Maler Nolten . Novelle in zwei Theilen von Eduard Mörike . Mit einer Musikbeilage . I. Stuttgart. E. Schweizerbart's Verlagshandlung . 1832. Maler Nolten. 1 E in heiterer Juniusnachmittag besonnte die Stra- ßen der Residenzstadt. Der ältliche Baron Jaßfeld machte nach längerer Zeit wieder einen Besuch bei dem Maler Tillsen , und nach seinen eilfertigen Schritten zu urtheilen, führte ihn dießmal ein ganz besonderes Anliegen zu ihm. Er traf den Maler, wie gewöhnlich nach Tische, mit seiner jungen Frau in dem kleinen, ebenso geschmackvollen als einfachen Saale, dessen an- tike Dekoration sich gar harmonisch mit den gewöhn- lichen Gegenständen des Gebrauchs und der Mode aus- nahm. Man sprach zuerst in heiterm Tone über ver- schiedene Dinge, bis die Frau sich in Angelegenheiten der Haushaltung entfernte und die beiden Herren allein ließ. Der Baron saß bequemlich mit übereinanderge- schlagenen Beinen im weichen Fauteil, und indeß die Wange in der rechten Hand ruhte, schien er während der eingetretenen Pause den Maler in freundlichem Nachsin- nen mit der neuen Ansicht zu vergleichen, die sich ihm seit gestern über dessen Werke aufgedrungen. „Mein Lieber!“ fing er jetzt an, „daß ich Ihnen nur sage, war- um ich vornehmlich hieher komme. Ich bin kürzlich bei dem Grafen von Zarlin gewesen und habe dort ein Gemälde gesehen, wieder und wieder gesehen und des Sehens kaum genug gekriegt. Ich fragte nach dem Meister, der Graf ließ mich rathen, ich rieth und sagte: Tillsen ! — schüttelte aber unwillkürlich den Kopf dabei, weil mir zugleich war, es könne doch nicht wohl seyn; ich sagte abermals: Tillsen , und sagte zum zweiten Mal: Nein!“ Bei diesen Worten zeigte sich eine Spur von Ver- druß und Verlegenheit auf des Malers Gesicht; er wußte sie jedoch schnell zu verbergen und fragte mit guter Laune: „Nun! das schöne Wunderwerk, das mei- nen armen Pinsel bereits zweimal verläugnet hat — was ist es denn eigentlich?“ „Stellen Sie sich nicht, Bester,“ erwiderte der Alte aufstehend, mit herzlicher Fröhlichkeit und glänzen- den Augen, „Ihnen ist wohl bekannt, wovon ich rede. Der von Zarlin hat Ihnen das Bild abgekauft und Sie sind nach seiner Versicherung der Mann, der es gemacht. Hören Sie, Tillsen ,“ hier ergriff er seine Hand, „hören Sie! ich bin nun einmal eben ein auf- richtiger Bursche, und mag, wo ich meine Leute zu ken- nen glaube, nicht übertrieben viel Vorsicht brauchen, also plazte ich Ihnen gleich damit heraus, wie mir’s mit Ihrem Bilde ergangen; es enthält unverkennbar so Manches Ihrer Kunst, besonders was Farbe, was Schönheit im Einzelnen, was namentlich auch die Land- schaft betrifft, aber es enthält — nein, es ist sogar durchaus wieder etwas Anderes, als was Sie bisher waren, und indem ich zugebe, daß die überraschende Entdeckung gewisser Ihnen in minderem Grade eigenen Vorzüge mich irre gemacht, so liegt hierin ein Vorwurf gegen Ihre früheren Arbeiten, den Sie immer von mir gehört haben, ohne darum zu zweifeln, daß ich Sie für einen in seiner Art trefflichen Künstler halte. Ich fand jetzt aber eine Keckheit und Größe der Komposition von Figuren, eine Freiheit überall, wie Sie meines Wissens der Welt niemals gezeigt hatten; und was mir schlech- terdings als ein Räthsel erschien, ist die auffallende Ab- weichung in der poetischen Denkungsart, in der Wahl der Gegenstände. Dieß gilt insbesondere von zwei Skizzen, deren ich noch gar nicht erwähnte und die Sie dem Grafen in Oel auszuführen versprochen haben.“ „Hier ist eine durchaus seltene Richtung der Phan- tasie; wunderbar, phantastisch, zum Theil verwegen und in einem angenehmen Sinne bizarr. Ich denke dabei an die Gespenstermusik im Walde und Mond- schein, an den Traum des verliebten Riesen. Tillsen ! um Gottes willen, sagen Sie, wann ist diese ungeheure Veränderung vorgegangen? wie erklären Sie mir sie? Man weiß und hat es bedauert, daß Tillsen in an- derthalb Jahren keine Farbe angerührt; warum sagten Sie mir während der lezten zwei Monate nicht eine Sylbe vom Wiederanfange Ihrer Arbeiten? Sie haben heimlich gemalt, Sie wollten uns überraschen, und wahrlich, theuerster, unbegreiflicher Freund, das ist Ih- nen gelungen.“ Hier schüttelte der feurige Redner den stummen Hörer kräftig bei den Schultern, schmunzelte und sah ihm nahezu unter die Augen. „Ich bin wahrhaftig,“ begann der Andere ganz ruhig, aber lächelnd, „um den Ausdruck verlegen, Ihnen meine Verwunderung über Ihre Worte zu bezeugen, wovon ich das Mindeste nicht verstehe. Weder kann ich mich zu je- nem Gemälde zu jenen Zeichnungen bekennen, noch überhaupt fass’ ich Ihre Worte. Das Ganze scheint ein Streich von Zarlin zu seyn, den er uns wohl hätte ersparen mögen. Wie stehen wir einander nun seltsam beschämt gegenüber! Sie sind gezwungen, ein mir nicht gebührendes Lob zurück zu nehmen, und der Tadel, den Sie vergnügt schon auf die alte Rechnung sezten, bleibt wo er hingehört. Das muß uns aber ja nicht geniren, Baron, wir bleiben, hoff’ ich, die besten Freunde. Geben Sie mir aber doch, ich bitte Sie, einen deutlichen Begriff von den bewußten Stücken. Setzen Sie sich!“ Jaßfeld hatte diese Rede bis zur Hälfte mit offen stehendem Munde, beinahe ohne Athemzug an- gehört, während der andern Hälfte trippelte er im Zickzack durch den Saal, stand nun plötzlich still und sagte: „Der Teufelskerl von Zarlin ! Wenn ja der — aber es ist impossibel, ich behaupte trotz allen himm- lischen Heerschaaren, Sie sind der Maler, kein Anderer; auch läßt sich nicht annehmen, daß es etwa nur zum Theil Ihre Produktion wäre; Sie haben sich in Ihrem Leben nie auf Fremdes verlegt.“ Der Maler bat wiederholt um die Schilderung der befragten Stücke. „Ich beschreibe Ihnen also, weil Sie es verlangen, ihr eigen Werk,“ hub der alte Herr, sich niedersetzend, an, „aber kurz, und korrigiren Sie mich gleich, wenn ich wo fehle. — Das ausgeführte Oelgemälde zeigt uns, wie einer Wassernymphe ein schöner Knabe auf dem Kahn von einem Satyr zugeführt wird. Jene bildet neben einigen Meerfelsen linker Hand die vorderste Figur. Sie drückt sich, vorgeneigt und bis an die Hüften im Wasser, fest an den Rand des Nachens, indem sie mit erhobenen Armen den reizenden Gegenstand ihrer Wünsche zu empfangen sucht. Der schlanke Knabe beugt sich angstvoll zurück und streckt, doch unwillkürlich, Einen Arm entgegen; hauptsächlich mag es der Zauber ihrer Stimme seyn, was ihn unwiderstehlich anzieht, denn ihr freundlicher Mund ist halb geöffnet und stimmt rührend zu dem Verlangen des warmen Blicks. Hier erkannte ich Ihren Pinsel, Ihr Kolorit, Ihren unnachahmlichen Hauch, o Tillsen , hier rief ich Ih- ren Namen aus. Das Gesicht der Nymphe ist fast nur Profil, der schiefe Rücken und eine Brust ist sichtbar; unvergleichlich das nasse, blonde Haar. Bei der Sen- kung einer Welle zeigt sich wenig der Ansatz des ge- schuppten Fischkörpers, in der Nähe schlägt der thie- rische Schwanz aus dem grünen Wasser, aber man vergißt das Ungeheuer über der Schönheit des mensch- lichen Theils und der Knabe vergeht in dem Liebreiz dieses Angesichts; er versäumt das leichte, nur noch über die Schulter geschlungene Tuch, das der Wind als schmalen Streif in die Höhe flattern läßt. Eine Figur von großer Bedeutung ist der Satyr als Zu- schauer. Die muskulose Figur steht, auf das Ruder gelehnt, etwas seitwärts im Schiffe, und überragt, obgleich nicht ganz aufrecht, die Uebrigen. Eine stumme Leidenschaft spricht aus seinen Zügen, denn obgleich er der Nymphe durch den Raub und die Herbeischaf- fung des herrlichen Lieblings einen Dienst erweisen wollte, so straft ihn jezt seine heftige Liebe zu ihr mit unverhoffter Eifersucht. Er möchte sich lieber mit Wuth von dieser Scene abkehreu , allein er zwingt sich zu ruhiger Betrachtung, er sucht einen bittern Genuß darin. Das Ganze rundet sich vortrefflich ab und mit Klugheit wußte der Maler das Eine leere Ende des Nachens rechter Hand hinter hohe Seegewächse zu verstecken. Uebrigens ist vollkommene Meeraussicht und man befindet sich mit den Personen einsam und ziemlich unheimlich auf dem hülflosen Bereiche. Ich sage Ihnen Nichts weiter, mein Freund. Ihre ge- lassene Miene verräth mir eine hinlängliche Bekannt- schaft mit der Sache; Sie dürften übrigens, wenn keine Verwunderung, doch wahrlich ein wenig gerech- ten Stolz auf ihr Werk blicken lassen, wofern nicht eben in diesem Anscheine von Gleichgültigkeit schon der höchste Stolz liegt.“ „Die Skizzen, wenn ich bitten darf!“ erwiderte der Andere; „wie verhält es sich damit? Sie haben mich sehr neugierig gemacht.“ Der Baron holte frisch Athem, lächelte und be- gann doch bald ernsthaft: „Federzeichnung, mit Wasser- farbe ziemlich ausgeführt, nach Ihrer gewöhnlichen Weise. Das Blatt, wovon jezt die Rede ist, hat einen tiefen, und besonders als ich es zum zweiten Mal bei Lichte sah, einen fast schauderhaften Ein- druck auf mich gemacht. Es ist nichts weiter als eine nächtliche Versammlung musikliebender Gespenster. Man sieht einen grasigen, etwas hüglichten Wald- platz, ringsum, bis auf Eine Seite, eingeschlossen. Jene offene Seite rechts läßt einen Theil der tiefliegenden, in Nebel glänzenden Ebene übersehen; dagegen erhebt sich zur Linken im Vorgrunde eine nasse Felswand, unter der sich ein lebhafter Quell bildet und in deren Vertiefung eine gothisch verzierte Orgel von mäßiger Größe gestellt ist; vor ihr auf einem bemoosten Blocke sizt im Spiele begriffen gleich eine Hauptfigur, wäh- rend die Uebrigen theils ruhig mit ihren Instrumen- ten beschäftigt, theils im Ringel tanzend oder sonst in Gruppen umher zerstreut sind. Die wunderlichen Wesen sind meist in schleppende, zur Noth aufgeschürzte Gewande von grauer oder sonst einer bescheidenen Farbe gehüllt, blasse mitunter sehr angenehme Todten- gesichter, selten etwas Grasses, noch seltener das ge- schälte häßliche Todtenbein. Sie haben sich, um nach ihrer Weise sich gütlich zu thun, ohne Zweifel aus einem unfernen Kirchhof hieher gemacht. Dieß ist schon durch die Kapelle rechts angedeutet, welche man unten in einiger Nähe, jedoch nur halb, erblickt, denn sie wird durch den vordersten Grabhügel abgeschnitten, an dessen eingesunkenem Kreuze von Stein ein Flö- tenspieler mit bemerkenswerther Haltung und trefflich drapirtem Gewande sich hingelagert hat. Ich wende mich aber jezt wieder auf die entgegengesezte Seite zu der anziehenden Organistin. Sie ist eine edle Jung- frau mit gesenktem Haupte; sie scheint mehr auf den Gesang der zu ihren Füßen strömenden Quelle, als auf das eigene Spiel zu horchen. Das schwarze, see- lenvolle Auge taucht nur träumerisch aus der Tiefe des inneren Geisterlebens, ergreift keinen Gegenstand mit Aufmerksamkeit, ruht nicht auf den Tasten, nicht auf der schönen runden Hand, ein wehmüthig Lächeln schwimmt kaum sichtbar um den Mundwinkel und es ist, als sinne dieser Geist im jetzigen Augenblicke auf die Möglichkeit einer Scheidung von seinem zweiten leiblichen Leben. An der Orgel lehnt ein schlummer- trunkener Jüngling mit geschlossenen Augen und lei- denden Zügen, eine brennende Fackel haltend; ein großer goldenbrauner Nachtfalter sizt ihm in den Seitenlocken. Zwischen der Wand und dem Kasten scheint sich der Tod als Kalkant zu befinden, denn eine knöcherne Hand und ein vorstehender Fuß des Gerippes wird bemerkt. Unter den Gestalten im Mittelgrunde zeichnet sich namentlich eine Gruppe von Tanzenden aus, zwei kräftige Männer und eben so viel Frauen in anmuthigen und kunstvollen Bewegun- gen, mit hochgehaltener Handreichung, wobei zuweilen nackte Körpertheile edel und schön zum Vorschein kommen. Indessen, der Tanz scheint langsam und den ernsten, ja traurigen Mienen derjenigen zu entsprechen, welche ihn aufführen. Diesen zu beiden Seiten und dann mehr gegen den Hintergrund entfaltet sich ein vergnügteres Leben; man gewahrt muntere Stellun- gen, endlich possenhafte und neckische Spiele. Etwas fiel mir besonders auf. Ein Knabengerippe im leich- ten Scharlachmäntelchen sitzt da und wollte sich gern von einem andern den Schuh ausziehen lassen, aber das Bein bis zum Knie ging mit und der ungeschickte Bursche will sich zu Tode lachen. Hingegen ein an- derer Zug ist folgender: Vorn bei dem Flötenspieler befindet sich ein Gesträuche, woraus eine magere Hand ein Nestchen bietet, während ein hingekauerter Greis sein Söhnchen bei der hingehaltenen Kerze bereits einem Vogel in die verwundert unschuldigen Aeuglein blicken läßt; der Bursche hat übrigens schon eine zap- pelnde Fledermaus am Fittig. Es gibt mehrere Züge der Art; es gäbe überhaupt noch gar Vieles anzu- führen. Die Beleuchtung, der wundervolle Wechsel zwischen Mond- und Kerzenlicht, wie dieß einst bei’m Oelgemälde, besonders in der Wirkung auf’s Grün, sich zauberisch darstellen wird, ist überall bereits effekt- voll angedeutet und mit großer Kenntniß behandelt. Doch genug! der Henker mag so was beschreiben.“ Tillsen hatte schon seit einer Weile zerstreut und brütend gesessen. Jezt da das Schweigen des Barons ihn zu sich selbst gebracht, erhob er sich rasch mit glühender Stirn vom Sessel und sprach ent- schlossen: „Ja, mein Herr, ich darf es sagen, von meiner Hand ist, was Sie gesehen haben, doch“ — hier brach er in ein gezwungenes Gelächter aus. „Gott sey Dank!“ unterbrach ihn der Baron, entzückt aufspringend, „nun hab’ ich genug; lassen Sie sich küssen, umarmen, Charmantester! die anderthalb Jahre Fastenzeit, worin Sie die Palette vertrocknen ließen, haben Wunder an Ihnen gereift, eine Periode ent- wickelt, über deren Früchte die Welt staunen wird. Nun geht es Schlag auf Schlag, geben Sie Acht, seitdem der neue, starke Frühling für Ihre Kunst durchbrochen hat, und in dieser Stunde prophezeih’ ich Ihnen die Fülle eines Ruhmes, der vielleicht Hun- derte begeistern wird, das ganze Mark der Kräfte an die edelste Kunst zu wenden, aber auch Tausende zwin- gen muß, in muthlosem Neide sie abzuschwören. Ach lieber, bescheidener Mann, Sie sind bewegt, ich bin es nicht weniger von herzlicher Freude. Lassen Sie uns in diesem glücklichen Moment mit einem warmen Händedruck auseinander gehen, und kein Wort weiter. Ich gehe zum Grafen. Leben Sie wohl! auf Wieder- sehen.“ Damit war er zur Thüre hinaus. Der Maler, unbeweglich, sah ihm nach. Es wollte ihn jezt fortreißen, dem Baron zu folgen, ihm eine plötzliche Aufklärung zu geben, aber ein unwill- kürlicher trockener Entschluß hielt ihn wie an den Boden gefesselt. Erst nach einer langen Stille brach er, beinahe schmerzlich lächelnd, in die Worte aus: O betrogener redlicher Mann! wie hast du dich un- nöthig über mich verjubelt, mir arglos meine ganze Blöße gezeigt! Ich mußte ein Lob anhören, das nicht mir, sondern einem Andern gehört und das just alles das heraus hob, was mir zum rechten Maler abgeht, ewig abgehen wird! Es ist wahr, fuhr er in Ge- danken fort, die Ausführung jener Kompositionen ist mein und ist nicht das Schlechteste am Ganzen; sie dient, jenen Erfindungen die rechte Bedeutung zu geben; ohne mein Zuthun wären vielleicht die Skizzen des armen Zeichners gleichgültig übersehen worden. Aber nur auf der Spur seines Geistes stärkte, belebte sich der meinige, und nur von jenem ermuthigt konnte ich sogar auf eine Höhe des Ausdrucks kommen, bis zu welcher ich mich nie erhoben hatte. Wie arm, wie Nichts erschein’ ich mir diesem unbekannten Zeichner gegenüber! Wie würf’ ich mit Freuden Alles hin, was sonst an mir gerühmt wird, für die Gabe, solche Umrisse, solche Linien, solche Anordnung zu schaffen! Ein Crayon, ein dürftig Papier ist ihm genug, damit er mich über den Haufen stürze. Wüßten nur erst die Herren, daß es die Werke eines Wahnsinnigen sind, welche sie bewundern, eines unscheinbaren ver- dorbenen Menschen, ihr Staunen würde noch größer seyn, als da sie in mir den Meister gefunden zu ha- ben glauben. Noch kennt außer mir Niemand den wahren Erfinder, aber gesezt, ich wollte auf die Ge- fahr, das dieser sein eigensinniges Incognito brechen kann, mir dennoch den Ruhm seiner Schöpfungen er- halten, ich fände einen weit stärkeren Grund dagegen in dem eigenen innern Bewußtseyn. Darum muß es an den Tag, lieber heute als morgen, ich sey keines- wegs der Rechte. Das waren ungefähr die Gedanken des lebhaft aufgeregten Mannes. Indessen war er, was den lez- ten Punkt betrifft, noch nicht so ganz entschieden. Hatte er bisher die Meinung der Freunde so hin- hängen lassen, ohne sie eben zu bestärken, ohne zu widerlegen, indem er sich mit zweideutigem Scherz in der Mitte hielt, so dachte er jezt, er könne unbe- schadet seines Gewissens noch eine Zeitlang zuwarten mit der Enthüllung, und er wolle sein Benehmen nachher, wenn es nöthig sey, schon auf ehrenvolle Art rechtfertigen. So eben trat die junge Fran wieder ins Zim- mer: sie bemerkte die auffallende Bewegung an ihrem Manne, sie fragte erschrocken, er läugnete und herzte sie mit einer ungewohnten Inbrunst. Dann ging er auf sein Zimmer. Es verstrichen mehrere Wochen, ohne daß unser Maler gegen irgend Jemanden sich über den wahren Zusammenhang der Sache erklärte, seinen Schwager, den Major v. R., ausgenommen, dem er folgende auffallende Eröffnung machte. „Es mag nun bald ein Jahr seyn, als mich eines Abends ein verwahrlos’ter Mensch von schwächlicher Gestalt und kränklichem Aussehen, eine spindeldünne Schneiderfigur, in meiner Werkstätte besuchte. Er gab sich für einen eifrigen Dilettanten in der Malerei aus. Aber die windige Art seines Benehmens, das Verworrene seines Ge- sprächs über Kunstgegenstände war eben so verdächtig, als mir überhaupt der ganze Besuch fatal und räth- selhaft seyn mußte. Ich hielt ihn zum wenigsten für einen aufdringlichen Schwätzer, wo nicht gar für einen Schelmen, wie sie gewöhnlich in fremden Häusern um- herschleichen, die Leute zu bestehlen und zu betrügen. Hingegen wie groß war meine Verwunderung, als er einige Blätter hervorzog, die er mit vieler Bescheiden- heit für leichte Proben von seiner Hand ausgab. Es waren reinliche Entwürfe mit Bleistift und Kreide voll Geist und Leben, wenn auch manche Mängel an der Zeichnung sogleich in’s Auge fielen. Ich verbarg meinen Beifall absichtlich, um meinen Mann erst aus- zuforschen, mich zu überzeugen, ob das Alles nicht etwa fremdes Gut wäre. Er schien mein Mißtrauen zu bemerken und lächelte beleidigt, während er die Pa- piere wieder zusammenrollte. Sein Blick fiel inzwi- schen auf eine von mir angefangene Tafel, die an der Wand lehnte, und wenn kurz vorher einige seiner Ur- theile so abgeschmackt und lächerlich als möglich klan- gen, so ward ich jezt durch einige bedeutungsvolle Worte aus seinem Munde überrascht, welche mir ewig unvergeßlich bleiben werden, denn sie bezeichneten auf die treffendste Weise das Charakteristische meiner Ma- nier und lös’ten mir das Geheimniß eines Fehlers, den ich bisher nur dunkel empfunden hatte. Der wunderliche Mensch wollte mein Erstaunen nicht bemerken, er griff eben nach dem Hute, als ich ihn lebhaft zu mir auf einen Sitz niederzog und zu einer weiteren Erörterung aufforderte. Es übersteigt jedoch alle Beschreibung, in welch’ sonderbarem Gemische des fadesten und un- sinnigsten Galimatias mit einzelnen äußerst pikanten Streiflichtern von Scharfsinn sich der Mensch in einer süßlich wispernden Sprache nun gegen mich verneh- men ließ. Dieß Alles zusammengenommen und das unpassende Kichern, womit er sich selber und mich gleichsam zu verhöhnen schien, ließ keinen Zweifel übrig, daß ich hier das seltenste Beispiel von Ver- rücktheit vor mir habe, welches mir je begegnet war. Ich brach ab, lenkte das Gespräch auf gewöhnliche Dinge und er schien sich in seinem stutzerhaft affektir- ten Betragen nur immer mehr zu gefallen. Dieß elegante Vornehmthun machte mit seinem nothdürfti- gen Aeußern, einem abgetragenen, hellgrünen Fräck- chen und schlechten Ranking-Beinkleidern einen höchst komischen, affreusen Kontrast. Bald zupfte er mit zierlichem Finger an seinem ziemlich ungewaschenen Hemdstrich, bald ließ er sein Bambusröhrchen auf dem schmalen Rücken tänzeln, indem er zugleich bemüht war, durch Einziehung der Arme mir die schmähliche Kürze des grünen Fräckchens zu verbergen. Mit alle diesem erregte er meine aufrichtige Theilnahme. Mußt’ ich mir nicht einen Menschen denken, der mit seinem außerordentlichen Talente, vielleicht durch gekränkte Eitelkeit, vielleicht durch Liederlichkeit, dergestalt in Zerfall gerathen war, daß zulezt nur dieser jämmer- liche Schatten übrig blieb? Auch waren jene Zeich- nungen, wie er selbst bekannte, aus einer längst ver- gangenen, bessern Zeit seines Lebens. Auf die Frage, womit er sich denn gegenwärtig beschäftige, antwortete er hastig und kurz: er privatisire; und als ich von weitem die Absicht blicken ließ, jene Blätter von ihm zu erstehen, schien er trotz eines pretiösen Lächelns nicht wenig erleichtert und vergnügt. Ich bot ihm drei Dukaten, die er mit dem Versprechen zu sich steckte, mich bald wieder zu sehen. Nach vier Wochen erschien er abermals und zwar schon in merklich bes- serem Aufzuge. Er brachte mehrere Skizzen mit: sie waren wo möglich noch interessanter, noch geistreicher. Indessen hatt’ ich beschlossen, ihm vor der Hand nichts weiter abzunehmen, bis ich über die Rechtmäßigkeit eines solchen Erwerbs völlig in’s Reine gekommen wäre, etwa dadurch, daß er veranlaßt würde, gleichsam unter 2 meinen Augen eine Aufgabe zu lösen, die ich ihm un- ter einem unverfänglichen Vorwande zuschieben wollte. Ich hatte meine Gedanken hiezu schriftlich angedeutet, erklärte mich ihm auch mündlich darüber, und er eilte sogleich mit der Hoffnung weg, mir seinen Versuch in einigen Tagen zu zeigen. Aber wer schildert meine Freude, als schon am Abende des folgenden Tages die edelsten Umrisse zu der angegebenen Gruppe aus dem Statius vor mir lagen, in der ganzen Auffassung des Gedankens weit kühner und sinnreicher als der Umfang meiner Imagination jemals reichte. Manche flüchtige Bemerkung des närrischen Menschen bewies überdieß unwidersprechlich, daß er mit Leib und Seele bei der Zeichnung gewesen. Auch dieser Entwurf und in der Folge noch der eine und andere ward mein Eigenthum; allein plötzlich blieb der Fremde aus und eigensinniger Weise hatte er mir weder Namen noch sonstige Adresse zurückgelassen. Nach und nach fühlte ich unwiderstehliche Lust, drei bis vier der vorhandenen Blätter vergrößert in Wasserfarbe auf’s Neue zu skizzi- ren und sofort in Oel darzustellen, wobei denn bald die liebevollste wechselseitige Durchdringung meiner Manier und jenes fremden Genius Statt fand, so daß die Entscheidung so leicht nicht seyn möchte, wenn nunmehr bei den völlig ausgemalten Tableaus ein zwiefaches und getrenntes Verdienst gegen einander abgewogen werden sollte. Vor einem Freunde und Schwager darf ich dieses selbstgefällige Bekenntniß gar wohl thun, und vielleicht wird das Publikum mir nicht mindere Gerechtigkeit wiederfahren lassen, wenn ich ihm demnächst bei der öffentlichen Ausstellung jene Bilder vorführen werde, ohne ihren doppelten Ursprung im mindesten zu verläugnen; denn dieß war längst mein fester Entschluß.“ „Das sieht dir ähnlich,“ erwiderte hierauf der Major, welcher bisher mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört hatte; „es bedarf, dünkt mich, bei einem Künstler von deinem Rufe nicht einmal großer Resig- nation zu einer solchen Aufrichtigkeit, ja man wird in dem ganzen Unternehmen eine Art Herablassung finden, wodurch du jenes unbekannte Talent zu wür- digen und zu ehren dachtest. Aber, um wieder auf den armen Tropfen zu kommen, hast du ihn denn auf keine Weise ausfindig machen können?“ „Auf keine Weise. Einmal glaubte mein Be- dienter seine Spur zu haben, allein sie verschwand ihm wieder.“ „Es wäre doch des Teufels,“ rief der Major aus, „wenn meine Spürhunde mich hier im Stiche ließen! Schwager, laß mich nur machen. Die Sache ist zu merkwürdig, um sie ganz hängen zu lassen. Du magst mich vor aller Welt nur selbst für den geheim- nißvollen Narren ausgeben, wenn ich dir ihn nicht binnen vier und zwanzig Tagen aus irgend einer Spe- lunke, Dachstube oder dem Narrenhause selbst hervor- ziehe!“ Diese vier und zwanzig Tage waren noch nicht um, so geschah es, daß Tillsen über die wahre Be- wandtniß der Sache auf einem ganz anderen Wege aufgeklärt wurde, als er je vermuthen konnte. In seiner Abwesenheit meldete sich eines Mor- gens ein wohlgekleideter junger Mann im Tillsen ’schen Hause an, und die Frau führte ihn indeß in ein Sei- tenzimmer, wo er ihren Gemahl erwarten möchte. Sie selbst, obgleich durch seine sehr vielversprechende und auffallend angenehme Gesichtsbildung nicht wenig interessirt, entfernte sich sogleich wieder, weil die zer- streute Unruhe seiner Miene ihr hinlänglich sagte, daß eine weitere Ansprache hier nicht am Platze seyn würde. Nach einer Viertelstunde erst trat der Maler in das bezeichnete Kabinet. Er fand den jungen Mann nachdenkend, den Kopf in beide Hände gestüzt, auf einem Stuhle sitzen, den Rücken ihm zugewandt und dem großen Gemälde gegenüber, das, bis auf die breit goldene Rahme, verhüllt an der Wand da hing. Der Maler, einigermaßen verwundert, trat stillschweigend näher, worauf dann der Andere erschrocken auffuhr, indem er zugleich hinter einer angenehmen, verlegenen Freundlichkeit die Thränen zu verstecken suchte, worin er sichtbar überrascht worden war. „Ich komme,“ fing er jezt mit heiterm Freimuthe an, „ich komme in der wunderlichsten und zugleich in der erfreulichsten An- gelegenheit vor Ihr Angesicht, verehrter Mann! Meine Person ist Ihnen unbekannt, dennoch haben Sie, wie ich weiß, mein eigentliches Selbst bereits dergestalt kennen gelernt und bis auf einen gewissen Grad sogar liebgewonnen, daß ich mich nun mit un- abweislichem Vertrauen unter Ihre Stirne dränge. Doch, lassen Sie mich deutlich reden. Ich heiße Theobald Nolten und studire in hiesiger Stadt ziemlich unbekannt die Malerei. Nun fand ich gestern in der aufgestellten Galerie unter andern ein Ge- mälde, das Opfer der Polyxena vorstellend, das mir auf den ersten Blick als eine innig vertraute Erschei- nung entgegentrat. Es war, als stünde durch Zau- berwerk hier ein früher Traum lebendig verkörpert vor meinem schwindelnden Auge. Diese schmerzvolle Königstochter schien mich so schwesterlich bekannt zu grüßen, ihre ganze Umgebung däuchte mir sogar nicht fremd, und doch, über das Ganze war ein Licht, ein Reiz gegossen, der nicht aus meinem Innern, der von einer höhern Macht, von den Olympischen selbst her- abgestrahlt schien; ich zitterte, bei Gott! ich —“ „Was?“ unterbrach ihn Tillsen , „Sie wären — ja Sie sind der wunderbare Künstler, dem ich so Vieles abzubitten —“ „Nicht doch,“ entgegnete jener feurig, „nein! der Ihnen Unendliches zu danken hat. O edelster Mann! Sie haben mich mir selbst enthüllt, indem Sie mich hoch über mich hinausgerückt und getragen. Sie weckten mich mit Freundeshand aus einem Zustande der dunkeln Ohnmacht, rissen mich auf die Sonnen- höhe der Kunst, da ich im Begriffe war, an meinen Kräften zu verzweifeln. Ein Elender mußte mich be- stehlen, damit Sie Gelegenheit hätten, mir in Ihrem klaren Spiegel meine wahre, meine künftige Gestalt zu zeigen. So empfangen Sie denn Ihren Schüler an das väterliche Herz! Lassen Sie mich sie küssen die gelassene Hand, welche auf ewig die verworrenen Fäden meines Wesens ordnete — mein Meister! mein Erretter!“ So lagen sich beide Männer einige Sekunden lang fest in den Armen und von diesem Augenblicke an war eine lebhafte Freundschaft geschlossen, wie sie wohl in so kurzer Zeit zwischen zwei Menschen, die sich eigentlich zum ersten Male im Leben begegnen, selten möglich seyn wird. „Erlauben Sie, mein Lieber,“ sagte Tillsen , „daß ich erst zur Besinnung komme. Noch weiß ich nicht, bin ich mehr beschämt oder mehr erfreut durch Ihre herzlichen Worte. Ich werde Sie in der Folge noch besser verstehen. So sagen Sie für’s Erste nur, wie verhält sich’s denn mit dem diebischen Schufte, dem wenigstens das Verdienst bleiben muß, uns zusammen geführt zu haben?“ „Wohl! Hören Sie! Nach meiner Rückkehr aus Italien, es ist nun über ein Jahr, traf ich auf der Reise hieher, wo ich völlig fremd war, einen Hasen- fuß, Barbier seiner Profession, — er nannte sich Wispel , — der mir seine Dienste als Bedienter an- trug, und ich nahm ihn aus einem humoristischen In- teresse an seiner Seltsamkeit um so lieber auf, da er neben einem, daß ich so sage, universal-enthusiastischen Hieb, neben einem badermäßigen Hochmuth, immer eine gewisse Gutmüthigkeit zeigte, die in der Folge nur der bornirtesten Eitelkeit weichen konnte; denn so wollt’ ich darauf schwören, er hatte mit jenen entwen- deten Koncepten Anfangs keine andere Absicht, als vor Ihnen den Mann zu machen.“ „Allein er nahm doch Geld dagegen an?“ „Und wenn auch; diese Speculation ward sicher- lich erst durch Ihr Anerbieten bei ihm erweckt.“ „Aber er stellte sich völlig närrisch!“ „Ich zweifle sehr, daß er es darauf anlegte, oder gesezt, er legte es darauf an, so geschah es nur, nach- dem er Ihnen bereits den interessanten Verdacht ab- gelauscht. Seiner Dummheit kam übrigens die List beinahe gleich; so wußte er mich unter einem ausge- suchten Vorwande zu einer Zeichnung aus dem Stegreife zu bewegen, die ohne Zweifel auch für Sie bestimmt war, und wozu ich mich selbst durch den angenehm pro- ponirten Gegenstand angereizt fühlte. Wenn er Sie ferner durch den Schein eigener Bildung irre geführt hat, so begreif’ ich nur um so besser, warum er sich bei den Unterhaltungen, welche gelegentlich zwischen mir und einem Freunde vorkamen, immer viel im Zim- mer zu schaffen machte. Er mag Ihnen auf diese Art manchen schlecht verdauten Brocken hingeworfen haben.“ „Ach,“ sagte Tillsen nicht ohne einige Beschä- mung, „freilich, dergleichen Aeußerungen sahen mir dann immer verdächtig genug aus, wie Hieroglyphen auf einem Marktbrunnenstein, ich wußte nicht, woher sie kamen. Aber ein abgefeimter Bursche ist es doch! Und wo steckt denn der Schurke jezt?“ „Das weiß Gott. Seit einem halben Jahre hat er sich ohne Abschied von mir beurlaubt; etliche Wochen später entdeckt’ ich die große Lücke in meinem Porte- feuille.“ „Ich will sie wieder ausfüllen!“ erwiderte Tillsen mit Heiterkeit, indem er den Freund vor das verhängte Bild führte. „Ich wollte es diesen Morgen noch zur öffentlichen Ausstellung wegtragen lassen; doch, es ist nun Ihr Eigenthum. Lassen Sie sehen, ob Sie auch hinter diesem Tuche Ihre Bekannten erkennen.“ Nolten hielt die Hand des Malers an, während er das Geständniß ablegte, daß er vorhin der Versuchung nicht widerstanden, den Vorhang um einige Span- nen zurückzustreifen, daß er ihn aber, wie von dem Ge- spenste eines Doppelgängers erschreckt, sogleich wieder habe fallen lassen, ohne die Ueberblickung des Ganzen zu wagen. Jezt schlug Tillsen mit Einem Male die Hülle zurück und trat seitwärts, um den Eindruck des Stückes auf den Maler zu beobachten. Wir sagen nichts von der unbeschreiblichen Empfindung des Letztern und er- innern den Leser an das wunderliche Geister-Konzert, wovon ihnen der alte Baron früher einen Begriff ge- geben. Bewegt und feierlich gingen die Freunde aus- einander. Die umständlichere Erzählung dieser Begebenheit mußte vorangeschickt werden, um die rasche und er- freuliche Entwicklung desto begreiflicher zu machen, welche es von nun an mit der ganzen Existenz des jungen Künstlers nahm. War es ein gewisser Klein- muth oder Eigensinn, grillenhafter Grundsatz, was ihn bisher bewegen mochte, mit seinem Talente unbeschrieen hinter dem Berge zu halten, bis er dereinst mit ei- nem höhern Grade von Vollendung hervortreten könnte: so viel ist gewiß, daß die Behandlung der Oelfarbe ihm bisher große Schwierigkeiten entgegensezte, jedoch, wie Tillsen fand, nicht so große, als unser beschei- dener Freund sich gleichsam selbst gemacht hatte. Viel- mehr entdeckte Jener auch dießfalls an den Versuchen des Leztern die überraschendsten Fortschritte, und gerne faßte er den Entschluß zur förderlichen Mittheilung einzelner Vortheile. In Kurzem stand Nolten , was Geschicklichkeit betrifft, jedem braven Künstler gleich, und in Absicht auf großartigen Geist hoch über Allen. Seine Werke, sowie seine Empfehlung durch Tillsen , verschafften ihm sehr schätzbare Verbindungen, und na- mentlich erwies der Herzog Adolph , Bruder des Königs, sich gar bald als einen freundschaftlichen Gönner gegen ihn. War Theobald auf diese Weise durch die rasche und glänzende Veränderung seines bisherigen Zustan- des gewissermaßen selbst überrascht und anfänglich so- gar verlegen, so verwunderte er sich in der Folge bei- nahe noch mehr über die Leichtigkeit, womit er sich in seine jetzige Stellung gewöhnte und darin behauptete. Allerdings brauchte er die Achtung, durch die er sich vor Andern ausgezeichnet sah, nur als etwas Ver- dientes hinzunehmen, so kam sie ihm auch ganz natür- lich zu. Durch die Vermittlung des Herzogs erhielt er Zutritt im Hause des Grafen von Zarlin , der sich ohne eigene Einsichten, und wie Mehrere behaupteten, aus bloßer Eitelkeit als einen leidenschaftlichen Freund jeder Gattung von Kunst hervorthat, und dem es wirk- lich gelang, einen Zirkel edler Männer und Frauen um sich zu versammeln, worin geistige Unterhaltung aller Art, namentlich Lektüre guter Dichterwerke vor- kam. Die lebendig machende Seele des Ganzen jedoch war, ohne es zu wollen, die schöne Schwester des Grafen, Constanze von Armond , die junge Witt- we eines vor wenigen Jahren gestorbenen Generals. Ihre Liebenswürdigkeit wäre mächtig genug gewesen, den Kreis der Männer zu beherrschen und Gesetze vorzuschreiben, aber die angenehme Frau blieb mit der sanften Wirkung zufrieden, welche von ihrer Person auf alle übrigen Gemüther ausging, und sich allge- mein in der erwärmteren Theilnahme an den Unter- haltungsgegenständen offenbarte; ja, Constanze schien ihrer natürlichen Lebendigkeit öfters einige Gewalt an- zuthun, um die Huldigung von sich abzuleiten, wo- mit die Herren sie nicht undeutlich für die Königin der Gesellschaft erklärten. Auch Theobald fühlte sich insgeheim zu ihr hingezogen, und während der anderthalb Monate, worin er jede Woche drei Abende in ihrer Nähe zubringen durfte, entwickelte sich dieß heitere Wohlgefallen zu einem stärkeren Grade von Zuneigung, als er sich selbst eingestehen durfte. Die Reize ihrer Person, die Feinheit ihres gebildeten Gei- stes, verbunden mit einem lebhaften, selbst ausübenden Interesse für seine Kunst, hatten ihn zu ihrem leiden- schaftlichen Bewunderer gemacht, und wenn sein Ver- stand, wenn die oberflächlichste Betrachtung der äußern Verhältnisse ihm jeden entfernten Wunsch niederschlu- gen, so wiederholte er sich auf der andern Seite doch so manche leise Spur ihrer besondern Gunst mit un- ermüdeter Selbstüberredung, wobei er freilich nicht vergessen durfte, daß er in dem Herzog einen sehr geistreichen Nebenbuhler zu fürchten habe, der ihm überdieß, was Gewandtheit und schmeichelhaften Ton des Umgangs betrifft, bei weitem überlegen war. Die Leidenschaft des Herzogs war Theobalden desto drückender, je inniger sonst ihr beiderseitiges Verhält- niß hätte seyn können, dagegen nun der Letztere sei- nem arglosen fürstlichen Freunde gegenüber eine heim- liche Spannung nur mit Mühe verläugnete. Uebrigens hatte er wohl Grund, sich über seine wachsende Neigung so gut wie möglich zu mystificiren, denn eine früher geknüpfte Verbindung machte noch immer ihre stillen Rechte an sein Herz geltend, ob- wohl er dieselben mit einiger Ueberredung des Ge- wissens bereits entschieden zu verwerfen angefangen hatte. Das reine Glück, welches der unverdorbene Jüngling erstmals in der Liebe zu einem höchst un- schuldigen Geschöpfe gefunden, war ihm seit Kurzem durch einen unglückseligen Umstand gestört worden, der für das reizbare Gemüth alsbald die Ursache zu eben so verzeihlichem als hartnäckigem Mißtrauen ward. Die Sache hatte wirklich so vielen Schein, daß er das entfernt wohnende Mädchen keines Wor- tes, keines Zeichens mehr würdigte, ihr selbst nicht im Geringsten den Grund dieser Veränderung zu er- kennen gab. Mit unversöhnlichem Schmerz verhärtete er sich schnell in dem Wahne, daß der edle Boden dieses schönen Verhältnisses für immerdar erschüttert sey, und daß er sich noch glücklich schätzen müsse, wenn es ihm gelänge, mit der Bitterkeit seines gekränkten Bewußtseyns jeden Rest von Sehnsucht in sich zu er- tödten und zu vergiften. In der That blieb aber dieser traurige Verlust nicht ohne gute Folgen für sein ganzes Wesen; denn offenbar half diese Erfah- rung nicht wenig seinen Eifer für die Kunst beleben, welche ihm nunmehr Ein und Alles, das höchste Ziel seiner Wünsche seyn sollte. Vermochte er nun aber nach und nach über eine schmerzliche Empfindung, die ihn zu verzehren drohte, Herr zu werden, so war auf der andern Seite das Mädchen indessen nicht schlimmer daran. Agnes glaubte sich noch immer geliebt, und dieser glückliche Glaube ward, wie wir später erfahren werden, auf eine wunderliche Art, ganz ohne Zuthun Theobalds , unterhalten, während er schon eine frei- willige Auflösung des Bündnisses von ihrer Seite zu hoffen begann, denn das Ausbleiben ihrer Briefe nahm er ohne Weiteres für ein Zeichen ihres eigenen Schuldbewußtseyns. In dieser halbfreien, noch immer etwas wunden Stimmung fand er die Bekanntschaft mit der Gräfin Constanze , und nun läßt sich die Innigkeit um so leichter begreifen, womit die gereizten Organe seiner Seele sich nach diesem neuen Lichte hin- zuwenden strebten. Im spanischen Hofe, so hieß das bedeutendste H ô tel der Stadt, war es am Abende des letzten De- zembers, wo die vornehme Welt sich bereits eifrig zur Maskerade zu rüsten hatte, ungewöhnlich stille. In dem hintersten grünen Eckzimmer leuchteten die beiden hellbrennenden Hänge-Lampen nur zweien Gästen, wo- von der Eine, wie es schien, ein regelmäßiger, mit Welt und feinerer Gasthofsitte wohlvertrauter Besuch, ein pensionirter Staatsdiener von Range, der Andere ein junger Bildhauer war, der erst vor wenig Stun- den in der Stadt anlangte. Sie unterhielten sich, in ziemlicher Entfernung auseinander sitzend, über alltäg- liche Dinge, wobei sich Leopold , so nennen wir den Reisenden, bald über die zerstreute Einsylbigkeit des Alten heimlich ärgerte, bald mit einem gewissen Mit- leiden auf die krankhaften Verzerrungen seines Gesichts, auf die rastlose Geschäftigkeit seiner Hände blicken mußte, die jezt ein Fältchen am fein schwarzen Kleide auszuglätten, jezt eine Partie Whistkarten zu mischen, oder eine Prise Spaniol aus der agatnen Dose zu greifen hatten. Das Gespräch war auf diese Weise ganz in’s Stocken gerathen, und um ihm wieder ei- nigermaßen aufzuhelfen, fing der Bildhauer an: „Un- ter den Künstlern dieser Stadt und des Vaterlandes soll, wie ich mit Vergnügen höre, der junge Maler Nolten gegenwärtig große Aufmerksamkeit erregen?“ Diese Worte schienen den alten Herrn gleichsam zu sich selber zu bringen. Seine Augen funkelten lebhaft unter ihrer grauen Bedeckung hervor. Da er jedoch noch wie gespannt stille schwieg und eine Ant- wort nur erst unter den schlaffen Lippen zurecht kaute, fuhr der Andere fort: „Ich habe seit drei Jahren nichts von seiner Hand gesehen und bin nun äußerst begierig, mich zu überzeugen, was an diesem aus- schweifenden Lobe, wie an den heftigen Urtheilen der Kritiker Wahres seyn mag.“ „Befehlen Sie,“ sagte der Alte fast höhnisch, „daß ich nun mit einem hübschen Sätzchen antworte, wie etwa: vielleicht in der Mitte liegt das fürtreff- liche Talent, das seine bestimmte Richtung erst sucht, — oder: es ist das Größte von ihm zu hoffen, wie das Schlimmste zu fürchten, — und was dergleichen dün- nen Windes mehr ist? Nein! ich sage Ihnen vielmehr geradezu, dieser Nolten ist der verdorbenste und ge- fährlichste Ketzer unter den Malern, einer von den halsbrecherischen Seiltänzern, welche die Kunst auf den Kopf stellen, weil das ordinäre Gehen auf zwei Beinen anfängt langweilig zu werden; der widerwär- tigste Phantasie-Renommiste! Was malt er denn? eine trübe Welt voll Gespenstern, Zauberern, Elfen und dergleichen Fratzen, das ist’s, was er kultivirt! Er ist recht verliebt in das Abgeschmackte, in Dinge, bei denen keinem Menschen wohl wird. Die gesunde, lautere Milch des Einfach-Schönen verschmäht er und braut einen Schwindeltrank auf Kreuzwegen und un- ter’m Galgen; à propos, mein Herr! (hier lächelte er ganz geheimnißvoll) haben Sie schon Gelegenheit ge- habt, eine der köstlichen Anstalten zu sehen, worein man die armen Teufel logirt, die so, verstehn mich schon, einen krummen Docht im Lichte brennen — nun? Kam Ihnen da nicht auch schon der Gedanke, wie es wäre, wenn sich etwa der Ideendunst, der von diesen Köpfen aufsteigen muß, oben an der Decke an- sezte, welche Figuren da in Fresko zum Vorschein kommen müßten? Was sagen Sie? Nolten hat sie alle kopirt, hä hä hä, hat sie sämmtlich kopirt!“ „Sie scheinen,“ erwiderte Leopold gelassen, „wenn ich Sie anders recht fasse, mehr die Gegen- stände zu tadeln, unter denen sich dieser Künstler, nur vielleicht etwas zu vorliebig, bewegt, als daß Sie sein Talent angreifen wollten; nun läßt sich aber ohne Zweifel auf dem angedeuteten Felde so gut als auf irgend einem das Charakteristische und das Rein- Schöne mit großem Glücke zeigen, abgeschmackte und häßliche Formen jedoch, geflissentliches Aufsuchen sinn- widriger Zusammenstellungen kann man von Nolten nicht erwarten; ich kenne sein Wesen von früher und kam in der Absicht hieher, ihn mit einem gemein- schaftlichen Freunde, der auch Maler ist, zu besuchen und uns an seiner bisherigen Ausbildung zu erfreuen.“ Der alte Herr hatte diese Worte wahrscheinlich ganz überhört, denn er ging mit lautem Kichern nur wieder in den Refrain seines vorhin Gesagten über: „Hat sie sämmtlich kopirt, ja ja, zum Todtlachen! Ei, das muß er täglich von mir selber hören.“ In diesem Augenblicke trat Ferdinand , der Reisegefährte des Bildhauers, ein und rief diesem mit einem glänzenden Blicke voll Freude zu: „Er kommt! er folgt mir auf dem Fuße nach! Er ist der gute Nolten noch, sag ich dir! o gar nicht der achsel- blickende junge Glückspilz, wie man ihn schildern wollte. Stelle dir vor, er vergaß vorhin im Jubel über unsre Ankunft eine Einladung zum Herzog, mit dem er trefflich stehen muß, und eilte nur von der Straße weg, sich zu entschuldigen.“ Nach einiger Zeit erschien, in Begleitung eines Andern, der Erwartete wirklich. Es war ein herzer- freuendes Wiedersehen, ein immer neu erstauntes trunkenes Begrüßen und Frohlocken unter den Dreien. Wie ergözten sich die Freunde an dem stattlichen An- sehen Theobalds , an dem reinen Anstande, den ihm das Leben in höherer Gesellschaft unvermerkt ange- haucht hatte, nur verbargen sie ihm nicht, daß die kräftige Röthe seiner Wangen in Zeit von wenigen Jahren um ein Merkliches verschwunden sey. Er sah jedoch immer noch gesund und frisch genug neben sei- nem hageren Begleiter, dem Schauspieler Larkens , aus, den er so eben freundschaftlich produciren wollte, als dieser sofort mit der angenehmsten Art sich selber empfahl und mit den Worten schloß: „Nun setz’ dich, liebes Kleeblatt! Ich werde mich mit eurer Erlaubniß bald auch zu euch gesellen, aber den ersten Perl- und Brauseschaum des Wiederfindens müßt’ ihr durchaus mit- einander wegschlürfen! Ich sehe dort ein paar Spieler- hände konvulsivisch fingern, das ist auf mich abgesehen.“ Damit sezte er sich zu dem alten Herrn in der Ecke, den unser Nolten erst jezt gewahr wurde und nicht ohne Achtung begrüßte. „Sag’ mir doch,“ fragte Leopold heimlich, „was für eine Art von Kenner das ist? Er hat die wunderlichsten Begriffe von dir.“ „Ach,“ lächelte der Freund, „da kann ich dir 3 wenig dienen. Das ist ein sehr kurioser Kauz, voll griesgrämischer Eigenheiten, übrigens von viel Ver- stand, und mir immer ein lieber Mann. Er besizt gute Kenntnisse von Gemälden, ist aber auf diesen Punkt von den einseitigsten Theorieen eingenommen. Aus einigen meiner Stücke soll er eine eigene Vor- liebe und zugleich den unverholensten Widerwillen ge- gen mich gefaßt haben, den ich mir kaum zu enträth- seln weiß. Denn daß ich es bloß als Künstler mit ihm verdorben habe, ist nicht wohl möglich, wenig- stens thäte er mir sehr Unrecht, indem der Vorwurf des Phantastischen, den er mir zu machen scheint, nur den kleinsten Theil meiner Erfindungen träfe, wenn es je ein Vorwurf heißen soll. Die meisten meiner Arbeiten bezeichnen in der That eine ganz andere Gattung. Ich vermuthe, der Mann hat irgend ein geheimes Aber an meiner Person entdeckt, und ich muß ihn, ohne mir das Geringste bewußt zu seyn, mit irgend Etwas beleidigt haben, das er mir nicht vergessen kann, so gern er möchte, denn es ist auffal- lend, so oft er mich ansieht, sträubt sich’s auf seinem Gesicht wie Sauer und Süß.“ Auf diese Weise waren jene leidenschaftlichen Aeußerungen einigermaßen erklärt, und es gab nun Veranlassung genug, sich gegenseitig über Geschäfte, Schicksale und mancherlei Erfahrungen auszutauschen. Sie durchliefen die Vergangenheit, erinnerten sich des Aufenthalts in Italien, wo sich vor drei Jahren ihre Bekanntschaft entsponnen hatte. Endlich fing Ferdi- nand an: „Du erräthst wohl kaum, wo wir heute vor sechs Tagen um diese Stunde zu Gaste gesessen sind; in welchem Dörfchen, in welchem Stübchen und wer uns bewirthete?“ „Nein!“ sagte Nolten ; aber ein aufmerksamer Beobachter würde in dieser klein- lauten Verneinung ein sehr schnell errathendes Ja ge- wittert haben. „ Neuburg ,“ flüsterte Leopold freu- dig zuvorkommend und von der andern Seite flog der Name „ Agnes “ über Ferdinands Mund. „Ich dank’ euch,“ sagte Nolten , wie abbrechend, und ver- barg eine unangenehme Empfindung. „Was danken? du hast ja den Gruß noch nicht einmal in der Hand, den wir dir zu bringen haben!“ — und hiemit sah er sich einen Brief entgegengehal- ten, den er mit erzwungenem Wohlgefallen zu sich steckte, indem er die Beiden durch einen Vorsicht ge- bietenden Blick auf die Spieler für jezt zum Still- schweigen zu vermögen suchte. „So laß mich,“ fuhr Ferdinand fort, „wenig- stens des anmuthigen Oertchens, laß mich des Förster- hauses gedenken, wo du deine Knabenjahre bei einem zweiten Vater verlebtest, bis der benachbarte Baron auf dem Schlosse, der gute lebendige Mann, für die Förderung deines Talents sorgte. Er lebt noch in frischem Marke, der ehrliche Veteran, er und der from- me Förster erinnerten sich mit Herzlichkeit jenes glück- lichen Tages, da du mich, es sind nun drei Jahre her, nach unserer Rückkunft von der italienischen Reise, bei ihnen einführtest. Wahrlich, es hätte wenig gefehlt, so hätten die Alten geweint wie die Kinder bei deinem Namen, ein paar anderer Augen nicht zu gedenken, die auch dabei standen, und von denen es schien, als wollten sie sich im Voraus recht satt sehen an mir und meinem Gefährten, an unsern Kleidern und Bündeln, weil das Alles in fünf Tagen mit dem Geliebten in Berührung kommen sollte. Du pflegtest das Mädchen sonst immer dein blondes Reh zu nennen; wie treffend fand ich diesen Ausdruck wieder! ja, und das ist sie noch im lieblichsten rührendsten Sinne des Worts. Wie hätt’ ich gewünscht, den Umriß ihrer niedlichen Figur mit dem Bleistift in mein Portefeuille für dich wegzu- stehlen, wie ich sie so durch die halboffene Thür des Nebenzimmers am Tischchen sitzen und den Brief schrei- ben sah, den Rücken gegen uns gewendet, von der Seite kaum ein wenig sichtbar, allein der Baron war allzu gesprächig.“ „Du bist es auch,“ erwiderte Nolten freundlich- böse, indem er aufstand und sich gegen den so eben her- beitretenden Larkens wandte. Dieser sagte: „Nun, wirst du die Herren nicht bewegen, sich diesen Abend in Domino’s zu stecken und ein paar Stunden mit närrischen Leuten närrisch zu seyn? oder machen wir’s wie dort der Herr Hofrath, der an solchen Abenden hier im Gasthofe zu Nacht speist, und sich dann ein Zim- mer vom Kellner anweisen läßt, um füuf Straßen weit vom Lärm des Redoutenhauses zu schlafen, das zum Unglücke seiner Wohnung gegenüber liegt? Ich dächte, ihr Herren, bevor Sie in den nächsten Tagen mit den hübschen Realitäten unserer Stadt Bekanntschaft machen, müßte es unterhaltend für Sie seyn, heute im Masken- saale, so zu sagen, die Fata morgana der hiesigen Menschheit zu sehen. — Verzeihen Sie mein hinkendes Gleichniß und folgen Sie meinem Vorschlage.“ Es kostete Ueberredung, aber man entschloß sich und wünschte dem seltsamen Hofrathe gute Nacht. Nachdenklich, unbehaglich, ja traurig war Nolten mit den Andern vor den Thüren des großen heller- leuchteten Gebäudes angekommen, worin schon das mannigfaltigste Leben wogte und wühlte. Alle mög- lichen Gestalten, zum Theil in auffallendem Kontraste, drehten sich stumm, feierlich, fremde oder leise summend, kopfnickend und tanzend durcheinander. Unser trübe gestimmter Freund, schneller als er vermuthete, von sei- nen Begleitern verloren, fühlte nach und nach in seiner Vermummung eine Art von dumpfem Troste, und wie mit seiner Umgebung, so spielte er gewissermaßen mit dem eigenen Herzen Versteckens, wobei er sich kaum bekannte, welche besondere Hoffnung ihn zwang, die Reihen der weiblichen Masken sorgfältiger zu mustern, als er sonst wohl gethan haben würde. Das beschei- dene Bild Agnesens , das ihn aus weiter Ferne sehn- süchtig und bittend anzulocken schien, trat mehr und mehr in den Hintergrund seiner Seele zurück, um einem ganz ande- ren Platz zu machen, das mit jeder neuen Entfaltung der glänzenden Gruppen leibhaftig aus der Menge her- vortreten sollte. Constanze ! sprach er für sich, wer entdeckt mir sie? Und doch wie wäre es möglich, daß ich aus tausend Drahtpuppen das einzige Wesen nicht sollte herausfinden können, das in der einfachsten, un- willkürlichsten Bewegung jene angeborene Grazie, je- nen stets lächelnden Zauber verräth, den nur die ewig wahrhaftige Natur, den nur die Unschuld selber zu ge- ben und so reizend und leicht mit der anerzogenen Sitte zu verschmelzen vermag! Ist nicht Alles, was an ihr sich regt und bewegt, der unbewußte Ausdruck des Engels, der in ihr athmet? ist nicht Alles nur Hauch, nur Geist an ihr? Und heute, eben heute, wie wohl thäte mir ihr Anblick! wie wollte ich mich drei Sekunden mit allen Sinnen und Gedanken an dieser tröstlichen Erscheinung festklammern und davon eilen und mir zufrieden sagen, daß mein Auge sie sah, daß ihr Fuß einen und denselben Boden mit mir betrat, daß eine gemeinschaftliche Luft meine und ihre Lippen berührte! Unter diesen und ähnlichen Gedanken hatte er sich endlich ermüdet auf einen Sitz in einem Fenster gewor- fen, als der Glockenschlag zehn Uhr ihn mahnte, sich mit den drei Freunden in einem zuvor abgeredeten leeren Zimmer des Hauses zusammenzufinden. Sie erschienen fast alle zu gleicher Zeit, und Larkens mit einer guten Ladung warmen Getränkes. Man freute sich auf’s Neue des Wiedersehens; jeder brachte seine eigenen Bemerkungen aus dem Saale mit, nur Nolten schien Wenig oder Nichts gesehen zu haben. Es war beinahe komisch, wie er auf die Fragen über eine oder die andere interessante Erscheinung immer mit einem kleinlauten „ich weiß nicht“ antwortete und zulezt, um sich nicht gar auslachen zu lassen, nur so that, als erinnerte er sich. „Wie gefiel dir der König Richard und der Herzog von Friedland?“ „Recht gut,“ war die Antwort, „sehr artig, bei meiner Seele! der bucklichte König hätte können besser seyn.“ — Lar- kens , indem er den Andern mit den Augen winkte, machte den Schalk und sagte: „Ein Stückchen ist aber doch wohl Allen entgan- gen. Ein Riese in altdeutscher Tracht, ohne Zweifel einen Studenten vorstellend, geht mit langen Sporen und der Tabakspfeife schwerfällig auf und ab; endlich, da er in einer Ecke stehen bleibt, eilt ein winziges Kerlchen herbei, ein kleiner Schornsteinfeger in einer Art von Hanswursttracht, schwarz und weiß gewür- felten Beinkleidern und Wämschen, bindet den Riesen, legt das schwarze Leiterchen an den breiten Rücken des Mannes an, klettert flink mit Scharreisen und Besen hinauf, hebt ihm vorsichtig den Scheitel wie einen Deckel ab, und fängt nach allerlei bedenklichen Grimassen an, den Kopf recht wacker auszufegen, in- dem er einen ganzen Plunder symbolischer Ingredien- zien herauszieht, z. B. einen täuschend nachgemachten Wurm von erstaunlicher Länge, ein seltsam gezeichne- tes Kärtchen von Deutschland, eine ganze und dann mehrere zerbrochene Kronen, kleine Dolche, Biergläser, Bänder und dergleichen. Dagegen wurden andere Sächelchen hineingelegt, worunter man ein griechisches ABC-Buch zu erkennen glaubte; der Kopf wurde ge- schlossen, dann bekam der ganze Mann ein wenig Streiche und nach einer Weile kroch ein ganz ver- gnügtes, bescheidenes, rundes Pfäfflein aus der prah- lerischen Hülle hervor.