L eben der S chwedischen G räfinn von G *** Erster Theil. Leipzig , bey Johann Wendler . 1747. V ielleicht würde ich bey der Erzäh- lung meines Geschlechts eben so beredt oder geschwätzig als andere seyn, wenn ich anders viel zu sagen wüßte. Meine Aeltern sind mir in den zartesten Jahren gestorben, und ich habe von mei- nem Vater, einem Liefländischen von Adel, weiter nichts erzählen hören, als daß er ein rechtschaffner Mann gewesen ist, und wenig Mittel besessen hat. Mein Vetter, der auch ein Landedel- mann war, doch in seiner Jugend studi- ret hatte, nahm mich nach meines Va- ters Tode zu sich auf sein Landgut, und erzog mich bis in mein sechzehntes Jahr. Jch habe die Worte nicht vergessen kön- nen, die er einmal zu seiner Gemahlinn sagte, als sie ihn fragte, wie er es künf- tig mit meiner Erziehung wollte gehalten A 2 wissen. Leben der Schwedischen wissen. Vormittage, fieng er an, soll das Fräulein als ein Mann, und Nachmit- tage als eine Frau erzogen werden. Mei- ne Muhme hatte mich sehr lieb, zumal weil sie keine Tochter hatte, und sie sah es gar nicht gern, daß ich, wie ihre jungen Herren die Sprachen und andre Pedante- reyen, wie sie zu reden pflegte, erlernen sollte. Sie hätte mich dieser Mühe gern überhoben; allein ihr Gemahl wollte nicht. Fürchten sie sich nicht, sprach er zu ihr, das Fräulein lernt gewiß nicht zu viel. Sie soll nur klug und gar nicht gelehrt werden. Reich ist sie nicht, also wird sie niemand als ein vernünftiger Mann nehmen. Und wenn sie diesem gefallen, und das Leben leicht machen helfen soll: so muß sie klug, gesittet und geschickt wer- den. Dieser rechtschaffene Mann hat kei- ne Kosten an mir gesparet; Und ich wür- de gewiß noch etliche Jahre eher vernünf- tig geworden seyn, wenn seine Frau eini- ge Jahre eher gestorben wäre. Sie hat mich Gräfinn von G ** mich zwar in Wirthschaftssachen gar nicht unwissend gelassen; allein sie setzte mir zu gleicher Zeit eine Liebe zu einer solchen Ga- lanterie in den Kopf, bey der man sehr glück- lich eine stolze Närrinn werden kann. Da- mit sie etwas zu putzen hätte, so hat sie sich oft in ihr Zimmer mit mir verschlossen, und mir die schönsten Kleider und den größten Schmuck angeleget, mich vor den Spie- gel geführt, und mir hundertmal gesagt, daß ich recht englich aussähe. Wenn dieses geschehen war, so kleidete sie ihren Engel zum Zeitvertreibe wieder aus. Jch war freylich damals noch nicht alt; allein ich war alt genug, eine Eitelkeit an mich zu nehmen, zu der unser Geschlecht recht versehn zu seyn scheinet. Aber zu meinem Glücke starb meine Frau Base, ehe ich noch zehn Jahre alt war, und gab mei- nem Vetter durch ihren Tod die Freyheit, mich desto sorgfältiger zu erziehen, und die übeln Eindrücke wieder auszulöschen, wel- che ihr Umgang und ihr Beyspiel in mir A 3 gemacht Leben der Schwedischen gemacht hatten. Jch hatte von Natur ein gutes Herz, und er durfte also nicht sowohl wider meine Neigungen streiten, als sie nur ermuntern. Er lieh mir sei- nen Verstand, mein Herz recht in Ord- nung zu bringen, und lenkte meine Be- gierde zu gefallen nach und nach von solchen Dingen, die das Auge ein- nehmen, auf diejenigen, welche die Ho- heit der Seele ausmachen. Er sah, daß ich wußte, wie schön ich war; um desto mehr lehrte er mich den wahren Werth eines Menschen kennen, und an sol- chen Eigenschaften einen Geschmack fin- den, die mehr durch einen geheimen Bey- fall der Vernunft und des Gewissens, als durch eine allgemeine Bewunderung be- lohnet werden. Man glaube ja nicht, daß er eine hohe und tiefsinnige Philosophie mit mir durchgieng. O nein, er brachte mir die Religion auf eine vernünftige Art bey, und überführte mich von den gros- sen Vortheilen der Tugend, welche sie uns Gräfinn von G** uns in iedem Alter, in iedem Stande, im Glücke und Unglücke, im Tode, und nach diesem Leben bringt. Er hatte die Ge- schicklichkeit, mir alle diese Wahrheiten nicht so wohl in das Gedächtniß, als in den Verstand zu prägen. Und diesen Be- griffen, die er mir beybrachte, habe ichs bey reifern Jahren zu verdanken gehabt, daß ich die Tugend, nie als eine beschwer- liche Bürde, sondern als die angenehm- ste Gefährtinn betrachtet habe, die uns die Reise durch die Welt erleichtern hilft. Jch glaube gewiß, daß die Religion, wenn sie uns vernünftig und gründlich beyge- bracht wird, unsern Verstand eben so vor- trefflich aufklären kann, als sie unser Herz verbessert. Und viele Leute würden mehr Verstand zu den ordentlichen Geschäften des Berufs und zu einer guten Lebensart haben, wenn er durch den Unterricht der Religion wäre geschärft worden. Jch durfte meinem Vetter nichts auf sein Wort glauben, ja er befahl mir in Dingen, die A 4 noch Leben der Schwedischen noch über meinen Verstand waren, so lan- ge zu zweifeln, bis ich mehr Einsicht be- kommen würde. Mit einem Worte, mein Vetter lehrte mich nicht die Weisheit, mit der wir in Gesellschaft prahlen, oder wenn es hochkömmt, unsere Ehrbegier- de einige Zeit stillen, sondern die von dem Verstande in das Herz dringt, und uns gesittet, liebreich, großmüthig, gelassen, und im stillen ruhig macht. Jch würde nichts anders thun, als beweisen, daß mein Vetter seine guten Absichten sehr schlecht bey mir erreicht hätte, wenn ich mir alle diese schönen Eigenschaften beyle- gen, und sie als meinen Charakter den Lesern aufdringen wollte. Es wird am besten seyn, wenn ich mich weder lobe noch tadele, und es auf die Gerechtigkeit der Leser ankommen lasse, was sie sich aus meiner Geschichte für einen Begriff von meiner Gemüthsart machen wollen. Jch fürchte, wenn ich meine Tugenden und Schwachheiten noch so aufrichtig be- stimmte, Gräfinn von G** stimmte, daß ich doch dem Verdachte der Eigenliebe oder dem Vorwurfe einer stol- zen Demuth nicht würde entgehen kön- nen. Jch war sechzehn Jahre alt, da ich an den Schwedischen Grafen von G. verhey- rathet wurde. Mit dieser Heyrath gieng es folgender massen zu. Der Graf hatte in dem Liefländischen Güter, und zwar la- gen sie nahe an meines Vaters Rittersitze. Das Jahr vor meiner Heyrath hatte der Graf nebst seinem Vater eine Reise aus Schweden auf diese Güter gethan. Er hatte mich etlichemal bey meinem Vetter gesehen und gesprochen. Jch hatte ihm gefallen, ohne mich darum zu bestreben. Jch war ein armes Fräulein; wie konnte ich also auf die Gedanken kommen, einen Grafen zu fesseln, der sehr reich, sehr wohlgebildet, angesehen bey Hofe, schon ein Obrister über ein Regiment, und viel- leicht bey einer Prinzeßinn willkommen A 5 war? Leben der Schwedischen war? Doch daß ich ihm nicht habe ge- fallen wollen, ist unstreitig mein Glück gewesen. Jch that gelassen und frey ge- gen ihn, weil ich mir keine Rechnung auf sein Herz machte, an statt daß ich vielleicht ein gezwungenes und ängstliches Wesen an mich genommen haben würde, wenn ich ihm hätte kostbar vorkommen wollen. Jn der That gefiel er mir im Herzen sehr wohl; allein so sehr ich mir ihn heimlich wünschen mochte: so hielt ichs doch für unmöglich, ihn zu besitzen. Nach einem Jahre schrieb er an mich, und der ganze Jnnhalt seines Briefs be- stund darinn, ob ich mich entschließen könnte, seine Gemahlinn zu werden, und ihm nach Schweden zu folgen. Sein Herz war mir unbeschreiblich angenehm, und die großmüthige Art, mit der er mirs anboth, machte mirs noch angenehmer. Es giebt eine gewisse aufrichtige Art, ei- nem zu sagen, daß man ihn liebt, welche ganz Gräfinn von G** ganz bezaubernd ist. Der Verstand thut nicht viel dabey, sondern das Herz redet meistens allein. Vielleicht wird man das, was ich sagen will, am besten aus seinem Briefe selber erkennen: Mein Fräulein, Jch liebe Sie. Erschrecken Sie nicht über dieses Bekenntniß, oder wenn Sie ja über die Dreistigkeit, mit der ichs Jh- nen thue, erschrecken müssen: so beden- ken Sie, ob dieser Fehler nicht eine Wir- kung meiner Aufrichtigkeit seyn kann. Las- sen Sie mich ausreden, liebstes Fräulein. Doch was soll ich sagen? Jch liebe Sie, dieß ist es alles. Und ich habe Sie von dem ersten Augenblicke an geliebet, da ich sie vor einem Jahre gesehen und gespro- chen habe. Jch gestehe Jhnen aufrichtig, daß ich mich bemüht habe, Sie zu ver- gessen, weil es die Umstände in meinem Vaterlande verlangten; aber alle meine Mühe ist vergebens gewesen, und hat zu nichts Leben der Schwedischen nichts gedienet, als mich von der Gewiß- heit meiner Liebe und von ihren Verdien- sten vollkommner zu überzeugen. Jst es möglich, werden Sie durch meine Zärt- lichkeit beleidiget? Nein, warum sollte Jhnen die Liebe eines Menschen zuwider seyn, dessen Freundschaft Sie sich haben gefallen lassen. Aber werden Sie es auch gelassen anhören, wenn ich Jhnen mein Herz noch deutlicher entdecke? Darf ich wohl fragen, ob Sie mir Jhre Liebe schenken, ob Sie mir als meine Gemah- linn nach Schweden folgen wollen? Sie sind zu großmüthig, als daß Sie eine Frage unbeantwortet lassen sollten, von deren Entscheidung meine ganze Zufrie- denheit abhängt. Ach liebste Freundinn, warum kann ich nicht den Augenblick er- fahren, ob ich Jhrer Gewogenheit wür- dig bin, ob ich hoffen darf? Ueberlegen Sie, was Sie, ohne den geringsten Zwang sich anzuthun, einem Liebhaber antwor- ten können, der in der Zärtlichkeit und Hoch- Gräfinn von G ** Hochachtung gegen Sie seine größten Verdienste sucht. Jch will Jhr Herz nicht übereilen. Jch lasse Jhnen zu Jhrem Entschlusse so viel Zeit, als Sie verlan- gen. Doch sage ich Jhnen zugleich, daß mir jeder Augenblick zu lang werden wird, bis ich mein Schicksal erfahre. Wie in- ständig müßte ich Sie nicht um Jhre Lie- be bitten, wenn ich bloß meiner Empfin- dung und meinen Wünschen folgen woll- te! Aber nein, es liegt mir gar zu viel an Jhrer Liebe, als daß ich sie einem andern Bewegungsgrunde, als Jhrer freyen Einwilligung zu danken haben wollte. So entsetzlich mir eine unglückliche Nachricht seyn wird: so wenig wird sie doch meine Hochachtung und Liebe gegen Sie ver- ringern. Sollte ich deswegen ein liebens- würdiges Fräulein hassen können, weil sie nicht Ursachen genung findet, mir ihr Herz auf ewig zu schenken? Nein, ich werde nichts thun, als fortfahren, Sie, meine Freundinn, hochzuschätzen, und mich über Leben der Schwedischen über mich selbst beklagen. Wie sauer wird es mir, diesen Brief zu schliessen! Wie gern sagte ich Jhnen noch hundert- mal, daß ich Sie liebe, daß ich Sie un- aufhörlich liebe, daß ich in Gedanken auf Jhre geringste Mine bey meinem Bekennt- nisse Achtung gebe, aus Begierde etwas vortheilhaftes für mich darinn zu finden. Leben Sie wohl. Ach liebstes Fräulein, wenn wollen Sie mir antworten? Der Vater des Grafen hatte zugleich an meinen Vetter geschrieben. Kurz, ich war die Braut eines liebenswürdigen Grafen. Jch wollte wünschen, daß ich sagen könnte, was von der Zeit an in meinem Herzen vorgieng. Jch hatte noch nie geliebt. Wie unglaublich wird dieses Bekenntniß vielen von meinen Leserinnen vorkommen! Sie werden mich deswe- gen wohl gar für einfältig halten, oder sich einbilden, daß ich weder schön, noch empfindlich gewesen bin, weil ich in mei- nem Gräfinn von G ** nem sechzehnten Jahre nicht wenigstens ein Dutzend Liebeshändel zählen konnte. Doch ich kann mir nicht helfen. Es mag nun zu meinem Ruhme, oder zu meiner Schande gereichen: so kann man sich dar- auf verlassen, daß ich noch nie geliebet hat- te, ob ich gleich mit vielen jungen Manns- personen umgegangen war. Nunmehr aber fieng mein Herz auf einmal an zu em- pfinden. Mein Graf war zwar auf et- liche vierzig Meilen von mir entfernt; al- lein die Liebe machte mir ihn gegenwärtig. Wo ich stand, da war er bey mir. Es war nichts schöners, nichts vollkomm- ners, als er. Jch wünschte nichts als ihn. Jch fieng oft mit ihm an zu reden. Er erwies mir in meinen Gedanken aller- hand Liebkosungen, und ich weigerte mich mit einer verschämten Art, sie anzu- nehmen. Vielen wird dieses lächerlich vorkommen, und ich habe nicht viel dar- wider einzuwenden. Eine unschuldige, eine recht zärtliche Braut ist in der That eine Leben der Schwedischen eine Creatur aus einer andern Welt, die man nicht ohne Erstaunen betrachten kann. Jhr Vornehmen, ihre Sprache, ihre Mi- nen, alles wird zu einem Verräther ihres Herzens, ie sorgfältiger sie es verbergen will. Jch aß und trank viele Wochen nicht, und ich blühete doch dabey. Jch sage es im Ernste, daß ich glaube, die Liebe kann uns einige Zeit erhalten. Jch ward viel reizender, als ich zuvor gewe- sen war. Mein Vetter machte sich nunmehr mit mir auf die Reise nach Schweden. Es begleiteten mich verschiedene junge Herren und Fräuleins einige Meilen, und der Ab- schied von ihnen ward mir gar nicht sauer. Unsere Reise gieng glücklich von statten; Und es ist mir auf einem Wege von etlichen vierzig Meilen nicht das geringste be- gegnet. Meine Leser die viel Romane und Heldenbücher gelesen haben, wer- den mit dieser Nachricht gar nicht zufrie- den Gräfinn von G ** den seyn. Hätte mich nicht einer von den jungen Herren, die mich begleiteten, entführen, und eine kleine Verwirrung in meiner Geschichte anrichten können? Jch war ja schön, und wie die Leute sagten, recht sehr schön; und ich bin auf einem so weiten Wege nicht ein einzigmal entführet worden? Jst dieses wohl glaublich? Oder ist es vielleicht mit meinen Annehmlichkei- ten nicht so gewiß gewesen? Jch will mir diese Vorwürfe gern machen lassen. Ge- nug, ich bin nicht entführet worden, und ich würde mit einer solchen Verwegenheit eines verliebten Räubers sehr übel zufrie- den gewesen seyn; denn mir ward ohnedieß jeder Augenblick bis zum Anblicke mei- nes Grafen zu lang. Jch kam also, wie ich gesagt habe, in Begleitung meines Vetters glücklich auf dem Landgute des Grafen an. Jch fand ihn viel liebenswürdiger, als er mir vor einem Jahre vorgekommen war. Man Erster Theil. B darf Leben der Schwedischen darf sich darüber gar nicht verwundern. Damals wußte ich noch nicht, daß er mich liebte; itzt aber wußte ichs. Eine Person wird gemeiniglich in unsern Augen voll- kommener und verehrungswürdiger, wenn wir sehen, daß sie uns liebt. Und wenn sie auch keine besondere Vorzüge hätte: so ist ihre Neigung zu uns die Vollkommen- heit, die wir an ihr hochschätzen. Denn wie oft lieben wir nicht uns in andern? Und wo würde die Beständigkeit in der Liebe herkommen, wenn sie nicht von un- serm eigenen Vergnügen unterhalten würde? Mein Bräutigam, mein lieber Graf, erwies mir bey meiner Ankunft die ersinn- lichsten Liebkosungen; und ich glaube nicht, daß man glückseliger seyn kann, als ich an seiner Seite war. Unser Beylager wur- de ohne Gepränge, mit einem Worte, sehr stille, aber gewiß sehr vergnügt vollzogen. Manches Fräulein wird diese beyden Stü- cke Gräfinn von G ** cke nicht zusammen reimen können. Dem zu gefallen muß ich eine kleine Beschrei- bung von meinem Beylager machen. Jch war etwan acht Tage in Schweden, und hatte mich völlig von der Reise wieder er- holet, als mein Graf mich bat, den Tag zu unserer Vermählung zu bestimmen. Jch versicherte ihn, daß ich die Ehre, seine Ge- mahlinn zu heissen, nie zu zeitig erlangen könnte; doch würde mir kein Tag angeneh- mer seyn, als der, den er selber dazu ernennen würde. Wir setzten, ohne uns weiter zu berathschlagen, den folgenden Tag an. Er kam des Morgens zu mir in mein Zim- mer, und fragte mich, ob ich noch entschlos- sen wäre, heute seine Gemahlinn zu wer- den. Jch antwortete ihm mit halb nieder- geschlagenen Augen und mit einem freu- digen und beredten Kusse. Jch hatte nur einen leichten, aber wohl ausgesuchten Anzug an. Sie gefallen mir vortrefflich in diesem Anzuge, fieng der Graf zu mir an. Er ist nach ihrem Körper gemacht, B 2 und Leben der Schwedischen und sie machen ihn schön. Jch dächte, sie legten heute keinen andern Staat an. Wenn ich ihnen gefalle, mein lieber Graf, versetzte ich: so bin ich schön genug angeputzt. Jch war also in meinem Brautstaate, ohne daß ichs selber gewust hatte. Wir redten den ganzen Morgen auf das zärtlichste mit einander. Jch trat endlich an das Clavecin, und spielte eine halbe Stunde, und sang auf Verlangen meines Grafen und meines eigenen Her- zens dazu. Auf diese Art kam der Mit- tag herbey. Der Vater meines Grafen (denn die Mutter war schon lange gestor- ben, und die einzige Schwester auch) kam nebst meinem Vetter zu uns. Sie statte- ten ihren Glückwunsch ab, und sagten, daß der Priester schon zugegen