Lienhard und Gertrud . Ein Buch fuͤr’s Volk . Dritter Theil . 1785 . Frankfurt und Leipzig . Vorrede . I ch fahre in meinem Buch, so wie in meinem Stillschweigen uͤber das — was es seyn soll — fort. Zufrieden, das Gefuͤhl rege ge- macht zu haben, daß Volksbuͤ- cher nuͤzlich — erwarte ich fruͤher oder spaͤther aͤhnliche Versuche. Diese werden dann den Werth des Meini- gen bestimmen, die Schwierigkeiten desselben enthuͤllen, und die Unmoͤg- lichkeit ins Licht sezen, allen Gesichts- * 2 Vorrede . punkten, welche sich mit einem solchen A, B, C Buch der Menschheit ver- binden lassen, in ihrer ganzen Ausdeh- nung ein Genuͤge zu leisten. — Ich komme indessen, indem ich mich dem Ende des Meinigen naͤhere, in den gewohnten Fall der Schulmeister, die erfahren, daß das P, Q den Kindern der Menschen nicht so leicht in den Kopf hinein will, als das A, B, C. Ich fahre aber in der Ueberzeugung, daß es in dieser Lage der Sachen nicht um mich, sondern um die Kinder, die buchstabieren lernen sollten, zu thun ist, in meiner Ordnung fort: will Vorrede . auch dem verwoͤhntesten Kind es nicht bemaͤnteln, daß es mit seinem A, B, C nichts thun und nichts machen kann, wenn es nicht bis zum T–Z fort lernt. Ich kann daruͤber den Namen eines guten Schulmeisters — verlieren — aber ich hielte es wider meine Pflicht, und meinen ersten Endzwek, darauf zu achten; und habe desnahen, ohne einige Aufmerksamkeit auf gewisse Kinder, die zu glauben geschienen, ich habe ihnen meine ersten Buch- staben blos zum Guggaus und Gugg- ein damit zu machen, dargeworfen, fortgefahren, mein A, B, C Buch * 3 Vorrede . also zu schreiben, wie es mir gut und brauchbar geschienen, sie buchstabie- ren zu lehren, und nicht ihnen zu helfen, Guggaus und Guggein zu machen. Geschrieben in meiner Einsamkeit, den 10ten Merz 1785. Lienhard und Gertrud. Dritter Theil . * 4 Innhalt . §. Blatt. 1. U eber das Predigen, aber nicht viel. 1 2. Bauernordnung und Menschensinn. 3 — Schulordnung und Bauernkuͤchlein. 12 3. Ein schoͤnes Zeugniß, daß das Mareylj ein braves Mensch ist. 16 4. Des Menschen Herz in drey verschiedenen aber gleich schlechten Modeln. 19 5. Weiberjammer und Mutterirrthum. 22 6. Ueberzeugung und Muthwillen in einem Mund. 25 7. Der Feuerheerd und ein gutes Weiber- wort. 28 8. Ein Reyhen schlechter Gesichter. 31 9. Vaterfreuden. 37 10. Folgen der Erziehung. 40 11. Eine Art Wiedergeburt. 44 Innhalt . §. Blatt. 12. Weiberkuͤnste gegen ein Weib. 46 13. Ein Lieutenant wird Dorfschulmeister; und einer schoͤnen Frauen wird ohnmaͤchtig. 56 14. Ein Großmuttergemaͤhld. 61 15. Das Menschenherz; und ein Hans, der gut und boͤs ist. 66 16. Ein Wort daruͤber, was die Bauern sind — wie und wo und wann sie zeigen, was sie sind — und was sie nicht seyn doͤrfen. 71 17. Dieses Gemaͤhld ist nichts weniger als Spaß, sondern ganz nach der Natur. 75 18. Worauf eine gute Schule sich gruͤnde? 79 19. Das Fundament einer guten Schule ist das gleiche mit dem Fundament alles Men- schengluͤks: und nichts anders als wahre Weisheit des Lebens. 82 20. Ein Werberstuͤk. 88 21. Danken muͤssen, thut alten Leuten allemal wehe; aber den Kindern ist es eine Freude. 92 22. Eine Bruderliebe, um die ich, wenn ich Schwester waͤre, nicht einen Pfifferling geben wuͤrde. 96 22. Was ist suͤsser, als Kinderfreude, und was ist reiner als Kinderguͤte? 99 Innhalt . §. Blatt. 23. Der Junker thut Vaͤterwerke, und macht Geißhirtenhuͤtten-Ordnungen. 106 24. Von Jugend auf zwey Bazen sparen. Ein Mittel wider den Ursprung der Verbre- chen, gegen die man sonst Galgen und Rad braucht. 114 25. Der Mensch verglichen mit der schoͤnen Natur. 120 26. Was ist Wahrheit, — wenn es nicht die Natur ist? 125 26. Das Andenken an eine Großmutter. 131 27. Das erste Hinderniß des Wohlstands und der bessern Erziehung der armen Kinder, — ihre eigne Muͤtter — oder schlechte Weiber. 133 28. Das zweyte Hinderniß der gleichen Sache; der Neid der Reichen. 135 29. Die Geschichte der Erloͤsung dieser Kinder aus der Hand ihrer Feinde, und aus der Hand ihrer Muͤtter. 139 30. Ein gutes Naturmensch, und ein auf die rechte Art geschuletes, neben einander, und hinter ihnen das Schiksal der Meisterka- zen, und ihrer Maͤnner Notharbeit. 143 Innhalt . §. Blatt. 31. Es ist in allem ein Unterschied. 149 32. Wenn die Milch kochet, und uͤberlaufen will, so schuͤtten die Weiber nur ein paar Tropfen kaltes Wasser darein. 153 33. Eine sonderbare Heyrathsanfrage 156 34. Wie sich der Mensch an Seel und Leib kruͤmmt und windet — wenn er etwas will, und meynt — er wolle es nicht. 160 35. Die Mitternachtstunde eines Vaters und eines Sohns. 162 36. Der Anfang der Morgenangst. 166 37. Ein Schaaf unter viel Boͤken. 169 38. Das reine landesvaͤterliche Herz meines Manns. 171 39. Seine Kraft wider das freche Laster. 175 40. Bettschwesterarbeit wird mit Hexenarbeit verglichen. 177 41. Wider die Hoffart und wider die Volksko- moͤdien vor dem Halseisen (Pranger.) 181 42. Wie, und wie weit Lumpenvolk, wenn es sich im Vortheil spuͤhrt, das Maul braucht? 186 43. Zwey Weiber messen ihr Maul mit einan- der, und die Kleine wird Meister. 190 Innhalt . §. Blatt. 44. Die Ueberwundene meistert jezt ihren Mann. 199 45. Folgen der Armuth, — und die Ungleich- heit drey gleich guter Weiber. 203 46. Das Kind eines Manns, der sich selbst er- henkt; — und ein Ausfall wider das Taͤndeln. 206 47. Noch einmal das Kind des Erhenkten. 213 48. Wie ein Hund dem Zug das Geleit giebt, und sich tapfer haltet. 215 49. Wahre Empfindsamkeit ist auf Seelenstaͤrke gegruͤndet. 219 50. Der Mittelpunkt dessen, was Arner ist. Sein Vatersinn, ohne den alles, was er thut, nichts anders als Romanenhelden- streiche seyn, und in unserer Welt nicht angehen wuͤrde. 222 51. Wer Kraͤfte hat, wird Meister. 225 52. Es ist im Kleinen, wie im Grossen. 228 53. Goldapfel, — Milchsuppe, — Dank- barkeit, — und Erziehungsregeln. 230 54. Der Namenstag eines alten Junkers. 235 55. Der Vatername. 240 56. Auch hierinn sind Grundsaͤze der wahren Volkserziehung. 242 Innhalt . §. Blatt. 57. Falschheit zerreißt alle Bande der Erde. 249 58. Man sezt Baͤume. 253 59. Von Volksfesten und vom Holzmangel. 257 60. Man muß im Innern hohen Adel haben, um ohne Gefahr Bauernleute so nahe an sich zu absizen lassen zu doͤrfen. 262 61. Scenen beym Mondschein, die sich mahlen lassen; — und ein blutiges Uebernacht- beten. 269 62. Der alte Junker will in kein Hornissennest hinein greifen. 274 63. Der neunzigste Psalm, und hinten darein ein Schulmeister, der stolz ist. 281 64. Schuleinrichtungen. 285 65. Fortsezung der Schuleinrichtung. 289 66. Gottes Wort ist die Wahrheit. 296 67. Um so gut zu seyn, als menschenmoͤglich, muß man boͤs scheinen. 301 68. Wer Rechnungsgeist und Wahrheitssinn trennet, der trennet was Gott zusammen- gefuͤgt. 305 69. Ein bewaͤhrtes Mittel wider boͤse luͤgen- hafte Nachreden. 310 70. Narrenwort und Schulstrafen. 313 Innhalt . §. Blatt. 71. Das Elend und die Leiden dieses Narren. 317 72. Allerley wunderliche Wirkungen, die vom Duͤrsten herkommen koͤnnen. 323 73. Hauptsachen fuͤr Leute, die sich einfallen lassen, sie koͤnnten ein Dorf regieren. 328 74. Fortsezung aͤhnlicher Hauptsachen fuͤr die gleichen Leute. 331 75. Ein Schritt zur Volkserleuchtung, die auf Fundamenten ruhet. 338 76. Vom Aendern alter Maschinen, und vom Aufweken von den Todten. 346 77. Gluͤk und Arbeit wider Teufelskuͤnste. 356 78. Vom Rathen, Helfen, und Allmosengeben. 364 79. Von der Wahrheit und vom Irrthum. 368 80. Allerley Narrenlohn. 377 81. Erziehung, und nichts anders, ist das Ziel der Schul. 385 — Eine Kinderlehre. 406 §. 1. Ueber das Predigen, aber nicht viel. W er zur Kirchethuͤr hinausgieng, sagte; das war auch eine Predigt! Es war naͤmlich eine, wie die so predi- gen, keine halten, und keine halten doͤrfen. — Denn das was sie auf der Kanzel sa- gen, und was man sie auf der Kanzel sa- gen lassen darf, ist in Formen und Model gegossen, in welchen es etwas ganz anders wird als die Lebensbeschreibung des Hum- mels — Ihr werdet vielleicht sagen; aber etwas bessers: ich aber will fortfahren. Es war dem Junker die ganze Zeit uͤber, da der Pfarrer redte, nicht als ob er Wor- te hoͤrte, sondern als ob sein Volk und sein Dorf ihm vor Augen stuͤhnde; und mit je- dem Wort, das der Pfarrer mehr sagte, A war dem Junker schwehrer, denn er sahe mit jedem Wort mehr, wie alles Boͤse das da ist, durch ein tausendfaches Band, mit allem was im Dorfe schwebt und lebt, al- so zusammenhange, daß Er einzeln nichts fruchtbahres dagegen ausrichten koͤnne. — Es war ihm wie einem Menschen der auf einer Leiter steht, und fuͤhlt daß der Grund und Boden unter ihm weicht — es er- schuͤtterte ihn, und darauf vertiefte er sich in Gedanken, daß er eine Weile nichts mehr hoͤrte, was der Pfarrer sagte — In die- sem Staunen entwikelte sich in ihm der Ge- danke, er muͤsse nothwendig die Umstaͤnde und Leuthe im Dorf naͤher kennen lehrnen; daͤnn werde es sich erst zeigen, was er an- fangen und wen er vielleicht doch noch, zum eint und anderen, was er auszurichten wuͤn- sche, brauchen koͤnne. Dieser Gedanke brachte ihn so zu sagen wieder zu sich selber, daß ihm vom uͤbrigen Theil der Predigt kein Wort mehr entgieng. So bald er dann heim kam, sagte er dem Pfarrer, wie es ihm in der Kirche ge- gangen; und dieser fiel im Augenblik auf den Baumwollen Meyer, und sagte, wann je ein Mensch im Dorf sey, der zu demje- nigen was er zur Absicht habe, Hand bie- ten werde und Hand bieten koͤnne, so sey es dieser Mann und seine Schwester, und erzaͤhlte ihm dann uͤber das Essen soviel von diesen zwey sonderbahren Leuthen, daß der Junker vor Sehnsucht, sie naͤher zu kennen, seine Suppe nicht geschwind genug essen konnte; und sobald sie vom Tisch aufstuhn- den, mit dem Pfarrer zu ihm hingieng. §. 2. Bauren-Ordnung und Menschensinn. E r saß eben mit einem Kind auf der Schoos vor seiner Hausthuͤre, sahe da bey seinem Brunnen unter einem blustvollen Apfelbaum seinen Kindern zu, wie sie mit andern Kindern aus dem Dorf sich lustig mach- ten; aber dachte an nichts weniger als daß die Herren, die er die Kirchgaß hinabkom- men sahe, zu ihm wollten. Erst da sie vor seiner Gartenthuͤr stille stuhnden, und der Pfarrer die Hand gegen den Riegel zustrekte, kam ihm in Sinn, es koͤnnte so kommen: da aber stellte er ge- schwind sein Kind ab, gieng mit seiner schnee- weissen Sonntagskappe in den Haͤnden, den Herren entgegen; sie wollten bey ihm auf dem schoͤnen Plaz vor dem Haus absizen — er aber sagte, es sey doch am Wind, A 2 sie sollten so gut seyn, und mit ihm in die Stube kommen. Seine Schwester war eben, wie es am Sonntag nach dem Essen ihre Gewohnheit ist, einen Augenblik entnukt (eingeschlum- mert) und lag mit Kopf und Haͤnden uͤber die Bibel auf dem Tisch — sie erwachte mit einem lauten Herr Je! — da die Thuͤr aufgieng; that aber doch nicht der- gleichen; drukte nur ein wenig ihre Haube wieder zurecht, ehe sie die Herren gruͤßte; und denn nahm sie eilend einen Schwamm vom gleissenden zinnernen Handbeken, wischte die Rechnungen, mit denen ihr Bruder den ganzen Tisch voll gekreidet, durch, und sag- te: es ist eine Ordnung bey uns, daß wir uns schaͤmen muͤssen Ihr Herren! — Ich wuͤßte nicht worinn, sagte der Junker: und sezte hinzu, streich doch nichts durch; dein Bruder brauchts vielleicht noch. Das Mareylj erwiederte: er kan’s ja wie- der anderst machen, und fuhr in seiner Ar- beit fort: sein Bruder aber sagte auch sel- ber, es habe recht, er mache manchmal den Tisch im Tag sieben mal so voll, und streiche alles wieder durch, wenn nur ein Kreuzer fehle, so wenig sey daran gelegen. Sobald der Tisch troken war, brachte es dann ein grosses weisses Tuch mit breiten Strichen, neue zinnerne Teller und silberne Loͤffel, Messer und Gablen; dann eine grosse schoͤne Hammen, (Schinken) und Kuͤchlein, schneeweiß von Zuker. Aber was machst du auch so viel Umstaͤn- de, sagte der Junker, wir kommen eben vom Essen. Ich glaubs wol, sagte das Meydlj; aber ihr muͤßt jezt einmal etwas von der Bau- ren Ordnung versuchen Ihr Herren! warum seyt ihr in ein Baurenhaus hinein gegangen. Das ist doch keine Bauren Ordnung, sagte der Junker: und drehete ein schweh- res silbernes Messer in der Hand herum. Wohl freylich ist das Bauren Ordnung, wenn’s einer hat und vermag, erwiederte das Mareylj. Arner laͤchelte und das Mareylj fieng da grad zu erzaͤhlen an: Jaͤ Junker! es war nicht immer so bey uns: da der Herr Pfarrer weißts wohl. Mein Bruder fieng mit 5 Bazen zu hausen an, und ich mußte, weiß Gott! baͤttlen, bis ich groß genug war, einen Dienst zu ver- sehen: so erzaͤhlte es seine Historj vom An- fang bis zum Ende. Sein Bruder wollte ihm’s zuerst abneh- men, und da er das nicht konnte, entschul- digte er ihns, daß es so schwaze; der Jun- A 3 ker aber sagte, er hoͤre nichts lieber als wie es braven Leuthen aufgegangen. Ich sah’s euch wohl an, sagte das Ma- reylj, sonst haͤtte ich auch schweigen koͤnnen; aber es thut einem auch so wohl, wann euer Gattung Leuthe einem auch das Maul goͤnnen moͤgen. Der Junker laͤchelte und fuͤhrte ihns wie- der drauf, wie es ihnen aufgegangen und wie sie es haben: und da es lange erzaͤhlt, sagte er dann: ob bey dem Verdienst, den die Leuthe jezt mit dem Baumwollen Wesen haben, nicht auch zu machen waͤr, daß sie auch hauseten, und es auch ihrer Mehrern so aufgieng? Das Wirthshaus muͤßte einmal aus dem Dorf weg, wenn man nur an das denken wollte, erwiederte hastig der Meyer. Seine Schwester sagte weitlaͤufiger: Seht Junker, es ist halt bey uns so — wenn einer nicht duͤrstet, so hungert er, und wenn er dann in’s Wirthshaus hinein kommt, und s’Kaͤsli und s’Wuͤrstli ihm vor den Au- gen ligt und in die Nase riecht, so sizt er in Gotts Namen zu, fangt an zu essen; wann er dann gegessen, so duͤrstet er eins, und so kommt dann eins nach dem andern, bis es morn am Morgen ist, und er das halbe was seine Leuthe die Woche durch ver- dient haben, sizen lassen; und wann er dann den Rausch ausgeschlaffen, so will er ent- weder wieder sauffen, oder am Spinnen von Weib und Kindern wieder erschinden was er verlumpet; denn gehet’s so Junker — ich will’s euch zeigen. Mit diesen Worten gieng es in seine Kam- mer, brachte einen ganzen Arm voll Garn, legt’s auf den Tisch, und sagte: Sehet Jun- ker! wie es dann geh’t: wenn die Maͤnner im Haus so leben, so werden die Weiber daheim und die Kinder bis in die Wiege hin- unter ein Lumpenpak — wie sie betriegen und bestaͤhlen mit wem sie zu thun haben, und bringen uns dann dergleichen Garn wie ihr da sehet, das voll Unrath und naß ist daß man’s koͤnnte auswinden, damit sie ei- nige Kreuzer dem Vater ableugnen, und, wie er, im Wirthshaus verthun und ver- sauffen koͤnnen. Sein Bruder sezte mit kurzen Worten hinzu — das Uebel ist, daß die meiste Leu- the bey uns keinen Anfang haben im Hau- sen. Der Junker erwiederte ihm: aber waͤren sie nicht dazu zu bringen, daß sie oder ein- mal auch die Jungen trachteten zu so einem Anfang im Hausen zu gelangen — Meyer. Es waͤre vielleicht wohl moͤg- A 4 lich, wenigstens koͤnnten sie es, wenn sie nur wollten; ich hab schon hundertmal ge- sagt, es waͤr einem jeden Spinnerkind so leicht als nichts moͤglich, auch seine 8 oder 10 Dublonen zusammen zu legen. Junker . Haltest du das fuͤr so leicht moͤglich? Meyer . Es braucht nichts anders als daß ein Kind von einem Gulden den es in der Wochen verdient, 6 Kreuzer oder 2 Ba- zen beyseits lege, und daß ihm jemand dann zu dem Geld Sorg trage, so waͤre das in seiner Ordnung. Junker . Aber koͤnnte ich etwas beytra- gen, daß das so kaͤme? Meyer . Ja freylich! wenn ihr so gut seyn wolltet. Junker . Wie so? Meyer . Wenn ihr z. E. einem jeden Spinnerkind, das so seine 10 Dublonen er- spahren wuͤrde, eh’ es seine 20 Jahr alt ist, etwa eine oder nur eine halbe Juchart Land fuͤr sein Lebtag Zehndenfrey lassen wuͤrdet, so wuͤrdet ihr mehr als etwas dazu beytra- gen. Der Junker ohne sich zu besinnen, sagte darauf: freylich wenn es damit geholfen, so soll es an dem nicht fehlen. Da der Meyer so von der Zehend Frey- heit redete, sahe das Mareylj dem Junker auf Maul und Augen; und da er so ge- schwind sagte, es soll an ihm nicht fehlen, stuhnd es vor Freuden hart an ihn zu, zupf- te ihn bey’m Ermel, und sagte: jaͤ Junker, wenn ihr einmal das thun wollet, so thut ihr einen grossen Gottslohn: — aber ihr muͤßt es nicht machen, wie mein Bruder da gesagt hat; es gehet sonst zu lang, ehe der Eifer in die Leuthe kommt, und ihr bekommt die aͤltern Kinder auf diese Weise gar nicht in euere Ordnung: denn die koͤnnen jezt bis sie 20 Jahr alt sind, nicht mehr soviel Dub- lonen zusammen bringen, und darum muͤßt ihr denen die den Zwanzigen nahe so Ze- hendfreye Aeker geben, wenn sie nur 2 bis 3 Dublonen zusammen bringen, und denn so steigen; je juͤnger sie sind je mehr Dublo- nen bis auf die so jezt 12 Jahr alt sind. Die und darunter koͤnnen dann richtig ihre 10 zusammen bringen. Der Junker staunte eine Weile uͤber alles was ihm diese Leuthe sagten — dann fieng er wieder an und sagte: aber wann die Leuthe im Dorf auf diese Weise mit dem Baumwollenwesen in Ordnung kaͤmen, wuͤr- den sie um deßwillen auch mit ihrem Bau- renwesen in Ordnung seyn? Der Meyer erwiederte ihm; einmal mehr als sonst. Junker . Glaubst du das? Meyer . Ganz sicher: denn fuͤr’s erste, ist ein jeder Mensch, der fuͤr irgend was in Ordnung kommt, fuͤr alles andere, was er sonst unter den Haͤnden hat, auch besser in der Ordnung: fuͤr’s andere, muß das Baumwollenspinner-Kind fuͤr das Bauren- wesen nur so weit in Ordnung kommen als es dasselbe treiben kann; und da wisset ihr wohl, das hoͤchste worauf sie kommen koͤn- nen, ist etwa zu einem Kuh-Heuwachs und ein paar Hausaͤker: die meisten muͤssen sich mit einem Garten, oder mit ein oder ein paar Puͤnten behelfen, und es koͤnnte sie doch nichts so sehr zu der Art Baurenwe- sen, wie sie eins treiben koͤnnen, aufmuntern und machen, daß sie es so weit treiben als immer moͤglich, als solche Zehendfreye Aeker. Der Junker erwiederte; noch einmal sey ihm alles daran gelegen, daß auch die aͤrmste Haushaltung sich nie ganz vom Landbau weglasse, sonder alles so viel es einem jeden moͤglich ist, neben seinem Hausverdienst auch noch etwas Herd baue. Das Mareylj sagte ihm darauf; wenn euch daran so viel liegt, so thaͤtet ihr dann gewiß wohl, wenn ihr die Spinnerkinder alle Jahr, etwa im Fruͤhling einmal und im Herbst einmal, mit ihrem Bauren G’schirr zu euch in’s Schloß kommen, und sie euere Puͤndten und Garten umgraben, und darein sezen, steken und austhun liesset, was noͤthig: ihr koͤnntet sie damit und mit einem dozend Brod und ein paar Zuͤbern Milch fuͤr das ganze Jahr, fuͤr das Landwesen, wie sie es treiben muͤssen, eifrig machen. Es nahm den Junker so ein, was diese Leu- the sagten; daß er beyde bey der Hand nahm und ihnen sagte: ich kann euch nicht genug sagen wie ich euch danke daß ihr mir so den Weg zeiget, wie ich eueren Dorfleuthen in Haus und Feld auf eine rechte Art die Hand bieten kann. Das freute die Leuthe, daß sie nicht wuß- ten was sie sagen wollten, und es gieng wohl ein Vater Unser lang, ehe sie ihm sag- ten: wenn sie nur etwas wuͤßten und koͤnn- ten, das ihm diente, so haͤtten sie keine groͤs- sere Freude als es nicht nur zu sagen, son- dern auch zu thun. Die Zeit uͤber da sie nichts sagten, sahen sie ihn unverwandt an, und das so innig vergnuͤgt wie nur ein herzlich dankbahres Kind seinen Vater ansiehet, wenn es ihm die groͤste Wohlthat erwiesen. Schul-Ordnung und Bauren-Kuͤchlein. Nach einer Weile sagte der Meyer wieder; wenn ich’s voͤllig uͤberlege so duͤnkt mich ihr kommet mit allem was ihr thun koͤnnet, doch nicht zu euerem Zwek wenn ihr nicht den Kerl, den man Schulmeister heißt, fortja- get, und entweder keine Schul, oder eine ganz neue Einrichtung darinn machet; Se- het Junker! es hat sich sint 50 Jahren so alles bey uns geaͤndert, daß die alte Schul- ordnung gar nicht mehr auf die Leuthe, und auf das was sie werden muͤssen, paßt. Vor altem war alles gar einfaͤltiger, und es mußte Niemand bey etwas anderm als bey’m Feldbau sein Brod suchen. Bey die- sem Leben brauchten die Menschen gar viel weniger geschulet zu seyn — der Baur hat im Stall, im Tenn, im Holz und Feld, sei- ne eigentliche Schul, und findet wo er geht und steht, so viel zu thun und zu lehrnen, daß er so zu reden ohne alle Schul das recht werden kann, was er werden muß — Aber mit den Baumwollenspinner-Kindern, und mit allen Leuthen die ihr Brod bey sizen- der oder einfoͤrmiger Arbeit verdienen muͤs- sen, ist es ganz anderst. Sie sind, wie ich es einmal finde, voͤllig in den gleichen Um- staͤnden wo die gemeinen Stadtleuthe, die ihr Brod auch mit Handverdienst suchen muͤssen, und wenn sie nicht wie solche wohl- erzogene Stadtleuthe auch zu einem bedaͤcht- lichen uͤberlegten Wesen, und zum Ausspiz- zen und Abtheilen eines jeden Kreuzers, der ihnen durch die Hand geht, angefuͤhrt wer- den, so werden die armen Baumwollenleuth, mit allem Verdienst und mit aller Hilfe die sie sonst haͤtten, in Ewigkeit nichts davon tragen, als einen verderbten Leib und ein elendes Alter — und Junker! da man nicht daran sinnen kann daß die verderbten Spin- ner-Elteren ihre Kinder zu so einem ordent- lichen und bedaͤchtlichen Leben anhalten und auferziehen werden, so bleibt nichts uͤbrig, als daß das Elend dieser Haushaltungen fortdauret, so lang das Baumwollenspinnen fortdaurt und ein Bein von ihnen lebt; oder daß man in der Schul Einrichtungen mache, die ihnen das ersezen, was sie von ihren Elteren nicht bekommen; und doch so unum- gaͤnglich noͤthig haben. Und jezt wisset ihr Junker, was fuͤr ei- nen Schulmeister wir haben, und wie we- nig er im Stand ist auch nur ein Quintli — wann die armen Kinder gut werden sollten, in sie hinein zu bringen. Er fuhr mit Hize fort zu sagen: Der Tropf weis minder als ein Kind in der Wiegen, was ein Mensch wissen muß, um mit Gott und Ehren durch die Welt zu kommen — er kan ja nicht einmal lesen — wenn er lesen will, so ist’s wie wann ein al- tes Schaaf bloͤket, und je andaͤchtiger er seyn will, je mehr bloͤket er: und in der Schul hat er eine Ordnung, daß einen der Gestank zuruͤkschlaͤgt, wenn man eine Thuͤre aufthut. — Auch ist sicher kein Stall im Dorf, darinn man nicht fuͤr Kaͤlber und Fuͤllen, die man erziehen will, weit besser sorget, daß das aus ihnen werde, was aus ihnen werden muß — als in unsrer Schul dafuͤr gesorgt wird, daß das aus unseren Kinderen werde, was aus ihnen werden sollte. — So redte der Mann der Erfahrung hatte in seinem Dorf. Seine Schwester gieng jezt einmal uͤber das ander in die Kuͤche; kam dann wieder in die Stuben, gleich wieder in die Kuͤche, und kaͤute immer an den Naͤgeln; denn sie hatte Lust dem Junker auch einen Kram von ihren Bauren Kuͤchlenen heim zu geben, und — dorfte es nicht und wollte — es doch — das machte sie an den Naͤglen kauen, und wiederkauen, bis sie endlich fand, sie doͤrfe es doch; er sey ja gar nicht wie ein andrer Junker, der es erwann uͤbel nehmen koͤnnte; — doch traute sie sich nicht voͤllig — sie stuhnd zu ihm zu — und sagte: wenn ihr einmal nicht der Junker waͤret, so muͤßtet ihr mir auch ein paar von meinen Kuͤchlenen eurer Frau zu einem Kram heim nehmen. Der Junker wußte es schon vom Pfarrer daß sie es allen Leuthen die zu ihr kommen, so mache; und sagte mit Lachen: aber weil ich jezt der Junker bin, so gibst du mir kei- nen? Herr Jesus! ihr nehmet es nicht uͤbel, sagte es da, und konnte sich fast nicht hin- terhalten vor Freude zu jauchzen: es sprang im Augenblik hinter den Ofen, nahm die zwey weissen Papier, die es schon zum vor- aus darfuͤr verborgen, hervor, pakte seine Kuͤchlj alle die auf dem Tisch sind, in zwey Kraͤm, einen fuͤr den Junker und einen fuͤr den Pfarrer, trug dann dieselben in einem neuen schoͤnen Koͤrbchen, das es mit einem weissen Tuch dekte, den Herren nach bis zum Pfarrhaus: Sie redten den ganzen Weg uͤber mit ihm, und hielten ihn’s noch im Pfarrhaus auf, bis der Junker wegfuhr. §. 3. Ein schoͤnes Zeugniß, daß das Mareylj ein braves Mensch ist. D enn da es heimgieng, traf es in allen Eken Leuthe an, die ihre Koͤpfe zusam- menstiessen und mit einander Rath hielten; und nahe bey seinem Hause einen ganzen Hauf- fen Kinder, die auch nicht so bey einander stuhnden wie Kinder bey einander stehen, wenn ihnen wohl ums Herz ist: und da es merkte was es war, schuͤttelte es den Kopf, sah’ ih- nen steif in die Augen, und sagte da sie ihn’s gruͤßten, zu ihnen: habt ihr gut Rath mit einander? Nicht so gar gut, antworteten die Kinder, und durften ihns fast nicht ansehen: sie waren naͤmlich in Aengsten wegen der Frey- tagsrechnung; denn der Junker hatte am Sonntag nach der Mittagspredigt verlesen lassen, daß am Donstag die Gemeindwayd vertheilt und am Freytag Jedermann der dem Vogt schuldig, mit ihm unter der Linden rechnen muͤsse; beyde Punkten machten vielen Leuthen im Dorf den Kopf groß; aber haupt- saͤchlich der lezte. Das Mareylj aber war kaum von den Kin- dern weg, so sagte eines, es sey doch auch sonst so gut, und es thuͤe ihnen vielleicht den Gefallen, Gefallen, und rede ihnen daheim zum Besten. — Die anderen waren im Augenblik alle der Meynung, und sagten, sie wuͤßten einmal wenn sie das ganze Dorf aussinnten, nie- mand der’s eher thaͤte, und es sey wie wenn es Gottes Wille haͤtte seyn muͤssen, daß es jezt ihnen just vor Augen kommen, und sie an ihn’s sinnen muͤßten. Sie machten nicht lang; das Mareylj hatte seinen Korb kaum hinter dem Ofen abge- stellt, so stuhnden sie ihm schon in der Stu- be; aber es durfte lang keines sagen warum sie da seyen; eines stupfte das andere und sagte ihm: brings doch du an: das Ma- reylj that als wann es nichts merkte, und sagte: was geht ihr guts aus mit einander? Auf das Wort hin zog das Huͤnerbethelj, das bey ihm zu stuhnd, ihn’s beym Fuͤrtuch, und sagte: wir sind in Gotts Nahmen in einem entsezlichen Kreuz, Mareylj! und er- zaͤhlte ihm denn ihren Jammer; hinter dem erzaͤhlen baten ihn’s denn alle: es sey doch auch seiner Lebtag so gut gewesen, und es solle doch um tausend Gottswillen sie auch jezt nicht verlassen, u. s. w. So — so — ihr seyt schoͤne Jungfern, nein, nein, wenn ihr nichts anders habet so koͤnnt ihr nur wieder gehen wo ihr her- gekommen; aus dem gibt’s gar nichts; es B geschieht euch nur der verdiente Lohn — euere Elteren moͤgen mit euch machen was sie wollen. Die Kinder aber bathen, heulten und fie- len fast vor ihm nieder, daß es doch so gut sey und es thuͤe. Es aber fuhr fort ihnen zu predigen was sie vor Leuthe seyen. Ihr armen Troͤpf, sagte es ihnen, in euerem Alter Saufschulden zu machen; sinnet ihr nicht daß ihr an Leib und Seel Gespenster werdet, und Kupfernasen und Traͤufaugen bekommt, ehe ihr fast aus- gewachsen? Ah! um tausend Gottswillen, sagten die Kinder, hilf uns nur auch dies mal, wir wol- lens denn gewiß unser Lebtag nicht mehr thun: Es sagte nicht Ja; aber es fieng doch an zu erzaͤhlen wie es seiner Zeit gewesen, wie Toͤchteren von ihrer Gattung auch Ehr im Leib gehabt, und in allem was sie gethan, Schaam gezeiget, und wie das junge Volk fruͤh und spaht war, aber wie jezt alles darauf umgehe, — mit aufrechtem Ruͤcken Brodt zu finden, mit muͤssiggehen und staͤhlen eine glatte Haut davon tragen wolle; aber wie kein Seegen dabey seye, und so eine Lumpen- und Diebs- haut bald aufhoͤre glatt zu seyn und alle Far- ben bekomme. So redte das Mensch wohl eine halbe Stund an einander; am End aber that es was sie wollten, versprach ihnen, mit ihren Eltern zu reden, wenn sie es ihr Lebtag nicht mehr thun wollten; und den Kindern wars nicht anderst als ob sie einen Berg ab dem Hals haͤtten, da es ihnen das versprochen. — Sie waren kaum fort, so hatte das Mareyli wieder nichts anders als den Junker im Kopf; es konnte seit dem er fort war an nichts an- ders denken als an ihn, selber da es ins Bett gieng, uͤber Nacht bettete, und mit seinem das walt Gott der Vater, der Sohn ꝛc. fertig war, hielt es noch einmal die Haͤnd zusammen und bettete noch: Mein lieber Gott, hilf auch dem Junker in allem was er vorhat — und darauf sagt es, ich will ihm einmal auch hel- fen so viel ich kann und mag; Amen, in Gotts Namen Amen: und mit diesem Wort legte es sich auch auf ein Ohr. §. 4. Des Menschen Herz in drey verschiednen aber gleich schlechten Modeln. A ber die Kinder waren nicht allein; es war wohl zwey und drey mal Aeltern eben so angst. B 2 Eine Menge Maͤnner und Weiber wußten seit dieser Mittagskirche nicht was sie thaten: Die Spekmolchin vergaß ihre Suppe zu salzen, und ließ das halbe Essen die Kaz fressen ohne daß sie es wehrte. Wo fehlts dir aber, daß du wie ein Narr thust? sagte ihr Mann der just dazu kam. — Sie murrte zuerst nur, statt zu antworten. — Eine Weile darauf besann sie sich, es sey besser, sie sag’s dem Ochsen, es muͤsse doch seyn. Ja, sagte sie dann, ich hab das Tuch da dem Vogt versezt. Der Spekmolch sperrte das Maul und Au- gen auf, und sagte was fuͤr ein Tuch? Du weisest wohl das an der Woͤsch! sagte die Frau. — Das ganze Stuͤk da, wo an der Woͤsch weggekommen? und wo du alle Dienst und alle Woͤschern in die unterste Hoͤlle hinab verflucht hast, daß sie es sollten gestoh- len haben; sagte der Mann, und wollte dann anfangen jammern, es seye doch schlimm, wenn man in seinem Haus seiner eignen Frau nicht mehr trauen doͤrfe. Aber das Weib stopfte ihm das Maul bald zu; sie hielt ihm sein achtzehnjaͤhriges uneh- liches Kind vor, das ihn manch Hundert mal mehr gekostet als das lumpen Stuk Tuch werth sey? Es trieb den armen Spekmolch von der ungesalznen Suppe zur Stube hinaus, da sie ihm so kam. Die Jooßlin war in gleichem Jammer; der elende Mantel ob dem sie so oft mit ihrem lieben Mann gezanket, daß ihn die Baͤttler, die bey ihnen uͤbernacht waren, gestohlen, war jezt leyder auch beym Vogt, und sie mußte es bekennen: der Mantel und das Ver- sauffen und alles thut mir nicht halb so weh als daß du alleweil mit mir gezanket und er- zwingen wollen, ich muͤsse glauben die Baͤtt- ler, die uns unser Lebtag nichts gestohlen, haben uns das gestohlen, sagte ihr Mann, da sie jezt so bekennte. Es thut einem auch so weh wenn einem ein Mann lieb ist, und er einen denn fuͤr eine Diebin haͤlt, sagte die Frau. Noch groͤsser als alles war der Jammer der Barbel, die den Nahmen hat, daß sie eine Fromme sey; sie konnte sint dieser Mittags- kirchen nicht mehr in der Bibel lesen, und nicht mehr in ihrem liebsten Baͤttbuch baͤtten; die heiligen Papyr liessen sie lange ohne Trost in ihren Noͤthen, — so sehr sie den Kopf daruͤber haͤngte und ihre Thraͤnen darauf hinabfallen ließ; endlich auf einmal war sie getroͤstet, es kam ihr in Sinn, sie koͤnne es leugnen; — und sobald sie im Kopfe hatte wie, rief sie ih- rer Dienstmagd und Mithalterin ihrer stillen B 3 ehrbaren Abendtruͤnken, aus der Kuche in die Stuben, wo sie eben fuͤnf Eyer zum Nacht- essen im Nydel schwang; — und sagte zu ihr, Gottlob; Gottlob! ich hoffe jezt der liebe Gott wolle die Schand von mir wegnehmen: Denk auch was mir der lieb Gott in Sinn ge- geben, weil ich ihn so angeruft hab; das alte Spinnerbabi heißt wie ich und wenn ich ihm das Geld in Sak und einen halben Gulden zum Lohn gebe, so gehets gewiß gern fuͤr mich unter die Linden, und sagt es sey die sieben Gulden schuldig — und der Vogt bringt mirs nicht aus; er hat mir mein Leb- tag nichts ausgebracht und hat gewiß auch nicht so ein gar boͤses Herz wie jezt alle Leuthe thun — ich will so bald es unter Licht ist, zu ihm und mit ihm reden. §. 5. Weiber Jam̃er und ein Mutter Irrthum. U nd morndes am Morgen, da das Mareyli zu den Eltern, deren Kinder gestern bey ihm gewesen, hinkam, jammerten ihm etli- che Muͤttern gar vielmehr uͤber diesen Frey- tag als ihre Kinder. Es hatte die Hauen auf der Achsel und that wie wenn es nur sonst ins Feld wollte; die meisten Elteren riefen ihm noch selber auf die Gasse hinaus, es soll auch in die Stube kommen, und es wußte die Sache so gut ein- zufaͤdlen daß die meisten Kinder ohne Ohr- feigen davon kamen. Aber die Caminfegerin hatte das Wasser in den Augen, so bald es nur das Wort Frey- tag ins Maul nahm und ehe es noch ihres Lisabethlis gedachte, sieng sie an zu heulen und sagte, sie stehe ins Gottsnahmen auch in der erschreklichen Rechnung und wisse ih- res Lebens nicht anzufangen; der Caminfeger schlage sie zu tod, wenn ers vernehme. Und die Lismer Gritte sagte fast die gleichen Wort wo die Caminfegerin; beyde bathen das Mareylj ohngefaͤhr um das gleiche was die Kinder; naͤmlich daß es doch um tausend Gottswillen mit ihren Maͤnnern rede. Es gab ihnen zuerst zur Antwort; das Zuchthaus waͤre besser fuͤr sie als sein Fuͤrwort; und es stehe ihm nicht an mit seinem zum Be- stenreden Schelmen zu pflanzen; am Ende thats doch was sie wollten. Aber zwey Schwestern die beym Creuzbrun- nen vor einander uͤber wohnen, (die eine hat einen Lindenberger und die andre einen Huͤgj;) sind bey diesem Anlaß wie erzgute Muͤtter ob ihren Kindern verirret. Die Lindenbergerin merkte, daß ihrer Schwe- B 4 ster Kind etwas im Kopf stekte und fragte ihns wo es fehle, daß es sint dem Mittag immer herum stehe wie wenn es nicht heim doͤrfe. Das Kind fieng im Augenblik an zu wei- nen, bekennte alles, und bath sie dann daß sie doch auch mit ihrer Mutter rede, es doͤrfe ihr nicht unter die Augen — u. s. w. Ich will freylich mit ihr reden und ihr sagen was du fuͤr ein Mensch bist, sagte die Linden- bergerin, stuhnd im Augenblik auf, sagte aber, ehe sie noch gieng, zum Kind; komm du mir nur nicht mehr ins Haus wann du so ein Kind bist, du koͤnntest mir meines auch noch ver- fuͤhren daß es wuͤrde, wie du. Mit dem gieng sie zum Haus hinaus und um den Brunnen herum zu ihrer Schwester — da traf sie, so bald sie die Thuͤre aufthat, ihr eignes Kind an, das voͤllig wie der Schwe- ster ihres daheim am Ofen stand und den Kopf haͤngte: — was thust du da, du Muͤs- stggaͤngerinn; es ist gar nicht noͤthig daß du den ganzen Tag da stehest, sagte sie im Au- genblik zu ihm, noch ehe sie nur ihre Schwe- ster gruͤßte. Das verdroß diese, daß sie auch vor dem Haus zu ihr sagte: es ist doch besser, es steke bey mir als im Wirthshaus. Was? sagte die Lindenbergerin, meynst du ich habe auch so ein Kind, das ins Wirths- haus geht und Saufschulden hat, wie du eins hast. Behuͤt mich Gott vor dem, daß ich so ein Kind habe; aber du hast einmal so eins, sagte die Huͤgin. Und die Lindenbergerin, ha — ich komm einmal eben jezt von deinem weg, das da- heim am Ofen steht und mich gebetten hat ich solle dir sagen, daß es am Freytag unter die Linde muͤsse. Ae mein Gott, sagte die Huͤgin, und zeigte mit der Hand gegen den Ofen; den Augenblik steht deines da zu, und bittet mich, daß ich es dir sage. So kamen die zwey Schwestern fast bis zum Zanken, ehe sie merkten, daß sie beyde wie gute Muͤtter ob ihren Kindern verirret. — Aber ich kan nicht alles erzaͤhlen; es gab fast in allen Haͤuseren dergleichen Auftritt, ob der armen Rechnung, die der Pfarrer am Sonntag in der Mittagspredigt verlesen muͤs- sen. §. 6. Ueberzeugung und Muthwillen in einem Mund… E s war nur Schad um seine Morgenpre- digt, die man ob diesem Mittagszedel vergessen; wie eine von den andern, die mit dem Woͤrtlin Amen zugleich vergessen und be- schlossen werden; und doch gieng am Mor- gen kein Bein zur Kirchenthuͤr hinaus das nicht davon redte; und von der Kirchenthuͤr bis Daheim uͤber das Mittagessen, bis es wie- der in die Kirche laͤutete, und sie in den Stuͤh- len sassen, gieng kein Maul davon zu. — Es war alles nur Eine Stimme, es sey wie wenn der Pfarrer sint 50 Jahren neben ei- nem jeden gestanden waͤr und alles gesehen und gehoͤrt, was im hintersten Winkel vorgefallen, so habe er alles sagen koͤnnen, wie es gewesen. Graue Maͤnner und graue Weiber wußten nicht genug zu ruͤhmen von der guten Zeit, von der der Pfarrer so viel geredt; und er- zaͤhlten hundert Geschichten vom Nachtschnei- den, und solchen alten Freuden, die jezt ab- gegangen, weil die Leuthe so boshaft sind; und konnten nicht genug sagen wie gut es ge- wesen, ehe das Baumwollenspinnen in’s Dorf gekommen, und das Land so verstuͤkelt und mit Leuthen uͤbersezt worden. Eine junge Renoldin kam so in’s Feuer uͤber die Predigt, daß sie uͤber Tisch sagte, sie wolle, noch ehe die Sonne unter, in’s Pfarrhaus lauffen, und wenn’s ein halb Jahr waͤhre, die Predigt abschreiben, damit ihre Kind und Kindskinder wissen wie es im Dorf zugegangen; sie sezte hinzu, es sey ihr die ganze Predigt auf’s Haar gewesen, sie hoͤre ihren Großvater wieder reden; so habe er hundert und hundert mal diese Sachen uͤber Tisch erzaͤhlt; und hundert und hundert mal ob dem brafen Vorgesezten, der sich da noch allein diesen Bosheiten wiedersezt, und aber ins Kaysers Landen sterben muͤssen, die hel- len Thraͤnen vergossen. Ihrer viele sagten, es nehme sie nur Wun- der daß er uͤber das Schloß und uͤber den alten Junker so viel habe reden doͤrfen. Andere sagten: der Junker lasse alles sa- gen, es moͤge auf Gottes Erdboden seyn was es wolle, wenn es nur wahr sey. Etliche behaupteten, es seye keine Pre- digt gewesen, und b’huͤt uns Gott darvor, es gaͤbe Mord und Todtschlag, wenn man so predigte. Es weist’s einer nicht, sagten andre; viel- leicht gaͤb’s weniger Mord und Todschlag und weniger Hurerey und Diebstahl, wenn man so auf der Canzel sagen doͤrfte, wo Mord und Todschlag, Hurerey und Diebstahl in einem jeden Dorf eigentlich hergekommen sind, noch herkommen und ferner herkommen werden. Das glaube ich, sagte ein junger Mann, von dem ich naͤchstens noch mehr reden werde; sie ist ja vom Anfang bis zum Ende nichts als eine Jagd auf allerley Gattung Menschen- woͤlf, die es in der Welt giebt: ihrer etliche pakten das Wort auf, und sagten, ja, das ist sicher wahr, und unser Lebtag hat niemand so viele und gute Huͤnde zu einer Jagd in’s Dorf gebracht; sie hielten die Nasen keinen Augenblik vom Boden, und sind immer auf der Spur geblieben, bis an’s Ende. Verzeihet ihr Leuthe der Bauren-Muth- willen — sie machen es so. §. 7. Der Feuerheerd und ein gutes Weiber- wort. D ie Gertrud schlug die Augen nieder und zitterte in der Kirche da der Pfarrer von ihr redte: und da sie heimkam sagte sie, sie wollte weiß nicht was geben, sie waͤre nicht in der Kirche gewesen. Aber warum jezt auch das? sagte der Ni- klaus. Haͤ der Herr Pfarrer hat da allerley gesagt das er haͤtte koͤnnen bleiben lassen, sagte die Mutter. Es ist doch recht gewesen, daß er gesagt, wie es der Hummel uns gemacht, und wie er den Vater und uns geplagt hat, sagte der Bub. Und Gertrud: Man muß das Boͤse ver- gessen, und Gott danken, wann es voruͤber: aber dann ist es einem am woͤhlsten, wenn Niemand viel von einem redet. Ich hab jezt gemeynt, es freue dich auch, sagte der Bub. Da laͤchlete sie. — Es scheint es freue dich doch, sagte wieder der Bub. Nein; du freust mich, sagte die Mutter. Den Lienert hingegen freute es wie seinen Buben, daß der Pfarrer so viel Gutes von ihr gesagt. Sie aber gab hieruͤber zur Antwort: Lie- ber! wenn’s Ruͤhmens gebraucht haͤtte, so waͤr’s in der alten Zeit gewesen, und da hat’s jedermann bleiben lassen; jezt mag ich dessen nichts mehr. Wenn ich nur dir auf meinem Heerd eine Suppe machen kan, wie du sie gern issest, und du dann heim kommst ehe sie ab dem Feuer ist, so meyn’ ich, ich hab alles was ich in der Welt wuͤnschen soll. Glaubet doch nicht ihr Leuthe! es moͤge sich nicht erleiden so etwas zu erzaͤhlen; es hat vielleicht lang kein Mann etwas gesagt, darinn so viel liegt, als in diesen guten Weiber-Wor- ten. Die Alten hielten den Feuerheerd im Haus fuͤr heilig und sagten: eine Frau, die bey ih- rem Feuerheerd viel an ihren Mann und an ihre Kinder sinnet, habe nicht leicht ein un- heiliges und ungesegnetes Haus. Aber es ist freylich in unsern Tagen sehr vergessen, was die Alten sagten: Wenn Gertrud auch nur Erdapfel hatte, so kochte sie so daß ihr Mann es ihnen ansehen mußte, er sey ihr nicht aus dem Sinn ge- kommen, da sie selbige ob dem Feuer hatte. Denket, was wird eine Frau uͤber ihren Mann vermoͤgen, der es der Suppe, die sie kocht, und dem Strumpf, den sie strikt, ansehen muß, daß er ihr nicht aus dem Sinn kommt, wann sie strikt und wann sie kocht. Der Lienert haͤtte ein Unmensch seyn muͤs- sen, wenn er bey einer solchen Frau so leicht, und noch so gar in den ersten 14 Tagen wie einige gemeynt, in sein altes liederliches Leben wieder gefallen waͤre; er ist zwar ein schwa- cher aber ein guter Mensch und jezt entsezlich froh daß er dem Hummel ab der Ketten, und des Wirthshauses los ist. — Er geht euch alle Morgen der erste an seine Arbeit; und noch vor den Sechsen, ehe er auf den Kirchhof muß, macht er eine Stunde oder zwey vorher allerhand in Ordnung, das er ehdem mit keiner Hand angeruͤhrt; er mistet den Stall, er melket die Kuh, grabt den Gar- ten um, spaltet Holz, thut alle starke Haus- werke fuͤr seine Frau, und ist bey dieser Mor- genarbeit noch so munter als den Tag uͤber auf dem Kirchhof; singt mehrentheils noch mit seiner Frau und mit seinen Kindern ihre Morgenlieder, und toͤnt oft ihre Weise fort, den ganzen Weg uͤber, bis er zu seinen Ge- sellen kommt. — §. 8. Ein Reyhen schlechter Gesichter. D a vergeht ihm aber denn meistens das Liedersingen bald; die Menschen haben uͤberhaupt wenig Tagsarbeit, bey deren man so fortsingen kan; und die sind schon gluͤklich die nur am Morgen und Abend mit frohem Herzen singen. Des Lienerts sein Tagwerk ist nichts we- niger als leicht: Er hat jezt 9 Gesellen und 8 Tagloͤhner, und mit diesen leztern fast alle Stund Verdruß; mit den Gesellen aber die fremd sind, und wissen was im Land der Brauch und Recht ist, nicht den Zehnden so viel. Aber die Tagloͤhner meynen gar, es sey alles recht, was sie thun; da sie aus seinem Dorf sind, kennen sie ihn und wissen daß er zu mitleidig, sie so leicht aus der Arbeit zu schi- ken. — Auf diese Rechnung hin thun sie was sie wollen, und machen ihm einen Verdruß nach dem andern; ihrer etliche sind wie wenn sie eine Freude daran haͤtten, wenn nur alles viel kostet, und drauf und druͤber geht was nur moͤglich: dem Kriecher hat er vom er- sten Tag an einmal uͤber das andere gesagt; er solle doch den Kalch spahren und das Pfla- ster nicht so fett anmachen; der Grund ist, weil man den Kalch wohl 7 Stund uͤbers Gebirg herfuͤhren muß, und ein jedes Faͤßlj bis auf 3 Gulden kostet. — Aber er konnte lang sagen; der Kerl ar- beitete den Kalch, daß die Maurer alle Au- genblik ganze Schollen, manchmal so groß als ein Baumnuß, lautern unvergangnen Kalch darinn fanden. Der Lienert wußte sich nicht anderst zu hel- fen, als ihn und noch einen von dieser Ar- beit wegzuthun, und an eine andere zu stel- len; dafuͤr brauchten sie dann hinter ihm das Maul, hiessen ihn Wohldieners-Ungluͤks- stifter und Egyptischen Treiber; brummten unter einander daruͤber wie Baͤren, und sag- ten es gehe ihn nichts an, der Junker werde noch Junker bleiben wenn er das Faͤßlj Kalch, das er aus ihnen herausschinden wolle, schon minder habe. Der Meister haͤtte sie gradzu wegschiken und nicht an eine andere Arbeit stellen sollen die die Teufelsbuben verderben jezt ihm aus Raach doppelt so viel, und es ist als ob sie nicht ab dem Kirchhof wegkoͤnnten, ohne daß sie einen Laden mit den Schuhen ab einander tretten, oder ein Stuͤk Holz unnuͤz gemacht, oder sonst etwas dergleichen gethan. Aber dann sind es diese noch nicht allein, von denen er Verdruß hat. Der Ruͤtj Marx thut zu allem was er angreifen muß, so lahm, daß wenn er etwas in die Hand nimmt, im- mer 3 oder 4 die Haͤnde still halten und den Narren angaffen. Er und der Kriecher sind aber doch auch die schlimmsten, und glatterdings zu nichts nuz, als etwa einen leeren Korb oder einen Nagel oder ein Seil einem andern zu bringen: der dann den Korb ausfuͤllen, den Nagel ein- schlagen und das Seil anbinden kann, wenn er will. Sie sperbern auch den ganzen Tag auf sol- che Gattung Arbeit. Dann aber uͤbergehet dem Lenk auch sicher die Galle; wenn er sie so etwas auf den Muͤs- siggang einrichten siehet; und es ist dann noch, wie wenn er allemal dazu kommen muͤßte; und das macht ihn so haͤßig, daß er selber nicht mehr arbeitet, wie vorher, und daß er erst neulich zu ein paar andern gesagt: sie seyen wohl Narren, daß sie sich so angreifen moͤ- C gen; die so an Haͤnd und Fuͤssen wie lahm und den ganzen Tag herumstehen und den Maulaffen feil haben, bekommen den gleichen Lohn wo sie. Es ist auch zum Rasend werden wie sie es machen; vor kurzem rief ein Maurer dem Kriecher vom Geruͤst herunter, ob er keine Schnur (Bindfaden) bey sich habe; der Krie- cher schlupfte im Augenblik unter den Pfla- sterkorb, den der schon am Buckel hatte, her- vor, suchte in allen Saͤken, ob er nicht et- was finden koͤnne das einem Schnuͤrlein gleich saͤhe; und das er anstatt des Pflasterkorbs die Stege (Treppe) hinauf tragen koͤnnte: Er fand auch wirklich etwas dergleichen, nahm es im Augenblik in beyde Haͤnd und trug es also Schritt vor Schritt die Stege hinauf an eben den Ort wo er den Pflaster- korb hintragen sollen. Der Lienert stuhnd eben neben ihm zu, da er seinen Korb abstellte und mit dem Schnuͤrli in den Haͤnden fortgieng. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er den Pflasterkorb selber auf die Achsel, und trug ihn ihm auf dem Fuß nach. Wer seines Wegs fortgieng und nicht der- gleichen that als ob er nur denkte daß je- mand hinter ihm hergieng, das war der Kriecher. — Er haͤtte ihn auch sicher bis an Ort und Stell so hinter ihm her fortspazieren und den Korb nachtragen lassen, wenn ihm nicht ein Maurer ab dem Geruͤst zugeruffen haͤtte, ob er sich nicht schaͤme, den Meister so hin- ter ihm her den Pflasterkorb hinauftragen zu lassen, und ihm demselben nicht abzunehmen; da kehrte er sich doch nach einigem Brum- men, er habe ihn doch nicht gesehen, und geglaubt es pressiere mit dem Schnuͤrli, um, und wollte ihm denselben abnehmen, aber er gab ihn ihm nicht, und sagte: wenn du nicht ein Muͤssiggaͤnger waͤrest, so haͤttest du ihn unten wieder nehmen und mit samt dem Schnuͤrli hinauftragen koͤnnen. Der Kriecher gab zur Antwort: ich meyn’ ich thue meine Sache so gut als ein andrer, und schnurrte von ihm weg. Auch der Lehmann steht die halbe Zeit, herumzuschauen wo die Voͤgel herumfliegen; und wenn der Sigrist, oder der Todtengraͤ- ber, oder sonst ein altes Weib uͤber den Kirchhof gehet, so hat er allemal etwas ganz nothwendiges mit ihnen zu reden. Der Marx, der stihlt gar, und es ist kein Nagel, kein Seil, und sonst nichts bis auf die Spekschwarten, vor ihm sicher. Einmal als er sein Brod aus seinem Schnappsak herausnahm, war es schnee- C 2 weiß; der Maurer Jakob, der ehrlichste un- ter des Lienerten G’sellen, saß eben bey ihm zu und sagte ihm: Marx, Marx, es ist gar kein gutes Zeichen, wenn einem Maurer das Brod im Sak weiß wird. Warum, warum? sagte der Marx. Haͤ — es mahnet einen so stark an’s Kalch stehlen, sagte der Jakob. Ich hab einmal keinen gestohlen, sagte der Marx, und ward nicht roth; denn was schwarz und gelb ist, wird nie roth. Der Jakob fuhr fort und sagte: es wird dir gewiß von den Erdapfeln, die du im Sak hast, so weiß worden seyn. Einmal nicht vom Kalchstehlen, erwieder- te der Marx — Und der Jakob sah ihn da nur an, und machte doch daß ihm das Herz klopfte, und er sichtbahr erschroken hinzusezte: es ist Maͤhl im Sak gewesen; er hatte aber die Hand mit dem Brod noch im Wasser da er das sagte, und der Maurer fieng noch einmal an, und sagte: du must doch foͤrchten, der- gleichen Maͤhl brenne uͤber den Magen, daß du es so waschest. Ich mags einmal nicht essen wie eine Sau, sagte der Marx; und der andere, du hast gar recht, dergleichen Maͤhl koͤnnte wirklich eine Sau toͤden, wenn sie nur ein wenig zu viel davon essen wuͤrde. Solche Leuthe hatte der Lienert den Tag uͤber um sich; doch auch andre; mit den mei- sten G’sellen war er vollkommen zufrieden, und von den Tagloͤhneren machten ihm auch etliche dann und wann Freud. §. 9. Vater-Freuden.. A ussert dem Michel, den er allenthalben brauchen konnte war ihm keiner so lieb als der junge Baͤrr; dieser sang und pfiff immer bey seiner Arbeit, wenn ihm auch der Schweis tropfenweis von der Stirne lief. Ihrer viele konnten das nicht an ihm lei- den, und der Lenk sagte einmal beym Abend- brod ihm in’s Gesicht, er koͤnnte mit seinem Singen und Pfeiffen wohl warten bis er auch ein ganzes Hembd haͤtte; aber der Baͤrr pfiff sein Lied nur desto laͤuter, denn er hatte der- gleichen Sachen nicht gern im Kopf wie der da sagte: erst da das Lied aus, brach er noch einen Mundvoll ab, sagte ihm dann: meynest du etwann es mache einem die Hembder ganz, wenn man nicht pfeiffe. Es spahrte keiner wie er, den Taglohn, und keiner sprang so mit ihm heim, ihn seiner Frauen zu bringen und zu zeigen. C 3 Den ersten Samstag war er ausser Athem und konnte es fast nicht zu Worten bringen, da er ihr die Hand aufthate, und den Tha- ler, der von Schweiß ganz naß war, ihr zeigte: — Gaͤll Frau! so hundert, dann waͤr ich ein brafer Mann — — Wenn nur so zehen zu einander kommen, so bin ich zufrieden, sagte die Frau; und er — du must auch einmal etwas recht gutes hoffen; denn nahm er ihr den Bub ab, den sie auf dem Schoos hatte, und ritt mit ihm auf allen Vieren in der Stube herum. Der Lienert ritt mit seinem nicht so auf allen vieren; er war zu alt dafuͤr; aber er hat eben soviel Freud mit ihm. — Er zeigte ihm wann er am Abend heim kam allemal etwas von seinem Handwerk; jezt machen sie sint etlichen Wochen den Thurn zu Babel, wie er in der Mutter ihrer Kinderbibel abge- mahlt ist, aus einem Haufen Laim mit ein- ander in der Stube — es hat ihnen fast gar nicht gerathen wollen, und sie mußten manche halbe Nacht daran probieren, wie breit unten die Treppen seyn muͤsse, wenn sie so zwanzig mal um den Leimhaufen her- umgehen und oben sich mit ihm ausspizen muͤsse; und viel anders mehr. — Er lehrte ihn rechnen was es zu den Sachen braucht, wieviel Kalch und Stein und Sand es zu einem Klafter heischt wenn es so oder so dik ist. — Er lehrte ihn das Bleymaas, das Richtscheit und das Winkelmaͤß brauchen, und zeigte ihm den Vortheil der Steinen wenn sie dik — oder duͤnn — glatt oder hokericht. — Erst vor kurzem kaufte er ihm eine Pflaster- kellen, und ein Fuͤrfell — ich darf wohl sa- gen, die Freude eines Koͤnigs Sohns ist nichts dagegen, wie es Niklaus freute, daß er ein Fuͤrfell und eine Pflasterkelle bekam. — Er nahm einen Gang an, die Stube hinauf und hinunter, wie wenn er schon ein Maurergesell waͤr, und sprang daun im Fell einsmal uͤber das andere zu Vater und Mutter, nahm sie bey der Hand und Rok, sagte alle Augenblik, er wolle auf der Welt thun und machen was sie wollen, wenn sie ihn nur auch bald auf- dingen; der gute Vater wußte nicht was er machte, so nahm ihn das ein, und er konnte seine Thraͤnen nicht hinterhalten, da er ihn jezt auf die Schoos nahm und zur Mutter sagte, wenn ich nur auch noch erlebe, daß er ein rechter Meister wird so will ich denn gern aus der Welt, wann’s Gottes Wille ist. Gertrud drukte dem Vater die Hand und hatte auch Thraͤnen in Augen, da sie sagte, er wird’s wills Gott werden. Aber der Niklaus meynte, das sollte jezt C 4 nicht seyn: Er saß eben dem Vater auf der Schoos, und faßte mit der einen Hand ihn und mit der andern die Mutter um den Hals und fieng so zwischen ihnen beyden auch an zu wainen. — Sie wollten jezt gern aufhoͤren, aber sie konnten nicht, druͤkten ihn mit ihren Koͤpfen gegen einander und sagten ihm, sie wainen nur vor Freuden, und er gebe wills Gott, ein brafer Meister. Er aber ward nicht bald wieder froͤlich — und nahm seine Pflasterkelle eine Weile nicht mehr vom Boden auf. — §. 10. Folgen der Erziehung. S ie hat alle Tage fast bis zu Nacht des Ru- dis Kinder in ihrer Stuben; an den meisten Abenden trift er, wenn er von der Arbeit heimkommt, sie noch bey ihr an. Aber es kann Niemand glauben was sie fuͤr Muͤhe mit ihnen hat; sie sind an gar keine Ordnung und keine anhaltende Anstrengung gewoͤhnt, und haben ihre Augen, wenn sie sie sollen auf dem Garn halten, immer in den Luͤften; und so wird es immer bald zu dik bald zu duͤnn, und nie recht. — Es wird auch nie keine Lehrarbeit recht, wenn ein Kind die Augen nicht steif darauf haltet, bis ihm der Griff da- von in die Hand kommt; und dieser Griff kommt allen Kindern, die nicht wohl erzogen, gar schwehr in die Hand. Und denn fuͤhrt eins zum andern; — wenn sie denn ihr Garn so verderbt, zehrten sie noch ganze Haͤnde voll davon ab, warfen es fort in Bach, zum Fenster hinaus, und hinter die Haͤaͤg; aber Gertrud, die ihnen alle Tag ihre Arbeit wiegt, fand den Fehler gar bald, und fragte die Kinder wie das komme; — sie woll- ten laͤugnen: Aber der Gertrud Heirlj sagte dem Liselj, du mußt jezt nicht laͤugnen; ich hab es ja gesehen, wie du aufgestanden, und es zum Fenster hinaus gethan hast. — Weissest! ich hab dir ja gesagt, die Mutter merke es — aber du hast mir’s nicht geglaubt. Dieses Liselj war aber auch das unartigste von allen, es sagte die schlechtesten Worte von der Welt; selber uͤber die gute Frau, um sei- nen Geschwisterten die Arbeit und Ordnung, zu der sie sie anhielt und die ihm zur Last war, auch zu erleiden. Es war ihm gar nicht zu viel zu sagen: sie muͤssen sich ja fast zu tod spinnen, und sie seyen doch jezt reich; es wollte gern, sie haͤtten es nur, wie da sie noch nichts hatten; sie haben doch auch koͤnnen ruhig ausschlafen, und nicht alle Tag so muͤssen angespannt seyn wie arme Huͤnde; und mit der Arbeit war’s immer wie wenn nichts in ihn’s hineinwollte: bald drehete es das Rad so lahm, daß der Faden ihm in der Hand von einander fiel; denn einen Au- genblik darauf wieder so stark, daß das Garn so krauß wurde wie geringeltes Roßhaar. Wenn ihm Gertrud etwas sagte so weinte es so lang sie da stuhnd, und murrete wenn sie den Ruͤken kehrte; und denn that es noch den andern zu leid und verderbte ihnen an ih- rem Garn und an den Raͤderen was es konnte, damit sie nicht fortkommen wie es. Kurz, sie richtete nichts mit ihm aus, bis sie die Ruthe brauchte, da lehrte es sizen und spinnen, und sein Garn bessert seitdem in ei- nem Tag mehr als sonst in acht. Ihr Heirlj wollte es diesen Kindern von Anfang her immer zeigen, wenn sie es nicht recht machten. Da sie aber groͤßer waren als er, sagten sie ihm zuerst nur, du kleiner Pfu- ker, was wolltest du wissen: — aber sie nah- men’s doch von ihm an; er war gar gut, und munterte immer wer rechts und links ne- ben ihm saß, auf; und wenn eines auch nur ein wenig saur drein sahe oder das Maul haͤng- te, weil es nicht gehen wollte, sagte er zu ih- nen; ihr muͤßt nicht so Augen machen, und nicht so ein Maul, ihr lehret es sonst noch viel laͤnger nicht. Die Kinder lachten meistens wenn er so et- was sagte; dann fuhr er fort; — Mey! — wenn ihr es dann koͤnnet, so ist es lustig und geht wie von ihm selber. Ja es wird schoͤn von ihm selber gehen, sagten die Kinder — und der Heirlj — wenn man doch kann die Augen zuthun und fortspin- nen und recht, so meyn’ ich — es gehe denn doch fast von ihm selber. — Aber kannst du die Augen zuthun und fort- spinnen? sagten die Kinder. Das kan ich, sagte der Heirlj, und da sie es ihm nicht glaubten sagte er: wartet nur bis die Mutter aus der Kuche im Garten ist, so will ich’s euch denn zeigen — dann stuhnd er, so bald er die Gartenthuͤr gehen hoͤrte, auf, ließ sich die Augen steinhart bey seinem Rad verbinden, nahm stokblind den Treiber und den Floken in die Hand und trieb das Rad so munter, wie wenn er beyde Augen offen haͤtte. — Die Kinder, die um ihn herstuhnden, sag- ten alle — das ist doch auch! das ist doch auch! und haͤtten ihm bis zu Nacht zugesehen wie er so blind spinne; — aber an 3 Floken so wegspinnen, hatte er genug, und schuͤttelte die Binde wieder ab — da sagten die Kinder zu ihm, aber sag jezt auch, lehrnen wir’s auch so? Warum auch das nicht, sagte der Heirlj; ihr habt ja auch Haͤnde und Augen wie ich; und dann sezte er hinzu, ich hab zuerst auch geglaubt, ich koͤnne es fast nicht lehrnen, aber da ist es mir einsmals gekommen, ich hab fast nicht gewußt wie: aber ihr muͤßt mit den Au- gen dazu sperbern wie wenn ihr Sommervoͤgel fangen wolltet. Dieses Spiel, und was er dazu sagte, machte die Kinder muthiger und eifriger ob ihrer Arbeit. Ob sie wollten oder nicht, sie mußten spin- nen lehrnen: Gertrud liesse sich keine Muͤhe dauren; sie verglich ihr Garn alle Tag vor ihren Augen; zeigte ihnen den Unterschied vom Morgen-Garn und vom Abend-Garn, und vom gestrigen und vom vorgestrigen; wenn nur ein Faden darinn schlechter war, nahm sie ihn uͤber den Finger und hielt ihn ihnen vor Augen. §. 11. Eine Art Wiedergeburth. S o viel thut sie an den Kindern; aber sie thut an derselbigen Vater nicht minder; Tag fuͤr Tag kommt sie ihm in’s Haus, und wo sie im Stall, im Tenn oder sonst etwas nicht in der Ordnug findet, so muß es ihr recht seyn und in der Ordnung ehe sie wieder zum Haus hinausgeht; das macht den Rudj so eif- rig daß er allemal vor den Neunen, um wel- che Zeit Gertrud mehrentheils ihm in’s Hauß kommt, in allen Eken herumlauft, daß sie nichts in Unordnung finde. Er thut noch mehr; er macht sich jezt auch selber wieder in die Ordnung, straͤhlt sich mehr und kleidet sich besser, haut den Bart zu rechter Zeit ab, und scheint sich juͤnger als vor sechs Wochen: seine Stube, die ein schwarzes Rauchloch ge- wesen, hat er jezt ganz geweißget und die Loͤcher in der Wand glatt uͤberstrichen; und am lezten Markt hat er so gar 10 kr. Helgen (Bilder) gekauft, alle mit schoͤnen Farben: den Heyland am Creuz, die Mutter Gottes mit dem Kindlein Jesu, den Nepomuk, den Kayser Joseph II. und den Koͤnig in Preußen; einen weissen und einen schwarzen Husaren, und hat die Helgen am gleichen Abend, da er sie gekauft, noch aufgekleibt, und den Kindern mit der Ruthe gedrohet, wenn sie ihm eines mit einer Hand anruͤhren (antasten) daß es schwarz werde. — Das gefiel der lieben Ju- gend nicht — der Heirlj, der uͤber alles so ein Wort findet, sagte zu ihm: Du kannst sie doch auch Jemand nicht verbieten, sie schwarz zu machen. Wem das? sagte der Vater: Aeh, — den Fliegen, erwiederte der Bub; weissest du noch, wie sie der Mutter selig ihr grosses Creuz und ihre Himmels-Leitern so schwarz gemacht, daß man kein Wort mehr darinn hat lesen koͤnnen? Es ist gut, daß ihr keine Fliegen seyd, sagte da der Vater und lachte, man wuͤrde euch auf die Haͤnd geben. — §. 