GRAMMATIK LOGIK und PSYCHOLOGIE. GRAMMATIK LOGIK und PSYCHOLOGIE IHRE PRINCIPIEN UND IHR VERHÄLTNISS ZU EINANDER VON Dr. H. STEINTHAL, PRIVATDOCENTEN FÜR DIE ALLGEMEINE SPRACHWISSENSCHAFT AN DER UNIVERSITÄT ZU BERLIN. Motto: Denken ist schwer. BERLIN, FERD. DÜMMLER'S VERLAGSBUCHHANDLUNG. 1855. Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünstr. 18. Vorwort . I m Begriffe, vorliegendes Buch, des Verfassers erstes Werk von einigem Umfange, der Oeffentlichkeit zu übergeben, regen sich in mir, nach den Erfahrungen, die ich bei Gelegenheit meiner kleinen Schriften gemacht habe, mancherlei Befürchtungen rück- sichtlich der Aufnahme, die es finden dürfte. Ich habe aber weder die Macht noch die Absicht, allen möglichen Mißver- ständnissen, Unterschiebungen und ungehörigen Urtheilen zuvor- zukommen; am allerwenigsten könnte dies in einem kurzen Vor- worte geschehen. Denen, die meine Eigenthümlichkeit nicht be- greifen, werde ich mich nie aufschließen können; und die, wel- che, von der Sache abspringend, in voreiligster Weise mit ethi- scher Beurtheilung bei der Hand sind, muß ich unbeachtet lassen. So will ich mich denn hier nur für diejenigen, die mich verstehen und kennen, über einige Punkte näher erklären. Was zunächst meine hier gegebene Kritik Beckers be- trifft, so muß sie wohl allen, die den Ansichten dieses Sprach- forschers anhängen, sehr streng, hart, bitter erscheinen. Aber konnte ich denn wohl anders reden? Ich hätte diesen und jenen Satz unterdrücken, dieses und jenes Wort streichen kön- nen; gemildert hätte ich die Sache dadurch keineswegs. Eine Kritik, wie die vorliegende, so gänzlich zerstörend, das Ge- bäude und den Grund; so vollständig zersetzend, im Ganzen und im Einzelnen; die Fehler von der äußersten Oberfläche bis in die innerste Tiefe aufsuchend — eine solche Kritik kann dem, der von ihr betroffen wird, auch durch die zartesten Rede- wendungen und die süßesten Worte nicht gemildert werden. Es thut mir leid, es schmerzt mich — wer mich kennt, weiß es — wenn ich Personen verletze; aber ich kann es nicht än- dern; denn die Systeme leben in den Personen und bilden ihre Substanz. Wenn der Schmerz das Vorrecht fühlender Wesen genannt worden ist: so ist der Schmerz über vernichtete Ge- dankensysteme das Vorrecht denkender Personen. Man glaube aber nicht, der Kritiker auf den Trümmern, die er angerichtet, sei voll von Siegeslust; er hat höchstens das Gefühl von Befrie- digung, das aus dem Bewußtsein entsteht, seine Pflicht gethan zu haben, so gut er konnte und wie er konnte. Auch diese meine Kritik Beckers ist eine Ehrenbezeugung, die ich ihm darbringe. Weil er einen so umfassenden Raum in der Geschichte der Sprachwissenschaft einnimmt, habe ich ihm so viel Mühe gewidmet. Dem scheint zu widersprechen, daß, nach meiner Kritik Beckers, nicht nur des Haltbaren in seinem Systeme wenig oder überhaupt kaum etwas zu finden ist, sondern auch daß Becker selbst — um es nur kurz zu sagen — fast unverstän- dig erscheint. Daß dies der Sinn meiner Darstellung ist, wie könnte ich das läugnen? Ich habe mir selbst die Frage vorge- legt: wie ist es möglich, daß ein Werk, wie Beckers Organism, welches nach deiner Darstellung das leerste Nichts sein soll, das je veröffentlicht wurde, dessenungeachtet seit einem Vierteljahr- hundert als Meisterwerk gilt und der Mittelpunkt einer Schule geworden ist, die mehr Anhänger zählt als jemals eine? und zwar dies allein und lediglich durch den innern Einfluß des Buches auf die Geister; denn ich wüßte nicht, welcher äußerliche Ein- fluß hier obgewaltet hätte — ich fragte mich: wie ist es mög- lich, daß ein Mann einerseits seit Jahrzehenden als Gründer der neuen Grammatik anerkannt wird, und andererseits dir in einem Lichte erscheint, daß du Mühe hast, ihn von denen zu unter- scheiden, die man geisteskrank nennt? Und hier ist die Antwort, die ich mir gab. Ist denn die- ser Fall Beckers so einzig? Fragt doch Trendelenburg und viele andere, ob sie Hegel und seine Schule von den Bewohnern Bedlams zu unterscheiden wissen. Noch andere Fälle legte ich mir vor und überhaupt die Schwierigkeit, bestimmt zu sagen, welcher geistige Zustand es ist, den wir als Krankheit bezeich- nen. Und weiter sagte ich mir: es giebt, ja es giebt Krank- heiten des Geistes in der Geschichte der Menschheit, die durch die einmal vorhandenen Umstände eben so nothwendig und für die Entwickelung des menschlichen Geistes eben so heilsam sind, wie körperliche Krankheiten im Leben des Körpers; und dieje- nigen Männer, welche der classische Ausdruck dieser Geistes- krankheiten sind, sind sogar groß zu nennen, und wir schicken sie nicht ins Irrenhaus, weil wir dorthin nur die bringen, welche an einer individuellen Krankheit leiden, an einem ihnen eigen- thümlichen Irrthume, dessen Möglichkeit auf ganz besondern Verhältnissen beruht, an denen sonst niemand Theil nimmt. Jene Männer aber hegen einen Irrthum, der durch die allgemeinen Zustände vorbereitet ist, dem Tausende erliegen und dem jeder, in diese Zustände versetzt, erliegen würde. Ihr Wahn ist also ein objectiver, kein bloß subjectiver. Als Becker auftrat, war Organismus das Schlagwort, das in allen Kreisen geistiger Thätigkeit widertönte. Er führte daher dasselbe in die Grammatik ein, und alle, die diese Wissenschaft betrieben, mußten um so eher davon ergriffen werden, je dun- kler das Wort blieb. Man glaubte sich zu verstehen, weil man für einen gemeinsamen dunkeln Drang ein gemeinsames Wort hatte. So wirken Schlagwörter allemal um so weiter, je weni- ger sie verstanden werden; und die Parteien zerfallen, sobald sie sich ihr Schlagwort klar machen wollen. Das ist also das Verdienst Beckers, einem allgemein herr- schenden dunkeln Drange ein Wort gegeben zu haben; und dann auch, die alte Grammatik vollendet, auf die Spitze getrie- ben zu haben; denn die Vereinheitlichung der Grammatik mit der Logik ist ihre Erbkrankheit. Ich will nicht so weit gehen zu läugnen, daß nicht auch manche Mängel Beckers rein sub- jectiv sind; jedoch sind diese gewiß unwesentlich, und auch sie fließen ursprünglichst aus den objectiven Schwächen. Auch diese Kritik Beckers, wie alle meine übrigen Kriti- ken, ist eine Kritik meiner selbst: denn theils habe ich selbst Beckers Fehler gehabt, theils hätte ich sie leicht haben können. Durch meine Kritik Beckers habe ich also theils mich von wirk- lichen Fehlern zu befreien, theils mich vor möglichen zu wah- ren gesucht. Daher die lebendige Erregung meines Innern, die sich in der Darstellung meiner Kritik offenbart. Wie könnte ich meinen Gefühlen Schweigen gebieten, da sie so innig mit meinen Gedanken verschlungen sind! In meiner Kritik Humboldts sehe ich eine Art Tragödie, in Humboldt einen Hamlet, der sich eine große Aufgabe gestellt hat, an deren Ausführung ihn tausend Bedenklichkeiten hin- dern. Und vorzüglich auch darin ist Humboldt dem Hamlet ähnlich, daß, wie dieser endlich im Augenblicke seines Unter- ganges, sterbend noch sich aufrafft und seine That vollführt: so auch Humboldt, nachdem er seine gehaltvolle Anschauung schon der Reflexion aufgeopfert hat, sich mit einem „dennoch“ auf- rafft und dieselbe hinstellt allem Vorangehenden zum Trotz. Eine so strenge Tragödie bietet die Kritik Beckers nicht. Es ist das Schauspiel eines Leichtsinnigen, der ohne alle Vor- und Um- sicht handelt. Humboldt ringt fortwährend mit allen Schwierig- keiten; Becker sieht deren nie und nirgends. Aber ein anziehendes Seelengemälde bietet auch er dar. Wie er Schritt vor Schritt in den Abgrund des Nichts fallen mußte, wie ein Irrthum den andern herbeiführte, und jeder neu hinzugekommene die Rückkehr er- schwerte, das Bewußtsein abstumpfte: das glaube ich klar gese- hen und gezeigt zu haben. Auch hoffe ich, man werde finden, daß ich meinen Gegner nicht leicht genommen habe. Ich habe mir viel Mühe gegeben, ihn zu erklären und zu vertheidigen. Ohne einen Mann im Innersten und Tiefsten zu erfassen, würde man seine Fehler nicht begreifen. Ich habe mit Lebhaftigkeit dargestellt, weil mich die Sache lebhaft ergriffen hat. Ich hoffe aber, man werde nie finden, daß ich mich so weit hätte hinreißen lassen, die positive Seite Bek- kers zu übersehen; ich habe sie hervorgehoben. Ich habe Beckers Verdienst anerkannt, das freilich nur in seinem Streben liegt. Aber man höre doch auf von Unbescheidenheit zu reden, wo es sich um Erforschung der Wahrheit handelt. Wissenschaft- liche Darstellung verlangt erstlich Entschiedenheit und Bestimmt- heit des Ausdruckes. Begriffe und Ideen müssen fest begrenzt werden, und man darf die Urtheile nicht dem Schwanken und der Willkür der Deutung überlassen. Ferner aber denke ich mit Göthe: „Bescheidenheit gehört eigentlich nur für persönliche Ge- genwart… In alle freien schriftlichen Darstellungen gehört Wahr- heit, entweder in Bezug auf den Gegenstand oder in Bezug auf das Gefühl des Darstellenden, und, so Gott will, auf beides. Wer einen Schriftsteller, der sich und die Sache fühlt, nicht lesen mag, der darf überhaupt das Beste ungelesen lassen“. Becker erhält endlich seine Berechtigung durch den Gegen- satz, in welchem er zu seinen Zeitgenossen steht; und diese Be- rechtigung erstreckt sich, wiewohl mit geminderter Kraft, auch auf seine heutigen Anhänger. Denn wenn auch allerdings seit dem Erscheinen des Organism nicht bloß Humboldts letzte um- fassende Arbeit ans Licht getreten ist, sondern auch sämmtliche deutsche Sprachforscher ein tieferes Gefühl vom Wesen der Sprache in sich tragen, als Beckers Zeitgenossen hatten; so ist doch die alte Ansicht von einem reflectirenden Machen der Sprachen noch nicht völlig, noch nicht allgemein überwun- den; und einer so falschen Anschauung gegenüber muß ich dem Beckerschen Begriffe vom Organismus der Sprache, so mangel- haft er auch ist, seines Strebens wegen den Vorrang einräu- men. Die hier erwähnte, noch nicht ganz verschwundene An- sicht von einem über Mittel und Zweck der Sprache nachsin- nenden Machen der Sprachen hat neuerdings wieder ihren Aus- druck gefunden in einem Werke, das nicht verfehlen wird, die Aufmerksamkeit der Sprachforscher auf sich zu ziehen: Bun- sen, Outlines of the philosophy of universal history, applied to language and religion. London 1854. 2 voll. In diesem Werke sind lange Stücke von Hrn. Aufrecht und noch mehr von Hrn. Müller, dem Herausgeber des Rigveda; und er ist es, der das Recht der Beckerianer in unsern Augen klar darthut. Hr. Mül- ler nämlich theilt die Sprachen in drei Klassen ein (a. a. O. I. S. 281 ff.): Family-, Nomad- and State- Languages, welche ganz den Klassen der alten Eintheilung entsprechen: es sind nämlich die einsylbigen, agglutinirenden und flectirenden Spra- chen. Das Semitische und die sanskritischen Sprachen bilden die dritte Klasse, zu der auch das Aegyptische gehört, das nur eine frühe Abzweigung des Semitischen sein soll. Zur ersten Klasse gehört das Chinesische; alle übrigen Sprachen der Erde sollen Nomaden- oder Turanische Sprachen sein. Alle Spra- chen aber stammen von einer Mutter. Nämlich, so lautet der ganz naive Mythos des Hrn. Müller (das. I. S. 310), vor vielen Jahrtausenden, oder Kalpas, lebte ein Mann, oder ein König — denn er und seine Familie waren noch die einzigen Men- schen —, genannt Feridun . Er hatte drei Söhne, Tur, Si- lim und Irij . Der Mann hatte die Sündfluth durchlebt, und in seinem Hause sprach man nicht mehr die antediluvianische Spra- che, welche bloß aus Wurzeln bestand (das. S. 487). Wie der Mythos dies meint, weiß ich nicht. Denn diese antediluviani- sche Sprache soll zwar eine andere sein als die Familiensprache d. h. die Sprache in der Familie Feriduns, in welcher aber doch auch nur „Juxtaposition“ herrschte, wie heute noch im Chine- sischen, wo also Wurzel neben Wurzel gestellt wird; und we- niger als dies können doch auch die antediluvianischen Men- schen nicht gethan haben. Wir dürfen indeß vom Müllerschen Mythos nicht mehr Klarheit erwarten, als von jedem andern, deutschen oder indischen oder persischen. Verfolgen wir also nur den Mythos weiter. Feriduns Söhne verließen das väter- liche Haus, um sich auf die Wanderschaft zu begeben. Was wird nun aus der Sprache, die sie am heimathlichen Herde ge- lernt hatten? Hören wir den Mythos in seinem heiligen Urtexte, da zu fürchten steht, daß durch eine Uebersetzung in unser ab- stractes Deutsch, seine ganze Naivität verwischt werde (das. S. 310): „What they carried away from home were roots and pronouns. Two of them, Silim and Irij seem both to have held the secret how a root could be divided and changed so that it might be used as a subject or as a predicate. Tur also may have known it; but he either forgot it, or he did not like to tamper with those sacred relics which he had carried away from his father’s house … Now there were at least four things which Tur had to express with his roots and pronouns. If he possessed a root for cutting, he wanted to say, I cut (present); I cut (past); cutter i. e. knife, and my cutter i. e. my knife. These four little phrases were indispensable for him, if he wished to get on in the world. As long as he was alone with his family and children, he no doubt could make them understand by some expressive accent when ngò.tà (moi battre) meant „I beat“ and when ngò-tà meant „my stick“ (moi-bâton). What followed would generally remove all incertainty, if it existed; for ngo.ta.ni, I-strike-thou (moi battre vous) could only mean „I strike thee“. All this may seem so natural, as far as con- struction goes, that at first one hardly discovers any thing peculiar in these different modes of expression. Still in the con- struction of these two expressions, ngo.ta, I beat and ngo-ta my stick there is something so individual and peculiar, that neither Silim nor Irij could imitate it. This is the liberty of putting the predicate first in one sentence and last in another. Silim could say ngo.ta I beat (e’.q ṭ ol) but never ngo-ta my- stick… Irij again, at least in his early youth, could say ngo.ta my stick (mad-da nd a) but never ngo.ta I-striking. Instead of this he had to say striking-I (tudâmi). Silim divided his roots into simple nouns and fuller verbs; … he had only one difficulty, which, with all his acuteness, he could not overcome: he could never think a predicate without first having thought his subject … The opportunity, however, which he had of forming at least these two verbal compounds, beating (of) me, and I-beating, was not lost by Silim; and as he found it essen- tial to make his friends understand either that he had paid or that he meant to pay, he took the first form, paying (of) me, in the sense of the preterite, while the mere assertion of I-paying was left to answer the purpose of a present or a future payment. — The mind of Irij was more comprehensive than that of Silim … How then could Irij express his preterite? … Silim when he found himself in the same dilemma etc. etc.“ Wir woll- ten einen Mythos nicht mit profanen Fragezeichen und Bemer- kungen unterbrechen. Wem dieser gefällt, der mag ihn weiter lesen und ganz ausführlich a. a. O. In bestimmter dogmatischer Form mag er dann noch lesen (das. S. 477): As in the forma- tion of political societies, we do not require the admission of any powerful individual mind to account for the presence of governed and governing classes, or of laws against theft and murder, but can explain these as the necessary result of social agglutination, we see nothing in the organisation of the Turanian languages that betrays the influence of some individual poetical genius, as the framer of peculiar laws, or the author of certain grammatical principles. In the Semitic and Arian languages, on the contrary, we find institutions, laws, and agreements, which, like the laws of inheritance and succession at Rome or in India, show the stamp of an individual will impressed on the previous traditions of scattered tribes. It is possible that the Semitic and Arian languages also passed through a stage of mechanical crystallisation, or uncontrolled conglome- ration of grammatical elements; but they left it, and entered into a new phase of growth and decay, and that through the agency of one creative genius grasping the floating ele- ments of speech, and preventing by his fiat their further atomi- cal concretion. Beckerianer, ihr seid gerechtfertigt! Bunsen hat seine frühere Ansicht von der Dreitheilung der Sprachen und Völker nach Sem, Ham und Japhet der Müller- schen nach Tur, Silim und Irij, also den semitischen Mythos dem arischen geopfert. Mythos gegen Mythos: ob das wohl der Mühe des Tausches lohnt? — Ich erinnere mich, daß vor mehreren Jahren ein Mann in Berlin lebte, Namens Schwartze , welcher in zwei dicken Quartbänden und in einer Koptischen Gramma- tik bewies, daß die ägyptische Sprache weder die Ursprache des Semitischen und Sanskritischen sei, wie Bunsen ehemals meinte, noch ein bloßer Zweig des Semitischen, wie er jetzt meint; sondern ein Stamm neben den beiden andern Stämmen. Der Mann verstand das Koptische vortrefflich und hatte eine feine sprachwissenschaftliche Bildung. Beckers Ansichten fanden bei den historischen Sprachfor- schern von vorn herein Widerspruch, und ein Etymologe, wie Pott, konnte sich keinen Augenblick mit Beckers Werk über „das Wort“ vertragen. Aber ich wüßte doch nicht zu sagen, wie weit wohl die historischen Sprachforscher über diesen blo- ßen Widerspruch gegen Becker hinausgekommen sind. Ja, in seiner Sphäre, d. h. in der allgemeinen Grammatik, hat man ihn sogar, principiell wenigstens, anerkennen müssen; man wollte sich nur nicht von der allgemeinen Grammatik in die besondere hineinreden lassen, und noch weniger die allgemeine als die wichtigere oder gar als die allein wichtige angesehen wissen: da sie doch vielmehr nur ein Organon der historischen Sprachwis- senschaft sein sollte. Potts Verdienste um eine vernünftige Auf- fassung der Sprache warten nicht auf des Verfassers Anerken- nung. Käme es darauf an, daß wir diese besonders aussprä- chen, wir würden uns wahrlich nicht begnügen, ihn denjenigen Sprachforscher zu nennen, der unter allen die meisten Sprachen kennt; wir würden Besseres von ihm zu sagen wissen; denn er strebt nach höherem Ruhme. Die gemeinsame Grundlage Bek- kers aber und der Historiker, auch Potts, zeigt sich in ihrem gemeinsamen Widerspruche gegen unsere Ansicht, welche den logischen Boden, auf dem beide stehen, gänzlich verläßt. Darum muß es uns bedeutsamer erscheinen, daß ein Sprach- philosoph auf philosophischem Boden sich der Beckerschen An- sicht entgegenstellt. Dies ist Heyse . Der volle und reine Ausdruck seines Systems ist leider noch nicht veröffentlicht. Jedoch schadet es vielleicht nicht viel, daß es so lange auf sich warten läßt; denn der größte Theil des Publicums scheint noch wenig vorbereitet, seine Ideen zu würdigen. Das hat sich in der Aufnahme seines Wörterbuches und seiner Grammatik der deutschen Sprache gezeigt. Wiewohl diese Werke nicht der stren- gen Wissenschaft angehören, so hätten sie doch mehr Beachtung verdient, als ihnen gewidmet worden ist. Namentlich würde Jacob Grimm, wenn er Heyses Wörterbuch einer näheren Prüfung unterzogen hätte oder bei seiner jede andere ausschlie- ßenden Richtung die eigenthümlichen Leistungen dieses Sprach- forschers überhaupt gehörig zu würdigen vermöchte, jene durch- aus selbstständige, gründliche Arbeit schwerlich in eine Reihe mit fabrikmäßig angefertigten Auszügen und Compilationen ge- stellt und mit diesen in Bausch und Bogen als nutz- und werth- los verurtheilt haben. Ich kenne Grimms hohe Bedeutung und habe daher seine Schrift: über den Ursprung der Sprache, die in der That nur in sofern von Interesse ist, als sie die Unzu- länglichkeit des historischen Standpunktes zur Lösung solcher über seinen Gesichtskreis hinaus liegenden Fragen im hellsten Lichte zeigt, mit der seinen großen Verdiensten gebührenden achtungsvollen Rücksicht behandelt. Wenn er aber jetzt die Werke meines verehrten Lehrers und Freundes, dessen Streben er verkennt, weil es auf ein ihm fremdes Ziel gerichtet ist, nicht bloß, wie bisher, gänzlich ignorirt, sondern geringschätzig verur- theilt: so wird mir kein Unparteiischer verargen, daß ich ihm entschieden entgegentrete. Ich kann aber noch nichts Näheres über Heyses Ansicht sa- gen, so lange sie nicht der Oeffentlichkeit angehört. Nur muß ich ausdrücklich bemerken, daß, so oft ich allgemein von der bisherigen Grammatik rede, Heyse nicht mit eingeschlos- sen ist. Es liegt mir nun an, einiges über das Motto dieses Buches zu sagen. „Denken ist schwer“: das ist der Wahl- oder Warn- spruch der Kritik, wie ich sie verstehe, und welche ich von der Kritik einer gewissen Partei der Sprachforscher geschieden wis- sen will. Um nicht im Dunkel zu lassen, was und wen ich meine, so will ich einen Vertreter dieser Partei nennen, den sie wohl als solchen wird gelten lassen: Herrn Dr. Aufrecht . Auch will ich sogleich auf eine specielle Aeußerung Rücksicht nehmen. Wir waren so glücklich, siebenzehn Jahre nach dem Tode Humboldts noch ein ungeahntes posthumes Werk von ihm zu erhalten, wenn es auch nur ein Brief ist. Wir meinen den in der Zeitschr. f. vergl. Sprfschg. von Aufrecht und Kuhn Bd. II. abgedruckten Brief über den Infinitiv. Nun stimmt freilich kein Wort Humboldts zur Tendenz jener Zeitschrift. Die Aufnahme des Briefes mußte entschuldigt werden; und dies geschieht durch folgende Vorbemerkung des Hrn. Aufrecht: „Wie die Naturwis- senschaften erst seit der Zeit zu reichster Entfaltung gelangt sind, seitdem das Experiment in die einzelnen Disciplinen der- selben eingeführt wurde.“ — Seit wann mag denn wohl letzteres geschehen sein? ersteres natürlich erst in unserm Jahrhunderte; auch letzteres? Hr. Aufrecht will uns dies glauben machen! Wer wird ihm folgen? Der müßte z. B. nicht bedenken, daß die Chemie als Wissenschaft noch nicht seit einem Jahrhundert exi- stirt, wiewohl man das ganze Mittelalter hindurch viel expe- rimentirt hat und sogar zu allen Zeiten und an allen Orten, selbst unter den Wilden, chemische Erfahrungen hatte. Gerade die Theorie war es, die Verstand und Vernunft in diese sinnlo- sen Experimente brachte; und vorzüglich auch mit der rationel- len Entwickelung der Theorie ist die Chemie zu dieser „reich- sten Entfaltung gelangt,“ deren sie sich heute erfreut. Ebenso, wenn der Fortschritt der Physiologie und der medicinischen Wis- senschaft in geradem Verhältnisse zu den Experimenten stünde, welche man täglich am Krankenbette macht: wie glänzend würde es um dieselbe stehen! Aber nicht das Experiment allein, sondern auch die Theorie macht den Fortschritt. Auch Newton über- trifft Kepler dadurch, daß er zu seiner Beobachtung die Theo- rie brachte. Doch hören wir nach obigem Wie auch das So: „so wird die Sprachwissenschaft erst dann zu wahrem Gedeihen gelangen, wenn mehr und mehr das Erfahrungsmäßige in der- selben zum Bewußtsein gebracht sein wird.“ Schwerlich hat sich Hr. Aufrecht klar gemacht, was er hier gesagt hat. Denn wenn die Erfahrung zum Bewußtsein gebracht werden soll, so geschieht dies eben nur durch die Theorie. Hr. Aufrecht wollte freilich sagen, das Heil der Sprachwissenschaft hänge davon ab, daß man wisse, sie sei empirisch. So fragen wir denn, war etwa die Grammatik nicht zu allen Zeiten empirisch? War es nicht besonders auch die Theorie, welche die neue Sprachwis- senschaft schuf? war es nicht die tiefere philosophische Ansicht vom Wesen der Sprache? War Bopp, der Gründer der verglei- chenden Grammatik, der erste Sanskritist? Verstand vor Grimm, dem Gründer der historischen Grammatik, niemand altdeutsch und die beiden classischen Sprachen? — Hr. Aufrecht fährt fort: „Apriorische Theorien“ — giebt es deren denn? — haben von jeher die Wissenschaft nicht gefördert, sondern sie zuweilen ganze Jahrhunderte gehemmt.“ Ein Beispiel, wenn’s beliebt! nur eins! Wo wuchern denn die Theorien? nicht unter den Empirikern? Wenn die Annahme einer besondern Lebenskraft z. B. der Phy- siologie geschadet, waren es nicht Empiriker, welche sie hegten? sind es nicht Philosophen, welche sie verbannen? Endlich aber, wenn Hr. Aufrecht die Elemente der wahren Kritik kennte, hätte er sich nicht fragen müssen, warum sind denn diese falschen Theorien Jahrhunderte lang festgehalten wor- den? Denn wenn Hr. Aufrecht nicht so abstract, d. h. einsei- tig wäre, wenn er die Sachen concret, d. h. in ihrer Totalität, allseitig, anzuschauen fähig wäre, so würde er gesehen haben, daß die falschen Theorien nicht die Ursache, sondern der That- bestand selbst der gehemmten Wissenschaften waren und sind, welcher Thatbestand nun eben erst Erklärung verlangt, aber nicht durch die Theorien selbst erklärt werden kann, weil dies ein idem per idem wäre. Wenn man sich auf die Naturforscher berufen will, so muß man sie besser kennen als Hr. Aufrecht sie zu kennen scheint, der z. B. übersehen oder nicht beherzigt hat, was der Physiologe Johannes Müller, der doch gewiß „das Erfahrungsmäßige in der Physiologie zum Bewußtsein gebracht hat“ (Hand- buch der Physiologie des Menschen Der zweite Band des oben citirten Werkes hat bekanntlich nur eine Auflage. Für den ersten Band haben wir im Laufe unseres Buches immer die dritte Auflage benutzt. II. S. 522) sagt: „Die wichtigsten Wahrheiten in den Naturwissenschaften sind we- der allein durch Zergliederung der Begriffe der Philosophie, noch allein durch bloßes Erfahren gefunden worden, sondern durch eine denkende Erfahrung … eine philosophische Er- fahrung. In allen Wissenschaften kommen Begriffe vor, denn sie sind das wirklich vorhandene Allgemeine, was durch die Sinne selbst nicht mehr erfahren, sondern durch den Geist ab- strahirt wird… aber so weit Begriffe in einer Wissenschaft vor- kommen, aus welchen Erscheinungen abgeleitet wer- den, so weit ist sie auch philosophisch.“ Auch Schleiden mögen diejenigen, die ihn für eine hohe Autorität halten, erst recht verstehen lernen; sie mögen von ihm hören (Botanik 1849 I. S. 7): „Nun aber hat umgekehrt die Na- turwissenschaft erst wieder von der Philosophie zu empfangen.“ — (S. 8): „Hier versteckt sich die empirische Unfähigkeit immer hinter die Vieldeutigkeit unbestimmter und mangelhafte r Abstraction, über welche die gesunde Empirie selbst keine Mach t hat, deren Aufklärung sie vielmehr allein von der Philosophie erwarten muß.“ Nur ob sie das gerade von der Friesisch-Kan- tischen Philosophie zu erwarten hat, sei zu bezweifeln erlaubt. Wir sind hinaus über den Gegensatz von Theorie und Em- pirie, a priori und a posteriori. — Hr. Aufrecht hält die Sprach- philosophie für verfrüht. Das will in Wahrheit doch nur sagen, daß er das Bedürfniß derselben nicht fühlt, nicht begreift, noch weniger die Mittel kennt, dasselbe zu befriedigen. Statt des Vielen, was hier zur Berechtigung dieses Bedürfnisses, über sei- nen Umfang und über seine Bedeutung und endlich über das Streben und die Möglichkeit es zu befriedigen, gesagt werden könnte, stellen wir vielmehr die Frage, ob nicht, nach Hrn. Auf- rechts strenger Ansicht, die Sprachphilosophie auf die griechi- schen Kalenden zu verschieben sei. Wenn jemand bekennt; „ich bilde mir nicht ein etwas Rech- tes zu wissen,“ so ist zu bedenken, wie Faust diesen seinen Ausspruch erklärt, indem er weiterhin sagt: „Ihr Instrumente freilich spottet mein, Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel. Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel sein; Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel. Geheimnißvoll am lichten Tag, Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben, Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag, Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.“ Wenn ihr Göthe verstehen wollt, so eignet euch sein „Ver- mächtniß“ an. Hr. Schleiden hat sich neuerdings noch einmal ganz ent- schieden dahin erklärt, alle Streitigkeiten in der Wissenschaft rührten bloß von der Methode her; und sobald man sich nur erst über diese verständigt habe, so würde der ewige Friede da sein. Es gäbe nämlich überall nur zwei Methoden: die gute und die schlechte („im Garten gehn zwei Schafe, ein schwar- zes und ein weißes“); die gute ist nach ihm die naturwis- senschaftliche, die schlechte ist die historische; erstere ist Selbstdenken, letztere ist Autoritätsglaube. * Das sogenannte Selbstdenken ist aber vielmehr ein Selbst- sehen und Selbstbetasten; und wie könnte es nun an Adepten dieser Doctrin fehlen, die so streng sind, die Existenz Ameri- kas und Napoleons zu läugnen; denn sie haben beide nicht selbst gesehen. Es fehlt diesen Herren an dem ABC der Psychologie und der geschichtlichen Anschauung. Sie bilden sich ein, es genüge, um ein tiefer Selbstdenker zu werden, daß man sich eines schö- nen Morgens niedersetzt und zu sich spricht: ich will selbstden- ken, ich will zweifeln. Da werden denn Sonne, Mond und Sterne verpufft, Himmel und Erde bei Seite gezweifelt, um alles so- gleich darauf doch wieder anzuerkennen — aber selbstden- kend ! Wüßten die Herren etwas von Geschichte, so wüßten sie, daß wir seit Bacon und Descartes über diese Skepsis hinaus sind. Sie würden wissen, daß seit jener Zeit jedes Menschen- alter schrie: „Kritik, Kritik! ja wir, wir sind nicht wie unsere Väter, kein Autoritätsglaube mehr; wir leben im Zeitalter der Kritik, wir sind nicht mehr im Mittelalter, wir!“ Und indem man zu jeder Zeit so schrie, verurtheilte jede die vorangegan- gene als unkritisch. Fern von uns, in solche Lächerlichkeit mit einzustimmen! Wir wissen, daß jede Zeit so denkt, wie sie denken kann, den- ken muß. Die Kritik weiß, daß mit solchem Vorsatz, einmal alles zu bezweifeln, noch nicht das Mindeste geschehen ist, und daß man dadurch nicht zur Erkenntniß und Ablegung des klein- sten oder größten Irrthums kommt; daß alle Irrthümer eben Erzeugniß des Selbstdenkens sind. Die Kritik weiß: „Denken ist schwer,“ und vollkommenes, absolutes Denken unmöglich. Behutsam ist der Kritiker, und nennt man dies zweifeln, so be- tonen wir stark, daß er vor allem räth, am eigenen Zweifel zu zweifeln. Das dürfte jenen Skeptikern wohl nie in den Sinn gekommen sein, daß nichts zweifelhafter ist, als ihr Zweifel. Ist denn nicht, höre ich fragen, die Bezweiflung des Zwei- fels eine doppelte Negation, also eine Bejahung des Dogmatis- mus? — Das will uns eine sophistische Dialektik einreden; dem ist aber keineswegs so. Es muß gezweifelt werden, ob der Zweifel gründlich, werth- und gehaltvoll ist; ob er zu einer wirkli- chen That des Denkens geworden, oder bloßes Wort, bloßer abstracter Vorsatz geblieben ist: das treibt zu sorgfältiger Un- tersuchung, d. h. zur Kritik. Ist denn Zweifeln so leicht? das Wort auszusprechen, aller- dings gar sehr. Aber manchem, der sich Kritiker dünkt, sind tausende der berechtigtesten Zweifel rein unmöglich, weil ihm alle Vorbedingungen dazu fehlen; und tausende der berechtigte- sten Sätze will er nicht anerkennen, weil er nicht fähig ist, sie zu begreifen. Man muß viel wissen, sehr geübt sein im Den- ken, viel Scharfsinn haben, um den Punkt des Zweifels zu ent- decken; und der einzelne, noch so hoch Begabte, steht immer noch unter dem Einflusse seiner Zeit und kann gewisse Dinge nicht bezweifeln. Doch genug hiervon! wir haben im Buche selbst Gelegenheit gehabt, von Dialektik zu reden; und der Zwei- fel, der nicht zur Dialektik, zur Kritik wird, verdient nicht die mindeste Beachtung. Lernt die Natur des menschlichen Denkens kennen, die Na- tur des Objects und der allgemeinen Kategorien; studirt also Psychologie, Metaphysik, Logik. Studirt auch Geschichte, die vorzüglich geeignet ist, uns von Irrthümern zu reinigen und vor der Eitelkeit zu bewahren, daß jeder närrische Gedanke, der uns durch den Kopf fliegt, eine nagelneue Wahrheit sei, in- dem nämlich die Geschichte lehrt, daß die Erzeugnisse unsers sogenannten Selbstdenkens meist schon vor Jahrhunderten und Jahrtausenden in viel tieferer Weise erdacht, umfassender durch- geführt und schon längst gründlich widerlegt sind. Mit vorliegendem Werke wollte ich ein doppeltes Verspre- chen einlösen. Erstlich habe ich Herrn Pott öffentlich (siehe meine Abhandlung „Die Entwickelung der Schrift“ S. 19) ver- sprochen, das Verhältniß der Grammatik zur Logik ausführlich zu erörtern; und zweitens war meine Schrift „Der Ursprung der Sprache“ ein stillschweigendes Versprechen, die daselbst gestellte Aufgabe zu übernehmen. In gegenwärtigem Werke sind beide Punkte dem einen Zwecke untergeordnet, das Princip der ** Grammatik zu bestimmen, und nur so weit und in so fern sie zu diesem Zwecke gehörten, sind sie besprochen worden. Bei der Untersuchung über den Ursprung der Sprache zumal wollte ich die Aufgabe in ihrer größten Einfachheit, in ihrer rein- sten Gestalt bearbeiten, abgelöst von allen Problemen, die sich an sie knüpfen, aber wesentlich anderen Gedankenkreisen ange- hören. Diese Vorsicht war nöthig, mindestens rathsam, indem die Sache, wie ich sie faßte, auch so noch unübersteigliche Schwierigkeiten darbot. Ich mußte mich damit begnügen, die Frage nur erst zurecht gerückt und auf ihren wahren Boden gestellt zu haben, und konnte nicht hoffen, indem ich sie in die- ser ihrer wahren Gestalt zum ersten Male angriff, sie zur vollen Befriedigung zu lösen. Wenn ich nun um Nachsicht bitte, so wird zwar mancher glauben, solche Bitte stimme wenig zu dem Tone, den ich überall anschlage; andere aber, hoffe ich, wer- den mir wohl die Nachsicht gewähren, deren ich bedarf, indem sie meine Eigenthümlichkeit besser verstehen und nicht überse- hen werden, wie gewissenhaft ich gestrebt habe, und wie ich in meinem Buche überall das Bewußtsein davon habe: es ist alles angefangen, vollendet nichts. Die Quellen, aus denen ich geschöpft, die Männer, deren Werke mich angeregt haben, sind im Buche gelegentlich ge- nannt. Den jüngeren Mitarbeitern, die mir Vertrauen schenken, empfehle ich hier besonders die Arbeiten Lotzes, des größten Denkers unserer Zeit. Seine Metaphysik und Logik sind mir leider erst bekannt geworden, nachdem ich die Handschrift zu diesem Buche schon aus Händen gegeben hatte. Besonders was ich über die Logik im Allgemeinen gesagt habe, dürfte nach Lotze besser zu sagen sein. Die tiefste Anregung erhielt ich durch den Humboldtschen Begriff der inneren Sprachform; und das vorliegende Buch ist nur die Erläuterung dieses Begriffes. Ich sehe immer noch Humboldt als den Urheber desselben an, wiewohl ich einerseits nicht zurücknehmen kann, was ich in meiner Kritik Humboldts (vergl. meine Schrift: Die Classification der Sprachen) überzeu- gend bewiesen zu haben glaube, daß er nämlich in keiner Grund- frage der Sprachphilosophie zu einer entschiedenen Ansicht und einem klaren Begriffe gelangt ist, und andererseits zugestanden werden muß, daß nicht bloß überall und längst die innere Sprach- form geahnt worden ist, nicht bloß die neuere vergleichende Ety- mologie ihren lexikalischen Theil fleißig bearbeitet hat, sondern daß auch innerhalb der historischen Grammatik selbst die Be- deutungslehre aufgetaucht ist, die doch wohl nichts Anderes sein wird, als die Darstellung der innern Sprachform. Reisig ist der Urheber dieser Bedeutungslehre, die freilich bei ihm noch einen sehr beschränkten Sinn hat, indem sie nur die Bedeutun- gen der Wörter zum Gegenstande hat. Wir hoffen, daß es seinem Herausgeber und Nachfolger Haase gelingen wird, das begonnene Werk seines Lehrers glücklich fortzuführen. Es steht ihm aber noch die Aufgabe bevor, die Bedeutungslehre wirklich zu begründen, nur erst einmal ihr wahres Wesen und ihren Um- fang, wie ihre allseitigen Beziehungen darzustellen, sei es theo- retisch, begrifflich, oder an dem Beispiele einer besondern Gram- matik. Pott und Benary haben Reisigs Idee sehr bereitwillig anerkannt. Benary hat ihren Gegenstand erweitert, indem er auch die Bedeutung der Wortformen hineinzog. Es will mir aber kaum scheinen, als hätten sie die Sache richtig erfaßt: sie würden sonst eben den Humboldtschen Begriff der innern Sprachform besser erkannt haben. Die Bedeutungslehre kann nicht im mindesten apriorisch sein; sie kann gar nichts mit der Logik zu thun haben. Sie wird zunächst ganz individuell und historisch sein, Bedeutungslehre der lateinischen, der griechischen u. s. w., Sprache und wird ferner, in einem allgemeinen Theile, auf allgemeine psychologische Gesetze zu gründen sein. Wir gestehen also nicht bloß eine Verwandtschaft zwischen Bedeu- tungslehre und innerer Sprachform zu, sondern meinen, die Be- deutungslehre, wahrhaft aufgefaßt, sei eben Darstellung der in- nern Sprachform. Trotzdem schließen wir uns lieber dem Sprach- gebrauche Humboldts an, weil der Begriff Humboldts doch bestimm- ter, entwickelter scheint als der Reisigs und selbst der Benarys, und dies deswegen, weil die Benennung „innere Sprachform“, wie ihr Inhalt, sich als Glied eines Systems von Begriffen und Na- men kund giebt. Sie weist nämlich sogleich auf den übergeordneten Begriff, Sprachform, hin, worunter, wie in diesem Buche gezeigt ist, Humboldt das individuelle Princip einer Sprache versteht, nach welchem der lautliche Bau der Sprache einerseits und ihr System von Vorstellungen und Vorstellungsbeziehungen anderer- seits gebildet ist — das Princip, welches die Sprache zur Ein- heit, zum Organismus, macht und jeder Einzelheit das bestimmte Gepräge aufdrückt, durch welche sie auf das Ganze bezogen wird. Alles dies und das Viele, was damit verknüpft ist und daraus folgt, liegt nicht eben so klar und bestimmt in Bedeu- tungslehre: darum spricht sie auch mit weniger Entschiedenheit ihren Unterschied von der Logik aus. Noch ein anderes Ver- hältniß scheint mir zu beweisen, daß das Wesen der Bedeu- tungslehre, wie sie jetzt aufgefaßt wird, noch sehr ungenügend bestimmt ist. Man will die Grammatik in drei Theile zerfallen lassen: Etymologie, Bedeutungslehre und Syntax. Diese Ein- theilung will mir wenig einleuchten. Bedeutungslehre ist kein Begriff, der in derselben Reihe mit Etymologie und Syntax steht, weder als nebengeordnet, noch als Stufenentwickelung, noch als vermittelnd. Man sage statt Bedeutungslehre innere Sprachform, und man wird eben so wohl das Unpassende die- ser Dreitheilung fühlen, als auch sogleich das richtige Verhält- niß erkennen. Bedeutung und innere Form ist sowohl in der Etymologie, als auch in der Syntax, wie auch in beiden die Lautform ist. Der Unterschied zwischen dem etymologischen und dem syntaktischen Theile der Grammatik liegt doch wohl einfach darin, daß jener die einzelnen Sprachelemente, dieser die Zusammenfügung der Elemente bespricht. Vor diesen beiden Theilen könnte wohl noch ein anderer als erster behandelt wer- den, nämlich die Lehre von der Sprachtechnik (deren wichtig- ster Theil die Lautlehre sein würde) oder von den Mitteln, welche eine Sprache hat ihre Formen zu bilden, wie Lautwandel, Re- duplication, Stellung u. s. w. Der zweite, der etymologische Theil, würde zeigen, wie diese Mittel zur Erzeugung wirklicher Formen verwandt sind, die Syntax endlich, wie sich diese For- men an einander schließen. Die Lehre von der Technik würde nicht bloß die Formenlehre, sondern auch die Syntax vorbereiten, denn es giebt nicht nur eine etymologische, sondern auch eine syntaktische Technik. Sie würde sich also zu Etymologie und Syntax verhalten, wie die Physik zur Kosmologie, d. h. sie würde die abstracten Kräfte darstellen, welche in der Erzeugung und Bewegung der Sprache herrschen. In allen drei Theilen der Gram- matik aber, in der abstracten Lehre von der Technik der Spra- che, in der Lehre vom Wort und den Wortformen, und in der Syntax, in jedem ist die Bedeutungslehre oder die Darstel- lung der innern Form neben der äußern oder Lautform zu ge- ben. Die Lehre von der Technik bespricht also z. B. die Re- duplication in doppelter Beziehung, sowohl als lautlichen Pro- ceß, als auch nach ihrer Bedeutung. Reduplication aber herrscht sowohl in der Etymologie, als in der Syntax. Nachdem nun ihr lautliches und inneres Wesen abstract festgestellt ist, zeigt die Wortlehre die concrete Bildung des Perfectums, lautlich und in- nerlich; und die Syntax endlich zeigt die Verwendung dieser Form im Satze und Satzgefüge. In der Syntax wird weniger Gelegenheit sein, äußere und innere Form zu scheiden, weil es weniger syntaktisch erst zu bildende Formen giebt. Aber streng genommen läßt sich auch hier die Unterscheidung machen. Denn es ist doch nur ein Lautproceß, daß neben eine bestimmte Substantivform eine bestimmte Adjectivform gesetzt wird; und es ist Sache der innern Form oder Bedeutungslehre, daß solche lautliche Zusammenstellung das attributive oder prädicative Ver- hältniß bezeichnet. Hieraus wird also wohl klar geworden sein, daß die Bedeutungslehre nicht ein Theil der Grammatik ne- ben oder zwischen Etymologie und Syntax ist; sondern daß sie die Grammatik nach ganz entgegengesetzter Richtung durchschneidet, und dieser Durchschnitt sowohl die Etymologie als auch die Syntax trifft, wie auch die Lehre von der Sprach- technik, die abermals nicht in derselben Linie wie Etymologie und Syntax steht. Und in allen diesen sechs Theilen der Grammatik hat jede Sprache ein besonderes, gar nicht logisches, sondern eben sprachliches Princip. Alles dies deutet mir der Name innere Sprachform so deutlich an, als ein Name es thun kann; aber nicht ebenso Bedeutungslehre. Die dargelegte Ver- wirrung ihrer Verhältnisse aber zeigt, wie wichtig ein Name sein kann. Ich habe hier von der Bedeutungslehre gesprochen, wie ich sie, von einer allgemeinen Anschauung und von Begriffen aus- gehend, nicht anders auffassen kann, muß aber abwarten, wie ein Mann, wie Hr. Haase, die Sache ansehen wird, der sich die specielle Bearbeitung der Bedeutungslehre auf klassischem Sprachgebiete zur besonderen Lebensaufgabe gestellt zu haben scheint. Was er in der Halleschen Literaturzeitung von 1838 ausgesprochen hat, nämlich seine Abneigung gegen logisches Schematisiren in der Grammatik und Anerkennung der Indivi- dualität der Sprachen, läßt mich hoffen, daß wir zusammentref- fen werden, so verschieden auch unsere Ausgangspunkte sein mögen. Es führen viele Wege zur Wahrheit, und nicht bloß einer, nicht bloß gerade dieses Buch und dieser Philosoph, wie der Dogmatiker meint. Was nun endlich die Darstellung betrifft, so hoffe ich, vorliegendes Buch werde klarer sein, als alles, was ich früher veröffentlicht habe, sowohl wegen der Ausführlichkeit, als auch wegen der bessern Form. Das muß man freilich nie erwarten, daß philosophische Untersuchungen über die schwierigsten Pro- bleme der Wissenschaft im Gewande der gemeinen Umgangs- und Haussprache erscheinen. Die Philosophie, wie jede Wis- senschaft, hat ihre Kunstausdrücke, und die strenge Entwicke- lung von Begriffen, die genaue Verfolgung und sorgfältige Schei- dung psychologischer Thatsachen wird immer Anstrengung von Seiten des Lesers erfordern. Der leichtsinnige Recensent, der selbst eingesteht, daß er mich nicht verstehe und sich beklagt über meinen „Hang, Dinge, die sich einfach mit wenigen Wor- ten sagen ließen, durch philosophischen Phrasenkram aufzu- stutzen,“ sollte doch bedenken, wenn er denken könnte, daß er nicht im mindesten wissen kann, ob etwas, was ihm dunkel und unverständlich geblieben ist, sich mit einfachen Worten sagen lasse. Montaigne fragt: Ne tient-il qu’aux mots, qu’ils n’entendent tout ce qu’ils trouvent par escrit? Aber wie kann man von solchem Recensenten verlangen, er solle sich einge- stehen, es gäbe Gedanken und Arbeiten, die seiner Fähigkeit unzugänglich sind! Stößt er auf solche, so schiebt er ihnen seine Gedanken unter, die sich freilich „einfach mit wenigen Worten“ sagen lassen, am besten aber ungesagt bleiben. Ich habe S. 157 auf eine Arbeit von mir über die chinesi- sche Sprache verwiesen, von der ich glaubte, daß sie vor dem gegenwärtigen Buche erscheinen würde. Mancherlei Umstände haben es veranlaßt, daß dieselbe noch ungedruckt ist; sie wird jedoch vermuthlich noch im Laufe dieses Jahres der Oeffentlich- keit übergeben werden. Die Correctur dieses Buches ist, Dank der Verlagshand- lung und meinen Berliner Freunden, mit vieler Sorgfalt betrie- ben worden. Trotzdem sind mehrere Fehler stehen geblieben, die der Leser zu verbessern gebeten wird; ich lasse sie auf der Rückseite folgen und ergreife zugleich diese Gelegenheit, die von mir bemerkten Fehler in meiner „Entwickelung der Schrift“ zu verbessern. Paris im Januar 1855. Berichtigungen . S. 21. Z. 11 v. u. statt Grundsätze lies ursprüngliche Richtung ‒ 41. ‒ 23 v. o. ‒ II. x. 2, lies II. S. 2. ‒ 41. ‒ 9 v. u. ‒ Beziehung lies Bejahung ‒ 68. ‒ 10 v. u. ‒ Wissenschaft lies Dialektik ‒ 96. ‒ 16 v. u. ‒ Philosophie lies Psychologie ‒ 96. ‒ 9 v. u. ‒ philosophische lies physiologische ‒ 113. ‒ 19 v. u. ‒ in dieser logischen u. s. w. lies durch diese logische u. s. w. ‒ 113. ‒ 17 v. u. ‒ abhängig lies unabhängig ‒ 117. ‒ 5 v. o. das Komma nach Logik zu streichen ‒ 138. ‒ 17 v. o. statt Physiologie lies Psychologie ‒ 178. ‒ 13 v. u. ist nach oder einzuschalten: „wenn das Auge bre- chende Medien hat, kann es sehen“ oder: ‒ 201. ‒ 10 v. u. statt nur lies nun ‒ 204. ‒ 2 v. o. ‒ Prädicat lies Subject ‒ 204. ‒ 14 v. u. ‒ er lies es ‒ 205. ‒ 17 v. u. ‒ abschneiden lies abscheiden ‒ 211. ‒ 10 v. o. ‒ es lies jenes Urtheil ‒ 217. ‒ 4 v. o. ‒ physischen lies psychischen ‒ 229. ‒ 21 v. o. ‒ Ursache lies Ursprache Berichtigung der Druckfehler in der „Entwickelung der Schrift.“ S. 28. Z. 6 v. u. statt Mühe lies Weise ‒ 37. ‒ 6 v. u. setze hinter geschieden ein, und nach wird ein: ‒ 54. ‒ 4 v. o. statt quantitative lies qualitative ‒ 68. ‒ 13 v. u. ‒ umgeformte lies ungeformte ‒ 70. ‒ 16 v. o. ‒ Materien lies Weisen ‒ 73. ‒ 11 v. u. ‒ istae lies ista ‒ 76. ‒ 3 v. o. ‒ 1299 lies 1091 ‒ 84. ‒ 11 v. o. vor bei ergänze wie ‒ 84. ‒ 5 v. u. statt es lies sie ‒ 97. ‒ 10 v. o. ‒ nun lies nur ‒ 97. ‒ 20 v. o. ‒ bemerke lies bemerkte ‒ 99. ‒ 10 v. o. ‒ Atterminativ lies Determinativ ‒ 108. ‒ 14 v. o. ‒ präfixirten lies präfigirten Inhalts-Verzeichniß. Erster Theil . Die logische Grammatik. A. Becker. 1. Beckers mangelhaftes Princip . a ) Organismus im Allgemeinen. Seite §. 1. Grundbestimmung desselben 1 §. 2. Fernere Merkmale 3 §. 3. Unbegrenztheit des Organischen bei Becker 4 §. 4. Gegensatz des Organischen zum Künstlichen 5 §. 5. Die Freiheit 8 §. 6. Der Tod 10 §. 7. Formale Natur des Begriffs Organismus 11 §. 8. Verdrehung der Merkmale des Organismus 12 §. 9. Umschlag des Organismus in sein Gegentheil 15 b ) Organische Verrichtung. 23 c ) Die Sprache als organische Verrichtung und als Organismus. §. 10. Nominal-Definition der Sprache 25 §. 11. Erstes Merkmal des Organischen nachgewiesen in der Sprache 29 §. 12. Zweites Merkmal des Organischen in der Sprache 31 §. 13. Die Sprache als gesprochene 34 §. 14. Entstehung der Sprache 36 §. 15. Schluß 40 2. Unorganischer Charakter der Beckerschen Sprach- betrachtung . a ) Kategorie des Gegensatzes und der Einheit. §. 16. Trendelenburg über den Gegensatz 41 §. 17. Der Gegensatz bei Becker 43 §. 18. Logische Dichotomie 46 §. 19. Die Einheit 46 Seite b ) Grammatik und Logik. §. 20. Logischer Formalismus 47 §. 21. Einheit von Grammatik und Logik nach Becker 49 §. 22. Verhältniß zwischen Logik und Grammatik bei Trendelenburg 51 §. 23. Logik und Mechanik 54 c ) Darstellung des logisch-mechanischen Charakters der Becker- schen Sprachbetrachtung. §. 24. Beckers Rückfall in die alte Grammatik 55 §. 25. Einheit von Begriff und Laut im Worte 56 §. 26. Classification des Wortvorraths 59 §. 27. Grammatische Formen 61 §. 28. Gleichheit Beckers mit der alten Grammatik 62 §. 29. Beispiel von einem Beckerschen Organismus 63 3. Beckers leerer Formalismus . 65 a ) Beckers Mangel an Dialektik. §. 30. Dialektik nach Trendelenburg 66 §. 31. Dialektik, Speculation, logischer Formalismus 68 §. 32. Tautologie 69 b ) Verleiblichung des Gedankens. 71 c ) Beckers Theorie der Erkenntniß. §. 33. Aufgabe des Denkens 78 §. 34. Allgemeines und Besonderes; Thätigkeit und Sein 81 §. 35. Arten der Begriffe 84 §. 36. Formen der Begriffe 89 §. 37. Begriff und Gedanke 91 §. 38. Schluß 94 4. Verwechslung der Grammatik mit der Logik . 95 §. 39. Vernichtung der Grammatik durch Beckers Princip 96 §. 40. Mangel eines grammatischen Princips 98 §. 41. Erkennen und Darstellen 101 §. 42. Logische und grammatische Form 105 B. Widerstand der Grammatik und Logik gegen ihre wech- selseitige Vermischung. §. 43. 107 §. 44. Schluß nach Analogien 108 §. 45. Unfügsamkeit der Sprache unter die Logik 111 §. 46. Rückweisung der Grammatik durch die Logik 113 C. Vermittlung zwischen Grammatik und Logik. §. 47. Beckers falsche Anklage 116 §. 48. Verschiedenheit zwischen Grammatik und Logik nach Trendelen- burg 116 §. 49. Die logische Grammatik bei Humboldt 118 Seite §. 50. Rückweisung der Vermittlung 120 §. 51. Analogie und Anomalie 122 §. 52. Trübung der Logik 122 D. Humboldt. §. 53. Abweichungen Beckers von Humboldt 123 §. 54. Organismus bei Humboldt 125 §. 55. Becker, die Vermittler und Humboldt 135 Zweiter Theil . Grammatik und Logik. I. Allgemeine Vorbemerkungen . A. Von der Sprachwissenschaft im Allgemeinen. §. 56. Definitionen 137 §. 57. Betrachtungsweise der Sprachwissenschaft und Beziehungen der- selben zu andern Wissenschaften 138 §. 58. Bestimmung unserer Aufgabe 143 B. Von der Logik im Allgemeinen. §. 59. Bestimmung der Logik und Verschiedenheit des wissenschaftlichen Charakters derselben von dem der Sprachwissenschaft 145 §. 60. Vertheidigung der formalen Logik 147 II. Nähere Darlegung des Unterschiedes zwi- schen Grammatik und Logik . 1. Sind Sprechen und Denken identisch? §. 61. Vorgebliche Untrennbarkeit und Einheit von Sprechen und Denken 152 §. 62. Ablösbarkeit des Denkens vom Sprechen, erwiesen durch That- sachen 153 §. 63. Verschiedenheit von Denken und Sprechen, bewiesen durch Re- flexion 158 2. Sind Grammatik und Logik identisch? 163 §. 64. Wort und Begriff verschieden 164 §. 65. Wort- und Begriffsverhältnisse 166 §. 66. Satz und Urtheil 168 §. 67. Das hypothetische und disjunctive Urtheil 169 §. 68. Eintheilung der Urtheile 175 §. 69. Satzarten 176 §. 70. Bei- und Unterordnung der Sätze 179 §. 71. Verhältnisse der Satzverbindung 183 Seite §. 72. Elemente des Satzes und des Urtheils 184 §. 73. Prädicat und Attribut 185 §. 74. Das Object 189 §. 75. Das Prädicat 190 §. 76. Logisches und grammatisches Subject und Prädicat als Begriff und Wort 191 §. 77. Begriff und Urtheil und Satz 192 §. 78. Subject und Prädicat im Satz und Urtheil 197 §. 79. Das allein oder absolut stehende Prädicat. Der Existentialsatz. Das Sein und die Copula 200 §. 80. Grammatische und logische Kategorien 211 3. Ist die Sprache logisch? §. 81. Allgemeines Mißverhältniß zwischen Grammatik und Logik 215 §. 82. Inwiefern die Sprache logisch und nicht logisch ist 218 Dritter Theil . Grundsätze der Grammatik. §. 83. 225 A. Allgemeines Wesen der Sprache und ihre Be- ziehung zum geistigen Leben . §. 84. 226 1. Entstehung und Entwickelung der Sprache. §. 85. Stellung der Aufgabe 227 a ) Vorbildung und Anlage der Sprache im Menschen. §. 86. Stufen des Seelenlebens vor dem Entstehen der Sprache 235 §. 87. Reflexion und Association von Seelenthätigkeit und Körperbe- wegung 246 §. 88. Character der sinnlichen Wahrnehmung 259 §. 89. Entwickelungsstufe der Thierseele 264 §. 90. Vergleichung der Menschen- und Thierseele 271 §. 91. Sprache als Befreiungsact der Seele 292 b ) Hervortreten der Sprache. §. 92. Anschauung der Anschauung 295 §. 93. Instinctives Selbstbewußtsein 298 §. 94. Uebergang der Seele in den Geist 300 §. 95. Verknüpfung der Anschauung mit dem Laute 303 §. 96. Inhalt der innern Sprachform im Allgemeinen 304 Seite c ) Stufenentwickelung der innern Sprachform. 306 α) Pathognomische Stufe. §. 97. Reflex der Gefühle — Interjectionen 307 §. 98. Speciellere Definition der Sprache 310 §. 99. Inhalt der innern Sprachform auf der Stufe der Onomatopöie 311 β) Charakterisirende Stufe. 313 §. 100. 313 §. 101. Dritte Stufe der innern Sprachform 314 d ) Mittheilung, Verständniß, Sprechenlernen der Kinder. §. 102. 315 2. Leistung der Sprache für das Denken. a ) Wesen der Vorstellung im Allgemeinen. 318 §. 103. Wesen der Vorstellung 319 §. 104. Das Wort — das Ding an sich 320 §. 105. Das Wort — Allgemeines, die Art 320 b ) Nähere Darlegung des Wesens der Vorstellung und ihrer Ent- wickelung. §. 106. 322 §. 107. Stoff und Form 322 §. 108. Benennungen als erste Form der Sätze 323 §. 109. Der explicite Satz 326 §. 110. Ausbildung der Begriffe 330 §. 111. Fernere Betrachtungen über die Leistungen der Sprache für das Denken 332 §. 112. Leistung der Vorstellung 333 §. 113. Unterschied zwischen Satz und Urtheil, Vorstellung und Begriff 337 B. Die Grammatik . 1. Die Principien der Grammatik. §. 114. 340 a ) Inneres und Aeußeres. §. 115. 341 b ) Bedeutung. §. 116. 344 §. 117. Wie die Sprache bedeutet 344 §. 118. Was die Sprache bedeutet 346 c ) Sprechen und Sprachmaterial. §. 119. 347 2. Hauptpunkte der Grammatik. a ) Die Lautlehre. §. 120. Von der Articulation im Allgemeinen 348 §. 121. Unterschied von tenuis und media 352 Seite §. 122. Einfache und zusammengesetzte Laute 353 §. 123. Der Accent 354 §. 124. Weitere Aufgabe der Lautlehre 354 b ) Innere Sprachform. α) Stoff und Form. §. 125. Von relativen Begriffen und Gegensätzen überhaupt 355 §. 126. Die Sprache als Form des Gedankens 357 §. 127. Stoff und Form in der Sprache 360 §. 128. Formwörter und formlose Sprachen 362 §. 129. Die alten und die neuern Formsprachen 366 β) Copula. §. 130. Copula und Aussage überhaupt 367 §. 131. Das Verbum und der Infinitiv 368 C. Verschiedenheit der Sprachen 373 1. Grund der Sprachverschiedenheit. §. 132. Verschiedenheit in der Lautseite der Sprachen 374 §. 133. Verschiedenheit in der innern Sprachform 375 §. 134. Tiefster Grund der Sprachverschiedenheit 378 2. Organismus, Princip und Individualität der Sprache. §. 135. 379 3. Allgemeines Kategorienschema. §. 136. 382 4. Die Classification der Sprachen. §. 137. 387 5. Sprachwissenschaft als Moment der Völkerpsychologie 387 §. 138. Aufgabe der Völkerpsychologie überhaupt 388 §. 139. Das Volk als geistige Individualität 389 §. 140. Der Einzelne und das Volk 390 §. 141. Producte des Volksgeistes 390 §. 142. Eintheilung der Völkerpsychologie 391 §. 143. Sprache und Volksgeist 391 Erster Theil. Die logische Grammatik. A. Becker. 1. Beckers mangelhaftes Princip . B ecker legt überall das größte Gewicht auf den Satz: die Sprache ist nach ihrem Ursprunge wie in ihrer innern Einrich- tung und in allen ihren Verhältnissen organisch; er macht ihn zum Ausgangs-, Ziel- und Mittelpunkt seines Sprachsystems und glaubt dadurch die neue Sprachwissenschaft geschaffen zu ha- ben. Prüfen wir also, was mit jenem Satze gesagt wird. Zu- nächst haben wir zu sehen, was Organismus überhaupt bei Becker bedeutet; und dann, wie sich die Sprache organisch zeigt. a) Organismus im Allgemeinen. §. 1. Grundbestimmung. Becker eröffnet sein Werk „Organism der Sprache“ mit einer ausführlichen Darlegung der genannten beiden Punkte. Es heißt rücksichtlich des ersteren sogleich am Anfange (§. 1): „Es ist ein allgemeines Gesetz der lebenden Natur, daß in ihr jede Thätigkeit in einem Stoffe, jedes Geistige in einem Leiblichen in die Erscheinung tritt, und in der leiblichen Erscheinung seine Begränzung und Gestaltung findet.“ Hierauf beruht nach Becker, wie in §. 4. bestimmter ausgesprochen wird, das Wesen des Or- ganismus: „Das allgemeine Leben der Natur wird zu einem 1 organischen Leben, indem es in seinen Besonderheiten in die Erscheinung tritt: jedes organische Ding ist als eine leiblich gewordene Besonderheit des allgemeinen Lebens, gleichsam als ein leiblich gewordener Gedanke der Natur anzusehen.“ In bei- den Sätzen ist offenbar dasselbe gesagt, mit dem Unterschiede, daß was im ersten Satze als Gesetz innerhalb der Natur gilt, im anderen von der ganzen Natur als einer Einheit ausgesprochen wird. Becker denkt sich die Natur, das All vielmehr, als ein lebendes Wesen. Wir haben es also hier mit der Anschauung von einem All-Leben zu thun, welches auch den Geist, das geistige Leben in sich schließt. Es will uns aber scheinen, als wenn Becker seine Ansicht nicht recht scharf ausgedrückt habe. Wir nehmen Anstoß an den Worten: „das allgemeine Leben wird zu einem organischen Leben.“ Ist denn das allgemeine Leben nicht schon an sich organisch? muß es das erst werden? ist etwa ein nicht oder noch nicht organisches Leben, ein Gei- stiges, eine Thätigkeit außerhalb eines Leiblichen, eines Stoffes, bevor sie in diese eingegangen sind, wirklich annehmbar? Be- ckers Ansicht ist das schwerlich; und wir fürchten kaum zu irren, wenn wir ihn folgendermaßen verstehen. Wie aus dem Parallelismus der beiden angeführten Sätze und auch aus den Worten des letztern: „jedes organische Ding ist als eine leiblich gewordene Besonderheit des allgemeinen Lebens, gleichsam als ein leiblich gewordener Gedanke der Natur anzusehen“ — wie hieraus, sage ich, hervorgeht, ist nach Becker unter dem all- gemeinen Leben der Natur der bloß für unsere erkennende Auf- fassung geltende Gedanke der Natur, als vor ihrer Verwirkli- chung seiend, zu verstehen; oder die Natur, wie wir sie uns als vor ihrer Schöpfung sich selbst denkend vorstellen. Denn wenn Becker das allgemeine Leben der Natur organisch nennt, so meint er damit sicherlich, dasselbe sei eben nur und an sich or- ganisch, also nur in seiner Besonderung und diese nur in der Verleiblichung. Um aber die Natur zu begreifen, haben wir eben den Vorgang der Verleiblichung zu betrachten und stellen uns diesen vor als gegenwärtig zu Stande kommend, und vor ihm also das Leben der Natur nur erst als noch bloßes Sich- Denken, als Gedanken der Natur. Das Organische dieses vor der Schöpfung der Natur angenommenen Denkens derselben be- steht eben darin, daß ein allgemeiner Gedanke Natur sich in einzelne Gedanken sondert. Diese Besonderung aber ist zugleich und an sich selbst die Verleiblichung des Gedankens, die Schö- pfung der Natur. Die einzelnen Gedanken der Natur sind gar nicht möglich ohne die Verleiblichung; und das allgemeine Leben oder Denken der Natur nicht möglich ohne jene Besonderung in einzelne Gedanken: das ist das Wesen des Organismus der Natur, des Alls. Beruht also das Organische des allgemeinen Gedankens der Natur auf der Verleiblichung, und wird nun der- selbe zum Behufe der Erkenntniß vor dieser gedacht, so wird er zunächst noch in seinem unorganischen Zustande gedacht, und es läßt sich sagen, er werde erst durch die Verleiblichung das was er eigentlich ist, organisch. Den Sinn von Beckers Worten: „Das allgemeine Leben der Natur wird zu einem or- ganischen, indem es“ würden wir also glauben angemessener wiederzugeben durch: ist ein organisches, insofern es. So unscheinbar diese Aenderung sein mag, so ist sie doch nicht be- deutungslos. Der von Becker gebrauchte Ausdruck schließt eine Unklarheit in sich, auf die wir zurückkommen werden. §. 2. Fernere Merkmale. Wenn wir schon Beckers eigentlichem Grundsatze mehr Schärfe gewünscht hätten, so vermissen wir in der (§. 4) darauf folgenden näheren Darlegung der Merkmale des Organischen jede Entwickelung und Ableitung derselben von einander und vom ersten Grundsatze. Die Sätze werden an einander gescho- ben, theils ohne Conjunction, theils auch mit solchen, wie: „wie … so“, „daher“, „aber“, ohne daß man jedoch den durch diese Bindewörter angedeuteten Zusammenhang klar sähe. „Es ist nur ein allgemeines Leben,“ so fährt Becker unmittelbar nach der angeführten Stelle fort, „das in den besonderen Organismen in die Erscheinung tritt; daher eine Uebereinstimmung aller or- ganischen Dinge in gewissen Grundtypen der Gestaltung und Entwickelung.“ Unmittelbar weiter heißt es: „Wie nun“ hier eine Uebereinstimmung ist, so auch wieder in den besonderen Organen des einzelnen organischen Dinges, welche alle einen gemeinsamen, durch den Begriff, d. h. die Arteigenthümlichkeit, des organischen Dinges bestimmten Typus an sich tragen, wie wir später noch näher betrachten wollen. Weiter heißt es: „Das besondere Organ hat aber nur Dasein und Bedeutung in und von dem Ganzen, von dem es getragen wird; und das Ganze ist und besteht nur in der Verbindung der besonderen Organe. Darum ist in den organischen Dingen alles Besondere zugleich 1* Mittel und Zweck.“ So lose wird der so wichtige Zweckbegriff eingeführt! durch ein bloßes „aber“! und mit diesem Satze er- ledigt! Becker fährt conjunctionslos fort: „In der Lebensfunc- tion (dem Begriff) des organischen Dinges liegen schon ur- sprünglich alle Besonderheiten derselben, in dem Ganzen alle besonderen Organe. Das organische Ding wird nicht durch eine Zusammensetzung der Organe von außen, sondern durch eine Entwickelung von innen. Das ganze Thier mit seinen man- nigfaltigen Organen liegt schon vorgebildet in dem Ei“ — ein- gebildet, möchte ich sagen. Welche Unklarheit verbirgt sich hinter diesen Worten! Und abermals ohne Conjunction fährt Be- cker fort: „In der besondern Lebensfunction (dem Begriffe, dem specifischen Merkmale) des organischen Dinges und in den or- ganischen Gegensätzen (z. B. Bewegung und Empfindung, Mus- kel und Nerv) nach denen sich diese Function in besondere Functionen scheidet, liegt das Gesetz seiner Entwickelung: dar- um geschieht jede organische Entwickelung mit innerer Noth- wendigkeit.“ Eine solche Darstellung des Organischen kann man doch wohl nur unorganisch nennen. §. 3. Unbegrenztheit des Organischen bei Becker. Wir könnten jedoch zufrieden sein, wenn uns nur Becker hier überhaupt hinlängliche Merkmale angegeben hätte, um uns einen so deutlichen und bestimmten Begriff bilden zu können, daß wir zu sagen vermöchten, dies ist organisch, jenes nicht. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Wir erfahren nicht bloß nicht, wo denn der Gegensatz zum Organischen liege, durch welche andere Begriffe das Reich desselben begrenzt werde; sondern wir sind auch in Verlegenheit, wenn wir dies etwa aus dem von Becker Gesagten erschließen wollten. Denn ist die Natur, das All organisch, so ist denn alles organisch, und es giebt weder im Himmel noch auf Erden etwas Unorganisches. Organisch wird gleichbedeutend mit natürlich; Unnatürliches aber giebt es nirgends; nicht einmal der Unsinn wäre unnatürlich, sondern bloß die Vorstellung des Unnatürlichen, Unorganischen wäre Unsinn. Sicherlich hatte Becker eine weit bestimmtere Vorstellung vom Wesen des Organischen, als im Obigen liegt; aber ist es denn gleichgültig, ob jemand sein Princip an der Stelle, wo er es erörtert, wirklich bestimmt darstellt oder nach allen Seiten unbegrenzt verschwimmen läßt? Wenn selbst hier, wo die ganze Kraft des Geistes auf das Princip allein gerichtet ist, dieses keine bestimmte Gestalt annehmen will, kann es bei der Entwickelung des Besonderen, wo die Aufmerksamkeit des Geistes über einen größeren Vorstellungskreis verbreitet ist, sich fester und klarer vergegenwärtigen? Schwerlich! nur wird, je nachdem die Ge- legenheit es herbeiführt, diese oder jene Seite des Princips her- vortreten, die vorher nicht erörtert war. Streng genommen würde diese Seite sogar unberechtigt sein; jedenfalls kann sie, gelöst aus dem Zusammenhange mit allen übrigen Seiten des Ganzen, nicht nach ihrer wahren Begrenzung auftreten. Sie verhilft uns indeß dazu, uns Beckers Anschauung des Organischen zu ver- vollständigen. §. 4. Gegensatz des Organischen zum Künstlichen. So tritt nun gelegentlich (§. 6. Anf.) folgendes höchst wich- tige Moment hervor: „Als Product eines Organischen, welches nicht mit Willkür hervorgebracht ist, sondern sich mit einer in- neren Nothwendigkeit entwickelt hat, unterscheidet sich die Spra- che von jedem Werke menschlicher Erfindung und Kunst. Das Kunstwerk geht nicht mit innerer Nothwendigkeit aus dem Le- ben selbst hervor, sondern aus einer durch ein äußeres Bedürf- niß angeregten Reflexion. Es hat das Gesetz seiner Entwicke- lung und Gestaltung nicht in sich selbst, sondern empfängt es von der Intelligenz des Erfinders; und seine Einrichtung ist wandelbar, wie das Bedürfniß und die Erkenntniß des Künst- lers.“ Hieraus entnehmen wir, daß wenn organisch das Natür- liche ist, den Gegensatz dazu das mit Willkür Geschaffene bil- det, die Erfindung und Kunst des Menschen. Hier erkennt man aber auch sogleich alle Uebelstände, welche dem Herausgreifen einer Seite des Princips anzuhaften pflegen. Welche Berechti- gung hat dieser Gegensatz? Das geistige Leben gehört zum All, ist eine besondere Art, eine Lebensfunction des allgemeinen Lebens — wie spielt hier plötzlich das Unorganische hinein? wie ist Willkür, als Gegensatz zum Organischen, möglich? wo- her stammt im organischen All ein „äußeres Bedürfniß“? Das Kunstwerk habe das Gesetz seiner Entwickelung und Gestaltung nicht in sich, sondern empfange es von der Intelligenz des Er- finders; aber die Intelligenz, wie Becker so häufig wiederholt, ist organisch. Das Kunstwerk ist ein in der Materie verleib- lichter Begriff oder Gedanke, also ist es organisch; es geht al- lerdings „mit innerer Nothwendigkeit aus dem Leben selbst,“ nämlich aus dem geistigen Leben der Menschheit hervor. Der Künstler, der Denker ist das Erzeugniß seiner Vergangenheit; und auch seine einzelnen Werke, ihre Fehler und Tugenden, sind nicht willkürlich. Sophokles konnte nicht wie Shakespeare dichten wollen, und Aristoteles kein System schaffen wollen wie Hegel. „Das Bedürfniß und die Erkenntniß” ist auch orga- nisch entstehend und vergehend. Soll hier also das Kunstwerk von dem organisch Natürlichen unterschieden werden, so ge- schieht das nur durch völlig unvorbereitete, und, wie wir sehen, unberechtigte Bestimmungen, die eben darum auch von Becker gar nicht klar und bestimmt eingeführt werden können. Der ein- zige Satz aus der oben betrachteten Darlegung der Merkmale des Organischen, welcher die hier gemachte Scheidung begrün- den könnte, nämlich: „das organische Ding wird nicht durch eine Zusammensetzung der Organe von außen, sondern durch eine Entwickelung von innen,” ist nicht nur ebenfalls unbegreif- lich, da man gar nicht weiß, wo im lebenden, organischen All ein Außen sein soll; sondern auch, selbst diesen Satz zugestan- den, so kann man immer die Maschine noch nicht vom Orga- nismus unterscheiden. Denn einerseits wird auch die Maschine durch die Entwickelung aus dem Innern des Denkens: sie ist von einem Gedanken geschaffen und beseelt; jedes Rad nach seiner Form und seinen Beziehungen folgt aus dem Begriffe, aus der Function, welche in der Maschine in die Erscheinung tritt, sich verleiblicht, in Gegensätzen besondert; alles Besondere in ihr folgt also aus der Einheit, und also hat der Theil nur im Ganzen Bedeutung, das Ganze nur durch seine Theile; und die Theile sind alle in gegenseitiger Uebereinstimmung, mit einem gleichartigen Typus aus dem Innern des Gedankens heraus ent- worfen. Andererseits aber mag man noch so sehr von inne- rer Nothwendigkeit des Organischen sprechen, von seiner Ent- wickelung von innen, es entwickelt und erhält sich doch nur durch Aufnahme geeigneter Stoffe von außen; schneidet ihm nur Luft und Nahrung und Licht ab, und lasset es sich von innen entwickeln! Indessen müssen wir es uns doch gefallen lassen, wenn Becker, weil er nun einmal will, den geistigen oder künstli- chen Organismus von der natürlichen Maschine — nach Obigem hat uns Becker diese Ausdrucksweise nicht untersagt — unter- scheidet und bloß die natürliche Maschine Organismus nennt, das geistig Organische aber als unorganisch ansieht. Hierdurch ist etwas an Bestimmtheit gewonnen, doch nicht viel. Becker hätte uns auch noch sollen die Grenze zwischen Natur und Kunst ziehen. Wir stehen vor einem blühenden Korn- felde — sehen wir Natur oder Kunst? Organisches oder Unor- ganisches? Dabei vergesse man dann auch nicht, daß vielleicht vor hundert, vor zehn Jahren noch dieser Boden wirklich un- fruchtbar, unfähig war, den ihm vertrauten Saamen reifen zu lassen. Hier hat, wie in vielen Fällen, die Cultur erst die Na- tur erzeugt. Ist es denn aber mit jener Bildsäule, die Becker für unorganisch hält, so durchaus anders? Abgesehen von dem schon Gesagten, daß auch hier ein verkörperter Gedanke, alles in Einheit ist, jeder Theil aus dem Ganzen fließt, so daß un- sere Künstler die fehlenden Glieder eines antiken Standbil- des aus dem Gegebenen ableitend ergänzen, welche Ableitung Becker und Trendelenburg nach Cuvier für ein wesentliches Merkmal des Organischen halten, — abgesehen, sage ich, hier- von, trägt nicht auch der Marmorblock den Apollo „vorgebil- det“ in sich? Könnte der Künstler auch aus Flugsand, aus morschem Holze bilden? Wirken nicht Stein, Hammer und Mei- ßel nach nothwendigen ihnen innewohnenden Gesetzen? also mit innerer Nothwendigkeit? Kurz kann die Cultur, die Kunst, um mich des Baconschen Ausdruckes zu bedienen, die Natur an- ders beherrschen, als indem sie ihr folgt? kann sie dieselbe zwin- gen, oder muß sie sie nach ihrer inneren Gesetzmäßigkeit wir- ken lassen? Jedoch Becker meint wohl, organisch sei das natürliche Ding auch nur, insoweit und insofern es ohne Hinzuthun von menschlicher Absichtlichkeit entstanden ist und lebt. Die Wälder, Brennesseln und Dorngesträuch sind durchaus orga- nisch; das Kornfeld ist es nicht, insofern der Mensch gepflügt, gedüngt, gesäet hat, aber insofern danach der Saame durch Re- gen und Sonnenschein wächst. Die Bildsäule ist organisch ge- worden, indem der Meißel u. s. w. nach nothwendigen natürli- chen Gesetzen gewirkt hat, aber nicht insofern die Hand des Künstlers das Leitende war. So würden denn die Begriffe or- ganisch und natürlich dem Umfange und Inhalte nach zusam- menfallen und als das Nothwendige und Gesetzmäßige der Frei- heit gegenüberstehen. Es ist uns freilich eine seltsame Zumu- thung, den Geist als den Urheber des Unorganischen anzuse- hen, als ein Außen, welches in das innere Naturleben störend eingreift; es ist uns seltsam und abschreckend, den Geist, der als Ausfluß des allgemeinen Lebens doch auch eine nothwen- dige, unfreie, gebundene Seite hat, rücksichtlich dieser seiner Unfreiheit als organisch, rücksichtlich seines Wesens und Wir- kens aber, rücksichtlich seiner Freiheit als unorganisch zu be- trachten. Wissenschaft, Kunst und Sittlichkeit sind unorganisch; aber die Brennessel ist organisch! Becker mag es verant- worten! §. 5. Die Freiheit. Wie ist nun aber die Freiheit möglich? das müssen wir von Becker hören. Nicht im „Organism,“ aber im Werke „Das Wort“ läßt sich Becker über diesen nach allen Seiten so wichtigen Punkt folgendermaßen vernehmen (S. 255): „Die Ent- wickelung der organischen Dinge geschieht nach einer inneren Nothwendigkeit, indem bestimmte Kräfte und Thätigkeiten nach bestimmten inneren Gesetzen einander anregend und beschrän- kend zusammenwirken; und das Erzeugniß derselben organi- schen Kräfte, welche nach denselben Gesetzen zusammenwirken, kann immer nur als eins und dasselbe in die Erscheinung tre- ten: daher in den organischen Dingen die Einheit der Arten . Je mehr sich aber in den organischen Dingen die Gegensätze von Kräften und Thätigkeiten vervielfältigen, und je mannigfal- tiger insbesondere die Wechselwirkungen werden, in welche ein organisches Ding mit anderen Dingen tritt; desto mehr wird das Erzeugniß derselben Kräfte, welche nach denselben Gesetzen wirken, als ein Mannigfaltiges erscheinen: daher in den orga- nischen Dingen mannigfaltige Unterschiede der Individuen in derselben Art.“ — „Daher?“ Nimmermehr! Hier ist eine Täuschung, die auf dem schwankenden Sinne des Wortes „mannigfaltig“ beruht. Wenn mannigfaltige Kräfte in man- nigfaltigen Beziehungen wirken, so wird das Erzeugniß der- selben, da alle jene Kräfte in allen jenen Beziehungen in ihm wieder vorhanden sein müssen, ein in sich mannigfaltig gegliedertes Wesen sein, wie Becker sagt, „als ein Mannig- faltiges erscheinen;“ aber, wenn jene Kräfte nach unbeugsa- men Gesetzen wirken, wird es immer dasselbe sein, ohne den mindesten Unterschied. Wenn zur Bildung und Entwickelung des thierischen Ei’s die mannigfaltigsten Kräfte in den mannig- faltigsten Beziehungen zusammenwirken, so werden sie in der reifen thierischen Frucht abermals vorhanden sein, aber ganz ebenso wie sie in den Eltern waren, in der einen Frucht, wie in der anderen, und um kein Haar anders, wenn anders jene Gesetze der Kräfte und die Beziehungen der Kräfte unwandel- bar sind. Becker aber hat trüglich die Mannigfaltigkeit der Gliederung der Frucht in mannigfaltig unterschiedene Indivi- duen umgewandelt. Die ganze weitere Darlegung Beckers hat damit ihren Werth für uns verloren; doch wollen wir sie ver- folgen. „Diese Mannigfaltigkeit der Erscheinungen bei Dingen derselben Art hat zwar ebenfalls ihren letzten Grund in den in- neren Verhältnissen der Kräfte und in den äußeren Wechsel- wirkungen der Dinge” (wie elend wird hier ein Unterschied ge- macht zwischen inneren und äußeren! als wenn die Dinge an- ders als durch innere Kräfte in Wechselwirkung treten könn- ten!), „und sie ist daher ebenfalls eigentlich nothwendig: weil hier aber eins und dasselbe in der Erscheinung als ein Mannig- faltiges hervortritt und die mannigfaltigen Formen der Erschei- nung gleichsam spielend unter einander wechseln, ohne daß wir einen Grund dieses Wechsels in den Formen der Erscheinung erkennen; so bezeichnen wir diese Mannigfaltigkeit der Erschei- nung bei der Einheit der organischen Kräfte als..” Der Leser wird vielleicht die hier folgende Bezeichnung des Formspiels der organischen Dinge noch nicht errathen. Er wird es aber, wenn wir fortfahren: „So wechselt, um die Sache an einem Beispiele anschaulich zu machen, die Form der Epheublätter in mannig- faltigen Abstufungen zwischen der Pfeilform und der fast run- den Form, obgleich sie Blätter einer und derselben Pflanze sind, und die eigentliche Structur des Blattes, z. B. die Anzahl und die Stellung der Blattrippen eine und dieselbe bleibt.” Jetzt, denken wir, wird mit uns jeder diesen völlig gleichgültigen Wech- sel der bedeutungslosen Form als Zufall bezeichnen! Becker aber bezeichnet ihn als „organische Freiheit!” Becker fährt fort: „Je höher die Stufe des organischen Lebens ist, auf welche ein Ding gestellt ist,” oder „der die Function angehört,” „desto mehr vervielfältigen sich in ihm die Gegensätze und Be- ziehungen und desto mehr tritt die organische Freiheit hervor.” „So findet sich bei dem Menschen die hier als organische Frei- heit bezeichnete Mannigfaltigkeit der Lebenserscheinungen” in höherem Grade als bei den Thieren und hier mehr als in den Pflanzen, am wenigsten im Krystall; aber wiederum findet sie sich beim Menschen „in weit geringerem Maaße in den Functio- nen des Athmens, der Blutbewegung und der Ernährung, wel- che dem vegetativen Leben angehören, als in der Function der Willkürbewegung; und die größte Freiheit waltet in derjenigen Function, in welcher das organische Leben sich zu einem gei- stigen gesteigert hat, nämlich in der Function des Denkens, ob- gleich auch diese eine organische Nothwendigkeit nicht gänz- lich” (d. h. nach Obigem: „nicht eigentlich”) „ausschließt.” Ueber diese Blasphemie mögen wir nicht viel Worte ma- chen; wir wollen sie eben nur anmerken und sie Becker in Rechnung bringen. Für uns haben allerdings die ethischen Be- ziehungen der Wissenschaft einen hohen, den höchsten Werth. Man läugne die Freiheit, wie es Spinoza thut; er läßt sie untergehen in der unendlichen Substanz: das ist erhaben; und die Erhabenheit, wie sehr sie auch die Nichtigkeit des Men- schen betont, ist wesentlich erhebend. Daher hatten auch die Hebräer, von denen sie zuerst geschaffen wurde, indem sie den Menschen und das All vor Jehova als nichts setzten, eine er- hebendere Vorstellung vom Wesen des Menschen, dem Eben- bilde Jehovas, als die Griechen, die ihre Götter als Ebenbilder der Menschen schufen. Also man läugne die Freiheit spino- zistisch! aber sie behaupten, doch so daß man sie „eigentlich“ läugnet und, insofern man sie gelten läßt, sie als Wechselspiel bedeutungsloser Formen ansieht: das ist Blasphemie. §. 6. Der Tod. Ein Mann, der so mit der Freiheit fertig wird, „spielend,“ wie sollte sich der vor dem Tode scheuen? Becker würde also schwerlich in Verlegenheit kommen, wenn wir ihn fragten: wo ist der Tod, das Sterben? das hast du ja ganz aus deinem lebenden All, deinem All-Leben gestrichen! Der sich auflösende animalische Leib kann doch nicht todt genannt werden; denn die darin sich bildenden Körper, wie Wasser, Ammoniak u. s. w., entstehen hier in durchaus natürlicher, gesetzmäßiger Weise mit innerer Nothwendigkeit: sie entwickeln sich im organischen Kör- per wie das Ei von innen heraus. Leben bleibt Leben; denn es giebt nur Leben und nur ein Leben nach Becker. Was wir sterben nennen, ist nur der Wandel einer Art des Lebens in die andere. Tod ist Spiel des Lebens — eine Unsterblich- keitslehre, würdig der obigen Freiheitslehre. §. 7. Formale Natur des Begriffs Organismus. Kehren wir zu Beckers Grundbestimmung des Organis- mus zurück. Diese beruhte darauf, daß Becker in dem All einen verleiblichten Gedanken erkannte, daß er die Natur als sich nach einem Zwecke bestimmend, daß er sie teleologisch ansah. Wir wollen und können Becker nicht das Recht zu dieser Anschauungsweise bestreiten; sie ist nicht willkürlich sub- jectiv; sondern die objectiven Verhältnisse der Natur fordern dazu auf. Becker setzt also den Gedanken der Natur vor ih- rer Schöpfung als den Zweck der Natur. Der Zweck ist es, der jedem Organ seine besondere Gestalt giebt, und der Begriff einer Thierart verleiht als Zweck allen einzelnen Organen, wie Gebiß, Klaue u. s. w., den bestimmten Typus. Die bestimm- teste Definition, die sich nach Becker vom organischen Dinge geben ließe, wäre also: ein organisches Ding ist ein von der Natur gesetzter und ausgeführter Zweck. So berechtigt nun auch diese Betrachtungsweise der Natur ist, oder vielmehr ganz abgesehen von der Berechtigung, auf die es uns hier nicht an- kommt, ist aber das hervorzuheben, daß Beckers Begriff des Or- ganismus, auf der Kategorie des Zweckes beruhend, gar keinen materialen, sondern formalen Gehalt hat: daß er kein gegen- ständliches Merkmal am Dinge, sondern eine Betrachtungsweise des Dinges bezeichnet; daß er kein constitutiver, sondern ein methodologischer Begriff ist. Wir läugnen hiermit nicht, daß die organische Anschauungsweise, die Betrachtung der Natur vom Gesichtspunkte des Zweckes aus, die Thatsachen innerlichst berührt; sie nämlich in veränderte Beziehungen versetzt; aber sie fügt nichts Neues, Thatsächliches hinzu und ist nur eine an- dere Auffassung der thatsächlich vorliegenden Beziehungen; sie sieht nicht mehr, auch nicht anderes, sondern sieht dasselbe, aber an- ders; sie verfährt mit denselben gegebenen Elementen in ande- rer Weise. Der Gegensatz zur teleologischen Betrachtung liegt in der causalen. Die Elemente, wie gesagt, sind in dieser die- selben wie in jener; aber ihre Beziehung wird verändert, je nach- dem das schöpferische Element als Ursache oder Zweck gefaßt wird. Der Zweck kann sich nie anders als vermittelst der Ur- sachen verwirklichen und reicht nicht weiter als sie. Wirkende Kräfte der Natur bilden einen Punkt a , gewirkte Erscheinungen einen andern b ; die Erkenntniß bewegt sich vom einen zum an- dern, entweder von a zu b : causale Betrachtung; oder von b zu a , aber so daß sie b vor a setzt und nun vom vorgesetzten b durch a an die erste Stelle des b gelangt: teleologische Be- trachtung. Der Weg von a zu b ist auch hier unvermeidlich. Becker hat aber seinen Begriff des Organismus, sein Wesen verkennend, allerdings als gegenständlich genommen. Dies ist nun Beckers Grundirrthum, aus dem seine vorzüglichsten ma- terialen Fehler und methodischen Mängel mit Nothwendigkeit erfolgen mußten. Diese Fehler organisch zu entwickeln, wollen wir nun versuchen. Der erste Punkt, der also hier zu betrachten wäre, ist, daß Becker von organischen Dingen spricht und sie von unorga- nischen Dingen scheidet, während er nach seiner Auffassung des Organismus nur von einer organischen, teleologischen Betrach- tung der Dinge reden sollte. Die Betrachtung nach Ursachen und die nach Zwecken haben nicht etwa jede einen bestimm- ten Kreis von Gegenständen besonders für sich; beide umfassen das All, nur nach verschiedener Rücksicht. Jetzt, denke ich, begreifen wir noch mehr, warum es Becker unmöglich wird zu sagen, durch welches andere Reich von Dingen das Reich der organischen Dinge begrenzt wird, wo die unorganischen seien; denn es giebt wirklich keine, sondern nur eine unorgani- sche Betrachtung der Dinge. §. 8. Verdrehung der Merkmale des Organismus. Berücksichtigen wir aber nun ferner, daß Becker denn doch den Begriff des Organismus auf die Natur beschränkt, so wollen wir ihm daraus, daß er den Zweck auf die Natur übertragen hat, keinen Vorwurf machen; aber er hat damit das Reich des Zweckes verkürzt. Dieser Punkt unserer Kritik ist zart, und man verstehe uns recht. Nimmt man Organismus in dieser Weise, wie z. B. auch Trendelenburg in seiner schönen und klaren Darstellung des Zweckes (Logische Untersuchungen II, VIII.) thut, so ist Organismus der von der Natur, die Maschine der von der Kunst verwirklichte Zweck. Das meint auch Be- cker eigentlich. Soll also der Organismus definirt werden, so ist der Zweck das Allgemeine und die Natur das Besondere desselben. Becker aber in seiner Bestimmung des Organismus vom allgemeinen Leben der Natur ausgehend, hat das Verhält- niß von Allgemeinem und Besonderem verdreht: ihm ist die Na- tur das allgemeine Merkmal des Organismus und der Zweckbe- griff das besondere, welche Verdrehung freilich nicht vollkom- men durchgeführt werden konnte, da der Zweck doch mindestens ebenso allgemein als die Natur ist, weswegen aber auch keine feste Bestimmung des Organismus zu Stande kommen konnte. — Hierin liegt aber zugleich die Verdrehung des Begriffes Or- ganismus selbst; er, der durch die Natur nach seiner Besonder- heit bestimmt werden sollte, wird jetzt durch sie gerade nach seiner Allgemeinheit, und durch den Zweck nach seiner Beson- derheit bestimmt; er wird nicht so besonders, wie die Natur, sondern eine Besonderheit innerhalb der Natur, eine Art der Natur. Diese Verdrehung war freilich, wie gesagt, gar nicht durch- führbar, und sie erfährt nun durch eine andere ihr entgegenge- setzte Verdrehung einen wunderlichen Rückschlag. Der Zweck- begriff, allgemeiner als die Natur, wird zum specifischen Merk- mal des Organismus gemacht. Was folgt hieraus? daß Orga- nismus weiter, umfassender wird, als die Natur; die Natur ist eine besondere Art des Organismus. Ein solcher Fehler muß sich natürlich in der Darstellung ausdrücken. Nun lese man den §. 4. und frage sich, was darin gesagt ist? Sicherlich nicht sowohl, daß der Organismus ein natürlich gesetzter und ausge- führter Zweck, als vielmehr umgekehrt, daß die Natur organisch sei, mit einem, ich möchte sagen, unterdrückten „auch.” Daß dieses ausgesprochen werde, läßt die erste Verdrehung nicht zu. Beide Verdrehungen hemmen sich in ihrer Wirkung und so liegt denn doch in dem Ergebnisse die Gleichheit von Organismus und Natur, der gleiche Umfang sowohl, als auch derselbe In- halt beider, wie aus jedem Satze des §. 4. erhellt. Der Unter- schied aber von der einfachen Ansicht der Sache, wie sie bei Trendelenburg vorliegt, ist dabei nicht zu verkennen. Wäh- rend bei diesem die Natur das specifische Merkmal des Orga- nismus abgiebt, der unter der Allgemeinheit des Zweckes steht, drückt bei Becker Organismus das ganze Wesen der Natur aus, ist ihr eines umfassendes Attribut, die Darlegung ihres Be- griffs. Doch dieser Unterschied ist nicht so sehr von Bedeu- tung als die Unbestimmtheit, welche einem in solcher Weise wie der Beckersche Organismus gebildeten Begriffe fortwährend anhaften muß. — Auch der Grund der doppelten Verdrehung liegt klar in dem ersten Fehler, daß ein rein formal bestimmter Begriff zur Abgrenzung der Dinge gebraucht wird. Nun be- zeichnet man allerdings gewöhnlich mit dem Worte Organismus ein Reich bestimmter natürlicher Wesen: dies macht sich in der ersten Verdrehung geltend. Da aber ein bloß methodologischer, auf alle Dinge anwendbarer Begriff dieser Beschränkung Trotz bot, so entstand der Rückschlag, und Becker erfuhr nur die Ironie, daß er mit der Absicht, den Organismus zu definiren, vielmehr ganz im Gegentheil die Natur als organisch erweist, indem er darstellt, wie auch in ihr der Gedanke, der Zweck herrscht. Hier erinnern wir an die schon oben besprochenen Worte: „Das allgemeine Leben wird zu einem organischen.” Der Ausdruck „ist” würde vielleicht die Subsumtion des Alls unter die Kategorie des Organismus zu bestimmt ausgesprochen haben. Diese Rücksicht konnte einerseits, obwohl sie doch so- gleich darauf durchgeführt wird, vom „ist” zurückschrecken. Andererseits könnte das „wird” durch eine doppelte Absicht, welche im Hintergrunde des Bewußtseins dunkel wirkte, hervor- getrieben sein. Erstlich die Absicht, nicht die ganze Natur, son- dern nur einen Theil organisch sein zu lassen: indem hierbei vorgestellt wurde, das allgemeine Leben sei nicht an sich, son- dern werde unter folgenden Bedingungen, also theilweise nur organisch; — dies wäre Wirkung der ersten Verdrehung. Zwei- tens aber könnte das „wird” auch gerade dies hervorheben, daß Organismus ein allgemeinerer, methodologisch formaler Begriff sei, und das All, welches also nicht an sich organisch ist, werde es für unsere Betrachtung, indem u. s. w. Wer das geheime Wirken dunkeler Vorstellungen in der unbewußten Tiefe des Bewußtseins beobachtet hat, wird die Möglichkeit nicht läug- nen, daß Becker durch die dargelegten drei Rücksichten zu- gleich bewogen die Wendung „wird” ergriffen hat. Aus den beiden entgegengesetzten Bewegungen seiner Ge- danken erhielt Becker eine mittlere Ansicht als Ergebniß, wo- durch Organismus und Natur identisch wurden. Dadurch war aber jede feste Grenzbestimmnng des Reiches organischer Dinge unmöglich geworden, wie überhaupt jede Definition. Denn die Grenze kann doch nur durch das specifische Merkmal des Or- ganismus gezogen werden, d. i. die Natur. Diese wird aber nicht bloß zugleich zum Allgemeinen und zu einer Art des zu Definirenden gemacht und kann also nach keiner Seite als spe- cifisches Merkmal dienen, sondern auch nach dem mittleren Er- gebnisse ist sie dazu unfähig, da sie nun mit dem Organismus selbst das zu Definirende wird und nicht in die Definition ein- treten darf. Welche Unklarheit muß einen Begriff umhüllen, dessen erklärendes Merkmal herausgerissen und als das zu Er- klärende hingestellt ist. Und ein solcher Begriff soll als Princip dienen! §. 9. Umschlag des Organismus in sein Gegentheil. Wir haben bisher nur die Dunkelheit und Unbestimmtheit des Beckerschen Princips kennen gelernt, noch nicht sein Um- schlagen, also noch nicht eigentlich Falsches. Doch dies kann unmöglich ausbleiben. Das Unbestimmte ist nicht festzuhalten. Begrenzt und bestimmt aber wird ein Begriff nur durch den entgegengesetzten; wird er von dem nicht scharf geschieden, so schlägt er in ihn um, da er mit ihm zu sehr verwandt, ja im Grunde genommen identisch ist. Beckers Begriff des Orga- nismus nun hat sein Wesen im Zweck, also seinen Gegensatz in der causalen Naturbetrachtung. Die in letzterer hervortreten- den Kategorien sind Ursache und Wirkung, Kraft und Aeuße- rung; und gerade hier vorzüglich gelten die Bestimmungen der Nothwendigkeit und Gesetzmäßigkeit. Bei Spinoza, der nur die Ursache gelten läßt, herrscht darum auch ausschließlich die Nothwendigkeit, welche sich wegen ihrer Unwandelbarkeit in Gesetze fassen läßt. Diese Momente aber gerade, die Noth- wendigkeit und Gesetzmäßigkeit, sind es, welche bei Becker fast ausschließlich als Merkmale des Organischen hervortreten; denn das Moment des Natürlichen wird nichtssagend, wenn es mit organisch gleichbedeutend wird, und der Zweck schwindet bis auf wenige Anklänge und hohle Phrasen gänzlich aus Beckers Betrachtungsweise. So haben wir schon gelesen, daß das Or- ganische von dem Werke menschlicher Erfindung und Kunst dadurch geschieden wird, daß dieses durch Willkür, jenes aber mit Nothwendigkeit entstanden sei. Es kommt noch Folgendes hinzu. Die ursächliche Betrach- tung wird dort vorzüglich angewendet werden, wo wir den Zweck nicht vollständig erkennen, oder wo er so niedrig ist, daß er die Ursachen in ihrer vereinzelten, blinden Wirkung wenig oder gar nicht hemmt; und sie wird auch absichtlich einseitig verfolgt werden müssen, um die Verhältnisse der ursächlichen Wirkungs- weise, durch welche allein sich der Zweck verwirklichen kann, an sich genau zu erforschen. Wie will man begreifen, was sie im Dienste des Zweckes leisten, wenn man nicht weiß, was sie für sich, vereinzelt, also gewissermaßen in ihrer Autonomie, wirken. Physik und Chemie sind, mit Hinzuziehung der Mathema- tik, die Wissenschaften, welche die Natur nach ihren causalen Verhältnissen, ohne Rücksicht auf einen Zweck derselben, be- trachten. Ein wesentliches Merkmal dieser Wissenschaften, das aus dieser rein causalen Betrachtungsweise erfolgt, besteht darin, daß sie die Elemente der Natur in möglichster Einfachheit, die Kräfte in möglichst vollständiger Vereinzelung, in ihrer reinen, durch keinen Zusammenstoß mit einander gehemmter oder ab- gelenkter und umgestalteter Wirkungsweise zu erforschen suchen. Das ist der unorganische Charakter dieser Wissenschaften, ihre ungeheure Abstraction oder Analyse, ihr Ab- und Auslösen der einzelnen Kräfte aus der Verflechtung von Kräften, in welcher sie von der wirklichen Natur geboten werden. Mit den Ergeb- nissen der Physik und Chemie geht man sodann an die Wirk- lichkeit selbst, um, nachdem man die Elemente derselben ana- lytisch erkannt hat, die wirkliche Synthesis oder die Wirklich- keit in der Synthesis der Kräfte zu begreifen. Hierbei zeigt sich nun aber ein ganz auffallender Unterschied, ob man mit jenen Wissenschaften an den sogenannten Erdorganismus, das organische Planeten- oder überhaupt Sternsystem tritt, oder aber an das Reich des eigentlich oder im engeren Sinne so genannten Lebens in der Pflanzen- und Thierwelt. Astronomie, Geologie, Meteorologie sind kaum oder wirklich gar nichts anderes als von der Natur gegebene oder gelöste mechanische Probleme, physikalische und chemische Experimente, die sich von den Ex- perimenten und Problemen des Laboratoriums, des Lineals und Zirkels nur durch ihre großartige erhabene Darstellung unter- scheiden. Die Resultate jener elementaren unorganischen Wis- senschaften finden hier ihre unmittelbare Anwendung, offenbaren unmittelbar ihre erklärende Brauchbarkeit. Denn auf diesen Ge- bieten der Wirklichkeit herrschen die elementaren Kräfte noch in ihrer Vereinzelung, noch in reiner Causalität, noch nicht ge- bändigt durch den Zweck, weil der hier waltende Zweck noch so gestaltlos ist, daß sie ihm dienen, sogar in ihrem selbststän- digen Wirken. Die Rücksicht auf den Zweck ist hier eine so unbestimmte — eben weil es der Zweck noch selbst ist; und das Unbestimmte läßt sich auch nur unbestimmt berücksichti- gen — daß das Begreifen der hier auftretenden Erscheinungen und Verhältnisse aus der reinen Ursächlichkeit in voller Befrie- digung gelingt, und erst neue thatsächlich gegebene, aber zu- nächst dem vorliegenden Gegenstande fernliegende, Elemente hinzugenommen werden müssen, um das Bedürfniß und die Mög- lichkeit der Zweckbetrachtung zu erzeugen. Die Gestaltung der Erde z. B. in dem Verhältnisse ihres festen und flüssigen Ele- ments oder von Land und Wasser zu einander, die bestimmte Form der Gebirgszüge und ihre Entstehung selbst und die Lage der Erdschichten, alles dies und vieles andere, was hierher ge- hört, läßt sich durch die ursächliche, physikalische und chemische Betrachtung begreifen, und wir haben kein Bedürfniß nach dem Zwecke zu fragen. Nehmen wir aber die Geschichte hinzu, führen wir also ein neues, aus dem vorliegenden Gegenstande selbst sich noch nicht ergebendes Element ein, so entsteht die Zweckbe- trachtung, indem wir etwa fragen, wie mußte das Land beschaf- fen sein, in welchem ein Volk solche Thaten vollführen sollte. Die Entwickelung der Weltgeschichte, wie sie in den Küsten- ländern des Mittelländischen Meeres Statt hatte, war durch die Beschaffenheit dieser Länder bedingt und hätte nicht bloß nicht im Innern Africas, in Hochasien, sondern auch nicht in America so vor sich gehen können. Diese teleologische Betrachtung der Gestaltung der Erdoberfläche ist eine von den glänzendsten Sei- ten unseres Gründers der wissenschaftlichen Geographie, des geistvollen Ritter. Und so mag man die Erde, das All, immer- hin nach allen Erscheinungen als Organismus, teleologisch anse- hen: der Unterschied zwischen dieser Betrachtung und der des engeren Lebens in Pflanzen und Thieren ist darum doch auch für die Wissenschaft nicht minder klaffend wie für die gemeine Anschauung. Dem Erdorganismus ist der Zweck ein transcen- denter, außerhalb seiner liegend, daher er nicht aus sich selbst auf ihn weist; dem lebendigen Wesen ist er immanent. Die Erd- gestaltung zeigt einen Zweck, wenn sie in ihrem Verhältnisse zur Geschichte betrachtet wird; aber das Auge kann gar nicht betrachtet, erkannt werden ohne Rücksicht auf den Zweck, auf das Sehen; denn dies ist ihm inwohnend, und das Auge ist ohne Sehen ein Nichts. Diese einfache Betrachtung führt uns nun dennoch dazu, zu behaupten, was wir oben nach Beckers Auffassung der Sache läugneten, daß mit dem Begriffe Organismus, weil er methodo- 2 logisch bestimmt ist, ein Unterschied innerhalb der Dinge ge- macht werden könne. Die Möglichkeit beruht zunächst darauf, daß sein formaler Inhalt nicht ein bloß subjectiver, sondern auf die objective Beschaffenheit der Dinge gegründet ist. Genau genommen aber haben wir auch im Obigen noch gar nicht die Dinge in organische und unorganische eingetheilt, sondern nur in solche, auf welche die Zweckbetrachtung nothwendig, und solche, auf welche sie nur mittelbar angewandt wird. Wir gehen nun aber allerdings noch weiter und sagen: wenn gewisse Dinge unmittelbar aus sich auf einen Zweck weisen, den sie in sich tragen, und als solche organisch genannt werden, andere dies nicht thun und unorganische heißen, so kommt das daher, weil sie verschiedener Art sind. Nicht bloß die Zweckbetrachtung, sondern auch die ursächliche ist bei den organischen, d. h. im engeren Sinne lebenden Dingen eine ganz andere. Die Ergeb- nisse der einfachen Physik und Chemie sind auf die lebenden Pflanzen und Thiere nicht anwendbar, sondern müssen erst eine Umgestaltung erfahren, wenn mit ihnen der organische Körper begriffen werden soll: weil die Kräfte in diesem gar nicht in der Vereinzelung wirken, wie sie in der Physik und Chemie betrachtet werden und wie sie in dem Erdkörper und Planeten- system wirklich auftreten, sondern nur in einer so vielfach ver- schlungenen Verknüpfung, daß sie dadurch von ihrer ursprüng- lichen Bahn abgeleitet, in ihrer Wirkungsweise abgewandelt werden. So erkennt nun die Naturwissenschaft den Unterschied von organischen und unorganischen Dingen vollständig an, indem sie die Physiologie von der Physik und die organische Chemie von der unorganischen scheidet. Dieser von der Wissenschaft wie von der gemeinen Anschauung anerkannte, auf methodolo- gische sowohl, als auch auf objective und causale Verhältnisse gegründete Unterschied von organischen und unorganischen Din- gen innerhalb der Natur ist auch der eigentliche Grund der oben dargestellten ersten Verdrehung in Beckers Anschauung. Nach dem eben Gesagten, hoffen wir, werde der Leser erkennen, wie berechtigt, wie tief sogar Beckers Anschauung ihrem über sich selbst unbewußten dunkeln Streben nach ist; aber zugleich auch, daß sie wirklich durchaus unklar geblieben ist, und ihre Elemente in Verwirrung gerathen sind. Ein durchgreifender, bis auf den Grund zerstörender Fehler aber, der sich hier zu- nächst ergiebt, und der auch von Becker anerkannt werden muß, indem im Hintergrunde seines Geistes ein unorganischer Theil der Natur einem organischen gegenübersteht, ist folgender. Wenn man, wie Becker in seiner Unklarheit thut, den Unterschied organischer und unorganischer Wesen in der Na- tur, todter und lebender, verwischt, und das All organisch, lebend sein läßt, so hat man in Wahrheit nicht alles für die Anschauung belebt, sondern getödtet. Oben sahen wir, daß Becker den Tod aus dem All gestrichen hat; er hat vielmehr das Leben gestrichen; denn nur was stirbt, lebt. Wenn er das All organisch nennt, so kann er die Grundbestimmung des Or- ganismus und seine wesentlichsten Merkmale nur dem Punkte entlehnen, der allen Dingen gemeinsam ist — und heißt das nicht das Leben zum Tod herabsetzen, wenn man es wesentlich von derselben Seite wie den Tod auffaßt? — Wenn nun Becker als Grundbestimmung des Organismus den Zweck hervorhebt, so haben wir oben schon gesehen, in welche Verlegenheiten und Verwirrungen ihn dieser zu weite und zu enge Begriff führte, und werden das falsche Wesen dieses Begriffs bei Becker bald noch gründlicher kennen lernen. Daß er mit den Merkmalen der Nothwendigkeit und Gesetzmäßigkeit sogar in die causale Betrachtung fällt, daß das des Natürlichen abermals zu eng und zu weit und nichtssagend ist, haben wir ebenfalls schon gesehen und werden wir bald noch mehr sehen. Hier aber wollen wir besonders das Merkmal des Gegensatzes als den oben bezeich- neten wahrhaft zerstörenden Fehler betrachten. Dieses Merkmal nämlich ist wesentlich dem Erdorganismus, also wie wir jetzt wissen, dem Reiche des Unorganischen entlehnt, dem Reiche, wo die Kräfte in voller Einseitigkeit wirken und in ihrer Ver- einzelung, wie sie eben sind, dem Zwecke genügen, wo die Zweckbetrachtung noch keinen Raum hat, die reine Ursächlich- keit herrscht. Polarität ist die Gliederung dieser elementar- sten Kräfte, und somit der Gegensatz die elementarste, also ab- stracteste Form der Besonderung. Wir nennen dieses gabelför- mige Spalten in Gegensätze eben nur Besonderung, nicht etwa Gliederung, Entwickelung, welche wir ausschließlich für das engere Leben aufbewahren, wie für den Geist. Diese Polarität aber, der Gegensatz, ist bei Becker die einzige Weise der Besonderung, und sie gerade ist der Tod aller organischen Glie- derung und Entwickelung. — Indem Becker den Gegensatz zum Charakter des organischen Lebens macht, wird ihm dieses 2* zur leeren Phrase. Es heißt bei ihm §. 7 Anf.: „Die Verbin- dung alles Besonderen und Einzelnen zu einem organischen Gan- zen kömmt durch diejenige Wechselbeziehung zu Stande, welche sich auf ein organisches Differenzverhältniß gründet. Orga- nisch different nennt man nämlich in der Naturwissenschaft solche Thätigkeiten und Stoffe, welche einander entgegen- gesetzt sind, aber gerade durch den Gegensatz einander be- dingen, und mit einander ein gegenseitiges Verhältniß eingehen, vermöge dessen a nur dadurch a ist, daß es einem b entgegen- gesetzt ist, und umgekehrt. Diese organischen Differenzverhält- nisse treten in der Natur je nach den verschiedenen Arten der organischen Dinge unter verschiedenen Gestalten hervor, z. B. in dem Organism der Erde als Differenzen der positiven und negativen Electricität, der Nord- und Südpolarität u. s. f.“ — wie sollten nicht auch die chemischen Differenzverhältnisse, das der Säuren und Basen, hierher gehören? —; „in den Thier- organismen als Gegensatz von Contraction und Expansion“ — welches Verhältniß aber auch in den unorganischen Dingen vor- kommt, die vielfach durch Wärme Expansion, durch Kälte Con- traction erleiden —, „von Assimilation und Secretion, von Mus- kel und Nerv u. s. f.“ Wer so über den Gegensatz, den die gemeine Anschauung wie die Wissenschaft zwischen todter und lebender, unorganischer und organischer Natur macht, hinweg- geht, dem dürfen wir wohl sagen: gieb sie nur frei, diese so- genannt organischen Differenzverhältnisse im Thier- und Pflan- zenkörper, und wenn du dann noch nicht weißt, was du an ihnen hast, so wirst du es bald riechen. Auch Aristoteles, dieser Gründer der Logik spricht sich, wo er auf das Reich des Or- ganischen zu reden kommt, wie in dem Werke über die Theile der Thiere, entschieden gegen die Dichotomirung aus, weil sie den Organismus zerreiße. Wie willkürlich ist es, Muskel und Nerv aus dem organischen Zusammenhange mit den Knochen, den blutführenden Adern, mit dem ganzen Leibe herauszureißen, um sie in einen polaren Gegensatz zu bringen! Das eine allgemeine Leben der Natur ist der eine Tod, die eine Starrheit der Natur. Der Begriff des Organismus, des Lebens, hat nur Werth und Sinn im Gegensatze zu einem un- organischen, todten Theile der Natur, der dem organischen Theile fortwährend dient, den sich dieser fortwährend dienstbar zu ma- chen, von dem er sich zu erhalten, zu ernähren, aus dem er Stoff und Kraft borgen, dessen polares Wirken er auszugleichen, dessen Gegensätze er zu fesseln, den er sich zu assimiliren, an- zueignen hat. Er fällt dagegen ihm anheim, sobald er die Kraft ihn so zu beherrschen verloren hat. Es herrschen im Reiche des Organismus nicht eigentlich andere Gesetze als in der un- organischen, mechanischen Natur; sie bestehen beide aus densel- ben elementaren Stoffen, und diese haben immer dieselben Kräfte. Aber die allgemeinen Gesetze der Natur, die im Reiche des Mechanismus und Chemismus in ihrer Einfachheit und Selb- ständigkeit auftreten, sind im Organismus so kunstvoll in ein- ander verflochten, so eigenthümlich an einander gebunden, daß ihre Wirkungen, sich gegenseitig von der einfachen ihnen ur- sprünglich angehörenden Bahn ablenkend, durchaus andere wer- den. Durch die Weise ihres Zusammenwirkens können auch diese an sich rein mechanischen Kräfte nicht anders, als sich fortwährend aus der Vorrathskammer der unorganischen Natur verstärken, zugleich aber auch diese Verstärkungen wieder in die Vereinigung ziehen, in welcher sie selbst stehen, und also die neue Kraft sogleich mit der Aufnahme ihrer Selbständig- keit berauben und ihre Wirkung in die Bahn lenken, wel- che durch die Zusammenfassung der Kräfte im Organismus geschaffen ist. Der Feind des Organismus liegt nicht mehr außerhalb seiner in der ihn umgebenden unorganischen Natur, als innerhalb seiner; denn alle Kräfte, die in ihm zusammen- gehalten, deren Verwandtschaft und gegenseitige Zuneigung, wie sie in Gemäßheit ihrer Gegensätze Statt haben, unterdrückt und unwirksam gemacht werden, und zwar so, daß sie sich selbst gegenseitig hemmen, thun dies doch nur mit Verläugnung und zum Trotz ihres selbständigen einzelnen Wirkens. Sie thun sich selbst diese Gewalt an, sich gegen ihre Grundsätze und Beckerisch „organischen Differenzverhältnisse“ zu vereinen; aber diese Gewalt läßt der Spannung dieser Gegensätze gegen- über nach; um so stärker wird ihr Streben nach Selbständig- keit und Entfaltung ihrer elementaren polaren Wirksamkeit, bis sie dieselbe endlich erlangen und der Organismus damit zerfällt. Was also Becker Differenzverhältniß, Gegensatz nennt, das ist die polare, zwiespältige Wirkungsweise im Unorgani- schen. Selten auch nennt Becker jene Namen ohne das Bei- wort „organisch“ hinzuzufügen, um sich und den Leser gewalt- sam in der Täuschung zu erhalten, als habe man es hier mit Organischem zu thun. Ohne dies Beiwort hätten jene Aus- drücke zu leicht und zu stark an die unorganische Natur erin- nert; aber ein schönes Beiwort schläfert das eigene Gewissen wie den unachtsamen oder schwachen Leser ein. Diesen Schlaf wollen wir nun eben stören, indem wir darauf hinweisen, daß der Bestand des Organischen darauf beruht, die im Unorgani- schen herrschenden Gegensätze zur Gleichgültigkeit herabzu- setzen, die chemischen Affinitäten oder Differenzverhältnisse zu bannen. Die elementaren Kräfte können die in ihnen liegenden, ihren Gehalt ausmachenden Gegensätze nur zur Geltung bringen, so lange sie in ihrer Selbständigkeit vorhanden sind; aber ein- mal in eine organische Zusammenfassung von Kräften eingegan- gen, von einer umfassenden Einheit verschlungen, hört ihre ei- genthümliche Wirkungsweise auf; ihr Gehalt bleibt ihnen, aber nicht zu ihrer Verfügung; sie sind nur noch das, was sie in der Vereinigung gelten, nach der Umgestaltung, die sie sowohl lei- den, als auf einander üben. Und diese Umwandlung der Kräfte, dieses Umbiegen ihrer Wirkungsbahnen ist sogar ihr eigenes, den Gesetzen der Natur gemäßes Thun; denn thäten sie es nicht aus sich, keine Macht könnte sie je organisch zu- sammenfassen. Es ist hier nicht der Ort zur Lösung der sehr schwierigen Aufgabe, den Unterschied zwischen Organischem und Unorga- nischem darzustellen, wobei man, schon aus polemischer Rück- sicht, sehr leicht in die Gefahr geräth, bald die Verschiedenheit, bald die Gleichheit zu übertreiben. Wir können nicht unter- lassen, auf die classische Abhandlung „Lotzes Leben und Le- benskraft“ zu verweisen, welche Rudolph Wagners Hand- wörterbuch der Physiologie als Einleitung vorgesetzt ist, und auf desselben Lotze „Allgemeine Physiologie.“ Aber auch schon von Aristoteles hätte es sich Becker können sagen lassen (Ue- ber die Theile der Thiere, Anf.), wie die Spaltung in Gegen- sätze den Organismus zerreißt. Worauf es uns hier ankam, war, darauf hinzuweisen, daß die Entwickelung oder Gliederung des Organismus, dieser viel- fachen Verbindung elementarer Kräfte, mannigfaltiger, verwickel- ter, beziehungsreicher ist, als die unorganische Gabelung in Ge- gensätze, diese elementare Besonderungsweise; jene ist nicht so geradlinig, überhaupt nicht bloß linienartig, sondern netzförmig, allseitig, auch nicht planimetrisch, sondern stereometrisch; aber auch nicht ruhend, sondern ewig bewegt, allseitig kreisend, so daß der Organismus sich selbst auf das mannigfachste dem An- blicke darbietet, selbst die vielfältigsten Gesichtspunkte veran- laßt. Kein starres Oben und Unten, Hinten und Vorn, sondern alles zugleich, und eins oder das andere nur, je nachdem wo man gerade steht, wie es sich gerade zeigt; alles aus einem springenden Punkte geworden, aber nachdem es nun geworden ist, ohne Mittelpunkt und ohne Umfangslinie, sondern überall Mitte und überall Oberfläche; kein Punkt aus dem andern ent- standen, alles mit und neben einander, oder vielmehr in einander — kurz nichts als Gegensatz, aber nicht einfacher, sondern ein- heitlich vielfacher, allseitiger; sich ewig bekämpfend, ewig ver- söhnt — ewiges Spiel. b) Organische Verrichtung. Becker giebt auf der ersten Seite seines Werkes eine Definition der organischen Verrichtung. Aber welche Unme- thodik liegt darin und welche Unklarheit verräth es, ab- gelöst von der Definition des Organismus überhaupt und noch vor einer solchen eine Definition der organischen Verrich- tung zu geben! Doch sehen wir sie an: „eine organische Verrichtung, d. h. eine von denjenigen Verrichtungen leben- der Wesen, welche aus dem Leben des Dinges selbst mit ei- ner inneren Nothwendigkeit hervorgehen, und zugleich das Le- ben des Dinges selbst zum Zwecke haben, indem nur durch diese Verrichtungen das Ding in der ihm eigenen Art sein und bestehen kann.“ Diese Definition setzt aber entweder voraus, daß das Leben, also der Organismus definirt sei, und ist dann, da dies noch nicht geschehen ist, völlig unverständlich, also nichtssagend; oder es wird beabsichtigt, mit der Definition der organischen Verrichtung zugleich die des Organismus zu geben, dann wäre sie eine lächerliche Tautologie, ein volles idem per idem . Jedenfalls kann diese Definition die Unbestimmtheit, welche wir bei der Bestimmung des Organismus überhaupt ge- funden haben, nicht im mindesten heben. Mit den Worten „eine von denjenigen Verrichtungen“ soll der Meinung nach die organische Verrichtung von unorganischen geschieden wer- den; aber wo wären unorganische Verrichtungen? Das ist aus Becker nirgends zu ersehen. Denn erstlich haben wir oben gesehen, daß es genau genommen nach ihm keine unorganischen Dinge giebt, deren Verrichtungen gemeint sein könnten; dann aber kann er auch nicht zeigen, wie das organische Ding eine unorganische Verrichtung haben könne, was für die obige De- finition, welche unorganische Verrichtungen organischer Dinge andeutet, noch wichtiger ist. Wir kommen hier wieder auf den schon betrachteten Punkt der „organischen Freiheit.“ Selbst zugestanden, jene Ableitung der Freiheit aus der Vielfältigkeit der Kräfte und ihrer Beziehungen sei nicht so spielerisch, wie sie ist, sondern stichhaltig; so würde sie nur viel Mannigfaltig- keit innerhalb der Verrichtung möglich machen, aber nicht den ganzen organischen Charakter derselben aufheben. Die Epheu- blätter werden doch darum nicht unorganisch, weil in ihrer Form so viel organische Freiheit herrscht; die Sprache, wie ausdrück- lich dort gelehrt wird, ist eine organische Verrichtung, obgleich in dem wirklichen Sprechen die Individualitäten der Völker und Personen freien Spielraum haben. Ebenso muß das Denken, wie so oft wiederholt wird, die Intelligenz, organisch bleiben, obgleich hier die organische Freiheit gegenüber der organischen Nothwendigkeit so groß ist. Woher also irgend welche unor- ganische Verrichtung? Und also, um darauf zurückzukommen, wenn keine unorganische Verrichtung, woher das unorganische Ding? Das geistige Leben der Menschheit als Art des allge- meinen Lebens ist organisch, und das wissenschaftliche und künstlerische wie praktische Arbeiten, die Thätigkeiten der In- telligenz und Sittlichkeit, „gehen aus dem Leben des Geistes selbst hervor mit einer inneren Nothwendigkeit und haben zu- gleich das Leben des Geistes selbst zum Zwecke, indem nur durch diese Thätigkeiten der Geist in der ihm eigenen Art sein und bestehen kann.“ Nach Becker aber müßten wir einer- seits das Fließen des Flusses seine organische Verrichtung nen- nen, und sagen, der Nil übe die organische Verrichtung der Bewässerung Aegyptens — denn wer verkennt in diesen Verhältnis- sen einen von der Natur durch vielfaches Zusammenfassen ur- sächlicher Wirkungen erreichten Zweck? — andererseits würde Beckers Ausarbeitung seines Organism eine unorganische Ver- richtung gewesen sein, wie Becker meint, und der Leser viel- leicht auch. Aber der Leser wird sich vielleicht auch mit uns nicht dazu verstehen wollen, jeden Regentropfen, jede Schnee- flocke, weil sie aus dem allgemeinen Leben der Natur stammt, als organisches Ding, und das Schmelzen des Schnees als or- ganische Verrichtung, dagegen die Gruppe des Laokoon als un- organisches Ding anzusehen! Wenn es so, wie wir in Obigem gezeigt haben, mit dem Principe steht, wie soll es mit der Entwickelung werden? Wird denn wohl aus einem so unklar gefaßten, so vielfältig verscho- benen Begriffe — verschoben nach seinem Werthe und seiner Bedeutung: da er, an sich formal bestimmt, material genommen wird; verschoben nach Umfang: da er der Wahrheit und der Meinung Beckers gemäß innerhalb der Natur eine Grenze ziehen sollte, der gegebenen Bestimmung gemäß über die Na- tur hinausreicht, der Anwendung nach aber die Natur deckt; verschoben nach seinem Inhalte: da der Zweck als seine Grund- bestimmung behauptet wird, seine Merkmale aber den ursächli- chen unorganischen Verhältnissen entlehnt sind — wird aus ihm eine Entwickelung möglich sein? Wir können die Unmöglich- keit im voraus befürchten; aber wir müssen das Gegebene prü- fen. Vielleicht auch daß sich Becker nachträglich corrigirt. c) Die Sprache als organische Verrichtung und als Organismus. § 10. Nominal-Definition der Sprache. Becker beginnt sein Werk: „Man versteht unter Spra- che ” — hiermit wird eine Worterklärung, eine Nominal-Defi- nition angekündigt, die nur den Zweck haben kann, vor allem zu bestimmen, von welchem Gegenstande die Rede sein solle. Mit einer solchen zu beginnen, ist nicht nur durchaus erlaubt, sondern meist rathsam, oft unerläßlich; die Mathematik, die strengste Wissenschaft, beginnt mit Worterklärungen. Sie sind aber nicht ohne Gefahr des, wenn auch unbeabsichtigten, Miß- brauchs: Logisches Gesetz ist: sie dürfen nie mehr enthalten, als: unter diesem Worte sei folgender Begriff verstanden; sie dürfen nicht — und hierin liegt die Gefahr —, zu Real-Defini- tionen werdend, das Wesen der Sache aussprechen, welches eben erst im Verlaufe der Arbeit zu erweisen ist. Sie sind ein Mit- tel zur Verständigung, sie ersetzen das materiale Zeigen eines Dinges; aber sie können und dürfen keine Wahrheit ausspre- chen, keine Erkenntniß. Sie bestimmen den Sprachgebrauch des Schriftstellers, der allemal zugestanden werden muß, weiter nichts. Heut zu Tage, wo man vielfach gewöhnt ist, verächt- lich von der formalen Logik zu sprechen, hat man an ihre Re- geln ausdrücklich zu erinnern. Hören wir also Becker: „Man versteht unter Sprache entweder das Sprechen selbst als diejenige Verrichtung des Menschen, in welcher der Gedanke in die Erscheinung tritt, und durch welche ein gegenseitiger Austausch der Gedanken und eine Gemeinschaft des geistigen Lebens in dem ganzen Ge- schlechte zu Stande kömmt, oder die gesprochene Sprache als ein Product der menschlichen Natur, in welchem die von dem menschlichen Geiste gebildete Weltansicht ausgeprägt und niedergelegt ist.” Ist das die versprochene Nominal-Definition? Hier ist vielmehr in einer Real-Definition vorausgenommen, was das ganze Werk erst zu erweisen hätte. Wenn man das un- ter Sprache verstände, was Becker hier voraussetzt, so brauchte man seine Belehrung nicht mehr; sein Werk wäre überflüssig. — Was das Erzeugniß einer Entwickelung hätte sein sollen, wird dem Leser an den Kopf geworfen. Das ist nicht die ru- hige Sicherheit der Wahrheit, welche den Leser Schritt für Schritt zum gewissen Ziele leitet; das ist die Angst, welche mißtrauisch gegen sich selbst ihre Weisheit nicht glaubt an den Mann bringen zu können, wenn sie nicht mit der Thür ins Haus fällt; die überraschen, mit Sturm einnehmen will. Das tiefste und das ganze Wesen der Sprache wird im er- sten Satze ausgesprochen; aber wie? natürlich wie etwas ohne alle Vorbereitung Vorausgegriffenes nur gesagt sein kann: unbe- stimmt, nach allen Seiten überschwankend, nirgends eine be- stimmte Grenze ziehend, zu eng und zu weit, mit einem Worte: nichtssagend. Ein solcher Satz kann bloß durch Achselzucken kritisirt werden, wird es aber dadurch auch wirklich. In Fol- gendem thun wir nicht mehr als dieses Achselzucken in Worte übersetzen. Daß durch irgend eine Verrichtung jemals der Ge- danke, das rein Ideale, Immaterielle, in die Erscheinung treten könne, und daß dies in der Sprache geschehe, begreift man zu- nächst nicht; „der gegenseitige Austausch der Gedanken” mag zugestanden, soll aber eben erst erklärt werden; „die Gemein- schaft des geistigen Lebens in dem ganzen Geschlechte” ist eine bombastische Phrase; daß die gesprochene Sprache ferner „ein Product der menschlichen Natur” sei, ist ein unbestimmter Aus- druck und bekanntlich zu allen Zeiten mindestens auch geläug- net worden; daß aber gar in diesem „Producte der menschli- chen Natur ” die „vom menschlichen Geiste gebildete Welt- ansicht ausgeprägt und niedergelegt” sei, ist ein Widerspruch in sich selbst; denn wie soll der Geist in dem Producte der Natur etwas niedergelegt haben? Endlich stehen die beiden an- gegebenen Bedeutungen der Sprache, als Verrichtung und Pro- duct, im Widerspruch zu einander, und man begreift nicht, wie man ohne wesentliche Nachtheile für die Erkenntniß mit ei- nem Worte zwei entgegengesetzte Begriffe oder Sachen verbin- den soll. Kurz in Beckers Anfangssatze liegen mit dem We- sen der Sprache auch alle Schwierigkeiten dieses räthselhaften Wesens: während es Aufgabe gewesen wäre, diese Schwierig- keiten zu entwickeln, dem Leser zu zeigen. Hat man so das Endergebniß unbegriffen und unbestimmt am Anfange vorausgenommen, so hat man sich damit schon die Möglichkeit abgeschnitten, dasselbe als eine schließliche Folge einer Reihe unläugbarer oder sich einander stützender Sätze zu erweisen und nach seinem vollen Umfange und mit klarer Ue- bersicht der in ihm enthaltenen Momente zu begreifen. Oben fürchteten wir, die Unklarheit, die Verworrenheit des Begriffs Organismus bei Becker, seines Princips, werde keine Entwicke- lung zu Stande kommen lassen; wir haben jetzt einen neuen Grund zur Befürchtung, der mit dem ersten gewiß in Zusam- menhang steht. Die ursprüngliche Unklarheit des Princips und das Vorausgreifen des Ziels begünstigten einander, standen in organischem Wechselverhältniß. Zunächst gesellen sich zu den erwähnten Widersprüchen mit jedem Satze neue, alle ungelöst, weil unbemerkt. „Die gesprochene Sprache ist aber ein durch die Verrichtung des Sprechens gewor- denes” — das widerspricht dem, daß sie ein Product sei; denn etwas durch eine Verrichtung Entstandenes ist etwas Gemachtes, kein Product; Product aber ist dasjenige, was nicht gemacht, sondern von selbst gewachsen, geworden ist. Ferner ist die Sprache ein Product der Natur, so ist sie nicht durch die Ver- richtung erst geworden; sondern die Verrichtung des Sprechens ist bloß die Anwendung der Sprache, des gegebenen Naturpro- ducts — „und eigentlich ein durch diese Verrichtung noch in jedem Augenblicke werdendes” — aber wie ist das denkbar? Es ist hier gar nicht zu untersuchen, ob nicht diese Widersprüche objectiv im Wesen der Sache liegen; denn Becker hat sie nicht als solche Widersprüche dargestellt, noch weniger gelöst oder zu lösen gesucht. Sie sind ihm selbst nicht zur Klarheit gewor- den; er kann die Widersprüche noch nicht einmal bestimmt aus- sprechen. Daß das Gewordene in jedem Augenblick noch wird, wer wüßte das nicht nach dem alten πάντα ῥεῖ? Was hätte hieran die Sprache Besonderes? In ihr aber herrscht wirklich dieser Gegensatz des Werdens und Gewordenseins in viel tieferer Weise als von Becker gesagt und erkannt ist. — Doch hören wir weiter: „In der gegebenen Sprache wird nur die ihrer Na- tur nach flüchtige Erscheinung des Gedankens als ein Stätigge- wordenes festgehalten” — aber wie ist das möglich? denkbar? das seiner Natur nach Flüchtige festhalten, heißt das nicht, seine Natur zerstören? Und ist es denn wohl wahr, daß wir unter Sprache je die stätig gewordene Erscheinung des Gedankens verstehen? oder was ist bei diesen Worten zu denken? — „und sie (die gesprochene Sprache) ist eigentlich nur die als Stätig- gewordenes aufgefaßte Verrichtung des Sprechens” — ist das etwas anderes als das Vorangehende? Ist aber die gesprochene Sprache „eigentlich nur die als Stätiggewordenes aufgefaßte Verrichtung des Sprechens, so ist sie nicht, wie es doch so eben hieß, das aus dieser entstandene Product; denn dann ist sie überhaupt „eigentlich” nichts Objectives, Wirkliches, son- dern nur Erzeugniß unseres Festhaltens und Auffassens, also ein subjectives Geschöpf unserer Reflexion, dessen Möglichkeit, Be- rechtigung, Nothwendigkeit zu erweisen ist. Die Wahrheit des in diesem Eingange Gesagten konnte nicht geprüft, nur die Unmethodik konnte dargelegt werden, welche aus Unklarheit entsprungen, den Nebel verstärkt. Schließ- lich jedoch noch folgende Bemerkung. Eine Nominal-Definition sollte gegeben werden; statt dessen wird man mit sowohl in sich selbst widerspruchsvollen als auch sich einander widerspre- chenden Sätzen, welche eine Real-Definition enthalten, überschüt- tet. Aber nicht bloß diese wird nicht erreicht, sondern auch nicht einmal das, was eine Nominal-Definition leisten sollte, den Gegenstand der Verhandlung zu bestimmen. Wie könnte man den aus der ganzen mitgetheilten Stelle erkennen? Man könnte bei allem Gesagten viel eher an Schreiben und Schrift, d. h. auch an Bilderschrift und Knotenschnüre, denken; ja auf Schrei- ben und Schrift paßt jener Unterschied von Verrichtung und Product und ihre Einheit, wie das von Becker bestimmt ist, viel besser als auf Sprache. Hier ist wenigstens Stätiggewor- denes. Wenn man so, wie Becker hier gethan hat, das Ende an den Anfang setzt und sich dadurch den ganzen Weg der Ent- wickelung abschneidet, so ist natürlich Bewegung nur scheinbar möglich; man rückt nicht von der Stelle, man dreht sich im Kreise. Das ist die Tautologie: sie haftet an Beckers Fer- sen wie ein Fluch; wir sind ihr wohl schon oben bei der De- finition der Verrichtung begegnet und werden sie weiter nach- weisen im Einzelnen und im Ganzen. §. 11. Erstes Merkmal des Organischen nachgewiesen in der Sprache. Auf den betrachteten Eingang folgt die seiner würdige, oben schon besprochene, Definition der organischen Verrichtung; aus ihr will Becker erweisen, daß auch die Sprache eine or- ganische Verrichtung ist. Das kann nach der Beschaffenheit dieser Definition, wonach alles Mögliche organisch ist, nicht schwer sein. Schwer wäre nur das Gegentheil, wie es auch Becker unterlassen hat, dieses Gegentheil, das Todte und die Freiheit, wirklich nachzuweisen. Das Anziehende im Folgenden liegt also nur darin, zu sehen, theils wie sich Becker bei die- ser Arbeit, die keine ist, benimmt, theils aber auch, als welche Art der organischen Verrichtung die Sprache von ihm bestimmt wird. Es werden die beiden in der Definition gegebenen Merk- male: die aus dem Leben des Dinges nothwendig folgende Ent- stehung und die Rückbeziehung auf das Leben als den Zweck, jedes besonders rücksichtlich der Sprache untersucht. Zuerst heißt es: „Die Verrichtung des Sprechens geht mit einer in- neren Nothwendigkeit aus dem organischen Leben des Menschen hervor: denn der Mensch spricht, weil er denkt, und mit der Verrichtung des Denkens ist zugleich die Verrichtung des Sprechens gegeben. Es ist ein allgemeines Gesetz der lebenden Natur, daß in ihr jede Thätigkeit in einem Stoffe, jedes Geistige in einem Leiblichen in die Erscheinung tritt und in der leibli- chen Erscheinung seine Begrenzung und Gestaltung findet. Nach diesem Gesetze tritt auch der Gedanke nothwendig in die Er- scheinung und wird ein Leibliches in der Sprache. Die Spra- che ist nichts anderes als der in die Erscheinung tretende Ge- danke und beide sind innerlich nur eins und dasselbe.“ Dies sollte aus jenem Gesetze folgen? Ist denn die Sprache ein Stoff? etwas Leibliches? Gesetzt aber, dies sei, sagt denn jenes Ge- setz, daß das Leibliche nichts anderes ist, als das in ihm er- scheinende Geistige? der Stoff nichts anderes als die in ihm erscheinende Thätigkeit? der Stein z. B. ist nichts anderes als die in ihm erscheinende Bewegung? oder Wärme? das Eisen bloß der in ihm erscheinende Magnetismus? Gedanke und Spra- che sollen aber „innerlich eins und dasselbe“ sein; äußerlich nicht? und was bedeutet denn hier innerlich und äußerlich? und sind eben so Stoff und Thätigkeit innerlich eins und dasselbe? Doch weiter! „Auch erhält der Gedanke erst dadurch Gestalt und Vollendung, daß er ein gesprochener wird“ (sollte dies Wort „Vollendung“ eine versteckte Bedeutung haben? oben hieß es nur, das Geistige erhalte im Leiblichen „Begrenzung und Ge- staltung;“ soll Vollendung nichts mehr bedeuten als Begrenzung?); „denn die Objecte der sinnlichen Anschauung, welche die Verrichtung des Denkens in dem menschlichen Geiste zuerst hervorrufen, werden gerade dadurch zu Begriffen, daß sie durch die Rückbildung des Geistes in Objecte einer geisti- gen Anschauung verwandelt, und als solche in dem gesproche- nen Worte dem Geiste gegenübergestellt werden.“ Wissen wir nun, warum es Becker, bewußt oder unbewußt, gefiel, Be- grenzung durch Vollendung zu ersetzen? Wenn nur durch die Sprache die sinnliche Anschauung zum Begriffe wird, so wird durch sie das Denken allerdings erst vollendet; aber keineswegs begrenzt; denn die sinnliche Anschauung hat gerade festere Ge- staltung, bestimmtere Begrenzung als der in der Sprache aus- gedrückte, immer allgemeine Begriff. Wir hätten also hier bei der Anwendung des allgemeinen Begriffs Organismus auf die Sprache etwas Unangemessenes gefunden. Durch die Sprache wird nämlich nicht, wie sonst durch die Verleiblichung geschieht, sinnlichere Gestaltung, festere Concretion erzeugt, sondern, ganz im Gegentheil, Verringerung der Sinnlichkeit und wachsende Abstraction. So hat aber Becker die Sache nicht gemeint; sondern die sinnliche Anschauung wird durch die Selbstthätig- keit des Geistes zum Begriff, und dieser erhält erst im Worte Begrenzung und Gestalt; das Wort ist concreter, sinnlicher als der Begriff. Hierauf werden wir zurückkommen. Jetzt nur die Frage, was ist denn das für eine „Rückwirkung des Geistes“, durch welche die sinnliche Anschauung in eine geistige verwan- delt wird? Soll etwa hiermit der Vorgang der Begriffsbildung dargelegt sein? Und ferner, was treibt den Geist, diese gebil- dete geistige Anschauung in das Wort zu legen? Was soll man endlich zu einem Schriftsteller sagen, der zwei so schwierige Gegenstände, wie die Verleiblichung des Gedankens im Worte und die Begriffsbildung, in einem Werke, das diesen beiden Ge- genständen gewidmet ist, im ersten Paragraph mit einem Satze, den man durch „auch“ an das Vorangehende bindet, erledigt? ja, erledigt, denn Becker sagt uns nirgends mehr, aber wie- derholt es unzählige Male: „die Sprache ist der in die Erschei- nung tretende Gedanke, und das Wort der in Lauten leiblich gewordene Begriff;“ weil ihn die Furcht nicht losläßt, man glaube ihm dies nicht; und er hat diese Furcht, weil er die Sache selbst nicht begriffen hat. Um sie sich selbst glaublich und annehmbar zu machen, spricht er sich jenen Satz fortwäh- rend vor. §. 