wäre. Wir giengen darauf herunter in das Ta- felzimmer. Die Trauung ward sehr bald vollzogen, und wir setzten uns zur Tafel, nämlich wir viere und der Priester. Die Tafel war etwan mit sechs oder acht Gerich- Gräfinn von G ** Gerichten besetzt. Dieses war die Anstalt zu meiner Vermählung. Sie wird man- cher Braut lächerlich und armselig vor- kommen. Gleichwohl war ich sehr wohl damit zufrieden. Jch war ruhig, oder besser zu reden, ich konnte recht zärtlich unruhig seyn, weil mich nichts von dem rauschenden Lärmen störte, der bey den gewöhnlichen Hochzeitfesten zur Quaal der Vermählten zu seyn pflegt. Nach der Tafel fuhren wir spatzieren, und zwar zu dem Herrn R ‒‒ der meinen Gemahl auf seinen Reisen begleitet hatte, und itzt auf einem kleinen Landgute etliche Meilen von uns wohnte. Mein Gemahl liebte diesen Mann ungemein. Hier bringe ich ihnen, fieng er zu ihm an, meine liebe Gemahlinn. Jch habe mich heute mit ihr trauen lassen. Jst es nicht wahr, ich habe vortrefflich gewählet? Sie sollen ein Zeuge von meinem und ihrem Vergnügen seyn; kommen sie, und begleiten sie uns wieder zurück. Wir fuhren also in seiner B 3 Gesell- Leben der Schwedischen Gesellschaft wieder auf unser Landgut zu- rück, ohne uns aufzuhalten. Kurz, der Abend verstrich eben so vergnügt, als der Mittag. Jtzt wundere ich mich, daß ich meinen Gemahl noch nicht beschrieben habe. Er sah bräunlich im Gesichte aus, und hatte ein Paar so feurige und blitzende Augen, daß sie einem eine kleine Furcht ein- jagten, wenn man sie allein betrachtete. Doch seine übrige Gesichtsbildung wuß- te dieses Feuer so geschickt zu dämpfen, daß nichts als Großmuth und eine leb- hafte Zärtlichkeit aus seinen Minen hervorleuchtete. Er war vortrefflich ge- wachsen. Jch will ihn nicht weiter ab- schildern. Man verderbt durch die ge- naue Beschreibungen oft das Bild, das man seinen Lesern von einer schönen Person machen will. Genug, mein Graf war in meinen Augen der schönste Mann. Nicht Gräfinn von G ** Nicht lange nach unserer Vermählung mußte mein Gemahl zu seinem Regimen- te. Sein Vater, der bey einem hohen Alter noch munter und der angenehmste Mann war, wollte mir die Abwesenheit meines Gemahls erträglich machen, und reisete mit mir auf seine übrigen Güter. Auf dem einen traf ich eine sehr junge und schöne Frau an, die man für die Witwe des Oberaufsehers der Güter ausgab. Diese Frau hatte so viel reizen- des an sich, und so viel gefälliges und leutseliges in ihrem Umgange, daß ich ihr auf den ersten Anblick gewogen, und in kurzer Zeit ihre gute Freundinn ward. Jch bat, sie sollte mich wieder zurück begleiten, und bey mir leben. Sie sollte nicht meine Bediente, sondern meine gute Freundinn seyn. Und wenn sie nicht länger bey mir bleiben wollte, so woll- te ich ihr eine ansehnliche Versorgung schaffen. Sie nahm diesen Antrag mit Thränen an, und schützte bald ihren B 4 kleinen Leben der Schwedischen kleinen Sohn, bald die Lust zu einem stil- len Leben vor, warum sie mir nicht folgen könnte. Sie gieng mir indessen nicht von der Seite, und bezeigte so viel Ehrerbie- tung und Liebe gegen mich, daß ich sie hundertmal bat, mir zu sagen, womit ich ihr dienen könnte. Allein sie schlug alle Anerbietungen recht großmüthig aus, und verlangte nichts, als meine Gewogenheit. Der alte Graf wollte wieder fort, und indem mich die junge Witwe an den Wa- gen begleitete, so sah ich ein Kind in dem untersten Gebäude des Hofes am Fenster stehen. Jch fragte, wem dieses Kind wäre? Die gute Frau kam vor Schrecken gantz außer sich. Sie hatte mich beredt, daß ihr Sohn unlängst die Blattern gehabt hätte. Und damit ich mich nicht fürchten sollte; so hatte sie mir ihn bey meinem Daseyn, ungeach- tet meines Bittens, nicht wollen sehen lassen. Allein ich sahe, daß diesem Kna- ben nichts fehlete, und ich ließ nicht nach, bis Gräfinn von G ** bis man ihn vor mich brachte. Hilf Himmel! wie entsetzte ich mich, als ich in seinem Gesichte das lebendige Ebenbild meines Gemahls antraf. Jch konnte kein Wort zu dem Kinde reden. Jch küßte es, umarmte zugleich seine Mut- ter, und setzte mich den Augenblick in den Wagen. Der alte Graf merkte meine Bestürzung, und entdeckte mir mit einer liebreichen Aufrichtigkeit das ganze Geheimniß. Die Frau, sprach er, die sie gesehen haben, ist die ehemalige Geliebte ihres Gemahls. Und wenn sie dieses Ge- ständniß beleidiget, so zürnen sie nicht so wohl auf meinen Sohn, als auf mich. Jch bin an der Sache Schuld. Jch ha- be ihn von Jugend auf mit einer besondern Art erzogen, die ihnen in manchen Stücken ausschweifend vorkommen dürfte. Mein Sohn mußte in mir nicht so wohl seinen Vater, als seinen Freund lieben und ver- ehren. Er durfte mich nicht fürchten, als wenn er mir etwas verschwieg. Daher B 5 gestund Leben der Schwedischen gestund er mir alles, und ich erhielt da- durch Gelegenheit, ihn von tausend Thor- heiten abzuziehen, ehe er sie begieng, oder doch, ehe er sich daran gewöhnete. Jch wußte, ehe ich meinen Sohn auf Reisen schickte, daß er ein gewisses Frauenzim- mer vom bürgerlichen Stande liebte, wel- ches meine Schwester als eine Wayse sehr jung zu sich genommen, und, weil das Kind viel Lebhaftigkeit besaß, in der Ge- sellschaft ihrer einzigen Tochter wohl hatte erziehen lassen. Mein Sohn hatte mir aus dieser Liebe nie ein Geheimniß ge- macht. Er bat mich, da er seine Reisen antrat, daß ich ihm erlauben möchte, die- ses Frauenzimmer, als seine gute Freun- dinn, mitzunehmen. Kurz, ich war ent- weder zu schwach, ihm diese Bitte abzu- schlagen, oder ich willigte mit Fleiß dar- ein, um ihn von den gefährlichen Aus- schweifungen der Jugend durch ihre Ge- sellschaft abzuhalten. Und dieses ist eben das Frauenzimmer, das sie itzt gesehen und Gräfinn von G ** und nach der gemeinen Rede für eine Witwe gehalten haben. Sie besitzt sehr gute Eigenschaften, und ich habe ihr zehn tausend Thaler ausgesetzt, damit sie hey- rathen kann, wenn es ihr beliebt. Für ihren Sohn habe ich auch etwas gewisses zu seiner Erziehung bestimmt. Und wenn ihnen diese Frau gefährlich scheint: so will ich sie binnen wenig Tagen nach Lief- land auf meine Güter schicken, und ihr daselbst alle mögliche Versorgung ver- schaffen. Man glaube ja nicht, daß ich die ehe- malige Geliebte meines Gemahls zu has- sen anfieng. Nein, ich liebte sie, und die Liebe besänftigte die Eifersucht. Jch bat, daß er sie mit einer anständigen Heyrath versorgen, und sie entfernen möchte. Bey unserer Zurückkunft traf ich meinen Ge- mahl schon an. So sehr ich von der Gewißheit seiner Liebe versichert war: so konnte ich doch nicht ruhig werden, bis ich Leben der Schwedischen ich ihn durch allerhand kleine Kaltsinnig- keiten nöthigte, ein Geheimniß aus mir heraus zu locken, das mein Herz nicht um- sonst entdecket haben wollte. Er erschrack, und beklagte sich über die Unvorsichtigkeit seines Vaters, daß er mich an einen Ort geführet hätte, der unsrer Zärtlichkeit so nachtheilig seyn könnte. Er gab den Au- genblick Befehl, daß man dieses Frauen- zimmer nebst ihrem Sohne entfernen, und alles, was sie verlangte, zu ihrem Unter- halte ausmachen sollte. Dieses geschah auch binnen acht Tagen. Jch konnte kei- ne deutlichere Probe von seiner Treue ver- langen, und es war mir unmöglich, ihn wegen dieser Sache auch nur einen Au- genblick zu hassen, ob ich mich gleich von aller Unruhe nicht frey sprechen will. Er gestund mir, daß er dieses Frauen- zimmer gewiß zu seiner Gemahlinn erwäh- let haben würde, wenn er die Einwilligung vom Hofe hätte erhalten können. Jn der That Gräfinn von G** That verdiente sie dieses Glück so wohl als ich. Jch sah bey nahe keinen Vorzug, den ich vor ihr hatte, als daß ich adelich gebohren war. Und wie geringe ist die- ser Vorzug, wenn man ihn vernünftig betrachtet! Sie hatte sich gar nicht aus Leichtsinn ergeben. Die Ehe war der Preis gewesen, für den sie ihm ihr Herz und sich überlassen hatte. Der Vater des Grafen hatte die Liebe und die Wahl seines Soh- nes gebilliget. Sie kannte das edelmü- thige Herz ihres Geliebten. Sie war von der Aufrichtigkeit seiner Zärtlichkeit über- zeugt. Ein Frauenzimmer, das sich un- ter solchen Umständen in eine vertrauliche Liebe einläßt, verdienet eher Mitleiden, als Vorwürfe. Mein Gemahl erzählte mir einen Umstand, der Carolinens Werth, so will ich seine Geliebte künftig nennen, sehr verschönert. So bald sie gesehen, daß er die Einwilligung, sich mit ihr zu vermählen, nicht würde erhalten können, ohne dabey sein Glück in Gefahr zu Leben der Schwedischen zu setzen, und die Gnade des Hofes zu verlieren: so hatte sie sich des Rechts auf sein Herz freywillig begeben. Er zeigte mir folgenden Brief von ihr, der mich we- gen seines großmüthigen Jnnhalts unge- mein gerühret hat. Mein lieber Graf, Jch höre, daß man Jhnen den Ent- schluß, mich für ihre Gemahlinn zu erklä- ren, sehr sauer macht. Sie dauren mich, weil ich gewiß weis, daß Sie mich lieben, und daß Sie eben so viel Ueberwindung brauchen, mir ihr Wort nicht zu halten, als es mich Mühe kostet, meine Ansprü- che auf das edelste und großmüthigste Herz fahren zu lassen. Doch wenn ich einmal meinen Grafen verlieren soll: so will ich ihn mit Ruhm verlieren. Kurz, mein liebster Graf, ich opfere Jhrem Glücke und Jhrem Stande meine Liebe und mei- ne Zufriedenheit auf, und vergesse das schmeichelhafte Glück, Jhre Gemahlinn zu werden, Gräfinn von G ** werden, auf ewig. Sie sind frey, und können sich zu einer Wahl entschliessen, welche Jhnen nur immer gefällt. Jch bin alles zufrieden, wenn ich nur sehe, daß Sie glücklich wählen, und die Zufrieden- heit an der Seite Jhrer Gemahlinn erhal- ten, die ich Jhnen durch meine Liebe ha- be verschaffen wollen. Dieses ist, wie der Himmel weis, mein größter Wunsch. Und was gehöret mehr zu der Aufrichtig- keit eines solchen Wunsches, als daß man Sie liebt! Jch mache Jhnen nicht den geringsten Vorwurf. Sie haben in mei- nen Augen Jhr Wort vollkommen gehal- ten; denn ich bin überzeugt, daß Sie es erfüllen würden, wenn es bey Jhnen stünde. Jch werde mich auch nie über mich selbst beklagen. Jch bin die Jhrige unter der Bedingung gewesen, daß Sie mich einst öffentlich dafür erklären wür- den. Jch habe Jhnen also bey aller mei- ner Zärtlichkeit doch nie meine Tugend aufgeopfert. Nein, das Andenken mei- ner Leben der Schwedischen ner Liebe wird mir allemal die größte Be- ruhigung geben, so traurig auch mein künftiges Schicksal der Welt vorkommen wird. Vermählen Sie sich, mein lieber Graf, und denken Sie künftig nur an mich, als an Jhre Freundinn. Diese Be- lohnung verdiene ich. Leben Sie wohl, und lassen Sie mir auf einem ihrer Güter einen Platz anweisen, wo ich nebst mei- nem Sohne in der Stille leben kann. Ver- lieren Sie weiter kein Wort. Jch blei- be bey meinem Entschlusse, Jhnen zu be- weisen, daß ich Jhr Glück meiner Wohl- fahrt vorziehe. Leben Sie wohl, mein lieber Graf. Carolinens großmüthigem Entschlusse hatte ichs also zu danken, daß mir der Graf zu Theil worden war. Sie hatte sich nach diesem Briefe nicht mehr, als noch einmal, von ihm sprechen lassen, und sich so gleich auf das Landgut begeben, wo ich sie antraf. Er versicherte mich, daß er sie Gräfinn von G ** sie seit anderthalb Jahren nicht gesehen, und ich hätte ihr gern das Vergnügen ge- gönnt, den Grafen vor ihrer Abreise nach Liefland noch einmal zu sprechen, wenn es der Wohlstand hätte erlauben wollen. Mein Graf verdoppelte seine Bemü- hungen, mir zu gefallen, und der Him- mel weis, daß er der liebenswürdigste Mann war, den man kaum zärtlicher und edler denken konnte. Er war vernünftig und gesittet gewesen, ehe er ein Soldat geworden war, und daher hatte er nicht das geringste von dem Rohen und Wil- den an sich genommen, das dieser Lebens- art sonst eigen zu seyn pflegt. Er war die Gutheit und Menschenliebe selbst, und dennoch ward er im ganzen Hause so ge- fürchtet, daß der kleinste Wink an seine Leute die Wirkung des nachdrücklichsten Befehls that. Er schien mir vollkommen zu gehorchen; es war ihm unmöglich mir etwas abzuschlagen; er hielt alles für ge- Erster Theil. C nehm, Leben der Schwedischen nehm, was ich verlangte. Allein mitten in dieser zärtlichen Unterthänigkeit wußte er sich bey mir in einer gewissen Ehrfurcht zu erhalten, daß ich bey aller meiner Herr- schaft nicht so wohl meinen Willen, als vielmehr sein Verlangen in Gedanken zu Rathe zog, und in der That nichts unter- nahm, als was er befohlen haben würde, wenn er hätte befehlen wollen. Er war der ordentlichste Mann in seinen Geschäf- ten, und band sich doch selten an die Zeit. Er arbeitete, so bald er sich geschickt zur Arbeit fühlete, und arbeitete so lange fort, als er sich in dieser Verfassung merkte. Allein er ließ auch von seinen Verrichtun- gen nach, so bald als er keine Lust mehr dazu verspürte. Daher war er stets mun- ter, weil er sich niemals zu sehr ermüdete, und hatte stets Zeit zu den Vergnügun- gen übrig, weil er die Zeit niemals mit vergebenen Bemühungen zu arbeiten ver- schwendete. Er hatte eine sehr schöne Bi- bliothek auf seinen Reisen gesammlet. Jch verstund Gräfinn von G ** verstund Französisch, und etwas Latein und Jtaliänisch. Der Büchersal ward mir in kurzer Zeit an der Seite meines Gemahls der angenehmste Ort. Er las mir aus vielen Büchern, die theils histo- risch, theils witzig, theils moralisch waren, die schönsten Stellen vor, und brachte mir seinen guten Geschmack unvermerkt bey. Und ob ichs gleich nicht allemal sa- gen konnte, warum eine Sache schön, oder nicht schön war: so war doch meine Empfindung so getreu, daß sie mich sel- ten betrog. Unsere Ehe selbst war nichts, als Liebe, und unser Leben nichts, als Vergnügen. Wir hatten fast niemanden zu unserm Umgange, als uns. Mein Gemahl unterhielt mich, ich ihn, und unser alter Vater uns alle beyde. Dieser Mann von siebenzig Jahren vertrat die Stelle von sechs Personen. Seine Er- fahrung in der Welt, seine brauchbare Gelehrsamkeit und sein zufriednes und red- liches Herz machten ihn stets munter und C 2 belebt Leben der Schwedischen belebt in seinen Gesprächen. Jch kann sagen, daß ich diesen Greis in drey Jah- ren fast keine Stunde unruhig gesehen ha- be; denn so viele Jahre waren in meiner Ehe verstrichen, als er starb. Gott, wie lehrreich war das Ende dieses Mannes! Er bekam sieben Tage vor seinem Tode Schwulst in den Beinen. Diese trat im- mer weiter, und er sah mit iedem Tage sein Ende näher kommen. Er fragte den Arzt, wie lange es noch mit ihm dauren würde. Wahrscheinlicher Weise, ant- wortete dieser, über drey Tage nicht. Recht gut, versetzte der alte Graf. Gott sey gedankt, daß meine Wallfahrt so glücklich abgelaufen ist. Also habe ich nur noch drey Tage von dem Leben zuzubrin- gen, von dem ich meinem Schöpfer Re- chenschaft geben soll? Jch werde sie nicht besser anwenden können, als wenn ich durch meine Freudigkeit den Meinigen ein Beyspiel gebe, wie leicht und glückse- lig man stirbt, wenn man vernünftig und Gräfinn von G ** und tugendhaft gelebt hat. Er ließ dar- auf alle seine Bedienten zusammen kom- men. Er rühmte ihre Treue, und bat sie, als ein Vater, daß sie die Tugend stets vor Augen haben sollten. Jch, fieng er an, bin euer Herr und Aufse- her gewesen. Der Tod hebt diesen Un- terschied auf, und ich gehe in eine Welt, wo ihr so viel, als ich seyn werdet, und wo ihr für die Erfüllung eurer Pflichten eben so viel Glück erhalten werdet, als ich für die Erfüllung der meinigen. Lebt wohl, meine Kinder! Wer mich lieb hat, und mir vor meinem Tode noch ein Ver- gnügen machen will, der verspreche mir mit der Hand, daß er meine Lehren und meine Bitten erfüllen will. Er befahl dar- auf, iedwedem eine gewisse Summe Gel- des auszutheilen. Er ließ diesen und den folgenden Tag die meisten von seinen Un- terthanen zu sich kommen, und redete mit ihnen eben so, wie mit seinen Bedien- ten. Wem er Geld zu seiner Nahrung C 3 vorge- Leben der Schwedischen vorgestrecket hatte, dem erließ ers. Und alle durften sich etwas von ihm ausbitten. Die Anzahl der Armen war sehr klein; denn er hatte seine Wohlthaten und seine Vorsorge gegen die Unterthanen nicht bis an sein Ende versparet. Man kann sich die Wehmuth dieser Leute leicht vorstellen. Ein ieder beweinte in ihm den Verlust ei- nes Vaters. Nach dieser Verrichtung fragte der sterbende Graf, ob noch iemand in seinem Hause wäre, der nicht Abschied von ihm genommen hätte. Jch