“ Die Freunde lachten im Stillen über die ächt. Larkens’s che Lüge (die eigentlich nur ein versteckter Hieb auf den Uebermuth burschikoser Studenten über- haupt war, deren einer vorhin im Saale sich durch Streitsucht prostituirt hatte), und man genoß heimlich den Triumph, daß Nolten ganz die Miene annahm, als hätte er die Far ç e gar wohl gesehen, obgleich nicht von Weitem etwas Aehnliches vorgekommen war. Indessen wurde die Aufmerksamkeit der Freunde durch eine wirkliche Maske angezogen, welche sich un- versehens im Zimmer befand. Es war eine hohe Ge- stalt, einfach in ein grob braunes schweres Gewand gehüllt, eine Laterne und einen Stock in der Hand, den Kopf bedeckte eine Kapuzze. Haltung, Anstand und der tief herabfallende weiße Bart, Alles gab der Person etwas Ehrwürdiges, Staunenerweckendes. Wie sie so eine Zeitlang gestanden, ohne daß von beiden Seiten ein Wort fiel, begann die Maske mit ange- nehmer Stimme, worin man jedoch trotz einer gewis- sen Dumpfheit gar bald das Frauenzimmer unter- scheiden konnte, folgendermaßen: „Ihr kennet mich nicht, meine Herren, aber Euer Aussehen sagt mir, ich sey in keiner frivolen Gesell- schaft. Schwerlich seyd Ihr gesonnen, diese ernste Nacht, die Geburtsstunde eines neuen Jahres, in ge- dankenlosem Rausche hinzubringen. Wollte es Euch gefallen, ein Stündchen mit mir in frommer Unter- haltung zusammen zu sitzen, so bezeichne ich Euch ei- nen traulichen Ort. In meiner Kleidung erkennet Ihr den Wächter der Nacht. Es stoße sich Niemand an dem sonst verachteten Titel. Ich bin der Geist die- ser Zunft, ich nenne mich den König der Wächter dieses Landes. Mancher fromme Angehörige meines nächtlichen Staats wird Euch von meinem Daseyn, meinem Thun und Treiben erzählt haben. Heute mit dem zwölften Glockenschlage wird es hundert Jahre, seit ich die Dörfer und Städte des Reiches besuche, unter heite- rem Sternenhimmel, wie im wilden Wintersturme. Vor Mitternacht werd’ ich im Wächterstübchen auf dem Thurme der Albanikirche seyn.“ Hiemit neigte er sich und ging mit kaum ver- nehmlichem Tritte hinweg. Einstimmig war man geneigt, der sonderbaren Einladung zu folgen, was ihr auch immer zu Grunde liegen möge; an einen bösartigen Scherz oder ein ge- meines Abenteuer sey hier auf keinen Fall zu den- ken, und auf einen vergeblichen Gang könne man sich ja gefaßt halten. Ohne die treuherzige Miene und die große Neugierde, womit auch Larkens die Sache aufnahm, hätte leicht der Verdacht einer Mystifikation auf ihn fallen können, denn sein Humor war bekannt genug, er hatte ihn mit Unrecht in den Ruf eines bösartigen Spötters und Intriguanten gebracht, wozu mitunter auch sein Aeußeres beitrug, so wenig eben eine gelbe Hautfarbe und ein paar schwarze blitzende Augen häßlich, oder das lauernde Lächeln um den Mund gefährlich war. Es war einer von den Menschen, die man auf den Grund kennen muß, um sie nicht zu fürchten. Als Schauspieler und Sänger schäzte man ihn sehr, er wäre der Liebling des Pub- likums gewesen, hätte er nicht die räthselhafte und hartnäckige Grille gehabt, das Fach des Komischen, wozu er durchaus geboren war, mit ernsten Rollen zu vertauschen, die er, ohne es selbst zu fühlen, nur mit- telmäßig ausfüllte. Zuweilen schien sich die unter- drückte Neigung seiner Natur durch eine unwidersteh- liche Sehnsucht nach dem Lustspiele rächen zu wollen, und es war immer eine Festtagsbeute für die Kasse, wenn der Name Larkens bei einer Hollberg’schen oder Shakespear’schen Komödie auf dem Zettel stand. Dann hatte es aber auch das Ansehen, als wäre der Gott des Scherzes selbst in den entzückten Mann ge- fahren. Der Beifall der Verständigen und zulezt auch des gemeinen Volks war ihm um so gewisser, je be- scheidener die strotzende Ader der komischen Kraft in- nerhalb der feinen Schönheitslinie blieb, die nur der ächte Künstler, vom richtigsten Takte geleitet, zwischen Begeisterung und Weisheit hin zu ziehen weiß. Statt, wie so Mancher an seinem Platze, immer gleichsam auf erhiztem Boden zu gehen, schien Meister Lar- kens nur von einer sanften Wärme belebt, die ihm die Grazien angehaucht, und die Funken des Genies, welche er auswarf, entzündeten keineswegs ihn selber. Maaßhaltung blieb immer die Seele seines Spiels, aber sie verdiente um so mehr Bewunderung, wenn es wahr ist, was genauere Freunde behaupteten, daß seine humoristische Stimmung jederzeit nur die günstige Krise eines schmerzhaft bewegten und gedrückten Ge- müthes war. Wie dem auch seyn mag, die Direktion besoldete ihn eigentlich nur um dieser außergewöhnlichen Darstellungen willen, und ließ ihn im Uebrigen, weil er nicht gezwungen werden konnte, gewähren. Die Viere waren schon nach eilf Uhr auf dem Albanithurme angekommen. Außer dem Thürmer, seiner Frau und Kindern saßen in dem Stübchen um die einzige Lampe her noch einige junge Stadtmusiker, die nach althergebrachter Sitte um Mitternacht ein Lied auf der Galerie abzublasen hatten. Die neuen Gäste wurden gar freundlich aufgenommen, zumal sie für eine Kollation mit Wein gesorgt hatten. Nach einem allgemeinen Gespräche fanden die Freunde durch einige beiläufige Fragen zu ihrer nicht geringen Ver- wunderung, daß die Sage von einem gespensterhaften Nachtwächter dem Aberglauben dieser Leute längst nichts Fremdes war, wiewohl sie die Versicherung, man habe heute einen Besuch der Art zu erwarten, bloß für einen angelegten Spaß der Herren nehmen wollten. Indessen kam die Unterhaltung auf ähnliche Mährchen und Geschichten, wahre Leckerbissen für Larkens , und selbst Nolten konnte sich seine Mu- sterkarte phantastischer Stoffe mit manchem neuen Zuge bereichern, wäre er weniger stumpf gegen Alles ge- wesen, was seiner gegenwärtigen Laune keine Nahrung gab. Desto aufmerksamer waren die Uebrigen, die in solchen Erzählungen gleichsam einen abenteuerlichen Widerschein jener bunten Gaukelbilder des Masken- saals zu finden glaubten. Ein solches Geschichtchen aus dem Munde eines jungen hübschen Burschen aus der Gesellschaft war auch folgendes: „In der Lohgasse, wenn sie den Herren bekannt ist, wo noch zwei Reihen der urältesten Gebäude un- serer Stadt stehen, sieht man ein kleines Haus, schmal und spitz und neuerdings ganz baufällig; es ist die Werkstatt eines Schlossers. Im obersten Theile des- selben soll aber ehmals ein junger Mann, nur allein, gewohnt haben, dessen Lebensweise Niemanden näher bekannt gewesen, der sich auch niemals blicken lassen, außer jedes Mal vor dem Ausbruche einer Feuers- brunst. Da sah man ihn in einer scharlachrothen, netzartigen Mütze, welche ihm gar wundersam zu sei- nem todtbleichen Gesichte stand, unruhig am kleinen Fenster auf und abschreiten, zum sichersten Vorzeichen, daß das Unglück nahe bevorstehe. Eh noch der erste Feuerlärm entstand, eh ein Mensch wußte, daß es wo brenne, kam er auf seinem mageren Klepper unten aus dem Stalle hervorgesprengt und wie der Satan davon gejagt, unfehlbar nach dem Orte des Brandes hin, als hätt’ er’s im Geist gefühlt. Nun geschah’s“ — „Ei, so laß dein langweilig Geschwätz!“ fiel dem Erzähler ein Kamerade in die Rede, „und sing’ das Stückchen lieber in dem Liede, das du davon hast, laut’t ja viel besser so und hat gar eine schöne schauerliche Weise. Sing’, Christoph!“ Der Bursche sah die Gäste verlegen an, und da sie ihm begierig zusprachen, begann er alsbald mit einer klangreichen, kraftvollen Stimme: Sehet ihr am Fensterlein Dort die rothe Mütze wieder? Muß nicht ganz geheuer seyn, Denn er geht schon auf und nieder. Und was für ein toll Gewühle Plötzlich auf den Gassen schwillt — Horch! das Jammerglöcklein grillt: Hinter’m Berg, hinter’m Berg Brennt’s in einer Mühle! Schaut, da sprengt er, wüthend schier, Durch das Thor, der Feuerreiter, Auf dem rippendürren Thier, Als auf einer Feuerleiter; Durch den Qualm und durch die Schwüle Rennt er schon wie Windesbraut, Aus der Stadt da ruft es laut: Hinter’m Berg, hinter’m Berg Brennt’s in einer Mühle! Keine Stunde hielt es an, Bis die Mühle borst in Trümmer, Und den wilden Reitersmann Sah man von der Stunde nimmer; Darauf stille das Gewühle Kehret wiederum nach Haus, Auch das Glöcklein klinget aus: Hinter’m Berg, hinter’m Berg Brennt’s! — Nach der Zeit ein Müller fand Ein Gerippe sammt der Mützen, Ruhig an der Kellerwand Auf der beinern’ Mähre sitzen. Feuerreiter, wie so kühle Reitest du in deinem Grab! Husch! da fällt’s in Asche ab — Ruhe wohl, ruhe wohl, Drunten in der Mühle! Schon vor dem Schlusse des Gesanges öffnete sich die Thür und leise trat die Gestalt des Nacht- wächters herein. Er blieb unbeweglich an der Wand hingepflanzt stehen, während der erschrockene Sänger, im Begriffe abzubrechen, auf einen Wink des Larkens mit der lezten Strophe fortfuhr, deren Eindruck durch die Gegenwart dieses fremden Wesens entweder nur um so mehr erhöht wurde oder ganz verloren ging. Jezt begrüßte der sonderbare Gast mit Würde die Anwesenden, und wenn sich auch Anfangs einige Verlegenheit von Seiten der Freunde bemerken ließ, so war doch bald eine eben so natürliche als eigen- thümliche Unterhaltung eingeleitet. Man sprach vom geheimnißvollen Reize des Wohnens auf Thürmen, von dem frommen und großen Sinn des Mittelalters, wie er sich in den Formen der Baukunst, der heiligen besonders, offenbarte, und dergleichen mehr. Die Ge- genwart des Unbekannten, so sparsam bis jezt seine Worte waren, übte dennoch den größten Einfluß auf die Bedeutung und die steigende Wärme des Gesprächs. Die hohl aus der Maske tönende Sprache und der ruhige Ernst der durchblickenden, dunkel feurigen Au- gen konnte sogar ein vorübergehendes Grauen erregen und einen momentanen Glauben an etwas Ueber- menschliches aufkommen lassen. Auf einmal erhob sich der Unbekannte, öffnete ein Fenster und sah in die klare Winterluft hinaus, indem er sagte: „Noch eine kurze Weile, so ist der Sand verlaufen, hoch empor gehalten schwebt der Faden der Zeit. Kommt hieher und fühlet, wie es schon frisch herüberduftet aus der nahen Zukunft!“ Jezt schlug das letzte Viertel vor zwölf Uhr. Die Zinkenisten schlichen mit ihren Instrumenten auf die Galerie, und schon ließen sich von der entfernten Paulskirche herüber einige sanfte, fast klagende Töne vernehmen, die von unserer Seite anfänglich in schwa- chen, dann in immer stärkeren Akkorden erwiedert wurden; jene bezeichneten das scheidende, diese das erwachende Jahr, und beide begegneten sich in einer Art von Wechselgesang, der am lebhaftesten wurde, als endlich die Glocken von verschiedenen Seiten her die Stunde ausschlugen; die dießseitige Partie ging in freudige Melodieen über, während es von drüben immer schmerzlicher und wehmüthiger klang, bis mit dem fernsten Glöckchen, das wie silbern durch die reine Luft erzitterte, die traurigen Klarinetten den lezten sterbenden Hauch versandten. Nun erfolgte eine Pause, und jezt erst trat das vorhandene Jahr im siegreichsten Triumphe hervor. Nachdem Alles still geworden und die Gesellschaft wieder traulich um den Tisch versammelt war, ergriff man das freundliche Anerbieten des idealischen Wäch- ters, etwas aus seinem Tag- oder Nachtbuch vom vorigen Jahre mitzutheilen, mit allgemeinem Beifalle. Er zog ein mit sonderbaren Charakteren geschriebenes Heft hervor, welches unter regelmäßigen Daten, ab- gerissene Bemerkungen und Gedanken zu enthalten schien, wie sie ihm auf seinen nächtlichen Wanderun- gen, auf den Straßen der Städte und Dörfer sich dargeboten haben mochten; charakteristische Bilder aus den verschiedensten Verhältnissen und Zuständen der Menschen. Wir übergehen den größten Theil seiner Vorlesung und führen bloß Eine Stelle an, die auf Nolten um so tiefern Eindruck machte, je vielsagen- der der Blick war, womit Larkens ihn darauf auf- merksam zu machen suchte. „Nacht vom 7. auf den 8. Januar im Dorfe“. — — Ich trete vor ein reinlich gebautes Haus; ich kenne es wohl; es wohnen glückliche Menschen darin. In harmloser Stille blühet hier eine Braut, deren Verlobter ferne lebt. Vergönne mir, du Haus des Friedens, einen Blick in deine Gemächer. Mein Auge ist geheiligt wie das eines Priesters; hundert Jahre schon belauscht es die Nächte der Könige dieses Landes und die Schlummerstätten der Armen im Volk, und meine Gebete erzählen dem Himmel, was ich ge- sehen. Sieh da! was zeigt mir mein magischer Spie- gel? Es ist die Kammer des Mädchens. Wie ruhig athmet die Schlafende dort! Ihr liebliches Haupt ist hinabgesunken nach der Seite des Lagers. Der Mond schaut durch das kleine Fenster; mit Einem Strahle berührt er eben das unschuldige Kinn der Schläferin. Eine Hyacinthe neigt ihre blauen Glocken gegen das Kissen her und mischt ihren Duft in die 4 Frühlingsträume der Braut, indeß der Winter diese Scheiben mit Eise beblümt. Wo mögen ihre Gedan- ken jetzo seyn? Auf diesem Teppiche sind seltsame Figuren eingewoben, hundert segelnde Schiffe. Viel- leicht auf diesen Bildern ruhte ihr sinnendes Auge noch kurz, eh’ sie die Lampe löschte, nun träumt sie den Geliebten in die wilde See hinaus verschlagen und ihre Stimme kann ihn nicht erreichen. O besser, daß er in die Tiefe des Meeres versänke, als daß du ihn treulos fändest, gutes Kind! Aber du lächelst ja auf Einmal so selig, träumst ihn im Arme zu hal- ten, seinen Kuß zu fühlen. Vielleicht in dem Augen- blicke, da du mit seinem Schatten spielest, sucht er wachend ein verbotenes Glück und treibt schändlichen Verrath mit deiner Liebe. Aber immer noch seh’ ich dich freundlich; du arglose Seele, ach wohl, es ist auch unerhört und fast unglaublich; was sucht er denn, das er bei dir nicht fände? Schönheit und Jugendreiz? ich weiß nicht, was die Sterblichen so nennen, aber hier darf selbst der Himmel wohlgefällig über seine Schöpfung lächeln. Verstand und Geist? O schlüge sich dieß Auge auf! aus seiner dunkelblauen Tiefe leuchtet mit Kindesblick die Ahnung jedes höch- sten Gedankens. Wie, oder Frömmigkeit? die Frage klingt wie Spott auf ihn . Ihr bescheidnen Wände zeuget, wie oft ihr sie habt knieen sehn im brünstigen Gebet, wenn Alles rundum schlief! — — Bist ernst geworden, mein Töchterchen; wie seltsam wechselt dein Traum! Ach, nur zu bald wirst du weinen. Gott helfe dir. Gute Nacht.“ Dieß war die auffallende Stelle, die Nolten mit heimlichem Unmuthe gegen Larkens anhörte, denn nun zweifelte er nicht mehr, daß dieser das Ganze veranstaltet hatte. Was noch weiter aus dem Hefte vorgetragen wurde, war ohne besondere Bezie- hung, und der Vorleser hörte eben zur rechten Zeit auf, als die Ungeduld Noltens am höchsten war. Der Leztere konnte kaum erwarten, bis man ausein- ander ging und er Gelegenheit fand, dem Larkens einige Worte zuzuflüstern, die ihm wenigstens andeu- ten sollten, wie wenig jener Wink am Platze gewesen. „Ich danke dir,“ sagte er mit beleidigtem Tone, in- dem sie die Treppen des Thurmes hinabstiegen, „ich danke dir für deine wohlgemeinte Zurechtweisung in einer Sache, worin ich übrigens füglich mein eigener Richter seyn könnte. Ich habe mich dir schon früher im All- gemeinen darüber erklärt, du scheinst mich aber nicht verstanden zu haben. Verlang’ es, und ich will mich weitläuftiger vor dir rechtfertigen.“ „Für’s Erste,“ antwortete der Freund halb lä- chelnd, „berg’ ich dir meine Freude darüber keines- wegs, daß du meinen versteckten Ausfall auf dein Gewissen nicht spaßhaft aufgenommen, so seltsam auch die Komödie war; aber es thäte mir auf der andern Seite eben so leid, wenn du einen Popanz oder selbst- gefälligen Sittenrichter in mir erblicken wolltest. Nie- mand würde sich mit weniger Recht hiezu aufwerfen, als ich, der ich selber erst vor Kurzem dem Teufel entlaufen bin und Dreiviertel meines Seelenheils an ihn verloren habe; aber ich schwör’ ihm auch das lezte theure Restchen vollends zu, wenn ich daran lügen sollte, daß ein uneigennützig Mitleid mit jenem liebenswürdigen Geschöpfe, ja mit euch Beiden, mich zwinge, Allem aufzubieten, was deine unselige Ent- fremdung von dem Mädchen hintertreiben kann.“ „Gut, wir sprechen uns bald mehr darüber,“ sagte Nolten , und wollte ihm freundlich die Hand drücken, was jedoch Larkens nach seiner Art schnell abthat, weil ihn der geringste Anschein von Sentiment zwischen Freunden immer verlegen und ärgerlich machte. Nachdem man die beiden auswärtigen Freunde bis zu ihrem Quartiere begleitet und die nächste Zu- sammenkunft abgeredet hatte, gingen die Andern, welche in Einem Hause und auf demselben Boden wohnten, ziemlich einsylbig ihre gemeinschaftliche Straße. Unser Maler fand zwischen den eigenen Wänden jene Wohlthat ungestörter Einsamkeit, nach welcher er sich vor wenigen Minuten so ungeduldig hinge- drängt hatte, keineswegs. Die Eindrücke dieser lezten Stunden waren zu mannigfaltig, zu mächtig, zu ent- gegengesezt, als daß er hoffen konnte, sie zu ordnen, sich ihrer mit Vernunft zu bemeistern. Er schickte den Bedienten, der ihn auskleiden sollte, zu Bette, und saß eine Weile unschlüssig, den Kopf in die Hand gestüzt, den Blick auf die ruhige Flamme der vor ihm brennenden Kerze geheftet. Erst der Anblick jenes unwillkommenen Briefs (er lag noch uneröffnet auf dem Tische) schien seinem Unmuth, seinem Grame eine entschiedene Gestalt zu geben. „O!“ brach er aus, „muß heute sich Alles herzudrängen, mich zu peinigen? soll ich nicht zu mir selbst kommen? Was kann sie wollen mit dem Briefe? muß sie nicht fühlen, wir sind getrennt auf immer, muß sie’s nicht? Ja, wenn dieß wirklich der Inhalt dieses Blattes wäre! Könnt’ ich’s nur ahnen aus den Zügen dieser Aufschrift! Doch, die sind treu und gut, und blicken schmeichelhaft wie in den glücklichen Tagen — Nein, nein, ich wag’ es nicht, dieß Siegel zu erbrechen.“ Er stand plötzlich auf und suchte die Gesellschaft des Freundes. Zu seinem Troste traf er ihn noch wach am Kamine sitzend und nicht minder geneigt, die wenigen Stunden bis zum Tagesbruch vollends in vertrautem Gespräche zuzubringen. „Recht, daß du kommst!“ hieß es, „du triffst mich mit ernsthaften Be- trachtungen über dich beschäftigt. Es wäre gar schön von dir, wolltest du mich jezt ein wenig tiefer in deine Karten schauen lassen, denn nach dem, was du heute gemunkelt, sollte man ja beinahe glauben, daß deine Erkältung gegen Agnes noch ihre absonderlichen Ursachen habe, wiewohl ich immer bloß die Symptome eines ganz ordinären Liebesfrosts an dir zu bemerken meinte, der sich selten anders erklären läßt, als im Allgemeinen aus einem gewissen Deficit von Wärme. In der Folge mag denn auch Gräfin Constanze ei- nigen Einfluß gehabt haben; was? oder hätte sie wirk- lich schon Alles wie mit Besen gekehrt in deinem Herzschrank angetroffen?“ „Laß uns nicht leichtsinnig von einer ernsthaften Sache reden!“ versezte Nolten , „nein, glaub’ es, Alter, mein Verhältniß zu Agnes fand den Grund seiner Zerstörung nicht eben da, wo ihn dein Scharf- sinn mit so viel Zuversicht entdecken will. Du hättest mir die Ursache längst abmerken können; eine ausführ- liche Entwicklung der verhaßten Geschichte war mir zu verdrießlich, und zudem mag mich eine dumme Schaam abgehalten haben, über die ich nicht gebieten konnte. Mich von einem kindischen Geschöpfe so genarrt, so gekränkt zu wissen! mich selber so zu narren, so zu täuschen! Höre nun; du weißt, was mich an das Mädchen gefesselt hatte, was ich Alles in ihr suchte, tausendfach fand; aber dir ist nicht bekannt, wie sehr mich meine Rechnung zulezt betrog. Siehst du, wenn äußerste Reinheit der Gesinnung, wenn kindliche Be- scheidenheit und eine unbegränzte Ergebung von jeher in meinen Augen für die Summe desjenigen galt, was ich von einem weiblichen Wesen verlangen müsse, das ich für immer sollte lieben können, so ist der Eigensinn begreiflich und verzeihlich, womit sich mein Herz ver- schloß, sobald jene Eigenschaften anfingen, sich im Ge- ringsten zu verläugnen; denn je gemäßigter meine An- sprüche in jedem andern Sinne waren, desto beharr- licher durften sie seyn in dieser einzigen Rücksicht, mit welcher nach meinem Gefühle der schönste und blei- bendste Reiz aller Weiblichkeit wegfällt.“ „Ha ha ha!“ lachte der Freund, „deine Forderun- gen sind bescheiden, und doch auch impertinent groß von Weibern der jetzigen Welt!“ „O,“ fuhr der Andere fort, „o Larkens ! ja verlache mich, denn ich verdien’s! daß ich der Thor seyn konnte, zu glauben an die Unwandelbarkeit jener ursprünglichen Einfalt, die mir unendlichen Ersatz für jeden glänzenden Vorzug der Erziehung gab! Wo blieb doch jener fromm genügsame Sinn, den auch die leise Ahnung nie beschlich, daß es außer dem Geliebten noch etwas Wünschenswerthes geben könne? jene ungefärbte Wahrheit, welche auch den kleinsten Rückhalt nicht in sich duldet, jene Demuth, die sich selbst Geheimniß ist? Das Alles lag einst in dem Mädchen! Wie heimlich und entzückt belauscht’ ich nicht zu tausend Malen das reine Aderspiel ihres verborgensten Lebens! Durch- sichtig wie Krystall schien der ganze Umfang ihres Da- seyns vor mir aufgeschlossen und auch nicht Ein un- ebner Zug ließ sich entdecken. Sprich! mußte darum nicht der erste Schatten weiblicher Falschheit mich auf ewig von ihr schrecken? Mein Paradies, gesteh’ es, Larkens ! war vergiftet von diesem Augenblicke. Kann ich es ändern? kann sie es ändern? Sie selbst mag zu entschuldigen seyn, auch ich entschuldige sie, aber die Bedeutung des Ganzen ist mir verloren, ist weg, unwiederbringlich. Und wenn ihre Liebe, gött- lich neugeboren, mir entgegen weinte, ich müßte die Hände sinken lassen, sie fände ihre alte Wohnung nicht mehr.“ Larkens schwieg einige Zeit nachdenklich. „Aber,“ fing er nun an, „was verbrach denn das Mädchen ei- gentlich? wo streckte denn der Satan, der in sie gefah- ren seyn soll, zuerst sein Horn heraus? wo sind die Indicia?“ „Meinst du,“ fuhr Nolten fort, „es sey mir nicht schon fatal gewesen, da es bereits vor einem Jahre bei meinem lezten Besuch in Neuburg sehr deutlich das Ansehen hatte, als ob dem Närrchen bange würde um eine genügende Versorgung durch mich? und wenn mir der Vater mit kritischem Gesichte zu verstehen gab, es wolle nirgends recht fort mit meiner Kunst, mit mei- nem Erwerbe, er selber könne uns nur wenig unter die Arme greifen, ich möge mich doch wohl bedenken, ob ich mir eine Familie zu nähren getraue, und was des Geschwätzes mehr war, so nahm das Töchterchen mich zwar zärtlich genug in eine Ecke, küßte mir die Runzeln von der Stirn, lächelte und verbarg doch nur mit Müh’ und Noth ihre Sorgen, ihre Thränen. Das ließ ich denn so gehen und hielt’s ihnen zu Gute. Aber bald nachher, verflucht! die garstige Niederträch- tigkeit!“ „Nun?“ „Ein zierlicher Laffe kam in’s Haus, Geometer, oder was er ist, ein weitläuftiger Vetter aus der be- nachbarten Stadt. Mir ward von freundschaftlicher Hand ein Wink gegeben, daß man sich in dem Bur- scheu, nur auf gewisse Fälle, ein Schwiegersöhnchen reserviren wolle.“ „Ist nicht möglich das!“ rief Larkens erschrocken aufspringend. „Und ist gewiß. Zwar Agnes wußt’ Anfangs nicht um den saubern Plan, man wollt’ abwarten, ob ihr s’ Mäulchen nicht selber überliefe, man steckte die Leutchen recht geflissentlich zusammen, daß dem Mädel zulezt wirklich schwindlich ward, denn mein Rival trug ohne Zweifel eine brillante Vorstecknadel, wußte treff- liche Dinge von Bällen und dergleichen zu erzählen, wunderte sich recht mitleidig, daß Fräulein Agnes an solchen Herrlichkeiten keinen Theil nehme, worauf denn das gute Schäfchen sich ebenfalls im Stillen ver- wunderte, sich ganz tiefsinnig in die neue prächtige Welt verguckte, von welcher sie auf ihrem stillen Waldhäuschen bisher das Mindeste nicht geahnt. Mir entdeckten jedoch ihre sehr liebreichen, wiewohl etwas sparsamen, Briefe nichts von diesen Visionen, die Wischchen waren lieb und simpel und treuherzig, wie sonst auch, rochen weder nach eau de Portugal noch de mille fleurs, sondern es war genau der alte ächte Maiblumen- und Erdbeernduft, — aber den höllischen Gestank brachten mir die Briefe sehr ehrenwerther Personen unter die Nase; dort ist von musikalischen und andern Notturni’s, von Rendezvous im Gärtchen, kurz von allerliebsten Sachen die Rede, die ich zuerst unglaublich und bis zur Desperation abscheulich, dann aber ganz natürlich und zum Todtlachen plausibel fand.“ „Die Briefe, von wem denn?“ „Sie sind — gleichviel.“ „Das nun eben nicht, mein Bester!“ „Nun ja, ich bin den Persouen eine gewisse Dis- kretion schuldig.“ „Nur ungefähr; männlich? weiblich ? oho! nun rath ich den Pfeffer; die Episteln hat der Neid diktirt.“ „Unwürdiger Verdacht! Und ich hab’ außerdem Beweise, die — o laß mich schweigen, laß mich ver- gessen! nur jezt verschone mich, du siehst ja, wie mich’s martert!“ „Aber was sagte Agnes zur Entschuldigung?“ „Nichts, und ich macht’ ihr keinen Vorhalt.“ „Alle Teufel! bist du verrückt? du stelltest sie nicht zur Rede?“ „Mit keiner Sylbe. Der Herr Papa, in Furcht, ich habe Wind erhalten von dem Spaß, kam mir mit Rechtfertigungen zuvor, vielleicht weil ihm der Reukauf angekommen. Da versteigt er sich nun in den rührendsten psychologischen Subtilitäten, als gälte es eine Preisaufgabe, den Leichtsinn einer läppischen Dirne wieder zu Ehren zu bringen. Er ruft sogar die Medizin zu Hülfe; es ist wahr, das Mädchen war kurz vorher krank, aber was, zum Henker! hatten die Nerven meiner Braut mit dem Geometer zu schaffen? Kurzum, ich weiß nun, was ich von Allem zu glauben habe. Ich schrieb ihr, wie du weißt, seit sechs Monaten nicht mehr, und hoffte zulezt, auch sie habe stillschweigend resignirt, allein der Alte mag von Verbesserung meiner Umstände gehört haben: nun er- halt’ ich gestern unerwartet einen Wisch durch Fer- dinand — da!“ Larkens griff hastig nach dem Briefe, und zwar mit einer Bestürzung, die nur in diesem Augenblicke dem Freunde entgehen konnte. Nolten drang ihm das Papier beinahe bittend auf, indem er wiederholt sagte: „behalt’ es, vergrab’ es bei dir, bester einziger Larkens ! und wenn es möglich ist, verschone mich mit seinem Inhalt, antworte statt meiner, nicht wahr, du thust mir die Liebe? O wie mir nun wieder leicht ist, seit ich des Quarks los bin! — Alter, komm’, laß Wein bringen! Wollen uns einmal wieder lustig machen. Der Tag schläft noch fest. Laß diese trübe Lampe mit unsern verdüsterten Geistern sich im Kar- funkel des Burgunders spiegeln!“ In Kurzem stand eine kühle Flasche auf dem Tische. Man suchte einige Lieblingsmaterien der Kunst auf und war bald im Feuer des Gesprächs. Mit der Morgendämmerung trennte man sich, um noch eine kurze Ruhe nachzuholen. „Noch Eins!“ rief Theobald unter der Thür, „wer war denn der Vermummte auf dem Albanithurm?“ „Frag’ mich jezt nicht; es ist gleichgültig; du sollst’s ein ander Mal erfahren. Schlaf wohl.“ Nolten war auf seinem, vom Frühlichte blaß erhellten Schlafzimmer angekommen. Er will sich so eben auf’s Bette werfen, als ihm an dem spanischen Hute, welchen er gestern auf dem Balle gebraucht, eine Zierde auffällt, die ihm völlig fremd ist; die rothe Blüthe einer Granate, der Natur täuschend nachgemacht. Das Blut steigt ihm in die Wange, eine plötzliche Ahnung schießt ihm durch den Kopf — „von Ihr ! von Ihr! o sicherlich von dir, Con- stanze !“ rief er aus. „Die Liebe deutet mir das räthselhafte Wort, das du vor wenig Tagen, halb Scherz, halb Ernst, gegen mich hast fallen lassen. Die Blüthe der Granate — war’s nicht so? Ja, so war’s! Und nun heute Nacht, — stuzte mein Auge nicht mehr als Einmal an der Blumen austheilenden Gärtnerin und ihrem kleinen Diener? So ist Sie’s doch gewesen! gewiß, der Junge hat mir’s angesteckt, wie ich verdrießlich in jenem Fenster saß. Sie muß ihm den Wink gegeben haben. So erkannte sie mich doch. Du Engel! Engel! Und du, mein seliges Herz! ja hoffe nur und hoffe kühn! das ist ein theures, un- schätzbares Merkzeichen. Mir beginnt ein neues Le- ben! Herauf, du schläfriger Morgen! O warum stürzt die Sonne sich nicht prächtig und entzückt mit Einem Mal über den schattenden Berg, da mich ein Wunder glücklich macht? Du grauer Tag, wie blickst du selt- sam in die glühende Blätterkrone dieses geborstenen Kelchs! Lieber, grauer Tag, wahrsage mir nicht Schlimmes mit dieser gelassenen Miene! und willst du neidisch seyn, so wiss’ es nur und ärgre dich — Sie liebt mich! Mich! Ja, Sie — mich! Indessen hatte Larkens das ihm übergebene Briefchen Agnesens geöffnet und gelesen; es war ein einfacher Gruß, wobei sie Theobalden auf’s lebhaf- teste dankt für sein leztes Schreiben , welches je- doch, die Wahrheit zu sagen, von ganz anderer Hand, und, wie so manche frühere Sendung, bloß unterschoben war. „Du bittest mich,“ sagte Larkens nach einer Pause gerührten Nachdenkens vor sich hin, „du bittest mich, armer Freund, ich soll das Blättchen bei mir vergraben, soll den Knoten zerhauen, soll deine ganze verleidete Sache über Hals und Kopf der Vergessen- heit überliefern, und so Alles mit Einem Male gut machen. Ich will gut machen, aber auf ganz andere Art als du denkst, und Gott sey Dank, daß mir nicht jezt erst einfällt, diese Sorge auf mich zu nehmen. Wie preis’ ich den Genius, der mir gleich Anfangs das Mittel eingab, dem guten Kinde deinen Wankel- muth zu verbergen, ihm durch eine leichte Täuschung allen Schmerz, alle Angst zu ersparen, und, wenig- stens so lange sich noch Heilung für den Verblendeten hoffen läßt, das holde Geschöpf im schönen Traum seiner Liebe zu lassen. Aus einem Verhältnisse zu der Gräfin kann offenbar nichts werden, tausend Um- stände sind dagegen; Constanze selber, wie ich sie kenne, hat nicht den entfernten Gedanken an so et- was, kann ihn gar nicht haben. Theobald wird müssen seiner Leidenschaft entsagen lernen, ich seh’ Alles voraus, es wird tief bei ihm einschneiden, — schad’t nichts, das soll mir ihn zu sich selbst bringen, soll mir ihn weich machen für Agnes ; er wird dem Himmel danken, wenn ihm das weggeworfene Kleinod erhalten blieb. Für jezt wär’s Unsinn, ihm die Gräfin gewaltsam vom Herzen reißen zu wollen; ich hoffe, es ist nur ein Uebergang, und ich müßt’ ihn schlecht kennen, oder es kann ihm in die Länge selbst nicht schmecken. Auf jeden Fall läßt er mich ja an Allem Theil nehmen, was etwa mit ihm und Constanzen vorgeht, und Larkens ist bei der Hand, wenn Feuer im Dach auskommen sollte; überdieß will ich meinen Leuten so genau aufpassen, daß mir nichts in die Quere laufen soll. Das Erste ist nun, ich muß wis- sen, was an dem Mährchen mit Agnes ist; gewiß irgend eine verläumderische Teufelei, und mein vor- trefflichster Nolten hat in der blinden Hitze einmal wieder daneben geschossen; ich lasse mich rädern, das ist’s. — Hm! freilich, hätt’ ich nur ein einzig Mal das Mädel mit diesen meinen Augen gesehen! aber so, was bürgt mir für sie? Man hat Beispiele, daß so ein Engelchen auch einmal einen schlechten Streich macht, oder, was bei ihnen gerade so viel ist, einen dummen. Nein, zum Henker, ich kann’s wieder nicht denken! Sind mir ihre Briefe nicht Zeugniß genug? So schreibt doch wahrlich keine Galgenfeder! Und ge- sezt, sie hätt’ einmal ein paar Tage einen Wurm im Kopf gehabt und ein bissel nebenaus geschielt, etwas Gift mag so was immer ansetzen bei’m Liebhaber, doch im Ganzen was thut’s? Ein verdammter Egois- mus, daß wir Männer uns Alles lieber verzeihen, als so einem lieben Närrchen; eben als hätten wir allein das Privilegium, uns zuweilen vom Leibhafti- gen den Pelz ein wenig streicheln zu lassen, ohne ihn just zu verbrennen. Wetter! diese frommen Hexchen haben so gut Fleisch und Blut wie unser einer, und der nächste Blick auf die Person des Alleinzigen wirft den Hundertstels-Gedanken von Untreue und das ge- wagteste Luftschloß wieder über’n Haufen; dann gibt es nichts pikanter Wollüstiges für so eine süße Krabbe, als die Thränchen, womit sie gleich drauf die Ver- irrung ihrer Phantasie am bärtigen Halse des Lieb- sten unter tausend Küssen stillschweigend abbüßet. Aber auch nicht ein , dieser leichten Seitensprünge halt’ ich Agnesen fä h ig; wenigstens wär’ mir leid um das goldreine Christengelsbild, das ich mir so nach und nach von dem Mädchen construirte. Mord und Tod! daß man doch gar, gar Nichts in der Welt soll denken können, wobei einem der alte Verderber nicht wieder ein Eselsohr drehte! Ich möcht’ mich in Stücke reißen vor Wuth! nicht um meinetwillen, — für mich ist nichts mehr zu verlieren: nein, nur um Noltens willen, der so ehrlich, gut knabenartig sein Ideal in einer Dorflaube salvirt glaubte und nun eben auch in faule Aepfel beißen soll. So geht’s, — ei, und am Ende haben wir’s All’ nicht besser ver- dient. Aber laß sehn, es fragt sich ja immer noch — Verflucht! was doch das Mißtrauen ansteckt! Stand nicht bis den Augenblick mein Glaube an das Mäd- chen fest wie ein Fels? und, sachte beim Licht besehn, steht er noch wie vor. So laß mich denn meine Ma- schinen getrost fortspielen! meine Maskencorrespondenz mit dem Liebchen mag dauern so lang sich’s thut. Bin ich durch diese sechs Monat lange Uebung im Styl der Liebe, im Ausdruck und individueller Gedankenweise nicht so ganz und gar zum andern Nolten geworden, daß ich fast fürchten muß, das Mädchen, wenn heut oder Morgen der Spuck an Tag käme, könnte sich in mich verlieben? was denn ceteris paribus auch so übel nicht wäre. Doch, soviel ist gewiß, ich glaube für hundert galante Schurkereien, wozu ich ehedem meine gewandte Handschrift rauchte, mir hinläng- liche Absolution dadurch er ben zu haben, daß ich die Kunst, ehrlichen Leuten ihre Züge abzustehlen, endlich einmal für einen guten Zweck nütze. Du liebes betro- genes Kind! und hast du denn niemals bei’m innigen vertieften Anschaun meiner Lügenschrift etwas Unheim- liches verspürt, wenn du das Blatt mit dankbarem Entzücken an deine Lippen drücktest? hat nicht der En- gel deiner Liebe dir zugeflüstert: halt, eine fremde Hand schiebt der des Geliebten sich unter? Nein doch! dein Schutzengel wird sich ja eher mit mir verschwören, als daß er dich mit der unzeitigen Wahrheit betrüben sollte, die dir zugleich den Geliebten raubt! Immerhin also laß mich gewähren. Und hat es mir zeither an Vorwänden nicht gefehlt, dich über das immer verscho- bene Wiedersehn deines Theobalds und die lang- entbehrte Umarmung zu trösten, so wird es mir, denk ich, noch gelingen, dir ihn bald als einen völlig Neuen entgegenzuführen, und du wirst nicht einmal wissen, daß es ein strafwürdiger, aber bekehrter Flüchtling ist, der zu deinen Füßen weint.“ Dieß war so ziemlich das bald leise, bald laute Selbstgespräch Larkens . Judem wir es wiederzugeben suchten, weihten wir den Leser in das Geheimniß ein, das ihm gegenwärtig vor Allem am Herzen lag. Es versteht sich von selbst, daß er gleich bei’m Beginn sei- nes wunderlichen Briefwechsels mit Agnes alle Vor- sicht gebrauchte und jene namentlich unter irgend einem Vorwand aufforderte, ihre Briefe immer unter der Larkens’ schen Adresse laufen zu lassen. Dieß geschah 5 indessen auch pflichtlich, nur das lezte Billet machte eine Ausnahme, weil Agnes die Gelegenheit durch die Freunde ohne Umschweif nützen zu können meinte, und so war das Papier wirklich zu Anfangs nicht ge- ringem Schrecken des heimlichen Korrespondenten in die Hände desjenigen gelangt, für den es am wenigsten gehörte, und dem sein Inhalt das ganze hübsche Ge- webe hätte verrathen müssen. Eine geschärfte Instruk- tion für die Briefstellerin war die einzige Folge dieser glücklich abgeleiteten Gefahr, aber einen weit wichtigern Grund, ungesäumt an Agnes , so wie auch an den Förster, zu schreiben, fand Larkens in der Ungewiß- heit über die bewußte Ehrensache. Er sezte sich noch in dieser Stunde nieder, doch mit dem Vorsatze, seine Sorge nur so gelinde als möglich reden zu lassen, und seine Erkundigungen ganz im Allgemeinen zu halten, damit nicht etwa ein Verstoß gegen frühere Verhand- lungen, die ihm unbekannt waren, zum Vorschein komme. Um aber die Stellung Noltens gegen die Braut ganz anschaulich zu machen, müssen wir in der Zeit etwas zurückschreiten und Folgendes er- zählen. Das Verhältniß der Verlobten stand in der wün- schenswerthesten Blüthe, als Agnes durch eine heftige Nervenkrankheit dem Tode nahe gebracht ward. Der kritische Zeitpunkt ging indessen gegen Erwartung glück- lich vorüber, und mehrere Wochen verstrichen, ohne daß es mit der allmähligen Genesung des Mädchens irgend einen auffallenden Anstoß gegeben hätte. Jezt aber konnte es dem Vater, und wer ihn sonst besuchen mochte, nimmer entgehen, daß mit der Tochter eine Veränderung, und zwar eine sehr bedeutende, vorge- gangen sey. Offenbar war sie tief am Gemüthe ange- griffen, auch körperlich bemerkte man die sonderbarste Reizbarkeit an ihr; im Ganzen war sie sanft, meist niedergeschlagen, zuweilen ungewöhnlich heiter und ge- gen ihr sonstiges Wesen zu allerlei Possen geneigt. Oft machte sie ihrem Herzen durch heftige Thränen Luft, brach in Klagen aus um den entfernten Geliebten, den sie mit Sehnsucht zu sich wünschte. Zugleich äußerte sie eine leidenschaftliche Liebe zur Musik, verlangte nichts so sehr als irgend ein Instrument spielen zu kön- nen, und sezte jedesmal hinzu, sie wünsche dieß nur um Noltens willen, damit er künftig doch wenigstens Ein Vergnügen von ihr haben möge. „Ich bin ein gar zu bäurisches einfältiges Geschöpf, und solch ein Mann! O werden wir denn auch jemals für einander taugen?“ Und wollte man sie nun beruhigen, sezte der Vater den schlichten treuen Sinn des Bräutigams recht faßlich auseinander, so konnte sie nur um desto heftiger aus- rufen: „das ist ja eben der Jammer, daß er sich selber so betrügt! ihr Alle betrügt euch, und ich mich selbst in mancher thörichten Viertelstunde. Meint ihr denn, wie er im vorigen Herbste da war, ich hätte nicht ge- merkt, daß er oft lange Weile bei mir hatte, daß ihn etwas beengte, stocken machte? Seht, wenn er bei mir saß, mir seine Hand hinlieh und ich verstummte, nichts in der Welt begehrte, als ihm nur immer in die Augen zu sehn, dann lächelt’ er wohl, — ach, und wie lieb, wie treulich! nein, das macht ihm kein An- derer nach! Und hab ich dann nicht oft, mitten in der hellen Freude, bestürzt mich weggewandt und das Ge- sicht mit beiden Händen zugedeckt, geweint und ihm verhehlt, was eben an mich kam? — ach, denn ich fürchtete, er könnte mir im Stillen Recht geben, ich wollt’ ihm nicht selber drauf helfen, wie ungleich wir uns seyen, wie übel er im Grunde mit mir berathen sey.“ So fuhr sie eine Zeitlang fort und endete zulezt mit bittern Thränen; dann konnte es geschehn, daß sie sich schnell zusammennahm, gleichsam gegen den Strom ihres Gefühls zu schwimmen strebte, und mit dem Ton des liebenswürdigsten Stolzes fing das schöne Kind nun an, sich zu rechtfertigen, sich zu vergleichen; die blasse Wange färbte sich ein wenig, ihr Auge leuchtete, es war der rührendste Streit von leidender Demuth und edlem Selbstbewußtseyn. Diese sonderbare Unzufriedenheit, ja dieß Ver- zweifeln an allem eigenen Werthe fiel desto stärker auf, da Theobald in der That nicht die geringste Ursache zu dergleichen gegeben, man auch früher kaum die Spur von einer solchen Aengstlichkeit an ihr entdeckte. Jezt ward es freilich aus manchen ihrer Aeußerungen klar, daß sie schon in gesunden Tagen diese Sorge heimlich genährt und wieder unterdrückt hatte, daß ein krankes Gefühl, das von jenem Nervenübel bei ihr zurückgeblieben war, sich mit Gewalt auf den verletzbarsten Theil des zarten Gemüthes geworfen haben müsse. Damit wir jedoch sogleich über das Ganze ein hinreichendes Licht verbreiten, sind wir die Erzäh- lung einer Thatsache schuldig, welche jenen Symptomen von Schwermuth vorausging, und wodurch das, was vielleicht nur vorübergehende Grille war, eine weit schwierigere Gestalt annahm. Zwei Wochen, nachdem Agnes vom Kranken- lager frei gesprochen war, hatte sie vom Arzte die Er- laubniß erhalten, zum ersten Mal wieder die freie Luft zu kosten. Es war an jenem Tage eben ein weitläuf- tiger Verwandter, dessen eigentliche Bekanntschaft man jezt erst machte, im Hause gegenwärtig; der junge Mann war seit Kurzem in der benachbarten Stadt bei der Landesvermessung angestellt und bei dem Förster ein um so willkommnerer Gast, als er neben einem an- genehmen Aeußern manches schöne gesellige Talent bewies. Man speis’te fröhlich zu Mittag und Agnes durfte den Vetter Otto nach Tisch beim wärmsten Sonnenschein eine Strecke gegen die Stadt hin beglei- ten. Das Mädchen, wie neugeboren unter’m offenen Himmel, genoß ganz das erhebende Vergnügen neuge- schenkter Gesundheit, das sich mit nichts vergleichen läßt; sie sprach wenig, eine stille, gegen Gott gewendete Freude schien ihr den Mund zu verschließen und ih- ren Fuß im leichten Gang vom Boden aufzuheben; ihr war, als sey ihr Inneres nur Licht und Sonne; ein deutliches Gefühl von körperlicher Kraft schien sich mit einem kleinen Rest von Schwäche angenehm bei ihr zu mischen; sie kehrte früher um und nahm Abschied von Otto , damit sie völlig ungestört sich dem Ueberflusse des Entzückens und des Danks hin- geben könne. Ihr Weg führte sie durch ein Birkenwäldchen, bei dessen lezten Büschen sie eine Zigeunerin allein am Rasen sitzen fand, eine Person von ansprechendem und trotz ihres gesezten Alters noch immer von jung- fräulichem Aussehen. Man grüßt sich, Agnes geht weiter, und hat kaum fünfzehn Schritte zurückgelegt, als sie bereuet, die Unbekannte nicht angeredet zu haben, deren ganzes Wesen und freundlich bedeuten- der Blick doch sogleich den größten Eindruck auf sie gemacht hatte. Sie besinnt sich, sie lenkt um und eine Unterredung wird angeknüpft. Nach einer Weile, während der man gleichgültige Dinge gesprochen, pflückt das braune Mädchen gleichsam spielend einige Gräser, knüpft sie in eine regelmäßige Figur zusam- men, lös’t sodann kopfschüttelnd den einen oder an- dern Knoten wieder auf und sagt: „Sezt Euch zu mir. — Der Herr, den Ihr da vorhin ausgefolgt, ist Euer Schatz zwar nicht, doch denkt an mich, er wird es werden.“ Agnes , obgleich etwas betreten, scherzt Anfangs über eine so unglaubliche Prophezeihung, verwickelt sich aber immer angelegentlicher und hastiger in’s Ge- spräch, und da die Aeußerungen und Fragen der Fremden eine ganz unbegreifliche Bekanntschaft mit den eigentlichen Verhältnissen der Braut vorauszusetzen scheinen, so kommt sie den Worten der Zigeunerin un- vermerkt entgegen. Das gutmüthige Benehmen der- selben entfernt zugleich fast jedes Mißtrauen bei Ag- nesen . Wie schmerzhaft aber und wie unvermuthet wird ihr geheimstes Herz mit Einem Male aufgedeckt, da sie aus jenem ahnungsvollen Munde unter andern die Worte vernimmt: „Was Euern jetzigen Verlobten anbelangt, so wär’ es grausam Unrecht, Euch zu ver- bergen, daß Ihr auch allerdings nicht geboren seyd für einander. Seht hier die schiefe Linie! das ist ver- wünscht; stimmt doch das Ganze sonst gar hübsch zu- sammen! Aber die Geister necken sich und machen Krieg mit den Herzen, die freilich jezt noch fest zusammen- halten. Ei närrisch, närrisch! mir kam so was noch wenig vor.“ Agnes fand Sinn in diesen dunkeln Reden, denn sie erklärten ihr nur ihre eigene Furcht. „Wie?“ sagte sie leise und starrte lange denkend in den Schoß, „so ist’s — so ist’s! ja Ihr habt Recht.“ „Nicht ich, mein Töchterchen, nur Stern und Gras behalten Recht. Vergib, daß ich die Wahrheit sagte; aber Wermuth kann auch Arznei seyn, und sey ver- sichert, Zeit bringt Rosen.“ Hier stand die Fremde auf. Agnes , im Innern wie gelähmt und an den Gliedern wie gebunden, ver- mochte kaum sich zu erheben, sie hatte nicht den Muth, die Augen aufzuschlagen, es war ihr leid, daß sie ver- rieth, wie sehr sie sich getroffen fühlte. Und doch, in- dem sie auf’s Neue in das Gesicht der Unbekannten sah, glaubte sie etwas unbeschreiblich Hohes, Vertrauen- erweckendes, ja Längstbekanntes zu entdecken, in dessen seelenvollem Anblicke der Geist sich von der Last des gegenwärtigen Schmerzens befreie, ja selbst die Angst der Zukunft überwinde. „Behüt’ dich Gott, mein Täubchen! und hab’ im- merhin guten Muth. Läßt dich die Liebe mit Einer Hand los, so faßt sie dich gleich wieder mit der an- dern. Und stoße nur dein neues Glück nicht eigen- sinnig von dir; es ist gefährlich, dem Gestirn Trotz bieten. Nun noch das Lezte: bevor ein Jahr um ist, wirst du Niemand verrathen, was ich dir gesagt; es möchte schlimm ausfallen, hörst du wohl?“ Dieß Leztere hatte die Zigeunerin mit besonderem Nachdrucke gesprochen. Auf’s Aeußerste ergriffen dankte das Mädchen beim Abschiede und reichte der Fremden ein feines Tuch zum Angedenken hin. Agnes war allein und vermochte kaum sich sel- ber wieder zu erkennen; sie glaubte einer fremden, ent- setzlichen Macht anzugehören, sie hatte etwas erfahren, was sie nicht wissen sollte, sie hatte eine Frucht ge- kostet, die unreif von dem Baume des Schicksals ab- gerissen, nur Unheil und Verzweiflung bringen müsse. Ihr Busen stritt mit hundertfältigen Entschlüssen und ihre Phantasie stand im Begriffe, den Rand zu über- steigen. Sie hätte sterben mögen, oder sollte Gott ihrer Neugierde verzeihen und schnell das fürchterliche Bewußtseyn jener Worte von ihr nehmen, die sich wie Feuer immer tiefer in ihre Seele gruben, und deren Wahrheit sie nicht umstoßen konnte. Erschöpft kam sie nach Hause und legte sich so- gleich mit einem starken Froste; der Alte befürchtete einen Rückfall in das kürzlich erst besiegte Uebel, allein vom wahren Grunde ihres Zustandes kam keine Sylbe über ihre Lippen. Sie ließ sich ältere und neuere Briefe Theobalds auf’s Bette bringen, aber statt des gehofften Trostes fand sie beinahe das Ge- gentheil; das liebevollste Wort, die zärtlichsten Ver- sicherungen, schon gleichsam angeweht vom vergiften- den Hauche der Zukunft, betrachtete sie mit Wehmuth, wie man getrocknete Blumen betrachtet, die wir als Zeichen vergangener schöner Augenblicke aufbewahrten: ihr Wohlgeruch ist weg und bald wird jede Farben- spur daran verbleichen. Dergleichen traurige Ahnungen erfüllten sie mit desto ungeduldigerem Schmerz, je mehr sie Theobal- den noch in dem vollen Irrthum seiner Liebe befan- gen denken mußte, — in einem Irrthum, den sie nicht länger mit ihm theilen durfte noch wollte, der ihr abscheulich und beueidenswerth zugleich vorkam. Jener Fieberanfall ging indeß vorüber und außer einer gewissen Ueberspannung hielt man das Mädchen für gesund. Die Ungewißheit ihres Schicksals be- schäftigte sie Tag und Nacht. Suchte sie auch einen Augenblick jene drohenden Aussprüche mit ruhigem Verstande zu bestreiten, schalt sie sich abergläubisch, thöricht, schwach, sie fand doch immer zwanzig Gründe gegen Einen, und selbst im Fall die unerhörteste Täuschung des Weibes mit im Spiele war, so schien dieser seltsame Zufall ihr wenigstens eine früher ge- fühlte Wahrheit auf’s wunderbarste zu bestätigen. Denn freilich hatte sie bei dem Gespräch im Walde nicht bemerkt, wie viel ihr die Zigeunerin, nachdem das erste auf’s Ungefähr keck hingeworfene Wort einmal gezündet, mit leisem Tasten abzulauschen wußte, noch weniger ließ sie sich träumen, daß eben diese Person auf sehr natürlichem Wege von der äußeren Lage der Dinge im Allgemeinen unterrichtet, mit Theobald nicht unbekannt, und, wie sich späterhin entdecken wird, überhaupt gar sehr bei der Sache interessirt war. Was aber immer die geheime Absicht dabei seyn mochte, genug, das arme Kind war schon ge- neigt, einen höheren Wink in jenem Auftritte zu er- blicken. Indessen, es gehen zuweilen Veränderungen in un- serer Seele vor, von welchen wir uns eigentlich keine Rechenschaft geben und denen wir nicht widerstehen können, wir machen den Uebergang vom Wachen zum Schlaf ohne Bewußtseyn und sind nachher ihn zu be- zeichnen nicht im Stande: so ward in Agnes nach und nach die Ueberzeugung von der Unvereinbarkeit ihres Schicksals und Noltens befestigt, ohne daß sie genau wußte, wann und wodurch dieser Gedanke eine unwiderstehliche Gewalt bei ihr gewonnen. Ihre Grundempfindung war Mitleid mit einem geliebten und verehrten Manne, hinter dessen Geist sie sich weit zurückstellte, den sie durch ihre Hand nur unglücklich zu machen fürchtete, weil es in der Folge doch auch ihm selbst nicht mehr verborgen bleiben könne, wie wenig sie ihm als Gattin genüge. Allein wenn dieß Gefühl, das unstreitig aus dem reinsten Grunde un- eigennütziger Liebe hervorging, das gute Geschöpf all- mählig einer frommen und in sich selber trostvollen Resignation entgegendrängte, so wurde der Entschluß freiwilliger Trennung auf der andern Seite wieder durch eine Idee verkümmert, welche sich sehr natürlich aufdrang: ein künftiges Mißverhältniß war ja nur in dem Falle gedenkbar, wenn Nolten überhaupt seine ursprüngliche Gesinnung verläugnete, wenn er dem ersten reinen Zuge seines Herzens untreu würde; und so betrachtete sich nun Agnes schon zum Voraus auf’s Tiefste gekränkt von dem Verlobten, sie war versucht, ihm dasjenige bereits als Schuld anzurechnen, wovon er selbst noch keine Ahnung hatte, was aber unvermeidlich kommen müsse. So sonderbar es klin- gen mag, so ist es doch gewiß, es traten Augenblicke ein, wo ihre Empfindung gegen Theobald nicht fern von Widerwillen, ja von Abscheu war, allein dergleichen feindliche Regungen widerstrebten dergestalt ihrer innersten Natur, sie selbst kam sich dabei als ein so hassenswürdiges, entstelltes Wesen vor, daß sie mit Absicht Alles und Jedes vorkehrte, was den Bräutigam, auch im äußersten Falle, rechtfertigen könnte. Es kam eine tödtliche Angst über sie, wenn ihr zuweilen die Möglichkeit erschien, daß sie von Dem, der ihr noch jüngst das Theuerste der Welt ge- wesen, jemals geringer denken oder daß er ihr gar sollte gleichgültig werden können, es war ihr, wenn es dahin kommen sollte, als zerstöre sie ihr eigen Selbst, als sey die innerste Wurzel ihres Lebens an- gegriffen, als müßte sie jedem schönen Glauben, Allem, was würdig, hoch und heilig sey, für immerdar ent- sagen. Sie nahm in dieser äußersten Noth ihre Zu- flucht zum Gebet, und flehte mit Inbrunst, Gott möge die Liebe zu Nolten stets frisch bei ihr erhalten, er möge ihr nur helfen, Alles, was leidenschaftlich an dieser Neigung sey, aus ihrem Herzen wegzuscheiden. Bemerkenswerth ist es, daß das treffliche Mäd- chen, von einem richtigen Takte geleitet, sich mitunter alle Gewalt anthat, ganz unabhängig von jener ver- dächtigen Prophetenstimme zu denken und zu handeln, so wie sie sich auch leicht beredete, die Verzichtleistung auf den Verlobten sey in Betracht der ersten Gründe doch immer aus ihr selbst hervorgegangen. Vielleicht sie unterschied hierin nicht scharf genug, und jene dunkle Stimme behielt auf Agnesens Thun und Lassen den mächtigsten Einfluß; nur verscheuchte sie jede Erinnerung an den verhaßten Fingerzeig des Weibes, der so entschieden auf ein neues Bündniß hindeutete; nicht ohne heimliches Schaudern konnte sie in diesem Sinne an den Vetter denken, ja sie ver- mied seinen Anblick eine Zeitlang geflissentlich, nur um dieser unerträglichen Vorstellung los zu werden. Wie sehr das Mädchen unter solchen Umständen litt, von wie viel Seiten ihr Gemüth im Stillen zer- rissen und gepeinigt war, läßt sich wohl besser fühlen als beschreiben. Unglaublich erscheint bei diesem Allen der Wechsel ihrer Stimmung; denn während sie jede Hoffnung auf Theobald verbannte und in den nüch- ternsten Stunden sogar die Fähigkeit bei sich entdeckte, ihn seinem bessern Schicksale frei zu geben, fehlte es mitunter nicht an Augenblicken, wo alle jene düstern Bilder gleich Gespenstern vor der aufgehenden Sonne zurückflohen, wo ihre Liebe mit Einemmal wieder in dem heitersten Lichte vor ihr stand und eine Vereini- gung mit Nolten ihr, allen Orakeln der Welt zum Trotze, nothwendiger, natürlicher, harmloser däuchte, als jemals. Mit Entzücken ergriff sie dann eilig die Feder, dem theuren Freund ein liebevolles Wort zu senden, und sich im Schreiben gleichsam selbst des überglücklichen Bewußtseyns zu versichern, daß sie und Nolten ewig unzertrennlich seyen. In solchen Stimmungen mochte sie auch Ottos Gegenwart nicht ungern leiden, sie behandelte ihn noch immer mit einiger Zurückhaltung und hatte auch diese schon halb überwunden; nur als der Vater ge- legentlich dem Vetter, der die Mandoline fertig spielte, den Vorschlag machte, das Bäschen in die Lehre zu nehmen, ward sie einigermaßen verlegen und zauderte, wiewohl sie den Wunsch früher selbst geäußert hatte und noch jezt in gewisser Hinsicht Lust dazu empfand. Auf das freundlichste Zureden Ottos entschloß sie sich wirklich, und sogleich wurde die Probe gemacht, die denn auch ganz munter von Statten ging; Ag- nes bewies den größten Eifer, denn es galt, den Geliebten später mit diesem neuen Talent zu überra- schen, und das kleine Geheimniß machte sie glückselig. Aber dergleichen lichte Zwischenräume waren vor- übergehend; jene schwermüthigen Zweifel kehrten nur um desto angstvoller zurück, und ein solcher alle Kraft der Seele anspannender Wechsel diente nur, eine Epoche vorzubereiten, worin die geistige Natur der Armen unter der Last einer schrecklichen Einbildung und eines unseligen Geheimnisses unterlag. Noch immer beobachtete Agnes das tiefste Stillschweigen über die Begebenheit im Walde, bloß im Allgemeinen gab sich ihr Gram in lauten Klagen zu erkennen, wovon wir gleich Anfangs ein Beispiel gegeben. Die musikalischen Lektionen wurden ausgesezt und fingen wieder an, weil es der Vater verlangte, der in solchen Unterhaltungen eine willkommene Zer- streuung für seine Tochter sah. Diese zeigte nun- mehr eine sonderbare stille Gleichgültigkeit, ließ mit sich anfangen, was man wollte, oder ging ihr lebloses träumerisches Wesen sprungweise in jene zweideutige Munterkeit über, wovon wir oben gesprochen. Der Alte sah es gern, wenn sie mit Otto sich lustig machte, nur stuzte er oft über die Ausgelassenheit, ja Keckheit seines Mädchens, wenn es nach beendigter Lektion an ein Spaßen, Lachen und Necken zwischen den jungen Leuten ging, wenn die Schülerin dem Lehrmeister blitzschnell in die Locken fuhr und auch wohl einen lebhaften Kuß auf die Stirne drückte, so daß Freund Otto selbst etwas verlegen ward und mit all seiner sonstigen Gewandtheit sich zum ersten Mal ein wenig linkisch der reizenden Cousine gegen- über ausnahm. „Bist doch mein lieber Vetter,“ lachte sie dann, „was zierst du dich so närrisch? Aber für- wahr, ich wollte, wir wären Brautleute! mit dir könnt’ ich leben, du bist ganz darnach gemacht, daß man dich nicht zu viel und nicht zu wenig lieben kann!