Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland. Als Grundlage für Vorlesungen von Dr. Lorenz Stein. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1870. Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart. Vorwort . Ich übergebe mit dem vorliegenden Werke dem Publikum einen wenigstens formalen Abschluß des Versuches, die Verwaltungslehre zu einer systematischen Wissenschaft zu erheben. Der nächste Grund, der mich dazu bewog, war das Bedürfniß, den Vorlesungen über Verwaltungslehre eine ausreichende Basis zu geben. Das größere Werk, welches ich vor zehn Jahren begonnen habe, ist so um- fangreich, daß es für das allgemeine Studium der Verwaltungs- lehre sich kaum eignet. Ich habe außerdem schon früher erklären müssen, daß es kaum in Eines Menschen Kraft liegt, es in dem- selben Umfange zu vollenden, in welchem es begonnen wurde. Ich habe dennoch nie geglaubt, daß es, auch in diesem Umfange, wirklich ausreiche. Ich habe nur den Beweis zu liefern gesucht, daß die positiven und praktischen Fragen der Verwaltung einer höheren wissenschaftlichen Behandlung fähig und werth sind, und ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich diese Ueberzeugung auch für andere gewonnen hätte. Jetzt kam es darauf an, in dem- selben Geiste die Umrisse des Ganzen festzustellen. Es war die Aufgabe des vorliegenden Werkes, diesen Versuch zu machen. Ich übergebe ihn, obwohl ich seine Mängel und Unfertigkeiten sehr wohl erkenne, der Oeffentlichkeit. Ich wage das aber, weil ich einen andern, weiter gehenden Gedanken schon hier vertreten zu müssen glaube. Und so vieler und tiefer Widerspruch mir dabei auch entgegen treten wird, ich stehe keinen Augenblick an, ihn auszusprechen. Unsere ganze juristische Bildung an den deutschen Hochschulen ist ohne allen Zweifel durchaus hinter unsrer großen Gegenwart zurück. Es gibt, so weit das geistige Auge reicht, keinen einzigen Theil der Wissenschaft, der seit fünfzig, ja eigentlich seit dreihundert Jahren so stabil gewesen wäre, ja so wenig Fortschritte gemacht hätte, als die Rechtswissenschaft. Im Großen und Ganzen gibt es nur Einen Punkt, auf dem wir weiter gekommen sind, und das ist die Rechtsgeschichte der alten Zeit. Im Uebrigen stehen wir da, wo im vorigen Jahrhundert Selchow und Runde , in unserem Makeldey und Wennig-Ingenheim standen. Der große Impuls, den der geniale Thibaut gegeben, ist erfolglos geblieben. Doch das ist nicht die Hauptsache, weil es nur die Consequenz der Hauptsache ist. Die aber besteht in der sehr ernsten Thatsache, daß wir, mitten in einem Leben, das nach allen Seiten hin seine Blüthen einer neuen Zukunft entgegen treibt, mit unserem ganzen juristischen Bewußtsein wesentlich noch im Corpus Juris und den Pandekten stecken. Es ist fast unglaublich, daß fast an allen deutschen Universitäten das Maß der Kenntniß des römischen Rechts als das Maß der juristischen Bildung gilt; daß die Pan- dekten die Hauptsache des Studiums sind, daß das römische Recht die Literatur beherrscht, und daß man alles, was ihm nicht ange- hört, als Sache zweiter Ordnung betrachtet. Und wenn man für das römische Recht noch irgend eine Vorstellung von der Grenz- bestimmung dessen hätte, was aus ihm gilt und nicht gilt, oder eine Vorstellung von seinem Verhältniß zum deutschen Privatrecht, oder eine Vorstellung von der Geschichte eben dieses römischen Rechts seit den letzten zwei Jahrhunderten! Ist es nicht wunder- bar, daß unsre jungen Männer mehr wissen von Atilius und Plautius , von Ulpian und Hermogenian , als von Leyser, Stryk, Pothier, Merlin, Blackstone und andern Männern, auf deren Schultern unsere Rechtsbildung steht? Ist es nicht wunderbar, daß es die erste Aufgabe jedes deutschen Juristen ist, sich mit Servius Tullius und den zwölf Tafeln auf möglichst guten Fuß zu setzen, daß man die Weisthümer, Bannrechte und Regalien, die eben so wenig jetzt noch existiren wie das Edictum perpetuum, genau kennen muß, daß aber in ganz Deutschland keine einzige Universität und keine einzige Vorlesung existiren, wo der junge Mann auch nur die gegen- wärtige Civilgesetzgebung eben dieses ganzen Deutsch- lands kennen lernen könnte . Deutschlands gegenwärtiges Recht existirt auf den deutschen Rechtsfakultäten nicht ; an der Stelle des deutschen Rechts steht das Pandektenwesen, an der Stelle der organischen Auffassung desselben die Casuistik, und das was die deutschen Juristen zu einem Ganzen macht — die Quelle des deutschen Rechtsbewußtseins, der deutschen einheitlichen Rechts- bildung ist — das Recht der Römer, von dem drei Viertel absolut unbrauchbar für uns sind, und wo man bei dem letzten Viertel nicht mehr weiß, was noch für uns einen Werth haben kann, was nicht. Daß dabei von einem Verständniß der französischen und englischen Rechtsbildung keine Rede ist, ist in einem Volke natür- lich leicht klar, wo der Preuße nicht lernt, was in Sachsen, der Sachse nicht was in Bayern, der Bayer nicht was in Württem- berg und keiner von ihnen was in Oesterreich gilt. Und während diese Leute sitzen und ihre Antiquitäten tradiren, geht das gewal- tige Leben unsrer Zeit über sie hinweg, verbindet die Völker und Länder, läßt nirgends eine Absonderung und Abgeschlossenheit zu; jeder junge Geschäftsmann sucht Frankreich und England, jeder Techniker weiß Bescheid von der Ostsee bis zum Mittelmeer, aber der Jurist, an seine Pandekten gekettet, ward erzogen und gegängelt von der Vorstellung, daß er neben diesen Pandekten nicht einmal die Kenntniß der in seinem Vaterlande geltenden Gesetzbücher, geschweige denn der Rechtsbildung und der Literatur unseres Jahr- hunderts bedürfe, um ein „tüchtiger“ Jurist zu sein. Während in diesem sich selbst in hundert Commissionen prüfenden und testi- renden Volke hundertmal an Einem Tage die Frage nach der lex Aquilia oder Rhodia vorkommt — wir fragen, ob auch nur ein einzigesmal seit hundert Jahren in Preußen bei einem Examen eine Frage nach dem bayrischen oder österreichischen Landrecht vorge- kommen, oder nach irgend einem nichtpreußischen Recht diesseits oder jenseits der Mainlinie oder umgekehrt? Und dann fragt man noch, weßhalb die Franzosen uns in der Weise achten und behandeln, wie man etwas Unverständliches behandelt? Und dennoch ist das nur Eine Seite der Sache. Die zweite nicht weniger ernste ist die, welche sich dem öffentlichen Leben und seinem Recht zuwendet. Und hier wieder wollen wir nicht vom eigentlichen Staatsrecht reden. Es ist ein eigenes Ding mit dem Staatsrecht unserer Zeit, vor allem mit dem deutschen Staatsrecht, und viele Gründe erklären, weßhalb man dasselbe in seinen einzelnen positiven Bestimmungen für unwichtig erklären muß; denn das positive Recht wechselt und die Principien stehen nicht fest. Allein ein anderes ist gewiß. Das, was sich namentlich in Deutschland am stärksten entwickelt, ist das System und der Organismus der Selbstverwaltung, mit ihr der beständige Drang, die Aufgaben der Verwaltung der alten Bureaukratie zu entziehen. Um das zu können, muß man Eins, man muß nicht bloß das Recht, man muß auch die Fähigkeit haben zu verwalten. Diese Fähigkeit hat aber ihre Voraussetzungen, wie jede andere. Sie fordert Arbeit und Kenntnisse. Und eben deßhalb, wo immer die Selbstverwaltung auftritt, wendet sie sich zunächst an die, denen man in öffentlichen Dingen die meisten Kenntnisse zutraut. Das aber sind die Rechts- kundigen aller Art. Und was haben die Rechtskundigen gelernt? Von welchen Gesichtspunkten gehen sie aus? Was ist die Basis ihrer Kenntnisse? Wir bedauern, sagen zu müssen, daß die Bil- dung für das öffentliche Leben in Deutschland für die meisten Fach- juristen mitten in der gewaltigen Zeit, in der wir stehen, sich nach wie vor wesentlich auf jenes römische Recht, auf Institutionen und Pandekten beschränkt, von denen nicht einmal das Verhältniß zum übrigen positiven bürgerlichen Recht klar ist. Mit dem römischen Recht ausgerüstet, tritt der Fachjurist in die Gemeindevertretung, in den Kreis und Landtag, in den Reichs- und Bundestag. Hier aber handelt es sich um etwas anderes als um Titus und Sem- pronius; hier treten die praktischen Fragen des öffentlichen Lebens auf; hier ist es das Gemeindewesen, das Gewerbe, das Vereins- wesen, die Wege, Brücken, die Grundbücher, das Gesundheits- wesen und hundert andere Dinge, welche eine verständige Erledigung fordern, eine Erledigung, von der nicht etwa ein Beweisinterlocut oder ein Endurtheil im Proceß zwischen jenem Titus und Sem- pronius, sondern das Wohl und Wehe vieler Menschen, ja ganzer Körper und Staaten abhängen. Und was hilft ihm hier der Geist des römischen Rechts, den er anruft, wo das Wort ihn im Stiche läßt, und den er nicht zu beherrschen weiß, wenn er erscheint? Was nützen ihm Institutionen und Pandekten, die ja nicht einmal ein lateinisches Wort für die Hauptbegriffe haben, um die es sich handelt? Kann jemand die Gemeinde, das Gewerbe, die Gesundheits- pflege, das Heimathswesen, das Grundbuchswesen, das Wegewesen, die Post und hundert andere Dinge auch nur ins Lateinische über- setzen? Kann ihm daher eine Disciplin, welche für die Haupt- verhältnisse unsrer Zeit gar keinen Namen hat , helfen, wenn ihn das Volk wählt, weil es meint, er müsse verständliche Sachen verstehen, da er ja unverständliche verstehe. Kann er selbst das Gefühl haben, im öffentlichen Leben etwas zu leisten, wenn er nie gelernt hat, sich mit demselben geistig zu beschäftigen? Kann er zufrieden sein mit einer Fachbildung, deren Schwerpunkt in histo- rischer und casuistischer Doktrin besteht, und die in Geschichte und System da aufhört, wo unsere Zeit anfängt, mit dem westphäli- schen Frieden? Und was ist die Folge davon, daß er das nicht kann, und daß er an seinen Universitäten alles lernt, nur nicht das, was er am nöthigsten braucht, das wirkliche Leben der mensch- lichen Gemeinschaft und seine Anstalten und Bedürfnisse? Die erste Folge davon ist die, unter der wir alle leiden, die „Phrase.“ Deutschland, das Land der tiefen Denker und der exakten Gram- matiker, ist das Land der politischen Phrase wie kein anderes der Welt; das Land, in welchem die Phrase um der Phrase willen gesagt wird; das Land, in welchem die eine Hälfte der öffentlichen Stimmen die andere ermüdet durch ewig neues Suchen nach Worten, die zu vieles bedeuten, um etwas zu gelten; das Land, in dem man redet, weil man wenig zu sagen hat. Die zweite Folge aber ist die, daß in allen Volks- und Reichsvertretungen die gebildeten Fachjuristen allmählig ganz verschwinden, daß die glatte Journa- listik statt ihrer in der Tagespresse, der Geschäftsmann und der Bürger statt ihrer in den Vertretungen das Wort nimmt. Die wichtigste Thatsache unserer Gegenwart und auch unserer nächsten Zukunft ist die, daß unsere heutige Jurisprudenz vollkommen un- fähig ist, Männer des öffentlichen Lebens, deutsche Staatsmänner zu erzeugen; der Grund davon ist, daß auf den Hochschulen die Pandekten Hauptsache und die Staatswissenschaften Nebensache sind; und nicht weil wir gelehrt sind, sondern weil wir auf einem verkehrten Punkte gelehrt sind , stehen wir zurück hinter den Engländern und Franzosen, denen wir überlegen sind in allem, was alle anderen angeht, die uns aber überragen in allem, was das Verständniß der eigenen praktischen Interessen betrifft. So lange unsere juristischen Fakultäten ihre gegenwärtige Gestalt und Ordnung behalten, werden wir mit allen Reichs-, Landes- und Gemeindeverfassungen ewig regiert werden, statt zu regieren; so lange die Pandekten zu viel bedeuten an den deutschen Universitäten, werden die Deutschen zu wenig bedeuten in Europa. Darum nun, um der kommenden Zeit mit ihrem staats- männischen Inhalt vorzuarbeiten, so weit die geringen Kräfte eines Einzelnen gehen, habe ich versucht, das Handbuch der Institutionen des Verwaltungsrechts auszuarbeiten, der Zeit in Treue harrend, wo das öffentliche Recht dieselbe Stelle an den Universitäten ein- nehmen wird, welche das öffentliche Leben allmählig im deutschen Volke einnimmt, und wo man seine Studien nicht eher für absol- virt halten wird, bis man neben den Pandekten Tribonians auch die der Verwaltung, ihres Organismus, ihrer Geschichte und ihrer großen Aufgaben sich eigen gemacht hat. Es ist eine andere Frage, wie sich das in der Oekonomie der Studienzeit dann gestalten wird; wir behandeln sie seiner Zeit an einem andern Ort. Wir wären aber stolz darauf, wenn diese Erstlingsarbeit auf diesem Gebiete den Anstoß zur ernsteren Erwägung über die Einrichtung der Fachbildung für das öffentliche Rechtsleben geben würde. Wien , Juni 1870. Dr. Lorenz von Stein. Inhalt . Die Innere Verwaltung. Einleitung . Der organische Staatsbegriff. Seite I. Der Staat und seine organischen Grundbegriffe 4 II. Der organische Begriff und Inhalt der Verwaltung 7 III. Begriff, Geschichte und Vergleichung des Verwaltungsrechts 10 Die vollziehende Gewalt. Begriff und Wesen . Allgemeiner Theil. I. Die Vollzugsgewalten und die Staatsgewalt 14 II. Die organischen Grundformen der vollziehenden Gewalt 15 III. Das Recht der Vollzugsgewalt und seine Entwicklung zum verfassungs- mäßigen Verwaltungsrecht 16 Besonderer Theil. A. Die Regierung und das verfassungsmäßige Regierungsrecht 19 I. Begriff und Organismus der Regierung. Das Staatsoberhaupt und die Regierung im eigentlichen Sinne 19 II. Die Funktion der Regierung 21 III. Das verfassungsmäßige Regierungsrecht 22 B. Die Selbstverwaltung 25 I. Begriff und Organismus 25 II. Die Funktion der Selbstverwaltung 28 III. Das Rechtssystem der Verwaltung 29 C. Das Vereinswesen 32 I. Begriff und System 32 II. Die Vereinsarten als Funktionen des Vereins 34 III. Das System des Vereinsrechts 37 Die Innere Verwaltung. Allgemeiner Theil. Seite Begriff und Idee derselben 43 Das Princip der inneren Verwaltung 44 Das innere Verwaltungsrecht 45 Elemente der Geschichte der Verwaltung und ihres Rechts 46 Die nationale Gestalt des inneren Verwaltungsrechts und die vergleichende Rechtswissenschaft 51 Das System der inneren Verwaltung. Erster Theil. Die innere Verwaltung und das persönliche Leben . A. Die Verwaltung und das physische Leben 56 I. Das Bevölkerungswesen 57 Begriff und System 57 A. Die Statistik und das Zählungswesen 58 I. Der Begriff der administrativen Statistik. (Die Lehre von der Wissenschaft der Thatsachen) 58 II. Das Zählungswesen 60 B. Die administrative Ordnung der Bevölkerung 63 Begriff und Wesen 63 I. Die öffentlich-rechtliche Bevölkerungsordnung 64 Begriff 64 a) Die administrative Competenz und Zuständigkeit 65 b) Competenz und Zuständigkeit in der Selbstverwaltung. Ge- meindeangehörigkeit und Heimathsrecht 66 II. Die Standesregister 68 III. Das Paß- und Fremdenwesen 70 C. Die Bevölkerungspolitik 73 I. Das öffentliche Eherecht 73 II. Das Einwanderungswesen 76 III. Das Auswanderungswesen 78 II. Das öffentliche Gesundheitswesen 81 Begriff 81 Entwicklung der Gesetzgebung und der Organisation des Gesundheits- wesens bis zur Gegenwart 83 A. Das Sanitätswesen 85 Begriff 85 I. Die Sanitätspolizei 85 a) Die Seuchenpolizei 86 b) Die Gesundheitspolizei 87 Seite II. Die Gesundheitspflege 88 B. Das Heilwesen (Medicinalwesen) 90 I. Der Heilungsberuf 90 a) Die Aerzte und ihr Berufsrecht 90 b) Das Apothekerwesen 92 c) Hebammenwesen 92 d) Heildiener 93 II. Die Heilanstalten 93 a) Hospitäler und Armenärzte 93 b) Das Irrenwesen 94 c) Gebär- und Ammenanstalten 94 d) Gesundbäder 95 III. Das Polizeiwesen 95 Historische Grundlage 95 Begriff und Elemente des Systems 97 A. Die Sicherheitspolizei 99 Begriff und Rechtsprincip 99 I. Die höhere Sicherheitspolizei 100 II. Die Einzelpolizei 102 B. Die Verwaltungspolizei 103 I. Begriff und System 103 II. Rechtsprincip. Die Polizeistrafgesetze 104 IV. Das Pflegschaftswesen 106 B. Die Verwaltung und das geistige Leben. (Das Bildungswesen) 107 Begriff und Bildung des Bildungswesens 107 Geschichtliche Epochen des Bildungswesens 109 Das neunzehnte Jahrhundert und sein Bildungswesen 112 1) Das System des Bildungswesens 112 2) Das Recht und die Gesetzgebung des Bildungswesens 113 3) Principien des Organismus des Bildungswesens 114 Charakter des Bildungswesens in England, Frankreich und Deutschland 116 A. Das Elementar- oder Volksschulwesen 117 Begriff und Elemente der Geschichte 117 System des Volksschulwesens 119 I. Die Schulordnung 119 II. Das Lehrerwesen 121 III. Die Schulverwaltung 121 a) Organismus der Volksschulverwaltung 122 b) Die Gemeinde und die Schullast 123 c) Das Privatschulwesen 124 B. Das Berufsbildungswesen 125 Begriff und Princip 125 Elemente der Geschichte 126 Seite Das System des Berufsbildungswesens 129 a) Die gelehrte Berufsbildung 129 b) Die wirthschaftliche Berufsbildung 130 c) Das künstlerische Berufsbildungswesen 130 Das Berufsbildungsrecht 131 a) Die Lehrordnung 132 b) Das Prüfungssystem 133 C. Die allgemeine Bildung 134 Wesen und System derselben 134 I. Die Sittenpolizei 135 II. Die Bildungsanstalten 136 III. Die Presse 136 Zweiter Theil. Die Verwaltung und das wirthschaftliche Leben . Begriff und Wesen 140 Die geschichtliche Entwicklung derselben 141 Die Elemente des Systems und des Organismus derselben 142 Allgemeiner Theil . Elemente des Systems 144 Erstes Gebiet . Die Entwährung 144 Wesen und System 144 I. Die Entlastungen 145 II. Die Enteignung 148 III. Das Staatsnothrecht 150 Zweites Gebiet . Die Verwaltung und die Elemente 150 Begriff und Wesen 150 I. Die Feuerpolizei 151 Wesen. Elemente der historischen Entwicklung 151 System der Feuerpolizei 152 II. Das Wasserrecht 153 Begriff und System 153 Elemente der Geschichte des Wasserrechts 154 A. Das Privatwasserrecht 157 B. Das öffentliche Wasserrecht 159 Begriff und Wesen 159 a) Der Wasserschutz und Wasserbau 160 b) Die Wasserversorgung 161 c) Die Wassertriebkraft 161 d) Die Wasserverkehrswege 162 e) Das Wasserrecht der Landwirthschaft 163 III. Das Schadenversicherungswesen 165 Begriff und historische Entwicklung 165 A. Die Rechtsbildung des Versicherungswesens und sein Fortschritt 169 Seite B. Grundlagen des öffentlichen Rechts des Versicherungswesens 170 I. Der Versicherungsvertrag 171 II. Die Versicherungsverwaltung 171 Drittes Gebiet . Das Verkehrswesen 173 Begriff 173 I. Die Elemente des Systems 174 II. Das Princip des Verkehrswesens und seine historische Entwick- lung aus der Regalität 175 III. Das öffentliche und das bürgerliche Verwaltungsrecht des Ver- kehrswesens 177 Erster Theil . Die Verkehrsmittel und die Verwaltung 178 I. Das Wege- und Bauwesen 178 Begriff und System 178 A. Das Landwegewesen 179 Elemente seiner Rechtsgeschichte 179 Das System des Wege- und Bauwesens und seines Rechts 182 a) Das öffentliche Bauwesen 182 b) Das eigentliche Wegewesen 184 1) Die Organisation 184 2) Die Wegeordnung 184 3) Die Wegelast 185 B. Wasserwege 186 II. Das Schifffahrtswesen 188 Begriff und Elemente der Geschichte 188 A. Seerecht. Wesen und Gebiete 191 B. Die Schifffahrtsverwaltung in Schutz und Förderung 192 Zweiter Theil . Die Verkehrsanstalten. Begriff und Wesen der drei Grundformen 194 I. Das Postwesen 197 Natur seiner Funktion und Elemente seiner Geschichte 197 A. Die Postverwaltung 200 1) Organismus der Postverwaltung 200 2) Organisation des Betriebes 202 3) Das Portosystem 203 B. Das Postrecht 205 Begriff 205 System des Postrechts. Zwangsrecht, Postpflicht, Poststrafrecht, Postnothrecht 206 II. Das Eisenbahnwesen 208 Natur seiner Funktion 208 Die rechtsbildenden Elemente des Eisenbahnwesens 209 Die Elemente der Geschichte des Bahnwesens 210 System 211 Seite 1) Organisation des Bahnwesens 214 2) Concessionsrecht der Eisenbahnen 215 3) Betriebsrecht 217 4) Verkehrsrecht 219 III. Oeffentliche Dampfschifffahrt 221 IV. Das Telegraphenwesen 222 Dritter Theil . Das Umlaufswesen. Begriff und Inhalt 224 A. Der Güterumlauf. Maß- und Gewichtswesen 225 B. Der Werthumlauf. Das Geldwesen 229 Begriff und Inhalt 229 I. Das Münzwesen 231 II. Das Währungswesen 236 III. Das Papiergeldwesen 239 IV. Das Inhaberpapier 242 Vierter Theil . Das Creditwesen. Begriff und Wesen des Credits 244 Das wirthschaftliche und das öffentliche Creditwesen 246 a) Der Organismus des wirthschaftlichen Creditwesens 246 b) Princip und Organe des öffentlichen Creditwesens 247 c) Elemente der Geschichte der Organisation des Credits 250 A. Personal-Creditwesen 252 a) Der Darlehenscredit und die Zins- und Wuchergesetze 253 b) Der Pfandcredit, die Pfand- und Leihhäuser 257 B. Das Real-Creditwesen 259 Begriff 259 I. Das Grundbuchswesen 260 Unterschied vom Pfandrecht 260 Princip und Begriff des Grundbuchswesens 261 Elemente der Geschichte des Grundbuchswesens 262 System 266 1) Organismus der Grundbuchsverwaltung 266 2) Grundbuchs-Ordnung 267 3) Die Grundbuchsführung 269 4) Das Grundbuchsrecht 272 a) Die Priorität 273 b) Die Specialität 274 c) Die Legalität 274 d) Publicität 276 II. Die Realcredit-Anstalten 277 Begriff und Wesen 277 Der Realcredit-Verein 279 a) Princip und System desselben 279 b) Die Arten der Realcredit-Vereine 281 c) Oeffentliches Recht der Realcredit-Vereine 283 Seite C. Der Geschäftscredit 284 Wirthschaftlicher Begriff 284 Das Princip des Verwaltungsrechts des Geschäftscredits 285 Die drei Grundformen des Geschäftscredits: der Zahlungs-, Unter- nehmungs und Vorschußcredit 286 I. Der Zahlungscredit und seine öffentlich-rechtliche Ordnung 288 1) Der kaufmännische Credit und die Handelsbücher 288 2) Das Zahlungswesen der Bankhäuser und das Wechselrecht 288 3) Das Vereinswesen des Zahlungscredits. Das Bankwesen 290 Begriff und Rechtsprincip 290 a) Das Bankwesen als Organismus des reinen Zahlungs- credits. Volkswirthschaftliche Funktion der Notenbank 291 b) Das öffentliche Recht des Bankwesens 294 II. Der Unternehmungscredit und sein öffentliches Recht 300 Wirthschaftliche Funktion 300 1) Das Gesellschaftswesen des Unternehmungscredits und die Handelsgesetzbücher 301 2) Der organische Unternehmungscredit und die Creditanstalten 303 III. Der Vorschußcredit und die gesellschaftlichen Creditvereine 309 Wirthschaftliche und gesellschaftliche Funktion 309 Besonderer Theil der Volkswirthschaftspflege 311 Begriff desselben und Princip seiner Verwaltung 311 Elemente der Rechtsgeschichte des besondern Theils der volkswirthschaft- lichen Verwaltung 312 I. Das Bergwesen und sein öffentliches Recht 314 Begriff und Princip 314 Elemente der Geschichte des Bergwesens 315 System des Bergrechts 317 II. Das Forstwesen 319 Begriff und Princip 319 Elemente der Geschichte des Forstwesens 321 System des Forstrechts 322 Jagdrecht 325 Fischereiordnung 327 III. Die Landwirthschaftspflege 327 Princip derselben 327 Elemente der Geschichte 330 System der Landwirthschaftspflege 332 1) Die Organisation 332 2) Eigentliche Landwirthschaftspflege 333 a) Allgemeiner Theil 333 b) Besonderer Theil 338 IV. Das Gewerbewesen 339 Begriff und Princip 339 Seite Elemente der Geschichte des Gewerberechts 341 System des Gewerberechts 344 a) Organisation des Gewerbewesens 344 b) Allgemeine Gewerbspflege 346 c) Gewerberecht 347 I. Die Gewerbeordnung 347 II. Die Gewerbegerichte 348 III. Die Gewerbepolizei 349 IV. Einzelne Gewerbeordnungen und ihre Polizei 350 V. Die Industrie und die Verwaltung 351 Begriff und Princip 351 Elemente der Geschichte 352 System des Industriewesens 354 1) Organisation 355 2) Allgemeine Verwaltung 356 3) Besonderer Theil 357 I. Erwerbsgesellschaften 357 II. Die Arbeiterordnung 358 VI. Der Handel und die Verwaltung 363 Begriff 363 Elemente der Geschichte 364 System der Handelsverwaltung 368 1) Eigentliche Handelspflege 369 A. Organismus des Handels 369 B. Handelsverträge 370 C. Das Zollwesen 371 2) Das Handelsrecht 376 Begriff, Princip und Inhalt 376 Handelsrecht und Gericht 377 3) Einzelne Handelszweige 379 VII. Der geistige Erwerb 382 Begriff und Princip. Das Werthrecht der geistigen Produkte 382 1) Das literarische Eigenthum und das Nachdrucksrecht 384 2) Das Recht der Erfindungen. Begriff und Princip 388 a) Das Patentrecht 389 b) Muster- und Markenschutz 391 Dritter Theil. Die Verwaltung und das gesellschaftliche Leben . Das gesellschaftliche Leben 393 Elemente der Gesellschaftslehre 393 Begriff der Gesellschaft 393 Das Gesellschaftsrecht 396 Seite Die beiden Principien in der Geschichte der Gesellschaft 398 Die gesellschaftliche Verwaltung 400 Die Principien derselben 400 Das System der gesellschaftlichen Verwaltung 401 Erster Theil . Die Verwaltung und die gesellschaftliche Freiheit 402 Begriff und Princip 402 A. Die Familie und das Gesindewesen 403 B. Das Geschlechterrecht 405 Begriff und Inhalt 405 Das Geschlechtererbrecht und die Majorate 408 C. Das Berufsrecht 410 Zweiter Theil . Die Verwaltung und die gesellschaftliche Noth 411 Begriff und Princip 411 System und Elemente der Geschäfte 413 I. Gesellschaftliche Polizei der Noth 414 a) Die Theurungspolizei 414 b) Bettelpolizei und Arbeitshäuser 417 II. Das Armenwesen 419 Armuth und Armenwesen 419 Elemente der Geschichte des Armenwesens 421 A. Armenverwaltung 425 Organisation derselben 425 B. Das Armenrecht 430 C. Das System der Armenpflege 432 1) Die Armenkinderpflege 432 a) Waisenpflege 432 b) Findelkinder 433 c) Krippen und Warteschulen 434 d) Armenschul- und Armenerziehungswesen 435 2) Das Armenkrankenwesen 436 a) Hospitäler, Taubstummen-, Blinden- und Irrenan- stalten 436 b) Armenkrankenpflege 437 3) Die eigentliche Armenunterstützung 437 a) Die Armenbetheilung 438 b) Versorgungshäuser 439 Dritter Theil . Die Verwaltung und die gesellschaftliche Entwicklung 439 Begriff der socialen Frage 439 Elemente der Geschichte der socialen Verwaltung 442 System der gesellschaftlichen Verwaltung 444 I. Das Hülfskassenwesen. Funktion derselben 446 a) Pfand- und Leihanstalten 446 b) Die Sparkassen 447 Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. II Seite II. Das gesellschaftliche Versicherungswesen ( Prévoyance mutuelle, Friendly societies ) 449 III. Die Selbsthülfe und ihr Vereinswesen 453 Princip 453 System 454 a) Arbeitervereine 454 b) Arbeiterverbindungen 456 Einleitung . Begriff der Inneren Verwaltung und der Vollziehenden Gewalt. Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 1 Die Innere Verwaltung. Einleitung . Je weiter die Gesittung unserer Zeit fortschreitet, um so klarer wird die Bedeutung des Satzes, daß wir im Wesentlichen die Epoche der Verfassungsbildung überwunden haben, und daß der Schwerpunkt der weiteren Entwicklung in der Verwaltung liegt. Nicht als ob die Verfassung dadurch ihre Bedeutung verlöre, sondern weil wir durch die Verfassung zur Verwaltung gelangen. Es scheint daher eine der großen Aufgaben der nächsten Zukunft zu sein, diese Verwaltung nicht bloß auszubilden, sondern sie mit ihren Principien und ihren Gebieten zu einem inwohnenden, stets lebendigen Theile des öffentlichen Lebens zu machen. Während man bisher ge- fordert hat, daß jeder Staatsbürger ein Bewußtsein von der Verfassung seines Staats haben müsse, werden wir in Zukunft sagen, daß die wahre Berechtigung zur Theilnahme am öffentlichen Leben mindestens eben so sehr in einem klaren Bewußtsein von der Verwaltung , ihren Grundsätzen, ihren Aufgaben und ihrem Recht liegt. Das wird zwar nur langsam ein Theil der öffentlichen Meinung werden, aber unsere Zeit lebt rasch und arbeitet unaufhaltsam vorwärts. So behaupten wir denn, daß es keine fertige staatliche Bildung gibt, wenn sie nicht die Lehre von der Verwaltung mit gleichem Recht neben die der Verfassung stellt. Ja wir behaupten, daß die Verwal- tungslehre die Pandekten der Staatswissenschaft sind, und für diese Pandekten soll das vorliegende System die Stelle der Institutionen vertreten. Allein soll das erreicht werden, so muß man für die Verwaltung anerkennen, was für alle Theile der menschlichen Erkenntniß gilt. Der Theil empfängt sein Wesen und sein Verständniß durch das Ganze. Dieß Ganze ist der lebendige Staat, wie er sich mit seinen absolut organischen Elementen durch die großen Faktoren von Land und Volk, Wirthschaft und Gesellschaft zu seinen hundertfach verschiedenen indivi- duellen Gestaltungen historisch ausgebildet hat. Die künftige Verwal- tungslehre wird diese Grundlage voraussetzen können, wenn man sich darüber einig geworden sein wird; wir können es bis jetzt noch nicht. Die Institutionen des Verwaltungsrechts werden daher nothwendig die ersten Elemente der Lehre vom Staat mit in sich aufnehmen müssen, um die erste Bedingung richtigen Verständnisses, den organischen Zu- sammenhang mit dem Ganzen des Staatslebens auf jedem Punkte in lebendigem Bewußtsein auf sich zu nehmen. So wird sie die Wahrheit auch des Satzes beweisen, daß zuletzt stets der Beweis für die Richtig- keit des Einzelnen nicht in ihm, sondern in seinem Zusammenhange mit dem Ganzen besteht. Das große Verbindungsglied zwischen der Idee des Staats und der Verwaltung überhaupt, im besondern der innern Verwaltung, ist nun der Begriff und der Inhalt der vollziehenden Gewalt . Sie ist der große selbständige Organismus, durch welchen die Grundsätze der Verfassung in die Verwaltung übergehen . Denn in jedem Punkte der Verwaltung erzeugt die Verfassung das Gesetz derselben, die vollziehende Gewalt aber ihre Ausführung. So tritt uns in Verfassung, Vollziehung und Verwaltung der lebendige Staat entgegen. Und dieß darzulegen, ist die Aufgabe dieser Institutionen des Verwaltungsrechts. Wir dürfen eine Bemerkung vorauf senden. Nachdem in der zweiten Auflage der vollziehenden Gewalt (3. Bd.) der Stoff mit ziemlicher Reichhaltig- keit gegeben ist und die ersten Gebiete der inneren Verwaltung (Bd. 2 bis 7) ausführlich behandelt sind, so haben wir die vollziehende Gewalt nur in ganz kurzer Uebersicht hier mit aufgenommen, und die ersten Gebiete der Verwaltung gleichfalls in möglichster Gedrängtheit dargestellt. Das Mißverhältniß zwischen den spätern noch nicht ausführlich behandelten und jenen ersten Theilen dürfte dadurch erklärt und motivirt erscheinen. Der organische Staatsbegriff. I. Der Staat und seine organischen Grundbegriffe. Die Gemeinschaft der Einzelnen ist ein durch das Wesen der ein- zelnen Persönlichkeit selbst gegebenes Moment derselben. Als solches, nicht durch den Willen und die Willkür, sondern durch den Begriff der Einzelnen selbst gesetztes Leben wird sie selbst zur Persönlichkeit. Und diese zur selbständigen, selbstbewußten und selbstthätigen Persön- lichkeit erhobene Gemeinschaft ist der Staat. Als Persönlichkeit besitzt er die Elemente alles persönlichen Daseins. Er ist zuerst ein thatsächliches Dasein; als solches besteht er aus Körper und Seele. Er ist aber zweitens ein selbstbestimmtes Wesen. Seine Selbstbestimmung beruht daher auf den drei Elementen, welche den Inhalt derselben überhaupt bilden. Er hat sein Ich, seinen bewußten Willen und seine That. Er ist aber darum die höhere Form der Per- sönlichkeit, weil in ihm diese drei Elemente zu selbständigen, von ein- ander geschieden erkennbaren und wirkenden Organismen werden. Auf der Scheidung dieser Organismen beruht ihre selbständige Funktion. Jeder derselben hat seine Aufgabe. Das Zusammenwirken derselben bildet das, was wir das Staatsleben nennen. Ein geord- netes Staatsleben ist dasjenige, in welchem jedes Organ nur seine Funktionen vollzieht. Unorganisch wird dasselbe, wenn ein Organ die Funktion des andern übernimmt. Der Staat hat daher seine Gesund- heit und seine Krankheit. Verständlich werden beide erst durch den organischen Staatsbegriff. Dieser aber ist nichts anderes, als die Auf- lösung des Begriffs der Persönlichkeit und seines Inhalts. Klar wird diese Auflösung, so wie wir jene Elemente mit dem Namen bezeichnen, den sie im Staate haben. Der Körper des Staats ist das Land . Die Verschiedenheit des Landes ist eben so wichtig für den Staat, wie die Verschiedenheit des Körpers für den Menschen. Die Beschreibung des Landes ist die Geo- graphie; die höhere Auffassung des Landes würde die Physiologie des Staatslebens ergeben. Die Seele des Staates ist sein Volk . Die Beschreibung des Volkes ist die Ethnographie. Die Völkerlehre faßt die Besonderheit des Volkes vom höheren Standpunkt als staatbildenden Faktor auf. Sie kann nur mit dem geistigen Auge erschaut werden. In Land und Volk hat der Staat seine Individualität . Beide wirken beständig, aber gegenseitig auf einander ein. Das Verständniß dieser gegenseitigen Einwirkung bildet den Beginn und die Grundlage alles Verständnisses der Entwicklung und Gestalt des Staats. Aus ihrer nie ruhenden Wechselwirkung entsteht das, was wir das natür- liche Leben des Staats nennen. Eine solche individuelle Gestalt seines natürlichen Lebens hat jeder Staat. Man kann durch dasselbe nicht alles, aber ohne dasselbe im wirklichen Staat nichts vollständig erklären und verstehen. Diesem natürlichen steht das persönliche Leben des Staats gegenüber. Sein erstes Organ ist das Staatsoberhaupt . Seine Funktion ist es, die persönliche Einheit aller Momente des Staats darzustellen und in einem persönlichen Dasein und Willen zu vertreten. Es ist das Ich des Staats. Es kann kein Staat ohne ein solches selbständiges Oberhaupt sein; denn in ihm ist der Punkt gegeben, in welchem das Leben des Staats, sich über alle Besonderheit und alle Interessen er- hebend, seine höchste persönliche Einheit fühlt und zur Geltung bringt. Das zweite Organ ist das des Staatswillens . Wie der Staat an sich zuerst die Einheit einzelner Persönlichkeiten ist, so kann der Staatswille auch zuerst der rein persönliche Wille des Staatsoberhaupts sein. Allein da jede einzelne Persönlichkeit zugleich ihrem Wesen nach selbstbestimmt ist, so ist der Wille des Staats so lange ein unorganischer, als dieß Moment der individuellen Selbst- bestimmung nicht in den Staatswillen aufgenommen ist. Die Aner- kennung dieser Selbstbestimmung des Einzelnen innerhalb der Einheit des Staats nennen wir die Freiheit . Der Staatswille ist daher erst dann ein organischer, wenn er ein freier ist. Die Aufnahme der indi- viduellen Selbstbestimmung in den persönlichen Willen des Staats fordert einen Organismus, und die Bildung des einheitlichen Willens aus der Selbstbestimmung aller Einzelnen ist nothwendig ein Proceß. Jenen Organismus demnach, der vermöge dieses Processes den freien Staatswillen bildet, nennen wir die Verfassung . Einen Staats- willen hat jeder Staat; aber zum freien Staatswillen gelangt er erst nach einer langen, unter den härtesten Entwicklungskämpfen vor sich gehenden Arbeit der Geschichte. Dieser Entwicklungskampf ist die Ge- schichte der Freiheit; die Erkenntniß, daß auch hier große Gesetze walten, und das Verständniß dieser Gesetze bildet die Wissenschaft dieser Geschichte. Das dritte Organ ist das der That des Staats . Die That des Staats entsteht, indem der in der Verfassung organisch gebildete Wille desselben sich in den thatsächlichen Lebensver- hältnissen verwirklicht. Diese nun sind in Land und Volk, Wirthschaft und Gesellschaft verschieden und ewig wechselnd. Der Wille des Staats dagegen ist wie jeder Wille, eine Einheit. Zwischen diesen beiden großen Faktoren, der Besonderheit des thatsächlichen Daseins, das den Staat erfüllt, und der Einheit seines Willens, welche jene beherrscht, besteht daher ein beständiger, nie ruhender Kampf, in welchem sich gegenseitig beide Elemente im Dienste der höchsten Idee der persönlichen Entwicklung mit oder ohne Bewußtsein gegenseitig erfüllen, ersetzen und der Zukunft entgegendrängen. Und dieser wunderbare Proceß des Werdens, diese hö ch ste Form des Kampfes zwischen Natur und Persön- lichkeit, ist das Leben des Staats. Sein Verständniß aber, auf das organische Verständniß der einzelnen ihn bestimmenden Faktoren zurück- geführt, ist die Geschichte . Nur die Menschheit hat in ihrem Staate eine Geschichte, denn nur für das persönliche, nicht für das natürliche Dasein gibt es eine Zeit, wie es nur für sie ein Maß gibt. Das alles nun aber gilt nicht bloß für den Staat im Ganzen, sondern zugleich — und das ist der Reichthum des menschlichen Lebens — für jeden einzelnen Theil desselben. Der Theil, von dem hier die Rede ist, ist die Verwaltung . II. Der organische Begriff und Inhalt der Verwaltung. Die Verwaltung ist daher, ihrem allgemeinen Begriffe nach, das- jenige Gebiet des organischen Staatslebens, in welchem der Wille des persönlichen Staats durch die That der dazu bestimmten Organe in den natürlichen und persönlichen Lebenselementen des Staats verwirk- licht wird. Wie die Gesetzgebung der wollende, so ist die Verwal- tung der thätige Staat . In diesem Sinne entwickelt der Begriff der Verwaltung seine beiden Seiten. Er ist, wie jede That, zuerst ein formaler, syste- matisch darzulegender Organismus, und dann das, was wir einen organischen Faktor des Lebens der Staaten nennen. A. Das formale System der Verwaltung . Es ist das höhere Wesen des Staats, daß in ihm die, ungeschieden in der Einzel- persönlichkeit liegenden Elemente als selbständige Organe zur Erscheinung gelangen. So scheidet sich denn in der Verwaltung die That an sich von der wirklichen Thätigkeit, das ist die Vollziehung und die eigentliche Verwaltung. 1) Die vollziehende Gewalt . Alle Verwaltung ist nämlich zuerst die selbständig gedachte Funktion der Verwirklichung oder Aus- führung an sich, noch ohne Rücksicht auf alle die Modifikationen, welche durch die spezielle Aufgabe der Ausführung in der wirklichen praktischen Thätigkeit entstehen. Diese Funktion erscheint äußerlich als ein zur Ausführung bestimmter Organismus; innerlich enthält sie die Bedin- gungen der Ausführung, d. h. das Recht auf alles, ohne welches die Ausführung nicht möglich ist. Diese selbständig gesetzte, mit eigenem Organ und eigenem Recht versehene Funktion der Ausführung des Staatswillens ist die Vollziehende Gewalt . 2) Die wirkliche Verwaltung im weitesten Sinne. — Der Inhalt der wirklichen Verwaltung entsteht, indem wir zweitens die großen, gleichfalls selbständig gedachten Lebensgebiete des Staats, welche wir als selbständige Aufgaben sowohl für die Gesetzgebung als für die Vollziehung, die Verwaltungsgebiete (und nach ihren Verwaltungsorganen des verfassungsmäßigen Staates die Ministerien ) nennen, für sich betrachten. Aus dem Wesen des Staats ergibt es sich, daß sich diese Ver- waltungsgebiete in zwei Gruppen theilen. Die erste bezieht sich auf die Verhältnisse des einzelnen Staats zu andern Staaten; die zweite auf seine innern Lebensverhältnisse. Aus dem Verhältniß zu andern Staaten geht zunächst die Auf- gabe hervor, den friedlichen Verkehr mit denselben zu regeln. Dieser Verkehr ist entweder ein Verkehr der Staaten als einheitlicher Persön- lichkeiten, oder ein Verkehr der einzelnen Staatsangehörigen unter- einander. Die Verwaltung der ersteren nennen wir die Verwaltung (Ministerium) der auswärtigen Angelegenheiten , die der zweiten ist das Consulatwesen . Die Selbständigkeit, Ehre und Macht des einzelnen Staates gegen- über dem andern ist der Gegenstand der Verwaltung der bewaffneten Macht (des Kriegsministeriums). Das Recht beider Verwaltungsgebiete ist das Völkerrecht ; die Wissenschaft des ersteren ist die Staatskunst (Politik), die des zweiten die Kriegswissenschaft . In den innern Lebensverhältnissen ist der erste Gegenstand der Verwaltung das wirthschaftliche Leben des Staats, das wir nach seinem Haupttheile die Finanzen, und ihre Verwaltung die Finanzverwal- tung (Finanzministerium) nennen. Die Gesammtheit der dafür geltenden Bestimmungen bildet das Finanzrecht ; die Grundsätze, nach welchen diese Verwaltung vorzugehen hat, lehrt die Finanzwissenschaft . Der zweite Gegenstand ist die Erhaltung der Unverletzlichkeit der einzelnen Persönlichkeit im Verkehr mit der andern, oder die Verwirk- lichung des Privatrechts. Die Gesammtheit der dafür geltenden Be- stimmungen enthalten das bürgerliche und das Strafrecht . Die Gesammtheit der Regeln, nach welchen die Verwaltung beider Rechts- gebiete vollzogen wird, bildet das Recht des (bürgerlichen und Straf-) Processes ; die Wissenschaft desselben ist die Rechtswissenschaft ; die wirkliche Verwaltung ist die Rechtspflege (Justizministerium). Das dritte Gebiet des inneren Lebens beruht nun darauf, daß der wirkliche Staat eben in der Gesammtheit seiner Angehörigen besteht, und daß daher der Grad der ganzen persönlichen Entwicklung jedes Einzelnen zugleich zum Grad und Inhalt der Entwicklung des Staates selber wird. Damit wird dann dieser Fortschritt jedes Einzelnen zu einer wesentlichen Aufgabe des Ganzen; die darauf bezügliche Thätig- keit des Staats nennen wir die innere Verwaltung , das für dieselbe geltende Recht das innere Verwaltungsrecht , die Grundsätze, nach denen sie vorzugehen hat, sind die Verwaltungslehre , und der Organismus heißt im Allgemeinen die Verwaltung des Innern . 3) Auf diese Weise ergibt sich nun, daß wie die That an sich allen einzelnen Thätigkeiten mit ihren organischen Grundverhältnissen zum Grunde liegt, so auch die vollziehende Gewalt allen Gebieten der Verwaltung in ihren Principien gleichmäßig angehört, weßhalb wir auch sagen, daß die vollziehende Gewalt durch alle Ministerien ge- bildet wird. Die Lehre von der vollziehenden Gewalt ist daher nicht etwa der allgemeine Theil der inneren Verwaltung, sondern der allge- meine Theil der Verwaltung überhaupt . Wir senden sie aber speziell der inneren Verwaltung voraus, theils weil überhaupt noch eine Darstellung derselben mangelt, theils aber weil sie allerdings erst in der inneren Verwaltung ihre volle Entwicklung enthält, und auf diesen Elementen beruht der formale Inhalt des Folgenden. B. Das organische Wesen der Verwaltung . Das nun, was wir das organische Wesen der Verwaltung nennen, ist das Ver- hältniß der letzteren zu dem persönlichen Willen des Staats, dem Gesetze, den sie zu verwirklichen bestimmt ist. Kein persönliches Leben vermag mit seinem einzelnen bestimmten Willen sein ganzes Wesen zum Ausdruck zu bringen. In der wirklichen That erst gestaltet sich der ganze Inhalt seines Lebens. Wo sich daher diese That von dem Willen selbständig scheidet, wie in der Verwaltung die That des Staats, da scheidet sich auch das Leben selbst in zwei große Funk- tionen, die selbstthätig neben einander stehen. Es kann nicht ge- nügen, daß die Verwaltung bloß den bestimmten einzelnen Willen des Staats einseitig ausführe; sie muß vielmehr, indem sie das wirkliche Dasein auf allen Punkten in sich aufnimmt, die Gesetzgebung erfüllen und zum Theil ersetzen. Sie ist daher nicht ein bloß der Gesetzgebung untergeordnetes Gebiet, sondern sie hat vielmehr mit der Gesetzgebung zugleich das allgemeine Wesen des Staats zum Ausdruck und zur Geltung zu bringen. Das ist ihre höhere in keinem einzelnen Punkte erschöpfte Bedeutung und diese kehrt uns in jedem Gebiete sowohl der vollziehenden Gewalt und ihres Organismus, als der Verwaltung und ihrer einzelnen Aufgaben, am meisten gerade in der inneren Verwaltung, wieder. In diesem Geiste muß die Verwal- tungslehre arbeiten; dadurch ist sie jeder höheren Entwicklung unfähig, so lange sie sich nicht eben dieses Wesen des Staats zur klaren An- schauung bringt, und jeden ihrer Theile damit durchdringt; und erst in diesem Sinne ist sie das wichtigste und mächtigste Gebiet nicht etwa der positiven Kenntniß der bestehenden Ordnungen, sondern sie ist die praktische Vollendung der Staatswissenschaft . III. Begriff, Geschichte und Vergleichung des Verwaltungsrechts. Während nun somit der organische Begriff des Staats sich aus dem Wesen desselben entwickelt, enthält das Recht die zweite Grund- form des Daseins der letzteren. Es ist deßhalb nothwendig, zu wissen, was eigentlich das Recht des Staats überhaupt, und das Recht der Verwaltung im Besondern bedeuten. A. Begriff und Elemente des öffentlichen Rechts , wie des Verwaltungsrechts im Besondern . Das Recht ist formell die unverletzliche Gränze eines persönlichen Daseins gegenüber dem an- dern. Es beruht darauf, daß die Persönlichkeit ihr eigenes Wesen zur äußeren Erscheinung bringt; die Selbstbestimmung der Persönlich- keit an sich wird damit zur Unverletzlichkeit ihrer Erscheinung für an- dere. Will ich daher erkennen, was durch das Recht geschützt ist, so muß ich fragen, was durch die Persönlichkeit geworden ist. Das Recht also, indem es für jeden Theil und jede Bethätigung dieses werdenden Lebens der Persönlichkeit gilt, enthält die concrete Gestalt dieses Le- bens der letzteren, und zwar nicht mehr als einen philosophischen Ge- danken, sondern als eine objektive Thatsache für den Andern . Erst in dem Rechte ist die eine Persönlichkeit für die andere als Ganzes und in ihren einzelnen Lebensverhältnissen als solche vorhanden. Daraus folgt, daß jedes Recht nur für die wirkliche Persönlichkeit, nicht für die Natur und auch nicht für den Geist da ist. Es folgt ferner, daß der Inhalt je des bestimmten Rechts stets ein dem Wesen der Persönlichkeit entspringendes Verhältniß sein muß; denn nur das Persönliche kann die einzelne Persönlichkeit begränzen. Es folgt mit- hin endlich, daß, wenn ich das Recht begreifen will, ich dasselbe in seiner Quelle, dem persönlichen Leben begreifen muß. Bleibt das Recht bei der Kenntniß seiner einzelnen Sätze stehen, so entsteht die Rechts- kunde . Erhebt es sich dazu, diese einzelnen Rechtssätze als organische Folgen des Wesens der Persönlichkeit zu erkennen, so entsteht die Rechtswissenschaft . Der Staat nun ist die persönliche Einheit aller einzelnen Persön- lichkeiten. Als solche muß er die Selbständigkeit der letzteren bestim- men. Dadurch entsteht eine Gränze für beide, aus dem Wesen beider entspringend, welche das ganze Staatsleben durchdringt, weil es eben aus der Einheit und Selbständigkeit aller in ihm entspringt. Und die Gesammtheit aller daraus folgenden Rechtssätze nennen wir das öffent- liche Recht , im Gegensatze zum Privatrecht , das aus den Berüh- rungen des Einzelnen mit dem Einzelnen entspringt. Das öffentliche Recht enthält daher die Gesammtheit der Begränzungen der Einzelnen durch ihre Einheit mit der Persönlichkeit des Staats. Da nun der Staat ein organisches Wesen ist, so folgt, daß jedes seiner organischen Elemente wieder sein eigenes Recht hat. So entsteht der Begriff des Systems des öffentlichen Rechts, das wir das Staatsrecht nennen, indem es das Recht der Persön- lichkeit des Staats ist. Das Staatsrecht enthält daher das Recht des Staatsoberhaupts, das Recht der Verfassung und das Recht der Ver- waltung, und innerhalb des letzteren das Recht der vollziehenden Ge- walt und der eigentlichen Verwaltung. Und auch hier wieder ist es klar, daß die Rechtskunde die Kenntniß der positiv bestehenden Rechts- normen ist, während die Rechtswissenschaft dieselben aus dem Wesen des Staats entwickelt. Die Wissenschaft des Verwaltungs- rechts zeigt daher das Recht der Verwaltung im weitesten Sinne als Consequenz und Bedingung der Funktionen, welche wir die Verwaltung nennen; die Wissenschaft des Verwaltungsrechts ist daher keine selb- ständige Wissenschaft, sondern das Correlat der Verwaltungslehre — die Verwaltung als rechtlich anerkannte Thatsache neben der Verwaltung als organische Funktion. Dieß sind die formalen Grundbegriffe des Rechtssystems; und es ergibt sich somit, daß es kein eigenes Rechts - system der Verwaltung geben kann, sondern daß das Rechtssystem der- selben mit ihrem organischen System identisch ist und sein muß . B. Die Elemente der Rechtsgeschichte . Das Eine, was bei dieser Auffassung ungelöst bleibt, ist nun die Frage nach dem Wechsel des Rechts. Der allgemeine Begriff des Werdens aller Persönlichkeit, also auch des Staats, erklärt zwar die Verschiedenheit, nicht aber den Inhalt desselben. Von allen Gebieten des Rechts wechselt aber das Verwaltungsrecht am meisten. Hier am wenigsten reichen daher Rechts- kunde und Rechtswissenschaft aus. Erst die zur Wissenschaft erhobene Geschichte des Rechts gibt das Verständniß dieses zum Theil höchst interessanten Wechsels von Erscheinungen, welche das ganze Leben der Rechtsbildung in der Verwaltung durchdringen. Die Grundlage dieser Wissenschaft, die hier vorausgesetzt werden muß, ist nun die Wissenschaft der Gesellschaft. Die Gesellschaft hat drei große Grundformen, die sich in der ganzen Welt wiederholen, oft in der wechselndsten Weise verbunden und ver- mengt sind, oft in den stärksten Kämpfen einander entgegentreten. Die erste dieser Formen ist die Geschlechterordnung , deren Lebens- princip die Einheit der Menschen unter einander auf Grundlage der gemeinsamen Abstammung ist; die zweite ist die ständische Ordnung , in welcher die Gemeinschaft des Berufes die Grundlage und der Zweck der Einheit ist. Die dritte ist die staatsbürgerliche Ordnung , deren Princip die Gleichheit und Freiheit des Einzelnen innerhalb der Einheit ist. Jede dieser Gesellschaftsordnungen erzeugt nun eine ihr angehörige Gestalt des Lebens aller Menschen; mit dieser Gestalt auch das ihr entsprechende Recht; jede Gesellschaftsordnung hat daher das ihrem Wesen entsprechende Staatsrecht , das ist ihr Recht des Oberhaupts, ihre Verfassung und ihre Verwaltung, wie es andererseits nicht minder feststeht, daß jede Gesellschaftsordnung auch ihr Privatrecht erzeugt. Die Geschichte der Gesellschaft wird damit zur Grundlage auch der Ge- schichte der Verwaltung und ihres Rechts, und der leitende Grundsatz für die Entwicklung der Rechtsgeschichte der Verwaltung ist daher der, daß alles positive Recht der letzteren auf die herrschende Gesellschafts- ordnung, aller Wechsel und alles Werden des Rechts auf den Kampf und die Entwicklung derselben zurückgeführt werden muß. Dieser Kampf oder dieser Lebensproceß der Gesellschaft aber, oder das Werden der einen Ordnung aus der andern, beruht wieder auf dem Zusammen- wirken dreier großer Faktoren. Der erste dieser drei Faktoren ist der arbeitende Geist selbst, dessen Ergebnisse uns als die Rechtsphilosophie erscheinen. Der zweite ist die Natur des gewerblichen Besitzes . Der dritte ist die zum Bewußtsein ihres Wesens gelangende Idee des Staats ; die Persön- lichkeit des Staats, die erkennt, daß das Maß und die Kraft ihrer Entwicklung in dem Maß und der Kraft der Entwicklung aller der Einzelnen gegeben ist, welche eben die Gemeinschaft bilden. So ent- steht in jedem Rechtsgebiet im Staate im Allgemeinen, aber zugleich in jedem Verwaltungsgebiet im Besondern ein Leben, in welchem die Idee des Rechts — das Gerechte, το δικαιον — mit dem positiven, durch die bestehende Gesellschaftsordnung gesetzen Rechte kämpft, und sich gegenüber den gesellschaftlichen Ordnungen ihre Anerkennung und Geltung zu erzwingen sucht. Diese Bewegung ist der größte organische Proceß, den die Welt kennt . Es ist der Entwick- lungsproceß, in welchem der Geist sich durch seine eigene Arbeit zur Herrschaft über das thatsächliche Dasein erhebt. Das ist das wahre und ewige Leben der Erde, und die Geschichte dieses gewaltigen, alle vergangenen Jahrtausende umfassenden und alle kommenden erfüllenden Processes ist die Weltgeschichte . Und indem die Verwaltungslehre diese höchsten Gesichtspunkte in sich verarbeitet, wird sie das, was sie sein soll, nicht ein beschränktes Gebiet der praktischen Bildung, sondern eine bestimmte Gestalt der höchsten Wissenschaft des menschlichen Lebens überhaupt. Und erst darin wird sie ihre Vollendung finden. C. Dem vergleichenden Verwaltungsrecht liegt nun die Thatsache zu Grunde, daß jedes Volk und Land jene großen Elemente der positiven Rechtsbildung in seiner Weise besitzt und entwickelt, und dadurch der Verwaltung im Ganzen und den einzelnen Gebieten der- selben ihre nationale und staatliche Individualität gibt. Erst in dieser individuellen Verschiedenheit des an sich Gleichen erscheint der wahre, unerschöpfliche Reichthum des Lebens der Welt, und wir können unbe- dingt sagen, daß derselbe nirgends größer ist, als gerade auf dem Ge- biete der Verwaltung und ihres Rechts. Das vergleichende Verwal- tungsrecht enthält nun zuerst die formale Vergleichung, als ver- gleichende Rechtskunde, in dem bloßen Nebeneinanderstellen der geltenden Verschiedenheiten, das seinerseits nur den Werth hat, das Material für die wahre Vergleichung zu bieten. Diese oder die organische Vergleichung ist die Darstellung der positiven Verschiedenheiten des gel- tenden Rechts der Verwaltung als Ausdruck und Consequenz des Charakters und Lebens des Volkes, für welche es gilt und durch welche es gebildet ist. Ihre Grundlage ist das Studium der wirth- schaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Zustände des Landes einer- seits und des Volkscharakters andererseits; ihre Vollendung ist das organische und lebendige Bild des innern Staatslebens Europas . Die Hauptformen desselben sind und bleiben die drei großen Culturvölker unseres Welttheils, England, Frankreich und Deutschland mit ihrer tiefen Gleichartigkeit in den Elementen und ihrer oft schlagen- den Verschiedenheit in der wirklichen Gestalt ihres Rechts — Englands, wo das rechtlich freie und gleiche Individuum die Gewalt der Regie- rung zu wenig; Frankreichs, wo der Glanz der centralen Staatsent- wicklung der Regierung zu viel Gewalt gegeben hat, und Deutschlands, das, mit seinen selbständigen Staaten und Stämmen eine Welt für sich, in der Wissenschaft die Harmonie zwischen beiden Grundformen gesucht und in der Gesetzgebung sie zum Theil auch gefunden hat. Die übrigen Völker reihen sich mehr oder weniger klar an diese Grund- formen an; es mag daher im Beginne der Wissenschaft genügen, die Vergleichung bei jenen drei Hauptvölkern stehen zu lassen. Und damit sind dann die Elemente des Folgenden angedeutet, welches auf Grund- lage des wissenschaftlichen Systems die Geschichte und das positive Recht der Verwaltung darlegen und vergleichen wird, zuerst für die voll- ziehende Gewalt und dann für das System der inneren Ver- waltung . Die vollziehende Gewalt. Begriff und Wesen . Die vollziehende Gewalt ist demnach die, vermöge der höher ent wickelten Persönlichkeit des Staats selbständig erscheinende , mit eigenem Organismus und eigenem Recht versehene That des Staats , deren Inhalt eben die Verwaltung ist. Sie ist als solche die große, den ganzen Staat durchziehende, auf jedem Punkte thätige Vermittlung zwischen dem Willen des Staats und seinen wirklichen, natürlichen und persönlichen Zuständen. Sie kommt in allen Gebieten des Staatslebens beständig zur Erscheinung; allerdings aber tritt sie in der inneren Ver- waltung bei weitem am deutlichsten hervor, so daß die letztere ohne sie nie ganz erkannt werden kann. Von ihr als von einem selbstän- digen Theile der Staatswissenschaft ist daher auszugehen. Die Lehre von der vollziehenden Gewalt zerfällt in den allgemeinen Theil mit der Darstellung der Vollzugsgewalten , der Organisa- tion und dem Recht derselben, und den besondern mit der Anwen- dung dieser Grundbegriffe auf die drei Grundformen der Regierung , der Selbstverwaltung und des Vereinswesens . Allgemeiner Theil. I. Die Vollzugsgewalten und die Staatsgewalt. Die Grundlage der Lehre von der vollziehenden Gewalt sind einzelne Momente derselben, welche wir die Vollzugsgewalten nennen. Diese Momente sind nichts, als die Auflösung des abstrakten Begriffes der That in die einzelnen Momente, deren Vorhandensein die Bedingung jeder Thätigkeit ist, und die nur im Staate selbständig zur Erscheinung gelangen. Das erste ist der auf die Thätigkeit selbst ge- richtete selbständige Wille, den wir als Willen der vollziehenden Gewalt die Verordnung nennen, von der sich wieder die Verfügung scheidet als der Vollzugswille der niederen Organe. Das zweite ist die Herstellung der für diese Thätigkeit nothwendigen Organe der voll- ziehenden Gewalt. Das dritte ist die Anwendung der äußeren wirk- lichen Macht, um die Ausführung sowohl gegen die Natur als gegen den Willen der Einzelnen zu verwirklichen, der Zwang . Alle Voll- ziehung enthält daher die drei Momente der Verordnung und Ver- fügung mit ihren Unterarten, der Organisation und des Zwanges. Als Inhalt der vollziehenden Gewalt nennen wir sie die Verordnungs-, Organisations- und Zwangsgewalt; als dem Staate immanente Ge- walten bilden sie wieder ein Ganzes, und heißen in diesem Sinne die Staatsgewalt . Sie stehen alle jedem Vollziehungsorgane des Staates bis zu einem gewissen Grade zu; ihre Vertheilung und Gestaltung aber beruht zunächst auf dem Organismus der vollziehenden Gewalt. II. Die organischen Grundformen der vollziehenden Gewalt. Wie der Begriff der vollziehenden Gewalt, so gehen auch die Grundformen derselben aus dem Wesen des Staats hervor; denn sie haben eben dieses Wesen selbst im thätigen Leben desselben zur Ver- wirklichung zu bringen. Die vollziehende Gewalt ist demgemäß wie der Staat selbst, eine persönliche und einheitliche; und diese persönliche und einheitliche Gestalt der Vollziehung ist die Regierung . Sie ist aber zugleich eine Ein- heit von selbständigen Persönlichkeiten; und indem die Thätigkeit der letzteren mitwirkend in die Vollziehung aufgenommen wird, entsteht die freie Verwaltung. Die freie Verwaltung hat wieder zwei Grund- formen, die Selbstverwaltung und das Vereinswesen , beide mit eigener Grundlage und eigenem Wirkungskreis. Aus Regierung, Selbstverwaltung und Vereinswesen besteht daher der Organismus der vollziehenden Gewalt in allen Staaten und zu allen Zeiten. Allerdings aber ist sowohl jedes dieser Organe für sich, als ihr Verhältniß zu einander in den verschiedenen Zeiten sehr verschieden, und damit auch das verfassungsmäßige Verwaltungsrecht, das sie alle zugleich umfaßt. Die nähere Betrachtung dieser Verhältnisse ergibt, daß gerade in dieser Verschiedenheit ein wesentliches Element der In- dividualität der Staaten und Völker liegt; der große Zug der Gesammtentwicklung bildet dann das, was wir die Geschichte des innern Staatrechts nennen. Je weiter aber die organische Entwicklung geht, um so klarer tritt jedes Gebiet für sich hervor; und durch die selbstän- dige Behandlung aller dieser Theile für sich, in dem gemeinsamen Grundbegriffe des Staats zusammengefaßt, entsteht das, was wir das System des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts nennen. III. Das Recht der Vollzugsgewalt und seine Entwicklung zum verfassungsmäßigen Verwaltungsrecht. Für diesen Begriff und Organismus der vollziehenden Gewalt erscheint nun das Recht überhaupt dadurch, daß die Vollziehung faktisch das ganze Leben des Staats mit ihren Organen durchdringt, ihrem Wesen nach aber dennoch nur ein Theil des Staatslebens ist. Das Recht der Vollzugsgewalt ist daher die durch die organische Natur des Staats gesetzte Gränze für die erstere: das allgemeinste Princip dieses Rechts beruht darauf, daß die That dem Willen untergeordnet sein soll. Der Wille des Staats aber ist das Gesetz. Wir sagen daher, daß das Princip des Rechts der vollziehenden Gewalt die Unterordnung desselben in Verordnung, Organisation und Zwang unter das Gesetz ist, so weit eben ein Gesetz vorhanden ist ; daß aber die vollziehende Gewalt das Gesetz da zu ersetzen hat , wo es nothwendig ist und dennoch fehlt. Dieß sind die Grundlagen des Rechts der vollziehenden Gewalt. Die hohe Bedeutung dieses Rechtsprincips beruht nun darauf, daß ohne dasselbe der Wille von der That, und das Ganze des Staats von seinen einzelnen Organen beherrscht und damit unfrei wird. Die Grundlage der wahren Freiheit eines Staates ist daher das richtige, auf strenger rechtlicher Basis hergestellte Verhältniß zwi- schen Gesetzgebung und Vollziehung. Nun ist die