Titan von Jean Paul. Zweiter Band. Berlin, 1801. In der Buchhandlung des Commerzien-Raths Matzdorff. Zehnte Jobelperiode. Roquairols advocatus diaboli — der Feiertag der Freundschaft. 53. Zykel. N icht nach den Kinderjahren, sondern nach der Jünglingszeit würden wir uns am sehn¬ süchtigsten umkehren, wenn wir aus dieser so unschuldig wie aus jenen herkämen. Sie ist unser Lebens-Festtag, wo alle Gassen voll Klang und Putz sind und um alle Häuser gold¬ ne Tapeten hängen, und wo Daseyn, Kunst und Tugend uns noch als sanfte Göttinnen mit Liebkosungen locken, die uns im Alter als strenge Götter mit Geboten rufen! — Und in dieser Zeit wohnt die Freundschaft noch im Titan II . A heiter ofnen griechischen Tempel, nicht wie spä¬ ter in einer engen gothischen Kapelle. Herrlich und reich schimmerte jetzt um Al¬ bano das Leben mit Inseln und Schiffen be¬ deckt; er hatte die ganze Brust voll Freund¬ schaft und Jugend, und durfte die drängende Kraft der Liebe, die auf Isola bella an einer Statue, am Vater zurückprallte, nun ungebän¬ digt und fröhlich auf einen Menschen stürmen lassen, der ihm völlig so erschien, wie ihn der Jünglingstraum entwirft. Er konnte kei¬ nen Tag von Karl lassen — er deckte ihm seine Seele auf und sein ganzes Leben (nur Lianens Name stieg tiefer in sein Herz zu¬ rück) — alle Vorbilder der Freundschaft unter den Alten wollt' er nachbilden und erneuern und alles thun und leiden für seinen Gelieb¬ ten — sein Daseyn war jetzt ein Doppelchor, er trank jedes Glück mit zwei Herzen, sein Le¬ ben schloß ein doppelter Himmel in lauter Äther ein. Als er am andern Tage die befreundete feste Gestalt antraf, die ihm aus dem nächt¬ lichen Specktakelstück der Geisterwelt übrig ge¬ blieben war, wie ein blasser Mond aus den weggelöschten Sternen der Nacht; und als er sie so kahlköpfig und bleich fand — wie die feurige Ätnas-Rauchsäule am Tage grau auf¬ steigt —: so sah er gleichsam den vorigen Selbst¬ mörder vor sich stehen, freier, aber desto wär¬ mer reicht' er dem einsamen Wesen, das nach dem Sprunge über das Leben nur noch auf seinem Grabe wie auf einem fernen Eiland wohnte, die Hand hinüber. Andere ziehen sie eben darum weg; der gestörte Selbstmörder, der das schöne feste Leben durchrissen, kehrt aus seiner Todesstunde als ein fremder unheim¬ licher Geist zurück, dem wir nicht mehr trauen können, weil er in seiner Ungebundenheit jede Minute das wegwerfende Spiel mit der Men¬ schengestalt wieder treiben kann. Daher sah Albano im chaotischen Leben des Hauptmanns nur die Unordnung eines Wesens, das einpackt und auszieht. Als er das erstemal in dessen Sommerstube trat, so hatt' er freilich darin eine Bedienten- eine theatra¬ lische Anziehstube und ein Offizierszelt auf ein¬ mal vor sich. Auf der Tafel lagen verworrene A 2 Völkerschaften von Büchern, wie auf einem Schlachtfeld, und auf Schillers Tragödien das hippokratische Gesicht von der Redoute, und auf dem Hofkalender eine Pistole — das Bü¬ cherbrett bewohnte die Degenkuppel neben ih¬ rer Seifenkugel aus Kreide, ein Schokolade¬ querl, ein leerer Leuchter, eine Pomadebüchse, Fidibus, das nasse Handtuch und die einge¬ trocknete Mundtasse — das Glashaus der aus¬ gelaufenen Standuhr, und der Wasch- und der Schreibtisch standen offen, auf welchem letztern ich mit Erstaunen umsonst nach Unterlage und Streusand suche — der Pudermantel lehnte sich in der Ottomanne zurück und ein langes Hals¬ tuch ritt auf dem Ofenschirm, und das Hirsch¬ geweihe an der Wand hatte zwei Federhüte aufs rechte und linke Ohr geschoben — Briefe und Visitenkarten waren wie Schmetterlinge an die Fenstervorhänge gespießet. Ich wäre nicht fähig, darin ein Billet zu schreiben, ge¬ schweige einen Zykel. Giebt es aber nicht ein sonnenhelles freiflat¬ terndes Alter, wo man alles gerne sieht, was reisefertige Unruhe, Abbrechen der Zelte und Nomadenfreiheit verkündigt, und wo man mit Dank in einem Reisewagen haushielte und darin schriebe und schliefe? Und hält man nicht in diesen Jahren gerade eine solche Studentenstube für geistiges Studentengut des Genies und je¬ des Chaos für ein infusorisches voll Leben? Man gönne meinem Helden diese irrende Zeit; es hielt ihn doch etwas Edles in seiner Natur zurück, aus einem Lobredner ein Nachahmer zu werden. Wie nach einem weggeschmolznen Nach¬ winter auf einmal die grüne Erdendecke in Blumen und Blüten hoch aufflattert, so fuhr in der warmen Luft der Freundschaft und Phantasie auf einmal Albanos Wesen üppig blähend und grünend aus. Karl hatte und kannte alle Zustände des Herzens, er erschuf sie spielend in sich und andern, er war ein zweites Sanenland, das alle Klimate von Frankreich bis Nova Sembla beherbergt, und worin eben darum jeder seines findet; er war für andere alles, wiewohl für sich nichts. Er konnte sich in jeden Karakter werfen, wiewohl ihm eben darum zuweilen einkam, blos den be¬ quemsten durchzusetzen. Die Gurt- Brust- Schwanz- und Sattelriemen des höfischen, klein¬ städtischen und bürgerlichen Lebens hatte sein Buzephalus längst abgesprengt; und wenn sich der Graf jeden Tag über den Sprach-Lauf¬ zaum des Lektors ärgerte, der alles richtig sagte, Kanaster statt Knaster, Juften statt Juchten, funfzig statt fufzig, und barbieren, (welches R ich selber für eine dumme Härte halte): so war Roquairol ein Freidenker bis zum renommistischen Freiredner, und sprach nach seinem eignen Ausdruck, der zugleich das Bei¬ spiel war, „von der Leber und vom Maule „weg“. Dem Grafen klebte zu seinem Ver¬ druß eine gewisse epische von Büchern anerzo¬ gene Sprach-Würde an. Sie überdachten und verwünschten oft mit einander das erbärmliche Glazen-Leben, das man hätte, wenn man, wie der Lector, als ein wohlgewachsener Staatsbür¬ ger von Extrakzion dahin lebte, Konduite und einen saubern Anzug hätte, und hübsche nicht unebene Kenntnisse von mehreren Fächern und zur Erholung seinen Tischwein und Geschmack an treflichen Maler- und andern Meistern, und wenn man zu höhern Posten avancirte, blos um von da aus zu noch höhern aufzusteigen, und man so nach allem diesen sich frisiert und gewaschen in den Sarg streckte, damit doch die gigantische Körperwelt ihren Pestizer auch der erhabenen Geisterwelt einhändige. — — Nein, sagte Albano, lieber wirf eine schwarze Berg¬ kette von Schmerzen ins platte Leben, damit nur eine Aussicht dasteht und etwas Großes. — Aber Roquairol war nicht der, der er ihm schien; — die Freundschaft hat ihre Täuschun¬ gen wie die Liebe — und oft wenn er diesen liebestrunknen hochherzigen Jüngling mit keu¬ schen Mädgenwangen und stolzer Männerstirn, der ein solches Vertrauen auf seine wankende Seele setzte, und dessen Herz so weit offen stand und an dessen Phantasie sogar, er die Heiligkeit beneidete, lang anblickte: so rührte ihn die Täuschung des Edeln bis zum Schmerz und sein Herz drängte sich vor und wollte ihm mit Thränen sagen: Albano, ich bin deiner nicht werth. Aber dann verlier' ich ihn; setzt' er allemal hinzu; denn er scheuete die moralische Orthodoxie und die Entschiedenheit eines Man¬ nes, der nicht wie ein Mädgen spielend zu er¬ zürnen und wieder zu gewinnen war. Und doch kam der wichtige Tag für beide, wo ers that. Wie hätt' er je der Phantasie widerstanden, da er nur durch Phantasie wi¬ derstand? — Ich thu' ihm halb Unrecht; hö¬ ret den bessern Engel, der seinen Mund auf¬ schloß. Roquairol ist ein Kind und Opfer des Jahr¬ hunderts. Wie die vornehmen Jünglinge un¬ serer Zeit so früh und so reich mit den Rosen der Freude überlaubt werden, daß sie wie die Gewürz-Insulaner den Geruch verlieren und nun die Rosen zum Sybariten-Polster unter¬ betten, Rosensyrup trinken und in Rosenöl sich baden bis ihnen davon nichts zum Reiz mehr dasteht als die Dornen: so werden die mei¬ sten — und oft dieselben — von ihren philan¬ thropischen Lehrern anfangs mit den Früchten der Erkenntniß vollgefüttert, daß sie bald nur die honigdicken Extrakte begehren, dann den Apfel-Wein und Birnmost davon, bis sie sich endlich mit den gebrannten Wassern daraus zersetzen. Haben sie noch dazu wie Roquairol eine Phantasie, die ihr Leben zu einem Naphtha¬ boden macht, aus welchem jeder Fußtritt Feuer zieht: so wird die Flamme, worein die Wissen¬ schaften geworfen werden, und die Verzehrung noch größer. Für diese Abgebrannten des Le¬ bens giebt es dann keine neue Freude und keine neue Wahrheit mehr und sie haben keine alte ganz und frisch; eine vertrocknete Zukunft voll Hochmuth, Lebensekel, Unglauben und Wider¬ spruch liegt um sie her. Nur noch der Flügel der Phantasie zuckt an ihrer Leiche. Armer Karl! — Du thatest noch mehr! Nicht blos die Wahrheiten, auch die Empfin¬ dungen antizipierte er. Alle herrliche Zustände der Menschheit, alle Bewegungen, in welche die Liebe und die Freundschaft und die Natur das Herz erheben, alle diese durchgieng er früher in Gedichten als im Leben, früher als Schauspieler und Theaterdichter denn als Mensch, früher in der Sonnenseite der Phan¬ tasie als in der Wetterseite der Wirklichkeit; daher als sie endlich lebendig in seiner Brust erschienen, konnt' er besonnen sie ergreifen, regieren, ertödten und gut ausstopfen für die Eisgrube der künftigen Erinnerung. Die unglückliche Liebe für Linda de Romeiro, die ihn später vielleicht gestählet hätte, öfnete so früh alle Adern seines Herzens und badete es warm im eignen Blute; er stürzte sich in gute und böse Zerstreuungen und Liebeshändel, und stellte Hinterher alles auf dem Papier und Theater wieder dar, was er bereuete oder seg¬ nete; und jede Darstellung höhlte ihn tiefer aus, wie der Sonne von ausgeworfenen Wel¬ ten die Gruben blieben. Sein Herz konnte die heiligen Empfindungen nicht lassen, aber sie waren eine neue Schwelgerei, höchstens ein Stärkungsmittel (ein tonicum ); und gerade von ihrer Höhe lief der Weg zu den Sümpfen der unheiligsten abschüssiger. Wie im dramati¬ schen Dichter engelreine und schmutzige Zustände nebeneinander stehen und folgen, so in seinem Leben; er fütterte wie in Curinam die Schweine mit Ananas; gleich den ältern Giganten, hatt' er hebende Flügel und kriechende Schlangenfüße. Unglücklich ist die weibliche Seele, die sich in ein so großes mitten im Himmel aufgespanntes Gewebe verfliegt; und glücklich ist sie, wenn sie sich unvergiftet durchreisset und blos die Bie¬ nenflügel beschmutzt. Aber diese allmächtige Phantasie, diese strömende Liebe, diese Weich¬ heit und Stärke, diese erobernde Besonnenheit wird jede weibliche Psyche mit Gespinnsten über¬ ziehen, sobald sie nicht die ersten Fäden weg¬ schlägt. — Könnt' ich euch warnen, arme Mädgen, vor solchen Kunturs, die mit euch in ihren Krallen auffliegen! Der Himmel unserer Tage hängt voll dieser Adler. Sie lieben euch nicht, aber sie glauben es; weil sie wie die Seeligen in Muhammeds Paradies statt der verlornen Liebes-Arme nur Fittiche der Phan¬ tasie haben. Sie sind gleich großen Strömen nur am Ufer warm und in der Mitte kalt. Bald Schwärmer, bald Libertin in der Liebe, durchlief er den Wechsel zwischen Aether und Schlamm immer schneller bis er beide ver¬ mischte. Seine Blüten stiegen am lakierten Blumenstabe des Ideals hinauf, der aber far¬ benlos im Boden verfaulte. Erschreckt, aber glaubt es, er stürzte sich zuweilen absichtlich in die Sünde und Marter hinab; um sich drun¬ ten durch die Wunden der Reue und Demuth den Schwur der Rückkehr tiefer einzuschneiden; wie etwan die Aerzte (Darwin und Sydenham) behaupten, daß stärkende Mittel (China, Stahl, Opium) kräftiger wirken, wenn vorher, schwächende (Aderlas, Brechmittel ꝛc.) ver¬ schrieben worden. Aeussere Verhältnisse hätten ihm vielleicht etwas helfen können und das Gelübde der Ar¬ muth hätt' ihm die beiden andern erleichtert; hätte man ihn als Neger verkauft, sein Geist wäre ein freier Weisser und ein Arbeitshaus ihm ein Purgatorium geworden. Daher ga¬ ben die ersten Christen den Besessenen immer Geschäfte, z. B. Kirchenausfegen Simons christl. Alterthümer, von Mursinna ꝛc. p . 143 u. s. w. Aber das müßige Offiziersleben arbeitete ihn blos noch eitler und kecker aus. So stand es in seiner Brust, als er an Al¬ banos seine kam — Liebe schwelgerisch aufja¬ gend, aber blos um mit ihr zu spielen — mit einem unwahren Herzen, dessen Gefühl mehr lyrisches Gedicht als wahres dichtes Wesen ist — unfähig, wahr, ja kaum falsch zu sein, weil jede Wahrheit zur poetischen Darstellung artete und diese wieder zu jener — leichter vermögend, auf der Bühne und auf dem tragischen Schreibe¬ pult die wahre Sprache der Empfindung zu treffen als im Leben, wie Boileau nur Tänzer nachmachen konnte, aber keinen Tanz — gleich¬ gültig, verschmähend und keck gegen das aus¬ geschöpfte stoflose Leben, worin alles Feste und Unentbehrliche, Herzen und Freuden und Wahrheiten, zerschmolzen herumschwammen — mit ruchloser Kraft vermögend, alles zu wa¬ gen und zu opfern, was ein Mensch achtet, weil er nichts achtete, und immer nach sei¬ nem eisernen Schutzheiligen umblickend, nach dem Tode — an seinen Entschlüssen verzagend und sogar in seinen Irthümern schwankend — aber doch nur des Stimmhammers , und nicht der Stimmgabel der feinsten Moralität beraubt und mitten im Brausen der Leiden¬ schaft stehend im hellen Lichte der Besonnenheit, wie der Wasserscheue seinen Wahnsinn kennt und davor warnt. — — Nur Ein guter Engel war nicht mit den andern entflohen, die Freundschaft. Zur Liebe konnte sich sein so oft aufgeblähtes und zusam¬ mengefallenes Herz schwer aufheben; aber die Freundschaft hatt' er noch nicht verschwendet. Seine Schwester hatt' er bisher befreundet ge¬ liebt, so brüderlich, so ungehemmt, so wach¬ send! Und jetzt tritt ihm Albano glänzend-ge¬ waffnet entgegen! — Anfangs spielt' er auch mit ihm lügend wie mit sich, in der Redoute und im Tartarus. Er merkte bald, daß ihn der ländliche Jüng¬ ling vor eignen Strahlen falsch und geblendet sehe; aber er wollte lieber den Irrthum wahr¬ machen als benehmen. Die Menschen — und er — gleichen der Quelle der Sonne neben dem Tempel des Jupiter Ammon, die am Morgen nur kalt war, Mittags lau, Abends warm, Mitternachts heiß; von den Tageszeiten hieng er nun so sehr ab — wie der rüstige gesunde Albano so wenig, der sich daher vorstellte, ein großer Mann sei den ganzen Tag vom Aufste¬ hen bis zum Niederlegen gros, wie die Heral¬ diker dem Adler immer die Schwingen aus¬ spreizen — daß er selten am Morgen und mei¬ stens abends zu Albano gieng, wenn die ganze Girandole seiner Kräfte und Gefühle brannte in dem Weingeist, den er vorher aus Flaschen zugegossen. Aber kennt ihr die Arzenei des Beispiels, die Heilkraft der Bewunderung und der seelen¬ stärkenden Achtung? „Es ist schändlich von „mir“ (sagte Roquairol); „ist er nicht so gläu¬ „big und offen und bieder? — Nein, die ganze „Welt will ich belügen, nur seine Seele nicht! —“ Solche Naturen wollen die Verheerung der Menschheit durch Treue, gegen Einen vergüten. Die Menschheit ist ein Sternbild, in welchem Ein Stern oft die Hälfte des Bildes malet. Von dieser Stunde an stand sein Entschluß der herzlichsten Beichte und Buße fest; und Al¬ ban, vor welchem das Leben noch nicht in ei¬ nen Brei der Verwesung zerlief, sondern sich fest und scharf und organisch zergliederte und der nicht wie Karl klagte, daß ihn nichts recht erpacke und alles nur luftig umspühle, dieser sollte dessen kranken Wünschen Jugend wieder¬ bringen und mit dem unwandelbaren Sinn des reinen Jünglings und mit der Gefahr der Freund¬ schaft wollte Roquairol sich zwingen, diesem das Wort der fruchttragenden Bereuung zu halten, das er sich selber zu oft gebrochen. Lasset uns ihm folgen in den Tag, wo er alles sagt. 54. Zykel . Einst kam Albano schon Vormittags zum Hauptmann, wo dieser sonst nach seiner Sprache noch „ein von gestern herabgebranntes Licht¬ stümpfgen auf Stacheln“ war; aber heute stand er brausend-arbeitend wechselnd am Pia¬ noforte und am Schreibepult und war wie ein verdorrtes Infusionsthiergen schon so früh der Rege und Alte, weil Wein genug aufgegossen war, nämlich viel. Voll Entzückung lief er dem willkommnen Freunde zu. Albano bracht' ihm von Falterle die kindischen Blätter der Liebe (— denn der Exerzizienmeister hatte nicht den Muth gehabt, sie ins Feuer zu werfen), die er aus Blumenbühl an das unbekannte Herz ge¬ schrieben. Karl wäre darüber bis zu Thränen gerührt geworden, wär' er's — nicht schon vor der Ankunft gewesen. Der Graf mußte da blei¬ ben — den ganzen Tag — und alles versäu¬ men men — es war sein erster unordentlicher Tag — komisch wars, wie sich der sonst so unbändige, aber einer langen Gewohnheit täglicher An¬ strengungen dienstbare Jüngling gegen die kurze Meerstille, worin er keine Schiffe trieb, wie ge¬ gen eine Sünde sträubte. Indessen wars himmlisch; der tiefliegende Kindertag, der ihn sonst beflügelte, wenn das Haus voll Gäste war und er — wo er nur wollte, kam wieder herauf; die Gespräche spiel¬ ten und beschenkten mit allem, was uns hebt und bereichert; alle Kräfte waren ohne Ketten und im trunknen Tanz. Genialische Menschen haben so viele Festtage als andere Werkeltage und daher ertragen jene so schwer einen Trivial- und Schlendrians-Schalttag — und vollends an solchen Jünglingstagen! — Wenn ihm Karl tragische Gewitterwolken aus Shakespear, Göthe, Klinger, Schiller vorführte und sich das Leben kolossalisch im dichterischen Vergrößerungsspie¬ gel beschauete: so standen alle schlafenden Rie¬ sen seines Innern auf, sein Vater kam und seine Zukunft, selber sein Freund stand neu wie aus jener glänzenden phantastischen Kinderzeit her¬ Titan II . B ausgehoben da, wo er sich ihn in diesen Rol¬ len vorgeträumt, und in den innern Heldenzug wurde sogar die Wolke, die durch den Himmel schwamm, und die über den Markt wegmar¬ schirende Wach-Truppe eingeschichtet. Zu groß erschien ihm der Freund, weil er wie alle Jüng¬ linge noch von Schauspielern und Dichtern glaubte, daß sie wie die Bergleute immer die Metalle in den Leib bekommen, in denen sie arbeiten. Wie oft sagten beide in der Jüng¬ lings-Metapher: „das Leben ist ein Traum“ und wurden blos froher und wacher dadurch! Der Greis sagt es anders. Und die schwarze Todespforte, an welche Karl so gern hinführte, wurde vor dem Jünglingsauge eine Glasthür, hinter welcher das helle goldne Zeitalter des verspäteten Herzens in unermeßlichen Auen lag. Mädgen, bekenn' ich — da ihre Gespräche zerstückter, faktischer, und weniger berauschend sind — erstehen statt eines solchen Eden-Parks einen hübschen holländischen Garten gut zuge¬ schnitten von Krebs- und Damesscheeren, und (nachmit-) täglich dargereicht von der schwar¬ zen Stunde, die ihnen auf dem Kaffee- oder Theebrette das schmale schwarze Brett einiger übeln Nachreden, ein paar neue dasitzende Shalws, einen wohlgewachsenen Menschen, der mit einem Testamente oder Trauschein vorbei¬ geht, und letztlich die Hofnung des häuslichen Referats servirt. — Kommt zu den Jüng¬ lingen zurück! Gegen Abend bekam der Hauptmann ein rothes Billet. „Es ist ganz gut!“ sagt' er zur Überbringerin und nickte. „Wird nichts daraus „Madam!“ (sagt' er, sich gegen Albano keh¬ rend.) — „Bruder, wahre Dich nur gegen „Eheweiber. Schnappe einmal zum Spaße „nach einem rothen Schminkläppgen von ihnen: „flugs schieben sie Dir die Angelhaken in die „Rückenhaut Anspielung auf die Art, Frösche mit einem Stückchen rothen Tuch zu angeln. . Der Haken sieben sind in „meiner allein, wie Du sie da siehst, seßhaft.“ Das unschuldige Kind Albano! Es nahm es für etwas moralisch-Großes, die Freundschaft von sieben Eheweibern auf einmal zu behaup¬ ten und wäre froh in Karls Fall gewesen; er B 2 konnte das Schlimme nicht finden, daß die Freundinnen wie die Römer, der Viktoria (näm¬ lich uns) gern die Flügel abschneiden, damit die Gottheit nicht weiter fliege. — An einem schönen Tag ist nichts so schön als sein Sonnenuntergang; der Graf schlug vor, ins Abendroth hinauszureiten und auf der Höhe nach der Sonne zu schauen. Sie trabten durch die Straßen; Karl zog bald vor einer schönen Nase, bald vor einem großen Augen¬ paar, bald vor durchsichtigen Stirnlocken den großen schiefsitzenden Hut ab. Sie flogen in die Lindenallee, die sich mit einer bunten Lam¬ bris von Spazier — sitzerinnen festlich putzte. Ein großes feurig durchblickendes Weib schritt im rothen Shawl und gelben Kleide durch das weibliche Blumenbeet hoch wie die Blumengöt¬ tin; es war die Konzipientin des rothen Blat¬ tes; sie war aber aufmerksamer auf den schö¬ nen Grafen als auf ihren Freund. An allen Wänden und Bäumen blühte das Rosenspalier des Abendroths. Sie brauseten die weisse Straße nach Blumenbühl hinauf — an beiden Seiten schlug das goldgrüne Meer des Früh¬ lings die lebendigen Wellen — eine geflügelte Welt ruderte darin und die Vögel tauchten sich tief in die Blumen unter — hinter den Freun¬ den brannte die Sonne, und vor ihnen lag die Blumenbühler Höhe ganz rosenroth. Oben wandten sie die Pferde gegen die Sonne, die hinter den Kuppeln und Rauchsäulen der stolz¬ brennenden Stadt in fernen hellen Gärten ruhte. Nahe gerückt lag die erleuchtete Erde um sie her und Albano konnte die weissen Statuen auf Lianens Dach lebendig unter dem blühen¬ den Gewölk erröthen sehen. Er drängte sein Pferd an das fremde, um die Hand auf Karls Achsel zu drücken; und so sahen sie schweigend zu, wie die liebevolle Sonne die goldne Wol¬ kenkrone ablegte und mit dem flatternden Laub¬ gewinde um die heisse Stirn ins Meer hinun¬ terzog. Und als es dämmerte auf der Erde und glühte am Himmel und Albano sich hin¬ über neigte und seinen Freund ans brennende Herz herüberzog: so stieg das Abendgeläute in Blumenbühl herauf — „und dort drunten,“ sagte Karl mit sanfter Stimme und kehrte sich hin, „liegt Dein friedlich Blumenbühl wie ein „stiller Kirchhof deiner Kindertage. — Wie „sind die Kinder glücklich, Albano, ach, wie „sind die Kinder glücklich!“ — „Sind wirs „nicht?“ (antwortete er mit freudigen Thrä¬ nen) „Karl, wie oft stand ich auf den Höhen „an Abenden wie dieser und streckte inbrünstig „meine kindischen Hände aus nach Dir und „nach der Welt. — Nun hab' ichs ja alles. „Wahrlich du hast nicht Recht.“ — Aber er, am brausenden Ohrenklingen vergangner wei¬ ter Zeiten krank, blieb taub gegen das Wort und sagte: nur die Wiegenlieder, nur die zu¬ rücktönenden Wiegenlieder, schläfern die Seele ein, wenn sie heiß geweinet hat. Stiller und langsamer ritten sie zurück. Al¬ bano trug eine neue Welt der Liebe und der Wonne in der Brust; und der Jüngling, — noch nicht ein Schuldner der Vergangenheit, sondern ein Gast der Gegenwart — sank, vom langen Jubel des Tags süß abgespannt, in helldunkle Träume unter, gleichsam ein hoher Raubvogel still auf entzückt-offnen Schwingen hängend. „Wir wollen die ganze Nacht bei Ratto bleiben.“ sagte Karl in der Stadt. 55. Zykel. Sie stiegen in Ratto's italienischen Keller hinunter. Das Haus kam anfangs nach dem Anblicke der weiten Natur dem Grafen wie ein Felsenstück darüber gewälzt vor — wiewohl ja jedes Stockwerk unter architektonischen Lasten liegt —, aber das schwere Gefühl des unterir¬ dischen Zwingers vergas sich bald und sonder¬ bar klang in die welsche Grube das hohe Ras¬ seln der Wagen herein. Der Hauptmann be¬ stellte einen Punch royal — — Wenn er so fortfährt in seiner guten Feuerordnung und im¬ mer ein volles Gefäß im Hause hat als Lösch¬ anstalt und die Schlangenspritzen probirt: so kann mein Buch nie der Vorwurf treffen, daß man darin wie im Grandison zuviel Thee konsumire, eher zuviel starkes Getränk geht auf. Schoppe saß im welschen Souterain. Er liebte den Hauptmann nicht, weil sein unver¬ söhnliches Auge an ihm zwei ihm herzlich un¬ leidliche Fehler auswitterte, „das chronische Ge¬ schwür der Eitelkeit und ein unheiliges Schlem¬ men und Prassen in Gefühlen.“ Karl gab die Abneigung zurück; die heißesten Wellen seines Enthusiasmus setzten sogleich vor des Titular¬ bibliothekars Gesichte Eisspieße an. Nur heute nicht! — Er trank so hinlänglich vom Königs¬ puntsch — wovon ein Paar Gläser durch alle Köpfe des Briareus oder der lernäischen Schlange durchbrennen konnten —, daß er dann alles sagte, sogar das Fromme. „Bei Gott! „(sagt' er, sich im Bethesda-Teich durch — Her¬ „ausschöpfen heilend) da es doch Lumperei mit „dem Besserwerden ist, so sollte man sich etwas „vor die Stirn drücken, damit der gehetzte Geist „nur einmal loskäme von seinen Wunden und „Sünden.“ — „Von Sünden? — (sagte Schoppe) „Läuse und Bandwürmer der bessern Art wer¬ „den allerdings aus meinem Gebiet auswan¬ „dern, wenn ich mich kalt mache; aber die „schlimmen trägt mein innerer Mensch gewiß „mit hinauf. Beim Henker! wer sagt Euch „denn, daß dort der ganze hiesige Armesünders¬ „Kirchhof auf einmal als eine unsichtbare Kir¬ „che voll Märtyrer und Sokratesse einziehen „werde und jedes Bedlam als eine Loge zum „hohen Licht? — Ich dachte heute ans andere „Leben, als ich eine Frau auf dem Markte „mit fünf Schweinchen sah, die sie jedes mit „einem Strick am Bein, vor sich her treiben „wollte, die ihr aber wie elektrische Strah¬ „lenbüschel auseinander fuhren; jetzt schon, „sagt' ich, mit unsern wenigen Kräften und „Wünschen, die das kultivirende Säkulum im „ quintuplo stellte, geht es uns schon so erbärm¬ „lich wie der Frau mit ihrer Kuppel, wenn „wir nun vollends zehn und mehr neue Ferkel „(da die zweite Welt wie ein Amerika doch neue „Objekte und Wünsche bringen muß) an den „Strick bekommen, wie will da der Ephorus „amthieren? — Auf größere unbeschreibliche „Nöthen, Lehnsfrevel und Opposizionen mach' „ich mich da gefaßt.