, als den für den Menschen sterbenden und leidenden Gott, so daß der Mensch, um die ewige Seligkeit zu erlangen, nichts weiter seinerseits zu thun hat, als diese Hingebung Gottes für ihn selbst wieder hingebend, d. i. gläubig, zuversichtlich anzunehmen. Aber Gott ist nicht allein als Liebe Gegenstand des Glaubens. Im Ge- gentheil der charakteristische Gegenstand des Glaubens als Glaubens ist Gott als Subject. Oder ist etwa ein Gott, der dem Menschen kein Verdienst gönnt, der Alles nur sich aus- schließlich vindicirt, eifersüchtig über seiner Ehre wacht, ist ein solcher selbstsüchtiger Gott ein Gott der Liebe? Die aus dem Glauben hervorgehende Moral hat zu ihrem Princip und Kriterium nur den Widerspruch mit der Natur, mit dem Menschen . Wie der höchste Ge- genstand des Glaubens der ist, welcher der Vernunft am meisten widerspricht, die Eucharistie, so ist nothwendig die höchste Tugend der dem Glauben getreuen und gehorsamen Moral die, welche am meisten der Natur widerspricht. Die dog- matischen Wunder haben consequent moralische Wunder in ihrem Gefolge. Die übernatürliche Moral ist die natürliche Schwester des übernatürlichen Glaubens. Wie der Glaube die Natur außer dem Menschen, so überwindet die Glaubens- moral die Natur im Menschen. Diesen praktischen Superna- turalismus, dessen epigrammatische Spitze die „Jungferschaft, die Schwester der Engel, die Königin der Tugenden, die Mutter alles Guten“ ist (s. A. v. Buchers: Geistliches Such- verloren . Sämmtl. W. B. VI. 151.) hat insbesondre der Katholicismus ausgebildet, denn der Protestantismus hat nur das Princip festgehalten, aber die nothwendigen Consequenzen desselben willkührlich, eigenmächtig weggestrichen, hat sich nur den christlichen Gedanken, aber nicht die christliche Moral zu Gemüthe gezogen. Grandis igitur virtutis est et sollicitae diligentiae, superare quod nata sis: in carne non carnaliter vivere, tecum pugnare quotidie. Hierony- mus Ep. Furiae Rom. nobilique viduae.) Quanto igitur natura amplius vincitur et premitur, tanto major gratia infunditur. Thomas a K. (imit. l. III. c. 54.) Esto robustus tam in agendo, quam in patiendo naturae contraria . (ibid. c. 49.) Beatus ille homo, qui propter te Domine, omnibus creaturis licentiam abeundi tribuit, qui naturae vim facit et concupiscentias carnis fervore spiritus crucifigit (c. 48.). Adhuc proh dolor! vivit in me verus homo , non est totus crucifixus. (ibid. c. 34. s. auch l. III. c. 19. l. II. c . 12.) Und diese Sätze sind keineswegs nur ein Abdruck der frommen Individualität des Verfassers der Schrift de imitatione Christi; sie drücken die ächte Moral des Katholicismus aus — die Moral, welche die Heiligen mit ihrem Leben bestätigten und selbst das sonst so weltliche Oberhaupt der Kirche sanctionirte. So heißt es z. B. in der Canonizatio S. Bernhardi Abbatis per Alexandrum papam III. anno Ch. 1164. Litt. apost. … primo ad Praelatos Eccles. Gallic.: In afflictione vero corporis sui us- que adeo sibi mundum, seque mundo reddidit crucifixum, ut confidamus martyrum quoque eum merita obtinere sanctorum etc. Aus diesem rein negativen Moralprincip kommt es auch, daß sich innerhalb des Katholicismus selbst diese crasse Ansicht aussprechen konnte und durfte, daß das bloße Martyrerthum auch ohne die Triebfeder der Liebe zu Gott himmlische Seligkeit erwerbe. Der Glaube opfert Gott den Menschen auf . Das Menschenopfer gehört selbst zum Begriffe der Religion. Die blutigen Menschenopfer dramatisiren nur diesen Begriff. „Durch den Glauben opferte Abraham den Isaak.“ Hebräer 11, 17. Quanto major Abraham, qui unicum filium voluntate jugulavit … Jepte obtulit virginem filiam et idcirco in enumeratione sanctorum ab Apostolo ponitur. Hie- ronymus (Epist. Juliano). Ueber die Menschenopfer in der jüdischen Religion siehe W. Vatke : die Religion des A. Te- staments I. Th. p. 275—78. u. Daumer : „Tabu, Moloch und Sabbath.