Vollziehung zu allen Zeiten bestimmt und lebendig vorhanden gewesen. Allein es hat Jahr- tausende gedauert, bis man Begriff und Recht des Gesetzes von der- selben zu scheiden und diesen Unterschied als den Unterschied der beiden großen rechtlichen Kategorien des Gesetzes und der Verordnung bestimmt hat. Dieser Unterschied liegt im ganzen Staatsleben der Verfassungs- mäßigkeit zum Grunde; durch ihn erst ist auch der Begriff des ver- fassungsmäßigen Verwaltungsrechts möglich. Die Geschichte des letzteren ist daher die Geschichte des sich zur klaren und bewußten Geltung er- hebenden Begriffes und Rechts des Gesetzes . Diese nun, und mit ihr das Rechtsprincip der Verwaltung, hat drei große Stadien oder Grundformen. Ursprünglich fallen Gesetz und Verordnung in dem persönlichen Willen des Staatsoberhaupts zusammen; das ist, jede Verordnung ist Gesetz . Die Folge ist, da der Gesetzgeber unverantwortlich und das Gesetz absolut ist, daß die vollziehende Gewalt als gesetzgebende auf jedem Punkte das ganze Staatsleben beherrscht. Und da nun die- selbe nothwendig eine persönliche ist, so ist damit der ganze Staat dem persönlichen Willen des Staatsoberhaupts unterworfen, das ist, unfrei. Diesen Zustand nennen wir die absolute Monarchie ; ist der Wille des Staatsoberhaupts ein willkürlicher, so reden wir vom Despotis- mus ; ist seine Absicht eine auf die Entwicklung des Volks gerichtete, so entsteht der aufgeklärte Despotismus will er nur die Herrschaft als solche, so entsteht die Tyrannis ; nie aber ist dieser Zustand ein freier. Seine Heimath ist der Orient. Durch ihn gehen mit der Frei- heit der Einzelnen die Völker und Staaten als Ganzes zu Grunde. Den Gegensatz dazu bildet dasjenige staatliche Princip, nach wel- chem wieder die vollziehende Gewalt unselbständig ist, und die Gesetz- gebung, durch die Gesammtheit des Volkes gebildet, selbst die Voll- ziehung übernimmt. Hier wird jedes Gesetz zugleich Verordnung . Die Folge ist, daß die Vollziehung zu nichts berechtigt ist, als was das Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben hat, und daß daher zwar die Freiheit gewahrt ist, aber die Entwicklung des wirklichen Lebens still steht. Die weitere Folge aber besteht dann in der Herrschaft der In- teressen über die Gesetzgebung; es entsteht die Verwaltung der Majorität der Interessen und damit die Hemmung der freien gesellschaftlichen Bewegung. Diesen Zustand nennen wir die Republik ; die Herrschaft der Mächtigen über die Unmächtigen im Namen ihrer Interessen die Classenherrschaft ; der Kampf der unterworfenen Classe gegen die herrschende ist der Bürgerkrieg; die Folge ist die Auf- lösung der Freiheit durch denselben. Ihr Typus ist die alte Welt der Griechen und Römer; durch sie ist der Begriff und das Recht des Ge- setzes entstanden, aber das der freien Vollziehung untergegangen; auch sie vermag nicht, ein Verwaltungsrecht zu bilden. Erst die germanische Welt scheidet nun fest und bestimmt im Princip, wenn auch langsam und unter den härtesten Kämpfen, die Gesetzgebung von der Vollziehung. Sie trägt das Princip der Bildung des Staatslebens durch die organisirte Gesammtheit der Staatsbürger von Anfang an in sich; aber sie stellt das der selbständigen Staats- gewalt im Königthum daneben hin. So liegt in ihr von Anfang an der Keim des Begriffes vom Gesetz als Wille des Volkes im Unterschiede vom Begriff der Verordnung als Wille des Königs. Jahrhunderte hindurch vermag nun auch diese Welt wieder in ihrem Königthum den Begriff und das Recht des Staatsoberhaupts von dem der auch ihm gegenüber selbständigen Gewalt nicht zu scheiden; der öffentlich rechtliche Charakter der Geschlechter- und der Ständeordnung ist eben diese Vermischung des Staatsoberhaupts und seiner Vollziehung; und diese Vermengung hat zur Folge, daß das Princip der Unverant- wortlichkeit, das im unabweisbaren Wesen des Staatsoberhaupts liegt, die Bildung eines eigentlichen, freien Verwaltungsrechts und die Klärung über das Verhältniß zwischen Gesetz und Verordnung nicht zuläßt. Erst Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 2 in der staatsbürgerlichen Gesellschaft tritt diese Scheidung ein. Erst hier entsteht die Selbständigkeit der gesetzgebenden Gewalt in den Kammern, und die der vollziehenden Gewalt in den Ministerien, wäh- rend das Staatsoberhaupt über beiden steht, und jetzt ist daher auch ein Verwaltungsrecht als das Recht dieser drei Faktoren in Beziehung auf Wille und That des Staats möglich und nothwendig. Allerdings muß sich zu dem Ende zuerst die Selbständigkeit und das Recht des Gesetzes ausbilden; der rechtliche Begriff des „Gesetzes“ ist das große Kriterium des Beginnens dieser Epoche, oder des durch die Volksver- tretung unter Zustimmung des Staatsoberhaupts zu Stande gekommenen Staatswillens. So wie aber dieser feststeht, schließt sich daran die Bildung des Verwaltungsrechts als des Rechts der selbständigen Verordnung gegenüber dem Gesetze ; und dieses Recht ist es, welches wir das verfassungsmäßige Verwaltungsrecht nennen. Natürlich besteht auch dieses zuerst nur im Princip. Seine Entwicklung empfängt es, indem es klar wird, daß für die vollziehende Gewalt die bloße Ausführung der bestehenden Gesetze nicht genügen kann, sondern daß sie eine, fast auf allen Punkten über dasselbe hinausgehende, das Gesetz erfüllende und zum Theil ersetzende Funktion hat. Mit dieser Erkenntniß ist dann die zweite gegeben, daß die Vollzugsgewalt auch in dieser ihrer selbständigen Funktion in Harmonie mit dem Gesetze stehen muß. Daraus entsteht ein Proceß, der diese Harmonie auf jedem Punkte des Staatslebens erhält und wieder herstellt, wenn sie gestört ist. So wie dieser Proceß nun seinerseits wieder in feste rechtliche Form gebracht wird, entsteht daraus das System des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts. Dieses System aber schließt sich naturgemäß an die einzelnen Vollzugsgewalten der Vollziehung an, und so entstehen die elementaren Principien desselben, nach dem Wesen und dem Begriff der Verordnung, der Organisation und des Zwanges geordnet. Das oberste Princip dieses verfassungsmäßigen Verwaltungs- rechts ist demnach, daß die Verordnung nie mit dem Gesetze im Widerspruche stehen darf , so weit ein solches da ist. Wo sie es dennoch thut, wird diese Unterordnung hergestellt durch die Klage gegen die ungesetzliche Verordnung; steht aber die Verfügung mit der Verordnung im Widerspruch, so entsteht die Beschwerde . Beide sind absolute verfassungsmäßige Rechte der Staatsbürger. Wo aber die Verordnung über das Gesetz hinausgeht, weil es mangelt, da tritt die Verantwortlichkeit der Vollzugsgewalt ein, durch welche die Har- monie des Willens und der That desselben nicht mehr mit dem Wort- laut, sondern mit dem Geiste der Gesetzgebung hergestellt wird. Das ist das verfassungsmäßige Verordnungsrecht. Das zweite Princip ist das Recht der Organisation, nach welchem jede Funktion nur zu demjenigen berechtigt ist, wozu es durch die Organisation bestimmt war. Das Recht nennen wir die Competenz . Die Aufrechthaltung der Competenz wird gleichfalls durch Klage und Beschwerde gesichert; sie selbst bildet das zweite Element der verfassungs- mäßigen Ordnung. Das dritte Princip ist dasjenige, nach welchem der Zwang seine rechtliche Grenze findet. Die Herstellung dieser rechtlichen Grenze ge- schieht durch das Princip der individuellen Haftung der vollziehenden Organe, die durch Klage zur Geltung gelangt. Die Entwicklung des- selben bildet das verfassungsmäßige Zwangsrecht. Die Gesammtheit dieser Grundsätze des öffentlichen Rechts bildet nun das verfassungsmäßige Verwaltungsrecht . Die Entwick- lung desselben zu einem ausgebildeten Systeme ist aber nur dann möglich, wenn man dasselbe wieder auf die drei Grundformen der voll- ziehenden Gewalt, die Regierung, die Selbstverwaltung und das Ver- einswesen anwendet, indem die besondere Natur jeder derselben diesem verfassungsmäßigen Verwaltungsrecht wieder seine Gestalt gibt. Damit entsteht der Inhalt der letzteren, von welchem allerdings jeder Theil wieder sein Recht, seine Ordnung und seine Geschichte hat. Das nun bildet somit den besondern Theil des verfassungsmäßigen Ver- waltungsrechts. Besonderer Theil. A. Die Regierung und das verfassungsmäßige Regierungsrecht. I. Begriff und Organismus der Regierung. Das Staatsoberhaupt und die Regierung im eigentlichen Sinne. Die Regierung ist die persönliche Gestalt der vollziehenden Gewalt, und damit die Vertreterin der Persönlichkeit des Staats in seiner That. Die Regierung besteht daher aus zwei Elementen, dem Staats- oberhaupt , das zugleich das Haupt der gesetzgebenden Gewalt ist, und der eigentlichen Regierung , die den persönlichen Organis- mus der vollziehenden Gewalt enthält. Auf dem Unterschied ihrer Funktionen beruht zunächst der Unterschied ihrer Organisation, dann der Unterschied ihres Rechts; auf der Verbindung und Einheit beider die formale Natur und das Wesen der Vollziehung. I. Das Staatsoberhaupt , an sich das persönliche Haupt der Vollziehung, ursprünglich nur in der allein herrschenden Person des Königs bestehend, entwickelt in den höher gebildeten Staaten einen selbständigen, ihm angehörigen Organismus, dessen einzelne Theile specifische Funktionen und Rechte auch für die Vollziehung haben. Das Cabinet und der Hof sind für den persönlichen Dienst des Staatsoberhaupts bestimmt, jenes für die persönlichen Thätigkeiten, dieser für die persönlichen Bedürfnisse desselben. Die Staatswürden sind die organisirte Vertretung der Würde und Ehre des Staats; das Königthum als Haupt der Staatswürden ist die Krone . Das Heer ist die organisirte physische Macht des Staats. Es ist daher unfähig, einem andern als dem einheitlichen persönlichen Willen des Staatsoberhaupts zu dienen. Der Staatsrath ist seinem Wesen nach, in seiner Scheidung vom Ministerrath, das berathende Organ für die Funktion des Königs in Gesetzgebung und Vollziehung; in der Wirklichkeit ist er in den ver- schiedenen Ländern sehr verschieden organisirt und berechtigt, so daß sehr verschiedene Dinge unter diesem Namen zusammengefaßt werden. II. Während das Staatsoberhaupt die Vollziehung als individuellen Willen enthält, enthält die Regierung im eigentlichen Sinne dieselbe als ein System von Thätigkeiten, in welchem jede große Aufgabe des Staats sich durch die Mannichfaltigkeit ihrer Objekte zu einem systema- tischen Organismus entfaltet. Der Grundbegriff ist der des Amts ; das Amt ist das einzelne, mit selbständiger Competenz zur Vollziehung einer bestimmten Aufgabe vom Staatsoberhaupt oder in seinem Namen eingesetzte, und im Namen des Staats thätige Organ. Das System der Aemter zerfällt in die beiden Grundformen des Ministerial- und des Behördensystems . Das Ministerialsystem ist die persönliche Organisirung der (fünf) großen Verwaltungsgebiete. Der Minister ist die persönliche Spitze; die Gesammtheit der Minister bildet das Gesammtministerium , das im Ministerrath als Ganzes thätig ist. Erst im System der Mi- nisterien scheidet sich formell die vollziehende Gewalt von der gesetz- gebenden; und erst dadurch wird das System des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts zur Wirklichkeit. Das Behördensystem entsteht theils durch die besondere Natur der Verwaltungsaufgaben an sich, theils durch die Anforderungen der örtlichen Verhältnisse. In ersterer Beziehung schließt es sich an die allgemeine Entwicklung des staatlichen Lebens an, und schreitet mit ihr vor und zurück; in zweiter Beziehung schließt es sich an die Besonder- heiten von Land und Volk, und ist ein anderes in Gebirgsländern, in Ebenen, in Küstenländern, in den Städten und auf dem Lande. Hier erscheint die Individualität der Staaten wieder in ihrer vollen Bedeutung, die im Ministerialsystem mehr und mehr durch die Gleich- artigkeit der staatlichen Entwicklung verwischt wird. Mit allen diesen Organen wirkt nun die Regierung gleichzeitig, das Gleiche in den verschiedensten Formen und Verhältnissen wollend und vollziehend, Wir müssen daher die Funktion dieses Organismus selbständig betrachten, da sie dem Rechte desselben zum Grunde liegt. II. Die Funktion der Regierung. Die Funktion der Regierung ist ihrem Begriff nach einfach die Vollziehung des Staatswillens. Allein diese Funktion selbst ist an das System der Organe derselben nach der Natur derselben vertheilt. Das Staatsoberhaupt macht durch seine persönliche Zustim- mung den Willen der Regierung zum Staatswillen . Die Voll- ziehungsrechte, welche es unabhängig von der Regierung ausübt, bilden die Prärogative der Krone . Das Rechtsprincip in seinem Ver- hältniß zur Regierung ist, daß ohne seine Zustimmung kein Wille der letzteren gültig ist, und daß deßhalb vermöge dieser Zustimmung jeder Vollzugsakt in jedem Gebiete der Verwaltung in seinem Namen aus- geübt wird. Für die Regierung selbst theilt sich dann die vollziehende Funktion nach dem Ministerial- und dem Behördensystem. Die Ministerien haben die eigentliche Verordnungs- und Or- ganisationsg ewalt. Aus ihrem Verhältniß zum Staatswillen gehen die drei Arten der Verordnungen hervor, welche der Anwendung des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts zum Grunde liegen. Die Bestimmung für die Vollziehung der bestimmt vorliegenden Gesetze bildet die Vollzugsverordnung . Wo ein Gesetz mangelt, aber das Bedürfniß nach einer höchsten Bestimmung vorliegt, entsteht die Verwaltungsverordnung . Wo eine wahre Gefahr die Ausübung eines Gesetzes unausführbar oder gefährlich macht, kann die Nothverordnung das Gesetz sus- pendiren, und den Willen der vollziehenden Gewalt zeitweilig an seine Stelle setzen. Die Behörden dagegen haben nur die Verfügungs- und Zwangsgewalt . Die Verfügung kann nur den ausführenden Willen einer Ver- ordnung enthalten. Es gibt daher Vollzugsverfügungen, Verwaltungs- Verfügungen, welche den Mangel einer bestimmten Verordnung er- setzen und Nothverfügungen, welche im Falle der Gefahr die Verord- nung suspendiren. Ein Gesetz kann durch keine Verfügung suspendirt, wohl aber kann in der Noth eine mangelnde gesetzliche Bestimmung durch eine Verfügung ersetzt werden. Der Zwang ist die Anwendung physischer Mittel gegen den Widerstand des Einzelnen. Diese Mittel sind dreifacher Natur. Sie sind zuerst Ordnungsstrafen , welche von der Behörde gegen den Ungehorsam auferlegt und nach den Regeln der gerichtlichen Exekution eingetrieben werden. Zweitens bestehen sie in der Drohung , daß die Verfügung im Falle des Ungehorsams auf Gefahr und Kosten des Betreffenden aus- geführt werde. Drittens sind sie wirklicher Zwang . Für den Vollzug des Zwangs bestehen eigene Organe, theils in den eigenen Dienern der Behörde, theils in dem selbständigen Organismus der Gendarmerie. Die letztere besitzt ihre eigene Organisation und eigene Vollzugsvorschriften (In- struktionen ꝛc.). Das Verhältniß derselben zu den Behörden ist wesentlich verschieden, je nachdem sie eine selbständige Thätigkeit als Organe der Sicherheitspolizei entfalten, oder nur die Vollziehungsorgane der Be- hörden sind. Die Gesammtheit aller, die Ordnung des Zwanges betreffenden Bestimmungen und Organe nennt man auch wohl die Polizei . Name und Stellung der Polizei sind wesentlich historisch. Es wäre besser, dieselbe strenge auf die Sicherheitspolizei zu beschränken. Dieß sind die elementaren Funktionen der Regierung; an sie schließt sich das Recht derselben. III. Das verfassungsmäßige Regierungsrecht. Das Regierungsrecht überhaupt ist seinem Begriffe nach das Recht, welches aus der obigen Funktion der Regierung in ihrem Verhältniß theils zu den übrigen Elementen des Staats, theils zum Rechte des Staats- bürgerthums entsteht. Das verfassungsmäßige Regierungsrecht ist dieß Recht, in sofern es aus der in der Volksvertretung gegebenen Scheidung der gesetzgebenden Gewalt von der vollziehenden hervorgeht. Es ist klar, daß das erstere allerdings seinem Wesen und Begriff nach immer besteht, daß aber erst die Selbständigkeit der Gesetzgebung das- selbe im letzteren zu einem klaren und praktischen Rechtssystem ent- wickeln kann. Alles Regierungsrecht beruht darauf, daß der Wille und die That desselben, da sie selbständig neben der Gesetzgebung dastehen, auch mit dem Inhalt der letzteren in Widerspruch gerathen können. Da nun das Gesetz der höchste Wille des Staats ist, so folgt, daß das Princip jenes Rechts die Herstellung der Harmonie zwischen Gesetz- gebung und Vollziehung sein muß. Die Verwirklichung dieses Princips hat nun nach der Organisation der Funktionen der Regierung drei Grundformen. Das Staatsoberhaupt ist unverantwortlich . Denn die Be- dingung der Geltung seines Willens ist die Zustimmung der Minister; diese Zustimmung macht dann die letzteren für den Willen des Ober- haupts verantwortlich. Wo sie in bestimmten Fällen nicht nöthig ist, da hat jener Wille dadurch an und für sich d as Recht des höchsten Staats- willens. Das ist das Rechtsprincip des verfassungsmäßigen König- thums. Für die Regierung dagegen gelten die beiden Grundrechte der Verantwortlichkeit und der Haftung , sowohl für das Mini- sterial- als für das Behördensystem. Nur erscheinen beide für jedes derselben in verschiedener Form. Das Wesen der Verantwortlichkeit beruht darauf, daß die Gesetze neben ihrem Wortlaut auch einen Geist haben, und daß die höhere Natur des Staats eine geistige ist. Die Regierung ist ver- pflichtet, sich diesen Geist des Staats, sowie den der besondern Gesetze anzueignen, und in ihrer Thätigkeit denselben in der gesammten Ver- waltung zur Geltung zu bringen. Die Grundlage der Haftung besteht darin, daß die einzelnen Handlungen der einzelnen Organe der voll- ziehenden Gewalt nicht dem Wortlaut der Gesetze widersprechen dürfen. Die Verantwortlichkeit des Ministerium erscheint in dem, durch die Abstimmungen der Volksvertretung gegebenen Urtheil derselben über die Harmonie zwischen dem Geist der Verwaltung und dem der Gesetze. Die Verantwortlichkeit der Behörde dagegen erscheint als die Verpflichtung derselben, in ihren Verfügungen den Geist der Verord- nungen zum Ausdruck zu bringen, und wird verwirklicht durch die Be- schwerde gegen jedes Organ in seiner Thätigkeit, gerichtet an die höhere Behörde. Das Recht der Beschwerde ist daher ein eben so ab- solutes staatsbürgerliches Recht, als das der Abstimmung in der Volks- vertretung. Es ist eine der wesentlichen Bedingungen eines verfassungs- mäßigen Regierungsrechts, daß das Beschwerde verfahren gesetzlich und gerecht geordnet, und mit dem Disciplinarverfahren im Amts- strafrecht in engste Verbindung gebracht sei. Beides fehlt in allen Staaten Europas. Bei der Haftung des Ministeriums muß man unterscheiden. Die ministerielle Haftung tritt da ein, wo eine in der Competenz liegende Vollziehung durch die Verordnung der Minister entweder das bestimmte Gesetz verletzt oder dasselbe nicht vollzogen hat. Die persönliche Haftung derselben tritt bei allen denjenigen einzelnen Thätigkeiten derselben ein, welche nicht zur Competenz der Minister ge- hören. Dasselbe gilt von der Haftung der Behörden. Nur haben die- selben zugleich der höheren Behörde und dem Einzelnen dafür zu haften, daß ihre Verfügungen und Zwangshandlungen einerseits mit dem Wortlaute der Gesetze, andererseits mit dem der Verordnungen übereinstimmen, während persönliche Haftung nur mit solchen Hand- lungen der Behörde zu thun hat, welche sich nicht auf die amt- liche Competenz beziehen. Die Verwirklichung der Haftung geschieht durch die Klage . Es steht daher der Volksvertretung gegen die Mini- sterien, und jedem Einzelnen gegen jede Behörde das Klagerecht in jedem Falle zu, wo dieselben ein gesetzliches Recht durch Verordnung, Verfügung und Zwang verletzen. Das Organ, welches über die Klage entscheidet , ist dem Principe nach das Gericht ; bei der Klage gegen die Minister das Staatsgericht , bei der Klage gegen die Behörde das ordentliche Gericht. Das Verfahren ist im ersten Falle beson- ders normirt, im zweiten Falle gilt das gewöhnliche Gerichtsverfahren wie in jedem andern Proceß. So einfach nun diese Grundsätze an sich sind, so langdauernd und ernst ist der Kampf, der sie zur Geltung bringt. Die historische Ent- wicklung des Staatenlebens hat es mit sich gebracht, daß von einer Ministerverantwortlichkeit und Haftung bis zu unserem Jahrhundert nur in England die Rede sein konnte, während der Gedanke einer ge- richtlichen Haftung der Behörde auch bis zur Gegenwart nirgends mit Ausnahme Englands zur Geltung gelangt ist. Der Charakter des jetzt bestehenden rechtlichen Zustandes ist daher die Verschmelzung der Verantwortlichkeit und des Klagerechts, welche bei den Ministern in Unklarheit über den Begriff der Ministerverantwortlichkeit, die zugleich die unklar gedachte Haftung derselben enthält, bei den Behörden in dem Princip der Ausschließung des Klagerechts durch das Beschwerde- recht besteht, so weit es sich um amtliche Funktionen handelt. Die ersten, noch unfertigen Vermittlungsversuche für beide Auffassungen ist die Einsetzung von „Verwaltungsgerichten“ nach dem Muster der Conseils de Préfecture; allein man hat gewiß Recht, sie nur als ein Uebergangsstadium zu betrachten. Das Wesen und die Würde des Gerichts fordern eben so gut als das Recht, daß das Gericht als solches entscheide. Doch gehört ein hoher Grad der Entwicklung des staats- bürgerlichen Lebens dazu, um diesen Gedanken zur Geltung zu bringen. Diesen Rechten und Pflichten der Regierung entspricht nun von Seiten des Einzelnen der Gehorsam , der, in sofern seine Gränzen durch das Gesetz gegeben sind, der verfassungsmäßige Gehorsam ist. Der Widerstand ist an und für sich ein Unrecht; dagegen ist das Recht des passiven Widerstandes ein organisches Recht, und der Ein- zelne haftet dabei seinerseits dafür, daß er zu demselben berechtigt war oder nicht. B. Die Selbstverwaltung . I. Begriff und Organismus. Die Selbstverwaltung ist die erste Form, in welcher die Idee der freien Verwaltung als der organisirten und berechtigten Theilnahme der Staatsbürger an der Funktion der Vollziehung im Allgemeinen, in der Verwaltung im Besondern zur Verwirklichung gelangt. Sie entsteht dadurch, daß nicht so sehr der freie und selbstthätige Wille des Einzelnen, als vielmehr die Natur gegebener Verhältnisse jene Theil- nahme erzeugt und nothwendig macht. Es folgt daraus, daß das System dieser Selbstverwaltung auf dem System eben dieser natürlichen Faktoren beruht, welche sie selbst erzeu- gen. Man muß deßhalb davon ausgehen, daß die Selbstverwaltung kein einfacher Begriff ist, und daher auch keine einfache Funktion hat und haben kann; zugleich aber auch, daß sie wie ihre natürlichen Grund- lagen den ganzen Staat umschließt, und somit ein zweites organisches System der Vollziehung neben dem der Regierung bildet, aus deren gegenseitigen Berührung dann das Recht beider hervorgeht. Zwei große Gebiete des wirklichen Lebens sind es nun, mit denen die Vollziehung zu thun hat; und die Selbstverwaltung hat da- her auch im allgemeinsten Sinne zwei Grundformen. Das erste Gebiet ist das der Interessen , das zweite ist das des festen, begränzten Grundbesitzes . Die Organisation der Betheiligung des Staats- bürgerthums an der Vollziehung in Beziehung auf die Interessen nen- nen wir die Vertretungen , in Beziehung auf den örtlich begränzten Grundbesitz die eigentliche Selbstverwaltung. Jede dieser Organi- sationen bildet dann, für ein bestimmtes Gebiet thätig, das was wir den Selbstverwaltungskörper nennen. Die Organisation aller dieser Selbstverwaltungskörper beruht ge- meinschaftlich auf dem Princip, die Thätigkeit des Einzelnen an den Funktion der Vollziehung zuzulassen, während sie im Ganzen des Staates als selbständige Organe, in ihren höheren Stufen als selbständige Persönlichkeit dastehen. Die Verwirklichung dieses Princips geschieht dadurch, daß die Organe dieser Selbstverwaltungskörper aus der Wahl ihrer Angehörigen hervorgehen, und daß die so gewählten Vertreter das Recht haben, den Willen der Körper zu bestimmen, und das Recht, diesen Willen auszuführen . Die Ordnung des ersteren bildet demgemäß ihre Verfassung, die Ordnung des zweiten ihre Verwaltung. Ihre persönliche Einheit aber wird nach außen durch ihr Oberhaupt vertreten, das gleichfalls aus der Wahl derselben hervorgehen soll. Es ist aber natürlich, daß diese allgemeinen Grundsätze je nach der Natur der Selbstverwaltungskörper eine vielfach verschiedene Gestalt annehmen. Die Vertretungen zunächst heißen da, wo sie von dem freien Willen und den Interessen der Einzelnen ausgehen, um über die Aufgabe der Vollziehung Wünsche und Forderungen auszusprechen, Gesuche und Petitionen ; da wo die Ansichten einzelner Fachmänner von der Regierung veranlaßt werden, Gutachten ; wo sich alle Betheilig- ten auf Veranlassung der Regierung aussprechen, Vernehmungen (Enquêtes) . Wo dagegen dauernde Körper auf Grundlage der Wahl zu diesem Zweck gebildet werden, entstehen die Räthe für die Aufgaben der Verwaltung überhaupt, die Kammern für bestimmte Aufgaben der Volkswirthschaftspflege. In den höheren Stadien der Selbstver- waltung gehen die ersteren in amtliche Stellungen, letztere in die freien Vereine über. Die strenge administrative Organisirung herrscht im System der Conseils in Frankreich, die freiere in den Associations in England; in Deutschland wirken noch beide neben einander. Die Selbstverwaltung im eigentlichen Sinne hat drei, in sich und ihren Funktionen und Rechten sehr verschiedene Körper. Die Landschaft ist die, auf der historischen Staatenbildung be- ruhende, Land und Stamm in ihrer Besonderheit umfassende Selbst- verwaltung. Ihre wesentliche Bedeutung beruht darauf, daß sie die Selbstverwaltung da am kräftigsten vertritt, wo sie am meisten gefährdet wird, in streng administrativ centralisirten Staaten. Sie hat daher in den verschiedenen Zeiten und Ländern ein sehr verschiedenes Schicksal in Europa gehabt. Ihre dauernde Heimath scheint Mitteleuropa zu sein. Ihre Organisation ist unter allen Organen der freien Verwal- tung fast allein fähig, die Elemente der Geschlechter- und ständischen Ordnung dauernd zu erhalten. Eben deßhalb wird ihre Competenz sich mit der Entwicklung der staatsbürgerlichen Gesellschaft fast von selbst beschränken. Die Gemeinde ist die ausgebildete Organisation der örtlichen Selbstverwaltung. Sie ist daher bestimmt und fähig, die Grundformen und Organe des Staats für ihr begränztes Gebiet in begränzter Weise herzustellen, und dadurch die großen Principien des verfassungsmäßigen Regierungsrechts bei sich zur Anwendung zu bringen. In diesem Sinne ist die Gemeinde die Erzieherin des Einzelnen zum staatsbürger- lichen Leben. Die Gemeinde hat daher ihr Oberhaupt, ihre Verfassung und ihre Verwaltung; sie soll wenigstens die Organe dieser Funktionen in Bürgermeister, Gemeinderath (Magistrat) und Gemeindevertretung; sie sollte in den Magistratsräthen das Analogon der Minister haben, um das System der Verantwortlichkeit und Haftung ausbilden zu können. Eben darum ist das Gemeindewesen der Kern aller Selbstver- waltung, die Gemeinde die Heimath der freien Verwaltung, und ein Volk ohne freie Gemeinde trotz aller freien Verfassung ein nicht freies, sondern administrativ unfreies Volk. Deßhalb sagen wir, daß die Ver- fassung nur der erste, die freie Verwaltung in der Gemeinde aber der zweite Schritt zur Freiheit des Volkes sei. Und die Geschichte des Ge- meindewesens beweist zu allen Zeiten und in allen Völkern, daß in ihm der Maßstab der inneren Freiheit gegeben ist. So lange nun das Gemeindewesen allein auf historisch entstandenen Ortsgemeinden beruht, ist eine organisch entwickelte Selbstverwal- tung nicht möglich, weil die Ortsgemeinden bei gleichen Aufgaben und gleichen Rechten so verschieden in Umfang und Kraft sind, daß der bei weitem größte Theil derselben unfähig erscheint, die Organe der Verfassung und Verwaltung bei sich auszubilden. Die Zukunft des Gemeindewesens liegt daher in der Bildung von Verwaltungsgemein- den , für deren Beschlüsse die Ortsgemeinde das vollziehende Organ ist. Die bisherigen Versuche der Kreis- und Bezirksgemeinden sind nur noch der erste Beginn dieser höheren Organisation, da sie meist entweder bloß Rathskörper an der Seite der Beamteten, wie namentlich in Frankreich ( Arrondissements und Souspréfets ) oder Verbände mit einer einzelnen Aufgabe sind, wie in England. Deutschland wird die Arbeit und die Ehre haben, die Verwaltungsgemeinde aus der Orts- gemeinde zu erschaffen, und damit das wahre System der Selbstver- waltung zu verwirklichen. Die Corporationen endlich sind Selbstverwaltungskörper für einen bestimmten einzelnen Zweck auf Grundlage eines eigenen Ver- mögens. Sie sind wieder entweder Körperschaften , welche die ein- heitliche, öffentliche Organisation einer Berufsthätigkeit enthalten, oder Stiftungen , deren Mittel für einen socialen Zweck verwaltet werden. Die Organisation der ersteren beruht daher meistens auf ständischen Prin- cipien, die des zweiten auf den individuellen Vorschriften der Stifter. Beide gehen in Staatsanstalten über, wenn der Staat ihnen für die wachsende Bedeutung ihrer Aufgabe die Mittel aus seiner Verwaltung geben muß. Daher haben nur wenige unter diesen Körpern die Fähig- keit, sich dauernd zu erhalten. II. Die Funktion der Selbstverwaltung. Die Funktion der Selbstverwaltung ist ihrem Begriff nach die Uebernahme der Funktion der Regierung, soweit die letztere durch be- gränzte Interessen und örtliche Verhältnisse modificirt werden kann. Sie kann daher niemals eine gesetzgebende, und nur ausnahms- weise eine verordnende Gewalt besitzen; ihre Funktion ist stets die der verfügenden Behörde . Und auch diese Funktion ist nach der Ver- schiedenheit der Selbstverwaltungskörper eine wesentlich verschiedene. Die Vertretungen kennen, da sie den Sonderinteressen innerhalb der Vollzugsthätigkeit der Regierung Ausdruck geben, auch keine ver- fügende, sondern nur eine berathende Funktion. Nur die eigentlichen Selbstverwaltungskörper können verfügen, und haben damit auch die Zwangsgewalt (Polizei). Da sie aber zugleich selbständig und auch Organe der Einheit des Staats sind, so hat ihre Verfügungs- und Zwangsgewalt einen doppelten Charakter, der dem doppelten Recht derselben zum Grunde liegt. Die Gesammtheit der Funktionen nämlich, welche aus der Selb- ständigkeit der Selbstverwaltungskörper hervorgehen, nennen wir den natürlichen oder freien, die Gesammtheit derjenigen, welche aus ihrem organischen Verhalten zur Einheit des Staats hervorgehen, den amt- lichen, staatlichen oder übertragenen Wirkungskreis der Selbstverwaltung. Es ist klar, daß die Gesetzgebung den letzteren verengern oder erweitern kann; die Bestimmung desselben bildet einen wesentlichen Theil des ge- setzlichen Gemeinderechts (Gemeindeordnung oder Gemeindeverfassung) und ist wieder sehr verschieden in den verschiedenen Staaten. Der Umfang und Inhalt beider Arten der Funktionen ist nun wieder ein anderer, je nachdem es sich um Landschaften, Gemeinden oder Corporationen handelt. Gemeinschaftlich aber sind für alle die folgenden Grundsätze. Die Funktionen der Rechtsverwaltung müssen stets und unbedingt, soweit sie überhaupt der Selbstverwaltung übergeben werden können, als amtliche angesehen werden; eben so diejenigen, welche dem Heer- wesen angehören. Die staatswirthschaftlichen Funktionen sind amtlich, sofern sie die Finanzen betreffen; freie, so weit sie auf die Mittel der eigenen Ver- waltung Bezug haben. Die Aufgaben der inneren Verwaltung sind grundsätzlich freie Funktionen, so weit sie eine örtliche Begränzung zulassen; wo diese aufhört, beginnt die staatliche Natur derselben. Dieses Wesen der Funktionen bildet nun die Grundlage des Rechts- systemes der Selbstverwaltung. III. Das Rechtssystem der Verwaltung. Das Rechtssystem der Selbstverwaltung beruht darauf, daß diese Körper dem Obigen gemäß einerseits selbständige Organe der vollziehen- den Gewalt des Staats, andererseits zugleich organische Einheiten ihrer Angehörigen sind. Die Gesammtheit der Rechtssätze, welche aus dem ersteren Momente hervorgeht, ist das öffentliche (staatliche), die- jenige, welche aus dem zweiten Momente folgt, das innere Rechts- system der Selbstverwaltung. Das öffentliche Rechtssystem der Selbstverwaltung entscheidet die Gränze, bis zu welcher die letztere als Glied des staatlichen Organis- mus in Verfügung und Zwang selbständig ist. Das Princip für dieses Rechtssystem ist die einfache Consequenz des Wesens der Verfügung, angewendet auf den Unterschied zwischen freiem und amtlichem Wirkungskreis. Für den ersten geht das Recht auf die freie Verfügung so weit, als kein Gesetz und keine Verordnung entgegensteht ; keine Selbstverwaltung kann zu einer Verfügung ge- zwungen werden, sondern hat das Recht auf den passiven Widerstand; keine Behörde hat ein Recht zur Verfügung in dem anerkannten Wir- kungskreis der Selbstverwaltung; gegen die Verordnung hat die letztere das Recht der Klage und Beschwerde wie jeder Einzelne. Wo dagegen der Wirkungskreis ein amtlicher ist, haben die Organe der Selbstver- waltungskörper die Stellung der Behörde, und damit ihre Rechte, nicht aber auch ihre Pflichten, speziell in Beziehung auf den Erlaß von Ver- fügungen und ihrer zwangsweisen Ausführung. Darum ist es von praktischer Wichtigkeit, den ersteren möglichst genau zu bestimmen, weil im Zweifel die Mittelbehörde als berechtigt angesehen werden muß, ohne Suspensiveffekt der Selbstverwaltung als unterer Vollzugsbehörde Befehle zu geben. Die drei Grundbegriffe, an denen sich dieß öffentliche Recht der Selbstverwaltung verwirklicht, sind die der juristischen Persönlichkeit, der Autonomie und der Oberaufsicht. 