“ Aber Roquairol war in seiner rothen Lohe; er setzte sich über Schoppe und sich hinweg und läugnete die Unsterblich¬ keit geradezu, um Schoppen zu parodiren: „ein „einziger Mensch, (sagt' er), glaubte seinet we¬ „gen allein schwerlich die Unsterblichkeit; aber „da er mehrere sieht, hat er Mitleiden und „hält es der Mühe werth und glaubt, die zweite „Welt ist ein monte testaceo aus Menschen¬ „Scherben. Der Mensch kann Gott und dem „Teufel künftig nicht näher kommen, als ers „hier schon that; wie ein Wirthshausschild ist „sein Revers so bemahlt wie sein Avers — Aber „wir brauchen die künstliche Zukunft zur Ge¬ „genwart; wenn wir noch so still schweben über „unserem Schlamm, so zappeln wir noch im¬ „mer wie stillliegende Karpfen, mit den poeti¬ „schen Flossen und Flügeln. Daher müssen wir „den künftigen Paradiesesgarten so herrlich an¬ „ legen, daß nur Götter hineinpassen, aber so „wie in Fürstengärten, keine Hunde. Lumpe¬ „rei ists! Wir schneiden uns verklärte Leiber „zu, die den Soldatenröcken gleichen; Taschen „und Knopflöcher fehlen; welche Freuden „können sie denn fassen? —“ Alban sah ihn staunend an. „Weißt Du, Albano, was ich „meine? — Just das Gegentheil.“ So leicht wird der Phantasie alles, auch Laune. Jetzt wurd' er hinausgerufen. Er kam zu¬ rück mit einem rothen Billet. Er warf die Halsbinde um — à la Hamlet war er da ge¬ sessen — und sagte zu Albano, in einer Stunde flieg' er zurück. Unter der Schwelle stockt' er noch sinnend, ob er weg solle; dann lief er rasch die Treppe hinan. In Albano floß der Freudenbecher, worein der ganze Tag zugeschüttet hatte, mit dem glän¬ zenden Schaume einer schalkhaften Laune über. Beim Himmel! Die Scherzhaftigkeit stand ihm so lieblich wie eine Rührung und er gieng oft lange, ohne Sprechen, schalkhaft-lächelnd um¬ her, wie schlummernde Kinder lächeln, wenn, wie man sagt, mit ihnen Engel spielen. Roquairol kam wieder mit sonderbar em¬ pörten Augen; er hatte wild in sein Herz hin¬ eingestürmt; er war schlecht gewesen, um zu verzweifeln und unten auf dem Abgrund knieend dem Freunde sein Leben zu bekennen. Dieser so willkührliche Mensch lag unwillkührlich auf den Windmühlen-Flügel seiner Phantasie ge¬ flochten und wurde bald von der Windstille ge¬ fesselt, bald vom Sturme umgeschleudert, den er zu durchschneiden glaubte. Er wurde nach dem Beispiele der Feuerfresser, jetzt ein Feuer¬ säufer, in der unruhigen Erwartung, daß Schoppe weiche. Dieser wich endlich trotz Al¬ banos Bitte mit der Antwort: „kaufet die Zeit, „sagte der Apostel, das heisset aber, fristet „euer Leben länger; das ist die Zeit. Dazu „fodern nun die besten Kaufbuden der Zeit, die „Apotheken, daß der Mensch nach dem Punch „ royal zu Bette gehe und unmäßig schwitze.“ — Wie wurd' es jetzt anders! — Da ihm Ze¬ sara freudig um den Hals fiel — da der Ju¬ gend-Rausch zu Liebesmelodieen wurde, wie der Regen in der Höhle zu Derbyshire von ferne zu Harmonien — da dem Grafen süß, wie man sich schlummernd verblutet, das ganze Innere, sein ganzes voriges Leben von der Lippe floß und alle Plane des künftigen, sogar die stolze¬ sten (nur der zärteste nicht) — und da er sich, wie (nach der Burignon ) Adam im Unschulds- Stand, so krystallen-durchsichtig vor das be¬ freundete Auge stellte, nicht aus Schwäche son¬ dern aus altem Drang und im Glauben, so müsse der Freund seyn: so traten dem unglück¬ lichen Roquairol helle Thränen der liebevoll¬ sten Bewunderung über die ungeschminkte Rein¬ heit und über die energische, gläubige, noch in nichts schwankende Natur und über den fast zum Lächeln reizenden naiven hohen Ernst des rothwangigen Jünglings in die Augen. Er schluchzete an dieser freudetrunknen Brust und Albano wurde weich, weil er dachte, er sei es zu wenig und sein Freund so sehr. „Hinaus, hinaus!“ sagte Karl; und das war lange Albano's Wunsch. Es schlug Ein Uhr, als sie auf der engen Kellertreppe die Sterne des Frühlingshimmels oben an der Einfahrt des Schachtes blitzen sahen. Wie frisch quoll die eingeathmete Nacht über die heissen Lippen! — Wie fest bauete sich über die flüchtigen Zeltgas¬ sen der Stadt die Welt-Rotunda mit ihren festen Sternenreihen dahin! Wie erquickte und er¬ weiterte sich das feurige Auge Albanos an den Riesenmassen des dämmernden Frühlings, an dem unter dem durchsichtigen Mantel der Nacht schlummernden Tag! Zephyre, die Schmetter¬ linge des Tags, flatterten schon um ihre lieben Blumen und sogen aus den Blüten und trugen Weihrauch für den Morgen ein, eine schlaf¬ trunkne Lerche fuhr zuweilen in den stillen Him¬ mel hinauf mit dem lauten Tage in der Kehle, über die dunkeln Auen und Stauden war schon der Thau gegossen, dessen Juwelenmeer vor der Sonne entbrennen sollte und in Norden wehten die Purpur-Wimpel der Aurora, die gen Morgen schifte. — — Erhebend faßte der Gedanke den Jüngling an, daß nun dieselbe Minute Millionen kleine und lange Leben messe und den Gang der Minirraupe und den Flug der Sonne und daß jetzt dieselbe Zeit durchlebet werde vom Wurm und von Gott, von Welten zu Welten, — überall. — „O „Gott,“ rief er, „wie herrlich ists, daß man „ist!“ Karl klebte blos mit dem hängenden schwe¬ ren Gefieder des Nachtvogels an den heitern Gestirnen um ihn: „wohl Dir,“ sagt' er, „daß „Du so seyn kannst und daß die Sphinx in dei¬ „ner Brust noch schläft. Du weißt nicht, was „ich will. Ich kannte einen Elenden, der sie „recht gut schildern konnte. In der Brusthöhle „des Menschen,“ sagt' er, „liegt das Unge¬ „heuer mit aufgehobenem Madonnengesicht auf „seinen vier Tatzen und lächelt eine Zeitlang „umher und der Mensch mit. — Plötzlich springt „es auf, gräbt die Krallen in die Brust, zer¬ „schlägt sie mit dem Löwenschweif und den har¬ „ten Flügeln und wühlt, drängt und tobt und „überall rinnt Blut an der zerritzten Brusthöh¬ „le. — Auf einmal legt es sich blutig wieder hin „und lächelt wieder fort mit dem schönen Ma¬ „donnenangesicht. O er sah ganz blutlos aus, „der Elende, weil das Thier so von ihm zehrte „und durstig an seinem Herzen leckte.“ „Gräulich! (sagte Albano) „und doch ver¬ „steh' ich Dich nicht ganz.“ — — Der Mond hob jetzt sich und eine finster an seinen Seiten gelagerte Wolken - Heerde empor und zog ei¬ nen Sturmwind nach, der sie unter die Sterne jagte. Karl fuhr wilder fort: „Anfangs hatt' „es der Elende noch gut, er hatte noch derbe „Schmerzen und Freuden, rechte Sünden und „Tugenden; aber als das Unthier immer schnel¬ „ler lächelte und zerriß und er immer schneller „Lust und Pein, Gutes und Böses wechselte; „und als Gotteslästerungen und Rothbilder in „seine Gebete krochen und er sich weder bekeh¬ „ren noch verstocken konnte: da lag er in öder „Verblutung in der lauen, grauen, trocknen „Nebel-Masse des Lebens da und starb so „durch das Leben fort. — “ „Warum weinest Du? Kennst Du den „Elenden?“ — „Nein,“ sagte Albano mild. — „Ich bins!“ — „Du?— schrecklicher Gott, „Du nicht!“ — „O, ich bins; und wenn Du „mich auch verachtest, Du wirst was ich... „Nein, mein Unschuldiger, ich sag' es nicht. „Sieh, jetzt steht die Sphinx wieder auf. O „bete mit mir, hilf mir, daß ich nicht sündigen „muß, nur nicht muß . Ich muß saufen, ich „muß verführen, ich muß heucheln — ich „heuchle jetzt —“ Zesara sah das starre Auge, das bleiche zerrissene Gesicht und schüttelte lie¬ bend-entrüstet ihn mit beiden Armen und stam¬ melte gerührt: „das ist beim Allmächtigen nicht „wahr; Du bist ja so sanft und blas und un¬ „glücklich unschuldig.“ — „Rosenangesicht (sagte Karl), ich scheine „Dir rein und hell wie der dort droben Der Mond. , „aber er wirft wie ich den langen Schatten gegen „den Himmel hinauf.“ — Zesara ließ ihn los, sah lange nach dem erhabnen dunklen wie ein Lei¬ Leichenzug um das Elysium haltenden Tartarus und drückte bittere Thränen weg, die über die Erinnerung flossen, daß er darin seinen ersten Freund gefunden, der sich jetzt neben ihm auf¬ löse. Da brach der Nachtwind eine von der Waldraupe getödtete Tanne daraus ab und Albano zeigte stumm auf die Niederbrechende; Karl rief erschrocken: „ja, das bin ich!“ — „Ach Karl, hab' ich Dich denn heute verloren?“ sagte der schuldlose Freund mit unendlichem Schmerz und die schönen Sterne des Frühlings fielen wie zischende Funken in seine Wunde. Vor diesem Worte lösete sich Karls ge¬ spanntes Herz in treue gute Thränen, ein hei¬ liger Geist kam über ihn und gebot ihm, die reine Seele nicht zu quälen mit seiner, ihr nicht den Glauben zu nehmen, ihr das wilde Ich und jede Eigensucht stumm zu opfern. Sanft legt' er sich an des Freundes Herz und mit zauberisch leisen Worten und voll Demuth und ohne Feuerbilder sagt' er ihm sein ganzes Herz — und daß es nicht böse sey, sondern nur unglück¬ lich und schwach — und daß er nur so herzlich- aufrichtig gegen ihn, der zu gut von ihm Titan II . C denke, habe seyn müssen wie gegen Gott — und daß er schwöre bei der Stunde des Todes, zu werden wie er, ihm ewig alles zu bekennen, sich zu heiligen an ihm — „Ach ich wurde „nur noch so wenig geliebt!“ beschloß er. — Und Albano, der liebestrunkne, glühende Mensch, der gute Mensch, der an sich die heiligen Über¬ treibungen der Reue kannte und der diese Be¬ kenntnisse für jene hielt, kehrte begeistert in den alten Bund zurück mit Liebe ohne Maaß. „Du bist ein warmer Mensch! (sagte Karl) „Warum liegen denn die Menschen immer wie „die Todten auf den, Bernhardus-Berg Die unbekannten Erfrornen werden von den Mönchen unbegraben an einander jeder an die Brust des andern angelehnt. ein¬ „ander erfroren an der Brust, mit steifem Aug', „mit starren Armen? — O warum kamest „Du so spät zu mir? Ich wäre anders ge¬ „worden. Warum kam jene Linda de Romeiro. so früh? — „Dort im Dorfe drunten an der engen niedri¬ „gen Kirchthüre, da sah ich Sie zuerst, durch „die mein Leben zur Mumie ward. Wahrlich „ich spreche jetzt gefasset. Man trug vor mir „her, als ich heraus spatzieren gieng, einen lei¬ „chen-weissen Jüngling auf einer Bahre in den „Tartarus; es war nur eine Statue, aber sie „war das Ebenbild meiner Zukunft. Ein böser „Genius sagte zu mir: liebe die Schöne, die „ich Dir zeige. Sie stand an der Kirchthüre „von Kirchleuten umzingelt, die sich über die „Kühnheit wunderten, womit sie mit beiden „Händen eine silbergraue züngelnde Schlange „annahm und wog. Wie eine kühne Göttin „senkte sie die feste ebene Stirn, das schwarze „Auge, die Rosenblüthen ihres Angesichts auf „den von der Natur platt getretnen Otterkopf „und spielte damit dicht an ihrem Herzen. „„Kleopatra!“ sagt' ich, obwohl ein Knabe. „Auch sie verstand es schon, blickte ruhig und „kalt von der Schlange auf und gab sie zu¬ „rück und wandte sich um. O an meine junge „Brust warf sie die erkältende Leben-fressende „Viper. — Aber wahrlich jetzt ists vorbei und „ich spreche ruhig. Nur in den Stunden, Alba¬ „no, wo mir aus jener Nacht meine blutigen C 2 „Kleider, die meine gute Schwester aufgeho¬ „ben, zu Gesichte kommen, da leid' ich mehr „und frage: armer gutmeinender Knabe, war¬ „um wurdest Du denn älter? Aber wie ge¬ „sagt, es ist ganz vorbei. Zu Dir, nur zu „Dir spreche ein besserer Genius: liebe die „Schöne, die ich Dir zeige!“ — Aber welche Welt von Gedanken flog jetzt auf einmal Albano zu! „Er martert (dacht' „er,) mit dem alten Argwohne über Romeiro „fort — ich will Herz gegen Herz öffnen und „es dem guten Bruder sagen, daß ich ja seine „Schwester ewig liebe.“ — Seine Wangen glühten, sein Herz flammte, er stand priester¬ lich vor dem Altare der Freundschaft mit der schönsten Gabe, mit der Aufrichtigkeit. „O „jetzt, Karl,“ sagt' er, „wäre sie wohl anders „gegen Dich — mein Vater reiset mit ihr und „Du wirst sie sehen.“ — Er gieng Hand in Hand schneller mit ihm einer dunklen Baum¬ gruppe zu, um im Schatten die zart-erröthen¬ de Seele zu öffnen. „Nimm mein theuerstes „Geheimniß hin, (fieng er an) — aber sprich „nicht davon — und nicht mit mir— erräthst „Du es nicht, mein erster Bruder? die Seele „nicht, die ich so lange liebte wie Dich?“ — Leise, leise setzte er dazu: „Deine Schwester?“ und sank ihm auf den Mund, um die ersten Laute wegzuküssen. Aber Karl, im Aufruhr des Entzückens und der Liebe wie eine Erde bei dem Aufgange des Frühlings, bändigte sich nicht; er preßte ihn an sich; er ließ ihn los; er umfaßte ihn wieder, er weinte seelig, er drückte Albanos Augen zu und sagte neu-verschwistert: Bruder! Vergeblich wollte Albano mit der Hand jede andere Sylbe auf seinen Lippen erdrücken. Er fieng vor dem betroffenen Jüngling — der un¬ ter der einsamen und poetischen Bücherwelt eine höhere Zartheit gewonnen als die Wirklichkeit des Umgangs lehrt — Lianen abzumalen an, wie sie dulde und handle, wie sie für ihn sorge und rede und sogar verarme, um seine Schul¬ den zu tilgen; wie sie ihn nie hart tadle, son¬ dern nur mild bitte, und alles das nicht aus künstlicher Duldung, sondern aus heisser ächter Liebe und wie doch das noch kaum das Bei¬ werk ihres Bildes sey. Er war in seiner reinern Begeisterung als ihn dieser Abend zugelassen, darum so seelig, weil er seine Schwester unter allen Menschen am meisten und uneigennützig¬ sten und am freiesten von poetischer Schwelge¬ rei und Willkühr lieben konnte — ordentlich dadurch gestärkt, daß er einmal aus reiner hei¬ liger Liebe jauchzen dürfe, zog die Hände wie¬ der frei gemacht heraus, die bisher wie Milos seine im Baum des Glücks und Lebens, den er zerreissen wollte, eingeklemmt gefangen waren; er athmete frische Lebenslust und Muth und der Plan seiner innern Vollendung war jetzt durch neues Glück und schönes Bewußtseyn hold geründet. — Der Mond stand hoch, die Wolken waren vertrieben, und nie gieng der Morgenstern zwei Menschen heller auf. Elfte Jobelperiode. Stickrahmen — Anglaise — cereus serpens — mu¬ sikalische Phantasieen. 56. Zykel. F reudig trug Roquairol am ersten Abende, da er seinen Vater verreiset wußte, zum Freunde die Bitte, zur Mutter mitzugehen. Albano er¬ röthete zauberisch über jene feurige Nacht zum erstenmale, die ihm das älteste Geheimniß abge¬ drungen; denn bisher hatten beide in den ge¬ meinen Stunden des Lebens das Heiligthum nicht wieder berührt. Nur der Hauptmann konnte leicht und gern von Linda so wie von jedem Verluste sprechen. Liane erblickte ihren Bruder — den regie¬ renden Schöpfer ihrer weichsten Stunden — allezeit mit herzlichster Freude, ob er gleich mei¬ stens etwas haben wollte, wenn er kam; vor Freude trug sie ihm das Buch, woraus sie der stickenden Mutter vorgelesen, in der Hand ent¬ gegen. Sie und die Mutter hatten den ganzen Tag heiter und einsam mit gegenseitigem Ab¬ lösen in Sticken und Lesen verlebt; so oft der Minister verreiste, waren sie zugleich von Un¬ friede und Visiten-Chariwari frei. Wie ge¬ rührt erkannte Albano das Morgenzimmer wie¬ der, aus dem er das erstemal das theuere Mäd¬ gen nur als Blinde in der Ferne zwischen Was¬ serbogen stehen sehen! Die gute Liane nahm ihn unbefangener auf, als er es durch Karls Einwei¬ hung in seine Wünsche bleiben konnte. Welche paradiesische Mischung von unberechneter Scheu und überfließender Freundlichkeit, Stille und Feuer, von Blödigkeit und Anmuth der Bewe¬ gung, von scherzender Güte, von schweigendem Wissen! Dafür gebührt ihr der herrliche Beiname Virgils, die jungfräuliche . In unsern Tagen der weiblichen Krachmandeln, der akademischen Kraftfrauen, der Hopstänze und Doublirmarsch¬ schritte im platten Schuh kommt der virgilia¬ nische Titel nicht oft vor. Nur zehn Jahre lang (vom 14ten an gezählt) kann ich ihn ei¬ nem Mädchen geben; später wird es manirier¬ ter. Dreizehn und siebzehn Jahre zugleich ist gewöhnlich ein solches holdes Wesen alt. Warum warest Du so reizend-unbefangen, zarte Liane, als weil Du wie die Bourignon nicht einmal wußtest, was zu fliehen war und weil Deine heilige Schuldlosigkeit noch das ver¬ dächtige Ausspähen der entlegensten Absichten, das an die Erde gebückte Behorchen des kom¬ menden Feindes und alle kokette Manifeste und Ausrüstungen ausschloß? — Die Männer waren Dir noch gebietende Väter und Brüder; und darum erhobest Du zu ihnen noch nicht stolz , sondern so freundlich das treue Au¬ genpaar! — Und mit diesem gütigen Blick und mit ih¬ rem Lächeln — dessen Fortdauer oft auf männ¬ lichen Gesichtern, aber nicht auf jungfräu¬ lichen die Titelvignette der Falschheit ist — nahm sie unsern edeln Jüngling an, aber ihn nicht allein. Sie setzte sich an den Stickrahmen; und die Mutter schiffte den Grafen bald in das kühle Weltmeer allgemeiner Gespräche ein, in das nur zuweilen der Sohn eine grüne warme Insel herauf trieb. Alban sah zu, wie Liane ihre musivischen Blumenstücke wachsen ließ; wie die kleine weisse Hand auf dem schwarzen At¬ lasgrunde (Froulays Thorax soll an seinem Geburtstage die Blumen anziehen) lag, und wie ihre reine Stirn, von gekräuselten Haaren durchsichtig überwebt, sich vorbückte und wie sich ihr Angesicht, wenn sie sprach oder wenn sie neue seidene Farben suchte, mit dem höhern Feuer der Arbeit im Auge und auf der Wange beseelet aufrichtete. Karl streckte ihr zuweilen hastig die Hand entgegen. Sie reichte ihre wil¬ lig hinüber, er legte sie zwischen seine beiden und wandte sie um, sah in die inwendige, drückte sie mit beiden und die Geschwister lä¬ chelten einander liebreich an. Und da lächelte Albano allemal treuherzig aus den Gesprächen mit der Mutter mit herein. Aber armer Held! — Schon an sich ists herkulische Arbeit, neben ei¬ ner feinen müßig zu sitzen, neben Sticken, Mi¬ niaturmalen u. s. w.; aber vollends mit dei¬ nem Geiste, der so viele Seegel nebst einem Paar Stürmen hinter drein hat, unthätig ne¬ ben dem Stickrahmen zu ankern und nicht et¬ wan ein Herkules zu seyn, (das wäre leicht,) welcher spinnt, sondern einer, der nur spinnen sieht — und das vor dem großen Frühling und Sonnenuntergange draussen — und noch dazu neben der wortkargen Mutter (überhaupt ists schon neben jeder eine Unmöglichkeit, ein er¬ hebliches Gespräch mit der Tochter einzulei¬ ten) — — das sind schwere Sachen. Er sah scharf gegen die gestickte Flora nie¬ der: „Mich schmerzt nichts so sehr“ — sagte er, weil er überall philosophierte und weil ihn alles Vergebliche auf der Erde peinlich be¬ klemmte — „als das so viele tausend künstliche „Zierrathen auf der Welt umsonst geschaffen „werden, ohne daß sie je ein Auge trifft und „genießet. Mir kann es ordentlich nahe ge¬ „hen, wenn das grüne Blättchen hier nicht „besonders angesehen wird.“ Mit derselben Trauer über fruchtlose ungenossene Pflanzun¬ gen der Mühe hielt er oft sein Auge nahe an den Tapeten-Baumschlag, an geblümte Zeuge, an architektonische Verzierungen. Liane konnt' es für einen malerischen Ta¬ del des überladenen Näh-Gartens nehmen, den sie blos ihrem Vater zu Liebe so voll säete — denn Froulay, aus den Zeiten gebürtig, wo man noch mit dem Kleide die Tressen besetzte, knöpfte gern ein kleines Seiden-Herbarium an den Leib —; aber sie sagte nichts als lächelnd das: „Nun das Blättchen ist dem bösen Schick¬ „sal ja entgangen, es ist angeschaut.“ „Was thut Vergehen und Vergeblichkeit?“ (nahm Roquairol voll Gleichgültigkeit gegen den Lektor, der eben hereintrat, das Wort und voll Gleichgültigkeit gegen die Meinung der Mutter, der wie dem Vater ihn nur die Bitten der Schwester zuweilen unterwarfen) „Genug, „wenn etwas ist. Über der Wüste singen die „Vögel und ziehen die Sterne und kein Mensch „sieht die Pracht. Wahrlich überall geht in und „ausser dem Menschen mehr ungesehen vorüber „als gesehen. Die Natur schöpft aus ewigen „Meeren und erschöpft sich nicht; wir sind auch „eine Natur und sollen schöpfen und ausgie¬ „ßen und nicht immer bekümmert dem wässern¬ „den Nutzen jedes Strichregens und Regenbo¬ „gens nachrechnen. — Sticke nur fort, Schwe¬ „ster!“ beschloß er ironisch. „Die Prinzessin kommt heute!“ sagte der Lektor und entzückt über die Hofnung küßte Liane der Mutter die Hand. Sie sah oft und vertraulich von der Stickerei zu dem Hofmann auf, der sehr einheimisch zu seyn schien, aber als ein feiner Mann, eben so geehrt und eh¬ rend war, als steh' er zum erstenmale da. Die Anmeldung der Prinzessin setzte den Hauptmann in eine reizende gelenke Freude; eine weibliche Rolle war ihm zur Gesellschaft so nöthig wie den Franzosen zur Oper, und eine Frau, die da war, unterstützte ihn so sehr im Doziren, wie Kant ein Knopf, der fehlte Er soll lehrend immer auf die leere Knopf- Stätte eines Studenten gesehen haben; und wurde irre, als dieser sie besetzt hatte. . Er nahm, um seine Schwester von den Blu¬ men abzuführen, einer Statue auf dem Spie¬ geltische den rothen Flor ab und warf ihm, wie ein kleines Morgenroth, den Lilien auf dem Gesicht der Stickerin über; — da giengen die Thüren auf und Julienne herein — Liane ver¬ wickelte sich in die kleine Morgenröthe unter dem Abheben derselben im Entgegeneilen. — Albano reichte ihr mechanisch die Hand zum Empfange des Schleiers — und sie gab ihm diesen und einen weiten lieben Blick dazu — — o wie glänzte seiner trunken! Julienne brachte ein Gefolge von Scherzen mit. Der Hauptmann, der wie ein Feuerwer¬ ker, seinem Feuer alle Formen und Farben ge¬ ben konnte, verstärkte sie mit seinen; und seine Schwester säete gleichsam die Blumen, mit wel¬ chen die Zephyretten der Scherze spielen konn¬ ten. Julienne sagte fast zum Ja Nein und zum Nein Ja. Nur gegen die Ministerin war sie ernst und nachgiebig, ein Zeichen, daß auf ihrer Disputir-Arena unter den Sandkörnern noch die Goldkörner lagen, indeß für Philoso¬ phen die Arena der Preis und der Boden ist, zugleich das Schlacht-, März- und elysische Feld. Den Grafen fixirte sie leidenschaftlich so kühn als nur Fürstinnen dürfen und pflegen; und als er ihr wieder ins braune Auge blitzte, schlug sie es nicht nieder, sondern sie erinnerte ihn an ihren alten Besuch in Blumenbühl und fragte nach den Seinigen. Er machte jetzt gern etwas, das so feurig war wie sein Inneres — Lobeserhebungen. Es ist gegen den feinsten Ton, Personen — Sachen darf man — mit Heftigkeit zu loben oder zu tadeln. Indem er mit dankbarer Erinnerung seine Schwester Ra¬ bette malte: versank Julienne so ernst und tief in sein Auge, daß sie auffuhr und den Lektor nach den Touren der Anglaise fragte, die er in der Redoute vorgetanzt. Als er sein Bestes gethan im Nachschildern: sagte sie, sie habe kein Wort verstanden, man müss' es lieber exekutiren. Und hiemit werden plötzlich sämmtliche Le¬ serinnen von mir auf einen Hausball von zwei Paaren geführt. Sehet die Seelenschwestern neben einander wie zwei Flügel an Einer Taube harmonisch auf und nieder fliegen. Al¬ bano hatte erwartet, Julienne werde sich durch feuriges vielgelenkes Geflatter von dem stillen Schweben ihrer Freundin unterscheiden; aber beide walleten gleich Wellen leicht neben und in einander und keine Regung war zu viel und keine zu schnell. Daher wünscht' ich so oft, die Mädchen tanzten völlig und immer wie die Grazien und die Horen — nämlich blos mit einander, nicht mit uns Herren. Der jetzige Bund der weib¬ lichen Wellenlinie mit dem männlichen Schwal¬ benzickzack sowohl in der Bekleidung als in der Bewegung verschönert den Tanz nicht beträchtlich. Liane nahm eine neue ätherische Gestalt an, wie etwan ein Engel unter dem Zurückflie¬ gen in den Himmel seine holde irdische weg¬ legt. Für die weibliche Schönheit ist der Tanz¬ boden, was für unsere das Pferd ist, auf bei¬ den entfaltet sich der gegenseitige Zauber und nur ein Reiter holet eine Tänzerin ein. Glück¬ licher Albano! der du kaum von der dargebo¬ tenen Hand Lianens die Fingerspitzen anzufas¬ sen wagst mit deinen! du bekommst genug. Und siehe nur dieses freundliche Mädchen an, dessen Augen und Lippen die Charis so lachend für den Tanz erheitert, und das doch wieder so rührend erscheinet, weil es ein wenig erblas¬ set! Wie verschieden von jenen launischen oder ungelenken Stiefschwestern, die, mit dem hal¬ ben ben Kato von Uttika auf dem faltigen oder gespannten Gesichte, hopsen, abfallen und schleifen. Julienne flieht freudig hin und her und es ist schwer zu sagen, vor wessen Augen sie am liebsten flattere, vor Lianens oder Al¬ bano's. — Als es vorbei war: wollt' es Julienne wie¬ der von vornen anfangen — Liane sah ihre Mutter an — und bat sogleich ihre Freundin lieber um Abkühlung. Es ist Vorwand! Eine Freundin ist gern einsam mit der Freundin; bei¬ de hatten sich vor andern nur mit Herzen unter dem Schleier lieb und trachteten nach der dunk¬ len Laube, wo er fallen durfte. Liane hatte ordentlich eine liebende Ungeduld, bis sie mit ihrer Nebenseele, ihrem Zwillingsherzen zeu¬ genfreie Minuten im Mai- und Abendgarten hatte pflücken können. Sie kamen verändert zurück, voll weichen Ernstes. Die schönen We¬ sen waren sich vielleicht im Innersten und im Stillen so ähnlich wie im Tanze und mehr als es schien. Und so gieng vor dem Jüngling ein schön¬ gestirnter Abend vorbei! Haltet ihm aber zu Titan II . D gute, daß er diesen Blüthenstrauß so fest drückte und fassete, bis er einige Stacheln darin her¬ ausfühlte. Sein Herz, dessen Liebe neben dem fremden schmerzlich wuchs, mußte dieses, ohne ein Zeichen der Antwort, zugleich höher und ferner finden. Ihre Liebe war Menschenliebe — ihr Lächeln galt jedem guten Auge — sie war so heiter — in Lilar kam sie