12. Zweites Merkmal des Organischen in der Sprache. Die Erfahrungen, auf die sich Becker beruft, um zu er- weisen, daß das Denken erst in dem Sprechen seine Vollen- dung erreicht, werden wir später betrachten. Wir gehen also jetzt zum zweiten Merkmal des Organischen über, zum Zweck- verhältnisse, und wollen sehen, wie Becker dies in der Spra- che nachweist. Wenn es leicht war, rücksichtlich der Sprache die nothwendige Entstehung und den organischen Zusammen- hang mit dem Wesen des Menschen nachzuweisen vermöge der Phrase der Erscheinung des Geistigen im Leiblichen, so ist der Nachweis dieses Zweckverhältnisses noch leichter. Denn Be- cker durfte ja nur folgenden Schluß aufstellen: Der Mensch ist nur Mensch durch Denken; denken aber kann er vollkommen nicht, ohne zu sprechen; folglich geht die Sprache nicht bloß mit innerer Nothwendigkeit aus dem Denken hervor, sondern hat auch nur das Denken, die eigentliche Menschlichkeit im Menschen zum Zwecke. So verfährt aber Becker nicht. Je näher indeß dieser Schluß lag, je einfacher und natürlicher er sich darbot, und um so ferner das lag, was an seine Stelle tritt, um so mehr wird sich behaupten lassen, es sei kein Zufall, daß ihn Becker liegen ließ und nach etwas anderm griff, er mag es übrigens mit oder ohne Absicht und Bewußtsein gethan ha- ben. Es ist ganz unläugbar und eine Thatsache, die der Psy- cholog zu entwickeln hat, daß sich im Gedankengange des Men- schen Reflexionen durch wesentliche Leitung geltend machen, ohne in das Selbstbewußtsein zu treten. Diese unbewußten Füh- rer der Gedanken ans Licht zu ziehen, ist das vorzüglichste Geschäft des Kritikers — ein Geschäft, gefahrvoll, aber nicht bloß unvermeidlich, sondern sogar möglich mit überzeugender Kraft durchgeführt zu werden. Was den obigen Schluß be- trifft, so ist er nur scheinbar ein Schluß: das hat Becker ge- fühlt, und dieses Gefühl hat ihn von demselben zurückgehalten. In demselben liegt nämlich gar kein Fortschritt; sondern seine drei Sätze sagen dasselbe mit anderen Worten. Da er aber ei- gentlich in Beckers Definition der organischen Verrichtung liegt, so stoßen wir hier abermals, aber umfassender und tiefer, auf die Tautologie dieser Definition. Nicht bloß, daß in dem- selben das erst zu definirende Wort vielfach gebraucht wird; sondern die beiden Merkmale sind selbst wieder dasselbe. Oder wo ist der Unterschied, ob ich sage, es gehe eine Verrichtung mit einer innern Nothwendigkeit aus dem Leben hervor; oder ob ich sage, eine Verrichtung habe das Leben zum Zwecke? Denn, muß eine Verrichtung nothwendig aus dem Leben her- vorgehen, so wäre das Leben nicht eben dieses selbst, wenn jene nicht aus ihm hervorginge; damit also das Leben es selber sei, zu diesem Zwecke geht jene Verrichtung aus ihm hervor; oder diese hat den Zweck das Leben erst zum Leben zu machen — d. h. es ist hier nur ein leeres logisches Formel-Spiel, in wel- chem die Verrichtung bald als Folge bald als Mittel angese- hen wird. Sie ist aber nur darum beides, weil sie keins von beiden ist: sie ist scheinbar, beliebig nach subjectiver, sophistischer Auf- fassung, das eine wie das andere; sie ist aber in Wahrheit, in echt speculativer Auffassung vielmehr eine von den vielen Sei- ten, welche zusammen das Ganze des vielseitigen Lebens bil- den. Das Athmen z. B. ist weder nothwendige Folge, noch Ursache des Lebens; ist weder Zweck des Lebens, noch hat es dasselbe zum Zwecke; sondern es ist eben das Leben nach ei- ner Seite seines Seins. Und so erkennen wir nun das Idem- per-idem jener Beckerschen Definition auch im Ganzen: indem nicht nur die beiden Merkmale nur eins sind, sondern auch mit dem zu Definirenden zusammenfallen; so daß eigentlich nur ge- sagt wird: eine organische Verrichtung ist eine Verrichtung, welche organisch ist. Nach solcher Definition läßt sich natür- lich alles als organisch erweisen. Das Fließen des Flusses z. B. ist eine organische Verrichtung; denn es geht mit innerer Noth- wendigkeit aus dem Leben des Flusses hervor und hat dieses Leben zum Zwecke. Becker hat dies nicht erkannt; ein horror vacui aber, der dem Geiste eingeprägt ist, hat ihn von unserm obigen Schlusse zurück- gehalten, in welchem das Vacuum seiner Tautologie klar an den Tag gekommen wäre. Becker will doch nun aber einmal noch ein zweites Merkmal des Organischen aufgestellt haben, will doch nun einmal dieses in der Sprache finden; und was kann der Mensch nicht alles, wenn er will! Suchet, so werdet ihr finden! Becker hat gefunden: „Die Verrichtung des Sprechens hat das Leben selbst, und zwar das innerste Leben des Menschen zum Zwecke … denn“ — nun nicht obiger Schluß, der das Verdienst hätte bei der Sache zu bleiben, freilich leer bei der leeren; sondern es wird um dieselbe herumgegangen — „das menschliche Leben fordert nicht bloß, wie das Leben der Thiere, ein instinktartiges Beisammensein, durch welches die Erhaltung der Gattung bedingt ist; es fordert als menschliches Leben zugleich eine gesellige Mittheilung der Gedanken, und eine Ver- einbarung des individuellen Denkens zu einer Allen gemeinsamen Weltanschauung, durch welche auch das geistige Leben des Einzelnen zu einem Leben der ganzen Gattung wird. Wie bei den Geschlechtern der Thiere die Individuen durch instinktartige Verrichtungen auf leibliche Weise, so werden beim Menschen die Individuen durch die Sprache auf geistige Weise zu einer Gattung verbunden.“ Es wird also hier von Becker die andere Seite der Sprache hervorgehoben, wonach sie Werkzeug zur Mit- theilung der Gedanken ist; und der Schein der Verschiedenheit der beiden Merkmale, welche in der Definition der organischen Ver- richtung aufgestellt sind, wird dadurch aufrecht erhalten, daß jedes derselben auf eine der beiden Seiten der Sprache angewandt wird. Das ist nun aber erstlich, wenn auch nicht beabsichtigte, doch wirkliche Sophisterei. Wäre jene Definition treffend, so müßte jedes ihrer Merkmale auf jede Seite des Definirten pas- sen, da diese Seiten doch in wirklicher Einheit liegen müssen. Unser obiger Schluß erfüllt diese Forderung; nämlich so: Die Sprache ist organisch, nicht bloß nach der Seite ihres nothwen- digen Zusammenhanges mit dem Denken, sondern auch nach der andern, wonach sie die Gedankenmittheilung bewerkstelligt. 3 Diese nämlich muß sein, folglich muß Sprache sein — das ist die Entstehung mit innerer Nothwendigkeit —; und sie hat diese dem geistigen Leben unentbehrliche Mittheilung, also das geistige Leben selbst zum Zweck — das ist das organische Zweckver- hältniß —: die Forderung ist erfüllt, aber im leersten Forma- lismus; und man wird durch solche Schlüsse an Saphir erin- nert. Becker hat nicht so geschlossen; aber wie schlimm, daß es ihm noch zum Vorwurf gereicht, nicht einmal so geschlossen zu haben! Denn nicht bloß ist die Weise, wie Becker statt dessen verfuhr, sophistisch; sondern zweitens fällt hier Becker wieder aus seiner Anschauung des Organischen zurück; denn die Sprache als Werkzeug zur Mittheilung ansehen, heißt, sie als ἔϱγον, wie Humboldt es nennt, d. h. sie unorganisch, als Ding betrachten. Denn als solches Werkzeug wirkt eben die Sprache nur wie ein Werkzeug, wie Geberdensprache, Bilder- schrift, und sogar wie willkürliche Zeichen. In der angeführten Stelle sagt auch Becker weiter nichts, als daß die Sprache nicht bloß auf die Befriedigung äußerlicher Bedürfnisse gerich- tet, sondern auch dem geistigen Leben nothwendig sei. Das- selbe aber gilt von der Schrift, von der Buchdruckerei und so- gar von gewissen socialen Instituten für „gesellige Mittheilung der Gedanken und eine Vereinbarung des individuellen Denkens zu einer Allen gemeinsamen Weltanschauung,“ wie Akademien, Kaffeekränzchen u. s. w. Endlich müssen wir noch den Schein aufheben, als sei im ganzen Verlaufe des beinahe vier Seiten langen §. 1. irgend welche fortschreitende Entwickelung gegeben, ein Begriff in seine Momente zerlegt, oder gar eine Reihe von Gedanken aus ein- ander abgeleitet; denn alles Gesagte war ja schon vollständig im ersten Satze ausgesprochen: „Man versteht unter Sprache entweder das Sprechen selbst als diejenige Verrichtung des Men- schen, 1) in welcher der Gedanke in die Erscheinung tritt, und 2) durch welche ein gegenseitiger Austausch der Gedanken und eine Gemeinschaft des geistigen Lebens in dem ganzen Ge- schlechte zu Stande kömmt.“ Hat man im ganzen Paragraphen, das Wort organisch ausgenommen, mehr gehört? So sehen wir von neuem die Tautologie in noch umfangreicherer Weise. §. 13. Die Sprache als gesprochene. Wir haben bisher die Sprache nur nach dem Entweder, d. h. als Sprechen, als Verrichtung betrachtet; welches Schick- sal wird sie im Oder, d. h. als gesprochene Sprache haben? Becker sagt §. 3.: „Weil aber die Sprache eine Verrichtung der Gattung ist, so muß das Wort Ausdruck des Gedankens werden nicht allein für das sprechende, oder nur für das spre- chende und angesprochene Individuum, sondern für das ganze Geschlecht, und sogar für die nachkommenden Geschlechter. Das Werdende muß als ein Gewordenes festgehalten, und die flüchtige Erscheinung der organischen Verrichtung zu einem bleibenden Producte werden. Fassen wir nun die Sprache nicht mehr als die Verrichtung des Sprechens, sondern als ein Gewor- denes, als bleibendes Product der Verrichtung auf, so wird uns der Begriff der gesprochenen Sprache.“ Wir erfahren zwar hier nicht, wie es zugeht, daß die Verrichtung des Sprechens ein Gewordenes, ein Product wird, aber, warum das geschieht. Nämlich die Verrichtung muß zum Producte werden — nicht bloß etwas Bleibendes hervorbringen, sondern selbst das Erzeug- niß werden, weil das Wort für die ganze Menschheit sein muß. Hier sehe ich den ursächlichen Zusammenhang nicht; und warum muß das Wort für die ganze Menschheit sein? warum darf ich heute nicht anders reden als die alten Griechen? Weil, sagt Becker, die Sprache eine Verrichtung der Gattung ist! Be- cker fährt fort: „Dadurch daß das einmal gesprochene Wort bleibend denselben Gedanken für die mitlebenden und nachkom- menden Geschlechter ausdrückt, wird die gesprochene Sprache das allgemeine Medium der Gedankenmittheilung unter den In- dividuen.“ Man beachte doch diesen Fortschritt des Gedankens! Nachdem zwei Sätze, man sieht nicht recht wie, durch „weil“ verbunden worden, werden sie umgestellt und durch die Con- junction „dadurch daß“ verknüpft. Was eben Ursache war, wird nun Wirkung. Das ist wahrscheinlich das organische Vor- schreiten der Gedankenentwickelung! Hinter die angeführten Worte wird ein Kolon gesetzt und hinzugefügt: „sie ist ver- ständlich für alle, weil sie der Ausdruck einer dem ganzen Ge- schlechte gemeinsamen Weltanschauung ist“; und vorher hieß es, daß man erst durch die Sprache zu dieser gemeinsamen Weltanschauung gelange. Wer in solcher Weise, mit einem Paar solcher Sätze, die tiefsten Widersprüche, Räthsel der Sprache abfertigt; und alle die, welche glauben, daß wer dies thun konnte, der Schöpfer „der neuen Grammatik“ sei, wie können die et- was von Humboldts gewaltiger Dialektik und tiefer Speculation 3* verstanden haben! Was können sie mit ihm gemein haben! Wie hat Humboldt mit diesen Gegensätzen in der Natur der Sprache, daß sie ewig werdend und immer geworden, flüssig und fest, ganz und gar individuell und durchaus allgemein, Schöpfung des Einzelnen und doch des Geschlechts, durchaus menschlich und wesentlich über den Menschen hinausgreifend, vom Men- schen geschaffen und doch unerschaffen — wie hat Humboldt, sage ich, hiermit gerungen! Man muß es nicht bloß gelesen haben, sondern mitfühlen! Denn auch Begriffe, Dialektik und Speculation wollen gefühlt sein! Und dann dagegen Becker! — §. 14. Entstehung der Sprache. Hiermit haben wir Beckers Grundgedanken geprüft und nichts als leere Tautologien, Phrasen gefunden. Wir wollen aber noch, bevor wir weiter gehen, seine Ansicht über die Entstehung der Sprache prüfen. Dieser Punkt ist schon bei Gelegenheit des ersten organischen Merkmals der Sprache besprochen wor- den. Das dort Gesagte hat sich für uns in nichts aufgelöst. Da aber dieser Punkt so wichtig ist, so müssen wir sehen, ob viel- leicht an einem anderen Orte, wo derselbe ausführlicher darge- stellt wird, die Phrase der organischen Verleiblichung des Gei- stigen einen wahren Gehalt findet. Becker sagt in seinem Werke „Das Wort“ (S. 252): „Wenn man in der Sprache eine organische Verrichtung erkennt, welche in dem menschlichen Organism mit der Einheit des geistigen und leiblichen Lebens gegeben ist, und ebenso wie die anderen organischen Functionen ein ergänzendes Glied in der Kette der menschlichen Lebens- verrichtungen ist; so kann die Frage nach dem Ursprunge der Sprache nur den Sinn haben, wie der Mensch zuerst zu der Ausübung der Function gelangt sei. Die Fähigkeit zu einer organischen Function ist gegeben durch den Apparat der dieser Function angehörigen Organe, z. B. die Fähigkeit zum Athmen durch den Apparat der Respirationsorgane. Zu der wirklichen Ausübung ist aber nach einem allgemeinen Gesetze außer dem Apparate von Organen erforderlich, daß irgend ein Reiz von außen auf die Organe einwirke und sie zur Thätigkeit anrege. Dieser Reiz ist z. B. für die Function des Athmens die atmo- sphärische Luft und für die Function der Verdauung Speise und Trank. Wenden wir dieses auf die Sprachfunction an; so ist die Fähigkeit zum Sprechen gegeben durch den Apparat der Sprachorgane; und es fragt sich nur noch, was eigentlich der Reiz sei, der, von außen auf die Organe einwirkend, die wirk- liche Ausübung der Function hervorruft. Für die willkürlich beweglichen Organe ist eine geistige Thätigkeit derjenige Reiz, welcher vermittelst der Nerven auf die Organe einwirkt und sie zur Thätigkeit anregt. Da nun die Sprachorgane zu den Or- ganen der willkürlichen Bewegung gehören; so kann der ihre Thätigkeit hervorrufende Reiz kein anderer sein, als eine auf sie einwirkende geistige Thätigkeit. Die Sprachorgane sind aber von den anderen Organen der Willkürbewegung darin unter- schieden, daß die Thätigkeit der letzteren eigentlich durch die Einwirkung des Begehrungsvermögens (den Willen), die Thätig- keit der ersteren hingegen durch die Thätigkeit des Vorstellungs- vermögens (den Gedanken) hervorgerufen wird: wie in den er- steren der Wille, so tritt in den letzteren der Gedanke in die Erscheinung. Wie jedoch in der Einheit des menschlichen Gei- stes Empfinden und Wollen von dem Erkennen und Denken nicht geschieden sind, so tritt auch oft in der Function der Sprachorgane die Empfindung und der Wille in die Erscheinung, und die anderen Organe der Willkürbewegung werden, z. B. in der Mienen- und Geberdensprache zu Sprachorganen … Der Mensch spricht nothwendig, weil er denkt, wie er nothwendig athmet, weil die atmosphärische Luft ihn berührt. Wie die Respiration die äußere Erscheinung eines inneren Bildungsvor- ganges, und wie die Willkürbewegung die äußere Erscheinung der inneren Willensthätigkeit, so ist die Sprache die äußere Er- scheinung des Gedankens.“ Was haben wir nun in dieser Darstellung mehr als die Phrase der leiblichen Erscheinung des Gedankens? Die Analogie mit dem Athmen! Wenn dieselbe nur nicht gar zu mangelhaft wäre! Und wenn sie nur gründlich durchgeführt wäre! Daß durch die bloße Uebertragung der beim Athmen erkannten Ver- hältnisse auf die Sprache eine Erklärung des Ursprungs dersel- ben gewonnen werde, ist unmöglich. Analogien sind niemals unmittelbar erklärend. Sie sind aber anregend; sie geben Fin- gerweise. Wie Becker sie hier anwendet, klagen sie ihn laut an als Phraseologen und Analogienjäger. Denn erstlich zeigt uns zwar der Physiolog, wie sowohl die Athemwerkzeuge zur Ausübung ihres Amtes und zur Auf- nahme des Reizes durchaus geeignet sind, ganz in Gemäßheit schon anderweitig erkannter Gesetze; als auch wie die Luft nicht anders kann, als jene zu reizen. Becker aber zeigt nicht, wie der Gedanke für die Thätigkeit der Sprachwerkzeuge ein Reiz sein könne, ihre Bewegungen zu beginnen, und wie diese geeignet seien, jenen Reiz von den Gedanken aus aufzunehmen, um dadurch in eine so bestimmte Richtung ihrer Bewegungen zu gelangen. Man verlangt also, daß wie der Physiolog uns zeigt, inwiefern der Bau der Lungen und des Brustkastens, die physikalische und chemische Beschaffenheit der Luft und des Blutes den Athmungsproceß erzeugt, ebenso Becker zeigen solle, wie vermöge ihrer eigenthümlichen Natur und Construc- tion der Gedanke und die Sprachwerkzeuge zur Erzeugung der Sprache zusammenwirken müssen. In einem Nebensatze behaup- ten, die Wirkung dieses Reizes und die Empfänglichkeit dafür sei „mit der Einheit des geistigen und leiblichen Lebens gege- ben“, und tausendmal wiederholen: „der Geist erscheint orga- nisch im Laute,“ das heißt eben nur die Sache in einer Phrase aussprechen, aber nicht eine Erklärung derselben geben; höch- stens wird dadurch der Anfang zur Lösung gemacht, der Weg dazu gezeigt, nicht betreten. Wir verkennen Beckers Ver- dienst nicht: wenn man früher fragte, wie sind diese beiden Dinge, Gedanke und Laut, zusammengekommen? — eine unbe- antwortbare, weil falsch gestellte Frage — so hat Becker eben diese Falschheit erkannt und hat ausgesprochen: diese Dinge sind nicht erst zusammengekommen, nachdem sie getrennt vorhan- den waren; sondern sie sind eben nur zusammen. Das Ver- dienst, die Frage so zurecht gerückt zu haben, ist bedeutend; es ist aber nur der Anfang zur Lösung der Aufgabe; denn man will wissen, inwiefern folgt es aus dem Wesen des Gedankens, daß er nur mit dem Laute verbunden wirklich ist? Becker ant- wortet: „Es ist ein allgemeines Gesetz, daß u. s. w.“ Wenn ein solcher allgemeiner Satz das Besondere erklären soll, so ist er eine sophistische Phrase. Betrachten wir nun die Analogie zwischen Athmen und Sprechen näher, so sehen wir, daß sie zu unvollkommen ist, als daß eine genügende Durchführung möglich wäre. Denn erst- lich: während beim Athmen die Werkzeuge und die reizende Luft in demselben Bereiche physischer Kräfte liegen, liegt bei der Sprache der Gedanke, welcher reizen soll, auf einem ganz anderen Gebiete als die Werkzeuge, die gereizt werden sollen. Das Athmen ist ein durchaus physischer Vorgang, durchaus im Gebiete der Stoffbewegung; es kommen dabei nur Gesetze in Betracht, die anderweitig vielfach angewandt und bestätigt sind. Dagegen sieht man gar nicht ein, welch ein Zusammenhang, welch eine Beziehung zwischen Gedanken und Stimmwerkzeug Statt habe, so daß jener als Reiz auf dieses wirken könne, daß es töne, und auf die Mundhöhle und Zunge, daß sie den Ton articuliren. Hier nur kurzweg von der äußeren Erscheinung eines Geistigen im Leiblichen reden, ist eine sophistische Phrase! Hieraus folgt nun weiter, daß auch die ganze Weise, wie der Reiz wirkt und das Reizende in den Vorgang eingreift, und das Erzeugniß des Vorgangs auf beiden Seiten so verschieden ist, daß die Analogie schwindet. Luft, das Reizmittel, dringt in die Lungen; in Berührung mit dem Blute erfährt sie Ver- änderungen und wird hiernach ausgetrieben — alles nach ge- meinen Gesetzen. Geht etwa so der Gedanke in die Sprach- werkzeuge, wird er dort in bekannter Weise verändert und dann wieder entsendet? Verhält sich der Gedanke zur Thätigkeit und zum Erzeugniß der Sprachwerkzeuge, wie die Luft zu den Ath- mungswerkzeugen und dem, was sie entsenden? Bei Becker aber sind äußerliche Wirkungen, Vollführung des Willens, Darstel- lung eines Unsichtbaren durch Zeichen, alles leibliche Erschei- nungen eines Geistigen — Phrasen! Die größte Schwierigkeit endlich, wodurch die Analogie nicht nur nichtssagend wird, sondern die Anschauung vom or- ganischen Wesen der Sprache zerstört, liegt in Folgendem. Die Luft als Reizmittel für das Athmen, die Nahrung für die Ver- dauung sind vor der Lunge und dem Magen vorhanden und mö- gen wirken, sobald sie mit diesen Organen in Berührung kom- men; so wie das Kind an die Luft tritt, ist diese bereit in die Lunge zu dringen, und die Nahrung wird dem Magen zugeführt: woher aber soll den Sprachorganen der Reiz kommen? da erst durch ihre Bewegung das was sie reizen soll, der Gedanke, ent- stehen kann? Becker sagt: „Das Wort tritt nothwendig sogleich hervor, so wie sich in dem Geiste der Begriff gestaltet, der er- regend auf die Sprachorgane einwirkt.“ Kann der Begriff ein- wirken, bevor er ist? und kann er sein, bevor die Sprachorgane thätig sind? „Das Wort wird mit dem Begriffe geboren“; also kann der Begriff nicht der Reiz für die Bewegung der Sprach- organe sein. Nun soll er dies aber dennoch sein nach Becker; dann ist er auch, wie die Luft vor dem Athmen ist, vor der Schöpfung des Wortes; und hiermit sinkt also Becker in die veraltete unorganische Anschauung zurück. Nun entsteht wieder die Frage: wie gelangt der existirende Begriff zum lautlichen Zeichen? Es ist also kein zufälliges Versehen, wenn Becker sagt (S. 257): „Vermöge einer organischen Nothwendigkeit wird der Begriff überhaupt leiblich im Laute; aber die Wahl des be- sonderen Lautes, in welchem er leiblich wird, geschieht mit or- ganischer Freiheit.“ Wenn hier Becker plötzlich aus seiner Anschauung, wonach Laut und Begriff zusammen geboren wer- den sollten, vollständig heraustritt, und für den vorhandenen Begriff einen Laut wählen läßt, so thut er das, weil er mit Nothwendigkeit aus seiner eigenen Anschauung heraus- und al- lerdings zurückgedrängt wurde. Die ganze Anschauung aber vom organischen Wesen der Sprache, von ihrer inneren Noth- wendigkeit, ist hiermit aufgelöst; denn kann der Mensch für einen Begriff einen Laut wählen, suchen, oder ist überhaupt nur der Begriff vor dem Worte vorhanden, so könnte man ja auch dieses Wählen unterlassen und die Bezeichnung des Begriffs überhaupt oder die durch den Laut verschmähen. Diese Auf- lösung seiner Ansicht mußte Becker wegen ihrer Unbestimmt- heit erdulden. Trotz des ewig wiederholten Epitheton ornans organisch hat er die organische Natur des Wortes und des Be- griffs, die Nothwendigkeit jenes für die Entstehung dieses, nicht erkannt. Wir sind seiner falschen, veralteten Ansicht, wonach der Begriff vor dem Wort existirt, schon oben (S. 30) bei der Betrachtung des ersten Merkmals des Organischen in der Spra- che begegnet. Der Fehler steckt also nicht bloß im Werke „das Wort“ sondern auch im „Organism.“ Denn er beruht auf der Grundbestimmung des Organismus bei Becker, wonach dieser darin besteht, daß ein Gedanke einen Leib gewinnt, wo- bei allemal der Gedanke vor dem Leibe gedacht wird. §. 15. Schluß. Nach dieser Betrachtung des Grundgedankens der Becker- schen Sprachbetrachtung sind wir wohl schon berechtigt zu ur- theilen, daß Becker, im anerkennenswerthen Streben nach einer organischen Auffassungsweise der Sprache, sein Ziel so wenig erreicht hat, daß er zunächst in eine durchaus unorganische Anschauung verfällt, dann aber sogar in die nichtssagendste Phrasenhaftigkeit. Wir werden dies jetzt bei der näheren Dar- legung des Beckerschen Princips und seiner ersten Folgen noch ausführlicher nachweisen. 2. Unorganischer Charakter der Beckerschen Sprachbetrachtung . Wir haben das Zurücksinken Beckers in eine durchaus unorganische Anschauung von der Sprache schon im Allgemei- nen erkannt und auch im Einzelnen wiedergefunden. Es ist aber der allgemeine Charakter dieses unorganisch aufgefaßten Sprach- wesens näher zu bestimmen. Wir verfolgen hierbei nur Be- ckers Darstellung. Was er selbst als den eigentlich unterschei- denden Charakter seiner, vermeintlich organischen, Entwickelung bezeichnet, wird sich uns als der bezeichnende Zug des Unor- ganischen offenbaren. Diesen Grundzug haben wir sogar schon enthüllt: es ist der Gegensatz, der von Becker als Grund- lage seiner Entwickelung angegeben wird, aber nur die elemen- tare Besonderung der unorganischen Kräfte darstellt. Hier ha- ben wir diesen Punkt weiter zu verfolgen. a) Kategorie des Gegensatzes und der Einheit. §. 16. Trendelenburg über den Gegensatz. Vor allem: was ist Gegensatz? Wenden wir uns mit die- ser Frage an Trendelenburg. Warum gerade an ihn, das werden wir später angeben. Dieser Philosoph nun lehrt (Logi- sche Untersuchungen II, x. 2), die Verneinung und der Wider- spruch sei durchaus logisch. Statt ihrer „tritt real der Begriff des Andern oder Verschiedenen auf, der sich bis zum Begriff des Gegensatzes spannt. Aber Verneinung und Gegensatz sind nicht einerlei. Die reine Verneinung, die Schärfe des Geistes, hat sich in dem Gegensatz gleichsam verkörpert, jedoch durch das individuelle Substrat von der Allgemeinheit eingebüßt. Be- ziehung und Verneinung desselben Begriffs schließen sich ein- ander aus ohne alle Aussicht eines Vertrages. Gegensätze indessen haben, inwiefern sie bestehen, auch wesentlich etwas Gemeinsa- mes, worin sie zusammenkommen können.“ Hier hat Trende- lenburg den Ausdruck Gegensatz etwas lose und unbestimmt genommen. um das Verschiedene oder Andere einzuschließen; sonst, nämlich wenn der Gegensatz streng genommen und aus dem bloß Verschiedenen herausgehoben werden sollte, müßte es statt des „können“ am Schlusse des Satzes, „müssen“ lauten. Das bloß Andere bedarf keines gemeinsamen Punktes, aber durch- aus der Gegensatz, wie aus Trendelenburgs folgenden Wor- ten hervorgeht: „Der Begriff des Gegensatzes ist im Einzelnen klar … Es ist jedoch eine schwierige Frage, wie dieser Begriff im Allgemeinen festzuhalten sei… Zunächst weist aller Gegen- satz auf ein höheres Allgemeines hin, z. B. auf die umfassende Einheit eines Zweckes, die das Maß der Beziehung bildet. Be- griffe, die nichts mit einander theilen, können auch nicht zu ei- nem Gegensatz aus einander treten. Man hat ein schönes Bei- spiel der zusammenwirkenden Gegensätze in der Harmonie der sich fordernden Farben. — Die Begriffe ziehen als Allgemeines das differente Einzelne in sich zusammen. Aber verglichen mit einander fallen sie selbst außer einander. Die Begriffe ordnen sich in Abständen; denn je nach ihrer Uebereinstimmung und Verschiedenheit ziehen sie sich an und stoßen sich ab. So bil- den sich, wenn man den Inhalt betrachtet, Reihen von Begrif- fen. Diejenigen, die innerhalb desselben Geschlechtes am wei- testen von einander abstehen, heißen Gegensätze .“ Diese Bestimmung scheint etwas lose, indem der Gegensatz hier nur als große Verschiedenheit bestimmt wird; der Unterschied zwischen Gegensatz und bloß Anderm scheint quantitativ, von einem mehr oder weniger des Gemeinsamen abhängig. Dies Mehr oder Weniger aber ist völlig unbestimmt gelassen. Man fragt: bilden wohl auch schon zwei Begriffe, die sich nur innerhalb einer Art, und auch noch zwei, die sich sogar innerhalb einer Ordnung am entferntesten stehen, einen Gegensatz? Diese schei- nen ihn noch nicht, jene nicht mehr zu bilden. Und wie be- stimmt man das Geschlecht, die Art und die Ordnung? In- dessen dies ist wohl Trendelenburgs Ansicht gar nicht; nach ihm ist die quantitative Entfernung, die größere oder geringere Menge des Gemeinsamen für den Begriff des Gegensatzes gleich- gültig, und nur dies kommt dabei in Betracht, daß die beiden Begriffe an den beiden Grenzen „eines höhern Allgemeinen“ stehen, dieses mag viel oder wenig umfassen, eine Classe oder eine bloße Art sein. — Trendelenburg fährt fort: „Dies Verhält- niß ergiebt sich, wenn die Begriffe nach dem Inhalt und gleich- sam in der Ruhe neben einander betrachtet werden. Das Zweite ist die Richtung der Bewegung, wenn sie in der Wirkung auf- gefaßt werden. Die räumliche Richtung des Anziehens und Abstoßens, des Zusammen und Auseinander, des Widerstrebens und Weichens, des Verbindens und Scheidens u. s. w. bildet darin durchgehends das Maß der zu Grunde liegenden Anschau- ung. Alle Aeußerungen der Materie unterliegen diesem Kenn- zeichen, da sie auf die Bewegung zurückgehen. Noch in den Eindrücken der Sinne erkennen wir diese Aehnlichkeit. Und da die Bewegung die erste That des nachbildenden und vorbilden- den Denkens ist, so setzt sich diese Ansicht auch in den geisti- gen Begriffen fort. — Abstand der Begriffe und die Richtung in der Wirkung wäre hiernach das Kennzeichen des Gegen- satzes.“ Wir fassen wohl beides zusammen in dem einen Aus- drucke: Grenzbeziehung der Begriffe, wobei man nicht an die beiden ruhenden Grenzpunkte, sondern an das Durchschreiten des Abstandes von einer Grenze zur andern zu denken hat. Trendelenburg hat die allgemeine Bestimmung des Gegen- satzes für schwer erklärt. Man wird ihm darin Recht geben müssen, wenn man weiß, wie viel Mühe dieser Begriff auch al- len andern Philosophen gemacht hat, wie es ihm selbst kaum gelungen ist, seinen Grundgedanken festzuhalten, dessen Dar- stellung vielmehr einer kleinen Verbesserung bedurfte, und wie wir nun endlich durch ihn immer noch nicht im Stande sind, den Gegensatz vom grellen Widerspiel und der schneidenden Dis- harmonie zu unterscheiden. §. 17. Der Gegensatz bei Becker. Becker kennt keine Schwierigkeiten; ihm ist alles leicht, und er hat auf jede mögliche Frage die Antwort bereit. Wir kennen seine Bestimmung des Gegensatzes schon (Organism §. 7): „Organisch different“ (giebt es auch unorganisch Differen- tes? nach Becker nirgends) „nennt man solche Thätigkeiten und Stoffe, welche einander entgegengesetzt sind, aber ge- rade durch den Gegensatz einander bedingen, und mit einander ein gegenseitiges Verhältniß eingehen, vermöge dessen a nur da- durch a ist, daß es einem b entgegengesetzt ist, und umgekehrt.“ Diese Tautologie ist noch schöner und klarer, als die obige in der Definition der organischen Verrichtung. Differenz wird hier durch Gegensatz definirt. Es ist freilich auch hier ein Schein gerettet, als wäre die Differenz nur eine Art des Gegensatzes; und auch umgekehrt sorgt der Zusatz organisch dafür, daß der Gegensatz nur eine Art, nämlich die organische Art der Diffe- renz zu sein scheint. Wir haben hier dasselbe Durcheinander und Schwanken von Allgemeinem und Besonderem, das wir schon oben im Begriffe des Organismus gefunden haben. Das Ergeb- niß der widersprechenden Begriffsbewegungen ist auch hier wieder die Gleichheit der Begriffe Differenz, Gegensatz und or- ganisch. Ja der Begriff des Zweckes schwindet vollständig aus Beckers Organismus, wie er ja auch nur in der unbestimm- ten Form des sich verleiblichenden Gedankens in denselben ein- geführt war; und der Gegensatz ist es eigentlich, was das We- sen des Organischen ausmacht. So weit Gegensatz, so weit auch Organismus, und umgekehrt; sie sind gleich an Inhalt und Umfang. Uebrigens scheint der Definition Beckers vom Gegensatze eine sehr bestimmte Anschauung zu Grunde zu liegen. Wir irren schwerlich, wenn wir als Beckers Ansicht vom Gegensatze dies aussprechen: Entgegengesetzt sind zwei Thätigkeiten oder Stoffe, von denen jede ihre Wirksamkeit, ihr Sein darin hat, der andern entgegengesetzt zu sein; so daß keine ohne die andere, jede nur mit der andern sowohl sein, als auch gedacht werden kann. Diese Definition ist aber, wie schon bemerkt, dem unorganischen Auftreten des Gegensatzes im Gebiete der Elektricität und des Magnetismus entlehnt, womit also der Organismus bei Becker nur noch der Phrase nach, dem Wesen nach nur Unorganisches vorhanden ist. Wir haben oben dagegen geltend gemacht, daß im Organismus zwar polarischer Gegensatz herrscht, aber nicht dieser einfache zweigliedrige; sondern hier steht jedes Ding in vielseitigem Gegensatze zu vielen anderen, und das organische Wesen derselben wird nur erkannt, indem die Einheit dieser vielfachen Beziehungen aufgefunden wird, wird aber zerstört, wenn die einzelnen Seiten des vielfachen Gegensatzes aus ein- ander gezogen werden. Wenn a zu b , c , d u. s. w. in wechsel- seitiger Beziehung steht und auch b , c , d u. s. w. unter einander sich im Wechselverhältnisse befinden, welche dürftige Erkennt- niß würde daraus entstehen, wenn man a einseitig als im pola- rischen Gegensatze zu b begriffen auffaßt und darin sein gan- zes Wesen aufgehen läßt! In solcher Weise aber behandelt Becker den Organismus. Die Beckersche Definition des Gegensatzes ist aber so eng, daß sie auch den gerechtesten Sprachgebrauch des Wortes nicht umfaßt. Der Gegensatz der Farben z. B. ist nach ihr schwer- lich aufzufassen. Den Grund sieht man leicht ein. Während dem Gegensatze der positiven und negativen Elektricität, der Nord- und Südpolarität das Bild der Linie mit zwei Grenz- punkten oder das Bild zweier von einem Punkte, dem Indiffe- renzpunkte, ausgehenden Linien zu Grunde liegt, wird das Ver- hältniß der Farben in einem Dreiecke angeschaut. Becker sieht aber darum in den Verhältnissen von roth und gelb, roth und violett, grün und blau (S. 66) nur Gegensatz schlechtweg, Ge- gensatz in dem einen wie in dem andern. So rächt sich hier in auffallender Weise die zu große Enge, welche der Gegensatz in Beckers Definition erhält, durch den Umschlag in zu große Weite. Weil Becker bloß den linearen Gegensatz kennt, so kann er, trotzdem er fortwährend das Beiwort polarisch im Munde führt, den Gegensatz von der einfachen Verschiedenheit und die sanft zur Einheit verschmelzende Harmonie von der schreienden Disharmonie nicht unterscheiden; alles fällt in die gleichgültige Verschiedenheit zurück, in ein bloß mechanisches Nebeneinan- der, in ein inhaltsloses Anderssein; a und b sind andere gegen einander: das ist der Inhalt des Beckerschen Organismus. Das ist freilich nicht so zu verstehen, als wäre es einerlei, mit Be- cker zu sagen: Nerv und Muskel stehen im Differenzverhältniß, also ist Nerv nicht Muskel; oder zu sagen: Nerv ist nicht Stein, nicht Luft u. s. w. Aber indem gesagt wird: Nerv ist nicht Muskel, bleibt allerdings unbeachtet, daß er auch nicht Gehirn, nicht Blut ist, nicht Knochen, nicht Haut und Haar. Indem man aber aus einer Einheit vielfacher Gegensätze einen heraus- hebt und zum polarischen Gegensatze zuspitzt, hat man diese Einheit aufgelöst, und durch ihre Trennung sind diese Gegen- sätze nicht nur gleichgültig gegen einander geworden, sondern, da zur Kraft jedes einzelnen auch die andern beitragen müssen, ist ihre gegensätzliche Beziehung zu einer Beziehung überhaupt, in welche unser Denken zwei Elemente bringt, herabgesetzt, — zu einer Beziehung, welche nicht viel höher als das bloße An- derssein steht. So ist es Becker ergangen; und wenn er sagt (S. 66): „Die Verneinung gehöret ganz dem Gedanken und zwar dem Urtheile, nicht dem Begriffe an. Wenn man sagt, a sei nicht b , so wird nur in einem Urtheile die Identität der zu ei- ner Gattung gehörigen Arten verneint, aber über das eigentliche Verhältniß, in welchem a zu b steht, wird nichts ausgesagt“, und somit überhaupt nichts über das Wesen von a oder b —; wenn dies Becker selbst sagt, so hat er sich selbst verurtheilt. §. 18. Logische Dichotomie. Wir sehen hiermit, wie nicht bloß durch den Gegensatz der Organismus unorganisch wird, sondern wie selbst der Ge- gensatz nicht einmal auf seiner eigentlichen Höhe der Beziehung festgehalten wird, sondern zur Beziehung überhaupt herabsinkt. Hieraus folgt aber eine noch nähere Bestimmung. Wenn nämlich der organische Zusammenhang zerrissen ist, so kann die an des- sen Stelle tretende Beziehung eben nur dem Gedanken angehö- ren, dem Urtheile, welches mit Willkür irgend ein Element zum Ausgangspunkte der Vergleichung wählt und hiernach eine künst- liche Classification von Begriffen, aber keine Entwickelung, wel- che der Wirklichkeit entspräche, zu Stande bringt. Die Be- griffe, hieß es bei Trendelenburg, ordnen sich in Abständen; denn je nach ihrer Uebereinstimmung und Verschiedenheit zie- hen sie sich an und stoßen sich ab. So bilden sich“ Ge- schlechter,“ deren Grenzbegriffe Gegensätze bilden. Hierbei ist es ganz gleichgültig, ob der eigentliche Ausgangspunkt und Maß- stab jener Abstände der organische und reale ist, oder ein künst- lich gewählter, von dem aus aber sehr streng logisch fortge- schritten wird. Die so hervortretenden Gegensätze werden lo- gisch unangreifbar sein, aber dennoch werthlos, weil bloß lo- gisch-künstlich. An die Stelle des realen Gegensatzes tritt lo- gische Dichotomie . Als bezeichnendes Merkmal der unorganischen Sprachfor- schung Beckers erkennen wir also näher die logische Dicho- tomie der Begriffe . §. 19. Die Einheit. Hiermit ist nun aber auch schon das Wesen der Einheit bei Becker bestimmt. Die Einheit des Organismus beruht ja nach ihm lediglich darauf, daß die Elemente desselben organisch different, einander entgegengesetzt sind (§. 7. Anf.): „Die Ver- bindung alles Besonderen und Einzelnen in der Sprache zu Ei- nem organischen Ganzen kömmt durch diejenige Wechselbezie- hung zu Stande, welche sich, wie alle organische Wechselbe- ziehung, auf ein organisches Differenzverhältniß gründet.“ Hier- aus sollte man folgern, daß die begriffliche Einheit auf dem Gegensatze der Begriffe beruhe; daß diese Wechselbeziehung zweier entgegengesetzten Begriffe sie an einander binde. Becker aber sagt §. 11: „Eine Differenz wird aber in dem Gedan- ken nur dadurch zu einer organischen Einheit verbunden“ — die Differenz also, die an sich selbst das Verbindende, der Zeu- gungsgrund der organischen Einheit ist, soll doch nun erst noch eines anderen Umstandes bedürfen, um zur Einheit verbunden zu werden? Hierin liegt eine, freilich unbewußt gebliebene, Selbstkritik Beckers zu Tage. Seine differenten Elemente bil- den also keine organische Einheit, sondern stoßen sich unorga- nisch von einander ab; werden durch eine ihnen fremde Macht an einander gebunden, indem ihre Wirksamkeit gehemmt wird. Wie also kommt nach Becker diese Einheit der sich gegenseitig abstoßenden Elemente zu Stande? dadurch —, „daß das eine Glied des Verhältnisses in das andere aufgenommen, und das eine dem anderen untergeordnet wird.“ Dadurch? wie wäre aber überhaupt nur dieser Vorgang möglich? Die beiden Factoren des Gegensatzes sind nothwendig einander nebeng e- ordnet; wie soll man einen dem andern untero rdnen können? Sie stoßen sich ab; wie soll einer den andern in sich aufneh- men? „Diese durch eine organische Unterordnung bewirkte Ver- bindung des Differenten zu einer Einheit, die sich auf die man- nigfaltigste Weise in den Begriffsverhältnissen des Gedankens wiederholt, und die man als die logische Form des Gedan- kens und aller Begriffsverhältnisse in dem Gedanken bezeichnen kann…“ Hier erklärt Becker selbst diese organische Einheit für die logische; sie ist gar nicht die, welche in den wirkli- chen Dingen lebt, sondern beruht darauf, daß zwei Begriffe nach irgend einem logischen Merkmale in eine Beziehung versetzt sind. Wie wir oben bei Becker den Gegensatz zur bloßen Ver- schiedenheit herabsinken sahen, so hier die Einheit in gleicher Weise. So erwarte man nun auch gar nicht, daß Beckers di- chotomische Constructionen wirklich streng durchgeführt seien; sie beruhen nur darauf, daß überhaupt zwei Begriffe auf einan- der irgendwie logisch bezogen werden. b) Grammatik und Logik. §. 20. Logischer Formalismus. So hat sich nun der unorganische Charakter der Becker- schen Sprachbetrachtung näher als logischer Formalismus erwiesen; der Gegensatz ist bloß Dichotomie, die Einheit logi- sche Beziehung. Hiermit ist aber Becker schon gänzlich aus seiner beabsichtigten Bahn seitwärts geschleudert. Er wollte die Sprache als Naturproduct betrachten, eine Naturlehre (Phy- siologie) der Sprache geben; statt dessen enthält seine Gramma- tik logische Gegensätze und logische Beziehungen. Daß Becker diesen Widerspruch nicht gemerkt hat, liegt daran, daß er von ihm nicht als Widerspruch erkannt, sondern als wahrheitbewei- sende Harmonie angesehen wird; und dies kommt daher, daß Becker zu dieser Verirrung aus der organischen Natur in me- chanische Logik von zwei Seiten her getrieben wurde; und die Uebereinstimmung zweier Grundirrthümer galt ihm als Wahr- heit. Nämlich, was den ersten Punkt betrifft, so konnte Becker, der das Wesen des Organismus im Gegensatze erkennt, die lo- gische Dichotomie nur als das getreue Gedankenbild des wirk- lichen Organismus ansehen. Den bloßen abstracten Formalis- mus seiner Constructionen konnte er nicht merken, da er den Blick für die realen Verhältnisse nicht hatte. Ferner aber ward er nicht bloß von formaler Seite her, durch schwankende und falsche Begriffsbestimmungen zur Logik getrieben; sondern hier- durch erzeugte sich auch ein materialer Fehler, der ihn in der Logik erst vollständig bestärkte. Sein logischer Formalismus erhielt jetzt einen ihm durchaus angemessenen Gehalt; und diese Uebereinstimmung von Form und Inhalt mußte jedes weitere Nachdenken Beckers darüber, ob seine Sprachwissenschaft an Form und Inhalt organisch sei, sehr erschweren. Nur wenn er die Kraft gehabt hätte, bis auf den ersten Grund seines Irrthums zurückzugehen, hätte er als Widersprüche sehen können, was sich ihm vielmehr als die Eintracht der Wahrheit darbot. Für ihn sind organische und logische Natur der Sprache zwei so unzertrennliche Gedanken geworden, daß sie nur einer sind; keiner kann nach ihm ohne den anderen behauptet oder geläug- net werden. Weil die Sprache, sagt Becker, organische Ver- leiblichung des Gedankens ist, darum ist sie logisch; weil das Wesen, das specifische Merkmal, der Begriff des Sprechens Denken ist, ist das Wesen der Grammatik logisch. Die For- men der Sprache sind an sich selbst nichts anderes als die lo- gischen Formen der Anschauung und des Denkens. Also nicht bloß die Entwickelungsform der Beckerschen Sprachwissenschaft ist logisch, sondern auch ihr Inhalt. Das Netz des Irrthums hat sich über Becker so eng und fest zusammengezogen, daß kein Entschlüpfen mehr möglich ist. §. 21. Einheit von Grammatik und Logik nach Becker. Man sieht leicht, wie durch diesen letzten Punkt alles bisher von uns Betrachtete erst seine volle Bestätigung und ei- gentliche Bedeutung erhält. Wir haben ihm daher vorzügliche Sorgfalt zuzuwenden. Wir wollen Becker ausführlich hören. Er läßt sich über das Verhältniß zwischen Grammatik und Logik folgendermaßen aus (§. 10. Schluß): „Wie die Sprache mit dem Gedanken, so steht die Grammatik mit der Logik in einer in- nigen Beziehung; und die Grammatiken haben sich immer, wenn sie nicht bei der rein etymologischen Betrachtung stehen blieben, bei der Logik Rathes erholt. In dem griechischen Alterthume stand die Logik noch mit der Grammatik in engem Bunde, und sie gingen mit einander Hand in Hand. Dieses natürliche Bünd- niß mußte bestehen, so lange man sein Augenmerk vorzüglich auf die genetischen Verhältnisse des Gedankens und der Spra- che richtete. Als aber einerseits die Logik die Formen der Gedanken und Begriffe, und andererseits die Grammatik die Formen der Wörter und ihrer Verbindungen nur als ein Gegebenes auffaßte, und vorzüglich die Unterscheidung der so aufgefaßten Formen zu ihrer Aufgabe machte, versank die Logik ebenso wie die Grammatik in einen Zustand der Starr- heit. Die Logik der Schule und die Grammatik der Schule verstanden einander nicht mehr, und jede ging ihren eigenen Weg. Auch war die Logik der Schule nicht die Logik der Sprache; darum konnte die Grammatik von ihr wenig Vortheil ziehen. Wie wenig die Logik der Schule mit der Logik der Sprache übereinstimmt, tritt auf eine schlagende Weise hervor in einer Erfahrung, die Sicard bei seinen Taubstummen machte. Er hatte nämlich die Taubstummen gelehrt, in einer für sie er- fundenen Zeichensprache die Zeichen immer nach einer den Ge- setzen der Logik entsprechenden Aufeinanderfolge der Begriffe zu gebrauchen; er wurde aber bald gewahr, daß die Taubstum- men, wenn sie in den Erholungsstunden sich selbst überlassen waren, die Zeichen in einer nach ganz anderen Gesetzen be- stimmten Folge gebrauchten. Die Logik der Schule hat der Grammatik bisher wenig Gedeihen gebracht; und man kann hier die Frage aufwerfen, ob überhaupt die Grammatik mehr von der Logik, oder die Logik mehr von der Grammatik zu lernen habe. Insofern die Logik uns die Einsicht in die genetischen und darum organischen Verhältnisse der Gedanken und Begriffe auf- 4 schließt, wird sie das Regulativ, nach dem die Grammatik ihre eigentliche Aufgabe zu lösen hat. Insofern aber die Grammatik die Formen darlegt, in denen die besonderen Verhältnisse der Gedanken und Begriffe und ihre genetische Entwickelung sich in der Sprache in einer leiblichen Gestalt ausprägen, eröffnet sie der Logik die Einsicht in die innerste Werkstätte des denken- den Geistes; und weil alle Formen des Gedankens, aber auch nur diese, sich auch leiblich in der Sprache darstellen, so wird sie für die Logik ein Korrektiv, dem sie bei der Lösung ihrer Aufgabe mit Sicherheit vertrauen kann. Die Sprache ist die älteste und zugleich die zuverlässigste Urkunde von der Ent- wickelungsgeschichte des menschlichen Geistes; in ihr liegen die Thatsachen, aus denen die organische Entwicke- lung der Intelligenz in dem ganzen Geschlechte und in dem Individuum erkannt wird “. (Welche Phrase!) „Es ist darum höchst erfreulich, und eine Erscheinung guter Vorbe- deutung für die Grammatik sowohl als für die Logik, daß in der neuesten Zeit auch die Logik zu dem natürlichen Bündnisse mit der Grammatik zurückkehret.“ Hier wird citirt: Trendelen- burg Logische Untersuchungen. Nehmen wir hierzu noch eine Stelle aus der Vorrede (S. XIV.): „Es braucht nicht erst bemerkt zu werden, daß, wenn der Verf. (Becker) von der Logik der Sprache redet, nicht das logische System irgend einer Schule gemeint ist… Wenn sich aber jetzt von vielen Seiten her die Behauptung vernehmen läßt, Sprache und Logik hätten nichts mit einander zu schaffen; so hat diese Behauptung in so weit Recht, als sie läugnet, daß das logische System irgend einer Schule seinen reinen Abdruck in der Sprache findet, und unmittelbar auf sie kann angewendet werden: will die Behauptung aber weiter gelten und läugnen, daß die allgemeinen formalen Denkgesetze sich in der Sprache wiederfinden; so läugnet sie nicht allein die organische Natur der Sprache, sondern auch die organische Natur des Denkens. Schon die Geschichte der Grammatik sowohl als der Logik hätte gegen eine solche Behauptung mißtrauisch machen sollen. Die erste Bearbeitung der Logik durch Aristoteles schließt sich eng an die Sprache an, und wird von ihr geleitet; und die Schule, welche sich vorzugsweise mit Grammatik beschäftigte, die stoi- sche, ist zugleich durch die Ausbildung der Logik berühmt. Wenn aber die Logik schon seit Aristoteles keinen rechten Fort- schritt gemacht, sondern vielmehr immer mehr in Starrheit ver- sunken ist; so möchte ein Hauptgrund dieser Erscheinung wohl darin liegen, daß sie sich seit Aristoteles von der Sprache los- gerissen hat. Die Sprache ist freilich nicht die Mutter der Lo- gik, aber sie ist die Erscheinung des Gedankens, daher treten uns die in dem Gedanken waltenden Gesetze in der Sprache, gleichsam verkörpert, in lebendiger Anschaulichkeit entgegen. Dies Verhältniß der Logik zur Sprache hat besonders A. Tren- delenburg in seinen „logischen Untersuchungen“ wieder aner- kannt und für die Logik fruchtbar benutzt.“ „Die Nothwendigkeit einer Verbindung der Logik mit der Grammatik muß jedem, der da weiß, was Sprechen ist, ein- leuchtend sein. Ist die Sprache der organische Leib des Ge- dankens, so müssen sich in ihr auch wiederfinden lassen die Gesetze des Denkens. Freilich darf man der Sprache kein lo- gisches Schema unterlegen wollen; freilich darf man nicht a priori festsetzen, was man in der Sprache finden will: aber die allgemeinen Denkgesetze und Anschauungsformen, durch welche und unter welchen der Mensch die Dinge wahrnimmt und zu Erkenntnissen verarbeitet, müssen sich in jeder Sprache auf- zeigen lassen. Jede andere Betrachtungsweise der Sprache hebt den Begriff des Organism auf. Zwar giebt man jetzt allgemein zu, daß die Sprache ein Organism sei; und die Ansicht, auf die der Verfasser (Becker) noch in der Vorrede zur ersten Ausgabe Rücksicht nehmen mußte, als sei die Sprache eine menschliche Erfindung, gehört zu den verschollenen. Genau betrachtet aber wurzelt jenes Widerstreben, in der Sprache die Denkgesetze zu erkennen, in derselben verschollenen Ansicht; denn nur, wenn das Wort die todte Hülle, nicht aber, wenn es der lebendige Leib des Gedankens ist, läßt sich dasselbe für sich, abgesehen von seinem Inhalte betrachten.“ §. 22. Verhältniß zwischen Logik und Grammatik bei Trendelenburg. Wir sind auf Trendelenburg verwiesen und können also nicht umhin, auch ihn zu berücksichtigen. Wir thun dies um so lie- ber, da er einer von den wenigen Philosophen ist, welche die besonderen Wissenschaften zur Berücksichtigung nicht heraus-, sondern auffordern. Man höre seine vortrefflichen, den Philoso- phen, wie den Forschern auf den besonderen Gebieten der Wis- senschaft gleich beherzigenswerthen Worte in der Vorrede zu seinen „Logischen Untersuchungen“ (S. VI.): „Die Thatsachen, 4* die die Logik beobachten sollte, um sie abzuleiten, sind die Me- thoden der einzelnen Wissenschaften; denn diesen hat der er- kennende Geist in den größten Abmessungen sein eigenes We- sen eingedrückt. Die Wissenschaften versuchen glücklich ihre eigenthümlichen Wege, aber zum Theil ohne nähere Rechen- schaft der Methode, da sie auf ihren Gegenstand und nicht auf das Verfahren gerichtet sind. Die Logik hätte hier die Aufgabe zu beobachten und zu vergleichen, das Unbewußte zum Be- wußtsein zu erheben und das Verschiedene im gemeinsamen Ur- sprunge zu begreifen.“ Hiermit wird aber entschieden das We- sen der Logik als empirische Wissenschaft ausgesprochen; eine solche ist sie auch, wenn nicht vielmehr in Wahrheit mit dem Wandel der Logik in eine empirische Disciplin die Wissenschaft den Druck jenes Dualismus von Philosophie und Historie schon abgeschüttelt hat. Trendelenburg fährt fort: „Ohne sorgfältigen Hinblick auf die Methode der einzelnen Wissenschaften muß die Logik ihr Ziel verfehlen, weil sie dann kein bestimmtes Object hat, an dem sie sich in ihren Theorien zurechtfinde. Wenn sie ferner die Nothwendigkeit verstehen soll, die von einer Seite in den Principien der Dinge wurzelt: so kann sie von Neuem der einzelnen Wissenschaften nicht entrathen, um von deren An- fangs- oder Endpunkten her in die Quelle dieses Begriffes ein- zudringen.“ Wir hoffen, daß aus unserer vorliegenden Arbeit wie aus allen ihren Vorgängern das Streben in obigem Sinne der Logik entgegenzuarbeiten klar hervorleuchte. Sehen wir nun die von Becker citirte Stelle an (S. 314): „Die Logik hat viel von der Grammatik gelernt. Beide Wis- senschaften sind Zwillinge und haben sich, wie Geschwister, bei ihren ersten Schritten gegenseitig unterstützt. Wir denken da- bei an das Alterthum, auf dessen Gebiet ihr Ursprung liegt. Wir erinnern an die schöne Betrachtung des Satzes in Platos Sophisten, wo in den Verhältnissen der Rede die logische und metaphysische Einheit des Beharrenden und Bewegten, des Seien- den und Thätigen, wie in einem lebendigen Gegenbilde ange- schaut wird. Wir erinnern an die Kategorien des Aristoteles, die in dem zergliederten Satze ihre Begründung zu haben schei- nen, und an seine Schrift über das Urtheil, die sogar den Na- men „über den Ausdruck“ (πεϱὶ ἑϱμηνείας) führt. Auch bei den Stoikern geht Logik und Grammatik Hand in Hand. Bald nach ihnen erstarrt die Grammatik … Auf ähnliche Weise ist seit dem Alterthume die Logik erstarrt, und auch in der Logik war die Zusammensetzung der doch nur scheinbar für sich be- stehenden Elemente an die Stelle der Entwickelung getreten. In neuerer Zeit machte namentlich E. Reinhold auf den Zusam- menhang des Logischen und Grammatischen aufmerksam und nahm in die Logik grammatische Betrachtungen auf. Die Lo- gik hat Umgestaltungen gerade in einer Zeit versucht, in der sich die wissenschaftliche Grammatik von verschiedenen Seiten neue Bahnen bricht. Dieses Zusammentreffen ist nicht ohne Bedeutung … Wenn sich nun meistens Logik und Grammatik in einer genauen Verwandtschaft entwickeln“ u. s. w. Mit welchem Rechte beruft sich denn also Becker auf Tren- delenburg? Dieser behauptet nichts weiter als einen Parallelismus, „eine genaue Verwandtschaft“ der Entwickelung, ein gegen- seitiges Stützen und Handreichen; aber hier ist nichts von jenen bestimmten Versicherungen Beckers zu finden, in der Sprache herrschten die logischen Gesetze, selbst dann nicht, wenn auch Trendelenburg, wie natürlich, die Verwandtschaft der Entwicke- lung auf die des Gegenstandes gegründet glaubt. Ja Trende- lenburg glaubt gewiß auch Punkte zu erkennen, wo die Logik und Grammatik geradezu identisch werden; dazu berechtigt ihn die vorliegende Thatsache der heutigen Grammatik und Logik, die in wesentlichen Punkten wirklich zusammenfallen. Nichts natürlicher also, als daß er fragt (S. 321): „Was hilft es denn, ohne Grund die grammatische und logische Betrachtung zu entzweien?“ Das würde nicht nur nichts helfen, sondern scha- den, weil es falsch wäre. Trendelenburg hat aber auch in das Wesen der Sprache einen tiefen Blick gethan, der freilich nur dunkle Ahnung geblieben ist, weil ihm das Entgegenkommen von Seiten der Sprachwissenschaft fehlte, durch welches er volle Klarheit hätte erlangen können. Wir kommen hierauf zurück und heben an dieser Stelle nur noch folgende Worte Trendelen- burgs hervor, welche sich Becker hätte aneignen sollen (S. 318): „es wäre von vorn herein ein wesentlicher Unterschied der grammatischen und logischen Kategorien wahrscheinlich.“ Diese Wahrscheinlichkeit zur festen Gewißheit zu erheben, diesen we- sentlichen Unterschied der Grammatik von der Logik aus dem Wesen der Sprache abzuleiten und darzustellen, ist Absicht der vorliegenden Arbeit. Trendelenburg beruft sich allerdings sonst vielfach auf Becker, wie Becker auf ihn. Während es aber unstatthaft ist, daß ein Sprachforscher in sprachwissenschaftlichen Dingen sich auf einen Philosophen beruft, ist es diesem durchaus gestattet, so oft sein Gegenstand es erfordert, sich auf eine bedeutende Erscheinung in der Sprachwissenschaft zu berufen. Bis jetzt aber ist das Ineinandergreifen der Grammatik und Logik, wie wir hier im Voraus bemerken wollen, nur unheilvoll für beide gewesen. Zu- rück zu Becker. §. 23. Logik und Mechanik. Wir wollten zeigen, wie der unorganische Charakter der Beckerschen Sprachbetrachtung dadurch seine volle Festigkeit erhielt, daß nicht nur die Form derselben, sondern auch ihr Inhalt logisch ist. Es kommt uns hier noch gar nicht darauf an, in so fern es sich nicht schon aus allem Vorhergehenden er- giebt, weiter darzuthun, wie dieses Verfahren, Logisches in die Grammatik zu ziehen, völlig falsch und für diese ein zerstören- der Irrthum war; es genügt uns hier zunächst und ist sehr wichtig, als ein abgelegtes Selbstbekenntniß Beckers in diesen Verhörsacten niederzuschreiben, daß er in der Sprache als dem organischen Leibe des Gedankens gefunden habe „die Gesetze des Denkens“; ja, daß er sagt: „alle Formen des Gedankens, aber auch nur diese stellen sich auch leiblich in der Sprache dar.“ Weil sich dies nach Beckers Sprachbetrachtung so verhält, so ist sie nach Inhalt und Form nicht organisch, wie Becker meint, sondern logisch, d. h. unorganisch. Denn die Logik ist nicht bloß deswegen unorganisch, weil der Gegensatz in ihr wie im Unorganischen von so hoher Bedeutung ist, daß man den Gegensatz der Begriffe für eine Dichotomie der Kräfte ansehen kann; sondern dies ist nur Folge einer tiefern Verwandtschaft. Wir nennen Physik und Chemie unorganische Wissenschaften, obwohl doch fast alle in ihnen behandelten Eigenschaften der Kör- per auch am organischen Leibe hervortreten, wie Wärme, Elek- tricität, Schwefel. Dies geschieht deshalb, weil jene Wissen- schaften diese Kräfte in ihrer Vereinzelung, in ihrer durch das Experiment bewirkten Analyse und Abstraction betrachten. Eben so treten zwar alle logischen Formen im organischen Gedanken auf; aber so wie sie Gegenstand der Logik sind, abgelöst aus der Concretion des Bewußtseins, rein und lediglich an sich, sind sie unorganisch. Der Name Analytik für Logik bei Aristoteles drückt diese Verwandtschaft der Logik mit der Mechanik pro- phetisch aus. Hiermit ist aber zunächst nur gesagt, daß Becker Unrecht hatte, nach seiner Betrachtung die Sprache einen Organismus zu nennen, da sie vielmehr nach ihm logisch ist und also un- organisch zu nennen wäre. Daß aber die Sprache in Wahrheit organisch, und folglich nicht logisch sei, dies können wir hier noch nicht zeigen. Sobald es aber gezeigt sein wird, ist natür- lich Becker aufs gründlichste und erschöpfend widerlegt. Dieser hohen Wichtigkeit des vorliegenden Punktes wegen wollen wir ihn als eingestandene Thatsache ausführlicher darstellen und da- bei Beckers Verhältniß zur früheren Grammatik zeigen. Becker hat dieses Verhältniß völlig verkannt, was nicht Wunder neh- men kann, da er sich über sein Princip so unklar geblieben ist, und dies nicht ohne Einfluß auf seine Auffassung der Ge- schichte der Grammatik bleiben konnte. c) Darstellung des logisch-mechanischen Charakters der Beckerschen Sprachbetrachtung. §. 24. Beckers Rückfall in die alte Grammatik. Wenn Becker die Sprache einen Organismus nennt, so liegt darin ganz offenbar das Streben, die Sprache als ein natürliches spontanes Erzeugniß des menschlichen Wesens anzusehen. Dies ist im Allgemeinen seine eigentlich positive Seite, durch welche er sich über seine Vorgänger erhebt. Die Alten haben zwar vielfach behauptet, die Sprache sei φύσει. Dieser Satz jedoch ward niemals bei ihnen zu wirklicher Erkenntniß: so vielfach sie ihn wandten, sie kamen darum doch nie darüber hinaus, die Sprache als ein Gemachtes anzusehen, und sahen nie, daß der Mensch sie erzeuge, oder daß sie im Menschen entstehe. Und bis auf Herder und Hamann hinab, sie eingeschlossen, hatte man das nicht erkannt. Becker dagegen spricht diesen Angelpunkt des Ursprungs der Sprache mit folgenden Worten aus (das Wort, S. 254): „Auch darf man sich die Entstehung der Sprache nicht so denken, als habe der Mensch für Begriffe, die in seinem Geiste früher vorhanden waren, die sie bezeichnenden Laute und Wörter gesucht und gefunden. Die natürlichen Dinge treten nothwendig ins Dasein, so wie die organischen Bedingun- gen ihres Daseins gegeben sind. Wir bezeichnen dieses durch die organischen Bedingungen gesetzte nothwendige Werden eines Dinges dadurch, daß wir sagen, ein Ding werde geboren . Das Wort wird mit dem Begriffe geboren und nicht erst für den schon vorhandenen Begriff gefunden.“ Weil man also früher diese nothwendige Geburt der Sprache nicht erkannte, sank man mit dem besten Willen, die φύσις der Sprache zu behaupten, immer in die ϑέσις derselben hinein; und zuletzt war die Frage nur noch, ob diese ϑέσις vom Menschen, oder von Gott ausgegangen sei. Weil aber Becker den Begriff des Organismus nicht in hinlänglicher Bestimmtheit und nach seiner vollen Würde er- faßt, und noch viel weniger das Wesen der Menschheit, die Freiheit, erkannt hat, darum bleibt sein Streben ohne Ver- wirklichung; darum ergeht es ihm ähnlich wie den Alten: auch er sinkt in das Unorganische zurück, und er wird nur der Voll- ender der alten, nicht der Gründer der neuen Grammatik. Man betrachte nur die eben angeführten Worte, die zu seinen besten gehören. Wird denselben gemäß nicht auch der verpestende Dunst faulender Sümpfe organisch geboren? Daher kommt es, daß, so wie Becker über das Wort „Organisch“ hinausgeht, er dem Alten und nicht dem Neuen gehört. Er behauptet, die Sprache sei organisch; wie er sie aber darlegt, so treten in ihr nur wesentlich dieselben logisch-mechanischen Verhältnisse her- vor, wie bei den früheren Grammatikern. Dies wollen wir aus- führlicher nachweisen, und zwar eben sowohl in der lexikalischen als in der grammatischen Betrachtung der Sprache. §. 25. Einheit von Begriff und Laut im Worte. Es ist nicht bloß die Spaltung in einfache Gegensätze, welche das Unorganische vom Organischen scheidet, sondern auch vorzüglich die Weise, wie die Glieder des Gegensatzes sich in der Einheit zu einander verhalten. Wie verschieden stehen in dieser Beziehung positive und negative Electricität, Nord- und Südpolarität einerseits und Muskel und Nerv, Be- wegung und Empfindung andererseits zu einander! Die Glieder des organischen Verhältnisses — von einem Gegensatze zwischen Muskel und Nerv kann ja gar nicht in dem Sinne die Rede sein, wie zwischen Nord- und Südpolarität; es ist Beckers Will- kür, Muskel und Nerv so einander gegenüber zu stellen, da das Gefäßsystem mit dem Blute und der Lymphe und auch das Knochensysiem zugleich in das Verhältniß eintreten; die Dicho- tomie zerreißt allemal den Organismus — diese Glieder des organischen Verhältnisses, sage ich, haben eine viel größere Selbständigkeit gegen einander, als die beiden Seiten des un- organischen Gegensatzes, und gerade darum wirken sie thätiger auf einander; oder vielmehr sie allein wirken auf einander, während jene nur neben einander sind . Die chemischen Verhältnisse zeigen schon einen Vorgang, Proceß; dagegen sinkt im eigentlichen Mechanismus das Verhältniß zu einem gleich- gültigen Nebeneinander hinab, und die mechanische Einheit ist ein bloßes Kleben an einander. Nicht bloß bei der Adhäsion, sondern auch bei der Cohäsion sind die Theile gegen einander gleichgültig. Wir sehen also im Reiche der Natur eine Stufenleiter rück- sichtlich der Wesentlichkeit des Zusammenhanges und der Ein- heit der Factoren, durch welche die Dinge gebildet werden: zu unterst Theile, gleichgültig gegen sich und gegen das Ganze; dann die beiden Seiten einer mechanischen Kraft, ferner die Aequivalente oder Atome einer chemischen Verbindung, endlich organische Glieder . Das Wort, so hat man von jeher gesagt, und so sagt auch Becker noch, ist die Einheit von Laut und Bedeutung. Welchen Sinn aber hatte hier die „Einheit“? ist sie die Einheit zweier Theile, Seiten, Atome, oder Glieder? Ohne Ausnahme, antworten wir, galt das Wort für die mechanische Einheit zweier Theile, des Lautes und der Bedeutung, welche äußerlich an einander kleben. Dies ist bei allen klar, welche das Wort als das laut- liche Zeichen für eine Vorstellung ansehen, wie Aristoteles und Hegel und sämmtliche Grammatiker thun. Zeichen und Be- zeichnetes bleiben immer mechanisch neben einander. Auch ist nicht bloß das Band, welches sie für die Seele zusammenhält, sondern selbst der Grund, welcher das Zeichen schuf, die Ideen- association, also der eigentliche Mechanismus der Seele. Es liegt eben im Begriffe des Zeichens, daß etwas an die Stelle eines andern gesetzt wird, eines mit ihm wesentlich unvergleichbaren, äußerlichen. Zwei so verschiedene Wesen können nie zur stren- gern Einheit werden, sondern nur in unserer Vorstellung eine enge Verbindung eingehen, so daß für unser Bewußtsein jedes sogleich das andere hervorruft. Laut und Begriff sind durchaus zwei incommensurable Größen; sie sind in ihrer Verbindung neben und an einander, aber nicht so unablösbar von einander wie Nord- und Südpolarität; sie sind nicht wie diese bloß die zweiseitige Ausstrahlung derselben Kraft von einem einheitlichen Punkte aus; sie sind nicht, wie die mathematischen Begriffe po- sitiv und negativ, eine und dieselbe Größe nach entgegengesetz- ter Richtung betrachtet. Dieses rein und gemein mechanische Nebeneinander von Laut und Begriff ist auch bei Becker unter der Einheit des Wortes verstanden, wie oft er uns auch versichert, diese Ein- heit sei eine organische. Wir wollen die beiden wichtigsten Aeußerungen Beckers über diesen Punkt prüfen. Er sagt zuerst am Schlusse des §. 4.: „Die gesprochene Sprache hat, wie der menschliche Organism, dem sie angehört, und wie die leiblichen Organe desselben, z. B. das Auge, zwei Seiten: eine innere, welche der Intelligenz, und eine äußere, welche der Erscheinung zugewendet ist. Von jener Seite angesehen ist die Sprache Ge- danke, von dieser Seite angesehen, ist sie eine Vielheit mannig- faltiger Laute: wir nennen jene die logische und diese die phonetische Seite der Sprache. In dem wirklichen Leben der Sprache sind jedoch diese zwei Seiten nur Eins; wie der Mensch eine Einheit von Geist und Leib, so ist das Wort die Einheit von Begriff und Laut.“ Wir haben in diesem Satze ein zwiefaches Wie, das wir als durchaus spielerisch und trügerisch rügen müssen. Wie hat denn erstlich das Auge zwei Seiten? wo ist denn im oder am Auge eine innere, der Intelligenz, und eine äußere, der Erscheinung zugewandte Seite? wie hat denn mein Arm, mein Rumpf zwei solche Seiten? Am menschlichen Leibe ist alles äußerlich oder leiblich, und so ist es auch das Auge; es ist ein optischer Apparat, im Dienste der Intelligenz, aber ohne äußere und innere Seite. Zweitens aber, wenn es heißt: „ wie der Mensch eine Einheit von Geist und Leib, so ist das Wort die Einheit von Begriff und Laut“, so frage ich, wie ist denn der Mensch diese Einheit von Geist und Leib? ist denn diese so klar? so von selbst verständlich, daß man nur darauf hinzuweisen braucht? ist sie nicht vielmehr das Räthsel, an welchem alle Lösungsversuche bis heute gescheitert sind? und mit dem schwersten aller Räthsel ein anderes gelöst zu haben vorgeben, das wäre nicht spielerisch und trügerisch? das hieße nicht, das Wort mißbrauchen und den Forschungsgeist ein- schläfern? Wenn wir die Einheit von Begriff und Laut, wie sie ge- faßt worden ist, eine mechanische nennen, und z. B. nicht ein- mal zugestehen, daß sie an Würde der chemischen Verbindung der Elemente gleich komme, so wollen wir damit ausdrücken, daß das Wort als Einheit von Begriff und Laut nur die Summe beider ist, nicht aber etwas Drittes, von beiden in ihrer Beson- derheit Verschiedenes, nicht etwas Neues, durch ihre Vereinigung Erzeugtes, in welchem jedes der beiden als solches nicht mehr da wäre. Wasser z. B. ist die chemische Einheit von Wasser- stoff und Sauerstoff, aber etwas ganz Anderes nicht nur als jedes von beiden, sondern auch als die mechanische Summe oder Mengung beider; beide Elemente sind als solche gar nicht mehr im Wasser vorhanden. Das Wasser hat darum auch Eigen- genschaften, erfährt Veränderungen und geht Verbindungen ein, welche nur ihm eigenthümlich sind und nicht seinen Elementen in ihrer Getrenntheit zukommen. Und ebenso ist es in andern Fällen. Zwei Substanzen, welche beide ohne Schaden gegessen werden können, sind tödtliches Gift, wenn sie als eine chemische Verbindung gegessen werden. Nicht in diesem Sinne ist die Sprache Einheit von Gedanke und Laut; sondern diese beiden Seiten, Theile der Sprache, werden jeder für sich betrachtet, und ihre Summe ist das Ganze der Sprache. Gewisse Verände- rungen betreffen den Laut, nicht den Begriff; andere diesen und nicht jenen; und in noch anderen Fällen laufen Begriffs- und Lautabänderung parallel neben einander. Es giebt aber keine Veränderung, keine Eigenschaft des Wortes, die nicht eben eine des Begriffs oder eine des Lautes oder beider zugleich wäre; denn es ist kein Erzeugniß von diesen beiden und etwas von ihnen Verschiedenes, sondern nur ihr Zusammen, also mecha- nische Einheit. Wir haben den Schein aufzuheben, als verhielte es sich bei Becker anders. §. 26. Classification des Wortvorraths. In seiner Betrachtung des Wortes, die er nicht bloß in dem ihr gewidmeten Abschnitte im „Organism“, sondern auch in einem besonderen Werke „Das Wort in seiner organischen Verwandlung“ ausführlich gegeben hat, erregt Becker den Schein, als wenn das Wort als Einheit von Begriff und Laut doch mehr wäre, als ihr bloßes Zusammen. Er sagt (das Wort S. 24): „Das Wort ist die Einheit von Laut und Begriff . Die Betrachtung des Abänderungsvorganges behandelt daher “ (So schnell macht Becker Schlüsse! aus dem völlig unbestimmt gelassenen Ausdrucke „Einheit“!) „in drei Abschnitten zuerst den phonetischen Wandel — die Abänderung des Lautver- hältnisses —, alsdann den logischen Wandel — die Abänderung des Begriffes — und zuletzt die Einheit von beiden — die Ab- änderung des Wortes —.“ Durch diesen dritten Abschnitt ent- steht der Schein, als wäre das Wort ein von dem Laute an sich und dem Begriffe an sich Verschiedenes, ein drittes aus beiden Gewordenes, welches Abänderungen erfährt, die weder dem Laute als solchem, noch dem Begriffe als solchem zukom- men, sondern lediglich dem Worte als der Einheit beider — Abänderungen, welche das Wort als Ganzes, nicht seine Theile beträfen. Könnte Becker solche aufweisen, so wäre das Wort nicht mechanische Einheit, nicht bloßes Zusammen seiner Theile. Sehen wir aber den Inhalt des dritten Abschnittes an und ver- gleichen ihn mit dem der beiden ersten, so zeigt sich, daß diese die analytische Grundlage, jener die synthetische Ausführung, oder diese die allgemeinen Gesetze der Entwickelung des Wort- vorraths in der Sprache, jener eine systematische Darstellung dieses Wortvorrathes mit Ausübung der aufgestellten Gesetze enthält. Es kommt also nach der Betrachtung des Laut- und Begriffswandels keine dritte Art des Wandels mehr zum Vor- schein. Die Darstellung der Gesetze des Wortwandels zerfiel ganz unserer obigen Bemerkung gemäß in zwei Abschnitte, de- ren einer die Gesetze des Lautwandels, der andere die des Be- griffswandels darstellt; das System des Wortschatzes nach sei- nen Classen, Ordnungen und Arten, welches nach diesen Ge- setzen gebildet ist, könnte eben so zerfallen, und thut es auch, wie wir sogleich zeigen werden, bei Becker. Man kann nämlich den Wortschatz in Classen vertheilen entweder nach den Begriffen, welche die Wörter bezeichnen, oder nach den Lauten, durch welche die Begriffe bezeichnet werden; d. h. man kann erstlich eine Classification der durch die Sprache bezeichneten Begriffe geben ohne Rücksicht auf den Laut, und dann eine Classifica- tion der Wortlaute ohne Rücksicht auf die Bedeutung. Letz- teres geschieht, wenn auch unvollkommen, in den gewöhnlichen alphabetischen Wörterbüchern, ersteres in den indischen und den danach eingerichteten hinterindischen, auch chinesischen und mandschurischen Wörterbüchern, welche nach Stoffen, wie man es nennt, geordnet sind, und auch in unsern Vocabularien zum Auswendiglernen von Wörtern, wo die Verwandtschaftsnamen, Geräthschaften, Zeitverhältnisse u. s. f. zusammengestellt sind. Man kann also z. B. erstlich nach den Begriffen den Wortschatz der Sprache in zwölf Classen eintheilen: 1) in sol- che welche gehen, 2) welche leuchten, 3) welche lauten u. s. w. bedeuten, ohne Rücksicht auf den Laut; oder zweitens man kann die Wörter eintheilen in solche: 1) welche aus bloßem Vocal bestehen, 2) aus anlautendem Vocal mit auslautendem Kehllaut, 3) aus anlautendem Vocal mit auslautendem Zungen- laut u. s. w. ohne Rücksicht auf die Bedeutung. So hätten wir in Beckers drittem Abschnitt die beiden Theile wieder, welche den beiden ersten Abschnitten entsprechen und der ganzen lo- gischen, unorganischen Dichotomie Beckers angemessen sind. Becker hat aber diese beiden Classificationsweisen, deren jede er richtig als künstlich erkannte, nicht besonders gegeben; son- dern, nach einer organisch-natürlichen strebend, hat er beide in einander geschoben. Er hat nämlich zuerst alle Wörter nach der Bedeutung in zwölf Classen getheilt, also rein logisch-meta- physisch; innerhalb jeder Classe aber hat er die Wörter nach dem Laute zusammengestellt. Hiermit ist er nicht über eine mechanische Verbindung beider Classificationsweisen hinausge- kommen, wie sein Wort nur die mechanische Verbindung von Laut und Begriff ist; er hat also keine organische Classification gegeben und durch die Verflechtung der beiden künstlichen, lo- gischen Weisen hat er nichts weiter erreicht, als die unvollkom- mene Durchführung eines jeden der beiden Eintheilungsprincipe; nun hat man weder die verwandten Begriffe, noch die verwand- ten Laute zusammen. Das mechanische Nebeneinander aber von Begriff und Laut in Beckers Auffassung kann nicht deutlicher zu Tage kommen, als hier geschieht. §. 27. Grammatische Formen. Eben so wie es sich hier mit dem Wortvorrath gezeigt hat, verhält es sich mit den Wortformen, wie sie die bisherige Gram- matik, Becker eingeschlossen, darstellt. Sie führt die Begriffs- formen, d. h. die allgemeinen Verhältnisse der Begriffe zu den Kategorien und zu einander auf, also die Redetheile und Flexions- formen. Die innere Seite des Wortes ist ja der Begriff; wie könnten also die Verhältnisse und Formen des Wortes nach dieser innern Seite andere sein, als eben die des Begriffes, der Logik und Metaphysik selbst? die Formen der Sprache sind eben gerade die des Denkens. Substanz, Qualität, Bewegung, Sein u. s. w., d. h. die wesentlichsten Punkte der Metaphysik und Logik gingen als solche in die Grammatik ein. Daneben wur- den die lautlichen Formungen angegeben, durch welche jede Be- griffsform sprachlich bezeichnet wurde; die Schemata wurden aufgestellt. Der Dualismus ist hier noch klaffender; denn die eine, die begriffliche, Seite war geschaffen von den griechischen Philosophen, bevor die alexandrinischen Grammatiker die laut- liche Seite schematisch ordneten; und nachdem dies nun ge- schehen war, hat sich die Betrachtung der Begriffsformen wie- der von der der Lautformen abgelöst und selbständig als all- gemeine und philosophische Grammatik hingestellt. § 28. Gleichheit Beckers mit der alten Grammatik. Nichts also als ein mechanisches Conglomerat von Laut und Gedanken war die Sprache, und ist sie auch noch bei Becker. Es muß Lachen erregen, wenn man sieht, wie Becker etwas Neues zu sagen glaubt, indem er behauptet, in der Sprache seien die Formen der Anschauung und des Denkens zu finden: da dies nicht bloß von Plato und Aristoteles, sondern zu allen Zeiten von allen Grammatikern ausgesprochen oder anerkannt worden ist. Es ist durchaus in Abrede zu stellen, daß sich die Grammatik je von der Logik getrennt habe, und daß man erst in neuerer Zeit mit ihrer Umgestaltung auch auf ihre Verei- nigung zurückg ekommen sei. Die Grammatica speculativa des alten Scholastikers Joannes Duns Scotus ebenso wie Scaligers De causis linguae latinae tragen ihren logischen Charakter und Gehalt unzweideutig vor sich her. Letzteres Werk ist durchaus das Erzeugniß eines geistreichen Peripatetikers, der sich be- müht, den Fußstapfen des Meisters zu folgen. Es heißt z. B. bei ihm rücksichtlich der Redetheile: Si igitur dictio rerum nota est, pro rerum speciebus partes quoque suas sortietur. Videa- mus ergo in magna autorum controversia, quot, quaeve sint. Quod Graeci ὄν vocant, apud nos autem usitato potius quam Latino caret nomine, id partim significat res permanentes ut equum, album, decempedam, quarum natura postquam perfecta est, diu perstat; partim fluentes, quarum natura est, esse tandiu, quandiu fiunt: ubi vero sunt absolutae, non sunt amplius. In hac parti- tione tota vis orationis nostrae consistit … Constantium igitur rerum notam nomen dixere, eorum vero quae fluunt, verbum . Wir haben hier nicht zu untersuchen, ob Beckers Definitionen vom Nomen und Verbum besser sind als Scaligers: das Princip ist in diesen wie in jenen logisch-metaphysich, und Scaligers „Fluß und Dauer“ sind wesentlich Beckers „Thätigkeit und Sein“. Als die neue Philosophie mit Descartes erstand, nachdem schon durch Bacos Organon das Bedürfniß einer Reform der Logik sich ausgesprochen hatte, da war man besonders in Frank- reich auf Logik und allgemeine Grammatik bedacht. La logique de Port-Royal aber und die Grammaire générale et raisonnée de Port-Royal, beide der classische Ausdruck dieser Bemühungen, erfüllen die Forderung der Identität von Grammatik und Logik derartig, wie sie aus der Voraussetzung der Einheit von Denken und Sprechen zu schließen ist, und wie sie Becker nur wünschen kann. Sie sind nicht nur beide aus einem Gusse, sondern die allgemeine Grammatik ist, wie ehemals bei den Griechen, wirk- lich und leibhaftig nur ein Capitel der Logik. So heißt es z. B., nachdem folgende Definition des Wortes gegeben ist: „ Ainsi l’on peut définir les mots, des sons distincts et articulés, dont les hommes ont fait des signes pour signifier leurs pensées, “ un- mittelbar weiter: „ C’est pourquoi on ne peut bien comprendre les diverses sortes de significations qui sont enfermées dans les mots, qu’on n’ait bien compris auparavant ce qui se passe dans nos pensées .“ Das alles genügt, denke ich, zu zeigen, wie die Verbindung der Grammatik mit der Logik, worauf Becker als auf das we- sentlichste Merkmal seiner sich so nennenden neuen Grammatik so viel Gewicht legt, nicht nur von jeher Statt gehabt hat, son- dern auch nie aufgegeben worden ist, der Grammatik aber auch immer den dürren unorganischen Charakter verliehen hat. §. 29. Beispiel von einem Beckerschen Organismus. Zeigen wir endlich noch an einem Beispiele, was Becker unter einer organischen Einheit mit organischer Gliederung versteht, unter einem organischen Ganzen, in welchem alles Besondere „nur durch das Ganze und als ein lebendiges Glied des Ganzen Dasein und Bedeutung hat.“ Becker behauptet nämlich (Org. S.79): „Das gesammte Reich der in der Sprache ausgedrückten Be- griffe stellt sich in einem natürlichen Systeme dar, in dem ein Urbegriff sich durch eine nach bestimmten Gesetzen fortschrei- tende Scheidung des Allgemeinen in das Besondere, in seine Arten, und diese in ihre Unterarten entwickeln.“ Wir vermu- then in diesem Satze ein paar Druckfehler, durch welche das Wort organisch ein paar Mal ausgefallen ist. Eine ausführli- chere Darstellung jenes „natürlichen Systems“ wird in dem Werke „das Wort“ gegeben. Der Wortschatz wird als orga- nisches Ganzes dargestellt, und jedes Glied ist als kleiner Or- ganismus dem Ganzen nachgebildet. Wir wählen nur als Bei- spiel den Kardinalbegriff „ gehen “, welcher ein solches Organ des ganzen Organismus des Wortschatzes ist. Die Besonder- heiten, Scheidungen des genannten Kardinalbegriffs werden dort (S. 104) folgendermaßen aufgestellt: „schreiten, kriechen, schlei- chen, treten, gleiten, hinken, kehren, wenden, drehen, biegen, wanken, winken, wachen, regen, leben, fahren, ziehen, reisen, steigen, heben, tragen, sinken, fallen, schweben, schweifen, ra- gen u. s. f. “ Dies soll organische Scheidung sein! diese zusam- mengewürfelte Masse! Was bindet diese Wörter zusammen? Sie sind alle Ausdrücke für die Bewegung lebender Wesen, sagt Becker. Dieses Band ist eine ziemlich leere Abstraction. Sie wird aber noch viel leerer, wenn man sieht, wie man auf den ersten Blick thut, daß Beckers Angabe, hier die abgeleiteten Begriffe der Bewegung des organischen Lebens zu geben, falsch ist, da ja „gleiten, kehren, wenden, drehen, biegen, wanken, sin- ken, fallen, schweben, ragen“, also von 26 Begriffen zehn, Bewe- gungen lebloser Dinge bezeichnen, wenigstens eben so gut bezeich- nen können. Hier ist also die „eine das Ganze und alle Glieder durchdringende Kraft“ nichts als die Abstraction der Bewegung. Diese Abstraction wird aber völlig leer, reines Nichts, dadurch daß vermöge jener progressio ad contrarium ( lucus a non lu- cendo ) auch „stehen, sitzen, liegen, weilen, wohnen, schlafen, zögern, träge sein, fest sein, erstarren, hangen“ zu demselben Organ gehören, wo auch abermals unter elf Begriffen fünf die todte Ruhe oder Bewegung bezeichnen. — Das „ u. s. f. “ am Ende haben wir durch Typen auszeichnen lassen; in ihm liegt die Selbstanklage Beckers. Denn wo es sich um die unorgani- schen Bewegungen handelt, da haben wir die Form einer ins Unendliche auslaufenden Linie. Dies wird durch u. s. f. ausge- drückt; der Organismus aber schließt sich in sich zusammen, ist ein Ganzes und wird darum durch das u. s. f. geläugnet. Nicht einmal der Gegensatz bindet jene Wörter zusammen; sie verhalten sich als reine Andere, als verschieden gegen einander, als gleichgültige Sandkörner eines Sandhaufens. 3. Beckers leerer Formalismus . Bei unserer Betrachtung des Beckerschen Princips haben wir schon gelegentlich erkannt, wie dasselbe ursprünglich unbe- stimmt gefaßt, bald gänzlich verwirrt, in der weiteren Darle- gung, statt sich abzuklären und an Fülle des Inhalts sowohl als an Festigkeit der Form zu gewinnen, vielmehr durch völlige Unmethodik leerer Spielerei und Tautologie anheim fiel. Auch bei der Entwickelung des logisch-mechanischen Charakters der Beckerschen Sprachbetrachtung haben wir gefunden, wie abstract und leer formal die logischen Kategorien gefaßt werden. Wir haben dieses Formelspiel Beckers genauer kennen zu lernen. Sobald sich Becker den logischen Formen als constitutiven Leitern seiner Sprachwissenschaft ergab, war er dem unorgani- schen Wesen verfallen, der unorganischen Gabelung der Gegen- sätze. Da nun aber diese logischen Formen, immer allgemein, das Wesen der besonderen Sache niemals decken, so erfaßt auch Becker mit ihnen niemals den vollen Gehalt der Sache; ja, da sie, an sich formal, aus sich heraus nicht auf die Besonderheit des Inhalts weisen, so hat Becker an ihnen nichts als leere Fä- cher, die gegen den Inhalt, den man ihnen giebt, gleichgültig sind. Bei diesem Mißbrauch derselben bleiben sie in Wahrheit leer, und auch dem Inhalte andererseits wird solche Gewalt an- gethan, daß er verschwindet. Die logische Auffassung der Sprache und die unorganische Betrachtungsweise begünstigten sich einander. Wenn diese durch jene gefördert war, so führte sie auch ihrerseits zu jener zurück. Was war’s denn, was den Inhalt des Organismus bei Becker ausmachte? Nicht ein Theil der Natur im Unterschiede von einem anderen, unorganischen Theile; nicht die Natur im Ge- gensatze zur Freiheit des Geistes; nicht der Zweckbegriff, die Verkörperung eines Gedankens war schließlich jener Inhalt; son- dern lediglich die Besonderung eines Allgemeinen nach dem ein- fachen Gegensatze — ja, noch weniger als das, nämlich bloß die Entgegensetzung, welche sowohl das Verhältniß eines Be- sondern zu einem andern, als auch zum Allgemeinen umfaßt, ja, welche bis zur bloßen Verschiedenheit herabsinkt. Und aus dieser ärmsten logischen Kategorie sollte irgend welche inhalts- volle Entwickelung eines wirklichen Wesens möglich sein? Die kann sich ja nur an den Punkt anknüpfen, wo ein Allgemeines 5 und ein Specifisches in Einheit liegen. Ohne diesen Verknüpfungs- punkt gefunden zu haben, geht man immer um die Sachen herum, zwischen die Sachen hindurch, ohne ihr Wesen zu berühren. Eine solche Bewegung geschieht mit subjectiver Willkür nach leeren logischen Formen. Die objectiven Beziehungen bleiben unbeachtet; dagegen werden zufällig einzelne Seiten der Dinge aus ihrem wirklichen Zusammenhange gelöst und in subjective, logische, der Sache selbst aber fremdartige Beziehungen versetzt und damit verfälscht, insofern und wenn sie einen Inhalt haben. Meist aber werden sie alles Inhalts baar sein. Wir werden im Folgenden zeigen, daß Beckers Grammatik, insofern sie einen Inhalt hat, einen falschen hat, meist aber inhaltslos, leeres For- melspiel ist. Sein Vorschreiten ist theils Schein, nämlich Tau- tologie, theils ein Hindurchschreiten durch die Reihen der Dinge, welche er in die logische Form des Gegensatzes einander ge- genübergestellt hat. Nicht logisch, — mit der Aeußerlichkeit, den Formeln der Logik schreitet er vor. Dem wirklichen In- halte nach ist sein Princip nicht die Form des Gegensatzes, son- dern nur willkürliches inhaltsloses Entgegenstellen zweier belie- biger Elemente. So haben wir schon gesehen, wie er Muskel und Nerv aus dem organischen Zusammenhange mit den Kno- chen, den blutführenden Adern, kurz aus dem lebendigen Leibe herausreißt, um sie in einen polaren Gegensatz zu bringen, auf welchen er den Organismus gründet. a) Beckers Mangel an Dialektik. § 30. Dialektik nach Trendelenburg. Schon oben haben wir gelegentlich an Humboldt die Dia- lektik gerühmt und ihren Mangel bei Becker getadelt. Der ganze Zusammenhang zwar, in welchem dieser Vorwurf von uns gegen Becker ausgesprochen ist, verhütet wohl schon an sich, daß man ihn, bei dem Verrufe, in welchem die Dialektik als Sophistik steht, zum Ruhme Beckers wendet. Es wird aber des- senungeachtet gut sein, die Bedeutung und Nothwendigkeit der Dialektik weiter darzulegen, und damit zugleich zu zeigen, welch ein wesentlicher Mangel es an Becker ist, daß er von ihr keine Spur hat. Wir wollen hierbei wieder von Trendelenburg aus- gehen. Becker selbst hat sich auf ihn berufen, uns an ihn ver- wiesen. Wie so oft die unberechtigt herbeigerufene Hülfe die Vernichtung, der sie vorbeugen soll, beschleunigt, so soll uns hier Trendelenburg helfen Becker zu schlagen. Auch steht uns Trendelenburg — wiewohl wir seine Metaphysik nach Seiten ih- res Princips nicht zur unsrigen machen mögen — doch zu hoch, als daß wir nicht suchen sollten, Becker jede Stütze, die er an ihm zu haben meint, zu entziehen. Trendelenburg ist ein Mann, von dem zu lernen ist; so haben wir zu zeigen, wie Becker von ihm hätte lernen können, lernen sollen. Wir haben schon rück- sichtlich der Bestimmung des Organismus und der Zweckbe- trachtung auf Trendelenburg hingewiesen; ebenso rücksichtlich des Gegensatzes, und werden es später noch einmal bei einer noch wichtigern Gelegenheit thun. Wenn sich nun Trendelenburg selbst öfter der Beckerschen Sprachwissenschaft durchaus nur beipflichtend ausspricht, so hat er das zwar zu verantworten; wir begreifen aber wohl, wie ein Philosoph über die Anwendung sei- ner Grundsätze auf eine besondere Wissenschaft weniger richtig urtheilt, als jemand der diese besondere Wissenschaft sich zur Aufgabe gestellt hat. Trendelenburg in seinen „logischen Untersuchungen“ geht, indem er seine Aufgabe zu bestimmen sucht, davon aus (I. S. 102), daß jeder wissenschaftlichen Betrachtung eine gewisse Vorstellung von dem zu erkennenden Gegenstande vorausgehen müsse: d. h. nicht bloß das Bewußtsein, daß ein solcher vor- handen ist; sondern es muß sich auch schon an ihm etwas Räth- selhaftes ergeben, der Vorstellung aufgedrängt haben, welches das Denken zu weiterer Forschung reizt und herausfordert. Es wird als Beispiel die physiologische Untersuchung des Sehens angeführt, welche durchaus eine nähere Vorstellung vom Sehen voraussetzt. „Sollte das Sehen begriffen werden, so mußte sich zuvor im Sehen selbst ein Räthsel ergeben, ein Widerspruch des gleich- sam sich selbst bewußt werdenden Vorganges mit dem bis da- hin Begriffenen. Dieser Widerspruch erscheint in der Frage: wie ist es möglich, daß sich die Gegenstände auf der Netzhaut abmalen? Der Thatbestand widerspricht der nächsten Folgerung der Erfahrung. Denn man sollte meinen, daß nach jedem Punkte der Netzhaut die Strahlen der verschiedensten Gegenstände ge- langen, und sich daher die verschiedensten Bilder einander ver- nichten. Es wird also gefragt, wie dieser Betrachtung zum Trotze das Sehen geschehen könne.“ — Was bei Trendelenburg eigent- liche Sache, Aufgabe ist, das logische Erkennen des Erkennens, mag uns hier als ein zweites Beispiel dienen. Die logische 5* Frage: wie ist Erkenntniß möglich? setzt ein Bewußtsein dar- über voraus, daß der Vorgang des Erkennens in der Aufhebung des Gegensatzes zwischen Denken und Sein besteht; und man fragt sich, wie ist es aber nur möglich, daß das Denken das Sein durchdringe, oder das Sein ins Denken gelange, da beide so verschiedener Natur sind? § 31. Dialektik, Speculation, logischer Formalismus. Dieses Verfahren, am Beginne einer Untersuchung sich die Räthsel und Schwierigkeiten, die an dem zu betrachtenden Ge- genstande hervortreten, vor allem klar zu vergegenwärtigen, ist durchaus aristotelisch und konnte bei einem Kenner und Ver- ehrer des Aristoteles, wie Trendelenburg, vorausgesetzt werden. Die Erkenntniß der διαποϱίαι ist nach Aristoteles ein wesent- licher Theil wissenschaftlicher Forschung. Ganz ähnlich sehen auch Herbart und Hegel die Sache an. Es versteht sich von selbst, daß sich die Wissenschaft nicht mit dem ersten An- stoße von einem Widerspruche, auf den die gemeine oder erste Betrachtung fällt, begnügen kann, sondern daß es ihr ein ern- stes, wichtiges Geschäft ist, alle Widersprüche, die an ihren Ge- genständen hervortreten, umsichtig und allseitig aufzusuchen. Wir nennen diese Betrachtung die dialektische; sie muß sich in die speculative, d. h. in die Ueberwindung der Wider- sprüche auflösen. Die Speculation gewährt die eigentliche Er- kenntniß, die Dialektik ist der Reiz dazu. Wie wichtig letz- tere ist, liegt nun wohl auf der Hand; denn mit der Aufdeckung der Widersprüche, mit der Stellung der Fragen ist Anfang und Ende, Ausgangs- und Zielpunkt bestimmt; und wie sehr ist da- durch schon der ganze Weg der Wissenschaft vorgezeichnet! Ja, es ist überhaupt schwer, Dialektik und Speculation scharf zu scheiden; sie bilden zusammen den einen Weg der Wissenschaft; die Speculation ist die Fortsetzung der Wissenschaft; aber wie wäre zu sagen, wo die eine aufhört, die andere beginnt? Spe- culation ist die fortgesetzte Dialektik selbst; denn nur durch die vollständigste Vergegenwärtigung der Widersprüche ver- schwinden sie, und sie sind verschwunden, sobald sie vollständig aufgefaßt sind. Die Dialektik ist also gar nicht etwas Besonderes; sie ist die wissenschaftliche Forschung selbst, und diese könnte sie nicht aufgeben, ohne ihr Wesen zu verlieren. Sie muß also die Wis- senschaft überall begleiten und kann nie fehlen. Sie ist nichts anderes als Kritik, als gewissenhaftes Prüfen, ob man sich nicht täusche oder täuschen lasse; sie ist Hut vor Sophistik, vor dem Trugschlusse wie vor der leeren Phrase. Sie fragt: wird hier ein Gedanke geboten, oder ein bloßes Wort? und wenn ein Ge- danke, ist er denkbar? und vorzüglich, stimmt die Thatsache mit sich selbst und der Gedanke mit ihr? Die Dialektik ist also wesentlich angewandte Logik, Mes- sen des Gedachten an den Gesetzen des Denkens; sie ist die das Denken begleitende Kritik. Hiernach mag man schon ermessen, was der Vorwurf des Mangels an Dialektik zu bedeuten habe: er giebt Becker nichts- sagende und trügerische Wortspielerei Schuld. Die Beweise sollen nicht fehlen. Wir kennen aber auch mit dem Wesen der Dialektik den Grund ihres Mangels bei Becker. Sie erfordert ein höchst sorg- fältiges Eingehen auf die besondern Eigenthümlichkeiten des zu erforschenden Gegenstandes, um die vorliegende Erscheinung, wie sie sich giebt oder zu geben scheint, an den allgemeinen lo- gischen Gesetzen zu messen. Becker aber bleibt abstract logisch, ohne auf die Sache einzugehen. Die leere Kategorie Gegensatz, nicht ihr Gehalt, die leere Form der Einheit, nicht ihr Grund, ist es, wonach er hascht; ihm genügt die Schale des Wissens. — Weil er aber nicht dialektisch ist, hat er weder vom Aus- gangspunkte, dem Principe, noch vom Ziele, also auch nicht vom ganzen Wege der Entwickelung eine scharf bestimmte An- schauung. Hiermit steht seine Unmethodik in Verbindung: wie denn natürlich alle bisher gerügten Fehler sich gegenseitig stärken. §. 32. Tautologie. Wir gingen bei unserer Betrachtung der Dialektik mit Tren- delenburg davon aus, daß sie der Reiz zur Wissenschaft sei. Bleiben wir, um ihren Mangel bei Becker darzulegen, bei die- sem Punkte stehen. Becker leitet in der Vorrede der ersten Auflage seines „Organism“ die Nothwendigkeit der Grammatik der besonderen Sprache für das Volk selbst, dem die Sprache gehört, von dem Bedürfnisse ab, die durch Vermischung der Mundarten und durch Einführung fremdartiger Elemente, welche eine Folge der wachsenden Cultur sind, unverständlich geworde- nen und in ihrer Bedeutung getrübten Formen wieder zum Bewußt- sein zu bringen. Das ist in der Weise richtig, wie man auch die Nothwendigkeit der Physiologie von der Krankheit ableitet, und wie Alles mit Bedürfnissen zusammenhängt, welche die Mut- ter aller Erfindungen, Einrichtungen und Wissenschaften genannt werden mögen. Woher erhält aber die streng theoretische Sprach- wissenschaft ihre erste Anregung? welches Problem, welcher Wi- derspruch, welches Räthsel reizt zuerst? Becker kennt ja gar keine Schwierigkeit. Indessen ist klar, dieser Ausgangspunkt der Sprachwissen- schaft läßt sich in ganz ähnlicher Weise aussprechen, wie Tren- delenburg den der Logik gefaßt hat. Wie die Erkenntniß auf dem aufgehobenen und doch immer bleibenden Gegensatze von Denken und Sein beruht, so die Sprache auf dem von Laut und Bedeutung; wie also gefragt wird: wie durchdringt das Denken das Sein, wie kommt das Sein in das Denken? so hier: wie durchdringt der Gedanke den Laut; wie wird der Laut bedeut- sam? — Wir meinen nicht, daß Becker diese Frage übersehen habe; er hat sie beantwortet — aber wie? Statt die darin lie- genden Gegensätze durch sorgfältige Untersuchung zu vermit- teln, spricht er ihre Einheit ganz unmittelbar aus und er- greift das Ziel im ersten Satze mit dem Worte: Organis- mus. Man fragt: wie ist ein solcher Zusammenhang zwischen Denken und Sprechen möglich? und Becker antwortet: Sprechen ist mit dem Denken gegeben . Das heißt aber bloß die Frage zurückgeben. Die Sprache ist das Organ für das Denken, wie das Auge für das Sehen; der Mensch spricht, weil er denkt: damit, meint Becker, sei jene Frage beantwortet. Ist das aber wohl etwas anderes, als wenn der Physiolog auf die ihm vorge- haltene Schwierigkeit des Sehens antwortete: das Sehen ist eine organische Verrichtung, die sich im Auge verleiblicht; der Mensch hat Augen, weil er sieht, und das Auge ist gar nichts anderes als das leiblich gewordene Sehen? Die oben schon vielfach gerügte Tautologie erkennen wir hier in Beckers Princip, Organismus, wieder. Das im Anfang vorausgegriffene Ziel kann nur durchaus leer sein; es kann nichts anderes sein als die Wiederholung der anfänglichen Frage in Form einer Antwort; und als Princip ist es nur die Form, be- zeichnet es nur die leer gelassene Stelle desselben, erfüllt aber, inhaltslos wie es ist, durchaus nichts. Wenn wir fragen: wie ist der Vorgang des Sprechens möglich? wie kommt er zu Stande? und Becker darauf antwortet: die Sprache ist ein organischer Vorgang; so ist damit nicht, wie Becker wähnt, gesagt: der Mensch spricht, weil er denkt; sondern es ist bloß gesagt: er spricht, weil er spricht. Denn jenes weil des Satzes: weil er denkt, sollte eben erst erklärt werden; wie im obigen Beispiele die Ant- wort: der Mensch sieht, weil er Augen hat, nur sagen würde: er sieht, weil er sieht; denn jenes weil, d. h. die Beschaffen- heit des Auges und des Lichts, wonach das Auge nothwendig sehen muß, ist noch nicht dargelegt. — Was würde man zu Trendelenburg gesagt haben, wenn er auf die Frage: wie ist Er- kenntniß des Seienden möglich? geantwortet hätte: Erkenntniß ist eine organisch nothwendige Verrichtung; und indem der Mensch erkennt, erkennt er das Seiende; und Erkenntniß ist gar nichts anderes, als Erkenntniß des Seienden? Wer so ge- antwortet hätte, würde der Spott aller Philosophen geworden sein! Beckers Organismus ist eine solche Antwort. Wir wollen sie noch ein wenig näher ansehen. b) Verleiblichung des Gedankens. Der Mangel an Dialektik, d. h. der Mangel an wissenschaft- lichem Ernst, an wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit, an stren- gem Denken, ist die tiefste Ursache von Beckers durchgängiger Tautologie. Becker spricht kaum einen ernsten, wirklichen Ge- danken aus; nichts als leeres Spielen mit Analogien. Wir ha- ben schon gesehen, wie die Entstehung der Sprache durch eine höchst lückenhafte Analogie erklärt werden sollte, ja wie das Princip selbst, der Organismus, nur eine Analogie ist, sowohl in seiner Anwendung auf die Sprache, als an sich selbst, wie wir sogleich noch ausführlicher zeigen werden. Analogien werden nie gänzlich zu vermeiden sein; man kann sie mit Besonnenheit ohne Schaden, sogar mit großem Nutzen anwenden. Aber je größer die Gefahr, sich durch dieselben in Spielerei zu verlieren, um so größer muß der Ernst sein, mit dem sie verfolgt werden. Becker ist ein warnendes Beispiel da- von, wie man sich in ihnen vollständig verlieren und allen Halt und Gehalt einbüßen kann. Ausgangspunkt aller Beckerschen Analogien ist die Erschei- nung eines Innern im Aeußern, Verleiblichung eines Geistigen. Diese Worte sind bei Becker, wie wir schon gelegentlich bemerkt haben, zu einer wahren Zauberformel geworden, durch die er mit einem Schlage alle Schwierigkeiten gelöst glaubt; ja, mit dieser Formel im Munde wähnt er sich so sicher, daß er die Schwie- rigkeiten und Hindernisse auf seiner Bahn nicht einmal beachtet. Dadurch wird aber jene Formel eben nur zur leeren Phrase, welche, alles wirklichen Denkens spottend, nur der Spott aller wirklichen Denker sein kann. Der Beckersche Begriff des Organismus, das Princip, war ganz auf den Satz gegründet, daß im All ein schöpferischer Gedanke leiblich, ein Inneres äußerlich werde, ein Allgemeines sich im Besondern verwirkliche und gestalte; und auch die or- ganische Natur der Sprache hatte demgemäß ihren Kern darin, daß in ihr ein Inneres in die Erscheinung trete. Diese meta- physische Voraussetzung hat Becker freilich nicht begründet, nicht einmal zu begründen versucht, nur dogmatisch hingestellt! aber auch noch nicht einmal klar dargestellt! Wenn wir daher wollten, könnten wir diese Voraussetzung eben so dogmatisch läugnen, nur kurzweg achselzuckend bezweifeln — und wir wä- ren mit Becker fertig; d. h. er hat sich kein Recht, keinen An- spruch auf unsere Anerkennung, ja nur auf unsere Berücksich- tigung erworben. Wir dürften ihn schlechtweg beseitigen, un- gehört lassen; aber wir hätten ihn nicht kritisirt. Wir neh- men also die Voraussetzung als solche ruhig hin und fragen nur: welchen Gebrauch hat Becker von ihr gemacht? wie schreitet er von ihr aus weiter vor? Er sagt (§. 4): „Wie nun das allgemeine Leben sich in einer unendlichen Mannigfaltigkeit besonderer Arten und Unter- arten von organischen Dingen gewissermaßen in besondere Le- bensfunctionen scheidet; so stellt sich wieder die in einem orga- nischen Dinge ausgeprägte besondere Lebensfunction, die gleich- sam den Begriff des organischen Dinges ausmacht, in einer Man- nigfaltigkeit besonderer Organe dar.“ Gleich bei diesem ersten Schritte über die Voraussetzung hinaus, oder noch in ihrer nä- hern Darlegung selbst, geräth Becker schon in jenes Spielen mit Analogien, in ein Geistreicheln mit „gleichsam“ und „gewisser- maßen“. Wissenschaftlichem Ernste wird dabei nicht wohl zu Muthe. Was wird denn mit dieser bei Becker so häufig wie- derkehrenden Redewendung „wie … so“ gesagt? an sich noch gar nichts: da hiermit zunächst nur die Frage von dem einen Punkte, dem So, auf den andern, das Wie, verschoben wird. Dieses Wie aber schließt die Frage in sich, und so lange es nicht beantwortet ist, ist durch die Verschiebung nichts gewon- nen. Ferner aber ist der in jener Wendung liegende Vergleich fast immer so schief oder so abstract, daß die Sache nicht mit Bestimmtheit und Klarheit gedacht werden kann. Wir haben beide Uebelstände schon bei der Vergleichung des Sprechens mit dem Athmen gesehen. Auch hier ist es doch eine künst- liche, gewaltsame Anschauung, wonach das besondere lebende Wesen zum allgemeinen Leben oder zu seiner Gattung sich eben so verhalten soll, wie das einzelne Organ dieses besondern We- sens zu dem ganzen Wesen selbst! Der Tiger sollte sich zum Thier überhaupt verhalten, wie sein Magen, seine Klaue u. s. w. zum ganzen Tiger! Hiernach würden Magen, Herz u. s. w. gar nicht Organe des Thiers, sondern des Tigers sein. Das meint Becker nicht, obwohl es in seinen schiefen Worten und seinem schiefen Systeme liegt; er meint aber, wie er fortfährt: „Der Begriff des organischen Dinges prägt sich in jedem Organe aus, jedoch so, daß jedes besondere Organ diesen Begriff in irgend einer Besonderheit darstellt. Daher ist überall in den organi- schen Dingen der Typus, in dem sich das Ganze gestaltet und entwickelt, auch der Grundtypus für die Gestaltung und Ent- wickelung der besonderen Organe. Die besondere Lebensfunc- tion — der Begriff — einer Thierart z. B. des Tigers stellt sich in jedem besondern Organe, nicht nur in Gebiß und Klaue, sondern in dem Baue aller Bewegungsorgane, in seinen Ver- dauungsorganen, in seinem Auge u. s. f. dar, und der Naturfor- scher erkennt schon aus dem Baue des einzelnen Organes die besondere Lebensfunction des Thieres, und mit dieser den Bau aller andern Organe und des ganzen Thieres.“ Man sieht, wie hier Becker etwas seitwärts gegangen ist. Der Begriff des Ti- gers entwickelt sich nicht in die Organe: Gebiß, Klaue, Magen u. s. w., sondern verleiht diesen Organen die eigenthümliche Ge- staltung. Nun überlege man doch, wie abstract ist die Kate- gorie, welche das Verhältniß des Thieres zum allgemeinen Le- ben, das des thierischen Organs zum Thier, und das der beson- dern Gestaltung des Organs zur ganzen Arteigenthümlichkeit des Thiers gleichmäßig umfaßt! Ferner ohne uns dabei aufzu- halten, was wohl die Worte bedeuten mögen: „jedoch so, daß jedes besondere Organ diesen Begriff in irgend einer Besonder- heit darstellt“ — stellt etwa der Magen den Begriff des Tigers anders dar als das Gebiß? sind sie nicht gerade in der Bezie- hung auf den Tiger gleich, und nur durch ihre Natur als thie- rische Organe verschieden? — wichtiger ist es, zu fragen: haben wir denn in diesen Verhältnissen noch das eines Gedankens, eines Innern, welches in die Erscheinung tritt? Verhält sich die besondere Gestaltung der Tiger-Klaue zum ganzen Typus des Tigers, oder dieser zur allgemeinen Form der Säugethiere wie ein Aeußeres zu seinem Innern? Was diese Analogien zusam- menhält, ist nichts als die abstracteste, durchaus formal logische Kategorie des Allgemeinen und Besondern. Diese ärmste aller Kategorien umfaßt allerdings das All, und auf sie hat Becker seinen Organismus gebaut! Darum ist aber sein Organismus, seine Verleiblichung eines Geistigen, eine Phrase; sein wirkli- cher Inhalt aber ist unorganisch. So fährt nun Becker con- junctionslos fort: „Die organischen Gegensätze, die sich in dem Ganzen darstellen, wiederholen sich in jedem besondern Organe: wir finden z. B. in dem Auge die Gegensätze von Bewegung und Empfindung, Ernährung und Absonderung, Muskel und Nerv, Arterie und Vene wieder; und so stellt sich das Auge auch für sich als ein dem Ganzen nachgebildeter Organismus dar.“ Hiermit ist nun Becker nicht bloß abermals seitwärts abgewichen, sondern er ist auch wieder ganz in der Gabelung der Gegensätze, welche in dem beziehungsreichen Organismus so leicht zu finden sind; unter dem Scheine der Consequenz verbergen sie ihre Armuth an Gehalt; denn wir haben auch hier kein Verhältniß von Aeußerm zu Innerm, sondern nur vom All- gemeinern zum Besondern, abermals in einer andern Beziehung, welche verschwiegen bleibt. „Betrachten wir nun die Sprache ; so ist sie ja ebenfalls nur eine leiblich gewordene Function des menschlichen Lebens“. — Hier wird wieder als längst zugestanden und bekannt voraus- gesetzt, was erst bewiesen werden sollte; was aber eine leiblich gewordene Function ist, wird sich bald zeigen; denn was könnte man wohl zunächst bei diesen Worten denken? — „Auch in dem menschlichen Organismus stellt sich das allgemeine Leben in einer Besonderheit, aber zugleich in einer Vollendung dar, die es in den andern Organismen nicht erreichen konnte; und es ist vorzüglich die Function des Denkens, was diese Be- sonderheit — den Begriff — des menschlichen Lebens ausmacht. Diese Function ist, weil sie eine Besonderheit des allgemeinen Lebens ist, eine organische, und tritt, wie alles organische Leben, nothwendig leiblich in die Erscheinung. In sofern der Gedanke den besondern Begriff des menschlichen Organismus ausmacht, ist er in dem ganzen Organismus ausgeprägt, und tritt auch in der besondern Bildung der Sinnesorgane, der Be- wegungsorgane u. s. f. in die Erscheinung. Weil aber der Ge- danke nicht ausschließlich den Begriff des Menschen ausmacht, so treten in diesen Organen mehr die dem Menschen mit andern Organismen gemeinsamen Functionen in die Erscheinung; und nur die Sprache gehört ganz dem Gedanken als der obersten Function des menschlichen Lebens an. Wie die besondere Func- tion des Sehens in dem Auge, so stellt sich die Function des Denkens in der Sprache als dem ihr eigenen Organe dar; und wie das Sehen den Begriff des Auges, so macht der Gedanke den Begriff der Sprache aus.... Zwar ist die Sprache nicht an und für sich ein selbständiger Organism; als Erzeugniß des menschlichen Organism hat sie nur innerhalb der Sphäre dieses Organism ein Dasein. Aber wie jede besondere Function eines organischen Ganzen sich in einem besondern Organe, z. B. die Function des Sehens in dem Auge, verkörpert, und wie dieses Organ für sich gewissermaßen einen geschlossenen Organism ausmacht; so ist auch die Function des Sprechens in der ge- sprochenen Sprache etwas Bleibendes — gleichsam ein besonde- res Organ des menschlichen Gattungsorganism — geworden, welches sich auch für sich als ein in allen seinen Theilen und Verhältnissen organisch gegliedertes Ganze darstellt, und dem selbständigen Organism nachgebildet ist: wie das Auge das Or- gan für die natürliche Function des Sehens, so ist die Sprache das Organ für die dem Menschen eben so natürliche Function der Gedankendarstellung und Gedankenmittheilung.“ Aber beim Herkules! vergißt denn Becker bei jeder Zeile, die er schreibt, was er in der vorigen geschrieben hat! Haben wir hier nicht die Zusammenstellung der Sprache mit dem Auge in demselben Paragraphen, auf demselben Blatte zum dritten Male vor uns, im- mer in derselben Wendung: „wie … so“? Aber das Ganze ist ja nichts als ein unorganisches Aneinanderschieben tautologischer Sätze. Wo wäre denn hier etwas von Entwickelung? von vor- schreitender Gedankenbewegung? Weiß man nun mehr, als was schon in den ersten Zeilen des Buches gesagt ist: Die Sprache ist „diejenige Verrichtung, in welcher der Gedanke in die Erscheinung tritt“? Analogien sind noch gegeben, und recht schiefe. Sind denn das dieselben Verhältnisse: die Erscheinung des allgemeinen Lebens in den besondern Organismen, das Hervor- treten des Denkens als Grundtypus in der Gestaltung des mensch- lichen Körpers, und drittens die Ausführung einer Function durch ein Organ des Körpers? Wer hat wohl je noch so gesprochen, wie Becker, eine Function werde leiblich, verkörpere sich in dem Organe, von welchem sie geübt wird! Und die Darstellung des Gedankens durch die Sprache, an sich von jenen an sich verschiedenen drei Verhältnissen verschieden, wird als Viertes mit ihnen unter der gleichen und selben Kategorie zusammen- gefaßt! Becker gesteht zu, daß ein Unterschied sei zwischen der Weise, wie sich der Gedanke in allen menschlichen Orga- nen, und wie er sich in der Sprache darstelle; denn dieser Un- terschied ist doch zu schneidend. Und wie sucht er ihn den- noch zu verwischen? Er wird dazu hinabgedrückt, daß die übrigen Organe nicht ganz, überhaupt weniger dem Gedanken als etwa dem Schlingen, Verdauen u. s. w. angehören, die Spra- che aber allein und ganz dem Gedanken. Wie stumpf! Wie wäre es nun aber auch wohl ferner möglich, eine so unbestimmt, so abstract gehaltene Anschauung von so inhalts- vollen Verhältnissen ohne Verwirrung und Widerspruch durch- zuführen! Zuerst heißt es: „Wie die besondere Function des Se- hens in dem Auge, so stellt sich die Function des Denkens in der Sprache als dem ihr eigenen Organe dar; und wie das Se- hen den Begriff des Auges, so macht der Gedanke den Be- griff der Sprache aus.“ Weiter aber heißt es: „Aber wie jede besondere Function eines organischen Ganzen sich in einem beson- dern Organe, z. B. die Function des Sehens in dem Auge, ver- körpert; so ist auch die Function des Sprechens in der gespro- chenen Sprache etwas Bleibendes, gleichsam ein besonderes Organ geworden;“ und, müßten wir hier analogisch fortfahren, wie das Sehen den Begriff des Auges, so macht das Sprechen (nicht das Denken) den Begriff der Sprache aus. Jedenfalls hätte sich Becker die Schwierigkeit vorhalten müssen, daß wenn der Gedanke als menschliche Function im Sprechen sein Organ hat, hier eine Function als Organ dient, die nun wieder eines Organs bedürfte, aber nur „gleichsam“ ein Organ hat! Hat denn aber die Sprache nicht auch ein wirkliches Or- gan? Giebt es nicht Sprachwerkzeuge? Und sind nun die Sprach- werkzeuge die verleiblichte Function des Sprechens? in der Weise wie das Auge das verleiblichte Sehen ist? allerdings! Daher müßten wir also sagen: wie der Mensch sieht, weil er Augen hat, so spricht er — nicht weil er denkt, sondern — weil er Sprachwerkzeuge hat. Ferner: oben sehen wir, wie Becker den Gedanken für den Reiz der Sprachwerkzeuge zur Ausübung ihrer Function ansah. Hier wird der Gedanke der Begriff der Sprache genannt, wie das Sehen der Begriff des Auges. Ist nun auch das Sehen der Reiz für die Thätigkeit des Auges? So darf denn auch die Analogie zwischen sehen und spre- chen gar nicht so ausgesprochen werden: der Mensch spricht, weil er denkt, wie er sieht, weil er Augen hat; sondern: wie er Augen hat, weil er sieht. Wie der Gedanke ferner die Sprache schafft, so das Sehen das Auge, die Luft die Lunge. Endlich: wo hat Becker das Gehirn gelassen? Das Gehirn ist so sicher das Organ des Denkens, wie das Auge das des Sehens. Hat also das Denken sein Organ, seine Verleiblichung im Gehirn so gut wie jede andere Lebensfunction ihr physiolo- gisches Organ, was wird nun aus der Sprache? Wie wir oben sahen und bald noch mehr sehen werden, daß bei Becker der Gegensatz zum bloßen Anderssein herab- sinkt, seinen eigentlichen Gehalt verliert, daß die Dinge, ohne Rücksicht auf ihr volles wirkliches Wesen nach subjectiven, un- wesentlichen Beziehungen in die leere Form des Gegensatzes gestellt werden; so sehen wir hier ganz verschiedene Verhält- nisse in gleicher Weise in die Beziehung der Verleiblichung versetzt, welche aber, um so Verschiedenartiges in sich aufneh- men zu können, alles Inhalts beraubt werden mußte. So wur- den schon am Anfange des Werkes (S. 2) in den Worten: „Es ist ein allgemeines Gesetz der lebenden Natur, daß in ihr jede Thätigkeit in einem Stoffe, jedes Geistige in einem Leiblichen in die Erscheinung tritt“, zwei so verschiedene Verhältnisse wie das der Thätigkeit zum Stoffe und des Geistigen zum Leiblichen gleichmäßig unter der leeren Beziehung des In-die-Erscheinung- tretens zusammengefaßt. Und was soll es nur heißen: eine Thätigkeit tritt in einem Stoffe in die Erscheinung? Ist etwa Eisen verleiblichter Magnetismus, verleiblichte Schwere u. s. w.? Diese elende Spielerei mit der Verleiblichung und Erschei- nung haben wir auch außerdem schon in einer Stelle gefunden, wo sie noch auffallender ist. Wenn wir nämlich in dem Werke „das Wort“ rücksichtlich der Entstehung der Sprache lesen: „Wie die Respiration die äußere Erscheinung eines innern Bil- dungsvorganges, und wie die Willkürbewegung die äußere Er- scheinung der innern Willensthätigkeit, so ist die Sprache die äußere Erscheinung des Gedankens“; so dürfen wir wohl fra- gen, ist es nicht gedankenlos oder leichtfertig, das Verhältniß des Gedankens zur Sprache ebenso als Erscheinung eines Innern zu fassen, wie das der willkürlichen Bewegungen zum Willen? und abermals beide Verhältnisse als selbig zu fassen mit dem der Respiration zu — ja wozu? Hier fehlt sogar das andere Glied, um nur erst ein Verhältniß zu bilden! Wo der Begriff fehlt, hat sich freilich ein Wort eingestellt: „innerer Bildungs- vorgang“. Ich frage, wo ist beim Athmen ein innerer Bildungs- vorgang? Hier ist nicht das mindeste Innerliche, Geistige, alles äußerlich, chemischer und physikalischer Proceß! Und wo hat sich hier die Thätigkeit verleiblicht, in welchem Stoffe? im Re- spirationsapparat? im Blut? im ausgehauchten Kohlenstoff? — Ja, noch mehr: kurz vor den angeführten Worten heißt es, wie in den Organen der Willkürbewegung der Wille, so trete in den Sprachorganen (oder in der Sprache? hier erfordert das analo- gische Spiel die Organe) der Gedanke in die Erscheinung; wor- auf es weiter heißt: „Wie jedoch in der Einheit des mensch- lichen Geistes Empfinden und Wollen von dem Erkennen und Denken nicht geschieden sind; so tritt auch oft in der Func- tion der Sprachorgane die Empfindung und der Wille in die Erscheinung“. Den obigen drei verschiedenen, von Becker den- noch für selbig genommenen Verhältnissen wird also noch ein viertes, wieder von allen verschiedenes gleichgesetzt! Und die Möglichkeit selbst der Erscheinung des Willens und der Em- pfindung in der Sprache wird kurzweg mit der „Einheit des menschlichen Geistes“ abgefertigt! Und das Alles wäre nicht jämmerliche Spielerei und Leichtfertigkeit? ernstes und gewis- senhaftes Denken wäre das? Und auf dieser Elendigkeit beruht Beckers Organismus! c) Beckers Theorie der Erkenntniß. § 33. Aufgabe des Denkens. Um Beckers leeren Formalismus, den Mangel wirklichen Denkens in ihm vollständig zu erkennen, müssen wir uns seine Darstellung vom Acte der Erkenntniß ansehen, das Princip sei- ner Logik und Metaphysik. Er sagt (Organ. §. 25): „Die Ver- richtung des Denkens und die eigentliche Aufgabe des denken- den Geistes besteht darin, daß der Geist die durch die Sinne angeschaute Welt in sich aufnimmt, und durch eine organische Assimilation die reale Welt der Dinge in eine geistige Welt der Gedanken und Begriffe umschafft.“ Schelling und Hegel, indem sie die Natur dachten, schufen dieselbe; Becker, indem er sie denkt, vernichtet sie; die Wirklichkeit schwindet und löst sich in Geist auf, in Idealität, Begriff und Gedanke. Wir wür- den hiermit die eigentliche Nothwendigkeit der Hegelianer be- griffen haben (würden uns nicht von den Beckerianern bald alle realen Dinge ganz organisch in geistige verwandelt worden sein, wenn jene nicht sie immer wieder frisch geschaffen hätten?), wenn nur die im letzten Theile des obigen Beckerschen Sa- tzes enthaltene Behauptung aus der im ersten Theile wirklich folgte; aus dieser aber folgt nur, daß der Geist — nicht die realen Dinge — die sinnlichen Anschauungen von den realen Dingen in Begriffe umschaffe. Oder sind vielleicht auch die sinnlichen Anschauungen schon bloß umgeschaffene reale Dinge? Das ist wenigstens noch nicht gesagt. So sei es denn hiermit geschehen, und sehen wir nun, wie diese „organische Assimila- tion“ zu Stande kommt. „Die sinnliche Anschauung bietet aber eine unendliche Man- nigfaltigkeit von Dingen als ein Aggregat von individuel- len Dingen dar, deren jedes als ein in sich identisches auf- gefaßt wird, und die Dinge“ (d. h. auch nur die Anschauungen davon) „können nicht als ein solches Aggregat von individuel- len Dingen in den menschlichen Geist aufgenommen werden… Bei einer tiefer eingehenden Betrachtung der realen Welt wird man bald gewahr, daß auch sie an sich nicht, wie sie den Sin- nen erscheint, ein Aggregat von Einzeldingen ist, sondern sich als ein organisch gegliedertes Ganze entwickelt hat und noch fortwährend entwickelt.“ Hier haben wir dieselbe unorganische Hast wieder, die uns ihr organisch gegliedertes Ganzes an den Kopf wirft, der wir schon oben begegnet sind. Becker ist nun abermals fertig, bevor er angefangen hat, und, es versteht sich nun von selbst, er gelangt nicht zum Anfang, also noch weni- ger zu einem inhaltsvollen Ende. Woher kommt denn hier am Anfang, wo wir eben noch ganz in der sinnlichen Anschauung sind, sogleich „eine tiefer eingehende Betrachtung der Natur“? Wir wissen aber schon längst, daß wir von Becker keine ge- netische Entwickelung, d. h. keine Darstellung der Entste- hung, des allmählichen, stufenweise vorschreitenden Werdens der Sache, hier der Erkenntniß, des Denkens, fordern dürfen; wir sehen hier nur wieder ein auffallendes Beispiel davon, wie sich der Mangel an Dialektik rächt, wie er gleichbedeutend ist mit gedankenloser Tautologie und, im Grunde genommen, Sophistik. Denn der Grundfehler lag schon in der Weise wie Becker die Aufgabe aussprach: „Die Verrichtung des Denkens und die ei- gentliche Aufgabe des denkenden Geistes besteht nur darin, daß der Geist die durch die Sinne angeschaute Welt in sich auf- nimmt u. s. w.“ Hier wird der Geist, das Denken, vorausgesetzt als seiend vor der Aufnahme und Assimilation der realen Welt; der Geist ist aber eben gar nicht vorher, sondern er entsteht erst mit der Umbildung der realen Welt in eine geistige. Mit dem Worte Geist, Denken hat Becker das Erzeugniß des Vor- ganges schon vorausgesetzt, bevor er noch an die Darstellung des Vorganges gekommen ist. Ist bei solchem Anfange etwas anderes als nichtssagende Tautologie möglich? „Was die sinn- liche Anschauung giebt, ist nur der Stoff, den der Geist seiner eigenen Natur auf organische Weise assimilirt“ — wie soll aber der Geist assimiliren, der erst durch diese Assimilation entsteht? Sich diese Schwierigkeit vorzuhalten, wäre eben Dialektik gewesen. Jene Assimilation ist nun eine organische. Worin bestand doch das Wesen des Organismus? War’s nicht, in der Verleib- lichung eines Gedankens? Hier aber scheint das Gegentheil der Fall zu sein: der organische Vorgang des Denkens ist Entleib- lichung der Natur. Man vergesse aber nicht: „Indem der Mensch die reale Welt außer ihm in eine geistige Welt von Gedanken und Begriffen in ihm verwandelt, werden Gedanken und Begriffe sogleich wieder leiblich in der Sprache.“ Diese Verleiblichung ist das Organische beim Denken. Indessen verläßt uns das Be- denken nicht, wenn auch der Begriff „ sogleich wieder leiblich in der Sprache wird,“ so ist er doch erst entstanden; diese Ent- stehung ist die eigentliche Assimilation, aber eine Entleibung der Natur, und also nicht organisch. Dann ist freilich auch die Spra- che nicht mehr organisch, wie schon oben gezeigt ist. Trotz allem müssen wir uns doch einmal entschließen, die Welt mit Becker „tiefer zu betrachten.“ Was sehen wir? „Ue- berall in der realen Welt ist das Eine um des Andern willen, und das Besondere nur als Glied eines Ganzen da, dem es dient, und von dem es getragen wird; das Allgemeine scheidet sich überall durch mannigfaltige Gegensätze in Besonderes, und in jedem Besonderen liegt noch ein zu einer Einheit verbundener Gegensatz.“ Die Welt ist also „tiefer betrachtet“ ebenso wohl ein organisches Wesen, wie der Geist; die realen Dinge stehen sich einander in Gegensätzen gegenüber, und jedes ist nur für sein Gegenüber da; und so organisch in einander entgegenge- setzte Reihen aufgepflanzt, kann sie der Geist aufnehmen. Der Fehler der Sinne wird also, gleichgültig wie, verbessert. Sie waren so dumm, die Welt als ein bloßes Aggregat zu erfassen; aber der Geist, obgleich er von der Welt gar nichts weiter weiß, als was ihm die Sinne bieten, gestaltet in eigenem Schöpfungs- triebe, wahrscheinlich jedoch von „einer tiefer eingehenden Be- trachtung“ belehrt, das Empfangene in Begriffe um, und zwar — man staune vor dem Wunder! — so, daß die Begriffe, nicht den Anschauungen, sondern den realen Dingen entsprechend, das organische Wesen der letztern bekunden. Tiefer betrachtet schwindet wohl das Wunder. Denn die organische Anordnung des Ganzen beruht einfach darauf, daß man alle Dinge der Welt in zwei Reihen gegenüberstellt, Gegensätze oder Gegenstellun- gen bildet. Das ist nicht schwer, und ob die Welt auch so zwei sich starr anblickende Reihen bildet oder nicht, was küm- mert das den Geist? §. 34. Allgemeines und Besonderes; Thätigkeit und Sein. „Als der oberste und allgemeinste Gegensatz stellt sich in der realen Welt der Gegensatz von Thätigkeit und Sein — Kraft und Materie — dar. Die Thätigkeit ist aber das Er- ste, und das Sein nur die mit sich selbst in einen Gegensatz getretene — durch sich selbst gehemmte — Thätigkeit: auch in der Materie ist ein Gegensatz von Thätigkeiten — Ex- pansion und Contraction — zu einer Einheit verbunden.“ Be- cker giebt uns eine Geschichte der Schöpfung. Im Anfang war die Kraft — oder die Thätigkeit? das ist einerlei. Die Thätigkeit aber war gewiß eine organische; sie mußte sich also verleiblichen — eine schwierige Aufgabe! Was that sie? sie trat mit sich in einen Gegensatz. Woher kommt aber der Gegen- satz? Die Thätigkeit hemmte sich — wie? warum? Genug, sie thut’s. Also: und die Kraft war beim Gegensatz . Was aber nun? so haben wir gehemmte Thätigkeit, gehemmte 6 Kraft; und diese wäre Sein, Materie? Wie das? „auch in der Materie ist ein Gegensatz von Thätigkeiten, Expansion und Contraction, zu einer Einheit verbunden.“ Erst schien es, als wäre die Materie das Zweite oder Dritte, je nachdem man zur Thätigkeit als dem Ersten auch noch den Gegensatz vielleich tals Vorerstes nimmt oder nicht; jetzt aber haben wir vor der Ma- terie noch den Gegensatz von Expansion und Contraction, und die Einheit. Woher kommen diese? Ferner: wenn es heißt: „die Thätigkeit ist aber das Erste“, dann ist — ohne Malice — „das Erste“ doch noch vor der Thätigkeit; das Erste ist also „das Erste“, und woher kommt nun die Thätigkeit? — „Wie aber die Thätigkeit das Erste ist, so ist sie auch das Allgemeinste“ — dann ist auch „das Allgemeinste“ vor der Thätigkeit. Es bleibt aber trotz allem dabei: die Thätigkeit ist das Erste, und sie hemmt sich, und die Thätigkeit wird Sein, oder die Kraft wird Materie. Nun haben wir aber keine Kraft mehr, keine Thätigkeit; denn Alles, was davon vorhanden war, ist auf- gewandt, Materie und Sein zu schaffen. Im Sein ist alle Thä- tigkeit, in der Materie alle Kraft gebunden; es giebt keine freie, wirkende Kraft und Thätigkeit mehr. Wenn wir nun dennoch Becker den obersten, allgemeinsten Gegensatz von Thätigkeit und Sein zugestünden? Dann meint Becker genug zu haben, um die ganze Welt zu erkennen. Denn „die reale Welt ist dadurch geworden, daß sich der Gegensatz von Thätigkeit und Sein in unendlich mannigfaltigen Verhältnissen in den besonderen Din- gen wiederholt; in jedem besonderen Dinge liegen Thätigkeit und Sein als zwei einander entgegengesetzte, aber zu einer Einheit verbundene Momente des Dinges.“ Dann ist aber der Gegen- satz von Thätigkeit und Sein nicht der oberste, allgemeinste, sondern der einzige, ewig wiederholte. — Unmittelbar nach dem angeführten Satze heißt es: „Wie aber die Thätigkeit das Erste ist, so ist sie auch das Allgemeinste, durch das alles Be- sondere zu einer Einheit des Ganzen verbunden ist.“ So täuscht man wieder mit hochtrabenden Phrasen! Zu einer Einheit des Ganzen verbunden? weil in allen Dingen sich der Gegensatz von Thätigkeit und Sein wiederholt! Wiederholung ist gerade so recht der Charakter des Unorganischen. Diese Einheit durch Wiederholung ist die Einheit des Sandes: ein Korn die Wie- derholung des andern. So finden wir hier nur eine schon oben gemachte Bemerkung bestätigt, daß bei Becker die Dinge gar nicht im strengen, gespannten Gegensatze zu einander stehen; sondern indem sie alle einander gleichgültige Wiederholungen desselben einen Gegensatzes sind, sind sie bloß überhaupt ver- schieden, andere gegen einander: a ist nicht b , nicht c u. s. w. Selbst diese Wiederholung aber ist — ich sage nicht: noch nicht als nothwendig nachgewiesen; sondern sie ist — nach der Voraussetzung unmöglich. Denn wie sollen „unendlich mannig- faltige Verhältnisse in den besonderen Dingen“ entstehen? wie sind die besonderen Dinge entstanden? Ist es nicht wieder so- phistische Tautologie, wenn, indem gezeigt werden soll, wodurch die reale Welt geworden ist, die besonderen Dinge schon vor- ausgesetzt werden, in denen der die Welt schaffende Gegensatz von Thätigkeit und Sein sein Wesen treibt? Der höchst schwierige, immer wichtigste Punkt, das Princip der Besonderung im Allgemeinen, kümmert Becker nie; und darum eben bleibt er ewig in den leersten allgemeinen Formeln. Was soll man dazu sagen, wenn Becker hier die Besonderung aus dem allgemeinsten Principe mit folgendem Satze abfertigt: „und das Sein ist dasjenige Moment der Dinge, durch welches sich das Allgemeine in Besonderes scheidet.