1) Die juristische Persönlichkeit entsteht, wenn die Gemeinschaft Einzelner zu einheitlichem Wollen und Handeln vom Staate als Per- sönlichkeit anerkannt wird. Bis zu dieser Anerkennung bleibt sie eine vertragsmäßige Persönlichkeit. Das Rechtsprincip der juristischen Persönlichkeit besteht darin, daß der Inhalt des Rechts der Organe derselben, die Mitglieder zu verpflichten, bei ihr nicht mehr auf dem Vertrage, sondern auf dem Wesen der Einheit beruht, welche jene Persönlichkeit bildet. Je nach dem Inhalt dieser Einheit unterscheiden wir nun drei Arten der juristischen Persönlichkeit. Die wirthschaft- liche Persönlichkeit ist die für wirthschaftliche Zwecke gebildete persön- liche Einheit, die verwaltungsrechtliche diejenige, welche neben dem wirthschaftlichen Zweck auch Funktionen der vollziehenden Gewalt enthält, für welche ihre materiellen Mittel die Bedingungen enthalten; die staatsrechtliche endlich erscheint da, wo zu der Theilnahme an der Vollziehung auch eine Theilnahme an der Gesetzgebung in Wahl- recht oder Virilstimme hinzukommt. Die Selbstverwaltungskörper sind stets und nothwendig verwaltungsrechtliche, zuweilen auch (Virilstimmen von Corporationen ꝛc.) staatsrechtliche Persönlichkeiten. Das specifische Recht ihrer Persönlichkeit als selbstthätiger Einheit ist stets durch ihr Oberhaupt ausgeübt. Grundsatz: daß wie im Staate nur das als persönlicher Wille des Selbstverwaltungskörpers gilt, was die Zustim- mung (Unterschrift) des Hauptes besitzt. 2) Die Autonomie ist das Recht der juristischen Persönlichkeit, durch ihre Organe Beschlüsse zu fassen und Thätigkeiten mit dem Rechte der vollziehenden Gewalt gegenüber ihrer Angehörigen auszuführen. Auch hier ist der freie von dem amtlichen Wirkungskreis zu scheiden. Aus der Autonomie des ersteren folgt, daß die Beschlüsse der Organe das Recht der Verordnung , die Vollzugsthätigkeiten das Recht des öffentlichen Zwanges (der Polizei) haben. Es folgt zweitens, daß die Objekte dieser Autonomie das Gebiet der autonomen Ver- waltung bilden. Princip der letzteren ist, daß sie, wie die Voll- ziehungsgewalt selbst, zunächst die gesetzlich verschiedenen Verwaltungs- aufgaben erfüllen muß. Die Gesammtheit der der Autonomie der Selbstverwaltung überwiesenen Aufgaben bildet ihre Competenz . Das Recht derselben ist die Ausschließung der Verfügungsgewalt der Behörde für das, wozu die Selbstverwaltung competent ist; zweitens das Recht, die Mittel dafür durch eigene Beschlüsse aufzubringen und zu verwalten; drittens das Recht, über die Verwendung der nach Er- füllung des bestimmten Zweckes übrig bleibenden Mittel selbständig zu verfügen. — Die Autonomie für den staatlichen Wirkungskreis besteht jedoch nur darin, die Organe durch eigenen Beschluß zu bestimmen, welche die Vorschriften der Vollzugsorgane auszuführen haben, und die Mittel dafür aufzubringen. Im Uebrigen tritt ganz das Verhältniß einer Behörde ein. 3) Die Oberaufsicht beruht nicht darauf, daß die Autonomie etwa das Recht des Einzelnen verletzen könnte; hierfür tritt vielmehr das innere Selbstverwaltungsrecht ein. Sie ist die rechtliche Conse- quenz des Satzes, daß jede Selbstverwaltung stets ein organisches Glied des Ganzen bleibt; der Inhalt ihres Rechts besteht demnach darin, die Harmonie zwischen der Autonomie in Verfassung und Ver- waltung der Selbstverwaltungskörper mit den Gesetzen der Verwaltung des Staats herzustellen. Sie hat daher zuerst zu sorgen, daß die Competenz nicht überschritten werde; sie hat zu dem Ende das Recht der Kenntnißnahme von den Beschlüssen und Vollziehungen der Selbst- verwaltung; sie hat das Recht der Sistirung und der Nichtigkeits- erklärung der Beschlüsse und der Auflösung der Organe, stets unter der Haftung der verordnenden Gewalt, und zwar nach den Regeln der Haftung bei den Verordnungen. Hier sind nun Begriffe und Recht noch sehr im Werden und sehr verschieden in den einzelnen Ländern; es ist ein weites Gebiet und nur durch eingehende Studien an der Hand fester Begriffe zu bewältigen. B. Das innere Rechtssystem der Selbstverwaltung ist an sich sehr einfach, in der Wirklichkeit aber höchst unausgebildet. Denn fast allenthalben fehlt seine Grundlage, die klare und bewußte Scheidung der drei Organismen, namentlich der vollziehenden von der beschließen- den Gewalt in den Gemeinden. Das Princip dieses ganzen Rechtssystems ist kein anderes, als die Anwendung der Grundsätze von Verantwortlichkeit der Vollzugsorgane gegenüber den beschließenden (Magistrat gegenüber der Gemeindever- tretung) und der Haftung derselben für jeden einzelnen Akt, mit dem sie das bestehe nde Recht von Gesetz oder Verordnung verletzen. Es gibt daher ein Beschw erderecht gegen die ganze Gemeinde so wie gegen die einzelnen O rgane eben so können Gemeinde und Gemeindeorgane vor dem ordentlichen Gerichte gellagt werden. Um das zur vollen Ent- wicklung zu bringen, bedarf es allerdings statt der Ortsgemeinde der Verwaltungsgemeinde, denn nur diese ist fähig, die einzelnen Organe bei sich zu entwickeln und ihr besonderes Recht festzustellen. Hier liegt der Fortschritt auf diesem hochwichtigen Gebiete. Natürlich nun sind alle diese Grundsätze je nach den bestehenden Gesetzen über Landschaft, Gemeinde und Corporationen sehr verschieden mehr oder weniger im Geiste einer freieren Bewegung durchgeführt, und mehr oder weniger je nach den einzelnen Ländern noch mit den historischen Grundsätzen des Geschlechter- und ständischen Rechts durch- flochten. Die Erklärung des Bestehenden aus diesen Grundlagen ist die Geschichte der Selbstverwaltung. C. Das Vereinswesen . I. Begriff und System. Der Begriff des Vereinswesens im weitesten Sinne umfaßt alle Formen, in denen sich Einzelne zu einem bestimmten Zweck freiwillig verbinden. Das Vereinswesen als Theil der vollziehenden Gewalt da- gegen betrifft nur diejenigen Vereinigungen, deren Zweck die Vollziehung irgend einer Aufgabe der Verwaltung durch freie Verbindung von Mitteln und Kräften ist. Dadurch tritt dieser Theil des Vereins- wesens nothwendig in den Organismus und das Recht der Verwaltungs- lehre überhaupt und der vollziehenden Gewalt insbesondere hinein, so daß in der That die letztere ohne sie unvollständig erscheint. Der bis- herige Entwicklungsgang in Gesetzgebung und Literatur macht es aber nothwendig, das ganze System des Vereinswesens zu übersehen, um einen festen Boden für das Vereinsrecht zu finden. Die untersten Formen der menschlichen Vereinigungen entstehen theils durch das natürliche Element des Geschlechts in Ehe und Familie, theils durch die einzelnen und vorübergehenden Akte des Verkehrslebens in der Communio und den Verträgen aller Art. Sie gehören beide dem eigentlichen Vereinswesen nicht an. Das eigentliche Vereinswesen beginnt, wenn man in dem Verein die Elemente eines selbständigen persönlichen Lebens erkennt, also nebst dem Körper und der Seele das Oberhaupt, den Willen und die That. Erst auf dieser Grundlage ist ein System des Vereinswesens möglich. Innerhalb dieses Systems entstehen dann die Arten der Vereinigungen und Vereine durch den Zweck oder das Objekt, welches sie sich setzen. Gemeinschaften nennen wir diejenigen Formen der Vereini- gung, welche nur durch das materielle Element, den Besitz, entstehen, und daher wesentlich einen historischen Charakter haben. Eben dadurch bilden sie den Uebergang zu den Corporationen. Versammlungen sind diejenigen Vereinigungen, welche nur dazu dienen, eine gemeinsame Ansicht auszusprechen; ihr Inhalt ist rein geistiger Natur; sie bilden den Uebergang zu den Vertretungen. Die Gesellschaften sind diejenigen Vereinigungen, die um des Erwerbes ihrer Mitglieder willen entstanden sind, und bei denen daher die Vereinigung nur das Mittel für diese wirthschaftlichen Erwerbs- zwecke der Einzelnen sind. Das sind die stille, die offene und die Commandit-Gesellschaft. Die Aktiengesellschaften bilden den Uebergang zu den eigent- lichen Vereinen, indem der Zweck stets der Erwerb der Gesellschafter ist, während das Mittel, die Aktie, durch ihr Verhältniß zum Werth und Creditumlauf sich weit über die Grenzen der ursprünglichen Gesell- schafter hinaus erstreckt. Dadurch wird der Organismus und die Thätigkeit der Gesellschaft nothwendig Gegenstand des Verwaltungs- rechts, während der Zweck derselben ein rein wirthschaftlicher sein kann. Ist aber der Zweck der, vermöge der Ausübung irgend einer Verwaltungsaufgabe einen Erwerb zu erzielen, so nehmen sie als Ver- waltungsvereine den Charakter und damit auch das Recht derselben an; das Verhältniß der Aktie ist dann ein Gebiet des wirthschaftlichen Gesellschaftsrechts, das Verhältniß der Thätigkeit der Gesellschaft als Ganzes gehört dem Vereinswesen. Die eigentlichen Vereine sind dann endlich diejenigen Ver- einigungen, deren Zweck die dauernde Ausübung einer Verwaltungs- aufgabe ist. Die historische Form der Vereine auf Grundlage der Ver- waltung der unbeweglichen wirthschaftlichen Güter und ihrer Interessen ist dann der Verband (Wasserverbände, Schulverbände, Wegever- bände ꝛc.); auf Grundlage der Arbeit und ihrer speziellen Interessen erscheinen die historischen Genossenschaften (Zunft, Innung ꝛc.). Beide werden nun von dem Vereinswesen der staatsbürgerlichen Gesell- schaft so weit überragt, daß sie nur noch in Ausnahmen vorkommen. Das Princip für das eigentliche staatsbürgerliche Vereins- wesen ist, daß jedes Gebiet des öffentlichen Lebens Gegenstand einer dafür bestimmten dauernden und organisirten Vereinigung sein kann. In dem Vereine ist daher die volle freie Bethätigung der Einzelnen im öffentlichen Leben gegeben, da sich in ihm die Einzelnen Mittel, Zweck und Organismus selbst setzen. Die Bedeutung dieses Auftretens der Vereine für das Gesammtleben besteht darin, daß in ihnen sich die Individualitäten für das öffentliche Leben geltend machen können, die sonst mit ihrer Bedeutung keinen Raum gewinnen. In einem freien Staate erfüllt sich daher das ganze Leben desselben mit dem Vereinswesen; und indem es auf diese Weise ein Faktor des Gesammt- lebens wird, entsteht die Nothwendigkeit, das in allen Vereinen ge- meinsame Element zu finden und in diesem das Verhältniß zur Voll- ziehung festzustellen. Dieses gemeinsame Element ist nun das, was wir die organischen Grundbegriffe des Vereins nennen, und ohne welche ein Vereinsrecht nicht entwickelt werden kann. Jeder Verein ist zuerst seinem Begriffe nach eine juristische Persönlichkeit . Es bedarf dazu keiner besonderen Verleihung des Rechts der letzteren, sondern nur des durch die Regierung nicht wider- sprochenen Akts der öffentlichen Constituirung desselben. Jeder Verein hat das Element der Gesellschaft dadurch in sich, Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 3 daß er ein wirthschaftlicher Körper ist, der ein Vermögen haben kann , aber eine Einnahme haben muß . Nach der Art wie diese Einnahme zusammenkommt, unterscheiden wir Beitrags-, Gegenseitigkeits- und Aktienvereine. Jeder Verein hat einen einzelnen bestimmten Zweck ; dieser Zweck ist zugleich Ausdruck der Thätigkeit des Vereins als Ganzem und Grundlage der Competenz seines Vorstandes nach Innen und Außen. Jeder Verein hat endlich einen persönlichen Organismus, das ist, ein Oberhaupt (Präsidium), einen Organismus der beschließenden Ge- walt (Generalversammlung) und der vollziehenden Gewalt (Verwaltungs- rath); das Analogon des Behördensystems sind seine Angestellten und Diener. Je klarer diese Grundorgane entwickelt sind, desto höher steht der Verein; jede unklare Verschmelzung derselben ist ein Nachtheil und oft eine Gefahr für den Verein; ohne bestimmte und bewußte Schei- dung derselben ist ein inneres Vereinsrecht nicht möglich. Alle diese Momente sind allen Vereinen gemein. Die durch den Willen der Mitglieder für jeden einzelnen Verein bestimmte Ordnung derselben nennen wir, indem sie der öffentlichen Constituirung zum Grunde gelegt wird, die Statuten . Die Statuten bilden daher das Grundrecht jedes Vereins; sie enthalten die Basis für die Anwendung des Vereinsrechts auf jeden einzelnen Verein. In der weiteren Entwicklung des Vereinslebens ergibt es sich dann, daß das gesellschaftliche Princip des Erwerbes der Mitglieder mit dem Vereinsprincip der Förderung der Gesammtentwicklung vielfach ver- bunden wird (Vereine auf Aktien). Damit wird dann aber weder das Wesen noch das Recht des Vereins geändert. II. Die Vereinsarten als Funktionen des Vereins. Die Funktionen des Vereinswesens erscheinen nun in den Vereins- arten . Die Art des Vereins entsteht durch den Zweck, den sich der Verein im öffentlichen Leben setzt. Mithin ist das System der Vereins- arten nichts anderes, als das System des Gesammtlebens der Menschen im Staate. Demnach unterscheiden wir zunächst die politischen Vereine und die Verwaltungsvereine. Die politischen Vereine oder Verbindungen sind solche, deren Zweck die Entwicklung des Verfassungslebens und seiner Gesetze ist. Ihre Voraussetzung ist entweder ein tiefer Widerspruch zwischen der bestehenden Verfassung und den Anforderungen des Volkes, oder eine lebendige Entwicklung des inneren Staatsrechts. Im ersten Falle erscheinen sie allerdings als eine Gefahr für das Bestehende, und werden daher meistens verboten und verfolgt; im zweiten sind sie der Ausdruck ihrer Zeit und ein organisches Element des Fortschrittes. Die Verwaltungsvereine , gleichviel ob Aktien-, Beitrags- oder Gegenseitigkeitsvereine, umfassen ihrem Begriffe nach die ganze Ver- waltung, und treten daher in allen denjenigen Gebieten derselben auf, wo die Natur der Verwaltungsthätigkeit die Hülfe der Einzelnen zuläßt. Während es daher Gebiete gibt, in denen das Vereinswesen ausge- schlossen ist, gibt es andere, in denen es neben der Regierung und Selbstverwaltung auftritt, und wieder andere, in denen nur das Ver- einswesen die Aufgabe des Gesammtlebens zu erfüllen vermag. So wird in der That erst durch das Vereinswesen für die Vollziehung ein wahrhaft vollständiges Bild gewonnen. Die Vereine für das persönliche Leben theilen sich in solche für die physische und geistige Entwicklung. Die Vereine für die physischen Lebensverhältnisse erscheinen zum Theil im Bevölkerungswesen (Einwanderungs- und Auswanderungs- Vereine), zum Theil in der Gesundheitspflege, wo sie vielfach mit den Hülfs- und Unterstützungs-Vereinen zusammenfallen (Kranken-Vereine). Die Vereine für das geistige Leben haben zu ihrem Gegenstand theils den Bildungsberuf (Lesevereine und ähnliche), theils die Fach- bildung ihrer Mitglieder (Vereine für Fachbildungsanstalten, Handels- akademien ꝛc., wissenschaftliche Vereine aller Art), theils die Volks- bildung, theils endlich die allgemeine Bildung. Dahin gehören im weitesten Sinne die geselligen Vereine, die fast immer mit einem geisti- gen Bildungselemente verbunden sind, dann die Kunstvereine, Volks- schriftenvereine und andere. Schon hier kann sich das Element der Gesellschaft, der Zweck eines Einzelerwerbes, mit dem des Vereins ver- schmelzen, wo eine Bildungsanstalt (z. B. Theater, Museum, Bibliothek) auf Aktien errichtet wird; oft ist sogar eine solche Verschmelzung der Sache sehr förderlich, indem sie die Strenge der Gesellschaftsverwaltung in die Vereinsverwaltung hineinbringt. Die Vereine für das wirthschaftliche Leben theilen sich in zwei Hauptgruppen. Die erste Gruppe bilden die Unternehmungsvereine , in denen die Vereinigung das Mittel ist, das kleine Capital der Herrschaft des Größengesetzes der Capitalien zu entziehen und an den Vortheilen des großen Capitals Theil zu nehmen. Dieß geschieht theils durch die organische Verbindung der kleinen Ueberschüsse zu einem Gesammtcapital in der Form der Aktie, theils durch die Verbindung des Einzelcredits mit dem der andern als Gegenseitigkeit, theils durch die Verschmelzung beider, indem sowohl Capital als Credit von den Mitgliedern herge- geben wird. Im ersten Falle entstehen die Aktienvereine , im zweiten die wechselseitigen Vereine , im dritten entweder die Gewerbe- banken , wo das Capital von der einen Gruppe der Mitglieder als Aktionäre, der Credit als wechselseitige Haftung von der andern, den Theilnehmern, hergegeben wird, — oder die Vorschußkassen , bei denen sowohl das Capital als der Credit von allen Mitgliedern zu- sammengebracht und einheitlich verwaltet wird. Es ist klar, daß in dem Unternehmungsverein mit dem Interesse der Mitglieder auch das Wesen und Recht der Gesellschaften vorwaltet, obgleich die Wirkung für die gesammte Entwicklung unabweisbar in allen zugleich lebendig ist. Diese Doppelnatur dieser großen Vereinsgruppe kommt dadurch zur Erscheinung, daß man sie eben so oft und mit gleichem Recht „Gesellschaften“ und „Vereine“ nennt. Die zweite Gruppe bilden die Interessenvereine , deren Objekt und Ziel nicht der Erwerb der Mitglieder, sondern die Entwicklung und Herstellung der Bedingungen für die einzelnen Zweige der Volkswirthschaft, und zwar sowohl der geistigen als der materiellen ist. Dahin gehören alle Gewerbevereine und Landwirthschaftsvereine nebst ihren Neben- und Unterarten. Durch ihre innige Beziehung zur Volks- wirthschaftspflege nehmen sie zum Theil den Charakter von Anstalten an, und werden fähig, direkte Hülfe vom Staate zu empfangen. Die Vereine für das gesellschaftliche Leben sind diejenigen, welche sich zur Aufgabe stellen, die aufsteigende Classenbewegung durch ihre Mittel und Thätigkeiten zu fördern. Sie theilen sich in drei Gruppen. Die Unterstützungsvereine werden durch die Beiträge der höheren Classen gebildet und auch von ihnen verwaltet. Ihr Gebiet ist das der Noth der niederen Classe; ihre Aufgabe die Bekämpfung derselben (Armenvereine, Krankenvereine, Krippenvereine u. a.). Die Hülfsvereine sind diejenigen, in denen die höhere Classe die Mittel der Selbsthülfe von der niederen sammelt und sie zum Vor- theile derselben verwaltet. Dahin gehören namentlich Sparkassen und zum Theil die untersten Formen der Vorschußkassen, so lange der Vor- schuß nicht zur Produktion, sondern zur Consumtion gegeben wird. Das Vereinswesen der Selbsthülfe ist nun ohne Zweifel das wichtigste und zukunftreichste Gebiet der gesellschaftlichen Vereine. Es umfaßt alle Vereine, in denen die niedere Classe durch eigne Kraft ihren Mitgliedern die Bedingungen der aufsteigenden Bewegung darzu- bieten strebt. Sie theilen sich in zwei Gruppen. Die Arbeitervereine wollen den Mitgliedern theils die Bedin- gungen des Erwerbes durch Gemeinschaft der Elemente aller Pro- duktion, des Stoffes oder Kapitals und der Arbeit, für bestimmte Arten der Produktion bieten, und diese Art nennen wir die Arbeiter- genossenschaft ; oder sie wollen den Reinertrag im Verdienste sichern und heben durch Gemeinschaft der Consumtion, gemeinschaftlichen Kauf und Verkauf der Lebensbedürfnisse, und das sind die Wirthschafts- genossenschaften . Beide Arten können nun so viel Erwerb machen, daß sie, wenn sie denselben nicht vertheilen, zu der Classe der Vorschuß- kassen übergehen ; daher denn die Verwechslung der letztern mit den Genossenschaften überhaupt, die viel Unklarheit in dieß Gebiet gebracht hat, dessen hohe Bedeutung nicht zu verkennen ist. Die Arbeiterverbindungen dagegen wollen durch die Vereini- gung der Arbeiter Preissteigerungen des Lohnes von den Arbeit- gebern erzwingen. Es ist ein wirthschaftlicher Krieg durch Organisirung der beiden Elemente aller Produktion, oft eben so unvermeidlich, immer aber so unheilsam als der wirkliche Krieg. Dieß nun sind die großen Grundformen des Vereinswesens. Die Funktion des letzteren besteht demnach darin, daß alle diese Arten gleichzeitig wirksam sind, auf allen Punkten die Kraft der Interessen und die der Individualitäten zur Geltung bringen, und so das Leben jedes Einzelnen in das der Gemeinschaft hineinziehen. Die Gewalt dieser Erscheinungen ist eine große; wir stehen erst am Beginne ihrer Entwicklung; der nächste und allgemeinste Erfolg aber ist die Thatsache, daß nur eine tüchtige, ihrer großen Aufgabe bewußte Volksvertretung fähig ist, in jener Vielgestaltigkeit die Einheit des staatlichen Lebens aufrecht zu halten. Die Basis dafür ist das Vereinsrecht. III. Das System des Vereinsrechts. Das Vereinsrecht ist wie das der freien Verwaltung überhaupt theils ein öffentliches, theils ein inneres. Es ist indeß klar, daß bei der Verschiedenheit aller einzelnen Vereine das öffentliche wie das innere Vereinsrecht nur diejenigen Grundsätze enthalten kann, welche für alle Arten des Vereinswesens gleichmäßig gelten. Und obwohl es dafür keine irgendwie ausreichende Gesetzgebung gibt, so sind dieselben den- noch sehr einfach. Das öffentliche Vereinsrecht der polizeilichen Epoche beruhte darauf, die Vereine vorzugsweise als eine Macht anzusehen, und strebte daher vor allem der Gefahr zu begegnen, die in diesen Erscheinungen zu liegen schien. Daher denn die strenge Oberaufsicht, auf Grundlage der Erlaubniß des Verbotes und der scharfen Ueberwachung. Die ver- fassungsmäßige Epoche, nach Ueberwindung des ersten Eindruckes, daß die Vereine absolut frei sein sollten, erkennt jetzt in ihnen Organe des lebendigen, selbstthätigen Staatsbürgerthums und der Vollziehung, und aus diesem Gesichtspunkte entsteht das neue öffentliche Vereins- recht unserer Zeit. Dieß öffentliche Vereinsrecht ist nun nichts anderes, als die An- wendung der Principien der juristischen Persönlichkeit, der Autonomie und der Oberaufsicht auf das Vereinswesen. Demnach ist jeder Verein vermöge seiner der Regierung anzuzei- genden Constituirung eine juristische Persönlichkeit. Der Genehmigung bedürfen nur die Vereine, welche ein besonderes Recht der vollziehenden Gewalt oder eine Unterstützung des Staats nöthig haben (Eisenbahnen, Banken mit Notenausgabe). Die Regierung hat das Recht, die Thätigkeit der Vereine zu beob- achten, dieselben zu sistiren und die Vereine zu suspendiren. Auflösungen sollen nur vom Gericht ausgesprochen werden. Jeder Verein, als Organ des öffentlichen Lebens, muß als juri- stische Persönlichkeit dem Gerichte, in seiner Thätigkeit dem Publikum bekannt sein. Daher sind geheime Vereine an und für sich ver- boten. Aus dem ersten Satze folgt, daß jeder Verein sich und seine Organe dem Gerichte anzuzeigen hat; aus dem zweiten folgt, daß jeder Verein seine Rechenschaftsberichte veröffentlichen muß. Ge- nehmigung der Beschlüsse, selbst bei Statutenänderungen, tritt nur da ein, wo die Genehmigung der Constituirung aus den obigen Grün- den nothwendig ward. Das innere Vereinsrecht entsteht seinerseits durch die — in der bisherigen Gesetzgebung höchst mangelhafte — Scheidung der drei Or- gane und ihrer Funktion. Dabei ist festzuhalten, daß es die große Aufgabe der Aktiengesellschaften war und bleiben wird, vermöge des wirthschaftlichen Interesses der einzelnen Mitglieder, das nur bei ihnen recht lebendig ist, eine strenge und klare Formulirung des inneren Vereinsrechtes zu erzeugen. Das Präsidium vertritt die Einheit . Zunächst nach außen, indem seine Zustimmung zu jedem Akte des Vereins erforderlich ist, um als Vereinsakt zu gelten. Nach innen hat das Präsidium die Statuten und das staatliche Recht gegenüber den Organen des Vereins zur Geltung zu bringen und kann daher die Beschlüsse sistiren. Dafür ist es aber nicht bloß verantwortlich, sondern auch haftbar. Die Generalversammlung ist der beschließende Körper. Sie ist nothwendig. Ihre Beschlüsse sind gegenüber den übrigen Organen des Vereins Gesetze . Es gibt keinen Theil des Vereinswesens, über welchen sie nicht berechtigt wäre Beschlüsse zu fassen. Wenn die Sta- tuten ihr bestimmte Aufgaben ausdrücklich reserviren, so bedeutet das, daß diese Gebiete ohne ihre Zustimmung gar nicht bestimmt werden dürfen. Jedes Mitglied ist berechtigt Theil zu nehmen; es ist dafür gleichgültig, daß die Mitgliedschaft in sehr verschiedener Weise erworben werden kann. Jedes Mitglied sollte eine beschließende Stimme haben. Jedes Mitglied sollte Anfragen stellen können. Der Verwaltungsrath ist die vollziehende Gewalt. Er hat daher das Analogon der Verordnungsgewalt, die Vollzugsverordnung, die eigentliche Verordnung und selbst die Nothverordnung gegenüber den Beschlüssen der Generalversammlung. Dafür ist er verantwortlich im Allgemeinen und haftbar im Besondern. Nur müssen diese Grund- sätze, da die Generalversammlungen nur wenig thätig sein können, in erhöhtem Maße Anwendung finden. Die Controle sollte durch ein eigenes Organ, den Revisions- ausschuß, mit eigenem Berichte und eigener Stellung stattfinden. Die Generalversammlung sollte das Absolutorium immer erst auf Grund- lage dieses Berichts machen. Gerade hier sind die Gesetze wie die Statuten am mangelhaftesten. Die Direktion ist das Analogon des Behördensystems, jedoch wesentlich modificirt. Sie ist nur dem Verwaltungsrath verantwort- lich, aber dem Vereine haftbar. Die Haftbarkeit bezieht sich bei ihr auch auf den Mangel an Fachkenntniß, nicht bloß auf sonstiges Ver- schulden. — Die Angestellten stehen im einfachen Dienstverhältniß, das aber allerdings ein Analogon des Amts ist, und daher beständige und wohlbegründete Neigung hat, auch die Grundsätze und Rechte des Staatsdienstes auf sich anzuwenden. Ob und wie weit das thunlich ist, hängt dann wesentlich von Art und Umfang des Vereins ab. Bisher mangelt in der Gesetzgebung aller europäischen Staaten eine einheitliche Auffassung des Vereinswesens; nur einzelne Arten haben eine eingehende Behandlung gefunden. Um so wichtiger ist die Natur der Sache, deren Studium als eine wesentliche Aufgabe der Verwaltung angesehen werden muß. Wir dürfen hier, nachdem wir jede Einzelheit und jedes Citat strenge vermieden haben, wohl auf unsere Lehre von der vollziehenden Ge- walt , 2. Auflage in 3 Bänden (Regierungsrecht, Selbstverwaltungsrecht