Psychologie als Wissenschaft, neu gegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik. Von Johann Friedrich Herbart, Professor der Philosophie zu Königsberg . Erster, synthetischer Theil. Königsberg , 1824 . Auf Kosten des Verfassers, und in Commission bey August Wilhelm Unzer . Vorrede . D ie Philosophie stand in ihrer Blüthe zu Kants und Fichte’s Zeiten; jetzt welkt sie, allein ihre Wurzeln sind unvergänglich, und sie kann sich wieder aufrichten, wenn dem Untersuchungs- geiste neue Nahrung dargeboten wird. Damit mir dieses mein Vorhaben erleichtert werde, bitte ich den Leser, sich in jene Periode des eifrigen Strebens, der unglücklicherweise eine zweyte des Schwindels, und eine dritte der Abspannung ge- folgt ist, zurückzuversetzen; über alles, was nach- kam, aber fürs erste einen Schleyer fallen zu lassen. Es ist kein Wunder, wenn eine Kraft sich verzehrt und erschöpft, indem sie arbeitet, ohne die nothwendigen Hülfsmittel zu besitzen. Aber es ist zu wünschen, und vielleicht zu hof- fen, dass, nachdem die Hülfsmittel gefunden sind, nun auch der Wille zurückkehre, sich ihrer zu bedienen. Kant wurde Idealist wider seinen Willen; er hat seine Anhänglichkeit an die Dinge an sich nie verleugnet, obgleich er die Unmöglichkeit behauptete, sie zu erkennen. Fichte ergab sich dem Idealismus williger, wiewohl auch noch mit einigem Widerstreben; aber ihm geschah es wider seine Absicht, dass er ein von tausend * 2 Bedingungen umwickeltes Ich zum Vorschein brachte, obgleich er das absolute Ich auf den Thron zu heben gedachte. Ein absolutes Ur- wesen, Grund der Welt und Grund des Ich, liess sich Schelling gefallen; er wurde Spino- zist vielleicht eben so sehr wider sein Wollen und Meinen, als Kant Idealist gewesen war. — Wenn nun die Geschichte der Philosophie diese Ereignisse kurz erzählen will, so wird sie sagen: die Begriffe verwandeln sich den Philosophen unter den Händen unwillkührlich, während sie sie bearbeiten. Wenn aber die Philosophie selbst zu dieser Geschichte hinzukommt: so muss sie in dem scheinbar zufälligen Ereigniss das Nothwendige, und in den besondern Fällen das Allgemeine nachweisen, was sich in jenen Bey- spielen nur unvollkommen abspiegelt. Richtige Erkenntniss dieser nothwendigen und allgemeinen Umwandlung gewisser Begriffe im Denken, ist das erste Hülfsmittel, welches bisher gefehlt hat. Mathematische Untersuchungen über den Zu- sammenhang und den Lauf unserer Vorstellungen sind das zweyte. Die Seelenvermögen waren ein Surrogat, dessen sich bisher nicht bloss die em- pirische Psychologie, sondern auch Kant bey seinem kritischen Unternehmen bediente. Freyer von Vorurtheilen in diesem Puncte zeigte sich Fichte ; er wollte zu den Producten des mensch- lichen Geistes die Acte des Producirens finden. Warum hat man diese nothwendige Untersu- chung vernachlässigt? Ohne Zweifel aus zwey Gründen. Erstlich, weil Fichte in dieser Hin- sicht wirklich bloss gewollt, aber nichts geleistet hat, auch bey seinem Verfahren nichts leisten konnte; kein Wunder, dass nun die Fortsetzung unterblieb, da gar kein Anfang gegeben war. Zweytens, weil man sich blenden liess von der Kehrseite des Fichte schen Unternehmens, näm- lich von dem gigantischen Project, aus dem Ich die Welt zu deduciren. Man verliess zwar das Ich, aber man behielt die weltumspannende Ten- denz. Kennen wir denn unsern Standpunct auf dieser Erde noch so wenig, um uns kosmologi- schen Träumen hinzugeben? Ist etwa der Him- mel noch jetzt für uns eine Kugel, in deren Mitte wir auf einer unermesslichen Ebene veststehn? Welt-Ansichten gehören dem Glauben; aber die wahre Philosophie sagt nicht mehr als sie weiss. Und um etwas zu wissen, prüft sie die An- schauungen jeder Art, die ihr gegeben sind, ohne irgend einer unbedingt zu vertrauen. Man wird mich nun fragen, wie denn ma- thematische Untersuchungen über den mensch- lichen Geist möglich seyen? Und welchen Ge- winn sie bringen? Auf die erste Frage kann nicht die Vorrede, sondern nur das Buch ant- worten; über die zweyte sollen hier einige Worte Platz finden. Die Psychologie hat einige Aehnlichkeit mit der Physiologie; wie diese den Leib aus Fibern, so construirt sie den Geist aus Vorstellungsrei- hen. Und wie dort die Reizbarkeit der Fibern ein Hauptproblem, so ist hier die Reizbarkeit der Vorstellungsreihen gerade das, wovon alle weitere Erkenntniss der geistigen Thätigkeiten abhängt. Man wird aber dieses Buch nicht halb, sondern ganz lesen müssen, um hievon unter- richtet zu werden. Dem zweyten Theile dieses Werks, welcher die psychologischen Thatsachen auf ihre Gründe zurückführen soll, ist es vor- behalten zu zeigen, dass die Spannung in den Vorstellungsreihen eben so wohl der Grund der Gemüthszustände, als die Ordnung, in welcher jede Vorstellung auf die übrigen mit ihr verbun- denen wirkt, der Grund aller Formen ist, welche wir in unserm Anschauen und Denken bemerken. Aber die Ordnung beruht hier auf einem Mehr oder Weniger der Verbindung; die Spannung auf einem Mehr oder Weniger der Hemmung; beydes hängt innig zusammen; jedoch Niemand hoffe davon etwas zu begreifen, wenn er nicht rechnen will. Kann er doch ohne dies Hülfs- mittel nicht einmal die Gestalt und die Span- nung einer Kette begreifen, wie wollte er die Gestalt und die Wirksamkeit seiner unermesslich vielfach verwebten Vorstellungen aus ihren Grün- den erkennen? Aber gerade so wie eine an zwey vesten Puncten aufgehängte Kette dem gemeinen Beschauer ein gemeines Ding zu seyn scheint, das er gedankenlos ansieht, ohne sich um die ungleiche Spannung, um das Gesetz ihres Wach- sens und Abnehmens, um die Abhängigkeit der Krümmung von der Spannung, das heisst, der äusseren Erscheinung des Ganzen von der Wech- selwirkung der einzelnen Theile, zu bekümmern: gerade so gedankenlos steht seit Jahrhunderten die empirische Psychologie vor dem Schauspiel, was die von ihr sogenannte Association der Ideen ihr darbietet; sie erzählt, dass sich die Vorstel- lungen nach Raum und Zeit associiren; und es fällt ihr nicht einmal ein, dass alle Räumlichkeit und Zeitlichkeit eben nur die näheren Bestim- mungen dieser Association sind, die in der Wirk- lichkeit nicht so schwankend vorhanden ist, wie die gangbare Beschreibung davon lautet, sondern mit der strengsten mathematischen Regelmässig- keit sich erzeugt und fortwirkt. Wo nun die allerersten Elemente von Kenntniss der geistigen Natur noch so unbekannt und ungeahndet lie- gen: da wolle man von Verstand und Vernunft doch ja lieber schweigen als reden! Man kennt davon Nichts, als die Aussenseite; und alles, was vermeintlich darauf gebaut worden, ist nichts als ein Wunsch, der künftig einmal kann erfüllt werden, wenn man erst einen Begriff haben wird von der Arbeit, die dazu nöthig ist. Was ich hier gesagt habe, kann nicht hart klingen für wahrheitliebende Männer; und es kann dem Publicum nicht unerwartet seyn, wel- ches so viele Jahre lang Zeuge war vom endlo- sen Streite der Schulen; vielmehr wird man hieraus längst geschlossen haben, dass es allen Partheyen an den entscheidenden Gründen fehlte. Und gerade dieser Umstand ist der Ursprung der Partheylichkeit. Wenn die Mathematiker strei- ten, so rechnen sie; und die Rechnung bindet dergestalt alle Willkühr, dass der Versuch jeder Widerrede aufhören muss. Die Philosophie wird nicht alles berechnen können, aber sie wird grosse Schritte thun können, damit sich in ihr das Gewisse vom Ungewissen sondere; und wenn der Streit der Schulen fortdauert, so wird er sich doch mässigen, und nicht mehr, wie jetzt, zu unheilbarem Zwiespalt führen, der ein noch weit grösseres Uebel ist, als selbst der lauteste Streit, so lange er mit der Aussicht auf künftige Vereinigung geführt wird. Hiemit sind meine Ansichten und Gesin- nungen hinreichend angedeutet; besonders wenn man das hinzudenkt, was ich in Ansehung der heutigen Schulen, worüber ernst und ausführlich zu reden ich mich dringend veranlasst finden könnte, — hier verschweige, und selbst im Buche nur selten berührt habe; weil ich lieber will, dass die Knoten sich allmählig lüften und lösen, als dass sie durch eine heftige Behandlung sich noch mehr zusammenziehn. Aussprechen muss ich je- doch, dass während eines vollen Viertel-Jahr- hunderts ankämpfend wider Wind und Strom, ich nur mit äusserster Anstrengung meine Rich- tung habe behaupten können, und dass ohne die Stütze der Mathematik ich sicherlich hätte unter- liegen müssen. Auf den Schwierigkeiten, die mir ein widerwärtiges Zeitalter in den Weg legte, beruht mein Anspruch auf nachsichtige Beurthei- lung von Seiten des competenten Richters, wel- chem früher oder später mein Werk begegnen wird. Sorgfältige Vergleichung desselben mit meinen frühern Schriften darf ich in Fällen, wo etwas dunkel scheinen möchte, wohl von jedem aufmerksamen Leser erwarten. Noch ein Wort habe ich zu sagen über den Gang der vorliegenden Untersuchungen in Be- ziehung auf die Verschiedenheit der Leser. Für Manchen würde es ohne Zweifel bequemer gewesen seyn, wenn ich die Grundlinien der Statik und Mechanik des Geistes gerade zu auf den empirischen Boden gestellt hätte. Da es hiebey nur auf die Hemmung unter entgegen- gesetzten Vorstellungen ankommt, welche sich ziemlich deutlich unmittelbar in der Erfahrung zu erkennen giebt: so hätte ich recht füglich im Geiste der Mathematiker an ein Gegebenes die Rechnung knüpfen können; man würde mir den Satz: dass entgegengesetzte Vorstellungen sich zum Theil in ein Streben vorzustellen ver- wandeln, entweder als Thatsache zugegeben, oder, Falls jemand seiner innern Wahrnehmung nicht so viel zugetraut hätte (und das wäre allerdings auch bey mir der Fall gewesen), wenigstens die Hypothese gestattet haben, die sich alsdann durch ihre Fruchtbarkeit hätte rechtfertigen müssen. Allein hiemit wäre der geschichtliche Gang mei- ner Untersuchungen verdeckt worden. Diesen habe ich gerade im Gegentheil ganz offen dar- gestellt. Von der Untersuchung des Ich bin ich wirklich ausgegangen; die nothwendigen Reflexio- nen über das Selbstbewusstseyn haben sich von ihrer besondern Veranlassung späterhin losge- macht; daraus ist ein allgemeiner Ausdruck der- selben entstanden, den ich Methode der Be- ziehungen nenne, und auch für andre meta- physische Grund-Probleme passend gefunden habe; zugleich ergab sich aus jenen Reflexionen der Begriff des Strebens vorzustellen mit einer solchen Bestimmtheit und Nothwendigkeit, dass nunmehr auch seine Fähigkeit, sich der Rechnung zu unterwerfen, vor Augen lag; und erst viel später (als ich das Lehrbuch zur Psy- chologie niederschrieb) bemerkte ich, dass zum Behuf des Vortrags für Solche, die man mit Metaphysik nicht behelligen darf oder will, das nämliche Princip auch als Hypothese konnte dar- gestellt werden. — Wenn sich ein Individuum lange Jahre hindurch auf einer und der näm- lichen Linie des Forschens mit möglichster Be- hutsamkeit fortbewegt: so entsteht daraus für dieses Individuum Ueberzeugung, für Andre zu- nächst nur eine Thatsache auf dem Gebiete des wissenschaftlichen Denkens, die ihnen rein und vollständig, nur von zufälligen Nebenumständen gesondert, muss vorgelegt werden. Die That- sache nach ihrer Art zu betrachten, ist ihre Sache; als ihre Pflicht aber kann man ihnen zumuthen, dass sie dieselbe aufbewahren, und unverfälscht weiter mittheilen, damit sie noch in späterer Zeit von anderen Augen könne gesehen, und viel- leicht anders ausgelegt werden. Nichts verhindert übrigens, dass jeder Leser sich nach seinem Bedürfniss einen Anfangspunct in diesem Buche aufsuche, der ihm bequemer ist, als der meinige. Man kann immerhin die metaphysische Untersuchung über das Ich, fürs erste wenigstens, ignoriren; man kann die Grund- linien der Statik und Mechanik des Geistes gleich Anfangs aufschlagen; es wird nicht gerade schwer seyn, auch hievon ausgehend, das Nachfolgende zu verstehen; und man wird sich hiemit unmit- telbar in den Besitz des Vortheils setzen, den mathematische Entwickelungen durch ihre natür- liche Deutlichkeit gewähren. Eine andre Classe von Lesern kann ich mir denken, die wegen ihrer vorhandenen Angewöh- nungen beynahe nur von hinten anfangend sich einen Zugang zu diesen Untersuchungen zu schaffen aufgelegt seyn dürften. Dahin gehören die, welche in ihrem System, und eben deshalb in dessen Gedankenkreise vesthängen; so dass ein Buch, worin nicht von denselben Gegenstän- den unmittelbar die Rede ist, die sie zu beden- ken gewohnt sind, für sie eine Wüste ohne Ruhepunct ist. Für solche Leser kann ich nicht schreiben! Sollte mir gleichwohl ein Besuch von ihnen zugedacht seyn, so müsste ich bedauern, dass nicht der zweyte Theil meines Werks zu- gleich mit dem ersten hat erscheinen können; wäre dies der Fall, so würde es leichter als jetzt geschehen, dass man sich zuerst bey den Anwen- dungen orientirte, und von da rückwärts zu den Gründen fortginge. Indessen enthält auch dieser erste Band am Ende Einiges, das für Manche zur Einleitung gehören würde. Will endlich Jemand versuchen, sich auf meine Schultern zu stellen, um weiter zu sehen wie ich: so darf er wenigstens nicht besorgen, dass unter mir der Boden einbreche. Denn ich stehe nicht (wie man bey oberflächlicher Ansicht etwa glauben könnte) auf der einzigen Spitze des Ich: sondern meine Basis ist so breit wie die gesammte Erfahrung. Zwar habe ich gesucht, einem einzigen Princip so viel als möglich abzu- gewinnen; aber ausserdem habe ich auch die andern Quellen des menschlichen Wissens be- nutzt; in welcher Hinsicht meine Einleitung in die Philosophie mag nachgesehn werden. Per- sonen, die aufgelegt waren mir Unrecht zu thun, haben zwar wider den klaren Augenschein, den meine Einleitung darbietet, mich in den Ruf gebracht, als suchte ich einen Ruhm darin, der Erfahrung zu widerstreben und zu widerspre- chen; allein nicht alle Nachreden haften; und meine Versicherung wird doch auch einigen Glauben finden: es sey in der theoretischen Philosophie meine Hauptangelegenheit, die Er- fahrung mit sich selbst zu versöhnen . Uebrigens kenne ich die Macht der Vorurtheile; und wenn man aus dem hier vorliegenden Buche eben so deutlich herauslieset, ich sey ein voll- kommener Empirist, als aus jenem, ich sey Geg- ner aller Erfahrung, so werde ich mich darüber nicht mehr wundern, und nicht sehr betrüben. Misdeutung ist für jede neue Lehre das alte Schicksal; und jetzt, da ich diese Blätter aus meinen Händen lasse, darf ich mich ruhig darin ergeben. Bereit fühle ich mich zu dieser Re- signation; allein indem ich mir alle Umstände nochmals vergegenwärtige, glaube ich nicht, dass sie nöthig ist. Deutlich gesprochen habe ich in diesem Buche. Und die Philosophie der letzten zwanzig Jahre ist ein Baum, den man im Grunde längst an seinen Früchten erkannt hat. Diese Philosophie ist keinesweges das Werk eines übeln Willens, oder geistloser Köpfe; aber sie ist auch eben so wenig das Werk ächter Speculation; sondern das Kind eines Enthusiasmus, der es unterliess, sich selbst die kritischen Zügel anzu- legen. Kant besass den Geist der Kritik; aber welcher Mensch hat je sein Werk vollendet? — Unvollendet blieb das Werk der Kritik. Darum konnte die Philosophie sich mit dem Wissen des Zeitalters, wie es in andern Fächern fort- wächst, nicht ins Gleichgewicht setzen. Verge- bens sucht man Rath bey ältern Zeiten; sie wuss- ten nicht mehr wie wir. Des-Cartes, Locke, Leibniz, Spinoza , selbst Platon und Ari- stoteles taugen bey uns nur zur Vorbereitung; in noch frühere Zeiten müssten wir wissentlich hineindichten, was die Documente nicht enthal- ten. Unsre Mathematiker und Physiker verach- ten die Philosophie der Zeit, und sie haben nicht Unrecht. Die Kirche weiss, dass sie auf einem antiken, und in seiner Art vollkommen klassischen Fundamente beruht; für die allge- meinen Bedürfnisse der Menschheit ist längst gesorgt. Nicht so für die Angelegenheiten des Wissens und für das, was davon abhängt. Darum wolle man den neuen Versuch gefällig aufneh- men, und ihn sorgfältig prüfen. Inhalt des ersten Bandes. Einleitung . I. Von den verschiedenen Weisen, wie die gemeine Kenntniss der Thatsachen des Bewusstseyns gewonnen wird. §. 1 — 6. II. Von einer allgemeinen Eigenschaft alles dessen, was innerlich wahrgenommen wird. §. 7 — 9. III. Weshalb sind wir so geneigt, uns in der Psychologie mit Abstractionen zu behelfen? §. 10. IV. Allgemeine Angabe des Verfahrens, um Thatsachen des Bewusst- seyns zu Principien der Psychologie zu benutzen. §. 11 — 13. V. Vom Verhältnisse der Psychologie zur allgemeinen Metaphysik. §. 14 — 16. VI. Blicke auf die Geschichte der Psychologie seit Des-Cartes . §. 17 — 22. VII. Plan und Eintheilung der bevorstehenden Untersuchungen. §. 23. Erster, synthetischer Theil . Erster Abschnitt . Untersuchung über das Ich, in sei- nen nächsten Beziehungen. Erstes Capitel . Ueber die philosophische Bestimmung des Begriffs vom Ich. §. 24 — 26. Zweytes Capitel . Darstellung des im Begriffe des Ich enthaltenen Problems, nebst den ersten Schritten zu dessen Auflösung. §. 27 — 30. Drittes Capitel . Vergleichung des Selbstbewusstseyns mit andern Problemen der allgemeinen Metaphysik. §. 31 — 35. Viertes Capitel . Vorbereitung der mathematisch-psychologischen Untersuchungen. §. 36 — 40. Zweiter Abschnitt . Grundlinien der Statik des Geistes. Erstes Capitel . Summe und Verhältniss der Hemmung bey vol- lem Gegensatze. §. 41 — 43. Zweytes Capitel . Berechnung der Hemmung bey vollem Gegen- satze, und erste Nachweisung der Schwellen des Bewusst- seyns. §. 44 — 51. Drittes Capitel . Abänderungen des Vorigen bey minderem Ge- gensatze. §. 52 — 56. Viertes Capitel . Von den vollkommenen Complicationen der Vor- stellungen. §. 57 — 62. Fünftes Capitel . Von den unvollkommenen Complicationen. §. 63 — 66. Sechstes Capitel . Von den Verschmelzungen. §. 67 — 73. Dritter Abschnitt . Grundlinien der Mechanik des Geistes. Erstes Capitel . Vom Sinken der Hemmungssumme. §. 74 — 76. Zweytes Capitel . Von den mechanischen Schwellen. §. 77 — 80. Drittes Capitel . Von wiedererweckten Vorstellungen nach der einfachsten Ansicht. §. 81 — 85. Viertes Capitel . Von der mittelbaren Wiedererweckung. §. 86 — 93. Fünftes Capitel . Vom zeitlichen Entstehen der Vorstellungen. §. 94 — 97. Sechstes Capitel . Ueber Abnahme und Erneuerung der Empfäng- lichkeit. §. 98 — 99. Siebentes Capitel . Von den Vorstellungsreihen niederer und höherer Ordnungen; ihrer Verwebung und Wechselwirkung. §. 100 — 102. Einleitung . D ie Absicht dieses Werkes geht dahin, eine Seelen- forschung herbeyzuführen, welche der Naturforschung glei- che; in so fern dieselbe den völlig regelmässigen Zusam- menhang der Erscheinungen überall voraussetzt, und ihm nachspürt durch Sichtung der Thatsachen, durch behut- same Schlüsse, durch gewagte, geprüfte, berichtigte Hy- pothesen, endlich, wo es irgend seyn kann, durch Erwä- gung der Grössen und durch Rechnung. Dass die Seelen- lehre sich von mehrern Seiten der Rechnung darbietet, diese Bemerkung hat mich auf die Bahn der jetzt vorzu- legenden Untersuchungen gebracht; und je weiter ich sie verfolge, um desto mehr überzeuge ich mich, dass nur auf solchem Wege das Misverhältniss zwischen unsern Kenntnissen von der äusseren Welt, und der Ungewiss- heit über unser eigenes Innere, kann ausgeglichen, nur auf solche Weise der Stoff, welchen Selbstbeobachtung, Umgang mit Menschen, und Geschichte, uns darbieten, gehörig kann verarbeitet werden. Von den Meinungen derer, die auf innere, auf in- tellectuale Anschauungen eine Naturlehre gründen, werde ich freilich mich weit entfernen müssen. Ihre Naturlehre ist nicht das passende Gleichniss für die Psychologie; ihre Anschauungen sind der Selbsttäuschung mehr als verdächtig, denn es sind offenbar nur unrichtige Begriffe, die aus speculativen Verlegenheiten entsprangen; hätte es aber auch mit diesen Anschauungen, als Thatsachen, I. A seine Richtigkeit, so würde dabey noch vergessen oder verkannt seyn, dass alle Anschauung, innere sowohl als äussere, um sichere Ueberzeugung zu begründen, erst die Probe machen muss, ob sie sich im Denken halten könne? oder ob sie ein blosser Stoff für Kritik und Umarbeitung werde, sobald der Denker sie ernstlich angreift? Des leichten Beyspiels, welches die Astronomie uns liefert, indem sie die scheinbaren Bewegungen auf die wahren zurückführt, ist kaum nöthig, zu erwähnen. Um nichts besser werde ich zusammenstimmen mit Denen, welche durch das Dogma von der sogenannten transscendentalen Freyheit des Willens einen gro- ssen Theil der psychologischen Thatsachen der allgemei- nen Gesetzmässigkeit entweder geradezu entziehen, oder doch diese Gesetzmässigkeit für blosse Erscheinung er- klären. Diese häufen irrige Ansichten der praktischen Philosophie auf psychologische Vorurtheile; indem sie die Selbstständigkeit des sittlichen Urtheils mit einer Selbst- ständigkeit des Willens verwechseln; die Zurechnung, welche den Willen treffen sollte, über ihr Ziel hinaus- treiben, und sich dabey in müssige Fragen nach dem Ursprunge des Willens verlieren; endlich das Urtheil mit dem Gebote zusammenschmelzend sich eine prakti- sche Vernunft erfinden, deren Verhältniss zu der theore- tischen sie in die unnützesten Streitigkeiten verwickelt. Das Gewebe dieser Täuschungen aufzulösen, ist zum Theil die Sache der praktischen Philosophie, und in so fern muss ich mich auf eine frühere Schrift beziehen Nämlich auf meine allgemeine praktische Philoso- phie . ; damit aber auch die Psychologie von ihrer Seite zu Hülfe komme, muss erst sie selbst mit vorurtheilsfreyem Geiste bearbeitet werden. Abweichen muss ich endlich von allen Denen, welche die innern Thatsachen zu erklären glauben, indem sie sie classificiren, und nun für jede Classe von Thatsa- chen eine besondere, ihr entsprechende Möglichkeit an- nehmen, diese Möglichkeiten aber in eben so viele Ver- mögen übersetzen; wobey die logischen, zur vorläufigen Uebersicht der Phänomene brauchbaren Eintheilungen, wider alles Recht, für Erkenntnisse realer Vielheit und Verschiedenheit ausgegeben werden; und wodurch statt des ächten Systems, der, unter sich nothwendig zusam- menhängenden psychologischen Gesetze ein blosses Ag- gregat von Seelenvermögen herauskommt, ohne Spur ei- ner Antwort auf die Frage: warum doch gerade solche, und so viele Vermögen in uns beysammen, und warum sie in dieser, und keiner andern Gemeinschaft begriffen seyn mögen? — Die sogenannte empirische Psychologie, welche aus solcher Behandlung des Gegenstandes ent- steht, ist bekannt genug, es wird auch noch jetzt hie und da daran gekünstelt, obgleich das Interesse dafür sich grossentheils verloren hat. Hier aber entsteht ein Kreislauf von Uebeln. Unrichtiges Verfahren giebt schlech- ten Erfolg; das Mislingen bricht den Muth und hemmt den Fleiss; je nachlässiger nun gearbeitet wird, desto we- niger bessert sich das Verfahren; und der Irrthum, des- sen man längst müde geworden, fährt gleichwohl fort zu täuschen. — Nach den vorstehenden Erklärungen werden Manche dies Buch für immer bey Seite legen; möchten nun die Wenigen, welche noch nicht abgeschreckt sind, sich zu- erst der längst anerkannten, höchsten Wichtigkeit einer ächten Wissenschaft von Uns selbst, von unserem Geiste und Gemüthe, erinnern! Einer Wissenschaft, die wir im Grunde immer, als ob wir sie schon besässen, im Stillen voraussetzen, wo wir von uns etwas fordern, oder für uns etwas wünschen, wo wir mit unsern Kräften et- was unternehmen, oder daran zweifelnd etwas aufgeben, wo wir im Wissen oder im Handeln oder im Geniessen vorwärts streben oder rückwärts gleiten. Uns selbst schauen und denken wir in Alles hinein, darum weil wir mit unsern Augen sehen, und mit unserm Geiste den- A 2 ken; in unsern eigenen Zuständen liegt das Glück und das Uebel, welches wir empfinden, und dessen Vorstel- lung wir auf Andere übertragen; nach dem Standpuncte, auf welchem der Mensch steht, richtet sich sein Begriff von Gott und vom Teufel, so wie von der Erde aus und mit irdischen Werkzeugen wir in das Licht der Sonnen und in die Nebel der Kometen hineinblicken. Können wir nun das, was wir in unser Wissen und Meinen selbst hineintrugen, wieder abrechnen? Und bleibt alsdann noch ein wahrhaft objectives Wissen übrig? Oder ist die Abrechnung unmöglich, und ist die ganze Welt, die ganze Natur, bloss für uns und in uns? Oder sind wir selbst dergestalt in der Welt, dass in der Selbst- anschauung der Welt auch die Geister der Menschen, wie Theile im Ganzen, enthalten sind? — Solche Fra- gen ohne alle Psychologie zu beantworten, wird wohl Niemand versuchen. Dadurch aber, dass man in die Leh- ren vom Ich oder von der Weltseele die gemeinen Vor- stellungsarten der empirischen Psychologie einwickelt, ohne sie zu verbessern, kommt die Wissenschaft nicht von der Stelle. Und gleichwohl, wo wäre die Wissen- schaftslehre oder die Naturphilosophie, die nicht auf der Einbildungskraft , der Urtheilskraft , der Ver- nunft , dem Verstande , dem freyen Willen , als auf eben so vielen unentbehrlichen Krücken sich gelehnt hätte und einhergegangen wäre? die nicht, obgleich un- dankbar, dennoch Dienste von der empirischen Psycho- logie angenommen, und dadurch ein mittelbares Bekennt- niss von der Wichtigkeit unseres Gegenstandes abgelegt hätte? Möchten ferner die Leser, die sich entschlossen ha- ben, mir ernstlich und beharrlich auf meiner Bahn zu folgen, in der Ueberlegung dessen, wornach sie zuerst zu fragen haben, mir zuvorkommen! Dieses aber sind die Principien , die ich zum Grunde, und die Metho- den , deren ich mich bedienen werde. Wobey sogleich zu bemerken, dass hier lediglich von Principien der Er- kenntniss, das heisst, von Anfangspuncten des Wissens die Rede seyn kann; keineswegs aber von Real-Princi- pien, das heisst, Anfangspuncten des Seyns und Gesche- bens. Denn wie, und ob überhaupt, wir die letztern zu erkennen vermögen? das ist eben die Frage; es ist keine Gewissheit, von der man ausgehn könnte. Und den Leh- ren, nach welchen es irgend ein Reales geben soll, das man unmittelbar und ursprünglich erkenne, steht die That- sache entgegen, dass sie bezweifelt werden, da doch kein Zweifel möglich wäre, wenn durch irgend ein Princip des Wissens geradezu ein realer Gegenstand gewusst würde. Meinerseits benachrichtige ich den Leser, dass ich alle vorgebliche Identität von Ideal- und Real-Prin- cipien schlechthin leugne, und jede Behauptung der Art als einen Schlagbaum betrachte, wodurch der Weg zur Wahrheit gleich Anfangs versperrt wird. Alles unmittel- bar-Gegebene ist Erscheinung; alle Kenntniss des Rea- len beruht auf der Einsicht, dass das Gegebene nicht er- scheinen könnte, wenn das Reale nicht wäre. Die Schlüsse aber von der Erscheinung auf das Reale, beruhen nicht auf eingebildeten Formen des Anschauens und Denkens; — dergleichen Manche in dem Raume und der Zeit, ja sogar in dem Causal-Gesetze, oder noch allgemeiner in einem sogenannten Satze des Grundes zu finden glau- ben; dergestalt, dass sie diese Formen für zufällige Be- dingungen halten, auf welche nun einmal das menschli- che Erkenntnissvermögen beschränkt sey, während andre Vernunftwesen wohl eine andre Einrichtung ihres Den- kens haben könnten. — Wer dieser Meinung zugethan ist, der verfährt consequent, wenn er die Schlüsse von der Erscheinung auf das Reale für ein blosses Ereigniss in unserm Erkenntnissvermögen hält; der Fehler liegt aber daran, dass er die Formen des Denkens bloss empirisch kennt, ohne Einsicht in deren innere und unabänderliche Nothwendigkeit. Wäre ihm diese klar, so würde er auch richtigen Schlüssen vertrauen; und das Suchen nach ei- nem höhern Standpuncte, auf welchem die einmal er- kannte Wahrheit wohl wieder Irrthum werden möge, würde er als eine Träumerey betrachten, deren Unge- reimtheit daraus entsteht, dass die Evidenz des Wachens verloren geht und vergessen wird. Diejenigen, welche auf verschiedenen Standpuncten Verschiedenes wahr fan- den, hatten auf keinem richtig gesehen. Eine zweyte Bemerkung, die gleich hier nöthig scheint, betrifft das Verhältniss der Principien und Methoden. Beyde bestimmen einander gegenseitig . Näm- lich ein Princip soll die doppelte Eigenschaft besitzen, eigene Gewissheit ursprünglich zu haben, und andere Ge- wissheit zu erzeugen. Die Art und Weise, wie das letz- tere geschieht, ist die Methode. Daher richtet sich aber auch die Methode nach dem Princip, auf welches sie passt; und ihm selbst muss sie abgewonnen werden. Der Denker, welcher in der Mitte seiner Beschäftigung mit einem (nicht willkührlichen, sondern gegebenen) Begriffe, gewahr wird, dass dieser Begriff ihm nöthige neue Be- griffe an jenen anzuknüpfen , die zu ihm wesentlich gehören: derselbe findet, und erfindet eben dadurch die Methode, welche zu jenem Begriffe, als dem Princip, gehören wird. Ueber ein solches Verhältniss zwischen Methoden und den entsprechenden Principien lassen sich allgemeine Untersuchungen anstellen; aber in der reinen formalen Logik muss man dergleichen nicht suchen; denn eben weil diese von allem Inhalte der Begriffe abstrahirt, kann sie das Eigenthümliche besonderer Erkenntnissquel- len, und die besondere Art, wie daraus geschöpft werden muss, nicht erreichen. Daher kann auch die Frage, wie vieles aus einem einzigen Princip könne abgeleitet wer- den? nicht durch die allbekannte Bemerkung, dass zu einer logischen Conclusion wenigstens zwey Prämissen gehören, zurückgewiesen werden. Wer in der Philoso- phie gute Fortschritte machen will, der muss sich vor al- len Dingen hüten, in der Form seines Denkens nicht ein- seitig zu werden, und sich keiner beschränkten Angewöh- nung zu überlassen. Fast jede Classe von Problemen hat ihr Eigenthümliches, sie verlangt neue Uebungen und Anstrengungen. Hieraus erklärt sichs, dass oft die fruchtbarsten Prin- cipien lange Zeit ungenutzt liegen bleiben. Man kennt sie in ihrer ersten Eigenschaft, nämlich dass sie an sich gewiss sind; aber man ist noch nicht aufmerksam gewor- den auf die zweyte, vermöge deren sie neue Gewissheit erzeugen können. Und warum nicht? Weil man die dazu nöthige Methode nicht hat, und die derselben an- gemessene Geistesrichtung und Uebung nicht besitzt. Die Gefahr aber, dass vorhandene Principien unge- nutzt bleiben, ist um desto grösser, je mehr unsre Auf- merksamkeit getheilt wird, je mehr die Menge der Prin- cipien uns zerstreut; je unbestimmter sie vor unsern Au- gen gleichsam herum schweben; endlich je mannigfaltiger wir noch ausser dem speculativen Interesse von ihnen be- schäfftigt werden. In solchem Falle nun sind wir mit den Principien der Psychologie. An ihnen haben wir einen Reichthum, den wir nicht zählen können; ein Wissen, das, wie ein Irrlicht, uns stets begleitet, und stets flieht; eine Ueber- zeugung, deren Stärke zwar die grösste, deren Bestimmt- heit aber die allerkleinste ist; eine Basis von Untersu- chungen, welche als Ganzes völlig vest liegt, und doch in jedem einzelnen Puncte schwankt; endlich eine Auf- forderung zum Nachdenken, die so dringend und auf so mannigfaltige Weise einladend, die mit so vielerley An- gelegenheiten unsers Lebens und unserer Geschäffte ver- flochten ist, dass wir vor lauter Interesse zu derjenigen rein speculativen Gemüthsfassung, deren es zur Untersu- chung einzig bedarf, kaum gelangen können. Welches sind denn die Principien der Psy- chologie ? Diese Frage hoffe ich mit allgemeiner Zu- stimmung so zu beantworten: es sind diejenigen Thatsa- chen des Bewusstseyns, aus welchen die Gesetze dessen, was in uns geschieht, können erkannt werden. — Die Thatsachen des Bewusstseyns sind ohne Zweifel die An- fangspuncte alles psychologischen Nachdenkens; abgese- hen von ihnen, was hätten wir von der Seele zu sagen oder zu fragen? Nun soll auch aus den Principien et- was weiteres erkannt werden; und hier möchte man sich vielleicht nicht mit den Gesetzen der geistigen Ereignisse begnügen wollen, sondern auch noch Aufschluss über das reale Wesen der Seele verlangen. Allein ob dieses er- kennbar sey? wird wohl der Leser das vor der Untersu- chung entscheiden wollen? Wir suchen ein speculatives Wissen; also freylich kein blosses Register von That- sachen, sondern eine gesetzmässige Verknüpfung dersel- ben; darüber hinaus grundlose Behauptungen aufzustel- len, würde Nichts helfen; ergiebt sich aber auf rechtmä- ssigem Wege noch etwas Mehr, so ist dies als eine will- kommene Zugabe zu betrachten. Wenn nun gleich die gegebene Antwort einleuch- tend ist, so hat sie doch nur den Werth einer Nominal- Definition. Denn wir sehen noch nicht, ob es denn sol- che Thatsachen des Bewusstseyns wirklich gebe, die zu Erkenntnissgründen der aufzusuchenden Gesetze dienen können? Welche es seyen? Wie man sie herauswäh- len könne aus der Fülle der innern Wahrnehmungen? Wie aus ihnen etwas folge, und wie Vieles? Ob man mehrere solche Thatsachen verbinden müsse, oder nicht? Ob man sich aller deren, welche die Würde von Prin- cipien behaupten können, nothwendig bedienen müsse; oder ob sie den mehrern Thoren Einer Stadt zu verglei- chen seyen, unter denen man wählen darf, weil jedes den Eingang zu der ganzen Stadt darbietet, obgleich vielleicht Eines schneller und bequemer als die andern, uns in den Mittelpunct der Stadt würde gelangen lassen? Diese Fragen, ohne Zweifel schwer genug zu beant- worten, setzen alle schon voraus; dass man die Thatsa- chen des Bewusstseyns, so wie die innere Wahrnehmung sie darbietet, wenigstens kenne und übersehe. Aber hat uns die empirische Psychologie auch nur so weit vorge- arbeitet? Sie erzählt vom Vorstellungsvermögen, Gefühl- vermögen, Begehrungsvermögen; sie ordnet diesen Vermögen , als ob es Gattungsbegriffe wären, andere Vermögen unter , zum Beyspiel, Gedächtniss, Einbil- dungskraft, Verstand, Vernunft; ja in dieser Unterord- nung geht sie noch weiter, indem sie ein Ortgedächt- niss, Namengedächtniss, Sachgedächtniss, einen theoreti- schen und praktischen Verstand, u. dgl. aufweist. Ist nun wohl hier ein Ende der Unterordnung? Und ist das Allgemeine, dem etwas subsumirt wird, eine Thatsache? Gewiss nichts weniger; alle Thatsachen sind etwas indi- viduelles, sie sind weder Gattungen noch Arten. Die letztern aber müssen durch eine regelmässige Abstraction aus der Auffassung des Individuellen entspringen. Wie nun, wenn das Individuelle nicht still genug hielte , um sich zu einer regelmässigen Abstraction her- zugeben? Wer auch nur einen Versuch macht, die hier auf- geworfenen Fragen ernstlich zu überlegen: der wird bald inne werden, dass der Stoff, den wir behandeln wollen, äusserst schlüpfrig ist. Daher können wir diejenigen Un- tersuchungen, welche den wesentlichen Inhalt dieses Buchs ausmachen, nicht gleich vornehmen, sondern es sind ei- nige vorbereitende Betrachtungen nöthig. Zuerst über die Auffassung und Benutzung der psychologischen Prin- cipien. Ferner über das Verhältniss der Wissenschaft, die wir Psychologie nennen, zur allgemeinen Metaphysik. Dann werden wir uns in der Kürze an die neuere Ge- schichte der Psychologie erinnern; und erst am Ende die- ser ganzen Einleitung kann über den Plan des Buchs eine nähere Auskunft gegeben werden. Die Leser aber werden gebeten, sich einen ruhigen Schritt gefallen zu lassen; und vest zu glauben, dass in der Philosophie al- lemal der Weg, den man in scheinbaren Geniesprüngen vorwärts macht, langsam wieder rückwärts gegangen wird. I. Von den verschiedenen Weisen, wie die ge- meine Kenntniss der Thatsachen des Bewusst- seyns gewonnen wird. §. 1. Die Thatsachen des Bewusstseyns (unter welchen die psychologischen Principien sich befinden müssen) wer- den entweder unwillkührlich gefunden, oder sie werden absichtlich gesucht. Man könnte hinzufügen, entweder durch Beobachtung unserer selbst, oder Anderer: allein es ist bekannt, dass die Aeusserungen Anderer nur mit Hülfe der Selbstbeobachtung ihre Auslegung erhalten können; daher es rathsam seyn wird, zunächst bey der Selbstbeobachtung stehen zu bleiben. Die Absicht, unser Inneres wahrzunehmen, kommt zwar im gemeinen Leben nicht gar häufig vor. Desto mehr aber wird man durch psychologische Beschäfftigun- gen dazu veranlasst, und selbst angetrieben, indem man den Gegenstand, wovon die Rede ist, unmittelbar auffas- sen möchte. Aus diesem Grunde wird es hier ganz pas- send seyn, von der absichtlichen Betrachtung der That- sachen des Bewusstseyns anzufangen. §. 2. Den Versuch, in sein Inneres zu blicken, kann man jeden Augenblick anstellen. Immer wird sich etwas fin- den, woran gerade jetzt gedacht wurde; immer auch ein körperliches Gefühl sich entdecken lassen, wäre es auch nur das, welches mit dem Stehen, Sitzen, Liegen, über- haupt mit der nothwendigen Unterstützung des Körpers verbunden ist. Ferner wird das, woran gedacht wurde, nicht einfach seyn; auf seiner Mannigfaltigkeit wird die Selbstbetrachtung umherlaufen, und es einigermaassen ver- deutlichen. Aber nicht nur das Hervorgehobene wird als- bald wieder schwinden; sondern alles, was die innere Wahrnehmung gefunden hatte, wird sich gar bald ver- dunkeln, und irgend eine Veränderung in dem Schau- spiele sich zeigen. Am gewöhnlichsten ist es die Selbst- beobachtung selber, von der eine neue Gedankenreihe anhebt, die wenige Augenblicke später aufs neue zum Object einer wiederhohlten Reflexion sich darbietet. Das eben Beschriebene wird sich mannigfaltig abän- dern, wenn mitten im Geschäfft, in der Leidenschaft, während des Sprechens mit Andern, wir uns selber be- lauschen. Das Geschäfft geräth dadurch ins Stocken, die Leidenschaft mässigt sich, und macht gar oft einem Af- fecte Platz, der aus dem Urtheil über uns selbst ent- springt. Das Zuhören bey der eignen Rede hemmt ihr rasches Fortströmen; und es regt sich ein Bestreben, den Gedanken zu concentriren, den die Worte aus einander legen; den Ausdruck entsprechender, ja den Ton der Stimme anklingender zu machen. Will man verhüten, dass nicht der Zuschauer in die Handlung eingreife? Will man sich absichtlich gehen lassen; um rein aufzufassen, was von selbst innerlich ge- schehe? Nur um so eher wird alles, was zu sehen war, sich verdunkeln, und gar bald wird nur noch der Zu- schauer sich und sein eignes Warten beschauen. Eine Stunde lang, wohl gar einen Tag lang unablässig und streng sich selbst beobachten, um in jedem Augenblick den eben vorhandenen inneren Zustand unmittelbar wahr- zunehmen: dies könnte als eine der stärksten Selbstpei- nigungen denen empfohlen werden, die darin ein Ver- dienst suchen. §. 3. Unabsichtlich ist Jeder sein eigner Zuschauer wäh- rend seines ganzen Lebens, und eben dadurch gewinnt er seine eigene Lebensgeschichte. Auch bringt er diese Geschichte, und die aus ihr geschöpfte Kenntniss seiner Person, zu jeder Selbstbeobachtung mit; jene ergiebt das Subject, zu welchem diese nur die Prädicate liefern soll. Und schon aus diesem Grunde kann die absichtliche Selbstbetrachtung niemals reine Resultate liefern; der Be- obachter kennt sich, den er kennen lernen will, schon viel zu gut im Voraus. Die eigne Lebensgeschichte ist jedoch weder eine völlig zusammenhängende Kenntniss, noch aus bestimmt begränzten Theilen zusammengesetzt. Ihre Parthieen tre- ten durch Anstrengung sich ihrer zu erinnern, oder durch zufällige Veranlassungen, heller und ausführlicher hervor; wie viele aber der übrig gebliebenen Lücken sich noch möchten ausfüllen lassen, das leidet keine genaue An- gabe. Der Faden der Lebensgeschichte ist überdies sehr vielfältig der Faden äusserer Begebenheiten, die in ihrem Zusammenhange mit Interesse betrachtet wurden, und wozu nur hinterher hinzugedacht ist, dass man die- ses Alles erlebt habe. Wiewohl nun auch die äussere Begebenheiten innerlich mussten aufgefasst werden, und alle innere Auffassungen zu den Thatsachen des Bewusst- seyns zu rechnen sind: so kann man doch keinesweges behaupten, dass das Auffassen selbst wiederum innerlich wahrgenommen sey , — eben so wenig, als dass dieses Wahrnehmen des Auffassens abermals Gegenstand einer höhern Wahrnehmung geworden sey, — welches ins Unendliche laufen würde! Demnach ist der Gegenstand der Wahrnehmung keines- weges immerfort Wir selbst; vielmehr wird die innere Wahrnehmung häufig durch die äussere, oder auch durch andere Gemüthsbewegungen unterbrochen . Ueberdies lässt sich das Eintreten einer erneuerten , also früher erloschen gewesenen, Aufmerk- samkeit auf uns selbst, oft genug deutlich wahrnehmen. §. 4. Was aber in solchen Zeiten in uns vorging, da wir weder willkührlich noch unwillkührlich auf uns achteten: das erfahren wir sehr häufig aus dem Munde Anderer, oder wir schliessen es aus den Producten unserer eige- nen Thätigkeit; und dieses giebt eine dritte Art, wie wir zur Kenntniss der Thatsachen unseres Bewusstseyns ge- langen. Wir sind zum Beyspiel eine Strecke gegangen; ganz in Gedanken vertieft; aber die Stelle, wo wir uns jetzo befinden, verräth, wie weit unsre Schritte uns ge- tragen haben. Oder wir haben Jemanden die Zeitung vorgelesen, ohne Interesse und Aufmerksamkeit; so wis- sen wir vielleicht Nichts von mehrern Zeilen, die doch der Zuhörer gar wohl vernommen hat. Oder, mitten im Phantasiren an einem Instrumente sind unsre Gedanken von der Musik abgekommen; und während wir mit ganz andern Gegenständen uns lebhaft beschäfftigen, stört uns ein Anwesender mit Bemerkungen über das was wir so eben gespielt haben. So erfahren wir hintennach, was alles durch unsern Kopf gegangen ist. — Es ist hier der Ort, einer Zweydeutigkeit zu gedenken, an welche der Leser schon kann gestossen seyn. Thatsachen des Be- wusstseyns würden im engsten Sinne nur die innerlich beobachteten seyn. Durch diese Bestimmung des Be- griffs wären nicht bloss diejenigen Vorstellungen ausge- schlossen, welche wegen ihrer Dunkelheit unbemerkt blei- ben: sondern auch das active Beobachten , sofern es nicht wiederum in einer höhern Reflexion ein Beobach- tetes wird. Aber das active Wissen gehört gewiss mit zum Bewusstseyn, wenn es nicht selbst ein Gewusstes wird. Und die dunkeln Vorstellungen verdunkeln sich so allmählig, dass das innerlich Beobachtete von dem, was sich der Beobachtung entzieht, nicht kann scharf abge- schnitten werden. Ueberdies wird Niemand bezweifeln, dass das Beobachtete mit dem Nicht-Beobachteten in ei- nem unzertrennlichen Zusammenhange fortlaufender Ge- müths-Thätigkeit stehe. Daher rechnen wir zu den Thatsachen des Bewusstseyns alles wirkliche Vorstellen ; und folglich zu den Arten, sie zu erfah- ren, auch die Beobachtung der Producte unserer vorstel- lenden Thätigkeit, sollte auch die innere Wahrnehmung unseres Thuns gemangelt haben. Bekannte Beyspiele zu häufen, wäre unnütz. Aber desto nothwendiger muss bemerkt werden, dass ganze Massen unserer geistigen Thätigkeit uns nicht eher als solche bekannt werden, als bis die Be- trachtungen über unser inneres Produci- ren, von wo die idealistischen Systeme aus- gehn, uns darauf führen . Ein Reisender erzählt wohl von dem was er gesehn hat; aber indem er seines Sehens erwähnt, und was er dabey empfunden, beschreibt, fällt ihm nicht ein, von denjenigen Thätigkeiten sei- nes Geistes zu sprechen, vermöge deren er das, an sich intensive, Wahrnehmen, in ein räumliches Vorstel- len ausgedehnter Gegenstände verwandelt hat. Und in unsern Psychologien lesen wir zwar von der Form der Anschauung und des Denkens, welche die gegebene Ma- terie der Empfindung in sich aufgenommen habe; allein man unterlässt die eben so wichtige als weitläuftige Er- örterung, durch welche Stufenfolge die sogenannten rei- nen Formen des Anschauens allmählig zum klaren Be- wusstseyn gelangen; wie die Unterscheidung bestimmter Figuren möglich geworden sey; wie das Augenmaass, wie das rhythmische Gefühl sich ausbilde. Man kann die Frage, was für eine Bewandniss es mit den behaupteten Formen des Anschauens und Den- kens haben möge, hier noch ganz unentschieden lassen: gleichwohl steht der Satz vest, dass in den Anwendun- gen und dem deutlichen Vorstellen dieser Formen eine Menge psychologischer Thatsachen verborgen liegen, die ohne Zweifel in wesentlichem Zusammenhange mit den übrigen Thatsachen des Bewusstseyns stehen, und schon deshalb der Aufmerksamkeit der Psychologie keinesweges entgehen dürfen. Allein, sowohl diese, als überhaupt die ganze Classe derjenigen Thatsachen, welche nicht unmit- telbar wahrgenommen, sondern aus den Producten unse- rer Thätigkeit erst geschlossen werden, entfernen sich eben dadurch von der Eigenschaft der Principien ; sie sind vielmehr Probleme , welche die Wissenschaft durch Lehrsätze zu lösen hat, und wobey wir uns wohl hüten müssen, den Erschleichungen Thür und Thor zu öffnen ! §. 5. Ueber Beobachtung Anderer, als ein Mittel zur Auf- findung psychologischer Thatsachen, lässt sich wohl kaum etwas sagen, das nicht in die vorstehenden Erörterungen zurückliefe. Denn, abgesehen von der Frage nach der Glaubwürdigkeit der Zeugnisse, wird alles darauf ankom- men, wieviel und wie genau jene Anderen von sich selbst auffassen und erzählen, und wie richtig wir theils ihre Erzählungen verstehen, theils die äussern Zeichen ihrer inneren Zustände auslegen. Mit ihren eignen Auffassun- gen nun sind jene in eben der Lage, wie wir mit den unsrigen: um aber ihre Beschreibungen zu verstehen, können wir nur unsre eignen innern Wahrnehmungen zu Hülfe rufen. Daher beurtheilt denn auch Jeder die Andern nach sich selbst; und die seltnern Zustände der Leidenschaft oder Begeisterung, die zarteren Regungen empfindlicher Gemüther, werden von der bey weitem grö- sseren Menge der Menschen nicht verstanden. Die erste Bemerkung, die sich hier aufdringt, ist wohl diese, dass die Unsicherheit in den, auf dem Wege der Ueberlieferung erworbenen psychologischen Kennt- nissen, in einem zusammengesetzten Verhältnisse stehe, und deshalb grösser sey, als bey der Selbstbeobachtung. Denn hier vereinigen sich die Mängel und die Erschlei- chungen in der überlieferten Nachricht mit denen in un- serer Auslegung, und so laufen wir die Gefahr einer dop- pelten Täuschung. Sie kann auch noch grösser werden, wenn die Ueberlieferung durch eine ganze Reihe von Menschen fortläuft, deren Jeder das Seinige hinzuthut. Sollte wohl dieser Fall da statt finden, wo Einer von sei- ner intellectualen Anschauung redet, und die Tradition davon ihren Weg durch Kopf und Mund verschiedent- lich gestimmter Schwärmer nimmt, die Alle in sich selbst das wiederfinden wollen, was sie vernahmen? Zu einer zweyten Bemerkung veranlasst die Neigung einiger Psychologen, bey den seltenen und sonderbaren Erscheinungen der Nachtwandler und Wahnsinnigen län- ger zu verweilen, als bey denen, die sich im gewöhnli- chen Zustande ereignen; oder auch nur, sich über die Träume und ihre Sprünge mehr zu verwundern, als über den regelmässigen Gedankengang der Wachenden. Na- türlich ist es zwar, dass ausserordentliche Erscheinungen zuerst die Aufmerksamkeit wecken und auf sich ziehen; allein schon aus der Physik weiss man, dass von den gewöhnlichsten Begebenheiten (z. B. von den Verände- rungen des Wetters) die Gründe oft am tiefsten verbor- gen liegen. Und in der Psychologie finden sich die gröss- ten Schwierigkeiten eben da, wo man am schnellsten mit einem Worte fertig zu werden glaubt. Ich erinnere nur an das Wort Vernunft ; dieses allbekannte Wort, dessen Erklärung gewiss Jeder in seinem eignen Bewusstseyn anzutreffen, behauptet, während er die psychologischen Curiosa meistens bey Andern aufsucht. — Es dürfte sich finden, dass wir nicht so sehr Ursache hätten, die Nach- richten von ungewöhnlichen Gemüthszuständen zu sam- meln. Der Reichthum von Auffassungen, die wir täglich an uns selbst machen können, ist eben so gross, als des- sen Verarbeitung schwierig und weitläuftig; und in dem Maasse, als wir für die Erscheinungen in uns, die allge- meinen Gesetze erkennen, muss es uns auch möglich werden, aus den nämlichen Gesetzen viel besser, als aus blosser Uebertragung eigner Gefühle, die Gemüthszu- stände Anderer, selbst in ihren weitesten Abweichungen vom Gewöhnlichen, zu verstehen und zu erklären. So braucht der Astronom nur den Lauf der bekanntesten Planeten auf die Kegelschnitte zurückgeführt zu haben, um seinen Calcul gar bald auch den neuesten und fremd- artigsten Phänomenen am Himmel anpassen zu können. Hiemit leugne ich jedoch keinesweges irgend einer ächten psychologischen Beobachtung ihren Werth ab. Für alle Erfahrungen muss sich irgendwo eine Stelle in den Wissenschaften finden, wo sie willkommen seyn kön- nen. nen. Nur ist ein sehr grosser Unterschied zwischen dem, was am meisten auffällt, und dem, was die tiefsten Un- tersuchungen fordert; so wie zwischen dem, was am wei- testen hergehohlt wird, und dem, was die reichsten, oder die ersten und nöthigsten Aufschlüsse darbietet. §. 6. Es kann von Nutzen seyn, wenn der Leser die vor- hin gewiesenen Wege, wie wir zur Kenntniss der inne- ren Thatsachen gelangen, weiter verfolgen will; beson- ders um sich Rechenschaft davon zu geben, wie der Vor- rath psychologischer Kenntnisse, den man schon zu be- sitzen glaubt, aus absichtlicher oder unabsichtlicher Selbst-Auffassung, aus Deutung der vorgefundenen Pro- ducte eigner Thätigkeit, aus Zeugnissen und aus Beob- achtung Anderer, allmählig sich zusammengesetzt habe. Diese Ueberlegung soll nicht auf einen Lehrsatz hinfüh- ren; aber sie soll heraushelfen aus dem Glauben an die Abstractionen der Schulen; sie soll das unmittelbare Be- wusstseyn dessen zurückführen, was den Erklärungen von Sinnlichkeit und Verstand, von Begehrungsvermögen und Gefühlvermögen, und wie diese Gedankendinge weiter heissen, eigentlich an ächter Erfahrung zum Grunde liegt. Gesetzt nun, der Vorrath der psychologischen That- sachen sey beysammen: welche Art von Regelmässig- keit lässt sich im Allgemeinen an ihnen erkennen oder doch vermuthen? Dies ist die erste Frage der specu- lativen Psychologie. II. Von einer allgemeinen Eigenschaft alles dessen, was innerlich wahrgenommen wird. §. 7. Erinnert man sich der Veränderlichkeit des Schau- spiels, was die absichtliche Selbstbeobachtung antrifft, I. B ohne es in einerley Zustande vesthalten zu können, und überdies der Abwechselungen in einander überfliessender Gemüthslagen, welche den Stoff unserer eigenen Lebens- geschichte ausmachen: so zeigt sich Alles als kommend und gehend, als schwankend und schwebend; mit einem Worte, als etwas, das stärker und schwächer wird. In jedem der eben gebrauchten Ausdrücke liegt ein Grössenbegriff . Also ist in den Thatsachen des Be- wusstseyns entweder keine genaue Regelmässigkeit, oder sie ist durchweg von mathematischer Art; und man muss versuchen, sie mathematisch auseinanderzusetzen. Warum ist dies nicht längst unternommen worden? Darauf könnten die älteren Zeiten, sich entschuldigend, antworten: die Mathematik sey, vor Erfindung der Rech- nung des Unendlichen, noch zu unvollkommen gewesen. Allein folgende Bemerkungen sind allgemeiner. §. 8. Erstlich: die psychologischen Grössen sind nicht der- gestalt gegeben, dass sie sich messen liessen; sie gestat- ten nur eine unvollkommne Schätzung. Dies schreckt ab von der Rechnung; jedoch mit Unrecht. Denn man kann die Veränderlichkeit gewisser Grössen, und sie selbst, in so fern sie veränderlich sind, berechnen, ohne sie voll- ständig zu bestimmen; hierauf beruht die ganze Analysis des Unendlichen. Man kann ferner Gesetze der Grössen- veränderung hypothetisch annehmen, und mit den berech- neten Folgen aus den Hypothesen die Erfahrung verglei- chen. Sind die einzelnen Erfahrungen wenig genau, so ist dagegen ihre Menge in der Psychologie unermesslich gross, und es kommt nur darauf an, sie geschickt zu be- nutzen. Uebrigens werden wir keiner Hypothese bedür- fen, sondern auf einem vesten Wege der Untersuchung diejenigen Voraussetzungen finden, deren Kreis zum Be- hufe der Psychologie mathematisch durchlaufen werden muss. Die Schwierigkeit des Messens kommt daher fürs Erste nicht in Betracht; aber wichtiger ist das Folgende. §. 9. Zweytens: Gerade das Schwanken und Fliessen der psychologischen Thatsachen, welches eine mathematische Regelmässigkeit derselben im Allgemeinen vermuthen lässt, erschwert gar sehr den Anfang der Untersuchung. Denn hiezu sind veste, genau bestimmte und begränzte Prin- cipien die erste Bedingung; was aber soll man aus jener allgemeinen Schwankung dergestalt herausheben, dass man es mit Sicherheit gesondert betrachten könne? Muss man nicht fürchten, Zusammengehöriges auseinander zu rei- ssen, und Bruchstücke eines untheilbaren Ganzen als selbstständig zu behandeln? — Man sagt z. B. vom Men- schen: er habe Verstand und Willen ; man handelt in den Psychologien zuerst vom Erkenntnissvermögen, dann vom Begehrungsvermögen. Wie wenn man von einem Dreyecke sagte: es habe Seiten und Win- kel ? und wenn man dem gemäss die Trigonometrie in zwey Abschnitte zerlegen wollte, deren einer von den Sei- ten, der andere von den Winkeln handele? Wer bürgt uns dafür, dass unsre Psychologien weniger ungereimt seyen, als eine solche Trigonometrie seyn würde? Ste- hen nicht vielleicht diejenigen Thatsachen des Bewusst- seyns, die wir zu trennen pflegen, durch gewisse unbe- merkte Mittelglieder in eben so genauer Beziehung, als Seiten und Winkel im Dreyecke? Diese Betrachtung müssen wir erst weiter führen, ehe von Principien der Psychologie, und von deren wis- senschaftlicher Behandlung die Rede seyn kann. III. Weshalb sind wir so geneigt, uns in der Psy- chologie mit Abstractionen zu behelfen? §. 10. In andern Wissenschaften ist die Abstraction ein absichtliches Verfahren; wobey man weiss, was man zu- B 2 rücklegt, und warum man anderes hervorhebt. Die Re- flexion hält gerade diejenigen Begriffe vest, unter welchen gewisse merkwürdige Relationen statt finden; und nach- dem dieselben untersucht sind, steht es der Determina- tion frey, die gesetzmässige Anwendung davon auf den Umfang der Begriffe zu machen. — In der Psychologie sind dagegen unsre Aussagen von dem innerlich Wahr- genommenen schon unwillkührlich Abstractionen, ehe wir es wissen, und sie werden es noch immer mehr, je be- stimmter wir uns darüber erklären wollen. Sie sind schon Abstractionen, ehe wir es wissen. Denn die genaue Bestimmung des Fliessenden unserer Zustände (durch Ordinaten, zu denen die Zeit als Ab- scissenlinie gehören würde,) fehlt schon, indem wir die- selben zum Object unsers Vorstellens machen. Sie ver- liert sich immer mehr, je länger wir die Erinnerung an ein innerlich Wahrgenommenes aufbehalten wollen. Sie verfälscht sich, je mehr wir uns anstrengen, sie vest zu halten; denn eben dadurch mischt sie sich mit dem übri- gen Vorrathe unserer verwandten Vorstellungen. Aber auch je bestimmter wir uns darüber erklären wollen, desto weiter kommen wir ab von der Wahrheit dessen, was eigentlich wahrgenommen wurde, und desto tiefer gerathen wir in die Abstractionen hinein. Aus ei- nem zwiefachen Grunde. Erstlich , je mehr wir uns bemühen, recht getreu- lich nur Das zu berichten, was wir erfahren haben: de- sto lieber verschweigen wir Alles was wir nicht genau bemerkten, was wir nicht gewiss verbürgen können; wir heben demnach nur das Gewisseste heraus. Daher las- sen wir in der Erinnerung an die inneren Wahrnehmun- gen absichtlich los von dem, dessen Schwankung wir füh- len, dessen bestimmte Angabe wir nicht zu erreichen hof- fen. Was wir übrig behalten, ist ein Abstractum. — Dies Verfahren herrscht sichtbar in allen Psychologien. Die Verfasser derselben sprechen z. B. recht gern vom Gedächtniss; denn dass es überhaupt ein solches gebe, daran zu zweifeln fällt ihnen nicht ein; jeder Mensch muss ja unzählige Thatsachen dafür anführen können! Aber schon von den nächsten Arten, welche der Gat- tung: Gedächtniss , untergeordnet sind, als von dem Ortgedächtniss, dem Namengedächtniss, dem Zahlenge- dächtniss, dem Gedächtniss für Begriffe und Lehrsätze, für Urtheile und Schlüsse, für die Empfindungen während des Denkens, Ueberlegens und Beschliessens, für das Wünschen und Wollen, für das was man gethan oder gelitten hat: hievon getrauen sich die Psychologen nicht, uns viel zu sagen. — Warum denn nicht? Doch wohl nicht darum, weil das Gedächtniss schon beym niedern Vorstellungsvermögen abgehandelt wird, und es an die- sem Orte in den Büchern ein ·υςερον πρωτερον seyn würde, schon auf Begriffe, Urtheile, Schlüsse, auf Fühlen und Wollen, Rücksicht zu nehmen? Denn hieraus würde bloss folgen, dass die Stellung der Lehre vom Gedächt- niss eine Veränderung erleiden müsse. Aber daran liegt der Fehler, dass beym genauern Eingehn auf das Spe- cielle, und auf die einzelnen Thatsachen, sich das Ge- dächtniss nicht so bequem würde losreissen und abgeson- dert als eine eigene Seelenkraft hinstellen lassen; indem in jedem einzelnen Falle sich eine Menge von schwer zu bemerkenden, und noch schwerer zu beschreibenden, — daher gern mit Stillschweigen übergangenen — Neben- umständen geltend machen, die theils auf das erste Auf- fassen, theils auf das Merken, theils auf das Verknüpfen mit andern Vorstellungen, theils auf den Vorsatz des Be- haltens und das Interesse des Gegenstandes, theils auf die Zeit, während welcher das Gemerkte noch vor dem ersten Verschwinden im Bewusstseyn gegenwärtig blieb, theils auf die Gemüthszustände in der Zwischenzeit bis zur Reproduction, theils auf die Reproduction selbst, ihre Geschwindigkeit, Lebhaftigkeit und Treue, — Einfluss gehabt haben, und die bey jenen Arten des Gedächtnis- ses sehr verschieden zu seyn und zu wirken pflegen. Der Erste, der dies Alles gehörig in Erwägung zieht, und da- bey mit der Genauigkeit eines tüchtigen Physikers zu Werke geht, wird finden, dass die vermeinten Nebenum- stände die Hauptsache sind, und dass von dem soge- nannten Gedächtniss nichts als der leere Name übrig bleibt. Jede andere Seelenkraft würde auf gleiche Weise zum Beispiel dienen können. Ueberall werden die ober- sten Gattungsbegriffe mit der grössten Dreistigkeit hinge- stellt; allein überall fehlt die Achtsamkeit auf das Spe- cielle, und die genaue Beschreibung des Einzelnen; und doch ist es eben dies, worauf in einer empiri- schen Wissenschaft Alles ankommt ! Oder hat schon Jemand vollständig nachgewiesen, wie sich die Ein- bildungskraft verschiedentlich in Dichtern, in Gelehrten, in Denkern, in Staatsmännern, in Feldherren, äussere? Was den Verstand der Frauen, der Künstler und der Logiker unterscheide? Welche Abstufungen die Ver- nunft in ihrer Entwickelung zeige, bey Kindern und Er- wachsenen, bey Wilden, Barbaren, Gebildeten, bey Bauern, Handwerkern, und bey den höhern Ständen? Doch die Erwähnung des Verstandes und der Vernunft, zweyer Namen, die neuerlich so verschiedene Auslegun- gen erhalten haben, dass kaum noch etwas Gemeinsames übrig bleibt, — erinnert mich, fortzugehen zu dem zwey- ten Grunde, der uns in den psychologischen Abstractio- nen vesthält, und uns immer mehr darin vertieft. Nachdem einmal die Seelenvermögen da sind, sollen sie auch gebraucht werden zur Erklärung dessen was in uns vorgeht. Aber je weniger von den nähern Bestim- mungen der Thatsachen in den Begriffen jener Vermö- gen enthalten ist: desto schlechter gelingt die Erklärung. Es fehlen die Mittelglieder zur Verknüpfung. Es entste- hen unbeantwortliche Fragen über das Causalverhält- niss der Seelenvermögen unter einander , wo- durch sie beym Zusammenwirken eins in das andere ein- greifen, und sich gegenseitig zur Wirksamkeit auffordern, oder veranlassen, oder nöthigen. Jede solche Frage, in- dem sie mit einem Geständniss der Unwissenheit endigt, bringt den Schein hervor, als liege eine dunkle, unüber- steigliche Kluft zwischen den Seelenvermögen, die nun gleich Inseln aus einem unergründlichen und unfahrbaren Meere herausragen. Was Wunder, wenn man es end- lich müde wird, um das Zusammenwirken der Seelenver- mögen sich zu bekümmern; wenn man vielmehr sich darin gefällt, die weite Trennung derselben durch recht grosse Unterschiede des einen Vermögens vom andern, deutlich zu beschreiben? Und hierin hat man es in der That weit gebracht. Die Seelenvermögen scheinen in einem wahren bellum omnium contra omnes begriffen zu seyn. Die Einbildungskraft, sich selbst überlassen, erschafft Phantome; aber die Sinne verscheuchen sie; doch manch- mal auch lassen sie sich von jener bethören, so dass wohl gar Gespenster mit Augen gesehen werden. Star- kes Gedächtniss findet sich bey schwachem Verstande, und umgekehrt; die Ausbildung des einen lässt Nachtheil besorgen für das andere. Noch weniger Friede hält der Verstand mit den Sinnen; er entdeckt ihren Trug, er zeigt, dass die Sonne still steht, und das Ruder auch im Wasser gerade ist; er erblickt einfache Gesetze, wo die Sinne lauter Unordnung sahen. Nicht besser vertragen sich Verstand und Einbildungskraft; er findet sie thöricht und flatterhaft, sie ihn unbehülflich und trocken. Besser als beyde dünkt sich die Urtheilskraft; der Verstand wusste nur die Regel, sie erst erkennt das Rechte und Wahre mit Bestimmtheit im Einzelnen. Aber die Ver- nunft erscheint; sie schwingt sich auf zum Uebersinnli- chen, Unendlichen, zur eigentlichen Wahrheit, während alle jene auf dem Boden der Erscheinungswelt kriechen. Bey diesen Streitigkeiten bleiben Gefühl und Begehrungs- vermögen nicht müssig. Die letzte Entscheidung über Wahrheit und Irrthum behauptet am Ende das Gefühl; insbesondere spricht es bald für, bald wider den Ver- stand; der doch seinerseits gegen die Einmischungen des Gefühls in seine Untersuchungen sich nachdrücklich ver- wahrt. Die Begierden bedienen sich des Verstandes, wo er ihnen nützlich seyn kann, aber sie verweisen ihm seine difficiles nugas , seine brodlosen Künste. Er will von ih- nen nicht gestört, am wenigsten verblendet seyn; doch er muss weichen oder fröhnen, da sogar die Vernunft sich ihrer kaum erwehren, und das Vernünfteln der Lei- denschaften nicht verhindern kann. Die ästhetische Ur- theilskraft kämpft wider die Sinnenlust; und sie verthei- digt zuweilen die Einbildungskraft wider den Verstand. Aber die Vernunft pflegt ihr zu widersprechen, und das Schöne mit dem Hässlichen in den Rang blosser Erschei- nungen zurückzustellen. — Unser eigenes Ich ist der Kampfplatz für alle diese Streitigkeiten! Ja es ist selbst die Gesammtheit aller dieser streitenden Partheyen! Wird man dieses im Ernste glauben? — Und doch stützt sich alles zuvor Gesagte auf bekannte Thatsachen. Die Frage ist bloss, ob eine wirkliche Vielheit von Kräf- ten, die mit einem beharrlichen Daseyn in uns bestehen und wirken, und einander bald helfen, bald anfeinden, aus den Thatsachen solle geschlossen werden? Ob man immer fortfahren wolle, dem augenscheinlich flüssigen Wesen aller Gemüthszustände Trotz zu bieten; und, je mehr dieselben jeder Auffassung in harten und starren Formen widerstreben, desto hartnäckiger und eifriger ih- nen dergleichen aufzudringen? Unseres Wissens hat die bisherige, auch die neuere und neueste, Psychologie, durch- aus nichts anderes geleistet , als immer neue, vergrö- sserte, schärfer gezeichnete Spaltungen und Gegensätze unter den vermeinten Seelenkräften. — Jedoch, unsere Philosophen fangen schon an sich zu entschuldigen, wenn sie aus Noth , wie sie meinen, und weil man sich doch müsse ausdrücken können, von Seelenvermögen reden; sie wollen es schon nicht Wort haben, dass sie wirklich und im Ernste jene Trennungen vorgenommen hätten; sie verehren die unbekannte Einheit aller jener Ver- mögen. Damit haben sie nun zwar an wirklicher Kennt- niss der Seele noch nichts gewonnen, und die eigentliche Physik des Geistes mag wohl so bald noch nicht neben der falschen Freyheitslehre der neuern Zeit aufkom- men können; doch sind die Zeichen vorhanden, dass die alten Götter nicht mehr lange bestehen, und dass ihre Orakel bald verstummen werden. Denn in der That ist es, beym Lichte besehen, nicht so sehr übler Wille, noch unbeugsames Vorurtheil, — sondern es ist Ungeschick, und Mangel an Kenntniss der Möglichkeit einer bessern Auffassung der Thatsachen , was der bessern Psy- chologie im Wege steht. Unsre Philosophen sind nicht Mathematiker; darum kennen sie nicht die Geschmeidig- keit, womit die mathematischen Begriffe sich dem Flie- ssenden anpassen; vielmehr pflegen sie sich bey den ma- thematischen Formeln etwas recht Steifes, Starres und Todtes zu denken; — in diesem Puncte aber kann man ihre Unwissenheit lediglich bedauern. IV. Allgemeine Angabe des Verfahrens, um Thatsa- chen des Bewusstseyns zu Principien der Psycho- logie zu benutzen. §. 11. Wollten wir schon hier einen bestimmten, schma- len, systematischen Pfad anzeigen, auf welchem man in die Psychologie eingehn könne: so würde dem nächsten und dringendsten Bedürfniss nicht Genüge geschehn. Dieses Bedürfniss besteht darin, eine richtige Ansicht im Allgemeinen von der Umwandlung zu fassen, welcher unsre Vorstellungsart muss unterworfen werden; und es rührt her von der Menge der psychologischen Abstractio- nen, an die wir gewöhnt sind. Wir finden nun einmal uns selbst bald anschauend, bald denkend, bald wollend und so ferner; und ohne uns unter dergleichen Abstracta, wie Anschauen, Denken, Wollen, zu subsumiren, wissen wir kaum, uns über unsre eignen Zustände und Bestre- bungen Rechenschaft zu geben. Die ganze Masse unse- rer Meinungen von uns selbst und von dem was in uns vorgeht, bedarf einer Totalreform; und sie muss dazu in Bereitschaft gesetzt werden. Eben deshalb ist vorhin die unvermeidliche Mangelhaftigkeit aller unserer un- mittelbaren Kenntnisse von den inneren Thatsachen, und die darans entstehende Neigung, dieselben in abgezoge- nen Begriffen, und zwar in den weitesten am liebsten, vor- zustellen, hinterher aber diese Begriffe, sammt ihren Sub- straten, den Seelenvermögen, so gut oder so schlecht es gehn will, wieder an einander zu fügen, — in Betracht ge- zogen worden: damit es einleuchten möge, dass hier ganz andere Operationen des Denkens zur Verbesserung erfordert werden, als die blosse Classification, Induction, Analogie, oder welche andre Zusammenstellung eines Vor- raths von Kenntnissen da angebracht seyn würde , wo das erste Material mit Bestimmtheit gegeben wäre, und wo die Abstractionen stufenweise von un- ten auf , mit aller Besonnenheit, und beliebiger Verwei- lung auf jeder Stufe, würden vollzogen werden können. Diejenige Operation des Denkens, wodurch die Mangelhaftigkeit verbessert wird, heisst Ergänzung . Und wo die Mangelhaftigkeit der empirischen Auffassung unvermeidlich ist, da muss die Ergänzung auf specula- tivem Wege unternommen werden. Dieses aber ist nur möglich durch Nachweisung der Beziehungen ; das heisst, derjenigen Relationen, vermöge deren eins das andere nothwendig voraussetzt , und, was das Zei- chen davon ist, eins ohne das andere nicht kann ge- dacht werden . Dergleichen Beziehungen liegen zum Theil offenbar durch den Begriff selbst vor Augen, (wie zwischen einem Logarithmus und der Basis sammt dem Modulus des Sy- stems, oder zwischen dem Differential und seinem Inte- gral, nämlich abgesehen von der wirklichen Berechnung,) und alsdann brauchen sie nur nachgewiesen zu werden. Zum Theil können sie leicht bey einiger Aufmerksamkeit, und auf dem Wege logischer Schlüsse gefunden werden, (wie zwischen einem Paar unmöglicher Wurzeln einer Gleichung). Zum Theil aber verräth sich die Nothwen- digkeit, den Beziehungen nachzuforschen, erst durch das Widersprechende eines von seinen nothwendigen Vor- aussetzungen entblössten Begriffes: welcher letztere Fall in den ersten Grundbegriffen der allgemeinen Metaphy- sik vorkommt. Alsdann muss die Aufsuchung der Bezie- hungen nach derjenigen Methode eingeleitet werden, wel- che ich in den Hauptpuncten der Metaphysik angegeben, und Methode der Beziehungen genannt habe. Hie- von wird tiefer unten noch etwas vorkommen. Die ganze Psychologie kann nichts anders seyn, als Ergänzung der innerlich wahrgenommenen Thatsachen; Nachweisung des Zusammenhangs dessen was sich wahr- nehmen liess, vermittelst dessen was die Wahrnehmung nicht erreicht; nach allgemeinen Gesetzen. Während die Beobachtung nur dann erst und nur so lange die im Bewusstseyn auf und niedersteigenden Vorstellungen erblickt, wann sie in einem gewissen hö- hören Grade von Lebhaftigkeit sich äussern: müssen sie der Wissenschaft immer gleich klar vor Augen liegen, sie mögen nun wachen und das Gemüth erfüllen, oder in den Vorrathskammern des Gedächtnisses ruhig schla- fen, und auf Anlässe zum Hervortreten warten. Denn von den geistigen Bewegungsgesetzen sind sie hier so we- nig ausgenommen wie dort. Während die moralische Selbstkritik bekennt, die Falten des eignen Herzens nicht durchforschen zu kön- nen: muss die Wissenschaft eben so wohl von der Mög- lichkeit des Einflusses der schwächsten Motive unterrich- tet seyn, als von der Gewalt, welche die stärksten aus- üben, und von der Klarheit, wodurch die überdachtesten sich auszeichnen. Aber was die Wissenschaft mehr weiss als die Er- fahrung: das kann sie nur dadurch wissen, dass das Erfahrene ohne Voraussetzung des Verborge- nen sich nicht denken lässt . Denn nichts anders als eben die Erfahrung ist ihr gegeben: in dieser muss sie die Spuren alles dessen antreffen und erkennen, was hinter dem Vorhange sich regt und wirkt. In diesem Sinne also muss sie die Erfahrung überschreiten : welches übrigens von jeher jede Philo- sophie gethan hat; auch jene, die zwar das Ueberschrei- ten verbot, aber gleichwohl von einem noch unverbunde- nen, in der Receptivität anzutreffenden Mannigfaltigen redete; das in der Erfahrung niemals vorkommen kann, vielmehr erst, indem es die Formen der Spontaneität an- nähme, sich ins Bewusstseyn erhoben finden müsste: — anderer Beyspiele nicht zu gedenken! Wo nun und in wie vielen Puncten der ganzen Masse aller innern Wahrnehmungen sich Beziehungen entdek- ken lassen, die auf Voraussetzungen, auf Ergänzungen, auf nothwendigen Zusammenhang mit anderem, das entwe- der im Bewusstseyn oder hinter dem Bewusstseyn vorgegan- gen seyn muss, hindeuten, und nach was immer für einer Methode mit Sicherheit darauf zu schliessen erlauben: da, und so vielfach sind die Principien der Psychologie. §. 12. Ein Paar Beyspiele von Beziehungen in der Psycho- logie, wenn auch nur von den offenbarsten, sind viel- leicht nicht überflüssig; sie können wenigstens einiger- maassen dienen, um von der Gestalt psychologischer Nach- forschungen einen vorläufigen Begriff zu fassen. Das Begehren steht in offenbarer Beziehung zu dem Vorstellen; denn es hat einen Gegenstand, auf welchen, als auf sein Ziel, es sich richtet. Denselben in Verges- senheit bringen, ist das sicherste Mittel, die Begierde zu beschwichtigen. Wiewohl nun diese Beziehung vor Augen liegt: so ist sie doch bey weitem noch nicht hinrei- chend bestimmt. Denn es fragt sich: unter welchen Be- dingungen wird das Vorgestellte ein Begehrtes? Wel- che Beschaffenheit des Vorgestellten, und des Vorstellens, muss man voraussetzen, wenn es unter der Form des Begehrens im Bewusstseyn erscheinen soll? Lässt sich die Antwort finden, indem man von dem Begehren, als dem Bedingten, zu seinen bis jetzt unbekannten Bedin- gungen fortschliesst: so ist die Thatsache, dass wir be- gehren, zum Princip einer psychologischen Untersuchung erhoben. Das Gedächtniss bezieht sich offenbar auf den Ge- genstand, welcher behalten wird; folglich auch auf die Production oder erste Auffassung dieses Gegenstandes. Demnach bezieht es sich auf die Sinnlichkeit; denn was es aufbewahrt, das sind grossentheils Anschauungen. Es bezieht sich eben so offenbar auf die Phantasie, das heisst, wir behalten viele von den Bildern, die wir selbst ent- worfen haben. Es bezieht sich nicht minder auf den Ver- stand, denn wir behalten auch die Resultate unsrer Spe- culationen; auf das Gefühl, denn wir erinnern uns an Lust und Schmerz; endlich auf den Willen, denn auch unsre Entschliessungen halten wir vest, und ihre Wirk- samkeit erneuert sich nach Unterbrechungen. Mit gutem Bedacht habe ich in der Pädagogik vom Gedächtniss des Willens geredet; einem für die Erziehung höchst wich- tigen Gegenstande, denn darauf beruhet die Möglichkeit des Charakters und des consequenten Handelns. Ohne Gedächtniss des Willens bleiben angefangene Arbeiten liegen, und aus entworfenen Plänen entweicht das Feuer, das sie zur Reife bringen sollte. Am meisten Gedächt- niss des Willens zeigt die Rache, und kann dadurch auch den, welcher an der Existenz desselben zweifeln möchte, zur Ueberzeugung bringen. — Aber das Gedächt- niss bezieht sich vor allen Dingen auf das Vergessen , im weitern Sinne dieses Worts, da es nämlich nicht den vergeblichen Versuch, sich an etwas zu erinnern, son- dern überhaupt die Entweichung einer gehabten Vorstel- lung aus dem Bewusstseyn bedeutet. Denn eben in so fern schreiben wir uns ein Gedächtniss zu, in wiefern eine Zeit verfliessen kann, in welcher wir an einen gewissen Gegenstand gar nicht denken , ohne dass doch darum uns die Kenntniss desselben ver- loren ginge, die vielmehr auf gegebene Veranlassung wie- der hervortritt. — Wer nun aber alle diese Beziehungen des Gedächtnisses, welche nur im Allgemeinen bekannt sind, dadurch gehörig zu bestimmen und vollständig zu machen wüsste, dass er auch noch die Bedingungen, sowohl bey der Erzeugung, als bey der Entweichung, als auch endlich bey der Erneuerung einer Vorstellung, (ohne welche Bedingungen die Reproduction ausbleibt,) angäbe und bewiese: der hätte die bekannten Facta ergänzt , indem er die Vorstellungen bis in den Hintergrund des Bewusstseyns, wohin sie sich zurückziehn, und von wo sie wiederkehren, gleichsam würde begleitet haben. Und wer diese Kenntniss sich auf solchem Wege verschafft hätte, dass von dem Gedächtniss, als einem Inbegriff be- kannter Thatsachen, auf dessen nothwendige Voraus- setzungen wäre geschlossen worden: der würde dadurch diese Thatsachen zu psychologischen Principien gestem- pelt haben. Wer aber vom Gedächtniss nur in Namen- erklärungen, und in Distinctionen, und in einigen Sätzen redet, die Jeden die Erfahrung längst gelehrt hat, der misbraucht ein vielsagendes Wort, wenn er sich eine Theorie des Gedächtnisses zuschreibt. Nicht zu den offenbaren Beziehungen gehört die des Selbstbewusstseyns auf die Individualität eines Jeden. Daher hat man den Gedanken fassen können, das Ich als Absolutum aufzustellen; ein sehr grosser Fehler, der aber zu seiner Aufdeckung schon wissenschaftlicher Re- flexionen bedarf. Und die Geschichte der neuern Philo- sophie hat nur zu gut gelehrt, wie leicht diese Reflexio- nen verfehlt werden können. Nichts desto weniger sind Fichte’s ältere Werke voll von Bestrebungen, die weitgreifenden Beziehungen des Selbstbewusstseyns aufzufinden; und ohne allen Zwei- fel wird die Nachwelt, sehr ungleich den Zeitgenossen, diesen Werken, selbst abgesehen von dem Verdienst, den Idealismus mit einer bis dahin unbekannten Conse- quenz zu verfolgen, schon deshalb Gerechtigkeit wider- fahren lassen, weil darin das Ich als Mittelpunct von Be- ziehungen aufgestellt, und der erste Versuch gemacht ist, ein weitläuftiges System von Beziehungen nach allen Richtungen hin zu durchsuchen. Fichte’s grösster Feh- ler bestand darin, dass er der einmal angenommenen Ge- wohnheit, das Ich absolut zu setzen, auch dann noch an- hing, als ihn schon die Untersuchung in ihrem Verlauf durch jeden Schritt aufmerksam machte, dass er nicht mit einem Absoluten, sondern mit einem vielfach Beding- ten zu thun habe; welcher Folgerung er dadurch zu ent- gehn meinte, dass er alle die gefundenen Bedingungen in das Ich selbst einschloss. Aber die unrichtige Ansicht verdarb selbst die Kenntniss dieser Bedingungen, und daher konnte freylich nur eine unhaltbare Theorie her- auskommen. Dieselbe Art der Untersuchung über den- selben Gegenstand, aber nach einer ganz entgegengesetz- ten Methode, (welche trennt, wo Fichte verbinden wollte,) und zu ganz entgegengesetzten Resultaten hinführend, wird einen Theil dieses Buches ausmachen; und das eben Gesagte mag als entfernte Vorbereitung dazu dienen. §. 13. Wenn es Methoden giebt, durch welche man ver- borgene Beziehungen aufdecken kann, so ist eben der Umstand, welcher zuvor der wahre Ursprung psychologi- scher Schwierigkeiten zu seyn schien, und welcher in der That eine empirische Naturgeschichte des Geistes unmöglich macht, — für die speculative Psychologie eher vortheilhaft als nachtheilig. Der Umstand nämlich, dass alle psychologische Wahrnehmung, um vestgehalten zu werden, sich unwillkührlich in eine Abstraction verlieren muss; und daher von den wirklichen Thatsachen nur Bruchstücke liefert. Dieses ist nicht nachtheilig: Denn der abstracte Begriff kann durch seine Bezie- hungen wieder ergänzt werden; und je allgemeiner er ist, um desto eher ergiebt er in Verbindung mit den Ergän- zungen eben das, was in allen Wissenschaften zuerst ge- sucht wird, nämlich eine allgemeine Theorie, durch de- ren Hülfe eine grosse Mannigfaltigkeit von Thatsachen gleich Anfangs überschaut werden kann. Ueberdies ist ein Begriff für die speculative Behandlung allemal um so bequemer, je allgemeiner, das heisst, je ärmer an Inhalt er ist; so lange nur die Abstraction nicht den Keim der Beziehungen in ihm zerstört hat. Im letztern Falle frey- lich wird er unbrauchbar; allein alle Ueberladung mit Merkmalen, welche die Untersuchung nicht fördern, bringt nur Verwirrung hervor. Ein neuer Zuwachs an Bequemlichkeit aber ist es, wenn, der Allgemeinheit unbeschadet, ein Begriff uns nicht nöthigt, sogleich in seinen Umfang hinabzusteigen, und specielle Fälle zu durchlaufen, um uns seiner Gül- tigkeit, und seiner wesentlichen Merkmale zu versichern. Um dies deutlich zu machen, nehme man zuvörderst ein Paar Beyspiele des Gegentheils. Der Begriff des Wil- lens ist sehr allgemein; aber um uns seiner Gültigkeit zu versichern, (dass er aus dem Gegebenen entsprungen, nicht willkührlich gemacht ist,) müssen wir Beyspiele dazu in der innern Wahrnehmung unseres eigenen Wollens aufsuchen. Was finden wir nun hier? Sehr verschiedene, continuirlich in einander fliessende Grade des Wollens! Entschlüsse, aber auch Neigungen, Launen, unbestimmte Aufregungen; freye Wahl, aber auch das erzwungene Wollen wider Willen, womit der Wehrlose sich ent- schliesst, den Räuber abzukaufen. Was heisst nun ei- gentlich Wollen? Die innere Wahrnehmung muss es lehren, aber ihre Belehrung ist zu weitläuftig für einen Begriff, der mit Präcision aufgefasst, und der Specula- tion überliefert, zum Princip einer Untersuchung dienen soll. — Desgleichen, der Begriff des Gedächtnisses ist sehr allgemein; wenden wir aber den Blick einwärts, um uns genau an das Gegebene zu erinnern, was dem Be- griffe seinen Inhalt bestimmt, so kommen uns die An- schau- schauungen, Einbildungen, Begriffe, Urtheile, Gefühle, Entschliessungen, — entgegen, welche alle das Gedächt- niss aufbewahrt; aber es ist dessen zuviel; und wiederum in dem abstracten Begriffe eines Gemüthszustandes über- haupt, den das Gedächtniss erneuere, zu wenig unmittel- bare Klarheit, als dass man sich einem solchen Princip gern anvertrauen könnte. Ist schon von andern Seiten her Licht genug vorhanden, dann mag man auch solche Principien gleichsam zu Rechnungsproben benutzen; al- lein für die Haupt-Untersuchung bedarf es eines helle- ren Anfangspunctes; eines Punctes , der nicht zerfliesse, indem man ihn in der Wahrnehmung aufsucht. Solch ein Punct nun ist ganz vorzüglich das Ich. Dieses lässt sich in einer vollkommnen Abstraction vom Individuellen noch deutlich machen, nämlich als Identität des Objects und Subjects; ohne dass darum das Selbst- bewusstseyn aufhörte, sich für den Begriff zu verbürgen. Nun sind zwar im Selbstbewusstseyn die Bedingungen nur verdunkelt, unter denen er Realität besitzt, und man würde sich sehr täuschen, wenn man ihn darum an gar keine Bedingungen geknüpft glauben wollte. Allein die methodische Speculation, indem sie den Begriff des Ich bearbeitet, findet gar bald seine innere Unzulänglichkeit; und weis’t ihm dann ferner seine Ergänzungen mit einer Bestimmtheit und Sicherheit nach, welche die innere Wahr- nehmung nie zu erreichen vermöchte. Da nun der Begriff des Ich zugleich der allgemeine Begleiter aller Gemüthszustände ist, in so fern wir sie uns selbst zueignen: so vereinigt er im hohen Grade die Ei- genschaften eines bequemen Princips, nämlich Allge- meinheit und Präcision . Und deshalb werden wir von diesem Princip in der Folge vorzüglich Gebrauch machen; ohne jedoch die übrigen ganz zu vernachlässi- gen, und besonders ohne solche Vernachlässigung wohl gar einem künftigen Bearbeiter der ganzen Wissenschaft zu empfehlen. I. C V. Von dem Verhältniss der Psychologie zur allge- meinen Metaphysik. §. 14. Bisher sind wir so viel möglich in der Nähe dessen geblieben, was unmittelbare Klarheit besitzt, indem es an die innere Wahrnehmung sich anschliesst; jetzt muss auch von den systematischen Verhältnissen der Psychologie als Wissenschaft die Rede seyn. Die Psychologie wurde in der Wolffischen Periode als der dritte Theil der Metaphysik angesehn. Die Kos- mologie ging ihr voran, die natürliche Theologie folgte nach; die Ontologie stand an der Spitze aller drey Wis- senschaften, um ihnen die allgemeinsten Begriffe vorzu- bereiten. Die ganze Metaphysik trat der praktischen Phi- losophie gegenüber; denn man war auf den, aller Ety- mologie widerstreitenden Ausdruck Metaphysik der Sitten noch nicht gekommen Neuerlich hat man dagegen sogar eine Metaphysik des Civil- Processes erfunden; ja ich erinnere mich in einem französischen Buche von einer Metaphysik des Violinspielens gelesen zu haben. . Leider passt dieser Ausdruck, der das verderbliche Vermengen der theoreti- schen und praktischen Philosophie bedeutet, nur gar zu nahe auf die neuesten Versuche, die Ethik im Geiste des Spinoza zu behandeln, wodurch der wahre Sinn der Bil- ligung und Misbilligung, kraft welcher Löbliches und Schändliches ursprünglich unterschieden wird, ganz und gar zu Grunde geht Man kann hier meine Gespräche über das Böse ver- gleichen. . Ich erkläre mich für jene ältere Weise, die Meta- physik zu unterscheiden und einzutheilen; mit einigen Ver- änderungen, welche hier folgen. Erstlich dasjenige, wovon, als dem andern grossen Haupttheile der Philosophie, die Metaphysik muss unter- schieden werden, (um der Logik, die nur einen Vorhof ausmacht, nicht zu erwähnen,) ist nicht allein die prak- tische Philosophie, sondern die gesammte Aesthetik. Von dieser ist die praktische Philosophie ein Theil; aber kein untergeordneter; denn in der allgemeinen Aesthetik sind die Haupttheile nur neben einander geordnet , weil die verschiedenen ästhetischen Beurtheilungen der Far- ben, Figuren, Töne u. s. w., und so auch der Willens- Verhältnisse, alle ursprünglich für sich bestehn, und durch keine gegenseitige Abhängigkeit verknüpft sind. Daher bilden die verschiedenen Kunstlehren, von denen die Tu- gendlehre Eine ist, lauter selbstständige Disciplinen, die nur wegen der Gleichartigkeit ihrer Principien (Beurthei- lung durch Beyfall oder Misfallen, ohne Rücksicht auf das was ist und seyn kann,) unter den allgemeinen Clas- sennamen Aesthetik , logisch zusammengestellt werden. Hierüber habe ich an andern Orten ausführlicher ge- sprochen, und werde mich jetzt nicht dabey aufhalten. Zweytens, die Eintheilung der Metaphysik würde klä- rer seyn, wenn zuvörderst allgemeine Metaphysik von der speciellen oder angewandten getrennt wäre. Es bedarf wohl keiner Erinnerung, dass die allgemeine Metaphysik den Platz der Ontologie einnehmen muss, welcher letztre Name um so eher aufgegeben werden kann, weil die vor- mals durch ihn bezeichnete Lehre ohnehin einer völligen Umschaffung bedurfte. Zur angewandten Metaphysik aber sind ferner zu rechnen: Psychologie, Naturphilosophie, und philosophische Religionslehre. Dass der Name Kos- mologie passender in Naturphilosophie übersetzt werde, schliesse ich daraus, weil wir die Probleme dieser Wis- senschaft aus der Erfahrung nehmen müssen, welche dem Menschen auf der Oberfläche der Erde zugänglich ist, während der Begriff der Welt als eines Ganzen, mit dem unser Erfahrungskreis kaum verglichen werden kann, vielmehr in der allgemeinen Metaphysik seinen Platz hat. C 2 Die Religionslehre würde mit der Ontologie verschmol- zen, an der Spitze der ganzen Metaphysik treten, wenn eine unmittelbare Erkenntniss Gottes, als des Absolu- ten, vorhanden wäre: worüber mit verschiedenen Syste- men zu rechten hier nicht der Ort ist. Die nämliche Ehre aber, an die Spitze der Metaphy- sik gestellt zu werden, müsste vielmehr der Psychologie widerfahren, wenn anders das berühmte Unternehmen der Vernunftkritik , ich will nicht sagen richtig ausgeführt worden, sondern nur in der ersten Anlage ein richtiger Gedanke gewesen wäre oder jemals werden könnte. — Eine Vernunftkritik hat zu ihrem Gegenstande die Ver- nunft, oder besser das gesammte Erkenntnissvermögen; diesen Gegenstand muss sie als bekannt vorausset- zen ; und hierin liegen Irrthümer, die sich durch gar Nichts wieder gut machen lassen. Vom Erkenntnissver- mögen wissen wir als von einer Summe von Thatsachen des Bewusstseyns. Noch glücklich, wenn uns diese durch innere Wahrnehmung, oder wenn man lieber will, durch Anschauung des innern Sinnes bekannt geworden sind. Alsdann aber fragt sich sogleich, wie viel Glauben die innere Anschauung verdiene? Eine Frage, welche die An- schauung selbst, nimmermehr beantworten kann. — Al- lein es ist nicht einmal wahr, dass wir eine so unmittel- bare Kenntniss von dem sogenannten Erkenntnissvermö- gen besässen, dessen Begriff wir vielmehr aus den vor- gefundenen Producten unserer geistigen Thätigkeit her- ausgedeutet haben. Jedoch was darüber vom §. 