12. Weiber-Kuͤnste gegen ein Weib. A ber mehr als die Kinder, freuete es die Gertrud, daß er seine Stube und sich sel- ber so in Ordnung brachte; denn sie suchte ihm eine Frau. Sie stuhnd wohl eine Viertelstund vor dem neuen Heiland, dem Nepomuk und dem Koͤ- nig in Preussen und der Mutter Gottes zu, und sagte, da sie jezt lange genug gesehen, wenn ich jezt nur bald die Meyerin in diese Stube hinein bringen koͤnnte. Es gerieth ihr bald; schon am Mitwo- chen, da der Rudi am Samstag die Helgen aufmachte, gieng sie vor seinem Haus vor- bey; Gertrud that im Augenblik das Fenster auf, rief ihr uͤber die Gasse einen guten Tag zu. — Die Meyerin dankte ihr lachend und sag- te: bist du daheim? Das bin ich, erwiederte Gertrud, und ich hab’s gar lustig. Ich glaub dir’s, ich glaub dir’s, sagte die Meyerin — Gertrud aber: Komm auch schauen ob’s wahr sey — In einem Sprung war die Meyerin an der Thuͤr, und that Maul und Augen auf, da sie die neue weisse Wand und die ganze Ordnung in der Stube sahe. Sie gieng von einem Helgen zum ande- ren, schaute in allen Eken alles aus, und sagte einmal uͤber das andere: da ist es auch anderst worden. Gertrud aber fuͤhrte sie aus der Stube in Stall, zu Arners Kuh, die jezt dem Rudi ist; die Meyerin aber stuhnd der Kuh bald auf die, bald auf diese Seite, taͤtschelte sie, strich sie uͤber Ruken, Kopf und Hals, und sagte da: so steht einmal sonst keine im Dorf; und bald darauf: es muß doch eine Lust seyn, so eine zu melchen. Moͤchtest du so eine melchen, sagte die Gertrud? Ja! das moͤchte ich, erwiederte die Meye- rin — Aber die Gertrud konnte das Lachen fast nicht hinterhalten, da sie ihr erwiederte: du hast doch auch zwey schoͤne daheim. Sie sind nichts gegen diese, sagte die Meyerin; und Gertrud: es ist wahr, es ist weit und breit keine solche; und ruͤhmte dann das Thier, wie sie so viel Milch gebe, und wie gut diese sey, wie sie Nidle, und viel Anken (Butter) sie gebe; denn auch, wie treu sie seye, und wie freundlich, und wie ein jedwedes Kind mit ihr machen koͤnne was es wolle. Die Meyerin hoͤrte ihr zu, wie in einer Predigt; sagte da: man siehet ihr wohl an, daß sie ein gutes Thier ist; und erzaͤhlte denn, wie sie daheim auch eine haben, die so gut sey, und wie die vorige Woche ihres Bru- ders Kind unter sie herunter gefallen, und mehr als eine Viertelstund unter ihr auf dem Boden gelegen, ohne daß es jemand gewußt; und die Kuh haͤtte nicht mehr Sorg zu ihm tragen koͤnnen, wenn es ihr Kalb gewesen waͤre, bis jemand dazu gekommen, und ihn’s weggenommen. Da sie das erzaͤhlte, lehnte sie sich mit dem Arm dem Flek uͤber den Hals, und Gertrud hielte ihr da das Futter fast vor; da nahm sie eine Handvoll Salz und Geleck nach der ande- ren, ließ das Thier eine Weile aus der Hand fressen; und da sie fortgieng, that sie noch so freundlich mit ihr, daß es nicht anderst war, wie wenn sie noch b’huͤte Gott zu ihr sagte. Von Von da mußte die Meyerin mit ihr in die neue Matte; sie fuͤhrte sie vom Haus weg, durch die grosse Reihe von Fruchtbaͤumen, die alle bluͤhten, bis zu oberst an den Haag. Es ist keine Matte so schoͤn im ganzen Dorf; und die Meyerin sagte einmal uͤber das andere, es ist doch schade, daß wir das Gras darinn so vertretten. Das macht jezt nichts, erwiederte ihr dann Gertrud; du must doch auch einmal sehen, wie es dem guten Mann wieder so aufgegan- gen. Ja es muß ihm jezt doch wohl seyn, auf alles was er gehabt hat, sagte die Meyerin, und fragte denn selber wo seine Kinder seyen. Ich will dir sie zeigen; — Meyn! sie sind auch anderst worden. — Aber der Vater, ist er auch anderst worden? erwiederte die Meyerin. Das glaub ich, du wuͤrdest ihn nicht mehr kennen, so hat er sein Haar, seinen Bart, und seine Kleider in der Ordnung, sagte Gertrud. Es wird gut seyn, wenn er einmal wieder heyrathen will, sagte die Meyerin in aller Un- schuld. Gertrud aber fuhr in ihrer Arbeit fort: bey der Kuh, in der Stube und auf der Matten war’s noch nichts; aber nun bey den Kin- dern — Meyerin — Meyerin, wie wird’s D dir noch gehen; sie streicht jezt dem Rudelj seine gelben Loken, die uͤber die breite weisse Stirne herunter hiengen, zuruͤk: die Loke rollet sich uͤber ihre Hand; die weisse Stirne ist blos; der Bub liegt zuruͤk in ihren Arm, und thut sein blaues grosses Aug weit auf ge- gen die Meyerin, die vor ihm steht. Das Naͤnnlj (Nanette) ist schwaͤchlich, aber ein Blizaug tief im kleinen runden Kopf, und im Haar, fein wie Seiden, schwarz wie sein Aug, und glatt wie seine Haut, machte die Meyerin selber sagen, das wird ein Engel. Vom Liselj (Lisette) sagte Gertrud, das wird, wills Gott, auch braf. Es ist einmal gesund und stark, erwiederte die Meyerin. Dieses Kind trieb sein Rad, wie noch nie; und machte Garn, wie noch nie; Gertrud, die das im Vorbeygehen sah’, bog sich zu ihm hin- unter, und sagte ihm in’s Ohr, Augendienst. Der Heirlj saß mit seinem Rad hinter dem Ofen, da sie ihm rief er soll hervor kommen, und ihnen sein Garn bringen. Sehet mir jezt den Buben, wie er vor Eifer das Maul zusammenbeißt, sein Garn in bey- den Haͤnden vor sich hertragt — und den zwey Weibern kek in die Augen sieht, was sie dazu sagen wollen. Sie ruͤhmen ihm’s jezt, und der Bub jauch- zet, springt uͤber Tisch und Baͤnk an’s Fenster und nimmt da die Hand vor’s Maul vor La- chen. Das ist ein wilder, sagte da die Meyerin. — Nicht so gar, sagte die Gertrud, rief dem Buben wieder — er kam im Augenblik — und sie sagte ihm: steh mir jezt da still, du weissest, es giebt Staub in der Stube, wenn man so darinn herumspringt. Ich hab es jezt vergessen; es hat mich auch so gefreut, daß mein Garn recht ist, sagte der Bub und stuhnd still an ihrer Hand wie ein Schaaf. Da gieng sie noch in die Nebenkammer, brachte des Rudis kleines Buͤbelj an ihrem Arm heraus und gab es der Meyerin. Sie tragt’s alle Tag, wenn’s schoͤn Wetter ist, und die andern zu ihr kommen und spin- nen, auch mit ihr heim, legt’s wenn es schla- fen will, mit ihrem Grittelj in die Nebenkam- mer ins Beth. Jezt war es eben erwacht und hatte die ganze volle Farbe des gesunden Saug-Kinds das eben aus dem Schlaf kommt; es schuͤt- telte sich, ranggelte auf der Meyerin Arm und riebe sich die Augen, bis es recht erwachet, da war es gar freundlich mit ihr; sie machte ihm mit ihrem Finger so uͤber die Lippen herauf und herunter, daß es toͤnte; das duͤnkte ihns D 2 lustig; es langte mit seinen Haͤndlj ihr auch gegen das Maul, und wollte ihr auch so dar- an machen, daß es toͤne; da schnappete sie ihm das Haͤndlj ins Maul, druͤkte es mit den Lippen zu, und es wandte und straͤubte sich und zog was es vermochte, bis das Haͤndchen wieder aus ihrem Mund war, und schottelte dann vor Lachen. — Jezt mitten in der Freude uͤber dieses Kind sagte Gertrud dann, wenn das arme Naͤrlj (Naͤrrchen) doch auch nur wieder eine Mutter haͤtte! Aber wie ein Bliz spuͤhrte die Meyerin in ihren Augen, daß sie etwas anders wolle; es fuhr ihr durch alle Adern, daß sie in diesem Augenblik den Arm, auf dem sie das Kind hielt, so wenig fuͤhlte, als wenn sie keinen haͤtte: sie konnte auch nicht reden; was sie that, war; sie gab das Kind ab ihrem Arm der Gertrud wieder. Was ist jezt das? sagte da diese. Und die Meyerin, die sich wieder etwas erholt, sagte: es ist mir ich sey genug da gewesen; sie blieb aber doch stehen. Gertrud aber nahm sie bey der Hand und sagte: aber findst jezt auch nicht, sie haben wieder eine noͤthig? Die Meyerin aber fuͤhlte jezt vollends wie- der, wo sie ihre Finger und ihre Zehen, will geschweigen ihren Arm hatte, und sagte der Gertrud mit einem Blik — wie sie ihr noch keinen gab — wer sagt aber nein? Gertrud erwiedert: es sind gewiß im gan- zen Dorf keine die es so noͤthig haͤtten. Die Meyerin aber sagte ihr: das ist ein- mal fuͤr eins nicht wahr. Und Gertrud: wie meynst du jezt auch das? Meyerin . Ich meyne wie ich sage; es sind vielleicht im ganzen Dorf keine die we- niger eine Mutter noͤthig haben als diese. Das war Gertrud ein Raͤthsel; sie sagte: ich weiß nicht wie du das verstehst? Und die Meyerin: du gehest ihnen fuͤr 7 Muͤtter — Und dann zu den Kindern: Gaͤllet (nicht wahr?) Kinder? ihr wolltet die Frau lieber als eine neue Mutter? Das glaub ich, das glaub ich — riefen die Kinder: lieber als hundert Muͤtter. Es ist doch dumm, wie du mir’s machst, sagte da Gertrud — Und die Meyerin: du hast mir’s nur zu gescheid machen wollen. Gertrud . Ha, ich meyn einmal, er doͤrf sich jezt anmelden, wo er wolle. Meyerin . Laͤchlend — das wird ihm niemand wehren. D 3 Gertrud . Du sagst das so spoͤttisch. Meyerin . Willst du daß ich dir sage wa- rum? Gertrud . Ja! Meyerin . Weil du so partheyisch bist. Gertrud . Worinn bin ich denn partheyisch? Meyerin . Daß du meynen kannst es wer- de jedermann nach sieben Kindern die Fin- ger ausstreken. Gertrud . Mir einmal wuͤrde das nichts machen. Meyerin . Es weiß einer noch nicht. Gertrnd . Sie sind ja so gut. Meyerin . Darwieder hab ich gar nichts. Gertrud . Und er ist wie die liebe Stund. Meyerin . Ich dachte, du bringest das auch noch. Gertrud . Es ist einmal wahr. Meyerin . Und dann ist er auch noch gar jung. Gertrud . Das hab ich jezt doch nicht gesagt. Meyerin . Es nihmt mich eben Wunder. Gertrud . Aber er scheint doch gewiß juͤnger. Meyerin . Als vor 6 Wochen. Gertrud . Sicher. Meyerin . So. Gertrud . Duͤnkts dich denn nicht? Meyerin . Ja ich gib darauf Achtung. Gertrud . Es waͤr nicht geschworen. Meyerin . Aber genarret. Gertrud . Ich meyne es nicht. Meyerin . Aber was denkst du auch? Gertrud . Du weissest es wohl. Meyerin . Ich will jezt heim. Gertrud . Wart nur auch noch einen Augenblik. Meyerin . Nicht einen halben. (Sie blieb doch stehen.) Gertrud . Ich bitte — Meyerin . Nein, ich muß gehen. (Sie will nach der Thuͤr.) Gertrud sagt: So unfreundlich lasse ich dich einmal nicht von den Kinderen fort. Was muß ich dann machen, sagte die Meyerin — Und Gertrud: Einmal auch b’huͤte Gott zu ihnen sagen. Meyerin . Nu! das kan ich ja wohl; b’huͤte Gott ihr Kinder! Und dann lachend zur Gertrud: hast jezt g’hoͤrt, ich habe jezt b’huͤte Gott zu ihnen gesagt. Gertrud . Und wenn du denn wieder komst, so sagst du denn wieder Gott gruͤß euch. Mit diesem that sie denn die Thuͤre auf, und gieng fort; aber sie war feuerroth, sah D 4 noch unter der Thuͤr gegen die Seithe der Stube, wo des Rudis Kinder sassen, und gieng einen ganz anderen Schritt die Treppe hinunter und uͤber die Gaß, als sonst. Gertrud sah’ ihr vom Fenster nach, und fand an diesem Schritt und an allem; der erste Wurf fuͤr den Rudi sey nicht uͤbel aus- gefallen. §. 13. Ein Lieutenant wird Dorf-Schulmei- ster; und einer schoͤnen Frau wird ohnmaͤchtig. E s war Nacht, und man hatte mit dem Essen schon lange gewartet, als der Junker am Sonntag von Bonnal heim kam. Er brachte Theresen des Mareyli Kram sel- ber in der Hand auf den Tisch, und sie red- ten das ganze Essen von nichts als ihm und seinem Bruder; und wer am Tisch saß, asse mit Freuden von seinen Bauren-Kuͤch- lenen. (Kuchen) Der Junker aber blieb mit seinem Gluͤ- phi bis um Mitternacht auf, und redte mit ihm uͤber das was diese Leuthe von den Um- staͤnden des Dorfes und der Schul mit ihm geredet. Der Gluͤphi ist ein blessierter abgedankter Lieutenant, den der Junker zum Feldmessen und dergleichen Sachen, schon uͤber Jahr und Tag im Schloß hatte; dieser Mann lehrte in dieser Zeit, ohne daß es jemand von ihm forderte, den Hauslehrer des Jun- kers viel schoͤner schreiben, grundlicher und vortheilhafter rechnen, etwas zeichnen, Land ausmessen, auf’s Papyr tragen, und noch mehr solche Sachen; hauptsaͤchlich aber ge- gen seinen Carl mit einer militarischen Ord- nung und Festigkeit zu Werk gehen; es war ihm wie nichts was der dem Stollenberger zeigte, und er brachte ihm alles, wenn er auch vorher nicht den geringsten Begriff da- von hatte, so leicht in Kopf, daß der jun- ge Mann nothwendig auf den Gedanken fal- len mußte, wenn ein Mensch im Stand sey, eine Schule einzurichten, wie es der Jun- ker im Sinn habe, um ein ganzes Dorf durch sie in ein ander Modell zu giessen, so sey es dieser Mann. Der Stollenberger hat sich nicht betrogen; und der Gluͤphi hat den Posten, Schulmei- ster in Bonnal zu werden, angenohmen, sobald ihm der Junker davon redte, und sich das einige Bedingniß vorbehalten, daß er im Ernst Meister darinn seyn wolle. Und das ist der Mann, mit dem der Jun- ker jezt bis nach Mitternacht uͤber das redte, was ich eben gesagt. Der Junker hatte jezt vollends nichts im Kopf, als diese neue Schul; er redete mit jedermann, der ihm lieb war, von ihr, und brauchte manchmal die sonderbahrsten Aus- druͤke; Er sagte einmal zum Lieutenant, das seye jezt sein Feldzug, und es werde sich hierinn zeigen, ob er ein Mann sey oder nicht. Zum Rollenberger sagte er: er vergesse ob diesem seinen Buben; Und zur Therese: dieses Wesen sey jezt seine zweyte Braut, und liege ihm im Kopf wie sie vor 12 Jahren. Es ist recht, sagte Therese; ein Mann ist kein Mann, wenn er in deinem Alter nicht etwas hat das ihn mit Leib und Seel einnihmt. Ja — aber wenn mich das neue Wesen nur nicht so lang warten laßt eh’ es mir zeiget, wie ich’s mit ihm habe — wie du — sagte Arner. Therese lachte und sagte: es machte nichts. Aber er war allzusehr uͤberlaufen; er hatte jezt den Nahmen eines guten Manns; und wo dieser Nahme laut wird, da laufen allemal Narren und Schelmen zu, einem, Zeit und Geld zu stehlen. Und so giengs ihm: es meynte ein jeder, er koͤnne nur zu ihm laufen und ihm einschwa- zen und abbaͤttlen was er wolle. Er wußte es nicht; und meynte noch erst vor kurzem, er muͤsse einen jeden anhoͤren so lang er rede; und Antwort geben wenn er komme; aber er fieng an zu spuͤhren, daß man ihm taͤglich mehr unnuͤzes Geschwaͤz, und oft noch gar Luͤgen in die Stube hinein bringe; und so uͤberladen als er jezt war, fuͤhlte er die ganze Last dieses Jugendfehlers, und nahm den Entschluß, den ersten Anlaß zu ergreifen, dieser Zudringlichkeit ein Ende zu machen, und den ersten besten, der es ein wenig arg machen werde, also zu beschaͤmen, daß die andern bey Haus bleiben wenn sie nichts bey ihm zu thun haben. — Es traf eine Linden- bergerin. — Als diese vernahm wie und was er mit dem Baumwollen-Meyer und seiner Schwester geschwazt, stellte sie sich vor, sie seye gar viel mehr als diese Schnattergans, und wisse gar viel besser wie es im Dorf stehe als sie und ihr Bruder der Heinimuch: sie meynte oben darein sie sey auch aufs wenigste so artig als Gertrud; und koͤnne sicher besser schwazen als sie. Da puzte sie sich auf als wenn sie an eine Hochzeit wollte, traͤumte den ganzen Weg uͤber von den hundert Sachen die sie dem Junker uͤber das Dorf erzaͤhlen wolle, und von denen das Mareylj und der Meyer ihr Lebtag kein Wort vernohmen. Der Junker ließ sie munter reden; gab genau von Wort zu Wort Achtung was sie sage; aber nicht ein Wort Antwort. — Im Anfang meynte sie, das mache nichts, es werde schon kommen: aber bald verwirrte es sie, daß es nicht mehr gut fort wollte, und die Sachen ihr durch einander kamen, wie sie ihr nicht durch einander kommen sollten. Je mehr sie sich verwirrte, je steifer sah’ sie Arner an. Das Herz entfiel ihr; sie dorfte nicht mehr; sie kehrte die Verlaͤumdungen um, entschul- digte was sie verlaͤumdet, stotterte im Reden, schlug die Augen nieder, verlohr ihre Farb und wußte nicht was sie mit ihren Haͤnden machen wollte. Da er sie so weit gebracht, that er endlich den Mund auf, und fragte: bist du jezt fertig? Es starrte ihr im Mund, was sie reden wollte: — Arner klinglete: — ließ die Au- dienz-Thuͤr speer aufmachen, und befahl denn vor allen Leuthen, die da stuhnden, dem Har- schier, daß Mensch am hellen Mittag heim und das Dorf auf- und abzufuͤhren, damit es ein- andermal lehrne daheim bleiben und sein Dorf und seine Nachbarn nicht ohne Noth und Ur- sach verlaͤumden. Es war dem armen Mutterkind fast ohn- maͤchtig, da das begegnete; es zitterte sprach- los zu seinen Fuͤssen: Er aber kehrte sich von ihr weg und sagte, du hast eine wuͤste garstige Seele. Zu ihrem Gluͤk gieng Therese eben durch den Gang, vor der Audienz-Thuͤre, in eine hintere Stube, sah’ das schoͤne Mensch am Boden; horte warum, und ein Wort, das sie lachend fallen ließ, machte daß der Junker das Mensch ohne Harschier heimgehen ließ. Von dieser Stund an aber liessen ihn doch die Leuthe ruhig, die nichts bey ihm zu thun hatten. §. 14. Ein Großmutter-Gemaͤhld. E s kam Arner wohl, besonders jezt, da die zwey Tage, die er am Sonntag verlesen lassen, vor der Thuͤre waren. Er hatte bis dann alle Haͤnd voll zu thun; des Vogts Rechnungen mußten zum voraus eingesehen und untersucht seyn. Das Ried, das man vertheilen wollte, mußte abgestekt und ausgemessen seyn. Er hatte mit Gluͤphi hundert Sachen we- gen den Schuleinrichtungen abzureden. Die Einrichtungen mit den Geissen und Baͤumen, die er austheilen wollte, forder- ten Ueberlegung und Zeit. Und er wollte noch die Urkunden des Fests, das er in Bonnal stiften wollte, fer- tig haben, und dem Pfarrer einhaͤndigen. Er war am Mittwoch Abends so zimlich mit diesem allem fertig; am Donstag Mor- gens gieng e r denn so fruͤh, daß es noch nicht heiter war, mit seinem Lieutenant zu Fuß nach Bonnal; die Kutsche war schon angespannt, aber der Tag duͤnkte sie, als sie eben einsteigen wollten, zu schoͤn, daß sie lie- ber zu Fuß uͤber den Berg giengen. Sobald sie ankamen, sandte er seinen Klaus zum Mareylj, mit einem Gruß von seiner Frauen, und einem Geschenk fuͤr die Kuchen die es ihr geschikt. Aber da das Mareylj das Papyr aufthat, und die schoͤne Leinwand, die ihm die Jun- kerin sandte, sahe, sagte es wohl dreymal; bist doch auch nicht verirret? und ist’s doch auch wahr, daß die Junkerin mir das schikt? — Der Klaus mußte lachen, und sagte eben so manchmal, er sey gewiß nicht ver- irret; der Junker und die Frau haben es ihm beyde befohlen. Es aber stellte dem Klaus vor was es im Haus hatte; Brentz, und Wein, und Kaͤß; und bath ihn wenn er etwa noch nuͤchtern, und etwas anders wolle, so solle er es doch sagen. — Es lief mit seinem schoͤnen Tuch die Trep- pe hinauf zu seinem Bruder, der noch im Bett war; und zu einem Kind nach dem anderen, und zeigte ihnen, was es heute am Morgen schon von der Junkerin fuͤr ei- nen Kram bekommen. Es kam aber bald wieder herunter und suchte dem Klaus vom feinsten Garn das es im Haus hatte, aus, zu einem paar Kap- pen, legte ihm wohl das halbe gutes Tuͤr- kengarn und dunkelblaues dazu, daß sie recht schoͤn werden; und er mußte das abnehmen; es liesse ihn nicht zum Haus hinaus bis er’s im Sak hatte. Dem Junker aber hiesse es ihn nicht dan- ken, es lief mit ihm in’s Pfarrhaus und that es selber. Der Junker sagte ihm mit Lachen, wenn es ihn’s so freue, so solle es einmal in’s Schloß kommen, und seiner Frauen selber danken. Wie wollte ich auch das doͤrfen? sagte das Mareylj — und der Junker: warum solltest du das nicht doͤrfen? Darauf sagte es wieder: es ist jezt uͤber 30 Jahr sint dem ich niemal mehr in eue- rem Schloß gewesen; Da einmal euere Großmutter — nein — euers Großvaters Mutter hat noch gelebt; aber sie ist da just in dem Sommer darauf gestorben — da bin ich einmal darinn gewesen; und fieng dann an zu erzehlen: Es war um die Weyhnacht herum, und ich hab in Gottes Nahmen gebettlet, und bin vor Kaͤlte fast erstarret, ehe mich je- mand gesehen; da ist die steinalte Frau, die mich am Fenster muß geachtet haben, die beyden Treppen vor dem Schloß zu mir hin- untergekommen — und Junker! wenn sie schon meine Mutter gewesen waͤre, sie haͤtte nicht koͤnnen besser mit mir seyn — Sie hat mich im Augenblik an der Hand in ei- ne warme Stube gefuͤhrt, die unten im Hof war. Aber man sagt: es sey jezt al- les anderst — Sie ließ mir eine Milchsup- pe kochen und Brod geben so viel ich mochte; ich konnte vor frieren im Anfang fast nicht essen, und waͤrmte mich zuerst am Ofen und weinete; da ist sie zu mir gestanden, und hat Stuk fuͤr Stuk alle Fezzen, (Kleider) die ich angehabt, in die Haͤnde genohmen; und es ist mir ich sehe sie noch jezt vor mir zu, den Kopf schuͤttlen, und ein paar mal seufzen, da ich auch gar nichts ganzes und nichts warmes an mir hatte: Sie ist da fort- gegangen, und eine Viertelstund darauf mit einem ganzen Buͤndel Kleider wieder herunter- gekommen und hat sie mir selber vom Kopf bis zu den Fuͤssen anlegen helfen, und Schuh gegeben; gegeben; und beyde Saͤk im Rok sind denn noch voll gedoͤrrte Biren und Zwetschgen ge- wesen. Jezt einsmals sah das Mareylj den Jun- ker an, wie wenn es ihn durchsehen wollte, und sagte denn: Herr Jesus! ihr sehet ihr auch gleich — es ist mir sie stehe jezt wie- der vor mir. — Und ich meyne denn noch, sie habe euch an der Hand gehabt, da sie das andere mal die Treppe hinunter kam; einmal hat sie einen schoͤnen jungen Buben, der ihr nahe am Her- zen gelegen seyn muß, bey sich gehabt, und hat die ganze Zeit, da sie mich angekleidet hat, fast nur mit ihm geredt; und ich meyne ich woll- te noch sagen koͤnnen, was sie zu ihm gesagt. Der Junker konnte es nicht mehr aushal- ten; er mußte beyseits gehen und seinen Thraͤ- nen den Lauf lassen: Es war sein leztes Den- ken, und er wußte sich noch aller Umstaͤnden zu erinneren wie ihn die liebe Ahnfrau in des Bauren Stuben neben das Kind auf den Ofenbank hingesezt, und waͤhrend sie ihn an- kleidete, zu ihm gesagt, lieber Carl! Ich bin nicht mehr lang bey dir, aber denk an das; die Zeiten werden schlimm, und man macht sich nichts mehr draus, ob die Menschen die einem zugehoͤren, verfaulen oder verderben. Um Gottes willen Carl! trachte daß du mit E Ruhe alt werdest, und nichts so auf deinem Gewissen habest: wehre den Anfaͤngen, und mach daß dein Lebtag dir kein Kind aus dei- nen Doͤrferen so vor die Augen komme wie das. Der Junker ließ das Mareylj gehen, und war jezt allein bis es neune schlug. Man sagt so viel was es brauche, Land und Leuth zu regieren; ich moͤchte jezt sagen; es braucht so eine Großmutter und ein Herz das dreyßig Jahr so an ein Groß-Mutterwort sinnet (denkt) ohne es zu vergessen, dazu; ein- mal wer das hat, kann viel anders entbeh- ren. — Der Werth der Menschen war in dieser Stund groß in Arners Augen. §. 15. Das Menschen-Herz; und ein Hans, der gut und boͤs ist. E r stuhnd noch da wie in einem Traum, da es 9 Uhr schlug, und er an seine Ge- schaͤfte unter die Linde sollte. Das Vertheilen des Rieds that den Reichen noch immer gleich weh, sie suchten es zwahr zu verbergen; doch floß hie und da ein Wort, das deutlich zeigte, wie es immer noch dieß- falls unter dem Brustflek daruͤber bey ihnen aussahe. Wenn’s Niemand hoͤrte, warfen sie so die Koͤpf gegen einander und sagten; es ist jezt das. Der Stieren Bauer fluchte bey einem Nach- bar, dem er wohl traute, aber auch nur in’s Ohr: es schade ihm mehr als hundert Gulden; er habe das Jahr durch immer 10 bis 12 Stuͤk Vieh darauf gehalten, und sie seyen ihm stokfett geblieben. Ein anderer sagte: Er habe sie nicht genuzt: aber er wollte doch ein gutes Stuͤk Geld ge- ben, es waͤre noch wie es gewesen. Und noch andere: Das Lumpenvolk streke alles die Koͤpf, und ein jeder Baͤttelhund la- che in die Faust, wenn er unser einen sehe, daß sie so Meister worden. Die Armen machten’s nicht besser. Wo sie allein waren, verspotteten sie die Reichen, ob dem Verdruß den sie haben, daß der Teufel ihnen einmal einen Schuhbreit Land aus den Klauen genohmen; wenn denn aber ein Dikbauch um die wege war, so zogen sie ihm den Spek durchs Maul, sagten dieß und das uͤber das neue Land, ob es noch eine Frage sey, daß es einen so grossen Vortheil abtrage, als jezt einige dergleichen thuͤen? — Und noch eine groͤssere; ob das Wesen denn E 2 Bestand haben werde? Ihrer etliche thaten noch gar, wie wenn sie sich entschuldigen woll- ten, und sagten: Ihrenthalber waͤr es ihr Lebtag gut gewesen, wie es gewesen, und sie seyen einmal nicht Schuld. Der Marx unter anderen sagte dem Ge- vatter Aebj, bey dem er saß; er meyne ein- mal, so alt er sey, so erlebe er es doch noch, daß es mit diesen Aekern anderst komme; und er seinethalben habe einmal nicht darauf ge- sehen. Aber der Vorgesezte kehrte sich von ihm weg, und sagte ihm: Es ist kein Hund so froh uͤber ein Stuͤk Brod als du uͤber diese Aecker. So bald der Hans aus dem Pfarrhaus un- ter die Linde kam, sezte er sich neben den Kal- berleder nieder; das gefiel diesem schon nicht; er wollte aufstehen und an ein ander Ort hin- sizen: aber der Hans dupfte ihn mit seiner breiten Hand auf die Hosen, daß er im Au- genblik wieder auf dem Bank saß. Was ist das unverschaͤmtes? sagte da dieser. Ha! — Wir haben etwas mit einander zu reden; erwiederte der Hans. Kalberleder . Was ist’s? was hast mit mir? Hans . Nichts anders als daß du mich und den Herrn Pfarrer mit dem Nußbaum fuͤr einen Narren gehalten. — Kalberleder . Das ist nicht wahr; nicht wahr: ich habe Niemand fuͤr einen Narren gehalten. Hans . Du hast doch den Baum nicht ab- gehauen, wie du gesagt hast. Kalberleder . — Ja, ja — das war ein Mißverstand — ein Mißverstand. Hans . Was fuͤr ein Mißverstand? Kalberleder . Der Vater hat einen ganz andern Baum gemeynt; ich hab ihn nur un- recht verstanden. Hans . So — aber was fuͤr einen auch? Kalberleder . Einen andern hoͤrst wohl. Hans . Wo steht der andere? Kalberleder . Das geht dich nichts an — ich bin dir’s gar nicht schuldig zu sagen. Hans . Aber wenn ich dich waͤr, ich wollte dießmal so gut seyn und es nun sagen. Kalberleder . Wenn du’s wissen willst; er steht im Tobel. Hans . So? — Kalberleder . Ja, ja; das ist ganz sicher. Hans . Hast du einen Nußbaum im To- bel? Kalberleder . Ja, mehr als einen. Hans . Hast aber auch einen umgehauen im Tobel? Kalberleder . Nein, noch nicht; aber was nicht ist, kann geschehen. E 3 Hans . So! Du hast hiemit noch keinen umgehauen, wenn du schon so verirret? Kalberleder . Pressiert es? Hans . Mir gar nicht — aber dir hat’s pressieren sollen — wenn du dich mit Ehren hast heraus laͤugnen wollen. Kalberleder . Was heraus laͤugnen? Hans . Ich mag jezt nicht mit dir zanken: ich will dir gar kurz sagen: Wann du unsern Garten-Nachbar, nicht vor Sonnen Untergang vom Leben zum Tod bringst, so will ich morn am Morgen auf eine Art mit dir reden, daß du sieben Nußbaͤum dafuͤr gaͤbest, du haͤttest meinem guten Rath gefolget. — Der Kalberleder wußte nicht wie ihm war, und konnte nicht begreifen, wo der Lumpen- hans das Herz hernehme, so mit ihm zu reden. Der Hans aber ließ ihn das Maul nicht auf- thun, und sagte grad darauf wieder, du kanst jezt nur gehen und sizen, wo es dich wohl freut — ich hab dir nichts mehr zu sagen. — Der Kalberleder antwortete: es ist mir wohl genug da. — Aber mir nicht: sagte der Hans; stuhnd auf, sezte sich etliche Schritt von ihm bey ei- nem alten armen Mann ab, der sein Vetter war, und gab diesem denn bald sein Morgen- brod, das er bey sich hatte, aus dem Sack. — Er schob es ihm unter den Rok, damit es niemand sehe. — Der Alte nahm einen Mund voll nach dem andern davon ins Maul und kauete den ganzen Morgen daran. §. 16. Ein Wort daruͤber, was die Bauren sind — wie und wo und wann sie zei- gen, was sie sind — und was sie nicht seyn doͤrfen. S ie hatten auf der Allment nichts zu thun als die Aecker, die schon abgestekt und ausgemessen waren, durch das Loos zu ver- theilen. Neunzig Juchart von diesem Land, welche zu einer Waͤssermatten bestimmt waren, konnte man noch nicht vertheilen: das Wasser war noch nicht vollends bey einander, und die Graͤ- ben, die man zuerst machen muß, waren noch nicht abgestekt: aber Wasser selber war schon so viel da, daß es ein Muͤhlerad getrieben haͤtte, und das vom allerbesten zum Gras treiben. Es rinnt auf allen Seiten uͤber die Aecker; und wo ein Tropfen davon hinkommt, da grunet es, daß kein Mensch im Dorf mehr ist, der daran zweifelt, diese 90 Jucharten seyen so viel als eine gerathene Matten. E 4 Arner ließ die Bauren jezt machen, wie wenn er nicht da waͤre; er wußte daß die Bauren, wenn sie Land theilen und wie al- lein sind, sich ganz anders zeigen als wenn sie mit dem Hut in der Hand vor dem Erb- herrn stehen und gerne haͤtten daß er sie fuͤr arme Troͤpf und Halbnarren hielt. Mein Großvater hatte zum Sprichwort: das Theilen zeiget was die Leuthe sind, und das Haben macht aus ihnen was sie sind. Der Junker nuͤzte den Anlaß, den er hatte, seine Leuthe kennen zu lehrnen; Er entzog ihnen keinen Blik, und sah’ bey je- dem besseren Stuͤk Land, wie sie ihre Gie- rigkeit auf hunderterley Art aͤusserten. Es war dem einten im Mund, dem an- dern im Aug, dem dritten in Haͤnden, dem vierten in Fuͤssen, wie man ihn ansah; je nachdem er einen dikeren Bauch, oder laͤn- gere Beine, oder einen platten oder einen spizigen Kopf, ein schmales oder ein breites Maul, oder so oder eine andere Nase und Stirn hatte, so zeigte er auch diese Gierig- keit anderst als alle anderen. Das war Eins. — Neben dem hoͤrte er in diesen paar Stunden mehr wahres uͤber den eigentlichen Feldbau und uͤber die hun- derterley Umstaͤnde, auf welche es dem Baur, ohne daß er davon redt, hauptsaͤchlich an- kommt, wenn er uͤber ein Stuͤk Land den geraden Weg urtheilt, was es ihm werth sey — Man kan nicht glauben was fuͤr al- lerley kleine Umstaͤnde in solchen Faͤllen vor- kommen, die sie in Anschlag bringen, und weder vorher noch darnach das Maul dar- uͤber aufthun. Bald ist’s mehr hinter dem Wind, bald ist’s den Regenguͤssen mehr ausgesezt, bald ist eine verborgene Naͤsse, bald etwa ein gros- ser Stein unter dem Herd verborgen — bald Sand oder Grien, der den Mist frist — bald ein Vortheil oder Nachtheil im zu- oder wegfahren — bald ein guter oder boͤser Nachbar, und hundert dergleichen Um- staͤnd, und warum ein Stuͤk oft das dop- pelte mehr oder minder gilt als ein anders; und es ist einem Erbherrn Gold werth, den Feldbau seines Lands biß auf diese kleine Umstaͤnde herab zu kennen. Ein drittes das ihm, und besonders dem Lieutenant Freud machte, war; Sie sahen dann und wann einen armen Mann, wann er ein gutes Loos zog, jauchzend auf die Allment springen, und dann keker als vorher, etwann gar mit dem Hut auf dem Kopf, neben einem Dikbauch absizen. Aber je mehr Arme gluͤklich zogen und ihre Freude zeigten, je mehr zeigten auch die Dikbaͤuch ihren Unmuth, und fiengen links und rechts an Stichelwort fallen zu lassen. Aber es war zur Unzeit; ein paar Bu- ben riefen in voller Freude uͤber ihr Loos, uͤberlaut, wenn die Maulhaͤnger nichts an- ders koͤnnen, als uns unsere Freude verder- ben, so koͤnnten sie wohl heim gehen. Das gab ein Gelaͤchter; der am lautesten lachte, war der Lieutenant; er sagte zum Junker: so muß es kommen, wenn der Baur im feißten Fell lernen soll, daß er nicht mehr ist als der im magern: und wann ich Schul halte, so ist das eine von den ersten Sachen, die ich meinen Kinderen in ihren Kopf hineinbringen will — Ja! sagte Arner, wann denn die Herren und Junkern nur auch so Schulmeister haͤt- ten, die es ihnen in den Kopf hineinbraͤch- ten, Fellshalber sich weniger einzubilden. Das ist auch wahr, sagte der Lieutenant: und sezte hinzu, der Baur ist nur das Kind — und die Staͤnde ob ihm sind die eigent- liche Vaͤter des Unsinns — den Werth der Menschen mit ihrem Fell zu wechseln. Er sagte noch mehr: ich erzaͤhle es euch nicht, ihr moͤchtet meynen, ihr doͤrftet auch so reden, und das geht nicht an: So ein Herr, der weit und breit die Welt erfahren, und den man zu etwas braucht das mehr als Schweffelhoͤlzli machen ist, darf, wenn er auch schon ein armer Herr ist, insonder- heit neben so einem Junker zu, wohl so ein Wort fallen lassen — Aber wenn ein Baur frech redet, so Gnad Gott seinem Haus und Heimath — es ist wie wenn er Zaun und Marchen von seinem Hoof verlohren. §. 17. Dieses Gemaͤhld ist nichts weniger als Spaß, sondern ganz nach der Natur. E s war so des Lieutenants Soldatenart, heraus zu sagen was er denkte. Am glei- chen Tag uͤber das Mittagessen sagte er zum Pfarrer, ich will einmal mit dem Liri Lari- wesen, das man sonst in der Schul treibt, nicht zu thun haben. Es ist nur die Frage, was ihr unter dem Liri Lariwesen versteht: sagt der Pfarrer. — Da habt ihr auch recht, erwiederte der Lieu- tenant; nahm eine Prise Tabak und hielt ei- nen Augenblik die Lippen vester, als sonst, uͤber einander, und — was er selten that — die Augen im Kopf still. Als sie wieder giengen, sagte er denn, Herr Pfarrer! fuͤr Liri Lariwesen in der Schul hal- te ich alles was den Kinderen so eine Art giebt, mit dem Maul ein Weit und Breites uͤber die Sachen zu machen und ihnen die Einbildung im Kopf so anfuͤllt, daß das rechte Alltags- hirn und der Brauchverstand im menschlichen Leben darunter leidet. Pfarrer . Gut erklaͤrt Herr Professor! ich bin des Liri Lariwesens halber jezt voͤllig Ihrer Meynung. Der Lieutenant . Den Pfarrer steif anse- hend; so weit sie langt? Pfarrer . Ja, so weit sie langt — ich bin uͤberzeugt daß man die Menschen unverhaͤlt- nißmaͤßig viel mit dem Maul lehrt, und daß man ihre besten Anlagen verderbt, und das Fundament ihres Hausgluͤks zerstoͤrt; indem man ihnen den Kopf voll Woͤrter macht, ehe sie Verstand und Erfahrung haben. Lieutenant . Nun! so haͤtte ich nicht aus- druͤken koͤnnen was ich meyne. Pfarrer . Sie scherzen. — Aber wie ha- ben Sie in ihrem Stand, den Schaden des Wortwesens, der, wenn man das Kind mit seinem rechten Nahmen taufen wollte, der Pfrund- und Pfarrer-Schaden heissen sollte, so kennen gelehrnt? Lieutenant . Mein lahmes Bein und mein vieljaͤhriges Brodsuchen hat mich gar vieles kennen gelehrnt; und so gewiß als mir ein Herr lahm vorgeprediget, was er mir vor eine Ar- beit auftrage, so gewiß gab’s hinten nach dieß oder jenes daraus, daraus ich sehen koͤnnen, daß es ein schlechter Herr war: und auch in denen 2 Jahren, da ich gedienet, hab ich er- fahren was aus dem Menschen wird, wenn er mit dem Maul zu viel kann. Es ist kein untreuerer Hund unter den Truppen, als mein Obrist war; er gab mir auch wie ein Gaudieb den Abscheid; sein Hun- dengeiz machte, daß das Regiment alle Monath Noth litt; aber wenn’s bis auf den lezten Mann zu Grund gegangen waͤr, so haͤtte er sich immer heraus liegen koͤnnen. — Es ist in allen vier Welttheilen nichts Gutes, von dem er nicht redte; aber wenn der Teufel selbst neben ihm zu gestanden waͤr, so haͤtte er nicht zu zoͤrnen gehabt von allem was er daruͤber sagte: denn er redte nur. — Und es ist in allen vier Welttheilen kein Punkt Gutes, das er nur mit einem Wort befordert haͤtte; und doch war bis auf den Profosen herunter Nie- mand, dem er nicht an den Fingern her er- zaͤhlte, was und wie viel er in seinem Fach und an seinem Plaz besser einrichten koͤnnen; und wenn’s an’s Mezgen gieng, konnte er vor der Fronte reden wie ein Engel, und den armen Tropfen, denen oft der Bauch vor Hun- ger klirrte, so laut, daß es durch Berg und Thal ertoͤnte, zurufen: G’hinder, es ist fuͤr eueren G’hoͤnig und fuͤr euer H’atterland — ’altet euch wohl! — Alles was am Tisch war, mußte vor Lachen den Bauch halten uͤber das G’hinder, H’at- terland und ’altet euch wohl: das der Lieu- tenant, so viel er aus dem Hals vermochte, ausschrie. Der Pfarrer lachte nicht: Ernst, wie der Tod, sagte er: wir Pfarrer sind auch solche Oberste, wenn wir einem armen, an Leib und Seel unversorgten Volk in den Tag hinein Predigten vorsagen, und Kinder, die sichtbar ohne Erziehung und Hilfe, einem elenden Leben entgegen gehen, in den Tag hinein un- terrichten oder mit Worten abspeisen: es ge- het mir durch Mark und Bein — es ist bis auf den Schreyer-Ausdruk der Worte: Kinder, Koͤnig, Vaterland, — die gleiche Sache, wenn man mit einem leeren Wortunterricht das unversorgte Volk auf den ewigen Koͤnig und auf das ewige Vaterland hinweißt, und ihm eben so zuruft, haltet euch wohl. — Am Ende sagte er: was mich troͤstet, ist, wir sind meistens auch nicht Schuld — und viele von uns thaͤten gewiß mehr wenn sie koͤnnten: aber ewig ist es wahr, der Schade ist nicht abzusehen, daß man den Unterricht und den Trost der Menschen so sehr an vieles Wort- brauchen bindet. Ja, ja, — sagt der Lieutenant; Thaten lehren den Menschen, und Thaten troͤsten ihn — fort mit den Worten! — Und der Degen- knopf hat recht. §. 18. Worauf eine gute Schule sich gruͤnde. D er Junker hatte, sint dem er vom Baum- wollen-Meyer heimgekommen, jeden Augenblik, den er staͤhlen konnte, mit dem Lieutenannt zugebracht, um mit ihm von den Einrichtungen zu reden die sie wegen ih- rer neuen Schul machen wollten. Sie fanden beyde: ein Kind seye in aller Welt vorzuͤglich gut erzogen, wenn es daͤsje- nige, was in aller Absicht im Alter das seini- ge seyn wird, wohl zu aͤufnen und in der Ord- nung zu halten, und zu seinem und der seini- gen guten Wohlstand zu gebrauchen gelehrnt hat. Dieser vorzuͤgliche Endzwek aller Erziehung schien ihnen ohne weiters das erste Beduͤrfniß einer vernuͤnftigen Menschenschul. Sie sahen desnahen, daß der Lieutenannt und jedermann der fuͤr Bauren und Baum- wollenspinner eine rechte Schul errichten wol- le, entweder selber wissen und verstehen muͤs- sen, was Bauren und Baumwollen-Kinder wissen und thun muͤssen, wenn sie rechte Land- und rechte Baumwollen-Arbeiter seyn muͤs- sen; oder wenu er’s nicht selber wisse, fra- gen, lehrnen, und Leuthe an die Hand neh- men muͤsse, die das wissen und ihm zeigen koͤnnen. Sie dachten natuͤrlich zu erst an den Baum- wollen-Meyer, und giengen grad nach diesem Gespraͤch von dem Essen weg zu ihm hin. Das ist jezt der Mann, von dem ich euch so viel geredt, sagte der Junker zum Lieute- nannt und zum Meyer; und das ist ein Herr der dich eurer Schul halber hoffe ich, troͤsten wird. Der Meyer wußte nicht, was das sagen wollte; der Junker aber erklaͤrte es ihm, und sagte daß der Herr ihr Schulmeister seyn wer- de. Er konnte sich nicht genug daruͤber verwun- deren. Nach einer Weile sagte er: wenn der Herr so viel Muͤhe nehmen will, so werden wir ihm nicht genug danken koͤnnen; aber es wird Zeit brauchen bis er unsere Ordnung und unser Wesen im Dorf recht wird kennen lehrnen. Das glaub ich auch, sagte der Lieutenannt; aber man muß einmal anfangen: und ich will mir keine Muͤhe dauren lassen, so viel immer moͤglich nachzuforschen, was es eigentlich er- fordere, und was euere Kinder eigentlich lehr- nen nen koͤnnen; damit sie fuͤr ihr Bauren und Baumwollen-Wesen recht in Ordnung kom- men: Meyer . Das ist brav: daß ihr damit an- fangen wollet. — Lieutenant . Ich wuͤßte nicht, womit ich anderst anfangen sollte, und ich werde, wo ich immer Anlaß hab, alle Gattung von Haus und Feldarbeit ins Aug zu fassen suchen damit es recht in mich hinein komme, was fuͤr eine Art und Schnitt euere Kinder haben muͤssen, wenn sie fuͤr ihren Beruf und Umstaͤnd recht erzogen werden muͤssen. Das Mareylj war mit ihm wie daheim; es zeigte ihm allenthalben im Haus, und um’s Haus und in den Staͤllen was die Kin- der machen und lehrnen muͤssen, wenn sie das alles was da sey, recht in der Ordnung zu hal- ten lehrnen muͤssen; es ließ sie im Garten ha- ken, Herd stossen, auf die Buͤhne steigen, Fut- ter machen. Je mehr er sahe, je mehr fragte er; er fragte so gar, wie man den Zehnden rechne, wie man das Heu messe, und dann wie man das Baumwollwesen rechne, was fuͤr ein Unterschied zwischen dem Lohn und der Wolle; und hundert dergleichen Sachen mehr. Sie erklaͤhrten ihm was sie konnten. Zulezt wollte er seine Kinder auch spinnen lehrnen; F Aber das Mareylj sagte ihm, wir nehmen des Jahrs etliche hundert Centner Garn ein, und ich hab die Kinder nie dazu bringen koͤn- nen, daß sie auch recht schoͤn spinnen: kann zwar auch nicht alles klagen, sie haben viel im Land und um das Vieh zu thun; und da giebt’s nie recht schoͤnes garn; aber wenn ihr wollet eine gute Spinner-Ordnung sehen, so muͤßt ihr zu des Maurers Frau gehen; da ist uͤber diesen Punkt etwas zu sehen, bey uns nicht. Heißt die Maurers Frau, von der ihr redet, Gertrud? sagte der Lieutenant. Es scheint ihr kennet sie auch schon, erwie- derte das Mareylj. Rein — aber der Junker hat mit mir abgeredt, grad von euch weg, zu ihr zu ge- hen — sagte der Lieutenannt. — Nun so sehet ihr doch auch, daß ich euch recht gewiesen hab, sagte das Mareylj. §. 19. Das Fundament einer guten Schul ist das gleiche mit dem Fundament alles Menschengluͤks: und nichts anders als wahre Weisheit des Lebens. I hre Stube war so voll, als sie hinein ka- men, daß sie vor Raͤderen fast nicht hin- ein konnten. Gertrud, die an keinen fremden Menschen dachte, da sie die Thuͤre aufmachten, hieß die Kinder aufstehen und Plaz machen: aber der Junker wollte nicht, daß sich nur eines von sei- nem Orth bewege, bott dem Pfarrer und dem Lieutenannt, einem nach dem anderen die Hand, sie hinter den Kinderen der Wand nach zu ihrem Tisch herfuͤr zu fuͤhren. — Ihr koͤnnet nicht glauben, wie diese Stube die Herren ergoͤzte. Es schien ihnen nichts da- gegen was sie beym Baumwollen-Meyer sa- hen. Es ist natuͤrlich — die Ordnung und der Wohlstand bey einem reichen Mann nimmt nicht so ein, man denkt gleich, hundert ande- re koͤnnen das nicht so machen, sie haben das Geld nicht; aber der Segen und Wohlstand in einer armen Huͤtten, die so unwiedersprech- lich beweißt, daß es allen Menschen in der Welt wohl seyn koͤnnte, wenn sie Ordnung haͤtten und wohl erzogen waͤren, dieses nimmt ein gutes Gemuͤth ein bis zum Sinnen verlieren. — Jezt hatten die Herren eine ganze Stube voll solcher armen Kinder in vollem Hausse- gen vor ihren Augen. Es war dem Junker eine Weile nicht an- derst als er sehe das Bild des erstgebornen seines besser erzogenen Volks wie in einem Traum vor seinen Augen: und der Lieutenant F 2 ließ seine Falkenaugen wie ein Bliz herumge- hen, von Kind auf Kind, von Hand auf Hand, von Arbeit auf Arbeit, von Aug auf Aug; je mehr er sah, je mehr schwoll sein Herz vom Gedanken; sie hat’s gethan und vollendet was wir suchen: die Schule, die wir suchen, ist in ihrer Stube. Es war eine Weile so still, wie der Tod, in dieser Stube — die Herren konnten nichts als sehen und sehen, und — schweigen. Der Gertrud schlug das Herz vor dieser Stille, und ein paar Zeichen von Achtung, die an Ehrerbietung graͤnzt, welche der Lieute- nant waͤhrend dieser Stille ihr erzeigte. Die Kinder aber sponnen munter fort: lachten mit den Augen gegen einander; denn sie sahen daß die Herren um ihrentwillen da seyen und auf ihr Arbeit sahen. Das erste, was der Lieutenant redte, war; sind diese Kinder alle Ihr, Frau? Nein, sie sind nicht alle mein, sagte Ger- trud; zeigte ihm dann von Rad zu Rad die welche dem Rudi und die welche ihr gehoͤren. Denket, Herr Lieutenant, sagte der Pfar- rer, die Kinder so dem Rudi gehoͤren, haben vor 4 Wochen alle noch keinen Faden spin- nen koͤnnen. Der Lieutenant sah den Pfarrer und die Frau beyde an und sagte, aber ist das moͤglich? Das ist nichts anders, erwiederte Gertrud, in ein paar Wochen soll ein Kind recht spin- nen lehrnen; ich hab welche gekannt, die es in ein paar Tagen gelernt. Das ist nicht was mich in dieser Stube verwundert, sondern etwas ganz anders — sagte der Junker — diese fremden Kinder sehen sint 3 oder 4 Wochen, da die Frau sich ihrer annimmt, aus, daß ich bey Gott keines von allen mehr gekannt haͤtte. Der lebendi- ge Tod und das aͤusserste Elend redte aus ih- ren Gesichteren und das ist weggewischt, daß man keine Spuhr mehr davon stehet. Der Lieutenant antwortete franzoͤsisch — aber was macht dann die Frau mit den Kin- deren? Das weiß Gott, sagte der Junker. Und der Pfarrer: wenn man den ganzen Tag bey ihr ist, so hoͤrt man keinen Ton und siehet keinen Schatten der etwas besonders scheint, man meynet immer und bey allem was sie thut, eine jede andere Frau koͤnnte das auch so machen: und sicher wird es dem gemeinsten Weib im Dorf nicht in Sinn kom- men, sie thue etwas oder koͤnne etwas, daß sie nicht auch koͤnne. Ihr koͤnntet nicht mehr sagen, sie in mei- nen Augen groß zu machen, sagte der Lieute- nant; und sezte hinzu, die Kunst endet wo F 3 man meynet, es sey uͤberall keine. Und das hoͤchste Erhabene ist so einfach, daß Kinder und Buben meynen, sie koͤnnen gar vielmehr als nur das. — Da die Herren mit einander franzoͤsisch red- ten, fiengen die Kinder an einander Blik zu geben und zu lachen: Heirlj und das, so ge- gen ihm uͤbersaß, machten so gar gegen ein- ander mit dem Maul: parlen, parlen, par- len. Gertrud winkte nur, und es war im Au- genblik still. — Und da der Lieutenant auf allen Raͤderen Buͤcher liegen sah, fragte er Gertrud was sie damit machen. — Sie sah ihn an und sagte: aͤh, sie lernen darinn. Aber doch nicht wenn sie spinnen? sagte der Lieutenant. Ja freylich, sagte Gertrud. Das moͤchte ich jezt doch auch sehen, sagte der Lieutenant. Und der Junker:: Ja, du must uns das zeigen, Gertrud. Kinder, nehmet eure Buͤcher in die Haͤnd, und lehrnet! sagte diese. Laut wie sonst? fragten die Kinder. Ja, laut wie sonst — aber auch recht: sagte Gertrud. Da thaten die Kinder ihre Buͤcher auf: ein jedes legte die ihm gezeichnete Seite vor sich zu und lehrnte an der Lezgen die ihm vor heut aufgegeben war. Die Raͤder aber giengen wie vorhin, wann die Kinder schon ihre Augen voͤllig auf den Buͤcheren hatten. Der Lieutenant konnte nicht genug sehen, und bath sie, sie moͤchte ihnen doch alles zeigen, was sie mit den Kinderen mache, und was sie sie lehrne. Sie wollte sich zwar entschuldigen, und sagte, es sey ja nichts, als was die Herren tausendmal besser wissen. Aber der Junker sagte auch, sie soll es thun: da hieß sie im Augenblik die Kinder ihre Buͤ- cher zuthun und lehrnte mit ihnen auswendig. — Dießmal der Abschnitt vom Lied: „Wie schoͤn, wie herrlich strahlet sie, „Die Sonne dort: wie sanft! und wie „Erquikt, erfreut ihr milder Glanz „Das Aug — die Stirn, die Seele ganz! Der 3te Abschnitt, den sie jezt lehrnten heißt: „Versunken ist sie; so versinkt „Wenn Er der Herr der Sonne winkt, „Des Menschen Herrlichkeit und Pracht „Und aller Glanz wird Staub und Nacht. Sie sagte eine Zeile nach der anderen von diesem Abschnitt laut und langsam vor, und die Kinder sprachen es ihr eben so langsam und sehr deutlich nach; das wiederholte sie so F 4 vielmal bis eins sagte; ich kan’s jezt: dann ließ sie dieses den Abschnitt allein sagen; und da es keine Sylbe fehlte, ließ sie ihn’s densel- ben den anderen vorsagen, und alle nachspre- chen bis sie es konnten: dann sange sie noch mit ihnen die 3 Abschnitt dieses Lieds, wovon sie die 2 ersten schon konnten. Nach allem dem zeigte sie noch den Herren, wie sie mit ihnen rechne; und auch das war das einfachste und brauchbarste das man sich vorstellen kann — aber ich rede ein andermal davon. §. 20. Ein Werberstuk. D er Lieutenant fand alle Augenblik mehr, das alles lasse sich in seiner Schule ma- chen; aber er fand eben sowohl, daß es eine Frau, wie diese, dazu brauche, wenn das nicht nur moͤglich, sondern wirklich werden sollte. Ein Werber aus Preussen spizt nicht so dar- auf, einen Purschen, der das Maß hatte, in Dienst zu kriegen, als der Lieutenant jezt dar- auf spizte, diese Frau, die ihm fuͤr den Schul- dienst das Maß hatte, wie keine andere, dafuͤr ins Garn zu loken. Aber Frau, sieng er an, koͤnnte man die Ordnung, die sie da in der Stube hat, nicht auch in der Schul einfuͤhren. Sie besinnte sich einen Augenblik, und sagte dann: ich weiß nicht, aber man sollte meynen, was mit zehen Kinderen moͤglich waͤr, waͤre mit vierzigen auch moͤglich. — Einen Augen- blik darauf aber sagte sie, — doch es wuͤrde viel brauchen — und ich glaube nicht daß man leicht einen Schulmeister finden wuͤrde, der so eine Ordnung in seiner Schul leiden wuͤrde. Lieutenant . Aber wenn sie einen wuͤßte, der so eine Ordnung machen wollte, wuͤrde sie ihm dazu helfen? Gertrud . Mit Lachen: Ja freylich, so viel ich koͤnnte und moͤchte. Lieutenant . Und wenn ich es bin? Gertrud . Was — bin? Lieutenant . Der Schulmeister, der gern eine Schul einrichtete, wie sie eine in der Stu- be hat. Gertrud . Ihr seyt kein Schulmeister. Lieutenant . Ich bin’s: fraget nur die Herren. Gertrud . Ja — vielleicht in einer Stadt, und in etwas, von dem wir weder Gig’s noch Gag’s verstehen. Lieutenant . Nein, wahrlich in einem Dorf. Gertrud . — (Mit dem Finger auf ihr Rad deutend) — bey dergleichen Kinderen? Lieutenant . Ja, bey dergleichen Kin- deren. — Gertrud . Es soll mir doch weit seyn bis an den Ort, wo die Schulmeister fuͤr derglei- chen Kinder so aussehen? Lieutenant . Nicht so gar. Gertrud . Ich meyn’s doch. Lieutenant . Aber sie hilft mir doch? wenn ich so eine Schul einrichten will. Gertrud . Wenn’s einmal weit ist, so gehe ich nicht mit euch. Lieutenant . Ich will nur da bleiben. Gertrud . Und Schul halten? Lieutenant . Ja. Gertrud . Da in der Stube? Lieutenant . Nein, in der Schulstube. Gertrud . Es wuͤrde euch leid seyn, wenn man Euch beym Wort nehmen wuͤrde. Lieutenant . Ihr noch viel mehr, wenn sie mir helfen muͤßte. Gertrud . Das denn nicht, — es wuͤrde mich noch freuen. Lieutenant . Jezt hat sie zweymal gesagt; sie wolle mir helfen; Gertrud . Ja freylich, dreymal sag ich Ja, wenn ihr unser Schulmeister seyt. Jezt fieng er und die Herren alle an zu la- chen: und der Ikr. sagte selbst; jaͤ Gertrud, er ist einmal euer Schulmeister. Das machte sie betroffen; sie ward roth, und wußte nicht was sie sagen wollte. Warum wird sie so still? sagte der Lieute- nant. Es duͤnkt mich es waͤre gut, wenn ich vor einer Viertelstund so still gewesen. Lieutenant . Warum jezt das? Gertrud . Wie wollt ich Euch koͤnnen hel- fen, wenn Ihr Schulmeister seyt. Lieutenant . Sie sucht jezt Ausfluͤchte, aber ich lasse sie nicht los. Gertrud . Ich will gebaͤtten haben. Lieutenant . Daraus gibt’s nichts; wenn sie mir die Ehe versprochen, sie muͤßte mir halten. Gertrud . Oeppen (etwann) nicht? Lieutenant . Oeppen wohl. Gertrud . Es kann nicht seyn. Weist du was, Gertrud, sagte der Ikr. halt’s du so gut du kannst, und mehr wird er nicht fordern: aber was du immer thun wirst, ihm zu helfen, das wirst du mir thun. Gertrud . Ich will wohl gern, aber Sie sehen die Stube voll Kinder, und wie ich an- gebunden bin: wenn’s aber um Rath und Huͤlfe in Arbeitssachen, die so ein Herr frey- lich nicht verstehen kan, zu thun ist, so weiß ich eine Frau, die das viel besser versteht als ich; und was ich nicht Zeit hab, das kann diese vollkommen. Junker . Richte es ein wie du kannst, aber gehe ihm an die Hand. §. 21. Danken muͤssen, thut alten Leuthen alle- mal wehe; aber den Kinderen ist es eine Freude. W aͤhrend der Zeit spizte der Heirlj immer darauf, seiner Mutter etwas zu sagen, aber sie sah’ ihm nie ins Gesicht, daß er ihr winken, und stuhnd ihm nie so nahe, daß er sie erlangen koͤnnte. — Endlich gerieth es, und er konnte ihr in’s Ohr sagen: doͤrfen wir dem Junker nicht auch suͤr die neuen Ba- zen danken? Der gute Bub drukte mit seiner Hand ihren Kopf hart an den seinen an, und nahm ihr das halbe Ohr ins Maul, wie wenn er’s abbeissen wollte. — Sie gab ihm eins mit den Baken, und sagte; ja freylich muͤßt ihr ihm danken: ich hab es nur vergessen. Im Augenblik legte der Bub seinen Baumwollen- floken auf den Radbank, schlich hinter den Raͤderen zu seinen Geschwisterten, sagte ei- nem nach dem anderen: Wir muͤssen dem Jun- ker fuͤr die neuen Bazen danken. Sie stuhnden denn alle von ihren Raͤderen auf und giengen mit dem Heirlj zu ihm hervor: aber da sie da stuhnden, dorfte keines reden. Der Junker sagte zu ihnen: was machet ihr da, Kinder, was wollet ihr? Und Gertrud zum Heirlj: Kannst du jezt nicht reden: da stuhnd er an ihn zu und sagte; wir wollen dir fuͤr die schoͤnen Bazen danken: Es freute den Junker: Er gab einem nach dem andern die Hand und sagte: Kinder! euer Vater und euere Mutter sind mir lieb: und wenn ihr recht thut, so seyt ihr mir auch lieb euer Lebtag. Denn nahm er den guten Heirlj vom Boden auf seinen Arm, sah’ ihm eine Weile ins Gesicht, und sagte ihm dann, gaͤll, (gelt’s) du giebst einmal auch ein braver Bub? Ja gewiß, sagte der Heirlj; und gaͤll ich bin dir auch dann dein Lebtag lieb? Er war im Augenblik auf seinem Arm wie daheim — sah’ ihm bestaͤndig in die Augen, und streichelte ihm mit der Hand uͤber die Baken. Arner sagte ihm da: Sag, bin ich dir auch lieb? Das denk ich, sagte der Bub; du bist ja noch mehr gut als die Mutter gesagt hat. Arner . Wie gut hat die Mutter gesagt daß ich seye? Heirlj . Sie hat gesagt: wenn ich dir danke, so gaͤbest du mir die Hand; und jezt nihmst mich noch gar auf deinen Arm. Arner . Hast du das so gern, wenn man dich auf den Arm nihmt. Heirlj . Ja; — und einen Augenblik dar- auf — aber ich haͤnge dir Baumwollen an. — Arner . Es schadet nichts. — Nein, wart, sagte der Heirlj, ich will dir sie wieder ablesen, — schnakete denn ihm uͤber die Achsel — langte mit der Hand den Ruͤken und auf beyden Seiten hinunter, so weit er konnte, und las ihm die Baumwolle ab, die er ihm angehaͤngt: Indeß riethen des Rudis Kinder unter ein- ander und sie wollen ihm fuͤr ihre Kuh und fuͤr ihre Matte danken. — Gesagt — gethan. — Sie draͤngten sich durch die anderen — das mit dem schwarzen Kohlaug voraus. — Es war das erste bey ihm, und sagte, wir wol- len dir auch danken: Wofuͤr sagte der Junker, und hatte den Heirlj noch auf dem Arm. Haͤ, fuͤr die Kuh und die Matten sagte das Kind. Da stellte der Junker den Heirlj ab, nahm ihns auf den Arm, und sagte, wie geht es euch jezt ihr Lieben! ist euch jezt auch wohl? Ja wahrlich, sagte das Naͤnnlj, sint dem wir auch Milch haben, und diese Frau da kennen. Aber folget ihr auch der Frauen, sagte Arner. Ich weiß nicht: Du must sie fragen, sagte das Kind auf seinem Arm. Und Gertrud: Es muß gut seyn, bis es besser wird. Folget ihr ordentlich, und thut recht, wenn ihr mir lieb seyn wollet, sagte der Junker. Wir wollen ihr gewiß folgen, sagten die Kinder alle, bis auf das Liselj; das murrete so zwischen den Zaͤhnen; daß es auch so toͤnte, und man meyne es sage es auch. Das Naͤnnlj auf seinem Arm war so ge- schwind erwarmet als der Heirlj; es gieng nicht lang, so sagte es, hast du viel so schoͤne Bazen, wie du da den Kindern gegeben? Schweig doch! schweig doch du unver- schaͤmtes Kind, riefen ihm die anderen auf al- len Seiten. Der Junker sagte ihnen: Laßt ihns reden, — und zum Kind: moͤchtest du auch? Kind . Ja, wenn du mir giebst. — Junker . Ich hab jezt keine bey mir. Kind . Hast nicht immer bey dir? Junker . Nein, aber wenn ich wieder kom- me, denn hab ich bey mir. — Kind . Kommst du bald wieder? — Junker . Ja. — Kind . Giebst mir denn auch? Junker . Was willt mit thun? Kind . Zusammenbehalten, und spahren. Junker . Und denn? — Kind . Und denn, wenn ich groß bin, et- was daraus kaufen. So verweilte sich Arner mit dem Kind auf dem Arm, und redete denn noch mit allen an- dern — gleich gut wie mit ihm und wie ein Vater. — §. 22. Eine Bruderliebe um die ich, wenn ich Schwester waͤre, nicht einen Pfiffer- ling geben wuͤrde. S o lang er ihns so auf dem Arm hielt, und mit des Rudis Kindern allen so redte, ware der Gertrud immer, wie wenn sie je- mand stieß und trieb, ihm ein Wort von ihrer Meyerin fallen zu lassen. Es trieb ihr den Schweiß aus; sie dorfte es nicht, und wollte es doch; und haͤtte es doch nicht gethan, wenn nicht just da es am staͤrksten in ihr kaͤmpfte noch der Meyerin Bru- der, der Untervogt in die Stube hineinge- kommen waͤre. Da konnte sie nicht mehr an- derst, — es war ihr als er die Thuͤr aufthat, es reisse es ihr jemand zum Maul hinaus, daß daß sie zum Junker, der das Naͤnnli noch im- mer auf dem Arm hatte, sagen muͤßte, — ja wenn jezt das gute Naͤrrchen nur auch wie- der eine Mutter haͤtte. Der Untervogt kam, dem Junker zu sagen, daß alles auf dem Ried auf ihn warte, und die Leuth mit den Geissen, und der Wagen mit den Baͤumen, und alles parat sey. — Er hatte den Thuͤren-Nagel noch in den Haͤnden als Gertrud das sagte, und es machte ihm das Herz klopfen, — daß er in seinem Bericht von den Leuthen und den Baͤumen, und den Geissen stotterte, — denn er wußte schon, was zwischen seiner Schwester und der Ger- trud vorgefallen, und hatte, noch mehr aber seine Frau, etwas ganz anders mit ihr im Sinn als das. Ich will gleich kommen, sagte da der Jun- ker zum stotternden Vogt; und zur Gertrud, man sollte denken, der Mann wuͤrde wie er’s jezt hat, eine Frau finden, wo er wollte. Gertrud . Ja, das wohl! — aber. — Junker . Was aber? — Gertrud . Er sollte auch eine rechte haben. Junker . Thue ihm eine zu. — Gertrud . Wenn ich kann, ich thue es gewiß, — aber da der Herr Untervogt koͤnnte, wenn er wollte so gut seyn, das Beste dabey G thun, wenn er ihm bey seiner Schwester ein gutes Wort verleihen wuͤrde. Ich weiß nichts, — ich weiß nichts; — ich weiß von allem kein Wort, — stotterte der Untervogt. Du hoͤrst ja, was sie sagt, sagte der Jun- ker, und wie ists? Was meynst, wuͤrde es dir so gar mißfallen? Nein, nein, das gar nicht, das gar nicht, sagte der Tropf. — Nun! so sage deiner Schwester, wie du weissest, daß ich gegen die- se Haushaltung denke, und daß es mich freuen wuͤrde, wenn das ein Grund waͤre, daß sie desto eher in diese Haushaltung hineinstehen wuͤrde, sagte der Junker. Der Meyer wollte der gute Mann seyn, und da der Junker zeigte, daß ihm daran ge- legen, daß der Rudi wohl versorgt werde, sagte er immer ja freylich, und Ja, — Ja. — Er mag jezt seine Schwester, oder sonst je- mand zur Frau bekommen, so kann eine jede versichert seyn, ich werde mich dieser Haus- haltung annehmen, so lang ich lebe, sagte da der Junker noch zur Gertrud, — und dann zum Vogt; — aber es wuͤrde ihn doch freuen, wenn er diejenige bekommen wuͤrde, die diese Frau da, fuͤr die beste fuͤr ihn halte. Und der Vogt sagte noch einmal, es soll an ihm nicht fehlen, er wolle sein moͤglichstes thun. — Aber er keuchte, — so angst machte ihm das Gespraͤch. — Der Junker sah ihn so keuchen, und ahnde- te, es bedeute, was es bedeutete, und wie er ist; er sagte im Augenblik: aber nicht, daß es seyn muͤsse, wenn es dir etwann zuwider, der Mann wird wohl versorget werden, und muß versorget werden, daran hats kein Noth. Der Erztropf haͤtte jezt noch einmal sich mit Ehren herausziehen koͤnnen, aber ein Esel bleibt ein Esel, man mag mit ihm anfangen, und ihn aufzaͤumen wie man will. — Der Narr wollte lieber noch einmal liegen, und sagte wieder, es seye ihm nichts weniger als zuwider; — es glaubte ihms niemand, und Gertrud sagte zum Junker; es kommt zulezt nicht alles auf ihn an. §. 22. Was ist suͤsser, als Kinderfreude, und was ist reiner als Kinderguͤte. W as Haͤnd und Fuͤß hatte gienge jezt auf das Ried, zu sehen, was er mit dem Wagen voll Baͤume, und mit der Heerd Geis- sest anstellen wollte; auch der Gertrud ihre Kinder lieffen, so bald die Herren zur Stube hinaus waren, und sie ihr Abendbrod hatten, G 2 dahin. — Die gute Mutter gab ihnen in der Freud uͤber diesen Tag doppelt so viel als sonst; denn sprangen sie fort, was sie springen moch- ten, und waren lang vor den Herren droben. Des Junkers Carl war auch da, und die Buben die da waren, fragten ihn, was doch der Papa mit so viel Geissen machen wolle? Ihr muͤßt allesamen, Buben und Kinder, so Geissen haben, der Papa hat’s gesagt, ant- wortete ihnen der Carl. Du weissest aber einmal viel, daß du dein Maul so brauchst, sagte der Clauß, es sind sind sieben Kinder da, wo eine Geiß. — Und die groͤssern Buben sagten ihm auch, es ist wahr, es sind mehr Buben als Geissen. Die armen Thiere waren geplagt: Die Kin- der nekten sie an Bart und Hoͤrnern, daß sie ihnen maͤh, maͤh, machen. Ihrer etliche wollten nicht blos die Thiere plagen, sie sagten noch zu des krummen Schnei- ders Liselj, es habe so viel Geschwisterte hier. — Es aber zeigte mit der Hand in das Thal hinunter, wo Ochsen und Kuͤh weideten, und sagte, da unten sind Euere. Aber die Geissen waren hungerig, die mei- sten kamen einen weiten Weg, und wenn die Kinder ihnen den Kopf anruͤhrten, stiessen sie manchmal fuͤr gut mit den Hoͤrnern. Die Kinder merkten bald wo es ihnen fehle, zehrten ihnen Laub und Gras ab, und gaben ihnen Brod aus dem Sak, so viel sie hatten, da wurden die Ziegen zaͤhmer, und stoßten minder. Des Maurers Heirlj saß an einem Haag, zeigte einer sein grosses Stuͤk Brod, und ließ es so halb aus dem Sak hervor guken; dann wann die Geiß den Kopf halb in Sak herein hatte, so zog er das Brod wieder zuruͤk, denn triebe das hungerige Thier so stark gegen das Brod, daß es ihn einmal mit samt dem Sak auf den Boden warf. Ja, ja jezt hast Brod, wenn du mich brav umstossest, sagte er, als er wieder aufstuhnd; und es dunkte ihn so lustig, daß er nicht merk- te, daß er nah bey einem Ameissenhaufen ab- gesessen, bis er voll von diesen Thieren lief. Da ist nicht gut Wetter, wir muͤssen wei- ter, sagte er da zur Geiß, nahm, damit sie auch komme, das Brod in die Hand. Hinter dem Haag sahe er jezt doch, ob es richtig am Boden, eh er absaß, denn sieng er an, der Geiß im Ernst Brod zu geben: aber da er den ersten Mundvoll fuͤr sie noch in der Hand hatte, sah er des Reutj Marxen Bethelj, das nahe bey ihm zustuhnd, und ihm auf die Hand und der Geiß ins Maul hineinschaute, und sagte im Augenblik zu ihm, willt auch Brod? G 3 Roth und nur halb laut, antwortete es: Ja, wenn du mir giebst. — Ja freylich, sagte der Heirlj, und theilte dann sein Brod Mundvoll fuͤr Mundvoll zwi- schen dem Kind und der Geiß; er gab allemal den groͤssern Mundvoll dem Bethelj, den an- dern der Geiß, und sagte dann wann das Thier seinen hatte, wart jezt Geißli, — es ist jezt wieder am Bethelj — und dann darnach, jezt ist es wieder am Geißlj. — Das Kind zitterte mit der Hand als es ihm den ersten Mundvoll abnahm, und etwann beym dritten, da er selber keinen nahm, sagte es, warum issest du nicht auch? Nein, nein, ich kann wieder haben, wenn ich heimkomme und der Mutter heische, sagte der Heirlj. — Und das Bethelj, — kannst du haben, so viel du willt? Heirlj; — Ja, jezt giebt mir die Mutter bis genug, aber es ist noch nicht lang, sie hat mir auch nicht koͤnnen genug geben. — Das Bethelj seufzete, und der Heirlj sagte wieder, weissest du was? Komm nur am Abend um Sechse, wenn wir Feyerabend ha- ben, an unsere Gaß, ich will dir denn allemal davon aufspahren, und dir’s dann geben. Aber hast du dann doch genug, wenn du mir so giebst? erwiederte das Bethelj. Und der Heirlj, ich will dann das schon machen, komm du nur! — So redten sie mit einander waͤhrend er das Brod theilte, bis auf den lezten Mund voll der noch groß war; er sah ihn an ob er ihn auch theilen wollte, aber er machte mit dem Kopf Nein — sagte, Geiß! du must jezt genug haben, und gab ihn ganz dem Betheli; — denn stuhnd er auf, fuͤhrte seine Geiß weiter an der Hand am Haag hinauf, wo sie Laub fand; das Bethelj aber blieb bey seinem Mund voll sizen und aß. Des Junkers Klaus sah dem ganzen Spiel zu, und da der Heirlj fort war, kam er hin- ter der Brombeer Staude hervor und legte ohne ein Wort zu reden dem Kind ein gros- ses Stuͤk Brod in den Schoos. Es erschrak, als er hinter der Staude hervor kam, aber da es das Stuͤk Brod im Schoos hatte, lach- te es, und rief ihm laut nach, dank dir Gott, Mann! Der Heirlj hoͤrte es oben am Haag dank dir Gott rusfen , und fragte, was hast jezt? da sprang es mit dem Brod in der Hand zu ihm hinauf, zeigte ihm den Mann, der jezt wieder beym Wagen voll Baͤume stuhnd, und der ihms gegeben, dann theilte es auch mit der Geiß, aber es gab ihr doch die kleinern und aß die groͤssern. Der Heirlj wollte ihm keines abnehmen, es bat ihn, nimm nur auch einen einzigen Mund voll, und diesen nahm er ihm ab. — G 4 Jezt einmals koͤnte ein Geschrey und ein Ruffen: Er kommt; — Er kommt — es ist ihn, es ist ihn. Es war der Junker, der mit seinem Lientenant langsam aus dem Foͤrenholz heraus dem Bach nach gegen die Anhoͤhe kam. Da machte das junge Volk den Anschlag ihm bis unten an den Huͤgel, in einem Zug, ent- gegen zu gehen, und der Carlnahm sein grosses buntes Nastuch aus dem Sak, und rufte: — He — wer macht uns einen Fahnen? Wenn wir einen Zug machen, so muͤssen wir einen Fahnen haben; sein Claus erwiederte ihm, ich will euch einen machen, und band ihm das schoͤne Tuch an einen schneeweissen Ste- ken. Aber wer muͤßte dann Hauptmann seyn, und den Fahnen haben? sagte der Carl. — Der Fahne ist dein, und du must ihn tra- gen, sagten die Buben. Nein: sagte Claus, der Bub da, auf des Maurers Heirlj deutend, muß jezt der Hauptmann seyn. Aber warum jezt auch das, sagten alle Bu- ben, und auch Carl stuhnd da, wie wenn er das lieber anderst haͤtte, und sah den Claus mit runden Augen an. Es muß jezt so seyn ihr Buben, sagte Claus und Meister Carli Kayser! Sieh mich nur nicht so an, ich weiß wenn der Papa kommt, er sagt, ich habe recht. Nun so gieb ihm den Fahnen — nur — wenn’s Nastuch schon mein ist, sagte der Carl. — Der Claus thats, und der erste der am Zug jauchzte, war Carl — aber da sie na- he beym Junker waren, sprang er aus dem Reihen heraus seinem Vater an die Hand. Warum bist du so aus der Reihe heraus- gesprungen? sagte der Junker, und hob ihn in die Hoͤhe. Dann gruͤßte er die andern alle, gab dem Heirlj seine Hand, fragte ihn, wer ihn so zum Hauptmann gemacht? Da dieser Mann hat wollen, ich muͤsse es seyn, sagte der Heirli und deutete mit der Hand auf den Claus! und dieser erzaͤhlte dann, daß er eben vorher dem Buben hinter einer Brom- beer-Staude zugesehen, wie er sein Stuͤk Brod mit einem Kind und einer Geiß getheilt, und dann dem armen Kind dann noch alle Abend von seinem Brod versprochen, sezte dann hin- zu, und ich moͤchte jezt den sehen, der es besser verdient haͤtte! Ja — sagte der Carl, wenn du das zu erst gesagt haͤttest, ich haͤtte denn auch gewuͤßt, daß es recht waͤre. Und nicht also das Maul gehaͤngt, sagte der Claus ihm leiß, und seitwaͤrts. — Das ist recht Claus, der braͤvste muß auch der Hauptmann seyn, sagte der Junker. Das ist nichts so braves, ich habe mich nur lustig gemacht, und es hat mich nicht gehungert, sagte der Heirlj, und dann zog alles froͤhlich mit einander den Berg an. §. 