und Vereinsrecht), 1869—70, verweisen, in welcher man eine eingehende Erörterung aller betreffenden Punkte finden wird. Die Innere Verwaltung. Begriff und allgemeiner Theil. Die Innere Verwaltung. Allgemeiner Theil. Begriff und Idee derselben. Die innere Verwaltung ist nun ihrem formalen Begriffe nach die Gesammtheit derjenigen Thätigkeiten des Staates, welche dem Einzelnen die von ihm selber durch eigne Kraft und Anstrengung nicht erreichbaren Bedingungen seiner individuellen Entwicklung darbietet. Die Idee der inneren Verwaltung beruht darauf, daß das Ideal der menschlichen Entwicklung der vollendete Mensch ist. Die Vollendung des Einzelnen aber ist durch ihn allein nicht möglich. Nur die Gemein- schaft der Menschen ist fähig, die Mängel der individuellen Kraft zu ersetzen, indem in ihr und durch sie Alle für jeden Einzelnen thätig sind. Jeder Einzelne aber ist selbst wieder ein Theil dieser Gemein- schaft. Der Fortschritt des Einzelnen durch die Hülfe der Gemeinschaft erhebt und vermehrt daher die Kraft der letzteren, für jeden zu sorgen. Dadurch wird die Entwicklung jedes Einzelnen durch die thätige Hülfe Aller wieder zur organischen Bedingung dafür, daß die Gemeinschaft selbst kräftiger und fähiger werde, jedem Mitgliede förderlich zu seyn; in der Thätigkeit für jeden Einzelnen sorgt daher die Gesammtheit für sich selber, und durch sie wieder der Einzelne für den andern, und so sagen wir, daß erst in der inneren Verwaltung das höchste Princip alles menschlichen Gesammtlebens, nach welchem die Entwicklung aller Einzelnen sich gegenseitig bedingt und erzeugt, zur That wird. Die Persönlichkeit, welche diese Idee der inneren Verwaltung will und vollzieht, ist der Staat . Aus seinem auf dieselbe gerichteten Willen entspringt die Verwaltungsgesetzgebung ; die Verwirk- lichung derselben ist der Organismus der vollziehenden Gewalt, und zwar in der Weise, daß hier Regierung, Selbstverwaltung und Vereins- wesen gemeinschaftlich arbeiten. Erst in der inneren Verwaltung er- scheinen alle drei Organismen der vollziehenden Gewalt gleichmäßig berechtigt und bestimmt, thätig zu sein, jeder nach seiner Natur und seiner Stellung. Die Gesammtheit aller dieser Thätigkeiten aber fassen wir nun zusammen, indem wir die innere Verwaltung als den für die höchste Entwicklung jedes Einzelnen arbeitenden organischen Staat bezeichnen. Die Gränze dieser Arbeit des Staates ergibt nun das Princip der inneren Verwaltung, das im inneren Verwaltungsrecht seine feste Gestalt empfängt, in der Geschichte der Elemente seine Entwicklung zeigt, in der Vergleichung das Leben Europa’s umfaßt, und im Systeme sich zu einem organischen Ganzen entwickelt. Das Princip der inneren Verwaltung. Das Princip der inneren Verwaltung beruht darauf, daß auch in der Gemeinschaft jeder Einzelne eine selbständige Persönlichkeit bleibt. Es folgt, daß nur dasjenige für sie eine wahre Entwicklung enthält, was sie sich selbst durch eigene Thätigkeit gewannen. Die Gränze für die Aufgabe des Staates in seiner inneren Verwaltung ist mithin dadurch gegeben, daß die Gemeinschaft dem Einzelnen nie darbieten darf, was er durch eigene Kraft sich erwerben kann; nicht die persönliche Ent- wickelung, geistige, physische, wirthschaftliche oder sociale, sondern nur die Bedingungen derselben soll die Verwaltung geben. Jede Ver- waltung, die mehr gibt, verdirbt den Fortschritt des Volks; jede, die weniger gibt, hindert denselben. Das höchste Verständniß aller inneren Verwaltung besteht darin, das richtige Maß zunächst an sich, dann in der Wirklichkeit den gegebenen und wechselnden Verhältnissen entsprechend, zu finden und festzuhalten. Und das ist keineswegs eine leichte Aufgabe. Thut sie das aber, so erzeugt sie das höchste Gut, die wirkliche Freiheit. Die Freiheit der Verfassung besteht in dem Recht der Ange- hörigen des Staates, an seinem Willen Theil zu nehmen; die Freiheit der Vollziehung in ihrem Rechte, in Selbstverwaltung und Verein an der vollziehenden Gewalt mitzuarbeiten; die wirkliche Freiheit aber be- steht in dem Besitz der Bedingungen der individuellen Selbständigkeit. Für diese aber sorgt die innere Verwaltung; sie ist das wahre Lebens- princip derselben. Und so wird die innere Verwaltung die Arbeit des Staats für die höchsten Bedingungen der persönlichen Freiheit. Es ist ein hoher Grad von Verständniß des Gesammtlebens erforderlich, um dieß zu bethätigen. Die Geschichte hat Jahrtausende gebraucht, um jenes absolute Gesetz zum Ausdruck zu bringen. Wir sind in dem Beginn der Epoche, wo die Staaten dieß erkennen; wir sind im Ueber- gange von der Zeit der verfassungsmäßigen zur persönlichen Freiheit, und damit im Uebergange von der Zeit, wo die Vollendung des Staats- begriffes und der Staatsthätigkeit in der Verfassung gefunden wurde, zu derjenigen, wo der Werth einer Verfassung nach demjenigen gemessen wird, was sie für diese Verwaltung erzeugt und leistet . Das Gefühl dieser Wahrheit ist nicht neu. Allein das was wir für die letztere in kommender Zeit zu thun haben, besteht in der prak- tischen Durchführung dieses Gedankens in allen einzelnen Gebieten des Staatslebens. Aus dem Principe der Verwaltung muß eine systema- tische und zugleich praktische Wissenschaft derselben werden. Die Basis der letzteren aber ist zuerst das System der Verwaltungsaufgaben, dann das Verständniß ihrer bisherigen geistigen und materiellen Geschichte. Das innere Verwaltungsrecht. Das innere Verwaltungsrecht ist es nun, welches dieser großen Funktion des Staatslebens seine feste Gestalt gibt. Es ist daher formell die Gesammtheit der auf die Verwaltungsthätigkeit gerichteten Willens- bestimmungen des Staats. Allein seinem inneren Wesen nach bringt es, gleichviel ob mit oder ohne Bewußtsein, durch die Gesammt- auffassung des Staats von seiner eigentlichen Aufgabe in seiner eigenen inneren Welt zum Ausdrucke. Das nun nennen wir den Geist des innern Verwaltungsrechts. Seine endliche Erscheinung ist allerdings stets das einzelne Gesetz; allein faßbar wird es in der Verbindung der einzelnen Gesetze untereinander, und in ihnen erscheint erst das innere Verwaltungsrecht jeder Zeit und jedes Staats als ein Ganzes . Nach der Anschauung dieses Ganzen aber muß die wahre Lehre vom inneren Verwaltungsrecht vor allem streben. Das ganze Gebiet desselben zerfällt nun in zwei Kategorien. Wir nennen den allgemeinen Theil des inneren Verwaltungs- rechts die Gesammtheit derjenigen rechtlichen Bestimmungen, nach welchen die vollziehende Gewalt mit ihren Organen, ihren Principien und ihren Rechten auf die innere Verwaltung Anwendung findet. Und es ist kein Zweifel, daß gerade in der inneren Verwaltung das eigenliche Wesen der Regierung, Staatsverwaltung und Verein zur rechten Gel- tung gelangt. Jedes einzelne Gebiet der inneren Verwaltung hat daher wieder gleichsam seinen allgemeinen Theil, dessen genaue Beachtung eben so wichtig als schwierig ist. Der besondere Theil oder das eigentliche Verwaltungsrecht enthält nur die Bestimmungen oder das geltende Recht für die einzelnen selbständig gesetzten Gebiete als Aufgaben der Verwaltung. Die formale Einheit aller dieser bei allen Völkern unendlich reichhaltigen und in stetem Wechsel und Werden begriffenen Rechtsbildung ist nun das System der Verwaltung. Die höhere Einheit ist der Geist, aus dem die einzelnen Bestimmungen hervorgehen. Bisher nun sind dieselben in höchst zerfahrener Weise erlassen, und es ist schwer, sich von ihnen ein wesentliches Bild zu machen. Allein dennoch fallen sie alle unter gewisse gemeinsame Gesichtspunkte für die in ihnen enthaltene Rechtsbildung. Alles Verwaltungsrecht unterscheidet sich nämlich formell in das gesetzmäßige und das verordnungsmäßige Verwaltungsrecht. Das erstere hat zu seinem Inhalt stets, vermöge der Natur des Gesetzes, die allgemeinen Verhältnisse und Principien; das letztere enthält wesentlich die besonderen Anwendungen des Gesetzes auf bestimmte Fragen und Zustände. Das verordnungsmäßige Verwaltungsrecht entsteht daher durch die Dinge selbst, das gesetzmäßige dagegen setzt nicht bloß einen selbständigen Organismus der gesetzgebenden Gewalt, sondern auch ein höheres Verständniß des ganzen menschlichen Lebens in seinen Grund- lagen und Principien voraus. Das gesetzmäßige Verwaltungsrecht gehört daher stets der höheren geistigen Entwicklung eines Volkes; das verordnungsmäßige dagegen wird mehr durch die wirkliche Thätigkeit des letzteren erzeugt. Das erstere dauert mit seinen Bestimmungen länger, das zweite wechselt rascher. So ersetzen sich beide und erfüllen das Leben; immer aber ist ihre Wirkung eine wechselseitige. Indem die Bestimmungen der Verordnung allmälig zu festen und organischen Ge- setzen werden, müssen sich aus den Gesetzen wieder die Verordnungen entwickeln, und so zusammen ein eben so großes als lebendiges Ganze bilden. Dennoch ist für die innere Verwaltung das nicht erreichbar, was für die übrigen Theile der Verwaltung als das höchste Ziel erscheint, eine Codification des bestehenden Verwaltungsrechts; sondern die höhere Einheit des letzteren wird stets durch die Wissenschaft gegeben werden müssen. Daher ist die Verwaltungslehre die natürliche und nothwendige Grundlage des Systems des Verwaltungsrechts. In dem- selben aber bildet jeder Theil wieder ein selbständiges Ganzes; und jeder dieser Theile hat daher auch seine Geschichte, die jedoch wieder von den allgemeinen Faktoren beherrscht wird. Elemente der Geschichte der Verwaltung und ihres Rechts. Offenbar nun hat die Verwaltung in ihrem weitesten Sinne, als Thätigkeit der Gemeinschaft für sich selber, zu allen Zeiten ihre Ge- schichte gehabt; sie ist wie die Einheit der Menschen so alt wie die Welt. Allein im eigentlichen Sinne des Wortes reden wir doch erst da von einer Geschichte, wo diese Verwaltung zum selbständigen und be- wußten Gegenstand des Staatswillens wird. Auch hier empfängt die- selbe erst ihren festen Inhalt durch das Recht. Und die Geschichte der inneren Verwaltung erscheint daher zunächst als die Geschichte des Verwaltungsrechts. Allerdings aber hat eine solche Rechtsbildung einen selbständigen und selbstthätigen Staat zur Voraussetzung. Der Träger und Aus- druck dieses Staates ist das Königthum. Und dadurch ergibt sich die bedeutsame Thatsache, daß die eigentliche Geschichte der inneren Ver- waltung erst mit dem selbständigen Königthum, das ist ungefähr seit dem fünfzehnten Jahrhundert, beginnt, und daß die großen Epochen, welche sie seit dieser Zeit durchlaufen hat, sich auf allen Punkten an das Königthum und die von ihm ausgehende Regierung anschließen. Man wird daher sagen müssen, daß bis zur Entwicklung dieses selbständigen Königthums das innere Verwaltungsrecht statt auf der Idee des Staats, vielmehr auf dem Wesen und der Gestalt der Ge- sellschaftsordnung beruht. Diese rein gesellschaftliche Gestalt derselben bildet daher den ersten großen Abschnitt in der Geschichte des Ver- waltungsrechts. Der zweite entsteht dadurch, daß das Königthum die Verwaltung in seine Hand nimmt. Der dritte endlich, in dessen Be- ginne wir stehen, beruht darauf, daß die Selbstthätigkeit des Volkes neben der der Regierung auftritt, und Selbstverwaltung und Vereins- wesen auf allen Punkten zur Geltung gelangen. Nach diesen entscheidenden Elementen gestaltet sich nun die Geschichte der inneren Verwaltung in folgender Weise. Die beiden Grundformen der noch ohne Königthum und Regierung sich bildenden Anfänge der inneren Verwaltung bezeichnen wir als die der Grundherrlichkeit und als die corporative Verwaltung . Sie greifen so tief und in Deutschland namentlich so weit bis in die neueste Zeit hinein, daß es nothwendig ist, wenigstens ihren Charakter festzustellen. Wie die Grundherrlichkeit sich aus der freien Geschlechterverfassung des alten Bauerndorfes seit dem zehnten Jahrhundert entwickelt hat, das darf hier als bekannt vorausgesetzt werden. Einmal entstanden aber, bildet sie alsbald für alle Verhältnisse, und so auch für die ersten Anfänge der inneren Verwaltung ihren specifischen Charakter aus. Ihr großes Princip ist das Eigenthumsrecht an allen öffentlichen Rechten vermöge des Eigenthumsrechts an Grund und Boden. Jede Grund- herrlichkeit ist daher zwar in der Verfassung dem Ganzen, rechtlich ver- treten durch die Idee der Lehnshoheit, faktisch durch den höchsten Lehnsherrn, unterworfen; allein in allen Verhältnissen der Ver- waltung ist die Grundherrlichkeit souverain wie ihre Grund- lage, das Eigenthumsrecht. Jede Grundherrlichkeit bildet daher einen souverainen, von dem persönlichen Willen des Herrn abhängenden Ver- waltungskörper und zwar zugleich für Steuer, Rechtspflege und innere Verwaltung (Schulen, Wege, Polizei, Grundbuchswesen u. s. w.). Damit ist diese Verwaltung im Princip auf die individuelle Willkür, in ihren Mitteln auf das äußerste Minimum, in ihrem Inhalte aber so sehr auf der Herrschaft des Besitzenden über den Nichtbesitz basirt, daß sie zuletzt kaum noch den Namen derselben verdient. Die Beseiti- gung derselben durch die königliche Regierung war daher eine der großen Bedingungen alles Fortschrittes, und in der That fängt der Kampf desselben auch fast mit dem Auftreten der wahren königlichen Gewalt an. Die Form, in der sich diese königliche Verwaltung neben und über der grundherrlichen verwirklicht, ist nun die Regalität . Das Regal ist seinem wahren Wesen nach das allerdings auch ursprünglich auf dem Eigenthumsrecht der Krone beruhende königliche Verwaltungs- recht . Es gibt daher historisch so viele Regale, als es Gebiete der Verwaltung gibt; sie erklären ihrerseits die Geschichte der inneren Ver- waltung; nur muß man sie als historische Erscheinungen und nicht als Begriffe behandeln wollen. Der Kampf zwischen Grundherrlichkeit und Regalität dauert nun bis zum siebenzehnten Jahrhundert in England, bis zur Revolution in Frankreich und bis auf die Gegenwart in Deutsch- land, wo sich die erstere noch immer in nicht unbedeutenden Resten als „ Patrimonialgerichtsbarkeit “ erhält, welche neben der Rechts- pflege auch einen nicht unbedeutenden Theil der eigentlichen Verwal- tung, namentlich Armenwesen, Wegwesen und Polizeiwesen selbständig behält. Nur in Oesterreich existirt auch keine Spur mehr von dieser historischen Gestalt, während für das Folgende gerade das Umgekehrte der Fall ist. Auch das Ständewesen und die Körperschaften setzen wir als be- kannt voraus. Immerhin sind die Körperschaften freiere und höhere Formen der Verwaltung als die Grundherrschaften. So ist das An- gehören an die einzelne Körperschaft ein Lebensberuf, und die letztere hat daher die Aufgabe und das Recht, die Erfüllung desselben, die wirkliche Thätigkeit des Einzelnen zu überwachen und zu leiten. Allein sie sind ihrem eigensten Princip nach vereinzelt. Sie vertreten daher in ihrer Rechtsbildung kein allgemeines, sondern immer nur ein beson- deres Interesse, werden naturgemäß feindlich gegen jedes andere, ge- stalten ihre besondere Aufgabe zur rechtlichen Ausschließlichkeit und werden so allmählig zu Feinden des allgemeinen Fortschrittes. Auch mit ihnen beginnt daher die entstehende Regierung ihren Kampf, um sie der Idee und der Rechtsbildung der Verwaltung zu unterwerfen. Die Form, in der dieser Kampf aufgenommen und geführt wird, ist das Eingreifen der Krone in ihre Verwaltung durch das Princip der Bestätigung der Statuten und der daraus sich ergebenden Ober- aufsicht , von denen die Entwicklung mit dem neunzehnten Jahrhun- dert zu dem Princip der Aufhebung aller Vorrechte gelangt und die alten ständischen Körperschaften daher nur noch so weit bestehen läßt, als sie vermöge ihres Besitzes oder ihrer Funktion als Selbstverwal- tungskörper erhalten werden können. Während nun dieser große Proceß vor sich geht, stellt sich die Regierung des neuen Königthums mit dem sechzehnten Jahrhundert grundsätzlich an die Spitze aller Verwaltung, und damit beginnt nun eigentlich erst das, was wir die Geschichte der inneren Verwaltung nennen. Wir scheiden hier drei große Grundformen, welche ihrerseits drei Stadien in der Entwicklung der staatsbürgerlichen Gesellschaft bedeuten. Das Verhältniß derselben zu einander ist aber nicht das der Ausschließung des einen durch das andere, sondern vielmehr die Aufnahme des vorhergehenden in die folgenden. So entwickelt sich gleichzeitig mit der Freiheit des Princips der Reichthum seines Inhalts. Das erste Stadium ist das der reinen, durch die Regierung her- gestellten Sicherheitspolizei . In ihm winden sich die Zustände der Völker aus dem Zustande des Faust- und Fehderechts heraus, und die äußere Rechtsordnung als Bedingung alles Fortschrittes wird gewonnen. Das ist die Zeit des sechzehnten Jahrhunderts. Eine eigentliche Literatur gibt es in dieser Epoche noch nicht. Die Gesetze sind vorwiegend Polizei- gesetze, und selbst da, wo sie es dem Inhalte nach nicht sind, wie etwa die Armengesetzgebung Englands oder die Arbeitergesetze der deutschen Reichsabschiede, sind sie es doch in Veranlassung und Zweck. Der Unterschied von Gesetz und Verordnung geht aber in dieser Nothwendig- keit für die Regierung, praktisch durchzugreifen, verloren; der Wille des Souverains wird alleinherrschend, und damit ist der Uebergang des siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts zum aufgeklärten Despo- tismus begründet. Das zweite Stadium dieser Geschichte charakterisirt sich theoretisch als die rechtsphilosophische Gestalt der Verwaltungslehre, praktisch als die Hauptepoche der Volkswirthschaftspflege. Das erste entsteht dadurch, daß die Rechtsphilosophie, welche überhaupt das Wesen und Princip des öffentlichen Rechts zum Bewußtsein bringen sollte, natur- gemäß zugleich das Princip für die Verwaltung sucht, obgleich sie den formalen Begriff derselben nicht hatte. Sie formulirt mit der Mitte Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 4 des siebenzehnten Jahrhunderts dieses Princip als den Eudämonis- mus , die Pflicht und das Recht der Staatsgewalt, nicht etwa im Namen eines Gesetzes, sondern im Namen des Jus naturae das Wohl- sein aller durch die Gewalt der Polizei herzustellen. Sie lernt daher mit dem achtzehnten Jahrhundert zwar zu unterscheiden zwischen der Wohlfahrts- und der Sicherheitspolizei, aber die Begriffe von Freiheit und Unfreiheit sind ihr gänzlich unbekannt. Die Regierung soll alles für alle thun; aber sie soll nur sich selber verantwortlich sein. Diese Grundauffassung, welche wesentlich den Deutschen angehört, und aus der die Werke von Pufendorf und Wolf hervorgingen, empfängt nun ihren positiven Inhalt durch die großen Schulen der Nationalökonomie. Durch sie entsteht der Grundzug in der Anschauungsweise Europa’s, daß der wirthschaftliche Reichthum das höchste Ziel der Saatsaufgabe sei; jede einzelne dieser Schulen ist ihrerseits daher eben so sehr ein Verwaltungs- als ein volkswirthschaftliches System; das Merkantilsystem sucht die Aufgabe der Regierung für die Volkswirthschaft in Schutz und direkter Staatshülfe, das physiokratische System in der Beseitigung der Privilegien und Hebung der Landwirthschaft, das industrielle System in der Förderung der gewerblichen Produktion. So liegt der Schwer- punkt der Verwaltung dieser Zeit in den Principien der National- ökonomie; allein daneben entwickeln sich auch schon in bedeutsamer Weise die übrigen Gebiete. Zunächst wird die praktische Polizei Gegen- stand einer eigenen Wissenschaft (bei Heumann Jus politiae und Delamare De la police); dann entstehen selbständige Gesetzgebungen, wie über Gesundheitswesen, Schulwesen, Wegewesen, Wasserrecht, Grundbuchswesen und andere; schon wird das Verständniß aller dieser Dinge als eine Bedingung der Verwaltung angesehen, und das Ende des vorigen Jahrhunderts sieht dieselben bereits zu einer selbständigen Wissenschaft erhoben, nur daß man sich, über den Begriff nicht klar, auch über den Namen nicht einigen kann, indem man sie bald Cameral- wissenschaft, bald Polizeiwissenschaft, bald Polizeirecht, bald alles zu- gleich nennt. Aber das bleibt doch das Gesammtresultat, daß die innere Verwaltung allmählig als ein großes Ganze ihre Selbständigkeit neben der Rechtspflege und der Staatswirthschaft gewinnt, jedoch noch von beiden als Nebenwissenschaft zurückgedrängt erscheint. Denn die alte Rechtsphilosophie hat die Fähigkeit verloren, den neuen Staat auch als Thätigkeit zu begreifen; sie weiß auch seit Kant in ihm nichts zu sehen als eine Rechtsordnung, und ihr höchstes und letztes Ziel ist die Verfassung . Die Wissenschaft, die allein berufen ist, die Einheit zum Ausdruck zu bringen, gelangt daher zwar zu sehr tief gehenden Untersuchungen einzelner Gebiete der Staatsaufgaben, aber sie bleiben unzusammenhängend und zerstreuen ihre Wirkung; ja das neunzehnte Jahrhundert vermag nicht einmal die Höhe festzuhalten, die politisch in den Werken von H. Berg und juristisch in denen von Fischer schon gewonnen war. Die Codifikation ist der Idee der Verwaltung gegenüber unmächtig; es ist klar, daß das neunzehnte Jahrhundert einen andern Inhalt zur Geltung zu bringen hat. Und dieser nun ist der sociale Standpunkt der inneren Verwaltung. Dieser sociale Standpunkt beginnt seinerseits mit der Behandlung des Armenwesens , und lange glaubte man, daß hierin das sociale Element ausschließlich liege. Allein mit der Mitte unseres Jahrhun- derts tritt an seine Stelle das Bewußtsein von dem Gegensatz der Classen, und es wird klar, daß zuletzt alle innere Verwaltung ihren Schlußpunkt in der Frage habe, was denn der Staat für diese Classenbewegung zu thun habe und thun könne ? Je weiter wir kommen, je bestimmter wird es uns, daß diese Frage nicht etwa ein für sich bestehendes, in einem einzelnen Gebiete erschöpftes Gebiet enthält, sondern daß sie vielmehr die ganze innere Verwaltung durchdringt . Das ist der Standpunkt, auf dem wir stehen. Seine Voraussetzungen sind einerseits die freie Entwicklung der Selbstverwal- tung und des Vereinswesens, andererseits ein einheitliches, organisches System der inneren Verwaltung. Daß wir beider Dinge bedürfen, ist nicht mehr zu bezweifeln. Für beides arbeiten wir. Das erstere kann uns die Kraft geben, die sociale Frage zu lösen, das zweite die Kate- gorien, durch welche wir ihren Inhalt verstehen. Aber die Lösung selbst gehört der Zukunft; denn nirgends mehr als hier soll man die Gegenwart mit ihren Zweifeln, Kämpfen und selbst mit ihren Erfolgen als einen Durchgangspunkt für eine höhere, bessere Zukunft zu erkennen wissen. Die nationale Gestalt des inneren Verwaltungsrechts und die vergleichende Rechtswissenschaft. Ohne Zweifel nun hat diese innere Verwaltung neben ihrer all- gemeinen europäischen Entwicklung, wie wir sie so eben charakterisirt, zugleich in jedem Staat eine individuelle Gestalt, welche in vielfacher Beziehung von der jedes andern wesentlich verschieden ist und daher auch zuerst als ein selbständiges Ganze betrachtet werden muß. Andererseits aber sind die großen Grundlagen des Lebens wieder in allen Staaten gleichartig und durch die Gemeinsamkeit der Gesittung, der Wissenschaft und der Erfahrung in gleichmäßiger Weise ausgebildet. Es ist bei genauerer Betrachtung nicht fraglich, daß gerade im Gebiete der inneren Verwaltung der Unterschied des Rechts wie der Entwick- lung desselben ein viel geringerer ist , als es auf den ersten Blick erscheinen dürfte. Es wird daher für diese Wissenschaft, welche geistig umfassen soll, was das Leben Europa’s faktisch umfaßt, nothwendig, die Elemente zu bestimmen, welche die Besonderheit erzeugen, und sich die Aufgabe zu vergegenwärtigen, welche die wahre Vergleichung dieser Besonder- heiten zu lösen hat. In der That kann es kaum zweifelhaft sein, daß die nationale Besonderheit der inneren Verwaltung unserer Zeit nicht mehr so sehr in den Principien und letzten Zielen besteht, welche dieselbe verfolgt, als in der Natur der Organe, welche sie zur Vollziehung bringt. In den ersteren sind die Staaten Europa’s gegenwärtig fast alle gleich , in den letzteren sind sie fast alle von einander verschieden . Das- selbe Princip und Recht aber, je nachdem es von der Regierung, von der Selbstverwaltung oder vom Vereinswesen zur Verwirklichung ge- bracht wird, erscheint in seiner öffentlichen Geltung und Wirkung so verschieden, daß man es zuweilen kaum wieder erkennt. Während daher der quantitative Unterschied der inneren Verwaltung in der Ent- wicklung der einzelnen theoretischen und praktischen Consequenzen eines angenommenen Grundsatzes besteht, liegt er qualitativ in dem Verhält- niß der drei Grundformen der vollziehenden Gewalt zur Ausführung desselben. Dieses Verhältniß aber, als Corollar des Verfassungsrechts, geht wieder mit Nothwendigkeit aus demjenigen Verhältniß hervor, in welchem die drei gesellschaftlichen Ordnungen zur Staatsgewalt stehen. Auf diese Weise bringt das innere Verwaltungsrecht eines jeden Staats in der That den ganzen Charakter eines Staats zum Ausdruck; eine Vergleichung wird wieder nicht thunlich, ohne die ganze Individualität des Staats vor Augen zu haben; und so entsteht der Begriff und Inhalt der vergleichenden Verwaltungslehre . Dieselbe hat auf Grundlage der großen, ewig gleichen organischen Kategorien des Systems die Unterschiede des positiven Verwaltungsrechts aus dem lebendigen Zusammenwirken der gesellschaftlichen Elemente mit den Faktoren des geistigen, des wirthschaftlichen und des staatlichen Lebens zu erklären. Ihr Princip muß sein, daß jedes positive Recht eine historische Conse- quenz ist; ihre Aufgabe, dasselbe in diesem seinem causalen Verhältniß nachzuweisen. Geht man nun davon aus, so ist es keinem Zweifel unterworfen, daß es drei Grundgestaltungen der inneren Verwaltung in Europa gibt, welche durch die drei großen Culturvölker unseres Welttheiles repräsentirt werden, und deren Betrachtung uns eigentlich erst die unendliche Einfachheit des Lebens der Menschheit in seinen letzten Ele- menten, aber auch seinen unendlichen Reichthum in seinen einzelnen Erscheinungen erschließt. Die erste ist die des englischen Volkes , in welchem die Vollziehung und damit die innere Verwaltung grund- sätzlich auf der Thätigkeit der Selbstverwaltung und des Vereinswesens beruhen, während die Regierung an beiden nur wenig — in vielen Dingen viel zu wenig — Antheil hat. Die zweite bietet das fran- zösische Volk , in welchem die ganze innere Verwaltung fast ausschließ- lich in den Händen der Regierung ruht, während Selbstverwaltung und Vereinswesen fast macht- und rechtlos sind. Die dritte ist das deutsche Volk , welches in mannigfach verschiedener Weise dennoch stets denselben Gedanken zum Ausdruck zu bringen trachtet, der per- sönlichen und der freien Verwaltung je ihren natürlichen und organischen Antheil an dem Leben des Staats zu geben. England und Frankreich sind daher mit ihrem Charakter im Ganzen vorläufig fertig und arbeiten am Einzelnen in der inneren Verwaltung; Deutschland ist noch mitten in der Arbeit für seinen Charakter, hat dagegen im Einzelnen bereits Außerordentliches geleistet, während es in andern einzelnen Gebieten oft noch sehr weit zurück ist. Das durch alle Gebiete des innern Lebens Europa’s durchzuführen, ist die größte Aufgabe, welche der menschlichen Wissenschaft gestellt werden kann. Sie übersteigt jede einzelne Kraft, und darum ist sie Aufgabe unseres Jahrhunderts. Die erste Voraussetzung dafür ist nun wohl die, daß man sich einig werde über die organischen Grundbegriffe und das System dessen, was wir nun als die Verwaltungslehre vorzulegen haben. Das System der inneren Verwaltung. Aus den obigen allgemeinen Begriffen entsteht nun das System der inneren Verwaltung, nicht etwa indem der Begriff und das Wesen der letzteren weiter untersucht werden, sondern indem das Objekt der- selben, das Leben der Persönlichkeit in der menschlichen Gemeinschaft, sich selbst als eine organische, aus sehr verschiedenen Gebieten ein Ganzes bildende Einheit zeigt. Während die Idee der Verwaltung nun dieß Ganze im Auge hat, fordert natürlich die Verschiedenheit der einzelnen Gebiete wieder eine verschiedene, zu Geschichte und Recht sich selbständig entwickelnde Thätigkeit der Gemeinschaft. Das heißt, jeder Theil des menschlichen Lebens hat seine Verwaltung. Damit entsteht ein Reichthum und eine Vielgestaltigkeit des thätigen Daseins der Menschheit, die jedes andere Leben unendlich übertrifft. Aber in dieser fast unabsehbaren Mannigfaltigkeit, dem beständigen Wechsel des Ein- zelnen und der nationalen Gestaltung des Ganzen muß doch die orga- nische Einheit das letztere beherrschen. Diese nun ist, wissenschaftlich zum Bewußtsein gebracht, das System . Das System der inneren Verwaltung erfüllt daher die allgemeine Idee derselben mit seinem mächtigen Leben voll concreter Kämpfe, voll fest bestimmter, juristisch zum Ausdruck gebrachter Thatsachen. Und deßhalb ist es selbst nicht ein Hülfsmittel und nicht eine Sache der Zweckmäßigkeit, sondern eine absolute Voraussetzung der geistigen Beherrschung dieses so hochwichtigen Lebensgebietes. Die Elemente dieses Systemes erscheinen daher ihrerseits als die elementaren Grundverhältnisse des persönlichen Lebens selbst. Aus dem rein für sich gesetzten Leben der Person geht der erste Haupttheil, aus dem wirthschaftlichen Leben derselben der zweite, und aus dem gesell- schaftlichen Leben der dritte hervor. Jedes dieser Gebiete ist nun wieder nicht eine einfache Thatsache, sondern zeigt sich alsbald selbst wieder als ein großes System in einander greifender und doch selbständiger Lebensverhältnisse, so daß damit die Verwaltungslehre gleichsam in Einem großen, das ganze Gesammtleben umfassenden und ordnenden Bilde die fundamentalen Lebensverhältnisse der Menschheit