sagte ihm, daß ich niemanden wüßte, außer die Soldaten, die mein Gemahl bey sich hät- te. Auch diese, sagte er, sind mir liebe Leute. Sie brauchen am meisten den Tod kennen zu lernen, weil sie ihn vor andern unvermuthet gewärtig seyn müssen. Laßt sie herein kommen. Hierauf traten vier Leute herein, denen die Wildheit und Unerschrockenheit aus den Augen sah. Der alte Graf redete sie liebreich an, und er hatte kaum angefangen; so weinten diese dem Gräfinn von G ** dem Anscheine nach so beherzte und bar- barische Männer, wie die Kinder. Er fragte sie, wie lange sie gedienet hät- ten. Sie hatten fast alle zwanzig Jahre die Waffen getragen. O, fieng der Graf an, ihr verdient, daß ihr die Ruhe des Lebens schmeckt, weil ihr die Unruhe so lange ausgehalten habt. Mein Sohn mag euch den Abschied ertheilen. Und ihr sollt euch in meinem Dorfe niederlas- sen, und so lange ihr lebet, noch so viel bekommen, als eure ordentliche Löhnung austrägt. Einer von diesen Leuten hat nachdem meinem Gemahle einen sehr wich- tigen Dienst geleistet. Die Nacht vor seinem letzten Ende brach nunmehr an. Er fragte den Doctor noch einmal um die Zeit seines Todes, und hör- te mit der grösten Standhaftigkeit, daß er kaum vier und zwanzig Stunden noch auf der Welt seyn würde. Er forderte darauf zu essen. Er aß, und ließ sich auch C 4 ein Leben der Schwedischen ein Glas Wein reichen. Gütiger Gott, fieng er an, es schmeckt mir bey meinem Ende noch so gut, als es mir vor funfzig Jahren geschmeckt hat. Hätte ich nicht mäßig gelebt: so würden meine Gefäße zu dieser Erqvickung nicht mehr geschickt seyn. Nun, fuhr er fort, will ich mich zu meinem Aufbruche aus der Welt noch durch einige Stunden Schlaf erholen. Er schlief drey Stunden. Alsdann rief er mich, und bat, ich sollte ihm aus sei- nem Schreibetische ein gewisses Manu- script hohlen. Dieses war ein Ver- zeichniß seines Lebens seit vierzig Jahren. Und dieses mußte ich ihm bis zu anbre- chendem Tage vorlesen. Als wir fertig waren, so that er das brünstigste Gebet zu Gott, und dankte ihm für die Güte und Liebe, welche er ihm in der Welt hatte genießen lassen, auf eine ganz ent- zückende Weise, und bat, daß er ihn in der künftigen Welt die Wahrheit und Tugend, der er hier unvollkommen nach- gestrebt, Gräfinn von G ** gestrebt, möchte vollkommen erreichen lassen. Er ließ seinen Sohn rufen, nam uns beyde in die Arme, und fieng an zu weinen. Dieses, sagte er, sind seit vierzig und mehr Jahren die ersten Thrä- nen, die ich vergieße. Sie sind keine Zeichen meiner Wehmuth und Furcht- samkeit, sondern meiner Liebe. Jhr habt mir mein Leben angenehm gemacht; allein das Glück, das ich nach meinem Tode hoffe, macht mir den Abschied von euch sehr erträglich. Liebt getreu, und ge- nießt das Leben, das uns die Vorsehung zum Vergnügen und zur Ausübung der Tugend geschenkt hat. Er gab mir noch allerhand Regeln, wie ich meine Kinder ziehen sollte, wenn unsre Ehe fruchtbar seyn würde. Und in eben der Bemü- hung, auch seine Nachkommen durch ei- ne weise Vorsorge noch glücklich zu ma- chen, starb er. Wir lebten darauf noch einige Jahre in der größten Zufriedenheit auf unserm C 5 Land- Leben der Schwedischen Landgute. Endlich erhielt mein Gemahl Befehl am Hofe zu erscheinen, und ich folgte ihm dahin. Jch war kaum bey Hofe angekommen: so ward ich verehrt und bewundert. Es war, wie es schien, niemand schöner, nie- mand geschickter und vollkommner, als ich. Jch konnte vor der Menge der Aufwar- tungen und vor dem süssen Klange der Schmeicheleyen kaum zu mir selber kom- men. Zu meinem Unglücke bekam mein Gemahl Ordre zum Marsche, und ich mußte zurück bleiben. Es hieß, ich sollte ihm bald nachfolgen; allein es vergiengen drey Monate, ehe ich ihn zu sehen bekam. Jch hatte meine ganze Philosophie nöthig, die ich bey meinem Vetter, meinem Ge- mahle und seinem Vater gelernet hatte, wenn ich nicht eitel und hochmüthig wer- den wollte. Die Ehre, die mir allenthal- ben erwiesen ward, war eine gefährliche Sache für eine junge und schöne Frau, die den Hof zum erstenmal sah. Ein Gräfinn von G ** Ein gewisser Prinz von S--, der schon eine Gemahlinn, und unstreitig nicht die erlaubtesten Absichten gegen mich hatte, suchte sich die Abwesenheit meines Ge- mahls zu Nutze zu machen. Er bedien- te mich bey aller Gelegenheit mit einer ungemeinen Ehrerbietung, und mit einem Vorzuge, der recht prächtig in die Augen fiel. Er wagte es zuweilen mir von einer Neigung zu sagen, die ich verabscheuete. Dennoch wußte ich der Ehrerbietung, die er stets mit untermengte, nicht genug zu widerstehen. Jch war so treu und tu- gendhaft, als man seyn kann; allein viel- leicht nicht strenge genug in dem äußerli- chen Bezeigen. Hierdurch machte ich den Prinzen nur beherzter. Er kam an einem Nachmittage unangemeldet zu mir. Er machte mir allerhand kleine Liebkosun- gen; doch bey der ersten Freyheit, die er sich heraus nahm, sagte ich zu ihm: Er- lauben sie mir, daß ich es ihrer Gemah- linn darf melden lassen, daß Sie bey mir sind, Leben der Schwedischen sind, damit sie mir das Glück ihrer Ge- genwart auch gönnt. Sie ist schon in Gedanken bey mir, fieng er an. Und mein Gemahl, antwortete ich, ist auch bey mir, wenn er gleich im Felde ist. Dar- auf machte er mir ein frostig Compli- ment, und gieng fort. Wie rachgierig dieser Herr war, wird die Folge aus- weisen. Mein Gemahl kam wieder zurück, und nach seiner Ankunft ward ihm der Hof verbothen. Dieses war die erste Ra- che eines beleidigten Prinzen. Wir gien- gen darauf auf unser Landgut. Jch ent- deckte meinem Gemahle ohne Bedenken die Ursache der erlittenen Ungnade, und bat ihn tausendmal um Vergebung. Jch bin sehr wohl, sprach er, mit meinem Un- glücke zu frieden. Fahren sie nur fort, mich durch ihre Tugend zu beleidigen; ich will ihnen zeitlebens dafür danken. Jch habe es voraus gesehen, daß ihnen der Hof Gräfinn von G ** Hof gefährlich seyn würde. Jch konnte mir einbilden, daß man sie bewundern, und daß ihr Herz der Versuchung der Lob- sprüche und Ehrenbezeigung nicht gleich den ersten Augenblick widerstehen würde. Die erlittene Ungande ist nichts, als ein Beweis, daß ich eine liebenswürdige und tugendhafte Frau habe. Wir lebten auf unserm Landgute so ru- hig und zärtlich, als iemals. Und damit wir den Verlust unsers klugen Vaters de- sto weniger fühlten: so nahm mein Ge- mahl seinen ehemaligen Reisegefährten, den Herrn R-- zu sich. Er war noch ein junger Mann, der aber in einer gros- sen Gesellschaft zu nichts taugte, als ei- nen leeren Platz einzunehmen. Er war stumm und unbelebt, wenn er viele Leu- te sah. Doch in dem Umgang von drey oder vier Personen, die er kannte, war er ganz unentbehrlich. Seine Belesenheit war außerordentlich, und seine Beschei- den- Leben der Schwedischen denheit eben so groß. Er war in der Tu- gend und Freundschaft strenge bis zum Eigensinn. So traurig seine Mine aus- sah, so gelassen und zufrieden war er doch. Er schlug keine Vergnügung aus; allein mir kam es immer vor, als ob er sich nicht so wohl an den Ergötzlichkeiten selbst, als vielmehr an dem Vergnügen belustigte, das die Ergötzlichkeiten andern machten. Sein Verlangen war, alle Menschen ver- nünftig, und alle Vernünftige glücklich zu sehen. Daher konnte er die großen Ge- sellschaften nicht leiden, weil er so viel Zwang, so viel unnatürliche Höflichkeiten und so viel Verhinderungen, frey und ver- nünftig zu handeln, darinnen antraf. Er blieb in allen seinen Handlungen uneigen- nützig, und gegen die Glücksgüter, und gegen alle Ehrenstellen fast gar zu gleich- gültig. Die Schmeichler waren seine ärgsten Feinde. Und er glaubte, daß diese Leute der Wahrheit und Tugend mehr Schaden thäten, als alle Ketzer und Frey- Gräfinn von G ** Freygeister. Einem geringen Manne dien- te er mit größern Freuden, als einem vornehmen. Und wenn man ihn um die Ursache fragte, so sagte er: Jch fürchte, der vornehme möchte mich bezahlen, und durch eine reiche Belohnung mich zu ei- nem Lastträger seiner Meynungen, und zu einem Beförderer seiner Affecten er- kaufen wollen. Er hatte einen geschick- ten Bedienten, der ihm aber des Tages nicht mehr, als etliche Stunden, aufwar- ten durfte. Als er seinen Herrn in un- serer Gegenwart einmal fragte, ob er nichts zu thun hätte; so sagte er: Denkt ihr denn, daß ihr bloß meinetwegen und meiner Kleider und Wäsche wegen in der Welt seyd? Wollt ihr denn so unwissend sterben, als ihr gebohren seyd? Wenn ihr nichts zu thun habt, so setzt euch hin, und überlegt, was ein Mensch ist; so wer- den euch Beschäftigungen genug einfallen. Er gab ihm verschiedene Bücher zu lesen. Und wenn er ihn auskleidete: so mußte er ihm Leben der Schwedischen ihm allemal sagen, wie er den Tag zuge- bracht hätte. Wer sich schämt, sagte er, einen Menschen vernünftig und tugendhaft zu machen, weil er geringe ist, der ver- dient nicht, ein Mensch zu seyn. Mein Gemahl liebte den Herrn R--, als seinen Bruder, und wir beschlossen niemals et- was wichtiges, ohne ihn zu Rathe zu ziehen. Um diese Zeit bekam mein Gemahl Be- fehl zum Marsche, weil Schweden mit der Krone Pohlen in einen Krieg verwickelt wurde. Nunmehr gieng mein Elend an. Mein Gemahl hatte einen engen und ge- fährlichen Paß vertheidigen sollen. Al- lein er hatte das Unglück gehabt, ihn und fast alle seine Mannschaft zu verlieren. Man glaubte der Prinz von S--, der mit zu Felde war, hätte ihn mit Fleiß zu die- ser gefährlichen Unternehmung bestimmt, um ihn zu stürzen. Genug, mein Gemahl ward zur Verantwortung gezogen. Man gab Gräfinn von G ** gab ihm Schuld, er hätte seine Pflicht nicht in Acht genommen, und es ward ihm durch das Kriegsrecht der Kopf ab- gesprochen. Gott, in welch Entsetzen brachte mich folgender Brief von meinem Gemahl! Lebt wohl, liebste Gemahlinn, lebt ewig wohl! Es hat der Vorsicht gefal- len, meinen Tod zu verhängen. Er kömmt mir nicht unvermuthet; doch wür- de mich die Art meines Todes erschrecken, wenn ich meinen Ruhm mehr in der Ehre der Welt, als in einem guten Gewis- sen suchte. Gerechter Gott! Jch soll durch das Schwerdt sterben, weil ich es nicht beherzt genug für das Vaterland ge- führet habe. Der Himmel weis, daß ich unschuldig bin. Und fünf Wunden, die ich bey meiner Gegenwehr empfangen ha- be, mögen Zeugen seyn, ob ich meiner Pflicht nachgelebt. Der Prinz von S--, den ihr durch eure Tugend beleidiget habet, Erster Theil. D ist Leben der Schwedischen ist ohne Zweifel die Ursache meines ge- waltsamen Todes. Vergebt es ihm, daß er euch euren Gemahl entreißt. Es ist weit weniger, als wenn er euch eure Tu- gend entrissen hätte. Lebt wohl, meine Gemahlinn, und betet, daß ich bey dem Anblicke meines Todes so beherzt seyn mag, als ich itzt bin. Meine Wunden sind gefährlich. Wollte Gott, daß sie tödtlich wären, und mich der Schmach entrissen, als ein Verbrecher vor den Au- gen der Welt zu sterben. Jn fünf Ta- gen soll mein Urtheil vollstreckt werden. Nehmet von dem redlichen R-- in mei- nem Namen Abschied. Er wird euch in eurem Unglück nicht verlassen. Jch ha- be den König in einem Bittschreiben er- sucht, daß er euch meine Güter lassen soll; aber ich glaube nicht, daß es geschehen wird. Seyd unbekümmert, meine Ge- treue! Flieht, wohin ihr wollt, nur daß ihr den Nachstellungen des Prinzen ent- geht. Lebt wohl. Ach wenn doch der fünfte Gräfinn von G ** fünfte Tag schon da wäre! O warum muß ich denn ein Schlachtopfer meiner Feinde werden! Doch es ist eine Schi- ckung. Jch will meinen Tod mit Stand- haftigkeit erwarten. Lebt noch einmal wohl, liebste Gemahlinn. Jch fühle den Augenblick eine außerordentliche Schwach- heit in meinem Körper. Vielleicht sterbe ich noch heute an meinen Wunden. Mein Feldprediger kömmt. Jch will ihn bit- ten, daß er euch diesen Brief zustellen läßt. Faßt euch. Jch liebe euch ewig, und ich sehe euch in der künftigen Welt gewiß wieder. Meinen Schmerz über diese Nachricht kann ich nicht beschreiben. Die Spra- chen sind nie ärmer, als wenn man die gewaltsamen Leidenschaften der Liebe und des Schmerzes ausdrücken will. Jch habe alles gesagt, wenn ich gestehe, daß ich etliche Tage ganz betäubt gewesen bin. Alle Trostgründe der Religion und der D 2 Ver- Leben der Schwedischen Vernunft waren bey meiner Empfindung ungültig, und sie vermehrten nur meine Wehmuth, weil ich sah, daß sie solche nicht besänftigen konnten. Der angesetz- te Todestag meines Gemahls brach an. Jch brachte ihn mit Thränen und Gebete zu, und fühlte den Streich mehr, als ein- mal, der meinem Gemahle das Leben nehmen sollte. Niemand stund mir in meinem Elende redlicher bey, als der Herr R--. Er klagte und weinte mit mir, und erwarb sich durch seine Traurigkeit den Vortheil, daß ich die Trostgründe anhörte, mit denen er mich nunmehr an- fieng aufzurichten. Binnen acht Tagen kam der Reitknecht meines Gemahls, und brachte mir die Post, daß sein Herr drey Tage vor dem Tage des Urthels an seinen Wunden ge- storben wäre. Diese Nachricht vergnüg- te mich, so betrübt sie war, doch unend- lich. So ist er denn, als ein Held, an seinen Gräfinn von G ** seinen Wunden gestorben? rief ich aus. So hat er die traurigen Zubereitungen zu einem gewaltsamen Tode, welche ärger als der Tod selber sind, nicht mit ansehen dürfen? Nunmehr bin ich ruhig. Jch fragte, ob man ihn ohne Schimpf zur Er- den bestattet hätte. Er sagte mir, daß dieses gar nicht hätte geschehen können, weil in der Nacht, da er gestorben wäre, die Feinde das Dorf angefallen, und das Bataillon, bey dem mein Gemahl gefan- gen gesessen, genöthiget hätten, sich in der grösten Eil und mit Verlust zurückzuzie- hen. Jn eben dieser Unordnung wäre er mit gewichen, und der Feldprediger von meines Gemahls Regimente hätte ihm Gelegenheit geschafft, mit einem Deta- schement zurückzugehen, und mir die Nachricht und etliche Kleinodien von mei- nem Gemahle zu überbringen. Der Feldprediger hatte selbst an mich geschrieben, und mir in meines Gemahls D 3 Namen Leben der Schwedischen Namen gerathen, Schweden so bald zu verlassen, als es möglich wäre, da- mit ich nicht der Rache des Prinzen oder seiner Wollust weiter ausgesetzt seyn möchte. Der Befehl wegen der Einzie- hung unserer Güter war, wie ich erfuhr, schon vor meines Gemahls Tode unter- zeichnet worden. Jch entschloß mich also zur Flucht, und bat den Herrn R-- Schweden mit mir zu verlassen. Wir gaben in unserm Hause eine Reise auf die andern Güter vor, und nahmen nichts, als die Chatoulle, in welcher etwan tau- send Ducaten waren, (denn mein Ge- mahl hatte sein baares Vermögen der Kro- ne vorgestreckt) nebst dem Geschmeide und den Kleinodien mit uns. Alles Silber- geschirr liessen wir im Stiche, und kamen in Begleitung des vorhin gedachten Reit- knechts, und des Bedienten des Herrn R-- glücklich über die Grenzen. Wir erfuh- ren bald darauf, daß man die Güter ein- gezogen, und daß man mir etliche Meilen hatte Gräfinn von G ** hatte nachsetzen lassen. Wir waren nun- mehr in Liefland; allein ich war deswe- gen noch nicht sicher. Der Prinz wollte mich in seiner Gewalt haben. Mein Vet- ter, der mich nach Schweden gebracht hatte, war todt, und ich wußte nicht, welches Land ich zu meinem Aufenthalte aussuchen sollte. Mein getreuer Beglei- ter sollte mein Rathgeber werden. Er schlug mir Holland vor, weil er in Am- sterdam Freunde hatte, und er versi- cherte mich, daß es mir an diesem Orte gefallen würde. Hier können sie sich, sagte er, ein Paar Jahre aufhalten, bis sich die Umstände in Schweden ändern. Vielleicht glückt es ihnen, daß sie durch Vorbitte mit der Zeit einen Theil von ih- res Gemahls Vermögen zurück bekom- men. Die Furcht, in des rachgierigen Prin- zen Hände zu fallen, machte mir alle Länder angenehmer, als mein Vaterland. D 4 Jch Leben der Schwedischen Jch entschloß mich also mit ihm nach Am- sterdam zu gehen, und ich wünschte, daß mich die ehemalige Geliebte meines Ge- mahls dahin begleiten möchte. Wir wa- ren etwan achtzehn Meilen von ihr ent- fernet, denn wir bildeten uns ein, daß sie noch auf meines Gemahls Gütern wäre, die er in Liefland hatte. Herr R-- reisete also dahin ab, um sich nach ihr zu erkundigen. Er war kaum weg, so brachte mir der Reitknecht die Nachricht, daß er Carolinen in der Kirche des Dor- fes, in welchem ich mich insgeheim auf- hielt, gesehen, aber nicht gesprochen hät- te. Jch schickte ihn fort, und binnen we- nig Stunden sah ich sie zu meinem größ- ten Vergnügen bey