leicht in Rüh¬ rung und in allgemeine Betrachtungen; hier aber nicht — freilich sah sie recht theilnehmend auf den wild-liebenden Bruder hin, der seit jener Beicht-Nacht gleichsam mit Eichenwur¬ zeln sich um den Liebling strickte; aber ihre halbblinde Liebe für den Bruder konnte ja im Trug des Wiederscheins auf dessen Freund nach¬ glänzen. — — Das Alles sagte sich der Be¬ scheidne. Aber was er im vollen Maaße der Entzückung genossen hatte, war die so stei¬ gende, helle, zarte, stäte Liebe seines Seelen¬ bruders. — — 57. Zykel. Ueber Lianens stille Gesinnung und Zesa¬ rens Zukunft werd' ich nie Muthmaßungen an¬ stellen, ob ich sie gleich vor ihrem Abdruck wie¬ der wegstreichen könnte. Ich erinnere mich, was wir herausbrachten, wenn ich und andere auf Hafenreffers offizielle Berichte über Sachen von Belang vorher die Hände deckten und nun mit bloßer Phantasie entwickeln wollten, wie es möchte gegangen seyn — — es war nicht brauchbar. Und natürlich! Schon an und für sich haben die Weiber und spanischen Häuser, viele Thüren und wenige Fenster und es ist in ihr Herz leichter zu kommen als zu schauen . Vollends Mädchen! Ich meine, da die Frauen sowohl physiognomisch als mora¬ lisch bestimmter, kecker entwickelt und gezeichnet sind: so will ich lieber zehn Mütter als zwei Töchter errathen, und mithin abkopiren. Die körperlichen Portraitmaler klagen eben so. Wer die Nacht beobachtet, findet, daß sie die Zweifel und Sorgen, die er den Abend vor¬ her über die Heldin seines Lebens aufgefangen, meistens bis gegen den Morgen hin todtge¬ macht. — Albano schlug am Frühlingsmorgen die Augen im Leben wie in einem Siegeswa¬ gen auf und die frischen Rosse stampften davor und er durfte ihnen nur den Zügel lassen. D 2 Er stieg mit seinem Freund bei Lianen aus nach wenigen Jahren d. h. Tagen; der Minister war noch nicht zurück. Himmel! wie neu und blüthen-jung war ihre Gestalt und doch wechsellos ihr Betragen! Warum kann ich, dacht' er, nur ihre Bewegungen, nicht alle ihre Züge auswendig, warum kann ich dieses Antlitz nicht bis auf das kleinste Lächeln wie eine heilige Antike rein und tief in mein Gehirn abdrücken, damit sie in ewiger Gegenwart vor mir schwebe? — Darum, Lieber, schöne und junge Gestalten sind eben dem Gedächtniß wie dem Pinsel schwer und alte, schroffe, männliche beiden leichter. — Wieder mit Freuden und Seufzern füllete er sich durch ihr Schauen — und sie wurden größer durch den nahen Gar¬ ten, worein sich der Junius mit seiner Abend¬ pracht lagerte — o wenn ihm nur Eine Minute käme, wo seine ganze Seele begeistert reden dürfte! Draussen lag der junge feurige Früh¬ ling wie ein Antinous im Garten und sonnete sich und der Mond stand, ungeduldig auf die schöne Juniusnacht, schon unter dem Morgen¬ thor und traf noch den lebendigen Tag und die zögernde Sonne an. — — Aber die Mutter schlug dem fragenden Blicke Lianens den Son¬ nenuntergang ab, — — „des ungesunden Se¬ rein wegen Die Zeit des Sonnenuntergangs, welche die südlichen Länder so sehr fliehen. “. Albano mit dem Herzen voll Männerblut fand diesen mütterlichen Verhack um die kindliche Gesundheit sehr klein. Der Thorschluß seines heutigen Edens hätte sich nun in der nächsten Minute eingeläutet, wäre — der Hauptmann und der cereus ser¬ pens nicht gewesen. Jener kam vom welschen Dache herab ge¬ laufen und verkündigte, der cereus blühe die¬ sen Abend um zehn Uhr auf, sage der Gärt¬ ner, und er bleibe da, „und du mit“ sagt' er zu Albano. Alles, was nur die doppelten Gränzen der schonenden Zartheit gegen Schwe¬ ster und Freund zuließen, setzt' er liebend ins Spiel um diesen zu erfreuen. Liane bat ihn sel¬ ber, das Blühen abzuwarten; sie war so ent¬ zückt über das nahe! — Ihre Seele hieng, wie Bienen und Thau, an Blumen. Schon ihr Freund, der fromme Spener, der ein trunknes Auge auf diese lebendigen Arabesken an Got¬ tes Throne heftete, hatte sie mit diesen stum¬ men immer schlafenden Kindern des Unendlichen befreundet; aber noch mehr ihr jungfräuliches Herz und ihr leidendes. Sind euch nie zarte weibliche Seelen begegnet, in deren Blüthezeit das Schicksal kalte Wolken geworfen und die nun gleich Rousseau andere Blumen als die der Freude suchten, und die in Thälern und auf Felsen sich ermüdeten und bückten, um zu sammeln und zu vergessen und von der ge¬ storbnen Pomona zu flüchten zur jungen Flora ? — Der Generalbas und das Latein, womit Hermes Mädchen zerstreuen will, wei¬ chen hier der weiten bunten Bilderschrift der Natur, der reichen Botanik. Eine namenlose Zärtlichkeit für Liane kam in Albano's Seele am kleinen viersitzigen E߬ tisch — ihm war als sey er ihr jetzt näher und ihr Verwandter — und doch faßte er die Ver¬ wandte nicht, wenn sie die Mutter aus jedem Ernst, worein diese versank, mit Scherzen zu¬ rück lockte. — Draussen riefen die Nachtigallen die Menschen in die schöne Nacht; und keiner schmachtete mehr als er hinaus. Für Seelenaugen ist das Himmel blau , was für körperliche das Erden grün , nämlich eine innige Stärkung. Als Zesara endlich aus den Ketten des Zimmers, aus diesem geistigen Hausarrest, los und ledig hinaustrat unter das freie Reich des Himmels und aller Sterne und auf den magischrn Statuen-Olymp, nach welchem er so oft sehnsüchtig aufgeblickt: so schlug die gewaltsam zusammengezogne Brust elastisch auseinander, wie rückten die Sternbil¬ der des Lebens in hellere Formen zusammen, wie waltete der Frühling und die Nacht! — Der alte Gärtner, der blos aus dankbarer Anhänglichkeit ans „seelengute leutseelige Fräu¬ lein“ mit seltener Mühe dem cereus serpens solche Früh-Blüthen abgenöthigt hatte, stand schon als scheinbarer Beobachter der Blumen, in der That aber aufs größte Lob aufsehend, mit einem braunen, gezackten, punktirten und ernsten Gesichte droben, das mit keinem Lächeln zum Lobe ausfoderte. Liane dankte dem Gärtner, ehe sie an den Blüthen war; dann lobte sie diese und seine Mühe. Der alte Mann wartete blos, bis je¬ der andere von der Gesellschaft auch erstaunet war, darauf gieng er schläfrig mit dem festen Glauben fort zu Bette, Liane werd' ihn morgen schon so bedenken, daß er zufrieden seyn müsse. Der ausländische Nektarduft, der in fünf weissen gleichsam mit braunem Blätterwerk be¬ kränzten Kelchen perlte, ergriff die Phantasie. Die Wohlgerüche aus dem Frühling eines heis¬ sern Welttheils zogen sie in entlegne Träume hin. Liane strich mit leisem Finger, wie man über Augenlieder gleitet, nur über die kleinen Duft-Vasen, ohne das volle Gärtchen von zar¬ ten Staubfäden, das sich im Kelche drängte, raubend anzustreifen: „Wie lieblich, wie so „gar zart (sagte sie kindlich-froh). — Wie „fünf kleine Abendsterne! — Warum kommen „sie nur Nachts, die lieben scheuen Blumen?“ — Karl schien eine brechen zu wollen. „O lass' „sie leben (bat sie) — morgen sind sie ohnehin „todt. — Karl! so welkt so viel.“ setzte sie lei¬ ser dazu. „Alles!“ sagt' er barsch. — Aber die Mutter hatt' es wider Lianens Willen ge¬ hört: „Solche Sterbe-Gedanken, (sagte sie) „lieb' ich an der Jugend nicht, sie lähmen ihr „die Flügel.“ — „Und dann (versetzte Liane, „es mädchenhaft-umkehrend) bleibt sie eben; „wie der Kranich in Kleists Fabel, dem man „die Flügel brach, damit er nicht fortzog mit „den übrigen ins warme Land.“ Dieser heitere bunte Schleier des tiefen Ernstes war unserem Freunde nicht durchsichtig genug. Aber später hatte das gute Mädchen Mühe so auszusehen, wie die sorgsame Mut¬ ter es wollte. Die betäubende Vorstecklilie der Erde, der Mond — und das ganze blendende Pantheon des Sternenhimmels — und die mit Nacht-Lichtern durchbrochne Stadt — und die majestätischen hohen schwarzen Alleen — und auf Fluren und Bächen das milchblasse Lunens- Silber, womit sich die Erde in einen Abend¬ stern einspann — und die Nachtigallen aus fer¬ nen Gärten — rührte denn das nicht jedes Herz allmächtig an, daß es weinend seine Sehnsucht bekennen wollte? Und das weichste, das jetzt unter den Sternen schlug, hätte vermocht, den Schleier ganz über sich zu ziehen? — Beinahe! Sie hatt' es vor der Mutter gewohnt, die Thräne eh' sie wuchs, so zu sagen mit dem Auge abzutrocknen. Sonderbar erschien sie in der nächsten Mi¬ nute dem Grafen. Die Mutter sprach mit dem Sohn. Liane stand, fern von jenem, mit halb¬ verwandtem, vom Monde ein wenig entfärb¬ tem Gesicht neben einer weissen Statue der heil. Jungfrau und blickte in die Nacht. Auf einmal schauete und lächelte sie an, gleich¬ sam als erschien' ihr ein lebendiges Wesen im Aether-Abgrund und die Lippe wollte reden. Erhabner und rührender war ihm noch keine Erdengestalt begegnet; das Geländer, in das er griff, gieng hin und her (aber er selber regte es) und seine ganze Seele rief: heute, jetzt lieb' ich die Himmlische am höchsten, am innigsten. So sagt' er neulich auch, und so wird er öfter sagen; kann der Mensch mit den un¬ zähligen Wogen der Liebe Höhenmessungen an¬ stellen und auf diejenige zeigen, die am mei¬ sten stieg?— So glaubt der Mensch stets, wo er auch stehe, in der Mitte des Himmels zu stehen. Ach in dieser Minute wurd' er wieder über¬ rascht, aber eben mit einem Ach. Liane gieng zur Mutter und als sie an der Hand der Ge¬ fälligen ein kleines Schaudern fühlte, drang sie in sie, aus der Nachtluft zu gehen und gab nicht eher nach, als bis sie mit ihr die Zauber¬ stätte verließ. Die Freunde blieben zurück. Nach Alba¬ no's Rechnung wär' es freilich nicht zu viel gewesen, hätte man sich in dieser offenherzigen Zeit, worin unsere heiligern vom gemeinen Tage bedeckten Gedanken sich wie Steine of¬ fenbaren, bis gegen Morgen auf dem Dache aufgehalten. Beide giengen eine Zeitlang schweigend auf und ab. Endlich hielt sie der Rauchaltar der fünf Blumen fest. Albano faßte zufällig die nahe Statue mit beiden Händen und sagte: „an hohen Orten will man „gern etwas hinabstürzen — sogar sich oft. — „Und hinein in die Welt, in weite ferne Län¬ „der möcht' ich mich auch stürzen, so oft ich in „das Nachtroth dort schaue — und so oft ich „unter Orangerie-Blüthen komme, wie unter „diese. Bruder, wie ist Dir? — Der Himmel „und die Erde breiten sich so aus: warum soll „denn der Geist so zusammenkriechen?“ — „Mir „ist eben so, (sagt' er,) und im Kopf hat der „Geist überhaupt mehr Gelaß als im Herzen.“ Aber hier gieng er zart-errathend auf schönen Umwegen zur zufälligen Eröffnung über, war¬ um seine Schwester so bald hinuntergeeilet. „Bis zum Eigensinn, (sagt' er,) treibe sie „die Aufmerksamkeit für die Mutter — das „letztemal merkte sie, daß die Mutter das Er¬ „blassen unter dem Tanze sehe, sofort hörte sie „auf — nur ihm zeige sie das ganze Herz und „jeden Blutstropfen und alle unschuldigen Thrä¬ „nen dariu — besonders glaube sie etwas von „der Zukunft, was sie der Mutter sorgsam ver¬ „decke.“ „Sie lächelte vorhin für sich, „(sagte Albano und legte auf seine Augen „Karls Hand,) als sähe sie ein Wesen aus der „Schleier-Welt droben.“ — „Hast Du das, „(versetzte Karl) auch gesehen? Und dann „regte sie die Lippe? — O Freund, Gott weiß, „was sie bethört; aber das ist gewiß, sie „glaubt fest, sie sterbe künftiges Jahr.“ — Albano ließ ihn nicht weiter sprechen, zu hef¬ tig aufgeregt drückte er sich an des Freundes Brust, sein Herz schlug wild und er sagte: „O „Bruder, bleibe stets mein Freund!“ Sie giengen hinab. Im Zimmer, das an Lianens ihres stieß, fanden sie ihr Pianoforte offen. Wahrlich das wars, was dem Grafen fehlte. In der Leidenschaft (sogar im bloßen Feuer des Kopfes) greift man weniger nach der Feder als nach der Saite; und nur in ihr gelingt das musikalische Phantasiren besser, als das poetische, Albano setzte sich — indem er dem Tonmuse dankte, daß es vier und vier¬ zig Ausweichungen gebe — mit dem Vorhaben an die Tasten, nun eine musikalische Feuer¬ trommel zu rühren und wie ein Sturm in die stille Asche zu brausen und ein helles Funken- Heer von Tönen aufzujagen. — Er thats auch, und gut genug und immer besser; aber das Instrument sträubte sich. Es war für eine weibliche Hand gebauet und wollte nur in weiblichen Tönen, mit Lauten-Klagen reden als eine Freundin mit einer Freundin. Karl hatt' ihn nie so spielen gehört und erstaunte über die Fülle. Aber die Ursache war, der Lektor war nicht da; vor gewissen Men¬ schen — und darunter gehörte dieser — gefriert die spielende Hand, so daß man nur in einem Paar Blechhandschuhen hin und her arbeitet; und zweitens, vor einer Menge spielt sich's leich¬ ter als vor Einem, weil dieser bestimmt vor der Seele haftet, jene aber zerflossen. Und noch dazu, beglückter Albano! Du weißt, wer dich hört. — Die Morgenluft der Hofnung um¬ flattert dich in Tönen — das wilde Jugend¬ leben schreitet mit rüstigen Gliedern und lauten Schritten vor Dir auf und ab — das Mond¬ licht, von keinem irrdischen groben Lichte verun¬ reinigt, heiligt das tönende Zimmer. — Lia¬ nens letzte Gesänge liegen vor dir aufgeschla¬ gen und der anrückende Mondschein kann dich sie bald lesen lassen — und die Nachtigal in der Mutter nahem Zimmer kämpfet, wie von der Tuba ins Feld gerufen, mit deinen Tönen. — — Liane trat mit ihrer Mutter erst spät her¬ ein, weil das heftige Ton-Getümmel für beide etwas Hartes und Peinigendes hatte. Er konnte beide seitwärts am untern Fenster sitzen sehen und wie Liane die Hand der Mutter hielt. Karl gieng in weiten Schritten nach seiner Sitte auf und ab und stand zuweilen an ihm still. Albano trat in dieser Nähe der stillen Seele bald aus der harmonischen Wildniß in mondhelle einfache Stellen heraus, wo nur we¬ nige Töne sich wie Grazien und eben so leicht verbunden hold bewegen. Der künstliche Wir¬ war enharmonischer Irrlichter ist nur der Vor¬ läufer der melodischen Charitinnen; und nur diese allein schmiegen sich an die weicheren See¬ len an. Ihm war bis zur Täuschung als sprech' er laut mit Lianen; und wenn die Töne immer wie Liebende dasselbe wiederholten vor Innigkeit und Lust: meinte er nicht Lianen, und sagte ihr: wie lieb ich Dich, o wie lieb ich Dich? Fragt' er sie nicht, was klagest Du, was weinest Du? — Und sagt' er nicht zu ihr: blick in dies stumme Herz und flieh' es nicht, o Reine, Fromme, Meine? Wie erröthet der Gute, als plötzlich der liebkosende Freund ihm die Hände um die Au¬ gen legte, die bisher ungesehen im Dunkel, vor Liebe übergeflossen waren! — Karl trat hef¬ tig zur Schwester und sie nahm selber seine Hand und sagte Worte der Liebe. Dann flüch¬ tete sich Albano in die brausende Wildniß so lange, bis die Augen getrocknet waren für den beleuchteten Abschied — langsam ließ er die Wiege unsers Herzens ausschwanken und schloß so mild' und leise und verstummte ein wenig und stand langsam auf. — — O in dieser jungen stummen Brust lebte alles, womit die herrlichste Liebe segnen kann! Sie schieden ernst. — Niemand sprach über die Töne — Liane schien verklärt — Albano wagt' es in dieser Geisterstunde des Herzens nicht, mit einem Auge, das sich so kurz vorher gestillet hatte, lang' auf ihren milden blauen zu ruhen. — Ihre gerührte Seele drückte sie wie Mädchen pflegen, blos am Bruder durch eine heissere Umarmung aus. — Und dem hei¬ ligen Jüngling konnte sie scheidend den Ton und den Blick nicht verhehlen, den er nie vergisset. — Er erwachte oft in dieser Nacht und wußte nicht, was sein Wesen so seelig wiege — ach der Ton war es, der durch den Schlummer nachklang, und das liebe Auge, das ihn noch in Träumen anblickte. Zwölf¬ Zwölfte Jobelperiode. Froulays Geburtstag und Projekte — Extrablatt — Rabette — die Harmonika — die Nacht — der fromme Vater — die Wundertreppe — die Er¬ scheinung. 58. Zykel. G lücklicher Albano! du wärest es nicht ge¬ blieben, hättest du am Geburtstage des Mini¬ sters das gehöret, was er da vorbrachte! Schon seit geraumer Zeit war Froulay voll bedenklicher gewitterhafter Zeichen und jede Minute konnte — mußte man fürchten — der Donnerschlag aus ihm fahren; er war nämlich munter und mild. So drohet auch bei phlegma¬ tischen Kindern große Munterkeit Ausbruch der Pocken. Da er Hausvater war und Despot — die Griechen hatten für beides nur das Wort Titan II . E Despot —: so erwartete man von ihm als ehe¬ lichem Wettermacher Tempestiarii oder Wettermacher hießen im Mit¬ telalter die Hexenmeister, welche Ungewitter er¬ regen konnten. Man brauchte in Kirchen Wet¬ tergebete gegen sie; und andere Hexenmeister, die jenen entgegenarbeiteten. , er werde die gewöhn¬ lichen Stürme und Ungewitter für die Familie besorgen. — Eheliche Gewittermaterie zum blo¬ ßen Trüben der Ehe kann nie fehlen, wenn man bedenkt, wie wenig sogar zum Scheiden derselben gehöret, z. B. bei den Juden blos daß die Frau zu laut schreie, das Essen an¬ brenne, ihre Schuhe am Platze der männlichen lasse u. s. w. . Noch dazu war manches da, worüber gut zu donnern war; z. B. Liane, an welcher man die Missethat des — Bruders heim¬ suchen konnte, weil dieser hartnäckig wegblieb und um keine Gnade bat. Man ist immer gern auf Frau, Tochter und Sohn zugleich un¬ gehalten und lieber ein Land- als Strichregen; Ein Kind kann leichter eine ganze Familie ver¬ salzen als versüßen. Aber Froulay verblieb der lächelnde Jo¬ hannes. Ja trieb ers nicht — die Beweise hab' ich — soweit damit, daß er, da die Toch¬ ter der Prinzessin einmal beim Abschiede um den Hals fiel, anstatt ihr mit blitzenden Augen vor¬ zuhalten, wie man Vertraulichkeiten bei Höhern nur annehmen, nicht erwiedern, und sich eben da nicht vergessen müsse, wo sie sich verges¬ sen — und anstatt ernst zu fragen, ob sie ihn je in seiner wärmsten Liebe gegen den Fürsten wider die déhors habe verstoßen sehen — daß er, sag' ich, anstatt dieses hagelnd und stürmend zu thun, diesesmal blos in die schönen Worte aus¬ brach: „Kind, Du meinst es zu gut mit Dei¬ „ner vornehmen Freundin; frage Deine Mut¬ „ter, sie weiß auch was freundschaftliche „ liaisons sind.“ Blos Liane — obwohl so oft von dieser Meerstille hintergangen — war voll unsäglicher Hofnung und Freude über den häuslichen Frie¬ den und glaubte Bestand, zumal in der Nähe des väterlichen Geburtstages, dieser Olympiade und Normalzeit, wornach das Haus vieles rechnete. Das ganze Jahr lauerte der Minister E 2 auf diesen Tag, um am Morgen, wenn die Wünsche kamen, das sichtbare Vergessen dessel¬ ben nicht zu vergessen, sondern darüber zu er¬ staunen, — die Geschäfte machens, sagt' er — und um Abends, wenn die Gäste kamen — der Geschäfte wegen dinir' er nie, sagt' er — er¬ staunen zu lassen. Er war wechselnd der An¬ beter und der Bilderstürmer der Etiquette, ihre Ministerial- und Opposizionspartei, wie es ge¬ rade sein Schimmer gebot. Liane drang so lange in den Bruder, bis er den Vater mit etwas zu erfreuen versprach; er machte dazu ein Familienstückchen, worein er die ganze Beicht-Nacht zwischen sich und Al¬ bano einschob, nur daß er Albano in eine Schwester verkehrte. Gern lernte Liane noch diese Rolle für den Geburtstag ein, ob sie gleich die blühende Weste lieferte. Der Minister nahm die Weste, den Haupt¬ mann und dessen Komödienzettel des abendli¬ chen Spiels wider Vermuthen — gütig auf; da er sonst wie einige Väter desto lauter knur¬ te, je öfter ihn die Kinder streichelten. Er tanzte wie ein Polacke Die pohlnischen Tänzer tragen immer eine Peitsche unter dem Pelze, damit die Tänzerin durch die Schläge entschuldigt ist, wenn sie mit ihm fehlet. Oberschles. Monatsschrift, 1stes St. Jul. 1788. ganz aufgeräumt mit sei¬ ner Familie dahin und versteckte die Peitsche fest unter den Pelz. Es gieng ihm jetzt nichts Schlimmers im Kopfe herum als blos die Frage, wo das Liebhabertheater am besten, ob im Sa¬ lon de lecture oder ob im Salon der bains do¬ mestiques aufzuschlagen; denn beide Säle wa¬ ren ganz von einander und von andern Zim¬ mern durch die Namen unterschieden. Der Tag kam. Albano, dessen Einladung Karl ertrotzen müssen, weil der Minister seinen Stolz hassete aus Stolz, brachte leider den Ton in seiner Seele mit, den ihm das letztemal Liane nach Hause gegeben. Seine Hofnung hatte bisher von diesem Tone gelebt. O ver¬ denkts ihm nicht! Das luftige Nichts eines Seufzers trägt oft eine Schäferwelt oder einen Orkus auf dem Ephemeren-Flügel. Alles Wich¬ tige ist wie ein Fels auf einen Punkt zu stel¬ len, wo es ein Kinderfinger drehen kann. Aber der Ton war verklungen. Liane wußt' es gar nicht anders, als daß man unter der Visitengemeinde — deren moralische Pneu¬ matophobie Geisterscheu. sie nicht einmal ganz kannte — vor jede betende Empfindung den Kirchenfächer halten müsse. Logen, Parterre und Groschengallerie wur¬ den fast um die gewöhnliche Schauspielszeit mit stiftsfähigen Gratulanten verziert und aus¬ gefüllt. Der deutsche Herr ragte sehr hervor durch den reichen Trotz seiner Verhältnisse. Von der Visitenkompagniegasse kann im Durch¬ gehen nur angemerkt werden, daß in ihr und im antiphlogistischen System der Sauerstoff die Hauptrolle spielte, welchen aber weniger die Lunge abschied als das Herz. — Als der Vorhang auseinander gieng und Roquairol jene Nacht der Vergebung und Ent¬ zückung noch feuriger wieder vorbeiführte als sie gewesen war; als diese träumerische Nach¬ äffung erst die rechte Wirklichkeit schien: wie glühend und tief brannt' er sich dadurch in sei¬ nes Freundes Seele ein! (Guter Albano! Diese Kunst, sein eigner révenant , sein Vexir- und After-Ich zu werden, und die Prachtausgabe des eignen Lebens nachzudrucken, hätte Dir klei¬ nere Hofnungen verstatten sollen!) — Der Graf mußte in der ernsthaftesten Sozietät, die je um ihn saß, ausbrechen in ein unschickli¬ ches — Weinen. Und warum legte Karl Al¬ bano's Worte in jener Nacht der zauberisch¬ gerührten Liane in den Mund und machte die Liebe durch so viele Reize groß bis zum Schmerz? — Selber der deutsche Herr gab Lianen, die¬ sem weissen Schwan, der erröthend durch das Abendroth des Phöbus schwamm, mehrere laute und dem Grafen verdrüßliche Zeichen des Beifalls. Der Minister war hauptsächlich froh, daß das alles zu seiner Ehre vorfalle und daß die Pointe des letzten Aktes, ihm noch einen ganz besondern epigrammatischen Lorbeerkranz auf den Scheitel werfen müsse. Er überkam den Kranz. — Das Kinder¬ paar wurde von der anwesenden Erlanger Litte¬ raturzeitung und von der bellettrischen sehr günstig rezensirt und mit Kronen überdeckt, mit edlen Märtyrerkronen. — Der deutsche Herr hatte und brauchte das laute Recht, die Krönung und den Kronwagen anzuführen. Niedriger Mensch! warum dürfen deine Käfer-Augen über die hei¬ ligen Rosen, welche die Rührung und die Ge¬ schwister-Liebe auf Lianens Wangen pflanzt, nagend kriechen? — Aber wie noch viel mun¬ terer wurde der alte Herr — so daß er mit den ältesten Damen badinirte —, als er den Ritter sein Interesse an Lianen nicht phan¬ tastisch oder sentimentalisch, sondern durch stil¬ les stetes Nähern und verständige Aufmerksam¬ keit, durch Scherze und Blicke und kluges An¬ reden und endlich durch etwas Entscheidendes herrlich an den Tag geben sah? — Der deut¬ sche Herr zog nämlich den alten in ein Kabinet hinein und beide kehrten heftig-belebt daraus zurück. Die einsame ins eigne Herz versenkte Liane flüchtete vom Giftbaum des Lorbeers weg zur erquickenden Mutter. Liane hatte mitten in den stürmischen Mühlengängen täglicher Assem¬ bleen eine leise Stimme und ein zartes Ohr be¬ halten und der Tumult hatte sie eingezogen und fast scheu gelassen. Die schöne Seele errieth selten etwas — eine schöne Seele ausgenommen —; so leicht ihr Ebenbild, so schwer ihr Gegenbild. Bouve¬ rots Annäherungen schienen ihr die gewöhnli¬ chen Vor- und Seitenpas der männlichen Höf¬ lichkeit; und sein Ritter-Zölibat erlaubte ihr nicht, ihn ganz zu verstehen: — prangen nicht die Lilien der Unschuld früher als die Rosen der Scham, wie die Purpurfarbe anfangs nur bleich färbt und erst später roth anglüht, wenn sie vor der Sonne liegt? — Sie hielt sich die¬ sen Abend der Mutter nahe, weil sie an ihr einen ungewöhnlichen Ernst wahrnahm. — Als Froulay das Geburtstag-Kränzchen, worin mehr Stacheln und Stiele als Blumen steckten, oder das Dornenkrönchen von seinem Kopfe heruntergethan hatte und in der Nacht¬ mütze unter seiner Familie stand: macht' er sich an das Geschäft, worauf er den ganzen Abend gesonnen hatte. „Täubchen (sagt' er zur Toch¬ „ter) und entlehnte einen guten Ausdruck aus „der Bastille So nannten ihre Schließer die Gefangnen. — Täubchen, lasse mich und „ Guillemette allein.“ — Er entblößte jetzt das Ober-Gebiß durch ein eignes Grinsen und sagte, er hab' ihr wie er hoffe etwas Angeneh¬ mes zu hinterbringen. „Sie wissen (fuhr er „fort) was ich dem deutschen Herrn schuldig „bin“ — Er meinte nicht Dank, sondern Geld und Rücksicht. — — Man will es sehr preisen an der Familie der Quinzier Alexand . ab Al . V . 