4. an schon ist gesagt worden, darf hier nicht wiederhohlt wer- den: auf die entgegenstehende Täuschung werde ich wei- terhin noch zurückkommen. Wofern nun die Psychologie, weit entfernt der all- gemeinen Metaphysik eine Grundlage geben zu können, an ihren Platz in der angewandten Metaphysik zurück- tritt (wo sie übrigens aus Gründen, die hier noch nicht klar seyn können, der Naturphilosophie muss vorange- stellt werden): so beruhet sie selbst auf der allgemeinen Metaphysik, und kann, ohne diese voranzuschicken, we- der abgehandelt noch auch nur begründet werden. In der That, wenn ich tiefer unten behaupten werde, dass die Seele ein einfaches Wesen, und dass sie eben aus diesem Grunde nicht ursprünglich Kraft ist: so muss ich dabey nothwendig auf die allgemeine Metaphysik (und zunächst, bis eine ausführlichere Darstellung erscheint, auf meine Hauptpuncte der Metaphysik ,) hin- weisen. Um jedoch den Hauptstamm meiner gegenwärtigen Untersuchung genugsam bevestigen zu können, werde ich mir erlauben, das Nöthigste aus der allgemeinen Meta- physik, nämlich die Untersuchung über das Ich, hier ein- zuschalten; und auch auf andere Puncte jener Wissen- schaft so viel Licht werfen als hier geschehen kann; wozu sich die Gelegenheiten häufig genug darbieten werden. Und um möglichen Misverständnissen zuvor zu kommen, bemühe ich mich sogleich, das Verhältniss der Princi- pien von beyden, der allgemeinen Metaphysik, und der Psychologie, deutlich auszusprechen. §. 15. Die allgemeinsten Formen der Erscheinungen, so wie sie vor allem Philosophiren vorgefunden werden, sind die Principien der allgemeinen Metaphysik. Könnten diese Formen, so wie sie vorgefunden (oder, im wissenschaft- lichen Sinne des Worts, gegeben ) sind, eben so auch gedacht werden, so bliebe es bey der ersten Auffassung oder Anschauung; dieser würde man glauben, und eben deshalb würde keine Wissenschaft, Metaphysik genannt, entstehen; es sey denn als ein Spiel müssiger Köpfe, das man gerade so ignoriren, und von aller soliden Erfah- rungs-Erkenntniss hinwegscheuchen müsste, wie gegen- wärtig die Metaphysik von ihren Verächtern in der That ignorirt, und aus der Naturforschung wirklich verbannt wird. Diese Verächter und Widersacher können nur da- durch widerlegt werden, dass man ihnen die Widersprü- che nachweis’t, in denen sie aus Mangel an Metaphysik unvermeidlich befangen sind. Sie können nur dadurch versöhnt werden, dass sie einsehn lernen, wie die Meta- physik gerade dasselbe Geschäfft nur fortführt und zu Ende bringt, was der gemeine Verstand, nothgedrungen durch das Widersprechende in den Formen der Erscheinung, von selbst beginnt, indem er die Begriffe von Substanz und Ursache erfindet. Denn diese Begriffe sind keine angeborne, sondern erfundene; sie sind nicht Katego- rien, die unbeweglich vest stünden, und die man darum so lassen müsste, wie sie stünden; sondern es sind halb- vollendete Productionen, die man ganz zu Stande brin- gen muss, damit die Knoten, welche der gemeine Ver- stand nur vorläufig zur Seite geschoben hat, zu einer voll- ständigen Auflösung gelangen mögen. Jene Formen der Erscheinungen aber sind keine an- dern, als die Complexionen, welche wir für die Verknü- pfungen mehrerer Merkmale Eines Dinges ansehn; die Veränderungen dieser Complexionen, welche wir für Ver- änderungen der Dinge nehmen; ferner der Raum, die Zeit, und das Ich. Nachdem die Einsicht gewonnen ist, dass keine dieser, in der Anschauung gefundenen Formen für sich denkbar ist, sucht die Metaphysik die Bezie- hungen derselben auf, wodurch die vorigen Widersprüche verschwinden Was hier behauptet ist, müssen fürs erste meine schon oben genannten Hauptpuncte der Metaphysik verantworten. Man vergleiche auch unten, §. 33—35., und mein Lehrbuch zur Einleitung in die Phi- losophie, im vierten Abschnitte. . Wie verhalten sich nun dazu die Principien der Psychologie? Unter den vorhin genannten Formen ist eine, näm- lich das Ich, welche eben sowohl zur Psychologie als zur allgemeinen Metaphysik gerechnet werden kann; ja das Ich scheint nicht eine Form, sondern gerade der eigent- liche Gegenstand der Psychologie zu seyn. Dass nun gleichwohl die Untersuchung desselben in die allgemeine Metaphysik gezogen werden muss, rührt her von dem un- trennbaren Zusammenhange der ersten metaphysischen Nachforschungen mit der eben erwähnten; welches schon die leichteste Erinnerung an den Idealismus kann vermu- then lassen. Allein wenn auch in einem vollständigen Systeme der Philosophie dasjenige nicht in der Psycho- logie darf wiederhohlt werden, was die allgemeine Meta- physik schon vorweggenommen hat: so bleibt doch der Gegenstand selbst psychologisch, und bezeichnet die in- nige Verbindung der allgemeinen Wissenschaft mit der ihr untergeordneten besonderen. Ausserdem nun hat die Psychologie an den mannig- faltigen Thatsachen des Bewusstseyns, wie schon oben bemerkt worden, ein unermessliches Eigenthum, welches die allgemeine Metaphysik unangetastet lässt; so dass auch diejenigen unter diesen Thatsachen, welche die Eigen- schaften eines Princips an sich tragen, der Psychologie allein gehören. Aber die wissenschaftliche Behandlung dieser bloss psychologischen Principien, die Auflösung der in ihnen enthaltenen Probleme Wer sich nicht gleich erinnert, wie die Principien Probleme enthalten, nämlich vermöge ihrer Beziehungen, welche vollständig auf- zusuchen eine Aufgabe ist: der beliebe in die §§. 11 — 13. zurück- zublicken. , diese muss immer mit Zuziehung der allgemein metaphysischen Lehrsätze bewerkstelligt werden, damit alles gehörig zusammenstimme; und sie kann auch einer solchen Hülfe nicht entbehren, weil in allen speciellen Problemen sich immer die allgemein me- taphysischen, wie die Gattung in der Art, wiederfinden. Man sieht nämlich auf den ersten Blick: dass alle psy- chologischen Principien, so wie sie aus der innern Wahrneh- mung geschöpft werden, zwey Umstände an sich tragen, um derentwillen sie unfehlbar in die allgemein metaphysischen Haupt-Probleme zurückfallen . Sie befinden sich alle unter der Mehrheit von Bestim- mungen, die dem Gemüth als einer Einheit zugeschrie- ben werden; dadurch rufen sie die allgemeine Frage her- bey, wiefern überhaupt Mehreres Einem zukom- men könne ? und diese Frage wird durch die Lehre von der Substanz entschieden. Ferner ist alles innerlich Wahr- genommene im beständigen Kommen und Gehen begrif- fen, es bezeichnet veränderliche Zustände des Gemüths; dadurch gehört es in das Gebiet des Veränderlichen überhaupt , und die Theorie der Veränderung wird da- bey unentbehrlich. Wie nun Jemand die Möglichkeit der Veränderung sich denkt; ob er sie aus äussern Gründen, oder aus in- neren, durch Selbstbestimmung, erklärt, oder ob er ein ab- solutes Werden annimmt Vergl. mein Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, Abschn. 4, Cap. 2. : dieses entscheidet über die möglichen psychologischen Vorstellungsarten, denen er zugänglich ist. Eben so ist es mit den angenommenen Meinungen über die Substanz. Deshalb ist es völlig vergeblich, Jemanden für eine Psychologie gewinnen zu wollen, die seinen metaphysi- schen Vorstellungsarten widerstreitet; es sey denn, dass man seine Metaphysik zugleich mit umbilden könne. Dür- fen aber die Seelenlehrer, welche durch blosse Erfahrung sich berechtigt halten, die metaphysischen Begriffe von Vermögen, Kräften, Thätigkeiten anzuwenden, um dem Gemüth eine Mehrheit davon beyzulegen, dürfen sie erwar- ten, denjenigen zu überzeugen, der eine Metaphysik ent- weder hat, oder auch nur für nöthig hält darnach me- thodisch zu suchen? Es werden weiterhin historische Beyspiele vorkommen, welche dies erläutern können. §. 16. Ausser dem richtigen Verhältniss der Psychologie zur allgemeinen Metaphysik muss auch noch ein scheinbares in Betracht gezogen werden; eben dasjenige, welches die Versuche veranlasst hat, der Metaphysik eine psychologi- sche Grundlage zu geben. Um sich hierin desto leichter zu finden: bemerke man, dass ursprünglich die Metaphysik von Naturbetrach- tungen anhebt, dass sie dabey sogleich auf die Unzuverläs- sigkeit und Undankbarkeit der sinnlichen Erfahrung sto- ssen muss, dass es ihr aber nicht so leicht wird, das Bes- sere an die Stelle zu setzen. Nachdem die ältesten Phi- losophen bald, mit Heraklit, ein absolutes Werden; bald, mit den Eleaten, ein absolutes Seyn; bald, mit Leukipp, das Volle und das Leere und die kleinsten Körperchen; bald, mit den Pythagoräern, die Zahlen, oder mit Platon, die Ideen zum Grunde gelegt hatten: wuchs immer mehr der Verdacht heran, den die Sophisten aussprachen, den Sokrates begünstigte, den die Akademiker und Skeptiker fortdauernd ernährten, dass nämlich jene älteren in eine Tiefe hätten blicken wollen, wo hinein das menschliche Auge nicht reiche; und dass die eigentliche Weisheit darin bestehe, die Schranken unserer Erkenntniss wohl einzu- sehen In Hinsicht der Sophisten ist hoffentlich nicht nöthig, die Hauptsätze des Gorgias und Protagoras hier anzuführen; welche in der That auf das angegebene Resultat hinauslaufen, so weit auch übrigens ihre Lehrart von der des Sokrates entfernt war. Das: παντων χρημα- των μετρον ανϑρωπος, ist eigentlich eine Ermahnung, alles Wissen sey relativ und subjectiv. . Hierin nun liegt offenbar schon die Weisung, erst das: quid valeant humeri, quid ferre recusent , zu er- wägen, das heisst, erst das Vermögen unserer Erkennt- niss genau zu schätzen, ehe man sich in Untersuchungen über die Natur der Dinge verliere. Und was ist natür- licher, als dass man über einem Sprunge, über einer Ver- nachlässigung des Zunächstliegenden, sich zu ertappen glaube, wenn man bemerkt, man habe in den Sternen geforscht, ohne das eigne Herz zu kennen? Nichts destoweniger ist unsre Kenntniss der Himmels- Mechanik gegenwärtig ohne Vergleich vollkommner, als die Kenntniss des Gesetzmässigen in unserm Innern. Und wenn Sokrates wirklich glaubte, mit dem γνωϑι σαυτον leichter fertig zu werden, als mit jenen Nachforschungen, die ihm zu verwegen schienen, so war er in einer mäch- tig grossen Täuschung befangen. Er hatte vergessen, dass es nicht sowohl auf die Di- stanz eines Gegenstandes von uns, sondern auf das Auge ankommt, welches wir für ihn haben. Das sinnliche Auge sieht mit einer Genauigkeit, die sich einer mathemati- schen Bestimmtheit nahe bringen lässt, und es pflegt sei- nen Gegenstand nicht selbst zu entstellen; aber die in- nere Wahrnehmung unterliegt diesem Vorwurfe und ent- behrt jenes Vortheils. Es ist wahr, die sinnlichen Ge- genstände wechseln, sie entstehn und vergehen; aber wir selbst mit unsern Gemüthszuständen sind noch weit un- beständiger als irgend ein äusserer Wechsel. Man muss gestehen, dass die sinnlichen Merkmale der Dinge keines- weges für reale Qualitäten gelten können; aber wenn die Dinge nur in so fern sie uns erscheinen, sich mit Merk- malen bekleiden, so ist es eben so wahr, dass auch wir selbst nur erkennen, wollen und fühlen, in wie fern uns Objecte gegenüber treten, als Zielpuncte unseres An- schauens und Begehrens; Objecte, von deren Jedem ein- zeln genommen wir schon im gemeinen Leben beken- nen, dass es uns nur zufällig begegne. Denn wir lassen dieselben Gegenstände gar nicht für Bedingungen unse- res Daseyns gelten, von denen doch nicht zu leugnen ist, dass sie unser ganzes Wissen um uns selbst bedin- gen. Und während nun dieses Wissen von uns selbst eben so durch Relationen auf das Aeussere afficirt ist, wie das Erkennen der Aussendinge durch die Relation auf uns: vermischt sich jenes sehr leicht mit Einbildun- gen aller Art, von denen dieses viel freyer ist. Das Brü- ten über sich selbst erzeugt Schwärmer; die Beschäffti- gung mit dem was draussen vorgeht, vermag Schwärmer zu heilen. Allen diesen bekannten Wahrheiten zum Trotz nun hat man dennoch gemeint, und meint noch heute, man könne wohl mit grosser Sicherheit Lehren über die For- men und Gränzen des Erkenntnissvermögens aufstellen, und diese zum Maassstabe aller Wahrheit machen; ohne dass man nöthig habe genau zu prüfen, wie das Erkennt- nissvermögen selbst erkannt werde; ob die Wahrnehmung desselben zuverlässig und bestimmt, ob die Begriffe, die man darauf überträgt, deutlich, ob sie auch nur denk- bar seyen? Da nun in der allgemeinen Metaphysik nach- gewiesen wird, dass ein Gemüth, als Einheit mit aller- ley Vermögen, dass schon ein reales Vermögen, welches auf Anlässe zum Handeln wartet, dass endlich das Ich, dieser vermeintlich gehaltlose und unschuldige Begleiter aller unserer Gedanken, lauter undenkbare Begriffe und vollständige Widersprüche sind: so muss das Psycholo- gische, auf welches eine Kritik der Metaphysik sollte ge- gründet werden, vielmehr sich selbst einer Kritik von Sei- ten der Metaphysik unterziehen; und jene Lehren, die das Unterste oben gekehrt haben, müssen sich eine neue Umkehrung gefallen lassen, auf dass die alte gute Ord- nung wieder hergestellt werde. Weil aber nun einmal eine Abweichung von der al- ten guten Ordnung Statt gefunden, und Beyfall gewon- nen, und selbst vielfältigen, nicht zu verkümmernden Dank verdient hat, wegen neuer Aufregung der gesamm- ten speculativen Thätigkeit: so ist es nun nothwendig ge- worden, vor einer ausführlichen allgemeinen Metaphysik, die Beleuchtung der Psychologie, und der Grundlage, die sie haben oder nicht haben kann, vorhergehn zu lassen. Und das gegenwärtige Buch hat wirklich, abgesehen von seinem positiven Inhalte, die Tendenz, eine durchgeführte Ableugnung dessen darzustellen, wovon Andre, als von dem Ersten was man ihnen zugestehen müsse, auszugehn gewohnt sind. VI. Blicke auf die Geschichte der Psychologie seit Des-Cartes . §. 17. Wir haben neuerlich eine Geschichte der Psycholo- gie von Carus erhalten, ohne Zweifel ein verdienstliches Werk. Doch wäre eine Kritik der Psychologie, im Geiste von Schleiermachers Kritik der Sittenlehre, etwas weit wünschenswertheres. Es kann mir nicht einfallen, hier auch nur den ge- ringsten Versuch dieser Art machen zu wollen. Damit meine weitläuftige Einleitung ein Ende finde, muss ich mich begnügen, bis auf diejenigen Vorstellungsarten zu- rückzugehn, welche noch jetzt von Einfluss sind, und ich werde sie nur in so fern in Betracht ziehn, als dadurch für meinen jetzigen Zweck etwas gewonnen wird. Der erste, den ich hier achtungsvoll nennen muss, ist Des-Cartes ; selbstständig und reif in seiner Art als Denker, und geistreich, ohne Künsteley, als Schriftstel- ler. Seine meditationes de prima philosophia sind noch heute höchst empfehlungswerth für Anfänger; besonders wenn ein tüchtiger Lehrer hinzukommt. Das grosse Ver- dienst des Des-Cartes besteht nicht bloss in scharfer Scheidung des Geistes von der Materie, sondern darin, dass er für die ganze Philosophie den rechten Ton an- gab, indem er in das Gebiet des Zweifels vorläufig die ganze Körperwelt, und alle unsre Vorstellungen von der- selben verwies; hingegen das Ich als den Lichtpunct der ersten Gewissheit hervorhob; wodurch jene Besonnenheit möglich wurde, die Kant unter uns erneuerte, und die man niemals wieder hätte verlieren sollen; die Besonnen- heit an das eigne Denken , welches auch der Gegen- stand unseres Denkens seyn möge. — Und welches ist sein Beweis für das Daseyn Gottes? Nicht ursprünglich jenes bekannte Sophisma, nach welchem die Existenz eine der göttlichen Vollkommenheiten seyn soll; dieses rief er freylich zu Hülfe; allein erst, nachdem die grosse Frage: woher kommt die Erhebung meines Gei- stes zu solchen Gedanken, deren Gegenstand in der Erfahrung nicht angetroffen wird ? — ihn dahin gedrängt hatte, den übersinnlichen Ursprung der- selben in Gott zu suchen. Seine Lehre von den angebor- nen Ideen ist übrigens nicht im mindesten schwärmerisch, sondern unvermeidlich für den, welcher nicht schon alles dasjenige weiss, was ich in diesem Buche erst vorzutra- gen gedenke; nunquam iudicavi , sagt er (in den notis in programma quoddam in Belgio editum), mentem indigere ideis innatis, quae sint aliquid diversum ab eius facultate cogitandi: sed cum adverterem, quasdam in me esse cogita- tiones, quae non ab obiectis externis, nec a voluntatis meae determinatione procedebant, sed a sola cogitandi facultate, illas innatas vocavi; eodem sensu, quo dicimus, generosita- tem esse quibusdam familiis innatam, aliis vero quosdam morbos: non quod istarum familiarum infantes morbis istis in utero matris laborent, sed quod nascantur cum quadam dispositione sive facultate ad illos contrahendos . Eine eigentliche Untersuchung über das Ich, muss man jedoch bey Des-Cartes eben so wenig, als bey so vielen Späteren, suchen. Auch liegen bey ihm zu viele metaphysische Irrthümer im Wege, als dass er die wahre Psychologie hätte finden können. Zwar nicht das kann ihm zum Vorwurf gereichen, was vermuthlich unsre heutigen Anthropologen zuerst an ihm tadeln würden, dass er die Seele zu weit vom Körper trenne: denn von der engen Verbindung beyder war er so überzeugt, dass er sogar, auf der entgegengesetzten Seite übertreibend, meint, die Verbesserung des Menschengeschlechts müsse in der Medicin gesucht werden In der dissertatione de methodo , gegen das Ende. . Eben so wenig hat ihn eine falsche Freyheitslehre — der Punct, an welchem so Viele scheitern, geblendet; er lehrt sehr richtig: indifferentia, quam experior, cum nulla me ratio in unam partem magis quam in alteram impellit, est infi- mus gradus libertatis; et nullam in ea perfectionem, sed tantummodo in cognitione defectum testatur; nam si semper, quid verum et bonum sit, clare viderem, nunquam de eo quod esset iudicandum vel eligendum, deliberarem Meditatio quarta . . Aber sehr nachtheilig mussten ihm solche Irrthümer wer- den, wie die Anknüpfung des Seyn an die Zeit, und die Meinung, dass die Zeittheile von einander unabhängig wä- ren; daher denn aus unserm Daseyn in einem Augen- blicke noch nicht das Daseyn im nächsten Augenblicke folgen soll Princ. philos. I, 21. . Wichtiger noch sind die Fehler in sei- ner Lehre von der Substanz ; er lässt eine Mehrheit von Attributen zu; lässt die Substanzen afficirt und verändert werden; glaubt deren Natur zu erkennen, indem Ausdeh- nung das Wesen des Körpers, Denken das des Geistes ausmache; nimmt gleichwohl eigentlich nur eine wahre Substanz an, nämlich Gott, welcher allein zu seinem Da- seyn keines andern Gegenstandes bedürfe Ibid . 51—56. : — kurz, man erblickt hier den ganzen Spinozismus im Keime. Mögen alle Anhänger des Spinoza sorgfältig den Des- Cartes studiren; sie werden ihn dann weniger anstaunen; — so wie die Gegner desselben eine Lehre in milderem Lichte erblicken werden, die nichts als ein natürlicher Auswuchs aus Des-Cartes Irrthümern ist. Doch die- ser Gegenstand kann hier nicht ausgeführt werden; ich gehe über zu dem berühmten Widersacher des Des- Cartes im Puncte der angebornen Ideen; zu Locken , dem eine länger dauernde Wirksamkeit beschieden war. Locke nannte sein Werk einen Versuch über das Denkvermögen Er sagt im zweyten Buch, c. VI. §. 2 . the power of thinking . Jemand, der von unsern neuern Psychologien zu demselben käme, würde sich über den Plan des Werks wundern können. Die Erwartung einer Abhandlung der verschiedenen Vermögen, die man dem Erkenntnissvermögen (als ob die Vermögen wie Ar- ten unter Gattungen enthalten wären) unterzuordnen pflegt, also die Erwartung einer Lehre von der Sinnlich- keit und so ferner bis zur Vernunft, würde sehr getäuscht werden. Nicht nur hat Locke , wie Tennemann (in der Uebersetzung von Degerando’s Geschichte d. Phi- los. 1. Band, S. 226. in der Note) bemerkt, die vollstän- dige Aufzählung der Geistesvermögen nicht zum Gegen- stande seines Nachdenkens gemacht: — sondern er er- scheint auf den ersten Anblick äusserst nachlässig in der Stellung dieser Geistesvermögen. Mitten im zweyten Buch, das überschrieben ist von den Ideen , handeln das neunte, zehnte und elfte Capitel von Wahrnehmung, Ge- dächtniss, Witz, Scharfsinn, Abstractionsvermögen; vor- her und nachher ist von einfachen und von zusammen- gesetzten Ideen die Rede. Dann aber findet sich viel weiter hin, nämlich im vierten Buch, das vierzehnte Ca- pitel von der Beurtheilungskraft, und nach eingeschobe- nen Untersuchungen über die Wahrscheinlichkeit, das siebenzehnte Capitel von der Vernunft. Man erräth so- gleich, dass diese scheinbare Unordnung von einem Plane herrührt, der die Aufzählung der Geistesvermögen aus- schliesst ; und das erhellt auch aus dem Satze: alle unsre Ideen kommen von Sensation und Re- flexion , welche beyde Thätigkeiten bey Locke noch so ziemlich dem ähnlich sehen, was Andre Geistesvermö- gen nennen; aber auch grossentheils die Stelle der übri- gen Vermögen vertreten. Jedoch die Hauptsache ist, dass Locke der ächten Erfahrung, um einen guten Schritt näher blieb, als Jene, die uns von ihren Abstractionen, und deren hinzugedach- is called the understanding ; und um so weniger habe ich das Wort understanding , wie gewöhnlich, durch Verstand übersetzen wollen. ten Substraten, den Seelenvermögen, unterhalten. Locke durchsucht unsern ganzen Gedankenvorrath, und er un- ternimmt, sich darauf zu besinnen, wie wir zu jeder Art von Gedanken mögen gekommen seyn. Er hat hier we- nigstens in so fern vesten Grund, dass die Gedanken und Vorstellungsarten, von denen er redet, wirklich vorhan- den sind; diese kann man nicht, gleich den Seelenver- mögen, für Hirngespinnste erklären, denn man ist sich ihrer wirklich unmittelbar bewusst. Auch das, was er über die Entstehung dieser Gedanken sagt, kann dienen, uns an Vieles zu erinnern, was wir, mehr oder minder be- stimmt, von den geistigen Bewegungen innerlich wahrzu- nehmen vermögen. Freylich verräth sich dabey auch oft ge- nug die allgemeine Neigung, die Erfahrung durch Erschlei- chungen zu verunstalten, und besondere Anlagen nach Bequemlichkeit zu erdichten. Ein Beyspiel giebt das Ge- dächtniss. Dieses ist auch dem Locke eine „ ability in the mind, when it will to revive them (die Vorstellungen) again “ Book II. Chap. X. §. 2. . Und wenn man ja geneigt wäre, diese ability nicht für ein erdichtetes Vermögen, sondern für die blo- sse allgemeine Bezeichnung einer Classe von Thatsachen, ohne Erklärung derselben, zu halten: so verdirbt Locke alles an der Stelle, wo er des höchst merkwürdigen und ganz allgemeinen Phänomens erwähnt, dass wir nur eine sehr kleine Anzahl von Vorstellungen auf einmal im Be- wusstseyn gegenwärtig haben können. Hier spricht er von einer narrowness of the human mind , als von einer beson- dern Eigenthümlichkeit der menschlichen Anlage, und er- laubt sich die Hypothese, dass bey andern endli- chen Vernunftwesen dies wohl anders seyn könne ! Wie gänzlich darin jede Ahndung einer rich- tigen psychologischen Ansicht verfehlt ist, wird hoffent- lich tiefer unten klar genug werden. Und doch ist dies völlig gemäss der gewohnten Weise, die Phänomene, die man man als Principien benutzen sollte, durch Erdichtung ver- borgener Qualitäten für alle weitere Forschung zu ver- derben. Im Allgemeinen jedoch ist Locke ’s Ansicht dem Feh- ler, den er in Ansehung des Gedächtnisses beging, ge- rade entgegengesetzt. Als eifriger Bestreiter der angebor- nen Ideen, wollte er die Seele von der Mannigfaltigkeit dessen, womit man sie ursprünglich ausgesteuert glaubte, vielmehr befreyen; um für eine, auf Erfahrung gebaute, Theorie Raum zu gewinnen, die, wenn nicht einer ma- thematisch-physikalischen Demonstration, so doch einer pragmatischen Geschichtserzählung mag verglichen wer- den. Schade, dass ihm das Haupt-Argument seiner Geg- ner, das von den allgemeinen und nothwendigen Wahr- heiten hergenommen ist, und das Leibniz in den nou- veaux essays gegen ihn gelten macht, nicht in seiner ganzen Stärke scheint vorgeschwebt zu haben. Dies Ar- gument beginnt mit triftigen Gründen, und endigt mit einer Erschleichung. Man sagt mit Recht, Erfahrung gebe nur das Einzelne, Wirkliche, nicht das Allgemeine und Nothwendige. Man schliesst auch noch richtig, es müsse das letztre auf der Eigenthümlichkeit des erken- nenden Subjects beruhen. Aber man erschleicht die Mehrheit verschiedener Formen des Erkenntnissvermö- gens, oder auch die Mehrheit der angebornen Ideen; mit einem Wort, man erschleicht die vorausgesetzte Man- nigfaltigkeit der Anlage und die besondre Na- tur des Subjects, woraus man erklären will, dass dieses Subject, der Mensch, gerade diese und gerade so viele nothwendige Wahrheiten, und keine andern, in seinem Denken antreffe. Denn man hat nicht untersucht, ob nicht die Nothwendigkeit in allen jenen Wahrheiten nur von einerley Art sey; und ob nicht der Eine Grund die- ser Nothwendigkeit unmittelbar in der Einheit des er- kennenden Wesens , ohne irgend eine weitere Be- stimmung seiner Qualität, vollends ohne irgend eine Man- nigfaltigkeit von Einrichtungen in demselben, vollständig I. D enthalten sey. Dieses nun ist meine Behauptung, und das gegenwärtige Buch, in Verbindung mit der allgemei- nen Metaphysik, soll den Beweis davon führen. Ich behaupte dem gemäss ferner, dass Locke und Leibniz in dem Puncte, von wo ihre Streitigkeit aus- ging, beyde Recht hatten; und nur in so fern Unrecht, als sie ihre Meinungen nicht zu vereinigen wussten. Locke hat vollkommen Recht, die Seele eine ta- bula rasa zu nennen; Leibniz ihm gegenüber Unrecht, wenn er die Seele einer mit Adern durchwachsenen Mar- morplatte vergleicht. Hinwiederum Leibniz hat voll- kommen Recht, wenn er (im Anfange des zweyten Buchs der nouveaux essays ) dem Satze: nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu , die Erinnerung beyfügt: nisi ipse intellectus . Nur dass in diesem intellectus nichts Präfor- mirtes, von welcher Art es immer sey, angenommen werde! Die blosse Einheit der Seele, welche nicht einmal eine Eigenschaft derselben, sondern nur eine Bestimmung unseres Begriffs von der Seele ist, — diese reicht hin, alles das zu erklären, was Leibniz aus der Erfahrung nicht wollte abgeleitet wissen. An dem Locke ’schen Werke aber müssen wir noch eine Hauptseite auffassen; gerade die, worüber er selbst gleich im Anfange sich am ausführlichsten und nachdrück- lichsten erklärt. Den ersten Antrieb zu seiner Arbeit hat er in dem Gedanken gefunden, dass wir überlegen müs- sen, wie weit unsre erkennenden Kräfte rei- chen , ehe wir uns auf den weiten Ocean der Dinge wa- gen dürfen; und dass wir unsre Aussicht und Hoffnung auf Erkenntniss nach unsern Fähigkeiten zu beschränken haben. Ursprung, Gewissheit und Ausdehnung der mensch- lichen Erkenntniss, das ist’s was Locke ermessen will. Ein solches Unternehmen sind wir heutiges Tages ge- wohnt eine Vernunftkritik zu nennen. Aber es ist weit leichter zu begreifen, wie Locke , als wie Kant seinen philosophischen Nachforschungen eine solche Form geben konnte. Locke , der Weltmann, verliess sich weit vester auf seine unmittelbare gesunde Ansicht aller Dinge, als auf irgend eine schulmässige Untersuchung; wie weit er darin geht, sieht man unter andern aus seinen harten Erklärungen gegen die Syllogismen Book IV. Chap. XVII. §. 4. Their chief and main use is in the schools, where men are allowed without shame to deny the agreement of ideas, that do manifestly agree etc. . Ihm konnte es daher am wenigsten in den Sinn kommen, sich die Frage: wie macht man es, das Erkenntnissvermögen zu erkennen , ernsthaft vorzulegen; denn die Reflexion, der Blick in sich selbst, schien ihm diejenige Erkenntnissart zu seyn, über welcher eine zuverlässigere sich gar nicht denken lasse. Er traute also der innern Wahrnehmung geradehin; und hätte sich z. B. nie einfallen lassen, die Verstandesbegriffe aus den logischen Functionen im Ur- theilen erst noch ableiten zu wollen. Er hatte auch keinen kategorischen Imperativ; sondern der Satz: no in- nate practical principles! gehörte wesentlich zu seiner gan- zen Ansicht. Worin das Wesen des Geistes bestehe, wiefern unsre Gedanken von der Materie abhängen, sind ihm: speculations, which, however curious and entertaining, I shall decline, as lying out of my way . So sprechen die Weltleute; aber nur ein Mann von Locke’s ernstem, wahrheitliebendem, frommen Charakter, konnte sich ein Geschäfft daraus machen, durch ausführliche Musterung unsers ganzen Gedankenvorraths diejenigen Warnungen gegen die Speculation zu unterstützen, welche Andre leicht angedeutet und lächelnd hinzuwerfen pflegen. So ent- stand seine Vernunftkritik, und in ihr passen Form und Inhalt, Principien, Methoden und Resultate vollkommen wohl zusammen. Will man sich über sie erheben, so ist zu wünschen, dass man es ganz thue, — dass man vor allen Dingen die Unzulänglichkeit der innern Wahrneh- mung, welche zu jeder Vernunftkritik das Object der Un- tersuchung herbeyschaffen muss, vollständig erwäge. D 2 §. 18. Genügen wird Keinem das Locke’s che Werk, der metaphysische Ueberzeugungen besitzt. Gleich die erste Erkenntnissquelle, die Sensation, musste Leibniz ab- leugnen, der bey seiner Einsicht in die Unmöglichkeit je- des physischen Einflusses, alle Vorstellungen der Seele ohne Ausnahme, von ihrer eignen Entwickelung erwar- tete. Und es ist nur Gefälligkeit (die aber die Untersu- chung erschweren dürfte,) wenn sich Leibniz schon beym ersten Paragraphen auf einen Standpunct herab- lässt, wo er von Vorstellungen, die durch die Sinne ge- geben werden, reden kann, im Gegensatz gegen die noth- wendigen Wahrheiten. Dass die Leibniz’s chen nou- veaux essays dem Locke ’schen Versuche Schritt für Schritt folgen, hindert vielfältig die freye und vollständige Ent- wickelung der Gedanken. Wie die Erfahrungslehre des Engländers gegen die Metaphysik des Deutschen anstiess, übersieht man besser auf einen Blick in den kurzen re- flexions sur l’essay de Mr. Locke Leibnitii op. ed. Dutens. Vol. II. pag . 218. ; wo Leibniz unter andern das wahre Wort spricht: la question de l’origine de nos idées n’est pas préliminaire en philosophie, et il faut avoir fait de grands progrés pour la bien resoudre . — Eine erhabene Phantasie, unterstützt von einigen tiefgegriffenen speculativen Hauptgedanken, hatte Leib- nizen dahin gebracht, überall in der Welt und in der Seele, lauter Fülle und Continuität, gesetzmässige und harmonische Entwickelung zu erblicken. Daraus entsprang ein psychologischer Hauptsatz, der hoch hervorragt, über die Verbindung der beyden so genannten Hauptvermögen des Verstandes und Willens. Les qualités et actions in- ternes d’une monade ne peuvent être autre chose que ses perceptions — et ses appétitions, c’est-à-dire, ses ten- dances d’une perception à l’autre A. a. O. S. 32. . Deutlicher noch: actio principii interni qua fit mutatio, seu transitus ab una perceptione ad alteram, appetitus appellari potest. Verum quidem est, quod appetitus non semper prorsus perve- nire possit ad omnem perceptionem, ad quam tendit; semper tamen aliquid eius obtinet, atque ad novas perceptiones per- venit A. a. O. S. 22. Mit Hülfe dieser Stelle des Leibniz wür- den vielleicht Einige das besser verstanden haben, was ich in mei- ner praktischen Philosophie S. 28—31. über das Begehren gesagt habe. . Die Seele, in stetiger Entwickelung fortschrei- tend, erzeugt Vorstellungen; die Erzeugung selbst, die Handlung des innern Princips, als noch nicht vollendet sondern eben jetzt im Streben zum Vorstellen begriffen, ist das Begehren. Hier ist zwar leicht zu sehen, dass noch genauere Bestimmungen fehlen; denn das blosse Aufstreben einer Vorstellung, für sich allein, und wenn es ungehindert vollzogen werden kann, giebt so zu sagen die Befriedigung vor der Begehrung, und eben darum weder eins noch das andre; indem in jedem Augenblicke dem Streben vorzustellen auch das realisirte Vorstellen entspricht. Es muss also noch eine Hemmung hinzukom- men, welche das Streben zu überwinden habe; — doch an diesem Orte ist es uns nicht um eine Theorie der Be- gierde, sondern darum zu thun, dass man den Keim ei- ner solchen Theorie bemerke, welcher gemäss die Bezie- hung des Begehrens auf das Vorstellen (§. 12.) begreif- lich, und der Uebelstand vermieden werde, dass dieser of- fenbaren Beziehung ungeachtet, die Psychologien das Be- gehrungsvermögen neben dem Erkenntnissvermögen hin- stellen, und jedes besonders abhandeln, ohne sich um die Umstände zu bekümmern, unter denen das Vorstellen un- fehlbar in ein Begehren übergehen muss. Leibnizens richtigen Gedanken hoffe ich am gehörigen Orte bestä- tigen und ausführen zu können; obgleich die dahin ge- hörigen Ueberzeugungen viel früher, bevor ich die Werke jenes Philosophen studirte, bey mir vest standen. Es ist die Untersuchung über das Ich, welche mich hier, wie in mehrern Puncten, auf Leibnizens Spur geführt hat, wie man tiefer unten §. 36. 37. 104. sehen wird. Wie das Begehren sammt dem Vorstellen nach Leibniz zu den Qualitäten der Seele als einer Sub- stanz gehört: so heftet sich bey ihm an denselben Punct auch noch der Satz, dass die Seele stets denkt. Die Substanz kann nicht ohne Wirkung, und in der Seele kann keine geistige Leerheit seyn. Wiewohl ich nun hier so wenig, als in dem Grundbegriff der Substanz selbst mit Leibniz einstimme, so muss ich doch auf einige Folgerungen aufmerksam machen, die er aus jenen Sätzen zieht. Die Seele hat eine Menge von kleinen Vorstel- lungen ; verbinden sich dieselben zu stärkeren, so wird man sich ihrer bewusst; ausserdem kann man sich von ihnen keine Rechenschaft geben; und man muss demnach die Perceptionen von der Apperception wohl unterschei- den. L’Apperception est la conscience, ou la connaissance réflexive de l’état intérieur A. a. O. S. 33. . Das Geräusch des Meeres entsteht aus dem Geräusch jeder Welle; die einzelne Welle würde keine bemerkbare Vorstellung darbieten; gleichwohl muss aus der Summe aller einzelnen kleinen Vorstellungen das gesammte Geräusch entspringen, wel- ches zu vernehmen wir uns bewusst sind Nouveaux essays im Anfange. . — Dass dieser wichtige Gegenstand, über welchen neuerlich Platt- ner und Reinhold verschiedener Meinung gewesen sind Plattners philos. Aphorismen §. 63. 65. Reinholds Theorie des Vorstellungsvermögens, drittes Buch §. 38. , wieder in Frage genommen werde, muss mir für meine Untersuchungen wünschenswerth seyn. Schon an- derwärts Königsberger Archiv für Philosophie u. s. w., drittes Stück, und de attentionis mensura . habe ich gezeigt, dass die momentanen Auf- fassungen durch die Dauer einer Wahrnehmung zu einer Totalkraft erwachsen, wofern nicht die momentane Auf- fassung zu schwach ist; ich habe versucht, dieses mathe- matisch zu bestimmen. Hierher aber gehört vorzüglich die Bemerkung, dass zwey beynahe gleichklingende Aus- drücke einen ganz verschiedenen Sinn haben: ins Be- wusstseyn kommen , und, den Gegenstand aus- machen, dessen man sich bewusst wird . Die zu- vor genannten kleinen Vorstellungen kommen ohne Zwei- fel ins Bewusstseyn; gleichwohl werden wir uns ihrer nicht bewusst, wir können es uns nicht sagen , dass sie ins Bewusstseyn gekommen seyen. Dieses, was schwer zu verstehen scheint, muss am gehörigen Orte vollkom- men klar werden; indessen wird es Gewinn seyn, die Sache schon hier so weit als möglich ins Licht zu setzen. Zuvörderst: die Seele hat viele Vorstellungen, die den- noch nicht im Bewusstseyn sind. Dieses sind die völlig gehemmten, oder nach gewöhnlicher Benennung, die im Gedächtniss ruhenden Vorstellungen. Ferner, diese ge- hemmten Vorstellungen waren früher im Bewusstseyn, und kehren in dasselbe zurück , wenn die Hemmung nachlässt. Allein um nun auch noch sich ihrer be- wusst zu werden , (sie zu appercipiren,) — dazu ge- hört, dass sie selbst Objecte eines neuen Vorstellens wer- den; welches niemals durch sie selbst, sondern allemal nur durch eine andre Vorstellungsreihe geschehn kann. Dieses aber hängt gewöhnlich von ihrer Stärke, zuweilen von ihrer Neuheit, überhaupt von den Umständen ab, unter denen eine Vorstellungsreihe auf eine andere Ein- fluss hat, und ein Object derselben wird. Leibnizens Aufmerksamkeit auf die kleinen Vor- stellungen, durch deren Hülfe er die Continuität der geistigen Phänomene verfolgt, und denen er „ mehr Kraft als man denken sollte ,“ zuschreibt, verräth das Auge des Metaphysikers, dem es nicht genügt, nur das anzuschauen, was auf dem Vorhange der Wahrneh- mung zu sehn ist, sondern der hinter den Vorhang blickt, und dort — nicht etwan erdichtete Seelenvermögen, son- dern die wahren Kräfte aufsucht, aus denen die sämmt- liche Thätigkeit des Gemüths erklärt werden muss. Denn eben die Vorstellungen selbst sind die Kräfte der Seele. Vorstellungen sind nicht etwan blosse Bilder, ein nichti- ger Widerschein des Seyenden, sondern sie sind das wirkliche Thun und Geschehen, vermöge dessen die Seele ihr Wesen aufrecht hält, und ohne welches sie aufhö- ren würde zu seyn was sie ist. Um aber die Art, wie die Vorstellungen zusammenwirken, genau kennen zu ler- nen, muss man nicht die grossen Massen von Vorstel- lungen, welche die innere Wahrnehmung vorfindet, noch die ganzen Classen von Gemüthszuständen, an wel- chen der logische Scharfsinn der meisten Psychologen sich übt, — sondern man muss gerade wie Leibniz die kleinen Vorstellungen ins Auge fassen, — und ich kann hinzusetzen, man muss auch durch Leibnizens Erfindung, die Rechnung des Unendlichen, das Auge schärfen, um die kleinen Vorstellungen in ihrer Wirk- samkeit beobachten zu können. Nehme ich noch hinzu, dass schon Leibniz den vollkommen richtigen Gedanken verbreitete, die Seele erzeuge alle ihre Vorstellungen aus sich selbst : so könnte ich mich einen Augenblick der Verwunderung hingeben, dass so treffliche Vorarbeiten dennoch keine tüchtige Psychologie erzeugt haben ! — Aber die prästabilirte Harmonie — nach welcher die Seele nicht bloss aus und durch sich selbst, sondern auch von selbst , ohne äussere Veranlassung, ihre Vorstellungen erzeugen soll, — hat ihre schwachen Seiten; sie ist mit theologischen und naturphilosophischen Meinungen ver- wickelt; sie wurde dadurch vielmehr ein Gegenstand, als eine Quelle neuer Nachforschungen; sie wurde verworfen, und vielleicht beynahe vergessen. Leibnizens Lehre wurde niedergedrückt, theils durch die auf den ersten An- blick klärere Lehre des Locke , welcher sie noch mehr zu widerstreiten schien, als sie ihr wirklich entgegen ist, (denn die Sätze, dass die Seele ursprünglich eine tabula rasa ist; und, dass sie ihre Vorstellungen aus sich selbst er- zeugt, können und müssen vereinigt werden,) theils durch den scheinbar befreundeten Einfluss des Wolffi schen Systems. §. 19. Wenn das imposante Ansehen eines, in viele Fä- cher getheilten, von Definitionen und Divisionen angefüll- ten, Lehrgebäudes eben so geschickt wäre, ächtes Den- ken zu erwecken, als es fähig ist, Schüler anzulocken: so müsste die Wolffi sche Periode in der That die Blü- thezeit der Philosophie gewesen seyn. Aber je grösser die Menge des eingebildeten Wissens, desto geringer ist die Spannung des Forschungsgeistes; und dieser wird durch einen kurzen Aufsatz von Leibniz mehr angeregt, als durch einen ganzen Band von Wolff . Der Wolffi schen Philosophie wird manchmal so erwähnt, als ob sie zu der Leibnizi schen beynahe wie die Form zum Inhalte gehörte. Aber wer Leibnizens Lehre vollends ausarbeiten und systematisch vortragen wollte (womit ihr vielleicht kein grosser Dienst geschähe, denn als System betrachtet, dürfte sie manche Blössen zeigen, und als eine Summe von geistreichen Räsonne- ments ist sie von Leibniz selbst in sehr ansprechende Formen gebracht worden,) der müsste doch vor allen Dingen die prästabilirte Harmonie, auf deren Erfindung Leibniz selbst überall so vieles Gewicht legt, oder ei- gentlich den Grundgedanken dieser Lehre, dass keine Substanz in die andre eingreifen könne Leibnitii op. ed. Dutens. Vol. II. pag . 21. §. 7. , zum Haupt- und Mittelpunct des Ganzen machen; er müsste also wohl vor allen Dingen selbst recht vest davon überzeugt seyn. Aber es ist bekannt, wie Wolff diesen Punct zu um- gehen, wie er davon alles übrige möglichst unabhängig zu machen sucht. Mea parum refert, quid de causa com- mercii animae cum corpore statuatur; sind seine eignen Worte Wolfii psychol. rationalis in praefatione . . Wie verträgt sich diese Gleichgültigkeit mit dem Unternehmen, in der Psychologie, in der Metaphy- sik, Hauptwerke zu schreiben! Auf Wolffs Versuch einer Trennung der rationa- len und empirischen Seelenlehre weiter einzugehn, ver- bietet schon der Umstand, dass eben in seiner empiri- schen Psychologie, wo er reine Erfahrung verspricht, der Hauptsitz der Seelenvermögen sich befindet. Die Art, wie er diese Vermögen einführt, die Rechtfertigung aber verschiebt, ist auffallend genug. Quotnam sint animae facultates, et quales sint, in Psychologia empirica declara- mus; quid vero proprie sint et quomodo animae insint, in Psychologia rationali demum declarabitur Wolfii psych. empirica . §. 29. . Wir sollen also in der empirischen Psychologie zuvörderst uns an die Seelenvermögen gewöhnen ; wir sollen auch vorläu- fig allen Erschleichungen überlassen bleiben, die sich da- mit verbinden möchten; ein andermal will man unsre Be- griffe berichtigen! Doch wir wenden uns sogleich an die Psychologia rationalis: was werden wir finden? Faculta- tes animae — cum sint nudae agendi possibilitates: ani- mae tribuere diversas facultates idem est ac affirmare, pos- sibile esse ut diversae eidem inexistant actiones Wolfii psych. ration . §. 81. — Wie es aber eigentlich ge- meint sey, das erfährt man nicht so wohl wenn man die Psychologen fragt , als wenn man sie ertappt . So lässt sich Wolff ertappen im §. 601. der psych. empir . Zuerst sagt er recht gut: appetitus mu- tatur in aversationem; dann verbessert er sich: appetitus dicitur mu- tari in aversationem, quando loco facultatis appetendi sese exe- rit facultas aversandi! . Wor- aus folgt, dass die Seele so vielerley Vermögen habe, als nur immer Handlungen in ihr vorgehn; so dass alles auf die Richtigkeit und Zulänglichkeit der Abstractionen ankommt, durch welche man die Arten und Gattungen dieser Handlungen vestsetzt. Wie sicher und genau nun das Geschäfft des Abstrahirens da vollbracht werden könne, wo man nichts als fliessende und schwindende Zustände vorfindet; wie viel alsdann ferner die gemach- ten Abstractionen helfen können, um die Erfahrung von diesen fliessenden Zuständen, nicht etwan zu erklären, sondern nur treulich aufzufassen; wie wohl oder übel demnach die empirische Psychologie mit dem Register von Seelenvermögen berathen sey: darüber ist oben ge- redet worden. Wir wollen uns daher nicht damit bemü- hen, diejenigen Abstractionen, welche Wolff wirklich verzeichnet hat, näher anzusehen. Und wenn die Neuern ihm zu seinem Erkenntniss- und Begehrungsvermögen noch ein ganzes Hauptvermögen, das Gefühlvermögen, hinzugefügt haben: so wollen wir darum eben nicht glau- ben, die Neuern hätten es besser verstanden wie Er, son- dern wir wollen diese Mishelligkeit lieber aus der Unsi- cherheit des ganzen Unternehmens, die nahe an Unbrauch- barkeit gränzt, zu begreifen suchen. Dagegen aber be- gleiten wir Wolffen , den Metaphysiker, noch ein Paar Schritte in seine Ontologie hinein. Er selbst weiset uns dahin. Denn in dem schon angeführten §. sagt er wei- ter: necesse est ut detur ratio sufficiens, cur talia in anima possibilia sint. Quare cum in essentia contineatur ratio eo- rum, quae praeter eam enti vel constanter insunt, vel inesse possunt, — per vim animae intelligi debet, cur talia in anima possibilia sint . Man spanne aber die Erwartung ja nicht zu hoch! Denn es heisst gleich weiter: Tribuuntur itaque animae tales facultates, quia possibile est ut talia per vim eiusdem diversis legibus obtemperantem actuentur . Man lege also nur die verschiedenen Möglichkei- ten in die Eine Kraft hinein, damit man sie alsdann wieder daraus begreifen könne! Es folgen aber noch Beyspiele. Die Luft lässt sich verdichten; also hat sie ein Vermö- gen verdichtet zu werden. Der Stein kann warm wer- den; also hat er ein Vermögen warm zu werden. „Haec calefiendi potentia quo modo inest lapidi, eodem modo fa- cultas quaelibet inest animae.“ Da wir aber noch nicht wissen, wie eigentlich der Stein und die Luft allerley Vermögen enthalten können, vielmehr diese gar nicht ge- ringen physikalischen Fragen noch eher an den Seelen- vermögen, welche wenigstens scheinbar durch ein Gefühl des Könnens sich innerlich kund thun, Beyspiel und Er- läuterung finden möchten: so werden wir am Ende in die Ontologie geschickt; und zwar in das Capitel de notione entis; wo wir unter andern folgende Offenbarung empfan- gen: Si ens quoddam concipiendum, primo loco in eo po- nenda sunt, quae sibi mutuo non repugnant Wolfii ontologia . §. 142. . Hier muss nothwendig derjenige bestürzt werden, der bis- her von dem Seyenden den Begriff hatte, dass es eine völlige Einheit, ohne alle Mannigfaltigkeit, ausmache. Bey Wolffen scheint es nicht einmal einer Frage werth, ob, und in wiefern eine innere Mehrheit sich mit der notione entis vertrage? Auch giebt es dann gleich weiter so viele essentialia, attributa, modi , die alle gera- den Weges durch Namenerklärungen eingeführt werden; dass wir schon darauf gefasst seyn müssen, diese Fülle auch bey dem ens simplex nicht los zu werden, von wel- chem keine andre Verneinungen vorkommen, als die sich auf die Ausdehnung beziehen Ibid . §. 683. . Und auch in dem lan- gen Capitel mit dem vielversprechenden Titel: de modifi- cationibus rerum, praesertim simplicium , wird man schwer- lich eine tüchtigere Aussage finden, als die im §. 712.: Praesupponi debent in ente essentialia, antequam attri- buta et modi sequi possunt . — Doch es ist bekannt, wie Wolff durchgängig über dem ens , (dem was seyn kann) das Esse vergass, wie er die Möglichkeit und die Namen- erklärungen voranschickte, die Realität aber, man weiss nicht recht wie, hintennach dazu kommen liess; wie er vor lauter logischer Deutlichkeit die eigentlichen Dun- kelheiten gar unsichtbar machte. Ein solcher Mann konnte der Psychologie nicht aufhelfen; wohl aber den Winken des Leibniz die nöthige Aufmerksamkeit ent- ziehen. §. 20. Seit Wolffs Zeiten haben zwar Materialisten, Skep- tiker, Physiologen, die Seelenlehre in mancherley Schwan- kungen zu setzen, die Freunde der Erfahrung dagegen sie vestzuhalten und durch Beobachtungen zu bereichern versucht. Allein erst die Kant’s che Lehre gewann, we- nigstens in Deutschland, eine allgemeinere Herrschaft, und damit einen entscheidendern Einfluss auch auf die Psychologie. Und ungeachtet des Zwischenraums zwi- schen Wolff und Kant , erinnert doch der letztere oft genug an jenen, wie auch an dessen Vorgänger. Die ersten Worte der Kritik der reinen Vernunft scheinen zu Locken geredet; die Erwähnung der nothwendigen und allgemeinen Wahrheiten unterstützt Leibnizen ; und vielfältig in dem Kant’s chen Hauptwerke werden Locke und Leibniz einander gegenüber gestellt. Ohne Vergleich lebendiger ist der Ausdruck der Speculation bey Kant als bey Wolff ; aber die Namenerklärungen, aus denen Wolff grossentheils sein Lehrgebäude auf- führte, finden doch einen Nachklang in der Terminologie, womit Kant , über den Bedarf, sein Werk ausschmückte. Die rationale Psychologie, welche sich Wolff als sein verdienstliches Werk zuschrieb, fand ihren Gegner in Kant ; aber den Seelenvermögen, die jener systematisch abhandelte, widerfuhr die Ehre, von dem letztern noch weit mehr auseinander gesetzt zu werden. Erinnert man sich der starken Gegensätze, welche Kant zwischen der Sinnlichkeit und dem Verstande, zwi- schen dem Verstande und der Vernunft, zwischen der theoretischen und praktischen Vernunft, zwischen der praktischen Vernunft und dem niedern Begehrungsvermö- gen, endlich zwischen den beyden Arten der Urtheilskraft bevestigte: so mag man wohl überlegen, ob jemals ein Philosoph die Einheit unsrer Persönlichkeit so gewaltsam behandelt; das fliessende unserer Zustände, das Ineinan- der-Greifen aller unsrer Vorstellungen, das allmählige Entstehen eines Gedankens aus dem andern, so wenig in Betracht gezogen; hingegen an der Verschiedenheit einiger Haupt-Resultate der geistigen Bewegungen, und an dem Widereinanderstossen einiger Vorstellungsreihen sich so einzig gehalten haben möge? — Und welches ist das Band, durch welches jene weitgetrennten Vermögen zusammengehalten werden sollen? Um es zu finden, müs- sen wir bemerken, dass Kant für die Vereinigung des Mannigfaltigen in der Anschauung weit mehr besorgt war, als für die Einheit des Geistes selbst; und dass er zu diesem Behufe eine ursprünglich synthetische Einheit der Apperception, nebst einer objectiven Einheit des Selbst- bewusstseyns aufstellte, indem er das: Ich denke , allen unsern Vorstellungen zum (möglichen) Begleiter gab. Aber dieses Ich erklärt er weiter hin für die ärmste und gehaltloseste Vorstellung unter allen; ein Gegenstand, auf den wir weiterhin zurückkommen müssen. Was Wun- der indessen, wenn das Gefühl des Mangels an Verbin- dung, schon von den nächsten Nachfolgern Kants Einige antrieb, eben an dieser Stelle, wo noch eine Spur von Zu- sammenhang sich zeigte, sich anzubauen? Das Bewusst- seyn und das Selbstbewusstseyn zum Princip der Kant - schen Philosophie, und damit der Philosophie selbst, — als zu dem Einen was Noth thue, zu erheben? An diesen Ver- such haben Mehrere der scharfsinnigsten Männer ihre Kräfte gewendet, und zum Theil verschwendet; in der That aus zu grossem Vertrauen auf die Kant’s che Lehre, welche sie dadurch besser zu stützen gedachten. Gegenwärtig ist es Zeit, es laut zu sagen, dass dieser Weg irre führt; ob- gleich die Kant’s chen Schriften einen Schatz von Beleh- rungen enthalten, den Niemand verschmähen soll. Was nun insbesondre Kants Kritik der rationalen Psychologie anlangt: so sind darüber zwey Bemerkungen zu machen. Die eine ist nur Anwendung einer allgemei- nen Betrachtung auf einen speciellen Fall. Kant hat nämlich überhaupt nicht genug dafür gesorgt, an den Stellen, wo er die ältere Metaphysik widerlegen will, sich Metaphysik von der besten Art zu verschaffen. So nun auch schiebt er die Schuld des Irrthums in der rationa- len Psychologie auf einen Paralogismus, der wohl schwer- lich fähig seyn oder gewesen seyn möchte, irgend Jeman- den unter den besseren und sorgfältigeren Denkern zu täuschen. Oder sollte wohl Leibniz darum die Seele für Substanz gehalten haben (man weiss wie viel Gewicht er eben hierauf legt), weil: „ein denkendes Wesen, bloss als ein solches betrachtet, nicht anders, denn als Subject kann gedacht werden“ —? Kants Kritik d. r. V. S. 411. Schlagen wir den Leibniz auf, so finden wir alles was wir brauchen in folgenden Worten beysammen: Il faut bien qu’il y ait des substan- ces simples par-tout, parceque sans les simples il n’y auroit point de composées; et par conséquent toute la nature est pleine de vie Leibnitii op. Vol. II. pag . 32. . Hier finden wir früher Substanzen als Seelen; früher die Ueberzeugung von einfachen Be- standtheilen des Zusammengesetzten, als von der Ein- fachheit der Seele; mit einem Worte, früher allgemeine Metaphysik als Psychologie. Und so ist es natürlich. Erst überlegt man, ob Substanzen als einfache Wesen anzunehmen seyen? Dann folgt die Frage, was diese Substanzen seyn mögen? Worauf Leibniz , in der That voreilig, aber in der Absicht, ihnen eine nicht bloss relative, sondern rein-innerliche Qualität anzuwei- sen, antwortete: sie sind vorstellende Wesen, eben darum, weil sie Substanzen sind. Leibnizens Satz heisst nicht, die Seelen sind Substanzen , sondern: die Substanzen sind Seelen . Wer aber diese Vor- schnelligkeit vermeidet, der fängt freylich in Hinsicht der Seele von der innern Wahrnehmung an; aber er schliesst nicht von dem: Ich denke , als dem allgemeinen Sub- jecte zu allen vorgestellten Objecten, auf eine Existenz eines Subjects, das nie Prädicat seyn könne; — sondern von der gegenseitigen Durchdringung aller unserer Vor- stellungen, und ihrer Concentration in dem Einen Be- wusstseyn, schliesst er auf die Unmöglichkeit, dieser Durch- dringung und Einheit ein zusammengesetztes Substrat zu geben, als in dessen Bestandtheilen die Vor- stellungen zerstreut liegen würden ; und nun folgt die Nothwendigkeit, die Einfachheit zu erwählen, weil die Zusammengesetztheit verworfen werden musste; end- lich aber die Einfachheit auf eine Substanz zu beziehen Ich lasse hier unentschieden, ob die Seele Substanz für sich allein, oder ob nur Eine Substanz für mehrere Individuen anzuneh- men sey? welche Frage übrigens die Psychologie nicht berühren darf, weil das Letztere schon aus Gründen der allgemeinen Metaphysik ent- schieden zu verneinen ist. , weil die wirklich vorhandenen Vorstellungen etwas Rea- les erfordern, dem sie beygelegt werden können. Wer diese Art zu schliessen widerlegen will, der muss ent- weder das Mittel erfinden, wie man alles realen Sub- strats entbehren könne, — welches Fichte versuchte, aber ohne Gewinn für Kant , denn das Fichtesche Ich ist in der That Substanz, nur eine solche, deren Quali- tät in einem System nothwendig verbundener Handlun- gen besteht; — oder er muss nachweisen, wie das zu- sammengesetzte Substrat eine wahre Einheit des Bewusst- seyns besitzen könne, welches man wohl eine offenbare Ungereimtheit nennen darf Bloss um zu erinnern, dass dieser Gedanke längst bekannt ist, citire ich, was mir zuerst in die Hände fällt, Poley’s 140 ste Anmerkung zu seiner Uebersetzung des Locke . . Mit der Angabe eines Paralogismus aber, dessen sich Niemand schuldig macht, ist hier gar nichts gewonnen; und am wenigsten dann etwas gewonnen, wenn noch obendrein die Begriffe selbst, aus denen der vorgebliche Paralogismus seinen Ursprung nehmen soll, im höchsten Grade mangelhaft aufgefasst sind. Dies ist die zweyte Bemerkung, welche hier gegen Kant gemacht werden muss. Es kann gar nicht zuge- geben werden, dass Kant den Begriff des Ich richtig gefasst habe. Dieser Begriff ist der Anfangspunct einer weit- weitläuftigen Untersuchung, auf deren Bahn uns Fichte geholfen hat; ein nicht genug zu schätzendes Verdienst, zu dessen Anerkennung ich durch das gegenwärtige Buch etwas beyzutragen wünsche. §. 21. Unter den Psychologen, welche jünger sind als Kant , befindet sich Einer, der leider schon zu den Verstor- benen gehört. Es ist der vortreftliche, auch von mir sehr hochgeschätzte Carus . Ich wünschte sehr, nicht bekennen zu müssen, dass dessen Psychologie mich die darin gesuchten Aufklärungen hat vermissen lassen. Was ich gefunden, brauche ich hier nicht zu beurtheilen, da meine Ansicht sehr leicht aus demjenigen kann geschlos- sen werden, was bereits über die Seelenvermögen, und die auf sie gedeuteten Abstracta, ist gesagt worden. Von den noch Lebenden werde ich mir nur erlau- ben, die Herren Professoren Hoffbauer, Fries und Weiss zu nennen. Der Grundriss der Erfahrungsseelenlehre von Hoff- bauer kann meiner Meinung nach nicht bloss als Bey- spiel, sondern beynahe als Muster einer klaren und ver- ständig geordneten Uebersicht bisheriger Psychologie be- trachtet werden. Das Streben, sich vor Erschleichungen zu hüten, ist in sorgfältiger Wahl der Ausdrücke über- all sichtbar. Als Methode wird sogleich im §. 10. die Induction angegeben. Auffallend aber ist es, dass nun gleichwohl das ganze Buch den gewöhnlichen Weg vom Allgemeinen zum Besondern hinabsteigt, während die Induction den gerade entgegengesetzten Gang erfordert. Sollen Leser und Zuhörer von den letzten Resultaten zu der Erkenntnissquelle geführt werden? Sollen sie mit dem Glauben anfangen, und mit dem Schauen endigen? So giebt es auch Vorträge der Chemie, worin mit dem Sauer- stoff angefangen, mit den bekannten und sichtbaren Kör- pern geendigt wird; anstatt dem Zuhörer zuerst die Ex- perimente bekannt zu machen, aus welchen auf den Sauer- stoff und seines Gleichen zu schliessen ist. — Aber ich I. E bin weit entfernt, hier einen eigenthümlichen Fehler je- nes Grundrisses erblicken zu wollen; da ich vielmehr selbst gezeigt habe, wie unwillkührlich die Psychologie wegen der Schlüpfrigkeit ihres Stoffs in Abstractionen hineingleitet, worin sie nicht eher vesten Fuss gewinnt, als bis sie bey den äussersten Abstractionen angekommen ist, von denen sie alsdann wieder rückwärts den Weg der Determination versucht, und ihn fortsetzt, wie und so- weit sie eben kann. Wir schliessen also aus dem ge- nannten Buche nur soviel, dass auch ein vorsichtiger und vorzüglicher Denker durch dieselben Schwierigkeiten, welche seine Vorgänger drückten, noch jetzt bewogen werden mag, eine seiner eignen Angabe gerade zuwider- laufende Richtung zu verfolgen. Wollten wir tiefer ein- treten, so würden uns gleich bey der Theorie der Sinn- lichkeit einige Untersuchungen der schwierigsten Art, die hier viel zu leicht genommen sind, entgegenkommen; nämlich wie die Auffassung der räumlichen und zeitlichen Bestimmungen möglich sey, welche in der eigentlichen Materie der Empfindungen (den Tönen, Farben u. s. w.) schlechterdings nicht enthalten sind. Aber hier nur die Frage zu verstehen und gehörig zu würdigen, erfordert schon ein Nachdenken, das sich über die Sphäre der so- genannten Erfahrungsseelenlehre weit erhebt; und welches leider eben dadurch pflegt erdrückt zu werden, dass man den Anfängern die schwersten Sachen so leicht vor- stellt. — Bey Herrn Prof. Fries finden wir manche eigen- thümliche Ansichten eingewebt in eine, der Hauptsache nach Kantische, Lehre. Jene scheinen vorzüglich in der Polemik gegen Fichte und Schelling entsprungen zu seyn. Da die Absicht der gegenwärtigen Schrift nichts weniger als polemisch ist, so wollen wir uns mit einigen Proben begnügen, die sich am leichtesten aus der Schrift: System der Philosophie als evidente Wissen- schaft , herausheben lassen, weil diese in kurzen Sätzen abgefasst ist. Im §. 41. des genannten Werkes finden wir, im Widerspruch gegen Fichte’s erste Grundgedanken, die Behauptung: „Unsere Vernunft besitzt ein reines Selbst- bewusstseyn, welches wir aussprechen: Ich bin . Dieses ist aber nicht zugleich mit der innern Anschauung gege- ben, vielmehr ist es gar keine Anschauung, son- dern nur ein unbestimmtes Gefühl .“ Es folgt ein Beweis, der in zweyen Gliedern mit richtigen Bemerkun- gen anhebt, und mit Erschleichungen endigt. Zuerst die Bemerkung, dass das reine Selbstbewusstseyn kein Ob- ject hat Man vergleiche unten §. 27. im Anfange. ; woraus gefolgert wird, es sey keine An- schauung, sondern ein unbestimmtes Gefühl . Das erste ist wahr, und das zweyte falsch. Weil das reine Selbstbewusstseyn eine Vorstellung ohne Gegenstand seyn soll, so ist es ein klarer Widerspruch; und man kann davon gar nichts, auch nicht ein unbestimmtes Gefühl übrig behalten; welches ein Gefühl ohne Gefühltes seyn würde, während das Selbstbewusstseyn seinem Begriffe nach überall kein Gefühl, sondern eine Vorstellung seyn soll. Vielmehr muss man anerkennen, dass unsre Be- hauptung, es gebe ein reines Selbstbewusstseyn, eine von jenen Abstractionen ist, die wir von den besondern Selbst- anschauungen hergenommen, dann aber, der Einheit un- srer Persönlichkeit wegen, für etwas angesehen haben, das wohl ohne die besondern Anschauungen für sich be- stehen, oder, wie Herr Fries im zweyten Gliede seines Beweises meint, zum Grunde liegen könne. Wir sind nun allerdings genöthigt, uns einen solchen Begriff von uns selbst zu machen ; wir sind aber eben so wohl ge- nöthigt einzugestehen, dass dieser Begriff ohne allen Sinn, folglich auch keine wahre Erkenntniss eines realen Ge- genstandes sey; — dass es kein reines Selbstbewusst- seyn, keine blosse Ichheit wirklich gebe; — sondern dass wir den erwähnten Begriff vielmehr als Anfangspunct einer Theorie, als einen wissenschaftlichen Stoff gebrau- E 2 chen müssen, den wir zu verarbeiten haben, bis die Wi- dersprüche (deren er noch mehrere in sich trägt) ver- schwinden werden. Weil aber Herr Fries mit seiner Polemik gegen Fichte nicht zu Ende gekommen ist: darum lässt er von dem reinen Selbstbewusstseyn noch das unbestimmte Gefühl stehen; darum auch redet er von einem Bewusstseyn des Gegenstandes, nicht wie er ist, sondern dass er ist. Dieser Widersinn einer Rea- lität ohne Qualität, ist aber eben so wenig eine Wahr- heit, als er eine Behauptung des Herrn Fries seyn würde, wenn derselbe den Muth gehabt hätte, dem Pro- bleme gerade ins Gesicht zu schauen, und, alle Halbhei- ten und Ausflüchte bey Seite setzend, das Unding, wel- ches der Begriff des Ich uns vorspiegelt, so ernstlich an- zufassen, wie man es fassen muss, um es zu zerstören. Weiterhin mischt sich nun bey Herrn Fries die Erdichtung des innern Sinnes und einer Empfänglichkeit desselben, mit richtigen Ahndungen von dem Gedächtniss, und mit dem völlig wahren Satze: die Vorstellungen im Gemüthe werden von selbst fortdauern, bis sie durch etwas anderes verdrängt werden . Eben so wahr ist der §. 51., nach welchem der allgemeine Grund der Association in der Einheit des Subjects und seiner Thätigkeit enthalten ist. Neben so richtigen Ansichten hätte die transscendentale Einbildungskraft (§. 57.) ver- schwinden sollen, die abermals erdichtet wird, damit die, für ursprünglich gehaltenen, formalen Anschauungen, zur Erkenntniss (soll heissen: zur Materie der Empfindung, welche allerdings die formalen Bestimmungen keineswe- ges in sich schliesst) hinzukommen mögen. Der Kantia- nismus aber, als Gewöhnung an ein System, mit Ueber- gehung ganz nahe gelegter Fragen, welche die Ruhe der angenommenen Meinungen hätten stören sollen, zeigt sich auffallend beym §. 59—62.; wo die figürliche synthetische Einheit als Erfolg der Selbstthätigkeit beschrieben wird, während die Gegenstände in der Anschauung uns unter der Bedingung einer jederzeit möglichen Con- struction gegeben werden. Was mögen doch das für Bedingungen seyn, vermöge deren die selbstthätige trans- scendentale Einbildungskraft gewisse Auffassungen von Farben lieber in die Form eines Vierecks, als in die Form eines Cirkels bringt? Gegebene Bedingungen sind es ohne Zweifel; denn wir können nicht willkührli- cher Weise das Runde als viereckigt, oder das Vier- eckigte als rund anschauen. In der Form des Sinnes, dem Raume, kann der Grund des Unterschiedes nicht liegen, denn diese Form ist für alle sinnliche Anschauun- gen als Eine und dieselbe Bedingung vorhanden. Wenn nun etwa die Vorstellungen ihrem Stoffe nach von den Dingen an sich herrühren, wie sie denn in der Kant - schen Lehre ohne Zweifel thun: so müssen diese Dinge an sich, trotz dem, dass sie von Raum und Zeit nichts wissen, sich doch ausserordentlich genau auf diese Formen des innern Sinnes beziehen , damit ein Unterschied in jene figürliche synthetische Einheit hinein- komme. Wir erkennen also von den Dingen an sich, dass in ihnen gerade so viel Verschiedenheit Statt findet, als nöthig ist, um die mannigfaltigen Bedingungen her- zugeben, deren wir für die figürliche synthetische Einheit der Einbildungskraft in ihren bunten Abwechselungen bedürfen. Dieses wäre denn eine nicht unbedeutende Kenntniss von den Dingen an sich, welche die Kant’s che Lehre eben so wenig vermeiden, als leiden kann; und worüber sich die bessern Anhänger derselben längst hät- ten erklären sollen, wenn sie es vermöchten. Das Wahre an der Sache aber ist, dass diese ganze Theorie auch keine leiseste Ahndung der Gründe enthält, aus denen die Auffassungen des Räumlichen und Zeitlichen psycho- logisch erklärt werden müssen. Nicht einmal das Pro- blem ist hier vollständig aufgefasst; denn es fragt sich eben so sehr, was für Bedingungen uns bestimmen, ei- ner Substanz gerade solche und keine andern Eigenschaf- ten zusammengenommen anzuweisen; z. B. dem Wasser die Flüssigkeit neben der Durchsichtigkeit; dem Queck- silber aber weder die Nässe noch die Durchsichtigkeit des Wassers, sondern neben der Flüssigkeit den Glanz und die vorzügliche Schwere. Auch hier liegt in der Ma- terie der Empfindung keinesweges die Gruppirung dersel- ben; und in den vorgeblichen Formen des Verstandes kann sie eben so wenig liegen, weil diese sich ge- gen alle die verschiedenen Vorstellungen ver- schiedener Substanzen auf gleiche Weise ver- halten müssen . Eine beynahe unbegreifliche Mischung der richtigen Ansichten, nach welchen die Vorstellungen selbst die Kräfte in der Seele sind, und des falschen Bestrebens, Seelenvermögen zu spalten (nämlich wenn die vorige richtige Erklärungsart irgendwo nicht ganz leicht von selbst sich darbietet): geht nun bey Herrn Fries immer weiter fort. Er findet §. 79. den ersten Grund der Ab- straction darin, dass in ähnlichen Vorstellungen, welche im Gemüth zugleich verstärkt werden, die ihnen gemein- schaftliche Theilvorstellung mehr verstärkt wird, als die un- terscheidende Nebenvorstellung. Dieses reicht zwar nicht hin zur Erklärung; denn die angehängte Clausel: das Ge- meinschaftliche könne also abgesondert vorgestellt werden, ist eine grosse Uebereilung und Unwahrheit. Dennoch ist der erstere Gedanke richtig, und in der That um so mehr zu schätzen, weil wir damit das Abstractionsver- mögen, als ob es etwas Besonderes und für sich zu Be- trachtendes in der Seele wäre, beseitigen können; und weil hier die Verbindung zwischen der sogenannten Ein- bildungskraft und dem sogenannten Verstande anfängt her- vorzuleuchten. Die Psychologie des Herrn Fries würde nach sol- chen Proben sich ohne Zweifel besser dabey befinden, wenn er sie einmal zum Mittelpuncte eines wissenschaft- lichen Strebens machte, als so lange er sie nur als den Vorhof der Philosophie betrachtet Man sieht leicht, dass diese Stelle vor vielen Jahren ist nie- dergeschrieben worden. . Ohne Zweifel ver- dient es Dank von Seiten derjenigen, welche den unhalt- baren Grund der Kant ’schen Lehre für sich allein nicht entdecken können, dass ein Mann aufgetreten ist, der in eine sogenannte philosophische Anthropologie alles das Schwankende zusammengestellt hat, worauf Kant , als auf gutem Grunde, vesten Fuss fassen wollte. Dies er- leichtert die Prüfung; und wer in den Darstellungen des Herrn Fries noch nicht sehen kann, wie in den ersten Voraussetzungen Wahres und Falsches gemischt, und wie selbst das Wahre als roher Stoff unausgearbeitet daliegt, der wird sich schwerlich je darauf besinnen. Mir ist es wahrscheinlich, dass wenn Kant , mit alter rüsti- ger Kraft des Denkens, noch lebte, Niemand besser als Herr Fries ihn zu einer Revision seines Systems würde vermögen können. Denn ohne Zweifel bedurfte ein so vortrefflicher Geist nichts anderes, als nur eine Zusammen- stellung seiner eignen Voraussetzungen, nur eine Richtung seiner Aufmerksamkeit, welche in den Humes chen Pro- blemen zu sehr befangen war, um alle die verschiedenen Anfangspuncte der Speculation gehörig zu benutzen. — Soll aber nicht von Beleuchtung der Kant ’schen Lehre, sondern von Psychologie die Rede seyn, so bedarf diese der allgemeinen Metaphysik zu ihrer Unterstützung; und Herr Prof. Fries hat das Hinterste nach vorn gewen- det, indem er der Metaphysik seine Anthropologie vor- anschickt Auf die neuern Werke des Herrn Prof. Fries wird hier aus denselben Gründen keine Rücksicht genommen, derentwegen hier alles vermieden wird, was als Persönlichkeit könnte ausgelegt werden. Der Leser hat nun die Freyheit, anzunehmen, der Gegenstand meines Tadels sey schon verschwunden, und das Neueste sey davon weit verschieden. . (Man sehe oben §. 15. gegen das Ende.) Diesem Verfahren gerade entgegengesetzt ist das des Herrn Prof. Weiss ; in seinen Untersuchungen über das Wesen und Wirken der menschlichen Seele. Er legt eine dynamische Natur-Ansicht zum Grunde, — und macht es mir eben dadurch unmöglich, mich hier, wo für ausführliche Betrachtungen aus allgemeiner Metaphy- sik kein Platz ist, anders als nur sehr kurz über sein Werk zu erklären. Die ursprüngliche und nothwendige Duplicität in der Kraft, die das Daseyn eines jeden Din- ges constituiren soll (S. 27.), muss ich gänzlich ableugnen. Und eine solche Duplicität zuletzt aus einer absoluten Einheit abzuleiten, kann meiner Meinung nach keine Aufgabe für die Speculation seyn, weil umgekehrt es zu den Aufgaben derselben gehört, alle dergleichen undenk- bare Einheiten, aus denen eine Vielheit entspringen soll, (zu deren Annahme manche Phänomene des Geistes und der Natur allerdings verleiten), gänzlich hinwegzuschaf- fen, und die Wissenschaft von ihnen zu reinigen. So kann ich denn auch in keine Gemeinschaft treten mit einer Philosophie, welche das Unendliche als Grund des Endlichen, und dieses als Erscheinung von jenem be- trachtet (S. 5.). Dergleichen Philosophie muss ich dem Spinoza und seinen Erneuerern überlassen; indem ich überzeugt bin, dass von dem, was wahrhaft Ist, sowohl die Unendlichkeit als die Endlichkeit muss verneint wer- den; und dass die Endlichkeit noch überdies auf eine un- geschickte Weise in die Unendlichkeit hineingeschoben wird, von denen, die sich mit diesen Vorstellungsarten tragen; welches Ungeschickte zu verbessern jeder Ver- such vergeblich ist, weil die Unendlichkeit, wenn sie selbst den Keim enthielte, aus dem die Endlichkeit könnte abgeleitet werden, mit sich selbst im Widerspruche stände. — Wäre nicht nach diesen Erklärungen jedes weitere Wort überflüssig: so würde ich noch hinzusetzen, dass ich in dem genannten Buche die vorläufige Erörte- rung dessen, was die innere Wahrnehmung geben und nicht geben kann, und die genaue Angabe der Art und Weise vermisse, wie an die Wahrnehmung, und die von ihr dargebotenen Erkenntniss-Principien, die Speculation sey angeknüpft worden. §. 22. Noch Einer ist übrig, zu welchem wir näher hinzu- treten müssen, nämlich Fichte . Nicht zwar, um von seiner realen und idealen Thätigkeit weitläuftig zu reden; den heterogenen Elementen, woraus er das für real ge- haltene Ich, nicht glücklicher zusammensetzt, als nach ihm Herr Prof. Weiss aus Sinn und Trieb die Seele. Eben so wenig wird uns die unbegreifliche Schranke im Ich, beschäfftigen können, welche die Unmöglichkeit, ei- nen haltbaren Idealismus aufzustellen, klar an den Tag legt. — Wohl aber ist es die erste Behandlung des Be- griffs des Ich, die uns hier interessirt. Ich schlage Fichte ’s Sittenlehre auf, welche ich noch jetzt für seine Hauptschrift halte Von Fichte ’s späteren Schriften braucht hier eben so wenig die Rede zu seyn, als von einigen neuern Schriftstellern, die in den- selben Irrthümern befangen sind, wie die oben bezeichneten. . Den schon sonst gezeigten Schluss- fehler, S. 14. 15., wo statt des Denkens der allgemeinere Begriff des Handelns, statt dieses wiederum der ihm un- tergeordnete des realen Handelns eingeschoben wird, werde ich hier nicht genauer ins Licht setzen; aber die Anmerkung S. 18. 19. ist von der höchsten Wichtigkeit für Fichte ’s Lehre, und wir müssen sie auch hier er- wägen. Sie beginnt so: „Dass das Wollen in der erklär- „;ten Bedeutung, als absolut erscheine , ist Factum des „;Bewusstseyns; — daraus aber folgt nicht, dass diese Er- „;scheinung nicht selbst weiter erklärt, und abgeleitet wer- „;den müsse, wodurch die Absolutheit aufhörte, Absolut- „;heit zu seyn, und die Erscheinung derselben sich in „;Schein verwandelte: — gerade so, wie es allerdings auch „;erscheint, dass bestimmte Dinge in Raum und Zeit un- „;abhängig von uns da sind, und diese Erscheinung doch „;weiter erklärt wird. — Wenn man sich nun doch ent- „;schliesst, diese Erscheinung nicht weiter zu erklären; „;und sie für absolut unerklärbar, d. i. für Wahrheit, „;und für unsre einige Wahrheit zu halten, nach der alle „;andre Wahrheit beurtheilt, und gerichtet werden müsse, „;— wie denn eben auf diese Entschliessung unsre ganze „;Philosophie aufgebaut ist, — so geschieht dies nicht „;zufolge einer theoretischen Einsicht, sondern zufolge „;eines praktischen Interesse; ich will selbstständig seyn, „;darum halte ich mich dafür.“ Diese Aussage enthält den einzigen denkbaren Er- klärungsgrund, weshalb Fichte , dem die Unmöglichkeit des Ich deutlich genug vor Augen lag, dennoch dabey beharrte, dasselbe als real, als absolut, und in dieser Ge- stalt als Princip der Philosophie zu betrachten. Ein we- nig weiter hin (S. 42.), sagt uns Fichte: „Nicht das „;subjective, noch das objective, sondern — eine Identi- „;tät ist das Wesen des Ich; und das erstere wird nur „;gesagt, um die leere Stelle dieser Identität zu bezeich- „;nen. Kann nun irgend Jemand diese Identität, als sich „;selbst, denken? Schlechterdings nicht; denn um sich „;selbst zu denken, muss man ja eben jene Unterschei- „;dung zwischen subjectivem, und objectivem, „;vornehmen , die in diesem Begriffe nicht vorgenom- „;men werden soll. — So kann man sich allerdings nicht „;wohl enthalten, zu fragen: bin ich dann darum, weil „;ich mich denke , oder denke ich mich darum, weil „;ich bin ? Aber ein solches Weil, und ein solches „;Darum, findet hier gar nicht statt; du bist keins von „;beyden, weil du das Andre bist; Du bist überhaupt nicht „;zweyerley, sondern absolut einerley; und dieses un- „;denkbare Eine bist du, schlechthin weil Du „;es bist .“ Dass ein Undenkbares nicht seyn kann, — dass der- jenige sein eignes Denken aufhebt, welcher von dem Un- denkbaren denken will, Es sey, — dass also, wenn der Lauf der Speculation auf einen solchen Punct geführt hat, man denselben schlechterdings verlassen müsse: die- ses leuchtet unmittelbar ein. Nachdem also Fichte sich den Begriff des Ich dergestalt analysirt hatte, dass er ein- sah, derselbe sey undenkbar: musste schon dieses, noch ohne vollständigere Entwickelung aller Widersprüche im Ich, ihn bestimmen, die zuerst angenommene Realität des Ich, sammt der vermeinten intellectualen Anschauung desselben, völlig zu verwerfen. Jede Art von Täuschung in der Auffassung eines so ungereimten Wesens war cher zu vermuthen, als an die Wahrheit einer solchen Auffassung konnte geglaubt werden. Und wenn dennoch die Ueberzeugung veststand, das Selbstbewusstseyn lasse sich durch keinen andern Begriff, als nur gerade durch jene Identität des Subjects und Objects rein aussprechen: so folgte eben daraus, man habe ein Gegebenes vor sich, das, weil es nicht gleich einer zufälligen Täuschung ver- worfen, doch aber auch nicht im Denken beybehalten werden könne, zu einer Umarbeitung des Begriffs auffor- dere und nöthige; und auf diese Weise zwar keineswe- ges ein Real-Princip, wohl aber ein Erkenntniss-Princip für die Speculation abgebe. Aber Fichte hatte einmal seinem Wollen Einfluss auf das Denken verstattet. Er glaubte in dem Ich die Freyheit zu finden, und von der Freyheit wollte er nicht lassen. Er behielt also den undenkbaren Gedanken; er gab ihm Auctorität durch das Vorgeben einer intellectua- len Anschauung, denn dafür hielt er den Zustand der Anstrengung, mit welcher das Undenkbare als ein Gege- benes der innern Wahrnehmung vestgehalten wurde; und so wurde einer der grössten Denker, die je gewesen sind, zum Urheber einer Schwärmerey, die in der Folge, als sie sich die sogenannte absolute Identität zum Mittel- puncte erkoren, und diese mit Spinozismus, Platonismus, Physik und Physiologie amalgamirt hatte, in einem wei- ten Kreise die Stelle der Philosophie besetzte, und aus einem noch viel weitern Kreise die Philosophie ver- scheuchte , weil man über der intellectualen Anschauung nicht den Verstand verlieren wollte. Dieses letztere ist nun das einzige Wollen, welches in die Forschung einzulassen ich mir erlaube. Da ich einmal denke, und nicht umhin kann, alles Angeschaute zu denken und in Begriffe zu fassen, so will ich weiter nichts als nur, dass das Angeschaute denkbar seyn, oder, falls es dieses nicht von selbst wäre, denkbar werden solle, wozu denn freylich eine solche Umwandlung der unmittelbar aus der Anschauung gewonnenen Begriffe gehört, die sich als nothwendig, und nicht willkührlich, in jedem Puncte rechtfertigen könne. Ich stehe demnach in der Mitte zwischen denen, welche wollen, dass es bey der Anschauung, bey der Erfahrung wie sie unmittelbar gegeben wird, sein Bewenden haben solle, weil sie das Widersprechende in dem Gegebenen nicht erblicken , — und zwischen jenen, welche gar wohl Augen haben für dieses Widersprechende, aber davon nicht lassen wollen, vielmehr ins Erstaunen, ins Entzücken über alle die Wunder sich versenken, die ihnen um so vortreff- licher scheinen, je ungereimter sie sind. Ich gebe den er- stern Recht, dass sie um ihre Nüchternheit nicht mögen gebracht seyn, und dass sie von keiner intellectualen An- schauung wissen wollen, welche die ächte Anschauung nur entstellen würde; ich gebe den zweyten Recht, dass sie die gemeinen Ansichten der Dinge, welche alles las- sen wie es zuerst gefunden wird, für unzulänglich erken- nen, und auf eine Veränderung, auf eine Schärfung des Blickes selbst antragen, wodurch in der That alles viel wunderbarer erscheinen muss, als jenen ersteren gelegen ist zu glauben. Aber den einen und den andern muss ich Unrecht geben, weil sie beyderseits zur eigentlichen Untersuchung zu träge sind, sowohl jene, die im Aufsam- meln und Registriren gewisser äusserer oder innerer Wahr- nehmungen verweilen, als diese, die es freut, hochtönende Reden zu erfinden, um das Seltsame, was sie gesehen ha- ben, anzupreisen statt es besser zu bedenken . — VII. Plan und Eintheilung der bevorstehenden Unter- suchungen. §. 23. Wir machen uns nun auf den Weg in das vor uns liegende Gebirge, wohin uns diejenigen sicher nicht fol- gen werden, die immer nur in lachenden Ebenen gemäch- lich zu lustwandeln gewohnt sind. Der Leser überlege, ob er gehörig gerüstet sey; was er mitnehmen, was zu Hause lassen wolle. Viel schweres Gepäck frommt dem Reisenden nicht, am wenigsten solches, was ihm, nach seiner Eigenthümlichkeit, besonders lästig fallen würde. Geduld und frischer Muth ist die Hauptsache. Ganz ohne mathematisches Werkzeug darf der Wan- derer nicht seyn. Aber grosse Anmuthungen mache ich in dieser Hinsicht nicht; sie würden mit verdoppeltem Gewicht auf mich zurückfallen. Der Leser vergegenwärtige sich nur die leichteren Rechnungen mit veränderlichen Grö- ssen, und deren Symbole, die bekanntesten Curven; er überlege, dass diese Curven eben nur Symbole für ge- wisse Regeln sind, wornach jede mögliche, intensive sowohl als extensive , Grösse wachsen und abnehmen kann; er rufe, wenn es nöthig ist, einen Freund zu Hülfe, der ihm die einfachsten Grundlehren und Formeln der höhern Mechanik erkläre; und er wird finden, dass es nicht viel schwerer ist, das Sinken einer Hemmungssumme, als das Fallen eines Steins zu begreifen. Hat er aber erst dies gefasst, so kann er auch von den Grundlehren der Reproductionsgesetze, (worauf Alles ankommt) das Wesentlichste verstehn; und eben so den Hauptsatz über die Abnahme der Empfänglichkeit. Das Schwerere ist weniger nöthig; nicht Jeder braucht mir auf allen mei- nen Wanderungen zu folgen; man kann sich dennoch wieder zusammen finden. Ablegen muss der Leser die metaphysischen Vorur- theile, die er, wer weiss unter welchen Namen, etwan bey sich tragen möchte. Meine Metaphysik wird er, mit Hülfe dieses Buchs, allmählig verstehen lernen. Er durch- denke nur recht sorgfältig den ausführlichen Vortrag über das Ich, welchen er hier finden wird; vergleiche, nachdem dieses geschehen, meine Einleitung in die Phi- losophie, um sich mit den metaphysischen Problemen, theils im Allgemeinen, theils mit jedem einzeln genom- men, vertraut zu machen; präge sich nun vest ein, dass die befremdende Gestalt, worin die metaphysischen Pro- bleme Anfangs erscheinen, nichts anderes ist als ein psychologisches Phänomen, welches aus psychologischen Gründen erklärbar seyn muss, die wir im zweyten Theile dieses Buchs aufsuchen wollen; die aber Niemand finden kann, wenn er die Knoten ungeduldig zerhauen will, die er höchst behutsam durch unbefangenes Nachdenken auf- lösen sollte. — Dass man der leichtern Uebersicht wegen mein Lehrbuch zur Psychologie benutzen könne, brauche ich kaum zu bemerken. Aber sehr dringend muss ich den Leser an die Fragen erinnern: ob er mit seiner prak- tischen Philosophie im Reinen sey? und ob er die mei- nige kenne? Das erste ist an sich nothwendig; das zweyte fordere ich, so gewiss ich nicht will misverstanden seyn. Wessen praktische Philosophie noch schwankt: dessen Gemüth kann bey speculativen Untersuchungen nicht in Ruhe seyn; am wenigsten bey solchen, die den menschlichen Geist betreffen; ohne Gleichmuth aber ge- lingt keine Speculation, sondern sie erzeugt Wahn und Trug. Wer meine praktische Philosophie nicht kennt, der begreift nicht was ich will, und muthet mir an, Dinge zu wollen, die ich verwerfe. Ein Beyspiel hievon: ich will keine angebornen Rechte; nicht bloss, weil ich weiss, dass alle angebornen Formen psychologisch unmöglich sind, sondern auch, weil ich weiss, dass, wenn es der- gleichen Rechte gäbe, sie Streit, und hiemit Unrecht er- zeugen würden. Ein anderes Beyspiel: ich will kein ur- sprünglich gesetzgebendes moralisches Gefühl, und eben so wenig einen kategorischen Imperativ, nicht bloss, weil auch dieses angeborne Formen seyn würden, sondern weil ich das moralische Gefühl, sammt der aus ihm ent- stehenden Bereitwilligkeit zum moralischen Gehorsam, ab- leiten gelernt habe als Gesammtwirkung aus den verschie- denen praktischen Ideen, die wiederum durch eben so viele verschiedene ästhetische Urtheile erzeugt werden. Wenn ich nicht jedes einzelne von diesen Urtheilen genau kennte, nicht geübt wäre, die vorgeblichen Aussprüche des moralischen Gefühls auf sie zurückzuführen, nicht aus den nämlichen Gründen die Tugend als ein Ganzes verschiedener Bestandtheile erkannt hätte, die zum Theil gelehrt, zum Theil geübt werden, zum Theil vor aller Lehre und Uebung voraus, unter Begünstigung einer glücklichen Organisation im Menschen entstehn müssen; wenn ich nicht auf diese Weise einer Menge von psy- chologischen Fragen, mit denen Andre sich quälen, im Voraus überhoben gewesen wäre: so möchte leicht der psychologische Mechanismus mich mit eben dem Schrek- ken erfüllt haben, mit welchem so Viele vor ihm die Au- gen verschliessen, die eben so wenig vertragen, ins In- nere des menschlichen Geistes zu schauen, als sie das Innere des Leibes ohne Grauen betrachten können. — Nach diesen Erinnerungen kehre ich zur Hauptsache zurück. Von der Grundlegung zu einer Wissenschaft erwar- tet man, dass sie die dahin gehörigen Untersuchungen in Gang setze; und weit genug fortführe, um die Möglich- keit der Wissenschaft, und das in derselben zu beob- achtende Verfahren, vor Augen zu stellen. Sie soll dem- nach die verschiedenen Erkenntnissgründe dieser Wis- senschaft, wofern es deren mehrere giebt, durchmustern, und an jedem derselben den Anfang der Forschung zei- gen; sey es nun, dass jedes eigne Aufschlüsse ertheile, oder dass die verschiedenen auf einerley Resultat führen, in welchem Falle sie immer noch dienen, die Intension der Ueberzeugung zu verstärken. Von der Psychologie ist nach 11—13. anzunehmen, dass sie mehrere Erkenntnissgründe besitze, und zwar nicht eben in dem Sinne, als ob dieselben gleich Vorder- sätzen zu Schlüssen unter einander zu verknüpfen wären; sondern so, dass jedes für sich ein Factum des Bewusst- seyns darstelle, wovon, als dem Bedingten, auf die Be- dingungen, mit Zuziehung der allgemeinen Metaphysik, (§. 