mir. Sie hatte bin- nen den acht Jahren, da ich sie nicht ge- sehen, etwas von ihren äußerlichen Rei- zungen, doch nichts von ihrer Annehm- lichkeit im Umgange verlohren. Jch er- zählte ihr mein Schicksal, und fragte sie, ob sie mit mir nach Amsterdam gehen wollte. Gräfinn von G ** wollte. Sie vergoß tausend Thränen über mein Unglück, und über die Liebe, die ich noch gegen sie hatte. Sie ver- fahren, sprach sie, gar zu liebreich mit mir. Sie bezeigen mir die stärkste Gewogenheit und hätten doch vielleicht Ursache mich zu hassen. Jch halte es für mein größtes Unglück, daß ich ihnen nicht folgen kann; allein ich bin seit einem Jahre, denn so lange ist es, daß ich mich von ihres Ge- mahls Gütern an diesen Ort begeben ha- be, sehr krank gewesen, und sie werden mir es leicht ansehen, daß es mir unmög- lich ist, eine so weite Reise mit ihnen zu thun. Jndessen schwöre ich ihnen zu, daß mich, wofern ich wieder gesund wer- de, nichts in der Welt abhalten soll, ih- nen nachzufolgen. Und damit ich sie von der Gewißheit meines Versprechens desto stärker überführe: so will ich ihnen mei- nen Sohn mit geben, wenn er ihnen nicht zur Last wird. Er ist bey mir. Jch habe mir für das Geld, das der Herr Va- D 5 ter Leben der Schwedischen ter ihres Gemahls zu meiner und meines Kindes Erhaltung ausgesetzet hat, ein kleines Landgut hier in diesem Dorfe ge- kauft, und ich biete es ihnen nicht allein zu ihrem Aufenthalte, sondern mit dem größten Vergnügen zu ihrem Eigenthume an. Wollte Gott sie blieben unerkannt bey mir, wie ruhig wollten wir nicht le- ben! Das Verlangen, ihnen zu dienen, soll- te mich wieder gesund und munter ma- chen. Jch wagte es, mich auf ihren kleinen Rittersitz zu begeben. Jch traf keinen Reichthum, keinen Ueberfluß da an; aber Ordnung und Beqvemlichkeit, die von dem guten Geschmacke der Besitzerinn zeug- ten. Jch fand eine Menge schöner Bü- cher in ihrer besten Stube. Und sie war so bescheiden, daß sie sagte, sie gehörten ihrem Sohne, da ich doch leicht merken konnte, daß sie ihr selber zugehörten. Es waren fast alle die Französischen und Schwe- Gräfinn von G ** Schwedischen Bücher, welche mein Ge- mahl hochzuhalten pflegte, und ich konn- te leicht errathen, wem sie diesen guten Geschmack zu danken hatte. Unter ihrem Spiegel hieng das Bildniß meines Ge- mahls. So bald sie merkte, daß mirs in die Augen fiel: so überreichte sie mirs zum Geschenke, und gestund mir, daß sie es selber gemahlet hätte; denn sie konnte vor- trefflich in Miniatür malen. Jch hielt es für eine Grausamkeit, sie um dieses An- denken zu bringen. Darum bat ich sie, das Bild noch einmal zu malen, und die- ses so lange zu behalten. Jhr Sohn war noch nicht völlig drey- zehn Jahr alt. Er war ein sehr artiger und lebhafter Knabe. Sie hatte ihn schon in seinen zartesten Jahren einem ge- schickten Manne zur Aufsicht anvertraut, und ihn itzt nur auf etliche Wochen zu sich kommen lassen, weil sie wegen der anhal- tenden Krankheit ihr Ende vermuthet. Sie Leben der Schwedischen Sie gestund mir zu gleicher Zeit, daß sie von meinem verstorbenen Gemahle auch eine Tochter gehabt hätte. Sie wäre mit ihr in Holland darnieder gekommen, und hätte sie bey ihrem Bruder, einem Kauf- manne im Haag, theils auf sein Bitten, theils aus andern Ursachen zurück gelas- sen; dieses Kind aber wäre in seinem sechsten Jahre gestorben, wie ihr ihr Bru- der geschrieben hätte. Jch wollte wün- schen, fuhr sie fort, daß sie ihren Auf- enthalt in Holland bey meinem Bruder nehmen könnten. Doch, so viel ich weis, ist er nicht mehr in den besten Umständen. Jch habe lange keine Nachricht von ihm, und weis nicht, ob er sich von seinem star- ken Bankerotte wieder erholet hat, oder nicht? Der Herr R-- kam unterdessen von seiner vergebenen Reise wieder. Es war Zeit, daß wir uns von einem Orte weg machten, wo wir länger nicht wohl ver- Gräfinn von G ** verborgen bleiben konnten. Ehe wir noch fortgiengen, so starb der Bediente des Herrn R--, dessen Verlust uns nicht wenig daurete. Dieser redliche Mensch gab seinem Herrn vor seinem Tode vier hundert Stück Ducaten. Dieses Geld, sagte er, habe ich in ihrem Dienste und durch ihre Freygebigkeit gesammlet, und ich bin froh, daß ich es ihnen wieder ge- ben kann. Jhrer Güte, ihrem Unterrich- te und ihrem Exempel habe ichs zu dan- ken, daß ich itzt gelassen und freudig ster- ben kann. Wenn sie nur wieder einen Menschen hätten, auf den sie sich verlassen könnten. So gewiß ists, daß man auch den niedrigsten Menschen edelmüthig ma- chen kann, wenn man ihn nicht bloß als seinen Bedienten und Sclaven, sondern als ein Geschöpf ansieht, das unserer Auf- sicht anvertraut, und zu einem allgemei- nen Zwecke nebst uns gebohren ist. Wir verließen nunmehr Carolinen, in Begleitung ihres Sohnes. Sie ver- sprach, Leben der Schwedischen sprach, so bald es möglich wäre, uns zu folgen, und ihr Landgütchen zu verkau- fen. Wir kamen glücklich in Amsterdam an. Der Vetter des Herrn R--, bey dem wir uns aufhalten wollten, war zwar ge- storben, doch lebte seine Tochter noch. Sie kannte den Herrn R--, so bald sie ihn sah; denn er war, wie ich schon ge- sagt habe, mit meinem Gemahl ehedem durch Holland gereiset. Sie nahm uns sehr gütig auf, und ihr Ehemann war ebenfalls ein vernünftiger und dienstferti- ger Mann. Jch entdeckte mich ihnen, und bat, daß sie meinen Stand nicht allein verschwiegen halten, sondern ihn auch ver- gessen, und mich nicht mehr als eine Grä- finn, sondern als eine unglückliche Freun- dinn betrachten möchten. Sie hatten von dem Schicksale meines Gemahls schon durch die Zeitungen gehöret. Und wenn ich auch keine Eigenschaften gehabt hätte, mich bey diesen Leuten in Gewogenheit und Ansehen zu setzen: so war doch mein Unglück Gräfinn von G ** Unglück schon die beste Empfehlung. Ja ich erfuhr, daß ein grosses Unglück in den Gemüthern vieler Menschen fast eben die Wirkungen hervor bringt, welche sonst ein grosses Glück zu verursachen pflegt. Man schätzt uns hoch, weil wir viel erlit- ten oder viel verlohren haben, und man macht unsern Unfall zu unserm Verdien- ste, so wie man oft unser Glück, ob wir gleich nichts dazu beygetragen haben, als unsre Vollkommenheit ansieht. Mit ei- nem Worte, diese Leute erwiesen mir, ehe ich sie noch kannte, mehr Hochach- tung und Gefälligkeit, als ich fordern konnte. Sie gaben mir einen ganzen Theil von ihrem Hause zu meiner Woh- nung ein; ich nahm aber nicht mehr, als ein Paar Zimmer. Und damit ich diesen gutthätigen Leuten nicht zur Last werden möchte: so entdeckte ich dem Herrn R-- daß ich willens wäre, meine Juwelen zu Gelde zu machen, und das Geld in die Handlung seiner Frau Muhme zu legen. Er Leben der Schwedischen Er sagte, daß er es mit seinen vier hun- dert Ducaten, die ihm sein Bedienter ge- geben, schon also gemacht hätte. Mein dienstwilliger Wirth verhandelte meine Juwelen für zwölf tausend Thaler, und sagte, daß er mir keine Jnteressen, son- dern den ordentlichen Gewinnst davon ab- geben wollte, der bey der Rechnung in seinem Handel auf dieses Capital fallen würde. Jch bat ihn, daß er mir keine Rechnung ablegen, sondern mich und mei- ne beyden Reisegefährten, an statt der Jnteressen, erhalten sollte. Jch lebte hier so ruhig, daß ich mir keinen andern Ort wünschte. Herr R-- hatte den Sohn von Carolinen bey sich. Weil er kein Amt hatte: so gab er sich selber eins, und zog diesen jungen Menschen mit so vieler Sorgfalt auf, als ein Mann thun kann, der in dem Bewustseyn edler Absichten und nützlicher Thaten seine Belohnung sucht. Und wie sehr würden nicht die Grossen viele niedrige und unberühmte Männer Gräfinn von G ** Männer beneiden, wenn sie die Beloh- nung kennten, welche solchen Leuten das Gedächtniß ihrer rühmlichen Absichten und guten Thaten zu schenken pflegt. Er unterrichtete den jungen Menschen in den Sprachen und Künsten, und brachte ihm die edelsten Meynungen von der Religion und der Tugend bey. Was sein Unter- richt nicht that, das richtete sein Exempel aus. Der Schüler ward seinem Lehrer ähnlich, und belohnte dessen Mühe durch einen fähigen Verstand und durch ein gu- tes Herz. Jch brachte meine Zeit mei- stens mit Studiren zu, wenn anders ein Frauenzimmer ohne Eitelkeit dieses von sich sagen kann. Jch redte des Tages ge- meiniglich eine Stunde mit unserm jungen Schüler, und suchte ihm das Wohlan- ständige beyzubringen, das junge Manns- personen oft am ersten von einem Frauen- zimmer lernen können. Jch suchte sein flüchtiges und feuriges Wesen der Jugend durch meine Ernsthaftigkeit zu mäßigen. E Jch Leben der Schwedischen Jch that stets fremd gegen ihn, und stell- te verschiedene Personen vor, damit er meinen Umgang nicht zu gewohnt werden, und in meiner Gesellschaft immer etwas neues finden sollte. Mit der Tochter mei- ner Wirthinn, welche ein Mädchen von etwan acht Jahren war, vertrieb ich mir manche Stunde. Jch lehrte sie franzö- sisch, zeichnen, sticken, und auch singen. Kurz, ich führte eine sehr ruhige Lebens- art. Mein Wirth und seine Frau be- qvemten sich nach meinem Geschmacke, und lernten mir die Vergnügungen ab, mit welchen sie mich unterhalten wollten. Sie brachten mich niemals in große Gesell- schaften. Sie störten mich nicht in mei- ner Einsamkeit, als bis ich gestört seyn wollte. Jch durfte weder befehlen, noch bitten, wenn ich ein Vergnügen haben wollte. Jch durfte nur wählen. Man hielt mich in unserm Hause für eine An- verwandtinn der Wirthinn. Und wer sonst mit mir umgieng, wußte es auch nicht Gräfinn von G ** nicht besser. Mein verschwiegener Stand nöthigte mich also nicht den glänzenden und sehr beschwerlichen Charackter einer Standsperson in Gesellschaften zu behaup- ten, und dieses zu meinem großen Vor- theile. Hätte man gewußt, daß ich eine Gräfinn wäre; so würde man, an Statt mich zu bewundern, nur mein gutes für einen nothwendigen Antheil meines Stan- des angesehen haben. Oder wenn es hoch gekommen wäre; so würde man mich nur verehret haben, da man mich gegen- theils itzt zugleich verehrte und liebte, und meinen Umgang suchte. Vier Jahre hatte ich nunmehr in Am- sterdam zugebracht, und zu verschiedenen malen an Carolinen geschrieben, und sie an ihr Versprechen, zu mir zu kommen, erinnert; allein sie blieb aus. Jhr Sohn sollte sich nunmehr eine Le- bensart erwählen, welche er wollte. Er E 2 bezeig- Leben der Schwedischen bezeigte Lust zu dem Soldatenstande, und der Herr R-- war so wenig dawider, daß er seine Wahl vielmehr billigte. Gesitte- te und geschickte Leute, sagte er, sind nir- gends nöthiger und nützlicher, als wo es viele Ungesittete giebt. Werden sie ein Soldat, und zeigen sie, daß man uner- schrocken, tapfer, strenge, und doch auch weise, vorsichtig und liebreich seyn kann. So lange sie die Religion und ein gutes Gewissen haben werden: so lange wer- den sie den Tod zwar nicht gleichgültig ansehen; aber doch ohne Entsetzen erwar- ten, und nie aus Zagheit vermeiden. Die- ses ist die wahre Tapferkeit. Wir kauf- ten ihm eine Fähndrichsstelle; und er gieng zu seinem Regimente ab, welches nachmals an die Grenze von Holland zu stehen kam. Nunmehr kömmt eine von den wunder- samsten Begebenheiten meines Lebens, welche mir von Leuten, die den Stand lieben, Gräfinn von G ** lieben, und die Menschen nicht nach ihren Neigungen und Eigenschaften, sondern stets nach der Geburt und nach dem Ran- ge unter einander vergleichen, schwerlich wird vergeben werden. Jch war noch in meinen besten Jahren, und die An- nehmlichkeiten in meiner Bildung waren noch nicht verlohren gegangen, oder höch- stens zum Theile nur so verloschen, wie die kleinen Züge in einem Gemälde die man nicht sehr vermißt. Es fanden sich verschiedene Holländer von Ansehen und grossem Vermögen, die mich zur Frau be- gehrten. Allein ihr Suchen war um- sonst. Wer einen so liebenswürdigen und vortrefflichen Gemahl, als ich, gehabt, konnte in der Liebe leicht etwas eigensin- nig seyn. Ob nun gleich keiner von mei- nen Freyern seine Absicht erreichte: so weckten sie doch die Erinnerung von der Süßigkeit der Liebe bey mir wieder auf. Du willst, dachte ich, um dieser Herren los zu werden, dich selbst zu einer Wahl E 3 ent- Leben der Schwedischen entschließen. Diese Ursache zu einer Ehe ist etwas weit hergeholet. Jndessen war es gewiß, daß ich sie bey mir selber vor- wand, weil es mein Herz haben wollte. Der Herr R-- kam an einem Nachmit- tage zu mir auf meine Stube und fragte mich, ob ich mich bald der Ehe zum Be- sten entschlossen hätte. Rathen sie mir denn, sprach ich, daß ich wieder heyra- then soll? Nicht ehe, versetzte er, als bis ich sehe, daß es ihnen ihr eigen Herz ge- rathen hat. Sie kennen meine Aufrich- tigkeit, und sie wissen, daß ich nichts für ein Glück halte, was man nicht verlangt und freywillig wählt. Unter der großen Anzahl Männer, die sich um ihr Herz be- mühen, gefällt mir keiner besser, als der Herr von der H--; Nicht deswegen, weil er sehr gelehrt ist; sondern weil er außer seinen Wissenschaften und seiner wichtigen Be- dienung sehr viele Vortheile hat, die ihm Liebe erwerben, und ihn zur Liebe geschickt machen. Jch habe gewiß Recht, daß er ein Gräfinn von G ** ein liebenswürdiger Mann ist; allein die- sem Urtheile dürfen sie darum nicht trauen. Jch betrachte den Mann zwar nach einerley Begriffen mit ihnen, al- lein nicht nach einerley Empfindungen. Jch liebe ihn als einen Freund, und als ein Freund kann er ihnen angenehm und liebenswerth vorkommen, aber dar- um noch nicht als ein Ehemann. Un- ser Herz ist oft so beschaffen, daß es die Liebe gegen eine ihm angenehme Person zurück hält, so bald es auf das genaue- ste mit ihr verbunden werden soll. Viel- leicht, fuhr er fort, gefällt ihnen einer von den andern Herren besser zur Liebe, ob ihnen dieser gleich zu einem guten Freunde genug gefällt. Jch versicherte ihn, daß ich mich sei- nes Raths bedienen würde, so bald ich meine eigene Neigung zu Rathe gezogen hätte. Warum, fuhr ich fort, heirathen sie denn nicht? O, sagte er, ich würde E 4 es Leben der Schwedischen es gewiß gethan haben, wenn meine Um- stände und die Liebe mir zur Ehe gera- then hätten. Die Liebe und meine Phi- losophie sind einander gar nicht zuwider. Eine recht zufriedene Ehe bleibt nach allen Aussprüchen der Vernunft die größte Glückseligkeit des gesellschaftlichen Lebens. Zeigen sie mir nur eine Per- son, die mir anständig ist, und die ihnen die Versicherung giebt, daß sie mich zu besitzen wünscht: so werde ich sie, so bald ich sie kenne, mit der größten Zu- friedenheit zu meiner Gattinn wählen. Wir haben alle eine Pflicht, uns das Leben so vergnügt und anmuthig zu machen, als es möglich ist. Und wenn es wahrscheinlich ist, daß es durch die Liebe geschehen kann: so sind wir auch zur Liebe und Ehe verbunden. Allein, versetzte ich, sie haben ja, so lange ich sie kenne, gegen unser Geschlecht sehr gleichgültig zu seyn geschienen; wie kömmt es denn, daß sie der Liebe itzt das Wort reden? Gräfinn von G ** reden? Jch bitte, sprach er, vermengen sie die Bescheidenheit nicht mit der Gleichgültigkeit. Jch weis, daß man dem andern mit seiner Liebe oft so be- schwerlich fallen kann, als mit seinem Hasse. Und aus diesem Grunde bin ich stets behutsam, aber darum nicht gleichgültig gegen das Frauenzimmer. Jch weis eine Person, hub ich an, die sie liebt, und ich glaube nicht, daß sie ihnen misfallen wird. Allein deswegen weis ich auch noch nicht, ob es eben diejenige ist, mit der sie das genaueste Band der Liebe schliessen wollen. Er ward bestürzt, und fragte mich wohl zehnmal, wer sie wäre. Jch hielt ihn lange auf, und endlich versprach ich ihm, daß er sie Nachmittage zu sehen bekom- men sollte. Nachmittage schickte ich ihm mein Portrait, und schrieb ein Billet ungefehr dieses Jnnhalts an ihn: So hat die Person in ihrer Jugend ausgesehn, die sie liebt. Erst hat sie nur E 5 Freund- Leben der Schwedischen Freundschaft und Erkenntlichkeit gegen sie empfunden. Die Zeit und ihr Werth hat diese Regungen in Liebe verwandelt. Der liebste Freund meines Gemahls hat das erste Recht auf mein Herz. Sie sind so großmüthig und tugendhaft mit mir umgegangen, daß ich Sie lieben muß. Antworten Sie mir schriftlich. Entschul- digen Sie sich nicht mit ihrem Stande. Sie haben die Verdienste; was geht die Vernünftigen die Ungleichheit des Stan- des an? Um die Unvernünftigen dürfen wir uns nicht bekümmern, weil hier nie- mand von meinem