“ Auch in der christlichen Religion ist es nur das Blut, die Negation des Menschensohnes, wodurch der Zorn Gottes gestillt, Gott mit dem Menschen versöhnt wird. Darum mußte ein reiner, schuldloser Mensch als Opfer fallen. Solches Blut nur ist kostbar, solches nur hat versöhnende Kraft. Und dieses am Kreuze zur Besänftigung des göttlichen Zorns vergoßne Blut genießen die Christen im Abendmahl zur Bestärkung und Besiegelung ihres Glaubens. Aber warum denn das Blut in der Gestalt des Weins, das Fleisch unter der Gestalt des Brotes? Damit es nicht den Schein hat, als äßen die Christen wirklich Menschenfleisch, als tränken sie wirklich Menschenblut, damit nicht der natürliche Mensch, d. i. der homo verus beim Anblick von wirklichem Menschenfleisch und Blute vor den Mysterien des christlichen Glaubens zurück- schaudert. Etenim ne humana infirmitas esum carnis et potum sanguinis in sumptione horreret , Christus velari et palliari illa duo voluit speciebus panis et vini. Bernard (edit. cit. p. 189—191). Sub alia autem specie tribus de causis carnem et sanguinem tradit Christus et deinceps sumendum instituit. Ut fides scil. haberet me- ritum, quae est de his quae non videntur, quod fides non habet meritum , ubi humana ratio praebet experi- mentum. Et ideo etiam ne abhorreret animus quod cerneret oculus; quod non habemus in usu carnem crudam comedere et sanguinem bibere … Et etiam ideo ne ab incredulis religioni christianae insul- taretur . Unde Augustinus : Nihil rationabilius, quam ut sanguinis similitudinem sumamus, ut et ita veritas non desit et ridiculum nullum fiat a paganis , quod cruorem occisi hominis bibamus. Petrus Lomb . (Sent. lib. IV. dist. 11. c. 4.) Aber wie das blutige Menschenopfer in der höchsten Ne- gation des Menschen zugleich die höchste Position desselben ausdrückt, denn nur deßwegen, weil das Menschenleben für das Höchste gilt, weil also das Opfer desselben das schmerz- lichste ist, das Opfer, welches die größte Ueberwindung kostet, wird es Gott dargebracht — eben so ist auch der Widerspruch der Eucharistie mit der menschlichen Natur nur ein scheinbarer. Auch ganz abgesehen davon, daß Fleisch und Blut mit Wein und Brot, wie der h. Bernhard sagt, bemäntelt werden, d. h. in Wahrheit nicht Fleisch, sondern Brot, nicht Blut, son- dern Wein genossen wird — das Mysterium der Eucharistie löst sich auf in das Geheimniß des Essens und Trinkens. „.... Alle alte christliche Lehrer .... lehren, daß der Leib Christi nicht allein geistlich mit dem Glauben, welches auch außer- halb des Sacraments geschieht, sondern auch mündlich, nicht allein von gläubigen, frommen, sondern auch von unwürdigen, ungläubigen, falschen und bösen Christen empfangen werde.“ „So ist nun zweierley Essen des Fleisches Christi, eines geistlich .... Solch geistlich Essen aber ist nichts andres als der Glaube .... Das andere Essen des Leibes Christi ist mündlich oder sacramentlich.“ (Concordienb. Erkl. Art. 7.) Was begründet also die specifische Differenz der Eucha- ristie? Essen und Trinken. Außer dem Sacrament wird Gott geistig, im Sacrament sinnlich, mündlich genossen, d. h. ge- trunken und gegessen. Wie könntest Du aber Gott in Deinen Leib aufnehmen, wenn er Dir für ein Gottes unwürdiges Organ gälte? Schüttest Du den Wein in ein Wassergefäß? Ehrst Du ihn nicht durch ein besondres Glas? Fassest Du mit Deinen Händen oder Lippen an, was Dich ekelt? Erklärst Du nicht dadurch das Schöne allein für das Berührungs- würdige? Sprichst Du nicht die Hände und Lippen heilig, Feuerbach . 29 wenn Du mit ihnen das Heilige ergreifst und berührst? Wenn also Gott gegessen und getrunken wird, so wird Essen und Trinken als ein göttlicher Act ausgesprochen. Und dieß sagt die Eucharistie, aber auf ein sich selbst widersprechende, mystische, heimliche Weise. Unsere Aufgabe ist es jedoch, offen und ehrlich, deutlich und bestimmt das Mysterium der Religion auszusprechen. Das Leben ist Gott, Lebensgenuß Got- tesgenuß, wahre Lebensfreude wahre Religion. Aber zum Lebensgenuß gehört auch der Genuß von Speise und Trank. Soll daher das Leben überhaupt heilig sein, so muß auch Essen und Trinken heilig sein. Ist diese Confession Ir- religion? Nun so bedenke man, daß diese Irreligion das ana- lysirte, explicirte, das unumwunden ausgesprochene Geheimniß der Religion selbst ist. Alle Geheimnisse der Religion resolvi- ren sich zuletzt, wie gezeigt, in das Geheimniß der himmli- schen Seligkeit. Aber die himmlische Seligkeit ist nur die von den Schranken der Wirklichkeit entblößte Glückseligkeit. Die Christen wollen so gut glückselig sein als die Heiden. Der Unterschied ist nur, daß die Heiden den Himmel auf die Erde, die Christen die Erde in den Himmel versetzen . Endlich ist, was ist, was wirklich genossen wird; aber unend- lich, was nicht ist , was nur geglaubt und gehofft wird. Druck von Bernh. Tauchnitz jun.