4. , daß sie nie Gold besessen; ich führe — ohne tausend andere Familien aufzustellen, von denen dasselbe zu beschwören ist — nur die Froulaysche an. Ge¬ wisse Familien haben wie Spiesglas durchaus keine chemische Verwandtschaft mit diesem Me¬ tall, wenn sie auch wollten; — wahrlich Frou¬ lay wollte; er sah sehr auf seinen Vortheil (auf etwas anderes nicht), er setzte (obwohl nur in Kollisionsfällen) gern Gewissen und Ehre bei Seite; aber er brachte es zu nichts als zu gro¬ ßen Ausgaben und großen Projekten, blos weil er das Geld nicht als Endzweck des Geizes, sondern nur als Mittel des Ehrgeizes und der Thätigkeit sucht. Sogar für einige Gemälde, die Bouverot für den Fürsten in Italien ge¬ kauft, war er jenem noch den Kaufschilling schuldig, den er von der Kammer erhoben. Durch seine Schuldbriefe stand er wie durch Zirkelbriefe in ausgebreiteten Verbindungen. Er hätte gern seinen Ehekontrakt in einen Schuldbrief umgeschrieben und mit der Mini¬ sterin wenigstens die innigste Gemeinschaft — der Güter gehabt; — denn unter den jetzigen Umständen gränzten Scheidung und Konkurs nachbarlich an einander —; aber wie gesagt, manche Menschen haben bei den besten Kral¬ len — wie der Adler des römischen Königs Um sich von dem Adler des Kaisers zu unter¬ scheiden, der in beiden Fängen etwas hält. — nichts darin. — Er fuhr fort: „Jetzt höret diese Gêne viel¬ „leicht auf. Haben Sie bisher Beobachtungen „über ihn gemacht?“ — Sie schüttelte. „Ich, „(versetzt' er,) schon lange und solche, die mich „wahrhaft soulagirten; — j'avois le nez bon „ quant à cela — er hat reelle Neigung für „meine Liane.“ Die Ministerin konnte keinen Verfolg er¬ rathen und bat ihn mit verdecktem Erstaunen, zur angenehmen Sache zu kommen. Komisch rang auf seinem Gesicht der freundliche Schein mit der Erwartung, er werde sich sogleich er¬ boßen müssen; er versetzte: „Ist Ihnen das „keine? Der Ritter meint es ernsthaft. Er „will sich jetzt mit ihr heimlich verloben; nach „drei Jahren tritt er aus dem Orden und ihr „Glück ist gemacht. Vous étes je l'espere pour „ cette fois un peu sur mes interêts, ils sont „ les vôtres .“ — Ihr so schnell und tief getroffenes Mutter¬ herz weinte und konnte kaum verhüllet werden. „H. v. Froulay! (sagte sie nach einiger Fas¬ „sung) ich verberge mein Erstaunen nicht. Eine „solche Ungleichheit in den Jahren — in den „Neigungen — in der Religion Bouverot war katholisch. “ — — „Das ist des Ritters Sache, nicht unsere,“ versetzt' er erquickt von ihrer entrüsteten Ver¬ wirrung und warf wie das Wetter in seiner Kälte nur feinen spitzen Schnee, keinen Hagel. — „Was Lianens Herz anlangt, dieses bitt' ich „Sie eben zu sondiren.“ — „O dieses fromme „Herz? — Sie persifliren!“ — „ Posito ! desto „lieber wird das fromme Herz sich fügen, um „das Glück des Vaters zu machen, wenn sie „nicht die größte Egoistin ist. Ich möchte die „gehorsame Tochter nicht gern zwingen.“ — „ N'épuisés pas ce chapitre; mon coeur est en „ presse . — Es wird ihr das Leben kosten, „das ohnehin an so schwachen Fäden hängt.“ „— — Diese Erwähnung schlug allezeit Zorn¬ „feuer aus seinem Kiesel: „ tant mieux , (sagt' „er) so bleibt es bei der Verlobung! hätt' ich „bald gesagt — sacre — — ! Und wer ist „daran Schuld? So gehts mir mit dem Haupt¬ „mann auch; anfangs versprechen meine Kin¬ „der alles, dann werden sie nichts. — Aber, „ Madame , (indem er sich schnell und giftig zu¬ „sammenfaßte und statt seiner Lippen und Zäh¬ „ne blos die Gehörwerkzeuge eines schlafenden „Schooßhundes mäßig drückte,) Sie allein wis¬ „sen ja alles durch Ihren Einfluß auf Liane „zu dressiren und zu redressiren. Sie gehorcht „Ihnen vielleicht noch eher als mir. Ich werde „dann nicht bei dem Ritter kompromittirt. — „Die Vortheile detaillir' ich nicht weiter.“ Seine Brust wurde hier schön erwärmt unter dem Geierfell der Entrüstung. Aber die edle Frau stand jetzt unwil¬ lig auf und sagte: „Herr von Froulay! Bis „jetzt sprach ich nicht von mir — Nie werd' „ich es rathen, oder billigen, oder zulassen; „ich werde das Gegentheil thun. — H. v. B. „ist meiner Liane nicht würdig.“ — Der Minister hatte während der Rede mehrmals mit der Lichtscheere ohne Noth über den Wachslichtern zugeschnappt und nur die Flammenspitze geköpft; die fixe Luft des Zorns strich jetzt die Rosen seiner Lippen (wie die chemische die botanischen) blau an. — „ Bon ! — „(versetzt' er.) — Ich verreise; Sie können „darüber reflechiren — aber ich gebe mein Eh¬ „renwort, daß ich nie in irgend eine andere „Parthie konsentire, und wäre sie (wobei er die „Frau ironisch ansah) noch ansehnlicher Er meinte eine mit dem armen Lektor. als „die eben projektirte — entweder das Mädchen „gehorcht, oder sie leidet — decidés ! — Mais „ je me fie à l'amour que vous portés au pere , „et à la fille; vous nous rendrés tous assés „ contens .“ Und dann zog er fort nicht als Ge¬ witter sondern als Regenbogen, den er aus der achten Farbe allein verfertigte, aus der schwar¬ zen und zwar mit den Augenbraunen. Nach einigen mit der Mutter und — Toch¬ ter zürnenden Tagen reisete er als Luigi's Ge¬ schäftsträger nach Haarhaar zur fürstlichen Braut. Die bedrängte Mutter vertrauete ih¬ rem ältesten und einzigen Freunde, dem Lektor, das trübe Geheimniß. Beide hatten jetzt ein reines Verhältniß der Freundschaft gegen ein¬ ander, das in Frankreich durch die höhere Ach¬ tung für die Weiber häufiger ist. In den er¬ sten Jahren der ministerialischen Zwangsehe, die nicht mit Morgenthau sondern mit Mor¬ genreif anbrach, flatterte vielleicht der Dämme¬ rungsvogel, Amor, ihnen nach; aber später vertrieben die Kinder diese Sphinx. Über die Mutter wird oft die Gattin verschmerzt. Sie nahm daher mit der ihr eignen kalten und kla¬ ren Stärke alles Schwankende in ihrem Ver¬ hältniß gegen Augusti auf immer weg; und er machte ihr die Festigkeit durch die seinige leich¬ ter, weil er bei mehr Ehr- als Weiber-Liebe über kein Flechtwerk röther wurde, als über das eines Korbes und irrig glaubte, ein Em¬ pfänger habe sich so zu schämen wie eine Empfängerin. Der Lektor konnte voraussehen, daß sie auch nach ihrer Ehescheidung — die sie nur Lianens wegen verschob — schon darum unver¬ bunden bleiben werde, um ihrer Tochter ein Al¬ lodialgut, Klosterdorf, für dessen Vorbehaltung sie nun 21 Jahre lang den Sturmbalken und Sichelwagen und Doppelhaken des alten Mi¬ nisters blosgestanden, nicht zu entziehen. Ob sie einem so festen und zarten Manne, der in nichts von ihr abwich als in der Welt-Kälte gegen positive Religion, nicht ihre theuere Liane selber schweigend zudenke, ist eine an¬ dere und schönere Frage. Eine solche Wechsel¬ gabe gabe wäre einer solchen Mutter und Freundin würdig, die aus ihrem Herzen wußte, daß Zart- und Ehrgefühl zusammen einer geliebten Seele ein festeres Glück bereiten als die Genie¬ liebe, dieser Wechsel von fliegender Hitze und fliegender Kälte, dieses Feuer, das wie das elek¬ trische stets zweimal zertrümmert, bei dem An¬ fliegen und bei dem Abspringen. Der Lektor selber warf jene Frage nicht auf; denn er machte nie unsichere, kecke Plane; und wel¬ cher wär' es mehr gewesen als der einer sol¬ chen Verbindung bei seiner Armuth oder bei ei¬ nem solchen Schwiegervater in einem Lande, wo wie in Chursachsen ein so wohlthätiges Ge¬ setz (— für die Eltern) sogar eine vieljährige Ehe, die kein elterlicher Consens geschlossen, wieder abbestellen kann? — Mit nassen Augen zeigte die Ministerin ihm die neuen Sturmwolken, die wieder über sie und ihre Liane heraufstiegen. Sie konnte auf sein feines Auge für die Welt, auf seine stumme Lippe und auf seine gewandte Hand für Geschäfte bauen. Er sagte — wie immer — das hab' er alles vorausgesehen; bewies ihr Titan II . F aber, daß Bouverot sein Ritterkreuz — schon aus Habsucht — nie gegen den Ehering vertau¬ schen werde, welche Absichten er auch auf Lianen nähre. Er ließ sie, so weit es die Schonung für ihre wunden Verhältnisse vertrug, es erra¬ then, bis zu welchem Grade von Bereitwillig¬ keit für Bouverots Wünsche gerade Lianens zerbrechliches Leben den Minister locken könne, um es abzuernten, bevor es abblühe. Denn Froulay brachte Zumuthungen gegen die Ehre behender die Kehle hinab als Verletzungen sei¬ ner Eitelkeit, wie der Wasserscheue leichter der¬ be Brocken als Flüssiges. Doch klang das al¬ les der Ministerin nicht so unmoralisch-hart als Leser aus den mittlern Ständen denken möchten; ich berufe mich auf die vernünftigern aus den höhern. Augusti und die Ministerin sahen, man müßte in der Abwesenheit des Ministers doch etwas für Liane thun; und beide trafen wun¬ derbar im Projekte zusammen. — Liane muß aufs Land in dieser schönen Zeit — sie muß ihre Gesundheit rüsten für die Kriege der Zu¬ kunft — sie muß den Besuchen des Ritters ent¬ zogen seyn, die nun der Geburtstag vervielfäl¬ tigen wild — der Minister muß sogar ge¬ gen den Ort nichts einzuwenden haben. — — Und wo kann dieser liegen? — Blos unter dem Dache des Direktors Wehrfritz, der den deutschen Herrn nicht ausstehen kann, weil er sein vergiftendes Verhältniß zum Fürsten weiß. Aber freilich sind vorher noch andere Berge zu übersteigen als der nach Blumenbühl. Selber der Leser muß jetzt über einen nie¬ drigen hinüber; und der ist ein kurzes komi-tra¬ gisches Extrablatt über den grünen Markt mit Töchtern . Folgendes ist gewiß: jeder Inhaber einer sehr schönen oder sehr reichen Tochter verwahrt gleichsam einen Pit unter dem Dach, der ihm selber unbrauchbar ist und den er erst nach lan¬ gem Ruhen einem Regenten Ich meine nicht (wie es etwa aus dem Ver¬ kaufen scheint) Pit den Minister, sondern Pit den Diamanten, den der Vater des jetzigen dem Herzog Regenten von Frankreich verhandelte und für dessen Splitter er noch 12000 Dukaten bekam. verkaufen F 2 muß. Genau und merkantilisch gesprochen sind Töchter eigentlich kein Handelsartikel — denn die elterlichen Großavanturhändler kann nie¬ mand mit jenen Trödlerinnen und Ständel¬ oder Fratschlerweibern vermengen, deren Tran¬ sitohandel man nicht gern nennt — sondern eine Aktie, mit der man in einer Südsee ge¬ winnt, oder eine Scholle, womit man das Grundstück symbolisch ( scotatione ) übergiebt. Je ne vends que mes paysages et donne les figures par dessus le marché Ich verkaufe bloß die Landschaften und gebe die Figuren zum Kauf darein. , sagte Claude Lorraine, wie ein Vater — und konnt' es leicht, weil er durch andere die Figuren in seine Landschaften malen ließ —; eben so wer¬ den nur die Rittersitze in den Kauf- oder Ehe¬ kontrakt gesetzt und die Braut, die auf jenen sitzt, darein gegeben. Eben so höher hinauf ist eine Prinzessin blos ein blühender Zweig, den ein fürstlicher Sponsus nicht der Früchte wegen, sondern weil sich ein Bienenschwarm von Land und Leuten daran angelegt, ab¬ nimmt und nach Hause trägt. Hat ein Vater — wie unser Minister — nicht viel, so kann er die Kinder, wie die Ägyp¬ ter die Eltern (nämlich die Mumien davon) als Schuld- und Faustpfänder oder Reichs¬ pfandschaften, die man nicht einlöset, einsetzen. Jetzt hat sich der Kaufmannsstand, der sonst nur fremde Produkte vertrieb, auch dieses Handelszweigs bemächtigt; mich dünkt aber, er hätte in seinem untern Kaufgewölbe Spiel¬ raum genug, eigennützig und verdammt zu werden, ohne die Treppe hinaufzusteigen zur Tochter. In Guinea darf nur der Adel han¬ deln; bei uns ist ihm fast aller Handel, au¬ ßer dem kleinen mit den Töchtern und den übri¬ gen wenigen Dingen, die auf den eignen Gü¬ tern wachsen, abgeschnitten und verwehrt; da¬ her hält er so fest auf diese Handelsfreiheit und die Noblesse scheint hier ein für diesen zarten Handelszweig verbundne Hansa zu seyn; so daß man gewissermaßen den erhabnen Stand mit dem erhabnern im eigentlichen Sinn vergleichen mag, den in Rom verkäufliche Leute besteigen mußten Plaut . Bach . Act . 4. Scen . 7. 4. 16. 17. , um besehen zu werden. Es ist eine gemeine Einwendung sogenann¬ ter gefühlvoller junger Herzen, daß dergleichen Verhandlungen die Liebe sehr sperren oder gar sprengen; indeß ihr wohl nichts so sehr vorar¬ beitet als eben dies. Denn ist nur der Handel geschlossen und vom Buchhalter (dem Pfarrer) ins Hauptbuch eingetragen: so tritt ja die Zeit ein, wo die Tochter ihr Herz bedenken und versorgen darf, nämlich die schöne Zeit nach der Heirath, die allgemein in Frankreich und Italien und allmählig auch in Deutschland als die schicklichere angenommen wird, wo ein weib¬ liches Herz frei unter der Männer-Schaar er¬ wählen kann; ihr Staat wird dann wie der ve¬ nezianische, aus einem merkantilischen ein ero¬ bernder. Auch den Gemahl selber unterbricht das kurze Handlungsgeschäft so wenig nach- als vorher in seiner Liebe; nur tritt jetzt — wie in Nürnberg dem Juden eine alte Frau — un¬ serem immer eine junge nach. Ja oft fasset der eheliche Handels-Mann selber Neigung für das heimgeführte Subjekt — welches ein ungemeines Glück — und wie Moses Mendelssohn mit dem seidnen Waaren-Bündel unter dem Arm seine Briefe über die Empfindungen aussann, so meditiren bessere Männer unter dem Han¬ del Liebesbriefe an den Handelszweig und han¬ deln mit der Jungfrau — wie Kaufleute in Messina 7ter Theil der neuen Sammlung der Reise¬ beschreibungen. mit der heiligen — in Compagnie ; aber freilich solche profitable Verbindungen der Liebe mit Geschäften bleiben seltene Vögel und sind wenig zu prätendiren. — — — Das Vorige schrieb ich für Eltern, die gern scherzen mit — kindlichem Glück; ich will jetzt aus ihrem und meinem Scherz Ernst ma¬ chen. Ich frage euch erstlich über euer Recht, moralischen freien Wesen die Neigungen oder gar den Schein derselben vorzuschreiben, und durch Eine Machthandlung den giftigen Blei- Zepter über ein ganzes freies Leben auszustrek¬ ken. Eure zehn Lehrjahre des Lebens mehr machen so wenig einen Unterschied in der ge¬ genseitigen Freiheit als Talent oder sein Man¬ gel. Warum befehlt ihr denn Töchtern nicht eben so gut Freundschaft auf Lebenslang? Warum übt ihr bei der zweiten Ehe nicht das¬ selbe Recht? Aber ihr habt eben keines zu ver¬ werfen, ausgenommen in der minorennen Zeit, wo das Kind noch keines hat, zu wählen. Oder fodert ihr für die Erziehung zur Freiheit beim Abschiede als Ehrensold das Opfer der Freiheit? — Ihr thut als hättet ihr erzogen, ohne selber erzogen zu seyn, indeß ihr blos eine schwere geerbte Schuld, die ihr an eure Eltern nie bezahlen könnt, an eure Kinder abtragt; und ich kenne hierin nur Einen unbe¬ zahlten Gläubiger, den ersten Menschen, und nur Einen insolventen Schuldner, den letzten. Oder schützet ihr euch noch mit dem barbari¬ schen unmoralischen römischen Vorurtheil, das Kinder als weiße Neger der Eltern feilbietet, weil die frühere erlaubte Gewalt über das nicht-moralische Wesen sich hinter der Allmäh¬ ligkeit seiner Entwicklung unbemerkt als eine über das moralische herüberschleicht? Dürft ihr aus Liebe Kinder zu ihrem Glück, so dürfen sie später eben so gut aus Dankbar¬ keit euch zu eurem zwingen. Aber was ist denn das Glück, wofür sie ihr ganzes Herz mit allen seinen Träumen wegwerfen sollen? — Mei¬ stens eures ; eure Beleuchtung und Bereiche¬ rung, eure Feind- und Freundschaften sollen sie mit dem Opfer des Innersten büßen und kaufen. Dürft ihr eure stillen Voraussetzungen zum Glück einer Zwangsehe laut bekennen, z. B. die Entbehrlichkeit der Liebe in der Ehe, die Hofnung eines Todesfalles, die vielleicht dop¬ pelte Untreue sowohl gegen den ehelichen Käu¬ fer als gegen den außer-ehelichen Geliebten? Ihr müsset Sünderinnen Ich spreche mehr von Töchtern, weil diese die gewöhnlichsten und größten Opfer sind; die Söhne sind unblutige Meßopfer. voraussetzen, um nicht Räuber zu seyn. Thut mir nicht dar, daß Neigungsehen oft schlecht und Zwangsehen oft gut genug ausge¬ fallen, wie an Hernhutern, Germanen und Orientalern zu ersehen. Nennt mir sonst lieber alle barbarische Völker und Zeiten her, worin, weil beide ja nur den Mann, nie die Frau be¬ rechnen, eine glückliche Ehe nichts bedeutet als einen glücklichen Mann. Niemand steht nahe genug dabei, die weiblichen Seufzer zu hören und zu zählen; der ungehörte Schmerz wird endlich sprachlos; neue Wunden schwä¬ chen das Bluten der ältesten. Ferner: am Mißgeschick der Neigungs-Ehen ist eben ihr Verwehren und euer Krieg gegen die Verehlich¬ ten Schuld. — Ferner: jede Zwangs-Ehe ist ja meistens zur Hälfte eine Neigungs-Ehe. End¬ lich: die besten Ehen sind im mittlern Stand, wo mehr die Liebe, und die schlechtesten in den hö¬ hern, wo die Rücksicht bindet; und so oft in diesen ein Fürst blos mit seinem Herzen wählte, so erhielt er eines und er verlor und betrog es nie. — — Welches ist denn nun die Hand, in welche ihr so oft die schönste, feinste, reichste, aber wi¬ dersträubende presset? Gewöhnlich eine schwarze, alte, welke, gierige. Denn veraltete, reiche oder steigende Libertins haben zu viel Kennt¬ niß, Sättigung und Freiheit, um sich an¬ dere Wesen zu stehlen als die herrlichsten; die minder vollkommnen fallen blos Liebhabern an¬ heim. Aber wie niedrig ist ein Mann, der ver¬ lassen vom eignen Werth, blos vom fremden Machtgebot beschützt, sein Glück bezahlend mit einem gestohlnen, nun die unbeschirmte Seele von einer geliebten nachweinenden in ein lan¬ ges kaltes Leben wegschleppen und sie in seine Arme wie in frostige Schwerter drücken und sie darin so nahe an seinem Auge blutend erblei¬ chen und zucken sehen kann! — Der Mann von Ehre giebt schon erröthend, aber er nimmt nicht erröthend; und der bessere Löwe, der thie¬ rische, schonet das Weib Plin. H. N. VIII . 16. ; aber diese Seelen¬ einkäufer erpressen vom bezwungnen Wesen noch zuletzt das Zeugniß der Freiwilligkeit. Mutter des armen Herzens, das du durch Unglück beglücken willst, höre du mich! Ge¬ setzt deine Tochter härte sich ab gegen das auf¬ gedrungene Elend: hast du ihr nicht den reichen Traum des Lebens zum leeren Schlafe gemacht und ihr daraus die glückseeligen Inseln der Liebe genommen und alles was auf ihnen blüht, die schönen Tage, wo man sie betritt und das ewige frohe Umsehen nach ihnen, wenn sie schon tief im Horizonte mit ihren blü¬ henden Gipfeln liegen? Mutter, war diese frohe Zeit in deiner Brust, so nimm sie der Tochter nicht; und war sie dir grausam entzo¬ gen, so denk' an deinen bittersten Schmerz und erb' ihn nicht fort. Gesetzt ferner, sie macht den Entführer ih¬ rer Seele glücklich, rechne nun, was sie für den Liebling derselben gewesen wäre und ob sie dann nichts verdiene als den zu ihr von Einer Gefängnißthüre auf immer eingeschlossenen Ker¬ kermeister zu ergötzen? — Aber so gut ist's selten; — du wirst ein doppeltes Mißgeschick auf deine Seele häufen, den langen Schmerz der Tochter, das Erkalten des Gatten, der spä¬ ter die Weigerungen fühlt und rügt. — Du hast die Zeit verschattet, wo der Mensch am ersten Morgensonne braucht, die Jugend. O macht lieber alle andere Tageszeiten des Le¬ bens trübe, — sie sind sich alle ähnlich, das dritte, und das vierte und fünfte Jahrzehend — nur bei Sonnenaufgang lasset es nicht ins Le¬ ben regnen; nur diese einzige, nie umkehrende, unersetzliche Zeit verfinstert nicht. Aber wie, wenn du nicht blos Freuden, Verhältnisse, eine glückliche Ehe, Hofnungen, eine ganze Nachkommenschaft für deine Plane und Befehle opfertest, sondern das Wesen sel¬ ber Und das ist durchaus wahrscheinlich. D. Eduard Hill berechnete, daß in England jährlich 8000 an der unglücklichen Liebe — am gebrochnen Herzen, wie die Engländerinnen rührend sa¬ gen — sterben. Beddoes erweiset, daß die vegetabilische Kost — und diese lieben gerade diese Wesen — die Schwindsucht nähre und daß die weiblichen sich zu dieser neigen. Noch dazu fallen die Zeiten der Sehnsucht, die schon ohne Fehlschlagen, wie das Heimweh zeigt, eine ver¬ giftend-herumziehende Bleikugel ist, in die Ju¬ gend ein, wo der Same der Brustkrankheiten am leichtesten aufgeht. O manche fallen in der Ehe unter falschen Auslegungen vor dem Todes¬ engel, dem sie vor ihr das Schwert geschärft und gegeben. , das du zwingst? Wer kann dich recht¬ fertigen oder deine Thränen trocknen, wenn die beste Tochter — denn gerade diese wird gehor¬ chen, schweigen und sterben, wie den Mönchen von La Trappe ihr Kloster niederbrennt, ohne daß einer das Gelübde des Schweigens bricht Forsters Ansichten. I B. — wenn sie, sag' ich, wie eine Frucht halb vor der Sonne halb im Schatten, nach außen hin blüht und nach innen kalt erbleicht, wenn sie, ihrem entseelten Herzen nachsterbend, dir end¬ lich nichts mehr verhehlen kann, sondern Jahre lang die Blässe und die Schmerzen des Unterganges mitten im Aufgange des Lebens herumträgt — und wenn du sie nicht trösten darfst, weil du sie zerstöret hast und dein Ge¬ wissen den Namen Kindermörderin nicht ver¬ schweigt — und wenn nun endlich das ermü¬ dete Opfer vor deinen Thränen daliegt und das ringende Wesen so bang und früh, so matt und doch lebensdurstig, vergebend und klagend mit brechenden und sehnsüchtigen Blicken pein¬ lich-verworren und streitend in den bodenlosen Todesfluß mit den blühenden Gliedern unter¬ sinkt: o schuldige Mutter am Ufer, die du sie hineingestoßen, wer will dich trösten? — Aber eine schuldlose würde ich rufen und ihr das schwere Sterben zeigen und sie fragen: soll dein Kind auch so untergehen? — 59. Zykel. Es war ein romantischer Tag für Zesara, sogar von außen; Sonnenfunken und Regen¬ tropfen spielten blendend durch den Himmel. Er hatte einen Brief von seinem Vater aus Madrid bekommen, der auf den gedrohten Tod seiner Schwester endlich das schwarze Sie¬ gel der Gewißheit drückte und worin nichts An¬ genehmes war als die Nachricht, daß Don Gaspard mit der Gräfin de Romeiro, deren Vormundschaft er nun schließe, in dem Herbste (dem italienischen Frühling) nach Italien gehe. Zwei Töne waren ihm aus der Tonleiter der Liebe gerissen, er erfuhr nie, wie man einen Bruder liebe und eine Schwester. Das Zu¬ sammentreffen ihrer Sterbenacht mit der Tar¬ tarus-Nacht, dieses ganze Einkrallen in die heiligen Bilder und Wünsche seines Herzens em¬ pörte seinen Geist und er fühlte zornig, wie ohnmächtig eine ganze antastende Welt Lia¬ nens Bild in ihm wegzurücken suche; und fühl¬ te wieder schmerzlich, daß eben diese Liane sel¬ ber an ihr nahes Vergehen glaube. — So fand ihn eine unerwartete Einladung von der — Ministerin selber — — Sonnen¬ funken und Regentropfen spielten auch in sei¬ nem Himmel. — Er flog; im Vorzimmer stand der Engel, der die sechs apokalyptischen Siegel erbrach — Rabette. Sie war ihm ent¬ gegen gelaufen aus Scheu vor der Gesellschaft und hatt' ihn früher umarmt als er sie. Wie gern sah er ins bekannte redliche Angesicht! Mit Thränen hört' er den Namen Bruder, da er heute eine Schwester verloren! — — Die Ursache ihrer Erscheinung war diese: als der Direktor das letztemal bei der Mi¬ nisterin war; hatte diese mit leichter verdeck¬ ter Hand seiner Tochter „zur Kenntniß des „leeren Stadtlebens und zur Veränderung“ — ihr Haus geöffnet, um künftig an seines für ihre klopfen zu dürfen. Er sagte, „er spe¬ „dir' ihr den weiblichen Wildfang mit Freuden.“ Und da ihm in Blumenbühl Rabette Nein, dann Ja, dann Nein, dann Ja geantwortet und und sie mit der Mutter noch vor Mitter¬ nacht eine Reichskammergerichts-Revision, einen Münzprobazions-Tag über alles gehalten hat¬ te, was ein Mensch vom Land anziehen kann in der Stadt: so packte sie dort auf und hier — ab. „Ach ich fürchte mich drinnen, (sagte sie zu „Albano,) sie sind alle zu gescheut und ich bin „nun so dumm!“ — Er fand außer dem Fa¬ milienkleebat noch die Prinzessin und die kleine Helena aus Lilar, dieses schöne Medaillon ei¬ nes schönen Tages für sein gerührtes Herz. Un¬ beschreiblich ergriff ihn Lianens weibliche Annä¬ herung an Rabette, gleichsam als theil' er sie mit ihr. Mit Leutseeligkeit und Zartheit kam die Milde, die ohne Falsch und Stolz war, der verlegnen Gespielin zu Hülfe, auf deren Gesicht dle angeborne lachende und beredte Natur jetzt sonderbar gegen den künstlichen Stummen-Ernst abstach. Karl war mit seiner gewandten Vertraulichkeit mehr im Stand, sie zu umstricken als loszuwickeln; blos Liane gab ihrer Seele und Zunge schon durch den Stick¬ rahmen freies Feld; Rabette schrieb mit der Titan II . G Sticknadel zwar keine Zier- und Anfangsbuch¬ staben, aber doch eine gute Kurrenthand. Sie gab — das Gesicht gegen das brüder¬ liche gewandt, um Muth davon zu holen — von dem gefährlichen Wege und Umwerfen ei¬ nen deutlichen Bericht und lachte dabei, nach der Sitte des Volks, wenn es sein Unglück er¬ zählt. Der Bruder war ihr auf Kosten der Gesellschaft selber die Gesellschaft und die Welt; nach ihm allein strömte ihre Wärme und Rede hin. Sie sagte: sie könn' ihn aus ihrer Stube „klavieren“ sehen. Liane führte beide sofort darein. Wie reich und erhaben über Ra¬ bettens Ansprüche ans Stadtleben war das jungfräuliche Hospitium ausgestattet, von der Tulpe an — keiner blühenden, sondern einem Arbeitskörbchen von Liane, wiewohl jede Tulpe eines für den Frühling ist — bis zum Klavier, von dem sie gegenwärtig freilich nicht mehr verbrauchen kann als sieben Diskanttasten für einen halben Walzer! Fünf mäßige Kleider¬ kästen — denn damit glaubte sie auszukom¬ men und der Stadt zu zeigen, daß auch das Land sich kleiden könne — stellten ihm in ihren wohlbekannten Blumenstücken und Blechbändern gleichsam die alten Drucke (Inkunabeln) der ersten Lebenstage vor; und heute erquickte ihn jede Spur der alten Liebes-Zeit. Sie ließ ihn seine Fenster suchen, aus deren einem der Bi¬ bliothekar einen soliden Blick auf einen Gassen¬ stein heftete, um ihn immer zu treffen mit Anspucken. Hier einsam neben dem Bruder sagte Liane der Schwester das Wort der Freund¬ schaft lauter und versicherte, wie sie sie erfreuen wolle und wie gut und wahr sie es mit ihr meine. O sehet in die Flamme der reinen reli¬ giösen schwesterlichen Liebe mit keinem gelben Auge des Argwohns! Fasset ihr nicht, daß diese schöne Seele eben jetzt ihre reichen Flammen zertheile für alle Schwesterherzen, bis die Liebe sie zusammendrängt in Eine Sonne, wie nach den Alten die zerstreueten Blitze der Nacht am Morgen sich zu Einer dichten Sonne sammlen? — Sie war überall Auge für jedes Herz; wie eine Mutter vergaß sie nicht einmal die Kleine über Große; und sie goß — keiner streiche mir dieses kleine Beispiel weg — der kleinen Helena G 2 die Tasse Kaffe, die der Doktor verbot, halb voll Sahne, damit er ohne Kraft und Nach¬ theil sey. Die ungeduldige Prinzessin hatte schon zehnmal nach dem Himmel geschauet, durch welchen bald Lichtstralen bald Regensäulen flo¬ gen — bis endlich aus dem verzehrten Wolken¬ schnee das Blau in weiten Feldern wuchs und Julienne die erfreueten jungen Leute in den Garten zum Anstoß der Ministerin entführen konnte, die ungern Lianen dem Serein , fünf oder sechs Abendwind-Stößen und dem Waten durch das 1/19 Linie hoch stehende Regenwasser aussetzte. Sie selber blieb zurück. Wie war alles drunten so neu gebohren, wiederscheinend und liebkosend! Die Lerchen stiegen aus den fernen Feldern wie Töne auf und schmetterten nahe über dem Garten — in allen Blättern hiengen Sterne und die Abendluft warf das nasse Geschmeide, die zitternden Ohrrosen aus den Blüthen in die Blumen herab und trieb süße Düfte den Bienen entgegen. Die Idylle des Jahrs, der Frühling, theilte sein holdes Schäferland unter die jungen Seelen aus. Al¬ bano nahm die Hand seiner Schwester, aber er hörte mühsam auf ihre Berichte vom Hause. Liane gieng mit der Prinzessin weit voraus und labte sich am offnen Himmel der Vertrau¬ lichkeit. Plötzlich stand Julienne mit ihr scherzend still, um den Grafen heranzulassen und zu fra¬ gen nach Briefen von Don Gaspard und nach Nachrichten von der Gräfin Romeiro. Er theilte mit erglühendem Gesicht den Inhalt des heutigen mit. In Juliennens Physiognomie lächelte fast Neckerei. Auf die Nachricht von Linda's Reise versetzte sie: „daran erkenn' ich „sie: alles will sie lernen — alles bereisen. — Ich „parire, sie steigt auf den Montblanc und in „den Vesuv. Liane und ich nennen sie darum „die Titanide.