“ Diese und ähnliche Reden, so arglos sie auch hingeworfen waren, klangen dem Alten bedenklich, und vollends finden wir sein Erstaunen gerecht, als er einmal beim Weggehen Ottos , welcher Agnesen wie sonst auf der Schwelle die Hand gab, eine Thräne in ihrem klaren Auge bemerkte. „Was soll doch das, mein Kind?“ fragte der Vater, nachdem sie allein waren, betroffen. „Nichts,“ erwiderte sie mit einigem Erröthen und drehte sich zur Seite; „sein Anblick rührt mich oft, er gefällt mir nun einmal.“ Dann ging sie sorglos, wie es schien, und singend in der Stube auf und nieder. Vorübergehende Auftritte der Art brachten den Förster auf mancherlei Gedanken, und es ist zu be- greifen, wenn er es endlich mehr als wahrscheinlich fand, daß hinter diesem unnatürlichen Zustande eine aufkeimende Leidenschaft für Otto sich verstecke, die er nur einer krankhaften Reizbarkeit des Mädchens Schuld geben konnte. Der Zeit nach, worein die er- sten Besuche des Vetters und jene ersten grillenhaften Aeußerungen Agnesens fielen, widersprach jener Vermuthung nichts. Der Leser aber kann über den wahren Zusammenhang des wunderlichen Gewebes wohl nimmer im Zweifel seyn. Der Verstand des guten Wesens hatte das Gleich- gewicht verloren, und der traurige Riß war kaum ge- schehen, als die Schatten des Aberglaubens mit ver- stärkter Wuth aus ihrem Hinterhalte brachen, um sich der wehrlosen Seele völlig zu bemächtigen. Jene Idee von Otto fixirte sich gleichsam künstlich im Ge- müthe der Armen, und die eingebildete Nothwendig- keit fing an, den Widerwillen gegen ihn zu überbieten. Die Art jedoch, wie sich Agnes äußerlich be- trug, ließ in der That nicht auf eine so bedeutende Störung ihres Innern schließen, und der Vater glaubte nicht an eigentlichen Wahnsinn. Der sonderbare Hang zur Lustigkeit verlor sich ganz und machte einer gesez- ten Ruhe, einem liebenswürdigen Gleichmuthe Platz, der dem Gespräche so wie dem ordentlichen Gange der hänslichen Geschäfte gleich günstig war, man be- merkte nichts Verkehrtes in ihrem Thun und Reden, nichts Schwärmerisches in Miene und Geberde; aber an Theobald wollte sie nicht erinnert seyn, selbst Ottos Namen berührte sie kaum, so lange er abwe- send war, nur wenn er kam, sah man sie ihre ganze Aufmerksamkeit, alle Anmuth und Freundlichkeit an ihn verschwenden. Wenn nun der Alte, durch ein so unerhörtes Benehmen zur Verzweiflung gebracht, sie zur Rede stellte, sie bald mit Sanftmuth, bald mit drohenden Vorwürfen an ihre Pflicht, an ihr Gewissen mahnte, so zeigte sie entweder eine stumme Gelassenheit, oder sie lief weinend aus dem Zimmer und schloß sich ein. Der Vater hatte indessen auf die Entfernung des jungen Menschen gedacht und ihm bereits einige leise Winke gegeben, die aber bis jezt ganz ohne Wirkung blieben; er war in der peinlichsten Noth, zumal er Ursache hatte, zu befürchten, daß die Reize 6 des Mädchens auch nicht ohne Eindruck auf Otto ge- blieben seyn möchten. Und wirklich, wie erstaunte nicht der gute Mann, als er eines Tages dem Vetter unter vier Augen seine Bitte so schonend als möglich vortrug, und dieser mit dem unumwundenen Geständ- nisse hervortrat: er sey von der Neigung Agnesens für ihn vollkommen überzeugt und nichts halte ihn ab, sie offen zu erwiedern, wenn er vom Vater die Zustim- mung erhalten würde, die er ohnehin in diesen Tagen zu erbitten entschlossen gewesen sey; es komme nun freilich auf ihn an, ob er dem innigsten Wunsche seiner Tochter Gehör schenken oder auf Kosten ihrer Ruhe und ihrer Gesundheit eine Verbindung erzwingen wolle, welche man, alle Vorzüge Noltens in Ehren gehalten, nun einmal durchaus für den gröbsten Mißgriff halten müsse. Der Förster, über eine so kühne Sprache wie billig empört, unterdrückte dennoch seinen Unmuth und wies den vorschnellen Freier mit Mäßigung zurecht, indem er ihn vor der Hand zur Geduld ermahnte und wenigstens für die nächste Zeit das Haus zu meiden bat, worauf denn jener willig zusagte und nicht ohne geheime Hoffnung wegging. Nun überlegte der Alte, was zu thun sey. Bald ward er mit sich einig, daß unter so mißlichen Um- ständen Veränderung des Orts, eine starke Distraction, das Räthlichste seyn dürfte. Zwar dachte er Anfangs daran, ob nicht gerade eine Reise zu dem Bräutigam das kürzeste Mittel zu Ausgleichung des Ganzen wäre, allein die geringste Erwähnung des Planes bei Agne- sen versezte diese in den größten Jammer, sie beschwor den Vater auf den Knien, von dem Vorhaben abzu- stehen, das ihr gewiß den Tod bringen würde. Da nun überhaupt von einer Reise, gleichviel wohin, die Rede war, schien sie vielmehr erfreut als abgeneigt, und gerne ließ der Förster sich’s gefallen, bei dieser Gelegenheit einen ziemlich entfernten Freund, den er seit vielen Jahren nicht gesehen, heimzusuchen. In Kurzem befanden Vater und Tochter sich un- terwegs in einem wohlgepackten Gefährt. Das Wetter war das schönste, nach wenig Stationen sah man schon völlig neue Gegenden. Das Mädchen war zufrieden, ohne gerade lebhafter zu seyn. Mit dem Aufenthalte in dem kleinen Städtchen Wiedecke, wo der vieljährige Bekannte des Försters, ein jovialer behaglicher Sechziger, als Verwalter eines edelmännischen Guts wohlhabend wie ein kleiner Fürst lebte, begann für Agnes bald eine ganz andere Art den Tag hinzubringen, als sie es bisher gewohnt war. Der lebensfrohe Mann machte sich’s zur Pflicht, seine Gäste auf die mannigfaltigste Weise zu vergnügen, und im eigentlichen Sinne des Worts keine Stunde ruhen zu lassen. Sie mußten die Güter der gräflichen Herr- schaft, Gärten, Waldungen, Parks und Fischplätze mu- stern, gelegentlich die Ordnung des Verwalters und seine Einsichten bewundern, man durfte mit keinem seiner Freunde im Städtchen und der Umgegend unbe- kannt bleiben, eine ländliche Partie verdrängte die andere, kurz der Förster sah seine Wünsche, die im Stillen hauptsächlich nur auf Zerstreuung der Tochter gingen, beinahe über alles Maaß und mehr als sie ertragen konnte, erfüllt; eigentlich gab sie sich mehr nur aus Gutmüthigkeit zu all der geräuschvollen Lustbarkeit her, als daß sie mit ganzem Herzen Theil genommen hätte. Großen und schönen Eindruck machte bei ihr eines Abends der erstmalige Anblick eines Theaters, wozu eine wandernde Truppe das Wiedecker Publikum lud. Das Stück war von der leichten, heitern Gattung und wurde überdieß sehr brav gespielt. Agnes lachte zum ersten Mal wieder recht herzlich und ging ganz aufgeräumt zu Bette. Doch in der Nacht kam sie in das Schlafzimmer des Vaters geschlichen, weckte ihn, und wollte Anfangs auf die Frage, was ihr zugesto- ßen sey, lange mit der Sprache nicht heraus. Sie habe, gestand sie endlich, von Theobalden so lebhaft, so deutlich geträumt; er sey trostlos gewesen und habe sie um Gottes willen gebeten, ihn nicht zu ver- lassen, zulezt sey sie aufgewacht, erstickt von seinen Küssen. „Nun seht, Vater,“ fuhr sie unter heißen Thränen fort, „Euch darf ich wohl bekennen, daß er mich unbeschreiblich dauert, ob ich ihn gleich nicht mehr liebe; er wird sein Glück gewiß bei einer An- dern finden, aber das sieht er jezt nicht ein, und es wäre vergeblich, ihn überreden zu wollen; man muß nur abwarten, bis er von selbst zur Ueberzeugung kommt. Aber (hier brach sie in lautes Schluchzen aus) wenn er während der Zeit verzweifelte! wenn er sich ein Leid anthäte — nein! nein! das wird er nicht, das kann er nicht! nicht wahr, Vater, so weit kann es unmöglich kommen? Ach, könnt’ ich ihn über diese Zwischenzeit nur schnell wegheben, ihn mit irgend was beruhigen, ihm einen Trost zusenden!“ Der Alte vernahm diese Worte mit heimlicher Zufriedenheit, denn sie waren ihm nichts anders als das Zeichen der wiedererwachten Neigung für den Bräutigam. „Wenn du es über dich vermöchtest,“ sagte er, „ihm deine volle Liebe wieder zu schenken, da wäre freilich am besten geholfen. Siehst du, noch ist im Grunde nichts verloren, noch verdorben; ja, prüfe dich, mein Kind! sey mein verständiges Mäd- chen wieder! nimm auf’s Neue meinen Segen mit Theobald hin; schreib’ ihm gleich morgen einen un- befangenen heitern Brief, so wie dein lezter vor drei Wochen war, das wird ihn freuen.“ Nach einigem Nachdenken antwortete Agnes : „Ihr wißt nicht, Vater, wie es um die Zukunft steht, drum mögt Ihr wohl so sprechen. Aber seht, ich denke nun, Theobald muß ja mein Mann nicht eben seyn, und ich darf ihn dennoch lieb behalten. Ist’s ja doch ohnehin noch nicht an der Zeit, daß wir uns die Brautschaft förmlich aufsagen, und warum soll ich ihn eher als nöthig ist, aus seinem guten Glauben reißen, da er die Wahrheit jezt noch nicht begriffe, warum nicht immerfort so an ihn schreiben, wie er’s bisher an mir gewohnt war? Ach, ganz gewiß, ich sündige daran nicht, mein Herz sagt mir’s; er soll, er darf noch nicht erfahren, was ihm blüht, und, Vater, wenn Ihr ihn lieb habt, wenn Euch an seinem Frieden etwas liegt, sagt Ihr ihm auch nichts! Dagegen aber kann ich euch versprechen, ich will vor der Hand mit Otto nichts mehr gemein haben. Die Zeit wird ja das Uebrige schon lehren.“ Der Förster wußte nicht so recht, was er aus diesen Reden machen sollte, er schüttelte den Kopf, nahm sich aber vor, das Beste zu hoffen, und entließ Agnesen , die sich ruhig wieder niederlegte. Wie groß war seine Freude, als er sie des an- dern Morgens in aller Frühe mit einem Brief an Theobald beschäftigt fand, den sie ihm auch nachher zur Durchsicht reichte, wiewohl mit Widerstreben und ohne gegenwärtig zu bleiben, so lange der Alte las. Aber welch’ köstliche, hinreißende, und doch wohlbe- dachte Worte waren das! So kann bloß ein Mädchen schreiben, das völlig ungetheilt in dem Geliebten lebt und webt. Nur die absichtliche Leichtigkeit, womit jene ernsten und tiefen Bewegungen in Agnesens innerm Leben hier gänzlich übergangen waren, frap- pirte den Vater an dem sonst so redlichen Kinde. Er selber hatte noch geschwankt, ob die Pflicht von ihm fordere, Theobalden von diesen Dingen in Kennt- niß zu setzen, oder ob es nicht vielmehr gerathen sey, jenem die Sorge und der Braut die Beschämung über eine Sache zu ersparen, die am Ende doch nur un- willkürliche und vorübergehende Folge eines sonder- baren Krankheitszustandes sey. Und nun, da offen- bare Hoffnung war, daß Alles sich von selbst aus- gleiche, bereute er um so weniger, in seinem lezten Schreiben bloß im Allgemeinen von wiederholten Ge- sundheitsstörungen gesprochen zu haben. Er sah be- reits die schöne Zeit voraus, wo er dem Schwieger- sohne den ganzen Verlauf der seltsamen Begebenhei- ten in einer traulichen Abendstunde ruhig und wohl- gemuth wie ein glücklich überstandenes Abenteuer würde erzählen können. Die Rückreise nach Neuburg wurde endlich an- getreten. Man begrüßte die Heimath nach längerer Abwesenheit mit doppelter Liebe. Agnes ward all- gemein blühender, ansprechender, geselliger gefunden, als man sie vor vier Wochen hatte abreisen sehen; was aber der Vater mit besonderem Wohlgefallen be- merkte, war, daß ihr die alte Nähe des Vetters gar nicht einzufallen schien. Dieser wurde indessen durch seine Geschäfte ganz außerhalb der Gegend festgehal- ten, und der Förster durfte einen Ueberfall, worauf er sich bereits gefaßt gemacht, sobald noch nicht be- fürchten. Uebrigens mußte es nach und nach befremden, daß Nolten seit einem vollen Monat und darüber nichts von sich hören ließ. Der Alte fand es uner- klärlich, denn eine Irrung, welche etwa durch die fatale Geschichte entstanden seyn möchte, war kaum gedenkbar, da weiter Niemand darum wissen konnte; möglicher schien es, daß Nolten krank, daß Briefe verloren gegangen seyen. Agnes hatte dabei ihre besonderen Gedanken und schwieg nur immer, indem sie auf etwas Entscheidendes zu spannen schien. Wirklich hatte sich inzwischen nicht wenig Be- deutendes in der Ferne zugetragen. Es waren, bald nachdem der Vetter die Bekannt- schaft des Försterhauses gemacht, von zwei verschie- denen Seiten und von sehr wohlmeinenden Personen Briefe an Nolten gelangt, worin er auf ein sehr zweideutiges Benehmen des Alten und seiner Tochter in Betreff des jungen Menschen aufmerksam gemacht wurde. Eine dieser Warnungen kam sogar von dem guten Baron auf dem Schlosse bei Neuburg, welcher sonst mit dem Förster in freundlichem Vernehmen stand, und von dessen Rechtlichkeit und vorsichtigem Urtheil sich weder Uebereilung noch Parteilichkeit er- warten ließ. Schon diese ersten Laute des Verdachts, obgleich sie unsern Maler noch keineswegs zu über- zeugen vermochten, erschütterten und lähmten, ja ver- nichteten ihn doch dergestalt, daß er sich lange nicht entschließen konnte, auch nur eine Zeile nach Neuburg zu richten, seinen väterlichen Freund, den Baron, aus- genommen, dem er eine nochmalige genaue Nachfor- schung dringendst empfahl. Allein nach mehreren Wochen erhielt er auf eine höchst unerwartete Weise die vollkommenste Bestätigung seines Argwohns, und zwar durch das ausführliche Schreiben Otto Lien- hart’s , — ein Name, den er früher einmal gele- gentlich von Agnes gehört zu haben sich sogleich er- innerte. Daß dieß eine und dieselbe Person mit dem mehrerwähnten Vetter sey, brauchen wir kaum anzu- merken. Der Eingang des Briefes nimmt auf eine eben so bescheidene als verständige Art das Vertrauen Theobalds in Anspruch; der Unbekannte bittet um ruhiges und männliches Gehör für dasjenige, was er vorzutragen habe; es sey, versicherte er, so son- derbar und so feindselig gar nicht, als es wohl in dem ersten Augenblicke erscheinen könnte. Nun geht er auf das innere Mißverhältniß der Verlobten über, wie die Natur der Charaktere ein solches wesentlich und nothwendig begründe, ohne daß einem der beiden Theile das Geringste dabei zur Schuld falle. Sodann wird die Neigung des Mädchens zu ihm, dem Vetter, entwickelt, gerechtfertigt und endlich wird ohne Anmaßung erklärt, in welchem Sinne er Ag- nesen ihren ersten Freund, dessen eigenthümlichen Werth sie noch immer verehre, zu ersetzen hoffen dürfe. Wenn nun die angeführten Gründe hinreichen würden, um Nolten zu freiwilliger Abtretung seiner Ansprüche zu bewegen, so hänge am Ende Alles nur vom Vater ab. Es scheine, daß dieser im Stillen einen solchen Wechsel gut heiße und sich nur vor Nolten scheue, deßwegen halte er die Sache mit schwankendem Entschlusse hin und sorge in der That für keinen Theil sehr vortheilhaft, wenn er Theo- balden noch immer in einer Hoffnung lasse, auf welche er selber insgeheim verzichte; er thue Unrecht, daß er die Tochter stets auf’s Neue irre zu machen suche und sie nöthige, in ihren Briefen unredlich gegen Theobald zu seyn. Ihr Herz habe für im- mer entschieden. Einige Briefe von Agnesens ei- gener Hand an den Cousin werden ihre Gesinnung hinreichend beweisen. (Die Blätter lagen bei, und man hat sich Briefe zu denken, welche die Unglückliche ohne Vorwissen des Försters an Otto gesandt.) Er habe diese Eröffnungen für Pflicht gehalten, und Nolten möge seine Maßregeln darnach ergreifen. Sollte der Förster, was jedoch wenig Wahrscheinlich- keit habe, zulezt eigensinnig und grausam die Rechte des Vaters geltend machen, oder Theobald die des Verlobten, so könne nur ein vollendetes Unglück für Alle daraus entspringen, während im andern Falle Nolten wenigstens den Trost für sich behalte, den der Mann im Bewußtseyn einer ungemein und groß- herzig erfüllten Pflicht von jeher gefunden. Ein schallendes, verzweiflungsvolles Gelächter war das erste Lebenszeichen, das unser Maler, nach- dem er einige Sekunden wie besinnungslos gestanden, von sich gab. Wir schildern nicht, in welchem Kreis- laufe von Zerknirschung, Wuth, Verachtung und Weh- muth er sich nun wechselnd umgetrieben sah. Was blieb hier zu denken, was zu unternehmen übrig? Haß, Liebe, Eifersucht zerrissen seine Brust, er faßte und verwarf Entschluß auf Entschluß, und hatte er die wirbelnden Gedanken bis in’s Unmögliche und Ungeheure matt gehezt, so ließ er plötzlich muthlos jeden Vorsatz wieder fallen und blickte nur in eine grenzenlose Leere. Nach Verfluß einiger Tage war er so weit mit sich im Reinen, daß er stillschweigend Allem und Je- dem seinen Lauf lassen und etwa zusehen wollte, wie man in Neuburg sich weiter geberden würde. Seinem Larkens , der indessen von einer kleinen Reise zu- rückgekommen war, und dem sein Kummer bald auf- fiel, entdeckte er sich keineswegs; denn Einmal wollte er sich in seinem Benehmen in der Sache durch frem- des Urtheil nicht geirrt wissen, er fürchtete die Ge- schäftigkeit, welche sein lebhafter und unternehmender Freund in solchem Falle sicherlich nicht würde ver- läugnen können, und dann hielt ihn ein sonderbares Gefühl von Schaam zurück, wie es denn seinem Cha- rakter eigen war, fremdes Mitleid, und käme es auch vom geliebtesten Freunde, so viel möglich zu verschmähen. Gewisse weggeworfene Aeußerungen des Malers, so wie eine Menge kleiner Umstände, ließen jedoch dem Schauspieler keinen Zweifel mehr übrig, wen die Verstimmung betreffe; aber weit entfernt, den Fehler auf Seiten Agnesens zu suchen, sah er an seinem Freunde im Stillen nur den seichten Ueberdruß, die undankbare Laune eines Liebhabers, und es mußte ihn die kleinlaute Verlegenheit Theobalds , wenn dar- auf die Rede kam, in der Meinung bestärken, dieser fühle sein Unrecht. Dem Maler war ein solcher Irrthum gewissermaßen nicht zuwider, er mochte lieber den Schein der Untreue haben, als sein wahres Elend täglich in den Augen des Schauspielers lesen. Dem Leztern konnte es nicht entgehen, daß die gewöhnlichen Briefe nach Neuburg seit einiger Zeit stockten, obwohl von dorther immer welche einliefen, und so entstand denn in dem sonderbaren Manne der Entschluß, Noltens Pflicht in diesem Punkte zu versehen. Allerdings nahm er sogleich das Unsichere und Zufällige mit in Rechnung, doch zu befürchten war ja eigentlich nichts, auch wenn das kecke Spiel früher oder später an den Tag käme. In der Zwischenzeit aber, d. h. vor der heim- lichen Einrichtung, in deren Folge nachher Alles vom Försterhause an den Bräutigam Geschriebene in die Hände des unächten Correspondenten gelangte, waren mehrere Briefe theils von Seiten des Alten, theils von Agnesen selbst an Nolten gekommen, und sie waren von der Art, daß Theobalds Urtheil, in sofern es bis jezt unbedingt verwerfend gewesen, sich gewissermaßen modifiziren mußte. Der Alte ersucht nämlich seinen Schwiegersohn in einem eben so herz- lichen als wahrhaftigen Ton, er möchte von gewissen Gerüchten, welche sich zu Neuburg durch die Zudring- lichkeit eines eingebildeten jungen Menschen verbreitet hätten, und die vielleicht auch — was wohl der Grund seines langen Stillschweigens sey — bis zu ihm gedrungen seyn könnten, auf keine Weise Notiz nehmen. Der Alte sezt die Verirrung des Mädchens nach seinen Begriffen auseinander, macht, ohne das Rechte zu treffen, eine nicht eben unwahrscheinliche Erklärung davon, wobei Alles am Ende auf eine selt- same Skrupulosität, melancholische Ueberspannung und zulezt auf alberne Kinderei reducirt wird. Nolten möchte der Jugend, der Unerfahrenheit des Mädchens vergeben; er als Vater betheure, daß der Vorgang in keinem Sinne störende Folgen nach sich ziehen werde, Agnes habe sich gefaßt, ihr Herz sey rein und hänge mit doppelter Innigkeit an ihm. Indessen, fährt der Vater von sich fort, sey er so unbillig nicht, es dem Bräutigam zu verdenken, wenn die Sache ihn erschreckt habe, wenn er der Zeit die Probe überlasse, ob die Braut seiner nicht unwerth geworden, nur wäre zu wünschen, daß er sich persönlich überzeugte, und er sey deßhalb auf’s freundlichste nach Neuburg eingeladen. Uebrigens möchte er, wenn er Agnesen schreibe, ihr tief gebeugtes Gemüth so viel wie mög- lich schonen, sie wisse nichts von diesen Mittheilungen und scheine sich vorzubehalten, ihm bald mündlich die treueste Rechenschaft zu geben. Schließlich möge er sich doch wohl bedenken, ehe er ein Geschöpf, dessen ganzes Glück an ihn gebunden sey, um eines immer- hin räthselhaften und darum schwer zu richtenden Ver- gehens willen, ohne weitere Prüfung verstoße. Diese Nachricht versezte den Maler in die sonder- barste Unruhe. Er war während des Lesens weich ge- worden, er mußte wider Willen seinen entschiedenen Haß mit einem tiefen Verdruß und ärgerlichen Mit- leid vertauschen, und er fühlte sich dabei fast unglück- licher als zuvor. Wenn er freilich Agnesens ursprüngliche, so äußerst reine Natur mit ihrem neuesten Betragen ver- glich, so schien ihm der Absprung so gräßlich widersin- nig, daß er sich jezt wunderte, wie er eine Weile an die Möglichkeit einer Untreue im gewöhnlichen Sinne des Worts hatte glauben können; der Fall stritt der- gestalt gegen alle Erfahrung, daß eben das Außeror- dentliche des Vergehens zugleich dessen Entschuldigung seyn mußte. „Aber was auch immer die Ursache sey,“ — rief Theobald auf’s Neue verzweifelnd aus, — „wie tief der Grund auch liegen mag, die Thatsache bleibt, — um den ersten heiligen Begriff von Reinheit, Demuth, ungefärbter Neigung bin ich für immer bestohlen! Was soll mir eine verschraubte, kindische Kreatur? Werd’ ich nun meine schönsten Hoffnungen zerbrochen als küm- merliche Trümmer, halb knirschend, halb weinend, am Boden aufsammeln und mir einbilden, was ich zusam- menstückle, sey mein altes köstliches Kleinod wieder? O hätt’ ich den bübischen Fratzen zur Stelle, der mir an meine süße Lilie rührte! könnt’ ich die Augen aus- reißen, die mir das treuste Herz verlockt! dürft’ ich den heillosen Schwätzer zertreten, der in die stille Däm- merung meiner Blume den frechen Sonnenschein des eiteln, breiten Tages fallen ließ! — Unmündig, uner- fahren, noch ganz ein Kind, ach wohl, das war sie freilich, das könnte sie entschuldigen bei Dem und Je- nem, vielleicht auch bei mir, aber bin ich darum weni- ger betrogen, hilft mir das ihr entstelltes Bild herstel- len, hilft es meiner verbluteten Liebe das Leben wie- der einhauchen? Ich fühl’s, hier ist an kein Ausglei- chen mehr zu denken. Vergessen, was ich einst besaß, das bleibt das Einzige, was ich versuchen kann.“ Dieß waren die Empfindungen des Malers und sie blieben noch immer dieselben, während im Förster- hause zu Neuburg durch Larkens’s Vermittlung längst Alles wieder einen friedlichen Gang angenommen hatte. Zwar wunderte es den Alten, daß jene vertrau- ten Eröffnungen ganz mit Stillschweigen übergangen wurden, doch hielt er zulezt dafür, es geschehe mit Absicht und der Schwiegersohn wolle den gehässigen Gegenstand für jezt nicht berührt wissen. Was Agne- sens inneres Leben betrifft, so verhüllte sich jener hoffnungslose Wahn, der die Unglückliche noch immer beherrschte, vor dem Vater und gewissermaßen vor ihr selbst unter dem Eifer, womit sie Noltens Liebe durch schriftlichen Verkehr noch eine Zeit lang nähren zu müssen glaubte, und während sie sich einzig nur auf seine Ruhe bedacht schien, wollte sie keineswegs gewahr werden, wie begierig das eigene Herz bei diesem süßen Geschäfte sein Theil für sich wegnahm, wie gerne es, den Willen des Schicksals gleichsam hintergehend, den holden Tönen lauschte, welche Larkens täuschend ge- nug dem wirklichen Geliebten nachzuspielen wußte. Uebrigens blieb Vetter Otto immer das gefürchtete Augenmerk ihrer kranken Einbildung; er selbst hatte sich, nachdem ihn der Förster in aller Stille ernstlich abgewiesen, beschämt und ärgerlich zurückgezogen. Die Zigeunerin war inzwischen auch wieder zum Vorschein gekommen; Agnes offenbarte ihr bei einer heimlichen Zusammenkunft den Plan ihrer Entsagung, womit die Betrügerin sehr zufrieden schien, und sogar einen Brief an Nolten zu besorgen versprach. Auf diese Weise standen die Personen eine ge- raume Zeit in der wunderlichsten Situation gegen ein- ander, indem Eines das Andere mit mehr oder weniger Falschheit, mit mehr oder weniger Leidenschaft zu hin- tergehen bemüht war. Nolten kam um so weniger in Versuchung, dem Schauspieler den wahren Grund seiner Entfremdung von der Braut zu entdecken, da dieser nicht weiter in ihn drang, indem er, vielleicht von eigenen Erfahrun- gen in der Liebe ausgehend, Alles nur einer ekeln Lauheit zuschrieb, wogegen kein anderes Heilmittel sey als die Zeit, von der er denn auch mit größter Zuversicht das Beste hoffte, wenn nur sein Freund, erst anderwärts durch leichten Schaden klug geworden, die Ansicht mit ihm theilen gelernt hätte, daß die ver- feinertsten Reize der weiblichen Welt keinen Ersatz für ein so seltenes Gut gewähren, als jenes einfache Mädchen nach der Ueberzeugung des Schauspielers war. Wenn also zwischen beiden Freunden die Sache nur sehr wenig berührt wurde, so fehlte es gleich- wohl nicht an Auftritten wie der, dessen sich der Le- ser vielleicht noch von jener Neujahrsnacht erinnert, wo übrigens unser Maler von einer offenen Darle- gung der Umstände nur noch durch die Furcht abge- halten ward, der Schauspieler möchte ihm in’s Ge- wissen reden, und das zur höchsten Unzeit, da ihm in Constanzen ein neues herrliches Gestirn aufging. Länger als gewöhnlich entbehrte Theobald die Gelegenheit, das Zarlin ’sche Haus zu besuchen. Der Graf und Constanze hatten eine längst vorgehabte Reise zu einer Verwandten ausgeführt. Zwölf Tage verstrichen ihm unter leeren Zerstreuungen, unter der peinlichsten Unruhe, denn frühe genug hatten sich ver- schiedene Zweifel über das hohe Glück bei ihm einge- stellt, das er sich vielleicht zu voreilig aus dem son- 7 derbaren Vorfall in jener Ballnacht gedeutet haben konnte. Daß Constanze unlängst in seiner und an- derer Freunde Gegenwart, als eben von der Blumen- sprache die Rede war, aus Gelegenheit eines blühen- den Granatbaums das feurige Roth desselben für das Symbol lebhafter Neigung erklärt hatte, indem sie sich dabei schalkhaft geheimnißvoll auf das Urtheil Noltens als „besonders passionirten Kenners“ vor- zugsweise berief, und daß ihm eine Woche später von unbekannter Hand ein solcher Strauß war angeheftet worden, konnte sehr leicht bloße Neckerei des Zufalls seyn, oder wohl gar, — und dieser Meinung sind wir selbst, — der Schelmstreich einer lustigen Person, welche nicht nur jenen Ausdruck der Gräfin mit an- gehört, sondern auch dem Maler seine schwache Seite längst mochte abgelauscht haben. Er befand sich deß- halb in der größten Ungewißheit; nur so viel schien ihm bisher ausgemacht, daß die Gräfin damals auf dem Balle gewesen, und jezt erst fiel ihm ein, sich näher zu erkundigen. Aber auch wenn er manchmal sich selbst geflissentlich die vielverheißende Bedeutung jenes Zeichens ausredete, wenn er Alles verwarf, was er sich sonst zu seinem Vor- theil ausgelegt, so konnte er am Ende bei jedem Blick in sein Inneres bemerken, daß ein unerklärlicher Glaube, eine stille Zuversicht in ihm zurückgeblieben war, und er nahm sodann diese wundersame Hoffnung gleichsam wieder als ein neues Orakel, dem er unbe- dingt zu vertrauen habe. So eigen pflegt der Geist mit sich selber zu spielen, wenn jene träumerische Lei- denschaft uns beherrscht. Endlich kam der Abend, der den auserlesenen Zirkel wieder in das Haus des Grafen lud. Mit bangen Empfindungen schritt Nolten , gegen die kalte Winterluft dicht in den Mantel gehüllt, an der Seite seines Freundes Larkens nach der geliebten Straße zu. Aber sie sahen die Jalousiefenster, deren sanft durchscheinendes Licht den kommenden Gästen sonst schon von Weitem ein wohl erwärmtes, fröhlich be- lebtes Zimmer versprach, dießmal nicht erhellt, und schon besorgten sie eine widrige Täuschung, als der Bediente, der im untern Hausflur die Mäntel, Degen und Stöcke der Herren abzunehmen hatte, sie hinten durch den Garten nach dem Pavillon wies, dessen er- leuchtete Glasthüren auch wirklich schon von ferne die glänzende Gesellschaft zeigten. Sie traten in einen angenehmen, geräumigen, halbrunden Saal, dessen Wände rings mit Spiegel- lampen versehen waren. Maler Tillsen und der wunderliche Herr Hofrath sind die ersten, von welchen unser Freund sogleich in’s Gespräch gezogen wird. Die schöne Hauswirthin, von einer Menge Damen umringt, schien sein Eintreten Anfangs nicht zu be- merken, aber während Theobald zuweilen mit rech- ter Ungeduld hinüber schielte nach den freundlich be- redten Lippen, nach dem stets gefällig mitnickenden Köpfchen, glitt zufällig ihr Blick über die versammel- ten Gruppen hin und eine gütige Verbeugung gegen Nolten sezte dessen Lebensgeister auf Einmal in eine muntere, mit aller Welt ausgesöhnte Bewegung. Der Graf kam indessen mit einer Rolle Papier her- bei und flüsterte: „Hier meine Herren, — wir könn- ten später nicht mehr so leicht dazu kommen, — eine neue Zeichnung in Tusch von unserer eigensinnigen Künstlerin, die uns gerne Alles versteckte und ver- schöbe, — aber dießmal hab’ ich selbst einigen An- theil an dem Lobe, das Sie ihr gönnen werden; die Idee ist, so zu sagen, hälftig mein.“ Er wollte eben das Blatt entrollen, als ihm von hinten eine zarte Hand in die Finger griff — „Erlauben meine Herren!“ sagte die herbeigeeilte Schwester, merklich erröthend, „es ist billig, daß ich die Sache selbst vorzeige: — zu seiner Zeit, heißt das!“ sezte sie lachend hinzu und eilte mit dem Blatte nach dem Schrank, wo sie es trotz aller Einsprache der Anwesenden rasch verschloß. Sie verschwand in einem Kabinet, nach dem Thee zu sehen. Wenn sie so auf Augenblicke abwesend war, so mochte Theobald gerne im ruhigsten Anschauen ihres geistigen Bildes das Auge auf irgend einen der leblo- sen Gegenstände heften, mit dem ihre Person noch so eben in Berührung gekommen war. So stand auf einem schmalen Mahagonipfeiler an der Wand eine offene Kalla in buntgemaltem Topfe, der den goldenen Buchstaben C. im blauen Schilde trug. Diese Pflanze, dachte er bei sich, nimmt sie nicht in meiner Einbildung einen Theil von Constanzens eigenem Wesen an? Ja, dieser herrliche Kelch, der aus seiner schneeigen Tiefe die mildesten Geister entläßt, diese dunkeln Blät- ter, die sich schützend und geschüzt unter das stille Hei- ligthum der Blume breiten, wie schön wird durch das Alles die Geliebte bezeichnet und was sie umgibt! wie vertritt die Pflanze mir durch ihre ahnungsvolle Ge- genwart die himmlische Gestalt! Unversehens war Constanze wieder da, die Ge- sellschaft dießmal allein bedienend. Sie brachte endlich Theobalden die Tasse, und indeß Larkens eine neue Anekdote zu allgemeiner Belustigung Preis gab, nahm je- ner Anlaß, sich scherzhaft gegen Constanze wegen der vorenthaltenen Tuscharbeit zu beschweren. „Ei,“ war die Antwort, „Sie haben’s nicht um mich verdient, Sie haben mir neulich einen übeln Schrecken zugefügt, der mir wohl das Leben hätte kosten können, zwar bloß im Traume.“ „Wie? meine Gnädige, ich wäre so unglücklich gewesen? und so glücklich doch, daß mein Bild im kleinsten Ihrer Träume —?“ „Das eben nicht, — doch ja, Ihr Bild, ein Bild aus Ihrer Phantasie.“ „Wie so, wenn ich fragen darf?“ „So hören Sie und lachen mich aus! Vorige Nacht beliebte es Ihrer gespensterhaften Orgelspielerin, ungebührlicherweise aus dem Rahmen des schauer- lichen Gemäldes heraus zu schreiten und leibhaftig vor mich hinzutreten.“ Nolten war bestürzt, ohne eigentlich zu wissen, warum. „Ja, ja, mein Herr! mit recht kuriosen, hämi- schen Augen starrte sie mir tief in’s Gesicht und sagte — nein! das sollen Sie jezt nicht hören.“ „Ich bitte!“ „Nehmen Sie sich in Acht“ — „Sagte sie?“ „Nicht doch, das sag’ ich ; eben gleitet Ihnen ja die Tasse aus der Hand!“ „Wirklich fast — Aber was sprach der Geist?“ fragte Nolten dringend auf’s Neue, und nach einer Pause brachte die schöne Frau mit kaum unterdrückter Verwirrung die Worte hervor: „„ Constanze Jose- phine Armond wird auch bald die Orgel mit uns spielen .““ — „Aber, mein Gott,“ erwiderte Nolten , „doch hat der Traum Sie nicht erschrecken können?“ „Bis zum Erwachen doch; übrigens dank’ ich ihm, daß er mir Anlaß gibt, meinem etwaigen Berufe zu dieser Gattung von Musik, so wie meiner Aufnahme in so ernste Gesellschaft, auch ein wenig nachzudenken.“ Theobald , wie er nun wieder allein stand, wußte nicht, was er aus den lezten Worten machen sollte; dem Tone nach konnten sie nur für Scherz gelten, aber das Ganze hatte einen störenden Ein- druck bei ihm zurückgelassen. Warum denn just diese Figur? Er wußte zu gut, daß er gerade in ihr das getreue Portrait eines Zigeunermädchens, einer Person dargestellt hatte, welche einst verhängnißvoll genug in sein eigenes Leben eingegriffen hatte. Auf der andern Seite ließ sich Alles und Jedes ganz natürlich aus dem starken Eindruck erklären, welchen das Gemälde auf eine sehr empfängliche Einbildungskraft machen mußte. Was übrigens den Muth unsers Freundes noch weit mehr niederschlug, das war die aus dem Ver- folg des allgemeinen Gesprächs für ihn hervorgegangene Gewißheit, daß Constanze damals wirklich nicht an der Maskerade Theil genommen, sondern bereits auf der Reise begriffen gewesen. Die nicht mehr erwartete Ankunft des Herzogs verursachte eine plötzliche Bewegung. Nolten aber, statt durch die Gegenwart seines Rivals nur immer trüber und unmächtiger in sich selbst zu versinken, fühlte sich dadurch zu einem gewissen Kraftaufwande genöthigt, der, obgleich Anfangs nur erkünstelt, doch bald, von Larkens ehrlicher Munterkeit unterstüzt, eine wohlthätige Wirkung auf das Ganze ausübte. Vorzüglich willkommen war es Theobalden , als man endlich auf den Wunsch des Herzogs selbst An- stalt machte, ein gewisses Spiel vorzunehmen, das auf eine sinnreiche Art drei verschiedene Künste in Ver- bindung brachte, den Tanz, die Malerei oder Zeich- nung, und untergeordneter Weise die Musik. Dieß sezt jedoch folgende Bemerkung voraus. Constanze , bekannt als fertige und geistreiche Zeichnerin, war zu- gleich eine große Freundin des schönen künstlichen Tanzes und entwickelte namentlich bei Solopartien eine hohe Grazie. Nun hatte Nolten einmal ge- legentlich den Einfall geäußert, es müßte eine artige Unterhaltung abgeben, wenn einige Personen in Zeit von einer kleinen Stunde zusammen ein Tableau, irgend eine Scene zeichneten, indem sie den Kreiden- stift von Hand zu Hand gebend, nach einer langsamen Melodie tanzend, abwechslungsweise vor eine aufge- richtete Tafel träten und den darzustellenden Gegen- stand immer nur um einige Striche weiter förderten, bis zulezt eine harmonische Komposition zum Vorschein käme, über die man sich zuvor im Allgemeinen ver- ständigt, deren Einzelheiten aber der augenblicklichen Eingebung eines Jeden überlassen war. Der Ge- danke fand Beifall, und nach einigem Besprechen zeigte sich die Möglichkeit seiner Ausführung vollkommen, obwohl man Anfangs verlegen war, die gehörige An- zahl von Tänzern, die auch zugleich gute Zeichner wären, und umgekehrt, zu finden. Doch hiezu wußte man Rath. Nolten selbst, obgleich ein abgesagter Feind alles des Schlendrians, um den sich unsere Ballbelustigungen gewöhnlich zu drehen pflegen, besaß doch Leichtigkeit der Glieder und reinen Sinn genug für eine edle rhythmische Bewegung. Die dritte Rolle mußte nothwendig Herrn Tillsen übergeben werden, denn wenn vielleicht auch der ungeübteste Tänzer im- mer noch besser gewesen wäre als er, so blieb doch die andere Eigenschaft die wichtigere. „Und,“ sagte er verbindlich zu der Gräfin, „neben Ihnen würde ein Bestris übersehen werden, glücklicher Weise also auch Tillsen , der ich in diesem Stück zum Voraus allem Neid und jedem Ruhm entsage.“ Seitdem hatte man diese Unterhaltung schon et- liche Abende mit Glück versucht. So ließ man denn auch jezt die eigens hiezu bestimmte große Tafel auf- stellen, deren angenehm grau lackirte Fläche recht ei- gentlich einladend sich dem schwarzen Stifte darbot. Ein schöner Fußteppich lag unmittelbar davor auf dem Boden gebreitet, für eine stärkere Beleuchtung war ebenfalls gesorgt. Die drei Virtuosen kamen heimlich in der Wahl eines anziehenden Sujets über- ein. Larkens nahm die Violine zur Hand und er- öffnete das Spiel mit einer gewissen Feierlichkeit, da- durch die Erwartung nur noch mehr gespannt wurde. Jezt trat Constanze , im weißen Atlaskleide, mit ernstem Schritt hervor, stellte sich einige Momente sinnend der Tafel gegenüber, allmählig fing ihre Ge- stalt an mit der Musik sich zu heben, in mäßiger Bewegung bald nach beiden Seiten schwebend, bald der Tafel entgegen. Sie schien dabei noch immer den ersten entscheidenden Strich zu überlegen, jezt hielt sie vor dem Brette still, indem sie leicht vorgebeugt auf dem rechten Fuße feststehend, den linken rückwärts auf die Zehe gestüzt, die Kreide ansezte. Das beglei- tende Adagio der Violine schien die Hand gefällig auf der glatten Fläche hinzuführen. Bald erkannte man die Umrisse eines lieblichen Knabenkopfs, welcher mit dringenden Blicken bittend an etwas hinaufsieht. Die- ser Ausdruck des Affekts war von der Art, daß er in der vorgreifenden Phantasie des Zuschauers beinahe jezt schon ein paar flehend ausgestreckte Arme und Hände hervorrufen mußte. Doch die Zeichnerin hielt inne, und unter einem Allegro zurücktretend, beobach- tete sie, während ihr reizender Leib sich hin und her wiegte, das angefangene Werk noch eine kleine Weile. Mit einer Verbeugung empfing Tillsen die Kreide aus ihrer Hand und ohne viel Umstände stellte dieser Meister mit raschen Zügen den oberen kraftvollen Körper eines Mannes in drohender Geberde dem Mitleid fordernden Gesichtchen gegenüber. Die Begierde der Gesellschaft wuchs mit jeder Linie; es ließen sich schon einige Beifall rufende Stimmen vernehmen, es hieß: der junge Prinz Arthur ist’s, wie er vor sei- nem Mörder steht! Aber der freudigste Applaus ent- stand, als Constanze , nachdem Tillsen für Theo- bald den Platz geräumt, vom Eifer ihres Gedankens hingerissen, dem Leztern in den Weg sprang und nun die beiden großen Gestalten mit trefflich mimischer Heftigkeit um das Vorrecht der Kreide rangen, die denn zulezt in zwei geschickte Theile brach, worauf das Paar bei lebhafter Musik ein verschlungenes Duo tanzte, um dann vereinigt vor die Tafel zu schreiten. Die Hauptsache war in kurzer Zeit gethan, die Ver- sammlung drängte sich herbei, inzwischen Tillsen noch mit einigen derben Strichen nachhalf. Man lobte, tadelte, lachte, bewunderte, wie es auch bei einer solchen Stegreifproduktion nicht fehlen konnte, daß neben den glücklichsten Spuren eines umfassenden, gleichartigen Geistes doch immer etwas Inkorrektes oder Halbes hervorsprang. Im Ganzen war die Scene so wohl gerathen, daß Tillsen der Aufforderung gerne nachgab, sie gelegentlich für das kleine Gesell- schaftsarchiv zu kopiren. In der Hitze des Hin- und Widerredens war in- dessen kaum Jemanden aufgefallen, wie Constanze mit jedem Augenblicke blaß und blässer wurde. Sie entfernt sich in ein Seitenzimmer, man flüstert, die Damen eilen nach, Alles wird aufmerksam, der Herzog läßt sich nicht halten, sie selbst zu sehen, er klagt sich an, daß er den anstrengenden Tanz verlangt, am mei- sten ist Nolten bestürzt. Es kann ihm nicht entge- hen, daß unter der Thüre noch Constanzens lezter Blick mit einem matten sonderbaren Lächeln auf ihm ruht. Endlich geht man auseinander, nachdem der Graf, aus dem Kabinete tretend, die Versicherung gegeben, man habe von dem Anfall keine Folgen zu befürchten. In den folgenden Tagen erging vom Grafen eine Einladung an Theobald , gemeinschaftlich das un- fern der Stadt gelegene Lustschluß des Königs, Wet- terswyl, zu besuchen, wo man eben im Begriff war, mehrere kürzlich vom Ausland angekommene Statuen aufzustellen. Der italienische Künstler mußte selbst dabei zugegen seyn, und sowohl die Persönlichkeit des Leztern als jene Werke lockten manchen Gebildeten und manchen Neugierigen heraus. Unserem Freunde war die Gelegenheit nicht minder erwünscht, doch zog er es vor, den angenehmen, auch zur Winterszeit im- mer noch gar mannichfaltigen Weg dahin allein zu Pferde zu machen, während der Graf im Schlitten fuhr. Der heiterste Januarmorgen begünstigte den Ausflug; die Sonne war kaum aufgegangen, als Theobald schon, in lebhaftem Trabe sich erwärmend, von der Straße ab, den schönen einsamen Gründen zustrich, welche, größtentheils von Fichten und Niederwald besezt, all- mählig der Höhe des königlichen Parks zuführten. Rings gewährte die Landschaft, in dichter Schneehülle und nur von dunkeln Waldstrecken durchbrochen, ein vollständiges Wintergemälde, und die Gemüthsstimmung Noltens nahm diese stillen Eindrücke heute ganz be- sonders willig auf. Eine unbestimmte Mischung von Lebenslust und Wehmuth lag allen seinen Betrachtun- gen zu Grunde, wobei er Anfangs deutlich zu fühlen glaubte, daß die Neigung zu Constanzen keinen oder doch nur einen sehr entfernten Antheil daran habe, bis ihm mitten unter seinen Träumereien ein längst vergessenes Lied von Larkens wieder vor der Seele aufging, welches ihm seinen gegenwärtigen Zustand wunderbar zu erklären schien. Er wiederholte sich die Verse seines Freundes, und konnte zulezt nicht umhin, sie laut für sich zu singen. In dieser Winterfrühe, Wie ist mir doch zu Muth? O Morgenroth! ich glühe Von deinem Jugendblut. Es glüht der alte Felsen, Die Wälder Funken sprühn; Berauschte Nebel wälzen Sich in dem Thale hin. Wie von der Höhe nieder Der reinste Himmel flimmt, Der nun um Rosenglieder Entzückter Engel schwimmt! Und Wunderkräfte spielen Mir fröhlich durch die Brust, In taumelnden Gefühlen Kaum bin ich mir bewußt. Mit thatenlust’ger Eile Erhebt sich Geist und Sinn, Und flügelt gold’ne Pfeile Durch alle Ferne hin. Wo denk’ ich hinzuschweifen? Faßt mich ein Zauberschwarm? Will ich die Welt ergreifen Mit diesem jungen Arm? Auf Zinnen möcht’ ich springen, In alter Fürsten Schloß, Möcht’ hohe Lieder singen, Mich schwingen auf das Roß; Und stolzen Siegeswagen Stürzt’ ich mich brausend nach, Die Harfe wird zerschlagen, Die nur von Liebe sprach. — Wie? schwärmst du so vermessen, Herz! hast du mich bedacht, Hast, Närrchen, ganz vergessen, Was dich so trunken macht? Ach wohl, was aus mir singet Ist nur der Liebe Glück; Die wirren Töne schlinget Sie sanft in sich zurück. Was hilft, was hilft mein Sehnen! Geliebte, wärst du hier! In tausend Freudethränen Verging’ die Erde mir. Bei seiner Ankunft im Schlosse fand er den Ita- liener, einen lebhaften Mann von mittleren Jahren, in komisch leidenschaftlichem Kommando mit den Leuten begriffen, welche die marmornen Kunstwerke in dem Hauptsaale aufzustellen hatten. Zwischen Zorn und Spaß schrie und lachte der Strudelkopf auf das Grellste und brauchte zuweilen auch wohl den Stock gegen einen der Arbeiter, wovon keiner seine Sprache verstand. Theobald , nach einer sorgfältigen Beachtung der in ihrer Art einzigen Skulpturen, redete den Fremden italienisch an, und würde sich bei seiner Unterhaltung hinlänglich interessirt gefunden haben, wäre das Be- streben des Fremden, immer nur recht paradox zu seyn und das Ernsthafte ins Lächerliche zu ziehen, nicht allzu widrig aufgefallen. Ja, am Ende, als der künstlerische Charakter Theobalds zur Sprache kam, konnte der Mann eine gewisse tückische Neckerei nicht lassen. Halb gekränkt und unwillig entzog sich unser Freund, um auf die spätere Ankunft des Grafen ein fruga- les Mittagsmahl in der Meierei zu bestellen. Müssig wie er war, besah er sich sodann die Umgebun- gen und die innere Einrichtung des fürstlichen Aufent- halts. Mehrere Zimmer gewährten eine reiche und belehrende Unterhaltung an ausgesuchten Malereien; es war leicht, sich in diesen geschmackvollen Räumen auf einige Zeit selber zu vergessen, und so stand er eben betrachtend mit sich allein, als ihm der entfernte Spie- gel eines dritten Zimmers zwei von der entgegengesezten Seite herbeikommende Personen zeigte, in denen er bei genauerem Hinblicken endlich den Grafen, und gegen alle seine Erwartung, Constanzen selbst erkennen konnte. Ganz außer Fassung gebracht schaute er un- verrückt mit klopfendem Herzen noch immer auf die nah und näher im Spiegel herbeischwebenden Gestalten, bis die Tritte hinter ihm rauschten, und seinerseits ein ziemlich verwirrtes, andererseits ein durchaus unbefan- genes und fröhliches Willkommen Statt fand. Nie war ihm die Gräfin so reizend, so anmuthig vorgekommen, sie trug ein mild graues Kleid mit rothen Schnüren, Gürtel und Schleifen, deren Faltung und Farbe ihm flüchtig die Granatblüthe wieder in das Gedächtniß rief; an die zarte Wange, von der frischen Luft mit einem leisen Karmin überhaucht, legte sich ein weißer Pelz, und der zurückgeschlagene Schleier ließ dem Be- schauer den Anblick des holdesten Gesichtes frei. Man kehrte für’s Erste zu den neuen Sehenswürdigkeiten und ihrem tollen Meister zurück, an dessen Art und Weise der Graf sich dergestalt erbaute, daß die Schwe- ster, sich mit einiger Ungeduld nach Anderem umsehend, den Vorschlag Noltens , in den mannichfaltigen Sälen hin und wieder zu wandeln, nicht ungerne annahm. Gar bald ging ihre Unterhaltung auf eigene Verhält- nisse und Persönlichkeiten über, denn Noltens lei- denschaftlich beengte und zurückhaltende Stimmung gab Constanzen Anlaß, einen leichten Vorwurf gegen ihn auszusprechen, den er sogleich ergriff und in’s Allge- meine über sich ausdehnte. „Sie haben Recht!“ sagte er, „und nicht heute, nicht in gewissen Augenblicken bloß bemächtigt sich mei- ner dieser lästige, mir selbst verhaßte Mißmuth; es ist keine Laune, die nur kommt und geht, es ist ein stetes unruhiges Gefühl, daß es anders mit mir seyn sollte und könnte, als es ist.“ „Wie meinen Sie das? Sollte Ihnen Ihre Lage nicht genügen? Das wäre mir doch kaum gedenk- bar.“ „Sprechen Sie’s geradezu aus, gnädige Frau: Es wäre unbillig. Wohl, es ist wahr, ich könnte glücklich seyn, aber ich weiß nicht eigentlich zu sagen, warum ich es nicht bin. Ich wäre undankbar, wollte ich nicht gerne bekennen, daß während meines ganzen Lebens sich alle Umstände vereinigten, mich endlich bis zu dem Punkte zu führen, auf dem ich jezt stehe, in eine Lage, die mancher andere und würdigere Mann vergebens suchte. Ein günstiges Schicksal, so grillenhaft und mißwollend es mitunter scheinen mochte, trug nur dazu bei, ein Talent in mir zu fördern, in dessen freier Ausübung ich von jeher das einzige Ziel meiner Wünsche erblickt hatte. Manche Arbeit ist mir gelungen, ich habe, wenn ich meinen Freunden glauben darf, den höheren For- derungen der Kunst einiges Genüge gethan, und, was mir fast eben so lieb seyn sollte, man hat von der Zu- kunft größere Erwartungen, ohne daß mir vor ihrer Erfüllung bange wäre. Ein unendliches Feld dehnt sich vor mir aus, und wenn ich sonst an der Möglich- keit verzweifelte, die Welt, welche sich in mir drängte, jemals in heiterer Gestaltung an das Licht hervorzuführen, so seh’ ich, daß sie jezt, sobald ich recht will, von selber leicht und zwanglos unter meinem Pinsel sich befreit. Aber wie kommt es, daß eben jezt mein Fleiß und meine Lust nachläßt? Warum so manche Arbeit ange- fangen, ohne sie zu vollenden? Woher die Ungeduld, 8 sich auswärts umzuthun, überall, nur nicht in meinen vier Pfählen, vor meiner Staffelei mich zu befriedigen? Was den Künstler sonst wohl reizt und treibt und er- muntert, das ist die Hoffnung auf die ruhmvolle Aner- kennung der Verständigen, die rege Theilnahme zunächst seiner Freunde; auch mir war dieß Gefühl nicht fremd, jezt vermag es nichts mehr auf mich. Ungenüzt und trocken und verdrießlich gehn mir die Wochen dahin, und nur die Stunden glaub’ ich wirklich gelebt zu haben, die mir in Ihrem Hause vergönnt sind. Aber nun, für einen Mann, welcher seine Pflicht so gut fühlt, als ein jeder Andere, sagen Sie mir, ist so ein Leben nicht ein unerträgliches? Und sehen Sie ein Mittel, es zu ändern? Könnten Sie auch nur den kranken Fleck entdecken, wovon mir all dieß Unheil kommt, das mich so gänzlich von mir selber trennt und scheidet?“ „Mit Verwunderung, Nolten , hör’ ich Sie an,“ erwiderte die Gräfin, „und Ihre Klagen, ich gestehe es, mißfallen mir mehr, als daß mein Mitleid dadurch rege würde. Ich verstehe Sie nicht ganz, nur glaub’ ich fast zu sehen, die Schuld liegt meist an Ihnen. Gern dacht’ ich Sie mir diese ganze Zeit her thätig, frisch und aller Hoffnung voll. Ließen nicht Ihre Ge- spräche nur den wärmsten Eifer blicken für Ihren Be- ruf und Alles, was dahin gehört? War Ihr Beneh- men denn nicht weit mehr heiter als zerstreut und un- befriedigt? Wie angenehm für unsern kleinen Kreis, wenn Sie des Abends als ein mehr und mehr unent- behrlich werdender Gast bei uns erschienen, munter, gefällig, theilnehmend an Allem, erfinderisch für jede Art von Unterhaltung, dabei bescheiden und ohne viel Worte. Dann, was soll ich’s Ihnen bergen, so wie auf diese Weise wir Ihnen Manches schuldig wurden, so mochten wir uns gerne überreden, daß eben in un- serem Hause eine Zuflucht für Nolten gefunden sey, wo der Künstler das vielfach bewegte Leben seines Innern harmlos und ruhig mit der Gesellschaft zu vermitteln im Stande wäre, um immer wieder mit freigeklärter Stirne in den Ernst seiner Werkstätte zurückzukehren und sich mit mehr Gelassenheit alles desjenigen zu bemeistern, was sonst mit verworrener Uebermacht betäubend und niederschlagend auf ihn ein- drang. Ja, mein Freund, Sie mögen im Stillen meiner spotten, ich läugne nicht, so weit gingen meine Hoffnungen.“ „Verhüte Gott es, edle vortreffliche Frau, daß ich verkennen sollte, was Sie mit unverdienter Güte für mich dachten! Mehr, weit mehr als Sie so eben angedeutet haben, könnte der herrliche Kreis mir ge- währen, wofern ich den Segen zu nutzen verstünde, den er mir bietet. Aber, meine Gnädige, wenn gerade der neue Reiz dieser schönen Sphäre einen Zwiespalt in mir hervorbrächte, wenn der innige Antheil, den das Herz hier nehmen muß, dem weit allgemeineren Interesse des Geistes im Wege stünde, wenn ich, statt beruhigt und gestärkt zu mir selbst zurückzukehren, immer das leidenschaftliche Verlangen fühlte, in den Mittelpunkt eines so lieblichen Vereins alle Strahlen meines menschlichen und künstlerischen Daseyns zu versammeln, sie ewig dort festzuhalten, und so meinem Bestreben einen um so wärmeren Schwung, einen un- mittelbarern Lohn zu verschaffen, als der zerstreute Beifall der Welt jemals gewähren kann?“ „Es liegt,“ antwortete die Gräfin nach einigem Nachsinnen mit Heiterkeit, „es liegt in der Natur von Männern Ihresgleichen, Alles nur einseitig zu nehmen, von Einer Seite her Alles zu erwarten, und zwar je unmöglicher, je schädlicher es wäre. Indessen, mein lieber Maler, ich bin für jezt nicht gefaßt, noch ge- neigt, in Ihren gegenwärtigen Zustand, in Ihr Wün- schen und Wollen augenblicklich rathend und helfend einzugehen. Die erhabenen Grillen dieses Geschlechts von Künstlern sind schwer zu fassen, und wir scharf- sinnigen Frauen haben jedes Mal Mühe, um bei der- gleichen subtilen Erörterungen, wo wir nur lauschen, nur tasten und halb erwiedern können, nicht unsern Blödsinn, unsre Einfalt zu verrathen. Am Ende möchten wir bei einem Menschen, welchem wir doch einmal herzlich wohl wollen, Alles gerne mit Einem Schlage gut machen, und, dem Unnatürlichen zum Trotz, mit der natürlichsten Auskunft dazwischen fah- ren. Gar oft sind wir aber selbst um eine solche Zauberformel verlegen, ja wenn wir sie gefunden zu haben glauben, will es uns manchmal gefährlich dün- ken, davon Gebrauch zu machen, und so können wir zu- lezt nichts Besseres thun, als — mit Bedeutung schweigen und die Herren an ihren Genius verweisen.