“ Das Sein ist ja selbst nur die gehemmte Thätigkeit; wie entsteht also durch das Sein eine Scheidung des Allgemeinen in Besonderes? Wie dem aber auch sei, wir gestehen am Ende zu, es giebt besondere reale Dinge. „Die Thätigkeit ist in den realen Din- gen überall nur eine in das Sein versenkte und durch das Sein gebundene Thätigkeit;“ und umgekehrt kein Sein ohne alle Thä- tigkeit. „In allen Dingen ist noch das Allgemeine — die Thä- tigkeit; aber je weiter sich die Dinge in der Besonderheit ent- wickeln, desto mehr wird in ihnen das Sein das vorwaltende Moment. — Die reale Entwickelung der Dinge geht von der mit dem allgemeinen Gegensatze von Thätigkeit und Sein ge- gebenen Einheit aus; und das Allgemeine, die Thätigkeit , strebt überall sich zu versenken in die Besonderheit des Seins.“ Wir haben uns also nach Becker zu denken: die Thätigkeit hemmt sich und wird so Materie; doch das genügt der Thätig- keit noch nicht, sie muß mehr Sein haben und versenkt sich in das Thier-Sein; noch nicht genug, sie stürzt sich in das Wir- belthier-Sein, dann in das Säugethier-Sein, endlich in dieses in- dividuelle Sein. — Und das wäre Philosophie? 6* §. 34. Arten der Begriffe. Indem nun der Geist die durch solches fortdauernde Sich- Versenken der Thätigkeit in immer mehr Sein organisch ent- standene reale Welt durch eine ebenfalls organische Entwicke- lung geistig reproduciren soll, befindet sich diese zur realen Ent- wickelung in einer entgegengesetzten Richtung. Denn während in der realen Entwickelung der allgemeinste Gegensatz der Ausgangspunkt war, von dem aus sie durch die immer wachsende Besonderheit des Seins endlich zum Individuum gelangte, „geht hingegen die geistige Entwickelung der Begriffe von der sinnlichen Anschauung aus, in der sich die Dinge in ihrer letzten Besonderheit als Individuen und nicht als zu einer Einheit verbundene Gegensätze, sondern als in sich iden- tische Dinge darstellen; und es ist die Natur des Geistes, daß er strebt, alle Besonderheiten des Seins wieder frei zu machen und in ein Allgemeines zurückzuführen. Was also in der Entwickelung der Dinge das Erste ist, wird in der geistigen das Letzte sein, und umgekehrt .“ „Der assimilirende Vorgang, durch welchen der Geist die reale Welt in sich aufnimmt, wird aber nur dadurch möglich, daß in dem Realen und in dem Geiste ein beiden Gemeinsa- mes liegt. Dieses Gemeinsame ist nun nichts anderes als die Thätigkeit, welche in der Entwickelung der realen Welt das Erste und Allgemeinste ist, und zugleich das eigentliche Wesen des Geistes ausmacht; und der Geist erkennt in der Thätigkeit, die ihm in der realen Welt entgegentritt, sein eigenes Wesen.“ In wiefern hätte denn aber hierdurch der Geist irgend etwas, was ihn besonders zur Erkenntniß fähig macht? Daß in ihm Thätigkeit ist, versteht sich von selbst, da in allen Dingen Thätigkeit ist. Auch im Stein, im Metall ist Thätigkeit; also müßten einerseits auch diese Dinge Erkenntniß haben. Aber auch andererseits ist nicht einzusehen, wie das Wesen des Gei- stes vorzugsweise und mehr als das Wesen der übrigen Dinge in der Thätigkeit liege, nicht im Sein; denn „je weiter sich die Dinge in der Besonderheit entwickeln,“ d. h. je mehr sie sich von der obersten Allgemeinheit, der umfassendsten Gattung ent- fernen und der Realität, dem Individuum nähern, „desto mehr wird in ihnen das Sein das vorwaltende Moment;“ also ist im Thier mehr Sein als in der Materie, im Säugethier mehr als im Thier, am meisten in diesem individuellen Löwen. Der Geist Beckers wird nicht weniger in der Besonderheit entwickelt sein, als dieser reale Stein; also muß er auch ebenso viel Sein ha- ben. Und kurz alle realen Dinge müssen gleichviel Thätigkeit und Sein haben; denn sie stehen alle auf gleicher Stufe der Ent- wickelung der Besonderheit, alle auf der höchsten Stufe, der individuellen Realität. — Doch es sei, der Geist erkenne ver- möge der Thätigkeit. „Die Thätigkeit ist aber in der realen Welt in die Beson- derheit des Seins versenkt; und die sinnliche Anschauung, von der die Bildung der Begriffe ausgehen soll, giebt die realen Dinge in der letzten Besonderheit als Individuen, in denen das Sein das aufs entschiedenste vorwaltende Moment ist. Sie können daher nur dadurch in den Geist aufgenommen und ihm als Be- griffe assimilirt werden, daß die Besonderheit des Seins unter eine Thätigkeit als ein Allgemeines gestellt und als Art aufgefaßt wird.“ Wir stoßen hier plötzlich auf den völlig un- vorbereiteten, also ungerechtfertigten Ausdruck „ ein Allgemei- nes“, als gäbe es ein mehrfaches Allgemeines, da wir bis jetzt nur das Allgemeine, die Thätigkeit, hatten. Im Sein, in der Hemmung der Thätigkeit oder in der gehemmten Thätigkeit ha- ben wir die Verschiedenheit zugestanden; aber wie soll nun auch in der Thätigkeit, insofern sie nicht gehemmt ist, eine Verschie- denheit möglich sein? Doch nur immer weiter! Wir haben also jetzt, wenn wir Becker alles zugestehen, was er verlangt hat, den Geist als zur Erkenntniß der Dinge durchaus fähig, weil sein Wesen, das Allgemeine, die Thätigkeit, ihm mit den realen Dingen gemeinsam ist. Sein Gang der Erkenntniß aber nimmt die der realen Schöpfung entgegengesetzte Richtung, indem er vom sinnlich Individuellen ausgeht, jene aber vom Allgemei- nen; er zum Allgemeinen hinauf-, jene zum Realen hinabsteigt. „Die Thätigkeit, die wir als das der realen Welt mit dem Geiste Gemeinsame bezeichnet haben, kömmt in den realen Din- gen dem Geiste nur vermittelst der sinnlichen Anschauung und somit als in dem Besondern erscheinende Thätigkeit entge- gen.“ Wozu braucht aber der Geist überhaupt erst darauf zu warten, daß ihm die Thätigkeit entgegenkomme? er hat sie ja in sich, und folglich muß er, ganz wie der Hegelsche abso- lute Begriff, durch seine eigene Thätigkeit, Bewegung in sich, die ganze Welt, a priori wie man sagt, aus sich heraus setzen, construiren können Doch Becker meint, der Geist könne das nun einmal nicht; er muß warten, bis ihm die Thä- tigkeit entgegenkommt; dann aber ergreift oder begreift er sie, und zwar zunächst als im Sinnlichen erscheinende Thätigkeit. „Die sinnliche Erscheinung der Thätigkeit ist aber Bewe- gung; und so geschieht es, daß der Begriff der Bewegung der Anfangspunkt wird, von dem die ganze Entwickelung der Begriffe in dem menschlichen Geiste ausgeht. Die reale Ent- wickelung geht von dem Allgemeinen, der Thätigkeit, abwärts in das Besondere, das Sein; und die Dinge scheiden sich nach dem Momente der Besonderheit in Arten des Seins: die Ent- wickelung der Begriffe steigt in entgegengesetzter Richtung von der größten Besonderheit des sinnlich angeschauten Seins aufwärts zum Allgemeinen, der Thätigkeit; und die Begriffe scheiden sich nach dem Momente der Allgemeinheit in Arten der Thätigkeit .“ So viel Sätze in dieser angeführten Stelle enthalten sind, so viel logische Fehler, und vielleicht noch mehr. Wie wäre es aber möglich, ein solches Gewirr von verwirrten Vorstellun- gen klar auseinander zu legen! Bemerken wir nur sogleich das Wichtigste. Becker hat es uns kurz hintereinander mehrere Male wiederholt, daß der Geist vom Besondern ausgehend zum Allgemeinen hinaufsteige. Nichtsdestoweniger beginnt er, wie er noch in demselben Satze selbst sagt, seine Entwickelung der Begriffe, welche die Geschichte „der von dem Geiste in dem einzelnen Menschen und in dem ganzen Geschlechte gebildeten Weltanschauung“ sein soll, mit der Bewegung, d. h. dem allgemeinsten obersten Be- griffe, von dem er immer weiter abwärts steigt. Wir wollen zu- gestehen, Bewegung sei die sinnliche Erscheinung der Thätig- keit; wiewohl wir nicht im entferntesten einsehen, wie Thätig- keit weniger sinnlich ist als Bewegung, oder Bewegung mehr als Thätigkeit: jedenfalls ist eben Bewegung, wenn auch sinnliche Erscheinung, doch sinnliche Erscheinung der Thätigkeit, des Allgemeinen, d. h. des Allgemeinen an sich; und ohne zu fra- gen, wie denn dieses Allgemeine sinnlich erscheinen könne, ist doch also Bewegung immer das Allgemeine und nicht „die größte Besonderheit des sinnlich angeschauten Seins “, womit nach Becker selbst die Entwickelung der Begriffe beginnen sollte. Die reale Entwickelung, sagte Becker selbst, geht „von der mit dem allgemeinen Gegensatze von Thätigkeit und Sein gegebe- nen Einheit aus; die geistige hingegen von dem Aggregat mannigfaltiger vereinzelter Dinge“; trotzdem will Becker den Be- griff der Thätigkeit oder der Bewegung als die oberste Einheit ansehen, als den eigentlichen Urbegriff, aus dem sich alle nach ihren Arten und Unterarten unterschiedene Begriffe durch eine fortschreitende Individualisirung entwickelt haben (S. 71). Das heißt also, nach Becker selbst, die Sache auf den Kopf stellen. Ferner: Die Thätigkeit ist das Allgemeine, das Sein ist das Moment des Besondern; folglich sind die durch die seiende Besonderheit geschiedenen Dinge geschieden in Arten der All- gemeinheit, der Thätigkeit, aber nicht in Arten des Seins, wie Becker sagt. Wie nun aber gar die Begriffe andererseits sich nach dem Momente der Allgemeinheit sollen scheiden können, läßt sich wohl nur nach Beckers ganz individueller Lo- gik begreifen. Nach der allgemeinen Logik kann eine Schei- dung nur durch das Moment des Besonderen erzeugt werden. Würde aber dem Allgemeinen eine scheidende Kraft zugestanden, so entstünden Arten des Seins, nicht des Allgemeinen — wenn hierin nur ein Sinn läge! So können wir in den angeführten Sätzen nichts mehr se- hen als sophistisches Gaukelspiel mit den unbestimmt gelassenen Begriffen Allgemeinheit und Besonderheit, Thätigkeit und Sein, dem auch sehr leicht auf den Grund zu schauen ist. Wie wäre nicht der Begriff der Thätigkeit nach Beckerscher Auffassung die allgemeinste Kategorie! Das Beckersche Sein ist aber gerade eben so allgemein. Becker sagt, daß beide in jedem Dinge in Einheit liegen, und nie eins ohne das andere ist; also ist eins so allgemein wie das andere. Was in Wahrheit und mit Bestimmtheit Thätigkeit, was Sein ist? frage man doch ja Becker nicht; für solche Fragen hat er weder Ohr noch Ver- stand. Genug, es sind Wörter, und es muß sich doch bei ih- nen etwas denken lassen. — Andererseits aber, gesteht man auch gern sogleich zu, daß das Moment des Seins die Besonderheit der Dinge bewirke; hört darum das Sein auf das Allgemeinste zu sein? Durchaus nicht! Jedes Ding zeigt ein besonderes Sein; das Sein ist das Allgemeine. Die Thätigkeit hinwiederum, beharrt sie etwa in ihrer reinen Allgemeinheit? Keineswegs! auch sie erscheint in jedem besonderen Dinge besonders. Thätigkeit, oder gar Bewegung, sind Begriffe, denen nur wenig Wirklich- keit entspricht; die Wirklichkeit ist immer etwas Besonderes und wird nur von Begriffen erfaßt, die mehr Inhalt und gerin- gern Umfang haben. Bewegung existirt noch weniger als Thä- tigkeit, existirt eigentlich gar nicht. Was wirklich ist, ist nur der Wurf, der Fall des Steins, das Fließen des Wassers, das Ausdehnen der Luft, das Anziehen des Magneten u. s. w. Nicht wir bloß sagen das; wir lehren hier Becker nichts, was er nicht wüßte; sondern wir kritisiren ihn, indem wir ihn mit sich selbst vergleichen. Er selbst aber sagt (S. 72): „Der Begriff der Be- wegung wird in der sinnlichen Anschauung nie in seiner ab- stracten Allgemeinheit, sondern immer in einer concreten Beson- derheit, z. B. als Bewegung eines Vogels, eines Steines, eines Flusses aufgefaßt“; folglich, sagt die Kritik, hatte Becker nicht das Recht, die Bewegung als den Urbegriff, die Einheit und den Erzeuger aller Begriffe der Sprache hinzustellen. Und wenn nun Becker selbst zugesteht: „eben darum kann sich dieser eine Urbegriff nicht in der Sprache auch in einem Urworte darstellen, son- dern muß uranfänglich schon in mannigfaltigen Wörtern her- vortreten, in denen mannigfaltige concrete Besonderheiten der Bewegung geschieden sind,“ so gesteht er damit auch zu, daß seine Construction der Begriffe aus der Einheit nicht die in der Sprache vorliegende Entwickelung der Begriffe darstellt, sondern eine subjective, logische Anordnung der Begriffe ist; und die Kritik hat weiter nichts zu thun, als dies Geständniß zu Protokoll zu bringen. Wenn also sowohl Thätigkeit als Sein eben so sehr als all- gemein wie als besonders aufgefaßt werden können, die Bezie- hungen aber, nach denen dieses oder jenes geschehen kann, von Becker sophistisch unbeachtet gelassen werden: welch ein Spiel- raum für Gegensätze, Trugschlüsse, Systeme aller Art! Nur noch einer Schwierigkeit werde hier gedacht. Wir haben oben schon das Bedenken geltend gemacht, daß nach Beckers Vor- aussetzung nicht einzusehen ist, warum einerseits nicht auch der Stein erkenne, da auch er Thätigkeit ist, und wie andererseits der Geist zu erkennen vermöge, da auch er durchaus individuell, also auch in ihm das Sein das vorwaltende Moment ist. Wir stoßen aber hier auf einen neuen Punkt. Wenn die allgemeine Thätigkeit als solche nirgends existirt, sondern überall nur be- sondere Thätigkeit, so fragt sich: wie vermag der Geist vermöge seiner besonderen Thätigkeit die besonderen Thätigkeiten aller andern individuellen Dinge in sich aufzunehmen? §. 36. Formen der Begriffe. Wir sind mit Beckers Darstellung des Erkenntnißprocesses noch nicht fertig. Denn (S. 67) „nachdem die Dinge der realen Welt nach dem, was in ihnen das Allgemeine ist, unter den Begriff der Thätigkeit gestellt und in allgemeine Arten von Thätigkeitsbegriffen aufgenommen; ist die geistige Assimilation des Realen noch nicht vollendet: die Dinge müssen auch nach ihrer Besonderheit in den Geist aufgenommen wer- den. Die Besonderheit der Dinge besteht nun darin“ — wissen wir noch nicht, worin? nein! aber wenigstens sollten wir es längst wissen; Becker hätte es uns längst sagen müssen, da schon so viel von der Besonderheit der Dinge die Rede war! worin also besteht sie? — „daß in ihnen die Thätigkeit als das Allgemeine mit dem Sein als dem Besondern auf reale Weise in den mannigfaltigsten Verhältnissen zu einer Einheit verbun- den, und dadurch das Allgemeine zu einem Besondern geworden ist.“ Die Besonderheit entsteht also durch die Verbindung des Allgemeinen mit dem Besondern; und durch diese Verbindung wird das Allgemeine zu einem Besondern! — Wir wären ja gern bereit, Zugeständnisse zu machen, so viel man will; Unsinn aber ist unmöglich zuzugestehen, freilich auch nicht anzugreifen. Also weiter: „In dem Realen ist alles ein Individuelles; und es kann nicht als ein Individuelles in den Begriff aufgenommen werden.“ — Wie oft hat uns dies Becker nun schon in diesem Paragraphen wiederholt! — „Es fragt sich nun, wie die realen Dinge, nach- dem sie als Allgemeines in allgemeine Arten von Thätigkeits- begriffen aufgenommen worden, nun auch als Besonderes, und doch als ein Allgemeines, als Art, in Begriffe aufgenommen werden.“ Das muß allerdings ein Kunststück werden, Bosco’s würdig. Man denke nur: als Besonderes und doch als Allge- meines! Geben wir Acht! „Indem der Geist in die Dinge der realen Welt eindringt, und in ihnen die Thätigkeit, die sein ei- genes Wesen ist, als das Allgemeine erkennt, erkennt er in den Dingen mit der Thätigkeit zugleich ihren Gegensatz, das Sein “ — d. h. indem der Geist erkennt, erkennt er; Geschwindigkeit ist keine Hexerei: das wissen sogar unsere Kinder. Wie der Geist in die Dinge der realen Welt eindringt, sollte nach- gewiesen werden, wird aber vorausgesetzt, indem man ge- schwind nicht bloß mit der rechten Hand die Erkenntniß des Allgemeinen hinstellt, sondern zugleich mit der linken die des Seins. Wenn nur das Gleiche, wie Becker sagt, das Gleiche erkennt, so kann die Thätigkeit des Geistes die Thätigkeit der Realität erkennen; aber das reale Sein verbirgt sich ihm so voll- ständig, daß er entweder von dem Vorhandensein desselben nie er- fährt, oder doch höchstens nur darauf stößt als auf ein ihm Frem- des, als Nicht-Thätigkeit, Nicht-Geist, Nicht-Ich, ohne je mehr davon zu erkennen. Wenn auch das Sein nur gehemmte Thä- tigkeit ist, so ist es eben durch die Hemmung eine der Erkennt- niß entzogene Thätigkeit. Alles aber zugestanden: wenn also der Geist Thätigkeit und Sein erkennt, dann „werden die Dinge, die sich der sinnlichen Anschauung als in sich identische Dinge darstellen, in der geistigen Anschauung als zu einer Einheit verbundene Gegensätze von Thätigkeit und Sein aufgefaßt“, wie uns schon oben als das Ergebniß der „tiefer eingehenden Betrachtung“ angezeigt war; und nicht um einen Schritt sind wir jetzt weiter. „Derselbe Gegensatz, welcher im Realen die Besonderheit der Dinge ausmacht, wird geistiger Weise reproducirt in der Besonderheit der Begriffe, jedoch so, daß die Besonderheit, die im Realen Individuelles ist, in den Begriffen noch ein Allgemeines ist.“ — Wie dies aber gesche- hen könne, „fragt sich“ ja erst. Hat also wohl Becker mehr gethan, als die Frage in Form eines assertorischen Urtheils wiederholt? Auf die Frage: wie geschieht es? wird geantwortet: so, daß es geschieht, oder indem es geschieht. Das Tautolo- gisiren geht nun fort: „Die Besonderheiten der Dinge werden nämlich als besondere Verhältnisse des zu einer Einheit verbun- denen Gegensatzes von Thätigkeit und Sein gedacht, nach denen die allgemeinen Arten von Thätigkeitsbegriffen sich in Unter- arten scheiden“ — wie wir kurz vorher gehört haben. — „Wir nennen diese besondern Verhältnisse des Gegensatzes die For- men der Begriffe: so sind z. B. Band, Bund, Bündniß, bändigen unterschiedene Formen des Art-Begriffes binden. Jeder Begriff ist nach seiner Form entweder Begriff einer Thätigkeit , z. B. binden, oder Begriff eines Seins, z. B. Band: jedoch wird jede Thätigkeit gedacht als Thätigkeit eines Seins, und jeder Begriff des Seins entweder als ein thätiges Sein, z. B. Band, Trinker, oder als Object der Thätigkeit, z. B. Bund, Trank. So ist in jeden Thätigkeitsbegriff ein Sein, und in jeden Begriff eines Seins die Thätigkeit aufgenommen, und jeder Begriff eine Ein- heit von Thätigkeit und Sein; die Formen der Begriffe sind nur dadurch unterschieden, daß in der einen Form mehr die Thätigkeit, und in der andern mehr das Sein das vorwaltende Moment des Begriffes ist.“ Nun vergesse man aber nicht, daß durch diese bloß durch ein Mehr und Weniger von dem einen oder andern Momente geschiedenen, an Zahl sich etwa bis auf 16 belaufenden Formen der Begriffe die mannigfaltigsten Verhältnisse der Besonderheit der realen Dinge in den Geist aufgenommen werden sollen — freilich, was die Sache hinlänglich erklärt, „als Besonderes, und doch als ein Allge- meines“. §. 37. Begriff und Gedanke. Das Ergebniß unserer Kritik lief auch hier, bei dieser Un- tersuchung der Beckerschen Erkenntnißtheorie, auf das leerste Nichts hinaus. Becker hat weder den Vorgang des Erkennens dargestellt, noch überhaupt nur die Möglichkeit der Erkenntniß nachweisen können. Als vorzüglich auffallend aber konnten wir bemerken, welche Bewußtlosigkeit bei Becker über das Verhält- niß des Allgemeinen und Besondern herrscht. Dieses ist nun aber ein Grundverhältniß unseres Denkens, und so werden wir noch ferner sehen, wie Becker, indem er dasselbe verkannte, in die nichtigsten Spielereien verfiel. (§. 26.): „Der erste Akt des sich entwickelnden Vorstel- lungsvermögens, gleichsam der erste Pulsschlag in dem aufge- henden Leben der Intelligenz“ — fragt nur Becker nicht, wie dieser entstanden ist? organisch, wäre die kurze Antwort — „ist ein Erkennen, d. h. ein Akt, durch den in dem Geiste ein Sein, das Besondere, in eine Thätigkeit, das Allgemeine“ — man beachte hier den Wechsel des bestimmten und unbestimmten Artikels — „aufgenommen und der Gegensatz von Thätigkeit und Sein zu einer Einheit verbunden wird. Dieses Erkennen ist immer ein Urtheil, z. B. die Glocke läutet.“ Und diese Glocke, und dieses Läuten hat Becker nicht aus seinem Schlaf gerissen? Zeigt dies Beispiel nicht schlagend, daß die Thätig- keit nicht allgemeiner ist als das Sein? denn es läutet nichts weiter in der Welt als die Glocke. Becker aber schläft weiter: „Der Thätigkeitsbegriff wird in diesem Akte schon als wirk- licher Begriff gedacht“ — natürlich, weil Becker die Thätigkeit nicht anders denn als allgemein, also als Begriff denkt —; „er ist das Erste, und macht das wesentliche Element und den ei- gentlichen Inhalt des Urtheils aus. Der Begriff des Seins hin- gegen wird in dem ersten Erkennen noch nicht als ein wirkli- cher Begriff gedacht“ — sondern als was? —: „er wird erst durch das Erkennen“ (d. h. durch ein ferneres) „zu einem Be- griffe; und jeder Begriff eines Seins, wie er sich in dem Worte — dem Substantiv — darstellt, ist Product eines Urtheiles. Ein wirklicher Begriff eines Seins wird nämlich erst dadurch ge- bildet, daß ein besonderes Sein, das noch nicht als Begriff ge- dacht wird, durch das Erkennen in den Begriff einer Thätigkeit als ein Allgemeines aufgenommen, das Sein unter einer Thätig- keit begriffen wird.“ „Nämlich“ — Becker erzählt uns dies. Was ist denn aber der Begriff des Seins, bevor er wirklicher Begriff wird? Wenn es Becker nicht sagen will, so zwingen wir es ihm ab: sinnliche Anschauung. Das Sein wird also zuerst, im ersten Erkennen, als sinnliche Anschauung gefaßt, und wird durch das Urtheil zum Begriff. Die Thätigkeit aber ist sogleich und an sich allgemein und Begriff. Nun sagt aber Becker selbst (S. 72): „Der Begriff der Bewegung wird in der sinnlichen Anschauung nie in seiner abstracten Allgemeinheit, sondern immer in einer concreten Besonderheit aufgefaßt“; also ist auch er im ersten Erkennen noch nicht Begriff. Damit stürzt freilich auch das Folgende. Wie soll nun das Sein allgemein, wirklicher Begriff werden? denn wenn es nun im Urtheil mit der Thätigkeit ver- bunden wird, so wird nicht ein Besonderes in das Allgemeine aufgenommen, sondern es werden zwei Besonderheiten verbun- den, von denen jede die erste und der eigentliche Inhalt des Urtheils sein kann. Hier kommt noch ein anderer Punkt in Betracht. Man thut sich viel darauf zu gute, erkannt zu haben, daß das Ur- theil früher sei als der Begriff. Becker hat vorzüglich diese Ansicht befördert, und wir haben ja so eben gelesen, „der erste Pulsschlag in dem aufgehenden Leben der Intelligenz“ sei das Urtheil. Nun wird aber trotzdem auch von Becker nicht bloß die Lehre von den Begriffen der vom Urtheile vorausgeschickt, was sich aus didaktisch-methodischen Gründen rechtfertigen ließe; sondern Becker kann das Urtheil gar nicht anders begreifen, denn als eine mechanische Zusammenfassung zweier Begriffe, die vor dem Urtheile existiren, dem Begriffe des Seins und der Thätigkeit. Ersterer ist freilich noch kein wirklicher Begriff; aber doch letzterer. Becker wird zwar, um den Vorwurf des Unorganischen von seinem Urtheile abzuwälzen, darauf hinwei- sen, wie in seinem Urtheile „der organische Gegensatz von Thä- tigkeit und Sein zu einer organischen Einheit verbunden wird“. Es ist aber bloß Bewußtlosigkeit, wenn Becker nicht sieht, wie eben eine Verbindung zweier Elemente zu einer Einheit des Urtheils unorganisches Thun ist, da organisch nur die Geburt der Begriffe aus dem Urtheile wäre. Dann wäre auch allerdings das Urtheil vor dem Begriffe. Daß aber die so eben betrach- tete Darstellung Beckers nicht bloß eine zufällig mißrathene ist, zeigt eine andere Stelle, wo derselbe Gegenstand, der Ur- sprung des Urtheils, an seinem eigentlichen Orte besprochen wird. Obwohl da größere Genauigkeit zu erwarten ist, wird man den Ursprung des Urtheils durch mechanisches Verbinden zweier Begriffe nur noch bestimmter ausgesprochen finden. Die Stelle lautet (§. 45.): „Der Geist hat in der organischen Ent- wickelung der Begriffe die Dinge der realen Welt als ein hleibendes Eigenthum in sich aufgenommen, und in einem or- ganisch gegliederten Ganzen reproducirt, welches der realen Welt der Dinge als ein Gegenbild entspricht. Aber wie die reale Welt der Dinge in beständiger Verwandlung begriffen, sich in jedem Augenblicke neu gebiert“ (welche Phrase! ist die Verwandlung eine Neugeburt?), „so ist auch die geistige Welt der Gedanken immer im Werden begriffen“ — welch ein schmachvolles „wie … so“! Das tautologische Werden der Natur steht freilich immer noch bei weitem höher als Be- ckers tautologisches Gerede —; „und das eigentliche Leben des denkenden Geistes besteht gerade darin, daß er aus den zu seinem Eigenthume gewordenen Begriffen beständig Neues schafft. Ihm sind die Begriffe als Begriffe nur der Stoff, aus dem er schöpferisch Gedanken bildet, indem er mit der größten Freiheit, jedoch nach ihm eigenen organischen Gese- tzen“ — wir kennen schon das Spiel von Beckers organi- scher Freiheit — „die Begriffe mit einander in den mannigfal- tigsten Verhältnissen verbindet.“ Diese Zusammensetzung von Begriffen ist die organische Production der Gedanken! die in den mannigfaltigsten Verhältnissen mögliche Verbindung der als Stoff todt daliegenden Begriffe ist das Werden der geistigen Welt! ist lebendiger Geist! — So mag Becker durch Trendelen- burg, auf den er sich beruft, verurtheilt werden (Log. Unters. I. S. 315); aber auch an einer andern Stelle (das. II. S. 143) wird viel weniger — und vielleicht gar nicht — Herbarts An- sicht, als vielmehr Becker getroffen. §. 38. Schluß. Wir schließen hiermit Beckers Theorie der Erkenntniß. Einen Punkt, der hier noch zu erörtern wäre, den Unterschied zwischen Erkennen und Darstellen, werden wir bald an geeig- neter Stelle zu besprechen haben. Fassen wir also jetzt unser Urtheil über Beckers wissenschaftliche Forschungsweise, Princip und Methode zusammen. Wir wissen jetzt, wie das Erkennen im Gegensatze zur sinnlichen Anschauung darin besteht, die realen Dinge als in sich und unter einander entgegengesetzt aufzufassen. Die Bedeutung des Gegensatzes wurde aber näher bestimmt als der Gegensatz vom Allgemeinen und Besondern, der sich ewig wiederholt. Da er sich nun aber erstlich in jedem Dinge ebenso wie in den andern wiederholt, so werden die Dinge einander gleichgültig, und man sieht nicht im mindesten, was sie in die Spannung eines Gegensatzes zu einander versetzen könne; da aber auch ferner das Allge- meine und Besondere sich als völlig haltlose, durchaus willkür- lich verwendete Bestimmungen ergeben haben, so schwindet der Gegensatz völlig und wird zu einer leeren Form, d. h. zu einer Form, die genau genommen gar keine ist, eine behauptete, aber durchaus bestimmungslose Form, die reine Willkür. So geht denn auch alles hinein, da sie nichts umschließt und nichts anderes ist als die maßlose Leere. Gelegentlich findet man darum in diese Form des Gegensatzes gestellt: das Allgemeine und Be- sondere, Thätigkeit und Sein, Ganzes und Theile, Inneres und Aeußeres, Organ und Function, Materie und Kraft, positive und negative Kraft, die chemischen Elemente, die Farben, Nerv und Muskel, Sonne und Planeten, Pflanze und Thier, Gedanke und Sprache, Wurzel und Endung u. s. w. u. s. w.; und in allen diesen Verhältnissen sieht Becker eins: Gegensatz. Der Grund, das Wesen, der Inhalt dieser Verhältnisse bleibt unbeachtet; sie stehen im Gegensatze: das ist ihre Erkenntniß. So genügt ihm der Name, die leere Schale des Gegensatzes, sie, die weniger ist als das Unorganische, die nichts ist als Leere. Die Kate- gorie des Gegensatzes ist bei Becker die volle Nacht, in der nichts erkannt wird, in der die Dinge bloß als Flecke erschei- nen, die sich vor dem allgemeinen sie umhüllenden Dunkel nur durch noch dichteres Dunkel als besonderes Sein zu er- kennen geben. Wenn erkennen so viel heißt, wie: die Dinge sub specie quadam aeterni betrachten, so heißt das in Beckerisch übersetzt, sie in die Form des Gegensatzes bringen. Diese Form aber ist das Leere, das Hegelsche Nichts, d. h. nicht das Den- ken des Denkens, sondern das Denken des Nichtdenkens, und das Versetzen der Dinge in dieses Nirvāna ist nach Becker ihre Wahrheit. Beckers Wissenschaft ist der jüngste Tag, die Ent- leibung der realen Welt, seine Erkenntniß ein Todtentanz. Die realen Dinge werden in Gegensätzen aufgestellt, der Reigen be- ginnt. Wer führt die Chöre an? Ei nun, Sense-Thätigkeit und Gerippe-Sein. Wo kommen denn aber diese Gäste her? Die Thä- tigkeit, erzählt uns Becker, war das Erste, und das Sein ist nur die durch sich selbst gehemmte Thätigkeit. Brav! Zuerst ist der Tod da mit der Sense; er beginnt seinen Tanz, indem er seine Sense gegen sein eigenes Haupt schwingt und sich zum Gerippe macht. Dies zu begreifen ist zwar schwer, nicht min- der schwer als das biblische: „es werde Licht“; indessen das thut nichts, man setze sich nur über diese erste Schwierigkeit hinweg, und ist nur der erste Schwung zum Tanz genom- men, so geht alles leicht vorwärts. Wo du hinsiehst, Thätigkeit und Sein in Einheit — Sense und Gerippe; und das wiederholt sich unendliche Male. Die Thätigkeit aber ist’s, die alles ver- bindet; die Sense macht alles gleich. Nur geschwind noch eine Frage: wie kommen wir denn zur Erkenntniß dieses realen Todtentanzes? Ei, das Wesen des Geistes ist die Thätigkeit; siehst du nicht? die Sense — das ist Beckers Geist! 4. Verwechslung der Grammatik mit der Logik . Becker betrachtet die Sprache unorganisch — aber sie ist viel- leicht an sich kein Organismus? er betrachtet sie logisch — ihr Wesen ist vielleicht Logik? er wird aber nichtssagend und spie- lerisch — so spielt er vielleicht doch wenigstens mit gramma- tischen Kategorien? Nein! Beckers Grundanschauung ist so falsch, daß er seinen Gegenstand, die Grammatik, gänzlich bei Seite läßt und ihr ein der Sprache fremdartiges Wesen unter- schiebt; statt der Grammatik bietet Becker bloß Logik; er muß die Grammatik längnen, nur Logik kann für ihn da sein. Es verhält sich zwar bei Becker in der That doch anders, sein Or- ganism will keine Logik sein; er sollte es aber sein. Wir haben oben Beckers Ansicht über die Einheit der Grammatik und Logik mit seinen eigenen Worten dargestellt, ohne ihn zu unterbrechen; nur die Neuheit dieser Ansicht haben wir geläug- net. Jetzt haben wir aber zu zeigen, daß nach Becker eine Disciplin wie Grammatik gar keinen Gegenstand vorfindet, den sie bearbeiten könnte; daß dieser Gegenstand vielmehr der Lo- gik gehört. Becker setzt nicht, wie er meint, die Grammatik mit der Logik in Verbindung; sondern er streicht sie völlig und setzt die Logik an ihre Stelle. §. 39. Vernichtung der Grammatik durch Beckers Princip. Vergegenwärtigen wir uns nur Beckers Princip und sehen wir, was in ihm liegt. Wenn die Sprache der im Laute leiblich gewordene, der verlautlichte Gedanke ist, wenn „die Sprache nichts anderes ist als der in die Erscheinung tretende Gedanke“, so sind nicht „beide, Gedanke und Sprache, innerlich nur eins und dasselbe“, wie Becker schließt, sondern dann ist vielmehr der Gedanke das Innere der Sprache, die Sprache, aber das Aeußere des Gedankens. Die Sprache ist also bloß Aeußeres, und ihr Inneres, d. h. was in ihr ist, ist nicht ihr Inneres, d. h. gehört nicht ihr, sondern ist etwas anderes als sie, der Gedanke. Oder: das Innere der Sprache nennen wir Gedanke, das Aeußere des Gedankens Sprache; aber es ist hier nur ein Inneres, Gedanke, und ein Aeußeres, Laut. Das Innere der Sprache betrachten, heißt demnach den Gedanken betrachten, und das geschieht in der Metaphysik, Logik und Philosophie, wozu etwa noch Hegels Phänomenologie kommt. Von einem Innern der Sprache läßt sich füglich gar nicht mehr reden. Wer nennt das Sehen das Innere des Auges? Nun ist aber nach Becker der Gedanke gerade so der Begriff der Sprache, wie das Sehen der Begriff des Auges. Wenn nun der anatomischen Betrachtung des Auges die Zergliederung der Laut- gebilde der Sprache entspricht, so giebt es für die philosophi- sche Betrachtung des Sehens auf Seiten der Sprache nur den Gedanken, der zu untersuchen wäre. — Die Sprache ist das Organ, die verleiblichte Function des Denkens; also bleibt nach der anatomischen Zergliederung der Laute nur die Betrachtung der Function selbst, des Denkens, übrig. Wo bleibt also Stoff und Gelegenheit für die Grammatik als eine von den eben genannten Disciplinen des Denkens und der Begriffe geschiedene Wissenschaft? Nirgends. Beckers Clas- sificirung des Wortschatzes ist eine der Phänomenologie gehörende Anordnung der Vorstellungen des gemeinen Bewußtseins; und wenn nach Becker (Org. S. 26) „alle Formen des Gedankens, aber auch nur diese, sich auch leiblich in der Sprache dar- stellen“, so giebt es für die Betrachtung der Bedeutung der sprachlichen Formen nur dieselbe Wissenschaft, welche die For- men des Gedankens untersucht, die Logik. Da nun sogar die sprachliche Verleiblichung der Formen des Gedankens die or- ganische Erzeugung des Gedankens selbst ist, so ist die Analyse der Sprache an sich die vollendete Logik; jede Zuthat und jede Aenderung der sprachlichen Kategorien wäre Fälschung der Lo- gik; die Logik nichts anderes als Physiologie der Sprache. Wie der Begriff oder Gedanke des allgemeinen Lebens, welcher das All schuf, nichts anderes ist als das in den einzelnen Organis- men verwirklichte Leben oder die in den einzelnen Organismen leiblich gewordenen besondern Begriffe, und die Erkenntniß die- ser Begriffe eben die Erkenntniß des allgemeinen Gedankens der Natur in seiner Besonderung und Verwirklichung ist: so wären die Formen der Sprache die Besonderungen des allge- meinen Begriffes Mensch oder des Denkens, und die Erkennt- niß dieser Sprachformen wäre die Erkenntniß des Denkens in seiner Besonderung und Verleiblichung. Becker beginnt die Lehre von der Wortbildung (S. 62): „Die Sprache ist der in die Erscheinung tretende Gedanke, und das Wort der in Lauten leiblich gewordene Begriff; und die organische Entwickelung des Wortes ist mit der organischen Entwickelung des Begriffes gewissermaßen ein und derselbe Vor- gang.“ Gewissermaßen bloß? durchaus und ganz und gar viel- mehr, da erst als Wort der Begriff organisch ist. „Daher er- klären sie sich einander gegenseitig“; auch wenn sie nur gewis- sermaßen eins sind, ist vielmehr in der Erklärung des einen die des andern enthalten: darum kann keiner den andern erklären, oder man geräth in Tautologie. — Becker darf also nicht sagen: „Die Grammatik steht mit der Logik in einer innigen Bezie- hung“; er darf nicht reden von der Verbindung der Logik mit der Grammatik; sondern es giebt nur eine Wissenschaft des Gedankens . Nennt man nun dieselbe gewöhnlich Logik, so bleibt kein Gegenstand mehr für die Grammatik; oder es wird dann die Bedeutung der Grammatik auf diejenige zurückgeführt, welche sie bei den Griechen der vor-alexandrinischen Zeit hatte, 7 nämlich auf Kenntniß des Lesens und Schreibens, oder, wenn man will, auf die Lautlehre und die schematische Zusammen- stellung der Wortformen. Je größeres Gewicht wir auf diesen Vorwurf legen, den wir hier Becker machen, die Grammatik gestrichen und mit der Logik vertauscht zu haben: um so sorgfältiger haben wir zuzu- sehen, ob nicht Becker irgend eine Seite an der Sprache gefun- den hat, welche einen Unterschied zwischen Grammatik und Lo- gik begründen und ersterer ein besonderes Dasein verleihen könnte. Wir haben aber zuvor noch einen andern Punkt zu erwäh- nen, der mit dem vorliegenden eng zusammenhängt. Die Gram- matiker haben zu allen Zeiten eine größere oder geringere Ver- schiedenheit der Grammatiken der einzelnen Sprachen zugestan- den. Wenn aber das, was man für Grammatik ausgab, nach Becker vielmehr Logik ist, so versteht sich von selbst, daß diese Unterschiede in den Sprachen nicht existiren können; daß der Bedeutung nach die Sprachformen in allen Sprachen durchaus dieselben sein müssen. Der Begriff des menschlichen Denkens kann sich nur in einer gesetzmäßig organischen Weise beson- dert haben, und es kann der organischen Freiheit nur rücksicht- lich des lautlichen Ausdruckes Raum gestattet werden. Mit dem Satze „die Logik ist nur eine“ wäre auch zugleich ausgesprochen, daß alle Sprachen in der Bedeutung ihrer Formen übereinstim- men. Wir haben also auch zugleich zu sehen, wie sich Becker zu dieser Gleichheit der Sprachen verhält. §. 40. Mangel eines grammatischen Princips. Schon in der Vorrede stoßen wir auf Sätze, welche rück- sichtlich des vorliegenden Punktes Bedenken erregen. Becker sagt (S. XIV.): „Da die Sprache von der sinnlichen Anschau- ung ausgeht und den Gedanken wieder in sinnlicher Anschau- lichkeit darstellt; so haben auch die eigentlichen Denkgesetze als solche keinen besondern Ausdruck, sondern werden unter die Anschauungsformen gestellt.“ Auch sonst wird oft von Becker darauf hingewiesen, daß die Sprache „ursprünglich von der sinnlichen Anschauung ausgeht“, und damit manches, was als Schnitzer gegen die Logik gelten müßte, entschuldigt oder auch erklärt. Wir fragen aber Becker: wie ist es denn möglich, wenn anders die Sprache die organische Verleiblichung des Gedankens ist, daß die Anschauung zwar als Anschauung, aber nicht auch der Begriff und die Formen des Denkens als Begriff und als Denkformen geäußert, im Laute äußerlich werden? Woher kommt es, daß das Organ des Gedankens nicht das Concrete als solches und das Abstracte als solches verleiblicht, sondern dieses durch jenes ersetzt und „Uebergänge von Formen in ein- ander“ gestattet? Hat unser Auge mit seiner vollendeten Bil- dung gewartet, bis die Optik es werde als einen vollendeten Sehapparat construiren können? — Wie ferner die Denkformen und Anschauungsformen von der Sprache nicht geschieden wer- den, so geschieht es auch, sagt Becker (S. 154), „daß in der Sprache sehr häufig Formen, welche die Arten der Begriffe ausdrücken, an die Stelle solcher Formen treten, welche Ver- hältnisse der Gedanken ausdrücken.“ — Wie ist das möglich? Die bloße Verwandtschaft und Aehnlichkeit der hier zu schei- denden Dinge kann doch nicht als Grund, nicht einmal als Ent- schuldigung, für eine Vermischung derselben gelten! Kurz: Alles was im Denken geschieden ist, nicht weniger und nicht mehr, muß sich auch im Laute in jeder Sprache mit klarer Geschie- denheit verleiblichen — oder die Sprache ist eine Mißgeburt. Denn das ist das Wesen der Mißgeburt, daß nahe liegende Organe, welche aber doch geschieden sein sollten, mit einander verwachsen, und daß andere zerrissen sind, welche eins sein sollten. — Auch können wir nicht als Grund gelten lassen, daß für den Menschen im ursprünglichen Naturzustande die Formen des Denkens noch keine Bedeutung haben konnten; daß sie diese doch nur erst später hätten erlangen können. Denn einer- seits sind für das Bewußtsein des sprechenden Menschen auch die Formen der sinnlichen Anschauung nicht; diese sind nur für den Grammatiker. Andererseits aber sind die Formen des Denkens alle auch schon im einfachsten, vielleicht sogar im thierischen Denken, wirklich vorhanden und müßten sich also auch in der ursprünglichsten Sprache finden. Ohne die Kate- gorien der Causalität und des Zweckes z. B. ist menschliches Treiben und Wesen gar nicht möglich; also mußten auch diese Kategorien in der Sprache reine oder eigentliche, ihnen aus- schließlich gewidmete Formen haben: während die Sprache oft noch nicht einmal für die Zeitverhältnisse besondere Ausdrücke hat, sondern dieselben durch räumliche Bezeichnung ersetzt. Ferner aber schafft die Natur, das allgemeine Leben allerdings Dinge, Organe, bevor sie noch gebraucht werden; oder hat etwa das Kind, weil es noch nicht zeugungsfähig ist, keine Geschlechts- 7* organe? Ist also die Sprache organisches Product des allgemei- nen Lebens, so muß sie alles haben, dessen sie je bedarf. Oder wenn man, und mit Recht, annimmt, das Kind habe eben wirk- lich noch keine Geschlechtsorgane, habe sie wenigstens nicht vollständig; nun so erhält es dieselben von selbst, ohne sein Zu- thun. Die Natur selbst füllt die Lücken aus, welche das neu- entstandene Wesen noch an sich trägt. Ist also die Sprache ein organisches Naturproduct, so mußte in dem Augenblicke, wo im Geiste des Menschen eine neue Denkform aufging, gleich- zeitig eine ihr entsprechende Sprachform geschaffen sein, welche ihr leibliches Organ ist. Was ferner den andern Punkt, die Verschiedenheit der Spra- chen, betrifft, so wird sie auch von Becker zugestanden; und wir fragen, mit welchem Recht? Er sagt (S. XVII): „Auf der andern Seite aber kann Niemand mehr, als der Verfasser, der Meinung abhold sein, als müßten sich in jeder Sprache diesel- ben Formen und Ausdrücke der allgemeinen Denkgesetze in gleicher Vollkommenheit entwickelt haben“ — das müßte aller- dings geschehen sein. „Die Denkgesetze sind so allgemein, daß sie sich in tausend Nüancirungen nicht nur aussprechen kön- nen, sondern selbst müssen .“ Hier wird die Spitze der Sa- che durch schwankende Ausdrücke abgestumpft. Die Gesetze der Logik und ihre Kategorien mögen noch so allgemein sein, sie sind scharf bestimmt und haben nur eine Weise der Ver- leiblichung mit so viel organischer Freiheit als Epheublätter oder die Augen der Menschen. Die Logik selbst, ihre Kate- gorien, sind nie nüancirt, immer und ewig sich selbst gleich. — Noch schlimmer ist es, wenn Becker sagt (S. XVIII): „Zugege- ben muß werden, daß der Lautstoff sich zuweilen von der Herr- schaft des Denkgesetzes mehr oder weniger frei gemacht und eine selbständige Entwickelung scheint begonnen zu haben, ja daß diese Entwickelung wieder auf das logische Element mag zurückgewirkt haben.“ Aber wir fragen, wie ist das möglich? Kann sich der materielle Stoff des Tigers von der Herrschaft des Begriffs Tiger frei machen? Welche Mißgeburt wäre das! Kann sich das Auge von der Herrschaft des Sehens befreien? ich kann es schließen — ich kann schweigen und schlafen; es kann erblinden — der Mensch kann stumm sein und sterben; es kann durch Zufall, durch Krankheit oder falsche ursprüngliche Bil- dung falsch sehen — wenn dies in der Sprache geschieht, so hat der Gedanke ein krankes, mißgebildetes Organ. So ohn- mächtig wäre die höchste Besonderung des allgemeinen Lebens, daß es sich nur in einer Mißgeburt offenbaren kann! Das Auge ist regelmäßig gesund; die Sprachen aber wären alle und im- mer krank! §. 41. Erkennen und Darstellen. Abgesehen von diesen Bemerkungen in der Vorrede hat Becker nirgends den Unterschied zwischen Grammatik und Lo- gik berührt, und da auch jene völlig unbegründet sind, so se- hen wir hier wieder Beckers Mangel an Dialektik, d. h. seinen Mangel an klarem Bewußtsein über seine Grundsätze, ihr We- sen und ihre Tragweite. Gewissenhaftigkeit aber gebietet uns, einen Punkt zu untersuchen, der, wenn auch Becker es nicht bemerkt, einen Unterschied zwischen Grammatik und Logik viel- leicht begründen könnte; wir meinen den von Becker aufgestell- ten Unterschied zwischen Erkennen und Darstellen . Es bietet sich leicht der Gedanke dar, Logik sei die Wissenschaft des Erkennens, Grammatik die des Darstellens; aber er bietet sich doch nur dem dar, der einen Unterschied zwischen diesen Disciplinen sucht. Beckers Auge aber war so starr auf die Ein- heit derselben gerichtet, daß er übersah, wie ihm die eine ganz abhanden gekommen ist. Es ist also wohl zu bemerken, daß Becker von jenem Unterschiede zwischen Erkennen und Darstellen gar nicht in der Absicht spricht, in welcher wir hier den Punkt erörtern; daß er ihn gar nicht als den Quellpunkt erkannt hat, durch den die Grammatik erst Möglichkeit und Wirklichkeit gewinnt. Becker kommt vielmehr auf diesen Unterschied erst, nachdem er schon die „organische Lautbildung“ nicht bloß, sondern auch die „organische Wortbildung“ betrachtet hat, in- dem er die „organische Satzbildung“ beginnt, und kommt später beim zusammengesetzten Satze auf denselben zurück. Dieser gilt ihm also gar nicht als etwas, was noch vor dem wirklichen Eingange der Grammatik liegt, sondern als ein Punkt innerhalb derselben; und beide Seiten, Erkennen und Darstellen, gehören nach Becker gleichmäßig der Grammatik an, also vielmehr der Logik, wie wir im voraus zu vermuthen Grund genug haben; was uns indeß nicht dazu bewegen darf, Becker ununtersucht zu verurtheilen. Becker sagt (S. 154): „Betrachtet man das Denken, in der weitesten Bedeutung des Wortes, wie es sich in der Spra- che darstellt; so umfaßt es zwei in ihrer Richtung einander entgegengesetzte Vorgänge, nämlich die Aufnahme des Indivi- duellen in ein Allgemeines und die Zurückführung des Allge- meinen auf das Individuelle … Die Aufnahme des Individuellen in ein Allgemeines ist der eigentlich schöpferische Akt des Gei- stes, durch den die realen Dinge zu geistigen Dingen, zu Be- griffen und Gedanken, werden. Man kann diesen schöpferischen Akt des Geistes, den man unter dem Denken in der engeren Bedeutung des Wortes begreift, in einem näher bestimmten Aus- drucke als das Erkennen bezeichnen. Die realen Dinge wer- den als Individuelles angeschauet, aber nicht erkannt: das Individuelle wird erst, wenn es in ein Allgemeines aufgenommen, und so das Reale ein Geistiges wird, erkannt in dem Allgemei- nen, in der Art . Man sagt, man erkenne ein Ding, wenn man weiß, von welcher Art es ist, ob es z. B. ein Thier oder eine Pflanze oder ein Stein ist. Durch dieses Erkennen wird das Reale zu einem Eigenthume des Geistes; und der Mensch ver- kündet die durch das Erkennen vollzogene Besitzergreifung da- durch, daß er dem Dinge einen Namen giebt. Der Name be- zeichnet die Art des Dinges. So lange man ein Ding nicht erkannt, unter einen Artbegriff aufgenommen, hat, weiß man dem Dinge keinen Namen zu geben. Nur das Sein ist an sich ein Individuelles; daher kann eigentlich nur ein Sein erkannt (in ein Allgemeines aufgenommen) werden. Die Thätigkei- ten sind an sich schon ein Allgemeines“ (wenn es doch Becker beliebt hätte, nur einmal zu sagen, was er unter allgemein ver- steht, warum „Hund“ ein Individuelles, „bellt“ ein Allgemeines sein soll!); „sie werden daher nicht eigentlich erkannt, son- dern nur verstanden, d. h. die Art der Thätigkeit wird auf Individuelles zurückgeführt.“ (S. 156): „Nun ist aber alles Erkennen ein Erkennen des individuellen Geistes, und die durch das Erkennen gewonnene Weltanschauung daher nur eine Weltanschauung des Individuums. Das Denken ist aber eine Verrichtung der ganzen Gattung; und die durch das Denken gebildete Weltanschauung soll die der ganzen Gattung werden. Hierauf gründet sich die organische Nothwendigkeit der Gedankenmittheilung, und die Sprache ist nicht nur der organische Ausdruck des Gedankens in der Er- scheinung, sondern sie ist zugleich das Organ der Gedan- kenmittheilung unter den Individuen. Diese Gedankenmit- theilung fordert nun, daß durch einen dem Erkennen entgegen- gesetzten Vorgang das Allgemeine in dem Denken wieder auf Individuelles zurückgeführt, und in der Sprache als Individuel- les dargestellt werde. Die Gedankenmittheilung geschieht nämlich ebenfalls, indem das Mitgetheilte von dem Empfangen- den nur als Individuelles aufgefaßt, und dann in ein Allgemei- nes aufgenommen wird… Wenn Artbegriffe als ein Allgemei- nes in dem Gedankenverkehr ausgetauscht werden; so werden sie nicht eigentlich mitgetheilt, sondern als schon in dem Geiste des Empfangenden vorhanden, als ein früher schon Erkanntes vor- ausgesetzt. Soll einem Andern ein von ihm noch nicht erkann- ter Artbegriff mitgetheilt werden; so muß der Artbegriff ihm eben so, wie die Dinge in der sinnlichen Anschauung, zuerst als ein Individuelles dargestellt, und das Individuelle dann von ihm selbst in ein Allgemeines aufgenommen werden… Da aber alle Begriffe der realen Dinge einmal als Allgemeines, als Artbegriffe, in den Begriffsvorrath niedergelegt sind; und da nur diese Art- begriffe der Stoff sind, aus dem der Geist Gedanken bildet: so fragt sich, wie es überhaupt möglich ist, daß in dem Gedanken das Allgemeine für die Darstellung auf Individuelles zurückge- führt werde… Der Artbegriff kann nicht durch einen andern Begriff, der ja auch ein Artbegriff ist, individualisirt werden. Die Individualisirung des Artbegriffs in dem Gedanken kömmt nur dadurch zu Stande, daß das unter einer Art begriffene Ding in einer individuellen Beziehung zu dem Denken- den aufgefaßt, und durch diese individuelle Beziehung von der Art ausgeschieden wird, z. B. dieses Pferd, mein Pferd.“ Was haben wir also hier erfahren? Das real Individuelle wird erkannt, das Allgemeine wird verstanden. Der Gedanke, der sowohl Erkanntes als Verstandenes, aber nur Allgemeines enthält, soll dargestellt werden. Darstellen und Verstehen, beide bedeuten: das Allgemeine auf Individuelles zurückführen. Letz- teres soll durch sprachliche Mittheilung geschehen. Hierzu wer- den aber von der Sprache bloß Wörter geboten, welche Allge- meines enthalten. In der Rede wird nun theils das Allgemeine als solches ausgesprochen, und das Verständniß dem Hörer über- lassen; theils wird das Allgemeine dargestellt, d. h. durch die Versetzung in eine Beziehung zum Denkenden individualisirt. Hieraus folgt die Unmöglichkeit, Logik und Grammatik als die Wissenschaften des Erkennens und Darstellens scheiden zu wol- len. Denn die Sprache oder Rede umfaßt mehr als bloß die Darstellung, da sie nicht jedes Allgemeine darstellt, sondern manches Allgemeine nur ausspricht und in dem Geiste des Hö- renden voraussetzt. Die Grammatik als Wissenschaft des Dar- stellens würde somit nicht die ganze Wissenschaft der Spra- che sein. Ferner müssen wir hier aber wieder eine Sophisterei Beckers aufdecken. Er hat mehrmals wiederholt, Darstellen heiße, das Allgemeine auf Individuelles zurückführen. Ganz dasselbe heißt aber bei ihm auch Verstehen. Man kann also nur darstellen, was man verstanden hat, und beide sind nur dadurch verschie- den, daß Verstehen ein Darstellen des Denkenden für ihn selbst ist, Darstellen aber heißt: einem Andern zu verstehen geben. So sagt auch Becker (S. 157): „Ein uns mitgetheilter Gedanke wird um desto leichter verstanden, und um desto vollkomm- ner in unsern Geist aufgenommen, je mehr in dem Gedanken die Dinge in concreter Individualität dargestellt und auf die leiblichen Besonderheiten der sinnlichen An- schauung zurückgeführt werden.“ Hier wird offenbar dem von uns Gesagten gemäß Darstellen als gleichbedeutend mit Verstehen genommen. Das Dargestellte wird dann „wieder er- kannt .“ Ist denn nun aber das, was in der sprachlichen Dar- stellung geschieht und nur geschehen kann, die Versetzung des Artbegriffes in eine individuelle Beziehung zum Denkenden, ein Darstellen „in concreter Individualität“ und ein „Zurückführen auf die leiblichen Besonderheiten der sinnlichen Anschauung“? Hiernach finden wir aber auch eine neue, noch größere Schwierigkeit, Grammatik von Logik zu scheiden. Oben sahen wir nur, daß die Grammatik als Wissenschaft des Darstellens nicht die ganze Sprache umfasse; jetzt sehen wir, daß die Dar- stellung selbst wesentlich nichts anderes ist als Verständniß. Da nun aber dieses eine wesentliche Ergänzung des Erkennens ist und mit letzterem zusammen erst das Denken ausmacht, so gehört auch Verständniß und also auch Darstellen in die Lehre vom Denken, die wir hier kurzweg Logik nannten. Auch nennt Becker ausdrücklich das Darstellen einen Vorgang „im Den- ken.“ Endlich ist es wohl überflüssig, darauf aufmerksam zu ma- chen, wie dieser Unterschied auf dem Spiel mit dem Allgemei- nen und Besondern beruht, also in sich zusammenfällt. Ich bitte jeden Leser, sich zu fragen, was er in den folgenden Sätzen: „der Ring ist von Golde, der Knecht ist treu, das Pferd ist alt“ für das Allgemeine, und was für das Besondere zu halten sich gezwungen fühle, und dann bei Becker (S. 160) zu lesen, daß Ring, Knecht und Pferd eine Art des Seins, also ein Allgemeines, sind, welches auf Gold, treu, alt, als eine Unterart, also ein Besonderes, zurückgeführt werden; dagegen ist in dem Satze: „der Feind flieht“ (S. 162) der Feind das Besondere, welches in das All- gemeine „flieht“ aufgenommen wird, und in „der fliehende Feind“ ist „Feind“ das Allgemeine und „fliehen“ das Besondere (S. 160). Wie aber ferner der Widerspruch zu lösen ist, daß S. 157 ge- sagt wird, „ein Begriff könne nicht durch einen andern Begriff individualisirt werden,“ dagegen S. 160 gezeigt wird, wie „die Sprache die Individualisirung des Subjectes in dem attributiven, und die des Prädicates in dem objectiven Satzverhältnisse dar- stellt“, mag jemand zu lösen versuchen, dem es besser als uns gelingt, sich in Beckers Ansicht über das Allgemeine und Be- sondere zu finden. §. 42. Logische und grammatische Form. Wir müssen aber noch eines andern Unterschiedes geden- ken, der sich eng an den vorigen anschließt, nämlich zwischen logischer und grammatischer Form des Satzes. Becker lehrt, jeder Satz und jedes Satzverhältniß bildet eine Einheit, natür- lich eine organische. Das Wort, auf welches zurückgeführt, in welches aufgenommen wird, ist das bezogene Wort; dasjenige, welches aufgenommen und zurückgeführt wird, ist das Bezie- hungswort . Jenes enthält den übergeordneten, dieses den un- tergeordneten Begriff. „Man unterscheidet daher den logischen Werth der Factoren, und sagt, der bezogene Factor habe den größern logischen Werth.“ Diese logische Unterordnung er- zeugt eben die organische Einheit. Positive und negative Elek- tricität zwar, wie Nord- und Südpolarität bilden, wie Becker nicht läugnen wird, eine strenge organische Einheit, sind aber einan- der keineswegs untergeordnet; ja es gehört sogar zum Wesen des Gegensatzes, daß seine Glieder nebengeordnet seien. Da aber Becker im Satze alles nach dem Gegensatze vom Allge- meinen und Besondern bestimmt, diese aber im Verhältnisse der Unterordnung stehen — woraus freilich mancher schließen würde, daß sie nicht im Verhältnisse des Gegensatzes stehen —, so kann im Satze die Einheit nur durch Unterordnung und nicht durch Verbindung von „Gleichem mit Gleichem“ entstehen. „Wir be- zeichnen nun, sagt Becker (S. 163), die durch diese Unterord- nung der Factoren bedingte Einheit des Gedankens als die logische Form des Satzes .“ Diese logische Form des Ge- dankens gehört in die Logik. Was hat die Grammatik, wenn sie etwas anderes sein soll als Logik, mit ihr zu schaffen? (§. 47): „Von dieser logischen Form muß man die gram- matische Form unterscheiden, unter der wir die nach ihren Arten unterschiedenen Verhältnisse begreifen, in denen der Ge- danke entweder das Besondere in ein Allgemeines aufnimmt, oder das Allgemeine auf ein Besonderes, und zwar entweder auf eine Unterart oder auf Individuelles zurückführt.“ Also sind diese grammatischen Formen nur die Arten der logischen Form. Diese beruht darauf, daß das Besondere und Allgemeine einander un- tergeordnet werden; die besondern Arten dieser Einheit entste- hen durch die verschiedenen Verhältnisse des Gegensatzes von Thätigkeit und Sein, was ja gleichbedeutend ist mit Allgemei- nem und Besonderm. „Man nennt diese nach ihrer Art unter- schiedenen Verhältnisse der grammatischen Form die Bezie- hungen der Begriffe, und diese Beziehungen werden im Allge- meinen durch die Flexion ausgedrückt.“ Da wir hier nur Beziehungen der Begriffe, Unterarten der logischen Form, begründet durch den logischen Gegensatz von Thätigkeit und Sein, haben, so haben wir hier auch nur logischen Stoff, nichts der Grammatik Eigenthümliches, oder überhaupt nichts Gram- matisches. Ja Becker wiederholt gerade bei dieser Gelegenheit (S. 168) wieder: „Es ist die eigentliche Aufgabe der Logik, die Formen nachzuweisen, in welche der Geist die realen Dinge und ihre Verhältnisse faßt, indem er sie in Begriffen und Ge- danken zu seinem Eigenthum macht. Da aber die Sprache nichts anderes ist, als der in die Erscheinung tretende Gedanke, so geben sich die Formen des Denkens vorzüglich in der Spra- che zu erkennen, und sie stellen sich in ihren Besonderheiten zunächst in den Formen der grammatischen Beziehungen dar.“ Diese Beziehungen sind also vielmehr nicht grammatisch, son- dern logisch. Ein letzter Unterschied, den Becker macht zwischen „Be- ziehungen der Begriffe auf einander“ und „Beziehungen der Be- griffe auf den Sprechenden,“ fällt zusammen mit dem Unter- schiede der logischen und grammatischen Form; und wenn man etwa Hoffnung gehabt hat, in den Beziehungen der Begriffe auf den Sprechenden etwas echt Grammatisches gefunden zu haben, so enttäuscht uns Becker S. 173, wo unter denselben begriffen werden „die Zeit- und Raumverhältnisse, die Verhältnisse der Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit, der Möglichkeit und Noth- wendigkeit und die Größenverhältnisse“ — Dinge, die doch wohl nicht in der Grammatik erörtert werden können. Hiermit sei es genug, um zu zeigen, daß bei Becker die Grammatik weder ein eigenthümliches Princip noch einen be- sonderen Inhalt haben kann; daß sie gänzlich von der Lehre des Denkens verschlungen wird. Da nun aber Becker der Gram- matik trotzdem ein eigenthümliches Dasein und Wesen zugesteht, so erklärt er hiermit seine Unfähigkeit, das wahre Wesen der Grammatik zu begreifen. Nach Beckers Princip sollte die Gram- matik bloß Logik sein; dasselbe Princip aber will Princip einer Grammatik sein, die nicht Logik ist; also ist Becker wi- derlegt, indem seine Voraussetzungen das, was sie schaffen sol- len, verläugnen, oder indem jene Voraussetzungen sich als un- fähig erweisen, die Wissenschaft zu begründen, welche sie be- gründen wollen. B. Widerstand der Grammatik und Logik gegen ihre wechselseitige Vermischung. §. 43. „Es ist der Charakter der Deutschen, daß sie über allem schwer werden, daß alles über ihnen schwer wird“: darüber hat schon man- cher Deutsche geklagt. Von Zeit zu Zeit könnte man aber wohl se- hen, wohin es führt, wenn ein Deutscher leicht wird und sich die Sa- chen leicht macht. Mag es also ein Fehler sein, daß wir in dem vor- liegenden Werke über der Unterscheidung der Grammatik und Lo- gik von einander schwer werden — wir sind mit unserm Fehler nicht unzufrieden, zumal wir bei dieser Gelegenheit noch nicht einmal Geschmack finden können an der französischen Leichtigkeit der Logique de Port-Royal , welche ein Capitel über allgemein gram- matische Punkte so einleitet: Il est peu important d’examiner si c’est à la grammaire ou à la logique d’en traiter, et il est plus court de dire, que tout ce qui est utile à la fin de chaque art lui appartient, soit que la connaissance lui en soit particu- lière, soit qu’il y ait aussi d’autres sciences qui s’en servent. — Sans doute, Mr., antworten wir, das ist sehr kurz; der Deutsche aber übertrifft Sie noch an Kürze; denn darüber verliert er viel- mehr gar kein Wort. Ihre kurze Rede ist um ihre ganze Kürze zu lang; denn dergleichen braucht nicht gesagt zu werden. Die deutsche Länge und Schwere erstreckt sich über die Frage, ob es denn auch dem Endzweck der Logik und Grammatik för- derlich sei, sie mit einander zu vermischen. Wir glauben mit Kant und Herbart, es ist „nicht Vermehrung, sondern Verun- staltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen in einan- der laufen läßt“; und wenn man dagegen bemerkt hat: „Kant mag Recht haben, so lange man die Felder der Wissenschaften neben einander abmarkt, wie verschiedener Herren Eigenthum. Eine solche Ansicht, die die Dinge im Raume fertig neben ein- ander stellt, muß der Entwickelung Platz machen, die das Ver- wandte aus dem gemeinsamen Grunde zu begreifen trachtet“; so ist hier vor allem die Frage, ob Logik und Grammatik der- artig verwandt sind, daß sie aus einem gemeinsamen Grunde begriffen werden können; oder ob sie vielleicht beide getrübt und verfälscht werden, wenn man ihnen einen gemeinsamen Grund unterschiebt. Der Fehler, die Grammatik durch Logik zu verfälschen, ist freilich sehr alt, so alt wie die Grammatik selbst. Er beginnt mit Plato und wächst fortwährend bis auf Becker. Nach sei- nem vollen Umfange erkannt und in seiner ganzen Bedeutung gewürdigt kann er erst dann werden, wenn wir das besondere Princip der Grammatik werden kennen gelernt haben. Hier aber können wir dennoch schon einige Punkte hervorheben, wel- che gegen einen gemeinsamen Grund der Grammatik und Logik sprechen und für die Grammatik ein eigenes Dasein, folglich ein eigenes Princip, in Anspruch nehmen. Wir werden sehen, wie eben so wohl die Grammatik als auch die Logik gegen ihre ge- waltsame Vermischung Einspruch erheben, mit dem Unterschiede, daß jene sich gegen ihre Vernichtung, diese gegen unangemes- sene Füllung zu wehren hat. §. 44. Schluß nach Analogien. Wir hoffen, schon hier eine wenigstens ungefähr zutreffende Vorstellung von dem eigenthümlichen Wesen der Grammatik er- wecken und dadurch diesen vorläufigen Bemerkungen eine be- stimmtere Richtung und damit zugleich mehr Deutlichkeit und größere Bedeutsamkeit geben, auch über die Möglichkeit und Wichtigkeit des begangenen Fehlers schon ein gewisses Licht fallen lassen zu können, wenn wir ein Beckersches „wie … so“ in seine wahre Form, ein „wieso?“ verwandeln und zu beant- worten suchen. Becker hat oft das Auge, überhaupt organische Verrichtungen mit dem Sprechen verglichen. Die Grammatik soll die Physiologie der Function des Sprechens sein, wie es auch eine Physiologie des Sehens, Hörens, Athmens u. s. w. giebt. Es giebt aber außerdem noch eine physikalische Disciplin der Optik, Akustik und eine physikalische und chemische Erkennt- niß der Luft. Es giebt auch ferner eine Wissenschaft von den Formen der Größen, welche gesehen werden (Mathematik), von dem Rhythmus, der Harmonie und Melodie, von gesunden und schädlichen Gasen. Was würde man nun zu dem Physiologen sagen, welcher eine physiologische Darlegung des Sehens oder Hörens oder Athmens verspräche und, nachdem er uns die ana- tomischen Theile des Auges, des Ohres, der Lungen gezeigt hat, die physikalischen Eigenschaften des Lichts, des Tones, der Luftarten erörterte, und sogar vom Verhältnisse zwischen Kreis und Viereck, von der Octave und von den tödtlichen Luftarten spräche? Gerade dies aber thut die logische Grammatik. Sie giebt zuerst die Anatomie der Sprachformen, und wenn man nach der physiologischen Bedeutung derselben fragt, wenn man den Proceß des Sprechens, wie den des Sehens, dargelegt haben will, dann ist von den Formen des Gedankens die Rede. Nun sollte der Gedanke der Reiz zum Sprechen sein, wie das Licht der Reiz für das Auge und die Luft für die Lunge; also ist es nichts anderes, in der Grammatik von den Formen des Gedankens re- den, als in der Physiologie physikalische Optik geben. Ja, man spricht endlich vom Unterschiede zwischen Person und Sache, wie denn überhaupt vorausgesetzt wird, daß die metaphysischen Gedankenbestimmungen in Wirklichkeit existiren, und so kommt man in der Grammatik auf Dinge, die sich zum physiologischen Proceß des Sprechens verhalten, wie die mathematische Be- trachtung des Vierecks und Kreises zur physiologischen des Sehens. Hieraus ersieht man nun wohl ein Doppeltes: erstlich, welche Bedeutung der begangene Fehler hat. Wer uns in der Phy- siologie des Gehörs zeigt, durch welche Anzahl von Luftschwin- gungen jener tiefe und durch welche andere jener hohe Ton erzeugt wird: der spricht nicht vom Hören, sondern vom Gehörten; ebenso spricht der Grammatiker, indem er von Thätigkeit und Sein spricht, nicht von den Formen des Sprechens, sondern von denen des Gesprochenen; und wie die Farben und der Kreis ein Gesehenes sind, dessen Definition und reale Entstehung nicht in die Wissenschaft vom Sehen gehört, so ist auch der Gegensatz, die Besonderung des Allgemeinen, Form des Gesprochenen, d. h. Gedachten, und gehört nicht in die Wissenschaft vom Sprechen. Andererseits sieht man aber auch, wie nahe die Verwechslung lag. Auch die Physiologie spricht von den Farben und For- men der Dinge, von der chemischen Wirkung der Luft, freilich in anderer Beziehung als die Optik und Chemie. In der Spra- che aber ist es nicht bloß viel schwerer, die verschiedenen Be- ziehungen aus einander zu halten, sondern auch nur erst etwas zu finden, was als Vorgang des Sprechens dem Gesprochenen, dem Gesagten, so gegenübertrete, wie das Sehen dem Gesehe- nen. Einstweilen halten wir nur fest, daß ein solcher Unter- schied sich aus der Analogie mit den Naturwissenschaften er- giebt; man halte ihn also zunächst für möglich. Analogien sind Gängelbänder, für das erste Betreten einer wissenschaftlichen Bahn nützlich und vielleicht unentbehrlich; sie beweisen nichts, regen aber an. Also noch ein paar Ana- logien; aber behutsam! Irgendwo wird gelegentlich bemerkt: „In den Sprachen, als Zeichen der Gedanken, spiegeln sich die Gedanken selbst, also auch deren Bestandtheile sammt ihren Verhältnissen. Nimmt man aus der Sprache die Nomina pro- pria hinweg, so bleiben Worte von sehr allgemeinem Gebrauche. Bestimmt nun der Sprachforscher die Bedeutung der einzelnen Worte, so ist er im Gebiete der allgemeinen Begriffe und steht hier mit den Philosophen auf gleichem Boden“. — Durch- aus nicht; sondern der Grammatiker beschäftigt sich bloß mit den in der Sprache abgespiegelten Bildern der Begriffe. Diese Bilder sind aber nicht die Begriffe selbst. Wenn die Sprache eine Art Hohlspiegel wäre, oder in gewisser Weise farbig, wie würden die Bilder den Begriffen entsprechen! Die Sprache ist das Bild, die Darstellung des Gedankens. Ein Maler stellt in einem Bilde den Uebergang Cäsars über den Rubicon dar; der Aesthetiker will uns dies Kunstwerk analysi- ren. Wenn er nun in dieser Absicht die Geschichte Cäsars nach den historischen Quellen erzählte, was hätte er gethan? Dasselbe, was der Grammatiker thut, der die Formen des Ge- dankens, welcher in der Sprache dargestellt ist, statt der Form dieser Darstellung erörtert. Wir stehen vor der Bildsäule Alexanders; was haben wir vor uns? Den Stein-gewordenen Alexander? so wenig wie das Wort das Laut-gewordene Ding ist. Das Wort aber soll der verlautlichte Gedanke sein; ist etwa die Bildsäule Alexanders der versteinerte Gedanke von jenem Jüngling, der das zersplit- terte Hellas um sich schaarte, das morsche Asien zertrümmerte und in einer neuen Stadt seines Namens einen Mittelpunkt der Cultur und Civilisation schuf, in welchem die ganze alte Welt zusammentraf? Auch das nicht! die Bildsäule ist die dem Stein angebildete Anschauung des Künstlers. Dann ist aber auch das Wort nicht der verleiblichte Begriff. Der Aesthetiker erzählt uns nicht die Geschichte Alexanders und Cäsars, sondern zeigt, wie die Geschichte dieser Helden in der Anschauung des Künst- lers ein Spiegelbild hat; so erzählt uns der Grammatiker nicht in Beckers Weise von den Formen des Denkens und des Ge- dachten, sondern er zeigt uns in der Sprache ein Spiegelbild der äußern und innern Welt nach Form und Inhalt derselben. Der Webstuhl ist der verkörperte Gedanke des Webens; der Techniker soll ihn uns analysiren. Er berichtet aber von den Gesetzen des Hebels, der Structur und Wirkungsweise der Muskeln, dem Knochenbau, und endlich gar von den gewebten Stoffen: ein solcher Techniker ist der logische Grammatiker. Man sieht wohl, der logische Grammatiker ist gar nicht mehr bei der Sprache; er spricht nur von Dingen, die in nähe- rer oder fernerer Beziehung zu ihr stehen; er ist beim Gedan- ken, und also — um es kurz auszudrücken — Logiker. Die- logische Grammatik ist Logik. §. 45. Unfügsamkeit der Sprache unter die Logik. Geht denn nun aber wohl die ganze Sprache hinein in die Logik? Wir haben schon oben gesehen, wie Becker selbst meh- rere Punkte zugestand, die sich der Logik nicht fügen wollen. Wir haben oben Becker das Recht bestritten, deswegen der Grammatik ein selbständiges Dasein zu verleihen; denn sein Princip vernichtet diese Selbständigkeit der Grammatik, macht sie vollständig der Logik selbig, und Becker hat nicht das Recht zu sagen, die Grammatik weiche irgendwo von der Logik ab, weil er diese Abweichung nicht rechtfertigen, nicht begreifen kann. Hier heben wir aber diese Punkte stark hervor, um dar- auf hinzuweisen: wenn die Sprache die Macht hat, sich der Logik entgegenzustellen, etwas anderes als Logisches zu geben, sogar der Logik Widersprechendes, so kann sie dies doch wohl nur — wie wenigstens zu vermuthen steht —, weil in ihr ein eigenthümliches Leben webt, eine selbständige Kraft herrscht, die keinen Herrn anerkennt. Wäre die Sprache der organisch verleiblichte Gedanke, im Sinne der logischen Grammatik, wäre die Grammatik die in Lautformen organisch ausgeprägte Logik, so wäre unbegreiflich, wie beide sich nicht vollständig decken. Die Sprache zeigt aber, an der Logik gemessen, bald Lücken, bald Ueberfluß, bald Verschiedenes, bald Widerspruch. Also — ich kann nicht anders schließen — muß das vorausgesetzte Verhältniß zwischen Grammatik und Logik falsch sein. Becker versichert uns in der Vorrede (S. XIV), daß, wenn er „von der Logik der Sprache redet, nicht das logische System irgend einer Schule gemeint ist. Er ist nirgends davon ausge- gangen, Anschauungs- und Denkformen in der Sprache auffin- den zu wollen, sondern hat die vorgefundenen Sprachformen zu- nächst immer nach ihrer nächsten Bedeutung aufgefaßt und zu- sammengestellt; und wenn sich die größeren Gruppen, die auf diese Weise entstanden waren, zuletzt als von wenigen Gesetzen der Gedankenentwickelung beherrscht zeigten, so war das ein Resultat, das ihn selbst oft wunderbar überraschte.“ Das wol- len wir ihm alles gern zugestehen. Nur finden wir in seiner „wunderbaren Ueberraschung“ das Geständniß, daß er ein schlech- ter Psycholog ist, der nicht begreift, wie der Mensch findet, was er will, ohne zu wissen, daß er bloß findet, weil er will; — wir sehen hierin ferner, daß er ein schlechter Kritiker ist, der nicht weiß, daß auch Fehler eine Uebereinstimmung zeigen, beson- ders wenn man nicht genau, dialektisch scharf hinsieht; — wir sehen auch seinen Mangel an Kritik offen eingestanden in dem Geständniß, daß er „die vorgefundenen Sprachformen zunächst immer nach ihrer nächsten Bedeutung aufgefaßt hat“; denn wer sagt ihm, daß die nächste Bedeutung die wahre sei? — end- lich aber ist es sehr gleichgültig, welche Logik man in der Sprache findet, ob die Logik dieser oder jener Schule oder überhaupt die Logik einer Schule; und ohne zu fragen, ob es eine Logik giebt, die nicht einer Schule angehörte, und wär’s auch nur der Beckerschen, so zeigt sich nach dem Obigen, daß über- haupt in der Sprache nicht die Logik verleiblicht sein kann. Becker sagt (S. 168), nachdem er wiederholt die Sprache „den in die Erscheinung tretenden Gedanken“ genannt hat, des- sen Formen „in der Sprache zu erkennen“ seien, Folgendes: „Wenn wir nun auch den Gegenstand nicht auf eine erschö- pfende Weise betrachten können; so müssen wir doch hier ver- suchen, die besondern Formen des Denkens, wie sie in den un- terschiedenen Formen der grammatischen Beziehungen hervor- treten, näher zu bezeichnen.“ In einem so ausführlichen, diesem Gegenstande ganz gewidmeten Werke, wie sein Organism ist, mußte aber von dem Principe die Forderung gestellt werden, sämmt- liche logische Formen aufzustellen und für jede die grammati- sche Form nachzuweisen; weder hätte eine logische Form ohne lautlichen Ausdruck, noch eine grammatische Form, ohne ihre logische Stelle zu finden, übrig bleiben dürfen. Becker dagegen zählt hierauf in der losesten Einführungsweise vier Formen auf, Raum und Zeit, Gegensatz und Causalität, an welche er einige andere anschließt. Diese Kategorien zeigen sich aber in der Sprache gar nicht in dieser logischen Einfachheit und Reinheit; und diese Umgestaltung der Logik in die Grammatik bekundet eine eigenthümliche Macht der Sprache, im Gegensatze zur Lo- gik, und von ihr abhängig. § 46. Rückweisung der Grammatik durch die Logik. Noch unglücklicher aber lief die Logificirung der Gram- matik bei einem Logiker ab, der uns mittelbar durch Becker selbst, unmittelbar aber durch einen viel höher stehenden Mann, durch Trendelenburg (I, S. 315), empfohlen ist, nämlich E. Rein- hold. Sein Unternehmen mußte um so mehr mißlingen, je strenger er sich auf logischem Standpunkte hielt; ja, weil er wirklich lobenswerth streng war, schlug die beabsichtigte Auf- nahme in eine völlige Abweisung um. Er lehrt uns (Lehrbuch der philosophisch-propädeutischen Psychologie und der formalen Logik, 2. Aufl. 1839. S. 327 u. ff.): „Gemäß dem Verhältniß, in welchem die Wortsprache zu dem bewußtvollen Vorstellen steht“ (nämlich das Wort ist Zeichen der Vorstellung), „gebührt der Logik die Begründung und Nachweisung der für die gram- matische Vermittlung des Denkens schlechterdings erforderlichen Sprachformen, und die Hervorhebung ihres Unterschiedes von 8 den übrigen, welche nur die Gewandtheit, Bequemlich- keit und Leichtigkeit in der Gedankenverbindung und in dem Gedankenausdruck bedingen und befördern.“ Dieser Ein- gang spricht schon in vollständiger Bestimmtheit aus, daß es unmöglich ist, die Grammatik ganz und gar zu vernichten und ihren Inhalt der Logik anzueignen. Diese Aneignung will nur zur Hälfte gelingen; die andere Hälfte ist das eigenthümliche Erzeugniß der Sprache, und die Triebkraft desselben ist „Ge- wandtheit, Bequemlichkeit und Leichtigkeit“ — wessen? der Sprache, oder Reinholds und Beckers? Diese Worte haben uns lebhaft an einen Satz der Grammaire générale et raisonnée de Port-Royal erinnert, wo über die Geschlechtsendungen der Ad- jectiva Folgendes gelehrt wird: Comme les noms adjectifs de leur nature conviennent à plusieurs, on a jugé à propos, pour ren- dre le discours moins confus, et aussi pour l’embellir par la variété des terminaisons, d’inventer dans les ad- jectifs une diversité selon les substantifs auxquels on les appli- querait . Vielleicht indessen vermuthet der Leser mit uns, daß die nicht-logischen Formen der Sprache auch für die Grammatik die unwesentlichen sind, wogegen der wesentliche Theil der Grammatik vielmehr der Logik gehört. Reinhold fährt fort: „Nun sind die Sprachformen sämmtlich auf die gewöhnlich so genannten Redetheile oder Wortarten, und auf die Beugung und die Stellung der Worte im Satze und in der Verknüpfung der Sätze zurückzuführen. Aber von der Flexion ist gleich im Voraus zu bemerken, daß sie keine andern als in logischer Hin- sicht außerwesentlichen Formen enthält, und gleichfalls gilt dies von der Wortstellung, daß sie in keinem Zusammenhange unserer Vorstellungen mit Nothwendigkeit durch das Denken bestimmt wird. Daher bleibt die Ausführung jenes Problems auf den engen Bezirk einer Ableitung der Wortarten aus den Classen der Einzelvorstellungen beschränkt.“ Wenn nun die Flexion ohne Widerrede der wesentlichste Theil der Grammatik ist, so fällt die Grammatik gerade mit ihm aus der Logik her- aus. Das ist begreiflich mit Reinholds „Leichtigkeit und Be- quemlichkeit“ und dem französischen juger à propos et embellis- sement, aber nicht nach Beckers Organismus. Wir sind nicht halsstarrig; lassen wir die Flexion als lo- gisch unwesentlich fahren! Die Redetheile sind ja das eigent- liche Wesen der Flexion; wenn nur sie logisch sind! Wie steht es mit ihnen bei Reinhold? Sehen wir nur sogleich das Ender- gebniß seiner Ableitung (S. 330): „Demnach sind die Grund- bestandtheile der Sprache, welche durch die logische Natur des bewußtvollen Vorstellens mit Unerläßlichkeit erfordert werden: 1) das ursprüngliche Substantiv, 2) das ursprüngliche Adjectiv, 3) das aus dem ursprünglichen Adjectiv abgeleitete Substantiv.“ Weiter nichts? — Nein! — Und das Verbum? ist logisch un- wesentlich. Die Copula, lehrt Reinhold, wird von der Logik nicht gefordert; die bloße Nebeneinanderstellung des Subjects und Prädicats genügt. Das Verbum Sein ist das ursprüngliche Zeitwort und ist eine Verbindung der Copula mit der Zeitbe- stimmung. Verbindet man mit diesem schon eine Verbindung enthaltenden ursprünglichen Zeitwort Sein noch das Adjectivum, so erhalten wir „das abgeleitete Zeitwort, das gewöhnlich sogenannte Verbum.“ Endlich ist noch das Zahlwort „durchaus erforderlich“. — Und Adverbium, Artikel, Pronomen, Präposi- tion? nichts als das „Bedürfniß eines leichtern und bequemern Ausdruckes“. Das zeigt denn doch wohl genügend, wie schwer und unbequem sich die Grammatik für die Logik macht. Wir sind nicht halsstarrig. Ist es nicht vielleicht ein blo- ßes Vorurtheil, welches wir Grammatiker haben, daß wir so viel Gewicht auf das Verbum legen? Laß fahren Verbum, Pro- nomen, Präposition, Adverbium! Besser ein kleiner Besitz, aber sicher und gehaltvoll, als ein großer, aber unsicher und leeres Wort. Wir sind zufrieden! Von der ganzen Grammatik ist nichts weiter wesentlich als Substantiv und Adjectiv, und diese gehören der Logik, und da hierauf, auf der logischen Natur der Sprache, nach Becker ihre organische Natur beruht, so soll sie immer noch organisch sein, und wir nehmen nur noch eine An- merkung Reinholds mit. „Was hier durch die logische Natur unseres Denkens zunächst schlechthin erfordert wird, ist nur das Vorhandensein jener Wortarten als der grammatischen Vorstel- lungsmittel der angegebenen Bestandtheile des Urtheils. Daß jene Arten sich auch durch ihre grammatischen Formen von einan- der unterscheiden, ist zwar sehr zweckdienlich ( à propos ) und wird in diesem Sinne durch die Logik von der Sprache ver- langt; aber es ist nicht unumgänglich erforderlich, wird nicht mit strenger Nothwendigkeit erheischt.“ Somit begiebt sich die Logik aller Forderungen an die 8* Grammatik, und die Sprache schafft ihre Formen in eigenem Drange, nach eigenen Gesetzen, in unveräußerlicher Selbstherr- schaft. Becker, der nur logische Gesetze kennt, ist ihrem Ge- biete fern geblieben. Die obigen Analogien lassen uns aber zu- gleich den Grund dieser Verschiedenheit von Grammatik und Logik wenigstens ahnen. C. Vermittlung zwischen Grammatik und Logik. §. 47. Beckers falsche Anklage. Beckers logische Betrachtung der Sprache ist, wie schon bemerkt, die älteste und zugleich nie aufgegebene Weise der Grammatik. Nur in neuester Zeit haben sich Stimmen erhoben, welche die Grammatik von der Logik trennen und selbständiger hinstellen wollen. Wenn nun Becker sagt, dieses Widerstreben, in der Grammatik nichts als Logik zu sehen, wurzele, genau betrachtet, in der verschollenen Ansicht von einer künstlichen Erfindung der Sprache; so ist das den Thatsachen Hohn ge- sprochen. Jene logischen Grammatiker gerade behaupteten die Erfindung der Sprache, und wir haben mehrere Male gesehen, wie Becker, weil er Logiker ist, nur von einer künstlichen Er- findung der Sprache zu reden vermag; jetzt aber endlich, nach- dem mit einer tiefern Ahnung von dem Wesen und dem Ur- sprung der Sprache zugleich ein feineres Gefühl für ihre Eigen- thümlichkeiten herrschend geworden ist, wird auch die Forde- rung laut, daß die Grammatik von der Herrschaft der Logik zu befreien sei. Wir begrüßen sie freudig als von bester Vor- bedeutung, obwohl wir uns ihr nicht vollständig anschließen können, weil sie uns noch nicht klar genug über ihr Wesen zu sein scheint. Ihr zu dieser Klarheit zu verhelfen, tragen wir mit aller Kraft bei, und wissen uns in diesem Bemühen in der Gesellschaft der besten Männer. §. 48. Verschiedenheit zwischen Grammatik und Logik nach Trendelenburg. Je weitere und gründlichere Ausbildung die Etymologie in diesem Jahrhunderte erlangte, je mehr die Vergleichung der Sprachen in die unterscheidenden, individuellen Merkmale der- selben eindrang, um so mehr drängte sich der Forschung ein Wesen der Sprache auf, welches logisch unmeßbar blieb, häufig auch der Logik und dem wahren Sachverhältnisse widersprach. Ohne sich aber tiefer auf den Grund, auf die Möglichkeit die- ser Erscheinungen einzulassen, faßte man sie im Allgemeinen zusammen unter dem Ausdrucke: Autonomie oder Indivi- dualität der Sprache. Man suchte, wie es scheint, fast mehr eine Entschuldigung als einen Grund für die Verstöße der Sprache gegen die Logik, und die wirkliche Erkenntniß der Sache in der Naivetät des Volksgeistes, welcher die Sprache schuf, in seiner kindlich poetischen Anschauung, welche Todtes belebt, logische Unterschiede übersieht, andere der Anschauung zugänglichere an die Stelle jener setzt u. s. w. Vielleicht spricht sich hier- über Niemand so gut aus wie Trendelenburg (I. S. 317): „Die Sprache stellt überhaupt die Welt des Sprechenden dar und die fremden Dinge als die eigenen. Daher wird sie, je näher dem Anfange, desto mehr eine Richtung auf subjective Bezeichnungen haben. Denn die hervorbrechende Sprache ist die erste leben- dige Rückwirkung des individuellen Geistes gegen den Sturm der Eindrücke von außen. Der Geist befreiet sich von der auf ihm lastenden Masse und von der bunten Menge, indem er die Dinge bezeichnet und sich dadurch in ihnen zurecht findet. Der Sprechende ist sich gleichsam der Mittelpunkt des Weltalls, ähn- lich wie sein Standort als der Mittelpunkt des Horizonts er- scheint, und wie in der geographischen Vorstellung der Kindheit der Wohnort den Mittelpunkt des Erdkreises bildet … In der Sprache ist der Mensch das Maß der Dinge. — Mit dieser subjectivirenden Richtung ringt das Recht des sich objectiviren- den Geistes. In dem Erkennen wird das Denken gleichsam zur Sache; es will diese und nur diese in ihren Verhältnissen und ihrer Entstehung. Dieser nothwendige Drang prägt sich dem- nach ebenso in der Sprache aus, und man gewahrt mit der er- starkenden Reflexion diese zweite Richtung, auf ähnliche Weise, wie in der organischen Entwickelung der griechischen Literatur die der Wirklichkeit zugewandte Prosa später als die Poesie erscheint. — Obwohl sich demnach zwei entgegenstrebende Rich- tungen in der Sprache werden verfolgen lassen, so könnte es doch leicht geschehen, daß diese oder jene Kategorie, die lo- gisch betrachtet auch einen objectiven Charakter hat, in der Sprache nur einen subjectiven Ausdruck empfangen hätte, und es wäre von vorn herein ein wesentlicher Unterschied der grammatischen und logischen Kategorien wahrschein- lich .“ Diese Bemerkung ist allerdings nur bei Gelegenheit des einen Punktes, nämlich der subjectiven und objectiven Bedeu- tung der Kategorien gemacht; aber sie läßt sich, ohne ihr Ge- walt anzuthun, viel weiter ausdehnen, und fordert dies sogar. Denn die subjectivirende Richtung der Sprache wird tausend- fach mit der objectiven Richtung der Logik und Erkenntniß in Zwiespalt gerathen. So erlangen wir hier einen Blick in die Möglichkeit der Grammatik als einer von der Logik unterschie- denen Disciplin. Becker darf sich auf diese subjectivirende Rich- tung der Sprache nicht berufen; denn ist die Sprache die or- ganische Verleiblichung, das Organ des Denkens, so ist sie an sich das objective Denken selbst, und es kann in ihr keine sub- jectivirende Richtung herrschen. Mit der obigen Bemerkung Trendelenburgs ist der Beckersche Gedankenkreis vollständig durchbrochen; wir sind aus dem Gebiete objectiver Verleibli- chung herausgehoben und in das subjective Gebiet der mensch- lich-geistigen Thätigkeit versetzt. §. 49. Die logische Grammatik bei Humboldt. Um aber volle Klarheit über das Wesen dieser vermitteln- den Ansicht zu gewinnen, müssen wir uns doch an Humboldt wenden, der wohl ihr vorzüglichster Vertreter genannt werden muß. Nur müssen wir sogleich hier bemerken, daß nicht auch umgekehrt diese Vermittlung die vorzüglichste Seite Humboldts ist, wie sie denn auch nur in seiner ersten Abhandlung über das vergleichende Sprachstudium ausgesprochen ist, in der Ein- leitung in die Kawi-Sprache aber durchaus zurücktritt. Doch läßt sich auch andererseits nicht sagen, daß Humboldt dieselbe jemals aufgegeben habe. Sie scheint mir nun folgende zu sein. Die Kategorien der Sprache sind dem größten Theile nach logischen Wesens, allgemeine Denk- und Anschauungsformen, die ein abgeschlossenes System bilden. Dieses System aber der grammatischen oder grammatisch-logischen Formen gehört, eben weil es ein logisches ist, gar nicht der Sprachwissenschaft an, wenigstens noch nicht eigentlich und streng genommen; sondern es bildet ihren allgemeinen Hintergrund. Es enthält die Lehn- sätze aus der Logik, welche der Sprachwissenschaft unerläßlich sind. Das ist es nun, was man philosophische oder allgemeine Grammatik nennen mag, was aber noch gar nicht Grammatik ist, sondern nur eine Zusammenstellung der logischen Katego- rien, welche für die Grammatik in Betracht kommen. Anderer- seits aber ist dieses Kategoriensystem doch auch nicht mehr rein logisch; denn es enthält nicht bloß reine Lehnsätze aus der Logik; sondern die Kategorien sind schon in ein be- stimmtes, nicht durch die Logik gegebenes, Verhältniß zu einander gebracht, und in bestimmter, nicht von der Logik vor- gezeichneter, Weise modificirt worden. Das Leitende dieser Verhältnisse und Modificationen aber ist die Rücksicht auf die Grammatik, auf die Bedürfnisse der Sprache. Diese logische Grammatik, welche weder Grammatik noch Logik ist, bildet das vermittelnde Glied zwischen beiden und spricht, wenn man einer- seits von der Logik ausgeht, die Forderungen der Logik an die Sprache, wenn man andererseits von der Grammatik ausgeht, das Bedürfniß der Sprache nach ihrer logischen Seite aus. Zu dieser logischen, idealen Grammatik, welche die wirk- lichen Sprachen noch nicht berührt, käme nun erst die wirkliche Grammatik, welche nicht bloß zu sehen hätte, welche Lautfor- men in jeder Sprache für die Kategorien der idealen Gramma- tik existiren, sondern auch, ob das ideale Kategoriensystem in einer Sprache vollständig und ohne Lücke, rein nach der idea- len Bedeutung oder im Gegentheil nur mit getrübter Bedeutung, ausschließlich oder mit fremdartigen Elementen vermischt, ent- halten ist. Denn nach allen diesen Beziehungen weichen die wirklichen Sprachen von der idealen Grammatik ab. Sie be- sitzen theils das ideale Schema nicht vollständig, theils haben sie die Bedeutung einzelner Kategorien getrübt, theils haben sie ganz eigenthümliche, weder der Logik angehörige, noch dem Wesen der Sprache nothwendige Kategorien geschaffen und nicht nur mit letztern den Mangel des Schemas ersetzt, sondern sogar dieselben in wuchernder Ueppigkeit entwickelt. Diese wirkliche Grammatik zerfiele in eine besondere und eine allgemeine. Die besondere hätte die eben bestimmte Aufgabe für die besondere Sprache zu erfüllen; die allgemeine hätte zu zeigen, welche Ka- tegorien wohl überhaupt in der Sprache der Menschheit auftre- ten, und welchen Grad, welchen Umfang die Verschiedenheit, in der in Wirklichkeit jene idealen Kategorien der logischen Grammatik umgestaltet worden sind, und welche Größe und Bedeutung der Abstand der einzelnen Sprachen von einander erreicht hat. Für diese allgemeine Grammatik würde die ideale gewissermaßen das Knochengerüste bilden. Die ideale würde aber auch erst durch die allgemeine mit sprachlichem Fleisch und Blut bekleidet werden und erst durch sie etwas anderes sein als ein todtes, trocknes Gerippe — lebendiger Leib; denn selbst die durchaus selbständigen Schöpfungen der Sprache, die Kategorien, in denen sie ihre Autonomie zeigt, eben so wie jene Kategorien, die ihrer Bedeutung nach nur durch die individuali- sirende Richtung mehr oder weniger umgestaltet sind, müßten sich als Unter- und Abarten der idealen Kategorien an sie an- schließen. Diese Ansicht, ohne daß sie meines Wissens in dieser Be- stimmtheit und Vollständigkeit irgend wo ausgesprochen wäre, ist zwar nicht die verbreitetste, aber gerade unter den bedeu- tenden Sprachforschern verbreitet und von Humboldt häufig und vielfach angedeutet, und als vermittelnde hat sie viel Em- pfehlendes. §. 50. Rückweisung der Vermittlung. Wir aber hassen jede derartige Vermittlung im Grunde un- serer Seele. Von den Gliedern eines Gegensatzes sagen wir: sie sollen nicht sein; sind sie aber, so müssen sie sein, wie sie sind. Jede Vermittlung dagegen scheint uns eine Verfälschung; jede Vermittlung hindert den Fortschritt; denn sie hindert den Kampf, den Sieg. Was den vorliegenden Punkt betrifft, die Vermittlung zwi- schen Logik und Grammatik in einer logischen Grammatik, so erkennen wir der letztern gar kein Recht des Daseins zu, indem wir nach dem Obigen ganz entschieden der Logik das Recht, Forderungen an die Sprache zu stellen, und der Sprache ein logisches Bedürfniß völlig absprechen müssen. Stellen wir uns zuerst auf Beckers Seite, so kann die Spra- che um kein Haar breit von der Logik abweichen; es darf keine Grammatik geben, nur Logik. Wie kann die Sprache der Lo- gik gegenüber eine Autonomie haben? denn wie kann sie ihr gegenüber etwas sein? sie, die an sich selbst nichts ist als ver- leiblichte Logik. Auch die Verschiedenheit der Sprache in Rücksicht auf die Kategorien ist unmöglich; woher soll irgend welche Umgestaltung kommen? Die allgemeinen logischen Ge- setze des Denkens sind so fest, so starr, daß sie nicht die ge- ringste Nüancirung erdulden, nicht in mir, nicht in dir, nicht im Chinesen, nicht im Buschmann; so wenig wie die mechani- schen, oder, da wir hier mit Becker reden, die organischen Ge- setze der Natur hier andere sind als in China und am Cap. Andererseits aber, herrscht in der Sprache Autonomie, kann sie theils selbständig schaffen, theils sogar, was ihr die Logik durch die logische Grammatik bietet, umgestalten, wenn sie es annimmt, aber auch liegen lassen: so ist sie überhaupt und über- all selbstherrschend, und keine Logik hat das Recht, Forde- rungen an sie zu stellen, welche von der Sprache so wenig an- gehört werden, als sie selbst ein Bedürfniß nach Logik kund giebt. Wo wäre denn je in der Natur ein solches Verhältniß, daß berechtigte Forderungen unerfüllt blieben? ein Bedürfniß die dargebotene Befriedigung zurückwiese? Vielmehr überall in ihr, wo wir etwas vermissen, haben wir kein Recht zu fordern oder ein Bedürfniß zu erdichten. Wir können uns freilich auf einen ästhetischen, idealen Standpunkt stellen und die Dinge rücksichtlich ihrer Vollkommenheit messen; wir können die Na- tur kritisiren. War es zweckmäßig, schön von ihr, die Dinge so einzurichten, wie sie sind? Ist das Auge ein guter optischer, das Ohr ein guter akustischer Apparat? Fügen sich die Muskeln so an die Knochen, daß die größte Kraft der Bewegung er- reicht wird? und wenn nicht, geschah es vielleicht im Dienste eines höhern Zweckes? u. s. w. Man braucht oder darf sogar sich von solchen Untersuchungen nicht dadurch abhalten lassen, daß man leicht Gefahr läuft, subjective Bedürfnisse zum Maß- stabe zu nehmen; aber man muß auch diese Gefahr wirklich überwinden, indem man die Untersuchung gänzlich auf die ob- jective Erkenntniß des Dinges an und für sich gründet. Die Forderung, die dem Dinge gestellt wird, muß von ihm selbst ausgesprochen sein. Das Auge will sehen, das Ohr hören; da- von können wir nicht absehen; und so läßt sich fragen, ob sie dergestalt organisirt sind, daß sie sich selbst genügen. Wodurch bekundet nun aber wohl die Sprache, daß sie der Logik genü- gen, logisch sein wolle? sie, die der Logik spottet? sie nüancirt, d. h. verhöhnt? Was giebt uns ein Recht, ihre Vortrefflichkeit an der Logik zu messen? Wenn die Logik immer der Sprache fremd ist, bleiben wir dann nicht mit diesem logischen Maß- stabe außerhalb der Sprache? durchaus subjectiv? Ist die Spra- che autonom, so liegt ihre Vortrefflichkeit auch nur darin, diese Autonomie recht kräftig walten zu lassen; die Kraft ihrer Au- tonomie ist der objective Maßstab für die Vortrefflichkeit der Sprache. Und selbst wenn die Sprache die Entwickelung der Erkenntniß, des logischen, verständigen Denkens fördert, so kann sie es nur durch ihre Autonomie, nicht durch Unterwerfung unter die ihr fremde Logik; sie kann nur kräftig wirken vermittelst und gemäß ihrer eigenthümlichen Natur, nicht durch ihre Unnatur. Ihre Autonomie aber wäre ihre Natur, die Logik ihre Unnatur. Also entweder die Logik verschlingt die Grammatik, oder die Grammatik macht sich völlig frei von der Logik. § 51. Analogie und Anomalie. Wenn man uns auf Plato und Aristoteles verwiesen hat, welche Logik und Grammatik vereint bearbeitet haben, so ver- weisen wir unsererseits auf die Stoiker, welche an die Anfänge Platons und Aristoteles sich anschließend, von ihnen aus, von dem Principe derselben ausgehend und folgerecht vorschreitend, zu dem Ergebniß gelangten, in der Sprache herrsche nicht Ana- logie, d. h. Uebereinstimmung mit der Logik, sondern Anomalie, Abweichung von ihr. Die alexandrinischen Grammatiker haben sich auf solche Untersuchungen nicht eingelassen; bei ihnen ha- ben die Ausdrücke Analogie und Anomalie eine andere Bedeu- tung erhalten. Jetzt sind wir auf die Frage der Stoiker, des Chrysippos zurückgekommen. Becker ist der moderne Analoget; die Vermittler wollen eine gemäßigte Analogie, sie machen einen modernen Anomalisten, der die Untersuchungen des Chrysippos wieder aufnähme, überflüssig; wir aber treten aus diesem ganzen Streit heraus, indem wir behaupten: die Grammatik ist nicht logisch, also die Sprache weder analog, noch anomal. Die Stoi- ker haben nicht minder geirrt als ihre Gegner, die Anomalisten nicht minder als die Analogeten; denn wer heißt sie die Spra- che an der Logik messen? Indem ich die Logik als Maßstab der Sprache verwerfe, weise ich auch jedes Ergebniß dieses Messens zurück. Die Sprache ist nicht anomal, eben weil sie um die Logik unbekümmert ist, von ihr keine Gesetze anzuneh- men hat. § 52. Trübung der Logik. Endlich noch eins. Man hat, indem man die Grammatik logisch machen wollte, nicht bloß vom Wesen der Grammatik die ungenügendste Vorstellung gehabt, sondern nicht einmal immer das Wesen der Logik fest im Auge behalten. Es würde uns zu weit führen, dies ausführlich darzulegen; aber an einer Einzelheit wollen wir diesen Vorwurf rechtfertigen, weil sie eine unmittelbare Ueberzeugung gewährt. Um zu beweisen, daß die Logik der Sprache nicht immer die der Schule sei, führt, wie wir oben mittheilten, Becker das Beispiel der Taubstummen an, welche, wenn sie ohne Aufsicht des Lehrers waren, die Zeichen ihrer Zeichensprache nicht nach den Gesetzen der Logik der Schule auf einander folgen ließen. Mir ist völlig unbekannt, daß in der Logik der Schule ein Abschnitt eine bestimmte Wort- folge festsetze, daß überhaupt in der Wortstellung eine logische Bedeutung liege. Die Logik lehrt wohl, unter welchen Um- ständen zwei Begriffe verbunden werden können; aber welches Wort hierbei im Satze voranstehen, welches folgen solle, bleibt ihr gleichgültig; a = b und b = a sind für die Logik nicht verschieden: das gerade lehrt sie, z. B. bei Aristoteles πεϱὶ ἑϱμ. 10. — Wir fügen aber zu dieser Einzelheit noch eine allgemeine Bemerkung eines der schärfsten Denker, Herbarts: „Und die Logik ist keine Sprachlehre“, womit er mancherlei aus der Lo- gik streicht, was hier nicht weiter zu erörtern ist. Wir wollen nur die Grammatik von aller Einmischung der Logik befreien. D. Humboldt. Es wäre jetzt unsere Aufgabe, was wir oben durch Kritik wie durch Analogien wahrscheinlich gemacht haben, ein durch- aus selbständiges, von der Logik unberührtes Wesen der Sprache und Grammatik, durch positive Erörterungen zur Gewißheit und zur vollen Klarheit der Erkenntniß zu bringen. Wenn wir un- sere Kritik nicht als bloße Bekämpfung anderer Ansichten, son- dern vorzüglich als die eine Seite der Begründung unserer An- sicht betrachtet wissen wollen, so wird doch auch hinwiederum erst durch die positive Darlegung dieser das volle Licht auf den Werth oder Unwerth der entgegenstehenden Meinungen fallen. Wir wollen nur zuvor Einiges über Humboldt bemerken. §. 53. Abweichungen Beckers von Humboldt. Becker beruft sich vielfach auf Humboldt, und es herrscht die Ansicht, er habe das Princip des Organismus der Sprache von Humboldt entlehnt oder mit ihm gemeinsam und habe es besonders entwickelt. Aus unserer Kritik indeß geht wohl hin- länglich hervor, wohin Becker im Allgemeinen mit seiner phi- losophischen Anschauungsweise gehört: in die Naturphilosophie, wie sie am Anfange unseres Jahrhunderts ihr Wesen trieb — eine Richtung, die von allen ernsten Denkern verachtet, vielfach gegeißelt worden ist, und mit der Humboldt nicht das mindeste gemein hat. Es ist ferner, um eine Uebereinstimmung zwischen Humboldt und Becker durchaus zweifelhaft zu machen, wohl beachtenswerth, daß Humboldt nirgends Beckers gedenkt, ob- wohl er sonst gelegentlich auf Schriften verweist, die er nur in bedingter Weise billigt. Wir wollen uns aber nicht damit begnügen, nur ganz all- gemein auf den völlig verschiedenen Geist der Untersuchung so- wohl, als die durchaus abweichenden Ergebnisse der Beckerschen und Humboldtschen Sprachwissenschaft zu verweisen; sondern wenn wir in ersterer Beziehung schon Humboldts Dialektik ge- rühmt, Beckers Undialektik getadelt haben, so wollen wir hier noch einige unterscheidende wesentliche Einzelheiten hervorheben. Becker behauptet, sein grammatisches System sei allgemein gültig für alle Sprachen, und dies sei der Beweis seiner Rich- tigkeit; er erkennt zwar an, daß die Grammatik in den beson- dern Sprachen Modificationen erfahre, dennoch sei „durch diese autonomischen Besonderheiten keine absolute Grenze zwischen die einzelnen Sprachen gesetzt“. Humboldt aber hat gerade, schon in seiner Abhandlung über das Entstehen grammatischer Formen, eine absolute Grenze zwischen zwei Sprachclassen ge- setzt. Becker sagt weiter: „vielmehr hat die Grammatik von jeher neben der Besonderheit die Einheit aller Sprachen aner- kannt. Denn was ist es anders als die Anerkennung dieser Ein- heit, wenn die Grammatik in fast allen Sprachen gleiche Wort- formen, Casus, Modus, Präpositionen, Conjunctionen u. s. w. mit denselben Namen unterschieden hat?“ Humboldt dagegen hat sich mit aller Schärfe, schon in der genannten Abhandlung, gegen dieses völlig unberechtigte Verfahren ausgesprochen, alle Sprachen nach denselben grammatischen Kategorien zuzurichten. — Becker sagt (S. 3.): „Wenn Völker, deren Intelligenz einen höhern Aufschwung genommen, auch ihre Sprachen in größerem Reichthum und in größerer Lebendigkeit entwickeln; so ist an- dern Völkern unter übrigens gleichen Bedingungen ein höherer Aufschwung der Intelligenz nur darum versagt, und besondere Richtungen der geistigen Entwickelung bleiben ihnen nur darum verschlossen, weil ihre Sprache durch besondere Geschicke die jugendliche Frische und Beweglichkeit verloren hat, und in eine Starrheit versunken ist, die einer freien Entwickelung der Intel- ligenz hemmend entgegentritt.“ Ganz im Gegentheil meint Humboldt, daß die hier gemeinten Sprachen schon ursprüng- lich, entweder durch Schwäche oder durch eine falsche Rich- tung des Sprachsinnes im Volke, mit ihren Mängeln geboren sind; darum eben sei ihren Mängeln nie vollkommen abzuhelfen, während ursprünglich kräftige, aber in Schwäche versunkene Sprachen nur des günstigen Augenblicks gewärtig seien, um sich plötzlich in neuer Pracht zu erheben: dies eben setzt die abso- lute Grenze zwischen jene schwachen und diese kräftigen Spra- chen. — Endlich: Becker will die Anfügung der Flexionsendun- gen an die Wurzel nicht anerkennen; Humboldt hat sie gerade auch für das Indoeuropäische als die allgemeine Entstehungsweise der Formen behauptet und will nur für einzelne Fälle auch die andere Möglichkeit nicht läugnen. (Man vergl. außer §. 14. der Einleitung auch S. CCCXCVII., CCCCXXIV) Rücksichtlich die- ses Punktes scheint in den angeführten Stellen Humboldt sogar ausdrücklich Becker widersprechen zu wollen; er scheint dessen unklare Vorstellung von „organischem Differenzverhältniß“ von sich abweisen zu wollen. Und sollte nicht ein beabsichtigter Widerspruch gegen Beckers Sprachphysiologie darin liegen, wenn er S. CCCXIII sagt, die Entwicklung der Sprache sei „nicht die eines Instincts, der bloß physiologisch erklärt werden könnte“? §. 54. Organismus bei Humboldt. Alle diese Punkte wird man leicht als wesentlich erkennen. Man nehme hinzu, daß wir rücksichtlich des Verhältnisses zwi- schen Grammatik und Logik Humboldt zu den Vermittlern zäh- len müssen. Ausführlich aber wollen wir die Frage beantwor- ten: Was bedeutet bei Humboldt Organismus? Auch an diesem Schlagworte Beckers werden wir sehen, wie er nichts mit Hum- boldt gemein hat. Es ist nun aber schon bemerkenswerth, daß in der ganzen, 414 Quartseiten langen Einleitung in die Kawi- Sprache das Wort Organ mit allen seinen Ableitungen, als or- ganisch, Organismus, organisirt u. s. w. nur etwa 60 mal vor- kommt Sollte diese Zählung einem oder dem andern meiner Leser ein Lächeln erregen, sollte ihn bedünken, meine Verehrung Humboldts habe doch einen gar zu religiösen Charakter und sei eine Art Buddhismus, indem ich jetzt schon bis zur Sutra-Zählung gekommen sei und bald eine vollständige Masora geben werde: so frage ich: Zählen nicht andere Gelehrte die Wörter der Vedas? oder des Homer? — Nicht darauf aber kommt es an, was man zählt, son- dern wie und zu welchem Zwecke man zählt. , also nicht öfter als zuweilen in einem Paragraphen Beckers. Humboldt ist in der Sache und hat darum nicht nö- thig, den Namen auszusprechen; Becker muß sich fortwährend das Wort vorsprechen, um sich einzureden, er sei bei der Sa- che. Wichtiger ist noch, daß bei Humboldt jenes Wort durch- aus keine principielle Bedeutung hat, daß er es ausdrücklich für ein Bild erklärt, welches über das Wesen der Sache keinen Aufschluß geben kann, daß es also bei ihm nur ein gelegentli- cher Ausdruck ist. Doch was bedeutet es? Beginnen wir mit der durch Becker berühmt gewordenen Stelle der Abhandlung über das vergleichende Sprachstudium: „Unmittelbarer Aushauch eines organischen Wesens in dessen sinnlicher und geistiger Geltung, theilt die Sprache darin die Natur alles Organischen, daß jedes in ihr durch das andere, und alles in ihr nur durch die eine das Ganze durchdringende Kraft besteht.“ Auch in der Einleitung S. LX. wird die Sprache ein „Aushauch“ genannt; und damit, wie mit dem Beiwort „unmittelbar“, soll wohl angedeutet sein, was S. XXI. bestimmter so ausgesprochen wird: „Die Sprache entspringt aus einer Tiefe der Menschheit, welche überall verbietet, sie als ein eigentliches Werk und als eine Schöpfung der Völker zu betrachten. Sie besitzt eine sich uns sichtbar offenbarende, wenn auch in ihrem Wesen unerklär- liche, Selbstthätigkeit und ist von dieser Seite betrachtet, kein Erzeugniß der Thätigkeit, sondern eine unwillkürliche Ema- nation des Geistes, nicht ein Werk der Nationen, sondern eine ihnen durch ihr inneres Geschick zugefallene Gabe.“ Die Spra- che hat aber nach Humboldt allerdings noch eine andere, dieser entgegengesetzte Seite, die von dem undialektischen Becker un- beachtet bleibt, für Humboldt aber keine geringere Wichtigkeit, als die hier besprochene hat. Mit Rücksicht auf diese wird auch S. CCCXCIV. daran erinnert, daß die Sprache „eine lebendige Schöpfung aus sich selbst“ ist. Aber ein Widerspruch tritt bei Vergleichung dieser und anderer Stellen der Einleitung mit je- ner der Abhandlung darin hervor, daß, während in letzterer die Sprache „unmittelbarer Aushauch eines organischen Wesens in dessen sinnlicher und geistiger Geltung“ genannt wird, sie in der Einleitung fast durchaus nur mit dem Geiste in Verbin- dung gesetzt wird. So mag z. B. die Stelle (S. LX.), die Spra- che sei „ein geistiger Aushauch eines nationell individuellen Le- bens“ immerhin ohne Absichtlichkeit gesetzt sein; es mag in ihr eine ganz unbeabsichtigte Reminiscenz Humboldts an seine eigenen Worte der Abhandlung liegen: sie ist da, und zwar cor- rigirend. Es ist allerdings richtig, daß Humboldt das Wesen der Sprache nicht in dem bloß Innern sieht, sondern im Ge- gentheil darin, daß das Innere den Laut durchdringe; dieses Durchdringen ist die Synthesis der Sprache. Diese Thätigkeit aber, dieser sprachschöpferische Act ist „ganz und ausschließ- lich in der geistigen Natur des Menschen gegründet“; ein „Drang der Seele nöthigt den körperlichen Werkzeugen den articulirten Laut ab “ (§. 10. Anf.). Diese Abnöthigung der Laute wird man doch nicht mit Beckers Ansicht von dem durch die Begriffe auf die Sprachwerkzeuge ausgeübten organischen Reiz gleichsetzen? Ja, Humboldt setzt zwischen den Laut und das Innere eine gewisse Feindschaft, einen Widerspruch; der Laut setzt dem Gedanken, der sich äußern will, einen Wider- stand entgegen, und aus der mangelhaften Ueberwindung dieses Widerstandes entstehen dann jene schwächlichen, unvollkomme- nen Sprachen. So heißt es z. B. (S. CII.): „Man muß die Sprachbildung überhaupt als eine Erzeugung ansehen, in welcher die innere Idee, um sich zu manifestiren, eine Schwierigkeit zu überwinden hat. Diese Schwierigkeit ist der Laut, und die Ueberwindung gelingt nicht immer in gleichem Grade… Aller- dings ist dann immer auch Schwäche der lauterzeugenden Ideen im Spiel, da der wahrhaft kräftige Sprachsinn die Schwierigkeit allemal siegreich überwindet“ u. s. w. So wird Seiten lang ein Kampf des „von innen heraus arbeitenden Sprachsinnes“ mit dem Laute geschildert. Wie anders Becker! Bei ihm spricht nicht der Geist, sondern die Sprachwerkzeuge sprechen. Es sagt doch Niemand: die Luft athmet, das Licht sieht, sondern die Lunge, und das Auge; also spricht auch nicht der Geist, welcher nur reizt, sondern der Mund. Die Luft dringt in die Lungen, der Gedanke in die Zunge! Auf den anderen Theil des angeführten Satzes der Abhand- lung näher einzugehen, ist nicht nöthig, da wir schon wissen, was bei Becker organische Einheit ist. Auf den Begriff des conträren Gegensatzes gegründet, würde sie wenigstens den Werth der logisch-systematischen Einheit haben, wenn nicht diese Kategorie selbst bei ihm zur Phrase geworden wäre. End- lich aber meinen wir, daß es völligen Mangel an Kritik, an ge- wissenhaftem Denken verräth, sich auf eine so schwankende, haltlose Stelle, wie die in jener Abhandlung ist, zu berufen, da Humboldt so viel gethan hat, um sie näher zu bestimmen, sogar zu verbessern. Was bedeutet nun in der Einleitung organisch? Zunächst: was die Sprachorgane betrifft. So wird z. B. S. LXXXIX. ein Gesetz organisch genannt und erklärt als: „aus den Sprach- werkzeugen und ihrem Zusammenwirken entstehend, von der Leichtigkeit und Schwierigkeit der Aussprache abhängend, und daher der natürlichen Verwandtschaft der Laute folgend“, und wird somit dem geistigen Principe der Sprache entgegenge- setzt. Dieser Gegensatz ist aber so groß, „daß, wenn das gei- stige Princip in der Kraft seiner Einwirkung nachläßt, das organische das Uebergewicht gewinnt, so wie im thierischen Körper beim Erlöschen des Lebensprincips die chemischen Affi- nitäten die Herrschaft erhalten.“ Organisch bedeutet also hier geradezu das Unorganische der Sprache, oder vielmehr nur über- haupt das eigentliche Stoffelement derselben, welches je nach der Combination der Atome organisch oder unorganisch ist. So wenig in den möglichen Verbindungen des Sauerstoffs, abstract oder an sich genommen, schon etwas Organisches oder Unorga- nisches liegt, ebenso wenig in den möglichen Uebergängen und Verwandlungen eines Lautes. Erst wenn ein organisches Princip die Verbindung des Sauerstoffs mit anderen Elementen leitet, entsteht ein organisches Erzeugniß; und eben so in der Sprache. Es ist nur ein geringer Fortschritt, wenn organisch aus die- ser Gleichgültigkeit gegen das Princip herausgehoben wird, und nicht mehr bloß überhaupt das Stoffelement der Sprache, son- dern die im Dienste der Sprache zweckmäßig geschaffene Verbin- dung der Sprachelemente, der Laute, bezeichnet. Dies ist die häu- figste, geradezu gewöhnliche Bedeutung des Wortes bei Humboldt. So spricht er von organischem Sprachbau, organischer Structur, organischem Sprachgebäude (S. CVI.) und versteht darunter „die Sprache an sich“ im Gegensatz zum ausgesprochenen Gedanken, Wortvorrath und grammatische Formen. Ebenso bedeutet „or- ganisiren“ bauen, ordnen, formen, mit welchen Wörtern es wech- selt; und da hierbei immer die Voraussetzung gemacht wird, daß dies Bauen und Formen den Zwecken der Sprache gemäß geschehe, so bedeutet organisch auch wohl so viel wie: gut, dem wahren, idealen Wesen der Sprache angemessen, und man fin- det die Ausdrücke: organisch richtig, und im Gegentheil: nicht rein organisch. Auch dem Geiste wird Organisation zugeschrie- ben und darunter seine Neigung, Gewohnheit, Anschauungsweise, sein Charakter verstanden; diese Organisation kann mehr oder weniger glücklich sein, was von der Stärke, wie der Richtigkeit und Angemessenheit der geistigen Thätigkeit abhängt. Hiermit wird nun aber überhaupt die Sprache, jedoch nur bildlich, wie ausdrücklich bemerkt wird, einem organischen Kör- per oder Gliede verglichen. So wird sie (S. XVIII. LXVI. CCV. CCVI.) „das bildende Organ des Gedankens“ genannt. Man wird hierbei an die Drüsen des animalischen Leibes erin- nert, welche gewisse Säfte aus- und absondern, wie an die Spei- cheldrüsen, an die weiblichen Brüste. Wer bei diesem Bilde stehen bleiben und, es streng verfolgend, Humboldts Ansicht darin suchen wollte, würde sie gänzlich verkennen. Denn Hum- boldt nimmt die Sprache nicht als etwas so Ruhendes, Festes, wie ein leibliches Organ; sie ist ein geistiges Organ, d. h. ein solches das, so oft man sich seiner bedienen will, erst selbst in der Thätigkeit, zu der es mitwirken soll, geschaffen werden muß; und dennoch andererseits immer ein Organ, das also ge- geben sein muß. Das ist eben der Widerspruch, den die Me- taphysik der Sprache klar darzulegen und zu lösen hat. — In demselben Bilde ist S. CXCVII. von dem Vorzuge die Rede, den eine Sprache „in den wahrhaft vitalen Theilen ihres Orga- nismus“ hat; wie man etwa die Blutkügelchen im Gegensatze zu den Knochen, oder gar Haaren, als besonders vital be- zeichnet. Organismus, Organ ist also bei Humboldt, auf die Spra- che angewandt, bloß ein verdeutlichendes Bild, ohne Geistrei- chigkeit, wie bei Becker und sonst vielfach, und ohne Mystik, wie bei Friedrich Schlegel. Was aber unter dem Bilde zu ver- stehen sei, ist durch die ganze Einleitung hindurch ausführlich dargelegt; und wenn in ihr die Beziehung und der Zusam- menhang der einzelnen Theile nur klarer hervorträte — denn sie fehlt keineswegs —, wenn sie nur nicht scheinbar und dem Wortlaute nach vielfach zerrissen und zerstückelt wäre — denn wesentlich und dem Gedanken nach ist sie einheitlich —: so würde die Sache keine besondere Schwierigkeit haben. Jetzt aber ist eine Erklärung nöthig, und der Erklärer dabei in der übeln Lage, die Einzelheit, die nur aus der Gesammtanschauung Humboldts zu verstehen ist, wieder nur durch Einzelheiten er- 9 klären zu können, die selbst der Erklärung bedürfen: wobei gar leicht scheinbar und wirklich die Erklärung dunkler werden kann, als Humboldts Satz selbst dem Leser ist; zumal in den meisten Lesern noch nicht einmal die Erkenntniß der Dunkelheit und das Bedürfniß der Erklärung vorhanden ist. Die wichtigste und belehrendste Stelle über die Bedeu- tung des bildlichen Ausdruckes Organismus in Bezug auf die Sprache bei Humboldt, eine Stelle, von der wir ausgehen, die wir zum Mittelpunkte dieser Untersuchung machen müssen, ist die folgende (S. CXXI.): „Da die Sprache im unmittelbaren Zusammenhange mit der Geisteskraft, ein vollständig durchge- führter Organismus ist, so lassen sich in ihr nicht bloß Theile unterscheiden, sondern auch Gesetze des Verfahrens, oder viel- mehr Richtungen und Bestrebungen desselben. Man kann diese, wenn man den Organismus der Körper dagegen halten will, mit den physiologischen Gesetzen vergleichen, deren wissenschaft- liche Betrachtung sich auch wesentlich von der zergliedernden Beschreibung der einzelnen Theile unterscheidet. Es wird da- her hier nicht einzeln nach einander, wie in unsern Grammati- ken, vom Lautsysteme, Nomen, Pronomen u. s. f., sondern von Eigenthümlichkeiten der Sprache die Rede sein, welche durch alle jene einzelnen Theile, sie selbst näher bestimmend, durch- gehen.“ In diesem Satze liegt überhaupt der Mittelpunkt der Humboldtschen Sprachbetrachtung; von ihm ausgehend ließen sich ihre vorzüglichsten Seiten darstellen; woraus denn aber auch unverkennbar klar werden müßte, daß Humboldt den Aufschwung einer neuen Sprachwissenschaft bewirkt, Becker aber davon zwar ein gewisses Schwirren vernommen habe, übri- gens jedoch sich auf dem alten Boden der logischen Grammatik bewege. Betrachten wir den angeführten Satz näher, so bemerken wir zunächst, daß die ersten Worte: „die Sprache in unmittel- barem Zusammenhange mit der Geisteskraft“ eine Erklärung des Ausdrucks „unmittelbarer Aushauch“ enthalten, abermals die Sprache aus dem Gebiete des Natürlichen, Sinnlichen hinüber- ziehend und dem Geiste aneignend. Doch ließ sich das mit Beckers Satz: „die Sprache ist der in die Erscheinung tre- tende Gedanke“ wegen der Inhaltslosigkeit dieses Satzes wohl noch vereinen. Wenn es aber bei Humboldt weiter heißt: „so lassen sich in ihr nicht bloß Theile unterscheiden, sondern auch Gesetze des Verfahrens, Richtungen und Bestrebungen dessel- ben“: so wird mindestens der Verdacht rege, Becker sei wohl bei den Theilen stehen geblieben, die er allerdings durch sein organisches Differenzverhältniß in Beziehung zu einander bringt. Sollte aber wohl dieser organische Gegensatz, diese eine immer und ewig bei Becker wiederkehrende Form, das sein, was Hum- boldt Richtungen und Bestrebungen des Verfahrens nennt? Wo hat Becker in der Sprache „ein Verfahren“ erkannt, in welchem sich verschiedene Richtungen und Bestrebungen geltend machen könnten? Wenn Humboldt nicht von den einzelnen Theilen der Sprache, von ihren Lauten, vom Nomen, Pronomen u. s. f. re- den will, sondern von Eigenthümlichkeiten, welche durch jene Theile, sie selbst bestimmend, hindurchgehen: wo ist bei Becker Raum, Gelegenheit für solche Eigenthümlichkeiten? Und wenn nun gerade diese die organische Natur der Sprache ausmachen, ihre Betrachtung die physiologische Betrachtung der Sprache genannt wird, wie kann wohl die Beckersche sich so nennen? und wie kann Becker unter Organismus der Sprache dasselbe ver- stehen wie Humboldt? Sehen wir aber, was das für Richtun- gen und Bestrebungen des Verfahrens sind. Versetzen wir uns in den Zusammenhang. Humboldt be- spricht in den ersten sechs Paragraphen der Einleitung die wich- tigsten Punkte oder Momente in der Entwicklungsweise des Menschengeschlechts, die wichtigsten Triebfedern und Eigen- thümlichkeiten derselben, immer zugleich mit Rücksicht auf die Sprache, und will mit §. 7. die ausführlichere Darlegung dieses Zusammenhanges der Sprache mit der Geschichte beginnen. Er hält sich aber sogleich (§. 8. Anf.) die Schwierigkeit vor: „Die Sprache bietet uns eine Unendlichkeit von Einzelheiten dar, in Wörtern, Regeln, Analogien und Ausnahmen aller Art, und wir gerathen in nicht geringe Verlegenheit, wie wir diese Menge, die uns der schon in sie gebrachten Anordnung ungeachtet doch noch als verwirrendes Chaos erscheint, mit der Einheit des Bil- des der menschlichen Geisteskraft in beurtheilende Ver- gleichung bringen sollen.“ Diese Stelle stimmt auffallend über- ein mit dem Anfange des §. 13: „Wenn man das Wesen der Sprache in der Laut - und Ideenform und der richtigen und energischen Durchdringung beider sucht“ — diese drei Punkte waren jeder besonders in den §§. 10. 11. 12. besprochen —, „so bleibt dabei eine zahllose Menge die Anwendung verwirrender 9* Einzelheiten zu bestimmen übrig“ — wie dort. Ebenso fährt Humboldt mit auffallender Uebereinstimmung fort, dort: es sei sein Bemühen, „den Charakter eines jeden Sprachstammes in so einfache Umrisse zusammenzuziehen, daß dadurch eine fruchtbare Vergleichung derselben und die Bestimmung der ih- nen, nach ihrem Verhältniß zur Geisteskraft der Nationen, ge- bührenden Stelle in dem allgemeinen Geschäfte der Spracherzeu- gung möglich wird“; — hier: „Um daher die Sprachen, in der Verschiedenartigkeit ihres Baues als die nothwendige Grund- lage der Fortbildung des menschlichen Geistes darzustellen und den wechselseitigen Einfluß des einen auf das andere zu erör- tern, ist es zugleich nothwendig, das Allgemeine mehr ausein- ander zu legen, und das dann hervortretende Besondere dennoch mehr in Einheit zusammenzuziehen .“ Es ist offenbar, Humboldt will am Anfange des §. 13. da anknüpfen, wo er am Schlusse des §. 8. stehen geblieben ist. Er mußte nämlich die §. 7. angekündigte Darstellung, nachdem er in §. 8. die er- ste nothwendige Vorbetrachtung gegeben hatte, noch wei- ter durch die vier §§. 9—12. fortsetzen „und die Definition der Sprache (§. 8.) ausführlicher entwickeln“, wie er §. 13. Anfang sagt. Mit der Resumirung des Vorangehenden beginnt also §. 13. Es soll die §. 7. angekündigte, aber §. 8. durch Anstoß an eine Schwierigkeit verhinderte Darlegung begonnen werden, da jetzt das Mittel gefunden ist, die Schwierigkeit zu überwinden. Es läßt sich also im voraus erwarten, daß nach den beiden über einstimmenden Sätzen in beiden Paragraphen noch ein dritter, ebenfalls beiden gemeinsamer folgen werde, wenn nicht etwa mit den beiden ersten Sätzen der Eingang des §. 13. schon beendet und zur Sache selbst übergegangen wird; was aber nicht ge- schieht. Der dritte Satz nun ist der oben angeführte, aus dem wir Humboldts Ansicht über das organische Wesen der Spra- che kennen lernen wollen. So haben wir also jetzt in §. 8. eine Parallelstelle zu erwarten, die uns Licht schaffen muß. Der Wortlaut selbst bestätigt diese Erwartung. Es heißt §. 13., es sei also „ nothwendig das Allgemeine mehr auseinander zu le- gen und das Besondere mehr in Einheit zusammenzuziehen. Eine solche Mitte zu erreichen bietet die Natur der Sprache selbst die Hand. Da sie ein vollständig durchgeführter Organismus ist, so lassen sich in ihr nicht bloß Theile unterscheiden, son- dern auch… Eigenthümlichkeiten, welche durch alle Einzelhei- ten durchgehen.“ Und §. 8.: „Dies erfordert noch“ — geht diesem Satze dasselbe voraus, was dem in §. 13., so muß doch wohl dort wie hier dasselbe nothwendige Erforderniß folgen, und welches ist dies? — „ein eigenes Aufsuchen der gemein- schaftlichen Quellen der einzelnen Eigenthümlich- keiten, das Zusammenziehen der zerstreuten Züge in das Bild eines organischen Ganzen .“ Es ist bei der Vergleichung dieser Sätze zu bemerken, daß was in dem letztern (§. 8.) „ ein- zelne Eigenthümlichkeiten“, „ zerstreute Züge“ genannt wird §. 13. „ Einzelheiten und Theile “ heißt; dagegen die „Ei- genthümlichkeiten, Gesetze, Richtungen und Bestrebungen des Verfahrens“ (§. 13.) werden §. 8. „gemeinschaftliche Quellen, or- ganisches Ganzes“ genannt. Sonst ist weiter kein Unterschied, als daß, was §. 13. als dargestellte Voraussetzung nochmals kurz in Erinnerung gebracht wird, §. 8. als Gegenstand der Unter- suchung angekündigt wird. So muß denn also der Punkt, wel- cher die organische Natur der Sprache ausmacht, aus dem §. 8. hervorgehen, da die §§. 9—12 nur die weitere Ausführung ent- halten. Hiernach scheint es uns eben so unwiderleglich als klar, daß, wenn Humboldt die Sprache organisch nennt, dies aus- drücklich ein „Bild“ genannt wird, welches nichts anderes be- deutet, als daß in jeder Sprache eine der Individualität des Volksgeistes entsprechende individuelle Form liege, welche an jedem einzelnen Elemente haftet, weil sie der Thätigkeit der Sprachschöpfung selbst angehört. Und von dieser Form läßt sich also sagen, sie sei „die eine das Ganze durchdringende Kraft“, durch welche alles in der Sprache besteht, und zwar gerade in der Eigenthümlichkeit, wie es besteht; und da sie vollständig jedem einzelnen Elemente anhaftet, so läßt sich sa- gen, es bestehe jedes durch sich selbst, oder durch das andere, oder durch das Ganze; denn alles besteht durch die allen ge- meinsame Form; und insofern dem ersten Elemente in der Sprach- schöpfung eine bestimmte Form verliehen ist, durch welche die Schöpfung aller folgenden Elemente, der Weise, wie dem In- halte nach, im voraus schon bestimmt sind, läßt sich sagen, mit dem ersten Elemente sei mit einem Schlage die ganze Sprache geschaffen. Diese Form ist also das Eigenthümliche der For- men, die Richtung und Bestrebung des Sprachverfahrens, der organische Springpunkt der Sprache. Für diese Kategorie der Form der Sprache hat Becker kei- nen Raum in seinem Systeme. Wir können sie aber hier nicht ausführlich erörtern und deuten nur folgende zwei Punkte an. Becker sieht das Organische der Sprache darin, daß Wort und Begriff in ihrer Entwickelung und ihren Verhältnissen durchaus identisch sind; Humboldts Form dagegen beruht gar nicht auf dem Begriff, sondern auf der Eigenthümlichkeit, mit welcher die Sprache den Begriff bearbeitet oder beim Ausdruck des Begriffs verfährt. Die Form ist das oben nach Analogien in der Spra- che gesuchte physiologische Element, welches so wenig in dem Begriff liegen kann, wie für das Auge im Licht, für die Lunge in der Luft. Man sieht hier zugleich abermals, wie Becker bei seiner Identificirung der Sprache mit dem Gedanken gar nicht die Sprache, die Form, den Sprachorganismus berührt hat, son- dern nur den Begriff, wie er an sich, außerhalb der Sprache ist; und wie ihm eben darum, was er den Organism der Spra- che nennt, zur formalen Logik umschlug. Zweitens: bei Humboldt ist mit dieser Kategorie „Form“ die Individualität der Sprache ausgesprochen, also sogleich die Viel- heit von Formen, von individuellen Sprachen gegeben. Nach Humboldt heißt es: weil die Sprache organisch ist, darum giebt es eine mannigfaltige Verschiedenartigkeit in dem Bau der Sprachen. Bei Becker dagegen ist die Mannigfaltigkeit der Spra- chen unwesentlich, Erzeugniß der „organischen Freiheit“, ohne erkennbaren Grund, zufällig, und genau genommen unorganisch. Worauf also Humboldt seinen Organismus gründet, das gilt Becker für unorganisch; worauf aber Becker den seinigen bauen will, geht die Sprache gar nichts an, sondern ist Logik. Wir fahren aber noch ein wenig fort, die in der Einleitung versteckten Bestimmungen des Organischen der Sprache an das Licht zu ziehen. Nachdem Humboldt in den §§. 13—18. die angekündigten Richtungen und Bestrebungen des Sprachverfah- rens dargelegt hat, kehrt er im §. 19. zu dem allgemeinen, diese Richtungen umfassenden Begriff Form zurück, führt aber einen andern Namen ein: „Princip“. Warum der andere Name? das ist nicht zu sagen; das ist so Humboldts Manier, in die sich der Leser fügen muß. Daß aber wirklich der Begriff Form, nachdem er von §. 9—18. völlig geruht hat, obgleich ausschließ- lich von seinen Unterschieden die Rede war, endlich §. 19. wieder auftritt unter dem Namen Princip, beweist unläugbar nicht bloß der Zusammenhang des Ganzen, sondern auch die nähere Bestimmung des Princips. Form und Princip werden beide in gleicher Weise bestimmt als „Einheit der einzelnen Sprachelemente.“ Uebrigens ist Princip ein Ausdruck, der für jene „das Ganze durchdringende Kraft“ ansprechender scheint. Neben Princip tritt aber abwechselnd auch der Ausdruck Form auf. Nachdem im §. 20. der Charakter der Sprache als von der Form des Sprachbaues noch verschieden besprochen worden ist, wird §. 21. die Frage aufgeworfen: worauf die Lebensdauer und Entwicklungsfähigkeit der Sprachen beruht? Natürlich auf der Gesetzmäßigkeit und Reinheit des Princips, auf der Ange- messenheit der Form, auf der Vollendung ihres Organismus . Doch so drückt Humboldt das nicht aus; sondern davon aus- gehend, daß jede Kraft nur in ihrer gesetzmäßigen Bahn sich entwickeln kann, auf jeder andern auf Hindernisse stößt und geschwächt wird, leitet Humboldt die Entwicklungsfähigkeit der Sprachen nicht vom Princip oder der Form des Sprachver- fahrens, sondern von ihrer Kraft ab, und da das Sprachver- fahren in der Synthesis von Laut und Begriff besteht, von der Stärke der sprachlichen Synthesis, d. h. des organi- schen Triebes, der sich im Stoffe geltend machenden Form, des die Einzelheiten durchdringenden Princips . Organismus, wiederholen wir, hat bei Humboldt mehrere Bedeutungen und gilt so auch als Bild für den wichtigsten Gegenstand der Sprachwissenschaft; so viel Gewicht er aber auf diesen Gegenstand legt, so gleichgültig ist ihm das Bild, so daß er sogar allemal da, wo er sich ganz eigentlich in die Sache versenkt, wie in den §§. 8. 19. 21. das Bild ganz fallen läßt und dafür drei andere Ausdrücke setzt, Form, Princip, Synthesis, wie sie für die Gelegenheit gerade passend erscheinen. §. 