“ Wie freundlich hörte diese zu, mit den Augen ganz auf der Freundinn! „Sie „kennen sie nicht?“ fragte sie den Gepeinig¬ ten. Er verneinte heftig. Roquairol kam nach; „ passés , Monsieur ,“ sagte sie Platz machend und ihn fortwinkend. Liane blickte sehr ernst nach. „ La voici !“ sagte Julienne, indem sie an einem Ringe ihrer kleinen Hand durch einen Druck die Decke eines Bildnisses aufspringen ließ. — — Guter Jüngling! es war ganz die Gestalt, welche in jener Zaubernacht aus dem Lago maggiore aufstieg, dir von den Geistern zugeschickt! — „Sie ist getroffen“ sagte sie zu dem erschütterten Menschen. „Sehr!“ sagt' er verwirrt. Sie untersuchte dieses widersprechende „Sehr“ nicht; aber Liane sah ihn an: „sehr — „schön und kühn!“ (fuhr er fort) aber ich liebe „Kühnheit an Weibern nicht.“ — „O, das „glaubt man den Männern gern, versetzte Ju¬ „lienne; keine feindliche Macht liebt sie an der „andern.“ Sie giengen jetzt in der Kastanienallee vor der heiligen Stätte vorbei, wo Albano die Braut seiner Hofnungen zum erstenmale hinter den Wasserstralen hatte glänzen und leiden se¬ hen. O er hätte hier mit dieser vom Gegen¬ einanderarbeiten wunderbarer Verhältnisse bang'¬ erhitzten Seele gern vor dem nahen stillen En¬ gel niederknieen mögen! — Die zarte Julienne merkte, sie habe ein bewegtes Herz zu schonen; nach einem ziemlich lauten Schweigen sagte sie in ernstem Ton: „ein holder Abend! Wir „wollen aufs Wasserhäuschen. — Liane wurde „da geheilt, Graf! Die Fontainen müssen auch „springen.“ — „O die Fontainen!“ sagte Al¬ bano und sah unbeschreiblich-gerührt Lianen an. Sie dachte aber, er meine die im Flöten¬ thal. Helena gebot hinter ihnen, zu warten und kam mit zwei Händchen voll gepflückter thauiger Aurikeln nachgetrippelt und gab sie alle Lianen, von ihr als der Kollatorin der Benefizien die Blumen-Spende erwartend: „auch die Kleine denkt noch an den schönen „Sonntag in Lilar“ sagte Liane. Sie gab der Prinzessin ein Paar und Helena nickte; und als Liane sie ansah, nickte sie wieder zum Zei¬ chen, der Graf soll' auch etwas haben; — „noch mehr!“ rief sie als er bekommen; und je mehr jene gab, desto mehr rief sie „mehr!“ — wie Kinder in den Hyperbeln ihres Hanges zur Unendlichkeit pflegen. Man gieng über eine grüne Brücke und kam in ein niedliches Zimmer. Statt des vo¬ rigen Pianofortes stand ein gläsernes Heiligen¬ haus der Tonmuse da, eine Harmonika. Der Hauptmann schraubte innen hinter einem Ta¬ petenthürchen und sogleich fuhren draußen alle festgebundnen Springwasser mit silbernen Flü¬ geln gen Himmel. O wie brannte die bereg¬ nete Welt, als sie hinaus auf die Höhe traten! Warum warst du, mein Albano, gerade in dieser Stunde nicht ganz glücklich? — War¬ um stechen denn durch alle unsre Bündnisse Schmerzen und warum blutet das Herz wie seine Adern am reichsten, wenn es erwärmt wird? — Ueber ihnen lag der stille verwun¬ dete Himmel im Verband eines langen weißen Gewölkes — die Abendsonne stand noch hinter dem Pallast, aber auf beiden Seiten desselben wallete ihr Purpurmantel aus Wolken in weiten Falten über den Himmel hin — und wenn man sich umkehrte nach Osten, zu den Bergen von Blumenbühl, so liefen grüne Lebens-Flammen hinauf und wie goldne Vögel hüpften die Irr¬ lichter durch die feuchten Zweige und an die Morgenfenster, aber die Fontainen warfen noch ihr weisses Silber in das Gold. — — Da schwamm die Sonne mit rother hei¬ ßer Brust goldne Kreise in den Wolken zie¬ hend hervor und die gebognen Wasserstralen brannten hell.... Julienne sah Albano, neben welchem sie immer gleichsam gutmachend ge¬ blieben, herzlich an als ob es ihr Bruder wäre, und Karl sagte zu Liane: „Schwester, Dein „Abendlied!“ — „Von Herzen gern:“ sagte sie; denn sie war recht froh über die Gelegen¬ heit, sich mit dem wehmüthigen Ernst ihres Ge¬ nusses zu entfernen und drunten in der einsa¬ men Stube auf den Harmonikaglocken alles laut zu sagen, was die Entzückung und die Augen verschweigen. Sie gieng hinab, das melodische Requiem des Tages stieg herauf — der Zephyr des Klan¬ ges, die Harmonika, flog wehend über die Gar¬ ten-Blüthen — und die Töne wiegten sich auf den dünnen Lilien des aufwachsenden Wassers und die Silberlilien zersprangen oben vor Lust und Sonne in flammige Blüthen — und drüben ruhte die Mutter Sonne lächelnd in einer Aue und sah groß und zärtlich ihre Menschen an. — — Hältst du denn dein Herz, Albano, daß es mit seinen Freuden und Leiden verbor¬ gen bleibt, wenn du die stille Jungfrau im Mondschein der Töne wandeln hörst? O wenn der Ton, der im Aether vertropft, ihr das frühe Verrinnen ihres Lebens ansagt und wenn ihr die langen weichen Melodien als das Rosenöl vieler zerdrückter Tage entfließen: denkst du daran nicht, Albano? — Wie der Mensch spielet! Die kleine Helena wirft mit Aurikeln nach den lodernden Wasseradern, da¬ mit sie eine mit aufschleudern; und der Jüngling Zesara bückt sich weit über das Geländer und lässet an der schiefen Hand den Wasserstrahl auf sein heißes Gesicht und Auge abspringen, um sich damit zu kühlen und zu verhüllen. — Durch seine Schwester wurde ihm der feurige Schleier geraubt, Rabette gehörte unter die Menschen, welche dieses tönende Beben sogar physisch zernagt — so wie wieder den Haupt¬ mann die Harmonika wenig ergriff, der immer am wenigsten gerührt war, wenn es andere am meisten waren —; die Unschuldige war mit keinen Schmerzen weniger vertraut als mit sü¬ ßen; die bittersüße Wehmuth, worein sie in der müßigen Einsamkeit der Sonntage versank, hat¬ ten sie und andere blos für Verdrießlichkeit ge¬ scholten. Jetzt fühlte sie auf einmal mit Errö¬ then ihr rüstiges Herz wie von heißen Strudeln gefasset, umgedreht und durchgebrannt. Ohne¬ hin war es heute durch das Wiederfinden des Bruders, durch das Verlassen der Mutter und die verlegne Bangigkeit vor Fremden und sel¬ ber durch den sonnenrothen Blumenbühler Berg hin und her bewegt. Umsonst kämpften die frischen braunen Augen, und die überreife volle Lippe gegen den aufwühlenden Schmerz, die heißen Quellen rissen sich durch und das blü¬ hende Angesicht mit dem kräftigen Kinn stand erröthend voll Thränen. Schmerzlich verschämt und bange, für ein Kind gehalten zu werden, zumal da alle Rührungen der Andern unsicht¬ bar geblieben waren, drückte sie das Schnupf¬ tuch über das brennende Gesicht und sagte zum Bruder: „ich muß fort, mir ist nicht wohl, es „will will ersticken.“ — und lief hinab zur sanften Liane. Dahin trage nur die scheuen Schmerzen! Liane wandte sich und sah sie schnell und heftig die Augen trocknen. Ach ihre waren ja auch voll. Da Rabette es sah: sagte sie muthig: „ich kanns ja nicht hören — ich muß heulen — „ich schäme mich wohl recht.“ — „O Du lie¬ „bes Herz, (rief Liane freudig ihr um den Hals „fallend) schäme Dich nicht und blick’ in mein „Auge — Schwester, komme zu mir, so oft „Du bekümmert bist, ich will gern mit Deiner „Seele weinen und will Dein Auge noch eher „abtrocknen als meines.“ — Ein überwältigen¬ der Zauber war in diesen Liebestönen, in die¬ sen Liebesblicken, weil Liane wähnte, sie trauere über irgend einen verfinsterten Stern des Le¬ bens. — Und nie hat die furchtsame Dankbar¬ keit ein verehrtes Herz frischer und jugendlicher umarmet als Rabette Lianen. Da kam Albano. Vom Austönen des Wie¬ genliedes erwachend war er ihr nachgeeilt, ohne alle kalte und andere Tropfen von seinen feuri¬ gen Wangen zu wischen; „wie ist Dir, Schwe¬ „ster?“ fragt’ er eilig. Liane, noch in der Umar¬ mung und Begeisterung schwebend, antwortete schnell: „Sie haben eine gute Schwester, ich „will sie lieben wie ihr Bruder.“ Die süßen Worte, die so innig gerührten Seelen, der feu¬ rige Sturm seines Wesens rissen ihn dahin und er umschloß die Umarmenden und drückte die verschwisterten Herzen an einander und küßte die Schwester; als er über Lianens bestürztes Wegbeugen des Kopfes erschrack und bluthroth aufflammte. — — Er mußte entfliehen. Mit diesen wilden Erschütterungen konnt' er nicht vor Lianen und vor den kalten Spiegeln der Gesellschaft blei¬ ben. Aber die Nacht sollte so wunderbar wer¬ den wie der Tag; er eilte mit Lebens-Blicken, die wie zornige aussahen, aus der Stadt zur Titanide, zur Natur, die uns zugleich stillet und erhebet. Er gieng vor aufgedeckten Müh¬ lenrädern vorbei, um welche sich der Strom schäumend wand. — Die Abendwolken streckten sich wie ausruhende Riesen aus und sonnten sich im Morgenroth Amerikas — und der Sturm fuhr unter sie und die feurigen Zenti¬ manen standen auf — die Nacht bauete den Triumphbogen der Milchstraße und die Riesen zogen finster hindurch. — Und in jedem Ele¬ mente schlug die Natur wie ein Sturmvogel den rauschenden Flügel. Albano lag, ohne es kaum zu wissen, auf der Wald-Brücke Lilars, worunter die Wind¬ ströme durchrauschten. Er glühte gleich den Wolken, von seiner Sonne nach — seine in¬ nern Flügel waren wie die des Strausses, voll Stacheln und verwundeten ihn im Erheben — — der romantische Geistertag, der Brief des Vaters, Lianens Auge voll Thränen, seine Kühnheit und seine Wonne und Reue darüber und jetzt die erhabne Nacht- Welt auf allen Seiten um ihn her, zogen erschütternd im jun¬ gen Herzen hin und her — er berührte mit der Feuer-Wange die beregneten Gipfel und kühlte sich nicht, und war dem tönenden fliegenden Herzen, der Nachtigal, nahe und hörte sie kaum. — — Wie eine Sonne geht das Herz durch die blassen Gedanken und löschet auf der Bahn ein Sternbild nach dem andern aus. — — Auf der Erde und an dem Himmel, in der Ver¬ gangenheit und in der Zukunft stand vor Al¬ ban nur eine Gestalt; „Liane“ sagte sein Herz, „Liane“ sagte die ganze Natur. Er gieng die Brücke hinab und stieg die westlichen Triumphbogen hinauf, das däm¬ mernde Lilar ruhte vor ihm. — Siehe da sah er den alten „frommen Vater“ auf dem Gelän¬ der des Bogens eingeschlummert. Aber wie an¬ ders war die verehrte Gestalt als er sie sich nach der des verstorbnen Fürsten vorgemalt! Die unter dem Quäkerhute reichvorwallenden weißen Locken, die weiblich und poetisch runde Stirn, die gebogne Nase und die jugendliche Lippe, die noch nicht im späten Leben einwelkte, und das Kindliche des sanften Gesichts verkün¬ digten ein Herz, das in der Dämmerung des Alters ausruht und nach Sternen blickt. Wie einsam ist der heilige Schlaf! Der Todesengel hat den Menschen aus der lichten Welt in die finster überbauete Einsiedelei geführt, seine Freunde stehen draussen neben der Klause; drin¬ nen redet der Einsiedler mit sich und sein Dun¬ kel wird immer heller und Edelsteine und Auen und ganze Frühlingstage entglimmen endlich — und alles ist hell und weit! — Albano stand vor dem Schlaf mit einer ernsten Seele, die das Leben und seine Räthsel anschauet, — — nicht nur der Ein- und Ausgang des Lebens ist vielfach überschleiert, auch die kurze Bahn selber; wie um ägyptische Tempel, so liegen Sphinxe um den größten Tempel und anders als bei der Sphinx löset das Räthsel nur der, welcher stirbt. — Der alte Mann sprach hinter dem Sprach¬ gitter des Schlafs mit Todten, die mit ihm über die Morgen-Auen der Jugend gezogen waren und redete mit schwerer Lippe den tod¬ ten Fürsten und seine Gattin an. Wie erhaben hieng der mit einem langen Leben übermalte Vorhang des veralteten Angesichts vor der hin¬ ter ihm tanzenden Schäferwelt der Jugend nie¬ der und wie rührend wandelte die graue Ge¬ stalt mit dem jugendlichen Kranz im kalten Abendthau des Lebens umher und hielt ihn für Morgenthau, und sah nach Morgen und der Sonne! — Nur die Locke des Greises rührte der Jüngling liebend-schonend an; er wollte ihn — um ihn nicht mit einer fremden Gestalt zu erschrecken — verlassen ehe der aufgehende Mond seine Augenlieder weckend berührte. Nur wollt' er vorher den Lehrer seiner Gelieb¬ ten mit den Zweigen eines nahen Lorbeerbäum¬ chens bekränzen. Als er davon zurückkam: drang schon der Mond mit seinem Glanze durch die die großen Augenlieder; und der Greis schlug sie auf vor dem erhabnen Jüngling, der mit dem glühenden Rosenmond seines Angesichts vom Monde verkläret vor ihm wie ein Genius mit dem Kranze stand. „Justus! (rief der Alte) „bist Du es?“ Er hielt ihn für den alten Für¬ sten, der eben mit blühenden Wangen und off¬ nen Augen in der Unterwelt des Traums mit ihm gegangen war. Aber er kam bald aus dem träumerischen Elysium ins botanische zurück und wußte sogar Albano's Namen. Der Graf faßte mit offner Miene seine Hände und sagte ihm, wie lange und innig er ihn achte. Spener erwiederte we¬ nig und ruhig, wie Greise thun, die alles auf der Erde so oft gesehen. Der Glanz des Mond¬ lichts floß jetzt an der langen Gestalt herab und das ruhig-offne Auge wurde erleuchtet, das nicht sowohl eindringt als alles eindrin¬ gen lässet. Die fast kalte Stille der Züge, der junge Gang der langen Gestalt, die ihre Jahre aufrecht trug als einen Kranz auf dem Haupte nicht als Bürde auf dem Rücken, mehr als Blu¬ Titan II . H men denn als Früchte, die sonderbare Mischung von vorigem männlichen Feuereifer und weib¬ licher Zartheit, alles dieses weckte vor Albano gleichsam einen Propheten des Morgenlandes auf. Dieser breite Strom, der durch die Alpen der Jugend niederbrausete, zieht jetzt still und eben durch seine Auen; aber werft ihm Felsen vor, so steht er wieder brausend auf. Der Greis sah den jugendlichen Jüng¬ ling je öfter je wärmer an, in unsern Tagen ist Jugend an Jünglingen eine körperliche und geistige Schönheit zugleich. Er lud ihn ein, ihn in dieser schönen Nacht in sein stilles Häuschen zu begleiten, welches droben neben der Thurmspitze steht, die oben ins Flötenthal herein schauet. Auf den sonderbaren Irrsteigen, die sie jetzt wandelten, verwirrte sich Lilar vor Albano zu einer neuen Welt, wie nächtliche flie¬ gende Silber-Wolken baueten sich die däm¬ mernden Schönheiten in immer andere Reihen durcheinander und zuweilen drangen beide durch ausländische Gewächse mit grellfärbigen Blü¬ then und wunderlichen Düften. Der fromme Vater fragt' ihn theilnehmend sein voriges und jetziges Leben ab. Sie kamen vor einen dunkeln Gang in der Erde. Spener faßte freundlich Albano's rechte Hand und sagte, dieser führe zu seiner Berg¬ wohnung hinauf . Aber bald schien es hinab¬ zugehen. Der Strom des Thales, die Rosana, klang noch herein, aber nur einzelne Tropfen des Mondlichts sikerten durch zerstreuete mit Zweigen übersponnene Bergöffnungen durch. Die Höhlung sank weiter nieder — noch ferner rauschte das Wasser im Thale. — Und doch sang eine Nachtigal immer nähere Lieder — Albano schwieg gefasset. Überall giengen sie vor engen Pforten des Glanzes vorbei, den blos ein Stern des Himmels herein zu werfen schien. — Sie stiegen jetzt zu einer fernen er¬ leuchteten Zauberlaube hinab aus hellrothen und giftigen dunkeln Blumen, aus kleinen Zak¬ kenblättern und großem breiten Laube zugleich gewölbt und ein verwirrendes weißes Licht, halb von hereinschäumenden Strahlen lebendig verspritzt und halb aus Lilien nur als weißer H 2 Staub angeflogen, zog das Auge in einem trunknen Schwindel — Zesara trat geblendet hinein und indem er rechts nach dem einreg¬ nenden Feuer sah, fand er Speners Auge scharf links geheftet — er blickte hin und sah im Vor¬ übereilen einen alten Mann, ganz dem ver¬ storbnen Fürsten ähnlich, in eine Nebenhöhle schreiten — seine Hand zuckte erschrocken, Spe¬ ners seine auch — dieser drang eilig weiter hinab — und endlich glänzte eine blaue ge¬ stirnte Öffnung — sie traten hinaus . . . . . Himmel! ein neues Sternengewölbe — eine blasse Sonne zieht durch die Sterne und sie schwimmen ihr spielend nach — unten ruht eine entzückte Erde voll Schimmer und Blumen, ihre Berge laufen leuchtend am Himmelsbogen hin¬ auf und beugen sich herüber nach dem Si¬ rius — und durch das unbekannte Land wan¬ deln Entzückungen wie Träume, worüber der Mensch vor Freude weint. „Was ist das? Bin ich in oder über der „Erde? (sagte Albano erstaunt und flüchtete das „irrende Auge auf das Angesicht eines lebendigen „Menschen) — ich sah einen Todten.“ — — Viel liebreicher als vorher antwortete der Greis: „das ist Lilar, hinter uns ist mein Häuschen.“ Er erklärte den mechanischen Schein Weigel in Jena erfand die Verkehrtbrücke ( pons heteroclitus ), eine Treppe, wo der Mensch hinabzugehen glaubt durch Aufsteigen. Busch Handbuch der Erfindungen. 7. B. des Hinabsteigens. „Hier stand ich nun schon „so viel tausendmal und ergötzte mich herzin¬ „niglich an den Werken Gottes. — Wie sah die „Gestalt aus, mein Sohn?“ — „Wie der „todte Fürst,“ sagte Alban. Betroffen, aber fast gebietend sagte Spener leise: „schweig „wie ich bis zu seiner Zeit — er war's nicht — „Dein Heil und vieler Heil hängen daran — „gehe heute nicht mehr durch den Gang.“ — Albano durch den ganzen sonderbaren Tag halb entrüstet sagte: „Gut, so geh' ich durch „den Tartarus zurück. Aber was bedeutet das „Geister-Wesen, was mich überall verfolgt?“ — „Du hast (sagte der Alte, ihm liebend und er¬ „quickend, auf die Stirn die Finger legend) „lauter unsichtbare Freunde um Dich — und „verlasse Dich überall auf Gott. Es sagen so „viele Christen, Gott sey nahe oder ferne, seine „Weisheit und seine Güte erscheine ganz ab¬ „sonderlich in einem Saeculo oder in einem „andern — das ist ja eitel Trug — ist er nicht „die unveränderliche ewige Liebe und er liebt „und seegnet uns in der einen Stunde nicht „anders als in der andern?“ Wie wir die Sonnenfinsterniß eigentlich eine Erdfinsterniß nennen sollten, so wird nur der Mensch verfin¬ stert, nie der Unendliche; aber wir gleichen dem Volke, das der Verfinsterung der Sonne im Wasser zusieht und dann wenn dieses zittert, ausruft: seht wie die liebe Sonne kämpft. Albano trat in die Einsamkeit der reinli¬ chen geordneten Wohnung des alten Mannes, nur beklommen, weil in der heißen Asche seines Vulkans alles üppiger trieb und grünte. Spe¬ ner zeigte von seinem Bergrücken hinüber auf das sogenannte „Donnerhäuschen Es hatte den Namen von seiner Höhe und von dem öftern Einschlagen des Blitzes. “ und rieth ihm, es diesen Sommer zu bewohnen. Albano schied endlich, aber sein bewegtes Herz war ein Meer, in welchem die Morgensonne glühend noch halb steht und in welches sich in Abend ein bleifarbiges Gewitter taucht und das glän¬ zend schwillt unter dem Sturm. Er sah aus der Tiefe nach dem nachblickenden Greise hin¬ auf; aber er hätte sich heut kaum gewundert, wenn dieser versunken oder aufgestiegen wäre. In zornig-muthigen Entschlüssen, für seine Liebe, wornach kalte Hände griffen, mit seinem Leben zu bürgen und zu opfern, schritt er durch den vom Vergrößerungsspiegel der Nacht zum schwarzen Riesen-Troß aufgezognen Tartarus ohne alle Furcht ; so ist die Geisterwelt nur ein Welttheil unserer innern, und das Ich fürch¬ tet nur das Ich. Da er vor dem Altare des Herzens in der stummen Nacht, wo nichts laut war als der Gedanke, stand, so rieth ihm der kühne Geist einigemale, den alten Todten zu rufen und laut zu schwören bei seinem Herzen voll Staub —; aber als er zum schö¬ nen Himmel aufsah, wurde sein Herz geheiligt und es betete nur: „o guter Gott, gieb mir „Liane! —“ Es wurde finster, die Wolken, die er für glänzende in den Himmel herübergebogne Ge¬ birge einer neuen Erde genommen, hatten den Mond erreicht und düster überzogen. Dreizehnte Jobelperiode. Roquairols Liebe — Philippica gegen die Liebha¬ ber — die Gemälde — Albano Albani — das harmonische tête - à - tête . — die Blumenbühler Reise. 60. Zykel. A us den Tropfen, welche die Harmonika aus Rabettens Herzen gezogen hatte, bereitet der alte Zauberer, das Schicksal, wie andere Zauberer aus Blut, vielleicht finstere Gestalten; denn Ro¬ quairol hatte es gesehen und sich über das Ge¬ fühl eines Herzens verwundert, das bisher mehr Arbeiten als Romane in Bewegung gesetzt hat¬ ten. Nun trat er ihr mit Antheil näher. Er hatte seit der Nacht des Schwurs sein Herz aus allen unwürdigen Ketten gezogen. In die¬ ser Freiheit des Sieges gieng er stolzer einher und streckte die Arme leichter und sehnsüchtiger nach edler Liebe aus. Er besuchte jetzt seine Schwester unaufhörlich; aber er hielt noch an sich. Rabette war ihm nicht schön genug ne¬ ben der zarten Schwester, eine Bandrose neben einer von van der Ruysch; sie sagte selber naiv, sie sehe mit ihrer Dorf-Farbe im weißen Linon wie brauner Thee in weißen Tassen aus. Aber in ihren gesunden noch nicht von tragischen Tropfen mattgebaizten Augen und auf den fri¬ schen Lippen glühte Leben, ihr kräftiges Kinn und ihre gebogne Nase drohten und verspra¬ chen Muth und Kraft und ihr aufrichtiges Herz ergriff und verstieß entschieden und heftig. Er beschloß sie zu — prüfen. Der Talmud Basa Mezia. c . 4. m . 10. verbietet, nach dem Preis einer Sache zu fra¬ gen, wenn man sie nicht kaufen will; aber die Roquairols feilschen immer und gehen weiter. Sie reissen eine Seele, wie Kinder eine Biene entzwei, um aus ihr den Honig zu essen, den sie sammlen will. Sie haben vom Aale nicht nur die Leichtigkeit, zu entschlüpfen, sondern auch die Kraft, den Arm zu umschlingen und zu zerbrechen. Er lies nun vor ihr alle blendenden Kräfte seines vielgestaltigen Wesens spielen — das Gefühl seiner Überlegenheit ließ ihn sich frei und schön bewegen und das sorglose Herz schien nach allen Seiten offen — er kettete den Ernst an den Scherz, die Gluth an den Glanz, das Größte ans Kleinste so frei und die Kraft an die Milde. — Unglückliche! nun bist du sein; und er trägt dich von deinem festen Boden mit Raubschwingen in die Lüfte und dann wirft er dich herab. Wie ein Gewächs am Gewitterab¬ leiter wirst du deine Kräfte reich an ihm ent¬ falten und hinaufgrünen; aber er wird den Blitz auf sich und deine Blüthen ziehen und dich entblättern und zerschlagen. Rabette hatte einen solchen Menschen nie gedacht, geschweige gesehen; er drang gewalt¬ sam in ihr gesundes Herz und eine neue Welt folgte ihm nach. Durch Lianens Liebe gegen den Hauptmann gieng ihre noch höher auf; und beide konnten von ihren Brüdern in freund¬ lichem Wechsel sprechen. Die gute Liane suchte der Freundinn mancherlei beizubringen, was sich schwer festsetzen wollte, besonders die My¬ thologie, welche ihr durch die französische Aus¬ sprache der Götter noch unbrauchbarer wurde. Sogar mit Büchern suchte Liane sie zusammen¬ zubringen; so daß Lektüre ihr eine Art von Wochen-Gottesdienst dem sie mit wah¬ rer Andacht beiwohnte und dessen Ende sie stets ergötzte. Durch alle diese Schöpfräder der Er¬ kenntniß strömte Roquairol's Liebe hindurch und half treiben und schöpfen. — Wie viele Erröthungen flogen jetzt ohne allen Anlaß über ihr ganzes Gesicht! Das Lachen, womit sie sonst heiter war, kam jetzt zu oft und bedeute¬ te nur ein unbeholfnes Herz, das seufzen will. So stand ihr Verhältniß, als Karl einst scherzend hinter sie schlich und ihr die Augen mit einer Hand verdeckte um ihr unter der Maske der brüderlichen Stimme sanfte schwe¬ sterliche Namen zu geben. Sie verwechselte die ähnliche Stimme, sie drückte inbrünstig die Hand, aber ihr Auge war heiß und naß. Da fand sie den Irrthum und floh mit der bedeck¬ ten Abend- und Morgenröthe ihres Angesichts aus dem Zimmer. Jetzt schaute er Lianen, die ihn darüber tadelte, näher ins Auge und auch ihres hatte geweint. Sie wollte ihm anfangs den Gegenstand der verschwisterten Rührung verhehlen; aber das fremde Nein war für ihn von jeher ein Hülfswort, ein Rückenwind, der ihn in den Hafen brachte. Liane wurde immer bewegter, endlich erzählte sie, daß Rabettens Berichte von Albano's Jugendgeschichte ihr die von den seinigen abgefodert und daß sie ihr die Sterbe-Nacht auf der Redoute gemalt und so¬ gar sein blutiges Kleid gewiesen habe. „Und „da weinte sie, (sagte Lianen) mit mir so herzlich „als wenn sie deine Schwester wäre. — O es „ist ein liebes Herz!