“ Theobald machten diese Worte nachdenklich; sie schienen ein Verständniß der Absicht, welche er vorhin halb versteckt Constanzen nahe gelegt, eben so zweideutig zu verhüllen, und obgleich sich bereits ein guter Schluß auf die Gesinnungen der liebens- würdigen Frau daraus machen ließ, so hatte der muntere ablehnende Ton ihn doch etwas erschreckt, sogar verlezt. Die Gräfin sah sich im Vorbeigehen nach den beiden Herren um; da jedoch der Italiener so eben in einer lustigen und langen Erzählung begriffen war, welche für ein weibliches Ohr nicht eben von der de- likatesten Art seyn mochte, so zog sich Constanze wieder zurück, und Theobald verfehlte keineswegs, ihr Gesellschaft zu leisten. Sie stiegen die breiten Stufen zur Gartenanlage hinab, und die Gräfin bezeugte auf eine drollige und neckische Art ihre Freude über die Leichtigkeit, womit sie auf der gefrorenen Schneedecke hinschlüpfen konnte, indeß ihr Begleiter zuweilen unversehens mit dem Fuße einsank. Aber all ihr munteres Wesen ver- mochte kaum etwas gegen den sinnenden Ernst des Malers. Sie kamen vor eine dunkle Gruppe hoher Forchen, welche den Eingang zu der sogenannten schönen Grotte vorbereiteten. Diese zog sich eine beträchtliche Länge unter einem reichbewachsenen Felsen fort und führte unmittelbar in den großen Saal der Orangerie. Nicht ohne vielen Sinn war die Sache so angelegt worden, um dem Spaziergänger eine höchst überraschende Szene zu bereiten, wenn man, besonders zu dieser Jahreszeit, aus dem todten Wintergarten in eine schauerliche Nacht eingetreten, nach etlichen hun- dert Schritten mit Einem Male einen hellgrünen, warmen Frühling zauberhaft aus breiten Glasthüren sich entgegenleuchten sah. Theobald forderte zu einem Gang durch die Höhle auf, und die Gräfin, die den Ort noch nicht kannte, nahm nach kurzem Zaudern den Arm ihres Begleiters an. Ein eisernes Geländer, woran man fortlief, leitete sicher an den Wänden hin, und so waren Beide mit vorsichtigen Tritten eine Strecke weit gewandert, als Constanze , das Ende des dun- keln Ganges vergeblich erwartend, bereits ängstlich die Umkehr verlangte. Nolten bat dringend, vollends auszuhalten und überredete sie endlich. Aber in steter Furcht, einen Mißtritt zu thun, oder gegen einen Vorsprung des Felsen zu stoßen, hielt sich die zarte Frau fest und fester an ihren Führer, und indeß Beide schweigend und sachte neben einander gingen, wie seltsam war es unserem Freunde, so viel Schön- heit und Jugend in voller und doch unsichtbarer Ge- genwart leis athmend an seiner Seite! Sein Herz pochte gewaltsamer, und wie schon das Wunderbare und Großartige eines solchen Ortes erhöhend auf die Sinne wirkt, so steigerte sich jezt seine Phantasie bis zu einer gewissen Feierlichkeit, Alles schien ihm etwas Außerordentliches, etwas Entscheidendes ankündigen zu wollen. Dieß trat auch nur zu bald und auf ganz an- dere Weise ein, als er sich hätte je vermuthen können; denn in dem Augenblick, wo ihm vorne ein dämmernd hereinfallendes Licht den nahen Ausgang verheißt, glaubt er von derselben Seite her eine Stimme zu vernehmen, deren wohlbekannter Ton ihn plötzlich starr wie eingewurzelt stehen bleiben macht. Con- stanze fühlt, wie er zusammenschrickt, wie sein Athem ungestüm sich hebt, wie er mit der Faust gegen die Brust fährt. „Was ist das? um Gottes willen, Nolten , was haben Sie?“ Er schweigt. „Wird Ihnen nicht wohl? Ich beschwöre, reden Sie doch!“ „Keine Furcht, edle Frau! Besorgen Sie nichts — aber ich gehe nicht weiter, — keinen Schritt — den- ken Sie was Sie wollen, nur fragen Sie mich nicht!“ „ Nolten !“ entgegnete die Gräfin mit Heftig- keit, „was soll der unsinnige Auftritt? kommen Sie! Soll ich mich etwa krank hier frieren? Was haben Sie vor? Den Augenblick verlass’ ich diesen Ort — werden Sie mir folgen oder geh’ ich allein? Lassen Sie mich los! ich befehl’ es Ihnen.“ — Er hält sie fester. „ Nolten ! ich rufe laut, wenn Sie beharren!“ „Ja, rufen Sie! rufen Sie ihn herbei — er ist nicht weit von uns — ich habe seine Stimme gehört, meines schlimmsten, meines tödtlichsten Feindes, — Herzog Adolph ist in der Nähe!“ Nun erst schien Constanze zu begreifen; sie stand sprachlos, ohne Bewegung. „Der Augenblick ist da!“ rief Theobald , „ich fühl’ es, jezt, jezt oder niemals muß es heraus, das Geheimniß, das seit Monaten an meinem Leben zehrt und frißt, das mich zu Grunde richten wird, wenn ich’s nicht endlich darf aus der Brust stoßen — Con- stanze ! ahnest Du es nicht? O daß ich Dir in’s Auge blicken, Dir’s von der Stirne lesen könnte, Du habest längst errathen!“ „Still, Nolten ! schweigen Sie — um meiner Ruhe willen, kein Wort weiter! Kommen Sie vor- wärts, dort an das Licht“ — „Dorthin? nein, nimmermehr! seyn Sie barm- herzig — Nicht, daß ich mich fürchtete vor ihm, dem Uebermüthigen — sein Anblick nur ist mir unerträg- lich — Jezt, eben jezt, als hätte die Hölle ihn be- stellt, mir jede meiner kurzen Seligkeiten zu vergiften! Ich hass’ ihn, hass’ ihn, weil er um deine Liebe schleicht, Constanze ! Ist’s nicht so? kannst Du’s läugnen? und dürft’ er hoffen? Er? Gib einen Laut! Laß mich’s erfahren! Alles weißt Du, weißt, was ich leide, mein Herz, mein Verlangen kann Dir nicht unbekannt seyn; Engel! o himmlischer, gib mir ein Zeichen! Lass' mir ein Lispeln, mir einen schwachen Händedruck bekennen, was Du im Stillen mir zudenkst, was deine Güte schüchtern mir gewähren möchte! Glaub’ mir, ein Gott hat uns hieher geführt, mein Innerstes erst bitter aufgeregt und Alles, Alles, — Haß, Verzweiflung, Angst, die unbegrenzte Wonne dei- ner Nähe zusammengedrängt hier in diesen verborge- nen Winkel, um endlich mein Herz hervorzurufen, mir das Bekenntniß zu entreißen, und auch deine Lippen aufzuschließen — So sprich denn, o sprich! die Mi- nuten sind kostbar!“ Er zog die Zitternde, Verstummte an sich. Ihr Haupt sinkt unwillkürlich an seine Brust, indeß ihre Thränen fließen und sein Kuß auf ihrem Halse brennt. Den Mund in die dichte Lockenfülle drückend, hätte er ersticken mögen vom süß betäubenden Dufte dieser üppigen Haare — der Boden schien sich zu theilen unter den Füßen Constanzens — Erd’ und Himmel zu taumeln vor ihrem geschlossenen Auge — in eine unendliche Nacht voll seliger Qualen stürzt ihr Gedanke hinab — liebliche Bilder in flammendem Rosenschein, wechselnd mit drohenden, grünaugigen Larven, dringen auf sie ein — aber noch immer halten ihre Kniee sich aufrecht, noch immer entfährt ihr kein Laut, kein Seufzer, nur von einem flüchtigen Schauder zuckt augenblicklich ihr Körper zusammen. Mächtiger, kecker fühlt das herrliche Weib sich umschlungen; da rauscht auf Einmal der Tritt eines Menschen unfern von ihnen, jäher Schrecken faßt Theobald an, und eh’ er noch seitwärts ausbeugen kann, streift schon das Kleid des Vorübergehenden an ihnen hin. Glücklich war die Gefahr überstanden. Niemand als der Herzog kann es gewesen seyn. Theobald schöpft wieder Athem. Constanze , regungslos in seinen Armen, scheint von Allem nichts bemerkt zu haben. Nach einer Weile fährt sie wie aus einem Traume empor und — „Fort! fort!“ ruft sie mit durchdringender Stimme — „Wo bin ich? was soll ich hier? Hinweg, hinweg!“ Sie riß sich heftig los und eilte voran, so daß Theobald kaum mehr folgen konnte. Ein blendendes Meer von Son- nenschein empfängt die Eilenden an der Schwelle des blühenden Saales. Nolten will so eben die Gräfin erreichen, aber die große Glasthüre schlägt klirrend hinter ihr zu, ohne daß er sie wieder öffnen könnte. Er sieht die geliebte Gestalt zwischen dem Laub der Orangen verschwinden. Trunken an allen Sinnen, rath- los, verwirrt, in schmerzlicher Furcht steht er allein. Noch einmal versucht er das verwünschte Schloß — umsonst, er sieht sich gezwungen, rückwärts zu gehen. Wüthend rennt er eine Strecke fort bis in die Gegend der verhängnißvollen Stelle, wo er stehen bleibt, sich fragt, ob es Blendwerk, ob es Wirklichkeit gewesen, was hier vorgegangen? Unmöglich schien es, daß noch so eben Constanze hier zwischen diesen Felsen gestan- den, daß er sie , sie selber in seinen Armen gehalten, ihren Busen an dem seinigen klopfen gehört. Wie kalt und theilnahmlos lag jezt diese Finsterniß um ihn her, wie so gar nichts schienen diese rohen Massen von jener holden Gegenwart zu wissen, deren Gottheit noch so eben rings die Nacht purpurisch glühen machte! Hier klang das Rufen der Geliebten, hier fiel der Tropfe aus dem schönen Auge! O läßt kein leiser Geisterton sich hören, der mir versichere: ja, hier war es, hier ge- schah’s! Begreife denn dein Glück, ungläubig Herz! umfass’, umspanne den vollen Gedanken, wenn du es kannst, denn ohne Grenzen ist dein Glück, auch dann, wenn du sie nimmer sehen solltest, wenn dich ihr Zorn, ihr Stolz auch auf immer verbannte! War sie nicht dein , dir hingegeben einen vollen, unerschöpflichen Moment? O dieser Augenblick sollte eine bettelarme, leere Ewigkeit reich machen können! Glühend aufgeregt verließ der Freund den Ort, und um sich, so gut es gehen mochte, noch zu sammeln, nahm er absichtlich einen weiten Umweg nach dem Saale, wo die Gesellschaft bei einander war. „Sie bleiben lange aus!“ rief ihm der Graf ent- gegen, „und haben dadurch den Herzog versäumt, wel- cher diesen Morgen auf eine Stunde hier gewesen, aber bereits wieder weg ist.“ Die Unbefangenheit dieses Empfangs, den er mit einer leichten Entschuldigung erwiederte, und die Ruhe, welche sich in Constanzens Benehmen aussprach, überzeugte Theobald hinlänglich, daß ihre und seine Abwesenheit nicht aufgefallen war. Dennoch wollte ihn die Art, wie die schöne Frau sich anließ, befremden: sie kam ihm beinahe wie ein anderes Wesen vor, ernst ohne niedergeschlagen, zurückhaltend und höflich, ohne abstoßend zu seyn; eine gleichgültige Frage, die er an sie richtete, beantwortete sie mit mehr Natürlichkeit und Geistesgegenwart, als der Frager in diesem Augen- blicke selbst besaß. Bei alle dem schien ihre Miene das, was vorgefallen war, eher stillschweigend zu ver- zeihen als zu billigen, ja es hatte das Ansehen, als verläugnete sie die Erinnerung daran ganz und gar. Nicht mehr lange, so wurde das Mittagessen an- gesagt, wozu der Graf ohne Weiteres auch den Italiener geladen hatte, zu nicht geringem Verdrusse Noltens , der es denn auch geduldig geschehen lassen mußte, als Jener sich die Gnade erbat, Eccellenza der Frau Gräfin seinen Arm zum Gange nach dem Meierhause leihen zu dürfen. Die kleine Tafel fiel reichlicher aus, als man er- wartet hatte, denn außer dem fremden Weine, der im Schlitten des Grafen mitgekommen war, fand sich ein schmackhafter und seltener Bissen Geflügel ein, bei dessen Auftischung der Graf zu bemerken nicht unter- ließ, daß man den trefflichen Seevogel der Galanterie Seiner Hoheit verdanke, der Herr Herzog haben ihn vorhin am großen Teiche geschossen. Der Italiener hielt sich besonders an den feinen Roussillon und schwazte kunterbuntes Zeug durch ein- ander, was indessen für Theobald zu jeder andern Zeit ärgerlicher gewesen wäre, als jezt, wo er seine Zerstreuung gerne hinter diesen Lärm verbarg. Man redete dem Ausländer zu Liebe, der kein Deutsch ver- stand, und Constanzen , der das Italienische nicht geläufig war, französisch, und unser Freund fand in dieser fremden Sprache eine willkommene Art von Scheidewand zwischen sich selber und seinem gegenwär- tigen Gefühl; aber sonderbarer Weise rückte sich ihm auch die lebhafte Scene von heute Morgen nur um desto mehr in das Unglaubliche, ja Constanze selbst verschwand ihm in eine zweifelhafte Ferne, so nahe ihm ihre äußere Gestalt auch war. Er sah die jezt ver- flossenen Stunden, wenn er je sie wirklich verlebt haben sollte, wie eine längst entflohene Vergangenheit an, aber die Gegenwart däuchte ihm deßhalb um nichts wahrhafter und gegenwärtiger und die Zukunft völlig ein Unding. So leidlich auf diese Art die Stimmung Theo- balds war, so bitter sollte sie bald gestört werden. Der fremde Künstler nahm nach und nach Anlaß, seine gute Laune an dem Manne zu üben, welchen er doch in keinem Betracht als Nebenbuhler ansehen konnte. Erst waren es leichte Spötteleien, dann höchst indiskrete Fragen, worauf Nolten Anfangs mit gutmüthigem Spaße, zulezt mit einiger Schärfe antwortete, ohne jedoch seinen Gegner zu dem Grade von Wuth reizen zu wollen, welcher sich alsbald sehr ungesittet hervor- that, so daß Nolten schnelle aufstand und dem Schreier den Vorschlag machte, den Streit außerhalb des Zim- mers mit ihm abzuthun, damit wenigstens das Ohr der Uebrigen nicht beleidigt würde. Constanze hatte bereits den Tisch verlassen. „Sie sind Zeuge!“ rief der jähzornige Mann dem Grafen zu, „Sie gestehen, daß Signor meinen Scherz absichtlich böse mißverstand, um mich beleidigen zu können! Aber es soll ihm nicht hingehen, so wahr ich lebe, Signor wird mir Genugthuung verschaffen!“ „Sehr gern!“ erwiderte Theobald , „doch dünkt mich, wer dieß am ersten fordern könnte, das wäre ich ; indessen hätte ich für meine Person darauf ver- zichtet, weil Sie durch Ihre Reden meine Ehre nicht zu kränken vermochten, weder in meinen noch in den Augen der Anwesenden. Sollten Sie aber die Rettung der Ihrigen noch auf irgend eine Art versuchen wol- len, so will ich Alles dazu beitragen, wiewohl ich mir fast lächerlich dabei vorkomme.“ „Lächerlich, Signor?“ triumphirte der Italiener, das Wort falsch deutend, mit entsetzlichem Lachen, „lächerlich? ja, ja, nun ja, da haben Sie Recht! ich kann beinahe zufrieden seyn mit diesem Geständniß, hi, hi, hi!“ Nolten wollte sich dem Unverschämten mit der- ber Wahrheit erklären, aber ein Wink des Grafen bat ihn um Zurückhaltung, und er folgte um so williger, je mehr er dabei an Constanzen und ihre entschie- dene Abneigung gegen dergleichen Ehrenerörterungen dachte. Doch der Italiener wollte sich seines Siegs noch weiter freuen, er wandte sich gegen seinen Mann mit den Worten: „Gratuliren Sie sich, daß Sie so wegkommen, mein Herr Maler! Künftig etwas beschei- dener, will ich gerathen haben! Sie dürften sonst eine deutsche Klinge mit einer welschen messen, oder daß ich es recht sage, ich möchte mir leicht einmal den Spaß machen, und mein scarpello aufheben gegen einen deutschen — Pinsel; verstanden?“ „Wohl, mein Herr,“ versezte Nolten ruhig, „ich bin der Meinung, Sie machten die Probe je eher je lieber; ich werde mich dießfalls heute noch in bester Form eines Nähern bei Ihnen vernehmen las- sen. Was inzwischen den deutschen Pinsel betrifft, so mögen Sie immerhin den Maler in mir verachten, und zwar noch ehe Sie ihn kennen gelernt haben, ich bin gegen den Bildhauer gerecht, dessen Werke ich vorhin gesehen habe; sie sind vortrefflich, und sind es so sehr, daß es der frechsten Lüge gleich sieht, wenn Sie, mein Herr, sich den Schöpfer derselben nennen.“ Dieser lezte Ausfall machte den Fremden offen- bar ein wenig betroffen, obgleich er gethan, als hörte er nichts; aber er wurde noch verlegener, da Nolten ihm tiefer in’s Gesicht schaute, den Kopf schüttelte und mit einem zweifelnden Lächeln dem Grafen zu- winkte; — noch einen prüfenden Blick auf die selt- same Physiognomie des Italieners, noch einen, und wieder einen und — „Gemach, mein Freund!“ rief Theobald , den Burschen am Schnurrbart packend, da er eben aus der Thür schlüpfen wollte, „ich glaube, wir kennen uns!“ — Wunder! der falsche Schnurr- bart blieb Nolten in den Fingern, der arme Teufel selber fiel zitternd auf seine Kniee, es war kein an- derer Mensch als — Barbier Wispel , der entlau- fene Bediente Noltens . Der Graf traute seinen Augen kaum bei dieser Scene, und unser Freund, ungewiß, sollte er lachen oder zürnen, rief: „Du unterstehst dich, Elender, nachdem du mich einmal schändlich bestohlen, auf’s Neue deinen Betrug, deine Narrheit an mir und in dieser Gegend auszuüben, wo dich das Zuchthaus er- wartet? Wie kommst du nur zu diesen Kleidern, wie kommst du überhaupt dazu, diese apokryphische Rolle zu spielen?“ In der That konnte Nolten trotz aller ange- nommenen und wirklichen Indignation ein herzliches Lachen kaum zurückdrängen. Es nahm ihn nun gar nicht mehr Wunder, wie er sich eine Zeitlang wirklich in der Person dieses Menschen täuschen konnte; denn es war bei Weitem nicht der magere, splitterdünne Wispel mehr, es mußte ihm auf seinen neuen Rei- sen ganz besonders wohl ergangen seyn, auch von sei- nen früheren Manieren hatte sich Vieles verwischt, oder legte er sie auf einige Stunden ab, und dann die künstlich braun gefärbte Haut, veränderte Stimme, verstellte Frisur, Bart und sonstige Ausstattung, Alles half zu diesem närrischen Quiproquo. Aus seinen Bekenntnissen ergab sich nach und nach, daß er in die Dienste des fremden Künstlers ungefähr auf dieselbe Weise gekommen war, wie einst in Theobalds ; es ging dieß um so leichter an, da ihm von seinen frühe- ren Landstreichereien noch einige Kenntniß der Sprache seines Herrn geblieben war, und er diesem als Dol- metscher auf seiner Reise nach Deutschland, an dessen Grenze sie sich kennen gelernt, gar oft nützlich seyn konnte. Die guten Kleider, die er am Leibe trug, waren theils Geschenk seines Herrn, theils hatte er sich zu Ausführung des gegenwärtigen Prunkstückchens die Garderobe des Künstlers heimlich zu Nutze ge- macht. Der Italiener, erst vorgestern angelangt, hielt sich in der Stadt auf, und sollte erst diesen Abend zu Anordnung der Bildwerke herauskommen, weil aber durch ein Mißverständniß die Handlanger schon in der Frühe vergeblich hieher gesprengt worden, so empfand Wispel einen unüberwindlichen Reiz, vor diesen Leuten und den etwa sich einfindenden Fremden jenen berühmten Mann vorzustellen, dessen bizarres Wesen er zwar mit Uebertreibung, doch nicht ganz unglück- lich, nachzuahmen wußte. Es sey ihm selber, gestand er nun, sehr leid gewesen, als ihm Nolten , sein ehemaliger Gebieter, so unerwartet in den Wurf ge- kommen, und noch jezt wisse er nicht recht, was ihn verführt habe, augenblicklich eine offensive Stellung gegen ihn anzunehmen. „Aber Mensch, wie konntest du so unbegreiflich 9 grob, so frech gegen mich seyn? Weißt du, was du noch im Rest bei mir sitzen hast?“ „Ach, mein charmantester, mein göttlicher Herr, wie sollt’ ich’s nicht wissen? aber das steht ja in gu- ter Hand — es mag etwa eine halbe Carolin seyn, was Sie mir an meinem Lohn noch schulden — Ba- gatell — wenn Sie gelegentlich, aber wohl verstanden, nur ganz gelegentlich, das Pöstchen“ — Hier bekam Wispel unversehens einen Backen- streich von Theobalds Hand, daß ihm die Haut feuerte. „Schandbube! eine Anweisung in’s Spinn- haus bin ich dir schuldig! Aber gib Rechenschaft über das, was ich eben frage: wie warst du fähig, gegen deinen ehemaligen Wohlthäter dich so zu vergessen?“ „Ach,“ antwortete er, ganz wieder mit seiner ge- wohnten Affektation, mit jenem Hüsteln und Blinzeln, „dem Himmel is es bewußt, wie das zuging, ich wollte mich durch solch’ ein Betragen gleichsam unkenntlich machen, mich gegen meine eigene Rührung verschan- zen, daher meine Wuth, meine Malice, auch läugn’ ich nicht, es war vielleicht ein — ein — vielleicht ein Kitzel, das heiße Blut des Südens an mir selbst zu bewundern, und so — und dann — aber gewiß werden Sie mir zugeben, Monsieur, ich habe den hö- hern Ton der Chikane und den eigentlichen vornehmen Takt, womit das point d’honneur behandelt werden muß, mir so ziemlich angeeignet. Wie? ich bitte, sagen Sie, was denken Sie?“ Mit diesem lezten Zusatz war es seiner Eitelkeit so völlig Ernst, er war so gespannt auf ein schmeichel- haftes Urtheil Noltens , daß dieser und der Graf nur staunten über die unsinnigste Art von Ehrgeiz, womit dieses Subjekt wie mit einer Krankheit gestraft war. Erinnerte man sich vollends der einzelnen Mo- mente, in denen der Mensch seit heute früh sich stu- fenweise, zuerst bei der Ankunft Theobalds , dann bei’m Grafen, endlich als Weltmann bei der Gräfin geltend gemacht, so hätte man sich beinahe schämen müssen, wäre die Sache weniger lustig und neu ge- wesen. Sogar Constanze , welche vom Bruder her- beigerufen ward, konnte, nachdem sie den unglaublichen Betrug eingesehen, sich des Lächelns nicht enthalten, obgleich sie den Entlarvten, dessen Beschämung sie sich schmerzlicher als billig vorstellte, mit einem fast pein- lichen Gefühl, wie einen armen Verrückten, betrachtete. Die Fragen, welche sie etwa an ihn that, bildeten durch ihre wahrhaft naive Delikatesse einen fast komisch rührenden Kontrast zwischen der edlen Frau und der verächtlichen Kreatur. Theobald fand sich hiedurch auch wirklich zu einem gewissen Grad von Mitleid mit dem ärmlichen Sünder bewogen, und als Wispel auf das Beredteste ihn um Wiederaufnahme in sein Haus ersuchte, konnte er sich zwar hiezu nicht ver- stehen, aber er versprach, ihm außer einer Warnung, die man dem Italiener schuldig sey, keineswegs scha- den zu wollen. Hierauf verabschiedete sich Wispel mit gehörigem Anstand, er wollte Constanzen die Hand küssen, was jedoch höflich verbeten wurde. Die Gesellschaft verhehlte sich den im Ganzen versöhnenden Eindruck nicht, welchen der lezte Auftritt bei ihr zurückgelassen hatte. Bei der Gräfin selbst war der Rückblick auf den heutigen Morgen leichter, weil seine Wirkung wenigstens äußerlich durch so manches Andre in etwas war verdrängt worden; nur sobald Nolten ihr näher kommen wollte, wich sie schüchtern und unbehaglich aus. Im Allgemeinen, dieß durfte er sich mit Recht sagen, ließ ihr Benehmen sich gar nicht zu seinen Ungunsten auslegen, ja er konnte den tief gegründeten Keim wirklicher Liebe nicht mehr an ihr verkennen, er hoffte eine zwar langsame, aber unaufhaltsame Entwicklung. Nur jede Voreiligkeit, alles dringend Heftige, so sehr dieß in seinem Temperamente lag, beschloß er zu vermeiden, und wir selber sind der Meinung, daß er dabei seinen Vortheil und die Sinnesart der Frauen von Con- stanzens Werthe fein genug zu schätzen gewußt. Man hätte gerne noch den ächten Italiener ge- sehen, allein der Abend nahte stark heran, es war un- wahrscheinlich, daß der Künstler noch käme, überdieß verlangte Constanze nach Haus, und so schickte man sich denn zum Aufbruch an. Nolten , der den Schlitten des Grafen eine Weile rasch verfolgte, blieb mit seinem Pferde doch bald zurück. Er hatte Zeit, seinen Gedanken über den heutigen Tag, seinen Besorgnissen und Hoffnungen stille nachzuhängen, indeß der Mond mit immer hel- lerem Lichte die dämmernde Schneelandschaft überschien. Was hatte sich doch verändert in den wenigen Stun- den, seit er diese Wege hergeritten! um wie viel näher war er gegen alles Denken und Vermuthen seinem ersehntesten Ziele gekommen, ja, das er wirk- lich schon erreicht, das er schon mit kühnen Armen umschlungen und auf alle Zukunft für sich geweiht hatte! Je verwunderter er diese rasche Wendung bei sich überlegte, desto stärker drang sich ihm der alte Glaube auf, daß es Augenblicke gebe, wo ein innerer Gott den Menschen unwiderstehlich besinnungslos vor- wärts stoße, einer großen Entscheidung entgegen, so daß er, daß sein Schicksal und sein Glück sich selber gleichsam übertreffen müssen. Er schauderte im In- nersten, er drang mit weit offenem Aug’ in das tiefe Blau des nächtlichen Himmels und forderte die Ge- stirne heraus, seine Seligkeit mitzuempfinden. Was doch jezt in Constanzen vorgehen mag! — er hätte die Welt verschenken mögen, um dieses Einzige zu wissen, und doch pries er wieder seine Ungewißheit, weil sie ihm vergönnte, Alles zu glauben, was er wünschte. Sollte jezt nicht auch in ihrem Busen der wonnevollste Tumult von Freude, Furcht und Hoffnung laut seyn? und ist nicht der Grund ihrer Seele, wie die Tiefe eines stillen Meeres, jezt von jener unend- lichen Ruhe beherrscht, welche im Bewußtseyn hoher Liebe liegt? — So dachte er, so durchlief er noch Manches, was ihn mächtig emporhob; kräftig gab er seinem Pferde die Sporen, als gälte es, noch heute allen seinen Wünschen die Krone aufzusetzen. In derselben Woche kamen Briefe aus Neuburg an an Theobald , wie gewöhnlich unter der Aufschrift an Larkens . Voll Begierde nach dem Inhalte, welcher ihm, wie er zuverlässig hoffte, jeden Zweifel über Agnes benehmen sollte, riß er das Couvert auf. Jedesmal ergriff ihn die eigenste Rührung, wenn er solche treuherzige Linien ansah, die nach des Mädchens Meinung der Geliebte lesen sollte, und die unser Schauspieler doch wiederum nur sich selber zueignen konnte, da es nur Antworten auf dasjenige waren, was er zwar ganz im früheren Sinne Noltens ge- schrieben, aber doch gleichsam durch alle Fasern des eigenen innigsten Gefühls übertragend, empfunden hatte. In der That, er kam sich dann immer wie ein gedoppeltes Wesen vor, und nicht selten kostete es ihn Mühe, sein Ich von der Theilnahme an diesem zärt- lichen Verhältniß auszuschließen. Was Agnesens gegenwärtigen Brief betrifft, so klangen ihm die Worte Anfangs einigermaßen räth- selhaft, bis ihm ein größeres Schreiben vom Vater in die Hände fiel, das er auch zugleich von Blatt zu Blatt mit immer steigendem Erstaunen hastig durchlas. Der Alte beruft sich auf seinen frühern Brief an Theobald , worin die sonderbare Verirrung des Mädchens, so weit es damals möglich gewesen, bereits entwickelt worden sey; er wolle aber, da einige erst neuerdings entdeckte Umstände die Ansicht des Ganzen bedeutend verändert hätten, Alles von vorn herein er- zählen, und so sezt er denn dasjenige weitläufig aus- einander, was wir dem Leser schon mitgetheilt haben. Mehrere auffallende Vorgänge hatten dem Förster zu- lezt über das Daseyn eines stillen Wahnsinns keinen Zweifel mehr übrig gelassen. Es ward ein Arzt zu Rath gezogen, und mit Hülfe dieses einsichtsvollen Mannes gelang es gar bald, den eigentlichen Grund des Unheils aus dem Mädchen hervorzulocken. Hiebei mußte es für den aufmerksamen Beobachter solcher abnormen Zustände von dem größten Interesse seyn, zu bemerken, daß schon das Aussprechen des Geheim- nisses an und für sich entscheidend für die Heilung war. Denn von dem Augenblicke, da der Auftritt mit der Zigeunerin über Agnesens Lippen kam, schien der Dämon, der die Seele des armen Geschöpfs umstrickt hielt, seine Beute fahren zu lassen, und ein herzzer- schneidender Strom der heftigsten Thränen schien die Rückkehr der Vernunft anzukündigen. Die Entdeckung jener geheimen Ursache fand aber um so weniger Schwierigkeit, da das Mädchen selbst seit der zweiten Unterredung mit der Zigeunerin ein gewisses Miß- trauen gegen dieselbe nährte, worin sie sich nun eben nicht ungerne bestärken ließ. Wirklich rührend war es anzusehen, mit welcher Begierde sie jedes Wort einschluckte, das man zum Beweis eines offenbaren Be- trugs vorbringen mochte. Auf ihrem zwischen Angst und dankbarer Freude wechselnden Gesichte malten sich die lezten Zuckungen des abergläubischen Gewissens, dem die vernünftige Beredsamkeit des Vaters nun den Todesstoß gab. Dennoch fühlte sie noch immer eine Art von Zwiespalt im Innern, sie fand sich schwer zu- recht, und wie der Blindgewesene sich nur langsam wie- der an das Licht gewöhnt, das alle Welt erfreut, so dauerte es einige Zeit, bis Agnes ihr Glück zu fassen vermochte, bis sie es wagte, sich den andern Menschen wieder gleich zu stellen. Oft kam es ihr noch vor, als ob irgend ein finsterer Zeuge ihres Schicksals hinter ihrem Rücken lauschte und auf Rache denke, weil sie seinen Banden entsprungen. Aber der Verbrecher, der durch eine feierliche Absolution aus dem Munde des heiligen Vaters mit Einem Mal sich einer ganzen Hölle entbunden fühlt, kann nicht leichter athmen als Agnes , nachdem endlich das düstere Phantom für immer verabschiedet war. Wie ganz anders konnte sie nun an Nolten denken! Wie herzhaft prüfte ihre Liebe wieder die alte Freiheit ihrer Flügel! Wie un- gewohnt erschien ihr Alles, was in Bezug auf ihn gesagt oder gethan ward! Sprach Jemand seinen Namen aus, so konnte sie den Namen mit seligem Be- fremden vor sich wiederholen und mit Entzücken rief sie ihn dann laut aus, so daß man sie kaum begreifen wollte. Kam ihr zufällig seine Handschrift vor’s Auge, so däuchten ihr die Züge wie sprechend, sie betrachtete sie mit einem völlig neuen Sinn — kurz, es schien, als sey er ihr erst heute geschenkt, als heiße sie jezt zum ersten Male Noltens Braut. Dieselbe unschuldige Trunkenheit athmete aus ih- rem Briefe, den Larkens jezt in der Hand hielt. Sie vermied so viel möglich jede Berührung jener stö- renden Ereignisse, und ihre Worte verriethen nicht die geringste Unruhe darüber, wie Theobald die Geschichte ihrer Krankheit aufnehmen werde, welche der Vater mit ihrem Vorwissen, jedoch ohne der Toch- ter sie lesen zu lassen, ihm aufrichtig mittheilte. Mit Staunen und Rührung legte Larkens die Blätter auf den Tisch, nachdem er sie zwei und drei- mal mit der größten Sorgfalt durchlesen hatte. Er hatte Mühe, sich die Fäden dieser unerhörten Ver- wirrung klar zu machen, sich zu sammeln und ein ruhiges Bild vom Ganzen zu gewinnen, um hierauf seine Entschließung zu fassen. An der getreuen Dar- stellung der Begebenheiten zweifelte er keinen Augen- blick, Alles trug zu sehr das Gepräge der inneren Wahrheit. Aber was ihn bei der Sache besonders nachdenklich machte, das war die Einmischung der Zi- gennerin. Denn auf der Stelle war es wie ein Blitz in ihn geschlagen, daß er die Person kenne, daß ihm ihr sonderbarer Bezug zu Nolten nicht unbekannt sey. Nach dem sehr bestimmten Bilde, das er von ihrem Charakter hatte, befremdete ihn einigermaßen ihr falsches Spiel gegen Agnes , dennoch hatte er guten Grund, sie deßhalb keineswegs mit den gemei- nen Betrügerinnen ihrer Nation zu verwechseln, ja ihn ergriff das tiefste Mitleid, wenn er bedachte, daß eben dieses unbegreifliche Wesen, das an Agnesens Verrückung Schuld war, selbst ein trauriges Opfer des Wahnsinns sey. So verhielt es sich wirklich; und in diesen Zustand mischte sich eine Leidenschaft für Theobald , von deren wunderbarer Entstehung wir dem Leser in der Folge Rechenschaft geben wer- den. Die Unglückliche glaubte sich in Agnes von einer Nebenbuhlerin befreien zu müssen, und leider kam der Zufall, wie wir gesehen haben, ihrer Absicht gar sehr zu Hülfe. Ihre List mochte übrigens leicht von der Art seyn, wie sie sich bei Verrückten häufig mit der höchsten Gutmüthigkeit gepaart findet, und Larkens entschuldigte sie um so mehr, da er Eli- sabeth (so hieß das Mädchen) immer von einer äu- ßerst arglosen, ja kindlichen Seite kennen gelernt hatte. Wie viel eigentliche Lüge und wie viel Selbstbetrug an jener verhängnißvollen Prophezeihung Antheil ge- habt, wäre daher nicht wohl zu entscheiden, nur wird es jezt um so begreiflicher, daß die Erscheinung und der ganze Ausdruck der Prophetin eine so gewaltsame und hinreißende Wirkung auf das kränklich reizbare Gemüth Agnesens machen konnte. Einige Augenblicke war der Schauspieler ent- schlossen, sogleich mit dem ganzen Paket zu seinem Freunde zu eilen. Aber die Sache näher betrachtet verbot solches die Klugheit. Nolten wäre im ge- genwärtigen Zeitpunkt zu einer unbefangenen Ansicht der Dinge nicht fähig gewesen und es war zu be- fürchten, daß ihm die Ueberzeugung von der Tadel- losigkeit des Mädchens jezt eben nicht willkommen wäre, daß er, von zweien Seiten auf’s Aeußerste ge- drängt, an einen Abgrund widersprechender Leiden- schaften gezerrt, nichts übrig hätte, als an Allem zu verzweifeln. Larkens sah dieß deutlich ein, und stand wirklich eine Zeitlang rathlos, was zu thun sey. Ich muß auf einen Kapitalstreich sinnen, rief er aus, das Zögern wird mir gefährlich, es ist Zeit, daß man dem Teufel ein Bein breche! Vor Allem wollte er suchen, es gelte was es wolle, einen Bruch mit der Gräfin vorzubereiten. Aus einzelnen Spuren hatte er neuerdings von der Neigung Noltens doch ernstlichere Begriffe bekom- men, und er fing an, mehr und mehr an der Offen- heit seines Freundes in diesem Punkte zu zweifeln, wie denn auch wirklich der Vorfall im Parke bisher ganz und gar ein Geheimniß für Larkens geblieben war. Für jezt dachte dieser nur auf schleunige Be- ruhigung des Mädchens durch einen abermaligen Brief, den er auch sogleich, und mit ungewöhnlicher Wärme und Heiterkeit des Ausdrucks, niederschrieb. Es gingen, bis Nolten wieder eine Einladung zu Zarlins erhielt, zwei volle Wochen auf, und wenn diese lange Zwischenzeit unserem Freunde desto un- ausstehlicher vorkam, je bedeutender seine gegenwär- tige Stellung zu Constanzen war, so stand er nun doch betroffen und unentschieden, ob Furcht oder Freude mächtiger in ihm sey. Aber als er sich nun an dem bestimmten Abende mit Larkens wieder in jenen geliebten Wänden, in jener edlen Umgebung fühlte, als die Gräfin nun die Versammlung bewill- kommte und auch ihn mit einer Fröhlichkeit begrüßte, wie man sie sonst kaum an ihr wahrnahm, da schien sich um ihn und über sein ganzes Daseyn ein Licht- glanz herzugießen, in welchem sich alle Vergangen- heit und Zukunft seines Lebens wie durch Magie verklärte: und doch war es nur die Sorglosigkeit ih- rer Miene, es war die edle Freiheit ihres Beneh- mens, was ihn so tief erquickte, und was ihm, auch abgesehen von jeder andern Vorbedeutung, die unei- gennützigste Rührung hätte abgewinnen müssen, indem es ihm die Wiederherstellung des schönen Friedens ihrer Seele verbürgte, welchen gestört zu haben er sich zum Verbrechen rechnete. Von ähnlicher Munterkeit wurde denn auch die übrige Gesellschaft belebt, und die lezte beengende Rücksicht bei Nolten fiel vollends weg mit der Nach- richt, Herzog Adolph werde heute nicht gegenwär- tig seyn. Herren und Damen saßen bereits in bunter Ord- nung, als die Gräfin sich mit den Worten an Lar- kens wandte: „Sie sagten ja von etwas ganz Be- sonderem, das Sie uns dießmal zum Besten geben wollten; machen Sie doch die Gesellschaft mit Ihrem Vorhaben bekannt, ich zweifle nicht, wir dürfen uns etwas recht Hübsches, zum mindesten etwas Unge- wöhnliches versprechen.“ „Es liegt,“ antwortete Larkens mit guter Laune, „in diesem Komplimente etwas so verzweifelt Beding- tes, daß ich nun erst schüchtern werde, mit meinem Schatz hervorzutreten. Wirklich, es ist immer gewagt, wenn ein Einzelner oder wenn zwei Mitglieder eines gebildeten Kreises die Unterhaltung ausschließlich über sich nehmen wollen, und obendrein ist mein Gegen- stand von der Beschaffenheit, daß ihm ein allgemei- nes Interesse sehr schwerlich zukommen möchte, we- nigstens in so weit ich dabei bethätigt bin. Aber was mich tröstet, ist einzig die Unterstützung durch mei- nen Freund Nolten , der Ihneu bei dieser Gelegen- heit ein ganz neues Genre seiner Kunst vorführen wird.“ „Ich meines Theils,“ erwiderte der Maler, „muß die Gesellschaft unterthänigst bitten, auf diese Bedin- gung hin von ihren Forderungen an Larkens nicht nagelsgroß nachzulassen, da mein Beitrag als bloße Verzierung und Erläuterung der Hauptsache an und für sich nicht in Betracht kommen kann.“ — „Kurz, meine Gnädigsten,“ fiel der Schauspieler ihm in’s Wort, „was wir Ihnen dießmal zeigen, ist nichts Anderes, als ein Schattenspiel.“ „Ein Schattenspiel!“ riefen die Damen in die Hände klatschend, „ach, das ist ja ganz unvergleich- lich! wirklich ein ordentliches, chinesisches werden wir sehen?“ „Allerdings,“ sagte der Graf „und zwar ein ganz neu eingerichtetes, wozu Herr Nolten die Bil- der auf Glas gemalt, und dieser Herr, der als Dich- ter noch allzu wenig von sich hören ließ, den Text geliefert hat. So viel ich weiß, besteht der leztere durchaus in einer dramatisirten Fabel, rein von der Erfindung des Herrn Larkens .“ „Diese Fabel,“ bemerkte der Schauspieler, „und der Ort, wo sie vorgeht, ist freilich närrisch genug, und es bedarf einer kleinen Vorerinnerung, wenn man den Poeten nicht über alle Häuser wegwerfen soll.“ „Ich hatte in der Zeit, da ich noch auf der Schule studirte, einen Freund, dessen Denkart und ästhetisches Bestreben mit dem meinigen Hand in Hand ging; wir trieben in den Freistunden unser Wesen miteinander, wir bildeten uns bald eine eigene Sphäre von Poesie, und noch jezt kann ich nur mit Rührung daran zurückdenken. Was man auch zu dem Nachfolgenden sagen mag, ich bekenne gern, da- mals die schönste Zeit meines Lebens genossen zu ha- ben. Lebendig, ernst und wahrhaft stehen sie noch alle vor meinem Geiste, die Gestalten unserer Einbil- dung, und wem ich nur Einen Strahl der dichteri- schen Sonne, die uns damals erwärmte, so recht gül- den, wie sie war, in die Seele spielen könnte, der würde mir wenigstens ein heiteres Wohlgefallen nicht versagen, er würde selbst dem reiferen Manne es verzeihen, wenn er noch einen müßigen Spaziergang in die duftige Landschaft jener Poesie machte und so- gar ein Stückchen alten Gesteins von der geliebten Ruine mitbrachte. Doch zur Sache. Wir erfanden für unsere Dichtung einen außerhalb der bekannten Welt gelegenen Boden, eine abgeschlossene Insel, wor- auf ein kräftiges Heldenvolk, doch in verschiedene Stämme, Grenzen und Charakter-Abstufungen getheilt, aber mit so ziemlich gleichförmiger Religion, gewohnt haben soll. Die Insel hieß Orplid , und ihre Lage dachte man sich in dem stillen Ozean zwischen Neu- Seeland und Süd-Amerika. Orplid hieß vorzugsweise die Stadt des bedeutendsten Königreichs: sie soll von göttlicher Gründung gewesen seyn und die Göttin Weyla , von welcher auch der Hauptfluß des Eilands den Namen hatte, war ihre besondere Beschützerin. Stückweise und nach den wichtigsten Zeiträumen er- zählten wir uns die Geschichte dieser Völker. An merkwürdigen Kriegen und Abenteuern fehlte es nicht. Unsere Götterlehre streifte hie und da an die griechi- sche, behielt aber im Ganzen ihr Eigenthümliches; auch die untergeordnete Welt von Elfen, Feen und Kobolden war nicht ausgeschlossen. Orplid, einst der Augapfel der Himmlischen, mußte endlich ihrem Zorne erliegen, als die alte Ein- falt nach und nach einer verderblichen Verfeinerung der Denkweise und der Sitten zu weichen begann. Ein schreckliches Verhängniß raffte die lebende Mensch- heit dahin, selbst ihre Wohnungen sanken, nur das Lieblingskind Weyla’s , nämlich Burg und Stadt Orplid, durfte, obgleich ausgestorben und öde, als ein traurig schönes Denkmal vergangener Hoheit stehen bleiben. Die Götter wandten sich auf Ewig ab von diesem Schauplatz, kaum daß jene erhabene Herrscherin zuweilen ihm noch einen Blick vergönnte, und auch diesen nur um eines einzigen Sterblichen willen, der, einem höheren Willen zufolge, die allgemeine Zerstö- rung weit überleben sollte. Neuerer Zeiten, immerhin nach einem Zwischen- raum von beinahe tausend Jahren, geschah es, daß eine Anzahl europäischer Leute, meist aus der niedern Volksklasse, durch Zufall die Insel entdeckte und sich darauf ansiedelte. Wir Freunde durchstöberten mit ihnen die herrlichen Reste des Alterthums, ein gelehr- ter Archäologe, ein Engländer, mit Namen Harry , war zum Glück auf dem Schiffe mitgekommen, seine kleine Bibliothek und sonst Materialien verschiedenen Gebrauchs waren gerettet worden; Nahrung aller Art zollte die Natur im Ueberfluß, die neue Kolonie gestaltete sich mit jedem Tage besser und bereits blüht eine zweite Generation in dem Zeitpunkte, wo unser heutiges Schauspiel sich eröffnet. Was nun diese dramatische, oder vielmehr sehr undramatische Kleinigkeit betrifft, so sind meine Wün- sche erfüllt, wenn die verehrten Zuschauer sich mit einiger Theilnahme in die geistige Temperatur meiner Insel sollten finden können, wenn sie für die will- kürliche Oekonomie meines Stückes einen freund- schaftlichen Maaßstab mitbringen und sich mehr nur an den Charakter, an das Pathologische der Sache halten. Das ganze Ding machte sich, ich weiß nicht wie, vor Kurzem erst, nachdem mir seit langer Zeit wieder einmal eines Abends die alten Erinnerungen in den Ohren summten. Eine längst gehegte tragische Lieblingsvorstellung drang sich vorzüglich in dem Cha- rakter des lezten Königs von Orplid auf; dagegen gab es Veranlassung, zwei moderne, aus dem Leben gegrif- fene Nebenfiguren lustig einzuflechten, wovon die eine in der Laufbahn meines Freundes Nolten dergestalt Epoche gemacht, daß diese Person — und sie soll ja neuerdings wieder in unserer Stadt spucken. — sogar einigen der Anwesenden als eine nicht ganz unbekannte Fratze wieder begegnen wird. Hier steckten sich einige begierige Köpfe zusammen, und als es hieß, daß jener diebische Bediente Nol- tens im Schattenspiel seine Aufwartung machen werde, verlautete allgemein ein herzliches Vergnügen; man 10 machte sich überhaupt auf eine ergötzliche Unterhaltung gefaßt, nur Tillsen fühlte sich im Stillen durch jene komische Berührung verlezt, wiewohl Niemand an et- was Beleidigendes dachte. „In einem andern Subjekt,“ fuhr der Schauspie- ler fort, „in dem Kameraden des Vorigen zeig’ ich Ih- nen meinen eigenen ehmaligen Sancho ; es machte mir Freude, diese beiden Tröpfe einmal treulich zu kopiren, Nolten verfehlte keinen Zug, und die Gesell- schaft muß uns schon vergeben, wenn wir sie auf einen Augenblick in das Dachstübchen dieser Schmutzbärte zu schauen zwingen.“ Indessen hatte Larkens den erforderlichen Ap- parat aus seinem Hause holen lassen; der Diener brachte ein braunes Kästchen, worin das Zaubergeräthe verschlossen war; zugleich zog der Schauspieler ein Manuseript hervor, blätterte und sagte: „In Absicht auf die Art und Weise, wie die Tableaux den Text begleiten, versteht sich von selbst, daß der Schauplatz zuweilen, wiewohl nur selten, leer bleiben wird, daß für den Maler nicht jede Scene gleich brauchbar seyn konnte, daß er von einer Scene meist nur Einen Mo- ment, Eine hervorstechende Gruppe darstellen konnte, daß jedoch so viel Varietät als nur immer möglich in die Bilder gebracht wurde. Nun hab’ ich nur noch Eine Bitte, den Vortrag des Dialogs betreffend. Ich werde zwar sämmtliche männliche Personen aus meinem Munde mit abwechselnder Stimme unter sich sprechen lassen, für die weiblichen aber und für die Kinderkeh- len sollte mir doch Eins und das andre der Fräulein zur Seite stehen und mit mir aus der Rolle lesen. Welche von den Damen würde wohl die Gefälligkeit haben? Sie, Fräulein von R. und von G. erfreuten uns schon auf dem Liebhabertheater, an Sie richt’ ich meine Bitte im Namen Aller.“ Die Schönen mußten sich’s gefallen lassen, sie traten mit dem dargereichten Hefte beiseit, es vorläufig zu durchsehen, während Larkens sich von der Gräfin einen geheizten Saal mit weißen Wänden ausbat und seine Einrichtung traf. Nach kurzer Zeit ertönte sein Glöckchen, das die Gesellschaft hinüber lud in den verdunkelten Saal. Hinter einer spanischen Wand, die nach einer Seite offen war, befanden sich Larkens und seine Gehülfinnen neben der magischen Laterne, welche inzwischen nur einen runden hellen Schein an die Zimmerdecke warf. Man nahm im Halbkreise Platz, und Nolten hatte sich so gesezt, daß er Constanzen in’s Auge fassen konnte. Nachdem Alles stille geworden, begann hinter der Gardine eine einleitende Symphonie auf dem Klavier von einem Mitgliede der Gesellschaft gespielt und von Larkens mit dem Violoncello begleitet. Unter den lezten Akkorden erschien an der breitesten, völlig freien Wandseite des Saales in bedeutender Größe die An- sicht einer fremdartigen Stadt und Burg, im Mond- schein, vom See bespült, links im Vorgrund drei sitzende Personen und der Dialog nahm seinen Anfang. Wir bedenken uns nicht, den Leser an dem Spiele Theil nehmen zu lassen, da es nachher in den Gang unserer Geschichte einschlägt und die wichtigsten Folgen hat. Zugleich mag es einen lebhaften Begriff von dem inueren Leben jenes Schauspielers geben, welcher bereits unsere Aufmerksamkeit erregte und noch mehr künftig unsere Theilnahme gewinnen wird. Der lezte König von Orplid . Ein phantasmagorisches Zwischenspiel. Erste Scene . Anblick der Stadt Orplid mit dem Schlosse ; vorn noch ein Theil vom See . Es wird eben Nacht . Drei Einwohner sitzen vor einem Haus der unteren Stadt auf einer Bank im Gespräch. Suntrard , der Fischer, mit seinem Knaben , und Löwener , der Schmied. Lasset uns hieher sitzen, so werden wir nach einer kleinen Weile den Mond dort zwischen den zwei Dächern herauf kommen sehen. Vater, haben denn vor Alters in all’ den vielen Häusern dort hinauf auch Menschen gewohnt? Ja wohl. Als unsere Väter, vom Meersturm verschlagen, vor sechszig Jahren zufälliger Weise an dem Ufer dieser Insel, was das Einhorn heißt, an- langten, und tiefer landeinwärts dringend sich rings umschauten, da trafen sie nur eine leere steinerne Stadt an; das Volk und das Menschengeschlecht, welches diese Wohnungen und Keller für sich gebauet, ist wohl schon bald tausend Jahr’ ausgestorben, durch ein be- sonderes Gerichte der Götter, meint man, denn weder Hungersnoth noch allzuschwere Krankheit entsteht auf dieser Insel. Tausend Jahr, sagst du, Suntrard? Gedenk’ ich so an diese alten Einwohner, so wird mir’s, mein Seel, nicht anders, als wie wenn man das Klingen kriegt im linken Ohr. Mein Vater erzählt, wie er, ein Knabe damals noch, mit wenigen Leuten, fünf und siebenzig an der Zahl, auf einem zerbrochenen Schiffe angelangt, und wie er sich mit den Genossen verwunderte über eine solche Schönheit von Gebirgen, Thälern, Flüssen und Wachsthum, wie sie darauf fünf, sechs Tage herum- gezogen, bis von ferne sich auf einem blanken, spiegel- klaren See etwas Dunkeles gezeigt, welches etwan ausgesehen, wie ein steinernes Wundergewächs, oder auch wie die Krone der grauen Zackenblume. Als sie aber mit zweien Kähnen darauf zugefahren, war es eine felsige Stadt von fremder und großer Bauart. Eine Stadt, Vater? Wie fragst du, Kind? Eben diese, in der du wohnest. — Deß erschracken sie nicht wenig, vermei- nend, man käme übel an; lagen auch die ganze Nacht, wo es in Einem fort regnete, vor den Mauern ruhig, denn sie getrauten sich nicht. Nun es aber gegen Morgen dämmerte, kam sie beinahe noch ein ärger Grauen an; es kräheten keine Hähne, kein Wagen ließ sich hören, kein Bäcker schlug den Laden auf, es stieg kein Rauch aus dem Schornstein. Es brauchte dazumal Jemand das Gleichniß, der Himmel habe über der Stadt gelegen, wie eine graue Augbraun über einem erstarrten und todten Auge. Endlich traten sie Alle durch die Wölbung der offenen Thore; man ver- nahm keinen Sterbenslaut als den des eigenen Fußtritts und den Regen, der von den Dächern niederstrollte, obgleich nunmehr die Sonne schon hell und goldig in den Straßen lag. Nichts regte sich auch im Innern der Häuser. Nicht einmal Mäuse? Nun, Mäuse wohl vielleicht, mein Kind. (Er küßt den Knaben.) Ja, aber Nachbar, ich bin zwar, wie du, geboren hier und groß geworden, allein es wird einem doch alleweil noch sonderlich zu Muth, wenn man so des Nachts noch durch eine von den leeren Gassen geht und es thut, als klopfte man an hohle Fässer an. Aber warum doch wohnen wir neuen Leute fast alle wie ein Häuflein so am Ende der Stadt und nicht oben in den weitläuftigen schönen Gebäuden? Weiß selber nicht so recht; ist so herkommen von unsern Eltern. Auch wäre dort nicht so vertraut zu- sammennisten. Wo wir wohnen, das heißt die untere Stadt, hier waren vor Alters wahrscheinlich die Buden der Krämer und Handwerker. Die ganze Stadt aber be- trägt wohl sechs Stunden im Ring. Wenn der Mond vollends oben ist, laßt uns noch eine Strecke aufwärts gehen, bis wo die Sonnenkeile Sonnenkeile — so nannte man drei eigenthümlich gegen einan- der gestellte steinerne Spitz-Säulen, welche durch den Schatten, den sie werfen, den Ur-Einwohnern als eine Art von Sonnenuhr gedient haben sollen. ist. Nachbar, als ein kleiner Junge, wenn wir Bu- ben noch Abends spät durch die unheimlichen Plätze streiften bis zur Sonnenkeile, so trieb und plagte mich’s immer, den Stein mit dem Finger zu berühren, weil ein Glauben in mir war, daß er den warmen Strahl der Sonne angeschluckt, wie ein Schwamm, und Funken fahren lasse, welches im Mondschein so wunderlich aussehen müsse. Hört, was weiß man denn auch neuerdings von dem Königsgespenst, das an der Nordküste umgeht? Kein Gespenst! wie ich dir schon oft versicherte. Es ist der tausendjährige König, welcher dieser Insel einst Gesetze gab. Der Tod ging ihn vorbei; man sagt, die Götter wollten ihn in dieser langen Probe- zeit und Einsamkeit geschickt machen, daß er nachher ihrer einer würde, wegen seiner sonstigen großen Tu- gend und Tapferkeit. Ich weiß das nicht; doch er ist Fleisch und Bein, wie wir. Glaub’ das nicht, Fischer. Ich hab’ es sicher und gewiß, daß ihn der Koll- mer, der Richter ist in Elnedorf, jeweilig insgeheim besucht; sonst sieht ihn kein sterblicher Mensch. Gelt, Vater, er trägt einen Mantel und trägt ein eisern spitzig Krönlein in den Haaren? Ganz recht, und seine Locken sind noch braun, sie welken nicht. Laßt’s gut seyn! ist schon spät. Das Licht dort in der äußersten Ecke vom Schloß ist auch schon aus. Dort wohnt Herr Harry, der bleibt am längsten auf. Will noch eine Weile in die Schenke. Gut Nacht! Schlaf’ wohl, Freund Löwener. Komm’ Knabe, gehen zur Mutter. Zweite Scene . Oeder Strand. Im Norden. allein. Hier pflegt er umzugehn, dieß ist der Strand, Den er einförmig mit den Schritten mißt. Mich wundert, wo er bleiben mag. Vielleicht Trieb ihn sein irrer Sinn auf andre Pfade, Denn oft konnt’ ich gewahren, daß sein Geist Und Körper auf verschied’ner Fährte geh’n. O wunderbar! mich jammert sein Geschick, Denk’ ich daran, was doch kaum glaublich scheint, Daß die Natur in einem Sterblichen Sich um Jahrhunderte selbst überlebt — Wie? tausend Jahre? — tausend — ja nun wird mir Zum ersten Male plötzlich angst und enge, Als müßt’ ich’s zählen auf der Stell’, durchleben In Einem Athemzug — Hinweg! man wird zum Narren! Hm, tausend Jahr; ein König einst! — o eine Zeit So langsam, als man sagt, daß Steine wachsen. Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft, — Gäb’ es für die Vernunft ein Drittes noch, So müßt’ er dort verweilen in Gedanken. Sind’s aber einmal tausend, ja, so können Unzählige noch kommen; sagt man nicht, Daß auch ein Ball, geworfen über die Grenze Der Luft, bis wo der Erde Athem nicht mehr hinreicht, Nicht wieder rückwärts fallen könne, nein, Er müsse kreisen, ewig, wie ein Stern. So, fürcht’ ich, ist es hier. Auch spricht man von der Inselgöttin Weyla, Daß sie ein Blümlein liebgewann von seltner Und nie geseh’ner Art, ein einzig Wunder, Dieß schloß die Göttin in das klare Wasser Des härt’sten Diamant’s ein, daß es daure Mit Farben und Gestalt; wahrhaftig nein, Ich möchte so geliebt nicht seyn von Weyla, Doch diesem König hat sie’s angethan. Oft ahnte mir, er selber sey ein Gott, So anmuthsvoll ist sein verfinstert Antlitz; Das ist sein größtes Unglück, darum ward, Wie ich wohl deutlich merke, eine Fee Von heißer Liebe gegen ihn entzündet, Und er kann ihrem Dienste nicht entgehn, Sie hat die Macht schon über ihn, daß er, So oft sich ihr Gedanke nach ihm sehnt, Tag oder Nacht, und aus der fernsten Gegend, Nach ihrem Wohnsitz plötzlich eilen muß. Wenn dieser Ruf an ihn ergeht, so reißt Der Faden seines jetzigen Gedankens Auf Ein Mal von einander, ganz verändert Erscheint sein Wesen, hell’res Licht durchwittert Des Geistes Nacht, der längst verschüttete Brunn’ Der rauhen und gedämpften Rede klingt Mit Ein’ Mal hell und sanft, sogar die Miene Scheint jugendlicher, doch auch schmerzlicher: Denn gräulich ist verhaßter Liebe Qual. Drum sinnt er sicherlich in schwerem Gram, Wie er sich ledig mache dieser Pein; Dahin auch deut’ ich jene Worte mir, Die er einst fallen lassen gegen mich: „Willt du mir dienstbar seyn, so gehe hin Zur Stadt, dort liegt in einem unerforschten Winkel Ein längst verloren Buch von seltner Schrift, Das ist geschrieben auf die breiten Blätter Der Thranuspflanze, so man göttlich nennt, Das suche du ohn’ Unterlaß, und bring’ es.