23. Der Junker thut Vaͤter-Werke und macht Geißhirten-Huͤtten Ordnun- gen. N un stuhnd er auf der Anhoͤhe, auf welcher Bonnal einst das Fest feyren sollte, des- sen Stiftung er beschlossen. — Die Frucht- baͤume zum grossen bedeutungsreichen Obs- wald, unter dessen Schatten sein Volk den Erden-Segen, den Gott dem Menschenge- schlecht und niemand ausschliessend gegeben, einst feyren soll, lagen jezt vor seinen Augen schon auf dem Wagen. Wie ein Priester Gottes in seiner feyer- lichsten Stunde still vor seinem Altar stehet, so voll hoher Gefuͤhlen mit dem menschlichsten Opfer, das noch auf Gottes Altar geopfert worden, stuhnd jezt Arner auf dieser Stelle und warf seinen Segenblik auf die ihn umge- bende Menge. Er hatt’ in diesem Staunen seinen Carl aus den Augen verlohren, ihn zu suchen warf er sein Aug noch einmal auf den Haufen Kinder, und fand ihn unter Bon- nals Buben, zween von den schoͤnsten an bey- den Haͤnden haltend. Er winkte ihm, und sagte zu sich selber, wenn er doch nur sein leb- tag so gluͤklich unter den Kindern seines Volks ist, und niemand so gern am Arm hat als seine Leuthe! Bald darauf sagte er, es koͤnne jezt ein je- der Hausvater hingehen und von den Baͤumen auf dem Wagen so manchen nehmen als ei- ner Kinder habe. Auf das Wort draͤngten sich Reiche, Freche, und Geizige vor, geschwind vor den andern die ersten zu seyn, und die schoͤnsten weg zu schnappen, denn wenn schon alles gute Baͤu- me waren, und von feinem Obs, so war doch immer ein Unterschied im Alter und an den Wurzeln. Aber der Junker merkte das Lauf- fen, und machte ihm Halt, ehe sie noch am Wagen waren. Als sie still stuhnden, befahl er, sie sollen warten, bis der Claus mit ein paaren die Baͤume alle ab dem Wagen genom- men, und sie wie sie ihm in die Haͤnde kom- men, die groͤssern und die kleinern durch einander an Boden gelegt, und indessen sich auch an ei- ne Reihe stellen, und denn einer nach dem an- dern die Baͤume wie sie am Boden liegen und auf einander folgen, jeder die seinen voran wegnehmen. Es haͤngte zwar der eint und andere das Maul ob dieser Ordnung als ob ihm unrecht geschehen, aber sie nahmen die Baͤume doch — die andern lachten, daß ihnen so recht gesche- hen — und der Junker sagte dann — als sie ihre Baͤum hatten, und alles wieder in ei- nem Kreiß um ihn her stuhnd: — Ich haͤtte gern, daß es auch der aͤrmsten Haus- haltung nicht an der noͤthigen Milch fehlte, ihren jungen Kindern eine gute und ihrem Al- ter angemessene, und fuͤr ihr Wachsen und Zu- nehmen nothwendige Suppe machen zu koͤnnen, — darum habe ich diese Geissen machen hie- her kommen, und will denen, die das Geld nicht haben fuͤr ihre Kinder eine zu kauffen, das- selbe gern vorschiessen, und hiemit befahl er denen, die einen solchen Vorschuß gern haͤtten, naͤher zu ihm zu kommen. Es kamen ihrer sieben und zwanzig; aber sie sahen aus, daß es ihm durch Leib und Seel fuhr, — ohne Hut, — ohne Kappe, — ohne Schuh und Struͤmpf, und alles an ihren Kleidern zerrissen. Das war noch nicht ihr Elend; der Lump, der Schlaͤgler, der Troͤhler, der Spieler und Saͤuffer war nicht nur auf ihren Roͤken, war auf ihren Gesichtern wie abgemahlt. Es erschuͤtterte Arner, da er sie ansah; mit Ernst und Unwillen sagte er ihnen, ihr sehet doch auch gar aus. Ein Sigmund Reich hatte das Herz ihm zu antworten; Es vermoͤgen in Gottes Namen nicht alle Leuthe gut auszusehen. Das brachte Arner auf. Er antwortete ihm, unverschaͤmter Mann, es vermag ein je- der Mensch sich an Leib und Seel nicht zu ver- hunden, und wie ein Schurk, ein Lump, und wie du auszusehen. Die andern Sechs und zwanzig haͤtten ihm gern das Maul eingeschlagen, daß er dieses Wort geredt, und die in den Baͤnken, seye es aus Neid wegen den Geissen oder sonst, lachten uͤberlaut, und sagten: der Junker ha- be wohl recht, es habe viele von ihnen noch ihr gutes Geld gekostet, bis sie es dahingebracht auszusehen, wie sie aussehen. Der Junker fragte indessen den Pfarrer ob ihre Weiber und Kinder auch so aussehen? Leider Gott erbarm, wie ab ihnen geschnit- ten, sagte der Pfarrer. Der Junker schuͤttelte den Kopf und erwie- derte, denn ists boͤs, und hier wendete er sich wieder an die Maͤnner, und sagte ihnen, wo es euch eigentlich fehlt ist weder mit Land noch mit Geiß-Milch zu helfen, und ich weiß wirk- lich nicht was ich thun will. Einen Augenblik darauf, — wenns mir nicht um euere Kinder zu thun waͤre, so schikte ich die Geissen wieder, wo sie hergekommen. Er schwieg wieder eine Weile, sagte dann, geht in Gottes Nahmen, und leset die Geissen aus, aber das sag ich euch, wann ihr die Milch euern Kinderen vorenthaltet, oder sonst machet, daß sie um euertwillen serben muͤssen und nicht gesund seyn und truͤhen koͤn- nen, so will ich die armen Geschoͤpf euch weg- nehmen, und selber dazu sehen, daß sie wie Christen-Menschen erzogen werden, es mag mich kosten was es will. Aber das sag ich euch auch, so gewiß als mich einer von euch noͤthiget, ihm sein Kind wegzunehmen, weil er ein Unmensch an seinem Fleisch und Blut ist, so steke ich ihn auch dafuͤr ins Zuchthaus, und lasse ihn unter Pruͤgeln ziehen, bis er ein Mensch ist. Mit dem ließ er sie dann gehen und Geissen auslesen. Es machte ihnen aber so sturm im Kopf, was er ihnen sagte, daß sie wahrlich mit den Geissen-Maͤnnern uͤbel gehandelt haͤtten, wenn der Claus nicht mit ihnen gegangen, und ihnen geholfen haͤtte. Die Kinder aber die Geissen bekamen, hatten eine unbeschreibliche Freude, und alle andere Buben hiengen ihren Vaͤtern an, daß sie ihnen auch so Geissen kauften. — Mit Bitten und Baͤtten, und mit Erzaͤhlen, daß der Junker Carl auch eine habe, brachten es ihrer 32 dahin, daß ihre Vaͤter ihnen auch kauften. Und da die 27 ihre Kinder zum Junker hervor brachten, brachten die 32 die ihre auch, aber doch kamen sie allein, und stellten sich mit ihnen nicht unter die 27. Habt ihr euern Kindern auch so Geissen gekauft? sagte da der Junker. Etliche antworteten wir haben wohl muͤs- sen, sie haben uns fast verrissen und verzehrt, bis wir es gethan; andere sagten, weil ihr euerm auch eine gekauft hattet, so hat es uns desto mehr gefreut. Und muͤssen euere ihre Geissen auch huͤten? sagte der Junker. — Warum das nicht, sagten die Vaͤter? — Nun so machet jezt alle Kinder, die ihre Geis- sen huͤten, um mich herum sizen, ich muß mit ihnen reden, sagte der Junker. Da stellten die 27 und die 32 Vaͤter, ihre Kinder die den Geissen huͤten muͤßten, in ei- nen Kreiß um ihn herum, und sich denn selber gerade hinter ihnen auch in einen Kreis. Da sagte Arner, das Weidhirten-Leben seye ein Leben, in welchem sie leichter als in keinem andern, zu wilden, ungezogenen und dadurch ungluͤklichen und boͤsen Menschen werden koͤn- nen, sie muͤssen desnahen Einrichtungen machen, daß sie bey ihrem Geissen huͤten sich nicht so leicht die Fehler des Huͤter-Lebens angewoͤhnen. Zuerst muͤsset ihr unter einander abreden, wie viel alle Wochen von euch huͤten muͤssen, damit darinn keine Unordnung seye, und kei- nes unnoͤthiger Weise die Zeit ob dem huͤten verliere. Und denn fuhr er fort; muͤßt ihr mir ver- sprechen: Erstlich: Ihr wollet dasjenige aus euch fuͤr keinen braven Huͤterbuben, und kein bra- ves Huͤtermaͤdchen halten, und nicht mehr un- ter euch zaͤhlen, noch mit euch huͤten lassen, welches auf der Weid uͤber seine Geiß flucht und schwoͤrt, sie siark schlaͤgt, oder ihr Steine nachwirft. — Zweytens: Ihr wollet auch das fuͤr kein braves Huͤterkind halten, und nicht mit euch weiden lassen, welches seinen Mithirten boͤse Wort giebt, sie schimpft, und schiltet, — oder gar uͤber sie fluchet, und sie schlaͤgt. — Drittens: Daß ihr eines nicht fuͤr ein bra- ves Huͤterkind haltet, noch neben euch huͤten lasset, wenn es mit Fleiß oder aus Liederlich- keit, die Geissen in Holz und Feld zu Schaden gehen laͤßt, noch viel weniger, wenn es selber in Holz und Feld, Schaden stiften und frevlen wuͤrde. Viertens: Daß ein gutes Huͤterkind, eine Arbeit auf die Weid, an seinem Huͤtertag mitnehmen, und dann am Samstag seinem Schulmeister vor allen Kindern angeben solle, was was es an seinem Huͤtertag bey der Heerde ge- than, sey es dann, es habe Stroh geflochten, oder Wolle gestrikt, oder Holz aufgehauen. — Die Kinder versprachen laut und freudig, daß sie die Punkten alle gewiß, gewiß, und gern, gern halten wollen. Aber etliche Vaͤter, die hinter den Kindern zustuhnden, buͤkten sich zu ihnen herunter, und sagten ihnen, ja — Kinder — Kinder — es ist geschwind ja gesagt, wenn es denn nur auch so munter geht, wanns ums halten zu thun ist. Der Junker hoͤrte was diese Vaͤter sagten, es freute ihn, und er sagte auch; es ist recht, was sie euch sagen, ihr Lieben! Versprechet mir nichts, was ihr hinten nach dann nicht haltet. — Die Kinder versprachen wieder, sie wollens gewiß halten. Und der Carl, der auch bey ihnen stuhnd, nahm seinen Papa bey der Hand und sagte, Nein — Papa, glaub es ihnen auch, es ist ihnen gewiß Ernst. — Jaͤ, jaͤ, Carl, wie oft hast du schon etwas versprochen, und hinten nach nur halb gethan, sagte der Junker, und laͤchelte. Eine Weile darauf sagte er: aber wenn sit es thun, und huͤten wie recht und brav und wie sie versprochen, so muͤssen sie denn im Herbst einen ganzen Tag mit ihrem Geissen zu H dir kommen; ich will sie denn an der Burghal- den, neben den Reben weiden lassen, und se- hen, wir jedes seine Geiß in der Ordnung hat, und die Mama macht dann allen zusam- men ein Reis. Und Fliegen darauf, sagte der Carl. — Ja — und Fliegen darauf bis es ganz schwarz ist, sagte der Junker. Sie meynten Rosinen, aber die Buben wußten es nicht, und zehrten den Carl beym Sak und Ermel, und fragten ihn was das auch seye? Es ist gut, gut, suͤß wie Zuker, und kohl- schwarz wie Fliegen, aber ohne Fluͤgel, und ihr werdets dann schon sehen, sagte der Carl. §. 24. Von Jugend auf zwey Bazen sparen. Ein Mittel wieder den Ursprung der Verbrechen, gegen die man sonst Galgen und Rad braucht. A ls der Spaß aus war, redte der Junker mit den Haus Vaͤtern von den zehndfreyen Aekern, die er den Spinnerkindern schenken wollte, wenn sie, ehe sie zwanzig Jahre alt seyen, 8 bis 10 Dublonen erspart haͤtten, und beyseits legen wuͤrden. Es wollte ihnen zwar nicht leicht in den Kopf wie das moͤglich, und wie die Spinnerkinder 8, — 10 Dublonen zu- sammenbringen sollen, ehe sie 20 Jahre alt sind. — Aber das Wort Zehndfreyheit, das so rar ist als der Vogel Phoͤnix, machte, daß sie mehr Verstand bekamen, als sie sonst hatten, und ausrechnen lehrnten, es brauche nicht mehr als daß eines in der Woche 2 bazen beyseitslege, und denn waͤrs in der Ordnung. Er trug es ihnen vor, wie es ihm das Baum- wollen-Mareylj angegeben; ein Kind das jezt schon 17 Jahr alt, muͤsse Gulden dreyßig, ei- nes das 16 Jahr, vierzig, eines das 15 Jahr fuͤnfzig, eins das 14 Jahr sechzig, eins das 13 Jahr siebenzig — und nur die wo unter 13 Jahren muͤssen ihre volle achzig Gulden zusam- menbringen, um diese Zehndfreyheit zu er- langen. Und mit jedem Augenblik begriffen ihrer mehrere, daß die Sache moͤglich und thunlich, und ihrer etliche fiengen bald an so warm zu werden, daß sie sagten, der Teufel, man muß das Eisen schmieden weils warm ist. Kind und Kindskinder erlebens vielleicht nicht mehr, daß einem Junker so ein Wort zum Maul hinaus jukt. — Und hie und da nahm jezt ein Bauwollen spinner-Vater sein Kind beyseits, und sagte ihm, was ists? willt du in der Woche ein hal- H 2 bes Pfund mehr spinnen, daß ich dir so einen Sparhafen machen koͤnne? du hast dann dei- ner Lebtag einen Vortheil. — Das glaub ich, sagten die Kinder — und gern ein ganzes Pfund, wenn du mir das thust, Aetj — (Vater)! — Bald darauf riefen ein paar Spinner-Vaͤter: wir haben zu danken Junker, und wir wollen mit unsern Haushaltungen das anfangen, was ihr saget. — Wir auch — wir auch, Jun- ker, sagten jezt eine Menge. — Uebereilet euch nicht, sagte da der Junker, und besinnet euch mit euern Weibern bis Mor- gen, ob ihrs versprechen wollet, denn es ist mir, wie mit den Huͤterkindern, wenns einmal versprochen ist, so muß es gehalten seyn. Es ist versprochen, es ist versprochen, und es muß gehalten seyn, sagten viele Maͤnner und andere. Es braucht sich da nichts zu be- sinnen, wir muͤßten uns und unsern Kindern Spinnenfeind seyn, wenn wir uns einen Au- genblik besinnten. — Aber die Reichen im Dorf, und die Gros- sen, als sie sahen, wie das kommen wolle fiengen an die Koͤpf zusammen zu stossen, und zu einander zu sagen, jaͤ — und denn unsere Toͤchteren, was haben dann sie? wenn die Spinnerkinder so zehndfreye Aeker bekommen. Der Junker merkte, daß den Dikbaͤuchen etwas nicht recht lag. Sie stuhnden bey drey, vieren zusammen, verwarfen die Haͤnde, und schuͤttelten die Koͤpfe. Es wunderte ihn, was es seye, er winkte dem Untervogt, der bey ih- nen stuhnd, und fragte ihn, was sie haben? Ha — sie meynen eben so zehndfreye Aeker wuͤrden ihre Toͤchter auch freuen, und ihnen auch wohl thun, wie den Spinnerkindern, sagte der Untervogt. Und der Junker: So — moͤchten sie das auch noch? haben sie sonst nicht genug? Sie meynen auch, sagte der Untervogt, sie verdienen es wie die andern, und wenn man die Wahrheit sagen muß, so muͤssen sie zehen- mal mehr arbeiten, als die andern. Das ist nur, weil sie hundertmal mehr ver- moͤgen als die andern, sagte der Junker. Und es ist so, — es ist so — erwiederte der Vogt, fuhr aber doch fort, ihnen das Wort zureden, und sagte, wenns nur nicht der Zehn- den waͤre, moͤchte sonst seyn, was es wollte; aber der Zehnden ist so eine eigentliche Bau- ren Sache, und es sezt den groͤssesten Verdruß ab, wenn die Baumwollen-Kinder darinn einen Vortheil bekommen. — Verwundert euch nicht, daß der Untervogt das sagte. Der Huͤgj hat ihm, da ihm der Jun- ker winkte, zugeruffen, er solle ihms sagen. Dieser aber bedachte sich einen Augenblik und H 3 sagte denn — Sie muͤssen auch solche Aeker haben, wann sie wollen, und wandte sich dann an eine Sammlung von Dikbaͤuchen, die in der Naͤhe von ihm bey einander stuhnden, und ihm, und dem Untervogt ins Maul hineinsa- hen, was sie redten. Er sagte ihnen, wenn euch so viel daran liegt, daß euere Toͤchtern auch so zehndfreye Aeker zur Aussteuer bekommen, so will ich das thun. Ich will einer jeden Bauren Tochter, deren Eltern ein Waysenkind das nicht uͤber sieben Jahr alt ist, ins Haus aufnemmen, und brav und unklagbar erziehen so eine Zehnd- freyheit zur Aussteuer schenken, wie einem Spin- nerkind, das seine achzig Gulden verdient hat, und noch lieber will ich das thun, wenn eine von euern Tochtern aufweisen kann, daß sie selber etwas gethan, das so brav und gut ist, als ein armes Kind erziehen, oder so viel Jah- re in der Ordnung sparen, als die Spinnerkin- der dafuͤr sparen muͤssen. Aber verstehet mich wohl, es muß etwas seyn, das nicht bloß in ihren Sak gut ist. Die Sammlung der Bauren that kein Maul auf uͤber das was er sagte. Ihrer viele aber kehrten sich von ihm weg, da er ihnen ins Ge- sicht sah. — Eine Weile darauf fiengen sie unter einander an zu brummen, das seye nichts — Einer sagte, sie muͤßten ja aus ihrem Geld kauffen, was er den andern verehre. — Ein anderer sagte, so ein Narr bin ich nicht, und salze mir so eine Plage auf, ich hab genug an meinen eignen. — Noch einer sagte, wenn ich etwas froͤmdes erziehen will, so muß es mir im Stall schlaffen, und am Bahren fressen. Ja — ja — sagte wieder einer, so eins das man anbinden kann, geht wohl an, aber mit den andern mag ich nichts zu thun haben. Einer oder zween, die gar hochmuͤthig wa- ren, fanden doch, so ein Kind aͤsse zulezt mit den andern, und sie koͤnnten es immer brau- chen, wenns auch nur zum Huͤner futern und Gras ausrauffen waͤre. — Aber es hat ein a propos, — sagten wieder andere. Wer weiß, was er unter dem wohl und unklagbar erziehen versteht? und wenn einer Jahr und Tag Muͤhe und Arbeit gehabt haͤtte, und er denn sagte, es waͤre nicht brav und unklagbar erzogen, was wollte einer denn machen? Und wenn so ein Kind stuͤrbe? so waͤre wieder das, man koͤnnte noch s’teufels Verdruß davon haben, und wenn mans 10 Jahr haͤt- te, waͤre einem denn noch niemand nichts schuldig. Der Junker sahe, daß sie nicht mit ihm H 4 reden wollten, sondern nur unter einander brummelten; er zweifelte nicht daran, es ge- falle ihnen nicht, und er wollte die Gemeind entlassen. §. 25. Der Mensch verglichen mit der schoͤnen Natur. D a kam noch der Michel zu ihm hervor, und sagte, es sey von der aͤrmsten Haus- haltung, die gewiß mehr als keine andere eine Geiß noͤthig habe, — Niemand da, — die Frau liege auf dem Todbeth, und der Mann habe gewiß darum nicht koͤnnen wegkommen. Der Junker befahl ihm im Augenblik, das beste Thier, das er noch finde, fuͤr den Kien- ast zu kaufen. Und er, wenn er fuͤr sich selber eine gekauft haͤtte, haͤtte sie nicht sorgfaͤltiger aussuchen koͤnnen. Denn warf der Junker noch einen Blik auf das Volk, das jezt von ihm weg- gieng. Es erquikte ihn, daß die Armen und Kinder, sich zu ihm draͤngten, und ihm dank- ten, aber es that ihm auch weh, daß die Rei- chen fast alle die Koͤpfe von ihm weghielten, und thaten, als wenn sie ihn nicht saͤhen, so nahe sie an ihm vorbeygiengen. — Sein Carl machte ihn ihre Unart vergessen. Er stuhnd, den Baum auf der Achsel, und die Geiß an der Hand, die Beine wie ein Bauer- bub verspreitend vor ihm, und sagte: — Aber du Papa! Die andern Aettj sezen morn alle ihren Buben die Baͤume, willst du mir meinen auch sezen? Ja freylich, sagte der Junker. Aber kannst du es auch? sagte der Bub — und, ich wills dann probieren, der Junker. — Siehest du, man muß ein Loch in Boden ma- chen, aber ein grosses und tiefes, und Schor- herd drein thun, aber faulen alten, der nicht brennt, und denn erst den Baum darauf, nicht tief, und die Grasmotten, die man dazu legt, muß man umkehren, daß sie nicht an- wachsen, denn brauchts noch viel viel, bis er recht stehet, und verdoͤrnt ist. Junker . Wer hat dir das alles gesagt? Carl . Meynst du Papa! Die Buben reden jezt nichts als vom Baumsezen? Sie haben geglaubt, ich wisse nichts von diesem, aber meyn, — ich habe mehr gewußt als sie, und sie sind doch Baurenbuben. Junker . Wer hat dirs gesagt? Carl . Der Herr Rollenberger, der weiß mehr als alle Bauren — aber ich muß jezt gehen, die andern Buben gehen auch mit ih- ren Geissen. Jezt stand Arner mit seinem Lieutenant bald allein auf dieser Anhoͤhe. — Die glatte Itte zitterte im reinsten Silber- licht zu ihren Fuͤssen. — Die Sonne neigte sich — und der Wasserspiegel des Schlangen- bachs glaͤnzte von Bonnal aus, bis Ends zu den blauen Bergen, die wie ein Vorhang Ar- ners Land von der uͤbrigen Welt scheideten. Arner sah eine Weile staunend still in Thal und Bach, — denn sagte er zum Lieutenant, der neben ihm stuhnd, es ist mir jezt ich sehe die Arbeit die wir hier anfangen, auch so mit dem Bach von Bonnal weg, fortrinnen und von einem Dorf ins andere kommen, bis an den Thurm wo sich Gottlob meine Sorgen und meine Pflichten enden. Er zeigte ihm dann mit dem Finger, die graue Spize des Kirch- thurms von Arnheims End? Die Itte glaͤnzt da nur noch wie ein duͤnner Silberfaden, und verliert sich im Vorhang der Bergen, und Ar- ner sagte, das ist das lezte Ort meines Thals. — Er sezte mit einer Art von Wehmuth hin- zu, — erleb ichs noch, daß wir mit unserer Arbeit bis nach Arnheims End kommen? Es geht vielleicht nicht so lang, als Sie sich vorstellen, sagte der Lieutenant. Es ist moͤglich, sagte Arner, einmal wird unsere Arbeit gewiß leichter, je weiter wir vom Schloß wegkommen. Daruͤber laͤchelte der Lieutenant und sagte, uͤber diesen Punkt habe ich einmal einen Geist- lichen vor einem Tisch voll Junkeren und Pfaffen eine derbe Wahrheit sagen hoͤren. Es war in der Steinmarch, und man re- dete an der Tafel von dem Unterschied der Pfruͤnden, die in einem Marchamt gegen der Gewohnheit in der Naͤhe von den Schloͤssern, besser sind als in der Ferne davon. Da sagte ein magerer Pfarrer, der unten am Tisch saß, mit einer hellen, langsamen Stimm, die hinauf toͤnte, daß alle Maͤuler schwiegen; wenn’s recht waͤre Ihr Gnaden und Ihr Hoch- wuͤrden, so waͤrs allenthalben so. — Warum? Warum? Riefen ihm Ritter und Pfaffen hinab? Warum Ihr Hochwuͤrden und Gnaden? In der Naͤhe von Schloͤssern hat man Teufel auszutreiben; wenn man da- von weg ist, nur Kinder zu erziehen. Die Augen blizten den Hochwuͤrden und den Gnaden, da das Wort heraus war, aber ein Gescheider unter ihnen, fieng an zu lachen, und des Pfarrers Gesundheit zu trinken. Da merkten die andern, daß das ihr Spiel, und vom Schlesischen Commandeur der oben an saß, bis zum juͤngsten Degen, lachte jezt alles, und alles trank dem Pfarrer auf seine Gesund- heit. Aber noch vor dem Abend machten, das weiß ich, vom Schleisischen Kommandeur bis zum geringsten Degen ein jeder auf seinem Schloß wieder Sachen, die der Grund sind, warum die Geistlichen in der Naͤhe von Schloͤs- sern Teufel auszutreiben haben. Ach! die Menschen sind so haͤßlich, und was man auch mit ihnen macht, so bringt man’s nicht dahin daß sie auch nur sind, wie dieses Thal, sagte da der Junker. — Aber der Anblik des Thals und des Sonnen Untergangs war auch herrlich. — Das ist jezt auch nicht, erwiederte der Lieu- tenant, und als ers sagte, trieb ein Hirten- bub unter dem Felsen, auf dem sie stahnden, eine magere Geiß (Ziege) vor ihm her. Er stuhnd zu ihren Fuͤssen still, und sah gegen die Sonne hin, lehnte sich auf seinen Hirtenstok und sang ein Abendlied; — er war die Schoͤn- heit selber — und Berg und Thal, die Itte, und die Sonne verschwand vor ihren Augen! Sie sahen jezt nur den Juͤngling, der in Lum- pen gehuͤllt, vor ihnen stuhnd, und Arner sagte: ich hatte unrecht, die Schoͤnheit der Menschen ist die groͤßte Schoͤnheit der Erde. §. 26. Was ist Wahrheit, — wenn es nicht die Natur ist. D er Lieutenant und der Junker sagten bey- de, der Pfarrer sollte auch da seyn, als die Pracht der Gegend vor der Schoͤnheit des Hirten vor ihren Augen verschwand. Er war nicht da, er war bey der kranken Kiena- stin, fuͤr die der Michel dem Junker eine Geiß bettelte. Es kann nicht wohl etwas traurigers seyn als das Leben und das Todbeth dieser Frau. Sie ist mit dem besten Herzen das elendeste Mensch worden, weil sie sich ob dem groͤßten Weltgift unserer Zeit, ob armen Buͤchersachen verirret. Ihr alter Pfarrer ware an ihrem Ungluͤk schuld. Er war ein Herzguter Mann, wie sie auch in ihren guten Tagen; aber er war mit seinen Sinnen nicht in der Welt, sondern in den Buͤchern, und hat das arme Mensch, das jezt auf dem Todbeth lag, mit seiner Jugendlehre aus dieser Welt hinaus und in eine einbildische versezt, die ihr weder Brod noch Ruh noch Segen zeigte, sondern alles das Gegentheil, bis auf die Stunde ih- res Scheidens. Es steht im Anfang des Worts Gottes oder im Ersten Buch Mosis im 1 Cap. Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brod essen, und mein Großvater, wenn er diesen Spruch sagte, sezte allemal noch hinzu, wenn du nicht ein Narr werden willst und ein Lump oben drauf. Davon wußte der Pfarrer Flieg in Him- mel, weniger als nichts, er meynte wenn sei- ne Kinder nur ordentlich still saͤssen und den frommen Sachen von denen er alle Sonntag und Donstag die Ohren voll zahlte, die Woche durch fein ordentlich nachsinnten, und links und rechts der Gruͤnden Menge wuͤßten und an den Fingern her zaͤhlen konnten, warum er der Pfarrer Flieg in Himmel dieses oder jenes fuͤr wahr halte, u. s. w. Dieser Pfarrer hat eine Menge Kinder ungluͤklich gemacht, und die Leuthe, die die schlechtesten im Dorf sind, sind im eigentlichsten Verstand seine Zucht. Es verblendete sich im Anfang jedermann an ihm, und es toͤnte wie aus einem Mund das Lob, er thuͤe einen Gotteslohn an den Kindern, so eifrig sey er, und mache weiß nicht was aus ihnen. Nur hier und da machte etwann ein alter Mann oder eine alte Frau, und etwann sonst ein Mensch, der nicht viel in den Buͤchern las, die Anmerkung, seine Kinder werden so geschwind muͤde, und haben ihren Kopf und ihre Sinnen nicht auch so wie es seyn sollte, bey ihren Sachen. Aber man dorfte es kaum sagen; ein jedes Wort aͤrgerte, das man wieder diesen Pfarrer sag- te. — Es ist natuͤrlich, seine Kinder waren so artig und konnten so viel aus der Bibel er- zaͤhlen, und sonst gereimtes und ungereimtes auswendig sagen, daß ihre Eltern vor Freude daruͤber ihnen die Haͤnde unter die Fuͤsse leg- ten, oder wenigstens einmal die Suppe ohne ihre Muͤh auf den Tisch stellten, damit sie alle Wochen bis den Sontag ja recht viel auswen- dig lehrnen, und dann in der Kirchen aufsa- gen koͤnnten. — Es gieng so weit mit der Verirrung im Lob dieses Pfarrers, daß man einmal einen natuͤrlichen Menschen, der es in aller Un- schuld heraussagte, — es dunke ihn, wie eine Komoͤdie, — fast mit Steinen geworfen. — Der Mann hatte sich unrecht ausgedruckt; mau heisset solche Wundersachen, wenn sie sich mit Ungluͤk enden, nicht Komoͤdien sondern Tragoͤdien; und diese Pfarrer-Historie endete sich mit dem bittersten Elend des Lebens, mit dem Elend guter Menschen, die ihre Haushal- tungen in der Schwaͤche ihres Traͤumer-Le- bens zerruͤttet. Der arme Pfarrer machte, daß seine beste Kinder den Kopf in den Luͤften hielten, und die gute Kienastin, die dieser Mann selig, mit seinen Meyuungen selig, so verdorben, war sein Herzens Kaͤfer. Himmlisches Kind, und Engels Seele waren die gewohnten Ausdruͤke die er brauchte, wann er von ihr redte. — Ein gutes Kind war sie, das ist wahr: aber ein schwaches, zur Liederlichkeit und zum Traͤu- mer-Leben hoͤchstgeneigtes Geschoͤpf, das sich noch dazu auf die Erkanntniß, die sie in geist- lichen Dingen hatten, weiß nicht was einbil- dete. Diese Erkanntniß aber war ein armer unverdaͤuter Wortkram, der ihr Kopf und Herz, und Sinn und Gedanken zu allem was sie in der Welt haͤtte seyn sollen, wie wegge- nommen, so daß ihr Mann und ihre Kinder seit 20 Jahren weniger mit ihr versorgt gewe- sen, als wenn sie in Gottes Namen gestorben waͤre. — Der jezige Pfarrer in Bonnal, der mit sei- nem Kopf nicht in den Luͤften schwebt, sagte ihr es im ersten Jahr, wo er glaube, daß sie zu Hause seye; wo er immer sein Aug hin- kehrte, fand er in ihrem Hause nichts, das ihm zeigte, es wohne eine Hausfrau und eine Mutter hier, hingegen war ihr das Maul im Augenblik offen, von Religions- sachen mit ihm zu reden, und ihn zu fra- gen, wie er dieses und jenes ansehe? Er sagte aber deutsch, du fragest mich da Sachen, an die ich noch nie Zeit gehabt zu denken, und es es nimmt mich Wunder, wie du Zeit gehabt habest so weit zu kommen? Sie wollte anfan- gen, ich habe da vom Herr Pfarrer selig etli- che Buͤcher. — Aber — er unterbrach sie, und sagte, ich halte gar nicht viel auf vielen Buͤchern in Baurenhaͤusern. Die Bibel und ein Herz das in Einfalt nur nicht daran sinnt etwas zu erklaͤren, was es nicht geradezu ver- steht, das suche ich in Baurenhaͤusern, und dann Karst und Hauen, die alles unnoͤthig er- klaͤren, aus dem Kopf hinaustreiben: und so einer jungen Frauen soll das Waͤschbeken, die Nadel und der Strehl (Kamm) hundertmal lieber in Haͤnden seyn als alle Buͤcher. — Die arme Frau meynte fast, der Pfarrer laͤstre und rede wider Gott, da er wider ihre Thorheit redte, auch trug sie ihm diese Rede fast bis an ihr Todbeth nach; — doch kam sie in ihrer lezten Krankheit noch dahin, zu er- kennen, daß sie in ihrer Pilgrimschaft auf der Irre herumgelaufen, und daß der gute Pfar- rer sie auf den rechten Weg weisen wollen. Sie kam so weit zuruͤk, daß sie jezt keine groͤssere Freude und keinen groͤssern Trost hatte, als wenn dieser Mann, den sie waͤhrend ihrer Verirrung fuͤr so schlimm achtete, bey und ne- ben ihr war. Er war gern um sie, und es war ihm wich- tig um sie zu seyn. Er war auch heute bey J ihr, und saß auf ihrem Beth als der Michel mit des Junkers Geiß in ihre Stube hinein- kam. Weder der Mann noch die Frau konnten ein Wort herausbringen. Ohne zu danken uͤbernahm sie das Thier. Der Michel ver- stuhnd ihre stumme Sprache, und es trieb ihn schnell wieder zur Stube hinaus, daß diesen Leuthen leichter werde. Aber der Pfarrer dankte ihm fuͤr sie, und dann theilte er auch ihre Freude mit ihnen als sie sich wieder er- hohlt. In ihrer Freude trieben die guten Kinder das Thier ihm wie auf den Schooß, und es war ihm innig wohl, da es den Kopf auf sei- nem Schooß hatte. Es erquikte die Frau im Beth selber, sie nahm die welke Hand, unter ihrer Deke her- vor, taͤtschelte das Thier, und krebelte ihm zwischen den Hoͤrnern. Und waͤhrend daß sie ihns taͤtschelte und ihm krebelte, dankte sie dem lieben Gott, der ihr das End ihres Lebens noch so erquikt; aber sie seufzete dabey, und empfand, daß sie diesen allgemeinen guten Menschen-Gott, bis an ihr End nicht erkannt, und ihr ganzes Leben ei- nen Meynungen-Gott verehret. Sie troͤste- te sich ihres Irrthums und sah zufrieden das Thier an, und gelustete so gar von seiner Milch, da sie doch schon etliche Tage nicht das geringste als ihr Kraͤuterwasser zu sich genom- men. — Da melchte ihr Mann die Geiß in ein brandschwarzes Beken; es war das einige das sie im Haus hatten. Er zitterte als er da mit der einen Hand ihr den Loͤffel vor’s Maul hielt, und mit der andern, die ihre an sich zu- druͤkte, und Thraͤnen fielen auf sie herab, und als er wohlbekomms dir liebe Frau! Mutter! dazu sagte. — Die Kinder fuͤhrten dann das Thier in ihren Stall, und suchten ihr an al- len Heken Laub und Streue. §. 26. Das Andenken an eine Großmutter. I n des Rudis Stube sinneten die guten Kin- der, da sie ihre Geiß unter den Haͤnden hatten, an die liebe Großmutter selig. Da der Vater und alle Kinder so um sie herum stuhnden, sagte das Naͤnnlj, weist du auch noch Vater, die Großmutter hat noch gesagt, wir muͤssen noch eine Geiß haben. — Ja freylich, weiß ich es noch, sagte der Vater. — Und das Kind: es ist doch auch wie wenn sie gewuͤßt haͤtte, wie es gehen werde, so hat sie noch allerley gesagt, wie es da gekommen. J 2 Vergesset es einmal euer Lebtag nicht, was sie zu euch gesagt hat, sagte da der Vater. — Und — ich wills einmal meiner Lebtag nicht vergessen, was sie zu mir gesagt hat, erwie- derte ihm Rudelj, und dann alle Kinder; — und wir auch nicht, — und wir auch nicht. Wisset ihr was Kinder? Wir wollen nach dem Nachtessen zu einander sizen, und dann alle Worte zusammentragen, die sie zu einem jeden gesagt hat; denn will ichs auf einen Bo- gen Papier aufschreiben, daß ihrs euer Lebtag behalten, und lesen koͤnnet. Das freuete die Kinder gar, daß der Vater ihnen alle Wort aufschreiben wolle, die die liebe Großmutter noch geredet, da sie bald von ihnen weg und in Himmel gegangen. Sie vergassen darob fast ihre Geiß im Stall, und redten das ganze Essen uͤber von nichts, als wie sie alle Worte zusammentragen wollen, die sie von ihrer lieben Großmutter noch wissen. Der Rudelj sagte da, gaͤll Vater, es ist dann wie es die Imblj (Bienen) in ihren Korb zu- sammentragen. Ja lieber, es ist dann, wie es die Imblj machen, wenn wir so zusammen- tragen, sagte der Vater; — und der Rudelj, gaͤll Vater, das Papier ist dann der Imbli- korb? — Ja, wir wollen ihm dann so sagen, wann du es darauf geschrieben hast, sagte das Naͤnnlj. Aber koͤnnen wir dann auch Honig daraus essen, sagte das Liselj? — Ja freylich, koͤnnen wir Honig daraus essen, sagte das Naͤnnlj und der Rudelj. — Und der Vater, ich hoff es zum lieben Gott, der Großmutter Abscheid duͤnk’ euch besser als Honig, und alles was ihr essen koͤnnet. — Ja Vater, sagte der Rudelj, sie ist jezt im Himmel, und dann ist das wie Himmelbrod. So redten sie bey ihrer Erdapfelsuppe, und da sie ausgeessen, gieng dann der Rudj zum Baumwollen-Mareylj, und entlehnte bey ihm Dinten, Federn und einen Bogen Papier. §. 27. Das erste Hinderniß des Wohlstands und der bessern Erziehung der armen Kinder, — ihre eigne Muͤtter — oder schlechte Weiber. E r traf seine Stube voll Spinnerkinder an, die bey ihm abredeten, morn zu Mittag alle mit einander in einem Zug zum Junker ins Pfarrhaus zu gehen, und ihm zu danken, fuͤr den Sparhafen, und die zehndfreye Aeker, wozu er ihnen verhelfen wolle. Ehe sie zu ihm kamen, hatten die meisten noch einen Kampf mit ihren Muͤttern daruͤber, J 3 denn als die Vaͤter mit dem Bericht vom Jun- ker heimkamen, war unter zehen Spinner- weibern kaum eine, die nicht den Kopf schuͤttel- te. Weit die meisten sagten, der Junker sey ein Narr, daß er so etwas glaube, sie aber, naͤmlich ihre Maͤnner noch weit die groͤssern, daß sie sich es angeben lassen. Was wollte doch, sagten sie, so ein Herr auf einem Schloß, wo alles vollauf ist, von ihrer Ordnung wis- sen, und urtheilen koͤnnen, was in ihren Haͤu- sern, wo man sich des Bettlens kaum erwehren kann, moͤglich oder nicht moͤglich ist? Wir bringen ja manchmal, wenn wir uns nicht wohl darnach richten, nicht einen Bazen zu Salz fuͤr, und ihr doͤrfet es ins Maul nehmen von Dublonen erspahren zu reden; etliche, und das von den allerliederlichsten sagten gar, wenn doch die Maͤnner nur nicht wollten von der Haushaltung reden, sie wissen uͤberall nicht, was eine Haushaltung ist? Dieses Wort ist Bedeutungsreich im Maul von unordent- lichen Weibern. Und die Weiber von Bonnal widersezten sich diesem zwey Bazen spahren aus keinem andern Grund, als weil sie der Unord- nung gewohnt, sich scheueten, etwas anzufan- gen, das, wie sie wohl sahen, zur Ordnung und zum Rechnung geben, fuͤhren koͤnnte, aber sie wurden diesmal nicht meister; die Maͤnner hattens versprochen und wolltens jezt haben. Es erklaͤrten ihnen viele mit Ernst, daß es seyn koͤnne, und seyn muͤsse; und die Kinder hien- gen ihnen allenthalben an, und baten, — und baten, — sie sollen ihnen doch auch dieses thun. Sie haͤtten die Kinder lang beten, und lang anhangen lassen, aber sie sahen, daß es ihren Maͤnnern Ernst sey, und daß es seyn muͤsse. Ihrer etliche gaben nach; da etliche nachgaben, folgten bald mehrere, nach der Regel, wann eine Gans gagget, so gagget auch die andere. — §. 28. Das zweyte Hinderniß der gleichen Sach; der Neid der Reichen. — D ie Freude der Kinder dauerte nicht lang. Ihr Jauchzen und Wesen, that den Bau- rentoͤchtern in Ohren weh. Ihren Muͤttern wurmte es nicht minder, daß das Lumpen- volk so juheye, und habe was es nur wolle. Sie murrten unter einander, und haͤngten die Koͤpfe. Das haͤtten sie wohl moͤgen, aber des Huͤgis Weib that mehr. So bald sie vernommen, was das Juheyen in allen Gassen bedeute, so gieng sie in einem Sprung zu ein paar Nachbars- weibern von ihrer Gattung, und sagte, es J 4 fey eine Schand und ein Spott, daß ihre Maͤn- ner alles gehen lassen, wie es der Großhans im Schloß gern sehe; sie allein traue sich, wenn ihr nur auch ein paar an die Hand gehen wol- len, der verdammten Sache, die jezt im Thun sey, noch ehe eins von ihnen ins Beth gehe, ein End zu machen. Sie sagte, das Lumpen- volk kann doch nicht ohne uns seyn, mehr als einem Duzend hab ich muͤssen zu Gevatter ste- hen und alle Augenblik stehet mir eine vor den Fenstern, oder vor der Thuͤre, und will etwas, und euch wirds nicht minder so gehn; wir wol- len ihnen nur kek unter die Augen stehen, und ihnen ins Gesicht sagen, was auf sie warte, wenn sie so alles im Dorf fuͤr den Kopf stossen, und dem Juheyen Leben nicht im Augenblik ein Ende machen. Die Weiber liessen sich das nicht zweymal sagen; sie suchten selber noch ein halb Duzend, bey denen es hierzu auch nichts weiters brauch- te, als daß man Zundel anzuͤnde, so hatten sie Feuer, und es gieng keine halbe Stund so stuhnd in allen Gassen so ein dikes Weib und machte den armen Spinnerleuthen Angst. Die Huͤgin war im Angeben das Vor-Roß, und im Ausfuͤhren der Meister. — Sie war gut fuͤrs erklaͤren, und konnte so viel Zeug und Sachen sagen, daß die armen Spinnerleuthe bald glaubten es sey so, wie sie sage. — Sie behauptete ihnen unter die Nase, es feye die groͤßte Narrheit, was sie abreden, sie koͤnnens doch nicht halten, sie sollen nur auch denken, wenn heut die Kinder hungern, und sie selber Schuh oder einen Rok noͤthig haben, und es Winter sey, und kalt, ob’s ih- nen denn moͤglich, das Geld so liegen zu las- sen, und nicht anzuruͤhren, und Mangel zu leiden? Und sollen doch auch nicht so einfaͤltig seyn, und sich dergleichen Sachen einbilden, sie wolle ihren Kopf dran sezen, sie koͤnnen es nicht; aber denn habt ihr eine schoͤne Arbeit, denket an mich. Zuerst habt ihr euch das gan- ze Dorf uͤber den Kopf gerichtet, und hinten nach euere Kinder selber, und den Junker auch. Fraget nur nach, er hat schon an der Gemeind darauf gedeutet, und gesagt, wenn die Sach versprochen sey, so wolle er dann auch dabey seyn, und machen, daß sie muͤsse gehal- ten seyn. — Es kann so kommen, — es kann so kommen, Frau Gevatter! sagten, fast eh’ sie noch ausgeredt, die Spinnerweiber, und sezten hinzu: Nein, nein, wir brauchen nie- mand vor den Kopf zu stossen, wir haben des- sen gar nicht noͤthig, und denn euch auch gar nicht, wir haben schon viel zu viel Gutes von euch genossen. — Man hats uns auch so an- gegeben, und wir haben gar nicht gewußt, daß ihr das so uͤbel nehmet. — Hie und da seufzte wohl ein armer Mann, daß er jezt mit seinem Wort und Hoffnungen hinten abziehen muͤsse, aber ins Gesicht widersprach der Meister Ge- vatterin keiner. Ihr koͤnnt jezt thun, wie ihr wollet, aber wenn ihr dem Lumpen Juheyen nicht auf der Stell ein End machet, und euere Kinder heim- kommen lasset, und machet, daß sie von dem Zeug still sind, so sehet denn was ihr angestellt! Einmal mir komme denn keine mehr vor die Thuͤre, es mag ihr aufstossen was es will.— Das war das Wort mit dem die Huͤgin immer endete. — Ja freylich, freylich, muͤssen sie heimkom- men, und schweigen, war die Antwort der Weiber und Maͤnner. — Ihrer etliche liessen das Nachtessen ob dem Feuer anbrennen, und die Kinder in der Wiege schreyen, und suchten uͤber Kopf und Hals, wen sie fanden, nach den Kindern zu schiken, daß sie heimkommen und still seyen, weils mit der Sparhafen-Sache nichts seye. §. 29. Die Geschichte der Erloͤsung dieser Kin- der aus der Hand ihrer Feinde, und aus der Hand ihrer Muͤtter. D as Mareylj las den guten Kindern eben den schoͤnsten Buͤndel Garn, den es im Haus hatte aus, daß sie morn dem Junker auch etwas von ihrer Arbeit bringen und zei- gen koͤnnen, als der Krummhaͤuslerin Chri- stoͤffelj und des Haloris Bethelj uͤber Kopf und Hals dahersprangen, und so bald sie in die Stuben hineinkamen, ihren Geschwister- ten sagten, sie sollen geschwind geschwind heim kommen, es sey e nichts mehr mit dem Spar- hafenwesen. Es war den Kindern, die in der Stube waren fast wie wenn man ihnen sagte, sie kaͤmen nicht in Himmel, als sie das hoͤrten. Das Mareylj ließ auch selber das Garn aussuchen. Jezt fragten die Kinder, was denn daheim begegnet, daß sie mit diesem Bericht kaͤmen. Der Christoͤffelj sagte, er wisse es nicht, er sey bey seiner Geiß gewesen, und haͤtte lieber weis nicht was thun wollen als von ihr weggehn, aber er habe muͤssen in Eil kom- men, diesen Bericht zu sagen. Das Lisebethlj aber sagte, seine Gotten, die geschworne Aebin seye bey der Mutter gewesen, und habe ihr Bachen und Mahlen abgeschla- gen, und gut Jahr und alles aufgekuͤndt, wenn sie nicht auf der Stell dem Sparhafenlerm ein End mache, und ihren Kindern daruͤber das Maul zuthuͤe. Das Mareylj fragte das Bethelj noch, ob noch mehr dergleichen Wei- ber wie die Aebin sich in diese Sache mischen? Das glaub ich — sagte das Bethelj, es ist wie wenn sie es abgeredt, in allen Gassen stekt so eine Geschwornin; an der vordern Gaß, bey der Aebin sind ihrer zwo; — und es haben ihnen ein ganzer Hauffe Spinnerweiber in die Haͤnde hinein versprochen, es muͤsse nichts aus der Sach geben; sie stehen jezt noch bey- einander, es ist ein Gered, wie wenns im Dorf brannte, und die Mutter hat gesagt, die Huͤ- gin stelle sich gar, wie ein Eidgenoß. — Nun, nun, sagte das Mareylj, wir wol- leu denk ich mit einander, und den Eidgenoß auch anschauen. Und die Kinder sagten alle, ja aͤ bitte, aͤ bit- te, komm doch auch mit uns, und mach daß der Zug morn auch nicht untergehe, und hien- gen ihm hinten und vornen an. — Wir wollen jezt schauen, sagte das Marey- lj, und gieng denn mit dem ganzen Zug zu. des Haloris Haus, wo der Haufe Leuth noch bey einander stuhnd. Sie hatten ein Wesen, sie hatten ein Thun die diken Weiber, so lang sie niemanden sa- hen. Aber als sie das Mareylj und den Zug Kin- der erblikten stuhnd ihnen das Mort im Maul still und sie machten sich hinter sich, gegen das Haus. — Das Mareylj that wie wenn sie nicht da waͤren, stuhnd, der ganze Zug hinter ihm, zu der Mutter des Bethelj und sagte. — „Was ist doch auch das fuͤr eine unverscham- te Sache? In einer Viertelstunde mit seinen Kindern so hinauf und hinab zu machen? Ich weiß wohl was darhinter stekt, und wenn ichs gern thaͤte, ich koͤnnte denen, die Schuld daran sind, noch bey Tagsheitere, und sie ist doch jezt bald aus, noch heiß machen. Das ist kein Spaß, wenn ein Junker etwas Gutes im Dorf will, ihm auf eine solche Art Stein in den Weg zu legen. Es braucht sich aber dessen gar nicht, ich meyne ihr thuͤet mir wohl den Gefallen und besinnet euch des bessern, der Zug muß morn seyn, und ich thue es nicht anderst, und wenn ihr nicht wollt, und Un- christen genug seyt, den Wohlstand euerer Kin- der mit Fuͤssen von euch wegzustossen, so ha- bet ihr es denn mit mir zu thun? Ich habe mein Lebtag nie so geredt, aber wenn es gilt die Sachen mit Gewalt durchzudruͤken, so will ich auch druͤken. Ich meyne, ihr gehet mich mehr an als alle Baurenweiber mit einander, und ich sag es mit einem Wort, wenn eins von euch ist, das nicht will, was der Junker fuͤr die Kinder angeordnet, so behalt ich ihm alle Wochen zwey Bazen von seinem Garn zuruͤk, und will seinem Kind diesen Spar- hafen selber machen. Lauft dann meinetwe- gen mit dem Garn uͤber den Berg; einmal so lang ihr mir arbeitet, so muͤßt ihr in die Ord- nung hinein, die der Junker will, oder sagen warum? Und dann ist noch ein Punkt — ich will jezt nicht das Maul aufthun, aber ihr verstehet mich wohl, was ich meyne, und was ich machen kann, wenn ich will, — und denket an mich, ich thue was ich kann dem Junker zu helfen zu dem was er will. — Er will nichts als was fuͤr euer und euerer Kinder Gluͤk ist. Die diken Weiber, die sich hinter sich gezo- gen, so bald sie ihns sahen, machten sich voͤl- lig aus dem Staub, eh es zehen Wort geredt. Die Spinnerweiber aber wußten nicht, wie sie ihm genug gute Worte geben wollten, daß es nur wieder schweige. Du hast wohl recht, — es ist nicht anderst, — und es ist gewiß so, — wir haben nur nicht dran gedacht, daß du dich der Sach anneh- mest, sonst haͤtten wir uns wohl gehuͤtet, und es muß sicher seyn wie du willst, sie muͤssen den Sparhafen gewiß haben, und morn dem Junker alle mit einander danken; und sonst in allweg, es moͤchte seyn wie es wollte, wenn dir etwas daran liegt, so wissen wir wohl, daß wir das Brod von dir haben, und es kommt uns gewiß keinen Sinn daran, daß wir dir um jemands anderer Willen etwas zum Verdruß thun, es moͤchte seyn was es wollte. §. 30. Ein gutes Natur-Mensch, und ein auf die rechte Art geschuletes, neben ein- ander, und hinter ihnen das Schik- sal der Meisterkazen, und ihrer Maͤn- ner Notharbeit. D ie junge Reinoldin strekte, so lang es mit den Spinnerweibern redte, den Kopf so weit sie konnte zum Fenster hinaus. Diese Frau ist nicht weniger ein sonderba- res Mensch als das Mareylj, und vollends so gut als es; der Unterschied zwischen ihnen ist, daß die Reinoldin traͤger, und nicht so auf die Arbeit und den Verdienst abgerichtet, wie das Mareylj; desnahen ist sie auch bey wei- tem nicht so vorsichtig, aber hingegen gar viel wilder, sie kann sich gar nicht besizen, wenn sie glaubt, es leide jemand unrecht, und hat gar keine Ruh, wenn sie meynt sie koͤnne jemand helfen, sie richtet aber mit allem dem viel weniger aus als das Mareylj. Wenn ihr etwas in ihrem Sinn fuͤr recht vorkommt, so achtet sie es denn nicht Vater und Mutter, Freund und Verwandte, und wer es in der Welt ist, wieder den Kopf zu stossen. Unter allem vorgesezten Volk ist sie die ei- nige der es auch recht von Herzen wohl ist; wenn sie ein feißtes Taunerkind in einem recht schoͤnen Rok sihet. Diese Reinoldin war schon laͤngst des Nar- ren Hochmuths ihrer Geschwornen und des un- flaͤtigen Unterscheids muͤde, den etwa ein Du- zend Bauren im Dorf zwischen sich und den andern machten, — und der keinen andern Grund hatte, als daß sie vom Vater und Großvater her als ein Geschwornen Volk im- mer mehr Eide auf sich, und mehr Ochsen im Stall hatten als die andern Bauren. Die Reinoldin ergriff diesen Anlas mit Freuden zu zeigen, daß sie dieses Ehren Un- terschieds halber, — Ochsen wegen und Ei- den wegen, nicht denke wie ihre Verwandte, und nachdem sie die Ursach dieses Weiberkriegs, und die Art wie ihm das Mareylj ein End gemacht, gemacht, vollends verstanden, nahm sie ihre beyden aͤltesten Kinder an die Hand, stuhnd mit ihnen unter die Baumwollen-Weiber und Kinder zum Mareylj zu, und sagte ihm: da hast du jezt noch zwey Kinder an deinen Zug auf Morgen. Wenn sie schon nicht spinnen koͤnnen, und Gottlob nicht noͤthig haben, das zu treiben, so muͤssen sie dem Jun- ker doch danken, daß er es so gut mit dem Dorf meynet, und macht, daß es allen wohl gehet. Es haͤtte nichts begegnen koͤnnen, das das Mareylj besser freute. Es schuͤttelte der Rei- noldin ihre Hand, und wollte ihr fuͤr die Spin- nerkinder danken; sie aber sagte ihm: du lachest mich doch nur aus, daß ich so ein lebhafter Narr bin, aber ich hab einmal jezt nicht an- derst koͤnnen. Das Mareylj antwortete ihr, und schwur dazu: Nein, das ist ein Meisterstuͤk. — Reinoldin. Es freuet mich, daß dir auch einmal etwas recht ist, was ich thue. Mareylj. Das ist jezt mich ausgespottet, aber ich habe doch recht in dem, was ich mey- ne, und worauf du jezt stichelst; wenn du in deiner Jugend dein Brod haͤttest verdienet, wie ich, du waͤrest gewiß auch nicht wie du bist: nein, es lehrt einen, wenn man’s nicht hat, und nicht vermag, und doch auch wie K andre Leuth durch die Welt kommen moͤchte, nicht seyn wie du bist. Bin ich denn gar nichts rechts? sagte die Reinoldin, ihm die Hand immer haltend vor allen Spinnerweibern. Wohl freylich erwiederte das Mareylj, bist etwas Rechts. — Aber ich gehe doch nicht zuruͤk, es kann niemand so etwas rechts seyn wie du, aussert er habe es wie du. — Das ist jezt nur dein Hochmuth, du meynst du brauchest nichts dazu, als dich selber, zu seyn, was du bist, sagte die Reinoldin. — Und das Mareylj: — nein, freylich, ich brauche das ganze Dorf dazu, was waͤre ich ohne die Spinnerleuthe? — Du Schalk, — du weissest den Unterscheid wohl, und thust, wie wenn du ihn nicht wuͤß- test, sagte die Reinoldin. — Denn redten sie wieder von den Meisterkazen, die den guten Kindern ihre Freude, wegen des morndrigen Zugs verderben wollten. Beyde ereiferten sich wieder mit dem Haufen Spinnervolk, das um sie herumstand, daß sie sich so leicht von ihnen am Narrenseil herumfuͤhren lassen. Diese Meisterkazen waren schon laͤngst fort, aber es gieng ihnen nicht gut daheim. Wenn gerathen waͤre, was sie probiert, so waͤren auf der Welt keine braͤfere, und kei- ne gescheidere Weiber gewesen, als sie; aber weil es gefehlt, so war jezt der Teufel allent- halben los. Ihre Narren-Maͤnner, sagten jezt alle, es sey ein dummer Streich gewesen, sie haͤtten wohl voraus sehen koͤnnen, daß es so komme. Etliche sagten gar, warum sie nicht zuerst mit ihnen Rath gehalten, und immer mey- nen, daß alles auf ihren Donners verdammten Weiberkopf heraus muͤsse? Es war nicht Zorn, es war nur Angst, warum sie so redten; sie foͤrchteten das Ma- reylj, und meynten denn gar, die bliz Reinol- din wigle ihns noch auf, und habe ihre Freude daran, wenn sie machen koͤnne, daß der Jun- ker ihren Weibern etwann eine offentliche Schand anthue. Die armen Schelmen! Der Huͤgin und der Aebin ihre Maͤnner, stuhnden bey einer halben Stunde im Eck unten an der Gaß, zu sehen ob denn das Mareylj und die Reinoldin auch gar nicht wollen aufhoͤren ihr Maul zu brauchen. Je mehr sie sahen, je mehr verspreiteten diese zwey die Haͤnde, und schuͤttelten die Koͤpfe. Das machte den Herren so angst, daß es ih- nen gieng, wie einer armen Maus, wenn im heissen Land, das fern von uns ist, eine Klap- perschlange, gegen sie das Maul aufthut. Es wird der armen Maus angst, sie wehrt sich, und zwirbelt, und muß der Schlange denn K 2 doch noch zum Maul hinzu laufen: so mußten die armen Dikbaͤuch den zwey Weibern, noch zum Maul hinzu laufen. Ihr solltet die Troͤpfe sehen, wie sie dem Mareylj jezt alle Guͤte sagen; und ihns beten, es solle doch auch nicht so gar thun. — Ihre Weiber habens auch nicht gemeynt, wie mans ihnen jezt auslege, und sie moͤgen es gar wohl leiden, was der Junker mache, und wenn er den Spinnerkindern noch mehr schenken wolle, als nur das, so gehe sie das gar nichts an, sie moͤgen es ihnen von Herzen wohl goͤnnen. Der Aebi, der duͤmmer war, sezte hinzu, wenn wir dem Junker noch mehr zu Gefallen thun koͤnnten, als nur das, wollten wirs gern thun. Was bildest du dir auch ein? sagte da das Mareylj zu ihm, daß du ins Maul nehmen darfst, dem Junker einen Gefallen zu thun; ich meyne, er thue euch einen Gefallen, und nicht ihr ihnen. Freylich, freylich; und ja, ja: — Es hats niemand anderst gemeynt, sagten sie beyde, und was weiß ich, was sonst noch. — Da hats jezt auch geheissen, schweig Herz, und red Maul, sagte die Reinoldin, so bald die zwey den Ruͤken gekehrt. Ich meyns auch, sagte das Mareylj, — und sie sind ja braun und blau worden, so ha- ben sie daran worgen muͤssen, erwiederte die Reinoldin. — Aber was machens, — sagte der Huͤgj als er weggieng, es ist jezt so, man hat ja heut an der Gemeind gesehen, wer im Dorf Mei- ster ist. Der Lumpen-Hans im Pfarrhaus hat dem Kalberleder nur ein paar Wort gesagt, und der arme Teufel hat uͤber Kopf und Hals den Nußbaum umhauen muͤssen, er haͤtte lieber weiß nicht was gethan, als das, doch hat’s seyn muͤssen, so ist es jezt. §. 31. Es ist in allem ein Unterschied. E s wunderte den Pfarrer selber, als er heimkam, und den Garten-Nachbar so mit dem Kopf am Boden antraf. Der Hans erklaͤrte ihm uͤber das Essen, wie es zugegangen. Aber wie hast du auch das thun, und ihm so drohen doͤrfen? sagte der Pfarrer, da er hoͤrte wie es zugegangen. Es hat mich gedunkt, es seye gar recht ge- wesen, sagte Hans. — Und der Pfarrer, nein, man muß nie jemand mit etwas in Forcht jagen, wozu man kein Recht hat. — K 3 Das ist wohl so, sagte der Hans, wie ihr saget, und ich wollte mich in die Seele hin- ein schaͤmen, wenn jemand der darnach ist, vor mir zu nur roth, weil geschweigen blaß wuͤrde, aber mit Leuthen von der Kalberle- der Gattung, hat es seine eigne Ordnung. Diese Gattung Leute bringt man nicht dazu, ein Vater Unser zu beten, geschweige einen Nußbaum umzuhauen, wenn man ihnen nicht den Teufel vormahlet. — Des Pfarrers ganze Weïsheit fand gegen diese Erklaͤrung keine Antwort. — Aber mich nimmt jezt gar viel mehr Wun- der, was der halb Schurk mein Untervogt mit seiner Schwester gesprochen, als er heim- gekommen. So unterbrach der Junker des Hansen, und Pfarrers Kalberleder- und Nußbaums Ge- spraͤch. — Der Pfarrer antwortete ihm, es wuͤrde euch denk kein gutes Blut machen, wenn ihrs wuͤßtet. — Er hatte recht, so bald der Vogt heimge- kommen, und den Mantel ablegte, sprang er zu seiner Schwester, und das erste Wort, das er zu ihr sagte, war, ich haͤtte doch nicht ge- meynt, daß du so eine Schwester an mir waͤ- rest. Denn er hatte sich schon bey der Ger- trud, und noch mehr die Zeit auf dem Ried, wo er vor Herzklopfen und Maul aufthun, wie blind und taub ware, in Kopf gesezt, der Junker sey mit Fleiß, so lang bey der Gertrud geblieben, und habe aus keinem Grund, als aus diesem, so wider seine Ge- wohnheit, Leuth und Vieh, auf ihn warten gemacht, als weil er wohl denken koͤnnen, er muͤsse denn hinkommen wo er sey; und es seye kein Wort geredt worden, das sie nicht mit einander abgeredt. In diesem Wahn sagte er dann zu ihr: ich haͤtte nicht gemeynt, daß ich so eine Schwe- ster haͤtte. — Was fuͤr eine Schwester? sagte die Meyerin, die gar nicht wußte was er meynte. Es braucht sich nicht, daß du mich doppelt fuͤr einen Narren haltest, sagte er, und klagte fort, er habe doch nicht an ihr verdient, daß sie ihms so mache; — bis sie zulezt uͤberdruͤßig ihm sagte: wenn er einen Rausch habe, und nicht reden koͤnne, daß man ihn verstehe, so solle er heimgehen, und dann morn wieder- kommen. Ich bin so nuͤchter als du, sagte der Vogt; und hatte Magenshalber recht, denn er hatte nicht einmal seinen Abend-Wein getrunken, da er von dem Ried heimgekommen, und zu ihr gelaufen. Endlich kam es doch so weit, daß er sagte: K 4 weissest du denn gar nicht, was mir bey der schoͤnen Frauen begegnet? Und auf weiters Fragen erklaͤrte er, die schoͤne Frau, die er meyne, sey Gertrud. Die Meyerin sagte noch einmal, ich weiß kein Wort von allem. Sie ward aber doch roth, so bald er den Nah- men Gertrud nannte. Er merkte es nicht, und erzaͤhlte ihr jezt, was ihm bey ihr begegnet, und was sie und der Junker ihm zugemuthet. Der Athem toͤnte der Meyerin, als er das erzaͤhlte; aber sie redete lang nicht, besinnte sich. — Nach einer Weile sagte sie, und da, was hast du ihnen geantwortet? Du kannst wohl denken, ich hab es ihnen muͤssen versprechen. Meyerin . — Daß du dem Rudj bey mir zum Besten reden wollest? Vogt . Ich habe wohl muͤssen. Meyerin . So, — aber wie ist dir, was rathest mir jezt? Vogt . Du fragst mich nicht im Ernst. — Meyerin . Wohl freylich, frag ich dich im Ernst. — Vogt . Wenn du mich im Ernst fragst, so weissest du wohl, daß meine Frau und ich, et- was anders als das im Sinn haben. Meyerin . Ich weiß es gar wohl, ihr ha- bet ja erst gestern davon mit mir geredt, und es wird, denke ich, noch jezt euere Meynug seyn. Vogt . Du kannst dirs wohl einbilden. Meyertn . Ich bilde mirs freylich ein, aber dann hingegen haͤtte ich mir nicht eingebildet, daß du, weils so ist, doch dem Junker etwas anders versprechen wuͤrdest. Vogt . Zank jezt nicht mir, ich bin ja sonst genug zwischen Thuͤr und Angel. Meyerin . Man muß nur machen, wie du, so ist man denn bald zwischen Thuͤr und Angel. — Vogt . Was mache ich denn? Meyerin . Du solltest dich schaͤmen, so bist ein Tropf, seitdem du Untervogt bist. Ich bin ein Weibervolk, aber ich ließ mich vor keinem Menschen mehr sehen, wenn ich ein einziges mal zum Vorschein kommen sollte, wie du jezt Thorenbub! — §. 32. Wenn die Milch kochet, und uͤberlaufen will, so schuͤtten die Weiber nur ein paar Tropfen kalten Wassers darein. M it dem ließ sie ihn stehen, und suchte ihre Schuh zum Wandern; er aber ringgelte indessen seine Ueberstruͤmpf ein, und fragte sie denn, wie ist’s jezt? Du kannst mirs wohl auch sagen, nimmst den Huͤbel Rudj? Sie antwortete ihm, ich will dir denn das sagen, wenn du einmal ein Mann bist, jezt bist du ein Bub; — und lief in aller Hize von ihm weg, und zur Gertrud. Aber sie gieng ihr nicht ins Haus hinein, und rufte nur unter der Thuͤr, daß sie herun- ter komme. Die Maurerin merkte an ihrem Ton an, im Augenblik, daß des Untervogts Historie schon in ihr koche, — und es war ihr nicht ganz wohl bey der Sache; aber der Rudj, der eben bey ihr war, erschrak, daß er zitterte. Der arme Mann hatte laͤngst allen Muth verlohren, und besaß keine Art Staͤrke mehr, als daß er sich in alles schiken, und alles uͤber- winden konnte. Die Meyerin feuerte im Anfang, es seye unverschaͤmt und eselkopfig, wie sie es ihr ge- macht. — Gertrud ließ sie in einem fortreden, dadurch ward sie nach und nach stiller. Endlich sagte sie, warum redst du nicht? Du wirst mir doch auch sagen wollen, was begegnet. Weissest du das noch nicht, und machst so gar? sagte da Gertrud; freylich will ich dirs sagen, und erzehlte ihr denn, wie der gute Junker mit des Rudis Kindern so freundlich gewesen, da sie zu ihm zugestanden, und ihm fuͤr die Kuh und die Matte gedanket, und wie er das Naͤnnlj, sie kenne es wohl, es sey das wo sie von ihm gesagt, es gebe ein Engel, wohl eine Viertelstunde auf den Armen gehabt. Ich habe auf der Welt nicht gewußt, wie ich ihm thun will, ich haͤtte ihm gern etwas von dir gesagt, und haͤtte es doch nicht gethan, aber weils so in mir gestritten, ist da just dein Bruder, wie wenn es haͤtte seyn muͤssen, in die Stube hinein gekommen, da hab ich mich einmal nicht mehr hinterhalten koͤnnen, es war wie wenn es mir jemand zum Maul hin- ausgerissen, daß ich sagen muͤßte, ja wenn nur das gute Naͤrrchen auch wieder eine Mut- ter haͤtte. Meyerin . Du hast aber mehr gesagt als das. — Gertrud . Freylich, der Junker hat mir da zur Antwort gegeben, man sollte meynen, der Rudj, wie er es jezt hat, sollte eine Frau finden koͤnnen, wo er wollte; da gab ein Wort das andere, bis mir in Gotts Nahmen zum Maul heraus war, dein Bruder koͤnnte da am besten helfen. Der Zorn war jezt der Meyerin schon hin, und ihre Hize war vollends gegen ihren Bru- der gekehrt, als sie da fragte, — was sagte da er dazu? Gertrud . Es soll an ihm nicht fehlen. Meyerin . Hat er das gesagt? Gertrud . Ja, und das mehr als ein, und mehr als zweymal. Meyerin . Und der Junker, hat er da nichts mehr gesagt? Gertrud . Wohl freylich, er hat noch ge- sagt, du oder wer des Rudis Frau werde, doͤrfe darauf zehlen, daß er sich dieser Haus- haltung annehme, so lang er lebe, — und zu deinem Bruder hat er da noch gesagt, es wuͤrde ihn freuen, wenn das dir ein Grund seyn wuͤrde, daß du es desto lieber thaͤtest. Meyerin . Hat er das alles so geredt? Gertrud . Es sind alle Worte wahr. §. 