“ Karl sah beide wie zwei Auen mit einander verbunden, nähmlich durch den Regenbogen, der auf beiden mit Tropfen aufsteht; er zog sie mit dankender Lie¬ be an die Brust. „Bist du denn glücklich?“ fragte Liane mit einem Ton, der etwas Trübes weissagt. Sie mußte ihr volles Herz aufschließen und ihm alles sagen — — staunend höret er, daß ihr die ganze Tartarus-Nacht, worin die un¬ bekannte Stimme Linda de Romeiro seinem Freunde zugesprochen, bekannt geworden. Durch wen? — Sie schwieg unerbittlich; er beruhigte sich, weil es doch nur Augusti seyn konnte, der allein es wußte. „Und nun glaubst „du, du Herz von Himmel, (sagt' er,) ich und „mein Seelenbruder könnten uns je raubend „entzweien? O es ist all' anders, all' anders! „— Er verflucht die Aster-Geister und den „Zweck der Äfferei — o er liebt mich; und „mein Herz wird am Tage glücklich seyn, wo „es seines wird.“ Der vielfache rührende Sinn dieser letzten Worte löste ihn in eine heilige Wehmuth auf. Aber sie nahm sich mitten in der herzlich¬ sten Ergießung, wie aus Frömmigkeit der Gei¬ ster an und sagte: „sprich nicht so von Geister- „Erscheinungen! Sie sind, das weiß ich. — „Nur nicht zu fürchten braucht man sie. —“ Sie hielt aber hier mit fester Hand den Schlei¬ er über ihren Erfahrungen fest; auch wußt' er längst, daß sie, ungeachtet ihres fast zuckend- weichen Gefühls, das sogar den Anblick der blauen Adern auf der Lilien-Hand wie eine Wunde scheuete, doch vor Todten und in den Geisterstunden der Phantasie unerwartet be¬ herzt erschien. Hinter den Wellen so verschiedner Art, die jetzt sein Herz auf und abtrieben, war Rabette verdunkelt. Er brannte nun blos nach der Stunde, wo er seinem Albano die sonderbare Verrätherei des Lektors sagen konnte. 61. Zykel. Noch ehe der Hauptmann seinem Freunde Augusti's wahrscheinliche Verrätherei entdekte: war Albano fast ganz mit dem Lehrer-Paar in Zwist. In einem Kreise voll Jünglingsher¬ zen, die für einander schlagen und noch lieber fechten, fassen immer zwei unzerreißlich in ein¬ ander und werden eins auf fremde Kosten. Albano schied sich keck von jedem, dem Karl mißfiel. Schoppe wurde ohnehin von wenigen lange geliebt, weil wenige einen ganz freien Menschen erdulden; die Blumenketten halten besser, denken sie, wenn Galeerenketten durch sie laufen. Er litt' es daher nicht, wenn einer „mit zu enger Liebe sich so fest um ihn „klammerte, daß er die Arme so wenig freibehielte „als trag' er sie in Bandagen von 80 Köpfen.“ Die sarkastische Lebhaftigkeit seiner Pantomime erkältete durch den Schein einer strengern Be¬ obachtung den Hauptmann mehr als das ge¬ lassene Gesicht des Lektors, der eben darum al¬ les schärfer ins stille Auge faßte. Der gute Schoppe hatte einen Fehler, den kein Albano vergiebt; nähmlich seine Intoleranz gegen die „weiblichen Heiligenbilder von Hau¬ „senblase,“ wie er sagte, gegen die sanften Ir¬ rungen des Herzens, gegen die heiligen Über¬ treibungen, durch welche der Mensch ins kurze Leben eine noch kürzere Freude einwebt. Einst gieng Karl wie auf einer Bühne mit unterge¬ steckten Armen und niedergesenktem Kopfe auf und ab und sagte zufällig, daß es der Titular- Bibliothekar vernahm: „o ich wurde noch we¬ „nig von den Menschen verstanden in meiner „Jugend.“ Weiter sagt' er nichts; aber man schütte aus Scherz ein Mandel Hornisse, ein Schock Krebse, eine Kanne voll Waldameisen auf einmal über die bibliothekarische Haut; und beobachte flüchtig die Wirkungen des Ste¬ Stechens, Kneipens, Beißens: so kann man sich doch einigermaßen vorstellen, was in ihm zuckte, schwoll und auffuhr, sobald er die obige Phra¬ sis vernahm. „Herr Hauptmann, (fieng er tief¬ „einathmend an,) ich halte viel auf dieser rosti¬ „gen Tölpel-Erde aus, Hungersnoth — „Pestilenz — Höfe — den Stein — und die „Narren von Pol zu Pol — aber Ihre Phra¬ „sis übersteigt meine Schultern. H. Haupt¬ „mann, Sie dürfen — ganz gewiß — die Re¬ „densart mit Fug gebrauchen, weil Sie wie „Sie sagen, nicht verstanden werden. Aber o „Himmel, o Teufel! ich höre ja 30000 Jüng¬ „linge und Mädchen von Leihbibliothek zu „Leihbibliothek alle mit aufgeblähter Brust, „rings umher sagen und klagen, es fasse sie „niemand, weder der Großvater noch die Pa¬ „then, noch der Konrektor, da doch das pack¬ „papierne Alltags-Pack selber nicht fasset. „Aber der Junge meint damit blos ein Mäd¬ „chen und das Mädchen einen Jungen; diese „können einander fassen. Aus der Liebe will ich „wie aus den Kartoffeln 14 verschiedene Ge¬ „richte zubereiten; man scheer' ihr, wie dem Bären Titan II . J „in Göttingen, das thierische Haar ab, kein „Blumenbach kennt sie mehr. „H. v. Froulay, ich habe diese verdammte „Erhebung der Seelen blos aus Niedrigkeit „wohl öfters mit den englischen Pferdeschwän¬ „zen verglichen, die auch immer gen Himmel „stehen, blos weil man ihre Sehnen durch¬ „schnitten. Soll man nicht toll werden, wenn „man alle Tage höret und alle Tage lieset, „wie die gemeinsten Seelen, die Leberreime und „Trompeterstückchen der Natur, sich durch die „Liebe über alle Leute erhoben denken wie „Katzen, die mit angeschnallten Schweinsblasen „fliegen; — wie sie sich ins Hasenlager und „in die Stapelstadt der Liebe, in die andere „Welt bestellen wie auf einen Blocksberg, und „wie sie auf diesem Finkenheerd in dieser thea¬ „tralischen Anziehstube — die dann das Gegen¬ „theil wird — ihr Wesen treiben, bis sie kopu¬ „lirt sind. Dann ists vorbei, Phantasien und „Poesien, die ihnen jetzt erst recht dienlich wä¬ „ren, sind geholt! Sie laufen von ihnen weg wie „Läuse von Todten, ob diesen gleich die Haare „dazu fortsprießen. Vor der zweiten Welt „grauset ihnen; und werden sie Wittwer und „Wittwen, so machen sie ihre Liebschaft recht „gut ab ohne Schweinsblasen und ohne das „Federspiel und die spanische Wand der zweiten „Welt. — So etwas, H. Hauptmann, bringt „nun auf und dann muß in der Hitze der Ge¬ „rechte mit dem Ungerechten leiden, wie Sie „leider hören.“ — — Alban, der nie leichtsinnig vergab, sonder¬ te sich schweigend von einem Herzen ab, das wie er unrecht sagte, die Flammen der Liebe mit satirischer Galle auslöschte. In der Kette der Freundschaft mit Augusti brach vollends ein Ring nach dem andern ent¬ zwei. Der Graf fand im Lektor den Kleinig¬ keitsgeist, der ihm widriger war als jeder böse — die Eleganz des guten Hofmanns — sein An¬ stand, selber in der Einsamkeit — seine Nei¬ gung, die kleinsten Mysterien so gut zu verwah¬ ren als die großen — seine Sucht, hinter jeder Handlung einen langen Plan aufzutreiben — sein Wahrheitsdurst nach ächten historischen Quellen am Hofe und in der Stadt — und seine Kälte gegen die Philosophie trocknete das J 2 Bild, das sich Albano, von ihm aufgespannt, so aus, daß es einrunzelte und rissig wurde. Sol¬ che Unähnlichkeiten schlagen unter gebildeten Menschen nie zu ofnen Fehden aus; aber sie legen heimlich den innern Menschen ein Waf¬ fenstück nach dem andern an, bis er hartgepan¬ zert da steht und losschlägt. Nun war noch dazu der Lektor dem Haupt¬ mann von Herzen gram, weil dieser der Mi¬ nisterin viele bange Stunden und Lianen und sogar dem Grafen viel Geld kostete und weil er ihm den Jüngling zu verdrehen schien. Die sonst gerade aufsteigende Flamme Albano's wur¬ de jetzt durch die Hindernisse der Liebe nach allen Seiten gebogen und glühte wie Löthfeuer schär¬ fer; aber diese Schärfe schrieb Augusti dem Freunde zu. Albano erschien denen, die er lieb¬ te, wärmer, denen, die er ertrug, kälter als er war und sein Ernst wurde leicht mit Trotz und Stolz vermengt; aber der Lektor glaubte, ihm sey dessen Liebe gestohlen von Karl. Er versuchte mit gleichviel Feinheit und Freimüthigkeit, dem Grafen eine gute Karte von den Flecken zuzuspielen, die im Himmels¬ körper dieses Jupiter ausgesäet waren. Aber er zerriß jede Karte — Karls schmerzliche Be¬ kenntnisse in jener Nacht löschten alle fremde Nachträge aus — und Albano's herrlicher Glau¬ be, man müsse den Freund ganz decken und ihm ganz vertrauen, wehrte jeden Einfluß ab. O es ist eine heilige Zeit, worin der Mensch für den Altar der Freundschaft und Liebe noch Opfer und Priester ohne Fehl begehrt und — erblickt; und es ist eine zu harte, worin die so oft belogne Brust sich an der fremden mitten im Liebestrunk des Augenblicks die kalte Nach¬ barschaft der Gebrechen weissagt! — Da der Lektor überall sah, daß Alban über manche seiner Rügen an Karl, z. B. dessen Wildheit und Unordnung, darum kalt bleibe, weil er selber unter fremdem Tadel gemeinet zu seyn glauben konnte, wie die Franzosen (nach Thickneß) das Lob eines Fremden an Ein¬ heimische richten; so griff er statt der Ähnlich¬ keit eine vollendete Unähnlichkeit des Haupt¬ manns an, seinen Leichtsinn gegen das Ge¬ schlecht. — Aber damit verdarb er noch mehr. Denn in der Liebe war ihm Karl der höhere Feueranbeter und der Lektor nur der den die Kohle dieses Feuers schwärzt. Augusti nährte über die Liebe ziemlich die Grundsätze der gro¬ ßen Welt, die er blos aus Ehre nie in Thaten ausprägte; und gab nur den Erde-nahen Wol¬ kenhimmel der Liebe zu; der Hauptmann aber sprach von einem dritten oder Freudenhimmel derselben, worin nur Heilige die Seeligen sind. Augusti sprach nach der Sitte der großen Welt viel freier als er handelte und zuweilen so offen als speis' er in einem — Brunnensaal; Karl sprach mädchenhaft. Das jungfräuliche Ohr Albano's — das leicht in guten Visiten¬ zimmern abfällt, und das in Studirstuben fest sitzt — vereinigt mit seinem Mangel an der Erfahrung, — daß sich eine zynische Zunge oft bei den enthaltsamsten Menschen z. B. bei un¬ sern possenreißenden Vorfahren und eine asze¬ tische in bescheidnen Libertins aufhalte — bei¬ des mußte den reinen Menschen in einen dop¬ pelten Irrthum verwickeln. So jagte in ihm Augusti immer mehr Sturmvögel auf. Beide standen oft nahe an völliger Trennung und Ausforderung; denn der Lektor hatte zu viel Ehre, um sich vor irgend etwas zu fürchten, und wagte mit kaltem Blut so viel als andere mit heißem. Jetzt entdeckte Karl nun vollends seinem Freunde, obwohl mit aller Zartheit der Freund¬ schaft, Lianens Bekanntschaft mit jener Tarta¬ rus-Nacht. — Der sonst verschwiegene Lektor muß nähere Vortheile durch sein Plaudern su¬ chen, schloß Albano und nun sog sich die Kröte der Eifersucht, die im lebendigen Baume lebt und wächst ohne sichtbaren Eingang und Aus¬ gang, in seinem warmen Herzen fest. Die un¬ beantwortete Liebe ist ohnehin die eifersüchtig¬ ste. Gott weiß, ob er nicht der Maschinendi¬ rektor der mit so vielen Rädern in einander gehenden Geisterszenen ist. Alles das sind Al¬ bano's verhüllte Schlüsse; ofne Anklagen wa¬ ren seinem Ehrgefühl versagt. Aber sein war¬ mes sich immer aussprechendes Herz forderte eine wärmere Nachbarschaft; und diese fand er, wenn er dem frommen Vater folgte und nach Lilar ins Donnerhäuschen zog, — mit¬ ten unter die Blumen und Gipfel, um näher am Herzen der Natur gelagert schöner zu träumen und zu genesen. Nur eine warme sonnen-helle Stelle war für ihn in Karls historischem Gemälde: es war die Hofnung nämlich, daß vielleicht blos die Irrthümer über sein Verhältniß zur Gräfin, aus denen der Bruder Lianen geholfen, ihr das bis¬ herige immer gleich-kalte Benehmen gegen ihn vorgezeichnet haben. Auf diese sonnige Stelle warf Rabette ein Billet, worin sie ihm schrieb, sie reise Sonnabends zu ihren Eltern zurück, weil der Minister komme. Jene Hofnung — diese Nachricht — die künftig ungünstigern Umgebungen — sein Ziehen nach Lilar, das alles entschied in ihm den Vorsatz, eine einsa¬ me Minute an sich zu reißen und darin vor Lianen den Schleier von seiner Seele zu wer¬ fen und von ihrer. 62. Zykel. Sonderbar durchschnitten sich die Zufälle an dem Tage, wo Albano ins ministerialische Haus zum Abschiednehmen von Rabetten — und von Lianen, sagte in ihm eine zitternde Stimme — kam. Rabette winkt ihn aus dem Fenster in ihr Zimmer. Sie hatte die Ikarus¬ flügel ihres Anzugs in die Kästen zusammen¬ gelegt. Über ihr Inneres fuhr ein beugender Sturm hin und her; Karl hatte das Gleichge¬ wicht ihres Herzens durch seine Wärme aufge¬ hoben und es durch kein Wort der Belohnung wieder hergestellt. Gleich den Tauben flattert sie um das hohe Schadenfeuer; o möge sie nicht wie jene mit verzehrtem Gefieder entwei¬ chen und wieder kommen und endlich darin zer¬ fallen! — Sie sagte, sie sehne sich zu den Ihri¬ gen, seit sie gestern eine Heerde Schaafe durch die Stadt treiben sehen. Sie begleiten am Sonnabend Liane und die Mutter, um der Ein¬ weihung der Kirche und der Beisetzung des Fürstenpaares beizuwohnen. Er bat sie so schnell und hastig, ihm heute im Garten eine einsame Minute mit der Freundin zuzubereiten, daß er ihre schöne Nachricht von Lianens Zu¬ rückbleiben und Aufenthalt bei ihr gar nicht hörte. Leider fand er bei der Ministerin den Vorzeiger herrlicher Gemälde, der wie die Natur nicht nur den Anfang seines Lenzes sondern auch das Ende seines Herbstes mit Giftblu¬ men Bekanntlich sind die Frühlingsblumen wegen der Nässe und des Schattens meist verdächtige; wie die Herbstblumen. machte, H. v . Bouverot . Dian hatt' ihm vier himmlische Kopien aus Rom gesandt; diese schlug er mit trocknem Kunstgaumen auf. — Liane empfieng den Grafen wieder wie im¬ mer. War etwan Raphaels Madonna della Sedia , in deren vom Himmel gesunknes Palla¬ dium sich ihre zarte Seele eingesenkt, die Sie¬ gelbewahrerin ihres heiligsten Geheimnisses? Der alles vergessende Künstler-Eifer ließ ihr so hold! Ihre Sehnerven waren durch ihr langes Malen gleichsam weiche Fühlfäden geworden, die sich eng um schöne Formen schlossen. Gewisse weibliche Bilder— wie dieses, regten ihre gan¬ ze Seele auf. Sie hatte nämlich in der Kindheit sich von den Heldinnen der Romane und über¬ all von ungesehenen Weibern glänzende Stern¬ bilder in ihren innern Himmel hingezeichnet, große Ideen von ihrem Muthe, ihrem himmli¬ schen Wandel, ihrer Erhabenheit über alles, was sie je gesehen und sie hatte gleichviel Scheu und Sehnsucht empfunden, einer zu begegnen. Daher gieng sie aus diesem kolossalischen Nym¬ phäum ihrer Phantasie so leicht geblendet und mit solcher feurigen Herzens-Achtung reinen Freundinnen, und der Gräfin Romeiro entge¬ gen. Gewisse Gemälde führten nun diese Altar¬ blätter wie Kopien zurück. Die Gute dachte nicht daran, aber wohl ihr Freund, daß man die¬ ser liebend niedersehenden Marie die Augen blos lebendig zu regen und diese Lippen blos mit Lauten zu erwärmen brauche — dann hatte man Liane. Der deutsche Herr fuhr fort und legte nun Raphaels Joseph, der den Brüdern einen Traum erzählt, und den ältern Joseph, der dem König einen erklärt, neben einander und fieng an, die drei Raphaele in Worte zu über¬ setzen und das mit so vielem Glück und nicht nur mit so vieler Einsicht ins Mechanische und Genialische, sondern auch mit einer so bestimm¬ ten Hervorhebung jedes menschlichen und mo¬ ralischen Zugs, daß — Alban ihn für einen Heuchler hielt und Liane für einen sehr guten Menschen. Sie ergriff jedes Wort mit einem weit ofnen Herzen. Als Bouverot den weissa¬ genden Joseph mahlte, zugleich als kindlich, unbefangen, still und felsenfest und glühend und drohend: so stand das Urbild an ihrer Seite. Dem deutschen Herrn entfuhr weiter viel Gedachtes über da Vinci's Christus-Knaben im Tempel, über die herrlich vollführte Ver¬ brüderung und Einkindschaft des Knaben und Jünglings in Einem Gesicht. — — Liane hat¬ te die Kopie auch kopirt, allein sie und die Mutter verschwiegen es bescheiden. — Aber endlich störte Franziskus Albani mit seiner „Ruhe auf der Flucht“ die bisherige Ruhe. Indem er den Traumdeuter dieser ma¬ lerischen Träume machte und Rabette scharf auf dem mit dem ofnen Buche neben Marie sitzenden h. Joseph dieses Bildes haftete: sag¬ te Liane unglücklicher Weise: ein schöner Al¬ bani ! — „Ich dächte nicht, (sagte Rabette „leise,) der Bruder ist viel schöner als dieser „betende Joseph!“ — Sie hatte Albani mit Albano vermengt, ihre ganze Bildergallerie steckte in dem Gesangbuch, dessen Lieder sie mit goldnen rothen Heiligen auseinandersperrte. Die andern verstanden nichts — sie kannten ihn nur als Grafen von Zesara — aber Liane warf auf Rabette süßerröthend einen zärtlich strafenden Blik und sah mit stummen Erdulden ein anderes Gemälde näher an. Nie hatte Albano — in welchem sich die stärksten und die zärtesten Gefühle paarten, wie das Echo den Donner lauter und die Musik leiser macht — die bittersüße Mischung von Liebe und Mit¬ leiden und Schamröthe wärmer gearbeitet und er hätte vor dem Mädchen zugleich knieen und doch schweigen mögen. Der deutsche Herr war fertig und sagte zu den Männern mit einer Mine voll Sieg, „er „habe doch noch etwas in der Tasche was es „mit den Raphaels aufnehme; und er bitte sie, „ins Nebenzimmer zu folgen.“ Unterwegs merkt' er an, wenige Werke seyen mit so herrli¬ cher Frechheit und keckem Muthwillen ausge¬ führt. Im Zimmer packt' er einen erzenen kleinen Satyr aus, gegen den sich eine einge¬ holte Nymphe wehrt. „Göttlich (sagte Bouve¬ „rot und hielt die Gruppe an einem Faden, „um den Rost nicht abzugreifen) göttlich! Ich „setze den Satyr an den Christus!“ Wenige haben vom Erstaunen meines Helden nur ei¬ nen mäßigen Begriff, als dieser auf ein¬ mal den Kritikus Tugend und Laster an einen runden Tisch ohne Rangstreitigkeit setzen sah. Mit einem Feuerblick der Verachtung wandt' er sich ab und wunderte sich, daß der Lektor blieb. Ihm scheint unbekannt zu seyn, daß die Malerei wie die Dichtkunst sich nur in ihrer Kindheit auf Götter und Gottesdienst bezogen, daß sie aber später als sie höher her¬ an wuchsen, aus diesem engen Kirchhof heraus¬ schreiten musten wie eine Kapelle ursprünglich eine Kirche mit Kirchenmusik war, bis man bei¬ des weg ließ und die reine Musik behielt. Bouverot hatte die Achtung für reine Form in so hohem Grade, daß ihn nicht nur der schmu¬ zigste unsittlichste Stoff, sondern sogar auch der frömmste, andächtigste nicht den Genuß verun¬ reinigte; gleich dem Schiefer bestand er die beiden Proben, zu glühen und zu gefrieren, ohne sich zu ändern. Albano hatte die Mädchen durch das Fenster in der Allee gesehen und eilte zum Abschiede von der Schwester hinunter und zu etwas Wichtigerem. Er kam mit vollern Rosen auf den Wangen, als um ihn glühten, zu einer Gras¬ bank, wo Liane neben der Schwester hinter dem rothen Sonnenschirm mit halbgesenkten Augen¬ liedern und seitwärts geneigtem Haupte ruhte — sanft in die Ernte des Abends versunken — sonnenroth übergossen vom Schirme — im wei¬ ßen Kleide — mit einem dünnen schwarzen Kreuzchen auf der zarten Brust — und mit ei¬ ner vollen Rose; sie blickte unsern Geliebten so unbefangen an, ihre Stimme war so schwe¬ sterlich und alles so reine sorglose Liebe! Sie sagte ihm, wie sie sich freue auf seinen Jugend- Ort und auf das Landleben und wie Rabette sie überall hinführen werde — und besonders auf die Einweihungsrede, die am Sonntage ihr Beicht-Vater Spener halte. Sie sprach sich ins Feuer durch das Gemälde, wie die große Brust des Greises der Klage- und der Siegs¬ gesang über dem Aschen-Gehäuse des fürstli¬ chen Freundes groß bewegen werde. Rabette hatte nichts im Sinne als die ein¬ same Minute, die sie dem Bruder mit ihr ge¬ ben wollte. Sie bat sie aufgeweckt, ihr noch einmal auf der Harmonika vorzuspielen. Al¬ bano pflückte sich bei diesem Antrage einen mäßigen Straus von — Baumlaub. Liane sah sie warnend an, gleichsam als wolle sie sagen: ich verderbe Dir wieder Deine Munter¬ keit. Aber sie blieb dabei. Albano überflog bei dem Eintritte ins Wasserhäuschen ein leichtes Erröthen über die letzte Vergangenheit und nächste Zukunft. Liane machte eilig die Harmonika auf, aber das Wasser, das Kolofonium der Glocken, fehlte. Rabette wollte unten ein Glas am Springbrunnen füllen, um — beide allein zu las¬ sen; aber der Graf kam ihr aus männlicher Unbehülflichkeit, in eine List schnell einzugreifen, höflich zuvor und holte es selber. Kaum hatte endlich das liebliche gefällige Wesen seufzend die zarten Hände auf die braunen Glocken gelegt: als Rabette ihr sagte, sie wolle in die Allee hin¬ hinunter, um zu hören, wie es sich von Wei¬ tem anhöre. Gleichsam zum schmerzlichen Son¬ nenstich einer zu schnellen und großen Lust fuhr sein Herz auf, er hörte den Siegeswagen der Liebe von ferne rollen und er wollte in ihn springen und dahin rauschen ins Leben. Die gläubige Liane hielt das Entfernen für einen Schleier, den Rabette über das in den Tönen süß brechende Auge werfen wolle; und zog so¬ gleich die Hände von den Glocken; aber Ra¬ bette küßte sie bittend, drückte ihr die Hände selber darauf und lief hinab. „Das treue „Herz!“ sagte Liane; aber das arglose helle Vertrauen auf die Freundin rührte ihn und er konnte nicht Ja sagen. Wenn in den Fluren Persiens ein Glückli¬ cher, der auf der üppigen Aue tief unter Nelken und Lilien und Tulpen schlief, vor dem ersten Abendrufe der Nachtigal seelig die Augen auf¬ schlägt in die laue stille Welt und in die bunte Dämmerung, durch welche einige Goldfaden der Abendsonne glühend fließen : so gleicht der See¬ lige dem Jüngling Albano im magischen Zim¬ Titan II . K mer — die Jalousiefenster streueten gebrochne Lichter, grüne zitternde Schatten aus und es dämmerte heilig wie in Hainen um Tempel — nur tönende Bienchen flogen aus der lauten fernen Welt durch die schweigende Klause wie¬ der ins Getöse — einige scharfe Sonnenstreife, gleichsam Blitze vor Schlafenden wurden ro¬ mantisch neben der Rose hin und her geweht — und in dieser träumerischen Grotte mitten im rauschenden Walde der Welt wurde die Ein¬ samkeit nicht einmal durch das Schattenwesen eines Spiegels gestört. — In diesen Zauber ließ sie die Töne wie Nach¬ tigallen aus ihren Händen fliegen — die Tö¬ ne wurden Albano wie von einem Sturme bald heller bald matter zugetrieben — er stand vor ihr mit gefalteten Händen wie betend und ruh¬ te mit tausend Blicken der Liebe auf der nie¬ derschauenden Gestalt. — Einmal hob sie das heilige Auge voll Antheil langsam zu ihm auf, aber sie schlug es schnell vor dem Sonnenblick des seinigen nieder. Nun deckten die großen Augenlieder unbe¬ weglich die süßen Blicke zu und gaben ihr wie ein Schlaf den Schein der Abwesenheit — sie schien eine weiße Maiblume auf winterlichem Boden, die das Blüthenglöckchen senkt — sie war eine sterbende Heilige in der Andacht der Harmo¬ nie, die sie mehr hörte als machte — nur die ro¬ the Lippe nahm sie als einen feurigen Wieder¬ schein des Lebens, als eine letzte Rose mit, die den eilenden Engel schmückt — o konnt' er die¬ ses Beten der Tonkunst stören mit seinem Wort? — Mit immer engern Kreisen faßten ihn die magnetischen Wirbel der Töne und der Liebe an. — Und nun da das Ziehen der Harmo¬ nika wie das Wasserziehen der stechenden Son¬ ne sein Herz aufleckte — und da die Blitze der Leidenschaft über sein ganzes Leben fuhren und das Gebirge der Zukunft und die Höhlen der Vergangenheit beleuchteten und da er sein ganzes Daseyn in einen Augenblick zusammen¬ faßte: so sah er einige Tropfen aus Lianens gesenkten Augen quellen und sie blickte heiter auf, um sie fallen zu lassen — da riß Albano K 2 die Hand aus den Tönen und rief mit dem herzzerschneidenden Ton seiner Sehnsucht: o Gott, Liane! — Sie zitterte, sie erröthete, sie sah ihn an und wuste nicht, daß sie fortweinte und ansah und nicht mehr fortspielte. — Nein, Albano, nein! sagte sie sanft und zog die Hand aus seiner und verhüllte sich — erschrak über den Stillstand der Töne — und ermannte sich, und ließ sie wieder langsam strömen und sagte mit zitternder Stimme: „Sie sind ein edler „Mensch — Sie sind wie mein Karl, aber eben „so heftig. — Nur Eine Bitte! — Ich verlasse „die Stadt eine Zeitlang“ ..... Sein Erschrecken darüber wurde Entzückung als sie den Ort bestimmte, sein Blumenbühl. Sie fuhr mühsam fort vor dem Erfreueten — ihre Hand lag oft lange auf der Dissonanz im Ver¬ gessen der Auflösung — ihre Augen schimmer¬ ten feuchter ob sie gleich nichts weiter sagte, als das Folgende: „Sein Sie meinem Bruder, „der Sie unaussprechlich liebt wie noch keinen, „o seyn Sie ihm alles. Meine Mutter erkennt „Ihren Einfluß — Ziehen Sie ihn — ich sag' es „heraus — besonders vom hohen Spiele ab.“ Er konnte kaum das Ja verwirrt betheu¬ ern, als Rabette mit der fast unschicklich akzen¬ tuirten Bothschaft hereilte, daß die Mutter komme. Wahrscheinlich hatte diese Rabettens Alleinseyn gesehen. Albano trennte sich mit abgebrochnen Reise-Wünschen von dem Paare und vergaß im Sturm, Rabettens Bitte um Besuche zu bejahen. Die begegnende Mutter schrieb sein Feuer dem brüderlichen Scheiden zu. Indem er durch die Fülle der Jahrs-Zeit eilte, dacht’ er an die reiche Zukunft, an Lia¬ nens Stammeln und Verhüllen: brauchen nicht schöne weibliche Seelen wie jene Engel vor dem Propheten nur zwei Flügel zum Erheben aber vier zum Verhüllen? — Das Meer des Le¬ bens gieng in hohen Wellen, aber überall leuchtete es auf seiner weiten Fläche und Fun¬ ken tropften vom Ruder. 