“ Drauf lächelt’ er mitleidig, gleich als hätt’ er Unmögliches verlangt, und redete Zeither auch weiter nicht davon. Nun aber Kam mir zufällig jüngst etwas zu Ohren Von ein paar schmutzigen, unwissenden Burschen, Die hätten der Art einen alten Schatz Bestäubt und ungebraucht im Hause liegen. Vielleicht, es träfe sich; so will ich denn Vom König nähere Bezeichnung hören; Doch aber zweifl’ ich, zweifle sehr — Horch! ja, dort kommt er Den Hügel vor. O trauervoller Anblick! Sein Gang ist müde. Horch, er spricht mit sich. O Meer! Du der Sonne Grüner Palast mit goldenen Zinnen! Wohinab zu deiner kühlen Treppe? (Ob ich es wagen darf, ihn anzurufen?) Mein theurer König! Wer warf meinen Schlüssel in die See? Mein hoher Herr, vergönnt — (ihn erblickend). Was willst du hier? Wer bist du? Fort! Hinweg! Fort! willst du nicht fort? Fluch auf dich! Kennst du mich nicht mehr? dem du manches Mal Dein gnädig Antlitz zugewendet hast? Du bist’s; ich kenne dich. So sag’ mir an, Wovon die Rede zwischen uns gewesen Das lezte Mal. Mein Kopf ist alt und krank. Nach jenem Buche hießest du mich suchen. Wohl, wohl, mein Knecht. Doch suchet man umsonst, Was Weyla hat verscharrt, die kluge Jungfrau, Nicht wahr? Gewiß, wenn nicht ihr Finger selbst Mich führt; wir aber hoffen das, mein König. Für jezt entdeck’ mir mehr vom heil’gen Buche. Mehr noch, mein Knecht? das kann schon seyn, kann seyn, Will mich bedenken; wart, ich weiß sehr gut — — Wär’ vor der Stirn die Wolke nicht! merkst du? Elend! Elend! hier, hier, merkst du? die Zeit Hat mein Gehirn mit zäher Haut bezogen. Manchmal doch hab’ ich gutes Licht… Ach Armer! Laß, laß es nur, sey ruhig! Herr, was seh’ ich? Was wirfst du deine Arme so gen Himmel, Ballst ihm die Fäust’ in’s Angesicht? Mir graut. Ha! mein Gebet! meine Morgenandacht! Was? Willst einen König lehren, er soll knie’n? Seit hundert Jahren sind ihm wund die Kniee — Was hundert —? o ich bin ein Kind! Komm her, Und lehr’ mich zählen — Alte Finger! Pfui! Auf, Sklave, auf! Ruf’ deine Brüder all’! Sag’ an, wie man der Götter Wohnung stürmt! Sey mir was nütze, feiger Schurke du! Die Hölle laß’ uns stürmen, und den Tod, Das faule Scheusal, das die Zeit verschläft, Herauf zur Erde zerren an’s Geschäft! Es leben noch viel Menschen; Narre du, Mir ist es auch um dich! willst doch nicht ewig Am schaalen Lichte saugen? Weh! er raset. Still, still! Ich sinne was. Es thut nicht gut, Daß man die Götter schmähe. Sag’, mein Bursch, Ist dir bekannt, was, wie die Weisen meinen, Am meisten ist verhaßt den sel’gen Göttern? Lehr’ mich’s, o König. Das verhüte Weyla, Daß meine Zunge nennt was auch zu denken Schon Fluch kann bringen. — Hast du wohl ein Schwert? Ich habe eins. So schone deines Lebens, Und laß uns allezeit die Götter fürchten! — Was hülf’ es auch, zu trotzen? Das Geschick Liegt fest gebunden in der Weissagung, So dein’s wie meines. Nun — wohlan, wie lautet Der alte Götterspruch? ein Priester sang Ihn an der Wiege mir, und drauf am Tag Der Krönung wieder. Gleich sollst du ihn hören; Du selber hast ihn neulich mir vertraut. Ein Mensch lebt seiner Jahre Zahl: Ulmon allein wird sehen Den Sommer kommen und gehen Zehn hundertmal. Einst eine schwarze Weide blüht, Ein Kindlein muß sie fällen, Dann rauschen die Todeswellen, Drin Ulmons Herz verglüht. Auf Weylas Mondenstrahl Sich Ulmon soll erheben, Sein Götterleib dann schweben Zum blauen Saal. Du sagst es recht, mein Mann; ein süßer Spruch! Mich dünkt, die wen’gen Worte sättigen rings Die irdische Luft mit Weylas Veilchenhauch. Ergründest du der Worte Sinn, o Herr? Ein König, ist er nicht ein Priester auch? Still, meine heil’ge Seele kräuselt sich, Dem Meere gleich, bevor der Sturm erscheint, Und wie ein Seher möcht’ ich Wunder künden, So rege wird der Geist in mir. — Freilich, zu trüb, zu trüb ist noch mein Aug’ — Ha, Sklave, schaff’ das Buch! mein lieber Sklave! Beschreib’ es mir erst besser. Nur Geduld. Ich sah es nie und kein gemeiner Mensch. Von Priesterhand verzeichnet steht darin, Was Götter einst Geweihten offenbarten, Zukünft’ger Dinge Wachsthum und Verknüpfung; Auch wie der Knoten meines armen Daseyns Dereinst entwirrt soll werden, deutet es. (Laß mich vollenden, weil die Rede fließt — Im Tempel Nidru-Haddin hütete Die weise Schlange solches Heiligthum, Bis daß die große Zeit erfüllet war, Und alle Menschen starben; sieh, da nahm Die Göttin jenes Buch, und trug es weg An andern Ort, wer wollte den erkunden? Auch meinen Schlüssel nahmen sie hinweg, Die Himmlischen, und warfen ihn in’s Meer. Herr, welchen Schlüssel? Der zum Grabe führt Der Könige. Was zitterst du? erbleichst? Die Zaubrin lockt — Thereile reißt an mir — Leb’ wohl! Ich muß — (Beide nach verschiedenen Seiten ab.) Dritte Scene . Nacht. Ein offener, grüner Platz an einem sanften Waldabhang beim Schmet- tenberg, ohnweit des Flusses Weyla. Thereile , eine junge Feenfürstin. Kleine Feen um sie her. König an der Seite, mehr im Vorgrund. Seyd ihr Alle da? Zähl’ nur, Schwester, ja! Ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Silpelitt ist ausgeblieben! 11 Hat doch stets besondre Nester! Nun, so sucht, ihr faulen Dinger, Steckt euch Lichtlein an die Finger! (Kinder eilen davon.) (die heimlich zurückbleibt, leise). Weithe! Was? Siehst du nicht dort Ihren Buhlen bei der Schwester? Darum schickt sie uns nun fort, Dieses hat was zu bedeuten. Ei, sie mag ihn gar nicht leiden. Bleibe doch! und lass’ uns lauschen, Wie sie wieder Küsse tanschen. Guck, wie spröd sie thut zum Scheine, Trutzig ihre Zöpfe flicht! Sie nur immer ist die Feine, Unser eins besieht man nicht. Aber wir sind auch noch kleine. Nun, so sag’, ist dieses Paar Nicht so dumm wie Eines war? Darf sich süße Feenbrut Einem Sterblichen wohl gatten? Beide zwar sind Fleisch und Blut, Doch die Braut wirft keinen Schatten. Ja, das ist doch unanständig. Aber stets war sie unbändig. Morry, laß uns lieber fort! Mir wird angst an diesem Ort. Wie sich wohl dieß Spiel noch endet! Beide stehen abgewendet; Wahrlich, wie im tiefsten Schlummer Steht der König, unbeweglich. Ach, wie traurig scheint der Mann! Liebe Schwester, ist’s nur möglich, Daß man so betrübt seyn kann? Seine Stirne, voller Kummer, Seine Arme sind gesenkt! Was nur unsre Schwester denkt! Wär’ er mir wie ihr so gut, Ich ließ’ mich küssen wohlgemuth. Bitte, komm’ und laß uns geh’n! Wollen nach dem Walde seh’n, Ob die holden Nachtigallen Bald in unsre Netze fallen. (Beide ab.) Vierte Scene . König und Thereile allein. (für sich). Still, sachte nur, mein Geist; gib dich zur Ruhe! Lagst mir so lang’ in ungestörter Dumpfheit, Hinträumend allgemach in’s Nichts dahin, Was weckt dich wieder aus so gutem Schlummer? Lieg’ stille nur ein Weilchen noch! Umsonst! umsonst! es schwingt das alte Rad Der glühenden Gedanken unerbittlich Sich vor dem armen Haupte mir! Will das nicht enden? mußt du staunend immer Auf’s Neue dich erkennen? mußt dich fragen, Was leb’ ich noch? was bin ich? und was war Vor dieser Zeit mit mir? — Ein König einst, Ulmon mein Name; Orplid hieß die Insel; Wohl, wohl, mein Geist, das hast du schlau behalten; Und doch mißtrau’ ich dir; Ulmon — Orplid — Ich kenne diese Worte kaum, ich staune Dem Klange dieser Worte — Unergründlich Klafft’s dahinab — O wehe, schwindle nicht! Ein Fürst war ich? So sey getrost und glaub’ es. Die edle Kraft der Rückerinnerung Ermattete nur in dem tiefen Sand Des langen Weges, den ich hab’ durchmessen; Kaum daß manchmal durch selt’ne Wolkenrisse Ein flücht’ges Blitzen mir den alten Schauplatz Versunk’ner Tage wundersam erleuchtet. Dann seh’ ich auf dem Throne einen Mann Von meinem Ansehn, doch er ist mir fremd, Ein glänzend Weib bei ihm, es ist mein Weib. Halt an, o mein Gedächtniß, halt ein wenig! Es thut mir wohl, das schöne Bild begleitet Den König durch die Stadt und zu den Schiffen. Ja, ja, so war’s; doch jezt wird wieder Nacht. — Seltsam! durch diese schwanken Luftgestalten Winkt stets der Thurm von einem alten Schlosse, Ganz so, wie jener, der sich wirklich dort Gen Himmel hebt. — — Vielleicht ist Alles Trug Und Einbildung und ich bin selber Schein. (Er sinkt im Nachdenken; blickt dann wieder auf.) Horch! auf der Erde feuchtem Bauch gelegen Arbeitet schwer die Nacht der Dämmerung entgegen, Indessen dort, in blauer Luft gezogen, Die Fäden leicht, kaum hörbar fließen, Und hin und wieder mit gestähltem Bogen Die lust’gen Sterne gold’ne Pfeile schießen. (noch immer in einiger Entfernung). Wie süß der Nachtwind nun die Wiese streift, Und klingend jezt den jungen Hain durchläuft! Da noch der freche Tag verstummt, Hört man der Erdenkräfte flüsterndes Gedränge, Das aufwärts in die zärtlichen Gesänge Der reingestimmten Lüfte summt. Vernehm’ ich doch die wunderbarsten Stimmen Vom lauen Wind wollüstig hingeschleift, Indeß mit ungewissem Licht gestreift Der Himmel selber scheinet hinzuschwimmen. Wie ein Gewebe zuckt die Luft manchmal, Durchsichtiger und heller aufzuwehen, Dazwischen hört man weiche Töne geheu Von sel’gen Elfen, die im blauen Saal Zum Sphärenklang, Und fleißig mit Gesang, Silberne Spindeln hin und wieder drehen. O holde Nacht, du gehst mit leisem Tritt Auf schwarzem Sammt, der nur am Tage grünet, Und luftig schwirrender Musik bedienet Sich nun dein Fuß zum leichten Schritt, Womit du Stund’ um Stunde missest, Dich lieblich in dir selbst vergissest — Du schwärmst, es schwärmt der Schöpfung Seele mit! ( Thereile legt sich auf einen Rasen, das Auge sehn- süchtig nach dem Könige gerichtet. Er fährt fort, mit sich selbst zu reden.) Im Schoos der Erd’, im Hain und auf der Flur Wie wühlt es jetzo rings in der Natur Von nimmersatter Kräfte Gährung! Und welche Ruhe doch, und welch’ ein Wohlbedacht! Dadurch in unsrer eignen Brust erwacht Ein gleiches Widerspiel von Fülle und Entbehrung. In meiner Brust, die kämpft und ruht, Welch’ eine Ebbe, welche Fluth! (Pause.) Almissa — —! Wie? Wer flüstert mir den Namen, Den langvergess’nen, zu? Hieß nicht mein Weib Almissa ? Warum kommt mir’s jezt in Sinn? Die heil’ge Nacht, gebückt auf ihre Harfe, Stieß träumend mit dem Finger an die Saiten, Da gab es diesen Ton. Vielleicht genoß ich In solcher Stunde einst der Liebe Glück — — (Langes Schweigen. Aufschauend endlich gewahrt er The- reilen , die sich ihm liebevoll genähert hat.) Ha! bin ich noch hier? Stehst du immer da? So tief versank ich in die stummen Thäler, Die mir Erinn’rung grub in mein Gehirn, Daß mir jezt ist, ich säh’ zum ersten Mal Dich, die verhaßte Zeugin meiner Qual. O warf ein Gott mich aus der Menschheit Schranken, Damit mich deine fluchenswerthe Gunst Gefesselt hält in seligem Erkranken, Mich sättigend mit schwülem Zauberdunst, Mir zeigend aller Liebesreize Kunst, Indeß du dich in stillem Gram verzehrst Um den Genuß, den du dir selbst verwehrst? Denn dieser Leib, trotz deinen Mitteln allen, Ist noch dem Blut, das ihn gezeugt, verfallen; Umsonst, daß ich den deinen an mich drücke, Vergebens diese durstig schöne Brust, So bleiben unsre Küsse, unsre Blicke Fruchtlose Boten unbegränzter Lust! (für sich.) Weh! muß ich eitle Liebesklage heucheln, Mir Mitleid und Erlösung zu erschmeicheln? — Darum, unsterblich Weib, ich bitte sehr, Verkenne dich und mich nicht länger mehr! Verbanne mich aus deinem Angesicht, So endigst du dieß jammervolle Schwanken, Mein unwerth Bildniß trage länger nicht Im goldnen Netze liebender Gedanken! Ganz recht! was ungleich ist, wer kann es paaren? Wann wäre Hochzeit zwischen Hund und Katze? Und doch, sie sind sich gleich bis auf die Tatze. Wie soll, obwohl er Flossen hat, der Pfeil Alsbald, dem Fische gleich, den See befahren? Hat ja ein edes Ding sein zugemessen Theil; Doch weiß ich nichts, das wie des Menschen Mund So viel verschied’ne Dienste je bestund: Ei, der kann Alles trennen und vereinen, Kann essen, küssen, lachen oder weinen, Nicht selten spricht er, wenn er küssen soll; Muß aber einmal doch gesprochen seyn, So ist es Wahrheit, sollt’ ich meinen, Schön Dank! da ist er aller Lügen voll. Denn sieh, mit welcher Stirn’ wirfst du mir ein, Wir glichen uns nur halb, und nur zum Schein? Kann der von Bitter sagen oder Süß, Den ich den Rand noch nicht des Bechers kosten ließ? Still, still! ich will nichts hören, nicht ein Wort! So wenig lohnt es sich mit dir zu rechten, Als wollt’ ich einem Bären Zöpfe flechten. Thu’, was du magst. Geh’, trolle dich nur fort! Ich bin des Schnickeschnackens müde. Ist es dein Ernst? Ernst? o behüte! Jezt überfällt mich erst die wahre Lust, Dir zum Verdruß dich recht zu lieben. Komm, laß uns tanzen! Komm, mein Freund, du mußt! (Sie fängt an zu tanzen.) (für sich). Wie hass’ ich sie! und doch, wie schön ist sie! Hinweg! mir wird auf Einmal angst und bange Bei dieser kleinen golden-grünen Schlange. Von ihren rothen Lippen träuft Ein Lächeln, wie drei Tropfen süßes Gift, Das in dem Kuß mit halbem Tode trifft. Ha! wie sie Kreise zieht, Anmuth auf Anmuth häuft! Doch stößt’s mich ab von ihr, ich weiß nicht wie. (Es ruft etwas entfernt: „ Thereile ! Ach Thereile !“) Horch! Die Kinder kommen; welch’ Geschrei! Fünfte Scene . Die Borigen und die Kinder mit Silpelitt . Was habt ihr denn? was ist geschehn? sprich, Malwy! Talpe, oder du! Ach Schwester! Nun! Der Athem steht euch still. Wo habt ihr Silpelitt? (hervortretend). Hie bin ich. Als wir Silpelitt suchten, konnten wir sie gar nicht finden. Wir rannten wohl neun Elfenmeilen, darfst glauben, und stöberten in dem Schilf herum, wo sie zu sitzen pflegt, wenn sie sich verlaufen hat. Auf Einmal an dem Fels, wo das Gras aus den mau- ligen Löchern wächst, steht Talpe still und sagt: hört ihr nicht Silpelitts Stimme, sie redet mit Jemand und lacht. Da löschten wir die Laternlein aus und liefen zu. Ach du mein! Thereile, da ist ein großer, grausam starker Mann gewesen, dem saß Silpclitt auf dem Stiefel und ließ sich schaukeln. Er lachte auch dazu, aber mit einem so tückischen Gesicht — Schwester, ich weiß wohl, das ist der Riese, er heißt der sichere Mann . Ueber das verwegene, ungerathene Kind! Warte nur, du böses, duckmäuseriges Ding! Weißt du nicht, daß dieses Ungeheuer die Kinder alle umbringt? Bewahre, er spielt nur mit ihnen, er knetet sie unter seiner Sohle auf dem Boden herum und lacht und grunzt so artig dabei und schmunzelt so gütig. (zum König). Mir tödtete er einst den schönsten Elfen durch diese heillose Beschäftigung. Er ist ein wahrer Sumpf an langer Weile. (zu einem andern Kind). Gelt? ich und du wir haben ihn einmal belauscht, wie er bis über die Brust im Brulla-Sumpf gestanden, sammt den Kleidern; da sang er so laut und brummelte dazwischen: ich bin eine Wasserorgel, ich bin die aller- schönste Wassernachtigall! Hast du dieses Ungethüm schon öfter besucht, Silpelitt? Ich will nicht hoffen. Er thut mir nichts zu Leide. (für sich). Wer ist das Kind? Es gleicht den Andern nicht. Mit sonderbarem Anstand trägt es sich, Und ernsthaft ist sein Blick. Nein, dieses ist Kein Feenkind, vielleicht die Fürstin hat Es grausam aus der Wiege einst entführt. (Man hört in der Ferne eine gewaltige Stimme: Trallirra — a — aa — aü — ü — Pfuldararaddada — —! —! Die Anwesenden erschrecken heftig. Die Kinder hängen sich schreiend an Thereile .) Seyd stille! seyd doch ruhig! Er kommt gar nicht daher, es geht gar nicht auf uns. (Zum König) Es ist die Stimme dessen, von dem wir vorhin sprachen. Horch! Horcht! .. Dieß ist der Wiederhall davon; das Echo, das durch die Krümmen des Bergs herumläuft. Habt gute Ruhe, Kinder. Jezt muß er schon um die Ecke des Gebirgs gewendet haben. Nun auf und fort ihr närrischen Dinger alle! Und sammelt tausend wilde Rosen ein; In jeder soll mit grünem Dämmerschein Ein Glühwurm, wie ein Licht, gebettet seyn, Und damit schmückt, noch eh’ der Morgen wach, Mein unterirdisch Schlafgemach Im kühlen Bergkrystalle! (Die Kinder hüpfen davon. Thereile wendet sich wie- der an den König.) Du bist heut nicht gelaunt zum Tanz, Den alten Trotzkopf seh’ ich wieder ganz. Was möcht’ ich doch nicht Alles thun, Dir nur die kleinste Freude zu bereiten! Lass’ uns in sanfter Wechselrede ruh’n, Zwei Kähnen gleich, die aneinander gleiten. Sieh, wie die Weide ihre grünen Locken Tief in die feuchte Nacht der Wasser hängt, Indessen dort der erste Morgenwind Ihr ihre keuschen Blüthenflocken Muthwillig zu entführen schon beginnt. Und siehst du nicht dieß hohe Feenkind, Vom Athemzug der lauen Nacht beglückt, Nicht ahnend, welche schmeichelnde Gefahr Auf ihre Tugend nah’ und näher rückt? Du bist ein Schalk! Dieß ist nicht wahr! Gestatte wenigstens, daß wir nun scheiden, Und, möcht’ es seyn, für immerdar; Ich sehe keine Rettung sonst uns Beiden, Wenn nicht dein Herz, verbot’ner Liebe voll, So wie das meine, ganz verzweifeln soll. O Gimpel! ich muß lachen über dich. Leb’ wohl für heute. Morgen siehst du mich. (Sie stößt ihn fort.) Sechste Scene . (allein; nach einer Pause, auffahrend). O Lügner, Lügner! schau’ mir in’s Gesicht! Sprich frei und frech, du liebst Thereile nicht! Dieß nur zu denken zitterte mein Herz, Und hinterlegte sich’s mit kümmerlichem Scherz. Nun steh mir, Rache, bei …! Doch dieß ist so: Von nun an wird Thereile nimmer froh. Hätt’ ich den Hunger eines Tigers nur, Dein falsches Blut auf Einmal auszusaugen! Ha, triumphire nur, du Scheusal der Natur, Ich sah es wohl, — allein mit blinden Augen. Doch, bleibt mir nicht die Macht, ihn fest zu halten? Ist er gefesselt nicht durch ein geheimes Wort? Ich bann’ ihn jeden Augenblick, Wenn ich nur will, zu mir zurück. So fliehe denn, ja stiehl dich immer fort, Ich martre dich in tausend Spuckgestalten! (Sie sinnt wieder nach.) Oft in der Miene seines Angesichts Ahnt’ ich schon halb mein jetziges Verderben; Ich hatte Wunden, doch sie thaten nichts: Da ich sie sehe , muß ich daran sterben! (ab.) Siebente Scene . Wirthsstube in der Stadt Orplid. Kollmer aus Eine und einige Bürger sitzen an den Tischen umher, trinkend und schwatzend. Hört, Kollmer! Ihr habt ja neulich wieder nach den beiden Lumpenhunden gefragt, von denen ich Euch sagte, daß sie gern die alte Chronik an Euch los wären, die kein Mensch lesen kann. Wenn Ihr noch Lust habt, so mögt Ihr dazu thun, sie wollen’s auf’s Schloß dem gelehrten Herrn bringen, dem Harry; der ist Euch wie besessen auf dergleichen Schnurrpfeife- reien aus. Seyd außer Sorgen, ich hab’ den Schatz schon in Händen und wir sind bereits halb Handels einig. Diesen Abend wird es vollends abgemacht. Wenn ich Euch rathen darf, laßt Euch nicht zu tief mit den saubern Kameraden ein; Ihr habt sie sonst immer auf’m Hals. Mir denkt’s kaum, daß ich sie Ein Mal sah. O sie liegen ganze Nachmittage im lieben Son- nenschein auf’m Markt, haben Maulaffen feil, schlagen Fliegen und Bremsen todt und erdenken allerlei Pfiffe, wie sie mit Stehlen und Betrügen ihr täglich Brod gewinnen. Es sind die einzigen Taugenichtse, die wir auf der Insel haben; Schmach genug, daß man sie nur duldet. Wenn’s nicht den Anschein hätte, als ob die Götter selbst sie aus irgend einer spaßhaften Grille ordentlich durch ein Wunder an unsern Strand gewor- fen, so sollte man sie lange ersäuft haben. Nehmt nur einmal: Unsere Kolonie besteht schon sechszig Jahre hier, ohne daß außer den Störchen und Wachteln auch nur Ein lebend Wesen aus einem fremden Welttheil sich über’s Meer hieher verirrt hätte. Die ganze übrige Menschheit ist, so zu sagen, eine Fabel für unser einen; wenn wir’s von unsern Vätern her nicht wüß- ten, wir glaubten kaum, daß es sonst noch Kreaturen gäbe, die uns gleichen. Da muß nun von Ungefähr einem tollen Nordwind einfallen, die paar Tröpfe, den Unrath fremder Völker, an diese Küsten zn schmeißen. Ist’s nicht unerhört? Wohl, wohl! Ich weiß noch als wär’s von ge- stern, wie eines Morgens ein Johlen und Zusammen- rennen war, es seyen Landsleute da aus Deutschland. All das Fragen und Verwundern hätt’ kaum ärger seyn können, wenn einer warm vom Mond gefallen wär’. Die armen Teufel standen keuchend und schwitzend vor der gaffenden Menge, sie hielten uns für Menschen- fresser, die zufällig auch deutsch redeten. Mit Noth bracht’ man aus ihnen heraus, wie sie mit einer Aus- rüstung von Dings da, von — wie heißt das große Land? nun, von Amerika aus, beinah zu Grund ge- gangen, wie sie, auf Booten weiter und weiter getrie- ben, endlich von den Andern verloren, sich noch zulezt auf einigen Planken hieher gerettet sahen. Hätt’ doch ein Wallfisch sie gefressen! Der Eine ist ohnehin ein Häring, der winddürre lange Fleder- wisch, der sich immer für einen gewesenen Informator ausgibt, oder wie er sagt, Professer. — Der Henker behalt’ alle die ausländischen Wörter, welche die Kerls mitbrachten. Ein Barbier mag er gewesen seyn. Sein Gesicht ist wie Seife und er blinzelt immer aus triefigen Augen. Ja, und er trägt Jahr aus Jahr ein ein knappes Fräcklein aus Nanking, wie er’s nennt, und grasgrüne Beinkleider, die ihm nicht bis an die Knöchel reichen, 12 aber er thut euch doch so zierlich und schnicklich, wie von Zucker und bläst sich jedes Stäubchen vom Aermel weg. Ich hab’ ihn nie gesehen, wo er nicht ängstliche, halbfreundliche Gesichter gemacht hätte, wie wenn er bei jedem Athemzug besorgte, daß ihm sein Freund, der Buchdrucker, Eins hinter’s Ohr schlüge. Ich war Zeuge, als ihm dieser von Hinten eine Tabaks- pfcife mit dem Saft auf seine Häupten ausleerte, um einen Anlaß zu Händeln zu haben. Richtig, der mit dem rothen schwammigten Aus- sehen, das ist erst der rechte; so keinen Säufer sah ich in meinem Leben. Sein Verstand ist ganz verschlammt, er redt’ langsam und gebrochen, auf zehn Schritte riecht er nach Branntwein. So haltet nur die Nase zu, denn dort seh ich beide edle Männer an der Thür. Sie werden mich suchen wegen des Kaufs. Auf Wiedersehn, ihr Herren! (Ab.) Was will denn der Kollmer mit dem unnützen Zeug, dem Buch, oder was es ist? Er sagt, er lege vielleicht eine Sammlung an von dergleichen alten Stücken. Ein sonderbarer Kauz. Es heißt auch, er gehe mit Gespenstern um. Man red’t nicht gern davon. Was geht’s mich an! Achte Scene . Eine kleine schlechte Stube. (allein; er steht an die Wand gelehnt mit geschlossenen Augen). Den Fund hab ich gethan, nicht du! So ist die Sache. Du hast keinen Theil an der Sache, miserable Kreatur! Ich hab’ die Rarität entdeckt, ich hab’ im alten Keller im Schloß, hab’ ich das eiserne Kistel — alle Wetter! hab’ ich’s nicht aufgebrochen? Willst gleich mein Stemmeisen an Kopf, Nickel verfluchter? (Er schaut auf und kommt zu sich.) Wieder einmal geschlafen. Ah! — Der Musje Kollmer wird jezt bald da seyn. Muß ihn der Teufel just herführen, wenn ich besoffen bin? Nimm’ dich zusammen, Buchdrucker, halt die Augen offen, lieber Drucker. — Und der Tropf, der Wispel muß weg, wenn mein Besuch kommt, er schenirt mich nur; der Affe würde thun, als gehörte der Profit ihm und die Ehre. (kommt hastig herein. Durchaus mit Affektation). Bruder, geschwind! Wir wollen aufräumen, wir wollen uns ankleiden. Der Herr wird gleich kommen, er will Bunkt Ein Uhr kommen. Jezt haben wir gerade Zwölf. Ja, man muß sich ein wenig einrichten. Ich will mich etwas putzen. Wenn ich mich heut mit lauem Wasser wasche, kann er zufrieden seyn; er wird es zu rühmen wissen. (geschäftig hin und her). Es kömmt darauf an, daß ich in größter Eile meine Toilette rangire oder embellire. Wo wirst du dich indessen aufhalten, während mich der Fremde spricht? (schnell). Ich bleibe, Guter, ich bleibe. Wo ist das Zähne- bürstchen, das Zäh — — die Schuhbürste wollt’ ich sagen. — Aber meine Zähne sind ebenfalls häßlich und theilweise ausgefallen — Ei, was thut’s aber? ich be- komme dadurch eine sehr weiche Aussprache, eine Dik- tion, die mich besonders bei den Damen sehr empfehlen muß, denn, verstehst du, weil der Buchstabe r in sei- ner ganzen Rohheit gar nicht ohne die Zähne ausge- sprochen werden kann, so darf ich von meinen ausge- fallenen Zähnen füglich sagen, es seyen lauter elidirte Erre. Durch dergleichen Elisionen gewinnt aber eine Sprache unendlich an süßem italienischem Charakter. Aber, mein Gott, dieses Hemd ist gar zu schmutzig — Nun! (stellt sich dicht neben ihn). Wo willst du denn hingehen, so lang der Herr mich abfertigt, mich honorirt? — und meine Kamaschen ebenfalls etwas abgetragen. Wie? Ich bleibe, ich bleibe, Bester. Vielleicht machst du in dieser Zeit einen Gang um die Stadt, Bruder? Geh, führ’ dich ab! Freilich, wir sollten ihn eher an einem dritten Ort empfangen, du hast Recht. Es is doch gar zu unreinlich in unserm Zimmerchen, in unserm klei- nen Apartementchen. Eine unsäuberliche Mansarde präsentirt sich nicht gut, — malpropre. (für sich). Er muß fort — er muß fort. Wie er sich puzt! Ich würde wie ein Schwein aussehen neben ihm; neben seiner geläufigen Zunge müßte ich wie ein einfältiger unwissender Weinzapf da stehn. Ich kann es nicht ertragen, daß er zusehen soll, wie ich meinen Profit einstreiche, er würde gleich auch seine knöcherne Tatze dazwischen strecken, mein Seel, er wär’ im Stand und bedankte sich mit allerhand Aus- drücken für die Bezahlung. (laut) Was hast du denn in dem großen Hafen da? Es is nur ein Schmalznäpfchen, Bruder. Ich habe das Näpfchen unter Wegs — ä — ä — ent- lehnt, um meine Haare ein wenig zu befetten, weil wir keine Pomade haben für unsre beiderseitigen Ka- pillen. Es is nur — e — nemlich, daß man nicht ohne alle Elegan ç e erscheint vor dem Manne; mein Gott! Das ischt ja aber eine wahre Schweinerei! Nämlich — ä — nein, es is — (für sich). Aber er wird sich doch gut damit herausstaffiren, er wird für einen Prinzen neben mir gelten. Herr Gott! was sich diese Spitzmaus einreibt! was sich dieser unscheinbare weiße Ferkel auf Ein Mal her- ausstriegelt! (Der Buchdrucker taucht jezt die Hand auch in den Topf und streicht sich’s auf. Es stehen Beide um den Tisch; in der Mitte der Topf.) Hör’ mal, Bruder, es soll gar ein kurioser Mann seyn, auf Ehre; ganz eichen, welcher seine Liebhaberei an abenteuerlichen, seltsamen, dunkeln Redensarten und Ideen hat. Ich denke recht in ihn einzugehen, recht mit ihm zu conserviren. Ich freue mich sehr, wahrhaftig. Nein, nein, nein! bitt’ dich! just das Gegentheil! Je weniger man red’t, je stummer und verstockter man ist, desto mehr nimmt man an Achtung bei diesem eigenen, allerdings raren Manne zu. Gottlob, daß mich mein beseligter Vater in der Erziehung nicht vernachlässigte. Ich werde ihm z. B. von dem eigentlichen sinnigen Wesen der unterirdi- schen Quellen oder Fontainen, von den Krystallen unterhalten. (für sich). So wahr ich lebe, Krystallknöpfe trägt er wirk- lich an seinem Rock. Ich werde ihm auch von Ko- rallen und Steinen allerhand sagen. (im Ankleiden). Seit meiner berühmten Seefahrt hab’ ich gewiß allen Anspruch auf Distinktion; ich werde mich erbie- ten, ein praktisches Kollegium über Nautik und hö- here Schwimmkunst vorzutragen; ich werde dem gu- ten Kollmer überhaupt dieses und jenes Phantom communiziren. Und was das seltene Buch betrifft, so überlass’ nur mir, zu handeln. Man muß etwa folgendergestalt auftreten: Mein Herr! Es is’n Band, der, wie er einmal vor uns liegt, ohne Eigen- dünkel zu reden, in der That ein antiquarisches In- teresse, eine antiquarische Gestalt annimmt. Wenn Sie zu dem bereits festgesezten Kaufpreis, nemlich zu den drei Butten Mehl, dem Fäßchen Honig und dem goldenen Kettlein, etwa noch eine Kleinigkeit, eine Hemdkrause, eine Busennadel oder dergleichen — ä — hinzufügen wollten, so möcht’ es gehen. Nun macht er entweder Basta oder macht nicht Basta; ich werde jedoch auf jeden Fall delikat genug seyn, um schnell abzubrechen; es wäre gemein, werd’ ich sagen, zu wuchern um etwas ganz Triwiales; transi- liren wir auf andere Materie. Ich habe oft eigene Gedanken und Ideen, mein Herr, auch weiß ich, daß Sie nicht minder Liebhaber sind. So z. B. fällt mir hier ein, es wäre eichen, wenn sich ä — wart’, ich hab’ es sogleich — Ja, nun eben stößt mir’s auf, ich hab’ es: — nemlich in der Natur, wie sie einmal vor uns liegt, scheint mir Alles belebt, rein Alles, obgleich in scheinbarer Ruhe schlummernd und fanta- tisirend; so par exemple, wenn sich einmal die Stra- ßensteine zu einem Aufruhr gegen die stolzen Gebäude verschwüren, sich zusammenrotteten, die Häuser stürz- ten, um selbst Häuser zu bilden? Wie? heißt das nicht eine geniale Fantaisie? Comment? Esel! So? Wenn sich die Finger meiner Hand auch zusammenrottiren und machen eine Faust und schlagen dir deinen Schafskopf entzwei? Comment? (lächelt). Ae hä hä hä! ja das wäre meine Idee etwas zu weit ausgeführt, Bester. — Aber was treibst du —? Ciel! Deine Haare werden ja so starr wie ein Seil! Dein Haupt ist ja wie eine Blechhaube! Du leertest ja die Hälfte des Topfes aus! Alle Milliarden Hagel Donnerwetter! Warum sagst du’s nicht gleich! du hundsföttischer neidischer Blitz! (mißhandelt ihn.) Himmel! wie konnt’ ich es früher äußern, da ich es in diesem Moment erst gewahre? so wahr ich lebe, Bruder — Himmel! du beschmutzest ja mein Fräckchen völlig, — schlag’ auf die Wange, lieber auf die Wange! um deiner Freundschaft willen — Daß dich das höllische Pech! Du Krötenlaich! Du Stinkthier! Schwerenoth! die Brüh’ läuft mir den Hals ’nunter! Ein’ Kamm her! Ein’ Kamm! (trocknet ihn mit einem Tuch). So. So. Es is ja Alles wieder gut und hübsch — Ich habe dich nie so glänzend gesehen, auf Ehre. So. Jezt sind wir ja fix und fertig. (geht vor ein kleines Spiegel- chen und hüpft freudig empor.) Ach alle Engel! Ich sehe aus wie gemalt. (Singt.) Das Bräutchen schön zu grüßen Stürz’ ich vor ihre Füßen — Sieh her, du hättest eben freilich auch solche kleine Löckchen zwirbeln sollen — Schau — ich hab’ hier mehrere Dutzende auf der Stirn; allein du siehst, wie gesagt, nicht so übel aus, gar nicht so übel aus — Horch! Es klopft doch nicht? Lass’ es klopfen! Schön gesagt! das erinnert treffend an Don Gio- vanni, wo der Geist auftreten muß — Eine treffliche Oper. (gibt ihm eine Ohrfeige). Da hast du einen Schiowanni und eine Ooper. Und jezt gehst du auf der Stell, weil mich Jemand sprechen will, weil ich einen Werth von drei Louisd’or einnehmen will — Geh’ spazieren! (Man hört anklopfen.) Er kömmt! — Bruder — Was stößt mir auf — wir sind noch nicht balbirt! Lass’ dich vom Henker einseifen, Chinese! Soll ich durch den Spalt wispern und sagen: er soll in einer halben Stunde wieder kommen; wir seyen zwar schon rasirt, aber wir hätten — ä noch einen Brief zu schreiben? Dummer Hund! — Herein! des Wirths (tritt herein). Drunten hat ein Knecht von Elne einige Sachen gebracht, und einen Gruß von Herrn Kollmer. Mein! Will denn der Herr nicht selbst kommen? Scheint nicht. Ich bin des Todes! Mich so um Nichts und wie- der Nichts präparirt — mich bei zwei Stunden — o himmelschreiend! Denke nur, gutes Kind, ich hatte ihm die wichtigsten Eröffnungen zu machen! Mein Vater, der Wirth, läßt die Herrn ersuchen, Sie möchten bei dieser Gelegenheit auch an die halb- jährige Rechnung denken. Ja Mädchen, ich wollte Herrn Kollmern sogar den Plan zur Grundlegung einer gelehrten Gesellschaft mittheilen. So was wie die Academie française. Der Vater läßt fragen, ob er Ihre Schuldigkeit nicht lieber gleich von den bei uns niedergelegten Sachen abziehen soll, die der Knecht gebracht hat. So manche Erfindungen der gebildeten Europa dachte ich auch auf unserer armen Insel einzuführen! z. B. die Buchdruckerkunst, welch’ ein herrlicher Wir- kungskreis gleich für dich, mein Bruder! — sodann die Fabrikation des Schießpulvers — das Münzwesen — ein Nationaltheater — ein hôtel d’amour — ich wollte der Schöpfer eines neuen Paris werden. Was sag’ ich denn meinem Vater als Antwort? Und dieser Monsieur Kollmer wäre offenbar der einzige Mann, den ich mir asso ç iiren könnte. Ade, ihr Herrn! Bleibe sie ein wenig bei uns, lieber Schatz. Ver- treibe sie uns ein wenig die Zeit! Ja, lassen Sie uns einiger Zärtlichkeit fröhnen! (macht sich schnell davon). (nach einem Stillschweigen). Jezt muß eine ganz besondere Maaßregel ergriffen werden, und ergib dich nur gutwillig drein. Was soll dieser Strick, Bruder? Bei meiner armen Seele, und so wahr ich selig werden will, ich drehe dir den Kragen um, wenn du nicht Alles stillschweigend mit dir anfangen läßt, was ich mit diesem Strick vorhabe. Grand Dieu! o Himmel! nur schone mein bischen Leben, nur jugulire mich nicht! bedenke, was ein Bru- dermord besagt! Schweig’, sag’ ich! (Er bindet ihm beide Füße an einen Pfosten und knebelt ihn fest.) So. Ich will nur nicht haben, daß du bei’m Auspacken meines Profits die Nase überall voraus habest, Racker! Adio indessen. (Ab. Wispel wimmert und seufzt, dann fängt er in der langen Weile an, mit dem Saft seines Mundes künstliche Blasen nach Art der Seifenblasen zu bilden. Der Buchdrucker sieht ihm eine Zeitlang durch’s Schlüsselloch zu. Endlich schläft Wispel ein.) Neunte Scene . Nacht. Mondschein. Waldiges Thal. Mummelsee . Im Hintergrunde den Berg herab gegen den See schwebt ein Leichenzug von beweglichen Nebelgestalten. Vorne auf einem Hügel der König , starr nach dem Zuge blickend. Auf der andern Seite, unten, den König nicht bemerkend, zwei Feen- kinder . (im Zwiegespräch). Vom Berge, was kommt dort um Mitternacht spät Mit Fackeln so prächtig herunter? Ob das wohl zum Tanze, zum Feste noch geht? Mir klingen die Lieder so munter. Ach nein! So sage, was mag es wohl seyn? Das was du da siehest ist Todtengeleit, Und was du da hörest sind Klagen; Gewiß einem Könige gilt es zu Leid, Doch Geister nur sind’s, die ihn tragen. Ach wohl! Sie singen so traurig und hohl. Sie schweben hernieder in’s Mummelseethal, Sie haben den See schon betreten, Sie rühren und netzen den Fuß nicht einmal, Sie schwirren in leisen Gebeten; O schau! Am Sarge die glänzende Frau! Nun öffnet der See das grünspiegelnde Thor, Gib Acht, nun tauchen sie nieder! Es schwankt eine lebende Treppe hervor Und — drunten schon summen die Lieder. Hörst du? Sie singen ihn unten zur Ruh. Die Wasser, wie lieblich sie brennen und glüh’n! Sie spielen in grünendem Feuer, Es geisten die Nebel am Ufer dahin, Zum Meere verzieht sich der Weiher. Nur still, Ob dort sich nichts rühren will? — Es zuckt in der Mitte! O Himmel, ach hilf! Ich glaube, sie nahen, sie kommen! Es orgelt im Rohr und es klirret im Schilf; Nur hurtig, die Flucht nur genommen! Davon! Sie wittern, sie haschen mich schon! (Die Kinder entfliehen. Der Zug streicht wieder den Berg hinan. Während er verschwindet, ruft der König mit ausgestreckten Armen nach.) Halt! Haltet! Steht! Hier ist der König Ulmon! Ihr habt den leeren Sarg versenkt, o kommt! Ich, der ihn füllen sollte, bin noch hier. Almissa, Königin! hier ist dein Gatte! Hörst du nicht meine Stimme? kennst sie nimmer? Nein, kennst sie nimmer. Weh, o weh mir, weh! Könnt’ ich zur Leiche werden, sie vergönnten Mir auch so kühles Grab. Leb’ ich denn noch? Wach’ ich denn stets? Mir däucht, ich lag in dem krystallnen Sarge, Mein Weib, die göttliche Gestalt, sie beugte Sich über mich mit Lächeln; wohl erkannt’ ich Sie wieder und ihr liebes Angesicht. Fluch! wenn sie einen Anderen begraben, Wenn einem Fremden sie so freundlich that! Wie? so starb Lieb’ und Treue vor mir hin? Freilich, zu lange säumt’ ich hier im Leben — O Weyla, hilf! laß schnell den Tod mich haben! Auf kurze Weile nur führ’ mich hinab In’s Reich der Abgeschied’nen, daß ich eilig Mein Weib befragen mag, ob sie mir Treue Bewahrt, bis daß ich komme. Und wenn dem nicht so wäre, wenn ich ganz Vergessen wäre bei den sel’gen Todten? O Weyla hilf! Laß dieses Aergste mich Nicht schauen, dieß nur nicht! Denn eher fleh’ ich, Wenn deine Gottheit keinen Ausweg weiß, Laß lieber hier mich an der ird’schen Sonne, Die traur’gen Tage durch die Ewigkeit Fortspinnend, leben, fern gebannt von Jenen, Die meine königliche Seele so Gekränkt. O schändlich, schändlich! unbegreiflich! Almissa, du mein Kind? Sollt’ ich das glauben? (Man hört eine besänftigende Musik. Pause.) Das Nachtgesichte, das ich vorhin sah, Ich wag’ es nun zu deuten — Ja, mir sagt’s Der tiefe Geist. Die Götter zeigten wohlgesinnt und gütig Im Schattenbilde mir das bald’ge Ende All’ meiner Noth. Es war das holde Vorspiel Des Todes, der mir zubereitet ist. Vor Freude stürmt mein Herz! Und schwärmt schon an des Scees Ufern hin Wo endlich mir die dunkle Blume duftet. O, eilet, Götter, jezt mit mir! Laßt bald Mich euren Kuß empfangen! sey es nun Im Wetterstrahl, der schlängelnd mich verzehre, Sey es im Windhauch, der die stillen Gräser Vorüberwandelnd neigt und weht die Seele Ulmons dahin. (Ab.) Zehnte Scene . Mittag. In der Nähe des Meeres. allein. Welch’ Wunder wird geschehen durch dieß Buch! Ja, welch’ ein Wunder hat sich schon ereignet In meiner Gegenwart! Denn als ich ihm, Dem König, jene Blätter übergab, Warf er sein Haupt empor mit solchem Blick, Als sollt’ es kommen, daß vom Himmel ein Stern Herniederschießend rückwärts würde prallen Vor’m Sterne dieses siegestrunk’nen Auges. Dann, alsbald meiner Gegenwart vergessend, Lief er mit schnellem Schritt davon. Gewiß Ist jenes dunkle Buch die Weissagung Und Lösung seines Lebens, es enthüllet Das Räthsel der Befreiung — Horch, Es donnert! Horch! Die Insel zittert rings, Sie hüpfet wie ein neugebornes Kind In den Windeln des Meers! Neugierige Delphine fahren rauschend Am Strand herauf, zu Schaaren kommen sie! Ha! welch ein lieblich Sommerungewitter Flammt rosenhell in kühlungsvoller Luft 13 Und färbt dieß grüne Eiland morgenfrisch! Ihr Götter, was ist dieß? Mich wundert’ nicht, Wenn nun, am hellen Tag’, aus ihren Gräbern Gespenster stiegen, wenn um alle Ufer In grauen Wolken sich die Vorzeit lagerte! (Ein heftiger Donnerschlag. Kollmer flieht.) Eilfte Scene . Mondnacht. Wald. König tritt herein. Silpelitt springt voraus. Hier ist der Baum, o König, den du meinst, Den meine Schwester manche Nacht besucht; Das Haupt anlehnend pflegt sie dann zu schlummern. Von gelber Farbe ist der glatte Stamm, Sehr schlank erhebt er sich, und, sonderbar, Die schwarzen Zweige senken sich zur Erde, Wie schwere Seide anzufühlen. Kind, Wir sind am Ziel. Sey mir bedankt, du hast Mich mühsam den versteckten Pfad geleitet, Die zarten Füße hat der Dorn gerizt, Doch sind wir noch zu Ende nicht. Sag’ mir — Ich will dir Alles sagen, nichts verschweigen — Was hast du? Warum fängst du an zu zittern? Nicht dich zu ängstigen kam ich hieher. Nein, du mußt Alles wissen, aber nur Der Schwester sage nichts — Gewißlich nicht. Schon seit der Zeit, als ich mich kann besinnen, War ich Thereilen unterthan, der Fürstin; Doch nur bei Nacht (dieß ist der Feeen Zeit) War ich gehorsam, gleich den andern Kindern; Allein am Morgen, wenn sie schlafen gingen, Band ich die Sohlen wieder heimlich unter, Nach Elnedorf zu wandern, und im Nebel Schlüpft’ ich dahin, von Allen unbemerkt. Dort wohnt ein Mann, heißt Kollmer, dieser nennt Mich seine Tochter, warum? weiß ich nicht. Er meint, ich wäre gar kein Feeenkind. Er ist gar gütig gegen mich. Bei Tag Sitz’ ich an seinem Tisch, geh’ aus und ein Mit andern Hausgenossen, spiele Mit Nachbarkindern in dem Hofe, oder Wenn ich nicht mag, so zerren sie mich her Und schelten mich ein stolzes Ding; ey aber Sie sind zuweilen auch einfältig gar. Zur Nachtzeit geh’ ich wieder fort und thue, Als lief ich nach der obern Kammerthür, So glaubt der Vater auch, denn droben steht Mein Bettlein, wo ich schlafen soll. Allein Ich eile hinten über’n Gartenzaun Durch Wald und Wiesen flugs zum Schmettenberg, Damit Thereile meiner nicht entbehre; Auch hat sie’s nie gemerkt, doch Ein Mal fast. Besorge nichts; vertraue mir; bald hörst du weiter. (Silpelitt verliert sich während des Folgenden etwas im Walde.) Dieß ist die Frucht von einem seltnen Bund, Den vor eilf Jahren eine schöne Fee Mit einem Sterblichen geschlossen hat; Nachher verließ sie ihn, ja sie benahm Ihm das Gedächtniß dessen, was geschah, Vermittelst einer langen Krankenzeit; Nur dieses Kind sollt’ ihm als wie ein eignes Lieb werden und vertraut. Ja, sonder Zweifel Ist es der Mann, der, wenn mein Geist nicht irrt, Mich oft besucht und mir das Buch verschaffte. So also ward der Vater Silpelitts Zum ersten Werkzeug meiner Rettung weislich Erlesen von den Göttern, doch das Kind Soll noch das Werk vollenden, aber Beide Erwartet gleicher Lohn. Dieß liebliche Geschöpf Wird eine Handlung feierlicher Art Nach Ordnung dieses Buchs mit mir begehen, Und in dem Augenblicke, wo der Zauber Thereilens von mir weicht durch dieses Kind’s Unschuld’ge Hand, ist auch das Kind befreit; Ein süß Vergessen kommt auf seine Sinne, Und der geliebte Vater wird in ihm Die eigne Tochter freudevoll umarmen. Zum ersten Male morgen, Silpelitt, Wirst du den Fuß in’s kleine Bettlein setzen, Das noch bis jezt dein reiner Leib nicht hat Berühren dürfen; dennoch sollst du glauben, Du wärst es so gewohnt, Thereile aber Wird dir ein fabelhafter Name seyn. — Wo bleibst du, Mädchen? (kommend). Sieh, hier bin ich schon. Ich war den Felsen dort hinangeklettert, Mein’ Schwester Morry hat einmal auf ihm ’nen rothen Schuh verloren. Sey bereit, Hier rechter Hand die Schlucht hinabzusteigen. Dort wirst du eine Grotte finden — Wohl. Ich kenne sie. Noch gestern hat der Riese, Der starke Mann, den Felsen weggeschoben. Jezt ist der Eingang frei. Ich sah ihm zu Bei seiner Arbeit. Herr, die Erde krachte, Da er den Block umwarf, ihm stund der Schweis Auf seiner Stirn’, doch sang er Trallira! Und sagte: dieß wär nur ein Kinderspiel. Dann nahm er mich und sezt’ mich auf den Gipfel; Ich bat und weint’, er aber ließ mich zappeln, Bis ich ihm oben ein hübsch Liedchen sang. Nun trollt er weg und brummt: ich soll dich grüßen, Wenn du ihn wieder brauchest, sollst’s nur sagen. Verzeih, daß ich’s vergaß. Schon gut; nun höre! Durch jene schmale Oeffnung dringest du Zu einer Höhle, deren Innerstes Ein Schießgeräth mit einem Pfeil verwahrt. Dieß Beides hole mir. (Sie geht.) So lehret mich Das Buch des Schicksals, so heißt mich ein Gott. Dort lehnt ein uralt schwer Geschoß, zeither Von keines Menschen Hand berührt, nur heute Soll dieser Bogen an das Tageslicht, Den Pfeil zu schleudern in den gift’gen Auswuchs Reizvoller Liebe, die nach kurzem Schmerz Zur Heilung sich erholet. O Thereile, Ich nehme bittern Abschied, denn es fährt Die feige Schneide, die uns trennen soll, Bald rücklings in dein treues Herz; hier steht Der träumerische Baum, in dessen Saft Du unser Beider Blut vor wenig Monden Hast eingeimpft. Jezt kreiset es in süßer Gährung noch Im Innern dieses Stammes auf und nieder. Wie sehr die Nacht auch stille sey, mein Ohr Bestrebet sich vergeblich, zu vernehmen Den leisen Takt in diesem Webestuhl Der Liebe, die mit holden Träumen oft Dein angelehnet Haupt bethöret hat. Bald aber rinnet von dem gold’nen Pfeil Der Liebe Purpur aus des Baumes Adern, Und alsbald aus der Ferne spürt dein Herz Die Qual der schrecklichen Veränderung, Doch nach vertobtem Wahnsinn wird im Schlummer Sich Ruhe senken auf dein Augenlied. O Himmel! wie verlangt mich nach Erlösung! Die Senne jenes göttlichen Geschosses Zu spannen, fordert tausendjähr’ge Stärke, Ich habe sie; doch wahrlich, o wahrhaftig, Auch ohnedem fühlt’ ich die Kraft in mir, Gleich jenem Gott, der den demant’nen Pfeil Zum höchsten Himmel schnellte, daß er knirschend Der Sonne Kern durchschnitt und weiter flog, Bis wo des Lichtes lezter Strahl verlöschte. (Das Kind kommt zurück mit einer Art von Armbrust. Er spannt sie mit leichter Mühe, legt auf, und reicht sie dem Mädchen in der Richtung nach dem Baume. Silpelitt drückt ab und in dem Augenblicke wird es ganz finster. Man hört ein Seufzen von der ge- troffenen Stelle her. Beide schnell ab.) Zwölfte Scene . Vor Tagesanbruch. Thal. (treten auf). Hurtig! nur schnelle! Entspringt und versteckt euch Da hier in’s Gebüsche! Lass’ keine sich blicken! Los bricht schon das Wetter. Was hast du? Was schnakst du? Gift speit die Schwester! Sie raset, sie heulet Mit Wahnsinnsgebärde Dort hinter dem Felsen Durch’s Wäldchen daher. Was ist ihr begegnet? Ach laßt uns ihr helfen! Hat Dorn sie gestochen? Eidechslein gebissen? Dummköpfige Ratte, Halt’s Maul und versteck dich! Das ist ihre Stimme — Die Kniee mir zittern. (Alle ducken sich zur Seite in’s Gesträuch.) (tritt auf). Sieh her! Sieh her, o Himmel! Seht an, seht an, ihr Bäume, Thereile, die Fürstin, Die Jammergestalt! Die Freud’ hin auf immer! Verrathen die Treue! Und weh! nicht erreichen, Und weh! nicht bestrafen Kann ich den Verräther, Entflohen ist er. O armer Zorn! Noch ärmere Liebe! Zornwuth und Liebe Verzweifelnd aneinander gehezt, Beiden das Auge voll Thränen, Und Mitleid dazwischen, Ein flehendes Kind. Hinweg! kein Erbarmen! Ich muß ihn verderben! Ha! möcht’ ich sein Blut sehn, Ihn sterben sehen, Gemartert sterben Von diesen Händen, Die einst ihm gekoset, Die Stirn’ ihm gestreichelt — Wie zuckt mir die Faust! Vergebliche Rachlust! So reiss’ ich zerfleischend Hier, hier mit den Nägeln Die eigenen Wangen, Die seidenen Haare — Du hast sie geküsset, O garstiger Heuchler! Weh! Schönheit und Anmuth — Was frag’ ich nach diesen! Ist Freud’ hin auf immer, Ist brochen die Liebe, Was hilft mir die Schönheit, Was frag’ ich darnach! Und bleibt nichts zu hoffen? Ach leider, ach nimmer! Der Riß ist geschehen, Er traf aus der Ferne Mir jählings das Leben, Mein Zauber ist aus. (hervorstürzend). Ich halt’ mich nicht — O liebe süße Schwester! Du hier? und ihr? Was ist’s, verdammte Fratzen? Gewiß nicht lauschen wollten wir; sie fürchten Sich nur vor deiner argen Meine so, Da steckten wir uns neben in’s Gebüsch. Was glozt ihr so, gefällt euch mein Gesicht? Könnt’s auch so haben, wenn ihr wollt. Wo habt ihr Silpelitt? Antwort! ich will’s! Sey gütig, Schwester, wir verschulden’s nicht; Sie fehlt uns schon seit gestern. Wirklich? So? Ihr falschen Kröten! Ungeziefer! Was? Ich will euch lehren, eure Augen brauchen. (Mißhandelt sie.) Daß euch die schwarze Pest! Ja, wimmert nur! Ich brech’ euch Arm und Bein, ihr sollt’s noch büßen! (Alle ab.) Dreizehnte Scene . Nacht. Wald. Bezauberte Stelle. Feenkinder . Dieß ist der Platz; dort steht die schwarze Weide. Was nun? sagt, wie befahl die Fürstin uns? Was kümmert’s mich? Ich rühre keine Hand. Hast du die Püffe schon versaus’t von gestern? Pfui! Bückel und Beulen über’n ganzen Leib! Ich lege mich in’s weiche Moos; kommt nur, Wir ruhen noch ein Stündchen aus und plaudern; Zur Arbeit ist noch Zeit; die Andern sind Auch noch nicht da. — Seht, eine feine Nacht! Vollmond fast gar. Wir singen Eins; paßt auf! (sie singen.) Bei Nacht im Dorf der Wächter rief: Elfe! Ein ganz kleines Elfchen im Walde schlief; Elfe! Und meint’, es rief ihm aus dem Thal Bei seinem Namen die Nachtigall, Oder Silpelitt hätt’ ihm gerufen. Drauf schlüpft’s an einer Mauer hin, Daran viel Feuerwürmchen glüh’n: „Was sind das helle Fensterlein! Da drin wird eine Hochzeit seyn, Die Kleinen sitzen beim Mahle Und treiben’s in dem Saale; Da guck’ ich wohl ein wenig ’nein“ — Ei, stößt den Kopf an harten Stein! Elfe, gelt, du hast genug? Gukuk! Gukuk! (kommt mit den Andern). Ei brav. So? thut sich’s? Nun, das ist ein Fleiß; Wollt ihr nicht lieber schnarchen gar? Thereile Wird euch fein wecken. Das vertrackte Volk, Noch bluten Maul und Nasen ihm, und doch Um nichts gebessert. (leise). Schaut, wie sie sich spreizt! Sie äfft der Schwester nach, als wenn sie nicht So gut wie wir voll blauer Mäler wäre. Den Baum sollt ihr umgraben, rings ein Loch, Bis tief zur Wurzel, dann wird er gefällt. Dieß Alles muß geschehen seyn, bevor Die erste Lerche noch den Tag verkündet. Rasch, spudet euch, faßt Hacken an und Schaufel! Hört ihr nicht donnern dort? Beim Käuzchen, ja. Es wetterleuchtet blau vom Häupfelberg, Der Mond packt eilig ein; gleich wird es regnen. Dann habt ihr leidlich graben. Frisch daran! (tritt auf in Trauerkleidern, für sich). Zum lezten Mal betritt mein scheuer Fuß Den Ort der Liebe, den ich hassen muß. Vor diesem Abschied wehret sich mein Herz Und krümmt sich wimmernd im verwaisten Schmerz! Verblutet hast du, vielgeliebter Baum, Vom gold’nen Pfeil, zerronnen ist dein Traum. Wie grausam du es auch mit mir geschickt, Seyst du zu guter Lezte doch geschmückt! Ach, mit dem Schönsten, was Thereile hat, Bekränzet sie der Liebe Leichenstatt: Ihr süßen Haargeflechte, glänzend reich, Mit dieser Schärfe langsam lös’ ich euch; Umwickelt sanft die Wunde dort am Stamm! Noch quillt die Sehnsucht nach dem Bräutigam. Mit euch verwese Liebeslust und Leiden, Auf solche will ich keine neuen Freuden! Und du, verwünschtes, mördrisches Geschoß, Um das die Thräne schon zu häufig floß, Mein Liebling hat dich noch zulezt berührt, So nimm den Kuß, ach, der dir nicht gebührt! Und nun, ihr kleinen Schwestern, macht ein Grab, Und berget Stamm und Zweige tief hinab. Seyd ohne Furcht, und wenn ich sonsten gar Zu hart und ungestüm und mürrisch war, — Von heute an, geliebte Kinder mein, Wird euch Thereile hold und freundlich seyn. (Ab.) Vierzehnte Scene . Morgen. Mummelsee. König steht auf einem Felsen über’m See. „Ein Mensch lebt seiner Jahre Zahl, Ulmon allein wird sehen Den Sommer kommen und gehen Zehn hundert Mal. Einst eine schwarze Weide blüht, Ein Kindlein muß sie fällen, Dann rauschen die Todeswellen, Drin Ulmons Herz verglüht. Auf Weyla’s Mondenstrahl Sich Ulmon soll erheben, Sein Götterleib dann schweben Zum blauen Saal. So kam es und so wird es kommen. Rasch Vollendet sich der Götter Wille nun. Noch Einmal tiefaufathmend in der Luft, Die mich so lang genährt, ruf’ ich mein Leztes Der Erde zu, der Sonne und euch Wassern, Die ihr dieß Land umgebet und erfüllt. Doch du, verschwieg’ner See, empfängst den Leib, Und wie du grundlos, unterirdisch, dich Dem weiten Meer verbindest, so wirst du Mich fluthend führen in’s Unendliche, Mein Geist wird bei den Göttern seyn; ich darf Mit Weyla theilen bald das ros’ge Licht. Gehab’ dich wohl, du wunderbare Insel! Von diesem Tage lieb’ ich dich; so lass’ Mich kindlich deinen Boden küssen; zwar Kenn’ ich dich wenig als mein Vaterland, So stumpf, so blind gemacht durch lange Jahre Kenn’ ich nicht meine Wiege mehr; gleichviel, Du warst zum wenigsten Stiefmutter mir, Ich bin dein treustes Kind — Leb’ wohl, Orplid! Wie wird mir frei und leicht! wie gleitet mir Die alte Last der Jahre von dem Rücken! O Zeit, blutsaugendes Gespenst! Hast du mich endlich satt? so ekel satt Wie ich dich habe? Ist es möglich? ist Das Ende nun vorhanden? Freudeschauer Zuckt durch die Brust! Und soll ich’s fassen das? Und schwindelt nicht das Auge meines Geistes Noch stets hinunter in den jähen Trichter Der Zeit? — Zeit , was heißt dieses Wort? Ein hohles Wort, das ich um Nichts gehaßt; Unschuldig ist die Zeit; sie that mir nichts. Sie wirft die Larve ab und steht auf Einmal Als Ewigkeit vor mir, dem Staunenden. Wie neugeboren sieht der müde Wandrer Am Ziele sich. Er blickt noch rückwärts auf die leidenvoll Durchlauf’ne Bahn; er sieht die hohen Berge Fern hinter sich, voll Wehmuth läßt er sie, Die stummen Zeugen seines bittern Gangs: Und so hat meine Seele jetzo Schmerz Und Heiterkeit zugleich. Ha! fühl’ ich mir Nicht plötzlich Kräfte gnug, auf’s Neu’ den Kreis Des schwülen Daseyns zu durchrennen — Wie? Was sagt’ ich da? Nein! Nein! o güt’ge Götter, Hört nimmer, was ich nur im Wahnsinn sprach! Laßt sterben mich! O sterben, sterben! Nehmt, Reiss’t mich dahin! Du Gott der Nacht, kommst du? Was rauscht der See? was locken mich die Wellen — Was für ein Bild? Ulmon , erkennst du dich? Fahr hin! Du bist ein Gott! .. (Bei den lezten Worten stieg Silpelitt in der Mitte des See’s mit einem großen Spiegel hervor, den sie ihm entgegenhielt. Wie der König sich im Bildniß als Knaben und dann als gekrönten Fürsten erblickt, stürzt er unmächtig vom Felsen und versinkt im See.) Das Spiel war beendigt. Das Pianoforte machte nach einigen erhebenden Triumph-Passagen zulezt einen wehmüthig beruhigenden Schluß, der den übrig ge- bliebenen Eindruck vom Grame Thereilens mild ver- klingen lassen sollte. Die Gesellschaft erhob sich unter sehr getheilten Empfindungen. Einige, besonders die Männer, klatschten den herzlichsten Beifall, drei oder vier Gesichter sahen zweifelhaft aus und erwartungs- voll, was Andere urtheilen würden. Schon während der Vorstellung war hin und wieder ein befremdetes, deutelndes Flüstern entstanden, jezt schienen ein paar hochweise unglückverkündende Frauennasen nur auf Constanzens Miene und Aeußerung gespannt, aber sie zogen sich eilig wieder ein, als die liebenswürdige Frau ganz munter und arglos, bald dem Schauspieler, bald Theobalden das ungeheucheltste Lob ertheilte, wobei die Mehrzahl der Männer und Damen fröhlich mit einstimmte. Endlich konnten die Bedenklichen sich 14 doch der bescheidenen Frage nicht enthalten, ob nicht irgend etwas Politisches, Satyrisches, Persönliches dem Stücke zu Grund liege? irgend ein versteckter Sinn? denn für das, was es nur obenhin an Poesie prätendire, könne man es doch nicht einzig nehmen. „Und warum denn nicht, meine Gnädigste?“ fragte Larkens die Hofdame, indem er jenes schneidend scharfe Gesicht zeigte, das einem durch die Seele ging. „Weil — weil — ich meinte nur —“ „Aber wie? wenn ich Sie alles Meinens und Vermuthens überhebe, wenn ich Sie versichere, es ist ein reines Kindermährchen, womit ich Sie zu unter- halten wagte? Doch Sie vermissen die Pointe dabei — ja, so ist der Dichter eben ein ruinirter Mann!“ „Er mag nur sorgen, daß er kein solcher wird, wenn man die Pointe wirklich herausgefunden haben sollte;“ raunte der Baron von Vesten einem Geheimen- rath in’s Ohr und zog ihn bei Seite, „merken Sie denn nicht, daß das Ganze ein Pasquill auf unsern verewigten König und seine Geschichte mit der Fürstin Viktorie ist?“ „Was sagen Sie? Ja, wahrlich, jezt geht mir ein Licht auf! Mir däucht sogar, die Figur im Schauspiel hatte Aehnlichkeit mit den Zügen des Höchstseligen“ — „Allerdings! allerdings! nun? ist das aber nicht ein ungeziemender Spaß? ist es nicht impertinent von diesem Larkens ? aber ich hielt ihn von jeher für einen malitiösen Menschen.“ „Fein und edel wär’s auf keinen Fall, ich muß sa- gen, wenn es sich wirklich so verhielte. Denn, was man auch behaupten mag, der Verewigte war doch ein geistreicher, vortrefflicher Mann. Es ist seine Schuld nicht, daß er in der Folge krank und elend wurde, daß er zum Verdruß gewisser Patrioten ein übermäßiges Alter erreichte, daß ihn die Fürstin — nun! könnten wir uns aber nicht etwa täuschen, wenn wir diese Be- ziehungen —“ „Täuschen? täuschen? Gerechter Gott! Sind Sie blind, Excellenz? Stieß ich denn nicht nach dem zwei- ten Auftritt gleich meine Frau an? und fiel es ihr nicht auch plötzlich auf? Treffen nicht die meisten Um- stände zu? Daß der Vogel sich dann wieder hinter an- dere unwesentliche Züge versteckte, das hat er schlau genug gemacht, aber er mag sich wahren; es gibt Leute, die die Lunte riechen, und ich thue mir in der That etwas darauf zu Gute, daß ich die Bemerkung zuerst gemacht.