15.) geschlossen werde. Wenn nun die Grundlegung zur Psychologie auf solche Weise mit einem oder dem andern der Erkennt- nissgründe dieser Wissenschaft verfährt: so ist zu hof- fen, dass bald einige der Realprincipien erkannt wer- den mögen, aus welchen, als Ursachen, die Phänomene des Bewusstseyns ihren Ursprung nehmen. In diesem Falle lässt sich von einer solchen, einmal gewonnenen Kenntniss weiterer Gebrauch machen; die Realprincipien werden zwar niemals eigentliche principia cognoscendi , denn das Wissen von denselben ist immer ein Abgelei- tetes; aber die Forschung verändert von hier an ihre Richtung, in so fern sie jetzt von der Bedingung auf das Bedingte, — mit dem Strom der Ereignisse, nicht mehr, wie zu Anfange, wider den Strom, vom Bedingten zur Bedingung fortgeht. Darum aber, dass aus einem oder dem andern der Erkenntnissgründe dergleichen Realprincipien, vielleicht selbst die wichtigsten Hauptgesetze der geistigen Bewe- gungen, entdeckt seyn mögen: verlieren die übrigen Er- kenntnissgründe noch nicht ihren Werth. Es muss auch an sie die Reihe kommen, benutzt zu werden: jedoch kann man nun die Untersuchung abkürzen, indem man, anstatt sich noch ganz unwissend zu stellen, vielmehr die schon vorhin gewonnenen Aufschlüsse, sobald dieselben gehörig gesichert sind, zum Grunde legt, und nur noch fragt, wie sich darauf die jetzt in Betracht genomme- nen Phänomene zurückführen, wie sie sich daraus begrei- fen lassen? Man wird geneigt seyn, dem gewöhnlichen Sprach- gebrauche gemäss, solche Untersuchungen, die mit dem Laufe der Ereignisse, also von Realprincipien zu rea- len Folgen fortschreiten, synthetisch zu nennen; da- gegen werden die andern, vermöge deren die noch nicht erklärten Phänomene auf jene Realprincipien zurückge- führt werden sollen, analytisch heissen. Streng Streng genommen freylich beginnt jede Untersuchung ohne Ausnahme mit einer Analysis, indem sie zuerst den Erkenntnissgrund logisch klar und deutlich macht; und dann geht sie über zu einer Synthesis, indem sie dem Princip seine Beziehungen, dem Phänomen seine Bedin- gungen oder nothwendigen Voraussetzungen nachweis’t. Dieses letztere ist ganz eigentlich Synthesis a priori; weil die Angabe der nothwendigen Voraussetzungen in dem Erkenntnissgrunde selbst noch nicht enthalten war. Allein hier ist nicht der Ort, dergleichen dialektische Betrach- tungen im Allgemeinen anzustellen; im Verfolg werden sie an dem Beyspiel unserer Untersuchung selbst soweit entwickelt werden, als zu unserer jetzigen Absicht nö- thig ist. — Es soll nun die Untersuchung über das Ich, als über denjenigen Erkenntnissgrund, welcher am nächsten und be- stimmtesten zu psychologischen Realprincipien hinleitet, den Anfang machen. Daraus werden sich sogleich mathe- matisch bestimmbare Gesetze des Bewusstseyns ergeben, und so weit entwickelt werden, dass die Möglichkeit, hier eine neue Bahn zu brechen, und namentlich ohne die angenommenen Seelenvermögen in der Psychologie fort- zukommen, im Allgemeinen erhelle. Diese Untersuchun- gen zusammengenommen wollen wir (a potiori) den syn- thetischen Theil unserer Abhandlung nennen. Darauf wird der analytische Theil folgen, welcher die wichtigsten der noch übrigen Phänomene des Bewusstseyns auf die vorhin gewonnene Kenntniss von den Gesetzen des Gei- stes zurückführt. Es ist offenbar, dass der synthetische Theil keine veste Gränze hat, wie weit er in der Wissenschaft, — vielweniger, wie weit er hier, in unserer Grundlegung, auszudehnen sey. Die Folgen aus Realprincipien sind endlos in der Natur der Dinge, unabsehlich in der Wis- senschaft. Und für den gegenwärtigen Zweck, Andern die Theilnahme an den begonnenen neuen Untersuchun- gen möglich zu machen, könnte ziemlich willkührlich ein I. F Mehr oder Weniger geschehn, wenn nicht eben die Neu- heit der Sache hierin noch Gränzen setzte. Der analy- tische Theil aber muss sich nach dem synthetischen rich- ten, in so fern in ihm keine Untersuchung ganz selbst- ständig, sondern jede unter Voraussetzung des zuvor Be- kannten soll geführt werden. Um nun diesem Buche Rundung und Ganzheit zu geben: wählen wir das Ich, damit es nicht bloss den An- fang, sondern auch das Ende der Abhandlung bezeichne. Denn es muss hier vorausgesagt werden, dass aus die- sem Erkenntnissprincip viel früher die mathematische Betrachtungsart der gesammten Psychologie hervortritt, als die vollständige Auflösung des in ihm enthaltenen Problems sich gewinnen lässt. Daher wird es nothwen- dig, dieses Problem, nachdem die ersten Schritte zu sei- ner Erklärung geschehn sind, auf langehin bey Seite zu legen; und so kann es, wenn nicht das Vehiculum, doch den Rahmen bilden, der alle die übrigen hier anzustel- lenden Untersuchungen einschliesse. Indessen wird man bald wahrnehmen, dass nicht die Lehre vom Ich, sondern von den Gegensätzen und Hem- mungen unserer Vorstellungen unter einander, den Haupt- stamm der Forschung ausmacht. Diese Gegensätze fin- den sich unmittelbar in der Beobachtung; und in so fern hängt ihre Betrachtung nicht einmal nothwendig ab von der vorgängigen Untersuchung des Ich; jedoch bringt die letztere den Vortheil, jene mit mehr Bestimmtheit, und mit mehr Einsicht in ihre grosse Wichtigkeit, einzufüh- ren. Auch lassen sich auf solchem Wege die nöthigen Erörterungen aus der allgemeinen Metaphysik bequem hinzufügen; welche gegen das Ende des ersten Abschnit- tes ihre Stelle finden sollen. Erster, synthetischer Theil . F 2 Erster Abschnitt . Untersuchung über das Ich, in seinen nächsten Beziehungen. Erstes Capitel . Ueber die philosophische Bestimmung des Begriffs vom Ich. §. 24. W er bin ich? — Diese Frage wirft der gemeine Mensch nicht auf, denn er glaubt sich selbst sehr gut zu kennen. Wer sie aufwirft, der sucht etwas Unbekanntes in sich. Gesetzt nun, er fände dieses Unbekannte, wem würde er es zuschreiben? Ohne Zweifel sich selbst . Also scheint es, er kenne sich schon, in so fern er überhaupt ein Ich ist. Was aber ist denn dieses Ich? Kann man es losreissen von der individuellen Persönlichkeit? Oder bin ich, um nur überhaupt von Mir reden, Mich den- ken zu können, nothwendig ein bestimmtes Individuum? — Diese Frage wird uns zuerst beschäfftigen. Es ist schon nicht ganz leicht, nur die Frage zu verstehen; wir wollen also langsam gehn. Fichte erklärte das Ich als: Identität des Ob- jects und Subjects ; und hiemit stimmt der gramma- tische Begriff des Ich, im Gegensatze gegen das Du und das Er , wohl zusammen, denn die erste Person ist die, welche von sich selbst redet. Finden wir denn jemals im Selbstbewusstseyn Uns Selbst bloss und lediglich als ein solches Wissen von Sich? Keineswegs. Immer schiebt sich irgend eine in- dividuelle Bestimmung ein; man findet sich denkend, wol- lend, fühlend, leidend, handelnd; mit bestimmter Bezie- hung auf das, was so eben gedacht, gewollt, gefühlt, ge- litten, gehandelt wird. Ist nun diese individuelle Be- stimmung etwas Fremdes im Ich, wodurch es verfälscht, verunreinigt wird? Man kann wohl Gründe finden, diese Frage zu be- jahen. Zuvörderst: in der obigen Erklärung des Ich, es sey Identität des Objects und Subjects, kommt gar keine individuelle Bestimmung vor. Ferner: im gemeinen Le- ben selbst betrachten wir das, was wir eben jetzo thun oder leiden, als etwas Uns Zufälliges. Der Augenblick, in welchem wir uns also finden, ist nur ein Durchgang, aus welchem wir höchstens, wenn es ein bedeutender Le- bens-Moment wäre, einen bleibenden Eindruck mitnehmen könnten, so wie wir in ihn hineinbrachten, was in frühe- ren Lebenslagen stark auf uns wirkte. Aber in der Zeit, und durch die Zeit, konnten wir anders gebildet oder verbildet werden; gleichwohl wären wir dieselben Perso- nen geblieben, die wir jetzt sind. Daher kann der ganze Zwischenraum zwischen Geburt und Tod, mit Allem, was er aus Uns macht, überall nicht die entscheidende Antwort auf die Frage geben: Wer bin ich denn ei- gentlich? Und das heisst denn eben so viel, als: in der zeitlichen Wahrnehmung kann ich überhaupt nicht Mich finden, als denjenigen, der ich ei- gentlich bin . Diese Wahrnehmung, obschon eine in- nere , hängt doch an lauter Aeusserlichkeiten; und kann daher bis zu dem wahren Kern unseres eigentlichen Selbst nicht durchdringen. Allein es möchte Jemand einwenden, die Frage sey lediglich von dem Ich, wie es als ein Gegebenes ge- funden werde; man könne nicht leugnen, dass man je- derzeit sich selbst als denjenigen erblicke, der ein Ge- schöpf zwar nicht des Augenblicks sey, wohl aber der ganzen früheren Lebenszeit; und auf solche Weise bilde sich das Selbstbewusstseyn derer, die in Pecking, und die am Orinoko, wie deren, die bey uns leben. Wolle man fragen, wer würde ich seyn, wenn ich da oder dort ge- boren wäre? so sey dieses widersinnig, denn es setze voraus, dass eben derselbe Ich , welcher bey uns dieser bestimmte Mensch geworden ist, auch ein ganz Ande- rer hätte werden können, und dass der Andere und Ich einerley seyen. Vielmehr könne die Identität der Persönlichkeit an gar Nichts vestgehalten werden, wofern die Bedingungen einer bestimmten Persönlichkeit mit an- dern vertauscht gedacht würden. Sogar die Meinung, dass die nämliche Seele unter verschiedenen Umständen einen verschiedenen Gedanken- und Begehrungs-Kreis erlange, könne zugelassen werden, ohne darum das Selbst- bewusstseyn in dem einen Gedankenkreise und das in ei- nem andern dem nämlichen Subject zuzuschreiben; denn die Seele sey weder das Subject noch das Object des Selbstbewusstseyns, da sie im Bewusstseyn gar nicht vor- komme. Sonach möge immerhin von der Seele gesagt wer- den, dass die ihr angebildete Ichheit ihr zufällig sey, bey- nahe eben so zufällig aber sey auch der Ichheit die Seele, dem Selbstbewusstseyn das unbewusste Substrat; daher dürfe man die innere Wahrnehmung nicht verlas- sen, als welche allein einen Jeden lehren könne , wer er sey ; und welche mit Hülfe der Erinnerung aus dem früheren Leben ihn dieses auch bestimmt genug lehre. Wir haben hier zwey verschiedene Ansichten ein- ander gegenüber gestellt, deren jede wir noch genauer prüfen müssen, und zwar — welches wohl zu merken, — hier noch nicht in der Absicht, zu entscheiden, welche von beyden der Wahrheit am nächsten komme, sondern, welche jetzo zunächst müsse vestgehalten werden, um von dem Gegebenen in unserm Nachdenken auszu- gehn, ohne einen Sprung zu machen . §. 25. Käme es darauf an, die erstere Behauptung annehm- lich vorzustellen: so würden sich viele bekannte Meinun- gen von der Vernunft und Freyheit, nebst ihren Formen und Gesetzen, als von unserer höhern, unzeitlichen, durch intellectuale Anschauung zu erkennenden Natur, im Ge- gensatze gegen die empirische Auffassung unserer Indi- vidualität, hiebey benutzen lassen. Ich erwähne dersel- ben nur, um zu erinnern, dass dergleichen Lieblingsmei- nungen mancher Personen auf den Gang der Speculation nicht den geringsten Einfluss haben dürfen. Demjenigen, was in der innern Wahrnehmung un- zweydeutig gegeben ist und unwillkührlich gefunden wird, scheint ohne Zweifel die zweyte Behauptung angemesse- ner als die erste. Fragt man im gemeinen Leben jemanden, wer er sey, so nennt er Stand und Namen, Wohnort und Ge- burtsort. Diese und andre äusserliche Bestimmungen sei- ner selbst leiten ihn auch im Handeln. Er erfüllt sei- nen individuellen Beruf, seine Familienpflichten; und je mehr er seiner besondern Stellung in der Welt ge- mäss sich beträgt, um desto verständiger finden wir ihn. Wollte er einen andern Begriff von sich selbst bey sei- nen Entschliessungen zum Grunde legen, wollte er einen Augenblick von seiner Individualität abstrahiren: wir wür- den bald sagen, er vergesse sich , er sey ein Thor. Haben wir denn nun ausser dieser individuellen Ich- heit noch eine andre? Wenn wir einmal eingestehen müssen, dass unser zeitlich bestimmtes Individuum Wir selbst ist, und wenn wir rückwärts, so oft wir unbefan- gen von uns selbst reden, Niemanden sonst, als eben dieses Individuum im Auge haben: wozu soll es denn füh- ren, dass man in der Philosophie von diesem nämlichen Individuum zu abstrahiren versucht? Und ist es nicht schon im gemeinen Leben ein Irrthum, wenn man die Umstände des Lebens, die freylich hätten anders kom- men können, als etwas unserer Persönlichkeit zufälliges betrachtet; da wir doch gerade nur unter diesen Um- ständen, und in Beziehung auf dieselben, unsre eigene Person kennen lernen? — Gewiss würde diese Vorstellungsart den Sieg davon tragen: wenn es möglich wäre, sie in sich selbst zu vollenden . Aber Erstlich: in keiner augenblicklichen Wahrnehmung finde ich Mich, auch nur als Individuum; vielmehr muss die Erinnerung zu Hülfe kommen. Ich setze mich als bekannt aus voriger Zeit in jedem neuen Moment vor- aus. Nun ist dieses als bekannt Vorausgesetzte eben so unbestimmt , wie eine Summe von halberloschenen Er- innerungen aus verschiedenen, zum Theil entfernten Zei- ten, nur immer seyn kann. Daraus würde folgen, dass ich nicht genau wüsste, Wen ich eigentlich meinte, falls ich von mir als Individuum redete. Zweytens: die individuellen Bestimmungen meiner selbst sind ein Aggregat, welches allmählig angewachsen, und noch jetzt im Fortwachsen begriffen ist. Richtet sich die Ichheit nach diesem Aggregat: so wird sie un- aufhörlich verändert, und niemals vollendet. Aber im Selbstbewusstseyn sehen wir uns an als ein Bekanntes, Bestehendes, und schon Vorhandenes. Drittens: ein Aggregat besitzt keine reale Einheit; es ist Vieles; von Mir aber rede ich als von Einem, und einem Realen. Viertens: die ganze Summe meiner Vorstellungen, Begehrungen, und individuellen Zustände, würde keine Persönlichkeit bilden, wofern nicht das Subject vorhan- den wäre, welchem jene individuellen Bestimmungen zum innerlichen Schauspiele dienen. Fünftens: für dieses Subject, für das Wissen um uns selbst, ist es zufällig, was als Gewusstes sich darbie- ten möge; darum abstrahirt man von den besondern Be- stimmungen des Gewussten, und fasst bloss das Verhält- niss des innerlichen Wissens zu irgend einem beliebigen inneren Verlauf von objectiven Erscheinungen, als Cha- rakter der Ichheit auf. Sechstens: die eben erwähnte Abstraction reicht noch nicht hin. Das Ich fände sonst Sich als eine Reihe wan- delbarer Erscheinungen, wenn schon ohne nähere Be- stimmung, was für eine Reihe dies seyn möge. Das Sub- ject kann aber sich selbst nichts gleich setzen, was nicht eben so einfach ist, als es selbst. Folglich muss nicht bloss die Mannigfaltigkeit individueller Bestimmungen, sondern auch der allgemeine Begriff dieser Mannigfaltigkeit, aus der Ichheit ausgeschieden werden. Und so bleibt denn für das reine Ich nichts übrig, als die blosse Identität des Objects und Subjects. Da sind wir denn wieder angelangt bey dem oben erwähnten grammatischen Begriff der ersten Person; nur noch mit der negativen Bestimmung, dass diese erste Person als Sich selbst nichts von allen dem denken könne, was ihr auf individuelle Weise anzuhängen scheint. Man bemerke wohl, dass wir von der Einheit des Subjects , des innerlichen Wissens, ausgegangen sind, um die Mannigfaltigkeit des objectiven auszustossen. Wir haben dabey angenommen, dass in dem activen Wissen um sich selbst Niemand eine Vielheit finde, dass er viel- mehr sich als Einen Wissenden betrachte, wenn schon eine Mannigfaltigkeit dessen, was er von sich wisse, ihm vorschwebe. — Selbst unsere Träume eignen wir uns selbst zu, so sehr wir über das Object lachen, was wir selbst darstellen würden, wenn wir wachend dieselben wären, als die wir uns im Traume gebehrden. Wie wir nun von dieser erträumten Individualität abstrahiren, um wachend den Begriff von uns selbst zu bilden; — wie jeder, nachdem er sich übereilt hat, vollends der Reuige, der Büssende, indem er Vergebung der Sünden bittet, sehr gern von den individuellen Zügen seiner Persön- lichkeit abstrahiren mag, die ihn als einen Thoren, oder als einen Sünder bezeichnen; wie er einen Kern seines wahren Wesens annimmt, aus welchem bald das Bes- sere hervortreten werde: so sollen wir in der Speculation von aller Individualität abstrahiren, weil wir dem letz- ten, inwendigsten Kern unserer selbst, der Selbstbe- schauung, nichts buntes und vielfältig wandelbares gleich setzen können, und weil ein mannigfaltiges Objective im Ich, vermöge der Gleichheit mit dem, sich selbst betrach- tenden Subject, auch dieses in ein Aggregat von allerley Handlungen des Wissens zerspalten würde; wobey die Einheit des Ich gänzlich verloren ginge, für welche doch die eigne Selbstauffassung eines Jeden sich verbürgt. §. 26. Fasst man die vorstehenden Ueberlegungen, welche Jeder für sich durch ursprüngliche Besinnung auf Sich selbst , zur Reife bringen muss, — nochmals zusammen, so ergiebt sich: Die philosophische Bestimmung des Ich, als Identi- tät des Objects und Subjects, scheint sich dadurch vom Gegebenen zu entfernen, dass sie die zeitliche Wahr- nehmung zurückstösst. Aber hiedurch vollendet sie nur das, und spricht rein aus, was wir im gemeinen Selbst- bewusstseyn unbestimmt beginnen. Nämlich wir setzen in jedem Augenblick Uns als bekannt voraus; und be- trachten die neuen Bestimmungen, welche der Augen- blick bringt, als zufällig ; so dass wir vollkommen Die- selben geblieben wären, wenn schon ganz andre Begeg- nisse uns widerfahren seyn möchten. Daraus entsteht ein Begriff von uns selbst, der sich, näher betrachtet, mit gar keinen Zufälligkeiten, weder vergangenen, noch künftigen verträgt. Weil nun die zeitliche Wahrnehmung, oder der innere Sinn, von der eigentlichen Selbstauffassung hin- weggewiesen worden ist: so scheint es allerdings, als hät- ten wir zu dieser Selbstauffassung ein ganz eigenes Grund- vermögen. Und weil es denn doch etwas schwer ist zu sagen, was eigentlich für einen Gegenstand die reine Selbstanschauung erblicke (hier nämlich wird eine Ver- legenheit gefühlt, welche von den, im nächsten Capitel zu entwickelnden, Widersprüchen im Begriff des Ich herrührt): so entsteht eine Neigung, das reine Ich mit allerley Prädicaten zu begaben, welche die Quelle vieler Fehlschlüsse (unter andern bey Fichte ) geworden ist. Hier nun ist der Ort, an Kants Behauptung zu er- innern, das Ich sey eine rein intellectuelle Vorstellung, aber zugleich die ärmste unter allen. Durch die erste Hälfte der Behauptung wird zugegeben, dass man den Begriff des Ich nicht durch innere Wahrnehmung be- stimmen könne. Die zweyte Hälfte mag diejenigen war- nen, welche glauben, den Inhalt der Vorstellung des rei- nen Ich ohne Schwierigkeit angeben zu können. Uebri- gens ist hier ein doppelter Fehler begangen; theils in der übereilten Annahme eines reinen intellectuellen Vermö- gens Krit. d. r. V., S. 423. ganz unten. ; theils in dem Vergessen des grammatischen Be- griffs des Ich, welcher durch den Gegensatz und die Ei- nerleyheit des Objects und Subjects, der Speculation mehr zu thun giebt, als zahllose andre, an Inhalte viel reichere Begriffe. Wer aber die vorhin bemerkten Schwierigkeiten, sich von den individuellen Bestimmungen des Ich zu trennen, wohl im Auge hat, und überdies bedenkt, dass in dem speculativen Begriffe vom Ich jene Abstraction vom Individuellen allerdings noch weiter getrieben wird, als sie im gemeinen Bewusstseyn vorkommt: der kann schon errathen, dass die Beziehungen der Ichheit auf die Individualität sich nur verbergen, nichts destoweniger aber vorhanden sind; und dass der Erfolg der Speculation kein andrer seyn kann, als eben diese Beziehungen in ihrer Nothwendigkeit zu offenbaren, womit denn das Grund- vermögen der reinen Selbstauffassung verschwindet, und der innere Sinn seine gehörige Erklärung erhält. So nun ist es in der That. Die philosophische Bestimmung treibt nur die gemeine Vorstellung vom Ich aufs äusserste, um sie an offenbare Unmöglichkeiten anstossen zu machen; woraus sich ergiebt, dass der Begriff des Ich, der ein täuschendes Erzeugniss unseres Denkens war, einer Ver- besserung bedarf, und dass die zum Irrthum führende Dunkelheit des gemeinen Bewusstseyns hier, wie in an- dern Fällen, durch Philosophie erleuchtet werden muss. Wir bleiben also für jetzt bey der Erklärung: das Ich ist die Identität des Objects und Subjects; nachdem wir gesehn haben, dass dieselbe für den Anfang der Untersuchung einzig zulässig ist. Wir werden die Widersprüche entwickeln, die hierin liegen. Wir werden aus diesen Widersprüchen erkennen, was in dem Be- griffe des Ich muss verändert, und was hinzugedacht wer- den. Die Leser mögen sich hüten, sich bey dieser Un- tersuchung nicht von angenommenen psychologischen Vorstellungsarten beschleichen zu lassen. Das Problem ist viel zu schwer, als dass es durch bisher gewohnte Meinungen zu bezwingen wäre; wohl aber kann es durch Einmengung derselben verdunkelt und entstellt werden. Zweytes Capitel . Darstellung des im Begriff des Ich enthaltenen Problems, nebst den ersten Schritten zu dessen Auflösung. §. 27. Das Problem entsteht aus den Widersprüchen im Begriff des Ich; und es ist kein anderes, als, diejenige nothwendige Umwandlung dieses Begriffs zu finden, wo- durch die Widersprüche verschwinden. Die erwähnten Widersprüche lassen sich auf zwey zurückführen (ungerechnet diejenigen, welche durch das Nicht-Ich, in Fichte’s Sprache, herbeygeführt werden). 1) Das Ich erscheint als ein im Bewusstseyn Gege- benes, und der Begriff dieses Gegebenen wird für den vollständigen Ausdruck desselben gehalten. Aber es fehlt ihm sowohl am Objecte, als am Subjecte, mithin an sei- ner ganzen Materie. 2) Die vorgegebene Identität des Objects und Sub- jects widerstreitet dem unvermeidlichen Gegensatze zwi- schen beyden; mithin ist der Begriff der Form nach un- gereimt. Die Erläuterung des ersten Punctes zerfällt wiederum zwiefach; es muss sowohl der Mangel des Objects, als des Subjects nachgewiesen werden. Zuvörderst: Wer, oder Was ist das Object des Selbstbewusstseyns? Die Antwort muss in dem Satze lie- gen: das Ich stellt Sich vor. Dieses Sich ist das Ich selbst. Man substituire den Begriff des Ich, so verwan- delt sich der erste Satz in folgenden: das Ich stellt vor das Sich vorstellende . Für den Ausdruck Sich wiederhohle man dieselbe Substitution, so kommt heraus: das Ich stellt vor das, was vorstellt das Sich vor- stellende . Hier kehrt der Ausdruck Sich von neuem zurück; es bedarf der nämlichen Substitution. Dieselbe ergiebt den Satz: das Ich stellt vor das, was vorstellt das Vorstellende des Sich -Vorstellens . Erneuert man die Frage, was dieses Sich bedeute? Wer denn am Ende eigentlich der Vorgestellte sey? so kann wie- derum keine andere Antwort erfolgen, als durch die Auf- lösung des Sich in sein Ich , und des Ich in das Sich vorstellen . Dieser Cirkel wird ins Unendliche fort durchlaufen werden, ohne Angabe des eigentlichen Ob- jects in der Vorstellung Ich. — Der Genauigkeit wegen kann man noch bemerken, dass in den nachgewiesenen Umwandlungen des ersten Satzes eine Bestimmung aus- gelassen ist, die hier nichts zur Sache thut; nämlich dass das Ich nicht überhaupt irgend ein Ich, sondern Sich, mithin nicht bloss das Sich vorstellende, sondern sein eignes Sich-Vorstellen zum Gegenstande hat. Allein dieses gehört zu der geforderten Identität, folglich zu dem zweyten formalen Widerspruch. Hier kommt es uns darauf an, dass jede Angabe dessen, was das Ich ei- gentlich vorstelle, wiederum die Frage nach demselben in sich schliesse; folglich die Frage schlechterdings un- beantwortlich ist. Statt der Antwort entsteht eine unend- liche Reihe, die sich niemals nähert, sondern von ihrer gesuchten Bedeutung immer gleich weit entfernt bleibt. Diese Reihe ist nun schon darum fehlerhaft, weil das Selbstbewusstseyn von einer solchen Entwickelung in viele Glieder, oder von einer solchen vielfachen Einschaltung in sich selbst, nichts weiss. Aber überdies ist sie wider- sinnig, weil anstatt des wirklich vollbrachten Sich-Selbst- Setzens nichts anderes herauskommt, als eine ewige Frage nach sich selbst . Nicht besser ergeht es auf der Seite des Subjects. Das Ich muss seinem Begriffe nach, von sich wissen; was in ihm als Subjectives gedacht wird, muss wiederum ob- jectiv, muss ein Vorgestelltes werden für ein neues Wis- sen. (Ein Umstand, den Fichte in seinen ältern Schrif- ten, ohne ihn vollständig zu erwägen, vielfältig zur Me- thode des Fortschreitens in der Nachforschung benutzt hat.) Man nehme also an, das Ich sey objectiv gege- ben; so ist es Sich selbst, und keinem Anderen, gege- ben; es wird von Sich selbst vorgestellt. Der Actus die- ses Vorstellens darf aber auch nicht ausbleiben; was das Ich ist, das muss es, seinem Begriffe nach, auch wissen; was es nicht weiss, das ist es nicht. Es ist nun wirk- lich: Sich vorstellend; als ein solches Sich vorstellendes muss es demnach abermals vorgestellt werden. Aber auch das neue Vorstellen, welches hiezu erfordert war, muss, so gewiss es ein wirkliches Handeln des Ich ist, wiederum Object werden, für ein noch höheres Wissen. Und die- ses Wissen verlangt, um ein Gewusstes zu werden, fer- ner einen Actus derselben Art. Diese Reihe läuft offenbar ebenfalls ins Unendliche; und sie sollte es eben so we- nig wie die vorige; denn auch hier weiss das Selbstbe- wusstseyn, zwar in seltenen Fällen von einigen wenigen Wiederhohlungen der Reflexion, die das Wissen selbst zum Gegenstande einer neuen Betrachtung macht, aber es weiss nichts von der Nothwendigkeit solcher Wieder- hohlung, um von uns selbst zu reden; viel weniger kennt es eine unendliche Fortsetzung der Reihe. Noch mehr; die wiederhohlte Rückkehr zu uns selbst, wobey wir im- mer wiederum Gegenstand des Bewusstseyns werden, ver- braucht Zeit; aber der Begriff des Ich lässt uns gar keine Zeit; ihm gemäss muss das Ich, falls es überhaupt ge- dacht wird, alles dies Denken des Denkens vollständig in sich schliessen; sonst ist es kein Ich, denn es fehlt ihm an irgend einer Stelle das Wissen um sich selbst. Wir sehn also, wie das Ich nach dieser Betrachtungsart, wenn es auch sein Object wirklich gefunden hätte, den- noch für sich selbst eine unendliche, und eben deshalb eine niemals vollbrachte und nimmer zu vollbringende Aufgabe seyn würde. — Hat nun schon die doppelte Unendlichkeit, in wel- che das Ich sich hinausstreckt, deutlich genug gezeigt, dass durch diesen Begriff, so wie er gefasst ist, wirklich nichts begriffen wird: so treibt vollends die Forderung der Identität aller Glieder der unendlichen Reihen, die Ungereimtheit aufs höchste. Zwar hier möchte Jemand sich die Sache leicht machen wollen. Es ist ja so schwer nicht, sich ein Ding zu denken, das mit dem Wissen von sich selbst begabt sey! Auf die Weise lassen die Dichter etwan einen Baum von Sich sprechen. Dieser, seiner selbst bewusste Baum, was ist er denn eigentlich? Erstlich ein Baum, und dann zweytens die Vorstellung eines solchen Baums; auch, wenns hoch kommt, noch eine Vorstellung von der Vorstellung des Baums. Aber der Baum ist nicht die Vorstellung von dem Baume, und, rückwärts, die Vorstellung eines solchen Baumes ist nicht der Baum ! Gleichwohl soll die erwähnte Vor- stellung, wenn sie sich ausspricht, von dem Baume re- den als von Sich selbst . Die zwey völlig verschiede- nen, nen, und bloss in Gedanken zusammengeklebten, der Baum, und ein gewisses Vorstellen von demselben Baume, werden für Eins ausgegeben. Diese Einheit ist ein lee- res Wort ohne allen Sinn; und daraus sieht man, dass es unüberlegt war, dem ersten besten, durch seine eigenthümliche Qualität schon bestimmten , Ge- genstande, Selbstbewusstseyn zuschreiben zu wollen. Man setze statt des Baumes die Seele, als ein Wesen mit al- lerley Kräften, das unter andern auch Selbstbewusstseyn habe. Man wird gerade den nämlichen Fehler begangen haben. Die Seele, als ein solches und kein anderes We- sen, soll ein Bild von sich selbst mit sich tragen; und damit ein Bild der Art vorhanden seyn könne, wird ein eignes Vermögen angenommen, welches sey ein Vermö- gen ein solches Bild zu tragen oder vorzustellen. Nun meint man, die Seele wisse von sich, weil man in Ge- danken eine Summe gemacht hat aus der Seele und aus dem Vermögen, welches ein Bild von der Seele bereitet. Man dringt wohl gar darauf, dass beydes zusammen nur Ein reales Wesen seyn solle. Und jetzt beantworte man nur noch die Frage, was für ein Wesen das sey? Man gebe die Qualität desselben an. Die Antwort wird sich in zwey Theile spalten; die Seele, und das Vorstellen dieser Seele. Daraus wird nimmermehr Eins, so wenig wie aus der Person, die sich malen lässt, und dem ge- genüber sitzenden Maler. — Zum Glück weiss unser Selbstbewusstseyn auch gar nichts von dem Wesen un- serer Seele zu sagen; und um so eher dürfte man in der Psychologie jenes Grundvermögen der Selbstauffassung sparen, vor welchem das, was wir wahrhaft sind , sich doch nicht sehn lässt. Nach dieser Digression kehren wir zurück zum Be- griff des Ich. Derselbe ist weit entfernt, uns in die eben erwähnte Verlegenheit zu setzen. Ganz ein anderes ist, was er erheischt. Das Object soll keinesweges ein Ding an sich, es soll das wahre Subject selbst seyn. Da nun auch das Subject nichts für sich allein, sondern lediglich I. G das Vorstellen seiner selbst ist, so soll eben dieses Vor- stellen, als ein Erzeugen des Bildes, auch das Vorge- stellte, das Bild seyn. Die That soll selbst das Gethane, die Bedingung soll das Bedingte, der wirkliche Actus des Vorstellens soll das, als solches nichtige , Bild selber seyn! Will man der Strenge dieser, offenbar un- gereimten, Forderung sich entziehen? Wohlan! so ist das Object erstlich ein Reales für sich, und nun kommt zweytens das Subject mit einer Abspiegelung jenes Rea- len dazu. Da hat man das Ich entzweyet, und ist gerade in das vorhin gerügte Widersinnige des selbstbewussten Baumes verfallen. Es bleibt also dabey, dass das Abge- spiegelte ohne alle Vermittelung der Spiegel selbst sey; dass Ich Mich nur alsdann finde, wann das Vorstellen, anstatt von seinem Vorgestellten unterschieden zu wer- den, vielmehr eben als actives Vorstellen sein eignes Vor- gestelltes ist; folglich die Entgegengesetzten eben als Ent- gegengesetzte Einerley sind: — wobey denn alle jene Be- griffe, von der That und dem Gethanen, der Bedingung und dem Bedingten, dem Wirklichen und seinem Bilde, die nur in ihren Gegensätzen einen Sinn hatten, in Un- sinn übergehen müssen. Und die vorhin entwickelten unendlichen Reihen wiederhohlen diesen Unsinn ins Un- endliche. — Wäre die Rede vom viereckigten Cirkel: so würde sich niemand über dessen Möglichkeit den Kopf zerbre- chen. Aber die Rede ist vom Ich, das wir jeden Augen- blick aussprechen; von uns selbst, so fern wir uns das Bewusstseyn unsrer selbst zuschreiben. Die Frage ist, Wen wir eigentlich meinen, indem wir von uns reden? Und wenn wir diesen Wen gefunden hätten, was wir denn beginnen, indem wir ihm das Wissen von sich selbst beylegen? Er, der dieses Prädicat empfangen soll, muss ohne Zweifel dafür empfänglich seyn. Er muss also kein Ding an sich, er kann aber auch nicht das Von- Sich-Wissen selber seyn. Denn wir sehen nun endlich deutlich genug, dass dieses Von-Sich-Wissen auf etwas Vorauszusetzendes, und bis jetzt Ausgelassenes, sich be- zieht ; und dass man die Auslassung durch eine Ergän- zung verbessern muss. Erst müssen gewisse objective Prädicate herbeygeschafft werden; diese aber dürfen nicht von der Art seyn, dass sie für sich allein bestünden, und uns am Ende in die beschämende Nothwendigkeit setz- ten, das Darum-Wissen wie ein Fremdes nur gerade daranfügen zu müssen. Sondern aus der objectiven Grundlage muss jenes wunderbare, in sich zurücklaufende Wissen von selbst hervorkommen; und zwar dergestalt, dass vor diesem Wissen sich das Objective gleichsam zurückziehe, damit das Ich nicht Sich als irgend ein be- stimmtes Anderes, sondern als Sich selbst antreffen möge. Diese vorläufigen Vermuthungen werden wir nun ge- nauer auszuführen haben. Anmerkung . Es wird erlaubt, und beynahe nothwendig seyn, dass ich hier meinen Vortrag unterbreche. Denn der Leser muss hier anhalten; er muss sich das Vorgehende voll- kommen überlegen und einprägen; sonst kann er nicht Einen Schritt weiter gehen. — Dass ich ihn bisher nicht zum Lichte, sondern vielmehr in die dunkelste Nacht ge- führt habe, weiss ich sehr wohl. Das musste gesche- hen; die Natur der Sache bringt es mit sich; und für Denjenigen, der hier ungeduldig wird, rede ich kein Wort weiter. Wohl aber könnte auch der Geduldigste ermü- den, und sich in einen Zustand versetzt fühlen, der eine Art von Krankheit ist; ich kenne diesen Zustand aus Er- fahrung, und weiss, wie schwer es ist, ihn zu ertragen, wenn man nichts destoweniger in der Zeit fortleben und forthandeln soll. Daher werde ich auf die dunkle Stelle schon jetzt ein Licht fallen lassen, das von Untersuchun- gen ausgeht, die erst viel später an die Reihe kommen können. Die Frage: wer bin ich? ist für den gewöhnlichen Menschen in jedem Augenblick auf individuelle Weise G 2 zulänglich beantwortet; nimmt man aber die individuellen Bestimmungen hinweg, so bleibt nichts übrig, als eine leere Stelle , und diese lässt sich schlechterdings nicht auf eine allgemeingültige Weise ausfüllen. Daher fasse man die Frage nun so: wie kommt der Mensch dazu, jene Stelle, die für sich allein leer seyn würde, zu setzen, sie mit individuellen Bestimmungen auszufüllen, sie als die erste in seinem ganzen Vorstellungskreise zu be- trachten, für die alles Andre ein Zweytes, Drittes, kurz, ein Aeusseres ist; und endlich sie als den Punct anzu- sehn, worin Wisser und Gewusstes unmittelbar zusam- menfallen? Diese Frage zielt, wie es seyn muss, nicht mehr auf ein Reales, sondern lediglich auf ein Formales; und sie fällt nun zurück in das weite Gebiet der Untersuchung über den Ursprung der Formen in unserem gesammten Vorstellen. Eine Untersuchung, die sich ohne Mechanik des Geistes nicht einmal anfangen lässt. Der formalen Constructionen, in welchen das Ich eine Stelle — nicht hat , sondern ist : giebt es mancher- ley; verschieden an Einfluss und Werth; mehr oder min- der zahlreich nach dem erreichten Grade der Cultur. Die bekannteste dieser Constructionen, und, wenn man den zeitlichen Ursprung des Ich betrachtet, die wichtigste, ist der sinnliche Raum. Wenn die Anschauung dahin gelangt, Objecte zu begränzen und zu sondern, so zieht sie auch Linien von diesen Objecten gegen den Mittelpunct hin, worin der Mensch (oder das Thier) sich befindet. Nahe diesem Mittelpuncte sieht der Mensch wenigstens einige Theile seines Leibes; durchläuft ein Object die Linie dahin, so endet die Zeitreihe der Wahrnehmungen mit einer neuen Empfindung (etwa des Stosses oder Schlages); bewegt sich der Mensch, so verändert sich das ganze System seiner Gesichtslinien; begehrt er und handelt, so wird die Vorstellung des Begehrten der Anfangspunct einer Reihe, die mit einer Veränderung in der Anschauung des Aeussern endigt. Demnach fallen Glieder des Leibes, Empfindungen, und Anfänge des Wirkens in jenen be- weglichen Punct; von welchem an , jedem Aussendinge seine Entfernung bestimmt wird; in welchen hinein er späterhin die Bilder abwesender Gegenstände, die ihm vorschweben, verlegen muss, weil sie ihn begleiten, und draussen keinen Platz haben. So wird der Mensch in seinen eignen Augen ein vorstellendes Wesen; und von da zu der Bemerkung, dass unter den Vorstellungen auch eine des Vorstellenden vorkomme, ist nur noch ein leich- ter Schritt. Es möchte nun scheinen, als klebe die Vorstellung des Ich an dem sinnlichen Raume; allein nichts weniger! Es giebt eine Menge ähnlicher, nur nicht so ausgebilde- ter Constructionen, wie der Raum. Sich findet der Bür- ger mitten in bürgerlichen Verhältnissen; er hat dort ei- nen Rang und Namen; Sich findet der thätige Mann in der Mitte andrer Kräfte; der Gelehrte in dem Kreise an- drer Gelehrten; der sittlich und religiös fühlende Mensch findet Sich in einer höhern Ordnung der Dinge; aber hier ist der Platz, den sein, schon sonst bekanntes Ich darin einnimmt, nicht so leicht zu bestimmen; hier nimmt die Frage: wer bin ich? eine ernste Bedeutung an; auf die wir jedoch jetzt nicht eingehn können. Je nachdem die Reihen von Vorstellungen beschaf- fen sind, welche im Ich zusammentreffen und sich kreu- zen; und je nachdem sie in jedem bestimmten Augen- blick aufgeregt sind: darnach richtet es sich, wie der Mensch Sich in diesem Augenblick sieht. Wirklich schwankt das Ich unaufhörlich; es ist bald ein sinnliches, bald ein vernünftiges, bald stark, bald schwach; es scheint bald auf der Oberfläche, bald in einer unergründlichen Tiefe zu liegen. Diese Wechsel erklären sich sämmt- lich aus der angedeuteten Lehre; und ebenso der son- derbare Umstand, dass die gewöhnliche Art zu reden Al- les dem Ich zueignet , selbst das, was der denkende Mensch als den eigentlichen Gehalt, das wahre Wesen des Ich ansehen möchte. Wir sagen nicht bloss mein Leib , sondern auch mein Geist, meine Vernunft, mein Wille , ja sogar: mein Selbstgefühl, mein Selbstbewusstseyn, mein Leben , und mein Tod . Denn alle diese Bestimmungen fallen in den Punct , wel- cher Ich heisst. Der Leser kann nun vermuthen, dass diese Ansicht vom Ich wohl die richtige seyn möge, aber er weiss von dem Allen noch nichts; versteht auch noch nicht, wie die Vorstellung eines Puncts in einer Reihe möglich ist; begreift also von der gegebenen Erläuterung noch sehr wenig. Um weiter zu kommen, ist es nöthig, diese ganze Anmerkung bey Seite zu setzen, und den Faden des frühern Vortrags wieder aufzunehmen. Derselbe blieb liegen in der tiefsten Finsterniss; wir müssen daher sehr langsam fortschreiten. §. 28. Irgend etwas, wenn auch noch so dunkel vorgestellt, hat ohne Zweifel Jeder im Auge, der von Sich redet; denn ein Vorstellen ganz ohne Gegenstand kann doch die Aussage des Ich nicht seyn. Wir müssen also zu- erst dem Begriff des Ich ein unbekanntes, und noch zu bestimmendes Object leihen; und nachsehn, was weiter daraus werde. Sogleich nun wird das Geständniss unvermeidlich, dass wir von der eigentlichen Bedeutung des Begriffs ab- gewichen sind. Denn nicht ein unbekanntes Object soll- ten wir annehmen, sondern uns damit begnügen, dass das Subject zugleich die Stelle des Objects vertrete; dass das Ich nicht etwas Anderes, sondern Sich setze. Dieses Geständniss darf jedoch nicht im geringsten befremden. Denn es versteht sich von selbst, dass ein widersprechender Begriff, wenn er nicht ganz verworfen werden kann, wenigstens eine Veränderung erleiden muss. Und die gemachte Veränderung war nothwendig; denn dass in dem gegebenen Begriff das Object fehlt, haben wir oben gesehn. Nichts destoweniger bringt die Abweichung vom Ge- gebenen uns in Verlegenheit. Vom dem Vorstellen ei- nes unbekannten Objects liesse sich gar viel reden, ohne dass dies mit dem vorliegenden Problem nur den minde- sten Zusammenhang hätte. Wir finden uns in Gefahr, in ein willkührliches Denken hineinzugerathen, sobald wir den Begriff des Ich nicht in seiner Strenge vesthalten. Dieses also darf nicht vernachlässigt werden. Und wir können demnach dem Ich nur unter der Voraus- setzung ein Object leihen, dass es aus der Selbst-Auf- fassung wieder verschwinde. Verschwindet es aber: so entsteht von neuem das Bedürfniss eines Objects; obgleich nicht gerade des nämlichen , welches wir zuerst eingeschoben hatten. Es steht uns also frey, mehrere und verschie- dene Objecte abwechselnd dem Ich zum Grunde zu le- gen. Und nicht bloss steht es frey, sondern bey näherer Ueberlegung findet sich dieses durchaus nothwendig. Wir würden nämlich im Denken gar nicht von der Stelle rücken, und die Auflösung des Problems nicht im mindesten fördern, wofern wir uns fortdauernd im Kreise jener beyden Reflexionen herumtreiben wollten: der einen, dass das Ich eines von ihm zu unterscheiden- den Objects bedürfe ; der andern, dass das Ich kein von ihm unterschiedenes Object als Sich selbst ansehn könne . Diese Betrachtungen würden uns dahin bringen, das geliehene Object wieder abzuson- dern, und es dann nochmals herbeyzubringen, um es nochmals wegzunehmen; eine Oscillation ganz ohne Ende und ohne Gewinn. Wollten wir dabey das Successive unseres Nachdenkens aufheben, und nach dem Resultat fragen, so wäre es der klare Widerspruch: zum Ich gehört ein fremdes Object, und gehört auch nicht zu ihm . Ein Widerspruch, den man, so wie er vorliegt, durch keine Distinction lösen kann; denn so lange wir nur von einem einzigen fremden Object reden, ist gar nicht abzusehen, woher eine Modification kom- men sollte, vermöge deren dasselbe in einer Rücksicht dem Ich angehören, und in einer andern Rücksicht von ihm ausgeschieden werden könne. Hingegen sobald wir uns besinnen, dass, indem ein geliehenes Object wieder ausgesondert werde, dagegen ein anderes und wieder ein anderes eingeschoben werden könne: geht uns ein Licht auf. Es zeigt sich nämlich jetzt soviel, dass die Ichheit auf einer mannigfaltigen objectiven Grundlage beruht, wovon jeder Theil ihr zufällig ist, sofern die übrigen Theile noch im- mer dem Ich zur Stütze dienen würden, falls jener weg- genommen wäre. Ich setze mich als dies oder jenes, aber ich bin an keines gebunden, so lange ich wechseln kann. So ruhet ein Tisch, der viele Füsse hat, zwar eigentlich auf allen zugleich, doch könnte er wechselnd jeden einzelnen entbehren, weil ihn die übrigen noch tra- gen würden. Dass dieses zwar bey weitem nicht die vollständige Auflösung des Räthsels, aber doch der nächste nothwen- dige Schritt zu derselben ist, zeigt sich noch klärer durch folgendes: Jedes fremde Object, was als das letzte Vor- gestellte im Selbstbewusstseyn angesehen wird, bedarf durchaus der vorhin erwähnten Modification; es muss in gewisser Rücksicht für dasjenige gelten können, was vor- gestellt wird, indem wir uns selbst vorstellen; in anderer Rücksicht aber wiederum als dasjenige zu erkennen seyn, was nicht Wir selbst ist. Woher soll nun diese Modi- fication, diese Verschiedenheit der Rücksichten ihren Ur- sprung nehmen? Sollen wir etwan selbst, sie willkühr- lich erdenken, willkührlich gebrauchen? Aber auf dieser Modification beruht das Selbstbewusstseyn, als Gegebenes, welches keinesweges unserer Willkühr Preis gegeben ist. Soll ein Gesetz, eine ursprüngliche Form unseres Gei- stes erdacht werden, wornach wir unwillkührlich, und un- serer eignen Thätigkeit uns nicht bewusst, ein Fremdes in die Bestimmung unseres Selbst bald aufnehmen, bald ausstossen? oder auch in verschiedener Rücksicht aufneh- men, und ausstossen? Aber so lange dieses fremde Ob- ject nur ein einziges ist, kann keine Form unsres Gei- stes den Widerspruch erzwingen, dass Ich dasjenige sey, was eben nicht Ich selbst, sondern ein Fremdes ist. Auf gar keine Weise kann die eigne Qualität des Fremden in die Ichheit eingelassen werden! Erst dann, wenn meh- rere Objecte vorgestellt werden, gehört Etwas an ih- nen dem Vorstellenden; nämlich ihre Zusammenfas- sung in Ein Vorstellen ; und was aus dieser weiter entspringt. Daraus muss also auch die gesuchte Modifi- cation hervorgehn, durch welche an den verschiedenen Objecten etwas zu bemerken sey, das keinem von ih- nen einzeln genommen zukommen würde, das also eben darum vielleicht Uns angehören könnte. Dabey bleibt denn die Vorstellung Meiner selbst zwar abhängig von der Vorstellung der Objecte, — sie bezieht sich auf dieselben, — aber sie fällt dennoch nicht damit zu- sammen Der §. 34. wird die Sache noch mehr ins Licht setzen; durch ein Verfahren, welches bisher absichtlich ist im Dunkeln gehalten worden. . Wir wollen uns erlauben, diese ersten Anfänge der Speculation sogleich mit der Erfahrung zu vergleichen. Irgend eine Aehnlichkeit muss doch schon zu bemerken seyn. Ich finde mich denkend, wollend, fühlend. Aber Denken ist das Uebergehen von Gedanken zu Gedanken, Wollen das Fortstreben aus einer Lage der Vorstellun- gen in eine andere; hier bezieht sich das Uebergehen auf eine Mannigfaltigkeit im Objectiven, das Fortstreben des- gleichen; nicht das Objective selbst, wohl aber das Um- herwandeln unter seiner Mannigfaltigkeit schreiben wir Uns zu. Was das heisse, Ich finde mich fühlend, mag etwas schwerer zu erklären seyn; doch ist hier soviel sichtbar, dass keinesweges das Gefühlte (das Objective in eigner Qualität), diese Lust oder jener Schmerz, das- jenige abgiebt, was wir als unser eignes Ich ansehen. §. 29. Noch Ein Schritt, und zwar ein sehr wichtiger, ist nöthig, bevor wir unseren Betrachtungen eine neue Richtung, und zugleich einen neuen Schwung geben können. Die mehrern Objecte (wie sich versteht nicht reale Gegenstände, sondern blosse Vorgestellte, als solche), welche zusammengenommen leisten sollen, was sie ein- zeln gar nicht vermögen würden, nämlich der bodenlosen Ichheit den Boden bereiten: taugen offenbar dazu, als blosse Summe oder als Aggregat, um gar nichts besser, wie die einzelnen für sich. Modificiren sollen sie einan- der gegenseitig; so viel wissen wir schon. Aber wie sie sich modificiren sollen, das lässt sich aus den nämlichen Gründen noch bestimmter angeben. Denken wir uns ein Subject, begriffen im Vorstellen mehrerer Objecte, und hierin noch ohne Selbstbewusst- seyn befangen: so sehn wir sogleich, dass dasselbe, um zum Ich zu gelangen, nothwendig aus jener Befangenheit in gewissem Grade herauskommen müsse. Da möchte nun Mancher ihm zurufen: hilf Dir selber! Brich die vorigen Gedanken ab, und komme zu Dir! Aber noch ohne Rücksicht auf die hier geforderte Freyheit der Re- flexion, welche gar nicht dazu passt, dass das Ich als ein Gegebenes gefunden wird, hiesse ein solcher Zuruf so- viel, als: tritt aus dem Denkbaren hinüber in das Undenkbare , — nämlich in jenen widersprechenden Begriff des Ich; welcher, um von dem Widerspruche ge- heilt zu werden, nicht einer Losreissung, sondern einer Anknüpfung an die Objecte bedurfte. Von den Objecten aus, und durch sie selbst gelei- tet, müssen wir zu Uns kommen; denn ohne sie ist das Selbstbewusstseyn eine Ungereimtheit; und eine Sache der Freyheit ist es ganz und gar nicht. Wer sich findet in Schmerz und Elend, wer sich seine Schwäche gesteht, wer an sich selbst verzweifelt: der findet allerdings Sich, aber so wie er nicht will, und nicht würde, wenn er an- ders könnte. Hier ist also auch nicht einmal für die Er- schleichungen Platz, welche man sonst an das Bewusst- seyn des Wollens anzuheften pflegt. Wer sich über sich selbst wundert, wer sich mit Selbstgefälligkeit be- schaut, der ist wo möglich noch weiter als jene von ei- nem Zustande des freyen Wollens entfernt, aber seiner selbst sich bewusst ist er dennoch. Alle Jene aber befinden sich gleichwohl vermöge des Selbstbewusstseyns herausgehoben aus der Befangenheit in den Objecten ihres Vorstellens. Denn die Prädicate zwar, welche sie in den erwähnten Zuständen sich selbst bey- legen, sind etwas objectives; aber das Subject, dem sie dieselben beylegen, wird dabey als schon bekannt voraus- gesetzt. Die Urtheile: ich bin beschämt, ich bin traurig, ich bin fröhlich, sind insgesammt synthetisch, denn ihre Prädicate werden keinesweges angesehen als inhärirend dem Subjecte. Und selbst solche Urtheile, wie: ich bin klug, ich bin ein Thor, welche eine beständige Eigen- schaft bezeichnen, sind dennoch synthetisch, denn sie stützen sich auf eine Reihe von Erfahrungen und Selbst- beobachtungen, aus denen ihr Prädicat erst durch In- duction abgezogen ist. Dem gemäss liegt die Ichheit nicht in den Auffassungen des objectiven, wie sie denn auch ihrem Begriffe nach nicht kann; sondern sie bildet einen Gegensatz selbst gegen die, dem Ich beygelegten Prädicate, vermöge deren sie mitten in der Verknüpfung noch von ihnen zu unterscheiden ist. Da wir nun, so fern wir uns selbst vorstellen, gewiss nicht in dem Vorstellen des fremden objectiven begriffen sind; und wir doch gleichwohl aus diesem nämlichen Vor- stellen des fremden objectiven, und durch dasselbe, ha- ben zu uns selbst kommen müssen: so kann nur in die- sem objectiven der Grund liegen, weshalb wir aus dem Vorstellen desselben herausgehoben werden. Das Vor- gestellte selbst in seiner Mannigfaltigkeit muss von sol- cher Beschaffenheit seyn, dass es die Fesseln lös’t, in welchen ein Subject befangen seyn würde, das nur bloss Gegenstände, aber niemals Sich, kennen lernte. Die Forderung, unser Vorgestelltes müsse uns über sich selbst hinausheben, damit wir zu Uns kommen, ist eine besondere, enthalten unter einer allgemeinern, wel- che so lautet: unser Vorgestelltes muss uns auf gewisse Weise aus dem Vorstellen seiner selbst herausversetzen . Nun ist es ein Widerspruch, dass irgend ein be- stimmtes Vorgestelltes A , selbst den Actus des Vorstel- lens von A zu verändern, oder zu vermindern geeignet seyn sollte. Auf die Weise müsste A sich selbst entge- gengesetzt seyn. Da nun kein Vorstellen, für sich einzeln genommen, als das Vorstellen eines bestimmten A , oder B , oder C , und so weiter, uns aus sich selbst herausversetzen kann: so bleibt nichts übrig, als dass verschiedenes Vor- stellen, so fern es durch seine verschiedenen Vorgestell- ten als ein solches und anderes bestimmt ist, sich gegen- seitig vermindere; dass eins uns aus dem andern her- ausversetze. Es müssen also die mannigfaltigen Vorstel- lungen sich unter einander aufheben, wenn die Ichheit möglich seyn soll . Dieser Satz ist das Resultat, bey welchem wir ver- weilen werden. Dass ihn die Erfahrung bestätigt, lässt sich sogleich zeigen; dass er im höchsten Grade frucht- bar ist, wird sich tiefer unten ergeben. Die innere Wahrnehmung lehrt, dass gleich unsre einfachsten sinnlichen Empfindungen verschiedene Reihen bilden, deren jede eine zahllose Menge solcher Vorstel- lungen einschliesst, die in allen möglichen Graden von Gegensätzen stehn. Die verschiedenen Farben verdrän- gen einander im Bewusstseyn, die Gestalten desgleichen; nicht minder die verschiedenen Töne, Gerüche, Ge- schmacks- und Gefühls-Empfindungen. Wir können die Vorstellung des Blauen nicht vollkommen vesthalten, wenn die des Rothen dazu kommt; die Contraste beschäfftigen uns, indem sie uns anstrengen; aber eine bedeutende Menge des Contrastirenden macht, dass die Auffassung erliegt. Auf solche Weise kommt Bewegung ins Ge- müth; und nicht bloss Bewegung, sondern auch Bildung. Diese flüchtige Erwähnung der Thatsachen muss vorläufig genügen. §. 30. Bey der allgemeinen Gewöhnung, in dem Subjecte des Bewusstseyns alle die nöthigen Vermögen, Thätigkei- ten, Formen und Gesetze anzunehmen, welche die Er- klärung psychologischer Thatsachen nur immer fordern möchte, lässt sich auch erwarten, dass man das nächst- vorhergehende Räsonnement eines Sprunges beschuldigen werde; indem es in den Gegensätzen des Vorgestellten dasjenige suche, was man in der Natur des denkenden Subjects viel besser voraussetzen könne. Wir wollen demnach, um den Grund unserer Untersuchung genug- sam zu bevestigen, uns auf das vermeinte Vermögen der Selbst-Anschauung noch einmal einlassen, um zu über- legen, was für ein Vermögen es denn eigentlich seyn solle. 1) Ein Vermögen, Sich schlechthin zu setzen, oder auch, das: Ich denke , zu allen unsern Vorstel- lungen schlechthin von selbst hinzuzusetzen ; ein solches verlangt man nun hoffentlich nicht mehr, da wir im §. 27. die Masse von Ungereimtheiten gezeigt haben, welche für real, ja für sein eignes Wesen zu halten, demjenigen würde angemuthet werden, welcher also Sich selbst setzen sollte. (Man vergleiche noch §. 26.) 2) Ein Vermögen, erst etwas objectives, etwas an- deres als das Ich, zu denken, dann aber durch einen absoluten Aufsprung sich selbst in diesem Den- ken zu ergreifen , — würde um nichts weiter führen. Zugegeben, dass in dem Subjecte ein Vermögen zu ei- nem solchen Aufsprunge seyn könne (welches aus allge- mein metaphysischen Gründen schon unmöglich ist): so möchte immerhin zu der Vorstellung des objectiven noch die Vorstellung von dieser Vorstellung hinzukommen; da- mit aber der Vorstellende sie als sein Vorstellen Sich zueignete, müsste er zuvor Sich gefunden haben ; welches zeigt, dass die Erklärung das Erklärte voraus- setzt. Das aber der Vorstellende nicht das Objective, und dessen Vorstellung, unter einander gleich setzen, und daraus ein Ich bereiten könne, springt offenbar in die Augen, da jene zwey nichts weniger als identisch sind. 3) Aber, nachdem man eingesehen hat, dass in ei- ner gegenseitigen Modification mehrerer objectiven Vor- stellungen allein der Grund des Selbstbewusstseyns ge- sucht werden könne: ist nun noch zu besorgen, man werde sich die Sache leicht machen, und das Modifi- ciren der mehrern Vorstellungen einem deus ex machina , einem hinzutretenden Geistesvermögen von eigends dazu erfundener Beschaffenheit auftragen wollen. Einen Verdacht dieser Art dürfen wenigstens Diejenigen gar nicht übelnehmen, welche ganz auf gleiche Weise zu den Vorstellungen des Erkenntnissvermögens das Begehrungsvermögen hinzubringen, damit es die bis jetzt nur noch erkannten äussern Dinge in Gegenstände der Begierden umpräge! Die nun von dem Geiste der Naturforschung so ganz und gar abweichen, mögen denn überlegen, was wohl für eine Modification der vorhandenen Vorstellungen je- nes hinzutretende Vermögen bewirken solle? Eine sol- che muss es offenbar seyn, wobey das eigenthümliche Was einer jeden dieser Vorstellungen beseitigt, und et- was von ihnen allen verschiedenes, nämlich die Ichheit, aus ihnen herausgezogen werde. Nun hat man zwar wohl in der Naturlehre Beyspiele, dass gewisse Stoffe, vermöge ihrer innern Gegensätze, wenn sie zusammenkommen, mit einander ein Drittes bilden, worin die Eigenschaften, welche jedes zuvor allein genommen zeigte, verschwin- den, um ganz neuen Platz zu machen. Da äussern sich diese Stoffe selbst als Kräfte ; — und es mag wohl erlaubt seyn, dieses Gleichniss als eine entfernte An- deutung dessen zu benutzen, was unser mannigfaltiges Vorgestelltes, indem es sich in Einem Vorstellen zusam- menfindet, mit einander macht; um so mehr, da wir an den Harmonien und Disharmonien, nicht bloss zusam- mentreffender Töne, sondern aller Arten von Gegenstän- den, welche ästhetischer Verhältnisse fähig sind, die kla- ren Beyspiele davon haben. — Aber nimmermehr ist er- hört gewesen, dass aus Stoffen, die sich passiv verhal- ten, eine hinzukommende Thätigkeit etwas gemacht hätte, das der Beschaffenheit dieser Stoffe selbst entge- gengesetzt gewesen wäre. Dazu gehört eine innere Ver- wandlung ; und diese ist einer neuen Production gleich zu achten. Kann irgend ein Geistesvermögen aus Vorstellungen, die zum Nicht-Ich zu zählen sind, die Ichheit bereiten: so mag dasselbe Ver- mögen immerhin auch ein Ich absolut consti- tuiren . Da aber das letzte, laut den geführten Be- weisen, ein völliger Ungedanke ist, so ist es auch das erste. Man lasse also endlich die Geistesvermögen, wo- durch unser Vorgestelltes, als ob es ein todter Vorrath wäre, soll umgebildet werden, ein- für allemal gänzlich fahren! Dagegen besinne man sich auf das Leben und Streben in jeder einzelnen Vorstellung; welches Leben genau zusammenhängt mit der Qualität des Vorgestell- ten, und sich daher mit andern Vorstellungen nur in so fern verträgt, als zwischen den Vorgestellten keine Ge- gensätze sind. So verträgt sich der Ton mit der Farbe; aber die Töne unter einander, die Farben unter einan- der, als Vorstellungen in uns, widerstreben sich nach dem Maasse ihrer Gegensätze und ihrer Stärke. Uebrigens würde dieser ganze Paragraph in einer, auf allgemeine Metaphysik mit streng systematischer Kürze aufgebauten Psychologie, völlig unnöthig seyn, weil die- selbe des Begriffs von einem Wesen mit allerley Ver- mögen gar nicht mehr erwähnen dürfte. Drittes Capitel . Vergleichung des Selbstbewusstseyns mit andern Problemen der allgemeinen Metaphysik. §. 31. Dieses Capitel wäre eine blosse Episode, wenn nicht die vorstehende Untersuchung selbst uns in ein Gebiet allgemeinerer metaphysischer Fragen hineintriebe. Auf ein Subject mit mannigfaltigen, zusammen und wider einander wirkenden Vorstellungen, sind wir geführt worden. Ist dieses Subject Substanz? Und erzeugt es seine Vorstellungen von selbst, oder unter äussern Be- dingungen? Sind diese Vorstellungen ursprünglich Kräfte? oder kommt ihnen ihre Wirksamkeit, mit der sie wider einander streben, nur zufälliger Weise, nur unter Um- ständen zu? Um leichter verstanden zu werden, will ich es wa- gen, meine Antwort auf diese Fragen, fürs erste ohne Beweis, herzusetzen. Das vorstellende Subject ist eine einfache Substanz, und führt mit Recht den Namen Seele . Die Vorstellungen enthalten nichts von aussen aufgenommenes; jedoch werden sie nicht von selbst, sondern unter äussern Bedingungen er- zeugt, und eben so wohl von diesen, als von der Natur der Seele selbst, ihrer Qualität nach bestimmt. Die Seele ist demnach nicht ur- sprünglich eine vorstellende Kraft, sondern sie wird es unter Umständen. Vollends die Vor- stellungen, einzeln genommen, sind keineswe- ges ges Kräfte, aber sie werden es vermöge ihres Gegensatzes unter einander . Sollen nun diese Behauptungen bewiesen werden, so bedarf es dazu offenbar der allgemein-metaphysischen Lehren von Substanz und Kraft. Aber sollten dieselben Behauptungen bestritten werden: so bedarf es dazu etwas mehr als der bisher be- kannten kritischen oder idealistischen oder naturphiloso- phischen Systeme. Denn keins von diesen allen ist dar- auf gefasst, mit den Widersprüchen im Begriff des Ich zu kämpfen. Keins hat dieselben genau erwogen; überall sehen wir mit gleichem Leichtsinn das Ich entweder ab- solut hingestellt, oder von anderem abgeleitet, oder an anderes angeknüpft; immer zum Verderben der Systeme, und immer um so mehr, je mehr sie die Betrachtung des erkennenden Subjectes selbst, zum Mittelpuncte ihrer Un- tersuchungen machen. Anmerkung . Wer die idealistischen und naturphilosophischen Leh- ren, von denen hier die Rede ist, noch nicht kennt, der muss Anstalt machen, sie wenigstens aus einigen Proben kennen zu lernen. Auf Fichte’s Wissenschaftslehre, und die darauf gebaute Sittenlehre, als auf die eigentlichen Hauptwerke dieser Art, sollte ich ihn hinweisen, wenn von gründlichem historischen Studium die Rede wäre; allein, wer es wagt, diese Schriften ernstlich zu studiren, der wird viel Zeit daran verlieren, und er darf nur auf geringen Gewinn rechnen. Kürzer gelangt man in der Hauptsache zum Ziele durch Schellings Schrift über das Ich, vom Jahre 1795. Hier zeigt sich der falsche Enthusiasmus, welcher seitdem der Philosophie so viel Schaden zufügte, schon mit aller seiner Verkehrtheit, aber noch in jugendlicher Liebenswürdigkeit; und was, in Hin- sicht seiner, eigentlich allein wissenswürdig ist, man lernt hier sein Entstehen begreifen. Hier sieht man zugleich das Kleben an Auctoritäten, und das Streben, sich über I. H sie hinauszuschwingen; man sieht ein Klettern an der Kantischen Kategorien-Leiter, ungeachtet der sehr wah- ren Bemerkung, die Kategorien seyen zwar nach einer Tafel der Urtheilsformen, diese aber nach gar keinem Princip geordnet; welches freylich so viel heisst, als, sie sey unzuverlässig, und von keinem sichern Gebrauche; — man findet eine Art von Versprechen, ein Gegenstück zu Spinoza’s Ethik aufzustellen, woraus bekanntlich ein Seitenstück geworden ist, weil der nüchterne Geist Spinoza’s mit allen seinen Fehlern, denn doch mächti- ger war, als der phantastische, der ihm entgegen treten wollte; man findet endlich eine bewundernswerthe Leich- tigkeit, sich in Fichte’s Redensarten einzuüben, um das Ich, dessen Tiefe Fichte zu ergründen suchte, nach der Dimension der Breite auseinander zu ziehen. Schon hier erwacht die Begeisterung für jene unglückliche Ein- heit, in welcher das Wesen des Menschen bestehen, und darum das Sollen mit dem Seyn in ein Chaos zu- sammengeworfen werden soll; das Vorspiel des bekann- ten Satzes: Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig; eines Satzes, für den glücklicherweise die Menschheit nicht träge genug ist; denn nach dem Vernünftigen, wel- ches noch nicht ist aber werden soll , strebt sie wirk- lich ; nur oftmals mit verkehrtem Ungestüm, weil ihr das Vernünftige so vorschwebt, als wäre es schon ganz nahe, und liesse sich mit ein paar raschen Schritten erreichen. Von diesem verkehrten Ungestüm, der das verdirbt, was er gewinnen will, giebt gleich der Anfang des vorhin ge- nannten Buchs ein Beyspiel, das statt aller dienen kann. Man vernehme die enthusiastische Rede: „Wer etwas wissen will, will zugleich, dass sein „;Wissen Realität habe. Ein Wissen ohne Realität „;ist kein Wissen. Was folgt daraus? „Entweder muss unser Wissen schlechthin ohne „;Realität — ein ewiger Kreislauf (?), ein beständi- „;ges wechselseitiges (?) Verfliessen aller einzelnen „;Sätze in einander, ein Chaos seyn, in dem kein „;Element sich scheidet, oder — „Es muss einen letzten Punct der Realität ge- „;ben“ (warum nur einen letzten ? Ist die Reali- tät nicht in allen Puncten real?) „an dem alles „;hängt, von dem aller Bestand und alle Form un- „;seres Wissens ausgeht, der die Elemente scheidet, „;und jedem den Kreis“ (wieder einen Kreis! Wun- derbare Vorliebe für die Figur der Kreislinie!) „sei- „;ner fortgehenden Wirkung im Universum des „;Wissens beschreibt.“ „Es muss etwas geben, in dem und durch wel- „;ches alles was ist, zum Daseyn, alles was ge- „;dacht wird, zur Realität (!), und das Denken selbst „;zur Form der Einheit und Unwandelbarkeit gelangt. „;Dieses Etwas müsste das Vollendende im ganzen „;System des menschlichen Wissens“ (des ewig un- vollendeten !) „seyn, es müsste die ganze Sphäre, „;die unser Wissen durchmisst, beschreiben, und „;überall, wo unser letztes Denken und Erkennen „;noch hinreicht, — im ganzen κοσμος unseres Wis- „;sens, — als Urgrund aller Realität herrschen.“ Wohin strebt dieser Wortpunk? Dahin, dass im Ich das Princip des Seyns und des Denkens zusammen falle, dass es durch sein Denken sich selbst hervorbringe. Eine Täuschung, die jetzt für Jedermann veraltet ist! Dass das absolute Ich durchaus Nichts wissen würde, eben weil es Sich wissen soll, und nur Sich wissen darf , (um nicht ins Nicht-Ich zu verfallen) dieses Sich aber eben nichts anderes seyn darf als nur sein Sich-Wis- sen , — ein Wissen dessen Gegenstand bis ins Unend- liche gesucht und nie gefunden wird; — dass ferner das absolute Ich, eben darum weil es nichts weiss, auch nichts ist: diese höchst leichten Ueberlegungen konnten recht füglich im Jahre 1795 angestellt werden; ich selbst habe die ganze Entwickelung derselben in den letzten Jahren H 2 des vorigen Jahrhunderts gefunden; und bin dadurch we- nigstens für meine Person gegen unzählige nachmalige Thorheiten gesichert worden. Warum haben diese Ueberlegungen sich dem Herrn Schelling nicht aufgedrungen; damals, als es für ihn Zeit war, sie anzustellen und anzuerkennen? Weil sein falscher Enthusiasmus ihnen Widerstand leistete. Er for- derte, die Wahrheit solle sich wenigstens in Einem Puncte unmittelbar offenbaren. Thäte sie dieses, so müsste es allerdings im Ich geschehen ; dies ist der einzige Punct, worin man Seyn und Wissen unmit- telbar vereinigt glauben kann; und alsdann wäre die älteste Lehre Schellings gerade die beste. Allein auf ein Fordern und Sollen lässt sich die Wahrheit nicht ein; sie erscheint nicht wie ein Dämon auf irgend eine Be- schwörungsformel. Unmittelbar offenbart sie sich dem Philosophen in gar keinem Puncte. Und was folgt dar- aus? Vermuthlich dieses, dass es für uns gar keine Wahrheit gebe! Wir wollen dies für einen Augenblick annehmen. Unser vermeintes Wissen mag also ein blo- sses Meinen seyn, das entweder gerade fort fliesst, von hypothetischen oder irrigen Vordersätzen zu deren Con- sequenzen, oder auch, falls Jemand gern von krummen Linien reden will, — unser Wissen mag hyperbolisch, parabolisch, spiralförmig, oder endlich kreisförmig in sich zurück fliessen, nach Belieben! Wenn aber Je- mand schon dahin gelangt, die Nullität des vermeinten Wissens zu erkennen: so besitzt er gerade hierin den Anfang des wahren Wissens; und er braucht jetzt nur noch Geduld und Anstrengung, um dahin zu gelangen. Denn eben die unumstössliche Gewissheit, dass es für uns ein scheinbares Wissen giebt, und als Gegenstand des- selben eine grosse und weite Erscheinungswelt in uns und ausser uns: diese Gewissheit ist das vollkommen veste Fundament, die eben so grosse und eben so breite Ba- sis des wahren Wissens. Es ist nämlich nur nöthig, die Bedingungen zu finden, unter welchen allein die Erschei- nungswelt erscheinen kann; dergestalt, dass sie nicht er- scheinen würde, wenn diese Bedingungen nicht wären. Hiebey ist von einem letzten Puncte, von einem einzi- gen Princip, — von einem Talisman, dessen Besitz uns zur Herrschaft über das gesammte Universum des Wis- sens verhelfen würde, nicht aufs entfernteste die Rede. Weiss Jemand die Bedingungen anzugeben, unter denen allein es möglich ist, dass Materie erscheine : so findet er hiemit die allgemeine Grundlehre der Naturphiloso- phie. Weiss Jemand die Bedingungen anzugeben, unter denen allein es möglich ist, dass ein Magnet, sammt sei- ner Polarität, erscheine : so findet er hiemit einen be- sondern Theil der Naturphilosophie. Weiss Jemand an- zugeben, unter welchen Bedingungen es allein möglich ist, dass die Totalität eines Gedankenkreises in der Form der Ichheit eingeschlossen erscheine : so findet er hie- mit die Anfänge der wahren Psychologie. Weiss er von allen dem Nichts: so beharrt er in der Welt des Scheins, die für ihn nur grösser und trüglicher wird, wenn er ne- ben der sinnlichen Anschauung sich auch noch intel- lectuale Anschauungen einbildet. Uebrigens wird man mir sagen: es sey beynahe die erste, früheste Schrift Schellings , gegen die ich hier gesprochen. Ich weiss das, und weiss auch, wie der er- ste Fehlgriff die folgenden erzeugt hat; die Verirrungen des Meisters und die Thorheiten seiner Schüler. Seit diese Thorheiten in Umlauf kamen, ist die Philosophie mit einer Geschwindigkeit rückwärts gegan- gen, die selbst mir, dem Zeitgenossen, beynahe unbe- greiflich vorkommt; künftige Literatoren, wenn sie die nüchternen Werke Kant’s so nahe beysammen finden mit der Deuteley, die heute Philosophie heisst, werden den Jahrszahlen auf den Büchertiteln nicht trauen. Auch sucht mehr und mehr die Gelehrsamkeit sich ohne Phi- losophie zu behelfen; sie weiss, dass Ansichten, deren Wandelbarkeit die Geschichte bezeugt, ihr wenig nützen können. Die Schwärmerey kommt im Gefolge des Em- pirismus; und ihre Fortschritte sind reissend. Der Re- spect, welchen ehedem die Wissenschaft dem Staate und der Kirche einflösste, wird nicht grösser sondern klei- ner. — Wäre das Publicum stärker gewesen, so hätten einige Schriftsteller nicht so viel schaden können. §. 32. Um über den Begriff eines Subjects mit mannigfal- tigen und wider einander wirkenden Vorstellungen etwas zu entscheiden: kann man sich theils an seinen höhern Gattungsbegriff, den einer Einheit, welche ein ge- genseitig widerstrebendes Mannigfaltiges ein- schliesse , theils an das specifische Merkmal wenden, dass von Vorstellungen , und einem Subjecte dersel- ben die Rede sey. Die eine wie die andre Betrachtungs- art erfordert allgemein-metaphysische Reflexionen. Der Begriff der Vorstellung bezeichnet das Vorge- stellte als etwas Nicht-Reales, als ein blosses Bild; wel- ches, um vorhanden zu seyn, einer fremden Realität be- darf, nämlich des realen Subjects. Kann man nun die Qualität desjenigen Wesens, welches das Subject der Vorstellung ausmacht, unmittelbar darin setzen, dass es ein Vorstellendes (die Existenz zu gewissen Bildern) sey? Um diese Frage zu beantworten, müsste man überlegen, ob der Begriff einer solchen Qualität eine absolute Po- sition vertrage? (Man sehe in meinen Hauptpuncten der Metaphysik die §§. 1. und 2.) Im Fall einer verneinen- den Antwort wird folgen, dass dem Wesen das Vorstel- len zufällig sey; und es wird weiter nachzusehn seyn, in wiefern einem Wesen überhaupt Accidenzen zugeschrie- ben werden können; welches auf die Theorie der Stö- rungen und Selbsterhaltungen zurückkommt. (Hauptp. der Metaph. §. 5.) Eben dahin weiset die andere Reihe von Betrach- tungen. Einheit eines widerstrebenden Mannigfaltigen ist ein Begriff, der, mit innern Gegensätzen behaftet, eine absolute Position geradezu ausschlägt Bequemere Dienste, als die äusserst gedrängten Hauptpuncte der Metaphysik, wird für manche der hier berührten allgemein-meta- physischen Gegenstände mein Lehrbuch zur Einleitung in die Philoso- phie leisten können. Man vergleiche daselbst §§. 97. 101. und beson- ders §. 113. . In solchen Ge- gensätzen steht schon das Mannigfaltige als solches; dann die Mannigfaltigkeit überhaupt wider die Einheit, endlich vollends das Widerstreben in diesem Mannigfaltigen. Also auch hier ist an Qualität eines Seyenden nicht zu denken; sondern nur an ein Zusammen mit andern und andern Wesen, sammt den Folgen davon, den Störun- rungen und Selbsterhaltungen. Nun sind die Selbsterhaltungen innere Thätigkeiten eines Wesens; sie sind aber nichts äusseres, oder nach aussen hin gerichtetes. Sollen deren mehrere unmittelbar zusammen oder wider einander wirken (wie hier die Vor- stellungen): so müssen sie die verschiedenen Selbsterhal- tungen eines einzigen Wesens seyn. Daraus erhellet die Einfachheit der vorstellenden Substanz, oder der Seele. Hiermit wäre nun in der Kürze der Weg der allge- mein-metaphysischen Untersuchungen nachgewiesen, wel- chen man gehen muss, um die Beweise der vorhin auf- gestellten Behauptungen zu finden. Begreiflicher Weise kann ich mich hier nicht auf ausführliche Erörterungen dessen einlassen, was an seinem rechten Orte ohne alle unmittelbare Beziehung auf Psychologie entwickelt wird. Wohl aber kann ich denjenigen Lesern, welche neben der gegenwärtigen Schrift meine Hauptpuncte der Meta- physik nicht bloss anzusehen, sondern ernstlich zu durch- denken geneigt seyn möchten, durch die, in der Ueber- schrift dieses Capitels angekündigte Vergleichung zwi- schen den Untersuchungen über das Ich, und denen, die zu den Begriffen von Substanz und Ursache führen, zu Hülfe kommen; denn eine solche Vergleichung wird eben so sehr zur genauern Einsicht in das Räsonne- ment des vorigen Capitels, als zum leichtern Verständ- niss der angedeuteten metaphysischen Lehrsätze bey- tragen. §. 33. Die anzustellende Vergleichung geht theils auf die Materie der Probleme, theils auf die Form der Unter- suchung. Der Materie nach sind die beyden ersten Hauptpro- bleme der allgemeinen Metaphysik (Hauptp. d. Metaph. §§. 3. 4.) dem hier abgehandelten darin ähnlich, dass sie Principien sind; in der gleich Anfangs bestimmten zwiefachen Eigenschaft eines Princips, welches erstlich an sich gewiss, zweytens eine abgeleitete Gewissheit zu erge- ben geschickt seyn muss. Erstlich, es ist gewiss, dass wir uns Dinge mit verschiedenen, und veränderlichen Merkmalen vorzustellen genöthigt sind; denn dergleichen sind uns in der äussern Erfahrung eben so wohl, als das Selbstbe- wusstseyn innerlich, gegeben . Zweytens, die Begriffe solcher Dinge sind Anfangs- puncte eines fortlaufenden Räsonnements gerade so, wie seinerseits das Ich; denn sie enthalten Widersprüche, welche aufgelös’t werden müssen; und deren Auflösung zu neuen Lehrsätzen führt. Am auffallendsten ist der Widerspruch im Begriffe des veränderlichen Dinges; der nämliche, über welchen die Eleaten, und nachmals Platon vielfältig geklagt, den aber die Neuern, theils ganz sorglos, theils im Besitz ein- gebildeter Aufschlüsse vernachlässigt haben. — Da der Begriff des Seyn nur in Beziehung auf ein Was , auf eine Qualität, Sinn und Bedeutung hat: so muss vor al- lem die Qualität des Seyenden bestimmt können ange- geben, oder falls sie unbekannt wäre, doch wenigstens als eine bestimmte vorausgesetzt werden. Ist nun im Ge- gentheil die Qualität, welcher das Seyn zugeschrieben wird, veränderlich, so entsteht der Begriff von anderem und anderem Seyenden; eben so vielfach, als die Angabe dessen wechselt, was da sey. Wird aber endlich Sol- ches und wieder Anderes Seyendes für Eins und dasselbe ausgegeben, — wie denn dieses durch die Behauptung, dass ein Veränderliches immerfort ein und dasselbe Ding bleibe, wirklich geschieht, — so liegt der Widerspruch, dass Entgegengesetztes einerley seyn solle, klar am Tage. Statt diesem Widerspruch abzuhelfen, hat man in unsern Zeiten den Begriff der Substanz zur Kategorie ge- stempelt und uns versichert, ein solcher Begriff läge nun einmal in unserm Verstande. Der Begriff nämlich von dem beharrlichen Substrat der wechselnden Erscheinungen. Wobey zuvörderst an- zumerken, dass das Beharrliche ohne Widerspruch be- harren, und die Erscheinungen ohne Widerspruch wech- seln möchten, wofern nur zwischen jenem und diesen gar keine Gemeinschaft wäre, und die wechselnden, gleich fliegenden Schatten, die Qualität des Beharrlichen ganz unangetastet liessen. Wenn aber das Wasser (um ein altes Platonisches Beyspiel zu brauchen) bald flüssig, bald vest, bald dampfförmig erscheint Plat. Timaeus pag . 342. Man wolle den Ausruf beherzigen: ὁυτω δη τȣτων ȣδεποτε των αυτων ἑκαςων φανταζομενων, ποιον αυ- των, ὡς ον ὁτιȣν τȣτο και ȣ03BA; α λλ ο, παγιως διισχυριζομενος, ȳκ αισχυ- νει γε τις ἁυτον; ȳκ εςιν! , so meint niemand, die Flüssigkeit, Vestigkeit, Dampfförmigkeit, ginge das be- harrliche Substrat des Wassers nichts an: sondern, die entgegengesetzten Möglichkeiten dieser entgegengesetzten Erscheinungen legt man zusammen genommen dem Ei- nen und sich selbst gleichen Beharrlichen, als inwohnende Eigenschaften, bey; und giebt ihm dadurch denn freylich eine beharrliche, aber zugleich widersprechende Qualität. Klagt nun Jemand, dass für das Platonische ἑτερον und ταυτον der Sinn unter uns verloren scheine: so hilft man sich mit der Versicherung, es sey ja nur von Phäno- menen die Rede! Und alsdann macht man das Haupt- geschäfft unseres Verstandes daraus, dergleichen unge- reimte Phänomene ernstlich, ja gar wissenschaftlich auf- zustellen und abzuhandeln. Wäre wirklich unser Verstand von Natur mit jener widersinnigen Kategorie behaftet: alsdann eben bestünde die wahre Philosophie in einer Kritik des Verstandes; nämlich damit er lernen möchte, sich seiner misgebornen Natur zu schämen, und, falls er nach andern Formen nicht denken könnte, das Denken lieber gar aufzugeben. Dagegen nun findet sich, dass die Form der unver- meidlichen Auffassung sinnlicher Erscheinungen uns ei- nen widersprechenden Begriff aufbürden will, den glück- licherweise der menschliche Verstand nur braucht gewahr zu werden, um ihn zu verabscheuen und auszustossen: wie denn die Alten die kräftigsten Mittel sich haben ge- fallen lassen, um nur jene ungereimten Erscheinungen aus dem Gebiet des Wissens zu verbannen; und sie ent- weder (wie die Eleaten) geradezu für Trug und Täu- schung, oder (wie Platon) für Gegenstände schwanken- der Meinungen erklären zu können. Weil sich nun hie- bey die Alten offenbar zu weit von der Erfahrung ent- fernt haben, so müssen wir andre Wege einschlagen, um nämlich für die Erfahrung andre und bessere Begriffe zu gewinnen, die in dem Kreise der erwähnten Kategorien nicht liegen können. Und dieses ist denn das Hauptge- schäfft der allgemeinen Metaphysik. — Was hier von dem Begriffe des veränderlichen Din- ges gesagt worden, dasselbe gilt im Wesentlichen von dem Begriffe des Dinges mit mehrern Merkmalen. Näm- lich es brauchen nicht entgegengesetzte, noch successive Merkmale zu seyn, um jenen Widerspruch in der Qua- lität des Seyenden zu erzeugen; er entsteht schon aus der Summe derjenigen Eigenschaften, die man im gemei- nen Leben einem Dinge ganz unbedenklich neben einan- der einräumt. Das Quecksilber ist weiss und flüssig und schwer; — wird wohl hierin ein Widerspruch liegen? Allerdings! sobald das Eine Ding durch eine vielfältige Qualität bezeichnet wird. Man lege sich die Frage vor: Was ist das Quecksilber? Diese Frage verträgt nicht die Antwort: das Quecksilber ist weiss und flüssig und schwer. Die Verkehrtheit lässt sich fühlbar machen durch eine neue Frage: Ist denn das Weisse, flüssig und schwer? Oder ist das Flüssige, weiss und schwer? Oder ist das Schwere, weiss und flüssig? — Will man nun die erste falsche Antwort verbessern, so wird man das Quecksilber als den Stoff bezeichnen, welcher die meh- rern Eigenschaften hat, und in sich vereinigt. Könnte man nur dieses Haben , dieses In-sich-vereinigen , deutlich machen! Unglücklicherweise ist das Haben ei- nes Mannigfaltigen selbst mannigfaltig, und es will schei- nen, als müsste dies vielfältige Haben, um die Qualität des Einen Seyenden nur berühren zu können, erst wie- derum gehabt werden, durch ein neues, — ohne allen Zweifel wiederum vielfältiges Haben! Bey dem In-sich- vereinigen sagt es nun gar der Klang des Wortes, dass man eben ein Wort eingeschoben, wo der Sinn man- gelte. Denn gerade von der Einigung des Mannigfalti- gen war die Frage, indem bey den bekannten sinnlichen Kennzeichen des Quecksilbers dennoch von dem Was desselben als von einem unbekannten geredet wurde. Nun beruhigen sich die Meisten dabey, dass sie nicht wissen , wie das Eine zu mehrern Eigenschaften komme? Und freylich wissen sie es nicht. Denn setzen wir irgend ein A als die Qualität des Seyenden, so ist dies Eine und sich selbst gleiche weit entfernt, eine Mehrheit zu ergeben. Haben wir aber in A gleich Anfangs eine Man- nigfaltigkeit einzuschliessen uns erlaubt: so dürfen wir nun schon gar nicht wagen, uns die Frage vorzulegen, was eigentlich sey? Denn die Antwort enthält sogleich das Geständniss, dass wir Mehrern das Seyn beygelegt, und dennoch für diese Mehrern eine Einheit, — wir wis- sen nicht Welche ? angenommen haben. Der Widerspruch ist nun hoffentlich klar genug. Man nimmt an, das Seyende sey Eins; und auf die Frage: Was für eins ? antwortet man durch eine Mehrheit von Bestimmungen. Mehrerley nun ist nicht Einerley. Und es ist völlig vergeblich, eine unbekannte Qualität anzu- nehmen, von der nur soviel bekannt sey, dass sie die mehrern Bestimmungen zulasse. Denn immer ist es schon Mehrerley in ihr selber, dass sie gestattet, von jenen meh- rern Bestimmungen auf was immer für eine Weise be- helligt zu werden. Das Gesagte beruhet übrigens auf der Voraussetzung: man habe die Qualität eines Seyenden anzugeben. Dar- aus eben entspringt die Gefahr, Vieles Seyendes einem einzigen unterzuschieben. Wird der Begriff des Seyn bey Seite gesetzt, so ist für ganz andre Betrachtungen Raum, die wir aber hier nicht verfolgen können. Statt dessen möchte es beynahe erlaubt seyn, die Warnung gegen das andächtige: die Dinge an sich kennen wir freylich nicht ! nochmals zu wiederhoh- len; und zu erinnern, dass widersprechende Be- griffe auf das, was zu seyn scheint, eben so we- nig passen, als auf das was ist . Hiezu aber kommt noch, dass, wie oben gezeigt, die für vest gehaltene Burg des Idealismus (das Selbstbewusstseyn) eben sowohl auf einem Vulkan erbaut ist, als jede Naturlehre, welche die Begriffe von Substanz und Kraft nicht im voraus berich- tigt hat; daher denn die gangbare Theorie von Phäno- menen und Noumenen schwerlich noch einen vesten Punct besitzen möchte, auf welchen sich verlassend, sie die Um- arbeitung der vorliegenden widersprechenden Erfahrungs- Begriffe für unnütz erklären dürfte. Anmerkung . Eine historische Erinnerung kann behülflich seyn, dass man den Gegenstand des vorstehenden Paragraphen leichter ins Auge fasse. Bekanntlich ist es gerade der Begriff der Substanz, um welchen die Spitzfindigkeiten der aristotelisch-scholastischen Philosophie sich vorzugs- weise drehen. Nun sind zwar diese Spitzfindigkeiten an sich keine Erkenntniss der Wahrheit; aber sie geben in so fern ein lehrreiches Schauspiel, als sie aufmerksam machen auf einen Punct, der die Denker nothwendig in Verlegenheit setzen musste. Ich will aus Baumgartens Metaphysik ein paar Paragraphen hierher setzen. §. 40. Complexus essentialium in possibili est essentia, (esse rei, ratio formalis, natura, quidditas , forma, for- male totius, ουσια, τινοτις, substantia, conceptus entis primus.) Hier zeigen schon die vielen Synonymen, wie viel Mühe man sich gegeben hat, den complexus , die Einigung des Vielen, aufzufassen. §. 196. Id in substantia, cui inhaerere possunt acci- dentia, sive substantia, quatenus est subiectum; id, cui acci- dentia inhaerere possunt, substantiale vocatur; nec acci- dentia existunt extra substantiale . Welche monströse Erfindung! So möchte man hier ausrufen. — Wie? Braucht denn die Substanz noch ein substantiale , damit Accidenzen in ihr wohnen können? Heisst sie nicht gerade in dieser Beziehung Substanz, in wiefern sie Accidenzen trägt? Muss und kann und darf denn zwischen sie selbst, und ihre Accidenzen — die ja eben die ihrigen sind, — noch ein Mittelglied, das substantiale , eingeschoben werden? Was ist denn damit gewonnen? Wollen wir nicht noch einen neuen Kitt er- finden, vermöge dessen das substantiale mit der Substanz zusammen hänge? Und abermals einen andern Kitt, um die Accidenzen in das substantiale hinein zu leimen? Wird denn dieser Kitt nicht nochmals an die Glieder, die er verknüpfen soll, angeheftet werden müssen? Wird man nicht auf diese Weise die Mittelglieder ins Unend- liche vervielfältigen müssen? Oder was ist das für ein quatenus , in dem Ausdrucke: substantia, quatenus est subiectum? Soll die Substanz sich selbst entgegengesetzt werden? Will man sie auffassen, einmal in so fern, als sie ein Subject für Prädicate ist, ein andermal in so fern, in wie ferne sie nicht Subject für ihre Prädicate ist? Darf sie denn jemals anders gedacht werden, als eben in so fern, in wie ferne sie ihre essentia- lia , ihre attributa , in sich vereinigt? Hier habe ich die Sprache einer Verwunderung an- genommen, wie sie demjenigen natürlich ist, der — noch nicht tief ins metaphysische Denken eingedrungen ist. Denn allerdings mussten die Scholastiker die Substanz sich selbst entgegensetzen. Allerdings soll sie selbst gedacht werden als Eins; ihr substantiale aber soll em- pfänglich seyn für das vielfache Haben der vielen Acci- denzen und Attribute. Allerdings sind hier nothwendig zwey Gedanken, die aber freylich Einer seyn sollten, — und nicht können. Die Substanz ist jener homerische Herkules, der selbst bei den seligen Göttern wohnt, während sein Schatten in der Unterwelt wandelt. Mit einem Worte: das substantiale ist der Wider- spruch im Begriff der Substanz, wodurch sie ein meta- physisches Problem wird. Was wird nun derjenige thun, dem dies Problem, das allgemeinste der ganzen Metaphysik, eine Anregung zum Denken gegeben hat? Eine dreyfache Wahl liegt vor ihm. Entweder sich in scholastische Grübeley zu versenken, oder mit dem Verslein: grau, Freund, ist alle Theorie , sich tröstend, aus der Schule ins freye Leben sorglos hinüberzutreten (wobey er nicht vergessen darf, dass sich alsdann die Pforte der Schule hinter ihm schliesst), oder endlich, die Kraft seines Denkens anzu- strengen, damit er den Grund des Widerspruchs genau erkenne, ihn hinweghebe, und nachsehe, welche Verän- derung hiedurch in dem vorliegenden Begriffe entstehe. Hierüber giebt das Folgende weitere Auskunft. §. 