Stande weis. Er kam den Augenblick zu mir. Und eben der Mann, der so wohl bey mei- nes Gemahls Lebzeiten, als nach seinem Tode nie so gethan hatte, als ob er mir eine Liebkosung erweisen wollte, wußte mir itzt seine Zärtlichkeit mit einer so an- ständigen und einnehmenden Art zu be- zeigen, daß ich ihn würde zu lieben an- gefangen Gräfinn von G ** gefangen haben, wenn ich ihn noch nicht geliebt hätte. Nunmehr, sagte er, ha- ben sie mir das Recht gegeben, ihnen mein Herz sehen zu lassen. Und nun- mehr kann ich ihnen ohne Fehler das ge- stehen, was mich die Ehrerbietung sonst hat verschweigen heissen. Jch habe an das Glück, das sie mir itzt anbieten, wie der Himmel weis, kaum gedacht. Und wenn ich auch daran gedacht hätte: so würde mich meine wenige Eigenliebe nie- mals diesen Gedanken haben fortsetzen lassen. Es fehlt zu meiner Zufriedenheit nichts, als daß sie mich überzeugen, daß ich ihrer werth bin: so will ich mich für den glücklichsten Menschen schätzen. Kurz, wir giengen zu unserer Wirthinn, wir sagten ihr unsern Entschluß, und sie war nebst ihrem Manne über diese unvermu- thete Nachricht ausnehmend erfreut. Un- sere kleinen Capitale hatten sich binnen sechs Jahren in der Handlung fast um noch einmal so viel vermehret, und wir hätten Leben der Schwedischen hätten beyde sehr gemächlich davon le- ben können. Allein unser freundschaft- licher Wirth wollte uns nicht aus sei- nem Hause lassen. Er behielt unser Geld, und erwies uns, wie zuvor, alle mögliche Gefälliakeiten. Also war Herr R-- mein Gemahl, oder wenn ich nicht mehr standesmäßig reden soll, mein lie- ber Mann. Jch liebte ihn, wie ich auf- richtig versichern kann, ganz ausnehmend, und so zärtlich, als meinen ersten Ge- mahl. An Gemüthsgaben war er ihm gleich, wo er ihn nicht noch in gewissen Stücken übertraf. Aber an dem äußer- lichen kam er ihm nicht bey. Er war wohl gewachsen; allein er hatte gar nicht das Einnehmende an sich, das gleich auf das erstemal rührt. Nein, man mußte ihn etliche mal gesehen, man mußte ihn gesprochen haben, wenn man ihm recht gewogen seyn wollte. Jch will deswe- gen nicht behaupten, daß er sich für alle Frauenzimmer geschickt haben würde. Genug, Gräfinn von G ** Genug, er gefiel mir, und ich fand jeden Tag in seinem Umgange eine neue Ur- sache, ihn zu lieben. Er war nahe an vierzig Jahre, und er hatte seit der Zeit, daß ich ihn bey meinem Gemahle kennen lernen, sich gar nicht von Person geän- dert. Seine ordentliche und stille Le- bensart erhielten ihn so gesund, als ob er erst zu leben anfieng. Wer war glücklicher, als wir! Unser Glück fiel nie- manden in die Augen, und desto ruhiger konnten wir es genießen. Wir lebten ohne zu befehlen, und ohne zu gehor- chen. Wir durften niemanden von un- sern Handlungen Rechenschaft geben, als uns selbst. Wir hatten mehr, als wir begehrten, und also genug, andern wohl zu thun. Wir hatten eine Gesellschaft, die sich zu unsern Neigungen schickte. Wir lebten an dem volkreichsten Orte in der größten Stille. Dieses war un- ser Verlangen. Wir konnten uns beyde mit dem edelsten Zeitvertreibe, mit Lesen und Leben der Schwedischen und Denken unterhalten. Wir studirten, ohne daß uns deswegen jemand bewun- dern sollte. Wir studirten zu unserer eigenen Ruhe. Und daß ich alles mit einmal sage, wir wußten in unserer Ehe von keinem andern Wechsel, als von Gefälligkeiten und Gegengefälligkeiten. Viele können es nicht vertragen, wenn sie die Liebe verehlichter Personen so zärt- lich abgeschildert sehen, als die Liebe zwi- schen, unverehlichten, weil man sieht, daß die meisten Ehen die Liebe eher auslö- schen. als vermehren. Doch solche Leu- te wissen nicht, was Klugheit und Be- hutsamkeit in der Ehe für Wunder thun können. Sie erhalten die Liebe und be- fördern ihren Fortgang, wie das Herz durch seine Bewegung den Umlauf des Geblüts. Es ist wahr, eine beständige und sich stets gleiche Zärtlichkeit ist in der Ehe nicht möglich. Doch wenn nur auf beyden Seiten eine gegründete Liebe vorhanden ist: so kann sie bis in die spä- testen Gräfinn von G ** testen Jahre feurig und lebhaft bleiben. Unsere Empfindungen können wohl et- was abnehmen, allein diese Abnahme heißt wenig. Derjenige hat allemal ge- nug Vergnügen, so lange er so viel hat, als das Maaß seiner Empfindungen ver- langt. Genug, wir sind nach vielen Jahren noch so verliebt in einander ge- wesen, als wenn wir uns erst zu lieben angefangen hätten. Man denke ja nicht, weil wir die Wissenschaften liebten, daß wir an uns nur unsere Seelen geliebt hätten. Jch habe bey allen meinen Bü- chern über die metaphysische Geisterliebe nur lachen müssen. Der Körper gehört so gut, als die Seele, zu unserer Natur. Und wer uns beredet, daß er nichts als die Vollkommenheiten des Geistes an einer Person liebt, der redet entweder wider sein Gewissen, oder er weis gar nicht, was er redet. Die sinnliche Lie- be, die bloß auf den Körper geht, ist eine Beschäftigung kleiner und unfrucht- barer Leben der Schwedischen barer Seelen. Und die geistige Liebe, die sich nur mit den Eigenschaften der Seele gattet, ist ein Hirngespinste hochmü- thiger Schulweisen, die sich schämen, daß ihnen der Himmel einen Körper gegeben hat, den sie doch, wenn es von den Reden zur That käme, um zehen Seelen nicht würden fahren lassen. Jch komme wieder zu meiner Ge- schichte. Wir lebten, wie ich gesagt habe, so vergnügt, als man nur le- ben kann. Wir meldeten Carlso- nen, so hieß Carolinens Sohn, der Fähndrich, unsere Heirath, und baten ihn, daß er uns besuchen sollte, wenn es möglich wäre; denn wir hatten ihn nun wohl in vier Jahren nicht gesehen. Er schrieb uns, daß er Lieutenant wor- den wäre, daß es ihm sehr wohl gienge, und daß er sich vor wenig Wochen mit einem Frauenzimmer, die ihm zu gefal- len das Kloster heimlich verlassen, ver- heirathet Gräfinn von G ** heyrathet hätte. Von ihrem Stande könnte er uns nichts sagen, weil sie in dem sechsten Jahre in das Kloster ge- kommen, und darinnen bloß unter dem Namen Mariane bekannt gewesen wäre. Sie möchte indessen von dem niedrig- sten Herkommen seyn; so wäre sie doch so liebenswürdig, daß er sich nur einen hohen Stand wünschen wollte, um seine Geliebte darein setzen zu können. Denn Carlson wußte nichts weiter von seiner Geburt, als daß sein Vater ein Auf- seher auf den Gütern meines ersten Gemahls gewesen und ihm jung gestor- ben wäre. Er bat uns unbeschreiblich, daß wir nach dem Haag kommen sollten, von welchem Orte er itzt nur etliche Meilen weit in dem Quartiere stünde. Diese Nachricht erschreckte uns fast mehr, als sie uns erfreuete. Wir ver- mutheten bey dieser Ehe zwar genug Liebe, aber nicht genug Ueberlegung. Jndessen schickten wir ihm etliche hun- Erster Theil. F dert Leben der Schwedischen dert Ducaten, daß er seine Umstände desto bequemer einrichten könnte. Wir versprachen auch, ihn so bald zu besu- chen, als es die Jahrszeit und meine Umstände erlauben würden; denn ich war mit einer Tochter darnieder gekommen. Wir reiseten den folgenden Frühling nach dem Haag ab. Wir fanden an unserm Carlson und seiner Frau ein Paar Eheleute, die einander werth waren. Mariane war ein ganz außerordentlich schönes Frauenzimmer. Sie war blond, und hatte ein Paar große blaue und schmachtende Augen, die sich zu schämen schienen, daß sie die Verräther von ei- nem sehr zärtlichen Herzen seyn sollten. Und wenn auch die übrigen Theile ihres Gesichts nicht so ausnehmend wohlge- stalt und recht abgemessen gewesen wä- ren: so hätte sie doch bloß ihrer Augen wegen den Namen einer Schönheit ver- dient. Von ihrem Verstande will ich nicht viel sagen. Sie war in dem Klo- ster Gräfinn von G ** ster erzogen. Jhr unschuldiges und auf- richtiges Herz hätte auch den Mangel des Witzes tausendmal ersetzt, wenn sie gleich weniger Einsicht gehabt hätte, als sie in der That hatte. Es hieng ihr noch etwas Schüchternes aus dem Klo- ster an; allein selbst diese Schüchternheit schickte sich so wohl zu ihrer Unschuld, daß man sie ungern würde vermißt ha- ben. Ja, ich sage noch mehr, man lieb- te so gar an ihr die Schüchternheit; so wie oft ein Fehler unter gewissen Um- ständen zu einer Schönheit werden kann. Jch suche die Worte vergebens, mit denen ich ihre Zärtlichkeit gegen ihren Mann beschreiben will. Man stelle sich einen sehr einnehmenden, feurigen und blühenden Mann, (denn dieses war Carl- son) und dann ein von Natur zärtliches Frauenzimmer vor, die von Jugend auf eine Nonne gewesen war, und bey der die F 2 süs- Leben der Schwedischen süssen Empfindungen nur desto mächtiger geworden waren, weil sie an der stren- gen Lebensart und an den Regeln einer hohen Keuschheit einen beständigen Wi- derstand gefunden hatten: so wird man die innbrünstige und schmachtende Liebe dieser jungen Frau einigermaaßen denken können. Jch war so wohl mit unsers Carlsons Wahl zufrieden, als mein Mann, und wir vergnügten uns an der Zufriedenheit dieses Paars so sehr, daß wir nicht wieder von ihm kommen konn- ten. Wir ließen Geld aus Amsterdam kommen, und blieben ein ganzes Jahr, und länger bey diesen zärtlichen Eheleu- ten. Nichts fehlte uns, als Carlsons redliche Mutter. Wir hatten Briefe von ihr, daß es sich mit ihrer Gesundheit ge- bessert hätte, und daß sie im Stande wäre, bald zu uns zu kommen. Wir schickten auch den Reitknecht, der mir ehemals die Post von meines Gemahls Tode gebracht hatte, fort, daß er sie ab- holen Gräfinn von G ** holen und zu uns bringen sollte. Er hatte sie bereits unterwegs angetroffen, und sie war bey uns, ehe wir es ver- mutheten. Sie hatte sich recht verjüngt, und sie ward durch die Freude über ih- res Sohnes Glück und mein Vergnü- gen alle Tage belebter und munterer. Jndessen versicherte uns diese rechtschaf- fene Frau, daß ihr Vergnügen gar zu groß sey, als daß es lange Bestand ha- ben könnte. Mariane kam mit einer Tochter darnieder. Auch dieses diente uns zu einer neuen Freude. Doch ie mehr wir Ursache hatten, mit Marianen zufrieden zu seyn, desto begieriger wur- den wir, etwas gewisses von ihrer Her- kunft zu erfahren. Gleichwohl war alle unsere angewandte Mühe vergebens, uns dieses Geheimniß zu entdecken. Maria- ne hatte ihrem Manne zu Liebe das Kloster heimlich verlassen, und wir muß- ten bey unserer Nachforschung sehr be- hutsam gehen, damit wir sie nicht in die F 3 Gefahr Leben der Schwedischen Gefahr setzten, entdeckt zu werden. Jm Kloster fertigte man diejenigen, die wir insgeheim nachfragen ließen, mit der Ant- wort ab, daß ihnen Marianens Stand und Geburt unbekannt wäre, daß sie in ihrem sechsten Jahre von einem gemeinen Manne in das Kloster gebracht worden, der ein gewisses Geld zu ihrer Erziehung da gelassen, und nichts gesagt hätte, als daß sie die Tochter eines unglücklichen Holländers wäre, der sie nicht in der re- formirten Religion erziehen lassen wollte. Vielleicht könnte er der Aebtissinn mehr vertraut haben, diese aber wäre todt. Kurz, wir erfuhren nichts, und es konnte seyn, daß man in dem Kloster selbst nichts gewisses von Marianens Herkunft wußte. Denn wie viele Kinder werden nicht un- ter einem fremden Namen in die Klöster gebracht, und durch unbekannte Hände erhalten. Endlich mußten wir uns doch entschlies- sen, wieder nach Amsterdam zurück zu ge- hen. Gräfinn von G ** hen. Unsere Umstände forderten diese Trennung. Caroline begleitete uns nach dem Haag. Sie erkundigte sich hier, ob sie nicht iemanden antreffen könnte, der ihr von ihrem Bruder, Andreas, Nach- richt geben könnte. Allein sie erfuhr nichts weiter, als was wir schon wußten, nämlich, daß er nach seiner Frauen To- de unglücklich in seiner Handlung gewor- den, und weil er sein Vermögen einge- büßet hätte, mit einem Schiffe nach Ost- indien gegangen wäre, sein Glück von neuem zu versuchen. Wir blieben noch etliche Tage in dem Haag, und nahmen unsere Reisegelder in Empfang. Und eben da wir fort wollten, so ließ uns der Kaufmann, der sie uns ausgezahlt hatte, sagen, daß in Amsterdam vor etlichen Tagen ein Ostindienfahrer, und auf die- sem Schiffe zugleich Herr Andreas, der Kaufmann, nach dem wir ehedem gefragt hätten, zurück gekommen, und heute bey ihm gewesen wäre. Diese Zeitung war F 4 zu Leben der Schwedischen zu wichtig, als daß wir unsere Reise hät- ten fortsetzen sollen, ohne den Herrn An- dreas zu sprechen. Aber wollte der Him- mel, daß wir ihn in unserm Leben nicht gesehen hätten! Er kam den andern Tag zu uns. Carolinens erste Frage war, warum er ihr denn vor seiner Abreise nach Ostindien nichts ausführliches von dem Tode ihrer Tochter geschrieben hät- te? Jst denn Mariane todt? rief er. Was willst du denn mit der Mariane? ver- setzte seine Schwester. Meine Tochter hieß ja, wie ich, Caroline. Wo ist sie denn? Jst sie nicht todt? Ach wenn doch die- ses Gott wollte! Ja doch, sprach Andreas, ich weis es wohl, sie hieß Caroline; aber aus Liebe zu meiner Frau, und weil ich sie an Kindesstatt angenommen hatte, nennte ich sie nach meiner Frau, Maria- ne. Jch will dir alles erzählen; aber versprich mir, daß du mir auch alles ver- geben willst. Meine liebe Frau starb mir, wie ich dir vor zehn Jahren gemel- det Gräfinn von G ** det habe. Mariane war ebenfalls tödt- lich krank, und ich hielt sie schon für ver- loren. Allein es besserte sich mit ihr. Jndessen nöthigte mich mein Bankerott, mein Glück anderwärts zu versuchen. Jch gieng nach Ostindien. Du weist, daß ich der Catholischen Religion zuge- than bin. Jch liebte deine Tochter, oder vielmehr meine an Kindesstatt angenom- mene Mariane recht väterlich. Um sie nun theils in meiner Religion erziehen zu lassen, theils sie wohl zu versorgen: so nahm ich, was ich noch hatte, und that dieses liebe Kind vor meiner Abrei- se, und ohne iemanden etwas zu sagen, in ein Kloster an der Grenze der Oester- reichischen Niederlande. Jch war eben im Begriffe dahin zu reisen, und zu sehen, ob Mariane noch lebte, als ich hieher gerufen ward. Jch kann nicht länger warten, ich muß wissen, ob sie noch lebt. Komm mit, sprach er zu Carolinen. Wir wollen den Augenblick in das Kloster fah- F 5 ren. Leben der Schwedischen ren. Jn drey Tagen sind wir wieder hier. Und ohne ein Wort weiter zu sprechen, giengen sie beyde fort. Mein Mann und ich hatten kaum das Herz uns anzusehen, geschweige zu reden. Ein heimlicher Schauer lief mir durch alle Glieder. Gott, was soll das werden! fieng endlich mein Mann an. Mariane, das Kloster-- und nicht weit von der Grenze. Was sind dieses für entsetzli- che Nachrichten! Ach der arme, der un- glückliche Carlson! Möchte doch dieses- mal unsere Muthmaßung falsch seyn! Wäre doch Andreas wieder da, oder wäre er vielmehr nimmermehr wieder nach Europa gekommen! Seine Gegen- wart wird uns ganz gewiß das traurig- ste Geheimniß offenbaren, das uns ewig hätte verborgen bleiben sollen. Wird nicht Caroline, um ihre Tochter wieder zu finden, sie als Frau aus den Armen ihres eigenen Sohns reissen müssen? Mit diesen grausamen Vorstellungen qväl- ten Gräfinn von G ** ten wir uns, bis Andreas mit seiner Schwester, der Caroline, wieder zurück kam. Jhr Anblick ließ uns zu unserem Unglücke die Sache auf einmal errathen. Caroline zerfloß fast in Thränen. Sie that untröstlich, und ihr Bruder, als ein harter Mann, ließ zwar äußerlich keine Traurigkeit spüren; allein er saß ganz be- täubt. Wir konnten aus beyden lange Zeit kein Wort bringen. Sie hatten mit einem Worte in dem Kloster erfahren, daß eine Nonne, mit Namen Mariane, welche um das und das Jahr, (Tag und Jahr traf beydes ein,) in das Kloster gebracht wäre, vor anderthalb Jahren dasselbe heimlich verlassen, und, so viel man wüß- te, sich mit einem jungen von Adel ver- heyrathet hätte. Was war zu thun? Wir mußten, an Statt nach Amsterdam zu reisen, wieder zurück nach Carlsons Qvartier. Wir sahen alle viere nur mehr als zu gewiß, daß diese Nonne niemand anders, als Carlsons Frau seyn würde. Doch Leben der Schwedischen Doch man müßte das menschliche Herz nicht kennen, wenn man glaubte, daß wir zu unserm Troste keine Ausflüchte ge- wußt hätten. Eine Nachricht, von der uns die Gewißheit erschreckt, und das Gegentheil erfreut, mag noch so wahr- scheinlich seyn, als sie will, so sind wir doch sinnreich genug, sie zweifelhaft zu machen. Sollte ich, sagte Caroline, denn mein Kind, mein leiblich Kind nicht ken- nen? Sollte es denn keine Aehnlichkeit mit mit mir haben? Gleichwohl hatte sie es verlassen, da es kaum