“ „Jedoch, nur das noch, Baron! mir däuchte doch, der alte Narr in der Piece da, er benimmt sich, wenig- stens der Absicht des Poeten nach, immer recht nobel, besonders vis à vis der Hexe oder was es ist, und es widerfährt ihm, wie mir’s vorkam, zulezt noch gleich- sam göttliche Ehre.“ „Spott! Spott! lauter infame Ironie! ich will mich lebendig verbrennen lassen, wenn es was anders ist.“ „Und wie gemein mitunter,“ lispelte die bleichsüchtige Tochter Vestin’s , hinzutretend, „wie pöbelhaft!“ Die Uebrigen hatten sich inzwischen wieder in das vordere Zimmer begeben. Man unterhielt sich noch eine Weile über das sonderbare Stück, allein bald stockte das Gespräch; ein vorsichtiges Ansichhalten, eine ge- wisse Verlegenheit theilte sich auch dem Unbefangen- sten mit, es glaubten endlich Mehrere, es müsse Je- mand aus der Gesellschaft beleidigt worden seyn und man sah einander lauschend an. Wer sich allein nicht irre machen ließ, das war die schöne Wirthin des Hauses, und dann Larkens selbst, welcher nur desto mehr schwazte, lachte, dem Wein zusprach, je kälter das Benehmen der Uebrigen war, das er im Stillen gutmüthig mehr nur als eine verzeihliche Gleichgültig- keit gegen sein fremdartiges Produkt, denn als Span- nung auslegte. Da es übrigens schon spät war, ging man in Kur- zem auseinander. Constanze beehrte den verkann- ten Schauspieler noch auf der Schwelle mit der Bitte, sein Manuscript zu nochmaliger Erbauung da behalten zu dürfen, und Freund Nolten bekam eine, wie ihm schien, ungewöhnlich freundliche „Gute Nacht“ mit auf den Weg. Im Heimgehen machte Theobald seinen Be- gleiter auf jene Störung aufmerksam. „Gott weiß,“ antwortete Larkens , „was die Fratzen im Kopfe hatten! Am Ende war’s nur Unbeholfenheit, was sie zu dem exotischen Ding sagen sollten; wären wir doch lieber damit zu Hause geblieben oder hätten ihnen eine gut bürgerliche Komödie gegeben — Ei aber ein ver- dammter Streich müßt’ es doch seyn, wenn sie eine Necke- rei mit der alten Majestät darunter suchten!“ „Das fürcht’ ich,“ erwiderte Nolten , „und rieth ich dir nicht damals schon, wie du mich mit der Sache bekannt machtest, es lieber bei dir zu behalten, weil für keine Mißdeutung zu stehen sey? Es war voraus zu sehen. Denn daß dir der alte Nikolaus und die Maitresse bei der ganzen Komposition vorgeschwebt, gestehst du selber und hat sich heute nur zu sehr gerechtfertigt —“ „Zumal,“ unterbrach der Andere ihn mit Geläch- ter, „zumal, wenn es wahr seyn sollte, daß dir selbst der Teufel auch einige Mal in den Pinsel gefahren ist, weil du, wie du sagtest, den herrlichen Kopf des Alten auf dem Portrait über meinem Schreibtisch länger als räthlich war, in’s Auge gefaßt!“ „Leid genug auf alle Fälle sollte mir’s seyn,“ ge- stand Nolten nach einigem Besinnen, „man weiß nicht, wie so was umkommt und sich in der Leute Mund ver- unstaltet.“ „Was da!“ rief der Andere, „wer wird so abge- schmackt seyn und etwas Böses da heraus combiniren wollen? weißt du mir was Tolleres? Gar zu klein fänd’ ich es schon, wenn diese Kreaturen, die sich Ge- bildete nennen, überhaupt einem fremden Gedanken da- bei Raum geben und über das Poetische der schlichten Fabel hinausgehen konnten. Aber das ist ganz in der Art eines schöngeistigen Klubbs, das weiß man ja lange. Lassen wir’s halt gut seyn; werden uns den Prozeß nicht machen.“ So kamen die Beiden in ihrer Wohnung an. Theobald , ganz nur in der heimlich entzückten Er- innerung an die Güte der Geliebten schwelgend, ließ sich den ärgerlichen Gegenstand wenig anfechten, er freute sich auf die Stille seines Zimmers, wo er unge- stört mit seinem Herzen weiter reden konnte. Larkens pfiff wie gewöhnlich, wenn er bei der Nachhausekunft den Schlüssel in die Thüre steckte, seine fröhliche Arie, und so überließ sich denn Jeder sich selber. Dem Leser aber mag zum Verständnisse des Obigen Folgendes dienen. Der seit etwa zwei Jahren mit Tod abgegangene König Nikolaus , Vater und Vorfahrer des regie- renden, galt bis in sein späteres Alter für einen ausneh- mend schönen und auch sonst sehr begabten Mann. Er hatte mit einer ungleich jüngeren Dame aus einem verwandten Fürstenhause ein zärtliches Verhältniß, das die Leztere mit einiger Aufdringlichkeit und — so glaubte man — aus eigennützigen, politischen Absichten auch dann noch fortzusetzen wußte, als der Monarch für die Reize der Jugend bereits abgestorben seyn sollte, oder ihnen auch wirklich schon entsagt hatte. Aber Schwäche des Charakters, oder eine Verbindlichkeit, der er nicht ausweichen konnte, machten ihn gegen die Zauberin nachgiebiger, als wohl seinem Rufe dienlich war. Eine beschwerliche Nervenkrankheit, aber mehr noch die Sorge, er genüge als Regent seinem Volke nimmer, verbitterte ihm vollends das Leben, er sehnte sich mit einer Unge- duld, deren Ausbrüche oft schauerlich gewesen seyn sol- len, dem Tode entgegen, und man wollte wissen, daß er einen mißlungenen Versuch zum Selbstmorde ge- macht. Bekannt genug war die Anekdote, wonach er einst in einem Anfall von Verzweiflung bitter scherzend ausgerufen: „der Himmel will einen neuen Methusalah aus mir haben, und Viktorie zerrt mich mit Gewalt in die Jünglingsjahre zurück.“ Diese Worte klangen um so komischer, je mehr man der boshaften Meinung einiger Spötter trauen wollte, daß die schneeweißen Locken Seiner Majestät sich noch immer nicht ungerne von den Rosen der jungen Fürstin schmeicheln ließen. Wie dem auch gewesen seyn mag — unter denjenigen, welchen das Gedächtniß dieses merkwürdigen, früher sehr wohlthätigen Regenten höchst ehrwürdig, ja heilig blieb, war auch unser Larkens , und zwar abgesehen von der persönlichen Gunst des Königes gegen ihn als Schauspieler, war Nikolaus in seinen Augen ein großartiges tragisches Räthsel der Menschennatur, eine mächtige graue Trümmer an dem uralten Königspalast. Geschmäht von dem Geschmacke einer frivolen Zeit, an- gestaunt von wenigen edleren Geistern, hätte sich die herrliche Säule, wie sie bereits mit halbem Leibe schon in die Erde eingesunken war, gramvoll lieber vollends unter den Boden verborgen mit ihren für dieses Ge- schlecht unlesbar gewordenen Chiffern, aber es war an- ders mit ihr beschlossen, und so konnte oder wollte sie auch den Trost nicht von sich abwehren, daß ein jugend- licher Epheu sich liebevoll an ihr hinanschlinge. Zu entschuldigen ist es nun, wenn der Freund einen Theil jener Idee mit frommem Sinne auf ein Gebilde seiner Phantasie übertrug, und gewissermaßen eine Apotheose jenes unglücklichen Fürsten liefern wollte, ohne weder zu hoffen noch zu fürchten, daß Andere, denen er seinen Versuch vorgeführt, auch nur entfern- ter Weise geneigt seyn könnten, irgend eine — würdige oder unwürdige — Deutung zu machen. Es war eine überaus klare und schöne Winter- nacht. Die Glocke schlug so eben eilf. Im Zarlin ’- schen Hause war Alles schon stille geworden, nur das Schlafzimmer der Gräfin finden wir noch erhellt. Con- stanze , im weißen Nachtgewande, allein vor einem Tischchen bei dem Bette sitzend, ist beschäftigt, die schönen Haare loszuwickeln, das Ohrgehänge und die schmale Perlschnur abzulegen, die ihrem Halse immer so einfach reizend gestanden. Sie hob die Schnur nachdenklich spielend am kleinen Finger gegen das Licht, und wenn wir recht auf ihrer Stirne lesen, so ist es Theobald , an den sie gegenwärtig denkt. Scheint es doch, als wüßte sie, daß sie ihm diese Gabe verdanke, daß das Geschenk nur vermittelst eines künstlichen Umwegs aus seiner Hand durch eine dritte in die ihrige gelangt war! — aber, in der That, sie wußte es nicht; und doch wiederholte sie sich heute nicht zum Erstenmal jene Worte, die er einst, im Anschaun ihrer Gestalt verloren, gegen sie hatte fallen lassen. Perlen, sagte er, haben von jeher etwas eigen Sinn- und Gedan- kenvolles in ihrem Wesen für mich gehabt, und wahr- lich, diese hier hängen um diesen Hals, wie eine Reihe verkörperter Gedanken, aus einer trüben Seele hervorgequollen. Ich wollte, daß ich es hätte seyn dürfen, der das Glück hatte, Ihnen das Andenken umzuknüpfen. Es liegt ein natürliches unschuldiges Vergnügen darin, zu wissen, daß eine Person, die wir verehren, der wir stets nahe seyn möchten, irgend eine Kleinigkeit von uns bei sich trage, wodurch un- ser Bild sich ihr vergegenwärtigen muß. Warum dürfen doch Freunde, warum dürfen entferntere Be- kannte sich einander nicht alle Mal in diesem Sinne beschenken? muß das edlere Gefühl überall der Kon- venienz weichen? Constanze erinnerte sich gar wohl, wie sie da- mals erröthete, und was sie scherzhaft zur Antwort gab. Ach, seufzte sie jezt vor sich hin, wüßte er, wie tief ich sein Bild im Innersten des Herzens bewahre, er würde den Geber dieser armen Zierde nicht be- neiden. Unruhig stand sie auf, unruhig trat sie an’s Fen- ster und ließ den herrlich erleuchteten Himmel mit aller seiner Ahnung, mit all’ seiner Hoheit auf ihre Seele wirken. Die Liebe zu jenem Manne, von ihren ersten unmerklichen Pulsen bis zu dem bestürzten Zu- stande des völligen Bewußtseyns, von der Zeit an, wo ihr Gefühl bereits zur Sehnsucht, zum Verlangen ward, bis zu dem Gipfel der mächtigsten Leidenschaft — Alles durchlief sie in Gedanken wieder und Alles schien ihr unbegreiflich. Sie sah unter leisem Kopfschütteln, mit schauderndem Lächeln in die reizende Kluft des Schicksals hinab. Die Augen traten ihr über wie damals in der Grotte, wo die noch getrennten Ele- mente ihrer Liebe, durch Noltens unwiderstehliche Gluth aufgereizt, zum Erstenmal in volle süße Gäh- rung überschlugen und alle Sinne umhüllten. Sie hatte nichts zu beweinen, nichts zu bereuen, es waren die Thränen, die dem Menschen so willig kommen, wenn er, sich selbst anschauend, das Haupt geduldig in den Mutterschoos eines allwaltenden Geschicks verbirgt, das die Waage über ihm schweben läßt; er betrachtet sich in solchen Momenten mit einer Art ge- rührter Selbstachtung, die höhere Bedeutsamkeit einer Lebensepoche macht ihn in seinen eigenen Augen gleich- sam zu einem seltnen Pflegekinde der Gottheit, es ist, als fühlte er sich hoch an die Seite seines Genius gehoben. Lange, lange noch starrte Constanze , stillver- sunken, einer Bildsäule gleich an die Fensterpfoste angelehnt, hinaus in die schöne Nacht. Jezt über- wältigte sie der Drang ihrer Gefühle; sie sank unwill- kürlich auf die Kniee nieder, und indem sie die Hände faltete, wußte sie kaum, was Alles in ihrem Innern durcheinander fluthete; und doch, ihr Mund bewegte sich leise zu Worten des brünstigen Dankes, der innig- sten Bitten. Nachdem sie sich wieder erhoben, glaubte sie, der Himmel wolle ihr in der ruhigen Heiterkeit, wovon ihre Seele jezt wie getragen war, Erhörung ihres Gebets ankündigen. In der That, jezt war sie auch beherzt genug, um endlich nicht länger die Frage ab- zuweisen: was denn zulezt von dieser Liebe zu hoffen oder zu fürchten sey? was es mit Theobald , was es mit ihr werden solle? Sie stellte sich aufrichtig alle Verhältnisse vor, sie verschwieg sich kein Beden- ken, keine Schwierigkeit, sie wog Jegliches gegen ein- ander ab, und mehr und mehr vertraute sie der Mög- lichkeit einer ehrenvollen und glücklichen Vereinigung, ja, wenn sie sich genauer prüfte, so fand sie diese Hoff- nung längst vorbereitet im Hintergrund ihrer Seele gelegen. Aber nicht allzukühn durfte sie ihr sich über- lassen, denn schon der nächste Augenblick wies ihr so manches Hinderniß, worunter der Adelstolz der Fa- milie keineswegs das geringste war, in einem stren- geren Lichte, als es ihr noch kaum vorher erschien. Es bemächtigte sich ihrer eine nie empfundene Angst; sie wollte sich für heute der Sache ganz entschla- gen, sie griff nach einem Buche: umsonst, kein Ge- danke wollte haften; Mitternacht war vorüber; sollte sie sich niederlegen, schlafen? Es wäre unmöglich ge- wesen, so bang’, so heiß und unbehaglich wie ihr war. Ich will Emilien wecken, fiel ihr endlich ein, das Mädchen soll mit mir plaudern. Sie bedachte sich um so weniger, die Gesellschaft des Kammermädchens zu suchen, da zu ihrer Verwunderung wirklich noch der Schein eines Lichtes in dem Erker zu sehen war, wo jene schlief. Sie ging leise über den Gang, öffnete das Kabinet und fand das Mädchen fest eingeschlafen im Bette, daneben das Licht, ausflammend in den Leuchter hinabgesunken. Eine offene Brieftasche und eine Anzahl zerstreuter Blätter lag unter den Händen der Schlafenden. Auf einen Anruf erwachte diese, hef- tig erschrocken, und ihre erste Bewegung war, schnell Tasche und Papiere zu verbergen, so daß Constanze dadurch aufmerksam gemacht, gelassen fragte: was sie hier ge- lesen? „Ach!“ war die bebende Antwort, „zürnen Sie nicht, gnädige Frau! es sind alte Briefe, die ich nach langer Zeit einmal wieder vornahm, und darüber muß der Schlaf mich überrascht haben — wie viel Uhr ist es doch?“ „Wie viel?“ sagte Constanze , sie scharf anse- hend, „ich denke es ist halb — gelogen , was du da sprichst. Laß doch sehen!“ „O bitte, liebste, süße gnädige Frau! ich habe ja gewiß nichts Unrechtes — aber — erlassen Sie’s mir!“ „Nicht weiter, mein Kind, verlang’ ich, als einen Blick, mich zu überzeugen.“ So reichte denn Emilie mit Zittern Alles hin, indem sie in lautes Weinen ausbrach. Aber Con- stanze , wie mußte sie erschrecken, als der Anblick der Tasche, als die goldgedruckten Lettern T.N. auf der dunkelblauen Saffiandecke zur Genüge den Eigenthümer bezeichneten. „Wie kommst du zu diesem?“ fragte sie, mit Mühe ihre Verlegenheit bergend. „Drüben,“ schluchzte das Mädchen, „wo die Herren heute das Spiel machten, lag die Tasche hinter dem Schattenspielkästchen, ich wollte mir nur die bunten Gläser ein wenig besehen, und da — nun da nahm ich“ — „Hinter dem Kästchen, sagst du?“ „Ja ja, gnädige Frau! ich sage nun die reine Wahrheit, es hälfe mir ja doch nichts mehr, und auf- geschlagen lag sie da, ganz nachlässig, als hätte man sie eben erst gebraucht und dann vergessen; — richtig! die Bleifeder war auch herausgenommen, sie muß noch auf dem Tischchen zu finden seyn. Wahrhaftig, wäre nicht Alles so offen da gelegen, ich hätte mich nicht unter- standen.“ „Eine Entschuldigung ist das in keinem Falle. In- dessen — blieb nichts mehr zurück? Sieh im Bette nach!“ „Sie haben das lezte Papierchen.“ „Ich werde das zu mir nehmen bis morgen. Lösche dein Licht. Gute Nacht!“ — Unwillig und ängstlich eilte sie auf ihr Zimmer. Daß das, was sie in Händen hielt, Nolten zugehöre, zweifelte sie keinen Augenblick; auch wie es zu dem Larkens’ schen Apparate gekommen, erklärte sie sich leicht daher, daß Theobald Einmal hinter die Gardine getreten war, um mit irgend etwas auszuhelfen, wobei er vielleicht der Tasche bedurfte. Aber die Möglichkeit, es könnte außer dem Mädchen sonst noch Jemand neugierig auf den Inhalt derselben gewesen seyn, beunruhigte sie um so stärker, je mehr sie Ursache hatte zu der Vermuthung, daß auch ihr Name und damit ein gefährliches Geheimniß darin be- rührt seyn könnte. Diese Rücksicht und vielleicht mit- unter ein verzeihliches Interesse des eigenen Herzens bewog sie, zwar mit beklommenem Athem, erst nur ei- nen halben Blick, dann einen ganzen, endlich mehrere und immer gierigere Blicke in die Blätter zu werfen. Aber mitten im wärmsten Zuge riß ihr das Gefühl von etwas Unerlaubtem, Verächtlichen die Tasche wie- der aus der Hand. Vor lauter ängstlicher Hast hatte sie bis jezt nichts Zusammenhängendes lesen können, und sie sagte d as ihrem Gewissen zum Troste, während sie, dennoch mit einiger Ueberwindung, den Schatz bei Seite legte. Allein plötzlich steigt ihr eine Besorgniß auf, die alles Blut in ihre Wangen jagt. Sie hatte vorhin nur oberflächlich einige Briefe von zarter, unbekannter Schrift gesehen, und, ohne zu wissen warum, an eine Schwester Theobalds dabei gedacht; jezt meldete sich noch ein ganz anderer Gedanke. Entschlossen kehrte sie zu dem Gegenstande ihres Verdachts zurück und griff einiges Geschriebene heraus, sie las und las, er- röthend, erblassend; ihr Busen kämpfte mit lauten Schlägen; jezt entfällt das Papier ihren Fingern, sie sinkt auf das Lager, einer Leiche gleich, keines Lautes, keiner Thräne mächtig. Ein Pochen an der Thür bringt sie endlich zu sich, sie fährt auf, und indem sie verworren umherblickt, lächelt die Arme, wie fragend, ob jenes Entsetzliche ihr bloß im Schlummer begegnet sey, und lächelt wieder, aber wie eine Verzweifelte, da das Blatt auf dem Bo- den ihr die traurige Wahrheit bezeugt. Es klopfte von Neuem an und eine klägliche Mädchenstimme ließ sich hören: „Nein! ich kann nicht ruhen, ich will erfrieren hier, bis ich sie gesprochen habe, bis sie mir vergeben hat! — Gnädige Frau! Liebe! Gute!“ Da keine Antwort erfolgte, bat es wiederholt im flehentlichsten Tone: „Um Gotteswillen, lassen Sie Emilien ein, nur auf zwei Minuten, nur auf zwei Worte! Vergeben Sie mir!“ „Ja, ja doch! geh nur, mein Kind!“ erwiderte Constanze kaum hörbar, und das Mädchen schlich getröstet weg, ohne alle Ahnung, welchen Schmerz sie ihrer Herrin bereitet. Wir wagen es nicht, diesen Schmerz zu schildern. Aber wie alles zum Aeußersten und Unnatürlichen Gesteigerte sich nicht lange auf die- ser Höhe erhält, so fiel alsbald ein unwiderstehlicher tiefer Schlaf über die Erschöpfte her und versenkte sie in ein wohlthätiges Vergessen ihres mitleidswer- then Zustandes. Eben so ruhig und gelassen wie vor einer Stunde, da der Blick der Sterne das Gebet einer Glücklichen zu segnen schien, funkelten sie jezt auf das Lager des unglücklichsten Weibes herab. So rasch kann sich an die höchste irdische Wonne das Daseyn unübersehba- ren Jammers drängen. Noch ehe es vollkommen Tag geworden, erwachte Constanze , und leider schnell genug besann sie sich auf den betäubenden Schlag. Sie bat Gott um Stär- kung und Fassung, stand ermattet auf und ordnete mit trockenem Aug’ die Brieftasche, woraus ihr zum Ueberflusse noch eine Haarlocke, ohne Zweifel von der unbekannten Briefstellerin, entgegenfiel. Sie erschien sich selber im Spiegel wie ein ver- ändertes Wesen, das, seitdem etwas Ungeheures mit ihm vorgegangen, gar nicht mehr in die bisherigen Umgebungen, in diese Wände, unter diese Geräthe passen wolle; es schien sie Alles umher wie einen lange entfernten Gast, ja als eine Abgeschiedene an- zublicken, und sie selbst kam sich mit ihrem schwanken Tritt, mit ihrem Schmerz-verklärten, stillen Gefühl beinahe wie ein erst kurz aus dem Grabe Entlassenes vor, das noch nicht festen Fuß gefaßt und den Ein- druck des lezten Todeskrampfs nur nach und nach los werden kann. Indessen sie sich langsam ankleidete, wunderte sie selbst ihre Ruhe, die freilich mehr Stumpfheit zu nennen war. Sie eilte aus dem traurigen Gemach und hinüber in die vorderen Zimmer, wo noch Nie- mand war. Bald erschien die Morgensonne in den Fenstern und lud zu Heiterkeit und Leben ein. Ge- dankenlos schaute Constanze durch die Scheiben, und um nur etwas zu thun, rieb sie die Meubles mit dem Staubtuch ab, wobei sie manchmal zerstreut inne hielt. — Emilie trat herein, voll Erstaunen, ihre Gebieterin schon hier zu treffen. „Ich habe dir dein Geschäft abgenommen!“ sagte die Gräfin freund- lich, „siehst du, zum Zeichen, daß ich wieder gut bin. Aber den Gefallen thu mir und rede kein Wort wei- ter darüber.“ Ein warmer Handkuß dankte der Gütigen. Sehr willkommen war es der sonderbar gestimm- ten Frau, als jezt auch ihr Bruder erschien. „Guten Tag, mein Schwesterchen! So früh wie der Vogel schon auf? Die Sorge um das Gewächshaus trieb mich aus den Federn; das war eine grimmkalte Nacht, mein Thermometer zeigt fast fünf und zwanzig; ich muß nur nachsehen, ob unten nichts gelitten hat.“ „Ich darf dich begleiten!“ sagte die Gräfin und warf die Saloppe um. Ihr Wesen, erzwungen munter und 15 verstört, machte den Bruder einen Augenblick stutzig, aber er hatte fast keine Augen vor lauter Erwartung, wie es im Garten stehe. Die streng frische Luft that Constanzen wohl. In gereizten Stimmungen, wie die ihrige jezt war, hat der Mensch auf einige Sekunden vielleicht die höchste Empfänglichkeit für die Natur, in welcher Ge- stalt sie ihm auch entgegentreten mag; er möchte mit Einem Sprung sich ganz nur ihrer Freundschaft, ihres göttlich stillen Lebens bemächtigen, um auf Ein- mal eine Last von alten Zuständen abzuwerfen und zu vergessen. Aber dieses schnell aufflackernde Gefühl ist nur der Sonnenblick, dem alsbald wieder die vorige Wolkentrübe folgt. Constanze erwehrte sich so gut wie möglich. Doch als der Graf zu seiner größten Freude die Gewächse meist unverlezt fand, und bei jedem neuen Stocke bemüht war, die Schwester von seinem Glück zu überzeugen, da konnte sie den wehmü- thigen Gedanken nicht bei sich unterdrücken: wie war mir zu Muthe in der Stunde, als diesen Pflanzen, diesen edlen Stämmchen der Frost das Verderben drohte? Sie grünen noch und blühen, wie auch ich noch aufrecht stehe, mir selber zum Wunder; aber vielleicht der in- nerste Lebenskeim dieser zarten Staude ist doch an- gegriffen, es wird sich zeigen, ob sie uns nicht mit dem bloßen Scheine von Gesundheit täuscht, ob nicht heute Abend schon diese Knospe erstorben dahängt, und — — Constanzens künstliche Fassung war weg, sie eilte, ihr Gesicht bedeckend, mit schnellen Schritten nach dem Hause zu. Bei dem Wiedersehen ihres Zimmers, dessen Thüre sie sogleich hinter sich zurie- gelte, brach aller verhaltene Schmerz mit doppelter und dreifacher Gewalt hervor, und sie überließ sich ihm ohne Schonung. Nun erst überdachte sie, was geschehen war, nun erst wagte sie ganz in den Ab- grund ihres Elends hinabzutauchen. Wie begierig auch ihr Verstand mitunter nach einer Auskunft, nach einem Troste umhertastete, wie scharfsinnig auch selbst die Verzweiflung noch war, um einen erträglichen Zu- sammenhang der Sache zu entdecken, um den unge- heuren Widerspruch, worin Nolten in dem Doppel- verhältniß zu ihr und einer Unbekannten erschien, be- ruhigend zu lösen oder doch zu erklären, sie fand kei- nen Ausweg, keinen Schimmer von Licht. Verglich sie alles dasjenige, wodurch er ihr die unzweideutigste Leidenschaft an den Tag gelegt, mit den fremden Brie- fen, deren ganzer Ausdruck ein längst begründetes und sehr blühendes Verlobtenverhältniß verrieth, so blieb nichts übrig, als Theobalden für den ruchlo- sesten Heuchler zu erkennen, der zwei Geschöpfe zu- gleich betrog, oder für einen Wahnsinnigen, Charak- terlosen, welcher mit sich selber in unerhörtem Zwie- spalte lebt. Beides aber ist mit der ganzen Art und Weise, wie Nolten sonst sich gab, schlechterdings nicht zu reimen. Denn selbst die Spuren excentrischen Wesens an ihm waren bei weitem gemäßigter, als sie zuweilen sogar an geachteten Männern von verwand- tem Talente und Bestreben hervorzutreten pflegen. Am wenigsten konnte Constanze die Güte seines Herzens aufgeben. Jeder einzelne Moment, den sie sich zurückrief und worin sie in die Falten seines ei- gensten Denkens und Empfindens geblickt zu haben glaubte, so mancher Anlaß, wo in wenigen treffend ausgesprochenen Worten über Leben, über Kunst, ein gedrungener Strahl seines Gemüths aufgestiegen war und auf eine ganze Versammlung anregend wirkte, endlich der ganze erschöpfende Begriff, den sie sich nach so langem Umgange von ihm abgezogen hatte — Alles stritt mit dem finstern, unheimlichen Zerrbilde, das vielleicht ein blinder Zufall ihr aufdringen wollte, sie zu schrecken, zu ängstigen, und worüber der Ge- liebte, der wahre unverfälschte, wohl selbst verwun- dert lächeln würde. Ein Funke von Hoffnung be- schleicht sie, sie schaut auf’s Neue nach dem Datum der Briefe, sie rechnet schnell Monate, Wochen, Tage, aber das Resultat ist immer nicht tröstlich, immerhin fällt ein Theil der zärtlichen Korrespondenz in die Zeit, wo Theobald Constanzen bereits unverkennbare Zeichen seiner Absichten gegeben. Und gesezt auch, die Neigung, wovon jene Briefe zeugen, wäre bloß eine einseitige, — was jedoch den Anschein gar nicht hat, — gesezt, Nolten hätte, den Glauben des Mädchens hinhaltend, sich indessen heimlich einer un- glaublichen Veränderung schuldig gemacht, was würde das Constanzen helfen? was hätte sie von einem solchen Manne zu gewarten? wie möchte sie ein an- deres Geschöpf um seine theuersten Hoffnungen be- stehlen? und ein Geschöpf, das sie wirklich nicht hassen konnte, das Allem nach das rührendste Bild der Un- schuld, der hingebenden Liebe ist? ja, wie konnte ihr die heißeste Liebe Theobalds nur im Entfernten noch schmeicheln, wenn diese der sündige Raub an einem fremden guten Wesen wäre? Aber noch immer war ja die Frage nicht über- wunden, wie nur Nolten eines so beispiellosen Be- trugs fähig seyn konnte? Constanzens Auge stand weit, groß, nachden- kend in einen Winkel des Zimmers gerichtet, während ihr Geist sich nach und nach den unglückseligen Gedan- ken zurecht arbeitete: es könne denn doch wohl einen Menschen geben, der aus Schwäche, frevelhafter Selbst- sucht und gelegentlich aus einem Rest ursprünglicher Gutmüthigkeit zusammengesezt, vor Andern, wie zum Theil auch vor sich selber, einen Schein von Vortreff- lichkeit zu erhalten und vor dem eigenen Gewissen jede Unthat zu rechtfertigen wisse, es lasse sich ein Grad von Verstellung denken, der alle gewöhnlichen Begriffe übersteige. Der genaue Umgang Theobalds mit Larkens , so wenig sie dem Leztern bis jezt mißtraut hatte, konnte sie nun, wenn sie sich der Meinungen Anderer erinnerte, in ihrem Urtheile nur bestärken, und sie glaubte in ihm den Verführer entdeckt zu haben. Theilnehmend blickte sie auf’s Neue nach den Brie- fen Agnesens , sie enthielt sich nicht, den reinen har- monischen Sinn zu bewundern, welcher sich in jedem Worte des Mädchens aussprach. Arme Agnes ! sagte sie, armes betrogenes Kind! Ist es möglich? sollte er sich nicht der Sünde gefürchtet haben, diese Seele zu hintergehen, wenn er sie auch nur so weit kennen ge- lernt hatte, als ich sie aus diesen Blättern kennen lernte? Gütiger Gott! solch ein Lamm und solch eine Schlange, wie kommen sie zusammen? Mich hat Got- tes Finger noch zu rechter Zeit gewarnt, aber sie — thue ich Recht, wenn ich sie ihrem Schicksal überlasse? ist’s nun nicht an mir , zu warnen? Ja, wahrlich, das kommt mir zu — — Und doch, es könnte übereilt seyn; wer weiß, ob ich Schlimmes nicht schlimmer machte, ob der Verräther, wenn der Himmel ihn noch retten will, nicht einzig durch die Liebe dieses Engels zu ret- ten ist? Der lezte Zweifel über die Gesinnungen Noltens verschwand vollends, als ein Dokument von seiner eige- nen Hand zum Vorschein kam — das Koncept eines Schreibens an die Braut, das erst gestern entworfen worden war. Mit einem tiefen Gefühle von Unwillen, von Wehmuth, von Verachtung, ja von Schauder ver- nahm sie hier die Sprache der beredtesten Liebe und einen sehr redlichen, männlich klingenden Ton. Eine Stelle aber war ihr besonders merkwürdig. „Ich be- fand mich,“ hieß es, „diese lezte Zeit her in einem vielleicht nicht ganz löblichen Rausche von Zerstreuun- gen aller Art, wobei denn die geistige Gestalt meiner Agnes doch immer auf’s lebendigste durchblickte. Ja, ich darf dir wohl gestehen, daß ich seit der glücklichen Beilegung jenes argwöhnischen Skrupels mit doppelter Innigkeit in dir lebe.“ Die Aeußerung sah fast aus wie ein verstecktes Geständniß seiner Herzensverirrung, das ihm vielleicht sein Gewissen nothdürftig abgedrungen. Diese Verir- rung selbst konnte nunmehr in Constanzens Augen, wenn auch keinen Entschuldigungsgrund, doch eine Art Er- klärung für Noltens Betragen abgeben, wenn sie an- nahm, daß das Mißverständniß, wovon sie auch in ei- nem Briefe Agnesens eine Spur gefunden, der An- laß zu einer heftigen und nachhaltigen Verstimmung für Theobald geworden, daß er, seinem extremen Charakter nicht ungemäß, sich in einen desperaten Wech- sel gestürzt habe, und daß sie als das Opfer dienen müssen. Seine Bekehrung war natürlich in die Zeit zwischen gestern und jener Lustpartie gefallen, und Allem nach unterzog er sich ihr sehr willig. So viel Wahrscheinliches diese Schlüsse hat- ten, und so sehr sie auch geeignet schienen, ein wenig- stens erträgliches Licht auf Noltens Benehmen zu werfen, so wenig Trost gaben sie der schönen Frau. Denn von dem Augenblicke an, wo ihre Achtung für ihn sich einigermaßen erholte, begann auch ihre Liebe wieder zu athmen, und nun war sie fast übler daran, als so lange sie ihn getrost verabscheuen konnte. Also Noltens Glück war wieder hergestellt, das Mädchen selig in seinem Besitz und — sieselbst hatte nur auf eine kurze Zeit die Lücke gebüßt, um jezt wieder allein, verlassen, vergessen dazustehen, den bittern Stachel im Herzen. Eine Regung von Zorn flammte in ihr auf, sie fühlte ihre weibliche Würde beleidigt, mit Füßen getreten, sie fühlte alle Qual verschmähter Liebe. Und hatte sie vorhin einen reinen Zug schwesterlicher Nei- gung zu Agnes empfunden, so konnte sie nun einer Anwandlung von schmerzlicher Mißgunst nicht wider- stehen, so lebhaft sie sich auch darüber anklagte. Aber auch indem es ihr gelang, allen Groll von der Un- schuldigen ab und auf den geliebten Ueberläufer zu werfen — es blieb nur das Bewußtseyn ihrer Un- macht, ihrer Kränkung übrig. Jede Erinnerung an das Vergangene, das kleinste Zeichen, womit sie ihm ihre Gunst verrathen haben mochte, versezte jezt ihrem Stolze, ihrem Ehrgefühle Stich auf Stich. Noch ge- stern bei’m Abschied unter der Thüre hatte sie ihn mit bedeutungsvoller Freundlichkeit entlassen und — so kam es ihr jezt vor — ihm beliebte kaum ein kalter Dank darauf. Am meisten demüthigte und beschämte sie der Auftritt in der Grotte, sie bedeckte bei diesem Gedan- ken ihr glühendes Gesicht mit dem Tuche, weinend und schluchzend. Kein Wunder, wenn ihr jezt die kläglichen Worte Thereilens aus dem gestrigen Schauspiele einka- men, das gleichsam weissagend von ihr gesprochen; kein Wunder, gab sie auf einen Augenblick dem wi- dersinnigen Gedanken Raum, als hätte Larkens einige Mal eine boshafte Anspielung auf sie im Sinne gehabt. Aber ganz ist ihr gegenwärtiger Zustand durch die leidenschaftlichen Zeilen bezeichnet: O armer Zorn! Noch ärmere Liebe! Zornwuth und Liebe Verzweifelnd an einander gehezt, Beiden das Auge voll Thränen, Und Mitleid dazwischen, Ein flehendes Kind! Desselben Morgens gegen zehn Uhr, als Lar- kens eben von einem Ausgange nach Hause kam, übergab sein Bedienter ihm das braune Kästchen, das die Laterna magica verwahrte; man habe es vor ei- ner Viertelstunde aus dem Zarlin’s chen Hause hie- her gebracht nebst dem Danke der gnädigen Frau. Unser Schauspieler öffnete den Deckel, zog begierig die zu oberst liegende Brieftasche heraus, untersuchte sie von allen Seiten und sein Mund verzog sich zu einem vergnügten, doch gewissermaßen befremdeten Lächeln, indem er ausrief: „Bei’m Himmel! die Falle hat ge- lockt, der Speck ist angebissen, und das wacker! kein Zettelchen blieb unverrückt. Ich sorge nur, der Spaß ist in plumpere Hände gerathen, als ich gewollt hatte. Sey’s drum; durch die Finger von Madame ist die Tasche auf jeden Fall auch gekommen, und ich müßte mich übel auf Evas Geschlecht verstehen, wenn diese Finger mehr Diskretion gehabt hätten, als mir für den Kasus lieb wäre. Genug; es wird sich zeigen, die Wirkung kann nicht ausbleiben. Dießmal hättest du fürwahr meisterlich kalkulirt, Bruder Larkens , der Herr gebe seinen Segen dazu.“ Wirklich war es die Absicht des Freundes ge- wesen, daß Constanze die Tasche finden und sich ihrer Geheimnisse nicht enthalten möge; er konnte darauf zählen, daß man sie für das Eigenthum Nol- tens erkennen würde, in der That aber war sie nur ein Geschenk, das dieser dem Freunde zu der Zeit ge- macht hatte, wo er Alles, was ihn an Agnes erin- nern konnte, Briefe, Haare und hundert andere Klei- nigkeiten, auf immer los werden wollte. Larkens hoffte durch jenen ausgedachten, wohl- gemeinten Streich theils bei der Gräfin jeder mög- lichen Neigung gegen Theobald vorzubeugen, theils glaubte er, sie müßte von nun an, eingedenk des Ver- hältnisses mit Agnes , durch ihr Betragen unzugäng- lich für Nolten selber werden. Nun hatte zwar Larkens , zu Folge der mißtrauischen Verschlossen- heit seines Freundes mit der wahren Lage der Dinge unbekannt, sich in seinem Plane etwas geirrt; er hätte, wäre er besser unterrichtet gewesen, viel- leicht einen ganz andern Weg eingeschlagen, aber auch auf diesem erreichte er, wie wir gesehen haben, seinen Hauptzweck vollständig, nur freilich auf eine grausamere Art, als er sich vorgestellt hatte. Sehr übereilt und tadelnswerth würden wir seine eigen- mächtige Handlungsweise nennen müssen, wenn er eine Ahnung von den großen Fortschritten gehabt hätte, welche Theobalds neue Liebe bereits gemacht hatte, weil Larkens jene Rechte der Braut nur auf große Ko- sten der Ehrlichkeit seines Freundes aufdecken konnte; übereilt und unsicher müßten wir sein einseitiges Ver- fahren auch in so fern schelten, als er ja nicht wissen konnte, ob Nolten , wenn er sich auch bis jezt noch gegen Constanze zurückgehalten, doch in Kurzem nicht vielleicht ihr sein Herz anbieten werde, da er dann nothwendig im zweideutigsten Lichte vor ihr er- scheinen müßte; allein für’s Erste hatte Larkens nicht die mindeste Vermuthung davon, wie weit be- reits das Verständniß der Beiden gediehen war, und für’s Zweite, was die Zukunft betrifft, ging er neuer- dings ernstlich mit dem Gedanken um, Theobalden die Zeugnisse für Agnesens Unschuld vorzulegen, ihn zu näherer Prüfung der Sache zu vermögen, ihn im Nothfall damit zu bedrohen, daß er die Gräfin selbst zur freundschaftlichen Schiedsrichterin darüber aufrufen werde. Vor allen Dingen widmete er der Frage, in wie fern es gerathen sey, Theobalden schon jezt seine Pflichten für die Verlobte aufzudringen, eine reifliche Ueberlegung. — Wir überlassen ihn jezt seinen Ge- danken und kehren in das Zarlin’s che Haus zurück. Dort meldete sich des andern Tages gegen Abend ein vornehmer Besuch. Herzog Adolph erschien, und Constanze , in Abwesenheit ihres Bruders, empfing ihn allein. Das ungewöhnlich blasse und ver- störte Aussehen der schönen Frau mochte ihm sogleich auffallen, er erkundigte sich auf das Angelegentlichste nach ihrem Befinden, ging dann mit einer leichten Wendung auf sein eigenes Anliegen über und erzählte mit sichtbarem Verdrusse, was ihm gestern von einer höchst ärgerlichen Sache bekannt geworden, wobei er bedaure, daß sie gerade in diesem , ihm so höchst schätzbaren, Hause habe vorfallen müssen. Der König, sein Bruder, dessen Ehre dabei betheiligt wäre, sey auf das genaueste davon unterrichtet und aus dessen eigenem Munde habe er es gehört. Constanze erschrack, erklärte, wie sie zwar an jenem Abende die allgemeine Bewegung der Gesell- schaft wahrgenommen, wie auch sie nachher den Grund davon erfahren, wie sie aber an einen solchen Frevel von solchen Männern nicht sogleich habe glauben kön- nen. Sie bat, man möge doch wenigstens sie aller Stimme dabei überheben, da Leute von besserer Ein- sicht, von bedeutenderem Urtheil zugegen gewesen. Aber der Herzog gestand, daß der König die vorläu- fige Ausmittelung der Sache ihm anbefohlen, daß er das Manuscript und was dazu gehöre, bereits in Be- schlag genommen, daß er aber nach wiederholtem Le- sen und genauer Prüfung alles Einzelnen noch nicht ganz habe mit sich einig werden können. Er sey zu- lezt auf den Einfall gerathen, Alles von der Entschei- dung einer „eben so scharfsinnigen, als unbefangenen Dame“ abhängen zu lassen, und er werde dießfalls auf seiner Bitte beharren, ihrem Ausspruch werde er unbedingt vertrauen. „Freilich,“ sezte er mit einem pikanten Accente hinzu, „freilich, wenn meine getroste Voraussetzung von der gänzlichen Unbefangenheit mei- ner geliebten Freundin mich denn doch etwas trügte, wenn ihr Einer oder der Andere von den Beklagten mehr als billig am Herzen läge, dann, meine Gnädige, wäre es wirklich höchst undelikat, trotz Ihrer Weigerung einen gerechten Spruch aus Ihrem Munde zu ver- langen.“ Gelassen schaute die Gräfin ihn an und erwiderte: „Beide Männer waren mir sehr viel werth; Sie selbst haben diesen Nolten begünstigt, und schon um Ih- retwillen, Adolph , sollte es mir leid seyn, wenn Ihnen ein Freund unschuldig gekränkt würde. Was aber jenen Fehler, ich sagte füglich, jenes Verbrechen, betrifft, das man diesen Leuten Schuld gibt, so will ich keineswegs der Gerechtigkeit im Wege stehen, nur sie zu befördern bin ich außer Stande. Sie selbst können, dünkt mich, doch wohl am besten wissen, was Ihrem Freunde allenfalls zuzutrauen wäre, Sie dür- fen von ihm aus dann getrost auf die Gesinnungen des Schauspielers schließen, denn Beide sind ja Ein Sinn und Ein Gedanke. Richten Sie also. Sie waren zwar nicht Zeuge jenes Abends, aber die Do- kumente liegen in Ihren Händen, was hätt’ ich dem- nach vor Ihnen voraus, das mich zu einem Urtheil geschickter machte?“ Der Herzog stand auf, machte einige Schritte und sagte dann im freundlichsten Tone: Ich that Ih- nen Unrecht, meine Liebe! vergeben Sie’s. Ich sehe, wir sind Beide in einer und derselben Verlegenheit, und wären so ziemlich gleich geneigt, das Ganze zu entschuldigen, wenigstens zum Guten zu wenden. Ich finde nun erst, wie unbillig es von meinem Bruder war, mich in diesen schlimmen Fall zu setzen, wie thöricht von mir, den Auftrag anzunehmen. Zwar auch meine Ehre mußte dabei interessirt seyn, aber je leidenschaftlicher ich die Sache aufnahm, um so weniger konnt’ ich hoffen, klar darin zu sehen, und meinem Unwillen hielt auf der andern Seite die Nei- gung für Nolten kaum das Gleichgewicht, da diese, in der lezten Zeit gar zu lässig von ihm gepflegt, so gut wie eingeschlafen war; um so schlimmer für Nol- tens Recht, wenn ich ohnehin Ursache hatte, ihm böse zu seyn. Bei Ihnen, Beste, spricht ein reines menschliches Gefühl zu Gunsten des übrigens so bra- ven Künstlerpaares, und ich gestehe Ihnen, auch mich will in Ihrer Nähe die alte Vorliebe für diesen Maler wieder einnehmen, ohne daß Sie noch ein Wort zu seiner Vertheidigung vorgebracht — aber vielleicht gerade darum könnt’ ich ihm verzeihen, weil Sie ihn nicht vertheidigen. Könnte ich bei dem Lärm, bei der Erbitterung, die der tolle Vorfall schon bei Hofe veranlaßt hat, ganz ruhig seyn, mich vor dem Verdachte der Parteilichkeit bei meinem Bruder sichern, ich möchte die Herren wohl frei sprechen und Alles zu vertuschen suchen; so aber bin ich der Sorge doch nicht los, und meiner Stellung zu dem guten Maler erwächst aus der dummen Geschichte auf alle Fälle eine bleibende Schwierigkeit. Doch, was beschwere ich Sie mit diesen Unbilden — Lassen Sie uns davon schweigen. Am artigsten wär’s,“ sezte er scherzend hinzu, „man sezte ein Gericht nieder, bestehend aus einem Archäo- logen, einem Professor der Aesthetik und einem Advo- katen, die sich über das Manuscript und die Bilder her- machen sollten. Nicht wahr, meine Schönste?“ Die wahre Gesinnung des Herzogs und seine schwierige Lage läßt sich übrigens leicht aus folgenden Bemerkungen erkennen. Weit entfernt von der Thorheit, in der fabelhaf- ten Figur jenes tausendjährigen Königs eine eh- renrührige Beziehung zu entdecken, fand er diese Be- ziehung eher schön und wohlgemeint; dagegen ihm die Aehnlichkeit jener Feenfürstin mit Viktorien um so bedenklicher vorkam. Denn wenn gleich das wahre Verhältniß dieser Person zum verstorbenen Regenten nicht ganz getroffen seyn mochte, so war die schein- barste Seite davon doch so charakteristisch herausge- hoben, daß man nicht läugnen konnte, ein sehr frap- pantes Bild von Viktoriens Erscheinung vor sich zu haben. Die Zeichnung des selbstsüchtigen schalk- haften und doch wieder so innigen Wesens ahmte wirklich die leisesten Nüancen nach. Das Alles hätte noch hingehen mögen. Aber diese Dame glänzte noch am Hofe, das Vertrauen, das Nikolaus ihr ge- schenkt hatte, ward noch vom Sohne geehrt. In so ferne müssen wir jenes Spiel höchst unbedachtsam nennen. Dennoch hätte es vielleicht dem Herzog nicht schwer seyn müssen, den möglichen Schaden abzulenken, wäre nicht der König selbst in einer müßigen Stunde auf das verschrieene Manuscript neugierig gewesen. Hier entging ihm denn so manche Verwandtschaft kei- neswegs, er äußerte sich mit großer Unzufriedenheit über eine so unschickliche Anspielung, namentlich die leichtfertige oder ernste Einführung der bewußten werthgeschäzten Frau empörte ihn als eine unverzeih- liche Vermessenheit. Der Herzog besänftigte ihn vor- läufig, indem er Dieses und Jenes noch problematisch darstellte, versprach, das Ganze nochmals genau zu durchgehen, so wie auch nähere Erkundigungen einzu- ziehen; weil er aber doch ein gerechtes Gefühl des Bruders nicht schlechterdings umgehen und das Zu- trauen nicht mißbrauchen wollte, womit dieser ihm die Entscheidung des keineswegs gleichgültigen Gegenstan- des überließ, so kam er wirklich mit einer doppelten Pflicht in’s Gedränge, er hätte eben so gerne den Maler geschont als dem Bruder Genüge gethan; da- her denn auch jene Anfrage bei Constanze nichts we- niger als bloße Pantomime war; er dachte sie bei dieser Gelegenheit ein wenig zu schrauben, fand aber ein solches Frauen-Orakel wirklich bequem für seine Unschlüssigkeit, nur glaubte er auf den Fall, daß die Geschichte Rumor machen könnte, aus Diskretion ge- gen Viktorie den eigentlichen Grund des Aergernis- ses verstecken und mehr das Allgemeine vorkehren zu müssen. Constanze blickte noch immer ernst vor sich nieder, ohne eine Miene zu ändern. Den Herzog rührte ihr Anblick, worin er von jezt an wirklich nur die edelste Theilnahme an dem Schicksale zweier Haus- freunde zu lesen glaubte; ihr ganzes Wesen, von die- sem Kummer leicht beschattet, däuchte ihm nie fo rei- zend, so weich gewesen zu seyn. Er sezte sich an ihre Seite und gab dem Gespräch eine andere Richtung, sie ging so viel möglich darauf ein, und der Zwang, den sie sich mitunter dabei anthat, machte sie nur immer liebenswürdiger, kindlicher, unwiderstehlicher. Dazu kam die einladende Ruhe dieser Stunde, von zweien auf dem Tische brennenden Kerzen traulich ver- klärt. Der Herzog ergriff in der Unterhaltung die Hand seiner schweigsamen Nebensitzerin, er ließ die 16 schmeichelhaftesten Vorwürfe gegen sie spielen über die karge Art, womit sie seiner Zärtlichkeit immer entgegne, auch jezt erfuhr diese noch einigen Widerstand, doch — so schien es dem schlauen Manne, — mehr einen anständigen als strenge zurückweisenden Widerstand. Aber als ihr gepreßter Schmerz, ihre Unruhe, ihr Mißbehagen sich immer weniger verbarg, als der wärmer gewordene Liebhaber auf’s Neue mißtrauisch werden wollte, bald mit dringenden Worten, bald mit den lebhaftesten Liebkosungen zu einer Erklärung nö- thigte, da war es seltsam, jammervoll anzusehen, wie die arme Frau ganz außer sich gerieth, in dem Au- genblick, wo sie von ihrem unseligen Geheimniß auf’s Höchste bewegt, an die verlorene Liebe doppelt schmerz- lich erinnert werden mußte, indem eine andere, bisher verhaßte, sich hülfreich stürmisch aufdrang. Jezt stößt sie den Herzog heftig weg, jezt gibt sie sich seiner Kühnheit unerhört willig hin, dem bängsten Seufzer, dem heißesten Gusse von Thränen folgt plötzlich ein Lachen, dessen kindische Lieblichkeit, dessen herzlicher Klang unter jeden andern Umständen hätte bezaubernd seyn müssen. Der Herzog sah in alle diesem nur den unbeschreiblich rührenden Ausdruck einer bis jezt ver- hüllten Leidenschaft für ihn, welche sich endlich ver- rathen und noch im entzückten Momente der ersten Umarmung mit holder Scham und süßer Reue käm- pfe, ihn selber jedoch zum seligsten der Menschen mache. Wie ganz anders sah es im Busen Con- stanzens aus! Oft war es ihr, als säße sie, von einem Dämon, von einem höllischen Wesen umschlun- gen, in entsetzlicher Unmacht festgebannt; Lust und Unlust empörten sich wechselseitig in ihrem Innern, sie überließ sich seinem Kusse mit einem scyneidenden Gefühle von Widerwillen, ja von Ekel, sie empfand es unerträglich, wie elend sie sich verirrt, wie thöricht rasend ihre Einbildung sey, als ob sie auf diese Art an jenem Verräther heimlich Rache üben könnte! Er — (so rief, so wimmerte es in ihrer Seele) ja er allein hat es verschuldet, daß Constanze so sich verläugnet, daß ich thue, was ich sonst verabscheut hätte, und doch — wie wird Alles werden? wie soll das enden? wohl, wohl — mag es, wie es kann! — Sie rang sich los, drückte den Kopf in die Purpur- kissen des Sopha, ihr Schluchzen zerriß dem Herzog das Herz, er berührte sie schüchtern, er bat, er be- schwor sie um Fassung; sie möge sich doch besinnen, warum sie denn eigentlich verzweifle, ob das unfrei- willige Bekenntniß einer Neigung, die ihn auf ewig zu einem guten, mit Welt und Himmel glücklich aus- gesöhnten Menschen zu machen bestimmt sey, ob die Furcht, daß dieses schöne Verständniß jemals dem ro- hen Urtheil der Menschen bloßgestellt werden könne, ob ein Zweifel an seiner Verschwiegenheit, an seiner Treue, ein Zweifel an seiner Ehrfurcht vor ihrer Tu- gend sie quäle? „ Constanze ! Theure! Geliebte! blicken Sie auf! sagen Sie, daß ich für heute, für jezt, mich entfernen soll, fordern Sie, daß ich Sie mein Leben lang durch nichts, durch kein halbes Wort, mit keiner Miene, keinem leisen Wunsche mehr an diesen Abend mahne! Mir aber darf er unvergeß- lich bleiben; so wie jezt wird auf ewig dieses Zimmer, wird das Licht dieser Kerze und wovon es Zeuge ge- wesen, vor meiner Erinnerung stehen — o Gott! und so , in dieser traurig abgewendeten Lage muß die Ge- stalt der edelsten Frau vor mir erscheinen, um allen himmlischen Reiz des vorigen Augenblicks wieder aus- zulöschen! ich werde vergehen, verzweifeln, wenn Sie sich nicht aufrichten, wenn ich Sie so verlassen muß.“ Er faßte sie schonend an beiden Schultern, und sanft rückwärts gebeugt lehnte sie den Kopf an ihn, so daß die offenen schwimmenden Augen unter seinem Kinne aufblickten. Freundlich gedaukenlos schaut sie hinan, freundlich senkt er die Lippen auf die klare Stirne nieder. Lang unterbrach die athmende Stille nichts. End- lich sagt er heiter: „Ist’s nicht ein artig Sprüch- wort, wenn man bei der eingetretenen Pause eines lange gemüthlich fortgesezten Gesprächs zu sagen pflegt: es geht ein Engel durch die Stube?“ Constanze schüttelte, als wollte sie sagen: der vorige, der gegenwärtige Auftritt habe doch wohl ei- nen so friedsamen Geist nicht herbeilocken können. Abermals versagt ihm ein weiteres Wort; er sinnt über den Zustand der Gräfin nach, der ihm auf’s Neue Verschiedenes zu bedenken gibt. Nicht ohne Absicht kommt er daher spielend wieder auf Nolten und Larkens zurück. „Nein,“ sagt er zulezt, „es würde mir sehr angenehm seyn, wenn Sie, meine Liebe, mir über den bösen Punkt Ihre Ansicht offen- baren wollten. Ganz gewiß sind Sie längst darüber im Reinen, zum wenigsten haben Sie eine Meinung. Reden Sie mir, ich bitte recht ernstlich — Halten Sie die Beiden für schuldig?“ Die Befragte bedenkt sich eine Weile und sagt mit einer sonderbar zuckenden Bewegung: „Schuldig? — er ist’s!“ „Wer doch?“ „Nun, der Nolten “ — „Ich erstaune! — und Larkens ?“ „Wohl eben so gut. Ja, mein Herr, darauf verlassen Sie sich.“ „Und sind strafbar?“ „So denk’ ich.“ „Nun, auf mein Wort! so sollen sie’s bereuen.