33. Eine sonderbare Heyraths-Anfrage. D a es so stillete, kam der Rudj hinter der Thuͤr hervor. Was — stuhnd der Rudj hinter der Thuͤr? und hoͤrte zu, was sie mit einander redten? Ja wahrlich, — er stuhnd hinter der Thuͤre und hoͤrte alle Worte, aber er ist um deswil- len doch der Rudj und bleibt der Rudj, der er vorher gewesen. Er lief der Gertrud, die Stiege hinab nach, nicht um hinter die Thuͤre zu stehen, sondern hinaus zu gehen, und der Meyerin zu sagen, sie solle in Gottes Nahmen mit ihm machen, was sie wolle, aber sie soll es einmal auch an der Gertrud nicht zoͤrnen, und es ihr nicht nachtragen, daß sie das ge- than; aber da er sie unter der Thuͤre so laut reden hoͤrte, dorfte er nicht weiter, und war- tete da bis es stillete, denn kam er hervor, und sagte ihr, was er vor einer Viertelstunde vor Schreken nicht konnte. Die Meyerin zog den Fuß hinter sich, und sah ihn so drey Schritt vom Leib bis zu den Fuͤssen an, da er so hinter der Thuͤre hervor, und gegen sie zu kam. Aber, was sie nicht denkte, der Mann der jezt so mit der Kappe (Muͤze) in der Hand vor ihr stuhnde, und in jeder Ader zeigte, daß er nichts hoffe, nicht fuͤr sich rede, nicht um seinet willen da stehe, viel weniger hinter der Thuͤr gestanden, gefiel ihr so wohl, daß sie jezt ganz still stuhnd, und den Fuß nicht mehr hinter sich zog, ihn auch nicht mehr vom Kopf bis zu den Fuͤssen an- sah, so nahe er jezt auch an sie zu stuhnde. Er aber achtete es nicht, weder, daß sie nicht mehr zuruͤk wich, noch daß sie die Augen ge- aͤndert, und sagte fast ohne zu denken, daß es noch seyn koͤnnte, oder seyn sollte, wie in den Tag hinein, sie solle ihm verzeihen, er wisse wohl, daß es zu viel an ihm seye, daß er an sie gedacht, aber er habe einmal auch jemand rechter noͤthig. — Sie gab ihm zur Antwort, ich kann dir in Gottes Nahmen keine Hoffnung machen. Er sah ihr da in die Augen und mit diesem Wort, und mit diesem ihr in die Augen hin- einsehen, kams dem Rudj fast wieder wie von neuem in Sinn, es waͤre doch gut, wenns waͤ- re, — und mit jedem Augenblik dachte er jezt wieder waͤrmer, und waͤrmer, wenns doch nur auch seyn koͤnnte, und wenns doch nur auch Gotts Will waͤre! Aber er sagte nichts, und dorfte nichts sagen, und stuhnd da, wie ein Mensch der hungert, und nicht sagen darf, daß er ein Allmosen gern haͤtte. Die Meyerin sah wie durch ein Fenster in ihn hinein, und sagte zu sich selber, so einen herzguten Kerl hab ich in meinem Leben nie gesehen, vor mir zustehen; — zu ihm aber, — pfuy, — wie du auch da stehest; — es ist nicht anders, als du wollest ein Allmosen um Gottswillen. Der Rudi erwiederte, ich bin noch nie vor jemand gestanden, wie wenn ich bettelte, aber ich spuͤhre wol, daß ich vor dir so da stehe, wie du sagst. — Meyerin . Da must eben auch vor mir nicht stehen, wie wenn du betteltest. — Rudj . Wie muß ich denn vor dir zustehen, und was muß ich machen, anstatt Bettlens das mich einmal jezt ankommt. Meyerin . Du must meiner gar nicht in Acht nehmen. — Rudj . Dann will ich doch lieber noch fort- fahren mit dem Bettlen. Meyerin . Ja — so sag ich dir dann helf dir Gott! — Rudj . Wenn du mir recht, Helf dir Gott, sagst, so gehts mir nicht uͤbel. Meyerin . Nun, — wenn du das willst, da hasts. — Helf dir Gott Rudj! Rudj . Ja, — das ist mir nicht das rechte Helf dir Gott. — Meyerin . Ae was waͤre dir denn das rechte Helf dir Gott? Rudj . Wenn du mir die Haͤnd darauf ge- ben wuͤrdest, daß du mir auch helfen wollest, das waͤre mir das rechte Helf dir Gott! Meyerin . — So, — du bist doch kein Narr Rudj! Rudj . Ich glaubs wohl, aber es hat doch auch nicht bald einer ein Allmosen so noͤthig. Meyerin . Aber warum soll ich dir es ge- ben? Du kannst ja vor mehr Haͤusern so bett- len. — Rudj . Das thue ich jezo nicht. Meyerin . Nur, — nur, thue was du willst, aber gehe jezt wieder hinter die Thuͤre, wo du hergekommen, und lasse uns jezt allein. Und hiemit nahm sie Gertrud an Arm, gieng mit ihr etliche Schritte, und wußte nicht, was sie sagen wollte. Gertrud ruͤhmte von neuem den Rudj, und seine Haushaltung, und sie hoͤrte zu wie in der Kirche, fragte einmal uͤber das andere, wie ist jezt das? Was sagst du? am Ende gieng sie so freundlich von ihr heim, als sie un- freundlich zu ihr gekommen. §. 34. Wie sich der Mensch an Seel und Leib kruͤmmt und windet — wenn er etwas will, und meynt — er wolle es nicht. U nd dann daheim saß sie hinter dem Ofen, machte kein Licht bis es stokfinster war, und als sie ins Beth gieng, wollten ihr die Au- gen nicht zu, was sie auch machte, sie mußte nur an ihn sinnen. Sie meynte freylich, sie koͤnne ihn nicht neh- men, sagte denn aber doch in ihrem Staunen: ich wollte gern, ich koͤnnte ihn nehmen, aber es kann nicht seyn, — so alt, — und so viel Kinder, — es kann nichts draus werden; — und doch stuhnd er ihr immer vor Augen, — und es war ihr voͤllig, wie wenn jezo im Beth ihr jemand vor den Ohren die gleichen Worte wieder wieder sagte, die er vorher zu ihr geredt, so leb- haft kam ihr alles von ihm vor; und auch mit dem, was der Junker gesagt, giengs ihr so. Einmal sagte sie zu sich selber, wenn ich ihn nehmen wuͤrde, so muͤßte mir dieser beym er- sten Kind zu Gevatter stehen, warum macht er einem so lange Zaͤhne! — Auch der reiche Vetter, den ihr der Unter- vogt und seine Frau geben wollten, kam ihr jezt vor, — und sie hatt’, sint dem man ihr von ihm geredt, noch nie so viel an ihn ge- dacht, als diese Nacht, und sint dem er aus der Fremde, ihn nur ein paar mal gesehen. Das erste mal an seiner Schwester Hochzeit; er saß gerade vor ihr uͤber und fraß Spek, daß ihm das Fett davon auf beyden Seiten herabtriefte. Das andere mal traf sie ihn im Dorf an, da er eben eine Sau mezgete und ihr die Hand tief in Hals hineinstekte, und das warme Blut daruͤber herunter laufen ließ, wie wenn es ihn freute. Sie verglich jezt die beyden denn auch. Er stuhnd ihr mit dem Spek an dem Maul, und dem Blut an den Haͤnden, wie der andere mit seiner Kappe ihr vor den Augen, und sie sagte einmal, es ist bald richtig; wenn sie einen von beyden haben muͤßte, so waͤr es sicher eher der Rudj, als das Wurstmaul mit seinen Hang- baken; und ein ander mal, nein, einmal wenn L das ganze Dorf sein waͤre, ich wollte ihn nicht. — Aber es muß ja keiner von beyden seyn. Sie entschlummerte erst gegen Morgen, und da traͤumte ihr noch von ihm, sie ließ ei- nen Schrey, wie wenn man sie moͤrden wollte, und erwekte das Kind, das neben ihr schlief, mit ihrem Schreyen. §. 35. Die Mitternacht-Stunde eines Vaters und eines Sohns. E s war uͤberall kein gute Schlaf-Nacht, der Rudi konnte es eben so wenig als sie, und die Leuthe, die am Morgen unter die Lin- de mußten, konnten es alle auch nicht; — am wenigsten der Junker. Das Volk das nicht schlafen koͤnnte, lag ihm auf dem Herzen. Er dachte den Ursachen ihres Verderbens im Ernst nach, und unter- druͤkte den grossen Gedanken, daß die Regierung seines Großvaters die Ursache von dem Ungluͤk dieser verheerten Menschen sey, und daß uͤber- haupt das pflichtlose Leben der oberkeitlichen Personen, und des herrschaftlichen Stands die Hauptursach der Lebensverheernng seye, die in den niedern Staͤnden herrsche. Die- sen grossen Gedanken, der den Kindern des Adels von der Wiege auf, als das erste Wort Gottes an sie, eingepraͤgt werden sollte, und nicht eingepraͤgt wird, unterdruͤkte Arner in dieser schlaflosen Nacht nicht, er haͤngte ihm vielmehr nach. Es ist wohl wahr, sagte er zu sich selber, was die liebe Ahnfrau noch zu mir sagte, die Zeiten sind boͤse, und waren von meiner Kindheit an boͤse; man macht aus sich selber alles, aus dem Volk nichts, und achtet es nichts, daß Leuthe die einem angehoͤren es schlimmer haben als die Thiere des Felds. — Es nagte dem frommen Mann am Herzen, daß sein lieber Großvater aus seiner Burg ein Schloß gemacht, wie ein Koͤ- nigs Haus, und weit und breit die Felsen ab- getragen, und die Huͤgel zu Gaͤrten gemacht, aber ihm ein Volk hinterlassen, an das er ohne Scham und Sorgen nicht denken darf. — O Gott! sagte er etliche mal zu sich selber; lieber, lieber Großvater! haͤttest du mir doch meiner Ahnen Zimmerleere Burg, und mei- ner Ahnen Schandleeres Volk hinterlassen! Sein Carl der im gleichen Beth lag, hoͤr- te ihn gegen zwoͤlf Uhr so beklemmt athmen, und sagte zu ihm, fehlt dir etwas Papa? daß du nicht schlafen kannst. Nein, lieber! Es fehlt mir nichts, sagte Arner. L 2 Wohl lieber Papa, es fehlt dir doch etwas, gaͤll es ist dir Angst auf Morgen? sagte das Kind. — Warum das, du Lieber? sagte Arner. Meynst, ich wisse es nicht, es ist allen Leu- then so angst wegen der Rechnung. — Arner . Wer hat dir das gesagt? Carl . Etliche Buben, aber einer gar, — denk Papa! er war bey den andern Buben, aber er hat gar nicht moͤgen lustig seyn, und ist so herum gestanden, daß man ihms ange- sehen, es fehl ihm etwas. — Da bin ich zu ihm gestanden, hab ihn bey der Hand genom- men, und gefragt, warum er so traurig seye? Zuerst hat er mirs nicht wollen sagen, aber ich habe nicht nachgelassen, und da hat er mir gesagt, seine Leuthe daheim, der Vater und die Mutter, und die Schwestern weinen sich fast zu Tod, sie seyen dem Vogt auch et- was schuldig, und jezt muͤsse die Schwester morn vor dich, mit ihm zu rechnen, aber ich soll doch dir nichts sagen, daß er mirs gesagt habe, und denk auch Papa! Das Schreyen ist ihn da so angekommen, daß er sich hat muͤssen umkehren, daß ihn niemand hoͤre, es hat mir doch auch so weh gethan, und ich bin mit ihm hinter den Haag gegangen, und bey ihm geblieben, bis man es ihm nicht mehr so angesehen, daß er so geweinet. Arner . — Das ist brav Lieber! Wie heißt der Bub? Carl . — Er heißt Jakobli und ist ein schoͤ- ner Bub, — mit einem glatten weissen Haar, und ein guter Bub, du kannst nicht glauben, wie gut! und wie lieb er mir ist! — Arner . Aber wem gehoͤrt er? Carl . Er wohnt grad unten am Creuz- brunnen, es sind so drey Tritt vor dem Haus. Arner . Aber du weissest nicht, wie seine Leuthe heissen? Carl . Nein: Aber gaͤll du bist auch morn nicht so gar boͤs mit ihnen, sie haben jezt schon sint dem Sonntag nichts gethan als wei- nen. — Arner . Ich will mit allensammen nicht boͤs seyn, aber du Lieber! Ich muß mit ihnen, wie mit dir, wenn sie sich etwas boͤses ange- woͤhnt, doch auch machen, daß sie es sich wie- der abgewoͤhnen, und du weist wohl, wie schwer das Abgewoͤhnen alle Menschen an- kommt, wenn man ihnen nicht den Ernst zeigt. Carl . Aber gaͤll! Wenn sie es denn nicht mehr thun, so bist du denn auch wieder gut mit ihnen? Arner . Ach, — ich bin so froh, wenn ich kann gut seyn. — Carl . Ich weiß es wohl, sagte Carl, und entschlief wieder bey diesem Wort. L 3 §. 36. Der Anfang der Morgenangst. A rner stuhnd vor den fuͤnfen auf; er hatte um diese Zeit den Weibel zu sich beschie- den, und gab ihm da aus des Vogts Haus- buch den Rodel, was fuͤr Leuthen er auf die- sen Morgen noch zur Rechnung bieten solle. Indem er ihm das Papier in die Hand gab, sagte er, es ist mir nur leid fuͤr die vie- len Leuthe, denen dieser Rodel Muͤhe machen wird. Der Weibel gab ihm zur Antwort: es ge- schiehet ihnen nur recht, sie habens so wollen, und dachte nichts weniger als daß sein liebes Toͤchterlein oben an stehe. Der Junker sah ihn so an, ließ ihn gehen, und er sazte sich dann daheim noch hinter den Tisch, um eine Tasse Caffee zu trinken, eh er den Lauf durchs Dorf antrette, und nahm da erst den Rodel in die Hand, zusehen, wo er eigentlich hin muͤsse, — aber er verschuͤttete die Tasse Caffee, als er sein Kind darinn oben an sahe, und wußte nicht was er that, bis er zum Haus hinaus war, so verwirrete ihn der Name seines lieben Kinds an diesem Ort. Und da er zum Haus hinaus war, wußte er es noch vielweniger, und mußte einmal uͤber das andere wieder in eine Gaß zuruͤk, wo er schon ein und zwey mal gewesen, so gar wenn er bey einer Thuͤre zu noch im Rodel gelesen, was er in dem Hause zu sagen habe, wußte er es schon nicht mehr, wenn er in die Stube hinein kam, und mußte ihn wieder aus dem Sak nehmen, zusehen, ob es den Hans oder den Heirj antreffe! So nahms dem armen Mann den Kopf, daß er sein liebes Toͤchterlein also im Sak herumtragen mußte. Er haͤtte es am Morgen mit Fuͤssen vertretten, wenns die Mut- ter nicht im ersten Sturm hinter dem Heustok verborgen, bis er zum Haus hinaus war. Wo er hin kam, war den Leuthen das Herz groß, aber doch troͤstete es viele, daß sein Toͤchterlj es auch mithalten muͤsse. Aber ich kann nicht erzaͤhlen, wie viel ihm allerley begegnet! doch hielt ihn Niemand so lang auf als die Barbel, die die Fromme heißt. Sie hatte ihre beyden Haͤnde auf der offe- nen Bibel uͤbereinander, kehrte das gelbe Weiß in den Augen um, wie ein Bok, wenn man ihn mezget, und sah gen Himmel, als er ihr sagte, warum er da seye. Um Gottes Willen Weibel, antwortet sie ihm, was denket ihr auch, daß ihr zu mir kommet? b’huͤt mich Gott dafuͤr, ich bin meiner Lebtag dem Vogt weder viel noch wenig schuldig gewesen, es L 4 muß einmal jemand anders gemeynt seyn, es heissen ja noch mehr Leuthe wie ich. Der Weibel wußte nicht wer, sie namsete ihm aber so gleich das Spinnerbabelj — da sagte er, der Vogt haͤtte diesem Bettelmenschen nicht 5 Bazen, geschweige fuͤnf Gulden ver- traut. Was wisset ihr Herr Weibel! wie das hat koͤnnen kommen, ihr werdet einmal muͤssen gehen und fragen, denn jezt seyt ihr einmal bey meinem Gewissen am unrechten Orte. Nun, ich kann wohl gehen, es wird sich denn zeigen, sagte der Weibel. — Und das Spinnerbabj gieng so bald es ihn von der from- men Nachbarin die Gaß hinaufkommen sah, ihm entgegen, und sagte, eh er ihns noch an- redete, — ja ja, ich weiß was ihr wollet, und es wird sich wohl machen, ich will es ordeut- lich kommen zu zahlen. Aber bist du dem Vogt so viel Geld schul- dig? sagte der Weibel. Was willst jezt so viel fragen, es ist manchmal besser, man wisse nicht gar alles, erwiederte das Babelj. Du hast recht, sagte der Weibel, ich hab heut auch nur schon zu viel erfahren. — Er wußte aber doch was es war, und wie es kom- men wuͤrde. §. 37. Ein Schaaf unter viel Boͤken. G egen den neunen kamen die Leuthe, die er weibelte unter die Linde. Aber wer will den Hauffen beschreiben, und sie abmah- len; vom alten Meyer an, der uͤber 30 Jahr beym Vogt saß bis auf des Halloris Kind, das vor drey Wochen das Ungluͤk hatte seiner Mut- ter den ersten Bazen zu stehlen, und ihn dem Vogt zu bringen. Wer will diese 125 Men- schen beschreiben, Maͤnner, Weiber, und Kin- der, und wer will den Unterschied treffen zwi- schen denen die Spek bey ihm assen, denen die Brandtenwein soffen, und denen die Butter schlekten, und Caffee tranken. Wer will es aus- druͤken? wie sie einander an Leib und Seel, an Haͤnden und Fuͤssen, an Nasen und Ohren so ungleich, und dann wieder auf eine andere Art einander gleich waren. — Ich kann es nicht sagen, wie gleich und wie ungleich es einander war das Lumpenvolk da. Die einten zahlten ihn mit Geld, die andern mit Baumwollen, von denen einige ihm altes Eisen daran gaben, andere ihn mit Eiden und Zeugnissen und ihrer Seelen Heil dafuͤr zahl- ten. Ich eile mit dem Bild dieser Stunde unaus- sprechlich schnell vorbey, sie druͤkt mich wie den Junker, dem sie vor Augen stuhnde. Dieser fragte noch ehe er unter die Linde gieng den Pfarrer, was fuͤr Leuthe beym Creuzbrunnen wohnen, und einen Buben ha- ben, der Jakoblj heisse, und sagte, es seyen drey Tritt vor ihrem Haus. Wenn der Pfarrer schon seinen Kragen auf die Kanzel vergessen haͤtte, er haͤtte nicht mehr koͤnnen betroffen seyn, als daß er er vergessen mit dem Junker von dieser Haushaltung zu re- den, wie er sich vorgenommen. Er sagte es ihm jezt und erzaͤhlte ihm, daß ihn keine von den Leuthen, die unter die Linde muͤssen, dau- ren wie diese, weil sie bis auf den lezten Winter sich vor allen Wirthshaus Schulden gehuͤtet, die Frau aber seye vom Herbst an bis auf den Fruͤhling bettliegrig gewesen, und ihr Mann habe ihr mehrentheils die ganze Nacht durch wachen muͤssen. Ihr koͤnnet wohl denken, Junker, sagte der gute Pfarrer, wie es dann geht, die Naͤchte sind lang, und wenn ein Mann den Tag uͤber arbeitet, schlechte Speisen hat, und denn noch die Nacht durch wachen muß, was will man daruͤber sagen? wenn er auch dann ein Glas Wein mehr geluͤstet als er soll- te. Er ruͤhmte die Haushaltung gar, und sag- te: sie seyen noch von dem alten Vogt Linden- berger her, und wo noch ein Bein von dem Mann herstamme, so sey es ehrenvester und schamhafter als alles andere Volk im Dorf — und die Tochter welche den Wein gereicht, und ins Vogts Buch eingeschrieben seye danu ganz unschuldig, sie habe keinen Tropfen davon getrunken, auch sage ihr Vater alle Stund zu ihr, sie muͤsse ihm die Schande nicht ausstehen, er seye schuldig, und er wolle unter die Linde, aber sie wolle ihn nicht lassen, und bitte ihn um tausend Gotteswillen er solle das nicht thun, — aber sie habe dann doch vom Mor- gen bis in die Nacht feuerrothe Augen vom Schreyen. O Gott! Wie waͤren diese Menschen an- derst, wenn man anderst mit ihnen umgegan- gen waͤre, sagte der Junker wieder zu sich selber. — Und auch dieser Vorfall fuͤllte sein Herz mit Guͤte fuͤr diese Elende, und machte ihm eine gute Weile den Anblik ertraͤglicher, den er unter der Linde hatte. §. 38. Das reine landesvaͤterliche Herz meines Manns. E r bedaurte die Kinder am meisten, er ließ ihnen auch zuerst ruffen, damit sie aus der Angst kaͤmen, und sagte keinem viel mehr als bist du auch da? Etlichen bot er noch die Hand, und sagte ihnen mit Vaterguͤte, thu doch das dein Lebtag nicht mehr! — Aber das Ganze was ihm vor Augen stuhnd war entsezlich. Der Fehler, um dessentwil- len sie da waren, machte ihm nichts, aber das Bild der Heucheley und Verstellung, das allent- halben hervorstach, druͤkte und empoͤrte den Mann. Die meisten Weiber thaten, wie wenn sie in Boden hineinsinken wollten. Er sagte aber ihrer etlichen, es ist dir nicht halb so wie du thust, — einer sagte er gar, ich meyne, wenn grad jezt ein Krug Wein bey dir zu stuhnde, und du allein waͤrest daß dich niemand saͤhe, dein Jammer wuͤrde bald aus seyn. Aber eine verstellte sich nicht; es war ein Elend sie anzusehen, sie weynte nicht, aber ihr Athem toͤnte auf viele Schritte laut, ihr Mund lag uͤber einander, wie wenn er zusam- mengewachsen, und wenn sie redte, schnap- pete sie nach Luft. So stuhnd die Rabserbaͤu- rin vor seinen Augen. Was ist dir Frau? — bist du krank, oder was fehlt dir? sagte der Junker. — Sie konnte nicht reden, aber sie fieng an zu weynen, und mit dem war ihr leichter, daß sie hinten nach sagen konnte, sie sey jezt 60 Jahr alt, und habe ihr Lebtag schinden und schaben muͤssen, wie eine Bettelfrau, und ihr Mann mißgoͤnne ihr das Brod, und gebe ihr nicht, wie recht ist, zu essen, sonst waͤre sie, das wisse Gott im Himmel nicht in diesem Ungluͤk. — Es machte den Junker blaß; er fragte links und rechts ob dem so seye? und links und rechts war die Antwort, es seye nicht anderst, und es habe der Frau ihrer Lebtag kein Mensch nachgeredt, daß sie ein Glas Wein zu viel ge- trunken. Der alte Reinold sezte hinzu, sie habe zwanzig Kinder gehabt die aber alle bis auf zwey tod seyen, und die Frau moͤge die rohen Speisen, die sie um seines Geizes wil- len essen sollte, nicht mehr erleiden, und sonst sey ganz gewiß unter der Sonnen kein Grund, daß sie ins geheim dann und wann ein Glas Wein aus dem Wirthshaus kommen lassen. — Als der Junker dieses gehoͤrt, sagte er, wenns so ist Frau, so will ich dir helfen. Wenn dir dein Mann nicht zukommen laßt, was du zu deiner Leibsnothdurft brauchest, sey es jezt Wein oder was es wolle, so sag du nur dem Pfarrer, in welchem Haus im Dorf du den Rest deiner Tage gern verleben moͤchtest? und ich will dann schon dafuͤr sorgen, daß dein Mann dir was du noͤthig hast, sicher in dieses Haus bringen wird. Aber diese und die Lindenbergerin waren auch die einzigen mit denen er von Herzen hat gut seyn koͤnnen. Es freute ihn frey als die lezte kam; sie hub kein Aug vom Boden und sagte kein Wort zu ihrer Entschuldigung, da sie ihm zu erst ant- wortete. Der Junker sagte zu ihr, Kind! Warum hast du nichts zu deiner Entschuldigung, warum du da bist? Auf dieses Wort sah sie den Junker das er- stemal an, aber redete nicht. Nun wenn du es nicht sagen darfst, so will ich es sagen; ich weiß es, Euere Haushaltung hat sich bis auf den lezten Herbst aller Wirths- hausschulden huͤten koͤnnen, und wenn deine Mutter nicht einen so elenden Winter gehabt haͤtte, so waͤret ihr auch keinen Heller schuldig. So entschlug der gerechte Landesvater vor allem Volk diß gute Kind seiner Schande hal- ber. Aber es that den 120zigen wehe zuhoͤ- ren, daß eines besser unter ihnen als sie alle, und es war kein Kruͤppel an Leib und Seele unter der Linde, der nicht zu sich selber sagte, ja, — wenn er wuͤßte wie ichs gehabt haͤtte, er wuͤrde gewiß das und noch mehr auch zu mir sagen. Die Lindenbergerin antwortete ihm, ich danke Gott, daß ihr wisset, wie wirs gehabt haben. Ich weiß noch mehr, ich weiß auch, daß du keinen Tropfen von dem Wein getrunken, um dessen Willen du da bist, und daß dein Vater dich noch gebetten, du sollest ihn sich fuͤr dich verantworten lassen, aber du bist so brav gewesen, und hast es nicht wollen. Jezt nahm das Kind die Hand vor die Au- gen, die ihm uͤberliefen, und sagte schluchzend, mein Vater, niemand als mein Vater, mein lieber Vater hat euch das gesagt. Nein, sagte der Junker, dein Vater hat es mir nicht gesagt; aber gruͤß mir deinen Bru- der den Jakoblj, und sag ihm, er soll am Sonn- tag zum Carl ins Schloß kommen, zum Mit- tagessen, er ist ihm gar lieb. — Jezt wußte das Kind wer es ihm ausge- bracht, und sagte beim weggehen zu sich sel- ber, der Liebe Gott hats doch auch gut mit mir gemeynt, daß es so gekommen ist. §. 39. Seine Kraft wider das freche Laster. E inige kamen jezt auf den Einfall, weil er so gut seye, so laß es sich vielleicht wohl mit dem Laͤugnen probieren. Die Spekmol- chin, die grad auf ihns folgt, that den Ver- such. Sie stuhnd kek an den Tisch, und sagte, der Hummel habe sie wie ein Schelm und Dieb aufgeschrieben, sie sey ihm weder Heller noch Pfennig schuldig, und sie wuͤßte sich bey Jahr und Tag nicht zu erinnern, daß sie das geringste mit ihm gehabt oder ihm nur ins Haus hineingekommen. Der Hummel antwortete, man solle nur ein Tischtuch und ein Handtuch ansehen, die auf dem Tisch liegen, und die sie ihm versezt, es werde sich denn wohl zeigen, ob sie nie im Haus gewesen. Das machte sie noch nicht irr. Sie behauptete kek, sie habe ihrer Leb- tag diese Tuͤcher weder gesehen, noch in Haͤn- den gehabt. Man fand ihren Namen daran, das verwirrte sie einen Augenblik, aber dann sagte sie, sie muͤssen ihr gestohlen worden seyn, einmal das seye gewiß, und das koͤnne sie be- zeugen, daß sie es ihm nicht gegeben habe. — Der Junker aber machte es kurz, und sagte, er schike im Augenblik in ihr Haus, und wenn ein einig Stuͤk von gleichem Tuch sich darinn finde, so lasse er sie 14 Tage ins Zuchthaus sperren, wenn sie es nicht im Augenblik be- kenne. Sie erwaͤhlte das Bessere. Und er machte sie dem Hummel vor allen Hunderten die da waren, die Hand bieten, und laut und ver- staͤndlich bezeugen, er sey dessentwegen und dießfalls, dießfalls, daß er sie in seinem Buch aufge- schrieben, sie seye ihm so und so viel schuldig, weder ein Schelm noch ein Dieb. — Sie erstikte schier, eh’ ihr diese Worte alle zum Hals heraus waren, und man haͤtte mey- nen moͤgen, die drey Finger, die der Henker dem Vogt schwarz gemacht, bernnten wie Feuer, so verzog sie Augen und Maul, und zuͤkte mit dem Arm wieder hinter sich, da sie ihm die Hand langen mußte. Im Weggehen sagte sie hinterruks zum Vet- ter Weibel, ich haͤtte doch nicht geglaubt, daß er es mir so machen wuͤrde, und er antworte- te, und ich haͤtte nicht geglaubt, daß du so dumm waͤrest. — §. 40. Bettschwesterarbeit wird mit Hexenarbeit verglichen. B ald nach ihr kam das Spinnerbabelj her- vor. Aber der Junker sah, daß jeder- mann die Koͤpf zusammenstieß, und fragte die Vorgesezten, was das seye? Der Weibel antwortete, man glaube, das seye nicht die rechte Barbel. — Das wird sich etwann wohl zeigen, sagte M der Junker, und fragte den Hummel, was das seye? Dieser erzaͤhlte, die rechte Barbel heisse die Fromme, und sey sint dem Sonntag alle Nacht, wenns stokfinster gewesen, vors Haus gekom- men, und habe ihm mit Spruͤchen aus der Bibel, und weiß nicht was allem zugesezt, daß er um Gotteswillen auch so barmherzig seye, und das Maul halte, wenn das andere Babelj fuͤr sie unter der Linde hervor komme, und zahle. Er sezte hinzu, er habe, damit er ih- rer los komme, geantwortet, wenn niemand nichts sage, so wolle er auch schweigen. Der Junker fragte darauf das andere Ba- beli, aber was hat sie dir Lohn gegeben, daß du fuͤr sie da herfuͤrgekommen? Es antwortete, einen halben Gulden, und sezte hinzu, es seye ein armes Mensch, und habe gedacht, es schade niemand nichts, wenn es das thue. Aber hast du nicht gedacht? Es schade dir selber, deinen guten Nahmen so an Lumpen- tisch hervor zu tragen, sagte der Junker. — Und es — ich habe gedacht, es glaube das niemand. — Der Junker mußte ob ihm lachen, uͤber die andere lachte er nicht. Er rief dem Haschier, und befahl ihm den Augenblik, die rechte Bar- bel aus dem Haus zu nehmen, und hieher zu bringen. Sie aber saß in diesem bittern Stuͤndlein der Truͤbsal ob dem Buch Hiob, und las das Leiden des Manns, vom ersten Capitel bis aufs lezte, und deutete alle Truͤbsal, die ihm der Teufel und sein Weib machten, nur auf sich, und ihren heutigen Jammer. — Aber das Buch Job endete, und das Stuͤndlein ih- rer Truͤbsal gieng leider erst an. Ihre Dienst- magd und Mithalterin wartete indessen, daß sie im Job las, oben an der Kirchgaß, wie es unter der Linde ablaufen wolle, und sah nach langem Warten und Warten, daß das Spinnerbabelj endlich zum Tisch hervor wakle, aber es ruͤkte nicht mit ihm, und es wollte auch nicht wieder vom Tisch weg wie die andern. — Das duͤnkte sie schon kein gutes Zei- chen, aber da sie jezt gar den Harschier zum Junker hervorkommen sah, machte sie sich was giebst, was hast, aus dem Staub, und heim. Sie war fast ausser Athem, und konnte der Meisterin kaum sagen, was ihr vorstuhnd. Diese aber, ob sie es gleich nur halb verstan- den, vergaß den Job, und dachte jezt ganz allein an sich selber, und sagte, Herr Jesus! — Ach mein Gott! Der Teufel hat es mir wohl muͤssen in den Sinn geben, daß ich das Mensch habe unter die Linden schiken muͤssen; M 2 es hat mir es jezt in Gotts Nahmen noch sel- ber ausgebracht. — Eine arme Hexe schwizt in der Mitter- nachtstunde bey ihrer strengsten Arbeit, wenn der Beelzebub um sie herumrummelt, nicht halb so sehr, als die arme Fromme bey ihrem athemlosen uͤber einander betten, hilf Helfer, hilf! in dieser Noth jezt schwizte. Es half ihr nichts, so wenig als daß ihre Dienst- magd ihre Thuͤre verriegelte; der Harschier gab ihr, da man sie nicht oͤffnete einen Tritt mit den Schuhen, und hatte meine Fromme nach Profosenart, gar bald vom Buch Job weg. Aber man muß den Basler Todten- tanz im Kopf haben, wenn man sich vorstellen will, wie sie mit einander unter die Linde giengen. Ohne ein Wort mit ihr zu reden, ließ der Junker sie auf den steinernen Bank, neben den Brunnen zu stellen, und da warten, bis nie- mand mehr unter der Linde war, damit sie lehre ein andermal die Schand des Lumpen- lebens nicht mehr so wohlfeil zu verkaufen. §. 41. Wider die Hoffart und wider Volks-Co- moͤdien vor dem Halseisen, (Pranger.) B ald auf sie folgte die Huͤrner Beth, die trug vornen und hinten Sammetbaͤnder, und am Kopf und Hals feines Zeug. Arner kannte seine Eltern aus dem Allmosen- rodel, und fragte, bist du des Huͤrner Jakobs? Diese Frag gefiel dem Menschen schon nicht, es verlor schon seine Farb, da es ja sagte. Der Junker sah ihns vom Kopf, bis zun Fuͤssen an, und fragte ihns da, wie kommst du zu Seiden und Sammet? Erschroken wie eine Diebin, der ihre Ar- beit eben an Tag kommt, antwortete es nichts. Der Junker aber sagte wieder, wie kommst du zu Seiden und Sammet? Und es brachte es unter Herzklopfen heraus, ich hab verdient, was ich trage. Ich will nicht fragen, wie? sagte Arner, ich will dich nur fragen, ob dir anstehe es zu tragen? Es schwieg wieder. Der Junker aber sagte, wo keine Scham ist, da ist keine Ehre, und ein Mensch, das vom Allmosen erzogen wird, und sich vor sei- nem Dorf nicht schaͤmt, sich kostbarer zu klei- M 3 den, als Leuthe, die von niemand nichts ha- ben, und von niemand nichts wollen, ist ein boͤses Exempel, dem ich vorbiegen muß; und einen Augenblik darauf sagte er zu ihm, wie viel Geschwisterte hast du? Es sagte, fuͤnfe. Und Er wieder: gehen sie auch so hoffaͤrtig daher? Es schwieg. Er fragte zum andernmal: gehen sie auch so hoffartig daher? Da sagte es nein. Er fuhr fort: aber haben sie Struͤmpf und Schuh, und ganze Hemder? Es zitterte und schwieg wieder. — Und Er sagte wieder: haben sie Schuh, Struͤmpf und ganze Hemder, deine fuͤnf Ge- schwisterte? Es mochte wollen oder nicht, es mußte nein sagen. Und der Junker fuhr fort, — aber dein Vater, und deine Mutter, koͤnnen sich die vor Kaͤlte und Waͤrme schuͤzen, Kleidern hal- ber? Es schwieg wieder. Ich sehe wohl, auch das ist nein, — sagte der Junker, und du schaͤmst dich nicht, und foͤrchtest dich nicht der Suͤnde halber so daher zu kommen. — Dann befahl er ihm jezt heim zu gehen, und Vater und Mutter, und alle Geschwisterte auf der Stelle, wie sie gehen und stehen hieher zu bringen. Das Elend selber, wenn man ihns abmah- len wollte, koͤnnte nicht elender seyn als diese sieben Menschen. — Der Junker ließ sie vor sich zu, die Hof- fahrts-Beth auf die einte, und Vater und Mutter, und Geschwisterte auf die andere Seite stellen. Da sie denn vor ihm zu, so ge- gen einander uͤber stuhnden, sagte er zu dem Menschen. — Ist jezt das dein Vater? Seine Lippen bebten ihm, seine Augen stuhn- den ihm starr, und seine hangende Haͤnde zit- terten, als es jezt ja sagte. Er fuhr fort, und du bist des Manns Toch- ter? Beth. — Ja. — Junker. — Und der Frauen da ihr Kind? Beth. — Ja. Junker. — Und das sind deine Geschwi- sterte? Beth. — Ja. — Junker. — Sind diese Kinder mit dir un- ter einem Herzen gelegen? Es schluchzete. Der Junker fuhr fort, und du lassest sie so, M 4 und Vater und Mutter so, und darfst dich dann so zeigen! Geh jezt mit deiner Mutter wieder heim, und all die Lumpen, die sie jezt tragt vom Kopf bis zun Fuͤssen leg du an, und komm in diesen Lumpen wieder hieher. Erschreklichers haͤtte der Hoffarths-Beth nichts begegnen koͤnnen; sie sank fast an Bo- den, und Vater und Mutter baten vor sie, und die Geschwistterte stengen an alle zu wey- nen. Der Junker aber sagte, wenn er nicht das halbe Dorf dem Hunger und Elend, und ei- nem Leben das zum Ausserben fuͤhre bloß ge- ben wolle, so muͤsse er machen, daß wer nicht Brod habe, und sich nicht deken koͤnne, auch nicht Hoffarth treibe. — Er war aber so freundlich und gut mit den Eltern und Kindern daß ein paar Minuten darnach die Mutter selber sagte; er hat in Gottes Namen recht, und ich hab dem unver- nuͤnftigen Kind hundert und hundertmal ge- sagt, es koͤnne es nicht verantworten, wie es seine Geschwisterte, von Vater und Mut- ter wolle sie nicht reden, im Elend lasse, und alles an die Hoffarth verwende. Der weise gute Landesvater gab der ver- nuͤnftigen armen Frau jezt ein Allmosen, und sagte ihr, sie soll nur getrost seyn; Er wollte nichts als das verirrete Mensch zur Vernunft bringen, und wußte selber, daß wenn er ihns also unter die Linde kommen lassen wuͤr- de, er dadurch noch mehr die Sitten und das Herz seines armen Dorfs verderben wuͤrde. Es zeigte sich deutlich. Er hatte auch ihm nicht so bald dieses befohlen, als alles Lum- penvolk unter der Linde seine eigene Rechnung vergaß, und sich wie auf eine Hochzeit freuete, die Hoffarths-Beth in ihrer Mutter Hudlen unter die Linde waklen zusehen. Aber der Junker schikte, so bald sie heim war, den Harschier nach, mit Befehl, niemand zu ihrem Haus hinzu stehen lassen, und vor der Thuͤre zu warten, bis das Mensch in sei- nen Hudlen herauskommen wolle, und ihm denn zu sagen, es soll jezt nur daheim bleiben, aber wenn es sich noch einmal in einer ihm nicht anstaͤndigen Kleidung zeige, so lasse er ihns ohn anders zum Dorf hinaus fuͤhren. Seit dieser Stund ist die Huͤrnerbeth ein braves eingezogenes Mensch und hat am glei- chen Tag alle Zeichen und alle Faden von Hof- farth von den Kleidern die es hatte, abge- trennt. Hundert an eins ist zu wetten, wenn er die Comoͤdie, auf die das Lumpenvolk hofte, mit ihm gespielt haͤtte, es waͤre vor immer verloren gewesen. §. 42. Wie, und wie weit Lumpenvolk, wenn es sich im Vortheil spuͤrt, das Maul braucht. E s ist nicht zusagen, was es alle Augenblike vor Auftritte gab. Eine Kreblerin, die schon mehr als vor einem halben Jahr ihres Manns silberne Schnallen dem Vogt versezt, und damit er sie nicht im Verdacht habe, ihre Dienstmagd, die allein im Haus war, als ei- ne Diebin auf der Stelle fortgeschikt, hatte auch eine Jobs Stunde. Die Ringgen lagen jezt unter der Linde auf dem Tisch, und des Josen Conrad, der der Bruder war von der Margreth, die sie hat sol- len gestohlen haben, kennte sie im Augenblik, und sprang was giebst was hast heim, seiner Schwester zusagen, was er fuͤr einen Fund gemacht. Das war ein Jubel fuͤr Bruder und Schwe- ster. So geschwind als er heimkam, so ge- schwind sprangen beyde wieder gegen die Lin- den dem Krebler und seiner Frauen jezt den Meister zu zeigen. Er aber roch Feuer, gieng ihnen noch zu rechter Zeit entgegen, er traf sie oben an der Kirchgaß an, stellte sich vor sie hin, daß sie an ihn anstossen mußten und sagte. — Sie sollen doch einen Augenblik halten, wenn etwas ungrades in seinem Haus vorgefallen, so wolle er machen, daß sie koͤnnen zufrieden seyn. Nein, nein, antworteten sie, und er und sie: die Leuthbetriegerin deine Frau muß zu schanden gemacht seyn, wie sie es verdient, so haͤngt sie einandermal niemand mehr den Na- men an, der ihr gehoͤrt. Ja, ja sagte die Margreth, sie ist eine Leuth- betriegerin, eine Seelenmoͤrderin deine Frau, so hat mir es in meinem Leben noch niemand gemacht, und den Lohn dazu abgedrukt. Sie thaten beyde wie wild, und die Mar- greth noch oben drein, wie wenn sie die Au- gen troknen wollte. — Diese aber hatten das gar nicht noͤthig, sie waren so troken als wenn sie eben zum Ofen herausgekommen. — Das andere Wort das sie redte war, wie ungluͤk- lich sie jezt sey, daß sie so um Ehr und guten Namen gekommen. Thut doch jezt nicht so gar, sagte der Kreb- ler, sie muß euch Ehr und guten Namen wie- der geben; denn es machte ihm Angst, daß die Leuthe oben an der Kirchgaß alle es hoͤ- ren, so laut redten sie. Ja, ja — es ist bald gesagt; Ehre und guten Namen ist nicht so leicht wieder zu ge- ben, wenn man es einem genohmen. Und denn oben drein, was ich fuͤr Schaden und Nach- theil von dieser Sach gehabt, ist mit keiner Zunge zubeschreiben, sagte das Mensch; und sein Bruder machte das Duͤpflj aufs j. Aber sie wollten nur Geld; und der Krebler, der wohl sah, daß hier nichts anders zu machen, als den Sekel zu ziehen, sagte endlich. Nu was kostet es denn? damit wir abein- ander kommen. Ja sagte die Margreth, ich bin jezt bald drey viertel Jahr auf mir selber gesessen, und hab keinen Dienst finden koͤnnen, weil sie mich so als eine Diebin zum Haus hinausge- than, vom andern will ich nur nicht reden. — Und ihr Bruder, — es ist da nicht an uns zu fordern, wenn du es also willst so kannst du nur bieten was du geben wollest, es wird sich dann zeigen, was wir dazu sa- gen wollen. Kurz sie brandschazten ihn vor 20 Gulden. Als sie aber die hatten, war weiter von Ehr und gutem Nahmen keine Red. — Den Sigrist und Schulmeister ließ der Jun- ker gar spat ruffen, damit sie recht lang unter den andern Wirthshaus Lumpen da stehen muͤs- sen. Diese wollten noch eine Predig halten, wie es gekommen, daß der einte 5. und der an- dere 7. Gulden schuldig. Er sagte ihnen aber, haltet das Maul! — Auch der Kriecher wollte so predigen. — Er sagte ihm aber, ich kenn dich ja schon. — Keiner machte es, ich moͤchte fast sagen so gut als der alte Meyer, — der kam hervor, wie einer dem noch viel herausgehoͤrte, und sagte, was ich schuldig, das will ich zahlen, und wei- ter und ferner ist es kein Schelmenstuk, wenns einer hat und vermag, wenn er trinkt, bis er genug hat. — Es ist gar richtig, daß Saufen kein Schel- menstuk ist, sagte der Junker, aber es fuͤhrt gern zu vielem. Ich hab meiner Lebtag gehoͤrt, die groͤß- ten Schelmen huͤten sich vor dem Vollsaufen, sagte der Meyer. Und der Junker mußte laͤchen. — Aber bald alle Augenblike kamen Maͤnner, Weiber, und Kinder, denen er gestern Armuths- halber das Geld fuͤr eine Geiß vorgeschossen. Es wunderte ihn, wie viel von diesen zusam- men da seyen? und er befahl, daß wer immer von den 27 Haushaltungen da seye, Maͤnner, Weiber, und Kinder, die sollen sich zu einan- der an einen Haufen stellen, und es fande sich, daß von den 27 Haushaltungen nicht drey waren, aus denen nicht entweder der Vater oder die Mutter oder ein Kind Wirthshaus- schuldenhalber jezt vor ihm stuhnden. Er sagte ihnen, ihr habt doch scheints Ver- moͤgen Schulden zu machen, wenn schon nicht Vermoͤgen euch an Leib und Seel wie Menschen zu erhalten. Es zerschnitt ihm fast das Herz wie die Leuthe alle aussahen, aber er ließ sie gehen ohne ein Wort mehr zu ihnen zu sagen. Aber der Eindruk, den ihm der ganze Mor- gen machte, war bedruͤkend, und er gieng fast ohne Hoffnung daß mit einem Volk unter wel- chem so viel Lumpen seyen, noch etwas auszu- richten, mit beklemtem Herzen von der Linde ins Pfarrhaus. §. 43. Zwey Weiber messen ihr Maul mit ein- ander, und die Kleine wird Meister. A n diesem Morgen vernahm die Untervoͤg- tin, waͤhrend ihr Mann unter der Linde beym Junker zu saß, und das Maul offen hatte, was ihm gestern bey Gertrud wegen seiner Schwester begegnet. Poz Schuͤmmel, poz Kolj Anmerkung) Poz Schuͤmmel poz Kolj — an- statt poz Himmel poz Hoͤlle, — eine Nachah- mung der unter den verdrehetesten Bauern uͤbli- — wie feuer- te das Weib! Sie lief vom Melchen und Traͤn- ken weg zu ihrer Geschwey (Schwaͤgerin) mit ihr zu reden, was das dann sey? Zu warten bis ihr Mann von der Linde heim- kaͤme, das war ihr unmoͤglich. chen Manier anstatt der Woͤrter des Schwoͤ- rens und Fluchens aͤhnliche Toͤne, und nicht die Woͤrter selber zu gebrauchen, und z. E. anstatt beym Donner, beym Tummel, anstatt beym Ke- zer, beym Kaͤzli, — und anstatt beym Sakra- ment, beym Sakerstrenz zu sagen. Es giebt Leuthe welche solche Dummheiten beschoͤnen, und behaupten, es sey doch besser als unbemaͤnteltes Fluchen. Ich bin unverholen ganz der gegenseitigen Mey- nung, und finde daß es weit schlimmer ist. — Die Natur der Sache zeiget es auch ganz klar. Das Fluchen an sich selber ist glatterdings nichts als ein leerer Ton, man braucht nur die Woͤrter nicht zuverstehen, so ist es so viel als huͤst und hott — und nichts anders als ein lauter Schrey, der an sich weder im Himmel noch auf Erden, noch unter der Erden niemand weder wohl noch weh thut; es wird aber etwas, schlimmes in so- fern wir mit diesen Toͤnen Begriffe verbinden oder erregen, die in uns oder andern die Achtung verlezen, die wir dem Urheber unserer Natur, und allem was uns an ihn erinnert, schuldig sind. Es ist in eigentlichem Verstand ein Ungezogen- heitsfehler, und je mehr dieser unuͤberlegt, Ge- danken, und Aufmerksamkeits leer ist, je mehr ist er seiner Natur nach zu entschuldigen. — Je mehr er hingegen an Ueberlegung angeknuͤpft und abgemessen wird, desto mehr verliert er das ent- Sie hatte ihrem feißten Vetter versprochen, er muͤsse das Mensch haben, so gewiß als die Uhr schlagt, und jezt hoͤrte sie das. Aber sie kam der Meyerin nicht wohl, das Uebelschlaf- fen saß ihr noch auf der Stirn, und der Traum uͤber den Feißten lag ihr noch rings um das Maul. Die Voͤgtin sahs ihr beym Willkomm an, und sagte, es scheint du habest nicht gut ge- schlaffen? Eben schuldigende seiner Natur, und wird aus einem Ungezogenheitsfehler ein Niedertraͤchtigkeitsfeh- ler. Die Erfahrung bestaͤtiget diesen Grund- saz voͤllig, und wird uns die Kaͤzli und Saker- strenz Flucher immer cœteris paribus niedertraͤch- tiger und verdreheter darstellen, als die so ihren Kezer und Sakrament grad herausfluchen. Die Sache ist in einem allgemeinen Gesichts- punkt sehr wichtig, die Schwaͤchen und Fehler des menschlichen Lebens werden genau dadurch giftig, daß man mit sich selber kuͤnstelt, an dem zu sau gen, was man sich nicht getraut gerade her- unter zu schluken. Je schwaͤcher, sinnlicher und chinesischer die Menschen werden, je mehr ma- chen sie es so, und wir erhalten durch dieses Bede- ken aller roher Aeusserungen unsers innern Sinns, und durch die immer steigende Kuͤnste an dem zu saugen, was wir nicht fressen doͤrfen, eine Art Menschen, unter denen es nach dem Ausdruk eines Weibs, zum verbrennen schoͤne Kezer, und zum Kuͤssen gute Teufel giebt. Eben hab ich nicht gut geschlaffen, antwor- tete die Meyerin, es hat mir von deinem schoͤ- nen Vetter getraͤumt, und ich bin ab ihm er- schroken, daß mir jezt noch alle Glieder weh thun. Ha du must doch nicht glauben, daß du voͤl- lig mit einem Kind zuthun habest, sagte die Voͤgtin, ich kann mir gar wohl einbilden, wa- rum du mir jezt so mit einem Traum kommest. Die Meyerin erwiederte, meynst etwann, es sey nicht wahr, frag nur das unschuldig Kind, das bey mir schlaft, was ich fuͤr einen Schrey gelassen, und wie ich einsmal uͤber das andere pfy Teufel, pfy Teufel geruffen. Dieses pfy Teufel ruffen uͤber ihren Vetter brachte die Voͤgtin aussert Fassung. Sie gab ihr zur Antwort, baͤtt du nur un- sern Herr Gott, daß du niemals mit offenen Augen uͤber jemand ander pfy Teufel ruffen muͤssest, wie du sagst, daß du mit beschloßnen uͤber ihn geruffen. Meyerin . — Was willst jezt mit diesem? Voͤgtin . Ha, wenn du den Bettelbuben nimmst, so wirst du wohl mit offnen Augen ge- nug pfy Teusel zu ruffen haben. — Meyerin . Meynst etwa den Huͤbel Rudj? Voͤgtin . Alles diesen. Meyerin . — So. — Vogtin . Ja es ist einmal eine Schande N vor den Leuthen, daß du seinethalben nur lassest mit dir reden. Meyerin . Schwester verschon mir uͤber dieses; denn ich muß dir uͤber diesen Punkt kurz sagen; du bist weder meine Mutter, noch meine Großmutter. Diese Beyden sind mir in Gottes Namen gestorben, und ich wuͤßte gar nicht woher dir irgend ein Recht zukommen sollte, dich uͤber diesen Punkt an ihre Statt zu stellen. Voͤgtin . Man darf doch etwa auch noch ein Wort mit dir reden! Meyerin . Es ist ein Unterschied mit einem zu reden, und ein Unterschied grad mit Bettel- buben zu kommen, und mit Ungluͤksprophezey- ungen herumwerfen. Voͤgtin . Ha — du must jezt das nicht so nehmen; aber ich meyne auch, wenn man koͤnne das bessere haben, so sollte man nicht das Schlimmre nehmen, und denn kann ich doch auch nicht sehen, was du gegen meinen guten Vetter haben kannst! Meyerin . Ich hab nichs anders wieder ihn, als daß mir ein paar Sachen an ihm zu- wieder sind, die du wohl weissest. Voͤgtin . Meynst wieder das Spekessen und das Mezgen? Meyerin . Du weist es ja wohl. Voͤgtin . Es ist doch auch nicht zu begreif- fen, daß ein vernuͤnftig Mensch wie du, aus so einem Nichts etwas machen kann. Meyerin . Ich bin einmal jezt so. — Voͤgtin . Es sind doch auch unser so viel Geschwisterte, und in unserer ganzen Ver- wandtschaft wuͤßte ich einmal kein einziges, dem ob so etwas grauset. (ekelt.) Meyerin . Du hast mir ja das manchmal gesagt, ich seye nicht aus deiner Verwandt- schaft. Voͤgtin . Das ist jezt wieder ein Stich. Meyerin . Nein, nein, es giebt derglei- chen Verwandtschaften, wo es den Leuthen gar nicht so leicht grauset. — Voͤgtin . Ich moͤchte einmal nicht, daß ich es darinn haͤtte wie du. Meyerin . Ich glaub dirs wohl. Voͤgtin . Aber du thust ihm doch unrecht, er ißt auch nicht so viel Spek als du thust, und gewiß nicht mehr als ein andrer. Meyerin . Nein Schwester, das ist jezt nichts, er mag entsezlich viel, und denn ist es noch so unverschamt, wie ers hinein stoßt, es ist mir, ich sehe in meiner Lebtag noch vor mir zu sizen; die andern haben mir Gesund- heit getrunken, da er just das Maul voll hatte, da ist er mit seiner Gesundheit den andern fast eine Viertelstund hinten nach gekommen, weil er den Mundvoll nicht hat koͤnnen her- N 2 unterbringen, und ich bin mit dem Danken fuͤr alle andere fertig gewesen, ehe er nur noch das Maul abgewischt hatte. Voͤgtin . Da siehest jezt wie du redst, wer wollt auch koͤnnen glauben, es haͤtte eine Vier- telstund gedauret. Meyerin . Nu — es kann etwas minder gewesen seyn. Voͤgtin . Und so kan der Mundvoll auch kleiner gewesen seyn. Meyerin . Nein, nein, fuͤr den Mundvoll darf ich versprechen. Voͤgtin . — Aber — gesezt, — du kannst doch sicher seyn, er ißt keinen Mundvoll mehr vor deinen Augen, wenns nicht gern sie- hest. Meyerin . Das waͤr mir leid, es koͤnnte ihm nicht wohl thun, wenn er gar viel verstohlen essen muͤßte. Voͤgtin . Du ziehest alles nur in Spaß. Meyerin . Nein, im bittern Ernst ich moͤch- te nichts weniger, als ihm dieses zumuthen. Voͤgtin . Er thuts noch so gern. — Und mit dem Mezgen ruͤhrt er dir gewiß auch kei- nen Stich mehr an, wenn du nicht willst. Meyerin . Du machst doch auch gar die liebe Stund aus ihm, und er ist so feißt. Voͤgtin . Das Feißtseyn wird ihn doch nicht hindern zu thun, was du gern hast. Meyerin . Es weißt einer nicht, eine ge- wisse Feißte hindert doch sicher an vielem. Voͤgtin . Du weist nicht, was du anbrin- gen willst, aber es ist doch besser gesund und reich und feißt seyn, als arm, mager, und schwindsuͤchtig — Meyerin . Das ist gewiß wahr. Voͤgtin . Aber du erkennst es nicht, und ich sehe wohl du bist am einten Ort blind, und am andern sihest mehr als da ist. Meyerin . — Aber wenn du etwa den Rudj meyntest, so ist er doch weder schwind- suͤchtig noch arm. Voͤgtin . Ich moͤchte nicht reden, wenn du ihm die Schwindsucht nicht ansiehest. Meyerin . Ich sehe sie ihm einmal nicht an. Voͤgtin . Nu, ich kann dich nicht sehen ma- chen, was du nicht sehen willst; — aber mit der Armuth, — wenn du etwa meynst, seine Matte sey etwas, so must wissen: es sind fuͤnf Kinder da, und das Weibergut fort. Meyerin . Die Matte ist unter Bruͤdern 3000 Gulden werth, und es ist nicht 500 Gulden Muttergut da gewesen. Voͤgtin . Ich moͤcht von 3000 Gulden nicht reden; wenn des Hummels seine Wirthshaus und Mezgguͤlle (Jauche) nicht mehr auf die Matte kommt, du wirst sehen, wie sie ab- N 3 nimmt, und auch jezt im besten Flor gaͤb ihm niemand 2000 Gulden darum. — Meyerin . Ich glaub nicht, daß er sie feil habe. Voͤgtin . Um deswillen ist sie nicht desto mehr werth, — aber wir wollen jezt das dahin gestellt seyn lassen, — gaͤll du nimmst ihn nicht? Meyerin . Siehe Schwester, wenn er mich heute fragte, ob ich ihn wollte, so sagte ich ihm gewiß nein, aber weil du mich fragest, so sag ich weder ja noch nein. — Voͤgtin . Aber warum auch? Meyerin . Ich hab dir es schon gesagt, da will ich voͤllig und allein Meister seyn. Voͤgtin . Willst denn vom Vetter gar nichts mehr hoͤren? Meyerin . Hoͤren was du willst, aber keine Antwort geben, einmal jezt. Voͤgtin . Das ist so viel als nichts. — Meyerin . Wenn du mir jezt mit 17 kaͤmest, so gaͤb ich keine andere Antwort, und kann nicht; mein kleiner Finger muß hierinn nicht wissen was ich thue, bis ich es selber weiß. Voͤgtin . Du weissest es schon. — Meyerin . Nein wahrlich, in dieser Sache ist halb wissen nichts wissen; und wenn ich es recht weiß, so thue ich es denn grad. Voͤgtin . Und sagst mir es denn auch, wenn du es thust? Meyerin . Ja freylich, ich sags und thue es denn miteinander. §. 44. Die Ueberwundene meistert jezt ihren Mann. W eiter konnte die Voͤgtin die Meyerin nicht bringen, doch gab sie auf dieses Ge- spraͤch hier die Hoffnung fuͤr den Vetter nicht vollends auf, und wartete mit Ungedult wann ihr Mann einmal von der Linde zuruͤkkomme. Ihr denket vielleicht schon, wie sie ihn em- pfieng. Du bist nicht mehr ein Mensch, du bist ein voͤlliges Vieh wie du die Zeit uͤber Streiche machst, war das erste Wort, das sie zu ihm sagte, als er zur Thuͤr hineinkam. Er wollte sich entschuldigen, und sagte der Junker, — der Junker. — Du Narr! sagte sie, der Junker — der Junker, — hast du ihm nicht sagen koͤnnen, du seyest nicht fuͤrs kupplen Untervogt! und haͤt- test du ihn nur an mich gewiesen, weil du so ein Narr bist, und nie weissest, was du thun solltest, ich wollte ihm gewiß die Nase anderst gedrehet, und den Kopf dahin gekehrt haben, wo ich sie gern gehabt haͤtte. N 4 Er ließ nach der Regel des goͤldenen A B C: „Wenn jemand mit dir zanken will, so sollt „du dazu schweigen still,“ — das alles gel- ten, und fragte dagegen was sie ihm zu Mit- tag habe? Wenn du nur zu fressen hast, so kann deinet- wegen die Welt unter ob sich gehen, sagte das Weib, stellte ihm aber doch etwas dar. — Und er aß und schenkte sich ein, und sein Weib, das ihn so in eine gute Haut hineines- sen sah, sagte zu sich selber: er ist nicht auch wie ein andrer Mensch, man mag zu ihm sa- gen, was man will, es macht ihm nichts. Einen Augenblik darauf sagte sie, er ist so gewesen, so lang ich ihn habe, aber das Beste ist, er thut doch zulezt was man will; — und denn zu ihm, — du Narr! Aber kannst du mir nicht bald einmal sagen, ob du dann meynest daß sie ihn nehme? und wie es auch zugegangen? Vogt . Ja, ich weiß nicht, ob sie ihn nimmt, aber ich glaubs doch nicht. Voͤgtin . Aber warum glaubst du es nicht? Vogt . Es hat mich einmal gestern so be- dunkt, da ich bey ihr gewesen, und mit ihr ge- redet habe. Voͤgtin . Was hat sie dann gesagt, daß du das meynst? Vogt . Nichts anders, — aber ich habe gesehen, daß sie inwendig uͤbers Maurers Frau wie wild worden; sie hat nicht warten moͤgen, bis sie von mir weg war und ist sicher im Au- genblik zu ihr gelauffen. Voͤgtin . Es waͤre das beste, wanns so kom- men wuͤrde. Du haͤttest sollen nachschleichen, und hoͤren wie es gehe. Vogt . Ich haͤtte nicht koͤnnen, es war noch fast Tag. Voͤgtin . Du kannst nie nichts. — Vogt . Es ist desto besser, daß du alles kannst. — Voͤgtin . Du must doch noch einmal mit ihr reden, und sehen, was du mit ihr aus- richtest. Es hat mir einmal diesen Morgen auch geschienen, es sey noch nicht so gar ge- faͤhrlich. Vogt . Hast du auch schon mit ihr geredt? Voͤgtin . Ja freylich, und sie hat gegen den Vetter gar nichts anzubringen gewußt, als was du schon weist, mit dem Spek und mit dem Mezgen. Vogt . Ich glaub bald sie treib den Nar- ren mit uns uͤber diese Puͤnkte. — Voͤgtin . Nein, es ist ihr gewiß Ernst. Vogt . Es ist zulezt moͤglich, — sie hat ihr Lebtag solche Wunderlichkeiten gehabt, daß ihr manchmal der oder dieser ob etwas wied- rig vorgekommen, das kein andrer Mensch an ihm geachtet hat. Voͤgtin . Wir wollen dann einandermal sprechen, geh jezt in Gottes Nahmen, und sieh, ob du etwas bey ihr ausrichten koͤnnest? Wann du zulezt nur ein Wort mehr kannst aus ihr herausloken, so ist es das; aber es waͤre uns doch auch so wohl wenn wir des Vetters halber koͤnnten ruhig schlaffen. Vogt . Ja, — aber wenn denn der Jun- ker vernimmt, daß ich wieder den Rudj rede? Voͤgtin . Du bleibst ein Kind, wenn du hundert Jahr alt wirst, du solltest sie doch auch besser kennen als ich, aber ich will mei- nen Kopf zum Pfand sezen, wenn sie auch den Rudj nimmt, und bey ihm im Bett liegt, sie sagt ihm ihrer Lebtag kein Wort, daß dir zum Nachtheil gereichen kann. Vogt . Ich glaub das endlich auch. Nun so geh einmal sagte ihm die Frau, und er mußte, wenn er schon noch zweymal sagte, es sey morn am Morgen auch noch fruͤh genug und dergleichen. Zu seinem Gluͤk traf er sie nicht bey Haus an. Aber die Voͤgtin meynte, er sey nicht einmal da gewesen; er mußte ihr eine Weile links und rechts Rechenschaft geben, und er- klaͤren, wie, wo, wenn, eh sie ihm glaubte. Und das war ihr noch nicht genug, sie ist eine Zwingnaͤrrin wenn sie sich etwas in den Kopf sezt. Sie schikte noch diesen Abend zur Meyerin, sie soll doch noch einen Augenblik zu ihr kommen, ihr Bruder habe etwas noth- wendiges mit ihr zu reden. Die aber ließ ihr antworten, sie merke gar wohl, was dieses Nothwendige seye, aber sie wolle weder heut noch morn und auch in ein paar Wochen nichts davon hoͤren, und bleibe bey dem was sie ihr schon gesagt. Jezt wars aus. Die Voͤgtin sah, daß sie nichts weiters machen koͤnnte, aber sie haͤngte doch das Maul, der Vogt hingegen zog es herauf, denn er war froh, daß er heute und morgen und vielleicht gar ein paar Wochen dieser Sach seiner Frauen halber Ruh, oder wie er sich ausdruͤkte, Galgenfrist habe. §. 45. Folgen der Armuth, — und die Un- gleichheit drey gleich guter Weiber. D as war des Vogts Leben an diesem Tag; die Spinnerkinder hatten ein froͤhliche- res. Am Morgen ehe noch der Junker dem Wei- bel den Rodel gab, ob dem er seine Tasse Caf- fee verschuͤttet, und seinen Kopf verlohren, rieffen sie ihren Muͤttern aus dem Bett, daß sie doch aufstehen, sie auf ihren Zug zuruͤsten. Und da sie gehoͤrt, er koͤnne nicht leiden, wenn jemand nicht sauber gewaschen, gestrehlt vor ihn komme, sagten die guten Kinder es eines dem andern, giengen mit ihren Muͤttern zum Bach, und zum Brunnen, liessen sich Hals, Kopf und Haͤnde reiben, wie noch nie, und schrien nicht, so sehr sie ihnen die ver- wirrten wilden Haare rauften. Und was ihre Muͤtter im hintersten Win- kel schoͤns und guts hatten, das mußten sie ihnen anlegen. Es war nicht viel; ihrer viele hatten nichts anders als schwarze Lumpen. Was will ich sa- gen, ihrer viele konnten sie nicht einmal recht strehlen und waschen. Es kommt mir uͤbers Herz zusagen, wie weit es mit armen Leuthen kommt die, das Jahr kommt und das Jahr geht, keinen Ehren- und keinen Freuden-Anlaß haben, der sie auch etwann zur Ordentlichkeit und Saͤuber- lichkeit aufmuntern koͤnnte. Das machte, daß die Gertrud, die Reinol- din, und das Mareylj vom Morgen da sie das Licht brauchten bis fast Mittag so alle Haͤnd voll zuthun hatten als vor Jahren die Muͤtter in Zuͤrich am Baͤchtelj-(Neujahrs) Tag. Die guten Weiber waschten und strehlten ihrer viele noch einmal und entlehneten ihnen Schuh, Struͤmpf, und Kleider, was sie auf- treiben konnten, daß der Zug schoͤn werde. Aber wer sonst noch so gut mit ihnen war, gab ihnen doch nicht gern etwas zu diesem Zug. Es forchtete sich ein jedes vor dem Eifer den es im Dorf abseze, wenn es ihnen aus- kommen wuͤrde. Der Reinoldin ihre eigene Schwester, da sie ihr einen ganzen Buͤndel Kinderzeug gab, bat sie, sie soll doch machen, daß es Niemand vernehme. Das machte die Reinoldin so wild, daß sie in der ersten Hiz ihr den Buͤndel wieder an Boden warf und ihr sagte, auf diese Art brau- che sie nichts von ihr. — Einen Augenblik darauf nahm sie ihn wieder vom Boden, und sagte, wenn dir jemand den Kopf dafuͤr ab- beißt, so will ich dir ihn wieder aufsezen. Das Mareylj machte es nicht so, wenn es nur brav Zeug bekam, daß der Zug recht schoͤn wuͤrde, so liesse es denn dazu sagen, was ein jedes gern wollte, und gab wer nur Miene machte, daß er sich fuͤrchte, zur Antwort, es ist gar nicht noͤthig, daß jemand etwas davon wisse. Und beym obern Brunnen, wo es mit ei- nem solchen Buͤndel unter dem Arm einen gan- zen Haufen Bauernweiber antraf, gab es auf die Frag, was es da trage, zur Antwort, ihr wisset ja wohl was das Baumwollen Mareylj alleweil herumschleppen muß! Da glaubten die Weiber, es sey Baumwollengarn, obschon der Buͤndel einem Baumwollenbuͤndel gar nicht gleich sah. Gertrud entlehnte gar nichts, und sagte, man muß fuͤr niemand anders etwas entlehnen, ausser man habe es nicht zu achten, und koͤnne es denn wohl zahlen, wenn es verlohren geht, und zu Grund gerichtet wird; aber sie gab was sie immer nur hatte, und konnte. Bis um Neun Uhr hatte eine jede daheim das Haus voll dieser Kinder. Um 9 Uhr gieng alles zum Mareylj, wo sich der Zug versam- melte. §. 46. Das Kind eines Manns, der sich selbst erhenkt; — und ein Ausfall wider das Taͤndeln. S ie waren kaum bey einander, so sagte das Mareylj, jezt haben wir auch schoͤn ver- gessen unserm Zug eine Koͤnigin zu suchen, und sie einen Spruch fuͤr den Junker zu lehren. So gehts, sagte die Reinoldin, wenn jezt unser nur eins gewesen waͤre, so waͤr’s gewiß nicht vergessen worden. — Hand in Hand, stuhnden jezt alle drey zu den Haufen Kinderen auf der Matte hinzu, und liessen ihre Augen herumgehen unter ih- nen, eines davon auszusehen. Im Bliz sagte die Reinoldin, ich weiß eins; gleich darauf das Mareylj, ich auch; — und denn die Gertrud, wenn wir jezt auch alle drey das gleiche meynten? Es war so; sie nannten es alle aus einem Mund. Es stuhnd da unter einem noch bluͤhen- den Birnbaum, der noch nicht ausgewachsen. Es war sein Bild; es wußte es nicht, und staunte ihn an. Der ganze Haufe sah gierig den Weibern ins Maul, wer Koͤnigin seyn sollte! Es allein stand neben aus, wie wenns ihns nicht angieng, und hoͤrte seinen Nahmen nicht, da ihn die Weiber jezt nannten. Es war armuͤthig gekleidet; sein weisses Hemd war der Gertrud, und seine Schuh und Struͤmpf der Reinoldin. Aber es war schoͤn wie der Tag, sein gelbes Haar rollte sich auf der hohen Stirne, und sein blaues Aug glaͤnzte, wenn es ihns vom Boden aufhielt, seine Haut ist zart, wie wenn es im Kloͤster erzogen, und seine Farbe frisch, wie wenn es ab den Bergen kaͤme. Es ist das aͤlteste von den zehen Kindern des ungluͤklichen Manns, der an einem dunkeln Abend mit dem Hummel gerechnet, ihn ins Thal Josaphat eingeladen, und dann in der Nacht, ehe die Sonne wieder aufstuhnd, sich an einer Eiche erhenkt. Man konnte das nicht genug anschauen, so schoͤn war es. Ein leichter Wind wehete die rei- fen Bluͤthen vom Birnbaum, daß sie wie Schneegestober um ihns herflogen, und auf ihns abfielen, wie wenn sie ihns kleiden wollten. Es war mit seinen Gedanken auch nicht beym Birnbaum, es war bey seinem Vater. — Es ist immer bey ihm, seitdem er gestorben; aber es war euch ein guter Vater, und hatte ihns innig lieb, und alle seine Kinder. Und er ist nur darum gestorben, weil er in dieser dunkeln Stunde glaubte, — es sey ihm un- moͤglich die armen zehen Geschoͤpfe vor tiefem Elend zu bewahren. Er war an der ungluͤklichen Nacht bis um 11 Uhr auf, und kam da noch in seines Ba- belis Kammer, und wuͤnschte ihm gute Nacht; aber er wußte nicht, wie er thun wollte, war so freundlich und so aͤngstlich, und konnte nicht von ihm weg, so daß es dem Kind selber vor- kam, er mache, wie wenn er auf eine weite Reis wollte, und nicht wisse ob er ihns wieder sehen wuͤrde. Als er fort war, mußte es ein paarmal seuf- zen, aber es denkte doch es sey nichts anders, er seye jezt ins Beth; aber ein paar Stunden darauf, als die Mutter kam, und sagte, er sey sey nicht ins Beth gekommen, sagte das Kind im Augenblik, o mein Gott, — o mein Gott! es hat gefehlt, und raufte sich die Haare, und konnte fast nicht erzehlen, daß er gerad ehe es eingeschlafen, wie Abschied von ihm genoh- men, und vor schwerem Herzen fast nicht mehr zur Kammer hinaus koͤnnen. Jezt traͤgt das arme Kind Tag und Nacht, wo es gehet und stehet, den guten Vater im Herzen, und wenn die Mutter um Mitternacht meynt, es schlafe in seinem Beth, so ist es in der einsamen Wildniß bey seinem Grab. Das liegt zwischen Felsen und Dornen; ob ihm ist eine steile Bergwand, und unter ihm ein Abgrund. Ein schwarzer Bach mit grauem Schaum rauschet neben dem Grab hin, und faͤllt unter ihm in ein Beken in Abgrund. Zwi- schen alten Tannen und grauen Eichen, ist der weite Himmel hier eng, und die Morgensonne kommt erst gegen Mittag von der Felswand herab, und bald Nachmittag verbirgt sie sich wieder hinter den Buchen. Da auf moosigten Steinen liegt das Kind ganze Naͤchte. Und hat zwischen Dornen und Steinen auf seinem Grab, und rund herum Blumen ge- pflanzet, so viel und so schoͤn, als in diesem Schattenloch wachsen. — Blaue Veilchen, blasse gruͤnlichte Tulpen, helle weisse Sternen- blumen, blasse rothe Rosen; — in der Mitte O steht eine grosse Sonnenblume. Es staunt oft, wenn sie bluͤhet, ihr hohes sich neigendes Haupt an; und an den vier Eken sind die Paßions- blumen, und das gute Kind kann sich bey die- sen Paßionsblumen in Gedanken uͤber das Schiksal seines Vaters verlieren, wie ein Schrift- forscher in heiligen Buͤchern uͤber das Schik- sal des Himmels und der Erde. Rings um das Grab sind dike Heken wie- der das Wild, es legte sie mit seiner Hand an, und flochte die Dornen selber in einander, und den einzigen Fußsieg fuͤr Menschen hat es eine lange Streke mit Dornen und wildem Ge- straͤuch uͤberlegt. Allemal wenn es um Mitternacht kommt thut es die ganze Streke, Dorn und Gestraͤuch wieder weg, und wenn es heimgehet, legt es sie wieder sorgfaͤltig zu; auch hat noch kein Fußtritt als der seine das Grab betretten. Wenn es denn am Morgen heimkommt bringt es duͤrre Reiser und Kienholz, wie wenn es darum am Morgen fruͤh in den Wald gegan- gen waͤre; aber unter den Reisern hat es den ganzen Sommer durch Blumen, seine blaue Veilchen, seine gruͤnen Tulpen, und seine blas- sen Rosen. Und es wartet dieser Blumen ab des Va- ters Grab mit frischem Wasser am Schatten, neben seinem Kasten, und wenn sie denn wel- ken, so sammelt es noch ihre Blaͤtter und Sten- gel. Seine ganze Bibel und sein grosses und kleines Baͤttbuch sind voll von diesen Blaͤttern, und die duͤrren Stengel hat es in seinem Ka- sten in einer Schachtel, in der es das einzige schoͤne Halstuch das es von seiner Gotten her hat, und nie tragt, versorget. Es stehet oft Stunden lang vor dem Kasten, und nezet Hals- tuch und Stengel mit seinen Thraͤnen. Ich bin kein Veilchentaͤndler, und lobe nichts wenigers, als daß der Mensch vor Blumen schmelze, und ob Muͤken weyne. Sie sind vorbey die Tage meiner Thraͤnen, und ich habe erfahren, daß der Mensch der ob Blu- men schmelzt, sein Brod nicht gern im Schweiß des Angesichts ißt, und daß sein Weib nicht gern Kinder gebihrt, das sich abschwaͤcht, und Gottes Ordnung wiederspricht. Darum mag ich dieses Geschlechts nichts. Es gehoͤrt nicht in unsre Welt, die Dorn und Distel traͤgt, sondern in eine, wo artige Engel mit Himmelszauber fuͤr sie den Boden bauen, und zu den Steinen sagen: „Werdet ihr Brod“, damit die Muͤßiggaͤnger essen. Aber auf unserm Boden taugt es nicht, und ich sage es so gerade als ich es denke, ein Bau- renkind, das eine Blumentaͤndlerin wuͤrde von dieser Art, wuͤrde ein armes elendes Mensch, O 2 und es waͤre ihm besser, es waͤre eine Zigeu- nerin worden. Aber das Babelj ist nicht deren eine. Un- schuld und Vaterliebe, und Gottes Fuͤhrung ob ihm machten aus ihm was es war; und es ist, was es so ist, im Verborgenen und in der Mitternachtsstunde. Den Tag uͤber ist es die Magd seiner Mut- ter, die krank ist, und die Mutter seiner Ge- schwisterte die unerzogen sind, und du kannst weit und breit fragen, ob du eine kranke Frau findest, die eine bessere Magd, und unerzogene Kinder die eine bessere Mutter haben? Du wirst keine finden. Erst um Mitternacht, wenn alles im Bett liegt und schlaft, schleicht es von seinem Spinn- rad weg zum Fenster hinaus, uͤber den Holz- stoß, und wandelt zu des Vaters Grab. Und wenn das Jahr sich wendet, und der Monat des Ungluͤks da ist, so verbirgt es der Mutter den Calender’ daß sie den Jammer- tag nicht bemerke, und treibt diese Woche alle Arbeit zusammen, daß sie nicht Zeit habe zu staunen und darauf zu fallen. Aber es selber vergißt ihn nie, und wuͤrde es donnern und blizen, und Schloßen regnen, die toͤdten, es wuͤrde nicht weichen und liesse sich toͤdten auf seinem Grab. §. 