55. Becker, die Vermittler und Humboldt. Dieser Begriff kann hier noch nicht ausführlich untersucht werden; nur müssen wir noch hinzufügen, daß gerade er das Bedeutende der Humboldtschen Sprachwissenschaft ist, nicht die Vermittlung zwischen Grammatik und Logik. Und wenn wir auch hier noch nicht fragen können, ob diese Vermittlung nicht durch jenen Begriff unmöglich gemacht wird und also eine Un- folgerichtigkeit Humboldts, oder vielmehr, da dieselbe älter ist als jener, ob sie nicht der unberechtigte Ueberrest einer durch jenen vernichteten Sprachanschauung ist: so müssen wir doch hervorheben, daß wenigstens auch Humboldt selbst ausgespro- chen hat, wie ihm jener Begriff höher stehe und als etwas Wesent- licheres gelte, als dieses Verhältniß der Grammatik zur Logik. Er sagt nämlich (S. CCLXVIII.), daß es, um eine Anschauung von dem eigenthümlichen Wesen einer Sprache im Unterschiede gegen die andern zu geben, das Unbedeutendste sei, wenn man aufzählt, welche Kategorien sie bezeichne, wie viel Tem- pora und Modi sie habe u. s. w., kurz wenn man ihr Verhält- niß zur logischen Grammatik angiebt. Hierdurch, sagt Hum- boldt ausdrücklich, bleibe man ohne Belehrung über das, worauf es hauptsächlich ankomme, über die synthetische Kraft der Spra- che. Wenn man, meint er, bei der Betrachtung der Sprachen nur bis zur Aufzählung und Vergleichung der logischen, in der Sprache ausgedrückten Formen der Anschauung und des Den- kens geht und nicht weiter schreitet zu jener synthetischen Kraft, so „geht man nicht tief genug und nicht bis zu den wahren in- neren Bestrebungen der Sprachformung zurück, sondern bleibt bei den Aeußerlichkeiten des Sprachbaues stehen “. Dieser Vorwurf trifft Becker nicht minder, als die Verfasser der amerikanischen, polynesischen, hinterindischen u. s. w. Gramma- tiken, auf welche er sich in der Vorrede beruft. Aber auch die Vermittler mögen sich fragen, in wiefern auch sie vielleicht ihn noch immer verdienen. Zweiter Theil. Grammatik und Logik. I. Allgemeine Vorbemerkungen. A. Von der Sprachwissenschaft im Allgemeinen. Die Sprachwissenschaft setzt, wie jede andere Wissenschaft, das Dasein ihres Gegenstandes und das Bewußtsein davon vor- aus. Der Gegenstand muß jedoch sogleich beim Eingange deut- lich angegeben, bezeichnet, vorgewiesen werden, damit man von vornherein außer Zweifel darüber ist, wovon im Laufe der Un- tersuchung die Rede sein solle. Wir haben also mit einer No- minal-Definition zu beginnen; die Real-Definition liegt in der ganzen Darstellung der Wissenschaft. §. 56. Definitionen. Gegenstand der Sprachwissenschaft ist die Sprache oder Sprache überhaupt, d. h. Aeußerung der bewußten innern, seelischen und geistigen, Bewegungen, Zustände und Verhält- nisse durch den articulirten Laut. — Wir unterscheiden hierbei näher: Sprechen, d. h. die gegenwärtige, oder als gegenwärtig gedachte, Handlung oder Ausübung der Sprache. Sprachfähigkeit, d. h. einerseits die physiologische Kraft, articulirte Laute hervorzubringen und dazu noch andererseits der sämmtliche Gehalt des Innern, welcher als der Sprache vor- ausgehend gedacht wird und durch sie geäußert werden soll. Sprachmaterial, d. h. die von der Sprachfähigkeit im Sprechen einmal geschaffenen Elemente, welche immer von neuem angewandt werden, so oft derjenige innere Gegenstand wieder geäußert werden soll, für dessen Aeußerung sie geschaffen wur- den, als er zum ersten Male so geäußert wurde; oder richti- ger: die bei der jedesmaligen ersten Aeußerung irgend eines besondern innern Elementes ausgeübte Handlung, welche bei jeder Gelegenheit, wo dasselbe innere Element wieder geäußert wer- den soll, wiederholt wird. Eine Sprache oder die einzelne Sprache ist der ge- sammte Inbegriff des Sprachmaterials eines Volkes. § 57. Betrachtungsweise der Sprachwissenschaft und Beziehungen dersel- ben zu andern Wissenschaften. Es kann aber nicht genügen, den Gegenstand bloß anzu- geben, wie oben geschehen ist; es muß erst noch gezeigt wer- den, nach welcher Beziehung von ihm die Rede sein solle. Denn man kann von jedem Gegenstande in mannigfacher Beziehung reden, ihn von verschiedenen Seiten und auf mancherlei Weise ansehen. Das Denken z. B. ist Gegenstand der Logik, der Me- taphysik und der Physiologie, aber in jeder dieser Wissenschaften nach einer andern Beziehung; die Pflanzen sind Gegenstand der Botanik und der Materia medica, aber in beiden von verschie- denen Seiten. Man weiß auch schon im voraus, daß die Sprach- wissenschaft die Sprache nicht von allen möglichen Seiten unter- sucht. Niemand wird z. B. von ihr darüber Aufschluß fordern, ob es erlaubt sei, anvertraute Geheimnisse auszusprechen; ob Parlamente und Sprechzimmer schätzenswerthe Einrichtungen sind. Die Wissenschaft aber hat sich zu bestimmen und so zu erklären, daß man einsieht, was und was nicht, warum dies oder jenes nicht von ihr zu verlangen ist, wenn auch noch Niemand daran denkt, es von ihr zu fordern. Sie kann und soll sich na- türlich nicht negativ von andern Wissenschaften und geistigen Sphären abschließen; sie soll nicht erklären, dies und jenes sei sie nicht; sondern sie soll sich positiv in sich einschließen, und sie soll dadurch ihre Gränzen bestimmen, daß sie erklärt, was sie ist. Die theoretischen Thätigkeiten des Menschen lassen sich unter zwei allgemeinen Classen zusammenfassen, oder beruhen sämmtlich auf zwei geistigen Handlungen: urtheilen und beur- theilen. Im Urtheil liegt eine Erkenntniß; in der Beurtheilung liegt ein ausgesprochenes Lob oder ein Tadel. Man erkennt, was ist, und wie beschaffen etwas ist; man beurtheilt, ob etwas schön oder häßlich, gut oder schlecht, wahr oder falsch und, wenn auch nach minder hohen Rücksichten, richtig oder unrich- tig, zweckmäßig oder unzweckmäßig sei. Es giebt also Wis- senschaften, welche Thatsachen und thatsächliche Verhältnisse, Existenzen und Gesetze zu erkennen, zu ergründen suchen; und es giebt auch andere, welche Maßstäbe der Beurtheilung, Gründe für Lob und Tadel aufzufinden streben. Ist nun die Sprachwissenschaft eine erkennende, oder eine beurtheilende Wissenschaft? Wir antworten: eine erkennende. Etwas Gesprochenes ist nicht wahr und nicht falsch; wahr oder falsch ist nur das Gesagte, d. h. das Gedachte. Wenn ferner Sprechen sittlich gut oder schlecht ist, so ist es eine That, und es gehört dann, wie jede andere, der Beurtheilung des Sitten- richters an; denn der Gegenstand der Sprachwissenschaft ist das Sprechen als Handlung und nicht als That. Ferner die Beurtheilung, ob schön oder häßlich gesprochen worden sei, ge- hört der Rhetorik und Poetik an, nicht der Sprachwissenschaft. Darüber endlich, ob etwas richtig oder unrichtig gesprochen sei, entscheidet sie allerdings, aber nur indirect. Indem sie nämlich zeigt, wie man spricht, verbietet sie, anders zu sprechen, oder tadelt es. Die Sprachwissenschaft ist also wesentlich oder ursprüng- lich erkennend, nicht beurtheilend, nicht — wie man die beur- theilenden Wissenschaften auch genannt hat — ästhetisch. Sie nähert sich aber den letztern oder nimmt auch wohl gänzlich das Wesen derselben an in einigen ihrer Zweige. Dies ist klar in der Metrik, welche reine Kunstlehre ist. Doch die Metrik könnte man von der Sprachwissenschaft gänzlich abson- dern und der Poetik zuweisen. Denn wenn es auch der Sprache nicht zufällig geschieht, daß sie nach metrischen Gesetzen be- handelt wird, so gehört doch diese metrische Behandlung nicht zum Wesen der Sprache als Aeußerung des bewußten In- nern. Weil die Sprache ein Tönen ist, so kann sie als Tonge- bilde künstlerisch geformt werden; diese Formung aber bleibt ihrem innern Wesen und Zwecke durchaus fremd. Die Bedeu- tung wird vom Rhythmus nicht berührt, und völlig bedeutungs- lose Sylben würden denselben metrischen Erfolg hervorbringen als Wörter. Zur Sprachwissenschaft gehört aber allerdings nicht bloß die Betrachtung der Sprache überhaupt, auch nicht bloß die jeder einzelnen Sprache an sich nach ihren einzelnen Elementen; sondern in ihren Kreis fällt auch die Anwendung einer Sprache in den verschiedenen Arten der Literatur; d. h. nicht nur die Form einer Sprache ist Gegenstand der Sprachwissenschaft, son- dern auch ihr Charakter und die in ihrer Literatur entwickelten Style; und hier wird die Sprachwissenschaft allerdings ästhetisch. Die Rhetorik und Poetik zwar wird hierbei von ihr nur berührt; denn sie giebt keine Anweisung zum Reden und Dichten, son- dern bleibt historisch, indem sie eigenthümliche Style darlegt; aber sie greift dadurch in die Literaturgeschichte ein. Nur so viel können wir zugestehen, nicht mehr. In der Literatur- geschichte ist ein sprachwissenschaftliches Element, und ein sehr bedeutendes; aber sie ist nicht nach der Gesammtheit ihrer Auf- gabe und Leistung ein Theil der Sprachwissenschaft; denn sie umfaßt außer jenem sprachwissenschaftlichen Elemente noch andere, wesentlichere, mit welchen jene nichts zu thun haben kann. Die Literaturgeschichte nämlich ist ein Theil der Kunst- geschichte, und zwar derjenige Theil, welcher die Künste um- faßt, deren Darstellungsmaterial Anschauungen und Gedanken, also auch Sprache ist. Dies sind, wie bekannt, im Allgemeinen sechs Künste: die epische, lyrische, dramatische, und die histori- sche, philosophische und rhetorische Kunst. Insoweit nun das Dar- stellungsmaterial dieser Künste die Sprache ist, entlehnt die Li- teraturgeschichte von der Sprachwissenschaft. Zu diesem Dar- stellungsmaterial aber gehört mehr als die Sprache; es gehören dazu noch gedankliche Elemente, die gar nicht der Sprachwis- senschaft, sondern ausschließlich dem Literarhistoriker angehö- ren. Wir vergessen hierbei durchaus nicht Böckhs Warnung davor, in die Literaturgeschichte mehr hineinzuziehen, als die Form der Darstellung. Alles was zum Inhalt gehört, zum Dar- gestellten, darf nicht in sie hineinkommen, sondern gehört der Geschichte der Realien an. Die Darstellungsform, der Styl Platos gehört in die Literaturgeschichte, seine Philosophie in die Geschichte der Philosophie. Die Darstellungsform aber, der Styl, beruht nicht bloß auf der Sprache. Der Platonische Styl wird nicht erschöpft durch seinen sprachlichen Ausdruck. Der Styl hängt allemal auch, und ursprünglicher und bedeutungs- voller als an der Sprache, an der Anordnung und Verbindung der Gedanken selbst, und diese Betrachtung gehört ausschließ- lich der Literaturgeschichte, nicht der Sprachwissenschaft. Neh- men wir noch ein anderes Beispiel. Die Geschichte des grie- chischen Dramas muß doch zur griechischen Literaturgeschichte gehören; wohin wollte man sie sonst bringen? Auch gehört sie hieher mit ihrem gesammten Wesen und wird hier erschöpfend behandelt. Die Geschichte der griechischen Sage an sich ge- hört freilich nicht in die Literatnrgeschichte, weil die Sage nicht ein formales, sondern das materiale Element des Dramas ist. Die Geschichte des griechischen Dramas aber beschäftigt sich nur mit der dramatischen Formung dieser Sagen, und überläßt letztere selbst der Geschichte der griechischen Sage. So viel Berührungspunkte es also auch für die Geschichte des Dramas und die der Sage geben mag, sie fallen nicht zusammen. Von Seiten der Sage kommt also auch kein der Sprachwissenschaft fremdes Element in die Geschichte der Tragödie. Sie wird aber dennoch mancherlei erzählen, wie z. B. daß Aeschylos zwei re- dende Personen auf die Bühne brachte, Sophokles drei, daß in der spätern Komödie der Chor wegblieb u. s. w., was alles die dramatische Form wesentlich und unmittelbar betrifft, die sprach- liche Darstellung aber entweder gar nicht, oder erst mittelbar. Der Literarhistoriker muß also wohl Sprachwissenschaft verste- hen; aber die Literaturgeschichte geht nicht in ihr auf. Die Sprachwissenschaft ragt weit in die Literaturgeschichte hinein, füllt sie aber bei weitem nicht aus. Wir machen also hier be- grifflich eine Scheidung, die aber praktisch verschwinden muß. Ein solches Verhältniß kann nicht wundernehmen, wenn man bedenkt, daß die Sprachwissenschaft aus der Philologie heraus- geschnitten ist Wie ich dies schon in meiner Schrift De pronomine relativo auf den ersten Seiten dargelegt habe, in Uebereinstimmung mit Böckh. Einen ästhetischen, beurtheilenden Charakter aber nimmt die Sprachwissenschaft in einer Disciplin an, die ihr ganz we- sentlich und eigenthümlich ist, nämlich in der systematischen Anordnung oder Classificirung der Sprachen. Hierbei nämlich begnügt sie sich nicht, die Sprachen nur nach den an ihnen er- kannten gemeinsamen Merkmalen in Classen und Familien zu- sammenzufassen; sondern sie bildet aus diesen Classen eine Stu- fenleiter und Rangordnung. Sie beurtheilt also hier den Werth der Sprachen, ihre Würdigkeit als geistige Erzeugnisse und zu- gleich wieder als Mittel zur geistigen Entwickelung. Endlich noch eine Unterscheidung. Sprechen ist eine See- lenthätigkeit und folglich gehört die Sprachwissenschaft in den Kreis psychologischer Wissenschaften: gerade wie auch die Lehre vom Denken und Wollen, d. h. wie Gedanken und Willensregungen entstehen — nicht wie sie sein sollen — in die Psychologie ge- hört. Daß die Betrachtung der Sprache überhaupt und der Sprachfähigkeit durchaus und rein psychologisch ist, hat man immer anerkannt; auch hat man ihr einen Abschnitt in den Lehrbüchern der Psychologie gewidmet. Die Sprachwissenschaft ragt mit ihrem Haupte vollständig in die Psychologie hinein. Das Sprachmaterial aber, d. h. die einzelnen Sprachen sind be- sondere Erzeugnisse des menschlichen Geistes, die nicht mehr der Psychologie, sondern der Geschichte, d. h. der Sprachwissen- schaft, angehören Auf diesen Punkt werden wir am Schlusse des Buches zurückkommen. , eben so wie die einzelnen bestimmten Wil- lensregungen und Gedanken nicht mehr Gegenstand der Psycho- logie sind. Das Sprechen aber, d. h. wie wir oben definirten, die gegenwärtige oder als gegenwärtig gedachte Handlung der Sprache, kann sowohl Gegenstand der Sprachwissenschaft, als der eigentlichen Psychologie sein, natürlich nach verschiedenen Be- ziehungen. Insofern in jedem Sprechen Sprache überhaupt ge- geben und Sprachmaterial geschaffen oder angewandt ist, ist die- ses Sprechen Gegenstand der Sprachwissenschaft. Das Sprach- material aber besteht aus Vorstellungen, und selbst die bloßen Laute, die Articulationen, sind eine Reihe von Seelen-Erregun- gen: als solche können sie der rein psychologischen Betrachtung unterworfen werden, welche vom Inhalte der Seelen-Erzeugnisse absieht. So hat z. B. Herbart in einem Aufsatze „über Kate- gorien und Conjunctionen“ (Sämmtliche Werke VII. S. 482 ff.) die Sprache zum Gegenstande psychologischer Untersuchungen gemacht, die nicht zur Sprachwissenschaft gehören, eben so wenig wie desselben Philosophen psychologische Betrachtung der Far- ben- und Tonvorstellungen für Farben- und Compositionslehre gelten könnte. Alles Nähere über das eigenthümliche Wesen der Sprach- wissenschaft kann nur aus dem genauern Studium derselben her- vorgehen und ist bis heute noch in den wichtigsten Punkten sogar streitig. Denn der Charakter der Wissenschaft hängt, im tiefsten Grunde, von ihrer Erkenntniß ihres Gegenstandes ab. Je nach dem, was man in der Sprache sucht oder an ihr zu haben meint, richtet man auch die Betrachtungsweise ein. Was aber in der Sprache zu finden ist, was man wirklich an ihr hat, soll die Wissenschaft erst ausmachen — einer von den tausend Kreisen, in denen sich die philologische Forschung ihrem We- sen nach bewegt. §. 58. Bestimmung unserer Aufgabe. Die vorliegende Arbeit ist nun gerade ein Versuch, das Princip und damit den Charakter der Sprachwissenschaft mit Sicherheit festzustellen und genau zu bestimmen. Unsere Ab- sicht ist nicht, ein System der Sprachwissenschaft aufzustellen, sondern nur erst den Weg dazu anzubahnen, ihm einen Boden zu bereiten, eine Grundlage zu geben. Wir können natürlich, wie so eben bemerkt worden, das Princip der Grammatik nicht anders finden, als indem wir uns in das allgemeine Wesen ihres Gegenstandes zu vertiefen suchen. Denn nichts anderes als das innerste und eigenste Wesen der Sprache, nichts anderes als das Moment, auf welchem ihr Sein und Wirken beruht, von welchem alle Verhältnisse, in denen sie steht, ganz vorzugsweise und im letzten Punkte abhängen — weil mit diesem Momente sogleich die eigenthümliche Thätigkeit der Sprache beginnt, und ohne dasselbe nur todtes Material zur Sprache vorhanden sein kann, welches erst von ihm zu lebendiger Sprache organisirt, ja sogar von ihm erst herbeigeschafft wird —: nichts anderes als dies kann, darf das Princip der Grammatik sein. Ohne Sicherheit über dieses Princip würde sich nur der Bau, der Lautkörper der Sprache, die Sprache so weit sie in die Sinn- lichkeit fällt, äußerlich beschreiben lassen; aber die ihr inwoh- nende Seele und lebendige Bewegung, ihr geistiger Inhalt und seine Verhältnisse würden sich der Erkenntniß so vollständig entziehen können, daß man sie ganz und gar übersähe und statt ihrer der Sprache ein ganz fremdes Wesen unterschöbe. Daß es der bisherigen Grammatik so ergangen sei, daß sie fälsch- lich der Sprache eine logische Seele statt der eigenthümlich sprachlichen geliehen habe, ist nach unserer voranstehenden Kri- tik mindestens sehr wahrscheinlich geworden und muß zur Ge- wißheit gelangen je nach dem Grade, in welchem es uns im Folgenden gelingen wird, das wahre Wesen der Sprache, ihre Momente und ihre Verhältnisse zu den übrigen geistigen Thä- tigkeiten, ihre Stellung und Function in der Oekonomie des geistigen Leben ins rechte Licht zu setzen. Da es bei allen Untersuchungen höchst wichtig ist, falsche Ansichten, welche sich festgesetzt haben und das Aufkommen der Wahrheit verhindern, wegzuschaffen, so müssen wir mit un- serm ausscheidenden Bemühen noch fortfahren: und zwar dies um so mehr, als jede gründliche Negation auf eine Position hin- weist; denn diese Position ist eben der Grund des Negirens und der wahre Kern und die Kraft der Negation. Wir werden uns aber bei diesen negativen Untersuchungen nicht abermals an Personen wenden; sondern wir werden an die Sache selbst gehen. Sie selbst werden wir fragen, ob die bis- her herrschenden Ansichten die richtigen sind. Wir werden also die Sprache fragen, ob Sprechen und Denken identisch sei, wie man doch behauptet; ob Grammatik und Logik ein und dasselbe seien, wie man doch behaupten müßte, und endlich ob und in wiefern in der Sprache Logik, also die Sprache lo- gisch gebildet sei, was Becker wenigstens fast absolut behauptet. Haben wir auf diese Fragen negative Antworten bekommen, so werden wir uns dann bemühen, in positiver Weise das wahre Wesen der Sprache und ihre wahren Verhältnisse zu finden. Obwohl uns nun bei diesen Untersuchungen über das Ver- hältniß von Logik und Grammatik zu einander eigentlich nur die Grammatik anliegt, weil wir nur in ihrem Dienste stehen: so ist es doch durchaus unthunlich, nicht auch einen Blick auf die Logik an sich zu werfen und rein logische Fragen in Be- tracht zu ziehen, eben weil wir hier Gebietsstreitigkeiten zu schlichten, ungerechte Besitznahmen rückgängig zu machen ver- suchen. Wir können im voraus noch gar nicht wissen, was in Wahrheit der Logik angehört, und was der Grammatik: wir haben dies erst zu prüfen; und wo sich ein Verdacht ergiebt, muß weiter das wahre Eigenthumsrecht erforscht werden. Wir wollen die Logik aus der Grammatik ausweisen, die Sprach- wissenschaft von ungehörigen logischen Elementen reinigen; wir dürfen aber auch der Logik nichts Grammatisches lassen und müssen sie von allem unrecht erworbenen Gute reinigen, das wir für die Grammatik in Anspruch zu nehmen haben. Wir den- ken zwar hierbei auch der Logik zu nützen, handeln aber zu- nächst immer nur im Dienste der Grammatik. Denn lassen wir jener, was vielmehr dieser gehört: so scheint es, da sie ihres Ei- genthums nicht entbehren kann, als müsse sie es von jener bor- gen; und diesen Schein haben wir zu zerstören. Alle diese Aus- einandersetzungen lassen sich aber nicht machen ohne Grund- sätze; und ferner, um die Grenze zu bestimmen, muß man sie erst überschritten haben. Das nöthigt also, näher auf die Logik einzugehen, so ungern wir es auch thun, wohl wissend, daß wir dort nicht einheimisch sind, und gerade genug dort bekannt, um die Schwierigkeiten nicht zu übersehen, welche da zu überwin- den sind, besonders mißtrauisch aber gegen uns selbst, da wir so oft im Widerspruche zu anerkannten Männern oder Lehren stehen. Was uns ermuthigt, unsere Ansicht frei und entschie- den herauszusagen, sowohl hier wie anderswo, das ist, daß durch das Aussprechen einer Ansicht, welche man mit Gründen zu unterstützen sucht, niemals etwas verdorben wird — auf Auto- rität aber kann niemand weniger Anspruch machen, als wir hier oder dort oder irgendwo machen —; und daß es bei man- chen Punkten einer Wissenschaft leichter ist, von außen hinein- blickend das Richtige zu sehen, als wenn man sich ausschließ- lich in ihr bewegt. Solche Punkte der Logik hoffen wir gerade hier zu betrachten, und von einem günstigen Orte aus. So möge man prüfen, was wir bieten, und abweisen oder annehmen, wie die Wahrheit es verlangt. B. Von der Logik im Allgemeinen. §. 59. Bestimmung der Logik und Verschiedenheit des wissenschaftlichen Charakters derselben von dem der Sprachwissenschaft. Wir haben vorhin bemerkt, daß die Sprachwissenschaft eine erkennende, urtheilende Wissenschaft sei; die Logik aber — so unterscheidet sie sich von vorn herein durch ihren Charakter von der Sprachwissenschaft — ist eine beurtheilende, eine ästhe- tische Wissenschaft. Die Logik nämlich will nicht, wenigstens nicht bloß, thatsächlich vorhandene Gegenstände und Verhält- nisse erkennen; sondern sie will beurtheilen und sucht Maßstäbe zu Beurtheilungen. Sie fragt aber, ob ein Gedanke richtig oder unrichtig gebildet sei, oder ob etwas, das sich für ein Gedachtes ausgiebt, wirklich gedacht werden könne; denn was nicht richtig gedacht ist, ist vielmehr gar nicht gedacht, sondern nur vorgeblich. Da sie bloß fragt, ob ein Gedachtes richtig oder wirklich gedacht sei, oder nicht, so sucht sie ihre Maßstäbe nur in der Natur des Denkens selbst, und die Denk- fähigkeit ist ihr allgemeinster Maßstab . Hieraus ergeben sich zwei Bemerkungen. Erstens nämlich 10 folgt aus dem Gesagten, daß die Logik, wie alle ästhetischen Wissenschaften, eine hypothetische Wissenschaft ist, womit ich sagen will, daß sie bloß erklärt: wenn etwas gedacht wird, so muß es so und so beschaffen sein; sie zeigt aber gar nicht, wie man dazu kommt, dieses zu denken, d. h. sie ist nicht gene- tisch . Die Logik zeigt also gar nicht, wie wir zu richtigen und falschen Gedanken kommen, weil sie überhaupt nicht dar- auf sieht, wie ein Gedachtes im Denken entsteht. Sie beurtheilt die Gedanken, die ihr gegeben werden, aber erklärt dieselben nicht; sie billigt sie als richtig gedacht, oder verurtheilt sie als unrichtig gedacht, ohne zu fragen, woher sie im einen oder an- dern Falle kommen. Sie zeigt also die Beschaffenheit des rich- tig Gedachten, nicht seine Genesis. — Die Sprachwissenschaft ganz im Gegentheil ist eine genetische Wissenschaft, die ihren Gegenstand nicht bloß als seiend nimmt, sondern dessen Wer- den und Entwickelung darlegt; denn hierin liegt das Wesen des Gegenstandes und seine Verhältnisse im Innern, wie seine Be- ziehung zu andern, was alles eben erkannt werden soll. Die zweite Bemerkung betrifft die formale Natur der Lo- gik. Weil nämlich der zu beurtheilende Gegenstand der Logik das gegebene Gedachte ist, und zwar dieses rein an sich als Erzeugniß des Denkens: so sieht sie nicht bloß von der psycho- logischen Entstehung des Gedachten im Denken ab, sondern auch von der Beziehung desselben zur Wirklichkeit, zum Da- seienden, dessen Gedachtes es ist. Wegen dieser letztern Ei- genthümlichkeit nennt man die Logik formal. Wie bei der Be- trachtung des Dreiecks in der reinen Mathematik es gleichgültig ist, von welchem Stoffe das Dreieck ist, indem eben bloß diese Form des Dreiecks in Betracht kommt: so ist der Gegenstand des der Logik vorliegenden Gedachten dieser Wissenschaft gleich- gültig und nur die Denkform des Gedachten fällt ihrer Beur- theilung anheim. Wegen dieser einseitigen Betrachtungsweise ist die Logik unfähig zu beurtheilen, ob ein Gedanke wahr ist oder nicht; sie weiß bloß, ob er richtig gedacht ist; d. h. sie weiß, ob in einem Gedanken die Anforderungen des Denkens an sich erfüllt sind, weiß aber nicht, ob dieser Gedanke das Gedachte der Wirklichkeit ist. Diesen Mangel hat sie mit der reinen Mathematik gemein. Gesetzt es zöge jemand einen Kreis und den Durchmesser, und sagte uns: ich habe hier ein Qua- drat mit einer Diagonale und werde nun beweisen, daß die beiden durch die Diagonale entstandenen Dreiecke im Quadrate sich so oder so verhalten: so wird weder der Logiker noch der Mathematiker hiergegen etwas einwenden können; und dennoch ist alles was er sagt unwahr. Wer sein Vermögen berechnet, aber dabei sein debet und habet nicht richtig ansetzt, mag im- merhin sehr richtig rechnen: eine wahre Einsicht in den Bestand seines Vermögens erlangt er nicht; die formalen Forderungen sind wohl erfüllt, aber nicht die materialen. Mag nun auch die formale Logik eine sehr einseitige Wis- senschaft sein: sie ist es nicht mehr, als die reine Mathematik, und die Erfüllung ihrer Gesetze bildet die Grundlage der Wahr- heit. Sie bietet durchaus keine Bürgschaft für die Erkenntniß der Wahrheit; aber was noch nicht einmal richtig gedacht wäre, würde gewiß noch weniger wahr sein. Die Logik macht die Voraussetzung, daß in der Wirklichkeit keine Verhältnisse vor- kommen, die nur gegen die Gesetze der Logik gedacht werden könnten; denn, kämen sie vor, so würden sie eben gar nicht gedacht werden können und außerhalb unserer Einsicht und Er- kenntniß fallen. Denn ein der Logik widersprechender Gedanke ist eben gar nicht gedacht, und noch weniger also kann mit ihm etwas begriffen sein. So einseitig also auch die Logik ist, so wenig sie Wahr- heit bietet, so ist sie dennoch von höchster Wichtigkeit, da die Erfüllung ihrer Gesetze die conditio sine qua non der Wahrheit und alles Denkens ist. Wir sehen es darum für ein Unglück an, daß man sie in unserm Jahrhundert verachtet und vernach- lässigt hat. Sie ist das Ein-Mal-Eins der Wahrheit und sollte daher vorzüglich im Knabenalter und auf den Gymnasien nicht bloß gelernt, sondern eingeübt werden. §. 60. Vertheidigung der formalen Logik. Von den absurden Angriffen der Identitätsphilosophen gegen die formale Logik zu reden, wäre ein Anachronismus. Der Weltgeist ist über diese eben so wahnsinnig anmaßende als in- haltsleere Philosophie hinaus. Aber Trendelenburgs Kritik der formalen Logik müssen wir näher betrachten. Trendelenburg hat ein schönes kritisches Princip oder das wahre kritische Verfahren. Dasselbe ist mit seinen eigenen Wor- ten (Logische Untersuchungen I. S. 6) so auszusprechen: „Wir fragen, wie weit ist es der Logik gelungen, ihre Aufgabe zu lösen? … Wenn wir hiernach das Werk dieser Wissenschaft 10* zu prüfen versuchen, so haben wir dahin zu sehen, ob sich die formale Logik innerhalb ihres Kreises vollendet, oder ob sie in sich Elemente aufnimmt, welche die Form des Denkens über- schreiten und den Inhalt der Gegenstände berühren. Wenn sich dies Letzte erwiese, so würde sie sich damit selbst das Urtheil sprechen.“ Solche Kritik muß sich die formale Logik gefallen lassen. Es versteht sich aber auch von selbst, daß der Kritiker den Kreis der formalen Logik nicht über ihre wahren Grenzen ausdehnen, ihr nichts zumuthen und nichts zuschreiben darf, was nicht in sie gehört. Welches dieser Kreis sei, welches ihre Aufgabe und Tendenz sei, haben wir so eben, ich hoffe genü- gend, dargelegt. Sollten Andere über die Grenzen der Logik hinaus dieselbe haben ausdehnen wollen, so sind sie mit Recht von Trendelenburg gewarnt: ne ultra! Wir können uns hier natürlich nur um unsere Darstellung kümmern. Schon von vornherein hat Trendelenburg eine ungehörige Zumuthung an die Logik gestellt. Er geht nämlich, um sogleich Zweifel gegen die Möglichkeit derselben zu erregen, von einer Analogie aus. Alle Sinne und Organe, sagt er, werden nur be- griffen, wenn sich die Aufmerksamkeit zugleich auf ihre Form richtet und auf ihren Zweck, auf den Gegenstand, den zu er- fassen sie bestimmt sind. Das Auge begreift man nur, indem man neben der Form desselben auch die Natur des Lichts be- trachtet u. s. w. Ebenso würden die Formen des Denkens nur begriffen, indem man zugleich die Beziehung des Denkens zum Gegenstande hervortreten läßt. Wenn nun gar die Logik die Wahrheit als die Uebereinstimmung des Gedankens mit dem Gegenstande erkläre, so stehe sie „von vornherein dem Bekennt- niß ihrer Unzulänglichkeit nahe.“ Die Logik, erwiedern wir, steht dem Bekenntnisse ihrer Unzulänglichkeit nicht bloß nahe, sondern spricht es frei und offen aus. Die Logik lehrt nur Richtigkeit des Gedachten, nicht Wahrheit; und sie macht nicht den Anspruch, das Denken zu begreifen, wie die Physiologie unsere Organe und Sinne erkennt: das überläßt sie theils der Psychologie, theils der Metaphysik. Sie erforscht bloß die Be- schaffenheit des richtig Gedachten. Die Bemerkungen Trendelenburgs über den Begriff, wie ihn die Logik ansieht, mögen wohl alle ganz richtig sein. Der Be- griff ist wirklich für die Logik weiter nichts als eine Zusam- menfassung von Merkmalen. Das ist eine sehr abstracte, sehr unvollständige Auffassung des Begriffs; es ist aber eben die der formalen Logik. Die materialen Wissenschaften treten ergän- zend hinzu, und selbst indem sie dies thun, muß die Logik sie bewachen. Die Logik hat gegen einen Fisch oder einen Löwen mit dem Kopfe und der Brust eines Weibes keine Einwendung zu machen. Ihr ist der Begriff der Sphinx gegeben, als eine Zusammenfassung von Merkmalen, welche sich als gedachte Mo- mente unter einander nicht stören; also findet sie den Begriff nicht unrichtig. Der vergleichende Anatom findet allerdings, daß sich jene Merkmale stören, daß sie unvereinbar sind; und nun ist es die Anatomie, oder vielmehr die Logik des Anatomen, welche die Sphinx für einen unrichtigen Begriff erklärt. Hier- mit soll nicht gesagt sein, daß es mehrere Logiken giebt, son- dern wir meinen Folgendes. Dem Logiker sind mit dem Begriffe der Sphinx die beiden Merkmale eines menschlichen Oberkörpers und eines thierischen Unterkörpers gegeben. Da dies völlig disparate Begriffe sind, so hält er ihre Vereinigung nicht für unrichtig. Die Anatomie zeigt ihm aber, daß diese Begriffe nicht disparat sind, daß im menschlichen Oberkörper ganz bestimmte Beziehungen liegen, und ebenso im thierischen Unter- körper, und daß diese verschiedenen Beziehungen in conträrem Gegensatze stehen. Jetzt corrigirt sich der Logiker; wenn dem so ist, sagt er, so ist die Sphinx ein durchaus unstatthafter Be- griff. Hiermit ist aber die formale Logik schon zur angewand- ten geworden. Es ist hier noch eine andere Bemerkung zu machen. Tren- delenburg scheint auch nicht gehörig beachtet zu haben, was es heiße, wenn die formale Logik sagt, sie betrachte bloß das Ge- dachte, nicht das Ding. Er bemerkt (S. 7): „Man wird die Dinge doch nicht los; denn die Vorstellungen führen immer auf das, dessen Gegenbild sie sind.“ Die Logik hat es aber nicht bloß nicht mit den Dingen zu thun, sondern auch nicht mit bestimmten Vorstellungen und Begriffen sondern nur mit dem Gedachten überhaupt in Form von Begriffen, und Urtheilen und Schlüssen. Ihr Gegenstand ist nicht dieser und jener Begriff oder Schluß, sondern der Begriff, der Schluß überhaupt, das Denken in diesen Formen. Der Begriff ist allerdings für sie bloß eine Zusammenfassung von Merkmalen; aber sie weiß, daß in jedem bestimmten Begriffe die Merkmale in einer bestimmten Beziehung stehen. Von dieser Bestimmtheit der Beziehung muß sie absehen, und so bleiben ihr freilich die Merkmale ohne das dieselben einende Band; d. h. es bleibt ihr die Merkmalheit , wenn ich so sagen darf, d. h. die Eigenthümlichkeit des Begriffs, Merkmale zu haben. Aber die Beziehung der Begriffe überhaupt, das Band an sich, nur kein bestimmtes, ist wohl eine wichtige Kategorie der Logik. So lehrt sie z. B., daß selbst conträre Begriffe sich wohl mit einander vertragen, wenn sie nämlich in der bloßen Beziehung der Summe stehen. Bei der Anwen- dung gelangt die formale Logik natürlich zu ganz besondern Be- stimmungen, d. h. diese werden ihr gegeben, und so werden auch ihre Beziehungen bestimmter; aber bei dieser ganz bestimm- ten Beurtheilung wendet sie doch nur ihre ganz allgemeinen Ka- tegorien und Maßstäbe an. Der Grund des conträren Verhält- nisses zweier Begriffe liegt freilich in ihrem Inhalte. Dieser In- halt muß ihr gegeben sein; aber nicht ihn betrachtet sie, son- dern nur das daran hervortretende Verhältniß des conträren Ge- gensatzes. Wenn auch der Grund desselben im besondern In- halte liegt: die Logik bestimmt dasselbe ganz allgemein nach der Natur des Denkens als das Verhältniß zweier Begriffe, die nicht zusammen gedacht werden können, weil das Denken des einen das Denken des andern aufhebt und unmöglich macht. Das lehrt und übt eben die formale Logik, zu scheiden, so nahe an einander das zu Unterscheidende auch liegen mag. Auch für alles Folgende, was Trendelenburg gegen die for- male Logik vorbringt, wiederholen wir die schon gemachte Be- merkung, daß Trendelenburg ganz richtig gesehen hat; daß er aber theils Zumuthungen an sie stellt, denen sie vermöge ihrer be- schränkten Tendenz nicht zu genügen unternehmen kann und will, und daß er ihr das Recht abspricht, Gegebenes aufzunehmen, wiewohl doch ihr ganzes Dasein auf dem gegebenen Gedachten beruht. Er wirft ihr z. B. vor (S. 11), die Verneinung plötzlich einzuführen, ohne die Abstammung und Bedeutung derselben für das Erkennen gezeigt zu haben. Es ist hierauf einfach zu erwiedern, daß ihr die Negation gegeben ist, wie der Begriff und das Ge- dachte überhaupt, und sie dieselbe da einführt, wo es ihr angemes- sen scheint. Nicht in der Logik kann die Entstehung der Ver- neinung erörtert werden, sondern in der Psychologie, die über- haupt das Entstehen des Gedachten zeigt. Die formale Logik ist zwar nicht die aristotelische, aber sie ist doch von Aristoteles eigentlich geschaffen, und er ist ihr Vater. Trendelenburg möchte dies läugnen. Indessen alles was er zur Unterscheidung der aristotelischen und formalen Logik vorbringt, beweist keine wesentliche Verschiedenheit, noch we- niger etwa einen Rückschritt der formalen Logik, wenn man ihre heutige Bearbeitung mit der aristotelischen vergleicht. Die Schei- dung und Reinigung der Wissenschaften hat sich überhaupt seit Aristoteles weiter ausgebildet, und so hat sich auch die Logik strenger begrenzt und ist endlich rein formal geworden. So streng formal war sie bei Aristoteles noch nicht, der noch nicht einmal die Grammatik von ihr abgeschieden hat; aber die Ten- denz zu ihrem reinen Formalismus war ihr schon von Aristo- teles eingehaucht. Die formale Logik ist die Frucht seines Sa- mens. Wir fordern mit Kant und Herbart strenge Abgrenzung der wissenschaftlichen Gebiete, mindestens strenge begriffliche Absonderung. Auch Göthe wollen wir hören, den Trendelen- burg vielleicht noch höher schätzt (Propyläen, Einleitung): „Die Künste selbst, so wie ihre Arten, sind unter einander verwandt , sie haben eine gewisse Neigung, sich zu vereinigen, ja sich in einander zu verlieren“ — gerade wie die Wissenschaften —; „aber eben darin besteht die Pflicht, das Verdienst, die Würde des echten Künstlers, daß er das Kunstfach, in welchem er ar- beitet, von andern abzusondern, jede Kunst und Kunstart auf sich selbst zu stellen und sie aufs möglichste zu isoliren wisse.“ Und in der Wissenschaft sollte es anders sein? Bleiben wir also bei der formalen Natur der Logik, so ha- ben wir in ihr abermals einen Unterschied gegen die Gramma- tik. Auch sie zwar ist formal, in so fern sie nicht den Inhalt der Rede, sondern nur die sprachliche Form betrachtet. Aber im Verhältniß zur Logik ist die Grammatik, wie die reine Ma- thematik, schon etwas Materiales, indem in beiden ganz bestimmte Denkprocesse vorkommen, welche sich als ein bestimmter Inhalt in logischer Form offenbaren. Die sprachliche Form ist ein Stoff, eine besondere Anwendung und Verkörperung der logi- schen Form. Daher steht die Grammatik, wie jede andere Wis- senschaft, unter der Logik und ist in keiner Weise mit ihr iden- tisch. Diese hier im Allgemeinen begründete Verschiedenheit zwi- schen Grammatik und Logik wollen wir nun in der schon an- gegebenen Weise ins Einzelne verfolgen. II. Nähere Darlegung des Unterschiedes zwischen Grammatik und Logik. 1. Sind Sprechen und Denken identisch? §. 61. Vorgebliche Untrennbarkeit und Einheit von Sprechen und Denken. Wenn man, wie auch wir thun, die Sprache Ausdruck des Innern, Darstellung der Intelligenz, genannt hat, so hat man, von Plato bis auf Becker, dieser aber in strengster und durch- geführtester Weise, damit behaupten wollen, daß die Sprache mit der Intelligenz durchaus identisch sei, d. h. daß die Bedeu- tung der Sprachlaute durchaus nichts anderes sei, als die Er- zeugnisse der Intellectualität selbst, Anschauungen, in weiterer Ausbildung Begriffe, und Gedanken. Die Sprache sollte hiernach zwei Seiten haben, eine äußere und eine innere, welche sich zu einander wie Körper und Geist verhalten sollten; die äußere, die Lautseite der Sprache, meinte man, sei das körperliche Ele- ment, in welchem die innere Seite, die Intellectualität, lebe, wohne und geboren werde, und durch welches Element sie sich zugleich äußere und darstelle zu sinnlicher Wahrnehmbarkeit. Sprache ist Gedanke selbst, Wort ist Begriff selbst, Satz ist Urtheil selbst, nur zugleich sprachlich ausgedrückt, lautlich wahr- nehmbar. So streng hat man die Einheit von Sprechen und Denken genommen, daß das eine ohne das andere organisch un- möglich sein sollte, daß wenn sie nach ihrer organischen Natur heranwüchsen, jedes mit dem andern nothwendig zugleich gege- ben sein müßte, weil sie eben gar nicht zwei verschiedene Wesenheiten seien, sondern nur eine. Der Laut, d. h. der or- ganisch articulirte, ist nicht ein selbständiges Wesen für sich, begründet nicht etwa ein Wesen, Sprache genannt, abgesondert und verschieden vom Gedanken; sondern der Laut gehört dem Denken selbst, ist ihm organisch so nothwendig, wie eine Mate- rie der Kraft, ein Leib der Seele. Man hat sich von diesem Drange, Sprechen und Denken zu vereinheitlichen, so weit trei- ben lassen, daß man vergaß, sich zu fragen, was denn nun ei- gentlich der Name Sprache noch bedeuten solle, jetzt, da selbst der Laut ein Element des organischen Denkens ist? Auf diese Frage würde ich nach Beckers Theorie nur antworten können, Sprache bezeichne die organische Eigenschaft des Denkens, tönen zu müssen. Dem Denken fehle das Lauten niemals. Denn — und diese Thatsache ist richtig — selbst unser stilles, lautloses Denken ist ein mindestens beabsichtigtes Sprechen; die innere Ansicht der Articulation begleitet dasselbe allemal. Stilles Denken ist gedachtes Sprechen, Sprechen nur gesprochenes Denken. Ich habe an mir eine Beobachtung gemacht, die gewiß auch jeder andere an sich schon gemacht hat oder machen kann. Wenn ich nämlich aus- wendig gelernte Reden und Gedichte schweigend in Gedanken wiederholte, wobei allerdings auch eine gewisse Aufmerksamkeit auf das äußere, wiewohl unterdrückte, Element des Vortrags gerichtet war, so konnte ich sehr deutlich ein leises Zucken in der Zunge, ein schwaches, oft nur beabsichtigtes, Nachahmen aller Articulationen an mir bemerken. Auch Herbart sagt (Be- merkungen über die Bildung und Entwickelung der Vorstellungs- reihen, S. W. VII. S. 320): „Das stille Denken ist großentheils merklich ein zurückgehaltenes Sprechen; und man hat allen Grund anzunehmen, daß wirklich ein Handeln dabei vorgeht, welches für die Seele schon ein äußeres Handeln ist; nämlich ein Anregen der Nerven, welche die Sprachorgane regieren; nur nicht stark genug, um die Muskeln zu bewegen.“ §. 62. Ablösbarkeit des Denkens vom Sprechen, erwiesen durch Thatsachen. Dies halten wir für richtig. Wenn aber hieraus die Unzer- trennlichkeit von Sprechen und Denken folgen mag, so folgt daraus noch nicht ihre Einheit und Selbigkeit. Ja man darf daraus noch nicht einmal ihre Unzertrennlichkeit schließen; denn andere, nicht minder sichere Thatsachen, oder noch sichrere, beweisen die Trennbarkeit. Das Thier denkt ohne zu sprechen. Wir werden hierauf zurückkommen. Nur kann es uns nicht einfallen, beweisen zu wollen, daß das Thier denkt — es wäre überflüssige Mühe —, noch daß es nicht spricht — es wäre verschwendete Mühe. Wir wollen aber schon hier bemerken, daß das Thier nicht bloß empirisch denkt, in rein sinnlicher Gegenwart lebt; sondern es hat Gedächtniß, erkennt wieder — und hierin liegt ein Keim zum Bewußtsein der Vergangenheit —, ja noch mehr, es ver- muthet und erwartet die Zukunft, berechnet sie und macht über- haupt Schlüsse: das ist sogar schon ein apriorisches Element. „Das sind Thiere; aber der Mensch!“ — Nun, auch er denkt in manchen Fällen ohne Sprache. Der Taubstumme denkt oft verständiger als mancher Redende; er ist sogar meist schlau, und selbst ohne besondern Unterricht hat er religiöse Vorstel- lungen. Er lernt ein Handwerk und wird ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft. Er erzählt, läßt sich erzählen, ist der Unterhaltung fähig. „Das ist der verstümmelte, unorganische Mensch! aber der organische, der im Besitze aller menschlichen Kräfte ist! aber wir!“ — Nun, auch wir denken oft genug ohne zu sprechen. Wir träumen, und Träumen ist doch ein Denken. Es werde zugestanden, daß geträumte Reden, wie unser leises Denken, von schwachen Erregungen der Nerven der Sprachorgane be- gleitet werden, und manchmal sind ja diese Nervenerregungen stark genug, um die Muskeln der Sprachorgane in Bewegung zu setzen und hörbares Schlafsprechen zu erzeugen. Die gan- zen Traumbilder aber und Handlungen und Begebenheiten sind doch sicherlich nicht ein bloßes leises Erzählen. Träumen ist Phantasiren, also ein intellectuelles Handeln, aber ohne Worte. „Das ist der träumende Mensch; aber der wachende!“ — Auch er denkt gelegentlich ohne Wort, und gerade da, wo er am besten denkt: in der Logik und in den mathematischen Wis- senschaften. Der Geometer zeichnet seine Figur, zieht seine Hülfslinien und durchläuft in Gedanken eine lange Demonstra- tion, ohne daß ihm dazu die Sprache unentbehrlich wäre. Der Chemiker sieht M n O 2 + SO 3 = O + M n O,SO 3 und erkennt hieraus eine ganze Geschichte von Trennungen und Verbindungen. Der mathematische Psycholog giebt durch zu verstehen, unter welchen Umständen zwei Vorstellungen eine dritte aus dem Bewußtsein verdrängen. Der Logiker sieht und erfaßt den Inhalt dieser Formel mit einem Blicke, ohne Wort. Alle solche Formeln werden nicht gelesen, nicht gespro- chen; sie werden gesehen und gedacht. Sie lassen sich aller- dings in die Sprache übersetzen und gewinnen dann wohl an Faßlichkeit, aber sicherlich nicht an Klarheit, und verlieren sogar an Schärfe und Bestimmtheit. Und die größere Faß- lichkeit rührt nur von unserer Gewohnheit her, sprechend zu denken. Das Denken wird uns leichter mit Hülfe des Wortes, weil wir an diese Krücke gewöhnt sind. So gelangt man durch die Sprache zum Verständniß jener Formeln; aber das Ziel ist, sie zu schauen, sie zu denken ohne Wort. Wer eine Beethovensche Symphonie verfolgt, der denkt, aber ohne Wort. Wer ein Gemälde betrachtet, die Gesichts- züge eines Menschen, die Construction einer Maschine zu er- fassen sucht: der denkt ohne Wort. Wenn wir über eine Rinne schreiten, eine Treppe auf- oder absteigen, ein Loth oder zehn Pfund heben oder niedersetzen: so messen wir genau das Maß der anzuwendenden Kraft ab, bestimmen auch die Richtung unserer Kraft, denken also, ohne zu sprechen. Hieraus folgt nun, daß die unterste Stufe des Denkens, das Anschauen von äußern oder innern Bildern, des Wortes nicht bedarf; daß das gewöhnliche Denken des gemeinen mensch- lichen Lebens wenigstens thatsächlich und in der Regel an die Sprache gebunden ist; daß aber endlich der Geist auf einer höhern Stufe der Ausbildung sich von der Last des Lautes zu befreien sucht. Nur irgend ein sinnliches Zeichen muß er auch auf der höchsten Höhe haben als Stab und Stütze, als Leit- faden; oder, nach einem andern Bilde, die Zeichen sind dem Geiste, indem er dem Begriffe nachspürt, eingeschlagene Pfähle an den Stellen, wo er die Fußstapfen des Begriffs erkannt hat, um die Schritte und den Weg desselben um so leichter von neuem durchlaufen zu können. Dazu ist ihm aber das Wort oft zu grob, und er wählt statt dessen das algebraische Zeichen. Auf der untersten Stufe des Denkens bedarf er des Zeichens nicht; hier ist es die Anschauung selbst, die er will, die ihm stehen soll. Nur im mittleren Denkreiche herrscht gewöhnlich das Wort. Daß es aber auch hier eben nur ein Zeichen ist, als Zeichen dient und keinen höhern Werth hat, zeigt sich daran, daß es beim unterrichteten Taubstummen durch Fingersprache und Schriftzeichen vollständig ersetzt wird. Auch ist für den Taubstummen, der sich von Kindheit auf an ein künstliches Fin- geralphabet gewöhnt hat, die Fingerbewegung fast eben so un- zertrennlich vom Denken, eben so nothwendig für dasselbe ge- worden, wie bei uns das Wort. In den Anstalten, in denen ein Fingeralphabet als gewöhnliche Umgangssprache dient, hat man bemerkt, daß die Taubstummen bei ihrem stillen Denken die Finger bewegten. Auch im Traume thun sie es oft. Die Fin- gerbewegung ist also bei ihnen eben so sehr mit dem Denken verschmolzen, wie bei uns der Laut, die Articulation; was darauf führt, auch die Verbindung der Articulation mit dem Denken als den Erfolg einer Gewohnheit anzusehen. Späterhin freilich werden wir sehen, daß zwischen Gewohnheit und Ge- wohnheit ein Unterschied ist, daß nämlich die eine von der Natur vorgezeichnet und angeordnet, die andere nur zum Ersatz angenommen ist. Hier aber war zu zeigen, daß die behauptete Unzertrennlichkeit von Denken und Sprechen eine Ueber- treibung ist, und daß der Mensch nicht im Laute und durch Laute denke, sondern an und in Begleitung von Lauten. Denn weder ist die Wirklichkeit des Denkens von dieser An- knüpfung desselben an den Laut durchaus abhängig und ohne sie unmöglich, noch wird durch ihre Aneinanderknüpfung Wort und Begriff, Sprache und Gedanke identisch. Es ist eine schlechte Ausrede, zu behaupten, das lautlose Denken sei unorganisch. Denn erstlich das Denken als An- schauung, als Bildschöpfung, ist ohne Zeichen durchaus orga- nisch. Das algebraische Denken ferner ist eine ganz nothwen- dige, also organische Stufe in der organischen Entwickelung des menschlichen Geistes, auf welche Stufe derselbe in ganz orga- nischer Weise seiner organischen Natur nach gelangen muß. Endlich aber, wäre der Laut dem Denken so organisch noth- wendig, wie ein Leib der Seele, ein Stoff der Kraft: so müßte die Trennung des Lautes vom Denken für beide eben so zer- störend und tödtlich wirken, wie die Trennung des Leibes von der Seele, oder so unmöglich sein, wie die des Stoffes von der Kraft. Das ist aber nicht der Fall; sondern es findet das Wun- der Statt, daß das Denken, obwohl unorganisch, doch fortlebt — gewiß eine wunderliche Unsterblichkeit und Unzerstörbarkeit des Gedankens. Ich will zu den oben angeführten Beispielen des Denkens mit Zeichen noch ein höchst merkwürdiges hinzufügen, wo man nicht aus dem Mangel eines Sinnesorganes und nicht bloß zu be- schränkten Zwecken, zu wissenschaftlichen Formeln, sondern wo ein Volk zur Darstellung von Gedanken sich schriftlicher Zei- chen bedient. Dies geschieht in China. Kein Chinese ist im Stande, im alten erhabenen Style abgefaßte Schriftstücke, die man ihm vorliest, durch bloßes Hören aufzufassen. Dies ist eine vielfach versicherte und für den Kenner des Chinesischen leicht begreifliche Thatsache. Diese chinesische Literatur alten Styles ist so umfangsreich wie irgend eine; sie ist ganz vorzüg- lich reich an Darstellung von Reflexionen und Gefühlen, beson- ders an Betrachtungen über die sittlichen Verhältnisse der mensch- lichen Gesellschaft; sie ist weniger beschreibend, sinnlich, an- schauungsvoll, als reflectirend, rein denkend; sie wird gepflegt und studirt mit demselben Fleiße, wie der chinesische Ackerbau, seit mehr denn zwei Jahrtausenden: und diese Literatur ist in der That keine sprachliche, sondern eine Zeichenliteratur; denn nicht sprechend wird sie mitgetheilt und hörend vernommen; sondern in Zeichen geschrieben, wird sie nur durch Auschauung aufgefaßt. Zwar hat jedes Zeichen einen Laut, mit dem es ausgesprochen wird; aber was kann das nützen, da dieser Laut, der das Zeichen trägt, bloß ausgesprochen, völlig unverständ- lich bleibt, das Zeichen aber, gesehen, beim ersten Blicke eine Vorstellung anregt? Hier redet also eine weite und tiefe Litera- tur nicht zum Ohre, sondern zum Auge; hier wird also gar nicht mit Lauten, sondern mit Schriftzeichen gedacht; und diese Literatur ist das höchste Erzeugniß des Geistes eines der älte- sten und cultivirtesten Völker der Erde. Dies ist noch nicht alles. An einem andern Orte, wo ich den Charakter dieser Literatur weitläufiger dargelegt, habe ich auch gezeigt, daß diese Zeichen-Literatur durch die Eigen- thümlichkeit der chinesischen Sprache selbst veranlaßt wurde; daß diese, unfähig dem Gedanken bei seinem höhern Schwunge die nöthige Unterstützung zu geben, dazu zwang, eine andere Stütze zu suchen; daß sie, schon ursprünglich lose an den Ge- danken gebunden und nicht mit ihm verschmolzen, die Scheidung des Gedankens von ihr erleichterte. Man überlege sich dies recht, und man wird finden, daß, so sehr auch das menschliche Denken immer und überall das- selbe ist, doch in dem hier besprochenen Falle in dem ersten Hülfsmittel des Denkens, in der Sprache, eine Verschiedenheit von dem regelmäßigen Verhältniß Statt findet, welche unmög- lich gleichgültig sein kann für die Weise des Denkens selbst, d. h. für diese psychologische Thätigkeit; und es liegt also hier der Psychologie einer der merkwürdigsten Gegenstände zur Be- trachtung vor. Denn wenn sich schon das erste Denken des Kindes an eine Sprache schließt, die nur ein unvollkommener Träger des Gedankens ist; wenn dann ferner der Knabe und das Mädchen ihren Unterricht und ihre Studien von Anfang bis zu Ende, und das heißt sehr oft bis zum Greisenalter und zum Tode, in einer sprachlosen Zeichenliteratur durchlaufen, die über- dies wegen der Form und wegen des Inhalts die allgemeinste höchste Verehrung genießt; wenn man solche Literatur nicht nur unausgesetzt studirt, sondern auch unaufhörlich seine eige- nen Gedanken nach dem Muster derselben darzustellen sich be- müht; wenn aller Umgang nur mit Männern geschieht, die ge- rade eben so ihre intellectuelle Bildung erworben haben, und alle Unterhaltung, ernste und heitere, sich um die alte Literatur bewegt und tausendfach auf sie anspielt, auch im Ausdruck sich ihr nähert: wie muß nicht in einer solchen Intelligenz das Ver- hältniß von Denken und Sprechen ganz anders sein, als dies bei uns Statt findet! Man nenne nur immerhin ein solches Ver- hältniß unorganisch. Damit hat man nur nichts erklärt, und hat sogar einen Unsinn ausgesprochen. Denn ein organisches Wesen ist entweder, und dann ist es nothwendig organisch; oder es ist gar nicht: so ist es doch niemals unorganisch. Endlich noch ein Beispiel, das viel näher liegt, als das der chinesischen Sprache und Schrift, und doch mit ihm die größte Aehnlichkeit hat. Es wird gewiß Vielen, die nur englische Schriften gelesen, aber nicht englisch gesprochen haben, eben so gehen wie mir, daß sie nämlich, wenn sie englisch hören, sich das Gehörte schnell als geschrieben vergegenwärtigen und so erst verstehen, d. h. den Gedanken auffassen. Das rührt von der Verschiedenheit zwischen Schreibung und Aussprache und der Gewöhnung her, immer die Schreibung dem Geiste gegen- wärtig zu haben. Ich denke, dies beweist, daß, wenn man eng- lisch zu uns spricht, wir nicht in englischen Lauten, sondern in englischer Schrift denken; daß folglich Denken und Sprechen wohl zertrennlich und also noch mehr verschieden sind. §. 63. Verschiedenheit von Denken und Sprechen, bewiesen durch Reflexion. Wir haben uns im Vorhergehenden auf Thatsachen beru- fen. Wir fügen nun noch folgende Reflexion hinzu. Die Fä- higkeit, eine fremde Sprache verstehen und sprechen zu lernen, beweist schon mindestens die Möglichkeit, meine Gedanken von meiner Sprache abzulösen. Ja, Uebersetzungen wären sonst rein unmöglich. Man meint aber, indem dem Gedanken eine Sprache genommen wird, so werde ihm ja dafür sogleich die andere un- tergeschoben, und es werde nicht die organische Einheit des Gedankens mit der einzelnen Sprache, sondern mit der Sprache überhaupt angenommen; alle Sprachen seien am Ende nur eine Sprache und die Sprache . Das mag sein, und überhaupt, ist das Denken in organischer Weise an den Laut gebunden, so ist die Verschiedenheit der Sprachen wohl schwerlich zu erklären, und man thut wohl daran, sie als unwesentlich auszugeben. Nur müßte diese Unwesentlichkeit so groß sein, daß jeder Mensch unmittelbar jede Sprache verstehen könnte. Denn selbst ver- möge der Beckerschen „organischen Freiheit“ dürfte keine Sprache sich so sehr von meiner organischen Sprach- und Ver- stehkraft entfernen, daß ich sie nicht unmittelbar verstände. So groß auch irgendwo das sogenannte „Spiel der organischen Freiheit“ sein mag in Blättern und in Formbildung aller Art, es ist nicht so groß, um nicht diese Blätter und Formen so- gleich wiederzuerkennen, wenn man überhaupt ihre Art kennt. Und wie es mit Pflanzen und Thieren ist, so müßte es auch mit der Sprache sein. So mannigfach auch Gesicht und Gestalt des Menschen geformt sein mag: man wird jeden Menschen so- gleich als solchen erkennen; also müßte ich auch den Begriff Mensch, wäre er im Sprachlaute organisch ausgedrückt, aus jedem Worte, welches in den verschiedenen Sprachen Mensch bedeutet, unmittelbar heraushören. Es dürfte also bei der Voraussetzung der Identität von Sprechen und Denken keinen mir unverständlichen Sprachlaut geben. Hiermit wird zugleich behauptet, es müsse auch un- möglich sein, künstlich einen Sprachlaut zu bilden, eine Sylbe, ein Wort, welches keine Bedeutung hätte. Jeder articulirte Laut müßte eine Bedeutung haben, und die reinste und vollen- detste Quelle der Begriffsbildung müßte diejenige sein, welche aus dem Bemühen entstünde, Wortlaute zu bilden. Wer ein unerhörtes Gebilde eines Wortlautes gestaltet hätte, müßte eben damit einen völlig neuen Begriff gebildet haben. Becker dürfte nicht abgeneigt sein, letztere Forderung zu- zugestehen; nur wird er sie näher bestimmen wollen, und zwar so (Organism S. 2): „Begriffe, die für uns lange Zeit dunkel und unbestimmt gewesen, werden uns oft mit einem Male klar und bestimmt, indem wir sie besprechen“ (wahre Zauberei! Die Philosophen aber, die man ehemals für Zauberer hielt, machen sich heute die Begriffe dadurch klar, daß sie dieselben nicht besprechen, sondern bedenken). „Es wird uns oft schwer, einem Dinge den rechten Namen zu geben, weil uns der Begriff des Dinges noch nicht klar geworden; aber sehr oft wird uns ein lange Zeit dunkeler Begriff, wie mit einem Schlage, klar, wenn wir zufällig den rechten Namen finden“ (das rechte Wort, die gehörigen Sylben geschmiedet haben! Der Denker aber sucht nicht den Namen, sondern die Kategorie des Ganzen und die Beziehungen seiner Theile, was sich allerdings alles an Laute, wenigstens meist, anschließt und immer anschließen kann). „Endlich“ (heißt das drittens? viertens? fünftens u. s. w.? nein! zweitens! denke ich) „gehört hierher, daß nicht ausgespro- chene Begriffe und Gedanken oft lange Zeit in dem Geiste gleichsam schlummern, als seien sie nicht vorhanden; aber ein- mal ausgesprochen üben sie plötzlich über das Urtheil und die Handlung einzelner Menschen und ganzer Völker eine un- widerstehliche Gewalt aus.“ Das heißt denn doch die Schöpfer- kraft großer Männer herabsetzen — oder vielmehr nicht begrei- fen. Das wären die Heroen der Geschichte der Menschheit, Wecker schlummernder Gedanken? weiter nichts? Plato hätte die schlummernden Ideen bloß geweckt? Kant die schlummernde Kritik des Geistes geweckt? O nein, geschaffen haben sie die Gedanken, neu, ursprünglich. Man sagt wohl, die Flamme schlummre im Holze, und das mag man geistreich finden. In Wahrheit aber ist doch die Flamme, die man schlummernd nennt, gar nicht vorhanden: man kann sie erzeugen, wenn man die noch fehlenden Bedingungen, unter denen sie entsteht, zum Holze hinzubringt. So haben die großen Männer in noch viel höherem Grade nicht schlummernde Gedanken, die also doch schon vorhanden gewesen wären, bloß geweckt, sondern nicht- vorhandene erzeugt, indem sie zu den vorhandenen etwas eige- nes, sei es auch nur eine eigene Combination derselben hinzu- brachten. Und auch dies zeigt die Zusammenhangslosigkeit von Sprechen und Denken; denn mit dem alten Laute wird der neue Begriff ausgesprochen. Wenn sich ferner bei Kindern Sprache und Gedanke glei- chen Schrittes entwickeln, so folgt daraus eben so wenig ihre Identität, wie Becker meint, als die Identität von Seele und Leib, oder von Physiologie und physikalischer Optik daraus, daß beide sich gleichen Schrittes entwickeln. Eine sehr innige Beziehung des Denkens zum Sprechen, eine viel innigere als zu jedem andern Zeichen, eine von Natur selbst gesetzte, wird nicht geläugnet und wird später dargestellt werden. Die innigste Beziehung aber ist noch nicht Identität. Diese wird hier abgewiesen. Becker sagt: „Es ist ein allgemeines Gesetz der lebenden Natur, daß in ihr jede Thätigkeit in einem Stoffe, jedes Geistige in einem Leiblichen in die Erscheinung tritt, und in der leib- lichen Erscheinung seine Begrenzung und Gestaltung findet. Nach diesem Gesetze tritt auch der Gedanke nothwendig in die Erscheinung, und wird ein Leibliches in der Sprache. Die Sprache ist nichts anderes als der in die Erscheinung tretende Gedanke, und beide sind innerlich nur eins und dasselbe.“ Hier wird also die Identität von Sprechen und Denken nach einer allgemeinen Analogie aller natürlichen Existenzen beurtheilt. Dabei macht man den Fehler, von allen specificirenden Merkmalen ab- zusehen und das Wesen eines eigenthümlichen Daseienden mit dem abstractesten, allgemeinsten Merkmale des Daseins über- haupt erfassen zu wollen. Doch davon ist oben ausführlich ge- sprochen. Gestehen wir hier die Analogie zu und sehen nur, ob die Vergleichung richtig angestellt ist. Nun fragen wir: ist denn Thätigkeit und Stoff darum identisch, weil jene in diesem in die Erscheinung tritt? ist Geistiges und Leibliches identisch, darum weil jenes in diesem lebt? (denn Begrenzung und Gestal- tung findet das Geistige im Leiblichen nie und nimmer. Wie soll Geist von Körper begrenzt werden!) Und eben so wenig ist Sprechen und Denken identisch, weil dieses in jenem er- scheint. Man beachte Beckers Wort „innerlich“; Sprechen und Denken sind „innerlich nur eins und dasselbe.“ Und äußer- lich? Und was ist hier innerlich und äußerlich? Hier ist Becker inconsequent geworden, d. h. mit dem Worte innerlich durch- bricht entweder eine alte Erinnerung oder ein Funke der Wahr- heit Beckers Grundanschauung. Becker gehört, wie wir oben sahen, der Identitätsphilosophie an, der Alles in einander lief und eins ward. Wenn Becker die Einheit von Stoff und Thätigkeit, Leiblichem und Geistigem, Sprechen und Denken behauptet, so ist dies gegen die Unterscheidung der Kategorien Inneres und Aeußeres gerichtet, deren Berechtigung die Identitätsphilosophie nicht anerkennt. Es giebt kein Inneres und kein Aeußeres; es giebt nur die Einheit, Eins. So giebt es auch kein Sprechen als etwas Aeußeres, und kein Denken als etwas Inneres; es giebt nur Eins: Denk-Sprechen, Sprech-Denken. Der Gedanke gehört der Sprache, ist Sprache, und der Laut gehört dem Denken, 11 ist Gedanke. Das ist Beckers Ansicht, welche durch obiges „innerlich“ durchbrochen wird. Wir werden später das Verhältniß von Innerem und Aeu- ßerem zu betrachten haben. Beckers unbestimmte Auffassung dieser Kategorien aber und die Verwirrung, die er mit seiner Identität anrichtet, berechtigt uns schon hier eine Analogie vor- zubringen, in der ebenfalls ein Inneres und Aeußeres, ein Geisti- ges und Leibliches sich findet, also auch ihre Einheit. Ich zeige eine Bildsäule Cäsars. Hier ist offenbar ein Geistiges im Leib- lichen in die Erscheinung getreten, gerade wie bei der Sprache der Gedanke im Laute erscheint. Darum sagt man, die Sprache sei der lautgewordene, verlautlichte, in der Sprache leiblich ge- wordene Begriff oder Gedanke. Wenn ich nun eben so sagte: diese Bildsäule ist der Stein gewordene, versteinerte, im Steine leiblich gewordene Cäsar, was würde man dazu meinen? oder umgekehrt, wenn ich sagte, diese Bildsäule sei der Cäsar ge- wordene Stein? — Diese Analogie ist noch nicht streng; ich kann sie strenger machen. Sie würde nämlich nur passen, wenn Becker gesagt hätte, die Sprache sei die lautgewordene oder in Laute verwandelte Welt, d. h. eine vergeistigte, wenig- stens dem Geiste genäherte Welt, wie Humboldt bemerkt hat, der allemal zwei Seiten an den Dingen erkennt, wo Becker nur eine sieht. Da also Becker in der Sprache keinen Vergeisti- gungsproceß sieht, sondern nur die Verleiblichung des Gedan- kens, so müßten wir auch sagen, diese Bildsäule ist unser ver- leiblichter Gedanke Cäsars, unsere Stein gewordene, versteinerte Vorstellung von Cäsar; und unsere Vorstellung von Cäsar und die Bildsäule sind — soll ich „innerlich“ hinzusetzen? — nur eins und dasselbe. So viel Wahrheit hierin liegt, so viel Wahr- heit liegt in der Einheit von Denken und Sprechen. Die Be- ckerianer mögen sich wohl hüten, mir dies zuzugestehen; sie mögen sich wohl vorsehen! denn die Bildsäule ist nach Becker unorganisch; folglich, wenn die Einheit des Geistigen und Leib- lichen rücksichtlich der Sprache nicht diejenige ist, welche Eisen und Magnetismus, Gase und Wärme verbindet, sondern dieje- nige, welche den Gedanken mit dem Material eines Kunstwerks vereinigt: so ist die Sprache nicht mehr organisch. Wie verhält es sich denn nun aber mit dieser Einheit des Geistigen und Leiblichen im Kunstwerke? Wir sehen erstlich, wie schief sich Becker ausdrückt, wenn er von Einheit des Sprechens und Denkens redet. Denn wie im Kunstwerke Stein und Idee sich vermählen: so sollte man sagen, in der Sprache vermähle sich die Idee mit dem Laute. Idee aber bleibt Idee, und wird weder Stein noch Laut; Vermählung ist nicht Iden- tität: hierin wird mir mancher beipflichten. Schief ausgedrückt oder nicht, wird der Beckerianer sagen, allemal ist doch das Innere der Sprache die Idee, die Intellec- tualität selbst; und das ist es, was Becker mit seiner Identität von Sprechen und Denken sagen will. — Sehen wir nun die Sache näher an. Jemand verlangt von mir, ich soll ihm die Bildsäule Cäsars beschreiben: so verlangt jemand, der eine Sprache lernen will, von seinem Lehrer, daß er sie ihm darlege. Ich sage nun, um dem an mich gestellten Verlangen nachzukom- men, die Bildsäule sei aus Parischem Marmor, in doppelter Men- schengröße ausgearbeitet: der Sprachlehrer, um seinem Schüler zu genügen, giebt ihm die Lautlehre. Beide Hörende sind damit noch nicht befriedigt; von mir wird verlangt, ich solle auch die Idee mittheilen, die man dem Marmor eingebildet habe: der Sprachlehrling will die innere, geistige Seite zur lautlichen haben. Was thut nun der Beckersche Sprachlehrer? er giebt ihm die Logik und den Begriffsschatz, d. h. Form und Inhalt unserer Intellectualität, unseres Denkens. Wenn ich nun eben so meinem Hörer die Vorstellung von Cäsar mittheilte, er sei ein großer Feldherr, Staatsmann, Schriftsteller, mild und liebenswürdig gewe- sen, würde mein Zuhörer befriedigt sein? Nicht? — nun so ist es Beckers Lehrling, oder ich bin es mindestens auch nicht. Also: so gewiß die Idee einer Bildsäule Cäsars nicht unsere Vorstellung von Cäsars Charakter, Talent, Verdiensten, Thaten, nicht unsere Idee von Cäsar ist: so gewiß ist auch die Idee des Lautes nicht der Inhalt und die Form unseres Denkens. Folglich sind Denken und Sprechen völlig von einander ver- schieden. Oder, um Beckers eigene Analogien anzuwenden: so wenig die Idee oder das Innere des menschlichen Leibes der menschliche Geist ist: eben so wenig ist auch die Idee der Laute der Inhalt und die Form des Gedankens; folglich sind Sprache und Gedanke nicht eins und dasselbe. 2. Sind Grammatik und Logik identisch? Wenn, wie wir gesehen haben, Sprechen und Denken so wenig identisch sind, wie Körper und Geist, Stoff und Kraft, die Bildsäule und unsere Vorstellung von der dargestellten Per- 11* son identisch sind: so sind auch Grammatik und Logik eben so wenig identisch, als Physiologie und Psychologie, Chemie und Physik, Aesthetik und Historie identisch sind. Dies Ergebniß steht also schon fest; wir haben es nur weiter aus einander zu legen. Wir haben auch schon oben bei der Kritik Beckers auf die Thatsache hingewiesen, daß eine Grammatik außer und ne- ben der Logik existirt, und haben daraus geschlossen, daß sie folglich doch verschieden an Wesen und Inhalt sein müßten. Wir haben aber jetzt diese Thatsache, die wir in so fern be- greifen gelernt haben, als sie nothwendig aus der Verschieden- heit von Sprechen und Denken erfolgt, des Weitern darzulegen. Wir können der Reihe nach alle Kategorien der Grammatik durchgehen und ihre unlogische Natur darthun. §. 64. Wort und Begriff verschieden. Das Wort ist nicht das Aequivalent des wirklichen Din- ges: das hat der Sophist Gorgias schon gewußt. Allerdings, sagt Becker, aber das Wort ist das Aequivalent des Begriffs, der lautgewordene Begriff selbst. Dann wäre aber, entgegnen wir, die Synonymie unmöglich, d. h. es könnten nicht zur Be- zeichnung desselben Begriffs mehrere durchaus verschiedene Wör- ter vorhanden sein, deren jedes denselben Begriff eben so gut bezeichnet wie das andere — der alte Einwand des Demokrit gegen die Herakliteer. Denn es ist ja ganz einerlei, ob man mit diesen behauptet, die Wörter seien Abbilder der Dinge, oder ob man mit Becker das Wort für den verlautlichten Begriff nimmt: jener Einwand bleibt unumstößlich; denn jedem Dinge entspricht nur ein Begriff davon, und dem einen Begriffe nur eine lautliche Erscheinung desselben. Es ist unbegreiflich, wie derselbe Begriff in organischer Weise in zwei verschiedenen Lautformen soll erscheinen können — wenn man nicht auch hier den deus ex machina , die organische Freiheit, zur Hülfe rufen will, wobei man aber eben den Widerspruch anerkennt. Das Wort ist nun aber eben so wenig der Begriff selbst, wie es das Ding selbst ist. Wenn Cicero virtus sprach, so drückte dies Wort bloß Mannheit aus; aber war das sein Be- griff, den er mit dem Worte virtus bezeichnete? Verstehen un- sere Tugendlehrer unter dem Begriffe Tugend das, was das Wort Tugend ausdrückt: Tauglichkeit? Wozu die Beispiele häufen, da es sich hier um die längst bekannte Thatsache handelt, daß die Etymologie der Wörter nicht vollständig und genau das ausspricht, was dieselben bedeuten. Hier machen wir nur die Reflexion, die man zu machen meist vergessen hat — wie man überhaupt aus jener Thatsache bis heute noch nicht die ganze Folge gezogen hat —, daß es doch nur der etymologische Sinn ist, was das Wort eigentlich und an sich aussagt. Das Wort bedeutet nun freilich auch noch etwas anderes, was oft sehr fern von dem etymologischen Sinne liegt, den Begriff; woraus doch aber eben nur folgt, daß das Wort nicht der Begriff ist, son- dern nur den Begriff bedeutet. Noch nie seit Menschengedenken mag jemand gefragt ha- ben: was oder welcher Begriff ist dieses Wort? sondern immer hat man gefragt: was oder welchen Begriff bedeutet dieses Wort. Das Wort virtus ist so wenig der Begriff Tugend als die Sache Tugend; aber es bedeutet zunächst den Begriff und dann die Sache. Gerade weil das Wort bedeutet, ist es nicht das, was es bedeutet. Im Begriffe des Bedeutens selbst liegt, daß das Bedeutende und das Bedeutete von einander verschie- den, und nicht bloß dies, sondern auch, daß das Bedeutete ab- wesend oder versteckt sei. Denn gerade nur weil etwas nicht gegenwärtig ist, nicht klar vorliegt und geschaut oder leicht wahr- genommen werden kann, nur darum ersetzt man es durch etwas anderes, welches gegenwärtig und offenbar ist, und welches durch sich den ersten Gegenstand bedeutet oder verräth. Der menschliche Körper bedeutet den menschlichen Geist, verräth ihn: so bedeu- tet, verräth das Wort den Begriff; die Flagge mit ihren Far- ben ist nicht die Nationalität: das Wort ist nicht der Begriff. Wenn man das Wort als Begriff selbst nimmt, so muß man die Sprache ein wahrhaft verpfuschtes Werk nennen. Denn wie viele Wörter mögen wohl einen Begriff angemessen ausdrücken, so daß mit der Etymologie des Wortes eine wahre Definition des Begriffes gegeben wäre? Wahrscheinlich giebt es solche Wörter gar nicht. Auch ist es gar nicht bloß der Ausdruck abstracter Begriffe, wobei die Sprache ihre Schwäche verriethe; sie ist nicht bloß zu concret und materiell: sie ist vielmehr an- dererseits wieder zu abstract, und kann darum die Vorstellung vom einfachsten Dinge nicht passend ausdrücken. Zu einer logischen Classification oder Deduction der Wur- zeln der Sprache, welche als Träger der Grundbedeutungen der Wörter zugleich die Grundbegriffe unseres Begriffsschatzes ent- halten, wie sie Becker erstrebt hat, giebt die Sprache nicht die mindeste Handhabe. Wir hätten nichts dagegen, wenn jemand ein Wurzellexikon nach der Beckerschen Begriffsentwicklung ordnete; diese Ordnung wäre eben so wissenschaftlich wie die alphabetische, sei diese nach dem An- oder Auslaute gemacht; denn beide sind gleich künstlich. Die Sprache weiß nichts von einer Anordnung nach Buchstaben, ja sie weiß nicht einmal etwas von Buchstaben: und eben so wenig kennt sie eine Begriffsableitung, ja nur überhaupt Begriffe. Sie deutet die im Beckerschen Systeme dargestellten Verwandtschafts- und Ablei- tungsverhältnisse durchaus nicht in einer Weise an, aus welcher zu schließen wäre, sie habe wirklich dieses System befolgt, sei nach ihm gebildet, das System gehöre ihr an. Wir haben über Beckers Wurzelsystem schon ausführlich gesprochen und die trostlose Verwirrung dargelegt, in die er gerathen ist. Hier nur noch eine Bemerkung. Das ursprünglichste Wort, weil der ur- sprünglichste Begriff, soll nach Becker die Bewegung sein. Nun fragen wir: welche Sprache hat denn wohl für „Bewegung“ ein ursprüngliches Wort? Bewegung ist eine Abstraction, welche die Sprache erst durch Cultur erhalten hat. Ueberhaupt aber würde die Voraussetzung, daß die Wurzeln sich so, wie sie in Beckers System an einander gereiht sind, auch in zeitlicher Ord- nung entwickelt haben — und eine Genesis der Wurzeln hat die zeitliche Entwickelung darzulegen — gar zu lächerliche Fol- gerungen veranlassen. Wenn der Wurzelschatz einer Sprache ein System ist, wie Humboldt ausgesprochen hat, so ist sein Princip, seine schöpfe- rische Einheit ganz wo anders zu suchen, als in der logisch-me- taphysischen Deduction der Begriffe. Denn diese Begriffe ha- ben mit den Wörtern nichts zu thun. §. 65. Wort- und Begriffsverhältnisse. Wir haben hier die Begriffe an sich und ihren sprachlichen Ausdruck, die Wurzeln, an sich betrachtet und sie als verschie- denartigen Wesens erkannt. Verschiedene Wesen haben noth- wendig auch verschiedene Verhältnisse und Beziehungen; folglich sind die logischen und metaphysischen Verhältnisse und Bezie- hungen des Begriffes andere, als die grammatischen der Wurzel. Das wollen wir näher betrachten. Zunächst die Wortbildung und Wortableitung. Hier tref- fen wir sogleich auf Unterscheidungen der Wörter, denen die Logik keine entsprechende Unterscheidungen der Begriffe gegen- überstellt. Die Logik kennt den Begriff schön , gut ; zum Un- terschiede aber von schön und Schönheit , gut und Güte ge- langt sie nicht; er existirt gar nicht für sie. Begriffe von Substanzen sind Begriffe, Begriffe von Accidenzen sind es eben so, und jeder Begriff bleibt was er ist. Güte ist eine Accidenz, Schönheit ist eine solche, und gut und schön sind ebenfalls Ac- cidenzen und von jenen für die Logik nicht verschieden. Doch hiervon ausführlicher beim Urtheile. Noch weniger wüßte die Logik das Verhältniß der Ablei- tung zu rechtfertigen. Güte und Schönheit sind von gut und schön abgeleitet; aber umgekehrt verhält sich Tugend zu tu- gendhaft , Furcht zu furchtbar . Man sagt häßlich , Häßlich- keit , aber Laster , lasterhaft . Solche Betrachtungen hat schon der Stoiker Chrysippos angestellt. Er findet, daß die posi- tiven und negativen Wörter nicht immer auch logische Posi- tionen und Negationen ausdrücken, sondern daß das negative Wort einen positiven Begriff, und das positive Wort einen ne- gativen Begriff ausdrückt. In dem Satze z. B. Homer war blind ist blind ein positives Wort; der Begriff der Blindheit aber ist nur die Negation der Sehkraft. Umgekehrt ist unsterb- lich ein negatives Wort; sagt man aber: die Götter sind un- sterblich , so wird mit dem negativen Worte eine positive Ei- genschaft der Götter dargestellt, ihre Ewigkeit. Dies führt uns auf die beiden Kategorien der Begriffe nach ihrer logischen Betrachtung, nämlich den Inhalt und Umfang der Begriffe und ihren Gegensatz. Was erstern betrifft, so sagen wir allerdings: Faulthier , Rennthier , Elenthier , Tan- nenbaum und deuten also an dem Begriffe den höhern, über- geordneten Begriff an, in dessen Umfang er gehört. Aber wie selten geschieht dies! Löwe , Hund , Eiche u. s. w., Be- sonnenheit , Tapferkeit u. s. w. und überhaupt die Regel in der Benennung der Begriffe zeigt uns, daß die Sprache auf diese Verhältnisse des Begriffs nach seinem Inhalte und Umfange durchaus keine Rücksicht genommen hat. Noch wichtiger viel- leicht für die Logik ist die andere Kategorie, der Gegensatz, und zwar der conträre. Auch ist der conträre Gegensatz bei Becker der Hebel aller Constructionen, der Leitfaden durch das All. Die Sprache aber kennt nur den contradictorischen Ge- gensatz — was auch im Namen liegt — und kennt den con- trären, d. h. den eigentlichen logischen Gegensatz gar nicht. Conträre Begriffe sind für die Sprache nur disparate Begriffe. Rund und eckig , schwarz und weiß , gut und schlecht , schön und häßlich : das alles sind doch conträre Begriffe für den Lo- giker; aber die Sprache, wodurch hätte sie das Verhältniß des Gegensatzes angedeutet? sie sieht in jenen Begriffen, die sie in zusammenhangslosen Wörtern darstellt, nur disparate Begriffe. Nicht schön, nicht rein, nicht hell dagegen bezeichnen einen con- tradictorischen Gegensatz, in welchem aber der Logiker einen conträren erkennt. §. 66. Satz und Urtheil. Gehen wir jetzt weiter zu den Urtheilen . Wir werden auch hier, und hier erst recht deutlich und ausführlich zeigen können, daß Logik und Grammatik nicht congruent sind, daß jede besondere Kategorien hat, und daß selbst die, welche sich zu decken scheinen, doch nur parallel laufen, aber verschiedenen Wesens sind. Dies zeigt sich nun schon bei der Kategorie „Urtheil“ selbst. Denn der Satz ist nicht eins und dasselbe mit dem Urtheil; son- dern er ist die Darstellung des Urtheils und hat als Darstellung seine eigenen Gesetze und Kategorien, nämlich grammatische, und das Urtheil hat die seinigen, nämlich logische. Vor allem ist beachtenswerth, daß die Logik die Unterscheidung von Be- griff und Urtheil nicht machen kann Auch Trendelenburg (II, S. 144) ist der Ansicht, daß das Urtheil nicht „rein logisch zu definiren sei.“ . Urtheil an sich ist eine psychologische Kategorie; denn die Entstehung des Urtheils, den Unterschied desselben vom einfachen Begriffe, kann nur die Psy- chologie darthun. Die Logik aber nimmt das Urtheil, wie den Begriff, als vorliegend und gegeben an und betrachtet nur die an ihm hervortretenden Verhältnisse. Denn die Logik, wie wir oben bemerkten, ist keine genetische Wissenschaft, sondern eine ästhetische. Begriff und Urtheil werden ihr zur Beurtheilung übergeben; woher diese kommen, fragt sie nicht. Die Sprach- wissenschaft dagegen hat wohl nachzuweisen, wie der Satz ent- stehe, und worin er sich vom einfachen Worte unterscheide. Die Sprachwissenschaft hat also den Satz allseitig zu betrach- ten und zu entwickeln; die Logik sieht das Urtheil nur einseitig an, indem sie fragt, ob es richtig gebildet sei oder nicht. Hieraus folgt nun, was schon Aristoteles bemerkt hat, daß zwar jeder Satz eine Verbindung von Begriffen enthält, wodurch etwas ausgesagt wird; daß aber darum noch nicht jeder Satz auch ein Urtheil darstellt, das der Beurtheilung der Logik an- heimfiele. Denn die Frage, ob die Aussage richtig sei oder nicht, welche an jedes Urtheil muß gerichtet werden können, kann bei vielen Sätzen, wie den Frag- und Wunschsätzen gar nicht angewandt werden. Da aber das Urtheil ein logisches Wesen ist, so ist jene Frage ein Erkennungsmittel, ob ein Satz ein Urtheil enthält oder nicht. Giebt es also Sätze, welche keine Urtheile sind, so sind auch Satz und Urtheil wesentlich verschieden. §. 67. Das hypothetische und disjunctive Urtheil. Das Auseinanderfallen von Satz und Urtheil zeigt sich nun weiter darin, daß manches logische Urtheil in der sprachlichen Darstellung durch zwei, sogar durch vier Sätze ausgedrückt wird, und umgekehrt mancher Satz vier und mehr Urtheile in sich schließt. Das hypothetische Urtheil in einfachster Gestalt lautet nach der allgemeinen Formel: wenn A ist, so ist B ; z. B. wenn eine vollkommene Gerechtigkeit da ist, so wird der be- harrlich Böse bestraft. Hier wird ein Urtheil durch zwei Sätze ausgedrückt. Das Urtheil liegt in keinem der beiden Sätze, sondern nur in dem Verhältnisse beider. Denn es wird gar nicht geur- theilt: es ist eine vollkommene Gerechtigkeit da, und: der be- harrlich Böse wird bestraft; sondern es ist nur der Zusammen- hang beider Sätze, „es ist nur die Consequenz, die durch jenes Urtheil gedacht wird“ (Kant). Es sind also hier zwei Sätze, welche keine Urtheile aussprechen; und andererseits liegt hier ein Urtheil vor, das jenseits der Sätze liegt: also sind Urtheil und Satz von einander geschieden. Man kann die Formel des hypothetischen Urtheils erwei- tern, so daß es sich durch vier Sätze ausspricht: angenommen daß, wenn A ist, dann B ist: so wird, wenn C ist, dann D sein. Hierdurch wird an der Sache nichts Wesentliches geändert; wir haben bloß dasselbe Verhältniß doppelt oder vielmehr dreifach. In ganz ähnlicher Weise, wie mit den hypothetischen Ur- theilen, verhält es sich mit den disjunctiven. Man betrachte z. B.: die Welt ist entweder durch einen blinden Zufall da, oder sie ist durch eine innere Nothwendigkeit entstanden, oder eine äußere Ursache hat sie hervorgebracht; oder die allgemeine Formel: m ist entweder a oder b oder c . Hier spricht sich ein Urtheil durch drei Sätze aus — oder mehre —, liegt aber weder in einem derselben, noch in ihrer Summe, sondern in die- ser und in dem Verhältnisse der Sätze zu einander. Folglich drückt keiner jener Sätze ein Urtheil aus, und Urtheil und Satz sind nicht dasselbe. Vielmehr leben Satz und Urtheil außer einander; das Ur- theil schwebt über den Sätzen, der Gedanke über der Sprache, die Logik über der Grammatik, und darum ist auch das Ver- hältniß von Sätzen und Urtheilen verschiebbar gegen einander. So eben schien es, daß das disjunctive Urtheil sich durch meh- rere Sätze ausspreche. Von einer anderen Seite betrachtet aber können wir hier umgekehrt sehen, wie ein Satz drei und mehre Urtheile zusammenfassend ausspricht. Bleiben wir, um Weitläu- figkeiten zu vermeiden, bei der allgemeinen Formel: so drückt das disjunctive Urtheil „ m ist entweder a oder b oder c ....“ mehrere hypothetische Urtheile aus: „ m ist a , wenn es nicht b oder c ist; m ist b , wenn es nicht a oder c ist, und m ist c , wenn es nicht a oder b ist.“ Es ist willkürlich, hier ein Urtheil in sechs Sätzen — und da jeder Satz für jedes Oder noch ei- nen Satz in sich schließt, in 12, in 24 u. s. w. Sätzen — oder einen Satz mit mehreren Urtheilen zu sehen. Wenn diese Anschauungsweise vielleicht manchem künstlich und gesucht erscheinen sollte, so bieten die hypothetischen Sätze eine durchaus einfache und natürliche Verschiebung des oben angenommenen Verhältnisses von Satz und Urtheil dar. Statt nämlich zu sagen: „wenn eine vollkommene Gerechtigkeit da ist, so wird der beharrlich Böse bestraft“, können wir eben so na- türlich und einfacher sagen: bei oder von einer vollkommenen Gerechtigkeit wird der u. s. w. und noch einfacher: eine voll- kommene Gerechtigkeit bestraft den beharrlich Bösen. Ferner: „Rosen und Tulpen und Nelken sind Blumen“ ist ein Satz, schließt aber drei Urtheile in sich; und endlich, wenn durch Induction allgemeine Sätze gebildet werden, so ha- ben wir einen Satz, aber viele Urtheile. Denn, bemerkt Her- bart mit Recht (Einleitung in die Philosophie §. 57), „in diesem Falle ist gar nicht dem Begriffe, der die Stelle des Subjects einnimmt, ein Prädicat beigelegt worden; sondern das Wort für diesen Begriff verhüllt nur die Vielheit der in jenem Be- griffe, als ihrem gemeinsamen Merkmale, sich begegnenden Sub- jecte, welchen allen das nämliche Prädicat zugedacht war. Viele Subjecte aber ergeben eben so viele Urtheile; und in die ganze Menge derselben muß der verkürzte Ausdruck, der sie andeu- tete, seinem wahren Sinne nach wieder aufgelöst werden. Die logische Theorie darf unter dergleichen Verkürzungen nicht lei- den“, d. h. man darf Satz und Urtheil nicht vermengen, wovor sich auch Herbart, wie mir scheint, nicht immer in Acht genom- men hat. Wir sehen also, daß mehrere Urtheile sich zu einem Satze zusammenziehen und ein Urtheil zu mehreren Sätzen sich aus einander dehnen kann. Jetzt aber entsteht der Verdacht, ob sich die Logik nicht zur Unterscheidung von Urtheilen hat hinreißen lassen durch einen offenbaren Unterschied von Sätzen. Sobald die Aufmerksamkeit einmal nicht darauf gerichtet war, sich vor der Verwechslung des Urtheils mit dem Satze zu hü- ten: so konnte man leicht verführt werden, Urtheile zu scheiden, obwohl sie desselben Wesens sind, derselben Klasse angehören, bloß weil ihr sprachlicher Ausdruck im Satze verschieden war. Sollte nun vielleicht das ganze hypothetische Verhältniß eine der Logik durchaus fremde Kategorie sein? sollte hier nicht die Logik der Grammatik etwas Ungehöriges entlehnt haben? Denn der Grammatik gehört das hypothetische Verhältniß un- streitig an, da sie so klare und, z. B. im Griechischen, so vielfach und so fein abgeschattete Darstellungsweisen für das- selbe hat. Für die Logik aber scheinen die hypothetischen Sätze nur kategorische Urtheile zu sein. Denn die drei Aus- drucksweisen, die wir oben schon angeführt haben: 1) wenn A ist, so ist B; 2) beim A oder durch A ist B; 3) A bewirkt B , drücken alle drei nur denselben Gedanken, dasselbe Urtheil aus. Da nun „ A bewirkt B “ und „bei, durch A ist B “ kate- gorische Urtheile sind, so ist auch das dritte Urtheil kategorisch, und es kann der Logik nichts daran liegen, ob dieses Urtheil durch einen einfachen, oder durch einen erweiterten Satz, oder durch das hypothetische Satzverhältniß ausgedrückt wird; denn nicht auf die grammatischen Kategorien hat die Logik zu sehen, sondern auf den durch die Sprache ausgedrückten Gedanken- inhalt, unbekümmert um die Darstellungsform. Man hat den Unterschied zwischen den kategorischen und hypothetischen Urtheilen auf den Unterschied von Inhärenz und Dependenz oder Consequenz zurückführen wollen. Hiergegen hat sich schon Herbart erklärt (Einleitung in die Phil. §. 60. Anm.). Er erinnert, „daß der Begriff der Inhärenz, durch den man die Anknüpfung des Prädicats an das Subject im sogenann- ten kategorischen Urtheile zu bestimmen glaubt, selbst gänzlich unbestimmt und unbestimmbar ist, so daß er nichts mehr, als Verknüpfung überhaupt bedeutet. Z. B. in dem Urtheile: diese Begebenheit ist erfreulich , wird Niemand die Eigenschaft zu er- freuen für eine zum Ereignisse selbst gehörige, ihm eigentlich inhärirende Bestimmung halten, da sich dieselbe bloß auf sub- jective Gefühle bezieht“; und Herbart fügt hinzu: „daß der Begriff der Dependenz eben so unbestimmt ist und eben so ver- geblich zum ausschließenden Merkmale des hypothetischen Ur- theils gemacht wird. Sehr viele dergleichen Urtheile bezeichnen bloß die wahrgenommene Verknüpfung zweier Ereignisse, von denen man noch nicht weiß, sondern vielleicht eben jetzt fragt, welches davon als Grund, und welches als Folge, oder ob beide als Folgen eines Grundes anzusehen seien. Wer die Natur des Barometers noch nicht kennt, der könnte gleichwohl seine Bemerkung aussprechen: wenn es schönes Wetter sei, so stehe gewöhnlich das Quecksilber hoch; und nun würde ihm die doppelte Frage natürlich sein: welches ist die Ursache, welches die Wirkung? — und welches ist anzusehen als das Zeichen des andern? Hier wäre Ungewißheit sowohl wegen des Real- grundes, als wegen des Erkenntnißgrundes; und gleichwohl, dies bei Seite gesetzt, bestünde das hypothetische Urtheil als Aussage einer bloßen Verknüpfung . — Hiermit fällt zwar nicht der Unterschied zwischen Inhärenz und Dependenz überhaupt hinweg, aber er hört auf, die Urtheile zu charakte- risiren.“ Nun wüßte ich aber nicht, durch welches andere cha- rakteristische Merkmal man das kategorische und hypothetische Urtheil unterscheiden könnte; ja oben haben wir schon gezeigt, daß das hypothetische Urtheil sich durch ein kategorisches voll- ständig, seinem ganzen Inhalte nach, wiedergeben läßt, und also fallen beide Urtheile zusammen und sind nur durch den sprach- lichen Ausdruck geschieden, d. h. grammatisch, aber nicht lo- gisch verschieden. Wir haben zwar hier Hülfe von Herbart entlehnt, stehen aber mit unserer Ansicht ihm noch mehr entgegen, als den an- dern Logikern. Herbart nämlich läugnet nur, daß die Begriffe Inhärenz und Dependenz den Unterschied zwischen kate- gorischen und hypothetischen Urtheilen begründeten, hält aber diesen Unterschied der Urtheile dennoch fest, nur in anderer Weise; wir dagegen sprechen ihm jeden logischen Grund und jede logische Berechtigung ab. Aber andererseits halten wir den Unterschied von kategorischen und hypothetischen Sätzen als einen grammatischen Unterschied aufrecht und zwar ge- rade durch die Kategorien Inhärenz und Dependenz. Und außer- dem, während wir die sogenannten hypothetischen Urtheile zu den kategorischen ziehen, behauptet Herbart gerade im Gegen- theil, daß das sogenannte kategorische Urtheil „allemal hypo- thetisch“ sei. Wir haben uns also hier nicht wenig gegen Her- bart zu wehren. Fangen wir damit an, zu sehen, welchen Unterschied zwi- schen kategorischen und hypothetischen Sätzen er anstatt des verworfenen von Inhärenz und Dependenz aufstellt. Er sagt (das. §. 60): „Sehr gewöhnlich stellen sich Subject und Prädi- cat unmittelbar als Begriffe dar; und alsdann wird die Verbin- dung beider durch das Wörtchen ist, die Copula, entweder wirklich ausgedrückt, oder man kann doch den Ausdruck auf sie zurückführen. Allein in andern, ebenfalls häufigen Fällen, werden Subject und Prädicat, als noch nicht fertige, sondern erst zu bildende Begriffe, selbst in der Form von Urtheilen dar- gestellt. Alsdann erscheint in der Sprachform keine Copula; statt deren aber eine oder zwei Bezeichnungen, wodurch das Subject als das Vorausgesetzte ( antecedens ), das Prädicat als das Anzuknüpfende (mit einem zweideutigen Namen consequens , während oftmals vielmehr jenes aus diesem folgt Man denke nur, fügen wir zur Erläuterung hinzu, an das oben ange- führte: wenn es schönes Wetter ist, so steht das Quecksilber hoch, wofür auch gesagt wird: wenn das Quecksilber hoch steht, so ist schönes Wetter. Ante- cedens und consequens werden also verdreht. kenntlich wird. Die deutsche Sprache hat dafür die Wörter wenn und so ; und in den Logiken findet man für das so zusammengesetzte Urtheil den Namen des hypothetischen, während jenes erstere mit der Copula die Benennung des kategorischen führt.“ Glaubt man nicht in diesen Worten Herbarts einen Paragraphen der deutschen Grammatik zu lesen? Der Unterschied zwischen ka- tegorischen und hypothetischen Urtheilen besteht also bloß darin, daß dort als Copula das Verbum ist dient, hier dagegen die Conjunction wenn — so . Und das ist auch unsere Meinung, und darum sehen wir in der Unterscheidung jener Urtheile bloß eine grammatische Unterscheidung der Sätze. Ob das Verhält- niß von antecedens und consequens , oder, wie wir besser sagen, von Vor- und Nachsatz immer ein Verhältniß von Subject und Prädicat sei, haben wir später zu untersuchen, wo von letztern Kategorien die Rede sein wird. Dieser Punkt ist für die vor- liegende Frage gleichgültig. Es kommt also nur noch in Be- tracht, ob dadurch ein logischer Unterschied entsteht, daß in dem einen Falle Subject und Prädicat unmittelbar als Begriffe gegeben sind, im andern Falle aber „als noch nicht fertige, son- dern erst zu bildende Begriffe, selbst in der Form von Urthei- len dargestellt werden.“ Die Antwort ist, daß letztere That- sache nicht genau ausgedrückt ist. Nicht in der Form von Urtheilen, sondern von Sätzen sind die Begriffe in dem andern Falle gegeben. Wenn schönes Wetter ist, ist kein Urtheil, aber wohl ein Satz. Ob nun ein Begriff durch ein Wort, oder durch einen Satz ausgedrückt ist, das kann einen grammatischen Un- terschied begründen, aber keinen logischen. Was kümmert es die Logik, wie ihr der Begriff gegeben ist, als ein fertiger, oder erst zu bildender? Der Begriff, das Begriffene ist Gegenstand der Logik, nicht die Weise seiner Darstellung. Ob ich sage: wenn schönes Wetter ist u. s. w. oder: schönes Wetter bewirkt den hohen Stand des Quecksilbers, das macht keinen logischen Unterschied aus. Herbart selbst beginnt die Logik (das. §. 34.) mit den Worten: „Das Wort Begriff, indem es das Begrif- fene bezeichnet, gebietet zu abstrahiren von der Art und Weise, wie wir den Gedanken empfangen, produciren oder reproduciren mögen“, also auch wie wir ihn sprachlich ausdrücken mögen. Ueberhaupt aber kann es ja Herbart gar nicht ernstlich darum zu thun sein, hypothetische und kategorische Urtheile zu scheiden, da er selbst behauptet (Hauptpunkte der Logik): „Der Unterschied der kategorischen, hypothetischen, disjunctiven Urtheile gehört gänzlich der Sprachform … Und die Logik ist keine Sprachlehre, sondern eine Lehre von dem Gefüge der Gedanken.“ Um so auffallender ist es nun aber, wenn Herbart so viel Gewicht darauf legt, daß jedes kategorische Urtheil vielmehr hypothetisch sei. Ist denn dem so? Keineswegs! „Das Urtheil A ist B enthält keineswegs die gewöhnlich hinzugedachte, aber ganz fremdartige Behauptung, daß A sei; denn von A für sich allein, und von seinem Dasein, seiner Gültigkeit, ist da keine Rede, wo man seiner bloß deshalb erwähnt, um die mögliche Anknüpfung eines Prädicats an dasselbe zu untersuchen“; aber eben darum liegt auch in dem Urtheil A ist B nicht das hypothe- tische Verhältniß: wenn A ist, so ist es B . Hier ist weder grammatische Hypothesis, denn sie ist im Ausdrucke nicht ge- geben, noch auch logische, denn das Verhältniß des Begriffs zum Sein, ob das Gedachte wirkliche Existenz hat, kümmert die Logik nicht. In dem Sinne, wie Herbart das kategorische Urtheil hypothetisch nennt, nannten wir vielmehr die ganze Lo- gik hypothetisch. Auch Trendelenburg legt wenig Gewicht auf die Unter- scheidung des kategorischen und hypothetischen Urtheils, und alles was er für die etwanige Aufrechthaltung desselben sagt (II, S. 181), läuft am Ende doch nur auf sprachliche Bestim- mungen hinaus, auf Verschiedenheit der Darstellung; alles was er hierüber bemerkt, ist fein gedacht und scharf aufgefaßt. Worauf es uns aber am Ende hier ankommt, ist nur der Unter- schied zwischen grammatischen und logischen Verhältnissen, und nicht nur Herbart hat ihn eingestanden, sondern auch Trende- lenburg läßt sich hier (S. 182) die Bemerkung entreißen: „ Der grammatische Ausdruck ist im Logischen nur Kenn- zeichen und keine entscheidende Bestimmung .“ Ent- scheidend müßte aber die Grammatik für die Logik absolut sein, wenn die Sprache der organische Ausdruck des Gedankens wäre, der Satz das lautgewordene Urtheil. Wir sehen hier, daß Satz und Urtheil sich nicht decken. Dieses und daß auch Wort und Begriff nicht dasselbe sind, geht nun auch daraus hervor, daß gelegentlich ein bloßer Be- griff zum Satze wird, was ja eben in den hypothetischen Sätzen geschieht; wie auch umgekehrt, daß ein Urtheil zum Wort zu- sammenschmilzt, wie in den disjunctiven Fällen. §. 68. Eintheilung der Urtheile. Wenn nicht einmal Satz und Urtheil übereinstimmen, so kann auch die Eintheilung der Urtheile nicht mit der der Sätze zusammenfallen. Die wichtigste logische Eintheilung der Ur- theile ist die nach der Qualität in bejahende und vernei- nende . Die Grammatik kennt diesen Unterschied nicht. A ist nicht gut, A ist sehr gut , oder A ist oft B , A ist nicht B , das ist der Grammatik gleich. „Nicht“ ist für die Grammatik ein Adverbium wie jedes andere; „kein“ ist ein unbestimmtes Pro- nomen, eben so wie jeder, mancher, einer. Eben so wenig wie die Unterschiede der Qualität des Ur- theils, werden die der Modalität und Quantität desselben gram- matisch unterschieden. Es scheint zwar, gerade hier entsprächen die Modi der Verba den logischen Verhältnissen. Eine Verwandt- schaft soll auch nicht geläugnet werden. Aber die Identität des Indicativs, Conjunctivs, Optativs und Imperativs mit dem asser- torischen, problematischen und apodictischen Urtheile schwindet, sobald man nur das Auge darauf ruhen läßt. Das apodictische Urtheil wird durch den Indicativ ausgedrückt, wie das asserto- rische; und auch das problematische Urtheil kann durch den Indicativ ausgedrückt werden durch kann, mag; nicht immer ist könnte, möchte angewandt. Wie will man ferner den Conjunctiv nnd Optativ auf das problematische Urtheil verthei- len? Und Conjunctiv und Optativ bedeuten weder ausschließ- lich, noch ursprünglich das problematische Verhältniß. Der Im- perativ entspricht dem apodictischen Urtheile, bildet aber noch nicht einmal ein Urtheil, sondern nur einen Satz. Geh! schreib! sind keine Urtheile, aber doch nothwendig Sätze. — Eben so haben die allgemeinen, besondern und einzelnen Urtheile nichts mit dem grammatischen Singular und Plural gemein. In dem Satze „ jeder Mensch ist sterblich “ wird von einem Allgemeinen etwas allgemein ausgesagt, nach Aristoteles; aber kein Plural ist sicht- bar. Ferner ist für die Logik der Unterschied von allgemeinen und besondern Urtheilen das eigentlich Wichtige der Einthei- lung der Urtheile nach der Quantität, während das judicium singulare dem judicium commune gleich behandelt wird. Die Grammatik hat nichts, was dem besondern Urtheile entspräche, und scheidet vielmehr den Singular vom Plural. Schafft dage- gen die Grammatik eine dritte Kategorie, so ist es der Dual, wovon hinwiederum die Logik nichts ahnt. § 69. Satzarten. Umgekehrt hat nun die Grammatik Satzarten, denen keine logischen Arten des Urtheils entsprechen. Trendelenburg, obwohl er doch, wie wir oben sahen, im grammatischen Ausdrucke nur ein Kennzeichen für logische Verhältnisse sehen will, stellt trotz- dem folgende Zumuthung an die formale Logik (I. S. 16): „Es kann mit Recht gefordert werden, daß die grammatische Form der Sätze in der Lehre des Urtheils eine Begründung finde.“ Diese Forderung muß nach der obigen Darlegung völlig unge- rechtfertigt genannt werden. „Und die Logik ist keine Sprach- lehre“, grollt Herbart. „Wenn es grammatisch wesentliche For- men von Sätzen gäbe“, fährt Trendelenburg fort, „die sich an keine logische Form anknüpfen ließen: so würde das gramma- tische Factum gegen den richtigen und vollständigen Bestand der Logik zeugen.“ Bei der Zusammenhangslosigkeit von Satz und Urtheil, bei ihrem ganz verschiedenen Wesen kann die Grammatik in keiner Weise ein Maßstab der Logik werden, so wenig wie sie es sich umgekehrt gefallen lassen kann, an der Logik gemessen zu werden. Wie soll die Logik den Imperativ-, den Wunsch-, den Erzähl-Satz begründen können? Sie gehören nicht in die Logik, sagt Aristoteles. Trotzdem fährt der beste Kenner des Aristoteles, der je gelebt hat, fort: „Ein solches Factum der Sprache ist das Urtheil des Zweckes; es hat sich eben so sehr, wie das hypothetische oder disjunctive Urtheil“ (oben sahen wir, daß dies eben keine logischen Urtheilsformen seien) „seine eigenthümlichen Conjunctionen (auf daß, damit u. s. w.) hervorgebildet. In der formalen Logik findet es nir- gends seine Stelle“ — und mit Recht. Denn es giebt zwar Zwecksätze, aber keine Zweckurtheile, da die Zwecksätze, eben so sehr wie die Wunsch- und Befehl-Sätze, weder wahr noch falsch sein können. Daß Trendelenburg dies übersehen hat, läßt sich nicht aus seiner bloßen Neigung erklären, Gram- matik und Logik mindestens zu parallelisiren, wenn nicht zu identificiren; sondern man muß hinzunehmen, daß Trendelen- burg, was ihm als Philosophen zur Ehre gereicht, immer von der Kategorie des Zweckes voll ist, die in seinem Systeme eine bedeutendere Rolle, als in irgend einem andern spielt. Doch folgt weder aus der hohen Bedeutung des Zweckes, noch auch daraus, daß die Sprache Conjunctionen, wie damit, afin que, hat, die Berechtigung, Urtheile des Zweckes in der Logik auf- zustellen. Denn, fragen wir also, liegt in dem Zwecksatze eine Aussage, welche entweder wahr oder falsch ist? Keineswegs! Wenn jemand sagt: das Auge hat brechende Medien , damit es sehe, oder der Mensch steht aufrecht , damit er aufwärts blicken könne , so liegt in diesem Zwecksatze nur in derselben Bezie- hung etwas Wahres oder Falsches, als dies in der Erzählung Statt findet: ein Blinder wünschte: o, wenn ich doch den Himmel einmal sehen könnte! In dem Wunsche kann nichts Wahres 12 oder Falsches liegen; aber die Behauptung, daß der Blinde die- sen Wunsch habe, kann allerdings wahr oder falsch sein. Eben so ist es dem Wahrheitsforscher anheimgegeben und unabweis- liches Bedürfniß, zu fragen, ob es wahr ist oder nicht, daß eine nach Zwecken schaffende Macht dem Auge brechende Medien, dem menschlichen Körper die aufrechte Stellung gegeben habe, und ob sie gerade diesen Zweck gehabt habe oder einen andern. Das Ergebniß wird sich dann in irgend einer Form der Ur- theile aussprechen, assertorisch oder problematisch: das giebt noch kein Zweckurtheil. Ob einem Subject eine bloße Eigen- schaft, oder eine Handlung, oder der Zweck einer Handlung zu- geschrieben wird, oder auch die Ursache einer Handlung: alles das kann den sprachlichen Ausdruck abändern, aber nicht ver- schiedene Urtheilsformen begründen. Das Zweckverhältniß tritt hier gar nicht nach seiner specifischen Eigenschaft auf, sondern ganz allgemein als Prädicat. Wo bringt denn nun Trendelenburg die Zwecksätze hin? Oder vielmehr in welcher Stelle seines Systems der Urtheile hat das Zweckurtheil Platz gefunden? Unter den hypothetischen Urtheilen! Denn die Urtheile: „das Auge hat brechende Me- dien, damit es sehe“ und „wenn das Auge sehen sollte, mußte es brechende Medien haben“ haben denselben Inhalt. Eben darum, sagen wir, ist ihre Verschiedenheit eine bloß grammati- sche. Bloß grammatisch und gar nicht logisch ist von jenen beiden Sätzen noch folgender dritte verschieden: „das Auge hat um des Sehens willen brechende Medien“; ist das nun auch ein Zwecksatz? — Wenn ich nun ferner sage: „das Auge sieht, weil es brechende Medien hat“; oder: „das Auge kann der brechenden Medien wegen sehen“: so haben wir in diesen drei Sätzen grammatisch gleiche Formen, wie in den obigen; und wie logisch? Insofern der Zwecksatz wahr oder falsch sein kann, bildet er keine besondere Art der Urtheile; denn die Verbindung eines Zweckes mit einer Thatsache oder Person ist eine einfache Aussage, wie jede andere, und fällt den gewöhn- lichen Kategorien des Urtheils anheim; insofern aber der Zweck- satz an sich betrachtet wird, abgelöst von der Person oder That- sache, enthält er, wie der Wunsch, weder Wahres noch Fal- sches, ist folglich kein Urtheil. Eben so ist es mit den ent- sprechenden Causalsätzen. Wir könnten endlich nur noch be- merken, daß die bisherige formale Logik rücksichtlich der Zweck- sätze gerade dasselbe gethan hat, was Trendelenburg thut. Man hat nämlich den Zweck als Beweggrund oder moralischen Grund aufgefaßt, also als Unterabtheilung der Causalität oder Depen- denz. Diese aber gilt für das wesentliche Moment der hypo- thetischen Urtheile; also sind, nach der formalen Logik, Zweck- urtheile eine Unterabtheilung der hypothetischen Urtheile, ge- rade wie bei Trendelenburg. Nur finde ich bei ihm noch die Schwierigkeit, daß, wenn ich mich nicht täusche, der Unter- schied zwischen kategorischen und hypothetischen Urtheilen gar nicht in sein System der Urtheile eintritt, also auch das Zweck- urtheil darin gar keine besondere Stelle findet. — So viel über Satz und Urtheil. §. 70. Bei- und Unterordnung der Sätze. Wenn zwischen Satz und Urtheil nicht bloß keine Iden- tität, sondern auch nicht einmal Congruenz und Parallelismus Statt findet, so kann auch in der Bei- und Unterordnung der Sätze kein logisches Element liegen, das vom Urtheil abhängig wäre. Wir müssen hier zunächst wieder auf Becker eingehen, der uns hier in unerwarteter, wir fürchten, inconsequenter Weise, entgegen zu kommen scheint. Wir erinnern uns, daß Becker die logische Form des Satzes von der grammatischen scheidet. Die logische Form des Satzes ist freilich für uns kein ge- ringerer Widerspruch, als spräche man von dem Winkel eines Kreises, von der Peripherie des Dreiecks. Becker verstand aber unter logischer Form die Weise der Ueber- und Unterordnung der Factoren, die im Satze auf einander bezogen sind, wonach der logische Werth dieser Factoren unterschieden wird. Daß nun Becker Recht daran thut, da von einer logischen Form zu reden, wo es sich nach seiner Ansicht um das Verhältniß von Allgemeinem und Besonderm handelt — ein durchaus logisches Verhältniß, von welchem, wie schon erwähnt, die Grammatik nichts weiß, —: das ersieht man leicht. Wir haben oben in unserer Kritik Beckers nur etwas vermißt, was in Wahrheit die gram- matische Form ausmachen sollte und könnte. Denn wenn diese auf den Gegensatz von Thätigkeit und Sein begründet wird, so sind wir in der Metaphysik, nicht in der Grammatik. Gestehen wir aber hier Becker diese Scheidung zu und nehmen also an, die Verhältnisse des Satzes, insofern sie auf dem Gegensatze von Thätigkeit und Sein beruhen, bilden dessen grammatische 12* Form; insofern sie aber auf der Beziehung des Allgemeinen und Besondern beruhen, bilden sie seine logische Form. Bei der grammatischen Form nun bringt Becker (§. 47.) die Denkformen des Gegensatzes Der Gegensatz beruht nur auf dem Verhältnisse von Allgemeinem und Besonderm, würde also zur logischen Form gehören. Doch diese Einwendung will wenig sagen; ist doch sogar Sein und Thätigkeit, worauf die gramma- tische Form beruhen soll, von Besonderm und Allgemeinem nicht verschieden. , der Causalität, Möglichkeit und Nothwendigkeit zur Sprache und die Anschauungsformen des Raumes und der Zeit. Rücksichtlich der logischen Form wird bemerkt (§. 46. S. 163): „Durch die Unterordnung der Factoren wird das prädicative Verhältniß (der Satz) zu einer Einheit des Gedankens, und das attributive und objective Satzverhältniß zu einer Einheit des Begriffes verbunden: weil aber jedes attributive und objective Satzverhältniß selbst ein Factor des prädicativen Satzverhältnisses ist; so wird durch die Unterordnung der Factoren jedes Glied eines Satz- verhältnisses in die Einheit des Gedankens aufgenommen.“ Es ist also die logische Form, vermöge welcher in dem Satze: der wahre Mensch liebt die Tugend das attributive Verhältniß: der wahre Mensch und das objective: liebt die Tugend zur Ein- heit des Begriffs, und dann wiederum beide im prädicativen Verhältnisse zur Einheit des Gedankens verbunden sind. Daß aber im vorliegenden Satze eine Bejahung liegt, eine Wirk- lichkeit, nicht Möglichkeit oder Nothwendigkeit, daß Mensch und Tugend ein Sein, liebt eine Thätigkeit, wahr eine Qualität ist: das macht die grammatische Form aus. Man sieht also, daß nothwendig logische und grammatische Form immer neben einander im Satze vorhanden sind und nur hervortreten, je nach- dem wir das Verhältniß zwischen Thätigkeit und Sein oder Allgemeinem und Besonderm zum Gesichtspunkte wählen. Hier- gegen wäre nichts einzuwenden und wir fahren mit Becker fort (§. 100.): „Wie die Sprache zwei Wörter in einer Zusammensetzung oder auch in einem Satzverhältnisse dergestalt mit einander ver- bindet, daß sie nur einen Begriff ausdrücken; so verbindet sie auch vielfältig zwei Sätze in einem zusammengesetzten Satze, der nun als der Ausdruck nur eines Gedankens aufgefaßt wird.“ Ferner aber ist natürlich auch „die Zusammensetzung der Sätze dadurch bedingt, daß die Sätze mit einander in gewissem Ver- hältnisse stehen, vermöge deren die Gedanken zu einem Ge- danken werden können. Diese Verhältnisse sind nun zwiefacher Art; sie sind nämlich entweder logische Verhältnisse der Ge- danken, oder grammatische Verhältnisse der Sätze .“ Was gehen aber die Grammatik die logischen Verhältnisse der Ge- danken an? Da wir jedoch beim einfachen Satze schon eine „lo- gische Form des Satzes“ bei Becker gesehen haben, so wissen wir auch schon, daß ihm die logischen Verhältnisse der Gedan- ken eben logische Verhältnisse der Sätze sind, und daß über- haupt Satz und Gedanke ihm für identisch gelten. Worin besteht nun der Unterschied zwischen den logischen und den grammatischen Verhältnissen der Sätze? Becker sagt: „Nur ein Gedanke des Sprechenden z. B. „das Leben ist kurz“ kann mit einem andern Gedanken des Sprechenden „die Kunst ist lang“ in einem logischen Verhältnisse stehen: und weil beide Sätze Gedanken des Sprechenden ausdrücken, so werden sie als Hauptsätze mit einander verbunden, z. B. „die Kunst ist lang; aber das Leben ist kurz“; und man nennt diese Form der Verbindung die beiordnende Form. Wenn ein Begriff, welcher als ein Glied eines Satzverhältnisses (als Subject, Attribut oder Object) mit einem andern Begriffe in einer grammatischen Beziehung steht, in der Form eines Gedankens durch einen Satz ausgedrückt wird; so wird dieser Satz ein Nebensatz genannt, und steht mit dem Hauptsatze in einem grammatischen Verhältnisse, z. B. Wenn der Leib in Staub zerfallen , (nach dem Tode) lebt der große Name noch . Der Hauptsatz drückt dann insgemein einen Gedanken des Sprechenden, der Nebensatz aber eigentlich nur einen Be- griff aus; und man nennt die Form, in welcher der Nebensatz mit dem Hauptsatze zu einem zusammengesetzten Satze verbun- den ist, die unterordnende Form der Verbindung.“ Diese Unterscheidung der grammatischen und logischen Verhältnisse der Satzverbindung ist also gar nicht auf denselben Grundsatz gegründet, wie die der grammatischen und logischen Form des Satzes. Denn letztere Formen zeigen sich in jedem Satzver- hältnisse zugleich. Das Attribut steht zur Substanz, das Sub- ject zu dem Prädicat in einem grammatischen Verhältnisse, in- sofern ihre Verbindung auf dem Gegensatze von Sein und Thä- tigkeit beruht; aber sie stehen zugleich auch in einem logischen Verhältnisse, insofern der Gegensatz vom Allgemeinen und Besondern hervorgehoben wird. Folglich muß auch in der unter- ordnenden Form der Satzverbindung sowohl eine grammatische, als auch eine logische Form, je nach dem verschiedenen Gesichts- punkte, liegen. Und sollte andererseits in der Verbindung der Hauptsätze nicht auch eine grammatische Form liegen? Wir erhalten also: eine der sprachlichen Darstellung gehörende logische Form der grammatischen Beziehung der Begriffe neben einer grammatischen Form der grammatischen Beziehung der Begriffe, und neben einer der sprachlichen Darstellung angehörenden logischen Form der Verhältnisse der Gedanken, und endlich einer grammatischen Form der logischen Ver- hältnisse der Gedanken. Welche wunderlichen Widersprüche! — Man bemerke ferner in der oben citirten Stelle Beckers, daß nach dem Worte Gedanken noch hinzugefügt wird: des Sprechenden, und zwar mit gesperrten Lettern; warum das? welcher Gegensatz soll hier angedeutet werden? Können bei der Sprache noch andere Gedanken in Betracht kommen, als die des Sprechenden? Das muß wohl sein, und aus dem Zusammen- hange wird klar, daß dem Gedanken des Sprechenden entgegen- gesetzt ist der Gedanke, welcher nur die Form des Gedankens, aber den Inhalt eines bloßen Begriffs hat. Zum „Gedanken des Sprechenden“ ist also als Gegensatz zu nehmen der Gedanke des Begriffs! d. h. die Peripherie des Quadrats. Wie es der Sprache möglich ist, einen Begriff in Form eines Gedankens einzukleiden, das scheint für Becker nicht mehr Schwierigkeit zu haben, als daß sich ein Kind in den Pelz des Großvaters hüllt. Was sind denn das nun aber für logische Verhältnisse der Gedanken in der beiordnenden Satzverbindung? — Die Denk- formen des Gegensatzes und der Causalität! also gerade die, welche beim einfachen Satze unter der grammatischen Satzform betrachtet wurden. Und umgekehrt, während das Wesen der logischen Satzform in der Unterordnung der Factoren lag, sol- len es grammatische Verhältnisse sein, welche in der unterord- nenden Satzverbindung auftreten. Der Attributsatz steht zum Hauptsatze „nicht in einem logischen Verhältnisse der Gedan- ken, sondern nur in einem grammatischen Verhältnisse“; und dieses Verhältniß wird dennoch nicht bloß durch eine gram- matische, sondern auch durch eine logische Form dargestellt. Das logische Verhältniß der Gedanken wird durch die logische Form ausgedrückt; die besondere Art der logischen Form jedoch durch Conjunctionen, d. h. durch die grammatische Form (§. 102. S. 486). Widersprüche, wo man auch anrühren mag! Das Wesentlichste ist Folgendes: Wenn die ganze Unter- scheidung der bei- und unterordnenden Verbindung, der logi- schen und grammatischen Verhältnisse, bloß darauf beruht, daß dort Gedanken des Sprechenden, hier Gedanken des Begriffs (oder Begriffe als Gedanken) vorliegen: so haben wir doch hier, wie dort Gedanken, immerhin dort bei-, hier unterordnende Ver- hältnisse, aber immer Verhältnisse von Gedanken und Begriffen, also logische und keine grammatische Verhältnisse. Und von Gedanken des Sprechenden zu reden, hat ebenfalls keinen Sinn; denn der Sprechende als Sprechender hat keinen Gedan- ken, sondern Sprache. Insofern aber die Sprache Gedanke ist, sind diese Gedankenverhältnisse nicht logische, sondern sprachliche, grammatische Verhältnisse. §. 71. Verhältnisse der Satzverbindung. Haben wir einmal solche Verwirrung bemerkt, so können wir darauf gefaßt sein, bei der nähern Betrachtung der Ver- hältnisse der Satzverbindung noch mancherlei andere zu ent- decken. Indessen Becker selbst hat hiervon eine Ahnung und er baut also vor (S. 471): „Die logischen Verhältnisse der Gedanken werden von den grammatischen Verhältnissen der Begriffe zwar im Allgemeinen dadurch unterschieden, daß in dem zusammen- gesetzten Satze die ersteren in der beiordnenden und die letztern in der unterordnenden Verbindungsform dargestellt werden: sehr oft werden aber auch logische Verhältnisse der Gedanken in der unterordnenden, und Begriffe, die in einem grammatischen Verhältnisse stehen, in der Form eines Satzes in beiordnender Form dargestellt“ — welches Eingeständniß Beckers wir anmerken wollen; denn es folgt daraus, daß das logische Verhältniß der Gedanken mit dem grammatischen Ver- hältnisse — nicht der Begriffe, sondern — der Sätze nichts zu schaffen habe. Statt dieser so einfachen Scheidung von Satz und Gedanke macht Becker einen Unterschied zwischen „Ver- bindungsform der Sätze“ und „Formen der Darstellung“, als wenn nicht eben der Satz die Darstellung wäre. Becker sieht also die Darstellung noch außerhalb der Sätze — ich weiß nicht, ob neben, über, unter ihnen —, indem er sagt: „Die mannigfachen Verhältnisse des zusammengesetzten Satzes können daher nur dann wahrhaft verstanden werden, wenn man nicht nur die Verbindungsformen der Sätze, sondern die besondern Arten der logischen und grammatischen Verhältnisse in ihren Beziehungen zu den Formen der Darstellung näher betrachtet.“ Man sieht also, daß, wenn Becker von Darstellung, von grammatischer und logischer Form, von grammatischen und lo- gischen Verhältnissen spricht, er hiermit nicht diejenige Schei- dung macht, welche wir verlangen, von Gedankeninhalt und sprachlicher Darstellung; und daß bei Becker jene Scheidungen, die er unter einander wirrt, nichts sind als Gespenster, als Rache- geister der erstickten wahren Verhältnisse, welche ihn verfolgen. Uebrigens kann die Freiheit und Selbständigkeit der sprach- lichen Darstellung, ihre Unabhängigkeit und also sicherlich ihre Verschiedenheit von dem Gedanken und seinen Verhältnissen nicht klarer werden, als bei den vielfältigen Verhältnissen der Unterordnung. Man vergleiche folgende Sätze, die in verschie- denen Formen sprachlicher Darstellung denselben Gedanken aus- drücken: „Rückwärts kannst du nun nicht mehr; daher (also) mußt du vorwärts — Vorwärts mußt du; denn rückwärts kannst du nun nicht mehr — Da (weil, wenn) du nicht mehr rückwärts kannst, so mußt du vorwärts.“ Auch wechseln nicht bloß die bei- und unterordnenden Verbindungen unter einander ab, so- wohl innerhalb jeder Classe die Arten unter einander, als beide Classen mit einander; sondern innerhalb der unterordnenden Verbindung ist das Verhältniß des Ueber und Unter wandelbar; z. B. „Wenn der Leib in Staub zerfallen, lebt der große Name noch,“ oder auch: „Der Leib ist in Staub zerfallen, während der große Name noch lebt.“ §. 72. Elemente des Satzes und des Urtheils. Wir haben oben den Satz und das Urtheil und dann ihre Zusammensetzung betrachtet. Steigen wir jetzt hinab in ihre Elemente. Der Satz besteht aus drei Grundelementen: Sub- ject, Prädicat und Copula, und so haben wir im Satze, in der Darstellungsform des Urtheils, schon eine höchst bedeutende Abweichung vom Urtheil, welches nur zwei Elemente hat: Sub- ject und Prädicat. Dies ist aber ein schwieriger Punkt, wobei ich wieder auf Herbart zurückkommen muß. Auf Becker ein- zugehen, sei mir hier erlassen; es ist zu unerfreulich zu se- hen, und mir unmöglich, mit Ruhe darzustellen, wie leichtfertig er die Thatsachen dem Moloch seines Systems opfert. Er sagt z. B. vom Verbum substantivum sein (§. 58. S. 223): „Auch ist es allen Sprachen gemein; und es scheint nur darum einigen Sprachen zu fehlen, weil es in ihnen in einer uns unge- wöhnlichen Form hervortritt.“ Das Verbum substantivum aber ist eben nur eine Form; und wenn diese Form nicht in dieser Form als diese Form, das Verbum substantivum als Verbum substantivum und im Verbum substantivum sich vorfindet: so ist diese Form, dieses Verbum substantivum, überhaupt und ganz und gar nicht vorhanden. Der wichtigen Thatsache, daß der größte Theil aller Sprachen der Erde kein Verbum substanti- vum, noch nicht einmal ein Verbum der Existenz hat, ja daß genau genommen am Ende nur der indoeuropäische Stamm es in Wahrheit besitzen mag — einer Thatsache, bestätigt durch Missionäre, welche ihr Leben unter den Völkern verbracht ha- ben, über deren Sprachen sie berichten, welche eine sorgfältige Kenntniß dieser Sprachen und Geist und Urtheilskraft über- haupt zeigen; bestätigt durch Humboldt und nicht bloß bestä- tigt, sondern selbst verstärkt durch ihn, indem er durch feine analytische Untersuchungen der grammatischen Formen die ge- legentlichen Scheinformen des Verbum substantivum bloß legte — solchen Thatsachen und solchen Forschungen stellt Becker ein in sich selbst undenkbares, sinnloses „scheint“ gegenüber! §. 73. Prädicat und Attribut. Der wesentlichste Punkt ist die Unterscheidung zwischen der prädicativen und attributiven Verbindung. Was lehrt also die Logik über diesen Unterschied? — Die Logik? gar nichts; sie kennt ihn gar nicht! Die Logik kennt einen Begriff A und einen Begriff B , welche durch Umfang und Inhalt in man- cherlei Beziehungen zu einander stehen können: diese Begriffe sind ihr gegeben. Ebenso wie die Begriffe, deren Beziehungen sie darlegt, ist der Logik die Verbindung der Begriffe A + B gegeben und diese Verbindung nennt sie ein Urtheil. Worauf nun auch immer diese Verbindung zweier Begriffe beruhen mag, sei es daß sie ein zufälliges Geschehen ist, welches zwei ge- sonderte und für sich vorhandene Begriffe erfahren, sei es daß sie nur die differente Form einer ursprünglichen Einheit ist — diese Frage geht die formale Logik nichts an — die Logik, auch die metaphysische, Begriff und Urtheil deducirende Logik, kennt als Urtheil nur A + B oder A = B , oder wie man das logische Verhältniß der Begriffe im Urtheile bezeichnen mag. Der Unterschied zwischen der Weise, wie die Begriffe in dem Ab- schnitte der Logik über die Begriffe, und wie die Begriffe in dem Abschnitte über das Urtheil betrachtet werden, liegt bloß darin, daß dort die Beziehung, hier eine Verbindung der Begriffe be- trachtet wird. Diese Verbindung deuten wir durch das Zeichen = an. Ob aber dieselbe prädicativ oder attributiv sei, das ist Sache der Grammatik, und weder Logik noch Metaphysik weiß davon das Mindeste zu sagen. Gott = ewig: so spricht das logische Urtheil. Ob ewig Prädicat oder Attribut ist — diese Unterscheidung macht sie nicht, kann sie nicht machen; denn sie kennt die Copula nicht, oder die Flexion, auf welcher der Unterschied beruht. Man betrachte nur die verschiedene Bedeutung der Wör- ter Prädicat und Attribut in der Metaphysik und Logik einerseits und in der Grammatik andererseits. Dort spricht man von den Attributen der Substanz, und in diesen Begriffs- kreis tritt die Kategorie Prädicat gar nicht ein; man spricht vom Prädicat des Subjects, und in diesen Kreis tritt das Attri- but nicht ein. Die Metaphysik betrachtet die Bedeutung und Berechtigung der allgemeinsten Kategorien, unter denen wir das Sein, die Welt, auffassen: zu diesen Kategorien gehören Sub- stanz und Attribut, Ding und Eigenschaft und dann noch etwa die Inhärenz oder die Weise, in welcher die ge- nannten Kategorien auf einander bezogen werden; die logische Lehre vom Urtheil betrachtet das Verhältniß der Begriffe, wel- che unter jene Kategorien von Substanz und Attribut, Ding und Eigenschaft fallen, insofern dieselben im Urtheil im Verhält- niß von Subject und Prädicat zu einander stehen — es kann eben so wenig von einem metaphysischen Prädicate, als von einem logischen Attribute die Rede sein, weil die Metaphysik nicht das Urtheil, die Logik nicht die realen Verhältnisse kennt —: die Grammatik aber kennt Subject mit Prädicat und Attribut; denn ihr Gegenstand ist der Satz. Das grammatische Prädicat kann nun aber nicht das logische sein; denn es hat das Attribut als Gegensatz neben sich: und das grammatische Attribut kann nicht das metaphysische sein; denn es steht ne- ben dem Subject: folglich kann auch das grammatische Subject weder die metaphysische Substanz, noch das logische Subject sein; denn es hat andere Gegensätze als diese. Was nämlich andere Gegensätze hat, muß auch in sich selbst anderer Natur sein; denn der Gegensatz ist eben das Erzeugniß der innersten Natur, oder noch wahrer: das entgegengesetzte Wesen ist Er- zeugniß der Einheit, welche im Gegensatze die Glieder dessel- ben schuf. Was also einen andern Gegensatz hat, als etwas anderes, ist aus einem andern Wesen, als dieses andere entsprun- gen, um ein anderes Wesen als jenes zu sein. Also ist das lo- gische Subject und Prädicat, und die Substanz und das Attri- but der Metaphysik anderer Natur, als das grammatische Sub- ject, Prädicat und Attribut; und diese lassen sich nicht mit und nicht aus jenen begreifen. Becker, immer metaphysischer Logiker, hat darum nichts von dem grammatischen Prädicat und Attribut begriffen, nichts von der Copula. Er sagt ausdrücklich (§. 50. S. 198.): „Die attributive Beziehung ist mit der prädicativen ein und dasselbe Verhältniß der Begriffe zu einander, nämlich die Einheit des Seins mit der von ihm prädicirten Thätigkeit. Wenn auch Thä- tigkeit und Sein in dem einen Verhältnisse zu einem Gedan- ken, und in dem andern zu einem Begriffe verbunden wer- den; so ist darum die Beziehung der Begriffe zu einander nicht eigentlich unterschieden“ — „nicht eigentlich!“ d. h. nicht logisch. Wie ist es denn möglich, daß dieselbe Beziehung der Begriffe dort einen Gedanken, hier einen Begriff giebt? kann dieselbe Ursache verschiedene Wirkungen haben? Wenn die Beziehung der Wörter nur als logische Beziehung der Begriffe aufgefaßt wird, so ist allerdings die Beziehung im prädicativen und attributiven Verhältnisse dieselbe; dann existirt dieser Un- terschied von Prädicat und Attribut nicht. Noch übler, als wir hier gesehen haben, gelingt Becker der Versuch, Prädicat und Attribut zu unterscheiden, an einer andern Stelle — denn er wiederholt sich ja beständig — (§. 60. S. 229.): „Die organische Gestaltung des ganzen Satzes besteht darin, daß in ihm ein Allgemeines mit einem Besondern in dem Gegensatze von Thätigkeit und Sein zu einer organischen Ein- heit verbunden ist, und daß sich bei der Entwickelung des Satzes in jedem besondern Verhältnisse dieser zu einer Einheit verbundene Gegensatz wiederholt.“ Wir wissen ja schon längst, daß bei Becker Entwickelung nichts anderes ist als Wiederho- lung, und der unendliche Schöpfer ein unaufhörlicher Tautolog. Ob ein nichtsthuender Gott mehr Langeweile haben kann, als der Beckersche repetirende? — „Der ganze Satz drückt die Einheit des Prädicates als des Hauptbegriffes und des Subjects als des Beziehungsbegriffes aus; und man nennt dieses Bezie- hungsverhältniß das prädicative . Dieses Verhältniß wieder- holt sich in dem Subjecte, indem sich dieses in dem Gegensatze eines Attributivs und seines Beziehungswortes (des Substantivs) entwickelt; und wir nennen dieses Beziehungsverhältniß das at- tributive.“ Das heißt ein Märchen erzählen. Denn wie der- gleichen möglich sein solle, und warum es gar nothwendig sei, davon wird nichts gezeigt. Wenn sich dasselbe Verhältniß wie das prädicative im Subjecte des Satzes wiederholt, so ent- steht kein Attribut, sondern etwa ein Subjectsatz; oder es ent- steht ein doppeltes Prädicat, also ein zusammengezogener Satz. Wie aus alle dem ein Attribut erwachsen solle und könne, davon sieht man nichts. Der Unterschied zwischen Attribut und Prädicat bei Becker klammert sich an den Ausdruck Begriff und Gedanke. Das at- tributive Verhältniß drückt nicht, wie das prädicative, ein Ur- theil, einen Gedanken, sondern nur einen Begriff aus. Dann ist es aber nicht von einem zusammengesetzten Worte unter- schieden, z. B. schwarzes Brod nicht von Schwarzbrod . Darum fügt Becker zur Unterscheidung hinzu (S. 266.), daß die Zu- sammensetzungen, besonders die Verschmelzungen, als besondere Artbegriffe „in den Begriffsvorrath der Sprache aufgenommen“ sind; der im attributiven Verhältnisse aber gebildete zusammen- gesetzte Begriff „nur von dem Sprechenden für den Augenblick der Rede“ seine Geltung und sein Dasein erhalte. Durch die- sen Umstand nähert sich das attributive Verhältniß wieder dem prädicativen, dem Satze, dem Gedanken. Denn (§. 45. S. 154.): „der Gedanke und die in dem Denken gebildeten Verbindungen der Begriffe unterscheiden sich von den Begriffen dadurch, daß sie nicht, wie diese, als ein bleibendes Eigenthum des Geistes in den Begriffsvorrath aufgenommen werden, sondern eigentlich nur in dem Augenblicke des Denkens und für diesen Augen- blick ein Dasein und eine Geltung haben“. Diese Unterschei- dung scheint sehr annehmlich: stereotyper Begriff = Wort; vor- übergehender Begriff = Satzverhältniß; immer vorübergehender Gedanke = prädicatives Verhältniß oder Satz. Nur fest sind diese Scheidungen keineswegs. Die sprachlichen Ausdrücke für Begriffs- und Gedankenverhältnisse ebenso wohl, als die für Ge- dankenverhältnisse und Gedanken ersetzen sich gegenseitig. „Da- her geschieht es, daß in der Sprache sehr häufig Formen, wel- che die Arten der Begriffe ausdrücken, an die Stelle solcher Formen treten, welche Verhältnisse der Gedanken ausdrücken, z. B. Ableitungsformen an die Stelle syntaktischer Formen, und umgekehrt“ (S. 154), und „oft wird ein wirkliches Urtheil des Sprechenden nur in der Form eines Attributes“ (also ein Ge- danke als Gedankenverhältniß) „ dargestellt, z. B. „„Weg mit diesem weichlichen Mitleiden!““ (Dieses Mitleiden ist weich- lich, darum weg damit). „„Er zieht diesen undankbaren Sohn allen andern vor““ (Er ist undankbar, und doch zieht er ihn vor)“ (S. 266.). Hierin sehen wir ein Zugeständniß der Auto- nomie der Sprache dem Gedanken gegenüber; Becker nimmt aber daran keinen Anstoß, und seine Bemerkung, daß sowohl die Entwickelung der Begriffe, als die der Sätze darauf beruhe, „daß Besonderes unter ein Allgemeines aufgenommen, und All- gemeines wieder auf Besonderes zurückgeführt wird“ (S. 153), kann weder zur Erklärung, noch zur Entschuldigung solcher Ver- tauschungen dienen. §. 