63. Zykel. Ach am Morgen darauf wurde freilich aus dem Abendrothe eines ganzen Himmels ein trübes Gewölke. Denn Liane gieng dem Jüng¬ ling in so langen dichten Schleiern dahin. Irgend ein Geheimniß der Noth wirft kalte Klostermauern zwischen nahen Herzen auf — das ist offenbar. Bis hieher bogen mancher¬ lei Zufälle einige Blumen, die Liane verhüllend über das Herz gezogen, wie die Erdstockwerke in Sädten durch Blumen und Reben das Ein¬ sehen in die Fenster abwehren, von der dun¬ kelsten Ecke des Hintergrundes weg, in der et¬ wan die Rückseite eines Brustbildes hieng, das umgedreht vielleicht dem Grafen glich. Aber noch hängt das Bild mit dem Gesichte gegen die Wand. — Indeß gleicht ein weibliches Herz oft dem Marmor; der geschickte Steinmetz thut tausend Schläge, ohne daß der parische Block nur in die Linie eines Sprunges reiße; aber auf einmal bricht er auseinander eben in die Form, die der geschickte Steinmetz so lange hämmernd verfolgte. Am Sonnabend, wo die Ministerin und das Freundinnen-Paar nach Blumenbühl ab¬ reisen wollten, um das Begraben und Einwei¬ hen anzusehen, kam der Hauptmann nicht nur voll Freude — denn er hatte gern aus Liebe zu Rabetten für Lianen zwar nicht die Flügel aber doch die Flügeldecken machen und aus dreifachem Interesse gegen den Freund am Flug¬ werk spannen helfen — sondern auch voll Angst zum Grafen.... Aber ihr Musen! war¬ um sind in der poetischen Welt alle die Begeb¬ nisse selten so vielfach motivirt als häufig in der wirklichen?.... Seine Angst war blos die, daß sein Vater früher anfahre als seine Mutter ab — denn er kannte den Minister. Letzterer wollte nach seinen Briefen Montags, Dienstags (spätestens am Sonnabend) anlangen; allein dies konnte — da Froulay gern die Seinigen im breiten Spiel¬ raum des Erwartens schwimmen ließ — noch gewisser drohen, daß er — weil er wie die Basler Uhren immer eine Stunde zu früh blos in der Hofnung ausschlug und kam, seine Leu¬ te über irgend etwas recht Häßlichem zu ertap¬ pen — in jeder Minute zum Hofthore herein jage. Kam er angejagt, an diesem Vormit¬ tage oder in der Minute, wo der Bediente die Tochter in den Wagen hob und die Mutter schon darin saß: so war so viel durch tausend Schlüsse aus der Observanz gewiß, daß beide wieder hinauf musten in die Zimmer — daß er alle Kisten und Schachteln wieder abpak¬ ken hieß und daß er die Landschafts-Direktors Tochter nach ihren 10000 Bitten — wiewohl ihr schon die zweite auf der Lippe erfröre — freundlich mit ganz spaßhafter Gleichmuth als einsame Konklavistin im zugemachten Wagen nach Hause würde ziehen lassen. Gewisse Men¬ schen — und er ist ihr Generalissimus — wissen sich kein süßeres Labsal, als den Ihrigen die Gartenthüre irgend eines Arkadiens, wozu sie ihnen nicht die Reiseroute und die Landkarte aufgesetzt, vor der Nase ins Schloß zu werfen und solche gerichtlich zu versiegeln. Kurz vor einer Luftfahrt setzen ohnehin die meisten El¬ tern Galle ab; konnte Froulay vollends eine verriegeln, so war ihm das so viel als komm' er von einer roth und munter nach Hause. — Nachmittags um 3 Uhr giengen unsere Freunde unter dem schönsten Himmel spazieren — alles war schon geordnet, Karl wollte mor¬ gen nachgehen, Albano erst, nach der allge¬ meinen Rückreise, am Montag (seine zarten Rücksichten und fremde harte entschieden) — und es zog durch das ganze gewölbte Blau kein Nebel als Karls Besorgniß, die zweite Lokazion der Fürsten-Leichen ziehe seinen Va¬ ter noch heute her — — als er plötzlich heraus¬ fluchte: dort fahr' er. Er kannt' ihn an dem Tyger-Postzug, und noch mehr an den lang vorgespannten Vorderpferden. Eine Fegfeuer- Lebens-Minute! — Der Wagen fuhr rasch die Straße herab — die Vorderpferde zogen noch länger ganz unförmlich voraus — man wunderte sich — endlich wurde die Ziehweite einen Acker lang — das schien ganz unmöglich — als Albano's Adlerauge keine lederne Ver¬ bindung zwischen dem Postzug und zuletzt gar entdeckte, daß bloß ein fremder Kerl mit zwei Pferden zufällig vor dem Wagen herreite. Und in dieser Minute sahen sie den ofnen Triumph¬ wagen mit der weiblichen Dreieinigkeit langsam die Blumenbühler Höhe hinaufziehen und das vermengte Tulpenbeet der drei Sonnenschirme schimmerte ihnen lange zurück. Vierzehnte Jobelperiode. Albano und Liane. 64. Zykel. I n unserer innern Welt fliegen so viele zarte und heilige Empfindungen herum, die wie En¬ gel nie den Leib einer äußern That annehmen können; so viele reiche gefüllte Blumen stehen darin, die keinen Samen tragen, daß es ein Glück ist, daß man die Dichtkunst erfunden, die alle jene ungebornen Geister und den Blu¬ menduft leicht in ihrem limbus aufbewahret. Mit dieser fass' ich, lieber Albano, deinen herr¬ lich verduftenden Sonntag auf und halte den unsichtbaren Weihrauch fest für die Schneider¬ sche Haut die Welt! — Am Sonntage bezog er das Donnerhäuschen in Lilar. Der Lektor hielt sich mit der Hofnung aufrecht, der Graf werde das Blumenparterre des neuen Genusses schon bald so platt und welk zusammentreten wie einen Kreuzweg. Es war ein schöner Morgen — vom Thau ganz beregnet — ein frischer Wind wehte von Lilar über das blühende Korn — und die Sonne brannte allein in einem kühlen Himmel. Auf der Blumenbühler Straße zog ein Menschen- Gewimmel hinan und niemand gieng lange al¬ lein; auf der Morgenhöhe sah' er seinen Freund Karl mit dem gebognen Federbusch der Sonne entgegensprengen. Lilars Lüfte flogen Orangenduft-ausath¬ mend entgegen und wehten die Asche weg, die auf den glühenden Altarkohlen jenes ersten herrlichen Sonntags stand. Er gieng die Brücke hinab und der früh geputzte Pollux trieb ihm einen aufgeblätterten Truthahn entgegen. Eine Soeur servante des alten Speners kochte schon eine Stunde lang bei der Chariton, bloß um ihn vorbei gehen zu sehen. Diese lief festlich- geschmückt aus dem Häuschen, das sich heiter mit allen Fenstern dem ganzen Himmel öffnete, ihm entgegen und brach in der Verlegenheit der Freude mit der Hauptsache zuerst heraus, es sey nämlich droben im Häuschen alles schön parat und ob er das Essen hinaufhaben wollte. Sie wollte mitten im Gespräch Polluxen aus des Grafen — Fingern ziehen, aber er lies ihn zum Kusse aufschweben und erntete damit jedes Herz, auch das alte hinter der Küchenflamme. Indem er nach seinem Häuschen durch den westlichen Triumphbogen hinausgieng, fühlt' er unbeschreiblich stark und süß, daß die holde Jugendzeit unser Welsch- und Griechenland ist voll Götter, Tempel und Lust — ach und wel¬ ches so oft Gothen mit Tatzen durchstreifen und ausleeren. — Seine blühende Bahn lief endlich in die Tiefen- und Höhentreppe die er mit Spener bestiegen — einzelne Tages-Streifen brannten sich dem nassen Boden ein und färbten zer¬ streuete Zweige feurig und golden. — An der mystischen Laube, wo vor ihm der todte Fürst in der Seitenhöhle geschritten war, fand er diese nicht, sondern nur eine leere Nische. Er trat oben heraus wie aus der Hüfte der Erde. Sein Häuschen lag auf dem herumgebognen Bergrücken. Drunten ruhten um ihn die Ele¬ phanten der Erde, die Hügel, und das sich in Blüthen herrlich blähende Lilar und er schauete aus seinen Fenstern in das Lager der Riesen der Natur. Inzwischen konnt' er jetzt nicht auf dem Fensterstocke bleiben, oder neben der begeistern¬ den Äolsharfe, oder im Augen-Kerker, den Büchern; durch Ströme und Wälder und über Berge zu schweifen verlangte die frische Natur. Das that er. Es giebt zwischen den Alltags-Tagen des Lebens — wo der Regenbogen der Natur uns nur zerbrochen und als ein unförmlicher bunter Klumpe am Horizont erscheint — zuweilen ei¬ nige Schöpfungstage, wo sie sich in eine schöne Gestalt ründet und zusammenzieht, ja wo sie le¬ bendig wird und wie eine Seele uns anspricht. Heute hatte Albano diesen Tag zum erstenmal. Ach es gehen Jahre dahin und sie bringen keinen. Indem er so auf dem Bergrücken auf beiden Seiten dahin wandelte, fluthete der Nord-Ost ihm immer voller entgegen; — ohne Wind war ihm eine Landschaft eine steife festgenagelte Wandtapete — und wühlte das feste Land zum flüssigen um. Die nahen Bäume schüttelten sich wie Tauben süß-schauernd in seinem Bade, aber in der Ferne standen die Wälder wie ge¬ rüstete Heere fest und ihre Gipfel wie Lanzen. — Majestätisch schwammen durch das Blau die silbernen Inseln, die Wolken, und auf der Erde schritten Schatten riesenhaft über Ströme und über Berge — im Thale blitzte die Rosana und rollte in den Eichenhain. — Er trat ins warme Thal hinab, die Weiden schäumten und ihr Same spielte in seiner Wolken-Flocke eh' ihn die Erde befestigte — der Schwan dehnte wollüstig den langen Flügel, gepaarte Tauben ätzten sich vor Liebe und überall lagen die Beete und Zweige voll heißer Mutterbrüste und Eier. — Wie ein herrlicher blauer Blu¬ menstrauß schillerte in hohen Gräsern der Hals des ruhenden Pfaues. — Er trat unter die Eichen, die mit knotigen Armen den Himmel an¬ faßten und mit knotigen Wurzeln die Erde. — Die Rosana sprach allein mit dem brausenden Wald und fraß schäumend an Felsenstücken und am morschen Ufer — Nacht und Abend und Tag verfolgten einander im mystischen Hain. — Er trat in den Fluß und gieng mit ihm hinaus vor eine rege warme Ebene voll Dörfer und aus ihnen klang der Sonntag und aus den Ährenfeldern fuhren Lerchen und an den Bergen krochen Menschen-Steige hinauf, die Bäume regten sich als Lebendige und die fernen Menschen schienen festzuwurzeln und wurden nur Schößlinge an der tiefen Rinde des ungeheuern Lebensbaumes. — — Die Seele des Jünglings wurde in das heilige Feuer geworfen, wie Asbestpapier zog er sie ausgelöscht und unbeschrieben heraus, ihm war als wiss' er nichts, als sey er Ein Gedanke und hier trat ihn auf eine wunderbar neue Weise das Gefühl an, das ist die Welt, du bist auf der Welt — er war Ein Wesen mit ihr — alles war Ein Leben, Wolken und Menschen und Bäume. — Er fühlte sich von unzähligen Polypenarmen ergriffen und zu¬ gleich mit ihnen verschlungen und doch fort¬ rinnend im unendlichen Herz. Trunken kam er vor seine Wohnung, von welcher sich ihm der kleine Pollux den Berg her¬ herab entgegenrollte um ihn zum Essen zu ru¬ fen. Im Häuschen wurde das was er meinte ausgesprochen von der Äolsharfe am ofnen Fenster. Indes das Kind mit den Fäustchen auf dem Klaviere nachdonnerte und die Vögel aus den Bäumen freudig darein schrieen: so fuhr der Weltgeist durch die Äols-Saiten jauch¬ zend und seufzend, regellos und regelmäßig, spielend mit den Stürmen und sie mit ihm; und Albano hörte wie die Ströme des Lebens laut rauschten zwischen den Ufern der Länder — und durch die Blumen und Eichenadern — und durch die Herzen — um die Erde, Wolken tragend — und den Strom, der durch die Ewigkeit donnert, goß ein Gott aus unter dem Schleier — — Albano kam mit dem unschuldigen vor¬ tanzenden Knaben zur fortlächelnden Mutter. Sogar hier zwischen den vier Wänden zogen ihn noch die Segel fort, die der große Mor¬ gen aufgebläht. Nichts fiel ihm auf, nichts schien ihm gemein, nichts fern, die Woge und der Tropfe im unendlichen Meere des Lebens verflossen untheilbar mit den Strömen und Titan II. L Strudeln, welche darin giengen. Vor Chariton stand er wie ein glänzender Gott und sie hätte gern entweder ihn verschleiert oder sich. Nie war die Menschheit in reinere Formen, die kein Wulst irgend eines Geburtslandes verkrüppelte, geson¬ dert als in diesem Freudenkreise, worin die Kind¬ heit, die Weiblichkeit und die Männlichkeit von Blumen durchwunden sich begegneten und sanft anfaßten. Chariton sprach immer von Liane nicht blos aus Liebe zur Fernen sondern auch zum Nahen; denn ob sie gleich mit jenen offnen Augen schaute, die mehr still abzuspiegeln als anzublicken, mehr einzulassen als einzuziehen scheinen, so war sie doch wie Kinder, Jung¬ frauen, Landleute und Wilde zugleich offenher¬ zig-wahr und schlau. Sie hatte Albano's Liebe leicht erlauscht, weil überall den Weibern alles leichter zu verdecken ist, sogar der Haß, als sein Gegentheil. Sie lobte Lianen unend¬ lich, besonders die unvergleichliche Güte, und „ihr Herr habe gesagt, wenige Männer „hätten so viel Herz als sie, denn sie sey oft „ohne alle Furcht Nachts mit ihr im Tartarus „gewesen.“ Allerdings war das auch dem Grafen nicht erklärlich. Das Wunderbare ist der Heiligenschein eines geliebten Hauptes; eine Sonne zum Menschenantlitz besänftigt ergreift weniger als ein geliebtes zum Sonnenbild verklärt. Sie immer heisser erfreuet durch seine Freu¬ de bot ihm an, ihn in Lianens Zimmer zu füh¬ ren. Ein einfaches Zimmerchen — vom Wein¬ laube gründämmernd — einige Bücher von Fenelon und Herder — alte Blumen noch in ihren Wassergläsern — kleine sinesische Tassen — Juliennens Portrait und ein anderes von einer verstorbenen Jugendfreundinn, welche Karoline hies — ein unbeflecktes Schreibzeug mit engli¬ schem gepreßten Papier — — das fand er. Die heiligen Frühlingsstunden der Jungfrau zogen vor ihm wie sonniges Gewölke thauend vorüber. Zufällig berührte er ein Federmesser, als ihm Chariton Kiele zum Schneiden brachte, „weil man, (sagte sie,) so viel Noth damit hätte „seit ihr Herr weg sey.“ Denn eine Frau kann leichter jede Feder führen — sogar die epische L 2 und kantische — als eine schneiden; und hier muß wie in mehr Fällen das stärkere Geschlecht dem schwachen unter die Arme greifen. Albano wünschte noch das Arbeits-Zimmer seines Lehrers zu sehen; aber dieses schlug sie — ob sie gleich durch ein stundenlanges Zusam¬ menessen nicht muthiger geworden — doch ent¬ schieden ab, weil es ihr Herr verboten habe. Er bat noch einmal; aber sie lächelte immer schmerzlicher und blieb bei dem freundlichen Nein. Er verträumte nun den Rausch des Mor¬ gens im magischen Garten, auf dessen Wasser und Steige der Mond- und Wiederschein der Erinnerung spielte. Wie treten aus den 9 Mil¬ lionen Quadratmeilen der gemeinen Erde doch einige poetische Länder heraus durch ein poeti¬ sches Herz! Auf dem Berg mit dem Altare, wo er sie unten einmal verschwinden sehen, wehte ihn, umflattert vom freiern Äther, das Nachmittagsgeläute von Blumenbühl an; und sein Kindheitsleben und die jetzigen Szenen dort und Liane gaben ihm ein weiches Herz und er überschauete mit dunklern Augen das verklärte Land. Abends kamen frohe Kirchgänger aus Blumenbühl und priesen das Einweihen und Beisetzen gewaltig. Er sah noch den from¬ men Vater drüben auf dem Bergrücken stehen. Der Morgen, wo er einen ganzen Tag Lianen sehen und ihr vielleicht alles sagen konnte, überzog sein Leben mit einem ihn in prächti¬ gen Regenbogenkreisen umschimmernden Mor¬ genthau. Noch im Bette sang er vor Lust das Morgenlied der Ruderleute auf dem Lago maggiore — die Sternbilder über Blumenbühl glänzten in das ofne Fenster seines Alpenhäus¬ chens herüber an das zusinkende Auge. — Als ihn der helle Mond und Flötentöne aus dem Thal wieder weckten: glühte das stille Ent¬ zücken unter der Asche des Schlafes noch fort und das größere drückte die Augen wieder zu. 65. Zykel. Unter einem frischen Morgenblau gieng er voll Hofnungen, heute sein immer in weisse Nebel hineinlaufendes Leben aufzuhellen, je¬ nen alten Weg, den er einmal (im 23sten Zy¬ kel) Nachts herwärts gemacht, um auf dem Berge Elysium und Liane zu sehen. Der gan¬ ze blühende Steig war ihm eine römische Erde, woraus er schönbemalte Vasen der Vergan¬ genheit ausgrub; und je näher dem Dorfe, desto breiter wurden die geheiligten Plätze. Er wunderte sich, daß die Lämmer und Hirten¬ knaben nicht wie das Gras, länger aufgeschos¬ sen während seiner Entfernung, die ihm durch den Wachsthum seines Herzens und den bun¬ ten Wechsel seiner Erfahrungen selber verlän¬ gert vorkam. Wie ein Morgentrunk von hellem Alpenwasser rann der alte Klang des Hirten¬ horns in seine Brust; aber die enge Erlenbahn, worin er das Reitpferd des Direktors vor dem Absatteln getummelt, und selber der Schloßhof, sogar die vier Wände und das Deckenge¬ mälde des häuslichen Glücks krempten seiner treibenden Seele, die in die Erde und in den Himmel hinein wachsen wollte, Wurzel und Gipfel ein; er war noch in den Jahren, wo man vom Klavikord des Lebens mit einem Fußtritt den Deckel hoch lüftet, damit das har¬ monische Brausen überall vorwalle. Wie verschwenderisch wurde im Schlosse sein Herz mit Herzen bedeckt und die jüngste Liebe durch alte übertäubt, von der leicht-wei¬ nenden Mutter Albine an bis zu den hände¬ gebenden alten Bedienten, die seinetwegen die versteinerten Glieder behender bewegten! — Er fand alle seine Lieben — Liane ausgenom¬ men — in Wehrfrizens Museum, weil dieser „junges-Volk“ und Diskurse lieb hatte und all¬ zeit darauf bestand, daß man das Frühstück auf seinem Aktentisch aussetzte, der wie er sagte, so gut sey als ein Frühstück-Tisch mit lackirten Fratzen, die niemand ansehe. Albano plagte sich mit der Furcht, die Ministerin sey die Kirchen¬ räuberin einer Göttin selber geworden und habe gestern Liane zurückgeführt — bis der Hauptmann die Unsichtbarkeit eilig erklärte. Die gute Seele hatte gestern die Bewegungen ihres theilnehmenden Herzens mit Migraine büßen müssen. Ihr geliebter Lehrer Spener mit sei¬ ner erhabenen Seelen-Stille — die Augen, die nicht mehr über die Erde weinten, auf das be¬ freundete Fürstenpaar gesenkt — mit dem Haupte unter dem kalten Polarstern der Ewig¬ keit stehend, das wie der Pol keine Sterne mehr auf- und untergehen sah —, ruhig und mit apostolisch ineinander gelegten Händen allmächtig redend über den Schmerz und das Ziel des bleichen Lebens, begeistert die Herzen nahe an die weinende Rührung drängend, und doch sie mit erhabener Besänftigung zurückzie¬ hend vom höchsten Schmerz, damit nur das Herz weine ohne das Auge — und nun die Einsegnung der gepaarten Särge und der Kir¬ che — o in der weichen Liane mußten diese Rüh¬ rungen ja zu Leiden arten und alles was ihr Lehrer verschwieg, wurde in ihr ausgesprochen. Noch dazu hatte sie nicht die gewöhnliche Kur, sich still zu halten, gebraucht sondern alle Stiche hinter thätige Freude versteckt, um der fortrei¬ senden Mutter keine Schmerzen zu geben, ob¬ wohl sich viel zu große. In diese Erzählung trat sie selber freundlich herein im weißen Morgenkleid mit einem Straus von sinesischen Röschen — ein wenig blaß und müde — träumerisch-weich aufblickend — die Stimme leiser— die Wangenrosen zu Knospen geschlossen — und wie ein Kind jedes Herz anlächelnd du Engel des Himmels, wer darf dich lieben und belohnen? Sie erblickte den hohen Jüngling alle Lilien ihres stillen Angesichts wurden wider ihre Gewohn¬ heit in ein himmlisches Morgenroth der Freude getaucht und ein zarter Purpur blieb an ihnen. Sie fragte ihn offen, warum er gestern nicht zur Festlichkeit gekommen und entdeckte angelegentlich, daß sie alle heute den frommen Vater, für welchen ihre Zwerg-Rosen gebunden waren, besuchen würden. Er nahm gern die vierte Stimme im Konzert der Luftfahrt. Wel¬ cher herrliche hängende Garten mit seinen liebsten Blumen und Aussichten ist in die Abendstun¬ den hineingebauet! Wie viel Glückliche bedekt ein einziges Dach! Die redliche Rabette, vor stillem Freuen flinker und geschäftiger war unverdrossen Lia¬ nens Kranken- und Roquairols Löwen-Wär¬ terin und die maitresse de plaisirs , welche je¬ den mütterlichen Grundriß einer Lust noch um die Hälfte breiter machte und das ganze Wesen war so glücklich! Ach ihr armes reines Herz wur¬ de ja noch von keinem geliebt und darum glüht es mit den frischen Kräften der ersten Liebe so hell und treu vor einem mächtigen, das zu ihm segnend wie ein liebender Gott niederzukommen scheint und einen ganzen Himmel nachzieht! — Roquairol sah, wie reizend die arbeitsame Be¬ weglichkeit im Spielraum ihres Eigenthums und ihrer Geschäfte das schwer niederhängende Laub verschiebe, das im Visitenzimmer sich fin¬ ster über ihren Werth herzog; sie wurde sogar schöner durch das dunklere nette Hauskleid, nachdem er durch Predigten jede weisse Drap¬ perie ihrer brünetten Gestalt in den Kleider¬ schrank zurückgeschickt. Sie gehorchte der Mut¬ ter hierin nicht eher als bis er es verlangt hat¬ te. Ja er hatte sie gestern dahingebracht, die Uhr womit die stolze Ministerin sie beschenkt, wirklich an sich herumzutragen mit heißem Er¬ röthen über den ungewohnten Schmuck. Indes wollt' er mit ihr gleichsam einen recht geschlän¬ gelten Blumenweg zum Altare seines lauten Ja's der Liebe nehmen — das stumme sagt' er hinlänglich —; er wußte, sie sitze sogleich ein, sobald er mit dem Muschelwagen der Venus vorfahre, wovor er eine Taube und einen Ha¬ bicht vorgehängt. Wie herrlich flog der Vormittag dahin auf goldnen Flügeldecken und auf durchsichtigen Flügeln! Der geliebte Albano wurde in alle Veränderungen des Hauses eingeführt; die schönste war in seiner Studierstube, welche Ra¬ bette in ihre Putz-, Näh- und Studierstube um¬ gekleidet hatte, die seit gestern wieder zum Gast- und Lesestübchen Lianens geworden. Wie gern trat er ans Fenster nach Abend, wo er so oft im Krystallspiegel seiner Phantasie seinen un¬ sichtbaren Vater und die Geliebte überirrdisch erscheinen lassen! In die Scheiben waren von seiner Knabenhand viele L . und R . gezogen. Li¬ ane fragte, was die R bedeuteten; — „Roquai¬ „rol“ sagte er, denn sie fragte nicht nach dem L . Unendlich süß floß die Betrachtung um sein Herz, daß doch seine Geliebte in der träu¬ merischen Klause seines ersten grünen Lebens einige blühende Tage verlebe. Liane zeigte ihm mit kindlicher Freude, wie sie alles, näm¬ lich das Zimmer, redlich mit Rabetten theile in ihrer Doppelwirthschaft und Stuben-Kamme¬ radschaft, und wie sie ihre Wirthin selber zu ihrem Gaste gemacht. Ich habe oft das schöne leichte Nomaden- Leben der Mädchen in ihren arkadischen Le¬ bens-Abschnitten bewundert mit Neid; leicht flattern diese Flugtauben in eine fremde Fa¬ milie und nähen und lachen und besuchen da mit der Tochter des Hauses ein oder zwei Mo¬ nate lang und man hält das Kopulirreis für einen Familienzweig; — hingegen wir Stu ¬ bentauben werden schwer versetzt und ein¬ heimisch und reiten meistens nach einigen Ta¬ gen wieder zurück. Da wir als sprödere Ma¬ terie schwerer mit dem Familien-Guß verschmel¬ zen; da wir unsere Arbeiten nicht so leicht — weil uns Wagen voll Arbeitsgeräthe nachfah¬ ren müssen — wie Mädchen ihre einweben in fremde und da wir viel brauchen und — an¬ stiften: so ist daraus unser Laufzettel sehr gut abgeleitet ohne unsern geringsten Nachtheil. Nach einer halben Ewigkeit der Anklei¬ dung — da in der Nähe der Geliebten eine Stunde der Abwesenheit länger dauert als ein Monat in ihrer Ferne — traten die reiseferti¬ gen Mädchen im schwarzen Schmucke der Bräute herein. Wie reizend, stehen Rabetten die Rosen im dunkeln Haar und der dunkle Spitzen-Saum auf dem weißen Hals und die furchtsamen Flammen ihres reinen Auges und die anfliegenden Erröthungen! — Und Liane — ich rede nicht von dieser Heiligen. Sogar der gute alte Direktor mußte, als ihn das fromme Angesicht unter dem blos einfach und nonnenhaft herübergelegten weißen Kopfschleier von indischer mit Goldlahn besprengter Mous¬ seline kindlich anblickte, seinem Wohlgefallen die Worte geben: wie eine Nonne, wie ein Engel! — Sie antwortete: „ich wollte auch „einmal eine werden mit einer Freundinn; aber „nun nehm' ich den Schleier später als sie“ setzte sie mit wunderbarem Ton dazu. Sie hieng heute mit zärtlicher Schwärmerei an Rabette, vielleicht aus siecher Weichheit, viel¬ leicht aus Liebe zu Albano und zu den Eltern und vielleicht, weil Rabette durch die Liebe so gut und schön war und weil sie selber nichts war als Herz. Sie hatte den heiligen Fehler zu schwärmerischer Vorstellungen von ihren Freundinnen in welchen die edlern Mäd¬ chen leicht fallen und womit blos Ehefrauen wenig behaftet sind — sonst noch höher getrie¬ ben: so konnte sie z. B. ihre Freundin Karo¬ line, die ihr wie eine Romanenheldin nur im romantischen Spielraum der Freundschaft und der schönen Natur begegnet war, sich anfangs gar nicht ohne Abbruch des poetischen Heili¬ genscheins mit Händen denken, welche die Näh¬ nadel und Plätte und anderes Geräthe des weiblichen Ackers führten. Wer die zärteste Mitfreude fühlen will, der sehe nicht frohe Kinder an sondern die El¬ tern, die sich über frohe erfreuen. Niemals blickte die blau- und rundäugige Albine — in deren Gesicht die Zeit manche Lebenstöne drei¬ mal gestrichen hatte worunter aber kein stief- und schwiegermütterlicher Mißton vorkam — öfter hin und her und segnender als unter die¬ sen — Paaren; denn das wurden sie nach der mütterlichen Sterndeuterei der Aberrazionen und Perturbazionen dieser Doppelsterne. — Der Vater, der die „Kopf- und Ohrenhängerei des „jetzigen jungen Volks“ gegen die Ehrensprün¬ ge seiner Kammeraden hielt, wurde an den Hauptmann gekettet, der sich als Regisseur sei¬ nes innern Theaters heute die Rolle eines fro¬ hen Jünglings zugetheilt hatte. Er gefiel ihm sogar durch die derben Redeblumen, die das verborgne Wehen von ihm losblätterte; denn da jedes Genie sein Grobians-Idiotikon, sei¬ ne Knittelverse haben muß: so hatt' er — an¬ dere haben den Teufel, den Henker, — den genialischen Handwerksgruß: Lump sammt den Derivativis Lumperei u. s. w. Aber wie noch hinreißender nahm Albano alle weibliche Her¬ zen durch die Stille weg, womit er wie ein ruhiger Nachsommer seine Früchte fallen lies. Die Eltern schrieben diese weiche Haltung dem Stadtleben zu, als wäre nicht Karl länger in diese Malerschule gegangen. Nein, die Liebe ist die italienische Schule des Mannes; und der kräftigere und höhere ist eben der höhern Zartheit fähig, wie auf hohen Bäumen sich das Obst milder und süßer ründet als auf nie¬ drigen. Nicht an unmännlichen Karaktern entzückt die Milde, sondern an männlichen; wie nicht an unweiblichen die Kraft, sondern an weiblichen. Der gute Jüngling! — So unschuldig lo¬ dert dir — indes Karl es allzeit leider deut¬ lich wußte, wenn sein Blick brannte und blitzte — aus den Augen ein glühendes Herz, das es nicht weiß! Möge dein Abend das Samen¬ korn einer blüthenvollen Jugend werden! Der Wagen rollet vor, dir ungewiß ob er ein Eli¬ as- oder Phaeton's Wagen wird, ob du durch ihn den Himmel erfliegst oder aus ihm fällst! 