34. Wenn die drey Begriffe, des Ich, der Veränderung, und des Dinges mit mehrern Merkmalen, undenkbar er- funden werden, so ist gewiss schwer zu sagen, was denn noch denkbares in dem ganzen Kreise unserer realen Er- kenntnisse übrig bleibe? Wenn aber einem von diesen Begriffen durch irgend eine Art von Reflexion eine Hülfe hat geleistet werden können, so ist wohl zu vermuthen, dass eine ähnliche Hülfe für alle bereit seyn werde. Ha- ben wir demnach zur Auflösung der Widersprüche im Ich wenigstens einige Schritte thun können, so wäre es schon der Mühe werth, der Analogie nachzugehn, um zu versuchen, ob nicht das Nachdenken über die andern Probleme dieselbe Richtung nehmen dürfte? Aber diese Analogie würde sich zu einer Methode erheben, sobald man fände, dass im Allgemeinen auf der Natur eines widersprechenden Begriffes ein gewisser Gang des Denkens beruhe, welchen zu nehmen man gezwun- gen sey, falls man den Widerspruch los werden wolle. Bey diesem zweyten formalen Theile unserer Ver- gleichung der verschiedenen Probleme, kommt uns nun sogleich die Logik mit einer allgemeinen, und höchst ein- fachen Bemerkung zu Hülfe; nämlich das von zweyen contradictorischen Gegentheilen gewiss eins wahr sey, wenn das andre falsch ist. Demnach, wenn es falsch ist, dass Entgegengesetztes einerley sey, so ist wahr, dass Ent- gegengesetztes nicht einerley ist. Wenn es falsch ist, dass im Ich, Object und Subject dasselbe seyen, so muss es wahr seyn, dass Object und Subject nicht dasselbe sind. Wenn es undenkbar ist, dass ein Ding mit ver- änderter Qualität eins und dasselbe sey, so muss man zugeben, dass es nicht dasselbe ist. Wenn es keinen Sinn hat, dass der Stoff eines Dinges, und die Realitä- ten, welche man wegen der mehrern Merkmale dieses Din- ges annimmt, ein und dasselbe seyen, so muss anerkannt werden, dass die genannten Realitäten von jenem Stoffe zu unterscheiden sind. Mit einem Worte, die Identi- tät, welche den Widerspruch verursacht, muss geleugnet werden. So klar nun dieses ist, so haben wir dennoch in den neuesten Zeiten manchmal von Widersprüchen ge- lesen, die man vereinigen wollte. Die entgegengesetz- ten sollten Eins und dasselbe werden. Das heisst mit andern Worten: der Widerspruch solle, wenn er etwa noch nicht vorhanden wäre, jetzt eben gestiftet wer- den! Denn die Entgegengesetzten, die er einschliesst, fechten einander gar nicht an, wenn sie nicht für Eins ausgegeben werden. Weiss und schwarz bestehen voll- kommen neben einander, nur dass man das Weisse nicht selbst für schwarz erklären wolle. Jene Vereinigung aber sieht einer Versöhnung ähnlich, wobey man den Charak- ter der Feinde nicht gehörig erforscht hat. Der Streit dauert im Verborgenen fort, und verdirbt die Systeme wie die scheinbaren Freundschaften. — Im Grunde be- weis’t ein solches Verfahren, dass man an das Wider- sprechende in den aufgestellten Problemen nicht ernstlich glaubt. Und dies ist soviel, als dass man das Bedürfniss metaphysischer Untersuchungen nicht in seiner ganzen Stärke empfindet. Es ist eine Schwachheit der neuern Zeiten, speculative Schwierigkeiten durch alle ersinnlichen Künste, bald schöner Worte, und aufgeregter Phanta- sien und Gefühle, bald harter Machtsprüche, und vorge- gebener Anschauungen und Offenbarungen, — zu be- decken, zu verhüllen, aus den Augen zu rücken, aus dem Sinn zu schlagen. Was Wunder, dass die Spe- culation nicht von der Stelle kommt, da ihr erstes Ge- setz Aufrichtigkeit ist, nämlich Aufrichtigkeit ge- gen sich selbst ! Waren die oben entwickelten Begriffe nicht wider- sprechend? Dann brauchte man sie nicht als solche auf- zustellen. Eine blosse Künsteley, ein gesuchter Schein des Mühsamen der Nachforschung, ist der Philosophie ganz und gar unwürdig. Sind sie aber in der That, so wie sie gegeben und gefunden werden, mit sich selbst im Streit: so muss man damit anfangen, das Streitende zu sondern; ja man muss diese nämliche Ope- ration so vielemal wiederhohlen, als noch eine neue Spur widerstreitender Bestimmungen sich entdeckt . Dieses nun gerade ist der allgemeine Charakter der- jenigen Methode, welche ich Methode der Beziehungen genannt, und in den Hauptpuncten der Metaphysik gleich im im Anfange vorgetragen habe. An dem Faden derselben läuft auch das Räsonnement im §. 28. dieses Buches fort, obgleich daselbst von keiner Methode ist gesprochen worden. Diese Methode hat verschiedene Misverständnisse erlitten; man würde aber dieselbe sehr bald, entweder verstehen und annehmen , oder aber verstehen und verbessern , wenn man nur erst von der widersprechen- den Natur der metaphysischen Principien überzeugt wäre. So lange es daran fehlt, wird die Methode für ein Hirn- gespinnst gehalten werden. Inzwischen wird mir erlaubt seyn zu sagen, dass dieselbe grösstentheils durch Ab- straction aus den Reflexionen über die erwähnten Pro- bleme ist gewonnen worden; dass sie demnach von dem Gefühl der Nothwendigkeit, von welcher das Nachden- ken über jene Probleme getrieben wird, eingegeben, und nichts weniger als willkührlich ersonnen ist. Ihren Platz aber bekam sie in den Hauptpuncten der Metaphysik des- halb ganz vorne, weil sie als allgemeine Methode jeder ihr unterzuordnenden Untersuchung vorangestellt werden musste. Dabey ist nun unvermeidlich, dass sie dem nicht gehörig vorbereiteten Leser früher entgegentritt, als er das Bedürfniss darnach empfunden, und hiemit die Mög- lichkeit der Einsicht in dieselbe sich verschafft hat. Die Methode beruht auf folgenden Momenten: Ein widersprechender Begriff A enthalte die entgegengesetz- ten Glieder M und N , welche er für identisch ausgiebt; so muss zuvörderst, wie schon auseinandergesetzt, deren Identität geleugnet werden. Soweit sind wir beym Ich, indem wir ihm ein fremdes Object leihen, welches ge- rade soviel heisst, als, das Object ist ein anderes als das Subject . Nun ferner entsteht allemal die Schwierigkeit, dass die Glieder M und N , welche in dem widersprechenden, aber gegebenen Begriffe als Eins und dasselbe aufgefasst waren (wie Object und Subject in dem gegebenen Begriffe des Ich) ihre Gültigkeit verlieren, sobald sie gesondert werden: denn als gesondert sind sie I. I nicht gegeben. Ein Object, welches dem Subjecte nicht gleich ist, kommt im Begriff des Ich nicht vor, und ist eben deshalb ein Begriff ohne Bedeutung, wenn wir ihn nicht wieder an das Gegebene anzuknüpfen wissen. Folg- lich müssen wir jedes der gesonderten abermals identisch setzen dem andern; z. B. M , welches von N gesondert war, muss dem N wiederum gleich gesetzt werden. Dies verwickelt uns in einen secundären Widerspruch; M nicht = N , und M dennoch = N . Im §. 28. entsprechen dieser Formel die beyden Reflexionen: zum Ich gehört ein Object, das ihm fremd, — und dennoch nicht fremd, sondern dem Subjecte gleich sey. — Da nun hier M mit sich selbst im Widerspruch erscheint, so muss wiederum, wie vorhin, nach der angeführten allgemeinen logischen Regel, die Identität verneint werden. Dem gemäss ist es nicht dasselbe M , dessen Identität mit N gefordert und doch auch geleugnet wurde; sondern man muss da- für mehrere M annehmen. So sind im Ich mehrere Objecte angenommen worden. Will man nun die Me- thode nach aller Strenge beschreiben, so ist hiebey zu bemerken, dass zwar Anfangs die mehrern M so auftre- ten, als ob eins die Identität mit N besässe, das andre nicht; dass aber jenes im alten Widerspruch befangen, dieses vom Gegebenen abweichend und folglich ein un- gültiger Begriff seyn würde; dass demnach beyden bey- des , Identität und Nicht-Identität mit N , zukomme; wo- durch jedes in den vorigen Widerspruch verwickelt, und abermals in eine Mehrheit zerschlagen werden muss. Kurz, der secundäre Widerspruch steigt gleichsam auf Poten- zen ins Unendliche fort (nur nicht gerade auf Potenzen der Zahl zwey , denn die Leugnung der Identität ergiebt nicht bestimmt zwey M , sondern überhaupt mehrere). Dieses nun ist in der Betrachtung des Ich übergangen worden, weil man bey einem bestimmt vorliegenden Pro- bleme sich gleich auf der Stelle sehr leicht besinnt, wor- auf es ferner ankomme. Nämlich, sobald mehrere M an- genommen sind, bietet sich die Betrachtung dar, dass je- des derselben einzeln genommen die alte Schwierig- keit der Identität mit N , welche nicht denkbar und doch durchs Gegebene gefordert ist, erneuern werde; daher man voraussetzen muss, dass sie zusammengenommen eine gewisse Modification erlangen werden, aus welcher dasjenige hervorgehe, was dem andern Gliede des Haupt- begriffs gleich zu setzen sey. Eine solche Modification müssen die mehrern Objecte, welche einem und demsel- ben Vorstellenden vorschweben, sich gegenseitig schaf- fen. — Die fernere Untersuchung des §. 29., welcher ge- mäss die Vorstellungen jener Objecte als Kräfte wider einander wirken müssen, geht schon über das Allgemeine hinaus, was bey allen gegebenen Widersprüchen einer- ley Gang des Denkens, oder einerley Methode erfordert. Das Resultat der Methode ist allemal die Vervielfältigung eines von den beyden Gliedern des gegebenen Wider- spruchs; welches das zu vervielfältigende Glied sey, muss man aus der Eigenthümlichkeit des Problems beurtheilen. Z. B. beym Ich wird es Niemandem einfallen, eine Mehr- heit der Subjecte anzunehmen, um diese dem Objecte gleich zu setzen; weil dies geradezu die Einheit des Be- wusstseyns aufheben würde. Zu dem nämlichen Resultate führt ein anderer, kür- zerer Weg, der aber gleich Anfangs durch eine Hypo- these betreten wird. Da M für sich nicht gleich N seyn kann: so werde M durch irgend ein X modificirt, und in so fern gleich N . Nun enthält der Hauptbegriff nur M und N . Um sich also vom Gegebenen so wenig als mög- lich zu entfernen, und keine fremdartigen Merkmale eines beliebig angenommenen X zuzulassen: setze man X gleich M ; so hat man mehrere M , wie zuvor. Das Object im Ich werde durch irgend ein X modificirt, um dem Subjecte gleich seyn zu können. Aber was für ein X wird man in den Begriff des Ich einlassen dürfen, der nichts anderes kennt, als nur Object und Subject? Die geringste mögliche Abweichung von dem gegebenen Begriff besteht darin, ein Object durch ein anderes modificiren zu lassen. So I 2 wird X selbst ein Object, ein Vorgestelltes; oder, wenn es nöthig seyn sollte, eine unbestimmte Menge von Vor- gestellten und folglich von Vorstellungen wird sich ge- genseitig dahin bringen, dass, wer sie unter ihrer nun gewonnenen Modification sich denkt, dieser in ihnen das Vorstellende selbst erblickt. Worin sich diese zweyte Form des Räsonnements von der ersten unterscheide, ist leicht zu sehen. Was bey der ersten den Beschluss machte, wird hier zuerst angenommen. Dort fand sich am Ende, dass auf dem Zusammen, auf der gegenseitigen Modification der M , die Auflösung beruhen müsse; hier wird die Modification gleich Anfangs gefordert. Dabey aber wird der Fehler begangen, den allgemeinen Begriff irgend eines modifi- cirenden X so einzuführen, als ob es erlaubt wäre, das Problem wie ein Räthsel zu behandeln, und frey umher- zusinnen, was wohl für ein X taugen möchte um M zu modificiren? Dieser Fehler wird hintennach verbessert, indem X gleich M gesetzt wird. So erscheint die Auf- lösung als beruhend auf der kleinsten möglichen Verän- derung des gegebenen Begriffs. Derselbe war Anfangs: Identität von M und N . Er ist am Ende: Identität von N mit M modificirt durch M ; nämlich mit einem M , modificirt durch ein anderes , das der Art nach auch ein M ist. Dabey kommen keine neuen Merkmale in den Begriff, ausser nur das der Vielheit der M , und die- jenigen, welche in der Modification der M entspringen, oder wegen derselben angenommen werden müssen. So bleibt der Hauptbegriff in seinen nothwendigen Beziehun- gen eingeschlossen, die sich aus ihm selbst ergeben. Wäre X aber nicht = M , sondern ein Begriff mit frem- den Bestimmungen: so käme das Fremde am Ende in der Auflösung als Abweichung vom Gegebenen zum Vor- schein. Die Auflösung ergäbe nämlich: Identität von N mit M , so fern das letztere modificirt würde durch etwas solches, wovon im Gegebenen nichts zu finden wäre. Der- gleichen möchte höchstens als Hypothese zu dulden seyn, falls zuvor die Auflösung nach unserer Methode verge- bens versucht wäre. Es möchte aber Jemand fragen, warum nicht X = N gesetzt werden könne, da doch diese Bestimmung nichts ausser dem gegebenen Begriffe liegendes herbeyführen würde In meiner Abhandlung: theoriae de attractione elementorum principia metaphysica , hat sich in die Note zum §. 9., wo die zweyte Formel der Methode kurz angegeben ist, ein Fehler eingeschlichen, den ich hier berichtigen muss. Es heisst nämlich dort: accedente au- tem τ ῳ N ad M, pristina redit contradictio . Allein dies passt nicht; denn die Meinung würde seyn, dass M durch N modificirt werden, nicht dass es ihm gleich seyn solle; und das blosse Modificiren würde keinen Widerspruch in sich schliessen. . Versucht man dieses, so lautet die Auflösung: N ist identisch mit M modificirt durch N . Da kommen zwey verschiedene N vor; eins, welches in der Modifica- tion des M erst entspringen, welches das modificirte M seyn soll; ein anderes, welches dieser Modification vor- ausgesetzt wird, da es sie selbst vollbringen soll. Hier wird offenbar N in verschiedenem Sinn genommen; und das modificirende N wäre in der That für den gegebe- nen Begriff, der nur von dem mit M identischen N Kunde gab, ein Fremdes. Im Beyspiel: Das Subject werde gleich gesetzt dem Object modificirt durchs Subject. Diese Auflösung des Pro- blems vom Ich möchte wohl Jemand unterstützen, indem er sie so auslegte: Wir erkennen uns selbst, indem das Denkende in uns die ihm vorschwebenden Objecte modi- ficirt; sie, die bisher als Dinge erschienen, jetzt (durch einen Sprung) als blosse Bilder auffasst, und einsieht, dass die Realität dieser Bilder nur die des Denkenden seyn könne. Da wäre also dem Denkenden gerade jene Spontaneität der Reflexion zugeschrieben, welche wir oben verwarfen; jener absolute Aufsprung, wodurch das Vor- stellende in seiner Thätigkeit sich selbst ergreifen sollte. Aber der Begriff des Ich macht uns mit einem solchen selbstthätigen Subjecte, welches in seine eignen Vorstel- lungen eingriffe, und sie dadurch in Spiegel seiner selbst aus eigner Macht verwandelte, — keinesweges bekannt. Der Begriff des Ich setzt nicht das Subject als ein Thä- tiges dem Selbstbewusstseyn voran : sondern er setzt es in das Selbstbewusstseyn hinein , und bindet es an die Identität mit dem Objecte. Wenn wir aber gleichwohl in der Auflösung ein Subject überhaupt vorauszusetzen scheinen: so geschieht dieses in dem Sinne, als wir bey jedem Object ein Subject voraussetzen, für jedes Vorge- stellte ein Vorstellendes annehmen müssen. Diesen Be- griff würden wir überschreiten, wenn wir dem nämlichen Subject, welchem irgend ein Bild vorschwebt, nun noch ausser dem Vorstellen dieses Bildes sprungweise das Mo- dificiren desselben Bildes zuschreiben wollten, wodurch es bey Gelegenheit desselben seiner selbst gewahr wer- den sollte. Ein solches Gewahr-werden ereignet sich zwar wirklich, es geschieht aber nicht sprungweise, son- dern im natürlichen Laufe objectiver Vorstellungen. Be- sässe hingegen das Subject erstlich eine Thätigkeit al- lerley Fremdes vorzustellen, und zweytens eine andre Thätigkeit, sich selbst absolut über dem Vorstellen zu ertappen: so geriethe es in den allgemeinen Wider- spruch des Dinges mit mehrern Merkmalen hinein, wel- chen wir in der letztern Hälfte des §. 33. entwickelt haben. Fragt man nun endlich noch, was für eine Gewiss- heit unserer Methode denn eigen sey, dass vermöge ihrer Bearbeitung die Widersprüche weichen müssten? so ist die Antwort: eine solche Gewissheit ist der Methode ganz und gar nicht eigen, und eben so wenig ihr jemals zu- geschrieben worden. Die Gewissheit der Auflösbarkeit müssen die Probleme selbst mit sich führen; und das ist allemal der Fall, wenn ein gegebener Begriff, durch welchen ein Reales gedacht werden soll , einen Widerspruch verräth. Dass im Begriff des Ich keine Widersprüche stecken bleiben dürfen, fordert das Selbst- bewusstseyn; und es verbürgt den Erfolg der Untersu- chung noch vor dem Beginn. Die Methode aber bezeich- net nun dem Denker die ersten Schritte, welche er, durch das Problem selbst getrieben, wird nehmen müssen; und dadurch erleichtert sie es, gleich Anfangs die rechte Bahn zu finden. Gesetzt jedoch, es käme ein Fall vor, wo die Methode sich aus irgend einem Grunde unbrauchbar zeigte bey einem Widerspruch, dessen Auflösbarkeit nicht bezweifelt werden könnte: was würde daraus folgen? Etwa dass die Methode falsch sey? Keinesweges! Sondern dieses, dass die ersten Schritte im Denken, welche man auf allen Fall versuchen musste , nicht hin- reichten; dass man vielmehr seinen Weg werde weiter fortsetzen müssen. Es könnte seyn (um die vorige zweyte Formel wieder zu gebrauchen), dass M in der That durch ein X , welches nicht gleich M wäre, modificirt werden müsste, um der Identität mit N zu entsprechen. Allein in diesem Falle wäre der gegebene Begriff kein Princip (und überdies im hohen Grade mangelhaft gegeben oder aufgefasst); weil er die fremden Bestimmungen des ein- zuführenden X nicht angeben, daher auch den Gang des Nachdenkens nicht leiten könnte. Der beste Rath be- stünde hier darin, eine solche Untersuchung, welche kei- nen bestimmten Weg finden könnte, so lange bey Seite zu setzen, bis aus andern erlangten Kenntnissen sich Hülfsbestimmungen darböten. Gewiss ist es der Fall, dass man oftmals Probleme zu früh ergreift, und sich Ge- genstände des Nachdenkens wählt, welche die nothwendi- gen Eigenschaften der Principien nicht besitzen. §. 35. Um die Vergleichung der verschiedenen Probleme, und ihrer Behandlung, zwar nicht Schritt für Schritt zu verfolgen (welches nun dem Leser kann überlassen wer- den), — aber doch zu einer Uebersicht zu bringen, erin- nern wir an den berühmten Satz des zureichenden Grundes ; welcher oft als Axiom aufgestellt, zuweilen auch mit Beweisen versehen worden ist, die aber fehler- haft waren. Leibniz trieb den Gebrauch dieses Satzes so weit, dass er fragte: warum vielmehr Etwas sey als Nichts? Leibnit . op. ed. Dutens. Tom. II. pag . 35. §. 7. Wir wollen uns beschränken, vom zureichen- den Grunde der Veränderungen zu reden; und als- dann wird sich die Nothwendigkeit, einen solchen Grund anzunehmen, und damit der gesuchte Beweis jenes Satzes, in dem Widerspruche finden, der nach §. 33. in dem Begriffe eines veränderlichen Dinges enthalten ist. Wenn eine Sache, die man als eine solche und keine andre zu kennen glaubte, sich vor unsern Augen verändert: so bleibt schon der gemeine Verstand nicht bey dem Ungedanken stehn, dieses Neue und jenes Alte sey Eins und dasselbe; sondern er nimmt an, ein Zu- sammen der Sache mit irgend einer andern Sache sey entweder eingetreten oder aufgehoben. Das flüssige Was- ser, in Eis verwandelt, habe Wärme verloren; dasselbe als Dampf verflüchtigt, habe Wärme in sich genommen. So wird die Schuld des anscheinenden Widerspruchs auf etwas Fremdes geschoben. Dieses Fremde wird gedacht als eingreifend , als sich verbindend mit dem, was die Veränderung leidet; es wird also gedacht , wegen einer Nothwendigkeit, die im Denken entsteht; es wird nicht angeschaut, denn die Erfahrung begnügt sich viel- mehr, uns in der sinnlichen Erscheinung das widerspre- chende veränderliche Ding vor die Augen zu stellen. Uns selbst bleibt es überlassen, getrieben vom Bedürfniss des Denkens, unter den begleitenden Umständen der Erschei- nung dasjenige aufzusuchen, auf welches wir die Schuld des Widerspruchs abladen, welches wir als das Hinzu- kommende oder Entweichende ansehen können. Eine völlig fertige Kategorie der Ursache aber ist hier eben so wenig zu finden, als vorhin eine Kate- gorie der Substanz. Vielmehr wird das Zusammen der Mehrern, in so fern daraus eine neue Erscheinung an einem sonst wohlbekannten Gegenstande soll verstanden werden, uns sogleich zum Räthsel, sobald wir uns fra- gen, wie denn die Wirkung in dem Einen habe erfol- gen können, vermöge des andern? Wobey nur so viel klar ist, dass dazu Mehr gehöre, als blosses Nebeneinan- der seyn, dass das Zusammenkommen der Ursache und des leidenden Gegenstandes die bloss räumliche oder zeit- liche Nähe überschreiten, und etwas dabey vorgehn müsse, welches vorläufig mit den Worten Eingreifen, Ver- wandtseyn und sich gegenseitig binden , bezeich- net werden könne. Hier nun muss der gemeine Verstand, wie er unter andern in der, so eben gebrauchten, metaphorischen Sprache der Chemiker sich äussert, in Schutz genommen werden gegen die unrichtigen Ansichten der Kantischen Schule, welche aus der Verlegenheit entstanden, dem Causalbegriffe, der allerdings nicht im Gegebenen unmit- telbar gefunden, sondern in dasselbe hineingetragen wird, seinen Ursprung nachzuweisen. Kant lehnte in dieser Verlegenheit die Causalität an die Zeit, — mit der sie gerade gar nichts gemein hat! Es ist längst bemerkt, dass zwischen Ursache und Wirkung sich kein Vorher und Nachher einschieben darf, als ob die Wirkung noch dürfte auf sich warten lassen, nachdem sie schon voll- ständig begründet ist. Die Priorität der Ursache liegt bloss im Begriffe; man muss das Zusammen der Mehrern voraussetzen , damit die neue Erscheinung nicht die Identität dessen verletze, an dem sie erscheint. — Ueber der Betrachtung der Zeit-Verhältnisse geht bey Kant das wesentliche Merkmal des Eingreifens ganz verloren; und je schlechter nun eben in diesem Puncte der allge- mein vorhandene Begriff der Ursache aufgefasst ist, um desto weniger hätte ein so misverstandener, seiner Be- deutung und seinem Ursprunge entfremdeter Gedanke, unter dem Namen einer Kategorie für eine Form des Denkens ausgegeben werden sollen. Statt einer vesten Form des Denkens zeigen sich in der Annahme einer Ursache zu der Veränderung viel- mehr die ersten nothwendigen Schritte der Untersuchung; eben dieselben, welche sich nach der Methode der Be- ziehungen ergeben müssen, und sich folglich aus ihr er- läutern lassen. Das in der Veränderung entstandene Neue wird als eine Modification des Schon-Vorhandenen mit Hülfe eines Dazutretenden angesehn. Zwey Stoffe (die mehrern M ) zusammengenommen sollen das Neue ( N ) ergeben. Hier ist die Untersuchung über die Mög- lichkeit der Veränderung gerade so weit gediehen, als die Untersuchung über die Möglichkeit des Ich an der Stelle, wo mehrere Objecte für dasselbe Vorstellende angenom- men werden. Aber so wenig man nun hieraus das Ich begreift, so gewiss vielmehr noch eine weitläuftige Un- tersuchung bevorsteht, zu der man nur den ersten An- lauf genommen hat: eben so sicher ist der Begriff der Ursache auch nur der Anfang und die Eröffnung einer weitaussehenden Nachforschung, welche die Metaphysik vollenden muss, während der gemeine Verstand schon bey den ersten Schritten ermattet. Eine wichtige Bemerkung über diese ersten Schritte muss noch hinzugefügt werden, wodurch sich unsre Ver- gleichung der verschiedenen Probleme am Ziele finden wird. Wir haben oben im §. 33. gesehn, dass nicht bloss die successiven Merkmale des Veränderlichen, sondern auch die gleichzeitigen, — überhaupt die mehrern Be- stimmungen Eines und desselben Dinges, einen Wider- spruch erzeugen. Dieser seltener bemerkte Widerspruch zieht gleichwohl eine ganz ähnliche Untersuchung nach sich, als jener; und es findet sich, dass kein einziges, in der gemeinen Erkenntniss vorkommendes Merkmal der Dinge, als wahre Eigenschaft des Wesens angesehen werden könne, sondern dass jedes Element der Er- scheinung als Andeutung einer Modification eines Wesens durch ein anderes betrachtet werden müsse . Dieses giebt der Untersuchung, auf welche der Causalbegriff führt, eine ausserordentliche Erweiterung; und es wird Ein und dasselbe Geschäfft, den Zusammenhang zwischen Ursachen und Wirkungen, und den zwischen Accidenzen und Substanzen zu er- klären. — Der äusserste Punct, bis zu welchem die Vergleichung, die uns beschäfftigt, kann getrieben werden, und von wo schon die fernere Divergenz anhebt, zeigt sich bey der Auflösung des Problems vom Ich, an jener Stelle, wo die verschiedenen Objecte, auf deren Zusammen das Selbstbewusstseyn beruhen soll, als Entgegengesetzte, und deren Vorstellungen als einander aufhebend nachgewie- sen werden. Dem entspricht bey der Untersuchung über Substanz und Causalität der Gegensatz unter den Qualitäten der Wesen , auf deren Zusammen theils die successiven, theils die simultanen Merkmale der sinn- lichen Dinge zurückgeführt werden Hauptpuncte der Metaphysik §. 5. . Nämlich gerade so, wie eine blosse Summe von Objecten die Untersu- chung über das Ich nicht fördern würde, eben so ver- mag eine blosse Summe von Wesen nichts zur Erklärung der Veränderungen, noch überhaupt der Eigenschaften sinnlicher Dinge. Die Wesen, wie die Vorstellungen der Objecte, müssen einander auf irgend eine, näher zu be- stimmende Weise afficiren. Aber in der nähern Bestimmung tritt nun auch so- gleich der Unterschied hervor, dass bey den Vorstellun- gen ein wirkliches Weichen der einen vor der andern denkbar und zur Erklärung des Ich nothwendig ist. Hin- gegen die Wesen würden sich in vollkommne Undinge verwandeln, wenn sie, entweder, in ihrer Qualität eine Abänderung erlitten, und dennoch, nachdem sie schon andere geworden wären, dieselben blieben wie zuvor, — oder, in ihrem Seyn sich vermindern liessen, während das Seyn gar keine Grade zulässt, die sich vermehren oder vermindern könnten Die Elauguescenz der Substanz, womit Kant (Krit. d. r. V. pag. 414.) gegen Mendelssohn auftritt, ist nichts als ein Beweis mehr, wie gänzlich der berühmte Kritiker seinen metaphysischen Scharf- . Daher kann der Gegensatz der Wesen höchstens die Folge haben, dass sie demsel- ben innerlich widerstehen , und sich selbst er- halten ; wobey die Art des Widerstandes sich nach der Art der Anfechtung, oder Störung , richtet, und deshalb eben so mannigfaltig ist, als diese nur immer seyn mag. Dass aber der Gegensatz der Wesen (der keinesweges ein reales Prädicat derselben ist) die bezeichnete Folge oftmals (obschon bey weitem nicht immer) wirklich habe, dieses und nichts anderes macht den Begriff des Zu- sammen der Wesen aus; welches, wo es vorkommt, nicht aus den Wesen, denen es zufällig ist, sondern aus den Erscheinungen geschlossen wird, zu deren Erklärung es muss vorausgesetzt werden. sinn in die Frage nach dem Ursprunge der Form unserer Erkenntniss versenkt, wie wenig er dagegen die eigenthümliche Bedeutung man- cher Hauptbegriffe, und besonders des Begriffs vom Seyn, erwogen hatte. (Ein paar andre Beyspiele haben wir oben an den Begriffen von Substanz und Ursache gehabt.) Dem Seyenden eine reale Mehrheit von Graden beyzulegen, welche wirklich ab- und zunehmen könnten; oder ihm eine reale Mehrheit von Attributen beylegen, die sich (wie in Spinoza’s Gott) unabhängig von einander entwickeln könnten; oder ihm eine Ausdehnung durch wirklich verschiedene Theile des Raums, oder eine reale Dauer in der Zeit, oder endlich gar eine Ver- änderlichkeit in der Zeit zuschreiben: alles dies sind gleich arge, klare Ungereimtheiten; denn sie setzen immer Ein Seyendes als ein Mehre- res, und das Mehrere wiederum durch wer weiss welches Band zu ei- ner unbekannten Einheit verbunden; von welcher Einheit gleichwohl so viel bekannt ist, dass eben sie die wahre Qualität jenes Seyenden ausmachen würde (indem von dem Mehrern nur als von Einem ge- sagt wird, dass es sey); womit denn das Geständniss abgelegt wäre, dass die vorgebliche Mehrheit, in ihrem Gegensatze gegen die Einheit, nicht real , nicht die wahre Qualität des Wesens sey, sondern aufs Höchste (falls sie sich dazu schickt) für eine zufällige Ansicht des Wesens gelten könne. — Wie dergleichen zufällige Ansichten als Hülfsmittel unseres Denkens gebraucht werden müssen, wenn Wir von den Störungen und Selbsterhaltungen der Wesen eine Theo- rie aufstellen wollen (so wie der Astronom seine Logarithmen und Integralformeln beym Rechnen braucht, ohne dergleichen für reale Prädicate der Gestirne zu halten), dies ist in meinen Hauptpuncten der Metaphysik a. a. O. angegeben worden. Und so wären wir nun wiederum bey denselben Puncten angelangt, auf die wir schon im Anfange dieses Capitels durch die aufgestellte Behauptung geführt wur- den, dass die Vorstellungen nichts anderes als Selbst- erhaltungen der Seele seyen. Weitere Erörterun- gen des Allgemein-metaphysischen, worauf dieser Satz sich stützt, sind hier nicht am rechten Platze, und kön- nen demjenigen kaum Bedürfniss seyn, welcher mit dem schon Gesagten die oft angeführten Hauptpuncte der Metaphysik, das Lehrbuch zur Einleitung in die Philo- sophie, im vierten Abschnitte, und allenfalls noch das erste Capitel der oben genannten Abhandlung de attra- ctione elementorum , gehörig vergleichen will. Anmerkung. Ueber die Kunst des metaphysischen Denkens . Die Behandlung eines jeden metaphysischen Pro- blems hat Anfang, Mittel und Ende; man muss den Kno- ten so, wie unsere geistige Natur, ihren Verhältnissen gemäss, ihn schürzt, erkennen; man muss alsdann die ver- schiedenen Operationen, welche zusammen die Auflösung ausmachen, richtig durchführen; und endlich die gefun- denen Resultate genau vesthalten und richtig anwenden. 1) Um die Probleme richtig aufzufassen, muss man wissen, dass sie allemal Begriffe sind, und weder etwas Höheres noch etwas Niedrigeres. Nicht Ideen , in wel- chen ein ästhetisches Urtheil verborgen liegen würde, wo- durch sich der Denker in einen bestochenen Richter ver- wandelt; (so verdarb sich Fichte das Ich, indem er die von ihm hoch verehrte Freyheit darin zu sehen glaubte). Nicht Wahrnehmungen , denn über sie hat das Den- ken keine Gewalt, sie müssen bleiben wie sie sind. — Von den Begriffen ist nun immer zuerst eine logische Analyse nöthig, und in Folge derselben eine gute Namen- Erklärung, wie jene des Ich, es sey Identität des Objects und Subjects, oder die alte der Substanz, sie sey das Subject, was nie Prädicat werden könne. Hier ist gegen die falsche Genialität derer zu warnen, die sich über lo- gische Pünctlichkeiten erhaben wähnen. Dann aber muss die Namen-Erklärung verglichen werden mit denjenigen Wahrnehmungen, durch welche der Begriff gegeben ist. So haben wir oben lange gezweifelt, ob wir die indivi- duelle Persönlichkeit in den Begriff des Ich aufnehmen sollten oder nicht; und endlich gefunden, die Wahrneh- mung selbst verbiete uns dies, weil im Selbstbewusstseyn das Ich als ein Beharrliches betrachtet wird, die Indivi- dualität aber sich vom zufällig Wechselnden nicht rein abscheiden lässt. So muss in Ansehung der Substanz ge- zweifelt werden, ob sie als Eins gegeben sey? — Dieses Eine wird sich unter dem Vorrath des Gegebenen nicht unmittelbar finden. Oder ob man die vielen Merkmale bloss als Vieles betrachten, deren Einheit aber aufgeben wolle? Dagegen wird sich die Wahrnehmung abermals sträuben; und es wird dabey bleiben, dass man genöthigt sey, den vielen gegebenen Merkmalen ein unbekanntes Eins zum Grunde zu legen. — Ist man nun so weit ge- kommen, durch Vergleichung mit der Wahrnehmung den Begriff so zu bestimmen, wie er als durchs Gegebene uns aufgenöthigt, das heisst, als ein gültiger Begriff zu denken ist: alsdann folgt abermals eine Analyse, die ihn als einen widersprechenden bezeichnen wird, wenn er ein metaphysisches Problem ist, denn träfe dieses nicht ein, so könnte er bleiben wie er ist, und die Metaphysik brauchte keine Kunst an ihn zu verschwenden; der blo- ssen logischen Ueberlegung würde es anheim fallen, ihm in dem Systeme der übrigen Begriffe seinen Platz anzu- weisen. 2) War es schon schwer, in sich selbst das Ge- ständniss zur Reife zu bringen, dass ein durchs Gegebene unvermeidlich aufgedrungener Begriff widersprechend sey: so wird es nun noch schwerer, in der Klemme zwischen den beyden widersprechenden Gliedern des Begriffs so lange auszudauern, ja, sich von ihnen so lange hin- und hertreiben zu lassen, so vielen anscheinend unnützen Ver- suchen des Denkens sich hinzugeben, als die regelmässige Auflösung erfordert. Manche glauben nicht zu denken, sondern zu phantasiren, wenn sie ihre Gedanken nicht gleich in gerader Linie fortführen können; und hier be- gegnet selbst Männern dasselbe, was man sonst an Jüng- lingen bemerkt: sie können sich zuweilen schlechterdings nicht enthalten, schnell abzuurtheilen; sie fühlen nicht die Nothwendigkeit, sich erst auf Untersuchung einzulas- sen. Wie man von unerfahrnen jungen Königen erzählt, die den Richterstuhl bestiegen hatten, und nun erst von einer Parthey, dann von der andern sich überreden lie- ssen, unfähig, sich das: audiatur et altera pars , einzu- prägen; so geht es auch denen, welche in der Betrach- tung eines metaphysischen Problems nicht geübt sind. Die Einheit des Ich, die Einheit der Substanz, ist ihrer Meinung nach so vollkommen klar, dass dagegen gar kein Einspruch statt finde; aber die Vielheit im Ich (Object und Subject) ist ihnen eben so klar; desgleichen die Viel- heit der Attribute und Accidenzen. Daher lassen sie un- bedenklich ein ganzes Universum aus dem Ich oder aus der Substanz hervorgehn; sind sie eben mit der Vielheit beschäfftigt, so achten sie nicht auf die Einheit; diese muss sich nun gefallen lassen, ein intensives Vieles zu seyn, so voll und so gross als eben nöthig ist, damit sich eine Welt daraus entwickele; sind sie hingegen mit der Einheit beschäfftigt, so kostet es sie nichts, dem Vielen zu gebieten, dass es nur dem Scheine nach für ein Vie- les gelten solle, der Wahrheit nach aber Eins seyn müsse. Woher der Schein in der Wahrheit ? Diese Frage drückt sie so wenig, dass sie vielmehr den Wirbel ihrer Gedanken, wie ein wirkliches Hervorgehn aus der Einheit, und Rückkehren in dieselbe beschreiben. — Gerade um- gekehrt muss der wahre Metaphysiker nicht bloss die wi- dersprechenden Glieder seines Problems, sondern auch den doppelten Anspruch der Denkbarkeit und der Gül- tigkeit, streng vesthalten, keinem etwas vergeben, keinem mehr einräumen als ihm zukommt. Er muss die noth- wendige Bewegung seines Denkens nicht als einen vor- übergehenden Wechsel von Gedanken selber durchlaufen, sondern jeden Schritt in dieser nothwendigen Bewegung als ein Vestes und Unveränderliches sich einprägen; gleichsam wie eine Reihe von historischen Gemälden, de- ren jedes einen Moment des Handelns fixirt, so dass alle zusammen auch die sämmtlichen Puncte des Uebergangs, woraus die ganze Begebenheit besteht, zur beständigen Anschauung aufbewahren. Dieses Stehen mitten im noth- wendigen Wechsel ist allerdings schwer, weil alle Puncte des Wechsels von der Art sind, dass man auf ihnen nicht stehen bleiben kann. Aber gerade dieses: Nicht stehen bleiben können , hat der Metaphysiker ein- für allemal darzustellen, so dass er den Process des Denkens, wodurch ihm seine Resultate gewiss wurden, in jedem Au- genblick erneuern könne. Wem der Kopf leicht schwin- delt, der kann die metaphysischen Steige nicht gehn; wer, um den Schwindel zu vermeiden, mit verschlossenen Augen herübergehn will, der findet die Steige nicht, und nur in seiner Einbildung kommt er hinüber. 3) Ist endlich ein Punct erreicht, wo man stehen bleiben kann, so folgt daraus nicht, dass man hier lange stehen und ausruhen müsse. Die Auflösung eines meta- physischen Problems zeigt unmittelbar noch nichts, als nur eine allgemeine Bedingung der Denkbarkeit des auf- gestellten Begriffes; wer mehr verlangt, der muss weiter fort arbeiten. Er muss nicht bloss seine Kräfte, sondern auch seine Ueberlegung sammeln für eine, vielleicht völ- lig veränderte, Art des Fortschreitens, die ganz neue Vorübungen erfordern kann. — Im Allgemeinen ergeben sich aus metaphysischen Auflösungen sehr bald mathema- tische Probleme; denn alle Erscheinungen sind Quanta; alles, was als Wirkung von Kräften erscheint, hat Ge- setze, die an ein Mehr und Weniger in diesen Kräften gebunden sind; daher die metaphysischen Principien un- mittelbar gar nichts bestimmtes in der Erscheinungswelt er- erklären können, sondern allemal auf die hinzutretenden Grössenbestimmungen muss Rücksicht genommen werden. Dies wird sich nun im Nachfolgenden gar bald zeigen. Am schwersten übrigens ist die negative Bedingung des metaphysischen Denkens zu erfüllen; das Verhüten fremdartiger Einmischungen. Je schwerer die Probleme, desto mehr muss man sich bemühen sie gesondert zu hal- ten, um sie einzeln und deutlich zu betrachten. Nirgends muss mehr Metaphysik angehäuft werden, als der Gegen- stand fordert. Aus den Grundlehren der praktischen Phi- losophie muss sie ganz wegbleiben. Und obgleich zum vollständigen Aufschluss über das Ich, auch die Unter- suchung über den Raum, und seine Analoga, nöthig ist: so würde doch, wenn ich den Raum, oder gar die Ma- terie und den Leib, schon hier hätte einmischen wollen, die Finsterniss undurchdringlich geworden seyn. Viertes Capitel . Vorbereitung der mathematisch-psychologischen Untersuchungen. §. 36. Es sind die Betrachtungen des §. 29., deren Faden wir wieder aufnehmen müssen. Dort fand sich der Satz, dass die mannigfaltigen Vorstellungen eines Subjects, wel- ches zur Ichheit gelangen soll, unter einander entgegen- gesetzt seyn müssen; und dieses zwar in dem Sinne, dass ein Vorstellen das andere vermindere, oder gar aufhebe. Was das heissen solle, ist jetzt noch näher zu über- legen. Man denke sich zuvörderst ein Vorstellendes, noch ohne Selbstbewusstseyn; auch, um nichts willkührlich an- zunehmen und voreilig vorauszusetzen, noch ohne alle I. K formalen Bestimmungen durch Begriffe, oder durch Raum und Zeit: lediglich hingegeben der Materie der Empfin- dung, wie den Tönen, oder den Auffassungen des Ge- schmacks, Geruchs, Gefühls. (Der Gesichtssinn würde kein ganz passendes Beyspiel liefern, oder wenigstens wäre ein solches einem Misverständniss ausgesetzt, weil man bey den Farben immer sogleich irgend etwas von Gestalt und Grösse hinzudenkt.) Die Forderung ist nun, dass dies unser Vorstellendes übergehe zum Vorstellen seiner selbst; aber, wie wir gesehen haben, nicht durch einen absoluten Act, sondern einzig und allein bestimmt durch die Beschaffenheit derjenigen Vorstellungen, wel- che wir bey ihm schon vorausgesetzt haben. Da also die Vorstellung Ich nicht hinzukommen , sondern werden soll aus dem was schon da ist, so kann dieses Vorhandene nicht ein solches Vorgestelltes bleiben, dergleichen es jetzt ist, sondern es muss auf allen Fall ein Anderes werden. Allein hier würde es uns nichts helfen, wenn eine objective Bestimmung überginge in eine andere. Man setze, die Vorstellung Roth gehe über in die Vorstellung Blau, oder die eines hohen Tons verwandele sich in die eines tiefen Tons, so ist das Blaue und der tiefe Ton für die Vorstellung Ich (welche entstehen soll) eben so fremdartig, als die Vorstellungen des Rothen und des hö- heren Tones. Mit einer solchen Abänderung wäre also nichts gewonnen. Oder wollte man sagen, die objectiven Vorstellun- gen müssten ganz aus ihrer Art herausgehn, um statt ei- nes Nicht-Ich vielmehr das Ich darzubieten: so wäre die- ses, auch abgesehen von der Frage nach der Möglich- keit, dem Probleme gar nicht angemessen. Denn wir haben gesehen, dass die nackte Ichheit ein Widerspruch ist; und jene Forderung hiesse demnach nichts anderes als, die Vorstellungen sollten aus der Art des Vorstell- baren hinübergehen in die Art des Undenkbaren und Un- gereimten. Vielmehr, da die Ichheit (nach §. 28.) sich nothwen- dig bezieht auf eine Mannigfaltigkeit solcher Objecte, die Nicht-Ich sind: so müssen jene objectiven Vorstellungen in ihrer eignen Art bleiben; weil sonst gar der Bezie- hungspunct für das Ich wieder verloren ginge. Wenn wir ihnen nun ihre Qualität lassen: so kann ihre Veränderung zunächst nur die Quantität des Vor- stellens betreffen. Allein auch hier ist ein Misverständniss zu verhüten; nämlich als ob es zuviel wäre an der Menge oder an dem Grade des Vorstellens; da doch nichts Zuviel seyn kann in demjenigen, was wir eben als Bedingung der Ichheit an- genommen haben. Es muss also in einem gewissen Sinne auch die Quantität des Vorstellens die nämliche bleiben. In einem anderen Sinne aber soll sie gleichwohl ver- mindert werden; denn so befangen in fremdem Objectiven, wie wir unser Subject uns bis jetzt denken, darf es of- fenbar nicht bleiben, wofern es zu sich selbst kommen soll. Hier kommt es darauf an, einen neuen Begriff zu erzeugen, der allen Rücksichten Genüge leiste. Wenn wir sagen, das Objective, was es auch sey, tauge nicht einzugehn in das Selbstbewusstseyn, indem wir sonst uns selbst als ein Anderes und Fremdes vorstellen würden: so richten wir da unsre Aufmerksamkeit auf die Objecte, auf die Bilder, welche dem Vorstellenden vor- schweben; nicht aber auf das Vorstellen, welches wir als eine Thätigkeit dem Subjecte selber beylegen. Jenen er- sten Punct also trifft unsre Forderung, dass eine Verän- derung in der Quantität des Vorgestellten sich ereig- nen soll; und wenn wir dabey die Quantität des Vor- stellens , subjectiv genommen, unverändert vesthalten können, so sind die verschiedenen Rücksichten vereinigt, ohne dass wir hiebey auf einen wahren Widerspruch ge- stossen wären. Also die Thätigkeit des Subjects im Vorstellen, soll unvermindert beharren, aber ihr Effect, das vorgestellte K 2 Bild, soll geschwächt oder gar aufgehoben werden; und hierin soll dasjenige bestehen, was mehrere Vorstellungen vermöge ihres Gegensatzes untereinander bewirken. Aber eine Thätigkeit, welche fortdauert, während ihr Effect, den sie vermöge ihrer Eigenthümlichkeit hervor- bringen würde, durch etwas Fremdes zurückgehalten wird, eine solche kann man nur mit dem Namen eines Stre- bens bezeichnen. Aus Vorstellungen wird demnach ein Streben vor- zustellen , wenn entgegengesetzte Vorstellungen in ei- nem und demselben Subject, das zum Selbstbewusstseyn gelangen soll, vereinigt sind. §. 37. Den eben gefundenen Gedanken können wir sogleich mit der Erfahrung vergleichen. Diese lehrt, dass unsre Vorstellungen sich verdunkeln, schwinden, wiederkehren. Ueber den Zustand, in welchem sie, so fern sie aus dem Bewusstseyn verschwunden sind, sich befinden mögen, kann keine Erfahrung belehren, denn Erfahrung haben wir nur, so fern wir wirklich vorstellen; und die eignen Vorstellungen in ihrem Schwinden beobachten zu wollen, wäre gerade so viel, als sein eignes Einschlafen wahrneh- men zu wollen. Wohin die Erfahrung nicht reicht, das lässt sich gleichwohl sehr häufig durch Speculation errei- chen: und wir haben so eben gesehn, dass unsre, aus dem Bewusstseyn zurückweichenden Vorstellungen, sich in ein Streben vorzustellen verwandeln; und dass sie als ein solches Streben unvermindert fortdauern; daher auch ihr Vorgestelltes wiederkehren muss, sobald die Hinder- nisse, von denen sie gedrängt wurden, überwunden sind. So wenig nun die Erfahrung diesen Aufschluss un- mittelbar geben konnte, so brauchbar ist derselbe zur Er- klärung der Phänomene. Auf zwey der allerwichtigsten psychologischen Gegenstände, das Gedächtniss und den Willen, fällt hier ein unerwartetes Licht. Dass beyde sich auf das Vorstellen beziehen, ist schon im §. 12. vor- läufig bemerkt worden. Dass sie allein aus dem Vorstel- len abgeleitet werden müssen, und ganz und gar nicht als besondre Seelenkräfte angesehen werden dürfen, folgt schon aus der allgemein-metaphysischen, in der letztern Hälfte des §. 33. angedeuteten, Untersuchung, aus wel- cher hervorgeht, dass überhaupt Ein Seyendes keine ur- sprüngliche Mehrheit von Bestimmungen, — ein Vorstel- lendes keine ursprüngliche Mehrheit von Gemüthskräften, — enthalten könne. Wie aber das Vorstellen in ein Wollen übergehe, kann jetzt nicht mehr zweifelhaft seyn, da wir gesehen haben, dass Vorstellungen, vermöge ge- genseitiger Hemmung, sich in ein Streben vorzustellen verwandeln. Modificationen dieses Strebens müssen alle diejenigen Phänomene seyn, welche unter dem Namen des Willens, im weitesten Sinne des Worts, begriffen werden. Denn alles Wollen trachtet nur dahin, sein Vorgestelltes entweder vollkommen ins Bewusstseyn zu bringen, oder vollkommen hinauszuschaffen; (das letztre ist der Fall beym Verabscheuen.) Mehr aber als eine Vorstellung ihres Gegenstandes kann keine Begierde erreichen; denn keine Dinge, sondern nur Vorstellungen, haben Platz in einem Vorstellenden; auch wird jede Be- gierde befriedigt, nicht durch die Realität, sondern durch neues Gegeben-Werden der Vorstellung ihres Gegen- standes, welches aber freylich in der Regel nur durch sinnliche Gegenwart desselben vollständig erreicht werden kann. Hier bestätigt sich nun der oben angeführte Ge- danke von Leibniz : die Seele begehre, so fern sie von einer Vorstellung zur andern strebe. (Man vergleiche §. 18.) Genauer aber besteht jedes Wollen in dem Stre- ben gewisser Vorstellungen; und zwar das Begehren in dem Streben eben derselben Vorstellungen, durch welche früherhin der begehrte Gegenstand ist aufgefasst worden (denn diese nämlichen Vorstellungen dauern fort im gehemmten Zustande, und wirken in der Seele un- aufhörlich gleich elastischen Stahlfedern), hingegen das Verabscheuen besteht im Streben anderer Vorstellungen, welche der des Verabscheueten entgegengesetzt sind. Dun- kel bleibt hiebey für jetzt noch, wie es zugehe, dass nicht alle gehemmten Vorstellungen sich unaufhörlich als Begierden, und, in Beziehung auf dieselben, ihre entge- gengesetzten sich als Verabscheuungen äussern? Diese Frage aber kann nur dienen uns zu erinnern, dass der Begriff des Strebens vorzustellen, ein viel weiterer ist, als der des Begehrens und Verabscheuens, und dass zu je- nem noch viele nähere, bis jetzt unbekannte, Bestimmun- gen hinzukommen müssen, um diesen zu ergeben. So wissen wir auch noch nichts von den Gesetzen, nach welchen Vorstellungen, erst bis zum Vergessen gehemmt, dann als ein Eigenthum des Gedächtnisses wieder hervor- gehoben werden. Die Aufschlüsse hierüber können erst durch Vergleichung der Erfahrung mit den Lehrsätzen der Mechanik des Geistes herbeygeführt werden. Allein schon die Kenntniss des genus , noch ohne die genauere Einsicht in das Eigenthümliche der species , hilft eine Menge von Irrthümern zu entfernen, denen man in Hin- sicht des Gedächtnisses und des Willens sich gemeinhin zu ergeben pflegt. §. 38. Während nun die eben erwähnten Gegenstände eine unerwartete Aufhellung empfangen haben: bleibt dagegen das Hauptproblem noch sehr im Dunkeln liegen, und wird auch noch lange nicht aus demselben hervorgeho- ben werden können. Was das Streben vorzustel- len, für die Ichheit leiste ? das ist bis jetzt nur noch in dem höchst allgemeinen Räsonnement zu erkennen, dass die fremden Vorstellungen bleiben, ihre Objecte aber weichen müssen, wenn das Ich, das sich auf sie bezieht, und dennoch ihnen allen entgegengesetzt ist, hervortre- ten soll. Doch um wahrzunehmen, dass wir der Auflö- sung um etwas näher gerückt sind, wolle man zurück- blicken in den §. 28. Dort kam der Satz vor: „Erst „;dann, wenn mehrere Objecte vorgestellt werden, gehört „;etwas an ihnen dem Vorstellenden; nämlich ihre Zu- „;menfassung in Ein Vorstellen; und was aus dieser wei- „ter entspringt.“ Jetzt ist uns gestattet, dieses, was aus der Zusammenfassung in Ein Vorstellen entspringt, nä- her anzugeben, nämlich in so fern es die Grundlage der Ichheit bildet. Die Objecte der Vorstellungen sind es nicht, wohl aber die Regsamkeit des Vorstellens selbst in seiner Hemmung, wovon sich einsehn lässt, dass es dasjenige ausmachen werde, worin wir Uns Selbst erken- nen. Eben das, was zum Gedächtniss und zum Willen gerechnet werden kann, dieses mag auch Uns bezeich- nen; es mag helfen, jenes bisher vergeblich gesuchte Ob- ject im Begriff des Ich (§. 27.) allmählig aufzufinden. Gleichwohl, wie weit sind wir noch vom Ziele! Wir begreifen noch nicht einmal so viel, wie denn ein Vor- stellen, vollends ein Streben vorzustellen, zum Gegen- stande einer höhern Vorstellung werden könne. Und dieses wäre doch die erste Voraussetzung für jedes Fin- den seiner selbst. Absolute Acte des Aufspringens zur Reflexion auf sich selbst, haben wir anzunehmen uns vielfältig untersagt; wollen wir aber dergleichen Wun- der entbehren, und den schwierigen Weg einer ächten Natur-Erklärung einschlagen: so müssen wir uns schon gefallen lassen, das Gesuchte eine Zeitlang aus den Au- gen zu setzen, um andere Spuren desjenigen, was seiner Natur nach leichter und früher erkannt werden kann, zu verfolgen, und auf solche Weise uns erst mit den nöthi- gen Hülfs-Kenntnissen für die unternommene Nachfor- schung zu versorgen. Demnach sey nun auf langehin die Frage nach dem Ich verabschiedet; der Begriff aber von dem Streben vor- zustellen, dieser Hauptgewinn unserer bisherigen vom Be- griff des Ich ausgegangenen Nachforschungen, wird uns einen reichlichen, ja unerschöpflichen Stoff zu fernern Untersuchungen darbieten, welche selbst wiederum (im §. 132.) zu der Betrachtung des Selbstbewusstseyns zu- rückführen werden. §. 39. Dass unter mehrern, einander entgegengesetzten Vor- stellungen, die Hemmung gegenseitig seyn, folglich die Objecte sämmtlich in gewissem Grade verdunkelt, und die Thätigkeiten des Vorstellens in eben dem Grade in Strebungen verwandelt werden müssen: dies leuchtet so unmittelbar ein, dass der Beweis überflüssig seyn würde. Zu dem weiss die innere Wahrnehmung nichts von sol- chen Vorstellungen, die gar keiner Verdunkelung unter- worfen wären; vielmehr ist unleugbar, dass alle uns be- kannten Empfindungen, Gedanken, Gesinnungen, Motive, mit einem Worte alles was im Bewusstseyn angetroffen wird, eben so wohl von anderem verdrängt wird, als es selbst anderes zu verdrängen vermag. Jeder Gegenstand, der das Gemüth beschäfftigt, steht nicht, sondern schwebt im Bewusstseyn; er schwebt in beständiger Gefahr, vergessen zu werden über etwas neuem, — wenn auch nur auf Augenblicke. Dennoch bedarf der Begriff der gegenseitigen Hem- mung mancher Erläuterungen. — Wir erblicken hier die Vorstellungen als wider einander wirkende Kräfte . Aber gerade wie in der allgemeinen Metaphysik sich findet, dass das Merkmal der Kraft gar kein reales Prädicat ir- gend eines Wesens seyn kann, sondern dass die We- sen nur zufälliger Weise Kräfte werden , und dass sie dies auf unendlich verschiedene Weise werden können, ohne alle reale Mannigfaltigkeit in ihnen selber Ueber diesen so höchst wichtigen Punct werden aufmerksame Leser vielleicht nicht bloss den §. 5. meiner Hauptpuncte der Meta- physik, sondern auch die schon angeführte Abhandlung de attractione elementorum vergleichen, worin ich ausführlich die Unmöglichkeit rea- ler bewegender Kräfte gezeigt, und die Anziehung der Elemente auf eine bloss formale Nothwendigkeit zurückgeführt habe, welche in der Art der Raumerfüllung durch einfache Wesen ihren Sitz hat. : eben so ergiebt auch die gegenwärtige Betrachtung der Vor- stellungen, dass ihnen alle Kraftäusserung nur zufällig, und in dem Maasse entsteht, als sie gehemmt werden. Jede einzelne Vorstellung ist zuerst und für sich allein nur durch ihr Object, durch das was vorgestellt wird, hiedurch aber vollständig, bestimmt als eine solche und keine andre. So gewiss sie nun dieses Object wirklich vorstellt, eben so gewiss ist sie keinesweges ein Stre- ben vorzustellen; denn die Eigenschaft des Strebens geht erst hervor in der Hemmung durch ein hinzukommendes entgegengesetztes. Es ist auch in ihr gar keine Activi- tät, die auf etwas Fremdes, und gleichsam Aeusseres gerichtet wäre; denn ihrem Begriffe nach besteht eine Vorstellung nur im Erzeugen und Vesthalten ihres vor- gestellten Bildes; darin erschöpft sie sich, und ausserdem ist in ihr nichts zu finden. — Erst indem sie in einem und demselben Subject mit einer andern ihr entgegenste- henden Vorstellung zusammentrifft, kommt ihr die Acti- vität, wodurch sie über sich selbst hinausgeht. Sie drängt die andre, weil sie von der andern gedrängt wird; beyde aber drängen einander vermöge des unter ihnen entste- henden Gegensatzes. Dieser Gegensatz ist wiederum kein Prädicat weder der einen noch der andern, einzeln ge- nommen; sondern eine formale Bestimmung, welche nur in Beziehung auf beyde zusammen genommen, Sinn und Bedeutung hat. Wer den Ton c hört, der hört ihn für sich und durch sich selbst, nicht aber als entgegengesetz- tes von d . Desgleichen, wer den Ton d hört, der hört den einfachen Klang d ohne Gegensatz gegen c . Aber wer die Töne c und d beyde hört, oder beyder Vorstel- lungen zugleich im Bewusstseyn hat, der vernimmt nicht bloss die Summe c und d , sondern auch überdem den Contrast beyder, und sein Vorstellen ist der Wirkung des Gegensatzes beyder unterworfen. Eben so, wer sich in das Anschaun des ungetrübten Himmels versenkt, der sieht reines Blau ohne Gegensatz, und diese Vorstellung ist für sich vollständig; aber dasselbe reine Blau ist fä- hig in unendlich viele Contraste einzugehn, gegen andre und andre Farben. Wollte man diese Contraste, und die dazu gehörigen hemmenden Kräfte der Vorstellungen, für inwohnende Bestimmungen derselben Vorstellungen halten, so wäre keine Vorstellung etwas für sich; es stünde auch niemals eine in einem bestimmten Contraste gegen eine einzelne andre; sondern sie enthielte zugleich alle die zahllosen möglichen Contraste als Eigenthüm- lichkeiten in sich; und am Ende wären gar in jede Vorstellung alle übrigen Vorstellungen, als Bedingungen dieser sämmtlichen Contraste, mit eingeschlossen, und die Mannigfaltigkeit und Abwechselung der Vorstellungen würde unmöglich. Diesen Hauptgedanken, dass nur im Zusammentref- fen die entgegenstehenden Vorstellungen Kräfte werden, wollen wir nun näher bestimmen. Schon die Beyspiele der Farben, der Töne u. s. w., erinnern uns, dass der Gegensatz zweyer Vorstellungen gradweise verschieden seyn könne. Dem Blau steht das Roth, aber weniger das Violet, in seinen verschiedenen Nüancen, entgegen; dem Tone c mehr der Ton d , als cis ; mehr g , als e . Die Hemmungen, als unmittelbare Erfolge der Gegen- sätze, müssen sich wie diese, gradweise abstufen. Dass also Vorstellungen Kräfte werden, dies hat sein Maass ; und zwar ein veränderliches Maass, weil die Grösse des Gegensatzes Veränderungen zulässt. Neben dieser Grössenbestimmung werden wir sogleich noch eine andre als möglich erkennen. — Der Erfolg der Hemmung ist Verdunkelung des Objects, und Verwand- lung des Vorstellens in ein Streben vorzustellen. Kann ein gewisser Grad des Gegensatzes totale Verdunkelung eines Objects bewirken: so wird ein geringerer Gegensatz nur partielle Verdunkelung zur Folge haben; gradweise verschieden nach den Graden der minderen Gegensätze. Diese partielle Verdunkelung lässt also noch einen Grad des Vorstellens übrig. Auch das Vorstellen der Objecte also hat Grade, wie die Erfahrung bestätigt. Offenbar aber ist nicht nöthig anzunehmen, dass ein gewisses Vorstellen, um, verglichen mit einem an- dern, ein schwächeres zu seyn, erst eine partielle Ver- dunkelung erlitten haben müsse: auch ohne alle Hem- mung kann es ursprünglich ein schwächeres oder stärke- res seyn Es ist jedoch nur die logische Möglichkeit verschiedener Grade der Stärke und des Gegensatzes, welche hier nachgewiesen wor- den. Bey einem Gegenstande, worüber die Erfahrung so deutlich spricht, mag dies zum Beginnen der Untersuchung hinreichen. Die reale Möglichkeit folgt aus allgemein-metaphysischen Betrachtungen über die zufälligen Ansichten der Wesen, und über das Zusammen derselben, als Bedingungen der Störungen und Selbsterhaltungen. . Dieses ist wiederum in der Erfahrung völ- lig bekannt; wir schreiben allen unsern Auffassungen ur- sprünglich einen Grad zu. Verbinden wir nun diese Gradbestimmung mit jener, also den Unterschied der Vorstellungen ihrer Stärke noch mit der Grösse ihres Gegensatzes unter einander: so muss sich daraus ergeben, wie gross in jedem Falle die Verdunkelung, die Hemmung, das Streben, und auch das noch übrige wirkliche Vorstellen seyn werde. Hier findet die Rechnung einen ihr angemessenen Stoff; und es kommt darauf an, uns von der Form solcher Rechnung einen allgemeinen Begriff zu bilden; womit die Ueber- sicht über die nachfolgenden Untersuchungen zusammen- hängt. §. 40. Die Verdunkelung der Vorstellungen, vollends wenn sie successiv durch verschiedene Grade fortläuft, hat so viel Aehnlichkeit mit einer Bewegung , dass es gar nicht befremdend seyn kann, wenn die Theorie von den Ge- setzen der Verdunkelung, und der ihr entgegenstehenden Erhellung, oder dem Wieder-Hervortreten der Vorstel- lungen ins Bewusstseyn, sich der Theorie von den Be- wegungsgesetzen der Körper im Ganzen ähnlich gestal- tet. Wenigstens die Sprache muss von da her ihre Aus- drücke entlehnen, falls nicht eine neue, und deshalb un- verständliche Sprache unnützer Weise soll erfunden wer- den. Nur einige Benennungen, welche als Metaphern neu sind, wird man sich müssen gefallen lassen, damit die neuen Begriffe eine Bezeichnung erhalten können. Zu allererst werden wir den Unterschied der Statik und Mechanik , welcher die Lehre von den räumlichen Kräften beherrscht, auch hier wieder finden. Denn das Gleichgewicht , im Gegensatze der noch fortgehenden Bewegung vermöge des Uebergewichts einiger Kräfte über die andern, — ist dasjenige, was auch in Hinsicht der wider einander wirkenden Vorstellungen sich zuerst darbietet, und sich am leichtesten bestimmen lässt. Die obige Frage, wie gross, bey gegebener Stärke und gege- benem Gegensatze mehrerer Vorstellungen, die Verdun- kelung einer jeden seyn werde, ist offenbar eine statische Frage; denn es wird eine solche Hemmung einer jeden gesucht, bey welcher dem Gegensatze Genüge geschieht, und die Kräfte nicht weiter gegen einander etwas aus- richten können. Allein falls ein solcher gehemmter Zu- stand einer jeden Vorstellung nicht etwan plötzlich, son- dern, wie schon zu vermuthen, allmählig eintritt, so ent- steht nun noch eine ganz andre Untersuchung, nämlich mit welcher, sey es gleichbleibenden, sey es veränderli- chen Geschwindigkeit , die Verdunkelung fortdauernd geschehen, und in welcher Zeit sie geendigt seyn werde. Diese letztre Frage erkennt man ohne Zweifel sogleich für eine mechanische Frage. Die angeführten Beyspiele können hinreichen, um die Aehnlichkeit einer Mechanik des Geistes mit der Me- chanik der Körperwelt im Allgemeinen wahrzunehmen. Allein über der Aehnlichkeit darf die Verschiedenheit nicht übersehen werden. Wir haben hier keine räumliche Zusammensetzung und Zerlegung der Kräfte; wir haben keine Winkel, also keine Sinus und Cosinus, und keine drehende Bewegung; wir haben keinen unendlichen Raum, sondern alle Bewegung der Vorstellungen ist zwischen zwey vesten Puncten eingeschlossen, ihrem völlig gehemm- ten, und ihrem völlig ungehemmten Zustande; wir haben endlich gar kein beharrliches Fortgehen des Bewegten, folglich auch keine ähnliche Beschleunigung, wie in der Mechanik der Körper, denn jede augenblickliche Bewe- gung einer Vorstellung ist das unmittelbare Resultat der treibenden Kräfte. Wir haben dagegen hier eine Menge ganz andrer Grundbegriffe, welche die Mechanik der Kör- per nicht kennt, und auch dann nicht kennen würde, wenn sie, um sich der Analogie der Geistes-Mechanik anzubequemen, die gegenseitigen Drückungen einer Menge von elastischen Körpern untersuchen wollte, (denn der- gleichen liesse sich mit den Vorstellungen noch am er- sten vergleichen). Statt der Schwere, welche die Körper nach unten drängt, haben wir hier das natürliche und beständige Aufstreben aller Vorstellungen, um in ihren ungehemmten Zustand zurückzukehren; dieses jedoch ist vielmehr eine Aehnlichkeit als eine Verschiedenheit, in- dem es einen inwohnenden Trieb nach einer bestimm- ten Richtung anzeigt, welcher in jedem Augenblick so viel wirkt, als ihm die Umstände gestatten. Doch wir wollen diese vorläufigen und oberflächli- chen Vergleichungen nicht weiter fortsetzen, sondern zur Sache kommen. Im Begriff, die ersten Linien der Sta- tik und Mechanik des Geistes vorzulegen, kann ich nicht unterlassen, die Nachsicht der Leser anzurufen, welcher das Unternehmen eines blossen Liebhabers der Mathe- matik, bey einer so neuen Untersuchung, ohne Zweifel bedürfen wird. Zweyter Abschnitt . Grundlinien der Statik des Geistes. Erstes Capitel . Summe und Verhältniss der Hemmung bey vollem Gegensatz. §. 41. D er Gegensatz zweyer Vorstellungen ist voll , oder so gross als möglich, wenn eine von beyden ganz gehemmt werden muss, damit die andre ungehemmt bleibe. Die- ser Fall tritt zwar niemals ein; denn eine Vorstellung wird nur gehemmt, indem sie widersteht; und ihr Wi- derstand muss allemal auch in der entgegengesetzten eine gewisse Hemmung hervorbringen. Aber man kann sich die Fiction erlauben, dass die ganze Stärke des Gegen- satzes, folglich die ganze Nöthigung zum Sinken nur auf eine der beyden falle: alsdann ist das höchste, was ge- schehn kann, völliges Sinken dieser einen, oder völliges Erlöschen ihres Vorgestellten, bey Verwandlung ihrer ganzen Thätigkeit in ein blosses Streben wider die ent- gegengesetzte. Mehr als Sinken kann sie nicht, und es würde keinen Sinn haben, wenn man sich das Quantum des wirklichen Vorstellens noch über Null hinaus abneh- mend, folglich negativ, denken wollte. Wohl aber lässt sich ein minderer Gegensatz den- ken. Diesem zufolge würde eine Vorstellung ganz unge- hemmt bleiben können, wenn von der andern nur ein be- stimmter Bruch, das heisst eigentlich, wenn die andere nur in einem bestimmten Grade gehemmt würde. Der Unterschied des vollen und des minderen Ge- gensatzes ist von der Stärke der Vorstellungen unabhän- gig. Es sey die eine = a , die andere = b , wo a und b Zahlen bedeuten, vermittelst deren die Stärke beyder ver- glichen wird; der Gegensatz aber = m , wo m einen Bruch bedeutet, oder höchstens die Einheit: so muss bey vollem Gegensatze (für welchen m =1), eben sowohl a ganz sinken, wenn b soll ungehemmt bleiben, als b ganz sin- ken muss, damit a ungehemmt bleibe. Denn das Hem- mende muss ganz und gar weichen, wofern für das ent- gegenstehende alle Hemmung verschwinden, und volle Freyheit wiederkehren soll; und dies ist ganz auf gleiche Weise nothwendig, es mag nun jenes oder dieses das stärkere oder schwächere seyn. Bey minderem Gegen- satze muss mb sinken, falls a , oder es muss ma sinken, falls b ungehemmt bleiben soll. Denn je mehr von dem Hemmenden vorhanden ist, in demselben Verhältnisse mehr muss weichen, wofern das gegenüberstehende un- angetastet bleiben soll. Bestünde b aus unendlich vielen kleinen Theilen: so würde jedem derselben das Merk- mal, einen Gegensatz gegen a zu bilden, zuzuschreiben seyn, und zwar in dem Grade m; mit der Menge der Theile in b aber würde sich diese Entgegengesetztheit vervielfältigen, und deshalb in dem Producte mb ihren Ausdruck finden. Die Voraussetzung des vollen Gegensatzes wird die nächstfolgenden Untersuchungen erleichtern; deshalb ma- chen wir mit ihr den Anfang. §. 42. Die Summe der Hemmung ist das Quantum des Vorstellens, welches von den einander entgegenwirken- den Vorstellungen zusammengenommen, muss gehemmt werden. Diese Hemmungssumme muss nothwendig zuerst be- stimmt seyn, wenn die Hemmung jeder einzelnen Vor- stellung soll gefunden werden. Denn, wie schon im §. 39. bemerkt, das Widereinanderstreben ist den sämmt- lichen Vorstellungen zufällig, und sie äussern sich dem- nach nur in so fern als Kräfte, als das Quantum des Gegensatzes, welcher sich zwischen ihnen bildet, es mit sich bringt. Je stärker nun der Grad des Gegensatzes (das obige m ) und je Mehr des entgegenstehenden (we- gen der Stärke der einzelnen Vorstellungen): um desto grösser ist das Quantum dessen, was weichen muss aus dem Bewusstseyn. Dieses Quantum bildet alsdann gleich- sam die Last, welche sich vertheilt unter den verschiede- nen Vorstellungen, die daran zu tragen haben; und das sind die sämmtlichen wider einander strebenden. Aber nicht eher können wir füglich von der Vertheilung spre- chen, als bis wir die Last kennen, die vertheilt wer- den soll. Für vollen Gegensatz nun, und für zwey Vorstel- lungen a und b , liegt gleich so viel klar vor Augen, dass entweder a , oder b die Hemmungssumme seyn müsse. Denn es wird zwar von beyden gewiss Etwas gehemmt werden, und dass irgend eins von beyden gänzlich weiche, ist eine blosse Fiction, der die Wirklichkeit durchaus nicht entsprechen kann, weil nothwendig jedes von der ihm entgegenstrebenden Kraft etwas leiden muss: allein in welchem Verhältnisse auch die Last sich vertheile, sie bleibt doch an sich immer dieselbe; wir haben aber schon im vorigen §. bemerkt, dass diese Last, oder das Zu- Hemmende a seyn würde, wenn b ungehemmt bleiben sollte; hingegen b , wenn a von der Hemmung frey ge- dacht würde. Gesetzt also, die Hemmungssumme wäre der Grösse nach gleich a : so würde zwar darum nicht die ganze Vorstellung a gehemmt, aber der Grund hievon läge nur darin, dass ein Theil dieser Hemmungs- summe auf b fiele, und gerade so viel, als auf b käme, dürfte nun von a ungehemmt bleiben. Gesetzt im Ge- gentheil, die Hemmungssumme wäre der Grösse nach = b , so würde nur so viel von b ungehemmt bleiben kön- nen, nen, als dagegen von a aus dem Bewusstseyn verdrängt würde. Wir schwanken demnach nur zwischen zweyen denk- baren Bestimmungen der Hemmungssumme; allein die Entscheidung, welche unter diesen beyden die richtige sey, kann einen Augenblick schwierig scheinen. Der entscheidende Grund zwar bietet sich leicht ge- nug dar. Nämlich man muss sich die Hemmungssumme so klein als möglich denken; weil der natürliche Zu- stand der Vorstellungen der ungehemmte ist, und sie sich diesem, zu welchem sie sämmtlich zurückstreben, gewiss so sehr nähern als sie können. Daraus folgt, dass wenn a die stärkere, b die schwächere Vorstellung ist, die Hemmungssumme der Grösse nach nicht = a , sondern = b seyn werde. Auch wenn man auf die Vertheilung der Hemmungs- summe einen Vorblick wirft, so leuchtet gleich so viel ein, dass zwar die stärkere Vorstellung das Uebergewicht haben müsse, doch aber unmöglich mehr, als die schwä- chere ganz, gehemmt werden könne; und dass dieses Aeusserste völlig das nämliche bleibe, wenn schon die stärkere wie sehr immer wachsen möchte. Z. B. es sey a =10, b =1: so wird zwar gewiss b beynahe ganz ge- hemmt werden; aber mehr als das ganze b kann auch dann nicht zu unterdrücken seyn, wenn schon a anstatt =10, vielmehr =100 wäre. Es ist einmal nicht mehr vorhanden als nur b , was dem a entgegengesetzt wäre! Folglich durch Vergrösserung der stärksten un- ter den Vorstellungen wächst die Hemmungs- summe nicht . Hingegen es sey a =10, b =2: so ist nun des entgegengesetzten gewiss mehr geworden. Denn indem b von 1 bis 2 gewachsen ist, muss a einer stär- kern Kraft widerstehen, als vorhin, es wird dadurch mehr ins Streben versetzt; und dasselbe ist der Fall bey b , wenn schon dieses nun verhältnissmässig nicht so viel lei- det, wie vorhin. Da nun die Hemmungssumme nicht grösser seyn I. L kann als b ; aber auch nicht kleiner (denn bey vollem Gegensatz ist b ganz und gar dem a zuwider): so ist sie gewiss = b . Dasselbe erhellet auch aus folgender Be- trachtung: man setze a ungehemmt, so ist b ganz ge- hemmt; nun verbessere man die Vertheilung, so dass auf a auch ein Theil der Last falle, und b dagegen steige: so kann unmöglich durch die veränderte Vertheilung das Quantum des wider einander Wirkenden wachsen oder ab- nehmen, denn das Wirksame, und seine eigenthümliche Beschaffenheit, vermöge deren es einen bestimmten Ge- gensatz mit einander macht, bleibt genau das nämliche wie zuvor; also muss die Summe der Hemmung = b seyn und bleiben. Allein gerade diese letzte Betrachtungsart möchte man benutzen, um daraus einen Einwurf zu bilden. Setzet umgekehrt, (möchte man sagen), es sey b ungehemmt, folglich a ganz gehemmt; bey verbesserter Vertheilung kann nun das Quantum der Hemmung nicht abnehmen, eben darum weil dies Quantum von der Vertheilung un- abhängig ist; folglich ist die Hemmungssumme = a und nicht b . Oder, wenn auf gleichem Wege bewiesen wird, sie sey a , und auch, sie sey b : so verräth sich dadurch die Schwäche der Beweisart, die sich selbst wi- derstreitet. Wenn man jedoch das vorhin entwickelte zurückruft, so sieht man offenbar, dass in der Voraussetzung, a sey ganz gehemmt, das Quantum der Hemmung grösser an- genommen ist, als es nach der Beschaffenheit von a und b zu seyn braucht. Diese beyden können unleugbar eine Stellung gegen einander annehmen, worin weniger von ihnen gehemmt wird; und eben darum werden sie es un- fehlbar thun, sobald die Vertheilung sich ändert; wiewohl dieses nicht von der neuen Vertheilung herrührt. Viel- mehr dasselbe Aufstreben beyder Vorstellungen, welches eine bessere Proportion in die Vertheilung bringen wird, eben dieses widersetzt sich auch dem Uebermaasse der Hemmung, und führt sie auf das Nothwendige zurück. — Es scheint demnach unsre Bestimmung der Hemmungs- summe hinreichend gesichert zu seyn. Die gleiche Bestimmung aber wird sich, unter Vor- aussetzung des vollkommenen Gegensatzes, sehr leicht von zwey Vorstellungen auf mehrere in beliebiger Anzahl ausdehnen lassen. Es seyen ausser a , der stärksten, noch vorhanden b, c, d , … n : so ist die Hemmungssumme = b + c + d +…+ n . Denn b und die übrigen stehn dem a ganz und gar entgegen; kleiner also als ihre Summe kann das Quantum der Hemmung nicht seyn; aber auch nicht grösser, denn wenn jene alle völlig unterdrückt wä- ren, bliebe die stärkste ganz ungehemmt. — Will man dagegen versuchen, sich b ungehemmt zu denken, so ist die Summe des Gehemmten = a + c + d +..+ n ; also grösser wie vorhin, und so bey jeder andern ähnlichen Voraussetzung. Folglich ist die obige Angabe allein zu- lässig. — Bevor wir indessen die Betrachtung der Hemmungs- summe verlassen, muss noch einem möglichen Misver- ständnisse begegnet werden, welches aus der Verglei- chung jener Summe mit einer zu vertheilenden Last, ent- stehen könnte. Es wird nämlich dem Geiste unsrer vest- gestellten Sätze ganz gemäss gefunden werden, dass die Vorstellungen sämmtlich in eben dem Grade, wie sie lei- den, auch in wirksame Kräfte verwandelt, dass sie durch den Druck angespannt werden, und dass das Gleichge- wicht eintrete, sobald Spannung und Druck einander ge genseitig aufheben. Hieraus nun scheint zu folgen, dass die Summe des wirklich Gehemmten weit weniger betra- gen müsse, als die ursprüngliche Nöthigung zum Sinken erfordert. Denn diese Nöthigung, und die Spannung der Vorstellungen, werden wider einander wirken; und die erstere kann also den Punct nicht erreichen, wohin sie strebt. — Dieses ist scheinbar, aber gleichwohl unrichtig. Es wird nämlich dabey vorausgesetzt, die Vorstellungen könnten der Hemmungssumme widerstreben. Aber die L 2 Vorstellungen widerstreben vielmehr eine der andern . Die Hemmungssumme ist nichts von ihnen Verschiedenes; sie ist keine, ihnen gleichsam von aussen her aufgelegte Last, an der sie gemeinschaftlich zu tragen hätten; son- dern sie ist nur der Ausdruck von dem Quantum des Widerstreits, der sich unter ihnen erhebt, und unter ih- nen bleibt, so fern sie im Bewusstseyn zusammentreffen. Was daher eine Vorstellung durch ihre Spannung ge- winnt, das kann nicht Verminderung des ursprünglichen, in der Beschaffenheit der Vorstellungen gegründeten Wi- derstreits seyn (sonst müssten sie ihre Natur ändern), sondern jede Vorstellung gewinnt, so viel sie vermag, über die andern Vorstellungen, die sie um gerade so viel hemmt, als um wie viel sie die Verdunkelung ihres eig- nen Objects im Bewusstseyn abhält. Und weit entfernt, dass die Hemmungssumme in der Spannung eine Gegen- kraft finden sollte, ist sie vielmehr gerade der Ausdruck dieser Spannung selbst, die mit dem Widerstreite iden- tisch ist, so fern derselbe als Summe des activen Strei- tens der einzelnen Vorstellungen betrachtet wird. Tiefer unten wird sich Gelegenheit finden, dieses sowohl, als die entgegenstehende unrichtige Ansicht in mathemati- schen Formeln auszusprechen; da sich denn zeigen wird, dass ganz verschiedene Gesetze des allmähligen Sinkens der Hemmunsgsumme daraus hervorgehn. Endlich wolle man nicht fragen, ob wir uns denn solcher Spannung unsrer Vorstellungen auch bewusst seyen? Nach unsrer ganzen vorstehenden Entwickelung sind die Vorstellungen in so fern kein wirkliches Vor- stellen, als sie sich in ein blosses Streben vorzustellen verwandelt haben, — das heisst mit andern Worten, als sie in Spannung versetzt sind. Unmöglich also kann man diese Spannung im Bewusstseyn unmittelbar antref- fen; oder es müsste ein Bewusstseyn dessen geben, was kein Vorstellen, sondern gerade die Abwesenheit dessel- ben ist. — Unsre Bestrebungen, Begierden u. s. w., de- ren wir uns wirklich bewusst sind, dürfen demnach nicht zu voreilig aus jener Spannung erklärt werden, obgleich sie damit wesentlich zusammenhängen. §. 43. Das Verhältniss der Hemmung ist dasjenige Ver- hältniss, in welchem sich die Hemmungssumme auf die verschiedenen, wider einander wirkenden Vorstellungen vertheilt. Jede Vorstellung behauptet sich, so gut sie kann, unter allen übrigen; sie darf aber nicht als eine ursprüng- lich angreifende, sondern nur als eine widerstehende Kraft betrachtet werden. Es ist hier gleich Anfangs ein mög- licher Irrthum abzuhalten, der zu falschen Berechnungen verleiten würde. Man könnte nämlich glauben: jede Kraft wirke im Verhältniss ihrer Stärke auf die übrigen. Wäre also z. B. die Vorstellung a =2, die Vorstellung b =1, und was von b gehemmt würde = x : so müsse für a =4, das von b Gehemmte =2 x werden, indem die hemmende Kraft verdoppelt sey. Dies ist darum unrich- tig, weil a =4 verhältnissmässig weniger von b =1 ange- griffen wird, als a =2 von dem nämlichen b . Aber a kann nur wirken in so fern es durch das entgegengesetzte dazu getrieben wird. Hätte, zugleich mit a , sich auch b ver- doppelt: dann erst wäre mit der Kraft auch die Reizung, folglich der Effect verdoppelt worden. Gewiss aber widersteht jede Vorstellung dem, zwi- schen den mehrern entstandenen , Gegensatz um so besser, je stärker sie ist. Sie leidet also im um- gekehrten Verhältniss ihrer Stärke . Und jetzt können wir leicht den Gegenstand völlig ins Klare setzen. Drey Betrachtungen müssen gesondert, und wieder verbunden werden. Erstlich: jede Vorstellung wirkt im Verhältniss ihrer Stärke = i . Zweytens: sie wirkt in dem Verhältniss, in wel- chem sie leidet, . Drittens: sie leidet im umgekehrten Verhältniss ihrer Stärke, das heisst, im Verhältniss . Das Verhältniss des Wirkens ist zusammengesetzt aus i und , es ist also allemal =1; und folglich kann man es aus der Rechnung weglassen. Das Verhältniss des Leidens bleibt allein übrig, und bestimmt die Ver- theilung der Hemmungssumme. So ist es bey vollem Gegensatze, wovon wir jetzt reden. Bey minderem Gegensatze bringt dieser noch ei- nen Zusatz in das Verhältniss des Wirkens, wovon tie- fer unten. Bey vollem Gegensatze wirken auf jede ein- zelne Vorstellung alle andern gleich viel, sie mögen wie immer ungleich seyn an Stärke . Um diesen Satz ganz einleuchtend zu machen, wol- len wir von der leichtesten Voraussetzung anfangen. Es seyen also zuvörderst nur zwey Vorstellungen mit einan- der im Conflict, die stärkere = a , die schwächere = b . Die Hemmungssumme, welche die Stärke des Conflicts angiebt, ist nun dasjenige, wovon beyde Vorstellungen leiden. Und zwar leidet a im Verhältniss , b im Ver- hältnisse . Beyde wirken auf dieses Leiden zurück (nur nicht etwan erst hintennach, sondern indem und in so fern sie die Wirkung erleiden,) im zusammengesetz- ten Verhältnisse ihres Leidens und ihrer eignen Stärke, welches und ist, oder =1. Diese Rück- wirkung von a trifft b , und die Rückwirkung von b trifft a; allein beyde Rückwirkungen sind gleich, und heben sich auf; daher das erste Verhältniss, des Leidens von der Hemmungssumme, allein entscheidet. Es seyen jetzt drey Vorstellungen im Conflict; a , b, c , und a \> b , auch a \> c . Von der Hemmungssumme leidet a im Verhältnisse , b im Verhältnisse , c im Verhältnisse . Alle Rückwirkungen sind =1. Jede derselben mag sich gleich vertheilen auf die entgegenste- henden (denn eine besondre Richtung, wider eine viel- mehr als wider die andre, kann sie nicht haben), so wird jeder Theil aufgehoben durch einen ihm gleichen entge- gengesetzten. Um noch sorgfältiger zu gehn, wollen wir die Be- trachtung darin ändern, dass wir die Hemmungssumme bey Seite setzen, die Vorstellungen aber paarweise ins Auge fassen, um nicht bloss jede gegen alle übrigen zu- sammen, sondern jede gegen jede einzelne im Conflict zu beobachten. Erstlich : in dem Conflicte zwischen a und b lei- den beyde, wie vorhin gefunden, in den Verhältnissen und . Wir wissen noch nicht wie viel sie leiden; es sey aber das Leiden von , so ist das von . Zweytens : mit a ist auch c im Conflict. Wofern nun c von a mehr oder weniger leidet als b , so kann dieses nur von dem Verhältnisse b : c herrühren; welches das Verhältniss des Widerstandes bestimmt, den beyde der gleichen Kraft a , und ihrer gleichen Spannung, entgegensetzen. Nach der Proportion ist dasjenige, was c von a leidet. Folglich a von c leidet . Drittens : in dem Conflict zwischen b und c findet man auf doppeltem Wege die Bestimmung für das Leiden eines jeden. Nämlich man weiss schon, wie viel a leidet von b ; daraus findet sich, wie viel c leiden müsse von der nämlichen und gleichgespannten Kraft. Man weiss auch wie viel a leidet von c: daraus findet sich, wie viel b leiden müsse von der nämlichen Kraft. Endlich müssen beyde Resultate einander gegenseitig erproben. Es ist aber , und ; wo die vierten Glieder im umgekehrten Verhältnisse von c und b stehen, wie gehörig. — Fasst man nun alles zu- sammen: so ist das Leiden von , von , von , welche Grössen zusammen der Hemmungssumme gleich seyn müssen, so dass man daraus x finden kann. Zu- gleich ist der obige Satz bewiesen, denn a leidet von b und von c gleich viel, b von c und von a gleich viel, c von b und von a gleich viel. Es würde unverzeihlich seyn, eine so leichte Sache auch noch für vier und mehrere Vorstellungen weitläuftig darthun zu wollen, da der Gang des Beweises klar vor Augen liegt. Es seyen nun Vorstellungen a, b, c , … n gegeben, so sind die Hemmungsverhältnisse . Der Rechnung wegen ist nur zu bemerken, dass hier etwas Combinatorisches eintritt, weil man diese Grössen auf ganze Zahlen wird bringen müssen. Daraus entstehn für a, b, c , die Binionen bc, ac, ab ; für a, b, c, d , die Ternio- nen bcd, acd, abd, abc , u. s. f. Zweytes Capitel . Berechnung der Hemmung bey vollem Gegen- satz, und erste Nachweisung der Schwellen des Bewusstseyns. §. 44. Die Berechnung dessen, was von jeder Vorstellung gehemmt werde, geschieht ohne allen Zweifel durch Pro- portionen, zu welchen die Hemmungssumme das dritte Glied liefert, und deren erste beyde Glieder aus den Hemmungs-Verhältnissen hervorgehn. Es seyen die Vorstellungen a und b gegeben, als wider einander wirkend im Bewusstseyn, und stehend im vollen Gegensatze: so ist, laut voriger Entwickelungen, die Hemmungssumme gleich der schwächeren, oder = b ; das Hemmungsverhältniss wie b : a . Folglich wird man schliessen: wie die Summe der Verhältnisszahlen zu jeder einzelnen Verhältnisszahl, so das zu Vertheilende (die Hemmungssumme) zu jedem Theile; oder Die Verhältnisszahl b gehört (wegen der Umkehrung des Verhältnisses) zu a ; folglich der Rest von und der Rest von Diese Reste sind natürlich nicht abgeschnittene Stücke der Vorstellungen a und b , sondern es sind die Grade der noch übrigen Lebhaftigkeit der Vorstellungen, nach- dem durch die Hemmung der zuvor berechnete Theil des wirklichen Vorstellens ist aufgehoben, und in ein blosses Streben vorzustellen ist verwandelt worden. Es seyen auf eben die Art drey Vorstellungen ge- geben, nämlich a, b, c , worunter a die stärkste, c die schwächste: so ist die H. S. = b + c , das H. V. , , oder bc, ac, ab ; und die Proportionen: woraus die Reste von von von Man sicht leicht, wie dies für vier und mehrere Vor- stellungen fortgeht. Hier einige Berechnungen in Zahlen. Zuerst für zwey Vorstellungen. Es sey a =1, b =1, so ist der Rest von a , von b , Es sey a =2, b =1, so ist der Rest von a , von b , Es sey a =10, b =1, so ist der Rest von a , von b , Es sey a =11, b =10, so ist der Rest von a , von b , . Man sieht, dass die Reste in einem weit grösseren Verhältnisse verschieden sind, als die Vorstellungen selbst. Doch kann der Rest von b niemals = o werden, denn erst für a = ∞ wird der Werth der Formel un- endlich klein. Jetzt für drey Vorstellungen. a = 1, b = 1, c = 1, giebt den Rest von a , = ; von b , = ; von c , = a = 2, b = 1, c = 1, giebt den Rest von a , = ; von b , = ; von c , = Wäre hier, statt b und c , eine einzige Vorstellung von der Stärke b + c vorhanden gewesen: so würde von dieser ein gleicher Rest, wie von a , nämlich von jeder der Rest = 1 geblieben seyn. Im gegenwärtigen Falle bleibt achtmal so viel von a , als von b und von c . So wichtig ist der Unterschied, ob das nämliche Quantum des Vorstellens als Eine Gesammtkraft wirkt, oder ob es in zwey wider einander wirkende Vorstellungen vertheilt ist. — Es sey endlich noch a = 6, b = 5, c = 4, so ist von a der Rest = von b ‒ ‒ = von c ‒ ‒ = Eine Gesammtkraft = b + c , anstatt der beyden Kräfte b und c , hätte hier eine viel kleinere Hemmungssumme ergeben; sie wäre = 6, anstatt jetzt = 9, geworden. Auch würde von a nur wenig, von der Gesammtkraft desto mehr übrig geblieben seyn. Der Rest von b kann auch für drey Vorstellungen nicht = o werden; sonst müsste bbc + abb — acc = o seyn können, welches nicht angeht, weil b nicht kleiner als c seyn soll, folglich entweder abb \> acc , oder doch abb = acc ; so dass immer das Positive überwiegt. Hingegen der Rest von c kann allerdings = o werden; ein sehr wichtiger Umstand, wovon bald ein Mehreres. §. 45. Der Zweck der allgemeinen Formeln kann bey den gegenwärtigen Untersuchungen kein anderer seyn, als, eine Uebersicht über ein ganzes Feld von Möglichkeiten, oder noch genauer, von Erfolgen möglicher Voraussetzun- gen, zu erlangen. Dieser Zweck wird gar sehr durch kleine Tafeln befördert, welche die Werthe der Formeln für angenommene Grundgrössen in Zahlen berechnet darstel- len. Um aber die Arbeit abzukürzen, die solche Tafeln kosten, ist es rathsam, einige, für die Rechnung leichte Fälle herauszuheben, und wo möglich so, dass die übri- gen Fälle als zwischen jene einzuschaltende können ge- dacht werden. Wir wollen damit hier den Anfang machen. Für drey Vorstellungen sey der Rest von a = p , von b = q , von c = r . Man setze erstlich b = c , woraus q = r folgen muss. Man setze zweytens b = a , woraus p = q folgen muss. So findet sich nach gehöriger Rechnung aus den Formeln des vorigen §. für b = c , für b = a , Im ersten Falle sey b = 10, im zweyten c = 10; so kommt 1) 2) Die letzten Werthe des zweyten Täfelchens hängen mit den Schwellen zusammen, wovon weiterhin. §. 46. Es mag nicht unnütz seyn, auch noch der Aufgabe zu erwähnen, rückwärts aus den Resten als gegebenen Grössen die Vorstellungen selbst zu finden. In den Glei- chungen seyen demnach, a , b , c , unbekannt; so bietet sich zuvör- derst, sowohl aus der Natur der Sache als auch aus den Formeln, die Gleichung dar: a = p + q + r . Ferner sey ; so hat man folglich oder Man setze die schon bekannte Grösse a 2 — ap = h , so ist Dass man vor der Wurzelgrösse nur das Zeichen + gebrauchen kann, ist offenbar, indem b und c grösser seyn müssen als ihre halben Reste. §. 