74. Das Object. Kommen wir jetzt zum Object . Die Logik kennt weder den Begriff, noch das Wort Object . In der Metaphysik da- gegen spielt das Object eine bedeutende Rolle; denn hier han- delt es sich nicht mehr, mindestens nicht mehr bloß, um das subjective Denken, wie in der Logik, sondern um das objective Denken, d. h. um das auf das Object, die Wirklichkeit, bezo- gene subjective Denken. Diese Bemerkung genügt nun aber auch schon, um die völlige Verschiedenheit der metaphysischen Kategorie Object von der gleichnamigen grammatischen er- kennen zu lassen. Das metaphysische Object steht dem Subject, d. h. der Denkthätigkeit gegenüber. Das logische und das gram- matische Subject ist gerade das metaphysische Object; und das metaphysische Subject, das Denken, ist Object, d. h. Gegen- stand der Betrachtung, für die Logik. In der Grammatik aber — es genügt hier, dies nur ganz allgemein zu bemerken — spie- len Subject und Object abermals eine ganz andere Rolle, als in der Metaphysik und in der Logik. In einer jeden dieser drei Wissenschaften haben also Subject und Object eine andere Be- deutung, ein anderes Wesen, als in der andern; und die Weise, wie sie in der einen bestimmt werden, darf nicht in die andere übertragen werden. Betrachten wir jetzt Beckers Darstellung des objectiven Satz- verhältnisses (§. 74.) Wie alles andere, so kann er auch dieses nur mit dem Allgemeinen und Besondern abthun. Er sagt (S. 307.): „In dem objectiven Satzverhältnisse werden eben so, wie in dem attributiven Satzverhältnisse, Artbegriffe auf Un- terarten und auf Individuen, Allgemeines auf Besonderes zurückgeführt“. — Also kann Becker das objective Satzverhält- niß vom attributiven nicht unterscheiden, und folglich auch nicht vom prädicativen. §. 75. Das Prädicat. Gehen wir endlich an das prädicative Verhältniß . Becker sagt (§. 61. S. 230.): „Der Satz ist der Ausdruck eines Gedankens, und der Gedanke ein Act des menschlichen Gei- stes, durch welchen ein Sein als ein Besonderes in eine Thä- tigkeit als ein Allgemeines aufgenommen, und die Thätigkeit als die Thätigkeit des Seins angeschaut (von dem Sein prä- dicirt ) wird.“ Wenn aber ein Sein in eine Thätigkeit aufge- nommen wird, so wird nicht die Thätigkeit als die Thätigkeit des Seins angeschaut, sondern das Sein als das Sein der Thä- tigkeit. Zugestanden aber, wir erhielten durch die Aufnahme des Seins in eine Thätigkeit eine Thätigkeit, welche als die Thätigkeit des Seins angeschaut wird, so würde der Artbegriff der Thätigkeit zu einer Unterart besondert, aber nicht von einem Sein prädicirt . Weiter! „Das Prädicat als das Allge- meine, in welches das Sein als ein Besonderes aufgenommen wird, macht den eigentlichen Inhalt des Gedankens aus, und ist der Hauptbegriff des Satzes.“ Man denkt aber gewöhnlich um- gekehrt: nicht das allgemeine Element, sondern das besondere macht den eigentlichen Inhalt jedweden Wesens aus und ist der Hauptbegriff, das Specifische in ihm. Doch von Beckers wunderlicher Weise, wie er die Begriffe als Allgemeines und Besonderes betrachtet, bald dieses als durch jenes, bald jenes als durch dieses näher bestimmt ansieht, und bald dieses jenem, bald jenes diesem unterordnet; wie er unterscheidet zwischen: eins in das andere aufgenommen sein und eins auf das andere bezogen sein (vergl. bei ihm S. 162, 163): von alle dem war schon die Rede, und ich vermuthe, daß man, um diese Dinge zu begreifen, gerade wie für die Hegelsche Philosophie, einen besonderen Sinn, eine besondere grammatisch-speculative Ver- nunft haben müsse, wie ich sie leider nicht habe. §. 76. Logisches und grammatisches Subject und Prädicat als Begriff und Wort. Lassen wir also Becker, und sehen, wie sich das logische Subject und Prädicat vom grammatischen Subject und Prädicat unterscheidet. Wir haben schon im Allgemeinen gezeigt, daß nur die Wörter dieselben sind, daß aber beide Wissenschaften unter denselben Namen nothwendig Verschiedenes verstehen müs- sen. Betrachten wir nun das Auseinanderfallen, also die Ver- schiedenheit des grammatischen Subjects und Prädicats von dem logischen etwas näher. Wir folgen auch hier, wie bei allen un- sern logischen Betrachtungen, Herbarts Darstellung der formalen Logik und Trendelenburgs logischen Untersuchungen. Hier stoßen wir nun sogleich bei Trendelenburg auf einen Punkt, der einen bedeutenden Unterschied zwischen Grammatik und Logik in ihrer Weise, Subject und Prädicat zu betrachten, andeutet. Er sagt nämlich (II. S. 143): „Im weitern Sinne mag man Subject und Prädicat, das eine und das andere, als Begriffe bezeichnen. Im engern Sinne wird nur die allgemein aufge- faßte Substanz, das geistig wiedererzeugte Ding, Begriff heißen, und daher wird zunächst dem Subject der Begriff entsprechen. Das Prädicat als Prädicat trägt noch das Zeichen des Unselbst- ständigen an sich; es wird erst freier Begriff, wenn es die Form der Substanz annimmt, und in dieser Form Subject werden kann. Diese Umwandlung vollzieht die schöpferische Phantasie, welche selbst noch der isolirenden Abstraction zur Seite geht. Thätigkeiten werden als Dinge vorgestellt, Abstracta als Sub- stanzen. Die Sprache zeigt diese Umwandlung namentlich im Infinitiv.“ Was sagt wohl Becker dazu? Die Verba, die Prä- dicate sind gar keine Begriffe, bloß die Substantiva sind Be- griffe. Die Verba aber sind doch Wörter; und nun soll Wort und Begriff eins und dasselbe sein! Man glaube auch nicht, daß noch ein Ausweg gelassen sei. Man könnte meinen, im engern Sinne sei allerdings die Thätigkeit kein Begriff, aber im weitern Sinne. Aus der angeführten Stelle nämlich, und specieller II. S. 150, geht hervor, daß die Thätigkeit nur dann Begriff ge- worden ist, wenn sie nicht Prädicat, sondern selbst Subject ist, als Infinitiv oder abstractes Substantiv; das Verbum aber — und die Thätigkeit als Prädicat ist regelmäßig Verbum, und das Verbum immer Prädicat — ist kein Begriff. Wir haben schon bemerkt, welch ein großer Unterschied zwischen Trendelenburg und Becker rücksichtlich der allgemei- nen Weise der wissenschaftlichen Forschung Statt findet; auch haben wir schon speciell bei der Ansicht Beckers von der Ent- stehung und Bildung des Urtheils seinen Widerspruch gegen Trendelenburg hervorgehoben. Hier kommen wir auf diesen Punkt zurück. Denn es ist für unsere Absicht, die Verschie- denheit von Logik und Grammatik darzuthun, interessant, zu sehen, wie Trendelenburg, so gern er sich auch der sprach- lichen Anschauung nähern möchte, ihr dennoch fern bleibt, als Logiker: und wie dagegen Becker, von der Sprache immer zur Logik abspringend, die eine verläßt, ohne die andere zu gewin- nen, und so statt der grammatischen Ansicht nur eine schlechte logische gewinnt; denn die sprachlichen Verhältnisse wirken doch zu mächtig auf ihn, um zu einer reinen logischen Untersuchung gelangen zu können. So kann uns also Beckers Widerspruch gegen Trendelenburg in doppelter Beziehung die Verschiedenheit von Grammatik und Logik zeigen; und noch abgesehen hiervon werden wir diese Verschiedenheit auch daraus ersehen, daß Trendelenburgs logische Theorie vom Urtheil den Satz nicht berührt. §. 77. Begriff und Urtheil und Satz. Wenn Becker den Satz oder das Urtheil erklärt als die Aufnahme eines Besondern, eines Seins, in ein Allgemeines, eine Thätigkeit, welche beide als fertige Begriffe in dem Begriffsvor- rathe der Sprache liegen: so findet sich hiervon bei Trendelenburg nichts oder vielmehr gerade das Gegentheil. Er läßt den Begriff aus einem primitiven Urtheil entstehen, welches eine bloße Thä- tigkeit ohne Subject enthält. „Der Begriff“, heißt es bei ihm (II. S. 145), „entsteht auf ähnliche Weise aus dem ersten Ur- theil der bloßen Thätigkeit, wie die Substanz aus der gestalten- den Thätigkeit; und wie sich ferner die Substanz in der Thä- tigkeit äußert, so wird das Subject im Prädicate, der Begriff im Urtheil lebendig. — Ein einfaches Beispiel mag es erläutern. Die Sprache faßt den Satz: es blitzt nach seiner Form als ein Urtheil einer ursprünglichen Thätigkeit auf. Diese Thätig- keit wird im Begriffe Blitz Substanz, und die Substanz äußert sich in Eigenschaften. Der Begriff offenbart sich im Prädicate, z. B. der Blitz leuchtet, zackt sich u. s. w. So verhält es sich ursprünglich immer; nur daß wir selten aus ersten Thätigkeiten, sondern meistens aus der Thätigkeit der Subjecte ableiten.“ Und weiter (S. 147): „Wie zunächst die Thätigkeit der Außen- welt den Geist des Menschen trifft, oder die eigene Thätigkeit in sie übergreift: so muß nothwendig auch das Gegenbild der Thätigkeit das Erste in der Sprache sein.“ Also, meint Trende- lenburg, „wird es eine Stufe des Urtheils geben, die dem Be- griff und der Entwickelung des Urtheils gemeinsam zu Grunde liegt… Auf diese Weise ist das Rudiment eines Urtheils das Erste, z. B. es blitzt . Indem es sich zum Begriffe fixirt, z. B. Blitz , begründet es das vollständige Urtheil, z. B. der Blitz wird durch Eisen geleitet , und das vollständige Urtheil faßt seinen Ertrag von Neuem in einen Begriff zusammen, z. B. Blitzableiter . So vervielfachen sich die logischen Vorgänge, und indem sie sich einander befruchten, erzeugen sie bestimmtere Gestalten. So viel über Urtheil und Begriff, inwiefern sie sich zu einander verhalten, wie Thätigkeit und Ding.“ „Daß die Urtheile es sind, wodurch die Begriffe vervollkommnet werden, und daß sie daher den letztern in gewissem Sinne vorangehen“, konnte einem Psychologen wie Herbart nicht entgehen (vergl. sein Lehrbuch zur Psychologie 2. Ausg. §. 78. 79. 180. ff.) Bei Trendelenburg also — dem Logiker, so viel er auch auf die Sprache hinblickt — sind Begriff, Ding, Substanz einer- seits und Urtheil, Thätigkeit, Prädicat andererseits correspondi- rende und gewissermaßen identische Kategorien. Das Urtheil ist nicht zusammengesetzt, sondern es tritt aus dem Begriff her- vor, wie dieser selbst erst aus einem primitiven Urtheil entstan- den ist. Das vollständige Urtheil ist die Einheit eines Begriffs und eines primitiven Urtheils. Und so wäre denn doch das Urtheil zusammengesetzt? Man hat z. B. das primitive Urtheil: es blitzt, und ein anderes: es zackt sich, es leuchtet . Man hat aus dem erstern den Begriff Blitz gebildet und setzt ihn zu- sammen mit dem andern primitiven Urtheile zum vollständigen Urtheil: der Blitz zackt sich , leuchtet . Was in Trendelenburgs Entwickelung immer noch fehlt, das ist gerade, zu zeigen, wie der Geist dazu komme, aus einem primitiven Urtheile einen Be- griff zu bilden. Man sieht weder, wozu, noch wie er es thun solle. Und ferner ist nicht gezeigt, wie nun aus dem Begriffe ein vollständiges Urtheil entstehe: ob dies, wie wir eben mein- ten, durch Zusammensetzung geschehe, oder ob der Begriff das Prädicat aus sich gebäre, und wie der eine oder der andere Pro- ceß vor sich gehe. Trendelenburg konnte diese Aufgabe nicht 13 lösen, weil er sie sich nicht stellen konnte; und er konnte sie sich nicht stellen, weil er sie schon gelöst zu haben meinte, in- dem er zeigte, „wie sich die Substanz in der Thätigkeit äußert.“ Denn nach ihm wird, „was ein Ding thut, von seinem Be- griffe geurtheilt.“ (S. 145). „Auf diesen Act der Sache, den der Geist erfaßt, kommt es zunächst an; die subjective Ver- knüpfung der Begriffe ergiebt sich daraus.“ Und dies hängt zusammen mit Trendelenburgs metaphysisch-logischem Principe. Er hat Hegel umgedreht. Hegel meint: weil wir die Kategorien im reinen Begriffe denken, darum sind sie in der Welt der Wirk- lichkeit objectiv vorhanden; denn der Begriff schlägt um ins Object, die Idee erzeugt, entläßt aus sich die Natur. Trende- lenburg dreht dies Verhältniß, welches wohl auf göttliches Den- ken anwendbar sei, rücksichtlich des menschlischen Denkens ge- rade um. Die Einheit des Seins und Denkens setzt er voraus, wie Hegel; aber es ist das Sein, die objective Welt, welche im Menschen das Denken erregt. Der menschliche Geist ist ge- wissermaßen der Spiegel des Alls. Die Substanz also wird in uns zum Begriffe verklärt; denn der Begriff ist das gedankliche Abbild der Substanz. Das Urtheil ist nur das Abbild der rea- len Thätigkeit. Im vollständigen Urtheil äußert sich der Begriff gerade eben so, wie die Substanz sich in der Thätigkeit äußert, von welchem Vorgange das vollständige Urtheil das Abbild ist. Dieses Abspiegeln geht aber keineswegs so unmittelbar vor sich. Der menschliche Geist ist kein passiver Spiegel. Die Substanz wird nicht in jedem, im ersten besten Kopfe Begriff, und ihre Selbstoffenbarung in der Thätigkeit Urtheil. Denken ist nicht ein Bilder-Empfangen, sondern ein Bilden, eine Thätigkeit. Diese Denkthätigkeit, welche das Abbild der Substanz und ihrer Thätigkeit, d. h. Begriff und Urtheil bildet, hat Trendelenburg nicht dargelegt. Es steht zu vermuthen, daß er das hier Aus- gelassene in der Psychologie nachträgt, wohin es auch eigentlich gehört. Die Sprachwissenschaft nun aber hat gerade diese psycho- logische Thätigkeit des Abbildens des Wirklichen darzustellen. Wenn die objective Substanz nicht ihr Bild in unser Denken als Begriff hineinwirft, so giebt sie uns auch nicht das Wort dafür. Ist es vielmehr eine geistige Thätigkeit, welche in einem langen, verwickelten Processe Begriff und Urtheil bildet, so muß dieser ganze Proceß durchweg von der Sprache begleitet sein. Ist also das Urtheil das Abbild der realen Thätig- keit, so ist der Satz — gar nicht das Abbild des Urtheils, sondern — das Abbild des psychologischen Processes, in welchem das Urtheil sich bildete. Wie eng sich bei Trendelenburg der Begriff und das Ur- theil an die Realität schließen, wie ernstlich er ihre Einheit faßt, mag aus folgender Stelle hervorgehen (S. 144): „Jede Substanz empfängt das Maß und die Gewähr ihrer Selbständigkeit und ihrer Bedeutung in dem Grunde des Begriffs, jeder Begriff das Reich seiner Macht in der Substanz. Jede Substanz sucht ihren Geist im Begriff, jeder Begriff seinen Leib in der Substanz.“ Man sehe bei diesem Satze von der Methode ab, nach welcher er gewonnen ist — denn Trendelenburgs Methode ist allerdings fern von der Hegelschen Dialektik —; man setze statt des Aus- drucks Substanz das Hegelsche Wort Object: und Hegel wird diesen Satz Trendelenburgs unterschreiben Mit der Vertauschung des Ausdrucks Substanz gegen Object würde Hegel den Vorwurf aussprechen, daß Trendelenburgs Substanz nicht die des Spinoza, sondern das Hegelsche Object; die Substanz Spinozas aber der un- vollkommen erkannte Begriff Hegels sei. Daß aber Hegel so sprechen würde, weiß Trendelenburg. ; d. h. die Ein- heit des Hegelschen Begriffs und Objects ist gerade dieselbe, wie die der Substanz und des Begriffs bei Trendelenburg. Er fährt nun fort: „Auf ähnliche Weise bezieht sich das logische Urtheil immer auf eine reale Thätigkeit oder auf die Thätigkeit einer Substanz, und es kann ohne dies Gegenbild im Wirklichen nicht begriffen werden. Man hat öfter versucht, das Urtheil rein lo- gisch zu definiren, indem man sich innerhalb der Welt der Be- griffe hält; aber eine solche Erklärung genügt nicht. Man nennt etwa das Urtheil eine Verbindung von Begriffen. Die Bestim- mung umfaßt jedoch zu viel. Begriffe können — nach dem grammatischen Ausdrucke — prädicativ (der Baum blüht), attri- butiv (der blühende Baum) und objectiv (blüht herrlich) ver- bunden sein. Das Urtheil als Urtheil zeigt sich nur in der er- sten Weise. Daher hat man weiter das Resultat der Verbin- dung (der blühende Baum) und den Act selbst (der Baum blüht) unterschieden, und das Urtheil den Act dieser Verknüpfung ge- nannt. Aber auch diese Aushülfe reicht nicht zu. Denn der Act, in welchem das Denken Begriffe verknüpft, ist momentan; der im Urtheil ausgedrückte Act der 13* Sache kann dauernd sein . Auf diesen Act der Sache, den der Geist erfaßt, kommt es zunächst an; die subjective Ver- knüpfung der Begriffe ergiebt sich daraus. Kurz, was ein Ding thut, das wird von seinem Begriffe geurtheilt.“ Die Vergleichung Trendelenburgs mit Becker überlassen wir dem Leser, in so weit sie nämlich bei so großer Verschiedenheit noch möglich ist. Durch diese Worte Trendelenburgs scheine ich mir in eine platonische ideale Welt erhoben. Wie Plato Ideen als Muster- bilder der Dinge erkannte, so scheint mir Trendelenburg eine intelligible Welt von Begriffen und Urtheilen, den Substanzen und Thätigkeiten gegenüber, aufzustellen, welche als schöpfe- rische Musterbilder die reale Welt schaffen, welche im Denken sind, ohne daß der Mensch sie erst noch subjectiv zu denken hat. Einem dauernden Acte der Realität steht ein Urtheil ge- genüber, dem auch das Moment dieser Dauer nicht fehlt; wäh- rend unser subjectives Urtheil ein momentaner Act einer Begriffs- verbindung im menschlichen Denken ist. Jenes objective Urtheil allein, das unabhängig ist von subjectiver Begriffsverbindung, ist Gegenstand der metaphysischen Logik. Aber die Sprache, sagen wir, aber der Satz? Trendelen- burgs metaphysische Logik entfernt sich von diesen um so mehr, je inniger Begriff und Urtheil an die Realität geschlossen werden. Wenn Trendelenburgs Entwickelung der Stufen des Ur- theils entsprechende Sprachformen vorfindet, so beweist dies bloß, daß die Sprache fähig ist, solche Entwicklungen zu be- gleiten, oder daß die Sprache der Bildung des Urtheils immer zur Seite stand — mehr nicht. Daß die Entwicklung des Ur- theils an sich auch schon die Entwicklung des Satzes sei, bleibt erst noch zu erweisen. Wir wollen aber hier auf einige Ver- schiedenheiten zwischen Urtheil und Satz aufmerksam machen. Ist der blühende Baum nicht das sprachliche Abbild der Sub- stanz Baum und seiner Thätigkeit blühen, in welcher jene Sub- stanz lebendig wird? Drücken jene Worte nicht die Einheit eines Begriffs mit einem primitiven Urtheile, also ein vollstän- diges Urtheil aus? Um dies gewisser zu machen, dehnen wir das Beispiel aus: Dieser blühende Baum muß Früchte tragen, d. h. dieser Baum blüht und folglich muß er Früchte tragen. Auch hat uns ja Becker schon zugestanden, daß das attributive Verhältniß den Werth eines Urtheils haben kann. Eben so das objective Verhältniß. Wenn Jemand sagt: „ Ich hätte es nicht ge- glaubt: dieser Baum blüht “, und man versetzt: „ ei, er blüht herr- lich“: so liegt in dem objectiven Verhältnisse ein Urtheil außer demjenigen, welches im Prädicat liegt. Der eine Satz schließt zwei Urtheile in sich. Man bestätigt zuerst das ausgesprochene Urtheil, indem man es wiederholt: er blüht und fügt dann noch ein neues Urtheil hinzu: und sein Blühen ist herrlich . § 78. Subject und Prädicat im Satz und Urtheil. Betrachten wir jetzt das wesentlichste Verhältniß des Satzes näher, das Verhältniß von Subject und Prädicat. Das Urtheil schien ja gerade auch nur die Einheit von Subject und Prädicat zu sein. Hier bemerken wir aber sogleich den Unterschied, daß das Urtheil nur aus Subject und Prädicat besteht und keine andern Elemente in sich schließt; der Satz hingegen noch das Attribut und das Object als neue Prädicate hinzufügt, so daß wir im Satze mit einem Attribute das Subject mit zwei Prädicaten, und im objectiven Satzverhältnisse das Prädicat, obwohl es Prädicat des Subjects bleibt, dennoch zugleich sich selbst in ein Subject verwandeln sehen, wie obiges Beispiel lehrt. Ein Satz mit At- tribut und Object ist also ein Satz, der drei Urtheile in sich schließt, also drei logische Prädicate und zwei logische Subjecte, deren eines doppelt zählt; denn das ursprüngliche Prädicat ist hier logisches Subject so gut, wie das grammatische Subject. Wem diese wundervolle Autonomie der Sprache gegenüber der Logik unklar scheint, wer besonders etwa daran Anstoß nimmt, daß das grammatische und logische Prädicat, indem es solches bleibt, doch logisches Subject eines neuen Urtheils wird: der möge Folgendes überlegen. Jedes Urtheil kann durch einen Satz ausgedrückt werden. Also ist es leicht, sich durch die Probe davon zu überzeugen, wie viel Urtheile in einem Satze liegen; denn wie viel Urtheile vorliegen, so viel Sätze müssen sich bilden lassen. Jetzt nehmen wir ein Beispiel. Gesetzt, man machte einem Vater, der mit Strenge gegen seine Kinder verfährt, den Vorwurf der Lieblosigkeit. Dagegen bemerkt man: „ der liebevolle Vater erzieht (seine Kinder) mit Strenge. “ Hier haben wir drei Urtheile. Das Attribut ist hier wichtiger, als das eigentliche Prädicat, es ist das logische Prädicat eines Urtheils: der Vater ist liebevoll . Eben so ist mit Strenge ein wichti- geres Prädicat, als das eigentliche, und macht das Urtheil aus: sein Erziehen ist mit Strenge . Nun können wir aber ohne Mühe noch deutlicher machen, wie wir in liebevoll ein grammati- sches Attribut und doch ein Prädicat, in erzieht ein logisches und grammatisches Prädicat und doch zugleich logisches Sub- ject haben. Nämlich wir brauchen nur zu sagen: der Vater, welcher seine Kinder liebt, giebt eine Erziehung, welche streng ist , oder erzieht so, wie es streng ist . In dieser Redewendung haben wir die Rollen, die oben vermischt lagen, geschieden und doch, Dank den Beziehungswörtern, so daß die Einheit klar bleibt. Der Vater ist doppelt logisches Subject, ein Mal als Vater und ein Mal als welcher; liebt ist Prädicat zu welcher und Attribut zu Vater; giebt Erziehung ist Prädicat und in dem Worte welche Subject; oder bei der andern Wendung ist erzieht Prädicat und im Pronomen es Subject. Hieran schließen wir die Bemerkung, daß der Unterschied zwischen einfachem und zusammengesetztem Satze rein grammatisch ist und sich logisch weder begründen, noch näher bestimmen läßt. Ist aber der Un- terschied von Wort und Satz rein grammatisch, so sind diese auch nicht mit Begriff und Urtheil identisch. Die formale Logik sieht jede Verknüpfung zweier Begriffe als Urtheil an. Trendelenburg meint zwar, das attributive und objective Verhältniß der Begriffsverbindung ergäben kein Ur- theil. Wir haben gesehen, daß sie dies allerdings thun, und daß die Bestimmungen Attribut, Object nur grammatisch sind, ohne die Logik zu berühren, welche auch in jenen nur Prädi- cate sieht. Denn indem sie jede Verbindung von Begriffen als Urtheil ansieht, betrachtet sie auch diese Begriffe allemal als Subject und Prädicat; und sie definirt letztere so: der Begriff, an welchen der andere geknüpft wird, ist das Subject; der, wel- cher angeknüpft wird, das Prädicat. Trendelenburg würde das Subject und Prädicat sehr kurz so definiren, daß er jenes den Begriff, dieses das Urtheil nennt. Von diesem Unterschiede zwischen der formalen und metaphysischen Logik können wir hier absehen; denn die Verschiedenheit ist nicht derartig, daß die eine Logik für das Subject halten könnte, was die andere für das Prädicat nimmt, und umgekehrt. Die Grammatik aber, werden wir jetzt zu zeigen suchen, verdreht gar oft das logische Verhältniß von Subject und Prädicat. Beginnen wir mit den klarsten Beispielen. Die hypotheti- schen und die Adverbial- (oder Objectiv-) Sätze aller Art stel- len logisch das Verhältniß von Subject und Prädicat dar; z. B. wenn das Auge brechende Medien hat, so kann es sehen; oder: weil das Auge u. s. w.; oder wenn das Auge sehen soll , so muß es brechende Medien haben . In allen drei Sätzen haben wir ein logisches Subject: brechende Medien haben und ein logisches Prädicat: sehen; denn der letztere Begriff wird an den ersten geknüpft; oder, um mit Trendelenburg zu reden: in den ersten beiden Sätzen wird der Begriff: brechende Medien haben lebendig in der Thätigkeit: sehen; und im dritten Satze wird der Begriff sehen thätig und wirksam in Schöpfung brechender Medien . Das logische Verhältniß, denke ich, ist hier unläugbar. Aber der grammatische Ausdruck hat die Sache ganz anders dargestellt. — Die Sprache kann eine der Logik entsprechende Wendung neh- men: brechende Medien ermöglichen dem Auge das Sehen ; hier ist grammatisch und logisch dasselbe Subject. Dasselbe drückt man aus durch: vermöge brechender Medien sieht das Auge . Das logische Subject muß doch wohl noch dasselbe sein, aber das grammatische weicht von ihm ab. — In einem Vortrage über den Blitz heißt es: das Eisen leitet ihn; Frage: wo ist das Subject? Vom Eisen sollte nichts prädicirt werden, nicht von ihm sollte geurtheilt werden, sondern vom Blitze; folglich ist ihn das logische Subject. Umgekehrt, es sei vom Eisen die Rede, und man sage: „ Elektricität wird von ihm geleitet “; so ist von ihm das Subject. — „ Wie befindet sich Herr N.? “ „ Der Blitz hat ihn getroffen. “ Im zweiten Satze ist ihn das logische Subject; denn vom Blitze ist ja gar nicht die Rede. — „ Wem gehört dieses Buch? “ „ Es gehört Herrn N. “ Die beiden Da- tive sind die beiden Subjecte dieser Sätze; denn an sie soll ein anderer Begriff angeknüpft werden, nicht die Person an das Buch; oder, nach Trendelenburg, der Begriff dieser Person wird leben- dig und thätig im Besitzen des Buches. Auch hier läßt sich wohl die doppelte, d. h. die verschiedene logische und gramma- tische Rolle der beiden Dative sprachlich zerlegen, so daß die beiden Rollen getrennt gespielt werden, und dennoch auch ihre Einheit hervortritt: wer ist es, dem das Buch gehört? — „ Wie hat der Patient geschlafen? “ „ Er hat gut geschlafen “; geschla- fen ist im zweiten Satze Subject, gut Prädicat; denn man will sagen: sein Schlaf war gut, ruhig. — „ Schläft er jetzt? “ „ Nein, er hat geschlafen “; jetzt und geschlafen sind die Subjecte, schläft er und hat die Prädicate. Ich überlasse es dem Leser, noch Sätze anderer Art zu suchen, in welchen das grammatische Subject und Prädicat von dem logischen abweichen, was die Unabhängigkeit der Grammatik von der Logik beweist. §. 79. Das allein oder absolut stehende Prädicat. Der Existentialsatz. Das Sein und die Copula. Der einzige Stütz- und Beweispunkt, welchen Trendelen- burg für seine Ansicht von der Entwickelung des Urtheils und des Begriffs in der Sprache fand, war das sogenannte unpersön- liche Verbum, z. B. es blitzt , worin er den Ausdruck der abso- luten, der gestaltenden Thätigkeit, des primitiven Urtheils, fand. Dieser Punkt führt uns auf die Betrachtung der Copula . Es ist zunächst interessant zu sehen, wie rücksichtlich dieses Fal- les, des unpersönlichen Verbums, die formale und die metaphy- sische Logik einen extremen Gegensatz bilden. Was Trende- lenburg für das Primitivste nimmt, das entwickelt Herbart (Ein- leitung §. 63.) durch mancherlei Verhältnisse der Begriffe im Ur- theile hindurch als das Letzte. Herbart bemerkt, „daß in jedem Urtheil das Prädicat nur in beschränktem Sinne vorkomme, nämlich in Beziehung auf sein Subject. Bei dem Satze: das Wasser verdunstet, denkt man an Verdunsten nur, insofern dies Merkmal im Begriff des Wassers vorkommt; man denkt nicht an wohlriechende Dünste u. s. w. Diese Beschränkung des Prädicats richtet sich ganz nach dem Subject; sie muß mit ihm wachsen und abnehmen. Setzt man im obigen Beispiele statt Wasser vielmehr heißes Wasser, oder noch bestimmter kochen- des Wasser, so verengt sich die Bedeutung des Prädicats. Setzt man Flüssigkeit überhaupt, so wächst die Sphäre, innerhalb de- ren die Verdunstung gedacht wird. Die freie Stellung des Prä- dicats im Urtheile muß ihr Maximum erreichen, wenn der In- halt des Subjectbegriffes verschwindet. Im Beispiele, wenn gar nicht angegeben wird, was das Verdunstende sei. In diesem Falle scheint nun das Urtheil ganz zerstört, weil sein wesent- licher Bestandtheil, das Subject, nicht vorhanden ist. Und al- lerdings kann kein gewöhnliches Urtheil mehr übrig, es muß aber etwas anderes an dessen Platz getreten sein, da die Be- deutung des Prädicats bis zu diesem Punkte nicht ab-, sondern vielmehr zugenommen hat. Das Prädicat nämlich wird jetzt unbeschränkt, unbedingt aufgestellt; nicht als ein Begriff, der an einen andern solle angelehnt werden, wie zuvor, da es noch ein Subject hatte; auch nicht, als ob es einen andern Begriff erwartete, welchem es selbst zur Stütze dienen sollte; sonst müßte es die Stelle des Subjects einnehmen. Die vorige Form der Aufstellung mag bleiben; es mag zum Zeichen derselben eine Copula vorhanden sein; so kann diese jetzt nichts anderes bezeichnen, als: dieser Begriff hat nichts, woran er als Prädicat sich anlehne; nichts, was seine Bedeutung beschränkte: er steht für sich allein und selbständig da. Dieses nun ist der Auf- schluß über die Verwandtschaft der Copula mit dem Begriffe des Sein . Jene verwandelt sich in das Zeichen von diesem, wenn für ein Prädicat das Subject fehlt; und es entsteht auf die Weise ein Existentialsatz, den man unrichtig auslegt, wenn man in ihm den Begriff des Sein für das ursprüngliche Prädi- cat hält. Man bemerke zunächst solche Sätze, wie: es friert, es regnet, es blitzt, es donnert u. a. m. Hier ist durch die Sprachform selbst die Art der absoluten Aufstellung bezeichnet. Die Worte lassen sich als Prädicate brauchen; z. B. Zeus blitzt, Zeus donnert; allein damit schlechthin die Thatsache als vor- handen bezeichnet werde, muß das Subject fehlen. Wenn Zeus donnert, so fragt sich, ob Zeus existire? Wo nicht, so sagt das Urtheil nicht, daß wirklich das Donnern geschehe. Allein die Frage fällt weg, wenn schlechthin gesagt wird: es donnert.“ Gegen diese Entwickelung, scheint uns, sei mancherlei ein- zuwenden. Die Existenzialsätze sind natürlich, wie Herbart selbst bemerkt, nicht in solcher Weise allmählich entstanden; die dargelegte Entwickelung ist keine reale, sondern eine ideale: die reale gehört in die Psychologie, die ideale in die Logik. Hiergegen ist nichts zu sagen. Das Obige aber scheint selbst als logische Entwickelung nicht stichhaltig. Der Begriff des Prädicats wird beschränkt durch den des Subjects: je mehr dieser umfaßt, um so umfangsreicher ist auch jener. Was kann erfolgen, wenn das Subject endlich verschwin- det? nichts anderes, als daß nur der Prädicatbegriff seinen vol- len Umfang hat, der ihm in unbeschränkter Weise zukommt. Die Frage aber, ob dieses Prädicat wirklich ist, oder nicht, kommt dabei gar nicht in Betracht. Will man aber überhaupt diese Frage stellen, so muß dies nicht bloß bei dem Subject mit dem Prädicate geschehen, sondern auch hier beim bloßen Prädicat. Denn es ist gar nicht wahr, daß hier das Subject absolut fehle. Herbart meint, die Copula beim alleinstehenden Prädicate bezeichne: „dieser Begriff hat nichts, woran er als Prä- dicat sich anlehne“. Wie sollte dies die Copula können, deren Wesen gerade dies ist, anzudeuten: dieser Begriff bezieht sich als Prädicat auf ein Subject? Nur ist dies Subject nicht immer ein explicites, besonderes, sondern zuweilen ein dem Prädi- cate selbst inwohnendes und nicht näher bestimmtes, als durch das ganze Prädicat selbst. In dem Satze es blitzt ist das Subject zwar unbestimmt, aber doch durch das Prädicat selbst aus der absoluten Unbestimmtheit herausgezogen: das Blitzende blitzt; was dieses Blitzende sei, bleibt unbestimmt, aber bleibt Subject. Weil das Blitzende unbestimmt bleibt, so kann es durch das unbestimmte Subject es ersetzt werden. Die Exi- stenz dieses es bleibt eben so hypothetisch, wie die jedes an- dern Subjects. Könnte ein Prädicat allein die Existenz aus- drücken, so würde es auch in Verbindung mit dem Subject so- wohl seine eigene Existenz, als auch die des Subjects ausdrük- ken, wenigstens in der Beschränkung, welche sich Subject and Prädicat anthun. Wenn z. B. es blitzt die Existenz des Blitzens aussagte, so würde auch das Prädicat blitzt in dem Urtheile: Zeus blitzt aussagen, erstlich daß das Blitzen, in so weit es von Zeus ausgeht, und nicht von Minerva, wirklich existire, und daß folglich zweitens auch Zeus, insofern er blitzt, wenn auch nicht insofern er Junos Gemahl oder Vater der Minerva ist, wahres Dasein habe. Es wird aber keins von beiden aus- gesagt, eben so wenig wie durch es blitzt das Blitzen als wirklich bezeichnet wird — d. h. nicht für die Logik, welche sich um das Verhältniß des Gedachten zum Sein gar nicht zu kümmern hat, sondern nur fragt, ob das Gedachte richtig gedacht ist oder nicht. Damit jedoch das Gesagte klar und gewiß werde, ha- ben wir den Kernpunkt zu nennen, von dem hier alles abhängt, und der einen vorzüglichen Unterschied zwischen logischem Ur- theil und sprachlichem Satze begründet. Wenn die Sprache sagt: A ist B , so wird allerdings ge- sagt: A existirt und B existirt und zwar in A oder ist identisch mit A . Denn der Satz drückt die Existenz des Subjects und die Inhärenz des Prädicats im Subject, wie das Offenbarwerden des Subjects im Prädicate aus. Der Sprechende, welcher sagt: Zeus blitzt , spricht und meint, daß Zeus existire und sein Blitz. Der Logiker dagegen sagt, das Urtheil drückt, wenn es nicht ein Existenzialurtheil ist, nicht die Existenz des Begriffs, wel- cher Subject ist, aus, sondern nur die Verknüpfung zweier Be- griffe als Subject und Prädicat, unbekümmert um die Existenz beider. Die angewandte Logik hat also davor zu warnen, sich von der täuschenden Sprache betrügen zu lassen, und, wenn die Sprache mit ihrem A ist B uns zugleich weiß machen will, A existire, dies nicht ohne weiteres zu glauben, sondern nachdem man das Verhältniß der Begriffe A und B als richtig bestätigt hat, nun die zugleich mit behauptete Existenz derselben als ein neues Urtheil besonders zu prüfen. Wenn es demnach allerdings wahr ist, daß der Satz: es blitzt die Existenz des Blitzens aussagt, so ist es doch auch eben so wahr, daß der Satz: Zeus blitzt zugleich eine Thä- tigkeit des Zeus und seine Existenz ausdrückt, also weder die Thätigkeit, noch die Existenz des Subjects hypothetisch läßt. Und wenn nun andererseits der Logiker sich dadurch, daß das Urtheil im Satze ausgesprochen ist, nicht verleiten lassen darf, zu glauben, sobald das Urtheil richtig gedacht sei, sei auch al- les richtig, was der Satz aussage; wenn der Logiker das Ur- theil aus dem Satze herauszuschälen hat und die Zuthat des Satzes, die behauptete Existenz, als zweites Urtheil der Prü- fung übergeben muß — denn die Sprache kann es nicht prüfen —; wenn also die Logik lehrt, daß es falsch gedacht sei, mit der Sprache zu meinen, jedes Subject, dem ein Prädicat richtig zu- geschrieben werde, müsse auch existiren: so muß sie dieselbe Sorgfalt auch bei es blitzt anwenden — aber allerdings mit ei- nem Unterschiede. Alle Sätze sind Existentialsätze, aber nicht alle Urtheile Existentialurtheile. Nun enthalten die meisten Sätze, obwohl jeder ein Existentialsatz ist, ein Urtheil, das kein Existentialurtheil ist. Hier warnt Herbart mit Recht vor leicht möglicher Verwirrung. Die Existentialurtheile haben aber auch die Satzform, eine solche natürlich, wo das Prädicat eben nur die Existenz ausdrückt: Gott ist, Gott existirt . Die Sprache aber geht ihre eigenen Wege und hat für die Existentialurtheile noch eine andere, eine abgekürzte Form: es blitzt . So sagt sie auch statt: es giebt Gespenster oder Gespenster sind , in kür- zerer Form: es spukt . Wodurch war denn diese Abkürzung möglich, und warum ist dies eine passende Form, die reine Exi- stenz auszudrücken ohne Anwendung des Prädicats sein oder existiren ? Sie ist darum passend, weil das Moment, welches in allen Sätzen die Existenz bezeichnet, im Prädicate liegt; und die Auslassung des Subjects ist möglich, weil es seinem ganzen Wesen nach im Prädicate liegt. Denn jene unpersönlichen Prä- dicate bezeichnen ganz individuelle Thätigkeiten, deren Begriff gar keinen weitern Umfang hat, die durch ein Prädicat weder beschränkt zu werden brauchen, noch können, weil sie nur ein eben so individuelles Subject haben, wie sie selbst ein indivi- duelles Prädicat sind. Mit dem Prädicat ist also zugleich das Subject gegeben, und darum braucht das Subject nicht beson- ders ausgedrückt zu werden. Diese abgekürzte Form der Sätze für die Existentialurtheile geht aber nur die Grammatik an, nicht die Logik. Es versteht sich jedoch von selbst, daß, wenn die Logik bei allen sonstigen Urtheilen davor warnt, dieselben, weil sie allemal durch Existentialsätze ausgedrückt werden, für Exi- stentialurtheile zu nehmen, es versteht sich von selbst, sage ich, daß diese Warnung da nicht angebracht ist, wo eben der ganze Inhalt des Urtheils nur die Existenz betrifft, bei den Existential- urtheilen. Herbart sagt: „Wenn Zeus donnert, so fragt sich, ob Zeus existire?“ d.h. die Logik gebietet zwei Dinge zu scheiden: nämlich die Frage, ob es richtig sei, das Subject Zeus und das Prädicat donnert zu verbinden, von der Frage, ob es richtig sei, wenn die erste Frage bejaht wird, deswegen dem Subjecte Zeus zu- gleich das Prädicat der Existenz beizulegen. Herbart fährt fort: „Wo nicht“, wenn nämlich Zeus nicht existirt, „so sagt das Urtheil nicht, daß wirklich das Donnern geschehe“. Hier sieht man, wie den schärfsten Logiker der Mangel an Unter- scheidung von Satz und Urtheil verwirrt hat. Wenn nämlich Zeus auch nicht existirt, so behauptet der Satz: Zeus donnert dennoch, daß er donnert. Denn der Begriff der Existenz inhä- rirt dem sprachlichen Prädicat vermittelst der Copula. Der Lo- giker aber untersucht die Verbindung dieser Begriffe Zeus und donnern, und findet sie, wenn Zeus nicht existirt, gerade darum unrichtig, weil donnert existirt; denn es ist logisch unrichtig, ein Existirendes einem Nicht-existirenden inhäriren zu lassen. Da nun aber donnern einmal als wirkliche Thätigkeit ausgesagt wird, so sind nur zwei Fälle möglich: entweder es existirt, so muß ein anderes Subject zu diesem Prädicate gesucht werden; oder es giebt gar kein Subject dazu und es existirt gar nicht, so ist es auch falsch zu sagen: es donnert ; d. h. die behauptete Existenz des Donnerns ist ein Irrthum. Der Unterschied zwischen subjectlosen Sätzen und den Sätzen mit Subject ist also ein rein grammatischer. Alle Sätze sind Existentialsätze; die subjectlosen Sätze aber sind zugleich Existentialurtheile, wiewohl diese auch in gewöhnlicher Satz- form erscheinen. Hat nun die Logik zu warnen, nicht jeden Satz für ein Existentialurtheil anzusehen, so hat sie auch vor der Meinung zu warnen, als müßten alle subjectlosen Sätze unzweifelhafte Wahrheit, unzweifelhafte Existenz aussprechen, weil in ihnen das Prädicat absolut auftritt. Worauf es uns also hier ankam, war gar nicht Herbart zu bekämpfen: hierauf gehen wir allemal nur gezwungen ein. Wir wollten den Unterschied zwischen Satz und Urtheil darlegen, und das nöthigte uns, Herbart erst zu verbessern. Der Unter- schied, den wir hier gefunden haben, beruht auf der Copula. Die logische Copula ist ein Gleichheitszeichen; die grammatische Copula ist Zeichen der Existenz und Inhärenz des Prädicats im Subjecte. Wir müssen indessen, um das Wesen der Copula noch näher kennen zu lernen und sie vom Sein oder Existiren klar zu un- terscheiden, noch einmal auf Herbart zurückkommen. Das Exi- stentialurtheil in seiner vollständigen Form: Gott ist ist von allen übrigen Sätzen, die ja alle die Existenz ausdrücken, gar nicht verschieden, bloß um eine Bestimmung ärmer; denn die Sätze: Gott ist gütig , Gott regiert sprechen die Existenz aus und noch etwas mehr. Wie sich beim Prädicat regiert die Co- pula abschneiden läßt: ist regierend , so kann man es auch beim Prädicat ist, nämlich so: ist seiend . Wenn der Satz: Gott re- giert dem Logiker hypothetisch bleibt, weil das Subject der ka- tegorischen Sätze hypothetisch ist, so bleibt ihm der Existen- tialsatz Gott ist gerade eben so hypothetisch. Denn was liegt in Gott ist ? Nicht mehr, als daß der Begriff des Seins als Prä- dicat dem Begriffe Gott als dem Subjecte zukomme. Dieses Subject bleibt aber hypothetisch, wie jedes andere. Also bleibt auch der Existentialsatz: es spukt hypothetisch, d. h. für den Logiker; denn der Sprechende drückt weder hier, noch dort Zweifel aus. Aber auch der Logiker hat nur zu zeigen, daß der Zweifel berechtigt ist; im Uebrigen geht er ihn nichts an, denn er kann ihn nicht lösen. Er muß aber auch den Zweifel überall anerkennen, in: Gott ist , nicht mehr, als in: es donnert ; denn während man spricht: es donnert , hört man vielleicht bloß ein Poltern oder Wagengerassel. Wir sind also hier in demselben Falle, wie bei: Zeus donnert . Wenn Zeus auch nicht ist, das Donnern bleibt; ebenso, wenn ich, von einem Wagen getäuscht, spreche: es donnert, so bleibt das Donnern; nur das es ändert sich. Das Subject ist nicht mehr dieses unbestimmte es , wel- ches, obwohl unbestimmt, doch sehr bestimmt ist, indem es die individuelle Ursache des Donners bezeichnet; sondern das Sub- ject ist ein Wagen u. s. w. Es ist gar nicht zu läugnen, daß blitzt, donnert in den Sätzen es blitzt , es donnert, grammatisch genommen, Prädi- cate sind; denn die Copula ist ihnen einverleibt, die allemal das Prädicat andeutet, und das Subject steht ja neben ihnen; es sei bestimmt oder unbestimmt, das ist einerlei. Daher ist die Bezeichnung unpersönliches Verbum durchaus falsch. Es blitzt ist so persönlich wie: ich schreibe , der Stein ruht u. s. w. Aber logisch genommen, ist blitzt, donnert Subject oder Prä- dicat? Hören wir zuerst Herbart, der nach der oben angeführ- ten Stelle fortfährt: „Dergleichen Sätze nun“ (wie es donnert ) „würden in der Sprache außerordentlich häufig sein, wenn wir nicht gewohnt wären, in der Auffassung dessen, was unmittel- bar erscheint, unsre früher erlangten Kenntnisse einzumengen, und uns dadurch Subjecte herbeizuschaffen, wo doch das Ge- gebene keine enthält. Wir sagen z. B. die Glocke schlägt, die Sonne scheint ins Zimmer; wo wir ohne Kenntniß der Glocke und der Sonne sagen würden: es schlägt, es scheint.“ Hier scheint Herbart mit Trendelenburg darin übereinzustimmen, daß diese subjectlosen Sätze die ursprünglichern seien, denen erst die weitere Erfahrung das Subject giebt. Wir glauben dies keineswegs. Der ursprüngliche Mensch war unfähig, ein sub- jectloses Prädicat zu erfassen; zu jeder Thätigkeit dichtete er unmittelbar ein thuendes Subject hinzu. Man hat eher gesagt: Zeus oder der Himmel blitzt, als: es blitzt . Die letztere Weise ist schon eine Abstraction. Diese Sätze sind also fern davon, das primitive Urtheil darzustellen. Blitz ist auch nicht von blitzt abgeleitet, und man hat nicht bloß Zeus blitzt, sondern auch Hephaistos schmiedet den Blitz eher gesagt, als das ab- stracte: es blitzt . Doch weiter! „Nach diesen Ueberlegungen wird man leichter einsehen, wie die Sache sich verhalten müsse, wenn das Prädicat die Form eines Substantivs hat, und die Copula ihm zur Seite steht. Da geht der Satz: die Europäer sind Menschen bei der Erweiterung des Subjects über in die Sätze: Menschen sind Menschen, einige Sterbliche sind Menschen, einige Wesen sind Menschen , — end- lich: es sind Menschen ( sunt homines ) , oder wie wir zu sa- gen pflegen: es giebt Menschen . Hier ist die Bedeutung der Copula verändert; aber offenbar darum, weil sie nichts mehr findet, woran sie das Prädicat knüpfen, unter dessen Voraus- setzung sie es aufstellen könnte. Eben hiedurch wird sie das Zeichen der unbedingten Aufstellung“. Die Copula bleibt Co- pula, und kommt sie in den Fall, kein Subject für ein Prädicat zu finden, so würde sie eins andeuten, das der Logiker und Grammatiker zu suchen haben. Die logische Copula bleibt bloßes Zeichen der Verbindung, die grammatische ist dies und Zeichen der Existenz. In obigen Beispielen wird aber auch Herbarts Fehler klar. „ Die Europäer sind Menschen “ soll nach Herbart kein Existentialurtheil sein, die Existenz der Euro- päer ist hypothetisch. „ Einige Wesen sind Menschen “ ist aber unzweifelhaft ein Existentialurtheil, wiewohl ein verstecktes. Die Aussage der Existenz liegt im Subjecte Wesen . Dieser Satz jedoch bleibt darum nicht minder hypothetisch; und das ganz gleichbedeutende es sind Menschen sollte auf einmal aufhören hypothetisch zu sein? die Copula sollte plötzlich ihre Natur ändern? Wir machen hier Herbart drei Vorwürfe: er hat erstlich das Wesen und die Bedeutung des Wortes sind verkannt; er hat ferner mit dem Satze: einige Wesen sind Menschen die Natur des Satzes: die Europäer sind Menschen verdreht und daraus ein Existentialurtheil gebildet, hat also schon hier den Begriff des Seins einschleichen lassen, welcher nicht erst im Satze: es sind Menschen auftritt, und hat folglich, drittens, das Verhältniß dieser beiden Sätze zu einander verkannt. Dies wollen wir beweisen. Was bedeutet doch: es sind Menschen ? Gesetzt ein schlecht sehender Mann frage: was ist das dort für ein Busch? und sein besser sehender Begleiter antworte: es sind Menschen! hierin wird doch niemand ein Existentialurtheil sehen; sondern ein ganz bestimmtes, aber noch unerkanntes, also ein Es, das was du da siehst, ist das Subject. Nicht daß dieses Subject ist, wird gesagt, sondern was es sei, d. h. es wird dem Subject, das zunächst unbekannt ist, ein dasselbe erklärendes Prädicat beigefügt. In diesem Falle ist sind reine Copula. Jemand sieht wunderbare Gestalten und sagt sich: es sind Gespenster . Auch hier ist sind bloße Copula. Er streitet darauf mit jemand, der das Dasein der Gespenster läugnet, und er versichert ihm: es sind Gespenster, so ist der Ton ver- schieden. Dort wurde Gespenster , hier wird sind hervorgeho- ben, und sind ist das Verbum sein, d. h. existiren. Jener er- stere Satz ist ein Qualitäts-Satz, dieser letztere ein Existential- satz. Das ist , sind , im Existentialsatze, sind Prädicate wie jedes Verbum und sind nicht selbst die Copula, sondern schlie- ßen sie in sich, sind also gleich: ist seiend, sind seiend . Eben so ist es mit: es blitzt , es donnert . Herbart fährt fort: „Eben hiedurch“ (d. h. weil kein Subject mehr da ist) „wird die Copula das Zeichen der unbedingten Aufstellung; wie sie es auch sein würde, wenn wir anstatt es blitzt , es donnert viel- mehr sprächen: es ist Blitz, es ist Donner . Wollte man lieber sagen: Blitz ist ; Donner ist : so würde nicht bloß derjenige Be- griff, der bisher den Platz des Prädicats einnahm, jetzt als Sub- ject aufgestellt, sondern zugleich verwandelt sich dabei die lo- gische Copula ist in den Begriff des Sein“. Herbart verräth eine ganz auffallende Verwirrung des Seins, als Existirens, mit der Copula. Gerade wie die Betonung auch äußerlich einen Unterschied verräth zwischen: es sind Geister und: es sind Geister , im ersten Falle mit dem Tone auf Geister , im andern mit dem Tone auf sind , indem ersterer ein Qualitäts-Satz, letzterer ein Exi- stentialsatz ist: gerade so ist auch es ist Blitz von es ist Blitz verschieden. Hier ist ersterer Existentialsatz und ganz gleichbedeutend mit: Blitz ist . Ist also in diesem letzten Falle ist nicht bloße Copula, sondern das Sein, so ist es auch im er- sten Falle dasselbe; denn der Unterschied zwischen beiden Sätzen ist kein anderer, als der zwischen: ein Mann kam mir entgegen und: es kam mir ein Mann entgegen. Es ist Zeichen der In- version. Es verwandelt sich also weder die Copula, noch etwas anderes, d. h. logisch genommen; die ganze Verwandlung ge- hört der Grammatik. Wir bleiben also dabei, Herbart hat das Wesen der Co- pula verkannt und sie da noch in Reinheit gesehen, wo sie schon dem Begriffe und Worte der Existenz einverleibt war. Der andere Vorwurf, den wir ihm machen, besteht darin, daß er nicht erkannt hat, wie nicht erst mit dem Satze: es sind Men- schen die Aussage der Existenz auftritt, welche durch die Co- pula als solche bewerkstelligt werden sollte, wie vielmehr schon mit dem vorangehenden Satze: einige Wesen sind Menschen die Existenz ausgesagt wird. Dies leuchtet übrigens wohl von selbst ein; denn Wesen bedeutet Existirendes , Seiendes . Nun läßt sich: einige Wesen sind Menschen umdrehen, und wir dür- fen sagen: Menschen sind Wesen , also Menschen sind Seiende, also Menschen sind, und mit grammatischer Inversion: es sind Menschen . Durch diese grammatische Inversion, könnte man meinen, kehrten wir auch wieder zur ursprünglichen Form zu- rück, da wir das Urtheil schon einmal umgewandt haben; und die grammatische Inversion schlösse also hier eine logische in sich. Es wäre Subject und entspräche dem obigen einige We- sen . Denn da einige Wesen ein völlig unbestimmtes Subject ist — wie oben ein schwarzer Fleck für den Kurzsichtigen ein solches unbestimmtes Wesen war —, das im Prädicate seine Aufklärung erhält, so würde es — wie oben — durch das all- gemeine Zeichen des unbestimmten Subjects es ausgedrückt. Es ist jedoch nicht schwer einzusehen, daß sich diese bei- den Sätze: einige Wesen sind Menschen und es sind Menschen oder Menschen sind anders zu einander verhalten. Sie sind rein im Ausdrucke verschieden, sonst aber gleich. Wenn man es als logisches Subject nähme, an Bedeutung gleich dem Aus- drucke einige Wesen : so würden wir ja kein Existential-Urtheil mehr haben, wie gerade die Vergleichung mit der Bemerkung des Kurzsichtigen zeigt, dem man antwortet: es sind Men- schen d. h. die einige Wesen, welche du undeutlich siehst, sind Menschen, was ein qualitatives Urtheil ist. Ferner: es sind Menschen und Menschen sind haben gleiche Bedeutung; in jedem aber soll einige Wesen sind Menschen liegen: folglich kann nichts, was dem letztern Satze gehört, in einem Worte liegen, welches nur der eine jener beiden Sätze und nicht auch der andere hätte; denn jedes Element des einen hat genau denselben Werth, wie das entsprechende Element des andern; nur die Stellung ist verschieden und nur diesem Umstande verdankt das es sein Da- sein. Das Subject einige Wesen des einen Satzes wird also nicht durch das es des andern dargestellt; aber wodurch denn? Wenn beide Sätze der Bedeutung nach gleich, bloß dem Aus- drucke nach verschieden sind, wo liegt die Bedeutung von: ei- nige Wesen ? Die Ausdrücke Menschen in beiden Sätzen sind congruent. Da nun weder in Menschen , noch in es, einige We- 14 sen liegen kann, so liegt dies in sind . Denn das sind des Satzes: einige Wesen sind Menschen und des Satzes es sind Menschen sind ja völlig verschieden, hier betont, dort unbetont; dort Copula, hier das Sein ausdrückend. Es sind Menschen bedeutet also: es sind Menschen wesend , oder Menschen sind wesend . Wir bemerken nun noch mancherlei. Erstlich machen wir auch bei diesen Sätzen darauf aufmerksam, daß sie nicht mehr absolut, nicht weniger hypothetisch sind, als alle andern Ur- theile. Wenn einige Wesen , welche das Prädicat Menschen er- warten, sind , so kommt ihnen das Prädicat zu; und ebenso wird im andern Satze Menschen nur hypothetisch. Freilich lau- tet das hypothetische Verhältniß der Existentialurtheile etwas wunderlich: wenn das Subject ist, so ist es , oder: so ist es seiend; welche Tautologie nur ausdrückt, daß die Logik dies nicht zu entscheiden hat. Zweitens muß man den Satz: es blitzt gerade eben so gut wie den Satz: es sind Menschen doppelt fassen, indem er bald ein Qua- litäts-, bald ein Existential-Urtheil enthalten kann. Jemand erwacht des Nachts; er sieht eine schnell verschwindende Erhellung und sagt sich: es blitzt . Hier ist es unbestimmtes Subject: das, was du sahst, ist Blitz ; gerade wie man dem Kurzsichtigen sagt: es sind Menschen . In beiden Fällen kann man sich irren; die Hellung war eine vorübergetragene Laterne, und im andern Bei- spiele waren es vielleicht Bäume und keine Menschen: dies be- weist, daß es sich bloß um ein Qualitätsurtheil handelt. Die gesehene Helligkeit, der gesehene dunkele Fleck bleibt; es wird eine Erklärung gesucht, was das Gesehene sei, und hierbei kann man sich irren. Aber auch die Existenz des Gesehenen kann bezweifelt werden. Die Helligkeit und der dunkle Fleck kön- nen durch rein physiologische Eindrücke auf das Auge her- vorgebracht worden sein. Durch einen Druck auf den Sehnerv, durch den Blutandrang gegen das Auge entstand ein rein inne- res Bild, Helligkeit oder Dunkel; dann wird natürlich das Ur- theil: es blitzt , es sind Menschen falsch. Folglich sind auch diese Urtheile hypothetisch; ihr Subject es ist hypothetisch. Dieselbe Satzform, das absolute Prädicat, kann aber auch ein Existentialurtheil darstellen. Man kann einem Bewohner der Aequatorial-Gegend eine Vorstellung vom Frieren geben. Er wird die Existenz desselbn läugnen, und man wird ihm ver- sichern: es friert , d. h. Frost ist , oder: es ist Frost, d. h. Frost ist seiend, es ist Frost seiend . Aber jemand, der in der Stube sitzt, fragt den von der Straße eben Eintretenden: wie ist das Wetter ? oder: was ist für Wetter? und dieser antwortet nicht mit dem Existentialurtheile, sondern mit einem Qualitäts- urtheile: es regnet, es friert, d. h. Regen ist, Frost ist . Es friert z. B. ist also bald Qualitäts-, bald Existential- urtheil. Grammatisch genommen bleibt allemal, in diesem oder jenem Falle, es das Subject, friert das Prädicat. Aber die Lo- gik muß zwar in dem Falle, wo es Qualitätsurtheil ist, in friert ein Prädicat sehen; in dem andern Falle aber, im Existential- urtheil, muß sie darin ein Subject erkennen, dem die Existenz als Prädicat zugeschrieben wird; denn friert heißt: Frieren ist . Das ist fehlt aber. Wir hätten also in den Existentialurtheilen kein absolutes Prädicat, sondern ein absolut gesetztes Subject; wie z. B. auch in: es sind Menschen , das Subject Menschen ist, dem das Prädicat der Existenz angeknüpft wird; denn es ist logisch genommen gar nichts. Und man hat sich also auch davor zu hüten, in jedem absoluten Prädicat, wie es friert , ein Existentialurtheil zu sehen, da es oft ein gewöhnliches Quali- tätsurtheil ist. So sehen wir denn also Satz und Urtheil aufs vielfältigste und ganz allseitig von einander abweichen, und erkennen selbst in den Berührungspunkten dennoch eben nur Berührung ohne Identität, ein verschiedenartiges Wesen in beiden. Ihre Vermi- schung aber hat nicht nur der Grammatik, sondern auch der Logik geschadet. §. 80. Grammatische und logische Kategorien. Betrachten wir nun endlich noch die Redetheile oder Wort- classen. Auch hier tritt das eigenthümliche Wesen der Sprache hervor; denn die Wortclassen sind nichts weniger als logische und metaphysische Kategorien. Sie stimmen weder so überein, daß die sprachlichen Kategorien das unmittelbare Abbild der logischen und metaphysischen wären, noch lassen sich jene durch logische oder metaphysische Bestimmungen in ihrem Wesen er- fassen. Beckers Gerede von Thätigkeit und Sein ist schon im Allgemeinen gerichtet; auch der Unterschied zwischen Verbum und Substantivum läßt sich dadurch nicht bestimmen. Der Strom des Wassers, der Tanz, die Tugend, die Gerechtigkeit und Güte, der Kampf und Krieg und der Friede, die Freude, 14* der Schmerz und die Trauer, der Spott, das Gelächter und der Hohn, die Trennung und die Hoffnung und das Wiedersehen u. s. w. u. s. w., das sind lauter Thätigkeiten in der Bewegung — und doch Substantiva! Das Adjectivum soll nach Becker in der Mitte stehen zwi- schen Verbum und Substantivum (§. 31. S. 101.): „es ist ent- weder ein gewissermaßen substantivisch gewordenes Verb, oder ein verbal gewordenes Substantiv“. Und weiter (das.): „Das Adjectiv z. B. wach , laut, drückt eben so wie das Verb wach-et, laut-et , eine Thätigkeit, und weil alle Thätigkeit in der Sprache als Thätigkeit eines Seins gedacht wird, eine ausgesagte (prä- dicirte) Thätigkeit aus; es unterscheidet sich aber von dem Verb wesentlich dadurch, daß es nur die ausgesagte Thätigkeit, und nicht, wie das Verb auch die Aussage ausdrückt. Dieser Unterschied der Bedeutung tritt auf eine sehr bestimmte Weise in der Flexion des Verbs und Adjectivs hervor: die Flexion des Adjectivs z. B. ein blanker Degen, mit blankem Golde be- zeichnet durch die Congruenz die Einheit der ausgesagten (prä- dicirten) Thätigkeit mit dem Sein; die Flexion des Verbs hin- gegen z. B. der Degen blinkt drückt die Aussage selbst (das Urtheil) aus … Da nun alle Begriffe des Seins in den Sub- stantiven als ein in eine prädicirte Thätigkeit aufgenommenes Sein gedacht und dargestellt werden; so steht das Adjectiv als der Ausdruck einer prädicirten Thätigkeit dem Substantiv sehr nahe und geht leicht in ein Substantiv über“. Das ist alles falsch. Daß wach , laut Thätigkeiten ausdrü- cken, muß Becker wohl annehmen; denn wenn wir ihm sagten, daß sie einen Zustand bezeichnen, so hat er ja für etwas, was weder Sein noch Thätigkeit ist, keinen Raum. Er würde uns sagen (S. 83. §. 28.): „Auch die Begriffe von Zuständen der Ruhe und Unthätigkeit, wie stehen, sitzen, liegen, schlafen, müs- sen im Gegensatze zu den Begriffen des Seins als Thätigkeits- begriffe aufgefaßt werden, welche von dem Begriffe der Bewe- gung abgeleitet sind — als eine Bewegung, welche durch die ihr in entgegengesetzter Richtung entgegentretende Bewe- gung gehemmt wird“. Das mag physisch und metaphysisch und sogar sprachlich wahr sein; da man aber Zustandswörter von Thätigkeiten abgeleitet hat, so drückte man eben damit aus, daß man sie von ihnen unterscheiden wolle. Das Sprach- gefühl unterscheidet auch leicht zwischen einem neutralen und einem objectiven Verbum, wie z. B. zwischen: er wacht (schläft nicht) und: er wacht über das Gesetz oder bei einem Kranken . Man sieht also hier auch ein Verb, welches einen Zustand und keine Thätigkeit ausdrückt. Eben so wenig wie wach, ist laut eine Thätigkeit, und wenn ich frage: wie lautet der Vers ? so haben wir abermals ein Verbum, welches keine Thätigkeit aus- drückt. Der angegebene Unterschied zwischen der Flexion des Ad- jectivs und der des Verbs ist ein leeres Wort. Denn, „die Ein- heit der prädicirten Thätigkeit mit dem Sein bezeichnen“, das heißt eben nichts anderes, als das Prädiciren bezeichnen. Man kann einen feinen Unterschied machen zwischen Einheit und Aussage der Einheit , und man könnte also nach Obigem Becker die Ansicht zuschreiben, daß am Adjectivum durch die Flexion nur die Einheit, am Verbum aber nicht bloß diese, sondern auch die Aussage der Einheit ausgedrückt werde. Das wäre nun aber erstlich falsch. Am Adjectivum würde also die That- sache der Einheit bezeichnet, am Verbum die subjective Thätig- keit des Einens im Denken. Die Verbalflexion ist aber durch- aus nicht so subjectiv. Wer sagt: die Rose blüht, drückt keines- wegs aus, daß sein Urtheil, sein Denken es ist, welches von der Rose das Prädicat blühen aussagt; sondern im Gegentheil, nicht nur die objective Thatsache des Blühens der Rose wird aus- gesagt; sondern sie wird auch als solche, in voller Objectivität, ohne Beimischung unsers subjectiven Sehens und Urtheilens dar- gestellt. Die logische Copula ist allerdings jenes Gleichheits- und Verbindungszeichen, welches das subjective Denken setzt; die grammatische Copula dagegen drückt objective Inhärenz aus. Indem wir es nun aber unentschieden lassen, ob Becker im Obi- gen diesen Fehler begangen hat, die grammatische Copula als logische rein subjectiv zu nehmen, können wir doch eine andere Stelle citiren, wo Becker dies nicht thut, wo dann aber auch die Gleichheit der adjectivischen und verbalen Flexion ausge- sprochen wird (§. 50. S. 198.): „Sowohl die prädicative als die attributive Beziehung wird nicht durch diesen Beziehungen ei- genthümliche Flexionsformen ausgedrückt; sondern die Einheit von Thätigkeit und Sein wird nur durch die Congruenz der Personalform an dem Prädicate und der Geschlechts- und Ca- susform an dem Attribute bezeichnet.“ Becker meinte ferner, weil alle Substantive ein in eine prädi- cative Thätigkeit aufgenommenes Sein ausdrücken, so stehe ihnen das Adjectivum sehr nahe, weil es eben der Ausdruck einer prädicirten Thätigkeit sei. Wunderliche Nähe! wenn man nicht das Sein sehr gering anschlagen will. Da nun aber das Ver- bum gerade eben so sehr wie das Adjectivum Ausdruck einer prädicirten Thätigkeit ist, so müßte auch dieses dem Substantivum eben so nahe stehen, und so ist es auch. Becker selbst meint, daß die substantivisch gewordenen Participien dies beweisen. Nur schwindet damit wieder ein Unterschied zwischen Adjecti- vum und Verbum, und das Verbum bildet auch gar nicht mehr den polaren Gegensatz zum Substantiv, sondern steht in der Mitte eines solchen neben dem Adjectivum. In manchen Aus- drucksformen soll, nach Becker, das Adjectivum gleiche Bedeu- tung mit einem Substantivum haben; aber auch mit einem Ver- bum, hat er vorher schon gesagt, hat es gleiche Bedeutung; z. B., wie Becker anführt, er wird karg (ein Geizhals); ich halte ihn für falsch (für einen Heuchler). Wir fügen in Beckers Sinn hinzu: er beginnt zu kargen, zu geizen; ich halte dafür, daß er heuchelt, und noch genauer entsprechend im Accusativ cum Infinitivo etwa: existimo eum simulare , wo das Verbum simulare ganz dem Adjectivum falsch und dem Substantivum Heuchler entspricht. Ein anderer Unterschied zwischen Verbum und Adjectivum soll nach Becker darin liegen, daß das Adjectivum allemal einen Gegensatz ausdrücke, der nicht im Verbum liege. Aber wachen bildet eben sowohl einen Gegensatz zu schlafen, als wach sein ; z. B. schläft er? nein, er wacht , oder: er ist wach. Hat er gear- beitet? oder: war er fleißig? nein, er war faul , oder: er hat gefeiert . Aristoteles hat das Adjectivum und Verbum zusammenge- faßt und dem Substantivum gegenübergestellt. Er hat wohl daran gethan. Wer hat denn aber ihn, den Logiker, zum Gram- matiker gestempelt? Das einzig Haltbare bei der Trennung des Verbums vom Adjectivum liegt in der Bestimmung des Verbums, die prädica- tive Aussage zu bezeichnen, und dies ist kein logisches Ele- ment. Es ist unmöglich, alle Redetheile durch die rein logische Zergliederung des Urtheils zu finden, und Aristoteles hat sie nicht gefunden. Bleibt aber auch nur ein Redetheil logisch un- bestimmbar, so beweist dies schon, daß keiner logisch bestimmt werden darf und kann. Denn ist die Sprache eine organische Einheit, so können ihre Hauptkategorien nicht nach wesentlich verschiedenen Principien bestimmt werden. Bemerken wir nun endlich noch, um den ganzen Kreis der hierher gehörigen Verhältnisse abzuschließen, daß die Declina- tion der Nomina, die Comparation der Adjectiva, die Tempora des Verbums ihren Grund allerdings in der sinnlichen Anschauung haben; eben darum aber nicht der Logik angehören. Daß die Modi sich nicht durch die logische Modalität erfassen lassen, ist schon erwähnt. So bleibt denn, wie aus allem oben Gesagten hervorgeht, der logischen Grammatik nichts als ein ungeschiedenes Sprach- material, innerlich ungeformt und unbestimmt, eine gallertartige, flüssige Masse, welche zu formen die Logik umsonst sich ab- quält. Denn die logische Grammatik hat der Sprache ihr ge- staltendes, schaffendes Princip entzogen, ihr die Seele ausgetrie- ben: so bleiben ihr die Theile ohne das geistige Band; es blei- ben die Atome, die wie Flugsand durch einander wehen und der Logik spotten, welche umsonst sie zusammenzuhalten und daraus Gestalten zu bilden strebt. Was der Seelenwanderung entgegensteht, daß jede Seele nur in ihrem Körper, den sie sich schafft, leben kann, das steht auch der logischen Grammatik entgegen. Im Sprachleibe wohnt eine Sprachseele, und es kann keine logische in sie einwandern. 3. Ist die Sprache logisch? Wenn weder Denken und Sprechen identisch sind, noch auch die grammatischen Kategorien die logischen sind: wie sollte die Sprache logisch, ein logisches Wesen, ein bewußtes oder unbewußtes Erzeugniß der dem menschlichen Denken inwoh- nenden Logik sein? Auch ist sie dies ganz und gar nicht. §. 81. Allgemeines Mißverhältniß zwischen Grammatik und Logik. Wäre die Sprache logisch, und ihre Form der organische Abdruck der logischen Form des menschlichen Denkens: was würde daraus folgen? Es würde mit unläugbarer Nothwendigkeit aus dieser Voraussetzung Beckers folgen, daß es unmöglich sein müßte, das unlogisch, d. h. das logisch falsch Gedachte, den logischen Irrthum, sprachlich und sprachrichtig ausdrücken. Wir würden also in der Fähigkeit einen Gedanken sprachlich auszu- drücken einen Prüfstein für die Richtigkeit dieses Gedankens haben. Wenn z. B. zwei conträre Begriffe sich nicht als Sub- ject und Prädicat in einem Urtheile mit einander verknüpfen können; wenn das Urtheil: der Kreis ist viereckig, oder ein vier- eckiger Kreis, undenkbar, logisch unrichtig ist: so müßte der- gleichen auch in der Sprache unausdrückbar sein. So oft der Mensch auf dem Punkte stünde, sich zu einem logischen Denk- fehler hinreißen zu lassen, falsch, d. h. genau genommen, nicht zu denken: so müßte ihn der Gebrauch der Sprache verlassen; er müßte um das Wort oder um die grammatische Form in Verlegenheit sein; es müßte wenigstens jeder Denkfehler mit einem Sprachfehler, jeder Verstoß gegen die Logik mit einem entsprechenden gegen die Grammatik unablöslich und unver- meidlich verknüpft sein. So ist es doch nun aber nicht; son- dern der tollste Unsinn läßt sich richtig und sogar in schönem Satzbau ausdrücken. Längst haben die abstract logischen Köpfe das unlogische Wesen der Sprache verspottet. Die neuere grammatische Theo- rie bemüht sich freilich, die Naivetät und sinnvoll phantastische Anschauung der Sprache in Schutz zu nehmen. Damit wird ja aber zugestanden, daß die Sprache kein Erzeugniß logischen Denkens ist. Wäre die Sprache die organische Darstellung des Ge- dankens, die vom Gedanken selbst geschaffene Aeußerung seiner selbst, so müßte sich die Sprache vollständig der Form des Ge- dankens anschmiegen; die Gliederung und Zusammensetzung der Sätze müßte ein getreuer Abguß der Gliederung und Construc- tion der Gedanken sein. Ist sie denn das? Schon Herbart be- merkte (Ueber Kategorien und Conjunctionen §. 22.) „das son- derbare Mißverhältniß zwischen der Sprache, welche genöthigt ist, alle Worte in die gerade Linie einer Zeitreihe zu stellen, und der, davon vielfach abweichenden, innern Construction der Gedanken . Man bemerkt dies am leichtesten, wenn ein räumlicher Gegenstand, mit seinen drei Dimensionen, und mit den verschiedenen Eigenschaften seiner einzelnen Theile, soll be- schrieben werden; wozu die Reihe der Worte, die nur eine Dimension haben kann, durchaus nicht paßt.“ Freilich hat die Sprache Mittel, dieses Mißverhältniß auszugleichen: sonst könnte man ja nichts vermöge der Sprache darstellen und mittheilen. Aber diese Ausgleichung liefert eigenthümlich sprachliche Ka- tegorien, welche gar nicht logisch sind, deren Wesen vielmehr auf einer Abweichung von der Logik beruht. Ferner können solche Ausgleichungen vieles, aber nicht alles wieder gut machen. Mit Recht bemerkt Herbart (das. §. 61.): „Hat man vom phy- sischen Mechanismus und von der möglichen Verschiedenheit und Bewegung der Vorstellungsmassen auch nur den ersten Be- griff gefaßt: so weiß man, daß alle Sprachen der Welt, sammt allen ihren Conjunctionen und Hülfsmitteln jeder Art, immer nur einen unvollkommenen Ausdruck für die Structur der Vorstel- lungsmassen liefern können; .... indem selbst der Periodenbau mit aller seiner Mannigfaltigkeit noch lange nicht hinreicht, um das Innere völlig auszusprechen.“ Noch einen argen Irrthum habe ich zu rügen. Gesetzt, die Sprache wäre nichts als das im Laute gewissermaßen gefrorene Denken: so wäre doch in der Sprache, da es unsere Sprache ist, auch unser Denken gegeben. Ist denn unser Denken lo- gisch? — Psychologisch ist unser Denken. Das logische Den- ken ist unser Ideal, das wir nie erreichen. Das drückt Herbart am bestimmtesten aus, der die Logik eine Ethik des Denkens nennt; aber auch die metaphysische Logik unterscheidet das objective Denken vom psychologischen, und nur letzteres ist das gewöhnliche, übliche. Also kann auch die Sprache sich gar nicht an die Logik anschließen, sondern nur an die Psycho- logie. Ferner aber könnte hier immer noch der Zweifel entste- hen, ob die Sprache die Richtung und Absicht hat, unser Denken darzustellen, ob sie nicht vielmehr die Realität wie- dergeben will. Die Sprache belebt alle Dinge und begabt sie mit einem Geschlecht. Hätte die Sprache ihre Aufmerksamkeit auf unsere Vorstellungen und Begriffe gerichtet, wie käme sie darauf? Die Vorstellung Mann ist nicht männlich, und die Vor- stellung Weib ist nicht weiblich, und beide sind so wenig ge- schlechtlich und eben so wenig oder eben so sehr lebendig, als die Vorstellung Stein . Nur wenn die Wirklichkeit sprachlich abgebildet werden sollte, konnten solche Unterschiede in die Sprache eintreten. — Auch die sprachliche Copula, welche alle Sätze zu Existentialsätzen macht, beweist, daß die Sprache nicht unsere Denkthätigkeit, sondern die Wirklichkeit vor den Sinn des Hörenden stellen will. Humboldt bemerkt über die Copula (Einleitung in die Kawi-Sprache S. CCLXVI oder 251): Das Verbum „knüpft durch das Sein das Prädicat mit dem Sub- jecte zusammen, allein so, daß das Sein, welches mit einem energischen Prädicate in ein Handeln übergeht, dem Subjecte selbst beigelegt, also das bloß als verknüpft Gedachte zum Zustande oder Vorgange in der Wirklichkeit wird. Man denkt nicht bloß den einschlagenden Blitz, sondern der Blitz ist es selbst, der herniederfährt; man bringt nicht bloß den Geist und das Unvergängliche als verknüpfbar zusammen, sondern der Geist ist unvergänglich.“ Es ist nicht Humboldts Ansicht, daß die Sprache die Welt malen wolle, sondern er meint, wie es unmit- telbar weiter heißt: „Der Gedanke, wenn man sich so sinnlich ausdrücken könnte, verläßt durch das Verbum seine innere Wohnstätte und tritt in die Wirklichkeit über;“ d. h. es ist zwar nicht die Welt, die Wirklichkeit, die in der Sprache dar- gestellt wird, sondern der Gedanke, unser subjectiver Gedanke; aber dieser wird nicht als solcher, sondern als Wirklichkeit dar- gestellt. Die Sprache ist also weder Darstellung der Wirklich- keit, noch des Gedankens, sondern des Gedankens als Wirk- lichkeit. Becker sagt (Organism S. XV): Will man „läugnen, daß die allgemeinen formalen Denkgesetze sich in der Sprache wie- der finden, so läugnet man nicht allein die organische Natur der Sprache, sondern auch die organische Natur des Denkens“. — Keins von beiden; man trennt nur beides, die organische Natur der Sprache von der des Denkens. §. 82. Inwiefern die Sprache logisch und nicht logisch ist. Und so hoffen wir, man werde uns nicht den absurden Ein- wand machen, wenn die Sprache nicht logisch ist, so sei sie unlogisch, unvernünftig, was doch der Sinn der eben citirten Bemerkung Beckers war. In diesem Einwande liegt ein ganz gemeiner Fehler gegen die formale Logik: man schiebt einem contradictorischen Verhältnisse den Werth des conträren Gegen- satzes unter. Wir können dasselbe, was wir so eben sagten, auch so aus- drücken: man beachte nicht die Doppelbedeutung des Wortes logisch . Dieses Adjectivum bedeutet eben sowohl, was zur Wissenschaft der Logik gehört, z. B. eine logische Frage, ein logisches Gesetz, als auch was den Gesetzen der Logik gemäß, überhaupt vernünftig eingerichtet ist. Nur nach dem ersten Sinne wird behauptet, die Sprache sei nicht logisch; nicht nach dem zweiten. Um sich an diesen Unterschied zu gewöhnen, um ihn fest halten zu lernen, wende man den Blick einmal auf andere Wissenschaften. Die Physik, Chemie, Mathematik u. s. w. sind nicht logisch, die Natur ist nicht logisch, d. h. es sind in ihnen keine logischen Thatsachen, Kategorien und Lehrsätze gegeben; aber sie sind darum doch sehr logisch, indem ihre Entwicke- lungen nach den Gesetzen der Logik durchgeführt sind. Das- selbe gilt von der Geschichte, und wenn man meint, und wenn Hegel selbst gemeint hat, aus seinem Satze: „alles, auch die Geschichte sei logisch, vernünftig“ müsse gefolgert werden, in der Geschichte seien logische Kategorien darzustellen, und die Völker und die Ereignisse und Zustände seien als die geschicht- lichen Verwirklichungen der logischen Kategorien aufzufassen: so scheint mir dies gerade derselbe Fehler, wie der, welchen wir hier rücksichtlich der Sprache tadeln. Der Gegenstand der einzelnen Wissenschaften ist ihnen eigenthümlich, nicht bloß der Stoff, sondern auch die an ihm hervortretenden allgemeinen Verhältnisse, die man eben Katego- rien nennt, wie die Kenntniß der chemischen Stoffe und die Verhältnisse, nach denen sie sich mit einander verbinden; wie Kreis, Peripherie, Durchmesser und die Verhältnisse, in denen sie zu einander stehen. Indem aber unsere Thätigkeit des ver- ständigen Denkens diese Gegenstände betrachtet, diese Verhält- nisse erforscht, so verfährt sie hierbei in einer Weise, in wel- cher die Formen der Logik sichtbar werden; denn die Logik ist eben die Analyse des Denkens, d. h. der Denkthätigkeit, ab- gesehen von dem Gegenstande, auf den sie angewandt wird. Noch mehr, die Natur erzeugt Gegenstände und verfährt dabei durch Mittel und in einer Weise, welche die specielle Natur- wissenschaft als ihren besondern Gegenstand darzustellen hat. Indem wir diese Verfahrungsweise im Denken reproduciren und den realen Gang des Werdens der Sache in einen subjectiven Gang des Werdens des Begriffs umwandeln, d. h. bloß abbilden, bemerken wir im Denken nicht bloß, sondern in der wirklichen Natur selbst logische Verhältnisse, die ihr inne wohnen, logi- sche Gesetze, die sie unverbrüchlich befolgt. Ganz eben so wie die Natur und die Naturwissenschaften, ist auch die Sprache und die Sprachwissenschaft logisch und nicht logisch: nämlich ihr Gegenstand mit seinen Verhältnissen ist ihnen eigenthümlich; aber indem man diesen Gegenstand und diese Verhältnisse denkt, bemerkt der Logiker, daß sowohl der Sprachforscher nach logischen Gesetzen handelt, als auch, daß bei dem Verfahren der Sprache, ihre Elemente zu bilden und nach eigenthümlichen Gesetzen zusammenzufügen, logische Rück- sichten und Gesetze unbewußt gewaltet haben. Diese logischen Gesetze, welche die Sprache und der Sprachforscher, der Che- miker und Physiker und die Natur befolgen, sind die gemeinen logischen Gesetze, deren Darlegung der Sprach- und Natur- forscher voraussetzt, die er nicht erforscht, die nicht sein beson- derer Gegenstand sind. Nach allem, was vorangegangen ist, kann die allgemeine Scheidung der sprachlichen oder grammatischen Verhältnisse von den Verhältnissen des Denkens und der Logik nicht mehr un- gewiß, noch auch schwierig sein. Wir geben aber doch noch ein neues Beispiel. Es tritt jemand an eine runde Tafel und spricht: diese runde Tafel ist viereckig: so schweigt der Gram- matiker, vollständig befriedigt; der Logiker aber ruft: Unsinn! Jener spricht: dieser Tafel sind rund , oder hic tabulam sunt ro- tundum : der Logiker an sich versteht weder Deutsch, noch Latein und schweigt, der Grammatiker tadelt. Giebt man aber dem Logiker zu seinem allgemeinen logischen Maßstabe noch das besondere grammatische Gesetz der Congruenz, so würde auch er tadeln. Ein solcher Logiker, der zu den logischen Ge- setzen noch ein grammatisches hinzubringt, ist eben der Gram- matiker. Denn dieser ist, außerdem daß er Grammatiker ist, noch überdies Logiker, d. h. nach logischen Gesetzen denkend und beurtheilend; aber der Logiker ist nicht auch Grammatiker. Würde nun der obige Satz corrigirt: hoc tabu- lum est rotundum, so wäre der Logiker selbst mit Kenntniß der Congruenzregel befriedigt. Der Grammatiker aber hat eine fer- nere Kenntniß der Sprache und verbessert: tabula . Dies ge- nügt dem Logiker, um das Uebrige zu corrigiren; d. h. nun ist der Grammatiker gezwungen, eine logische Anwendung der Re- gel der Congruenz zu machen. Also die Congruenz-Regel und das bestimmte Genus des Wortes tabula sind Verhältnisse, die ausschließlich der Grammatik gehören, und sie mit ihresglei- chen machen den Gegenstand der Grammatik, die Sprache aus. In dem formalen Verfahren aber, in der Anwendung der sprach- lichen Gesetze auf sprachliche Stoffe tritt nothwendig die Lo- gik ein. Von einem Knaben wird das perfectum indicat. activi von laudare verlangt; er wird diese Form durch eine Reflexion, durch einen logischen Schluß finden, vorausgesetzt, daß er die la- teinische Conjugation versteht. Die logische Operation ist sogar ziemlich lang, so schnell der Knabe sie auch macht. Er ope- rirt mit sprachlichem Stoffe in logischer Form . Was aber hier in Beziehung auf die logische Denkform sprachlicher Stoff heißt, das sind nicht bloß die Wurzelwörter, sondern auch die grammatischen Formen und Verhältnisse, überhaupt alles, was die Sprache ausmacht. Wie es also chemische Kategorien giebt — z. B. Sauer- stoff, Stickstoff, Wahlverwandtschaft —, physikalische und phy- siologische — z. B. Wärme, Elektricität, Athmen, Verdauen —: so giebt es grammatische, z. B. Substantivum, Verbum, Attribut; wie die Natur und der Naturforscher mit ihren Kategorien lo- gisch operiren: so auch die Sprache und der Sprachforscher; wie aber hierdurch die Naturwissenschaft und die Natur nicht logisch werden: so auch nicht Sprachwissenschaft und Grammatiker; sondern hier wie dort bleiben die Kategorien jeder Wissenschaft eigenthümlich, von denen die Logik nichts weiß, um deren Ge- halt, Berechtigung, Herkunft sie sich nicht kümmert, zufrieden damit, daß jene Kategorien, sowohl jede an sich, als auch die Beziehung mehrerer zu einander, denkbar, d. h. logisch richtig gedacht seien. Das formalste Element der Sprache, ihre formalste Thätig- keit, ist immer noch Stoff, ein ganz besonderer Stoff, ein Bei- spiel für die Logik, und kann eintreten in die Logik, wie tausend andere Beispiele; aber weder ist die Sprache Herr in der Logik, daß sie dort in irgend einem Abschnitte gebietend auftreten könnte, noch kann sie sich das Einreden der Logik gefallen lassen, so- bald es sich um ihre Elemente als solche, um den Inhalt der- selben handelt. Die Sprache ist also gerade darum nicht unlogisch (dieses Wort als conträren Gegensatz zu logisch genommen, also im Sinne von: die Logik verletzend, gegen sie verstoßend), weil sie nicht logisch ist (d. h. keine logischen Kategorien und Ge- setze aufstellt, sondern ganz eigenthümliche). Die sprachlichen und logischen Kategorien sind also disparate Begriffe, die ruhig neben einander bestehen, wie Kreis und roth; und es beweist schon ein Mißverstehen des wahren Verhältnisses, wenn man die Sprache an der Logik messen will, sei es um ihre Ueber- einstimmung mit dieser, sei es, um ihren Widerstreit gegen die- selbe zu erweisen. Die Stoiker behaupteten, die Sprache sei anomal; d. h. nämlich, indem sie die Sprache nach dem Maßstabe der Logik beurtheilten, fanden sie, daß die Sprache bei solcher Messung nicht Stich hielt. Die Aristarchianer, wozu sämmtliche moderne Philologen — Humboldt ausgenommen; auch Buttmann wußte von Aristarchs Schwäche — und Becker mit den Beckerianern gehören, behaupteten im Gegentheil, die Sprache sei nicht ano- mal, sie sei analog, logisch geformt, und man müsse nur den logischen Maßstab recht zu handhaben wissen. Die einen sind so unlogisch, wie die andern; sie irren beide. Wie es mit Be- ckers Grammatik stehe, der Spitze der analogetischen Schule Aristarchs, das haben wir ausführlich genug gezeigt; dem Ano- malisten aber, der sich darüber aufhält, daß man die ewigen Götter unsterblich nenne, was völlig gegen die Logik sei, dem ist zu erwidern, daß es gerade eben so unlogisch ist, die Sprache anomal zu nennen, sie, die sich um den νόμος der Logik nicht kümmert. Es ist echt logisch und organisch, daß die Sprache unlo- gisch ist. Die beste Analogie zur Sprache bietet allemal die Kunst: sie haben beide das wesentlichste Merkmal gemeinsam, die Dar- stellung. Die Kunst stellt die Wirklichkeit dar, die Sprache den Gedanken. Nun ist es aber doch ein gemeiner Fehler, die Wirklichkeit zum Maßstabe des Kunstwerks zu machen, in der vollendeten Kunst nur das getreue Abbild der Wirklichkeit zu sehen und nach dieser Treue den Werth des Kunstwerks zu be- stimmen. Man begeht aber ganz denselben Fehler, wenn man in der Sprache, als der Darstellung des Gedankens, nur ein Abbild desselben sieht. Wie weit steht die Oper von der Wirklichkeit ab, welche sie darstellt! darum ist sie in sich nicht unlogisch, nicht unwahr. Und so ist auch die Sprache in sich vernünftig und wahr, obwohl sie die Logik nicht in sich faßt. Ferner: die Malerei stellt Körper dar, aber — wie unlo- gisch! — in der Fläche, oder sie zeigt die Fläche als Körper. Wer die drei Dimensionen kennt, weiß noch nichts von Schat- tirung und Perspective; und diese Kategorien der Malerei an sich werden von dem Begriffe der Dimensionen eben nur be- rührt, sind aber ganz anderer Natur. Wir sind also durch unsere bisherigen Betrachtungen zu der Forderung gelangt, der Sprache und Grammatik ein ganz eigenthümliches System von Kategorien, Begriffen, gedanklichen Verhältnissen zuzuschreiben, welche allerdings wohl richtig ge- dacht, aber doch nicht der Logik zugehörig sein sollen; und nun entsteht die Frage: was soll die Sprache bedeuten, wenn nicht den Gedanken? was kann ihr Inneres sein, wenn nicht Anschau- ung und Begriff? und welche Formen und Beziehungen können also in dem Innern, in dem Bedeuteten der Sprache auftreten, wenn nicht die der Anschauungen und Begriffe? was kann also endlich die Grammatik untersuchen und finden, wenn nicht dasselbe wie die Logik? Die Darstellung des Gedankens? aber diese ist ja auch gedacht! und so kommen wir nur zu einem Denken des Denkens, welches doch sicherlich der Logik angehört. Oder sollte dieses darstellende Denken des Gedachten oder Den- kens sich in eigenthümlichen Formen bewegen und eigenthümliche Gesetze offenbaren? sollte es also neben dem logischen Denken noch ein anderes geben, und sollte es dieses nicht-logische Den- ken sein, welches in der Sprache in Lauten tönt? Wäre das wohl so unwahrscheinlich? oder scheint das gar unmöglich? Wie? kennt man denn nicht auch sonst schon ein sehr erlaubtes, berechtigtes Denken, welches in seinen Formen unbekümmert um Logik, in seinem Inhalte unbekümmert um das reale Verhältniß der Sachen, welches die einzelnen Wissen- schaften darstellen, seinen eigenen Weg geht: das poetische Den- ken? Auf dieser Verschiedenheit des poetischen Denkens vom gewöhnlichen logischen beruht die Schwierigkeit des Verständ- nisses der Poesie, z. B. einer Ode. Denn das nennen wir hier verstehen: das Uebersetzen des lyrischen Denkens in logisches Denken. Das Verstehen des Aesthetikers geht noch weiter: er begreift auch die Formen des poetischen, also hier des lyri- schen Denkens an sich, d. h. er kennt die Logik der Lyrik, die ganz andere Gesetze und Formen hat, als die Logik des Verstandes. Ein Beispiel: „ Grau, theurer Freund, ist alle Theorie, Grün ist des Lebens goldner Baum “. Diese Verse verhöhnen alle Lo- gik, alle Botanik, alle Farbenlehre — wenn man die Thorheit begeht, dieses poetische Denken am verständigen logischen Den- ken zu messen. Diese Gedanken sind nicht logisch, also auch nicht unlogisch, d. h. nicht antilogisch. Eben darum lassen sie eine Uebersetzung in logisches Denken zu und entsprechen dann allen Gesetzen desselben. Man kann obige Verse in die strenge Form eines logischen Schlusses bringen. Man wird also zugestehen müssen, daß es mehrere Denk- weisen geben könne und giebt; daß die gewöhnliche Logik nur die Gesetze des verständigen Denkens entwickelt, wogegen die andern Denkweisen ihren eigenen Gang, ihre eigene Logik ha- ben. Es soll der Logik des Verstandes weder der Vorrang, noch ihr Recht, die andern zur Rechenschaft zu ziehen, in sie einzugreifen, sie zu überwachen, die Grenzen ihrer Herrschaft zu bestimmen, abgesprochen werden; aber die andern Logiken, so zu sagen, sind von ihr verschieden und innerhalb ihres Kreises Selbstherrscher, nach Gesetzen waltend, die sie sich selbst geben. So darf man nun auch die Chemie die Logik der natürlichen Körper, die Physik die Logik der physischen Bewegungen nen- nen; aber die Logik der Natur ist nicht die Logik des Verstan- des: diese beiden Logiken identificiren, ist sehr unlogisch. Fassen wir nun zusammen. Ist die Sprache nicht unzer- trennlich vom Denken, begleitet sie aber dennoch andrerseits dasselbe meistentheils; — giebt es mehrere Denkweisen und folg- lich mehrere Logiken, und verbindet sich die Sprache mit ihnen allen, mit jeder so gut wie mit der andern, jedoch so, daß sie das Denken immer nur begleitet, aber dabei ihren eigenen Gang geht, ihren eigenen Gesetzen folgt, ihre eigenen Kategorien offen- bart; — ist also die Sprache weder mit dem Denken überhaupt, noch mit einer besondern Weise desselben identisch, und ist sie dennoch mehr als bloßes Tönen, ein bedeutungsvolles Tönen mit eigenthümlichen Begriffen und Verbindungen derselben: so scheint sich nur die eine Annahme zu empfehlen, daß auch die Sprache ein ganz eigenthümliches Denken sei und sich nach gewissen, diesem Denken besonders angehörenden Gesetzen und Katego- rien entfalte, welche eben die Grammatik darstellt. Was sich hier als eine Vermuthung darstellt, worauf die gewonnenen negativen Resultate hinweisen, das mag im Folgen- den positiv begründet und näher erörtert werden. Dritter Theil. Grundsätze der Grammatik. §. 83. Wir gehen jetzt an die eigentliche oder positive Lösung unserer Aufgabe, das Princip der Grammatik darzulegen und die allgemeinsten Punkte, die sich daran knüpfen, zu erörtern. Ohne schon in die Einzelheiten hinabzusteigen, kommt es vor allem darauf an, die Momente näher zu bestimmen, welche das Einzelne beherrschen und ihm seine Stellung und Bedeutung in dem Ganzen anweisen. Wenn uns das Princip der Grammatik ihren Ausgangspunkt, ihren Gegenstand, die Begrenzung ihres Gebietes gezeigt hat, so bedürfen wir noch gewisser Grundsätze über die Weise, wie die unter die Grammatik fallenden Gegenstände anzusehen sind. Wir werden also erstlich, um das Princip der Grammatik aufzuklären, das Wesen der Sprache an sich, ihre Entstehung und Entwicklung, wie ihre Beziehung zum geistigen Leben zu betrachten haben. Hierzu fügen wir dann die Erörterung einiger Begriffe, deren Wichtigkeit wir schon bei unserer Kritik kennen gelernt haben und deren unklare Auf- fassung so viel Verwirrung angerichtet hat, wie: Inneres und Aeußeres, Stoff und Form, und endlich Copula, welcher Begriff schon in allen Einzelheiten der Grammatik lebendig wirk- sam ist. Diese Betrachtungen beschränken sich auf Sprache und Sprachmaterial überhaupt ohne Rücksicht auf die einzelnen Sprachen. In Bezug auf diese entsteht nun die Frage, wie sie sich zu einander, zum ganzen Sprachwesen des menschlichen Geschlechts verhalten, und endlich was von einer allgemeinen Grammatik zu halten sei. 15 A. Allgemeines Wesen der Sprache und ihre Be- ziehung zum geistigen Leben. §. 84. Wie dürfte man hoffen, das Princip der Grammatik zu fin- den, ohne das Wesen der Sprache und ihre mannigfachen Be- ziehungen zu den geistigen Thätigkeiten, ihre Function in der geistigen Oekonomie, ihre Wirksamkeit für die Entwickelung des Geistes genau analysirt und gründlich erforscht zu haben? Diese Untersuchungen aber haben wir mit der Erforschung des Ursprungs der Sprache zu beginnen. Selbst ohne Hoffnung, diesen geheimnißvollen Punkt, wenigstens für jetzt, vollständig zu enthüllen, können wir uns doch der Aufgabe, ihm einige Blicke, einige Lichtstrahlen abzugewinnen, nicht entziehen. Denn es bleibt uns kein anderes Mittel, um alle in dem Leben der Sprache wirksam in einander greifenden Elemente aufzufinden, weder eins zu übersehen, noch eins hinzuzufügen, und ihren beziehungswei- sen Werth für dieses Leben der Sprache richtig zu bestimmen, als die Sprache von ihrem Keime aus verfolgend durch die Ent- wicklungsstufen ihres Werdens hindurch zu begleiten. Nur wenn wir ihr Keimen, Hervorsprossen und weiteres Wachsen er- kannt haben, können wir sicher sein, ihr ganzes Wesen erfaßt zu haben; denn so allein wird uns sichtbar, wo ihr Springpunkt liegt, welches Wesens er ist, und was alles allmählich zu ihm hinzutritt, was ihm als Nahrung dient bei seiner Ausdehnung von innen heraus, was er beim Bauen seines Organismus sich assimilirend verwendet, und was so endlich das Wesen der Sprache bei ihrer Reife in sich schließt. Eine Definition der Sprache verlangt man, trotz der häufig gemachten Bemerkung, daß gehaltreiche Dinge sich nicht ein- fach definiren lassen, daß ihre Definition entweder nicht ihr vol- les Wesen ausspricht, sondern abstract und leer bleibt, oder, indem man die Worte äußerlich an Menge und innerlich an Bedeutung anschwellen läßt, unverständlich wird. Könnte man die Sachen zu Anfang der Wissenschaft definiren, man brauchte der Wissenschaft nicht mehr; wer aber die Entwicklung der Wissenschaft durchgegangen ist, bedarf der Definition nicht. Nominaldefinitionen, welche die Deutlichkeit und Klarheit för- dern, sind oben gegeben. Noch eine andere Betrachtung kann ebenfalls die Ungehö- rigkeit einer Definition der Sprache erweisen. Eine Definition kann, wie ein Gemälde, nur etwas Ruhendes oder nur einen Augenblick darstellen. Wie soll sie etwas bestimmen, das nicht bloß in sich mannigfaltig ist, sondern das sich auch durch meh- rere Stufen hindurch entwickelt und auf jeder Stufe ein verschie- denes, reicheres, gebildeteres Wesen zeigt und in andere Ver- hältnisse nach innen und außen tritt? Und so verhält es sich mit der Sprache. Wenn man fragt, wie sie ist, so lautet die richtige Antwort: sie ist , was sie wird; d. h. ihre Definition liegt in ihrer Entwickelung. 1. Entstehung und Entwickelung der Sprache. Es ist bei jeder Untersuchung von größter Wichtigkeit, klar darüber zu sein, was man sucht. Ueber falsch gestellte, unklar gedachte Fragen kann man Jahrhunderte streiten, ohne daß man sich der Sache in Wahrheit nähert; man geht vor- wärts, aber ins Blaue. Die richtige Stellung der Frage schließt oft die Lösung gewissermaßen schon in sich, und ist in jedem Falle der erste Schritt zu ihr, und wär’ es auch nur, daß sie durch sich selbst lehrte: nur die Frage gebührt dem Menschen; es gehört ihm nicht die Antwort. Gehen wir also an die Untersuchung des Ursprungs der Sprache nicht ohne vorher gesehen zu haben, welche Forderung diese Frage in sich schließt, welche Bedeutung sie nur haben kann. §. 85. Stellung der Aufgabe. Man macht einen Unterschied zwischen der Anfertigung eines Dinges und der Erfindung desselben, und nur letztere scheint das eigentlich Große und Bemerkenswerthe. Die erste Räder-Uhr, die erste Dampfmaschine, die man construirt hat, zieht die Neugier an, nicht die Hunderttausende, die man dar- auf aller Orten gebaut hat, die wie die Schatten jener ersten erscheinen. Erfinden ist das Schwere, Nachahmen und Lernen geht von selbst. Wie die Erfindung gemacht worden ist, wie die Sache angefangen hat, wie man auf den Einfall gekommen ist, wie man den glücklichen Einfall verfolgt hat: das möchte man wissen. Gerade so hat man — bis heute, kann man sa- gen — von einer Erfindung der Sprache durch die Urmenschen geredet. Erfindung will man es nun freilich nicht mehr nennen; 15* man nennt es Schöpfung. Das Erlernen der Sprache durch die Kinder sah man wie neue Anfertigungen desselben schon erfun- denen Dinges an. Die erste Schöpfung der Sprache kennen zu lernen, darauf gingen die Untersuchungen über den Ursprung der Sprache. Wie Adam und Eva im Paradiese mit einander gekost haben, das hätte man gar zu gern wissen mögen. Was man aber nicht wußte und gern wissen möchte, das träumte man. Es werde zugestanden, daß die Erfindung der Dampfma- schine wichtiger ist, als ihre heutige Vervielfältigung; und die Geschichte der Anfertigung der ersten Maschine mag anzie- hender sein, als die Beschreibung des Verfahrens, welches man heute beim Baue derselben anwendet. Nichtsdestoweniger giebt es doch etwas Wichtigeres und Anziehenderes sowohl als dieses, wie als jenes, nämlich die Naturgesetze zu erforschen, welche sowohl bei der ersten, als bei jeder heute gebauten Ma- schine die bezweckte Wirkung hervorbringen. Denn während uns die Erzählung der Erfindung und allmählichen Verbesserung eines Dinges doch nur Zeitliches und mehr oder weniger Zufäl- liges bietet: so lehren uns jene Gesetze das diesem Zeitlichen zu Grunde liegende Ewige. Und so schließen wir auch für die Sprache, daß es wichtiger und anziehender ist, die Gesetze zu erforschen, nach denen sie sowohl ursprünglich geschaffen wurde, als auch heute noch geschaffen wird, und daß weniger daran liegt, die Besonderheiten zu kennen, unter denen die erste Schöpfung und jede folgende von Statten gegangen sein mag. So gestaltet sich also die Frage nach dem Ursprunge der Sprache schon ganz anders, selbst wenn wir die rohe Anschau- ungsweise gelten lassen, welche die Sprache als ein Ding ansieht, und welche der obigen Analogie zu Grunde liegt. Und sie zu- nächst noch nicht abändernd, fahren wir fort, indem wir darauf hinweisen, daß es doch nicht gleichgültig ist, in welchem Zeit- alter diese Erfindung gemacht ist. Jede Erfindung setzt die Anlage dazu im Geiste der Menschheit voraus, nicht bloß eine angeborne Fähigkeit, sondern eine gewisse vorläufige Bildung und Bekanntschaft mit andern Erfindungen. Ohne diese Vor- bereitung des erfinderischen Geistes würden ihm die günstigsten Zufälle ungenutzt vorübergehen. Gewisse Erfindungen sind un- möglich, wenn nicht schon gewisse andere gemacht sind, oder wenn nicht gewisse Ansichten, Erkenntnisse und Bestrebungen vorhanden sind; sie werden überflüssig gemacht durch spätere, die aber unmöglich gewesen wären, wären ihnen nicht jene vor- angegangen. Es lassen sich also Zustände der Zeiten begrei- fen, in denen eine Erfindung fast nothwendig, leicht, natürlich erscheint; denn selbst das Zufällige, das allemal noch hinzukom- men mußte, konnte derartig sein, daß es, wie es auch fiel — und fallen mußte doch der Zufall nothwendig — die Erfindung oder Entdeckung fördern mußte Wir reden hier nicht den weisen Herren das Wort, die alle Erfindun- gen, wenn sie gemacht sind, sehr einfach finden und mit ihrem Neide und ihrer Verkleinerungssucht große Männer, bedeutende Verdienste am wenigsten schonen. Ihnen erzähle man das Anekdötchen von den auf die Spitze zu stel- lenden Eiern. Was wir im Obigen wollen, das ist, um es kurz auszudrücken: dem Allgemeinen die Ehre, ohne die Person zu beeinträchtigen, die eben das Allgemeine darstellt. . Lehrreicher nun als zu wis- sen, nach welchen mancherlei Irrgängen und nach wie vielen mißglückten Versuchen eine Erfindung gelang, in welcher Ord- nung die Stücke einzeln erfunden wurden, welches zuerst und welches zuletzt, und wie sie zusammengefügt wurden — lehr- reicher, sage ich, als dies ist es, jene Zustände zu erforschen, welche eben sowohl das vielfache Mißlingen, als das endliche Gelingen bewirkten, sowohl die Hindernisse als auch die Mittel, diese zu überwinden, darboten. Wirklich begriffen ist die Ge- schichte der Erfindung auch nur dann, wenn man diese geisti- gen Zustände begreift und daraus die Erfindung und ihren Gang gewissermaßen ableiten kann. Indem man dies thut, erhebt man sich ebenfalls über die Zeitlichkeit und das Zufällige in das Reich des Nothwendigen und allwaltender Gesetze. Wie man gar zu gern die Ursache leibhaftig kennen ge- lernt hätte, so suchte man auch die Erfindung der Sprache in Zusammenhang zu bringen mit dem gesammten materiellen und intellectuellen Zustande der Urmenschen. Dieser Zustand war aber ebenfalls unbekannt. Er muß hypothetisch erschlossen wer- den und zumeist aus dem Wesen der Sprache selbst; aus dem Erzeugnisse muß die erzeugende Kraft gefolgert werden. Nun war aber das Wesen dieses Erzeugnisses, der Sprache, verkannt; wie sollte also sein Ursprung richtig erschlossen werden! Hier stoßen wir auf eine Kreisbewegung. Das wahre We- sen der Sprache muß wohl unbekannt bleiben, wenn ihr Ur- sprung nicht aufgehellt werden kann, und der Ursprung läßt sich nur ergründen bei der tiefen Erkenntniß des Wesens. Wie ist denn nun dennoch der Fortschritt gemacht wor- den? Denn er ist wirklich schon gemacht, von Humboldt ge- macht, und wie? Man ist aus dem Kreise ganz und gar her- ausgetreten. Den Zusammenhang zwischen Wesen und Ursprung der Sprache konnte man nicht aufheben; mit zwei unbekannten Größen mag man rechnen, wie man will, man gelangt zu kei- ner bekannten. Von einem dritten Punkte her aber traf beide zugleich ein tief eindringender Lichtstrahl. Der ganze mensch- liche Geist, die Intellectualität und das Gefühl, nahm in Kants Epoche — die wir nach dem größten Namen so benennen, zu der wir aber Lessing, Herder, Göthe und Schiller, den Philo- logen Wolf und so viele Naturforscher rechnen — einen höhern Aufschwung. Das Gefühl und Bewußtsein der menschlichen Würde erlangte eine früher ungekannte Anspannung Wir reden oben nur von Deutschland, und es ist durchaus nicht un- sere Ausicht, wenn man das Gesagte auch auf Frankreich ausdehnen wollte. , und da- mit war die höhere Würdigung des menschlichen Erzeugnisses, der Sprache, schon gegeben. Die höhere Würdigung war schon ein Anfang der bessern Erkenntniß. Die Kantianer jedoch wa- ren zu formal logisch, trocken und schlechte Psychologen. Man hatte vor der Sprache immer noch nicht recht gestaunt: darum hatte man sie noch nicht begriffen. Dem Kantischen Geiste und Zeitalter mußte eine Zeit folgen, der Männer wie Böckh, Grimm und Bopp und Genossen, und Naturforscher wie der Geograph Ritter ihren geistigen Hauch verliehen, damit, von solchem Geiste unterstützt, ein Mann wie Wilhelm von Hum- boldt uns lehrte, ein Wunderwerk anzustaunen, bei dessen Schöpfung die ganze Menschheit, der ganze Mensch nach sei- nem allseitigen mikrokosmischen Wesen, Natur, Instinct, Geist, wirksam ist — ein Wunderwerk, aus dem wir den Urzustand des Menschengeschlechts, seine vorgeschichtlichen Schicksale kennen lernen und das Schicksal der Völker, wie es in ihrem eigenen Geiste vorgezeichnet und bestimmt ist, zu deuten unter- nehmen dürfen — ein Wunderwerk endlich, das immer vollen- det ist und sich ewig neu gebiert; das auf der Individualität des Geistes beruhend, seine Schöpfung und sein getreuester Spiegel, doch über allen individuellen Geist hinausweist auf eine Einheit und Allgemeinheit des Geistes. Das hat uns Humboldt gelehrt; es ist sehr viel, und er hat auch nur wenig mehr gelehrt. Genau genommen ist doch die Sprache noch eine verschleierte Göttinn; die Blicke, die Hum- boldt durch den Schleier hat dringen lassen, sind nicht klar genug und haben auf seine Mit- und Nachwelt wenig Einfluß gewonnen. Wir haben gesehen, wie uns eine über ganz Deutsch- land verbreitete Richtung der Sprachwissenschaft, eine mecha- nische Mengung von naturphilosophischen Phrasen und ab- stract-logischen Kategorien, als eine den Manen Humboldts ge- widmete Sprachlehre dargeboten wird; sie soll mit seinen Ideen übereinstimmend gebildet sein, sie, die in jeder Einzelheit, wie nach ihrem allgemeinen Geiste Humboldt widerspricht. Mit den Sprachhistorikern aber rechten wir nicht. Sie ha- ben ihn nie anders als dem Namen nach gekannt, und da wir anfangen, es ernstlich mit Humboldt zu nehmen, mit seiner Ver- ehrung und seinen Ideen: so wird er ihnen auch schon lästig. Indem man noch aus Gewohnheit oder Heuchelei die Phrase im Munde hat, „daß man ihn nie genug rühmen könne“: be- klagt man sich doch, daß er wie eine Gottheit verehrt werde, uns als ein Buddha gelte — er, der doch nicht einmal habe geläufig sanskritisch conjugiren können! O, ihr ewigen Sextaner! Wir haben hier nicht die Aufgabe, alle die so eben ange- deuteten Punkte über das wundervolle Wesen der Sprache dar- zulegen und zu erläutern, ihre Bezüge zu entwickeln zur Meta- physik, zur Ethik, zu allen höchsten Ideen, zu allem was uns lieb und heilig ist. Wir beschränken uns hier auf das, was unser nächster Zweck erfordert, die trockne Entwicklung des Ursprungs der Sprache, und wollen froh sein, wenn es uns ge- lingt, hier einiges Licht zu gewinnen. Wir lassen mit Humboldt die zeitliche Thatsache der Schö- pfung der ersten Menschen, wie der ersten Sprache, als uner- forschlich bei Seite. Wie der Naturforscher die Frage, wie die Thierarten und der Mensch entstanden seien, gar nicht aufwirft, als eine Frage, die außer dem Bereiche menschlicher Wissen- schaft liegt, so fragt auch der Sprachforscher nicht, wie die Sprache als einmalige Begebenheit geschaffen worden sei. Nur die Schöpfung, wie sie als das ewige Leben der Natur sich auch heute noch offenbart und zu allen Zeiten offenbart hat, gehört der Erforschung der Wissenschaft: und eben so bedeutet auch der Sprachwissenschaft der Ursprung der Sprache bloß, wie sie sich im Munde des Säuglings und im Munde des Re- denden im Augenblicke des Sprechens erzeugt. Bei dieser gleichen Beschränkung des Sprach-, wie des Na- turforschers aber scheint uns doch der Sprachforscher glück- licher gestellt, als der andere; und dies beruht darauf, daß die ursprüngliche Sprachschöpfung von der ewig wiederholten nicht wesentlich abweichen konnte, und daß wir den Zustand der menschlichen Seele, in welchem die Sprache entstand, heute noch wie immer theils beobachten, theils erschließen können. Die Spracherzeugung ist niemals eine Geburt ex ovo und war ursprünglich keine generatio aequivoca oder wie man sonst die erste Schöpfung einer Thierart nennen will. Die Sprache entspringt immer in gleicher Weise der Seele des Menschen, und dieser Quellpunkt ist ewig derselbe. Die Sprache ist eine Emanation, eine Entwickelung der Seele, die mit natürlicher, organischer Nothwendigkeit dann eintritt, wenn die Seelenbil- dung an einen gewissen Punkt gelangt; und die Seele und ihre Entwickelung ist heute und immer dieselbe. Wie jedes Embryo in einer bestimmten Epoche seiner Entwickelung dieses oder jenes Organ bildet, so bildet die Seele auf einem gewissen Punkte nothwendig Sprache, heute, wie in der Urzeit. Den Ursprung der Sprache erforschen heißt also, die See- lenbildung verfolgen, den seelischen Zustand kennen lernen, der unmittelbar der Spracherzeugung vorangeht, und begreifen, was die Seele durch die Sprachschöpfung gewinnt. Der Unterschied zwischen der Urschöpfung und der täglich wiederholten existirt also rücksichtlich der Sprache gar nicht. Und warum nicht? Betrachten wir den ausgesprochenen Satz näher, so entspringt daraus eine Folge, die vielmehr dessen Ursache ist. Wenn nämlich die Einsicht in den Ursprung der Sprache darauf beruht, daß man einen Seelenzustand begreift, der durch die in ihm wirkenden Elemente gedrängt wird, sich im Laute zu äußern, in Lauten auszubrechen, und daß man ferner erkennt, was die Seele durch solchen sprachlichen Aus- bruch gewinnt: so heißt das eben das ganze Wesen der Sprache erkennen, und die Folge also ist die: daß Wesen und Ursprung der Sprache identisch sind; ihr Wesen liegt in ihrem Ursprunge, und ihr Entspringen ist ihr Sein und Wesen. Die Sprache ist nichts als ihre Entstehung, nichts als ewig sich neu erzeugende Thätigkeit, ein Werden, das zu keinem Dasein erstarrt. Und diese Folge ist vielmehr die Ursache davon, daß die erste Schöpfung der Sprache und ihre heutige und ihre ewige Neugeburt immer dieselbe ist. Denn ist das Wesen die Ent- stehung selbst, so kann sich die Entstehungsweise so wenig än- dern, wie das Wesen selbst sich ändern darf; entstünde sie an- ders, so wäre auch das Wesen verändert, wir hätten nicht mehr die Sprache, sondern ein anderes Seelenerzeugniß. Ist unsere Sprache (im allgemeinen Sinne) dieselbe, wie die der Urmen- schen, dasselbe Wesen, dieselbe Kraft und Thätigkeit, so ist auch ihre Entstehung in der Urzeit keine andere als die heutige. Man sieht nun wohl, wie roh die Ansicht war, wonach man die Erfindung der Sprache wie die einer Maschine betrachtete, und das Sprechenlernen von heute wie eine neue Anfertigung einer schon gemachten Erfindung. Gehen wir aber auf diese Analogie ein, so bemerken wir, daß der Sprachforscher glück- licher gestellt ist, als wer die Geschichte einer sonstigen Erfin- dung erkundet, insofern die Gesetze, die heute noch beim Erler- nen der Sprache sich in jedem Kinde wirksam zeigen, auch die treibenden Kräfte bei der Erfindung waren. Denn eine Erfin- dung, die von den Naturkräften selbst gemacht worden ist, bei der der Mensch nicht freiwillig und bewußt handelte, zu der er durch den geistigen Instinct getrieben ward, kann auch bei der wiederholten Anfertigung immer nur wieder durch dieselben in- stinctiven Kräfte hervorgebracht werden; und kennen wir letz- tere, so kennen wir auch die erste Erfindung. Darum aber nennen wir eben die Sprache nicht eine Er- findung, sondern eine Erzeugung . Hierin liegt aber noch et- was ausgedrückt. Wir haben oben nicht bloß die Erfindung einer Maschine von ihrer Anfertigung geschieden, sondern noch ein Drittes hinzugefügt, dessen Kenntniß wesentlicher, als die Geschichte jener und die Beschreibung dieser ist: die Gesetze der Natur, welche in der Maschine wirksam sind. Auch diese Scheidung schwindet bei der Untersuchung über den Ursprung der Sprache. Denn hier werden nicht mannigfache Materialien, die sich ursprünglich einander fremd und gleichgültig sind, nach einer bestimmten Absicht des Menschen zu einem Zwecke, der die Materialien nichts angeht, zusammengefügt, wie dies bei der Dampfmaschine geschieht; sondern in der Sprache wirken Ur- sachen blind nach inwohnender Nothwendigkeit, sind aber von der Natur selbst zu einem Zwecke vereint; in der Sprache sind die Gesetze selbst zugleich auch die ausführenden Mächte. Das heißt aber eben, die Erfindung ist von der Natur selbst ge- macht, oder es ist eine natürliche Schöpfung, eine Zeugung und Geburt. Indem also der Sprachforscher bloß die Gesetze, die wirksamen Ursachen erforscht, lernt er zugleich die Weise der Anfertigung und die Geschichte der Erfindung der Sprachma- schine kennen; oder vielmehr alle diese Unterschiede schwinden, weil die Sprache keine erfundene Maschine, sondern ein natür- liches Organ ist, d. h. ein seelisches Organ. Unsere Erforschung des Ursprungs der Sprache bewegt sich also nicht um den zeitlichen, zufälligen, sondern um den ewigen, unwandelbaren Ursprung in der Seele des Men- schen überhaupt oder um die Gesetze des Seelenlebens, nach denen Sprache entsteht, welche uns aber zugleich das wirkliche Entstehen derselben von heute sowohl, wie von der Urzeit ent- hüllen. Hiermit sind wir in die Psychologie versetzt. Glückliche Fortschritte in der Sprachwissenschaft setzen eine entwickelte Psychologie voraus. Umgekehrt freilich mag auch diese von jener Hülfe erwarten. Der Sprachforscher darf sich dadurch nicht abschrecken lassen, daß sein Gegenstand, weil derselbe dem ganzen menschlichen Wesen entsprossen ist, auch dessen allseitige Natur an sich trägt. Ist er dadurch ge- nöthigt und berechtigt, von allen Seiten Hülfe in Anspruch zu nehmen, so ist er darum auch verpflichtet, sie nach allen Seiten hin zu leisten. Es wäre nun also der Punkt der geistigen Entwickelung zu suchen, wo die Sprache hervorbricht. Um diesen zu finden, müßten wir die ganze Leiter dieser Entwickelung von der un- tersten Stufe an verfolgen und darauf achten, auf welcher Stufe die Wirksamkeit und eine Leistung der Sprache sichtbar wird. Ihr Ursprung müßte zwischen den letzten Punkt, auf welchem sie noch ruht, und den ersten, auf welchem sich ihr Einfluß zeigt, in die Mitte fallen. Hierbei hätten wir uns aber davor zu hüten, die Wirksamkeit der Sprache da schon zu erkennen, wo sie noch nicht ist; da noch nicht, wo sie schon ist; und da immer noch, wo sie schon wieder ruht; und auch davor hat man sich in Acht zu nehmen, daß man ihr Wirkungen zuschreibt, die sie gar nicht haben kann. Um dieser Gefahr zu entgehen, ist eine längere psycholo- gische Entwickelung nothwendig oder mindestens rathsam. Um die Leistung der Sprache sicherer zu erkennen, die doch in das ganze Räderwerk des geistigen Mechanismus angemessen eingrei- fen muß, haben wir überhaupt die Entwicklungsweise des Gei- stes, den in ihr waltenden Trieb, das in ihr liegende Streben genauer zu beobachten; wir müssen Analogien zu gewinnen su- chen zwischen den einzelnen Fortschritten des Geistes durch Vergleichung derselben mit einander, um durch diese Analogien das zu unterstützen, was wir bei dem Auftreten und Wirken der Sprache zu entdecken meinen. So erkennen wir gewisser- maßen einen Ausgangs- und einen Zielpunkt des geistigen Gan- ges und also eine Linie, in welcher auch der Quellpunkt der Sprache liegen muß. Ferner aber haben wir die untern Entwicklungsstufen der Seele nicht sowohl überhaupt und an sich darzulegen, als viel- mehr nur zu zeigen, in wie fern in ihnen die Keime und Vor- bereitungen zur Sprache liegen. Und so zerfällt diese Unter- suchung über den Ursprung der Sprache von selbst in drei Theile; denn wir haben zuerst die Anlage zur Sprache in dem Zustande des Menschen, der ihr vorangeht, zweitens das Hervorbrechen der Sprache und drittens die weitere Entwickelung derselben zu betrachten. Der erste Theil umfaßt also das embryonische Leben der Sprache, der zweite ihre Geburt, der dritte ihr Wachsthum. a ) Vorbildung und Anlage der Sprache im Men- schen . Die Sprache zeigt sich darin als recht eigenthümliche Schö- pfung des Menschen, daß sie weder bloß dem Geiste, noch bloß dem Körper angehört; sondern aus dem ganzen einheit- lichen Wesen des Menschen entspringend, wie der Mensch selbst, Einheit von Körper und Geist ist und auf der Verbindung der menschlichen Seele mit dem Leibe beruht. Weil sie auf die- ser Verbindung beruht, ist sie doppelseitig vorgebildet: in der Seele und im Körper, und besonders in den Punkten, wo der Leib sich in den Dienst der Seele begiebt, sich vergeistigt, und wo die Seele, aus sich heraustretend, in den Körper bewegend eingreift. Das Erste, das wahrhaft Thätige und Regierende, bleibt natürlich die Seele, und so beginnen wir mit ihrer Ent- wickelung. §. 86. Stufen des Seelenlebens vor dem Entstehen der Sprache. Die erste Aeußerung des Seelenlebens liegt im Gefühl, welches von der Empfindung zu unterscheiden ist. Die nie- drigsten Thierarten dürften leicht bloß Gefühl ohne Empfindung haben. Ersteres hängt von den Nerven und dem Gehirn oder Centralorgan ab, letztere von den Sinnesorganen. Das Gefühl ist überall im Körper, wo Nerven sind, wenn diese mit dem Centralorgan in unverletztem Zusammenhange stehen; die Em- pfindung verlangt zu ihrer Wirksamkeit eine ganz besondere Einrichtung, einen Sinn, wie wir deren fünf haben. Den fünften Sinn nennt man Gefühl; man muß aber auch diesen Gefühls- sinn, wie man ihn genauer bezeichnen könnte, vom Gefühl un- terscheiden; und das ist nicht schwer. Der Gefühlssinn, auch Tastsinn genannt, unterscheidet zuerst Bestimmungen der Ober- fläche der Körper, das Glatte und Rauhe, Harte und Weiche, Stumpfe und Spitze oder Scharfe, auch die räumliche Ausdeh- nung und Form, das Dicke und Dünne, Breite und Schmale, das Eckige und Runde — wie das Auge; und der Tastsinn ist ein grober Gesichtssinn, aber eben darum für die Erkenntniß wichtiger, als Geruch und Geschmack. Er lehrt auch Gewichts- bestimmungen, das Schwere und das Leichte, und Temperatur- Unterschiede, also das Warme und Kalte. Der Unterschied zwischen Gefühlssinn und Gefühl ist nun folgender. Wer die Hand — oder überhaupt den Körper — dem Feuer nahe bringt, der hat vermöge des Gefühlssinnes die Empfindung der Wärme; wer sie aber ins Feuer selbst, in die Flamme, steckt, glühendes Eisen berührt, in siedendes Wasser taucht, der fühlt einen Schmerz, der nichts mehr mit der Wahr- nehmung der Wärme gemein hat. Wenn man Schnee berührt, so nimmt man Kälte wahr; wenn man aber die Hand längere Zeit strenger Kälte aussetzt, so schmerzt sie eben so, als wäre sie gebrannt. Lust und Unlust, angenehm und unangenehm, das sind die beiden allgemeinen Kategorien des Gefühls. Es beruht auf sub- jectiven Zuständen, Veränderungen, Leiden, Förderungen des eigenen Körpers. Der Gefühlssinn dagegen, wie alle Sinne, lie- fert durch die Empfindungen Erkenntnisse von äußern objec- tiven Verhältnissen, welche Wahrnehmungen immer noch mit ei- nem Gefühl des Angenehmen und Unangenehmen verbunden, von ihm begleitet sein mögen. Der kranke Finger erregt nur das Gefühl des Schmerzes, liefert aber keine Erkenntniß mehr, ist empfindungslos; was er auch berührt, alles reizt ihn in glei- cher Weise schmerzhaft, und nicht bloß unterscheidet er nicht mehr Warmes und Kaltes, Stumpfes und Scharfes, sondern er erkennt überhaupt nichts Aeußeres, weiß gar nichts vom Aeu- ßeren, hat kein Object, sondern bleibt in sich versenkt. Wenn ein krankes Glied gestochen oder geschnitten wird, so wird nur der Schmerz gefühlt; aber das stechende, schneidende Instru- ment wird nicht empfunden. Bei den übrigen Sinnen ist die Unterscheidung von Gefühl und Empfindung noch leichter. Das Sehen und ein Schmerz oder sonstiges Gefühl im Auge, das Hören und ein Schmerz im Ohre können nicht mit einander verwechselt werden. Auch entspricht diesem Unterschiede zwischen Gefühl und Empfindung die physiologische Organisation. Denn nicht bloß das Gesicht, Gehör u. s. w. verlangt ein besonderes Organ, son- dern auch der Tastsinn. Ein gesunder Nerv giebt dem Finger wohl Gefühl, aber noch nicht Empfindung; dazu gehört eine besondere Veranstaltung in der Haut. Gefühlsnerven sind überall im Körper, Tastnerven nur auf der Oberfläche des Körpers, in der Haut, und besonders zahlreich in den Lippen und Finger- spitzen. Sobald also im Finger die Organe der Empfindung abgestorben, zerstört oder überreizt, kurz irgendwie unthätig gemacht worden sind, so bleibt das Gefühl noch immer leben- dig; daher das Schmerzgefühl da eintritt, wo die Gefühlsem- pfindung aufhört. Wenn also den untersten Thieren die Sinnes- organe fehlen, so mögen sie noch immer das Licht, den Schall als ein Gefühl dunkel wahrnehmen, aber die Empfindungen der Farbe, des Tons können sie nicht haben. Betrachten wir nun die Art und Weise, das innere Wesen dieses Fortschrittes vom Gefühl zur Sinnesempfindung: so zei- gen sich hier schon alle wichtigen Punkte, auf denen überhaupt aller Fortschritt der Seelenentwicklung beruht. Gehen wir aus von dem wesentlichsten, auch schon ausgesprochenen, Unter- schiede, daß das Gefühl nur einen subjectiven Zustand andeu- tet, die Sinneserregung aber Erkenntniß eines Aeußern gewährt, das sich allmählich zur geistigen oder ideellen Construction ei- ner Außenwelt entwickelt. Worauf beruht dies? Unser Tast- sinn sagt uns, ob ein Werkzeug scharf oder stumpf oder spitz ist; dringt aber das Werkzeug in den Finger ein, so haben wir einen Schmerz, der an sich nicht über die Eigenschaft des schmerzerregenden Mittels belehrt. Wir fühlen, ob die uns um- gebende Luft warm oder kalt ist; aber ein wundes Glied, das, der Luft ausgesetzt, schmerzt, kennt nur diesen Schmerz und weiß nichts von der Luft. Der augenscheinliche Unterschied besteht hier darin, daß beim Gefühl das Leiden des Körpers oder die Einwirkung von außen auf denselben heftiger, gewalt- samer, eindringender ist. Der Nerv wird verletzt und nicht so- wohl erregt, als gestört, oder vielmehr zerstört. Was ihm hier widerfährt, ist ihm fremd, seiner Bestimmung nicht angemessen. Gegen so rohes Anpochen von außen zieht sich die Seele in sich zurück, schließt sich in sich ein; sie ist — auch in der Lust — überwältigt, unterjocht vom Aeußern, und weiß nicht, wie ihr geschieht. Das Aeußere lastet auf der Seele, unter- drückt ihre Thätigkeit, gebietet ihr Schweigen; und die Seele erwidert hierauf nur mit einem Gefühl, wodurch sie bloß ihr Dasein geltend macht. Bei der Sinnesempfindung im Gegentheil ist es nur eine Berührung, die der Leib von außen erfährt. Es ist ein einladendes Anklopfen, welches die Seele herauslockt. Die Organe werden aus der Ruhe, dem Müßiggange geweckt; indem ihnen ein angemessener Stoff in angemessener Stärke naht, werden sie erregt, in die Bewegung versetzt, zu der sie geeignet sind. Der von außen kommende Andrang versetzt sie in ihr wahres Leben, überwältigt sie nicht. Diese Schwäche des äußern Andranges ist nöthig. Daher kommt es, daß das Auge den Dienst versagt, selbst wenn ihm der angemessene Stoff, Licht, geboten wird, nur in zu großer Stärke. Und da- her hat ferner nicht bloß das Embryo, sondern auch das neu- geborene Kind bloß Gefühl und noch keine Empfindung: weil für dessen Organe selbst die normale Stärke der äußern Ein- drücke noch zu mächtig ist. Seine Organe müssen sich erst kräftigen und Licht und Luft ertragen, und so empfinden lernen. Mit diesem ersten Punkte ist nun auch schon ein zweiter gegeben. Ist in der Empfindung, wie wir so eben sagten, der Andrang von außen schwächer, als im Gefühl, so ist umgekehrt auch die Gegenwirkung der Seele in jener größer, als in die- sem. In der Empfindung findet zwischen dem Organ, oder der Seele, und dem erregenden Aeußern ein freundschaftlicher Ver- kehr zweier gleich starker Mächte Statt, bei welchem die Seele nicht bloß leidet, sondern auch thätig ist. Sie bewahrt ihre Selbständigkeit und empfängt von außen etwas, was sie, es umbildend, sich assimilirt und aneignet. Auf Anregung von außen erzeugt sie ein rein seelisches Gebilde, das bloß ihr an- gehört und eben den Inhalt der Empfindung ausmacht. Die Empfindung einer Farbe, eines Tones, der Säure u. s. w. hat keine Aehnlichkeit mit dem Aeußern, auf dessen Anregung die Seele diese Empfindungen erzeugt. Im Verhältniß zum Gefühle, wo die Seele gänzlich unterworfen ist, kann man sagen, daß sie bei der Empfindung schon frei sei. Im Gefühl ist die Seele le- diglich, um negirt zu werden — ein Beispiel, wenn man will, für die Hegelsche Identität des Seins und Nichtseins —; denn im überwältigenden Gefühle erweist sich das Sein der Seele, in- dem sie sich verletzen, unterjochen läßt, also in negativer Weise: in der Sinneswahrnehmung erweist sich die Seele positiv, schö- pferisch, aus Fremdem und Eigenem eine eigenthümliche, ihr gehörende Einheit gestaltend. Hier ist der Anfang der Frei- heit, der Anfang zur Handlung. Weil nun also, drittens, die Seele in der Empfindung selb- ständig auftritt, etwas ihr Eigenthümliches schafft, also ohne vom Aeußern unterjocht zu werden, vielmehr das Aeußere sich aneignet: so lernt sie auch bald sich vom Aeußern scheiden, sich ihm entgegenstellen; sie beginnt, sich zum Selbst zu bil- den, welchem sie die Außenwelt gegenüberstellt. Dies ist das Wesen der Erkenntniß, die Scheidung von Subject und Object. So schwach auch zunächst diese Scheidung und Ent- gegensetzung ist: der Keim ist gegeben, der sich unaufhaltsam fortentwickelt, wenn er die gehörigen Nahrungsmittel findet. Wir haben hier den Unterschied zwischen Gefühl und Em- pfindung mehr bloß dargestellt in der Weise, wie er sich zeigt, als angegeben, wie und wodurch er bewirkt ist. Letzteres ist keine leichte Aufgabe; sie macht den Psychologen viel zu schaf- fen. Wir aber, glaube ich, können hier davon absehen. Wir wollen nur ein paar wesentliche Punkte hervorheben, in denen wir ein Prototyp für alle Entwickelung zu erkennen meinen; hierbei haben wir auf einige physiologische Einrichtungen hin- zuweisen, welche die Empfindungserkenntnisse ermöglichen. Wir sehen die Empfindung als eine Entwickelung des Gefühls an, die aber deutlich einen physiologischen Boden hat. Das Gefühl — wir reden natürlich hier nur vom sinnlichen Gefühl — ist nichts als überhaupt ein bewußt gewordener Ein- druck des Aeußern auf die Seele. Hierbei tritt nicht bloß die Seele lediglich als ein unbestimmtes Dasein auf, welches sich als daseiend erweist, indem es gegen den erfahrenen Druck von außen einen seinem Wesen angemessenen Gegendruck ausübt — und dieser Gegendruck ist eben der Inhalt des Gefühls —; sondern auch die Außenwelt wirkt hier eben so bloß als ein unbestimmtes, ununterschiedenes Etwas. Es ist hierbei noch nicht einmal ein Unterschied vorhanden zwischen der Außen- welt und dem Leibe der Seele; der eigene Leib ist hier auch noch das Aeußere. Denn es ist für das Gefühl ganz gleich- gültig, ob ein Brand im Leibe durch ein nahes Feuer von au- ßen, oder durch einen rein innerhalb des Leibes beschränkten Vorgang entstanden ist. Auch existirt ja hier selbst der Un- terschied zwischen Seele und Aeußerm nur für uns, die Betrach- tenden, aber noch nicht für die Seele selbst. Der Charakter des Gefühls ist also ungeschiedene Einheit, Bestim- mungs- und Formlosigkeit . Die Factoren im Gefühl, Seele und Aeußeres, sind in einander vermischt, und jeder Factor in sich einheitliches, unterschiedsloses, ungeformtes Wesen. Dies zeigt sich auch so, daß der ganze Leib in allen seinen Theilen ohne Unterschied der Seele dieselben Gefühle giebt. In der Empfindung tritt nun zuerst Unterscheidung, Be- grenzung auf, und zwar zunächst als räumliche Begrenzung, Lo- calisirung. Die Empfindung also, möchten wir zuerst definiren, ist ein localisirtes Gefühl . Die Sinnesnerven sind wahr- scheinlich gar nicht specifisch von einander verschieden; ihre specifisch verschiedene Thätigkeit, daß sie nicht Schmerz- oder Lustgefühl geben, sondern dieser eine Gesichtsempfindung, der andere eine Geschmacksempfindung, hängt vermuthlich bloß von der bestimmten Stelle ab, welche sie im Leibe einnehmen, von den Bedingungen der Umgebung, der Einfassung, der nahe her- umliegenden leiblichen Gebilde. Der Tast- oder Gefühlssinn scheint zwar wenig localisirt, im Verhältniß zu den andern Sinnen. Man sieht nur an dem einen Orte, wo der Gesichts- nerv ist; man hört nur an dem einen Orte, wo der Gehörnerv liegt; aber man hat Tastempfindungen, Gefühlsempfindungen, an der ganzen Oberfläche des Leibes, überall an der Haut, mit größerer oder geringerer Feinheit, je nach dem Orte. Aber eben ein Sinn, der in der Haut sitzt, ist schon localisirt gegen das Gefühl, das überall im ganzen Leibe ist; und selbst in der Haut ist der Gefühlssinn doch nur an einigen Punkten so entwickelt und fein, daß er bestimmte Empfindungserkennt- nisse geben kann. Diese Localisirung zeigt sich auch darin, daß die Einwirkung auf einen als Sinnesnerven localisirten Ner- ven auf denselben beschränkt bleibt, während ein in einem Ge- fühlsnerven erregtes Gefühl weit über den Leib ausstrahlt. Ist irgend ein Punkt des Leibes verletzt, so dehnt sich das schmerz- hafte Gefühl weit über die verletzte Stelle aus; die schmerzende Gegend ist ungleich größer, als die Wunde. Der Sehnerv aber z. B. theilt seine Lichterregung keinem andern Nerven mit; und betasten wir mit der Fingerspitze die beiden Spitzen eines Zir- kels, so können diese letztern sehr nahe an einander stehen, und die Empfindung wird sie doch als zwei Spitzen von einander unterscheiden, weil jede Spitze besonders von einem Tastorgan empfunden wird, und die Empfindung des einen Organs nicht auf das andere ausstrahlt und übergeht, sondern die Empfindung jedes kleinen Organs auf sich beschränkt bleibt. Mit dieser räumlichen, physiologischen Begrenzung der Em- pfindung ist nun die innere Begrenzung des seelischen Empfin- dungsinhaltes gegeben. Auf eine so bestimmt begrenzte Einwir- kung von außen auf die Seele, wie sie in der Sinnesempfindung vorliegt, antwortet die Seele in einer eben so begrenzten und bestimmten Weise, und das liefert den specifischen Inhalt der Empfindung, eine Farbe, einen Geschmack u. s. w. Die Seele setzt nicht mehr, wie im Gefühle, dem Eindrucke von außen ihr ganzes ungetheiltes Dasein entgegen, sondern nur eine be- stimmte Seite desselben, eine bestimmte Weise ihrer reagiren- den Thätigkeit. Es ist ein ganz isolirter Punkt des Leibes, von dem aus sie erregt wird: also antwortet sie auch mit einem ganz isolirten seelischen Erzeugnisse. Auf die Dumpfheit und Verworrenheit des äußern Andranges im Gefühl konnte sie nur eben so dumpf und verworren erwidern. Jedoch die bloße Localisirung und Isolirung des äußern Eindruckes genügt noch nicht, um die volle Bestimmtheit einer Empfindung zu erklären. Es tritt noch etwas hinzu, was schon angedeutet ist, die bestimmte Form des Sinnesorgans . Die volle Scheidung verlangt, um nicht rein negativ, bloße Ab- sonderung zu bleiben, noch ein positives Princip, die Formung . Die eigenthümliche Form jedes Sinnesorgans leiht seiner Em- pfindung einen besondern Inhalt, und diese Form ist es erst, welche diesen bestimmten Empfindungsinhalt aus der unbestimm- 16 ten Allgemeinheit des Gefühls heraushebt. Die wundervolle Or- ganisation des Auges und des Ohres bewirkt, daß die zum Ge- sichts- und Gehörnerven dringenden Eindrücke nicht bloß als allgemeine dunkle Gefühle wahrgenommen werden, sondern als bestimmte Empfindungen eine Erkenntniß geben. Geringere Stärke des sinnlichen Eindruckes und größerer Widerstand der Seele, und dann ferner eine gewisse Thätigkeit, weniger Leiden, schon ein Keim der Freiheit der Seele: diese beiden Punkte hatten wir als die unterscheidenden Merkmale der Empfindung im Gegensatze zum Gefühl kennen gelernt. So- eben haben wir nun Localisirung und Formung als die beiden physiologischen Hülfsmittel erkannt, welche der Seele zur Her- ausarbeitung der Empfindung aus dem Gefühle dienlich sind. Die Beziehung nämlich dieser Mittel zu jenen Unterschieden leuchtet wohl bald ein. Die Localisirung des Organs bedeutet eine Beschränkung des Angriffspunktes. In dem Gefühle tappt die Außenwelt geradezu nach dem Leibe und faßt ihn blind- lings, wie es kommt; in der Empfindung faßt sie ihn an einer bestimmten isolirten Stelle, die als besondere Handhabe dazu geformt ist; und sie faßt ihn hier nur mit einem ihrer Ele- mente, für welches gerade diese Handhabe geeignet ist. Der äußere Andrang ist folglich viel schwächer; der Leib ist in der Empfindung weniger ergriffen, als im Gefühl; er ist der Außen- welt gegenüber freier, selbständiger, weil diese keine Gelegen- heit hat, ihre volle Macht zu entfalten, und er derselben nur einen beschränkten Angriffspunkt darbietet. Noch wichtiger aber ist das andere Moment, die Form. Diese bewirkt es, daß die Seele in der Empfindung thätig, ge- staltend ist, also bis auf einen gewissen Grad schon frei, die äußere Einwirkung überwindend und in ein ihrem Wesen ange- hörendes Gebilde umwandelnd. In der Form des Organs liegt das Mittel, wodurch die Herrschaft über den Andrang der Ele- mente gewonnen wird. Denn die Form bestimmt durch sich und sich gemäß das Element, welches eindringen soll, und den Eindruck des Elementes schon im voraus. Die Form des Au- ges, des Ohres, des Geruchs-Organes hält von dem empfinden- den Nerven alle fremdartigen, diesen Sinnen unangemessenen Eindrücke ab, und gestattet selbst den Elementen, für welche der Sinn organisirt ist, nur dergestalt den Zutritt, wie es für die Empfindung am vortheilhaftesten ist, die Berührung des Ner- ven mit dem Elemente bald abschwächend, bald verstärkend. Um zu sehen, wie sicher und fest diese Vorausbestimmung ist, welche der Eindruck des Elements auf das Organ durch die Form des Organs erfährt, braucht man sich nur daran zu erin- nern, daß der Gesichts- und Gehörsnerv nicht bloß durch Licht- und Tonwellen zur Erzeugung von Licht- und Tonerscheinun- gen veranlaßt werden, sondern auch durch jeden mechanischen Stoß und Druck z. B., auch durch den elektrischen Schlag. Es ist bekannt, daß jeder Druck auf den Sehnerven die subjective Empfindung des Glanzes erzeugt. Bei solchem Leuchten ist freilich das Auge nicht im Stande objectiv Dinge zu sehen, ei- nen äußern Gegenstand wahrzunehmen, was doch das Wesent- liche der Gesichtsempfindung ist; aber jenes subjective Sehen, das innerliche Leuchten des Auges beweist, daß das Sehen nicht bloß vom Elemente des Lichts abhängt, sondern durch die Ver- einigung der Kraft des Auges, wie sie durch die Organisation desselben bestimmt ist, mit dem Elemente hervorgebracht wird. Der Leib verfügt also in der Empfindung vermöge der Or- ganisation der Sinne über den Eindruck von außen; er ist mit- hin bis auf einen gewissen Punkt frei. Er bestimmt das Ele- ment, welches er zulassen, und die Weise, wie er es zulassen will, damit es der Empfindung angemessen wirke. Was wir nun hier den in der Empfindung frei gewordenen Leib nennen, das ist vielmehr der in den Dienst der erkennenden Seele ge- tretene Leib. Wir haben aber den wichtigsten Punkt noch nicht erklärt, daß sich nämlich die Seele mit ihrem Leibe der Außenwelt gegenüberstellt, oder daß sie einen Gegenstand sich gegenüber- setzt. Im Gefühle geschieht dies nicht; es ist eine Vereinigung des Leibes mit dem Aeußern, wobei dieses in jenen eindringt, eine Vereinigung beider, wobei die Selbständigkeit des Leibes, selbst der niedrigste Begriff, die inhaltsloseste Form der Selbst- ständigkeit, die Getrenntheit, aufgehoben wird. Im Gefühle kann also die Frage nach der Ursache desselben gar nicht auf- kommen; es giebt hier noch gar keine Unterscheidung eines Bewirkten von einer Ursache, weil noch nicht einmal das Aeu- ßere vom Leibe und der Seele abgesondert, ferngerückt ist. Das Gefühl ist im Körper dauernd, noch nach der Einwirkung von außen, und der Körper trägt es mit sich herum, wenn er sich bewegt, ohne davon loszukommen. Das Gefühl gehört zum 16* Körper, macht gewissermaßen einen Bestandtheil desselben aus und ist nicht ablösbar von ihm. Wie sollte also im Gefühl die Seele veranlaßt werden, über den Körper in irgend einer Weise hinauszugehen? Das Gefühl beschäftigt die Seele völlig, nimmt sie ganz in Anspruch, hält sie gefangen; wie könnte sie vom Körper absehen? — Ganz anders in der Empfindung. Diese haftet nur am Körper, wie sie nur durch eine Berührung des Organs mit dem Elemente erzeugt ist. Sie geht schnell vor- über, sobald die äußere Erregung vorüber ist. Sie geht vor- über, sobald sich der Körper von dem erregenden Elemente ab- wendet; sie wird stärker und schwächer, je nachdem sich der Leib dem Elemente mehr nähert, oder von ihm entfernt. Dabei ist Leib und Seele von der Empfindung weniger ergriffen, und die Seele bleibt ihrer mächtig. Man sieht also z. B. in diesem Augenblicke die blaue Farbe; man wendet den Kopf und sieht die grüne Farbe. Jetzt verschiebt sich aber das Ding und man sieht wieder Blau. Man hört einen Ton, man hört ihn stärker oder schwächer, je nachdem man das Ohr nähert oder entfernt. Das Tönen hört auf, und man vernimmt nichts mehr, obgleich der Körper sich nicht verändert hat; das Tönen dauert fort, aber man entfernt sich und hört immer schwächer und schwä- cher und endlich gar nicht mehr. Oder man hört zunächst nichts, bleibt ruhig und hört nun plötzlich; man schreitet vor und hört immer stärker, bis man der tönenden Ursache ganz nahe ist; oder man ruht und hört dennoch stärker, weil die tö- nende Ursache sich nähert. Solche Erscheinungen, die sich in Fülle, jeden Augenblick darbieten, sind wohl im Stande, Auf- merksamkeit zu erwecken. Die Seele merkt, daß die Empfin- dung nicht im Zusammenhange stehen kann mit den Bewegun- gen des eigenen Leibes, welche sie selbst leitet; daß sie ihr zukommt ohne Bewegung des Leibes, und trotz derselben; daß sie also nicht im Leibe ist, sondern ihr durch Bewegung von außen zukommt; und so verlegt sie die Empfindung außer sich und scheidet sich von ihr als dem Dinge, welches ihr etwas an- thut, oder scheidet sich, zunächst wenigstens, von der Empfin- dung als etwas Aeußerm, welches ihr angethan oder gegeben wird, das sie nehmen kann. Man greift einen Gegenstand und fühlt seine Glätte oder Rauhheit, man empfindet einen harten oder weichen Stoff; man läßt ihn fallen, und die Empfindung ist vorüber. Die Tastempfindung, schließt jetzt die Seele, freilich unbewußt, gehört also nicht der Hand; sondern kommt der Hand von etwas Aeußerm zu, das sie nun wieder erfaßt, wo- durch sie die gehabte Empfindung erneuert. In der Empfindung also experimentirt die Seele, nach Zufall, absichtslos und unbe- wußt; aber das Ergebniß ist das erwachende Bewußtsein von einer Außenwelt Vergl. Lotze, medicinische Psychologie S. 422, wo Webers schöne Abhandlung über den Tastsinn vervollständigt wird. , oder genauer eine gewußte Außenwelt. Denn noch weiß die Seele nichts von sich, nichts von einem Gegen- satze ihrer selbst zur Außenwelt; sie weiß nur Aeußeres. Im Gefühl aber wußte sie gar nichts. Die Empfindung ist also das erste Wissen oder Erkennen, und dieses ist ein Wissen von Aeußerm; d. h. thatsächlich ist es ein solches Wissen eines Aeußern, obwohl die Seele noch nicht weiß, daß sie dem Aeu- ßern als Inneres gegenübersteht. So viel über Gefühl und Em- pfindung. Verfolgen wir jetzt die Bildung der Seele weiter. Es ist eine wahre Schöpfungsgeschichte, durch welche wir die Seele zu begleiten hätten. Das Erwachen der Empfindung aus dem Gefühl ist ein wahres: und es ward Licht . Das Gefühl ist gegeben; empfinden aber muß man lernen. Hieran knüpfen sich sehr schwierige psychologische Aufgaben. Es ist bekannt z. B., daß man eigentlich nur Flächen sieht; Körper sehen nach ihren drei Ausdehnungen, Raumverhältnisse erkennen, sich an seinem eigenen Leibe zurechtfinden, das muß erst gelernt werden. Denken wir uns nun den empfindenden Menschen. Von allen Seiten strömen die Empfindungen gleichzeitig durch alle Sinne auf ihn ein; er wird von ihnen überfluthet; und so findet er sich jetzt erst recht in einem Chaos, worin nichts unterschie- den ist. Die Empfindungen, obwohl sie durch besondere Pfor- ten in die Seele treten, schmelzen in der Seele, diesem einheit- lichen Wesen, zusammen; und noch ist keine Vorstellung von einem besondern Dinge da. Wie der Fortschritt der Empfin- dung gegen das Gefühl in der Scheidung bestand, so muß nun auch weiter in dem Meere der Empfindungen unterschieden wer- den, damit abgesonderte Gebilde und Gestaltungen hervortreten. Dies geschieht nun hier abermals zunächst durch körperliche Sonderung und Bewegung. Die ganze Umgebung des Empfindenden schmilzt zu einer Einheit zusammen. Von diesem allgemeinen Hintergrunde he- ben sich zuerst die lebenden Wesen hervor, die sich unaufhör- lich im Raume hin und her bewegen und dadurch von allem, was nicht zu ihnen gehört, ablösen. Das Kind sieht Personen und Thiere gehen und kommen; es selbst geht aus den Armen des Einen in die des Andern über. So lernt es jene als beson- dere Einheiten von allem Uebrigen abscheiden. — Die Dinge werden hin und her gerückt; Tische und Stühle stehen bald dort, bald hier. Auf dem Tische steht bald dies, bald jenes, bald gar nichts. Das Kind sieht die Dinge bald liegend, bald weggenommen und bald wieder hingelegt, und nimmt sie selbst in die Hand. So zerreißt also die Einheit des durch die Empfin- dung Wahrgenommenen in so viele Stücke, als die Wirklichkeit selbst sich auflöst. So bekommt das Kind Anschauungen von Dingen . Sieht es dann auch noch den Tisch aus einan- der gelegt, die Decke abgenommen, die Füße losgelöst: so zer- legt sich die Anschauung des Tisches von neuem in eben so viele und eben solche Anschauungen, als der Tisch in Theile zerlegt ist, und es erhält zugleich die Anschauung der Thätig- keiten des Auseinandernehmens und Zusammensetzens. Soviel lernt ein Kind im ersten und zweiten Jahre, und so stehen wir hier schon an der Schwelle der Sprache. Die Sprache ist aber nicht reine geistige Thätigkeit, son- dern zugleich eine leibliche, und zwar so, daß leibliche und geistige Thätigkeit eng an einander geknüpft sind. Es ist da- her nöthig, über den Zusammenhang zwischen Seele und Leib einige für die Sprachschöpfung wichtige Punkte vorauszuschicken. Vergegenwärtigen wir uns zuerst die Thatsachen, die für un- sern Zweck Interesse haben. Wir entlehnen sie dem berühm- ten Werke J. Müllers : Handbuch der Physiologie des Men- schen. Worauf es uns hier ankommt, das sind die Erscheinun- gen, welche man als Association und Reflexion von Vor- stellung oder Empfindung und Bewegung bezeichnet hat. §. 