über- haupt darstellt. Das ist die wahre Aufgabe und der Werth eines solchen Systems. Es handelt sich bei ihm nicht um Formeln und De- finitionen, sondern um eine Weltanschauung; wer einmal mit der Ver- waltung sich ernstlich beschäftigt hat, der wird bald erkennen, daß es keine Wissenschaft gibt, die ihr an Reichthum und Bedeutung gleich käme. Die Verwaltung slehre ist die Erfüllung der Selbsterkenntniß der menschlichen Gemeinschaft, mit der ganzen Fülle ihrer organischen Thatsachen, wie das Verwaltung srecht die Fixirung der letzteren in einem bestimmten gegebenen Momente ist. Allerdings aber hat diese Auffassung ihre Grenze. Denn nicht alles, was zum menschlichen Leben gehört, gehört auch der Verwaltung. Ihr Gebiet umfaßt nur das, worin das Leben des Einzelnen und das der Gemeinschaft sich gegenseitig bestimmen und bedingen . Da wo der Einzelne ganz auf sich angewiesen ist, so wie da wo der Staat nur als individuelle Persönlichkeit auftritt, gehört der Verwal- tung überhaupt nicht, also auch nicht der inneren Verwaltung. Daher erscheint denn auch der Inhalt des Systems der letzteren so wesent- lich verschieden von dem des persönlichen Einzellebens; es kommen Kategorien in jener vor, die in diesem nothwendig wegfallen, und um- gekehrt. Nur die obigen drei größten Gebiete bleiben; sie sind die Kategorien, in denen eben die Gemeinschaft und der Einzelne ihr Leben gegenseitig austauschen; und wie nun diese große, die ganze Welt um- fassende Gegenseitigkeit ihre feste Gestalt gewinnt, das zeigt uns das positive Verwaltungsrecht jedes seiner einzelnen Theile. Es ist endlich klar, daß jene drei großen Gebiete nicht nach ein- ander da sind, wie in der wissenschaftlichen Darstellung, sondern gleich- zeitig und sich gegenseitig durchdringend fortleben. Aber die Theorie muß bei dem Einfachen beginnen. Das aber ist die rein persönliche Existenz, welche mithin den ersten Theil bildet. Erster Theil. Die innere Verwaltung und das persönliche Leben. Das persönliche Leben enthält nun für die innere Verwaltung den Menschen, insofern er als Einzelner, noch ohne alle die Entwicklungs- momente, die durch Güterleben und gesellschaftliche Ordnung für ihn entstehen, Glied der Gemeinschaft ist. Das heißt nun, insofern er mit diesem rein persönlichen Dasein einerseits die Gemeinschaft bestimmt, andererseits von ihr bestimmt wird. Das persönliche Leben hat daher wie immer zwei Gebiete. Das eine ist seine physische Persönlich- keit , oder seine Person , das andere ist das geistige Leben der- selben. In beiden schreitet der Mensch fort und entwickelt sich, und mit sich die Gemeinschaft. In beiden aber finden Dasein und Fort- schritt des Einzelnen eine Reihe von Bedingungen, die sich der Einzelne nicht selbst zu geben vermag. Diese ihm so weit darzubieten, daß seine eigene persönliche Selbständigkeit nicht beschränkt wird, ist die erste Aufgabe der innern Verwaltung. Dieselbe zerfällt daher in die obigen zwei Theile; in jedem dieser Theile erscheint aber nur das, was eben Gegenstand der Gemeinschaft und ihrer Aufgabe ist, nicht was der Einzelne für sich und durch sich allein sein soll. Und so entsteht das System dieses ersten Theiles, dessen Elemente die folgenden sind. Da wir diesen ersten Theil in der inneren Verwaltungslehre (Verwaltungs- lehre, Bd. 1—6) bereits ausführlich behandelt haben, so werden wir kaum etwas anders liefern können, als einen kurzen Auszug. Die Aenderungen im System sehen wir als eine Verbesserung an und hoffen, daß wir darin Recht haben werden. A. Die Verwaltung und das physische Leben . Das physische Leben des Einzelnen ist ohne Zweifel zunächst seine eigenste Thatsache. Aber dennoch ist es ein Theil des physischen Lebens und Daseins der Gemeinschaft. Die Beziehungen, in welchen es zu dem letztern steht, erscheinen in vier Kategorien. Zuerst ist der Einzelne eine individuelle Thatsache, das ist eine, der Gemeinschaft angehörige Person ; und das Verhalten der ersteren zu der letzteren bildet das Bevölkerungswesen . Dann hat der Einzelne in seiner individuellen physischen Kraft und Gesundheit einen Theil und ein Moment der Gesammtkraft und Gesundheit, und daraus entsteht das Gesundheits- wesen . Ferner hat der Einzelne in seiner individuellen Unverletzlich- keit die erste äußere, rein materielle Bedingung seines Daseins und seines Fortschritts, und diese gibt ihm die Gemeinschaft durch das Polizeiwesen . Und endlich bedarf der Einzelne unter Umständen einer öffentlich anerkannten Verbreitung seiner Persönlichkeit überhaupt, und diese wird ihm im Pflegschaftswesen geboten. Diese Gebiete zusammengefaßt bilden das, was wir die innere Verwaltung des phy- sischen Lebens der Persönlichkeit nennen. Das Verwaltung srecht for- mulirt dann Maß und Inhalt dessen, was die Gemeinschaft durch Regierung, Selbstverwaltung und Vereinswesen für diese drei Gebiete gethan hat in der Rechtsgeschichte und wirklich thut im positiven Verwaltungsrecht. I. Das Bevölkerungswesen. Begriff und System. Die Bevölkerung in allen ihren verschiedenen Beziehungen bildet die Grundlage des Staatslebens. Sie ist daher die erste und natür- lichste Aufgabe der auf die eigenen Verhältnisse gerichteten Thätigkeit des Staats. Und die Gesammtheit aller dieser Thätigkeiten, sowie der Grundsätze, nach denen sie verfährt und zu verfahren hat, bildet das Bevölkerungswesen . In diesem Bevölkerungswesen bildet wieder die Darstellung der natürlichen Gesetze, nach denen die Bevölkerung entsteht, sich vermehrt und vermindert, die Bevölkerungslehre ; die Darstellung des Zu- standes der Bevölkerung als einer auf durchschnittliche Verhältnisse zu- rückgeführten Thatsache, die Bevölkerung sstatistik ; beide zusammen- gefaßt nennt man auch wohl Populationistik . Die Populationistik ist somit allerdings an sich kein Theil der Ver- waltung der Bevölkerung, sondern diejenige Voraussetzung der- selben, welche die Gesetze zeigt, die ihrerseits Ordnung und Maß der Verwaltungsthätigkeit in Beziehung auf die Bevölkerung bedingen. Aber auch diese werden Gegenstand der Verwaltungsthätigkeit durch die Statistik , welche wieder auf dem Zählungswesen beruht. Mit diesem beginnt die innere Verwaltung ihre systematische Ord- nung. Von ihr aus entstehen die folgenden beiden Kategorien. Die Bevölkerungsordnung entsteht durch die Nothwendigkeit, den Wechsel in der Zahl und in der Angehörigkeit der Einzelnen fest- zustellen, da die individuellen Angehörigkeitsverhältnisse von entschei- dender Bedeutung für den Verkehr und sein Recht sind, ohne daß es dem Einzelnen möglich wäre, sich die ihm nothwendige Gewißheit dar- über durch eigene Mittel zu verschaffen. Die Bevölkerungsordnung enthält daher die Gesammtheit von Verwaltungsmaßregeln und Rechts- sätzen, welche auf die Standesregister , das Paß- und Fremden- wesen und das Heimathswesen Bezug haben. Jedes dieser Ge- biete hat gleichfalls sein eigenes Rechtssystem. Die Bevölkerungspolitik beruht auf der Bedeutung, welche die Zahl der Bevölkerung für den Staat hat. Sie geht davon aus, daß die Thätigkeit des Staats auf die Vermehrung und Verminderung dieser Zahl Einfluß haben könne und solle, und enthält daher die Grundsätze und Regeln, nach denen dieser Einfluß ausgeübt wird. Diese sind wieder nach den Gebieten der Bevölkerungspolitik sowohl grundsätzlich als historisch verschieden. Diese Gebiete sind die Ehe , die Einwanderung und die Auswanderung , von denen jede sein eigenes Rechtssystem und seine Geschichte hat. Gesetzgebung . Unthunlichkeit der Codifikation über das ganze Bevölke- rungswesen; dagegen zum Theil sehr weitläuftige und detaillirte Rechtsbestim- mungen über die einzelnen Gebiete. Literatur . Entstehen der Berücksichtigung der Bevölkerungsfragen aus rein volkswirthschaftlichem Gesichtspunkt. England , Verbindung mit socialen Fragen. Montesquieu L. XXIII. Entstehen der eigentlich populationi- stischen Literatur. Grundlage: die Gesetze der Bewegung der Bevölkerung in Zunahme und Abnahme, auf Basis von Zählungen und Beobachtungen: Süßmilch : Göttliche Ordnung in den Verminderungen des menschlichen Ge- schlechts, 2 Bände, 1761. Erster Vertreter einer selbständigen rationellen Thätigkeit der Verwaltung für die Vermehrung der Bevölkerung: Justi („Grundreguln der Bevölkerung“ in dessen Grundsätzen der Polizeiwissenschaft, I. 2 B.). Auftreten der Idee der Uebervölkerung : Malthus , Essays on population 1791. Kampf dagegen. Uebergang zur physiologischen Auf- fassung und Bearbeitung der ganzen Frage, theils auf Grundlage der Physio- logie ( Burdach , Physiologie), theils auf Grundlage der eigentlichen Bevölke- rungsstatistik: Caspar, Bernoulli , Quetelet , de l’homme 1841. Aufnahme der gewonnenen Resultate in die Staatswissenschaft ( Pölitz , Staatswissenschaft, II. B.), theils in die Statistik, welche fast ganz populationistisch wird, theils in die Nationalökonomie. Rau , §. 111, Roscher , §. 11, als Erörterung der Uebervölkerungsfrage. Mohl , Polizeiwissenschaft, §. 33, bes. Gerstner , Staats- verwaltung, II. Bd. 1. Abth., mit Hinneigung zur physiologischen Behandlung. — Die ganze Bevölkerung sordnung und ihr Recht in diesen Auffassungen ohne alle Berücksichtigung; dagegen Behandlung der einzelnen Gebiete, aber ohne Bewußtsein des Zusammengehörens. Stein , Verwaltungslehre, II. Bd. S. 114 ff. Carey , Lehrbuch der Volkswirthschaft von Adler , 1870, Cap. 38. A. Die Statistik und das Zahlungswesen. I. Der Begriff der administrativen Statistik. (Die Lehre von der Wissenschaft der Thatsachen.) Allerdings geht der Begriff der Statistik weit über die innere Ver- waltung hinaus; aber auch er findet hier seine wichtigste Anwendung. Es ist daher durchaus nothwendig, denselben für sich, und aus ihm den Begriff der administrativen Statistik zu bestimmen. Die Statistik ist ihrem Begriffe nach die Wissenschaft der Thatsachen überhaupt. Sie enthält in diesem Sinne die Methode, für das richtige Verständniß jeder Thatsache, also auch der des Staats- lebens. Sie hat damit ihr eigenes System; es ist die Logik und Dia- lektik der Erscheinungen neben der des Gedankens. Ihre Elemente sind folgende. Der Akt, durch welchen ich das Dasein einer Thatsache mir zum Bewußtsein bringe, indem ich denselben messe , ist die Beobachtung . Der Werth der Beobachtung wird daher bestimmt von der Genauigkeit und Zweckmäßigkeit des Maßes, und steigt in umgekehrtem Verhält- niß zu der Kleinheit der Differenzen, welche sie ergibt. Diese Diffe- renzen verschwinden nie ganz, möge der Grund nun liegen wo er will. Ich kann daher mit gar keiner einzelnen Beobachtung eine Thatsache genau messen, sondern ich muß einen Durchschnitt bilden, dessen Werth — oder Wahrheit — um so größer ist, je größer die Zahl der Beobachtungen und je geringer der Grad ihrer Differenz. So gelange ich zu der Thatsache , deren Begriff daher die durch die Beobachtung gemessene einheitliche Erscheinung ist. Jedes gewisse, als eine selb- ständige Einheit erkannte Dasein ist demnach eine Thatsache. Diese Thatsache wechselt. Der Wechsel enthält zwei Momente, welche ich Grund und Folge nenne. Wenn ich nun Grund und Folge selbst wieder als selbständige Thatsache beobachte und mithin messe, so entstehen die Begriffe von Ursache und Wirkung . Die Ursache ist der beobachtete Grund, die Wirkung ist die beobachtete Folge. Allein die Ursache ist mit ihrer einmaligen Wirkung nicht erschöpft; denn die letztere ist nicht bloß Erscheinung des Grundes, sondern auch Erscheinung der auf denselben einwirkenden unendlichen Mannichfaltig- keit anderer Kräfte. Das wahre Maß des Grundes liegt daher nicht in ihm selbst, sondern in seiner Kraft dritte Erscheinungen durch sich zu bestimmen. An diesem erscheint jene Kraft. Ich messe daher den Grund, indem ich die möglichen Wirkungen nach den vorhandenen und beobachteten berechne; und das so entstandene Maß der Kraft, die ich in Beziehung auf ihre einmalige Erscheinung die Wirkung nannte, ist dann die Wahrscheinlichkeit . Die Wahrscheinlichkeit also ist das durch die Wirkung dritter Kräfte gesetzte Maß der beob- achteten Grundkraft. Indem ich durch dieses Maß zur Gewißheit der selbstwirkend vorhandenen Kraft gelange, entsteht der Begriff des Ge- setzes . Jede Beobachtung strebt daher zum Gesetze zu gelangen; jede Thatsache ist nur die Erscheinung eines Gesetzes; die Gesammtheit aller Thatsachen löst sich durch die Gesetze in eine große harmonische Ord- nung aller Dinge auf; und so ist die Wissenschaft der Thatsachen die- jenige Weltanschauung, welche vom Einzelnen zum Ganzen gelangt. Für sie gibt es keinen Zufall und keinen Unterschied des Werthes oder der Wichtigkeit der Thatsachen, sondern diese liegen wie der Be- griff des Maßes selbst, nur im Menschen, nicht in den Dingen. Für sie gibt es aber auch kein Gebiet, das sie nicht bewältigen könnte; ihr gehört alles , und daher gehört ihr auch das Leben des Staats. Diese Wissenschaft der Thatsachen, indem sie nur auf den Staat und sein Leben angewendet wird, ist die Statistik . Die Theorie der Statistik, im Unterschied von der Wissenschaft der Thatsachen, ist demnach wissenschaftlich definirt, die Lehre von der Art und Weise, wie der Staat seine Beobachtungen macht, seine Durchschnitte und That- sachen feststellt, und durch Untersuchung der in seinem Leben wirksamen Ursachen und Wirkungen zum Verständniß der Gesetze gelangt, welche dasselbe beherrschen. Das Ergebniß der Statistik sind dann diese nach der Theorie derselben aufgestellten Thatsachen und Gesetze des Staatslebens . Das ist sehr einfach. Sobald man nun, wie das meistens geschieht, diese Ergebnisse selbst als die eigentliche Statistik betrachtet, so entsteht nicht bloß Ver- wirrung in den Begriffen, sondern man gelangt überhaupt nicht zu einer Theorie der Statistik, und noch viel weniger zu einer Lehre von den Thatsachen. Der Gang der Geschichte hat nun diesen letzten Weg eingeschlagen, und als Statistik gilt nur das Sammeln von Beobach- tungen und die Darstellung derselben, auf gewisse mehr oder weniger stichhaltige Einheiten reducirt. Noch ist der Versuch nicht anerkannt, die Statistik aus diesem modernen und rein praktischen Stadium der bloßen Kenntnißnahme zu einer bewußten Wissenschaft zu erheben. Nur auf Einem Punkte liegt ein solcher Versuch vor, und der ist das Zählungswesen. Wir glauben die Geschichte der administrativen Statistik, die eigentlich wohl theoretisch mit Seckendorf , Teutscher Fürstenstaat 1635 (speciell II. c. 5), beginnt, eben so wenig als die Geschichte der Lehre von den Thatsachen, die Pascal zuerst mathematisch formulirte, verfolgen zu sollen, als das gründ- liche Mißverständniß unsres Versuches einer Lehre von den Thatsachen (System der Staatswissenschaft I. ) bei Mohl . Wir würden zugeben, im letzten Punkte vollkommen unrecht zu haben, wenn in der ganzen Statistik nur Einmal die Frage untersucht wäre, was denn eigentlich eine „Thatsache“ ist. Mohl hat deßhalb auch die Bedeutung Quetelets und seiner Lettres sur la Pro- babilité nicht hervorgehoben. Seine übrigen Angaben (Literatur der Staats- wissenschaft III. XIX. ) sind übrigens eben so reich als zuverlässig. II. Das Zählungswesen. Das Zählungswesen enthält die Gesammtheit von Vorschriften und Maßregeln der Verwaltung, vermöge welcher dieselbe sich ein auf Zahl und Vertheilung der Bevölkerung beruhendes Bild derselben und ihrer persönlichen, wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände für ihre Zwecke schafft. Dasselbe entsteht daher erst mit dem Bewußtsein von diesen Zwecken, und bildet sich in gleichem Schritte mit demselben aus. Die Geschlechter- und ständische Ordnung haben daher keine Zählungen. Sie beginnen stets mit der polizeilichen Verwaltung, sind anfangs auf militärische und finanzielle Zwecke beschränkt, und behalten auch später vorwiegend diesen Charakter. Mit der Entstehung der Be- völkerungslehre und der inneren Verwaltung entwickelt jedoch das Zählungswesen ein rationelles System , sowohl für die Momente des Zustandes der Bevölkerung als für den Vorgang der Zählungen selbst, das seinerseits auf dem bereits im vorigen Jahrhundert entschieden ausgebildeten Zustand der Wissenschaft beruht, und, obwohl in den verschiedenen Staaten noch sehr verschieden, dennoch bereits einer gleichartigen, und das ganze Leben der Bevölkerung umfassenden Dar- stellung entgegen geht, deren Wichtigkeit von Jahr zu Jahr mehr an- erkannt wird. Die Grundlagen, die sich dabei herausbilden, bestehen in dem Uebergang von der Schätzung zur Kopfzählung , und von dieser zum eigentlichen Zählungswesen , das zuerst bei der tabella- rischen Constatirung der persönlichen Verhältnisse (Alter, Geschlecht, Familie, Confession) beginnt, dann zu den wirthschaftlichen Ver- hältnissen übergeht (Erwerbsverhältnisse, Besitzstand, Viehstand, Häuser, Anlagskapitalien, Unternehmungen) und endlich die gesellschaft- lichen Verhältnisse aufnimmt (Stand, Beruf, Bildung). — Das or- ganische Verhältniß der so gewonnenen Resultate zu den Aufgaben und den Erfolgen der inneren Verwaltung ist nur noch in sehr einzelnen Gebieten (Steuern, Schulbesuch, zum Theil Gesundheitspflege, Land- wirthschaft) untersucht, und fordert allerdings, daß die künftigen Zäh- lungen mit der gesammten Verwaltungsthätigkeit als in einem bestän- digen und causalen Wechselverhältniß stehend erkannt werden. Darin liegt die Zukunft des Zählungswesens, das stets der Mittelpunkt der Verwaltungsstatistik bleiben wird. Eben wegen dieser Unfertigkeit des Verhältnisses zwischen Verwal- tung und Statistik hat sich bisher das Zählungswesen nicht gleichmäßig in den einzelnen Staaten ausbilden können. Zählungsprincip, Recht und Ordnung sind noch sehr verschieden, obwohl die Anerkennung der Wichtigkeit, ja der Nothwendigkeit desselben in ganz Europa als ent- schieden angesehen werden dürfen. Literatur und Statistik . Erste Versuche: allgemeine Erkenntniß der Wichtigkeit, ohne System; einzelne örtliche Beobachtungen. Montesquieu , L. 23. Mohl , Literatur der Staatswissenschaft I. S. 424 ff. Süßmilch , erste Verbindung der Bevölkerungsphysiologie mit der Zählung. Justi , II. 1. 2, erste Theorie der rationellen Zählung. Kopetz , I. 39. Schätzungen und Zählungen geschieden. Necker in Frankreich. Scheidung des Zählungs- wesens von der Staatswissenschaft in unsrem Jahrhundert; Betrachtung des- selben als selbständiges Gebiet der Administration, damit Verschwinden der bloßen Schätzungen; strenge Zählung, aber meist reine Kopfzählung als Grundlage. Dann Wiederaufnahme des physiologischen Standpunkts durch Quetelet , und daraus selbständige Theorie der Zählungen, bei denen die Administra- tion und Gesetzgebung der Theorie sich unterordnet. Czörnig (Oesterreich), Legoyt (Frankreich), Farr (England), Engels (Sachsen und Preußen), Herrmann (Bayern). Die Zollvereinszählungen , ihr Grund und ihr Inhalt. Gesetzgebung. England . Einführung der regelmäßigen Zählungen durch Anschluß an die Standesregister und ihre gesetzliche Ordnung. Grund- lage: Regulations for Registrars 1838. Mohl I. S. 241. Frankreich . Anschluß an die innere Verwaltung als Grundlage der Bemessung öffentlicher Berechtigungen und Lasten der Selbstverwaltungskörper. Anfang: Gesetz vom 22. Juli 1791. Begründung jener Verbindung: Arr. 17 Germ. an XI. und folgende Gesetze; Verbindung mit der Besteuerung: Gesetz vom 21. April 1832 und 1844; mit der Gemeindeverwaltung: Gesetz vom 5. Mai 1855. Juglar , de la population en France depuis 1772. (Journ. d. Ec. XXX—XXXII.); Fayet de l’accroissem. de la population en France. Journ. d. Ec. XII. Oesterreich . Im Anfang: Anschluß an die Militärstellung; Einrichtung des ganzen Zählungswesens darnach; seit Hofdecret vom 19. Jan. und 16. Febr. 1754; bestimmte Ordnung: Patent vom 18. Sept. 1777; s. Kopetz , Polizei- gesetzkunde I. 165. Neuestes, nach den Grundsätzen der Theorie bearbeitetes Volkszählungsgesetz vom 23. März 1856 (Czörnig); s. Stubenrauch , österr. Verwaltungsgesetzkunde I. §. 164 und 167. Das Gesetz vom 29. März 1869 hält die Hauptgrundsätze des alten aufrecht. Deutsche Staaten . Grundlage: zuerst die Bundesmatrikel , dann die Zählungen für den Zollverein, welche dann je nach der Höhe der Wissen- schaft in einzelnen Staaten sehr weit ausgebildet, in andern weniger entwickelt sind. Zolleinigungsverträge seit 1833; Zählungen grundsätzlich nur nach der Kopfzahl . Daher in allen übrigen Momenten Willkür. Vgl. Zusammen- stellung der in Bezug auf die Volkszählungen in verschiedenen deutschen Staaten getroffenen Anordnungen, vom 8. Juli 1864 und Nachtrag 1865; nach welchem „demnach zwischen den Zählungsvorschriften der einzelnen deutschen Staaten noch immer so erhebliche Verschiedenheiten bestehen, daß hiedurch die Vergleichbarkeit wesentlich beeinträchtigt wird.“ Engels Thätigkeit in Sachsen und Preußen. Die Darstellung der geltenden (fast ausschließlich verordnungsmäßigen) Vorschriften mangelt in allen deutschen Verwaltungs- gesetzkunden. L. Stein , innere Verwaltungslehre, S. 213—226. Preußens Volkszählungen werden angenommen auf Grund der Erlässe vom 6. Juli 1846, 20. Okt. 1858 und 16. Okt. 1861. ( Austria 1864, Nr. 49.) — Königreich Sachsen , Verordnung vom 1. Okt. 1864. (Listen von den Behörden, Zählung durch die Gemeinden.) B. Die administrative Ordnung der Bevölkerung. Begriff und Wesen. Die administrative Ordnung der Bevölkerung beruht darauf, daß die Constatirung einerseits der Angehörigkeit des Einzelnen an seinen Staat und die Organe seiner Verwaltung, andererseits der Identität der Persönlichkeit überhaupt in dem Grade mehr eine Bedingung für die Entwicklung des Gesammtlebens wird, je mehr der Verkehr die Einzelnen durcheinander wirft. Es ist klar, daß beide Bedingungen von dem Einzelnen als solchem nicht erfüllt werden können. So wie daher die Staatsthätigkeit und zugleich die Bewegung der Bevölkerung wechseln, wird es nothwendig, dafür objektive gültige Bestimmungen zu treffen. Und die Gesammtheit dieser Bestimmungen für die Staats- angehörigkeit im weitesten Sinne, so wie für die öffentlich rechtliche Constatirung der Identität des Einzelnen bilden die administrative Ordnung der Bevölkerung. Es leuchtet ein, daß es gar keinen Zustand eines Volkes geben kann, in welchem nicht wenigstens bis zu einem gewissen Grade die Elemente dieser Ordnung vorhanden wären. Allein eine systematische Entwicklung kann erst dann eintreten, wenn einerseits der Staat sich in Gesetzgebung und Verwaltung zu einem durchgearbeiteten Organis- mus gestaltet, und andererseits die Schranken zwischen den Völkern im Ganzen, und den einzelnen Orten innerhalb der Staaten gebrochen werden. Alsdann aber muß diese Angehörigkeit auch als eine große, auf jedes Lebensverhältniß sich beziehende Ordnung aufgefaßt werden. Dabei nun ist es der naturgemäße Gang der Entwicklung, daß im Anfange desselben diese Ordnung eine unfreie ist, das heißt, daß der Staat die Aenderung der gegebenen Verhältnisse nicht von dem Ein- zelnen, sondern von seiner Erlaubniß abhängig macht. Erst mit dem neunzehnten Jahrhundert tritt auch hier die staatsbürgerliche Freiheit ein, und das Rechtsprincip derselben wird der Satz, daß der Staat diese Ordnung nur in so weit fordert , als sie im Gesammtinteresse nothwendig ist, während da, wo es sich bloß um Einzelinteressen han- delt, der Einzelne sich selbst überlassen bleibt. Von diesem Gesichts- punkte aus hat sich das folgende System praktisch gebildet und ist zum öffentlichen Recht geworden. I. Die öffentlich-rechtliche Bevölkerungsordnung. Begriff. Die öffentlich rechtliche Ordnung der Bevölkerung beruht zunächst darauf, daß die Constatirung der Staatsangehörigkeit für den Einzelnen die erste und materielle Bedingung für die Vollziehung jeder Staatsthätigkeit ist, so weit dieselbe auf den Einzelnen Bezug hat. Diese Staatsangehörigkeit ist eine doppelte, eine äußere , gegenüber dritten Staaten, und eine innere . Diese innere zerfällt wieder ver- möge des Wesens der Staaten in zwei Grundformen. Sie ist ein An- gehören an die Verfassung des Staats, deren Inhalt das Recht auf den Antheil ist, den der Einzelne an der Gesetzgebung hat. Hat er gar keinen Antheil, so ist er Staatsunterthan ; hat er einen Antheil, so ist er Staatsbürger . Die genauere Entwicklung dieser Begriffe gehört dem Verfassungsrecht. Zweitens aber gehört der Einzelne auch der Verwaltung an. Dasjenige Recht, vermöge dessen die Verwaltung überhaupt befugt ist, ihre Funktion gegen den Einzelnen geltend zu machen, ist die Com- petenz . Das Recht, vermöge dessen der Einzelne der Ausübung be- stimmter Funktionen der Verwaltung unterworfen ist, ist die Zustän- digkeit . Jeder Competenz entspricht daher eine Zuständigkeit. Die organische Auflösung des Begriffes der Verwaltung erschließt daher einen großen Organismus von Competenzen der Staatsgewalt und Zuständigkeiten des Einzelnen in allen fünf Gebieten der Verwaltung. Es gibt Competenzen und Zuständigkeiten im Aeußern, im Heerwesen, in den Finanzen, in der Rechtspflege, und im Innern. Während nun die übrigen je ihre Ordnung haben, ist es die Ordnung der Compe- tenz und Zuständigkeit in der inneren Verwaltung , die wir im eigentlichen Sinne die administrative Ordnung der Be- völkerung nennen. Diese nun hat nach dem Wesen der vollziehenden Gewalt zwei Grundformen. Die erste ist die eigentliche amtliche Competenz und Zuständigkeit , als das Verhältniß, vermöge dessen der Ein- zelne einem bestimmten Organ der inneren Verwaltung mit seinen staatsbürgerlichen Gesetzen unterworfen ist. Die zweite ist die Ange- hörigkeit an die Selbstverwaltungskörper , die ihren am meisten bekannten Ausdruck im Heimathswesen findet. Eine Zuständigkeit an das Vereinswesen gibt es in obigem Sinne nicht, da die Mit- gliedschaft , welche ihr entspricht und sie begründet, auf dem freien Willen des Einzelnen beruht, und daher nicht die Geltung eines öffent- lichen Rechts hat. a) Die administrative Competenz und Zuständigkeit . Die administrative Competenz und Zuständigkeit ist nun zwar ihrem Begriffe nach sehr einfach, in der Wirklichkeit aber nicht bloß vielfach verworren, sondern auch in beständiger Entwicklung begriffen. Das leitende Princip für dieselbe ist, daß jede bestimmte Funktion ihre bestimmte Competenz und Zuständigkeit hat, die ihrerseits nach der Zweckmäßigkeit festgestellt werden. Es gibt daher Competenzen und Zuständigkeiten für Zählungs-, Gesundheits-, Sicherheits-, Wege-, Post-, Eisenbahnwesen u. s. w. Diese Competenzen und Zuständig- keiten sind Bestimmungen der Organisationsgewalt. Die Darstellung der Competenzen ist die Aufgabe der Staatshandbücher , die der Zuständigkeiten bildet, soweit sie auf Grund und Boden beruht, den Inhalt der politischen Geographie . Der Charakter dieser Ord- nung ist in Deutschland und England die historische Staatenbildung, in Frankreich, Italien, Belgien das administrative Bedürfniß. Das Recht desselben beruht auf dem Grundsatz, daß die competente Behörde die Zuständigkeit des Einzelnen für sich gültig ausspricht, und daß der Beweis des Gegentheils von dem Einzelnen geleistet werden muß, wenn er die Competenz in Frage stellt. Die Entwicklung geht im Großen und Ganzen dahin, die Competenzen und Zuständigkeiten so viel als möglich zu vereinfachen ; doch müssen bei ihr statistische Darstellungen die theoretische Behandlung vertreten, da eine einmal festgestellte Competenz nie ohne Schwierigkeit zu ändern ist. Es ist demnach klar, daß in Competenz und Zuständigkeit der Körper der einzelnen Verwaltungszweige gegeben ist; erst die Ausbildung des systematischen Klage- und Beschwerderechts wird für die Lehre von beiden Begriffen in der Wissenschaft einen nicht unwichtigen Platz finden. Literatur . Aelteres Recht in den Rechtsgeschichten. Neuere Literatur mit neunzehntem Jahrhundert, getheilt zwischen der Frage nach dem System der amtlichen Competenzen, dem Gemeindewesen und der politischen Geographie. Malchus , Politik der innern Staatsverwaltung 1833, 3. Bd. Ebenso ist die Politik dieser Verwaltungsfragen immer nur für die einzelnen Gebiete auf- gefaßt; namentlich zeigen z. B. die Staatshandbücher hier eine große Be- schränkung auf das Amtswesen. Die neueste Staatenkunde steht statistisch weit höher, indem sie die gesammte administrative Bevölkerungsordnung und ihr Recht aufnimmt und statistisch verarbeitet. Vortrefflich ist in dieser Beziehung Brachelli , die Staaten Europa’s 1865; für Deutschland dessen Staaten- kunde. — Stein , Innere Verwaltungslehre (Organismus der vollziehenden Gewalt, S. 232 ff.). Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 5 b) Competenz und Zuständigkeit in der Selbstverwaltung. Gemeindeangehörigkeit und Heimathsrecht . Die Geschichte der Competenz und Zuständigkeit der Selbstverwal- tungskörper bildet einen so wesentlichen Theil der ganzen Rechts- geschichte, daß sie von derselben gar nicht strenge zu trennen ist. Denn ursprünglich ist die Gemeinde im weiteren Sinne das eigentliche Organ der inneren Verwaltung überhaupt, und ihre Competenz umfaßt alle Competenzen. Als sich dann Stadt und Land scheiden, erscheint die Angehörigkeit an die Stadt als das Gemeindebürgerthum mit seinen untergeordneten Begriffen und Rechten der Pfahl- und Schutz- bürger, während auf dem unfrei gewordenen Grundbesitz die Guts- herrlichkeit eintritt, und die ursprüngliche Geschlechterangehörigkeit zur Leibeigenschaft und Hörigkeit wird. Daneben entsteht dann die zweite große Form der Competenz und Zuständigkeit, die ständische , in der die ständischen Corporationen, namentlich Geistlichkeit und Uni- versitäten, ihre ganze innere Verwaltung ausüben, so weit der Einzelne wieder ihnen angehört. Erst mit dem staatlichen Amt greift die admi- nistrative Zuständigkeit und Competenz in die der Selbstverwaltungs- körper auf allen Punkten hinein, und jetzt scheidet sich allmählig, namentlich aber erst seit dem neunzehnten Jahrhundert, auch in dieser Beziehung die Regierung von der Selbstverwaltung. Die Form, in der diese Scheidung ihre feste Gestalt gewinnt, ist vor allem die neue Gemeindegesetzgebung . Sie schafft der Selbstverwaltung ein be- stimmtes Gebiet ihrer Thätigkeit und ihres Rechts gegenüber der Re- gierung, und zuletzt entsteht auch für sie die doppelte Gestalt der Competenz und Zuständigkeit, die wir als Gemeindebürgerthum und Heimathswesen begrüßen. Das Gemeindebürgerthum bezeichnet demnach das Angehören des Einzelnen an die Akte der Verfassung und Verwaltung der Gemeinde überhaupt , speciell das Recht auf Theilnahme an der Gemeindever- fassung. Das allgemeine Princip derselben ist, daß jeder Staats- bürger einer Gemeinde angehören muß; die Ausführung desselben oder der Inhalt dieser Angehörigkeit ist dann eben die Lehre vom Ge- meindewesen in der Selbstverwaltung. Während auf diese Weise die Gemeindeangehörigkeit wesentlich die Rechte der Gemeindeglieder enthält und bestimmt, entwickelt sich im Heimathswesen ein ganz anderes Verhältniß. Das Heimathswesen enthält nämlich denjenigen Theil der Ver- waltungsordnung der Bevölkerung, nach welcher die einzelne Gemeinde die Angehörigkeit der Einzelnen in Beziehung auf ihre Verpflich- tungen gegen denselben, speciell ihre Verpflichtung zur Armen- unterstützung anzuerkennen hat. Die Grundsätze für das Heimaths- recht sind an sich einfach. Das Heimathsrecht wird in der ganzen Welt unbedingt erworben durch Geburt und Erwerb von Grundbesitz ( natürliches Heimathsrecht); es kann erworben werden durch gewerb- lichen, längeren Aufenthalt ( gewerbliches Heimathsrecht). Da nun das gewerbliche Heimathsrecht das Recht auf die Armenunterstützung und mithin eine Verpflichtung für die Gemeinde enthält, so ist von jeher die Frage entstanden, unter welchen Bedingungen der gewerb- liche Aufenthalt das Armenheimathsrecht erzeugen soll. Das Interesse der Gemeinden hat dabei stets gefordert, daß dieser Erwerb des Hei- mathsrechts von der Zustimmung der Gemeinde abhängig sein, und daher der letzteren das Recht der Ausweisung bei drohender Ver- armung zustehen solle; das Interesse des freien Verkehrs dagegen fordert, daß der Einzelne in der Wahl und Dauer seines dauernden Aufenthalts nicht beschränkt werde. Alle positiven Heimathsrechte laufen darauf hinaus, zwischen diesen Forderungen eine den gerechten Grund- lagen beider entsprechende Gränze zu finden . Je strenger nun die Armenpflicht der Gemeinde ist, desto strenger wird dieselbe ihrerseits auf dem Recht der Ausweisung bei drohender Verarmung bestehen; je rascher die örtliche Bewegung der Bevölkerung erscheint, desto mehr wird das Interesse der freien Arbeit mit dem Rechte der Ausweisung in Kampf gerathen. Daher denn eine große Verschiedenheit der Gesetz- gebung, aber doch zugleich eine entschiedene Hinneigung zur Beschrän- kung des Ausweisungsrechts, oder zur Erleichterung des Erwerbes des Heimathsrechts für die capitallose Arbeit . Die Lösung der Frage liegt ohne Zweifel in der Aufstellung von großen Verwal- tungsgemeinden für das Armenwesen an der Stelle der ausschließlich armenpflichtigen Ortsgemeinden, so wie in der Aufstellung einer ein- heitlichen Verwaltung für den ganzen Staat. Bis dahin reduciren sich naturgemäß die Grundsätze für den Erwerb des gewerblichen Heimaths- rechts zwischen den armenpflichtigen Ortsgemeinden auf folgende drei mehr oder weniger durchgreifend angenommene Grundsätze: 1) Be- stimmung der Zeit , innerhalb deren das Heimathsrecht erworben wird; 2) Recht der Ausweisung , wenn innerhalb dieser Zeit die Unter- stützung faktisch eintritt, unter Aufhebung des Rechts auf die Ehebe- willigungen der Gemeinden; 3) Recht auf unbedingten Aufenthalt gegen Heimathsscheine . Literatur und Gesetzgebung. England: Kries, Englisches Armenwesen (1856). — Die Settlements Act von 1672. 14. Ch. II. 12. Einführung der Heimathscheine (35 G. III. 101). Die Irremoveable Paupers Act 1846 (9. 10. Vict. 66). Die Bodkins Act 1847 (10. 11. Vict. 110). Ueber das Heimathsrecht der Engländer im Ausland und der Ausländer in England betreffs des Erbrechts , neuestes Gesetz 24. 25. Vict. 121. Austria 1864. S. 326. — Frankreich : Ohne eigentliches Heimathsrecht; allgemeine Armenpflege. — Deutschland . Hier ist das Heimathswesen ohne alle Einheit, weil die Gemeindeordnungen ohne Klarheit und Princip in Beziehung auf die Angehörigkeit sind (s. Zöpfl , Deutsches Staatsrecht II. §. 422 ff). Gothaer Convention vom 15. Juli 1851. Revision von 1854. Beitritt Oesterreichs am 15. November 1860. Darauf 1861 Commission des Bundestages ohne Erfolg ( Zöpfl , Deutsches Staatsrecht II. §. 477). Oesterreich, Swieceny : österr. Heimathsrecht 1861. Neuestes Gesetz vom 3. Dec. 1863. — Preußen: Döhl , Preuß. Armenrecht. Bitzer , Freizügigkeit S. 182—192. Rönne II. 339. Armenpflege, Gesetz vom 31. December 1842. Gesetz vom 21. Mai 1855. — Bayern: Pötzl , Verfassungsrecht 93. Gesetz vom 11. September 1825. — Württemberg : Gesetz vom 17. September 1853. Bitzer S. 230. — Sachsen : Gesetz vom 26. November 1834. Funke II. S. 284. — Hannover : Gesetz vom 6. Juli 1827. — Baden : Regulativ vom 31. October 1863. Ausführlich: Stein , Innere Verwaltungslehre S. 306 ff. II. Die Standesregister. Die Standesregister entstehen aus dem Bedürfniß, die Thatsachen von Ehe, Geburt und Tod des Einzelnen theils für die administra- tiven Funktionen, theils für die volkswirthschaftlichen Rechts- und Ver- kehrsverhältnisse mit objektiver Gültigkeit feststellen zu können. Die darauf bezüglichen Anstalten und Vorschriften bilden das Recht der Standesregister . Dieselben haben sich, wie es in der Natur der Sache liegt, mit dem Bedürfniß des Verkehrs erst allmählig zu ihrer heutigen, systema- tischen und allgemein gültigen Form entwickelt. Sie beginnen mit den Gemeindekirchenbüchern ( Cons. Trident. I. 24. 1. 2.) — Daraus entstehen die Geburts - und Todtenregister als allgemeine Ein- richtung, letztere bereits im vorigen Jahrhundert in den größten deut- schen Staaten von der Confession abhängig gemacht, allgemein vor- geschrieben und organisirt, und mit juristischer Beweiskraft versehen. In unserem Jahrhundert werden sie neben dieser juristischen Bedeutung für die Rechte der Einzelnen zunächst zu Mitteln der Volkszählung , indem durch sie die (populationistische) Bewegung der Bevölkerung (Abnahme und Zunahme) regelmäßig verfolgt wird. Von Frankreich aus tritt dann der Grundsatz ins Leben, daß sie zugleich als öffent- liche Dokumente für die Eingehung der Civilehe gelten. Die große praktische Wichtigkeit derselben erzeugt damit eine genaue zum Theil sehr ausführliche Gesetzgebung , die schon im vorigen Jahrhundert, namentlich in Oesterreich und Preußen sehr genau ausgebildet ist. Die Grundlagen dieser Gesetzgebung beziehen sich 1) auf die Form der Führung dieser Register, welche so eingerichtet sein muß, daß sie die Elemente des juristischen Beweises in ihrem Inhalt geben, also die amtliche (kirchliche oder behördliche) Constatirung der Identität der Per- sonen, und die Zuziehung von Zeugen ; 2) auf die administrative Oberaufsicht und Benützung derselben für allgemeine Resultate durch Revision und durch Sammlung und Publicirung ihrer Resultate; 3) auf die Anerkennung ihres Rechts als Beweismittel, verbunden mit der Bestimmung über ihre Benützung durch den Einzelnen. Die Frage, ob und welche andere Gesichtspunkte und Thatsachen bei dieser Führung noch in die Standesregister aufgenommen werden kön- nen und sollen, namentlich in populationistischer Hinsicht (Alter, Er- werbsfähigkeit, Todesart, eheliche und uneheliche Kinder) ist nicht gleichmäßig entschieden. Die Theorie hat sich fast ausschließlich mit dem Gesichtspunkte der Volkszählung bei demselben beschäftigt, und nur die Gesetzgebung den nicht weniger bedeutsamen des Beweisrechts consequent festgehalten. Literatur . Fast nur im vorigen Jahrhundert von Bedeutung. Süß- milch erkennt zuerst die hohe Wichtigkeit der Geburts- und Todtenregister; erste Verbindung mit dem Versicherungswesen. Justi II. 6. 1 erster eigentlicher Systematiker für dieselben, jedoch noch ohne Beziehung auf das juristische Element. Mohl , Polizeiwissenschaft I. 16. Gerstner , Bevölkerungs- lehre S. 73. — In den übrigen Lehren der Staatswissenschaft fehlend. Gesetzgebung . Die deutsche Gesetzgebung ist der englischen und fran- zösischen weit voraus und als Gründerin des ganzen Systems anzusehen. Oesterreich : Beginn der Gesetzgebung (Dekret vom 10. Mai 1774); Haupt- gesetz , noch gegenwärtig auf der Höhe der Zeit (Patent vom 20. Februar 1784); Einführung für alle Confessionen in gleichartiger Form; Revision; for- melle Scheidung von Ehe, Geburt und Tod; jährliche Summarien über die Bevölkerungsbewegung ( Kopetz , Polizeigesetzkunde II. S. 74—86; Stuben- rauch 167—176). Das Gesetz hat später nur geringer Zusätze bedurft. — Preußen , doppeltes Recht: im Osten Einführung (allgemeines Landrecht II. 11. 27); juristische Beweiskraft nur für anerkannte Religionsgesellschaften (Religionsedikt vom 9. Juli 1788); dieß ist erst geändert durch Patent vom 30. März 1847; Juden -Verordnung vom 23. Juli 1847. Im Westen das französische Recht ( Rönne , Staatsrecht I. §. 97. II. 318). Im übrigen Deutschland zum Theil Unklarheit und Verschiedenheit der Bestimmungen, weil man nach französischem Vorgange die Eintragung der Ehe in die Standes- register nicht als amtliche Constatirung, sondern als Eingehung der Ehe selbst ansehen wollte. Daher keine Einigung (Reichsverfassung von 1849. §. 150). Anerkennung: preußische Verfassungsurkunde von 1850, §. 19 (Hinweisung auf ein besonderes Gesetz). Anhalt-Bernburg , Verfassungsurkunde von 1850. §. 33. Waldeck 1832. §. 40. — Dagegen Führung der Standesregister durch bürgerliche Behörden zwar in der Reichsverfassung von 1849 §. 151, aber nur in die Verfassung von Schwarzburg-Sondershausen von 1849, §. 24 eingeführt und 1852 aufgehoben. Ist im Ganzen als locales Recht wohl allgemein den Geistlichen vorbehalten, und wird es bleiben, bis eine Civilehe eingeführt wird ( Zöpfl , deutsches Staatsrecht II. §. 293). — In Bayern Strafe für Unterlassung der Anzeige von Geburten und Todes- fällen (Polizeistrafgesetz von 1861, Art. 53). Die specielle deutsche Gesetzgebung war uns unzugänglich. Bei Pötzl, Mohl, Funke, Moy, Weiß keine Angaben. Frankreich . Anfänge seit dem sechzehnten Jahrhundert. Organisation der Führung durch die Maires, jedoch erst seit dem Gesetz vom 20. September 1791; vollständige Ordnung durch Gesetz vom 28. Pluv. an VIII. — Die Ein- tragung wird durch Code civ. I und II des actes de l’État civil aus einem Akt der juristischen Constatirung zu einem Akt der gerichtlichen Entscheidung durch den Gemeindevorstand ( Code civ. art. 353—357) was entschieden falsch ist; eben so ist die Strafe der Unterlassung (16—300 Franken Buße oder Ge- fängniß von sechs Tagen bis sechs Monaten) zwar an sich richtig , weil es sich um ein öffentliches Interesse handelt, aber zu hart. — Benützung für die Statistik der Bewegung der Bevölkerung, offenbar nach deutschem Muster schon im Gesetz vom 20. September 1791; dann feste Ordnung derselben durch Decret vom 20. Juli 1807 (mit tables decennales ), später im Einzelnen ge- nauer geordnet durch Verordnung vom 9. Januar 1815, Decret vom 24. Sep- tember 1833 und 18. Oktober 1855. Das rechtliche Verhältniß der Maires hat dabei eine vollständige Literatur, jedoch fast ausschließlich für den Dienst , ohne wissenschaftliche Zuthat, hervorgerufen (s. Legoyt in Block , Dictionn. de l’administration, v. État civil ). — Dem französischen System ist das neueste italienische Recht durch Gesetz vom 20. März 1865 vollkommen nachgebildet. England . Früher Zustand: ganz der Selbstverwaltung überlassen; daher große Verwirrung und Uebelstände. Dann Untersuchung der Frage durch einen Parlamentsausschuß (1833); in Folge dessen Uebertragung der gesammten Führung der Bücher ( register ) an das Amt der Registrars, mit dem (fast unverständlichen) formellen Recht der Ehebewilligung für den letzten, und Gültigkeit der Ehe erst nach Eintragung in die Geburts - und Todtenregister (6. 7. Will. IV. 86); Eheregister (6. 7. Will. 85.) (1836). Allgemeine Organisation: I. Vict. 22. (1837). Registrirung der Be- gräbnisse: 27. 28. Vict. 97. Einführung in Schottland 1854. — Hauptquelle: Daniels Civilstandsgesetzgebung für England und Wales (1851). Gneist , Englisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht I. §. 78. Mohl , Literatur der Staatswissenschaft III. 428. Stein , Innere Verwaltungslehre S. 229—242. III. Das Paß- und Fremdenwesen. Die örtliche Bewegung der Einzelnen in der Bevölkerung (der so- genannte Wechsel derselben) ist eine Thatsache, welche theils in die öffentlichen Zustände, theils in das Recht der Einzelnen, theils auch in Recht und Interessen Dritter sehr tief hineingreifen kann. Die Ver- haltnisse, welche auf diese Weise aus dem Wechsel des Aufenthalts für das Ganze wie für die Einzelnen entstehen, sind daher stets Gegen- stand öffentlich rechtlicher Bestimmungen gewesen, und die Gesammtheit dieser Bestimmungen bildet das Paß- und Fremdenwesen . Die Geschichte desselben ist ein nicht unwichtiger Theil der Rechtsgeschichte überhaupt, und bezeichnend für die Gesammtentwicklung des inneren Lebens des Volkes. Das Rechtsprincip für das älteste Fremdenrecht (Geschlechterord- nung) war die Rechtlosigkeit der Fremden, die nur durch das Gast- recht , und später das Geleitsrecht des Mittelalters für Einzelne aufgehoben ward. Mit dem Entstehen des Verkehrs wird es dann noth- wendig, den Grundsatz des Mittelalters aufzuheben, und die recht- liche Freiheit der Bewegung auszusprechen, indem man zunächst dem Einzelnen überließ, sich vorkommenden Falles zu legitimiren. Die poli- zeiliche Epoche kommt dann zur Erkenntniß der Gefährdung der Staaten einerseits, und der individuellen Sicherheit andererseits bei der schranken- losen Ausübung dieses Rechts in den zerwühlten Zuständen der unter- gehenden ständischen Epoche, und stellt dagegen theils im Interesse des Staats, theils in dem der Bevölkerung und der Gemeinden zuerst den Grundsatz auf, daß überhaupt jede örtliche Bewegung von einer obrigkeitlichen Erlaubniß für den Einzelnen abhängig sein und daß der Mangel derselben strafbar sein solle. So entsteht für die Reise aus einem Staatsgebiet in das andere das Paßwesen , aus einer Gemeinde in die andere das Meldungswesen , als äußeres und inneres Fremdenrecht. Dieß System des polizeilichen Frem- denrechts , mit dem vorigen Jahrhundert beginnend und zum Theil gültig bis auf die neueste Zeit, hatte nun neben seinem unfreien Ele- mente der obrigkeitlichen Erlaubniß für die ihrem Wesen nach freie Be- wegung des Einzelnen zugleich das zweite organische und wichtige Ele- ment in sich, daß es die öffentliche Legitimation als Feststellung der Identität der Persönlichkeit, Staats- und Gemeindeangehörigkeit enthielt, welche für jeden von Wichtigkeit werden konnte. Die neueste Zeit daher, indem sie durch die gewaltigen Bewegungen in den Bevöl- kerungen das System der Erlaubnisse unmöglich machte, suchte dagegen naturgemäß das System der Legitimationen festzuhalten, und zwar zu- erst als ein obligates , was aber wieder nur bei größeren Reisen, namentlich in fremde Länder, ausführbar erschien; dann aber als fa- cultatives , indem dem Einzelnen im eigenen Interesse freigestellt ward, einen Paß als öffentliches Legitimationsdokument zu erwerben, oder nicht. Dabei wurde jedoch in den meisten Staaten die obligate Legitimation mit specieller Beziehung auf das Heimathsrecht , das eigentliche Meldungswesen , in den Gemeinden beibehalten, obwohl sein Werth in der Praxis höchst zweifelhaft ist. Das facultative Legi- timationswesen durch obrigkeitliche Pässe ward dagegen im Interesse des immer lebendiger sich gestaltenden persönlichen Verkehrs in immer einfachere Formen gebracht; entscheidend war dafür der Grundsatz, daß man nicht mehr für die einzelne Reise einen einzelnen Paß, son- dern überhaupt nur eine individuelle Legitimation brauche, oder das Eintreten der Paßkarten für alle Ueberschreitungen der äußeren Gränze, der Legitimationskarten für jeden Aufenthalt im In- nern. Daß sich dabei jeder Staat das Recht vorbehält, nöthigenfalls das strenge Erlaubnißsystem wieder herzustellen, bleibt selbstverständlich. Daneben wurden die Fremdenbücher der Gasthäuser für nächtlichen Aufenthalt neu geordnet, während wieder in einzelnen Staaten die Erlaubniß zum längeren Aufenthalte durch eine „Aufenthaltskarte“ gegeben werden muß, und die „Wanderbücher“ und „Hausirpässe“ für ihre speciellen Zwecke noch bestehen bleiben. Man erkennt leicht daraus, daß der Uebergang zum freien Legitimationssystem bis jetzt weder vollständig noch gleichmäßig in Europa vollzogen ist, während es wiederum nicht als zweckmäßig erscheint, das ganze Paß- und Legitimationswesen mit der bezeichneten facultativen Benützung wie in England und Nordamerika aufzuheben. Literatur . Das System des alten „Gastrechts“ bei Grimm Rechts- alterth. 396; Osenbrüggen , Gastgerichte der Deutschen im Mittelalter. Das System des Geleitsrechts nach dem Landfrieden 1548 und dem westphäli- schen Frieden (Art. IX und Art. V. ) bei Moser , Nachbarliches Staatsrecht, S. 676 ff. Die Literatur des vorigen Jahrhunderts ist fast durchgehend gegen das polizeiliche Paßwesen, das damals eigentlich erst entstand. Berg , Polizei- recht II. 59. IV. 26. Niemann , Blätter für Politik und Cultur 1861. Daneben Anerkennung der Nothwendigkeit des inneren Legitimationswesens und detaillirte Ausbildung schon am Ende des vorigen Jahrhunderts (Polizei- vorschriften bei Berg , I. 20. IV. 13. 610). System des gegenwärtigen Jahr- hunderts nach dem Vorbilde von Frankreich auf Grundlage des Bundesbe- schlusses vom 5. Juli 1832 bei Zachariä , Deutsches Staats- und Bundes- recht II. 164. Die staatswissenschaftliche Literatur hat sich um das Ganze wenig gekümmert; Mohl (Präventivjustiz S. 116) sehr einseitig. Gesetzgebung. Frankreich . Aufhebung des Paßwesens. Gesetz vom 14. September 1791; Herstellung (Decret vom 6. Februar 1793, 10. Vend. an IV und 17. November 1797). Definitive Ordnung (Decret vom 18. Sep- tember 1807); Erlaubniß zu inneren Reisen; Recht zur Ausweisung der Fremden (Gesetz vom 19. October 1797); Verpflichtung der Constatirung der Identität durch zwei Zeugen vor dem Maire ( Code Pén. art. 155 und Gesetz vom 5. Mai 1855) — das unfreieste Paßwesen Europas! Ueber die „feuilles de route“ s. Schubwesen; Livrets ( Laferri è re , Droit administr. I. Ch. II.); Batbie , Droit publ. et administr. II. p. 347 ff. Deutschland . Charakter: durchgreifender Unterschied des Paßwesens und Fremdenwesens ; jenes fällt dann ins Völkerrecht. Justi 11. Buch 43. Mohl , Präventivjustiz §. 11, nebst Literatur und Beziehung auf das ältere Recht. — Preußen ; erste freiere Bewegung durch Paßedikt vom 22. Juni 1817 ( Rönne und Simon , Polizeiwesen der preußischen Monarchie I. S. 291; Rönne , Staatsrecht II. S. 333); nach innen zum Theil Freiheit, nach außen Strenge. Darnach die übrigen deutschen Staaten: Bayern (Verordnung vom 17. Januar 1837; Pözl , §. 80. 81). Strafe bei Unterlassung der ortspolizei- lichen Fremdenanzeigen, bei Mangel an Wanderpässen ꝛc. (Polizeistrafgesetzbuch von 1861 Art. 78—86). — Württemberg (Generalverordnung vom 11. September 1807; Mohl , württembergisches Verwaltungsrecht §. 185). — Sachsen . (Regulativ vom 27. Januar 1818; Funke , Polizeigesetz II. Bd. III. Abschn.) — Oesterreich (Verordnung vom 9. Februar 1857 und Frei- heit (Verordnung vom 9. November 1865). Stubenrauch , Verwaltungs- gesetzkunde I. S. 177. — Mecklenburg (Verordnung vom 9. November und 22. December 1863). — Lübeck : Aufhebung des Paßzwanges (Verordnung vom 11. April 1864). Entwicklung des gemeinsamen Paßwesens für die deutschen Staaten. Anfänge seit 1841. Entstehung des Paßkartensystems (Vertrag vom 21. Oktober 1850). Nachträge vom 7. Juli 1853. Sehr verständige Paßconvention zwischen Hannover und fast allen deutschen Staaten vom Jahre 1865. Ver- träge seit dem 7. Februar 1865 mit geringen Einführungsmodalitäten in den einzelnen Staaten. Das Meldungswesen hat einen ganz localen Charakter behalten, und ist so verschieden, daß eine allgemeine Darstellung nicht thunlich scheint. — Im Ganzen Stein , Innere Verwaltungslehre S. 245—272. C. Die Bevölkerungspolitik. I. Das öffentliche Eherecht. Das Verhältniß der Verwaltung zu der an sich freien Ehe beruht darauf, daß die Ehe in gesellschaftlicher, volkswirthschaftlicher und end- lich rein populationistischer Hinsicht auf die Bevölkerung im Allgemeinen und die Rechte und Pflichten Einzelner von entscheidendem Einflusse wird. Die Verwaltung, um diesen Einfluß nach den Bedürfnissen des allgemeinen Wohles zu gestalten, hat daher in den verschiedenen Zeiten gewisse Bestimmungen über Eingehung und Folgen der Ehen getroffen, welche das öffentliche Eherecht bilden. Die Principien dieses öffentlichen Eherechts erscheinen durch die socialen Zustände der Zeit bestimmt, für die sie aufgestellt werden. Das öffentliche Eherecht der Geschlechterordnung beruht auf dem Recht des väterlichen Consenses zur Eingehung der Ehe, und auf der Pflicht der Geschlechter, Ehen einzugehen, deren Erfüllung all- mählig mit Strafen für die Hagestolzen und dann mit Belohnungen für die Heirathen erzwungen werden soll. Das öffentliche Eherecht der ständischen Ordnung beginnt bei dem Consensrecht des Herrn zur Ehe des Unfreien, und des Lehns- herrn zur Ehe des Vasallen, entwickelt sich zum ständischen Berufs - recht der Ehe (Cölibat, Eheconsens für Militärs und Beamtete) und geht damit zum Theil über in die folgende Epoche, während das Hage- stolzenrecht und die Beförderungen der Ehe verschwinden. In der staatsbürgerlichen Gesellschaft beginnt die polizeiliche Epoche, die Eherechtsbildung der Verwaltung zu gleicher Zeit auf der entgegen- gesetzten Grundlage der Beförderung der Ehen, um durch sie die Bevölkerung zu vermehren, und der Verhinderung derselben, um die Armuth zu bekämpfen. Daher gilt als allgemeine Tendenz der Regierung und ihrer dadurch oft einander direkt entgegengesetzten Be- stimmungen und Maßregeln, die Ehen Erwerb sfähiger zu erleichtern, die Ehen Erwerb sunfähiger zu erschweren. Indessen sind diese all- gemeinen Vorschriften der Regierung noch von geringem Einfluß und nehmen mehr einen theoretischen als einen praktischen Standpunkt an. Die wahre Heimath des öffentlichen Eherechts dieser Zeit für das ent- stehende Bürgerthum ist vielmehr das Gemeinderecht , indem der Grundsatz, daß die Geburt das Heimathsrecht und mithin die Unter- stützungspflicht der Gemeinden erzeugt, zu der Berechtigung der letzteren führt, ihren Consens zu der Ehe namentlich bei neuen Niederlassungen zu geben, was dann mit dem Zunftrecht in engste Verbindung tretend, die Abhängigkeit der Ehen von dem Gemeindeconsens zu einem fast allgemeinen Rechtssatz macht, neben dem die rein polizei- lichen Ehevorschriften nur noch wenig bedeuten. Erst in unserem Jahrhundert, namentlich aber mit der Gewerbe- freiheit einerseits und mit der Anerkennung der statistischen Thatsache andererseits, daß die Eheverbote nur die Zahl der unehelichen Kinder und der wilden Ehen vermehren, tritt die völlige Freiheit der Ehe , die Beseitigung aller öffentlich rechtlichen Eheconsense und Ehebeförde- rungen als allgemein gültiger Grundsatz auf, der in England und Frankreich unbestritten besteht, in Deutschland aber freilich noch immer gegenüber den Rechten und Interessen der Gemeinden nicht zur völli- gen Geltung hat gelangen können. Die Regierungen haben dabei fast ohne Ausnahme sich direkter Anwendung polizeilicher Ehevorschriften mehr und mehr enthalten. Es ist daher voraussichtlich das öffentliche Eherecht der Zukunft nur auf das Recht der Zustimmung der Familie und die Reste des ständischen Eherechts mit zweifelhaftem, jedenfalls sehr beschränktem Werthe zu begründen, während das populationistische Element der Ehebeförderung gänzlich verschwunden ist. Altes germanisches Eherecht der Consense in der deutschen Rechtsgeschichte. Die Literatur des Hagestolzenrechts bei Fischer , Polizeirecht I. S. 569. Stein , Inneres Verwaltungsrecht S. 129—132. Das ständische Eherecht des Lehnswesens in den Rechtsgeschichten, aber meist unvollständig. Die Literatur des Cölibats (Carov é , über Cölibats- gesetze 2 Bde. 1835). Die Religionsverschiedenheit als bürgerliches Ehehinderniß förmlich aufgehoben in Schwarzburg-Sondershausen (Verfassungsurkunde von 1849. §. 36). — Anhalt-Bernburg (Verfassungsurkunde 1850 §. 23). — Oldenburg (Verfassungsurkunde 1852 §. 33). — Coburg 1852 §. 30. — Das amtliche und militärische Consensrecht in einzelnen Verordnungen fast in allen Staaten Deutschlands. Oesterreich : Verordnung vom 12. Ja- nuar 1815. (Beamte.) Verordnung vom 25. November 1826. (Militärehen.) Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde §. 340. — Preußen : Consens für Be- amte. Allgemeines Landrecht II. 1. S. 70 und Rönne , Preußisches Staatsrecht §. 295. — Bayern : dienstliche Ehebewilligung (Verordnung vom 2. Februar 1845). Pözl , Verfassungsrecht §. 29. — Württemberg : Dienstpragmatik §. 9. Mohl , württembergisches Verwaltungsrecht §. 162. Eheconsensrecht der Gemeinden in der staatsbürgerlichen Gesellschaft. — Voriges Jahrhundert: Zunftbewilligungen. Fischer , Polizeirecht I. §. 1051. Berg , Polizeirecht III. 2. S. 29. — Alte Gesetze in Oesterreich: Kopetz , Polizeigesetzkunde I. S. 124. — Ehegesetz vom 25. Mai 1868. Stubenrauch §. 339. — Sachsen: Funke , Polizeirecht II. S. 991. Mandat vom 10. Oktober 1826; Zeugniß der „Obrigkeit.“ — Württemberg: Hartmann , Ehegesetze des Herzogthums Württemberg. Neues Recht: das Consensrecht der Gemeinden formell anerkannt (revidirtes Bürgerrechtsgesetz, Gesetz vom 4. Decem- ber 1833, Art. 42. 43); erhalten im Eherechtsgesetze vom 5. Mai 1852! Bitzer , Freizügigkeit. — Bayern : gleichfalls Gemeindeconsens; Gesetz über Ansäßigmachung und Verehelichung vom 11. September 1825. Revi- dirt am 1. Juli 1834. Pötzl , Verfassungsrecht §. 29. Strafe für Eingehung einer Ehe mit Ausländern (?) ohne „Bewilligung der zuständigen Behörde“ bis 100 fl. (bayerisches Polizeistrafgesetzbuch von 1861. Art. 52). — Baden : hier das Recht zur Ehe mit dem Indigenat zwar gegeben (Constitutionsgesetz von 1808, §. 7); aber bei wirklicher Ehe dagegen Abhängigkeit vom Vermögens- nachweis bei den Gemeinden (Gesetz vom 13. Februar 1851). Fröhlich , badi- sche Gemeindegesetze. 1861. — Großherzogthum Hessen : dasselbe. (Gesetz vom 30. Juni 1821 und Gesetz vom 19. Mai 1852.) — Hannover : dasselbe. Eckhardt , Gesetze, Verordnungen und Ausschreibungen für das Königreich Han- nover. 1840. Bitzer , Freizügigkeit S. 223—225. — Sachsen-Altenburg : Eheordnung vom 12. Mai 1837. Das Verbot der Ehe für Handwerksgesellen (§. 47) aufgehoben durch Verordnung vom 6. Juli 1863. Stein , Inneres Verwaltungsrecht S. 132—160. — Eine Art von internationalem Ehe- recht zwischen den deutschen Staaten durch die Gothaer Convention vom 15. Juli 1851; Princip: keine Ehe der Angehörigen eines Staates mit dem eines andern gestattet „ ohne Consens der Heimathbeh örde.“ (!) Zu dem Vertrage sind 1853—1854 die übrigen deutschen Staaten hinzugetreten, 1860 am 15. November auch Oesterreich; über die von demselben vorgeschlagenen Modalitäten eine Bundestagscommission vom 25. Juli 1862 ohne Erfolg. Zöpfl , deutsches Staatsrecht II. §. 477. Specielle Darstellung der „unzu- lässigen Beschränkungen des Rechts der Verehelichung“ von Fr. Thudichum , 1866. Ausführlich über das süddeutsche Gemeindeconsensrecht, nebst Literatur. II. Das Einwanderungswesen. Während der bloß zeitliche Aufenthalt einer Person außerhalb ihrer Heimath den Begriff des Fremdenwesens , der dauernde, aber bloß zum Zwecke des Erwerbes, also jeden Augenblick zu ändernde Aufent- halt das Niederlassungswesen erzeugt, ist die Einwanderung vielmehr der Akt, durch welchen der Fremde mit seinem ganzen staats- bürgerlichen Leben in einen neuen Staat eintritt. Sie steht daher in unmittelbarer Beziehung zur Bevölkerung, und die Gesammtheit der daraus hervorgehenden Maßregeln und Rechtssätze für die Einwande- rung bilden das Einwanderungswesen . Das Einwanderungswesen enthält daher zuerst die rechtlichen Be- stimmungen, welche durch den Eintritt eines fremden Mitgliedes in die bisherige gesellschaftliche Ordnung hervorgerufen werden. Dann aber erscheint dasselbe als eine positive Maßregel der Verwaltung für die Vermehrung der Bevölkerung. Bis zum Eintritt der polizeilichen Verwaltung sind nun die ersteren Bestimmungen allein maßgebend gewesen. In der Geschlechterordnung erscheint alle Einwanderung nur als förmliche Aufnahme in den be- stehenden Geschlechterverband und seine öffentlichen Rechte. In der ständischen Ordnung wird die Einwanderung zunächst durch Erwerb von Grundbesitz, dann durch Berufung als Aufnahme in den berufsmäßigen ständischen Körper (Geistlichkeit, Hochschulen, dann Beamtete) vollzogen. In den städtischen Gemeinden endlich ist ursprünglich die Niederlassung auf dem Weichbild identisch mit der Einwanderung (Schutz- und Pfahl- bürger); später vollzieht sie sich erst durch Erwerb von Grundbesitz oder durch Aufnahme in die Zünfte. Mit dem Streben nach Vermehrung der Bevölkerung haben alle diese Rechtsfolgen noch nichts zu thun. Die polizeiliche Verwaltung, ausgehend von der Vermehrung der Bevölkerung als Grundlage der Entwicklung des Staats, macht nun aus der Einwanderung eine förmliche Aufgabe der Verwaltung, und so entsteht das auf die Vermehrung der Einwanderung berechnete populationistische Einwanderungswesen. Grundsatz desselben ist die möglichste Beförderung der Einwanderung, und zwar theils durch direkte Unterstützung, theils durch Einräumung von großen Rechten der Selbstverwaltung; es kommt jedoch überhaupt nur in einzelnen Staaten Deutschlands vor und verschwindet mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts. Der Grundsatz des gegenwärtigen Jahrhunderts ist das Aufgeben aller Art solcher Unterstützungen, dagegen auch die Be- seitigung aller ständisch rechtlichen Hemmnisse der Niederlassung, also die freie Bewegung der Einwanderung, jedoch in der Weise, daß bei völlig (England, Frankreich) oder beinahe völlig (deutsche Staaten) freier Niederlassung (Freizügigkeit) der Erwerb der Gemeindeangehörig- keit und des Heimathrechts von den Grundsätzen der Gemeindeordnung, der Erwerb des Staatsbürgerthums oder Indigenats dagegen von denen des Staatsrechts abhängig wird, so daß das Einwanderungsrecht jetzt sich in drei selbständigen Theilen oder Momenten auflöst: 1) Nie- derlassungsrecht oder Freizügigkeit ; 2) Heimathsrecht , oben dar- gestellt, und 3) Indigenat , das als Erwerb des Staatsbürgerthums dem Verfassungsrecht angehört. Das Einwanderungswesen des vorigen Jahrhunderts ist somit als verschwunden anzusehen, und im Grunde besteht das Einwanderungsrecht gegenwärtig nur noch im freien Nieder- lassungsrecht oder der Freizügigkeit, die wiederum als Theil des Heimath- wesens anzusehen ist. Literatur . Durch Mangel an Unterscheidung zwischen Einwanderung und Auswanderung ohne bedeutenden Einfluß. Colonienfrage. Roscher , Colonien. Rau , II. 1. Mohl , Polizeiwissenschaft I. 113. Gerstner II. 195. 