47. Noch einmal das Kind des Erhenkten. D as ist das Kind, das so unter dem Bir- baum staunte, und nichts hoͤrte, als die drey Weiber ihns zur Koͤnigin machten. Die Reinoldin sprang hinten an ihns zu, schlug ihns mit beyden Haͤnden auf die Achsel und sagte ihm, ins Ohr: du bists. — Es erschrak, kehrte sich feuerroth um, und wußte, nicht was sie wollte, bis es sich erholete. — Da umringte ihns alles, alles both ihm die Hand, und freute sich, daß es es seye. Da schossen ihm Thraͤnen in die Augen, denn seit dem sein Vater tod ist, dachte es nie mehr in seinem Herzen, die Menschen sind gut; es dachte nur immer, der Vater war gut, und flohe die Menschen. — Jezt dachte es wie- der, die Menschen sind gut, und Thraͤnen schossen ihm in die Augen. Da nahm ihns die Reinoldin bey der Hand, und sagte, komm’jezt, ich will dich jezt ruͤsten, wie eine Braut, und dich einen Spruch lehren wie ein Pfarrer. Aber als sie ihm daheim das Gotten-Schaͤp- peli (ein breiter grosser Bauernkranz) auf den Kopf legen, und ein ganz weisses Kleid anzie- hen wollte, bat das Kind, sie solle doch das O 3 nicht thun, und auch denken was der Junker und das ganze Dorf sagen wuͤrde, wenn es sich so in der Hoffart zeigte. Die Reinoldin gab ihm zur Antwort, laß das jezt nur mich verantworten, es ist fuͤr den ganzen Zug, und des Junkers wegen, daß du jezt must so hoffaͤrtig seyn, und nicht fuͤr dich; und damit legte, sie ihm den Rok an. Es konnte seinen Spruch geschwind, und die Reinoldin kam bald mit ihm wieder in des Mareylis Matten. In ihrem Leben ist sie nie uͤber Kleider stolz gewesen, aber jezt war sie stolz uͤber das Kleid in dem sie das arme Kind als die Koͤni- gin des Zugs unter den reichen Kindern hin- einstellte, die jezt alle Maul und Augen ob ihm aufthaten. — Man kann aber auch keinen Engel schoͤner mahlen als das Kind jezt ware. Sein Kleid war weiß, wie ein gefallener Schnee, und glaͤnzte wie dieser, wenn nach ei- nem Regen seine Oberflaͤche verhaͤrtet, und dann die Sonne darauf scheint. Ein breiter rother Guͤrtel umwand das glaͤnzende Kleid, und flog in doppeltem Band an seiner Seite bis an den Boden. — Seine Goldzopfen wallten um und uͤber seine gleissende Gotten-Crone; und zwey weisse Sternenblumen glaͤnzten zwischen Rosen auf den Baͤndern des Brusttuchs, die weiß und roth waren, wie die Rosen und Sternenblu- men. So stellte die Reinoldin dem Zug das Kind vor. Es ließ sich aber fuͤhren, wohin sie ihns fuͤhrte, und stellen wo sie ihns stellte. — §. 48. Wie ein Hund dem Zug das Geleit giebt, und sich tapfer haltet. D er Zug war bald in der Ordnung, und alles war beynahe fertig, als noch etli- che Kinder sagten, wenn wir jezt nur auch fuͤr die grossen Haͤuser vorbey waͤren, sie foͤrchte- ten man werde sie auslachen, und ihnen aller- ley zu leid thun. Als die Reinoldin das hoͤrte, sagte sie, war- tet, ich weiß ein Mittel dagegen, mit dem sprang sie heim, kam im Augenblik mit einem kleinen Hund wieder, der hatte eine lange spi- zige Schnoren, die fast bis zu den Ohren offen war, und die Reinoldin sagte, der wird euch schon das Geleit geben, wenn euch jemand etwas thun will. Der Hund war abgerichtet, wenn man ein paar Wort zu ihm sagte, so sieng er einen Lerm an, und ein Bauzen, wie wenn ihrer Sieben bey einander waͤren, und hoͤrte O 4 denn nicht auf, bis man ihm denn wieder et- was anders sagte. Wenn euch jezt das geringste begegnet, sagte die Reinoldin zu ihrem Aeltesten, so ruf du nur: Diane, gieb du Bescheid; und laß ihn denn nur seine Sach recht machen, ehe du ihm wieder rufst, schweig jezt, du hast genug geredt. — Es kam ihnen wohl, daß sie den Hund bey sich hatten, dann es war bey allen grossen Haͤu- sern ein Kopfzusammenstossen, lachen, ausspot- ten und nachrufen, daß das Reinoldlj sieben- mal den Hund gehezt haͤtte, wenn ihm nicht die Rikenbergerin immer zugerufen, es soll es doch nicht thun, sie wollen lieber geschwind vorbey und weiter. — Aber bey des Kalberleders war seine Geduld aus, der junge Bengel ladte eben Mist, und sein Wagen stuhnd an der Straß als sie vor- beyzogen, da warf er eine grosse Gabel voll so stark daruͤber aus, daß er auf der andern Seiten hinunter in die Gaß, und vollends so an den Zug anftel, daß es keinen halben Schuh gefehlt, des Krumhaͤuslers Bethelj waͤre uͤber und uͤber voll Mist worden. Jezt rufte das Kind: Diane, gieb du da Bescheid, und zeigte ihm mit dem Finger den Kalberleder, jenseits des Mistwagens. Der kleine Hund wie ein Bliz, darunter durch, sprang den grossen Bengel an. Er aber warf ihm die Mistgabel nach, dann viele Steine, und endlich ein Pflugsraͤdli, aber er traf ihn nicht. Der Hund war wie ein Wind- spiel, ihm alle Augenblik an den Beinen, und alle Augenblike wieder davon; der Bengel aber war wie rasend vor Zorn, daß er ihn nicht traf, und rief mit einem Schaum vor dem Maul, die Kinder an, rufet euern Hund zuruͤk, oder ich schlage ihn todt. Aber die Kinder lachten ob diesem Todschlag noch lauter als der Hund bellte, und alle Fen- ster an der ganzen Gaß und alle Thuͤren wa- ren offen, und alles sah jezt nicht mehr dem Zug sondern dem Hund und dem Kalberleder zu, denn es gieng gar lang. Das Kind der Rei- noldin thats nicht, wenn die Rikenbergerin ihns schon bat, es soll ihm zurukrufen, es ließ ihn fort machen, bis er heischer war, erst da rief es, Diane, schweig jezt, du hast genug geredt. Des Bengels Vater war so giftig darob, daß er ihm, da er wieder in die Stube hinein kam, eine Ohrfeige gab, und das that dem Kerl fast so weh als daß er mit dem Hund nicht Meister worden. Er sagte dem Vater, du hast doch auch zum Fenster hinausgelacht, da ich die Gabel hinuͤber geworfen und ich habe so wenig wissen koͤnnen als du, daß sie so einen Kezerhund bey sich haben. Der Alte erwiederte ihm, halts Maul, du Ochsenkopf; aber er hatte doch recht. — Wenn zwey oder drey Kinder von dem Mist voll wor- den waͤren, und sich der Hund gar nicht darein gelegt haͤtte, so haͤtte der Alte sich fast zu tod gelacht und dem Ochsenkopf statt der Ohrfeige ein Glas Wein aus dem Keller dafuͤr gereicht. So gehts in der Welt! — Er machte es nicht allein so, die meisten Leuthe unter den Thuͤren und Fenstern, da sie sahen daß der Hund Meister worden, lach- ten den Buben aus, und sagten, es geschehe ihm recht, warum er sie nicht gehen lassen. Jezt gaben auch ein paar alte Frauen an dieser Gaß den Kindern uͤber den Haag, aus ihren Gaͤrten Blumen, und viel alte Leuthe erzehlten, sie habens von ihren Vorfahren ge- hoͤrt, daß in der alten guten Zeit unter einem Junker der fast hundert Jahr alt worden, und der den Leuthen gar lieb gewesen, die Kinder aus allen seinen Doͤrfern mit Creuz und Fahnen, weil da noch alles Catholisch gewe- sen, und mit allen seinen Pfarrern und Fruͤh- messern alle Jahr einmal in die alte Burg ge- zogen, und denn da mit dem Junker und al- len seinen Leuthen den ganzen Tag uͤber Freud gehabt haben. §. 48. Wahre Empfindsamkeit ist auf Seelen- Staͤrke gegruͤndet. A rner war schon eine Weile von der Linde weg, und staunte in des Pfarrers Gar- ten einsam dem Schrekenbild nach, das heute vor seinen Augen gestanden, und je mehr er ihm nachstaunete, je mehr erschuͤtterte ihn das Bild dieser Menschen die vor ihm stuhnden. Er sah nichts als Verderben uͤber Verderben, und Verheerung uͤber Verheerung bis in ferne Geschlechter. Am End des Gartens ist eine dunkle Laube, und unter dem Schattengewoͤlb ein Rasenbank, auf den einer sicher absizt, wenn er mit schwe- rem Herzen dazu kommt. — Arner lag da mit seinem Angesicht auf die erhoͤhete Erde und nezte den Rasenbank mit seinen Thraͤnen ob dem Bild der Verheerung seines Volks, von dem er kein Ende sah; und der Schmerz seiner Hoffnunglosen Sorgen stieg auf das hoͤchste, als das Geraͤusch dieser Kinder, die den Garten hinaufkamen, und schon hinter ihm zustuhnden, ihn wie aus dem Traum erwekte. Er fuhr wie im Schreken auf, kehrte sich um, und sahe den Reihen Kinder den gan- zen Garten hinab, wie wenn er nicht aufhoͤrte, und den Engel im weissen Kleide an ihrer Spize, vor seinen Augen; und alsobald redte das Kind ihn an. Lieber Junker Vater! Wir sind arme Spinnerkinder von Bonnal, und kommen euch zu danken, daß ihr so gut mit uns seyt, und uns eine so grosse Wohlthat versprochen, wenn wir zu dem Geld das wir verdienen Sorg tragen, und es ordentlich auf- sparen. Lieber Junker Vater! Wir haben gar eine grosse Freude an dem was ihr uns versprochen, und wir versprechen euch wieder, weil wir jung sind, und wenn wir alt wer- den, recht zuthun, und was euch an uns freuet. Gott vergelt euchs in Zeit und Ewigkeit was ihr an uns thut! — Und — Gott vergelt euchs in Zeit und Ewig- keit was ihr an uns thut! — sprach jezt der ganze Reihe bis an das End des Gartens hin- ab der Rikenbergerin nach. Er war wie versteinert; er wußte einen Au- genblik nicht ob er traͤumte, er faßte die Kin- der vom ersten bis zum lezten ins Aug, und dachte waͤhrend die Rikenbergerin immer nur redte, ist das auch moͤglich? sind das die Kin- der der Menschen, die heute vor meinen Au- gen stuhnden? Er war wie verstummt, und es war, wie wenn er ihns nicht verstuͤhnde. So zeigte er im Auge keine Freude. Und wundert euch nicht ihr Menschen! Wenn ein Vater den Liebling seines Herzens und seinen Erstgebohrnen unwiederbringlich verlohren, mit seinem Angesicht sich auf den Boden hinwirft und mit seinen Zaͤhnen ins Gras beißt vor Verzweiflung, und dann seine andern Kinder zu ihm kommen, ihn zu troͤ- sten, so empfindet er zuerst auch keine Freude, und wenn auch ihre Mutter an ihrer Spize, kehrt er sich doch von ihr weg, er schnappet vor allem aus nach Athem und Luft; erst denn wenn es wieder leichter ums Herz, erst dann faͤllt er der Mutter an Arm, erst dann sezt er ihren Unmuͤndigen auf seinen Schoos, und fangt an, sich seiner uͤbrigen Kinder wieder zu erfreuen, und sich wegen seines verlohrnen Erstgebohrnen zu troͤsten. Arner mußte sich jezt auch erholen, und nach einigen Augenbliken, da er wie verstei- nert da stuhnd, erholte er sich wirklich, und gab der guten Rikenbergerin seine Hand und sagt zu ihm, Kind! wessen bist du? — Aber er sah noch so verwirrt aus und seine Sprache war noch so hart, da er das sagte, und so voll Unruh, daß das Kind von seinem Anblik gleich erschroken wie von seiner Frage seine Farbe verlohr, und mit Zittern antwortete mein Vater — mein Vater — ist — denn konnte es nicht mehr, seine Lippen starr- ten, und es dekte mit beyden Augen sein An- gesicht, das es tief gegen die Erde hinab bog. Was ist das? — was ist das? — fragte da Arner, und war fast so erschroken als das Kind. Da sagte ihm ein anders Kind, das hinter ihm stuhnd, es gehoͤrt dem ungluͤklichen Rikenberger. Es that dem Junker so leid, er nahm ihm seine Hand, und sagte, es ist mir leid, daß ich dich das gefragt. Das Kind aber hatte sich auch wieder er- holt und sagte, verzeihet mir doch was mir begegnet, ich hab einmal nicht anderst koͤn- nen. Der Junker erwiederte ihm: es ist brav, daß dir dein Vater so lieb ist, ich weiß aber auch daß ers verdient, und daß er ein guter Vater war, und so lang er mit ihm redte, hatte er seine Hand in der seinen. §. 50. Der Mittelpunkt dessen was Arner ist. Sein Vatersinn, ohne den alles was er thut nichts anders als Romanen- Heldenstreich seyn, und in unserer Welt nicht angehen wuͤrde. U nd so sagte er dann dem ganzen Reihen. — Ihr koͤnnet nicht glauben, Kinder! wie es mich freuet, daß ihr so zu mir gekom- men! — Und sezte sich dann nach und nach von ihrem Anblik erquikt, zu ihnen auf den Rasenbank hin, machte sie naͤher zu ihm zu kommen, und die kleinsten hart an ihn zu ste- hen, dann nahm er von diesen bald das eine, bald ein anders auf seinen Schoos und wollte mit ihnen sprachen. Im Anfang gaben die Kleinen ihm keine Antwort, und sahen ihn nur so an; bald aber siengen sie doch an mit den Augen und mit dem Kopf ja und nein zu niken, druͤkten aber dabey die Lippen so fest uͤber einander, wie wenn sie sagen wollten, sie haͤtten kein Maul; andere verdekten das Maul mit der Hand, wenn sie reden sollten. — Aber des Rudis und der Gertrud Kinder gaben ihm Antwort, so bald er mit ihnen redte, und das that den andern bald auch das Maul auf. Zuerst antworteten sie ihm nur ein Woͤrtlj, dann zwey, dann drey, — dann so viel er wollte, und bald darauf giengen ihnen die Maͤu- ler wie eine Wasserstampfe. Sie sassen ihm jezt von selbst auf den Schoos, umfaßten ihn bald mit den Haͤnden um den Hals, und thaten bald voͤllig mit ihm, wie wenn sie den Aettj unter den Haͤnden haͤtten. Das Baͤren-Annelj machte auf seinem Schoos gar wie wenn es eine Geissel in der Hand haͤtte, huͤ — huͤ. — Er verstuhnd ihns. Er hatte es seines Großvaters Lehen- mann vor altem auch so gemacht, wenn er ihn auf dem Schoos hatte, und wollte daß er ihn reite. Er sezte das Kind auf sein Knie, und machte mit ihm das Reuterspiel. — So reiten die Herren, die Herren, So reiten die Bauern, die Bauern So reiten die Knaben, die Knaben, So reiten die Jungfern, die Jungfern. Da giengs an ein Lachen und an ein Treiben auf seinem Schoos. Er nahm ihrer mehr als zwanzig also aufs Roß; sie machten bald mit ihm was sie wollten. Wenn die Grossen ihnen denn abwehrten, so winkten sie mit dem Kopf nein, und sagten ihnen leise, er hats nicht ungern, und der Junker sagte ihnen selber, sie sollen sie machen lassen. Sie hiengen sich ihm an Ruͤken und Hals, geriethen ihm hinter Haut und Haar, hinter seinen Orden und hinter seine Uhrkette; sie boten einander seine Dose herum, schnupften ab dem beschlossenen Dekel, und thaten, wie wenn sie niessen muͤßten. Er wehrte ihnen nichts, als den Degen, den sie auch ausziehen wollten. Mit unter fragte er sie eint und an- ders; einmal auch, ob die Kleider alle ihnen seyen, die sie hatten? Nein, nein, antwortete sie, zeigten ihm, wie dem Vater daheim, das Hemd unter dem Halstuch, und den Strumpf am am Bein, sagten ihm alle Stuͤkgen, von wem sies haben, und erzaͤhlten ihm dann hinten- nach, daß sie alles zu Abend den Frauen wie- der bringen muͤssen. Ihr muͤßt es ihnen nicht mehr bringen, sag- te da der Junker. Das ist jezt nichts, sagten die Kinder, wohlfreylich muͤssen wir es wieder- bringen. Einige sagten: wir brauchens ja morn nicht mehr; du bist ja morn nicht da. Er sagte noch einmal, ich will machen, daß ihrs behalten koͤnnet. Aber sie konnten es fast nicht glauben. Er taͤndelte so mit ihnen bis der Lieutenant und der Pfarrer zum Essen heim kamen, und beyde sind versaͤumt worden, und kamen spat. §. 51. Wer Kraͤfte hat, wird Meister. D er Lieutenant auf dem Ried, half den Vorgesezten, und wer da war, die Plaͤze abzusteken, wo Nachmittag die Hausvaͤter, die Baͤume hinsezen sollten, die der Junker ihnen gegeben. Die Vorgesezten und Feißten unter ihnen, da sie gehoͤrt, daß der Herr darauf denke Schul- meister bey ihnen zu werden, wollten es ein wenig kurz mit ihm fassen. P Ists wahr? Sagten sie zu ihm, daß ihr unser Schulmeister werdet? Und auf seine Ant- wort, ey ja! sahen sie ihn an, wie ein Kaͤu- fer auf dem Markt ein Juden-Roß, dem er nichts gutes traut, und stengen dann bald un- ter einander an, zuerst halb und denn ganz ihr Gespoͤtt zu haben, und endlich uͤberlaut zu sagen: es werde muͤssen eine neumodische Schule abgeben; und dann fragten sie ihn noch ob er sich mit dem alten Schul-Lohn begnuͤge? oder wer ihm mehr gebe? Einige sagten, er werde wohl muͤssen ihre Buben lehren in die Scheibe schiessen, und exercieren, und einer deutete gar mit seinem Finger auf sein Bein, und sagte, aber er denke, einmal doch auch nicht tanzen. Er ließ sie eine Weile machen, zu sehen, wie weit sie es trieben. Als er aber fand, es seye jezt genug, stuhnd er auf, und sagte mit dem Stok in der Hand: an die Arbeit, ihr Nach- barn! damit ich nicht versaͤumt werde. Sie thaten das Maul auf, und er sagte zum diksten: komm her und trag das, und zum groͤsten: geh hin und bring das! — Und beym ersten, der nicht im Augenblik that, was er sagte, fragte er, wie heißt der? und schrieb ihn auf. Das machte sie folgen. Die so ihn verspottet, lehrnten stehen, wohin er sie stehen, und gehen wohin er sie gehen, und tragen, was er sie tragen hieß. So bald er sie da hatte, war er wieder so freundlich als je, und thate ihnen was sie woll- ten, und was er konnte. Er hatte auch die Arbeit mit den Baͤumen so bald in Ordnung, daß die Bauern nicht begreifen konnten, wie ge- schwind er damit fertig worden, und brachte es so weit, daß die so im Anfang die schlimm- sten waren, ganz zahm wurden, und daß ihrer etliche zu ihm sagten, es seyen im Anfang so einige Worte geflossen, die er eben nicht auf- nehmen solle, wie sie gelautet. Andere sagten ihm, sie muͤssen jezt wohl sehen, wie steif er eine Ordnung habe, und wie er seinen Sachen vorstehe, und er solle nur mit ihren Buben so eine Ordnung halten, so werde es wohl ge- hen; und etliche Buben riefen uͤberlaut, der kann auch etwas, und bey dem kann man auch etwas lehrnen. Es waren gar viele Buben da; sie ruͤsteten zu, was sie auf den Abend ihre Baͤume zu sezen noͤthig hatten. Der Lieutenant gieng mit ihnen in alle Eken, und zeigte einem jeden wo seine Numer hin- komme. Er war so freundlich mit ihnen, daß sie alle zu einander sagten, er giebt gewiß ein guter Schulmeister. Es giengen ihrer mehr als ein Duzend Buben mit ihm vom Ried weg heim, und er redte die ganze Zeit uͤber mit ih- nen von ihrer Arbeit, und allem was sie koͤnnen P 2 und lehrnen muͤssen, daß sie rechte Bauern werden. Nahe beym Pfrundhaus traf er den Pfar- rer an, der von seiner Kranken kam, und eben wie er sich verwunderte, da er jezt mit ihm am Kirchthurm sah, daß es so viel uͤber die Zwoͤlfe. — §. 52. Es ist im Kleinen, wie im Grossen. S chon zu unterst an der Kirchgaß hoͤrten sie das Lachen der froͤhlichen Kinder, er- kannten die Stimme des Junkers im Garten, und schlichen neben dem Pfrundhaag hin- auf, stellten sich dann hinter die Haselheken, und sahen zu, wie die Schaar der Kinder in ihrer Freud mit dem guten Vater umgien- ge, wie sie ihn mit Haut und Haar zurich- teten. Er haͤtte sie auch noch lang nicht erblikt, aber ein Kind, das er auf der Schoos hatte, nahm ihn bey der Nase, kehrte ihm den Kopf gegen die Seite, wo sie stuhnden, und sagte zu ihm, sieh da, wer ist da? Da riefen ihm Soldat und Pfarrer: bravo, bravo, Junker! Das geht gut; und als er auf- stuhnd und sie gruͤßte, wars ihm, die Herren seyen ihm seiner Lebtag nie so lieb gewesen; eine solche Freude hatte er an den Kindern. Diese wollten jezt heim, aber er ließ sie nicht, und sagte, der Pfarrer habe Kuͤh im Stall, und Brod im Haus, und die Frau Pfarrerin macht euch gern eine Milchsuppe. Und es ge- luͤstete ihn jezt selber nicht zum Tisch, und mit den Kindern im Garten allein ihre Milchsuppe und nichts anders zu essen; aber er sah, da er sich das merken ließ, daß der Pfarrerin das Maul ein wenig herab fiel, und das war ihm Grund genug, daß er mit ihnen zum Tisch gieng. Die gute Frau war aber auch den ganzen Morgen bis nach den Zwoͤlfen beym heissen Feuer in der Kuche, damit der Junker ein gu- tes Mittagessen bekomme. Er sagte da seiner Wirthin, er wollte eine Viertelstund zusizen, aber dann versprechet ihr nur, daß keines von euch aufstehen wolle, wenn ich dann zu mei- nen Kindern fortspringe. Er blieb ein paar Minuten laͤnger, trank auf ihre Gesundheit, ruͤhmte Suppe und Fisch, eh er aufstuhnd, dann aber war er in einem Sprung zur Thuͤre hinaus und die Stege hin- unter. P 3 §. 53. Goldapfel, — Milchsuppe, — Dank- barkeit, — und Erziehungsregeln. U nter der Thuͤre traf er seinen Carl an. Der gute Bub hatte bey des Lindenbergers noch laͤnger als der Lieutenant auf dem Ried, und der Pfarrer bey seiner Kranken das Mit- tagessen vergessen. Er war den ganzen Mor- gen bey seinen Buben im Dorf, und im her- umspringen kam er gegen den Eilfen zum Kreuzbrunnen; da stuhnd der Jakobli unter dem Haus. Und der Carl sprang von den andern Buben weg zu ihm zu, und fragte ihn, du, wie ist es doch auch gegangen? Gaͤll, der Papa ist doch auch nicht so gar boͤs gewesen? Das glaub ich, das glaub ich, ist er nicht boͤs gewesen, sagte der Bub; aber komm doch auch mit mir in die Stube hinein, meine Schwe- ster muß dir auch selber sagen, wie gut der Papa mit ihr gewesen. Das freut mich jezt auch, — das freut mich jezt auch, sagte der Carl, und sprang mit ihm in die Stube hinein. Da zog der Vater die Kappe vor ihm ab, und die Großmutter stuhnd von ihrem Stuhl auf, gieng an ihrem Stab dem Buben etliche Schritt entgegen, ihm die Hand zu bieten und zu danken. Ich bin ja nicht der Papa, sagte der Carl zu der alten Frauen, und meynte gar, sie sey etwa blind oder verirrt. Aber da dankten ihm auch der Vater und die junge Frau die krank war, und das Kind das unter die Linde muͤssen. Und er kehrte sich gegen den Jakoblj und sagte, du hast mir ja gesagt, sie wollen mir nur erzaͤhlen. Da nahm ihn das Kind, das unter die Linde mußte, und sagte: ja, ja, ich muß dir er- zaͤhlen, wie gut der Papa mit mir gewesen, und sagte dann alle Worte die er mit ihr gere- det. Das freut mich auch, das freut mich auch: sagte der Bub einmal uͤber das andere; und als es das vom Jakoblj erzaͤhlte, sagte er: ja, ich hab es doch dem Papa verboten, daß ers ihm nicht ausbringe, es macht jezt aber nichts, und gaͤltet, ihr versprecht mirs jezt auch, er muß am Sontag zu mir kommen, weil ihn der Papa eingeladen hat! — Indessen suchte ihm die Frau im Keller un- ter dem Stroh ein halb Duzend Goldapfel, die sie von einem jungen Baͤumchen, das noch nie getragen, und die schoͤnsten hatte, die im Dorf wachsen, den ganzen Winter uͤber gespart, P 4 und keinen einzigen davon geessen, und sagte dem Knaben, als sie sie ihm in Sak that; aber iß sie doch jezt auch selber und gieb sie auch nicht weg. Wo bist so lang gewesen? sagte der Junker zu ihm, da er ihn so unter der Thuͤre antraf. Ja Papa, bey den Leuthen, wo ich zu Nacht mit dir geredt habe. Ich weiß jezt alles wie es gegangen ist, und du mußt doch jezt auch den Buben sehen, wo du zu mir einge- laden, er ist noch eben da vor dem Thor aus- sen. Hiemit sprang er vom Papa weg, rief dem Jakoblj zuruͤk, und ihn an der Hand er- zaͤhlte er dann dem Papa, wie gut sein Vater, seine Mutter, Großmutter, und Schwester mit ihm gewesen, und das darum sagte er, weil du mit ihnen auch so gut gewesen, du seyest uͤberall mit gar keinem einzigen so gut ge- wesen, als mit ihnen; dann zeigte er ihm noch die sechs Goldapfel, die sie ihm in Sak ge- stossen. Der Junker freute sich den Jakoblj, der sei- nem Carl so lieb war, kennen zu lehrnen, und sagte ihm, er solle mit ihnen in Garten kom- men, es seyen viel Kinder da, und sie essen eine Milchsuppe miteinander. Der Jakoblj schaͤmte sich und sagte, er habe schon zu Mittag geessen; Carl aber sagte ihm, du liegst, du hast noch nicht geessen, und mußt jezt kommen. Damit zog er ihn am Arm mit sich fort hinter dem Papa in Garten. Als sie kamen, brachte der Hans und die Koͤchin eben die grossen Schuͤsseln voll Milch- suppe und einen ganzen Haufen hoͤlzerne Loͤf- fel. Sie hatten diese in der Nachbarschaft ent- lehnt, denn so viel hatten sie nicht im Haus. Sie brachten auch etliche silberne fuͤr den Jun- ker und den Carl, die aber beyde nur hoͤlzerne wollten; und der Carl warf gar in der Freude uͤber den hoͤlzernen den silbernen, den ihm die Magd anbot, weit weg, in den Garten; aber da der Junker es sah, und ihm winkte, mußte er wahrlich von der Milchsuppe und den Kin- dern weg aufstehen, und den Loͤffel wieder suchen, und vor dem Thor beym Brunnen abwaͤschen, ehe er ihn nur der Magd wieder geben dorfte. Die Kinder und die Magd wollten alle fuͤr ihn gehen, aber der Carl wußte wohl daß es aus dem nichts gebe, und sprang, da der Papa gewunken, wie ein Windspiel mit dem Loͤffel zum Brunnnen . Da sagten die Kinder zur lin- ken und zur rechten dem Junker, du bist doch jezt auch nicht boͤs mit ihm um deswillen? Und die so aus einer Schuͤssel assen, wollten nicht fortessen, bis er wieder da seye. Aber der Jun- ker ließ diese nicht warten, und sagte zu den andern, nein, Kinder! ich bin nicht boͤs mit ihm, aber er muß nicht unartig seyn und fol- gen, wie ihr. Als er wieder kam, schlich er dem Papa hinten zu an Ruͤken, faßte ihn mit beyden Haͤn- den um den Hals, legte ihm den Kopf uͤber seine Schulter an die Augen, und sagte ihm denn, gaͤll Papa! du verzeihest mir auch? Ist es lustig, so von der Milchsuppe weg den Loͤffel zu waschen? fragte ihn Arner. Nicht so gar, aber verzeih mir es auch, sagte der Bub. Und der Vater: siz jezt nur wieder zu deiner Suppe und besinn dich ein andermal was du machest! — Die Kinder hatten ihr Lebtag keine so gute Suppe und kein so lindes Brod geessen. Sie war halb Nidel und voll Eyer, das Brod da- rinn vergieng wie Anken im Maul. Und die Kinder sagten unter einander, ob das Brod doch jezt auch von dem gleichen Kernen sey, der bey ihnen wachse? Was denket ihr auch? sagte ihnen der Carl; es ist nur reiner gemahlet, und mehr Kruͤsch davon weggethan, — aber dann auch sagte er ihnen, er wollte die Suppe lieber, als was man ihm sonst in der Welt aufstellte, so gut sey sie. — §. 54. Der Nahmenstag eines alten Junkers. E ins mals hoͤrten sie jezt Roß und Wagen. O hoh, — sagte der Carl, die Mama kommt! die Mama kommt! sprang von sei- ner Suppe auf, und lief ihr entgegen. Es war Sie wirklich. Der Junker stuhnd jezt auch auf, und alle Kinder so viel ihrer da waren, liefen mit den Loͤffeln in den Haͤnden hinter ihm her, der Mama entgegen. Sie hatte den Rollenber- ger und ihre zwey aͤltern Kinder bey sich, und kam den Papa wieder heim zu holen. Weit und breit toͤnte jezt das Geschrey der laufen- den Kinder vom Garten, — die Mama — die Mama, — die Mama, — und die Kin- der in der Kutsche die es hoͤrten, rieffen zuruͤk, der Papa, — der Papa, — der Papa! — Und Therese stiege, ehe sie noch bey ihnen zu waren, aus dem Wagen aus, und war wie wenn sie flog, in Arners Arm. Sie fragte im Augenblik hinter dem Kuß, was machst mit allen diesen Kindern.? Sie essen mit mir Milchsuppe, antwortete Arner. Alle mit einander? sagte Therese. Ja alle mit einander, erwiederte er, und komm nur, du must mit uns zusizen, weil sie noch warm ist. Das gefiel ihr wohl, sie sprang an seiner Hand den Garten hinauf, und der ganze Reihe Kinder hinter ihr her. Der Carl aber machte sich an den Rollen- berger, und erzaͤhlte ihm von allen Freuden, die er gehabt, und wie viel Freud er im Dorf habe, und wie lieb ihm die Buben seyen. Sind sie dir denn auch so gar lieb? sagte Rollenberger. Das glaub ich, sagte Carl. Rollenberger . — Lieber als deine Schaͤf- lein daheim? Carl . — Ich moͤcht nicht reden. Rollenberger . — Aber dein junger Esel, der ist dir doch gar lieb, ich meyn schier, schier lieber als die Buben da. Carl . Was denket ihr auch? Ich wollte ei- nen einzigen Buben lieber als hundert Esel. Rollenberger . Ich will denn sehen, wenn du daheim bist beym Esel, jezt bist bey den Bu- ben. Mit diesem Verglich der Esel und Buben neben einander, kamen sie dann zur Suppe, wo jezt alles zusaß. Der Pfarrer, die Pfarre- rin, der Lieutenant waren jezt auch da, und alles saß mit einander an der Milchsuppe-Reihe. Es mahnete Therese an den Nahmenstag den ihr Ahnherr alle Jahre feyerte, und von dem ihr lieber Großvater selig ihr so viel er- zaͤhlt hat. Sie druͤkte Arner die Hand und sagte ihm das. Er erwiederte, ja du mußt uns erzaͤh- len, wie das ein Fest war! Da erzaͤhlte Therese das Nahmensfest ihres Großvaters, wie er denn mit allen Kindern sei- nes Dorfes zu Mittag geessen, und wie er Jahr ein, und Jahr aus nie so froͤhlich gewesen als an diesem Tag. Er trank denn das erste Glas fuͤr seinen Herzog, der ihm so lieb war, und das zweyte fuͤr die Armen. Er war selber, sagte Therese, vor allen Kindern nichts weniger als reich, hatte nur ein einziges Dorf; und wenn er denn den Becher oben am Tisch hoch in der Hand hielt, sagte er dann, Gott segne die hoͤlzer- nen Schuͤsseln, und die so daraus essen! Dann giengs wie ein Rundgesang um den Tisch. Zuerst bot er der lieben Ahnfrau den Becher, die hielt ihn dann hoch, wie der Ahn- herr, und sagte, es geht unserm Herzog wohl, und den Edlen im Land, wenn die hoͤlzernen Schuͤsseln gesegnet, und die so daraus essen. Dann giengs hinunter bis zum Knecht, der am Tisch saß; alles mußte den Becher nem- men, und ein Wort sagen zum Lob des Bau- ernstands, und zum Trost der Armen. Und wer dann das schoͤnste wort zum Lob des Bauernstands und zum Trost der Armen gesagt, der mußte hinaufsizen, oben an Tisch zum lieben Ahnherrn, und war ihm das ganze Jahr durch wegen des Worts der liebste. Waͤhrend dem sie so erzaͤhlte, nahm der Jun- ker die beste Flasche die in der Laube stuhnd, und das groͤßte Glas und schenkte einen Ro- then ein, der dem Schweizerblut gleichet. Und als sie ausgeredt, hielt er sein Glas auch hoch wie der Ahnherr und sagte, Gott segne die hoͤlzernen Schuͤsseln, und die so dar- aus essen! Dann bot er Theresen den Becher, und sie hielt ihn auch hoch auf wie die Ahnfrau, und sagte: es geht dem Herzog wohl, und den Ed- len im Land, wenn die hoͤlzernen Schuͤsseln gesegnet, und die so daraus essen. Dann both sie ihn weiter, und ein jedes mußte ein Wort sagen, zum Lob des Bauern- stands und zum Trost der Armen. Der Pfarrer sagte: stark und braun wird der Bub der aus Holz ißt, und rund und schlank wird das Maͤdchen, das keinen silbernen Loͤf- fel wuͤnscht. Denn die Pfarrerin: die Milch macht feißt, und das Brod macht stark, die Schuͤssel und die Loͤffel sind nichts. Der Rollenberger sagte: wer ohne Sor- gen schlaft, und ohne Kummer erwachet, der wuͤnschet nie viel. — Der Lieutenant: — ja, wenn der aus Sil- ber ißt, sorget, daß der aus Holz ißt, wohl schlafe, so ist der so aus Holz ißt, gewiß gluͤklich. Ja, sagte der Claus, unten am Tisch, wenn der Silbermann ihm nur nicht die hoͤlzerne Schuͤssel vertrittet, und der Goldherr ihm nicht den hoͤlzernen Loͤffel noch aus der Hand reißt. Und wo ist, sagte des Pfarrers Koͤchin, wo ist der Silbermann und der Goldherr, der weiß, daß an der hoͤlzernen Schuͤssel, und am hoͤlzernen Loͤffel so viel gelegen? — Da nahm ihr der Hans das Glas aus der Hand, und hielt es hoch gegen den Junker, und sagte: ich kenne einen der’s weißt, er ist nicht weit von uns, Gott im Himmel geb ihm den Lohn! Im Augenblik klatschte wer da war, und der Pfarrer, der Lieutenant, die Kinder und alles was da war, stuhnd auf, wandte sich ge- gen den Junker, und alle wiederholten des Hansen Wort. Er ist da, er ist da bey uns! Gott im Him- mel geb ihm den Lohn! — Und aus einem Munde stimmte alles, denn Hans hat das beste Wort geredt. §. 55. Der Vater-Nahme. T herese im hohen Fuͤhlen, daß sie einen Mann habe, der ein Herr ist, wie die besten al- ten Herren waren, wandte sich um, und sah erst da die Rikenbergerin, die bis jezt hinter den andern Kindern wie verborgen da stuhnd. Und sie vergaß des Hansen Wort, und den beystimmenden Reihen, und die Freude uͤber ihren Mann, der ein Herr ist, wie die besten alten Herren waren, und fragte Arner, was ist das fuͤr ein Engel? Er verwunderte sich, daß sie ihns noch nicht gesehen, und erzaͤhlte ihr was er von ihm wußte. Waͤhrend dem er erzaͤhlte, entzog sie dem Kind kein Aug, und als er fertig war, gieng sie zu ihm hin, nahm ihns bey der Hand, und sagte, es solle ihr doch den Spruch wiederholen, den es dem Junker gehalten. Aber sie konnte ihns fast nicht mehr fort reden lassen, als es anfieng: “Junker Vater”! so freute es sie, daß das Kind ihrem Mann den alten schoͤnen Titel, “Junker Vater” wieder gegeben, und als es fertig, nahm sie den bunten rothen Guͤr- tel den sie um den Leib hatte, band ihn um das weisse Kleid dieses Engels, stekte ihm ih- ren grossen Blumenstraus auf Kopf und Brust, und sagte ihm dann: — Nihm Nihm das zum Pfand, daß die Frau deines Junker Vaters, deine Mutter seyn wird, so lang du lebst! Arner hatte das Wort Junker Vater im er- sten mal fast nicht verstanden, so sehr uͤber- nahm ihn der Anblik der Kinder, da er sich noch mit nassen Augen gegen sie umkehrte. — Aber jezt gieng ihm der alte Vaternahme innig zu Herzen, und er sagte zu Therese und zum Pfarrer, ich haͤtte diesen Titel seit meiner Jugend immer wieder gewuͤnscht, aber ich haͤtte mich geschaͤmt, es zum Mund heraus zu lassen. Nun! — Gottlob, du hast ihn einmal jezt wieder, und der Pfarrer und ich gebe ihn euch einmal auch. — Ihr denket wohl, Vater Pfarrer! daß er mich von niemand mehr als von euch freut, aber ihr muͤßt ihn zuerst von mir haben. — Der Pfarrer kuͤßte ihm mit nassen Augen die Hand. Und der Junker sagte, auch der Lieutenant muß Vater Schulmeister heissen, fuͤr die Arbeit, die er jezt annimmt. Das giebt mir einen ganzen Haufen Vaͤter. Wenn ihr dann nur Sorg tragt, daß ihr nicht viel Wittwen und Waysen hinterlasset! sagte die Pfarrerin. Arner hub sein Aug auf, da sie das sagte, und sah sie an. Q Therese sah den Blik, und sagte was ist das? Nichts, mein Kind, sagte Arner; aber sein Herz schlug. Der Pfarrer, der das nicht sahe, sagte; wir wollen den Vaternahmen feyern. Das wollen wir, sagten alle; und alle Kin- der die da waren, von des Junkers Carl an, bis auf des Kuͤhhirten Elst, mußten jezt im Reihen zu ihnen hinzu, ihnen die Hand geben, und ihnen Vater und Mutter sagen. — Wenn da kein Engel diese Eltern und Kin- der umschwebt, so umschweben nie keine En- gel den Menschen, er mag reines und heiliges auf Erde thun was er will. §. 56. Auch hierinn sind Grundsaͤze der wahren Volkserziehung. D ie Freuden der Feyer dieses neuen Nah- mens wurden ihnen von den Buben im Dorf unterbrochen. Junges und Altes hatte im Garten verges- sen, daß der Junker um zwey Uhr auf das Ried zu kommen versprochen. Aber die Buben im Dorf vergassen es nicht, und die Bruͤder von den Spinnerkindern machten den Anschlag, mit ihren Baͤumen auf der Achsel, und den Geissen an der Hand, ihre Schwestern im Pfarrhaus auf das Ried abzuholen; gesagt, ge- than. Es schlug nicht so bald zwey Uhr, so stuhnden sie vor dem Garten. Der Carl, der immer die Augen in allen Eken hat, sah sie zuerst, sprang zu ihnen hin- aus, fragte sie, was sie mit den Geissen wollen? Sie sagten ihm, sie muͤssen auch mit ihnen auf das Ried, sie koͤnnen ja denn weiden, wenn sie ihre Baͤume sezen. Denn baten sie ihn, er soll jezt auch machen, daß es gerathe, daß der Papa und ihre Schwestern auch bald kommen. Sie wollen jezt mit den andern, und mit den Geissen einen Zug anstellen, es gebe einen grossen, und einen schoͤnen; sie haben eine Trommel und eine Pfeife bey ihnen. Und ich hab meinen Fahnen auch noch, und es muß jezt gewiß angehen, sagte der Carl; sprang denn in den Garten, rief den Kindern: He! He! Loset, was soll ich euch sagen? Euere Bruͤder sind da, und haben ihre Geissen bey ihnen. — Und Papa, — loset, was soll ich euch sagen? Die Glok die hat zwey Uhr ge- schlagen, und gaͤllet, wir muͤssen jezt aufs Ried? Ich hab es fast vergessen, sagte der Junker. Die Kinder aber liefen jezt zu ihren Bruͤdern, und fragten sie, habet ihr auch unsere Baͤume bey euch? Ja, das haben wir, sagten diese, und zeigten ihnen die Baͤume auf der Achsel. Q 2 Und der Carl kam auch mit seiner Geiß aus dem Stall, und der Junker und der Pfarrer, und wer im Garten war, gieng auch fuͤrs Thor zu sehen, wie die Kinder einen Zug anstellen wollten. Sie hatten einen Lerm, daß man sein eigen Wort nicht mehr hoͤrte, und der Zug wollte doch nicht recht in Ordnung. Da trat der Lieutenant ins Mittel; er rief ihnen, still! — ihr Buben! sagte dann, wie es seyn muͤsse, und hatte den Zug im Augenblik in der Ordnung. Er stellte nicht die Grossen, wie heut am Morgen die Weiber, sondern die Kleinsten vor- an, und sagte, es sey ein Unterscheid nur einen Buͤchsenschuß weit, oder eine Viertelstund weit zu marschieren, die kleinen kaͤmen ihnen in die Weite nicht nach, oder die Grossen muͤßten ih- nen alle Augenblik still stehen. Carl war jezt der erste mit seinem Fahnen, hinter ihm ein Bub, der ihm seine Geiß fuͤhrte, und seinen Baum trug, denn folgte der Trom- melschlaͤger, und der Pfeifer, dann die Riken- bergerin in ihrem weissen Kleid, zwischen des Junkers beyden Toͤchterchen; hinter ihnen des Pfarrers Kinder, dann der ganze Zug; alle- mal ein Bub, der trug auf seiner Achsel seine zwey Baͤume, und das Kind, dessen Baum er auch trug, das fuͤhrte auf der linken die Geiß. Des Junkers Caroline und Julie freuten sich, daß sie gerad hinter der lustigen Trom- mel seyen. Aber die Rikenbergerin sagte, sie wollte lieber, sie waͤr weiter hinten, sie toͤne ihr zu laut. Des Junkers und des Pfarrers waren alle zu hinterst am Zug, besahen ihn jezt da er in der Ordnung stuhnd. Aber es war eine Schand wie garstig die Buben gegen die Maͤdchen aussahen. Man sollte weiß Gott den drey Weibern vor den Haͤusern danken, sagte Therese, als sie die- sen Unterschied alle bemerkten. Du hast recht, sagte der Junker zur The- rese; und zu den Kindern: wie ists, wollet ihr den drey Weibern, die heut so viel Muͤhe mit euch gehabt haben, wenn wir bey ihren Haͤu- sern vorbeyziehen, nicht auch danken? Das war ein Jauchzen, — das war ein Ruffen! — Ja, ja, — das wollen wir. Die Rikenbergerin, sagte da der Junker, muß dann mit meinen zwey Kindern zu diesen drey Weibern ins Haus gehen, und fuͤr uns den Dank ausrichten. Das will Ich thun, sagte Therese. Desto besser sagte der Junker! — rufte dann dem Carl, der vornen am Zug war, und sagte ihm, du must vor des Mareylis, der Gertrud, und der Reinoldin Haus mit dem Q 3 Zug still halten, und dann den Fahnen schwin- gen, und trommeln und pfeifen lassen, so viel sie koͤnnen und moͤgen, und wenn denn eine von den Frauen, welche es ist, mit der Mama zur Thuͤr hinauskommt, so must du aufhoͤren, mit trommeln und pfeifen, und den Hut abziehen, und laut mit allen Kindern rufen; es lebe die gute Gertrud! oder Reinoldin! oder Mareylj! welche es dann ist. Nun gieng der Zug an, und die Kinder hatten jezt vor allen Haͤusern gute Ruhe. Eine Menge Bauernkinder weynten, daß sie nicht auch wie der Reinoldin Kinder mit ihnen doͤr- fen; und der Kalberleder, der wieder Mist ladte, lief so bald er den Zug unten an der Gaß erblikte, von seinem halbgeladenen Wa- gen weg und ließ sich eine halbe Stunde nicht mehr vor dem Haus sehen. Der Diane riechte ihn noch, da er wieder zur Mistgrube kam, sprang ihm unter dem Wagen durch bis zur Hausthuͤr, die aber zu war, nach, und es mußte alles, selbst der Jun- ker lachen, da sie den Hund so sahen an der Thuͤre scharren, und ihn, so zu sagen, seinen Mann herausfordern. Das Mareylj hatte seine Stube voll Spin- nerweiber. Einige brachten ihm Garn, an- dere waren da, ihm zu danken, daß es sich ih- rer Kinder so angenohmen. Sie stekten alle die Koͤpfe unter die Fenster, als der Zug die Gaß hinauf kam, das Mareylj allein nicht; es wog der Rebhaͤuslerin ihren Buͤndel Garn wie sonst fort, und ihre Baum- wollen dagegen, und zaͤhlte ihr den Lohn noch, eh es auch ans Fenster wakelte. Es hatte kaum die Nase darvor, so toͤnte die Trommel, die Pfeiffe pfeifte, die Fahne wehte, und der Zug hielt ihm vor den Augen still. Es sagte, was ist jezt das fuͤr ein Narrenstuk? Das ist jezt dir zu Lob und zu Ehren, sag- ten die Weiber; und die Junkerin stand hinter ihm zu, eh es sich umkehrte, und sagte, wo ist jezt das Mareylj? Da kamen die Koͤpfe zum Fenster hinein, und es, und alle Weiber tha- ten Maul und Augen auf. Die Junkerin aber sagte, so bald sie ihns sah, du bists! gab ihm die Hand, dankte ihm dann im Namen des Junkers, und des Pfar- rers, und des ganzen Zugs, daß es sich der ar- men Kinder so angenohmen. Das Mareylj wußte nicht, was es sagen wollte, druͤkte der Junkerin die Hand, die sie ihm immer hielt, und sagte, das hab ich nicht verdient und ihr, seyt etwann doch nicht um deswillen da? Wohl Mareylj! sagte die Junkerin, ich bin um deswillen da, und du must wissen, du kannst mir und dem Junker nichts angenehmers thun, als wenn du uns so hilfst zu machen, daß es Q 4 den armen Leuthen im Dorf je laͤnger je mehr wohlgehet! Ich wills gewiß dem lieben Gott und euch thun, so lang ich lebe. Aber es braucht sich doch auch nicht Frau! daß ihr mir dankt, sagte das Mareylj. Wir werden dir danken, so lang ein Athem in uns ist, sagte die Junkerin. Im fortgehen fast bey der Thuͤre, sagte das Mareylj: es hat mich uͤbernommen, ich hab euch nur nichts von dem schoͤnen Tuch sagen koͤnnen, wo ihr mir geschikt; ich dank euch doch auch tausendmal davor. — Es stand schon unter der Thuͤre, und ehe die Junkerin antworten konnte, hoͤrte die Trommel auf, und der Carl zog den Hut ab, und rief und mit ihm der ganze Zug, daß es die ganze Gaß hinauf und hinab toͤnte. “Es lebe das gute Mareylj”! Es aber lief von der Thuͤre, und von der Junkerin weg, und kam feuerroth in die Stube, so schaͤmte es sich, daß ihm das unter der Thuͤr begegnet. Aber die Weiber in der Stube brachten ihns bald wieder zu recht; sie sagten ihm: warum bist du auch so von der Thuͤre weggelaufen? und nein, nein, das ist doch auch eine Ehr. Und du hast sie doch auch gewiß verdient. Das machte, daß es ihm bald auch kam, wie wenn es ihns freute. §. 57. Falschheit zerreißt alle Bande der Erde. D ie Reinoldin hatte eben mit ihrer Mutter Streit, als der Zug ihr fuͤrs Haus kam, sie zankte schon ein paar Stunden mit ihr, daß sie sich dieses Lumpenzugs also angenom- men, und ihre Kinder mit dem Bettelgesindel mit laufen lassen, und denn gar, daß sie bey ihren Schwestern Hemder, und Struͤmpf, und Schuh dafuͤr entlehnt. Meynst du, sagte sie zu ihr, ich hab nicht genug, daß du so ungerathen bist, und dir alle Leuthe uͤber den Kopf richtest? willst jezt auch noch deine Schwestern ins Geschrey brin- gen, daß sie seyen wie du? und machen, daß sie in keinem rechten Haus mehr eine Heurath finden? Wenn dein Mann nicht auch ein Narr waͤre, oder Straf verdient haͤtte, er haͤtte dich gewiß auch nicht genommen, so hat er eine Plag mit dir, aber es muß mir wills Gott mit den andern Kindern nicht so gehen. — Was hast auch vom Junker? und was geht dich auch der Narr an? warum begreifst doch auch nicht, daß wer im Dorf ist, es mit dem Dorf halten muß, und mit denen die im Dorf etwas haben, und nicht mit dem Bettelvolk? Aber du thust mir das nur zu leid, du weissest daß es mir Verdruß macht, und wenn du mich koͤnntest mit deinem Lezkopf ins Grab bringen, du wuͤrdest es nicht sparen, du hast es dein Lebtag so gemacht. So giengs in einem fort, bis die Trommel in der Gaß toͤnte, und die Junkerin gegen dem Haus zu kam. Da schwieg die Alte; sie sah sie zu erst, und sagte: was will doch jezt dieser Pfau hier? Einen Augenblik darauf aber zu ihrer Tochter, wisch dir die Augen ab, und zeig nicht jezt auch dieser noch, daß du ein Narr seyest! — Sie wischte sie ab, — aber es war gleich viel. Als die Junkerin in die Stube trat, ihr die Hand bot, und dankete wie dem Mareylj, konnte sie kein Wort hervorbringen. Die Alte biß die Zaͤhne uͤber einander, ihre Augen gluͤheten vor Zorn gegen die Tochter, in dem gleichen Augenblik als sie fuͤr dieselbe das Wort nahm, und mit einem Laͤchlen das sie erzwang, fuͤr die Ehre, die sie ihrer Toch- ter erweise, dankte und hinzu sezte, sie solle ihr verziehen, es seye einmal jezt so ihrer Tochter Natur, daß wenn sie etwas uͤbernemme, es moͤge Freud oder Leid seyn, so koͤnne sie sich nicht leicht fassen; aber die Junkerin habe gar zu viel Muͤhe genommen fuͤr sie, sie habe nichts anders gethan, als was ihre Schuldigkeit ge- wesen, und moͤchte nur wuͤnschen, daß sie mehr Gelegenheit haͤtte ihr oder dem Junker zu die- nen. Das ist eine Glatte, die es kaum meynt, wie sie es sagt, dachte Therese, so bald sie das Maul aufthat, sah ihr auch so lang sie redte unver- wandt auf Maul und Augen und hatte auf der Zunge ihr zu sagen, sie seye nicht um ihret- willen sondern um der Tochterwillen da. Sie sagte es nicht, aber auch nichts anders, son- dern wandte sich wieder an ihre Tochter und sagte dieser, der Junker erwarte sie mit der Gertrud und dem Mareylj diesen Abend noch im Pfarrhaus, wenn er vom Ried heimkomme. Die Alte that gar nicht, wie wenn sie es achtete, daß sie die Junkerin stehen ließ, und unter der Thuͤre als der Carl den Hut schwang, und er, und der ganze Zug mit ihm, rief: „Es lebe die gute Reinoldin”! stuhnd sie so weit vor das Haus hinaus als sie nur konnte, und nikte dem Zug mit Kopf und Haͤnden so weit sie ihn sah, nach, indessen die Junge wie ein Pfeil in die Stube hinein sprang und hinter dem Ofen mit den Fuͤssen uͤber ihre Mutter stampfte. Diese aber gieng erst, da sie kein Bein mehr vom Zug sah, wieder hinein, und sagte die Stubenthuͤr noch in der Hand haltend zu ihrer Tochter: du hast dich aber einmal schoͤn auf- gefuͤhrt, mit dem alten Zusaz, du thust es mir nur zu leid, und hast nichts damit gesucht, als mich zu Schanden zu machen. Ich moͤchte nur wissen, antwortete die Toch- ter, was ich auch in der Welt thun muͤßte, von dem ihr nicht sagtet, ich thaͤte es euch zu leid, wenns euch darnach im Kopf ist. Ja — ja, — du bist ein schoͤnes Mensch, sagte die Mutter, — red nur viel. — Die Tochter aber war erhizt und erwiederte ihr, — ja — ich muß reden, ich wollt lieber ihr haͤttet mir die Hand ins Maul ge- schlagen, daß mir alle Zaͤhne in Kragen hin- untergefallen waͤren, als daß ihr der Junkerin vor meinen Augen so gute Wort gegeben, da ihr doch den ganzen Morgen bis auf diesen Au- genblik mit mir ob dieser Sach gehauset, daß es moͤcht gemahlet am Himmel stehen; haͤttet ihr es ihr nur jezt selber gesagt, es waͤre bes- ser gewesen als so. Das ist jezt der Lohn fuͤr die Muͤhe die ich gehabt? da du da gestanden wie der Ochs am Berg! aber hab ich auch in meinem Leben ein gottloseres Mensch gesehen? sagte die Mutter. Und die Reinoldin erwiederte: ihr koͤnnt mir jezt sagen was ihr wollet, es waͤre doch besser gewesen, ihr haͤttet mich stehen lassen, wie sie- ben Ochsen am Berg, als daß ihr so falsch vor mir mit der Junkerin geredt. Ich kann und weiß das nicht auszustehen. Mich, mich, kannst und weist du nicht aus- zustehen? und das deiner Lebtag, sagte die Mut- ter, gieng dann fort, und erzaͤhlte daheim ih- ren Schwestern, was das auch fuͤr ein Mensch sey! wie gottlos sie mit ihrer Mutter umgehe! und fragte endlich ob sie jezt auch glauben, so ein Kind koͤnnte in Himmel kommen, wenns stuͤrbe? Die Kinder antworteten, sie wollen das Bessere hoffen. — Die Mutter aber erwiederte: es wird ein- mal schwer halten, glaubet mirs nur. Von der Reinoldin weg kam Therese zur Gertrud. Diese war ganz allein in der Stube, ihre und des Rudis Kinder waren alle am Zug. Sie hatte ihr kleines allein im Haus, und kam eben von ihm aus der Nebenkammer, als die Junkerin zu ihr kam. Sie gab ihr auf das was sie sagte, sichtbar erroͤthend und mit einer Stimme wie wenn sie es nicht sagen doͤrfte, zur Antwort: — der Junker hat mir und meiner Kindern ihrem Vater und uns allen und ihm damit ein gluͤkliches Leben wiederge- geben; jezt kommt ihr mir zu danken, daß ich ein paar Kindern etwas armselige Kleider geliehen! — §. 58. Man sezt Baͤume. V on ihr weg giengs aufs Ried. Es war ein frohes Getuͤmmel den Berg hinan. In der hohlen Gaß oben am Dorf, beym grossen Echo, das wie ihr wißt, rund um den Berg lauft, und dann durch das Thal hinab sich wiederholt, ist der Junker und der Pfar- rer still, der Zug merkte warum? Da jauchz- ten die Buben so laut sie konnten, Trommel und Pfeiffen toͤnten, so laut sie konnten, es war wie wenn selber die Geissen lauter may- geten, und das frohe Getuͤmmel daurte, bis sie an den Plaz kamen. — Da gaben die Buben ihren Schwestern die Geissen ans Seil, suchten ihren Vater, und ein jeder fuͤhrte da den seinen an der Hand an den Plaz, wo er den Baum, den er auf der Ach- sel trug, sezen mußte. Aber sie waren nicht so bald an der Arbeit, so sah der Rollenberger, daß die Bauren in Bonnal vom Baumsezen ohngefehr so viel ver- stuhnden, daß sie ihn nicht bey den Aesten son- dern bey der Wurzel in Boden hinein thun muͤssen, aber nicht mehr. Da zog er seinen Rok aus, sprang von einem Eken zum andern, zeigte ihnen was sie nicht konnten z. E. auf welche Seite sie sie kehren muͤßten, damit sie gegen die Sonne kommen, wie vorher und der- gleichen. Er vertheilte ihnen die Wurzel, schnitt das Unnuͤze und Schadhafte ab, wie ein Gaͤrtner, er machte ihnen den Herd rein, zeigte ihnen, wie sie ihn in die Ordnung zulegen, und andruͤken muͤssen; denn wie sie selbe gegen Wind und Wild sicher stellen muͤssen. Die Bauren thaten aufs Haar, was er sagte, und alle Augenblike sprang ein Bub nach dem andern zu ihm her, und sagte ihm lieber Herr! wollt ihrs meinem Vater nicht auch zeigen? So wenig ist wahr, daß die Bauren von den Herren im Feldbau nichts annehmen! Sie wol- len nur, daß die Herren es ihnen nicht bloß mit dem Maul sondern auch mit den Haͤnden zeigen. Der Junker sah ihm freudig zu bey dieser Arbeit, und sagte zum Pfarrer, mein Haus- lehrer zeiget mir auch damit, daß mein Bub unter guten Haͤnden ist. Sein Carl sprang eine Weile herum zu se- hen, wie es gehe? Dann gab er die Geiß auch seinen Schwestern, stellte mit seinem Baum auf der Achsel sich fuͤr seinen Papa zu, und sagte ihm, wenn du mir jezt helfen willst, so komm! Das will ich, sagte der Junker, gieng ihm an der Hand an den Plaz, den der Lieutenant ihm fuͤr seinen Baum abgestekt. Dieser Plaz war in der Mitte des Rieds, auf einer leichten Hoͤhe, und die andern zwey- hundert und fuͤnfzig kamen alle rund um ihn herum, in zwoͤlf langen Reihen, die sich alle bey diesem Mittelbaum anhuben. Da der Carl das sah, sagte er zum Lieute- nant, — das ist auch ein schoͤner Plaz. Habt ihr mir jezt das zu gefallen gethan? Ja das hat er, du kannst ihm nur danken, sagte der Junker. Da sprang Carl an ihn hin, und kuͤßte ihm die Hand fuͤr den schoͤnen Plaz seines Baums. Dann nahm der Junker den Karst, der schon da lag, in die Hand, und machte dem Baum seines Carls ein Loch in den Boden, und haket den Herd so leicht auf, wie wenn er nichts thaͤte. Alles was da war, wollte an diesem Baum helfen. Der Rollenberger sprang von dem hintersten Eken hinzu, und der Lieutenant, der Pfarrer, die Frauen, des Carls Schwestern, und die Kinder im Pfarrhaus, alles kam herbey, und wollten alle helfen, so daß der Carl, der seinen Baum gern mit dem Papa allein gesezt haͤtte, ein paar mal halb murrete, und sagte: ihr las- set mich doch auch gar nichts machen, und es ist doch auch mein Baum. Er hat doch recht, sagte wer da war, alles machte ihm Plaz, und er half dem Papa so fleißig, daß er schwizte. Und da er fertig war, stampfte er noch rund um ihn her, mit seinen Fuͤssen, daß der Herd sich recht seze; dann sprang er wieder zu den andern Buben, die noch noch nicht fertig waren. Und da die meisten, wenn sie ihre Baͤum gesezt, noch den Hut ab- zogen, und “das Walt Gott!” sagten, sprang der Carl auch wieder zu seinem Baum, zog auch den Hut ab, und sagte: “das Walt Gott!” du liebs Baͤumchen! Das freute den Junker und den Pfarrer, beyde zogen auch den Hut ab, und sagten: “das Walt der liebe Gott”! Und von allen Bauern die um sie her standen, war nicht ei- ner der’s nicht wiederholte. — §. 59. Von Volks-Festen, und vom Holz- Mangel. D as Volk gieng dann heim. Der Junker aber rief dem Lieutenant, und den Frauen, die ein paar Schritt voraus waren: “Wir wollen gleich nachkommen”! Und kehrte sich dann wieder mit dem Pfarrer gegen die eben gesezten Baͤume, und war voll von den Ge- danken, daß einst sein Bonnal unter ihrem Schatten das erste Fest feyern werde, dessen Stiftungsbrief er im Sak hatte. Dann nahm Er diese Urkunde hervor, und sagte zum Pfarrer, er wolle sie auf den Fall seines Todes in seine Haͤnde legen, und wuͤn- R sche in diesem Fall, daß sie in dem Augenblik, da man ihn in den Boden hineinlege, geoͤffnet, und seinem Volk bekannt gemacht werde. Wenn ich aber lebe, sezte er hinzu, so muß das erst in den neunziger Jahren geschehen; dann ich will nichts weniger als mit einer solchen Hand- lung unter einem unversorgten und ungluͤkli- chen Volk bey meinem Leben eine Comoͤdie spielen. Der Pfarrer verstuhnd kaum halb was er sagte, so sehr uͤbernahm ihn die ernste Art wie er von seinem Tod redte. Er nahm ihm den Brief zitternd ab, und seine Lippen stuhnden fast still, als er ihm ant- wortete: aber Sie sind doch nicht krank, daß Sie also reden? Ich bin nicht krank, lieber Pfarrer! aber auch nichts weniger als gesund; mein Blut ja- stet und wallet seit einiger Zeit in mir, und es geht mir alles so ungewohnt stark nahe, daß ich mich nicht enthalten kann mir vorzustellen, es steke eine Krankheit in mir. Es wird, wills Gott, doch auch nicht seyn, sagte der Pfarrer wie vorhin mit halbstarrer Lippe. In diesem Augenblik kam des Junkers For- ster durch einen Fußsteig an sie an, und der Junker um das Gespraͤch auf etwas anders zu lenken, fragte ihn, wie es im Wald gehe? Es wird eben immer viel gefrevelt, war die Antwort des Manns. Aber warum wird so viel gefrevelt? sagte der Junker. Was machen? sagte der Forster, eh die Leuthe den Winter uͤber verfrieren, nehmen sie in Gottes Nahmen Holz, wo sie finden, und eignes haben sie keins. Der Junker ließ ihn gehen, und sagte zum Pfarrer: auch dieses zeiget, wie weit wir noch davon weg sind, vernuͤnftiger Weise ein Volks- fest zu stiften. Aber wenn ist man da? sagte der Pfarrer wie halb im Traum. Der Junker erwiederte ihm. Es dunkt mich, die Zeit an ein Freudenfest fuͤr das Volk zu denken, seye da, wenn die Hausordnung im Allgemeinen bey ihm auf einem solchen Fuß stehet, daß man auf keine Weise mehr zu sor- gen hat, der ehrliche Mann im Land koͤnne durch allerley Umstaͤnde an denen er nicht schul- dig, leicht ungluͤklich werden. Und dann fuͤr den so ein Fest stiften will, duͤnkt mich, sey diese Zeit erst dann da, wenn er die Thraͤnen der Ungluͤklichen vorher ge- troknet, und seiner selber sicher ist, daß er we- der durch Lebens- noch durch Standesfehler werde Ungluͤk in die Eingeweide des Volks R 2 hineinbringen, indessen daß er ihns durch sol- che Feste so zu reden zum Tanz fuͤhrt. Er sezte hinzu; er halte dafuͤr, es seye alle natuͤrliche Ordnung der Dinge verkehrt, wenn man nur daran sinne unter einem Volk Tugend und Freudenfeste zu stiften, unter dem ein gu- ter Mensch noch durch ein unvorsichtiges Wort um Hab und Gut oder gar auf die Galeere kommen koͤnne. Und sagte: er wolle sich disfalls auch an die gute Regel des Dorfschulmeisters, der ihn das A, B, C, gelehrt, halten. Diese Regel sey gewesen, du must nicht zum C wollen, bis du das A recht kannst. Und so lang also der Man- gel von einer allgemeinen Volksversorgung in meinem Dorf noch auffaͤllt, und Elend und Verbrechen sich noch durch einander winden, so will ich die Verwirrung nicht noch durch solche Comoͤdien groͤsser machen, und so lang ich noch Steine zum Fundament meines Hau- ses zusammentrage, muß ich nicht jauchzen, wie wenn ich es ausgebauet. Dann kam er wieder auf den Holzmangel; man muß sich unserer Zeit, oder vielmehr de- rer, die darinn Ordnung machen, schaͤmen, wenn man sieht, wie dieser Mangel alle Tage mehr zunimmt, da es doch ausgemacht ist, daß das Volk im Land durch nichts, also innerlich und aͤusserlich herunter gebracht, und zum Ge- sindel herabgewuͤrdigt wird, als wenn es ihm an der nothwendigen Feuerung mangelt, und die armen Leuthe an manchem Ort, wenn sie eine Suppe kochen, oder eine warme Stube haben wollen, das Holz dazu wie Schelmen und Dieben im Wald frevlen muͤssen. Am Ende sagte er, er wolle in seiner Herr- schaft dem Holzmangel, und dem Unverstand der daran Ursach mit der naͤchsten Neujahrs- Gemeind ein Ende machen, und an derselben in allen Doͤrfern ohne weiters die Bergweyden allen Bauren, die Guͤter im Thal haben, und Klee pflanzen koͤnnen, verbieten, und uͤberall alles Land das in sechs Jahren weder geakert noch geheuet wird, nicht mehr zu Weyden reu- ten lassen, sonder die Bauren, die ihren Vor- theil nicht rechnen wollen, zwingen, daß sie das Holz, das von sich selbst in diesen Weyden treibet, aufwachsen lassen muͤssen. Und ich bin sicher, sagte er da, daß auf diese Art viel hun- dert Jucharten Land in meiner Herrschaft diesen Leuthen in 20-30 Jahren eine 30- 40 mal staͤrkere Nuzung bringen, als die, in deren sie gegenwaͤrtig stehet. Der Pfarrer aber kam noch einmal auf sei- ne Gesundheit, und obgleich der Junker ihm wieder antwortete, es seye vielleicht nichts als schwarzes Blut, das ihm solche Vorstellungen mache, so war der gute Mann doch den gan- R 3 zen Abend daruͤber aͤngstlich, wie wenn ihm das groͤßte Ungluͤk begegnet. §. 