87. Reflexion und Association von Seelenthätigkeit und Körper- bewegung. Mit dem Namen Association bezeichnet man die Erschei- nung, daß etwas Empfundenes oder Gefühltes oder Gedachtes, welches mit einem andern Seelenerzeugnisse in irgend eine Ver- bindung gesetzt war (weil sie gleichzeitig oder dicht nach ein- ander statthatten, oder weil beide eine gewisse Aehnlichkeit oder eine andere äußere oder innere Beziehung zeigen), durch seine Reproduction bewirkt, daß auch das andere zugleich mit repro- ducirt wird; oder daß eine Bewegung zugleich noch eine an- dere erzeugt, sei es aus Ungeschicklichkeit oder Gewohnheit; oder daß ein Gedachtes und eine Bewegung sich gegenseitig hervorrufen, und zwar ohne Willen und bewußte Absicht. Un- ter Reflexion versteht man die Erscheinung, daß eine Ner- venerregung, die zum Gehirn oder Rückenmark geleitet worden ist, daselbst nicht endet, sondern von da aus auf andere Nerven übergeht. Reflexion ist also z. B. die Uebertragung der Erre- gung eines Empfindungsnerven vermittelst des Gehirns auf ei- nen Bewegungsnerven. Sie thut sich dadurch kund, daß auf gewisse Empfindungen oder Bewegungen nach dem Gesetze der Nervenmechanik unausbleiblich noch eine andere Bewegung er- folgt. Diese Uebertragung geschieht allemal ohne Absicht, oft gegen die Absicht, nach bloßen Naturgesetzen. Die Associa- tion der Bewegung sowohl mit andern Bewegungen, als mit Vor- stellungen mag von der Uebertragung nicht immer bestimmt zu unterscheiden sein. Im Allgemeinen aber wird es genügen zu bemerken, daß die Association ursprünglich zwar ebenfalls be- wußtlos geschieht, aber durch Absicht eben so wohl entwickelt, als auch aufgehoben werden kann; daß sie nicht unvermeidlich ist, sondern durch Zufall und Absicht erzeugt und gestört wer- den kann. Associationen sind oft nur übele Angewohnheiten, welche bei höherer Bildung nicht vorkommen. Leute, deren Hand leichter den Pflug und ein Gespann, als die Feder regiert, verzerren beim Schreiben das Gesicht gar wunderlich. Ueber- haupt bewegt der Ungebildete immer Massen von Nerven oder Gliedern, während der Gebildete gelernt hat, nur das jedesmal nothwendige Glied zu bewegen. Die Associationen sind theils nützlich und zweckmäßig, theils unnütz und zweckwidrig; er- stere hat man sich anzueignen, von letztern sich loszumachen. Das Klavierspiel und jedes geschickt geübte Handwerk liefert Beispiele von abgewöhnter und angelernter Association, von iso- lirter und combinirter Seelenerregung, die zur zweiten Natur geworden sind. Die Uebertragung dagegen, die weder gelernt, noch abgewöhnt wird, scheint auch immer zweckmäßig zu sein, selbst in den Fällen, wo sie unnütz erscheint, weil eine zu große fremde Gewalt den Zweck nicht erreichen läßt. Soviel im All- gemeinen. Nun einiges Nähere, wobei uns besonders die Ver- bindung und Uebertragung eines Gedachten, Vorgestellten mit und auf eine Bewegung von Wichtigkeit ist. Müller (a. a. O. II, S. 89.) sagt hierüber: „Gewisse Gruppen der Muskeln des animalischen Systems sind beständig in einer Disposition zu unwillkürlichen Bewegun- gen wegen der Leichtigkeit der Affection ihrer Nerven, oder vielmehr der Reizbarkeit der Hirntheile, von welchen sie ent- springen. In diesem Falle befinden sich alle respiratorischen Nerven, den Nervus facialis eingeschlossen … Die Zustände der Seele können die Entladung des Nervenprincips nach den Athemmuskeln bedingen. Jeder schnelle Uebergang in den Zu- ständen der Seele ist im Stande eine Entladung nach diesen Nerven von der Medulla oblongata aus zu bewirken. Das Sen- sorium wirkt hier gerade so, wie der einzelne Nerv, in dem jede schnelle Veränderung seines Zustandes, auf was immer für eine Art, das Nervenprincip in Thätigkeit setzt. Hiernach ist es zu beurtheilen, daß selbst ohne alle Leidenschaft ein so schnel- ler Uebergang der Vorstellungen, wie er bei dem Eindruck des Lächerlichen stattfindet, jene Entladung bewirkt, die sich dann in den Gesichtsmuskeln und Athemmuskeln äußert. — Hierher gehört auch das Gähnen, insofern es durch die Vorstellung des Gähnens oder durch das Hören oder Sehen des Gähnens ver- anlaßt werden kann. Die Disposition zu den respiratorischen und Gesichtsbewegungen des Gähnens ist nämlich dann schon vorher da gewesen; sie tritt in Erscheinung, indem durch die Vorstellung die Bewegung des Nervenprincips die bestimmte Di- rection erhält. Auch bei dieser Bewegung wirken die Respira- tionsnerven und der N. facialis.... Plötzlich hervorgerufene Vor- stellungen von furchtbaren oder verabscheuungswürdigen Gegen- ständen erregen, auch wenn sie durch bloße erdichtete Erzäh- lungen hervorgerufen werden, bei reizbaren Menschen zuweilen die Muskelbewegung des Schauders, und dasselbe geschieht zu- weilen bei der bloßen Vorstellung eines ekelhaften Arzneistoffes; ja die Vorstellung eines ekelhaften Geschmackes kann sogar Vo- miturition hervorbringen.“ Wir sehen also hier ein Doppeltes oder Dreifaches. Vor- stellungen einer Bewegung erzeugen absichtslos die wirkliche Ausführung der vorgestellten Bewegung; sie erzeugen ferner die Gefühle, welche das wirkliche Vorhandensein des vorgestellten Dinges oder Vorganges erzeugen würde, und diese bloß durch Vorstellungen verursachten Gefühle erzeugen, wie die auf die Wirklichkeit begründeten Gefühle, neue Bewegungen. Für alles dies finden sich in dem genannten Werke noch viele lehrreiche Beispiele und Betrachtungen, von denen wir noch einiges mit- theilen. Zuschauer beim Fechten begleiten die Streiche mit leisen unwillkürlichen Bewegungen ihres Körpers. Ferner: „ Che- vreul hat die Tendenz zu Bewegung, die durch Vorstellung von Bewegungen entsteht, aufgeklärt und an einem verwickelten Fall, nämlich an den Schwingungen eines mit der Hand gehal- tenen Pendels erläutert. Die Bewegung des Pendels bei schein- bar unbewegtem Arme wird nämlich nach seinen Untersuchun- gen durch eine unbewußte leichte Muskelbewegung ausgeführt, in die man unwillkürlich geräth, wenn man, indem man das Pendel hält, zugleich darauf sieht, die aber bei verbundenen Augen wegfällt“. An einer andern Stelle heißt es (I, S. 729): „Ist auch ein Empfindungsnerv“ (hier wird der von uns oben gemachte Un- terschied zwischen Gefühl und Empfindung nicht beachtet; letz- teres Wort bedeutet hier beides) „für gewöhnlich nicht im Stande, eine reflectirte Bewegung hervorzurufen, so tritt sie doch bei einiger Heftigkeit der Empfindung sogleich auf, und das Rücken- mark und Gehirn reflectiren dann die von Seiten der Empfin- dungsnerven erhaltene Strömung oder Schwingung in diejenigen motorischen Nerven, zu welchen die Leitung von jenen Empfin- dungsnerven durch die Fasern des Gehirns und Rückenmarkes am leichtesten ist“. Und schon vorher hieß es (S. 728): „Die großen Sinnesnerven sind vorzüglich geneigt, reflectirte Bewe- gungen der motorischen Gehirnnerven zu verursachen, und na- mentlich der N. opticus und acusticus; beide bewirken bei grel- lem Lichte und starkem Schall eine reflectirte Erregung des N. facialis und dadurch Schließen oder Blinzeln der Augenlider“. II. S. 562 ff. ist ausführlich die Rede von den „Wirkungen der Vorstellungen und Strebungen auf den Organismus“, „welche an das Wunderbare grenzen“. Wir entnehmen von dem dort Gesagten nur Folgendes. Die Vorstellungen erregen die Sinne, so daß man glaubt zu sehen, was man nur vorstellt: dies sind die Phantasmen und Hallucinationen. Ferner (S. 561): „Bei Vorstellungen von Zuständen, die durch ein bestimmtes Organ ausgeführt werden, entsteht ein Strom nach diesem Organ, sei es ein Muskel oder eine Drüse“. So läuft das Wasser im Munde zusammen bei der Vorstellung einer angenehm schme- ckenden Speise. Lüsterne Gedanken erregen die Geschlechts- theile. „Die Wirkung einer Vorstellung auf Bewegung erfolgt noch leichter, als auf die Sinne. 1) Der Entschluß zu einer Bewe- gung setzt die ihr entsprechenden Hirnfasern in Thätigkeit, und sie wird ausgeführt, in wie weit es durch das System der Cere- bro-Spinalnerven geschehen kann“ (dies sind nämlich die Ner- ven der willkürlichen Bewegung). „2) Die Vorstellung einer Bewegung bewirkt einen Strom nach dem Organ der Bewegung, und führt sie ohne Willen aus. Dies ist hier ganz dasselbe, als die Ausführung einer Vorstellung in der räumlichen Ausdehnung des Sinnesorgans. Dahin gehören die ohne den Willen nach- geahmten Bewegungen des Gähnens, Lachens, Seufzens, der Krämpfe beim Sehen derselben. Die mimischen Bewegungen sind gemischte Erscheinungen, bei denen willkürliche Darstel- lungen mit einlaufen. 3) Plötzliche, ganz leidenschaftslose Ver- änderungen der Vorstellungen, welche vollkommen objective Ver- hältnisse betreffen, können unwillkürliche Bewegungen hervor- rufen, wie die Bewegung des Lachens. Dahin gehört der plötz- liche Widerspruch zweier Vorstellungen oder die überraschende Auflösung eines Widerspruchs“. Die Association der Bewegung und Vorstellung scheint, wie schon bemerkt, nicht immer bestimmt von der Reflexion getrennt werden zu können; die Association beruht vielleicht auf einer ursprünglich schwachen Reflexion, die aber theils aufgehoben, theils durch häufiges Eintreten verstärkt wird. Müller sagt (II, S. 104): „Die Verkettung der Vorstellungen und Bewegungen kann so innig werden, wie die der Vorstellungen unter sich, und hier ist es in der That der Fall, daß, wenn eine Vorstellung und Bewegung oft verbunden gewesen sind, die letztere sich oft unwillkürlich zu der erstern gesellt. Durch diese Verkettung geschieht, daß wir bei einer drohenden Bewegung vor den Au- gen, selbst beim Herabfahren der Hand eines Andern vor unsern Augen, unwillkürlich die Augen schließen; daß wir uns ange- wöhnen, gewisse Vorstellungen nicht ohne gewisse Gesticulation auszusprechen; daß wir unwillkürlich nach einem uns entfallen- den Körper mit den Händen hinfahren; überhaupt je häufiger Vorstellungen und Bewegungen willkürlich zusammen vorkom- men, um so leichter werden letztere bei dem Anlaß der erstern mehr durch Vorstellung, als durch Willen bestimmt oder dem Einflusse des Willens entzogen … Die Verkettung der Vorstel- lungen und Bewegungen scheint darauf hinzudeuten, daß bei jeder Vorstellung eine Bewegungstendenz im oder nach dem Ap- parate ihrer Darstellung durch Bewegung entsteht, eine Tendenz zu Bewegungen, die durch Uebung und Gewöhnung einen sol- chen Grad der Leichtigkeit erhält, daß die in gewöhnlichen Fällen bloße Disposition jedesmal in Action tritt.“ In den zu- letzt angeführten Fällen ist jedoch das Verhältniß noch ein an- deres, als beim Gähnen und Nachahmen des Fechtens; denn man ahmt nicht die gesehene Bewegung vor dem Auge nach, eben so wenig wie das Fallen eines Dinges; sondern man thut etwas ganz anderes, was an sich mit dem Anblick jener Bewe- gung nicht im Zusammenhange steht. Offenbar schiebt sich hier zwischen den Anblick und die danach ausgeführte Bewe- gung ein Gedanke ein, nämlich der Gedanke des Unheils, wenn die gesehene Bewegung uns träfe, und dann noch ein neuer Ge- danke, nämlich an das Mittel, das vor der drohenden Gefahr schützen könnte. Wir sehen also hier eine Vergesellschaftung dreier Vorstellungen, deren letzte zur Bewegung wird. Die Be- wegung schließt sich nicht unmittelbar an eine Wahrnehmung, sondern erst vermittelst einer Reihe von Gedanken, die aber durchaus unentwickelt bleibt und gar nicht in das Bewußtsein tritt. Eben so sahen wir oben eine Bewegung sich verbinden mit einer Wahrnehmung vermittelst des Gefühls. Denn die Vor- stellung eines ekelhaften Gegenstandes erregt zunächst das Ge- fühl des Ekels und dann die Bewegung des Erbrechens. Was lehrt uns denn nun alles dies? die Entstehung der Sprache? Keineswegs. Die Verknüpfung einer Vorstellung mit einem articulirten Lautgebilde, also mit einer vielfach zusammen- gesetzten Bewegung der Lautorgane, ist durch die dargestellte Verknüpfung der Vorstellung einer Bewegung mit dem Streben, diese Bewegung auszuführen, keineswegs gleichartig. Die Vor- stellung schlagen mag auf die Nerven wirken, welche den Arm heben, die Faust ballen; aber wirkt sie auf die Sprachorgane zur Hervorbringung des Lautes schlagen? Das sind noch zwei sehr verschiedene Wirkungen. Wir haben indeß doch etwas kennen gelernt: nämlich die Verbindung des Gefühls, der Empfindung, der theoretischen See- lenthätigkeit überhaupt mit Bewegungen; und eine solche Ver- bindung liegt unläugbar in der Sprache vor. Wir haben also die Gattung oder Classe kennen gelernt, zu der die Sprache als eine ganz besondere Art gehört. Fahren wir also nur fort, jene all- gemeine Verbindung von theoretischer und practischer Thätig- keit der Seele näher zu betrachten, in ihr Unterabtheilungen und Arten zu unterscheiden. Wir müssen durch immer mehr hinzu- gefügte Bestimmungen endlich die Art finden, die wir suchen. Unter den angeführten Beispielen können wir schon leicht zwei Classen scheiden. Das Nachahmen der Fechtbewegungen, überhaupt das Ausführen einer Vorstellung ist leicht als verschie- den zu erkennen von dem Erbrechen auf eine ekelhafte Vorstel- lung, vom Lachen auf Kitzel oder einen unerwarteten Gedan- ken, vom Weinen und Schluchzen oder Aechzen auf körperlichen Schmerz oder eine Trauer erregende Vorstellung. Denn in die- sen letztern Fällen wird etwas ganz anderes ausgeführt, als was in der Vorstellung liegt, und Bewegung und Vorstellung stehen hier in gar keinem erkennbaren Zusammenhange. Das Gähnen, wenn es durch den Anblick eines Gähnenden entsteht, gehört zur ersten Classe; das ursprüngliche Gähnen als Erfolg der Lan- genweile gehört zur zweiten. Das Lachen gehört ebenfalls zu beiden Classen; denn es entsteht nicht bloß durch Kitzel und Anblick oder Vorstellung des Lächerlichen, als zur zweiten Classe gehörig, sondern auch durch Nachahmung des Lachenden, also als Ausführung der Vorstellung des Lachens, und selbst durch den Gedanken des Nicht-Lachens. Man denke an das Spiel der Kinder, die sich ernsthaft ins Gesicht sehen und in Lachen ausbrechen, gerade weil sie den Gedanken, die Absicht des Nicht- Lachens haben. Die Sprache gehört offenbar in die zweite der beiden obi- gen Classen, wenigstens nach dem, was wir bis jetzt von der Sprache wissen. Ob und inwiefern wir bei näherer Kenntniß des Wesens der Sprache ihre Stellung anders bestimmen, wird sich später zeigen. Für jetzt genügt uns hier die Bemerkung: die Sprache, als Verbindung von Vorstellung und Laut, hat mit den Erscheinungen der zweiten Classe nicht bloß die Aehnlich- keit, daß die mit der Vorstellung oder Empfindung verbundene Bewegung durchaus keine Analogie, keinen Zusammenhang mit der Vorstellung oder Empfindung zeigt, auf welche sie erfolgt; sondern die Sprache zeigt mit jenen Erscheinungen auch noch die nähere Verwandtschaft, daß sie ebenso, wie die andern Be- wegungen dieser Classe, eine Athembewegung ist. Denn die Erzeugung der Sprachlaute, wie das Lachen, Gähnen, Niesen, Aechzen, Stöhnen sind nichts als ein eigenthümlich abgeänder- tes Athmen, welches im ruhigen, leidenschafts- und affectlosen Zustande des Menschen unhörbar, tonlos, vorgeht, durch leiden- schaftliche Erregungen und Affecte aber gestört, gehemmt, tö- nend wirkt und hörbar wird. Tönen und Hörbarkeit könnte also als dritte Aehnlichkeit der Sprache mit den Erscheinungen der obigen zweiten Classe gelten. Die Verwandtschaft der Spra- che mit den letztern ist also wohl klar und sicher. In der er- sten Classe treten wohl auch Athembewegungen auf, aber eben nur unter unzähligen andern Bewegungen. Das Athmen ist hier nicht das Charakteristische. Weil gerade eine Athembewegung vorgestellt, gesehen wird, wird sie ausgeführt, wie es jeder an- dern eben so hätte widerfahren können; und der Zusammenhang mit der Vorstellung ist klar. — Bei den Erscheinungen der zwei- ten Classe bleibt es zwar nicht immer bei einer bloßen Athembe- wegung; sondern es verknüpft sich mit ihr noch manche andere Bewegung. Wenn ein Stein vom Dache vor uns niederfällt, wenn wir plötzlich einen Lärm hören, so fahren wir erschrocken zu- sammen, indem wir ein he ! ausstoßen. Aber die Sprache wird ja gerade ebenso von mancherlei Gesticulationsbewegungen be- gleitet! Und so finden wir hier in einer scheinbaren Unähnlich- keit eine neue Aehnlichkeit. Wird uns nun die reflectirte Athembewegung besonders wich- tig, so wollen wir sie uns auch noch vollständiger zu vergegen- wärtigen suchen. Kempelen ( Le Mécanisme de la parole, Vienne 1791) sagt §. 32: „ Nous savons que tous les mouvemens violens et les efforts du corps humain causent des variations dans la respiration, la ralentissent ou l’accêlèrent et l’interrompent même quelques fois entièrement pendant quelque temps. Mais aussi les plus legers mouvemens donnent lieu à des variations de cette nature. Il suffit par exemple de tourner seulement les yeux sur un autre objet, de porter la main sur une autre chose, pour trou- bler une respiration régulièrement périodique. — §. 33. Les chan- gemens que subit notre ame influent aussi sur la respiration. Le saisissement, la peur, la colère, la pitié, la joie, l’amour, tout cela fait une impression sur nos poumons, comme sur le coeur. Mais ce ne sont pas les mouvemens et les passions violentes de l’ame qui seules font cet effet; les plus petites bagatelles occa- sionnent à proportion les mêmes changemens. Lorsque l’esprit fixe son attention sur le plus petit objet, comme sur un grain de sable, la respiration s’arrête quelquefois entièrement, pour ne pas occasioner le moindre mouvement du corps qui pourrait af- faiblir l’application de nos sens .... On pourrait à-peu-près deviner, en faisant seulement attention à la respiration d’une personne sans qu’elle dise un mot, la situation de son esprit, si elle est tranquille, inquiète, contente ou irritée. Nous observons souvent dans des personnes qui se trouvent dans le plus parfait repos de l’ame, un changement subit et nous pourrons souvent déterminer le moment, où une idée est suivie d’une autre. Cela s’observe non seulement lorsque la nouvelle idée est triste ou désagréable, mais même lorsqu’elle est absolument indifférente. L’esprit suivant son chemin uniforme, est arrêté momentanément et doit prendre une autre tournure; pour cela il a besoin de nouvelles forces qu’il trouve dans l’air frais respiré en abon- dance. “ Hören wir nun noch, wie einer der besten Denker unserer Zeit, Lotze, den Einfluß der Reflexbewegung auf die Entwi- ckelung der Seele, überhaupt die Zweckmäßigkeit dieser physio- logischen Einrichtung des Leibes darlegt (Medicinische Psycho- logie S. 289 ff.): „Unbekannt mit der Structur und den Kräften ihres Körpers, würde die Seele nie errathen, daß ihre Glieder zur Bewegung bestimmt sind, und nie sie in Bewegung zu setzen lernen, wenn nicht unabhängig von ihr in dem Körper selbst Motive zur Vollziehung von Bewegungen lägen, deren spontan erfolgende Wirkung sie beides „(Bewegung und Wirkung)“ lehrt. So lange ein thierischer Körper lebt, müssen wir uns in seinen motorischen Nerven und in ihren Centralorganen einen geringen Grad der Thätigkeit beständig fortgehend denken, durch wel- chen die elastische Haltung auch des ruhig und tief schlafenden sich noch sehr von der Erschlaffung des todten Körpers unter- scheidet. Wirkten keine äußern Reize ein, welche bestimmte Bewegungen zu erzeugen geeignet wären, so würde vielleicht die Reizlosigkeit der Nerven selbst ihre Erregbarkeit so wach- sen lassen, daß sie unter dem Einfluß der kleinen Anstöße, die ihnen der fortgehende Stoffwechsel immer zuführt, zu ungeord- neten Bewegungen ausbrechen müßten. Aber die Geburt eines Thieres führt ohnedies einen so großen Wechsel der äußern Umstände mit sich, daß alle Nerven des Körpers und mit ihnen die Centralorgane eine bedeutende Veränderung ihres Erregungs- zustandes erfahren müssen; eine Mannigfaltigkeit von Bewegun- gen begleitet daher ebenso wie mancherlei Gefühle der Unlust, die ersten Lebensaugenblicke unvermeidlich. Doch die Seele würde bei der Ueberzahl der gleichzeitigen Eindrücke, die hier auf sie einstürmen, und bei der Stumpfheit ihrer ungeübten Wahr- nehmungskraft wenig Nutzen von ihnen ziehen, wenn nicht auch späterhin die Bewegungen der Glieder noch häufig auf diesem mechanischen Wege durch das periodische Wachsen der physi- schen Nervenerregungen sich wiederholten. Und da diese Be- wegungen von den Centraltheilen ausgehen, in denen die Nerven so verflochten sind, daß ein einzelner Anstoß sie gruppenweis in zweckmäßiger Verbindung anregt, so wird dieser physiologi- sche Mechanismus jedem Thiere die seiner Gattung eigenthüm- lichen Bewegungen öfter wieder vorführen, ehe es lernt, sie für seine Zwecke zu benutzen.... Dieselben Bewegungen, die wir durch innere Erregung der Centralorgane zwecklos und ohne Bezug auf äußere Objecte entstehen sahen, werden jedoch auch auf demselben automatischen Wege durch äußere Reize erweckt. Sensible Nerven leiten ihre Erschütterung bis zu den Central- organen; dort kann der Strom der Erregung sich in zwei Arme theilen, deren einer zu dem Sitze der Seele dringend, in ihr eine Empfindung des Reizes erweckt, während der andere unmittel- bar auf die motorischen Organe fortwirkend, in ihnen mit me- chanischer Nothwendigkeit eine zweckmäßig gruppirte Bewe- gung erzeugt.“ (S. 291.) „Diese Reflexbewegungen erscheinen daher, wie die Buchstaben des Alphabets, als die einfachen Ele- mente der Zweckmäßigkeit, welche die Natur mechanisch deter- minirt der Seele zu Gebote stellt, indem sie es ihr überläßt, unter dem vereinigten Einflusse der Sinnesempfindungen und der Ueberlegung sie zu hinlänglich feinen und lenksamen Mitteln zu combiniren, um der unendlichen Mannigfaltigkeit möglicher Reize gewachsen zu sein … Nur die Beherrschung eines gegebenen Mechanismus kann für die Seele von Werth sein; ihn selbst her- vorzubringen und zu dirigiren, würde nur eine lästige und über- flüssige Erschwerung ihrer Aufgabe sein … Wie schlecht würde es um unser Leben stehen, sollte die Ueberlegung es vertheidi- gen, und nicht der Mechanismus! Man frage Jemand, wie er es anfangen würde, um fremde Körper aus der Luftröhre zu entfernen: er wird vielleicht eher auf Tracheotomie rathen, als auf Husten“ (welches eine mechanische, unwillkürliche und un- umgängliche Reflexbewegung ist, veranlaßt durch das Gefühl, den Reiz des fremden Körpers); „und wie würde das Neugebo- rene zur Nahrungsaufnahme gelangen, wenn es Saug- und Schling- bewegungen erst zu erfinden hätte?“ (Sobald die hintere Zunge gereizt wird, entsteht durch dieses Gefühl die Reflexbewegung des Schlingens; daher muß man einen Bissen oder einen harten Kern, der zufällig etwas zu weit in den hintern Theil des Mun- des gerathen ist, gegen den Willen hinunterschlucken). „Miß- trauisch gegen den Erfindungsgeist der Seele hat vielmehr die Natur dem Körper diese Bewegungen, als mechanisch vollkom- men bedingte Wirkungen der Reize mitgegeben. Und auch wo Bewegungen nach innern Zuständen der Seele erfolgen sollen“ (wie bei der Sprache), „war es zweckmäßig, daß die Natur nicht die Erfindung des erzeugenden Anstoßes zu ihnen, sondern nur die eventuelle Verhinderung ihres Entstehens der Seele überließ“ (also nicht die Erfindung der Sprache, son- dern das Schweigen), „so daß im Allgemeinen der Naturzustand darin besteht, daß die Bewegungen unwillkürlich dem Laufe der innern Zustände folgen, während die Bildung die allzugroße Leichtigkeit dieses Ueberganges hemmt.“ — Nun noch Folgen- des zum Schlusse dieses Auszuges: „In den Reflexbewegungen war eine Mitwirkung der Seele überhaupt nicht nothwendig, ob- gleich sie nebenbei häufig stattfand, indem nicht nur der veran- lassende Reiz wahrgenommen, sondern auch die von selbst ent- stehende Bewegung noch außerdem gewollt werden konnte. In den physiognomischen oder mimischen Bewegungen sehen wir andere Beispiele eines solchen Mechanismus, in welchen je- doch der Anfangspunkt des ganzen Processes ein innerer See- lenzustand, die bestimmte Art und Größe der Gemüthser- regung ist. Doch hängen diese Bewegungen weder von unserer Intelligenz, noch von unserm Willen ab; denn weder wüßten wir einen Grund, warum Lachen mit Lust, Weinen mit Schmerz verbunden sein müßte, und nicht umgekehrt, noch vermögen wir ohne Uebung und gewaltsame Anstrengung die unwillkürli- che Entstehung der Gebärden zu unterdrücken. Auch sie sind deshalb Erfolge, welche ein Zug der physischen Organisation unsern innern Zuständen mit mechanischer Nothwendigkeit zu- gesellt hat, und ihnen schließt sich die Sprache an, die so wenig, als der Ausdruck des Gesichtes, eine Erfindung mensch- lichen Scharfsinnes ist. Jedes unwillkürliche Seufzen, jeder Schmerzenslaut, so wie der Gesang stimmbegabter Thiere über- zeugt uns, daß eine physiologische Nothwendigkeit die Erregung sensibler Nerven und der Centralorgane vorzugsweise auf die Mus- keln der Respiration und der Stimme überführt, theils um eine erleichternde Ausgleichung der physischen Nervenerschütterung zu bewirken, theils um der Seele auch dieses Mittel des Aus- drucks innerer Zustände vorzuführen und es ihrer ausbildenden Besitznahme und Verwendung zu übergeben.“ Sobald ich die Erscheinungen der associirten und reflectir- ten Bewegungen, zunächst in Müllers Vorlesungen, dann in sei- nem Werke über die Physiologie, kennen lernte, gerieth ich auf den Gedanken, daß auch die Sprache nur eine weitere und höchst merkwürdige Ausbildung einer ursprünglich mechanisch entstandenen Reflexbewegung sei, und bin erfreut, diese Ansicht schon bei Kempelen, noch mehr aber bei Lotze zu finden, wo- durch mir die Sache zur Gewißheit wird. Daß die Sprache eine Erfindung sei, davon kann heute nur noch als von einer ehemaligen Ansicht geschichtlich geredet werden. Immer aber blieb doch die Ansicht der Sprachforscher, Humboldts sowohl, wie der historischen, nur unbestimmt und schwankend. Nicht Erfindung; aber was denn? das wußte man nicht klar zu sagen. Jetzt kennen wir die ganze Gattung von Erscheinungen, denen die Sprache als besondere Art unterzuordnen ist; und ich denke, die obigen Citate sind allgemein verständlich. Hiermit ist jedoch erst die Hälfte der Definition gegeben. Zwischen dem Lachen und allen sonstigen Reflexbewegungen ei- nerseits und der Sprache andererseits liegt eine große Kluft, die wir erst noch, so weit es geschehen kann, auszufüllen uns be- mühen müssen. Zunächst noch eine anatomisch-physiologische Bemerkung. Die Sprachbewegungen unterscheiden sich zuerst vom Lachen und Weinen durch ihre größere Mannigfaltigkeit. Schon die Interjectionen des Schmerzes und der Freude sind mannigfalti- ger, als Lachen und Weinen; außerdem aber giebt es noch an- dere Interjectionen, und diese überhaupt sind doch noch nicht einmal die Anfänge der Sprache. Der Ausdruck der Gesichts- züge aber, je nach den verschiedenen innern Erregungszuständen, dürfte eine gleiche Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit zeigen, 17 wie die Interjectionen. Er wird durch den N. facialis erzeugt, und Müller bemerkt hierüber (II, S. 92.): „Der so äußerst verschiedene Ausdruck der Gesichtszüge in den verschiedenen Leidenschaften zeigt, daß je nach der Art der Seelenzustände ganz verschiedene Gruppen der Fasern des N. facialis in Thä- tigkeit oder Abspannung gesetzt werden. Die Gründe dieser Erscheinung, dieser Beziehung der Gesichtsmuskeln zu beson- dern Leidenschaften sind gänzlich unbekannt.“ Der N. facialis, der physiognomische Nerv, ist „der sensibelste Leiter leiden- schaftlicher Zustände“ (ebenda), und wir sehen an ihm, wie ein Nervenfaden vermöge der Spaltung seiner Fasern mannigfach und verschiedenseitig wirken kann. Der Nervus facialis ist nicht eigentlich ein Nerv für die Sprachbewegung; aber er geht doch auch in die Muskeln, wel- che die Kinnlade abziehen und das Zungenbein erheben; und so, denke ich, muß er auch die Zunge irgendwie ein wenig erre- gen, indem er dem Gesicht den Ausdruck giebt. Wird aber die Zunge bewegt, so müssen doch dadurch auch wohl die Ner- venfasern der Zunge, welche besonders die Sprachbewegungen leiten, in Reizung versetzt werden. Also muß der N. facialis mittelbar wohl auch zur Erzeugung der Töne wirken Von solcher Erregungsweise eines Nerven mittelst eines andern, näm- lich daß ein Nerv durch den Muskel, in welchem er verläuft, gereizt wird, weil dieser von einem andern Nerven, der ebenfalls auf ihn wirkt, zur Be- wegung gebracht ist, habe ich zwar nichts gelesen; sollte sie aber unmög- lich sein? . Gewiß ist, daß „er bei allen verstärkten und angestrengten Athembe- wegungen, besonders bei geschwächten Menschen, mitafficirt ist“ (das. I, 792.). Die eigentlichen Nerven der Sprachbewegungen sind der N. vagus und N. hypoglossus; der erstere „verbreitet sich constant in den Stimm- und Athemwerkzeugen“, der andere ist „der motorische Nerv der Zunge bei allen Bewegungen die- ses Organs zum Sprechen, Kauen, Schlingen u. s. w. Er ist aber auch der Bewegungsnerv der großen Muskeln des Kehl- kopfes und Zungenbeins“ (I, 795.); und hier, denke ich, muß er, der eigentlich articulirende Nerv, mit dem so leicht reizbaren physiognomischen N. facialis sich mittelbar begegnen. Wenn dies richtig wäre, so hätten wir jetzt nicht bloß das Athmen und Tö- nen, sondern auch die Articulation überhaupt, also die Elemente der Sprache, als von innern Erregungen reflectirte Ausdrucks- oder physiognomische Bewegungen kennen gelernt. Hierzu nehme man nun noch, daß die Reflexionsbewegung durch die wach- sende Bildung der Seele, die steigende Selbstherrschaft des Men- schen gehemmt und dadurch unterdrückt und geschwächt wird, woraus wir rückwärts schließen müssen, daß sie ursprünglich beim Neugebornen und beim Wilden, noch mehr aber beim Ur- menschen ungleich kräftiger, durchgängiger, und darum auch bestimmter war, als wir sie heute an uns beobachten können: so wird man es nicht allzu gewagt finden, wenn wir meinen, daß bei den Urmenschen erstlich keine Seelenerregung vorging ohne eine entsprechende, reflectirte körperliche Bewegung; und zweitens auch, daß jeder bestimmten, besondern Seelenbewegung eine bestimmte körperliche entsprach, welche physiognomisch und tönend zugleich war. Nachdem wir so die Elemente der Sprache, wie sie gewis- sermaßen im vorsprachlichen Zustande der Menschen gegeben sind, kennen gelernt haben, könnten wir versuchen, sie in das lebendige Spiel der Sprachthätigkeit zu versetzen. Wir müssen jedoch zuvor den innern Besitzstand der Seele auf ihrer vor- sprachlichen und also — da man die Sprache immer als Schei- dungszeichen zwischen Mensch und Thier angesehen hat — thie- rischen Bildungsstufe etwas näher betrachten. Dies wird natür- lich bloß darauf hinauslaufen, das Wesen der Empfindungs- erkenntnisse, der Wahrnehmung, zu entwickeln. Wir können diese Arbeit nicht umgehen. Denn wir müssen doch den Boden ausbreiten, auf oder aus welchem sich die Sprache erhebt, um dann weiter sehen zu können, was und wie die Spra- che, in Gemäßheit des ihr in der Seele Vorangehenden und der allgemeinen Entwicklungsweise der Seele, für die Fortbildung derselben, für die Entfaltung ihres Wesens wirkt; was die Seele durch sie gewinnt, was sie sich in ihr schafft und giebt. §. 88. Character der sinnlichen Wahrnehmung. Man fühlt Lust und Unlust. Das Wort Gefühl bezeichnet sowohl die allgemeine Fähigkeit des Fühlens, als auch eine Ver- wirklichung derselben in einem besondern Falle. Man empfindet vermittelst der Sinne die Elemente, Licht, Wärme, Ton u. s. w. Man sagt aber wohl nicht: ich empfinde dich, den Tisch, eine Blume . Empfinden bedeutet also nur im Allgemeinen: ver- mittelst der Sinne wahrnehmen; jede besondere Wahrnehmung eines der Sinne wird nicht mehr mit dem allgemeinen Worte 17* empfinden, sondern mit dem besondern Ausdruck sehen, hö- ren u. s. w. bezeichnet. Nichtsdestoweniger muß der Psycholog, wenn er sich allgemein ausdrücken will, sagen, die Farbe, die Form des Dreiecks, ein Ton, werde empfunden, auch die Dauer des Tons. Der Inhalt der Empfindung sind also sinn- liche Qualitäten und die Verhältnisse des Raumes und der Zeit . Dinge werden nicht empfunden; sondern man hat eine An- schauung von den Dingen. Die Anschauung von einem Dinge ist der Complex der sämmtlichen Empfindungserkenntnisse, die wir von diesem Dinge haben. Man sieht die Farbe und Form des Tisches; der Gefühlssinn lehrt uns seine Härte, Schwere, das Gehör seinen Klang: alles zusammen liefert die Anschauung davon. Die Empfindung, weil sie ihre Erkenntnisse durch ver- einzelte Organe giebt, verfährt allerdings analytisch; die An- schauung ist eine Synthesis, aber eine unmittelbare, die durch die Einheit der Seele gegeben ist. In der Anschauung liegt im- mer eine Mannigfaltigkeit; denn das Einfache wird bloß em- pfunden. Das von der Empfindung gelieferte verschiedene Ein- zelne schmilzt unmittelbar, vermöge des einheitlichen Wesens der Seele, synthetisch zur Anschauung zusammen. Zu dem in der Anschauung schon gebildeten Complex von Qualitäten kön- nen neue Empfindungserkenntnisse hinzutreten, die ebenfalls in gleicher Unmittelbarkeit sich synthetisch der Anschauung hin- zufügen Wir nehmen also das Wort Anschauung nach seiner sinnlichen Be- deutung, wie sie auch der Etymologie nahe steht oder vielleicht ganz gleich- kommt. Im Hebräischen und Chinesischen bedeutet sehen überhaupt sinnlich wahrnehmen. Man sollte die Anschauung in dieser niedrigen Bedeutung las- sen. Man spricht wohl auch von der allgemeinen Anschauung der Natur, des griechischen Lebens, u. s. w. Dafür aber sollte man das Wort Idee verwenden, und diese nicht, nach französischer und englischer Weise, von ihrer Höhe zur gemeinen Vorstellung herabziehen. Auch die Unterscheidung der Idee von Be- griff ist nicht schwer. Dieser drückt das allgemeine, noch abstracte, Princip aus. Ihm wohnt allerdings die schöpferische Kraft inne, die Wirklichkeit zu schaffen; aber erst die Erkenntniß des verwirklichten, nach allen Seiten in vielen einzelnen Schöpfungen entwickelten Begriffs liefert die Idee. Der Be- griff des Rechts z. B. ist der Ausgangspunkt sowohl der Schöpfung aller Rechts- bestimmungen und Gerechtigkeitsanstalten eines Volkes oder Gesetzgebers, als der Forschung und Darstellung des Rechtsgelehrten; die Idee des Rechts ist das in der Breite seiner Entwicklung begriffene Recht, das Gesammtergebniß der Rechtswissenschaft. Der Begriff ist abstract, die Idee ist dessen Verwirk- . Was ist aber Wahrnehmung? Wir haben eine Stufen- reihe von Gefühl, Empfindung, Anschauung gebildet. Wir könn- ten dieser Reihe noch ein Glied ganz vorn anfügen, indem wir vor das Gefühl das noch unbestimmtere, durchaus einheitliche, sinnliche Gemeingefühl setzen, welches sich weder auf ein äußeres Object, noch auf bestimmte Theile des Körpers bezieht, sondern welches (nach Lotze, Medicinische Psychologie S. 281.) „dem Bewußtsein die ganze Summe und Elasticität der vorhan- denen disponibeln Lebenskraft zur Wahrnehmung bringt;“ jenes Gefühl allgemeiner Anspannung oder Erschlaffung, der Leich- tigkeit oder Schwere des gesammten Körpers; kurz die allge- meine Weise, wie die Seele den Gesammtzustand ihres Leibes als unzerlegte Einheit fühlt. Das bestimmte Gefühl wäre also im Verhältnisse zu diesem Gemeingefühle schon eine Specifici- rung desselben, schon ein Bruch der Einheit. Wo werden wir nun aber der Wahrnehmung in der obigen Reihe den Platz anweisen? Nirgends, weil überall! Wahrnehmung ist kein den obigen Begriffen beizuordnender Begriff; er liegt seinem Inhalte nach in einer ganz andern Reihe. Wahrnehmung bezeichnet für den ganzen Entwickelungsgang der Seele durch die sinnli- chen Erkenntnisse hindurch nichts anderes, als daß die leibliche Erregung vermittelst der Nerven und des Centralorgans zur Seele gelangt, von ihr aufgenommen ist. Alles, was die Sinnlichkeit der Seele an Erkenntniß giebt, alles Sinnliche, dessen die Seele bewußt wird, wird wahrgenommen, es sei als Gefühl oder Em- pfindung. In der Anschauung ist schon keine Wahrnehmung mehr, weil die Anschauung, obwohl auf Empfindungen gegrün- lichung und Lebendigkeit. — In einem noch andern Sinne nimmt Herbart die Anschauung. Er definirt (Lehrbuch zur Psychologie §. 204. Psychologie II, §. 147.): „Anschauen heißt, ein Object, gegenüber dem Subjecte, als ein sol- ches und kein anderes auffassen.“ Dies verlangt freilich schon ein sehr ent- wickeltes Selbstbewußtsein; es ist aber vielmehr Beobachtung, welche die Qualitäten des Objects aufsucht, „indem wir mit Besonnenheit etwas besehen und betrachten.“ Wie sehr hier die Bedeutung des Wortes Anschauung er- höht ist, geht aus der widerspruchsvollen Bemerkung Herbarts hervor: „Daß in der Anschauung, als Grundbestandtheil derselben, Empfindung liege: ver- steht sich zwar von selbst. Allein je stärker diese Empfindung, desto mehr wird sie hemmend einwirken sowohl auf die Vorstellung des Subjects, als auf die der andern, davon zu unterscheidenden Objecte. Das heißt: die An- schauung wird verlieren an dem, was an ihr charakteristisch ist .“ Darum aber, meinen wir. vernichtet sich hier die Anschauung und wird Beob- achtung. det, doch rein der Seele angehört; denn sie ist nicht mehr, wie die Empfindung, sinnliches Auffassen, sondern Zusammenfassung, Synthesis des mannigfach Empfundenen. Sie ist dies freilich noch nicht als Thätigkeit, sondern als Zustand, nicht thätiges Zusammenfassen, sondern unmittelbare Zusammengefaßtheit, Ein- heit. Weil die Anschauung unmittelbares Ergebniß der Seele ist, darum ist die Wahrnehmung, nachdem sie bei der Empfin- dung gedient hat, für die Anschauung nicht mehr nöthig; denn die Anschauung hat eine andere Form als die Empfindung, hat aber nur den Empfindungsinhalt. Eben darum aber müssen wir auch die Anschauung noch als zu diesen niedrigern Bildungs- stufen der Seele gehörend ansehen, welche wir allgemein als die Stufe der Wahrnehmung bezeichnen können. Im Gefühle ist die Seele die Substanz, und das Gefühl das Attribut. Die Substanz ist aber eben bloß ihr Attribut, beide sind in Einheit. So ist die Seele im Gefühle eins mit dem Ge- fühl. Weil sie die Substanz ist, so ist sie nicht Subject, wel- chem ein Object gegenüberstände; sondern das Object inhärirt ihr als Gefühlsattribut. — In der Empfindung, welche Qualitä- ten zum Bewußtsein bringt, ist die Qualität Prädicat, und die Seele Subject: ich sehe Blau . Hier ist zwar keine Inhärenz mehr, aber doch Beziehung, d. h. hier gegenseitige Abhängigkeit, oder vielmehr das Verhältniß des Dazugehörens. Die empfundene Qualität ist nicht mehr die Seele, inhärirt ihr nicht mehr, son- dern gehört zu ihr. Auch hier also ist noch kein Object, also die Seele noch nicht Subjectivität, noch nicht Ich. Erst in der Anschauung befreit sich die Seele derartig von dem sinnlichen Eindrucke, daß sie ihn ganz außer sich, sich gegenüber stellt, indem sie nämlich die Qualitäten zusammengenommen einem Dinge zuschreibt. In der Anschauung spricht die Seele: das Wahrgenommene ist nicht ich, nicht mein Attribut, noch auch gehört es zu mir und ist mein Prädicat; sondern es ist Attribut eines Dinges. Die Seele weiß aber immer noch nichts von sich; sie weiß sich nicht als anschauende. Mit diesem Mangel an Selbstbewußtsein steht in enger Ver- bindung, daß es auf diesem Gebiete der Anschauung, und über- haupt der Wahrnehmung, nichts Allgemeines, sondern nur Ein- zelnes giebt. Nur einzelne Qualitäten werden empfunden; nur einzelne Dinge angeschaut. Es giebt keine Anschauungen von Arten. Was man zuweilen so nennt, sind wissenschaftliche Ideen und Begriffe. Der innerlich oder äußerlich angeschaute Hund ist eine bestimmte Einzelheit, bestimmt nach Farbe, Größe, Ge- stalt, Stimme und allem was die Anschauung an ihm besitzt. Das Thier, ein so umfassender Gattungsbegriff, wird gar nicht angeschaut. Es mag wohl sein, daß das Kind mit seinen noch so ungeübten Sinnen gerade von den Merkmalen eines Hundes, welche er mit der Katze und dem Pferde als Thier gemeinsam hat, am meisten betroffen wird, daß es bloß diese wahrnimmt und über ihnen die andern übersieht. Der Hund, wie die Katze ist für das Kind etwa ein Ding, das von selbst von einem Orte zum andern gelangt, ohne, wie Tische, Stühle, getragen zu wer- den; ein Ding, dem man ruft, dem man zu essen giebt u. s. w. Wenn es aber auch an dem Hunde nichts weiter wahrnähme, als die allgemeinen thierischen Merkmale, so wäre dies doch keine Anschauung von einem Thiere, sondern nur eine unvoll- kommene, d. h. sowohl unvollständige, als stumpfe, an Menge der Merkmale und Schärfe der Auffassung mangelhafte Anschauung von einem Hunde. Wesentliche Bestimmungen der sinnlichen Anschauung sind also: Mangel an Selbstbewußtsein, einzelne Wirklichkeit und Einheit. Diese letzte ist noch besonders scharf zu nehmen. Die Anschauung ist Einheit vieler Empfindungserkenntnisse, nicht Vereinigung; bewußtlos gewordener Zustand des Zusammenseins der Qualitäten, nicht bewußtvolle Thätigkeit des Zusammenfas- sens. Die Seele weiß also nichts von der Mannigfaltigkeit, wel- che in der Anschauung liegt. Sie hatte zuerst tausend Quali- täten empfunden, die alle zur Einheit verschmolzen waren und eine große, unklare Anschauung bildeten. Die Qualitäten rissen aus einander, und so gelangte das anschauende Bewußtsein zu eben so vielen Anschauungen, als die erste Anschauung in Theile zerriß. Diese Theilanschauungen geben eine klarere Erkenntniß, als die erste; aber sie tragen in Beziehung auf ihre Elemente denselben Charakter der Unklarheit und Ungesondertheit, den die erste in Bezug auf sie trug. Der Fortschritt der Seele wird also nun darin liegen, daß auch die einzelnen Anschauungen sich in ihre einzelnen Qualitäten auflösen. Wie dies geschehen könne, zu untersuchen, ist unsere Aufgabe. Denn man begreift oder ahnt sogleich, daß dies nicht wieder durch Zerreißung der Wirklichkeit geschehen werde; denn diese führt niemals zu ab- stracten Qualitäten, d. h. zu Qualitäten, welche nicht in einem ganzen Complex zu einem Dinge gehörten. Es wird also eine bloß geistige Abstraction sein, welche Weiß und Kalt als Qua- litäten des Schnees sowohl unter sich unterscheidet, als auch von dem Dinge, an welchem sie haften, ablöst. Und dies wird nicht ohne das Wort geschehen können. Wir nannten diese Stufe der Seelenentwickelung, die Stufe der Wahrnehmung oder sinnlichen Anschauung, die thierische. Wir haben schon einige Andeutungen gefunden, daß sich die weitere Bildung der Seele nicht ohne Sprache werde erzielen lassen, daß die Sprache auf dem Punkte, zu dem unsere Be- trachtung gelangt ist, werde hervorbrechen müssen. So wollen wir denn nun auch hier untersuchen, wie weit die thierische See- lenbildung gelangen mag. §. 89. Entwickelungsstufe der Thierseele. Wir sagten, es gebe keine Anschauungen von Gattungen und Arten, überhaupt von Allgemeinem; sondern Gegenstand und Inhalt der anschauenden Seele sei das wirklich daseiende Einzelne. Das Bewußtsein des Thiers würde demnach auf die Kenntniß von Individuen beschränkt sein, ohne diese zu Arten zusammenzufassen und Arten von einander zu unterscheiden. Und ich denke, dem ist so. Der Hund unterscheidet Hunde von einander, Menschen von einander, und unterscheidet einen Hund von einem Menschen und beide von einem Pferde. Aber was beweist das? daß er den Menschen als diese besondere Art von Wesen, daß er das Pferd als diese besondere Thierart auf- faßt, und der Art, zu welcher er selbst gehört, als davon ver- schiedene Arten entgegensetzt? Keineswegs. Der Hund unter- scheidet einen Hund, ein Pferd und einen Menschen als drei verschiedene Individuen, wie er verschiedene Hunde und meh- rere Menschen ebenfalls als besondere Individuen scheidet. Er sieht freilich ganz unfehlbar, daß Mensch und Mensch, Hund und Hund sich ähnlicher sind, als Mensch und Hund. Aber al- les das beweist noch nicht, daß er die Grade der Aehnlichkeit nach Arten bestimmt, daß er die in bestimmten Grenzen be- harrenden Verschiedenheiten als Art zusammenfaßt. Er sieht nur Individuen, mehr oder weniger verschiedene. — Der Hund unterscheidet den Hund von der Hündinn; unterscheidet er nun in seinem Bewußtsein wohl auch ein männliches und weibliches Geschlecht? Ich kann es nicht glauben. Der Hund unterschei- det auch ohne Zweifel den Mann vom Weibe, den Stier von der Kuh. Wird er Hündinn, Kuh und Weib zusammenfassen als weiblichen Geschlechts; Hund, Stier und Mann als männli- lichen? Wodurch bewiese er denn, daß er das thäte? Gerade rücksichtlich der Begattungsverhältnisse entwickelt das Thier ganz wunderbare Seelenfähigkeiten. Aber wir dürfen auch an- nehmen, daß, so oft es hier den gewöhnlichen Kreis seiner Kraft überschreitet, ein bewußtloser Instinct wirksam war. Weiß der Hund, indem er sich begattet, von Zeugung und Geburt? von Erhaltung seiner Art? weiß die Hündinn, sie werde befruchtet, werde schwanger werden und Junge werfen, die sie dann zu säugen habe? Weiß sie von alle dem in seinem causalen Zu- sammenhange, oder auch nur als zeitliche Reihenfolge von Thä- tigkeiten und Zuständen und Ereignissen? Das dürfte wohl Nie- mand behaupten. Dann weiß aber auch der Hund nichts von Geschlechtern. Er folgt in jedem Augenblicke dem unbewuß- ten Instinct, jetzt in der Begattung, später im Säugen, ohne Be- wußtsein vom Zusammenhange beider, ohne Nachdenken, warum nicht auch der Nachbar säuge, warum er sich bei der Begat- tung anders benehme — kurz ohne Unterscheidung der Geschlech- ter, als eines Artbegriffs oder einer Artanschauung. In seinem instinctiven Drange sucht der Hund ein Individuum, das geeig- net ist, seinen Drang zu stillen. Daß dieses oder jenes Indivi- duum dazu geeignet sei, ein anderes nicht: das weiß er, wie er weiß, was er zu essen hat, und was liegen zu lassen. — Er sieht eine fest gewurzelte Pflanze, ein sich bewegendes Thier, einen bewegten Stein: er scheidet sie von einander, wie dieses Indi- viduum von andern; er scheidet sie als verschiedene Etwas; er scheidet sie nicht als artverschieden, als Pflanze, Thier und Stein. Wir haben im Obigen schon die Ausdehnung der Zeit als Gegenstand des Bewußtseins berührt. Der Hund hat Gedächt- niß; denn das heißt nichts weiter, als er hat eine Seele, die klarer Sinneseindrücke fähig ist; der wiederholte Sinneseindruck muß ihm also als bekannt erscheinen. Er hat zwei Begeben- heiten hinter einander wahrgenommen; beide Anschauungen as- sociiren sich. Nimmt er die erste von neuem wahr, so steigt auch die zweite wieder in seinem Bewußtsein auf: d. h. er er- wartet sie. Er hat also eine Vergangenheit und eine Zukunft, aber gewiß nur eine sehr unbestimmte. Die Vertrautheit mit einer wiederholten Wahrnehmung, das Erwarten einer kommen sollenden, ist noch kein Bewußtsein von der Ausdehnung der Zeit. Das Thier mag ein Gedächtniß für eine ziemlich lange Vergangenheit haben; aber ob es die verschiedene Länge un- terscheidet? schwerlich. Es erinnert sich des Vergangenen über- haupt; aber es mißt die Zeit nicht. Das Thier soll öfter Lange- weile haben; denn man sieht es gähnen! Als wenn das Gähnen nicht ein Erzeugniß rein physischer Ursachen sein könnte. Ei- nen Unterschied zwischen Arbeit und Müßiggang, Plackerei und Wohlleben empfindet die thierische Seele in ihrem Gemeinge- fühl gewiß. Das Thier spielt und belustigt sich, gerade ebenso in Folge rein physischer Nervenlebendigkeit, wie es auch ruht, wenn es müde geworden ist. Zwischen Gedächtniß und Erinnerung ist ein Unterschied. Die Erinnerung sucht im Gedächtnisse, wie sie auch zeitliche Anordnung und Eintheilung der im Gedächtnisse aufbewahrten Vergangenheit herstellt; denn Erinnerung ist nicht bloß Aufbe- wahrung des Vergangenen in der Seele, sondern Bewußtsein von der Ausdehnung der abgeflossenen Zeit. Sie ist darum auch noch mehr: Vergegenwärtigung der Vergangenheit, und zwar eines bestimmten, absichtlich jetzt gesuchten und zurückgefor- derten Punktes der Vergangenheit. Diesen Unterschied hat, irre ich nicht, schon Aristoteles gemacht und dem Thiere Gedächt- niß, aber nicht Erinnerung zugeschrieben. Gedächtniß ist nichts als Vertrautheit mit dem gegenwärtigen Eindrucke der Sinne; das ist kein Bewußtsein von Vergangenheit, sondern nur eine modificirte Gegenwart. Und eben so ist Erwartung des nächsten Augenblickes noch kein Bewußtsein einer Zukunft, son- dern bloß Gegenwart, insofern diese überhaupt ist. Denn streng genommen ist sie ja nur der ewig vergangene und ewig kom- mende ausdehnungslose Zeitpunkt. Was man im gewöhnlichen Leben Gegenwart nennt, ist ein wenig Vergangenheit und ein wenig Zukunft; und das hat das Thier. Es hat nur insofern diese beiden, als es Gegenwart hat, d. h. als es lebt, und noth- wendig in der Zeit lebt, und zwar mit Bewußtsein. Es hat Be- wußtsein vom Gegenwärtigen, aber nicht von der Gegenwart; dies nicht, weil nicht von Vergangenheit und Zukunft; und end- lich dies nicht, weil es sich das Vergangene nicht vergegenwär- tigt, weil es wohl Gedächtniß, aber nicht Erinnerung hat. Das Thier lebt also nur in der Gegenwart, ohne Vergan- genheit und Zukunft, weil seine Seelenstufe die Anschauung ist, d. h. Bewußtsein vom einzelnen, wirklichen und gegen- wärtigen Gegenstand. Es hat ewig wiederholte Anschauun- gen, d. h. die Wirklichkeit bietet der Seele immer wieder den- selben Gegenstand dar; aber es hat keine erinnerte Anschauung, d. h. Zurückrufung der gehabten Anschauung auf Befehl der Seele. Die Anschauung, sagten wir ferner, sei Einheit, d. h. un- zergliedertes Bewußtsein von einem Dinge. Die Katze sieht die gelbe Flamme, so oder so gestaltet, im Kamin und fühlt zu- gleich die von ihr ausstrahlende Wärme, hört auch das Knistern. Diese Empfindungen werden nothwendig zusammenschmelzen und ihr die Anschauung des Feuers geben; d. h. die Katze wird diese ganz stumpfe Summe mehrerer qualitativen Empfindungserkennt- nisse haben. Unsere Begriffe sind noch etwas mehr, als die bloße Summe der Merkmale; aber die thierische Anschauung ist ge- rade dies und nichts anderes; und die Seele ist im anschauen- den Bewußtsein bestimmt als: die Empfindungsqualitäten sum- mirend, d. h. dieselben als vielfachen Zustand in sich zusammen- haltend. Hier wird nicht der Gesichtseindruck vom Gefühls- eindruck geschieden, nicht innerhalb des ersten abermals Form und Farbe geschieden; sondern Form, Farbe, Tönen, Gefühl — alles zusammen bezieht das Thier mehr auf sich selbst als einen vielfach bestimmten Zustand. Das Bewußtsein von Objecten ist hier noch schwach. Hier herrscht noch das Verhältniß, wel- ches wir oben der Empfindung zuschrieben: die thierische Seele ist Subject und hat das Object als ihr Prädicat. Sie hat das Object noch nicht zum Subject eines Urtheils gemacht; sie hat nicht gesagt: die Flamme leuchtet, ist warm u. s. w. Sie trägt alle diese Urtheile noch als unvollzogen in summarischer Ein- heit in sich; d. h. sie hat die Prädicate, die Empfindungsquali- täten in sich, aber hat dazu noch gar kein Subject; es fehlt das Ding . Die thierische Seele selbst vielmehr, sie, die die Prädi- cate in sich hat, ist noch dinglich bestimmt; die Kategorie Ding ist noch nicht wirksam geworden . Eben darum, weil die Kategorie Ding der thierischen Anschauung noch fehlt, ist letztere auch noch nicht Einheit, was sie nur durch jene Ka- tegorie werden könnte, sondern bloßes Zusammen. Dieser Man- gel der Dingkategorie, der scharfen Einheit, dieses stumpfe Bei- sammen der Empfindung und die dingliche Bestimmtheit der Seele spricht sich in dem starren Blicke des Thieres aus; der Hund und auch noch der stumpfe Mensch starrt in die Flamme. Auf dem Standpunkte der Anschauung wird nicht geur- theilt; denn ihr Wesen ist Einheit. Urtheilt denn nun also das Thier nicht? Sicherlich nicht, insofern dadurch die Einheit der Anschauung aufgehoben würde. Es läßt sich aber urtheilen, ohne die Anschauung in einzelne Qualitäten zu zertheilen — Urtheile, welche sich auf das Ganze der Anschauung erstrecken. Wenn ein Thier eine Anschauung gehabt hat, die ihm von neuem dargeboten wird, so wird es das wohl wissen und gewisserma- ßen urtheilen: dieses A = einem alten A . Ebenso wird es ge- schehen, wenn zwei Anschauungen A und B mit einander in der Seele des Thieres verbunden sind. Jetzt wiederhole sich A ; das Thier wird nicht bloß die Identität des A urtheilen, son- dern auch B erwarten, und tritt B wirklich auf, von neuem ein Identitäts-Urtheil bilden — natürlich alles dies nur in sehr un- eigentlichem Sinne. Solche Identitäts-Urtheile, in denen Subject und Prädicat identisch sind, zusammenfallen, können keine wirklichen Urtheile erwecken. Es kommt hinzu, daß hier das Subject immer noch die Seele selbst ist, die alte Anschau- ung A . Die Identität des alten und neuen A ist also ein Ver- schmelzen der Seele mit der neuen Anschauung, kein Urtheilen, kein Unterscheiden. Diese Verschmelzung geht ruhig vor sich, sie erregt keine weitere Seelenthätigkeit, sondern giebt im Ge- gentheil das Gefühl der Befriedigung, in welcher die Seele ru- hig beharrt, bis sie von neuem gestört wird. Dieses gewissermaßen so anzusehende Identitätsurtheil war affirmativ; wie sollte aber das Thier nicht auch, in gleichem Sinne, wie das affirmirende, das die Identität negirende Urtheil kennen? Die Kuh vor dem neuen Thore urtheilt negirend. Sie sieht die alte Straße, das alte Haus und erwartet nun die mit jenen beiden Anschauungen associirte Anschauung des alten Thores; sie findet aber dieses nicht. Die neue Wahrnehmung verschmilzt nicht mit der Seele: das ist ihre Negation. War Behaglichkeit und Zufriedenheit Ausdruck der thierischen Affir- mation, so ist der Ausdruck der thierischen Negation stumpfes Staunen. Es kommt auch hier zu keinem Urtheil, auch beim Menschen in ähnlichem Falle nicht; man weiß eben nicht, was man dazu sagen solle. Die ganze Erkenntniß des Thiers be- steht im Anerkennen und Verschmähen; beides geht nicht in der Form des Urtheils vor sich. Ein Thier schließt auch und hat praktische Absichten. Wenn z. B. ein Hund Hunger hat, so treibt ihn dieses Gefühl zum Bellen, und man giebt ihm zu essen. Diese Reihe von Anschauungen wird ihm bleiben; und wenn er wieder Hunger hat, so wird er wieder bellen, damit man ihm wieder etwas zu essen gebe. Solche Schlüsse, die innerhalb der Anschauung bleiben, mag man den höhern Thieren in weitem Umfange zu- schreiben. Der Hund wird seinen Schluß inductiv erweitern: man hat mir auf mein Bellen zu essen gegeben, man hat also meinen Willen gethan; jetzt will ich wieder etwas, ich werde wieder bellen, und man wird wieder meinen Willen thun. Solche Schlüsse nach Analogie und Induction mögen meist noch durch einen rein physischen Drang unterstützt werden. Wir können nicht verwundert sein, oder müssen sogar er- warten, bei den Thieren Keime der Sprache zu finden. Denn ist die Sprache eine Reflexionsbewegung, und erfolgen solche reflectirte Bewegungen auf Gefühle und Empfindungen und hö- here Seelenthätigkeiten, so kann die Sprache auch schon bei den Thieren sich finden, nur in einer angemessenen Stufe. Das Gemeingefühl spricht sich lebendig im Geschrei und Gesang der Thiere aus, wie alle besondern Gefühle der Lust und Unlust. Wir nehmen hier das Gemeingefühl in dem oben bestimmten Sinne, als die allgemeine Weise, wie sich die Seele im Körper fühlt. Es ist also das Gefühls-Ich. Aber auch hier tritt ge- rade da, wo wir auf das Einzelnste zu stoßen meinen, ein All- gemeines, Gemeinsames hervor. Der Wettgesang der Vögel ist eine wahre thierische Unterredung und bekundet die gefühlte Einheit der Gattung. Ebenso eine Heerde Schafe, die durch einander blöken, und der Hund, der seinem bellenden Nachbar bellend antwortet. Hierauf, ich meine auf die tönenden Ausbrüche des Ge- meingefühls, lege ich ein größeres Gewicht, als auf das Win- seln des Hundes, der etwa vor einer geschlossenen Thür liegt und einen vorübergehenden Menschen um Hülfe anzurufen scheint, oder durch Bellen und Kratzen sich bemerklich machend die im Zimmer befindlichen Personen um Eröffnung der Thüre bit- tet. Hier liegt freilich eine sehr vielfache Association von An- schauungen vor: Erwartung, daß wir Mitleid mit ihm haben, d. h. ihn verstehen werden; was zugleich ausdrückt, daß er wisse, wir haben die Kraft, die ihm fehle, die Macht ihm zu helfen. Nur legt man gar zu leicht mehr hinein, als darin lie- gen mag. Ob die Absicht zur Mittheilung vorhanden sei? Das scheint mir doch zweifelhaft. Der Hund winselt, und dies Win- seln ist Ausdruck seiner Verlegenheit, der aber unbeabsichtigt erfolgt, auch wenn Niemand da ist, der ihn hören wird. Er hat nicht die Absicht, das Winseln zur Sprache zu verwenden. Er hat gesehen, daß Menschen die Thüre öffnen; da er sie ge- öffnet wünscht, ist es natürlich, daß er an die Anschauung ei- nes Menschen die Anschauung der sich öffnenden Thüre knüpft. Er erwartet, aber er bittet, er spricht nicht. Sein Kratzen an der Thüre ist ebenfalls nicht ein Versuch, seinen Wunsch an- zudeuten, sondern ein Arbeiten, ein Bemühen, die Thüre zu öffnen, und da sie in Folge seines Kratzens öfter geöffnet wor- den ist, so hält er sein Kratzen für ein wirkliches Eröffnungs- mittel; es ist ihm mehr ein Schlüssel und Drücker, als eine Sprache. Und das gilt sogar vom Bellen des Hundes und vom Schreien der Kinder. Herbart scheint uns sehr Recht zu ha- ben, wenn er bemerkt (Psychologie §. 155. Sämmtl. W. VI. S. 401): „Daß in diesen ersten Anfängen sich alles aus Gefühl und Beobachtung“ (Anschauung würden wir sagen, indem wir, wie oben bemerkt, Beobachtung nennen möchten, was Herbart Anschauung nennt), „ohne Willkür, zusammensetzt, sieht man deutlich an eigensinnigen Kindern, die durch Schreien ihre Um- gebung regieren; ja selbst an Thieren, denen oft auf ihre kla- gende Stimme gewährt worden ist, was sie begehrten. Bei die- sen wie bei jenen werden unverkennbar die Töne immer gebie- terischer, je häufiger sie erfahren haben, daß sie etwas dadurch ausrichten. Ihre Laute werden für sie ein Organ des Handelns, so unnatürlich dies auch ist“ — d. h. uns scheint; an sich ist es nicht unnatürlich, da der Hund und das Kind den innern Zusammenhang von Ursache und Wirkung nicht einsehen. Auf diesem anschauenden Standpunkte giebt es bloß Verbin- dung zweier Ereignisse in der Anschauung und die Erwartung des unfehlbaren Eintretens des zweiten, wenn das erste einge- treten ist. „Die Complexion zwischen dem Schreien und dem beobachteten guten Erfolge wirkt nach dem allgemeinen Gange des psychologischen Mechanismus dahin, daß, sobald das Beob- achtete zum Begehrten wird, sich die Stimme erhebt, und zwar nach häufiger Wiederholung endlich mit der Zuversicht des Ge- lingens, wodurch der Wunsch in den Willen, die Bitte in den Befehl übergeht“ — d. h. abermals, wie es uns scheint. Denn von Bitten und Wünschen kann ja nicht die Rede sein da, wo man „ein Organ des Handelns“ zu bewegen glaubt, wo man zu arbeiten meint, wie Kind und Hund bei ihrem Schreien sich einbilden. Der Uebergang vom Winseln zum lauten Schreien und Bellen ist Folge des Verdrusses, daß der gewünschte Er- folg noch nicht eingetreten ist; man fängt an, anstrengender, kräftiger zu arbeiten. Hier fehlt durchaus das charakteristische Element der Sprache: theoretische Mittheilung. Wir glauben im Vorstehenden der thierischen Seele weder zugeschrieben zu haben, was sie nicht hat, noch abgesprochen, was sie besitzt. In beide Fehler verfällt man gar zu leicht. Da wir denn doch immer bloß Wirkungen, thierisches Handeln sehen, so schiebt man dem oft solche Motive unter, wie sie den Menschen beseelen, wenn er dergleichen thut. Man übersieht hierbei ein Doppeltes: erstlich, daß diesen thierischen Wirkun- gen gar nicht nothwendig dieselbe Ursache zu Grunde zu liegen brauche, als der entsprechenden menschlichen; und zweitens, daß die thierische und menschliche Handlungsweise wohl vielfältige Analogien und Aehnlichkeiten bieten, aber keine Gleichheit zei- gen; daß vielmehr bei genauerer Betrachtung bedeutende Un- terschiede hervortreten, die man unbeachtet läßt. Wir haben auf solche Unterschiede aufmerksam gemacht und erkannt, daß die menschliche Anschauung doch noch eine ganz andere ist, als die thierische; wir haben den allgemeinen bezeichnenden Un- terschied darin gefunden, daß nur der menschlichen Anschauung die Kategorie des Dinges zu Grunde liege, nicht der thierischen; daß also diese nur ein Zusammen, jene aber Einheit sei. In diesem Unterschiede liegt aber schon eine Leistung der Sprache. Ehe wir jedoch zeigen können, wie die Sprache dies leiste, fra- gen wir: warum entspringt die Sprache aus den menschlichen Wahrnehmungen und nicht auch aus den thierischen? was zu einer nähern Vergleichung der menschlichen und thierischen Seele führt. §. 90. Vergleichung der Menschen- und Thierseele. Man hat die Vergleichung zwischen Thier und Mensch bis- her gewöhnlich in sehr ungehöriger Weise angestellt. Die Sache scheint mir indeß so einleuchtend und gewiß, daß ich glauben muß, hätte man einerseits die Verschiedenheit zwischen Mensch und Thier, die Vorzüge des Menschen vor diesem nicht nur zu sehr übertrieben, sondern auch am völlig unrechten Orte ge- sucht, man hätte sich andererseits durch das Streben des Wi- derspruchs niemals können verleiten lassen, in der Gleichstellung von Mensch und Thier so weit zu gehen, um jeden wesentlichen, principiellen Unterschied zu läugnen. Beiderseits hat man aber denselben Fehler gemacht. Erstererseits behauptete man, der Unterschied liege in den sogenannten höhern Seelenfähigkeiten, welche der Mensch als Ueberschuß zu und neben den untern im Vorzuge vor dem Thiere besitze, welches bloß die untern Seelenfähigkeiten habe. Hiergegen bemerkte nun andererseits Herbart — denn ich rede hier nicht von Franzosen und fran- zösirenden Deutschen; einem Manne wie Herbart aber merkt man es an, daß nur sein Widerstand gegen eine Ansicht, die alle Zweige der Philosophie verdorben hatte, ihn dazu führen konnte, den Unterschied zwischen Mensch und Thier zu über- sehen — Herbart also, sage ich, bemerkt gegen obige Ansicht mit Recht, daß das, was man unter den höhern Seelenfähigkei- ten versteht, gar nicht dem Menschen angeborne besondere Kräfte sind, sondern ein im Laufe der Zeitalter vom Menschengeschlechte erworbenes, durch Ueberlieferung von einem Geschlechte zum andern fortgepflanztes und immer neu bereichertes Gut der Cul- tur ist. Dieser Erwerb muß abgezogen werden, wenn die Seele des Menschen mit der des Thieres verglichen werden soll; denn er ist nicht einer höhern Kraft der Seele zu verdanken, son- dern dem höher gebildeten menschlichen Leibe, nämlich seiner kunstfähigen Hand und seinen gefügigen Sprachorganen. Ab- gesehen von diesem leiblichen Vorzuge, sei die menschliche Seele, wie die thierische; diese würde gleiche Cultur erreichen, hätte ihr die Vorsehung Hände und Sprache gegeben. Denn übrigens sei beim Thiere alles, wie beim Menschen, und man könne beobachten, wie die Thierseele nach Hand und Sprache gewissermaßen strebe, d. h. Pfote und Stimme als Hand und Sprache zu verwenden strebe, dabei aber vom Leibe im Stiche gelassen werde. Beide Ansichten also sehen den Unterschied zwischen Mensch und Thier nur in der weitern Bildung. Und dies halten wir für falsch. Der Unterschied zeigt sich überall, schon beim er- sten Beginn der Seelenwirksamkeit, schon im ersten Auftreten derselben. Wenn die Sprache von jeher für das galt, was die- sen Unterschied ausmache und begründe: so kommt es auch wohl der Sprachwissenschaft zu, ihn festzustellen, sorgfältig dar- zulegen, die Würde der Menschheit zu behaupten, ohne in halt- lose Uebertreibungen zu gerathen. Der Unterschied mag nicht so groß sein, wie man sich ihn oft eingebildet hat: er bleibt immerhin groß genug, um gewisse thierfreundliche Declamatio- nen und über die Menschheit hinaus sich erstreckende Égalité- und Fraternité-Gelüste als unfreiwillige Parodien der Bestrebun- gen dieser Declamatoren selbst erscheinen zu lassen In einer Anmerkung sei ein kleiner Excurs gestattet. Beaumarchais, der Dichter des Barbier von Sevilla, Figaros Hochzeit und der schuldvollen Mutter, einer der Vorbereiter der französischen Revolution, hatte einen Hund, auf dessen Halsband er die Inschrift eingraben liefs: Beaumarchais m’appar- tient . Diese hündische Niederträchtigkeit, die sich mit vieler Logik zum Hund eines Hundes erklärt, ist Rameaus Neffen würdig, eine bezeichnende Aeuße- rung der Gesellschaft, welcher Beaumarchais und Rameaus Neffe angehören. Und nun, muß man nicht an die Wunder Hegelscher Dialektik glauben, an das Umspringen der Gegensätze, wenn man bald darauf in derselben Gesell- schaft von einer Verkündigung der Menschenrechte hört? Und wenn man an solche Wunder nicht glaubt, wenn man nach der Logik der exacten Physik in jeder Folge nur die ihr angemessene Ursache erkennt, wird man sich ent- halten können, in der Proclamation der Menschenrechte etwas anderes als eine Lüge zu sehen, würdig der Gesellschaft, der sie entsprang? So müßte man schließen aus den Prämissen, selbst wenn die Consequenzen, der weitere Ver- lauf der Revolution unter Marat, dem Terrorismus, Napoleon nicht noch deut- licher sprächen. Und bis heute hat sich nichts geändert. Und solche Revo- lutionen weiß man in Deutschland immer noch als große Schöpfungen der Weltgeschichte zu rühmen! Viel Logik möge man in ihnen sehen — nur nicht die Logik des weltgeschichtlichen Geistes; furchtbare Ausbrüche der Lüge, nicht der Wahrheit. — Aber wann wird Deutschland aufhören, die wider- spruchsvolle Erscheinung darzubieten des geistig größten und dennoch un- selbständigsten Volkes! Nachdem man oben, an den Höfen zuerst, angefangen hatte, französische Hofsitte einzuführen, hat man auch unten begonnen, fran- zösische Volksmanier anzunehmen — Logik und Nemesis! Andere blicken nach England, wo dicke Finsterniß des Mittelalters an hellem lichtem Tage herrscht, wo es unter den Protestanten Mönche giebt. Man weiß es vielleicht in Deutschland nicht, daß z. B. die Lehrer der Colleges der Universität Oxford sich nicht verheirathen dürfen. Wie arm müssen die reichen Deutschen sein, die sich zu jenen bettel-mönchischen Protestantisten gesellen! Da bin ich nun freilich aus einem Excurs von neuem excurrirt. Ich bitte um Entschuldigung. . Wir gründen unsere Ansicht vom Vorzuge des Menschen auf folgenden einfachen Schluß. Zwei gleichartige und gleich kräftige Ursachen müssen auch gleichartige und gleich kräftige Wirkungen hervorbringen; finden wir nun letztere in Wirklich- keit nicht gegeben, so dürfen wir auch erstere nicht annehmen, müssen im Gegentheil aus der Verschiedenheit zweier Wirkun- 18 gen auf eine derselben entsprechende Verschiedenheit der Ur- sachen schließen: es müßten denn die Hindernisse nachgewie- sen werden, welche die eine Ursache verhindert haben, ihre volle Kraft wirken zu lassen zur Hervorbringung dessen, was in ihr lag. Nun liegt es als Thatsache vor, daß das Thier keine menschliche Welt gründen konnte; also kann es auch keine der menschlichen Seele gleiche Seele haben. Behauptet man diese Gleichheit dennoch, so hat man zu zeigen, worin das Hinder- niß liege, welches die thierische Seele zurückhält, gleich der menschlichen zu wirken. Dieses Hinderniß kann nicht in zu- fälligen Umständen liegen, welche dem thierisehen Wesen äußer- lich wären; denn solche könnten unmöglich einen seit Beginn der Schöpfung ununterbrochen dauernden und ausnahmslos wirk- samen Einfluß geübt haben. Wenn aber dem thierischen We- sen, als solchem, angehörende Verhältnisse als hemmend ange- führt werden, so ist damit das niedrigere Wesen der Thierseele anerkannt. Hier sagt man nun aber: nicht in der thierischen Seele liegt das Hinderniß, sondern lediglich im thierischen Leibe; und nur durch die höhere Organisation des Leibes unterscheide sich ursprünglich der Mensch von dem Thiere, während die Seelen beider zu einer Art gehören (Herbart, Psychologie §. 130.). Wenn man aber auch nicht Materialist ist, d. h. wenn man nicht meint, daß die Seelenthätigkeit bloß Erzeugniß der Wirk- samkeit animalisch-organischer Materie sei — denn dann schlösse ja der Vorzug des Körpers den Vorzug der Seele schon in sich —: auch dann muß man doch ein inniges wechselseitiges Auf-einander-wirken zwischen Seele und Leib annehmen, wie wir das täglich an uns und andern auch beobachten können; und muß ferner zugestehen, daß die Seele auch auf die Schöpfung selbst, auf die Formung und Gestaltung des Leibes einen abso- lut bestimmenden Einfluß übe. Sieht man in der Welt nichts als ein nothwendiges Wirken blinder Ursachen ohne regierenden Zweck, so sind alle Schöpfungen Zufall, und die ungeheuer- lichste Erscheinung ist so gerechtfertigt, als die in sich über- einstimmendste — insofern dann noch von Rechtfertigung die Rede sein kann. Glaubt man aber, die Welt sei nach Zwecken geordnet: — und wie könnte man dann die weitere Annahme eines allweisen, allgütigen und allmächtigen Schöpfers abwei- sen? — so ist die Vereinigung der Seele, wie sie im mensch- lichen Leibe ist, mit dem Leibe eines Polypen, und immerhin mit dem Leibe eines Hundes, Pferdes, Elephanten, ja eines Af- fen, eine phantastische, ungeheuerliche Annahme, welche der Anerkennung des Zweckes in der Welt widerspricht und den Glauben an den Schöpfer verhöhnt. Lassen wir diese sittliche Betrachtung außer Spiel, so bleibt dennoch jede Ansicht, welche voraussetzt, es könne eine Seele an einen ihr unangemessenen Leib gebunden sein, an einen Leib, der ihren Bestrebungen nicht das genügende Organ gebe, völlig unstatthaft. Wenn der Anatom noch nicht einmal einen Löwen- kopf mit einem Eselsrumpfe vereinigen kann, wie will der Psy- cholog eine menschliche Seele mit einem thierischen Leibe ver- binden? Die Seele also, welche nicht die Kraft hatte, sich eine menschliche Hand, Sprachorgane, und überhaupt einen mensch- lichen Leib zu schaffen, ist auch keine menschliche Seele, und sie hat sich jene Organe nicht geschaffen, weil sie kein Bedürf- niß derselben hat, keinen Drang danach fühlt. Hätte sie die- ses Bedürfniß gehabt, so wäre es auch an sich genügend ge- wesen, sich Befriedigung zu schaffen; jener Drang, fände er statt, er würde an sich selbst zur Schöpferkraft geworden sein und jene Organe gebildet haben, wie sie ihm genügen. Der Leib ist das Zeichen der Seele; so viel vermag die Seele, wie sie durch den Leib vermag. So viel gegen Herbart über die höhere Organisation des menschlichen Leibes überhaupt, welche uns eine höhere Orga- nisation der menschlichen Seele verräth. Was nun die Sprach- werkzeuge insbesondere betrifft, so führt Herbart (Psychol. §. 130) Rudolphis Behauptung an: „mechanische Hindernisse sind ge- wiß nicht Schuld daran, daß die Thiere keine Sprache besitzen“, und mißbilligt dies; denn nur mechanische, keine psychischen Hindernisse könnten hier vorliegen. Er sagt: „Wenn man den Hund bellen, das Pferd wiehern hört, so kann man wohl nicht auf den Gedanken kommen, daß diesen sonst klugen Thie- ren das Sprechen mechanisch möglich wäre; vielmehr liegt die Erwartung nahe, sie würden, wenn ihre Stimmritze nur einige Gelenkigkeit besäße, daraus etwas machen, das ihrem übrigen Betragen angemessen wäre, und hierin das Hülfsmittel zwar nicht einer menschlichen, doch einer höhern Ausbildung finden, als sie jetzt besitzen“. Diese Thiere, antworten wir, haben wirklich etwas aus ihrer Stimmritze gemacht, „das ihrem übri- 18* gen Betragen angemessen“ ist. Die Stimmritze des Hundes ist doch so ungelenk gerade nicht. In seinem Winseln, Bellen und Heulen liegt eine ganze Scala von Tönen; und Zunge und Kie- fer sind beweglich genug. Wie? sagt Herbart, die Hunde, „die auf so mancherlei Weise an menschlichen Angelegenheiten Theil nehmen; die dem Menschen so gern Folgsamkeit beweisen, und ihm Hülfe leisten? Also während Papageien und Elstern auf menschliche Töne merken, und sie nachahmen, ohne von dem, was der Mensch wünscht und will, das Geringste zu fassen, kann der Hund, des Jägers und des Hirten treuer und geschick- ter Gehülfe, nur bellen und heulen, — oder vielmehr, er könnte sprechen, und versucht es doch niemals auch nur im Gering- sten?“ Er spricht vielmehr wirklich, ist die Antwort, und ver- sucht nicht bloß; er drückt uns durch sein Bellen, Heulen, Win- seln in sehr verständlicher und durchaus genügender Weise seine „Theilnahme an menschlichen Angelegenheiten, seine Folgsam- keit“, auch seine Gefühlszustände aus — was kann mehr ver- langt werden? Daß die Hausthiere die menschliche Sprache auch im ent- ferntesten nicht nachahmen, scheint allerdings in einem physi- schen Mangel seinen Grund zu haben, aber weniger vielleicht in ungefügigen Sprachwerkzeugen, als in mangelhaftem Gehör, welches für die Unterschiede der Articulation keinen Sinn hat. Hier wird man nun auch wieder ausrufen: Wie, der Hund, der ein so feines Gehör hat! dem unsere Musik unerträglich ist, weil er aus dem, was uns vollste Harmonie zu sein scheint, schreiendste Disharmonie vernimmt! Doch das ist auch wieder so einer von den völlig unbegründeten Schlüssen, die wir nach Analogie von uns auf das Thier machen. Weil wir aufschreien, wenn wir eine Disharmonie hören, meinen wir, der Hund, der bei der Musik heult, müsse dies auch bloß darum thun, weil er eine unerträgliche Disharmonie vernimmt. Hätte der Hund einen so zarten Gehörsnerven, er würde sterben vor seinem ei- genen ohrzerreißenden, Mark und Bein erschütternden Geheul. Die Hauptsache also ist, daß die Thiere gerade so viel Sprache haben, als ihrem ganzen Wesen und ihren Bedürfnis- sen angemessen ist: Sprache des Gefühls und der Anschauung. Freudig bellend springt der Hund, der spatzieren geführt wird: Ausdruck des Gemeingefühls; jämmerlich heult der geschlagene, winselt der bedrängte: Ausdruck des Gefühls; die Thiere stoßen Töne aus zum Anlocken und zum Warnen: Ausdruck ihrer An- schauungen. In letzterm Falle ist in einem gewissen Sinne, wie wir oben gesehen haben, schon Absichtlichkeit und zwar Ab- sicht auf Mittheilung vorhanden. Jetzt frage man sich, was sollen denn die Thiere noch sprechen können? was haben sie noch zu sagen? Soll das Thier urtheilen in der Form einer Ver- bindung von Subject und Prädicat? soll es in gleicher Form seine Chronik erzählen? — Das Thier, von dem Herbart zuge- steht (a. a. O. S. 211), daß es nur eine kurze Vergangenheit und „etwas“ Zukunft hat, nämlich so viel als zwischen der Begierde und ihrer Befriedigung liegt! Dazwischen liegt nun aber eben wohl kaum auch nur etwas. Herbart bemerkt sehr richtig (S. 213), „daß man die gro- ßen Unterschiede, die aus dem Mehr und Weniger, in Rück- sicht des Vorraths und der Verbindung der Vorstellungen, ent- stehen müssen, niemals“ (vor ihm) „ernstlich genug erwogen habe; und zudem“, sagt er, „bin ich völlig überzeugt, daß man viel zu voreilig das Selbstbewußtsein, die sittlichen Gesetze, die Begriffe vom Unendlichen und von der Gottheit, nebst andern ähnlichen, für etwas Ursprüngliches, nicht weiter Abzuleitendes gehalten, und dadurch die Speculation nicht gefördert, sondern beschränkt und gehindert habe, ihr Werk gehörig durchzufüh- ren. Denn es ist reiner Verlust für die Speculation, wenn man das zu Erklärende absolut hinstellt, und es der Frage, warum es also sei, und wie es mit Anderem zusammenhänge, ohne wei- teres durch die Behauptung entzieht, es sei nun einmal so und nicht anders“. Hier sieht man klar, wogegen Herbart mit allem Rechte ankämpft. Aber er hat hierbei ein wenig seine Beson- nenheit, die ihn sonst so umsichtig macht, verloren. So heißt es nun weiter auf derselben Seite: „Jene Begriffe vom Ich, vom Unendlichen u. s. w. können nicht die Menschheit allgemein cha- rakterisiren. Das Kind in seiner frühesten Periode hat sie nicht; der Wilde kommt ihnen vielleicht nicht so nahe als manches Thier“. — Ich möchte wohl wissen, wann und wo wir einen wilden Menschenstamm angetroffen hätten, der zu einer so be- trübenden Behauptung auch nur die mindeste Veranlassung hätte geben können. Es giebt keine einzige Sprache, die nicht ein Wort für Ich hätte; und ihren Benennungen der Dinge liegt allemal im Bewußtsein die Kategorie des Dinges zu Grunde. Wer hat jemals beim klügsten Thiere ein Ich und ein Ding aus sichern Anzeigen zu erschließen vermocht! Das Thier unter- scheidet sich von dem, was es frißt, und von dem Individuum, mit dem es um den Fraß streitet. Wie weit ist von da zum Ich des wildesten Wilden! Während man in die Thiere auf die unkritischeste Weise alles Mögliche hinein deutet, verhält man sich den Wilden gegenüber rein skeptisch und stellt sich dieselben viel zu wild vor. Das Ich des Wilden ist von un- serm gewöhnlichen Ich um kein Haar breit verschieden, wenn es auch kein Fichtesches Ich ist. Und wenn das Kind sich bei seinem Namen und als dritte Person nennt: Karl will essen, statt: ich will ; so liegt auch hierin schon mehr, als der klügste Hund je erreicht, wiewohl es noch gar kein Ich ist. — „„Aber, sagt man““, (und sagen auch wir) „„die Anlage dazu ist doch vorhanden!““ — „Das sagt man“, entgegnet Herbart, „näm- lich in der Hoffnung, die Metaphysik werde so geduldig sein, sich die ursprünglichen Anlagen gefallen zu lassen. Wenn sie nun nicht so geduldig ist, so wird man es schon darauf müssen ankommen lassen, ob vielleicht eine fortschreitende Psychologie dies alles als Producte einer Veredlung erklären könne, zu wel- cher der Mensch wegen der vorzüglichen Hülfsmittel gelangt, die von der Gunst seines höchsten Bildners ihm sind zugetheilt worden“. — Bettelgunst wäre sie, wenn sie sich bloß auf Aeu- ßeres erstreckte, auf Hand und Fuß, und nicht auch auf die innere Organisation der Seele selbst. „Die ursprünglichen An- lagen“ sind es, wogegen sich Herbart wendet. Wenn wir aber auch eine ursprünglich angelegte Vernunft, ein ursprüngliches Bewußtsein vom reinen Ich, eine ursprüngliche Fähigkeit zur intellectualen, absoluten Anschauung weglassen: so setzt doch die „Veredelung“, deren nur der Mensch fähig ist, eine Mög- lichkeit, Fähigkeit, Bedingungen, kurz eine Anlage voraus; und alle diese Bedingungen sollten lediglich mit dem Leibe gegeben sein? Die Seele des Menschen sollte nicht in sich selbst die al- lererste und allerkräftigste Bedingung sein? — Nun auch einmal eine Thatsache, den vielen schönen Hundegeschichten gegenüber. Wer ist denn wohl besser gestellt, leiblich betrachtet, ein Hund im Vollbesitze seiner Sinne, oder ein blindes, taubes, geruch- und geschmackloses Kind? Den Tastsinn hatte es; aber was ist die Hand gegen das Auge! Nun also, Hunde und Bären haben höchstens tanzen gelernt; das blinde und taube Kind Laura Bridgman Vergl. Deutsches Museum 1851 den Aufsatz: Ueber die Sprache der Taubstummen. Der oben erwähnte Brief, der uns nach Abfassung dieses Auf- satzes zu Gesicht gekommen ist, war ein lithographirtes Facsimile. aber ist Lehrerin einer Blinden-Anstalt geworden, und wir haben von ihr einen schön geschriebenen und mit rei- zender Naivetät abgefaßten Brief an die schwedische Schrift- stellerin Friederike Bremer gesehen. Das macht, weil sie zwar weniger als einen thierischen Leib, aber eine menschliche Seele hat. Der Unterschied zwischen dem Menschen und dem Thiere ist allerdings ursprünglich klein und an die leibliche höhere Or- ganisation geknüpft; aber er wächst lawinenartig; und diese Fä- higkeit der menschlichen Seele, sich dergestalt zu entwickeln, daß sie durch ihre Wirkungen sich nie verzehrt, sondern an Inhalt und Kraft gewinnt, gehört zu ihrer innersten Natur. Betrachten wir nun den ursprünglichen, vom Schöpfer ge- gebenen Unterschied etwas näher. Wir können hierbei nicht zu fein, nicht zu haarscharf sein. Es steht zu erwarten, daß wir hier nur auf feine Schattirungsverschiedenheiten stoßen, wel- che aber an Ausdehnung und Werth bald so bedeutend anwach- sen, daß es schwer wird, das endliche Ergebniß auf den ärm- lichen Anfang zurückzuführen. Was zunächst den physischen Unterschied zwischen dem menschlichen und dem thierischen Leibe betrifft, so ist er, so weit wir heute sehen, sehr gering. Eine Menge Unterschiede, die man ehemals annahm, haben sich durch die Untersuchungen der neuern Anatomie als unhaltbar gezeigt, so daß man sich be- rechtigt fühlt, zu behaupten, daß in allen wesentlichen Verhält- nissen der Geburt und des leiblichen Lebens Mensch und Thier eben nicht mehr verschieden sind, als die Säugethiere unter sich. Am liebsten sähe man einen Vorzug des Menschen rück- sichtlich des Gehirns. Doch nach welcher Richtung man auch die Vergleichung anstellen möge, ob man Gewicht oder Aus- dehnung oder Form vergleiche, absolut oder relativ, das Cen- tralorgan in Verhältniß zu den Nerven oder zum ganzen Kör- per betrachtend — es ist noch nicht gelungen, einen consequen- ten Maßstab der Werthschätzung aufzufinden. Dazu dürfte es schwerlich genügen, nur ein einfaches Verhältniß zu Rathe zu ziehen; es greifen hier vermuthlich mehrere Punkte mannigfach ineinander, und mannigfaltige Beziehungen wollen berücksichtigt sein. Indessen andererseits, in welcher Weise man auch die Gehirne vergleichen mag, immer nimmt der Mensch eine aus- gezeichnete Stelle dabei ein. Das Wesentlichste aber wird wohl nicht in allen diesen Beziehungen, sondern in der innern Structur liegen. Aber wir kennen die Wirkungsweise des Gehirns noch sehr wenig. Hier dürfen wir von der Zukunft noch mancherlei Aufschlüsse erwarten. Ferner die aufrechte Stellung. Dieser Punkt muß für die Erregtheit des Leibes, wie der einzelnen Glieder, eine Menge sehr fein unterschiedener Wirkungen hervorbringen, die auch auf die Seelenthätigkeit vortheilhaft erregend wirken müssen, zu- nächst besonders auf das Gefühl, wenn auch alle diese zarten Wirkungen unsagbar bleiben möchten. Es liegt in der aufrech- ten Stellung eine Befreiung vom Erdboden. Das Streben nach ihr kann man durch das ganze Thierreich verfolgen. Je nie- driger die Entwicklungsstufe des thierischen Leibes, desto mehr ist die Gestalt der Erde zugewendet, und die untersten Stufen sind sogar, wie die Pflanzen, am Boden angeheftet. Aufwärts steigend wird der Kopf immer höher und damit beweglicher, freier. Den Flug der Insecten und Vögel kann man als Bild der abstracten Befreiung ansehen. So hoch sie auch fliegen, sie gehören doch der Erde an. Den Fuß auf der Erde, das Haupt frei und fähig sich von ihr abzuwenden: das ist das Bild der wirklichen Freiheit, der Herrschaft; und so ist es die Stellung des Menschen. Hierbei ist nun näher zu berücksichtigen, daß die Weise, wie der Kopf auf dem Halse sitzt, beim Menschen verschieden ist von der Weise beim Thiere. Man beachte aufrecht stehende Hunde und Affen: der Kopf fällt immer nach vorn. Die Befe- stigungsstelle des Kopfes auf dem Halse (das Hinterhauptsloch) ist bei diesen und allen vierfüßigen Thieren mehr am Hinter- kopfe, während sie beim Menschen in der Mitte des Kopfes sitzt. So thront der Kopf gerade auf dem Körper und hat da- bei eine große Freiheit, sich rechts und links zu drehen, vor- wärts hinab und rückwärts hinauf zu ziehen. So ist der mensch- liche Kopf ungleich freier als der thierische; aber auch der ganze übrige Körper ist es. Ein Tuch, das an allen vier Ecken angeheftet ist, flattert weniger frei als ein anderes, das nur an zwei Stellen befestigt ist; oder vielmehr nur dieses flattert frei in der Luft, jenes gar nicht. Der thierische Leib ist ebenso mit seinen vier Füßen an den Boden angeheftet, während der menschliche frei in die Luft hinein ragt. Der fördernde Einfluß dieser freiern Beweg- lichkeit durch die Bewegungsgefühle auf die Intellectualität ist unberechenbar. Hierzu kommen noch zwei andere Punkte, die sich beide auf den Gefühlssinn beziehen. Der thierische Leib ist mit ei- ner dicken starr behaarten Haut überzogen: der menschliche Leib hat eine viel zartere, mit dünnen Haaren besetzte und vie- len Gefühlsorganen versehene Haut. Hierdurch tritt der Mensch in eine viel lebendigere Berührung mit der Außenwelt. Wo das Thier nur dumpf fühlt, gewinnt der Mensch eine bestimmte Empfindungserkenntniß. Viel wichtiger aber noch und die eigentliche Spitze und das Ziel der genannten beiden Einrichtungen des menschlichen Körpers, nämlich der aufrechten Stellung und der zarten Ober- haut, ist die Hand, oder der ganze Arm mit der Hand. Hier erkennt man in wundervoller Weise die Oekonomie, die Spar- samkeit der Natur. Ohne dem Menschen noch andere Glieder zu geben, als dem Thiere, hat sie ihm dennoch mehr Glieder gegeben. Denn indem sie die menschliche Gestalt so einrich- tete, daß zwei Füße denselben Dienst verrichten, welchen dem Thiere vier Füße leisten, konnte sie die beiden andern Füße des Menschen zu Armen mit Händen umgestalten. Diese Glie- der sind die freiesten des menschlichen Körpers; sie bewegen sich nicht bloß nach allen sechs Seiten, vorwärts, rückwärts, rechts, links, nach oben und nach unten, sondern diese Bewe- gungen werden auch noch allseitig combinirt. An die Beweg- lichkeit der Hand, des Daumens, brauche ich nur zu erinnern. Dazu ist die Haut der Finger, besonders der Spitzen, mit dicht- gedrängten kleinen Tastorganen übersäet. Solche Glieder hät- ten schon viel nützen können, selbst wenn sie immer noch zum Gehen verwendet werden müßten. Die aufrechte Stellung aber, indem sie dieselben vom Boden losreißt, erhebt sie in die ihrer würdige Sphäre der Freiheit. Nun wird Hand und Arm das Werkzeug der Werkzeuge und ein besonderer Sinn zur Erkennt- niß von Raumverhältnissen, durch welchen das Auge unterstützt wird. Die räumlichen Anschauungen des Menschen müssen un- gleich entwickelter sein, als die des Thiers. Die Raumanschau- ungen bilden aber die Grundlage aller Seelenerkenntniß. Diese Grundlage muß beim Menschen, durch die freiere Beweglich- keit des ganzen Körpers, durch die größere Feinheit des Ge- fühlssinnes über der ganzen Oberhaut und endlich durch die Hand, viel breiter, viel feiner durchgearbeitet, viel inhaltsreicher und bestimmter sein. Auch ist der Mensch vermöge des Ar- mes mit der Hand der einzige Arbeiter auf Erden; und wie fördert die Arbeit die Erkenntniß! Arbeiten ist ein wahres Ex- perimentiren. Das Thier ist stärker als der Mensch. Aber was diesem an Größe der Kraft abgeht, das ersetzt er reichlich, das über- bietet er vielfach durch die Qualität, durch die innere Vortreff- lichkeit. Das Thier hat einen schärfern Geruch, d. h. es riecht, wo der Mensch nichts empfindet; aber für die verschiedenen Arten von Wohlgerüchen scheint es weniger empfänglich. Doch hierin könnte man einen reinen Luxus des Menschen sehen, der vielleicht auch nicht dem Urzustande angehört. Das Thier scheint aber nicht bloß zu riechen, wo der Mensch nichts em- pfindet, sondern auch durch den Geruch unterscheidende Er- kenntnisse zu erlangen, die dem Menschen abgehen. Hier möchte ich einen unverkennbaren Vortheil des Thieres willig anerken- nen. Auch ist beim Hunde z. B. das Riechorgan und der un- mittelbar zu diesem Organ gehörende Theil des Gehirns auffal- lend mehr entwickelt, innerlich reicher, sorgfältiger organisirt, als beim Menschen. Die Absicht der Natur ist nicht unklar. Zum Aufsuchen der Nahrung und zum Ersatz mancher andern, dem Thiere für seine Selbsterhaltung nothwendigen Erkennt- nisse unterstützte die Natur den Instinct durch einen nicht bloß scharfen, sondern auch fein unterscheidenden Geruch. — Ge- schmack dagegen kann das Thier nur sehr wenig haben, wie aus der Einfachheit seiner Nahrungsmittel hervorgeht. Und sind wir wohl sicher, daß es überhaupt einen Geschmackssinn habe? Der Geruch scheint ihm denselben völlig zu ersetzen. — Die drei wichtigsten, eigentlich theoretischen, Erkenntniß ver- schaffenden Sinne sind: Gesicht, Gehör und Getast. Von letz- term war schon die Rede: das Thier hat ihn im schwächsten, der Mensch im höchsten Grade. Dagegen scheint das Thier rücksichtlich der beiden andern, wie beim Geruch, im Vortheil: es sieht besser und hört besser. Hier aber tritt nun unsere obige Unterscheidung ein von Qualität und Quantität der Kraft. Das Thier sieht und hört besser; das heißt: es sieht in einer Entfernung, hört aus einer Entfernung, in und aus welcher der Mensch nicht sieht und hört; aber was der Mensch sieht und hört, das erkennt er besser, d. h. mit mehr und mit feinern Un- terschieden. Es fehlt erstlich dem Gesichtssinn des Thieres die so lebendige Unterstützung des Tast- oder Gefühlssinnes; das kann nicht ohne schwächenden Einfluß auf die Gesichtserkennt- niß bleiben. Ferner fragt es sich, ob wohl die Thiere Farben- unterschiede erkennen? Herbart bemerkt hierüber (Psych. §. 129. Werke VI. S. 207): „Da es sogar Menschen giebt, die nach Kants Ausdruck alles gleichsam in Kupferstich sehen Kant, Anthropologie S. 55 (Werke, X. S. 161). , so ist leicht zu erwarten, daß wenigstens vielen Thiergattungen keine vollkommnere Sinnesempfindung zugetheilt sein möge; wodurch wiederum der ursprüngliche Vorrath an Elementarvorstellungen eine sehr bedeutende Verminderung erleidet.“ Nun weiß man freilich, wie gewisse Farben auf gewisse Thiere, wie z. B. das Roth auf die Stiere, einen unbegreiflich bedeutenden Eindruck machen. Dies scheint jedoch darauf hinzudeuten, daß die Far- ben dem Thiere weniger Empfindungserkenntnisse geben, als Gefühlsaufregungen verursachen mögen. Wir machen vielleicht Kants eben angeführten Ausdruck noch treffender, wenn wir sagen, das Thier sehe alles in Photographie; die objectiven Ver- hältnisse, die uns als Farben erscheinen, mögen sich in das thie- rische Sehen theils gar nicht einmischen, theils mögen sie in ganz anderer Form gefühlt werden, aber dann sicherlich in ei- ner der theoretischen Entwicklung nachtheiligen Form. — Und ebenso endlich mag es sich mit dem Gehör verhalten: das thie- rische, dem menschlichen quantitativ überlegen, steht ihm den- noch qualitativ nach. Das Pferd spitzt die Ohren, lange bevor der Reiter etwas merkt. Aber Sinn für wohllautende Töne, für Harmonie und Rhythmik haben die Thiere nicht. Das Pferd scheint vom Blasen der Hörner angenehm berührt zu werden; der Hund heult die Musik an. Es giebt bekanntlich auch Men- schen, welche für Musik keinen Sinn haben, denen Musik blo- ßer Lärm ist. Wilhelm von Humboldt ist ein solches Beispiel, er, der in den übrigen Künsten den gebildetsten Geschmack hatte. Was unter den Menschen Ausnahme ist, kann leicht beim Thier Regel sein. Ebenso mag dem Thiere der Unterschied der Articulation völlig entgehen. Betrachten wir also die Wirkung der Sinnesorgane insge- sammt, so werden wir sagen müssen, daß die reine Naturkraft der thierischen Sinne stärker ist, als die der menschlichen; daß dafür der Mensch eine größere Mannigfaltigkeit von Eindrücken hat, welche, weniger oder ganz und gar nicht der Nothwendig- keit des leiblichen Lebens dienend, nur als ein wuchernder Ueber- schuß von den Sinnen hervorgebracht werden und zum Luxus, zur Annehmlichkeit des Lebens sich darbieten. Wir sehen hier die Entstehung der Künste im Keime angelegt. Nämlich jeder Ueberschuß über die Nothwendigkeit der Natur treibt zur Kunst, zum Selbstbewußtsein. Das Thier riecht und schmeckt, damit es die ihm wohlthuende Nahrung erkenne, damit es wisse, wenn es genug gegessen habe. Der Mensch aber unterscheidet Wohl- geruch und Wohlgeschmack. Er fühlt einen Gaumen- und Na- senkitzel. Indem er das Bedürfniß des Essens, des Leibes be- friedigt, gewährt er noch nebenbei der Seele einen Genuß, weckt also die Seele, und schon hier beginnt das Ich. Helle und Dun- kelheit, das Farbenspiel der Natur, das Tönen derselben ergreift den Menschen, erregend und niederdrückend, erheiternd und be- ängstigend, ohne daß sich sagen ließe, wie und warum? Diese ästhetischen Eindrücke der einfachen Natur hat der Wilde, der Urmensch in viel höherm Grade, als wir, und sie sind Quelle der Kunst und Religion, Ueberschuß über die Sinne in den Geist; das Thier aber hat davon sehr wenig, wenn überhaupt etwas. Wir haben hier besonders ein Gefühl hervorzuheben: den Schauer, den der Urmensch etwa empfand, als er zum ersten Male den dunkeln rauschenden Hain betrat. Ich glaube ihn psychologisch erklären zu können. Wegen der Association der Anschauungen hat der Mensch, und auch das Thier, Erwartun- gen einer folgenden Anschauung, sobald ihm die erste gegeben ist. Nun aber gewinnt der Mensch viel mehr Elementarkennt- nisse. Der Vorgang der Association und Erwartung muß sich also ungleich häufiger beim Menschen, als beim Thiere ereignen. Die Erwartung wird eine viel festere Gewohnheit, wird ihm zum Bedürfniß. Wenn sich eine Reihe von Anschauungen vor ihm entwickelt, so kann er sich nicht enthalten, bei jeder einzelnen eine andere, die in seiner Seele mit jener verknüpft ist, zu er- warten. Oder es sind mehrere mit jeder verknüpft; so erwar- tet er, welche derselben jetzt ihre volle Klarheit erlangen solle, dadurch daß ihm die wirkliche sinnliche Anschauung von neuem geboten wird. So ist es, nur in geringerer Menge, beim Thiere auch. Wird nun aber eine neue Anschauung geboten, welche noch mit keiner andern verknüpft sein kann, so starrt das Thier gleichgültig; der Mensch aber, der sich in eine Reihe von An- schauungen geführt sieht, bei deren keiner er Gelegenheit hat etwas Bekanntes zu erwarten; dem hier bevorsteht, daß ihm einzeln nach und nach mehrere Anschauungen ohne vorgängige Erwartung geboten werden: er fühlt in dieser ungewohnten Weise des Anschauens jene Beklemmung des Schauers, in welchem er bei jedem Schritte erst der Erholung, der Wiederherstellung des Gleichgewichts im Bewußtsein bedarf. Es ist kein Ablauf einer Reihe von Anschauungen, wo Welle auf Welle folgt; son- dern es sind abgebrochene Schritte, deren jeder für sich, un- associirt dasteht. Dieser Schauer des Unbekannten ist eine Quelle der Religion. Kommen wir zurück auf die Stärke der Sinne. Betrachten wir es recht, was es heißt: stärkere Sinne haben? Mächtiger von der Natur ergriffen, erregt sein, d. h. sinnlich, leiblich er- griffen, d. h. leidend. Die Sinne sind beim Thiere breite Thore, durch welche die äußere Natur mit solcher Macht in die Seele einstürmt, daß diese unterworfen wird, Selbständigkeit und freie Bewegung verliert. Bei den stumpfern Sinnen des Menschen ist die menschliche Seele auch mehr gegen den überwältigenden Eindruck der Außenwelt geschützt, und sie bleibt ihrer mäch- tig. Sie nimmt durch die Sinne gerade so viel auf, als sie be- darf und verarbeiten, sich assimiliren kann. Es findet also zwi- schen Thier- und Menschenseele ein ähnlicher Unterschied statt, wie zwischen Gefühl und Sinnesempfindung. Im sinnlichen Ge- fühle erkennt die Seele die das Gefühl hervorrufende Außen- welt nicht, weil sie zu sehr mit dem eigenen Körper beschäftigt ist, zu sehr mit ihm leidet. Das geringere Leiden der Empfin- dung gestattet ihr die Freiheit, das Bewußtsein, zu fragen: woher kommt mir dies? und mit der Antwort hierauf eine Au- ßenwelt zu setzen, anzuerkennen. In gleicher Weise nun kann die Thierseele, von starken Sinnesempfindungen bestürmt und unterjocht, sich nicht weiter entwickeln, nicht Gebieterinn ihrer selbst und ihrer Empfindungen werden und letztere mannigfach bearbeiten; aber die menschliche Seele, im Widerstande gegen schwächere Empfindungen, bemächtigt sich derselben zur wei- tern Erkenntniß. Die menschliche Seele, weniger der Natur hingegeben, mehr bei sich bleibend, entwickelt sich zum Geiste, während die thierische im Leibe erstarrt. Der ganze menschliche Leib ist schwächer, als der thieri- sche; darum ist die menschliche Seele stärker, als die thierische. Betrachtet man Natur oder Leib überhaupt im Gegensatze zur Seele: so mag man sagen, die Seele sei der Parasit des Leibes. Dieser Ausdruck ist uns aber zu schwach. Dabei wird der Mensch als eine Art Thier betrachtet. Das Verhältniß zwischen Leib und Seele ist aber im Menschen völlig umgestaltet. Wäh- rend beim Thier die Seele des Körpers wegen da ist, der Leib Herr, die Seele ihm dienend: so ist umgekehrt beim Menschen der Leib nur der Seele wegen da; sie nur ist, und der Leib ist ihre Stütze. In der That, der Erfolg aller thierischen Seelenthätigkeit geht auf im Dienste für den Leib; alle Sinne dienen dem Ma- gen oder dem Ausweichen der Gefahr. Noch etwas mehr wol- len wir zugestehen: das Thier spielt; und wenn man dies, und wir meinen mit Recht, als bloße Nervenerregung ansieht, so ist ferner daran zu erinnern, daß das Thier es freudig fühlt, wenn man es freundlich streichelt, ihm wohlwollend schmeichelt, und mancher Hund Eifersucht zu zeigen scheint, wenn er Liebes- beweise seines Herrn gegen andere bemerkt. Das Thier hat also mehr als bloß sinnliches Gefühl; natürlich! denn es hat An- schauungen, und folglich hat es auch Affecte. Es beweist Liebe, Treue, Dankbarkeit, Haß, Rache. Man kann nicht sagen, es sei durchaus egoistisch; aber es ist durchaus praktisch oder vielmehr utilistisch, und ist nicht theoretisch, liberal. Es bezieht alles auf sich oder den es liebt, auf seinen Nutzen; was ihm nicht nützt, ist nicht für das Thier, und was für dasselbe ist, ist dies nur, insofern es ihm nützt. Abgesehen von den Spiel- bewegungen, zu denen es erregt wird, ergötzt sich das Thier nicht, nicht am Wohlgeruch, nicht am Anschauen, nicht am Hören. Der Mensch, auch der Wilde, hat ein vielfältigeres In- teresse an den Dingen; er verzehrt sie nicht bloß, sondern ge- nießt sie, indem er sie gewähren läßt. Das ist ein Anfang rein theoretischer Beobachtung. Das Thier genießt wesentlich nur mit dem Leibe, dem die Seele dient; der Mensch mit der Seele, welcher der Leib dient. Nun ist aber auch die umgekehrte Betrachtung anzustellen. Der menschliche Leib ist so schwach und hülßbedürftig, er hat an seinen Sinnen so ungenügende Warner, Rathertheiler und Ver- sorger, ist durch seine Glieder so wenig geschützt und versorgt, er hat so vielerlei Bedürfnisse, daß er in viel höherm Grade als das Thier zur Erhaltung des Lebens die Thätigkeit der Seele in Anspruch nimmt. Das Thier erhält über das, was es zu sei- ner Erhaltung zu thun habe, genügende Belehrung durch den Instinct, dem die Sinne noch helfen. Der Mensch hat von die- sem Instincte wenig oder nichts. So könnte es scheinen, als würde sich die menschliche Seele nie erheben können über diese Dienstbarkeit gegen den Leib, zu welcher sie verdammt sei; als müsse sie den Ueberschuß an Kraft und Fähigheit, den sie vor dem Thiere voraus hat, gänzlich darauf verwenden, den Mangel an Instinct zu ersetzen. Doch dem ist nicht so. Gerade der thierische Instinct ist die im Dienste des Leibes stehende Seele; die für den Körper Sorge tragende menschliche Seele sorgt für jenen, wie ein Herr für seinen Knecht, dem er gute Nahrung, Kleidung, Befriedigung aller Bedürfnisse verschafft, bloß damit derselbe um so besser für ihn arbeite. Nicht anders sorgt die menschliche Seele für ihren Leib. Darum eben hat und sucht die Seele bei der Versorgung des Leibes zugleich noch ihre ei- gene Befriedigung. Sie schafft nicht nur dem Leibe Speise, sondern sucht dabei zugleich für sich den Wohlgeschmack; sie verfertigt nicht nur Kleidung und Bewaffnung zum Schutze gegen die Elemente und Feinde, sondern sie befriedigt dabei zugleich ihr Wohlgefallen an Farbenpracht und Putz. Die Seele spielt mit Nahrung und Kleidung; so erhebt sie sich über das Bedürfniß, das Nothwendige, und tritt in den Kreis des Freien. Das Bedürfniß der Natur wird nun zwar immer und ewig mit gleichem Lustgefühl befriedigt; aber nicht so das Bedürfniß des Spiels. Es thut immer wohl, Hunger und Durst zu stillen, Kleidung und Wohnung dem Wetter gemäß zu haben; aber das Spiel wird einer Sache bald satt; es verlangt Abwechs- lung, es erträgt das Gewohnte nicht. So wird also die Seele zunächst durch das Bedürfniß des Leibes, sodann zur Befriedi- gung des Spieltriebes in Anregung, in Thätigkeit versetzt; sie muß suchen, und zwar mehr, als sie brauchte. Und jeder Fund steigert die Lust am Suchen, und diese Lust wird nicht eher befriedigt, als bis sie einen neuen höhern Fund erlangt hat; und so bildet sich selbst in der Befriedigung diese Sehn- sucht, welche die menschliche Seele zur endlosen Entwicke- lung treibt. Endlich haben wir noch der Geselligkeit zu gedenken. Daß dieselbe ein unentbehrliches Mittel der Seelenentwickelung ist, sie, auf der Wetteifer, Bereicherung durch Mittheilung, Ueber- lieferung auf folgende Geschlechter, also Einheit aller Seelen- thätigkeit des ganzen Menschengeschlechts beruht, im Gegen- satze zur Zersplitterung der Thierarten in vereinzelt lebende und über ihr Leben hinaus nicht fortwirkende Individuen: das braucht kaum angedeutet zu werden. Aber woher rührt sie? Auch ist die Geselligkeit nicht allen Thierarten fremd. Ganz fremd ist sie sogar keiner Art. Alle Thiere derselben Art erkennen sich als solche, spielen und arbeiten wohl zusammen, gehen zu- sammen auf Nahrung aus. Die sogenannten Raubthiere thun dies wohl weniger. Sie, die doch wohl am meisten gegensei- tiger Hülfe bedürften, schließen sich am meisten ab, weil sie sich bei der Theilung der Raubes nicht vertragen würden. So viel Rücksicht aber schenkt dennoch jedes Raubthier dem In- dividuum seiner Art, daß es dasselbe nicht anfällt, um sich ein- fach an ihm zu sättigen. Ein hungriger Wolf wird jedes lebende Wesen, dem er begegnet, angreifen, aber keinen Wolf. Auch der Mensch ist Egoist genug, daß er leicht, seiner gemeinen Natur folgend, zerstreut und vereinzelt gelebt haben würde, nicht, wie etwa der Elephant, in Gruppen und Haufen. Die Vorse- hung aber hat ihn durch gewisse Einrichtungen auf den Weg der Geselligkeit geleitet. Es ist nicht die Schwäche der Men- schen überhaupt, welche sie an einander knüpft. Der Mensch ist nicht so schwach, um nicht auch vereinzelt leben zu können; und Rücksicht auf Vortheil, d. h. Egoismus, wie sollte der im Stande sein, Verbindung, Gesellschaft zu erhalten! Aber die Schwäche des neugeborenen Menschen, seine lange Kindheit, unterhält lange Zeit den rein natürlichen Affect elterlicher Liebe, knüpft zwischen Kind und Eltern ein durch Gewohnheit vieler Jahre fest geschlungenes und fest gewebtes Band. Mit der Reife der jüngsten Kinder fällt der Beginn der Altersschwäche der Eltern zusammen, und das Band knüpft sich in umgekehrter Weise von neuem. Auch mischen sich in das zunächst rein na- türliche instinctive Gefühl der Eltern- und Kindesliebe sehr bald ethische Elemente, die ja schon das Thier kennt. So entstehen sogleich Familienbande, gewebt aus Liebe, Dankbarkeit, Vereh- rung, ja religiösem Gottesgefühl. So bilden sich nun Familientraditionen. Die lange Kind- heit des Menschen begünstigt den Unterricht; der Mensch hat lange Lehrjahre, und ehe der Geschlechtstrieb erwacht, hat er in sorglosem Leben schon eine bedeutende Bildung und Selb- ständigkeit der Seele erlangt, deren weitere Entwickelung nun durch die Geschlechtsreife mehr gefördert, als gehemmt wird. Das Thier gelangt zu dieser Reife schnell; seine Kindheit ist kurz, und kaum hat es angefangen zu lernen, so hat es die wei- tere Lernfähigkeit verloren. Der menschliche Körper ist schwächer, als der thierische, und dennoch hat er mehr Lebensdauer, ist weniger abhängig von den Einflüssen der Elemente. Die längere Dauer des Le- bens ist vorzüglich wichtig. Der Mensch hat lange gelernt; nun bleibt ihm aber noch drei-, vier-, fünfmal so viel Zeit, um das Erlernte zu bereichern durch eigene Entdeckung und Erfindung und selbst wieder zu lehren und später mit dem Lehrling zu- sammen als Gesellen zu arbeiten. Aus alle dem jedoch würde vielleicht nur folgen, daß die Menschen familienweise in Höhlen zerstreut wohnten, wenn nicht in des Menschen Brust noch ein besonderer Drang zur Gesel- ligkeit lebte. Herbart bemerkt, wiewohl in einem andern Zu- sammenhange (Psych. §. 135. Werke VI, S. 244.): „Das Kind weint, wenn es allein an einem unbekannten Orte bleibt, nicht bloß seiner Bedürftigkeit wegen, sondern weil die Vorstellungen der bekannten Umgebung jetzt, in der unbekannten, eine Hem- mung erleiden, die sich auf die Vorstellung von seiner eigenen Person fortpflanzt. Selbst der mehr herangewachsene Mensch empfindet eine ähnliche Hemmung im Dunkeln; er singt, er spricht, er schreiet, um etwas von sinnlicher Wahrnehmung zu haben, das mit der Vorstellung von ihm selbst zusammenhänge.“ Diese Bemerkung wird gewiß jeder aus eigener Erfahrung be- stätigen. Aber das Kind weint, selbst in der elterlichen Stube, wenn man es allein läßt; und auch Herangewachsenen ist nicht bloß die Dunkelheit, sondern auch, und vielleicht noch mehr, die Einsamkeit drückend. Die Seele verlangt einen ungehemm- ten Fluß der Vorstellung. Ist dieser Fluß weniger lebendig, wird er matt, so fühlt man drückende Langeweile; man verlangt von außen her Anregung, man sucht Gesellschaft. Denn das 19 Gespräch, die Unterredung gewährt dieses Vergnügen, daß An- schauungen in die Erinnerung, Gedanken in das Bewußtsein ge- rufen werden. Und wie die Trägheit des eigenen Vorstellungs- verlaufes, die Leerheit des eigenen Bewußtseins die Gesellschaft aufsuchen läßt: so drängt auch die Fülle des Herzens und Gei- stes, die Lebendigkeit des Wechsels der Vorstellungen zur Aeu- ßerung, und jede Aeußerung will Mittheilung sein; also wird man zur Gesellschaft getrieben. So finden sich gleichgestimmte Seelen; es bildet sich Freund- schaft, Gemeinsamkeit der Interessen, Wetteifer, und was sonst noch Tugenden hervorruft und die Entwickelung des Geistes fördert. Wir haben hier einen bloß gedachten vorsprachlichen Ur- zustand des Menschen construirt, gewissermaßen eine künstliche Fiction, deren Wirklichkeit in der Zeit uns gar nicht kümmert. Wir haben diesen rein theoretisch construirten Zustand der Men- schenseele mit der thierischen verglichen, und für erstere überall und in allen Beziehungen einen Ueberschuß an Kraft gefunden. Diesen Ueberschuß lassen wir nun die menschliche Seele auf die Bildung der Sprache verwenden. Darauf kam es uns ja an, zu zeigen, warum zwar aus der menschlichen Seele, aus ihrer Wahrnehmung, Sprache entspringe, nicht aber aus der thierischen. Nach unserer obigen Vergleichung wird man nicht mehr darüber verwundert sein, daß die thierische Seele da mit ihrer Bildung aufhört, wo die menschliche Seele erst anfängt, in der Schöpfung der Sprache ihre eigenthümliche Natur zu ent- wickeln. Bei unserer ganzen obigen Darstellung der Thier- und Menschenseele mußten wir von der Sprache absehen, deren Mög- lichkeit ja erst erwiesen werden sollte. Woher die Kraft stamme, vermittelst welcher die Seele Sprache bildet, das sollte erst ge- zeigt werden, diese Kraft zur Schöpfung der Sprache kann na- türlich nicht aus der Sprache stammen. Darum haben wir einen Zustand des Menschen, wie er vor der Sprache ist, fingirt. Das ist freilich nur eine Fiction; denn die Sprache ist dem mensch- lichen Wesen so nothwendig und natürlich, daß ohne sie der Mensch weder wirklich existirt, noch als wirklich existirend ge- dacht werden kann. Der Mensch hat entweder Sprache, oder er ist gar nicht. Andererseits aber — und dies rechtfertigt die obige Fiction — darf doch die Sprache nicht als zum Sein der menschlichen Seele selbst gehörig angesehen werden; sie ist viel- mehr allerdings schon eine nicht ohne ein gewisses Bewußtsein vollbrachte Schöpfung des Menschen, wenn auch noch keine selbstbewußte That. Sie ist eine Stufe der geistigen Entwicke- lung der Seele und verlangt eine Ableitung aus den ihr voran- gehenden Stufen. Mit ihr beginnt das eigentlich menschliche Thun und Treiben; sie ist die Brücke, die aus dem Thierreiche in das Menschenreich führt. Die Materialien dazu können nur aus ersterm entlehnt werden; im Thier-Menschen muß die Mög- lichkeit zur Sprache nachgewiesen werden. Warum sich aber nur die menschliche Seele diese Brücke baut, warum nur der Mensch vom Thierstande zur reinen Menschheit vermittelst der Sprache schreitet, und nicht auch das Thier: das wollten wir uns durch eine Vergleichung des Thieres mit dem Thier-Men- schen klar machen. Diese Vergleichung zeigte uns, daß der Mensch, wie wir ihn uns ohne Sprache fingiren müssen, zwar ein Thier-Mensch, aber kein Menschenthier, noch sonst eine Art Thier ist, sondern immer schon eine Art Mensch. Wir fügen nun zum Beschlusse dieser Vergleichung des Menschen mit dem Thiere noch eine Bemerkung hinzu, die das Wesen der Sprache näher als alles früher Erwähnte betrifft und diese Betrachtung mit der vorangehenden über den Zusammen- hang von Leib und Seele zusammenschließt. Nämlich: die Thier- seele wird von jeder leiblichen, sinnlichen Affection, vom Schmerz- und Lustgefühl, wie von den Empfindungen, aufs lebhafteste mit ergriffen, ohne Herr der Affection zu werden; umgekehrt wird beim Menschen der Leib durch die Affectionen der Seele mit- bewegt. Denn hat die menschliche Seele die Uebermacht über den Leib, muß sie ihn ernähren, wahren, schützen, bleibt sie den Sinneseindrücken gegenüber ihrer selbst mächtig und wird nicht hingerissen in den Strudel sinnlicher Empfindung: so wirkt sie auch aus eigener Erregung so kräftig auf den Leib zurück, daß dieser zum treuen Spiegel ihrer Bewegungen wird. Die Thierseele ist der Reflex des thierischen Leibes; beim Menschen reflectirt der Leib die Seele. Sicht- und hörbare leibliche Ver- änderungen, veranlaßt durch Seelenerregungen, verrathen uns die unsichtbaren Seelenbewegungen, deren Reflex sie sind. Dies ist der Quell der Sprache. Der Körper ist stumm, wenn er seine eigene Masse, sein eigenes Gewicht gelten läßt; er spricht, indem er die Form annimmt, die ihm die Seele auf- prägt. Die Herrschaft des Geistes über den Körper 19* bricht in Tönen aus, und Freiheit ist das Wesen der Sprache . §. 91. Sprache als Befreiungsact der Seele. Das Sprechen ist also eine Befreiungsthätigkeit. Das füh- len wir ja alle heute noch, wie wir unsere Seele erleichtern, von einem Drucke befreien, indem wir uns äußern. Die Sprache wirkt hier wie ein Thränenerguß, und oft zusammen mit ihm. Besonders aber das erste Hervorbrechen der Sprache beim Kinde und beim Urmenschen ist eine Befreiung der Seele von dem Drucke der auf sie eindringenden Sinnesempfindungen. Denn je größer bei der fortschreitenden Entwickelung des Geistes die Selbstbeherrschung wird, desto mehr lernen wir schweigen, d. h. die von außen kommenden Eindrücke auch ohne Sprache über- winden; gemäß dem ursprünglichen Verhältnisse aber muß man ganz eigentlich, und nicht bloß bildlich, sagen: so wie ein ela- stischer Körper, der erschüttert wird, in einen tönenden Zustand versetzt wird und sich durch dieses Tönen von dem empfange- nen Stoße losmacht, indem er ihn der Luft weiter giebt: eben so tönt der Mensch, erregt durch die auf ihn einstürmenden Ge- fühle und Anschauungen, in der Sprache und befreit sich von den empfangenen Eindrücken, indem er sie an die Luft abgiebt durch das Wort. Wie gesagt, wir bewegen uns hier nicht in Metaphern, son- dern stehen auf dem Boden der genauen Lehre von den phy- sikalischen Kräften. Es ist zu interessant, die Sprache als Re- flexbewegung unter das allgemeine Gesetz der physikalischen Kräfte zu bringen, und sie so von dem umfassendsten Stand- punkte aus anzusehen, als daß ich mir versagen könnte, die hierauf bezüglichen Bemerkungen aus Lotzes Allgemeiner Phy- siologie (S. 450 ff.) ausführlicher mitzutheilen. Gehen wir näm- lich davon aus, daß jede Wirkung einer Kraft auf einen Kör- per, nach dem Gesetze der Trägheit, so lange fortdauert, als sie nicht durch entgegengesetzte Widerstände aufgezehrt wird, wenn auch nicht nur ihre Richtung, sondern auch ihre Form sich so umgestalten kann, daß sie nur in einem ihrer Größe entsprechenden Aequivalent eines anderen von ihr angeregten Processes fortdauert: so bemerken wir nun auch, daß auf den lebendigen Körper in jedem Augenblicke seines Bestehens eine große Anzahl physischer Kräfte einwirken, deren Wirkungen ebenfalls entweder auf andere Körper übertragen, oder sonst wie aufgezehrt werden müssen. Es ist doch auch wohl ferner vor- auszusetzen, daß der organische Körper, wie eine jener sinn- vollsten Maschinen, die zufälligsten und formverschiedensten Ein- wirkungen von außen nicht nur zu überdauern, sondern ihnen zugleich einen benutzbaren Effect für seine eigenen Zwecke ab- zugewinnen vermag. Ein Perpetuum mobile freilich ist auch er nicht. Gewaltsamen Erschütterungen vermag er nicht zu wi- derstehen. „Geringere Erschütterungen dagegen müssen wir bei Pflanzen, wie bei Thieren, als aufgenommen in den Plan des Le- bens ansehen, bei diesen als unvermeidliche Folgen der Muskel- bewegung, bei jenen als Nebenumstände, welche mit dem Ge- nusse des adäquaten Lebensreizes, der atmosphärischen Luft, gleich unabtrennbar verbunden sind. Ein großer Theil dieser zugeführten Erschütterungen geht nun allerdings nutzlos verlo- ren; der Organismus theilt seine Bebungen dem Boden und der umgebenden Luft mit; ein anderer Theil der Bewegung wird auf Erzeugung von Schallschwingungen, ein kleinerer vielleicht noch auf Bildung von Wärme verwandt.“ Andererseits aber sind diese Erschütterungen förderlich für die Saftbewegung und den Stoffwechsel, sowohl bei Thieren als bei Pflanzen. Betrachten wir jetzt die Nervenwirkungen . Die Erre- gung motorischer Nerven findet ihre Ausgleichung in der Con- traction der Muskeln, und diese verliert sich in Wärmeerzeu- gung und chemische Processe, außerdem daß die Glieder ihre Bewegung nach außen mittheilen: dies ist leicht zu sehen. Aber „wohin verlieren sich die unzähligen zum Theil so starken Ein- drücke, denen unser sensibles Nervensystem jeden Augenblick ausgesetzt ist? Diese Frage läßt sich nicht mit Sicherheit ent- scheiden, doch giebt es einige Spuren, die wir verfolgen kön- nen.