47. Aus der Bemerkung, dass der Rest von c negativ werden kann, entwickelt sich der Keim zu sehr weitgrei- fenden Nachforschungen. Die Frage: was ein negativ gewordenes Vorstellen bedeuten könne, ist leicht beantwortet. Es kann gar nichts bedeuten; denn nach vorigen Erörterungen ist das Aeusserte, was einer Vorstellung begegnen kann, dieses, dass sie ganz und gar in ein blosses Streben vorzustellen verwandelt, oder dass der Rest des wirklichen Vorstel- lens = o werde. Die Gleichung r = o setzt daher der Anwendbarkeit der vorigen Rechnungsart eine Gränze; denn ein negatives r ist in unserm Falle so gut als eine unmögliche Grösse. Aus r = o folgt . Wofern c im Ver- hältniss zu b und a kleiner ist, als nach dieser Formel: so ist jede nähere Bestimmung seiner Grösse für die obige Hemmungsrechnung ganz gleichgültig; denn es wird auf allen Fall ganz gehemmt; daher ist sein Antheil an der Hemmungssumme gerade gleich seinem Beytrage zu der- selben, und die stärkeren Vorstellungen theilen ihren Beytrag gerade so, als ob c gar nicht vorhanden gewe- sen wäre. Der Zustand des Bewusstseyns also, in wie- fern er statisch bestimmt werden kann, hängt gar nicht ab von c; — noch viel weniger aber von was immer für noch schwächeren Vorstellungen, deren eine un- endliche Anzahl vorhanden seyn möchte, ohne dass sie im geringsten im Bewusstseyn zu spü- ren seyn würden, so lange dasselbe im Zu- stande des Gleichgewichts aller Vorstellungen wäre und bliebe . Dieser Satz, der sich hier mit der höchsten mathe- matischen Evidenz ergiebt, bietet uns nun den Aufschluss dar über das allgemeinste aller psychologischen Wunder. Wir alle bemerken an uns, dass von unserm sämmtli- chen Wissen, Denken, Wünschen, in jedem einzelnen Augenblicke eine unvergleichbar kleinere Menge uns wirk- lich beschäfftigt, als diejenige ist, welche auf gehörige Veranlassung in uns hervortreten könnte. Dieses abwe- sende, aber nicht entlaufene, sondern in unserm Besitz gebliebene und verharrende Wissen, in welchem Zu- stande befindet es sich in uns? Wie geht es zu, dass es, obschon vorhanden, dennoch nicht eher zur Bestim- mung unseres Gemüthszustandes etwas beyträgt, als bis es uns wieder einfällt? Was kann unsre lebhaftesten Ueberzeugungen, unsre besten Vorsätze, unsre ausgebil- deten Gefühle, manchmal auf lange Zeiten, verhindern wirksam zu werden; was kann ihnen die unglückliche Trägheit beybringen, durch die sie uns der vergeblichen Reue so oft Preis geben? — Andre Gedanken haben uns zu lebhaft beschäfftigt! Dies wissen wir schon aus der Erfahrung. Und dennoch hat man sich lieber bis in die, alle gesunde Metaphysik zerstörenden, Irrlehren, von der transscendentalen Freyheit, und vom radicalen Bösen, verlieren, als den psychologischen Mechanismus, an wel- chem offenbar die Schuld liegen muss, genauer untersu- chen wollen. — Der eben aufgestellte Lehrsatz ist der erste, obgleich noch sehr beschränkte, Anfang der Einsicht in diesen Mechanismus. Zwey Vorstellungen reichen hin, um eine dritte aus dem Bewusstseyn völlig zu verdrängen, und einen von ihr ganz unabhängigen Gemüthszustand her- beyzuführen. Eine allein vermag dies nicht gegen die zweyte ; wie wir oben sahen, indem wir bemerkten, dass der Rest von b niemals = o werden kann. Was aber zwey gegen die dritte vermögen, das leisten sie auch ge- gen eine wie immer grosse Anzahl von noch schwächern Vorstellungen. Fernere Untersuchungen werden lehren, dass ganz ähnliche psychologische Ereignisse auch unter gewissen Umständen Statt haben können, ohne dass die aus dem Bewusstseyn verdrängten Vorstellungen gerade schwächer zu seyn brauchen, als die verdrängenden. Indessen wollen wir schon hier das Allgemeine die- ser Ereignisse mit einem Kunstworte bezeichnen, dessen Gebrauch in der Folge noch oftmals nöthig seyn wird. So wie man gewohnt ist, vom Eintritt der Vorstellungen ins Bewusstseyn zu reden, so nenne ich Schwelle des Bewusstseyns diejenige Gränze, welche eine Vorstel- lung scheint zu überschreiten, indem sie aus dem völlig gehemmten Zustande zu einem Grade des wirklichen Vor- stellens übergeht. Berechnung der Schwelle ist ein verkürzter Ausdruck für Berechnung derjenigen Be- dingungen, unter welchen eine Vorstellung nur noch ver- mag, einen unendlich geringen Grad des wirklichen Vor- stellens zu behaupten; unter welchen sie also gerade an jener Gränze steht. Wie wir vom Steigen und Sinken der Vorstellungen reden: so nenne ich eine Vorstellung unter der Schwelle , wenn es ihr an Kraft fehlt, jene Bedingungen zu erfüllen. Zwar der Zustand, in wel- chem sie sich alsdann befindet, ist immer der gleiche der vollständigen Hemmung; aber dennoch kann sie mehr oder weniger weit unter der Schwelle seyn, je nachdem ihr mehr oder weniger Stärke fehlt, und noch zugesetzt werden müsste, um die Schwelle zu erreichen. Eben so ist eine Vorstellung über der Schwelle , in so fern sie einen gewissen Grad des wirklichen Vorstel- lens erreicht hat. Ist von den Bedingungen die Rede, unter welchen im Zustande des Gleichgewichts eine Vorstellung gerade an der Schwelle steht: so nennen wir die letztere die statische Schwelle. Tiefer unten werden sich auch mechanische Schwellen zeigen, die von den Bewe- gungsgesetzen der Vorstellungen abhängen. Unter den statischen Schwellen befinden sich einige, die von Com- plicationen und Verschmelzungen mehrerer Vorstellungen abhängen: zum Unterschiede von denselben sollen die, welche bloss durch die Stärke und den Gegensatz einfa- cher Vorstellungen bestimmt werden, gemeine Schwel- len heissen. Die erste Art der gemeinen Schwellen ist die bey vollem Gegensatze, welche wir bisber betrachtet, und durch die Formel bestimmt haben. §. 48. Es ist hier der Ort, auf ein paar früher vorgekom- mene Bemerkungen zurückzublicken. Schon im §. 4. ward angegeben, was unter dem Ausdruck: Thatsachen des des Bewusstseyns zu verstehen sey. Im §. 18. war die Rede von dem Unterschiede dessen, was ins Bewusst- seyn kommt, von demjenigen, dessen man sich bewusst ist. Zu dieser Unterscheidung nöthigt der Mangel an Sprache, welchem der Mangel an psychologischen Ein- sichten zum Grunde liegt. Viele nämlich halten das Vor- stellen und das Selbstbeobachten dieses Vorstellens für unzertrennlich; oder sie verwechseln wohl gar eins mit dem andern. Daher wird der Ausdruck: Bewusstseyn, zweydeutig; indem er bald das gesammte wirkliche Vor- stellen, — also das Hervorragen einiger Vorstellungen über die Schwelle, die Erhebung derselben über den ganz gehemmten Zustand, — bald aber die Beobachtung die- ses Vorstellens als des unsrigen , die Anknüpfung des- selben an das Ich, zu bezeichnen gebraucht wird. Wir nehmen hier das Wort Bewusstseyn überall in der ersten Bedeutung; bedienen uns aber für das zweyte der Wen- dung: man ist Sich einer Sache bewusst. Hiemit soll zwar noch nicht über die Frage von den sogenannten bewusstlosen Vorstellungen entschieden werden, oder, wie wir uns ausdrücken würden, von den Vorstellungen, die im Bewusstseyn sind, ohne dass man sich ihrer bewusst ist. Aber, erstlich liegt nach allem Vorstehenden klar vor Augen, dass die Gesetze, nach welchen Vorstellungen ins Bewusstseyn treten, viel frü- her anfangen sich uns zu entdecken, als diejenigen, nach welchen das Ich als das Vorstellende mag aufgefasst wer- den. Die Selbstbeobachtung ist ohne Zweifel etwas un- gleich mehr Verwickeltes, als das blosse Hervortreten über die Schwelle; und muss daher, in der Untersuchung, von diesem ganz gesondert werden. Zweytens bedür- fen wir eines Namens für die Gesammtheit des jedesmal gleichzeitig zusammentreffenden Vor- stellens ; und diese ist es, für welche kaum ein passen- derer Ausdruck als das Wort Bewusstseyn möchte gefunden werden. Sie ist darum so wichtig, weil sie, für jede in ihr zu einem bestimmten Zeitpuncte enthal- I. M tene Vorstellung, die Wirkungssphäre ausmacht; indem alle gleichzeitig in Activität befindliche Vorstellungen sich auf irgend eine Weise gegenseitig afficiren, und zusam- mengenommen den eben jetzt vorhandenen Gemüthszu- stand ergeben. Sollte es übrigens den Sprachgebrauch zu verletzen scheinen, wenn wir von Vorstellungen im Bewusstseyn reden, deren wir uns gleichwohl nicht be- wusst seyen: so wolle man sich erinnern, dass auch selbst die ganz gemeine Sprache durch den Ausdruck: Er ist ohne Bewusstseyn , einen Zustand bezeichnet, der weit verschieden ist von dem, welchem ein Denker oder Dichter sich in dem Maasse nähert, als er, seiner selbst vergessend , sich in seinen Gegenstand wissenschaft- lich oder künstlerisch vertieft. — Im §. 17. bot sich die Gelegenheit dar, an Locke ’s gerechte Verwunderung über die „ narrowness of the hu- man mind “ zu erinnern. Schon jetzt ist soviel sichtbar, dass diese scheinbare Eigenschaft der Seele, nur eine sehr kleine Anzahl von Vorstellungen gleichzeitig in Thätigkeit setzen zu können, und bey dem Wech- sel der Vorstellungen, immer die alten über den neuen fahren zu lassen, ohne sie doch zu verlieren, — gar keine Eigenschaft der Seele, sondern bloss ein noth- wendiger Erfolg der Gegensätze unter unsern Vorstel- lungen ist. In welche Hypothesen würde man wohl gerathen, wenn man dem Gemüthe gleichsam eine enge Pupille beylegen wollte, vielleicht mit irgend einer Iris versehen, die sich nach ihren eignen Gesetzen erwei- terte und zusammenzöge? — Aus dem obigen ist klar, dass das Quantum dessen, was im Gleichgewichte bey- sammen seyn kann im Bewusstseyn, gar kein allgemei- nes Gesetz hat, sondern in jedem einzelnen Falle von der Stärke und den Gegensätzen der zusammen- treffenden Vorstellungen abhängig ist. Von physiolo- gischen Einflüssen, welche dieses einigermaassen modifi- ciren, und der Aehnlichkeit mit jener Pupille um ein we- niges näher bringen können, reden wir hier noch nicht. §. 49. Die Wichtigkeit des Gegenstandes fordert uns auf, einige berechnete Werthe der so einfachen Schwellen- formel vorzulegen. Wir verbinden damit eine Betrachtung über die zugehörigen Reste von a und von b . Aus der Gleichung des §. 46. ist bekanntlich die Formel gefunden wor- den. Anstatt diesen Werth von c in die dortigen Glei- chungen für p und für q zu substituiren: nehme man die weiterhin im angeführten §. vorkommende Gleichung wo h = a 2 — ap . Für r = o ergiebt sich hieraus oder c 2 = a 2 — ap , oder ap = a 2 — c 2 = ( a + c ) ( a — c ). Fer- ner ist jetzo a = p + q , und , woraus Dies giebt eine sehr fassliche Relation zwischen q , dem Rest von b , und a , der stärksten der drey Vorstel- lungen, und c , wenn es seinen Schwellenwerth hat. Man kann sich q als beständige Grösse, als den Parameter einer Parabel vorstellen, so gehört eine stetige Folge von Werthen für c und a zusammen, wie Ordinaten und Abscissen vom Scheitel auf der Axe genommen. Da a nicht \< b , so fängt dies an von a = b , wofür a einen Werth erhält, der von q abhängt (nämlich a = 2 q , aus ei- ner gleich folgenden Formel), und alsdann geht es fort bis a = ∞ (wofür b und c unendliche von der Ordnung ½ werden, indem . M 2 Aus a = p + q und wird ferner , oder ; gleich der Formel im §. 44.; wie gehö- rig, weil a und b nur die Hemmungssumme b zu theilen haben, sobald c auf der Schwelle ist. Will man also alle zusammengehörige Grössen auf einmal berechnen: so ist es bequem, für willkührlich an- genommene a und b zuerst , dann p = a — q und zu berechnen. Beyspiele können wir anknüpfen an die im §. 44. berechneten Reste für zwey Vorstellungen, indem wir nur die Schwellenwerthe für eine dritte Vorstellung hinzufü- gen dürfen. Eine etwas mehr zusammenhängende Reihe von Schwellenwerthen für c folgt in diesem Täfelchen; wel- ches unter der beständigen Voraussetzung b = 1 berech- net ist: Es versteht sich, dass wenn statt der Zahl 1 ein an- drer Werth für b gesetzt wird, dann die übrigen Zah- len in gleichem Verhältnisse wachsen müssen. So wenn b = 10, wird a = 11 anstatt 1,1; und c = 7,237 anstatt 0,7237; wie das vorige Täfelchen zeigt. §. 50. Will man nun die Hemmungsrechnung des §. 44. auf angenommene Grössen von drey Vorstellungen an- wenden: so muss man zuvor nachsehn, ob nicht die Anwendbarkeit der Rechnung dadurch verändert wird, dass die schwächste der drey Vorstellungen neben den andern unter die Schwelle sinken muss? in welchem Falle die Rechnung gleich Anfangs bloss auf die beyden stär- keren zu beziehen ist. Z. B. es mögen sich die Vorstellungen ihrer Stärke nach verhalten wie 1, 2, 3. Um hier das vorstehende Tä- felchen anzuwenden, dividire man die gegebenen Zahlen durch 2, damit b = 1 werde. So ist ; und c = 0,5. Nun zeigt das Täfelchen, dass schon c = 0,77 … neben a und b zur Schwelle sinken würde; es fehlt also viel, dass c = 0,5 hier in Rechnung kommen könnte. Die Hemmungsrechnung geht nach der Formel für zwey Vor- stellungen, sie giebt den Rest von , und von . Das Beyspiel zeigt den Nutzen, ja beynahe die Un- entbehrlichkeit von Schwellentafeln. Zum Unglück hän- gen in der Wirklichkeit die Schwellen von so manchen, höchst verwickelten Bestimmungen ab (wie sich bald mehr und mehr zeigen wird), ja auch die allgemeinen Formeln, die sich noch finden lassen, sind so zahlreich und zum Theil so schwer zu gebrauchen, dass nicht wenig Geduld dazu gehören wird, wenn jemals der speculativen Psycho- logie diese Art von Hülfsmitteln soll geschafft werden. Indessen ist es schon ein grosser Gewinn, sich nur rich- tige Begriffe über diese Gegenstände zu erwerben, und im Allgemeinen die Möglichkeit und die Gesetze zu über- schauen, nach denen in der Seele sich etwas ereignet und ereignen kann. In der gegenwärtigen Grundlegung können wir über- dies an vollständige Ausführungen nicht denken. Nur er- wähnen wollen wir daher der Schwellen für mehr als drey Vorstellungen. §. 51. Es seyen gegeben die Vorstellungen a , b , c , d , ge- ordnet, wie wir stets annehmen, nach ihrer Stärke von der stärksten zur schwächsten. So ist die Hemmungs- summe = b + c + d , die Hemmungsverhältnisse sind bcd : acd : abd : abc , und der Rest von d : Aus s = o folgt Eben so würde man für fünf Vorstellungen a , b , c , d , e , den Rest von e , oder t finden. und aus t = o , Der Vergleichung wegen wollen wir die schon be- kannte Formel so schreiben: so wird das Gesetz des Fortgangs so klar vor Augen lie- gen, dass jeder Zusatz überflüssig wäre. Es seyen nun alle Vorstellungen, ausser der jedes- maligen schwächsten, = 1. So geben die Schwellenfor- meln welche Reihe sich der Zahl 1 unendlich nähert. Also je- mehr Vorstellungen, desto weniger darf die schwächste, um nicht auf die Schwelle zu sinken, von den stärkeren entfernt seyn. Dies gilt um so gewisser, wenn die übri- gen Vorstellungen verschieden sind. Denn es wachse a , so bleibt die Hemmungssumme gleich, aber a trägt weni- ger davon, und wirft desto mehr auf die schwächeren Vorstellungen. Es wachse auch b , so vermehrt sich so- gar die Hemmungssumme, und die schwächeren müssen um so eher unterliegen. Die Möglichkeit, dass mehr als drey Vorstellungen im Bewusstseyn zusammen bestehen könnten, scheint hiernach in sehr enge Gränzen eingeschlossen. Allein dies gilt bloss für vollen Gegensatz, und wird überdies noch durch manche Umstände modificirt. Drittes Capitel . Abänderungen des Vorigen bey minderem Gegensatze. §. 52. Zwar das Princip zur Bestimmung der Hemmungs- summe, dessen wir uns im §. 42. bedient haben, wird uns auch hier nicht verlassen, wo wir die erleichternde Voraussetzung des vollen Gegensatzes entbehren, und zwischen jedem Paare von Vorstellungen jeden möglichen Grad des Gegensatzes gestatten sollen. Immer werden wir Eine Vorstellung als ganz ungehemmt denken müs- sen, um nachzusehn, wie viel nun von den übrigen zu- sammengenommen müsse gehemmt werden; und immer werden wir diejenige Vorstellung auszuwählen haben, welche, damit sie selbst ungehemmt bleibe, den übrigen die kleinste Hemmung auferlege. Allein das Geschäfft dieser Auswahl führt eine lästige Weitläuftigkeit mit sich; die wir jedoch der Genauigkeit wegen wenigstens kennt- lich machen müssen. Zuvörderst ist zu bemerken, dass die frühere sehr einfache Weise, die bey vollem Gegensatze ausreicht, immer anwendbar ist, so oft alle Vorstellungen in allen Paaren, die aus ihnen genommen werden können, nur einerley Grad des Gegensatzes haben. — Unter zwey Vor- stellungen a und b , wo a \> b , sey der Gegensatz = m , welches, wenn nicht = 1, allemal ein ächter Bruch ist (§. 41.), so ist die Hemmungssumme = mb ; welches man findet, indem a ungehemmt gedacht wird. Denn b un- gehemmt, hätte ma zur Hemmungssumme gegeben, wel- ches grösser ist als mb . — Unter drey Vorstellungen, a , b , c , wenn die Paare a und b , b und c , a und c , im- mer einerley Gegensatz m mit sich führen, denke man die stärkste, a , ungehemmt, so ergiebt sich die H. S. = mb + mc. b ungehemmt, gäbe ma + mc; c ungehemmt, gäbe ma + mb; immer eine grössere Hemmung, als die Vorstellungen ihrer Natur nach nothwendig fordern, und als ihr Aufstreben zulassen wird. — Wie viele nun der Vorstellungen seyn mögen, — es seyen ihrer a + b + c + … + n , — immer denke man die stärkste, a , unge- hemmt, so ist, für den durchgängigen Hemmungsgrad = m , die H. S. = m ( b + c + … + n ). Bey verschiedenem Grade der Hemmung aber, für drey Vorstellungen a , b , c , giebt es drey Paare, ab , ac , bc , und folglich drey Hemmungsgrade, deren stärksten wir m , den mittlern n , den schwächsten p nennen wollen. Es soll noch nicht entschieden werden, welchem unter den Paaren jeder von ihnen zugehöre; vielmehr, da jeder in jedem Paare statt finden kann, giebt es Versetzungen der Hemmungsgrade zwischen den Vorstellungen, oder, wenn man will, der Vorstellungen zwischen den Hem- mungsgraden. Dieser Versetzungen sind an der Zahl sechs; und jede von ihnen bildet einen besonderen Fall zur Untersuchung der H. S. Man kann diese Fälle be- quem durch Dreyecke andeuten, in deren Winkelpuncte man die Verhältnisszahlen für die Vorstellungen setzt, und deren Seiten den Hemmungsgraden proportional sind. Die beyden ersten Fälle haben den stärksten Gegen- satz zwischen den schwächsten Vorstellungen; die beiden folgenden zwischen der stärksten und schwächsten; die beyden letzten zwischen den stärksten. Was die Hemmungsgrade selbst betrifft, so gilt für sie ein ähnliches Gesetz, wie für die Seiten eines Drey- ecks. Ihrer zwey zusammengenommen dürfen nicht kleiner seyn als der dritte . Denn der Ueber- gang aus einer Vorstellung zu einer andern durch alle zwi- schenliegenden Verschiedenheiten kann wohl kleiner, aber er braucht nicht grösser zu seyn, als die Summe zweyer Uebergänge von der ersten zu einer dritten, und von die- ser zu jener andern; jeder grössere Weg ist gewiss ein Umweg, der den wirklich zwischenliegenden Ver- schiedenheiten etwas fremdartiges beymischt. — Ich finde nicht nöthig, die Begriffe über diesen Punct, der eine Art von geometrischer Evidenz besitzt, hier mehr aufzuklären; welches in die allgemeine Metaphysik zurückführen würde, indem es mit der Construction des intelligibelen Raums zusammenhängt. Beyspiele werden kaum nöthig seyn; man wird nicht in Versuchung gerathen, etwan , , und daneben m , welches höchstens = seyn kann, = 1 zu setzen. Wichtiger ist es vielleicht, an die Natur unserer einfachen sinnlichen Vorstellungen zu erinnern. Die Töne bilden ein Continuum von nur Einer Dimen- sion, welches wir die Tonlinie nennen wollen Nicht zu verwechseln mit Tonleiter , die nur einzelne Puncte jener Linie enthält. . Ist von ihnen die Rede, so ist allemal p + n = m . Hingegen schon die Vocale bilden ein Continuum von wenigstens zwey Dimensionen, denn der Uebergang vom U zum I geht gewiss nicht nothwendig durch A , sondern gerade durch Ü; obgleich auch der Umweg durch O , A und E möglich ist. Die Farben haben ebenfalls zum wenigsten zwey Dimensionen, indem schon Roth, Blau und Gelb, paarweise genommen, eine Folge von Nüançen in gera- der Linie zwischen sich einschliessen, und alle drey in der That ein gleichseitiges Dreieck zu bilden scheinen, in welchem jedoch weder Weiss noch Schwarz, noch selbst, wie es scheint, das reine Braun mit eingeschlos- sen liegt. Für Farben daher kann man gewiss p = n = m setzen, welches bei Tönen unmöglich ist. — Hingegen wird man, wofern vier Vorstellungen von Farben zusam- men zu nehmen sind, sich hüten müssen, der vierten ihre Gegensätze gegen alle drey andre willkührlich anzuweisen, indem auch hier, wie beim vierten Puncte auf einer Flä- che, aus zweyen Gegensätzen und gleichsam Distanzen, der dritte von selbst folgt. Dies unter der Voraussetzung, dass man nicht noch eine dritte Dimension für die Far- ben rechtfertigen könne, oder dass man wenigstens in dem vorhandenen Falle von dieser dritten Dimension nicht Gebrauch gemacht habe. Es scheint zwar eine dritte Dimension vorhanden zu seyn, nämlich in dem Gegensatz des Hellen und Dunkeln, welches, auf die Mitteltinte aller übrigen Farben bezogen, Weiss, Grau und Schwarz ergeben dürfte; während doch auch alle rei- nen Farben bei den Extremen der Verdunkelung oder Erhellung in Schwarz und Weiss überzugehn pflegen. Allein eben aus diesem letztern Grunde laufen wir hier Gefahr, die Intensität der Vorstellungen (den Unter- schied des a , b , c ) zu verwechseln mit ihrer specifischen Verschiedenheit (dem m , n , p ). Indem wir nun die Hemmungssumme für die un- terschiedenen sechs Fälle aufsuchen, werden uns die ersten beyden nicht lange zweifelhaft lassen. Offen- bar ist für den Fall I. die Hemmungssumme = pb + nc , ‒ ‒ ‒ II. ‒ ‒ ‒ = pc + nb . Beydemale wird hier a ungehemmt angenommen, welches nicht bloss selbst am stärksten, sondern hier zugleich von den schwächsten Gegensätzen umgeben ist. Aber für den Fall III. ist die H. S. entwed. pa + nc , oder mc + pb . Jene findet sich unter der Voraussetzung, dass b unge- hemmt, diese, dass a ungehemmt sey. Zwischen beyden kann man nicht im Allgemeinen, sondern nur in beson- dern Fällen entscheiden, weil zwar pa \> pb , aber zu- gleich nc \< mc . Für den Fall IV. ist die H. S. entweder pc + na oder mc + nb wo zwar pc \< mc , aber na \> nb . Für den Fall V. ist die H. S. entweder pa + nb oder mb + pc wo zwar pa \> pc , aber nb \< mb . Der letzte Fall endlich ist der schwierigste. Denn für den Fall VI. ist die H. S. entweder pb + na oder ma + pc oder mb + nc wo keine der drey Angaben vor der andern einen im All- gemeinen zu erkennenden Vorzug besitzt. Sind die Grö- ssen in Zahlen gegeben, so versteht sich, dass man in al- len Fällen die kleinste sogleich herausfinden werde. In allgemeinen Rechnungen aber entsteht hieraus eine Un- bequemlichkeit, indem sie oft nur bis auf einen gewissen Punct vollführt werden können, über welchen hinaus man sich auf die Unterscheidung der möglichen Fälle einlas- sen muss. — Diese Unbequemlichkeit vermindert sich um etwas durch die Bemerkung, dass nur in zweyen Anga- ben, beym Fall V. und VI., c in der Hemmungssumme fehlt. Diese kann man als Ausnahmen betrachten, und dagegen als Regel annehmen, dass c sich in der H. S. befinde. Wer noch Erläuterungen wünscht, der versuche im Fall III. anzunehmen, dass c ungehemmt bleibe. Daraus wird folgen, dass a und b so weit sinken müssen, als es ihr Gegensatz gegen c mit sich bringt. Also wird die Hemmungssumme = ma + nb . Man vergleiche hiemit die obigen Angaben. Die erste, unter der Voraussetzung, b sey ungehemmt, war pa + nc ; diese ist allemal kleiner als jene, denn pa \< ma , und nc \< nb . Schon hieraus folgt, dass die Angabe ma + nb ganz unstatthaft ist; und die andre Vergleichung mit mc + pb ist nicht mehr nöthig. Auf ähnliche Weise ist im Fall V. die Annahme, b sey ungehemmt, ausgeschieden; sie hätte gegeben: H. S. = ma + nc , welches verglichen mit mb + pc allemal grö- sser, und also unbrauchbar ist. Und so sind auch die übrigen unstatthaften Annahmen ausgeschlossen worden. Auf die Hemmungssummen für mehr als drey Vor- stellungen werden wir uns nicht einlassen. Die abschrek- kende Weitläuftigkeit der Untersuchung, auf die man aus dem Vorstehenden schliessen kann, einerseits, und die mindere Wichtigkeit der Sache andrerseits, wird dies entschuldigen. Natürlich kommt bey mehr als drey Vor- stellungen das Meiste immer auf die drey stärksten an. Sucht man für diese die Hemmungssumme, und addirt dazu, für jede der schwächeren, denjenigen ihrer Gegen- sätze gegen jene drey, welcher der stärkste ist, und also die geringeren in sich fasst: so wird man schwerlich ei- nen bedeutenden Rechnungsfehler begehn können. Au- sserdem giebt die oben erwähnte Voraussetzung eines durchgängig gleichen Hemmungsgrades aller Vorstellun- gen unter einander, immer einen Gesichtspunct ab, von wo aus man sich unter den übrigen möglichen Fällen orientiren kann. Diesem analog ist der Fall, wo alle Vor- stellungen gleich stark, aber die Hemmungsgrade ver- schieden sind. Hier hebe man zuvörderst diejenigen drey Vorstellungen heraus, welche unter einander die grösste Hemmungssumme bilden. Eine darunter wird bey Be- stimmung der H. S. als ungehemmt betrachtet werden; dieser gegenüber denke man sich die sämmtlichen übrigen als sinkend nach ihrem Hemmungsgrade, und addire, was herauskommt, zur Hemmungssumme der herausgehobenen drey. Das Gesagte wird für unsre gegenwärtigen Zwecke völlig hinreichen. §. 53. Die Bestimmung des Hemmungsverhältnisses bey minderem Gegensatz ist noch bey weitem schwieriger, als die der Hemmungssumme, falls dabey auf alle Um- stände, die vorkommen können, soll Rücksicht genom- men werden. Die Angabe derselben gehört in die fol- genden Capitel; hier werden wir nur das Leichteste, All- gemeinste, und was die Grundlage der Untersuchung bil- det, in Betracht ziehn. Zuerst müssen die Ueberlegungen des §. 43. zurück- gerufen werden. An der Stelle, wo dort gesagt wurde, jede Vorstellung wirke im Verhältniss ihrer Stärke , ist jetzt hinzuzufügen: und im Verhältnisse ihres Gegensatzes . Daher leidet nun auch jede Vor- stellung nicht bloss im umgekehrten Verhältniss ihrer Stärke, sondern sie leidet von jeder andern nach dem Hemmungsgrade, den sie gegen diese andre bildet. Bey zweyen Vorstellungen hebt dieses sich auf, aber nicht so bey mehrern. Für a und b , und den Hemmungsgrad m , sind die Hemmungsverhältnisse , , oder , . Aber für drey Vorstellungen, und drey Hemmungsgrade, müs- sen wir die Sache etwas genauer betrachten. Wir gehn zurück zu den oben unterschiedenen sechs Fällen, wiewohl nur, um uns der dortigen Bezeichnung zu bedienen, denn der Unterschied der Fälle selbst kommt hier nicht in Anschlag. Beyspielshalber nehme man den Fall I. Hier leidet a von b und von c . Laut §. 43. würde es von beyden gleich viel leiden, wenn der Gegen- satz voll wäre. Jetzt leidet es weniger, von b im Ver- hältniss p , und von c im Verhältniss n . Also ist sein Leiden überhaupt durch die Verhältnisszahl zu be- stimmen, wenn wir auf ähnliche Weise das Leiden von b durch , und das von c durch ausdrücken. Es ist nun leicht, die sechs Fälle zu durchlaufen. Jeder bekommt sein eignes Hemmungsverhältniss, aber nur nach einerley Regel, indem man für jede Vorstellung die ne- benstehenden Hemmungsgrade addirt , und dar- aus den Zähler eines Bruches bildet, welchem die eigne Stärke der Vorstellung zum Nenner dient. Dies ist al- les, was für jetzt von den Hemmungsverhältnissen kann gesagt werden; auch ist es auf mehr als drey Vorstellun- gen leicht auszudehnen. §. 54. Wir dürfen nur das Vorhergehende zusammenstel- len, um die Hemmungsrechnung anzuordnen. Es seyen gegeben die beyden Vorstellungen a und b , der Hemmungs- grad m , so hat man ist der Rest von a , ist der Rest von b . Beyde Reste zusammen sind = a + (1 — m ) b , wo- von man, wenn der eine in Decimalbrüchen schon be- rechnet ist, denselben nur abziehn darf, um den andern zu finden. Beyspiele: a =1, b =1, m = , giebt p = , q = =0,75 a =1, b =1, m = , giebt p = , q = =0,875 a =1, b =1, m = , giebt p = , q = =0,625 a =2, b =1, m = , giebt p =11/6=1,833.., q = =0,666.. a =2, b =1, m = , giebt p =1,916.., q =0,833.. für a =∞ wird p = a, q =(1— m ) b . Für drey Vorstellungen nehme man die Hemmungs- summe aus §. 52., und nenne sie S ; die Hemmungsver- hältnisse aus §. 53.; auch nenne man die Zähler der Brüche, wodurch die Verhältnisse bezeichnet werden, ε, η, ϑ ; so sind ganz allgemein die Verhältnisszahlen = ; oder bcε, acη, abϑ ; und die Rechnung steht so: woraus sich die Reste durch gehörigen Abzug ohne Mühe finden. — Man weiss schon, dass für den Fall I., ε = p + n, η = p + m, ϑ = m + n; für den Fall II., ε = p + n , η = m + n, ϑ = m + p; für den Fall III., ε = p + m , η = p + n, ϑ = m + n , u. s. f. Die Werthe von ε, η , ϑ , liegen zwischen 0 und 2. Für durchgängig gleiche Hemmungsgrade, oder für p = m = n , folglich ε = η = ϑ , fallen diese Grössen aus den Verhältnisszahlen heraus, und bleiben nur noch in der Bestimmung von S zurück; daher verhalten sich als- dann die Theile, welche gehemmt werden, zu den ent- sprechenden im §. 44., gerade wie S :( b + c ). §. 55. Die Berechnung der Schwelle für die schwächste der drey Vorstellungen stützt sich hier auf die Gleichung: oder c 2 ( bε + aη )+ abϑc = abϑS , wobey man nicht vergessen darf, dass S in der Regel noch c enthält, also die Gleichung nicht so geradezu kann aufgelöset werden. Wir wollen hier c =1 setzen, indem wir es als den beständigen Maassstab der übrigen Grössen ansehn, und aus ihm die zugehörigen b und a berechnen. Auch sey , welches also das Verhältniss zwischen a und b andeutet, und uns die Substitution a = κb verschafft, wodurch die Gleichung zur Division mit b vorbereitet wird. So kommt oder Bekanntlich liegen die Werthe von a zwischen b und ∞, also die von κ zwischen 1 und ∞. Und da S , nach §. 52., meistens b und c , jedes mit einem Hemmungs- grade multiplicirt, enthält, so sey S = σb + τc , oder weil c =1, S = σb + τ ; alsdann ergiebt sich für a = b , oder woraus ( A ) für a =∞, also κ =∞, woraus ( B ) Diese Gleichungen sind für die Bestimmung der Schwellen wichtig, indem sie dieselben in ihre Gränzen einschliessen. Wenn a = b beyde kleiner sind, als die Gleichung A anzeigt, so sey übrigens ihre Grösse wel- che sie wolle, sie können c =1 nicht auf die Schwelle bringen. Wenn b allein, kleiner ist als die Gleichung B angiebt, so sey a so gross es wolle , es bringt doch nicht nicht c =1 auf die Schwelle. Wenn endlich b (folglich auch a ) grösser ist, als die Gleichung A bestimmt, so ist c =1 allemal unter der Schwelle, b und a mögen übri- gens seyn was sie wollen. Die beyden Gränzen für b liegen, wie die Formeln zeigen, sehr nahe beysammen. Ihr ganzer Unterschied hängt ab von ε , welches in dem zweyten Theile der Wur- zelgrösse einmal zugegen ist, das andremal fehlt. Da ε , als Summe zweyer ächten Brüche, höchstens =2 seyn kann, so müsste ϑ oder σ sehr klein seyn, wenn der Unterschied bedeutend werden sollte. Wir haben die Gültigkeit dieser Formeln auf die Voraussetzung beschränkt, dass b und c in der Hem- mungssumme sich befinden. Falls statt dessen a und c in ihr vorkommen, behält dennoch S die Form σb + τ , nur muss alsdann σ zugleich κ einschliessen. Nämlich es sey die H. S. πa + τc , so ist dieses = πκb + τc , wegen a = κb; nun lasse man in diesen Fällen πκ = σ seyn, so passen auch jetzt die nämlichen Formeln. — Man denke aber nicht, dass σ darum eine grosse Zahl werden könne. Denn obschon κ bis zum Unendlichen wachsen kann: so wird doch a , wenn es einigermaassen gross ist, niemals in der Hemmungssumme vorkommen. Nur die beyden Fälle, wo c in der Hemmungssumme fehlt, nöthigen uns zu einer neuen Rechnung. Für die- selben sey S = πa + τb = b ( πκ + τ ), so wird, wenn πκ = σ ), aus jetzt für κ =1, woraus . Es ist aber in beyden hieher gehörigen Fällen σ + τ = p + n = ϑ , daher die eben gefundene Formel noch ein- facher so zu schreiben ist: I. N . ( C ) Dies ist die eine Gränze, über welche b nicht stei- gen darf, wofern c =1 nicht auf jeden Fall unter der Schwelle seyn soll. Die andre Gränze, unter welcher b nicht seyn darf, muss aus den vorigen Formeln entnom- men werden. Denn wenn a =∞, gehört es gewiss nicht selbst zur Hemmungssumme. Demnach ist die Formel B ganz allgemein, und zwar in der ersten Bedeutung von σ ; nur die Formel A erleidet zuweilen die angegebene Abänderung des Werths von σ , und in seltnen Fällen tritt in ihre Stelle die Formel C . §. 56. Nimmt man durchgängig gleiche Hemmung an, also p = n = m , und ε = η = ϑ , auch σ = τ = m , so verschwin- det aller Unterschied der sechs Fälle; a kann in der H. S. nicht vorkommen, und die Gleichungen A und B verwandeln sich in folgende: für a = b , für a =∞, Hieraus ergiebt sich in Zahlen folgendes: soll c =1 auf die Schwelle gebracht werden, so ist Hier nimmt die Differenz der zusammengehörigen Werthe zwar immer zu; aber im Verhältniss gegen die Zahlen selbst sehr stark ab. Wie die Voraussetzung des durchgängig gleichen Gegensatzes in der Mitte aller Fälle liegt, und zugleich für die Rechnung eine Bequemlichkeit mit sich führt: so giebt es noch ein paar andre Arten, etwas Mittleres zwi- schen zwey Fällen hervorzuheben. Man kann η = ϑ , und zugleich σ = τ setzen, wodurch sich die Gleichung B in verwandelt: Erstlich , wenn man in den Fällen I. und II., p = n setzt, wodurch der Unterschied dieser Fälle aufgehoben wird. Denn im Fall I. ist η = p + m, ϑ = m + n, σ = p, τ = n , im Fall II. ist η = m + n, ϑ = m + p, σ = n, τ = p . Zweytens , wenn man in den Fällen IV. und VI., m = n setzt, wodurch der Unterschied dieser Fälle, wenig- stens in Beziehung auf a =∞, also auf die Gleichung B verschwindet. Denn hier kann nur diejenige Angabe der H. S. brauchbar seyn, in welcher kein a vorkommt. Dies vorausgesetzt, findet sich im Fall IV., η = p + n, ϑ = m + p, σ = n, τ = m , im Fall VI., η = p + m, ϑ = n + p, σ = m, τ = n , wo wiederum für n = m der Unterschied wegfällt. In den Fällen I. und II. wird also , in den N 2 Fällen IV. und VI. aber für a =∞. Beydes sind die niedrigsten Werthe, welche b haben darf. Aber je- ner ist grösser als dieser. Sehr natürlich, denn die Hem- mungssumme ist in jenen Fällen kleiner, daher muss b mehr Kraft besitzen, um c zur Schwelle zu treiben. — Aber die Gleichung p = n macht auch die sämmt- lichen Fälle I. II. III. und IV. einander gleich in Hinsicht der Gränzformel A . Denn diese Formel beruhte auf der Annahme a = b; dafür aber werden die Hemmungssum- men alle = p ( b + c ), also wiederum σ = τ , und auch die Summe ε + η bleibt sich gleich, während ϑ für sich über- all gleich ist. Ob es sich belohnen könne, den verschiedenen Werthen, welche die gefundenen Formeln anzunehmen fähig sind, noch genauer nachzugehn: dies lässt sich im Allgemeinen nicht entscheiden. Vielleicht wird man künf- tig entdecken, dass zur Erklärung gewisser, in der Erfah- rung vorkommenden Phänomene, auch die feinsten Unter- schiede, deren Möglichkeit in den Formeln liegt, müssen berücksichtigt werden. Hier mag noch ein kurzes Rechnungs-Beyspiel Platz finden. Man nehme, der Bequemlichkeit wegen, die Hem- mungsgrade als gegeben an; es sey ; und hieraus für den ersten Fall ; auch . Nun suche man zuerst die Gränzen für b . In §. 55. giebt die Gleichung A, b =3,57 … die Gleichung B giebt b =3,05. Zwischen diesen beyden Werthen muss man b annehmen, damit c =1 auf der Schwelle sey; welches für ein kleineres b nicht möglich wäre, wie stark auch a seyn möchte; für ein grösseres sich von selbst verstände, oder eigentlich wäre dann c nicht auf , sondern unter der Schwelle. Gesetzt dem- nach, b sey =3,1; so giebt die Formel , κ =11,4; folglich a =35,3… Hingegen sey b =3,5, so wird κ =1,19.. und a =4,16… Länger wollen wir hie- bey nicht verweilen; indem wichtigere Untersuchungen bevorstehn. Viertes Capitel . Von den vollkommenen Complicationen der Vorstellungen. §. 57. Die Voraussetzungen, deren Folgen wir bisher auf- gesucht haben, waren so einfach, dass die mannigfaltig verwickelten Zustände des Bewusstseyns ihnen selten ge- nau entsprechen können. Aber eben so hebt auch die Statik der Körperwelt von Untersuchungen an, die auf die Wirklichkeit nicht vollkommen passen. Der einfache He- bel, ohne eigne Masse und Schwere, die Bewegung fallender und geworfener Körper im luftleeren Raume, der Schwer- punct von mathematischen Flächen und Curven, — alles dies sind Gedankendinge, die dennoch in der Wissen- schaft den Vortritt haben vor den realen Gegenständen, weil sich an jenen besser als an diesen die Elemente der Wissenschaft nachweisen lassen. — In der Psychologie können wir bey dem Mangel oder doch der Schwierigkeit bestimmter Beobachtungen weniger darauf ausgehn, ir- gend ein wirkliches und individuelles geistiges Ereigniss genau zu erkennen und zu erklären: als die einfachen Gesetze einzusehen, deren höchst mannigfaltige Verflech- tung die Wirklichkeit bestimmt. Doch es ist nicht nö- thig, über das Voranstellen der abstractesten Voraus- setzungen demjenigen ein Wort zu sagen, der von irgend einem Theile der angewandten Mathematik auch nur oberflächliche Kenntniss hat. — Das grosse Princip, welches minder offenbar schon die bisherigen Untersuchungen leitete, und immer klärer die folgenden bestimmen muss, ist die Einheit der Seele . Darum, weil die Vorstellungen alle in Einem Vorstellen- den als Thätigkeiten (Selbsterhaltungen) desselben bey- sammen sind, müssen sie Ein intensives Thun ausmachen, sofern sie nicht entgegengesetzt und nicht gehemmt sind. Eben darum auch müssen sie sich hemmen, in so weit ihr Gegensatz es mit sich bringt. Weder unangefoch- ten , noch unvereinigt können sie bleiben; das erste haben wir bisher betrachtet, das zweyte müssen wir jetzt suchen, allmählig in seinen nähern Bestimmungen ken- nen zu lernen. Eben dadurch werden wir die abstracten Voraussetzungen mehr und mehr dem Wirklichen anzu- passen im Stande seyn. Zuerst muss hier hingewiesen werden auf die ver- schiedenen Continua, welche durch ganze Classen von Vorstellungen gebildet werden. Die sämmtlichen Farben ergeben Ein Continuum, die Gestalten ein anderes; die Töne machen ein drittes; die Vocale ein viertes, selbst die Consonanten können wenigstens zusammengestellt werden; an Gerüche, Geschmäcke, Gefühle ist kaum noch nöthig zu erinnern. Auch lehrt die Erfahrung, dass zwar verschiedene Vorstellungen aus Einem Continuum einan- der entgegengesetzt sind, aber nicht Vorstellungen aus verschiedenen Continuen. Die Farbe hemmt nicht die Vorstellung des Hörbaren, vielmehr das hörbare Wort, die sichtbare Schrift, und ein von beyden ganz verschie- dener Gedanke, der aus mancherley, durch verschiedene Sinne wahrgenommenen Eigenschaften irgend eines Dinges zusammengesetzt ist, alles dies tritt in eine Verbindung, die unerklärlich wäre, wenn die grossen Verschiedenhei- ten so heterogener Vorstellungen für hemmende Gegen- sätze zu halten wären. Aus dieser Erfahrung, deren genauere Prüfung und gehörige Beschränkung nicht dieses Orts ist, wollen wir hier bloss den, schon a priori wenigstens möglichen, Ge- danken herausheben, dass es mehrere Continuen von Vor- stellungen geben könne, aus deren einem in das andere kein hemmender Gegensatz hinübergreife, während inner- halb eines jeden alles Mannigfaltige in bestimmten Hem- mungsgraden einander im Bewusstseyn verdunkele. Nun muss alles gleichzeitige wirkliche Vorstellen, we- gen seiner Durchdringung in der Einheit des Vorstellen- den, sich vereinigen, so weit die Hemmung es nicht hin- dert. Hier ist sogleich offenbar, dass es zwey ganz verschiedene Arten der Vereinigung geben müsse, je nachdem ein paar Vorstellungen entweder aus einerley Continuum sind, oder aus verschiedenen. Im ersten Falle werden sie nach dem Grade ihrer Ungleichheit sich hem- men, und sich nur so weit vereinigen, als die Hem- mung es zulässt. Im andern Falle ist zwischen ihnen keine gegenseitige Hemmung, sie können sich also gänzlich verbinden. Zwar auch im letztern Falle wird eine zufällige Hem- mung die Verbindung beschränken können. Es seyen die Vorstellungen a und α gleichzeitig im Bewusstseyn, wo die Verschiedenheit der zur Bezeichnung gewählten Al- phabete auf Vorstellungen aus verschiedenen Continuen hinweis’t: sind nun noch andere Vorstellungen, b, c, β, γ , gegenwärtig, so wird a durch b und c, α durch β und γ gehemmt; und um so viel als die Hemmung beträgt, die Möglichkeit der Vereinigung von a und α vermindert. Denn das Streben einer gehemmten Vorstellung ist aus- schliessend wider die hemmenden gerichtet; und da die Vorstellung einzig in diesem Streben noch besteht, so hat sie nun nur ein isolirtes Daseyn, und ungeachtet der Einheit der Seele, worin sie immer noch mit allen andern Vorstellungen ein intensives Eins ausmacht, kann sie sich doch nicht mit irgend einer andern, selbst nicht mit einer ihr gleichen, zu einer Totalkraft verbinden. Wenn daher a und α zum Theil gehemmt, zum Theil aber noch als wirkliches Vorstellen, gleichzeitig im Be- wusstseyn zusammentreffen: so entsteht eine unvollkommne Verbindung beyder; der Grad der Verbindung aber hängt nicht von ihnen selbst, sondern von den zufällig mitwir- kenden Kräften ab. Jetzt wird die Eintheilung verständlich seyn, welche den weitern Untersuchungen muss vorangestellt werden. Vorstellungen aus verschiedenen Continuen können sich gänzlich verbinden, so dass sie nur Eine Kraft ausmachen, und als solche in Rechnung kommen; dergleichen Ver- bindung nenne ich eine vollkommene Complica- tion . Vorstellungen aus einerley Continuum können sich, wegen des unter ihnen statt findenden Gegensatzes, nicht gänzlich verbinden (Falls sie nicht gänzlich gleichartig sind, wie die Wiederhohlungen der nämlichen Wahr- nehmung); alsdann ergiebt sich aus ihrer Stärke und ihrem Gegensatze das Gesetz, wie genau ihre Vereinigung werden kann; dergleichen Vereinigungen nenne ich Ver- schmelzungen . Endlich wegen zufälliger Hindernisse kann es sowohl unvollkommne Complicationen als unvollkommne Verschmelzungen geben. §. 58. Es seyen zwey vollkommene Complexionen gegeben, A = a + α , und B = b + β . Welches wird die Summe und das Verhältniss ihrer Hemmung seyn? Die Summe macht bey vollkommenen Complicationen keine besondere Schwierigkeit. Denn das Widerstreitende, Unvereinbare gewisser Vorstellungen, welches einmal in ihrer Natur liegt, kann durch ihre Verbindungen nicht grösser noch kleiner werden. Sowohl a und b bilden un- ter sich, als α und β unter sich, eine Hemmungssumme nach den obigen Bestimmungen; beydes addirt, ergiebt die H. S. der Complexionen A und B . Es sey also der Hemmungsgrad zwischen a und b , = p; zwischen α und β , = π : so ist nur noch zu bedenken, dass, obgleich A\>B , dennoch α\<β seyn kann, wofern nur um so mehr a\>b . Angenommen, dass sich dies also verhalte: so ist die H. S. = pb + πα . Mehr Mühe macht das Hemmungs-Verhältniss. Man wolle hier zurückblicken in die §§. 43. und 53. — So fern die Complexionen als widerstehende Kräfte betrachtet werden, sind sie Totalkräfte; sie leiden im umgekehrten Verhältnisse dieser Totalkräfte, sie wirken auch der da- durch erhaltenen Spannung gemäss zurück. Aber so fern die Wirkung einer jeden unmittelbar von ihrer Stärke und ihrem Hemmungsgrade abhängt, entsteht eine Schwie- rigkeit oder wenigstens eine Weitläuftigkeit aus dem Um- stande, dass die Bestandtheile der Complexionen einen verschiedenen Hemmungsgrad haben können, und dass in so fern auch die Kräfte als aus verschiedenen Bestand- theilen zusammengesetzt betrachtet werden müssen. Wir wollen nun die drey Ueberlegungen des §. 43. erneuern. Erstlich: A wirkt im Verhältnisse ap + απ . Zweytens: A wirkt im Verhältnisse seiner Spannung . Drittens: A leidet im Verhältnisse . Dasselbe lässt sich leicht auf B anwenden. Wofern nun hier, so wie oben, und wäre (denn wenn man ein gleichartiges Vor- stellen von der Stärke A , als aus Theilen a und α be- stehend, und eben so ein andres gleichartiges Vorstellen von der Stärke B , als aus Theilen b und β bestehend, betrachten wollte, so wäre p = π , und bey vollem Ge- gensatze =1, und aber =1), so würde bloss das Verhältniss des Leidens, , übrig bleiben. Jetzt aber ist nur in speciellen Fällen p = π , und des- halb muss das Hemmungsverhältniss aus allen den ange- gebenen Grössen zusammengesetzt werden. Indem nun die Hemmungssumme die Spannungen in den Verhältnissen und bewirkt Diese anspannende Wirkung der H. S. bleibt während der , muss sie zu- gleich in dem Verhältniss der wirkenden Kräfte und vertheilt werden. Die erste Kraft nämlich ist diejenige, die A durch B erleidet, die andre Kraft ist die, mit welcher A auf B einwirkt. Also dieses zu- sammengenommen sind die Verhältnisszahlen: , , oder pb + βπ, ap + απ . Für p = π wird daraus B, A ; wie gehörig nach §§. 43. und 53. §. 59. Wir schreiten fort zu drey Complexionen, A = a + α , B = b + β, C = c + γ , wo A die stärkste, C die schwäch- ste, während die Bestandtheile mancherley Grössenver- hältnisse haben können. Auch seyen die Hemmungs- grade zwischen a und b, p ; ‒ a ‒ c, n ; ‒ b ‒ c, m zwischen α und β, π ‒ α ‒ γ, ν ‒ β ‒ γ, μ . Um nun zuerst bloss die wirkenden Kräfte zu be- trachten, so fern sie von der Stärke der Vorstellungen und den Hemmungsgraden unmittelbar abhängen, so wirkt A auf B im Verhältniss ap + απ , ‒ auf C ‒ ‒ ‒ an + aν , B auf A ‒ ‒ ‒ bp + βπ , ‒ auf C ‒ ‒ ‒ bm + βμ , C auf A ‒ ‒ ‒ cn + γν , ‒ auf B ‒ ‒ ‒ cm + γμ . Mit jedem dieser Verhältnisse ist zusammenzusetzen die Spannung der wirkenden Vorstellung. Endlich ist mit der Summe der Kräfte, von denen eine jede Com- ganzen Zeit ihres Sinkens immer in denselben Verhältnissen, denn bey jedem neuen Element, welches sinkt, fragt sich gleichsam von neuem, wie es vertheilt werden solle? und es regt dadurch die widerstreben- den Kräfte auf. Auch widerstehen dieser Vertheilung immer die ganzen Vorstellungen, folglich die nämlichen Kräfte. plexion leidet, zusammenzusetzen das umgekehrte Ver- hältniss ihrer Totalkraft, nach welchem sie sich den ein- wirkenden Kräften unterwirft. Auf diese Weise entsprin- gen folgende Verhältnisszahlen: A leidet im Verhältniss B — — — C — — — Kürzer: C ( bp + βπ )+ B ( cn + γν ); C ( ap + απ )+ A ( cm + γμ ); B ( an + αν )+ A ( bm + βμ ). Zwey Bemerkungen können hier sogleich hinzugefügt werden. Erstlich : es sey p = π, n = ν, m = μ : so wird , weil ; eben so bey den folgen- den ähnlichen Grössen; daher werden die Verhältniss- zahlen ganz ähnlich jenen im §. 53. Zweytens : es sey b = β, c = γ, a = α , so ist A =2 a , B =2 b, C =2 c ; und die Verhältnisszahlen werden: Zur Abkürzung kann man auch hier wieder die zu A, B, C gehörigen Zähler mit ε, η, ϑ bezeichnen. Nur dürfen die Bedeutungen dieser Buchstaben dann nicht mit den obigen verwechselt werden. Dieselbe Erinnerung trifft auch p, m und n . — Was die Hemmungssumme für drey Complexionen anlangt: so ergiebt schon der vorige §, dass dieselbe auch hier die beiden Hemmungssummen für die Bestandtheile der Complexionen in sich schliesse. Uebrigens muss es hier genügen, dass drey binomi- sche Complexionen zur Untersuchung gezogen werden. In das Detail, welches mehrere und vieltheilige Com- plexionen verursachen würden, können wir uns nicht ein- lassen. §. 60. Die Berechnungen, welche aus den bisherigen Be- stimmungen folgen, werden den grossen Einfluss der Com- plicationen unserer Vorstellungen ins Licht setzen. — Für zwey Complexionen ist die Rechnung im Allgemeinen diese: Durch S und Σ deute ich nämlich die beyden Theile der Hemmungssumme an, deren einer aus a und b , der andere aus α und β entspringt. 1) Wir wollen annehmen, A und B seyen ähnli- che Complexionen, d. h. a : α = b : β ; also , und ; daher beyde Ver- hältnisszahlen ganz kurz = b und a ; demnach das heisst: zwey ähnliche Complexionen hemmen sich im umgekehrten Verhältnisse ihrer analo- gen Theile . Beyspiel : die Vorstellung eines Klanges von der Stärke=2 sey complicirt mit der Vorstellung einer Farbe von der Stärke =3; die Vorstellung eines andern Klan- ges von der Stärke =8 sey complicirt mit der Vorstel- lung einer andern Farbe von der Stärke =12; die Ver- schiedenheit der Farben sowohl als der Klänge sey wel- che sie wolle: so wird von der ersten Complexion vier- mal so viel gehemmt als von der zweyten. 2) Die Hemmungsgrade seyen gleich, oder p = π ; so lassen sich dadurch die Verhältnisszahlen dividiren, und die Rechnung bekommt folgende Form: Das heisst: wenn unter den Bestandtheilen zweyer Complexionen nur einerley Grad der Hemmung herrscht: so ist die Grösse dieser Be- standtheile von keinem Einfluss auf das Ver- hältniss der Hemmung, wofern nur die ganzen Complexionen gleich bleiben, als von welchen nun allein das Hemmungsverhältniss abhängt . Der Grösse nach aber sind die zu hemmen- den Theile um so kleiner, je ungleicher an Grö- sse die Bestandtheile der Complexionen . Dieses folgt aus der Hemmungssumme, welche von jedem Paar entgegengesetzter Vorstellungen nur die kleinste in sich fasst. Beyspiele : Ein Klang =2 sey complicirt mit einer Farbe=3, ein andrer Klang=2 mit einer andern Farbe =4; überdies voller Gegensatz sowohl zwischen den Klän- gen unter einander als zwischen den Farben: so ist die H. S. =2+3=5, das H. V. wie 6 : 5, also leidet die erste Complexion die Hemmung von , die andre von . — Es sey aber ein Klang =1 complicirt mit einer Farbe =4, und ein andrer Klang =3 mit einer Farbe =3; der Gegensatz wie vorhin: so ist die H. S. =1+3 =4, das H. V. wie 6:5, also wird von der ersten Com- plexion gehemmt , von der andern . 3) Es sey bp + βπ = ap + απ , oder p ( b — a )= π ( α — β ), oder p : π =( α — β ):( b — a ), so ergiebt sich der Satz: von beyden Complexionen wird gleich viel gehemmt, wenn die Hemmungs- grade sich umgekehrt verhalten wie die Diffe- renzen der ihnen zugehörigen Vorstellungen . Damit dieses möglich sey, müssen die Complexionen un- ähnlich seyn in dem Grade, dass jede bestehe aus der stärksten des einen Paares entgegengesetzter Vorstellun- gen, und aus der schwächsten des andern. Denn kein Hemmungsgrad kann negativ seyn. Beyspiel : Zwischen zwei Klängen sey der Gegen- satz =1, zwischen zwey Farben ; ein Klang =2 com- plicirt mit einer Farbe =6, der andre Klang =5 com- plicirt mit der andern Farbe =2: so ergiebt sich das H. V. . Das Auffallende in diesem Beyspiel, dass eine Com- plexion =7 und eine andre =8 sich gegenseitig gleich stark hemmen, wird noch mehr hervortreten in dem fol- genden Satze. 4) Es sey π = ο , so ist das H. V. wie b : a , und die Rechnung giebt die vierten Glieder und , α und β mögen seyn was sie wollen. Das heisst: wenn von zweyen entgegenstehen- den Vorstellungen jede complicirt ist mit einer solchen die nichts ihr entgegengesetztes im Be- wusstseyn antrifft: so geschieht die Hemmung lediglich im Verhältniss jener entgegengesetz- ten; obgleich die ganzen Complexionen dersel- ben unterworfen sind . Beyspiel: Mit der Vorstellung eines Farbigten von der Stärke 3, sey complicirt ein Klang =1; mit der Vorstellung eines andern Farbigten von der Stärke 1, sey complicirt eine Gefühlsvorstellung =11: so erleidet die letztre Com- plexion =12 eine dreymal so starke Hemmung wie die erstere =4. Wie sehr die Farben entgegengesetzt seyn mögen, wirkt nur auf die Hemmungssumme. Das Seltsame, dass die stärkste Kraft hier am mei- sten leidet, ist leicht zu erklären. Die Gefühlsvorstellung kann nur widerstehen; aber ihr ist kein Gegensatz eigen, durch den sie für sich etwas aus dem Bewusstseyn ver- drängen könnte. Dagegen erhält sie etwas im Bewusst- seyn, das vor einer andern stärkern Vorstellung weichen sollte. Deshalb leidet sie unter derselben Einwirkung, der jenes ausgesetzt ist. Nicht anders ereignet sich dies selbst dann, wenn die gegenüberstehende Vorstellung einfach ist. Es sey α = ο , oder im Beyspiel, der Klang fehle gänzlich: so übt dennoch die Vorstellung =3 die näm- liche Gewalt gegen die Complexion =12. Nur mit dem Unterschiede, dass nun diejenige Hemmung, welche sonst die Vorstellung des Farbigten =3 mit der des Klanges =1 gemeinschaftlich getragen hätte, allein der ersteren zur Last fällt. — Es ist der Mühe werth, nachzusehen, in wie fern diese bey zwey Complexionen sich so leicht darbieten- den Sätze, auch auf drey derselben Anwendung finden mögen. Damit erstlich drey Complexionen einander ähnlich seyen, muss a : α = b : β = c : γ gesetzt werden. Hieraus ist im §. 59. ; ; , . Auch ist , , ; daher sich die Verhältnisszahlen sämmtlich durch dividiren lassen. Demnach sind dieselben, wenn noch mit a multiplicirt wird: cb ( ap + απ )+ bc ( an + αν ) ca ( ap + απ )+ ac ( am + αμ ) ba ( an + αν )+ ab ( am + αμ ). Damit ein leicht fassliches Verhältniss gewonnen werde, bedarf es hier noch eines Zusatzes, der bey zwey Com- plexionen nicht bemerklich werden konnte. Es sey näm- lich p : π = n : ν = m : μ , folglich , und , so wer- den jene Zahlen: bc ( p + n ), ac ( p + m ), ab ( n + m ); oder wo das umgekehrte Verhältniss der analogen Theile aller- dings vorhanden, nur noch durch die zugehörigen Hem- mungsgrade afficirt ist. Ueber den zweyten Satz erhellt schon aus §. 59., dass für p = π, n = ν, m = μ , die Verhältnisse sind Was den dritten Satz anlangt, so scheint es nicht, dass die Bedingung der gleichen Hemmung für drey Com- plexionen auf einen schicklichen Ausdruck zu bringen sey. Auch die vierte Voraussetzung, π = ο , veranlasst hier nur die Bemerkung, dass, wenn von den drey Vorstel- lungen α, β , und γ , eine zu einem andern Continuum gehört als die übrigen beyden, dann zugleich zwey Hem- mungsgrade = ο werden, also mit π = ο zugleich ν = ο oder μ = ο . §. 61. Zu den sämmtlichen hier geführten Rechnungen kommt nun der Satz: dass bey vollkommenen Com- plexionen sich stets das Gehemmte auf die Be- standtheile in demselben Verhältnisse verthei- len muss, in welchem sie zur Complexion bey- tragen . Es sey von der Complexion A = a + α gehemmt die Grösse μ , so ist gehemmt von a , und gehemmt von α . Dies versteht sich von selbst aus der Natur einer Totalkraft, deren Theile gleichmässig wider- stehen und leiden, und deren ungleiche Theile eben deshalb einem gerade so ungleichen Leiden unterworfen seyn müssen. Hieraus geht zugleich hervor, dass vollkommne Com- ple- plexionen sich in allen ihren Zuständen (d. h. bey jedem Grade der Verdunkelung im Bewusstseyn) doch immer ähnlich bleiben. Denn die Reste müssen ähnlich seyn, wenn das Gehemmte immer dieselbe Proportion beob- achtet. Merkwürdig ist ferner, dass von den Elementen der Complexionen bald mehr bald weniger als die aus ih- nen resultirende Hemmungssumme sinken wird. Denn die partiellen Hemmungssummen vereinigen sich hier zu einer allgemeinen Last, deren Vertheilung nun andern Regeln folgt, als jenen, die in dem Widerstreit der Ele- mente ursprünglich gegründet waren. — Gehn wir zu dem ersten Beyspiele des §. 60. zurück: so sey dort für die beyden Klänge der Hemmungsgrad , für die Far- ben =1: so ist S + Σ =1+3=4; von der ersten Com- plexion wird gehemmt ; also für den Klang =2 beträgt die Hemmung ; für die Farbe =3 beträgt dieselbe ; von der zweyten Com- plexion wird gehemmt ; also für den Klang =8 ergiebt sich das Gehemmte , und für die Farbe =12 kommt . Denken wir die Com- plication hinweg: so haben wir für den Klang =2 das Gehemmte =0,8; für den Klang =8 kommt 0,2; für die Farbe =3 findet sich das Gehemmte =2,4; und für die Farbe =12 beträgt dasselbe 0,6. Offenbar verursacht hier die Complication einen Nachtheil für die Klänge, und einen Vortheil für die Farben, indem der grössere Hemmungsgrad der letztern auf jene mit einfliesst. Die Hemmungssumme für die Klänge ist =1; aber wegen der Complication wird von ihnen gehemmt 1,28+0,32 =1,6; die H. S. für die Farben ist =3, die Complica- tion vermindert dies bis auf 1,92+0,48=2,4. Aber auch I. O nur in der Hemmungssumme liegt der Grund hievon, wie man aus der hieher gehörigen Formel des §. 60. sehr leicht sehn wird. Setzt man nun bey ähnli- chen Complexionen auch noch die Hemmungs- grade gleich: so geschieht die Hemmung gänz- lich so, als ob keine Complication Statt gefun- den hätte . Denn hiedurch bekommt die ganze Hem- mungssumme zu den ganzen Complexionen dasselbe Ver- hältniss, wie es bey den einzelnen Vorstellungen gewesen wäre. — In jedem hievon abweichenden Falle entsteht ein Gefühl des Contrastes unter den zu wenig gehemmten Vorstellungen, weil sie mit dem Drange , sich zu hemmen, im Bewusstseyn bleiben . Davon tiefer unten im §. 104 §. 62. Welche Arbeit es kosten werde, Schwellentafeln für die vollkommnen Complexionen zu berechnen, lässt sich aus den verwickelten Hemmungsverhältnissen für drey Complexionen nur gar zu leicht erkennen. Denn für zwey Complexionen kann es keine Schwellen geben, da die Hemmungssumme niemals grösser seyn kann, als die schwächere Complexion, diese aber nicht völlig sinken wird, ohne einen Theil der Hemmungssumme auf die stärkere zu werfen. Nur in den vorbemerkten Fällen, wo die Hemmungs- verhältnisse auf die Form , , , oder auch , , , können gebracht werden, bieten sich die Wendun- gen der Rechnung abermals dar, welche schon bey ein- fachen Vorstellungen mit verschiedenen Hemmungsgra- den gebraucht sind. Denn die Formel des §. 55., wird mit gehöriger Veränderung, und besonders mit ge- höriger Bestimmung von ε, η, ϑ, S , auch jetzo passen. Wir zeichnen hier einen Fall aus, der sehr einfach und zugleich sehr abweichend ist von den Bestimmungen der Schwellen in den vorigen Capiteln. Es sey nur eine Complexion im Bewusstseyn gegenwärtig, allein zugleich zwey einfache Vorstellungen, deren jede einem Elemente der Complexion widerstreite. Also α + a , b, und γ . Als- dann sind β = o , c = o , C = γ , B = b , auch π = μ = n = m = o ; indem bloss zwischen a und b der Hemmungs- grad p , und zwischen α und γ der Hemmungsgrad ν noch übrig bleibt. Dem gemäss sind aus §. 59. die Hem- mungsverhältnisse für a + α , für b , für γ , γbp + bγν ; γap ; bαν . Ferner wegen der Hemmungssumme, da γ auf der Schwelle seyn soll, ist am natürlichsten anzunehmen dass γ \< α , folglich dass νγ zur Hemmungssumme gehöre. Unentschieden mag es bleiben, ob a \> b ; wir wollen den Buchstaben h einführen, der a bedeuten soll, wenn a \< b , aber b , wenn a \> b ; so ist auf allen Fall ph der andre Theil der Hemmungssumme; also dieselbe = ph + νγ . Was nun von γ gehemmt wird, findet sich so: und γ ist auf der Schwelle, wenn woraus oder . Die Auflösung der Gleichung versteht sich nun von selbst. Der Coefficient von γ wird = o für ν =1; und alsdann . Die Zweydeutigkeit, ob h = a oder h = b , wird weg- fallen wenn a = b , alsdann ist O 2 und für p =1, . Ist endlich auch α = a = b , so kommt . Mit dieser Complicationsschwelle vergleiche man nach §. 47. die gemeine Schwelle, wel- che entstehn würde, wenn aus einem einzigen Continuum von Vorstellungen die stärkste = a + α , zwey andre = b und = γ genommen wären, auch a = α = b =1, da denn auf der Schwelle seyn würde. Es leuchtet ein, dass hier das ganze a + α im Streite wäre mit jeder der beyden einfachen Vorstellungen; während in unserm Falle nur a wider b , und α wider γ streitet, daher ein schwä- cheres γ hinreicht, um noch die Schwelle des Bewusst- seyns zu behaupten. Fünftes Capitel . Von den unvollkommnen Complicationen. §. 63. Schon der Anfang des vorigen Capitels erklärt den Ausdruck unvollkommne Complicationen . Die Un- tersuchung der statischen Gesetze für dieselben ist schwe- rer, als die zunächst vorhergegangene für die vollkom- menen Complicationen; auch die Mannigfaltigkeit der Fälle ist hier unendlich grösser, weil die Innigkeit der Verbindung jeden beliebigen Grad haben kann. Daher lässt sich alles bisher über die Complicationen Vorgetra- gene ansehn als gehörig zu einem speciellen Fall aus ei- nem sehr weiten Gebiete, in welchem wir uns jetzo um- sehen wollen. Doch nur das Allgemeinste und Leichteste können wir hier angeben. — Eine Vorstellung = a sey durch irgend welche Kräfte gehemmt bis auf den Rest = r ; desgleichen eine Vor- stellung = α , aus einem andern Continuum, gehemmt bis auf den Rest = ρ . Wenn sie also zusammentreffen im Bewusstseyn: so verbinden sich die Reste r und ρ zu Einer Totalkraft, die aber unabtrennlich ist von den ganzen, wiewohl nicht durchaus verbundenen Vorstellun- gen a und α . Wird nun eine dieser beyden noch mehr gehemmt, so widersteht nicht nur sie selbst mit ihrer ganzen untheilbaren Kraft, sondern mit ihr und für sie wirkt noch eine gewisse Hülfe, welche die andre Vorstel- lung ihr leistet. Diese Hülfe zu bestimmen, ist unsre er- ste Aufgabe. Es ist klar, dass die Hülfe vollkommen seyn würde wenn r = a und ρ = α , welches eine vollkommene Complication ergeben hätte. Um wie viel nun dem r fehlt zu a , und dem ρ zu α , beydes muss die zu leistende Hülfe vermindern. Erstlich, wenn a die Hülfe empfängt: so ist das hel- fende Quantum = ρ . Zweytens, die ganze Hülfe = ρ wird dadurch ver- mindert, dass nicht das ganze a , sondern nur ein Bruch von ihm, sich dieselbe aneignen kann. Dieser Bruch ist . Beydes zusammen ergiebt die Hülfe . Desglei- chen diejenige Hülfe, welche α erhalten kann, . Demnach bilden sich aus den ganzen Vorstellungen und den ihnen zukommenden Hülfen, Totalkräfte, deren eine , die andre . §. 64. Um nun die Wirkungsart dieser Complicationshül- fen näher kennen zu lernen, wollen wir annehmen, mit der unvollkommnen Complication zugleich sey eine ein- fache Vorstellung im Bewusstseyn, die mit einem Be- standtheile jener im Widerstreite stehe. Sie heisse b . Zwischen a und b sey der Hemmungsgrad = m ; a mit α complicirt, vermöge der Reste r und ρ . So steht dem α unmittelbar keine Kraft entgegen, sondern nur b wirkt auf dasselbe vermittelst a , und vermittelst der Reste r und ρ . Die Wirkung von b auf a ist beschränkt durch den Hemmungsgrad m ; dieser muss auch die vermittelte Einwirkung auf α beschränken. Ausserdem bezeichnet der Bruch das Verhältniss, in welchem die ganze Ver- mittelung jener Einwirkung, welche das ganze a hätte leisten können, vermindert wird. Und überdies ergiebt der Bruch , in welchem Verhältnisse die Fähigkeit von α verringert ist, sich dieselbe Einwirkung zuzueignen. Also b wirkt auf α als eine Kraft . Aber b wirkt nur, in so fern es durch die Hemmungssumme gespannt wird; diese Spannung ist im Verhältnisse . Endlich α leidet im umgekehrten Verhältnisse seiner Kraft; diese Kraft mit der Complicationshülfe verbunden, ist . Also erhalten wir, alles zusammengenommen, für das Leiden von α die Verhältnisszahl . Ferner auf a wirkt die Kraft mb , in der Spannung ; und a leidet sammt seiner Hülfe im umgekehrten Verhältnisse von . Dieses zusammengenommen findet sich für das Leiden von a die Verhältnisszahl . Endlich auf b wirkt nur die Kraft am ; es entsteht aber die Frage, welches die Spannung dieser Kraft seyn werde? Für a allein wäre sie , für eine vollkommne Complexion a + α wäre sie ; für die unvollkommne Complexion ist sie wegen der Hülfe ohne Zweifel . Das Leiden von b verhält sich überdies wie ; also fin- det man für das Leiden von b die Verhältnisszahl . Alle gefundene Verhältnisszahlen lassen sich durch m dividiren, daher setzen wir . Nun ist wohl zu bemerken, dass in diesen Verhält- nissen unmöglich die Hemmungssumme könne vertheilt werden. Denn die Totalkräfte , sind nicht, wie die Kräfte in allen unsern bisherigen Berechnungen, rein verschiedene Kräfte, sondern der Theil steckt in α , welches dem a diese Hülfe giebt; und der Theil steckt eben so in a . Was daher diese Totalkräfte an Hemmung erleiden, das ist eben so wenig rein ge- sondert; sondern es liegt auf ähnliche Weise in ein- ander verschränkt, wie die Kräfte. Wollte man das al- les, was die Totalkräfte zusammengenommen leiden, ad- diren, so bekäme man mehr als die Hemmungssumme beträgt; denn man bekäme das alles doppelt, was der Wahrheit nach in einem andern enthalten ist, obgleich die Rechnung es neben dem andern aufstellt. Demnach sey das, was von der Totalkraft gehemmt wird, = u: so muss dieses u zuvörderst zwischen a und getheilt werden. Nur der erste Theil, der sich für a ergeben wird, gehört wahrhaft zur Hemmungssumme; der andre Theil, welcher auf kommt, ist ein Leiden für das helfende α . Dessen ungeachtet darf er diesem nicht besonders angerechnet werden, denn er liegt versteckt in dem wirklichen Leiden des α , welches man findet, indem man diejenige Hemmung, die zur Totalkraft gehört, nach dem Verhältniss eintheilt, wo denn wiederum nur der erste Theil zur Hemmungssumme gehört, der andre aber in dem eben gefundenen Leiden von a ver- steckt liegt, und keinesweges zu demselben zu addi- ren ist. Nach diesen Prämissen wird folgender Gang der Rechnung klar seyn: man denke sich irgend ein X , als ob es dasjenige wäre, was nach den zuvor bestimmten Verhältnissen getheilt würde. Die vierten Glieder der Proportionen zerlege man durch neue Proportionen, um dasjenige, was wirklich zur Hemmungssumme gehört, herauszusondern; man addire dasselbe, und setze es der zuvor bestimmten Hemmungssumme gleich; daraus finde man X , und substituire seinen Werth in die zuvor mit Hülfe desselben bestimmten wahren Theile der Hem- mungssumme; diese Theile sind nun wirklich das, was die einzelnen Vorstellungen leiden, und die Aufgabe ist dadurch aufgelös’t. Durch die Rechnung mag diese Vorschrift vollends klar werden. — Zuerst werde X getheilt nach den obi- gen Verhältnissen M , N , P . ist das Leiden für die Totalkraft ; es zerfällt nach dem Verhältnisse in zwey Theile. Nur der erstre wird zur Hemmungssumme gehören; man son- dere ihn ab durch die Proportion . Ferner ist das Leiden für die Totalkraft ; es zerfällt nach in zwey Theile; den ersten sondere man ab durch die Proportion . Endlich ist das Leiden für b ; welches keine Hülfe bekommen hat, sondern seine Hemmung al- lein trägt. Daher ist hier keine Absonderung anzubrin- gen, sondern dieses Leiden gehört ganz zur Summe der Hemmung. Jetzt müssen die gefundenen Theile addirt, und der Hemmungssumme = S gleich gesetzt werden; also und folglich . Dieser Werth von X ist zu substituiren in die ge- fundenen Theile, welche gehemmt werden von α , a , und b ; demnach: wird gehemmt von α wird gehemmt von a wird gehemmt von b . Hieraus sieht man nun die wahren Verhältnisszahlen, nach denen die Hemmungssumme sich wirklich theilt. Sie sind , aN 2 , und P . und weil , so wird die erste Verhältnisszahl , die zweyte wird , die dritte ist und bleibt . In dieser Bestimmung der Verhältnisse müssen zwey andre, aus dem Vorigen schon bekannte, mit enthalten seyn, an denen wir ihre Richtigkeit erpro- ben können. Für r = a und ρ = α muss die unvoll- kommne Complexion in eine vollkommne übergehn. Da- für wird die Verhältnisszahl für α , , die ‒ ‒ für a , , die ‒ ‒ für b , , oder mit b ( a + α ) 2 multiplicirt, αb , ab , a ( a + α ). Nach §§. 60. und 61. aber würden wir folgende Rechnung ge- führt haben: erstlich hätten wir β und π = o gesetzt; daraus wäre das Hemmungsverhältniss b : a gefunden; demnach von der Complexion würde gehemmt ; die- ses müsste zerlegt werden nach dem Verhältniss der Be- standtheile der Complexion; und die vierten Glieder wür- den seyn und , daher wäre gehemmt von α , , von a , , von b , , welche Grössen sich verhalten wie , und a ; oder wie αb , ab , a ( a + α ); dieses aber sind die nämli- chen Verhältnisse, welche sich aus den obigen Formeln ergeben haben. — Für α = o , folglich auch ρ = o , sind bloss a und b im Widerstreit; nun werden jene Verhältnisszahlen o , , wie gehörig. §. 65. Mit der nunmehr geschehenen Bestimmung des Hem- mungs-Verhältnisses begnügen wir uns hier, weil die nach demselben zu erwartende wirkliche Hemmung alle- mal noch von andern beygemischten Umständen abhän- gen wird. Denn wir müssen wegen der angenommenen unvollkommenen Complexion voraussetzen, dass die Elemente derselben, a und α , beyde von irgend welchen, hier unerwähnt gebliebenen, Kräften, gehindert werden sich im Bewusstseyn höher zu heben, wodurch sogleich auch ihre Verbindung inniger werden, folglich r und ρ sich vergrössern, und deren Wirkung wachsen würde. Eigentlich haben wir im Vorigen nur die Vertheilung des Drucks bestimmt, der aus dem Gegensatze des a und b entsteht. Jetzt suchen wir uns die Bedeutung der gefundenen Formeln klärer zu machen. Der Schluss des vorigen §. zeigt, dass wenn die Complication sich der Vollkommenheit nähert, α beynahe in dem Verhältniss seiner eignen Stärke die ihm fremde Hemmung zwischen a und b , tragen hilft. Am weitesten hievon verschieden ist der Fall einer sehr unvollkommenen Verbindung zwischen a und α . Gesetzt, das Product rρ sey so klein, dass man es neben a 2 und α 2 vernachlässigen könne: so werden die Verhältnisszah- len nahe . Das heisst, die Hemmung zwischen a und b wird durch das complicirte α , nun wenig verändert; α leidet desto weniger, je stärker es ist, und je weniger r gegen a , und ρ gegen α beträgt. Zwischen diesen beyden äu- ssersten Fällen liegt in der Mitte die Annahme r =½ a und ρ =½ α ; und nun werden jene Zahlen ; für a = α wird hieraus . Man kann auch diese Annahme a = α gleich in die allgemeinen Ausdrücke setzen; alsdann lassen sich diese durch dividiren, und man findet . Hier ist merkwürdig, dass die Summe der ersten bey- den Zahlen =1 ist. Demnach verhält sich das, was von der ganzen Complexion a + α gehemmt wird, zu dem Verluste von b , im angenommenen Falle wie b zu a ; die Reste r und ρ aber, die niemals einzeln, sondern immer zu einem Producte verbunden in Betracht kommen, be- stimmen dann ferner die Vertheilung dessen, was von der Complexion zu hemmen ist, auf die Elemente derselben. §. 66. Die höchst wichtige Verschiedenheit der unvollkom- menen Complexionen von den vollkommenen liegt nun klar vor Augen. Wir haben im vorigen Capitel gesehen, dass unsre Vorstellungen, so weit sie vollkommen ver- bunden sind, trotz allen Hemmungen stets ihren Zusam- menhang unversehrt behaupten; denn vollkommene Com- plexionen bleiben sich stets ähnlich (§. 61.). Ganz an- ders verhält es sich, sobald eine Verbindung unvollkom- men ist. Da wird durch jede, auch die kleinste Hem- mung, die das eine Element der Complexion stärker trifft, als das andre, auch die Verknüpfung lockerer gemacht, indem eins dem andern um so viel entzogen wird, als dies minder wie jenes unter dem vorhandenen Drucke leidet. Noch mehr! die vorhandene Verknüpfung wird verfälscht durch eine entgegengesetzte. Denn nach geschehener Hemmung complicirt sich b mit α in eben dem Maasse stärker, als von a mehr verdrängt wurde; dergestalt, dass nunmehr α nicht bloss mit a , sondern auch mit b , dem Widerspiel von a , verbunden ist. — Allein hiebey besteht nichts desto weniger in α das Stre- ben, a bis auf den vorigen Punct der Verbindung wie- der mit sich zu vereinigen. Denn die ganze Stärke die- ser Verbindung wird fortwährend als Bedingung des vor- handenen Gleichgewichts vorausgesetzt; wäre sie schwä- cher, so würde b noch mehr als schon geschehen, von a hemmen. Hiedurch kommen wir weiter in der Lehre von den Gefühlen . Denn der Zustand einer Vorstel- lung, — wie hier α , — da sie eine andre, gegen die Gesetze des Gleichgewichts, höher ins Bewusstseyn zu heben bemüht ist, verändert das Vorgestellte um gar nichts, kann also auch nicht zu dem sogenannten Vor- stellungsvermögen gerechnet werden. Es ist ein Sehnen , welches befriedigt werden würde, wenn die angestrebte Vorstellung (hier a ) von neuem gegeben würde; jedoch so, dass darauf sehr bald ein entgegengesetztes Sehnen, nach b , folgen würde, sobald nämlich dies durch das neue a merklich gehemmt, und dadurch seiner Verbin- dung mit α entzogen wäre. Jedoch dergleichen Betrach- tungen lassen sich hier noch nicht ausführen; sie gehö- ren sammt der obigen, am Ende des §. 61., in den zwey- ten Theil dieses Werks. Sechstes Capitel . Von den Verschmelzungen. §. 67. Die ersten Vorbegriffe von den Verschmelzungen der Vorstellungen finden sich im Anfange des vierten Capi- tels. Die Vereinigung solcher Vorstellungen, die zu ei- nerley Continuum gehören (wie roth und blau, welches beydes Farben sind, — oder wie ein paar Töne, od. dgl.), soll Verschmelzung heissen. Sie führt einen besondern Namen, weil der Grad der Verbindung hier nicht, wie bey den Complicationen ungleichartiger Vorstellungen (wie Ton und Farbe), bloss von zufälligen Umständen abhängt, sondern durch den Hemmungsgrad der verschmel- zenden Vorstellungen selbst, beschränkt wird. Während nun diese Art der Vereinigung verschiedener Vorstellun- gen zu einer Gesammtkraft, niemals vollständiger werden kann, als der Hemmungsgrad derselben es gestattet: können recht füglich noch zufällige Hemmungen dazu kommen, um derentwillen die Vereinigung noch geringer wird. Allein solche Nebenumstände setzen wir hier bey Seite. Es ist aber nöthig, zweyerley Verschmelzung zu un- terscheiden, eine nach der Hemmung, eine andre vor der Hemmung Beydes ist eigentlich Verschmelzung während der Hemmung; allein die obige Unterscheidung befördert die Fasslichkeit. . Zuvörderst nämlich ist klar, dass wegen der Einheit der Seele, Alles, was sich nicht widerstrebt, ein intensi- ves Eins werden muss; daher die Verschmelzung nach der Hemmung. Diejenigen entgegengesetzten Vorstellun- gen, deren Hemmung geschehn ist, verschmelzen gerade so weit, als sie sich nun nicht mehr hemmen. Die Reste bilden eine Totalkraft, ähnlich jener bey den unvollkom- menen Complicationen; jedoch mit dem Unterschiede, dass die Complication vollkommener wird, wenn die com- plicirten Vorstellungen zugleich steigen; hingegen, wenn die verschmolzenen ihren Verschmelzungspunct überstei- gen, die Hemmung von neuem beginnt; (mit einer Ein- schränkung, die im §. 93. erst vorkommt). Verschieden hievon ist die Verschmelzung vor der Hemmung. Diese hängt ab von einem gewissen Grade der Gleichartigkeit der Vorstellungen. Bey völlig entge- gengesetzten kann sie nicht Statt finden, welche gleich- wohl jener andern, nach der Hemmung, unterworfen sind. — Man denke sich zuvörderst zwey vollkommen gleichartige Vorstellungen, z. B. beym Sehen zweyer gleich gefärbter Puncte, oder beym Hören zweyer gleich gestimmter Saiten. Dass diese gleichartigen völlig (und augenblicklich) in eine einzige Intension des Vorstellens verschmelzen werden, wofern sie gleichzeitig ungehemmt im Bewusstseyn sind, versteht sich ganz von selbst. Was wird aber daraus werden, wenn ein paar unendlich nahe Vorstellungen, dass heisst, zwey fast gleichartige, und deren Gegensatz unendlich klein ist, sich gleichzeitig ungehemmt zusammenfinden? Natürlich kann der Erfolg nur unendlich wenig von dem vorbemerkten abweichen. Dennoch hindert der Gegensatz eine völlige Vereinigung. Und — was die Hauptsache ist — er lässt sich von dem Gleichartigen nicht absondern. Nur in Gedanken kann man eine Vorstellung, verglichen mit einer andern, zer- legen in Gleiches und Entgegengesetztes; der Wirklichkeit nach aber sind dieses nicht wahre Bestandtheile der ein- fachen und sich selbst gleichen Vorstellungen. So ist die Wahrnehmung der violetten, oder der grünen Farbe, — desgleichen die irgend eines musikalischen Tones, — gewiss eine einfache Wahrnehmung; wenn schon die Zer- legung jener in Roth und Blau, u. s. w. als eine zufäl- lige Ansicht zulässig ist. — Da nun das Gleichartige ge- wiss, und sogleich, verschmelzen sollte; da es aber nicht losgerissen von dem Entgegengesetzten, für sich allein verschmelzen kann; da es vielmehr das letztere in seine Verschmelzung mit sich hineinziehen muss, — so wird der wirklichen Vereinigung ein Kampf vorangehn, dessen Entscheidung bestimmt, wie innig die wirkliche Vereini- gung seyn werde. Also äussert sich das Gleichartige der Vorstellungen (man vergesse nie, dass wir von einfa- chen Vorstellungen reden, und nicht etwa von Com- plexionen) zuerst als ein Streben zur Verschmel- zung ; dergleichen bey den völlig Gleichartigen nicht vorkommen konnte. Dieses Streben wird nun bey un- endlich Nahen nur unendlich geringen Widerstand finden. Nehmen wir hingegen jetzt Vorstellungen, deren Ge- gensatz eine endliche Grösse hat: so kann, erstlich, die Verschmelzung nur allmählig zu Stande kommen, in dem Maasse nämlich, als die Gegensätze dem Streben zur Ver- einigung allmählig nachgeben; zweytens, aus dem Grade des Gegensatzes und der Gleichartigkeit muss die Stärke des Strebens zur Vereinigung, und hieraus weiter berech- net werden, wie viel dieses Streben über die Gegensätze vermögen, wie viel wirkliche Vereinigung, und folglich welche Totalkräfte es am Ende erzeugen werde. So viel zur vorläufigen Aufklärung der Begriffe; wir suchen jetzt die allgemeine Methode aller Verschmel- zungs-Rechnung; welche der Rechnung für unvollkommne Complicationen im wesentlichen ähnlich ist. §. 68. Für die drey Vorstellungen a , b , c , gebe es drey Verschmelzungshülfen, h , h' , h″ ; welche nach was im- mer für einem Gesetze bestimmt seyn mögen, nur aber nicht von fremden Einflüssen herrühren, sondern aus ge- genseitiger Wirkung von a , b , und c auf einander ent- sprungen seyn müssen. Auch sey a + h = α , b + h' = β , c + h″ = γ . Der Hemmungssumme widerstehen nun diese Totalkräfte nach dem umgekehrten Verhältniss ihrer Stärke, und vielleicht noch im geraden Verhältnisse irgend wel- cher Hemmungsgrade oder Summen von Hemmungsgra- den, um deren Bestimmung wir uns hier nicht beküm- mern, deren Stelle wir aber, nach Analogie der Unter- su- suchungen im dritten Capitel, mit ε , η , ϑ , bezeichnen. So werden die Hemmungsverhältnisse . Weil aber die Totalkräfte zum Theil in einander enthalten sind, so wird auch das Gehemmte nach eben denselben Verhältnissen in einander verschränkt seyn (gerade wie im fünften Capitel). Wenn z. B. b dem a eine Verschmelzungshülfe leistet, so ist das Leiden der hieraus entsprungenen Totalkraft nur zum Theil ein Lei- den von a ; der andre Theil steckt in dem Leiden von b . Daher darf man nicht das Gehemmte der Totalkräfte zu- sammengenommen der Hemmungssumme gleich setzen. Vielmehr sey dasselbe = X ; eine noch unbekannte Grösse. Nun hat man die Proportionen: Aus den vierten Gliedern hat man abzusondern das Leiden von a , b , und c , durch folgende drey Propor- tionen: Die Summe der gefundenen vierten Glieder ist die wirkliche Hemmungssumme, also . I. P Durch Substitution dieses Werthes von X findet sich nun das Leiden von das ‒ ‒ das ‒ ‒ Oder ganz kurz: aεβ 2 γ 2 , bnα 2 γ 2 , cϑα 2 β 2 , sind die Verhältnisszahlen wornach die Hemmungssumme sich vertheilt. Man übersieht diese Verhältnisse noch leich- ter, wenn man sie so schreibt: . Und weil α = a + h , so ist ; oft aber wird h ein so kleiner Bruch seyn, dass man im Nenner h 2 weglassen kann. Alsdann ist beynahe ; welche Abkürzung auch auf die übrigen Verhältnisszahlen passt. Sind nur zwey Vorstellungen a und b gegeben: so ist c = o ; man kann durch γ 2 dividiren; und es ist das Leiden von ‒ ‒ ‒ . Für mehr als drey Vorstellungen würde man die Rechnung nach Analogie der hier gezeigten anzuordnen haben. §. 69. Um von den gefundenen Formeln eine leichte An- wendung zu machen, wollen wir die Verschmelzung nach der Hemmung mit der Einschränkung in Betracht ziehn, dass wir zunächst volle Hemmung aller Vorstellungen untereinander annehmen. Dieses befreyt uns von den Rücksichten, welche die Verschmelzung vor der Hem- mung sonst erfordern würde; indem die letztere nicht ein- treten kann, wo gar keine Gleichartigkeit der Vorstellun- gen vorhanden ist. Es seyen demnach von a und b , nach vollendeter Hemmung, die Reste verschmolzen. Darauf komme plötz- lich die Vorstellung c hinzu; (plötzlich, damit nicht der Zeitverlauf einer länger anhaltenden Wahrnehmung es nöthig mache, über die Statik des Geistes zur Mechanik hinauszugehn.) Man sucht für die Hemmung zwischen a , b , und c den Punct des Gleichgewichts; (also nur das Ende der Hemmung, nicht ihr allmähliges Werden, wel- ches wiederum in die Mechanik hineingehört.) Offenbar müssen wir hier zuerst die Verschmelzungs- hülfe bestimmen, welche a und b einander gegenseitig lei- sten, indem sie von c zum weitern Sinken gedrängt wer- den. Für c selbst giebt es hier noch keine solche Hülfe, dergleichen es erst nach geschehener Hemmung bekom- men wird. So viel liegt vor Augen, dass a und b nun dem c stärker widerstehen werden, als wenn sie noch unverschmolzen wären, denn sie wirken ihm jetzt zum Theil als Eine Totalkraft entgegen. Zuvörderst ist im Allgemeinen die Bestimmung der Verschmelzungshülfe hier dieselbe, wie im vorigen Capitel. Es sey der Rest von a , = r , der von b , = ρ , so hilft r dem b , in so fern der Bruch die Aneignung der Hülfe gestattet; desgleichen ρ dem a , in so weit der ge- drückte Zustand von a , gemäss dem Bruche , für die Hülfe empfänglich ist. Mit einem Worte: a bekommt die Hülfe ; und b die Hülfe . Ferner müssen wir in das erste Capitel zurückgehn, um dort die Werthe von r und ρ zu finden. Denn diese hängen ab von der Hemmung zwischen b und a . Es ist aber nach §. 44. , und . Folglich . P 2 Es sey b = κa ; so wird also und . Wir werden einen Augenblick verweilen bey diesen Grössen, die man offenbar als Functionen von κ , d. h. von dem Verhältnisse zwischen a und b , ansehn kann. Für κ =1 wird , und . Ist κ ein kleiner Bruch, so kann man die höchste Potenz als unbedeu- tend weglassen, und es wird , und . Wird von der Function das Differential =0 gesetzt, so kommt man auf die Gleichung , deren einzige positive Wurzel =1; desglei- chen von der Function das Differential =0 gesetzt, führt zur Gleichung κ 3 +3 κ 2 — κ —1=0, deren einzige positive Wurzel etwas kleiner ist als 0,7. Dieser letztere Werth von κ giebt ohne Zweifel ein Maximum; eigentlich auch für jene erste Function der Werth κ =1, doch dieser ist zugleich der höchste brauchbare Werth von κ , denn die Formeln für r und ρ setzen voraus, dass a \> b . — Dass es für die Verschmelzungshülfe, wel- che b erhält, ein Maximum giebt, verdient bemerkt zu werden. Hier folgen einige berechnete Werthe der Verschmel- zungshülefn, für a =1. Für kleinere κ findet man sehr leicht näherungsweise; also z. B. für κ =0,1 ist nahe =0,09; folglich . Man sieht, dass die Verschmelzungshülfe für b hier sehr bedeutend ist, indem sie die Stärke desselben beynahe verdoppelt, während da- gegen die Hülfe für a nicht in Betracht kommt. Jetzt können wir in den Formeln des vorigen §. α und β bestimmen. Die Hemmungscoëfficienten ε , η , ϑ , werden herausfallen; denn wir haben volle, also gewiss gleiche Hemmung angenommen, und die Verschmel- zungshülfen müssen in eben den Graden ge- hemmt werden wie die Vorstellungen denen sie helfen, und vermittelst welcher die Hemmung zu ihnen übergeht . Ferner ist c = γ , weil es für c noch keine Hülfe giebt, wie schon erinnert worden. Da- her lässt sich durch e = γ dividiren; und die Formeln ge- ben nun einfacher das Leiden von das Leiden von ‒ ‒ ‒ wobey noch zu bemerken, dass hier c jede beliebige Grö- sse haben kann, indem zu a und b , den schon verschmol- zenen, jede starke oder schwache dritte Vorstellung hin- zutreten mag. Nur in der Bestimmung der Hem- mungssumme muss hierauf gehörige Rücksicht genom- men werden. Es sey zuvörderst a = b = c =1. Demnach S =2; α = β =1,25; α 2 =1,5625; α 2 β 2 =2,4414… und hieraus das Leiden von a =0,5614.. ‒ ‒ ‒ b =0,5614.. ‒ ‒ ‒ c =0,8772.. woraus die starke Wirkung der Verschmelzung zu er- kennen ist; denn ohne sie hätte das Leiden von allen dreyen gleich gross, und =⅔=0,666.. seyn sollen. Es sey ferner a =1; b =0,7; c =1; also S =1,7; α =1,205; β =0,993; α 2 =1,4520; β 2 =0,98605..; α 2 β 2 =1,4317.., woraus das Leiden von a =0,48814 ‒ ‒ ‒ b =0,50317 ‒ ‒ ‒ c =0,7087 Dieses Beyspiel zeigt noch weit auffallender die gro- sse Veränderung, welche aus der Verschmelzung hervor- geht. Denn nach §. 49. hätte b unter die Schwelle sin- ken sollen, weil neben zweyen Vorstellungen, deren Stärke =1, die dritte schwächere .. seyn muss, um sich nur auf der Schwelle behaupten zu kön- nen. Jetzt hingegen tritt an die Stelle von b nicht nur die Totalkraft 0,993; sondern selbst was diese leidet, ist zum Theil enthalten in dem Leiden von a ; daher denn a fast so stark als b selbst, von der Hemmung ergriffen wird. Dennoch gewinnt auch a durch den Schutz der Verschmelzung. Denn ohne diesen wäre zwischen c und a die Hemmungssumme =1 gleich getheilt worden, folglich hätte das Leiden von a =0,5 seyn müssen. Desto grösser wird die Last für die neu hinzukommende Vor- stellung; und, was wohl zu bemerken, auch die Ver- schmelzungshülfen, welche sie selbst für die Zukunft er- langt, werden um so kleiner, je kleiner ihr Rest ausfällt. Nichts desto weniger verursacht sie für eine kurze Zeit den ältern Vorstellungen grosse Beschwerde, wie der fol- gende Abschnitt zeigen wird; und nicht ohne bedeutende Bewegung des Gemüths wird der hier gefundene Zustand des Gleichgewichts gewonnen. Dieses eben so wohl als jenes ist der Erfahrung vollkommen gemäss. §. 70. Wir können hier die Fragen nach den Schwellen nicht mit Stillschweigen übergehn, deren zwey verschie- dene aus der Verschmelzung folgen müssen. Denn ent- weder soll b , ungeachtet der Hülfe, die ihm zu Theil wird, von a und c auf die Schwelle getrieben werden; oder c selbst, welches jetzt stärkern Widerstand findet, soll zur Schwelle sinken. Die erstere Schwelle wird bestimmt durch die Glei- chung oder aγβ 2 + bγα 2 + α 2 β 2 = Sγα 2 . Es ist hier am leichtesten, γ zu finden, also die übrigen Grössen nach Gefallen anzunehmen. Daher stellen wir die Gleichung so: α 2 β 2 = γ ( Sα 2 — aβ 2 — bα 2 ). Für S finden zwey Fälle statt. Entweder das hinzukom- mende c muss der Schwelle wegen, auf die es b treiben soll, grösser seyn als a ; dann ist S = a + b ; oder b ist so klein, dass zur Schwelle ein kleineres c hinreicht, näm- lich c \< a ; dann ist S = b + c , oder = b + γ , weil hier c = γ . In jenem Falle fällt bα 2 aus den Klammern weg, und man hat Dies wird unendlich für α = β , welches, wie man aus dem obigen leicht übersieht, nur möglich ist für a = b ; ausserdem ist allemal α \> β , demnach immer ein positi- ver Werth für γ zu finden. Die Rechnung ergiebt zum Beyspiel für a =1, b =0,9; γ =12,16.. ‒ a =1, b =0,7; γ = 3,07.. ‒ a =1, b =0,5; γ = 1,13.. Hier nähern wir uns schon dem andern Falle; es ist vor- auszusehn, dass ein noch kleineres b auf ein γ \<1 hin- weisen werde. Demnach nehmen wir nun S = b + γ , und ändern die Formel. Es fällt auch jetzt bα 2 aus den Klammern weg, und man findet wo man vor der Wurzelgrösse nur das positive Zeichen nehmen darf, weil sonst γ negativ würde, welches kei- nen Sinn hat. Des Beyspiels wegen sey a =1, b =0,1; so ergiebt sich γ =0,208.. — Es versteht sich, dass, um dieses und die vorigen Beyspiele mit §. 49. zu verglei- chen, man überall die Grösse im Auge haben muss, wel- che durch die beyden andern auf die Schwelle getrieben wird, diese ist hier b , aber im §. 