“ Der Herzog stand auf; Constanze blieb wie angefesselt. Er hatte dieß strenge Urtheil aus Con- stanzens Munde am wenigsten erwartet, um so gegründeter mußte es seyn. Er fragte Einiges, was ihre Ansicht näher bestimmen sollte, sie versicherte, nichts weiter zu wissen: er möge sich damit begnügen und auf keinen Fall sie verrathen. Nun erst, da er Gewißheit zu haben glaubte, da selbst diese billig den- kende Frau von solcher Ungebühr bewegt, entrüstet schien, erwachte Aerger und Verdruß in ihm, er ent- hielt sich der empfindlichsten Ausdrücke nicht, wieder- holt dankte er der Geliebten ihre Aufrichtigkeit, die er als natürliche Folge einer zärtlich aufgeschlossenen Stimmung auslegte. Ihm ahnete nicht, von wel- chem Aufruhr widersprechender Gefühle die Gräfin innerlich zerrissen war, seitdem sie das Entscheidende ausgesprochen. Wie versteinert vor sich hinstarrend, blieb sie auf Einer Stelle sitzen, war mehr als Ein- mal versucht zu Milderung, zu völliger Widerrufung des Gesagten, aber ein unbegreiflich Etwas band ihr die Zunge. Plötzlich hört man den Wagen des Gra- fen vor dem Haus anrollen, ein eiliger Kuß, ein schmeichelhaft Wort versiegelt von Seiten des Her- zogs das Geheimniß dieser Stunde. Ehe wir noch auf die Folgen zu reden kommen, welche diese Vorgänge rasch genug nach sich gezogen, enthalten wir uns nicht, einen allgemeinen Blick auf die Gemüther zu werfen, zwischen denen sich durch die fatalste Verschränkung der Umstände, durch ein doppeltes und dreifaches Mißverständniß eine so un- geheure Kluft gebildet hatte. Indem unser Maler sich den Aussichten eines unbegränzten Glückes überläßt, mit jedem Tage der völligen Entscheidung desselben entgegenblickt und so- eben beschäftigt ist, der Gräfin seine Wünsche, seine Anerbietungen in einem ruhig besonnenen Briefe frei und edel hinzulegen, spinnt ihm die Liebe selbst durch Constanze ein verrätherisches Netz. Der redliche Wille eines Freundes, der im Dunkeln seinen Zweck hartnäckig verfolgte, ward zum Spiel eines schlimmer oder besser gesinnten Schicksals: die sorgsam aber grillenhaft angelegte Mine, womit Larkens einen gefährlichen Standpunkt der Personen nur leicht aus- einander zu sprengen dachte, hat sich tückisch entladen und ist im Begriff, ihrer Viere, und darunter ihn sel- ber, mit bitterm Unheil zu treffen, so daß man kaum wüßte, wer von Allen am meisten zu bedauern sey, wenn es nicht jenes unschuldige Mädchen ist, um des- sen gerechtes Wohl es sich von Anfang an handelte. Aber, scheint Constanze unser Mitleid verscherzt zu haben, seitdem sie sich zu einer heftigen Rache hinreis- sen ließ und derselben einen falschen Grund unterzu- schieben wußte, ja seitdem es den Anschein hat, als wolle sie sich an einen zweideutigen Verehrer weg- werfen, so werden wir doch billig genug seyn, uns den Zustand eines weiblichen Herzens zu vergegen- wärtigen, das auf’s grausamste getäuscht, von der Höhe eines herrlichen Gefühls herabgestürzt, an sich selber, wie an der Menschheit, auf einen Augenblick irre werden mußte. Was Theobalden selbst be- trifft, so sehen wir schon jezt, wie sich ein zwar sehr verzeihliches, aber dennoch übereiltes Mißtrauen in der Liebe durch ein ganz ähnliches an ihm bestraft, und wir wollen erwarten, ob diese harte Züchtigung mehr zu seinem Unglück oder zu seinem Heile aus- schlagen soll. Die auf Befehl des Herzogs geschehene Konfis- kation des verdächtigen Spielkästchens war den Freun- den schon kein gutes Zeichen. Larkens gerieth in Wuth über diesen abgeschmackten Gewaltstreich, wie er’s nannte. Mögen sie sich doch, rief er dem Ma- ler zu, die Zähne ausbeißen an diesen armseligen ver- klexten Gläsern! und dem ersten Schöpsen, der die Nase in mein argloses Machwerk stecken wird, schlage der Geist des alten Nikolaus nur tüchtig hinter’s Ohr, zur Erleichterung des kritischen Verständnisses! Theobald wollte den Herzog selbst belehren, der Schauspieler gab es nicht zu, indem er behauptete, man müsse dem Pack den Gefallen nicht thun, man müsse abwarten, bis die Maus selbst aus dem unheil- schwangern Berg hervorspringe und die Dummheit sich prostituire. Da demungeachtet der Maler in sei- ner gütlichen Absicht den fürstlichen Gönner aufsuchte, ward er zu seiner größten Bestürzung und Verdruß nicht vorgelassen. Ganz trostlos aber machte es ihn, als er sich seine lezte Zuflucht zu Zarlin’s auf glei- che unerhörte Weise abgeschnitten sah. Er wußte sich nicht zu helfen, nicht zu rathen, er hätte mit Freu- den den Haß des ganzen Hofes auf sich geladen, wenn er nur über Constanze hätte ruhig seyn können. Inzwischen ward jene mißliche Sache durch einen neu hinzugetretenen Umstand gar sehr verschlimmert, ja sie bekam eine völlig veränderte Gestalt. Wie im- mer ein Uebel das andere erzeugt und in solchen Fäl- len des Unheils kein Ende ist, so hatten einige Stim- men nicht ermangelt, bei dieser Gelegenheit an gewisse vor längerer Zeit anhängig gemachte und zum Theil wirklich erhobene Kriminalfälle, geheime Umtriebe be- treffend, zu erinnern, und obgleich diese Dinge bereits für abgethan galten, so glaubte man doch keinen un- bedeutenden Nachtrag hinter dem Schauspieler suchen zu müssen. Der unruhige Geist, welcher, von gewissen poli- tischen Freiheitsideen ausgehend, eine Zeitlang die Jugend Deutschlands, der Universitäten besonders, er- griffen hatte, ist bekannt. Die Regierung, von wel- cher hier die Rede ist, behandelte dergleichen Gegen- stände mit um so größerer Aufmerksamkeit, als sich entdeckte, daß immer auch einige durch reiferes Alter, Geist und übrigens unbescholtenen Charakter ausge- zeichnete Männer nicht verschmäht hatten, an solchen Geheimverbindungen, im weiteren oder engeren Sinne, Theil zu nehmen. So hegten denn namentlich zwei genaue Bekannte unsere Schauspielers diese gefähr- liche Tendenz mit vieler Vorliebe, und der Leztere, weit entfernt von jedem ernstlichen Interesse an der Sache, verbarg diesen Leuten gegenüber seine Gleich- gültigkeit und Geringschätzung hinter der Maske des feurigsten Enthusiasten, indem er sich das Vergnügen nicht versagen konnte, seine Genossen auf eine jeden- falls unverantwortliche Weise zum Besten zu haben. Er schrieb ihnen Briefe voll schwärmerischen Schwungs, machte die absurdesten Vorschläge und wußte den Ver- dacht einer bloßen Aefferei durch eine kunstvolle iro- nische Einkleidung, durch abwechselnd vernünftige Ge- danken, so wie durch die höchste Konsequenz in der persönlichen und mündlichen Darstellung zu entfernen, so daß ihn die Gesellschaft zwar für ein seltsam über- spanntes, doch aber höchst talentvolles Mitglied an- sprach, wenn es gleich an einzelnen klugen Köpfen nicht fehlte, die ihm heimlich mißtrauten und scharf auf die Finger sahen; er bemerkte dieß, spielte den Gekränkten, zog sich noch eben zu rechter Zeit zurück und erhielt ge- gen das Versprechen der tiefsten Verschwiegenheit seine schriftlichen Aufsätze sämmtlich zurück. Als es zwei Jahre nachher von Staats wegen zur Untersuchung und Aufhebung der Verbrüderten kam, und entfern- terweise auch seiner erwähnt ward, konnte es ihm bei der Diskretion der Bundesgenossenschaft wirklich ge- lingen, sich wie ein Aal aus der Klemme zu winden, während andere, zum Theil schon in öffentlichen Aem- tern stehende, Männer zu nachdrücklicher Bestrafung gezogen wurden. So erfreute er sich geraume Zeit einer guten Sicherheit, aber sein frevelhafter Muth- wille sollte nicht ungerächt bleiben. Das berüchtigte Schauspiel rief die alten Erinnerungen wieder hervor, übelwollende, wichtig thuende Aufklauber übten so- gleich ihre ganze Geschäftigkeit, und der König sah sich bewogen, einen so verhaßten Gegenstand aber- mals in öffentliche Anregung zu bringen. Der Her- zog, seinerseits an die Erheblichkeit dieses neuen Ver- dachtes keineswegs glaubend, bedauerte diese höchst verdrießliche Wendung der ohnehin so schief gedrehten Geschichte um so aufrichtiger, je weniger Freund Nol- ten ungefährdet dabei bleiben konnte, und je weniger er selbst sich verhehlte, daß vielleicht einige glücklich an- gebrachte Winke von ihm hingereicht haben würden, den ersten schwierigen Eindruck des bewußten Gedich- tes zu vernichten, und so jedem weitern Nachhalle vor- zubeugen. Er sah nur zu deutlich ein, wie es am Ende doch jenes einzige Wort aus Constanzens Munde gewesen, was seine Schritte geirrt und seine versöhnliche Gesinnung mit einem geheimen Aber an- gesteckt habe. Jezt konnte an eine Vertuschung nicht mehr gedacht werden, und Alles nahm seinen strengen, gesetzlichen Gang. Wie ein Donnerschlag traf es die Freunde, als ihre Verhaftung nun wirklich erfolgte. Eine Kommis- sion ward beauftragt, ihre Papiere zu durchsuchen, und zum Unglück kam dieß Alles so rasch, so unvermuthet, Beide hatten so gar keine Ahnung von den neuesten Gerüchten, daß Larkens nicht von Weitem daran dachte, jene verfänglichen Briefe anf die Seite zu schaf- fen; denn leider waren sie noch vorhanden, er hatte die Vertilgung so merkwürdiger Aktenstücke nicht über sich vermocht, vielmehr lagen sie über die Zeit der er- sten Untersuchungen als geheimes Depositum in dem Hause eines unverdächtigten Bekannten, später nahm sie der Verfasser wieder zu sich und ein versiegeltes Portefeuille in seinem Pult verwahrte den verrätheri- schen Schatz. Wie sehr der Umstand unsern Schauspie- ler beunruhigen mußte in dem Augenblick, als ihm die Festnehmung seiner eigenen Person das Ernstliche der Absicht genugsam bewies, läßt sich denken; denn daß man die Briefe finden würde, daß der Inhalt, obwohl höchst komischer Natur, gar sehr gegen ihn zeugen müsse, war zu erwarten. Die Beiden wußten kaum, wie ihnen geschah, als sie sich eines Morgens in zwei abgesonderte Zimmer des sogenannten alten Schlosses zu trauriger Einsam- keit verwiesen sahen. Leopold und Ferdinand waren theilnehmende Begleiter auf dem verhaßten Gange. Beim Abschied konnte Nolten kein Wort vorbringen, kaum fand er Gelegenheit, dem Bildhauer ein kurzes Billet an den Grafen nochmals zu empfeh- len. Larkens’s Benehmen drückte einen knirschenden Schmerz aus, er kehrte das Gesicht ab, während er Noltens Hand zum lezten Mal faßte. Wenn der Mensch von einem unerwarteten Strei- che des ungerechtesten Geschickes betäubt stille steht und sich allein betrachtet, abgeschlossen von allen äußeren mitwirkenden Ursachen, wenn das verworrene Geschrei so vieler Stimmen immer leiser und matter im Ohre summt, so geschieht es wohl, daß plötzlich ein zuver- sichtliches, fröhliches Licht in unserm Innern aufsteigt, und mit Heiterkeit sagen wir uns, es ist ja nicht mög- lich, daß dieß Alles wirklich mit mir geschieht, ungeheu- rer Schein und Lüge ist es! Wir fühlen uns mit Händen an, wir erwarten, daß jeden Augenblick der Nebel zerreisse, der uns umwickelt. Aber diese Mau- ern, diese sorgsam verriegelte Thür wiesen dem armen Maler mit frecher Miene ihr festes unbezwingliches Daseyn. Erschüttert, mit lautem Seufzen ließ er sich auf den nächsten Stuhl nieder, ohne einmal an das Fenster zu treten, das ihm eine weite Aussicht in’s Freie und seitwärts einen kleinen Theil der Stadt freundlich und tröstlich hätte zeigen können. In der That hatte das Zimmer eine angenehme Lage, in dem obersten Theil des ohnehin hochgelegenen, alterthümli- chen, hie und da noch befestigten Gebäudes. Dieser Eine Flügel war, die Wohnung des Kommandanten und des Wärters ausgenommen, ganz unbewohnt, von einer andern Seite, wo Garnison lag, tönte zuweilen ein munterer militärischer Klang, Trommel und Musik nicht allzu geräuschvoll. Auch die nächsten Umgebun- gen Theobalds nahmen sich eben nicht sehr düster aus, die Wände rein geweißt und trocken, die Eisen- stäbe vor den Fenstern weit genug, um nichts zu ver- dunkeln, die Heizung regelmäßig, so weit die herankom- mende Frühlingszeit sie nicht gar entbehr e ich machte. Aber an der nothdürftigsten Unterhaltung mit Büchern, Schreibzeug und dergleichen fehlte es, und jede Art von Material für den Künstler insbesondere schien ausdrück- lich verwehrt. Auch dachte unser Gefangener für jezt noch an alle das keineswegs; vielmehr liefen seine Ge- danken mit der Geliebten, mit dem ganzen zerrissenen und verhüllten Bilde seiner Zukunft beschäftigt, immer in demselben Schwindelkreise, wie an einem unüber- steiglichen, von keiner Seite zugänglichen Walle, ver- zweifelnd hin und her. Und wenn er sich das Aergste, das Aeußerste vorgehalten, so kam ihm doch stets wie- der der Glaube an Constanzens richtiges Gefühl, an ihre Klarheit, ihre treue Gesinnung muthig entgegen. Sie mochte ihn damals abgewiesen haben, weil ihre Stellung zum Hofe ihr diesen Zwang auflegte, sie mochte selbst, auf kurze Zeit vom allgemeinen Irrthum ange- steckt, einigen Unwillen hegen, aber ihr Herz werde ihn frei sprechen, werde mit ihm leiden, sie selbst werde eine Milderung des gegenwärtigen Uebels zu befördern wissen. Diese seine Hoffnung, gewann nach und nach so viel Stärke, daß ihm die Gestalt der schönen Frau nicht anders als mit dem Ausdruck mitleidiger Liebe wie ein Friedensbote vorschwebte, ja zulezt mit dem reizenden Ungestüm einer angstvollen Braut, welche die Befreiung des Verlobten fordert. Aber furchtbar lastete die Zeit der Ungewißheit auf ihm, bis er den ersten gütige n . Laut von ihr vernehmen könnte! Jenes Billet an den Grafen — kaum erinnerte er sich der hastig hingeworfenen Worte — drückte eigentlich nur eine lebhafte Betheurung seiner Unschuld, einen schmerz- lichen Klageton aus, der hauptsächlich auf das Gemüth Constanzens berechnet seyn mochte. Ein früher ent- worfenes Schreiben an die Leztere, wovon wir oben et- was gesagt, hatte er mit sich hieher gebracht; er las jezt diese gemäßigten, freudig hoffenden, kühn verspre- chenden Linien auf’s Neue; er glaubte die Theure vor Augen zu haben, ihre zarte Hand zu ergreifen, ihre Zusage zu hören, den Hauch ihres Mundes zu fühlen, und ach! wie stumpfte dann wieder der Anblick dieser Zelle gegen den lebendigsten Traum! Larkens an seinem Orte quälte sich nicht weni- ger mit Zweifeln und Sorgen auf und nieder. Es ent- behrte seine Phantasie der immer noch lieblichen Hin- terg nde, womit jener Leidensbruder sich seinen Zu- stand aufschmeichelte. Ueberdieß mußte er nach einer Aeußerung, die ihm privatim zugekommen war, und die er schonungsvoll für sich allein behalten, die Aussicht auf baldige Lossprechung viel weiter hinaus denken, als man sonst geneigt war; und er empfand dieß um so peinlicher, je mehr er alle Schuld dieses doppelten Miß- geschicks auf sich zurückführte. Für die auswärtigen Angelegenheiten seines Freundes glaubte er indessen vorläufig dadurch gesorgt zu haben, daß, er auf den Fall eines längeren Stillstandes im schriftlichen Ver- kehr mit Agnes , diese unter Vorschützung einer Ge- schäftsreise beruhigte. Einigen Vortheil für seinen ge- heimen Plan fand er in der Entfernung Noltens von der Person Constanzens . Aber dieser kleine Ge- winn, wie theuer erkauft! Und bedachte er vollends, was er selbst entbehre durch die Trennung von Theo- bald , was in solcher Widerwärtigkeit der Trost eines gemeinsamen Gespräches wäre, erwog er die Unmöglich- keit, sich auch nur durch einen Buchstaben von Zeit zu Zeit wechselsweise mitzutheilen und anzufrischen, so hätte er laut toben, er hätte aufschreien mögen über die Einförmigkeit eines Daseyns, wovon er, der unge- bundene, keck verwöhnte und reizbare Mensch nie einen Begriff gehabt. Die einzige Hoffnung sezte er auf ein Verhör. Schon waren einige Tage verstrichen, als die Lage der Beiden durch die zugestandene Erholung mit Lektüre bereits erträglicher zu werden versprach, doch Larkens wies dergleichen starrsinnig von sich, und während Nol- ten bei allem erdenklichen Leidwesen doch den Vorzug genoß, daß ihm theils die Liebe, theils ein zu Hülfe gerufener Künstlersinn immer neuen Stoff zu innerlicher Belebung zuführte, so versank der Schauspieler gar bald in die Finsterniß seines eigenen Selbst, er wurde die freiwillige Beute eines feindseligen Geistes, den wir bisher nur wenig an ihm kennen gelernt, weil er ihn selber bis auf einen gewissen Grad glücklich genug bekämpft hatte. Um uns übrigens hierin ganz ver- ständlich zu machen, wird folgender Aufschluß hinreichen. Von vermögenden Eltern herkommend, ohne sorg- fältige Erziehung von Hause aus, bezog er sehr jung die Akademie, wo er, keinen festen Plan im Auge, neben einem lustigen kameradschaftlichen Treiben den- noch schöne philosophische und ästhetische Studien machte. Eine Reise nach England und die Höhe des dortigen Schauspielwesens bekräftigte den Entschluß, sich mit höchstem Ernste dieser Kunst zu weihen. Seine erste theatralische Schule begleiteten bereits öffentliche Pro- ben auf einem der angesehensten Schauplätze, und die Aufmerksamkeit des Publikums wurde zur Bewunde- rung, als er, obwohl ungerne, dem Rathe eines er- fahrnen Mannes folgend, sich eine Zeitlang in durch- aus komischen Repräsentationen erging. In dem Maße, wie er, einem sonderbaren Naturzwang zufolge, wieder zum Ernsthaften einlenkte, nahm der allgemeine Bei- fall ab, und so schwankte er unbefriedigt, mißlaunisch ein volles Jahr hin und her, ohne einsehen zu wol- len, welchem von beiden Fächern er sein Talent zu- wenden müsse. Dazu kam der Uebelstand, daß dem praktischen Künstler seine poetische Produktivität viel- mehr hinderlich als förderlich war; er wollte im Reiche seiner eigenen Dichtung leben und empfand es übel, wenn ihn mitten in der schaffenden Lust das Hand- werk störte, was um so unvermeidlicher war, da seine Arbeiten ganz außer der allgemeinen Bühnensphäre lagen und nur von einem engen Freundeskreise ge- faßt und geschäzt werden konnten. Dieser widrige Konflikt des Dichters und des Brodmenschen brachte 17 die ersten Stockungen und Unordnungen in seinem Leben hervor; aus Verdruß über die Unausführbar- keit seiner höhern Geisteswelt warf er sich in den Strudel der gemeinen, und die Leidenschaften, welche er durch kunstmäßige Darstellung im schönen Gleich- gewichte mit seinem bessern Selbst zu erhalten gedacht hatte, ließ er jezt in zügelloser Wirklichkeit rasen. Um jene Zeit hatte sich unter seinen Freunden die eigene Sucht hervorgethan, sich durch Erfindung und Durchführung fein angelegter Intriguen zu zeigen. Larkens spielte in einem gutartigen Sinne hierin gerne den Meister, aber leider verwickelte ihn dieß Unwesen bald mit einer, als schön und witzig gleich bekannten, Schauspielerin, ein Umgang, der ihn bald in einen Wirbel der verderblichsten Genüsse niederzog. Sein Beruf ward ihm leidige Nebensache, und, mehr als Einmal im Begriffe, verabschiedet zu werden, er- hielt er sich nur dadurch, daß er von Zeit zu Zeit durch eine Vorstellung, worin er allem Genie aufbot, die Gunst seiner Leute gewaltsam an sich riß. Mit Schmerzen blickte man ihm nach, als er freiwillig den Ort verließ, welcher Zeuge seiner traurigen Ver- sunkenheit gewesen. Er entsagte dem unwürdigen Leben, raffte sich zu neuer Thätigkeit auf, und ward ein erfreulicher Gewinn für die Stadt, worin wir ihn später als Noltens Freund kennen lernten. Aber jene fleckenvolle Zeit seines Lebens hinterließ auch dann noch eine unüberwindliche Unruhe, eine Leere bei ihm, als er seine sittliche und physische Natur längst mit den besten Hoffnungen aus dem Schiffbruch gerettet hatte. Des heiteren geistreichen Mannes be- mächtigte sich eine tiefe Hypochondrie, er glaubte sei- nen Körper zerrüttet, er glaubte die ursprüngliche Stärke seines Geistes für immer eingebüßt zu haben, obgleich er den zwiefachen Irrthum durch tägliche Proben widerlegte. Wie oft hielt er Theobalden , wenn dieser bemüht war, seine Grillen zu verjagen, mit wehmüthigem Lachen das traurige Argument ent- gegen: „Das Bischen, was noch aus mir glänzt und flimmt, ist nur ein desperates Vexir-Lichtchen, durch optischen Betrug in euren Augen vergrößert und ver- schönert, weil sich’s im trüben Hexendunste meiner Katzen-Melancholieen bricht.“ Mit solchen Ausdrücken konnte er sich ganze Stunden gegen Theobald er- hitzen, und erst nachdem er sich gleichsam völlig zer- fezt und vernichtet hatte, gewann er einige Ruhe, eine natürliche Heiterkeit wieder, wobei er, nach dem Zeugniß Aller, die ihn umgaben, unglaublich sanft und liebenswürdig gewesen seyn soll. Außer Theobald und etwa einem andern früheren Vertrauten kannte ihn jedoch keine Seele von dieser schwermüthigen Seite, er wußte sie trefflich zu verbergen, und sein Betragen auf diesen Punkt gab selbst dem Menschenkenner nie- mals eine Blöße. Inzwischen war der gute Einfluß nicht zu mißkennen, den Noltens Umgang, sein kräf- tiger Sinn, auf jenes verdunkelte Temperament aus- übte, denn wenn gleich unser Maler selbst an einer gewissen Einseitigkeit leiden mochte, so war doch sein sittlicher Grundcharakter unerschütterlich, und ein Stre- ben nach voller geistiger Gesundheit beurkundete sich zeitig in der mehr und mehr zum Allgemeinen auf- steigenden Richtung seiner Kunst, mit Bereinigung alles dessen, was ihm von einer phantastischen Entwicklungs- periode noch anklebte. Larkens schöpfte mit Lust aus dieser Quelle ein reines Wasser auf sein dürres Land, er hielt sich leidenschaftlich an den neuerworbe- nen Freund, ohne doch diese Inbrunst stürmisch im Worte zu verrathen; vielmehr gerieth er unwillkürlich in die gemäßigte Rolle eines Mentors hinein, eines Meisters, welcher durch eigenen unsäglichen Schaden klug geworden, dem Jüngern gar wohl gelegentlich auf die rechte Spur helfen zu können glaubt. Und indem er so am raschen Strom eines in jugendlicher Fülle strebenden Geistes Theil nahm, erwuchs ihm ein neues Zutrauen zu sich selber, die Schuppen seines veralteten Wesens fielen ab, eine frische Bildung er- schien darunter. Immer seltener wurden jene selbst- quälerischen Ausbrüche, ja sie verschwanden zulezt völlig; was Wunder, daß nun ein Gefühl von Dank- barkeit ihn unserem Freunde auf ewig verband, daß er sich’s zur Pflicht machte, mit aller Kraft für das Wohl des Geliebten zu arbeiten? Mögen wir auch an einem auffallenden Beispiele, das er von diesem warmen Eifer gab, einen Hang zum Seltsamen keines- wegs verkennen, so war die Intention dennoch die lauterste, brüderlichste, und wer wollte ihm verargen, wenn er bei der zarten Pflege, die er einem gebro- chenen Liebesverhältniß widmete, zugleich seinem Her- zen den Triumph bereitete, welcher in dem Zeugniß lag, daß er als ein vielversuchter Abenteurer sich den- noch mit unschuldiger Innigkeit an der eingebildeten Liebe eines engelreinen Wesens erfreuen konnte, eines Mädchens, das er nie mit Augen gesehen und an dessen Besitz er niemals gedacht hatte, so wünschens- werth er auch erscheinen mochte. Gerne begnügte er sich mit der Fähigkeit, ein schönes Ideal noch in sich aufnehmen und außer sich fortbilden zu können; er fing an, mit sich selber, mit der Welt sich zu versöh- nen. So weit war Alles in gutem Geleise: nun aber herausgerissen aus aller Thätigkeit, aus einem gesellig zerstreuenden Leben, dem Elemente seines Da- seyns, gefoltert überdieß von dem Gedanken, einem theuren Freunde Veranlassung zu bedenklichem Unfalle geworden zu seyn, erwehrte er sich eines allgemeinen Trübsinnes nicht mehr, die alten Wunden brachen wieder auf, geschäftig wühlte er darin, Vergangenheit und Gegenwart flossen in ein grinzendes Bild vor ihn zusammen, er betrachtete sich als den Elendesten der Menschen, er verlor sich mit Wollust in der Vorstel- lung, daß dem Manne, durch Schuld und Jammer überreif, die Macht gegeben sey, das Leben eigenwillig abzuschütteln. Je gewisser er im äußersten Falle auf diese lezte Freistatt rechnen konnte, und je ruhiger er nach und nach den entsetzlichen Gedanken beherrschen lernte, desto mehr gewann sein Gemüth auf der an- dern Seite an Freiheit und an Muth, die nächste Zukunft duldend abzuwarten; sein Zustand wurde mil- der, sogar heiterer. Eine unerwartete Unterbrechung dieses brütenden Stillesitzens, so angenehm sie erschien, wollte ihn doch beinahe störend überraschen, da er die ersten Fäden einer allmähligen Verpuppung durch den Zudrang frischen Lebenshauches wieder zerrissen, und sich selbst zu neuer Hoffnung aufgemuntert sah. Denn eines Morgens, in der vierten Woche der Gefangenschaft, trat der Kommandant in’s Zimmer, mit der Nachricht: es solle beiden Herren erlaubt seyn, zuweilen einen und den andern Freund bei sich zu sehen, doch Jeder nur auf seinem eigenen Zimmer und ohne daß die Gefangenen selbst zusammengeführt würden. Larkens dankte so gut er konnte, besonders verdroß ihn die lezte Bedingung; auch hatte der Offizier einem weite- ren guten Vorurtheil, das man aus dieser Vergün- stigung ziehen mochte, nicht undeutlich vorgebeugt, und überdieß vermuthete Larkens , daß man diese Gunst nur der besonderen Attention des Herzogs ge- gen Nolten zu verdanken habe. Den ersten Abend brachten Ferdinand und Leopold bei Theobald zu, den folgenden bei dem Schauspieler, wozu sich noch ein dritter Freund an- schloß. So lebhaft ein solches Wiedersehen seyn mußte, so freundlich die lieben Gäste mit Neuigkeiten aller Art und mit dem besten Weine zu Belebung der Gemüther das Ihrige thaten, so war es doch nur er- zwungene Freude, und Theobald wußte sich um so weniger zu lassen, da er gleich Anfangs hören mußte, daß sein Billet an Zarlin zwar angenommen wor- den, daß jedoch bei einem Besuche, welchen Leopold im Hause gemacht, der Graf bloß ein allgemeines, ziemlich kühles Bedauern geäußert habe. In so fern Leopold nichts von der wahren Beziehung wissen sollte, welche Noltens Interesse für jene Familie hatte, so konnte dieser nur durch entfernte Fragen herauslauschen, daß Constanze gar nicht sichtbar, auch keine Rede von ihr gewesen sey. Diese Lage der Dinge drückte nun freilich schwer auf das Herz des geängstigten Liebhabers, aber wie ward ihm vollends zu Muthe, als der Bildhauer sein vor einigen Wochen schon gemachtes Anerbieten wie- derholte, einen Brief an Agnes zu besorgen, ja als er gutmüthig äußerte, wie er die ganze Zeit her im Zweifel gewesen, ob er nicht selbst diese Pflicht über- nehmen und dem Vater des Mädchens die leidigen Begebenheiten schonungsvoll beibringen solle, wie ihn aber ein Wort, das Larkens gleich Anfangs hierüber fallen lassen, dennoch beruhigt habe. „Ja wohl,“ sagte Nolten , „dafür ist schon Rath geschafft!“ und ver- drängte diese Materie, während er im Stillen aus der ablehnenden Aeußerung, welche der Schauspieler gethan haben sollte, nicht ganz klug werden konnte, und überhaupt auf die traurigsten Kombinationen verfiel. Die Art, wie Larkens die Besuche aufnahm, war im Grunde ansprechender, denn er sezte von jeher einen Vorzug darein, sich vor Menschen zusammenzu- nehmen und eine wohlwollende Annäherung, auch wenn sie zur Unzeit kam, gutmüthig, zart und gefällig zu er- wiedern. Die Nachricht aber, womit man ihn beson- ders zu erfreuen dachte, daß das Theater und dessen Liebhaber herzlich und laut um ihren besten Liebling trauern, nahm er gleichgültig auf und er wollte nichts da- von hören. Die Urtheile der Stadt im Allgemeinen betreffend, hieß es, man trage sich mit allerlei übertrie- benen Meinungen von dem Vergehen der Verhafteten; die Vernünftigen zucken die Achsel, Niemand wolle an eine gänzliche Unschuld der Beiden glauben. Auch hatten indessen drei Verhöre statt gefunden, ohne daß man dadurch einer glücklichen Entscheidung um Vieles näher gerückt wäre. War der Zustand unseres Paares unter diesen Umständen beklagenswerth genug, so sollte noch die schwerste Prüfung über den Maler ergehen, indem sich auf alle die heftigen Erschütterungen ein Fieber bei ihm ankündigte, das der Arzt sogleich für bedeutend erkannte. Der Kranke verließ seit drei Tagen das Bett nicht mehr, häufig lag er ohne Bewußtseyn da und in freieren Stunden war das Gefühl seines Elends nur um so stärker; die Phantasien der Fieberhitze sezten ihr grelles Spiel auch im Wachen fort und schleuderten den Gequälten in unbarmherzigem Wechsel hin und her. Bald nahte sich Constanze seinem Lager, und wenn sein inniger Klageton ihr Mitleid, ihre Liebe an- sprach, wenn sich die edle Gestalt so eben über den Lei- denden herzusenken schien, floh sie entsezt und zürnend wieder weg; bald zeigte sich die verstoßene Agnes an der Thür, den stillen Blick betrübt auf ihn gerichtet, bis sie sich nicht mehr hielt und lautweinend neben ihm auf die Kniee stürzte, seine Hand mit tausend Küs- sen bedeckte und er die arme Reuevolle gleichfalls lieb- reich an sich herzuziehen genöthigt war. Dergleichen Vorstellungen, worin sich der Rest seiner Neigung zu jenem verkannten liebenswürdigen Kinde nun auf dem durch Krankheit und Schwäche er- weichten Grunde seines Gemüthes sonderbar und leb- haft abspiegelte, wiederholten sich immer häufiger und waren um so weniger abzuweisen, da sie ihm zunächst durch einen seltsamen Zufall von Außen aufgedrungen worden waren. Denn eines Morgens erwachte er vor Tag aus einem unruhigen Halbschlafe an einem weib- lichen Gesang, der aus der Küche des Wärters unter seinem Fenster zu kommen schien. Der Inhalt des Lieds, so wenig es ihm selber gelten konnte, traf ihn im Innersten der Seele, und die Melodie klang unend- lich rührend durch das Schweigen der dunkeln Frühe, ja die Töne selber nahmen in seiner Einbildung eine wunderbare Aehnlichkeit mit der Stimme Agne- sens an. Früh, wenn die Hähne krähn, Eh’ die Sternlein verschwinden, Muß ich am Heerde stehn, Muß Feuer zünden. Schön ist der Flammen Schein, Es springen die Funken, Ich schaue so drein, In Leid versunken. Plötzlich da kommt es mir, Treuloser Knabe! Daß ich die Nacht von dir Geträumet habe. Thräne auf Thräne dann Stürzet hernieder, So kommt der Tag heran — O ging’ er wieder! Zum Erstenmale seit undenklicher Zeit fühlte Theo- bald wieder die Wohlthat unaufhaltsamer Thränen. Die Stimme schwieg, nichts unterbrach die Ruhe des langsam andämmernden Morgens. Der Kranke barg das Gesicht in die Kissen, ganz der Süßigkeit eines — dennoch so bittern! Schmerzens genießend. An demselben Morgen bekam Larkens , da er kaum das Bett verlassen hatte, von Leopold , dem Bildhauer, einen Besuch, der eigentlich Theobalden bestimmt war; auf die Nachricht vom Pförtner je- doch, daß der Kranke nach einer erträglichen Nacht so eben noch ruhig schlummere, wagte der Freund keine Störung und ließ sich das Zimmer des Schauspielers aufschließen. Er fand den Leztern in der traurigsten Stimmung, worein ihn die Sorge um Nolten ver- sezte, und Leopold , gleichfalls heftig bewegt, hatte Mühe, ihn zu trösten. Nach einiger Zeit fing der Bildhauer an: „Nun muß ich Ihnen eine Eröffnung machen, die freilich zunächst für Nolten gehörte, sie betrifft einen Vorfall, womit ich mich schon drei Tage herumtrage, ohne daß ich Gelegenheit erhalten konnte, ihn einem oder dem andern von Ihnen mitzutheilen; denn der Obrist schlug mir die Bitte zweimal ab, zumal da der Arzt den Kranken so wenig als möglich durch Gesellschaft beun- ruhigt wissen will; gestern bekam ich mit Noth auf eine Stunde Erlaubniß; die Angst um Nolten und, ich darf wohl sagen, auch meine Neuigkeit ließ mir nicht Rast noch Ruhe mehr. Das was ich mitzuthei- len habe, ist unerhört, ist ganz unbegreiflich, für Nol- ten taugt es unter gegenwärtigen Umständen auf kei- nen Fall.“ „Nun, nur um Gotteswillen kein Unglück!“ sagte der Schauspieler verdrießlich lächelnd über den langen Eingang; „ich meine schon von einer neuen Resolution hören zu müssen, daß wir armen Tropfen am Ende noch Karren schieben werden bei Wasser und Brod?“ „Nichts! Setzen wir uns, und hören Sie. Es war an dem Abend unserer neulichen Zusammenkunft; ich und Ferdinand hatten Sie kaum verlassen, das Schloß lag hinter uns, ich wollte so eben in die Prin- zenstraße einlenken, so zeigt mir ein zufälliger Seiten- blick in die leere Kastanienallee, wo wir vorüber muß- ten, ein weibliches Wesen ganz ruhig an einen der Bäume gelehnt. Das Auge der Unbekannten begeg- nete dem meinigen. Ich kam fast von Sinnen beim Anblick dieser Physiognomie, denn — doch zuvor muß ich fragen — Sie erinnern sich wohl des tollen Ge- mäldes von Nolten?“ „Welches?“ „Der Organistin.“ „Ganz wohl.“ „Und wenn ich Ihnen nun sage, diese war’s , werden Sie mir glauben?“ „Nicht, bis ich erst ausgerechnet, wie viel Bouteil- len wir damals getrunken.“ „Spassen Sie; es war heller Mondschein, ich sah das Gesicht deutlich wie am Tage, und was meine Nüch- ternheit betrifft —“ „Schon gut!“ unterbrach ihn Larkens aufstehend und ging einigemal nachdenklich auf und ab, indessen Leopold fortfuhr. „Noch muß ich Ihnen gleich eine Schwachheit bekennen, lieber Larkens , und Sie mö- gen mich immerhin darüber ausschelten, aber wer in aller Welt ist ganz vor’m Aberglauben sicher, sonder- lich unter solchen Umständen? Kaum war mir vorgestern gesagt worden, Theobald habe sich gefährlich krank gelegt, so deutete ich mein Begegniß mit der gespensti- gen Orgelspielerin urplötzlich als ein Omen aus, denn mir fiel ein, was man von Trauerfällen sagt, welche auf ähnliche Weise angekündigt worden. Und dieser dummen Furcht bin ich noch heute nicht ganz los, ob- wohl ich recht gut weiß, daß die Erscheinung keine Vision, noch Gespenst oder dergleichen, sondern ein or- dentliches Menschenkind gewesen.“ „Aufrichtig gesprochen, mein Bester,“ sagte Lar- kens , „ich zweifle an dieser Apparition so gar nicht im Mindesten, daß ich Ihnen vielleicht selber den Schlüssel zu dem Räthsel geben kann. Doch, schwei- gen Sie darüber gegen unsern Freund, versprechen Sie mir reinen Mund zu halten.“ „Gewiß, wenn Sie’s für nöthig finden.“ „Nun denn — aber zuvor wär’ ich begierig, wie Ihr Abenteuer abgelaufen. Sie sprachen die Person?“ „Mein Gott, nicht doch! denn (beinahe schäme ich mich, es zu bekennen) die Erscheinung bestürzte mich dergestalt, daß ich mich wohl drei- viermal im Ring herum wirbelte, und während ich nach meinem zurück- gebliebenen Begleiter umsah, war das Nachtbild schon verschwunden, auch mit aller Mühe nicht mehr aufzu- finden. Das Einzige erfuhren wir des andern Tages zufällig von Theobalds Bedienten, daß eine Bettle- rin, deren Beschreibung mit jener Person vollkommen zusammenstimmte, sich Tags vorher in Noltens Hause eingefunden und auf die Versicherung, er sey auf län- gere Zeit abwesend, sich wieder fortgeschlichen. Alles mein Fragen und Forschen blieb fruchtlos.“ „Also“ — fing Larkens an — „merken Sie auf. Zwei Tage vor der lezten Neujahrsnacht, die Ihnen hoffentlich noch im Gedächtniß ist, traf ich auf meinem Hausflur ein Mädchen an, dessen Aeußeres mich gleich frappirte, und zwar eben auch in der von Ihnen ange- gebenen Beziehung. Es war eine Zigeunerin, hoch, schlank gewachsen, nicht mehr ganz jung, aber immer noch eine wirkliche Schönheit, kurz die Aehnlichkeit mit jenem Bilde bis auf wenig zwischenliegende Jahre voll- kommen. Ein Korb mit hölzerner Schnitzwaare hing ihr am Arme, allein meine erste Ahnung, daß sie wohl in anderer Absicht als des Verkaufs wegen hieherge- kommen, bestätigte mir bald ihre Frage nach einem Maler, der hier wohnen sollte; sie zog einen Brief hervor, es war die Handschrift von Noltens Braut, doch lautete die Adresse, ich weiß nicht mehr warum, an mich , die Sendung selbst gehörte für Nolten . Es hatte nämlich die Zigeunerin auf ihren Streifzügen auch Neuburg berührt und einen Gruß mit hieher ge- nommen. Mir war die Person nach mehrfältigen Er- zählungen Theobalds nichts weniger als fremd, aber je genauer ich um ihre frühere Berührung mit unserm Freunde wußte, desto bedenklicher fand ich’s, so ohne Weiteres zur Erfüllung ihres Wunsches beizutragen, welcher dahin ging, den „schönen herrlichen Jungen,“ wie sie ihn nannte, Einmal wieder zu sehen. Wenig- stens, dacht ich, müßte der herrliche Junge vorbereitet werden, und bei näherer Betrachtung schien mir die Hintertreibung einer solchen Zusammenkunft das Si- cherste und Zweckmäßigste. Ich gebrauchte allerlei Fin- ten, sie ein für allemal von jedem Versuche abzuschre- cken; da indessen das närrische Ding darauf bestand und ihr Verlangen eben so gerecht als arglos und treuher- zig erschien, so sann ich auf Mittel, wie Nolten ihr gezeigt werden könnte, ohne daß jedoch er sie gewahr würde. Das ließ sich nun wohl auf verschiedene Weise machen. Mir gefiel aber, wie ich gern gestehen will, ein etwas romantisch seltsamer Weg besser als etwa ein simples Gucken durch Spalt und Schlüssel- loch, kurz, die Neujahrsmaskerade kam mir eben recht zu Statten und“ — „Was?“ rief Leopold verwundert, „am Ende wird noch der Nachtwächter vom Albanithurm aus der Geschichte hervorspringen!“ „Das erräth sich nun leicht; so hören Sie kurz noch den Hergang. Nachdem ich das Mädchen mit meinem Plane bekannt gemacht, den sie Anfangs frei- lich gar nicht fassen wollte; nachdem sie mir ferner auf eine mir unvergeßlich rührende Weise das Versprechen gegeben, mit Willen schlechterdings nichts gegen meine genaue Instruktion zu thun oder merken zu lassen, so diktirt’ ich ihr einige Seiten, welche sie zu meiner größten Freude mit fremden Zeichen schrieb, da sie unsere Buchstaben nur sehr schlecht zu machen wußte. Aber es kostete immer noch Mühe genug, bis ich ihr meine Worte geschickt in die Feder gegeben und noch mehr, bis sie sich die Rolle einigermaßen angeeignet hatte. Sodann schafft’ ich die nöthige Kleidung, und wahres Vergnügen gewährte mir die naive Miene, womit sie sich selbst in ihrer idealischen Vermummung betrachtete. Sie behandelte das Ganze mit einer ge- wissen Feierlichkeit und gefiel sich gar wohl dabei; ihre Recitation freilich war hart und trocken, allein ihr Be- griff von dieser poetischen Figur so ziemlich richtig. Sämmtliche Vorbereitungen geschahen in einem abgele- genen Zimmer außer dem Hause, wo ich Schauspielern beiderlei Geschlechts zuweilen Unterricht ertheilte, so daß mein jetziges Geschäft Niemanden auffiel. Wie anständig das Mädchen seine Sache machte, haben Sie ja gesehen, und ich selbst verwunderte mich im Stillen über die glückliche Ausführung.“ Leopold ward kaum fertig, sein Erstaunen aus- zudrücken, indem er sich die Einzelnheiten der Neu- jahrsfeier auf dem Thurme zurückrief. Da er nun um so mehr Verlangen bezeugte, über die sonderbare Per- son der Zigeunerin und ihr früheres Verhältniß zu Theobald eines Näheren belehrt zu werden, zeigte sich der Schauspieler nicht ungerne bereit; er wollte so eben seine Erzählung beginnen, als er sich bedenkend inne hielt und endlich sagte: „Wissen Sie was, mein Lieber? Sie erfahren die kurze Geschichte am besten aus einigen Blättern, worin ich dasjenige, was mir Nolten im Anfange unserer Bekanntschaft vertraute, treulich darzustellen gesucht habe, da mir die Begeben- heit gar wohl der Aufbewahrung werth geschienen; be- sonders merkwürdig ist das mit dem Ganzen verfloch- tene Schicksal eines gewissen längst gestorbenen Ver- wandten der Nolten ’sche Familie, in dessen Leben überhaupt ich die prototypische Erklärung zur Geschichte unseres Freundes zu finden glaube. Vor mehreren Wochen entlehnte ein Bekannter das Heft von mir, ich gebe Ihnen einige Zeilen an ihn mit und er wird es Ihnen einhändigen. Durchläuft man dieß Bruch- stück aus unsers Noltens Leben mit Bedacht, und vergleicht man damit seine spätere Entwicklung bis auf die Gegenwart, so erwehrt man sich kaum, den wun- derlichen Bahnen tiefer nachzusinnen, worin oft eine unbekannte höhere Macht den Gang des Menschen planvoll zu leiten scheint. Der meist unergründlich verhüllte, innere Schicksalskern, aus welchem sich ein ganzes Menschenleben herauswickelt, das geheime Band, das sich durch eine Reihe von Wahlverwandtschaften hindurchschlingt, jene eigensinnigen Kreise, worin sich gewisse Erscheinungen wiederholen, die auffallenden Aehnlichkeiten, welche sich aus einer genauen Verglei- 18 chung zwischen früheren und späteren Familiengliedern in ihren Charakteren, Erlebnissen, Physiognomieen hie und da ergeben (so wie man zuweilen unvermuthet eine und dieselbe Melodie, nur mit veränderter Tonart, in demselben Stücke wieder klingen hört), sodann das seltsame Verhängniß, daß oft ein Nachkomme die un- vollendete Rolle eines längst modernden Vorfahren aus- spielen muß — dieß Alles springt uns offener, überraschen- der als bei hundert andern Individuen hier am Bei- spiele unseres Freundes in das Auge. Dennoch wer- den Sie bei diesen Verhältnissen nichts Unbegreifli- ches, Grobfatalistisches, vielmehr nur die natürlichste Entfaltung des Nothwendigen entdecken. Die Spitze des Ganzen besteht aber in der Art und Weise, wie unser Freund als Knabe zur innigsten Vermählung mit der Kunst geleitet worden, deren ursprünglicher Cha- rakter sich noch heute in einem großen Theil seiner Ge- mälde erkennen läßt. Genug, Sie mögen selbst urthei- len. Aber ach! was werden Sie bei dieser Lektüre fühlen, wenn Sie denken, daß eben derjenige, dessen ahnungsvolle Knabengestalt Ihnen in den Blättern be- gegnet, nunmehr als Mann von der sinnlosen Faust eines fremdartigen Geschickes aus seiner eigenen Sphäre herausgestoßen, und noch ehe er die Hälfte seiner Rech- nung abgeschlossen, hier in diesen Mauern eilig ver- welken und vergehen soll! Denn, o mein Freund! ich fürchte Alles, und dieser Kummer wird mich aufreiben, wird mich noch vor Ihm tödten — und möchte er nur! Sehen Sie mich an; ich glaube zu fühlen und mein Spiegel sagt es mir, daß der Gram dieser drei Tage mich um doppelt so viel Jahre älter gemacht hat. Still; ich muß abbrechen, wenn ich nicht von Sinnen kommen will. Gehen Sie hinüber zu dem Armen und drücken ihm die Hand im Namen des Larkens . Ach, möcht’ ich ihn wenigstens Einmal wieder von Angesicht sehen! und doch — ich fürchtete mich davor.“ Leopold griff nach dem Hute und erbat sich noch die Anweisung zu dem merkwürdigen Heft; da eben der Schließer eintrat, säumte er nicht länger, um vor Allem den geliebten Patienten zu besuchen. Mit hei- ßen Blicken sah ihm der Schauspieler nach, eine unbe- gränzte Sehnsucht nach Theobald übermannte ihn, aber umsonst, die Thüre zog sich zu und drüben hörte er das Schloß zum Zimmer des Geliebten rauschen. So stand nun der Bildhauer vor dem Bette Nol- tens , und heimlich entsezt über das äußerst elende Aussehen des Kranken mußte er aller Fassung aufbie- ten, um seine Bewegung nicht zu verrathen. Den Gemüthszustand Noltens konnte er im Ganzen nicht gewahr werden, er sprach wenig und nur angestrengt mit matter Stimme. Einmal fragte er den Wärter, wer doch des Morgens in aller Frühe unten in der Küche so hübsch zu singen pflege? Etwas kleinlaut er- widerte der Alte: „Meine Tochter. Ich will’s ihr aber untersagen, es schickt sich nicht; und ach! das Gesinge ist noch ihr einzig Leben.“ Theobald bat sehr, man möge das Mädchen ja nicht irre machen in diesen Unterhaltungen; er fragte, wie es komme, daß sie nur ernste traurige Lieder zu kennen scheine? „Der Henker weiß,“ war die Antwort, „woher sie all das Zeug herkriegt; sie war von Kindheit auf ein närrisches Ding, nicht auch lustig und rasch wie die andere Ju- gend, aber fleißig und verständig, und besorgt mir Alles in der Haushaltung seit ihrer Mutter Tod.“ Da der Alte sofort über den Verlust seiner Frau, deren Tu- gend er nicht genug rühmen konnte, in die beweglich- sten Klagen ausbrach, auch zulezt immer wärmer und aufrichtiger werdend eine unglückliche Liebschaft seines Kindes auseinander zu setzen anfing, konnte man leicht bemerken, wie angreifend solche Dinge auf Nolten wirkten, daher Leopold dem Erzähler einen Wink gab. Endlich schied der Bildhauer mit ungewissem be- klommenen Herzen. Er eilte, nachdem er sich zuvor das bewußte Manuscript verschafft, allein aus dem Ge- räusche der Stadt, einen selten betretenen Weg verfol- gend. Ein warmer, sonnenheller Tag schmolz vollends die lezten Reste Schnee und Eis hinweg, eine erqui- ckende Luft schmeichelte bereits mit Vorgefühlen des Frühlings. So gelangt unser ernster Fußgänger, eh’ er sich’s versah, in die ländlichste Umgebung, ein freund- liches Dorf lacht ihm entgegen. Dort sucht er nach einem stillen Garten hinter dem nächsten besten Wirths- hause und findet auch bald ein hübsches erhöhtes Plätz- chen zwischen Weinbergen mit Tisch und Bank, von wo man die angenehmste Aussicht hat. Er bestellt eine Flasche Wein, sezt sich und holt jene Schrift hervor, deren Inhalt wir dem Leser nicht vorenthalten können. Ein Tag aus Noltens Jugendleben . Die Zeit war wieder erschienen, wo der sechs- zehnjährige Theobald von der Schule der Haupt- stadt aus die Seinigen auf zwei Wochen besuchen durfte. In dem Pfarrhause zu Wolfsbühl war daher gegen- wärtig große Freude, denn Vater und Schwestern (die Mutter lebte nicht mehr) hingen an dem jungen blü- henden Menschen mit ganzem Herzen. Ein besonders inniges Verhältniß fand aber zwischen Adelheid und dem nur wenig jüngern Bruder Statt. Sie hatten ihre eigenen Gegenstände der Unterhaltung, worein sonst Niemand eingeweiht werden konnte; sie hatten hundert kleine Geheimnisse, ja zuweilen ihre einige Sprache. Es beruhte dieß zarte Einverständniß vor- nämlich auf einer gleichartigen Phantasie, welche in den Tagen der Kindheit unter dem Einfluß eines mährchenreichen, fast abergläubischen Dorfes und einer merkwürdigen Gegend die erste Nahrung empfangen und sich nach und nach auf eine eigenthümliche und sehr gereinigte Weise ihren bestimmten Kreis gezogen hatte. Von der Richtung, welche die beiden jugend- lichen Gemüther genommen, war also, wie es schien, nichts zn befürchten, und selbst äußerlich wurde das Verhältniß keineswegs einseitig auf Kosten der übri- gen drei minder empfänglichen Schwestern unterhalten. Es herrschte eine gutmüthige heitere Verträglichkeit; nur die ältere Tochter, Ernestine , deren Sorge vor- züglich das Hauswesen überlassen blieb, zeigte mitun- ter ein finsteres, gebieterisches Wesen, und sie hatte den Vater bereits mehr als billig war auf ihre Seite gebracht. An einem trüben Morgen in der lezten Zeit des Oktobers spazierten Theobald und seine Vertraute zusammen im Gärtchen hinter dem Hause. Er er- zählte so eben seinen Traum von heute Nacht und die Schwester schien ernsthaft zuzuhören, indeß sie unver- wandt nach der Seite hinüberblickte, wo die alte Ruine, der Rehstock genannt, tief in Nebel gesteckt liegen mußte. „Aber du gibst nicht Acht, Adelheid ! Ich habe vorhin, um dich zu prüfen, absichtlich den tollen Un- sinn in meinen sonst vernünftigen Traum hineinge- bracht und du nahmst es so natürlich wie zweimal zwei vier.“ Das Mädchen erschrack ein wenig über die Er- tappung, lachte sich jedoch sogleich herzlich selber aus und sagte: „Ja richtig! ich hab nur mit halbem Ohr gehört, wie du unaufhörlich von einer großen großen, unterirdischen Kellerthür schwaztest, welche endlich mit beiden Hinterfüßen nach dem armen Mann ausge- schlagen habe. Indessen, was ist im Traum nicht Alles möglich? Gib mir aber keck eine Ohrfeige! ich hatte fürwahr ganz andere Gedanken. Höre! und daß du es nur weißt, wir gehen heute auf den Rehstock. Noch nie hab’ ich ihn an einem Tag gesehen, wie der heutige ist, und mich däucht, da muß sich das alte Gemäuer, die herbstliche Waldung ganz absonderlich ausnehmen; mir ist, als könnten wir heut Einmal die Freude haben, so ein paar stille heimliche Wolken zu belauschen und zu überraschen, wenn sie sich eben recht breit in die hohlen Fenster lagern wollen. Wie meinst du? Schlag ein. Wir werden’s vom Papa schon erhalten, daß mir Johann das Pferd satteln darf und du selbst bist ja rüstig auf den Füßen. Wir gehen gleich nach dem Frühstück wo möglich ganz allein, und kommen erst mit dem Abend wieder.“ Dem Bruder war der Vorschlag recht; es wurde verabredet, man wolle alles Erdenkliche von Gefällig- keit thun, um die Uebrigen günstig zu stimmen. Adel- heid flocht der ältern Schwester, der eiteln Erne- stine , dießmal den Zopf mit ungewöhnlichem Fleiße, verlangte nicht einmal den Gegendienst, und der Kuß, den sie dafür erhielt, war für die Beiden ungefähr dasselbe gute Zeichen, was für Andere, wenn sie ein gleiches Vorhaben gehabt hätten, der erste Sonnenblick gewe- sen wäre. Ehe man es dachte, hat Theobald die Sache bereits beim Vater vermittelt und bald stand der Braune mit dem bequemen Frauensattel ausge- rüstet im Hofe. Man ließ das Pärchen ungehindert ziehen. Der Alte brummte unter dem Fenster mit einem geschmeichelten Blick auf die schlanke Reiterfigur seines Mädchens bloß vor sich hin: „Narrheiten!“ Ernestine kreischte nur etwas Weniges zur Em- pfehlung der zerbrechlichen, mit Mundvorrath gefüllten Gefäße nach, welche der Knecht in einer Ledertasche nebst den Schirmen hinten nachtrug, und die ehrlichen Wolfsbühler, an das berittene Frauenzimmer längst gewöhnt, grüßten durch’s ganze Dorf auf das Freund- lichste. Die Sonne hielt sich brav hinter ihrem Versteck und der Tag behielt zu Adelheids größter Zufrie- denheit „sein mockiges Gesicht“ bei. „Indem ich,“ hob sie nach einer Weile an, „wohl gute Lust hätte, recht wehmüthig zu seyn, wie dieser graue Tag es selber ist, so rührt sich doch fast wider meinen Willen ein wunderlicher Jubel in einem klei- nen feinen Winkel meines Innersten, eine Freudigkeit, deren Grund mir nicht einfällt. Es ist am Ende doch nur die verkehrte Wirkung dieses melancholischen Herbst- anblicks, welche sich von Kindheit an gar oft bei mir gezeigt hat. Mir kommt es vor, an solchen trauer- farbnen Tagen werde die Seele am meisten ihrer selbst bewußt; es wandelt sie ein Heimweh an, sie weiß nicht wornach, und sie bekommt plötzlich wieder einen Schwung zur Fröhlichkeit, sie kann nicht sagen woher. Ich freue mich der Freiheit auf meinem guten Pferde, ich wickle mich mit kindischem Vergnügen in mein Mäntelchen gegen die rauhe Luft, die da auf uns zustreicht, und halte mir das sichre Herze warm und wiege mich in meinen Gedanken. Aber nicht wahr, als wir noch in Rißthal wohnten, da war es ein Anderes, auszureiten? Enges Thal, dichter Wald, wohin man immer sah. Hier das platte Feld und lauter Fruchtbaum. Wir haben anderthalb gute Stunden, bis es ein wenig krauser hergeht. Glücklich, daß wir wenigstens die Landstraße nicht brauchen.“ Beide Geschwister durchliefen jezt in unerschöpflichen Gesprächen die Lichtpunkte ihres früheren Lebens in Rißthal, einem dürftigen Orte, wo der Vater zwölf Jahre lang Pfarrer gewesen. Sie begegneten sich mit der innigsten Freude bei so mancher angenehmen, kaum noch in schwachen Anklängen vorhandenen Erinnerung, es wagten sich nach und nach gegenseitige Worte der Rührung und Frömmigkeit über die Lippen, wie sie sonst, von einer Art falscher Schaam bewacht, zwischen jungen Leuten nicht gewechselt werden. Endlich sagte der Bruder: „Indem wir da so offen- herzig plaudern, läßt mich’s nicht ruhen, dir zu geste- hen, daß ich doch Ein Geheimniß auch vor dir habe, Adelheid ! Es ist nichts Verdächtiges, nichts, was ich verheimlichen müßte, eine Grille hat mich bisher abgehalten, dir es mitzutheilen. Aber heute sollst du es hören, und zwar unter den Mauern des alten Rehstocks, damit du künftig daran denken magst, wenn du hinaufsiehst.“ „Gut!“ erwiderte die Schwester, „ich freue mich, und für jezt kein Wörtchen weiter davon!“ Unter hundert Wendungen des Gesprächs war man in weniger als zwei Stunden unvermerkt dem erwünschten Ziele ziemlich nahe gekommen. Deutlich und deutlicher traten die Umrisse der hohen Trümmer hervor; in kurzer Zeit stand man am Fuße des wenig bewachsenen Bergs, an dessen Rückseite sich jedoch die lange Fortsetzung eines waldreichen Gebirgs anschloß. Hier ward gerastet und die fast vergessene Proviant- tasche mit weniger Gleichgültigkeit geöffnet, als man sie am Morgen hatte füllen sehen. Dann ging es langsam die Krümmung des Weges hinan, nachdem das Pferd an Johann abgegeben war, um es in einem nahe gelegenen Meierhof unterzubringen und zur be- stimmten Zeit wieder hier mit ihm einzutreffen. Auf der Höhe angelangt schweiften die Glücklichen zuerst Hand in Hand, dann zerstreut durch die weitläuftigen Räume über Wälle und Graben, durch zerfallene Ge- mächer, feuchte Gänge, verworrenes Gesträuch. Man verlor sich freiwillig und traf sich wieder unvermuthet an verschiedenen Seiten. So geschah es, daß Adel- heid eben allein mit der Entzifferung einer unver- ständlichen Inschrift beschäftigt war, als auf Einmal sich die verlorenen Töne eines, wie es schien, weibli- chen Gesanges vernehmen ließen. Das Mädchen er- schrack, ohne zu wissen warum. Ein besorgter Ge- danke an ihren Bruder, an Hülferufen, an ein Unglück hatte sie flüchtig ergriffen. Sie horchte mit geschärf- tem Ohr, sie glaubte schon sich getäuscht zu haben, aber in diesem Augenblick hörte sie dieselbe Stimme deutlicher und allem Anscheine nach innerhalb des Mauerwerks auf’s Neue sich erheben, den schwermü- thigen Klängen einer Aeolsharfe nicht unähnlich. In einem gemischten Gefühle von feierlicher Rührung und einer unbestimmten Furcht, als wären Geisterlaute hier wach geworden, wagte die Ueberraschte kaum ei- nige Schritte vorwärts und stand wieder still bei je- dem neuen Anschwellen des immer reizendern Gesan- ges, und während unwillkürlich ihre Lippen sich zu dem Lächeln einer angenehmen Verwunderung beweg- ten, fühlte sie doch fast zu gleicher Zeit ihren Körper von leisem Schauder überlaufen. Jezt verstummte die räthselhafte Stimme; nur das Rauschen des Windes in dem dürren Laube, der leise Fall eines da und dort losbröckelnden Gesteins, oder der Flug eines Vogels unterbrach die todtenhafte Stille des Orts. Das Mädchen stand eine geraume Zeit nachdenklich, unent- schlossen, stets in bänglicher Erwartung, daß die un- sichtbare Sängerin jeden Augenblick an einer Ecke her- vorkommen werde, ja sie machte sich bereits auf eine kecke Anrede gefaßt, wenn die Erscheinung sich blicken lassen sollte. Da rauschten plötzlich starke, hastige, aber wohlbekannte Tritte. Theobald kam athemlos einen Schutthügel heraufgeklommen, war froh, die Schwester wieder gefunden zu haben und sagte: „Höre nur! mir ist etwas Sonderbares begegnet —“ „Mir auch; hast du den wunderlichen Gesang gehört?“ „Nein, welchen? — aber bei dem Eingang in die Kasematte, wo der verschüttete Brunnen ist, sizt eine Gestalt in brauner Frauenkleidung und mit ver- hülltem Haupt. Sie hatte mir den Rücken zugekehrt, ich konnte nichts weiter erkennen und lief bald, dich zu suchen.“ Die Schwester erzählte ihrerseits auch, was vor- gegangen, und beide kamen bald dahin überein, man müsse sich die Person genauer besehen, man müsse sie anreden, sey es auch wer es wolle. „Ein aͤhnliches Gelüsten, wie das unsrige, hat diesen Besuch wohl schwerlich veranlaßt,“ meinte Adelheid ; „das heutige Wetter findet außer mir und dir gewiß Jedermann gar unlustig zu solchen Partien; ich vermuthe eine Unglückliche, Verirrte, Vertriebene, welche zu trösten vielleicht eben wir bestimmt sind.“ — „Und laß es ein Gespenst seyn!“ rief Theobald , „wir gehen darauf zu!“ So eilte man nach der bezeichneten Stelle hin. Sie fanden eine Jungfrau, deren fremdartiges, aber keineswegs unangenehmes Aussehen auf den ersten Blick eine Zigeunerin zu verrathen schien. Bildung des Gesichts, Miene und Anstand hatte ein auffallen- des Gepräge von Schönheit und Kraft, Alles war geeignet, Ehrfurcht, ja selbst Vertrauen einzuflößen, wenn man einem gewissen kummervollen Ausdruck des Gesichts nachging. Bis zu dem Gruße Adelheids hatte die Unbekannte die Annäherung der Beiden nicht bemerkt, oder nicht beachten wollen; jezt aber hielt sie die schwarzen Augen groß und ruhig auf die jun- gen Leute gespannt und erst nach einer Pause erwi- derte sie in wohlklingendem Deutsch: „Guten Abend!“ wobei ein Schimmer von Freundlichkeit ihren gelasse- nen Ernst beschlich. Adelheid , hiedurch schnell er- muthigt, war so eben im Begriff, ein Wörtchen wei- ter zu sprechen, als ein erschrockener Blick der Zigeu- nerin auf Theobald sie mitten in der Rede unter- brach. Sie sah, wie er zitterte, erbleichte, wie ihm die Kniee wankten. „Der junge Herr ist unwohl! Lassen Sie ihn niedersitzen!“ sagte die Fremde, und war selbst beschäftigt, ihn in eine erträgliche Lage zu bringen und ihr Bündel unter seinen Kopf zu legen. „Gewiß eine Erkältung in den ungesunden Gewölben?“ sezte sie fragend gegen das Mädchen hinzu, das sprach- los in zagender Unruhe über dem ohnmächtig Gewor- denen hing und nun in lautes Jammern ausbrach. „Kind! Kind! was machst du? der Unfall hat ja, will ich hoffen, wenig zu bedeuten; wart’ ein Weilchen, ich will schon helfen!“ tröstete die Fremde, indem sie in ihrer Tasche suchte und ein Fläschchen mit stark- riechender Essenz hervorholte, das sich gar bald recht kräftig erweisen sollte an dem „hübschen guten Jungen,“ wie sie sich ausdrückte. Als aber nach wiederholten Versuchen die Augen des Bruders geschlossen blieben und Adelheid untröstlich davon gehen wollte, ver- wies ihr die Zigeunerin das Benehmen durch einen unwiderstehlich Ruhe gebietenden Wink, so daß das Mädchen unbeweglich und gleichsam gelähmt nur von der Seite zusah, wie die seltsame Tochter des Waldes ihre flache Hand auf die Stirne des Kranken legte und ihr Haupt mit leisem Flüstern gegen sein Gesicht herun- tersenkte. Dieser stumme Akt dauerte mehrere Minu- ten, ohne daß Eines von den Dreien sich rührte. Siehe, da erhub sich weit und helle der Blick des Knaben und blieb lange fest, aber wie bewußtlos, an den zwei dun- keln Sternen geheftet, welche ihm in dichter Nähe be- gegneten. Und als er sich wieder geschlossen, um bald sich auf’s Neue zu öffnen und nun er klar erwachte, da begegnete ihm ein blaues Auge statt des schwarzen; er sah die Freudethränen der Schwester. Die Unbekannte stand seitwärts, er konnte sie nicht sogleich bemerken, aber er richtete sich auf und lächelte befriedigt, da er sie gefunden. Es trat nun einige Heiterkeit überhaupt auf die Gesichter, und Theobald erholte sich mehr mit jedem Athemzug. Indeß Adelheid nach dem innersten Hofraum der Burg eilte, wo die Reisetasche lag, um Wein für den Bruder herbeizuholen, entspann sich zwischen den Zurückgebliebenen ein sonderbares Gespräch. Theo- bald nämlich begann nach einigem Stillschweigen mit bewegter Stimme: „Sagt mir doch, ich bitte Euch sehr, wißt Ihr, warum das mit mir geschehen ist, was Ihr vorhin mit angesehen habt?“ „Nein!“ war die Antwort. „Wie? Ihr habt nicht in meiner Seele gelesen?“ „Ich verstehe Euch nicht, lieber Herr!