60. Man muß im Innern hohen Adel haben, um ohne Gefahr Baurenleuth so na- he an sich zu absizen lassen zu doͤrfen. D ie Reinoldin, das Mareylj und die Ger- trud waren schon eine Weile im Pfarr- haus als die Herren heimkamen. Und Therese und die Frau Pfarrerin gaben den Baurenweibern von ihrem Thee und tha- ten ihnen Nidel und Zuker darein, dreymal mehr als sie einer Stadtfrau haͤtten darein thun doͤrfen und, weil sie es tranken, fragte die Junkerin, ob sie dergleichen auch schon gehabt? Ihrer zwo sagten, nein; aber Gertrud: der Junker habe ihr und ihrem Kind unter der Linde, als sie das erstemal ins Schloß gekom- men, gegeben. Sie sezte hinzu, ich denke mein Lebtag daran, wie wohl es mir auf dem Heim- weg gemacht! — Die Reinoldin fiel ihr ins Wort, und sagte: nein, du bist gewiß verirret, es hat dir etwas anders auf dem Heimweg so wohl gemacht! Du hast recht, sagte Gertrud, aber das hat mir doch auch wohl gethan, und meinem Klei- nen darzu. Da sagte Therese, sie solle ihr ihns doch bringen, der Junker habe ihr viel von diesem schoͤnen Kind geredt, daß es eine Schande, daß sie diesen Abend bey ihr gewesen, und ihm nicht nachgefragt habe. Wenns jezt nur auch erwachet ist, daß ihr nicht eine Briegerin (weinendes Kind) zu se- hen bekommt, sagte Gertrud im weggehen. Therese erwiederte ihr, wek es einmal nicht auf, es koͤnnte ihm nicht wohl thun. Gertrud fand ihns wachend, und sprang mit ihm auf dem Arm in der Reinoldin Haus, nahm den kleinen Pfausbaken, der auch er- wachet war, zur Wiege hinaus, troknete ihn, faͤschete ihn ein, machte ihn schoͤner noch als ihren eigenen, und brachte dann sie beyde auf ihren Armen ins Pfarrhaus. Die Reinoldin sprang auf gegen ihren klei- nen, als sie ihn sah, und die Junkerin nahm ihr beyde ab dem Arm, und behielt sie auf ih- rem Schoos, bis der Junker heimkam; wenn schon die Weiber einsmal uͤber das andere zu ihr sagten, sie machen sie naß, und verder- ben ihr den seidenen Rok. Als er heimkam, machte sie ihn rathen, welcher der Reinoldin und welcher der Ger- trud ihrer seye? Der Dike da, der so eine Faust macht, und das Maul zusammenhalt, ist der Reinoldin — R 4 und der wo sein Maul, und sein Haͤndlj so of- fen hat, und die Finger von einander ist der Andern. Getroffen sagte die Junkerin. Aber sag mir jezt auch welcher ist in deinen Augen der Schoͤnere? Der Junker sah sie eine Weile an, und sagte dann, ich koͤnnte es, weiß Gott, nicht sagen, so ungleich sie einander sahen. Die Junkerin sagte, es gehe ihr eben so. Und er fieng denn mit den drey Weibern an, und sagte ihnen, sie muͤssen den Spinnerkin- dern die Kleider, die sie ihnen geliehen, las- sen, und er wolle sie ihnen zahlen. Das waͤr bald richtig, sagte die Reinoldin, wenn sie nur unser waͤren, aber wir haben das meiste entlehnt. Das Mareylj sezte hinzu, und die so es uns gegeben, foͤrchten sich vor dem Eifer im Dorf, und haben nicht gern, daß es ihnen aus- komme, sie haben sich des Zugs angenommen. Wenn es so ist, so nehmet dann was ihr entlehnt zuruͤk, aber kaufet ihnen dafuͤr neues, und ich will euch dann das Neue, und was euer ist zahlen, daß ihr zufrieden seyn muͤsset, sagte der Junker. — Wir sind sonst zufrieden, sagten die Weiber, und sezten hinzu: nein, was unser ist, muͤs- set ihr nicht zahlen, ihr muͤsset uns die Freude lassen, ihnen auch etwas zugeben. Ich will euch diese Freude gern lassen, er- wiederte der Junker. Ja, sagte die Reinoldin, wir haben heut schon im Sinn gehabt, ihnen zu lassen was unser ist. — Aber wir haben gemeynt, weil die Kinder so unordentliche Eltern haben, so seye es ihnen besser, wir machen sie alles wieder zuruͤkbringen, damit wir dazu sehen koͤnnen, daß sie es in der Ordnung halten, aber wir haͤtten, es ihnen doch an den Son- tagen, oder wenn sie es sonst brauchen, wie- der gegeben. Aber wollet ihr mir es nicht auch so machen, wenn ich ihnen etwas neues kaufe? sagte der Junker. Warum das nicht? sagten die Weiber. Und der Junker: — es ist zehenmal mehr werth, als alles was man ihnen geben kann, wenn ihr sie lehret Sorge dazu zu tragen. Diese Sorgfalt ruͤhrte den Junker. Er sagte den Weibern, ich bin euch Dank dafuͤr schuldig, aber es ist fast eine Schand, wenn man Leuthen, die von sich selber etwas gutes thun, viel dafuͤr danket. Aber dieses kann und muß ich euch doch sagen, daß ich alles, was ihr fuͤr die Armen in euerm Dorf thut, so aufnemme, wie wenn ihr es mir und meiner eigenen Haushaltung, und da dem lieben Bu- ben thun wuͤrdet. Mit dem nahm er seinen Carl, der neben ihm stand, auf den Schoos, und sagte ihm: gaͤll, die Frauen sind dir auch lieb, daß sie sich der armen Kinder so annehmen? ihnen so zu Kleidern helfen, und noch dazu Sorg tragen? Ja gewiß Papa sind sie mir lieb; die ar- men Kinder haben nicht so eine Mama wie ich, die ihnen dafuͤr sorget. Dieses Wort lupfte die Reinoldin vom Stuhl auf, so freuete es sie, an dem Buben; sie gieng mit beyden Armen auf ihn zu, nahm ihn bey der Hand, und sagte: wenn du ein an- derer waͤrest, ich moͤchte dich fuͤr das kuͤssen. Arner bot ihr ihn lachend; da erdruͤkte sie ihn fast; er schuͤttelte den Kopf als sie ihn so hielt und sagte, als sie endlich nachließ: du kuͤssest doch doch auch gar hart! Du magst es wohl erleiden, sagte die Rei- noldin, und bot ihn der Gertrud vor, die auch beyde Haͤnde gegen ihn ausstrekte. Diese aber ruͤhrte ihn kaum an mit dem Mund; und er gab der Reinoldin, die ihn fragte: kuͤßt jezt die auch hart? zur Antwort, nein: die kuͤßt nicht hart. Diese gab ihn dann dem Mareylj, und die Reinoldin fragte ihr wieder, wie ist dirs jezt bey der gegangen? und er antwortete ihr, einmal nicht so hart wie bey dir. Die Weiber wurden nach und nach so traut in dieser Stube, daß sie frey sagten, und tha- ten was sie wollten. Ihre Freude machte den Junker so munter, als er bey Monaten nicht gewesen, und als er auf das ernste Gespraͤch mit dem Pfarrer selber nicht geglaubt hatte, daß er noch heute werden wuͤrde. Er spaßte mit, da die Rei- noldin wirklich muthwillig wurde, und sie muß- te ihm den Diane, der dem Kinderzug so gut Geleit gegeben, in die Stube hineinrufen. Das war fuͤr den Meister Carl und Kinder auch eine Freude! Der Hund mußte ihnen alle seine Kuͤnste vormachen. Und der Junker fragte die Reinoldin: — aber wie bist du auch darauf gefallen, ihn auf die Worte: gieb jezt du Bescheid, und du hast jezt genug geredet, abzurichten? Sie erwiederte ihm: ich habe ein paar Nachbarsweiber, die wo sie einem den Kopf sehen, einem die Ohren voll schwazen, und mich so manchmal geplagt haben, ob jedem Nichts bey Stunden mit ihnen zureden, daß ich lang nicht wußte, wie ich ihrer los wer- den koͤnnte? bis ich endlich diesen Hund gekauft habe, und mir da in Sinn gekommen, ich wolle ihn auf diese Worte abrichten. Es ist auch gut gegaugen, die Weiber haben es ordent- lich auf sich gezogen, und lassen mich seitdem gar ruhig. Jezt wisset ihr alle Wahrheit. Ich koͤnnte an Ort und Stell auch so einen Hund brauchen, sagte da Arner, und lachte gegen Theresen. Sie antwortete, ich wollte jezt auch wetten, ich wuͤßte, wo du meynest. — Als der Junker einmal meynte, es achte es niemand, fragte Er die Gertrud, wie es mit der Meyerin gehe? Sie antwortete, sie hoffe nicht uͤbel; aber die Reinoldin die es merk- te, sieng an zu lachen, und sagte, ja wenn nur dieser nicht waͤre, und hiemit machte sie Pfausbaken und ein Hangmaul so groß sie konnte. Was ist jezt das naͤrrisches? sagte der Jun- ker. Und Gertrud, — der Schalk will euch den Sonnenwirth abmahlen, der dem Rudj im Weg steht. Aber sie macht es auch gar zu stark. Darfst jezt auch das sagen? erwiederte die Reinoldin, ich kann nicht einmal so stark ma- chen, als es wahr ist. Wenn es nur halb so ist, so ist es zu viel, sagte der Junker. Ja halb, ich moͤchte nicht reden, erwiederte die Reinoldin. Und alle drey sagten, sie glauben einmal auch nicht, daß sie diesen nehme. Es freuete den Junker. Aber der Pfarrer war den ganzen Abend nicht bey ihnen; er blieb immer auf seiner Stube, unruhig uͤber das Wort, das der Junker bey ihm hat fallen lassen, und dieser gieng end- lich, da er gar nicht kam, zu ihm auf seine Stube, erzaͤhlte ihm was vor Freude sie mit den drey Weibern uͤber unten gehabt, und bat ihn noch einmal, er solle jezt auch nicht mehr un- ruhig seyn, und das aus dem Kopf schlagen, es koͤnne ja gar wohl seyn, daß er sich seiner Ge- sundheit halber irre. Er sezte hinzu: lieber Herr Pfarrer! Ihr muͤsset mir heute noch lu- stig seyn, oder ich gehe nicht von euch weg. Er blieb auch wirklich aus diesem Grund bey ihm zum Nachtessen, und reißte erst nach 9 Uhr mit seiner Haushaltung aus dem lieben Pfarrhaus weg. §. 61. Scenen beym Mondschein die sich mah- len lassen; — und ein blutiges Ueber- nacht-Beten. A ls die Koͤnigin des Kinderzugs beym heim- gehen, unten an der Gaß war, sahe sie ihre Mutter, und diese gieng ihrem Babelj in ihrer Freude, an der Kruͤken bis vor die Gartenthuͤr hinaus entgegen. Die alte Frau ist sint ihres Mannes Tod noch nie so weit vor ihre Hausthuͤr hinausgekommen. So bald sie das Babelj erblikte, sprang es von den Kin- dern weg, war im Augenblik bey seiner Mut- ter, und fiel ihr auf der offenen Gaß an den Hals. Sie konnten beyde nicht reden, und eilten beyde mit einander unters Dach. Da gliche das Weinen ihrer innigen Freude dem stummen Schmerz der an ihrem Herzen nagte. Aber seine Bruͤder und Schwestern hiengen ihm auf allen Seiten an seinem weissen Kleid, und zogen ihns fast der Mutter vom Hals weg, so hatten sie Freud mit ihm. Es gab ihnen seine Baͤnder und Blumen, und die Gotten- Cron ab dem Kopf, und den Guͤrtel ab dem Leib. — Denn zog es noch seinen Rok ab, und gieng der Mutter und den Kindern ihre Suppe und ihre Bether zu machen. Seine Thraͤnen flossen auf den Feuerheerd, und auf die Bether die es machte; es aß auch keinen Mundvoll zu Nacht, sagte zur Entschul- digung, es habe zu viel zu Mittag geessen, und eilte dann mit den Kindern ins Beth. Die Mutter gieng auch bald, und loͤschte das Licht; da gieng es in seine Cammer, that das Fenster auf gegen dem Mond, sezte bey seinem Schim- mer seine Gotten-Cron wieder auf, umwand sich seinen seidenen Guͤrtel, und eilte so mit ei- nem Tuche unter dem Arm auf seines Vaters Grab; da spreitete es sein Tuch auf den Bo- den, damit das thauende Gras und die feuchte Erde sein weisses Kleid nicht befleke. Und als es so in der Einoͤde des Bergs auf dem Grab- huͤgel lag, hoͤrte es unten im Thal Wagen und Pferde, und erkannte nach einer Weile die Stimme des Manns und der Frauen, deren Pfand, daß sie ihm Vater und Mutter seyn wollen, es jezt auf dem Grab seines Vaters um seinen Leib trug, und es toͤnte zu ihm hin- auf wie aus dem Abgrund, ihr Loblied an Gott, der den Mond und den Menschen er- schaffen. Himmel und Erde, Mond und Sterne schie- nen dem Kind jezt schoͤner, und die Blumen auf des Vaters Grab dufteten ihm Wohlge- ruch, wie sie ihm noch nie dufteten. So erquikte der Wagen des Vaters und der Mutter unten im Abgrund, und ihr Nachtge- sang an Gott, der den Mond und den Men- schen geschaffen, die Sinnen des Kinds, das ihnen unwissend ob ihrem Haupt in der Einoͤde kniete. Sie fuhren beym stillen Mondschein, das Kutschendach hinter sich liegend alle mit ein- ander langsam an der vollen Nachtluft, — sie erfrischte ihr Blut, und ihr Gesang toͤnte lang und laut hinauf, an die Jammerstell ob ihrem Haupt. Das gute Kind mußte nur weynen, seine Thraͤnen durchnezten sein Tuch, und flossen so lang es einen Laut von dem Lobgesang hoͤrte, das unten im Abgrund zu seiner Jammerstelle hinauf toͤnte. Als es sie nicht mehr hoͤrte, wurde ihm im Innersten heiter, so heiter, als es ihm auf seines Vaters Grab noch nie gewesen. Es redete da mit ihm, wie wenn er vor ihm stuͤhnde. Mein Vater! mein Vater! sagte es zu ihm, daß du auch sterben muͤssen, ehe du ihn kann- test! den Vater des Landes und meinen — der unten durch fuhr und Gott gelobet, der den Mond geschaffen, und dich! — Mein Vater! mein Vater! wenn er da ge- wesen, so waͤrest du nicht gestorben! Nein wenn er da gewesen, und du ihn gekannt, so waͤrest du nicht gestorben! Er ist wie du, und seinem Volk, was du uns? Er fuͤhrt ihns anderst und besser als niemand, und du haͤttest auch deine Kinder an- derst und besser erzogen als niemand, wenn du haͤttest leben koͤnnen! — So redte das Kind die Nacht durch mit dem Vater auf seinem Grab, und der Auf- gang grauete hinter den Bergen, als es auf- stuhnd von seiner Stell, und das nasse Tuch wieder von dem Boden unter seinen Arm nahm. Es war nicht allein. Eine Menge Kinder dachten dachten in dieser Nacht an diesen neuen Va- ter, traͤumten von ihm, und ihr. Alle die von des Rudis und der Gertrud Kindern gehoͤrt, daß sie am Abend und am Morgen fuͤr ihn, wie fuͤr Vater und Mutter beten, baten ihre Eltern, eh sie ins Bett giengen, ob sie nicht auch so fuͤr ihn beten doͤrfen? Es schlugs ih- nen endlich niemand ab, ob es schon vielen Leuthen wunderlich vorkam. Selbst der Kriecher murrete nur, als ihm seine Lise es auch sagte, und antwortete doch, du kannst meinetwegen thun was du willst! — Aber da es mit seinen Geschwisterten uͤber- nacht betete, und in voller Freude, mit lau- ter Stimme anhub „behuͤt mir Gott mein lieber Junker, und mein lieber“ — lag es bey diesem Wort am Boden, und blutete aus Maul und Nase. Der Vater hinter ihm gab ihm mit den Schuhen so einen Stoß, daß es mit samt dem Stuhl, auf dem es saß, umfiel. Was hab ich auch gemacht? Was hab ich auch gemacht? sagte das Kind schluchzend durch die Finger; denn es hielt beyde Haͤnde vor dem blutenden Maul und der blutenden Nase. Du weissest jezt ein andermal, sagte der Va- ter, fuͤr wenn du zuerst beten mußt, fuͤr mich, S oder fuͤr jemand der dir sein Lebtag noch kein Mundvoll Brod gegeben hat? §. 62. Der alte Junker will in kein Hornissen- nest hinein greiffen. U eber morn auf diesen Freytag stellte der Jun- ker den neuen Schulmeister der Gemeind vor. Der Pfarrer predigte an diesem Sontag nicht. Er hielt das stundenlange Reden hal- ten auf der Canzel und darneben, zur guten Fuͤhrung der Menschen gar nicht fuͤr so noth- wendig, als man es gemeiniglich dafuͤr ansieht. Er hatte vielmehr grosse Einwendungen ge- gen dasselbe, und behauptete, man sollte wenig- stens keinen Menschen so stundenlange Reden ans Volk halten lassen, der nicht als ein er- probter Rathgeber und Wegweiser der Men- schen erfunden worden waͤre; und dergleichen erprobte Rathgeber seyen rare Menschen, und in den meisten Faͤllen just nicht die, welche wohl lange Reden halten koͤnnen. Den andern Geistlichen, meynte er, sollte man von Wort zu Wort vorschreiben, was sie dem Volk offentlich vortragen doͤrften? Er sagte, wenn man so sorgfaͤltig erforschte und studierte, was die Menschen sind, und was die Menschen noͤthig haben, und wie man mit ihnen umgehen muͤsse, daß sie truͤhen, (gedeyen) als man, er wolle nicht sagen bey Rossen und Kuͤhen, sondern auch nur bey Krotten und Froͤschen, und Eidexen forschet, und studieret, was sie seyen, und wie man mit ihnen umgehen muͤsse, daß sie truͤhen, so wurde man es sicher nicht einem jeden Stubenbruͤter uͤberlassen, Jahr aus und Jahr ein Stunden lang vor dem Volk Reden zu halten, und nicht gestat- ten, daß der guten Menschenheerde Sachen, die ihr als wichtig vorgetragen werden, von dem einen deutsch, von dem andern welsch, von dem einen links, und von dem andern rechts, von dem einen kraus, und von dem andern glatt, von dem einen hoh, und dem andern nieder vorgetragen werde. Und was man ihm auch immer dagegen einwandte, so ließ er sich nicht ausreden, das Predigen sey an das Maul brauchen und Maul waͤschen, gegen welches die Menschen als ge- gen ihr Todgift auf der Hut seyn koͤnnen, wie angebunden, und sehe ohne weiters, besonders wie es jezt getrieben werde, zu bunt, zu viel- faͤrbig, und Seelenlos aus, als daß man nur daran denken dorfte, daß es beym Volk eine gleiche feste allgemeine und einfache Wirkung zu seinem Wohl hervorbringen koͤnne. S 2 Daß aber die Erloͤsung der Menschheit von ihren Uebeln, von Gottes wegen so stark an das gebunden seye, als man es zu glauben scheine, duͤnkte ihn, wie er die Sache ansah, vollends eine Laͤsterung. Der gute Mann war aber allem viel Wort machen uͤberhaupt im eigentlichen Verstand uͤbel an, und hatte mit seiner lieben Frauen ob nichts in der Welt Streit, als wenn sie ihm mit zehen Worten anbrachte, was sie mit zweyen haͤtte sagen koͤnnen. Um die Wahrheit zu gestehen, so war dieser Gram uͤber alles Wortmachen nichts weni- ger als pure reine Weisheit in meinem Mann, sondern so etwas, das man sonst an den Leu- then ihre Menschlichkeit heißt; es artete auch manchmal wirklich in eine Unduldsamkeit, und Ungefaͤlligkeit aus, die nebst dem Sonderba- ren und Unachtsamen in seinem Aeussern die linke Seite des Manns ausmacht, und daher kam, daß in seiner Jugend sein Herz ohne Er- fahrung und Menschenkenntniß gelassen wor- den, und er daher lange von einem jeden, der sein Maul wohl brauchen konnte, am Seil herum gefuͤhrt wurde, und in seinen zwanzi- ger Jahren um sein Brod, um seine Braut, und um die Freuden seines Lebens gekommen. Wer ihm alles raubte, war ein Geistlicher, der eben dardurch, daß er vortreflich predigen konnte, und zur Verwunderung auf seiner Can- zel da stuhnd, den Raub davon trug; und der Bube trieb es so weit, daß das Elend des Manns, ehe er auf Bonnal kam, so groß geworden, daß sieben bis acht Jahr kein Betler mit ihm getauscht haͤtte, und ein Bauer, bey dem er sich einige Zeit aufgehalten, und ihm das eint und andere von seinen Umstaͤndrn erzaͤhlt, ihm zur Antwort gegeben, er wollte sich lieber hen- ken lassen, als es nur eine Stunde haben, wie er! — Jezt kennt ihr den Stachel, der wie- der das Predigen, und wieder alles Maul brau- chen in seinem Innersten liegt! — Er danket zwar das Gluͤk seines Alters, und alles was er jezt ist, diesen Leiden seines Lebens; aber sie haben doch eine Seite seines Innwendi- gen tief verwundet, und er wird die Brandmale seiner Wunden tragen bis ans Grab. Der Mensch traͤgt die Wahrheit und die Weisheit in einem irrdischen Gefaͤß, und wenn er besonders in den Tagen seiner bluͤhenden Staͤrke zu Boden gedruͤkt wird, und das Gold seines Lebens vor seinen Augen ins Koth aus- geschuͤttet siehet, so achtet er denn den uͤbrigge- bliebenen Laim seines Daseyns nicht mehr viel; er wird stolz gegen die Gluͤklichen und so un- aufmerksam und gleichguͤltig gegen das, was diese von ihm fordern, wie gegen sich selber, und druket sich uͤber das was ihn wahr und S 3 gut dunkt, anderst und roher aus, als Men- schen, die die Tage ihres Lebens ruhig haben nachdenken koͤnnen, wie sich alles am besten sa- gen lasse. Es macht nichts, wenn solche Menschen schon roher und harter reden, als es der Brauch ist. Die Wahrheit wirket selten, als wenn sie schreyt, das ist, so roh und hart, und ungedul- tig, aber auch so bestimmt und heiter ausge- sprochen wird, als nur Noth und Elend den Menschen aussprechen lehren. Und denn alles Menschliche abgerechnet, was der Wiederwille des Pfarrers in Bonnal gegen das Maul brauchen uͤberhaupt, und gegen das Predigen- und Kinderlehrschelten besonders hatte, so ist gewiß, daß der Schade des Predigens im Lande, wenn es einer ist, einer von denen ist, die schreyen muͤssen, wenn ihm soll abgeholfen werden. Mein guter Pfarrer hat schon vor 20 Jah- ren, da er in vollem Feuer uͤber diese Mey- nung war, einmal den Kopf damit an die Wand gestossen. Dann das erste mal, daß er nicht predigte, verklagten ihn seine Bauren dem alten Junker. Dieser war ihm damal gewogen, und als er auf ihre Klag antwortete; er wolle ihnen alle- mal predigen, wenn er ihnen etwas zu sagen wisse, und wenn er ihnen nichts besonders zu sagen habe, wolle er ihnen ein Capitel aus der Bibel oder sonst aus einem Buch, und sicher allemal etwas weit bessers vorlesen, als das was er ihnen dannzumal selber haͤtte sagen koͤn- nen; sagte ihnen der Junker, was wollet ihr mehr? Die Bauern antworteten ihm: predigen, predigen, wollen wir, daß er thue. Nicht wann er uns etwas zu sagen hat, er muß uns predigen, wenns laͤutet und der Brauch ist. — Und wenn er nicht will, so wollen wir schon einen andern finden um seinen Lohn. Der Junker sagte ihnen freylich: ihr seyt Kaͤlber, und pakt euch zur Thuͤr hinaus, aber als sie draussen waren, sagte er dem Pfarrer: ich kann euch nicht helfen, Ihr werdet wohl den Narren predigen muͤssen, wenn sie so wol- len. Ich weiß nichts bessers, als saget ih- nen, was ihr wollet, und machet’s frey kurz. Damit mußte er abziehen, denn als er weiter davon reden wollte, sagte ihm der Junker, verschonet mir Herr Pfarrer! Ich mag in kein Hornissen-Nest hineingreifen. Und in des Hummels Zeit gab es da so viel andere Sachen, daß der gute Mann sich an die aͤusserliche Handwerks-Ordnung seines Berufs, und folglich ans Predigen-muͤssen, wenns laͤutet, wie ein Sclav anbinden mußte, S 4 wenn er sich nicht alle Augenblik den oͤffentli- chen Beschimpfungen des Junkers, der ihn hernach haßte, aussezen wollte, so daß es ihm bey 20 Jahren nur nie mehr in Sinn gekom- men, auch nur eine halbe Viertelstund weni- ger lang auf der Canzel zu reden, als es Lands- brauch und Recht ist. Doch in allem Druk in dem er war, hat er noch dieses gethan, daß er fuͤnf Predigten wider das Predigen gehalten, und sie sind die schoͤn- sten, die er in seinem Leben aufgesezt, aber seine Bauern haben sie nicht verstanden. Sie sind uͤber die Worte: “die Zunge ist „ein kleines Ding, aber sie richtet grosse Dinge „an.” Und er zeigte in demselben aus dem taͤglichen Leben, was das Maul brauchen, und einander mit Worten abspeisen in der Welt al- lenthalben fuͤr Ungluͤk anrichte. Er sagte aber freylich in allen fuͤnfen kein ausdruͤkliches Wort wider das predigen; aber stellte darinn alle Au- genblike Sachen vor Augen, bey denen man nicht anderst konnte als denken, es sey mit dem Predigen und Kinderlehr halten vollkommen auch so, wenn ers jezt schon nicht sage. Auch diese Manier danket er dem Ungluͤk seines Lebens und der Nothwendigkeit hundert- mal, wenn er auch im Rechten war, mit dem Maul hinter sich zuhalten. Jezt unter Arner war es, wie wenn der Mann sich wieder erneuere; die alten Plaͤne seines Lebens kamen ihm wieder wie im Traum, und waren jezt durch die Erfahrungen seines Lebens gereifet. Doch trugen auch jezt die Umstaͤnde und be- sonders die Bekanntschaft mit dem Lieutenant noch unendlich viel dazu bey, die voͤllige Reifung dieses Manns, der so lange im hartesten Druk gelebt, zu Stande zu bringen. §. 63. Der neunzigste Psalm, und hinten darein ein Schulmeister der stolz ist. W ie gesagt: Er las heute anstatt zu predi- gen, etliche Capitel aus der Bibel und zum lezten den neunzigsten Psalm. Ein Gebet Mosis, des Manns Gottes. 1. O Herr! Du bist unsere Zuversicht ge- wesen von Anfang der Welt her. 2. Ehe dann die Berge worden, und du die Erde und die Welt gestaltet hast, warest du Gott von Ewigkeit in die Ewigkeit. 3. Du aͤnderest den Menschen, bis er zer- bricht, und dann sprichst du: Kommet wieder ihr Menschenkinder. 4. Dann tausend Jahre sind vor dir, wie der gestrige Tag, der vergangen ist, und wie eine Nachtwacht. 5. Du lassest sie zerfliessen: Sie sind ein Traum: Morgens sind sie wie das Gras, das verdirbet. 6. Das am Morgen bluͤhet, und dahin gehet, zu Abend wird es abgehauen und ver- dorret. 7. Dann wir werden durch deinen Zorn verzehret, und wir werden durch deinen Grimm erschrekt. 8. Du stellest unsere Missethaten fuͤr dich, unsere Heimlichkeiten in das Licht deines An- gesichts. 9. Darum schleichen alle unsere Tage da- hin, durch deinen Zorn; wir bringen unsere Jahre zu wie ein Geschwaͤz. 10. Die Tage unserer Jahre sind siebenzig Jahre, und wenn sie hoch kommen so sind es achzig Jahre, und das herrlichste in denselben ist Muͤhe und Arbeit, dann es wird schnell ab- gemaͤhet, und wir gehen dahin. 11. Wer kann die Macht deines Zorns er- messen, und deinen Grimm, nachdem er zu forchten ist? 12. Lehre uns, daß wir unsere Tage zaͤhlen, und weislich zu Herzen fassen. 13. Ach Herr kehre dich doch wieder, wie lang verzeuͤhest du? Und sey gnaͤdig deinen Knechten. 14. Ersaͤttige uns fruͤh mit deiner Gnad, so wollen wir frohloken, und uns freuen unser Lebenlang. 15. Erfreue uns wiederum, nachdem du uns so lang geplaget hast, nachdem wir so viel Jahre lang Ungluͤk erlitten haben. 16. Laß deinen Knechten dein Werk schei- nen, und deine Herrlichkeit ihren Kindern. 17. Und die Lieblichkeit des Herrn unsers Gottes seye ob uns. Foͤrdere das Werk unserer Haͤnde bey uns: Ja foͤrdere das Werk unsrer Haͤnden. Nach diesem sagte er: warum es zu thun seye! Dann nahm der Junker den Lieutenant bey der Hand, und sagte ihm, er soll jezt der Ge- meind selber sagen, was er an ihren Kindern thun wolle! — Der Lieutenant, nachdem er sich gegen den Junker, den Pfarrer, und dann gegen die Gemeind gebogen, sezte den Hut auf, lehnte sich an seinen Stok, und sagte: — Er seye mit Edelleuten erzogen worden, und seye selber ein Edelmann, er schaͤme sich aber um deswillen nicht Gott und seinem Neben- menschen in jedem Stand, wozu ihn die Vor- sehung rufe, zu dienen, und danke seinen lieben Eltern unter dem Boden fuͤr die gute Erziehung die sie ihm gegeben, und die ihn jezt in Stand stelle, ihre Schule auf einen Fuß einzurichten, daß man es ihren Kindern wills Gott ihr Leb- tag ansehen werde, daß sie in einer Schul ge- wesen. Uebrigens aber seye es nicht seine Sache, lange Reden oder Predigten zu halten, son- dern er wolle Wills Gott Morgen mit der Schul anfangen, wo sich denn alles schon zei- gen werde. — Nur das sezte er hinzu, muß ich noch sagen, daß ein jedes Kind seine Haus- arbeit, sie mag in Naͤhen oder Baumwollen- spinnen, oder sonst worinn es ist, bestehen, bringe, und die Werkzeuge dazu, bis der Jun- ker solche fuͤr die Schule wird angeschaft haben. Was will er doch mit Spinnraͤdern und Spizdruken in der Schul machen? fragten Maͤnner und Weiber in allen Stuͤhlen, und einer hinter ihm zu, so laut daß er es verstuhnde. Er kehrte sich um, und sagte ihm auch laut: nichts als machen, daß euere Kinder reden und reiten mit einander lehrnen. Es wollte den Bauren doch nicht in den Kopf, wie das moͤglich! und wie man in der Schul reiten und reden mit einander lehrnen koͤnne? Ihrer viele sagten schon unter der Kirch- thuͤre, es wird ihm damit gehen, wie dem al- ten Junker mit dem Grapp-Pflanzen, und den schoͤnen Schaafen, die er 200 Stund weit herkommen, und da bey seinem Futter crepie- ren lassen. Doch sagten auch einige bestandene Maͤnner, der Mann sieht dem alten Grapp-Pflanzer gar nicht gleich, und es hat gar nicht die Gat- tung, wie wenn er in den Tag hinein schwaze. Er gienge an diesem Abend noch in seine Schule, und machte gerade vor dem Ort wo er morndes das erste mal sizen wollte, einen schoͤnen Kupferstich auf. Es war ein alter Mann mit einem langen weissen Bart, der mit geruͤmpfter Stirn und grossen offnen Augen seinen Finger aufhielt. Der Junker und der Pfarrer fragten ihn, was der da machen muͤsse? Er antwortete ih- nen, er muß zu mir sagen, Gluͤphi schwoͤr nicht, wenn du vor mir zusizest! — Und die Herren sagten, den wollen sie ihm nicht wegreissen, er sey denn gar wohl da! — Der Schulmeister erwiederte: ich habe es selber auch gedacht. §. 64. Schul-Einrichtungen. M orndes gieng dann die Schul an. Ich moͤchte aber nicht leicht einem an- dern Schulmeister rathen, zu thun, was dieser gethan hat, und nach einer solchen Sonntags- ankuͤndigung die jedermann stolz fand, sich dann am Montag die Schul von einer Bauern- Frauen einrichten zu lassen. Doch wenn einer ein Gluͤphi ist, so mag ers auch thun, es wird ihm nichts schaden, — aber ich meyne, ein rechter Gluͤphi, und nicht ei- ner in der Einbildung. Er ließ die Gertrud mit seinen Kindern eine Ordnung machen, wie wenn sie selbige Daheim haͤtte. Sie sonderte sie nach ihrem Alter, und nach ihrer Arbeit, wie sie sich zusammenschikten, sezte allenthalben vertheilt, ihre und des Rudis Kinder, die ihrer Ordnung schon gewohnt wa- ren, zwischen die andern hinein. Zu naͤchst am Tisch und vornen an den an- dern sezte sie die Kleinen, die das A, B, C, noch nicht konnten. Hinter diesen, die so buchstabieren solten. — Denn die so halb lesen konnten. — Endlich die so es ganz konnten: — Stekte dann dem ersten Reihen fuͤr diesen Morgen nur drey Buchstaben an eine schwarze Tafel und machte eines von diesen Kinderen aufsagen. — Wenn es sie dann recht sagte, so mußten sie die andern ihm nach sagen, — dann veraͤnderte sie die Ordnung dieser Buch- staben einsmal uͤber das andere, stekte sie ih- nen bald in kleinerer bald in groͤsserer Form an die Tafel, und liesse sie ihnen den ganzen Morgen so vor den Augen. Eben so versezte sie mehrere Buchstaben denen so buchstabierten. — Und die so halb lesen konnten, mußten mit diesen buchstabieren. — Diese aber und auch die so lesen konnten, mußten ihre Buͤcher bey dem Spinnrad vor sich offen halten, und immer dem, das etwas laut vorlase, dasselbe halb laut nachsprechen. Und keines war eine Minute sicher, daß sie nicht rufe, fahr jezt du fort! — Fuͤr die Handarbeit hatte sie eine Frau mit ihr genohmen, die Margreth hieß, und die nun alle Tage dafuͤr in die Schule kommen sollte; denn Gertrud war dieses nicht moͤglich. Die Margreth war ein Mensch fuͤr dieses, daß man nicht leicht ihres gleichen finden konnte. So bald ein Kind eine Hand oder ein Rad still hielt, stuhnd sie bey ihm zu, und gieng nicht von ihm fort, bis Hand und Rad wie- der in Ordnung waren. Die meisten Kinder brachten auch schon an diesem Abend eine Arbeit heim, daß die Muͤtter ihnen nicht glaubten, daß sie selbige allein gemacht haͤtten. Aber viele Kinder gaben ihnen zur Ant- wort: jaͤ es ist ein Unterscheid, wie es die Margreth einem zeiget; du einmal kannst es nicht so. Sie ruͤhmten den Lieutenant nicht minder; denn Nachmittag fuͤhrte er die Schul, und Gertrud sah ihm dann zu, wie er ihr am Mor- gen, und es gieng so gut, daß sie zu ihm sagte, wenn ich gewußt haͤtte, daß ich in zwey Stun- den mit allem fertig wurde, was ich euch zum Schuleinrichten helfen kann, so haͤtte ich mich am Donstag nicht so gesperrt. Es freute ihn auch, daß es so gut gieng, er gab diesen Abend allen Kindern die uͤber 7 Jahr alt waren, ein paar zusammengesto- chene Boͤgen Papier heim, und ein paar Fe- dern, und jedes Kind fand seinen Nahmen auf diesen Boͤgen schoͤn wie gedrukt geschrieben. Sie konnten sie nicht genug anschauen, und fragten ihn einmal uͤber das andere, wie man das auch mache? Er zeigte es ihnen, und schrieb ihnen wohl eine Viertelstunde lang so grosse Buchstaben, die wie gedrukt scheinen. Sie haͤtten ihn bis am Morgen so schreiben lassen, so schoͤn duͤnkte sie das; und es wunderte sie so gar, ob sie es auch so lehrnen muͤssen? Er gab ihnen zur Antwort, je schoͤner ihr schreiben lehrnen wollet, je lieber ist es mir! sagte ihnen denn noch beym fortgehen, sie sollen zu ihrem Papier Sorg tragen, und ihre Federn Federn mit dem Spiz in faule Apfel hinein- steken, sie bleiben darinn am besten. Viele Kinder gaben ihm darauf zur Ant- wort: — jaͤ wenn wir jezt grad so faule Apfel haͤtten, — es ist ja nicht mehr Winter. Er lachte daruͤber und sagte ihnen, wenn ihr keine habet, so kann ich euch vielleicht brin- gen, ich denke, die Frau Pfarrerin hat noch mehr als ihr lieb ist, faule Apfel. Andere Kinder aber sagten, nein, nein, nein! wir wollen ihnen schon bringen, wir haben auch noch. §. 65. Fortsezung der Schuleinrichtung. S ie sprangen dann alle heim, ihren Eltern geschwind, geschwind ihre schoͤne Schrif- ten zu zeigen, und ruͤhmten den Schulmeister und die Margreth was sie konnten und moch- ten. Aber ihrer viele gaben ihnen zur Antwort: ja, ja, die neuen Besen wischen alle wohl, — oder sonst so ein wunderliches Wort, daß die Kinder nicht wußten, woran sie waren. Aber das that den guten Kindern weh; — aber sie gaben um deswillen ihre Freud noch nicht auf, und wenn ihre Eltern nicht Freud T mit ihnen hatten, wie sie gern wollten, so zeig- ten sie ihre schoͤnen Schriften wem sie konnten, bis auf dem Bruͤderli in der Wiege, und der Kaz auf dem Tisch, und trugen dazu Sorg, wie sie ihrer Lebtag zu nichts Sorg getragen. Wenn das Bruͤderli mit dem Haͤndli, oder die Kaz mit dem Maul darnach langen wollten, so zogen sie es im Augenblik zuruͤk, und sagten: du must nur mit den Augen sehen, und es nicht anruͤhren; ihrer etliche versorgten es in die Bi- bel. — Andere sagten, sie koͤnnen denn das grosse Buch nicht aufthun, und legten es in den Kasten, zu dem was sie am schoͤnsten hat- ten, und die Freude wieder in die Schul zu gehen, trieb sie so, daß morndes ihrer viele fast vor Tag aufstuhnden, ihren Muͤttern zu rufen, sie sollen doch machen, daß sie bald zu essen bekommen, damit sie zu rechter Zeit in die Schul kommen. — Am Freytag wars denn gar, da die neuen Schreibbaͤnk die der Junker ihnen machen lassen, fertig waren. Es wollten alle in der ersten Stunde mit einander ansizen; aber der Lieutenant theilte sie in vier Theile ab, damit ihrer nicht zu viel seyen, und ihm nie keine Hand entgehe, und keines ihm auch nur einen Zug machen koͤnne den er nicht sehe. Er kam auch hierinn mit den meisten gar wohl fort. Einiche griffen es so gut an, daß es schiene, es komme ihnen wie von selbst; bey andern aber gieng es darum gut, weil sie sonst schon mehr als andere in den Haͤnden gehabt, wozu es Aufmerksamkeit brauchte. Aber einigen, die noch nicht viel anders in Haͤnden gehabt als den Loͤffel mit dem sie das Essen zum Maul hinaufbringen, kam es schwer an. Das Rechnen lehrnten einige sehr leicht, die zum schreiben gar ungeschikt thaten, und die Federn, wie wenn sie lahm waͤren, in die Hand nahmen; und es kamen wirklich etliche solche Loͤffelbuben, die in ihrem Leben fast noch nichts gethan, als auf den Gassen und Weiden herumziehen, hierinn den andern allen schnell und weit vor. Es ist natuͤrlich: das groͤßte Lumpenvolk hat die groͤßten Anlagen, und laͤßt meistens das Arbeitsvolk Kopfs halber weit hinter sich zu- ruͤk, auch findet man fast immer den Bauren- rechner im Wirthshaus. Ueberhaupt fand der Schulmeister diese ar- men Kinder Kopfs- und Haͤnden halber viel geschikter als er es erwartete; auch das ist natuͤrlich. Noth und Armuh macht dem Menschen gar viel durch Kopf und Haͤnde gehen, das er mit Gedult und Anstrengung darinn herum- drehen muß, bis er Brod darausziehen kann; und Gluͤphi bauete auf dieses so sehr, daß er T 2 in allem was er in seiner Schul that, und bey- nahe bey jedem Wort das er darinn redte, sich fest in Sinn nahm, diesen Umstand, den die Natur selbst zum Fundament der Erziehung der Armen und des Landvolks gelegt hat, zu nuzen und zu brauchen. Er hielt selbst so viel auf dem Schweiß der Tagesarbeit, und dem Muͤde werden, daß er behauptete, alles was man immer dem Men- schen beybringen koͤnne, mache ihn nur inso- weit brauchbar, oder zu einem Mann auf den und auf dessen Kunst man bauen koͤnne, inso- fern sein Wissen und seine Kunst auf diesen Schweiß seiner Lehrzeit gebaut seye; und wo dieser fehle, seyen die Kuͤnste und Wissenschaf- ten der Menschen wie ein Schaum im Meer, der oft von weitem wie ein Fels scheine, der aus dem Abgrund emporsteige, aber verschwinde, so bald Wind und Wellen an ihn anstossen. Daher sagte er, muͤsse bey der Erziehung des Menschen die ernste und strenge Berufs- bildung allem Wortunterricht nothwendig vor- hergehen. Und genau mit der Berufsbildung verband er auch die Sittenbildung, und behauptete, die Sitten eines jeden Stands und Gewerbs, und auch des Orts und Lands in dem ein Mensch wohne, seyen fuͤr ihn so wichtig, daß sein Gluͤk, und die Ruh, und der Friede seines Lebens, wie 1000 gegen eins darauf ankommen, ob er ein ungetadeltes Muster dieser Sitten sey. Die Erziehung zu den Sitten war also auch ein Hauptstuk seiner Schuleinrichtungen. Die Schulstube mußte ihm so reinlich seyn, als eine Kirche. Er duldete nicht, daß nur eine Scheibe am Fenster mangle, oder ein Na- gel am Boden nicht recht eingeschlagen seye, vielweniger, daß die Kinder das geringste an Boden werfen, oder waͤhrend dem Lehrnen es- sen, oder so etwas machten. Es mußte ihm alles wie an der Schnur und bis ans aufste- hen und niedersizen, so in einer Ordnung ge- hen, daß nur keins an das andere anstieß. Wenns kothig war, mußten sie ihre Schuhe bey der Thuͤre abstellen, und in den blossen Struͤmpfen an ihre Tische sizen. Auch die Roͤke wann sie kothig waren, muß- ten sie ihm, wo es sich schikte an der Sonne oder am Ofen troͤknen und ausreiben. Er schnitte ihrer vielen mit seinem Scherlj die Naͤgel selber an den Haͤnden ab, und fast allen Buben die Haare auf dem Kopf in Ord- nung, und allemal wenn eins vom Schreiben zur Arbeit gieng, mußte es zuerst zum Wasch- beken seine Haͤnde zu waschen, auch das Maul mußten sie ihm ausspuͤlen, und zu den Zaͤhnen Sorg tragen, und zum Athem, daß er nicht stin- kend werde. Alles Sachen, von denen sie nur T 3 gar nichts wußten, und beym stehen, sizen, schreiben und arbeiten, mußten sie sich ihm im- mer so grad halten als eine Kerze. Und wenn sie in die Schul kamen und draus giengen, mußte eines nach dem andern vor ihm zustehen, und ihm b’huͤt Gott sagen. Er sah sie denn vom Kopf bis zu den Fuͤssen an, und konnte Augen machen, daß ein jedes, wenn er auch kein Wort redte, es ihm gleich ansah, wenn es etwas an sich hatte, das nicht in der Ordnung war. Wenns aber denn auf das hin, daß er es ihm mit den Augen zeigte, nicht besserte, so sagte er es hernach mit dem Maul. Wo er sah, daß die Eltern daran schuldig, ließ er es ihnen sagen, und es war gar nichts seltenes, daß ein Kind mit dem Bericht zu sei- ner Mutter heimkam: — du, der Schulmei- ster hat gesagt, er laß dich gruͤssen; — und ob du keine Nadlen, oder Faden habest? — oder ob das Wasser theuer sey bey dir? und der- gleichen. Und die Margreth war wie dazu gemacht, ihm in diesen Sachen an die Hand zu gehen. Wenn ein Kind seine Haare nicht recht ge- flochten hatte, sezte sie ihns mit dem Spinn- rad vor sich zu, und flochte ihm dasselbe waͤh- rend dem es lehrnte und arbeitete. Die meisten konnten nicht einmal ihre Schuhe recht ring- gen, und ihre Struͤmpfe recht binden; sie zeigte ihnen alles, machte ihnen ihre Halstuͤcher und Fuͤrtuͤcher zurecht, wenn sie sie krumm anhat- ten, und wo sie ein Loch an einem sah, nahm sie Nadlen und Faden aus dem Sak, und naͤhete sie ihnen zusammen. Wenn die Schul bald aus war, machte sie denn allemal in der ganzen Stube den Kehr, und sagte einem je- den ob es heut brav, oder nur halb brav, oder gar nichts nuͤz gearbeitet. Dann dorften die so brav gewesen, zuerst hervor zum Schulmeister, ihm b’huͤt Gott euch, zu sagen. Die so nur halb brav gewesen, mußten denn mit den andern zu ihm hervor. Die uͤberall schlecht gewesen, mußten vor den andern zur Stuben hinaus, ohne daß sie zu ihm hervor doͤrften. Er bot denn den ersten die Hand, und sagte einem jeden behuͤt dich Gott, du liebes Kind! Den andern bot er die Hand nicht, und sagte ihnen nur b’huͤt dich Gott! — Wenn eins zu spath kam, so war die Thuͤr fuͤr ihns zu, wie die Pforte einer Festung, wenn sie zu ist; ob sie denn weinten oder nicht, das war gleich viel, er sagte ihnen kurz, sie sollten jezt nur heimgehen, es thue ihnen nur wohl wenn sie lang daran sinnen, — daß man alles, was T 4 man in der Welt thun muß, zu rechter Zeit thun muß, oder daß es sonst wie nicht gethan ist. §. 66. Gottes Wort ist die Wahrheit. S o zielte jedes Wort, das er redte, dahin seine Kinder durch feste Angewoͤhnung an alles das, was sie einst seyn und koͤnnen muͤssen, zur wahren Weisheit des Lebens zu fuͤhren, indem er mit jedem Wort in ihrem Innern das Fundament zu derjenigen Gleich- muͤthigkeit und Ruhe zu legen suchte, welche der Mensch in allen Umstaͤnden des Lebens be- sizen kann, wenn ihm die Beschwerlichkeiten seiner Laufbahn fruͤh zur andern Natur ge- macht worden. Und hier ist der Mittelpunkt des Unter- schieds seiner Kinder Auferziehung und des gewoͤhnlichen Unterrichts, den dieselbige unter andern Schulmeistern geniessen. Der Erfolg, mit welchem er arbeitete, uͤber- zeugte den Pfarrer von Bonnal schnell von der Wichtigkeit dieses Unterschieds, und machte auch ihn einsehen, daß aller woͤrtliche Unter- richt, in so fern er wahre menschliche Weis- heit, und das oberste Ziel dieser Weisheit wahre menschliche Religion erzweken soll, den festen Uebungen zu guten haͤuslichen Fertigkeiten ohne anders untergeordnet seyn, und nachgehen muͤsse, und Maulreligion, an welche sie alles Gute was sie sind und werden sollen, wie an- gebunden haben, aus dem Sinn fallen lassen doͤrfe, — nehmlich erst dann, wenn durch feste Uebungen in guten Lebensfertigkeiten in ihnen ein besseres Fundament zu guten und edeln Neigungen, das ist zur wahren Weisheit und zur wahren Religion gelegt worden. — Aber er sah auch, daß er selber uͤber diesen Punkt zur Fuͤhrung der Menschen nichts tauge, und daß der Lieutenant und selber die Mar- greth mit einem Wort bey ihren Kindern mehr zu diesem Endzwek ausrichten, als er wenn er Stunden lang predigte, oder sonst thaͤte was er koͤnnte. Er schaͤmte sich vor ihnen, aber er nuzte ihr Daseyn, lehrnte von ihnen was er konnte, und bauete in allem, was er seine Kinder lehrte auf das, worinn der Lieu- tenant und die Margreth sie uͤbten. Es fuͤhrte ihn weit, nehmlich seinen Wortunterricht in dem Grad zu verkuͤrzen als diese zwey Men- schen seinen Kindern nuͤzliche Fertigkeiten an- gewoͤhnten. Er haͤtte das schon laͤngst gern gethan, aber er wußte nicht, wie es anstellen, und worauf denn bauen. Es traumte ihm wohl von dem, was der Lieutenant und die Margreth jezt thaten, aber auf das blosse Traumen von Sachen die er nicht naͤher kannte, war er zu ehrlich das Gute das der alte Unterricht doch auch noch hatte, seinen Kindern zu entziehen. Aber jezt, da die bessere Wahrheit und die Vorzuͤge der Uebungen im Thun, vor den Ueb- ungen im Reden vor seinen Augen stuhnden, folgte er dieser bessern Wahrheit und that in seinem Alter Riesenschritte in der Abaͤnderung seines Volks-Unterrichts. Er ließ von nun an seine Kinder gar keine Meynungen mehr auswendig lehrnen, mit Na- men nicht die Zankapfel-Fragen, die seit zwey hundert Jahren das gute Volk der Christen in viele Theile getheilt, und gewiß dem Land- volk den Weg zum ewigen Leben nicht erleich- tert; und besonders die Ehr- und nothfeste Frag, die noch vor zwey Jahren in seiner Gemeind einen Todschlag veranlasset, verkleibte er in allen Lehrbuͤchern seinen Kindern mit Papen, und er achtete es gar nicht daß unten und oben in diesem verkleibten Blatt noch allerhand Sachen stuhnden die ganz gut waren; denn er war jezt alle Stund mehr uͤberzeugt daß der Mensch wenig oder nichts verliere wenn er Worte verliere. Aber indem er mit Gott , wie Luther sei- nem Volk, durchstrich den abentheurlichen Wort- kram seiner grossen Maulreligion, tischte er ihm nicht anstatt des alten einen neuen, statt des feurigen einen waͤsserigen, anstatt des frem- den, mit Gunst seinen eigenen auf, sondern ver- einigte seine Bemuͤhungen mit dem Lieutenant und der Margreth, seine Kinder ohne viele Worte zu einem stillen arbeitsamen Berufsle- ben zu fuͤhren, und durch feste Angewoͤhnung an eine weise Lebensordnung, den Quellen unedler, schandbarer und unordentlicher Sitten vorzu- biegen, und auf diese Weise den Grund der stillen wortleeren Gottesanbetung und der reinen thaͤtigen und eben so wortleeren Men- schenliebe zu legen. Zu diesem Ziel zu gelangen band er jedes Wort seiner kurzen Religionslehre an ihr Thun und Lassen, an ihre Umstaͤnde und Berufspflich- ten, also daß wenn er mit ihnen von Gott und Ewigkeit redte, es immer schien, er rede mit ihnen vom Vater und Mutter, von Haus und Heimath, kurz von Sachen, die sie auf der Welt nahe angehen. Er zeichnete ihnen mit eigner Hand die weni- gen weisen und frommen Stellen, die sie in ihrem Lehrbuch noch auswendig lehrnen dorf- ten aus; von dem uͤbrigen weitlaͤuftigen Zank- kram, den er aus ihrem Gehirn ausloͤschen wollte, wie der Sommer den ferndrigen Schnee ausloͤscht, redte er kein Wort mehr, und wenn ihn jemand fragte, warum er diese Sachen so liegen lasse, wie wenn sie nicht da waͤren, sagte er, eben sehe er alle Tage mehr ein, es gehoͤre nicht fuͤr den Menschen so viel Warum? und Darum in seinen Kopf hinein zu moͤrden, und die taͤgliche Erfahrung zeige, daß die Menschen in dem Grad ihren natuͤrlichen Verstand, und die Alltagsbrauchbarkeit ihrer Haͤnden und Fuͤssen verlieren, als sie viel solche Warum? und Darum im Kopf herumtragen. Er ließ auch nicht mehr zu, daß ein Kind irgend ein langes Gebet auswendig lehrne, und sagte es laut, es seye wieder den ausdruͤklichen Geist des Christenthums und die heiterste Vorschrift die der Heiland der Menschen je seinen Juͤn- gern gegeben, — „wenn ihr aber betet“ u. s. w. Und das lange Gebeter-machen komme auch nirgend als vom Predigen her, indem Leuthe, welche einmal sich daran gewoͤhnt vor ihren Mitmenschen so oft und viel Stunden lange Reden zu halten, natuͤrlich auch dem lieben Gott ihre Angelegenheiten so in langen Re- den vorzutragen belieben. §. 67. Um so gut zu seyn als Menschenmoͤglich, muß man boͤs scheinen. D as schoͤnste an ihm ist, daß er bey allem was er jezt that, gerade zu heraus sagte, wenn er den Lieutenant und die Margreth nicht in ihrer Schulstube, mit den Kindern nach ihrer Art umgehen gesehen, so waͤre er mit seinem Kinderunterricht bis ans Grab ohne Aenderung der alte Pfarrer in Bonnal geblieben, der er 30 Jahre gewesen, — und noch mehr, er gestuhnd selber, daß er auch jezt noch nicht im Stande sey in den Hauptsachen der wahren Fuͤhrung dieser Kinder Hand zu bieten, und daß alles, was er dazu beytragen koͤnne kaum in mehrerem bestehe, als daß er mit seiner Einmischung der Arbeit des Lieute- tenants und der Frauen keine Hinderniß in den Weg lege. Er hatte fast ganz recht, er wußte von den Berufsarten der Menschen und von den mei- sten Dingen auf welche der Lieutenant baute, so viel als nichts. — Er kannte die Menschen, und kannte sie nicht. — Er kannte zwar sie, daß er sie beschreiben konnte, daß man sagen mußte: — Sie sind so! — Aber er kannte sie nicht, daß er mit ihnen eintretten, und etwas mit ihnen richten und schlichten konnte. — Auch sagte ihm der Lieutenant oft unter die Augen, er seye nicht im Stand, etwas rechtes aus den Menschen zu machen, er verderbe sie nur mit seiner Guͤte! Denn so gut ihr den Lieutenant allenthalben erfahren, so hatte doch nicht leicht jemand strengere Grundsaͤze uͤber das Auferziehen als er. Er behauptete laut, die Liebe sey zum auf- erziehen der Menschen nichts nuz als nur hin- ten und neben der Forcht; denn sie muͤssen lehr- nen Dornen und Disteln ausreuten, und der Mensch thue das nie gern und nie von ihm selber, sondern nur weil er muͤsse, und wenn er daran gewoͤhnt werde. Wer immer etwas mit den Menschen ausrichten, oder sie zu et- was machen will, sagte er, der muß ihre Bos- heit bemeistern, ihre Falschheit verfolgen, und ihnen auf ihren krummen Wegen den Angst- schweis austreiben, — und behauptete das Erziehen der Menschen seye nichts anders als das Ausfeilen des einzeln Glieds an der grossen Kette, durch welche die ganze Menschheit un- ter sich verbunden, ein Ganzes ausmache, und die Fehler in der Erziehung und Fuͤhrung des Menschen bestehen meistens darin, daß man einzelne Glieder wie von der Kette abnehme, und an ihnen kuͤnsteln wolle, wie wenn sie allein waͤren, und nicht als Ringe an die grosse Kette gehoͤren, und als wenn die Kraft und Brauch- barkeit des einzeln Glieds derselben daher kaͤ- me, wenn man ihns vergulden, versilbern, oder gar mit Edelsteinen besezen wuͤrde, und nicht daher, daß es ungeschwaͤcht an seine naͤch- ste Nebenglieder wohl angeschlossen zu dem taͤglichen Schwung der ganzen Kette und zu allen Biegungen derselben stark und gelenkig genug gearbeitet seye. So redte der Mann, dessen Staͤrke darinn bestuhnd, daß er die Welt kannte, mit dem Priester, dessen Schwaͤche darinn bestuhnd, daß er sie nicht kannte. Es war aber auch die Arbeit seines Lebens, die Menschen kennen zu lehrnen, und er dan- ket es seinem Vater unter dem Boden, daß er dieses von fruͤher Jugend auf, zu seinem Au- genmerk gemacht. Er glaubte auch die Men- schen gut, die er hinten nach boͤse erfahren, und der Gram daruͤber brachte ihn ums Leben. Wenige Tage vor seinem End ließ er seinen damals eilfjaͤhrigen Gluͤphi vor sein Beth kom- men, und sagte ihm: Kind! trau niemand in deinem Leben, bis du ihn erfahren. Die Menschen betriegen, und werden be- trogen, aber sie zu kennen ist Gold werth. Gieb auf sie Acht, aber trau ihnen nicht, und laß es dein taͤgliches Werk seyn, alle Abende von einem jeden Menschen, mit dem du umge- hest, aufzuschreiben, was du an ihm gesehen, und von ihm gehoͤrt, das etwann ein Zeichen seyn mag, wie es innwendig mit ihm stehe. Wenn du das thust, so wird es dir nicht ge- hen wie mir, und du wirst das Ungluͤk nicht ertragen, daß ich dich ohne Vermoͤgen und ohne Hilf, auf dieser armen Erde zuruͤk lassen muß. Mit diesem quollen die lezten Thraͤnen aus den Augen des Manns, die nun bald erloschen. Und von diesem Tag an hat Gluͤphi keine Nacht unterlassen, zu thun was ihm sein Va- ter befohlen, eh’ er gestorben. Er hat noch jezt diese Papiere von seiner Jugend auf, bey einander. Sie sind ein Schaz von Menschenkenntniß, und wenn er davon redt, so heißt er sie nur das gute Erb von seinem lieben Vater selig, und nezt sie oft mit Thraͤnen. Sie machten ihm tausend schwere Stunden leicht, und waren ihm auch in seiner Schul ein Leitfaden der ihn schnell hinfuͤhrte, wohin er wollte. Er kannte seine Kinder in acht Tagen besser, als ihre Eltern sie in acht Jahren nicht kann- ten; und brauchte dieses seinen Grundsaͤzen getreu, ihnen den Anstschweiß auszutreiben, wenn sie ihm etwas verbergen wollten; — und uͤberhaupt uͤberhaupt immer ihr Herz vor seinen Augen offen liegend zu halten. §. 68. Wer Rechnungsgeist und Wahrheitssinn trennet, der trennet was Gott zusam- men gefuͤgt. S o wie er fuͤr ihr Herz sorgte, sorgte er auch fuͤr ihren Kopf, und forderte, daß das so hinein muͤsse, heiter und klar seye, wie der stille Mond am Himmel. Er sagte: nur das heißt lehren, was so hin- einkommt, was aber dunkel ist und blendet, und schwindeln macht, das sagte er, ist nicht lehren, und heißt nicht lehren, sonder Kopf verkehren. Und er bog diesem Kopfverkehren bey sei- nen Kindern dardurch vor, daß er sie vor al- lem aus genau sehen und hoͤren lehrte, und durch Arbeit und Fleiß die kaltbluͤtige Auf- merksamkeit uͤbte, und zugleich den geraden Na- tursinn, der in jedem Menschen liegt, in ihnen staͤrkte; hauptsaͤchlich machte er sie in dieser Absicht viel rechnen. Er brachte es auch darmit innert Jahr und Tagen dahin, daß sie vor langer Zeit gaͤhnten, wenn jemand vor ihnen von den sieben Sachen, womit das Hartknop- U fen Volk den andern Leuthen im Dorf das Blut so leicht warm machet, ein Wort verlohr. So wahr ist es, daß man die Menschen vom Irrthum abzufuͤhren, nicht die Worte der Tho- ren widerlegen, sondern den Geist ihrer Thor- heit in ihnen ausloͤschen muß. Es hilft nichts zum sehen, die Nacht zu be- schreiben, und die schwarze Farbe ihrer Schat- ten zu mahlen: nur wenn du das Licht anzuͤn- dest, kannst du zeigen was die Nacht war, und nur wenn du den Staaren stichst, was die Blind- heit gewesen. Recht sehen und hoͤren ist der erste Schritt zur Weisheit des Lebens; und Rechnen ist das Band der Natur, das uns im forschen nach Wahrheit vor Irrthum bewahrt, und die Grundsaͤule der Ruhe und des Wohlstands, den nur ein bedaͤchtliches und sorgfaͤltiges Be- rufsleben den Kindern der Menschen bescheret. Daher war meinem Lieutenant auch nichts so wichtig, als seine Kinder wohl rechnen zu lehren, und er sagte: der Kopf gehe dem Men- schen nicht recht auf, wenn er nicht entweder durch viele grosse Erfahrungen oder durch Zah- lenuͤbungen, welche diese Erfahrungen zum Theil ersezen, eine Richtung erhalte, die dem Fassen und Festhalten dessen was wahr ist, an- gemessen. Aber die Art wie er sie rechnen lehrte, ist zu weitlaͤufig, als daß ich sie euch umstaͤndlich zeigen koͤnnte. Sein Einmal Eins hatte diese Form. Und war so ausgesprochen. 2 und 2 sind 4 2 mal 2 sind 4 2 in 4 geht 2 mal und denn fort: 2 und 2 sind 4 und 2 sind 6 3 mal 2 sind 6 3 in 6 geht 2 mal 2 in 6 geht 3 mal. — Und so machte er sie das ganze Einmal Eins mehr studieren, als auswendig lehrnen. — Er suchte ihnen alle Arten Zahlenver- aͤnderungen dahin heiter zu machen, daß sie vor ihren Augen als ein einfacher gerader Vor- und Rukmarsch der 10 ersten Grund- zahlen erschienen. U 2 — Und hatte zu diesem Endzwek verschie- dene Tabellen verfertiget. Z. Ex. Erste Veraͤnderung der zehen Grund- zahlen mit 1. das gleiche abgezogen: Diese Tabelle lief denn gleich fort durch alle 10 Grundzahlen. Denn folgte eine mit gedoppelten Zahlen, und lief wieder durch alle Zehner wie die erste durch alle Einer. Hinter dieser hatte er eine sehr grosse Ta- belle die in jeder einzelnen Grundzahl bis auf 100 fortschritt, und deren Form folgende war: U 3 So tabellarisch er aber im Anfang zu Werk gieng um das Verhaͤltniß der Zahlen gegen einander ihnen so einfach und heiter, und un- verwirrt als moͤglich in den Kopf zu bringen; — so fest und anhaltend uͤbte er dann hinten nach ihre Aufmerksamkeit, diese Zahlenver- haͤltniß ausser dieser Tabellenordnung in jeder andern Ordnung wieder zu finden. §. 69. Ein bewaͤhrtes Mittel wider boͤse luͤgen- hafte Nachreden. E r machte auch hierinn aus seinen Kindern was er wollte, und es konnte nicht an- derst seyn, als daß ein Mann der so viel an diesen that, nicht vielen Leuthen lieb werden mußte. Und doch war bey weitem auch nicht jeder- mann mit ihm zufrieden. Das was man zu allererst an ihm aussezte, war: er sey zu stolz zu einem Schulmeister, und moͤge den Leuthen das Maul kaum goͤnnen. Er sagte dieß und das sich auszureden, und wollte ihnen begreiflich machen, er brauche sei- ne Zeit und sein Maul fuͤr ihre Kinder. — Aber die Bauern meynten, bey allem dem koͤnnte er doch noch auch ein paar Augenblik still stehen, wenn man etwas mit ihm reden wollte; — und wenn ihn nicht der Hochmuth stechen wuͤrde, so wuͤrde ers thun. Zwar widersprachen alle Kinder hierinn ih- ren Eltern, und sagten er sey gewiß nicht hoch- muͤthig. Aber das half nichts, diese antworteten ih- nen: wenn er schon mit euch gut ist, so kann er um deswillen doch hochmuͤthig seyn. Aber das Regenwetter, das in der dritten Woche, da er Schul hielt, einfiel, richtete bey den Leuthen fuͤr ihn aus, was die guten Kin- der mit allem ihrem Reden nicht fuͤr ihn aus- richteten. Es ist eine Ordnung in Bonnal, daß sint 20 Jahren ein verfauleter Steig vor dem Schulhaus nicht einmal wieder gemacht wor- den; und die Kinder, wenns ein paar Tag nach einander geregnet, fast bis an die Waden hinauf naß werden muͤssen, wenn sie uͤber die Kengelgaß in die Schul wollen. Aber das erste mal, da der Gluͤphi die Gaß so voll Wasser sah, stuhnd er, so bald die Kin- der anftengen zu kommen, in vollem Regen in die Mitte der Gaß hinein, und lupfte eines nach dem andern uͤber den Bach. Das dunkte ein paar Maͤnner und Weiber, die gerade vor der Schul uͤber wohnten, und just diejenige, die am meisten klagten, er moͤge U 4 den Leuthen vor Hochmuth kaum guten Tag und gute Nacht sagen, gar lustig. Sie hatten eine rechte Freude daran zu se- hen, wie er in seinem rothen Rok durch und durch naß werde, und bildeten sich ein, er moͤ- ge es keine Viertelstund erleiden, und werde ihnen augenbliklich rufen, ob ihm dann Nie- mand helfen koͤnne? Aber da er fortmachte, wie wenn keine Kaze, geschweige ein Mensch um ihn herumwohne, der ihm helfen koͤnnte, und Haar und Kleid, und alles an ihm tropfte, und er immer noch keinen Schatten Ungeduld zeigte, und immer noch ein Kind nach dem andern hinuͤber lupfte, fiengen sie doch an hinter ihren Fensterscheiben zu sagen: — er muß doch ein guter Narr seyn, daß er so lang fort macht, und wir muͤs- sen uns, scheint es doch, geirret haben; wenn er hochmuͤthig waͤre, so haͤtte er schon lang aufgehoͤrt. Endlich krochen sie gar aus ihren Loͤcheren hervor, stuhnden zu ihm zu, und sagten, sie haben es nur nicht eher gesehen, daß er sich so viel Muͤhe mache, er solle doch heimgehen, und sich troknen, und sie wollen die Kinder schon hinuͤber lupfen, moͤgen es eher am Re- gen erleiden als er, sie seyen sich eher gewohnt. Noch mehr, sie wollen noch, eh die Schul aus seye, ein paar Tannen zufuͤhren, daß wie- der ein Steg sey, wie vor altem. Sie sagten es nicht bloß. Eh es 11 Uhr laͤutete, war wirklich ein Steg da, daß die Kin- der nach der Schul trokenen Fusses uͤber den Bach gehen konnten. Und auch die Klage uͤber seinen Hochmuth verlohr sich, jezt da die zwey Nachbarswei- ber, die am schlimsten uͤber diesen Punkt uͤber ihn klagten, das Lied daruͤber anderst anstimm- ten. Wenn dich das viel dunkt, Leser! oder un- glaͤublich, so probiers nur selber, und stehe auch einmal fuͤr andrer Leuthen Kinder, ohne daß dich jemand heißt, und ohne daß du etwas davon hast, in den Regen hinaus bis du trop- fend naß wirst, und sieh denn, ob die Leuth, die die Kinder etwas angehen, dir nicht gern auch liebes und guts nachreden, und liebs und guts thun, und gewiß auch boͤses nicht mehr von dir sagen werden, als was gewiß boͤs, und recht boͤs, oder was sie einmal nicht an- derst ansehen, oder begreifen koͤnnen. §. 70. Narrenwort und Schulstrafen. A ber es gieng nicht lang, so hatten die Leu- the wieder etwas uͤber ihn zu klagen, und noch etwas viel haͤrters. Das Hartknopfen Geschmeiß im Dorf fand, er sey kein rechter Christenmensch, und fieng unter der Hand an, guten und einfaͤltigen Leuthen im Dorf das in Kopf zu spinnen. Ei- ner der ersten, dem dieses Gemurmel behagte, und der eifrigsten, die es auszubreiten suchten, war der alte Schulmeister. Er konnte nicht leiden, daß die Kinder den neuen Mann alle so ruͤhmten und liebten. Ihn hatten so lang er Schulmeister war, alle gehasset und alle ge- scholten, und er war dessen sint dreyßig Jah- ren so gewohnt, daß er meynte, es muͤsse so seyn, und behauptete, Kinder die noch ohne rechte Erkanntnuß ihres Heils seyen, hassen von Natur die Zucht, und folglich auch alle Schulmeister. Aber jezt kam er mit dieser Einbildung nicht mehr recht fort, und es dunk- te ihn, die Leuthe werden ihm sagen, die Kin- der lieben jezt ja den Schulmeister, weil er gut sey. Das machte ihn haͤßig, dann er ward sein Lebtag immer haͤßig, wenn man ihm darauf deutete, sein Schalknarrenwesen sey die Ursach, daß ihn die Kinder nicht lieben. Und doch wars die reine Wahrheit, und konnte nicht anderst seyn; wenn sie das Ge- ringste thaten, das ihm zuwider, so war sein erstes Wort, — ihr bringet mich um Leib und Seel, und noch dazu ins Grab. — Oder wenn ihr die Hoͤlle um nichts verdienet, so ver- dienet ihr sie ob mir, und dergleichen. Wenn man so mit den Leuthen redt, und insonderheit mit Kindern, so macht man ih- nen nichts weniger als gut Blut, und sie muͤß- ten wohl mehr als Kinder seyn, wenn sie ei- nen Narren, der alle Augenblike so ein Wort zu ihnen sagt, noch lieben koͤnnten. Sie wußten aber beynahe voͤllig, mit wem sie zuthun hatten, und wenn er auch am laute- sten that, sagten sie zu einander: — wenn wir jezt bald wieder mezgen und ihm Wuͤrst und Fleisch bringen, so kommen wir denn nicht mehr in die Hoͤll hinab, so lang er davon zu Mittag hat. Jezt wars anderst, das staͤrkste, das der Lieu- tenaut zu seinen Kindern sagte, wenn sie fehl- ten, war: „du bist ein schlechter Kerl, oder aus dir giebt nichts. So wenig als das war, so wuͤrkte es; denn es war wahr. Was der andere sagte, war eine Luge, und wuͤrkte darum nichts. Und denn brauchte er bey seinem Strafen auch das Narrenholz selten, das der Alte im- mer in Haͤnden hatte, und in den Haͤnden des Alten war es sicher ein Narrenholz. Die Art hingegen wie der Gluͤphj strafte, bestuhnd mehrentheils in Uebungen, die dem Fehler den er bestrafen wollte, durch sich selber abhelfen sollten. Wer aus Traͤgheit fehlte, mußte ihm zu der Schuͤzenmauer die er den groͤssern Buben bey der Sandriesi machen wollte, Stein tragen, oder Ofenholz in Vorrath spalten. Der Vergeßliche mußte ihm Schulbott seyn, und 3-4-5 Tag je nachdem er fehlte, ihm im Dorf ausrichten, was er darinn auszurichten hatte. Er war mitten im Strafen gut mit den Kin- dern und redte fast nie mehr mit ihnen, als waͤhrend sie ihre Srafe litten. Ists dir nicht besser, sagte er denn oft zu dem Vergeßlichen, du lehrest auch deine Sinnen bey dem was du thust, beyeinander halten, als daß du alle Augenblike alles vergessest, und denn alles doppelt thun muͤssest? Und man sah dann manchmal Kinder mit Thraͤ- nen sich an ihn anschmiegen, und ihre zitternde Hand in der seinen, ja! Lieber Herr Schul- meister! zu ihm sagen. Gutes Kind, antwor- tete ihm dann der Mann, weyne nicht! aber gewoͤhne dich anderst, und sage deinem Vater und deiner Mutter, sie sollen mir helfen, dir deine Vergeßlichkeit oder deine Traͤgheit auch abzugewoͤhnen. Ungehorsam, der nicht Vergeßlichkeit war, strafte er darmit daß er 2-3 und 4 Tag mit einem solchen Kind nicht redte, und ihns auch nicht mit sich reden ließ. Auch freche Worte und alle Unanstaͤndigkei- ten bestrafte er auf diese Art. Bosheiten hingegen und das Liegen bestrafte er mit der Ruthe, und ein Kind das mit der Ruthe bestraft ward, dorfte eine ganze Woche nicht mehr in die Schul kommen, und sein Nahme stuhnd diese Woche uͤber an einer schwar- zen Tafel an der Stud die in der Mitte der Schulstube ist. So groß war der Unterscheid der neuen und der alten Schulordnung. §. 