“ Nämlich der Nerv nutzt sich ab, und so wird also auch seine Erregung in chemische Processe umgewandelt. Doch dies geschieht nicht schnell genug, und wir erkennen leicht noch zwei Möglichkeiten, wodurch sich der Körper von den Nerven- erregungen befreit, Muskelbewegung und Absonderung. „Die Natur hat die erste Art der Ausgleichung sensibler Erregung, ihre Uebertragung nämlich auf motorische Nerven, nicht nur höchst ausgedehnt verwirklicht, sondern zugleich das Unvermeidliche zum Besten gekehrt. Zwar nicht immer, aber überall, wo die Function eines Organs dazu Veranlassung gab, erscheinen diese Reflexbewegungen nicht nur als Ableitungen der Erregung in den sensiblen Nerven, sondern zugleich als Auslösungen nützlicher Leistungen. Ein heftiger Lichteindruck bringt sofort Schließung der Augenlieder hervor … Dem Ge- hörnerven scheint kein so lenksamer Muskelapparat eigen zu sein, durch dessen Erregungen er seine eigenen beruhigt; doch dürften leicht theils die Stimmorgane, theils die gesammten Kör- permuskeln, in denen wenigstens jede rhythmische Musik so leicht Bewegungstriebe hervorbringt, eine Ableitung jener Erregungen enthalten … Ueberraschende Reize, welche eine große Haut- fläche zugleich treffen, oder intensive Schmerzen der äußern und der innern Theile, bringen besonders deutliche Nachwirkungen in den Bewegungen des Athmens und der Circulation hervor“, wobei wenigstens eine Ausgleichung der sensiblen Erregung, wenn auch keine teleologische Benutzung stattfindet. Nur kann man recht wohl in den durch Reflexion der sensiblen Erregungen auf die Tonorgane hervorgebrachten Lauten „eine zweckmäßige Dar- bietung eines Ausdrucksmittels innerer Zustände sehen, dessen sich die Ueberlegung“ (dies Wort ist nicht eigentlich zu neh- men) „weiter bedient, um durch Gedankenmittheilung eine Hilfe zu suchen, die nicht unmittelbar durch organische Processe ge- leistet wird.“ Und endlich heißt es (S. 462.): „Nur dies möch- ten wir bitten, daß man die physiologische Nothwendigkeit nicht überhaupt verkennt, die in dem Zusammenhange dieser Processe, z. B. der sensiblen und der motorischen obwaltet, und daß man an seine Stelle nicht eine unbestimmte psychische Verknüpfung setzt. Der Schrei des Leidenden ist keine Handlung, die aus psychischen Motiven folgt, sie gehört gewiß zur nothwendigen Verkettung physiologischer Processe … Es hat einen großen Reiz, das ästhetisch Bedeutsame des Lebens oder die psychisch nothwendigen Veranstaltungen mit unvermeidlichen mechanischen Verhältnissen zusammenhängen zu sehn. So ist die Sprache nicht allein eine Erfindung des Menschen, sondern in der An- regung der Stimme durch innere Zustände überhaupt liegt ein natürlicher Trieb zu ihrer Erfindung und Benutzung; und selbst dieser Trieb ist von der Natur nicht blos willkürlich an jene innern Zustände geknüpft, sondern enthält zugleich die unent- behrliche mechanische Ausgleichung, die sie erfordern.“ Wir dürfen also jetzt in ganz eigentlichem Sinne sagen: der Mensch spricht, wie der Hain rauscht. Luft, welche Töne und Gerüche trägt, Lichtäther und Sonnenstrahlen, und der Hauch des Geistes fahren über den menschlichen Leib dahin, und er tönt. b ) Hervortreten der Sprache . Nach allem Vorangegangenen dürfen wir uns nun vorstel- len, daß der Urmensch in größter Lebhaftigkeit alle Wahr- nehmungen, alle Anschauungen, die seine Seele empfing, mit leiblichen Bewegungen, mimischen Stellungen, Gebärden und besonders Tönen, ja sogar articulirten Tönen, begleitete. Diese Reflexbewegungen bedeuten nun thatsächlich schon die Seelen- erregungen, deren Reflex sie sind. Was nun noch zur Sprache fehlt, ist freilich nicht unbedeutend, ist vielmehr das Wichtigste, nämlich das Bewußtsein dieser Bedeutung, die Verwendung der Aeußerung. Die bewußte Verbindung erst der reflectirten Körperbewegung mit der Seelenerregung giebt den Anfang der Sprache. Die Seelenerregung aber, Gefühl, Empfindung, An- schauung, ist schon Bewußtsein; also ist das Bewußtsein vom Bewußtsein Anfang und Quell der Sprache, oder mit der Sprache wird die Seele Bewußtsein des Bewußten, also Selbstbewußtsein; die Seele wird Geist. Dieser Uebergang von Seele in Geist ist also das Erste, was uns hier beschäftigt. §. 92. Anschauung der Anschauung. Wir denken uns hier den Menschen als anschauend; aber wir dürfen noch nicht sagen, er besitze Anschauungen. Denn er hat wohl Gedächtniß, wie auch das Thier, aber noch keine Erinnerung, keine erinnerte Anschauung. Unser Mensch, wie wir ihn hier als Fiction hinstellen, lebt, wie das Thier, im schnel- len Wechsel gegenwärtiger, sinnlicher Anschauungen. Jede An- schauung ist begleitet von einer Reflexbewegung, deren Zweck Ableitung des Druckes von der Seele, Erleichterung ist. Hier- mit ist beim Thiere die Sache aus; beim Menschen noch nicht, sondern sie schreitet fort. Die menschliche Seele entledigt sich ebenfalls des empfangenen Eindruckes; aber sie hat einen dop- pelten Vortheil gegen die thierische. Bei der thierischen Em- pfindung ist, wie wir oben gesehen haben, die leibliche Erre- gung überwältigend für die Seele und darum die Gegenwirkung der Seele schwach. Beim Menschen ist umgekehrt die leibliche Erregung viel schwächer, die Seelenreaction viel stärker. Sollte dies der Grund sein, warum der Mensch ein längeres Leben hat, als das Thier, obwohl sein Körper schwächer ist? Das Thier wird so stark von der Außenwelt ergriffen, hat so wenig natürlichen oder künstlichen Schutz gegen außen, daß es sich schnell abnutzt und aufreibt. Des Menschen Körper, in feinerer Weise und schwächer erregt und alle Stöße von außen kräftig zurückgebend, erhält sich länger durch die Macht und Weisheit der Seele. Die menschliche Seele also, fern davon ein Parasit ihres Körpers zu sein, benimmt sich gegen ihn wie ein Herr, der seinem Knecht aus milder Gesinnung und im eigenen Vor- theil allen Schutz angedeihen läßt, um ihn länger zu bewahren. Einwirkung von außen und Gegenwirkung der Seele stehen also in umgekehrtem Verhältnisse. Die thierische Seele giebt einen starken Eindruck schwach zurück und ist erschöpft; die menschliche Seele giebt einen schwachen Eindruck mit Kraft zurück, ihre Thätigkeit ist erregt, und es ist ein Ueberschuß von Kraft da, der seiner Verwendung harret. Selbst die durch die Reflexionsbewegung verlorene Kraft erhält die Seele unmit- telbar wieder. Hier sehen wir, wie der psychisch-physische Or- ganismus jenen vorzüglichsten Maschinen gleicht, welche den durch ihre eigene Thätigkeit nothwendig entstandenen Verlust im Verluste selbst sogleich wieder ersetzen. Denn die Seelen- erregung reflectirt sich auf die Athembewegung und verstärkt diese. Das Athemholen aber wirkt erregend auf die Seele und führt ihr Kraft zu. Die menschliche Seele also, durch die Anschauung erregt, tritt hervor; und weil sie in der Anschauung nicht erschöpft, weil eine größere Kraft erregt, als verwendet worden ist, so ist nun die Seele nach Vollendung dieses Vorganges der Anschauung und Reflexbewegung noch da als eine Kraft, die nach Thätigkeit drängt. Die Empfindung hat die Seele heraufbeschworen; diese aber, einmal aufgetreten, begnügt sich nicht damit, die Empfin- dung bloß zu empfangen; ihre Kraft treibt nach einer Verwen- dung, und nun, was wird sie thun? — Was kann sie thun? Der Stoß von außen ist vorüber; sie hat ihn zurückgestoßen, das ist auch vorüber; aber der Eindruck des ganzen Vorganges bleibt in der Seele (im Gedächtniß). Es bleibt ihr also gar nichts anderes zu thun, als in sich zurückzukehren; denn es bleibt gar kein anderer Gegenstand, kein anderer Reiz, der die Thätigkeit der Seele auf sich ziehen könnte, als der Eindruck, den das Vorgefallene in ihr selbst zurückgelassen hat. Auf die- sen Eindruck richtet sie jetzt ihre Aufmerksamkeit, ihre Thä- tigkeit. Hierzu kommt noch etwas. Es liegt folgende Einwendung sehr nahe. Die menschliche Seele wird wahrscheinlich nicht nach der ersten Anschauung, die sie hatte, nach dargelegter Weise in sich gehen; und zwar aus dem einfachen Grunde, weil nach Ablauf der ersten Anschauung und ihrer leiblichen Refle- xion eine zweite auftritt, und dann wieder eine andere Sinnes- empfindung die Seele einnehmen wird u. s. f.; so daß die Seele in ewiger Zerstreuung, von einer Anschauung zur andern über- gehend, nie Kraft und Zeit gewinnt, in sich zu gehen und auf sich selbst aufzumerken. Was also nach der ersten Anschauung nicht geschieht, wird auch nach der hundertsten nicht gesche- hen; denn an diese schließt sich die folgende, wie an jene, und läßt die Seele nicht zu sich selbst kommen. Die Sache ist indeß nicht so. Wir haben oben schon be- merkt, daß zwar das Nothwendige immer in gleicher Weise geschieht; daß aber Lust und Annehmlichkeit, also Interesse und Empfänglichkeit nach jeder Befriedigung abnimmt. Der Mensch schaut nicht nur an, sondern er freut sich zugleich sei- ner Anschauung. Das Thier starrt an, der Mensch schaut mit Interesse und Wohlgefallen. Durch Wiederholung derselben An- schauungen aber sinkt die Empfänglichkeit, man wird gleichgül- tig dagegen. Das Nothwendige bleibt dasselbe. Ein gesundes Auge sieht denselben Gegenstand zum hundertsten Male eben so, wie zum ersten. Das Nothwendige ist aber bloß das Leib- liche. In der Seele aber hat sich das Verhältniß verändert. Der zum hundertsten Male wiederholten Anschauung setzt sie den im Gedächtnisse haftenden Eindruck von neun-und-neunzig- maligem Anschauen entgegen. Die Seelenkraft, die jetzt der gegenwärtigen Anschauung entgegentritt, ist also ungleich mäch- tiger, als der äußere Eindruck. Und so dient die neue An- schauung bloß dazu, um die Gesammtmasse der mit einander verschmolzenen, im Gedächtnisse ruhenden wiederholten gleichen Anschauungen, wie einen verborgenen Schatz aus der Tiefe der Seele an das Licht zu heben und vor ihr Auge zu stellen. Sie sieht also im Aeußern nicht mehr bloß das Aeußere, sondern zugleich ihr Inneres; oder vielmehr ihr Blick gleitet schnell vom Aeußern ab und richtet sich auf ihren eigenen Besitz; d. h. sie wird sich ihrer selbst bewußt. Dieses erste Erwachen des Selbstbewußtseins geht noch auf dem Boden der Anschauung vor, oder erhebt sich aus ihr. Die Seele, sich von der äußern Anschauung abwendend und in sich kehrend, ihren Gedächtnißbesitz von Anschauungen wahr- nehmend, wird zur Anschauung ihrer Anschauungen. Und so bestimmen wir die erste Stufe des Selbstbewußtseins als An- schauung der Anschauung . §. 93. Instinctives Selbstbewußtsein. Dieses erste Erwachen des Selbstbewußtseins geschieht aber selbst noch ohne Bewußtsein. Es ist das unbewußte Selbstbe- wußtsein, und das nennen wir das instinctive Selbstbe- wußtsein . Der Mensch hat einen instinctiven Verstand, ver- möge dessen er urtheilt und schließt. Wir sagten oben, es fühle der Mensch unmittelbar; empfinden aber müsse er lernen durch Erfahrung. Wir sehen z. B. bloß Flächen, keine Körper; wir sehen Körper, aber keine Entfernungen, d. h. leere Räume. Wir lernen jedoch, durch mancherlei Erfahrungen, Schlüsse und Ur- theile, einen Kreis und eine Kugel, ein Quadrat und einen Wür- fel unterscheiden. Doch dieses ganze experimentirende Nach- denken, wodurch die ersten Erkenntnisse räumlicher Verhältnisse erworben werden, wodurch wir lernen die Hand nach dem Munde oder nach dem Fuße zu führen, was alles nicht unmittelbar ge- geben ist, sondern gelernt werden muß: dieses Nachdenken sage ich, geschieht bewußtlos; es ist instinctiver Verstand, der In- stinct des Menschen. Dem Thiere scheint dieser Instinct zu fehlen und durch den unmittelbarer wirkenden leiblichen Instinct ersetzt zu sein. Daher das Thier alles das, was der Mensch durch seinen instinctiven Verstand langsam erwirbt, viel schnel- ler erlangt. Zum menschlichen Instincte gehören außer der Ergänzung der Empfindungen zu wahren Empfindungserkenntnissen alle jene sogenannten angeborenen Ideen; und man sieht also, wie beide Parteien, sowohl die, welche dieselben annahmen, als auch die, welche behaupteten, sie würden erst später als Werk der Cultur gebildet, im Irrthume waren. Jene Grundideen der menschli- chen Erkenntniß werden dem Menschen nicht so angeboren, wie seine Glieder, wie den Thieren die instinctive Kunstfertigkeit; sie werden aber auch nicht mit Bewußtsein durch Verstandes- cultur gebildet; denn sie gehen aller Verstandesbildung voraus und liegen ihr zu Grunde: sie werden erworben — so weit ha- ben Letztere Recht — aber ohne Bewußtsein — so weit haben Erstere Recht: sie werden instinctiv erworben. Auch die Spra- che ist eine solche angeborene Idee, und nach dem eben Be- merkten kann man beurtheilen, wie weit bei einem ganz ähn- lichen Streite sowohl diejenigen, welche meinten, die Sprache sei dem Menschen angeboren (oder von Gott gegeben), als auch diejenigen, welche meinten, die Sprache sei ein künstliches Er- zeugniß des Nachdenkens, wie weit beide, sage ich, theils irr- ten, theils Recht hatten. Der Instinct des Thieres ist wesentlich practisch, Kunst- fertigkeit; und dies stimmt zu dem oben angemerkten Charak- terzuge des Thieres, daß es practisch utilistisch ist. Das Theo- retische spielt in den thierischen Instinct nur in so weit hinein, als es die nothwendige Voraussetzung zum practischen Wesen ist, oder als es nothwendig mit der Praxis in Verbindung steht. Der menschliche Instinct ist rein theoretisch, Erkenntnisse ge- winnend, Vorausnahme des Verstandes, und, als Sprache, Vor- bild des Selbstbewußtseins. In dem Begriffe des instinctiven Verstandes liegt keine Schwie- rigkeit, wenigstens kein Widerspruch; jener ist nämlich der Ver- stand der Anschauung. Hierbei verstehen wir unter Verstand, mit Herbart, die Fähigkeit, unser Denken nach der Beschaffen- heit des Gegenstandes zu richten. Warum sollte nun die An- schauung, rein in ihrem Kreise beharrend, nicht die Kraft haben, nach mehreren Fehlgriffen sich allmählig corrigirend, sich end- lich dem Gegenstande gemäß einzurichten, dessen Anschauung sie ist? Aber im unbewußten Selbstbewußtsein scheint ein Wi- derspruch zu liegen. Suchen wir ihn aufzulösen, indem wir die ihm zu Grunde liegenden Verhältnisse klarer von einander scheiden. In der Anschauung erkennt die Seele etwas außer sich. Wir haben aber schon oben bemerkt, daß der thierischen An- schauung — und die Anschauung des Menschen vor der Spra- che ist nichts besseres — die Einheit, welche ihr der Mensch später durch die Kategorie des Dinges giebt, noch fehle. Um so weniger dürfen wir annehmen, daß die Seele in jener primi- tiven Anschauung schon klar sich selbst von dem Angeschauten absondere. Vielmehr ist anzunehmen, daß hier noch, wie bei der Empfindung, die Seele zwar das Aeußere als Aeußeres auf- faßt, doch aber noch nicht sich selbst als ein Inneres erkennt, und, Aeußeres vom Inneren scheidend, also auf beides achtend, sich selbst dem Aeußern entgegenstellt, sich als anschauend dem Angeschauten gegenüber. Diese selbstlose und der Innerlich- keit ermangelnde Natur des Anschauens kann auch bei der An- schauung der Anschauung noch nicht geändert sein. Die Seele wird also hier ihre eigene Anschauung noch nicht als sich selbst erkennen; sie wird nicht sich selbst, insofern sie anschaut, und sich selbst, insofern sie selbst es ist, welche von ihr angeschaut wird, unterscheiden; d. h. sie wird kein Bewußtsein davon ha- ben, daß sie hier Subject und Object zugleich ist, Denkendes und Gedachtes auf einmal, weil sie sich überhaupt noch nicht als Subject, als Denkendes, weiß. Obwohl also hier thatsäch- lich die Seele Subject und Object ist, so fehlt ihr doch das Be- wußtsein hierüber; sie ist also thatsächliches, aber noch unbe- wußtes Selbstbewußtsein. Weil hier die Seele bloß anschauend ist, so ist für sie die angeschaute Anschauung auch nur eine Anschauung überhaupt und ein Aeußeres. Anschauung ist Be- wußtsein von einem Objectiven, Gegenständlichen. Das Be- wußtsein von diesem Bewußtsein ist noch nicht Selbstbewußt- sein, weil das Bewußtsein überhaupt hier noch kein Selbst, son- dern nur Gegenständliches kennt. Dieses gegenständliche Be- wußtsein von einem derartigen Bewußtsein wird also das letz- tere, gedachte Bewußtsein, wiederum nur selbstlos als ein ge- genständliches Wesen auffassen, ja sogar unmittelbar an den äußern Gegenstand selbst anknüpfen und kaum oder nur sehr schwach von ihm scheiden. Die Seele schreibt die angeschaute Anschauung nicht sich zu, freilich auch nicht entschieden dem Dinge. Denn die ganze Scheidung der Seele vom Dinge ist noch nicht vollzogen. Und so giebt es hier überall noch kein Selbst, d. h. kein gewußtes Selbst, wiewohl ein thatsächliches. Dieses thatsächliche, instinctiv wirkende, anschauende Selbst- bewußtsein ist die Vorbereitung des bewußten Selbstbewußt- seins, der Keim desselben, und findet in der Sprache sein Le- ben und seine Entwickelung. §. 94. Uebergang der Seele in den Geist. Das Wirken des instinctiven Selbstbewußtseins, der Spra- che, ist die Thätigkeit der Seele, sich in Geist, bewußtes Selbst- bewußtsein, umzusetzen. Die anschauende Seele wird denkender Geist. Hierbei kommen nun manche Schwierigkeiten und Wi- dersprüche zum Vorschein, die überhaupt im Begriffe des Wer- dens, der Veränderung liegen und hier nur nach den besondern Umständen eine besondere Gestalt annehmen. In der Sprach- schöpfung ist nicht mehr die anschauende Seele, und doch noch nicht der denkende Geist, auch nichts Mittleres; sondern sie ist der Uebergang von jener in diesen, also beides und keins von beiden. Dies ist der Widerspruch, der in jeder Grenze liegt; denn sie gehört den beiden begrenzten Dingen und ist keins von beiden. Die Sprache kann angesehen werden als das Erwachen des Geistes aus seinem Schlafe im Zustande der Seele. Hier haben wir denselben Widerspruch. Erwachen ist noch nicht Wachen und doch nicht mehr Schlafen. Diese Widersprüche können wir hier ruhig bei Seite las- sen; sie gehören in die Metaphysik, der sie von den Special- Wissenschaften übergeben worden. Ein anderer Widerspruch aber geht uns näher an. Das Erwachen ist ein Selbstwecken; aber wie kann das schlafende Wesen sich selbst wecken? muß man nicht wach sein, um wecken zu können? Die menschliche Seele kann nur erwachen, insofern sie Geist ist; das weckende Princip in ihr ist der Geist. Bevor aber die Seele wacht, ist der Geist noch nicht; wie kann er also wecken? Erst mit dem Erwachen wird die Seele zum Selbst, und doch ist dieses Selbst das Weckende; also wäre das vor dem Erwachen schon da, was erst durch das Erwachen entstehen soll. Und warum er- wacht nicht auch die thierische Seele zum Geiste? Um dies zu erklären, bleiben wir bei der Analogie des leibli- chen Schlafes stehen. Man erwacht nicht mit einem andern see- lischen oder geistigen Wesen, als mit dem man sich niedergelegt hat; sondern man ist schlafend und wachend ganz derselbe. Der Unterschied aber beruht darauf, daß im Schlafe ein Druck des ermüdeten Leibes auf dem Bewußtsein lastet; und eben so überall, wo Bewußtlosigkeit eintritt. Wie das Einschlafen durch die immer wachsende Kraft des Druckes geschieht, so kommt um- gekehrt das Erwachen dadurch zu Stande, daß der sich erho- lende Körper mit seinem Drucke in gleichem Verhältnisse nach- läßt, als er an Spannkraft gewinnt; und endlich wird die Ner- venerregung durch die angesammelte Kraft von selbst so groß, daß der Druck völlig schwindet, und die Thätigkeit des Leibes und der Seele neu beginnt. Anders kann es auch in unserm Falle nicht sein. Wir müssen schon im Urmenschen und im Kinde dasselbe geistige Wesen annehmen, welches der ausge- bildete Mensch zeigt; aber theils noch unter einem leiblichen Drucke, theils noch ohne volle leibliche Unterstützung und noch nicht im Besitze ideeller Hülfsmittel, die es sich freilich selbst erschaffen muß. In diesem Sinne sagen wir, das Kind und der Urmensch besitzen sämmtliches menschliches Wissen und Kön- nen im Keime, in der Anlage; d. h. sie besitzen es zwar noch nicht; aber sie können es erwerben . Von den Thieren aber kann dies keineswegs gesagt werden. Der Druck ihres Leibes auf ihre Seele, seine schwächere Un- terstützung der Seele schwindet nie, weil diese Beschaffenheit des Leibes der thierischen Seele angemessen ist, weil es eben gar kein Druck ist, der von der Seele als Druck empfunden würde, und endlich weil die Thierseele sich nicht jene ideellen Hülfs- mittel des Menschen zu verschaffen vermag. Daher können wir letztlich den Unterschied zwischen menschlicher und thierischer Seele so ausdrücken, daß wir kurz sagen: das Thier hat Seele; aber die menschliche Seele ist nicht eigentlich dies, sondern sie ist schlafender Geist und wird zum wachenden Geiste werden, sobald ein gewisser Druck geschwunden ist, eine gewisse Kraft sich angesammelt hat. Wie dies nun aber geschieht, das haben wir im Vorangehenden schon vielfach bemerkt, und werden es noch weiter sehen. Die Anlage zur Sprache in dem Sinne, wie wir sie so eben dargelegt haben, diese Anlage, welche wir dem Thiere ab- sprechen, dem Menschen aber zuerkennen (indem wir ihre See- len nicht zu derselben Art rechnen), welche auch beim Men- schen ursprünglich schlummert und dann hervorbricht: wir wüß- ten nicht, was gegen dieselbe, selbst auf dem Standpunkte der Herbartischen Metaphysik, eingewendet werden könnte. Denn wir haben hier keine ursprüngliche Anlage, sondern ein Werk, ein Organ, das die Seele nach ihrer durchaus einfachen Natur sich erschafien muß, die thierische Seele aber nie zu erschaffen vermag, weil sie nicht schlafender Geist ist, nicht als Geist er- wachen wird. Die thierische Seele ist sehr bald alles was sie sein kann; die menschliche Seele ist der Keim einer Frucht, welche wir Geist nennen; und die Sprache ist in dieser Ana- logie der Proceß des Reifens. Die thierische Seele ist ein see- lischer Krystall; die menschliche Seele ist dagegen der schon vorhandene, obwohl noch unreife Geist. Derjenige seelische Keim des Geistes nun, der nicht mehr bloßer Keim, sondern schon befruchtet und reifend ist, ist Sprache oder instinctives Selbstbewußtsein. Der Sprachlaut ist der Blütenstaub, der Sa- men, der in die Seele dringt und sie befruchtet, daß sie den Geist gebäre. §. 95. Verknüpfung der Anschauung mit dem Laute. Woher nimmt die Seele den Laut? wie kommt sie darauf, ihn zu ihrer Stütze für die weitere geistige Entwickelung zu wählen? — Sie wählt ihn nicht, ist die Antwort; sie nimmt ihn sich nicht. Er ist ihr gegeben, und sie ergreift ihn mit Nothwendigkeit, instinctiv, absichtslos. Die Seelenthätigkeit bedarf materieller Stützen. Sie ist ursprünglich an die Sinnlichkeit gebunden, und selbst in ihre höchsten, freiesten Abstractionen mischen sich sinnliche Bilder. Indem also die Seele die Anschauung ihrer Anschauung hildet, knüpft sie dieselbe an den Laut. Wie sollte sie bei dem er- sten Blicke, den sie in sich thut, schon die Kraft haben, ohne materielle, sinnliche Stütze zu wirken? Indem sie zum ersten Male ein ihr eigenes Erzeugniß, eine Anschauung, betrachtet, stützt sie dieselbe körperlich durch den Laut, um sie gegen- ständlicher zu machen. Der Laut ist ein Aeußeres, aber ein Aeußeres, welches aus dem Innern stammt, ein Körperliches, welches die Seele selbst geschaffen, ihrem Körper abgerungen hat. Es theilt also die Natur des Aeußern und des Innern und ist insofern höchst geeignet, sich einem Innern, der Anschauung, anzuschließen, dieselbe mit sich selbst vereinigt von der Seele abzuziehen und dem Seelenauge fester und sicherer vorzuhalten, damit sie nicht mehr an der Seele haftend, sondern ihr als Ob- ject gegenüberstehend, ruhig ihrem Blicke Stand halte. Dazu bedarf aber für immer der Geist körperlicher Zeichen, sinnlicher Anhaltepunkte, um, wie das leibliche Auge alles, was es sehen soll, in einer gewissen Entfernung von sich haben muß, so auch dem geistigen Auge das Object seiner Betrachtung in einer ge- wissen Aeußerlichkeit und Ferne vorzustellen. Das kann nur erreicht werden, wenn der innere Gegenstand an einen äußern, der nur als Zeichen dient, angeknüpft wird, durch welches Ver- fahren mit dem äußerlichen Zeichen zugleich der innere Gegen- stand, den es bezeichnet, dem Geiste wie ein äußerer Gegen- stand vorgehalten werden kann. Diese Weise des Geistes, sei- nen Inhalt in Zeichen zu legen und sich dadurch äußerlich vor- zustellen, muß der Seele, wo sie zum ersten Male so verfahren soll, instinctiv gegeben werden; sie würde sonst schwerlich von selbst darauf gekommen sein. Das Zeichen konnte also nichts Willkürliches haben und mußte durch seine eigene Natur zu solcher Verwendung auffordern; es mußte von selbst vorhanden sein, von selbst an den innern Gegenstand geknüpft sein, und von selbst sich und das daran geknüpfte Innere heraussetzen, der Seele gegenüber. So thut es der Laut. Denn der Laut entspringt der Brust als Rückwirkung der Seele auf die sinn- liche Erregung; so ist er da, ohne daß ihn die Seele gewollt hätte, dennoch, obwohl als ein Sinnliches, durch die Seele. Als etwas Sinnliches wird er nun von der Seele, die ihn erzeugt hat, wahrgenommen, während die Anschauung, in Folge deren er ausgestoßen ward, noch im Bewußtsein ist. Der wahrge- nommene Laut associirt sich daher unmittelbar mit der An- schauung, nach dem Mechanismus der Seele, und gerade eben so unabsichtlich, als er entstanden ist. Jetzt kann weder die Anschauung zurückgerufen werden, ohne den Laut zu reprodu- ciren, noch kann der Laut wieder hervorgebracht, noch auch nur gehört werden, ohne zugleich die damit associirte Anschauung zu reproduciren, also mit sich zugleich die Anschauung aus dem Innern in das Aeußere zu versetzen und so das Innere der Seele vorzustellen. So wird der Laut zum Zeichen der Anschauung; die lautliche Vergegenwärtigung dieser Anschauung ist An- schauung der Anschauung; eine so angeschaute Anschauung aber ist eine Vorstellung; und die Vorstellung also ist die Bedeu- tung des Lautzeichens. Die Anschauung der Anschauung ist die Versetzung der Anschauung in den Laut, die Verbindung beider, die innere Sprachform; während der Laut die äu- ßere Sprachform ist, und die Vorstellung zu dem Stoffe des Bewußtseins gehört. Das Wesen der innern Sprachform ist nun näher darzulegen. Es entwickelt sich aber stufenweise, und hat auf jeder Stufe einen andern Werth. §. 96. Inhalt der innern Sprachform im Allgemeinen. Es liegt uns zunächst noch an, den Inhalt dessen, was wir Anschauung der Anschauung oder innere Sprachform nennen, im Allgemeinen näher zu bestimmen. Der Inhalt einer An- schauung, überhaupt unseres Bewußtseins von einem Dinge, ist nicht immer der volle Gehalt des Dinges, sondern nur soviel, als wir von demselben wirklich erfaßt haben. Der Inhalt der Anschauung eines Dinges im Bewußtsein des Tauben ermangelt aller Bestimmungen, welche das Tönen des Dinges betreffen, und auch wir Vollsinnigen lernen die Dinge immer besser, d. h. von den Dingen immer mehr kennen. Der Inhalt und Werth unseres Bewußtseins ist also gerade das, was wir von den Din- gen erfassen; nicht mehr, nicht das Ding, wie es in der Fülle seines Inhaltes vorhanden ist, oder wie es von einem umfassen- dern, tiefern Blicke gesehen wird. Die innere Sprachform oder die Anschauung der Anschauung ist ebenfalls, wie das Anschauen und Fühlen, eine Art des Bewußtseins, nicht aber ein Bewußt- sein von äußern Gegenständen, sondern von innern, von An- schauungen. Der Gegenstand also desjenigen Bewußtseins, wel- ches als innere Sprachform qualificirt ist, ist die Anschauung; der Inhalt und Werth der innern Sprachform aber oder dieses Bewußtseins, welches Anschauung der Anschauung ist, ist gar nicht gleich dem Inhalte, welchen die gegenständliche, ange- schaute Anschauung hat, gerade wie der Inhalt der Anschauung nicht gleich dem des Dinges ist. Noch eins. Der Inhalt unseres ganzen Bewußtseins ist be- kanntlich subjectiv, von unsern Empfindungen abhängig. Wir sagen: der Zucker ist süß; d. h. in dem Inhalte unseres Be- wußtseins vom Zucker liegt unter andern auch die Bestimmung, daß derselbe uns durch unsere Geschmacksorgane die Empfin- dung süß erregt; was das aber für den Zucker an sich ist, daß er uns süß erscheint, kommt bei diesem Bewußtsein gar nicht in Betracht. Was der Zucker an sich ist, geht unser Bewußtsein gar nicht an; es hat nur Interesse an dem, was er für es ist. Also nicht der Zucker an sich, seine Bestimmung an sich, sondern was er für dieses Bewußtsein ist, süß, weiß, hart, nur das macht den Inhalt desselben aus. Ganz ebenso verhält es sich mit der Art des Bewußtseins, welche als innere Sprachform bestimmt ist: der Inhalt dieses Bewußtseins ist nicht der Inhalt der Anschauung an sich, welche sein Gegenstand ist, sondern wie diese Anschauung ihm erscheint, welche Bestim- mungen es an ihr heraushebt, das ist sein Inhalt. Wenn also die Anschauung und unser ganzes Bewußtsein von den Objec- ten subjectiv ist, so ist die innere Sprachform, die Anschauung der Anschauung, doppelt subjectiv; denn ihr Bewußtsein von der schon an sich subjectiven Anschauung wird nochmals nach subjectiver Rücksicht gewonnen. 20 Die Subjectivität unseres Bewußtseins überhaupt von den Dingen beruht auf der Beziehung der Dinge zu unsern Empfin- dungen; worauf beruht denn die neu hinzutretende Subjectivität des Bewußtseins als innerer Sprachform von den Anschauun- gen? Auf der Verbindung der Anschauung mit dem Laute. Wie unserm Bewußtsein überhaupt die Dinge so viel und gerade das sind, wie viel und was sie auf unsere Sinnesorgane wirken: so ist auch der innern Sprachform die Anschauung nur das und so viel, was und wie viel in der Verbindungsform der Anschauung mit dem Laute liegt. Das nun eben, was in dieser Verbindungs- weise liegt, ist Inhalt der innern Sprachform und entwickelt sich vorzüglich durch drei Stufen. c) Stufenentwickelung der innern Sprachform . Die Sprache ist die Verknüpfung von Laut und Anschauung, welche letztere aber bei diesem Processe in eine Vorstellung verwandelt wird, so daß sie nach dieser Verknüpfung mit dem Laute, in der sprachlichen Darstellung nicht mehr Anschauung, sondern Vorstellung ist, von welchem Unterschiede noch später zu reden sein wird. Jene Verbindung aber ist instinctiv, mit Nothwendigkeit vollzogen; dies führt schon darauf, daß beide in ihrer Natur eine gewisse Verwandtschaft haben, sonst könnte ihre Verbindung gar nicht stattfinden. Diese Verwandtschaft liegt nicht bloß in ihrem gleichzeitigen Ursprunge; sondern noch mehr, es liegt ein wahres Zeugungsverhältniß vor. Die Anschauung reflectirte sich auf den Körper und dadurch ent- stand der Laut; sie ist also Ursache, Erzeugerin desselben. Die Verbindung der Anschauung also mit dem Laute beruht auf einer Verwandtschaft und Gleichheit beider Momente, und die- ses Verwandtschafts- oder Einheitsverhältniß ist der Inhalt der innern Sprachform, ist das, was das Bewußtsein von ihrer An- schauung erfaßt, indem es dieselbe anschaut. Dieses Verhält- niß aber zwischen Laut und Anschauung ist kein festes, ein für allemal gebildetes, sondern ändert sich ab, und die verschie- denen Weisen ihrer Verwandtschaft und Einheit stellen eine Stufenentwickelung der innern Sprachform, des instinctiven Selbst- bewußtseins dar. Dieses nämlich erhält eine immer größere Klarheit, wird immer geistiger, gewinnt an Form und Gestal- tung. α. Pathognomische Stufe. §. 97. Reflex der Gefühle — Interjectionen. Wenn ein unangenehmes Gefühl in einem Schmerzenslaute ausbricht, ein angenehmes in einem Freudenrufe, so ist hier noch nicht eigentlich Sprache gegeben. Denn Gefühl und Laut sind zwar mit einander verbunden, und jenes stellt sich in die- sem dar; es kann die Absicht, der Wunsch hinzutreten, der Andere möge das Gefühl erkennen, und der Andere wird es auch aus den Tönen erkennen. Dies wäre allenfalls anzusehen als die Sprache des Gefühls, die thierische Sprache. Was hier aber fehlt ist die innere Sprachform, die Anschauung des Ge- fühls. Die innere Sprachform enthält allemal ein Verhältniß zwischen Laut und Bedeutung; hier aber existirt ein solches Verhältniß noch nicht, sondern Laut und Gefühl sind unmittel- bar identisch. Der Laut ist hier nicht zum Zeichen eines In- nern gesetzt; hier ist bloß Aeußeres; und der Laut, das Aech- zen, Stöhnen z. B., ist nicht Zeichen des Schmerzes, sondern Wirkung desselben, ist der Schmerz selber. Die Zuckungen eines in Krämpfen sich wälzenden Unglücklichen werden wir nicht für das Zeichen der Krämpfe halten; sondern die Zuckun- gen sind eben die Krämpfe. Das glühende Antlitz, das fun- kelnde Auge, die geschwollene Stirnader, das Schnauben der Nase, sind nicht Zeichen des Zorns, sondern sind eben die Wirk- lichkeit des Zorns. Lachen, Seufzen, Schluchzen sind nichts anderes, als solche Wirklichkeiten der Gefühle. Sie sind nicht Zeichen, sondern, wie wir es wohl am genauesten benennen, Schein eines Innern, das Wort Schein im philosophischen Sinne genommen als Offenbarung innerer Realität. Der Mimiker stellt die Gefühle nicht dar, indem er die Zeichen derselben uns vor- hält, sondern indem er den Schein derselben annimmt und ge- währt. Wir stehen hier bei einem rein pathologischen Verhält- nisse, einem physiologischen Processe. Wenn nun aber alle diese Gefühlsausbrüche, im weitesten Sinne des Wortes, noch nicht wesentlich zur Sprache gehören, so stehen sie ihr doch nahe, zumal wenn man in den Gefühlen Unterschiede macht. Sie entspringen theils mehr aus dem Kör- per, theils mehr aus der Seele. Wenn auf einen körperlichen Schlag oder Stoß, welcher Schmerz erregt, ein Schrei erfolgt; so liegt hier die Vermittlung zwischen Schlag und Schrei rein 20* körperlich, mechanisch, im Centralorgan. Eine Wirkung der Seele ist hier nicht sichtbar. Es ist auch gleichgültig, ob der Schrei auf einen Schlag von außen erfolgt, oder auf einen Schmerz, der rein innerlich im Leibe entstanden ist. Wo die Seele nicht wirkt, kann keine Sprache sein. Es entstehen nun aber auch Gefühle, die dem Leibe von der Seele her zukom- men. Sie wirken im Allgemeinen schwächer auf denselben, als körperliche Gefühle, und ihre körperlichen Ausbrüche sind sanf- ter, zarter; wiewohl wir nicht übersehen, daß ein Seelenschmerz oft genug den Körper in das erschütterndste Leiden und die heftigsten Ausbrüche versetzt. Die sanftesten der hierbei aus- gestoßenen Töne werden von der Sprache schon aufgenommen als das untergeordnete Element der Interjectionen. Nun giebt es aber Gefühle, die nichts oder nur wenig mit Lust und Un- lust zu thun haben, wie Verwunderung, Ueberlegenheit, Spott u. s. w. Diese vorzüglich liefern der Sprache Interjectionen. Die Interjectionen bilden jedoch noch keinen Redetheil. Sie ragen aus einer überwundenen Stufe in die Sprache hinein. Ungebildete haben deren mehr als Gebildete, die südlichen Völ- ker mehr als die nördlichen. Wenn bei den rein körperlichen Gefühlen und ihrem Aus- drucke in pathologischen Tönen nichts von innerer Sprachform auftritt, weil zwischen Gefühl und Laut bloß der physiologisch causale Mechanismus liegt; wenn auch bei Seelenschmerz und Seelenlust Bedeutung und Aeußerung durch ein bloßes Natur- band an einander geknüpft sind: so tritt bei den zuletzt ge- nannten Gefühlen, die einen viel bestimmtern Inhalt haben, als Schmerz und Lust überhaupt, auch schon zugleich etwas von innerer Sprachform auf, ein Analogon, ein Vorbild derselben. Zwischen einem Kitzel oder einem Witz und dem Lachen, zwi- schen dem Gedanken an einen Verlust und dem Seufzen ist kein deutbarer Zusammenhang, keine innere Sprachform. Wenn man aber vor Verwunderung ah! ausruft, so fühlt man einen Zusammenhang: die Seele wird von einem unerwarteten An- blicke betroffen; die neue Anschauung findet in dem Vorrathe der früher gehabten Anschauungen keine, an welche sie sich anschließt; alles, was in der Seele liegt, wird also zurückge- drängt, die neue Anschauung nimmt ganz allein das ganze Be- wußtsein ein und will sich darin behaupten. Bei so starker plötzlicher Veränderung im Bewußtsein leidet die Seele und dadurch auch der Leib. Man athmet stärker und der ganze Luftweg ist angespannt; auch die Stimmbänder sind es, und so tönen sie. Daher entsteht mit vieler Kraft der ursprünglichste, absichtsloseste, reinste Laut a . In dieser Deutung liegt noch wenig Sprachliches; aber der Laut a hat noch zu wenig sprach- liches Element: er ist Stimmton, und weiter nichts. Nehmen wir dagegen die Interjection der Geringschätzung pah! so ha- ben wir hier schon etwas mehr. Es liegt darin ausgedrückt, man achte eine Sache nicht mehr als die ausgeschnellte Luft. Dieser Gedanke ist die innere Sprachform dieser Interjection, das Band zwischen ihrer Bedeutung und ihrem Lautgehalt. — „ Eh , laß mich doch in Ruhe“; hier ist der ausgestoßene Laut wie eine Hand, welche zurückstößt. Kurz mit diesen Interjectionen treten wir schon auf die Stufe der sogenannten Onomatopöie . Wie man diese als den ursprünglichsten Sprachtrieb, der alle Elementarwörter ge- schaffen hat, läugnen könne, sehen wir nicht ein — oder man muß völlig auf allen und jeden innern Zusammenhang zwischen Laut und Bedeutung Verzicht leisten, und in deren Verknüpfung nichts als den sinnlosesten Zufall, „das Spiel organischer Frei- heit“ sehen. Aber vor einem Mißverstande ist zu warnen. Man muß die Onomatopöie nicht, wie Plato und alle folgenden, als eine Lautnachahmung des angeschauten Gegenstandes betrach- ten. Zwischen Laut und Ding ist gar keine unmittelbare Be- ziehung. Die Onomatopöie beruht lediglich auf der Verwandt- schaft des Lautes mit der Anschauung, und nur vermittelst die- ser mit dem Dinge. Und noch mehr! auch zur Anschauung steht der Laut nur in vermittelter Beziehung; der Laut malt nur die Anschauung der Anschauung, d. h. dasjenige Merkmal oder Element der Anschauung, welches das Bewußtsein, als in- nere Sprachform bestimmt, aus dem Complex der Merkmale oder Elemente der Anschauung heraushebt und erfaßt. Denn es ist schon gesagt, daß die Anschauung der Anschauung nicht die ganze Anschauung in sich aufnimmt und umfaßt, sondern nur das was sie an ihr bemerkt; und nur dies legt sie in den Laut oder knüpft sie an ihn. Dieses an der Anschauung von der innern Sprachform Erkannte ist aber verbunden mit der Anschauung, und so wird mittelbar durch Anschauung der Anschauung oder innere Sprachform die Anschauung als Bedeutung an den Laut geknüpft. §. 98. Speciellere Definition der Sprache. Ich denke, man unterscheidet bei diesen onomatopoetisch gebildeten Wörtern, wie bei den Interjectionen, etwa pah , sehr leicht die drei Factoren oder constitutiven Elemente der Sprache: die Anschauung des Dinges und den Werth der Interjection als Bedeutung (z. B. bei pah! etwa: dies Ding ist nichts werth, geht mich nichts an), den Laut (die bestimmte Articulation der Lippen mit dem kurzen a ), und die innere Sprachform, das Band zwischen Laut und Bedeutung, das Merkmal der An- schauung, welches das Bewußtsein, indem es die gewonnene Anschauung anschaut, heraushebend bemerkt (ich schätze dies Ding wie einen Hauch). Welches Merkmal aber wird das Be- wußtsein aus dem ganzen Complex der Empfindungen, aus de- nen die Anschauung gebildet ist, hervorheben? Und woher kommt es, daß es nicht die ganze ungetheilte Anschauung an- schaut, sondern dieselbe nur theilweise ergreift? Hierüber scheint mir Folgendes zu bemerken. Daß Vorstellungen von Thätigkeiten unmittelbar auf die Nerven wirken, welche die wirkliche Ausübung dieser Thätig- keiten veranlassen, scheint mir nicht besonders räthselhaft; denn was ist die Absicht, der Wille anderes, als eine vorgestellte Thä- tigkeit oder die Vorstellung einer Thätigkeit? Bei dem innigen Zusammenhange zwischen Seele und Leib bedarf nicht diese Er- scheinung einer Erklärung, daß nämlich der Körper unmittelbar vollzieht, was die Seele vorstellt; sondern nur die entgegenge- setzte Erscheinung verlangt begreiflich gemacht zu werden: daß wir nämlich so viel vorstellen, was wir nicht ausführen; und die Erklärung hiervon liegt in der Selbstbeherrschung des Gei- stes. Daß ferner Gefühle Bewegungen verursachen durch ihre Reflectirung mittelst des Centralorgans auf naheliegende Bewe- gungsnerven, hat wiederum nichts Auffallendes. Daß aber An- schauungen Bewegungen verursachen, die gar nichts mit der Verwirklichung jener Anschauungen zu thun haben, wie dies in der Sprache vorliegt — da das Tönen und Articuliren keine Aus- führung der angeschauten Dinge oder Bewegungen ist —: dies scheint mir nur dadurch erklärbar zu sein, daß wir die An- schauungen von Gefühlen begleitet sein lsssen. Das aber kann uns nicht in Verwunderung setzen, da die Anschauungen sowohl mannigfach mit Gefühlen in der Seele associirt sind, als auch an sich auf Empfindungen beruhen, die nur ganz besonders be- stimmte und begrenzte Gefühle, und immer von Gefühlen be- gleitet sind. Das die Anschauung begleitende Gefühl also ist das Schöpferische in der Sprache; denn nur dieses setzt Stimme und articulirende Organe in Bewegung. In der ursprünglichen Sprache, auf der Stufe der Onomatopöie, ist das Gefühl das eigentlich Tönende; und weil dieses ein viel bestimmteres Ge- fühl ist, als bloß Lust und Schmerz im Allgemeinen, weil es ein ganz besonderes, auf eigenthümlichen Associationen und be- grenzten Empfindungen beruhendes Gefühl ist: darum wirkt es auch in viel feinerer, begrenzterer Weise nicht bloß auf den Athem, sondern auch auf einzelne Organe, und bringt dadurch nicht ein unbestimmtes Aechzen, Schluchzen, Lachen, sondern eine Articulation hervor. Die bestimmte Articulation als bloße Reflexbewegung einer Anschauung hat nicht mehr Räthselhaftes, als der verschiedene Gesichtsausdruck bei verschiedenen leiden- schaftlichen und Gefühls-Erregungen, welcher Ausdruck, bei ge- bildeten Menschen sehr fein abgeschattet, immer nur durch denselben physiognomischen Gesichtsnerv (N. facialis) hervorge- bracht wird. Diese Betrachtung dient uns erstlich dazu, unsere Defini- tion von der Sprache zu vervollständigen. Wenn wir aber die Sprache als eine pathologische Reflexbewegung auffaßten, so haben wir damit die allgemeine Classe der physiologischen Er- scheinungen erkannt, zu der die Sprache gehörte; haben das Genus proximum der Sprache angegeben. Damit aber ist die Definition erst halb gegeben; wir verlangen noch das specifische Merkmal, und dies ist nun gefunden. Sprache ist diejenige pathognomische Reflexbewegung, welche auf rein theoretische Anschauungen erfolgt, was vermittelst ge- wisser mit den Anschauungen in mannigfacher Weise verbun- dener Gefühle geschieht. §. 99. Inhalt der innern Sprachform auf der Stufe der Onomatopöie. Indem nun das Bewußtsein die Anschauung anschaut und gerade, während sie dies thut, zugleich den reflectirten Laut wahrnimmt: so associirt sich nicht bloß der Laut mit der An- schauung im Bewußtsein; sondern die Anschauung erhält auch nur den Werth, den der Laut von ihr verkündet. Das Be- wußtsein erfaßt von dem ganzen Inhalte der Anschauung na- türlich nur das, was sich ihm durch den Laut in einer gegen- wärtigen Wahrnehmung so lebendig aufdrängt. Indem sich die Seele fragt, was sie an der Anschauung, an diesem Complex von Empfindungen besitze: antwortet ihr der eigene Laut, was diese angeschaute Anschauung sei, verdrängt die andern Merk- male derselben aus dem Bewußtsein und stellt sich demselben dar als Aequivalent der ganzen Anschauung. Die Anschauung der Anschauung, die innere Sprachform hat also den Werth, den Inhalt, welchen der durch Reflex erzeugte onomatopoetische Laut in sich trägt. So reich also auch z. B. die Thätigkeit des Essens oder die Anschauung davon an Merkmalen sein mag, bei der Wurzel pā, bibo, pappen ist der Inhalt der Anschauung dieser Anschauung, der innern Sprachform, bloß die durch die Lippenarticulation angedeutete Lippenbewegung. Unser deut- sches Wort plump ist noch ganz die Interjection plumps, plautz! So viele Merkmale nun auch in der Anschauung des Plumpen liegen mögen, das Bewußtsein, indem es als innere Sprachform die Anschauung jener Anschauung bildet, hat als solches nur den Inhalt des breiten, schweren Aufschlagens nach einem Falle, welchen Inhalt es vom reflectirten Laute empfängt. Daß bei Anschauungen, in denen eine Lautempfindung liegt, vorzüglich diese reflectirt werden wird, läßt sich wohl erwar- ten. Daher so viele schallnachahmende Wörter. Ueberhaupt aber läßt sich doch wohl annehmen, daß der reflectirte Laut eine gewisse Aehnlichkeit mit der Anschauung haben wird, und diese ist also das Wesen der Onomatopöie. Aber diese Aehn- lichkeit ist nicht Folge einer Nachahmung, wobei immer Ab- sicht vorausgesetzt wird; sondern es ist ein Lautreflex, wobei sich die Sprachorgane wie ein Spiegel, wie die Netzhaut des Auges, verhalten, indem sie zurückspiegeln, was auf sie wirkt. Bei Anschauungen, in denen eine Tonempfindung liegt, wird die Onomatopöie klarer sein, als bei andern, in denen keine sol- che gegeben ist, aus einem dreifachen Grunde: zuerst nämlich wegen der Gleichheit des Elements; ferner weil die Tonempfin- dungen die lebhaftesten, erregendsten sind; drittens aber auch noch aus einem andern Grunde. Man erinnere sich, daß wir oben die Reflexbewegungen in zwei große Classen theilten: in diejenigen, welche die Anschauung einer Bewegung unmittelbar ausführen, und in diejenigen, welche auf ein Gefühl, eine Em- pfindung erfolgen, ohne mit diesen selbst etwas ersichtlich Ge- meinsames zu haben. Zur letztern Classe zählten wir die Sprache. Man sieht aber wohl, daß bei Wörtern für Anschauungen mit Tonempfindungen jene beiden Classen zusammenfallen; denn hier entsteht in Folge einer Anschauung eine Bewegung, die mit jener eigentlich nichts zu thun hat; andererseits aber wird doch die Tonempfindung, welche in das Bewußtsein tritt, so gut es gehen will, unbewußt nachgeahmt, wie das gesehene Gähnen, Fechten u. s. w. Man könnte hier noch mancherlei untergeordnete Stufen innerhalb des Standpunktes der Onomatopöie aufführen. Diese Einzelheiten jedoch gehören nicht zu unserm Zwecke. §. 100. β) Charakterisirende Stufe. Hier wird das instinctive Selbstbewußtsein, die innere Sprach- form, viel klarer und inhaltsvoller, und diese Stufe liefert den eigentlichen Wirkungskreis der Etymologie. Wir rechnen näm- lich hierher diejenigen Wörter, welche Anschauungen in der Weise bedeuten, daß sie ein charakteristisches Merkmal dieser An- schauung angeben. Der größte Theil der Substantiva gehört hierher, indem die Dinge durch Thätigkeiten und Eigenschaften angedeutet werden. Beispiele sind hier überflüssig. Doch auch Verba, denke ich, gehören vielfach hierher, und Adjectiva. Oder sollte man nicht z. B. das griechische φιλεῖν, das gothische fri- jôn (amare) so ansehen müssen, daß die Thätigkeit der Liebe durch ihre Freude (Saskr. prî, freuen ) gekennzeichnet wird? Und wie der Freund dargestellt wird als der, mit dem man sich freut, so auch im Armenischen die Eigenschaft gut pari als diejenige, an der man sich erfreut, oder schon in doppelt cha- rakteristischer Stufe, was man liebt. Auch hierzu bieten sich die Beispiele vielfach dar. Eine scharfe Abgrenzung dieser Stufe von der vorigen ist nicht gut möglich; denn sie ist auch in der Wirklichkeit nicht vorhanden. Es giebt hier vielmehr mannigfache Uebergänge, die uns zeigen, wie man zu dieser höhern Stufe aufstieg. Wenn die Anschauung von einem Thiere durch einen reflectirten Laut bezeichnet wird, wenn die Katze (im Chinesischen) Miau , das Pferd vom Wiehern (Saskr. hrêsch) Roß heißt: so wird hier schon eine Anschauung, die vielfache Merkmale in sich schließt, durch eine besonders auffallende, kennzeichnende, benannt. Hier- mit ist also auf der onomatopoetischen Stufe das Princip der folgenden schon gegeben; nur werden auf dieser höhern Stufe nicht mehr ursprüngliche Reflexlaute, sondern schon aus den- selben gebildete Wurzelwörter verwandt. Der Inhalt der innern Sprachform auf dieser Stufe, das was das Bewußtsein hier in seiner Anschauung anschaut, ist klar; es ist nämlich eben das zur Bezeichnung dienende Merk- mal; und die Etymologie ist es, welche uns den Sinn der in- nern Sprachform, den Gedanken des instinctiven Selbstbewußt- seins aufschließt. Das griechische Volk erkannte an seiner γυνή (der Engländer an seiner Queen ), die Gebärende, an Sohn ha- ben wir den Erzeugten, an filius den saugenden, an unserm Wolf den zerreißenden, an der Maus den Dieb u. s. w. Vieles wäre hierbei noch zu bemerken; doch es ist alles schon bekannt. §. 101. Dritte Stufe der innern Sprachform. Eine dritte Weise der Wortschöpfung giebt es eigentlich nicht. Doch müssen wir eine dritte Stufe der innern Sprach- form, des instinctiven Selbstbewußtseins anerkennen, wo zwar nichts Neues auftritt, aber das Alte sich ändert. Dies ist die Stufe der geschichtlichen Zeit, wo Laut und objective Anschauung oder Bedeutung ohne Vermittlung verbunden sind, gerade so un- mittelbar, wie Kitzel mit Lachen, ein Reiz in der Schleimhaut der Nase mit Niesen und alle jene rein mechanischen Reflexbe- wegungen, welche auf Gefühle erfolgen. Diese Unmittelbarkeit in der Verbindung der Sprachfactoren rührt daher, daß die in- nere Sprachform aus dem Bewußtsein geschwunden ist; so ist es bei uns heute. Wie bei jenen Gefühlsreflexionen die Ver- mittlung der beiden Momente im physiologischen Mechanismus liegt: so ist in geschichtlicher Zeit das Band von Bedeutung und Laut der reine psychische Mechanismus, das Gesetz der Association. Die innere Sprachform ist jetzt nur noch der Punkt, wo Laut und Bedeutung sich berühren, ein Punkt ohne Aus- dehnung und Inhalt. Wir haben eben das instinctive Selbst- bewußtsein nicht mehr; es ist verdrängt durch das wirkliche Selbstbewußtsein, oder mindestens durch ein viel reicheres Be- wußtsein, als jenes instinctive. Wir lernen am Wolfe, an der Maus, am Weibe u. s. w. so viele Beziehungen kennen, und Be- ziehungen, die wichtiger für uns sind, als die im Worte liegende, daß diese letztere vor der hellen Beleuchtung, welche jene vom Bewußtsein erhalten, allmählich in den Schatten tritt und end- lich ganz in die Nacht der Vergessenheit sinkt. Dies wird wei- terhin noch klarer werden. d ) Mittheilung, Verständniß, Sprechenlernen der Kinder . §. 102. Die vorzüglichste Ursache, warum man früher das Wesen und den Ursprung der Sprache mißverstand, oder das vorzüg- lichste Mißverständniß über die Sprache lag darin, daß man sie als bloße Mittheilung auffaßte, während sie im Gegentheil wesentlichst und zunächst ein Selbstbewußtsein, d. h. eine Mit- theilung an den Sprechenden selbst ist, eine Darstellung und Auffassung zuerst für und durch den Redenden selbst, und dann erst für Andere. An eine Kritik der ältern Ansichten kann ich hier nicht denken. Ich habe anderwärts Herder und Haman einander ent- gegengesetzt und zu zeigen gesucht, wie sie sich an sich selbst und an einander aufreiben. Hier will ich aber Herbarts An- sicht über die Entstehung der Sprache anführen. Sie ist schwach genug und könnte allen Psychologen zur Warnung dienen, die sich der Sprachforschung entschlagen zu können meinen Oder klagen vielleicht die Psychologen die Sprachforscher an, daß ihnen dieselben nicht in die Hand arbeiten? Wenn sie es thun — wir müs- sen verstummen. . Aber immer noch ist unsere Absicht, durch die folgende Anführung Herbarts statt vieler andern Citate diesen größten Psychologen und eigentlichen Gründer der wissenschaftlichen Psychologie zu ehren; denn seine Ansicht ist doch werthvoller als die Her- dersche, und schließt das Wahre der ganzen Vergangenheit in sich. Zu seiner Entschuldigung mag noch dienen, daß Wil- helm von Humboldts großes Werk erst erschien, als er seinem Tode schon nahe war. „Worin liegt denn das Wunderbare der Sprache?“ fragt er (Psych. §. 130. Werke VI, S. 217.) unwillig über die „zu starken“ Ausdrücke, in denen man vom „Wunderbaren“ der Sprache redet. Man sieht sogleich wieder, daß er sich gegen die Uebertreibung stemmt. Er fährt in der Absicht, das Wun- der zu erklären, fort: „Wenn Sprache, ihrem Begriffe nach, ab- sichtliche Mittheilung der Gedanken durch willkürliche Zeichen ist, so konnten die ersten Mittheilungen unmöglich durch Spra- che geschehen. Denn willkürliche Zeichen müssen verabredet werden, sonst würden sie entweder nicht verstanden, oder höch- stens errathen werden; auf das Errathen aber kann der Spre- chende nicht rechnen. Die Sprache setzt also Verabredung, diese aber setzt Sprache voraus; mithin drehen wir uns im Kreise. Man schlage nun den „(Herbartischen)“ Weg ein; d. h. man ent- schlage sich des ungereimten Gedankens, und setze dessen Ge- gentheil an die Stelle. Die ersten Mittheilungen also geschahen entweder nicht absichtlich, oder nicht durch willkürliche Zei- chen; sie waren nicht Sprache. Gleichwohl verstand man ein- ander; und glaubte sich verstanden. Dies errieth man aus dem zusammenstimmenden Handeln, welches den gemeinsamen Ge- danken gemäß war; es konnte aber leicht zusammenstimmen, wenn man unter gleichen Umständen gleiche Bedürfnisse hatte. Die Naturlaute, oder zufälligen Aeußerungen bei Gelegenheit des gemeinsamen Handelns, reproducirten sich bei jedem in wie- derkehrender Lage, riefen jedem den nämlichen Gedanken zu- rück, und waren mit Erwartung eines ähnlichen gemeinsamen Handelns von beiden Seiten ohne weiteres Fragen und Zweifeln verknüpft.“ (So weit ist der große Denker unverkennbar; im Folgenden ist er es weniger.) „Wie es zugehe, daß Einer den Andern verstehe; und ob er wohl verstehen oder mißverstehen werde? das wurde nicht gefragt noch bedacht“ (aber wir fragen und bedenken das); „sondern das Handeln war es, worauf, ohne alles Denken an das Denken des Andern, die Erwartung und die Aufmerksamkeit sich richtete. Blieb nun aber das er- wartete Handeln des Andern aus, dann legte man mehr Anstren- gung in den damit complicirten Laut.“ Als wenn eine mir fremde Sprache dadurch verständlich für mich würde, daß man sie mir in die Ohren schreit! Die Meinung des Volkes ist dies allerdings. Denn so wie Mißverständniß eintritt oder Verständ- niß ausbleibt, so giebt es Zank und Schlägerei — und der Thurm- bau von Babel ist gestört. Herbart fährt fort: „Da fing die Absichtlichkeit des Sprechens an“; also da, wo das Verständniß ausblieb; absichtliche Mittheilung konnte ja aber noch weniger verstanden werden! Das Folgende lassen wir aus Ehrfurcht vor dem großen Denker ganz weg. Wir haben also in unserer Darstellung den entgegengesetz- ten Weg eingeschlagen. Nicht Mittheilung, sondern das Selbst- bewußtsein ist Quell der Sprache. Das Bedürfniß zur Mitthei- lung würde nie zur Sprache führen; aber die Sprache, im Gange der Entwickelung der individuellen Seele einmal entsprungen, wird Werkzeug der Mittheilung, und zwar zunächst eben so absichtslos, wie sie absichtslos entstanden ist. Die Sprache ist an sich Darstellung der Anschauungen für den Sprechenden selbst. Der Mensch ist aber in Gesellschaft; eine lange Kindheit zwingt ihn dazu und macht ihm die Gesellschaft auch für spätere Zeit unentbehrlich. Er denkt also ursprünglich fast immer in Gesellschaft, und Denken ist für den Urmenschen Sprechen. Er spricht also mit dem Andern, weil er mit dem Andern ist, und weil menschliches Sein Denken, und das mensch- liche Denken ursprünglich Sprechen ist; folglich ist Zusammen- sein Unterredung. Esse oder vivere = cogitare, cogitare = lo- qui, folglich vivere = loqui, und convivium = colloquium. Her- bart denkt bloß an gemeinsames Arbeiten. Wäre es bloß dies, ich meine, der Mensch würde so wenig Sprache geschaffen ha- ben, wie die Bienen und Ameisen. Der Mensch aber ist kein arbeitendes Thier. Man aß und trank zusammen und ruhte zu- sammen, und freute sich zusammen an sich und an der Natur, man dachte zusammen und erzählte einander. Nicht die Arbeit, nicht Bedürfniß — Freude und Schmerz, die schönen verschwi- sterten Götterfunken, entzünden die Sprache; das Herz springt, das Gefühl strebt nach Gestaltung und bestimmter Form; und so brach es in der Urzeit in bestimmten, articulirten Lauten aus, wie heute noch die Beethovensche Symphonie nach dem Worte greift. Wie sollte das nicht verstanden werden, was in Gemein- schaft erzeugt ist? Das Verständniß war da vor der Mitthei- lung, und Mittheilung war Sein, Leben. Was der Eine dachte, dachte der Andere und sprach der Andere aus, wie der Erste: das war Sympathie . Im Krankenhause bekommt ein ganzer Saal voll Kranker die Krämpfe, welche sie zuerst an Einem se- hen. Der St. Veits-Tanz, die Tarantella, die Schwärmerei der Bacchanten, der Revolutionäre, der Blutdurst der Terroristen, der Muth der stürmenden Soldaten: alles dies und vieles andere beweist uns die Wirkung dieser Sympathie, durch welche der Mensch hingerissen wird, ohne Absicht, ja zuweilen gegen seine Absicht, das zu thun, was er thun sieht. Das aber heißt ver- stehen: reproduciren, nachmachen. Wie wir bei lebhafter Freude es heute noch sehen, daß die Stimme jauchzt, das Auge leuchtet, der Fuß und der ganze Leib tanzt, Alles in elastischer Spannung ist und der ganze Mensch spricht: so sprach auch der Urmensch; quot membra tot linguae. Je mehr der Geist sich entwickelte, je bestimmter die Vorstellungen wurden, um so kälter wurde das Gefühl; wie sich die Lautsprache hervorthat, so wurde die Mimik des Lei- bes stummer, — auch unnöthiger. Hier sehen wir abermals, wie die Sprache nicht bloß zu der einen der beiden Classen von Reflexbewegungen gehört, son- dern auch zu der andern, der Classe der unbewußten Nachah- mungen. Sich mittheilen und verstanden werden, überhaupt Gesellschaft ist von höchst günstigem Einflusse für die Entwi- ckelung der Sprache und des Sprechenden selbst. Die Gegen- wart des Andern treibt an zum Denken und Sprechen, während man in der Einsamkeit schläft oder dumpf hinbrütet. Weil die Gesellschaft der Entwickelung des Denkens nothwendig ist, darum ist sie es auch für die Sprache. Die Sprache aber, die sich in der Gesellschaft entwickelt, ist das gemeinsame, wechselwirkend sympathetische Werk des Menschen, und darum schließt sie das Verständniß schon in sich. Daß alles Verständniß auf Sympathie beruhe, das geht auch daraus hervor, daß es nur so weit reicht wie diese, und da auf- hört, wo diese schwindet. Hört auf den Streit der Parteien und ihr werdet vernehmen, wie es unaufhörlich herüber und hinüber schallet: ihr versteht uns nicht . Wie oft werden wir, ob- gleich wir uns klar genug ausdrückten, selbst vom Freunde nicht verstanden, weil eine zufällige Association einer Vorstellung mit einer andern in ihm die Sympathie unterbrochen hatte. Das Kind lernt heute noch, wie der Urmensch, in Gesell- schaft denken, und erlernt die Sprache, durch welche sein Den- ken von außen her angeregt wird. 2. Leistung der Sprache für das Denken. a ) Wesen der Vorstellung im Allgemeinen . Wir haben die Entstehung der Sprache kennen gelernt und die bildenden Momente, in deren Zusammenwirken ihr Sein und Leben liegt. Fragen wir uns nun, was durch dieselbe für die geistige Entwickelung gewonnen ist. Die Entwickelung der Spra- che, das haben wir gesehen, ist selbst eine Stufe des sich bil- denden Bewußtseins, die wir sogar in drei sehr verschiedene Unterstufen eintheilen mußten. Auf der dritten Stufe der in- nern Sprachform kann das Bewußtsein nicht mehr da sein, wo wir es beim Aufgehen der Sprache fanden. §. 103. Wesen der Vorstellung. Die Anschauung, in der die Sprache ihre Wurzeln schlägt und aus der sich ihr Stamm erhebt, ist, wie wir oben sahen, ein Zusammen, ein Complex vieler Empfindungen, aber keine Einheit. Diese Einheit wird nun eben in der Sprache gebildet, und durch dieselbe wird die Anschauung zur Vorstellung. Eine vermittelst der innern Sprachform erfaßte, durch diese sich im Bewußtsein bewegende An- schauung ist Vorstellung. Diese ist also die Einheit der An- schauung und der innern Sprachform. Da letztere an den Laut geknüpft ist, theilweise sogar ganz und bloß im Laute liegt, so müssen wir statt ihrer den Ausdruck setzen, welcher ihre Ein- heit oder Verbindung mit dem Laute bezeichnet, nämlich: das Wort . Wort ist die Einheit eines Gedankens der innern Sprach- form (oder des instinctiven Selbstbewußtseins), oder die Ein- heit einer Anschauung von einer Anschauung mit dem zur Stütze dienenden Laute. Die Vorstellung also ist die Einheit des Wor- tes und der durch dieses Wort ausgedrückten Anschauung; oder sie ist eine durch das Wort gedachte Anschauung. Das Bewußtsein setzt beim Denken an die Stelle der An- schauung die innere Sprachform derselben, und eine solche Anschauung, welche dem Bewußtsein nicht unmit- telbar gegenwärtig ist, auf welche aber das Bewußt- sein mittelbar bezogen ist, indem es ihren Stellver- treter, das Wort, vergegenwärtigt, ist Vorstellung . Wodurch ist denn nun die Anschauung, die zunächst eine Summe von Wahrnehmungen war, zu einer eigentlichen Einheit geworden; wodurch ist die Kategorie des Dinges entstanden? Hier begreifen wir das zwar noch nicht vollkommen; aber etwas Bedeutendes erkennen wir schon. Indem nämlich durch die An- schauung der Anschauung ein Moment herausgehoben wurde, welches die Sprache zur Bezeichnung der ganzen Anschauung, d. h. der Summe aller Momente, verwendet; indem dann ferner das Bewußtsein es sich gefallen läßt, das so entstandene Wort für die Anschauung selbst gelten zu lassen: so ist gerade durch das Wort die Summe in eine Einheit versammelt worden; denn die ganze Summe wird auf das Wort bezogen, so daß sich ge- wissermaßen eine Pyramide bildet oder ein Kegel, dessen Grund- fläche die einzelnen zu der Anschauung gehörenden Wahrneh- mungen bilden, die aber alle in die eine Spitze auslaufen, wel- che das Wort bildet. §. 104. Das Wort — das Ding an sich. So erhält nun das Wort die Bedeutung des Dinges an sich: es bezeichnet die Einheit, an welcher die Summe der Wahrnehmungen haftet, den unveränderlichen Kern, welcher fest bleibt, was er ist, wenn auch einzelne Merkmale sich ändern. Der Mensch kennt z. B. den Wolf, d. h. er hat diesen bestimm- ten, aus solchen und so verbundenen Wahrnehmungen bestehen- den Complex. Die innere Sprachform, das instinctive Selbst- bewußtsein, erfaßt diesen Complex an einer besonders hellen Stelle, an der Anschauung des Zerreißens . Das Bewußt- sein bildet also eine einheitliche Anschauung von diesem An- schauungscomplex, indem es den Wolf sich vorstellt als den Zerreißer. Nun ist der Zerreißer der Wolf an sich . Der sich darbietende Wolf, die einzelne wirkliche Anschauung, ist nicht immer ganz dasselbe: das Grau ist bald heller, bald dunk- ler; die Größe, das Alter, die Wuth, die Kraft das eine Mal geringer, als das andere Mal. In allen diesen Anschauungen aber bleibt trotz aller Verschiedenheit in den einzelnen Wahr- nehmungen, die in dem jedesmaligen Falle die Anschauungs- summe ausmachen, die Einheit, in welcher die Summe vorgestellt wird, der Zerreißende, durchaus beständig. Diese Einheit ist also das Band aller einzelnen Wahrnehmungen; sie scheint der Grund, welcher uns nöthigt, die Wahrnehmungen so, in solcher Anzahl und solcher Form zusammenzufassen — und diese Ein- heit ist das Wort; so bezeichnet das Wort das Ding an sich. Auch hatte ja das einfache Volksbewußtsein und die Mystik immer den Glauben, im Worte liege das Wesen des Dinges, sein Leben; daher seine Bedeutung für alle Zauberei. §. 105. Das Wort — Allgemeines, die Art. Dies ist nun ein unermeßlicher Gewinn fär das Bewußt- sein: diese Verwandlung der Anschauungssumme in die vor- gestellte Einheit eines Dinges, an welchem jene Summe hängt, und welches eben die Ursache ist, daß die Summe so groß und gerade so gebildet ist. Mit dieser Einheit ist sogleich zum ersten Male ein Allgemeines gegeben. Eine allgemeine sinn- liche Anschauung ist an sich ein Widerspruch. Die Vorstel- lung ist das erste allgemeine Erzeugniß des Bewußtseins; und sie wird gebildet durch das Wort, welches immer allgemein ist. Denn der innere Gehalt des Wortes, die Anschauung einer An- schauung, gehört nicht dieser und nicht jener einzelnen An- schauung allein; sondern sie findet sich in allen Anschauungen derselben Art wieder. Sie ist ja, wie oben bemerkt wurde, nicht auf Veranlassung einer einfachen gegenwärtigen Anschauung ge- bildet, sondern durch Vereinigung der gegenwärtigen Anschauung mit der ganzen Masse der gleichartigen Anschauungen, die man schon gehabt hat, und die als eine unklare Masse durch die gegenwärtige Anschauung aus dem Gedächtnisse hervorgerufen werden. Durch die Anschauung der Anschauung aber, oder durch das Wort, wird nicht bloß eine Anschauungssumme zu einer Einheit verbunden, sondern es werden damit zugleich auch alle ähnlichen Einheiten (d. h. alle Anschauungssummen, denen dasselbe einheitliche Ding als Band angelegt wird, welche unter derselben Anschauung vom instinctiven Selbstbewußtsein ange- schaut werden), zur Einheit einer Art zusammengefaßt. Der Mensch hat viele Anschauungen vom Wolfe; sie werden sämmtlich unter derselben Anschauung des Zerrreissenden ange- schaut oder vorgestellt. Es giebt also nur Eine Vorstellung vom Wolfe und von jeder Anschauung; und sie ist das Allge- meine, und das Wort bezeichnet die Art. Weiter können wir zunächst die Sache noch nicht verfol- gen. Man sieht aber schon hier, wie sich die Seele, indem sie in der Sprache eine Welt von Dingen an sich und eine Welt von Allgemeinheiten schuf, ein wahrhaftes neues Organ gewon- nen hat, das zugleich die größte Gefügigkeit zeigt, weil es, von der Seele selbst geschaffen, von wenig Sinnlichkeit belastet ist. Nur die Natur dieses Organs konnten wir hier darlegen, woraus schon auf seinen Werth zu schließen ist. Um seine volle Lei- stung zu erkennen, müssen wir es wirken sehen. Die Wirkung der Sprache aber enthält ihre eigene Entwickelung, d. h. die Ausbreitung und dabei Gestaltung und Gliederung ihrer Ele- mente. Und so haben wir uns zuerst diese klar zu machen, wodurch wir die nähere Betrachtung der Grammatik vorbe- reiten. 21 b ) Nähere Darlegung des Wesens der Vorstellung und ihrer Entwickelung . §. 106. Auf dem Punkte, wo wir hier stehen, ist allerdings die Ent- wickelung der Sprache und des Gedankens identisch; denn wir wollen eben zeigen, was das Denken durch das Sprechen ge- winnt, welchen Zuwachs das Denken an Formbildung und Klar- heit durch die Entwickelung der Sprache erhält. Die Sprache, angesehen als instinctives Selbstbewußtsein, bildet eine Stufe in der Entwickelung des Gedankens; und so weit diese Stufe reicht, fällt also die Entwickelung des Denkens mit der des Sprechens zusammen. Auch in der Zeit giebt es eine Epoche, in der Ge- schichte des Urmenschen sowohl, wie im geistigen Wachsen des Kindes, eine Epoche, sage ich, in welcher das Bewußtsein be- stimmt ist als instinctives Selbstbewußtsein, und deren Wesen darin besteht, daß die Entwickelung des Denkens Sprache ist. In dieser Epoche löst das Bewußtsein die Aufgabe, den sämmt- lichen gewonnenen Vorrath von Anschauungen nach und nach durch das Wort in einen Schatz von Vorstellungen umzuwan- deln. Dies giebt eine neue Definition der Sprache; denn sie ist hiernach: der geistige Vorgang des Umwandelns der Anschauung in Vorstellung . Die Seele läßt also allmäh- lich ihr inneres Auge auf allen einzelnen Anschauungen, die sie erworben hat, ruhen und erhebt sie dadurch, jede einzeln, in das instinctive Selbstbewußtsein, wodurch sie zu Vorstellungen werden. §. 107. Stoff und Form. Bei diesem Wandel, der also keineswegs mit einem Schlage zauberhaft vollbracht wird, treten nun mancherlei formale Ele- mente hervor. Wir haben bisher nur materiale Verhältnisse des Denkinhaltes betrachtet: die Anschauung ist für das Denken ein gegebener Stoff und hat noch keine dem Gedan- ken angehörende Form . Nach einer gewissen philosophi- schen Betrachtungsweise läßt sich wohl sagen, alles was Form genannt werden kann, sei schon ein Erzeugniß der Seele. Das Wesen der Anschauung an sich ist schon eine seelische Form. Denn eigentlich liefert nur Empfindung und Gefühl Stoff. Wenn aber die Anschauung eine bestimmte Summe der Empfindungen ist, wie z. B. Gold und Silber zwei verschiedene bestimmte Sum- men von Gesichts-, Tast- und Gehörempfindungen sind, so ist diese bestimmte Weise der Summirung schon eine Form, welche die Seele zu den Empfindungen hinzuthut. Daß wir nicht bloß keine andern Empfindungen hinzuzählen, sondern auch gerade diese in solcher Weise vereinigen; daß wir die gelbe Farbe mit solchem Klange und Gewichte u. s. w., als Gold, die weiße Farbe mit anderm Klange und Gewichte, und nicht mit jenen, als Sil- ber zusammenfassen: das ist schon Formthätigkeit der Seele. Eben so die räumlichen geometrischen Formen. Indessen alle diese Formen, die schon bei der Anschauung auftreten, haben ihren Grund in den Objecten selbst; diese sind es, welche die Seele zwingen, die Empfindungen in solchen bestimmten Formen aufzu- fassen; es sind Formen der Objecte selbst, nicht Formen der Auffassung der Objecte, nicht Formen des Denkens; materiale Formen, möchte ich sagen, nicht formale; Bestimmungen am Stoffe, Bestimmungen des Gedachten, nicht der Denkthätigkeit. Erst mit der Vorstellung, erst mit dem Selbstbewußtsein, zunächst nur dem instinctiven, treten Formbestimmungen des Denkens auf; denn erst hier wird das Denken rein thätig, wäh- rend es in der Wahrnehmung nur empfängt, leidet. Mit der Vorstellung beginnt die selbstthätige Entwickelung des Denkens auf seinem eigenen Boden. Hier beginnen die eigenthümlichen Operationen des Denkens mit dem Erkenntnißschatze, den die Seele durch die Sinne von der Außenwelt erlangt hat; und die- ser Anfang liegt in der Sprache. §. 108. Benennungen als erste Form der Sätze. Wir stellen uns nun den Urmenschen oder das Kind vor, die menschliche Seele, der alle Dinge noch neu genug sind, deren Sinne noch frisch genug sind, um am bloßen Wahrneh- men der Dinge ihre Freude zu haben, wie sich die Glieder ihres Leibes an der bloßen nutzlosen Spielbewegung erfreuen. Ihre Erkenntniß ergeht sich munter im Wiedererkennen schon gese- hener Dinge und im Aufsuchen und Auffassen neuer; das heißt: im Benennen der Dinge. „Das ist das!“ und „was ist das?“ dies sind die allgemeinen Kategorien, in denen sich dieses Den- ken bewegt; wirklich sprachlich aber treten hier die Ausrufe- Sätze auf: Hund! (oder Wauwau) Kuh! Auch wir brechen in solche Ausrufesätze aus, sobald wir bei dem Erkennen eines Din- ges in Affect gerathen, weil es uns angenehm oder unangenehm ist, weil wir es anfangs nicht erkennen konnten, oder es nicht 21* erwarteten; z. B. Feuer! Land! Der Feind! Der König! Carl! Man könnte dies auch Erkennungssätze nennen. Das psycholo- gische Ereigniß, das hier vorliegt, ist einfach. Bei der gegen- wärtigen Anschauung tritt die ganze in einander verschmolzene und verwirrte Masse der gleichartigen schon vergangenen, aber von der Seele aufbewahrten Anschauungen hervor, und die neue verschmilzt mit den alten. Diese Verschmelzung heißt eben Er- kennen. An die alte Masse verwirrter Anschauungen ist das Wort geknüpft. Die Aufnahme der neuen Anschauung in die alte Masse, das Erkennen, spricht sich dadurch aus, daß der Name, welcher an die letztere geknüpft ist und mit ihr hervor- tritt, auf jene übertragen wird. So wird das Wort gewisserma- ßen ein Netz, welches die Seele auswirft, um die neue An- schauung einzufangen. Und so kann ich mir den Anfang der Sprache nicht an- ders denken, als durch Benennung der Dinge, welche freilich noch keine Substantiva giebt. Wenn Becker meint, Verba hät- ten den Anfang der Sprache gebildet, so verkennt er das Wesen der Verba, wie alle sprachliche Entwickelung. Trendelenburg erkennt an (II, S. 146.), daß die Wurzel weder Substantivum, noch Verbum ist; meint aber dennoch: „Wenn man die ersten Wörter wieder auffinden könnte, so müßten sie schon einen vol- len Gedanken enthalten; denn dahin drängt die Seele. Dem Ver- bum allein ist dieser „„Act des synthetischen Setzens““ als grammatische Function beigegeben … Daher werden die An- fänge der Sprache in den Verben liegen.“ Aber von „gramma- tischer Function“ ist eben hier noch gar nichts zu finden. Tren- delenburg setzt hinzu: „Will man noch in der Sprache von der Benennung ausgehen und daher die Namengebung der ruhenden, abgeschlossenen Dinge für das Erste erklären: so verfährt man äußerlich.“ Dieser Vorwurf trifft die alten Grammatiker, nicht unsere obige Darstellung. Denn nach dieser handelt es sich nicht um eine „Namengebung der ruhenden, abgeschlossenen Dinge,“ zu welcher der Mensch, man weiß nicht, wodurch? veranlaßt würde, sondern um ein Erkennen. Daher billigen wir, was Trendelenburg hinzusetzt: „Selbst die Sprachentwickelung in dem Kinde kann nicht als Analogie“ (für jene alte Ansicht) „angeführt werden. Sind die ersten Wörter des Kindes nur Namen? Freilich erscheinen sie isolirt. Aber schon sind sie ein Satz. Die Kinder sprechen mit feinem Sinne dasjenige Wort als den Repräsentanten des ganzen Satzes, auf welches noch in der gegliederten Periode als auf den Hauptbegriff des Ganzen die vorwiegende Betonung fallen würde … Was an dem Ur- theil in dem Ausdrucke der Sprache fehlt, das ersetzt die see- lenvolle Betonung oder die lebhafte Geberde. Der Ton des Staunens bezeichnet das Urtheil der Wirklichkeit“ (was wir oben Erkennungssätze nannten), „das eilende Drängen im Tone das Verlangen.“ An die obigen Ausrufungs- oder Erkennungs- sätze schließen sich leicht die Befehlsätze; und wenn das aus- gesprochene Wort im erstern Falle für uns ein Prädicat ist, wozu die gegenwärtige Anschauung das verschwiegene Subject bildet, so ist es im andern Falle, wie: Brod! Apfel! (sc. will ich haben, gieb mir) das Object. Das Verbum wird in beiden Fällen unterdrückt. Der Anfang der Sprache liegt in Sätzen, aber in verblosen . Die Synthesis, welche das Wesen der ganzen Sprache ausmacht, fehlt hier nicht: es ist die doppelte Synthesis der neuen Anschauung mit den alten und mit dem Worte. Die Verschmelzung der neuen Anschauung mit der al- ten Masse ist für uns die Copula; grammatisch aber, sprach- lich, ist letztere noch nicht vorhanden, und eben darum ist auch noch kein Verbum da. Was sagen wir denn nun zu der Thatsache, „daß es ver- hältnißmäßig sehr wenige Substantiva giebt, in denen nicht noch die Thätigkeit, also das Element des Urtheils, als das Ursprüng- liche könnte erkannt werden?“ Nach allem was oben über die innere Sprachform gesagt ist, kann diese Thatsache für uns schon als erklärt gelten. Die Thätigkeiten, welche in den Sub- stantiven liegen, sind keine Verba, sondern allenfalls Adjectiva, Merkmalwörter; das Merkmal ist das Attribut, durch welches das instinctive Selbstbewußtsein die Anschauung als Einheit er- faßt, sie sich vorstellt. So wie wir nie das Ding an sich er- kennen, so hat auch die Sprache keine eigentlichen, ursprüng- lichen Dingwörter; wie uns der Complex der Merkmale eines Dinges für das Ding selbst gilt, so giebt es auch in der Spra- che nur Merkmalwörter. Ein Merkmal aber wird aus dem Com- plex von Merkmalen, welche für uns das Ding bilden, heraus- gehoben und muß für das Ding an sich gelten, so z. B. der Reißende für den Wolf . Der Reißende ist also an sich ein Merkmal- wort, nach der Absicht und Verwendung in der Sprache aber ein Dingwort. So ist Trendelenburgs „primitives Urtheil“ aufzufassen. Bevor man den Wolf als den Reißenden bezeichnen konnte, mußte freilich ein Wort für reißen, für die Thätigkeit an sich, gebildet sein. Wir sahen ja auch, daß die Stufe, auf welcher die innere Sprachform zu solcher Bildungsweise gelangte, nach welcher Wolf gebildet ist, keineswegs die erste ist. Wir sind aber in unserer Entwickelung noch nicht weit genug vorgerückt, und haben noch gar nicht gesehen, wie die Seele zur Auffassung von Thätigkeiten gelangt. Dies soll nun gezeigt werden. §. 109. Der explicite Satz. Wir stehen hier noch ganz am Anfange der Entwickelung der Vorstellung; sie ist noch weiter nichts, als eine Anschauung, deren Merkmale gedacht werden als sich an eines aus ihrer Mitte anschließend. Hier ist nicht bloß noch kein grammatisches Ver- bum, kein grammatisches Substantivum, sondern auch das Ding und die Thätigkeit oder das Merkmal überhaupt sind noch nicht streng von einander abgeschieden. Es ist wohl ein Merkmal aus dem Complex hervorgehoben; aber dasselbe liegt doch noch in ihm, es bildet den Mittelpunkt, oder, wie wir oben sagten, die Spitze des Kegels; es umfaßt also sich und alle Merkmale der Anschauung zugleich. Das Urtheil der Seele in der An- schauung lautet: das wahrgenommene Object ist die Summe mei- ner Empfindungen von demselben. In der Vorstellung wird hieran zunächst nur dies geändert, daß durch eine Abkürzung statt der sämmtlichen Empfindungen von einem Dinge nur eine im Laute reflectirte und mit diesem Laute associirte gesetzt wird. Der Werth und das Wesen dieses anschauenden Urtheils ist noch nicht geändert, nur die Ausdrucksweise, die eine abkürzende ist. Bei diesem ersten Auftreten der Vorstellung hat das eine, zu- sammenfassende Merkmal, welches den ganzen Complex vertritt, noch nicht die Bedeutung des Dinges an sich, die wir oben als bezeichnend für die Vorstellung angaben; aber sie wird diese Bedeutung sogleich erhalten, und damit wird erst das Ding von seinen Thätigkeiten und Merkmalen geschieden. Und wie ge- schieht dies? Man begreift wohl schon, daß wenn der Complex von Merk- malen der Anschauung einmal so zugespitzt ist, daß ein Merk- mal sie alle vor dem Bewußtsein vertritt, vorstellt, bedeutet (gewissermaßen wie ein Abgeordneter eine Gesammtheit vertritt oder vorstellt), man begreift, sage ich, wie jetzt die Seele ge- zwungen wird, sich klar zu machen, welche Merkmale es sind, die durch jenes eine vertreten werden. Sie findet aber hierzu auch noch in der Außenwelt mancherlei Aufforderung. Die Anschauung eines bestimmten Dinges umfaßt allemal eine Menge gegenwärtiger, sinnlicher Wahrnehmungen. Diese Menge, dieser Complex ist aber rücksichtlich desselben Dinges nicht immer gleich; sondern es fehlen bald einige Merkmale, bald sind einige mit andern vertauscht. Das Kind sieht den Hund liegend, sieht ihn aufstehen und gehen, hat also drei An- schauungen, alle drei identisch und doch verschieden. Wir den- ken uns hier das Kind eben auf der Stufe, auf welcher unsere Darlegung steht. Die Anschauung ist ihm zu einem Merk- male zugespitzt; der ganze Hund wird vor seinem Bewußtsein vertreten, vorgestellt durch Wauwau. Dieses Wauwau ist nicht Substantiv, nicht Verb, nicht Ding, nicht Thätigkeit, sondern alles was der Hund ist und thut; es gilt dem Kinde für alles was es vom Hunde weiß, ist ihm das Aequivalent der ganzen Masse von Anschauungen, welche es von ihm hat. Also Wau- wau liegt, erhebt sich, geht, ist bald schwarz, bald weiß — denn zunächst weiß das Kind nicht, daß der schwarze ein anderer ist, als der weiße —; das Kind sieht dann auch mehrere Wau- waus, große und kleine, schwarze und weiße beisammen. Und auf alle diese verschiedenen Anschauungen bezieht sich sein Wau- wau. Haben wir hier nicht schon die Einheit in der Verschie- denheit? Nun wird Wauwau ein fester Punkt, eine Einheit, an welche sich die bemerkten Verschiedenheiten anreihen; d. h. Wauwau wird Subject, und die veränderlichen Merkmale wer- den Prädicat. Wenn in der Anschauung die Summe der em- pfundenen Merkmale gewissermaßen das Prädicat des Dinges, des wirklichen Objects sind, welches als Subject gilt: so ist auf der ersten Stufe der Vorstellung nur der Unterschied eingetre- ten, daß sämmtliche Wahrnehmungen am Dinge, also z. B. am Hunde, durch das eine Prädicat wauwau ersetzt werden. Jetzt aber sahen wir die zweite Stufe eintreten, wo Wauwau zum Subjecte der veränderlichen Merkmale wird, welche als Prädicate gelten. Nun erst erhält Wauwau die Bedeutung des Hundes an sich, der Substanz, des Dinges, und das Ding wird von seinen Thätigkeiten und Eigenschaften geschieden. Die Wahrnehmun- gen dieser veränderlichen Eigenschaften und Thätigkeiten sind es jetzt, welche das Interesse des kindlichen Geistes erregen und sich in Lauten reflectiren. Der Urmensch, kräftiger, als das Kind, wird solche Laute ursprünglich schaffen; das Kind spricht gehörte Laute nach. So denken wir uns den Vorgang der Schöpfung der Ding-, Merkmal- und Thätigkeitswörter. Sie werden geschaffen, wie wir dies oben bei der Darlegung der innern Sprachform gezeigt haben. Uebrigens werden nun auch absolute Thätigkeiten wahr- genommen, Thätigkeiten ohne Thuendes: blitzen, donnern, heu- len, fließen, leuchten u. s. w. Sie werden benannt, und die Wör- ter für sie werden nicht anders gebildet, als wir oben dargelegt haben. Wenn man also meint, Dingwörter seien nicht die er- sten, da ihnen allemal Merkmalswörter zu Grunde liegen: so ist ganz dasselbe von den Thätigkeitswörtern zu sagen, denen ebenfalls immer Merkmale zu Grunde liegen. Die Thätigkeit wird ganz wie eine Substanz betrachtet, und der Eindruck, den sie auf die Seele ausübt, reflectirt sich in einem Laute. Auch hat eine Thätigkeit viele Merkmale, von denen eines endlich alle vertritt und die Thätigkeit selbst bedeutet. Die ersten Wör- ter sind also Merkmalsbezeichnungen und mithin, wollte man einen grammatischen Ausdruck gebrauchen, Adverbia . Dies ist nun also der vorzüglichste Unterschied zwischen Anschauung und Vorstellung, daß jene einen Complex von Em- pfindungen ungeschieden vergegenwärtigt, die Vorstellung dage- gen Ding und Merkmal scheidet. Da es nun aber dennoch dar- auf ankommt, Anschauungen auszudrücken, also den Complex von Ding und Merkmal: so kann dies nicht anders geschehen, als indem man die einzelnen Ding- und Merkmalsvorstellungen im Urtheile zusammensetzt. Darum lebt die Vorstellung nur im Satze, während sie als isolirtes Wort eine aus dem Empfindungs- complex einer Anschauung herausgerissene, abgelöste einzelne Empfindung ist, also ein todtes Abstractum, ein abgestorbenes Glied eines lebendigen Organismus. Vorstellung ist wesentlich Satz; der Satz ist das Urtheil der Vorstellung. Und so wird nun erst im Satze recht klar, was es heißt, wenn wir sagen, Sprache sei Anschauung der Anschauung; denn das Subject des Satzes ist die angeschaute Anschauung, und das Prädicat ist das Ergebniß dieses Anschauens der Anschauung, das an der Anschauung Geschaute, das als was das Angeschaute erkannt, vorgestellt wird. Streng genommen aber sollten wir sagen, der Satz sei die Vorstellung der Vorstellung. Denn das Wort als Vorstellung ist schon die Anschauung der Anschauung, das Wort ist das Urtheil der Anschauung; der Satz aber behandelt das Wort gerade eben so, wie dieses die Anschauung behandelt hat, d. h. wenn das Wort Vorstellung ist, so ist der Satz Vor- stellung der Vorstellung . Das Subject ist die Vorstellung, welche unter einer andern, dem Prädicate, aufgefaßt wird; eben so ist das Attribut die Vorstellung, als welche die Vorstellung des Substantivs vorgestellt wird, und ferner ist das Object das, was an der Vorstellung der Thätigkeit vorgestellt, erkannt wird. Hören wir hierüber noch den alten Kant (Kritik der reinen Ver- nunft, Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt, Ausg. v. Hartenstein 1853. S. 99): „Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht, als bloß die Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern auf irgend eine andere Vorstellung von demselben (sie sei An- schauung oder selbst schon Begriff) bezogen. Das Urtheil ist also die mittelbare Erkenntniß eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben. In jedem Ur- theil ist ein Begriff, der für viele gilt, und unter diesen vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche letztere dann auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird. So bezieht sich z. B. in dem Urtheile: alle Körper sind theilbar der Begriff des Theilbaren auf verschiedene andere Begriffe; unter diesen aber wird er hier besonders auf den Begriff des Körpers bezogen, dieser aber auf gewisse uns vorkommende Erscheinungen. Also werden diese Gegenstände durch den Begriff der Theilbarkeit mittelbar vorgestellt.“ Ueber der Aehnlichkeit dieser Stelle Kants mit unserer Darstellung aber werden wir die Verschiedenheit nicht überse- hen. Bei Kant „ist Denken die Erkenntniß durch Begriffe“, und der Verstand ist ein besonderes „Vermögen zu urtheilen“; der Begriff aber nichts als „das Prädicat zu einem möglichen Urtheile“. Das ist aber alles höchst einseitig und willkürlich. Bei Trendelenburg sind umgekehrt gerade die Subjecte der Ur- theile die Begriffe. Die Begriffe können als Subject und als Prädicat stehen, und in diesem wie in jenem Falle beziehen sie sich nicht mehr und nicht weniger auf einen Gegenstand. — Verstand ferner ist kein besonderes Vermögen; Urtheilen ist nicht die besondere Thätigkeit eines besondern Vermögens; und Denken ist nicht bloß Erkenntniß durch Begriffe, d. h. durch Urtheile. — Kant unterscheidet Anschauung und Begriff, wie wir; Vorstellung aber ist ihm der allgemeine Ausdruck für jene beiden zugleich, sie umfassend, ihnen untergeordnet. Uns ist Vorstellung eine coordinirte mittlere Stufe der See- lenempfängnisse zwischen den Stufen der Anschauung und des Begriffs. Urtheil ist eine Form der Denkthätigkeit, die sich, verschieden gestaltet, auf allen drei Stufen findet. Das Urtheil ist je nach der Stufe, auf der es auftritt: Anschauung der An- schauung (Wort), Vorstellung der Vorstellung (Satz), Begriff des Begriffs (logisches Urtheil). Die Sätze und Urtheile sind nicht aus zwei Vorstellungen oder Begriffen zusammengesetzt; sondern die Anschauung, d. h. die Einheit ist das Erste, und das Urtheil ist die Auflösung dieser Einheit. Von den vielen Momenten, den Merkmalen ei- ner Anschauung oder eines Begriffs wird eines hervorgehoben, nur dieses, als Prädicat, wird gedacht, und nur als dieses wird in dem Augenblicke des Urtheils der Begriff des Subjects ge- dacht, nur in ihm liegt der Werth des Subjects. In dem Ur- theile z. B. alle Körper sind theilbar sind Subject und Prädicat gleich, und zwar deswegen gleich, weil aus der unbestimmten Menge der Merkmale des Körpers hier nur eines in das Be- wußtsein gehoben wird, das der Theilbarkeit; diese ist alles, was in jenem Urtheile bei der Vorstellung Körper gedacht wird. Subject und Prädicat sind also wirklich identisch; denn das Prädicat sagt aus, was das Subject ist. Der Hund läuft bedeu- tet: der Hund ist ein laufender Hund; dieser Vogel ist grau bedeutet: dieser Vogel ist ein grauer Vogel oder dies ist ein grauer Vogel . §. 110. Ausbildung der Begriffe. Nun aber vervielfältigen sich die Sätze: der Hund läuft, sitzt, ist schwarz, weiß, braun, grau u. s. w. Jeder Satz ver- vollständigt die Analyse der Anschauung. Damit hält die Schö- pfung der Merkmalwörter und die Entwickelung des Begriffs gleichen Schritt. Denn der Begriff ist die vollständige analy- tische Erkenntniß der Anschauung, d. h. der Momente dersel- ben sowohl an sich, als in ihrer gegenseitigen Durchdringung und ihrem Werthe für das Ganze. Je mehr Sätze entwickelt werden, um so fester gilt das Wort als Ding an sich; um so mehr aber schwindet die etymologische Bedeutung des Wortes, wobei ein Merkmal als Ding an sich gilt. Bleibt nun zuletzt dem Worte an sich nichts mehr übrig als der Laut, wie dies in geschichtlicher Zeit Statt findet, wo die Etymologie aus dem Bewußtsein verloren ist: so ist die Vorstellung nichts weiter, als die leere Beziehung des Bewußtseins auf die Anschauung oder das wirkliche Ding, und erwartet erst im Prädicate einen Inhalt. Wenn man sagt: der Körper ist theilbar, so wird bei Körper gar nichts gedacht; das Wort Körper bewirkt aber eine Beziehung des Bewußtseins auf die Anschauung des wirklichen Körpers, eine Beziehung jedoch, die durchaus leer ist (weil die Etymologie des Wortes Körper vergessen ist), und die erst durch das Prädicat theilbar einen Inhalt erhält. Wenn sich nun diese Beziehungen vielfach wiederholen und immer verschieden aus- gefüllt werden; wenn, nach unserem obigen Gleichnisse, von der inhaltslosen Spitze des Kegels der Anschauung nach allen Punk- ten der Basis Linien gezogen werden und durch diese Linien alle Punkte nach ihrem Zusammenhange mit einander und mit dem Ganzen ins Bewußtsein gelangt sind: so erhalten wir den Begriff, der eine große Fülle von Urtheilen in sich schließt. Wie schwerfällig würde unser Denken sein, wenn wir da- bei immer die volle Anschauung oder gar den Begriff, so weit wir ihn gebildet haben, gegenwärtig im Bewußtsein haben müß- ten, um daran neue Erkenntnisse zu knüpfen! Ja dies wäre bei der Natur unseres Bewußtseins, welches nur sehr wenige ein- fache Vorstellungen zugleich klar denken kann, rein unmöglich. Das Wort kommt also hier dem Bewußtsein zu Hülfe. Denn, indem es, ohne ihm etwas zu denken zu geben, dennoch den ganzen Complex der Empfindungen, die in einer Anschauung liegen, festhält, kann das Bewußtsein in völliger Freiheit sein Auge ausschließlich auf diejenigen Punkte heften, um deren Er- kenntniß es ihm gerade jetzt zu thun ist; und kann, da auch diese Erkenntnisse an Wörter gebunden sind, mit denselben man- cherlei Operationen vornehmen, ohne sie sich lebendig zu ver- gegenwärtigen, indem es mit dem inhaltsleeren Worte als dem vorgestellten Aequivalent des Erkannten operirt. Wie sollte man etwas Allgemeines, etwa von Pflanzen und Thieren, auf- fassen können, wenn man fortwährend die Anschauungen aller Einzelheiten gegenwärtig haben müßte! Die Vorstellung, auf ihrer niedrigsten Stufe der Allgemeinheit, bedeutet eine Art. So vermittelt sie die höhere Allgemeinheit des Begriffs mit der An- schauung, die nur Einzelnes erfaßt. §. 111. Fernere Betrachtungen über die Leistungen der Sprache für das Denken. Ehe wir diesen Abschnitt abschließen, wollen wir noch Her- bart hören von der Wirkung der Sprache (a. a. O.): „Etwas schwerer“ (als die Entstehung der Sprache) „mag die Frage von der Wirkung der Sprache sein; doch hat man auch hievon zu viel Aufhebens gemacht. Daß man vermittelst der Spra- che denke, ist ganz unrichtig. Man kann nicht ohne die Worte denken, nachdem die Vorstellung der letztern“ (d. h. ihr Wortlaut) „mit den Begriffen complicirt ist … Die Summe aber, oder der Grad des Vorstellens, oder die Innigkeit der Ver- bindung unter den Merkmalen eines Begriffs, dies alles, worauf die Wirksamkeit unserer Vorstellungen beruht, wächst nicht im geringsten durch das angeheftete Zeichen. Eine Täuschung, als ob ein Ding ohne Namen nur unvollständig erkannt wäre, kann daher entstehen, weil, nachdem alle andern Dinge den Ballast eines Worts an sich tragen, dem Namenlosen ein Zusatz zu fehlen scheint, wenn es mit jenen ins Gleichgewicht treten soll“ (Hier haben wir das Gegenstück zu Becker, dem die Wortschö- pfung gleich gilt mit der Ideenschöpfung. Jedes dieser Extreme gereicht dem andern zur Entschuldigung). „So bildet sich wohl auch Einer, der eine fremde Sprache, noch außer der Mutter- sprache, gelernt hat, ein, es fehle ihm etwas an der Kenntniß des Gegenstandes, den er in die fremde Zunge nicht übersetzen kann!“ Einen solchen „Einen“ möchte ich kennen. In Deutsch- land lebt er schwerlich! wo man nicht einmal, wenn man das Ding nicht in der Muttersprache zu benennen weiß, einen Man- gel fühlt. Man sieht übrigens von selbst, daß dieser Stelle die aller- niedrigste Ansicht von der Sprache zu Grunde liegt. Die Spra- che ist also „ein Ballast“, von dem gar nicht eingesehen wer- den kann, wie der Mensch dazu kommt. Sie ist eben darum auch als ein Uebel anzusehen: „Aller Vortheil der Sprache be- ruht auf dem geselligen, gemeinsamen Gebrauch; auf der Ver- längerung und Berichtigung der eignen Gedanken durch die der Andern. Aber für den Einzelnen ist das Anheften der Gedan- ken an die Sprache sogar nachtheilig. Denn hierdurch treten für ihn die mehr und die minder verstandenen Worte, — die- jenigen, die für ihn mehr und weniger Sinn haben, — scheinbar in einen Rang. Daher so viel thörichter Wortkram, und so viel Eitelkeit, Unlauterkeit, falsche Schätzung des Wissens, Drei- stigkeit des sinnlosen Plauderns!“ Und der große Psychologe merkt nicht, daß er den Mephistopheles spielt, der vom Men- schen meint, er habe die Vernunft nur, um das unvernünftigste Vieh zu sein. Die Sprache ist also ein nothwendiges Uebel, unsern Gedanken „angeheftet“. Es kommt darauf an, zu erkennen, wie innig sich die Spra- che in das Denken hineinschlingt. Das Wichtigste hierfür ha- ben wir schon geleistet in dem, was wir über das Hervorbre- chen der Sprache, die Entwickelung der innern Sprachform und der Vorstellung dargethan. Denn dort haben wir das Denken durch mehrere nothwendige Stufen seiner Entwickelung verfolgt. Dort haben wir also schon theils geradezu die Identität, theils die Durchdringung von Sprechen und Denken erkannt; und so ist es für uns völlig unstatthaft, von „Ballast“ und „anheften“ zu reden. Nun bricht aber die Wirksamkeit der Sprache noch nicht ab. Durch alle Urtheile hindurch, vermittelst deren die Anschauung zum Begriffe wird, begleitet die Sprache das Den- ken ganz offenbar. Und diese Begleitung, die ihren Grund in der innigsten Verschlingung hat, sollte einflußlos auf das Den- ken bleiben? ihm rein äußerlich angeheftet werden? §. 112. Leistung der Vorstellung. Das Wort, sagten wir, ist die inhaltslose Beziehung des Bewußtseins auf die Anschauung und dadurch Stützpunkt der Seele bei der Bildung des Begriffs. Man sieht also hieraus, daß allerdings die Vorstellung nicht eigentlich in gleicher Linie mit Anschauung und Begriff steht; sondern wie die Wahrnehmung auf einer ganz andern Linie, als Gefühl, Empfindung und An- schauung, lag: so liegt auch die Vorstellung nicht auf dersel- ben, die sich zum Begriffe verlängert. Die Vorstellung ist viel- mehr eine Fortsetzung der Linie, auf der die Wahrnehmung liegt. Wahrnehmung ist die Vermittlung der leiblichen Bewe- gungen mit der Seele, die Beziehung der Seele auf den Leib, ohne welche kein Bewußtsein, weder von der Außenwelt, noch von der eigenen Leiblichkeit, entsteht. Wie viele Bewegungen gehen in unserm Leibe vor, von denen wir nichts wissen, weil wir sie nicht wahrnehmen, d. h. weil die Seele, das Bewußtsein, nicht darauf bezogen ist. Das Für-uns-sein oder das Bewußt- sein der Gefühle, Empfindungen und Anschauungen wird durch diese Weise der Beziehung der Seele bewirkt, welche wir Wahr- nehmung nennen. Wenn die Seele eine gehabte Anschauung wieder hervor- treten läßt, so nennen wir diese Beziehung der Seele auf die Anschauung Erinnerung . Dieser Name bezeichnet aber die Beziehung der Seele auf jedwedes schon gehabte Seelenerzeug- niß, also auch die Reproduction von Begriffen. Die Vorstellung ist die Beziehung des Bewußtseins auf die erinnerte Anschauung oder den erinnerten Begriff während der Thätigkeit des Geistes, Anschauungen in Begriffe zu ver- wandeln und Begriffe gemäß der Idee zu construiren. Die Vor- stellung ist ursprünglich nicht ganz leer, sie ist die Abbreviatur der Anschauung, wird aber endlich völlig leer. Dann wirkt sie, wie die Null in der Arithmetik. Zwischen 3. 30. 0,3 besteht der Unterschied, daß 3 sich an verschiedenen Orten findet. Diese Verschiedenheit des Ortes verändert den Werth, und diese Werth- veränderung wird bewirkt durch eine leere Stelle, eine Null. Man denke sich den Zehner als die Anschauung und als das Subject eines zu bildenden Urtheils, d. h. als Multiplicanden ei- ner Multiplication. Denn durch den Proceß des Urtheilens, des Multiplicirens, wird der Begriff, das Facit, gebildet. Das Prä- dicat aber ist eigentlich das, was dem Subjecte den Werth leiht, dessen Werth bestimmt, das Urtheil bildet, der Multiplicator. Welch ein mühseliges Rechnen findet nun Statt, wenn man den Zehner wirklich und voll auftreten läßt, also hinschreibt X x III = XXX! Um wie viel leichter und einfacher werden alle Operationen, wenn der Inhalt des Zehners bloß durch die Stellung angedeutet und bloß der Multiplicator ausdrücklich genannt wird! Dieselbe Erleichterung, welche dem Rechner die Stellung der Zahl verschafft, gewährt dem Urtheilenden die Vor- stellung, welche die Stelle der Anschauung im Urtheile vertritt. Wir nannten hier immer die Vorstellung leer; dies muß aber richtig verstanden werden. Sie ist zugleich leer und ge- füllt; denn sie ist, wie wir oben sagten, die Anschauung selbst, insofern sie durch die Sprache gedacht wird, also Einheit der Anschauung und des Wortes, welches die Beziehung der Seele auf die Anschauung enthält. Insofern sie also bloß Wort ist, ist sie leer; insofern sie aber Anschauung ist, ist ja sie es ge- rade, welche durch die Erkenntnisse in den Urtheilen an Inhalt gewinnt. Ferner: die Vorstellung ist in Wahrheit der Satz; insofern sie nun Subject ist, wird sie leer und unbestimmt hin- gestellt; durch jedes Prädicat aber, welches sie gewinnt, nimmt sie zu an Inhalt und Klarheit. Die Vorstellung, insofern sie die Anschauung ist, ist die Bedeutung des Wortes. Das Wort wird aber durch die vielfachen Urtheile, in denen es angewandt wird, immer reicher an Bedeutung; sein Sinn wird immer feiner und bestimmter. Die Vorstellung ist also die sich aufklärende und immer mehr ihre wesentlichen Bestimmungen entfaltende Anschauung. Tritt aber die Vorstellung im Satze auf als Sub- ject, von dem im Prädicate etwas erkannt wird: so vertritt sie eben nur die Stelle der Anschauung, läßt ihren Inhalt bei Seite und wirkt als Null. Die Vorstellung als Subject ist eine nackte Bettlerin, der das Almosen des Prädicates gegeben wird; sie ist aber nur eine verstellte Bettlerin, die zu Hause im Verborgenen einen reichen Schatz von Prädicaten besitzt. Dieser Schatz ist die Bedeutung des Wortes. Die Wörter sind Benennungen der Dinge oder Anschauun- gen; durch die Wörter werden uns die Anschauungen überlie- fert, durch Wörter halten wir die selbständig gebildeten An- schauungen fest. Kann es denn nun wohl für unser Denken gleichgültig sein, wie reich die mit dem Worte gegebene Vor- stellung an Inhalt, an Bedeutung ist? oder ist es gleichgültig, welche Prädicate wir als Bedeutung an die Wörter hängen? Die Wörter sind die Vorstellungen, d. h. die Beziehungen unseres Bewußtseins auf die Dinge; und es soll gleichgültig sein, was in diesen Beziehungen gegeben ist? Die Sprache ist also ge- radezu das Bindeglied zwischen unserm Denken und der Außen- welt, eine geistige Hand, die Dinge zu erfassen — denn so er- fassen, begreifen wir zunächst die Dinge und Begriffe, wie das Wort sie vorstellt — und dieses Seelenorgan soll unserm Be- wußtsein gleichgültig, unserm Denken ein Ballast sein? Man sieht z. B. etwas, und fragt: was ist das? ein Thier wird geantwortet. Vor dieser Antwort sah man doch schon eine gewisse Gestalt, Größe, Farbe; hat man nun durch diese Ant- wort keinen weitern Zuwachs erlangt, als einen Lautballast? Al- les was man sieht oder überhaupt wahrnimmt, ist eine Anschau- ung. Indem man das Wort dazu erhält, gewinnt man die Er- kenntniß der Art, Gattung u. s. w. kurz des Allgemeinen, zu dem jene Anschauung gehört. Und ist die Bedeutung des Wor- tes recht scharf bestimmt, so hat man durch das Wort — mit einem Schlage — eine sehr bedeutende Erkenntniß gewonnen. So wird oft der größte Fortschritt in der Erkenntniß der Dinge dadurch gemacht, daß ihnen der rechte Name gegeben wird. Wie sehr endlich in dem eigentlichen Kreise der hohen Ab- stractionen fein geschiedene Synonyma das Denken anregen und befruchten: daran soll nur kurz erinnert werden. Wahr aber bleibt Herbarts Schlußbemerkung: „Diejenigen, welche die intellectuale Anschauung anpreisen, und das discur- sive, in der Sprache ausgedrückte Denken herabsetzen, haben insofern nicht ganz Unrecht, als das Kleben am Symbol, wenn man sich darauf lehnt und stützt, das wahre Wissen zerbröckelt, und das Scheinwissen einschwärzt. Es wäre nur zu wünschen, daß jene selbst sich aus dem Wust ihrer Worte herauszuarbei- ten verstünden. Gäbe es eine intellectuale Anschauung: so würde ihr Angeschautes unaussprechlich sein. Gerade dieselbe Eigen- schaft hat aber auch das wahre Wissen, welches aus dem dis- cursiven Denken am Ende hervorgeht. Resultate vieljähriger Forschungen bedürfen vieler Worte, um vorgetragen zu werden; aber der Vortrag, der alle diese Worte auf einen langen Faden reiht, ist nicht das Wissen selbst, welches in beinahe unge- theilter Ueberschauung die ganze Kette der allmählich ausgebildeten Gedanken trägt und festhält.“ Diese Worte eines der klarsten, ich möchte sagen, discursivsten Denker erinnern mich an eine Aeußerung Mozarts, wonach er Musik, deren We- sen doch auf der Zeitfolge zu beruhen scheint, sich zeitlos, dauernd gegenwärtig, wie ein Bild, vorstellt, also in „ungetheil- ter Ueberschauung“. Mozart nämlich schreibt: „Wenn ich recht für mich bin und guter Dinge etwa auf Reisen im Wagen, oder nach guter Mahlzeit beim Spazieren, und in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann, da kommen mir die Gedanken strom- weis und am besten … Das erhitzt mir nun die Seele, wenn ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer größer, und ich breite es immer weiter und heller aus, und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast fertig, wenn es auch lang, so daß ich’s hernach mit einem Blick, gleichsam wie ein schönes Bild, oder einen hübschen Menschen, im Geist über- sehe, und es auch gar nicht nach einander, wie es hernach kommen muß, in der Einbildung höre, son- dern wie gleich alles zusammen . Das ist nun ein Schmaus! Alles das Finden und Machen geht in mir nun wie in einem schönen, starken Traum vor. Aber das Ueberhören, so alles zusammen, ist doch das Beste.“ §. 113. Unterschied zwischen Satz und Urtheil, Vorstellung und Begriff. So viel über das Verhältniß der Vorstellung zur Anschauung und zum Begriffe. Versuchen wir jetzt, uns das Wesen des Ur- theils der Vorstellung klar zu machen. Es ist doppelter Art, wie die Vorstellung selbst doppelter Natur ist. Denn sie ist die Einheit des Wortes und seiner Bedeutung. Nach der Seite der Bedeutung hin ist das Urtheil der Vorstellung vom Urtheile des Begriffs nur dadurch verschieden, daß der Inhalt des er- stern etwas für die Anschauung Zufälliges und Unwesentliches, Einzelnes ist. „Ich habe gegessen und werde mich nun schla- fen legen. Hr. N. ist gestorben u. s. w.“ sind Urtheile der Vor- stellung. Wenn aber der Physiolog die Urtheile ausspricht: der Mensch ißt, schläft, ist sterblich: so haben wir hier Allge- meinheit und Nothwendigkeit, und also Urtheile des Begriffs. Das ganze gemeine Leben bewegt sich in Vorstellungen; denn es dreht sich um Zufälligkeiten und Einzelheiten und gelangt nie dazu, die Merkmale der Anschauung zu vervollständigen und aufzuklären, und besonders nach ihrer Würdigkeit abzuschätzen. Die Wissenschaft ist der Kreis des Begriffs . Insofern aber die Vorstellung Wort, innere Sprachform, ist, hat sie ebenfalls ein Urtheil, nämlich eine Anschauung: von der Gliederung der Anschauung oder des Begriffs, kurz der Bedeu- tung. Wie die innere Sprachform Anschauung der Anschauung ist, so ist sie auch Anschauung des Urtheils, d. h. Satz; und wie nun überhaupt die innere Sprachform nicht denselben Inhalt hat, wie die bedeutete Anschauung, sondern nur eine Auffas- sungsweise derselben ist: so ist auch der Satz nur eine be- sondere Anschauungsweise des Urtheils . Dies führt aber specieller in die Grammatik, die eben, weil sie nur die in- stinctive Anschauung der Logik ist, nicht die Logik selbst ist. Wir sagten oben, daß in historischer Zeit, nachdem die Etymologie des Wortes vergessen sei, der Laut ohne Vermitt- lung der innern Sprachform unmittelbar mit der bedeuteten Vor- stellung zusammenhänge, und daß dieses Verschwinden der in- nern Sprachform von dem wachsenden Reichthum des Bewußt- seins und der Ausbildung der Vorstellung zum Begriffe herrühre. Hier sehen wir nun aber, daß bei der Entwickelung des Be- griffs dieser, als die reale Bedeutung des Wortes, die Stelle 22 der ehemals vom Worte bedeuteten Vorstellung einnimmt, und die Vorstellung dadurch eine ganz ähnliche Rolle spielt, wie die ehemalige innere Sprachform. Ein Beispiel mag uns den Ur- sprung dieses Verhältnisses und den Unterschied zwischen Vor- stellung und Begriff, psychologischem und logischem Urtheil klar machen. Wenn man im gemeinen Leben sagt: das Wasser macht naß, so denkt man hierbei wenig mehr als Laute; denn bei Wasser bildet man nicht die Anschauung des Wassers; und eben so wenig bildet man bei naß eine bestimmte Anschauung; die Seele gleitet also bei jenen Worten nur ganz leise über jene Anschauungen hin, bezieht sich bloß auf sie. Will man aber bei jenem Satze sich etwas klar denken, so wird man sich wahr- scheinlich die Anschauung eines von Wasser benetzten Gegen- standes vergegenwärtigen, auch wohl noch die Thätigkeit des Benetzens selbst im Hintergrunde, und dies alles als ein einheit- lich angeschautes Bild in der Seele haben. Diese Anschauung ist auch wirklich die Bedeutung jenes Satzes, welcher dieselbe in Form der Vorstellung ausdrückt. Diese Form der Vorstel- lung unterscheidet sich also von der der Anschauung erstlich durch die Theilung der Elemente, welche die Anschauung als zusammenhängendes Bild besitzt, und zweitens durch die Blässe, Abstractheit, Allgemeinheit dieser Elemente, wie sie in den Wör- tern naß , machen , Wasser , ausgedrückt liegen. Obgleich wir nun hier auf der Stufe stehen, wo die Vorstellung mit der in- nern Sprachform verschmolzen, oder letztere verschwunden ist: so glaube ich doch, daß gerade in unserm Beispiele der Satz an sich nach seiner innern Sprachform noch etwas anderes be- deutet, als das psychologische Urtheil der Vorstellung. Denn dieses meint gewiß bloß, daß etwas durch Wasser, es sei ab- sichtlich oder zufällig darauf gegossen, naß werde, während die innere Sprachform, der Satz, das Wasser als lebendiges ener- gisches Subject ansieht, welches aus eigner Kraft „naß macht “. Wenn aber der Chemiker von Wasser spricht, er, der den Begriff des Wassers gebildet hat: so denkt er bei diesem Worte etwas ganz anderes, als die gemeine Vorstellung und Anschauung; und sein Begriff naß hat einen ganz andern Werth. Bei ihm ist der Satz: Wasser macht naß ein Urtheil, welches zu einem ganzen System von Urtheilen über das Wasser ge- hört: dieses System von Urtheilen ist sein explicirter Begriff des Wassers. Er denkt also bei jenem Satze das Urtheil, daß die chemische Verbindung zweier einfachen Körper (des Sauerstoffes und Wasserstoffes) nach bestimmten Aequivalenten, durch wel- che derjenige zusammengesetzte Körper entsteht, den man Was- ser nennt, die Eigenschaft der Adhäsion habe, welche das Queck- silber z. B. nicht hat. Spricht er den Satz aus: das Wasser ist flüssig: so liegt darin ein Urtheil, welches wohl weiß, daß Flüssig-sein kein wesentliches Element des Wassers ist, und er wird dabei vielmehr an Temperatur und Luftdruck denken. Für diese logischen Urtheile nun und diese Begriffe dient die Vor- stellung des gemeinen Lebens, wie sie im Worte und im Satze liegt, gerade eben so als eine gewisse Stütze, wie ehemals die innere Sprachform der Vorstellung als Stütze diente. Wie dem instinctiven Selbstbewußtsein zum Festhalten der Vorstellung des Wassers (unda, ὕδωϱ von der Wurzel und fließen ) die An- schauung des Flüssigen diente, zum Festhalten der Vorstellung naß (madere, Wurzel snā waschen ) die Anschauung des Gewa- schenen : eben so dient dem wissenschaftlichen Selbstbewußtsein zur Fixirung des Begriffes Wasser , naß , die gemeine Vorstel- lung davon. Wie verschieden ist der naturwissenschaftliche Be- griff Feuer von der gemeinen Vorstellung, die im Feuer ein wun- derliches, die Dinge verzehrendes und dann spurlos verschwin- dendes Wesen sieht! Diese Vorstellung dient dem Begriffe zur Stütze, wie ursprünglich der Vorstellung die sprachliche An- schauung des Reinen ( Feuer, πῦϱ, Wurzel pū reinigen ) diente. Der Unterschied zwischen dem Urtheil der Vorstellung oder dem psychologischen und dem des Begriffs oder dem logischen besteht ebenso darin, daß jenes allemal nur assertorisch, dieses dagegen apodictisch ist oder zu werden strebt. „Cäsar ist über den Rubicon gegangen“ kann wohl ein Urtheil des Begriffs sein, wenn es eben Glied einer philosophisch-geschichtlichen An- schauung von Cäsars Leben ist, Glied eines Systems von Ur- theilen, welche die Idee Cäsar umfaßt. Als Urtheil der Vor- stellung bedeutet jener Satz nur eine vereinzelte That. Daß aber das Urtheil der innern Sprachform, also der Satz, noch etwas anderes sei, als das Urtheil der Vorstellung und des Be- griffs; daß das grammatische Urtheil weder das gemeine psy- chologische der Vorstellung, noch das logische des Begriffs ist: geht daraus hervor, daß derselbe Inhalt in eine andre Satzform gegossen werden kann, ohne eine Veränderung zu erleiden. „Cä- sar hat den Rubicon überschritten“, oder „ist über den R. ge- 22* setzt“, oder „der Rubicon ist von Cäsar überschritten worden“. Jede dieser Satzformen dient aber in gleicher Weise als Aus- druck des Urtheils der Vorstellung, wie des Begriffs. B. Die Grammatik. In der vorangegangenen ausführlichen Betrachtung des We- sens und der Entstehung der Sprache ist der wesentlichste Theil der hier gestellten Aufgabe schon gelöst. Es bleibt uns aber noch übrig, die Folgerungen für die Grammatik daraus zu zie- hen. Zunächst sind die Principien der Grammatik und ihre ge- genseitige Beziehung noch näher zu betrachten; und weiter ist dann zu sehen, wie sich die Sprache in ihre grammatischen Ele- mente gliedert. 1. Die Principien der Grammatik. §. 114. Aus allem schon Gesagten ergeben sich mit Klarheit zwei Principien für die Grammatik: der Laut und das instinctive Selbstbewußtsein oder die Anschauung der Anschauung; dieses zweite Princip heißt, insofern es mit dem ersten verbunden ist, die innere Sprachform . Der Laut, das leibliche Element der Sprache, fehlte dem grammatischen Bewußtsein niemals, obwohl erst in neuester Zeit eine wissenschaftliche Betrachtung desselben erreicht worden ist. Man hat ihn früher verachtet, weil man ihm nichts abzugewinnen verstand. Die innere Sprach- form hat sich den frühern Grammatikern nur in dunkeln Ahnun- gen offenbart. Durch die neuesten Etymologen ist sie kräftig ins empirische Bewußtsein gedrungen. Unsere Aufgabe war es hier, sie ins philosophische Bewußtsein zu erheben und dadurch zu begründen, aufzuklären und schärfer zu bestimmen. Ihre Ab- scheidung vom realen Denken, vom ausgesprochenen Inhalte der Rede, wird nach unserer Auseinandersetzung keine Schwierigkeit mehr bieten. Man wird jetzt auch die vielfachen Andeutungen verstehen, die in den beiden ersten Abschnitten dieses Buches als Ergebnisse theils der Kritik, theils der Vergleichung mit der Kunst nur erst im Halblichte und mehr als Hypothese auftra- ten. Wir haben also jetzt einen eigenthümlichen Boden und Gedankenstoff als ausschließliches Eigenthum der Grammatik gewonnen, an welchem weder Logik, noch Metaphysik, noch eine specielle Wissenschaft Antheil hat; wir haben ein Denken gefunden, das sich nach grammatischen Gesetzen bewegt. Wenn nun das instinctive Selbstbewußtsein hier als das In- nere des Lautes erscheint, so müssen wir zuvörderst das Ver- hältniß von Innerem und Aeußerem, wie es hier zu fassen ist, näher bestimmen. Daran schließt sich die Betrach- tung über das Wesen der Bedeutung und den Unterschied zwischen Sprechen und Sprache. a ) Inneres und Aeußeres . §. 115. Ursprünglich ist das Innere dasjenige, was vom Aeußern umschlossen wird, und das Aeußere ist das Umschließende. Dieses Verhältniß auf das menschliche Wesen übertragen, er- gab die Seele und alle geistige Thätigkeit als das Innere, wel- ches vom Körper, dem Aeußern, eingeschlossen wird. So wur- den Inneres und Seelisches, Aeußeres und Körperliches syno- nyme Ausdrücke. Der Mensch aber beseelte, zunächst phanta- stisch, später wissenschaftlich, die ganze Welt und alle Dinge in der Welt; diese erscheinen uns zwar äußerlich, hinter der äußern Erscheinung aber sollte ein Inneres verborgen sein. Ge- gen diese Betrachtung wurde mit Recht angekämpft. So weit die Natur reicht, ist Aeußeres; ihre Stoffe und ihre Kräfte, alles an ihr ist Aeußeres. Hier soll natürlich nicht gewissen metaphysischen Ansichten widersprochen werden, welche aller Erscheinung ein inneres Wesen zu Grunde legen; man merkt wohl, daß wir uns nur gegen Beckers Ansicht richten, wie wir sie kennen gelernt haben. Alles Wirken der Natur ist Mecha- nismus, Aeußerlichkeit. Die Seele, der Geist, ist das Innere. Man mag immerhin den im Keime ruhenden Trieb, der aus ihm die Wurzeln nach unten und den Stamm nach oben sendet, der aus dem Stamme Zweige und Blätter und Blüten hervortreibt, ein Inneres nennen, aber dann hat man auch Recht, zu sagen, Aeußeres und Inneres sei identisch, und jedes reiche so weit, wie das andere. In der Sprache ist das Verhältniß von Innerem und Aeu- ßerem ein anderes; denn in ihr ist wirklich ein körperliches und ein davon wesentlich völlig verschiedenes seelisches Element vereinigt. Wir haben also hier Natur und Seele, zwar eine Verbindung beider, aber keine Identität. Nun ist es höchst wichtig zu erkennen, wie eng diese Verbindung ist. Es ist dies darum so wichtig, weil wir kein Mittel haben, das Innere zu erkennen, wenn nicht vermittelst des Aeußern. Die innere Sprach- form ist uns nur so weit offenbar, als sie es durch die Lautform wird. Es ist also eine Grundfrage für die Grammatik: Ist die Einheit von Laut- und innerer Form so innig, daß jeder Punkt im Innern sich in einem entsprechenden Punkte des Aeußern offenbart oder ankündigt? Wenn aus dem Vorangehenden die Beantwortung dieser Frage nicht mit Bestimmtheit hervorgehen sollte: so könnte ich sie hier nicht geben. Ich denke aber, daß allerdings die un- bedingte Bejahung daraus hervorgeht. Die Verbindung des Lau- tes mit der innern Sprachform, wie wir sie kennen gelernt ha- ben als Product des Mechanismus der Seele und ihres Zusam- menhanges mit dem Leibe, kann unmöglich so lose angenommen werden, daß ursprünglich etwas in der innern Sprachform lie- gen könnte, was nicht vollständig in der Lautform ausgeprägt wäre. Nur ein wenig erläutert mag dies noch im Folgenden werden. Wir haben gesagt, das Verhältniß zwischen der innern Sprachform und dem Laute sei wirklich das des Innern zum Aeußern, wie das Verhältniß der Seele zum Leibe. Diese Ana- logie bedarf näherer Bestimmung um so mehr, da das Verhält- niß zwischen Seele und Leib in dem wesentlichsten Punkte Ge- genstand des Streites ist. Auf diesen Streit aber brauchen wir uns nicht einzulassen. Denn in jedem Falle steht so viel fest, daß die innern seelischen und geistigen Erzeugnisse etwas Un- körperliches, Unräumliches, nicht sinnlich Wahrnehmbares sind: und ebenso ist es die innere Sprachform, welche eine bestimmte Weise des Denkens ist. Diesem Innern gegenüber steht ein Aeußeres; aber der Leib verhält sich doch ganz anders zur Seele, als der Laut zur innern Sprachform. Dies rührt daher, daß die Sprache schon ein Product des Zusammenhanges von Leib und Seele, des Einwirkens der Seele auf den Leib ist. Die innere Sprachform ist ein Erzeugniß der Seele, welches den Leib zum Tönen reizt; und so ist jene die Ursache, der Ton die Wirkung derselben, wiewohl der Leib nicht die Wirkung der Seele ist. In der Natur, sagten wir, sei nur Aeußeres; Ursache und Wirkung, Kraft und Stoff, sind in gleicher Weise Aeußeres. Dieselben Kategorien treten auch in der Seele auf, wo alles In- neres ist. Eine Seelenerregung ist Ursache der andern; die ver- schiedenen Seelenerzeugnisse sind Stoffe, die mit einer verschie- denen Größe der Kraft wirken. In der Sprache aber liegt das Verhältniß vor, daß die Ursache ein Inneres ist, und die Wir- kung ein Aeußeres; und so ist es in allen Bewegungen, welche auf Gedanken erfolgen, sowohl den gewollten, als auch den blo- ßen Reflexbewegungen. Die innere Sprachform ist also anzusehen als Ursache, als Reiz für die Erzeugung des Lautes; sie ist aber eine unbe- wußte, instinctive, mechanisch wirkende Ursache, in welcher an sich zunächst noch gar keine sprachliche Absicht liegt, d. h. noch nicht die Absicht, den Ton, welchen sie erzeugen wird, mit ihr zu associiren und so Lautsprache zu bilden. Erst wenn sie gewirkt, wenn sie den Laut erzeugt hat, wird eine andere Eigenthümlichkeit der Seele wirksam, welche den blind erzeug- ten Laut zweckgemäß, wiewohl immer noch mit Nothwendig- keit und absichtslos, verwendet. Bei diesem nothwendigen, blind bewirkten, mechanischen Zusammenhange von Laut und innerer Sprachform, wie wäre es da wohl möglich, daß ursprünglich in dieser etwas sein könnte, was in jenem nicht ertönte oder wiederklänge? Wie wäre es möglich, daß diese ein Leben für sich führte, das nicht im Laute, im Worte, sein klares Abbild fände? Diese Möglich- keit behaupten, heißt, die nothwendige — und um gegen Becker zugleich in seiner Sprache zu reden — die organische Entste- hung der Sprache, die organische Natur nicht bloß des Spre- chens, sondern auch des Denkens läugnen. Aber wohl gemerkt: die innere Sprachform ist es, welche so innig am Laute hängt, in ihm tönt, nicht die Bedeutung: deswegen nicht, weil die innere Sprachform dieselbe Bedeutung in mancherlei Weise anschauen kann. Denn die innere Sprach- form ist nicht selbst die Bedeutung, sondern nur die instinctiv gebildete Anschauung von derselben. Ferner wird im Laufe der Zeit diese innige Verbindung von Laut und innerer Form zer- rissen, weil jener verfällt, und diese sich feiner ausbildet. So wird in der englischen Sprache freilich Niemand mehr die in- nere Form vollständig in der Lautform finden. Aber auch hier noch sind es die Reste der Lautformen und ihre Geschichte, welche die innere Form suchen und deuten lehren. b ) Bedeutung . §. 116. Etwas, das auf etwas Anderes hindeutet, hinweist, so daß wir dieses Andere, obwohl es fern oder versteckt ist, dennoch aus jenem zu erkennen vermögen, bedeutet dieses Andere; und diese seine Bedeutung wird erkannt, indem wir es deuten . In diesem Sinne genommen ist alles und jedes in der Welt bedeut- sam; denn jedes steht in vielseitiger Beziehung zu anderm, deu- tet also auf anderes. Jedes Ding, jedes Erscheinende ist eine Wirkung und bedeutet seine Ursache. Wir deuten jeden Schein auf ein Wesen, jede Eigenschaft auf ein Ding, und um- gekehrt. Hiernach wäre es sehr nichtssagend, wollten wir die Spra- che definiren als: bedeutsames Tönen . Denn jedes Ding, jede Bewegung, und auch speciell jedes Tönen ist im obigen Sinne bedeutsam. Es muß also noch gesagt werden, in wiefern das sprachliche Tönen ganz besonders bedeutsam genannt werde, und was es bedeute. §. 117. Wie die Sprache bedeutet. Jeder Ton deutet auf ein Tönendes, welches irgendwie zum Tönen gebracht worden ist; d. h. er deutet auf eine Ursache, und seine Deutung wäre demnach seine ursächliche Erklärung. Er erzeugt aber auch eine Wirkung, und so verlangt er aber- mals eine Deutung. Ich meine hier die Wirkung, welche alle Wahrnehmungen auf die Seele, auf das Gefühl ausüben. Hier- auf beruht zum Theil die Wirkung aller Künste; denn sie alle reden durch Anschauungen zum Gefühl. Nur ist ihre Wirkung schon zu mannigfach, ihre Anschauungen sind so zusammenge- setzt, daß hier die Analyse sehr schwer wird. Aber jede ein- fache Empfindung wirkt auf unser Gefühl. Wie stark stimmt uns der Anblick einer Farbe oder einer Zusammenstellung meh- rerer Farben! und wie noch viel mächtiger ergreifen uns ein- fache Töne, Geräusche! Wenn ich hier das Aechzen und Stöh- nen der Leidenden anführe: so könnte man sagen, das dadurch erweckte Gefühl entstehe nur durch die Vorstellung des Schmer- zes, welcher das Tönen erzeuge, nicht durch den Ton selbst. Aber auch das Rauschen der Blätter, das Plätschern des Baches, das Heulen des Sturmes, kurz das Tönen der leblosen Natur, wirkt eben so auf unser Gefühl; und in Folge dessen belebte die Phantasie kindlicher Völker die Natur. Und nun erst gar die Musik, die sämmtliche Tonverhältnisse verwendet, in einer so mannigfaltigen Combination, wie sie der menschliche Geist sonst nirgends erzeugt! Diese Wirkung der Sinnes-Empfindungen auf unser Gefühl mag darauf beruhen, daß sie die Nerven in Zustände versetzen, wobei der Zusammenhang ihrer Elemente, wie auch ihr Verhält- niß zum Centralorgan eigenthümlich gestaltet wird. Kommen uns nun aber die Töne, um bei diesen stehen zu bleiben, von einem lebenden, fühlenden, denkenden Wesen zu: so werden wir allemal, z. B. beim Gesang, stillschweigend voraussetzen, dieses Wesen habe das Gefühl, welches auch uns, wenn wir es hätten, veranlassen würde, eben so zu tönen. Daher ist das Gefühl, welches durch den Gesang erzeugt wird, lebendiger, aber auch gemischter, als das durch reine Instrumental-Musik erzeugte. Aber auch rücksichtlich der letztern werden wir, wenn wir uns ihre Wirkung auf unser Gemüth klar deuten wollen, wie die Aesthetik es thut, voraussetzen müssen, daß dieselben Gefühle, die sie in uns erregt hat, zwar nicht in den Instrumenten oder in den Musikanten, aber doch im Tondichter gewaltet und ihm solche Töne eingegeben haben, wie sie nothwendig in jedem Hö- renden dieselben Gefühle bewirken müssen, von denen sie ver- ursacht sind. Bei solcher Untersuchung der innern Bedeutung der Töne fällt also die Deutung der Ursache und die der Wir- kung zusammen. Eben so wie die musikalischen und Naturtöne, sind auch die Sprachtöne in doppelter Weise zu deuten: einmal von Sei- ten der mechanischen Causalität, nach welcher z. B. ein Ton zurückgeführt wird auf die Schwingungen einer Saite, welche aus diesem oder jenem Stoffe besteht; in solchem oder einem andern Grade gespannt, so oder so lang und stark, irgendwie in Schwingung versetzt ist, und solchen Resonanzboden hat; das andere Mal von Seiten der innern Ursache, welche identisch ist mit der innern Wirkung. Hierdurch wird also der Grammatik die Aufgabe gestellt, zuerst die Sprache als Laute in ihrer äu- ßern Ursächlichkeit zu erklären, ihre Entstehung durch die Sprachorgane: Lautlehre ; und ferner die innere Ursache zu deuten, welche zugleich die innere Wirkung im Hörenden wird: Bedeutungslehre . Die Wirkung der Sprache ist aber eben so, wie ihre Ur- sache eine doppelte. Wie die Sprache überhaupt ein Doppel- wesen ist, so wird sie von innen her durch die Bedeutung, von außen her durch die tönenden Organe erzeugt. Und so wirkt sie auch doppelt: sie erweckt erstlich im Hörenden dieselbe Be- deutung, aus der sie hervorgegangen ist; sie wirkt aber auch außerdem noch als bloßes Tönen. Hieher gehört zunächst die Wirkung des Wohl- oder Uebellauts der Sprache, sowohl der Sprache eines Volkes, als auch des Einzelnen, der etwas Hei- seres, Rauhes, Hartes, Schreiendes in seiner Stimme hat. Fer- ner beruht hierauf die rhythmische Schönheit der Verse, wie der Prosa, und endlich die Declamation, der pathetische Vor- trag. Im Gesange nun gar wird die Sprache selbst zugleich Musik. §. 118. Was die Sprache bedeutet. Verlangt man nun eine Definition von der Sprache, so wür- den wir sagen: sie sei das pathologische articulirte Tö- nen der Vorstellung und vermittelst derselben der Intelligenz und des Gefühls, des menschlichen In- nern überhaupt . Als Tönen ist die Sprache von jeder stum- men Aeußerung des Innern abgeschieden. Sie ist es ferner von sonstigen pathognomischen Tönen, wie Lachen, Seufzen, durch die Articulation, äußerlich genommen, und durch die Vorstel- lung, nach der innern Seite; denn was in jenen Tönen liegt, ist bloßes Gefühl. Dieser Umstand bewirkt auch den Unterschied zwischen Sprache und Musik. In letzterer tönt das Gefühl, aber nicht in Geräuschen, wie Lachen, Seufzen, sondern in reinen Tönen und vorzüglich vermöge der gegenseitigen Verhältnisse der Töne zu einander. Das Gefühl kann wohl auch sprachlich ausgedrückt werden; aber nicht unmittelbar, sondern nur die Vorstellung davon. Es muß angeschaut werden, wie die Em- pfindung; und so wird nicht das Gefühl, sondern die Anschauung des Gefühls als innere Sprachform an den Laut geknüpft. Wie denn überhaupt beachtet werden muß, daß, wenn man die Spra- che bedeutsames Tönen nennt, und wenn man der Lautlehre die Bedeutungslehre hinzufügt, unter Bedeutung ein Doppeltes ver- standen wird; denn unmittelbar bedeutet der Laut die innere Sprachform; diese aber bedeutet den Denkinhalt, Gefühl, An- schauung, Begriff, Begierde, Wille, kurz das vorgestellte Innere. c ) Sprechen und Sprachmaterial . §. 