“ „Seht nur,“ fuhr jener fort „als ich Euch ansah, da war es, als versänk’ ich tief in mich selbst, wie in einen Abgrund, als schwindelte ich, von Tiefe zu Tiefe stürzend, durch alle die Nächte hindurch, wo ich Euch in hundert Träumen gesehen habe, so, wie Ihr da vor mir stehet; ich flog im Wirbel herunter durch alle die Zeiträume meines Lebens und sah mich als Knaben und sah mich als Kind neben Eurer Gestalt, so wie sie jezt wieder vor mir aufgerichtet ist; ja ich kam bis an die Dunkelheit, wo meine Wiege stand, und sah Euch den Schleier halten, welcher mich bedeckte: da verging das Bewußtseyn mir, ich habe vielleicht lange geschla- fen, aber wie sich meine Augen aufhoben von selber, schaut’ ich in die Eurigen, als in einen unendlichen Brunnen, darin das Räthsel meines Lebens lag.“ Er schwieg und ruhte in ihrer Betrachtung, dann sagte er lebhaft: „Laßt mich Eure Rechte Einmal fassen!“ Die Fremde gab es zu, und eine schönge- bildete braune Hand wog er mit seligem Nachdenken in der seinigen, als hielte er ein Wunder gefaßt; nur wie endlich ein warmer Tropfen nach dem andern auf die hingeliehenen Finger zu fallen begann, zogen diese sich schnell zurück, die Jungfrau selber entfernte sich mit auffallender Gebärde nach einer andern Seite, wo sie hinter den Mauern verschwand. In diesem Au- genblick kam Adelheid rüstig den Wall herunterge- sprungen, allein sie hielt mit Einemmal betroffen an, denn der alte Gesang schwang sich mächtig, durchdrin- gend, anders als vorhin, wild wie ein flatternd schwar- zes Tuch, in die Luft. Die Worte konnte man nicht unterscheiden. Ein leidenschaftlicher, ein düsterer Geist beseelte diese unregelmäßig auf und absteigenden Melo- dieen, so fromm und lieblich auch zuweilen einige Töne waren. Erstaunt erhob sich Theobald von seinem Sitz, mit Entsetzen trat ihm die Schwester nahe. „Wir haben eine Wahnsinnige gefunden,“ sagte sie, „mache, daß wir fortkommen.“ „Um Gotteswillen bleib!“ rief Theobald , durch das Ungewöhnliche des Auftritts zu einer außerordentlichen Kraft gesteigert: „Liebe Schwester, du warst doch sonst keine von denen, die für das Seltene, was sie nicht begreifen, gleich einen ver- pönenden Namen wissen. Ja, und wär es auch eine Wahnsinnige, sie wird uns nicht schaden. Ich kenne sie und sie kennt mich. Du sollst noch Vieles hören.“ Damit ging er nach dem Orte hin, von wo der Gesang gekommen war, welcher indessen wieder aufgehört hatte. Die Schwester, ihren Ohren kaum trauend, sah ihm nach, unter verworrenen Ahnungen, in äußerster Be- sorgniß. So blieb sie eine geraume Weile, dann rief sie, von unerträglicher Angst ergriffen, mehrmals und laut den Namen ihres Bruders. Er kam, und zwar Hand in Hand mit der Frem- den, traulich und langsam heran. Es schien, daß un- ter der Zeit eine entschiedene Verständigung zwischen den Beiden Statt gefunden haben müsse. Wenn die Miene Theobalds nur eine tiefbefriedigte, ent- zückte Hingebung ausdrückte, so brach zwar aus der Jungfrau noch ein matter Rest des vorigen Aufruhrs ihrer Sinne wie Wetterleuchten hervor, aber um so reizender und rührender war der Uebergang ihres Bli- ckes zur sanften, gefälligen Ruhe, wozu sie sich gleichsam Gewalt anthat. Adelheid begriff nichts von Allem; doch milderte der jetzige Anbl der Unbe- kannten ihre Furcht um Vieles, erweckte ihre Theil- nahme, ihr Mitleid. „Sie geht mit uns nach Hause, Schwester, damit du es nur weißt!“ fing Theobald an, „ich habe schon meinen Plan ausgedacht. Nicht wahr, Elisabeth , du gehst?“ Ihr Kopfschütteln auf diese Frage schien bloß das schüchterne Verneinen von Jemand, der bereits im Stillen zugesagt hat. „Laßt uns aber lieber gleich aufbrechen, es will schon Abend werden!“ sezte jener hinzu; und so rüstete man sich, packte zusammen und ging. „Ich sehe nicht,“ flüsterte Adelheid in einem günstigen Augenblick, während Elisabeth weit vor- auslief, dem Bruder zu, „ich begreife nicht, was daraus werden kann! Hast du denn überlegt, wie der Vater 19 dieß Abenteuer aufnehmen wird? Wenn du die Ab- sicht hast, daß diese Person heute Nacht eine Unterkunft bei uns finde, was kann ihr dieses viel nützen? oder was trägst du sonst im Sinne? Um des Himmelswil- len, gib mir nur erst Aufschluß über dein räthselhaftes Benehmen! Welche Bewegung! welche Leidenschaft! Wie hängt denn Alles zusammen? du handelst wie ein Träumender vor mir!“ „Da magst du wohl Recht haben,“ war die Ant- wort „ja, wie ein Träumender! weiß ich doch kaum, wie Alles kam. Ich zweifle zuweilen an der Wirklich- keit dessen, was da vorging. Aber doppelt wunderbar ist es, daß dasjenige, was ich dir heute auf dem Reh- stock offenbaren wollte und was nirgends als in meiner Einbildung lebte, uns Beiden in leibhafter Gestalt hat erscheinen müssen.“ Nach und nach erklärte er, daß ihm das Mädchen über sich selbst nichts weiter zu sagen gewußt, als: sie habe sich vor vier Tagen heimlich von ihrer Gesellschaft, einer übrigens öffentlich geduldeten Zigeunerhorde, ge- trennt, weil sie ihre Heimath habe wieder suchen wol- len, der man sie in jungen Jahren entrissen, deren sie sich auch nur schwach mehr erinnere. Diese Nachricht diente keineswegs, die Theilnahme Adelheids sehr zu vermehren, vielmehr erregte der angegebene Grund der Entweichung ihren Verdacht in hohem Grade als unwahrscheinlich. Indessen war das vernünftige Mäd- chen in der Voraussicht, daß eine Zurechtweisung des Bruders für jezt schlechterdings vergeblich wäre, nur darauf bedacht, unter mißlichen Umständen wenigstens größeres Unheil zu verhüten. Theobalds körperli- cher Zustand, der nach einer unnatürlichen Anspannung eine gefährliche Schwäche befürchten ließ, war das Nächste, was sie beunruhigte, und ihr Vorschlag, man wolle den benachbarten Rittmeister um sein Gefährt ansprechen, fand bei dem Bruder nur insoferne Wider- spruch, als Elisabeth ihrer Seits darauf beharrte, den Weg zu Fuße zu machen. Johann , welcher in- zwischen treulich gewartet hatte, ward jedoch mit den geeigneten Aufträgen nach dem nächsten Hofe zu dem alten Herrn Rittmeister, einem guten Bekannten des Pfarrers, abgeschickt. Während einer peinlichen halben Stunde des Wartens fand Adelheid Veranlassung, den Gegenstand ihres Unmuths und ihres Mißtrauens von einer wenigstens unschuldigen Seite kennen zu lernen. Elisabeth äußerte auf die unzweideutigste Weise eine fast kindliche Reue darüber, daß sie sich von ihrer Bande weggestohlen, wo man sie nun recht mit Sorgen vermisse, wo ihr nie ein Leid geschehen sey, wo sie, so oft sie krank gewesen, immer guten Trost und geschickte Pflege bei gar muntern und redlichen Leuten gefunden habe. Bei dem Wörtchen „krank“ legte sie mit einer traurig lächerlichen Grimasse den Zeigefinger an die Stirn, und gab auf diese Art ganz unverholen ein freiwilliges Bekenntniß dessen, was Adelheid An- fangs gefürchtet hatte. Aber sie fügte sogar noch den naiven Trost hinzu: „Seyd nur nicht bang’, ihr guten Kinder, daß ich Jemand Uebels zufüge, wenn mein Leid mich übernimmt. Da sorgt nur nicht. Ich gehe dann immer allein bei Seite und singe das Lied, wel- ches Frau Faggatin , die Großmutter, mich gelehrt, da wird mir wieder gut. Du, armer Junge, du sollst auch das Lied noch lernen, du hast gar viel zu leiden; ich habe das wohl bald bemerkt, darum geh ich mit dir, bis du zu Hause bist, doch behalten könnt ihr mich nicht. Auch schlaf ich heute nicht bei euch. Diese Nacht noch zieht Elisabeth weiter, woher sie gekom- men, denn die Heimath ist nicht mehr zu finden. Man hat mir sie verstellt; die Berge, das Haus und den grünen See, mir Alles verstellt! Wie das nur mög- lich ist! Ich muß lachen!“ Der Knecht kam jezt mit der verlangten Aushülfe; nicht mehr zu frühe, denn schon war es dunkel gewor- den. Um so weniger wollte Theobald und selbst Adelheid es geschehen lassen, daß Elisabeth neben dem Gefährt herging. Allein sie war nicht zu überre- den, und so rückte man immerhin rasch genug vorwärts. Indeß die Geschwister nun unter sehr verschiede- nen Empfindungen, jedoch einverstanden über die näch- sten Maßregeln, sich auf diese Weise dem väterlichen Orte nähern und Theobald endlich der Schwester die ganze wundersame Bedeutung des heutigen Tags ent- deckt, ist man zu Hause schon in großer Erwartung der Beiden, und der Vater machte seine Verstimmung we- gen des längern Ausbleibens der jungen Leute bereits auf seine Art fühlbar. Um übrigens einen richtigen Begriff von der gegenwärtigen Stimmung im Pfarr- hause zu geben, müssen wir, so ungerne es geschieht, schlechterdings eine gewisse Gewohnheit des Hausvaters anführen, welche so eben jezt wieder in Ausübung ge- bracht wurde. Der Pfarrer nämlich, ein Mann von den widersprechendsten Launen, wohlwollend und tückisch, menschenscheu, hypochondrisch, und dabei oft ein belieb- ter Gesellschafter, hatte neben manchen höchst widrigen Eigenheiten den Fehler der Trägheit in einem fast ab- scheulichen Grade und sie verleitete ihn zu den abge- schmacktesten Liebhabereien. Konnte es ihm gefallen, mit gesundem Leibe ganze Tage im Bette zuzubringen und über Ein und dasselbe Zeitungsblatt hinzugähnen, so machte dieses wenigstens Niemanden unglücklich. Nun aber fand er, der in früheren Tagen gelegentlich ein Jagdfreund gewesen war, eine Art von Zeitvertreib darin, vom Bette aus nach allen Seiten des Zimmers hin mit dem Vogelrohr zu schießen. Zu diesem Behuf knetete er mit eigenen Fingern kleine Kugeln aus einem Stücke Lehm, das stets auf seinem Nachttisch liegen mußte. Er selbst war so gelegen, daß er von seinem Schlafgemach aus fast das ganze Wohnzimmer mit sei- nem Rohr beherrschen konnte. Das Ziel seiner Uebun- gen blieb jedoch nicht immer der große Essigkrug auf dem Ofen, oder das Thürchen des Vogelkäfigs, oder das alte Portrait Friedrichs von Preußen, sondern der Pfarrherr betrachtete es mitunter als den angenehm- sten Theil seiner Kinderzucht, gewisse Unarten, die er an den Töchtern bemerken wollte, durch dergleichen Schüsse zu verweisen. Jungfer Nantchen , bei Licht am Nähtische beschäftigt, brauchte z. B. vorhin etwas längere Zeit, als dem Vater billig vorkam, um ihren Faden durch das Nadelöhr zu schleifen und unerwartet klebte eine Kugel an ihrem bloßen Arm, die denn auch so derb gewesen seyn muß, daß das gute Kind recht schmerzhaft aufseufzte. Es kamen diesen Abend noch ei- nige Fälle der Art vor, wobei doch Jungfer Erne- stine verschont blieb, ein Vorzug, welchen gewöhnlich auch Adelheid, Theobald ohnehin, mit ihr theilen durfte. Allein welchen Empfang können wir den Lez- tern unter solchen Umständen versprechen? Es wurde acht Uhr, bis sie gegen das Dorf herfuhren. Sie waren inzwischen übereingekommen, man wolle Elisabeth , welche jedes Nachtquartier fortwährend mit Hartnäckig- keit ausschlug, zum wenigsten über Tisch behalten, wozu sie sich zulezt auch verstand. Die endliche Ankunft der Vermißten war indessen im Pfarrhause schon durch einen Burschen hinterbracht, den man entgegengesandt und welchem der ehrliche Johann im Vertrauen das Merkwürdigste zugeraunt hatte. Dieß veranlaßte denn ein groß Verwundern, ein gewaltig Geschrei im Haus. Dem Pfarrer sank das Spielzeug aus der Hand, da von einer Zigeunerin, von der Chaise des Rittmeisters, von Unpäßlichkeit seines Sohns verlautete. Er stand vom Bette auf und warf den Schlafrock um unter den Worten: „Was? eine Kartenschlägerin? eine Landfährerin? alle Satan! eine Hexe? und deßwegen mein Sohn plötzlich unwohl ge- worden? — und ein Fuhrwerk — eine Heidin, was? Ich will sie bekehren, ich will ihr die Nativität stellen! gebt mir mein Rohr her! nicht das — mein spani- sches! Wie hat Johann gesagt? Die Pferde seyen scheu geworden, wenn die Zigeunerin neben ihnen hergelaufen?“ Die Thür ging auf. Adelheid und Theobald standen im Zimmer; jene mit stockender Stimme, an ihrer Angst schluckend, dieser mehr beschämt und vor bitterem Unwillen glühend über das unwürdige Be- nehmen seines Vaters. Umsonst stellte er sich dem hitzigen Manne beschwörend in den Weg, als er mit dem Licht in den Hausflur treten wollte, wo Elisa- beth in einer Ecke unbeweglich hingepflanzt stand und ihm nun groß und unerschrocken entgegenschaute. Jezt aber folgte eine den gespannten Erwartungen aller Um- stehenden völlig entgegengesezte Scene. Dem Pfarrer erstickt die rauhe Anrede auf der Zunge, wie er die Gesichtszüge der Fremden in’s Auge faßt, und mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens tritt er einige Schritte zurück. Auf der Schwelle des Zimmers wirft er noch einen Blick auf die Gestalt, und in lächerlicher Verwirrung läuft er nun durch alle Stuben. „Wie kommt sie denn zu euch? was wißt ihr von dem Weibs- bild?“ fragt er Adelheiden , während Theobald sich auf den Gang hinaus schleicht. Das Mädchen berichtete, was es wußte, und sezte zulezt noch hinzu, daß der Bruder von einem Bilde gesagt, welches er schon als Kind öfters in einer Dachkammer gesehen und das die wunderbarste Aehnlichkeit mit dem Mädchen habe. Der Pfarrer winkte verdrießlich mit der Hand und seufzte laut. Er schien in der That über die Person der Fremden mehr im Reinen zu seyn, als ihm selber lieb seyn mochte, und der lezte Zweifel verschwand vol- lends während einer Unterredung, welche er, so gut es gehen mochte, mit Elisabeth unter vier Augen auf seiner Studirstube vornahm. Er ward überzeugt, daß er hier die traurige Frucht eines längst mit Stillschwei- gen zugedeckten Verhältnisses vor sich habe, das einst unabschbares Aergerniß und unsäglichen Jammer in seiner Familie angerichtet hatte. Was jedoch Elisa- beth jezt über ihr bisheriges Schicksal vorbrachte, war nicht viel mehr, als was die Andern bereits von ihr wußten, und der Pfarrer fand nicht für gut, sie über das Geheimniß ihrer Geburt und somit über die nahe Beziehung aufzuklären, worin sie dadurch zu seinem Hause stand. Den auffallenden Umstand aber, daß die Flüchtige just in diese Gegend gerieth, machten einige Aeußerungen des Mädchens klar, aus welchen hervor- ging, daß ein unzufriedenes Mitglied jener Bande sich an dem Anführer durch die Entfernung Elisabeths rächen wollte, wozu ihm die Leztere selbst durch die häu- fige Bitte Gelegenheit gegeben haben mußte, er möchte sie doch einmal in ihre Heimath zu Besuche führen, und allerdings war der Mensch, wie sich später ergab, von der eigentlichen Herkunft des Mädchens, so wie von dem Daseyn einiger Verwandten ihres Vaters vollkommen unterrichtet; er beabsichtigte, sie nach Wolfsbühl zu bringen, wo er sich nicht geringen Dank versprach, aber wenige Stunden von dem Orte traf er auf die Spur von Zigeunern, welche ohne Zweifel ihm nachzusetzen kamen. Er ließ das Mädchen im Stiche und sezte seine Flucht allein fort. Jungfer Ernestine mahnte bereits zum dritten Male an das ohnehin verspätete Nachtessen; man schickte sich also an, und wohl selten mag eine Mahlzeit einen sonderbarern Anblick dargeboten haben. Sie ging ziemlich einsylbig von Statten. Der fremde Gast war natürlich unausgesezt von neugierigen zweifelhaf- ten Blicken verfolgt, die nur, wenn zuweilen ein Strahl aus jenen dunkeln Wimpern auf sie traf, pfeilschnell und schüchtern auf den Teller zurückfuhren. Elisabeth ersah sich nach Tische den schicklichsten Zeitpunkt, um aus der Thür und so fort geschwinde aus dem Haus zu entschlüpfen, ohne auch nachher, als man sie vermißte, wieder aufgefunden werden zu kön- nen. Der Vater schien dadurch eher erleichtert als bekümmert. Sie hatte jedoch, wie man jezt erst bemerkte, ihr Bündel zurückgelassen; sie mußte also wahrscheinlich wieder erscheinen, und Theobald tröstete sich mit dieser Hoffuung. Eine mächtige und tiefgegründete Leidenschaft, so viel sehen wir wohl schon jezt, hat sich dieses reizba- ren Gemüths bemeistert, eine Leidenschaft, deren Ur- sprung vielleicht ohne Beispiel ist und deren Gefahr dadurch um nichts geringer wird, daß eine reine Gluth in ihr zu liegen scheint. Der junge Mensch befand sich, seit das räthselhafte Wesen verschwunden war, in dem Zustand eines stillen dumpfen Schmerzens, wobei er, so oft Adelheid ihn mitleidig ansah, Mühe hatte, die Thränen zurückzuhalten. Sie nöthigte ihn auf seine Schlafkammer, wo sie ihm bald gute Nacht sagte. Der Pfarrer war durch das unerwartete Er- eigniß des heutigen Abends in seinem gewohnten Gleich- muthe dergestalt gestört, daß er jezt noch an keine Ruhe denken konnte. Die Erinnerung an eine bedeutende Vergangenheit, an das unglückliche Schicksal eines leib- lichen Bruders wurde nach langer Zeit wieder zum ersten Male heftig in ihm aufgeregt, er fühlte ein Be- dürfniß, sich seiner ältesten Tochter mitzutheilen, und Ernestine , von jeher nur wenig unterrichtet über jenes merkwürdige Familienverhältniß, sah jezt mit neugieriger Miene den Vater ein bestäubtes Manu- script hervorholen, worin die Geschichte ihres Oheims größtentheils von dessen eigener Hand verzeichnet stand. Alle Uebrigen im Hause hatten sich zu Bette begeben, nur Adelheid saß nachdenklich in einem Winkel des Zimmers und hörte bescheiden zu, indeß der Vater aus dem Gedächtniß erzählte, nachdem er die vor ihm lie- gende Handschrift mit Wehmuth, ja mit Grauen, bald wieder auf die Seite geschoben hatte. „Mein jüngerer Bruder Friedrich ,“ fing er an, „dein seliger Oheim, war ein Genie, wie man zu sagen pflegt, und leider bei aller Herzensgüte ein über- spannter Kopf, welcher schon in der frühesten Jugend nichts wollte und nichts vornahm, was in der Ord- nung gewesen wäre. Er bewies ein außerordentliches Geschick zur Malerkunst und mit der Zeit unterstüzte ihn der Fürst auf das Großmüthigste. Er ließ ihn auf sechs Jahre nach Italien reisen, gab ihm auch nach seiner Zurückkunft ungemeine Zeichen seiner Gnade. Anfänglich nahm er seinen Aufenthalt in der Haupt- stadt, später kaufte er sich das etwa fünf Stunden von Rißthal und drei von hier entfernte Gütchen F., wo er, noch immer unverheirathet, bloß für sein Geschäft lebte. In dieser Zeit hab’ ich ihn gar oft gesehen. Es war ein großer schöner Mann und gar munter, wenn es an ihn kam. Er hätte glücklich seyn können, aber eine Reise hat ihn in sein Verderben geführt. Er entschloß sich nämlich im Frühjahr 17** auf den Rath der Aerzte, seiner Erholung wegen, einen Freund in Böhmen zu besuchen, mit dem er zu gleicher Zeit in Rom gewesen war. Ach, er ahnete nicht, welchem Verhängniß er entgegenging!“ So sprach der Pfarrer und nun folgte die Er- zählung einer Geschichte, welche der Leser besser aus dem Tagebuch des Malers selbst erfährt. In der Gegend von H ** den 22. Mai. Schon seit Wochen fühle ich meine Gesundheit kräftiger als jemals; aber seit wenigen Tagen streckt auch der Geist seine erschlafft gewesenen Organe so be- gierig und arbeitsdurstig wieder aus, daß ich ordentlich über mich selbst erstaune. Ich spüre, es will sich ein neues Leben hervordrängen, es will ein Wunder in mir werden. Ich wüßte Niemanden, dem ich die Ursache dieser mächtigen Revolution, die Geschichte der lezten vier Tage, so vertraulich mittheilen könnte, als diesen verschwiegenen Blättern. Aber fürwahr, ich thue es beinahe bloß in der grillenhaften Besorgniß, daß mein gegenwärtiges Glück, ja daß mir selbst die Erinnerung an diese außerordentliche Zeit entrissen werden könne. Am 17. Mai trat ich von G. aus eine kleine Ex- kursion an, und zwar allein, weil mein Freund verhin- dert war. Ich fand etwas Reizendes in dem Gedanken, so wie zuweilen im Vaterland, jezt auch auf böhmischem Boden einmal ohne bestimmtes Ziel und besondere Ab- sicht auszufliegen, nur dachte ich an das schöne Gebirge gegen *** zu, das ich vom Fenster aus als dunkel- blauen Streif gesehen hatte. Ich schlug also ungefähr diese Richtung ein und ließ mich nach Bequemlichkeit vom nächsten besten Wege fortziehen, verweilte bei Al- lem, was mir neu und merkwürdig war, machte meine Beobachtungen an Menschen und Natur, zog mein Skizzenbuch hervor, zeichnete oder las wie mir’s einkam, und ließ es mir mitunter in den dürftigsten Dorfschen- ken auf’s Beste gefallen. Am zweiten Abend meiner Wanderung befand ich mich bereits in einer anziehenden Gebirgsgegend und der darauf folgende Mittag sah mich schon tief in den herrlichsten Waldungen herum- schwärmen, wo ich nach Herzenslust den wilden Athem der Natur kostete, die Schauer der Einsamkeit empfand, mich hundert Zerstreuungen überließ. Unvermerkt sank die Dämmerung herein, da es mir denn erst einfiel, den Fußsteig wieder aufzusuchen, der, wie man mir ge- sagt hatte, nach einer guten, mitten im Walde gelege- nen Herberge führen mußte. Das ging aber nicht so leicht; eine volle halbe Stunde quälte ich mich ab, ohne eine Spur zu entdecken. Jezt war es fast Nacht. Meine Wahl ging nahe zusammen. Auf gut Glück lief ich noch eine Zeitlang vorwärts, bis das dicker werdende Ge- sträuch und eine große Müdigkeit mich verdrossen stille stehen machte. Ungeduld und Aerger über meine Un- vorsichtigkeit waren auf’s Aeußerste gestiegen, da über- raschte mich mit Einemmal der Gedanke, daß ich mir ehedem oft eine solche Situation gewünscht, und daß dieser scheinbar widerwärtige Zufall recht eigentlich im Charakter meiner Reise sey. Hiemit gab ich mich denn auch wirklich zufrieden. Unbequem genug lagerte ich mich unter einer hohen Eiche, murmelte etwas von der Lieblichkeit der warmen Sommernacht, vom baldigen Aufgang des Mondes und konnte doch nicht verhüten, daß meine Gedanken einige Mal in dem verfehlten Wirthshaus einkehrten, wo ein ordentliches Abendbrod und ein leidlicheres Bette auf mich gewartet haben würden. Mit solchen Bildern beschäftigt, bemerkte ich jezt in einiger Entfernung durch das Gezweige hindurch den Glanz eines Feuers. Meine ganze Einbildungs- kraft entzündete sich in diesem Anblick unter tausend mehr oder weniger angenehmen Vermuthungen; aber bald entschloß ich mich zu einer genauern Untersuchung. Nach einer mühsam zurückgelegten Strecke von etwa fünfzehn Schritten unterschied ich eine bunte Gesellschaft von Männern, Weibern und Kindern auf einem etwas freien Platz um ein Feuer herumsitzend und zum Theil von einer Art unordentlichen Gezeltes bedeckt; sie führ- ten, so viel ich hörte, ein zufriedenes aber lebhaftes Gespräch. Das Herz hüpfte mir vor Freuden, hier einen Trupp von Zigeunern anzutreffen, denn ein altes Vor- urtheil für dieß eigenthümliche Volk wurde selbst durch das Bewußtseyn meiner gänzlichen Schutzlosigkeit nicht eingeschreckt. Ich weiß nicht, welches rasche zuversicht- liche Gefühl mich überredete, daß wenigstens bei dieser Versammlung durch eine offene Ansprache nichts zu wagen sey. Mein kleiner Tubus trug in keinem Fall etwas dazu bei, denn bei einer physiognomischen Unter- suchung der vom rothen Schein der Flamme beleuchte- ten Köpfe hätte mein Urtheil unentschieden bleiben müs- sen, trotz der frappantesten Deutlichkeit, womit jeder Zug sich vor mein Auge stellte. Ich trat hervor, ich grüßte treuherzig und erfuhr ganz die gehoffte Auf- nahme, nachdem ich mich durch das erste barsche Wort des Häuptlings nicht hatte irre machen lassen. Meine unbefangene Keckheit schien ihm plötzlich zu gefallen, auch meinen Anzug musterte er jezt mit sichtbarem Respekt. Man lud mich ein, auf einen Teppich nie- derzusitzen und bot mir zu essen an. Ich gab mir ein mehr und mehr treuherziges und redseliges Wesen, dessen gute Wirkung sich gar bald an meinen Leuten zeigte, die mit Aufmerksamkeit meinen Schilderungen aus fremden Ländern zuhörten, während ich mich nebenher an den merkwürdigen Gesichtern und köstlichen Grup- pen in die Runde erquicken konnte. Dieß dauerte ungestört eine ganze Zeit. Jezt ließ sich ein ferner Donner vernehmen und man machte sich auf ein Gewitter gefaßt, das auch wirklich un- vermuthet schnell herbeikam. Jedes schüzte sich so gut wie möglich. Bei dieser allgemeinen Bewegung, indeß der Re- gen unter heftigen Donnerschlägen stromweise nieder- goß und eines der seitwärts stehenden Pferde scheu wurde, war mir mein Portefeuille entfallen. Ich suchte es in der dicksten Finsterniß am Boden und hatte es so eben glücklich aufgehoben, als ich plötzlich beim jähen Licht eines starken Blitzes hart an meiner Seite ein weibliches Gesicht erblickte, das freilich derselbe Moment, welcher es mir gezeigt, wieder in die vorige Nacht verschlang. Aber noch stand ich geblendet wie in einem Meere von Feuer und vor meinem innern Sinne blieb jenes Gesicht mit bestimmter Zeichnung wie eine feste Maske hingebannt, in grünflammender Umgebung des nassen glänzenden Gezweigs. Nichts in meinem Leben hat einen solchen Eindruck auf mich gemacht, als die Erscheinung dieses Nu. Unwillkür- lich streckte sich mein Arm aus, um mich zu überzeu- gen, aber es rauschte schon an mir vorüber und eine längere Zeit, als meine Ungeduld wollte, verging, bis ich in’s Klare kommen sollte. Doch das blieb nicht aus. Ein Mädchen, das Anfangs in dem Zelt ver- borgen gewesen seyn mochte, und das man mit dem Namen Loskine rief, zeigte sich jezt auch unter den Andern, als man bei nachlassendem Regen wieder Feuer anmachte und sich unter wechselnden Scherz- und Scheltworten auf den störenden Ueberfall wieder in Ordnung brachte. Das Mädchen ist die Nichte des Hauptmanns. — Loskine — wie soll ich sie beschreiben? Sind doch seit jener Nacht vier volle Tage hingegangen, in denen ich dieß Gebilde der ei- gensten Schönheit stündlich Aug in Auge vor mir hatte, ohne daß dem Maler in mir eingefallen wäre, sich ihrer durch das elende Medium von Linien und Stri- chen zu bemächtigen! O diese wenigen Tage, wie reich an Entdeckungen, wie unermeßlich in ihren Folgen für meine ganze Art zu existiren! Ich bin seither der freiwillige Begleiter dieser streifenden Gesellschaft. Ja, das bin ich und ich er- röthe keineswegs über diesen Einfall, den mir auch kein Professor ordinarius der schönen Künste beach- selzucken soll, weil ich ihn einem Professori ordinario sicherlich nicht erzählen werde. Oder schändet es in der That einen vernünftigen Mann, den sein Beruf selber auf Entdeckung originaler Formen hinweiset, eine Zeit- lang der Beobachter von wilden Leuten zu seyn, wenn er unter ihnen unerschöpflichen Stoff, die überraschend- sten Züge, den Menschen in seiner gesundesten physi- schen Entwicklung findet, und dabei die übrige Natur wie mit neuen Augen, mit doppelter Empfänglichkeit anschaut? Ich lerne mit jeder Stunde und die Leute sind die Gefälligkeit selbst gegen mich. Einiger Eigen- nutz ist freilich immer dabei; meine Freigebigkeit behagt ihnen, aber mich wird sie nie gereuen. Einen Tag später. Ich muß lächeln, wenn ich mein gestriges Rai- sonnement von Malerstudium und Kunstgewinn wie- der lese. Es mag seine Richtigkeit damit haben, aber wie käme diese hochtrabende Selbstrechtfertigung hie- her, wenn nicht noch etwas Anderes dahinter stäke, um was ich mir mit guter Art einen Lappen hängen wollte? Doch ich gestehe ja, daß Loskine schon an und für sich allein die Mühe verlohnen könnte, sich eine Woche lang mit dem Zug herum zu treiben. Ich kann dieß Geschöpf nicht ansehen, ohne die Be- wunderung immer neuer geistiger, wie körperlicher Reize. Sie fesselt mich unwiderstehlich, und wäre es 20 auch nur durch das Interesse an der ungewöhnlichen Mischung dieses Charakters. Aeußerungen eines feinen Verstandes und einer kindischen Unschuld, trockner Ernst und plötzliche An- wandlung ausgelassener Munterkeit wechseln in einem durchaus ungesuchten und höchst anmuthigen Kontraste mit einander ab und machen das bezauberndste Far- benspiel. Das Unbegreifliche dieser Komposition und dieser Uebergänge ist auch bloß scheinbar; für mich hat das Alles bereits die nothwendige Ordnung einer schönen Harmonie angenommen. Erstaunlich ist zu- weilen die Behendigkeit ihrer äußern Bewegungen und herrlich das Lächeln der Ueberlegenheit, wenn es ihr mitunter gefällt, die Gefahr gleichsam zu necken. Mit Zittern seh ich zu, wie sie einen jähen Abhang hin- unter rennt und so von Baum zu Baum stürzend sich nur einen kurzen Anhalt gibt; oder wenn sie sich auf den Rücken eines am Boden ruhenden Pferdes wirft und es durch Schläge zum plötzlichen Aufstehen zwingt. Unter den Uebrigen bildet sie indessen eine ziemlich isolirte Figur; man läßt sie auch gehen, weil man ihre Art schon kennt, und doch hängen Alle mit einer gewissen Vorliebe an ihr. Besonders scheint der Sohn des Anführers, ein gescheidter männlich schöner Kerl, größere Aufmerksamkeit für sie zu haben, als ich leiden mag, wobei mich zwar eines Theils ihre Kälte freut, auf der andern Seite aber sein heimlicher Verdruß doch wieder herzlich rührt. Mich mag sie gerne um sich dul- den, allein ich scheue mich fast vor Marwin , so heißt jener Mensch, und bin schon daran gewöhnt, vorzüglich nur die Gelegenheit zu benützen, wann er eben auf Rekognoszirung oder sonst in einem Geschäft ausgeschickt wird, was häufig vorkommt. Ich habe ihr schon manche kleine Geschenke gekauft, deren Absichtlichkeit ich durch ähnliche Gaben an die Andern zu bemänteln weiß. — Aber, mein Gott! was will ich denn eigentlich? Noch treffe ich nicht die Spur eines Gedankens an die Umkehr bei mir an. Vorgestern schrieb ich, unter einem nicht sehr wahr- scheinlichen Vorwand und ohne das Geringste von mei- nem jetzigen Leben verlauten zu lassen, an Freund S., er möchte mir meine ganze Baarschaft nach dem Städt- chen G * * * senden, wo wir, wie der Hauptmann sagt, in vier Tagen zur Marktzeit eintreffen werden. Dieser Marsch bringt mich dem Orte, von dem ich ausgegan- gen, wieder um fünf Meilen näher. Aber doch welche Entfernung immer noch! Gut, daß ich in diesen Ge- genden nicht fürchten muß, auf irgend ein bekanntes Gesicht zu stoßen, wofern ich anders in meinem gegen- wärtigen Zustand noch kenntlich wäre. Ich habe meinem Anzug durch einige geborgte Kleidungsstücke ein etwas freieres Wesen gegeben, um mich meinen Gesellen ei- nigermaßen zu konformiren. Eine violett und rothe Zipfelmütze auf dem Kopf, ein breiter Gürtel um den Leib thut wahrlich schon viel. 26. Mai. Einen artigen Auftritt hat es gegeben. Wir raste- ten nach einem ermüdenden Strich Mittags in einem Tannengehölze. Marwin war abwesend und sonst überließ sich fast Alles dem Schlafe. Loskine suchte ihre Lieblingsspeise, das durstlöschende, angenehme Blatt des Sauerklees, der dort in großer Menge wächst. Ich begleitete sie und wir sezten uns endlich hinter einem Hügel an einer schattigen Stelle auf den von abgefallenen Nadeln ganz übersäeten Moosboden. Ich weiß nicht, wie wir auf allerlei Mährchen und wunderbare Dinge zu sprechen kamen, woran sie bei weitem reicher war als ich. Unter Anderem wußte sie von der spinnenden Wald- frau zu sagen, die im Frühen, wenn der herbstliche Wald von der Morgenröthe glühet, unter den Bäumen hergehe und das Laub, wie vom Rocken, in grün und goldnen Fäden abspinne, indeß die Spindel neben ihr hertanze. Auch vertraute sie mir Vieles von der heimlichen Kraft der Kräuter und Wurzeln, was nicht wiederholt werden kann, ohne zugleich ihre eigenen Worte zu ha- ben. Dazwischen arbeitete sie mit dem Schnitzmesser sehr fertig an einem niedlichen Geräthe, dergleichen die Zigeuner aus einem gelben Holze zum Verkauf machen. Ich hatte zulezt beinahe kein Ohr mehr für ihre Er- zählungen ob der Aufmerksamkeit auf die Bewegung der Lippen, auf das Spiel ihrer Miene, und endlich von stille glühenden Wünschen innerlich bestürmt und aufgeregt, wandte ich mich von ihr ab, so daß ich etwas tiefer sitzend ihr Gesicht im Rücken und ihren nackten Fuß — denn so geht sie gar häufig — dicht vor meinem Auge hatte. Wie trunken an allen Sinnen und meiner nicht mehr mächtig ergriff ich den Fuß und drückte mei- nen Mund fest auf die feine braune Haut. In diesem Augenblick gab Loskine mir lachend einen derben Stoß, wir standen Beide auf und ich bemerkte eine hohe Röthe auf ihrer Wange, eine Verwirrung, die ich schnell zu deuten wußte. Dadurch kühn gemacht schlang ich ohne Besinnen die Arme um die treffliche Gestalt, und sie widerstand mir nicht. Heiß brannten ihre Lippen, und ihr Blick sprühte in den meinigen sein schwarzes Feuer. Aber kurz nur, denn jezt kehrte er sich verwor- ren ab, und der nächste Gegenstand, auf den er zugleich mit dem meinigen fällt, ist — Marwin , welcher ruhig an einen unfernen Baum gelehnt ein Zeuge die- ser Scene war. Loskine stand wie vom Schlage ge- rührt. Ich suchte, ohne Marwin bemerken zu wollen, ihn über den Vorfall zu täuschen, indem ich laut und scherzhaft mich über Sprödigkeit beklagte und daß sie mir das Gesicht schändlich zerkrazt hätte. Bei dieser Komödie leistete mir das Mädchen nicht die geringste Unterstützung. Sie starrte schweigend vor sich hin und unter stille hervorstürzenden Thränen entfernte sie sich langsam. Nun erst grüßte ich ganz verwundert meinen Nebenbuhler, ging auf ihn zu und wollte in meiner Rolle fortfahren, allein er sah mich ein paar Sekunden lang verächtlich an, dann ließ er mich stehen und ging. Es sind seitdem sechzehn Stunden verflossen, ohne daß sich bisher die mindeste Folge gezeigt hätte, außer daß Loskine mir überall ausweicht. In einer Bauernhütte zu *** Ich bin getrennt von meiner Bande, aber um welchen Preis getrennt! An demselben Morgen, da ich das Lezte schrieb, nahm der Hauptmann mich bei Seite und erklärte mir mit Mäßigung, aber mit finsterm Unmuth, daß ich ihn verlassen müßte oder mich ganz so verhalten, als ob Loskine gar nicht vorhanden wäre. Sein Sohn wünsche sie als Weib zu besitzen, er selber habe sie ihm versprochen, sie werde sich auch jezt nicht län- ger weigern. Ich möchte überhaupt auf meiner Hut seyn, Marwin wolle mir sehr übel, nur die Furcht vor ihm, seinem Vater, habe ihn im Zaum gehalten, daß er sich nicht an mir vergriffen. Ich erwiderte, wenn mein argloses Wohlgefallen an dem Mädchen Verdruß errege, so wäre es mir ein Leichtes, künftig behutsam zu seyn; wenn aber Marwin überhaupt durch meine Gegenwart beunruhigt werde, so würde ich auch diese aufheben. Der Hauptmann, im Be- wußtseyn der nicht unbeträchtlichen Vortheile, die ihm meine Gesellschaft brachte, lenkte ein. Ich antwor- tete darauf wieder in unbestimmten Ausdrücken und so beruhte die Sache auf sich. Aber bald kam ich zu einer herzzerschneidenden Scene, woran ich sogleich selber Theil nehmen sollte. Loskine , mit dem Strick- zeug auf dem Schoose, saß an der Erde, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, indeß ihr Liebhaber un- ter gräßlichen Verwünschungen und im heftigsten Schmerz ihr ein offenes Geständniß über jenen Vor- fall auszupressen suchte. Wie er mich gewahr wurde, sprang er gleich einem Wüthenden auf mich los, faßte mich an der Brust und forderte von mir, was jene ihm vorenthalte. Er zog das Messer und drohte mir noch immer, als wir schon von fünf bis sechs Per- sonen, die herbeieilten, umringt waren. Der Vater entwaffnete ihn auf der Stelle. Aber erst Loskine , welche sich jezt mit einem mir unvergeßlichen Aus- druck von würdevoller Ruhe aufhob, machte dem Lär- men ein Ende; sie faßte, ohne ein Wort zu sprechen, Marwin mit einem viel sagenden Blicke bei der Hand und er, der von der Bedeutung ihrer feierli- chen Gebärde so mächtig ergriffen zu seyn schien, wie ich, folgte wie ein Lamm, als sie ihn tief mit sich in das Gebüsche führte. Nach einer Weile kehrte sie allein zurück, ging mit entschiedenem Schritt auf mich zu, den sie gleich- falls aus der Mitte der Uebrigen hinweg winkte. „Ich habe ihm versprochen,“ fing sie, da wir weit genug entfernt waren und stille standen, in ernstem Tone an, „ich hab’ ihm versprochen, dir zu sagen, daß ich dich hasse wie meinen ärgsten Feind und bis in den Tod. Ich sage dir also dieses. Doch du weißt es anders. Ich sage dir für mich, daß ich dich viel- mehr liebe wie meinen liebsten Freund, und das so lange ein Athem in mir seyn wird. Aber du mußt fort von uns, auch das hab’ ich ihm zugesagt. Mach’ es kurz, ich darf nicht lange ausbleiben. Küsse mich!“ „Muß ich fort,“ antwortete ich, durch das Groß- artige dieses Augenblicks fast über allen Affekt hin- ausgehoben, „muß ich fort, und ist es wahr daß du mich mehr liebest als Alles, so laß uns zusammen gehen.“ Sie sah mich staunend an, dann schüttelte sie ge- dankenvoll das schöne Haupt. „ Loskine !“ rief ich, „wolle nur, und was dir un- möglich scheint, soll gewiß möglich gemacht werden. Aber noch Eins zuvor beantworte mir: Kannst du Marwins Verlangen nicht gutwillig erfüllen? Kannst du nicht die Seinige werden?“ Sie schwieg. Ich that dieselbe Frage wieder, worauf sie ein bestimmtes: Nein! ausstieß. Mir fiel ein Berg vom Herzen und zugleich war mein Ent- schluß gefaßt. Mit Blitzesschnelle ordnete sich ein Plan in meinem Kopfe, dessen Unsicherheit ich freilich sogleich fühlte. Er lief darauf hinaus, daß ich nach meiner unverzüglichen Trennung von ihren Leuten allein bis G * * * vorausreisen wolle, dem Städtchen, wo sie, wie ich ja wußte, nächstens auch eintreffen würden. Dort solle sie sich alsdann von den Ihrigen verlieren, sich unter der Hand und mit kluger Art nach dem angesehensten Gasthaus erkundigen, wo ich mich unfehlbar bereits befinden und alle Anstalten zur schnellen Flucht getroffen haben würde. Loskine hatte meinen Vorschlag kaum vernommen, so entriß sie sich mir eilig, denn wir hörten Geräusch. In ei- nem Gewirre von ängstlich sich durchkreuzenden Ge- danken über die Ungewißheit, in welcher ich in mehr als Einer Hinsicht mit meinem Plane stand, blieb ich mir selber überlassen. Hat das Mädchen mich verstanden? Werde ich Gelegenheit finden, sie noch Einmal darüber zu vernehmen? oder, wenn sie mich gefaßt hat, wird sie sich zu dem Schritte ent- schließen? ist der leztere überhaupt ausführbar? Diese Zweifel beunruhigten mich nicht wenig, bis mir der glückliche Einfall kam, Alles dem Willen des Schicksals anheim zu stellen und zulezt das Glücken oder Mislingen meiner Absichten als Probe ihrer Güte oder Verwerflichkeit anzusehen. Mit dieser Idee schmeichelte ich mir ordentlich, sowie durch den stren- gen Vorsatz, Loskinen für jezt nicht mehr aufzusuchen, mich wenigstens nicht näher mit ihr darüber zu ver- ständigen. Um wie viel bedeutender — dieß schwebte im Hintergrund meiner Seele — um wie viel glän- zender wird nachher die Erfüllung deiner Erwartungen seyn! Aber auch selbst in ihrem Fehlschlagen sah ich einen für mich reizenden Schmerz und eine schöne Entsagung voraus. Jezt begab ich mich zu meiner Gesellschaft, zog den Hauptmann bei Seite und erklärte ihm die Nothwen- digkeit meiner Entfernung, die ich ihm durch einen lezten Beweis meiner Erkenntlichkeit um so leichter verschmerzen machte. Er empfing mein immer an- sehnliches Geschenk mit einer Miene von Stolz und Freundlichkeit, erbot sich zu einem Ehrengeleite, was ich aber ausschlug, und er versprach, meiner Bitte ge- mäß, die Andern in meinem Namen zu grüßen, da ich aus Schonung für Marwin einen allgemeinen Abschied vermeiden wolle. Im Grunde aber unter- ließ ich den Abschied aus Schonung für mich selber, aus einem eigenen Schamgefühl, das mich nicht vor den Menschen treten ließ, den ich um seine schönste Hoffnung zu betrügen gedachte. Ich suchte mich da- mit zu trösten, daß ich mir sagte, er werde um Nichts beraubt, das er je besessen hätte oder jemals besitzen könnte, denn Loskinens Herz war weit von ihm entfernt. In kurzer Zeit befand ich mich wieder allein und in meinen ordentlichen Kleidern. Ich verfolgte zu Pferde mit einem gleichfalls berittenen Begleiter aus dem nächsten Dorfe einen Umweg nach G ***, wel- chen, wie zu vermuthen war, der Hauptmann nicht einschlug. Diese Vorsicht gebrauchte ich auf alle Fälle, so wie ich ihm auch die Richtung meiner Reise falsch angab. In G. langt’ ich bei Zeiten an und nahm mein Absteigequartier gemäß dem Loskinen gegebenen Worte. Was meine Absicht weiter fördern konnte ward unverzüglich eingeleitet. Einige neue Kleidungs- stücke, vor Allem ein anständiger Mantel lag für die Geliebte bereit. Es fand sich ein bequemer verschlos- sener Wagen, dessen Anblick mich mit abwechselnd glücklichen und bekümmerten Ahnungen erfüllte; doch erhielt sich meine Hoffnung um so aufrechter, je wei- ter ich die Zeit hinaussezte, wo meiner Berechnung nach die Ankunft des Trupps erfolgen konnte. Dieß war auf den folgenden Morgen, als den eigentlichen Markttag. Ganz gelassen schaute ich so eben von mei- nem Zimmer auf die Straße hinab und überlegte, nicht ohne einige bedenkliche Rücksicht auf den sehr herabgesunkenen Zustand meiner Börse, die Art und Weise, wie ich das in den nächsten Tagen unfehlbar hier auf der Post einlaufende Paket von S. wollte am zweckmäßigsten heimwärts mir nachschicken lassen. Ich sah unter diesen Betrachtungen ruhig zu, wie unter meinem Fenster ein Junge vom Haus mit einer neuen hölzernen Armbrust spielte, wobei ein dunkles, gleichgültiges Gefühl in mir war, als wäre mir ein gleiches Instrument während der lezten Zeit irgendwo vorgekommen. Wie ein Blitz durchzückt mich plötzlich der Gedanke, daß ich noch vor zwei Tagen dergleichen Schnitzarbeit in den Händen Loskinens gesehen, daß sie bereits in der Nähe seyn müsse, daß sie jeden Augenblick in das Haus treten könne. Ich war au- ßer mir vor Freude, vor Erwartung und Angst. Aber dieser peinvolle Zustand sollte nicht lange dauern. O Gott! wer schildert den Augenblick, da die herr- liche Gestalt in mein Zimmer schlüpfte, diese Arme sie empfingen und sie mit ersticktem Athem rief: „Da bin ich! da bin ich Unglückliche! beginne mit mir, was du willst!“ In Kurzem saßen wir im Wagen; erst fuhr ich allein eine Strecke weit vor die Stadt und erwartete sie dort. Wir reis’ten den Tag und die Nacht hin- durch und sind vor der Hand weit genug, um nichts mehr zu fürchten. Aber welche Roth, welche süße Noth hatt’ ich, den Jammer des holden Geschöpfs zu mäßigen. Sie schien jezt erst den ungeheuren Schritt zu überdenken, den sie für mich gewagt, sie quälte sich mit den bittersten Vorwürfen und dann wieder lachte sie mitten durch Thränen, mit Leiden- schaft mich an sich pressend. So kamen wir gegen Tagesanbruch im Grenzorte B. ermüdet an. Ich schreibe dieß in einem elenden Gasthof, indessen Los- kine nicht weit von mir auf schlechtem Lager eines kurzen Schlafs genießt. Getrost, gutes Herz, in we- nig Tagen zeig’ ich dir eine Heimath. Du sollst die Fürstin meines Hauses seyn, wir wollen zusammen ein Himmelreich gründen, und die Meinung der Welt soll mich nicht hindern, der Seligste unter den Men- schen zu seyn. Hier brach das Tagebuch des Malers ab. Der Pfarrer machte eine Pause und Jungfer Ernestine sagte: „Er brachte sie also ins Vaterland und nahm sie förmlich zum Weibe?“ „Ja, leider, daß Gott er- barm’! er sezt’ es durch. Er verläugnete die ab- scheuliche Herkunft der Person, doch man merkte sogleich Unrath, und wer von der Familie hätte sich nicht da- vor bekreuzen sollen, so eine wildfremde Verwandt- schaft einzugehen? Alles rieth dem Bruder ab, Alles verschwor sich gegen eine Verbindung, ich selbst, Gott vergebe mir’s, habe mich verfeindet mit ihm, so lieb ich ihn hatte. Umsonst, der Fürst war auf seiner Seite, er ward in der Stille getraut und lebte mit dem Weibsbild einsam genug auf seinem kleinen Gute. Seine Kunst nährte ihn vollauf, aber es konnte kein Seegen dabei seyn; beide Ehleute, sagt man, hätten sich geliebt, abgöttisch geliebt, und doch, heißt es, sey sie in den ersten Monaten krank geworden vor Heim- weh nach ihren Wäldern, nach ihren Freunden. Man sage mir was man will, ich behaupte, so ein Gesindel kann das Vagiren nicht lassen, und mein armer Bru- der muß tausendfachen Jammer erduldet haben. Es dauerte kein Jahr, so schlug der Tod sich in’s Mittel, die Frau starb in dem ersten Kindbett. Euer Onkel, statt, wie man hoffte, dem Himmel auf den Knieen zu danken, that über den Verlust wie ein Verzwei- felnder; er lebte eine Zeitlang nicht viel besser als ein Einsiedler; sein einziger Trost war noch das Kind, das am Leben erhalten war und in der Folge eine unglaubliche Aehnlichkeit mit der Mutter zeigte. Er ließ das Mädchen sorgfältig bei sich erziehen bis in sein siebentes Jahr. Da strafte Gott den hart Ge- züchtigten mit einem neuen Unglück. Das Kind ward eines Tags vermißt, niemand begriff, wohin es gera- then seyn konnte. Später fand man Ursache, zu glau- ben, daß die verruchte Bande den Aufenthalt meines Bruders entdeckt, und weil die Frau nicht mehr zu stehlen war, sich durch den Raub des Mädchens an dem Vater gerächt habe. Sein halb Vermögen ließ dieser es sich kosten, seinen Augapfel wieder an sich zu bekommen; vergebens, er mußte die Tochter verloren geben, und nie vernahm man weiter etwas von ihr. Und heute nun — es ist ja unfaßlich, es ist rein zum toll werden, mir wirbelt der Verstand, wenn ich’s denke, heute muß ich es erleben, daß der Bastard mir durch meine eigenen Kinder über die Schwelle gebracht wird. Mir ist nur wohl, seit sie wieder aus dem Haus ist! Wenn sie sich nur nicht irgendwo versteckt! dort liegt ja ihr Bündel noch; wenn nur nicht der ganze Trupp hier in der Nähe umherschleicht! Heiliger Gott! wenn sie mir das Haus anzündeten, die Mordbrenner — Auf, Kinder! mir läuft es siedend über den Rücken, mir ahnet ein Un- glück! Durchsucht jeden Winkel — der Knecht soll den Schultheiß wecken — man soll Lärm machen im Dorfe —“ „Um Gotteswillen, Vater, was denken Sie?“ riefen die Mädchen, „besinnen Sie sich doch! die Zi- geuner sind ja meilenweit von uns entfernt und das Mädchen wird uns nicht schaden.“ „Was? nicht schaden? wißt ihr das? Ist sie nicht von Sinnen? Was ist von einer Närrin nicht Alles zu fürchten!“ „So kann ja Johann die Nacht wachen, wir alle wollen wachen.“ „Keinen Augenblick hab’ ich Ruh’, bis ich mich überzeugt, daß nicht irgendwo Feuer eingelegt ist. Kommt! ich habe nun einmal die Grille; begleitet mich.“ So tappte man denn zu Dreien ohne Licht durch das ganze Haus; die Gänge, die Ställe, die Bühne, Alles wurde sorgfältig untersucht. Als man in die Dachkammer kam, wo sich das merkwürdige Bild be- fand, empfanden die Mädchen einen heimlichen, jedoch reizenden Schauder; es war so aufgehängt, daß so eben der Mond sein starkes Licht darauf fallen ließ, und selbst der Pfarrer ward wider Willen von der dämo- nischen Schönheit des Gesichtes festgehalten; man hätte es wirklich für ein Porträt Elisabeths halten kön- nen; von ganz eigenem, nicht weiter zu beschreiben- den Ausdruck waren besonders die braunen durch- dringenden Augen. Keins von den Dreien wollte ein lautes Wort sprechen, nur Adelheid fragte den Vater, ob der Onkel es gemalt? ob es seine Frau vorstelle? Der Pfarrer nickte, nahm das Bild seuf- zend von der Wand und versteckte es in die hin- terste Ecke. Im Vorbeigehen traten sie in Theobalds Schlafkammer, er schlief ruhig, die Hände lagen ge- faltet über der Decke. Mitternacht war vorüber. Der Alte hatte we- nig Lust sich zur Ruhe zu begeben, die Töchter soll- ten ihm Gesellschaft leisten, und um sie wach zu erhal- ten mußte er den Rest der traurigen Geschichte erzäh- len. „Dieser geht nahe zusammen;“ sagte er. „Der Unfall mit dem Kinde vernichtete den Oheim ganz; der Aufenthalt im Vaterlande ward ihm unerträglich, er ging auf Reisen, nach Frankreich und England, soll aber in steter Verbindung mit seinem Fürsten ge- blieben seyn und fortwährend für ihn gearbeitet ha- ben, bis er aus unbekannten Gründen mit dem Hofe zerfiel. Auf Einmal verscholl er und man weiß bloß, daß er mit einem Schiffe zwischen England und Nor- wegen umgekommen. Den größten Theil seines Ver- mögens hatte er bei sich, aber aus dem, was er zu- rückließ, zu schließen, schien er eine Heimkehr nicht aufgegeben zu haben. Seine Güter fielen der Herr- schaft zu, welche Anspruch darauf machte. Außer einem kleinen Vorrath von Effekten, worunter auch jenes Gemälde und das Diarium sich befand, kam nichts an uns. — So endete der Bruder eures Va- ters. Ich sage, Friede sey mit ihm! Ich werde ihn aufrichtig beweinen bis an meinen Tod, ob ich gleich was er that nicht billigen kann und Jeden warnen muß, dem Gott ein so gefährlich Temperament ver- lieh, daß er den Fallstrick des Versuchers vermeide und nie die Bahn heilsamer Ordnung verlasse. Ich denke hier an meinen eigenen Sohn, an Theobald . Der Junge hat, so fromm und sanft er ist, mich manchmal schon erschreckt. So ganz das Gegentheil von mir! So manches Uebertriebene, Unnatürliche! So heute wieder — mir läuft die Galle über, wenn ich’s denke — was soll die dumme Neugierde auf die Fremde? nichts, als daß seine Phantasie toll wird! Und du, Adelheid , machst oft gemeinschaftliche Sache mit ihm, statt ihn zu leiten. — Er läßt sich nicht wie andere Knaben seines Alters an. Da — stunden- lang oben im Glockenstuhl sitzen, wie ein Träumer, Spinnen ätzen und aufziehen, einfältige Geheimnisse, Zettel, Münzen unter die Erde vergraben — was sind mir das für Bizarrerien? Und daß ich einen Maler aus ihm mache, soll er sich nur nicht einbil- den. Das ist das ewige Zeichnen und Pinseln! wo man hinsieht, ärgert man sich über so ein Fratzenge- sicht, das er gekritzelt hat, und wär’s auch nur auf dem Zinnteller. Wenn er einmal Sonntags Nachmittag zur Erholung sich eine Stunde hinsezte und machte einen ordentlichen Baum, ein Haus und dergleichen nach einem braven Original, so hätt’ ich nichts dage- gen, aber da sind es nur immer seine eigenen Grillen, hexenhafte Karikaturen und was weiß ich. Bei Gott! gerade solche Possen hat Onkel Friedrich in seiner Jugend gehabt. Nein, bei meiner armen Seele, mein 21 Sohn soll mir kein Maler werden! So lang’ ich lebe und gebiete, soll er’s nicht!“ Die Mädchen machten große Augen zu diesen Worten, denn es war beinahe das Erstemal, daß der Vater über seinen Liebling entrüstet schien, und doch war auch dieß nur der ängstliche Ausdruck seiner grän- zenlosen Vorliebe für ihn. Endlich brach er auf und noch während des Auskleidens redete er nach seiner heftigen Gewohnheit laut mit sich selber über den störenden Vorfall des Abends. Am folgenden Morgen meldete der Knecht, daß, als er mit Tagesanbruch aufgestanden und in den Hof getreten, um Wasser zu schöpfen, das Zigeuner- mädchen ihm dort in die Hände gelaufen sey; sie hätte sich nur ihr Kleiderbündel von ihm bringen las- sen, um sogleich weiter zu gehen. Sie habe ihm ei- nen freundlichen Gruß an Adelheid , besonders aber an den jungen Herren befohlen. Ein Medaillon, das sie vom Halse losgeknüpft, soll man ihm als Ange- binde von ihr einhändigen. Der Vater nahm das Kleinod sogleich in Em- pfang; es war von feinem Golde, blau emaillirt, mit einer unverständlichen orientalischen Inschrift; er ver- schloß es und verbot Jedermann auf’s Strengste, sei- nem Sohn etwas von diesem Auftrage kund zu thun. Der junge Mensch hatte außer Adelheiden keine Seele, der er sein Inneres hätte offenbaren mö- gen. Er wandelte, seitdem er Elisabethen gesehen, eine Zeitlang wie im Traume. Wenn er seit seinen Kinderjahren, in Rißthal schon, so manchen verstohlenen Augenblick mit der Betrachtung jenes unwiderstehlichen Bildes zugebracht hatte, wenn sich hieraus allmählig ein schwärmerisch religiöser Umgang wie mit dem geliebten Idol eines Schutzgeists entspann, wenn die Treue, womit der Knabe sein Geheimniß verschwieg, den Reiz desselben unglaublich erhöhte, so mußte der Moment, worin das Wunderbild ihm lebendig entgegentrat, ein unge- heurer und unauslöschlicher seyn. Es war, als er- leuchtete ein zauberhaftes Licht die hintersten Schach- ten seiner inneren Welt, als bräche der unterirdische Strom seines Daseyns plötzlich lautrauschend zu seinen Füßen hervor aus der Tiefe, als wäre das Siegel vom Evangelium seines Schicksals gesprungen. Niemand war Zeuge von dem seltsamen Bünd- niß, welches der Knabe in einer Art von Verzückung mit seiner angebeteten Freundin dort unter den Rui- nen schloß, aber nach dem, was er Adelheiden dar- über zu verstehen gab, sollte man glauben, daß ein gegenseitiges Gelübde der geistigsten Liebe Statt gefun- den, deren geheimnißvolles Band, an eine wunderbare Naturnothwendigkeit geknüpft, beide Gemüther, aller Entfernung zum Trotze, auf immer vereinigen sollte. Doch dauerte es lang’, bis Theobald die tiefe Sehnsucht nach der Entfernten überwand. Sein gan- zes Wesen war in Wehmuth aufgelöst, mit doppelter Inbrunst hielt er sich an jenes theure Bild; der Trieb zu bilden und zu malen ward jezt unwiderstehlich und sein Beruf zum Künstler war entschieden. In Kurzem starb der Vater am Schlagflusse. Die Kinder wurden zerstreut. Theobald ward ei- nem wackern Manne (dem Förster zu Neuburg) in die Kost gegeben, von dessen Hause aus er die benach- barte Malerschule zu *** besuchte. Nach fünfthalb Jahren fleißiger Studien fand ein reicher Gönner sich bewogen, dem jungen Manne die Mittel zu seiner weiteren Bildung im Auslande zu reichen. In ho- hem Grade fruchtbar ward ihm der Aufenthalt zu Rom und Florenz, aber selbst die mannigfaltigen An- schauungen dieser herrlichen Kunstwelt vermochten den Grundton jener früheren Eindrücke nie völlig zu ver- drängen, deren mysteriöser Charakter zunächst in der Idee des Christlichen eine analoge Befriedigung fand. Elisabethen hat er nie wieder gesehen.