71. Das Elend und die Leiden dieses Nar- ren. A ber das Gute, das der Alte alle Tage mehr davon hoͤrte, brachte ihn fast von Sinnen. Er war in aller Absicht das, was das Schul- meister Handwerk aus einem erzschwachen und dabey einbildischen Menschen nothwendig ma- chen muß. Im Anfang that er dik und stolz; er hielt den neuen Mann fuͤr nichts anders als fuͤr eine Art Soldatenbetler, dem die Allfanze- reyen, die er um des Junkers Suppen willen in der Schul treibe, nur gar zu bald von sich selber erleiden werden, und verglich das ganze Wesen, wo er hin kam dem schwangern Berg in der Fabel. Aber da es nicht gerade in der andern Woche kam, wie er meynte, sondern ihm vielmehr seine besten Leuthe Tag fuͤr Tag mehr mit dem Bericht kamen, es ruͤhme ihn bald jedermann, und es sey wie verzaubert und wie wenn ers den Kindern anthun koͤnne, so richte er mit ihnen aus was er wolle; so ward ihm daruͤber so angst, daß er mit seiner Fabel vom schwan- gern Berg ganz stille ward. Die Maus die daraus hervor kam, duͤnkte ihn jezt ein Ele- phant, und nahm ihm den armen Kopf so ein, daß er auf das Wort hin, „es sey wie ver- zaubert“, sich vorstellte, es koͤnne gar wohl so etwas darhinter steken, und bey Nacht und Nebel anderthalb Stund weit zum Senn im Muͤnchhof huͤlpete, und ihm Geld anbot, wenn er dem Schulmeister dafuͤr thun koͤnne. Dieser aber traute sich nicht, und sagte, wenn es Kuͤh oder Stieren oder Roß antref- fen wurde; so wollte er ihm wohl helfen, aber an einen Schulmeister der etwas koͤnne die Kinder zu lehren, moͤge er sich nicht wagen, er habe den Fall noch nie erlebt. So ungetroͤstet vom Muͤnchhoͤfler wußte er sich ein paar Tage nicht zu rathen, bis das Hartknopfen Gemurmel: der neue Schulmei- ster seye kein rechter Christenmensch, und das ewige Heil der armen Kinder sey in Gefahr, wenn sie unter seinen Haͤnden bleiben, ihn wie aus dem Schlaf wekte, und seinen Sinnen wie wieder neues Leben gab. Es war ihm jezt nicht mehr, der neue Mann sey wieder ihn, es war ihm, er sey wieder den lieben Gott. Und das macht einen Unterschied in einem solchen Kopf; er kehrte von nun an alles auf diese Seite. Er hieß ihn einen Heidenmann, seine Schul eine Heidenschul, und verglich das was man darinn trieb der Kaufhausarbeit im Tempel zu Jerusalem, das mit samt dem Schulmei- ster nichts bessers verdiene, als daß ihm gehen sollte, wie es der liebe Heiland den Dauben- verkaͤufern und den Geldwechslern gemacht habe. — In diesem Ton redte er jezt uͤber alles. — Das nicht mehr Auswendiglehrnen des un- verstaͤndlichen und verwirrten Wortkrams, das der Pfarrer nicht mehr wollte, hieß er eine Verlaͤugnung des wahren Glaubens. — Und das Verkleiben der Streitfrage die dem Michel Juk das Leben gekostet, eine Verstuͤmm- lung des geoffenbahrten Willens Gottes, mit dem Zusaz: wenn man eine jede Frage ver- kleiben wollte, die einen Todschlag veranlasset haͤtte, so solle man in der ganzen Christenlehr die Frage zeigen, welche man denn nicht ver- kleiben muͤßte. Doch redte er nur so, wenn er allein war. Denn er war nicht von der alten Art der muthvollen ehrlichen Phantasten, die Leib, Ehr, und Blut, von Brod will ich nur nicht reden, an das sezten, was sie fuͤr Gottes Sach an- sahen, sondern vielmehr von der Art der neuen Muthleeren und aͤngstlichen Zuker- und Caffee- Phantasten, die ihrem Leib und Blut, und auch ihrem Brod nothwendig so viel Sorgfalt, auch noch mehr als die Nichtphantasten, an- gedeyen lassen muͤssen; weil sie mehrentheils wie der Schulmeister von Jugend auf verderbt, schwaͤchlicher Natur sind, und also zu reden Leibs halber nicht ehrlich seyn koͤnnen, oder wenn das zu viel gesagt ist, doch sicher Leibes halber grosse Schwierigkeiten haben, auf die Art ehrlich und muthvoll zu seyn, wie sie leh- ren, daß man gegen Gott und Menschen es seyn sollte. Er redte also nur, wo er allein war, und wo er trauen doͤrfte, also, und trug alle Sorg, daß der Junker es nicht etwann erfahre, und ihm dafuͤr das Fronfasten-Geld nehme, wel- ches er ihm gelassen, wenn er den Schulmei- sterdienst schon nicht mehr versehen muͤßte. Aber es that ihm so weh, daß er sein Herz so so wenig erleichtern und seine Gesinnungen und Empfindungen daruͤber so grausam verschluken mußte; daß er manchmal wie ein Narr darob ward, und so gar etliche mal in der Mitte der Nacht aufstuhnd, und mit einer Geissel in der Hand an Stuͤhl und Baͤnken probierte, wie es auch kaͤme, wenn einer, wie der Heiland im Tempel, die Spinnraͤder und Schreibtisch in der Schulstuben so unter und uͤber sich kehrte, und mit samt dem Heidenmann die Stege hin- ab, und aus seiner Schul hinausjagte. Zwar gab er auch da bey sich Acht, daß Thuͤr, Fenster, und Laͤden beschlossen seyn. Aber seine Schwester, des Sigristen Frau, die unter dem gleichen Dach wohnte, stuhnd einmal, da er so ein Gepolter machte, in der Nacht auf, und sah ihm durch das Schluͤssel- loch zu, was er machte. Es duͤnkte sie nicht anderst, als er muͤßte hinterfuͤr im Kopf seyn; sie wekte ihren Mann zur Stund auf, sagte ihm, was sie gesehen, und Morndes fragten ihn beyde, was es doch auch seye? Er gestuhnd es ihnen, es wandle ihn manchmal so an, daß er nicht schlafen koͤnne, bis er seinen Eifer gegen den Heiden- kerl, der ihn so aus seiner Schul verdrungen, auf eine Art, wie er koͤnne, abgekuͤhlt. Es ist so traurig, sagte sein Bruder, und X biß auf die Zaͤhne, daß du ihn nicht an ihm selber abkuͤhlen darfst. Ja, sagte der Schulmeister, ich habe schon manchmal daran gedacht, wenn nur das ver- fluchte Fronfastengeld nicht waͤre, so weiß ich schon, was ich thun wollte; — und nach ei- ner Weile sezte er hinzu, wenn mich etwas in meinem Glauben irre machen koͤnnte, so waͤre es das: wie der liebe Gott es zulassen kann, daß seine treue Diener ihren wohlverdienten Lohn und ihr taͤgliches Brod aus der Hand sol- cher Heidenkezern ziehen sollen, denen sie so tausendmal um deswillen schweigen muͤssen, wenn sie noch so grosses Recht gegen sie haben. Seine Frau sagte, sie seye einmal froh, daß er nicht hinterfuͤr seye. Der Siegrist antwortete ihr: er koͤnmte es aber doch werden, wenn er so weder Tag noch Nacht keine Ruhe habe. Und sie riethen ihm beyde, er solle in Got- tes Nahmen die Sachen nicht so zu Herzen nehmen, und einmal des Nachts nichts mehr dergleichen thun, man wisse doch nicht, was einem dabey begegnen koͤnnte. — §. 72. Allerley wunderliche Wirkungen die vom Duͤrsten herkommen koͤnnen. S o verwirrte es diesen Mann, daß das Schulhaus fuͤr ihn zu war. Andere und mehrere verwirrte es, daß das Wirthshaus fuͤr sie zu war. Arner hatte es nemlich, seit dem der Teufel den alten Wirth nehmen wollen, beschlossen, und nun gab es alle Tage mehr Leuthe, denen das nicht recht lag, und die auf diese oder jene Art anftengen sich herauszulassen, der Miß- brauch einer Sache hebe den guten Gebrauch derselben nicht auf; und der Wein seye eine Gabe Gottes, die er selber den armen Bau- ren, die doch auch sonst so wenig in der Welt haben, wohl goͤnnen moͤge, wenn sie ihn nur mit Bescheidenheit brauchen, und so, daß sie darbey beym Verstand bleiben. So redten jezt Leuthe, von denen kein Mensch geglaubt haͤtte, daß sie jemals dem Wein oder dem Wirthshaus das Wort reden wuͤrden. Andere die sich weniger schaͤmten, zu zeigen, warum es ihnen zu thun sey, fuͤhrten dann noch eine andere Sprache, und denn daheim in ihren Haushaltungen ein Leben, daß es ein Grausen, so daß einiche Weiber und Kinder X 2 im Dorf den groͤßten Jammer hatten, und die wunderlichsten Reden daruͤber im Dorf her- umgegangen. Die Muͤggerin sagte in den ersten acht Ta- gen bey dem offenen Brunnen: es wuͤrde den Junker wohl lehren das Haus wieder aufthun, wenn er nur ein paar Tage so eingesperrt seyn, und es haben muͤßte wie sie bey ihrem Mann, seitdem dasselbe zu seye. Des Aebis Elsi sagte gar: sie wollte lieber in die Hoͤlle als es ein halb Jahr so haben, wie jezt, seitdem ihr Mann nicht mehr ins Wirthshaus koͤnne. So klagten viele Weiber uͤber ihre Maͤnner. Andere aber klagten wie diese uͤber das beschlos- sene Haus. — Die Rhynerin mit der rothen Nase machte von deswegen das schoͤnste Kalb sterben, das im Dorf war; sie gab ihm seit dem Tag, da das Haus zu war, seine Sache nicht mehr in der Ordnung, und noch dazu Ribbstoͤsse, wenn es nicht im Augenblik recht wie sie wollte, zu der Kuh zustuhnd. — Wenn mans so macht, so ists mit einem Kalb und mit einem jeden jungen Geschoͤpf bald aus. Es gieng auch manches darauf. — Was will ich sagen? selber ihre Kinder empfanden beym Strehlen und anderm mehr, daß ihren Muͤttern ganz gewiß etwas nicht recht liegen muͤsse. — Und der Leuͤppi machte auf seinem Todbett um deswillen nicht wie ein Christen- mensch, und gab dem Pfarrer, da er zu ihm kam und ihn fragte, wie es auch gehe? zur Antwort, es sey am Einpaken, wenn er mit wolle. Der gute Pfarrer schuͤttelte den Kopf, und sagte, was das auch fuͤr eine Rede sey in seinen Umstaͤnden? Der Kerl aber fuhr in sei- nem Ton fort — es sey kein Wunder, daß er so rede, es gebe ja einem nur niemand mehr kein Glas Wein auf den Weg — wenn man vor Durst erstikte; — und hiermit kehrte er sich um, und murrte gegen die Wand, und der Pfarrer, der sah, daß er jezt minder bey ihm nuͤze als bey einem Haupt Vieh, gieng von ihm fort, schikte ihm eine Flasche Wein; er leerte sie aus und starb. Laßt euch das nicht aͤrgern; es geschieht gar zu viel dergleichen unter dem Mond, ihr muͤs- set denken, ihr Menschen, wenn der Mann eine Viertelstund ehe der Pfarrer zu ihm gekommen, ein Glas Wein gehabt, so haͤtte er auch wie ein anderer Christenmensch auf dem Todbett abge- hoͤrt, was er zu ihm gesagt und mit ihm gebe- tet haͤtte. — Aber jezt giengs einmal so. Der boͤse Durst brachte gar viele Leute zu Sachen, die sie sonst nicht gethan haͤtten. Ihrer viele, z. Ex. die bey Jahren keinen Tropfen Milch getrunken, liessen jezt alle Tage ein paar Beken sauer wer- X 3 den, damit sie doch auch etwas haben, das sie auf der Zunge und im Hals an den Wein mahne. Mit diesem kam in vielen Haushaltungen das einige Gute, das diese Lumpen Weib und Kindern sonst noch liessen, das lezte Beken Milch auch noch fort. Der Kriecher und seines gleichen giengen jezt am Morgen und Abend selbst in Stall zu melken, und sperrten ihre Geißmilch auf den Tropfen ein, damit kein Kind davon trinke, weil sie noch suͤß sey. Das, und hundert und hundert dergleichen Sachen, machten Kreuz und Jammer in vie- len Haushaltungen auf das aͤusserste steigen, so daß alle Tage mehr Leuthe anfiengen zu sa- gen, es dunke sie in Gottes Namen bald, es waͤre noch besser, wenn’s wieder waͤre wie vor Altem; doch war auch nicht alles dieser Mey- nung. Wer am lautesten dagegen redte, und am meisten dawider eiferte, war das Baum- wollen-Mareilj. Es gab seinen Spinnerweibern allemal, wenn sie in seiner Stube so anfangen wollten zu klagen: der Junker haͤtte vielen Suͤnden und Schanden, und vielem Fluchen und Schwoͤren vorbiegen koͤnnen, wenn er das Haus offen ge- lassen, deutsch zur Antwort: sie seyen Narren, und reden nur vom Fluchen und Schwoͤren; aber an die Hauptsache, von der das Fluchen und Schwoͤren herkomme, und die der Junker in die Ordnung machen wolle, an diese denken sie nicht. Ich moͤchte, sagte es ein andermal zu ihnen, um das Fluchen und Schwoͤren nicht die Hand umkehren. Wenn die Leute in der Unordnung sind, und boͤs und verderbt, so ist es noch bes- ser, sie zeigen sich wie sie sind, als daß sie es verbergen, und man nicht wisse, wo man mit ihnen zu Hause. — Wieder einmal sagte es: es ist sicher besser, sie zanken jezt mit einander vor Durst, als ihre Kinder fressen einmal ein- ander vor Hunger. — Einer diken Frau, die ihm klagte, ihr Mann bringe sie noch unter den Boden, nahm es einen Fuͤnfbaͤzler aus dem Sak, und sagte ihr, willst du das mit mir wet- ten, du erlebst noch, daß du mit deines Manns Beinen Nusse hinabbengeln kannst? Andere, die im Ernst litten, troͤstete es wie es konnte, und redte mit etlichen Maͤnnern so, daß sie aus Forcht vor ihm daheim zaͤhmer thun muͤssen. Und immer wies es die Leuthe auf den Jun- ker, und behauptete kek: er werde dieses gewiß nicht in die Laͤnge so gehen lassen, sondern auf die oder diese Art dafuͤr sorgen, daß es anderst komme. X 4 §. 73. Hauptsachen fuͤr Leuthe, die sich einfallen lassen, sie koͤnnten ein Dorf regieren. E s hatte recht. — Er war nicht der Mann, der um eine Unordnung abzustellen, eine neue anrichtete, und denn diese sorgenlos ih- ren Weg gehen ließ. — Sobald er vernom- men, was die Wirthshauslumpen daheim fuͤr ein Leben fuͤhrten, dachte er auf Mittel, sie den Tag uͤber aus ihren Haͤusern wegzuloken, und oͤfnete zu diesem Endzwek wenige Tage darauf die Torfgruben, die er in der Naͤhe von Bonnal hatte. Dadurch gab er mehr als 50 Tagloͤhnern einen guten Verdienst, und die mei- sten Wirthshauslumpen stuhnden wegen der Langenzeit, die sie daheim hatten, und auch wegen dem Abendtrunk, den er diesen Arbei- tern der Woche zweymal versprechen ließ, an diese Arbeit. — Und so kam er dahin, auf der einten Seite einen grossen Theil dieser Dorf- leuthen dadurch, daß er sie zu einer bestimmten Tagsarbeit brachte, nach und nach im Grund zu andern und zu bessern, und Haussitten anzu- ziehen — und auf der andern Seite eben so dem Hauselend, das er mit dem Beschliessen des Wirthshauses veranlasset, abzuhelfen, und die armen Weiber, die seither eine solche Roth mit ihren Saufmaͤnnern hatten, den Tag uͤber von ihnen zu erloͤsen. Auch erkannten die Wei- ber, was er ihnen dadurch Gutes gethan. — Und die Geschlagensten unter ihnen konn- ten, wo sie einander antrafen, nicht genug ruͤh- men und sagen, wie gut es sey, daß der liebe Gott ihm das in den Sinn gegeben. Aber wenn er heut einer Unordnung abhalf, so gabs morn eine andere, und wenn er heut eine Schwierigkeit besiegte; so fand er morn eine neue im Weg. Es ist natuͤrlich; es braucht etwas ein gan- zes Dorf in eine andere Ordnung zu bringen, und denn war noch bald in einer jeden Gaß jemand, der einem jeden Schritt, den er dazu that, wie mit Fleiß Hindernisse in den Weg legte. So wie die zehndfreyen Aeker den Spin- nerkindern mit jedem Tag sicherer und uͤber- haupt die Hausordnung, und die Umstaͤnd der Armen besser wurden, so stieg die innere Unzu- friedenheit der neidigen Reichen, und ihrer Weiber, und ihrer Toͤchter, — und ihrer Soͤhnen. Und denn hatten ihm die Vorgesezten noch nichts weniger als vergessen, daß er sie ob Sa- chen, die sie nicht anderst gemacht als ihre Vaͤter und Großvaͤter, dennoch als wenn sie die faͤulsten Schelmen gewesen, vor einem halbdozend Bet- telbuben niederknien und abbitten gemacht. Am meisten aber machte das: die Reichen waren bis jezt gewohnt die Armen als eine Art Knechte anzusehen, die wie dazu gebohren seyen ihnen um den halben Lohn, den sie an- derstwo haben koͤnnten, alle Arten Dienste zu thun, und es machte z. E. einer solchen diken Frauen gar nichts, ihre arme Gevatterin einen ganzen Nachmittag bey ihr arbeiten zu machen, und sie denn am Abend vor dem Nachtessen mit einem Stuͤk Brod, und etwann einer ab- genommenen Milch heimzuschiken. Aber es ist vorbey, — Gevatterin hin, und Gevatterin her: die Armen wollen das nicht mehr so verstehen, und kommen ihnen nicht mehr, ausser sie geben ihnen so viel Lohn als sie daheim oder anderstwo in der gleichen Zeit verdienen konnten. Darinn haben sie auch ganz recht. Aber darinn haben sie unrecht, daß sie, so bald sie einen Eken blauen Himmel sahen, frech und unverschaͤmt wurden, und Leuthen, bey denen sie nur vor ein paar Wochen gebet- telt, jezt die unverschaͤmtesten Antworten ga- ben. So ließ die Huͤrnerbeth der Huͤgin, die ge- wiß wenn je eine im Dorf eine gute Frau ist, da sie ihr bey einem starken Reger sagen ließ, sie soll doch zu ihr kommen, und ihr helfen das Wasser das ihr gegen den Keller laufe ablei- ten, zur Antwort sagen: was sie auch denke, daß sie ihr solche Botten schike? Es sey nicht mehr die alte Zeit, sie habe jezt auch ihre Ge- schaͤfte, und ihre Haushaltung, und koͤnne ihr nicht mehr zu Gebott stehen wenn sie wolle. — Und dergleichen Antworten gab das Bettelvolk jezt bald alle Tage, und brachte die Reichen dadurch natuͤrlich gegen sie in Harnisch, und denn auch gegen Arner, dessen Wohlthaten an der Aenderung ihrer Umstaͤnden schuldig. Es ist traurig, — man kann nicht anderst, wenn man so etwas hoͤrt, man muß an das Thier denken, das kriecht und waͤdelt wenn es hungert, und die Zaͤhne zeigt, wenn es den Wanst voll hat. §. 74. Fortsezung aͤhnlicher Hauptsachen fuͤr die gleichen Leuthe. A ber auch Leuthe, die sich nicht mit diesem Thier vergleichen lassen, und solche die dem Junker gar nicht zuwider waren, machten Nachrichten, die dem Guten, das er im Dorf betrieb, den groͤßten Schaden thaten. Selbst sein Huͤnertrager Cristoff machte ihm so einen Streich, und rief einmal, da er mit ei- nem halben Rausch uͤber den Berg kam, vor vie- len Haͤusern in Bonnal anstatt „jung Dauben“, jung Dauben. — Wer hat jung Dauben feil? Jung Teufel, — Jung Teufel: — Wer hat jung Teufel feil? Das machte den Leuthen in den meisten Haͤu- sern boͤses Blut; sie meynten nemlich, er stichle auf ihren dummen Teufelsglauben, den sie mit dem Allment theilen so theuer zahlen muͤssen: — und noch dazu, er sey aufgewiegelt; und wer den Junker haßte, und dem was er wollte gram war, trieb dieses so hoch er konnte. Die Vor- gesezten und das Hartknopfenvolk redten nicht anderst, als wie wenns eine ausgemachte Sache sey, daß der Junker darhinter steke; und es gab Leuthe die mit troknen Worten heraus sag- ten: — ein Mann, dem vom Catechismus an bis zum Wirthshaus nichts recht liegt, was die Alten machten, ist nicht zu gut hiezu. — Der Huͤnertraͤger vernahm selber, und noch an gleichem Abend, wie man das Narrenwort aufnehmen und erklaͤren wollte. Das machte ihm, wenn er schon halb betrunken war, so bang, daß er die ganze Nacht darob nicht schlafen konn- te, und am Morgen, so bald er ins Schloß kam, und seinen Korb in der Kuͤche abgestellt, den Junker suchte, und ihm erzaͤhlte, was ihm gestern im Rausch fuͤr ein Narrenstreich ent- wischt. Er haͤtte nicht leicht etwas thun koͤnnen, das diesen verdruͤßlicher machen koͤnnen. Er befahl ihm auf der Stell wieder nach Bonnal zu laufen, und bey allen Haͤusern, vor denen er so Teufel ausgerufen zu sagen, daß wenn er noch einmal nuͤchtern oder im Rausch so ei- nen Streich spiele, so habe er fuͤr den Junker seiner Lebtag genug jung Dauben und jung Guͤggel ausgerufen und eingekauft. Auch bey den Torfgraͤbern erfuhr der Jun- ker, daß die so es mit ihm hielten und so zu reden seine Parthie ausmachten, dem so er suchte die groͤßten Hinternisse in den Weg legten. Von der ersten Stund an, die er bey diesen Arbeitern zubrachte, zeichneten sich ihm zwey Bruͤder bey jedem Anlaß als die arbeitsamsten ordentlichsten und gutmuͤthigsten vor allen an- dern aus; und er suchte wie natuͤrlich gegen sie besonders liebreich zu seyn, aber sie wurden allemal beyde roth, wenn er nur ein Wort zu ihnen sagte. Er wußte lange nicht, was das bedeute? Endlich erfuhr er, sie seyen dem Siegrist und dem Schulmeister verwandt, und erschreken darob, wenn er nur ein Wort zu ihnen sage, weil sie glauben, er wuͤsse nicht, daß sie in eint und anderm nicht seiner Meynung. Der Junker verdoppelte auf diesen Bericht seine Freundlichkeit gegen sie, sie wurden aber immer gleich roth. Und die andern, wenn sie ihn so freundlich gegen sie sahen, stoßten auch immer die Koͤpfe zusammen, und sagten sich dies und das daruͤber ins Ohr; er that aber, als ob er nichts merkte. Endlich sagte ein- mal einer so nahe an ihm zu, daß er es deut- lich verstuhnd, wenn er wuͤßte mit was fuͤr ei- ner Partie sie es halten so liesse er sie sicher mit seiner Freundlichkeit ungeschoren. Da kehrte er sich um, und sagte dem Mann, er solle jezt die gleichen Worte noch einmal und das uͤberlaut sagen. Er mochte wollen oder nicht, er mußte. Da solltet ihr die Tagloͤh- ner gesehen haben, wie sie den Kopf strekten, und die Ohren spizten, was der Junker daruͤ- ber sage. Die zwey Bruͤder aber wurden beyde so blaß wie der Tod, und hielten das erste mal, daß es Arner sahe, mit einander die Haͤnde still. Arner sah dann die Tagloͤhner, die so die Haͤlse strekten, mit ein paar Augen an, die so viel redten, daß er haͤtte schweigen koͤnnen, man haͤtte ihn gleichwohl verstanden. Aber er redte doch und sagte dann, wie lang wollet ihr mich doch nicht kennen? und was habe ich auch gethan, daß ihr also von mir urtheilet, und glauben koͤnnet, ich sey im Stand Leuthen um deswillen, daß sie anderer Meynung sind als ich, unfreundlich zu begegnen? Nach diesem gieng er gegen die zwey Bruͤder, die etliche Schritte von ihm wegstanden, zu, bot ihnen beyden mit einander die Haͤnde, und sagte zu ihnen: — Und ihr? koͤnntet ihr das auch glauben? Sie sahen ihn einen Augenblik an ohne zu reden; bald darauf sagte der Aeltere: Ja Junker! wir habens geglaubt, und ich will euch den graden Weg sagen, was daran die Schuld ist. Da klagte er ihm, die Hand immer in seiner haltend; es gaͤbe Leuthe im Dorf, die sich groß damit meynen, einen jeden, der mit einem Wort sich verlauten lasse, als wenn er uͤber etwas anders als der Junker und der Pfarrer denke, so unverschaͤmt anzufahren und zu be- gegnen, daß man sich bald mehr forchten muͤsse, uͤber etwas so zu reden wie man daruͤber denke, als weis nicht was zu thun. Der Junker war betroffen, und sagte, man kann nichts thun, das mehr wider mich ist, und wider das so ich suche — als just das. — Und doch thuns Leuthe, die nichts weniger glauben, als daß sie euch zuwider handeln, sagte noch einmal der Christoff, so hieß der aͤl- tere der Bruͤder. Und da die andern sahen, daß es der Junker nicht uͤbel aufnehme, gaben ihm ihrer eine Men- ge Beyfall, und etliche die mehr als halb hart- knoͤpfisch waren, trieben es noch weiter, und sagten laut: ja es meyne bald ein jeder Geissen- bub, er doͤrfe sich nur hinter den Junker verste- ken, um sein Maul uͤber alles zu brauchen wie er wolle. Das Wort, Geissenbuben, brachte etliche von des Junkers Parthie in die Hiz, und die Augen gluͤheten einem jungen Mann, der sich da stellte und antwortete: Man muß unpartheyisch seyn, und die Sachen auf beyden Seiten sagen, wenn man davon reden will; und es ist so, wenn Nar- ren von dieser Gattung dergleichen thun, sie haben den Junker zum Ruͤken, so thun Narren von der andern Gattung dergleichen, sie ha- ben den lieben Gott zum Ruͤken, und ich meyne das seye noch viel das schlimmere. Der Junker mußte jezt daruͤber lachen, und sagte: ich kann nichts daruͤber sagen, als sie sind alle beyde Narren. Der Christoff widersprach das auch nicht, und sagte vielmehr, er moͤchte nichts weniger, als daß man meynte: er glaube, alle Leuthe die dem Junker und dem neuen Wesen zuwider, seyen um deswillen recht und brav, und gehen in den Sachen zu Werk wie sie sollten; es sey ihm genug, daß er jezt sehe, daß der Junker den geraden Weg gehe, und einem jeden seine Freyheit lasse. Der Junker sagte ihm hieruͤber: Es geht mir hierinn vollkommen wie dir; — ich moͤchte sicher sicher auch nichts weniger als denken, daß Leu- the die meine Brille auf die Nase sezen, um deswillen um ein Haar braͤver seyen als Leuthe mit andern Brillen. Und es freuet mich gewiß auch, daß ich sehe, daß du eben so natuͤrlich den geraden Weg gehest, und andern Leuthen die Freyheit, die du selber gern hast, auch gern lassest. Und ich kann nicht sagen, erwiederte der Christoff, wie es mich freuet zu sehen, daß wir in diesen Stuͤken so nahe bey einander. Lieber Christoff! nimm das fuͤr immer an, — Leuthe, die es gut meynen, sind im Grund nie weit von einander, und finden sich immer, so- bald sie sich nur gegen einander erklaͤren, sagte der Junker. Dieses Wort und seine Guͤte gegen die zwey Bruͤder, und wie er sich gegen sie erklaͤrt, und wie sie ihn begriffen, ward am gleichen Tag dem ganzen Dorf kund. Und es schwaͤchte, wie noch nichts, den blin- den Eifer, den das Hartknopfen-Volk einer Menge Leuthen im Dorf gegen den Junker, und alles was er machte, ins Herz gebracht hatte. Dieser Eifer ist von jeher das, wodurch in Sachen die im Streit sind, der so unrecht hat, sein Unrecht am leichtesten bedeken kann. Auch hatte das Hartknopfen-Volk Nase ge- nug, es zu riechen, daß es ihm ans Herz gehe, Y wenn der Eifer gegen diesen Mann im Dorf aufhoͤren sollte, und sie thaten alles moͤgliche, daß das nicht geschehe; sie verschreyten die zwey Bruͤder, die sich haben von ihm einnehmen las- sen, als Mameluken, die den Mantel nach dem Wind haͤngen, und bewegten, so zu reden, Himmel und Erden, ihre Blinden zu warnen, um in ihrer Sprache zu reden, daß sie die Au- gen nicht aufthun, die Freundlichkeit der Hei- den zu sehen, die wider Gott sey. Aber es half nichts; sie konnten nicht hin- dern, daß nicht alle Tage mehr Leuthe anften- gen zu sehen, wie freundlich und gut Junker und Pfarrer und Schulmeister seyen, und es in allweg meynen. Und mit dem kam das Volk in Bonnal auf den Punkt anzufangen, mit Angelegenheit sel- ber nachzuforschen, was dann auch eigentlich das Streitige in dem neuen Wesen sey, davon man so viel Aufhebens mache. §. 75. Ein Schritt zur Volkserleuchtung, die auf Fundamenten ruhet. D er Lieutenant hatte seine Bonnaler immer auf diesem Punkt erwartet, um mit ih- nen uͤber diese Sachen mit der ganzen Deut- lichkeit, die er in alles hineinbringen konnte, was er mit Angelegenheit uͤberlegt hatte, zu reden. Er hatte von nun an alle Abende ein halb Dozend und mehr junge Leuthe bey sich, denen er stundenlang mit seiner unnachahmlichen Ge- dult links und rechts in den Kopf hineinzubrin- gen suchte, was der Junker und der Pfarrer im Grund suchen, und worinn und warum man sie unrecht verstehe? Unter den jungen Leuthen, mit denen er so redte, war ein Lindenberger, der ganz ausser- ordentlich in alles hineindrang. Es war vol- lends, wie wenn alles schon vorher in seiner Seele gelegen, so brauchte es nur einen Wink es aus ihm herauszubringen. Wenn er nur eine Viertelstunde hernach von dem redete, was der Lieutenant eben erklaͤrte, brauchte er schon kein Wort mehr von seinen, sondern hatte schon eigene Bilder und Ausdruͤke, welche zeigten, daß er, was er sage, ganz aus dem Seinigen nehme. Auch sagte der Lieutenant, da er ihn kaum ein paar mal reden hoͤrte, zum Pfarrer: dieser Mann wird dem Hartknopfen-Geschmeiß den Kopf zertreten. Er irrete sich nicht, er zertrat sie wie Wuͤr- mer, sobald er anfieng uͤber ihre Meynungen das Maul aufzuthun. Y 2 Das schreklichste fuͤr dieses Geschmeiß, des- sen ganze Kraft im Maul und in leeren unver- staͤndlichen Worten bestuhnd, war des Manns seine Kuͤrze, und daß ihn jedermann verstuhnd und verstehen mußte. Sie konnten ihm nicht antworten; man ver- stuhnd sie nicht mehr, weil man ihn verstuhnd, oder vielmehr man begriff, weil man ihn ver- stuhnd, daß man sie nie verstanden. Er verglich das Auswendiglehrnen der Re- ligion, das der Pfarrer nicht mehr haben wolle, dem Unsinn eines Bauern, der ein Pferd oder einen Ochs mit starken Ketten an allen vier Fuͤs- sen anbinden, und so am Bahren lahm ma- chen wuͤrde, damit er ihm nicht weglaufe. Das Verkleiben der Mordfrage verglich er der neuen verlesenen Giftordnung. Und auf den Einwurf: die Leuthe koͤnnten ja auf diese Art die Religion selber und alles was sie Gutes wissen und haben, verlieren, gab er zur Antwort: es duͤnke ihn, das sey just so viel als wenn man sagen wuͤrde, Bauern- kinder koͤnnten ihres Vaters Aker und Matten verlieren, wenn er sie nicht auswendiglehrnen lassen wuͤrde, wo sie liegen? an wen sie anstos- sen? was man das Jahr darauf thun muͤsse? und sezte hinzu: wuͤrde nicht jedermann so ei- nem Bauern sagen: du Narr! das beste Mit- tel, daß deine Kinder ihre Guͤter nicht verlie- ren, ist daß sie brav darauf schaffen — und wenn du sie am Morgen fruͤh und am Abend spath darauf hinausjagst, so wird ihnen besser als mit dem Auswendiglehrnen in Kopf kom- men, wo sie seyen? Die Roß an seinem Zug sind nicht so stark, und die Furchen, die er mit ihnen ins Feld zie- het, sind nicht so grad, als die Ausdruͤke und Bilder die er brauchte; aber wenn er in Eifer kam, so wurden sie auch so schneidend wie sein Pflug, mit dem er vom Morgen bis am Abend sein Land wie nichts umlegte. Und wenn er Schurken vor sich sah, so war er denn bald im Eifer. Der Staͤndlj-Saͤnger Christen erfuhrs auf eine schrekliche Art. Er ließ sich durch Essen und Trinken verfuͤhren, daß er ihm im Bart- haus wiedersprach, und Gotteswort und der Seele Heil, und was man beym Kinderlehren in Acht nehmen muͤsse, ins Maul nahm. Der Lindenberger zog sein Gesicht in Falten, so wie der Himmel sich vor einem Wetter in Falten zieht, sobald der Kerl nur das Maul aufthat, und antwortete ihm denn: Du, es muß einer nuͤchtern seyn an Seel und Leib, und nicht lahm, und nicht aussaͤzig wie du, wenn er das Wort Gottes und der Seele Heil ins Maul nehmen, und davon reden will, wie man Kinder erziehen und zu Menschen machen Y 3 soll, die, behuͤt uns Gott davor! einmal dei- nen nicht gleich sehen. Es muß einer kein Vater seyn, wenn er nicht lieber vom Donner erschlagen seyn wollte, als von so einem Wort getroffen. Auch zitterte der Staͤndlj-Saͤnger, dem man sonst Lumpenhund, und alles was man wollte, sagen konnte, ohne daß ers zoͤrnte, jezt am ganzen Leib; es war aber auch zu erschreklich, denn es war ganz wahr; er konnte es darum auch nicht aushal- ten, und mußte fortgehen. Aber da er zur Thuͤre hinaus war, sagte doch ein alter ehrlicher Uhlj: Jaͤ — Linden- berger, das ist doch zu hart! und ich muß dir sagen, es ist mir einmal noch nicht, daß du in allen Stuͤken recht habest; gerade z. Ex. will es mir gar nicht in Kopf, daß es mit dem Aus- wendiglehrnen der Religion just so sey, wie du behauptest. Noch immer in der Hiz, antwortete der Lin- denberger: lieber Uhlj! es toͤnt freylich hart, wie ichs sage, aber nur weil wir von Jugend auf gewohnt sind, es anderst zu hoͤren. Oder ists nicht so? uͤberlegs, und gieb mir dann eine Antwort. Wenn einer einem Kind eine Heiden- und Zigeunerreligion in Kopf bringen wuͤrde — wie es dann kaͤme? — Sez, er wuͤrde das Duͤmmste, das du nur erdenken koͤnntest, ihm also beybringen: z. Ex. die Sonne sey der liebe Herrgott, der Mond seine Frau, und die Ster- ne seine guten artigen Kinder, und nimm denn an, es waͤren viel dike grosse Buͤcher in der Welt, in denen viel hundert und aber viel hun- dert Menschen sich seit hundert und aber hun- dert Jahren Muͤhe gegeben, diesen Zigeuner- glauben zu erklaͤren, und vernuͤnftig und gut aufzumuͤzen, und tausend Gruͤnde aufzusuchen, warum man ihn annehmen muͤsse, und wie man zeigen koͤnne, daß er wahr und gut sey, und man antworten koͤnne; wenn jemand sag- te, er sey nicht wahr und nicht gut. Und denk’ denn, dieser Mann wuͤrde seinem Kind, ehe es wuͤßte was rechts oder links ist, die Haupt- sachen dieses Zigeunertraums einpraͤgen, ihm seinen Glauben am Himmel zeigen, und ihns machen Freud daran haben, und Thraͤnen dar- uͤber weynen, und Lieder daruͤber singen, und denn, wenn es anfienge zum Verstand zu kom- men, ihns das Gescheidste und Beste, das es in diesen Buͤchern uͤber seine Himmelsreligion fin- den wuͤrde, auswendig lehrnen liesse, und ich mag nicht reden, weis nicht was noch mehr thaͤte, um ihm Kopf und Herz fuͤr seine Sonn- und Sternenreligion einzunehmen. Kannst du denn finden, so ein Kind muͤßte uͤber diesen Punkt im Kopf und an der Seele nicht wie Y 4 lahm werden? und wenn du dieses findst, so findst du alles, was ich habe sagen wollen. Solche Blizworte waren freylich fuͤr die mei- sten Leuthe zu stark, aber sie zuͤndeten doch Licht an, und sezten hie und da Leuthen daruͤber den Kopf auf den rechten Flek, die denn weniger Feuer hatten, und stiller und sanfter daruͤber redten. Das Eis war so gebrochen, die Angst fiel alle Tag mehr weg, die man ehedem hatte, von diesen Sachen nur zu reden; und so wie die Angst wegfiel, regte sich die Neugier, und trieb selber die alten Großmuͤttern, wenn ihre Enkel vom Lieutenant heim kamen, und denn von diesen Sachen redten, hinter dem Ofen hervor zu hoͤren, was es denn auch mit dem neuen Wesen seye, von dem man die Zeit her so viel murmle. Und je mehr man so dem Grund der Sachen nachforschte, je heiterer kams na- tuͤrlich heraus, es sey einmal nicht so schlimm, und nicht so boͤs darmit gemeynt, als man im Anfang habe ausstreuen wollen. Auf der andern Seite aber klagten denn auch viele Leuthe, es sey ein so grosses Uebel, man wisse gar nicht mehr, woran man sich hal- ten kann, und was man glauben soll, weil die Leuthe bald alles und selbst das Wort Gottes der eine so und der andere anderst erklaͤre. Viel wußten sich uͤber diesen Einwurf gar nicht zu helfen; aber das Baumwollenmareylj, das doch weder schreiben noch lesen kann, fand ungesucht die rechte und die einige Ant- wort, die man uͤber diesen Punkt geben kann. Es sagte seinen Spinnerweibern, die ihm auch ins Haus kamen uͤber diesen Punkt zu klagen: es hat schon gefehlt wenns einem uͤber das was Gottes Wort sagen wolle oder nicht sa- gen wolle aufs erklaͤren und das was andere Leuth dazu sagen, ankommt! Aber wie machst du es dann, wenn es dir nicht aufs erklaͤren ankommt? Wie ich das mache? Ihr guten Leuthe, ihr solltets wohl wissen, es sind ja genug Sa- chen in der Welt, die von Gott selber sind, und ob denen man nicht verirren kann, was Gott wolle, daß ein jeder Mensch in der Welt seye und thue. Ich habe ja Sonn, Mond und Sternen, und Blumen im Garten, und Fruͤchte im Feld, — und denn mein eigen Herz. — Und meine Umstaͤnd, sollten mir die nicht mehr als alle Menschen sagen, was Gottes Wort seye? und was er von mir wolle? — Nehmet nur grad ihr selber, wann ihr vor mir zustehet, und ich euch in Augen ansehe, was ihr von mir wollet, und was ich euch schuldig: — und denn da die Kinder meines Bruders, fuͤr die ich versprechen muß, sollten die nicht das eigenthuͤmliche Wort Gottes an mich seyn? das auf eine Art an mich gerichtet ist, und mein eigen gehoͤrt, wie es an keinen andern gerichtet, und keinem andern gehoͤrt; und das ist gewiß von Gott, und ich kann mich gewiß nicht verirren, wenn ich mir das andere Wort Gottes durch nichts in der Welt als das, er- klaͤren lassen will. Und die Spinnerweiber konnten ihm nicht abseyn, daß Sonn und Mond und Sternen, und des Menschen Herz, und seine Umstaͤnde einem jeden Menschen das Wort Gottes fuͤr ihn recht und unverirrlich und genugsam erklaͤren. §. 76. Vom Aendern alter Maschinen, und vom Aufweken von den Todten. S o faßte von Tag zu Tag der Saame des Guten und Wahren in Bonnal immer mehr Wurzel. Doch waren die Fruͤchte ihrer Arbeit nichts weniger als allgemein; das alte Volk, das im Sumpf des vorigen Lebens grau geworden, kam mit Kopf und Herzen nicht mehr nach. Der Pfarrer hatte sich auch an die schlimm- sten gewaget, aber wenn er denn alle Muͤhe und Arbeit verschwendet; so wars am End immer nichts. So lang er neben ihnen zu- stuhnd, schienen sie wohl einem Anlauf zu neh- men, aber mehrentheils giengs keine 14 Tage, bis er sahe, daß sie noch die Alten sind, und die Alten bleiben werden. So giengs ihm mit dem Triefaug. Er hatte kaum sich von dem Schreken erholet, und ein paar mal wieder wohl geschlafen, so war ihm schon alles aus dem Kopf, was ihm vor der Voͤgtin Todbett das Herz ein wenig, vor ein paar Tagen, weich gemacht hatte. Und so wie dieses wegfiel, wuchs in ihm wieder die Bitterkeit uͤber den Junker, daß er ihn so auf der Tragbahren im Bett uͤber den Kirchhof unter die Linde tragen lassen, und ihm einen Schimpf angethan, wie man keinem Hund anthun sollte. Er war wie rasend daruͤ- ber, wenn er daran denkte, daß er einmal uͤber das andere in Keller lief, seine Wuth zu ver- treiben, und es kam ihm kein Sinn mehr dar- an, das, was er dem Pfarrer mit dem Doktor Miller versprochen, zu halten. Zwar schlug er es ihm nicht in den Bart hin- ein ab; aber er hatte immer einen Vorwand, wenn dieser davon redte. Bald mußte er noch Schriften und Papier zusammen suchen, ehe er es thun koͤnnte. Bald es sey noch die Frage, ob dem Doktor Miller damit gedient sey? Bald, es sey nur Wasser in See getragen, und der Miller habe ja studiert, und wisse am kleinen Finger mehr, als er am ganzen Kopf; — und wieder, wenn der Herr Doktor etwas mit ihm wolle, so wisse er ja wohl wo er zu Hause sey? Aber es stuhnd dem Doktor Miller auch nicht an, ihm dafuͤr nachzulaufen. Er sagte dem Pfarrer deutsch: er glaube nicht, daß er et- was wisse, und noch weniger, daß er ihm et- was sage; und denn muͤsse er gestehen, moͤge er nicht, daß man ihm nachrede, daß er ihm dafuͤr nachgelaufen, und sich dafuͤr habe zum Narren halten lassen. Aber der Pfarrer, der immer bis zur Ein- falt seinem guten Herzen folgte, ruhete nicht, bis er sie einmal bey einander hatte, und brachte es endlich bey einem Mittagessen im Pfarrhaus dahin. Der gute Mann gab das Beste, was er in der Kuͤche und im Keller hatte, und that alles was er konnte, den Henkerskerl in gute Laune zu bringen; er sezte ihn oben an, trank zuerst seine Gesundheit, und sagte beym ersten Glas, sie wollen naͤchstens mit einander ins Schloß, der Junker werde ihnen dann einen andern ein- schenken als dieser sey, wenn er hoͤre, daß sie so mit einander gut Freund worden. Der Miller ließ sich das Untenansizen und alles gefallen, weil sonst niemand da war, und der Pfarrer ihm vorher das Ehrenwort gethan, er soll es doch nicht achten, er richte sonst mit dem alten Narren nichts aus. Es hatte im Anfang auch den Anschein, wie wenn es dem Pfarrer nicht fehlen wollte. Das Triefaug soff drauf los, und sieng an so gespraͤchig zu werden, daß dieser meynte, er werde, ehe er vom Plaz aufstehe, auskramen, was er im hintersten Winkel wisse. Es war nichts weniger; er redte kein wahres Wort, und schnitt auf, daß der Miller, wenn ihm schon der Pfarrer einmal uͤber das andere winkte, und ihn noch mit den Fuͤssen unter dem Tisch stoßte, daß er schweige, sich doch nicht mehr halten konnte, und ihm wiedersprach. Nun wars aus; das Triefaug sieng jezt an ihn anzuschnauzen: wenn ers besser wisse, so solle er reden, und er wolle schweigen; doch sah er, so sehr er einen Rausch hatte, es dem Pfarrer an, wie wehe es ihm gethan, daß es so gehe; aber es machte ihm so viel als einer Kaz, wenn man ihr kaltes Wasser angeschuͤttet. Er blieb nur noch um die Glaͤser zu leeren. Das war schon laͤngst tod in ihm, was den Menschen warm macht, wenn sie sehen, daß sie jemand kraͤnken; — das plagte ihn nicht mehr. Was ihn plaget, ist die Langezeit, die er hat, seitdem die Tragbahrenhistorie ihm seine Kundsame vertrieben. Er klagte auch einem jeden alten Weib, das bey ihm still stuhnd, wie ihn das plage! Und da sein Vetter von Audorf, dem er sonst, wenn er ihm nur den Schatten sah, immer ruͤhmt, wie gut ers habe, und wie ein grosses Gluͤk es fuͤr ihn sey, daß sein Großvater ehrlich worden, jezt auf einer Reise ins Oberland bey ihm zusprach, sieng er an die hellen Thraͤnen zu weynen, und ihm zu klagen, wie es ihm jezt gehe, und wie er oft bey ganzen halben Tagen keine lebendige Seele in seiner Stube sehe. Der rohe Vetter gab ihm zur Antwort: er solle nur zu ihnen hinabkommen, und da soll er den ganzen Tag Leute genug und alles ha- ben, was er nur wuͤnsche. Das leuchtete ihm wohl ein, aber es kam ihm uͤbers Herz, so aller Ehre gute Nacht zu sagen; doch bey mehrerm Nachdenken, da er fand, es sey schon aller Ehre gute Nacht ge- sagt, entschloß er sich innert 14 Tagen das Haus zu beschliessen, und ins Land hinunter zu zie- hen, zum Meister Johannes, dem Henker in Audorf. Mit dem Hu m el kams auch nicht viel anderst; da sich der Jast, in dem ihn der Pfarrer die ersten paar Wochen erhalten, nach und nach sezte, so zeigte es sich alle Tage mehr, daß nichts aus ihm werden konnte, wenn er auch selber noch so gern wollte. Die uͤber 60jaͤhrige Maschine war vom alten Leben so ausgebraucht, daß sie auf der andern Seite wie gerostet war, und keinen Lauf mehr hatte. Er empfand es auch selber, und wenn er davon redte, brauchte er den Aus- druk: es sey mit ihm nicht anderst als mit einem abgestandenen Wein, so lang man ihn schuͤttle und ruͤttle, schiene es wohl, er habe noch etwas Geist, wenn man ihn denn aber nur ein paar Stunden stehen lasse, sey es gleich wieder die abgestandene Luͤren. Es war wirklich, wie er sagte, und ich wuͤßte ihn auf der Welt nichts besserm zu vergleichen als so einer Luͤren; er war so abgestanden daß er oft bey halben Stunden in seiner Stube saß, und das Maul offen hielt, wie wenn er verruͤkt waͤre. Auch der Hartknopf blieb der Alte. Es war ein Wind, daß er dem Pfarrer in seiner Noth einmahl so recht gab, und selber einzu- sehen schien, er haͤtte sich mit seinem Maul der Religion gar nichts annehmen, sondern auf seinem Struͤmpfweberstuhl schaffen, und durch seinen Verdienst und seine Arbeiten ein ehrli- cher Kerl zu werden suchen sollen. Er pro- bierte es wohl ein paar mahl wie es kaͤme, wenn er dem Pfarrer folgte, aber er mochte es nicht mehr erleiden; die Aerme thaten ihm in allen Gelenken bis an den Ruͤkgrath hinab weh, wenn er darauf zuschlagen sollte; das blosse Sizen auf dem Stuhl machte ihm schon uͤbel, so sehr ist er davon weggekommen. Er hilft sich also wieder mit Leuth betriegen und dem Maul, und sucht den Leuthen die Historie mit dem ge- stohlnen Rokfutter aus zu schwazen, so gut er kann; doch bringter seinen alten Verdienst nicht mehr auf den Zehnden. Auch darf er noch im- mer der jungen Frauen die ihm seine Maular- beit mit Essen und Trinken am besten bezahlt, ihres Manns halber, nicht ins Haus hinein. Aber uͤberhaupt behagte das neue Wesen allem Volk, das auf Maulsachen und Ein- bildungen viel halt, und hingegen mit den Haͤn- den und Fuͤssen nichts anstellen kann, gar nicht wohl. Doch machte die kranke Kienastin hierinn eine Ausnahm, sie hub sich am Rand des Grabs aus den Suͤmpfen ihres Maullebens, und ih- rer Maulreligion unglaͤublich empor, und trat jezt voͤllig mit dem Pfarrer in den Gesichtspunkt ein, daß die Lebenspflichten der Menschen der einzige aͤchte Lehrmeister ihres wahren Wissens und ihrer besten Erkenntnissen seye. Es schien auch etliche Tage, als ob man wie- der alle Hoffnung fuͤr ihr Aufkommen haben koͤnne; seitdem sie ihre Geiß im Haus hatten, die der gute Junker ihnen gesandt, aß sie alle Tage Tage einige Loͤffel Milch, da sie vorher bey Wochen gar nichts gegessen hatte. Sie ward auch noch uͤberall anderst, nahm an allem, was vorfiel, Antheil; und was ihr gutes begegnete, und die Liebe ihres Manns und ihrer Kinder machten ihr auch wieder Freude, und die Hoff- nung, wenn sie im Grab seye, werde ihre Haushaltung gluͤklicher seyn, und ihre Kinder vernuͤnftiger handeln lehrnen, als sie in der Welt nicht gehandelt, brachte auf ihrem Tod- bett eine Ruhe und Heiterkeit in ihr Herz, die sie in ihrem Leben nie hatte, und die ihrem ge- beugten Mann und ihren Kindern oft Freuden- thraͤnen auspreßten. Auch wars zu Thraͤnen bringend, wie die guten Leuthe dem Pfarrer oft dankten, daß er diese Frau vor ihrem Tod noch zu einem so guten Muth gebracht. Er hatte diese Freude so wenig, und es that ihm so weh, wenn er nach aller Arbeit nichts ausrichtete, und nach langen vergebenen Hoff- nungen sehen mußte, daß mit einem Menschen gar nichts zu machen. Er war wuͤrklich daruͤber zu schwach. Man muß es auch koͤnnen, den Menschen verlohren geben, wenn er verlohren ist. — Man muß ihn ja auch todt lassen, wenn er todt ist; — und es ist umsonst daß man seinen Leib aus dem Grab ruft. — Aber es ist nicht minder umsonst, daß man seinen getoͤdeten innwendi- Z gen wieder zum Leben ruft; weh thut es freylich, und alle gute Menschen haben dieses Leiden. Auch der Lienert hatte seinen Theil davon. Er that seinen Tagloͤhnern von dem ersten Tag, da sie bey ihm schaften, was er konnte, sie zu gewinnen, und hatte eine Geduld und eine Nach- sicht mit ihnen, und eine Sorgfalt fuͤr sie, daß man haͤtte glauben sollen, wenn sie auch wilde Thier gewesen waͤren, sie haͤtten ihm muͤssen anhaͤngig werden. Aber sie sind nicht wilde Thier — sie sind verderbte Menschen. Es wirkte just das Gegentheil von dem, was er suchte, auf sie. Und es geht nicht anderst, wenn ein Mensch zu gut ist, und mehr gut ist, als er sollte, so giebt er Schurken gegen sich das Messer in die Hand, und der schlechteste Kerl kan ihm blizschnell also uͤber den Kopf wachsen, daß er, sobald er ihm einmahl etwas abschlagen, und zu etwas nein sagen muß, denn die groͤßten Unverschaͤmtheiten gegen ihn wagt, und so gar Rache an ihm ausuͤbt, bloß weil er sich nicht von dem verwoͤhnten Purschen aufs aͤusserste treiben lassen will. Der arme Lienert kam just in diesen Fall. Die Hauptlumpen von seinen Tagloͤhnern hat- ten kaum vernommen, der Junker gebe den Torfgraͤbern zwey mal in der Woche einen Abendtrunk; so murmelten sie unter einander, es gehoͤre ihnen auch, und es sey niemand schuld als er, daß sie ihn nicht bekommen: es brauchte nur, daß er ein paar Wort davon beym Jun- ker fallen lassen wuͤrde, so haͤtten sie ihn sicher. Was sie am ersten Tag hinter ihm brummel- ten, das sagten sie ihm morndes ins Angesicht; und da ers ihnen abschlug, und antwortete: sie sollen denken, daß es ein Unterschied sey, den ganzen Tag im Wasser zu stehen und zu arbei- ten, und am Morgen und am Mittag eine hal- be Stunde weit an seine Arbeit zu gehen, wie es die Torfgraͤber muͤssen; und hingegen, so zu reden, unter seinem Dach und vor der Haus- thuͤre zu seinen Taglohn zu finden, wie sie es haben; so wurden sie auf diese Antwort so wild uͤber ihn, daß sie, wie wenn er ihnen das groͤste Unrecht angethan haͤtte, alle Unverschaͤmthei- ten wagten, und sogar von Stund an Rache an ihm auszuuͤben, und ihm alles moͤgliche zu leid zu thun trachteten; auch wenn er nicht den Michel an der Hand gehabt haͤtte, so haͤtten sie ihm die groͤsten Unordnungen mit den Gesellen und mit der Arbeit angerichtet. Aber dieser, der uͤber diesen Punkt sein rech- ter Arm war, nahm den Kriecher und den Marx, da er eben dazu kam, daß sie ihm ein paar Gesellen aufwiegelten, solchergestalten ab- saz, daß ihnen die Lust nach fernerm Aufwie- geln und sogar nach fernerm Arbeiten auf dem Kirchhof vergieng, und sie noch vor dem Nacht- Z 2 essen ihren Plaz mit ein paar Torfgraͤbern tauschten. O! wenn ich doch nur machen koͤnnte, daß dieser Mann noch mehr guten Leuthen in der Welt, die es wie der Lienhard noͤthig haͤtten, der rechte Arm seyn, und mit Schelmen und Heuchlern fuͤr sie herumspringen koͤnnte, wie er mit ihnen herumspringen kann, was wuͤrd’ ich doch fuͤr Gutes ausrichten? Er hat die Seele der Schurken in seiner Hand, weil er sie kennt, und wenn er mit ih- nen zu Red kommt, so kann er sie zerreissen, daß man meynt, man sehe sie zwischen seinen Zaͤhnen. §. 77. Gluͤk und Arbeit wider Teufelskuͤnste. I ch moͤchte die neue Untervoͤgtin so zwischen seinen Zaͤhnen sehen. Es ist nicht minder. Sie probierte, damit sie den Hubelrudj der Meyerin aus dem Kopf bringen, und denn desto eher mit ihrem Vetter zurechtkommen koͤnnte, den Grausen (Ekel), den sie an der Meyerin kannte, bey ihr wider den Rudj zu reizen, und zu machen, daß ihr Ekel sie anwandle, wenn sie nur an ihn denke: und sobald sie dieses im Kopf hatte, so ent- sprangen, ohne daß man wuͤßte wie? und wo- her? auf einmal die wunderlichsten Geruͤchte uͤber diesen Mann. Man sagte sich im ganzen Dorfe die schand- barsten, unflaͤtigsten Dinge uͤber ihn ins Ohr, schonte weder der Frauen unter dem Boden, noch der unmuͤndigen Kinder. Ich darf nicht ins Maul nehmen, was man alles sagte, und erzaͤhle das einige davon. Man sagte uͤber die Frau selig, ihre Gichter seyen, behuͤt uns Gott davor! eine Art Weh gewesen, das den Kin- dern selber noch im Blut steken koͤnne; und das Liseli mache in Gottsnamen Augen, daß man so etwas foͤrchten muͤsse, wenn man ihns nur anschaue. Der Teufel haͤtte nichts erfinden koͤnnen, das schlauer ausgedacht gewesen, den guten Rudj in seinen halben Hoffnungen zu prellen. Es erschuͤtterte die Meyerin, da es ihr zu Ohren kam, durch und durch, und wenn sie nur eine Viertelstund gewartet, daß der Schre- ken sich sezen, und ihr Ekel Fuß greifen koͤnnen, so waͤre der Untervoͤgtin ihr Absehen wie gewiß wenigstens so weit gerathen, daß sie den Rudj auch nicht mehr haͤtte heurathen koͤnnen, wenn sie hinten nach schon zehn mal vernommen, daß an allem nichts wahr waͤre. Aber sie sprang in allem Feuer auf das erste Wort, das sie hoͤrte, zur Gertrud. Sie redete mit einer Heftigkeit, die dem Ekel, den sie sicher Z 3 gefasset haͤtte, wenn sie sich gemaͤßiget haͤtte, nicht Plaz gabe. Das rettete den guten Rudj. Sie stampfte in der ersten Minute, in der dritten hatte sie Thraͤnen in den Augen. So lang sie stampfte, ließ sie Gertrud fort- reden; da ihr aber Thraͤnen in die Augen ka- men, nahm sie sie bey der Hand, und sagte: du dauerst mich, aber du bist betrogen! Wer wollte doch auch Satans genug seyn, den graden Weg so etwas zu ersinnen? sagte da die Meyerin. Ich will nicht sagen, wer? erwiederte Ger- trud, und sah die Meyerin bey diesem Wort steif an; — aber Jemand, fuhr sie fort, hats ge- than und erfunden, das ist gewiß, und du kannst es draus abnehmen, daß man von allem diesem uͤber den Rudj kein Wort erzaͤhlt, so lang er ein armer Mann war, und von dir nichts wußte, und es aber jezt herum trommelt, da man hoͤrt, daß er dich bekommen sollte. Bey diesem Wort kam der Meyerin wie ein Bliz in Sinn, die Untervoͤgtin koͤnnte dahin- ter steken. Gertrud sahe ihr den Gedanken in den Au- gen, und hatte genug. Sie fuhr ruhig fort, und sagte: an deinem Plaz wuͤrd’ ich jezt die ganze Historie mit kaltem Blut ansehen, und auf der einen Seite mit Ernst nachforschen, ob das geringste daran wahr sey; auf der an- dern Seite aber mir auch nichts aufbinden las- sen, das faul und falsch ist. Die Meyerin erwiederte: du bist doch unpar- theyisch, und ich thaͤte nicht recht, wenn ich dir nicht wuͤrde folgen. Ich bin gewiß unpartheyisch, und behuͤt mich Gott dafuͤr, daß ich dir jemand moͤchte zu einem Mann rathen, der dir hinten nach, so wie du bist, auch wenn er es nicht verdiente, zuwider werden muͤßte. Die Meyerin druͤkte der Gertrud die Hand, und sagte: ich sehe dir an, daß dir ist, wie du sagst; und sezte hinzu: du bist doch immer brav. Wenn ich dir nur lieb bin, erwiederte Ger- trud; und nach einer Weile: — Aber gell, du lassest dir das doch jezt auch nicht so in den Kopf hineinwachsen, daß es dir etwann mit dem armen Rudj gehet, wie mit demselben andern? Was meynst? sagte die Meyerin. Und Gertrud: — Ha! daß du etwann auch wie ob Jenem im Traum so pfy Teufel rufen muͤssest! Nein! das muß mir sicher nicht begegnen, sagte da die Meyerin, und mußte lachen. Mit diesem Lachen aber war ihr das, was die Untervoͤgtin suchte, wie aus der Seele weggewischt. Der Grausen (Ekel), Z 4 worauf diese zaͤhlte, griff nicht mehr Plaz, und konnte nicht mehr Plaz greifen. Aber Unwillen uͤber den Teufel, der den ar- men Mann um ihrentwillen so anschwaͤrzen konnte, und Verdacht gegen die Voͤgtin herrsch- te in ihrer Seele, als sie von der Gertrud weg, langsam mit gesenktem Haupt wieder heim- gieng. Sie war noch nicht weit, und stieß auf die Susann, von der sie wußte, daß sie die Ge- ruͤchte wider den Rudj ausgestreuet. Es stellte sie still, da sie sie sah; — aber sie erholte sich bald, machte sich da blizschnell hin- ter das Mensch her, und brachte mit Vernunft und 20 Bazen heraus, was sie ahndete. Aber so sehr sie die Aussag der Waͤscherin zu- frieden stellte, so wurmte ihr dennoch, es koͤnn- te, wo nicht viel, doch etwann wenig dahinter steken. Das Spruͤchli der Alten vom Raͤuchlj und vom Feurlj wollte ihr nicht aus dem Kopf. Sie konnte nicht anderst, sie mußte noch lange und auf alle Weise nachforschen, ob denn gar nichts dahinter steke? Es fand sich gar nichts. Selber die rauhe Hallorin, die zehn Jahre mit ihm unter einem Dach gewohnt, und ihm und seiner Frauen bestaͤndig nicht wohl gewe- sen, sagte: sie koͤnne nicht sagen, daß nur das geringste von diesem wahr sey; und sezte hinzu: es waͤre etwas anders, wenn man sagte, sie sey eine liederliche Frau gewesen, und ein Narr, und habe den lieben Gott zwingen wollen, daß es in der Welt anderst gehe, als es geht, — und dergleichen. — Aber daß sie ein Weh an ihr gehabt, oder uͤber ihren Mann solche Kla- gen gefuͤhrt, und daß er ein Unflath sey, wie man jezt sage, das sey hundertmal nicht wahr, wenn mans auch hundertmal sage. — Und so wars allenthalben, es kam nichts heraus, als daß es Luͤgen seyen, und aber Luͤgen. — Hingegen vernahm sie durch ihr Nachfor- schen alle Tage neue Umstaͤnde von seinem al- ten Elend, von seiner Gedult und seiner Gut- muͤthigkeit; und das brachte ihr den Rudj jeden Tag naͤher ans Herz. Auch merkte die Voͤgtin allem was sie von ihr hoͤrte, deutlich an, daß es ihr innwendig nicht kommen wollte, wie sie meynte, und daß es uͤberall mit dem Meisterstuͤk, das sie fuͤr ih- ren Vetter probiert, so wenig gehen wolle als nichts. Der feißte Mensch hatte bis jezt nur noch nicht vernommen, daß ihm der Rudj in den Weg kommen sollte. Endlich da es alle Leuthe wußten, kams einmal auch ihm, da er eben unter der Thuͤre stuhnd, zu Ohren. Er blieb da wohl eine Viertelstund unter der Thuͤre ste- hen, und hatte das Maul vor Verwunderung offen; denn er konnte nicht begreifen, wie es moͤglich, daß ein Mensch, dem er mehr als einmal, wenn er in seinem Dorf gemezget, etwas abgehendes zum Allmosen gegeben, ihm Heurathens halber in den Weg kommen koͤnne. Als ihm aber endlich das Maul wieder zufiel, wurde er so wild, daß er eine Weile nicht wußte, was er machte, und sich, damit er wieder zu sich selber komme, zum Essen und Trinken hinter den Tisch sezen mußte; dadurch brachte er sich wieder so weit zu sich selber, daß er zu dem Schulmeister gehen, und ihm dann folgenden nachdruͤklichen Brief an die Unter- voͤgtin angeben konnte. Gott zum Gruß und Jesum zum Trost — Herzvielgeliebte Frau Bas Voͤgtin! I ch muß mich wie ein Hund schaͤmen, und moͤchte wild werden vor Zorn, was uͤber euere Geschwey (Schwaͤgerin) hier ein Gerede geht. Die ganze Kilchhoͤri (Ort) weist, daß ich ein Aug auf sie habe; ihr seyd allein schuld daran, sonst kein Mensch; ich waͤre schon laͤngst ver- sorget, wenn ihr mich nicht mit ihr aufgehal- ten haͤttet, und ich will wenig sagen, zehen und zwanzig Meitlj, die eben so huͤbsch und noch huͤbscher, und mit dem Geld denn ganz anderst bestellt sind als diese, wuͤrden die Finger nach mir leken, wenn ich nur Ja sagte; und ich weis gar nicht, was diese sich einbildet, und was sie meynt, daß sie besonders habe, und warum ich leiden sollte, daß sie mich aufzieht; und ich wuͤrde mich keinen Augenblik besinnen sie hoken (sizen) zu lassen, wie sie hoket, inson- derheit auf das hin, was man mir jezt von ihr erzaͤhlt; und nur allein euch zu gefallen, weil ihr es so gern haͤttet, und schon so viel Muͤhe damit gehabt hattet, will ich doch nicht grad voͤllig von ihr abstehen, und glauben, wenn es schon fast nicht zu glauben ist, es sey nicht wahr, was man von ihr erzaͤhlt. Aber lang will ich das doch nicht mehr so haben; und ihr koͤnnet es ihr nur sagen, wenn sie dieses wolle, oder es mit dem Bettelbuben sey, wie man redet, daß sie ihn neben mich stelle, so solle sie sich meiner nur kein Acht mehr nehmen. Dieses hab ich nicht unterlassen koͤnnen, euch zu schreiben. Womit, in den Schirm Gottes wohl befohlen, verbleibe, Herzvielgeliebte Frau Bas Untervoͤgtin, Euer getreuer Vetter, Hans Ulrich Ochsenfeißt, Mezger und Sonnenwirth. §. 78. Vom Rathen, Helfen, und Allmosen- geben. I ch verliere mich im Labyrint des grossen Bilds das ich machte, lege den Pinsel ab, und fasse meinen Traum im Ganzen. Wormit will ich Arners Thun vergleichen? — Es ist gleich dem Regentropfen, der von der Rinne faͤllt, und den Felsen hoͤhlet. — Aber wer kann die Tropfen zaͤhlen unter der Rinne am Dach, und ihre Kraft beschreiben, die den Felsen hoͤhlt? Ich kann es nicht, ich kann nur die Hoͤhlen zeigen im Marmor unten an der Rinne, und sagen, sie sind vom Reiben der Tropfen, die von ihr herabfallen: — ge- nug — das Fallen der Tropfen hoͤhlte den Felsen, wo er am haͤrtesten war. Der Eifer mit dem Spargeld in den Spin- nerhaͤusern brachte eine Menge Leuthe in eine bessere Ordnung, die sich sonst durch nichts da- zu bringen liessen; und man sah mit jedem Tag mehr Maͤnner und Weiber Theil an dem neh- men was er wuͤnschte, und suchte, und ihm so zu seinem grossen Ziel helfen. Die Reinoldin, es ist die so seinen Carl so hart gekuͤßt, und dem Kinderzug so lustig vor den grossen Haͤusern vorbeygeholfen, diese lies- se keinen Tag vorbey, daß sie nicht den Spin- nerweibern in ihrer Nachbarschaft, bey ihrem Eifer fuͤr die neue Ordnung mit Rath und That an die Hand gieng. Sie war von jeher wohl- thaͤtig, aber jeh da sie sah, daß der Arbeits- lust, und die Anfuͤhrung zur Ordnung und zum sparen den armen Leuthen in einer Woche mehr aufhilft als man ihnen mit keinen Allmosen bey Jahren aufhelfen kann, so aͤnderte sie zur Stund hieruͤber ihre Art, und schlug auch der besten Gevatermeisterin einen Mundvoll Brod ab, wenn sie nicht mit ihr auf den Grund ge- hen, und ihr lauter und klar zeigen wollte, wie sie stehe? Was ihre Haushaltung der Woche durch verdiene? wie sie das abtheile? und wa- rum sie nicht damit auskomme? Ihre erste Antwort, wenn ihr jemand eine Noth klagte, war jezt, ich muß mit dir heim, und in deiner Stube sehen, wo es dir eigentlich fehle, und wie dir zu helfen? Das behagte freylich vielen Leuthen, die ihr bis dahin ins blinde hinein bettelten, nicht. — Andere liessen sich helfen; an diesen that sie was eine Mutter; aber auch hatte sie erst, seitdem sie ihre Art hierinn geaͤndert, Freud an ihren Allmosen. Bis jezt that sie dieselbe als eine Art Schul- digkeit, so ohngefehr wie rechte Leuthe Zoll und Zehnden abstatten, gern und willig, aber ihr Herz war nicht darbey, und sie denkte nichts dabey; jezt wurden sie ihr zur Lust des Men- schen, der einem Kind aus dem Elend, das Gluͤk seines Lebens gruͤndet. Sie thut das, und giebt jezt ihren Armen nicht mehr nur Brod und Geld, sondern sich selber, und ihre Zeit, ihren Verstand, ihr An- sehen und alles, so gar ihren freudigen Muth, ihnen also zu helfen, daß ihnen wuͤrklich gehol- fen. Aber mitten indem sie ihnen hilft, legt sie ihnen auch Zaum und Gebiß in den Mund, daß sie gegen eine gute Hausordnung, auf die sie ihre Huͤlfe jezt baut, nicht aufschlagen doͤrf- ten, und legt nie keine Hand an, so lang ein Armer einen Krebs im Busen verbergen will, der ihre Huͤlf vereiteln, und was sie immer an ihm thaͤte, ihn doch zum Tod bringen wuͤrde. Man mag daruͤber sagen, was man will, gewiß ist nur das ein wahres Allmosen, wenn man macht, daß der so es empfangt, nicht fer- ner betteln muß. — Das ist wahr, oder das Allmosen ist nicht ein Opfer der Weisheit und Guͤte sondern etwas ganz anders. Ihre Mutter ist jezt auch wieder gut mit ihr. Da sie siehet daß der Junker mit seinen Sachen Meister wird, so ist ihr jezt auch recht, daß ihre Tochter ihm hilft. Sie ist ein sonderbares Mensch, diese Mut- ter. Bey allen Fehlern die sie hat, ruͤhmen sie viele Leuthe gar, und sagen, sie koͤnnte ein Koͤnigreich regieren, aber von allen, die sie so ruͤhmen ist nicht einer der behauptet, sie koͤnnte einen Menschen, der mit ihr unter einem Dach wohnte, gluͤklich machen. Eben so viel als die Reinoldin, und noch mehr that auch das Baumwollenmareylj, der Hausordnung im Dorf aufzuhelfen, und es war ihm noch gar viel leichter. Seiner Leb- tag mit den armen Leuthen und ihren Umstaͤn- den bekannt, war es bey ihnen so daheim, daß es in seinem eignen Haus nicht mehr da- heim war, und hatte darum nicht noͤthig, wie die Reinoldin in ihren Haͤusern nachzufor- schen, wie es mit ihrer Ordnung stehe, es sah es ihnen im Augenblik sonst an, und merkte es an jedem Wort das sie redten, an jedem Buͤndel Garn, den sie ihm auf den Tisch leg- ten. Es hat schon seitdem es Baumwollen aus- giebt, an vielen Leuthen mit Rath und That das gleiche thun wollen, aber unter dem alten Junker ist dieß umsonst gewesen. Ein Rath, ein gutes Wort hat da so viel genuzt, als eine Thrane im Krieg. Es ist umsonst unter einer Oberkeit wie der alte Junker den Menschen zu rathen. Nur da, wo eine Oberkeit ist, die zur Hausordnung Sorg tragt, und selber Hausordnung hat, nur da kann man das thun. Es war auch fuͤr das Mareylj, wie wenns nicht mehr im alten Dorf lebte, so fand un- ter dem neuen Junker ein jedes gut gemeintes Wort bey den Leuthen so gute Statt, und seitdem der Eifer auf Spargeld zu spinnen in sie hineingebracht worden, richtete es fast mit allen Haushaltungen, die ihm spinnten, in die- ser Absicht aus was es wollte. §. 