einige Monate alt gewesen war. Ein junger von Adel, fieng mein Mann oft unterwegs an, ein jun- ger von Adel? Wenn hat sich denn Carl- son dafür ausgegeben? Er ist viel zu be- scheiden, als daß er sich einen Stand an- dichten sollte, in dem er nicht erzogen wor- den ist. Nein, nein, sprach ich, das wol- le Gott nicht! Hätte er sich auch für ei- nen Edelmann ausgegeben, warum hät- te er nicht gesagt, daß er ein Officier wäre? Gräfinn von G ** wäre? Vielleicht ist in eben dem Jahre noch ein Kind in das Kloster gekommen, das ebenfalls den Namen Mariane gehabt hat. Andreas, der der Philosophie wegen nicht nach Ostindien gereiset war, meynte, es läge schon in der Natur, daß ein Paar so nahe Blutsfreunde einander nicht als Mann und Frau lieben könnten. Jch glaube, daß wir uns alle Augenblicke auf dieser Reise widersprachen, ohne es zu merken. Voll Zittern und Hoffnung kamen wir also bey unserm Carlson wie- der an. Wir hatten uns vorgenommen, recht behutsam zu gehn, und die Ursache unserer Zurückkunft weder ihm noch ihr merken zu lassen. Wir wollten sagen, daß wir aus Vergnügen über die Ankunft des Herrn Andreas wieder mit umgekehrt wären. Wenn auch, sprachen wir alle, Mariane die rechte Mariane seyn sollte: so würden diese zärtlichen Eheleute doch beyde in Verzweifelung gerathen, wenn wir ihnen dieses traurige Geheimniß auf ein- Leben der Schwedischen einmal entdeckten. Nein, fieng ich an, wir bringen Marianen auf diese Art um das Leben. Jst sie die wahre Caroline: so will ich sie bitten, daß sie mir zu Liebe auf einige Zeit mit nach Amsterdam rei- sen soll. Jhr Mann wird ihr dieß Ver- gnügen nicht abschlagen. Jst sie einmal in Amsterdam: so wird es Zeit seyn, ihr das Geheimniß nicht so wohl zu entde- cken, als es sie nach und nach entdecken zu lassen. Weis es Mariane: so soll es Carlson auch erfahren. Er muß sie in seinem Leben nicht wieder zu sehn bekom- men. Dieses wird der einzige Trost seyn, mit dem wir ihm in seinem mitleidenswür- digen Jrrthume beystehen können. Er kennt die Religion, und hört die Ver- nunft. Die Tochter aus dieser unglück- lichen Ehe will ich erziehen lassen, damit Mariane den traurigen Beweis einer so zärtlichen und nunmehr unerlaubten Liebe nicht vor Augen hat. Jn dieser Berath- schlagung langten wir bey Carlson an. Er Gräfinn von G ** Er trat in die Thüre, indem wir anka- men, und lief uns mit Verwunderung entgegen. Wir heiterten unsere Gesichter so gut auf, als es möglich war, nnd sag- ten ihm, daß Herr Andreas, Caroli- nens Bruder, den wir in dem Haag von seiner Wiederkunft aus Jndien angetrof- fen hätten, die Ursache unserer Zurückkunft wäre. Wer war froher, als er! Wir traten in die Stube zu seiner Mariane. Kaum hatte Andreas Marianen erblickt: so fiel er ihr um den Hals, und schrie mit einem entsetzlichen Tone: Ach das Gott erbarme, sie ist es, sie ist es! Jch un- glücklicher Mann, ich bin an allem Schuld! Dieses war die Erfüllung von dem Vor- satze, bey der Sache behutsam zu gehen. Caroline lief als verzweifelnd zur Thüre hinaus. Mariane wollte sich von dem Andreas los machen; allein er ließ sie nicht aus seinen Armen. Jch hatte nicht so viel Gewalt über mich, daß ich hingehen, und ihn von ihr los reissen konnte. Carl- son Leben der Schwedischen son blieb auf einer Stelle stehen, und frag- te hundertmal, was es wäre. Mein Mann wollte es ihm sagen, und kehrte doch bey iedem Worte wieder ein. Mariane kam endlich auf mich zu. Jch sollte ihr entde- cken, was es wäre. Jch fieng an zu re- den, ohne zu wissen was. Jch bat sie um Vergebung. Jch versicherte sie meiner ewigen Freundschaft. Jch umarmte sie. Dieses war es alles. Jndessen kam ihr Mann, und wollte sie aus meinen Armen nehmen. Nein, nein, schrie ich, Mariane ist nicht ihre Frau, Mariane ist ihre Schwe- ster. Jn diesem Augenblicke sank Mari- ane nieder, und ich erwachte darüber, als wie aus einem unruhigen Schlafe. Jch und mein Mann waren am ersten wieder bey uns selbst. Wir brachten Marianen auf ein Bette, und sie erholte sich aus ei- ner Ohnmacht, um in die andre zu fal- len. Jhre Leibesbeschaffenheit trug zu dieser Schwachheit vermuthlich viel bey. Sie war schwanger. Wir brachten sie Gräfinn von G ** sie den ganzen Tag nicht wieder zu sich selbst. Mein Mann war indessen nach Caro- linen gegangen, die wir, seit dem sie aus der Stube gelaufen war, nicht wieder ge- sehn hatten. Wenn ich einen Roman schriebe, so hätte sie Zeit genug gehabt, sich indessen mit einem Dolche, oder mit Gifte, um das Leben zu bringen. Allein die Verzweiflung in den Romanen, und die Verzweiflung im gemeinen Leben, haben nicht allemal einerley Wirkung. Mein Mann hatte sie in dem Garte hau- se auf den Knien angetroffen. Jch will gleich auf den andern Tag kommen. Das Gewaltsame unsers Affects hatte sich ge- legt, und sich an Statt dessen das Bange der Traurigkeit eingestellt. Thränen und Seufzer, welche die Bestürzung gestern zurück gehalten, hatten nun ihre Freyheit, und wir suchten unsern Trost in Klagen und im Mitleiden. Carlson kam vor das Erster Theil. G Bette Leben der Schwedischen Bette seiner Mariane, und mit ihm Weh- muth, Furcht, Schaam, Reue und ge- kränkte Zärtlichkeit. Es war erbärmlich anzusehen, wie sich diese beyden Leute ge- gen einander bezeigten. Die Religion hieß sie die Liebe der Ehe in Schwester- und Bruderliebe verwandeln, und ihr Herz verlangte das Gegentheil. Sie hat- ten einander unbeschreiblich geliebt. Sie waren noch in dem Frühlinge ihrer Ehe, und sie sollten dieses Band itzt ohne An- stand zerreissen. Sie hatten einander in ihrem Leben nicht gesehen, und also kam ihnen die Vertraulichkeit nicht zu Hülfe, die sonst die Liebe unter Blutsverwandten auszulöschen pflegt. Jhre Natur selbst that den Ausspruch zu ihrem Besten. Wie konnten sie etwas in sich fühlen, das ihre Liebe verdammte, da sie den Zug der Blutsfreundschaft nie gefühlt hatten. Ach, mein Bruder, rief Mariane einmal über das andere aus, verlaßt mich, verlaßt mich! Unglückseliger Gemahl fangt mich an Gräfinn von G ** an zu hassen. Jch bin eure Schwester. Doch nein! Mein Herz sagt mir nichts davon. Jch bin euer, Jch bin euer. Uns verbindet die Ehe. Gott wird uns nicht trennen. Jhr Gemahl war nicht besser gesinnt. Er hörte die Stimme der Lei- denschaften, um den Befehl der Reli- gion nicht zu hören. Er hütete sich ge- nau, sie nicht seine Schwester zu nennen. Er hieß sie seine Mariane. Er war be- redt und unerschöpflich in Klagen, die bis in das Herz drungen, weil sie das Herz hervorbrachte. Er fieng zuweilen mitten in seinen Klagen an zu philosophiren, und wie man leicht glauben kann, sehr eigen- nützig. Er erwies, daß ihre Ehe vor Gott erlaubt wäre, wenn sie auch die Welt verdammte. Und er that doch nichts, als daß er zehnmal nach einan- der sagte, daß sie öffentlich verbunden wären, und daß nichts als der Tod dieses Bündniß trennen sollte. Er wünschte unzähligemal, in der Sprache G 2 des Leben der Schwedischen des Affects, das Andreas gestorben seyn möchte, ehe er den Athem zur Entde- ckung dieses Geheimnißes hätte schöpfen können. Dieser saß da, als ob er sein Todesurtheil anhören sollte. Jch glau- be, daß er gern mit etlichen Jahren von seinem Leben das zerstörte Vergnügen dieser Zärtlichen wieder erkauft hätte. Caroline trat endlich zu Marianen an das Bette, und hieß Carlsonen weggehen. Meine Tochter, fieng sie an, ich habe dich wieder gefunden, um dich aus den Ar- men deines Bruders zu reissen. Woll- te Gott, daß ich dieser betrübten Pflicht zeitlebens hätte überhoben seyn können! Vielleicht ist es die Strafe, daß ich --- doch Gott hat es verhänget. Jhr seyd beyde keines Verbrechens schuldig. Eure Unwissenheit rechtfertiget eure Liebe, und die Gewißheit verbeut sie nunmehr. Jch bin eure Mutter, und ich liebe euch, als meine Kinder; aber ich verabscheue euch, wenn ihr das Band der Ehe dem Ban- de Gräfinn von G ** de des Blutes vorzieht. Die Anrede war sehr fromm; allein sie war zu heftig, und zu früh angebracht. Sie weckte die Verzweiflung in beyden von neuem auf. Mein Mann erwählte einen gelin- dern Weg, die zärtlichen Gemüther zu besänftigen. Er bediente sich eines Schein- grundes, der in der Stunde des Affects eben so viel Kraft zu haben pflegt, als die Wahrheit. Er sagte, es wäre eine Ge- wissenssache, die wir nicht entscheiden könnten. Wir wollen den Ausspruch ver- ständigen Gottesgelehrten überlassen. Er glaubte, daß die Ehe vielleicht noch Statt finden könnte. Dieses war eine Arzney, welche die Wehmuth der beyden Leute verminderte, und zugleich ihrer Liebe Wi- derstand that. Sie entschlossen sich, sich dem Ausspruche der Geistlichen zu un- terwerfen; aber gewiß nicht aus Ueber- zeugung, sondern aus Verlangen, desto ruhiger ihre Liebe fortsetzen zu können. Wir machten uns indessen ihre Bereit- G 3 willig- Leben der Schwedischen willigkeit zu Nutze, und ermunterten Ma- rianen, uns, so bald es ihre Umstände zuließen, nach Amsterdam zu folgen; viel- leicht wäre es möglich, daß man von Rom Dispensation erlangen könnte. Jhr Mann sollte sich Urlaub auf ein halb Jahr aus- bitten, und wenn er ihn erhielte, uns nachkommen. Alles dieses ließen sich die beyden Leute gefallen. Es strichen einige Tage dahin, und Mariane war in den Umständen, die Reise mit anzutreten. Jndem wir uns dazu anschickten, so er- hielt Carlson Ordre, sich unverzüglich, und bey Verlust seiner Stelle, zu dem Re- gimente zu verfügen, weil es marschiren sollte. Diese Nachricht that eine unglei- che Wirkung. Carlson war darüber erfreut, und Mariane ward von neuem niedergeschlagen. Kaum sah sie seine Zu- friedenheit über diese Post: so machte sie ihm die grausamsten Vorwürfe. Sie hieß ihn einen Ungetreuen, der ihrer los zu seyn wünschte. Sollte man wohl glau- Gräfinn von G ** glauben, daß eine Frau, die da wußte, daß ihr Mann ihr Bruder war, noch auf ei- nen solchen Verdacht fallen könnte? Al- lein was ist in der Liebe und in dem Trau- me wohl unmöglich? Wir sahen also lei- der nur mehr, als zu deutlich, wie heftig Mariane ihren Mann noch liebte, und wie sie in ihrem Herzen nichts weniger be- schlossen hatte, als ihn fahren zu lassen. Carlson versicherte sie mit den größten Be- theurungen, daß er sie noch unendlich liebte, und daß er über die Nachricht zum Marsche nur deswegen vergnügt wäre, weil er ihn als eine Gelegenheit ansähe, die der Himmel bestimmt hätte, der Sa- che den Ausschlag zu geben. Vielleicht, sprach er, verliere ich mein Leben, wenn es zu einem Feldzuge kömmt. Und wer ist alsdann glücklicher, als wir? Soll ich den Tod nicht geringer schätzen, als die Qvaal, euch zu sehen, und euch zu lieben? Und wollt ihr nicht lieber mit Gewalt von mir getrennt seyn, als die G 4 Pein Leben der Schwedischen Pein ausstehen, mich freywillig zu ver- lassen, und doch diese Freyheit niemals von eurer Liebe zu erhalten? Seyd getrost, liebste Mariane! Komme ich wieder zu- rück: so ist es ein Zeichen, daß der Him- mel unsre Ehe billiget. Verliere ich mein Leben: so ist es ein Beweis, daß ihr ei- nen Mann verloren habt, der nur euer Bruder, und nicht euer Ehemann seyn sollte. Welche glückselige Dienste leistet nicht der Jrrthum in gewissen Umstän- den! Und wie gut ist es nicht oft, daß wir das Vergnügen haben, uns selbst zu betrügen! Genug Carlsons Jrrthum war in Ansehung des Erfolgs vortrefflich. Er beruhigte ihn, und endlich auch Maria- nen. Sie ließen die Sache auf den Him- mel ankommen. Und sie versprachen sich von diesem Richter nichts als Gerechtig- keit, das ist, nichts, als was sie wünsch- ten. Sie flehten Gott um Beystand an, nicht anders, als ob ihnen die Menschen unrecht thäten. Kurz, sie waren voll Zu- ver- Gräfinn von G ** versicht und Vertrauen, die alle Wahr- heit nicht würde zuwege gebracht haben. Carlson reisete fort, als ob er in dem Treffen seine Mariane gewinnen sollte, und Mariane that so gesetzt, als ob sie ihn von sich ließe, um ihn auf ewig wie- der zu bekommen. So bald er fort war, so folgte sie uns ganz getrost nebst ihrer Tochter und ihrer Mutter nach Amster- dam. Andreas, der sich in Ostindien wie- der ein kleines Vermögen erworben hat- te, blieb in dem Haag, um von neuem seinen Handel anzufangen, wozu ihm Ca- roline einen Theil von ihren Geldern gab, die sie aus Deutschland mitgebracht hat- te. Wir trafen unsern gütigen Wirth in Amsterdam noch in seinen vorigen Umstän- den an. Wir gaben Marianen für Carl- sons Frau aus, und Caroline war seine Mutter. Jn wenig Monaten erhielten wir die Nachricht, daß Carlson zwar nicht gegen G 5 den Leben der Schwedischen Feind, sondern an einer hitzigen Feld- krankheit geblieben wäre. Caroline, ich und mein Mann bedaureten ihn sehr; aber wenn wir an seine Ehe dachten, so war uns sein Tod eine erwünschte Nachricht. Denn wer konnte die gefährliche Sache besser schlichten, als der Tod? Die Aus- sprüche der Geistlichen würden ganz ge- wiß wider diese Ehe gewesen seyn. Und Mariane und ihr Mann hätten entweder einander nicht verlassen, oder ohne einan- der das unglückseligste Leben geführet. Gleichwohl war uns für Marianen noch sehr bange. Sie hatte sich zwar dem End- urtheile des Himmels ergeben; aber, wie ich schon erinnert, in keiner andern Hoff- nung, als daß es vortheilhaft für sie aus- fallen würde. Wir sahen, daß Maria- nens Verzweiflung von neuem wieder aufwachen würde. Dennoch mußte sie es erfahren. Wir ließen sie auf unser Zimmer rufen, und mein Mann nahm es über sich, ihr ihres Mannes Tod zu ent- decken. Gräfinn von G ** decken. Nicht wahr, Mariane, fieng er an, sie errathen schon, was ich ihnen hin- terbringen will? Erschrecken sie nur, denn sie müssen doch erschrecken. Hier ist ein Brief aus dem Lager. Sagen sie mir nichts mehr, versetzte Mariane. Jch kann den Jnnhalt des Briefs schon wis- sen. Mein Gemahl ist todt. Jch un- glückselige Frau! Doch ich bin zufrieden, daß mir ihn nicht die Welt, sondern der Himmel entzogen hat. Nun sehe ich, daß es Gott nicht hat haben wollen. Wie ist er denn gestorben? Jst er im Treffen geblieben? Wir erstaunten über diese unvermuthe- te Gelassenheit, die einer Gleichgültigkeit nicht unähnlich sah. Wir hatten uns auf die besten Trostgründe vergebens gefaßt gemacht. Gleichwohl wußten wir auch nicht, ob wir Marianen trauen durften. Jndessen that sie gelassen, und betraurete ihren Mann mehr durch stille Thränen, als Leben der Schwedischen als durch eine tobende Wehmuth und Un- geduld. Jn etlichen Wochen erhielten wir wieder einen Brief, und die Aufschrift war Carlsons Hand. Soll ichs aufrich- tig gestehen, so erschrack ich weit mehr, daß er noch lebte, als ich zuerst über sei- nen Tod erschrocken war. Gott, dachte ich, was wird dieses wieder werden? Carlson wird seiner Krankheit wegen das Lager verlassen, und wohl gar abgedankt haben. Die Liebe wird ihn wieder zu Marianen rufen. Mariane nur war vor Freuden ganz außer sich. Der Brief war an sie, und sie brach ihn nicht etwan gleich auf. O nein, so viel Zeit ließ ihr ihre vergnügte Unruhe nicht. Sie gab ihn uns auch nicht zu erbrechen. Sie behielt ihn in den Händen, als einen unbekannten Schatz, den man nicht eröff- nen will, bis man sich zehnmal vorgestel- let hat, wie viel darinnen seyn könnte. Da sie ihn endlich erbrach, so war der Brief schon viele Wochen älter, als der- jenige, Gräfinn von G ** jenige, der uns Carlsons Tod berichtet hatte. Kurz, es war ein Abschiedsbrief an Marianen. Jch will die Abschrift hersetzen. Liebste Mariane, Dieses sind seit vier Wochen die er- sten Stunden, da ich mich besinnen und euch meine Krankheit melden kann. Wie glückselig bin ich, daß ich krank gewesen, und dem Tode so nahe gekommen bin, ohne beydes zu wissen! Wie viel würde ich eurentwegen binnen der Zeit ausge- standen haben, wenn ich meiner mäch- tig gewesen wäre! Gott sey für diese Art des Todes gedankt! Jch bin völlig ausgezehrt, völlig entkräftet. Und ich sehe die Stunden, da ich mir wieder be- wußt bin, für nichts als Augenblicke an, die mir Gott gönnt, mich noch einmal in der Welt, und in meiner eignen See- le umzusehen, und an das Zukünftige zum letztenmale zu denken. So lebt denn wohl, Leben der Schwedischen wohl, Mariane, lebt ewig wohl! Be- weint mich nicht als euren Mann, son- dern als euren Bruder. Trauriger Na- me! Verschweigt unserer Tochter unser Schicksal, wenn sie leben bleibt. Ver- bergt es, wenn es möglich ist, vor euch selbst. Mein Gewissen macht mir keinen Vorwurf, daß