119. Die Verflechtung des Bedeuteten, der innern Sprachan- schauung, und des Lautes wird immer fester. Durch das fort- gesetzte Urtheilen sind eine große Fülle von Subjecten und Prä- dicaten, Ding- und Merkmalswörtern gebildet. Indem aber das- selbe Subject mit vielen Prädicaten, dasselbe Prädicat mit vielen Subjecten verbunden wird, indem sich die Urtheile durchkreu- zen: so zerschneiden sie sich und Subjects- und Prädicatswörter zerfallen im Bewußtsein aus der Einheit des Urtheils. Eben so ergeht es den Attributen, den Objecten. So bildet sich also durch das Sprechen in der Seele ein „Schutt“, nach einem geistreichen Ausdrucke Herbarts, lauter Material, das ehemals ein Gebäude von an einander hängenden Urtheilen bildete; das Gebäude ist im Laufe der Zeit verfallen und nur die Steine und Balken liegen ohne Ordnung und Zusammenhang durch einan- der. Jedes Stück dieses Materials aber trägt noch die Spuren seines Zusammenhanges an sich. Nun zeigt aber derselbe Stein einen vielfältigen Zusammen- hang, und dieselbe Verbindungsweise zeigt sich an mehreren Steinen und Balken in gleicher Weise. So trennt sich der Stoff, das Material selbst, von der Methode, nach welcher es gefügt war. Zum Sprachschutte gehört also Material und Fugen. Im Augenblicke des Redens greift die Seele immer von neuem nach diesem Schutte, und verwendet das Material, den daran befindlichen Fugen folgend. Das Sprachmaterial wird dargestellt in der Grammatik so- wohl, als im Wörterbuche. Beide haben genau genommen den- selben Inhalt, aber in verschiedener Weise behandelt. Das Wör- terbuch stellt das Material auf und weist an jedem Stücke be- sonders seine mögliche Fügung auf; die Grammatik geht von der Fügungsweise aus, und zeigt, wie alle Stücke gefügt werden müssen. Die Praxis hat der Bequemlichkeit wegen dieses Ver- hältniß, wonach alles zweimal gesagt werden müßte, so umge- staltet, daß sie das Ueberflüssige wegläßt und dem Wörter- buche vorzugsweise das Material, der Grammatik vorzugsweise die Fügungsweise zuertheilt. 2. Hauptpunkte der Grammatik. Nachdem wir die Principien der Grammatik festgestellt ha- ben, wollen wir noch die Hauptpunkte derselben näher erörtern. Und so nun vor Allem Einiges über a ) die Lautlehre . Wenn es schon überhaupt nicht unsere Absicht ist, hier ausführlich auf Einzelheiten einzugehen, so sind wir dessen für die Betrachtung der Lautseite der Sprache um so mehr über- hoben, als wir auf die schöne Abhandlung Heyses verweisen können: „System der Sprachlaute“ (in Höfers Zeitschrift f. d. Wissensch. d. Spr. IV, 1. 1852; leider besitzen wir desselben vortrefflichen Sprachforschers philosophische Sprachwissenschaft noch immer nicht). Nur einige allgemeine Bemerkungen haben wir hier zu machen, zu denen uns die genannte Abhandlung veranlaßt. §. 120. Von der Articulation im Allgemeinen. Wir unterscheiden mit unserm Gehör die Sprachlaute sehr bestimmt und in mannigfacher Weise. Der Ton ist aber, wie die Farbe u. s. w., lediglich ein Product unserer Seele. Aeu- ßerlich, mechanisch, ist nur die Schwingung eines Körpers vor- handen, die sich dem uns umgebenden Elemente, also gewöhn- lich der Luft, mittheilt und dadurch endlich auf unsere Gehör- nerven fortpflanzt. Was nun aber in der Seele bei der Bildung des Tones, der Farbe, bei der Umwandlung der bloß quantita- tiven Bewegungen in eine qualitative, raumlose, einheitliche Em- pfindung vorgeht? warum die Seele auf Veranlassung gewisser materieller Bewegungen ihrer Leiblichkeit gerade diese oder jene bestimmte Empfindung erzeugt? das wissen wir nicht; nur die Bedingungen, die der Seele von der äußern Welt und dem ei- genen Leibe gegeben sein müssen, um jene Gehör- und Gesichts- wahrnehmungen zu bilden, sind Gegenstand der Wissenschaft. Diese Bedingungen aber sind oft nicht vollständig bekannt; sondern wir sehen bloß die ferner liegenden Ursachen. So wis- sen wir also z. B., welche mechanischen Verhältnisse überhaupt die Seele zur Bildung des Tons erregen, also Töne erzeugen; wir wissen auch weiter, wodurch diejenige Eigenschaft der Ton- empfindung bedingt wird, welche wir als bestimmten Grad der Höhe und Tiefe, der Stärke oder Schwäche unterscheiden. Schwierig aber ist es schon zu sagen, durch welche Eigenthüm- lichkeit der lauterzeugenden Bedingung der verschiedene Klang der Töne entstehe: wir sehen hier nur die fernere Ursache, daß der zuerst schwingende Körper Metall, Holz, eine Saite, Luft ist; worin aber die Verschiedenheit ihrer Wirkung bestehe, wis- sen wir nicht. Warum klingt Metall anders, als Holz? — Eben so nun, wenn jemand den Laut te spricht: so wissen wir wohl anzugeben, wovon die Höhe oder Tiefe, wovon die Stärke oder Schwäche, weniger wovon der Klang dieses Lautes abhängt; aber ganz und gar nicht, welche Eigenthümlichkeit der Luft- schwingung, die sich unserm Gehörwerkzeuge mittheilt, die Seele veranlaßt, den Laut te und nicht ka zu bilden. Das hindert aber nicht, die fernere Ursache, nämlich die abweichende Stel- lung der lauterzeugenden Organe zu prüfen, und davon die ver- schiedene Wirkung abhängig zu machen. Kann der Laut „nicht seiner Beschaffenheit“ (Humboldt) nach, weder als eigenthümli- ches Seelenerzeugniß, noch als eigenthümliche materielle Bewe- gung, sei es unseres Gehörorgans, sei es eines äußern Körpers, beschrieben werden: so kann er doch „seiner Erzeugung nach“, wie sie durch die Sprachorgane bewirkt wird, hinlänglich be- stimmt werden. Und hierauf ging ja auch von jeher das Be- mühen der Grammatiker. Mit einer gewissen Schnelligkeit regelmäßig schwingende Körper erzeugen Töne. So tönen auch die Stimmbänder in der Kehle, wenn sie, mit Hülfe gewisser Muskeln hinlänglich straff gespannt, durch die aus der Lunge gepreßte Luft in Erzitte- rung versetzt werden. Den von ihnen erzeugten Ton nennt man die Stimme . Diese ist das Element des Gesanges (d. h. der Musik, wobei der Mensch der Spieler und das Instrument zugleich ist), aber nicht eigentlich, nicht vorzugsweise das Ele- ment der Sprache, obwohl sie sich derselben meist anschließt und allerdings auch zur Erzeugung einiger Laute nothwendig ist. Die meisten und wesentlichen Sprachlaute, der Kern der Consonanten, sind keine regelmäßigen Töne, sondern unregel- mäßige Geräusche, welche in der Mundhöhle durch die ausströ- mende Luft hervorgebracht werden. Sie entstehen ganz ähnlich wie das Schnalzen, Zischen u. s. w. und aus derselben Ursache, wie das Geräusch beim Oeffnen einer verschlossenen Kapsel, eines Pennals, wenn man den Deckel abzieht, oder beim Her- ausziehen des Pfropfens aus einer Flasche. Zur Erzeugung der Consonanten nämlich stemmt man die jedesmal nöthigen Organe gegen einander und verschließt dadurch die Mundhöhle. In Folge dessen wird die Luft innerhalb der Mundhöhle, indem im- mer mehr aus der Brust zuströmt und doch keine aus dem Munde entweichen kann, zusammengepreßt, verdichtet; durch das plötz- liche Oeffnen der Mundhöhle aber, indem die Stemmung der Organe aufgehoben wird, verdünnt sich die Luft plötzlich. Hier- durch wird die Luft erschüttert und es entsteht ein Geräusch, welches wir als Consonanten wahrnehmen. Während also die Stimme das Tönen der Stimmbänder ist: so sind diese Mund- geräusche Töne der erschütterten Luft. Merkwürdig nun ist, daß die Seele nicht bloß das Geräusch vernimmt, sondern auch merkt, ob der Mundverschluß, der ihn verursachte, durch die Lippen, oder durch die Zunge im Hintergrunde, oder durch die Zunge im Vordergrunde des Mundes verursacht war. Denn je nach der veränderten Stelle des Mundverschlusses nimmt sie das Geräusch als p oder t oder k wahr. Woran merkt nun die Seele die Weise des Mundverschlusses, die so mannigfach ab- geändert werden kann, daß wir dreißig und mehr Consonanten unterscheiden, und außerdem noch die Vocale? Offenbar an der Verschiedenheit der Form der Luftwellen. Wenn die Luft im Munde durch die Lippen gehemmt und dann ausgestoßen wird, so bilden sich anders gestaltete Luftwellen, als wenn sie durch die an den Gaumen gedrückte Zunge eingeschlossen war. Da diese Mundgeräusche ganz anderer Natur sind, als die Stimme, so können sie auch nicht zugleich mit dieser Statt ha- ben; denn die Stimme erfordert freies Durchströmen des Athems durch den Mundcanal, während die consonantische Articulation denselben verschließt. Aber wohl kann sich die Stimme den Consonanten vorn und hinten anschließen; denn sie kann vor der Bildung und nach der Aufhebung des Verschlusses tönen. So liefert sie den Vocal. Abgeändert wird der Vocal nicht durch den Mundverschluß, aber wohl durch die Form des Mund- canals, den wir bald mehr kurz und weit, bald mehr lang und schmal gestalten können. Die Articulation ist also die besondere Stellung der Mund- höhle, bei welcher das Geräusch und die Stimme erzeugt wird: durch diese Stellung wird der Weg, den die ausströmende Luft nimmt, abgeändert und damit zugleich die Wellenbewegung der erschütterten Luft. Es scheint sich in der gemeinen Ansicht etwas Mysteriöses an die Articulation geknüpft zu haben; man sucht etwas ganz Eigenthümliches, Dynamisches dahinter. An sich betrachtet aber, abgesehen von der Bedeutung, ist die durch die Articulation bewirkte Abänderung der Sprachlaute nicht ver- schieden von dem Unterschiede, den wir wahrnehmen, wenn man die flachen, oder die gehöhlten Hände an einander schlägt. Wahr aber bleibt, daß die Sprachorgane das vollendetste, kunst- vollste Instrument bilden. Jeder Sprachlaut wird eigentlich von einem besondern Instrumente erzeugt. Daß dieses, d. h. die Form der Mundhöhle, der Ort der Lautbildung, recht scharf begrenzt sei, unterscheidet die Sprachlaute von sonstigen Geräu- schen und macht das Wesen der Articulation aus; denn je be- grenzter die Mundhöhle, desto bestimmter der Laut. Bei den Geräuschen des Hauchens, Zischens, Lallens u. s. w. ist es mehr der ganze Mund, als ein bestimmter Ort desselben, wo der Ton entsteht; und wir nennen sie darum unarticulirt. Der Unter- schied der articulirten Laute gegen die unarticulirten wird be- sonders in der Sylbe klar; denn bei dieser Aneinanderreihung der articulirten Töne tritt erst recht ihre scharf geschiedene Natur hervor, während die unarticulirten eines so leichten und schnellen Ueberganges zu einander nicht fähig sind. Viele Na- turgeräusche scheinen syllabisch, aber nur darum, weil sie kei- nen bestimmten articulirten Laut darstellen, sondern wirr durch einander rauschen. Unser Ohr, an die Wahrnehmung articulir- ter Töne gewöhnt, hört aus diesem Gewirre verschiedene Con- sonanten, wiewohl undeutlich, heraus, welche es in eine syllabi- sche Verbindung bringt. Auch wo wir einen einfachen Conso- nanten in einem Naturgeräusche zu hören meinen, ist es unser Ohr, welches den unentschiedenen Naturlaut einem Consonanten annähert. Unter den mechanisch erregten Schällen wird man am meisten vocalähnliche Töne, dann auch oft ein dem p ähn- liches Geräusch vernehmen; weniger kommen sie dem k , am wenigsten wohl dem t nahe. Darum wird eine Sprechmaschine wohl immer unvollkommen bleiben; Kempelen wenigstens gesteht, daß er kein bestimmtes t k p mit seiner Maschine habe erzeu- gen können, sondern nur einen zwischen diesen dreien schwan- kenden Laut, den der Hörer so deutete, wie er ihn im voraus zu hören erwartete, bald als den einen, bald als den andern. Nach dieser Darlegung des allgemeinen Wesens der Arti- culation sehen wir nun durchaus nicht ein, wie wir am Laute sollten Stoff und Form unterscheiden können. Auch hat Heyse, der Beckers falsche Unterscheidungsweise von Stoff und Form verwirft, aber nach einer vorgenommenen Verbesserung beibe- halten will, den Unterschied, wie mir scheint, durchaus nicht aufrecht erhalten können; er verschwindet ihm unter den Hän- den. Betrachten wir die Mundhöhle als das Sprachinstrument, welches den Hauch zum Tönen bringt, so ist die Articulation den Vorgängen gleichzustellen, durch welche beim Blasinstru- ment die Röhre verlängert oder verkürzt wird. So mögen wir leicht am Instrument Stoff und Form scheiden; aber am Ton ist weder Stoff, noch Form. §. 121. Unterschied von tenuis und media . Rücksichtlich der Einzelheiten sei noch einmal auf Heyse verwiesen. Nur zwei Punkte will ich hier hervorheben. Daß der Unterschied zwischen b und p auf der Intensität beruht, nimmt auch Heyse an; er bezieht dieselbe auf die stärkere oder gelindere Stemmung der Organe (a. a. O. S. 57 f.), und mit Recht. Wir glauben aber eben darum auch Recht zu haben, wenn wir sie zugleich auf den Hanch beziehen, wodurch wir Heyses und Müllers Ansicht vereinen. Je intensiver sich die Organe gegen einander stemmen, desto intensiver muß der Stoß des Hauches sein, der sie von einander drängt; und umgekehrt kann sich bei gelinder Stemmung kein starker Hauch bilden. Auf die gelinde Stemmung der Lippen bei b folgt also ein gelinder Hauch, Spi- ritus lenis; auf die kräftige Stemmung bei p nothwendig ein starker Hauch, der Asper. „Stärkere Explosion“ ohne starken Hauch, p mit Sp. lenis, ist nicht möglich. Man halte die Fin- ger vor den Mund, spreche den Lenis und b , den Asper und p , und vergleiche die Stärke des Eindruckes, den der Hauch in diesen Fällen auf die Finger macht. Rücksichtlich des von Heyse gegen Müller vorgebrachten Einwandes, daß b + h nicht p , sondern bh giebt, und daß h auch zu p tritt und ph bildet, bemerken wir, daß dieser Ein- wand mindestens unsere hier vorgetragene Auffassung nicht trifft; denn wir sagen nicht b + sp. a. = p ; sondern Lippenarticula- tion mit sp. a. giebt p , und da nun b schon Lippenarticulation mit sp. len. ist, so sagen wir: b — sp. l. + sp. a. = p , während b + sp. a. allerdings = bh . Das heißt also, b und p unterschei- den sich nicht durch den vollen sp. a., sondern nur durch so viel Hauch, als der Asper den Lenis übertrifft. Lippenarticu- lation ist noch kein Laut, sondern nur eine Bedingung zu einem solchen. Tritt als fernere Bedingung der Lenis hinzu, so ent- steht b ; tritt dagegen der Asper hinzu, so entsteht p . Eben darum ist p wie b ein untheilbarer einfacher Consonant, dessen Dasein vernichtet ist, wenn man ihm den starken Hauch nimmt; bh , ph dagegen kann ich nur als zusammengesetzten Laut oder gar nur als Lautverbindung ansehen. §. 122. Einfache und zusammengesetzte Laute. Dies führt uns auf den Unterschied von einfachen und zu- sammengesetzten Lauten und Lautverbindungen, rücksichtlich dessen ich ebenfalls nicht vollständig mit Heyse übereinstimme. Beginnen wir mit den Vocalen. Die Diphthonge sind offenbar zusammengesetzte Laute. Es zeigt sich ihr Unterschied von den einfachen Vocalen besonders darin, daß sie nicht wie diese unendlich forttönen können. Wenn man ai continuirt, so dehnt man bloß das i , nicht das a . Die beiden Elemente des Diphthongs sind also wirklich geschieden: das erste verschwindet, wenn das zweite auftritt. Sie sind aber eng an einander gekettet, und eben darum beide etwas abgeän- dert: das a nähert sich dem i oder e , das i neigt zur Conso- nantirung. Eben so in oi , ui , wo o und u zu ö und ü neigen. Diese Umlaute selbst aber ä , ö , ü kann ich nur als durchaus einfache Laute anerkennen. Daraus daß bei ihrer Hervorbrin- gung die Lippenöffnung wie bei a , o , u , die Gaumenöffnung wie bei i ist, folgt nur, daß sie Mittellaute zwischen a , o , u und i sind, und zwar dies allerdings in ganz anderer Weise, als auch e ein Mittellaut zwischen a und i ist. Denn e liegt zwischen a und i in der Mitte, ohne den einen oder den andern Laut zu berühren, ä aber berührt a und i zugleich. In einem Linien- bilde könnte die Sache so dargestellt werden: Dieser Unterschied zwischen ä und e hindert einerseits nicht, daß ä ein eben so einfacher Laut ist, wie e — weswegen es auch durchaus klar und unverändert gedehnt werden kann —, macht es aber dennoch andererseits rathsam, beide zu scheiden, 23 was passend durch den Ausdruck Mischlaut für ä , ö , ü ge- schieht, wenn man dabei an chemische Mischung denkt. Ein Atom Wasser ist einfach und dennoch aus zwei Elementen ge- mischt: eben so ist es ä . Dagegen ist e nicht gemischt, son- dern nur mittlerer Natur. In alle dem scheint mir kaum eine Schwierigkeit zu liegen. Anders ist es mit den Consonanten. Heyse sieht in dem ita- liänischen ce, ge , ferner in ps , ts , vs , pf , englischem tw , dw , und in qu ( kw ) Mischconsonanten, ganz analog den Mischvocalen ä , ö , ü . Dies kann ich nicht billigen und muß überhaupt die Mög- lichkeit von Mischconsonanten läugnen. In dem Vocal, der sich in dem ganzen Mundcanal bildet, liegt ein doppeltes Element, der Eingang und der Ausgang des Canals: so ist eine Mischung möglich. Der Consonant bildet sich an einem bestimmten Punkte des Mundcanals: und so ist er durchaus einfach und jede Mi- schung wird unmöglich. Das italiänische ce , ge , also der Pa- latallaut, ist gar nicht ein so einfacher Laut, wie ä . Machen wir die Probe. Der Palatallaut kann continuirt werden, aber nur ein Element desselben, der nachtönende Zischlaut wird fortgesetzt, der Vorlaut verschwindet, so daß der Palatal tsch während der Dauer einem einfachen sch gleichkommt. Diese Probe beweist nicht nur negativ, daß der Palatal nicht dem Mischlaut ä entspricht, sondern auch positiv, daß er ein Dop- pellaut ist, wie der Diphthong ai . Wir haben also einfache Laute, wie a , k ; Mischlaute wie ä , die nur Vocale sind; Dop- pellaute, wie ai , italiänisches c , und Lautverbindungen wie aï , kj , kt . §. 123. Der Accent. Endlich noch ein Wort über den Accent, die Betonung. Man muß dabei gar nicht an Ton denken. Unsere Betonung ist nicht das lateinische accentus, sondern ictus, und ist ein rein rhythmisches Wesen, dasselbe was der Metriker Arsis (oder nach älterm Sprachgebrauche vielmehr Thesis, le frappé) nennt. Der Accent ist also Nachdruck, größere Stärke (nicht Höhe) des Lautes, ein forte, und hat sein Wesen in der rhythmischen Aufeinanderfolge von Sylben, Wörtern, Sätzen. §. 124. Weitere Aufgabe der Lautlehre. Die Lautlehre ist nicht auf die Betrachtung der einzelnen Laute beschränkt. Sie bespricht auch den Sylben- und Wort- bau, wobei auch der Lautwandel zur Sprache kommt, insofern er bedeutungslos, rein phonetisch ist. Und endlich gehört auch hierher die Rhythmik der Verse und der Prosa. Die Sprache als Material, sagten wir, sei Schutt. Eben darum bleibt sie nicht ohne mancherlei Veränderung. Es giebt also einen geschichtlichen Wandel der Laute; und die Laut- lehre, die zunächst Mechanik der Laute ist, wird dann auch Geschichte derselben. Es kann keine Frage sein, daß die rein phonetische Natur der Sprache auch für die innere Sprachform von höchster Wich- tigkeit ist. Der Laut ist ursprünglich von der innern Form ge- schaffen, aber das Dasein der innern Sprachform hängt eben so sehr vom Laute ab, wie die Seele an den Körper gebunden ist. Der Laut ist mehr, als bloßes Instrument; er ist der Leib der innern Form. Nur wenn dieser Leib recht gesund und ge- schmeidig ist, kann die innere Form sich kräftig entwickeln. Doch zu diesen Betrachtungen ist hier noch nicht der rechte Ort. Sie setzen schon die Verschiedenheiten der Sprachen vor- aus, wovon wir auf diesem Punkte unserer Entwickelung noch nichts wissen. Für unsern Zweck genügen die wenigen Andeutungen, die wir oben über den Laut gegeben haben. Es kam nur darauf an, der Lautlehre ihren Platz in der Grammatik anzuweisen. b ) Innere Sprachform . Die innere Sprachform umfaßt sämmtliche Kategorien der Vorstellung, nach welchen das instinctive Selbstbewußtsein An- schauungen und Begriffe auffaßt. Es liegt uns hier an, einige ganz allgemeine Punkte, welche für dieselbe leitend und maß- gebend werden, zu erörtern. α) Stoff und Form. §. 125. Von relativen Begriffen und Gegensätzen überhaupt. Stoff und Form sind bezügliche Begriffe; d. h. jeder der- selben wird nur mit Bezug auf den andern gedacht. Daraus folgt aber nur, daß derselbe Gegenstand des Denkens oder der- selbe Begriff im Verhältnisse zu verschiedenen Begriffen, oder zwar zu demselben Begriffe, aber nach anderer Rücksicht, be- ziehungsweise bald als Form, bald als Stoff angesehen werden muß. Diese Verschiedenheiten der Beziehungen oder Rücksich- ten müssen aber klar geschieden werden, und nur eine trügeri- 23* sche oder blöde Dialektik kann den Unterschied verwischen wol- len. Dieselbe Größe kann sowohl positiv, als negativ angesehen werden; aber sofern sie als eines von beiden, etwa als negativ angenommen ist, hat sie nothwendig die positive Größe sich gegenüber und kann nicht selbst in derselben Beziehung positiv und negativ zugleich sein. Eben so verhält es sich mit Stoff und Form. Die Formbestimmung ändert nie den Stoff; ändert etwas den Stoff: so ist es Bestimmung des Stoffes, nicht der Form. Man darf die Kategorien nicht ungehörig anwenden und muß wissen, wohin eine jede gehört. Der Grundsatz der Verschiedenheit entgegengesetzter Be- griffe steht a priori so fest, daß andererseits, wenn man uns eine Einheit derselben vorhält, eine zu Grunde liegende Täu- schung nothwendig und a priori vorausgesetzt werden muß. Denn die Gleichheit entgegengesetzter Begriffe ist undenkbar und folglich noch weniger wirklich. Die Einheit des Wider- spruches von Positivem und Negativem ist nicht „der Grund“; sondern der Grund dieser Einheit ist eine Täuschung. Allem Gegensatze muß wohl eine Einheit zu Grunde lie- gen; Einheit und Gegensatz sind bezügliche Begriffe, und keiner ist ohne den andern. Insofern aber zwei Begriffe entgegenge- setzt sind, sind sie nicht identisch; und insofern sie identisch sind, sind sie nicht entgegengesetzt. Was der Verstand trennt, mag die Vernunft vereinigen; aber sie darf es nicht vermengen und verwirren. Denn Ver- stand und Vernunft sind nur dieselbe Intelligenz, die immer nach denselben logischen Gesetzen erkennt, bald scheidend, bald zu- sammenfassend; und diese eine Intelligenz kann nicht als Ver- nunft ihrer verständigen Thätigkeit Hohn sprechen. Dergleichen sich von selbst verstehende Dinge müssen frei- lich gesagt werden, wenn einmal die bis zum Wahnwitze gestei- gerte, sich mit dem Widerspruche gegen den gemeinen Sinn kitzelnde Eitelkeit in die Philosophie und bis in die Logik selbst gedrungen ist; wobei man denn vor allem natürlich auch sich selbst vergißt. Denn wäre die Identität des Widerspruches denk- bar, so würde, da der Widerspruch allein das Treibende in der dialektischen Selbstbewegung des sich denkenden Begriffs sein soll, diese ganze Bewegung gar nicht Statt haben, und der Geist ruhig im ersten Widerspruche zwischen Sein und Nichtsein ver- harren, ohne Bedürfniß aus ihm herauszutreten und fortzuschrei- ten. Die Dialektik beruht also auf der Anerkennung der Un- denkbarkeit des Widerspruchs, und da nun die dialektische Phi- losophie nichts anderes thut, als Widersprüche aufdecken, ohne ihnen je zu entfliehen, ohne sie je zu lösen, von ihnen im Kreise herumgejagt: so verurtheilt sie sich selbst als die Philosophie des Falschen, welche nur erst Vorbereitung der wahren Philo- sophie ist. Da das Gesetz des Widerspruchs unserm Geiste so unver- letzlich angehört, so sucht er, so oft er sich in einem Wider- spruche befangen sieht, denselben aufzulösen, indem er die ihm zu Grunde liegenden Beziehungen ändert. Diese Aenderung, Verbesserung der Beziehungen wird sich aber nicht immer durch bloße Bearbeitung der Begriffe, durch Spalten und neues Spal- ten bewirken lassen; sondern es werden neue Thatsachen hinzu- treten, und alte Thatsachen von neuem untersucht und in neuen Begriffen erfaßt werden müssen. Wenn wir nun von Laut- und innerer Sprachform reden, also überhaupt die Sprache Form nennen: so müssen wir uns klar zu machen suchen, in welchen Beziehungen hier Stoff und Form auftreten, und wo der Stoff zur innern Sprachform liegt. §. 126. Die Sprache als Form des Gedankens. Man hat die Sprache Form des Gedankens genannt, inso- fern sie ihn darstellt; der Gedanke umgekehrt sei der darge- stellte Inhalt. Wir können uns, denke ich, dies recht wohl ge- fallen lassen. Aber wir müssen uns klar vorhalten, was hierin liegt. So gut wie die Sprache Darstellung von Gedanken ist, ist auch die Bühne Darstellung der Welt, das Portrait Darstel- lung einer Person. So wenig das Portrait die Person selbst, so wenig die Bühne die Welt ist: eben so wenig ist die Sprache der Gedanke; sondern wie die Bühne die Welt bedeutet, eben so bedeutet die Sprache den Gedanken. Wir werden durch die Bühne sogar an einen vollen Gegensatz zwischen Wirklichkeit und Schein erinnert; denn darstellen heißt bloß den Schein er- regen. Und wir wissen ja, wie oft leider Worte Gedanken nur darstellen, d. h. den Schein von Gedanken erregen. Darstellen heißt allerdings ursprünglich eine Sache hinstel- len, vor Augen stellen. Niemals aber wird der Gedanke so nackt hingestellt, wie er geboren ist; nie tritt er aus dem Ver- stecke des Geistes, aus der Stätte seiner Empfängniß hervor. Eben darum bedürfen wir eines Darstellungsmittels, welches die Person, für welche dargestellt wird, mit dem Gedanken vermit- telt, mitten zwischen beide tritt. Dann sagen wir, der Gedanke werde gewissermaßen in das Mittel gelegt und in ihm zur Dar- stellung gebracht. Das Mittel an sich jedoch ist nicht der Ge- danke selbst, sondern Zeichen desselben. So hätten wir denn zwar in der Darstellung einen Stoff und eine Form; aber diese Form, welche das Darstellungsmittel des Stoffes ist, ist gar nicht die Form dieses Stoffes. Die Bühne ist nicht die Form der Welt, das Portrait nicht die Form der Person, die Sprache nicht die Form des Gedankens, sondern Schein . Der Schein besteht eben bloß aus Form; und so ist auch die Sprache bloße Form, bei deren Betrachtung der dar- gestellte Inhalt nicht eingemischt werden darf. Wenn das Wort Schein nicht gefällt: so sage man, die Sprache sei die Erscheinung des Gedankens. Wie ein Stern emporsteigt und erscheint, indem er uns seine Strahlen zusen- det: so erscheint uns der Gedanke, indem er unserm Ohre in zugesandten Lauten tönt. — Es sei! Aber die Strahlen sind nicht der Stern, und die Laute nicht der Gedanke. Der Inhalt hat nun aber noch an sich seine ihm eingebo- rene Form, abgesehen von dem Scheine, welcher ihn darstellt; und der Schein hat noch an sich einen Stoff. Um bei unsern Beispielen zu bleiben, die Welt hat ihre Formen, die mit der Bühne nichts zu thun haben; eben so der Mensch, dessen Por- trait gezeigt wird. Die Bühne hat aber auch ihren Stoff: das Brettergerüste und die Schauspieler; und das Portrait hat den seinigen: Leinwand und Farbe. So hat auch der Gedanke seine Formen, die nichts mit seinem sprachlichen Scheine zu thun haben, seine logischen und metaphysischen Formen; und so hat auch die Sprache ihren Stoff. Dieser Stoff ist das Mittel; und wir kennen ja schon das doppelte Mittel der Sprache: den Laut und das instinctive Selbstbewußtsein. Der Laut ist also gewissermaßen die Leinwand, und das instinctive Selbstbewußtsein liefert die Farben und die Zeichnung für die Abbildung des Gedankens durch den Sprechenden. So sehen wir also auf beiden Seiten, auf Seiten des Schei- nes sowohl, wie des erscheinenden Inhaltes, Stoff und Form. Wie wir aber vom Bilde sagen, es sei bloß Form, deswegen weil die Form von dem Stoffe, den Farben und der Leinwand, ganz unablösbar ist; und andererseits auch Farbe und Leinwand gar keinen andern Werth und keine andere Bedeutuug haben, als die in ihrer Form liegt, also als Form zu sein: so ist auch die Sprache, sowohl Laut, als instinctives Selbstbewußtsein, bloß Form, oder bloß geformt. So wie Farbe und Leinwand des Bildes gar nicht als Farbe und Leinwand gelten wollen, sondern als etwas ganz anderes: so wollen auch Laut und instinctives Selbstbewußtsein für etwas anderes gelten; und hier, wie dort beruht die Geltung auf der Form, also bei der Sprache auf der bestimmten Articulation oder Lautform und der bestimmten An- schauung der Anschauung. Nun geschieht aber ferner jede Thätigkeit, jede Bewegung nach gewissen Formen, Bestimmungen, Gesetzen, Regeln, in ge- wissen Bahnen, Kategorien. Das Athmen geschieht durch Aus- und Einathmen, welche beide man die Hauptkategorien des Ath- mens nennen könnte; beim Blutumlauf kommt das Zusammen- ziehen und Ausdehnen des Herzens, die beiden Kammern des Herzens, der Unterschied von Arterie und Vene, der Puls in Betracht, und das sind seine Kategorien oder Formen; der Tanz hat seine Schritte, kreisend oder einfach vorschreitend, oder auf derselben Stelle beharrend; die Metrik hat Füße, Verse, Cä- suren u. s. w.; der Tischler hobelt, sägt, fügt in einander und leimt zusammen. So hat auch die Sprache ihre Kategorien, wie Sylbe, Wort, Wortbeugung, Wortfügung, Lautgesetze und syn- taktische Gesetze. Wir haben hier einen Unterschied aufgestellt, der besonders bei der groben Vergleichung mit dem Tischler klar wird, zwi- schen formender Thätigkeit und der dadurch erzeugten Form. Das Hobeln, Sägen, u. s. w. sind die formbildenden Thätigkei- ten, wodurch eine Form an einem Stoffe, ein geformtes Ding entsteht. Beim Tanze beschreibt der Fuß und der ganze Kör- per Linien in der Luft und auf dem Boden; diese Linien sind die geformten Dinge, die Ergebnisse der formbildenden Bewe- gung des Fußes und des Körpers. So scheint es nun, als er- hielten wir eine doppelte Classe der Kategorien: Bestimmungen der Form, welche für die Dauer als Erfolge gewisser Bewegun- gen entstanden sind; und Bestimmungen dieser gestaltenden Be- wegungen selbst. So würden für die Sprache die Lautgesetze die Bestimmungen der Bewegung sein, durch welche die feste Wort- form entsteht; die Wortfügung hat eben so ihre Gesetze und durch sie entstehen die Casus, Redetheile u. s. w. als gebildete Formen. Der Sprachforscher jedoch erkennt auf seinem Ge- biete, für die Sprache, diesen Unterschied nicht an. Für die deutschen Sprachforscher ist es ja nun wohl schon eine gemeine Bemerkung, daß die Sprache kein fertiges Werk ist, daß sie gar kein ruhendes Dasein hat, sondern reine Thätigkeit, bloße Bewegung ist. Nichts in der Sprache ist starr, alles flüssig; und so ist auch das Wort und die bestimmte Bewegungsform des Wortes nur die fließende Form einer Thätigkeit, ein Schritt des Sprachganges, der verschwindet, wenn er vorüber ist; der keine materialen Spuren zurückläßt, sondern bloß dynamische in der Seele; der wohl wiederholt werden kann, aber dann eben so materialiter verschwindet, und nur dynamisch zurückbleibt. Der Laut, d. h. die allgemeine Fähigkeit des Lautens, und das instinctive Selbstbewußtsein sind der Stoff, die Dynamis, der Sprache; das wirkliche Sprechen ist die Energie; die Sprach- form, sowohl Laut- als innere Form, ist die Entelechie, d. h. die Bewegung, welche die Dynamis zur Wirklichkeit umgestal- tet, den Stoff formt. Aber Energie und Entelechie sind nur verschiedene Auffassungen desselben Wesens. Die Sprachform ist allemal bewegtes Leben, dessen Wirken seine Geburt, dessen Sein Wirken ist. Denn die Sprache ist ein geistiges Wesen; und im Geiste ist nichts Wirkung, ist alles Wirken. §. 127. Stoff und Form in der Sprache. Abgesehen also davon, daß man die allgemeine Fähigkeit zur Sprache als Stoff, die Verwirklichung als Form ansehen kann, haben wir innerhalb der Sprache noch keinen Unterschied zwischen Stoff und Form auffinden können. Die Sprache ist also nichts als Form; ihr Stoff, der Gedanke, liegt außer ihr. Sie ist darum reine Form, weil sie bloße Anschauung, Darstel- lung, Schein des Gedankens ist. Der Gedanke aber enthält Stoff und Form: Stoff, wie er ihn durch Sinnesempfindungen und Gefühle erlangt; Form, wie der Geist sie nothwendig jenem Stoffe anthut, indem er denselben auffaßt — denn die geistige Auffassung ist nur Formung des durch die Sinne von außen gewonnenen Stoffes. In der Sprache nun ist der Schein von beiden Elementen des Gedankens, vom Stoff und von der Form. Die Sprache ist also Darstellung oder Form sowohl des Gedan- kenstoffes, als der Gedankenform. Hätten wir nun etwa hiermit schon den Unterschied von ma- terialen und formalen Elementen der Sprache gewonnen? Schwer- lich! Die Sprache bleibt immer noch rein formal; Stoff und Form des Gedankens aber sind beide in gleicher Weise für die Sprache ihr Stoff. Sie mögen für uns, die Logiker, sie mögen an sich verschieden sein — was kümmert das die Sprache? Sie ist Form für beide in gleicher Weise; sie sind nicht für die Sprache verschieden. Das mag ein Beispiel klar machen und bestätigen. Alle Bewegung ist Formänderung: die Bewegung ist rein formal und eben darum eine Abstraction, die nur in lebendiger Einheit mit dem Stoffe wirklich ist. Beobachtet spie- lende, ringende Knaben; beobachtet die Wellen des Wassers, der Kornfelder: ihr habt den bleibenden Stoff in Bewegung, d. h. in fortwährend sich ändernder Form. Die Sprache schaut den Stoff und die Form an; ein Wort bezeichnet den Stoff: die Knaben, das Wasser, ein anderes die Form: spielen, wogt . Wer hat nun je gesagt, die Verba seien Formwörter? und doch be- deuten alle Verba und alle Merkmalwörter Formverhältnisse; sind sie darum Formwörter ? O ja, antworte ich, wenn man will. Nun sind aber, wie wir gesehen haben, alle Wörter der Sprache, auch die Ding- und Thätigkeitswörter, ursprünglich Merkmalwörter, Adjectiva oder Adverbia; folglich besteht die Sprache bloß aus Formwörtern, und so wären wir wieder auf demselben Punkte, wie vorhin, zu behaupten, die Sprache sei rein formal, enthalte nur formale Elemente. Wir haben nun aber doch schon den Punkt gefunden, auf den es ankäme, wenn die Sprache in sich einen Unterschied zwischen Form und Stoff, materialen und formalen Elementen, ausgebildet haben sollte. Es käme nämlich nur darauf an, daß der Unterschied von Stoff und Form, welcher im Gedanken, so- wohl an sich, als für den Logiker, vorliegt, auch für die Spra- che werde; d. h. daß nicht nur alle Elemente des Gedankens von der Sprache angeschaut und gleichmäßig dargestellt wer- den, sondern daß dieselbe zugleich den Unterschied der mate- rialen und formalen Momente des Gedankens anschaue und auch diesen Unterschied darstelle. Die Sprache bliebe also ihrer un- veränderlichen Natur gemäß rein formal; sie wäre aber theils Form des Gedankenstoffes, theils Form der Gedankenform; und zwar dies nicht bloß für uns, sondern sie müßte es auch an sich und für sich selbst sein. Das instinctive Selbstbewußtsein muß den Unterschied von materialen und formalen Momenten des Gedankens aufgefaßt haben, und demgemäß auch als Trieb auf den Laut eingewirkt und dem Laute den erkannten Unter- schied eingehaucht haben. Die Sprache kann nicht den Unter- schied als ein drittes selbständiges Element neben dem Stoff- und Formelement darstellen; sondern sie muß ihren Elementen, wel- che den Stoff des Gedankens darstellen, und ihren Elementen, welche die Form desselben darstellen, eine verschiedenartige Fär- bung oder Schattirung geben, damit hieraus dem Sprechenden selbst, wie dem Hörenden, der Unterschied zwischen den for- malen und materialen Elementen des Gedankens auch aus den Worten zart entgegentönt; damit nicht bloß die Gedankenele- mente selbst vollständig im Laute erscheinen, sondern so, daß sie zugleich ihrer verschiedenen Natur entsprechend in verschie- denem Lichte erscheinen. Die Sprache erreicht dies durch die den Wurzeln angefügten Endungen: die Wurzel bedeutet den Stoff, die Endung die Form. Stoff oder Form in der Sprache ist also dasjenige, was für sie als das eine oder das andere gilt, was sie als das eine oder das andere darstellt, was in ihr und für sie als das eine oder das andere erscheint; beides unterscheidet sich nicht so, wie wir die Sache ansehen, nicht wie die Zergliede- rung des Gedankens an sich die Sache beurtheilt. Dieser Un- terschied zwischen der Sprache und unserer logischen Analyse ist ungeheuer und setzt eine tiefe Kluft zwischen Sprach- und reiner Gedankenanalyse, zwischen Grammatik und Logik. Ich wiederhole das schon angeführte Beispiel: alle Merkmale und Bewegungen sind Formbestimmungen für die Logik; für die Grammatik sind sie materiale Elemente, weil die Sprache, das instinctive Selbstbewußtsein, jene Formbestimmungen als mate- riale Elemente der Anschauung auffaßt und vorstellt. Das Sub- stantivum als Subject gilt der Sprache für das Ding an sich, für die Substanz, also den Stoff vorzugsweise. Der Inhalt die- ser Substanz aber wird gerade in den Merkmalwörtern erfaßt; auch diese sind also Stoffwörter. §. 128. Formwörter und formlose Sprachen. Wir hätten oben bei der Darstellung des Satzes die Rede- theile der Sprache zu entwickeln gehabt, oder hätten es weiter unten zu thun. Dies würde uns aber weiter in das Einzelne geführt haben, als hier unsere Absicht ist darauf einzugehen. Wir setzen also die Redetheile hier voraus, und fragen nur, wie sie sich zu Stoff und Form verhalten. Nun ist es aber gar keine Frage, daß Substantiva und Verba, wie auch Adjectiva und Adverbia, Stoffelemente sind. Wie steht es aber mit dem Pro- nomen? Ich habe heute noch die Ansicht, die ich schon in den ein- leitenden Bemerkungen zu meiner Schrift De pronomine relativo ausgesprochen, daß die Pronomina Stoffwörter sind. Die Sache ist mir zu wichtig — denn die Eintheilung der Sprachen in formlose und Formsprachen, also der Kern der Classification der Sprachen beruht hierauf — als daß ich nicht hier dabei ver- weilen müßte. Ich habe meine Ansicht aus Humboldt geschöpft, ein Um- stand, dessen ich mir damals, als ich sie zuerst aussprach, gar nicht bewußt war. Um dies Versehen wieder gut zu machen, werde ich hier an Humboldt anknüpfen und die betreffenden Stellen aus seiner Einleitung angeben. Sie finden sich nämlich S. 332. (oder CCCXLVIII.), 275. (oder CCXCI.), wo bestimmt das Pronomen von dem Personalzeichen am Verbum geschieden wird. Nun sagt zwar Humboldt nicht, worin der Unterschied liege, und doch gilt ihm derselbe für so groß und wichtig, daß hierauf im Wesentlichsten die Reinheit und Vollkommenheit oder Unreinheit und Unvollkommenheit der Sprachen beruht. Wir glauben nun aber nicht bloß die Sache, sondern Humboldts Sinn, sein sprachwissenschaftliches Gefühl zu deuten, indem wir an- nehmen, daß die Pronomina ursprünglich Stoffwörter sind, die Personalendungen dagegen formale Elemente. Daher haben alle Sprachen, welche das Pronomen mit dem Particip verbinden, z. B. statt amo nur ego amans sagen, wie alle hinterasiatische Sprachen, das Tibetische, Mandschurische, Mongolische mit in- begriffen, alle diese Sprachen, sage ich, haben keine Verbalfle- xion, keine Formen, sind formlose Sprachen. Was ist denn wohl für ein Unterschied zwischen amo und ego amans? ist es denn so wesentlich, daß dort das Ele- ment für ego mit der Verbalwurzel verbunden, hier von ihr ge- trennt ist und für sich bleibt? Diese lautliche Beschaffenheit an sich ist sehr gleichgültig, und auf solche Merkmale eine Clas- sification der Sprachen gründen heißt auf Sand bauen. Wir sagen „ ich spreche “ in zwei völlig getrennten Wörtern, die aber doch nur eine Verbalform und eine ganz reine Form bilden; während jene Völker, und sprächen sie selbst eg⁀amans, immer noch keine Form hätten; denn j’aime ist nicht reinere Form, als je parle. So wenig also je parle weniger vollkommene und reine Form ist, als j’aime: so wenig würde auch ein mongoli- sches, tibetisches u. s. w. eg⁀amans mehr Form sein, als ego amans. Nicht der Laut, sondern die innere Sprachform ist das Ent- scheidende; denn sie ist es, die dem Laute seinen Werth, seine Geltung und Bedeutung giebt: der Laut ist bloß Zeichen der innern Sprachform. Der innere Unterschied aber zwischen ego amans und amo besteht darin, daß uns dort ein Pronomen als Subject neben einem Merkmalsworte, also zwei Stoffwörter ohne formales Element gegeben sind; hier aber, in amo, ein Merkmal, eine Thätigkeit, ausgedrückt durch ein Stoffwort, welches durch seine Form in Beziehung zu einer Person gesetzt ist. Zwischen Pronomen und Personalendung herrscht der Unterschied, daß jenes eine wirkliche Person als ein materiales Wesen bedeutet: ich heißt der hier jetzt sprechende Mensch, du heißt der hier jetzt angeredete Mensch, er, sie, es das jetzt hier besprochene Wesen; sind das nicht lauter Stoffelemente? Im Pronomen wird also ein Stoff Sollte es nöthig sein ausdrücklich zu versichern, daß ich nicht glaube, daß die Pronomina von Verbalwurzeln abgeleitet sind? , eine Person angeschaut, und zwar als redende, angeredete oder besprochene unterschieden. Das Pronomen ist ein abstractes Wort, ohne Zweifel. Ist aber Person, Rede, Schönheit, Scharfsinn weniger abstract? Es sind abstracte Stoffe. Das Pronomen hat zum Inhalt die Person und bezeichnet die- selbe nach ihrem dreifach möglichen Bezuge zum Inhalt der Rede. Die Personalendung aber bezeichnet nur diesen Bezug, und nicht die Person, den Stoff selbst. Sie bezeichnet die Beziehung der Thätigkeit auf die Persönlichkeit, oder sie drückt die persönli- che Beziehung der Thätigkeit aus. Für das instinctive Selbstbewußtsein ist jede Thätigkeit an eine Person geknüpft, selbst wenn es diese Person nicht kennt, wie in: es blitzt . Die Persönlichkeit, oder die Verknüpfung der Thätigkeit mit derselben, ist also eine Form, die jeder Thätig- keit, welche als wirklich gedacht wird, nothwendig zukommt; eine Kategorie derselben, so nothwendig wie die Zeit. Und diese Kategorie ist dreifach: erste, zweite und dritte Person. Liegt in amo, amat ein Subject? Nein! denn es liegt nur die Thätigkeit und ihre Beziehung auf ein Subject vor. Der Satz aber ist doch vollständig; denn das fehlende Subject wird nothwendig hinzugedacht, da die Thätigkeit nur in Bezug auf dasselbe ausgesprochen wird. Wir fassen uns zusammen. Es sei eine Anschauung gege- ben, z. B. die eines laufenden Hundes. Das instinctive Selbst- bewußtsein tritt hinzu und erhebt diese Anschauung in das Ge- biet der Vorstellung, indem es das Ding von dem Merkmal, der Bewegung, scheidet, also aus der einen Anschauung zwei Vor- stellungen bildet, welche aber im Satze wieder vereinigt wer- den: der Hund läuft . Alle Sprachen stehen insofern auf der Stufe der Vorstellung, daß sie die einheitliche Anschauung in zwei Wörtern als Zeichen für zwei Vorstellungen auffassen. Hiermit aber ist bloß der Stoff der Vorstellung bezeichnet, wie ihn die Anschauung liefert. Das instinctive Selbstbewußtsein erfaßt nun aber nicht bloß die Elemente, welche den Stoff der Anschauung ausmachen, sondern auch die Beziehung dieser Ele- mente auf einander. Der Hund wird also als Subject bezeich- net und dadurch sogleich nicht absolut, sondern in Bezug auf eine Thätigkeit vorgestellt; umgekehrt wird auch wieder die Thätigkeit nicht absolut, sondern in Bezug auf das Subject als die Person gesetzt. So sind beide Vorstellungen geformt. Aber nicht im Geiste aller Völker hat das instinctive Selbstbewußt- sein diese Macht gehabt, sowohl den Stoff der Anschauungen, als auch die Form ihrer Elemente in der Vorstellung zu er- fassen; und solche Völker und Sprachen haben wohl Prono- mina, aber keine Personalendungen, also keine geformten Verba; in Folge dessen auch keine geformten Substantiva, folglich keine Form. Man sieht also, daß die Formen der Sprache, der Wörter, Formen der Vorstellung bezeichnen, daß diese aber weder lo- gische Beziehungen der Begriffe, noch auch nur reale Beziehun- gen der Dinge sind, sondern ein eigenthümliches Product des instinctiven Selbstbewußtseins. Es ist eben darum auch gar nicht unumgänglich nöthig, daß reale Beziehungen der Dinge durch Beziehungen der Wörter bezeichnet werden; denn es kommt erst noch darauf an, wie das instinctive Selbstbewußtsein die gegebene Anschauung, z. B. eines A hinter einem B , auffaßt: ob es nämlich überhaupt die reale Beziehung von A und B mit in die Vorstellung aufnimmt, und selbst wenn es dies thut, ob es die Beziehung der Dinge als eine Form derselben, oder als ein drittes Stoffelement der Anschauung vorstellt neben den bei- den Dingen, welche zwei andere Stoffelemente der Anschauung sind. So giebt es also Sprachen, welche die Anschauung „ A hinter B “ als drei Stoffelemente darstellen: „ A Rücken B “, oder in welcher Ordnung sie nun diese Elemente aufstellen mögen. Solche Sprachen stellen die gegebene Form als Stoff dar, und sind also formlose Sprachen . §. 129. Die alten und die neuern Formsprachen. Wie sehr sich aber abstracte Wörter den Formelementen nähern, das zeigen die modernen sanskritischen Sprachen. Denn unser deutsches „ ich liebe “, sowie j’aime, I love u. s. w. sind reine Formen, weil bei uns mit der fortschreitend abstractern Ausbildung der Sprache die Pronomina endlich so sehr jeden Stoff ihrer Bedeutung verloren haben, daß sie recht gut die Per- sonalendungen verstärken oder völlig ersetzen konnten, sobald die Formendungen der Wörter dem instinctiven Selbstbewußt- sein nicht mehr klar genug waren. Dieses setzte also an die Stelle der abgefallenen oder abgeschliffenen Personalendungen die ausgehöhlten Pronomina. Und so sind denn unsere heutigen Pronomina Formelemente, wenn nicht die hervorgehobene Be- deutung ihnen ihren ursprünglichen materialen Werth zurück- giebt. „Ich liebe den Wein “ hat kein Subject; „ ich liebe das Wasser“ hat eins. Vergl. Humboldt Einl. S. 290 (oder CCCVI.). Unsere Präpositionen endlich sind Formwörter, selbst wenn sie ursprünglich Substantive waren; denn sie sind durch Ab- straction zu Präpositionen geworden, gerade wie die Pronomina zu Personalzeichen. Der Unterschied der modernen sanskritischen Sprachen ge- gen die alten beruht vorzüglich auf dem Ersatz der Formen durch Formwörter. Diese Erscheinung ist längst beachtet und vielfach besprochen worden, vielleicht aber doch noch nicht in ihrem ganzen Umfange gewürdigt. Ich meine nämlich, daß hierher auch diejenigen Fälle zu zählen sind, wo z. B. im Grie- chischen ein bloßer Artikel, ein Pronomen demonstrativum, ein Adjectivum genügt, während wir immer noch ein abstractes Sub- stantivum hinzufügen müssen. Man nehme z. B. den Anfang der Demosthenischen Rede De corona . Dort liest man: … εὔχομαι … ὅπεϱ ἐστὶ μάλισϑ᾽ ὑπὲϱ ὑμῶν … τοῦτο (einen sol- chen Entschluß) παϱαστῆσαι τοὺς ϑεοὺς ὑμῖν, μὴ τὸν ἀντίδικον σύμβουλον ποιήσασϑαι πεϱὶ τοῦ (die Weise) πῶς ἀκούειν ὑμᾶς ἐμοῦ δεῖ, σχέτλιον γὰϱ ἄν εἴη τοῦτό γε (ein solches Betragen), ἀλλὰ τοὺς νόμους καὶ τὸν ὅϱκον, ἐν ᾧ πϱὸς ἅπασι τοῖς ἄλλοις δικαίοις (gerechte Anordnungen) καὶ τοῦτο γέγϱαπται κ. τ. λ. Dieses Beispiel zeigt wohl klar, was ich meine. Das Wort „ Weise “, wofür der Grieche im Obigen seinen einfachen Artikel setzt, ist ja auch schon in andern Fällen bei uns ganz zur Ad- verbialendung geworden: vorzugsweise, glücklicherweise, natür- licherweise , ganz wie das lateinische mente in den romanischen Sprachen Adverbia bildet. Unser ganzer Geist, verglichen mit dem griechischen, zeigt Mangel an Sinn für Form und Uebung in Abstractionen. Wie also überhaupt die innere Sprachform nicht die An- schauung, wie sie gegeben ist, aufnimmt, sondern nur so viel und gerade das, was das subjective Selbstbewußtsein vorstellt: eben so tritt auch durchaus nicht mehr und nur die Form in die Sprache ein, welche das instinctive Selbstbewußtsein bildet, indem es die Anschauung analysirt und in den Kreis der Vor- stellung erhebt. — Ferner: ursprüngliche Formsprachen können abstracte Stoffwörter zur Bezeichnung der Form verwenden und erhalten dadurch eine oberflächliche Aehnlichkeit mit form- losen Sprachen. Diese nämlich bezeichnen Formverhältnisse durch wirkliche Stoffwörter, schauen also die Form als Stoff an. β) Copula. §. 130. Copula und Aussage überhaupt. Man versteht jetzt unter Copula gewöhnlich die prädicative Aussage überhaupt. Das scheint mir zu weit und zu eng. Man sollte diese Benennung lediglich auf das Aussagewort sein, ist, beschränken, welches richtig als Formwort aufgefaßt worden ist und als völlig gleich mit den Endungen der Verba. Ande- rerseits aber hat man den Begriff der Aussage zu eng gefaßt, wenn man sie auf das Prädicat allein beschränkt. Aussage, Syn- thesis, sehe ich überall, wo eine Form in der Sprache auftritt. Ich nehme also auch eine attributive Aussage und eine objective an, jene in der Flexion des Attributes, diese in der des Objects. Man könnte auch recht wohl von einer attributiven Copula spre- chen; diese ist nämlich das Pronomen relativum, welches in vie- len Sprachen auch beim einfachen Adjectivum und beim Geni- tiv auftritt. Die Präposition und Conjunction ist die Copula des objectiven Verhältnisses. Also jedes Satzverhältniß enthält eine Aussage, und jedes Formwort, welches die Stelle der Flexion vertritt, ist eine Copula . Folg- lich ist auch unser modernes persönliches Pronomen, da es bloß zur Flexion dient, eine prädicative Copula, so gut wie ist: nur daß ist neben dem prädicativen Adjectivum, das Pronomen ne- ben dem Verbum steht. Formwörter beziehen sich allemal auf die beiden Redetheile, welche sie in Beziehung zu einander setzen, zugleich — ganz natürlich: das liegt im Begriffe der Beziehung. Die Präposition gehört zum Verbum und zum Object, ist und das persönliche Fürwort zum gedachten Subject und zum Prädicat zugleich. Wird die Aussage durch Flexion ausgedrückt, so liegt sie eben- falls nicht einseitig in der Flexion des einen Redetheils, sondern beider. Das prädicative Verhältniß liegt in der Verbalflexion und der Nominativendung; die objective Aussage zugleich in der activen Verbalflexion und dem Object. Ganz consequent führt dies die Sprache nicht durch, besonders nicht im objecti- ven und attributiven Verhältnisse, welche sich vielfach mischen. Nur in dem wichtigsten Verhältnisse, dem prädicativen, ist die doppelseitige Bezeichnung klar. Jedoch tritt hier der Umstand ein, daß die Nominativendung bald abfällt. Von hier aus könnte man nun die ganze Grammatik durch- gehen. Ich werde aber nur einen Punkt hervorheben, den In- finitiv. §. 131. Das Verbum und der Infinitiv. Im Infinitiv nichts weiter als ein Substantivum sehen, ist durchaus falsch. Auf diese Ansicht will ich nicht näher einge- hen; sondern mich sogleich zu Humboldt wenden. In seinem letzten großen Werke hat Humboldt nicht vom Infinitiv gespro- chen. Neuerdings ist aber ein Brief von ihm, der vorzüglich den Infinitiv betrifft, veröffentlicht worden in: Aufrecht und Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachforschung II, 4. Dieser Brief stammt aus dem Jahre 1826. Alle Schriften Humboldts aber vor dem großen Werke können nicht als Darstellung seiner vol- len wahren Ansicht gelten; und so dürfte Humboldt leicht, wäre er später auf den Infinitiv zurückgekommen, die Sache vollstän- diger erfaßt haben. In dem genannten Briefe sieht Humboldt im Infinitiv „die Darstellung des reinen Bewegens in der Zeit“. Der Infinitiv habe also dieselbe Bedeutung wie die Wurzel, und die Endung desselben habe weiter keinen Werth als den, jede andere En- dung auszuschließen, da eine bloße Wurzel in den flectirenden Sprachen nicht auftreten darf. Er ist also das Verbum an sich, reiner Ausdruck der Energie, der Bewegung. Dies wäre ei- gentlich „ein vorgrammatischer Zustand“ des Verbums, und ge- rade diesen würde die Infinitiv-Endung bezeichnen. Humboldt nennt den Infinitiv „eine bloße, allgemeine und vage ausgedrückte Wahrnehmung. Hitze ist ein Abstractum, heißes Eisen zusam- menzufügen, ist schon bestimmte Sprechart, aber Eisen heiß zu sagen, ist der unmittelbare und unverbundene Ausdruck der Wahrnehmung. Wie nun da heiß steht, so scheint mir (Hum- boldt) der Infinitiv zu sein“ d. h. wesentlich nichts anderes als „Wurzel“, „Stoff“, aus dem die übrigen Verbalformen werden. Ich kann allem dem nicht beipflichten. Als wahr aber müs- sen wir in Humboldts Ansicht eins anerkennen — und davon wollen wir ausgehen —, daß der Infinitiv „die ganze Verbal- natur beibehält“, folglich „streng zum Verbum zu rechnen“ und „als etwas vom Attributivum und Substantivum verschiedenes anzusehen“ ist. Die Schwierigkeit scheint mir in der That nur damit zu beginnen, daß wir fragen: was ist „die ganze Ver- balnatur“? Denn etwas Nominales ist genau genommen ganz und gar nicht im Infinitiv. Niemand, denke ich, wenn er sagt: ich will essen, ich sehe blitzen; fühlt hier im Infinitiv auch nur eine Spur von nominalem Wesen. Der Deutsche konnte sich rücksichtlich des Infinitivs leicht täuschen. Unsere Sprache neigt zu Abstractionen, und die Substantiva sind den Abstractionen günstiger, als die Verba, in denen eine sinnlichere Natur liegt. Jedes Substantivum ist schon ein Abstractum, da es einen Art- begriff, ein Allgemeines, ein Ding an sich bezeichnet; die Natur des Verbums besteht gerade im Gegentheil darin, dieses Ab- stractum des Subjects in die unmittelbare Wirklichkeit zu ver- setzen. Der Infinitiv aber bietet sich mit Hülfe des Artikels leicht zur Abstraction dar, und der Deutsche hat davon einen so reichlichen Gebrauch gemacht, daß er viel von der leben- digen verbalen Natur des Infinitivs aus seinem Sprachgefühl ver- loren hat. Im Französischen und noch mehr im Englischen hat sich der Infinitiv viel kräftiger erhalten. Indessen Sätze, wie 24 die oben angeführten, lassen auch uns in unserer Sprache die volle verbale Lebendigkeit des Infinitivs fühlen. Worin liegt nun also diese ganze Verbalnatur? Man irrt vollkommen, wenn man meint, in der Wurzel an sich liege auch nur im mindesten etwas von verbaler Natur. Die Wurzel des Verbums laufen bedeutet zwar eine Thätigkeit oder Bewegung. Dies macht aber gar nicht die Verbalnatur aus. Die Wörter: Zweifel, Bewegung, Vorgang, Rede, Anziehung, Theilung, Fluß, Fall, das Sinken und Steigen, Lauf, Tanz, Schlaf, Hunger und Durst u. s. w. u. s. w. bezeichnen Vorgänge als vorgehend, Zu- stände als seiend und sind darum doch noch keine Verba. Die Wurzel von laufen ist also die Indifferenz von laufen, Lauf, Läufer, laufend, läuft, läufig, welche alle Thätigkeit und Bewe- gung ausdrücken. Die Wurzel von laufen ist ein Wort, wenn auch noch kein vollkommenes; sie bezeichnet wenigstens keine ganze Anschauung, sondern nur einen Theil davon, z. B. von der Anschauung eines laufenden Hundes. Diese Theilanschauung ist der Stoff einer Vorstellung. Die Form aber fehlt noch gänz- lich. Darum hat die chinesische Sprache, welche bloß Wur- zeln hat, keine Form. Der Unterschied zwischen Nomen und Verbum aber ist ein rein formaler und ist mit der Wurzel noch gar nicht gegeben. Die Wurzel wird also bloß durch die Form zum Nomen oder Verbum. Folglich hat die chinesische Spra- che, die keine Form hat, kein Verbum, folglich keinen Infinitiv; und eben so wenig sind die Sanskritischen Wurzeln Infinitive, und die Infinitive bloß als Wörter bezeichnete Wurzeln; denn sie sind ja volle Verbalformen. Sie bezeichnen also auch nicht bloß „das reine Bewegen in der Zeit“ und sind nicht „bloße, allgemeine und vage ausgedrückte Wahrnehmungen“; die Wur- zeln sind dies allerdings, die Infinitive aber sind Verbalformen. Was gehört denn nun aber zur Verbalnatur? Erstlich und vorzüglich Personal-Beziehung; d. h. daß die Thätig- keit ausgesagt werde als Thätigkeit der redenden oder angere- deten oder besprochenen Person. Hieraus ergiebt sich nun zwei- tens, daß die Thätigkeit dargestellt wird als die unmittelbar aus der Person fließende „energische Kraftäußerung“. Der Satz: die Rose blüht sagt nicht aus, man urtheile dem Begriffe Rose den Begriff blühen zu; sondern er stellt die Thätigkeit des Blü- hens als die Energie der Rose dar, reißt aber damit zugleich unsere Vorstellung Rose heraus aus der Abstraction, wie wir sie im Kopfe tragen, versetzt sie in die Wirklichkeit hinein, stellt sie unserm instinctiven Selbstbewußtsein zur Anschauung vor, als die gemäß ihrer Energie blühende. Wenn Herbart, wie wie oben (S. 171) sahen, bemerkt: „in dem Urtheile: diese Begebenheit ist erfreulich “ (oder gar: erfreut mich sehr ) „wird niemand die Eigenschaft zu erfreuen für eine zum Ereignisse selbst gehörige, ihm eigentlich inhärirende Bestimmung“ (oder aus ihm fließende energische Handlung) „halten, da sich die- selbe bloß auf subjective Gefühle bezieht“: so antworten wir, daß dies kein Logiker und Metaphysiker thun wird; das in- stinctive oder vorstellende oder sprachliche Selbstbewußtsein aber thut es allerdings; es belebt im Verbum jedes Subject und theilt ihm handelnde Kraft zu. Hieraus ergiebt sich drittens, daß das Verbum, und zwar es allein, energisch genug ist, um die prädicative Aussage zu enthalten und den Satz zu bilden. Messen wir hieran den Infinitiv und die Participien und Ge- rundien: so fehlt ihnen, um mit dem scheinbar Zweifellosen zu beginnen, das dritte Merkmal: sie enthalten die prädicative Aus- sage nicht. Gleichwohl, und das ist mindestens eben so sicher, fehlt es ihnen nicht an der vollen verbalen Energie. Nun be- haupte ich aber, und dieser Punkt entscheidet, daß ihnen die Personalbeziehung nicht fehlt. Sie liegt in ihnen nur versteckt, weil in einer andern Form, als im Verbum finitum: in diesem nämlich liegt sie in finiter, bestimmter Weise, d. h. bestimmt als erste oder zweite oder dritte Person, im Infinitiv aber und den Participien und Gerundien in infiniter, unbestimmter Weise als Beziehung auf Persönlichkeit überhaupt, gleichgültig dagegen, ob es die erste, zweite oder dritte Person ist. Daher kann der Infinitiv nur da stehen, wo keine Zweideutigkeit Statt hat, kein Zweifel darüber möglich ist, auf welche Person er sich beziehe. Ich will essen bedeutet also volo ut comedam . Der Infinitiv drückt energisch die Personalbeziehung aus; und weil es sich von selbst versteht, daß die Person, auf welche er sich bezieht, im Beispiele die erste ist, so genügt er vollkommen. Soll aber gesagt werden volo ut comedas, comedat , so kann nicht gesagt werden: ich will essen , weil eben nicht zu ersehen wäre, auf welche Person sich der Infinitiv beziehen solle. Der Infinitiv steht daher in substantivischen Nebensätzen, wenn sie dasselbe Subject wie der Hauptsatz haben: ich fürchte zu fallen; ich fürchte, daß du fällst . Hier ist sicherlich zu 24* fallen nicht weniger verbaler Natur als: daß du fällst . Umge- kehrt: du fürchtest zu fallen; du fürchtest, daß ich falle . Hieran schließt sich der Accusativus cum Infinitivo, wo sogar bei ver- ändertem Subjecte das Verbum im Infinitiv steht, weil die Per- sonalbeziehung durch den dabei stehenden Accusativ zweifellos gemacht wird. Ich sehe daher nicht im mindesten ein, mit welchem Rechte behauptet worden ist: „Wenn ich sage: ich sehe den Menschen gehen“ (hier fühlen auch wir noch lebendig den Accusativ cum inf.) „sondere ich allerdings das Merkmal des Gehens an dem Menschen ab“. Hier wird „ gehen “ nicht mehr von „ den Menschen “ abgesondert, als wenn ich sage: der Mensch geht ; es wird nämlich nur insofern abgesondert, als es eine aus der Totalität der Anschauung des gehenden Menschen abgelöste Vorstellung ist. Diese Absonderung ist nothwendig; denn auf ihr beruht der Proceß der Bildung der Vorstellung, also der Sprache selbst. Die Absonderung wird aber nur ge- setzt, um sogleich wieder aufgehoben zu werden; dies geschieht in geht durch die bestimmte Personalbeziehung, in gehen durch die zwar unbestimmte, aber darum nicht minder kräftige, Per- sonalbeziehung. Der Accusativ c. inf. läßt sich als Attraction auffassen. Ich sehe den Menschen gehen bedeutet ganz dasselbe, wie: ich sehe das: der Mensch geht (ich sehe, daß der Mensch geht); statt des Accusativs das setzt man das Subject des er- klärenden Satzes in den Accusativ. Hierdurch verliert der er- klärende Satz seine Selbständigkeit; er wird in den Hauptsatz hineingezogen. Folglich muß sein Verbum, sein Prädicat seine satzbildende Kraft verlieren, aber nicht seine prädicative; dies wird erreicht, indem die finite Personalbeziehung in die infinite verwandelt wird. Selbst in den Fällen, wo der Infinitiv als Subject steht, wie: irren ist menschlich ist der Infinitiv verbal und nicht no- minal; denn hier bezieht sich der Infinitiv auf die allgemeine Person man, und ist ein Satzverhältniß oder ein abgekürzter Satz, gleich: daß man irrt . Man vergleiche: irren ist mensch- lich mit: der Irrthum ist menschlich . Die Bedeutung des Infinitivs läge also darin: mit voller verbaler Energie begabt zu sein, zwar nicht finite, aber doch infinite Personalbeziehung zu bezeichnen, zwar nicht satzbildende, aber dennoch prädicative Kraft zu haben. Er ist mithin durch- aus verbal, und vorzüglich geeignet, abhängige, unselbständige Sätze zu bilden, Zwitterdinge zwischen Sätzen und Satzverhält- nissen. Die unbestimmte Personalbeziehung aber verwischt sich leicht; tritt noch der Artikel hinzu, so schwindet sie gänzlich und damit die ganze verbale Natur, und es bleibt bloß die Be- deutung der Wurzel, die Thätigkeit als abstractes Substan- tivum. Die Participia sind nicht minder rein verbal, aber ebenfalls nur mit infiniter Personalbeziehung; jedoch ist das Participium dadurch vom Infinitiv geschieden, daß es nicht prädicative, son- dern nur noch attributive Kraft hat; vom Adjectivum aber hin- wiederum durch seine verbale Energie. Die Gerundia endlich und die absoluten Participien im Genitiv oder Ablativ, ebenfalls mit infiniter Personalbeziehung, bezeichnen die objective Aus- sage, aber energischer, als bloße Adverbia. Participia und Ge- rundia verhalten sich zum attributiven Adjectivum und objecti- ven Adverbium, wie das Verbum finitum zum prädicativen Ad- jectivum mit ist . Die verbale Kraft des Infinitivs ist also zwar rein, aber schwächer, als die der finiten Formen; immer noch rein, aber noch schwächer, als im Infinitiv, ist die Verbalkraft im Parti- cipium und Gerundium; denn jener konnte noch ein Prädicat, diese können nur ein Attribut und ein Object darstellen. Aber auch in den letztern ist die verbale Energie noch so groß, daß sie nicht ein einfaches Satzverhältniß, sondern einen untergeord- neten, vom Hautptsatze attrahirten Nebensatz darstellen. Die obige Darstellung macht nicht den Anspruch, das Wesen des In- finitivs erschöpfend zu behandeln, noch weniger die Untersuchungen darüber definitiv abzuschließen — eine thörichte Anmaßung, die mir überall fern bleibt. Ich beabsichtige, sobald ich in eine freiere Lage komme, dem Infini- tiv eine Monographie zu widmen, in welcher ich seine Verhältnisse vollstän- diger darzustellen, durch möglichst viele Sprachen zu verfolgen gedenke, und ihn in seinem Wesen dann auch tiefer zu erfassen hoffe. . C. Verschiedenheit der Sprachen. Wir haben versucht, die Sprache überhaupt entstehen zu sehen, in ihrem Entstehen ihr Wesen und Wirken zu erkennen, aus ihrem Wesen die Principien der Grammatik abzuleiten, und nach diesen Principien einige Hauptpunkte derselben zu ergrün- den. Bei letzterer Gelegenheit war es schon nicht mehr mög- lich, von der Verschiedenheit der Sprachen abzusehen. Die Na- tur dieser Verschiedenheit haben wir uns jetzt klarer zu machen. 1. Grund der Sprachverschiedenheit. Zuerst fragt es sich: worin liegt die Verschiedenheit der Sprachen? und wie ist sie möglich? bei der Einheit der mensch- lichen Natur und des menschlichen Geistes! Sie liegt sowohl in den einzelnen Lauten und der Weise ihrer Aneinanderreihung, also in der Lautform an sich, als auch in der innern Sprachform an sich, und auch in der Verbindung dieser mit jener, so daß dieselbe Vorstellung in den verschie- denen Sprachen verschiedene lautliche Bezeichnung findet. §. 132. Verschiedenheit in der Lautseite der Sprachen. Was zuerst die verschiedene Erzeugung der Laute betrifft, so ist offenbar, daß die eine Sprache Laute hat, die der andern ganz fehlen, und umgekehrt. Streng genommen aber läßt sich geradezu behaupten, daß keine Sprache auch nur einen Laut mit der andern wirklich und vollkommen gemein hat. Man ver- gleiche z. B. das französische und englische Alphabet: jeder Consonant und jeder Vocal der einen Sprache lautet anders, als der entsprechende der andern. Valentin (Grundriß der Physio- logie des Menschen, §. 1428) sagt: „Die physiologische Prüfung der einzelnen Laute in den verschiedenen Sprachen und Dialek- ten kann viele Fragen der vergleichenden Sprachkunde aufklä- ren … Jeder Dialekt beruht auf einer eigenthümlichen Einstel- lung, auf einer besondern Erziehung der Sprachwerkzeuge. Es erklärt sich hieraus, weshalb gewisse Reihen von Lauten eigen- thümlicher klingen oder nicht, warum eine bestimmte fremde Sprache von den Angehörigen des einen Landes leichter und besser, als von denen eines andern gesprochen wird, aus wel- chem Grunde einzelne Accente der Muttersprache nachklingen. Solche physiologische Betrachtungen erläutern häufig die Schick- sale, denen dasselbe Wurzelwort im Laufe der Zeiten oder in verschiedenen verwandten Sprachen unterworfen wurde, und selbst manche Verhältnisse der Quantität oder Metrik in über- raschender Weise.“ Ich sollte meinen, nicht bloß die „eigenthümliche Einstel- lung der Sprachwerkzeuge“, sondern auch ihre Form müsse bei verschiedenen Völkern verschieden sein, und beide müssen sich wechselseitig bestimmen. Wie nicht bloß die Gesichtszüge des Engländers, sondern auch die ganze Form des englischen Kopfes etwas Eigenthümliches hat, ebenso müssen auch seine Sprach- organe in entsprechender Weise eigenthümlich gebildet sein. Nun weiß man auch, wie eine gewohnte Arbeit die Entwickelung der Glieder, die bei derselben vorzüglich beschäftigt sind, in auffal- lender Weise bestimmt und diese Glieder besonders formt. Ein englisches Kind also, das im ersten Lebensjahre nach Frank- reich gebracht würde und die französische Sprache als Mutter- sprache erlernte, und ein anderes, das in Rußland russisch lernte, müßten beide ganz anders entwickelte und geformte Sprachor- gane bekommen, als die Engländer, aber auch andere, als die Franzosen und Russen, und jedes müßte andere Organe haben, als das andere. Meßbar freilich, anatomisch bestimmbar, mö- gen diese Verschiedenheiten nicht sein. Kann man aber einen mongolischen und einen europäischen Kopf ansehen und meinen, sie hätten nicht verschiedene Sprachorgane? Die Sprachen er- scheinen lautlich immer noch ähnlicher, als man nach kraniolo- gischen Verschiedenheiten vermuthen dürfte. Daß dieselben Wahrnehmungen sich bei den verschiedenen Völkern in verschiedenen Lauten reflectiren, kann eben so we- nig Wunder nehmen, als daß der Zorn und jeder andere Affect, jede Leidenschaft, sich auf verschiedenen Gesichtern doch ganz verschieden offenbart, und bei den Menschen verschiedene pa- thologische Erfolge hat. Den Einen treibt der Zorn zum To- ben; dem Andern benimmt er den Athem, daß er nicht spre- chen kann; dem Dritten erregt er einen Erguß der Galle. Kurz alles Leiden des Leibes in Folge von Seelenerregungen zeigt sich so mannigfach gestaltet je nach der individuellen Constitu- tion des Leibes, daß die Verschiedenheit der Lautreflexe auf dieselben Wahrnehmungen bei verschiedenen Völkern nicht auf- fallen kann. §. 133. Verschiedenheit in der innern Sprachform. Der wesentlichste Punkt der Sprachverschiedenheit beruht auf der innern Sprachform, auf der Weise, wie das instinctive Selbstbewußtsein die Anschauungen sich aneignet und in Vor- stellungen umsetzt. Wir haben oben die Sprache mit der sogenannten angebore- nen Idee, d. h. den allgemeinen Kategorien der geistigen Thä- tigkeit, zusammengestellt. Dies ist auch rücksichtlich des all- gemeinsten Punktes, auf dem die Sprache beruht, nämlich des Wandels der Anschauung in die Vorstellung, durchaus richtig. Ueber diesen Punkt hinaus aber bricht ein Unterschied hervor. Man vergesse nicht, daß die Vorstellung ein Doppeltes in sich schließt; denn sie ist die durch eine sprachliche Anschauung dargestellte Anschauung. Die sprachliche Anschauung ist Mit- tel; die durch dieses Mittel dargestellte Anschauung ist der In- halt und die eigentliche Sache der Vorstellung. Nennen wir nun diese Anschauung des Inhaltes vorzugsweise Vorstellung, so müssen wir sagen, daß es zwar für die Klarheit und voll- kommene Entwickelung der Vorstellung zum Begriffe höchst förderlich ist, wenn sie von einer parallel laufenden Entwicke- lung des sprachlichen Mittels, der innern Sprachform, begleitet wird; ja nach dem Einflusse, den die Sprache auf das Denken ausübt, wie wir ihn oben kennen gelernt haben, dürfen wir sicher behaupten, die Vorstellung, wenn sie nicht so weit von der in- nern Sprachform begleitet wird, als dies möglich ist, wird nie zu einer gewissen Höhe des Begriffs gelangen; aber es ist doch mit diesem Vortheil, welchen die Vorstellung für ihre Entwicke- lung aus der des Mittels ihrer Darstellung zieht, noch nicht ge- geben, daß die Entwickelung des einen Elements nothwendig eben so vor sich gehen müsse, wie die des andern. Die Vor- stellung entwickelt sich nothwendig in Bahnen, nach Formen und Gesetzen, die ganz unabänderlich und unausweichlich sind. Die drei Dimensionen des Raumes, die einfache Ausdehnung der Zeit, die Zahlenreihe, und alles was man Kategorien nennt, das Ding mit seinen Eigenschaften, Ruhe und Bewegung, Sein und Werden, Veränderung: das sind solche Formen geistiger Thä- tigkeit, welche die Natur des Geistes constituiren, von denen sich die Seele nicht losmachen kann, Organe und Gefäße des Geistes. Hiervon aber ist die wirkliche Thätigkeit des Geistes, das wirkliche Denken verschieden. Jene Formen sind allerdings der Seele nicht eingeboren, es sind nicht ihr anerschaffene Or- gane; sie haben sich selbst erst durch die Thätigkeit des Gei- stes gebildet. Aber nicht nur sind sie nothwendig der Seele entsprungen, und sind in allen Menschen unabänderlich diesel- ben, unserer Willkür völlig entzogen; sondern sie bilden sich auch bewußtlos aus und bleiben von dem größten Theile der Menschen unbeachtet. Nur die philosophische Bildung richtet die Aufmerksamkeit auf jene Kategorien, obwohl dieselben in je- dem Augenblicke des Denkens wirklich thätig sind: gerade wie die Gesetze des Blutumlaufes wirken, ohne daß sich der Mensch dessen bewußt wird, wenn er nicht Physiologie studirt. Jene Kategorien wirken also im Denken, wie die Gesetze in der Na- tur, unbekümmert darum, ob man ihrer bewußt wird. Sie sind mithin der Weise ihrer Entstehung und Existenz nach von al- lem sonstigen Inhalte des Geistes verschieden. Denn ob der Geist diese oder jene Kenntniß oder Vorstellung hat, hängt nicht von ihm selbst ab; die Kenntnisse werden ihm von außen gegeben: jene Kategorien aber werden ihm nicht gegeben; son- dern er bildet sie aus, indem er Vorstellungen bildet, sie seien, welche sie wollen, auf diesen oder jenen Theil der Welt be- züglich, wahr oder falsch. Die Kategorien sind darum auch ihrem Inhalte nach und in ihrem Verhältnisse zu den wirklichen Gedanken ganz eigener Art. Wie der Strom sich selbst sein Bett wühlt, so graben die Vorstellungen, welche der Geist faßt, in der Seele Bahnen, in denen sich die folgenden Vorstellungen ebenfalls weiter wälzen. Für das Bett ist es gleichgültig, ob das darin fließende Wasser aufgelösten Kalk oder Eisen ent- hält, oder ob es gar von flüssiger Lava ausgefüllt wird: solch ein Bett sind die Formen des Geistes. Sie bezeichnen nur Ver- hältnisse, deren Factoren die Wirklichkeit und das materiale Denken liefert; sie entspringen mit und an dem materialen Den- ken, wie Spuren, welche dieses auf seinem Wege zurückläßt. Ding und Eigenschaft z. B. sind zwei leere Plätze, die in Be- ziehung zu einander stehen, die aber erst durch das materiale Denken ausgefüllt werden müssen. Für uns ist es vorzüglich wichtig dies festzuhalten, daß diese Kategorien-Spuren, welche sich beim Denken durch das- selbe bilden, durchaus bewußtlos entstehen. Millionen Menschen unterscheiden fortwährend Dinge und Eigenschaften, ohne die Kategorien hiervon, Substanz und Attribut, im Bewußtsein zu haben. Das Kind, der Wilde urtheilt schon nach causalem Zu- sammenhange, ohne Bewußtsein über die Kategorie der Ursache. Diese Kategorien, Substanz, Ursache, leben also im Geiste des Wilden, sind energisch in ihm, werden ihm aber nicht bewußt. Wie könnte also die Entstehung dieser Kategorien von seinem Bewußtsein abhängen? sie entstehen von selbst mit und an dem Denken in nothwendiger Weise. Diese Kategorien gehören aber nicht der Sprache; denn sie gehören der Vorstellung, an der sie sich blind entwickeln, nicht der innern Sprachform; sie sind ein Product des geistigen In- stincts. Die innere Sprachform aber ist instinctives Selbstbe- wußtsein; nicht die ganze Vorstellung liegt in ihr, sondern nur so viel, als das instinctive Selbstbewußtsein von der materialen Anschauung erfaßt, und nur in der Weise, wie dies geschieht. Vorstellung oder materiale Anschauung und innere Sprachform stehen also unter ganz verschiedenen Gesetzen der Entwicke- lung: jene schafft sich ihre Bahnen und Formen mit unausweich- barer und unabänderlicher Nothwendigkeit, im blinden Drange; die innere Sprachform entwickelt, in einem Analogon von Selbst- bewußtsein, sich selbst ihre Formen, wie sie dieselben an der Anschauung aufzufassen versteht. Das instinctive Selbstbewußtsein ist also instinctive Frei- heit, ist Subjectivität, d. h. eine subjective Auffassung des Ob- jectiven; und somit ist die Möglichkeit zu der größten Verschie- denheit ihres Erzeugnisses, der innern Sprachform, gegeben. Diese wird bald gewisse Formen besitzen, bald nicht, bald sol- che und bald andere. §. 134. Tießter Grund der Sprachverschiedenheit. Diese Verschiedenheit des instinctiven Selbstbewußtseins kann aber nicht unbedingt sein; sie muß, so zu sagen, ihren genügenden Grund haben. Dieser ist ein doppelter: er liegt ursprünglich und am tiefsten in der geistigen Organisation der Völker, und dann auch in der Eigenthümlichkeit der Sprachor- gane und der Weise, wie diese die Anschauung reflectiren. Zu- nächst, auf der ursprünglichsten onomatopoetischen Stufe fällt die innere Sprachform mit dem Laute zusammen; das instinctive Selbstbewußtsein erwacht in und an dem reflectirten Laute. Was im Laute liegt, das ist der erste Inhalt des Selbstbewußtseins. Dann trennt sich die Entwickelung beider, aber doch nicht so, daß dadurch die engste Wechselwirkung zwischen beiden aus- geschlossen würde. Sie bestimmen sich gegenseitig, so lange sie sich bilden, und dieses Bilden hört genau genommen nie auf. Ueber diesen Zusammenhang der Verschiedenheit der Sprachen mit der der Völker selbst, wird unten noch einiges gesagt werden. 2. Organismus, Princip und Individualität der Sprache. §. 135. Man wird uns fragen, ob wir die Sprache einen Organis- mus nennen wollen? — Was soll uns aber, frage ich, ein Wort, das auf seinem einheimischen Boden niemals einen klaren Sinn gehabt hat und schon seit langer Zeit alle Bedeutung mehr und mehr zu verlieren droht? Doch sehen wir davon ab, welchen Sinn kann für uns das Wort organisch haben? Es kann nicht bestehen ohne seinen Gegensatz, das Unorganische; und wo läge für die Sprache ein solcher Gegensatz? Das Wort organisch könnte für uns nur einen übertragenen Sinn haben; denn die Sprache gehört wesentlich dem Geiste, ist ein geistiges Erzeugniß. Eine rein natürliche Bedeutung könnte es sicherlich nicht haben. Soll es uns nun andeuten, daß der Ursprung der Sprache in dem nothwendigen Gange der geistigen Entwickelung liegt? und noch specieller, im Zu- sammenhange von Seele und Leib? Man gestatte mir die Hoff- nung oder, wenn man will, die Einbildung, daß ich diese Punkte viel bestimmter erfaßt und gründlicher erörtert habe, als das Wort organisch auszudrücken vermag, und sie zugleich von al- len Schiefheiten und Uebertreibungen gereinigt habe, zu denen dasselbe veranlaßt hatte. Dies Wort hat seine Epoche aus- gelebt. In einer andern Beziehung könnte uns das Wort Organis- mus wichtiger werden, als es für Becker war, der die Indivi- dualität der Sprachen nicht zu erfassen vermochte, weil er nicht einmal ihre Verschiedenheit begriff. Indem wir nun hier von der Verschiedenheit der Sprachen reden, müssen wir eben be- merken, daß jede Sprache als eine vom instinctiven Selbst- bewußtsein gebildete Anschauung der äußern und innern Welt des Menschen anzusehen ist. Dieser instinc- tiven Welt- und Selbstanschauung liegt aber ein individuelles Princip zu Grunde; sie ist ein zusammenhängendes System, des- sen Theile alle einen gemeinsamen Typus tragen, der ihnen von dem Principe aufgeprägt ist, dessen Entwickelung sie sind. Durch diesen gemeinsamen Charakter geben sie sich kund als aus dem- selben Quell entsprungen und zu demselben Ziele wirkend, und dieser Quell und dieses Ziel ist eben ihr Princip. Diese in je- der Sprache liegende Einheit, welche daher rührt, daß das Ganze die Theile bestimmt, und jeder Theil als bestimmtes, besonde- res Glied des Ganzen charakterisirt ist, könnten wir mit dem Worte Organismus bezeichnen. Doch wozu? die gebrauchten Wörter tragen eine geistigere Bedeutung in sich; und so ziehen wir es vor, jede Sprache ein aus einem einheitlichen Principe geflossenes System, ein individuelles geistiges Gebilde, zu nen- nen. Der Grund aber dieser Einheit und Individualität der Spra- chen liegt in der Eigenthümlichkeit des Volksgeistes. Wir ha- ben schon im ersten Theile dieses Buches gezeigt, wie wir hier- mit ganz im Sinne Humboldts verfahren. Die individuelle Einheit, das besondere Princip jeder Sprache ist nach drei Seiten darzustellen: nach der Seite des Lautes an sich, der innern Form an sich, und des Verhältnisses beider zu einander. So liegt z. B. das Individuelle der semitischen Spra- chen schon in ihrem Alphabete und in der Verknüpfung der Laute. Vielleicht geschieht es ausschließlich in diesen Spra- chen, daß man Lautverbindungen wie tk, tp, kp im Anlaute des Wortes bildet. Ferner ist die innere Form dieser Sprachen durchaus individuell, und eben so ist es drittens die Weise, wie die innere Form durch die Lautform ihre Bezeichnung findet, wobei namentlich der Unterschied zwischen der Verwendung der Vocale und der der Consonanten eine so auffallende Erschei- nung darbietet. Höchst wichtig ist nun bei dem Princip der Sprachen die Consequenz, mit welcher es durchgeführt wird; und in dieser Beziehung, fürchte ich, sind die semitischen Spra- chen von dem Vorwurf der Inconsequenz nicht frei. Ihre Wort- beugung geschieht theils durch innern Wandel des Wurzelvo- cals, theils durch Affixa. Die Darstellung der Einheit der Sprachen zerfällt aber nach einer andern Beziehung in zwei Theile: Einheit des Wortschatzes, des materialen Elements der Sprache, und Einheit der Formbil- dung. In jedem dieser Theile treten die obigen drei Rücksich- ten auf. Die Einheit der Grammatik wird allemal eine engere sein, als die des Wortschatzes, und ist auch besser begriffen worden, als diese, rücksichtlich welcher noch Mißverständniß herrscht. Beckers verunglückten Versuch, die lexikalische Ein- heit darzulegen, haben wir schon kennen gelernt. Wir sehen aber jetzt seinen Fehler klarer. Er wendet sich an die Begriffe statt an die Sprachform, und so giebt er eine logische Constru- ction statt einer lexikalischen. Soll das System der Wörter einer Sprache gebildet wer- den, so ist als leitendes Prinzip die innere Sprachform in ihrem Zusammenhange mit dem Laute zu nehmen (vergl. Humboldt, Einl. S. 108 ff. oder CXXIV.). Zuerst sind die Wörter auf ihre Wurzeln zu reduciren, wobei mit aller Vorsicht die ur- sprünglichste Lautform und innere Anschauung der Wurzel fest- zustellen ist. Dann werden sich die Wurzeln, nach der Aehn- lichkeit ihrer Laute und ihrer innern Anschauung zugleich, in Gruppen oder Familien zusammenstellen. Es ist danach zu stre- ben, solcher Gruppen möglichst große und möglichst wenige zu erhalten. Doch muß man sich vor Uebertreibung hüten; es wird nicht bloß nicht möglich sein, die Wurzeln alle von einer abzuleiten, sondern auch nicht von zehn oder zwölf. Auch wird es Wurzeln geben, die ganz isolirt bleiben und sich gar keiner Gruppe anschließen. Für die hebräische Sprache und für die griechische hat man solche Gruppirung der Wurzeln schon längst versucht, indem man Wurzeln, welche ein wesent- liches consonantisches Element gemeinsam haben, so daß sie wie Variationen eines Wurzellautes erscheinen, und welche zu- gleich eine verwandte Bedeutung haben, zusammenfaßte; z. B. hebr. qārā (rufen), engl. to cry, hebr. kāras, κϱάζω κϱώζω, κη- ϱύσσω; oder hebr. zāhal, zāhar, sāhar, hālal, zālal; zāchā, zachar; zāhā, zāhab; sāhā, sāhab; tāhar, tāchar, welche alle in verschie- denen Abstufungen und Färbungen das Hell ausdrücken, das Glänzen, das Reine, das Gelbe (Gold), das moralisch Reine, den hellen Klang; oder das griechische κέλλω, κίλλω, κυλίνϑω, ἴλλω, εἴλω, ἑλίσσω u. s. w. Schon hierbei kann man wahrnehmen, wie dieselbe Grund- bedeutung sich mannigfach umgestaltet durch verschiedenartige Färbung und metaphorische Verwendung. Das Wichtigste bleibt aber, die eigenthümlichen Grundsätze aufzufinden, nach denen in der Sprache sowohl durch Wortbildung, als im Laufe der Zeit, mit der Entwickelung des Geistes, die Grundbedeutungen sich entwickeln. Diese Einheit der in allen Bildungen, Wand- lungen und Ableitungen herrschenden Gesetze ist die wahre Ein- heit des Wortschatzes. 3. Allgemeines Kategorienschema. §. 136. Es hat sich unter dem Einflusse der aristotelischen und auch der stoischen Philosophie eine besondere Disciplin gebil- det: die philosophische Grammatik, welche die Absicht hat, ein für alle Sprachen gültiges Kategorienschema aus der Natur der Sprache und des Gedankens als absolut nothwendig und a priori bestimmbar abzuleiten. Dieses Schema soll ein Skelett sein, das nur mannigfach umkleidet ist. Auch komme es vor, daß dort gewissermaßen ein Knochen sich in zwei getheilt habe, hier zwei zusammengewachsen seien; oder daß der eine sich zu kräf- tig entwickelt habe, und darüber der andere gänzlich verloren gegangen sei. Dieses Schema umfaßt nun sowohl den Wort- schatz, als auch besonders die Grammatik. Es fragt sich: ist eine solche Disciplin, eine allgemeine Grammatik, berechtigt und möglich? Sehen wir von der angeb- lichen aprioristischen Ableitung ab, die doch nur eine Täuschung ist, so liefern die philosophischen Grammatiken die vorzüglich- sten, wenn nicht alle Kategorien der am höchsten organisirten Sprachen. Dabei hat man jedoch, weil man die logischen For- men in der Sprache suchte, die Bedeutung der grammatischen Formen verkannt. Hiervon aber auch abgesehen, wird also ein Sprachskelett geliefert, welches nur für den einen Sprachstamm, den sanskritischen, wirklich gültig ist, wenigstens ungefähr; denn vollständig paßt es für keine der zu diesem Stamme gehörenden Sprachen. Diese Arbeit könnte, nach richtigen Grundsätzen un- ternommen, sehr bedeutend werden, wenn man nämlich, zunächst rein empirisch verfahrend, die Bedeutung der allen Sprachen des Stammes gemeinsamen Formen entwickelte, darauf dieselbe ratio- nell aus der Eigenthümlichkeit des Sprachstammes begründete; dann aber gerade die Verschiedenheit der einzelnen Sprache her- vorhöbe und aus dem individuellen Formprincipe derselben ab- leitete. Dies würde eine allgemeine und rationelle Grammatik des sanskritischen Sprachstammes geben. Für die übrigen Stämme aber müßten besondere Arbeiten unternommen werden; denn für sie ist das sanskritische Kategorienschema nicht gültig. Man meint, alle Sprachen erfüllen trotz ihrer Verschieden- heit den Zweck, Ausdruck des Gedankens zu sein. Um diesem Zwecke zu genügen, müssen sie gewisse allgemeine Forderungen erfüllen, welche sich aus demselben nothwendig ergeben. Diese Forderungen nun sollen eine Grundlage bilden, auf welcher alle Sprachen, auch die verschiedensten, mit einander verglichen wer- den können, indem man bei jeder einzelnen untersuche, in wel- cher Weise sie den Forderungen nachzukommen strebe. Die Gesammtheit derselben würde also einen festen Ausgangspunkt für die Erforschung der Verschiedenheiten gewähren und einen sichern Maßstab darbieten, um danach die Höhe der Organisa- tionsstufe zu bestimmen. Ferner sagt man: die logischen und metaphysischen For- men des Gedankens sind gegeben und stehen ein für alle Mal fest. Sie werden aber in der Sprache irgendwie ausgedrückt, wenn auch mehr oder weniger rein und vollständig. Sie bilden also das einende Band aller Sprachen, und es muß mithin im- mer möglich sein, zu fragen: „wie wird diese oder jene logische Form in den verschiedenen Sprachen dargestellt?“ Eben so, sagt man, verhalte es sich mit dem Thierreiche. Die Thiere mögen noch so verschieden sein: man kann sie doch mit einander vergleichen, z. B. selbst die Mücke mit dem Ele- phanten, wenn auch nicht in der Weise, wie letztern mit dem Pferde. Der Begriff des Thieres nämlich schließt gewisse For- derungen in sich, denen jedes Wesen, welches ein Thier sein soll, entsprechen muß, als z. B. Athmen, Verdauen. Diese For- derungen des Begriffs bilden die Einheit aller Thiere, und nun wird erst ihre Verschiedenheit recht klar, wenn man bei jeder Art danach fragt, wie sie die allgemeinen Forderungen des Be- griffs erfülle. Ganz ebenso verhalte es sich mit den Sprachen, welche gewisse Punkte gemein haben müßten, wären diese auch an sich ganz abstract, weil sie vom Begriffe der Sprache un- ausweichlich gefordert würden. Diese Anschauungsweise aber, entgegnen wir, ist falsch. Solche allgemeine Forderungen seitens der Logik oder eines andern Systems existiren für die Sprache nicht; denn die Spra- che ist vor der Logik und vor dem verständigen Denken. Man vergegenwärtige sich unsere obige Darstellung, und man wird begreifen, wie völlig unangemessen jede Forderung ist, die an die Sprache, d. h. an die Gestaltung der innern Sprachform, ge- stellt wird. Wir sahen zunächst die Anschauung: sie ist form- los, d. h. hat keine Gedankenform. Die erste Form, die der Geist während seiner Denkthätigkeit aus sich bildet, ist dieje- nige, in welcher das instinctive Selbstbewußtsein die Anschauung auffaßt und dadurch zur Vorstellung umwandelt. Auf diesem Wandel der Anschauung in die Vorstellung beruht alle Sprache, und die Sprache bleibt immer auf ihn beschränkt. Sie geht also aller Logik voran; sie schafft ihre Formen vollständig, be- vor die Logik die ihrigen ausbildet. Sprache und Logik ent- wickeln ganz unabhängig von einander ihre Formen. Und es ist gar nicht wahr, daß die Sprache den Gedanken ausdrückt; sie bedeutet ihn wohl, aber drückt nur aus, was sie an der An- schauung erfaßt, und wie sie es erfaßt. Selbst insofern die Sprache den Begriff und das rein logische Urtheil darstellt, z. B. Gott ist absolut , geschieht dies nicht so, daß die Logik mit der Sprache unterhandelte: „dies soll ausgedrückt werden; es steht dir aber frei, es in einer beliebigen Weise zu thun: dies fordere ich; du magst es aber erfüllen, in welcher Form und Gestalt dir beliebt“. Sondern die Sprache behandelt auch die ihr dar- gebotenen Begriffe wie die Anschauungen; d. h. die Begriffe werden Gegenstand des instinctiven Selbstbewußtseins, und die- ses erfaßt dieselben nach seiner Weise, wie es kann, unbeküm- mert um jede Forderung, in seiner naiven und durchaus indivi- duellen Weise. Das instinctive Selbstbewußtsein bildet sich selbst eine Logik, und in den verschiedenen Volksgeistern in verschiedener Weise. Folglich sind wir auch nicht im Stande, die verschiedenen Logiken, welche in den Sprachen liegen, sei es unter einander, oder mit unserer systematischen Logik zu vergleichen, wenn sich die Aehnlichkeit nicht von selbst voll- ständig darbietet. Vergleichen freilich kann man alles: das beweisen Witz und Humor. Die vergleichende Wissenschaft aber will durch Ver- gleichung das Wesen der Dinge, ihr Werden, erkennen, und darf nicht in witzige Spielerei ausarten. Die comparative Ana- tomie war eine kurze Zeit solcher Gefahr ausgesetzt; jetzt ist sie längst überwunden. Man sieht ein, daß man die Constru- ction der Gliederthiere nicht besser begreift, wenn man, sie mit den Wirbelthieren vergleichend, annimmt que les Articulés sont des Vertébrés renversés sur le dos . Man hat freilich eine Ein- heit der menschlichen Hand und des Pferdehufes gefunden, wenn man sagt, sie seien beide das letzte Glied der vordern Extre- mitäten; aber was wird damit erkannt? Der Satz: ich werde von dir geliebt enthält eine Umkehrung der logischen Con- struction, nach welcher ich das Leidende, also das Object, und von dir das Subject wäre; und so verhält sich, wie wir oben schon gezeigt haben, die Sprache zur Logik, und eine Sprache zur andern, gar oft wie das Gliederthier und Weichthier zum Wirbelthier. Wir stoßen auf irrationale Größen, die keine Ver- gleichung gestatten. Man hat also erstlich jeden Sprachstamm für sich selbst zu betrachten, und weder mit einem andern, noch mit irgend welcher allgemeinen, über diesen Stamm hinausliegenden Sprach- form oder gar logischen Kategorientafel zu vergleichen. Dann ist, zweitens, jedes Formschema, welches allen Sprachen gemein- sam angehören sollte, und zumal a priori bestimmbar wäre, ein Unding; weil, drittens, Logik und Grammatik völlig irrationale Größen sind, und jede Sprache eine rein subjective Schöpfung von Formen und Kategorien ist, entstanden unter subjectiven Ein- flüssen, die außerhalb jeder Berechnung liegen. Die innere Sprachform hört auf keine andern Forderungen, als diejenigen, die sie sich selbst stellt; und daß sie sich gerade diese stellt, geht aus den Formen hervor, welche sie gebildet hat. Aus den Formen jeder Sprache also sind die Forderungen kennen zu ler- nen, welche jede an sich stellt; denn für die Sprachen ist zwi- schen ihren Forderungen und ihren Leistungen kein Zwischen- raum, da sich diese wie Ursache und Wirkung zu einander ver- halten. Bei Abfassung der Wörterbücher wird von einem doppel- ten Punkte ausgegangen, indem theils das Wort der zu erklä- renden Sprache durch die bekannte Sprache erläutert, theils an- gegeben wird, welches Wort der fremden Sprache einem be- stimmten Worte der bekannten Sprache entspricht. So könnte es auch eine doppelte Grammatik geben; und es könnte gefor- dert werden, man sollte ein Mal die vorhandenen Formen der fremden Sprache darstellen und durch die entsprechenden Formen unserer eigenen Sprache oder durch genaue Angabe ihres Werthes erklären, das andre Mal aber von einer allgemeinen abstrac- ten Grammatik ausgehend, angeben, welche Form der zu bear- beitenden Sprache einer bestimmten Form der abstracten Gram- matik entspreche. Wie man also Wörterbücher zum Ueber- setzen aus der einheimischen in die fremde Sprache hat, so muß es auch eine Grammatik geben, welche zeigt, wie die Formen der einheimischen oder besser einer allgemeinen Grammatik durch 25 die Formen der fremden Sprache wiederzugeben sind. Und in diesem Sinne sind ja die meisten Grammatiken bisher wirklich gemacht. Wir haben aber hierauf mit einer alten, vielfach wie- derholten Bemerkung zu erwiedern. Es läßt sich wohl alles ungefähr aus einer Sprache in die andere übersetzen, aber eben nur ungefähr; man weiß, wie die Wörter zweier Sprachen für dieselbe Vorstellung sich meist wie Synonyma verhalten, d. h. neben der Gleichheit der Bedeutung einen feinen Unterschied zeigen. Diese Verschiedenheit der Wörter verschiedener Spra- chen wird noch größer, wenn man auf die innere Sprachform, d. h. die Etymologie, zurückgeht. Unser Sohn und Tochter sind nicht die lateinischen filius und filia , wie sie es auch juristisch, im Verhältniß zu den Eltern, nicht sind. Gemeinsam haben jene Wörter nur das reale Verhältniß, welches aber jenseits der Sprache liegt. Ein solches Gemeinsames findet sich aber nicht einmal überall, sondern nur da, wo dasselbe Ding nothwendig zu benennen war. Wo es aber auf abstracte Begriffe ankommt, wo also das zu Bezeichnende selbst erst zu erschaffen war, da fehlt oft geradezu ein dem Worte der einen Sprache entspre- chendes der andern, weil das andere Volk diesen Begriff nicht gebildet hat. Auch hat man immer erkannt, daß nur die Wör- terbücher, welche die darzustellende Sprache zum Ausgangspunkte nahmen, den wirklichen Wortschatz dieser Sprache darstellen und die wahrhafte Bedeutung der Wörter angeben. Und bei der Grammatik sollte es anders sein? hier, wo es sich nur um abstracte Formelemente handelt? wo alles, was bezeichnet wer- den soll, selbst erst innerlich, subjectiv erkannt, geschaffen wer- den muß; wo nichts gegeben ist, sondern alles auf der Energie des instinctiven Selbstbewußtseins beruht? Welche Formen hat eine Sprache? Das soll die Grammatik lehren; nicht aber: wel- che Form entspricht dieser deutschen, jener lateinischen, oder einer abstract logischen? Denn dies ist oft unsagbar, weil gar keine genau entspricht. Endlich sei noch bemerkt, daß der allgemeinen Gramma- tik, als dem gemeinsamen Kategorienschema aller Sprachen, die oberflächlichste und abstracteste Bedeutung des Allgemeinen zu Grunde liegt. Das wahrhaft Allgemeine ist völlig untrennbar von dem Einzelnen, dessen schöpferische Kraft es ist. Doch dies führt auf 4. Die Classification der Sprachen. §. 137. Sie stellt das allgemeine Wesen der Sprache dar, wie es sich in den einzelnen Sprachen in individuellen Formen verwirk- licht hat, und ist die wahre allgemeine Grammatik. Sie stellt jede Sprache dar als eine individuelle Verwirklichung des Be- griffs der Sprache, und zeigt die Einheit der Sprachen, indem sie dieselben sämmtlich zu einander in Beziehung setzt und nach der Verwandtschaft und Würde ihrer Organisation zu einem Systeme zusammenstellt. Ich will hier nicht weiter auf diesen Punkt eingehen; es wäre mehr darüber zu sagen, als der beabsichtigte Umfang die- ses Buches erlaubt Nur muß ich bemerken, daß seit dem Erscheinen meiner Schrift „die Classification der Sprachen, dargestellt als die Entwickelung der Sprach- idee“ auch Böhtlingk über diesen Punkt sich geäußert hat, jedoch in einer wenig befriedigenden Weise. (Böhtlingk, Ueber die Yakutische Sprache). Ich kann nur bedauern, daß ein so verdienstvoller Mann sich auf ein Gebiet ein- lassen konnte, wo er nicht einheimisch ist, auf Probleme eingehen konnte, de- ren Wesen er nicht begriffen hat. Ich würde aus Achtung vor seinen vor- trefflichen Leistungen auf dem historischen Sprachboden dies gern ignorirt haben, wäre ich nicht öffentlich (durch Pott ) aufgefordert worden, zu sagen, was ich über seine Ansicht und seine Bekämpfung der meinigen denke. Ueber letztere muß ich hier schweigen, da es besser ist, nichts zu sagen, als ein Weni- ges statt des Vielen, was zu sagen wäre, hier aber nicht gesagt werden kann. In einem Seitenstücke zum vorliegenden Buche, in einer Arbeit über die Me- thode der Grammatik, werde ich Gelegenheit haben, auf alles hier in dem Abschnitte über die Verschiedenheit der Sprache nur Angedeutete ausführlich zurückzukommen. Was aber Hrn. Böhtlingks sogenannte eigene Ansicht be- trifft, die keineswegs neu ist, sondern schon im Mithridates, wenn nicht Ade- lungs, wenigstens Vaters, vorliegt: so genügt dagegen eine Verweisung auf Humboldts Einleitung in die Kawi-Sprache S. CCLXVIII oder 252. . 5. Sprachwissenschaft als Moment der Völkerpsycho- logie. Wir haben schon in unsern Vorbemerkungen gesagt, daß die Sprache nicht bloß als eine Seelenthätigkeit, wie jede an- dere, ein Gegenstand psychologischer Betrachtung ist, sondern daß auch der Nachweis ihrer Entstehung, ihres Wesens im All- gemeinen, ihrer Stellung in der Entwickelung und Thätigkeit des 25* Geistes einen eigenthümlichen und wesentlichen Ahschnitt in der Psychologie bildet. Mit unserer ganzen Darlegung der Sprache und Grammatik überhaupt bis an die Wirklichkeit der verschie- denen Sprachen bewegten wir uns durchaus auf psychologischem Gebiete. Auch mit der Verschiedenheit der Sprachen treten wir noch nicht aus diesem Gebiete heraus; wir verlassen nur die eine Provinz desselben, auf welche heute allerdings die Psycho- logie noch beschränkt ist, treten aber in eine andere, die nicht minder zu ihm gehört, obwohl sie nur erst sehr gelegentlich bearbeitet worden ist. Die heutige Psychologie nämlich ist in- dividuelle Psychologie, d. h. ihr Gegenstand ist das seelische Individuum, wie es sich ganz allgemein in jedem beseelten We- sen, dem Menschen und auch, bis auf einen gewissen Punkt, dem Thiere offenbart. Nun ist es aber eine wesentliche Bestim- mung der menschlichen Seele, nicht ein für sich allein stehen- des Individuum zu sein, sondern einer Gemeinschaft anzugehö- ren, und zwar zunächst, leiblich und seelisch, einem Volke . Und so verlangt die individuelle Psychologie wesentlich eine Ergänzung durch die Völkerpsychologie . Durch Geburt gehört der Mensch einem Volke an, und er wird hierdurch in seiner geistigen Entwickelung mannigfach bestimmt. Das Indi- viduum kann also gar nicht vollständig begriffen werden ohne Rücksicht auf die geistige Gesammtheit, in der es entstanden ist und lebt. §. 138. Aufgabe der Völkerpsychologie überhaupt. Die Völkerpsychologie, sagen wir, ist nicht nur eine neue Wissenschaft; sondern sie ist noch nicht einmal als solche, als ein zusammenhängendes System von Begriffen und Erkenntnis- sen, gegründet. Wir wissen wenigstens noch immer nichts wei- ter darüber anzuführen, als einen Aufsatz von Dr. Lazarus im deutschen Museum von 1851. Andeutungen zu einer solchen Wissenschaft finden sich indessen allerdings bei unsern großen Denkern. Ich erwähne hier nur Herbarts Bemerkungen über die Anwendung der mathematischen Psychologie auf staatliche und gesellschaftliche Verhältnisse in der Einleitung zu seiner Psy- chologie; und führe noch eine sehr klare Aeußerung über un- sere Wissenschaft von Carl Ritter an, dem Schöpfer der wis- senschaftlichen Geographie, einem Naturforscher, der umfassende Kenntniß und Tiefe des Gedankens in seltener Weise vereinigt. Er sagt (Erdkunde I, S. 19), er mache es sich zur Aufgabe: „alle wesentlichen Naturverhältnisse darzulegen, in welche die Völker auf diesem Erdenrunde gestellt sind, und es sollen aus diesen alle Hauptrichtungen ihrer entwickelten Zustände, welche die Natur bedingt, hervorgehen. Wäre dieses Ziel dann wirk- lich erreicht: so würde eine Seite der Historie im Allgemeinen einen Fortschritt gewonnen haben, indem das erregende Wesen der Antriebe der äußern Naturverhältnisse auf den Entwicke- lungsgang der Menschheit, welche dem Forscher der Alten schon mehr als der Neuern Geschichte manche Aufschlüsse gegeben haben, dadurch zu größerer Klarheit gekommen sein müßte. Es bliebe ein anderes Gebiet, das der innern Antriebe der von dem Aeußern unabhängigen rein geistigen Na- tur in der Entwickelung des Menschen, der Völker und Staaten, zur vergleichenden Untersuchung übrig, als würdiger Gegenstand einer leicht noch glücklichern Betrachtung und nicht minder lohnenden Forschung“. So spricht ein Mann, der bei seiner speciellen Wissenschaft die Gesammtheit der wis- senschaftlichen Bestrebungen im Auge behält. Seine Andeutung genügt wohl, das Wesen unserer Wissenschaft klar zu machen. Wie könnten wir endlich Humboldts vergessen, der die sie- ben ersten Paragraphen seines großen Werkes ganz Betrach- tungen gewidmet hat, welche die Grundlage der Völkerpsycho- logie bilden, wie: der Zusammenhang der Völker zu einer Ein- heit des Menschengeschlechts, Zusammenwirken der Individuen und Nationen u. s. w. §. 139. Das Volk als geistige Individualität. Das Volk ist das Subject der Völkerpsychologie. Es ist aber, wie der einzelne Mensch, im Verhältnisse zu den andern Völkern und zur Menschheit eine Individualität. Die Grund- lage derselben sind die eigenthümlichen körperlichen Verhält- nisse, sowohl die leiblichen, als die der umgebenden Natur. Diese darzulegen — und wer könnte ihre Wichtigkeit für das geistige Leben läugnen? — ist Aufgabe der Erdkunde und physischen Ethnologie. Auf dieser körperlichen Grundlage, zum Theil zwar sicherlich unabhängig von derselben, aber immer in Wechselwir- kung mit ihr, von ihr bestimmt und sie bestimmend, und von dieser selbstthätigen Bestimmung die Rückwirkung empfindend, erhebt sich die geistige Individualität des Volkes, der Gegen- stand der Völkerpsychologie. §. 140. Der Einzelne und das Volk. Wir können uns den Menschen gar nicht anders denken, denn als sprechend und folglich als Glied einer Volksgemein- schaft, und folglich die Menschheit nicht anders, denn als ge- theilt in Völker und Stämme. Jede andere Auffassung, die den Menschen nimmt, wie er vor der Bildung der Völker und Spra- chen war, kann eine nothwendige wissenschaftliche Fiction sein, wie die mathematische Linie, der mathematische Punkt, der Fall im luftleeren Raume; ergreift aber den Menschen keineswegs nach seinem wirklichen Dasein. Die Völkerpsychologie versetzt uns also sogleich mitten in die Wirklichkeit des menschlichen Lebens mit der Geschiedenheit der Menschen nach Völkern und kleinern Gemeinschaften innerhalb dieser. Jedes Volk nun bildet eine abgeschlossene Einheit, eine in- dividuelle Darstellung des menschlichen Wesens; und alle Indi- viduen desselben Volkes tragen das Gepräge dieser individuellen Natur des Volkes an ihrem Leibe und an ihrer Seele. Diese Gleichheit rührt nach der leiblichen Seite her von der Gleich- heit des Blutes, d. h. der Abstammung, ferner der äußern Ein- flüsse der Natur und der Lebensart; für die Gleichheit der See- lenbildung aber kommt in Betracht das Zusammenleben, d. h. das Zusammendenken. Es wird ursprünglich nur in Gemein- schaft gedacht; jeder knüpft seinen Gedanken an den eines An- dern seines Stammes, und der daraus gebildete neue Gedanke gehört also sogleich dem Andern eben sowohl, als ihm, wie das Kind dem Vater und der Mutter gehört. Der gleiche Leib und die gleichen Eindrücke von außen erzeugen gleiche Gefühle, Neigungen, Begehrungen, und diese wiederum gleiche Gedanken, gleiche Sprache. Den Menschen als nur im Volke lebend den- ken können: das heißt sogleich, ihn nur als gleich mit vielen Individuen —, das heißt, den Begriff Mensch nur als verschie- dene Volkseinheiten, deren jede viele gleichgestimmte Individuen umfaßt, denken können. §. 141. Producte des Volksgeistes. Die Einwirkung der körperlichen Einflüsse auf die Seele verursacht gewisse Neigungen, Richtungen, Anlagen, Eigenschaf- ten des Geistes, und zwar bei allen Individuen in gleicher Weise, weswegen sie alle denselben Volksgeist haben. Dieser Volks- geist thut sich kund zunächst in der Sprache, dann in Sitten und Gewohnheiten, Institutionen und Thaten, Ueberlieferungen und Gesängen: dies sind die Erzeugnisse des Volksgeistes. § 142. Eintheilung der Völkerpsychologie. Die Völkerpsychologie gliedert sich in folgende Zweige: sie ist, erstlich, analytisch, indem sie die allgemeinen Gesetze darlegt, nach welchen die im Volksleben wirkenden Kräfte sich entwickeln und in einander eingreifen; sie ist synthetisch, in- dem sie aus dieser Wirkungsweise der Kräfte die einzelnen Pro- ducte entwickelt, und dieselben als einen aus vielfachen Organen und Functionen zusammengesetzten Organismus betrachtet, und zwar zunächst als einen auf sich fest beruhenden und in seiner Constitution beharrenden, dann aber auch als sich in einem ge- schichtlichen Leben entwickelnd; sie ist endlich psychische Ethnologie, indem sie alle Völker der Erde als ein Reich von Volksgeistern nach seinen individuellen Gestalten dar- stellt. So bildet die Völkerpsychologie die allseitige Grundlage zur Philosophie der Geschichte . §. 143. Sprache und Volksgeist. Ueberall in diesen Betrachtungen nun spielt die Erforschung der Sprache die bedeutendste Rolle, und die Sprachwissenschaft führt am lebendigsten in die Völkerpsychologie ein; ja, wie die Entwickelung des allgemeinen Wesens der Sprache geradezu ein Capitel der individuellen Psychologie ist: so ist die Erforschung der individuellen Sprachen als eigenthümlicher Verwirklichungs- formen der Sprache überhaupt und als besonderer einheitlicher Systeme einer instinctiven Weltanschauung, deren jedes sein be- sonderes Princip hat, ein Capitel aus der psychischen Ethno- logie. Denn wenn man auch die Entstehung und Entwickelung der Sprache überhaupt aus dem individuellen Geiste heraus zu verfolgen hat — wiewohl man auch hierbei schon auf den Men- schen als ein gesellschaftliches Wesen stößt —: so fragt sich nun, wenn man die wirkliche, geschaffene, und also sogleich in- dividuelle Sprache betrachtet: wem gehört sie? wer hat sie geschaffen? Nicht das Individuum an sich; sondern das Individuum spricht in Gesellschaft. Indem es sprechend die Sprache schuf, ward es verstanden; folglich war das was der Eine sprach, und wie er es sprach, schon bevor er dies gethan hatte, eben so im Geiste des Hörenden. Der Sprechende hat also zugleich aus seiner Seele und aus der des Hörenden die Sprache geschaffen, und so gehört das gesprochene Wort nicht bloß ihm, sondern auch dem Andern. Die Sprache ist also wesentlich Erzeugniß der Gemeinschaft, des Volkes. Nannten wir die Sprache das instinctive Selbstbe- wußtsein, eine instinctive Weltanschauung und Logik: so be- deutet dies also, daß sie das Selbstbewußtsein, die Welt- anschauung und Logik des Volksgeistes ist. Wie muß also auf alle Principien der Völkerpsychologie seitens der Sprache das hellste Licht fallen! Die Einheit der Individuen als Volk spiegelt sich in der gemeinsamen Sprache ab; die bestimmte Individualität des Volksgeistes kann sich nir- gends klarer abdrücken, als in der individuellen Form der Spra- che; ihr individuell gestaltendes Princip ist der eigentlichste Kern des Volksgeistes; das Zusammenwirken des Individuums mit sei- nem Volke beruht vorzüglich auf der Sprache, in der und durch welche er denkt, und die doch seinem Volke gehört. Und auf das Innigste durchdringen sich die Geschichte der Sprache und die geschichtliche Entwickelung des Volksgeistes, die Bildung neuer Völker und neuer Sprachen. Der Verfall des lautlichen Baues der Sprachen und dagegen die feinere Ausbildung der innern Form ist einer der wichtigsten Punkte für die Erkennt- niß des individuellen Volksgeistes. Hiermit beschließen wir diese Andeutungen über die Völ- kerpsychologie und unser Buch überhaupt. Unsere Aufgabe, das Princip der Grammatik fest zu bestimmen, sie von der Lo- gik scharf abzuscheiden und ihren Zusammenhang mit der Psy- chologie zu zeigen, ist im Vorliegenden gelöst, so gut dies mög- lich war, ich sage nicht: nach den heutigen Umständen über- haupt, sondern nur nach meinen Mitteln und Verhältnissen. Möge auch in dieser Beschränktheit meine Arbeit die Wissenschaft fördern! AUSZUG AUS DEM LINGUISTISCHEN VERLAGSKATALOGE VON FERD. DÜMMLER’S VERLAGSBUCHHANDLUNG. DE PRONOMINE RELATIVO commentatio philosophico- philologica cum excursu de nominativi particula. Scripsit H. Steinthal , Dr. Adjecta est tabula lithographica signa sinica continens. 1847. gr. 8. 20 Sgr. Der Verfasser sucht die Bedeutung des Pronomen relativum für das Satzgefüge aufzufinden. Die Untersuchung beginnt mit dem einfachsten Satze. Indem nämlich der Verfasser sogleich von Anbeginn die philo- sophische Reflexion mit den Thatsachen verbindet und nach der gegen- seitigen Durchdringung beider strebt, zeigt sich, daß in den niedriger stehenden Sprachen das Pronomen relativum schon zur Bezeichnung der einfachsten Satzverhältnisse, vorzüglich aber als Partikel des Attributs verwandt wird. Stufenweise wird die weitere Entwickelung des Satzes, die schärfere Absonderung und formelle Ausbildung des Pronomen re- lativum, wie endlich in immer steigender Vollendung der Organisation der Sprachen verfolgt, welche drei Punkte, als mit einander Hand in Hand gehend, in engerem Zusammenhange betrachtet werden. Diese kleine Schrift, die erste des Verfassers, enthält den Keim zu allen sei- nen folgenden Arbeiten und ist besonders ein guter Kommentar zu sei- ner Classification der Sprachen. DIE SPRACHWISSENSCHAFT WILHELM VON HUMBOLDT’S und die Hegelsche Philosophie von Dr. H. Steinthal . 1848. gr. 8. geh. 20 Sgr. Es lag dem Verfasser zunächst und zu allermeist daran, die Unhalt- barkeit der dialektischen Methode Hegels dadurch zu beweisen, daß er zu zeigen suchte, wie diese über sich selbst zur genetischen hinaustreibt, welcher Wilhelm v. Humboldt huldigt. Hierauf giebt er eine Darstel- lung der Grundlagen und des Ziels der Sprachwissenschaft Humboldt’s mit beständiger Zurückweisung der unberechtigten Forderungen und gehaltlosen Leistungen der Dialektik. VERZEICHNISS SPRACHWISSENSCHAFTLICHER WERKE. DIE CLASSIFICATION DER SPRACHEN dargestellt als die Entwickelung der Sprachidee von Dr. H. Stein- thal . 1850. gr. 8. geh. 15 Sgr. Diese Schrift enthält zuerst eine Kritik der bisherigen Sprachclassi- ficationen und damit der heutigen Sprachwissenschaft überhaupt. Be- sonders ausführlich wird Wilhelm v. Humboldt nach seiner genialen, wie nach seiner mangelhaften Seite dargestellt. Darauf giebt der Verfasser nach einer neuen Auffassungsweise des Wesens der Sprache eine Ein- theilung der Sprachen in dreizehn Classen nach einer den natürlichen Pflan- zen- und Thiersystemen analogen Methode. DER URSPRUNG DER SPRACHE im Zusammenhange mit den letzten Fragen alles Wissens. Eine Darstel- lung der Ansichten Wilhelm von Humboldts, ver- glichen mit denen Herders und Hamanns von Dr. H. Steinthal . 1851. gr. 8. geh. 15 Sgr. Es lag dem Verfasser vorzüglich daran, die Gebildeten überhaupt, besonders aber die Metaphysiker und Psychologen auf die hohe Wich- tigkeit der Frage nach dem Ursprunge der Sprache dadurch aufmerksam zu machen, daß er den Zusammenhang derselben mit dem Verhältniß von Gott und Menschen, Unendlichem und Endlichem, Leben und Tod, Allgemeinem und Einzelnem nachwies. Außerdem hat er seine früheren Arbeiten über W. v. Humboldt hiermit ergänzen gewollt. DIE ENTWICKLUNG DER SCHRIFT. Nebst einem offenen Sendschreiben an Herrn Prof. Pott . Von Dr. H. Steinthal . 1852. gr. 8. geh. 22½ Sgr. Diese Abhandlung zerfällt in einen allgemeinen und einen besondern Theil. Im erstern wird der Begriff der Schrift erörtert, wobei der Verf. in seiner bekannten Weise an W. v. Humboldt anknüpft, ihn kritisirend, begründend und weiterführend. Sein Gesichtspunkt ist der psychologi- sche, von welchem aus im andern Theile der Abhandlung die verschiede- nen Schriftarten als die Entwicklungsstufen des Begriffes der Schrift in folgender Reihenfolge dargestellt werden: Die Schriftmalerei der wilden Nordamerikaner und der Mexikaner; die Bilderschrift der Chinesen und Ae- gypter, welche mit einander verglichen werden. Den übrigen bekannteren Schriftarten, welche leichter erledigt werden konnten, wird in der Ent- wicklungsreihe, die endlich mit den Runen schließt, die ihnen gebüh- rende Stelle angewiesen. — Das Sendschreiben stellt des Verf. Verhält- niß zu Humboldt dar und bespricht die innere Form und die Classi- fication der Sprachen. FERD. DÜMMLER’S VERLAGSBUCHHANDLUNG IN BERLIN. GRAMMATIK, LOGIK UND PSYCHOLOGIE, ihre Principien und ihr Verhältniß zu einander, von Dr. H. Steinthal , Privatdocenten für die allgemeine Sprach- wissenschaft an der Universität zu Berlin. 1855. gr. 8. geh. 2 Thlr. 15 Sgr. In diesem Buche stellt der Verfasser, dessen frühere kleine Schrif- ten eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit erregt haben, seine sprachwissen- schaftliche Grundansicht in erwünschter Ausführlichkeit dar. Sein Be- mühen ist vorzüglich darauf gerichtet, den Begriff der innern Sprachform zu entwickeln, hierdurch der Grammatik einen eigenthümlichen Boden anzuweisen, sie besonders scharf von der Logik abzuscheiden und mit der Psychologie in enge Verbindung zu bringen. Das Buch zerfällt in drei Theile: der erste weist die falsche Begründung durch die Logik zurück; der zweite stellt ausführlich das Verhältniß zwischen Logik und Grammatik dar, wobei die wichtigsten Punkte dieser beiden Wissen- schaften vergleichend zur Sprache kommen; der dritte, der aber die Hälfte des Buches umfaßt, legt die eigenthümlichen Principien der Gram- matik und ihr psychologisches Wesen dar. VERGLEICHENDES ACCENTUATIONSSYSTEM nebst einer gedrängten Darstellung der grammatischen Uebereinstimmungen des Sanskrit und Griechischen von Franz Bopp . 1854. gr. 8. geh. 2 Thlr. In der indo-europäischen Sprachfamilie lassen in Bezug auf die Ac- centuation nur das Sanskrit und das Griechische eine durchgreifende Vergleichung unter einander zu. Um die Uebereinstimmung beider Spra- chen hinsichtlich ihres Accentuationsverfahrens in allen Einzelnheiten nachzuweisen, war es nothwendig den ganzen Sprachorganismus in Be- trachtung zu ziehen, so daß die obige Schrift außer der vergleichenden Accentuationslehre, die ihre eigentliche Bestimmung ist, auch die Grund- züge einer vergleichenden Formenlehre der betreffenden Sprachen dar- bietet, wobei es nicht vermieden werden konnte, gelegentlich auch an- deren Gliedern der indo-europäischen Sprachenfamilie einen Blick zuzu- wenden. Am ausführlichsten ist die Wortbildung behandelt worden und am Schlusse eine tabellarische Zusammenstellung der gewonnenen Re- sultate gegeben, wodurch Jeder leicht zu der Ueberzeugung gelangen wird, daß in diesem Theile der Grammatik die Jahrtausende, welche das Griechische vom Sanskrit trennen, es nicht vermocht haben, in Bezug auf Form oder Betonung in der einen oder andern der verglichenen Spra- chen solche Aenderungen hervorzubringen, die nur einen augenblicklichen Zweifel an der ursprünglichen Identität derselben veranlassen könnten. VERZEICHNISS SPRACHWISSENSCHAFTLICHER WERKE. GRAMMAIRE DÉMOTIQUE CONTENANT LES PRINCIPES GENÉRAUX DE LA LANGUE ET DE L’ÉCRITURE POPULAIRES DES ANCIENS ÉGYPTIENS par Henry Brugsch , de l’université royale de Berlin. Avec un tableau de signes démotiques et dix planches y annexées. 1855. fol. cart. 25 Thlr. Diese Grammatik enthält eine vollständige und wissenschaftliche Darstel- lung desjenigen ägyptischen Dialectes, welcher zu den Zeiten der letzten Pha- raonen, der Griechen und Römer in Aegypten gesprochen und geschrieben wurde. Mehrere zum Theil ausgezeichnete Gelehrte hatten es bisher unter- nommen die demotische Schrift zu entziffern, eine Schriftgattung, welche zu den complicirtesten gehört, deren sich ein Volk im Gebrauch des ge- wöhnlichen Lebens bedienen konnte, da sie zum Theil auf denselben Principien beruht, wie das Hieroglyphische und das Hieratische. Die wenigen Resultate, zu welchen diese Gelehrten nach großen Bemühun- gen gelangten, entsprachen jedoch den angewandten Kräften nicht. Der Verf. war schon vor dem Jahre 1848 so glücklich, das Wesen der de- motischen Schrift und den Haupttheil des grammatischen Gebäudes rich- tig zu erkennen. Er lieferte in dem genannten Jahre als Beweis da- für seine von allen Seiten anerkannte: Scriptura Aegyptiorum demo- tica. Die gegenwärtige Publication enthält jedoch des Neuen bei wei- tem mehr. Denn nicht nur sind die grammatischen Formen und ihre graphische Darstellung bis in die kleinsten Details wiedergefunden, son- dern auch mit reichlichen Beispielen unterstützt worden, welche sich dem Verf. in allen Museen Europas und in Aegypten in Fülle darboten. Um die Einheit des Ganzen und die Brauchbarkeit für das Studium des Ae- gyptischen zu erhöhen, hat der Verf. überall die etwaige entsprechende hieroglyphische Form (mit steter Hinweisung auf die grammaire égyp- tienne Champollion’s d. j.) in Parallele gestellt und natürlich als Haupt- beweismittel für die Richtigkeit der gewonnenen grammatischen Bedeu- tung das Koptische herbeigezogen, gestützt auf die Grammatiken Pey- ron’s, vorzüglich aber Schwartze’s . Um ein Beispiel für die Aus- dehnung der gewonnenen Formen zu geben, welche im Vergleich mit Champollion’s eben genannter hieroglyphischer Grammatik weit über die- selbe hinausgeht, so bemerken wir, daß vom Verbum allein achtzehn ver- schiedene Formen aufgefunden worden sind, während deren Zahl im Hie- roglyphischen kaum die Hälfte davon übersteigt. Die Verlagshandlung hat zu diesem Werke die ganze demotische Schrift in mehr als dreihundert Haupttypen schneiden und gießen lassen, worüber das folgende „Mémoire“ Auskunft zu geben bestimmt ist. Zehn Tafeln geben die genauesten und treuesten Facsimiles von verschiedenen demotischen Inschriften aus den Museen von Paris, Ley- den, Turin, Dresden und aus Aegypten. FERD. DÜMMLER’S VERLAGSBUCHHANDLUNG IN BERLIN. MÉMOIRE SUR LA REPRODUCTION IMPRIMÉE DES CARACTÈRES DE L’ANCIENNE ÉCRI- TURE DÉMOTIQUE DES ÉGYPTIENS, AU MO- YEN DE TYPES MOBILES ET DE L’IMPRIME- RIE; par Henry Brugsch , de l’université royale de Berlin. 1855. 4. geh. 7½ Sgr. ÜBER DEN NATURLAUT von Joh. Carl Ed. Busch- mann . [Besondrer Abdruck aus den Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus dem Jahre 1852.] 1852. gr. 4. geh. 15 Sgr. Der Verf. bemüht sich zu zeigen, daß aus der Thatsache, daß für die Begriffe der nächsten Verwandtschaftsverhältnisse fast in allen Sprachen ähnlich klingende Laute vorhanden sind, kein Schluß auf eine allgemeine Verwandtschaft der Sprachen gezogen werden dürfe. Er be- zeichnet diese einfachsten, aus dem Munde der Kinder zuerst vernom- menen und folglich den Kindern geläufigsten Laute, die eben deshalb von allen Völkern in gleicher Weise auf die Begriffe von Vater, Mutter u. s. w. übertragen werden, mit dem Namen Naturlaut und stellt sie für große Reihen von Sprachen in Tabellen auf. ÜBER DIE AZTEKISCHEN ORTSNAMEN von Ed. Buschmann . Erste Abtheilung. [Besondrer Abdruck aus den Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissen- schaften zu Berlin aus dem Jahre 1852.] 1853. gr. 4. geh. 2 Thlr. Inhalt: I. Einleitung. II. Aztlan und die aztekische Sprache. III. Merkwürdigkeiten der mexikanischen Sprache. IV. Hieroglyphische Gemälde. V. Einwanderung von Norden. VI. Wanderungen und älteste Geschichte. VII. Verbreitung aztekischer Ortsnamen im Allgemeinen und im nördlichen Mexico. VIII. Guatemala. IX. Nicaragua. X. Gua- temala (Schluß). XI. Wiederkehr der Ortsnamen. ÜBER DEN URSPRUNG DER SPRACHE von Jacob Grimm . Aus den abhandlungen der königlichen aka- demie der wissenschaften vom jahre 1851. Dritte Auf- lage. 1852. gr. 8. geh. 15 Sgr. Es war vor Allem die Thunlichkeit einer Untersuchung über den Ursprung der Sprache zu erweisen. Nachdem hierauf dargethan wor- den, daß die Sprache dem Menschen weder von Gott unmittelbar aner- schaffen, noch geoffenbart sein könne, wird sie als Erzeugniß freier menschlicher Denkkraft betrachtet. Alle Sprachen bilden eine geschicht- VERZEICHNISS SPRACHWISSENSCHAFTLICHER WERKE. liche Gemeinschaft und knüpfen die Welt an einander. In ihrer Ent- wicklung werden drei Hauptperioden unterschieden, welche mit meister- hafter Feinheit und Durchsichtigkeit geschildert werden. ÜBER DIE VERSCHIEDENHEIT DES MENSCHLI- CHEN SPRACHBAUES und ihren Einfluß auf die geistige Entwickelung des Menschengeschlechts von Wilhelm von Humboldt . 1836. gr. 4. geh. 4 Thlr. In diesem Werke hat der berühmte Verfasser den Kern seines ideellen Lebens niedergelegt. Wie er darin eine Anschauungsweise der Sprachwissenschaft vom Standpunkte der Weltgeschichte aus be- gründet, eben so sehr lehrt er darin eine Weltanschauung von dem Standpunkte der Sprache aus. Beginnend mit der Betrachtung der die geistige Entwickelung des Menschengeschlechts hauptsächlich bestimmen- den Momente (§. 1—6) gelangt er zur Sprache, als einem vorzüglichen Erklärungsgrunde jenes Entwickelungsganges (§. 7). Er zeichnet die Richtung vor, welche die Sprachforschung zu nehmen hat, um ihren Gegenstand in dieser Weise zu beurtheilen (§. 8) und wird dadurch zu einer tieferen Darlegung des Wesens der Sprache geführt (§. 9—12). Sodann genauer auf das Sprachverfahren eingehend, stellt er die allge- meinsten und alle Theile der Sprache durchdringenden Eigenthümlich- keiten derselben dar (§. 13—18), nach welchen er sie classificirt (§. 19). Als den Punkt aber, von dem die Vollendung der Sprache, ihre Ent- wickelungsfähigkeit und ihr Einfluß auf den Volksgeist abhängt, hebt er die größere oder geringere Stärke der synthetischen Kraft dersel- ben hervor und führt den Nachweis sowohl rücksichtlich der indoeuro- päischen, als der semitischen, amerikanischen und der einsylbigen Spra- chen (§. 21—24). Die Beantwortung der Frage, ob der mehrsylbige Sprachbau aus der Einsylbigkeit hervorgegangen sei, bildet den Schluß (§. 25) dieses großartigen Werkes. ÜBER DEN DUALIS von Wilhelm von Humboldt . 1828. gr. 4. 12½ Sgr. Diese Abhandlung dürfte aus manchen Gründen Humboldt’s schönste und tiefste Arbeit genannt werden; auch wirft sie auf viele wichtige Stellen seines größeren Werkes ein sehr erwünschtes Licht. Die Noth- wendigkeit solcher Untersuchungen über einzelne grammatische Formen wird vom Verfasser selbst im Eingange dargestellt. Nach der Ueber- sicht des räumlichen Umfanges der Sprachstämme, in denen sich die Dualform findet, wird die Natur derselben zuerst nach der Beobachtung der Sprachen selbst bestimmt, dann in tiefster Weise aus allgemeinen Ideen abgeleitet, mit Berücksichtigung der phantasievollen und rein ver- ständigen Seite der Sprache. FERD. DÜMMLER’S VERLAGSBUCHHANDLUNG IN BERLIN. ÜBER DIE VERWANDTSCHAFT DER ORTSAD- VERBIEN mit dem Pronomen in einigen Sprachen von Wilhelm von Humboldt . 1830. gr. 4. 10 Sgr. Eine Darstellung des Pronomens selbst leitet diese Abhandlung ein, in welcher durch das Beispiel der Pronomina der Sprache der Tonga- oder Freundschaftsinseln und anderer malayischer Sprachen, ferner der chinesischen, japanischen und endlich besonders der armenischen Sprache gezeigt wird, wie die Pronomina aus den Ortsadverbien hergenommen werden können. ZWEI SPRACHVERGLEICHENDE ABHANDLUN- GEN: 1) Ueber die Anordnung und Verwandtschaft des Semitischen, Indischen, Aethiopischen, Alt-Persi- schen und Alt-Aegyptischen Alphabets. 2) Ueber den Ursprung und die Verwandtschaft der Zahlwörter in der Indogermanischen, Semitischen und Koptischen Spra- che von Dr. Richard Lepsius . 1837. gr. 8. 1 Thlr. Der Verfasser führt in der ersten Abhandlung mit Scharfsinn und Gelehrsamkeit die Sätze durch, daß 1) die Ordnung der Buchstaben im alten semitischen Alphabete nach einem organischen Principe gemacht ist, daß diese Anordnung aber 2) genau und vom ersten Buchstaben an mit der historischen Entwickelung des Sprachorganismus überein- stimmt, woraus folgt, daß 3) das semitische Alphabet sich nur allmälig und zugleich mit der Sprache selbst so gebildet habe, wie wir es vor- finden. Hierdurch wird sein Ursprung in die Anfänge der Geschichte, und jedenfalls vor die Trennung des semitischen, ägyptischen und indo- europäischen Stammes gesetzt. Dies führt auf eine Vergleichung des semitischen Alphabets mit dem indischen und den Hieroglyphen, und wird der gemeinschaftliche Ursprung dieser drei erhärtet. Dasselbe doppelte Interesse, die Verwandtschaft jener drei Sprachstämme, wie den innigen organischen Zusammenhang von Sprache und Schrift nachzuwei- sen, herrscht auch in der zweiten Abhandlung. Es wird demgemäß außer der Verwandtschaft der ägyptischen, semitischen und indo-europäischen Zahlen auch die Uebereinstimmung zwischen der Bildung der Zahlwörter durch Zusammensetzung mit dem ägyptischen Ziffersysteme von der Zahl vier an bis zehn dargelegt. Die durchaus einfachen drei ersten Zahlen aber werden auf die Pronominalstämme zurückgeführt. Der Verfasser geht hierauf zu den Spuren des Duodecimalsystems und dem Decimal- system über und schließt nach einer Abschweifung über die Bildung der Ordinalia das Ganze mit einer Nachweisung der ursprünglichen Femininformen der Zahlwörter. VERZEICHNISS SPRACHWISSENSCHAFTLICHER WERKE. ZEITSCHRIFT FÜR VERGLEICHENDE SPRACH- FORSCHUNG AUF DEM GEBIETE DES DEUT- SCHEN, GRIECHISCHEN UND LATEINISCHEN, herausgegeben von Dr. Theodor Aufrecht , Privatdocen- ten an der Universität zu Berlin, und Dr. Adalbert Kuhn , Lehrer am Cölnischen Gymnasium ebendaselbst. I. Bd. 1851. II. Bd. 1852. 53. III. Bd. 1854. cart. à 3⅓ Thlr. IV. Bd. Heft 1—3. Der Band von 6 Heften 3 Thlr. Diese Zeitschrift will durch eine kritische Ergründung der genann- ten drei Sprachen, besonders aber des etymologischen Theils derselben, deren ursprüngliche Form wiederaufbauen und indem sie auf die frühe- sten Perioden derselben zurückgeht und dem Gange der Sprache folgt, also genetisch, die Bedeutung der ausgebildeten Formen erforschen. — Zu diesem Zweck wendet sich die Untersuchung bald einer der drei Sprachen unter Berücksichtigung ihrer Dialekte mehr oder weniger aus- schließlich zu, bald vergleicht sie zwei derselben oder alle drei unter einander, indem sie, wo es erforderlich ist, das Sanskrit als die älteste Schwester dieser drei zu Rathe zieht. Hierdurch fällt nicht selten Licht auf die älteste Geschichte der europäischen Volksstämme und namentlich auf den Zusammenhang derselben in der Periode ihrer Sprachbildung. Durch die Beschränkung auf eine kleinere Zahl von Sprachen wird der Vortheil erreicht, die einzelnen Sprachen schärfer zu erfassen, als es bei der Ausdehnung über ein größeres Gebiet möglich wäre; für die gewählten Sprachen aber entschied man sich, weil sie unter den indo- europäischen zu der reichsten Entwickelung gelangt sind und ferner weil die Werke, die in denselben niedergelegt, für unsere Bildung so bedeut- sam sind, daß ihre Grammatik der gründlichen Erforschung wohl vor- züglich würdig ist. Durch Besonnenheit der Methode, sowie durch Klar- heit und Bündigkeit der Darstellung wird sich die Zeitschrift jedem Phi- lologen empfehlen. So eben erschienen: ÜBER DIE NAMEN DES DONNERS, von Jacob Grimm . Eine academische Abhandlung vorgelesen am 12. Mai 1853. gr. 4. geh. 12 Sgr. Unter der Presse befindet sich: DE L’ACCENTUATION LATINE par Henri Weil et Louis Benloew . Paris. ca. 20 Bog. gr. 8. Preis ca. 2 Thlr. Dies Werk wird eine Theorie und Geschichte des lateinischen Ac- cents liefern.