49. war sie c . Ferner war dort die mittlere der drey Grössen =1 gesetzt, die- ses muss also auch hier geschehn, um in der Verglei- chung nicht anzustossen. In den drey ersten Beyspielen ist a =1, und zugleich die mittlere Grösse; in dem letz- ten Beyspiele ist γ oder c diese mittlere Grösse, und sie sollte hier zur Einheit, oder zum Maasse für die andern Grössen genommen werden. Doch wir eilen zu der zweyten Aufgabe. c soll auf die Schwelle getrieben werden durch die verschmolzenen a und b . Dafür gilt die Gleichung oder, weil c = γ , und S = b + c , indem c , wenn es die stärkste der Vorstellungen wäre, nicht zur Schwelle sin- ken würde: Es sey a = b , folglich α = β , so ist , wenn a =1 und folglich α =1,25. Ohne Verschmelzung ist , nach §. 49. Für ein sehr grosses a , und sehr kleines κ (man sehe §. 69.) ist nahe = aκ = b , folg- lich β =2 b ; ferner α = a , und oder, indem für ein sehr grosses a füglich 4 ab 2 neben ba 2 kann weggelassen werden, c =2 b . Dies ist zwar nur ein Gränzwerth, der nicht völlig erreicht wird; allein man sieht daraus, dass vermöge der Verschmelzung, selbst eine stärkere Vorstellung neben einer schwächeren kann aus dem Bewusstseyn ver- drängt werden . — Uebrigens muss nun auch für ir- gend ein Verhältniss von a und b , c = b auf der Schwelle seyn. Es ist schwer, dieses Verhältniss genau zu finden. Man müsste α und β durch a und b ausdrücken; oder für a =1 durch κ , nach §. 69. Allein schon enthält die vierte Potenz von κ im Zähler, und die zweyte im Nenner; β die dritte im Zähler und die zweyte im Nenner; daher würde die Gleichung, worin α 2 β 2 vor- kommt, auf einen so hohen Grad steigen, dass die Auf- lösung so gut als unmöglich fiele. Durch Entwickelung von (1+ κ ) —2 in eine Reihe, durch Multiplication der zu- gehörigen Zähler, und Berechnung der daraus entstehen- den Grössen bis auf die dritte Potenz von κ , finde ich aus einer cubischen Gleichung κ oder b nahe ; eine Verbesserung mit Hülfe der Annahme , giebt . Dieses trifft bey der Probe ziemlich nahe zu; doch ist für κ oder b =0,6 schon c =0,63.. auf der Schwelle, also ist es hier schon grösser als b ; daher muss der gesuchte Werth von b etwas grösser seyn als 0,6. Der Gegenstand würde eine sorgfältigere Rech- nung, durch Auflösung einer biquadratischen Gleichung und Verbesserung vermittelst höherer Potenzen von u , wohl kaum belohnen. §. 71. Der am mindesten schwierige Fall der Verschmel- zung nach der Hemmung, nämlich der Fall worin alle Hemmungsgrade =1, ist jetzt, so weit es hier nöthig schien, abgehandelt worden. In den übrigen Fällen ist eine Verschmelzung schon vor der Hemmung, im Allge- meinen zu erwarten; wir müssen daher jetzt hieher unsre Aufmerksamkeit wenden. Schon im §. 67. ist erinnert worden, dass zwischen völliger Identität und völligem Gegensatze zweyer Vor- stellungen, ein Continuum möglicher Fälle liege; und dass diesem ein Continuum möglicher Erfolge entspreche, die aus dem Zusammentreffen zweyer Vorstellungen entsprin- gen müssen. Nun hat die völlige Identität eben so ge- wiss ein völliges Zusammenfliessen, also vollständige Bil- dung einer Totalkraft, als völliger Gegensatz die volle Hemmung zur Folge. Zwischen den Extremen können demnach nicht bloss mindere Hemmungen, es müssen da- zwischen auch mindere Grade des Zusammenfliessens, das heisst, Verschmelzungen vor der Hemmung, statt finden. Liesse sich nun das Verschmelzende zweyer Vorstellun- gen absondern von ihrem Gegensatze: so wären die Be- griffe hierüber von selbst im Klaren; wir hätten aber als- dann auch gleich im dritten Capitel die Totalkräfte, wel- che aus der Verschmelzung entstehen, gehörig in Rech- nung bringen, und nicht bloss auf die Grade der Hem- mung sehen sollen. — Allein Gleichheit und Gegensatz sind keinesweges Bestandtheile der Vorstellungen, son- dern Prädicate, die erst im zufälligen Zusammentreffen der Vorstellungen entstehn. Daher kann man die Rech- nung nicht so führen, als ob ohne weiteres das Gleiche verschmelze und das Entgegengesetzte sich hemme: son- dern man muss die Verschmelzung ansehen als etwas, das wegen eines gewissen Grades von Gleichartigkeit der Vor- stellungen sich ereignen sollte , das aber in dem Gegen- satze ein Hinderniss antreffe. Alsdann wird eine vorläu- fige Berechnung nöthig, in wie weit dies Hinderniss über- wunden werden, und dem gemäss die Verschmelzung wirklich vor sich gehen könne. Ehe wir uns auf die eben erwähnte Berechnung ein- lassen, wollen wir überlegen, was der Erfolg einer wirk- lichen Verschmelzung seyn möge? Keinesweges eine Verminderung der Hemmungssumme; sondern bloss eine Verrückung des Hemmungsverhältnisses: dies ist schon aus dem obigen klar. Denn die Verschmelzung bringt gewisse Totalkräfte hervor, die nun in einem andern Ver- hältnisse, als es die Stärke der Vorstellungen ursprüng- lich mit sich brachte, der Hemmung entgegenwirken, — derselben Hemmung, welche in dem Widerstreitenden der Vorstellungen einmal liegt, und welche sich nicht verändern kann, weil sonst diese Vorstellungen nicht mehr die nämlichen bleiben würden. — Allein das Hem- mungsverhältniss kann auch nicht plötzlich verrückt werden. Sonst müsste das Hinderniss, welches durch das Streben zur Verschmelzung erst soll überwunden werden, plötzlich entweichen; ein unmöglicher Sprung, wie durch Betrachtungen des folgenden Abschnittes noch klärer wer- den wird, und wie man hier einstweilen als wahrschein- lich einräumen mag. Nun hat die Hemmungssumme ihr Gesetz, nach welchem sie fortdauernd sinkt; ein Um- stand, der ebenfalls in den folgenden Abschnitt gehört. Man denke sich also die Hemmungssumme fortwährend im Sinken begriffen; aber in der nämlichen Zeit das Hem- mungsverhältniss unaufhörlich verändert: so wird man ein- sehn, dass, wofern eine wirkliche Verschmelzung zu Stande kommt, die Frage nach dem Quantum des Gehemmten für jede einzelne Vorstellung nicht mehr eine statische Frage, wie bisher, sondern eine mechanische ist. Denn nun hängt dies Quantum des Gehemmten, und der Gleich- gewichtspunct, bey welchem die Hemmung still steht, da- von ab, wie weit die Bewegungsgesetze der Vorstellun- gen die Verschmelzung zur Reife gelangen lassen. Fol- gendes sind die Puncte, worauf es hier ankommt. Erstlich, die Hemmungssumme sinkt allmählig. Zweytens, in der nämlichen Zeit ändert sich das Hemmungsverhältniss allmählig, indem das Streben zur Verschmelzung wider die Gegensätze sich aufarbeitet. Drittens, hieraus folgt, dass in jedem Augenblicke die bis dahin vollbrachte Hemmung von dem jetzigen Hemmungsverhältniss um etwas abweicht, und dass also jene sich diesem gemäss berichtigt. Viertens, diese Berichtigung muss zwar damit endi- gen, dass die Vorstellungen sich nach demjenigen Hem- mungsverhältniss ins Gleichgewicht setzen, welches nach gesunkener Hemmungssumme sich zuletzt ausbildet. Aber eben das letzte Hemmungsverhältniss hängt von dem Grade der Verschmelzung ab, welchen die fortschreitende Hem- mung gestattete. Denn die Vorstellungen können nicht verschmelzen, in so fern sie schon gehemmt sind; (ein Punct, über den wir schon im §. 57. gesprochen haben.) Je schneller sie also von Anfang an niedergedrückt wer- den, desto mehr geht von derjenigen Verschmelzung ver- loren, welche entstehen würde, wenn es möglich wäre, dass von der doppelten Wirkung der Gegensätze, näm- lich die Vorstellungen sinken zu machen und ihre Ver- schmelzung aufzuhalten, die erste so lange aufgeschoben würde, bis die zweyte ihr Ende erreicht hätte. Am gegenwärtigen Orte können diese Betrachtungen nur dazu dienen, den Gegenstand in die Mechanik des Geistes zu verweisen. Hier aber ist besonders zu bedenken, was schon vor- hin angedeutet wurde, dass die nämlichen Betrachtungen in die Nachforschungen der vorigen Capitel zurückgreifen müssen. Schon im dritten Capitel durften wir, Falls die Untersuchuug vollständig seyn sollte, das Hemmungsver- hältniss nicht bloss von den Hemmungsgraden und von der Stärke der Vorstellungen abhängig machen. Dort, und dann ferner bey den Complexionen, deren Elemente aus einerley Continuum ebenfalls der Verschmelzung schon vor der Hemmung (oder vielmehr, wie wir nun sehen, während derselben), unterworfen sind, musste auf die daraus hervorgehende Abänderung des Hemmungsverhält- nisses Rücksicht genommen werden. Würde dieses als ein Vorwurf gegen den bisherigen Vortrag angesehen: so läge die Antwort in der einzigen Erinnerung, dass die Aufstellung der Elementarbegriffe nicht mit so verwickelten Fragen belastet werden durfte, wie die vom Einfluss der Verschmelzung auf die Hem- mung. Ueberdies aber ist der Einfluss der Verschmelzung nicht von so grossem Umfange, als es Anfangs scheinen muss. Und die gehörige Begränzung dieses Einflusses ist nun das nächste, was zu bestimmen uns obliegt. §. 72. Zuvörderst: die Stärke des Strebens zur Verschmel- zung ist von dem Hemmungsgrade zweyer Vorstellungen, und von der schwächeren, nicht aber von der stärkeren unter beyden, abhängig. Der Hemmungsgrad sey m , ein ächter Bruch; so ist 1— m das Gleichartige beyder Vorstellungen. Gleichar- tigkeit aber ist nichts, was einer für sich allein zukäme, sie ist nur Eine für beyde Vorstellungen, während das Entgegengesetzte allemal zweyerley Verschiedenes ist, in- dem es auf zweyen Eigenthümlichkeiten zweyer Vorstel- lungen beruht. Die Gleichartigkeit, und mit ihr das Stre- ben nach Verschmelzung, wächst nun ohne Zweifel in demselben arithmetischen Verhältnisse, in welchem der Hemmungsgrad abnimmt. Sie wächst auch, wenn zwey gleich starke Vorstellungen gleichmässig wachsen oder abnehmen; nämlich die Gleichartigkeit ist alsdann gleich- sam in einer grösseren oder geringeren Masse realisirt, daher auch das Streben nach Verschmelzung in einer grösseren Masse des Vorstellens sich wirksam äussern wird. — Aber wenn von zweyen, zuvor gleich starken Vorstellungen, jetzo eine sich verstärkt, die andre gleich stark bleibt wie vorhin: so ist hier ein ähnlicher Fall wie schon oben im §. 42. bey der Hemmungssumme vorkam. Nämlich die Nothwendigkeit der Verschmelzung wächst hier eben so wenig, wie dort die Nothwendigkeit der Hemmung. Denn die Zerlegung der stärkeren Vorstel- lung in Gleiches und Entgegengesetztes wächst nicht darum, weil die Vorstellung selbst wächst, sondern sie bleibt in der nämlichen Kraft und Bedeutung, so lange die schwächere, zerlegende Vorstellung sich gleich bleibt. Die Spannung ist nun geringer, sowohl die, wel- che zur Verschmelzung antreibt, als die welche der Ver- schmelzung entgegenwirkt. — Dieses hindert aber nicht, dass die Totalkräfte, welche die wirkliche Verschmelzung hervorbringt, von der Stärke einer jeden verschmelzenden abhängen. Man muss die Energie des Verschmel- zens sehr wohl unterscheiden von den Kraft-Verhältnis- sen der verschmolzenen Vorstellungen. Ferner: dem Einen, aus der Gleichartigkeit entsprin- genden Streben zur Verschmelzung, wirken beyde entge- gengesetzte Eigenthümlichkeiten gerade in so fern zuwi- der, als sie sich unter einander anfechten, und dadurch das Sinken der Vorstellungen bewirken. Denn derselbe Wi- derstreit, welcher die Hemmungssumme hervorbringt, macht auch die Vereinigung in Eine Totalkraft unmöglich, oder doch schwierig und unvollkommen. — Demnach sind hier bey zweyen Vorstellungen drey Kräfte vorhanden; die eine zur Verschmelzung wirkende, =1— m , und die bey- den entgegengesetzten Eigenthümlichkeiten, oder mit ei- nem verkürzten Ausdrucke, die beyden Gegensätze, jeder = m , dem Hemmungsgrade, weil die ungleiche Stärke der Vorstellungen hier aus den Augen zu lassen ist. Diese drey Kräfte stehn unter einander in voller Hem- mung; denn erstlich ist das Entgegengesetzte zweyer Vor- stellungen, so fern es aus ihnen herausgehoben gedacht wird, gewiss völlig entgegengesetzt; zweytens ist eine jede der entgegengesetzten Eigenthümlichkeiten eben so gewiss in vollkommenem Widerstreit gegen die Ver- schmelzung. Wie nun mit dreyen, einander völlig entgegengesetz- ten Kräften zu rechnen sey, wissen wir aus dem ersten und zweyten Capitel dieses Abschnitts. Eben so wie dort, muss auch hier theils ein Quantum Kraft, welches ge- hemmt wird, — also eine Hemmungssumme — theils ein Verhältniss angegeben werden, nach welchem die vorhan- denen Kräfte den Verlust unter sich theilen. Die drey Kräfte m , m , und 1— m , seyen fürs erste so bestimmt, dass m \>1— m . Alsdann ist nach den ersten Grund- sätzen die Hemmungssumme =1— m + m =1. Und das Hemmungs-Verhältniss wie 1— m , 1— m , m . Die Summe der Zahlen, welche das Hemmungsverhältniss ausdrücken, =2— m . Daher die Rechnung folgende: Hier muss es etwas der Schwelle des Bewusstseyns Analoges geben, wenn , woraus , und ; daher ; wie sich gebührt, wenn neben zwey gleichen Kräften eine dritte auf der Schwelle seyn soll. Es ergiebt sich hier- aus folgender Satz: Wenn der Hemmungsgrad zweyer Vorstel- lungen nicht kleiner ist als …, so wird die, zur Verschmelzung vor der Hemmung wirkende Kraft, gänzlich gehemmt; es geschieht also keine solche Verschmelzung, sondern für alle Fälle dieser Art bleiben die früher gezeig- ten Rechnungen unverändert . Aber dieses ist noch nicht die engste Gränze, worin die Abänderung des Hem- mungs-Verhältnisses durch die Verschmelzung vor der Hemmung, muss eingeschlossen werden. Die Vorstellungen sind ursprünglich unverschmolzen. Wenn sie nun auch einander nahe genug, oder gleich- artig genug, sind, damit nicht, nach der eben geführten Rechnung, die Energie des Verschmelzens gänzlich über- wunden werde von dem entgegengesetzten Eigenthümli- chen einer jeden einzelnen Vorstellung: so fragt es sich dennoch, ob irgend etwas von wirklicher Verschmelzung zu Stande kommen könne? Dazu gehört, dass die Ener- gie der Gleichartigkeit, welche ursprünglich in beyden Vorstellungen nur Eine ist, sich in zwey gleiche Kräfte theile. Denn sie muss die eine Vorstellung mit der an- dern, und auch die andere mit jener, verschmelzen. Nun sind aber die Vorstellungen nicht einerley; und es kann auch in keiner von beyden das Gleichartige vom Entgegengesetzten wirklich losgerissen werden, um sich mit der andern zu vereinigen. Also bleibt nichts übrig, als dass mit jeder von beyden sich die andre in einem gewissen, beschränkten Grade verbinde. Jede einzelne Vorstellung wird gleichsam ein Subject, mit welchem sich die andre, so weit sie kann, als Prädicat vereinigen soll. Demnach giebt es nicht eine, sondern zwey Verknüpfun- gen; und die eine, verschmelzende Kraft theilt sich nicht bloss in zwey Kräfte, sondern diese beyden Kräfte sind auch unter einander in vollem Widerstreite, in so fern sie auf umgekehrte Weise eine der beyden Vorstellun- gen als eine solche setzen, mit welcher die andre un- vollkommen verbunden werde. Fragt man aber, wie sich die eine, verschmelzende Kraft theilen könne? so ist die Antwort: sie liegt ursprünglich eben so wohl in der ei- nen als in der andern der beyden Vorstellungen, da zur Gleichheit derselben gewiss beyde nöthig sind; und nur in ihren beyden Aeusserungen ist sie mit sich selbst im Streite. — In dieser Beziehung sind nun offenbar vier Kräfte Kräfte in eine Hemmungsrechnung zusammen zu fassen; nämlich m , m , , . Die Hemmungssumme umfasst die drey schwächern, und ist folglich =1. Von wird gehemmt . Dieses sey = , so wird jede der schwächern Kräfte völlig gehemmt, und es findet sich … Wenn nun der Hemmungsgrad auch klei- ner ist als 0,585… aber grösser als 0,414… so hindert noch immer das Entgegengesetzte der Vorstellungen ihre Verbindung , denn es können die beyden Verknüpfungen, welche jede mit der an- dern eingehn sollte, nicht zu Stande kommen. Erst für niedrigere Hemmungsgrade tritt die Verschmelzung vor der Hemmung wirklich ein. Und auch da kann ihre Wir- kung, in so fern dadurch die Hemmungs-Verhältnisse verändert werden, nicht sehr beträchtlich werden; da nicht bloss die verschmelzende Kraft immer in zwey gleiche Theile zerfällt, sondern diese auch nur mit derjenigen Stärke wirken können, welche ihnen aus dem Streite mit einander und mit den Gegensätzen übrig bleibt. Für sehr kleine Hemmungsgrade endlich fällt die Verschmel- zung vor der Hemmung mit der nach der Hemmung beynahe zusammen, indem es fast keine Hemmung mehr giebt. In einer ganz andern Hinsicht aber muss der Faden dieser Untersuchung weiter verfolgt werden. Wir sind nämlich hier wieder unvermerkt, so wie schon im §. 61. und 66., auf das Feld der Gefühle gerathen; und zwar diesmal auf das der ästhetischen Gefühle . Denn der Zustand des Strebens und Gegenstrebens der Vor- stellungen, in Ansehung ihrer Verschmelzung, ist etwas ganz Anderes als eine Bestimmung des Vorgestellten ; vielmehr lassen sich die vorgefundenen Zustände ganz ge- nau mit den musikalischen Auffassungen gewis- I. Q ser Intervalle vergleichen; wovon jedoch hier nicht der Ort ist weiter zu reden. §. 73. Wir sehen jetzt, dass es für die grössere Hälfte der möglichen Hemmungsgrade nur bloss eine Verschmelzung nach der Hemmung, und keine vor der Hemmung, giebt; nämlich für die Hemmungsgrade zwischen 1 und 0,414… Es sey nun derselbe , auch , wie oben, die Re- ste r und ρ aus §. 54 jetzt und , ihr Product durch κ ausgedrückt ; daraus findet sich für a =1 folgende Reihe von Ver- schmelzungshülfen: Wenn κ =1, wird =0,5625… und =0,5625… κ =0,9 0,522 0,580 0,8 0,474 0,593 0,7 0,423 0,604 0,6 0,366 0,61016 0,5 0,305 0,61067 0,4 0,242 0,6061 0,3 0,178 0,594 0,2 0,1148 0,574 Es leuchtet ein, dass diese beträchtlichen Verschmel- zungshülfen grossen Einfluss haben müssen, insbesondere auf die Schwelle des Bewusstseyns. Uebrigens hat die Grösse auch hier wieder ein Maximum, ungefähr für κ =0,5. Hiemit sey dieser Abschnitt beschlossen. Es scheint nicht, dass die Statik des Geistes, so weit sie unabhän- gig von der Mechanik ist, noch andere Hauptclassen von Untersuchungen enthalten könne, als die, von welchen die ersten Begriffe in den vorstehenden Capiteln sind auf- gestellt worden Man vergleiche jedoch unten §. 100. gegen das Ende. . Wir gehen nunmehro an das schwe- rere Werk, den Bewegungen nachzuspüren, durch wel- che der Geist sich dem Gleichgewichte der Vorstellun- gen annähert, oder davon entfernt. Q 2 Dritter Abschnitt . Grundlinien der Mechanik des Geistes. Erstes Capitel . Vom Sinken der Hemmungssumme. §. 74. W enn schon ein Gleichgewicht vorhanden ist, dann kann es nur durch neue, hinzutretende Kräfte gestört werden. Allein da wir von Vorstellungen reden, so dringt sich zuerst die Bemerkung auf, dass in Ansehung ihrer es nicht erlaubt ist, das Gleichgewicht als ihren anfäng- lichen Zustand vorauszusetzen. Vielmehr sind sie ur- sprünglich alle ganz ungehemmt; eben in diesem ihren natürlichen Zustande bilden sie auch (wofern nur ihrer mehrere entgegengesetzte beysammen sind) eine Hem- mungssumme; diese nun muss sinken, und hiemit ist so- gleich eine Bewegung der Vorstellungen vorhanden. In der Reihe der Untersuchungen mussten wir zuerst das Gleichgewicht bestimmen; in der Wirklichkeit geht die Bewegung dem Gleichgewichte voran. Indem die Hemmungssumme sinkt: hat sie in jedem Augenblicke eine bestimmte Geschwindigkeit , und in der bis dahin abgelaufenen Zeit ist ein bestimmtes Quan- tum gesunken. Beydes haben wir zu berechnen. Oder wird das Sinken keine Zeit verbrauchen? Wird mit unendlicher Geschwindigkeit, plötzlich, das unge- hemmte Vorstellen zu dem gehörig gehemmten übersprin- gen? — Die innere Erfahrung, so fern sie sich hierüber befragen lässt, antwortet: dass allerdings jeder Wechsel un- serer Gemüthslagen Zeit verbrauche. Aber auch a priori ist dasselbe mit grosser Bestimmtheit zu erkennen. Zwi- schen dem ungehemmten und dem gehörig gehemmten Zustande liegt ein Continuum von Mittelzuständen; durch jeden derselben würde selbst ein unendlich schneller Ue- bergang, wenn ein solcher statt fände, successiv herdurch gehn müssen. Aber bey jedem dieser Mittelzustände ist die Nothwendigkeit des ferneren Sinkens geringer, als bey dem vorhergehenden einer, noch weiter vom Ziele entfernten, Hemmung. Folglich werden die Vorstellun- gen weniger gedrängt, um aus dem Bewusstseyn zu ent- weichen. Demnach muss das Sinken der Hemmungs- summe mit abnehmender Geschwindigkeit von Statten gehn, und damit die Geschwindigkeit abnehmen könne, muss Zeit verfliessen. — Dieses nun mag sich Jeder auf beliebige Weise in seine metaphysische Sprache über- setzen. Der Idealist, und schon der Kantianer, mag im- merhin vorläufig sagen, es sey hier nur von Phänomenen die Rede; und zu dem Sinken der Vorstellungen gehöre Zeit in demselben Sinne, als worin die Bewegung der Körper Zeit und Raum verbrauche. Es ist hier nicht der Ort, in der Lehre von Raum und Zeit Falsches und Wahres zu scheiden; oder den, höchst dürftigen, Gegen- satz zwischen Phänomenen und Noumenen näher zu be- leuchten. In jedem beliebigen Augenblicke ist die Nothwendig- keit des Sinkens der Hemmungssumme so gross, als das noch ungehemmte Quantum derselben. Was wirklich sinkt in diesem Augenblicke, ist zugleich dem Augen- blicke und dieser Nothwendigkeit proportional. Es sey S die Hemmungssumme, σ das Gehemmte nach Verlauf der Zeit t , so ist ( S—σ ) dt = dσ Kaum wird es nöthig seyn, zu erinnern, dass man sich nicht durch die Analogie mit der Mechanik der Kör- per verleiten lassen solle, auch hier an ein Fortgehen mit einmal erlangter Geschwindigkeit zu denken. Die Vorstellungen streben ihrer Natur nach immer aufwärts ins Bewusstseyn; und ihr Sinken ist keine räumliche Be- wegung, sondern eine erzwungene Verdunkelung des Vorgestellten. Jedes augenblickliche Sinken ist immer der unmittelbare Ausdruck der Nöthigung zum Sinken. Während also in der Mechanik der Körper die Kraft nur das Differential der Geschwindigkeit bestimmt, ergiebt sie hier geradezu die Geschwindigkeit selbst. Dagegen haben wir hier gar keine gleichförmig wirkende, sondern nur veränderliche Kräfte. Die Gleichung integrirt giebt Für t =0 auch σ =0 giebt Const .= S , also Das Gehemmte, oder σ = S (1— e —t ) Noch zu hemmen S — σ = Se —t Wegen der grossen Wichtigkeit dieser Formeln setze ich für diejenigen, denen eine Grösse wie e —t und 1— e —t nicht geläufig seyn möchte, folgende Werthe derselben her: Für t = ¼ ist e —t =0,7788..; 1— e —t =0,2211.. ‒ t = ½, ‒ e —t =0,6065..; 1— e —t =0,3934.. ‒ t =1, ‒ e —t =0,3678..; 1— e —t =0,6321.. ‒ t =2, ‒ e —t =0,1353..; 1— e —t =0,8646.. ‒ t =3, ‒ e —t =0,0497..; 1— e —t =0,9502.. Hiezu nehme man, was auf den ersten Blick offen- bar ist, dass für t =0, oder im Anfange des Zeitverlaufs, e —t =1, Se —t = S , oder die Hemmungssumme noch ganz ungehemmt; für t =∞, oder nach einem unendlich lan- gem Zeitverlauf (der, wie sich versteht, nur eine Fiction seyn kann, die man sich erlaubt anstatt einer äussersten Gränze), , , oder die Hemmungs- summe bis auf einen unendlich kleinen Rest gehemmt, folglich in gar keiner Zeit die Hemmung schlechthin gänzlich vollbracht ist. So sieht man nun das Fort- schreiten der Hemmung deutlich vor Augen. Anfangs ver- doppelt sich dieselbe beynahe, wenn die Zeit verdoppelt wird; aber wenn die Zeit achtmal verlaufen ist, oder für t =2, hat sich das Gehemmte jener ersten Zeit noch nicht vervierfacht, denn 0,86.. ist noch nicht völlig vier- mal 0,22.. Weiterhin rückt selbst bey der längsten Dauer die Hemmung nur äusserst wenig, ja nur ganz un- merklich, dennoch aber unablässig vor, so dass das Gemüth sehr bald beynahe , aber nimmermehr völlig in Ruhe ist Wegen des Zeitmaasses, oder der Zeit-Einheit, welche bey den Rechnungen hinzuzudenken ist, vergleiche man unten §. 144. . §. 75. Die Hemmungssumme ist bekanntlich nichts für sich bestehendes, noch irgend einer Vorstellung insbesondre angehöriges; damit also die vorstehenden Formeln eine reale Bedeutung erlangen, müssen wir weiter nachsehen, welche Verdunkelungen der wider einander wirkenden Vorstellungen es sind, die zusammengefasst dem Aus- druck: Sinken der Hemmungssumme, entsprechen. Es seyen die Hemmungsverhältnisse der Vorstellun- gen ausgedrückt durch die Zahlen f , g , h ; so sinkt von derjenigen Vorstellung, der die Zahl f zugehört, der Bruch , nämlich bezogen auf das Ganze, was überhaupt sinkt. In dem Zeittheilchen dt nun sinkt überhaupt dσ =( S—σ ) dt = Se —t dt , folglich von jener Vorstellung sinkt qSe —t dt ; wovon das Integral =— qSe —t + C . Für t =0 ist dieses =0, also C = qS , und das vollständige Integral = qS (1— e —t )= X ; woraus Gestattet nun das Verhältniss der Vorstellungen, dass man sie alle in einerley Hemmungsrechnung bringe: so ist am Ende der Hemmung X = qS , also t unendlich. Das heisst, jede Vorstellung sinkt in einerley Proportion mit der Hemmungssumme, und ge- langt daher sehr bald beynahe, aber nie völ- lig zur Ruhe . Allein ganz anders verhält es sich mit Vorstellungen die unter die Schwelle fallen. Es sey eine solche Vorstellung = c , so muss sie ganz und gar gehemmt wer- den, oder es ist zuletzt X = c , und die Zeit, während welcher sie völlig sinkt, ist Der Nenner ist hier immer positiv, weil das, was von ihr hätte sinken sollen, immer grösser ist als sie selbst. Demnach die Zeit des völligen Sinkens allemal endlich ; obschon niemals =0, so lange nicht c selbst =0. Beyspiele : Bey voller Hemmung sey a =3, b =2, c =1; wofür, wenn nicht c unter die Schwelle fiele, das Hemmungsverhältniss auszudrücken wäre durch die Zah- len 2, 3, 6; also ; ferner S =2+1=3, , und .. Es sey ferner bey voller Hemmung a =4, b =3, c =2; woraus die Hemmungsverhältnisse 3, 4, 6; und ; S =5; ; also . Es sey endlich bey voller Hemmung a =10, b =10, c =7, also c , wie bekannt, beynahe auf der Schwelle: so ist das Verhältniss der Hemmung wie 7, 7, 10; ; S =17; .. Wäre in dem letzten Beyspiele genommen worden, so würde die Zeit unendlich gross geworden seyn. Man sieht also, dass, wenn c seinem Schwellenwerthe auch schon sehr nahe ist, doch eine kurze Zeit hinreicht, um es aus dem Bewusstseyn zu ver- drängen. — Merkwürdig ist hiebey noch die Veränderung in der Geschwindigkeit der übrigen Vorstellun- gen, welche in dem Augenblicke vorgeht, da die schwächste zur Schwelle sinkt . Die Hem- mungssumme muss ihrem Gesetze gemäss continuirlich sinken; verschwindet nun plötzlich diejenige Vorstellung, welche bisher von der Hemmungssumme am meisten zu leiden hatte, so müssen in diesem Augenblicke die stär- keren einen weit beträchtlichern Druck erleiden, als sie bisher zu tragen hatten. In dem ersten Beyspiele ist nach Verlauf der Zeit =0,944.. noch zu hemmen übrig Se —t =3. e —0,944.. =1,17…; dieses drückt, unmittelbar vor dem völligen Sinken von c , mit der 1,17..× auf a , und mit der Kraft 1,17..× auf b ; hingegen unmittelbar darnach ändert sich das Hem- mungsverhältniss; a und b müssen den Rest der Hem- mungssumme allein theilen; es drückt auf a die Kraft 1,17..× , auf b die Kraft 1,17..× . Die Geschwindig- keit des Sinkens ist, wie oben gesagt, allemal der un- mittelbare Ausdruck der zum Sinken nöthigenden Kraft, und derselben proportional. Sie wird demnach in unserm Falle plötzlich mehr als verdoppelt. Sind mehr als drey Vorstellungen im Spiele: so kön- nen sich dergleichen plötzliche Aenderungen mehrmals ereignen; denn jede der schwächeren hat ihren Zeitpunct, wo sie zur Schwelle sinkt, und den übrigen die Theilung der Hemmungssumme überlässt. Dies ist ein leichtes Beyspiel von dem, was keine empirische Psychologie jemals hätte wissen können. Ueber den Gegensatz der plötzlichen und der continuirlichen Veränderungen im Bewusstseyn kann sie sich nur wun- dern, nicht sie erklären. §. 76. Die Anwendung des Bisherigen auf Complexionen und Verschmelzungen kann wohl kaum Schwierigkeit fin- den. Immer beharrt die Hemmungssumme bey dem glei- chen Gesetze des Sinkens. Aber die Elemente der Ver- bindungen erleiden mancherley Beschleunigungen und Verzögerungen; auf ähnliche Art, wie deren Gleichge- wicht durch die Complication verändert wird. Die plötzlichen Aenderungen der Geschwindigkeit bey stärkeren Vorstellungen, indem schwächere zur Schwelle sinken, werden gemildert durch Verschmelzungen und unvollkommne Complicationen. Denn indem die schwä- cheren zur Schwelle getrieben sind, haben auch die Hül- fen, durch welche sie unterstützt waren, völlig gehemmt werden müssen. Diese Hülfen rühren von den stärkeren Vorstellungen her, welche schneller sinken, um die schwä- chern verschmolzenen oder complicirten länger im Be- wusstseyn verweilen zu machen. Also kann der Abstand der Geschwindigkeiten jetzt nicht so gross seyn, als bey unverbundenen Vorstellungen, wo in Einem Augenblick der Druck der Hemmungssumme sich ganz auf die stär- keren wirft, nachdem er unmittelbar zuvor diese in eben dem Verhältniss weniger, als die schwächern stärker, an- gegriffen hatte. Demnach, je weniger Verbindung noch unter den Vorstellungen statt findet, desto mehr ge- hen die Bewegungen des Gemüths stossweise, und mit harten Rückungen; je mehr die Ver- bindungen zunehmen, desto gleichmässiger und sanfter wird der Fluss der Vorstellungen . — Wesentlich ist noch die Bemerkung, dass alle Ver- schmelzungen nach der Hemmung, in ihrer Ausbildung eben so fortschreiten müssen, wie die Hemmung abnimmt. Sollten sie erst bey völliger Ruhe entstehn, so entstün- den sie niemals, weil die Hemmungssumme nie gänzlich sinkt. Aber in wie fern ein paar Vorstellungen einander noch widerstreben, können sie sich nicht vereinigen. — Demnach seyen die Reste zweyer Vorstellungen, welche nach der Hemmung überbleiben werden, und also sich verbinden können, = r und ρ ; so ist die wirkliche Verbindung am Ende der Zeit t , nach dem obigen = rρ (1— e —t ). Und so tritt denn auch die Ver- bindung sehr bald beynahe, aber niemals völ- lig ein . Für Vorstellungen, die zur Schwelle sinken sol- len, giebt es keine Reste, also keine Verschmelzung nach der Hemmung. — In Hinsicht der Verschmelzung vor der Hemmung müssen wir uns die Uebergänge der Zu- stände, die aus dem Streben zur Vereinigung und den dawider streitenden Gegensätzen hervorgehn, eben so all- mählig geschehend denken, wie die bisher betrachtete Hemmung. Zweytes Capitel . Von den mechanischen Schwellen. §. 77. Bey den höchst einfachen Voraussetzungen, nach denen wir bis jetzt gerechnet haben, und wornach das Vorstellende nur von äusserst wenigen Vorstellungen be- schäfftigt wird, können wir nichts anders erwarten, als dass sehr bald von der eben vorhandenen Hemmungs- summe nur noch wenig übrig seyn, dass also ein der Ruhe ganz nahe kommender Zustand eintreten werde; aus welchem nur neu hinzukommende Vorstellungen das Gemüth aufzuregen vermögen. Zu einem Paar im Gleichgewichte befindlicher Vor- stellungen komme demnach eine dritte, und zwar plötz- lich , d. h. schnell und stark genug, damit wir den Zeit- verlauf und das verwickelte Gesetz allmähliger Wahrneh- mung hier als unbedeutend bey Seite setzen können: es wird gefragt nach den Bewegungen der Vorstellungen, die daraus entstehen müssen. Die hinzukommende wird eine Hemmungssumme bil- den, welche sinken muss. An diesem Sinken werden auch die früher vorhandenen Theil nehmen; und zwar werden sie dabey unter ihren statischen Punct hinabsinken, bald aber wieder zu demselben hinaufsteigen. Hiebey können sie für eine Zeitlang auf die Schwelle des Bewusstseyns getrieben werden, welche wir für einen solchen Fall schon oben (im §. 47.) mechanische Schwelle genannt haben. Um dies leichter aufzuklären: nehmen wir zuvörderst an, zu schon im Gleichgewichte befindlichen, und nach der Hemmung verschmolzenen, a , und b , komme ein so schwaches c , dass es neben jenen auf die längst bekannte statische Schwelle sinken müsse. Alsdann kann es in sta- tischer Hinsicht auf a und b keinen Einfluss haben. Aber ehe es aus dem ungehemmten Zustande in den gehemm- ten übergeht, muss es durch a und b zum Sinken ge- bracht werden; dabey wirkt es auf diese zurück, und zwingt also auch sie, die schon auf ihrem statischen Puncte waren, unter denselben hinab zu sinken. Dieses wird so fortgehn, bis die durch c entstandene Hemmungs- summe völlig niedergedrückt ist. Aber hiezu wird keine unendliche Zeit nöthig seyn, denn das Streben jener, auf ihren statischen Punct zurückzukehren, wirkt mit, und beschleunigt alle Bewegungen. Indem nun a und b wie- der steigen, wird c zur Schwelle getrieben werden. Man bemerke aber, dass hier die Bewegung nicht nach einerley Gesetze fortdauernd geschehn kann. Ein Bewegungsgesetz wird statt finden, so lange a und b sinken, ein anderes wird eintreten, indem sie anfan- gen sich wieder zu erheben. Dazwischen kann es noch ein drittes geben, wofern etwa b bis zur Schwelle hin- abgedrückt, daselbst eine Zeitlang verweilen müsste, also nur einen gleichförmigen Druck gegen die übrigen, fer- ner sinkenden Vorstellungen ausüben könnte. Nehmen wir nun die Voraussetzung zurück, dass c neben a und b unter der statischen Schwelle seyn solle: so wird zwar der statische Punct von a und b erniedrigt, und die anfängliche Bewegung kann von keinem Zu- rückstreben dieser Vorstellungen zu ihrem statischen Puncte beschleunigt werden. Aber sobald derselbe er- reicht ist, entsteht ein solches Streben, und wächst bey fortgehendem Sinken; von da an ist der Verlauf des Er- eignisses im Allgemeinen wie oben, nur dass c nicht auf die Schwelle, sondern bis zu seinem statischen Puncte getrieben wird. Dieses muss jetzo durch Rechnung näher bestimmt werden. Wir knüpfen dieselbe an den §. 69., wegen der unfehlbar vorhandenen Verschmelzung nach der Hem- mung; und nehmen auch hier die abkürzende Voraus- setzung voller Hemmung an; zwar nicht eben, um der ziemlich eng begränzten Verschmelzung vor der Hem- mung auszuweichen, sondern weil über die Einführung verschiedener Hemmungsgrade in die Rechnung, nach den frühern Auseinandersetzungen wohl kein Zweifel mehr walten kann. Es sey zuerst c neben a und b auf der sta- tischen Schwelle . So ist bey voller Hemmung die neu entstehende Hemmungssumme gewiss = c . Die Ver- hältnisse, worin sie vertheilt wird, sind aus §. 69., (wo γ = c ) acβ 2 , bcα 2 , α 2 β 2 . Ist also nach Verlauf der Zeit t das Gehemmte = σ , so wird alsdann von a gehemmt seyn acβ 2 σ :( acβ 2 + bcα 2 + α 2 β 2 ) ‒ b ‒ ‒ bcα 2 σ :( acβ 2 + bcα 2 + α 2 β 2 ) ‒ c ‒ ‒ α 2 β 2 σ :( acβ 2 + bcα 2 + α 2 β 2 ). Im Zeittheilchen dt drängt zum Sinken erstlich der Rest der Hemmungssumme, c—σ , dann aber auch das Wieder-Aufstreben von a und b . Dieses zwar wirkt zu- nächst nur gegen c , allein dadurch wird die Spannung von c vermehrt, und durch seinen Widerstand wirft es den erlittenen Druck auf a und b zurück. Ueberhaupt kann das Sinken von c wohl beschleunigt werden, aber dann muss auch das Sinken von a und b rascher gehn, denn die einmal in den Kräften gegründeten Hemmungs- verhältnisse können nicht verletzt werden. Nun beträgt das Wieder-Aufstreben von a und b so viel als ihr Ge- hemmtes unter dem statischen Puncte; und da sie von Anfang an schon auf dem Puncte waren, zu dem sie zurückkehren müssen, so ist ihr ganzes Gehemmtes gleich ihrem Wieder-Aufstreben. Folglich kommt hinzu die Kraft , und wir haben die Glei- chung Es sey so ist ( c—qσ ) dt = dσ woraus und Wofern keine mechanische Schwelle eintritt: so geht nach diesem Gesetze das Sinken fort, bis die ganze Hem- mungssumme niedergedrückt ist. Denn so lange sich von ihr noch etwas vorfindet, muss dasselbe auf alle Vorstel- lungen vertheilt werden. Erst wann nichts mehr zu ver- theilen ist, können a und b um so viel steigen, als um wie viel sie c sinken machen. Man setze also in dem Ausdrucke für t , σ = c ; so kommt für die Zeit, während welcher jenes Gesetz bestehen kann. Es ist daher man leicht übersieht, wie diese Zeit um so kleiner ist, je klei- ner q , das heisst, je grösser c , denn der Zähler von dem Bruche q ist die Verhältnisszahl der Hemmung für c . Da q nie =1 seyn kann, so ist auch diese Zeit allemal endlich. Es ist merkwürdig, dass sich die früher vorhan- denen Vorstellungen nur um so kürzere Zeit niederdrük- ken lassen, je stärker der Druck ist. Nachdem nun der Hemmung Genüge geschehn, kann c nicht länger a und b zum Sinken zwingen. Das heisst, sie steigen, wie wenn c nicht wäre, nach ihrem eigenen Gesetze; um wie viel aber beyde zusammengenommen steigen, um so viel muss c sinken. (Nämlich sie steigen zu ihrem statischen Puncte; dieser aber freylich hängt von c ab, wofern nicht, wie hier angenommen, c auf der statischen Schwelle, oder darunter ist.) Die Entfernung vom statischen Puncte bestimmt in jedem Augenblicke die Kraft und Geschwindigkeit des Steigens. Die anfängliche Entfernung ergeben die Aus- drücke für das Gehemmte von a und b , wenn darin σ = c gesetzt wird. Also für a ist diese Entfernung = ac 2 β 2 : ( acβ 2 + bcα 2 + α 2 β 2 ). Sie heisse S' ; und nach einer Zeit des Steigens = t' , habe sich von a wieder erhoben das Quantum σ' . So ist jetzt die Entfernung vom statischen Puncte = S'—σ' , und hieraus die Zunahme des Steigens woraus Es muss nun auch b nach einem ganz ähnlichen Ge- setze steigen, c aber nach demselben sinken. Folglich tritt auch hier, wie die Formeln zeigen, das Gleichge- wicht nie vollkommen ein, obgleich sehr bald beynahe; die frühern Vorstellungen behalten immer noch eine ge- ringe Bewegung des Steigens, die späteren des Sin- kens. — Zu einem Beyspiele sollen einige Zahlen aus §. 69. verhelfen. Es sey a = b =1, also α 2 =1,5625; α 2 β 2 = 2,4414..; auch sey c =½, also =0,61.. und t =1,54.. Um diese Zeit ist von a ge- hemmt , nahe 0,1; von b eben so viel; von c we- nig über 0,3. Jetzt erheben sich a und b , um das ver- lorne Zehntel wieder zu gewinnen; unterdessen wird c zwey Zehntel (beynahe) verlieren, und dann auf der Schwelle seyn, wohin es jedoch nie völlig gebracht wird; obgleich es in statischer Hinsicht unter der Schwelle ist, und selbst von noch nicht verschmolzenen a und b sehr bald würde zur Schwelle getrieben seyn, wäre es gleichzei- tig mit a und b ins Bewusstseyn gekommen. (Man sehe §. 75.) — Vielleicht ist nicht überflüssig zu erinnern, dass a und b ein Zehntel verlieren, nachdem schon ihre eigne gegenseitige Hemmung so gut als vollbracht war; das heisst, nachdem sie schon halb gehemmt waren. Also ihr niedrigster Stand ist =0,4; von da an erheben sie sich wieder auf den vorigen Stand =0,5. §. 78. Auf die mechanische Schwelle wird b getrieben wer- den, wofern das, was von b zu hemmen ist, dem Reste von b aus der frühern Hemmung eher gleich wird, als die Zeit abgelaufen ist. Es sollte von b gehemmt werden die Grösse bcα 2 σ :( acβ 2 + bcα 2 + α 2 β 2 ). Nach Ablauf der eben erwähnten Zeit ist σ = c . Gesetzt nun, es sey bc 2 α 2 :( acβ 2 + bcα 2 + α 2 β 2 ) gerade gleich dem Reste von b aus der frühern Hemmung: so wird dieser Rest eben in dem Augenblicke völlig gehemmt seyn, da b sammt a wiederum beginnt zu steigen. Also stösst gleichsam b nur augenblicklich an die Schwelle , ohne auf derselben zu verweilen. Dieser Fall liegt in der Mitte zwischen den beyden, da die Schwelle nicht berührt wird, und da die Verweilung auf derselben ein neues Gesetz für den Fortgang der Hem- mung herbeyführt. Von hier also müssen die genauern Betrachtungen der mechanischen Schwelle ausgehn. Der Rest von b aus der frühern Hemmung ist = nach §. 44. Ihm soll die Grösse bc 2 α 2 :( acβ 2 + bcα 2 + α 2 β 2 ) gleich seyn. Wir haben also und daraus Um Um sich unter den Bedeutungen, welche diese For- mel annehmen kann, eher zu orientiren, setze man für c 2 den Werth , wegen der Voraussetzung, dass es auf der statischen Schwelle oder unter derselben sey. Alsdann lässt sich durch dividiren; und man sieht auf den ersten Blick so viel, dass ab \> β 2 seyn muss. Bey Vergleichung des Täfelchens im §. 69. zeigt sich, dass diese Bedingung ungefähr bey anfängt in Erfülllung zu gehn. Es sey nun des Beyspiels wegen a =10, b =2; dem- nach a =10,32; β =3,61; α 2 =106,5; β 2 =13,032; so findet sich c =1,766.., welches der Forderung entspricht, neben a und b unter der statischen Schwelle zu seyn. Denn man nehme b zum Maasse der Grössen, so ist b =1, a =5, c =0,883..; aber nach §. 49. würde schon c =0,91.. zur Schwelle sinken. Demnach ist es möglich, und es kann selbst ziem- lich viele Fälle geben, da die dritte, hinzukommende Vor- stellung, neben zwey frühern (sogar wenn sie unver- schmolzen wären) zur statischen Schwelle getrieben wird, und dennoch im Stande ist, während ihres Sin- kens, die schwächere der frühern zuvor auf die mechanische Schwelle zu bringen ; und selbst sie dort eine kurze Zeit lang aufzuhalten. Denn während das berechnete c , nur b an die Schwelle anstossen macht, würde ein anderes, um ein weniges stärkere, z. E. c =0,9, eine kurze Verweilung auf der mechanischen Schwelle bewirkt haben. — In der That ist die Sphäre dieser Mög- lichkeit noch um Etwas grösser, als wir sie hier obenhin bezeichnet haben. Denn die Schwellenformel gilt für unverschmolzene Vorstellungen; aber a und b sind verschmolzen, und neben ihnen ist auch ein etwas grö- sseres c auf der statischen Schwelle; welches wir annah- I. R men, damit durch das Hinzukommen des c der statische Punct von a und von b nicht möge verrückt werden. §. 79. Zweyerley ist noch übrig: erstlich, das Gesetz zu be- stimmen, nach welchem sich während der Zeit, da eine Vorstellung auf der mechanischen Schwelle verweilt, die übrigen bewegen; zweytens, die beschränkende Voraus- setzung, dass c auf der statischen Schwelle oder darun- ter sey, zurückzunehmen, und die Folgen davon zu er- örtern. Ruhet b auf der mechanischen Schwelle, so liegt eben darin der Unterschied dieser Schwelle von der sta- tischen, dass nun gleichwohl b nicht aufhört, Einfluss zu haben auf das was im Bewusstseyn vorgeht. Denn wie weit es von seinem statischen Puncte entfernt ist, um so weit vermag es, sich wieder zu erheben, wenn schon nicht plötzlich, sondern erst nach vorgängigem ferneren Sinken der übrigen Vorstellungen. Der ganze Unter- schied seiner jetzigen Wirksamkeit von jener, da es noch selbst im Sinken begriffen war, ist nur dieser, dass es zuvor an Spannung zunahm, indem es tiefer sank; jetzt hingegen übt es einen gleichbleibenden Druck, so lange bis es sich von der mechanischen Schwelle wieder erhe- ben kann. Um hiernach die Formel des §. 77., nämlich abzuändern, bedenke man, dass q aus drey Theilen be- steht, unter welchen einer die Wirksamkeit von a , ein andrer die von b ausdrückt. Der letztre wird offenbar jetzt constant, und hängt nicht mehr von σ ab. Alles Constante (welches näher zu bestimmen noch vorbehal- ten bleibt) mag mit c zu Einer Grösse zusammengefasst werden, welche C heisse. Auch sey das übrigbleibende Veränderliche = q'σ , so wird die Formel woraus man sieht, dass das Bewegungsgesetz mit gerin- ger Veränderung dasselbe ist wie zuvor. Um aber zu- erst die Zeit zu finden, wann b auf die mechanische Schwelle gesunken, nehme man erst aus §. 77. das von b Gehemmte; dieses dem Rest gleich gesetzt, giebt , welcher Werth von σ zu substituiren ist in die Formel . Hiedurch beschränkt sich die Anwendung des vorigen Bewegungs- gesetzes, und ergiebt sich der Anfang des jetzigen. Diejenige Zeit, welche von diesem Anfangspuncte verläuft, wollen wir, zum Unterschiede von der vorigen, mit t' bezeichnen, und daher die schon gegebene For- mel nun so schreiben ( C—q'σ ) dt' = dσ woraus zunächst . Damit die Constante bestimmt werde, setzen wir zu- vörderst den Werth von σ für t' =0, nämlich so wird , und folglich Hieraus erfährt man das Ende des jetzigen Bewe- gungsgesetzes, oder die Zeit, wann b sich wiederum von der Schwelle erhebt, indem man σ = c setzt. Denn nicht eher kann sich b erheben, als bis nichts mehr zu hem- men da ist; indem, hätte sich vorher b nur im gering- sten gehoben, es sogleich wiederum durch ein endliches Quotum der Hemmungssumme würde niedergedrückt seyn. Nachdem aber diese gesunken, steigt nothwendig b , wie schon gezeigt, zu seinem statischen Puncte, als ob ihm keine Kraft entgegenwirkte. Dasselbe gilt von a ; sie be- ginnen ihre Erhebung zugleich, und können sie niemals ganz vollenden. — R 2 Nun haben wir noch C und q' zu bestimmen. Man überlege, wie σ vertheilt wird, während b auf der mecha- nischen Schwelle verharrt. Nur unter a und c kann es vertheilt werden; also entsteht hier eine ähnliche Beschleunigung plötzlich , wie im §. 75. bemerkt. Ferner, die Verschmelzungshülfe des b kann dem a nicht mehr zu Statten kommen, da von b nichts mehr zu hem- men ist, allemal aber das Helfende einen Theil des Leidens von dem, welchem es hilft übernehmen muss. Also a und c theilen ganz nach ihrem ursprünglichen Hemmungsverhältnisse des Quantum der Hemmungs- summe, welches in diesem Zeitraume sinkt. Da- durch wird a verhältnissmässig mehr und schneller ange- spannt, als vorhin; und die Kraft seines Wiederaufstre- bens folgt jetzt einem neuen Gesetze. Aber von dieser Kraft ist derjenige Theil constant, der durch das Sinken des a , bevor b die Schwelle erreichte, gebildet worden. Diesen finden wir, indem wir Σ statt σ in den Werth des von a Gehemmten setzen (§. 77.); es ist also der- selbe = . Dazu muss addirt werden das gleich- falls constante Gehemmte von b , nämlich der ganze Rest aus der fühern Hemmung, = ; dies giebt . Hiezu kommt endlich noch c , als Hemmungssumme; so bilden diese drey Theile zusammen die constante Kraft, welche die Bewegung verursacht, = c + . Mit dieser constanten Kraft ist nun noch die veränder- liche verbunden; und sie ist = der hinzukommenden Span- nung von a seit völliger Hemmung von b , weniger σ . Wegen der Vertheilung des Gehemmten zwischen a und c , finden wir die hinzukommende Spannung von a , wenn wir mit dem Bruche dasjenige multipliciren, was gehemmt worden, seit b die Schwelle erreicht hat; näm- lich σ —Σ. Die so entstehende Grösse zerle- gen wir noch in den constanten Theil und den veränderlichen . Jener muss der obigen constanten Kraft beygefügt werden, dieser dem veränderlichen — σ . So kommt endlich und §. 80. Drey verschiedene Zeiträume, jeden mit einem eige- nen Bewegungsgesetze, haben wir schon unterschieden; einen vor dem Sinken auf die mechanische Schwelle, den zweyten während der Verweilung auf derselben, den drit- ten, unendlich langen, während der Wieder-Erhebung von dieser Schwelle. Diesen Zeiträumen allen geht ein vierter, oder, wenn man will, ein erster voran, wofern c nicht neben a und b auf, oder unter der statischen Schwelle ist. Alsdann wird allemal der statische Punct von a und b erniedrigt; und so weit sinken diese Vorstel- lungen, ohne durch ihr Aufstreben in das Hemmungsge- setz auf die vorhin beschriebene Art einzugreifen. Man muss also damit anfangen, diesen ersten Zeit- raum zu berechnen. Das geschieht mittelst der Formel , (§. 74.), indem für σ dasjenige Quantum der Hemmungssumme gesetzt wird, welches von allen Vorstellungen zusammengenommen muss gesunken seyn, wann a und b bey ihrem statischen Puncte anlangen. Wir nehmen vorläufig an, beyde kommen zugleich auf diesen Punct; die Abänderungen wegen des Gegentheils sollen an einem Beyspiel gezeigt werden. Der erwähnte Werth von σ sey =Σ 0 . Hierauf beginnt die zweyte, jetzt mit t' zu bezeich- nende Zeit, bis b die mechanische Schwelle erreicht. War die anfängliche Hemmungssumme = S , so ist jetzt von derselben noch übrig S —Σ 0 . Was aber in der Zeit t' sinken wird, ist auszudrücken durch σ —Σ 0 . Das- selbe wird sich in den gehörigen Verhältnissen verthei- len; also wird (nach §. 77., nur σ —Σ 0 statt σ gesetzt) im Verlauf der Zeit t' , wenn acβ 2 + bcα 2 + α 2 β 2 = D , von a gehemmt seyn acβ 2 ( σ —Σ 0 ): D ‒ b ‒ ‒ bcα 2 ( σ —Σ 0 ): D ‒ c ‒ ‒ α 2 β 2 ( σ —Σ 0 ): D Demnach wird oder, indem völlig wie oben , Es sey noch zur Abkürzung so wird und weil für t' =0, σ =Σ 0 , woraus, Falls b nicht zur mechanischen Schwelle sinkt, die Zeit bis zum Steigen gefunden wird durch Substitu- tion von S für σ . Im entgegengesetzten Falle wird zuvor der frühere Rest von b , oder , indem die Hemmung sowohl während t als während t' immer nach einerley Verhältniss fortgeschritten ist; oder es ist Es schliesst sich also die zweyte Zeit mit . Nun beginnt die dritte Zeit = t″ während der Ver- weilung auf der mechanischen Schwelle. Von der Hem- mungssumme ist noch übrig S —Σ'; in der Zeit t″ wird sinken σ —Σ'. Von a und b zusammengenommen ist in der Zeit t' gehemmt . Von a wird während t″ gehemmt . Es sey nun , und , so ist und weil aber für t″ =0, σ =Σ', so wird Für das Ende der Zeit t″ ist hierin σ = S , und alsdann beginnt die vierte, unendliche Zeit der Annäherung zum statischen Puncte. Um Beyspiele zu haben, vollenden wir die im §. 69. geführten statischen Berechnungen. Es sey a = b = c =1. Demnach hier S =1; (nämlich die Hemmungssumme zwi- schen a und b war schon gesunken, und die ganze jetzige Bewegung hängt ab von dem hinzukommenden c , — ob- gleich oben die statischen Puncte mit Hülfe des gan- zen Gegensatzes zwischen a , b , und c mussten bestimmt werden). Ferner Σ 0 zu finden, muss man erst überlegen, wie weit a und b zu sinken hatten, um auf ihren jetzi- gen statischen Punct zu kommen. Der frühere war =0,5; der jetzige ist nach §. 69. eine Hemmung =0,5614; also um 0,0614 mussten sie sinken. Dies verhält sich zu dem, was gleichzeitig von c hat sinken müssen, wie α 2 : α 4 (in- dem wegen a = b auch α = β ) oder wie 1: α 2 =1:1,5625. Also das Gehemmte von c bis dahin beträgt 0,0959… Nun 0,0614+2+0,0959=Σ 0 , oder Σ 0 =0,2187… Hier- aus S —Σ 0 =0,7812… und Dies ist die erste Zeit . — Weiter, ; = 0,8772... Nun kann b nicht auf die mechanische Schwelle kommen; denn der Ausdruck des von b Ge- hemmten ist , wird hierin σ = S =1, so ist jenes Gehemmte nahe = , welches letztre den Rest von b aus der frühern Hemmung ausmacht. Also setzen wir gleich nebst dem gefundenen q und S' auch S für σ in die Gleichung für t' , und erhalten t' =1,316.. Dies ist die zweyte Zeit . Eine dritte der Verwei- lung auf der Schwelle fällt hier weg, indem nun sogleich die unendliche Zeit des Steigens beginnt. Es ist t + t' =1,563; in dieser Zeit sinkt jetzt die ganze Hemmungs- summe, wozu sonst unendliche Zeit nöthig ist. Der nie- drigste Stand von a und von b ist nach der obigen Be- merkung nahe = ; ihm gleichzeitig ist von c noch im Bewusstseyn; von hier an muss aber c doppelt so schnell sinken, als a und b steigen. Zweytens sey a =1; b =0,7; c =1; demnach S =1; um aber Σ 0 zu finden, müssen wir zuerst die frühere Hemmung von a und b betrachten. Von a war gehemmt ; von b ; jenes =0,28823.. dieses =0,41177.. Da nun c hinzukommt, so ist nach §. 69. von a zu hem- men 0,48814; von b , 0,50317… Die Differenzen sind, für a , 0,1999; für b , 0,0914. Hier zeigt sich, dass nicht zugleich a und b auf ihren neuen statischen Punct von dem vorigen herabsinken; denn gewiss verliert eher b die kleine Grösse 0,0914, als a um 0,1999 herabsinkt. Des- halb erstreckt sich jetzt die erste Zeit nur bis dahin, wo b seinen statischen Punct erreicht; alsdann folgt eine einzuschaltende Zeit, bis auch a den seinigen an- trifft. Was b verliert, verhält sich zu dem was a ver- liert, wie bα 2 : aβ 2 =1,016:0986; also während von b , 0,0914, wird von a gehemmt 0,0887. Was a verliert, verhält sich zum Verluste von c wie ac : α 2 =1:1,452; also während von a , 0,0887, wird von c gehemmt 0,1288. Demnach ist Σ 0 =0,0914+0,0887+0,1288=0,3089; und S —Σ 0 =0,691. Daraus Dies ist die erste Zeit . In der nächsten einzuschaltenden Zeit ist die hemmende Kraft = , daher setze man , und , so ist S' =1—0,09143=0,9085.. und q =0,704.. Am Schlusse dieser Zeit soll von a gehemmt seyn 0,1999, wofür füglich 0,2 kann gesetzt werden; gleichzeitig damit ist nach obigen Verhältnissen von b gesunken 0,2061.. und von c gehemmt 0,2904; zusammen =0,6965 =Σ'. Hieraus findet sich in Verbindung mit S' und q die einzuschaltende Zeit; sie ist =0,714.. Nach Verlauf derselben beginnt derjenige Zeitraum, in wel- chem a und b zusammen wirken, um die Hemmung zu beschleunigen; die obige zweyte Zeit, zu deren Berech- nung wir nun noch einmal die Formel, wodurch die ein- geschaltete bestimmt wurde, aber mit andern Bedeutungen von S' und q , von Σ 0 und Σ', anwenden. Was so eben Σ' war, wird jetzt Σ 0 , also Σ 0 =6965. Zu S' muss jetzt das im verflossenen Zeitraume von b gehemmte mit gerechnet wer- den; denn es wirkt fortdauernd als eine constante Kraft. Dieses beträgt 0,2061—0,0914=0,1147. Ausserdem kön- nen wir den Formeln folgen. Demnach wird S' =0,7087; und q =0,4169. Endlich Σ'=0,974.. Daraus t' =0,777.. Dies ist die zweyte Zeit , nach obiger Benennung. Um die dritte Zeit, oder t″ zu berechnen, muss wie- derum, und aus dem schon angegebenen Grunde, zu S″ die Grösse 0,1147 addirt werden. Es findet sich S″ =0,790..; q' =0,5; und hieraus t″ =0,087.. Dies ist die dritte Zeit , die der Verweilung von b auf der mechanischen Schwelle; worauf die vierte , unendliche, des Steigens folgt. Um zu sehen, wie lange Zeit die Hemmungssumme braucht, um ganz zu sinken, addiren wir die verschiede- nen Zeiten. Wir fanden die erste Zeit =0,369 die eingeschaltete =0,714 die zweyte =0,777 die dritte =0,087 deren Summe =1,947 Hiemit lässt sich das vorige Beyspiel vergleichen. Bey- demal war die Hemmungssumme =1, aber der Unter- schied, dass dort b =1, hier b =0,7; hat die Zeit des Sinkens der Hemmungssumme von 1,563 bis auf 1,947 verlängert. Der Grund ist nicht schwer zu finden. Die hemmenden Kräfte sind hier schwächer als oben. Gleich die erste Zeit findet sich hier in einem etwas grössern Verhältnisse gegen das Gehemmte vermehrt, als dort. In der eingeschalteten aber wirkte vollends nur b allein zum schleunigern Sinken, indem a noch nicht seinen sta- tischen Punct erreicht hatte, also auch den Drang zum Sinken noch nicht vermehren konnte. Hingegen im er- sten Beyspiele waren gleich am Ende der ersten Zeit a und b zugleich auf ihrem statischen Puncte, und wider- strebten gemeinschaftlich dem Uebermaasse der Hemmung, wodurch sie unter derselben herabgedrückt wurden. Dazu kommt noch die Zeit der Verweilung auf der Schwelle, während welcher die Spannung von b nicht mehr anwach- sen konnte. Dieses alles musste in dem zweyten Bey- spiele die Bewegung um etwas langsamer machen. Vergleichen wir aber auch noch die Zeiten mit dem was in ihnen gehemmt wird! Dazu ist nur nöthig, die Differenzen Σ'—Σ 0 den Zeiten gegenüber zu stellen. Zu der Zeit 0,369 gehört das Gehemmte 0,309 ‒ ‒ ‒ 0,714 ‒ ‒ ‒ 0,387 ‒ ‒ ‒ 0,777 ‒ ‒ ‒ 0,278 ‒ ‒ ‒ 0,087 ‒ ‒ ‒ 0,025 Hier ist zwar im Allgemeinen noch immer etwas von allmählig verminderter Geschwindigkeit zu bemerken, aber auch etwas scheinbar unregelmässiges, welches von den verschiedenen Bewegungsgesetzen herrührt, die nach einander eintreten, und den gleichförmigen Lauf des Er- eignisses nicht weniger als viermal abbrechen. Man begreift leicht, dass diese so merkwürdigen Ab- änderungen der einmal vorhandenen Regel der Bewegung, sich noch sehr vervielfältigen müssen, wofern mehr als drey Vorstellungen im Spiele sind. So oft eine davon ihren statischen Punct, oder die mechanische Schwelle erreicht, ändert sich das Gesetz des Fortgangs der Be- wegung. Wir wollen uns darüber eben so wenig in Untersu- chung einlassen, als über die Frage: was geschehen müsse, wenn c früher eintrete, als a und b ihre Hemmung unter einander vollendet haben ? Näm- lich vollendet bis auf einen unbedeutenden Rest, da das eigentliche Ende nie eintritt, wenn sie sich selbst über- lassen bleiben. — Dergleichen Fälle liegen in der Mitte zwischen dem eben abgehandelten, und dem gleichzeiti- gen Zusammentreffen dreyer Vorstellungen. Die mecha- nische Schwelle wird alsdann seltener erreicht, und die Verweilung auf derselben verkürzt. Endlich möchte man noch fragen, ob nicht ein hin- reichend starkes c im Stande seyn könne, sowohl a als b auf die mechanische Schwelle zu treiben? Die Ant- wort hängt von der Betrachtung der Hemmungssumme ab. Ist c grösser als a , so ist es in der Regel selbst nicht mit in der Hemmungssumme. Vielmehr ist diese alsdann = a ; weil der frühern Hemmung die Summe = b zugehörte. Nun kann a niemals ganz niedergedrückt wer- den; denn gesetzt, a und b seyen zugleich auf der me- chanischen Schwelle, so tragen sie die ganze Hemmungs- summe allein; aber dieses ist nicht möglich, da nothwen- dig auch von c etwas muss gehemmt seyn. Ganz anders jedoch wird sich dies verhalten, wenn man übergehn will zu der Annahme, dass nach c noch eine Reihe anderer Vorstellungen, d , e , f , u. s. w. suc- cessiv hinzutrete. Dadurch wird die Hemmungssumme unfehlbar bedeutend wachsen; es muss aber a von jeder neu hinzukommenden leiden; und da es vorhin schon der mechanischen Schwelle nahe war, kann es ohne Zweifel sehr leicht vollends auf dieselbe getrieben wer- den, gesetzt auch, dass keine der hinzukommenden stark genug sey, um a und vielleicht selbst um b auf die sta- tische Schwelle zu bringen. Während also jene Reihe von Vorstellungen noch in ihrem Verlauf begriffen ist, werden a und b fortwährend auf der mechanischen Schwelle bleiben; dennoch aber, nachdem die Reihe zu Ende ist, sehr bald sich von selbst wieder ins Bewusst- seyn erheben. So etwas ereignet sich zu jeder Stunde in jedem Menschen, nur nach einem weit vergrösserten Maassstabe, bey jeder Störung in einem Geschäffte, das man vergisst, so lange die Störung dauert, und wieder er- greift, sobald sie beseitigt ist. Das unangenehme Gefühl der Störung, welches, wenn es heftig ist, im ersten Au- genblicke gleich den Organismus in Mitleidenschaft zieht, und dann den Affect des Schrecks erzeugt, — rührt her von der Gewalt, womit die zur mechanischen Schwelle getriebenen Vorstellungen, deren man sich nicht bewusst ist, sich denen widersetzen, durch welche sie verdrängt werden. Wirkten die Vorstellungen auf der statischen Schwelle eben so wie die auf der mechanischen: so würde der Mensch sein Daseyn nicht aushalten können. Drittes Capitel . Von wiedererweckten Vorstellungen, nach der einfachsten Ansicht. §. 81. Kaum bedarf es der Erinnerung, dass das zuletzt be- trachtete Ereigniss noch von andern wichtigen Folgen be- gleitet seyn müsse, wofern man nur die sehr natürliche Voraussetzung hinzudenkt, dass wohl mehrere ältere Vor- stellungen, wo nicht im Bewusstseyn, so doch im Ge- müthe vorhanden seyn mögen. Um allzu grosse Schwie- rigkeiten zu vermeiden, wollen wir annehmen, es seyen dergleichen neben a und b auf der statischen Schwelle; die also nur durch a und b zurückgehalten sind, und sich sogleich regen müssen , wofern die entgegen- wirkenden von einer fremden Gewalt leiden. Es mögen sich drey Vorstellungen mit einander im Gleichgewichte befinden. Sinken zwey davon unter ihren Gleichgewichtspunct hinab: so kann die dritte gerade um so viel, als jene zusammengenommen ver- lieren , sich wieder erheben. Die Hemmungssumme wird dabey nur anders vertheilt. — Dass eine Vorstel- lung, welche steigen kann, auch steigen werde, leidet keinen Zweifel; jedoch giebt es ein Gesetz, nach wel- chem sie sich allmählig erhebt, mit abnehmender Ge- schwindigkeit, weil, je höher sie sich schon gehoben, um so kleiner die Nothwendigkeit wird, ihren Zustand zu verändern, um sich vollends ins klare Bewusstseyn auf- zurichten. Plötzlich können die dazu nöthigen Ueber- gänge aus einem Zustande in den andern, eben so we- nig geschehn, als eine Hemmungssumme plötzlich sinkt, das heisst, als die gehörige Verdunkelung des Vorstel- lens sogleich vollständig eintritt, indem der Grund dazu vorhanden ist. — Angenommen, die Vorstellung H sey völlig niedergedrückt; auf einmal verschwinde alle Hem- mung; nach einer Zeit t habe sich erhoben das Quantum h : so ist dh =( H—h ) dt , also ; h = H (1— e –t ). Verschwindet aber nicht alle Hemmung: so giebt es für die Vorstellung H einen Punct, bis zu welchem ihr ge- stattet ist zu steigen. Derselbe sey H' ; so ist dh = ( H'—h ) dt ; , h = H' (1— e –t ). Man be- merke wohl, dass in diesen Ausdrücken die Stärke der Vorstellung H gar nicht vorkommt; Falls daher H' nicht von H bestimmt wird, so ist das Steigen dieser Vorstel- lung von ihrer eignen Stärke völlig unabhängig. In diesem Falle befindet sich die Vorstellung H , wenn sie darum , und so weit sich zu erheben sucht, weil und wie weit die andern, von denen sie gehemmt war, niedersinken. Das Gesetz eines solchen Stei- gens macht den Gegenstand unsrer nächsten Untersu- chung aus. §. 82. Neben den Vorstellungen a und b können viele Vor- stellungen, die ehemals mit ihnen im Conflict waren, zur Schwelle gesunken seyn. Alle diese regen sich so- gleich, wenn eine neu hinzukommende a und b sinken macht. Aber wie sie sich regen, treten sie theils unter einander, theils gegen die hinzukommende, in gegensei- tige Hemmung; so dass diejenigen kaum merklich steigen können, welche auf solche Weise bedeutenden Hinder- nissen entgegengehn. — Um das Einfachste, und zu- gleich für die aufstrebende Vorstellung Vortheilhafteste vorauszusetzen, wollen wir annehmen, es sey nur Eine, und zwar der neu hinzukommenden völlig gleichartige, neben a und b auf der statischen Schwelle; diese trete nun, frey von den erwähnten Hindernissen, wieder ins Be- wusstseyn. Also z. B. eine zuvor gesehene Farbe, ein früher gehörter Ton, woran eben jetzt nicht gedacht wurde, erscheint oder erklingt von neuem; die Frage ist, wie die ältere Vorstellung nun der gleichartigen neuen entgegenkommen werde? Die ältere, sich erhebende Vorstellung heisse H . Sie sucht nach dem, im vorigen §. angegebenen Gesetze den Punct zu erreichen, bis zu welchem sie ungehindert stei- gen kann. Aber dieser Punct ist veränderlich; denn er hängt ab vom Sinken jener beyden, a und b . Die ver- änderliche Entfernung dieses Punctes von der Schwelle, oder das, derselben gleiche, Sinken der beyden, a und b zusammengenommen, heisse x ; die zugehörige Zeit sey t ; und das Quantum von H , welches beym Ablauf von t sich schon erhoben hat, sey = y , so ergiebt sich die Gleichung Nun ist x eine Function von t , welche fürs erste = ft gesetzt werde. So folgt woraus Aus dem vorigen Capitel lässt sich ft näher bestim- men. Ist die neu hinzukommende Vorstellung stark ge- nug, um nicht neben a und b auf die statische Schwelle zu fallen, so gehn die Bewegungen, welche sie verur- sacht, nach §. 80.; wo in der ersten Zeit die Formel gilt. Damit hängt zusammen σ = S (1— e — t ). Die beyden Theile von σ , welche, nach den Hemmungs- verhältnissen, von a und b gehemmt werden, fasse man zusammen in den Ausdruck mσ = mS (1 — e — t ), so ist dies = x = ft ; denn um so viel Freyheit ist nun dem H eingeräumt, um sich zu erheben. Nun ist mS. ∫e t (1— e —t ) dt = mS ( e t — t ) + Const .; und dieses mit e — t multiplicirt = mS (1 — te — t ) + Ce — t . Für t = 0 ist y = 0; also voll- ständig In dieser Formel ist S diejenige Hemmungssumme, wel- che beym Hinzutreten der neuen Vorstellung c zu a und b , sich zwischen diesen dreyen gebildet hat; bey voller Hemmung ist sie = c , wenn c \< a , oder im umgekehrten Falle ist sie = a . Hiemit nun steht das Hervortreten der älteren, H , im einfachen geraden Verhältniss; aber dasselbe richtet sich Anfangs nach dem Qua- drate der Zeit . Und der Anfang ist hier das wichtig- ste; denn die erste Zeit ist gewöhnlich sehr kurz, wie schon die Beyspiele des vorigen Capitels vermuthen las- sen. Es muss c sehr gross seyn, und den statischen Punct von a und b bedeutend herabsetzen können, wenn die erste Zeit sich ansehnlich verlängern soll. Dadurch nämlich wächst Σ in der Formel , und wird dem Werthe S nahe kommen können. In dieser Hinsicht mag es nicht unnütz seyn, die Grösse te — t , welche mit dem Minuszeichen in y vorkommt, näher anzusehn. Sie ist = 0 für t = 0 und für t = ∞; und hat ihr Maximum für t = 1, nämlich den Werth ; weiterhin wird sie bald ziemlich unbedeutend, und kann alsdann den Gang der Grösse 1 — e — t , mit der sie verbunden ist, nur wenig modificiren. Wo sie den meisten Einfluss hat, nämlich für t = 1, erkennt man den Werth von y so- gleich aus der Reihe; es ist nämlich alsdann In den darauf folgenden Zeiten erscheint immer t ' unter einer Form wie , woraus σ = , folglich . Hieraus wo A eine noch zu bestimmende Constante ist. Für t ' = 0 sey y = ϒ, so ist nun vollständig Hier wird zuerst die Grösse e — qt' — e — t' unsre Auf- merksamkeit anziehn. Sie ist = 0 für t ' = 0 und für t ' = ∞; und hat ein Maximum für , welcher Ausdruck, wie man sogleich übersieht, nur scheinbar ne- gativ ist. Es ist nun leicht, nach Anleitung des vorigen Capi- tels für jeden Zeitraum nach dem ersten, die gehörigen Werthe von S ', q , und C , in die gefundene Formel zu setzen. Allein der Gültigkeit der Formel kann die eigne Grösse der Vorstellung H , wovon y ein Theil ist, eine Grän- Gränze setzen. Man muss sich erinnern, dass mσ , oder das von a und b zusammengenommen Gehemmte, den freyen Spielraum ausdrückt, in welchem sich H ausdeh- nen kann. Nur grösser als es ist, kann es durch die ihm gegebene Freyheit nicht werden, noch zu werden streben. Sobald daher mσ = H , hört in der Formel ( x — y ) dt = dy , von der wir ausgingen, x auf, veränderlich zu seyn; es wird = H ; und aus folgt wenn y = ϒ' für t ″ = 0. Zuvor muss man wissen, wann mσ = H ; das heisst, man muss das Ende von t ' wissen. Aus dem Vorigen ergiebt sich sehr leicht die Formel da- für, nämlich Oder sollte sich der Fall mσ = H wegen grosser Schwäche der Vorstellung H schon früher ereignen, ehe noch die Zeit t ' anfängt, so hätte man aus dem Obigen H = mS (1 — e — t ) und hieraus alsdann Bis nun diese, oder die vorbemerkte Zeit abgelaufen ist, erhebt sich jede schwache oder starke Vorstellung, die in dem Falle von H sich befinden mag, völlig auf gleiche Weise; erst in dem hier bestimmten Augenblicke, und zwar plötzlich, eignet sich eine solche Vorstellung ein Bewegungsgesetz zu, das ihrer Stärke (oder vielmehr ihrer Schwäche) angemessen ist. Die stärk- sten thun dies am spätesten . — Ausserdem sieht man hier noch ausdrücklicher, was eigentlich schon im vorigen §. klar wurde: dass nämlich niemals eine wieder hervortretende Vorstellung zu einem völlig ungehemmten Zustande zurückkehren kann . Sollte dies geschehn, so müsste in dem obigen I. S Ausdrucke für t ″, y = H werden können, und dabey ei- nen endlichen Werth für t ″ ergeben; aber t ″ wird un- endlich für y = H . Das erste Beyspiel des §. 80. wollen wir hier ver- folgen. Dort ist a = b = 1, und beyde sind verschmol- zen, ehe c = 1 hinzukommt. Hiezu fügen wir jetzt die Voraussetzung, eine ältere, dem c gleichartige Vorstel- lung H = 0,88 sey im Gemüthe vorhanden; sie kann von den verschmolzenen a und b auf die statische Schwelle gebracht seyn, laut §. 70. Es ist hier ; und S = 1; also wenn in mσ auch σ = S , dennoch mσ = 0,561 .. immer noch viel kleiner als H ; woraus folgt, dass in keiner Zeit die Grö- sse von H auf die aufstrebende Bewegung desselben Ein- fluss haben wird. Alles jetzt zu berechnende gilt also eben so wohl für jedes H \>0,561 … Die erste Zeit ist bey ihrem Ablauf = 0,2469; also e — t = 0,782 .., dies multiplicirt mit 1 + t = 1,2469 giebt 0,975; daher y = 0,561 × 0,024.. = 0,013.. am Ende der ersten Zeit; eine noch sehr kleine Grösse; ungefähr der zehnte Theil dessen was von a und b zusammengenom- men jetzt schon gehemmt ist; denn dies beträgt nach §. 80. 0,1228.. Für die zweyte Zeit ist q = 0,4386; S ' = 0,8772..; C = S ' — q Σ° = 0,7812; und die zweyte Zeit bey ih- rem Ende = 1,316. Hieraus ; ; ϓ e — t = 0,0035; demnach y = 0,304.. am Ende der zweyten Zeit. Höher steigt y nicht, weil von jetzt an sich a und b gegen c wieder he- ben. Es befindet sich aber auch jetzt in einem ganz an- dern Verhältnisse zu dem Spielraum, in welchen H sich ausdehnen konnte. Denn jetzt, da die Hemmungssumme zwischen a , b , und c , ganz gesunken, beträgt die hinzu- gekommene Hemmung von a und b , die obige Grösse = 0,561; aber y = 0,304 ist hievon mehr als die Hälfte. Man sieht also in dem Beyspiel bestätigt, was aus dem Gesetze des Hervortretens vorauszusehen war, dass die aufsteigende Vorstellung Anfangs weit von dem ihr gesteckten, oder vielmehr ihr voranschrei- tenden Zielpuncte, entfernt bleiben, nach eini- ger Zeit aber ihm bedeutend näher kommen, ob- schon immer noch eine gute Strecke zwischen sich und ihm, offen lassen werde . Wir haben in diesem Beyspiele nur Eine plötzliche Veränderung des Bewegungsgesetzes der hervortretenden Vorstellung bemerken können; es ist jedoch offenbar, dass jeder der im vorigen Capitel bemerkten Uebergänge, auch hier Einfluss haben müsse. — §. 83. Da in den Bewegungen der Vorstellungen a , b , und c ein wichtiger Unterschied davon abhängt, ob c neben a und b auf die statische Schwelle fallen müsse oder nicht: so haben wir den Einfluss dieses Umstandes auf das Hervortreten der ältern Vorstellung zu prüfen. Es sey also jetzt c auf die statische Schwelle zu sin- ken bestimmt: so verrückt sich der statische Punct für a und b nicht; ihr Wideraufstreben beschleunigt von An- fang an das Sinken der Hemmungssumme; und für t gilt gleich Anfangs die Formel nach §. 77. Diese aber kann für eine nähere Bestimmung der im §. 82. für die nachfolgenden Zeiten gebrauchten angese- hen werden, wenn C = S ' = c gesetzt wird, wobey denn noch q seinen gehörigen Werth nach den Umständen des §. 77. bekommt. Hieraus wird Denn ϒ ist jetzt = 0, weil beym Anfang der Zeit noch nichts hervorgetreten ist. Aber unsre Formel lässt sich jetzt besser als vorhin zusammenziehn; sie wird S 2 Hier offenbart sich sogleich, dass der Anfang des Hervortretens genau eben so geschieht, wie wenn c nicht auf der statischen Schwelle wäre; nämlich proportional der Hemmungssumme = c , und dem Quadrate der Zeit (wobey noch hier, und auch im vorigen §., hinzuzufügen ist, dass auch m mit c oder S wächst und abnimmt.) Hingegen im Fortgange zeigt sich eine Abweichung, die von den Brüchen , näher bestimmt wird. Es ist q ein ächter Bruch; sein Werth liegt also zwi- schen 0 und 1; für q = 0 ist , für q = 1 wird . Für diese letzte Gränze wäre das allgemeine Glied der eingeklammerten Reihe wozu nämlich der Bruch gehören würde. Ge- nau dasselbe allgemeine Glied folgt im §. 82. aus der Entwickelung von 1 — (1 + t ) e — t ; also wären beyde Rei- hen ganz dieselben. Nun aber ist q niemals = 1, son- dern allemal kleiner; auch um so kleiner, je kleiner q ; also ist in der jetzigen Reihe jedes Glied nach dem ersten, kleiner als das entsprechende in der Reihe des vorigen §.; und unsre Reihe überhaupt convergenter als jene. Im Beyspiele les §. 77. war a = b = 1, c = ½, q = 0,61; und die Zeit des Sinkens von a und b , das heisst hier, des Steigens von H , = 1,54… Auch m = 1 — q . Hier- aus y = 0,106… Dies Beyspiel lässt sich mit dem des vorigen §. um so eher vergleichen, da die Zeiten des Steigens beynahe gleich sind. Im Anfange des Steigens verhält sich das Hervortretende im vorigen Beyspiele zu dem im gegenwärtigen wie das dortige mS zu dem jetzi- gen mc , oder wie 0,561:0,195; jenes beynahe das Drey- fache von diesem; nahe so findet sichs am Ende wieder, indem dort y = 0,304; hier y = 0,106 wird. Aber der Un- terschied beyder Beyspiele beruht bloss darauf, dass dort c = 1, hier c = ½ gesetzt ist. — Im Verhältniss zu dem ihm eröffneten Spielraum sehen wir H hier fast gerade so weit hervortreten wie dort; beydemal nämlich um ein we- nig über die Hälfte dieses Raums. Denn a und b sin- ken im jetzigen Beyspiele zusammengenommen beynahe um 0,2. Noch wollen wir wegen des Fortgangs in der Zeit eine Vergleichung anstellen. Die erste Zeit im §. 82. war 0,2469, nahe = ¼; setzen wir diese in unsre jetzige Formel, so ist ; ; nahe , etwas über 0,004, die Grösse in der Klammer wird demnach nahe 0,027; die- ses multiplicirt mit ½.0,39 giebt y = 0,0053…, um so viel ist also H hervorgetreten in der Zeit = ¼. Aber diese Zeit hat sich mehr als versechsfacht, wann t = 1,54.. Dem Quadrate der Zeit gemäss sollte sich y bis zum 36 fachen erhoben haben; so wäre es bis 0,19.. hervorgetreten. Al- lein für t \> 1 gewinnen die höhern Potenzen von t , also die folgenden Glieder der Reihe einen zu bedeutenden Einfluss. Endlich der verschiedene Fortgang in dem jetzi- gen und dem vorigen Beyspiele wird nirgends klärer, als am Ende der Zeit ¼. Denn hier ist das jetzige y be- trächtlich mehr als ein Drittheil des obigen (jenes war = 0,013, dieses ist = 0,0053). Ginge die Abweichung von dem Verhältniss 3 : 1 so fort; so würde ein solches Verhältniss am Ende nicht mehr zu bemerken seyn. Die Formeln zeigen, dass Anfangs das jetzige y der Propor- tionalität mit dem Quadrate der Zeit näher bleibt als das obige; aber im vorigen Beyspiele trat sehr bald ein an- dres Gesetz des Fortgangs ein, während in dem letzten das ganze Steigen nach einerley Regel konnte vollbracht werden. §. 84. In den beyden vorhergehenden §§. haben wir absicht- lich einen wichtigen Umstand aus den Augen gesetzt, der die erhaltenen Resultate einer Correctur unterwirft, den wir aber erst jetzt ins Licht zu setzen unternehmen können. Da die ältere, wieder ins Bewusstseyn tretende Vor- stellung H , mit der neu hinzukommenden c , gleichartig seyn soll: so kann es nicht fehlen, dass, in dem Maasse wie ihr Zusammentreffen im Bewusstseyn es möglich macht, beyde mit einander verschmelzen. Hiedurch ent- steht eine wachsende Totalkraft gegen a und b , wodurch das Sinken derselben beschleunigt wird. Aber um desto mehr gewinnt die Vorstellung H an Freyheit hervortreten zu können; und wiederum desto schneller sinken a und b , getrieben durch das Zunehmen jener Totalkraft. Man braucht dieses nur auszusprechen, um fühlbar zu machen, welche Schwierigkeiten uns erwarten, indem wir diese Verschmelzung mit in die Rechnung bringen wollen. Durch eine jede Verschmelzung entstehn eigent- lich, aus der gegenseitigen Verstärkung beyder Ver- schmelzenden, zwey Totalkräfte, die zum Theil in ein- ander verschränkt sind; wie dieses in den letzten Capiteln des vorigen Abschnittes hoffentlich wird klar genug gewor- den seyn. In unserm gegenwärtigen Falle wird die ältere Vorstellung verstärkt durch die neue, und gleichfalls die neue durch die ältere. Allein die erste dieser beyden Ver- stärkungen werden wir nicht in Rechnung zu bringen ha- ben; aus folgendem Grunde. H ist nach der Voraussetzung unter der statischen Schwelle neben a und b ; es bestimmt also für sich allein nichts an dem Zustande dieser bey- den Vorstellungen. Es wird auch nichts daran bestimmen können, so lange es nicht durch die erhaltene Verstär- kung über die statische Schwelle erhoben wird. Aber selbst wenn dies geschieht: was kann davon die Folge seyn? Es bekommt nun einen statischen Punct, zu wel- chem es aufstreben sollte, einwirkend auf a und b , da- mit diese sinken müssten. Nun sind gegenwärtig a und b schon längst im Sinken begriffen; gedrängt durch c , haben sie dem H schon weitern Spielraum gegeben, als den es in seinem allmähligen Steigen benutzte. Denn es erhellt aus den vorigen Untersuchungen offenbar, dass auch ohne Rücksicht auf die Verschmelzung zwischen H und c , sich a und b schneller bewegen, als H ihnen nachkommen mag. Folglich, was die Verstärkung des H durch c bewirken könnte bey a und b , das ist schon geschehn ehe es gefordert wird; und daher ist die eine jener beyden Totalkräfte für jetzt als unwirksam zu be- trachten. Es bleibt aber die andre; es bleibt die Verstärkung des c durch das allmählig mit ihm verschmelzende y ; und dadurch wirkt jetzt H allerdings mit auf a und b . Dies ists, was wir bisher aus der Acht liessen, und jetzt in die Rechnung einführen müssen. Wie wird dieselbe dadurch abgeändert werden? Die Gleichung des §. 82., verbleibt in ihrer Kraft; auch ist noch ferner x eine Function von t , aber nicht von t allein, sondern zugleich von y selbst. Nämlich x ist = mσ , dem, was von a und b zu- sammengenommen gehemmt wird. Nun war m bisher nach §. 77. Jetzo bekommt c eine Verschmelzungshülfe, deren Quantum ursprünglich = y , die aber nur in dem Verhältniss, in welchem c nicht gehemmt. ist, sich mit c verbinden kann. (Man sehe §. 63.) Es sey z = demjenigen, was am Ende der Zeit t von dem sinkenden c noch im Bewusstseyn gegenwär- tig ist, so kommt für die Verschmelzungshülfe zunächst der Ausdruck . Diese muss dem c , wo es vorkommt, addirt werden. Demnach findet sich Fragen wir nun nach dem Werthe von z , so hängt wiederum dieses selbst von y ab. Denn Endlich ist auch σ selbst einer Abänderung zu un- terwerfen; denn nach §. 77. ergiebt sich σ aus der Glei- chung ( c — qσ ) dt = dσ , und , wo ebenfalls für c zu setzen . Wir sehen hieraus, dass ; welche Bemerkung uns den Weg der Rechnung bahnen muss. Der Abkür- zung wegen sey aβ 2 + bα 2 = f , α 2 β 2 = g . Die Gleichung verwandelt sich in fol- gende: und überdies ist Was die erste dieser Gleichungen betrifft, so fällt ins Auge, dass sie von σ und fast ganz auf gleiche Weise bestimmt wird, wie von y und . Ohne Zwei- fel sind alle diese Grössen Functionen von t ; setzen wir nun zuvörderst , so wird y = e — t ( ∫ e t ftdt + C ), und aus oder aus wird σ = e — t ( ∫ e t ( ft + c ) dt + C ') = e — t ∫ e t ftdt + c + C' e — t ; daher σ = y — Ce — t + c + C' e — t ; weil aber sowohl σ als y = 0 für t = 0, so ist c = C — C ', daher endlich σ = y + c (1 — e — t ). Aus der zweyten Gleichung wird In diese Gleichung muss der eben zuvor gefundene Werth von y substituirt werden; nämlich y = σ — c (1 — e — t ). Man setze 1 — e — t = u , (welches für t = 0 von selbst = 0 wird) also y = σ — cu ; überdies nehme man an: daher auch und wegen , Bringt man nun alle Glieder der Gleichung auf eine Seite, und fängt an, die Coëfficienten zu bestimmen: so findet sich zuerst fc 3 + gc 2 — ( fc 2 + gc ) ( A + c ) = 0, oder c — ( A + c ) = 0, das ist, A =0. Dies erleichtert die Rechnung. Es findet sich nämlich weiter, wenn fc 2 + gc = π , Die fernere Rechnung mag sogleich an das Beyspiel des §. 77. geknüpft werden. In demselben waren a = b = 1, c = ½. Hieraus B = 0,0976; C = 0,0453; D = 0,033; E = 0,0225; F ungefähr = 0,017 und G = 0,014. Da je- doch diese Coëfficienten nicht genug convergiren, so sey , und man suche die Coëfficienten der Reihe z ' = A ' + B'u + C'u 2 + … so findet sich z ' = 0,1024 — 0,0475 u — 0,0125 u 2 — 0,0017 u 3 — 0,002 u 4 , und . Die Resultate dieser Rechnung, zusammengestellt mit denen des vorig. §., welche das gleiche Beyspiel ohne Rück- sicht auf die Verschmelzung darbietet, sind nun folgende: nach §. 83. verbessert wegen der Verschmelzung für t = ¼, y = 0,0053 y = 0,0053 ‒ t = ½, y = 0,01893 y = 0,01897 ‒ t = 1, y = 0,0584 y = 0,05999 ‒ t = 1,54; y = 0,106 für t = 1,52; y = 0,1088 Es ist von selbst offenbar, dass im Anfange die Ver- schmelzung der wieder hervortretenden Vorstellung mit der eben jetzt gegebenen keinen Einfluss haben könne. Dieses zeigt sich in den Formeln dadurch, dass, so wie oben y nur vom Quadrate und den höhern Potenzen der Zeit abhängend gefunden war, auf gleiche Weise auch hier die Reihe für y mit dem Gliede Bu 2 anhebt, indem A = 0 ist. (Nämlich u = 1 — e — t = t — ½ t 2 + …) Bis zu t = ½ sind nun die Resultate beyder Rechnungen beynahe nicht zu unterscheiden (auch die Zahl 0,01897 ist in der letzten Ziffer nicht ganz sicher, weil die Coëfficienten hier nicht scharf genug berechnet sind). Weiterhin zeigt sich die Wirkung der Verschmelzung zwar merklich, doch, in diesem Beyspiele wenigstens, fast unbedeutend gering. Weder y erhebt sich beträchtlich mehr, noch auch die Zeit ist um vieles verkürzt. Wegen des letzten Puncts ist zu bemerken, dass nach der Formel σ = y + c (1 — e — t ), für t = 1,52 auch σ = 0,4994… also ganz nahe = ½ = c wird; das heisst, dass hier das Ereigniss aufhört, indem nun der Hemmung Genüge geschehn ist, und a und b wieder anfangen aufzustreben. Die Dauer des Ereignisses zeigt sich jetzo kürzer, weil die Verstärkung des c durch das ihm verschmelzende y mehr Spannung in die entge- gengesetzten Kräfte bringt, wodurch die Hemmung beschleu- nigt, so wie das Leiden von a und b um ein geringes ver- mehrt, und das von c um ein geringes vermindert wird. Um etwas beträchtlicher mag die Wirkung der Ver- schmelzung für ein grösseres c ausfallen, welches a und b mehr niederdrückt, und dadurch die Vereinigung der ältern und der neuen Vorstellung befördert. Allein da die Rechnungen äusserst beschwerlich werden würden, wenn man sie allen denen, in dem vorigen Capitel nach- gewiesenen Abänderungen in dem Verlauf der Hemmung anpassen wollte, so muss an diesem Orte die gegebene Probe genügen; aus der sich schliessen lässt, dass man eine leidliche Uebersicht über den Gang der wiederer- weckten Vorstellung auch ohne Rücksicht auf die Ver- schmelzung, schon durch das Verfahren der §§. 82. und 83., erlangen könne. §. 85. Bevor wir die weiteren Folgen des bisher betrachte- ten Ereignisses überlegen, ist es dienlich zur Vorberei- tung, einer an sich geringfügigen Unrichtigkeit zu erwäh- nen, welche unter gewissen Umständen sich in die eben geendigte Berechnung einschleichen könnte. Die Verschmelzungshülfe war der Gegenstand die- ser Berechnung; in so fern sie die Wirkung der Vor- stellung c vermehrte. Da nun y zunimmt, während z , das im Bewusstseyn übrige von dem sinkenden c , sich fortdauernd vermindert, so könnte für das Product yz ein Maximum entstehn. Alsdann wäre dieses Maximum die, ferner nicht mehr veränderliche Verschmelzungshülfe; die Unrichtigkeit der vorstehenden Rechnung aber bestünde darin, für die ganze Dauer des Ereignisses die Grösse als Verschmelzungshülfe zu behandeln, welches sie doch nur bis zur Erreichung des Maximum hätte darstellen können. Bedenkt man, wie langsam Anfangs y zunimmt, wie unwahrscheinlich es daher ist, dass das Maximum bald eintrete; wie kurz die Zeit, auf welche der Irrthum sei- nen Einfluss äussern könnte, endlich wie gering die Ab- weichung der Grössen selbst ausfallen würde: so wird man es schwerlich hier für zweckmässig halten, diesen Punct einer schärfern Bestimmung zu unterwerfen. — Eine zweyte Bemerkung über die nämliche Verschmel- zungshülfe betrifft nun schon die Folgen des Hervortre- tens einer ältern Vorstellung, während die gleichartige neue gegeben wurde. Man hat gesehen, dass die hervortretende bei weitem nicht den ganzen, ihr frey gegebenen Raum, während des Sinkens von a und b , wirklich ausfüllt. Was wird geschehen, indem nun a und b wiederum beginnen zu steigen? Der Punct, bis zu welchem y steigen konnte, bewegt sich rückwärts; und zwar mit einer Geschwindig- keit, die gleich Anfangs am grössten ist, gemäss dem schon bekannten Bewegungsgesetze von a und b ; es wird daher zwar y noch fortfahren, sich um etwas weniges zu erheben, bis es jenem ihm vorgehaltenen Zielpuncte gleich- sam begegnet; allein sein Aufstreben erleidet gleich An- fangs eine plötzliche Verminderung, und der schnell ver- minderte Zuwachs muss sehr bald in eine rückgängige Bewegung übergehen. — Hiezu kommt noch ein kleiner Verlust für y , in so fern es als zum Theil verschmolzen mit c , auch mit diesem zugleich zum Sinken genöthigt wird. Aber die wichtigsten Folgen des Hervortretens von y zeigen sich jetzo, indem es wiederum sinken soll. Da nach §. 77. sich a und b zwar zu ihrem statischen Puncte erheben, aber mit abnehmender Geschwindigkeit, so dass sie diesen Punct nie völlig erreichen: so würde schon des- halb y sowohl als c nie völlig durch a und b aus dem Bewusstseyn verdrängt werden; vielmehr könnten beyde mit etwa hinzutretenden neuen Vorstellungen, so fern ihnen diese nicht entgegengesetzt wären, sich compliciren, und dadurch Schutz finden gegen die Nothwendigkeit zur Schwelle zu sinken. — Allein durch die Verschmelzung von y und c sind zwey Totalkräfte gebildet worden. Wir haben bis jetzt aus dem, im Anfange des §. 84. angege- benem Grunde nur diejenige Verschmelzungshülfe in Be- tracht gezogen, welche c erlangt. Die Wirkung dersel- ben ward gering befunden; und sie wird selten viel bedeu- tender werden, weil die Hülfe sich nur vergrössert, wenn c selbst schon grösser ist; so dass dadurch verhältnissmä- ssig nicht viel gewonnen wird. Nur wenn c gegen a und b sehr nahe den Werth hat, der es gerade zur statischen Schwelle bestimmt, dann wird auch eine geringe Ver- schmelzungshülfe bedeutend, indem dadurch c einen sta- tischen Punct im Bewusstseyn bekommt. Dieser Umstand nun ist in Hinsicht des y immer von Wichtigkeit. Wir haben angenommen, y sey ein Theil der Vorstellung H , deren Grösse aber während des Steigens von y nicht in Betracht komme (§§. 81. 