ich euch geliebt habe; al- lein es beunruhiget mich, daß ich euch, nach der traurigen Entdeckung, als meine Frau zu lieben nicht habe aufhören wol- len. Gott, wie viel anders denken wir auf dem Todbette, als in unserm Leben! Was sieht nicht unsere Vernunft, wie viel sieht sie nicht, wenn unsere Leiden- schaften stille und entkräftet sind! Ja, ja, ich sterbe, ich sterbe getrost. Doch Gott! ich soll euch nicht wiedersehn? Jch soll euch verlassen, liebste Mariane? Jch soll sterben? Welche entsetzliche Em- pfindungen fangen itzt in mir an zu ent- stehen! Ach ich kann nicht mehr schrei- ben! --- So weit war ich vor einer halben Gräfinn von G ** halben Stunde gekommen. Jch bin wie- der beruhiget. Die Liebe zum Leben hat sich zum letztenmale geregt. Lebt wohl, meine Mariane! Grüßt meine Mutter, und meine beyden großmüthi- gen Freunde. Mein liebster Freund, Dormund, den ihr so vielmal bey mir ge- sehen habt, ist itzt bey mir. Er will mich nicht eher verlassen, als bis ich todt bin. Könnt ihr euch entschließen, wieder zu lieben: so vergeßt nicht, daß euer ster- bender Mann euch niemanden gegönnet hat, als ihm. Er wird euch meine Uhr mit eurem Portrait überbringen. Die andern Sachen habe ich meinen armen Soldaten geschenkt. Jch fühle meinen Tod. Lebt wohl! So bald sie gesehen hatte, daß es ein Abschiedsbrief war, und daß sie sich in der bey dem Titel gefaßten Hoffnung betrogen, so gieng das Wehklagen erst recht an. Jch will ihre Trostlosigkeit und et- liche Leben der Schwedischen liche schlimme Folgen, die für sie und uns daraus entstunden, nicht erzählen. Es sind Umstände, an denen wir Theil nahmen, weil wir gleichsam darein ge- flochten waren. Sie waren in Ansehung unserer Empfindung wichtig; Allein, ich würde übel schließen, wenn ich glauben wollte, daß sie deswegen dem Leser merk- würdig vorkommen, und ihn rühren wür- den. Jch will daher vieles überge- hen. Wir lebten wieder ruhig. Es schien, als ob uns der Himmel mit Gewalt reich machen wollte. Unsere Capitale brachten mehr ein, als wir verlangten, und weit mehr, als wir brauchten. Und ich dachte nicht einmal daran, meine bey der Krone stehende Gelder zu fordern. Jch war vielmehr ruhig, wenn ich nicht an dieses Land denken durfte. Ueberdie- ses war es auch durch den Krieg ganz erschöpft und entblößt. Genug, ich lebte unbe- Gräfinn von G ** unbekannt und zufrieden. Jch war die Frau eines angenehmen und klugen Man- nes. Und ich hätte so wenig mit der vornehmsten Reichsgräfinn getauscht, als sie mit mir getauscht haben würde. Das Unglück, das uns zeither betroffen, hatte un- sere Gemüther gleichsam aufgelöset, die Ru- he nunmehr desto stärker zu schmecken. Man dürfte fast sagen, wer lauter Glück hät- te, der hätte gar keines. Es ist wohl wahr, daß das Unglück an und für sich nichts angenehmes ist. Allein es ist es doch in der Folge und in dem Zusammenhan- ge. Wenigstens gleichet es den Arze- neyen, die unserm Körper einen Schmerz verursachen, damit er desto gesünder wird. Mitten in unserer Zufriedenheit, die nunmehr über ein Jahr gedauert hatte, kam Herr Dormund, Carlsons guter Freund, und überbrachte Marianen die in dem Briefe erwähnte goldene Uhr mit Erster Theil. H ihrem Leben der Schwedischen ihrem Portrait. Mariane hatte ihn oft bey ihrem Manne, wir ihn aber noch gar nicht gesehen. Doch was brauchte er zu seiner Empfehlung mehr, als den Namen eines guten Freundes von un- serm Carlson? Er war ein Holländer von Geburt, und von Person sehr an- genehm. Er gewann unsere Vertrau- lichkeit sehr bald. Er war ein Stabs- officier, hatte nunmehr abgedankt, und wollte von seinen Renten für sich le- ben. Er war noch jung. Er hatte nicht studirt; allein er hatte doch etlichen Büchern und dem Umgange einen ge- wissen Witz zu danken, der im An- fange sehr einnahm. Er konnte etliche Sprachen, und auch gut deutsch. Er ließ sich in Amsterdam nieder, und wir konnten seine Absicht leicht merken. Ma- riane war sein Wunsch, und Mariane verdiente in der That, daß man ihrent- wegen Feld und Hof verließ. Sie war noch vollkommen schön. Das Unglück hatte Gräfinn von G ** hatte ihr von ihren äußerlichen Reizungen nichts entzogen, und zu der Schönheit ih- res Gemüths noch vieles hinzugesetzt. Sie war durch den Umgang nur noch liebens- würdiger geworden. Sie war erst acht- zehn oder neunzehn Jahre alt, und noch in ihrem völligen Frühlinge. Dormund wußte sich bald bey ihr gefällig zu machen. Vielleicht liebte sie in dem Freunde ihres verstorbenen Mannes noch ihren Mann. Genug, er gewann ihr Herz. Sie kam einmal zu mir, und fieng mit einer vielbe- deutenden Stimme an: Madam, es wäre doch wohl billig gewesen, daß wir Herr Dormunden die Uhr, die er mir von mei- nem Manne überbracht, zu einem Anden- ken gelassen hätten. Jch würde es gewiß gethan haben, wenn mein Portrait nicht darinn gewesen wäre; allein so schickt sichs wohl nicht. Jch verstund diese Spra- che sehr gut. Mariane, sagte ich, was machen sie sich für ein Bedenken, dem ihr Portrait zu geben, dem sie unstreitig ihr H 2 Herz Leben der Schwedischen Herz schon überlassen haben. Jch merke, sie wollen Herr Dormunden gern eine Ge- fälligkeit erweisen, die das Ansehen einer Erkenntlichkeit haben sollte, ob sie gleich die Liebe zum Grunde hat. Jch will ih- nen bald aus der Sache helfen. Geben sie mir die Uhr. Es wird sich schon eine Gelegenheit zeigen, die nicht studirt läßt, bey der ich sie ihm anbieten kann. Auf die Uebergabe der Uhr folgte bald die Ue- bergabe des Herzens. Mariane ward Dor- munden zu Theil, und sie schienen beyde einander zum Vergnügen gebohren zu seyn. Und wenn ja Mariane ihren Mann zuwei- len beunruhigte, so geschah es doch aus ei- nem Grunde, den ein Ehemann schwerlich übel nehmen kann. Jhr Fehler war die Eifersucht, der erbliche Fehler unsers Ge- schlechts. Jch besinne mich, daß Maria- ne einmal mit Thränen auf meine Stube kam. Sie konnte vor Wehmuth nicht re- den, und ich befürchtete, das größte Unglück von ihr zu hören. Allein was kam end- lich Gräfinn von G ** lich heraus? Sie seufzete über die Gleich- gültigkeit ihres Ehemannes, und hätte lie- ber von seiner Untreue gesprochen. Jch fragte nach der Ursache. Da erfuhr ich fol- gende Kleinigkeit. Jhr Mann hätte kurz vorher Briefe geschrieben; Sie wäre zu ihm an den Tisch getreten; Sie hätte ihn einigemal recht zärtlich geküsset, er aber hätte ihr weder mit einem Gegenkusse, noch mit einem Blicke geantwortet, sondern im- mer fortgeschrieben, nicht anders, als wenn er sie nicht sehen wollte. Ach Gott! fuhr sie fort, wer weis, an wen der Untreue schreibt? Konnten sie denn nichts in dem Briefe lesen? fieng ich an. Nein, nichts, nichts, als daß der Anfang hieß: Mein Herr. Wer sollte wohl glauben, daß eine vernünf- tige Frau keine stärkere Ursache zur Eifer- sucht nöthig hätte, als so eine? Doch, war- um kann ich noch fragen? Wie oft thut nicht die Liebe einen Schritt über die Gren- zen der Vernunft! Und wenn dieser Schritt gethan ist, so hilft es nichts, daß wir eine H 3 gute Leben der Schwedischen gute Vernunft haben. Ueberhaupt entste- hen wohl die meisten Uneinigkeiten, die in der Ehe vorkommen, aus Kleinigkeiten. Sie heissen im Anfange nichts; allein sie nehmen im Fortgange unsere Einbildung und andere Dinge zu Hülfe, und werden alsdann wichtige Ursachen zur Gleichgül- tigkeit, oder zur Eifersucht. Marianens Ehe hatte nunmehr etwan drey Vierteljahre gedauert, als ihr Mann gefährlich krank ward. Er stund zween Monate große Schmerzen aus, und man merkte sehr deutlich, daß ihn eine Gemüths- unruhe eben so stark quälte, als die Krank- heit. Er bat seine Frau oft um Gottes willen, daß sie ihn verlassen sollte. Er konn- te auch Carolinen nicht leiden, vielweniger Marianens Kind, das sie mit Carlsonen erzeugt hatte. Jch und mein Mann sollten ohne Aufhören bey ihm bleiben, und ihm Trost zusprechen. Er wollte getröstet seyn, und wir wußten doch nicht, was ihn beun- ruhigte, vielweniger hatten wir das Herz ihn Gräfinn von G ** ihn zu fragen. Sein Ende schien immer näher herbey zu kommen, und die Aerzte selbst kündigten es ihm an. Es war um Mitternacht, da er uns beyde plötzlich zu sich rufen ließ. Er rang halb mit dem To- de. Alles mußte aus der Stube. Dar- auf fieng er mit gebrochenen und erpreßten Worten an, sich und die Liebe auf das ab- scheulichste zu verfluchen. Gott, wie war uns dabey zu Muthe! Er nannte sich den größten Missethäter, den die Welt gesehen hätte. Jch bin, schrie er, Carlsons Mör- der. Jch habe ihm mit eigener Hand Gift beygebracht, um Marianen zu bekommen. Jch Unsinniger! Welche Gerechtigkeit, welch Urtheil wartet auf mich! Jch bin verloren. Jch sehe ihn, ich sehe ihn! Bringt mich um, rief er wieder. Mein Mann re- dete ihm zu, er sollte sich besinnen, er würde in einer starken Phantasie gelegen haben. Nein, nein, rief er, es ist mehr als zu ge- wiß. Mein Gewissen hat mich lange ge- nug gemartert. Jch bin der Mörder mei- H 4 nes Leben der Schwedischen nes besten Freundes; Jch Barbar! Jch Bösewicht! Carlson besserte sich nach dem Abschiedsbriefe an Marianen wieder, und weil ich mir schon Hoffnung auf seinen Tod und auf Marianen gemacht hatte, so brachte ich ihm Gift bey. Mein Mann nahm alle seine Vernunft und Religion zu Hülfe, und suchte diesem Unglückseligen damit beyzustehen. Seine Verzweiflung wollte sich nicht stillen lassen. Er verlang- te Marianen noch einmal zu sehen, und ihr seine Bosheit selbst zu entdecken. Wir ba- ten ihn um Gottes willen, daß er Maria- nen diese That nicht offenbaren sollte; Er würde seinem Gewissen dadurch nichts hel- fen, und durch sein Bekenntniß nur noch einen Mord begehen. Mariane kam, ehe sie gerufen ward. Dormund redete sie an; allein sie hörte und sah vor Wehmuth nicht. Er nahm sie bey der Hand, und wollte das entsetzliche Bekenntniß wieder- holen. Jch hielt ihm den Mund zu. Wir fiengen an zu beten und zu singen. Doch er Gräfinn von G ** er schrie nur desto mehr. Mariane mußte es erfahren, was er gethan hatte. Er wie- derholte seinen Mord umständlich. Er be- rufte sich auf den Regimentsfeldscheerer und auf den Feldmedicum, die Carlsonen, weil er es befohlen, nach seinem Tode ge- öffnet, und das Gift gefunden, und geglaubt hatten, daß er sich selbst damit vergeben. Mariane gerieth in eine ordentliche Rase- rey. Sie stieß die grausamsten Namen wider ihn aus. Wir mußten sie endlich mit Gewalt bey Seite bringen. Er schlief zwey Tage und Nächte nach einander, oh- ne sich zu ermuntern. Wir glaubten auch gewiß, daß er nicht wieder aufwachen wür- de; allein er erholte sich. Wir kamen zu ihm. Wir mußten ihn als einen Mörder hassen; doch die allgemeine Menschenliebe verband uns auch zum Mitleiden. Er war ruhiger, als zuvor, und bat uns mit tausend Thränen um Vergebung. Er ver- sicherte uns, wenn er leben bliebe, daß er uns nicht zum Entsetzen vor den Augen H 5 herum Leben der Schwedischen herum gehen, sondern sich den entlegen- sten Ort zu seinem Aufenthalte, und zur Reue über seine Schandthat aussuchen wollte. Er bat, daß wir ihm Marianen nicht möchten wieder sehen lassen. Die- se war auch schon in unsrer Wohnung; denn Dormund hatte ein Haus allein be- zogen. Wir hatten nun genug an Ma- rianen zu trösten, und konnten Dormun- den in zween Tagen nicht besuchen. Doch hörten wir, daß es sich besserte. Mein Mann gieng den dritten Tag zu ihm. Al- lein Dormund war fort, und hatte folgen- den Brief an ihn zurück gelassen: Jch gehe, so weit als mich die Rache des Himmels kommen läßt. Mariane soll mich nicht wieder sehen. O Gott, wozu kann einen nicht die Liebe verleiten! Der Schatten meines ermordeten Freun- des wird mich auf allen Schritten verfol- gen: Doch ich will lieber alles ausstehen, als diesen Mord durch einen Selbstmord häufen Gräfinn von G ** häufen. Verfluchen sie mein Gedächtniß in ihrem Herzen. Jch bin es werth; doch entdecken sie meine Schande der Welt nicht. Jch bin bestraft genug, daß ich Marianen und ihre großmüthigen Freun- de verlassen muß. Jch will wieder in den Krieg gehen. Vielleicht verliere ich bald ein Leben, das mir eine Marter ist. Mein zurück gelassenes Vermögen soll Maria- nen. Wollte ihnen doch Gott die Freund- schaft vergelten, die Sie mir in meiner Krankheit erwiesen haben. Doch Sie ha- ben sie ja einem Unmenschen erwiesen. Jch bin nicht werth, daß Sie mich bedauren. Ach die unglückselige Mariane! Dormund war fort. Wir haben auch in unserm Leben nichts weiter von ihm gehört. Jch wünsche, daß er sich nicht aus Verzweiflung selbst umgebracht ha- ben mag. Unsere Mariane war in eine ordentliche Schwermuth gerathen. Sie weinte Tag und Nacht, und wir mußten ihr Leben der Schwedischen ihr auf einmal zwo Adern schlagen lassen. Sie schlief in meiner Stube, und versi- cherte mich, daß ihr viel besser zu Muthe wäre, und daß sie diese Nacht wohl zu schlafen hoffte. Der Morgen wies diese Prophezeyung aus. Jch warf kaum die Augen auf ihr Bette, so sah ich ganze Ströme Blut davon herunter laufen. Was konnte ich anders vermuthen, als daß ihr die Adern im Schlafe aufgegan- gen seyn würden? Mariane lag in einem fühllosen Schlummer, oder vielmehr in einer Ohnmacht. Jch schrie nach Hülfe, und wir banden ihr die Adern zu. Das entsetzlichste war, daß die Binden nicht abgefallen, sondern mit Fleiß aufgemacht zu seyn schienen. Mariane kam gegen Abend etwas wieder zu sich. Sie gestund, daß sie die Binden aus Lust zum Tode selbst aufgemacht hätte, und wünschte nichts mehr, als daß ihr Ende bald da seyn möchte. Sie küßte mich und sank, ohne ein Wort weiter zu reden, in einen Schlum- Gräfinn von G ** Schlummer, und in etlichen Stunden darauf war sie todt. Mir gieng es, wie denen Leuten, die in einer Gefahr heftig verwundet werden, und es doch nicht eher fühlen, bis sie aus der Gefahr sind. So bald Mariane todt war, so gieng erst meine Marter an. Jch hät- te mir lieber die Schuld von ihrem Tode beygemessen, weil ich dieselbe Nacht nicht genauer auf sie Achtung gegeben hatte. Allein welche menschliche Klugheit kann alles voraus sehen! Jch hatte Marianen in der That zur Heyrath mit Dormunden gerathen. Jch sah, daß dieser Mann Schuld an ihrem Selbstmorde war. Jch dachte an Marianens Schicksal in der an- dern Welt. Und ich würde noch tausend- mal mehr ausgestanden haben, wenn mir die Liebe zu Marianen verstattet hätte, sie für unglücklich zu halten. Jhre Mutter war noch weit gelassener, als ich. Jch weis nicht, wem sie ihren Beystand zu danken Leben der Schwedischen danken hatte; vermuthlich der Religion. Sie sah alles für ein Verhängniß an, des- sen Ursachen sie nicht ergründen könnte. Sie tröstete sich mit der Weisheit und Gü- te des Schöpfers, und verherrlichte ihr Unglück durch Standhaftigkeit. Es ist gewiß, daß der Beystand der Religion in Unglücksfällen eine unglaubliche Kraft hat. Man nehme nur den Unglücklichen die Hoffnung einer bessern Welt: so sehe ich nicht, womit sie sich aufrichten sollen. Unser Unglück schien nunmehr besänf- tiget zu seyn. Wir schmeckten die Ruhe eines stillen Lebens von neuem wieder. Wir kehrten zu unsern Büchern zurück, und die Liebe versüßte uns das Leben, und be- nahm den traurigen Erinnerungen des Vergangenen ihre Stärke. Mein Mann schrieb um diese Zeit ein Buch: Der stand- hafte Weise im Unglück. Etwan ein Vierteljahr nach Marianens Tode starb unser Wirth, und seine Frau hatte auch bereits Gräfinn von G ** bereits die Welt verlassen. Dieser Todes- fall machte eine grosse Veränderung in un- sern Umständen. Wir mußten unsere Capitale übernehmen, die durch Dor- munds Verlassenschaft sehr hoch angewach- sen waren. Jn der That war dieses eine grosse Last für uns. Weder ich, noch mein Mann, noch Caroline wußten recht mit dem Gelde umzugehen. Und ich glaube, wir hätten ehe die Hälfte wegge- schenkt, als daß wir es in unserer Ver- wahrung hätten behalten sollen. An- dreas, Carolinens Bruder, hatte wieder eine Handlung in dem Haag angefangen. Wir schenkten ihm einige tausend Thaler, und von dem übrigen Gelde bothen wir ihm die Hälfte in seine Handlung an; mit der andern Hälfte dienten wir guten Freun- den. Wenn die Vorsichtigkeit bey dem Gelde eine Tugend ohne Ausnahme ist: so muß ich sagen, daß wir oft nachläßig damit umgiengen. Es war uns oft ge- nug, es hinzugeben, wenn wir wußten, daß Leben der Schwedischen daß derjenige, der uns darum bat, ein rechtschaffener Mann war, der das Geld nöthiger brauchte, als