79. Von der Wahrheit und vom Irrthum. E s fiel bald jedermann in die Augen, daß es sich im Dorf allenthalben aͤndere; denn auch von den schlechtesten Leuthen kamen bald in dieser, bald in jener Gaß einige sichtbar in eine bessere Ordnung, so daß wo die Weiber zusammenkamen, beym Brunnen auf dem Kirchweg, und im Barthaus, wo die Maͤnner, seitdem das Wirthshaus zu ist, ihr altes und neues zusammentragen, daß immer von nichts anderm die Red war. Aber viel und lang hiel- ten die meisten die neue Besserung der Leuthen fuͤr eine Art von Baͤttags- und Festfrommkeit, die so lang dauren werde, bis etwann eine Faß- nacht, oder Kirchweih auf die heilige Zeit fol- ge, die denn den Baͤttagsgesichtern ein End machen machen werde. Ihrer viele sagten daruͤber: es waͤre wohl gut, wenn man die Leuthe, so wie einen ledernen Handschuh umkehren koͤnn- te! aber wenn es moͤglich waͤre; so waͤre der Junker gewiß nicht der erste gewesen, dem es in Sinn gekommen, er werde auch nicht der erste seyn, dem es gelinge. Im Anfang hatten sie auch nur ihr Ge- spoͤtt daruͤber, und verglichen es dem Grap- pflanzen des alten Junkers, und der Arbeit mit seinen fremden Schaafen, und dem aller- hand andern Zeug, das er in seinem Alter auch so an Menschen und Vieh probieren wollen, aber es bald gut seyn lassen. Einer sagte einmal gar: es seye ja nur eine Hundsordnung, und erklaͤrte sich dann, wenn des Schaͤrers Hund dem Hummel sein gelbes Wasser nicht unter diesem Tisch aufgelappt, so wuͤrde glaͤublich die neue Ordnung in den Haͤu- sern, und aller Lerm den sie anrichte, sich nur niemand traͤnmen lassen. Einige Wochen spaͤter aber spotteten sie nicht mehr, sondern siengen an, allerley Gruͤn- de zusammen zu suchen, warum sie recht haben? und warum das neue Wesen nicht Bestand ha- ben koͤnne? So ist der Mensch, so lang ihn das, was er nicht gern hat, auch nicht wahr dunkt, so spot- tet er nur daruͤber; wenns ihm aber ahndet A a es koͤnnte doch wahr seyn, so fangt er an Gruͤn- de zusammen zu lesen, warum es nicht wahr seyn kann. Und uͤberall, was ihm ganz wahr ist, dafuͤr braucht er keine Gruͤnde, und sucht keine. Erst wenns ihm ahndet, er koͤnne sich irren, geht er auf das gefaͤhrliche Jagen nach Gruͤnden, auf welchem er so oft in die Labyrinthe des Irr- thums gerathet, wo fuͤr ihn keine Auswege mehr sind. Warum ist er ein Narr, und thut das? Was will der Mensch mit dem Jagen nach vie- len Gruͤnden? — Die Wahrheit ruhet auf ihrem Felsen als auf ihrem einzigen Grund. Die Unwahrheit hingegen hat ihre Lage immer hinter vielen Gruͤnden, und verbirgt sich hin- ter ihnen, wie hinter einem Haufen zusammen- gelesener Kieselsteinen. — Von da bringt sie aus den Schlupfwinkeln ihres Sizes den ar- men Jaͤgern nach Gruͤnden, Steine aller Art und Gattung und Farbe, wie ein jeder von ih- nen sich den Felsen der Wahrheit an Art und Farbe und Gattung in seinem Kopfe vorstellt, hervor. Die Schlange tragt die glaͤnzenden Steine zwischen ihren Zaͤhnen auf ihrer Zun- ge, und beleuchtet sie mit dem Glanz ihrer Augen. Aber das Schooskind der Wahrheit, die ruhende Einfalt, kennt das Klappern ihres Nakens, und nahet sich den Huͤgeln nicht, wo sie ihren Siz hat; denn sie weis wie das schlaue Thier, die Naseweisheit, den Menschen bethoͤrt, und die armen Jaͤger nach vielen Gruͤnden un- ter den Knochen des Zaubergewildes, dem sie nachstreben, begrabet. Noch einmal, was will der Mensch mit vielen Gruͤnden? — Die Wahrheiten, deren Nichtwissen Schaden bringt, brauchen nicht viel Erklaͤrens. Aber der Mensch glaubt gern Narrensachen, und thut gern Narrenstreiche, und moͤchte denn doch, daß das, was er als ein baares Vieh glaubt und thut, so vernuͤnftig waͤre, daß ihm Engel und Teufel nichts dagegen sagen koͤnnten. Da- rum muß er auch so oft und viel auf die ar- me Jagd nach Gruͤnden, auf der jezt auch die Bonnaler waren. Diese fanden auf ihrer Jagd fuͤr ihre liebe Meynung, daß dieses neue We- sen keinen Bestand haben werde. — Gruͤnde wie Steine. Zwey besonders leuchteten ihnen gar ein. — Der erste — die lahme, und alles laͤhmende Rede: es seye mit den Menschen gar nichts zu machen. — Sie gluͤklich zu machen, und zu bessern, und in Ordnung zu bringen, sey so lang die Welt steht, Traum gewesen, und werde so lang die Welt steht, Traum blei- ben. A a 2 Das ist so lang die Welt steht, das Wort gewesen, womit dumme und schlaue Leuthe Hand in Hand einander geholfen, den Bogen abzuspannen, wenn etwas Gutes, das man mit den Menschen machen wollte, nicht in ih- ren Kram diente; — und es ist kein Wort in der Welt, womit man sicherer unter der Deke alles hindern, und dem Menschen in allem was er Gutes thun sollte, die Augen ausbohren kann, als dieses. Der andere Grund ist der gleiche, aber auf eine andere Manier. Es brachte ihn ein Mann, der die Wassersucht hatte, und in seiner Krank- heit Jahre lang Zeit hatte, hinter dem Ofen allem nachzusinnen. Dieser verglich das ganze Wesen der Lufterscheinung zu den Zeiten ihrer Großvaͤter, da einmal drey Sonnen mit ein- ander am Himmel geschienen, aber in einer Viertelstunde darauf wieder zu einer einzigen geworden. Diese Erklaͤrung behagte ihnen so wohl, und machte sie ihre liebe Meynung so vernuͤnftig finden, daß sie glaubten und sagten: sieben Pfarrer mit einander koͤnnten es ihnen nicht besser erklaͤren. Sie faßten sie auch in Kopf, daß alles, was ihnen dagegen vor Augen stuhnd, ihnen so zu reden zu nichts war. Es ist aber auch nichts, das mit dem Men- schen und seinem Kopf so uͤbel fahrt, als eine unrichtige Erklaͤrung, an die er glaubt. Auch sahen die Bonnaler, die jezt neben der Liebe zum Sich-nicht-angreifen zu muͤssen, diese Sonnenerklaͤrung wie ihren Catechismus in Kopf gefaßt, vergeblich mit ihren Augen die neue Hausordnung alle Tage mehr Fuß grei- fen und mehr Bestand zeigen. Doch daͤmpfte ihnen ein Lindenberger die Hize, mit deren diese Sonnen in ihren Koͤpfen brannten. — Er war noch ein Neuling im Wiederspruch gegen seine Bonnaler, die Traͤu- merschelmereyen mit gleicher Hize liebten. — Und es waren viele Wochen, ehe er dem Lieu- tenant, wie ich schon erzaͤhlt, unter die Haͤnde kam. Aber er fand dieses Gleichniß doch jezt schon nicht stichhaltend, und antwortete ihm das erste mal darauf: die Schul, und das Wirthshaus, und das Baumwollenspinnen lasse sich so wenig mit Erscheinungen am Himmel vergleichen, als sich ein Kalberbraten mit ei- ner Krautsuppe vergleichen lasse. Aber die ganze Schaͤrstube wiedersprach ihm das, und sagte: es vergleiche sich gar wohl, eines sey so unerhoͤrt als das andere. Er erwiederte ihnen: am einten Ort und in einem Kopf sey etwas unerhoͤrt, das in einem andern Ort und in einem andern Kopf gar wohl erhoͤrt und voͤllig im Brauch sey: z. Er. A a 3 koͤnne es nicht anderst seyn, es muͤsse noch viel unerhoͤrter geschienen haben, den ersten Pflug ins Feld zu stellen, und den ersten Baum zu zweyen, als alles was der Junker bis jezt an- gefangen habe. Und nun ohne Gleichniß und Spruͤchworte zu reden, so muͤsse eine Oberkeit entweders die Leuthe uͤberall laufen lassen, wie sie laufen, oder koͤnne sich unmoͤglich, wenn sie ein Land von der Liederlichkeit und Unordnung abgewoͤhnen wolle, damit abspeisen lassen, es sey unerhoͤrt, die Leuthe arbeiten und in der Ordnung leben zu lassen; eben so wenig als mit dem, es sey ein boͤser Traum, etwas mit den Menschen auszurichten. So deutlich das war, so blieben dennoch immer viele Leuthe auf der alten Meynung. Einige, die gestehen mußten, die neue Ord- nung griff wirklich mehr Fuß, kamen jezt mit dem “sie koͤnnen nicht begreifen, wie es komme, „daß es ihm so gehe wie er wolle! —„ Und es war nur niemand, der ihnen sagte, es sey nichts daran gelegen, ob sie es begreifen oder nicht. Hingegen sagte ein Kienholzer, er be- greife es gar wohl, der Junker brauche die zwo Pfeifen, mit denen man seitdem die Welt steht, alles ausgerichtet: die Brodpfeife und die Freundlichkeitspfeife. Wer da war, ruͤhmte die zwo Pfeifen, und sagte, es sey wahr, der Junker brauche sie wie ein Meister. Aber ein Rapser sagte daruͤber: wenn sie ihm diese Pfeifen noch so sehr ruͤhmen, so wolle es ihm doch nicht in den Kopf, wie er etwann ein Duzend seiner Tagloͤhner dazu bringen koͤn- ne, daß sie ihm vom Morgen bis am Abend in seiner Torfgrube aushalten. Es sind keine zwey Monat, sezte er hinzu, sie haͤtten einem, wenn der Henker auch mit dem blosen Schwert vor ihnen zugestanden waͤre, auch bey der leichtesten Arbeit nicht so ausgehalten. Ihm antwortete der Huͤgj: red’ doch nicht vom Henker, der ist ein bloses Narrenwort ge- gen diese zwo Pfeifen, wenns die Rede ist, die Leuthe tanzen zu lehren, wie man will, daß sie einem tanzen. Einmal kamen sie so an einem Samstag dar- auf, was der Junker auch bey allem suche? und fielen zuerst auf den Hochmuth. Sie sag- ten: er wolle mit seinem Dorf, denken sie, auch etwas besonders haben, wie es unter ihnen manchmal auch Leuthe gebe, die so etwas be- sonders haben wollen, wenn sie nur ein Tenn- thor aufrichten. Aber viele fanden, daß das ein theurer Hoch- muth, und sagten, das Geld wuͤrde sie dazu reuen. Ihnen wiedersprach ein Ruflj, und sagte: aber er meyne doch nicht, daß er Geld dabey verliere. A a 4 Denn muß er doch, antworteten die Bauern, mit dem Sak geschlagen seyn, oder er fuͤhrt keine Rechnung. Es duͤnkt euch jezt so, erwiederte der Ruflj; aber wenn ihr rechnet, was die 90 Jucharten neues Mattland ihm nur an Kornzehnden mehr eintragen muͤssen, und denn was er mit dem Eifer fuͤrs Arbeiten und Sparen, den er in alle Haͤuser hinein bringt, nur in zehn Jahren aus- richten muß, so kommet ihr gewiß auch dar- auf, daß ihm das Geld, so er jezt anwendet, mit der Zeit einen grossen Zins tragen muß! — Er sezte hinzu: es ist ja kaum mehr ein Bettel- kind im Dorf, dem es nicht bald alle Nacht von einem halben Bauernhof traͤumet. Das summte den reichern Bauern wie ein hoͤhnendes Scheltwort ins Ohr, daß sie auf die Lippen bissen und schwiegen. Aber die Armen, die es merkten, trieben nun das Gespraͤch desto laͤnger, und ein krummer Humbel, der nur keinen guten Schuh am Fuß hatte, sagte gegen die Dikbaͤuch, die oben saßen, und nichts mit ihm hatten, hinaufgrinzend so laut er konnte, und durch die Nase: ja, wenn einmal meine Kinder so fortspinnen, und mir alle Wochen so viel Geld heimbringen als den lezten Samstag, so gehet es keine zehen Jahre, ich kaufe einem Bauern, welcher es ist, wenn er ein Hagelwet- ter hat, oder sonst Geld braucht, seine beste Matte fuͤr baar Geld ab. Das war zu rund, und der Kerl zaͤhlte nicht darauf, daß ihm jemand anderst als mit dem Maul Antwort geben wuͤrde. Zu seinem Un- gluͤk war einer da, der das that, und ihn an Maul und Nase blutend zur Stube hinaus und die Treppen hinabschikte. — Das Hagelwet- ter hat ihm den Hals gebrochen, es dorfte ihm niemand das Wort reden, und auch die Armen sagten: wenn er schon auch ein Wort haͤtte re- den wollen, wenn er nur nicht mit dem Hagel- wetter gekommen waͤre. §. 80. Allerley Narrenlohn. I m Grund aber hatte ihm der Kienast seinen Baͤrentazen nichts weniger als um deswil- len vors Maul geschlagen, sondern sicher nur vor Aergerniß, daß die Armen alle Tage mehr das Maul brauchen doͤrfen. Auch zeigte das Lachen der Dikbaͤuchen aller, da das Blut ihm also zu Maul und Nase her- ausschoß, daß sie dabey an etwas ganz anders denken, als an sein Hagelwetter. Sie gewannen zwar nichts dabey. Alle Samstag ruͤhmten mehrere Leuth wie es fast in allen armen Haͤusern so viel besser gehe. Doch thut so etwas auch dergleichen Leuthen fuͤr den Augenblik wohl. Ein andermal gab ein alter Aebj dem jun- gen Reinold, der auch so an den Fingern die Haͤuser abzaͤhlte, die in allen Gassen immer mehr in Ordnung kamen, zur Antwort: „Wart jezt nur noch bis die andere Woche an den Hir- zener Markt, und ich will denn ein Narr seyn, wenn ich dir denn nicht aus mehr als 20 Haͤu- sern, die du jezt so ruͤhmst, Leuthe zeigen will, die voll und toll heimkommen. Er hatte darinn recht. Der Morgen die- ses Maͤyenmarkts war so schoͤn; die Sonne gieng wie ein pures Gold auf, und die Even in Bonnal sahen fruͤhe unter ihren Thuͤren und Fenstern nach der schoͤnen Sonne, und nach dem Weg, der ihnen also hinab ins Dorf in die Augen schiene, und sagten bald uͤber Gassen und Gaͤrten hinuͤber zu einander, wie schoͤn das ein Tag sey! — und wie lustig es waͤr, wenn sie auch doͤrften — — Aber der Pfarrer hatte in der Kirche gewar- net, der Aebj im Barthaus gewettet, der Lieu- tenant allerhand daruͤber in der Schul gesagt, und gestern giengen sie alle mit dem Vorsaz ins Bett den Markt Markt seyn zu lassen; aber heute wars ihnen nicht wie gestern. So wie die Sonne stieg und warmte, so stieg und warm- te in den Maͤnnern und Weibern von Bonnal der Gelust nach dem Markt. Wir sind doch keine Kinder mehr, und koͤn- nen uns ja huͤten, sagte bald dieses bald jenes — und denn, — gell alter, du sauftest doch nicht? — Nein — nein, — gell junge du kramtest doch nicht? — Nein — nein, — und du spieltest doch nicht? — Ich ruhrte keine Karte an. — So naͤherte es mit jedem Wort dem lieben Gehen, das denn bald kam. — Ihrer wohl 40 Maͤnner Weiber und Kin- der nahmen den Entschluß, sie wollen es einmal wagen, es werde nicht alles gefehlt seyn. — Und hin war mit diesem Wort und wie aus dem Kopf weggewischt, was sie mitein- ander vom sparen, Sorg haben, und derglei- chen an der Sonne geschwazt. Sie waren nicht so bald bey einander, so hatten sie ein Leben und ein Jauchzen, daß es im ganzen Dorf toͤnte, — und denn lang noch vom Berg hin- ab; — und auf dem Markt kauften, tanz- ten, soffen, und spielten sie wie wenige Leuth die auf den Markt kamen. Aber die Leuth hatten einen Vater daheim der auf das Spielen seiner Kinder ein Aug hatte. Er vernahm ihr Marktlaufen, eh sie in Hir- zau waren, und befahl seinem Claus der an diesem Abend den Pfarrer von Bonnal heim- fuͤhrte, er solle beym Ruͤkfahren am Scheidweg unten am Berg auf sie warten zu sehen, wer sie seyen? und wie sie zugerichtet? — Aber sie kamen nicht bis in die spaͤte Nacht. — Er wartete sie aus, und saß da in der stokfinstern Nacht mit seiner Pfeifen im Maul zwischen seinen zwey Kutschenlichtern wie ein wahres Gespenst. — Endlich gegen 10 Uhr hoͤrte er ihr wildes Getuͤmmel, und sie sahen von fer- ne seine Lichter, das machte sie still; je naͤher sie kamen, je groͤsser schienen ihnen die Feuer, und je mehr dunkte es sie, es seyen nicht rech- te Feuer, und es steke etwas unrichtiges dar- hinter. — Sie wurden so still, daß man bald keinen einzigen von ihnen mehr hoͤrte; — auch ihre Tritte wurden leiser, so daß es bald war, wie wenn kein Mensch mehr vom Berg herabkomme. Und in dieser Stille sagte ein Kind das nicht wie die andern getrunken: diese zwey Feuer seyen in Gottes Namen mit- ten in dem Weg, wo sie vorbey muͤssen, und es sey ein wunderliches vierekigts Ding, das groß sey wie ein Haus und Kohlschwarz, und doch manchmal wie lebendig schiene gerad hin- ter den Feuern. Das machte die volle Heerde so aͤngstlich, daß sie fast Athemlos und wie mit einem Auge ge- gen die Feuer hinstarrten; und nun bewegte ein Zufall die Kutsche, mit ihr schwankten die Lich- ter, und die volle Heerde meynte, sie sahe die Feuer Kirchenthuͤrm hoch hinauf und hinab springen. Behuͤt uns Gott! und segn’ uns Gott! wie war das ein Schreken. Die Alten verstumm- ten und die Kinder huben ein Zettergeschrey an, und lange wußte niemand was rathen, was helfen? — Endlich nach einer Weile daͤmpfte das Beben des Schrekens bey einigen den Wein, daß es war wie wenn sie ihre Sin- nen wieder bekaͤmen, — und ein Leuͤpj kam dazu, daß er wie vernuͤnftig ihnen den Rath geben konnte, sie sollen Strohhalme suchen, und sie Kreuzweis uͤber einander in die linke Hand nehmen, und so wollen sie eins dem an- dern fest anhangend in Gottes Namen auf dem Fußweg neben dem Wassergraben bey dem Ge- spenst vorbeygehen, und denn wenn sie gerade vor ihm uͤber, so soll ein jedes die Worte aus- sprechen „alle gute Geister loben Gott den Herrn.„ Die arme Heerde folgte ihm so gern als forchtsame Schaafe dem Hund, wenn er den Wolf schmekt und sie zusammenjagt, daß sie desto sicherer neben dem Wald vorbeykommen. Sie schikten sich im Augenblik an, an den Stauden neben dem Weg Strohhalme zu su- chen. Als sie deren hatten, zerbrachen sie die- selben, machten Kreuze daraus und legten sie den kleinen und jungen noch in die Hand, daß sie ihnen recht kommen, denn lehrten sie sie noch die Worte aussprechen „alle gute Geister loben Gott den Herrn.” So traten sie den Weg an, aber ihre Knie schwankten, ihre Haͤnde bebten, und sie zogen aneinanderhangend fort, wie wenn sie nicht giengen. So kamen sie endlich so langsam fort- treibend gerade neben die Feuer voruͤber, und wollten eben ihre Nothwort „alle gute Geister„ uͤber ihre starren Lippen herauslassen, als in diesem Augenblik der Claus sein Leitseil zog. Da stampften die Roß, die Raͤder klirten, die Feuer sprangen, und wie wenn die Erde un- ter ihnen gewichen, lag die Heerde miteinan- der im Graben, und meynte nichts anders als der Teufel habe sie alle miteinander so auf ei- nen Klapf uͤber Bord geworfen. Jezt erhub sich ein Schreyen das dem Claus auf dem Bok ans Herz gieng; denn es war wie das Schreyen aus brennenden Haͤusern. — Er fieng an, ihnen was er aus dem Hals ver- mochte zuzuschreyen: — ihr Narren, ihr Narren, was ist das fuͤr ein Schreyen? Kal- berleder, du Ochs? — Siegrist! Huͤgj! — ihr Hornvieh, und du, Leuͤpj, du Narrenfuͤh- rer! wofuͤr haltet ihr mich? — Da erkennte die Heerde im Koth die Stim- me des Kutschers, und sie war ihr wie die Stimme eines Engels! — bist du es Claus? — bist du es Claus? Gottlob daß du es bist! antwortete aus dem Graben, was noch reden konnte; denn fragten sie ihn bald, was doch auch das vor Feuer? und ob er dabey seye? — Und das Wort, es seyen seine Kutschen- lichter, richtete sie auf, wie das Wort „es seye Pardon da„! arme Teufel unter dem Galgen aufrichtet. Es war nicht anderst als wenn es sie aus dem Graben herauslupfte. So wieder auf den Beinen, kamen sie nach und nach wieder auf die Hauptstraße, wo der Claus mit seiner Kutsche wartete. Die meisten hatten Schuh und Huͤt, und was sie in Hirzau gekramt, verloren, und alle ihre Lichter waren verloschen. Er aber war gar freundlich mit ihnen, und zuͤndete ihnen ihre Lichter wieder an. — Aber mit dem sah er auch — wer sie seyen? Das verdroß den Stieren- bauer, der boͤsen Wein trinkt, und wenn er nur eine halbe mehr als er gewohnt, im Leib hat, nie sein Maul halten kann, der fieng zuerst an zu murren: es brauche sich nicht, daß er jezt noch ihnen so unter die Nase zuͤnde; — er habe wohl bald etwann Bosheiten genug getrieben. — Dann bald sagte er ihm alle Schand und Spott, und bruͤllte laut: wenn er sieben mal des Junkers Knecht und seiner Rossen Kutscher sey, so seys doch nicht recht und nicht brav, und ein ehrlicher Kerl machs nicht so, und der- gleichen. Das aͤngstigte die vollen Maͤnner und Wei- ber, daß sie ihn mit Gewalt vom Claus weg- zerrten; seine Frau hielt ihm sogar ein Tuch fuͤrs Maul, daß er schweigen mußte. Das volle Volk aber, das noch nicht stehen konnte, wollte dem Claus jezt doch dies und das sagen, er solls nicht uͤbel nehmen, und der- gleichen; aber er ließ ihnen nichts darausgehen, und erwiederte ihnen: sie denken das alle auch, was er gesagt habe, und er sey wohl sobald der ehrlichste unter allen. Und mit diesem Wort verwirrte er die Kerl so, daß man ihre Sprach nicht mehr verstuhnd; halb sollten sie lachen, halb wollten sie derglei- chen thun, es sey ihnen Ernst, daß sie das nicht denken. Das einte dorften sie nicht, und thaten es doch, das andere konnten sie nicht, und woll- ten es doch, und dies machte ein Durcheinan- der, das unbeschreiblich; sie staggelten und gag- gelten, wie wenn der Rausch durch das Wort des Clausen wieder doppelt worden. Hinter allen, erst nach diesem, kam die Spek- molchin aus ihrem Graben, diese, die den Wein noch staͤrker als alle andere im Kopf hatte, hielt den Claus, von dem sie reden hoͤrte, vor einen ganz andern, lief mit offnen Armen auf ihn zu, und rief schon von Ferne einmal uͤber das an- dere: mein lieber Claus! mein lieber Claus! bist du da? bist du da? und wie waͤrs uns auch gegangen, wenn du nicht da waͤrest? — Aber der Claus verstuhnd es nicht so, und zog, sobald sie sie nahe an ihm war, das Thier, bey dem er zustuhnd, am Zaum, daß sein Kopf just zwi- schen ihn und die Frau hineinkam, da sie eben meynte, sie falle ihrem Claus in die Arme. Als sie aber jezt merkte, daß es ein Roßkopf, ließ sie einen solchen Schrey, daß das Thier erschrak, auffuhr, und die Frau, die an ihns angeklam- mert war, mit sich vom Boden auflupfte. §. 81. Erziehung, und nichts anders, ist das Ziel der Schul. M it dem allem war doch nichts weniger als bewiesen, daß das neue Wesen im Dorf, und die grosse Aenderung in allen Haushaltun- gen gar keinen Bestand haben werde. Der Vor- fall wirkte vielmehr wirklich zum Gegentheil, und machte, daß die Marktleuthe, die sich schaͤm- ten, was ihnen begegnet, wie wild hinter ihre Arbeit hergiengen, und allen ihren Kraͤften aufboten, die Scharte wieder auszuwezen. Im uͤbrigen aber baute der Junker in seiner Meynung, das Dorf zu aͤndern, gar nicht auf das alte Volk, sondern auf die Jugend und seine Schul. Diesfalls aber zaͤhlte er auf nichts weniger als auf ein Geschlecht, das dem naͤch- sten, von dem es abstammt, so ungleich seyn B b wuͤrde, als Tag und Nacht einander ungleich sind. Er zaͤhlte aber nicht darauf, weils ihm da- von traumte, sondern weil er sah, daß der Lieu- tenant es machte; — denn das that er — und das mit einer Einfalt, daß wenn man in seiner Schul alle Augen aussah, zu forschen, was er besonders mache, man nichts fand, das nicht so zu reden ein jeder glauben wuͤrde, es ihm nachmachen zu koͤnnen. Und es ist wirklich so leicht, ihm seine Schule nachzumachen, daß sicher ein jeder recht ver- staͤndiger Bauersmann, wenn er nur schreiben und rechnen kann, in Hauptsachen eben so viel ausrichten koͤnnte, was er, wenn er nur etliche Tage die Ordnung gesehen, die er und Mar- greth mit ihren Kindern haben. Es brauchte nicht einmal, daß so ein Mann nur selber rech- nen koͤnnte; und ich habe mit meinen Augen einen Mann gesehen, der seine Rechnungsta- bellen mit einer ganzen Stuben voll Kinder ge- braucht hat, und vollkommen damit fortge- kommen, ohne daß er selber rechnen koͤnnen. Seine Kinder haben diese Zahlreihe in Kopf ge- faßt, daß sie wie nichts auf alle Art darinn herumgesprungen, da indessen der Mann, der sie lehrte, das Papier, auf dem er diese Zah- lenreihen aufgeschrieben, keinen Augenblik aus den Haͤnden lassen dorfte, um nicht alle Minu- ten selber zu verirren. Ein Beweis, wie weit die Kinder im Dorf gekommen, ist auch das: wenn des Junkers Carl die Zeit her von Bonnal heimkam, sagte er immer: die Buben in diesem Dorf sind ganz anderst als andere Bauernbuben, und es meynte einer, sie waͤren Junkern gegen den andern, so wenig scheuch (schuͤchtern) sind sie, und so viel wissen sie gegen den andern. Ich erzaͤhle das, wegen dem Nichtscheuseyn; der Lieutenant baute den ganzen Erfolg seiner Erziehung auf den Grund dieses Nichtscheuseyns, nemlich auf ein unverstelltes Inneres, und sagte 100 mal zu seinen Kindern: „ich verzeihe euch alle Feh- „ler; aber wenn ihr anfangt euch zu verstel- „len, so seyd ihr im Grund verloren, und es „giebt fuͤr immer nichts als elende verdrehete „Kruͤppel.„ — Auch durchstach er sie mit seinem Falkenblik, wenn er im geringsten so et- was merkte, und jagte denn darauf los, druͤkte darauf zu, preßte es ihnen aus, daß der Angst- schweiß ihnen ausgieng; auch foͤrchteten sie das Wort: was machst du fuͤr ein Gesicht? oder fuͤr Augen? von ihm wie ein Schwert; dann sie kannten seine Strenge, ihnen alle Arten des verstellten Wesens auszutreiben. Aber wie ge- sagt, er baute auch hierinn auf Fundamente. Er machte sie bedaͤchtlich, damit sie offen seyn koͤnnten. — Er machte sie vorsichtig, damit sie nicht mißtrauisch seyn muͤßten. — Er mach- B b 2 te sie erwerbsam, damit sie nicht nachsuͤchig seyn muͤßten. — Er machte sie treu, damit sie Glau- ben faͤnden. — Er machte sie vernuͤnftig, da- mit sie sich trauen doͤrften; und legte auf diese Art den Grund zu dem heitern offenen Wesen, das er von ihnen forderte, wenn sie ihm vor Augen kamen. Kurz er lehrte sie als ein Mann, der etwas ist, wo man ihn hinstellt, und ma- chen will, daß auch sie etwas seyen, wo man sie hinstellt. Und das heißt freylich, er lehrte sie ganz anderst, als Leuthe lehren, die nur mit dem Maul etwas sind, und auf dem Papier etwas koͤnnen. Er hatte auch das, daß er den Kindern seine Liebe so lang und so viel er wollte, verbarg, und sie ihnen nur zeigte nach Maßgebung, als sie alle Kraͤfte anspannten, das zu werden, was sie einst seyn sollten. Und es ist unglaͤublich, was er damit ausrichtete. Sie wußten im Grund, daß sie ihm lieb waren, und seine Kaltbluͤtig- keit war ihnen wie ein Vorwurf, daß sie nicht seyen, was sie seyn sollten; sie konnten sie nicht ausstehen, und verdoppelten ihre Kraͤfte, bis er ihnen zeigte daß er mit ihnen zufrieden. Auch gieng ihnen der Kopf unter seinen Haͤnden auf, daß es unglaͤublich war. Das zeigte sich nicht blos in ihren naͤchsten Berufen. Wenn sie Zeit hatten, war ihnen bald auch das Fremdeste nicht mehr fremd, und von was sie immer unter Menschenhaͤnden sahen, dachten sie nicht mehr, daß sie es nicht auch in ihre nehmen doͤrfen. Es ist zum Exempel ein Meister Enger, ein Uhrenmacher im Dorf, der bey 20 Jahren da gesessen, ohne daß je ein Bauerbub in seine Werkstatt gekommen, dieses oder jenes darinn zu betrachten, oder etwann selber anzugreifen und zu probieren. Aber jezt seitdem der Gluͤphj ihnen beyge- bracht, daß sie Haͤnd, und Ohren und Nasen haben vollends wie andere Leuthe, steken ihrer mehr als ein halb Duzend Nachbarsbuben dem Meister alle Abend im Haus, und lassen ihm keine Ruh, bis er sie dies und das in die Hand nehmen und probieren laͤßt. Die Buben griffen es auch alle mit einer Art an, daß der Meister sich nicht genug verwun- dern konnte, und dem Schulmeister sagen ließ: wenn alle Bauerbuben in der Welt also gezogen wuͤrden, so waͤre kein Handwerk, wo man sie nicht dazu brauchen koͤnnte, so gut und noch besser als die Stadtbuben. Nicht nur das. Er hat gleich gesehen, daß es sein Vortheil waͤre, zwey der angreistgsten von diesen Buben zu sich in die Lehr zu nehmen, und hat ihnen wirklich anerbotten, sie sein Hand- werk zu lehren, ohne daß es einen Heller kosten muͤsse. B b 3 Das sind Buben, die kein Land und sonst nichts haben, und ohne das ihrer Lebtag Knechte und Tagloͤhner haͤtten seyn muͤssen. Die Buben sind vor Freuden in alle Hoͤhe gesprungen, als er ihnen das anerbotten, und dann zum Schulmeister, ihm zu danken. Noch nichts nahm diesen lezten so ein, wie der Dank dieser Knaben, als sie mit Thraͤnen in den Augen vor ihm zustuhnden, und er ihre zitternde Hand in der seinen hatte. Sein Herz schwellte, hinauszusehen in die Zukunft, in der alle seine Schulkinder versorget seyn wuͤrden. Er stuhnd in stillem Staunen vor ihnen zu, traumte sich den Segen seiner Laufbahn, — und das Konigreich — wornach edle Bettler streben — und wornach auch meine Seele duͤr- stet — mit der Krone weisser Haaren, der Se- gen der Menschen zu seyn, die ihn umgeben. Das Druͤken der Knaben, die seine Hand in der ihren hatten, wekte ihn aus seinem Traum. Er gieng denn mit ihnen zu ihrem Meister, und machte ihnen einen so guten Accord, wie sicher noch keine Knaben ohne Lehrgeld bey einem Uhrenmacher bekamen. Der Lieutenant versprach dem Meister, sie forthin als seine Schulerknaben anzusehen, und sie im Zeichnen und in der Mathematik alles das zu lehren, was ihnen in ihrem Handwerk davon dienen koͤnne. Das war dem Meister Enger so wichtig, daß er um deswillen den Knaben einen Accord mach- te in allen Stuͤken, wie der Lieutenant wollte. Er sagte ihm sogar, wenn er das an ihnen thue, so werdens die Knaben gar viel weiter bringen, als er es gebracht. Der Lieutenant spuͤrt aber auch, seitdem er Schulmeister ist, was er darinn kann, und ist vollends seine Liebhaberey worden, darauf zu denken, diejenigen von seinen Buben, die kein Land haben, zu Handwerken zu bestimmen. Er fuͤhrt sie auch, wenn er immer eine muͤßige Stund hat, in alle Werkstaͤtte, die im Dorf sind, siehet ihnen bey Stunden zu, wie der einte das und der andere dies angreife, und forschet so von ferne, was aus einem jeden zu machen. Lebt er, so wird das, was er damit ausrich- tet, die Umstaͤnde der Armen in Bonnal noch viel mehr veraͤndern, als das Weydvertheilen und die zehendfreyen Aeker, die der Junker ih- nen versprach. Eben so viel thut er an den Maͤdchen. Die Laster der Eltern zerreissen ihr Inner- stes nicht mehr. Sie sizen vom Morgen bis am Abend ungekraͤnkt in der Stube eines frohen und weisen Manns. Ihre Haͤnde sind nie still. Keine Art Geschwaͤzwerk verwirret ihren Kopf und verhaͤrtet ihr Herz. Darum zarten ihre Wangen, und ihre Scham- B b 4 roͤthe wachet in ihnen auf, wie Muth und Freu- de in ihren Augen. Ihre Fuͤsse huͤpfen zum Tanz, ihre Haͤnde werden biegsam zu jeder weiblichen Arbeit. Ihr Aug oͤffnet sich der Schoͤnheit der Natur und des Menschen; und Fleiß, und Sparsamkeit, und Hausordnung, diese Seele des Lebens, und dieser Schirm der Tugend, der kein Tand ist, wird ihnen unter Gluͤphj Haͤnden zur Natur. O Gott! was waͤren sie worden unter der alten Regierung? Im Sumpf des Elends wird der Mensch kein Mensch. Ohne Vaterfuͤhrung wird der Knab kein Mann. Weniger noch wird das Maͤdchen unter der Hand einer Lumpenmutter und unter dem Schulgewalt von Ochsenkoͤpfen ein Weib. Aber unter Gluͤphj Haͤnden wuchsen Kna- ben und Maͤdchen auf, Maͤnner und Weiber und das zu werden, was Maͤnner und Weiber auf Erden in Zwilch und in Seiden seyn koͤn- nen. Bauet dem Mann Altaͤre! Bis auf die Blume, die im Garten wachst, braucht er alles, die Seelen seiner Maͤdchen hoͤher zu stimmen und durch sie kuͤnftige Ge- schlechter von Menschen im niedrigsten St a nde gluͤklich zu machen. Es wohnt in Bonnal ein Weib, das aus einem fremden Dorf dahin geheurathet, das pflanzet seit 20 Jahren schoͤne Blumen, zar- tes Gemuͤß, und feines Obs auf harten Stam- men. Bonnals rohes Geschlecht stahl ihr frey- lich alle Jahr Blumen und Koͤhl und Virnen und Apfel, und was es nicht stahl, das bettelte es auf Hochzeiten und Kindstaufen. Aber ihr nachzuahmen, und ihre Blumen und ihren Koͤhl und ihre Apfel und ihre Bir- nen auch zu pflanzen, daran kam ihnen kein Sinn. Sie verschreyten, verleumdeten viel- mehr das Weib und sagten, sie sey keine Haus- haͤlterin, daß sie ihre Zeit und ihren Mist an solche Narrensachen wende, die ihr denn noch alle Jahr gestohlen werden. Aber die Kinder des rohen Volks waren nicht manche Woche in Gluͤphj Stuben, so stuhnden sie am Morgen und Abend vor dem Garten der alten Frau, und ihren Blumen und ihrer Ordnung, um sie zu fragen, wie sie dieß und das mache, daß es so schoͤn werde. Die Alte stuhnd bey Stunden an ihrer Hauen bey ihnen still, zeigte ihnen alles, gab ihnen Blumen mit heim, und versprach ihnen Sez- linge und Saame und Schoß, wenn sie auch so Gaͤrten machen wollen. Und die Kinder brachten einmal solche Meyen (Blumen) in die Schul, zeigten sie ihrem Gluͤ- phj, und fragten ob er nicht meyne, sie koͤnn- ten daheim auch so Gaͤrten machen, wie diese Frau? Warum das nicht? erwiederte ihnen der Schulmeister, wenn ihr nicht zu faul seyt, und fuͤhrte sie demnach selber alle miteinander zu dieser Frau in ihren Garten. Die Freude der Alten ist nicht auszuspre- chen. Sie sagte dem Lieutenant: es sey ihr, sie sey ihr Lebtag noch nie in Bonnal daheim ge- wesen, wie heut, da er mit seiner Schul in ihren Garten komme. Und die Kinder riefen daheim bey ihren Muͤttern, sie muͤßten ihnen Land geben Gaͤr- ten zu probieren und zu machen, wie die Frau ihnen sagte, daß man sie machen muͤsse. Richts, das fruͤh oder spaͤth ihnen nuzlich seyn konnte, hielt er ausser dem Kreis seiner Schularbeit; denn er fuͤhlte sich Vater, und glaubte seine Arbeit seye nichts minder als das Erziehen der Kinder, und was immer ihr gan- zes Erziehen erfordere, das sey alles im Kreis seines Berufs. Desnahen brachte er ausser den Schulstun- den fast alle Abende mit ihnen zu, und nachte denn mit ihnen was sie nur wollten. Manch- mal schnitt er mit ihnen Holz, manchmal nach- te er mit ihnen Figuren aus Wachs, Men- schen und Thiere, Kopf und Haͤnde, oft Haͤu- ser und Muͤhlen, und Saͤgen, und Schiffe. Zu Zeiten war die Schulstube voll Hand- werksgeschirr und Spaͤne wie eine Werkstatt; aber eh sie fortgiengen war sie immer wieder so sauber als eine Fruͤhlingswiese, wenn so eben das Wintergestraͤuch von ihr abgerechet. An schoͤnen Abenden gieng er mit ihnen un- ter den Schulnußbaum oben in der Matten. Es ist, wie wenn die Alten ihn darum dahin gesezt haben, daß die junge Nachwelt sich da unter seinem Schatten verweile, dem Sonnen- untergang, der sich nirgend im Dorf so schon durchs ganze Thal hinab zeiget, zu zu sehen. Unter diesem Baum redte er dann bey Stun- den mit seinen Kindern uͤber ihren Beruf und ihre Umstaͤnde. Er machte ihnen da eine kleine Geschichte von ihrem Dorf, und erzaͤhlte ihnen: wie vor ein paar 100 Jahren nur noch wenige Haͤuser da gestanden, und wie die Einwohner das Land nicht genugsam haben warten koͤnnen, und sie desnahen mit ihren Weyden und Zelgen Ein- richtungen haben machen muͤssen, die jezt bey dem mehrerem Werth der Guͤter, und bey den vielen Haͤnden die im Land sind, das Dorf un- gluͤklich, und aͤrmer, und liederlicher machen, als es war, wenn diese alten Ordnungen nicht waͤren. Er zeigte ihnen wie das Baumwollenspin- nen Geld ins Land gebracht, und wie dardurch, wer immer nicht auf das Geld geachtet, nicht damit umzugehen gewußt, zu Grund gegangen. Und wie viel Bauern vergantet worden, die im Grund 10 mahl mehr besessen als die so ihre Guͤter erstanden, aber durchs bessere Anbauen von kleinen Stuͤken derselben in we- nig Jahren in zehenfachen Werth gebracht. Das Ende seiner Dorfgeschichte war die grosse Lehre: — Wie viel genauer man in un- sern Zeiten sey; wie viel sorgfaltiger man auf alles schauen, alles ausrechnen und ausspizen muͤsse, und wie viel groͤssere Ordnung und Bedaͤchtlichkeit es in allem brauche, wenn der Mensch so zu einem gesunden und freudigen Alter, und seiner Kinder wegen so ruhig unter den Boden kommen wolle, als es vor Alton bey so wenig Leuthen, so wenig Geld, und bey einem so einfachen Leben so leicht moͤglich gewesen. Und wenn die guten Kinder am Abend Stuͤke aus ihrer Dorfgeschichte und aus seinen Lehren mit heimbrachten, so konnten ihre Eltern nicht begreifen, wie der Schulmeister selber dazu ge- kommen, was sie zum Theil selber erlebt und erfahren, und doch nicht erzaͤhlen konnten, wie er. — Und denn gar, wie er das den Kindern so in den Kopf hineinbringe, daß sie es in hrem Alter so begreifen und so erzaͤhlen koͤnnen — Wer am meisten daraus machte, war ein Renold, ein Mann, der gegen neunzig gieng. Er hatte mit kaltem Blut und mit offenen Au- gen so lang gelebt, und wußte die Veraͤnderun- gen des Dorfs hinauf bis ins vorige Jahrhun- dert. Dieser Greis hatte einmal nach alter Uebung seine Kinder und Enkel am Sonntag Abend zum Nachtessen. Und als der Großsohn, an dem die Ordnung war, zuerst sein Capitel aus der Bibel gelesen, und der lange Reihe des gesegneten Hauses am Tisch saß, so sah der Alte mit frohem nikenden Wesen hinab zu der lieben Jugend unten am Tisch, und sagte: Kinder! was macht auch euer Schulmeister? ist er auch gesund und wohl? Laut und freudig erwiederten die Kinder dem Alten: Ja! ja! Großvater! er ist Gottlob ge- sund, er ist Gottlob gesund, der liebe Herr Schulmeister! Da sagte der Alte: ich wollte jezt nichts lieber, als daß er auch da waͤre, und wir alle mit einander dem braven Mann, den uns wohl der liebe Gott gegeben, auch danken koͤnnten. Dann fieng er an, und sagte: — ihr wisset nicht, was er an euch thut, und was er euch ist, aber ich weiß es, und will euch jezt sagen, was ihr ihm zu danken habet. Kinder! unser armes Dorf ist wie eine zer- ruͤttete Haushaltung worden, und hat in die 40 Jahre wie ohne einen Vater gelebt; in dieser Zeit haben sich die Umstaͤnde uͤberall geaͤndert, und die Menschen in der Welt, wie sie jezt ist, muͤssen erzogen und gelehrt werden in der Ord- nung, die jezt ist, so fortzukommen; wie die Al- ten in ihrer Ordnung, zu der sie gewiß recht erzogen worden, fortgekommen sind. Und das thut euch jezt der Mann, der macht, daß ich mit Ruhe uͤber das Grab hinaus denke, das ich in Gottes Namen bey 20 Jahren nicht mehr dorfte, weil es mir tief am Herzen lag, ihr armen Kinder werdet, weil niemand da ist, der euch nach den Umstaͤnden zu dem anfuͤhret, was ihr seyn und werden muͤsset, vielleicht auch mit der groͤsten Unschuld mit dem Strom der neuen Unordnung mit hingerissen, in kurzen Jahren fast nothwendig ungluͤklich. Das forch- te ich nun nicht mehr, und danke dem Mann, daß ich daruͤber in meinen lezten Tagen noch ruhig schlafen kann. Nachdem der Alte so geschwazt, trank er dann auf des braven Manns Gesundheit. — Seine Kinder, die ihm in die Schule giengen, schlugen ihm mit Jauchzen an. — Und er hatte eine Freude, daß er selbst dem juͤngsten Enkel, der auf seiner Schoos saß, einen Trop- fen auf seine Lippen goß, und ihn den Namen des Manns nachstammeln machte. Nein! bauet dem Mann keinen Altar. Der Saͤugling auf dem Schoos des Grei- sen, und der zitternde Tropfe auf den Lippen des Kinds, das seinen Namen stammelt, ist mehr als Opfer und Altar! — Es wird mir aber warm. Bald komme ich in meiner Einfalt nicht mehr fort. Aber es muß seyn. Unter den Freuden, die er mit seinen Kin- dern hatte, war auch diese, daß er zu Zeiten eine Ankenbraut (Butterschnitte) mit ihnen aß. Es ist nemlich auch in Bonnal der Gebrauch daß die Bauern, wenn sie etwas Gutes haben, ihrem Schulmeister dann und wann auch da- von schiken. Dieser Gebrauch war dem Gluͤphj im Her- zen zuwider; er nahm ihnen auch fast gar nichts ab, und brauchte, sie nicht boͤs zu machen, die Entschuldigungen, er habe keine Frau und keine Haushaltung, und koͤnne desnahen mit dergleichen Sachen fast gar nichts thun. Damit sie aber nicht glauben, es geschehe aus Hochmuth, und er schaͤme sich ihnen etwas abzuessen, so nahm er einem jeden der Kuͤh im Stall hatte, und seine Kinder zu ihm in die Schul schikte alle Jahr eine Ankenbraut ab, aber sie mußte nicht uͤber 2 Pfund seyn. So bald eine kam, sagte er es den Kindern und aß sie denn Morndes am Abend mit ihnen in der Schul. Er kaufte ihnen denn allemal ein halb Duzend Brod und die Frau Pfarrerin gab ihm mehrentheils denn noch eine Schale Honig dazu, denn sie hatte dessen genug, und mehr als 30 Imben (Bienenstoͤke.) So machte er den Armen aus seinen Kin- dern damit gar manchmal im Jahr eine gute Stunde, mit etwas das sie daheim nie hatten. Und nuzte diese Abendessen beynahe mehr als seine Schulstunden. Sie waren ihm wie ein Probierstein uͤber seine Kinder, und er spaͤ- hete mit Falkenaugen umher, wie sie mit dem Anken (Butter) und Brod und Honig umge- hen! was sie fuͤr Augen und Maͤuler dazu ma- chen? und was! weiß ich, worauf er alles Acht gab. — Genug er sagte selber: bey diesen Abendessen werde ihm allemal heiter, was er uͤber jedes seiner Kinder ahnde. Der Pfarrer und seine Frau und ihre Kin- der kamen gar oft zu diesen Abendessen, und das braͤfste unter den Kindern dorfte denn ih- nen und dem Herr Schulmeister ihre Anken- braut Schweizerausdruk der so viel ist als der But- ter auf die Brodschnitte streichen, die sie asse n . machen. An dem Sonntag, da es mit der Kienastin umschlug, umschlug, hatten sie auch eine Ankenbraut, und da war des Maurers Heirlj der braͤvste. Der Schneiderin Annelj (die Kinder sagen ihm nur den Namen Schwarbel Annj) hatte ihm zwischen den Tischen, an die es gestossen, die Hand verklemmt, daß sie aufschwoll wie ein Kuͤssen, und blutete. Der gute Bub aber uͤber- wand sich, sobald es anfieng zu schreyen, und sagte, es habe es nicht mit Fleiß gethan, und suchte den ganzen Morgen die geschwollene Hand vor dem Schulmeister und der Margreth zu verbergen, damit das Kind nicht eine Strafe ausstehen muͤsse, und daheim dann noch geschla- gen werde. — Es that ihm aber so weh, daß er mit dem Spinnen nicht fortkam, und die Mar- greth auf diese Art endlich es merkte. Dafuͤr war er heute der braͤvste, und hatte diese Freude mit der Ankenbraut. Diesmal kam der Junker selber zu ihrem Abendessen. Heute mußte der Wassergraben zu der neuen Matten, die er anlegen wollte, endlich abgesto- chen werden. Die Quellen im Moosgrund waren nun vol- lends aus und zusammen gegraben, und ihr Wasser floß in diken Stroͤmen uͤber die Felder, die alle gruͤnten, wo es hinfloß. Der Lieutenant nahm auch zu dieser Arbeit etliche von seinen Buben mit sich, und sagte, eh er mit Feldtisch und Visir an seine Arbeit gieng, C c zu ihnen: Probieret, Buben! ob ihr die Linien findet, wo der Bach jezt hingeleitet seyn muß, wenn man so viel Land als immer moͤglich mit ihm uͤberwaͤssern will. Die Buben sprangen wie gute Jagdthiere von ihm weg, links und rechts, kreuz und queer, wo das Wasser hin muͤsse? Aber sie wurden nicht ei- nig, und kamen, in ihrer Meynung getheilt, zuruͤk. Die einten meynten, man muͤsse den Graben zuerst links fuͤhren, gegen den Tannen-Eken, und von da erst wieder zuruͤk gegen den Feldern, die rechts liegen. Die andern glaubten, wenn man ihn gegen den Tannen-Eken fuͤhre, so bringe man ihn nicht mehr auf die Hoͤhe vom Mooshuͤbel, der dann troken bleiben muͤsse. Es hats keiner getroffen, sagte der Lieutenant, und sezte hinzu: der Graben muß zuerst uͤber den Vorhuͤgel vom Moosweg, und dann erst herum zum Tannen-Eken. O ho! wenn das Wasser uͤber den Mooshuͤbel gelaufen, so bringt ihr es nicht mehr auf die Hoͤ- he zur Tannen, erwiederten die Buben. O ho! erwiederte der Lieutenant: man fuͤllt nur die Tiefe, die zwischen dem Huͤbel und dem Eken ist, ein Schuh, drey oder vier hoch aus, dann laufts, meyne ich, wieder zum Tannen- Eken. Dann wohl, dann wohl, sagten die Buben. Aber der Pfarrer war heut den ganzen Tag nicht bey ihnen. Er war bey der Kienastin, de- ren Tod nun sichtbar nahete; doch war sie noch immer bey sich selber, und nahm nun das lezte mal bey den lieben Ihren Abschied. Als man ihr das Kleine auf das Bett legte, staunte sie ihns eine Weile an, und ihre lezten Thraͤnen fielen auf ihns hin, das Kind aber laͤ- chelte auf ihrem Schoos, strabelte mit Haͤnd und Fuͤssen, und warf den Kopf so froh und muthvoll umher, daß es die Sterbende erquikte! Sie laͤchelte noch auf ihns herunter, und sagte zu sich selber, warum kann ich nicht seyn, wie du? Sie redte noch mit allen Kindern. Am meisten mit dem Vater, und das fast nur von dem Susannelj, und sagte: es lieg ihr auf dem Herzen dem Kind noch zu sagen, daß sie es er- kenne, ihre Fehler haben ihns nach und nach so hart gemacht, als es worden. Sie habe ihm ihre Haushaltung aufgebuͤrdet, die man einem Kind nie aufbuͤrden sollte, und er soll ihm sagen, wenns an ihr stuͤhnd ihr Leben noch zu aͤndern, sie wollte gewiß ihre Mutterpflichten thun, und ihm nicht mehr zur Last fallen; aber das sey jezt nicht mehr moͤglich; und darum soll es ihr verzeihen, und wiederkommen, und ihm und den Kindern als Mutter und Schwester an die Hand gehen, so lang es lebe und so lang es noͤthig. Dann wollte sie auch ihn um Verzeihung bit- ten, daß sie nie keine Frau gegen ihn gewesen, C c 2 und ihn doch geheirathet habe; aber das Wort erstarrte ihr auf den Lippen, und sprachlos, wie sie, lag er eine Weile auf ihrer Deke. Denn rafte er sich wieder auf, sah den Pfar- rer an, und fiel auf seinen Schoos. Die Sterbende sah ihn liegen, und sagte: so wohl kann er nirgend ruhen; und ach, so wohl ruhete er nicht bey mir! Sie wollte auch noch dem Pfarrer heraus- stammeln, daß er ihr verzeihe! der Mann aber gab ihr diesen Trost ins Grab, indem er noch seine warme Hand auf den grauen Haaren ihres Manns, der noch auf seinem Schoos lag, hielt. Frau! die Fehler deines Lebens sind nicht so wohl dir als denen zuzuschreiben, die es dulden, daß man die Religion auf eine Art lehre, daß sie den Menschen den Kopf also einnehme und fuͤlle, als ob ihr Wissen alles in allem waͤre, und der Mensch denn seine Haushaltung und sein Handwerk, und alles was er seyn und koͤnnen muß, koͤnne und seye, wenn er sie verstehe. Aber wie oft muß ich empfinden, ich kann mein Buch nicht schreiben! Der Blik der Frauen auf diese Rede machte dem Pfarrer das Wort im Maul erstarren. Wenn ich diesen Blik mahlen koͤnnte, daß man ihn saͤhe, wie ihn der Pfarrer sah, ich bin wie meines Lebens sicher, man wuͤrde lieber den Mund beschliessen. Aber ich kann ihren Blik nicht mahlen. Ich erliege unter der Last unausdrukbarer Dinge, die im Ganzen meines Traums vor mir stehen. Es glich ihr Klagblik im erloͤschenden Aug — dem Blik des sterbenden Lamms, das unter den Haͤnden des Wuͤrgers verblutet. — Nein! er glich nicht einem blutenden Thier, — er glich — ich kan nicht sagen was, — koͤnnte ichs, man wuͤrde nicht mehr Abgoͤtterey treiben mit Gott — und den Menschen thun lassen, was seine Sach ist. Ihr Blik durchschnitt dem Pfarrer das Herz, und der Gedanke, sie ist das Opfer der Thorheit. Die Lehre von Gott, den Menschen wie ein Messer an Hals zu sezen, machte ihn zittern. Er fuͤhlte das Elend der Menschen, die an diesem Messer verbluten, und nicht minder die Gefahr derjenigen, die ihm entfliehen. Es legte ihn ungeschlafen, und noch morndes stuhnd ihr Bild vor ihm, also daß er an diesem Morgen beynahe unvernuͤnftig predigte, denn er redte uͤber etwas ganz anders, und wußte die halbe Zeit nicht was er sagte. Zu Mittag hingegen hatte er seine Sinnen wieder bey einander, denn er redte da nur von dem, was ihm auf dem Herzen war. Und die Nachricht von ihrem Tod kam ins Pfarrhaus, als der gute Mann eben vom Tisch aufstehen, und bald wieder in die Kirche wollte. C c 3 Er vergaß alle Form und Ordnung der Kin- derlehr, und redte fast nur von der Frauen, und den Ursachen, die sie so elend machten. Eine Kinderlehre. Aber er war so im Eifer, daß ihm die Sa- chen oft durch einander kamen, und er manch- mal nicht deutlich ausdruͤkte, was er meynte. Doch laͤßt sich das eint und andere, was er sagte, mit seinen Worten nachsagen. Er verlas einmal das andere Gebott. — Und sagte dann: hart in Kopf eingegrabene Bilder von Gott sind im Grund um kein Haar besser und der menschlichen Natur um kein Haar weniger schaͤdlich, als die steinernen und erzenen Goͤzen, die sich die rohern Menschen schnizeln. Und behauptete: alle leidenschaftliche, in die Sinnen fallende, und den Kopf der Menschen anfuͤllende Anhaͤnglichkeit an irgend eine Vor- stellung von Gott und goͤttlichen Dingen, sey nichts anders als wahre Abgoͤtterey, die den Menschen darum bis in das dritte und vierte Geschlecht verderbe, weil sie wider seine Na- tur sey. Er erklaͤrte sich daruͤber also. Die meisten Menschen die die Religion mit einem Feuer und einer Staͤrke in ihren Kopf hineinbringen, das nicht verhaͤltnißmaͤßig ist mit der Staͤrke und dem Eifer womit sie andere Sachen in ihrem Kopf herumtragen, werden einseitig und froͤm- melnd. Und weil die Menschen uͤberhaupt schwach sind und ein bloͤdes Geschlecht, und nichts anders sind als was sie sind, so macht das Ueberziehen dieses Religionspfundes, daß sie auf der einten Seiten sorglos, unaufmerksam, Gedankenleer, und darum blind; auf der andern Seiten er- staunlich leicht, empfindungsvoll, empfindlich, voller Anspruͤche, und dabey in sich selbst ge- kehrt, zu einem krummen, geheimen, verschla- genen Lebensgang geneigt, und dabey im Na- men des Herrn gewaltthaͤtig. Und es braucht nicht mehr als dieses, um die Menschen in allen menschlichen Verhaͤltnissen unzuverlaͤßig und unbrauchbar und zu abhaͤng- lichen, ihrer Nothdurft und Umstaͤnden nicht ge- nug zu thun, faͤhigen, und dabey ihre Wuͤnsche immer uͤberstimmenden armen Bettelgeschoͤp- fen zu machen. — So, wiederholte er, liegt die Drohung Gottes das Kind des Schwaͤrmers, der ein Bild von Gott in den Haͤnden oder im Kopf hat, bis in das dritte und vierte Geschlecht die Missethat des Vaters empfinden zu lassen, in unserer Natur. Denn fuhr er fort. Gott hat sich den Menschen verborgen und die Geheimnisse der Zukunft fuͤr ihn in undurch- dringliche Schatten gelegt, damit der Raupe in ihrer Huͤlle wohl sey. C c 4 Aber der Nebel, der um uns ist, ist von Gott, und Segen unserer Natur, wenn wir darinn ruhen. Und wir verheeren unser Inners, wenn wir dem Schatten entweichen wollen, den Gott um uns gelegt hat. Gott hat die Nacht gemacht wie den Tag, warum willt du nicht ruhen in Gottes Nacht, bis er seine Sonne dir zeiget, die ewig kein Trau- men hinter den Wolken, hinter denen Gott sie verborgen, hervorrufen wird. Einmal sagte er: Gott ist fuͤr die Menschen nur durch die Menschen der Gott der Menschen. Der Mensch kennt Gott nur, insofern er den Menschen, das ist, sich selber kennet. — Und ehret Gott nur, insofern er sich selber ehret, das ist, insofern er an sich selber und an seinem Ne- benmenschen nach den reinsten und besten Trie- ben, die in ihm liegen, handelt. Daher soll auch ein Mensch den andern nicht durch Bilder und Worte, sondern durch sein Thun zur Religionslehre emporheben. Denn es ist umsonst, daß du dem Armen sa- gest: es ist ein Gott, und dem Wayslein, du hast einen Vater im Himmel; mit Bildern und Wor- ten lehrt kein Mensch den andern Gott kennen. Aber wenn du dem Armen hilfst, daß er wie ein Mensch leben kann, so zeigst du ihm Gott; und wenn du das Wayslein erziehest, das ist, wie wenn es einen Vater haͤtte, so lehrst du ihns den Vater im Himmel kennen, der dein Herz also gebildet, daß du ihns erziehen mußtest. Ein andermal. Die Religion ist nichts anders als das Bestre- ben des Geists, das Fleisch und Blut durch An- haͤnglichkeit an den Urheber unsers Wesens in der Ordnung zu erhalten. Und der Mensch gelanget zu dieser Herrschaft des Geistes uͤber das Fleisch nur nach Maaßgab als er von Jugend auf in den Muͤhseligkeiten sei- ner Bestimmung und Lebensart geuͤbt, was sei- ne Pflicht und sein Vortheil in der Welt ist, mit Leichtigkeit, und ohne daß es ihn viel Muͤh und Anstrengens fordert, thut und erfuͤllt. Und das zeiget deutlich, in was fuͤr Fertigkei- ten ein Mensch muͤsse geuͤbt seyn, wenn ihm die Herrschaft des Geistes uͤber das Fleisch und ein wahrhaft der Religion und seinen Umstaͤnden gemaͤsses Leben ihm leicht und natuͤrlich werden soll. Ihr denket wohl, es gab auch wieder einen Ausfall wider das Predigen und Maulbrau- chen, — es konnte nicht fehlen. Er sagte: Sehet um Gotteswillen in allen euern Angelegenheiten, wo es euch um etwas zu thun ist, das gemacht seyn muß, und ihr wol- let zu einem Ziel kommen, ists immer euere erste Regel, nicht viel Worte, und kein Predi- gen! — Und die Lehre von Gott und der Ewig- keit, die allein soll dem Menschen, ob es schon in allen andern Dingen wider seine Natur, durch viele Worte und durchs Predigen in Kopf und ins Herz hineingebracht werden. Dann brach er ploͤzlich ab, und sagte: aber was soll ich denn thun? soll ich euch von Gott schweigen? das sey ferne! kommt mit mir in die Huͤtte des Armen und zu den Thraͤnen der Way- sen, da lehrnet ihr Gott kennen, und gut seyn, und Menschen werden. Kommt! in dieser Stund sind in euerm Dorf zehen neue Waysen worden, sie sind euere Gespielen und an euerer Seite auf- gewachsen, sie haben keinen naͤheren Naͤchsten als euch. Kommt! zeiget ihnen, daß ihr Men- schen seyt, und an dem was euerm Naͤchsten begegnet, Theil nehmet! — Ich war auch ein Wayse, und erinnere mich jezt noch, wie wohl es mir gethan, und wie es mich Gott erkennen machte, da ich hingestuͤrzt auf meines todten Vaters Bett lag, und fast ohne Sinnen, keinen Gedanken mehr hatte als — “ich habe jezt auf Gottes Erdboden keinen Menschen mehr der sich meiner annehme! —„ Und da sind, weil ich so da lag, und meine Haͤn- de sich im Krampf zusammen zogen, und ich mit den Zaͤhnen knirschte und zitterte, zwey Nach- barn zu mir in die Stube hineingekommen, und fast auf mich niedergefallen, und haben vor Schluchzen kein Wort reden koͤnnen. Ich weiß noch, und weiß es noch bis ins Grab, wie mir das wohl gethan, und wie es mich gemacht Gott erkennen! — Denn stuhnd er auf, wie wenn er nicht wuͤßte wo er war, und sagte, Kinder! Kinder! kommt, wir wollen gehen zu diesen Waysen! Die Kinder draͤngten sich an ihn an, hatten Thraͤnen in den Augen, und suchten seine Hand. Dann trat der Junker aus seinem Stuhl, und sagte, ich will bey euch seyn bis diese Kin- derlehr aus ist, und nun folgten die Vorgesezten, und alles Volk das in der Kirche war, dem Pfar- rer in das Haus des Kienastes. Der Vater und die Kinder stuhnden alle um das Bett der Todten, als der Junker und der Pfarrer in die Stube hineinkamen. Dann giengen sie zuerst allein und machten die Vorgesezten und Kinder, und wer mit ih- nen kam, unten im Tenn und vor dem Haus zu warten, bis man ihnen riefe. Der arme Alte sagte mit gebeugtem Haupt zu ihnen: es hat in Gottes Namen eine Aende- rung gegeben, ihr Herren! Wir wissens, lieber Alter! erwiederte der Junker, und sezte nach der Bauern Weise hinzu: Gott troͤst euch im Leid! denn machte er den zit- ternden Mann absizen mit dem Pfarrer auf sei- nen Ofenbank, neben ihn zu, und hielt seine kalte Hand in seine warme. Das machte den Alten bald traulich, daß er konnte anfangen reden, danken, und dann er- zaͤhlen; wie die Geissenmilch seiner Frauen selig noch so wohl gethan, wie sie die lezten fuͤnf Wo- chen gar nichts mehr genossen als alle Tage et- liche Loͤffel voll davon, und denn wie sie Gottlob noch zu sich selber gekommen, und auch wieder Antheil an allem genommen was begegnet, in- sonderheit auch an dem neuen Wesen in der Schul, dem sie alle Tage bey den Kindern nach- gefragt. — Aber dann habe sie auch einmal mit einem tiefen Seufzer gesagt: mein Gott! wenn ich in der Schul auch so Spiztruken und Spinnraͤder haͤtte in den Haͤnden haben muͤssen, so waͤre ich gewiß nicht so worden. Sie habe da, sagt er, hinzugesezt: es ist in Gottes Namen das! — Und zu den Kindern: — Gottlob! daß es euch jezt anderst geht. — Das gieng dem Junker und dem Pfarrer zu Herzen, daß sie die Thraͤnen fast nicht zuruͤkhal- ten konnten. Da sie in die Stube kamen, hatten sie das Susannelj zwischen dem Vater und allen Kin- dern vollends wie eine Mutter da stehend ange- troffen. Es entrann aus seinem Stadtdienst, und kam noch eine Stunde, ehe sie verschied, zu ihrem Sterben, warf sich wie von Sinnen auf ihr Bett, und bat in unverstaͤndlichem Schluchzen um Verzeihung und um ihren Segen. Die Mutter konnte nicht mehr reden; — aber noch oͤffnete sie ihre Augen, deutete auf das Ohr, daß sie noch hoͤre, und auf den Mund, und dann gegen den Vater. Er verstuhnd sie, verdruͤkte seinen Schmerz, daß er reden koͤnne, und sagte dann mit stam- melnden Worten — wie die liebe Mutter auch gegen ihns ihre Fehler erkennt, und ihns noch um Verzeihung gebeten! — aber denn auch, daß es bey ihnen bleibe, und sie nicht mehr verlasse. Bey jedem Wort des Vaters zitterte das Kind, sank sprachlos zwischen ihn und sie hin, und lag so da, bis sie erloschen. Da wars mit ihrem Erloͤschen, wie wenn es erwachte, zu zei- gen, daß es fuͤr sie Mutter und Schwester sey und bleiben wolle, so lang es noͤthig. Im Glau- ben an ihns, stuhnden Vater und Kinder um ihns her und an ihns an, wie ihns Arner er- blikte, da er die Thuͤre aufthat. Er rief ihns jezt beyseits, und fragte ihns: Habet ihr auch zu essen? — Es that ein wenig die Augen gegen ihn auf, und sagte halblaut: Ja! Es war aber Nein; und er verstuhnds, und sagte: Habet ihr Anken im Haus? Das nicht, sagte das Kind. Und der Junker: — Ihr muͤsset haben, und du mußt machen, daß dein Bater wieder zu Kraͤften kommt, und ihm darnach kochen. Da hast du etwas, thu ihm Anken zu und ein Glas Wein. Ich will ihn aber bald wieder sehen. Mit dem war er von ihm weg. Indessen hatten die Vorgesezten im Tenn ab- geredt, damit der Junker und Pfarrer sehen, daß sie auch Mitleiden haben koͤnnen, dem Kien- ast, so lang er lebe, alle Burgerdienste zu schen- ken, und ihm sein Burgerholz ohne seine Koͤsten machen und zufuͤhren zu lassen. Und nun rief der Pfarrer ihnen und den Kin- dern in die Stube. — Das uͤbrige Volk, das aus der Kirche mitkam, blieb unter der Thuͤre und vor den Fenstern. Aber es war dem Kienast, wie wenn ers nicht glauben koͤnne, da ihm die Vorgesezten sagten, was sie abgeredt. Denn obwohl ein Herkommen im Dorf ist, daß immer sieben arme alte Maͤnner so frohnungsfrey ihren Burgergenuß beziehen sollen, so kam das bey Mannsdenken doch nie an jemand andern, als an Lumpen, die ihnen verwandt, oder an Schelmen und freche Pursch, deren Maul sie foͤrchteten. Die Kinder aber umringten, in Haufen ge- theilt, die Waysen nach ihrem Alter; ein jedes draͤngte sich zu demjenigen, so es am naͤchsten kannte. Sie druͤkten ihnen die Hand, und sag- ten ihnen: “Gott troͤst euch im Leid!„ Denn herrschte ein stummes Schweigen, und aller Augen waren in Thraͤnen. Da nahm der Pfarrer das Wort, und sagte: Kinder! Gott ist nahe, wo die Menschen einan- der Liebe zeigen. — Denn fuͤhrte er eines nach dem andern an der Hand zu der Todten, die da lag wie das Bild des uͤberstandenen Elends, und sagte einem jeden ein Wort fuͤr ihns in seine Seele. Es war ein Unterricht wie der Unterricht eines Heiligen. Denn fuͤhrte er sie wieder, eines nach dem andern, zu den Waysen, daß sie ihnen die Hand geben, und sagte ihnen noch: bleibet Geschwi- sterte, und denket an diese Stunde, wenn ihr an Gott denket! Mit dem Wort stuhnd er auf, wie wenn er noch in der Kirche, und seine Kinder- lehr endete, und sagte mit gefalteten Haͤnden zum Volk: — “Der Herr segne und behuͤte euch! Der Herr lasse sein heiliges Angesicht uͤber euch leuchten, und sey euch gnaͤdig! — Nun gehet hin im Frieden des Herrn, haltet christli- che Zucht und Ehrbarkeit, und liebet einander wie uns Christus Jesus geliebet hat! Amen.„ Nun gieng die Gemeind von einander und aus einem Munde toͤnte, es war doch schoͤn! Und Vater und Mutter sagten zu einander: die Kinder muͤssen angenehm werden vor Gott, wenn man sie also lehrt, es ist nicht anderst moͤg- lich. Und auf allen Zungen lagen die Worte: “wir moͤchten ihm danken„! Einer sprach sie aus, und ja! — ja! und nasse Augen waren die Antwort aller. Da stand das Volk zehen Schritt von des Kienasten Haus still, und als der Junker und der Pfarrer heraus kamen, trat der alte Reinold, den die andern dafuͤr gebetten, hervor, und dankte im Angesicht des Volks das sich immer staͤrker vor dem Haus versammelt, ihnen, dem Jun- ker und dem Pfarrer mit dem Ausdruk: “ihre Herzen seyen voll, und sie koͤnnen nichts anders sagen, als daß sie ihnen an Gottes Statt seyen!„ Das stille Schweigen der Menge, und die Menschlichkeit des ganzen Anbliks risse den Jun- ker und den Pfarrer hin, daß sie einen Augenblik nicht antworten konnten. Nach einer Weile sagte der Junker, wir moͤch- ten wohl gern, wenn wir nur koͤnnten euch gluͤk- lich machen! Und das Volk erwiederte dem edeln Vater, wir sehens Gottlob, und erkennens! Er redte nichts mehr. Das Volk zerstreute sich still. — Er aber nahm da noch dem Pfar- rer die Hand, und sagte zu ihm: wir sind Gott- lob um einen Schritt weiter mit dem Dorf als wir selber geglaubt. —