82.) Es ist uns erlaubt, vor- auszusetzen, H sey zwar unter der statischen Schwelle neben a und b , aber nur um ein weniges; so wird die Verschmelzungshülfe , die es erlangt, es jetzo über die statische Schwelle erheben können . Oder, ist H für diesen Erfolg zu klein: so wächst dagegen der Werth des Ausdrucks , das heisst, dem kleineren H wird eine grössere Hülfe zu Theil, durch welche es dem Werthe beträchtlich näher gebracht wird, den es haben müsste, um über der Schwelle hervorzuragen. Ge- winnt also auch die wiedererweckte Vorstellung nicht so viel, dass sie sich im Bewusstseyn halten könnte, so ge- winnt sie doch bedeutend an der Möglichkeit, dahin gebracht zu werden . Angenommen, es komme noch eine dritte, dem y und dem c gleichartige Vorstellung hinzu, oder wie wir im gemeinen Leben sagen würden, es werde die nämliche Wahrnehmung mehrmals , kurz hinter einander wiederhohlt ( kurz hinter einander , da- mit nicht anstatt a und b andre widerstrebende Vorstel- lungen eintreten): so giebt die dritte Vorstellung eine neue Verschmelzungshülfe für y , die, nun wenigstens, leicht hinreichen kann, um dem H wieder eine Stelle im Be- wusstseyn zu versichern. Auf diese Weise werden häufig schwächere Vorstellungen ergänzt, ältere angefrischt . Nur gar zu schwach dürfen sie nicht seyn. Wenn H so klein ist, dass es von mσ bald übertroffen wird (man sehe §. 82.), alsdann vermindern sich in dem Ausdrucke , y und H zugleich; und die ganz schwache Vorstellung erhält auch nur eine unbedeutende Hülfe. Während daher sol- che Vorstellungen, die ursprünglich eine gewisse Stärke besassen, immer fortleben, weil sie immer neue Nahrung durch jede Wiedererweckung bekommen: verschwinden andre, die nicht so viel Kraft haben, um sich die Nah- rung zuzueignen; sie verschwinden, obgleich sie nicht aus- getilgt werden; das heisst, sie dauern fort als Strebungen im Grunde der Seele, von denen aber im Bewusstseyn keine Wirkung erscheint. Merkwürdig ist, dass die wiederhohlten Wahrneh- mungen eines und desselben Objects keinesweges zu ei- ner einzigen Vorstellung von dem Einen Objecte zusam- menfliessen. Wir haben nicht, wie man im gemeinen Leben wohl glaubt, von jedem Dinge nur Eine Vorstel- lung, sondern der Vorstellungen bleiben so viele, als der Wahrnehmungen. Denn nur ihrem kleineren Theile nach verschmelzen die frühern Wahrnehmungen mit den späteren; und nur das Verschmolzene kann für eine einzige, aus den mehrern Wahrnehmungen entsprungene Vorstellung gehalten werden. — Noch mit einem Worte muss hier der minderen Ge- gensätze und der Complicationen Erwähnung geschehn. — Falls c , und das ihm gleichartige H , nicht vollen Ge- gensatz gegen a und b bilden, so wird durch c nur ein geringeres Sinken von a und b bewirkt; also auch nur ein geringeres Hervortreten von H oder von y . Es scheint also, dass die, unsern jetzigen Vorstellungen näher lie- genden, schwerer wieder erweckt werden, als die entfern- tern. Dagegen bedenke man, dass dergleichen näher lie- gende Vorstellungen bey weitem schwächer seyn müssen, wofern sie sich der Voraussetzung gemäss neben a und b auf der statischen Schwelle befinden sollen. In Hinsicht der Complicationen werde angenommen, es seyen anstatt a und b ein paar Complexionen A und B im Bewusstseyn vorhanden; das hinzukommende c , eine einfache Vorstellung, widerstreite nur Einem Elemente von jeder Complexion; H und folglich y seyen dagegen aus einem andern Continuum von Vorstellungen; und mit den andern Elementen jener Complexionen im Wi- derstreite. Weil A und B sinken müssen, indem c ein- tritt, so entsteht für H ein ähnlicher Spielraum wie oben, und indem es sich erhebt, eine Complication mit c . Die- ses Ereigniss würde also dem zuvor betrachteten völlig ähnlich seyn, passte nicht dasselbe auf gleiche Weise auf alle Vorstellungen des gleichen Continuum wozu H gehört. Also, zwar irgend welche frühere Vorstellungen dieser Reihe müssen wieder erweckt werden, falls sie nicht Hindernisse im Bewusstseyn antreffen; welche es aber seyn werden, hängt von den gegenseitigen Verhältnissen ihrer Stärke ab. Immer werden sie zufälligen Gedanken und Einfällen gleichen, indem sie mit der erweckenden weder Aehnlichkeit noch Zusammenhang haben. Wo schon Aufmerksamkeit vermöge gewisser herrschender Vorstellungen gebildet ist, da kommen dergleichen Ein- fälle nicht weit; und machen sich kaum bemerklich, weil sie im Entstehen erdrückt werden. — Endlich noch eine Erinnerung an die mechanischen Schwellen. Wir haben am Schlusse des vorhergehenden Capitels bemerkt, dass während eines fortdauernden Flusses neu eintretender Vorstellungen, die älteren eine Zeitlang auf der mechanischen Schwelle verweilen können. Wird eine solche wieder erweckt durch eine ihr gleichartige neue, so muss ihr Hervortreten eine viel grössere Lebhaftigkeit zeigen, als beym Hervortreten von der statischen Schwelle vorkommen mag. Eigentlich aber ist das Phänomen von ganz andrer Art als das vorige. Dort wurde eine Vor- stellung auf kurze Zeit hervorgerufen, die wieder sinken musste; hier wird eine Vorstellung wieder hergestellt, die nur auf eine Zeitlang aus dem Bewusstseyn verdrängt war. Dort, welches sehr merkwürdig ist, erschien die gerufene Vorstellung sogleich, aber schwach, und mit all- mählig anwachsender Geschwindigkeit; hier kann sie nicht sogleich erscheinen; kommt sie aber, so geschieht es wie mit einem Stosse, dessen Geschwindigkeit jedoch nicht anhält, sondern bald abnimmt. Dieses einzusehn, darf man nur die bekannten Bedingungen des Phänomens er- wägen. Die auf der mechanischen Schwelle verweilende Vorstellung kann sich nicht eher erheben, als bis eine gewisse Hemmungssumme gesunken ist; sobald dieses ge- schehen, steigt sie von selbst mit einer Geschwindigkeit, die Anfangs am grössten ist und sich bald vermindert. Durch das Hinzukommen der gleichartigen neuen Vor- stellung wird jene eigentlich nicht geweckt, es wird nur das Sinken derer beschleunigt, welche ihrem Hervortre- ten hinderlich waren. Also nicht eher, als bis dieses Sinken derjenigen Hemmungssumme genügt, um derent- willen jene Vorstellung auf der mechanischen Schwelle verweilt, kann die letztere hervortreten; die Verweilung dauert noch einige, wenn gleich sehr kleine und vielleicht unmerkliche Zeit; dann springt die nun befreyte Vorstel- lung hervor, und verschmilzt sehr schnell in einem be- deutenden Grade mit der neuen Wahrnehmung. Anmerkung . Auf den schwierigsten Gegenstand dieses Capitels, die Untersuchung des §. 84., habe ich die die Rechnung mit Reihen, die nach Potenzen mit irra- tionalen Exponenten fortschreiten, angewendet, welche man in meiner Abhandlung de attentionis mensura finden kann; bey dieser Methode lassen sich durch Zusammen- ziehung mehrerer Glieder in Eins, noch Vortheile anbrin- gen, die ein Mathematiker leicht finden wird. Allein ich habe kein auffallendes Resultat erhalten, obgleich ich die Voraussetzung dahin abänderte, dass statt einer einzigen, viele gleichartige Vorstellungen zugleich reproducirt wer- den. Die Gegenstände dieses, und der beyden folgen- den Capitel müssen in besondern Monographien bearbei- tet werden. Hier will ich die Aufmerksamkeit des Le- sers nicht ermüden; sondern sie sparen für das folgende Capitel, worauf aller Fleiss muss gewendet werden, wenn man sich den Kern dieses ganzen Buchs zueignen will. Die feinern Rechenkünste werden von selbst ihren Platz einnehmen, wenn man erst begriffen hat, wozu sie dienen sollen. Viertes Capitel . Von der mittelbaren Wiedererweckung. §. 86. Eine Untersuchung von grosser Wichtigkeit steht be- vor; die nicht bloss dasjenige unter sich befasst, was ge- wöhnlich mit dem Namen der Association belegt wird, sondern die mit ihren Folgen tief in die, durch falsche Metaphysik verdunkelten, Fragen von den Formen der Erfahrung hineingreift. — Sey es nun, dass eine Vorstellung von der mecha- nischen Schwelle sich von selbst erhebt, oder dass ihr vergönnt ist, von der statischen Schwelle emporzukom- men, indem eine hinzutretende ihr Freyheit schafft; im- I. T mer wird sie dasjenige mitzubringen trachten, was mit ihr durch irgend welche Verschmelzungen und Complicatio- nen verbunden ist. Dieses Verschmolzene oder Compli- cirte wird also mittelbar wiedererweckt; und hier ist der Ort, auch dieses Phänomen zu untersuchen, da es ge- wöhnlich die zuvor betrachteten begleiten wird. Ein ganz einfaches Problem soll zur Vorbereitung dienen, das zwar in der Wirklichkeit niemals so frey von Nebenbestimmungen vorkommen kann, das aber die Haupt- puncte sogleich ins Licht setzen wird. Von zweyen Vorstellungen P und Π seyen verschmol- zen oder complicirt die Reste r und ρ ; beyde Vorstellun- gen mögen darnach auf irgend eine Weise zur Schwelle ge- sunken seyn. Auf einmal verschwinde für P alles Hinderniss: so richtet sich P ins Bewusstseyn auf nach dem im §. 81. angegebenen Gesetze. Aber Π empfängt von P eine Ver- schmelzungs- oder Complications-Hülfe = (§§. 63. 69.). Diese Hülfe ist eigentlich ein Bestreben der Vorstellung P (oder der Seele, in so fern sie das Vorstellende von P ist), welches Streben dahin gerichtet ist, Π wieder auf den Verschmelzungs- oder Complicationspunct zu erhe- ben, das heisst, von Π wiederum das Quantum ρ ins Be- wusstseyn zu bringen. So lange dies Ziel nicht erreicht ist, dauert das nämliche Streben fort. Die eigentliche Stärke desselben ist = r ; aber nur in dem Grade kann es wirken auf Π, weil es nur in diesem Grade von die- ser Vorstellung ist angeeignet worden. Ueberdas nimmt das Bestreben ab in dem Grade wie ihm Genüge ge- schieht; worüber die Betrachtungen der §§. 74. und 81. zu wiederhohlen sind. Wäre es nun möglich, dass die Vorstellung P für sich allein wirkte, nicht gehindert und nicht begünstigt von andern Kräften: wie würde das, aus dieser Wirk- samkeit entspringende Ereigniss beschaffen seyn? Erstlich, wie schon erwähnt, P würde sich selbst ins Bewusstseyn erheben, nach einem Gesetze, welches, wenn p das wieder Hervorgetretene von P am Ende der Zeit t bedeutet, in folgender Gleichung liegt: ( P—p ) dt = dp ; oder Aber zweytens: die Hülfe würde zugleich auf Π, welches wir hier als völlig träge und passiv ansehn, der- gestalt einwirken, dass, wenn das von Π hervorgetretene = ω , folglich das bis zum Verschmelzungspuncte noch hervorzurufende = ρ—ω , alsdann diese Gleichung gelten müsste: Die Brüche und sind hier blosse Zahlen, womit die Kraft r multiplicirt wird. Es ergiebt sich nun Dieses Resultat zeigt uns vollkommen klar, wie ω von ρ , r , t , und Π abhängt. Erstlich: das von Π am Ende der Zeit t Hervorge- tretene, nämlich ω , verhält sich gerade wie dasjenige Quantum von Π, welches mit P verschmolzen war; näm- lich wie ρ . Zweytens: je grösser der mit verschmolzene Theil von P , um so geschwinder nähert sich das Hervorgetre- tene seiner Gränze = ρ . Drittens: je grösser Π selbst, um so langsamer wird es durch die Hülfe gehoben. Viertens: die Wirkung der Hülfe endigt nie, obgleich sie ihrem Ziele bald sehr nahe kommen kann. Wir wollen jetzt die Geschwindigkeiten vergleichen, jene, mit der sich P selbst erhebt, und diese, womit die Hülfe wirkt. Die Geschwindigkeiten sind bekanntlich in der Psychologie allemal gleich den Kräften, als deren T 2 unmittelbarer Abdruck; die beyden Kräfte aber sind und . Nun ist und Man kann beydes gleich setzen, so findet sich Nämlich um diesen Zeitpunct hat die Anfangs weit grössere Geschwindigkeit, mit der P sich selbst erhebt, so weit nachgelassen, dass die geringere, aber gleichför- miger anhaltende, womit Π gehoben wird, jene einhohlen, und übertreffen kann. Aber dieser Zeitpunct rückt un- endlich weit hinaus, Falls Π= r , und er findet gar nicht Statt, wofern r \>Π. Es sey P =Π=1; ; so kommt für die Zeit, da beyde Geschwindigkeiten gleich werden, t =2,77 … Um diese Zeit ist , und beynahe. Aber die Gränze, oder das Ziel für p ist =1, und für ω ist es ; also fehlt dort noch 1/16, hier noch ⅛ daher die Hülfe nun mehr eilen muss, zum Ziele zu gelangen; auch wird ihre Geschwindigkeit zuletzt unendlich grösser, als die mit ihr verglichene. — Um nun die Untersuchung fruchtbar zu machen, nehmen wir an, es seyen mit einer und derselben Vor- stellung P viele andre verschmolzen und complicirt; von verschiedener Stärke; auch seyen theils mit dem gleichen Quantum von P verschiedene Quanta jener andern Vor- stellungen, theils mit verschiedenen Theilen von P einer- ley oder verschiedene Theile der übrigen verbunden. Sind die mit P Verbundenen von verschiedener Stärke, so bekommt Π verschiedene Werthe. Hier muss man sich vor einem möglichen Misverständniss hüten. Es würde eine falsche Auslegung der obigen Sätze seyn, wenn man glauben wollte, grössere Π würden überhaupt weniger und schwerer durch die Hülfen gehoben, als klei- nere. Freylich werden sie das, wenn ihr Rest, der mit P verschmolzen ist, gleich geringfügig ausfällt, wie der von schwächeren Vorstellungen. Aber es ist längst ge- zeigt, dass die Reste stärkerer Vorstellungen in einem weit grösseren Verhältnisse die Reste der schwächeren zu übertreffen pflegen; als in welchem Verhältnisse die Vor- stellungen selbst verschieden sind. Daher wird unter gleichen Umständen ein grösseres Π auch ein viel be- trächtlicheres ρ bey sich führen. Und so muss der dritte der obigen vier Sätze vielmehr so gedeutet werden: ein grösseres Π wir durch die Hülfe gleichförmiger und anhaltender gehoben; eine schwache Vor- stellung hingegen eilt mehr, und ersetzt für eine kurze Zeit durch ihre Geschwindigkeit den Mangel der Stärke . Damit r verschiedene Werthe annehmen möge, oder, damit eine und dieselbe Vorstellung P sich in verschie- denem Grade mit verschiedenen verbunden finde: kann man voraussetzen, es sey P allmählig gesunken, und während der Zeit des Sinkens mit mehrern Vorstellun- gen, die nach einander ins Bewusstseyn traten, ver- schmolzen. Es mögen aber auch die verschiedenen Grade der Hemmung und der Stärke bey gleichzeitigen Vorstel- lungen, den erwähnten Unterschied hervorgebracht ha- ben. Immer wird dieses die Folge seyn: Jede der mit verschiedenen Quantis von P Verbundenen, hat ihre eigne Geschwindigkeit; das grössere Quantum ergiebt die grössere, aber auch schnel- ler abnehmende Geschwindigkeit . Unmittelbar aus der angegebenen Differentialglei- chung ist Es können also Π, ρ , und ω unverändert bleiben, alsdann stehen r und t unter einander im umgekehrten Verhältniss. Beyspiel : Es habe, wie vorhin, die Vorstellung P eine Stärke =1; ein Theil von ihr, sey ver- schmolzen mit , einem Theile von Π=1; aber ein andrer Theil von P , , sey verschmolzen mit , einem Theile von einer andern Vorstellung Π'=1; man sucht ω für und t=1, desgleichen ω' für und t =2. Es findet sich ω=ω' =0,196… In dem Zeitpuncte aber, da ω' diesen Werth erlangt, oder für t =2, und , ist ω =0,316… Mit sey überdies noch verschmolzen ρ″ =3, ein Theil von Π″=4; so wird für t =1, ω″ =0,1818… Aber für t =2 wird ω″ =0,352… Vergleicht man ω mit ω″ , so sieht man, dass beyde Grössen in ihrem Laufe einander irgendwo durchkreuzen. Denn für t =1 ist ω\>ω″ , aber für t =2 findet sich ω\<ω″ . Es kann also eine und die nämliche Vor- stellung durch zwey verschiedene Hülfen auf zwey andre Vorstellungen dergestalt wirken, dass von diesen eine, schneller im Bewusstseyn hervortretende, nach einiger Zeit zurückbleibt hinter der andern, die Anfangs langsamer her- vorgehoben wurde . §. 87. Die hervorgehobene Vorstellung wurde bisher als gänzlich passiv betrachtet. Diese Ansicht ist immer dann gültig, wann sich die erwähnte Vorstellung auf ihrem sta- tischen Puncte, also auch, wann sie sich auf der stati- schen Schwelle befindet. Denn die Kraft, womit sie von diesem Puncte sich selbst höher heben möchte, wird völ- lig aufgewogen durch die entgegenstehenden Kräfte, mit denen sie sich ins Gleichgewicht gesetzt hat. Welches Widerstreben aber die Hülfe zu überwinden habe, da- von bald ein Mehreres. Setzen wir hingegen, die hervorgehobene Vorstellung werde zugleich mit der hebenden von aller Hemmung, oder auch nur von einem Theile derselben befreyt; sie steige daher mit jener zugleich, aber nicht bloss durch ihre Hülfe, sondern auch durch eigene Kraft, von der statischen Schwelle empor: so kann man sehr leicht zu einem Irrthume verleitet werden, der mich wenigstens lange geblendet, und mir den Zugang zu einem Haupt- puncte in der Lehre von den Gefühlen versperrt hat. Es scheint nämlich, man müsste nun zu dem obigen Differential dω noch dasjenige addiren, welches das Stei- gen durch eigene Kraft ausdrückt; also wenn Π auf ein- mal von aller Hemmung frey wäre, folgendermaassen: Die Folge hiervon wäre, dass ω nun geschwinder als sonst, oder dass ein grösseres ω in bestimmter Zeit her- vorträte. Allein es ist falsch, dass durch ein Zusammentreffen von Kräften, die nicht schon zuvor eine Gesammtkraft gebildet haben, die Geschwindigkeit könnte vermehrt wer- den. Denn jede von diesen Kräften, sey sie eine Hülfe, oder eigene Energie der steigenden Vorstellung, hat ihr Zeitmaass, in welchem sie wirkt; wie wir dieses aus dem vorigen §. kennen. Wenn nun das, was sie in diesem Zeitmaasse zu vollbringen im Begriff war, durch eine an- dre, stärkere Kraft, geschwinder geschieht: so kann sie zum Mitwirken gar nicht gelangen; eben weil in jedem Augenblicke ihr Streben mehr als befriedigt wird. Wir- ken demnach mehrere solche Kräfte zusammen: so be- stimmt die stärkste derselben für sich allein die Ge- schwindigkeit des Ereignisses; für alle übrigen aber ist eine Befriedigung ihres Strebens durch glücklichen Zu- fall vorhanden. Und dieser ihr Zustand muss im Be- wusstseyn eine Bestimmung abgeben, die den Gefühlen anheim fällt, — ohne Zweifel als ein Lustgefühl , — während in Ansehung des Vorgestellten sich dadurch nichts verändert. Wenn nun Π zugleich durch eigne Kraft steigt, in- dem seinem Reste ρ die Hülfe des Restes r von P zu- kommt: so ist seine eigene Bewegung (Falls man nicht r , und folglich P , sehr gross annimmt), ohne Zweifel die geschwindeste; und die Hülfe, anstatt hiezu mitzuwirken, wird der Sitz eines Lustgefühls, dergleichen sich allemal bey rasch fortschreitender und leicht gelingender Thätig- keit einfindet; besonders in solchen Fällen, wo das im Grossen geschieht, hundertfach und tausendfach ver- vielfältigt, was wir hier im Kleinen, als ob nur zwey oder drey Vorstellungen in der Seele wären, elementarisch un- tersuchen. §. 88. An der Betrachtung des §. 86. fehlt noch etwas sehr Nöthiges, nämlich die Erwägung des Widerstandes, den die hervorgehobene Vorstellung finden wird. Es sey Π auf der statischen Schwelle neben den im Bewusstseyn gegenwärtigen Vorstellungen a und b , so kann es nicht ausbleiben, dass eine Hemmungssumme entstehe, indem P auf Π wirkt, und es durch die Hülfe emporhebt. Diese Hemmungssumme sey = αω , indem α den Hemmungsgrad des Π gegen a und b bezeichnet (der nach §. 52. zu bestimmen ist), und ω seine obige Be- deutung behält. Das Sinken der Hemmungssumme gleicht jenem im §. 77., dergestalt, dass sie vertheilt werde, auf a , b , Π, und die Hülfe; dass aber auch zugleich das Wieder-Aufstreben von a und b zu ihrem statischen Puncte (auf welchem sie Anfangs mögen gewesen seyn), den Verlauf der Hemmung beschleunige. In wiefern Π und die Hülfe zusammen dahin wir- ken, dass nicht Π von dem schon erreichten Puncte wieder herabsinke, in so fern sind sie an- zusehn als eine einzige Kraft. Dieselbe heisse `Π, also . Weil a und b verschmolzen seyn wer- den, so sind die Hemmungsverhältnisse für die drey Kräfte `Π, a , und b , nach §. 68. zu bestimmen. Diese Ver- hältnisse sind constant, weil die Kräfte es sind; die Hemmungssumme aber ist veränderlich. Was von `Π zu hemmen ist, verhalte sich zu dem was a und b zu- sammengenommen verlieren müssen, wie m : n ; so sind m und n beständige Grössen. Da die Hemmungssumme = αω , so ist in jedem Au- genblicke zu vertheilen αωdt . Auf `Π komme mαωdt , auf a und b zusammen nαωdt . Was von a und b aus dem eben angegebenen Grunde nach Verlauf der Zeit t gehemmt ist, wird = nα∫ωdt . Dies ist eine Kraft, welche die Hemmung beschleunigt Vergleiche §. 77. . Durch sie sinkt in jedem Augenblicke dt. nα∫ωdt . Vertheilt auf `Π, und auf a und b zusammen ergiebt sie, für jenes, eine Hemmung = mdt.nα∫ωdt ; für diese, eine Hemmung = ndt.nα∫ωdt . Es ist also die augenblickliche Hemmung für a und b zu- sammen, nicht bloss , wie vorhin angegeben, = nαωd t; sondern dazu kommt noch ndt.nα∫ωdt . Folglich ist auch nach Verlauf der Zeit t die Kraft, wodurch die Hemmung beschleunigt wird, nicht bloss nα∫ωdt , son- dern noch darüber n∫dt . nα∫ωdt . Auch die letztre Grösse bewirkt einen Druck, der zu vertheilen ist; der die Hemmung von a und b vermehren wird; der eben damit abermals einen Zuwachs an Hemmung ergeben wird. Sichtbar sind wir hier in einen Cirkel gerathen, der eine unendliche Menge in einander eingewickelter Integrale er- giebt, welche zu berechnen ganz unmöglich wäre. Es ist also, fürs erste wenigstens, nothwendig, An- näherungen und Gränzbestimmungen zu suchen. Wenn wir annehmen, die Kraft nα∫ωdt drücke nur bloss auf `Π allein, so machen wir ohne Zweifel dω zu klein; als- dann aber vermeiden wir den Zuwachs der Hemmung für a und b , und wir bekommen eine Rechnung, die sich ausführen lässt. Nehmen wir hingegen Rücksicht auf die Vertheilung, so dass wegen jener Kraft die augenblickli- che Hemmung von `Π, = mdt.nα∫ωdt ; und ignoriren wir alsdann den Zuwachs der Hemmung wegen des Druk- kes, der auf a und b fällt: so machen wir dω zu gross, weil die Hemmung zu klein wird. Der wahre Werth von dω muss zwischen beyden Gränzen eingeschlossen seyn. Die Rechnung für beyde Gränzen ist nur Eine, bey welcher ein beständiger Factor zugesetzt und wegge- lassen wird. Für die erste Gränze ist die Gleichung oder nach Wegschaffung des Integral-Zeichens Es sey ; und nach der Division mit dt werde für das noch zurückbleibende dt gesetzt , so kommt Durch die Substitution p=uω , dp=udω+ωdu , wird nach gehöriger Rechnung Aus ist , und folglich Weil die Grössen r , Π, m , n , kein vestes Verhält- niss unter einander haben, ist es im Allgemeinen zweifel- haft, ob dieses Differential durch Logarithmen, oder durch eine Circular-Function integrirt werden müsse. Im er- sten Falle kommt das Integral auf die Form wo Man darf keine Constante beyfügen. Denn ist unendlich für t =0, indem alsdann auch ω =0; da- her verschwinden η und ϑ neben u , und ist =0. Es ergiebt sich nun , daher Demnach Setzt man e —εt =x , so ist —εe —εt dt=dx , also . Nun ist zu integriren oder . Weil auch η—ϑ=—ε , aus den oben angegebenen Werthen dieser Grössen, so wird dies Differential und das Integral das heisst Um hier die Constante zu bestimmen, reicht die For- derung ω =0 für t =0 nicht zu, denn der Factor 1— e —εt erfüllt dieselbe, was auch C seyn mag. Allein man gehe zum Differential zurück. Für t =0 muss nicht bloss ω , sondern auch ∫nαωdt =0 seyn, also ist alsdann . Aber aus dem gefundenen Integral ist Das erste Glied ist =0 für t =0, denn es enthält den Factor 1— x ; das zweyte ist = — Cdx = + Cεdt . Also ; und hieraus . Demnach end- lich Man kann ω noch bequemer durch ϑ ausdrücken, weil nach dem obigen η + ε = ϑ . Nämlich [ A ] Diese Rechnung gilt der ersten Gränze; sie ergiebt aber auch die zweyte, wenn man für n setzt mn , und dar- nach die Werthe von ε , η , ϑ , abändert; doch ist dies nicht willkührlich, sondern ergiebt sich erst, wenn man bestimmte Zahlen in die Rechnung einführt. Aus dem so sehr einfachen Ausdrucke für ω lässt sich überdies mit leichter Mühe ∫ωdt , ja auch ∫dt∫ωdt finden; und man wird hieraus die Correcturen beurthei- len können, welche noch anzubringen wären. — Auch ohne genauere Untersuchung lässt sich, allenfalls durch Ver- gleichung mit den Differentialen der Linien, Flächen, und Körper, wohl vermuthen, dass in der Reihe der ω , ∫ωdt , ∫dt∫ωdt , u. s. w. immer die nachfolgenden später als die vorhergehenden einen merklichen Werth erlangen werden. Das erste Merkwürdige, was das gefundene Integral uns darbietet, ist, dass ω =0 sowohl für t =0 als für t =∞; daher wir nach seinem grössten Werthe zu su- chen haben. Derselbe tritt ein (wie man durch die Dif- ferentiation findet), für . Offenbar eine kurze Zeit, da ϑ nur wenig grösser wie η ; und ε nicht leicht ein sehr kleiner Bruch werden kann. Wenn also eine und dieselbe Vorstellung mehrere andre hervorhebt, so hat nicht bloss, wie vorhin schon gefunden, jede der hervorge- hobenen ihre eigne Geschwindigkeit, sondern auch ihren eignen Zeitpunct, da sie im Be- wusstseyn ihr Maximum erreicht . Die Bestätigung durch die innere Erfahrung dringt sich von selbst auf. Löset man ω in eine Reihe auf, so sind die ersten Glieder: Da die verschiedenen Potenzen von t eine nach der andern bedeutend werden, so zeigt sich hier der Anfang der Erhebung von ω . Es bestätigen sich die Be- merkungen des §. 86. über die Abhängigkeit des ω von ρ , r , Π. Es verhält sich ω gerade wie ρ (abgerechnet den geringen Einfluss, welchen ρ auf die Grössen m und n haben kann); und je grösser , um so grösser, aber auch um so schneller abnehmend, ist die Geschwindig- keit, mit der ω hervortritt. Noch ist zu bemerken, dass ω im ersten Anfang weder von m noch n , dann zuvör- derst von m , und zuletzt von n abhängig wird; indem n erst bey t 3 und den folgenden Gliedern Einfluss bekommt. Noch bequemer lässt sich bey dem Werthe von t , der zum Maximum von ω gehört, die Auflösung in eine Reihe benutzen, um zu sehen, wie dieser Werth durch die beständigen Grössen bestimmt wird. — Man setze so ist jener Werth von Wenn f 2 nahe = nα , so ist sogleich offenbar, dass die Zeit fürs Maximum, wächst, wenn f , und folglich auch wenn abnimmt; und umgekehrt. Es sey nun weiter , so ist dieselbe Zeit ; aber wenn , ist , also indem f gewachsen, ist t kleiner geworden. Es sey ferner , so ist jene Zeit . Die eingeklammerte Reihe ist aus der Kreis- rechnung bekannt; sie ist … wenn π = dem Halbkreise für den Halbmesser =1. Also die gesuchte Zeit … daher nun t grösser geworden, in- dem f abnahm. So bestätigt es sich immer, dass ein grö- sseres schneller, aber auch minder anhaltend wirkt. Es sey eine und dieselbe Vorstellung P durch verschiedene ihrer Reste r , r' , r″ u. s. w. verschmolzen mit verschiedenen Vorstellungen Π, Π', Π″ u. s. w. und der Grösse nach Π=Π'= Π″ u. s. f. auch alle übrigen Umstände gleich: so ist die Folge der Zeitpuncte, worin Π, Π', Π″, durch die Hülfen zum Maximum gehoben wer- den, dieselbe, wie die Folge der Reste r , r' , r″ u. s. w. vom grössten bis zum kleinsten . Die Formel für jenes t , woraus wir diesen sehr fol- genreichen Satz gefunden, ist um so brauchbarer, da sie allgemein ist, indem sie die unmögliche Wurzelgrösse nicht mehr enthält, welche oben durch die Integration vermittelst der Logarithmen in dem Falle entsteht, dass f 2 \< nα . Nur für ω selbst müssen wir noch auf diesen Fall einen bequemen Ausdruck suchen. Oben ergab sich Im erwähnten Falle kommt das Integral auf folgende Form: wo also und Da unendlich für t =0 und ω =0, so ist C die Zahl, welche den Bogen von 90° für den Halbmes- ser =1 ausdrückt; oder es ist in der gewöhnli- chen Bedeutung von π . Aber ; daher wird nun Es ist , und εdt cos. εt=d . sin.εt , also oder woraus Die Constante muss wie vorhin aus für t =0 be- stimmt werden. Es ist worin man den gefundenen Werth von ω substituiren muss. Derselbe ist = Csin. εt für t =0, weil alsdann die Exponentialgrösse =1. Aber Csin. εt ist selbst =0 für t =0; das Glied also, worin diese Grösse keinen ihr ge- genübertretenden Divisor antrifft, der zugleich auch =0 wird, muss wegfallen. Hingegen ist ein solcher Divisor; daher findet sich Da cos. εt =1, für t =0, so ist endlich ; welches, verglichen mit dem schon bekannten Werthe , endlich ergiebt . Demnach ist nun voll- ständig [ B. ] Es kann nur zur Rechnungsprobe dienen, wenn wir auch hieraus die Zeit für das Maximum von ω suchen. Aus wird ε cos. εt=f sin. εt ; also , oder , welches in eine Reihe zu entwickeln ist. So findet sich Da nun , so ist , und wo man nur nöthig hat, statt zu schreiben , um die vollkommene Identität dieses Aus- drucks für t mit jenem vor Augen zu haben, der sich aus dem obigen ergab. §. 89. Die Berechnungen des vorigen §., wiewohl nur Gränzbestimmungen, haben uns die wichtigsten Auf- schlüsse, über den Einfluss von r , ρ , Π, und über das Maximum, schon gegeben; und es mag scheinen, wir könnten uns damit für die jetzige Absicht begnügen. Al- lein lein bey einer Untersuchung, worauf weiterhin so vieles gebaut werden soll, wäre es mindestens doch unschick- lich, die schon nahe liegende Auflösung des Problems nicht vollends zu erreichen. Die gefundenen Gränzen sind zu weit aus einander, als dass sie für eine Berechnung von ω gelten könnten; auch die Zeit für das Maximum ist noch nicht berechnet, denn die Formel dafür erhält zwey verschiedene Werthe, je nachdem man sie der einen oder der andern von den Gränzbestimmungen anpasst, die für ω gemacht sind. Zu der ursprünglichen Differentialgleichung müssen wir zurückgehn, und dieselbe genauer als zuvor angeben. Aus den oben bemerkten Gründen ist eigentlich und so weiter ins Unendliche. Man fasse die ersten drey Glieder zusammen; das Integral davon ergeben die Formeln des vorigen §, wenn in denselben mn statt n gesetzt wird. Man nehme fer- ner an (was aus obigen Gründen zu vermuthen, und was sich sogleich bestätigen wird), das Integral der er- sten drey Glieder sey, besonders für eine kleine Zeit, von ω nicht weit verschieden; man setze dasselbe statt ω in ∫dt∫ωdt ; so wird man die Integration des vierten Glie- des vollführen können, und dadurch eine Verbesserung des vorigen Werths von ω erhalten. Man verfahre eben so mit den folgenden Gliedern; man benutze, Falls es nö- thig scheint, die schon gefundenen Verbesserungen jedes- mal bey den noch zu suchenden. Dieses, schon oben angedeutete Verfahren, müssen wir jetzt vollziehen, um zu sehen, wohin es führen möge. Den, in der Formel [ A ] angegebenen Werth von ω lösen wir der Bequemlichkeit wegen in eine Reihe auf, und setzen F , so ist I. U folglich Die Integrale des vierten, fünften, und sechsten Glie- des von dω sind also zusammengenommen folgende: F . Und dieses ist die ganze Verbesserung für ω , Falls man nicht t 7 und noch höhere Potenzen von t in Rech- nung bringen will. Denn erstlich, das siebente Glied von dω ergiebt eine Reihe, die mit t 7 anfängt. Zwey- tens, will man ∫dt∫dt∫ωdt aus sich selbst verbessern, so hat man zu dem anfänglichen Werthe von ω , noch und das Folgende, mit gehörigem Zeichen und Coëfficienten hinzuzufügen, und daraus von neuem ∫dt∫dt∫ωdt zu suchen; wobey denn ausser dem vori- gen Werthe noch ein Glied erscheinen wird, das t 7 ent- hält. Daraus ist auf die folgenden, dieser ähnlichen, Ver- besserungen zu schliessen. §. 90. Um nun den Sinn und die Absicht dieser Rech- nungen deutlicher zu machen, wollen wir ein Beyspiel durchführen. Man wird sehen, dass die Formeln, so fern dadurch bestimmte Zahlen gesucht werden, noch sehr unvollkommen, aber für unsern Zweck, das Gesetz eines psychologischen Ereignisses im Allgemeinen kennen zu lernen, mehr als hinreichend sind. Gemäss der Voraussetzung des §. 88. soll Π auf oder unter der statischen Schwelle seyn neben a und b . Es sey demnach a = b =1, und Π=0,7. Auch . Daraus ergiebt sich . Die Hem- mungsverhältnisse, also m und n , sollen nach §. 68.; oder, wenn wir α =1 setzen, indem zugleich nur a und b unter sich, nicht aber mit `Π verschmolzen sind, nach §. 69. bestimmt werden. Demnach wird m =0,42496; n =1— m =0,57504; nm =0,24437. Nun theilt sich die Rechnung; denn es giebt für sie zwey Wege. Es ist , also f 2 = 0,32446. Folglich f 2 \> nm und \< n ; daher die Wurzel- grösse im ersten Falle, nachdem nm für n ge- setzt worden, möglich, im andern, wo n allein stehn bleibt, unmöglich. Der erste Fall gehört für die For- mel A , der zweyte für die Formel B . Wir müssen also beym Gebrauch der ersten Formel überall mn für n setzen. Man weiss aus den Entwickelungen des §. 88., dass, wenn n stehn bleibt, dω zu klein gemacht wird; oder, was dasselbe sagt, dass wir uns alsdann die Hemmung, gegen welche die zu reproducirende Vorstellung aufstei- gen muss, ein wenig grösser denken, wie sie wirklich ist. Diese Annahme giebt die leichteste Rechnung; man wird wohl thun, sie zuerst zu brauchen, um gleichsam den Umriss des psychologischen Ereignisses zu erhalten. Es findet sich für diesen Fall ε =0,50058. Daher aus εt = die Zeit des Maximum =1,4403 hieraus das Maximum selbst =0,20734 Ferner wird in der Formel B , ω =0 für εt = π , wo π wie gewöhnlich, den Bogen von 180° bedeutet. Hieraus ergiebt sich für ω =0, t =6,276. Will man nun noch dem Steigen und Sinken des ω U 2 geuauer zusehn, so kann man dasselbe für willkührliche Werthe von t berechnen. Z. B. für t =1 findet sich ω =0,19374 ‒ 1,4403 hatten wir ω =0,20734 ‒ 2 wird ω =0,19231 ‒ 3 ‒ ω =0,12889 ‒ 4 ‒ ω =0,06638 ‒ 5 ‒ ω =0,02465 ‒ 6 ‒ ω =0,00322. Allein dies ist nur die erste Gränzbestimmung. Den- ken wir uns die Hemmung kleiner, so werden wir ge- zwungen, die erste Formel A , sammt ihrer Verbesse- rung im §. 89., anzuwenden. Für die Zahlen unseres Beyspiels wird ( A ) ...... ω =0,63105( e —0,28664 t — e —0,85260 t ) und die Verbesserung=—0,00209 t 4 +0,00023 t 5 —0,00005 t 6 Hieraus ergiebt sich z. B. für t =1, ω =0,20286 ‒ t =1,4403, ω =0,22481 ‒ t =3, ω =0,06908 Nach dieser Rechnung steigt also ω etwas höher, und sinkt etwas schneller als nach der vorigen. Man darf sich darüber nicht wundern, denn die Integrale ∫ωdt , ∫dt∫ωdt , u. s. w. wodurch ω in den spätern Zeit- theilen vermindert wird, müssen wachsen, wenn ω An- fangs grösser genommen war. Diese zweyte Rechnung ist nun der Wahrheit näher als die erste; aber sie lässt sich nicht füglich so ausfüh- ren, dass man den Zeitpunct fürs Maximum und für ω =0 mit Genauigkeit angeben könnte. Daran ist nun auch für jetzt wenig gelegen, genug, wenn wir wissen, dass es für die reproducirte Vorstellung ein, von der Stärke der Vorstellungen, dem Grade ihrer Verbindung und Hem- mung abhängendes Maximum giebt, und dass sie, nach- dem es erreicht worden, ungefähr noch einmal so viel Zeit braucht, um wieder völlig zu sinken. Aber für die Zukunft können wir nicht bestimmen, was in Dingen die- ser Art wichtig oder unwichtig sey; denn oft ist Beach- tung der kleinsten Umstände nöthig, um die Wahrheit zu finden. Daher will ich die Untersuchung noch einen Schritt weiter führen. §. 91. Auf unser Problem passt in grosser Allgemeinheit eine Methode, welche Euler lehrt in den institutt. calc. integralis Vol. II. Sect. 2. cap. 2. Wir wollen uns indes- sen begnügen, das Verfahren an einer Differentialglei- chung des dritten Grades zu üben; da wir von jener, im §. 89. auseinandergesetzten Formel für dω , so viel Glie- der nehmen können als wir wollen. Denn ungeachtet die Methode schön ist durch ihre Einfachheit, so wird bey höhern Graden die Anwendung doch beschwerlich; theils wegen der Auflösung einer höhern Gleichung, theils be- sonders wegen der Bestimmung vieler Constanten. Es sey aus §. 89. Das Uebrige lassen wir weg, um nicht über das dritte Differential hinauszugehn. Es wird nämlich hieraus oder wenn , Dieser Gleichung genügt die Form ω=e λt ; daraus nämlich wird p=λe λt ; q=λ 2 e λt ; . Die Substitution dieser Werthe, nebst der Division der Glei- chung durch e λt giebt Jede der drey Wurzeln dieser Gleichung kann zur Bestimmung von λ dienen; doch jede einzeln würde nur ein particuläres Integral geben. Allein sie lassen sich auch alle drey verbinden. Es seyen die Wurzeln = λ 0 , λ' , λ″ , so genügen der Gleichung die für ω zu setzenden Werthe e λ0t ; e λ't ; e λ″t ; aber auch der Werth indem aus der Natur der aufgegebenen Gleichung klar ist, dass, Falls die aus den drey Bedeutungen von λ ent- springenden Werthe ω=P , ω=Q , ω=R , einzeln ge- nommen, derselben angemessen sind, dann auch gesetzt werden könne Es entsteht nämlich alsdann eine Summe dreyer Glei- chungen, deren jede für sich, daher auch ihre Summe =0 ist. So entspringt hier aus dreyen particulären Integralen das vollständige; zu erkennen an den drey willkührlichen Constanten, deren gerade so viele zu einer Differential- Gleichung des dritten Grades gehören. Hat die cubische Gleichung für λ zwey unmögliche Wurzeln, so muss die Form der daraus entspringenden Glieder um etwas abgeändert werden. Es sey und folglich so ist . Es ist und Die Constanten B und C sind noch unbestimmt. Man nehme an, es sey ; so ist B+C=B' ; ; und Man kann die neuen Constanten abermals verändern. Es sey B' = B″ sin. φ , C'=B″ cos. φ , so folgt: demnach Die Constanten A , B″ , φ , müssen aus ω , für t =0 bestimmt werden. Alsdann nämlich ist aus der gegebenen Gleichung Aber aus der eben gefundenen ist alsdann ; verwandelt sich alsdann in und endlich geht über in Also haben wir die drey Gleichungen woraus . Angewandt auf das obige Beyspiel, ist λ zu suchen aus der Gleichung Die mögliche Wurzel ist nahe =—1,03375=λ° die beyden unmöglichen sind also μ =—0,05272, und ν =0,36420. Es findet sich A =—0,33682 φ =77° 50' 45″ arc. φ =1,35866 B″ =0,34454 demnach Für t =1 ergiebt sich hieraus ω =0,2032… wozu man aus §. 89. die Verbesserung etc. nehmen muss (denn die obere Reihe der Verbesserung ist jetzt in der Formel schon inbegriffen), um den Werth ω =0,2029 zu erhalten, der oben schon gefunden wurde. Für das Maximum und für ω =0 die Zeit zu finden, ist wegen der Verwickelung transcendenter Grössen in ω und dω , nicht ganz leicht. Man kann jedoch entweder durch Versuche, oder nach Anleitung der obigen For- meln, und der aus ihnen gefolgerten für den Zeitpunct des Maximum, sich der Bestimmung der erwähnten Zei- ten nähern, und alsdann mit Hülfe des Taylorschen Lehr- satzes die Näherung weiter treiben. Was die Zeit fürs Maximum anlangt: so suche man im Beyspiele zuerst ω für t =1,5; wegen der Angabe im §. 90. Es findet sich ω =0,2264; etwas grösser als nach der obigen Berechnung; obgleich von der Verbesserung nach §. 89. das erste Glied mit zugezogen ist. Ferner gehört zu diesem Zeitpuncte ., also ist hier das Maximum noch nicht erreicht. Nimmt man nun von der Reihe des Taylorschen Satzes nur die ersten beyden Glieder, und setzt , den Zuwachs der Zeit bis zum Maximum aber = t' , so kommt also , woraus t' =0,075… also die ganze Zeit bis zum Maxi- mum =1,575… Dafür wird ω =0,2268. Es würde leicht seyn, aus mehrern Gliedern der Taylorschen Reihe ein genaueres Resultat zu erhalten; hier kam es nur auf kurze Bezeichnung einer brauchbaren Methode an. Um den fernern Gang der Grösse ω kennen zu ler- nen, insbesondere um zu sehen, ob sie eben so schnell abnehme, als sie zunahm, verdoppeln wir die eben ge- fundene Zeit, und suchen ω für t =3,15. Es findet sich ω =0,11… Also hat es noch ungefähr die Hälfte sei- nes grössten Werthes. Allein jetzt ist es in einem schnellern Abnehmen be- griffen. Durch Versuche findet man es =0 ungefähr für t =3,7 .. mit welcher Angabe wir uns hier begnügen können. Eine genaue Bestimmung dieses Zeitpuncts wird immer mühsam bleiben. §. 92. Was von a und b zusammengenommen gehemmt wird, das lässt sich, nach §. 88. so ausdrücken: nα ∫ ωdt + n 2 α ∫ dt ∫ ωdt + n 3 α ∫ dt ∫ dt ∫ ωdt etc. Fragt man nach dem Maximum dieser Grösse: so ist offenbar, dass das Differential des ersten Gliedes =0 ist für ω =0, dass aber alsdann die übrigen Glieder ihr Maximum noch nicht erreicht haben. Also bis ω =0 wächst die Hemmung von a und b immer fort. Hier aber ist sie wirklich am grössten, weil hier die Bedeu- tung der Formel aufhört, indem ω nicht negativ werden kann. — Auch ohne Formel folgt es so aus der Natur der Sache. Die hemmenden Vorstellungen, indem sie schon ω zum Sinken bringen, müssen doch auch allemal ihren Theil von der vorhandenen Hemmungssumme über- nehmen. Nur erst, nachdem diese verschwunden, das heisst hier, nachdem ω wieder den Nullpunct erreicht hat, können und müssen jene sich erheben. Jetzt aber erhält auch die Bestrebung der Hülfe, wodurch ω gehoben wurde, wiederum ihre ganze Span- nung, indem sie nun so unbefriedigt ist, wie zu Anfang. Es kommt daher wirklich, Falls nicht veränderte Um- stände eintreten, zu einer Art von Oscillation, wie es die Formeln für ω andeuten. Eine kleine Zeit muss verflie- ssen, während welcher ω auf der Schwelle bleibt, weil die Gewalt, womit es dahin gebracht ist, und durch die es noch tiefer hätte sinken sollen, nicht eher nachlassen kann, als bis a und b sich wieder etwas erhoben haben. In dieser Zeit wird das helfende P , auf welches ein Theil der Hemmung fällt, der schon vorhandenen, nur nicht plötzlich befolgten, Nöthigung zum Sinken, noch fort- dauernd nachgeben. Aber bald muss der Moment ein- treten, wo P gespannt genug, a und b nachgiebig ge- nug sind, damit ω wieder gehoben werden könne. Es muss jetzt abermals eine endliche Grösse im Bewusstseyn erreichen, denn nicht anders kann es als Hemmungs- summe einen neuen endlichen Widerstand finden, durch den es wieder zum Sinken gebracht werde. Doch wird es nicht so hoch steigen wie das erstemal, weil es sich jetzo während einer noch vorhandenen Spannung der wi- derstrebenden Kräfte erhoben hat. So weit ungefähr mö- gen die Conjecturen reichen, die man hier ohne Berech- nung wagen darf Diese Untersuchungen mögen Andre fortsetzen. Sie können sehr wichtig werden in Hinsicht auf Alles, was sich mit zwischenfal- lenden Pausen im Gemüthe gleichmässig wiederhohlt; auf die Stösse erneuerter Anstrengung; desgleichen auf Hebung und Senkung in der Metrik und Musik. . — Wir sollten jetzo untersuchen, was erfolgen müsse, wenn mit einer Vorstellung P , sich mehrere, Π, Π', Π″ u. s. w. verschmolzen finden, ja auch wenn diese unter einander verbunden sind; oder, wenn Π' nicht mit P, wohl aber mit Π verbunden ist, u. dgl. Allein statt des- sen müssen wir vielmehr in dem Geschäffte, zu neuen psychologischen Untersuchungen den Grund zu legen, fortfahren. Nur eine Bemerkung, welche bey den eben ange- deuteten Untersuchungen, und noch bey manchen an- dern in Betracht kommen wird, soll hier anhangsweise eine Stelle finden. §. 93. Mehrere Vorstellungen, die durch verschiedene Ur- sachen zur Schwelle gesunken waren, können entweder durch die Wirkung der Verschmelzungs- und Complica- tions-Hülfen, oder weil sie zugleich frey von einer Hem- mung werden, gleichzeitig wieder ins Bewusstseyn hervor- treten. Man würde sich irren, wenn man die Hemmung welche sie jetzo wider einander ausüben, nach den ersten Grundsätzen der Statik ermessen wollte. Dieselbe ist be- trächtlich kleiner; denn die Hemmungssumme entsteht jetzt nur allmählig durch das Steigen der entgegengesetzten Vorstellungen, während sie bey solchen, die zugleich aus dem ungehemmten Zustande sinken, gleich Anfangs voll- ständig vorhanden ist, und ihre volle Wirkung äussert. Eine ganz kurze Berechnung für zwey Vorstellungen, die mit einander steigen, kann dies genugsam erläutern. Dieselben seyen a und b ; was von ihnen hervorge- treten, heisse α und β ; der Hemmungsgrad sey = m . So ist, wenn a \> b , die Hemmungssumme nach Verlauf der Zeit t , oder S , = mβ . Davon sinkt im Zeittheilchen dt der Theil mβdt ; und dieser ist zu zerlegen in , welches von a , und in , welches von b gehemmt wird. Nun würde ohne Hemmung das Steigen von b ausgedrückt durch dβ =( b — β ) dt ; also mit der Hem- mung , woraus wenn . Also β nähert sich der Gränze . Es sey m =1, a = b , so ist κ =1+½, und b und a können zusammen steigen bis zu ⅔ ihres Werths. Eben diese Vorstellun- gen, wenn sie aus dem ungehemmten Zustande mit ein- ander sinken, müssen sich hemmen bis zur Hälfte ihres Werths. Der Unterschied, der sich hier zeigt, ist be- sonders merkwürdig wegen der innigern Verschmelzung, die aus dem gemeinschaftlichen Steigen hervorgehn muss. Man denke an den Werth häufiger Wiederhohlung beym Lernen, erneuerter Versuche im Forschen; und ganz be- sonders an den Unterschied der spätern und der frühern Jahre in Ansehung dessen, was oftmals wiederkehrend bearbeitet wird. Fünftes Capitel . Vom zeitlichen Entstehen der Vorstellungen. §. 94. Es mag scheinen, dass dieses Capitel hätte das erste dieses Abschnitts seyn sollen; indem die Vorstellungen erst entstehen müssen, ehe sie da seyn können. Aber es wird sich bald zeigen, wie schwierig die vorstehenden Untersuchungen ausgefallen wären, wenn wir in ihre Vor- aussetzungen den zeitlichen Ursprung der Vorstellungen aufgenommen hätten. Der Gegenstand, den wir jetzt auffassen, gehört zu- nächst der allgemeinen Metaphysik. Man wolle zuvör- derst das dritte Capitel des ersten Abschnitts wieder nachlesen; an dessen Ende der Satz vorkam, dass die Vorstellungen nichts anderes sind als Selbsterhaltungen der Seele in ihrem eignen Wesen; wobey denn die Man- nigfaltigkeit der Vorstellungen von der Mannigfaltigkeit der Störungen herrührt, welchen die Seele in jeder Selbst- erhaltung widersteht. An den Begriff der Störung knüpft sich in der all- gemeinen Metaphysik der Begriff des Zusammen; welches ein unvollkommenes seyn kann, und alsdann Grade hat, die auf das vollkommene Zusammen wie Brüche auf die Einheit müssen bezogen werden. Dem vollkommenen Zusammen entspricht die voll- kommene Störung und die vollkommene Selbsterhaltung, — welche letztere hier eine Vorstellung im Maximum der Stärke seyn würde, dergleichen sich in der Erfahrung nicht nachweisen lässt. Gleichwohl, indem die Grade des Zusammen auf Grade der Störung und auf Grade der Selbsterhaltung hindeuten, muss das Maximum der Stärke, die eine Vorstellung erhalten könnte, als die ideale Einheit angesehen werden, wovon jedes wirkliche Vorstellen ein Bruch ist. Wie die Seele gestört, und dadurch zu Vorstellun- gen gebracht werde, ist nicht bloss eine einfache meta- physische, sondern zugleich eine höchst verwickelte phy- siologische Frage, über welche ich an diesem Orte gänz- lich schweigen muss. Hier aber bemerke man vorzüglich, dass einmal gebildete Vorstellungen in der Seele bleiben (sonst könnte, nach den obigen Untersuchungen, nim- mermehr ein Selbstbewusstseyn zu Stande kommen); dass also, wenn eine gewisse Störung eine Zeitlang dauert, alsdann das in jedem Augenblick neu entstehende Vorstellen sich ansammelt , dem- nach ein Integral ergiebt, wovon das augenblicklich er- zeugte Vorstellen das Differential ist. Dies Differential nun wäre constant, und sein Inte- gral verhielte sich gerade wie die Zeit, wenn die augen- blickliche Zunahme des Vorstellens sich immer gleich bliebe. Alsdann aber ginge das ganze Quantum des an- zusammelnden Vorstellens ins Unendliche, so wie die Zeit. Giebt es hingegen ein Maximum der möglichen Stärke für jede Vorstellung, so sieht man auf den ersten Blick, dass die augenblickliche Zunahme, oder jenes Differen- tial, sich verhalten muss wie die Entfernung vom Maxi- mum. Alsdann nämlich ist ursprünglich die Möglichkeit, eine solche Vorstellung zu erzeugen, eine endliche Grösse; und diese Möglichkeit nimmt um eben so viel ab, als wieviel das Quantum des schon erzeugten Vorstellens der näm- lichen Art, beträgt. Wir werden dieselbe mit dem Na- men der Empfänglichkeit bezeichnen. Sie sey ur- sprünglich =φ; und folglich φ eine Constante; im Laufe der Zeit t werde erzeugt ein Quantum des Vor- stellens = z , so beträgt am Ende von t die Empfänglich- keit noch φ — z . Ferner die Stärke der Störung sey = β (hiebey denke man sich die Stärke, mit der ein sinnli- cher Eindruck gegeben wird, also die Helligkeit einer Farbe, die Intensität eines Geruchs, eines Geschmacks, eines Tons); auch bleibe β der Kürze wegen unverän- dert: so haben wir die Gleichung woraus In unendlicher Zeit wird z = φ , oder erreicht das fortdauernd anwachsende Vorstellen sein Maximum. Ungeachtet der physiologischen Dunkelheiten der sinnlichen Wahrnehmung werden wir die eben gefundene Formel ferner zum Grunde legen. Sie enthält das ein- fachste Gesetz über den Anwachs eines gleichartigen Vor- stellens während der Dauer einer sinnlichen Affection, was wir annehmen können, wenn wir nicht diesen An- wachs der Zeit proportional glauben wollen. Dem wider- spricht aber, nicht bloss der allgemein-metaphysische Grundsatz, dass in jedem Wesen jede Selbsterhaltung, die aus dem vollkommenen Zusammen dieses Wesens mit einem andern Wesen hervorgeht, anzusehen ist als die Einheit und zugleich als das Maximum, wornach die minderen Selbsterhaltungen beym unvollkommnen Zusam- men der nämlichen Wesen, abzumessen sind: — son- dern auch die Erfahrung; welcher gemäss, erstlich , zwar jede Wahrnehmung eine kleine Zeit erfordert, wenn das durch sie gewonnene Vorstellen einen endlichen Grad von Stärke unter den übrigen Vorstellungen erlangen soll; aber auch zweytens, eine Wahrnehmung, über eine gewisse mässige Zeit hinaus verlängert, keinen Gewinn für die dadurch entstandene Stärke des Vorstellens mehr spüren lässt . Bey- des wird man durch die eben gefundene Formel ausge- drückt finden. — Man bemerke noch, dass aus derselben die Stärke des augenblicklichen Anwachses des Vorstel- lens, oder . §. 95. Aus dem Vorigen versteht sich von selbst, dass eine Vorstellung, die nicht gerade die erste ihrer Classe ist, für das vorstellende Wesen, schon andere entgegenge- setzte im Bewusstseyn antreffen wird; und dass sie von der Hemmung durch dieselben zu leiden hat, schon wäh- rend der Zeit ihrer allmähligen Erzeugung. Dieses er- giebt die wichtige Folge, dass die successiv erzeug- ten Elemente des Vorstellens nicht vollständig verschmelzen können; dass also die aus ihnen entspringende Totalkraft bey weitem nicht gleich kommt der ganzen Summe des Vorstel- lens . Und hiemit haben wir nun den Gegenstand unsrer nächsten Untersuchung. Es fragt sich nämlich: wie gross ist am Ende der Zeit t der eigentliche Gewinn der Wahr- nehmung, die aus den unendlich kleinen Elementen er- wachsene endliche Stärke der gegebenen Vorstellung? — Um dieses zu beantworten, müssen wir vor Allem den Verlauf der Hemmung des Wahrgenommenen während der Wahrnehmung, näher betrachten. Zunächst ist die veränderliche Hemmungssumme zu bestimmen. Dieselbe sey = ν , so nimmt sie im Zeittheil- chen dt , wegen der wirklichen Hemmung ab um νdt . Sie nimmt aber auch zu um πβφe — βt dt , wenn π der Hem- mungsgrad des Wahrgenommenen gegen die schon vor- handenen Vorstellungen. Denn βφe — βt ist die Stärke des augenblicklichen Anwachsens (§. 94.), und es ist kein Zweifel, dass die erst entstehende Vorstellung, welche, Anfangs wenigstens, die schwächste von allen ist, selbst mit in die Hemmungssumme eingehe; obgleich dieses weiterhin sich ändern kann. (Man vergleiche §. 52.) Demnach woraus . Es können nun die früher im Bewusstseyn vorhan- denen Vorstellungen beym Anfange der Wahrnehmung noch von ihrem statischen Puncte um etwas entfernt seyn Dieses ist genau genommen immer der Fall, weil niemals die Hemmungssummen ganz sinken. Vergl. §. 74. ; alsdann ist für t =0 nicht ν =0, sondern ν = S , wo S den Rest bedeutet, der von einer frühern Hem- mungssumme noch vorhanden ist. Folglich und Nur für β =1 ist , daher alsdann . Das Hemmungsverhältniss ist ebenfalls veränderlich; und zwar, wenn man die Sache genau nehmen will, auf eine höchst verwickelte Weise. Denn erstlich: die frü- hern Vorstellungen, noch in gegenseitiger Hemmung be- griffen, sind in einem Mittelzustande angefangener und noch nicht vollendeter Verschmelzung. (Vergl. §§. 68. 69. und 76.) Zweytens: diese Verschmelzung wird auf- gehalten, und selbst vermindert, durch die hinzukommende Wahrnehmung, welche den Conflict vermehrt. Drittens: das Wahrgenommene ist eine veränderliche Kraft, die gegen die Hemmung einen veränderlichen Widerstand leistet. Unsre Aufmerksamkeit ist jedoch hier nur auf den letzten Umstand gerichtet; daher wir jene beyden ganz ignoriren, welches um so eher erlaubt ist, weil statt der schon geschehenen Verschmelzung die vorhandenen Vor- stellungen etwas grösser mögen gedacht werden; die wäh- rend der Wahrnehmung noch zunehmende Verschmel- zung zung aber kaum bedeutend seyn kann, eben wegen des vermehrten Conflicts. Bey nahe stehenden Vorstellungen hätten wir auch noch die Verschmelzung vor der Hemmung in Betracht zu ziehn (§. 72.). Allein wir können grössere Hemmungs- grade voraussetzen, um auch diesen Umstand zu besei- tigen. Da wir nun bloss den veränderlichen Widerstand des Wahrgenommenen ins Auge fassen: so sey die Kraft, welche dasselbe dem Druck der Hemmungssumme entge- gensetzt, vorläufig = x ; alsdann lässt sich der Bruch, welcher das von dem Wahrgenommenen zu hemmende Quotum bezeichnet, durch ausdrücken, wenn c und `c ein paar Constanten sind, die man aus den frü- hern Vorstellungen und den zugehörigen Hemmungsgra- den herleiten muss. (Man vergleiche §. 54., und daselbst für drey Vorstellungen die Formel, welche das Ge- hemmte der schwächsten Vorstellung anzeigt. Dieses ist , das dortige abϑ heisse hier `c , das dortige bε + aη , womit die schwächste Vorstellung, dort c , hier x , multiplicirt ist, — wird jetzo durch c bezeichnet.) Nun aber tritt die grösste Schwierigkeit hervor. Was soll x seyn? Es wäre = z oder = φ (1— e — βt ), wenn am Ende der Zeit t alles während derselben Gegebene als eine Gesammtkraft wirken, und sich der Hemmung widersetzen könnte. Aber die Hemmung hat vom Anfang an das Wahrgenommene verdunkelt; sie hat nur eine mangelhafte Verschmelzung des später mit dem früher gegebenen gestattet. Hätte sie jedes Element des Vor- stellens, so wie es erzeugt war, auch vollständig auf die Schwelle des Bewusstseyns niederdrücken können, so wäre gar kein Widerstand vorhanden, denn die Summe aller vereinzelten, unendlich kleinen Elemente, vermag gar nichts wider die vorhandenen endlichen Kräfte. Irgend etwas von Totalkräften muss durch Verschmelzung jener I. X Elemente gebildet worden seyn. Aber wiederum nicht Eine Totalkraft; denn auch was schon verschmolzen war zu einer endlichen Grösse, das musste dennoch fortdau- ernd sinken, wenn schon während des Sinkens noch in stets vermindertem Grade verschmelzend mit dem Nach- folgenden. Wir nehmen hier zu Gränzbestimmungen unsere Zu- flucht. Nämlich x ist kleiner als z , aber grösser als z — Z , wenn Z das Gehemmte vom Wahrgenommenen am Ende der Zeit t bedeutet. Es wäre x = z — Z , wenn bloss z — Z verschmolzen wäre, und eine Totalkraft gebildet hätte. Wegen der vor Ablauf der Zeit t schon zu Stande gekommenen, aber unter sich nicht vollkommen vereinig- ten endlichen Kräfte, die einen eben so unvollkommen concentrirten Widerstand gegen die Hemmung leisten, muss x etwas grösser seyn, denn es soll sie alle reprä- sentiren. Indessen ist offenbar die Voraussetzung x = z — Z weniger unrichtig als x = z . Nun würde die letztere Annahme geben: hingegen die erstere giebt das heisst Nun lässt sich zwar am leichtesten in- tegriren; allein bey der minder richtigen Annahme wollen wir uns hier gar nicht aufhalten Schon im dritten Heft des Königsberger Archiv für Philoso- phie u. s. w. habe ich die gegenwärtige Aufgabe behandelt, und dort die Rechnungen ausführlicher als hier dargestellt, auch einige Erörte- rungen und Folgerungen umständlicher enwickelt; indessen wolle man lieber die neue Bearbeitung in der Abhandlung: de attentionis men- sura , vergleichen. . Die Differential-Gleichung könnte Glied für Glied integrirt werden, wenn nicht czdZ bey gehöriger Substi- tution sich verwandelte in cφdZ — cφe — βt dZ , in wel- chem letztern Gliede die veränderlichen Grössen vermengt sind. Verlangt man keine grosse Genauigkeit (dergleichen die Rechnung ihrer ganzen Anlage nach nicht zulässt), so kann man in cφe — βt dZ anstatt dZ setzen . Folgendes ist alsdann der Gang der Rechnung. Erstlich muss man integriren. Durch Substitution der Werthe für ν und z entsteht hieraus Es sey e — βt = x , woraus ; so folgt . Das Integral, so genommen, dass es für t =0 ver- schwinde, ist ferner . Hier muss für β ein Werth in Zahlen angenommen werden. Es sey β =½. So wird das Integral . Nach dieser Vorbereitung nehme man die ganze vor- gegebene Differentialgleichung. Sie ist X 2 Da nun ∫ βe — βt dt =1— x , und ∫ e — t dt =1— x 2 , (das letztere wegen β =½); so kommt oder nach Weglassung dessen was sich aufhebt: . Um Beyspiele zu berechnen, setzen wir zuvörderst φ =10 (obgleich eigentlich φ als Einheit zu betrachten, die aber durch ihren zehnten Theil gemessen werden mag), auch sey c =10, `c =25 (welche Zahlen man un- ter andern erhalten kann, wenn man ein paar frühere Vorstellungen a und b , jede =5, und alle Hemmungs- grade gleich annimmt), endlich S =1, π =1; so wird ; ; endlich , und log.nat .4=1,38629… Demnach wird die Formel: . Man sieht sogleich, dass für t =∞, Z einen endli- chen, sehr mässigen Werth erlangt. Derselbe ist =4,199… Aber diesem Werthe nähert sich Z sehr bald. Schon für t =3 ist Z =2,964… Für t =1/10 findet sich Z = 0,1085. In der ersten der oben angeführten Abhandlungen habe ich aus der Differentialgleichung, ohne in dieselbe zu setzen, auf eine hievon ganz verschiedene, sehr mühsame Weise, ein kleines Täfelchen berechnet, worin die zusammen gehörigen Werthe von z , Z , und z — Z sich bey einander finden. Es ist folgendes: Zu diesem Täfelchen, welches unter den oben er- wähnten Gränzbestimmungen diejenige ergiebt, die der Wahrheit am nächsten kommt, gehört noch folgendes, minder vollständige, zur Andeutung der andern Gränze, aus . Vergleicht man mit beyden Täfelchen die vorhin ge- fundenen Werthe von Z : so sieht man, dass dieselben zwischen den Gränzen liegen; wie natürlich, indem bey der hier gebrauchten Methode beyde Gränzen, vermöge der gemachten Substitution, , gewissermaa- ssen vermischt worden. Diese Methode giebt also wahrscheinliche Werthe; nur ohne Bestimmung, wie weit man fehlen könne. In Hinsicht der letztern, und überhaupt wegen der sorgfälti- gern Behandlung dieses Gegenstandes, beziehe ich mich auf die angeführte Abhandlung. §. 96. Man kann fordern, die Grösse β solle veränderlich seyn, d. h. die Wahrnehmung solle an Stärke zu oder abnehmen. Nur kurz wollen wir diesen Gegenstand hier berühren. In der Gleichung β ( φ — z ) dt = dz (man sehe §. 94.), sey β = ft , eine Function der Zeit; so kommt woraus Nun kann man überlegen, welche Form man der Function von t geben wolle, damit nicht schon diese er- ste Integration erschwert werde. Es sey , welcher Form man durch Ab- änderung der Werthe von p , m , n , mannigfaltige Be- deutungen geben kann. (Die Buchstaben p , m , n , ha- ben hier nicht mehr die Bedeutung, wie im vorhergehen- den §.) So ist und ; ferner , daher oder endlich, damit z =0 für t =0, für p = n wird hieraus für p =2 n wird , u. s. w. Wird t =∞, so ist , und z gelangt zu sei- ner Gränze = φ . Das Gesetz der abnehmenden Empfänglichkeit bewirkt, dass bey verminder- ter sowohl als bey gleichbleibender Stärke der Wahrnehmung in unendlicher Zeit doch einer- ley Quantum des Wahrgenommenen heraus- kommt . Soll aber die Stärke der Wahrnehmung wachsen: so muss n negativ seyn. Alsdann gilt die Formel nur bis m =— nt , oder bis , wofür β unendlich wird. Es kann aber m gross genug genommen werden, damit diese Zeit sich erstrecke so weit man will. Setzt man nun p =— n , so wird . Für ist wiederum z = φ . Zugleich ist . Demnach: unter der jetzigen Voraussetzung erreicht z seine Gränze in einer endlichen Zeit, und sein Differen- tial ist constant. Wir haben also hier auch rückwärts dasjenige Gesetz der anwachsenden Stärke der Wahrnehmung gefunden, vermöge dessen, unge- achtet der abnehmenden Empfänglichkeit, das Quantum des Wahrgenommenen der Zeit pro- portional bleibt . Erneuern wir nun die obige Frage nach dem Ver- lauf der Hemmung des Wahrgenommenen während der Wahrnehmung: so ist allgemein Man setze , so kommt es nun darauf an, zu integriren. Zur Umformung sey e t = x , so bekommt das Differential diese Gestalt: . Es ist folglich Hieraus kann eine Reductionsformel gebildet werden, die bis α =1 herabläuft. Und Hier bedeutet li so viel als Integrallogarith- mus Von den Integrallogarithmen sehe man Soldners theorie et tables d’une nouvelle fonction transcendante, à Munic . 1809; und Herrn Professor Bessels Aufsatz im ersten Stück des Königsberger Archiv’s für Naturwissenschaft und Mathematik. ; und es ist . Die eben angegebne Formel findet man auf folgende Weise: Es ist ; und es ist zugleich Doch genug um ermessen zu lassen, in welche Schwierigkeiten sich die Berechnung von Z und z — Z für abnehmende Stärke der Wahrnehmung verwickeln würde. Hingegen der oben bemerkte Fall der zuneh- menden Stärke, wo , ist leichter zu behandeln. Für diesen ist , Um nun der Differential-Gleichung `cνdt = czdZ — cZdZ + `cdZ einen bequemen und wahrscheinlichen Ausdruck abzugewinnen, setzen wir, wie vorhin, in czdZ wiederum ; und suchen zuerst ∫ czdZ . Es ist wovon das erste Glied leicht zu integri- ren ist. Denn wel- ches =0 für t =0. Mehr Mühe macht das zweyte Glied . Denn die Form führt auf Integrallogarithmen. Nämlich anstatt schreibe man zuvörderst . Nun ist ferner Die Exponentialgrösse ist äusserst klein, sobald man, um t nicht in zu enge Grän- zen einzuschliessen, m einigermaassen gross nimmt (in- dem nach dem obigen t höchstens ). Aber die In- tegrallogarithmen ganz kleiner Grössen verstatten ei- nen sehr bequemen abgekürzten Ausdruck. Es ist all- gemein ; eine Auflösung, die man beliebig fortsetzen kann, und wobey für kleine x allemal das am Ende zurückbleibende Integral viel klei- ner seyn muss, als die entwickelten Glieder. (Man stelle sich, wie schon Herr Soldner erinnert, die Differentiale , u. s. w. als Differentiale einer Fläche vor, welche bestimmt wird von den Ordinaten , u. s. w. so ist offenbar die Fläche für ein kleines x eine sehr kleine negative Grösse; aber ist noch viel kleiner, und kommt neben wenig oder gar nicht in Betracht.) Es sey nun daher so ist ∫dt li . Setzen wir hier abkürzend so haben wir oder — li. y ; und dem zufolge worin, wie bekannt, ε = cφp , und n = m`c . Auch ist noch mit zu multipliciren, um das zweyte Glied von ∫czdZ zu haben. Jetzt ist ∫`cνdt zu bestimmen. Und es findet sich Zusammen genommen ergiebt sich Zum Gebrauche dieser Formel bedarf es zuvörderst einer Bemerkung über die Grösse S . Nämlich die Stärke der Wahrnehmung, oder , ist während des grössten Theils der Zeit sehr gering, wenn m gross ist gegen p . Allein im Anfange der Wahrnehmung, also für t =0 ist das Gehemmte = Sdt ; während das Wahr- genommene = βφdt . Jenes darf nicht grösser seyn als dieses, also S nicht \> βφ . Soll daher das Wahrge- nommene von Anfang an zum Theil verschmelzen, und eine endliche Grösse erlangen, so muss bey der jetzigen Untersuchung S entweder sehr klein, oder =0 genom- men werden. Der Kürze wegen geschehe hier das Letz- tere. Auch sey p =1, und m = cφ ; überdies werde bey den Integrallogarithmen die obige Abkürzung angewendet; so können wir die Formel auf folgende Weise zusammenziehn: Setzt man, wie oben, φ =10, c =10, `c =25, π =1; so findet sich zusammen: für t = 1 z =0,1 Z =0,036 0,064 für t = 4 z =0,4 Z =0,294 0,106 für t = 10 z =1 Z =0,91 0,09 für t = 15 z =1,5 Z =1,57 —0,07 Offenbar ist der letztere Werth von Z unbrauchbar, denn das Gehemmte kann nicht grösser seyn als das Wahrgenommene. Aber er verräth, dass irgendwo der Rest des Wahrgenommenen ein Maximum hatte, und weiterhin =0 wurde, ungeachtet die Summe der elemen- tarischen Wahrnehmungen nicht bloss zunimmt, sondern sogar die Stärke der Wahrnehmung im Wachsen be- griffen ist. Dies erklärt sich aus der vermehrten Span- nung der entgegenwirkenden Vorstellungen. Rückwärts, aus der anfänglich äusserst geringen Spannung der letz- tern ist einzusehn, wie es überhaupt möglich war, dass bey den angenommenen Grössen noch irgend ein positi- ves z—Z herauskommen konnte. Der Annahme c =10, `c =25, entsprechen ein paar gegenwirkende Vorstellun- gen a und b , jede =5; aber die Stärke der Wahrneh- mung, oder β , ist bey t =0, nur ; bey t =15 noch nicht mehr als Die Untersuchung dieses §. gebe ich unvollendet, wie sie ist; weil sie, ohne mir besonders wichtig zu seyn, Andre veranlassen kann weiter zu gehn. . §. 97. Die Untersuchungen des zweyten und dritten Capi- tels beruheten auf der Voraussetzung, dass eine neue Vorstellung plötzlich zu den schon vorhandenen hinzu- trete. Diese Voraussetzung kann der Wahrheit nahe kommen, da, wie wir jetzt sehen, bey etwas bedeutender Stärke der Wahrnehmung eine sehr geringe Zeit hin- reicht, um eine mässig starke Vorstellung entstehen zu machen. (Man setze z. B. im §. 95., β =3, oder gar =10; und man wird sehen, wie wenig Zeit nöthig ist, damit sich eine Stärke des Vorstellens erzeuge, die den Beyspielen des zweyten und dritten Capitels entsprechen könne. Es versteht sich, dass hier von Verhältnissen der neuen Vorstellung gegen die vorhandenen die Rede ist, da wir für das, was Wenig oder Viel sey, keinen andern Maassstab haben; was aber das Zeitmaass anlangt, so wird darüber erst im zweyten Theile etwas können ge- sagt werden, woraus zu erkennen ist, dass man sich die Zeit-Einheit, im Vergleich mit unsern Minuten und Se- cunden, als eine nicht ganz kleine Grösse zu denken hat.) Es kann aber auch begegnen, und begegnet meistens, dass eine schwächere Wahrnehmung erst durch längere Dauer eine Vorstellung zu ihrer Energie erhebt; und als- dann entsteht die Frage, welche Abänderungen daraus für jene früher betrachteten Ereignisse entspringen? Zuvörderst, dasjenige Sinken der schon vorhandenen Vorstellungen, welches die Hemmung des Wahrgenom- menen begleiten muss, ist aus den vorhergehenden For- meln leicht zu berechnen. Die ganze Hemmungssumme war = ν , das Gehemmte in jedem Augenblick = νdt ; das Gehemmte am Ende der Zeit t ist = ∫νdt ; folglich ∫νdt—Z ist dasjenige, was von den früher vorhandenen Vorstellungen zusammengenommen gehemmt wird, und welches man nur nach den Hemmungsverhältnissen ver- theilen muss, um das Sinken jeder einzelnen von diesen Vorstellungen zu bestimmen. Ferner, hieraus ergiebt sich auch das Gesetz für eine, dem Wahrgenommenen gleichartige, ältere Vorstellung, die sich jetzo, da sie von der Hemmung frey wird, wie- der ins Bewusstseyn erhebt. Wir verweilen hiebey we- nigstens in so fern, als nöthig ist, um den Anfang die- ser Wieder-Erhebung kennen zu lernen, der sich nach §. 82. verhält wie das Quadrat der Zeit. Die dortige Formel ( x—y ) dt = dy wird uns auch hier leiten; jedoch ohne Rücksicht auf die im §. 84. erwogene, schwer zu berechnende, aber ziemlich unbedeutend gefundene, Wir- kung der Verschmelzungshülfe. Auch werde eine gleich- förmig beharrende Stärke der Wahrnehmung vorausge- setzt, also die Rechnung an jene des §. 95. angeknüpft. Hier nun würden wir auf jeden Fall die Formel für Z viel zu verwickelt finden, um sie in einen fernern Cal- cül einzuführen, böte sich nicht ein Abkürzungsmittel dar. Man habe nämlich eine Reihe berechneter Werthe von Z vor sich, etwa wie das Täfelchen jenes §. sie angiebt. Alsdann ist leicht zu erkennen, dass Z sich nahe durch z ausdrücken lässt; wenn man die Zeit t nicht zu gross nimmt; hier aber kommt es uns bloss auf den Anfang der Zeit an. Es sey Z = C + `az + `bz 2 . So ist gewiss C =0, denn Z und z sind zugleich =0. Man braucht also nur eine paar berechnete Werthe von Z nebst den zugehörigen z , um hieraus die nöthigen Constanten `a und `b zu bestimmen, so wird die Formel sehr nahe auch die zwischenfallenden Werthe von Z aus den ohne Mühe zu findenden z herleiten helfen. Dies vorausgesetzt, so ist nun ∫νdt—`az—b`z 2 an die Stelle jenes x im §. 82. zu setzen, das die Entfer- nung desjenigen Punctes, wohin y strebt, von der Schwelle des Bewusstseyns, bezeichnete; indem y , das Hervortretende der älteren Vorstellung, sich gleichsam in dem Raume auszudehnen strebt, welcher frey wird durch das Zurückweichen der Kräfte von denen es ge- hemmt war. Und so haben wir nun anstatt ( x—y ) dt = dy folgende Gleichung: Zuerst folgt hieraus Man nehme nun ν aus §. 95.; nämlich daher ferner z = φ (1— e –βt ), also Hieraus wird nach gehöriger Rechnung: Es verlohnt sich, diesen Ausdruck in eine Reihe zu entwickeln, um zu sehen, wie die verschiedenen Poten- zen von t mit ihren Coëfficienten nach einander bedeutend werden. Es ist Man sieht nun sogleich, dass der Coëfficient von t bey gehöriger Zusammenfassung =0 wird. Um den zweyten Coëfficienten näher kennen zu lernen, muss man zu der Annahme: Z = `az + `bz 2 zurückgehn. Aus der- selben ist dZ =( `a +2 `bz ) dz , also für t =0 ist dZ = `adz . Aber aus der Grundformel ist für t =0, dZ = νdt = Sdt , und ebenfalls für t =0 ist dz = βφdt ; daher Vermittelst dieser Substi- tution wird auch der zweyte Coëfficient =0. Es heben sich unter einander alle Glieder desselben, welche S ent- halten; ferner alle, welche π , und endlich alle, die bφ 2 enthalten. Erst der Coëfficient für t 3 bekommt einen realen Werth. Damit ist der merkwürdige Satz bewiesen, dass die Bewegung der wieder hervortretenden Vor- stellung sich Anfangs verhält wie der Cubus der Zeit ; so dass sie weniger scheinen muss hervor- zutreten als vielmehr hervorzuspringen . Es ist übrigens sehr natürlich, dass durch eine fort- dauernde Wahrnehmung, die ihr gleichartige ältere Vor- stellung mehr hervorgeschnellt wird, als durch den Stoss, welchen eine plötzlich hinzukommende, dann gleich von der Hemmung ergriffene, neue Vorstellung, auszuüben vermag. Aus dem Stosse erfolgt eine im ersten Zeittheil- chen schnellere, aber nicht so sehr beschleunigte Bewe- gung (obgleich auch da noch eine Beschleunigung statt findet, da wir oben sahen, dass die Bewegung sich An- fangs nach dem Quadrate der Zeit richtet). Die eben gefundene Erhebung der älteren Vorstellung, gemäss dem Cubus der Zeit, geht in den ersten Zeittheilchen langsa- mer, weil die hervorrufende Wahrnehmung sich nur all- mählig bildet; jedoch bald um so geschwinder, weil je- der Augenblick die Begünstigung vermehrt, vermöge wel- cher die zuvor unterdrückte Kraft sich jetzo in einem freyern Raume ausbreitet. Sechstes Capitel . Ueber Abnahme und Erneuerung der Empfäng- lichkeit. §. 98. Jedes Continuum möglicher Vorstellungen ist zugleich ein Continuum möglicher Selbsterhaltungen der Seele. Und zu solchen Vorstellungen, die unendlich nahe sind, gehö- ren Selbsterhaltungen fast von völlig gleicher Art, deren eine eine also nur eine unendlich geringe Modification der an- dern ist. Etwas entfernteren Vorstellungen entsprechen minder gleichartige Selbsterhaltungen; doch nicht eher als beym vollen Gegensatz der Vorstellungen können völlig verschiedene Selbsterhaltungen Statt finden. Um dieses gehörig zu verstehen, bedenke man, dass Selbsterhaltungen der Seele, und Vorstellungen, völlig Eins und dasselbe sind, nur in verschiedenen Beziehungen; ungefähr so wie Logarithmen und Potenz-Exponenten. Durch das Wort Vorstellungen deuten wir zu- nächst auf das Phänomen, sofern es sich im Bewusstseyn antreffen lässt: hingegen der Ausdruck Selbsterhaltung der Seele, bedeutet den realen Actus, der unmittelbar das Phänomen hervorbringt. Dieser reale Actus ist nicht Ge- genstand des Bewusstseyns, denn er ist die Thätigkeit selbst, welche das Bewusstseyn möglich macht. So ge- hören Selbsterhaltung der Seele und Vorstellung zusam- men wie Thun und Geschehen . — Dies vorausgesetzt: so ist offenbar, dass die Ab- nahme der Empfänglichkeit, deren Gesetz im vorigen Ca- pitel angegeben wurde, sich nicht bloss auf völlig gleich- artige, sondern auch auf zum Theil ungleichartige Vor- stellungen erstrecken muss. Eine Selbsterhaltung, sofern sie schon vollzogen ist, und fortdauernd geschieht, kann nicht noch einmal geschehn: darauf beruht die Abnahme der Empfänglichkeit. Folglich, wenn eine Selbst- erhaltung oder Vorstellung der andern zum Theil gleichartig ist, so wird durch die erste auch die Empfänglichkeit der andern zum Theil erschöpft . Hieraus haben wir nun die nächsten Fol- gerungen zu ziehen. Zwey Wahrnehmungen des nämlichen Continuums können entweder gleichzeitig statt finden, oder einander nachfolgen. Sind die gleichzeitigen zum Theil gleichartig (wie roth und violett, oder wie ein paar Töne der nämlichen Octave), so ist die Empfänglichkeit, die sie erschöpfen, I. Y zum Theil die nämliche. Man muss hier die Zerlegun- gen der Vorstellungen in Gleiches und Entgegengesetz- tes (nicht in der Wirklichkeit sondern im Denken) wie- der anwenden, die schon oben in den §§. 67. 71. 72. vor- kamen. Sofern die Wahrnehmungen gleichartig sind, in so fern geschieht in beyden nur einerley Selbsterhaltung, Anfangs mit verdoppelter Intensität; die aber nur um so schneller abnimmt, je stärker sie im ersten Beginnen war. Hingegen wiefern die Vorstellungen einander entgegen sind, in so fern liegt in den Selbsterhaltungen etwas Verschie- denartiges; dieses beginnt mit geringerer Intension, und die Abnahme der Empfänglichkeit kann in Hinsicht dessen nicht so schnell fortschreiten. Daraus folgt, erstlich, dass die Quantität des Vorstellens, gleichsam die Masse des- selben, minder gross ausfällt, als sie seyn würde, wenn jede der beyden Vorstellungen besonders, und mit unversehrter Empfänglichkeit gebildet werden könnte. Zweytens, dass des Gleichartigen für beyde zusammengenommen, vergli- chen mit dem Entgegengesetzten, verhältnissmässig weniger ist, als in der Summe beyder seyn sollte, wenn sie ab- gesondert entstanden wären. Drittens: nichts desto we- niger sind beyde Vorstellungen genau die nämlichen, die sie abgesondert seyn würden. Denn des Gleichartigen entsteht während der gleichzeitigen Wahrnehmung beyder Vorstellungen nur in so fern weniger, als es schon vorhan- den ist; vorhanden als Gemeingut für beyde Vorstellun- gen in der Einen Seele, und hinreichend vorhanden, da- mit beyde Wahrnehmungen in ihrer eigenthümlichen Qua- lität fortdauern können. Hier muss man zurückrufen, was schon im §. 72. bemerkt wurde. In den Rechnungen, welche sich auf das Verhältniss des Gleichartigen zum Gegensatze in ein paar Vorstellungen beziehn, kommt das Gleichartige nur als Eins in Betracht, wenn es schon in beyden Vorstel- lungen, und also zweymal vorhanden ist. Denn Gleich- artigkeit ist nichts was einer Vorstellung allein zukäme: sie liegt bloss in dem Grade von Einerleyheit eines man- nigfaltigen Thuns in der Seele. Eben darum auch ist es in dieser Hinsicht einerley, ob eine der beyden Vor- stellungen stärker oder schwächer seyn möge: wovon sonst auch das Quantum des Gleichartigen, im Vergleich mit dem Entgegengesetzten, abhängen müsste. Nur wenn von der Masse der Kraft die Rede ist, welche jene beyden, in gleichzeitiger Wahrnehmung ent- sprungenen Vorstellungen, einer andern Kraft im Bewusst- seyn entgegenzustellen haben, dann kommt es in Be- tracht, wie gross die Stärke sey, die ihnen beyden zu- sammen, als einer unzertrennlichen Einheit, angehören möge. Diese Kraft wird, nach den eben aufgestellten Sätzen, grösser ausfallen wenn die Vorstellungen weniger gleichartig sind. Allein es ist nicht ausser Acht zu las- sen, dass die minder gleichartigen, also mehr entgegen- gesetzten, sich schon während der Wahrnehmung um so mehr hemmen, daher die Elemente der Wahrnehmung sich weniger zu Totalkräften vereinigen können. Dieser Umstand mag sich mit jenem ungefähr aufheben. Es könnte hierüber eine Rechnung angestellt werden, die den Berechnungen des vorigen Capitels analog seyn würde, und die wir eben deshalb hier übergehen. Eher mag es sich verlohnen, über successive Wahrnehmungen in Rechnungen einzutreten. Die Wahrnehmung z' gehe voran der Wahrneh- mung z″ ; ihr Hemmungsgrad sey =1 — α , damit wir den Grad der Gleichartigkeit = α setzen können. Man denke sich z″ = u + ω , so, dass u das Quantum des Gleichartigen, was die Vorstellung z″ enthalten wird, hin- gegen ω das Entgegengesetzte bedeute. So bieten sich folgende Gleichungen dar: [ α ( φ—z' )— u ] βdt = du ; [(1— α ) φ—ω ] βdt = dω Nämlich die Empfänglichkeit φ zerfällt in die Theile αφ und (1— α ) φ , sofern z″ zerlegt wird nach α und 1— α ; aber die Empfänglichkeit αφ ist vermindert um z' , sofern darin Gleichartiges mit z″ liegt, d. h. um αz' . Wie zuvor bedeutet hier β die Stärke der Wahrneh- Y 2 mung, die wir als beständig ansehn, daher β als eine Constante zu behandeln ist. Aus den beyden Gleichungen ergiebt sich u = α ( φ—z' ) (1— e –βt ); ω =(1— α ) φ (1— e –βt ) u + ω = z″ =( φ—αz' ) (1— e –βt ) welches letztere Resultat sich vorher sehn liess, da z' = φ · (1— e –βt ) nach §. 94. Es folge weiter eine dritte Wahrnehmung = z‴ , die wir in Gleichartiges und Entgegengesetztes auf doppelte Weise zerlegen müssen; sowohl im Vergleich mit z' als mit z″ . Zur Erleichterung führen wir noch die Voraus- setzung ein, dass alle drey Vorstellungen in der gleichen Linie liegen (wie in der Tonlinie), oder dass ihre Ver- schiedenheit bloss auf dem Mehr oder Minder des Ge- gensatzes beruhe. Alsdann lässt sich z‴ selbst durch eine Linie darstellen, die man nur nicht für eine Darstel- lung des linearischen Continuums halten muss, von wel- chem z‴ sowohl als z″ und z' nur einzelne Puncte sind. Die ganze Linie bedeutet die Vorstellung z‴ . Ihre Qualität sey in Rücksicht auf z' zu zerlegen in Gleich- artiges = `α und Entgegengesetztes =1— `α ; in Rück- sicht auf z″ aber in Gleichartiges = γ und Entgegenge- setztes =1— γ . Das Gleichartige = γ zerfällt in ge- meinsam Gleichartiges = `α und in besonderes Gleichar- tiges γ—`α . Daher sind eigentlich drey Theile vorhan- den, nämlich `α , γ—`α , und 1— γ ; auch ist γz″ = `αz″ +( γ—`α ) z″ . In Rücksicht auf den Theil `α ist nun an der Empfänglichkeit für z‴ nicht nur durch z' son- dern auch durch z″ etwas verloren gegangen; nämlich zusammengenommen `αz' + `αz″ . In Rücksicht auf den Theil γ—`α ist nur verloren ( γ—`α ) z″ . In Rücksicht auf den dritten Theil 1— γ ist die Empfänglichkeit noch unver- schrt. Daher folgende drey Gleichungen, worin die drey quantitativen Theile von z , welche dem `α , γ—`α , und 1— γ entsprechen, mit u , ν , ω , bezeichnet sind: Woraus nach der Integration u + ν + ω oder Für eine vierte Wahrnehmung z‵ findet man und so lässt sich die Reihe ohne Mühe fortsetzen. Substituirt man die Werthe von z' , z″ , z‴ , und setzt für einen bestimmten Zeitabschnitt so kommt §. 99. Verwandt hiemit ist folgende mehr verwickelte Auf- gabe: Eine Wahrnehmung durchlaufe unabge- setzt und im gleichförmigen Zuge ein Conti- nuum von Vorstellungen; es soll das ganze Quantum des hiedurch entstandenen Vorstel- lens gefunden werden . Hier soll nun die Linie PQ nicht, gleich jener vor- hin gebrauchten Linie, eine einzige Vorstellung, sondern das zu durchlaufende Continuum möglicher Vorstellungen bedeuten; und zwar das ganze Intervall zwischen zweyen solchen Vorstellungen, die im vollen Gegensatze stehen. R sey fürs erste ein fester Punct an einer beliebigen Stelle. M dagegen ein Punct, der von P nach R hin vorrückt. Auch sey PQ = A , MR = x , RQ = m . T sey die Zeit, in welcher von der wandelbaren Wahr- nehmung das ganze Intervall A durchlaufen wird. Wäh- rend der veränderlichen Zeit t sey der Raum PM = A—x—m durchlaufen. Wegen gleichförmiger Bewe- gung ist nun In dem Zeittheilchen dt , während welches die fort- rückende Wahrnehmung sich im Puncte M befindet (d. h. diejenige Vorstellung hervorbringt, welche in dem gan- zen Continuum die Stelle M einnimmt), wird zugleich ein Quantum von R gegeben (nämlich von der Vorstel- lung, welcher die Stelle R zukommt). Denn R hat ge- gen M den Hemmungsgrad x , folglich mit ihm einen Grad der Gleichartigkeit =1— x ; oder A—x , in so fern die Einheit der Gleichartigkeit denselben Ausdruck ihrer Grösse bekommt wie die Einheit des Gegensatzes. Da dieses in allen Zeittheilchen Statt gefunden, während welcher das von P ausgegangene Wahrnehmen bis zu der jetzigen Stelle gekommen ist: so giebt es ein Inte- gral, welches ausdrückt, wieviel von R schon vor- her, als enthalten in den frühern, dem R zum Theil gleichartigen Vorstellungen, gegeben ist, ehe der veränderliche Punct M , oder, wenn man will, ehe der veste Punct R selbst, er- reicht wird . Dieses Integral zu bestimmen, ist eine nothwendige Vorbereitung zur Auflösung unserer Auf- gabe. Für bekannte Bedeutungen, von φ , β , z , haben wir folgende Gleichung: oder woraus und Nun rücke der Punct M vor, bis er in R eintrifft; alsdann ist , und So viel ist von derjenigen Vorstellung, die dem Puncte R entspricht, schon gegeben, ehe die fortrückende Wahr- nehmung den Punct R selbst erreicht; um eben so viel ist also die Empfänglichkeit für diese Vorstellung schon im Voraus erschöpft. Dies abgezogen von der ursprüng- lichen Empfänglichkeit, lässt nun die Bestimmung zurück: wie viel an neuer Wahrnehmung eben in dem Augenblick erzeugt werden könne, da das wan- delbare Wahrnehmen sich in dem Puncte R selbst befindet . Es ist nämlich dieses = β ( φ—z ) dt , wo z in der so eben gefundenen Bedeutung genommen wird. Allein hier war z eine Constante; statt dessen muss es eine veränderliche Grösse werden, indem nun der Punct R als wandelbar, und damit auch m als ver- änderlich, und zwar als eine Function von t betrachtet wird. Denn nur dadurch werden wir das verlangte ganze Quantum des allmählig entstandenen Vorstellens finden, wenn wir dessen Differential, das was durch jede augen- blickliche Wahrnehmung in jedem Puncte des Conti- nuums gegeben wird, integriren. Daher muss jeder Punct durch R angedeutet seyn können, indem R das ganze Continuum von P bis Q durchläuft. Aus der Proportion t : T =( A—m ) : A folgt m = ; dadurch wird Wir können hier A wiederum =1 setzen; es war nur vorhin zu mehrerer Deutlichkeit besonders bezeich- net worden. Die Integration scheint am leichtesten von Statten zu gehn, indem man setzt. Daraus wird t = T (1— u ); dt =— Tdu , also das ganze Differential Die Form du lässt sich bequem durch Entwickelung in eine Reihe integriren, sobald λ , hier ½ Tβ , nicht zu gross genommen wird. Denn aus wird Das Integral muss =0 werden für t =0; aber für t =0 ist u =1. Es sey β =½, T =4, also λ =1, so ist . Dem- nach das ganze Integral wo . Für t = T aber ist u =0 also das ganze Quantum des gewonnenen Vorstellens, ver- möge einer Wahrnehmung, die während der Zeit T =4 das Intervall voller Hemmung gleichförmig durchläuft, ist =10,761. Dies Resultat bleibt das nämliche, so lange das Product Tβ unverändert bleibt, z. B. für β =1, T =2. Zur Vergleichung sey t =½ T , so kommt 6,5446; mehr als die Hälfte, wie natürlich wegen der abnehmen- den Empfänglichkeit, die in der zweyten Hälfte der Zeit nicht noch ein gleiches Quantum des Vorstellens hervor- zubringen erlaubt. Noch halte man hiemit zusammen das erste Täfelchen des §. 95., wo für β =½, z =8,646… wenn t =4, und z =6,321 … wenn t =2, oder =½ T nach unserer jetzigen Annahme, gefunden wird. Die jetzi- gen Werthe sind beydemal grösser, weil die Empfäng- lichkeit bey veränderlicher Qualität der Wahrnehmung weniger leidet, als bey gleichbleibender. So viel von der Abnahme der Empfänglichkeit. Da die Erfahrung dieselbe schon in einer Minutenlangen Wahrnehmung deutlich genug spüren lässt, indem das Gemüth sich bald unbeschäfftigt findet, und andre zu- rückgedrängte Vorstellungen sich wieder erheben, zum Zeichen, dass die zurückdrängende Kraft nicht mehr wächst : so dürfen wir die noch unbestimmt ge- bliebene Zeit-Einheit gar nicht für besonders gross nach unserem Zeitmaasse halten; und daraus entsteht denn die wichtige Frage, ob die einmal erschöpfte Empfänglichkeit immer so schwach bleibe, oder ob es für sie eine Er- neuerung gebe? Und wie eine solche sich denken lasse? Dass die Empfänglichkeit sich erneuere, muss man schon der Erfahrung gemäss höchst wahrscheinlich finden. Wenige Stunden, vollends Tage, müssen nach den bis- herigen Betrachtungen, die ursprüngliche Empfänglichkeit zwar nicht im strengsten Sinne ganz erschöpfen (hievon lehren die Formeln das Gegentheil), aber doch sie auf einen äusserst kleinen, mit ihrer ursprünglichen Stärke kaum vergleichbaren, Bruch herabbringen, der selbst noch immer abnimmt, und bald wiederum mit seiner eignen früheren Grösse fast nicht zu vergleichen ist. Dies auf die menschliche Lebensdauer angewendet, so müsste die erste kindliche Empfänglichkeit schnell verschwinden, bis auf beynahe Nichts, der Empfänglichkeit reifer Jahre aber müsste man eine undenkbare Kleinheit beylegen, — wenn sie ein für allemal verbraucht wäre. Allein auch wie die Empfänglichkeit sich erneuere, lässt sich begreifen und näher bestimmen, sobald man sich nur hütet, die metaphysischen Gründe ihrer Abnahme nicht über die gehörigen Schranken auszudehnen. Jede Selbsterhaltung der Seele, also jede Vorstellung, hat ein Aeusserstes, bey welchem sie vollbracht seyn würde wenn sie es erreichte. Sie kann nur wachsen, wiefern sie zu diesem Aeussersten noch nicht gelangt ist. Die Em- pfänglichkeit nimmt ab, in wiefern das, was durch die Wahrnehmung in der Seele geschehen soll, schon ge- schehen ist. — Rückwärts also, die Empfänglichkeit nimmt nicht ab, in wiefern das, was geschehen soll, eben jetzt noch nicht geschieht . Hieraus könnte man schliessen, die Empfänglichkeit erneuere sich schon dadurch, dass die in früherer Wahr- nehmung gebildeten Vorstellungen gehemmt werden; welches doch, ohne nähere Bestimmung ausgesprochen, zu viel geschlossen wäre. Denn so lange jene Vorstel- lungen nur zum Theil gehemmt, so lange sie noch in einer fortgehenden Hemmung begriffen sind, eben so lange wirken sie noch im Bewusstseyn, und es richten sich nach ihnen die Zustände der übrigen Vorstellungen. Allein, wenn sich eine Vorstellung auf der statischen Schwelle befindet, alsdann ist, wie wir längst wissen, al- les was im Bewusstseyn vorgeht, von ihrem Einflusse unabhängig. Ja sogar in dem Augenblicke, wo sie die Schwelle erreicht, tritt ein neues Bewegungsgesetz für die noch im Bewusstseyn vorhandenen Vorstellungen ein, wel- ches der Ausdruck und Erfolg dieser Unabhängigkeit ist (§. 