66. Zykel. Der Wagen flog durchs Dorf mit den vier jungen Menschen — wie thut unserm Jüngling die Weite des Himmels und der Erde wohl! Das Portal des Lebens, die Jugend, war mit Blu¬ men und Lichtern behangen. Sie rollten unten am Berge vor der Vogelstange vorbei, der Zeigerstange eines Knaben-Arkadiens, vor der Wiege, wo er kindlich-schlaftrunken nach dem hohen Himmel langte mit dem Knaben-Arm — und durch das ihm jetzt nur zu Gebüsch ge¬ sunkne sunkne Birkenwäldchen, das er an jenem gold¬ nen Morgen so breit und lang gefunden — und vorbei vor den östlichen ofnen Triumph¬ bogen, hinter denen das Meer des vielgestalti¬ gen Lilars seine Reize wogen ließ — und hin¬ ter der Bergmauer des Flötenthals schickten sie den Wagen zurück. Sie gingen auf einer herrlichen Erde un¬ ter einem herrlichen Himmel. Rein und weiß schwamm die Sonne wie ein Schwan durch die blaue Fluth — Fluren und Dörfer dräng¬ ten sich dichter an die fernen niedrigen Ge¬ bürge — ein sanfter Wind trieb die grünen Ähren-Wogen auf der Ebene umher — an den Hügeln ruhten Schatten unter den Schwin¬ gen weisser Wölkchen fest — und hinter den Gipfeln der Anhöhe zogen die Mastbäume der Rheinschiffe majestätisch weg. Wie Albano so nahe neben der Geliebten gieng, fiel das unter seinem Eden brennende Fegfeuer immer tiefer in den Erdkern zurück; voll Unruhe und Hofnung warf er das feurige Auge bald auf den Sommer, bald auf den milden Hesperus-Stern, der so nahe an ihm aus dem Titan II . M Frühlingsäther schimmerte. Die Gute schien heute stiller, ernster und unruhiger als sonst. Als sie durch ein überall ofnes Laubwäldchen am Hügelrücken, der das Flötenthal umzog, hingingen: sagte Liane plötzlich zum Grafen, sie höre Flöten. Kaum konnt' er sagen, er höre nur ferne Turteltauben: als sie auf einmal sich wie zu etwas Wunderbarem sammlete — ihr Auge in den Himmel heftete — lächelte — und plötzlich sich nach Albano umsah und roth wurde. Sie redete ihn an: „ich will aufrichtig „seyn, ich höre jetzt in mir Musik — Dieses Selbst-Ertönen — wie die Riesenharfe bei verändertem Wetter unberührt anklingt — ist in Migraine und andern Krankheiten der Schwä¬ che häufig; daher im Sterben; z. B. in Jakob Böhme schlug das Leben wie eine Konzertuhr seine Stunde von Harmonien umrungen aus. sehen „Sie mir heute meine Schwäche und Weichheit „nach; es kommt von gestern.“ — „Ich — „Ihnen?“ sagt' er heftig; denn er, um welchen in Krankheiten nur brennende Bilder stürmten, wurde zur Verehrung eines Wesens begeistert, zu welchem gleichsam aus seiner höhern W el in seinen Schmerzen wie goldne Sonnenstralen leise Töne reichen, die verhüllt durch die rauhe Tiefe gehen. Aber Liane, wie um sein Feuer abzuwen¬ den, kam auf ihre Freundinn Karoline und sagte: wie sie ihr an solchen Tagen und zumal auf diesem Spaziergange immer vorschwebe. „Anfangs sucht' ich sie auf, (sagte Liane,) weil „sie meiner Linda glich. Sie war meine Leh¬ „rerin, ob sie gleich nur einige Wochen älter „war als ich. Ihr frommer, strenger, uner¬ „schrockner Karakter und ihre Willigkeit, sich „freudig und stumm aufzuopfern, machte sie „sogar, wenn ich es so sagen darf, in den Au¬ „gen ihrer Mutter verehrungswürdig. Man „sah sie niemals weinen, so weich sie auch war, „blos um ihre Mutter immer heiter zu machen. „Wir wollten miteinander den Schleier neh¬ „men, um beisammen zu bleiben; ich würde „nicht alt werden, sagte sie, und ich müßte mein „kurzes Leben froh und ohne Sorgen, aber auch „in Zubereitung auf das andere verbringen. „Ach sie gieng selber voran! Die Nachtwachen M 2 „am Krankenbette ihrer Mutter und der „Schmerz über den Tod nahmen sie dahin. „Sie empfieng das heilige Nachtmahl, auf das „wir uns miteinander zubereiteten, im Sterben „allein. — Da gab mir der Engel diesen „Schleier, worin ich ihr einst folgen soll. — O, „gute, gute Karoline!“ — Sie weinte unver¬ hohlen und drückte bewegt Albano's Hand. „O „ich hätte nicht davon anfangen sollen! — „Dort kommt schon unser Freund; wir wollen „recht heiter seyn.“ — Sie waren jetzt durch ein hohes Gebüsche, das neckend die umherschweifenden Landschaf¬ ten auf- und zudeckte, nahe an die über das Flötenthal hereinschauende Thurmspitze gelangt, neben welcher eine einsame Kirche und Speners Wohnung lag und unten in der Ebene das ofne Dorf. Spener gieng seiner Schülerin, — nach Greisen-Sitte um andere unbekümmert — entgegen und ein junges Reh lief, ihm nach. Eine schöne Stelle! Kleine weiße Pfauen — freie Turteltauben — eine Bienenstadt mitten in ihrer Bienenflora— alles sagte den ruhigen Alten an, dem nun die ehrende Erde dient und der gleichgültig gegen sie, nur in Gott lebt. Er kam gegen die Erwartung eines kirchlichen Ernstes mit einem leichten Scherz über die bunte Reihe an und legte die segnenden Fin¬ ger auf Lianens Stirn, die seine Enkelin zu seyn schien, gleichsam eine zweite Baum-Blüthe im Spätherbst des Lebens. Sie steckte ihm töchterlich den Straus der Zwerg-Röschen an die Brust und gab sehr Acht, ob es ihn beson¬ ders freue. Sie lächelte ganz heiter und alle ihre Thränen schienen verweht; aber sie glich dem beregneten Baum unter der wiederlachen¬ den Sonne, die kleinste Erschütterung wirft den alten Regen vom stillen Laub. Der alte Mann erfreuete sich über die Theilnahme der jungen Leute und blieb mit ihnen auf der blühenden und lärmenden An¬ höhe, welche zwischen einer weiten Land¬ schaft und zwischen den reichbeladen ins Ely¬ sium hineinlaufenden Bergrücken thronte. Sie ließen ihn, da zu ihm wie zu einem der im Luftschif aufsteigt, die Töne der Erde nicht so weit nachreichten als die Gestalten, mehr re¬ den als hören, wie man Alte schonet. Er sprach bald von dem, worin sein Herz athmete und lebte; aber in einer sonderbaren halb theologischen halb französischen, Wolfiani¬ schen und poetischen Sprache. Man sollte von manches Schwärmers Poesie und Philosophie statt der Verbal-, Realübersetzungen geben, da¬ mit man sähe, wie die gold-reine Wahrheit unter allen Hüllen glühe. Spener sagt in mei¬ ner Übersetzung: „er habe sich sonst, eh' er das „Rechte gefunden, in jeder menschlichen Freund¬ „schaft und Liebe gemartert. Er habe, wenn „er inbrünstig geliebt wurde, zu sich gesagt, „daß er sich selber ja nie so ansehen oder lie¬ „ben könne; und eben so könne ja das geliebte We¬ „sen, nicht so von sich denken wie das liebende, „und wär' es noch so vollkommen oder so ei¬ „genliebig. Sähe jeder den andern an wie „er sich: so gäb' es keine feurige Liebe. Aber „jede fordere einen unendlichen Werth und „sterbe an jedem unauflößlichen deutlich er¬ „kannten Fehl; sie hebe ihren Gegenstand aus „allen heraus und über alle, und verlange eine „Gegenliebe ohne Gränze, ohne allen Eigennutz, „ohne Theilung, ohne Stillstand, ohn' Ende. „Das sey ja das göttliche Wesen, aber nicht „der flüchtige, sündige, wechselnde Mensch. Da¬ „her müsse sich das liebekranke Herz in die „Geber dieser und jeder Liebe selber, in die „Fülle alles Guten und Schönen, in die unei¬ „gennützige, unbegränzte All-Liebe senken und „darin zergehen und aufleben, seelig im Wech¬ „sel des Zusammenziehens und Ausdehnens. „Dann sieht es zurück auf die Welt und sin¬ „get überall Gott und seinen Wiederschein — „die Welten sind seine Thaten — jeder from¬ „me Mensch ist ein Wort, ein Blick des All¬ „Liebenden; denn die Liebe zu Gott ist das „göttliche und ihn meint das Herz in jedem „Herz.“ — — „Aber — (sagte Albano, dessen frisches „energisches Leben aller mystischen Vernichtung „widersträubte — ) wie liebt uns denn Gott?“ „Nie ein Vater sein Kind, nicht weil es das „beste ist, sondern weil es ihn braucht.“ Irgend eine uneigennützige Liebe muß ewig ge¬ „Und „woher, (fragt' er weiter,) kommt denn das „Böse im Menschen und der Schmerz?“ — „Vom Teufel“ sagte der Greis und mahlte un¬ unterbrochen mit verklärter Freude den Him¬ mel seines Herzens aus, wie es immer umge¬ ben sey vom all-geliebten All-Liebenden, wie es gar kein Glück und keine Gaben von ihm begehre, (die man nicht einmal in der irrdi¬ schen Liebe wünsche,) sondern nur immer hö¬ here Liebe gegen ihn selber, und wie es, indem der Abendnebel des Alters immer dichter um seine Sinne ziehe, sich im Lebens-Dunkel im¬ mer fester von den unsichtbaren Armen um¬ schlungen fühle. „Ich bin bald bei Gott!“ sagt' er mit einem Glanze der Liebe auf dem vom Leben erkälteten und unter den Jahren einbrechenden Gesicht. Man hätt' es ausgehal¬ ten, ihn sterben zu sehen. So steht der Mont¬ blanc vor dem aufgehenden Mond; die Nacht verhüllt seinen Fuß und seine Brust, aber der wesen seyn. Wie es ewige Wahrheiten giebt, so muß es auch eine ewige Liebe geben. lichte Gipfel hängt hoch im dunkeln Himmel, als ein Stern unter den Sternen. Liane hatte wie eine Tochter das Auge und die Hand nicht von ihm gelassen und jeden Laut schmachtend eingesogen; ihr Bruder hatt' ihn mit mehr Freude als Alban gehört, aber blos um den mystischen Heros ganz in den mimischen Berg Athos seiner Nachbildung reiner abzuformen, und Rabette hatt' ihn wie in einer Kirche unter gläubigen — Nebenge¬ danken angeschauet. Er entfernte sich jetzt ohne Umstände, um für seine Thiere zu sorgen, die er wie alles Unwillkürliche, z. B. die Kinder, wie aus der ersten Hand Gottes kommend liebte; alles sey göttlich, sagt' er, und nichts irrdisch als das Unmoralische. Er konnte keine Bienen schwe¬ feln, keine Blumen im Scherben-Käfig ver¬ dursten lassen, kein abgetriebnes, wundes Pferd ertragen und gieng vor einer Fleischbank nur mit schaudernden Gliedern vorüber. „Wollen wir, (sagte der Freund Karl,) den „herrlichen Abend auf der prächtigen Berg¬ „ straße einnehmen und Dein Donnerhäuschen „besehen und jeden Leidens-Kelch herunterwer¬ „fen in die Thäler hinein?“ — Welche magi¬ sche Nachbarschaft durchzogen sie nun auf dem gebognen Gebirge zum Donnerhäuschen! Zur Rechten gleichsam den Occident der Natur, zur Linken ihren Orient — vor ihnen das pran¬ gende Lilar in der Abendfeerei — der glänzen¬ den Rosana in den Armen liegend — Ähren¬ gold hinter Pappelsilber — und darüber den Himmel, gefüllt mit lebenstrunknen lärmenden Wesen — und der Sonnengott schreitet über seinen Abend weg und bückt sich ein wenig unter der Mitternacht, um in Osten das goldne Haupt zu erheben. Albano gieng an Lianens heiliger Hand voraus. „O wie ist alles so schön! „(sagt' er.) Wie rauschet die aufgeblätterte Welt¬ „karte mit langen Flüssen und Wäldern — wie „sonnen sich die Morgenberge in fester Ruhe — „wie steigen die Haine mit glühenden Stämmen „die Hügel hinauf — man möchte sich in die „rauchenden Thäler stürzen und in die kalten „glänzenden Wellen — ach Liane, wie ist alles „so schön!“ „Und Gott ist auf der Welt“ sagte sie — „und in dir!“ sagte er und dachte an das Wort des Greisen, daß die Liebe Gott meine und er im Herzen wohne, das wir ehren. Jetzt rollten ihm schon die großen Wogen entgegen, welche die Äolsharfe im Donnerhäus¬ chen schlug; und sein Genius flog vor ihm vorbei mit den Worten: sag' ihr darin dein ganzes Herz. Vor der kleinen Hütte der gestrigen Träu¬ me gieng sein stürmendes Herz auseinander; und Sonne und die Erde schwankten vor den wilden Thränen. Da er hineintrat mit ihr in den füllenden Rosenglanz der Abendsonne und in das Geistergetümmel der einsam mit¬ einander redenden Töne: so faßte er Lianens Hände und drückte sie wild an seine Brust und sank vor ihr ohne Laut und geblendet nieder — Flammen und Thränen flogen über Augen und Wangen — der Wirbelwind der Töne wehte in seine lodernde Seele — der milde Engel der Unschuld bückte sich weinend und bebend gegen den brennenden Sonnengott — und es schlängelte sich ein Schmerz wie eine bleiche Schlange durch die Rosen des milden Angesichts — — und Albano stammelte: Liane, ich liebe dich — . . . . Da kehrte die Schlange um und faßte und bedeckte die süße Rosen-Gestalt „O guter „Mensch, Du bist unglücklich, aber ich bin un¬ „schuldig.“ Sie trat erhaben zurück und zog schnell den weissen Schleier über ihr Gesicht herab und sagte außer sich: „liebst Du die Tod¬ „ten? Das ist mein Leichenschleier; im künfti¬ „gen Jahre liegt er auf diesem Gesicht.“ — „Das ist nicht wahr“ sagte Albano. „Karoline, „antworte ihm!“ sagte sie und sah starr in die brennende Sonne wie nach einer höhern Erscheinung. Fürchterliche Minute! wie bei dem Erdbeben das Meer wogt und die Luft fürchter¬ lich still ruht, so war seine Lippe neben der Verschleierten stumm und das ganze Herz ein Sturm — auf den Saiten wandelte eine seuf¬ zende Geisterwelt vorüber und der letzte endigte mit einem scharfen Schrei — die Schönheit der Erde verzerrte sich vor ihm und in das Abend¬ gewölk waren breite Feuerfahnen gepflanzt und das Sonnenauge schloß sich blutend zu. — — Auf einmal faltete Liane wie betend die Hände und lächelte und erröthete; da hob sie den Schleier von den göttlichen Augen und die Verklärte, vom Rosen-Wiederschein ange¬ strahlt, sah ihn zärtlich an — und schlug das Auge nieder — und hob es wieder auf — und senkt' es nieder — und der Schleier fiel wieder vor und sie sagte leise: „ich will dich lieben, „guter Albano, wenn ich dich nicht elend ma¬ „che.“ — „Ich sterbe mit dir, sagt' er, was „ists?“ — — Und nun verhülle die heilige Wolke den Sonnengott, der flammend durch seine Sterne zieht! — — Seine Einsamkeit und Lianens Auflösung so vieler Wunder wurden durch den Eintritt Rabettens und Karls verschoben, welche beide mehr gerührt als beglückt schienen, sie durch die tröstende Nähe des Geliebten, er durch die sonderbare Lage und durch den zwingenden Abend; denn gewissen Menschen geht ein Sturm nach und sie müssen die Schritte, die sie thun, wider Willen schneller machen. Als Albano wieder mit dem Friedensengel seines Lebens, mit der Geliebten, die mitten im Rauschen der Gefühle doch die Stimme ihrer Freundinn hörte, allein vorausgieng auf den Felsen-Damm zwischen duftenden Tempethä¬ lern in der dämmernden Welt: so war ihm als habe sich sein Leben wie ein Adler durch eine Sturmwolke durchgearbeitet und der schwarze Sturm laufe unter seinen Flügeln weiter und der ganze Sternenhimmel brenne hell über sei¬ nem Haupt. Liane, jungfräulich-edel und fest, gab ihm, eh' er eine Frage gethan, die Ant¬ wort: „Ihnen muß ich nun ein Geheimniß „sagen, was ich jedem und sogar meiner Mut¬ „ter verbarg, weil es sie beunruhigt hätte. „Ich erzählte vorhin von meiner unvergeßlichen „Karoline. Am Tage meines Abendmals, das „ich mit ihr empfangen wollen, gieng ich Nachts „von meinem Lehrer zur Mutter zurück, und „zwar durch die sonderbare lange Höhle, worin „man niederzusteigen glaubt, wenn man auf¬ „wärts steigt. Mein Mädchen gieng mit der „Laterne voraus. In der romantischen Laube, „wo ein Hohlspiegel steht, kehr' ich mich gegen „den hereinströmenden Vollmond, aus Furcht „vor dem wilden Spiegel, der den Menschen zu „grausam verzieht. Plötzlich hör' ich ein himm¬ „lisches Konzert wie nachher öfters wieder in „Krankheiten — ich denke an meine seelige „Freundinn — und schaue voll Sehnsucht in den „Mond. — — Da sah' ich sie mir gegenüber, „mit unzähligen Strahlen, — in ihren schönen „Augen war ein zärtlicher Blick, aber doch „etwas Auflösendes; der zarte, fast allein leben¬ „dige Mund glich einer rothen aber durchsichti¬ „gen Frucht, und alle ihre Farben schienen nur „Licht zu seyn. Doch nur im blauen Auge und „rothen Munde schien der Engel Karolinen „ähnlich. Ich könnt' ihn zeichnen, wenn man „mit Licht malen könnte. Ich wurde gefährlich „krank; da erschien sie mir öfter und erquickte „mich mit unsäglich-süßen Lauten — es wa¬ „ren keine rechte Worte — worauf ich immer „in einen sanften Schlaf wie in einen süßen „Tod versank. Einmal fragt' ich sie — mehr „mit innern Worten — ob ich denn bald zu „ihr ziehe ins Reich des Lichts. Sie antwortete, „ich stürbe jetzt nicht, sondern etwas später, „und sie nannte recht deutlich das künftige „Jahr und sogar den Tag, den ich aber ver¬ „gessen. . . . O lieber Albano! vergeben Sie „mir nur einige Worte! Ich genas bald und „trauerte über die lange schleppende Zeit..... “ „Nein — (unterbrach Albano sie, dessen „Gefühle wie Schwerter gegen einander schlu¬ „gen —) ich ehre, aber hasse Ihr gefährliches „Schreckbild. Phantasie und Krankheit sind die „Eltern des luftigen Würgengels, der wie ein „taubes Wetterleuchten sengend über alle Blü¬ „then der Jugend fliegt.“ Sie antwortete gerührt: „o du guter, „frommer Geist! du hast mich nie betrübt, du „hast mich stets getröstet, geleitet, froh und „fromm gemacht. — Ein Schreckbild ist er, „Albano? — Eben gegen alle Schreckbil¬ „der, gegen alle Geisterfurcht bewahrt er „mich, weil er immer um mich ist. Warum, wenn „er nur ein Traumbild ist, erscheint er mir nie „in meinen Träumen? Darum vielleicht, warum der Dichter seine so bestimmt und oft angeschaueten Geschöpfe, nicht in seinen Träumen unter den Bildern des Ta¬ ges gehen sieht. Warum kommt er nicht. „nicht, wenn ich will? Sondern blos in wichti¬ „gen Fällen; dann frag' ich ihn und gehorche „sehr gern. Er ist mir heute, Albano, (setzte sie „leiser und blöder hinzu) schon zweimal erschie¬ „nen, unterwegs als ich die innere Musik hörte, „und vorhin im Donnerhäuschen als die Sonne „untergieng, und hat mir liebreich geantwortet.“ „Und was sagt' er, Himmlische?“ fragte Albano unschuldig. — „Ich sah ihn unter¬ „wegs nur an und fragte nichts“ versetzte die Kindliche erröthend; und hier stand auf einmal ihre heilige Seele unwissend ohne Flor vor ihm; denn sie hatte im Donnerhäuschen von der un¬ sichtbaren Karoline das Ja zu ihrer Liebe em¬ pfangen, weil jene ihr Geschöpf war und die¬ ses ihre — Eingebung. Ja wohl Himmlische! du stehst vor dem Spiegel mit dem jungfräu¬ lichen Schleier über deiner Gestalt, und wenn dein Bild seinen leise hebt, glaubst du dich noch verhüllt! — Kein Wort spricht Albano's Verehrung eines so geheiligten Herzens aus, das ver¬ klärte Wesen so helle träumte — dessen goldne Blumen auf dem Gedanken des Todes, wie Titan II . N irrdische auf Gottesäckern, nur höher wuchsen — das zugleich mit ihm unsichtbare Hände in zwei ähnliche Träume Denn an seinem und ihrem Abendmahlstage hatt' er an ihren Tod durch das Gewitter ge¬ glaubt. gezogen — dem man sich schämte gemeine Wahrheiten zu geben für seine heiligen Irrthümer. — — „Du bist vom „Himmel, — (sagt' er begeistert und seine Freu¬ „de wurde die im Auge zerschmolzene Perle „die den Durst des Menschenherzens löscht —) „darum willst du wieder dahin!“ — „O Ich „weihe Dir, mein Freund, (sagte sie lächelnd- „weinend und drückte seine Hand an ihr from¬ „mes Herz) das ganze kleine Leben das ich habe, „jede Stunde bis zur letzten und vorher will „ich dich auf alles zubereiten, was Gott schickt.“ Eh sie in des frommen Vaters Hütte traten: griff Albano nach des Freundes Hand und die Schwestern vereinigten sich. Die Freunde gien¬ gen eine Zeitlang stumm voraus; Karl blickte Albano an und fand den Frieden der Seelig¬ keit auf seinem Angesicht. Als dieser sah, wie Liane das überfüllte Herz an das schwesterliche drückte: so wurde die Aufrichtigkeit und Freude in ihm zu stark und er fiel ohn' ein Wort dem lieben Bruder der ewigen Braut ans Herz und lies ihn stumm alles errathen aus den Thränen der Seeligkeit. O er hätt' es doch errathen aus dem bräutlichen Blick der Liebe, den seine Schwester von seinem Freunde selte¬ ner wegzog, und aus der Innigkeit, womit sie Rabetten — gleichsam als würden beide bald einander verwandt, als würde selber der Bru¬ der bald schöner sprechen, da er sie lange nicht mehr die kleine Linda hieß — an ihrem Her¬ zen einweihte für das brüderliche. Bei dem frommen Vater versteckte sich der entzückte Blick wenig, den Albano gleichsam unter dem Thore der Ewigkeit stehend in die Himmel warf, die wie Welten hintereinander schimmerten; er war still, sanft und in seinem Herzen wohnten alle Herzen. O liebe Eines rein und warm, so liebst du alle nach und das Herz in seinem Himmel sieht wie die wandelnde Sonne vom Thau bis zum Meere nichts als Spiegel, die es wärmt und füllt. Aber in Roquairol fuhr sogleich, als er das himmlische Glück so nahe sah, der aufrüh¬ rerische Geist seiner Vergangenheit und schlug epileptisch die Glieder des innern Menschen blutig — die unsterblichen Seufzer nach dem ewig fliehenden Frieden quälten ihn wieder, seine Fehltritte und Irrthümer und sogar die Stunden, wo er unschuldig litt, wurden ihm schmerzlich vorgerechnet — und da sprach er (und rührte jedes Herz, am meisten aber das der armen Rabette, das er sich zu erwärmen an sich preßte wie nach der Sage der Adler die Taube, der dann sie nicht zerreißet.) Da sprach er edel von der Wüstenei des Lebens und vom Schicksal, das den Menschen wie den Vesuv zum Krater ausbrenne und dann wieder kühle Auen darein säe und ihn wieder mit Feuer fülle — und vom einzigen Glück des hohlen Lebens, von der Liebe, und von der Ver¬ letzung, wenn das Geschick mit seinen Win¬ den eine Blume z. B. die Winterlevkoje. reibend hin und her be¬ wege und dadurch die grüne Rinde an der Erde durchschneide. — — Aber indem er so sprach, sah er die glü¬ hende Rabette an und wollte durch diese Er¬ wärmungen gleichsam die feste Blumen-Knospe seiner Liebe gewaltsam sprengen und die Blät¬ ter unter die Sonne breiten — o ganz glücklich war doch der Verworrene und Sehnsüchtige auch heute nicht und er wollte weniger andere rühren als sich. Wie seelig-ahnend traten sie wieder heraus vor die Sphinx der Nacht, welche lächelnd mit sanften Sternenblicken vor ihnen lag. Gien¬ gen sie nicht durch eine stille, dämmernde Un¬ terwelt, leicht und frei ohne die schwere, kleben¬ de Erde an den Füßen und im weiten Elysium flattert nur der warme Äther, weil ihn unsicht¬ bare Psychen mit ihren Flügeln schlagen? Und aus dem Flötenthale sendet ihnen der Greis seine Töne als süße Liebespfeile nach, damit das schwellende Herz an ihren Wunden seelig blute. — Albano und Liane kamen vor eine Aussicht, wo die weite Morgenlandschaft mit den Lichtstreifen von blühenden Mohnfeldern und mit dunkeln Dörfern an die sanften Gebir¬ ge hinanstieg, wo der Mond aufwachte und der Glanz seines Gewandes schon wie der ei¬ nes Geistes durch den Himmel streifte — hier blieben sie auf die Luna wartend stehen. Al¬ bano hielt ihre Hand. Alle Gebirge seines Le¬ bens standen im glühenden Morgenroth. „Li¬ „ane, (sagt' er,) so unzählige Frühlinge sind jetzt „droben auf den Welten, die herunter hän¬ „gen; aber dieser ist der schönste.“ — „Ach „das Leben ist lieblich und heute wird es „mir zu lieb“ — Albano (setzte sie leise da¬ „zu, und ihr ganzes Angesicht wurde eine er¬ „habne thränenlose Liebe und die Sterneweb¬ „ten und stickten ihr Brautkleid) wenn mich „Gott fodert, so lass' er mich Dir immer erschei¬ „ nen wie mir Karoline; o wenn ich dich nur „so durch dein ganzes liebes Leben begleiten „und trösten und warnen könnte, ich wünschte „gern keinen andern Himmel.“ Aber als er die Fülle seiner Liebe und den zürnenden Schmerz über den Todeswahn aus¬ sprechen wollte, so kam sein wilder Freund, der wie ein Vesuv Lava- und Regenströme zugleich über die gläubige Rabette ausgießend ihr und sich das Herz nur voller, nicht leichter gemacht; da sah Karl die verherrlichten Menschen an und den blauen Horizont, wo schon der Mond seinen Schimmer zwischen den festen Mastspi¬ tzen und Gipfeln vorauswarf und blickte wie¬ der in den Glanz der heiligen Liebe. — — Da konnt' er sich nicht länger halten, sein quaal¬ volles Herz stieg wie zu Gott, auf zu einem ewigen Entschluß und er umfaßte Albano und Rabette und sagte: Geliebter! — Geliebte! — behaltet mein unglückliches Herz! — Rabette umklammerte ihn mitleidig wie eine Mutter das Kind und gab ihm heis¬ weinend ihre ganze Seele hin. — Albano um¬ schloß staunend den Liebesbund. — Liane wur¬ de vom Strudel der Wonne an die geliebten Herzen gezogen. — Ungehört riefen die Flö¬ ten fort, ungesehen wehten die weißen Fahnen der Sterne darüber. — Karl sprach wahnsinni¬ ge Worte der Liebe und wilde Wünsche des Freuden-Todes. — Albano berührte bebend Lianens Blumenlippe wie Johannes Christum küßte und die schwere Milchstraße bog sich wie eine Wünschelruthe hernieder zu seinem goldnen Glück. — Liane seufzete: o Mutter, wie sind dei¬ ne Kinder glücklich.— Der Mond war schon wie ein weißer Engel des Friedens in das Blau geflogen und verklärte die große Umarmung; aber die Seeligen merkten es nicht. Wie ein Wasserfall überdeckte sie brausend das reiche Leben und sie wußten es nicht, daß die Flöten schwiegen und alle Hügel glänzten. Ende des zweiten Bandes.