wir. Ein Wort galt bey meinem Manne so viel, als ein Wechsel. Wir haben in der That auf diese Art viel Geld eingebüßt; aber wir sind niemals darum betrogen worden. Un- sere Schuldner hatten ein gutes Herz; aber wenig Glück. Sie wollten gern wieder bezahlen, je mehr sie unsere Dienstfertig- keit sahen. Und sie machten uns durch ihre Aufrichtigkeit freygebig, wenn wir es auch von Natur nicht gewesen wären. Man glaubt es kaum, was es für ein Vergnügen ist, wenn man wackern Leuten dienen kann. Es gehört, wie mich deucht, weit mehr Ueberwindung dazu, das Ver- mögen, zu dienen, zurück zu halten, als es zu erfüllen. Endlich verliessen wir aus verschiedenen Ursachen Amsterdam, und wandten uns mit unserer Tochter, nebst Carolinen und Carl- Gräfinn von G ** Carlsons Tochter nach dem Haag zu dem Herrn Andreas. Unser verstorbener Wirth hatte uns bey seinem Tode seine Tochter, als die unsrige, anbefohlen. Diese nah- men wir also mit uns. Jhr Vermögen blieb in Amsterdam in guten Händen. Dieses Frauenzimmer, welches nunmehr etwan funfzehn Jahr alt war, sah eben nicht schön aus; sie hatte aber sehr gute natürliche Gaben. Sie gefiel, ohne daß sie sich einbildete, gefallen zu haben. Die Artigkeit vertrat bey ihr die Stelle der Schönheit. Und wenn man die Wahl hat, ob man ein schönes Frauenzimmer, das nicht artig ist, oder ein artiges, das nicht schön ist, lieben soll: so wird man sich leicht für das letzte entschliessen. Jch kann ohne Prahlerey sagen, daß ich dieses Kind, welches Florentine hieß, meistens erzogen hatte. Und wenn ich gestehe, daß sie außerordentlich viel Geschicklichkeit besaß, so will ich nicht sagen, daß ich sie ihr bey- gebracht, sondern ihr nur zur Gelegen- Erster Theil. J heit Leben der Schwedischen heit gedienet habe, sich solche zu erwerben. Sie hatte Carolinen und dem Umgange mit meinem Manne sehr vieles zu danken. Sie war mehr unter Mannspersonen, als unter ihrem Geschlechte aufgewachsen. Dieses halte ich allemal für ein Glück bey einem Frauenzimmer. Denn wenn es wahr ist, daß die Mannspersonen in dem Umgange mit uns artig und manierlich werden: so ist es ebenfalls wahr, daß wir in ihrer Gesellschaft klug und gesetzt wer- den. Jch meyne aber gar nicht sol- che Mannspersonen, die insgemein für galant ausgeschryen werden, und die sich bemühen, ein junges Mädchen durch nie- derträchtige Schmeicheleyen zu vergöttern; die ihr durch ieden Blick, durch iede Be- wegung des Mundes und der Hand von nichts als einer abgeschmackten Liebe sa- gen. Solche Leute müssen freylich nicht die Sittenlehrer der Frauenzimmer wer- den, wenn man haben will, daß eine jun- ge Schöne keine Närrinn werden soll. Mir Gräfinn von G ** Mir wäre es am wenigsten zu vergeben gewesen, wenn ich Florentinen nicht so wohl erzogen hätte, als es seyn kann, da ich Zeit, Gelegenheit, und ihre gute Fä- higkeit vor mir hatte, und seit ihrem sie- benten Jahre fast beständig um sie gewe- sen war. Jhre guten Eigenschaften mach- ten sie nachgehends zur Frau eines Man- nes, der in Holland eine der höchsten Ehrenstellen bekleidete, und an dem sein Stand noch das wenigste war, was ihn groß und hochachtungswerth machte. Doch ich will von unserer Florentine ein andermal reden. Wir waren kaum einige Monate in dem Haag, so lief ein Schiff aus Rußland mit Waaren für unsern Andreas ein. Er bat uns, daß wir mit an Bord gehen, und die Ladung ansehen möchten. Wir ließen uns diesen Vorschlag gefallen, und fuhren dem ankommenden Schiffe etwan eine halbe Stunde auf der See entgegen. J 2 Nun- Leben der Schwedischen Nunmehr komme ich auf einen Period aus meinem Leben, der alles übertrifft, was ich bisher gesagt habe. Jch muß mir Gewalt anthun, indem ich ihn beschreibe; so sehr weigert sich mein Herz, die Vor- stellung einer Begebenheit in sich zu er- neuern, die ihm so viel gekostet hat. Jch weis, daß es eine von den Haupttugen- den einer guten Art zu erzählen ist, wenn man so erzählt, daß die Leser nicht die Sache zu lesen, sondern selbst zu sehen glau- ben, und durch eine abgenöthigte Empfin- dung sich unvermerkt an die Stelle der Per- son setzen, welcher die Sache begegnet ist. Allein ich zweifle, daß ich diese Absicht er- halten werde. Wir fuhren, wie ich ge- fagt habe, dem ankommenden Schiffe eine halbe Stunde entgegen. Es waren zehn bis zwölf Deutsche Reisende auf dem- selben, und auch etliche Russen. Diese stiegen in unserm Angesichte ans Land, und gratulirten den Herrn Andreas zur glückli- chen Ankunft seines Schiffes, weil sie hörten, daß Gräfinn von G ** daß er der Herr davon war. Andreas, der die See stets in Gedanken hatte, hörte ihnen begierig zu. Nur mir ward die Zeit zu lang. Jch trat daher mit meinem Manne auf die Seite, und bat ihn, daß er wieder zurück fahren möchte. Da ich noch mit ihm rede, so kömmt einer von den Passagiern auf mich zugesprungen, um- armet mich, und ruft: Ja, ja, sie sind es, ich habe meinen Augen nicht trauen wol- len; aber sie sind meine liebe Gemahlinn. Er drückte mich einige Minuten so fest an sich, daß ich nicht sehen konnte, wer mir diese Zärtlichkeit erwies. Das Schrecken kam darzu, und ich glaubte nicht anders, als daß ein unsinnig Verliebter mich ange- fallen hätte. Aber ach Himmel, wen sah ich endlich in meinen Armen! Mei- nen Grafen in Russischer Kleidung, mei- nen ersten Mann, den ich zehn Jahr für todt gehalten hatte. Jch kann nicht sagen, wie mir ward. So viel weis ich, daß ich kein Wort aufbringen konnte. Mein J 3 Graf Leben der Schwedischen Graf stund und weinte. Er erblickte end- lich seinen ehemaligen Freund, als meinen itzigen Mann. Er umarmte ihn; doch von beyden habe ich kein Wort gehört, oder vor Bestürzung nichts verstehen können. Un- ser Wagen hielt gleich neben uns. Nach diesem lief ich zu, ohne meine beyden Män- ner mit zu nehmen, aber beyde folgten mir nach. Jch umarmte den Grafen unzäh- ligemal in dem Wagen; was ich ihm aber gesagt habe, das ist mir unbekannt. Wir waren nunmehr in unserer Behausung, und ich fieng an mich wieder selber zu ver- stehen. Mein Graf bezeigte eine unendli- che Zufriedenheit, daß er mich wieder ge- funden hatte, und zwar an einem Orte, wo er mich am wenigsten vermuthet. Er sagte mir wohl tausendmal, daß ich noch eben so liebenswürdig wäre, als da er mich verlassen hätte. Sein Vergnügen war um desto stärker, weil er mich für todt ge- halten hatte, da ich ihm auf etliche Briefe nicht geantwortet. Er glaubte, ich hätte es Gräfinn von G ** es erfahren, daß er noch am Leben wäre. Kurz, er hatte von mir eben so wenig ge- wußt, als ich von seinem Leben. Herr R-- hatte uns verlassen, ohne daß wir es ge- merkt. Wir waren also ganz allein. Mein Graf erzählte mir sein gehabtes Schicksal, davon ich bald reden will, und verlangte nunmehr zu wissen, wie es mir gegangen wäre. Er fragte mich hundertmal, und ich konnte ihm mit nichts, als Thränen und Umarmungen antworten. Liebe und Schaam machten mich sprachlos. Einen Mann hatte ich wieder gefunden, den ich ausnehmend liebte, und einen sollte ich ver- lassen, den ich nicht weniger liebte. Man muß es fühlen, wenn man wissen will, was es heißt, von zween Affecten zugleich bestürmt zu werden, von denen einer so groß, als der andere ist. Mein Gemahl muthmaßete aus meiner Wehmuth etwas widriges für sich. Er hielt noch inständi- ger an, daß ich ihm mein Herz entdecken, und ihm sein Glück oder Unglück wis- J 4 sen Leben der Schwedischen sen lassen sollte. Aber umsonst. Was konnte ich ihm sagen, wenn ich nicht sagen wollte, daß ich verheyrathet wäre? Jch schwleg, ich seufzete; doch dieses war genug gesagt. Sind sie nicht mehr meine Gemahlinn? fieng er an. Das wolle Gott nicht! Lieber meinen Tod, als diese Nachricht. Jn eben dem Augenblicke trat meine kleine Tochter, ein Kind von fünf Jahren, in das Zimmer, und vermehrte meine Bestürzung, und entdeckte zu gleicher Zeit das Geheimniß, vor welchem ich zit- terte. Sie sah mich weinen; sie trat zu mir. Was fehlt ihnen denn liebe Mama, fieng sie an, daß sie weinen? Jch komme von dem Papa, der weint auch, und will gar nicht mit mir reden. Jch habe ihnen doch nichts gethan. Mein Gott, sprach der Graf zu mir, sie sind verheyrathet! Jch unglückseliger Mann! Habe ich sie darum wieder finden müssen, damit meinem Her- zen keine Art von Marter unbekannt blie- be? Wer ist denn ihr Gemahl? Sagen sie Gräfinn von G ** sie mirs nur. Jch will sie durch meine Gegenwart nicht länger quälen. Jch will sie gleich verlassen. Sie sind mir nicht untreu geworden. Sie haben mich für todt gehalten. Jch mache ihnen keine Vorwürfe. Niemand ist an meinem Unglücke Schuld, als das Verhängniß. Vielleicht ist dieses die Strafe für die Liebe mit Carolinen. Ueberwinden sie sich und reden sie mit mir, fuhr er fort. Jch kann es von niemanden, als von ihnen anhören, wer ihr Mann ist. Jch sprang von dem Stuhle auf, und fiel ihm in die Arme, aber ich sagte noch kein Wort. Nein, fieng er an, erweisen sie mir keine Zärtlichkeiten. Jch verdiene sie, das weis mein Herz; aber ihr itziger Ehegemahl kann ihre Liebe allein fordern, und ich muß dem Schicksale und der Tugend mit meiner Liebe weichen. Durch dieses Geständniß brachte er mich nur mehr in Bewegung. Er fragte end- lich das kleine Kind, wo der Papa wäre, und warum er nicht herein käme? Er ist J 5 ja Leben der Schwedischen ja mit ihnen in dem Wagen gekommen, hub sie an. Er ist in seiner Stube und weint. Also, fieng der Graf zu mir an, ist mein liebster Freund ihr Gemahl? Die- ses macht mein Glück noch erträglich. Dar- auf bat er meine kleine Tochter, daß sie ih- rem Papa rufen sollte. Allein er kam nicht, sondern schickte durch eben dieses Kind dem Grafen ein französisch Billet von die- sem Jnnhalte: Mein lieber Graf, Sie dauern mich unendlich. Jch habe sie durch die unschuldigste Liebe so sehr be- leidigt, als ob ich Jhr Feind gewesen wäre. Jch habe Jhnen Jhre Gemahlinn entzo- gen. Können Sie dieses wohl von mir glauben? Der Jrrthum, oder vielmehr die Gewißheit, daß Sie nicht mehr am Le- ben wären, hat mir den erlaubten Besitz ihrer Gemahlinn gegönnt; ihre Gegen- wart aber verdammt nunmehr das sonst so tugendhafte Band. Sie sind zu großmü- thig, und wir zu unschuldig, als daß Sie uns Gräfinn von G ** uns mit Jhrem Hasse bestrafen sollten. Unsere Unschuld verringert Jhr Unglück; allein sie hebt es nicht auf. Das einzige Mittel mich zu bestrafen ist, daß ich fliehe. Jch verlasse Sie, liebster Graf, und werde mich zeitlebens vor mir selber schämen. Wollte Gott, daß ich durch meine Abwe- senheit und durch die Marter, die ich ausstehe, Jhren Verlust ersetzen könnte! Entfernen Sie das Kind, das Jhnen die- sen Brief bringt, damit Sie das traurige Merkmaal Jhres Unglücks nicht vor den Au- gen haben dürfen. Jst es möglich, so den- ken Sie bey diesem Briefe zum letztenmale an mich. Sie sollen mich nicht wieder sehen. Der Graf verließ mich, so bald er die- sen Brief gelesen hatte, und suchte meinen Mann. Doch er war fort, und niemand wußte, wohin. Diese Nachricht setzte mich in eine neue Bestürzung. Mein ganzes Herz empörte sich. Jch hatte meinen er- sten Mann wieder gefunden. Jch wußte, daß Leben der Schwedischen daß ich sie beyde nicht besitzen konnte; al- lein welcher Trieb hört die Vernunft we- niger, als die Liebe. Es war in meinen Augen die grausamste Wahl, wenn ich da- ran dachte, welchen ich wählen sollte. Jch gehörte dem letzten so wohl, als dem ersten zu. Und nichts war mir entsetzlicher, als einen von beyden zu verlassen, so gewiß ich auch von dieser Nothwendigkeit überzeugt war. Der Herr R-- war indessen fort, und der Graf wollte nicht ruhen, bis er seinen Freund wieder sähe. Er schickte so gleich nach dem Hafen, damit er nicht etwan mit einem Schiffe abgehen sollte. Jch hatte ihm indessen erzählt, daß ich den Herrn R-- freywillig zu meinem Manne erwählt, und daß ich seine großmüthige Freundschaft nicht besser zu belohnen gewußt hätte, als durch die Liebe. Jch weis genug, fieng der Graf an, weder sie, noch mein Freund haben mich beleidiget. Es ist ein Schicksal, das wir nicht erforschen können. Jn wenig Stunden kam Herr R-- zurück. Er war schon Gräfinn von G ** schon im Begriffe gewesen, mit einem Schif- fe fortzugehen. Er dankte dem Grafen auf das zärtlichste, daß er ihn wieder hätte zurück rufen lassen. Jch will nichts, als Abschied von ihnen nehmen, fieng er an, von ihnen und ihrer Gemahlinn. Gönnen sie mir diese Zufriedenheit noch, es wird ge- wiß die letzte in meinem Leben seyn. So gleich nahm er mich bey der Hand, und führte mich zu dem Grafen. Hier, sprach er, übergebe ich ihnen meine Gemahlinn, und verwandele meine Liebe von diesem Au- genblicke an in Ehrerbietung. Hierauf wollte er Abschied nehmen; doch der Graf ließ ihn nicht von sich. Nein, sagte er, bleiben sie bey mir. Jch fange auf ihr Verlangen mit meiner Gemahlinn die zärt- lichste Ehe wieder an. Sie ist mir noch so kostbar, als ehedem. Jhr Herz ist edel und beständig geblieben. Sie hat nicht gewußt, daß ich noch lebe. Nein, mein lieber Freund, bleiben sie bey uns. Wollen sie mich etwan darum verlassen, daß ich nicht eifer- Leben der Schwedischen eifersüchtig werden soll, so beleidigen sie die Treue meiner Gemahlinn und mein Ver- trauen. Bitten sie ihn doch, Madam, fieng er zu mir an, daß er bleibt. Jch hatte kaum so viel Gewalt über mich, daß ich zu ihm sagte: Warum wollen sie uns verlas- sen? Mein lieber Gemahl bittet sie ja, daß sie hier bleiben sollen. Und ich müßte sie niemals geliebt haben, wenn mir ihre Ent- fernung gleichgültig seyn sollte. Bleiben sie wenigstens in Amsterdam, wenn sie nicht in unserm Hause bleiben wollen. Jch werde sie lieben, ohne es ihnen weiter zu sagen, und ob ich gleich aufhören werde, die ihrige zu seyn, so untersagt mir doch die Liebe zu meinem Gemahle nicht, ihnen be- ständig Zeichen der Hochachtung und Freundschaft zu erkennen zu geben. Er blieb auf unser Bitten auch wirklich in Amsterdam. Er speisete oft mit uns, und seine Aufführung war so edel, als man nur denken kann. Wenn auch ich weniger tugendhaft gewesen wäre, so hätte mich doch sein großmüthiges Bezeigen tugend- haft erhalten müssen. Er that gar nicht, als ob er jemals mein Mann gewesen wäre. Kein vertrauliches Wort, keine vertrauli- liche Gräfinn von G ** che Mine durfte ihm entfahren. Wie er vor meiner Ehe mit mir umgegangen war, so gien er itzt mit mir um. Er unterhielt mich mit Freundschaft und Hochachtung, und beförderte mein und meines Grafen Vergnügen mit Aufopferung des seinigen. Er war oft ganze Tage bey mir allein. Jch glaube, daß ich so viel Schwachheit gehabt hätte, ihn anzuhören, wenn er an die vori- gen Zeiten gedacht hätte. Und wer weis, ob ich ihm nicht wider meinen Willen durch manchen Blick ein stummes Bekenntniß von meiner Liebe gethan habe, so gewissen- haft ich auch mit ihm umgieng, und so sehr ich meinen Grafen liebte. Ueber die Ge- genwart der Caroline erstaunte der Graf sehr. Er hätte es lieber gesehen, wenn sie unsere Wohnung verlassen hätte. Allein ich bat ihn, daß er mir ihre Gesellschaft nicht entziehen sollte. Können sie meiner Tugend trauen, sagte ich zu ihm, so müssen sie wissen, daß ich der ihrigen gewiß bin. Das Schicksal der beyden Kinder, die er mit Carolinen erzeugt, war eine Sache, die ihn oft ganze Stunden niedergeschlagen machte. Er führte sich indessen gegen Carolinen sehr liebreich auf. Er scherzte oft mit uns bey- den Leben der Schwed. Gräf. v. G ** den; allein sein Scherz war so behutsam, daß er weder sie kränken, noch mich belei- digen konnte. Wie es uns ferner gegan- gen, will ich künftig erzählen. Jtzt muß ich nur von meines Gemahls, des Grafen Abwesenheit noch kürzlich so viel erwähnen. Die Russen hatten von dem Dorfe Besitz genommen, darinn mein Gemahl auf den Tod gelegen, und von den Schweden als todt war zurück gelassen worden. Da er nach und nach wieder gesund worden, hatte man ihn als einen gefangenen Officier mit nach Rußland geschickt. Er hatte seinen Namen aus Furcht, daß man ihn desto eher an die Schweden ausliefern möchte, ver- schwiegen, und sich für einen Capitain aus- gegeben. Seine erlittenen Unglücksfälle, und wie er fünf Jahre in Siberien hat zu- bringen müssen, damit will ich die Fortset- zung von meiner Geschichte anfangen. Der arme Graf hat viel ausstehen müssen. Er starb. --- Doch ich will itzt nichts mehr sagen. Ende des ersten Theils. Leipzig, druckts Ulrich Christian Saalbach.