75.). Nun strebt zwar die Seele fortdauernd, auch diese Art der Selbsterhaltung, oder diese Vorstellung, wieder herzustellen. Allein sie ist in diesem Streben völ- lig gebunden; ja dieses Streben ist eine isolirte Modifi- cation der Seele, indem es die wirkliche Thätigkeit, die Zustände des Bewusstseyns, nicht im mindesten abzuän- dern und nach sich zu gestalten vermag. Also ist hier wirklich der Fall, wo die Empfänglichkeit nicht vermin- dert seyn kann. Die frühere Vorstellung befindet sich nicht unter den wirklichen Thätigkeiten der Seele, weder unmittelbar als Vorstellung, noch mittelbar durch ihre Einwirkung auf die Zustände des Bewusstseyns. Viel- leicht noch einleuchtender wird dies durch die Verglei- chung mit Vorstellungen auf der mechanischen Schwelle (§. 79.) Diese sind ebenfalls aus dem Bewusstseyn völ- lig verschwunden, aber nur um so vollständiger ist auch die Spannung, mit der sie dasjenige bestimmen helfen, was im Bewusstseyn vorgeht. Von ihnen also dürfen wir nicht sagen, dass in Hinsicht ihrer die Empfänglichkeit unvermindert seyn werde. Wohl aber dürfen wir den Satz aufstellen: die Em- pfänglichkeit für eine gewisse Wahrnehmung erneuert sich, indem die frühere, gleichartige Vorstellung auf die statische Schwelle getrie- ben wird . Und hiedurch muss sich die Empfänglichkeit voll- ständig und plötzlich erneuern. Nichts desto weni- ger sind hiebey Umstände zu bemerken, welche dieser Behauptung nur eine augenblickliche Gültigkeit gestatten. Indem eine neue Wahrnehmung eintritt, beginnt auch jede frühere gleichartige Vorstellung (ja selbst die nur zum Theil gleichartigen), sich zu erheben, weil die vorhandenen hemmenden Kräfte zurückwichen (§. 81. u. s. w.). Sogleich also verschwindet die Bedingung, un- ter der eine vollständig erneuerte Empfänglichkeit vorhan- den seyn konnte. Jedoch verschwindet dadurch die erneuerte Empfäng- lichkeit bey weitem nicht ganz. Man muss hier die Un- tersuchungen des dritten Capitels zurückrufen. Diesen zufolge erhebt sich die ältere gleichartige Vorstellung im ersten Anfange nur langsam; sie übt dabey gar keine eigne Wirkung gegen die widerstrebenden Kräfte; bloss als Verschmelzungshülfe verbindet sie sich mit der neu eintretenden Wahrnehmung in dem geringen Grade des wiedererweckten Vorstellens. Also ändert sich der Zu- stand, in welchem sich diese Vorstellung auf der stati- schen Schwelle befand, nur allmählig und nicht um gar Vieles. Dem gemäss verliert auch die vollständig er- neuerte Empfänglichkeit nur allmählig und nur ein mässi- ges Quantum. Hierauf können nun wieder Nebenumstände Einfluss haben. Gesetzt, die wiedererweckte Vorstellung sey durch eine Menge von Verschmelzungs- und Complications-Hül- fen verbunden mit den im Bewusstseyn vorhandenen Vor- stellungen; sie sey nur so eben erst durch eine andrin- gende entgegenwirkende Kraft aus dem Bewusstseyn ver- drängt: so lässt sich, wenn sie auch schon wirklich auf der statischen, und nicht etwa nur auf der mechanischen Schwelle sich befand, dennoch wohl denken, dass die Zu- sammenwirkung vieler Kräfte ihr jetzt, da sie durch eine gleichartige Wahrnehmung wieder geweckt wird, eine Geschwindigkeit und Lebhaftigkeit ertheilen, wodurch die erneuerte Empfänglichkeit schnell und beträchtlich leidet. Aber nicht bloss diese Nebenumstände, sondern ein allgemeiner Grund bewirkt eine Abänderung in dem, was zuvor über den geringen Verlust der erneuerten Empfäng- lichkeit bemerkt wurde. Freylich, wenn nur Eine ältere, gleichartige Vorstel- lung in der Seele ruhet, deren Erwachen der neuen Wahrnehmung Abbruch thun kann: alsdann gilt das zu- vor Gesagte; und es ist leicht zu übersehen, dass die zwar verminderte Empfänglichkeit dennoch eine beträcht- liche Stärke des Vorstellens durch die jetzige Wahrneh- mung zu erzeugen vermag. Es geschehe nun wirklich also; und nicht bloss einmal, sondern vielemal wieder- hohlt: so werden bey jedem künftigen Eintreten einer neuen, gleichartigen Wahrnehmung, sich alle jene ein- zelnen, zuvor gebildeten Vorstellungen durch eigne Kraft, und zum Theil verstärkt durch ihre Verbindungen unter einander, zumal hervorheben. Offenbar bilden sie auf diese Weise eine Summe, die immer beträchtlicher wird, und wodurch die, zwar vollständig erneuerte, Empfäng- lichkeit doch immer schneller vermindert, ja endlich, bey sehr häufiger Wiederhohlung der nämlichen Wahrneh- mung, beynahe plötzlich von ihrer ersten Stärke auf ei- nen äusserst geringen Grad kann herabgebracht werden. In diesem Falle befinden wir uns mit den Dingen, die wir täglich um uns sehn, und die eben deshalb keinen merklichen Eindruck auf uns machen. Unter solchen Umständen ergiebt sich dann von selbst, dass unmöglich die einzelnen , aus den wieder- hohlten Wahrnehmungen gewonnenen, Vorstellungen, sich ins Bewusstseyn hoch erheben können. Denn die Summe des wirklichen Vorstellens kann nicht jenen äu- ssersten Grad übersteigen, in welchem die volle und ganze Selbsterhaltung dieser Art bestehen würde. Desto grö- sser und anhaltender aber kann die Anstrengung seyn, mit welcher sich eine Gesammtheit gleichartiger Vorstel- lungen im Bewusstseyn behauptet. Siebentes Capitel . Von den Vorstellungsreihen niederer und höhe- rer Ordnungen; ihrer Verwebung und Wech- selwirkung. §. 100. Wir dürfen jetzt freyere Blicke wagen. Bisher wa- ren wir eng eingeschlossen durch die Nothwendigkeit, die Vorstellungen als einzelne zu betrachten, um die Ele- mente ihrer Wirksamkeit kennen zu lernen. Jetzt fange der Leser damit an, sich alles Vorhergehende gleichsam nach einem grösseren Maassstabe ausgeführt zu denken. Tausende oder Millionen von Vorstellungen, die auf ein- mal im Bewusstseyn sind, und, sich gegenseitig hemmend, ins Gleichgewicht treten! Complexionen, die nicht ent- weder vollkommen oder unvollkommen seyen, sondern in welchen mit zehn oder zwanzigen völlig verbundenen, noch unzählige andere mit allen möglichen Abstufungen minder und minder zusammenhängen! Statt zweyer oder dreyer Töne, deren musikalische Intervalle wir in der Lehre von der Verschmelzung vor der Hemmung im Auge hatten, denke man sich jetzt eine Menge un- endlich nahe stehender, zusammenfliessender einfacher Empfindungen; so wird in der unauflöslichen Mischung aller, zwar nicht ein scharf bestimmtes ästhetisches Ur- theil, aber ein Gefühl des Angenehmen oder Unangeneh- men entspringen. Auch die Bewegungen der Vorstellun- gen bey ihrer mittelbaren oder unmittelbaren Reproduction seyen dergestalt mannigfaltig, dass die Hemmungssum- men, während sie abnehmen, schon wieder neue Zusätze bekommen; und dass, indem aus neuen Verbindungen stets neue Gesammtkräfte entstehn, auch die Gleichge- wichts-Puncte, wohin das ganze System sich neigt, stets verrückt werden, folglich die Bewegung nie zur Ruhe komme, sondern in immer neuen Richtungen fortlaufe. Doch dies letzte ist noch nicht verständlich genug; wir sind jetzt im Begriff, die Gründe davon anzuzeigen. Man gehe zurück ins vierte Capitel, von der mittel- baren Reproduction. Dort haben wir (§. 88.) den gro- ssen Hauptsatz gefunden, aus welchem sich der Ursprung der Reihenbildung in den Vorstellungen erklärt. Nun sey nicht bloss, wie dort, eine Vorstellung P mit verschiedenen Π, Π', Π″ , u. s. w. verschmolzen: son- dern es sey a mit b , c , d , e , … und eben so b mit c , d , e , … und gleichfalls c mit d , e , … u. s. w. verschmol- zen: so wird das dort (a. a. O.) gefundene Gesetz der Reproduction nicht bloss einmal, sondern so vielemal zur Anwendung kommen, als wie viele Vorstellungen zu der Reihe gehören. Dies wird sich vollständiger entwickeln lassen, wenn wir erst die beyden Bedingungen erwägen, unter denen sich eine solche Reihe bilden kann. Die eine hängt von der Zeit ab, die andre von der Qualität der Vorstellungen. 1) Wenn zuerst a , dann gleich darauf b gegeben (durch Wahrnehmung producirt) wird: so wird zuvör- derst a sogleich von der Hemmung durch andre, eben vorhandene, ihm entgegengesetzte Vorstellungen ergriffen. Hiedurch sinke es bis auf den Rest r ; jetzt trete b hin- zu; so verschmilzt b mit dem Reste r von a (wir wollen nämlich hier die Hemmung zwischen a und b bey Seite setzen; denn wenn auch eine solche vorhanden ist, so wird dadurch nur die Grösse r um etwas vermindert, und auch b verschmilzt dann nicht ganz mit r ; dadurch wird die Sache nicht wesentlich verändert, sondern erhält nur eine leichte Modification). Es sinke weiter sowohl a bis auf den Rest r' , als b bis auf den Rest R ; jetzt komme c hinzu; so verschmilzt das ganze c mit r' und R . Nun sinke a bis auf den Rest r″ , B bis auf den Rest R' , c bis auf den Rest ρ , jetzt mögen alle diese Reste mit dem eben eintretenden d , verschmelzen. Man sieht wie dies fortgeht, nach folgendem Schema: Gesetzt, alle diese Vorstellungen werden, nachdem sie in solche Verknüpfung mit einander geriethen, auf die Schwelle des Bewusstseyns gedrückt; nachmals aber finde sich Gelegenheit, dass eine von ihnen sich wieder erheben könne: so wirkt sie auf alle übrigen reproduci- rend. Wie dies geschehe: ist in dem Falle, dass a sich zuerst erhebe, unmittelbar klar aus §. 88.; es reproducirt nämlich nach der Reihe am schnellsten b , minder schnell c , noch langsamer d , u. s. f. Wäre es aber c , das sich zuerst erhöhe, so würde dieses mit seiner eignen gan- zen Kraft und Geschwindigkeit die Reste R und r' reproduciren, und dann erst würde es die Reihe d, e, f , u. s. w. ablaufen machen. 2) Die Vorstellungen a, b, c, d , u. s. f. brauchen nicht nach einander gegeben zu werden; wenn sie da- gegen in wachsenden Hemmungsgraden unter ein- ander stehn, und einander an Stärke gleich sind, so wird ihre Verbindung und die davon abhängende Wirksam- keit gerade die nämliche wie vorhin. Ist nämlich c mehr als b, d mehr als beyde, u. s. f. dem a entgegengesetzt, und kann die Verschmelzung ungehindert dem Grade des Gegensatzes umgekehrt gemäss erfolgen (d. h. so dass je weniger Gegensatz, desto mehr Verschmelzung), so entsteht eine Vorstellungsreihe, deren Anordnung durch die Qualität der Vorstellungen bestimmt ist. Im analytischen Theile werden wir auf diesen Gegen- stand seiner grossen Wichtigkeit wegen, zurückkommen, und ihn dort nochmals in Verbindung mit seinen An- wendungen auf die Erklärung der psychologischen Phä- nomene in Betracht ziehn. Hier wollen wir, damit der Leser sich in die Sache hineindenke, nur irgend eine Vorstellung aus der Mitte einer Reihe , ins Auge fassen. Es gilt von ihr der merkwürdige Satz, dass ihr ein Weiterstreben beywohnt, wodurch sie eine Wirkung wider sich selbst ausübt, um anderen Platz zu machen; unter der Voraussetzung, dass zwischen den ihr in der Reihe vorher- gehenden und nachfolgenden, Gegensatz vorhanden sey. Man betrachte noch einmal das obige Schema, und in ihm die Vorstellung c . Es ist ihr, vermöge der ein- gegangenen Verbindung, wesentlich, dass mit ihr der Rest R von b , und der Rest r' von a zugleich im Be- wusstseyn gegenwärtig sey; hierauf ist ihr Streben in dem- selben Grade gerichtet, womit sie sich selbst im Bewusst- seyn zu erhalten, oder sich in dasselbe zu erheben sucht; denn das ganze c ist mit R und r' verschmolzen. Aber es ist ihr auch, wenn gleich in abnehmendem Grade, wesentlich, dass sie allmählig das ganze d , das ganze e , das ganze f , u. s. w. hervorrufe. Wenn nun d, e, f , dem b und a entgegengesetzt sind, so ist ein Streben, d, e, f zu erheben, zugleich ein Druck auf b und a , folg- lich auch auf das mit ihnen verbundene c selbst. Also wirkt c wider sich selbst; und man würde sich irren, wenn man glaubte, diese Wirkung zerstöre sich selbst . Denn angenommen, c sinke wirklich bis auf den Rest ρ , so verliert es damit noch nichts an seinem Vermögen, d zu erheben; mit welchem es gerade nur durch seinen Rest ρ verbunden war. Erst wenn es tie- fer, als bis auf diese Grösse ρ niedergedrückt wird, kann seine Wirkung auf d abnehmen. Gesetzt: es sey nun bis bis auf seinen zweyten Rest ρ' gesunken: so wirkt es noch eben so stark wie Anfangs, um e zu heben; und eben so wird f von dem Reste ρ″ , g von ρ‴ , u. s. w. immer gleich stark wider a und b gehoben, so lange nicht c unter ρ', ρ″, ρ‴ … successiv herabgedrückt ist. Was nun hier von c gesagt worden, das gilt eben so von d in Beziehung des ihm Vorhergehenden und Nachfolgenden, desgleichen von e, f , … mit einem Worte, von jedem mittlern Gliede einer Reihe; nur nicht vom ersten und vom letzten. Denn das erste Glied, indem es die nachfolgenden successiv hebt, überschreitet weder hierin den Grad von Verbindung, den es mit den nach- folgenden eingehn konnte (und darin gleichen ihm auch die mittlern Glieder), noch hat es solche Vorhergehende, denen die Nachfolgenden zuwider wären; das aber ist eben der Umstand, weswegen die mittlern sich selbst nie- derdrücken. Was das letzte Glied anlangt: so ist es der natürliche Ruhepunct für die ganze Reihe; es hat nichts mehr hinter sich, wodurch es wider das vorhergehende wirken könnte; und seinem inwohnenden Streben geschieht Genüge, so lange, bis alle vorhergehenden auf den Punct der mit ihm eingegangenen Verschmelzung herabgesun- ken sind; ist alsdann noch ein fremdartiger Grund zur fernern Hemmung vorhanden, so verliert sich allmählig die ganze Reihe aus dem Bewusstseyn. Sollte nun in dem, was hier vorgetragen worden, noch irgend etwas dunkel scheinen: so liegt es an man- gelhafter Auffassung des vierten Capitels; welches man übrigens bey weitem noch nicht ganz zu verstehen braucht, um das gegenwärtige zu fassen. Alles kommt darauf an, dass man vollkommen einsehe, weshalb eine Vorstellung ihre Nachfolgenden ganz , aber successiv , hingegen ihre Vorhergehenden partial und abgestuft , aber si- multan , hervorzuheben trachtet. Hieraus ergiebt sich das Uebrige von selbst. Jetzt ist noch ein wichtiger Umstand zu erwägen, der von der Länge der Reihen abhängt. Wir wollen I. Z hiebey die Reihe als gleichartig betrachten, das heisst, die Reste r, R, ρ , … gleich setzen, desgleichen die Un- terschiede r'—r″, R'—R″ u. s. f., so dass die r, r', r″ … u. dgl. eine gemeine arithmetische Reihe bilden; folglich in der Vorstellungsreihe die Distanz der Glieder allein den Grad der Verbindung bestimme. Alsdann kommt es nur noch auf die Grösse der Differenz r—r' an; sie wird bestimmen, mit wie vielen folgenden eine jede vorhergehende Vorstellung verschmelze; ob z. B. a schon ganz gesunken sey, ehe die Vorstellungen g, h, i, k , hinzukommen, während die Reihe sich bildet: oder ob vielleicht x, y, z , noch etwas von a im Bewusstseyn antreffen, womit sie verschmelzen können. Wenn näm- lich während des Entstehens der Reihe, sich a noch mit x, y, z , verbindet, so wird es sie auch bey der Repro- duction wieder zu heben suchen; erreicht aber a nicht einmal g, h, i, k , so geht auch sein Streben andre her- vorzurufen, nicht bis in diese Entfernung hinaus. Unter- schiede dieser Art haben einen wesentlichen Einfluss auf die Kraft der ganzen Reihe, sich geordnet zu repro- duciren , oder kurz, auf ihr Evolutions-Vermögen ; und dies ists, was wir jetzt untersuchen wollen. Wir nehmen an, die Reihe sey eine Zeit lang ganz aus dem Bewusstseyn verschwunden gewesen; jetzt könne sie sich wieder erheben; aber es sey gleich viel Grund zu dieser Erhebung für alle, in der Reihe enthaltenen, Vorstellungen vorhanden: nun fragt sich, ob dennoch die Reihe geordnet hervortreten werde? Es ist nämlich klar, dass wenn auch nur das erste und das vierte — oder überhaupt das m te und das n te Glied — zugleich ins Bewusstseyn kämen, alsdann Verwirrung entstehn müsste; denn das vierte würde die folgenden schon reproduciren, die vorigen schon herabdrücken, während das erste noch im Streben zur Reproduction des zweyten und dritten be- griffen wäre. Um die Sache leichter zu übersehen, wollen wir uns abermals ein Schema entwerfen. Die einzelnen Vorstel- lungen in der Reihe sollen durch Linien angedeutet wer- den; und eben so die Verschmelzungshülfen, die sie von andern Vorstellungen empfangen. Man wird leicht fol- gende Bezeichnung verstehn: Die Linie AB soll die erste Vorstellung oder das Anfangsglied in der Reihe bedeuten. Die erste Linie rechts neben ihr zeigt die Verschmelzungshülfe, welche ihr die zweyte Vorstellung derselben Reihe leistet; die folgenden Linien deuten auf die immer geringeren Stre- bungen der nachfolgenden Vorstellungen, wodurch sie das Anfangsglied ins Bewusstseyn zu rufen wirken. Also die ganze Figur bezeichnet die Gesammtkraft , womit das Anfangsglied hervorgehoben wird. Dem ähnlich wür- den wir das Endglied so ausdrücken: Dabey ist nun gleich zu bemerken, dass, wenn auch das Endglied eben so viele Verschmelzungshülfen durch die ihm vorangehenden Vorstellungen bekömmt, wie das Anfangsglied durch die ihm nachfolgenden, die Wirkung dennoch nicht gleichartig ist; denn auf das Anfangsglied wirken alle Hülfen simultan; hingegen auf das Endglied dergestalt successiv, dass es durch seine schwächere Hülfen langsamer, als durch die stärkeren gehoben Z 2 wird. Eins der mittlern Glieder aber kann so bezeich- net werden: Ein Glied in der Gegend der Mitte erhält nämlich, Falls die Reihe lang genug ist, eben so viele Hülfe von seinen vorhergehenden und nachfolgenden, als das An- fangs- und das Endglied zusammen genommen. Soll dies nicht geschehn: so muss die Reihe kürzer seyn; und man sieht sogleich, dass dies die Bedingung des Evolutions-Vermögens ist. Denn wenn die Mitte durch eine gleiche, simultan wirkende Kraft gehoben wird, wie der Anfang, so ist unmöglich, dass die Reihe geord- net ablaufe, da alsdann Mitte und Anfang zugleich ins Bewusstseyn kommen. Wir wollen nun die Reihe kürzer nehmen; und zwar dergestalt, dass sich das Anfangsglied gerade noch beym Verschwinden, also durch seinen kleinsten Rest, mit dem Endgliede verbunden habe. Alsdann muss unsre Figur für das Mittelglied sowohl rechts als links etwas verlie- ren; denn die ganze Basis derselben muss jetzt nicht dop- pelt, sondern nur einfach so lang seyn, wie die des An- fangs- oder Endgliedes. Die Figur besteht nunmehr nicht aus zwey an einander gestellten rechtwinklichten Drey- ecken, wie vorhin, sondern aus zwey Trapezien. Der Inhalt eines jeden dieser Trapezien liegt sogleich vor Au- gen, wenn die Figur als ein Continuum, oder die Menge der Vorstellungen in der Reihe unendlich gross, und die Verschmelzung continuirlich abnehmend gedacht wird. Die Höhe der Figur sey = a , ihre halbe Basis = b , so ist jedes Trapezium = ½ ab —½ a · ½ b · ½ = ⅜ ab ; und dies ist die ganze, simultan wirkende , Kraft zum Hervorhe- ben der mittlern Vorstellung; die successiv wirkende, welche das andre Trapezium darstellt, kommt hier nicht in Betracht. Da nun das Anfangsglied mit der Ge- sammtkraft ½ · ab simultan gehoben wird, wie unmittelbar einleuchtet: so hebt es sich um ⅛ ab stärker als die Mitte; es tritt demnach hervor, und bestimmt das geordnete Ab- laufen der Reihe. Es ist leicht, dies allgemeiner zu fassen. Ein unbe- stimmter Theil der Linie b sey die Basis unseres Tra- peziums; diesen Theil nennen wir bx ; so findet sich die kleinere, auf der Basis senkrechte Seite des Trapeziums durch die Proportion b : a = ( b—bx ) : a (1— x ). Folglich das kleine Dreyeck, durch dessen Weg- nahme vom grössern das Trapezium entsteht, ist nun ; und das Trape- zium selbst = ½ ab (2 x—x 2 ). Wenn nun die Reihe nicht zu lang ist: so entsteht das Ganze der Verschmelzungs- hülfe für das Anfangsglied aus allen ihm nachfolgenden Gliedern, in so weit es mit ihnen verschmolzen ist; aber für das mittelste Glied nur aus denen, die ihm folgen (so fern von der simultan wirkenden Kraft geredet wird). Die eben gefundene Formel gilt demnach zwar für beyde; allein x ist in ihr halb so gross für das mittelste Glied als für das erste; dies giebt für die Mitte eine Kraft = ½ ab ( x —¼ x 2 ). Also verhält sich die Kraft für das Anfangsglied zu der für das mittlere wie 2— x zu 1—¼ x . Und nimmt man x unendlich klein, oder die Reihe un- endlich kurz: so hat man das Verhältniss 2:1, das heisst, der Anfang besitzt zum Hervortreten doppelt so viel Kraft wie die Mitte. Man sieht hieraus, dass die Reihen desto mehr Evolutions-Vermögen besitzen, je kürzer sie sind . Hat dagegen eine Reihe durch ihre Länge — oder durch irgend welchen andern Grund, — sich einmal der- gestalt verwirrt, dass ihre Glieder näher verschmelzen als es ihre Anordnung mit sich bringt, so ist die Reihe ver- dorben ; weil sie jetzt verschiedenen in ihr entstandenen Reproductionsgesetzen, die unter einander unverträglich sind, zugleich Genüge zu leisten strebt. (Hieher gehö- ren falsche Gewöhnungen in Allem, was durch Wieder- hohlung und Uebung gelernt werden soll.) Weit besser als lange Reihen, sind Reihen von Reihen , oder auch Reihen aus Reihen von Rei- hen u. s. f., dergleichen vielfältig und in sehr bunten Zusammensetzungen beym geordneten Denken vor- kommen. (Auch gehört aller Rhythmus hieher; denn er beruht auf Hauptreihen mit weit entfernten Glie- dern, deren jedes eine kurze, untergeordnete Reihe zwischen einschaltet.) Die Glieder solcher Reihen kön- nen selbst verwickelte Complexionen seyn. Ganz vorzüglich wird die Verwebung mehrerer Rei- hen zu weitern Untersuchungen Stoff geben. Es ist das Wesentliche der Verwebung, dass in Ei- nem Puncte mehrere Reihen sich kreuzen; oder auch, dass man von demselben Puncte anfangend, mehrere Rei- hen zugleich durchlaufe; dieses Zugleich aber bedeu- tet, dass diese Reihen nicht etwan successive Glieder einer höhern Reihe seyen, sondern wenn sie ja als ein Früheres oder Späteres gedacht würden, die Succession unter ihnen sich auch umkehren liesse. Gegen die psychologische Möglichkeit solcher Ver- webung lassen sich Zweifel erheben. Mag a der gemein- same Anfang zweyer Reihen seyn, die durch b, c, d , und durch β, γ, δ , fortlaufen: so scheint es, die Reihen könnten nicht zwey geschiedene bleiben, sondern es müssten Complexionen bβ, cγ, dδ entstehn, indem der Rest r von a sowohl b als β , der Rest r' von a sowohl c als γ , der Rest r″ von a sowohl d als δ durch einen untheilbaren Act der Reproduction hervorrufe. Wir wollen uns nun hier nicht auf die Thatsache berufen, dass zwey Radien eines Kreises, indem sie durch alle concentrische Kreise laufen, wirklich zwey solche Reihen darstellen: sondern es zeigt sich hier die Noth- wendigkeit dessen was die Thatsache vor Augen legt; nämlich dass b und β , wenn sie geschieden bleiben sol- len, etwas zwischen sich schieben müssen, wodurch und um wie viel sie getrennt sind. Allerdings ist hier ein Streben zur Vereinigung vorhanden; und die Ver- einigung muss wirklich zu Stande kommen, wenn nicht ein Widerstreben wegen der Reproduction des Zwi- schenliegenden hinzutritt. Gerade hierin nun besteht die Verwebung der Reihen, dass, indem ihrer mehrere ab- laufen, zugleich nicht nur jedes Glied eine von ihm aus- gehende Reihe anregt, sondern dass auch die secundären Reihen sich nach einer Regel in andern Reihen Glied für Glied vereinigt finden; so dass die Vereinigungspuncte jedesmal mehrfach gegeben sind, und dass die Con- struction unendlich vielfach in sich selbst zurück- laufe , ohne mit sich selbst in Mishelligkeit zu gerathen. Das Product solcher, sich gegenseitig hervorrufender Rei- hen ist allemal ein Räumliches , obgleich nicht noth- wendig eins im sinnlichen Weltraum. (Denkt man sich die drey Hauptfarben Roth, Gelb, Blau, sammt allen Zwischenliegenden, die aus ihnen ge- mischt oder in sie zerlegt werden können: so erscheint das ganze System nothwendig als ein gleichseitiges Drey- eck, — gleichseitig, weil gleichviel Verschiedenheit der möglichen Mischung zwischen Roth und Blau, Blau und Gelb, Roth und Gelb liegt Diese Voraussetzung gegen mögliche Einwürfe zu rechtferti- gen, ist hier nicht nöthig. Andre Voraussetzungen werden andre Con- structionen ergeben, auf deren Gestalt hier nichts ankommt. . Auf dem Inhalte dieses Dreyecks, der eine vollständige Fläche ausmacht, ange- füllt von allen Mischungen aus dreyen Farben, kann man in Gedanken alle möglichen Figuren zeichnen, darunter auch ähnliche, oder gleiche, mit den bekannten geome- trischen Eigenschaften. Dieses Farbendreyeck hängt mit dem sinnlichen Weltraum durchaus nicht zusammen; hat auch mit ihm kein gemeinsames Maass, sondern seine Maasse müssen aus ihm selbst genommen werden; z. E. ein Zehntheil der Distanz zwischen Roth und Blau; dies ist eine völlig bestimmte Grösse für das Farbendreyeck, und ein zulängliches Maass für alle darauf zu entwerfenden Figuren. Wollte man aber das Farbendreyeck aufs Pa- pier zeichnen, so könnte es eben so gut ein Differential- Dreyeck seyn, als eine Quadrat-Meile im sinnlichen Weltraum einnehmen. — Es giebt noch andre Veran- lassungen, Raum zu construiren; der intelligible Raum in der Metaphysik gehört hieher. Genau genommen, lie- gen auch die Gegenstände der reinen Geometrie nicht im sinnlichen Weltraum; dieser letztere ist theils von Kör- pern erfüllt, theils liegt es leer zwischen ihnen; die geo- metrischen Kreise, Quadrate, Polygone aber sind nir- gends in ihm, haben in ihm nicht einmal Platz, wur- den auch nicht durch Begränzung aus ihm herausgeho- ben, sondern der Geometer macht jeden von ihnen ganz von vorn an, und würde aus jedem derselben einen ganz vollständigen Raum, als dessen Umgebung, produciren, wenn ihm daran gelegen wäre, so dass auch dieser Raum gar keine bestimmte Lage gegen oder in dem sinnlichen Weltraum hätte, sondern man einen davon sich aus dem Sinne schlagen müsste, um den andern zu denken. Be- quemer ist es, die Constructionen, die nicht nothwendig geschieden bleiben müssen, in einander fallen zu lassen; eigentlich aber ist zwischen dem Kreise des Geometers und den sämmtlichen sinnlich wahrnehmbaren Kreisen das Verhältniss einer platonischen Idee zu ihren Nachah- mungen; wobey man sich erinnern wird, dass eine solche Idee durchaus nicht selbst einen Platz in der Sinnenwelt hat, wo sie könnte gefunden oder auch nur dürfte ge- sucht werden. — Ja sogar der sinnliche Weltraum ist nicht ursprünglich nur Einer; sondern Auge, und Gefühl oder Getast, haben unabhängig von einander Gele- genheit zur Production des Raums gegeben; später ist bey- des verschmolzen und erweitert. — Man kann nicht oft genug gegen das Vorurtheil warnen, als gebe es nur Ei- nen Raum, den des sinnlichen Weltalls. Es giebt ganz und gar keinen Raum; aber es giebt Veranlassungen, dass Systeme von Vorstellungen ein Gewebe von Reprodu- ctions-Gesetzen durch ihre Verschmelzung erzeugen, des- sen Vorgestelltes nothwendig ein Räumliches — näm- lich für den Vorstellenden — seyn muss, und solcher Veranlassungen finden sich mehrere, die nicht alle glei- chen Erfolg haben; denn manche angefangene Raum-Er- zeugung bleibt unvollendet im Dunkeln liegen. Das Vor- urtheil aber, von dem hier die Rede ist, reicht schon für sich allein zu, alle Metaphysik zu verderben. Dagegen ist jeder Lichtstrahl, der auf die Lehren vom Raume fällt, der Metaphysik im Ganzen wohlthätig. Wie viel hat Kant nicht schon allein dadurch gewirkt, dass er zu neuer Untersuchung über den Raum wenigstens die erste Anregung gab!) Obgleich wir hier mehr und mehr auf Gegenstände kommen, die sich ohne Hülfe des analytischen Theils der Psychologie kaum deutlich machen lassen: so muss doch wenigstens mit kurzen Worten angemerkt werden, dass die Reihenbildung unter den Vorstellungen auch auf die Hemmung, und auf die Schwellen des Bewusstseyns, einen sehr starken Einfluss ausübt. Im Allgemeinen lässt sich dieses leicht einsehn. Gesetzt, eine Wahrnehmung reproducire eine früher gebildete Reihe, zugleich aber gebe sie Anlass zur Verknüpfung ihrer Partial-Vorstel- lungen in eine andre Reihe: so muss nothwendig eins das andre stören. Allein hier ist an keine vestbestimmte Hemmungssumme , und eben so wenig an ein fixirtes Hemmungsverhältniss , zu denken: denn die Repro- ductions-Gesetze wirken allmählig, und eben so allmäh- lig gerathen sie in Conflict. Damit ist aber nicht gesagt, dass sich Gegenstände dieser Art niemals würden der Rechnung unterwerfen lassen; vielmehr haben wir schon im fünften Capitel sowohl veränderliche Hemmungssum- men als auch veränderliche Hemmungsverhältnisse in die Rechnung eingeführt. Dies ist jedoch nicht Alles. Wo Hemmung we- gen der Gestalt (so nenne ich kurz diesen Conflict der Reproductionen) Statt findet, da giebt es auch Be- günstigung wegen der Gestalt , oder das Gegen- theil; und wo dieser psychologische Process durch die Auffassung eines gewissen Gegenstandes herbeygeführt wird, da heisst in gewöhnlicher Sprache, die nur das Vorgestellte bezeichnet, von dem verborgenen Act des Vorstellens aber nichts aussagen kann, — der Ge- genstand schön oder hässlich . Will man jemals über das Schöne im Raume nähere Kenntniss erlan- gen: so wird man die Mechanik des Geistes bis hieher fortführen müssen. Alle Vorstellungen im engern Sinne , das heisst, solche, die ein Bild sind von irgend einem, gleich- viel ob wirklichen, oder scheinbaren, oder erdichteten Gegenstande, sind Gewebe von Reihen, die in einer schnellen Succession unmerklich fortfliessend, durchlaufen werden. Der Schwung durch die Partial-Vorstellungen lässt einen Gesammt-Eindruck zurück, der jeden Augen- blick auf die geringste Veranlassung wieder in irgend eine innere Bewegung gerathen kann. Man betrachte drey Puncte; sollte die Anschauung gleichmässig auf diesem Bilde ruhen, so müsste das Auge auf den Mittelpunct des Kreises gerichtet werden, der das Dreyeck umschliesst; allein dies geschieht gewiss nicht bey solchen Dreyecken, die vom gleichseitigen bedeutend abweichen; hier giebt es einen andern Punct, in welchen das Maximum des Zugleich-Auffassens der sämmtlichen Winkelpuncte fallen würde. Aber auch da ruhet das Auge nicht, eben deswegen, weil hier noch immer Ungleichheit Statt findet, indem einer von den Puncten am meisten, ein anderer am wenigsten gesehen wird; nur ein successives Sehen kann dies ausgleichen. Was nun vom Vorstellen dreyer Puncte (aufs Sehen mit dem leiblichen Auge kommt hier nichts an), das gilt um so mehr von vielen Puncten, von ganzen Figuren und Körpern. Durch diesen Schwung im Vorstellen wird nun die Hemmung zwischen den Theilen des Bildes bey weitem weniger merklich als sie sonst seyn würde. Was wir schnell (aber doch nicht ganz gleichmässig, sondern mit successivem Vorherrschen einzelner Theil-Vorstellungen) übersehen können, das gilt uns für eine silmultane Wahr- nehmung; nur dürfen die darin enthaltenen Reihen sich nicht verwirren; sonst trübt sich das Bild wegen der wi- der einander strebenden Reproductionen, durch welche jeder Punct auf die übrigen führt. Anmerkungen . Gegen das Ende des vorhergehenden Paragraphen wird der Leser eine Dunkelheit bemerkt haben, die sich nicht hinwegräumen lässt. Sie liegt nicht in der Sache, aber in der nothwendigen Form des Vortrags. Wir nähern uns dem Ende des synthetischen Theils; es kommt darauf an, dass derselbe sich mit dem folgenden, analytischen, gehörig verbinde. Wird dafür nicht im Voraus gesorgt: so steht der synthetische Theil zu nackt, und späterhin wird die Anknüpfung zu schwer. Hier muss der Leser mit eignem Denken dem Buche, welches an diesem Orte nur Andeutungen der analytischen Betrachtung ge- ben kann, zu Hülfe kommen. Er muss sich dabey vor Uebereilungen hüten; sonst entstehen Deuteleyen, wodurch das Gegebene entstellt, und die Theorie auf falsche Wege geleitet wird; wovon die Beyspiele in unserer neuesten Philosophie (da, wo sie irgend welche Naturgegenstände deducirt zu haben glaubt) nur zu reichlich vorhanden sind. Wollte man die Gegenstände, welche des analyti- schen Verfahrens zur deutlichen Darstellung bedürfen, im synthetischen Theile noch ganz unerwähnt lassen: so würde noch eine andre Unbequemlichkeit entstehn. Man- ches, das in den psychologischen Erscheinungen auf ver- schiedene Weise zum Vorschein kommt, und deshalb im analytischen Theile an verschiedenen Orten seinen Platz hat, ist gleichwohl einfach für die synthetische Be- trachtung, denn es ist ein und derselbe Grund für eine Mehrheit von Folgen, die unter verschiedenen nähern Bestimmungen daraus entspringen. Um es in dieser Ein- heit darzustellen, muss es im synthetischen Theile mit aufgeführt werden. Deshalb will ich hier noch nebenher ein paar wichtige Puncte berühren, die mit den übrigen Gegenständen dieses Capitels nicht in gerader Linie lie- gen, und daher in den Paragraphen selbst nicht füglich ihre Stelle erhalten konnten. A . Involution der Vorstellungs-Reihen . Es ist im Vorhergehenden vom Ablaufen der Vorstellungs- Reihen, und von ihrem Evolutions-Vermögen gehandelt worden. Man weiss, dass hiebey alles auf die verschie- dene Wirksamkeit der Reste r, r', r″ , u. s. f. ankommt, wodurch jede einzelne Vorstellung in verschiedenem Grade mit den andern Vorstellungen verknüpft ist. Damit aber diese Verschiedenheit irgend eine Folge habe, muss eine solche Vorstellung im Bewusstseyn wenigstens so hoch hervorgehoben seyn, als der grösste jener Reste anzeigt. Wäre z. B von der Vorstellung a wohl das kleinere Quantum r″ im Bewusstseyn gegenwärtig, nicht aber der grössere Rest r' und noch weniger der grösste, r : so würde die mit r″ verbundene Vorstellung d gerade so ge- schwind gehoben, als die mit r' verknüpfte c , und die mit r verschmolzene, b . Folglich könnten nun b, c, d , nicht als Glieder einer Reihe auseinander treten; und dieser Theil der Reihe a, b, c, d, e, f, g , wäre demnach ein- gewickelt; während die nachfolgenden Glieder e, f, g , zwar wohl unter sich zur Evolution bereit wären; aber deshalb einem andern Nachtheil unterworfen seyn wür- den, weil b, c, d nicht gehörig nach einander ihr Maxi- mum erreicht hätten und von da wieder herabgesunken wären, also gewissermaassen noch im Wege stünden, und das Bewusstseyn anfüllten. Befinden sich nun die Vorstellungsreihen im Zu- stande der Involution (und das ist immer der Fall, wenn nicht ein besonderer Grund zu ihrer hinlänglichen Auf- regung wirkt), so ist die Mehrheit und Verschiedenheit ihrer Glieder unbemerkbar; sie gelten alsdann für Ein- heiten, wie z. B. die Vorstellung eines Buches, eines Flusses, eines Beweises; wo die Mannigfaltigkeit der Beyspiele deutlich zeigt, dass aus der Lehre von der In- volution sich Folgerungen ergeben müssen, die an ganz verschiedene Orte des analytischen Theils hinzuweisen sind. Es ist übrigens von selbst klar, dass unsre Vor- stellung eines Buchs nichts anderes enthält, als die ein- zelnen Vorstellungen von dem, was auf den verschiede- nen Blättern desselben nach einander zu lesen steht, sammt der entsprechenden Reihe von Gedanken und Gefühlen während des Lesens; und so auch in den an- dern Beyspielen, die man ohne Mühe vervielfältigen kann. Man denke nun an eine Bibliothek, eine Stromkarte, und eine systematische Theorie; so wird man sogleich ge- wahr, dass hier Bücher, Flüsse, Beweise, wiederum ein- zelne Glieder von Reihen und von Geweben aus diesen Reihen geworden sind; gerade so, wie, noch weiter fort- schreitend, wir einer Bibliothek einen Platz in der Reihe der Merkwürdigkeiten einer Stadt anweisen. B . Wölbung und Zuspitzung der reprodu- cirten Vorstellungen . Was ich durch diese figür- lichen Ausdrücke bezeichne, das hat einen noch viel grö- ssern Umfang als das Vorige, und ist in der Erfahrung nicht so leicht aufzufinden. Man erkennt es jedoch an dem so wichtigen Unterschiede der schärfern oder stum- pferen Auffassungen, von denen der Grad der Bestimmt- heit im Wahrnehmen und im Denken abhängt. Um von der synthetischen Seite her den Gegenstand deutlich zu machen, wollen wir uns fürs erste zurückversetzen zu ganz einfachen Vorstellungen, etwa zum Hören eines Tons, oder zum Sehen einer Farbe; die Anwendung auf die Vorstellungsreihen wird alsdann leicht seyn. Wenn eine Vorstellung eben jetzt erzeugt, oder, wie man zu sagen pflegt, durch die Sinne als Empfindung gegeben wird: so reproducirt sie nicht bloss die völlig gleichartigen, sondern man kann sie mit einem Lichte vergleichen, das einen Schein ringsumher verbreitet. Denn indem die neue Vorstellung alles ihr Entgegenge- setzte zurückdrängt, was sich so eben im Bewusstseyn findet, wird auch alles das, worauf dieses Entgegenge- setzte hemmend wirkte, mehr oder weniger frey. Es er- hebt sich also, wenn wir z. B. einen Ton hören, nicht bloss die völlig gleichartige ältere Vorstellung eben dieses Tones, sondern beynahe in gleichem Falle mit ihm be- finden sich die nächst höheren und niedrigeren Töne; daher streben sie gleichfalls empor ins Bewusstseyn; und so geht das in abnehmendem Grade auf die entfernteren Töne fort. Also kommt eine ganze Tonmasse, oder in einem andern Beyspiele eine ganze Farbenmasse in Be- wegung; nur nicht so merklich, als ob alle diese Töne und Farben wirklich wahrgenommen würden. — Jetzt kommt es aber darauf an, ob die Empfindung des wirk- lich gehörten Tones länger anhalte. Wenn das ge- schieht: so stösst diese Empfindung mehr und mehr die nicht völlig gleichartigen Vorstellungen wieder zurück; und hiebey wird der innere Widerstreit um desto stärker, je mehr die älteren Vorstellungen unter sich verschmol- zen, und je geneigter sie deshalb sind, alle in Gesell- schaft ins Bewusstseyn zu kommen. Vergleicht man nun die ganze aufgeregte Masse der Vorstellungen mit einem Gewölbe: so kann man fortfahren zu sagen, das Gewölbe werde vom äussern Umfange gegen die Mitte hin mehr und mehr niedergedrückt; und endlich müsse es sich dergestalt zuspitzen, dass gerade nur die, der neuen Wahrnehmung völlig gleichartige ältere Vorstellung her- vorrage. So geschieht es, so oft wir einen Gegenstand bestimmt als diesen und keinen andern auffassen ; denn hierin liegt offenbar ein Actus der Ausschliessung dessen, was wegen der nähern oder fernern Aehnlichkeit ins Bewusstseyn mit hervorgetreten war. Die Uebertragung des hier Gesagten auf unvollkom- mene Complexionen und auf Reihen ist sehr leicht. Wird ein einzelnes Glied derselben neu gegeben: so regt sich der Verbindung wegen die ganze Complexion oder die ganze Reihe; und im letztern Falle ist nun die Reihe im Begriff abzulaufen. Damit aber tritt eine Hemmungs- summe ins Bewusstseyn, welche wieder sinken muss; un- ter der Voraussetzung nämlich, die neue Auffassung dauere noch fort, und die gleichartige ältere Vorstellung könne daher ihrem Weiter-Streben nicht nachgeben. Man erinnere sich hiebey des Gefühls, welches ent- steht, wenn eine Folge von Vorstellungen langsamer als gewöhnlich, dargeboten wird. Z. B. wenn eine Reihe von Wagen vorüberfährt beym Leichenzuge; oder wenn Je- mand sehr langsam spricht; oder wenn eine bekannte Melodie auffallend langsam gesungen wird. Alles Lang- same, wenn es nicht aus andern Gründen widrig ist, nä- hert sich dem Feyerlichen; es stösst die schneller fortei- lenden Vorstellungsreihen zurück. So gerathen wir ins Gebiet der ästhetischen Beurtheilung. Hier versteht sich von selbst, dass das Langsame nicht matt und schwach seyn muss, sondern energisch genug, um den Fluss des Vorstellens wirklich anzuhalten, und das Vordrängende zurück zu zwingen. Andererseits kommt es darauf an, ob der Mensch sich Zeit lasse, und ob in ihm der Drang der Vorstel- lungen von zufälligen Hemmungen frey sey. Schwache und langsame Köpfe sind nicht aufgelegt zu scharfen, wohlbegränzten Auffassungen. Der beschriebene Process erfordert nämlich, dass Energie in der Reproduction sey; sonst kommt es gar nicht zum Anstossen an eine Gränze, welches allemal das innere Streben voraussetzt, dieselbe zu überschreiten, es kommt also nicht zu dem Conflict von dem wir reden. Die Complexionen und Reihen müs- sen auf inniger Verbindung ihrer Glieder beruhen; sonst ruft nicht eine Vorstellung die andere so lebhaft auf, dass dadurch eine starke Zurückstossung könnte veranlasst wer- den. Aber auch deshalb kann die letztere unmerklich werden, weil ihr nicht Zeit gelassen wird. Uebereilung ist das Gegentheil des Scharfsinns, auch bei sonst leb- haften Naturen. Verweilung bei jedem einzelnen Puncte ist die psychologische Bedingung des genauen Denkens; sonst lassen sich Verwechselungen, sammt allen ihren Täuschungen, nicht vermeiden; die Vorstellungen wölben sich wohl, aber zum Zuspitzen gelangen sie nicht, das heisst, die Gedanken kommen nicht zur Reife. §. 101. Da es an diesem Orte bloss noch darauf ankommt, die Verbindung zwischen dem synthetischen und dem analytischen Theile der Psychologie zu vermitteln: so werde ich auch einige andre, an sich höchst wichtige Gegenstände, hier nur so betrachten, wie sie sich als Folgen aus dem bisher Vorgetragenen gleichsam aus der Ferne zeigen lassen. Ursprünglich fällt jede Vorstellung, indem sie ent- steht, in mehr als Eine Reihe. Sie verknüpft sich zum Theil mit denen, die sie eben im Bewusstseyn vorfindet; theils mit gleichzeitig gegebenen; theils mit denjenigen, deren Reproduction sie, erst unmittelbar, dann mittelbar, veranlasst. Geht man den reproducirten weiter nach, so sind diese ehemals auf ähnliche Weise, seltener oder öfter, Verbindungen mit anderen eingegangen. Daher finden sich in der dritten von jenen drey Arten der Ver- knüpfung mancherley nähere Bestimmungen, die nur all- mählig entwickelt werden können. Vermöge der ersten Art bekommt die Vorstellung eine Stelle in der Zeit; vermöge der zweyten einen Ort im Raume; vermöge der dritten einen Platz im Reiche der Begriffe. Bey jeder neuen Reproduction strebt die Vorstellung, alles Verbundene theils simultan, theils successiv (§. 100.) ins Bewusstseyn zu bringen; hierin wird sie theils begün- stigt, stigt, theils gehindert; und sofern die Reproduction wirk- lich zu Stande kommt, ist sie das Resultat des Zusam- menwirkens vieler zugleich strebender Vorstellungen. In der Regel kehren diejenigen Vorstellungen am leichtesten wieder, die erst kurz vorher im Bewusstseyn waren; denn die Zeitreihe, in der sie liegen, hebt sich von zwey Punc- ten aus, vom jetzigen und von jenem früheren; diese Zu- sammenwirkung wird bey längeren Zwischenzeiten un- wirksam, wenn nicht gewisse hervorragende Momente in der Zeitreihe (die man Epochen nennen kann), unter sich eine stärkere Verbindung eingegangen waren. Wir wollen nun annehmen, einerley Vorstellung sey schon sehr oft gegeben worden: so wird sie mit sehr Vielem verbunden seyn; und dies Viele wird in mancher- ley Gegensätzen stehn; daraus werden vielerley theils materiale Hemmungen (wegen der Beschaffenheit der einzelnen Partial-Vorstellungen), theils formale ( Hem- mungen wegen der Gestalt , nach vorigem §.) ent- springen. Nun sollte zwar die oftmals gegebene Vorstel- lung eine grosse Gesammt-Kraft besitzen; allein ihr Ver- bundenes steht sich und ihr im Wege; es verdunkelt sich gegenseitig, und sie wird dadurch im Aufstreben ge- hindert. Hiebey ist insbesondere zu merken, dass wegen der successiven Reproductionen (nach §. 88.) das Ver- bundene jener Hauptvorstellung nur allmählig mehr und mehr ins Bewusstseyn treten sollte; die Folge davon lässt sich leicht einsehn. Nämlich wenn die Hauptvor- stellung mit vielen Reihen verbunden ist, diese Reihen aber unter einander entgegengesetzt sind, so muss die Wirksamkeit, womit sie einander widerstreben, nothwen- dig wachsen , indem die Zeit verläuft; denn während dieses Zeitverlaufs sollen die Reihen sich im Bewusstseyn entwickeln. Weil sie sich nun daran gegenseitig mehr und mehr hindern, je weiter ihre Entwickelung nach dem Re- productionsgesetze fortschreiten müsste: so leidet die Hauptvorstellung selbst hiedurch einen wachsenden Wi- I. A a derstand; sie kann sich im Bewusstseyn nicht lange hal- ten, sondern erliegt gar leicht unter der Last ihrer Ver- bindungen. (Dies ist die eigenthümliche Schwierigkeit, welche sich bei Menschen ohne wissenschaftliche Bildung dann äussert, wann sie allgemeine Begriffe vesthalten sollen. Die Gedanken vergehn ihnen; sie wissen gar bald nicht mehr, wovon die Rede ist; sie werden müde und gäh- nen. Umgekehrt erhellet hieraus die Kraft der Beyspiele, das Denken zu unterstützen, indem jedes derselben eine bestimmte Reihe veststellt, und den Widerstand der übrigen abwehrt.) Gleichwohl bereitet sich durch den eben erwähnten Hemmungs-Process ein wichtiger Fortschritt in der gei- stigen Bildung. Ist nämlich die Hauptvorstellung nur ge- hörig gebildet worden, durch möglichst vollständiges Ver- schmelzen ihrer früheren Theile mit den späteren, so oft sie gegeben wurde (vergl. §. 85.), und hat nur nicht ir- gend ein physiologisches Hinderniss diese Verschmelzun- gen verkümmert (wie bey Kranken, bey Blödsinnigen, oder schon bey schwachen Köpfen), so giebt ihr die häu- fige Wiederhohlung unter verschiedenen Umständen den- noch Kraft genug, um in der Mitte andrer Vorstellungen einen Platz zu behaupten. Zugleich erscheint sie nun beinahe isolirt , weil das Ablaufen der ihr anhängenden, sich unter einander hemmenden, Reihen nicht mehr merk- lich ist. Sie ist also abgelöset von ihren zufälligen Ver- bindungen nach Zeit und Ort. Mehrere Vorstellungen dieser Art können nun unter sich in solche Verbindungen treten, die von ihnen selbst, von ihrem Inhalte, ihrem Vorgestellten, abhängen; kurz, sie können sich nach ihrer Qualität verknüpfen. In so fern aber werden sie dem Verstande zugeschrieben, und heissen Begriffe . Man kann von den Begriffen auch sagen, sie seyen die Vorstellungen in dem Zustande, worin sie unmittel- bar an die Sprache geknüpft seyen; und von der Spra- che: sie sey ganz eigentlich das, was verstanden oder nicht verstanden werde, so dass hieraus sich die ursprüng- liche, obgleich nicht die ganze Bedeutung des Wortes Verstand ergebe. Hierauf werden wir sogleich zurück- kommen; zuerst müssen wir aus der Lehre von den Vor- stellungsreihen noch eine andre Betrachtung ableiten. Eine Complexion aus den Vorstellungen A und B sey im Begriff sich zu bilden. Wenn sie zu Stande kommen soll, so müssen die Reihen, welche von A aus- gehn, und die, welche an B geknüpft sind, einander nicht dergestalt hemmen, dass ihr ferneres Ablaufen da- durch unmöglich würde; sonst wirkt die Hemmung auf A und B zurück, und die Complication muss unterbleiben. Aber gesetzt, die Evolution der Reihen bis zu dem Puncte ihres Zusammenstossens würde aufgehalten, so würde die Complexion sich dennoch, wenigstens vorläufig bilden, und so lange dauern, bis jene Gegenwirkung der Reihen hervorträte und sie zerstörte. Dass diese Art der vor- läufigen, aber unbaltbaren Complication, das Wesentliche des Traums ausmacht, lässt sich leicht übersehen; das- selbe ist beym Wahnsinn der Fall, nur so, dass hier das Ablaufen der Reihen sich bis zur Heilung des Kran- ken verzögert, während die Träume nur des Aufwachens bedürfen, um ihrer Ungereimtheit überführt zu werden; so wie der Unverstand der Kinder, deren Vorstellungs- reihen noch kurz, und mangelhaft verknüpft sind, durch zunehmende Erfahrung und durch reifere Gedanken-Ver- bindung allmählig verscheucht wird. Erinnern wir uns nun der Sprache: so sehn wir so- gleich, dass jedes gesprochene Wort für den Hörer ein Anfangspunct von Reihen ist, welche sich alle in ein- ander verweben müssen, wofern die Rede soll verstanden werden. Alles, was diesen Process der Verwebung hin- dert, macht die Rede unverständlich. Aber die Sprache liegt nicht bloss in den Worten, sondern auch in den Dingen. Der Verständige erräth das Verborgene, indem er den Zusammenhang ergänzt; und er verwirft die thörichten Meinungen und Pläne, in- A a 2 dem er den Lauf der Begebenheiten vorwärts und rück- wärts in Gedanken verfolgt. Es ist klar, dass hiebey al- les auf das Zusammenwirken seiner Vorstellungsreihen ankommt; gleichviel ob vom praktischen oder vom theo- retischen Verstande die Rede ist. Man kann dem Ver- stande zwey Dimensionen zuschreiben: Weite und Tiefe . Die Weite hängt ab von der Menge und Man- nigfaltigkeit solcher Reihen, deren Partial-Vorstellungen möglichst genau, und ohne Verwirrung, verschmolzen und geordnet seyen; die Tiefe bezieht sich auf die Re- production der gleichartigen Vorstellungen, wodurch sie Begriffe sind. Oberflächliche Menschen reproduciren heute nur das Gestrige und Vorgestrige; bey tiefen Cha- rakteren bewegt jeder Gedanke den Stamm des ganzen frühern Lebens. Für die Sprache sind alle Begriffe, als solche, Sub- stantiva; das Gehen und Stehen eben sowohl als der Baum und das Haus; das Wenn und das Aber eben so gut wie das Süsse und das Kalte. Aber keine unserer Vor- stellungen ist bloss und ursprünglich ein Begriff; eine jede, wie sehr sie auch isolirt zu seyn scheine, hängt noch immer in allen ihren, wie sehr auch verdunkelten, Verbindungen; darum liegt in jeder ein mannigfaltiges Weiterstreben , so wie es oben (im vorigen §.) be- schrieben wurde. In diesem Weiterstreben müssen die Gedanken sich gegenseitig tragen und halten; darum biegt die Sprache ihre Worte, und baut daraus Perio- den . Hiezu dienen ihr vorzüglich ihre verba activa und passiva; ohne uns aber bey den Worten weiter aufzu- halten, müssen wir noch einen Blick werfen auf die Be- griffe des Thuns und Leidens ; und wir werden dar- auf sogleich kommen, nachdem wir noch zuvor angemerkt haben, dass die Bildung der Perioden auf dem Gegen- satze des Ja und Nein (auf der sogenannten Qualität des Urtheils ) beruht, und dieses wiederum ein mög- liches Schweben zwischen Ja und Nein voraussetzt. Das Nein , welches gewiss kein Erfahrungsbegriff seyn kann, da alle Erfahrung nur Positives giebt, ist nichts anderes als eine veste Hemmung, wogegen eine Vorstel- lungsreihe anläuft. Absolut vest braucht die Hemmung nicht zu seyn; nur so vest, wie die Aussenwelt sich uns zeigt, wenn sie, unsern Wünschen und Bemühungen trotzend, uns fortwährend einerley Wahrnehmung er- neuert ; so dass dagegen unsre Wünsche vergeblich an- laufen, und hiedurch verneint werden. Dass auch diese Art von relativer Vestigkeit nicht ursprünglich in den einzelnen Vorstellungen liegt: weiss man aus den ersten Elementen der Statik des Geistes, bey fortschreitender Ausbildung aber kann sehr leicht in einem Systeme von Vorstellungen eine Wirksamkeit entstehn, die sich ge- gen ein anderes eben so fortwährend erneuert, wie die äussere Anschauung gegen die von innen hervordringen- den Gedanken. §. 102. Die Lehren der Mechanik des Geistes sind so all- gemein, dass sie auch dann noch gelten müssten, wenn wir in einer ganz anderen Natur, als in der wirklichen, lebten; so wie die Mechanik der vesten Körper sich, mutatis mutandis , ohne besondre Schwierigkeit auch auf eine Astronomie würde übertragen lassen, deren Grund- gesetz eine Anziehung verkehrt wie der Würfel der Ent- fernung seyn möchte. Damit würden aber die Erschei- nungen der Himmelskörper keinesweges zusammenstim- men; will der Astronom, während er rechnet, die That- sachen nicht ganz aus den Augen verlieren, so muss er innerhalb solcher Voraussetzungen bleiben, die zu den Thatsachen passen. Eben so: wollen wir allmählig uns vorbereiten, die Mechanik des Geistes mit dem zu ver- knüpfen, was wir in uns fühlen, und aus der Erfahrung von uns wissen: so ist es nöthig, dass wir uns nun be- stimmter, als zuvor, an unsre Welt, das heisst, an die eigenthümlichen Beschaffenheiten solcher Vorstellungs- reihen erinnern, die sich im menschlichen Geiste unter den vorhandenen menschlichen Verhältnissen, unwillkühr- lich bilden. Hier kommen uns nun zuerst die Unterschiede des Thätigen und Leidenden entgegen. Viele Complexionen wahrgenommener Merkmale, — oder, in unserer gewöhn- lichen Sprache, viele Dinge , — zeigen sich und ihre Veränderungen in der Regel nur als Endpuncte von Reihen, die von andern Dingen ausgehn; oder doch nur in so fern als Anfangs-Puncte , wie fern sie zuvor End- puncte früherer Reihen waren. Weit seltener sind die andern Dinge, von denen eben so oft Reihen ausgehn, als bey ihnen anlangen. Jene erstern nun werden als Stoff , als Materie, die mit sich machen lässt , bezeichnet; diese letztern, so fern sie von vielen verschie- denen Reihen die möglichen Anfangspuncte sind, denkt man als thätig , als Quelle und Ursprung von Ereig- nissen. Man unterscheide hier sorgfältig, was die Worte: Thun und Leiden, eigentlich bedeuten sollten, von dem, was sie in gemeiner Sprache wirklich bedeuten. Jenes ist eine metaphysische Frage, deren Gewicht der gemeine Verstand gar nicht empfindet, und deren Beantwortung nicht hieher gehört; aber die zweyte, psychologische Frage ist schon vollständig beantwortet durch das, was oben von den Vorstellungsreihen gelehrt wurde. Wer sich ein Thun denken will, der versetzt sich in einen Zu- stand, als ob in ihm eine Reihe dergestalt abliefe, dass sie vorzugsweise durch das reproducirende Streben des Anfangsgliedes hervorgehoben würde; um den Verlauf der Reihe bekümmert er sich dabey nicht. Deshalb ist eine Quelle das natürliche Symbol des Thätigen; ob- gleich sich bey näherer Betrachtung finden würde, dass auch hier alles, was das sinnliche Auge wahrnimmt, sich lediglich leidend zeigt, indem ja die Einfassung der Quelle ruhet, und das Wasser bloss hervortritt, um fort- zufliessen, ohne irgend etwas, wenn nicht zufällig, zu er- greifen und abzuändern. Aber unsern eigenen Gemüths- zustand, indem eine Vorstellung die von ihr ausgehende Reihe hervorzuheben strebt, leihen wir der Quelle; darum belebt sie sich für uns, als ob auch in ihr etwas wäre, welches sich anstrengte, das Wasser zu heben und zu fördern. Ueberhaupt bedeutet im gemeinen Sprachge- brauche die Redensart: das kommt davon , genau so viel als: dies hier ist die Wirkung von jener Ursache dort; und wenn hiemit der gemeine Verstand noch ein dunkles Gefühl des Widerspruchs verbindet, der in dem Leidenden entstanden wäre, wenn es sich selbst verän- dert hätte, so geht er schon weiter als die Kanti sche Schule ihn führen würde, die, freylich seltsam genug, in dem Causal-Begriff auch nichts anderes zu finden wusste, als den Anfang einer Reihe. Ein zweyter Umstand, den wir aus unserm Verhält- nisse zur Aussenwelt hervorheben müssen, ist die Be- weglichkeit des Menschen in seiner Umgebung . Ohne diese würden die Anschauungen der Dinge stets für die Dinge selbst gehalten werden; dadurch aber, dass der Mensch einen Unterschied des Abwesenden und des Gegenwärtigen fasst, lernt er, dass den Gegenständen ihr Erscheinen oder Nicht-Erscheinen zufällig ist. Die Ge- genstände bekommen, so fern sie vest stehn, auch veste Plätze in seinen sich allmählig bildenden, ordnenden, und verknüpfenden Vorstellungsreihen, worin die Reihen- folge der Anschauungen aufbewahrt wird. Ihr Erschei- nen aber (ihre Sichtbarkeit, Hörbarkeit u. dergl.) wird ihnen wie eine Art von Ausstrahlungs-Sphäre zugeschrie- ben, die mit wachsender Entfernung an Stärke abnimmt. Sie selbst, die Gegenstände, werden betrachtet als das, woher das Erscheinen kommt; und der Mittelpunkt, in welchem die Strahlen des Erscheinens sich von allen Sei- ten her vereinigen und kreuzen, legt den Grund des Ich , welches zu seiner Ausbildung noch der innern Welt bedarf, die in der Mitte der Aussenwelt oder des Nicht- Ich sich umherbewegend, nicht bloss Reihen in sich auf- nimmt und endigt, sondern auch andre Reihen theils von sich aussendet, theils auszusenden im Begriff ist, durch welche sie den einströmenden begegnet; dergestalt, dass man nicht sagen kann, ob das Ich mehr activ oder pas- siv erscheine, indem fast stets beydes zugleich und nahe in gleichem Maasse Statt findet. Die innere Welt aber, oder die Welt der innern Wahrnehmung, ist in steter Fortbildung begriffen, und nach der Art ihrer Bildung höchst verschieden; sie erscheint anders dem Dichter, an- ders dem Philosophen, und beyden anders als dem schuldbewussten Sünder, oder als dem Tugendhaften, der sich in fromme Selbstbetrachtung versenkt. Jedesmal aber baut sie sich aus nach ähnlichen Formen wie die Aussenwelt; so dass auch in ihr das Ich wie ein umher- wandelnder Punct erscheint, dem bald diese bald jene Gegend in ihr mehr sichtbar wird; und will man sie zer- legen, so wird man finden, dass sie gerade so wie unsre Aussenwelt, aus Vorstellungsreihen besteht; mit dem Un- terschiede, dass in ihr die Gesetze der Wirksamkeit und Reizbarkeit dieser Reihen mehr selbstständig regieren, als in der Aussenwelt, in welche wir jeden Augenblick neue Vorstellungen aufnehmen müssen, weil unser Ver- hältniss zu dem, was wirklich ausser uns existirt, sich unaufhörlich ändert. Bey dieser Gränze wollen wir stehen bleiben. Nicht als ob die innere Wahrnehmung nicht in die Mechanik des Geistes gehörte. Unstreitig muss eine Zeit kommen, wo man auch das Verhältniss derjenigen Vorstellungs- Massen , die sich zu verschiedenen Zeiten unter ver- schiedenen Umgebungen und Umständen bildeten, auf synthetischem Wege vollständiger untersuchen wird, wie es auf analytische Weise geschehen kann. Vielleicht wird man selbst mit der Genauigkeit der Rechnung einige von den Gesetzen erkennen, nach welchen von den stär- keren und älteren jener Vorstellungsmassen die schwächern appercipirt werden; ähnlich der Aneignung neuer Wahr- nehmungen des äussern Sinnes durch die älteren Vor- stellungen, während wir anschauen, und das Angeschaute beurtheilen. Die Aufforderung, Untersuchungen dieser Art anzustellen, ist von der dringendsten Art; denn es kommt darauf an, die Bedingungen der Selbstbeherr- schung zu finden, von welcher offenbar die Appercep- tion des eignen Inneren die erste Voraussetzung ist. Es kommt darauf an, die praktische Vernunft zu er- gründen, welche man durch die praktische Philosophie allein noch nicht hinreichend kennen lernt. Denn die Vernunft ist kein blosses Sollen , sie ist auch ein wirk- liches Handeln ; sie vollzieht allemal in einigem Grade das, was sie gebietet; es bewegt sich allemal durch sie der innere Mensch, wenn er auch nur erschüttert, und nicht von der Stelle gerückt wird. Sollen aber die synthetischen Untersuchungen so weit fortgeführt werden: so müssen die Elemente, welche ich hier vortrug, erst geprüft, dann vollständiger ausgear- beitet werden. Diese Mühe, wer wird sie übernehmen? Ohne Zweifel der Erste, dem dies Buch begegnet, wenn er so viel Mathematik versteht, als nöthig ist, und wenn er sich in das Ganze meiner Lehre zu finden weiss. Al- lein damit pflegt es nach meinen Erfahrungen etwas lange zu dauern. Manchmal habe ich bemerkt, dass Zuhörer, die ungefähr auf dem Puncte standen, wohin ich den Leser jetzt geführt habe, nun erst irre wurden an dem Ich; nun erst bemerkten, mit welchem schwierigen Pro- bleme sie von Anfang an beschäfftigt gewesen waren; nun erst in die Stimmung des Nachdenkens geriethen, worin sie vom ersten Anfang an hätten seyn sollen. Wohl denen, die, wenn auch spät, doch wenigstens ir- gend einmal dazu gelangen, sich zum ernstlichen For- schen aufgeregt zu fühlen! Nun erst werden auch diejenigen Untersuchungen gelingen können, mit welchen sich das philosophische Publicum in den letzten Zeiten vergebens beschäff- tigt hat. Kant begann ein preiswürdiges Unternehmen, indem er den frühern Dogmatismus durch Kritik des Erkennt- nissvermögens, — das heisst: durch die Frage nach der Möglichkeit des Erkennens, — erschütterte, und neue Anstrengungen des Denkens hervorrief. Aber in so fern er damit ein neues System begründen wollte, fehlte es ihm selbst am Grunde und Boden. Dem starken Geiste fehlten die nothwendigen Hülfsmittel und Vorarbeiten. Es liegt mir ob, im zweyten Theile dieses Werks die Möglichkeit des Erkennens aus psychologischen Prin- cipien zu erklären und zu begränzen. Dort aber wird sich diese Absicht meiner Bemühungen vielleicht zu sehr unter den übrigen verlieren; daher, und um einigen Le- sern mehr Anknüpfungspuncte darzubieten, will ich hier noch anhangsweise einige Bemerkungen über die Kant - sche Lehre, sofern sie Kritik seyn soll, hinzufügen. Da- bey könnte ich mich auf den Erfolg berufen, und diesen gegen Kant gelten machen. Die Sätze, dass Räumliches und Zeitliches blosse Erscheinung, Substanzen und Ursa- chen nur unsre Gedanken, Einheit und Regierung der Welt nur Ideen der Vernunft seyen, haben bekanntlich die Nachfolger verleitet, sich die Welt a priori zu con- struiren; und sich in sich selbst zu versenken, um die Dinge wie sie sind, aus der Idee hervorgehen zu lassen. Diese ganz unkritische Art zu philosophiren setze ich fürs erste bey Seite, denn sie war nicht Kants Absicht, der vielmehr das Wissen vom Glauben trennen, und es auf Erfahrung beschränken wollte. Was aber mich eigent- lich beschäfftigt, das ist das Unkritische der Kants chen Kritik selbst. Kann man das Erkenntnissvermögen kritisiren, wenn man den Process des Erkennens ganz und gar ver- kennt? wenn man nicht einmal nach diesem Processe fragt; wenn man unterlässt, die Nachforschung auf ihn zu richten? „Was sind Raum und Zeit?“ So stellt Kant die Frage seiner transscendentalen Aesthetik. Er macht also den Raum und die Zeit zu Objecten seines Denkens. Kein Wunder, dass seine Antworten sich auf den Welt- raum beziehn, der übrig bleibt, wenn die Körper wegge- dacht werden; und auf die Zeit, worin die Weltbegeben- heiten geschehn; dergestalt, dass dieser Raum und diese Zeit die nothwendigen Voraussetzungen der Sinnenwelt selbst auszumachen scheinen. So wird das Leere dem Vollen vorausgeschickt; das Nichts wird zur Bedingung des Etwas. Gewiss die seltsamste und ungereimteste al- ler Täuschungen! In der That aber ist der Raum nur die Möglichkeit, dass Körper da seyen, und die Zeit nur die Möglichkeit, dass Begebenheiten geschehen. Diese Möglichkeiten las- sen sich nicht mehr ableugnen, nachdem einmal wirk- liche Körper wirklich als ein Räumliches, Ausgedehn- tes und Begränztes aufgefasst, und nachdem einmal wirkliche Begebenheiten als dauernd eine bestimmte Zeit, und als solche, die gerade nicht früher eintraten und nicht später endigten, sind vorgestellt worden. Gerade dasselbe gilt von allem, was sich jemals in der Wirklich- keit vorgefunden hat. Man denke einmal alle wirklichen Töne und Laute, alles Hörbare hinweg! Das kann man; aber die Möglichkeit, dass Töne gehört werden könnten, kann man nicht leugnen. Folglich bleiben auch alle Re- geln der Musik gerade so unwandelbar stehn, wie die Geometrie ohne Körperwelt. Das Verhältniss der Ter- zen, Quinten, Octaven; die Nothwendigkeit, den Leitton nach oben, die kleine Septime aber nach unten hin auf- zulösen, dies alles steht vest a priori , ob nun in diesem Augenblick wirkliche Saiten und Ohren vorhanden sind oder nicht. Desgleichen denke man alle Farben hinweg; aber die Möglichkeit der Farben kann man nicht leug- nen; folglich auch nicht den Satz, dass das Farbendrey- eck zwey Dimensionen, hingegen die Tonlinie nur eine Dimension habe. Nichts desto weniger beziehen sich alle diese Sätze auf vorausgesetzte Töne und Farben, die wirklich gehört und gesehen werden könnten; und eben so bezieht sich das Ausser-Einander auf irgend ein a und b , welches könnte eins hier und das andre dort seyn; und das Nach-Einander auf ein α und β , wovon eins früher und ein andres später kommen soll. Die Form der Zusammenfassung ist freylich losgerissen vom Zu- sammengefassten; sie ist über dasselbe hinaus, ins Un- endliche erweitert worden, weil die Erweiterung, nachdem sie einmal in Gang kam, durch keine Gränze aufgehal- ten wurde; das heisst, weil eine Unmöglichkeit des weitern Ausser- und Nach-Einander nirgends anfängt . Gerade so fanden wir oben das Ich losgeris- sen von allen individuellen Bestimmungen. Aber nichts desto weniger bezieht sich das Ich auf die Individualität, der Raum auf das Räumliche, die Zeit auf das Zeitliche; und die Kanti sche Untersuchung, die eher vom Raum als vom Räumlichen redet, behandelt die leere Form als eine Sache, zerreisst Beziehungspunct und Bezogenes; kehrt das Hinterste nach vornen, und klebt an nichtigen Hirngespinnsten. Was geschieht in mir, indem ich a , b , c , d neben und ausser einander denke ? Denn vom Anschauen mit dem leiblichen Auge ist hier nicht nöthig zu reden. Wel- che Modification erleidet mein Vorstellen des a dadurch, dass sich mit ihm das Vorstellen des b , c , d durch die Bestimmung verbindet, b liege zwischen a und c , und wiederum c zwischen b und d ? Warum ist mein Vorstellen im Uebergange von a zu d , oder von d zu a begriffen, und warum geschieht dieser Uebergang nicht sprungweise? Da alle diese Vorstellungen in mir sind, nehmen sie denn auch in mir einen Raum ein? Etwa so, wie die eingebildeten materialen Ideen, das heisst, Gehirn-Eindrücke, in verschiedenen Theilen der Gehirn- masse neben einander liegen sollten? Wenn dies eine lächerliche Hypothese ist, wie geht es denn zu, dass mein Vorgestelltes sich ausser einander, und reihenförmig dar- stellt, während doch die Acte des Vorstellens hiebey schlech- terdings nicht auseinander gerissen werden dürfen? Das sind die Fragen, die beantwortet werden müs- sen. Sie passen auf die Landkarte von Utopien eben so gut, als auf die von Europa; und, mit gehöriger Abän- derung auf die Zeit übertragen, eben so wohl auf die Geschichte von Udepoten, als auf die vom Erdball und vom Sonnensystem. Die Antworten darauf müssen eben so wohl die Raumvorstellungen des Hundes und des Ha- sen erklären, als die des Menschen, obgleich von den Thieren schwerlich jemand glauben wird, sie stellten Raum und Zeit als unendliche gegebene Grössen vor. Wo und wie irgend ein Räumliches oder Zeitliches ge- dacht, oder gedichtet, oder geträumt, oder gesehen, oder gefühlt, oder als Symbol gleichnissweise zur Erläuterung unsinnlicher Gegenstände gebraucht und gestaltet wird, in diesen und allen erdenklichen Fällen muss das Vorge- stellte darum geordnet auseinander treten, weil in dem Vorstellen ein geordnetes Streben ist, vermöge dessen jede kleinste Partial-Vorstellung alle die andern in be- stimmter Reihenfolge nach sich zieht, und in sie hinüber- fliesst. Zu erklären, wie dieses Streben und Wirken in die Vorstellungen komme , das war die Aufgabe; aber ein paar unendliche leere Gefässe hin- zustellen, in welche die Sinne ihre Empfindungen hinein- schütten sollten, ohne irgend einen Grund der Anord- nung und Gestaltung, das war eine völlig gehaltlose, nichtssagende, unpassende Hypothese. Eben so unkritisch war die Uebereilung, darum, weil Raum und Zeit Formen unseres Anschauens sind, zu be- haupten, sie wären nicht Formen der Auffassung un- sinnlicher Gegenstände, oder mit andern Worten, sie kämen den Dingen an sich nicht zu. Gerade umgekehrt! Dieselben Gründe, derentwegen das Farbige und das Fühlbare sich räumlich ordnet, kehren mit geringer Ver- änderung auch dort wieder, wo eine Mannigfaltigkeit des unsinnlichen Realen im zusammenfassenden Denken soll überschauet werden. Wir schauen freylich bloss mit den Sinnen, wenn Schauen eine formale Modification des Empfindens seyn soll. Aber die Form des Anschauens hat eine viel weitere Sphäre; sie ist Form des geordne- ten Zusammenfassens überhaupt, der Gegenstand sey wel- cher er wolle. Nur allein da, wo alle Zusammenfassung wegfällt; da, wo man das primitive Reale einzeln be- trachten will: hier gilt auch keine Form der Zusammen- fassung; hier müssen Raum und Zeit verneint werden. Räumliches und Zeitliches ist seinem Begriffe nach ein Relatives ; jedes Reale an sich betrachtet ist ein Ab- solutes ; darum, und aus keinem andern Grunde, ist das Reale an sich unzeitlich und unräumlich. Ungeachtet aller Mängel behält gleichwohl die Kant - sche transscendentale Aesthetik immer noch ihr grosses Verdienst durch die einfache Bemerkung, dass Raum und Zeit Formen des Vorstellens sind. Dasselbe Verdienst besitzt auch die transscendentale Logik in Ansehung der sogenannten Kategorien; indessen ist längst bemerkt wor- den, dass dieser Theil der Kants chen Lehre noch viel hohler und verworrener ist als jener. Man würde ein weitläufiges Werk schreiben müssen, um die ungeheure Masse von Fehlern aller Art, welche sich hier aufgehäuft findet, auseinander zu setzen; und niemals hat sich die Blindheit der Sectirer auffallender gezeigt, als an den Kantianern, die viele hundertmal diese Fehler nachge- betet, und der Welt als hohe Weisheit angepriesen ha- ben Die Starrheit mancher Kantianer ist so gross, dass sie als Grösse etwas Achtungswerthes bekommt. Auch haben diese Männer darin Recht, dass sie nicht mit den rüstigen Führern der Zeit vor- wärts eilen wollten; aber sehr unrecht, wenn sie vom Standpuncte Kants auch nicht weiter rückwärts gehen wollen. . Nichts in diesem ganzen Abschnitte der Ver- nunftkritik ist gesund; von dem eingebildeten Leitfaden zur Entdeckung der reinen Verstandesbegriffe, der in ei- ner falschen Tabelle der logischen Functionen bestehn soll, bis zu der dreisten und völlig grundlosen Behaup- tung einer Wechselwirkung aller Substanzen, wobey das Zugleichseyn der Dinge für eine objective Bestimmung derselben ausgegeben wird (als ob daraus, dass der Ju- piter im Zeichen der Zwillinge steht, und dort mit den Sternen dieses Zeichens zugleich wahrgenommen wird, ein Causalverhältniss zwischen diesem Planeten und jenen Fixsternen folgte), ist hier Alles leere System-Künsteley, und Mishandlung der wichtigsten metaphysischen Grund- begriffe. Von dieser meiner Behauptung, die ich im Nothfalle durch einen ausführlichen Commentar belegen werde, kann ich hier nur den einen Punct näher be- leuchten, welcher den obigen Fehlern der transscenden- talen Aesthetik analog ist. Was ist Einheit und Vielheit? Was Realität und Negation? Was Substanz und Ursache? Was Mög- lichkeit und Nothwendigkeit? Sind es leere Gefässe, auf- gestellt im menschlichen Verstande, in welche die Erfah- rung ihre Anschauungen hineinschütten und bunt durch einander werfen soll? Auf welche Anschauung (die als solche allemal positiv ist) passt die Kategorie der Nega- tion; und wann ist von irgend einem anschauenden We- sen ein Negatives unmittelbar wahrgenommen worden? Welche Substanz, in ihrem Gegensatze als letztes Subject gegen ihre Prädicate, Attribute und Accidenzen, und als Beharrliches gegen das Mancherley was an ihr wechselt, ist jemals ins Reich der Erscheinungen einge- treten? Welche Kraft hat je die Nothwendigkeit, womit aus ihr die Wirkung folgt, den Sinnen dargeboten? Welche Möglichkeit, in ihrem Gegensatze gegen das Wirkliche, hat jemals ihren Platz mitten unter den Er- fahrungen, die als solche lauter Wirklichkeiten sind, ein- genommen und behauptet? — Wenn nun die Anschau- ung, unmittelbar und für sich allein, ganz unfähig ist, sich der zu ihr gehörigen Kategorien zu bemächtigen: wie kommen denn diese dazu, sich jener zu bemächti- gen? Durch den Verstand? Also hat der Verstand die Realität früher als das Reale, die Substantialität früher als bestimmte Substanzen, die Causalität eher als be- stimmte Ursachen, die Wirklichkeit eher als wirkliche Dinge! Gerade so hatte die Sinnlichkeit eher die leeren Undinge, Raum und Zeit, als das Räumliche und das Zeitliche! Aber Realität, Substantialität, Wirklichkeit u. s. f., sind nichts als abstracte, und, wie die Geschichte der Metaphysik bezeugt, sehr dunkle Begriffe, die, wenn sie zu den Anschauungen gleichsam als eine fremde Zu- that hinzukämen, ihnen den sehr schlechten Dienst lei- sten würden, sie zu verfinstern und zu verwirren, anstatt sie zu ordnen und verständlich oder verständig zu ma- chen. Ist der Verstand ein Vermögen, die Anschauun- gen zu verderben? Ihrer Klarheit ein trübes Element bey- zumischen? Dass für ihn zu fürchten sey, er werde im Vergleich mit der Sinnlichkeit verlieren, scheint Kant gefühlt zu haben; denn sonst lag ihm die Versuchung sehr nahe, seine transscendentale Logik und Aesthetik ganz analog und parallel abzufassen. Den bekannten vier Sätzen der metaphysischen Erörterung über Raum und Zeit wären dann folgende vier Behauptungen gegenüber getreten: 1) Damit gewisse Empfindungen als Attribute auf eine Substanz, als Wirkungen auf eine Kraft u. s. w. bezogen werden, dazu müssen die Vorstellungen von Sub- stanz, Kraft u. s. f., schon zum Grunde liegen. 2) Substanz, Kraft, Reales, Nothwendiges u. s. f., sind nothwendige Vorstellungen a priori. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, dass gar Nichts sey und wirke, obgleich man sich ganz wohl den- ken kann, dass jedes einzelne Ding, jede einzelne Thä- tigkeit aufgehoben würde. 3) Substanz, Realität, Kraft u. s. w., sind keine dis- cursiven, allgemeinen Begriffe, sondern reine Anschauun- gen. Denn erstlich kann man sich nur eine einzige Sub- stanz vorstellen; und wenn man von vielen Substanzen redet, so verstehet man darunter nur Theile einer und der- selben alleinigen Substanz. Diese Theile können auch nicht vor der einigen allbefassenden Substanz gleichsam als deren Bestandtheile (daraus ihre Zusammensetzung mög- lich lich sey), vorhergehen, sondern nur in ihr gedacht wer- den. Sie ist wesentlich einig; das Mannigfaltige in ihr, mithin auch der allgemeine Begriff von Substanzen über- haupt, beruhet lediglich auf Einschränkungen. Hieraus folgt, dass in Ansehung ihrer eine Anschauung a priori allen Begriffen von derselben zum Grunde liegt. So wer- den auch alle naturphilosophische Grundsätze, z. E. dass alle Substanzen in der Welt in Wechselwirkung stehn, niemals aus allgemeinen Begriffen von Substanz und Welt, sondern aus der Anschauung, und zwar a priori , mit apo- dictischer Gewissheit abgeleitet. 4) Die Substanz wird als eine unendliche gegebene Grösse vorgestellt. Diese Unendlichkeit bedeutet Nichts weiter, als dass alle bestimmte Grösse von Substanzen nur durch Einschränkungen einer einzigen zum Grunde liegenden Substanz möglich sey. Daher muss die ur- sprüngliche Erkenntniss der Substanz als uneingeschränkt gegeben seyn. Wer Kants Kritik aufschlägt, wird sehn, dass ich hier mit geringer Veränderung wörtlich abgeschrieben habe. In diesen Sätzen spiegelt sich aber die heutige so- genannte Naturphilosophie so klar, dass Niemand mir die veränderte Lesart als meine Erfindung zurechnen wird. Nun hat Kant , obgleich er die Symmetrie, die er hier so leicht erlangen konnte, nur gar zu sehr liebte, doch nicht für gut befunden, sich selbst in der Lehre von den Kategorien also abzuschreiben. Er lässt es sich vielmehr eine saure Mühe kosten, seine Kategorien als Formen der Verknüpfung darzustellen, wodurch das Mannigfaltige der Erfahrung , nicht bloss so, wie es in der Zeit zufällig zusammenkomme, sondern wie es in der Zeit objectiv sey, zu einer Erkenntniss von Objecten zusammentrete. Die Substantialität ist daher bey ihm keine Substanz, die Realität kein Reales, die Causalität keine Kraft, sondern es sollen erst Substanzen, reale Ge- genstände, Kräfte u. s. w., in der zeitlichen Erfahrung ge- funden werden; und nach seiner ausdrücklichen Versiche- I. B b rung „hat die Kategorie keinen andern Gebrauch zur Er- kenntniss der Dinge, als ihre Anwendung auf Gegen- stände der Erfahrung.“ Kant sahe also ein, dass in Ansehung der wahren Bedeutung der Kategorien alles auf die Frage ankomme: wie bildet sich unsre Erfahrung ? Wenn er nun dies einsah: wie mag es zugegan- gen seyn, dass er in einer so wichtigen Untersuchung die einfachsten Zeugnisse der Erfahrung selbst überhörte? Es ist nämlich klare Thatsache: dass in Anse- hung des Gebrauchs, den wir von den Katego- rien zu machen haben, die Erfahrung noch bey weitem nicht vollständig bestimmt, dass sie nichts Fertiges, sondern im Werden und im Schwanken begriffen ist . Das Universum, ist es Eins ? Oder ist die Welt nur eine Summe von ursprünglich Vielem ? Darüber ist Streit! Das geistige Erdenleben des Menschen, ist es eine Realität , oder eine Negation , und blosse Ein- schränkung eines höheren Daseyns. Darüber ist Streit! Die Imponderabilien, Licht, Wärme, Elektricität u. s. w., ja die Seele selbst, sind es Substanzen oder Acci- denzen ? Darüber ist Streit! Die sogenannten freyen Handlungen der Menschen, sind sie zufällig oder noth- wendig ? Darüber ist Streit! Wie sollen diese Streitfragen zu ihrer Beantwortung gelangen? Durch die Kategorien? Allerdings müsste es so geschehen, wenn dieselben den vollständigen Grund ihrer Anwendung auf Erfahrungsgegenstände in sich selbst enthielten. Warum aber, wenn die Kategorien in jedem menschlichen Verstande, die nämlichen, wenn die Ver- fahrungsarten und Gesetze des Verstandes in uns Allen die gleichen sind, warum finden wir nicht alle die Be- antwortung dieser Fragen auf gleichlautende Weise? Ohne Zweifel darum, weil weder unser Nachdenken voll- endet, noch unsre Wahrnehmung und Beobachtung voll- ständig ist. Noch weit weniger vollendet ist die Erfahrung des gemeinen Mannes, so wie er sie sich denkt. Er empfin- det jeden Augenblick Wärme oder Kälte; aber die Fra- gen: Ist die Wärme eine Substanz? Muss man die Kälte als blosse Negation der Wärme, oder umgekehrt die Wärme als Aufhebung der Kälte betrachten ? — Diese Fragen fallen ihm nicht ein. Er hält von Jugend auf das Wasser für eine Substanz; aber bey weiterer Ausbildung lässt er sich geduldig belehren das Wasser sey nur eine Verbindung des Eises mit der Wärme, das Eis aber nur eine Form, wie Sauerstoff und Wasserstoff verbunden sich in der Erscheinung dar- stellen. Seine Kategorien haben ihn nicht belehrt, und widersetzen sich der Belehrung nicht; sie verhalten sich bloss passiv! Die kritische Untersuchung des Verstandes, was will sie nun eigentlich wissen? Die Anzahl der ursprünglich vorhandenen Kategorien? Angenommen, es gäbe der- gleichen ursprüngliche Denkformen wirklich: so sind die- selben für sich allein nur leere Begriffe, aber kein wirk- liches Denken und Erkennen; dasjenige aber, was wir kritisiren wollten, um es besser zu leiten, war eben das wirkliche Erkennen. Die Bewegung , welche in uns vorgeht, während wir denken, die Aufregung , die Er- regbarkeit selbst, welche dabey vorausgesetzt wird, diese musste untersucht werden. Hat aber diese Bewegung bestimmte Gesetze, denen sie mit Nothwendigkeit folgt: so können auch die Kate- gorien Erzeugnisse des Denkens seyn; und zwar un- vollendete Erzeugnisse eines noch weiter fortzu- setzenden Denkens. Die Nothwendigkeit, welche eini- gen Lehrsätzen über dieselben beywohnt, ist alsdann zwar nicht empirisch, sondern a priori ; jedoch auf eine Weise, die mit präformirten Begriffen nicht die geringste Aehn- lichkeit hat. Hierüber schweigen aber die Argumente der Kants chen Schule gänzlich, und das ist sehr natürlich, denn sie hat vom Mechanismus des Denkens keine Kenntniss. Kant dachte sich seine Kritik als Propädeutik zu einem künftigen System. Hinwiederum seine Lehre von den Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes sollte die Vorbereitung ausmachen zur Kritik der Vernunft im engern Sinne. Allein ich glaube jetzt hinreichend gezeigt zu haben, dass noch etwas ganz anderes, nämlich die Hauptansichten der Statik und Mechanik des Geistes, vor- ausgehn müssen, wenn selbst das, was Kant als seine Elementarlehre betrachtete, zum Gegenstande einer gründ- lichen Untersuchung soll gemacht werden. Im Allgemei- nen hat man längst erkannt, dass der Kants chen Kritik irgend etwas vorangeschickt werden müsse. Aber man wird sich nicht verhehlen können, dass Reinhold, Fichte und Schelling sich in ihren Bemühungen, die Kant - schen Untersuchungen besser zu begründen, sehr weit von diesem Gegenstande entfernten; während Fries, Krug u. a. der Darstellung ihres Meisters so nahe blie- ben, dass eigentlich nur die Form des Vortrags geändert wurde. Die deutsche Philosophie befindet sich nun noch immer in einer solchen Lage, dass Kants Schriften die Hauptwerke sind, welche Jeder lesen muss, um sich zu orientiren; dass also auch der Gang, welchen Kant ein- mal eingeschlagen hat, eine ganz entschiedene historische Wichtigkeit behauptet, wie man auch übrigens darüber urtheilen möge. Daher können wir diese Lehren von den Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes weder bey Seite setzen, noch sie mit allen ihren Fehlern so lassen wie sie sind; es bleibt nichts anderes übrig, als sie ge- nauer zu prüfen. Wollen nun einige Leser dieses Buchs sich vorläufig selbst versuchen, ob sie aus dem, was hier vorgetragen worden, sich Rechenschaft über den Ursprung unserer Vorstellungen von Raum, Zeit, und den Katego- rien herleiten können: so wird dies für sie eine zweck- mässige Vorbereitung auf den zweyten Theil dieses Werks seyn; obgleich meine Absicht, indem sie die ganze Psy- chologie umfasst; sich beträchtlich weiter erstreckt. Durch Fichte , und ganz unstreitig schon durch sei- nen nen Vorgänger Kant , war die Philosophie auf den Weg des Idealismus gerathen; hier stand ihr ein theoretischer, höchst durchgreifender Irrthum im Wege, und sie konnte nicht von der Stelle kommen. Später sind die Dinge des Wissens und des Glaubens, die Kant sorgfältig geschie- den hatte, wieder durch einander gemengt worden; daher ist der Untersuchungsgeist gelähmt; der Nebel der My- stik hat sich überall ausgebreitet; und die Philosophie liegt wiederum still. Den Idealismus zerstört die Unter- suchung über das Ich, schon in der noch unvollendeten Gestalt, wie ich sie hier (mit dem Vorbehalte, sie im zweyten Theile dieses Werkes wieder aufzunehmen) fürs erste liegen lasse. Damit die Mystik sich von der Wis- senschaft zurückziehe, braucht nur die Verbindung zwi- schen Mathematik und Philosophie, die ich hier wieder angeknüpft habe, gehörig benutzt zu werden. Daher schliesse ich diesen Theil mit der Ueberzeugung, schon jetzt das Nothwendige geleistet zu haben, um die Wis- senschaft von ihren Hindernissen zu befreyen. Nur guter Wille muss hinzukommen; diesen kann ich nicht schaf- fen, ich kann ihn nur wünschen, nicht mir sondern der Wissenschaft. Wenn man nicht nachdenken will , so gehn nicht bloss meine Bemühungen verloren, sondern jeder Andere, der Aehnliches versucht, wird gleiches Schicksal haben. Glaubt dies heutige Geschlecht, es dürfe nur mit alten Formen und Gebräuchen auch alte Meinungen und Irrthümer wieder auf die Bahn bringen; versinkt es in den Wahn von einer goldenen alten-Zeit, die Einige in die Jahre unserer Väter, Andre ins Mittel- alter, noch Andre in eine vorhistorische Periode hinein- dichten; kennt es keine andre Weisheit als den Empi- rismus, und liebt es kein geistiges Wohlseyn ausser Träu- men und Ahnungen: so wird der psychologische Mecha- nismus, der in der Weltgeschichte wie im Einzelnen wirkt, die nächsten Jahrhunderte so fortführen, wie er die vorhergehenden geführt hat; man wird abwechselnd von Freyheit und von Gesetzmässigkeit reden, und weder Eins I. C c noch das Andere erreichen; die Literatur wird die Biblio- theken sprengen; aber aus allem Schreiben und Lesen, ja aus allem Beobachten und Versuchen wird kein wah- res Wissen hervorgehn. Einer spätern Zeit aber ist es alsdann vorbehalten, sich das Licht, was man hatte aus- gehn lassen, noch einmal anzuzünden. Was geschehen kann, das geschieht irgend einmal gewiss. Dem mensch- lichen Geiste ist es möglich, seine wahre Natur zu er- kennen; darum wird er sie erkennen; alsdann werden die Wege des Lebens sich erhellen; der Mensch wird wis- sen was er thut, er wird seine Kräfte nutzen, und nicht mehr blindlings sein Heil zerstören. Gedruckt bey August Wilhelm Schade , in Berlin .