196. — Gegenstand specieller Untersuchung noch für Oesterreich: Czörnig , Ethnographie der österreichischen Monarchie Bd. II. Höfken , Colonisation von Ungarn 1858. Frühere Literatur: populationistischer Standpunkt, jedoch mit Zweifel über den unbedingten Werth der Einwanderung. Süßmilch II. 14. Justi , II. 8. Hauptst. Anerkennung der Freiheit der Bewegung als bestes und allein leitendes Princip mit Anfang dieses Jahrhunderts. Berg , II. 38. Möser , Phantasien Bd. II. Jacobs , Polizeigesetzgebung §. 100. Hervorheben des ethischen Elements: Soden , nach Heerens Ideen. Natio- nalökonomie 1807. Gesetzgebung. Deutschland . Abstrakte Anerkennung der Einwan- derungsfreiheit durch Erwerb von Grundbesitz (Bundesakte Art. 18); in der Wirklichkeit nicht geltend. Zöpfl , Deutsches Staatsrecht II. §. 288. Selb- ständig nur im vorigen Jahrhundert, speciell in Preußen für die (französische) Einwanderung: Fischer , Polizeigesetze Bd. I. §. 527—47. 571. Berg , Polizei- recht II. 39. — Oesterreich: Kopetz , Polizeigesetzkunde I. 108. Gegen- wärtig als selbständiges Gebiet verschwunden, und nur noch als Theil des Heimathsrechts zu betrachten. Stein , Innere Verwaltungslehre S. 168—182. III. Das Auswanderungswesen. Die Auswanderung ist das Aufgeben des Staatsbürgerthums unter Verlassung der Heimath. Der Grund der Auswanderung ist, sofern sie nicht als vereinzelter Fall auftritt, stets ein tieferer gesellschaftlicher Gegensatz. Die nächste rechtliche Folge derselben dagegen ist das Auf- geben aller theils örtlichen, theils wirthschaftlichen, theils rechtlichen Beziehungen des Auswandernden mit seiner bisherigen Heimath. Die Auswanderung ist daher in ihren Gründen und in ihren äußern Folgen eine große gesellschaftliche und dadurch welthistorische Thatsache, durch ihre inneren Folgen dagegen ein Gegenstand der Verwaltung. Und die dadurch entstehenden öffentlichen Rechte und Thätigkeiten der letz- teren bilden das Auswanderungswesen . Das Auswanderungswesen erscheint daher unter den verschiedenen Gesellschaftsformen als ein sehr verschiedenes, und wenig von dem früheren ist in der gegenwärtigen Zeit zu gebrauchen, obwohl es allen Zeiten gemein ist, daß die Auswanderung stets nur entweder von den rechtlich oder von den wirthschaftlich unterdrückten Classen ausgeht , und stets sich solchen Ländern und Zuständen zuwendet , in denen der Auswanderer die ihm in der Heimath mangelnde Freiheit wieder zu finden hofft. In der Geschlechterordnung erscheint die Auswanderung regelmäßig als Eroberungszug; aus ihm gehen Niederlassungen, Colonien hervor, welche bei gleicher Grundlage mit dem öffentlichen Recht der Heimath meistens den Erwerb von Grundbesitz (sog. Militär-Colonien — im Großen die ganze germanische Völkerwanderung) oder den, der heimath- lichen Concurrenz entfliehenden gewerblichen Besitz zum Zweck haben (Handelscolonien). Es ist falsch, Handelscomptoire als Auswande- rungen zu betrachten; sie können sie höchstens veranlassen (Geschichte der Hanse; des transatlantischen Handels). Rechtlicher Grundsatz ist dabei der Verlust aller Rechte in der bisherigen Heimath. In der ständischen Ordnung ist die Auswanderung entweder eine confessionelle, deren Grund die confessionelle Verfolgung ist, oder die grundherrliche . Das Recht der letzteren beginnt mit dem Verbot und der Bestrafung der Auswanderung, da die Person des Auswan- dernden dem Grundherrn eigen ist, und geht dann über zum wirth- schaftlichen Recht des Detracts ( census oder gabella emigrationis, Nachschoßrecht), welches bei persönlicher Freiheit der Auswanderung das aus dem Gerichtsbereich gezogene Vermögen, sogar bei Erbschaften, be- steuert. Dieß Recht verschwindet erst in unserem Jahrhundert mit der Aufhebung der Grundherrlichkeit. Den Uebergang zum freien Recht der Auswanderung bildet dann das polizeiliche Auswanderungsrecht auf populationistischer Grund- lage. Dasselbe entsteht mit dem Ende des siebenzehnten Jahrhunderts und enthält das Princip der amtlichen Erlaubniß für die Aus- wanderung aus dem Staate, dem die Bestrafung der unerlaubten Auswanderung zur Seite steht. Diese polizeiliche Erlaubniß bezieht sich aber dann nur auf den Staat und läßt daher das Retractrecht für die Grundherrlichkeit als Gemeindeauswanderungsrecht noch fortbestehen. Durch das Zusammenwirken beider wird nun die freie Bewegung der Bevölkerung in hohem Grade gehemmt und das neue Recht der Aus- wanderung vorbereitet. Die staatsbürgerliche Gesellschaft erkennt auch für die Auswande- rung die individuelle Freiheit an und hebt die Auswanderungsverbote auf. Das Retractrecht und die Erbschaftssteuer bleiben nur noch als Retorsionsmaßregeln bestehen. Doch erhält sich der Gedanke, daß der Staat die Erfüllung bereits eingegangener Verpflichtungen der Aus- wandernden gegen sich und gegen Einzelne so weit thunlich zu sichern habe; daher die zweckmäßige Verpflichtung der Auswandernden zur öffentlichen Anzeige und Grundsatz, daß das zurückgelassene Ver- mögen des Auswandernden, bez. Berechtigungen desselben im Inlande dafür zur Haftung gehalten werde. Grundsätzlich ist zweitens die Er- füllung der Wehrpflicht als Bedingung der freien Auswanderung; drittens das Aufhören des Heimathsrechts mit der Uebergabe des Auswanderungspasses. Auf diesen Grundsätzen beruht das Auswan- derungsrecht der Gegenwart. Die hohe Bedeutung jedoch, welche die Auswanderung als That- sache für das wirthschaftliche und sociale Leben der Völker hat, hat nun das unmittelbare Eingreifen der inneren Verwaltung in die wirk- liche Auswanderung zu einer Aufgabe der letzteren gemacht, und so die Auswanderungspolitik erzeugt. Diese Auswanderungspolitik hat drei Hauptgebiete, welche freilich sehr verschieden entwickelt sind. Die Beförderung der Auswanderung, theils durch direkte Auf- forderung, theils durch Gemeinde- oder Staatsunterstützung kann ihrer Natur nach nur örtlich und zeitlich vorkommen und sich nur auf ört- liche Anhäufung der nichtbesitzenden Classe beziehen. Auch da bleibt sie von zweifelhaftem Werthe, da sie viel kostet und keine Sicherheit des Erwerbes für die Auswandernden darbieten könne. Der Schutz der Auswanderungen enthält die Vorsichtsmaßregeln der Regierung gegen Ausbeutung der Auswanderungslustigen durch Gesellschaften und ihre Agenten. Derselbe wird theils durch das Princip der Genehmigung zu Auswanderungsagenturen, theils durch Aufklärungen über die Aussichten der Auswanderungen von Seiten der Behörden erzielt. Es ist nothwendig, diesen Schutz systematisch zur Anwendung zu bringen. Die zweite Form dieses Schutzes bezieht sich dann auf den Aus- wanderertransport und findet seine Anwendung fast nur bei den Vorschriften für Auswandere rschiffe und ihrer Einrichtung und Ver- pflegung. Es ist aber zugleich nothwendig, daß auch die Landstaaten diese Vorschriften kennen und sie selbst, so wie ihre faktische Befolgung ihren Angehörigen zur Kunde bringen, da das das beste Mittel ist, den Transport zu einem wohleingerichteten zu machen. Die Hülfe für die Auswanderer muß, wo ein Staat keine eigenen Colonien hat, dem freien Vereinswesen überlassen bleiben und ist auch bereits von demselben übernommen. Im Ganzen steht dieses freie Auswanderungswesen noch in Be- ziehung auf Princip, Gesetzgebung und Verwaltung auf einer niederen Stufe, und wird erst besser werden, wenn das Consulatwesen zur Dienstleistung regelmäßig und organisch herbeigezogen werden wird. Für Deutschland ist ohne eine Bundesverwaltung auch in dieser Be- ziehung an keine Besserung zu denken. Literatur . Selbständige Betrachtung des Auswanderungswesens erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts im Sinne des freien Auswanderungs- rechts. Bis dahin Geschichte der Auswanderung der Geschlechterordnung in den Werken über alte Geschichte. Das grundherrliche Auswanderungs- und Detractsrecht seit dem sechzehnten Jahrhundert in den Werken über deutsches Privatrecht, s. bei Fischer l. c. §. 622. Heineccius, Ludolf, Mevius u. A. Gestalt im achtzehnten Jahrhundert: Fischer §. 611. 612. Neuere Aufhebung zwischen den Bundesstaaten (deutsche Bundesakte Art. 18 und speciell durch Bundesbeschluß vom 23. Juli 1817). In den einzelnen Ländern theils unbe- dingt; Preußen (Gesetz vom 21. Juni 1816). — Württemberg (Gesetz vom 19. November 1833). Darauf bezügliche Staatsverträge bei Mohl , Württembergisches Verwaltungsrecht §. 75, theils bedingt. — Sachsen-Alten- burg (Verfassungsurkunde von 1831 §. 69. 70). — Literatur vom Stand- punkt der populationistischen Verbote: Justi , II. IX. 2. Süßmilch I. 14. Freiere Anschauung: Berg , Polizeirecht I. 51 ff. Roscher , Colonien. Rau , Volkswirthschaftspflege §. 17. Mohl , Polizeiwissenschaft I. §. 21. Gerstner , Verwaltungslehre S. 217. Specielle Abhandlung: Mohl , Zeitschrift für Gesetze der Staatswirthschaft 1847. S. 320. Geßler , ebd. Bd. 18, S. 375. Vogt , Armenwesen 1. 2. 233. Brater , Staatswörterbuch Art. Auswanderung. Stein , Innere Verwaltungslehre S. 206 ff. Carup , Ansicht über Volksver- waltungslehre 1860 Cap. 40. Gesetzgebung. England : Verbote aus dem vorigen Jahrhundert 1744; Verbote für Maschinenbauer aus diesem Jahrhundert; gegenwärtig frei. — Frankreich (Decret vom 15. Januar 1855). — Oesterreich: Kopetz , Polizeigesetzkunde 1. 87. Auswanderungspatent vom 10. August 1784 (Verbot und Erlaubniß). Neues Auswanderungspatent vom 24. März 1832; gleiche Strenge. — Preußen : Freiheit: Allgemeines Landrecht II. 17. 127—141. Andere Gesetze für Bayern, Sachsen, Hessen-Darmstadt aus dem vorigen Jahrhundert. ( Stein , Innere Verwaltungslehre S. 193 ff.) Im Allgemeinen ist jedoch die Auswanderungs freiheit anerkannt. Bis 1848 meist nur in Beziehung auf andere Bundesstaaten auf Grundlage der deutschen Bundesakte Art. 18. Nach 1848 verschiedene Rechtsbildungen in folgenden Gruppen: a) Völlige Frei- heit Württemberg : Verfassungsurkunde §. 32. — Schwarzburg-Sonders- hausen : Verfassungsurkunde von 1849 §. 47. — b) Nur durch die Militär- pflicht beschränkt (Unionsparlament in Erfurt) vor 1848. — Bayern : Ver- fassungsurkunde 1818. IV. 14. Ministerialerlaß vom 13. August 1846. ( Pötzl , Verfassungsrecht §. 31.) — Sachsen : 1831 §. 29. Mandat vom 6. Februar 1830. ( Funke , Polizeigesetz VIII. 4.) — Sachsen-Altenburg : 1831. 69. — Braun- schweig : neue Landesordnung 1832. 35. Am genauesten Preußen : Gesetz vom 31. December 1842. Dann nach 1848 Preußen : Verordnung vom 4. Januar 1849. (Verfassungsurkunde 1850. 11. Rönne , Staatsrecht.) — Mecklenburg : Verordnung vom 15. April 1857 (Auswanderung nach außer- europäischen Ländern) Verordnung vom 4. Februar 1864. Ausdehnung der- selben auf die europäischen Staaten. Auswanderungs- Agenturen : früheres Gesetz vom 8. Juli 1852. Neues Gesetz vom 4. Februar 1864 (Strafe für „Verleitung“ zur Auswanderung, genauere Bestimmung der Verpflichtungen der Agenten). — Anhalt-Bernburg : Verfassung von 1850. 15. — Olden- burg : Verfassungsurkunde von 1852. §. 55. — Reuß : Verfassungsurkunde von 1852. — Waldeck : Verfassungsurkunde von 1852. §. 32. Die Bestim- mungen über die Rechtswirkungen der Auswanderung als Verlust der Staatsangehörigkeit, zum Theil mit Bezug auf die Familienglieder s. Zöpfl , deutsches Staatsrecht II. S. 300. Auswanderer-Transport. Gesetze . Englands erste Passengers Act 9. G. IV. 21. (1825); dann Pass. Act von 1855 und Pass. Amendm. Act 1864. — Belgien : 1843. — Bremen : 1832. Gesetz vom 14. Juli 1854. — Hamburg : Verordnung vom 20. Februar 1865. Strafe für Betreibung von Auswanderungs geschäften (Agenturen) ohne polizeiliche Erlaubniß. — Bayern : Polizeistrafgesetzbuch 1861. §. 51. ( Stein , Innere Verwaltungs- lehre S. 190—209.) Das neueste Gesetz ist die obrigk. Verordnung die Beför- derung von Schiffspassagieren nach außereuropäischen Ländern betreffend, vom 9. Juli 1866 von Bremen , sehr umsichtig und eingehend. II. Das öffentliche Gesundheitswesen. Begriff. Das Gesundheitswesen bildet das zweite Gebiet der Verwaltung des persönlichen Lebens. Ihr Objekt ist die Gesammtheit der Bedingungen Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 6 der individuellen Gesundheit, so weit dieselben durch das Leben des Ein- zelnen in der Gemeinschaft gegeben sind. Die Gesundheit ist an sich eine Sache des Einzelnen. Sie ist als solche die erste Voraussetzung des Wohlseins und zugleich der geistigen und wirthschaftlichen Entwicklung. Ohne sie kann es für jeden tausend Güter geben, aber keinen Werth derselben. Sie selbst aber ist das Resultat einer Menge von Ursachen, die auf den Einzelnen einwirken, ohne daß er im Stande wäre, sie immer zu beherrschen. Was so für den Einzelnen gilt, gilt auch für Alle. Und nun nennen wir den- jenigen Zustand der Gesundheit, der durch die Verhältnisse des Zu- sammenlebens der Einzelnen erzeugt und beherrscht wird, die öffent- liche Gesundheit . Der hohe Werth derselben und die Unmöglichkeit für den Einzel- nen, sich durch eigene Kraft zu schaffen, was sie bedingt, macht sie zu einem wesentlichen Gegenstand der inneren Verwaltung. Und die Ge- sammtheit der Rechtsbestimmungen, Anstalten und Thätigkeiten, vermöge deren die Verwaltung für die dem Einzelnen unerreichbaren Bedingungen dieser öffentlichen Gesundheit sorgt, bildet das Gesundheitswesen . Wesentlich davon verschieden ist die gerichtliche Medicin , welche die Regeln feststellt, nach denen die Grundsätze der Heilkunde als Beweismittel im gerichtlichen Verfahren gelten. Allerdings ist das Gesundheitswesen aus ihr hervorgegangen und lange mit ihr verwechselt worden. Jetzt aber ist kein Zweifel mehr, daß es durchaus verschiedene Gebiete sind, die mit einander künftig wenig mehr zu thun haben. Das Gesundheitswesen zerfällt demnach in die Darstellung des Organismus , der für dasselbe thätig ist, in das Sanitätswesen , mit seinen beiden Aufgaben, in denen es die Gesundheit schützt (Ge- sundheitspolizei) und sie fördert (Gesundheitspflege), und das Medi- cinalwesen oder Heilwesen , welches die wirklich vorhandenen Störungen der Gesundheit zu bekämpfen bestimmt ist. Andeutung des Unterschiedes von Gesundheitswesen und gerichtlicher Me- dicin schon im siebzehnten Jahrhundert. Starke Entwicklung der letztern in der Theorie des Strafprocesses. Trotz der weitläuftigen Gesetzgebungen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts kein fester Begriff des ersteren. Erste große Grundlage: P. Frank , System der medicinischen Polizei seit 1779. Darauf eine reiche und gelehrte, aber systemlose Literatur; die Scheidung wird fast nur in Sammelwerken festgehalten. Frankreich: Tr é buchet , Juris- prudence de la médicine 1834. — Preußen: Horn , preußisches Medicinal- wesen. Mangel an selbständiger wissenschaftlicher Behandlung. Stein , Ver- waltungslehre Bd. III. S. 4—17. — England: Sander , die englische Sanitätsgesetzgebung. 1869. Entwicklung der Gesetzgebung und der Organisation des Gesundheitswesens bis zur Gegenwart . Es gehört ein hochgebildetes Volk dazu, um die Bedeutung des Gesundheitswesens zu erkennen und die Forderungen desselben zur Gel- tung zu bringen. Denn es bedarf eines lebendigen Gemeinwesens, um den Werth, den die Gesundheit eines jeden Einzelnen für Alle und umgekehrt hat, zu verstehen, und tiefgehender Wissenschaft, um die allgemeinen Gründe allgemeiner Gesundheit und Krankheit zu erkennen. Daher ist das Gesundheitswesen bei all seiner unendlichen Wichtigkeit vielleicht der unentwickeltste Theil der ganzen inneren Verwaltung Europa’s. Die Geschlechterordnung kennt nicht einmal die Heilkunde, geschweige denn ein Gesundheitswesen. Die ständische Ordnung erzeugt die Wissenschaft der Medicin, doch vermag sie keine Gesundheitspflege hervorzubringen, indeß wird die Medicin, die sie (an den Universitäten) erzeugt, die Mutter des Gesundheitswesens. Denn so wie die neue Staatenbildung auftritt, nimmt sie das letztere in ihre Verwaltung auf. Anfangs freilich nur örtlich und bloß als Seuchenpolizei, dann aber mit dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert in großen umfassenden Gesetz- gebungen und mit Errichtung eigener, den ganzen Staat umfassender Sanitäts-Organisationen. In dieser Beziehung scheiden sich nun zwei große Epochen. Die erste reicht vom Anfange des vorigen Jahrhunderts bis zu den dreißiger Jahren unserer Zeit. Ihr Charakter besteht darin, daß sie wesentlich durch Regierungsorgane die Gesundheit in ihrem Sinne verwalten will und sich daher zur eigentlichen bis auf das Leben des Individuums herab erstreckenden Gesundheit spolizei gestaltet. Ihr Inhalt ist vor allem Schutz der Gesundheit gegen unmittelbar und äußerlich drohende Gefahren und eine möglichst allgemeine Organisation des Heilwesens, die sie durch Verbindung der amtlichen Thätigkeit mit den medicinischen Fakultäten zu erzielen sucht. Erst gegen Ende des vorigen Jahrhun- derts wird der Gedanke lebendig, daß die Basis der Gesundheit in den elementaren Verhältnissen liegt und daß der Schwerpunkt des Gesund- heitswesens statt in der Polizei und der Heilung der bereits vorhan- denen Krankheiten vielmehr in der Pflege der Bedingungen für die Erhaltung der Gesundheit liege. Dieser Gedanke kommt zum Durchbruche durch die Cholera, die in dieser Beziehung ein Segen für Europa geworden ist. Die neueste Zeit hat diese Richtung zur socialen Gesundheitspflege entwickelt; sie beginnt, wenn auch langsam, den großen Kampf mit den ewigen elementaren Feinden der Gesundheit bei der nichtbesitzenden Klasse; und so gehen wir allmählig aus dem Sta- dium des negativen Gesundheitswesens in das positive hinüber, das schon bei der Schule beginnend unser ganzes öffentliches Leben durch- dringen wird. Allein noch immer zu sehr gewöhnt, von der Regierung zu viel zu erwarten, haben sich die Völker bisher zu wenig mit diesem Gebiete beschäftigt, dem keine Regierung allein genügen kann. Der allgemeine Standpunkt ist fast allenthalben noch vorwiegend der, statt des Werthes und der Bedingungen frischer und kräftiger Gesundheit ausschließlich die Gefahren, Ursachen und Hebungen der Krankheiten ins Auge zu fassen. Für das letztere kann die Regierung viel, für das erstere nur wenig thun. Hier kann nur die freie Verwaltung helfen. Damit beginnt sich das Gesundheitswesen definitiv zu organisiren. Der Regie- rung bleibt die allgemeine Oberaufsicht und Leitung aller derjenigen Elemente, welche über jede örtliche Gränze hinaus allgemein wirken. Die örtliche Gesundheitspflege dagegen wird Sache der Selbstverwal- tungskörper, vor allem der Gemeinde . Erst wenn die Gemeinden erkennen, daß die Krankheiten ihrer Angehörigen sie das Zehnfache von dem kosten, was die Gesundheit derselben kosten würde, wird es besser werden. Es ist die wesentlichste Aufgabe des ärztlichen Vereins- wesens , diese Wahrheit zur Geltung zu bringen und in diesem Sinne für die Anstrengungen zu wirken, die das herrliche Gut der öffentlichen Gesundheit fordert. Durch das kräftige Zusammenwirken dieser Faktoren wird es dahin kommen, daß die Wissenschaft die Principien, der Staat die Gesetzgebung und die freie Verwaltung in Gemeinde und Vereins- wesen die örtliche Verwirklichung des Gesundheitswesens übernehmen. Dieser Zukunft gehen wir entgegen, und es ist kein Zweifel, daß wir gerade in unserer Zeit mitten in einem höchst erfreulichen Uebergange zur größeren Auffassung dieses so hochwichtigen Gebietes begriffen sind. Literatur . Beginn des Verständnisses der Aufgabe eigentlich erst seit P. Frank . Aber er und seine Nachfolger, Stoll, Eberhardt, Haller, Horn, Tr é buchet, Tardieu und andere sehen noch immer den Schwerpunkt des Ge- sundheitswesens in dem Kampfe gegen Krankheiten, nicht in der Herstellung der Faktoren der Gesundheit. Das Gesundheitswesen geht erst jetzt aus seiner negativen in seine positive Epoche über. Ideen der hygiène populaire, mit specieller Beziehung auf die Fabrikarbeit zuerst Gerando , Bienfais. publ. III. p. 345 (1839). Denselben Charakter haben die Organisationen des Sanitäts- wesens und die Medicinalgesetzgebungen. Beginn der eigentlichen Verwaltung und Gesetzgebung für das Gesund- heitswesen in Europa: Preußens Medicinalordnung von 1725; Medicinal- collegium seit 1684. Zweite große Gesetzgebung: Oesterreichs Sanitäts- normativ 1770. Beide umfassen das gesammte Gesundheitswesen. Darauf folgen im achtzehnten Jahrhundert alle deutschen Staaten; mit Weiterbildung im Einzelnen in reicher Fülle, aber ohne einen zweiten Versuch, das gesammte Medicinalwesen zu codificiren. Neuestes umfassendes Gesetz von Baden vom 20. September 1864. Frankreich hat einen solchen Versuch überhaupt nie gemacht, sondern nur einzelne, zum Theil treffliche Gesetze gegeben. England : früher ohne Gesetz; dann die General Health Act mit Einrichtung der Officiers of Health or Inspectors of Nuisances, der auch die Polizei der Nahrungsmittel hat (nach 26. 27. Vict. 217) und die Nuisances Removal Act. 11. 12. Vict. 63 und 123 (1855); endlich die Medical Act 1858, wesentlich Gesundheit spolizei und ihre Organisation. — Der Organismus des Gesundheitswesens beruht in allen deutschen Ländern auf einem Centralorgan beim Ministerium des Innern, auf Landes- oder Bezirkso rganen und Ortso rganen; Competenz wesentlich nur Oberaufsicht und Seuchenpolizei. In Frankreich treten statt der amtlichen Organe die Conseils auf, gleichfalls in drei Instanzen; von ihrer praktischen Thätigkeit verlautet gar wenig. ( Commissions de santé. Organisi- rung, Gesetz vom 15. April 1850. Vergrößert 1864.) England hat erst in letzter Zeit dieselbe Grundlage in dem Gen. Board of Health, dem Inspector und den Local Boards. So ist die Regierung organisirt; aber für die Selbst- verwaltungskörper und ihre entscheidende Thätigkeit ist bisher so gut als nichts geschehen , höchstens die niedere Gesundheitspolizei ist organisirt, und auch das nur in den größeren Städten. Das Vereinswesen ist hier zerfahren, zerstreut, vereinzelt. Eine Fachbildung für das Gesundheitswesen existirt nicht . Hier ist für die Wissenschaft viel, für die Praxis noch fast alles zu schaffen, so wie es sich um das höhere Stadium der Gesundheitspflege , und namentlich der ärmeren Classen handelt. Doch hat die Cholera den An- stoß zu einer Bewegung in dieser Richtung gegeben, die nicht mehr unter- gehen kann! A. Das Sanitätswesen. Begriff. Das Sanitätswesen umfaßt daher die Gesammtheit derjenigen rechtlichen Bestimmungen und Verwaltungsmaßregeln, welche die öffent- liche Gesundheit erhalten und fördern sollen. Es zerfällt seinem Begriffe nach in die Gesundheitspolizei und die Gesundheitspflege. I. Die Sanitätspolizei. Die Gesundheit spolizei ist ihrem Begriffe nach die Gesammtheit von Maßregeln und Einrichtungen, durch welche die öffentliche Gesund- heit vor denjenigen Gefahren geschützt wird, die der Einzelne durch eigene Kraft nicht von sich abwenden kann. Es liegt nun im Ganze der Geschichte, daß die Aufgabe beginnt bei der unmittelbaren allgemeinen Gefährdung der öffentlichen Gesund- heit durch die Seuchen , dann sich nach und nach im Einzelnen ent- wickelt zum Schutze gegen einzelne Gefährdungen, und sich erst zuletzt und langsam zur organischen Arbeit der menschlichen Gemeinschaft für Herstellung der öffentlichen Bedingungen allgemeiner Gesundheit erhebt. Aus dem ersten Element entspringt die Seuchenpolizei, aus dem zweiten die Gesundheitspolizei, aus dem dritten die Gesundheitspflege. a) Die Seuchenpolizei . Die Seuchenpolizei, der alten Geschichte unbekannt, schließt sich an das Eindringen ansteckender Krankheiten aus dem Orient in Europa und erscheint daher als das im Princip einfache, in der Ausführung vielfach verschiedene System der örtlichen Absperrung des Verkehrs , welche durch ihre für den Seeverkehr (aus dem Orient) geltenden Regeln die Quarantaine heißt. Princip und System der Quarantaine gelten noch, hauptsächlich für das Mittelmeer, erscheinen jedoch als Ausnah- men; das System der Absperrung zu Lande (des Landcordons) ist wohl ziemlich aufgegeben. Erst durch die Entdeckung der Schutzblattern ent- steht bei der Blatternseuche das System der Impfung als organisirter, positiver Kampf mit einer Epidemie; die Impfung ward in Deutschland fast gleich bei ihrer Entdeckung zwangsweise eingeführt; in Frankreich begnügen sich Gesetzgebung und Verwaltung mit den Maßregeln zur Beförderung der Impfung; England hat das Zwangssystem erst in neuester Zeit angenommen; für die übrigen Staaten besteht noch immer die Impffreiheit. In Beziehung auf die übrigen Epidemien zeigten Erfahrung und Wissenschaft bald, daß weder die Absperrung, wie bei der Pest, noch ein einzelnes Heilmittel, wie bei den Blattern, das wahre Mittel zur Bekämpfung der Seuche sei, sondern daß die wahre Aufgabe des Seuchenwesens vielmehr theils in der Organisirung des Heilwesens, theils aber und vorzüglich in der Entwicklung der Gesund- heitspflege liege. Die Cholera namentlich hat schließlich die Ueber- zeugung festgestellt, daß man die Seuchen viel besser in ihren Ursachen, den gesundheitsverderblichen öffentlichen Verhältnissen, namentlich von Wohnung und Nahrung, als in ihren Erscheinungen, der wirklichen Seuche, bekämpft werden. Das Auftreten der Cholera bezeichnet daher den Wendepunkt in der ganzen Geschichte des Seuchenwesens, wo das- selbe von seiner negativen, polizeilichen Aufgabe zur positiven der Ge- sundheitspflege übergeht, auf dessen Anerkennung die gesammte Zukunft des Gesundheitswesens beruht. Jeder Theil dieses Seuchenwesens hat nun seine Gesetzgebung, seine Lite- ratur und so auch seine Geschichte; das Mangelnde ist die Auffassung des Ganzen als Einheit. Quarantaine. Frankreich : Verordnung vom 3. März 1822 und Gesetz vom 24. December 1850. ( Tardieu : Dict. d’hyg. publique. II. 381—415). — England : Aufgabe der Verordnungsgewalt als Ordre in Council; Hauptgesetz 6. G. IV. 78. ( Gneist , Englisches Verwal- tungsrecht II. §. 113). — Oesterreich : erste Pestpolizeiordnung von 1728, neueste von 1837; nähere Bestimmungen für das Seesanitätswesen (Verord- nung vom 13. December 1851). — Preußen : nach englischem Vorbild dem Ministerium des Aeußern untergeordnet (Reglement vom 3. Juli 1863). Rönne , §. 362. — Blatternwesen. England : Einführung des Impfzwangs erst durch 16. 17. Vict. 100. — Frankreich : noch ohne eigentlichen Zwang bloß Beförderungssystem. ( Tardieu a. a. O. III. 256 ff.) — Oesterreich : seit 1790; Grundlage der Impfpflicht (Verordnung vom 30. Juni 1806); Orga- nisirung seit 1836. — Preußen : Regulativ vom 28. October 1835; besondere Impfordnungen für die Regierungsbezirke. ( Stein , Gesundheitswesen S. 46—48.) — Für die übrigen Seuchen zum Theil sehr genaue Vorschriften in Preußen: Horn , preußisches Medicinalwesen I. Grundlage das Regulativ von 1835; darnach die Seucheninstruktion vom 15. August 1838 für Oesterreich. — In den übrigen Staaten meist nur einzelne temporäre Vorschriften. Stein a. a. O. S. 50. b) Die Gesundheitspolizei . Die Gesundheitspolizei umfaßt ihrem Begriffe nach alle Vorschriften und Maßregeln, durch welche die Gesundheit des Einzelnen gegen die einzelnen Gefährdungen geschützt wird, die aus dem Verkehre erwachsen . Sie entsteht daher naturgemäß in den Städten, und findet auch jetzt nur verhältnißmäßig wenig Anwendung auf dem Lande. Ihr erstes Gebiet sind die äußeren, sichtbaren Gefährdungen der Ge- sundheit; daher beginnt sie bei der Polizei der Nahrungsmittel ( Markt- polizei ) und bei der Straßen- und Wegepolizei; mit der Entstehung der wissenschaftlichen Medicin geht sie über zur Polizei der Gifte und der Quacksalberei ; das vorige Jahrhundert schließt daran die ärzt- liche Todten - und Begräbnißp olizei, die sich aus der juristischen entwickelt, mit Todtenbeschau und Begräbnißordnungen, die sich in un- serem Jahrhundert weiter entwickelt und die Unmäßigkeitspolizei , von der nur noch das Element der Sittenpolizei und der Schenkenpolizei übrig bleibt, während die Polizei der Syphilis speciell der neuesten Zeit angehört, ohne noch zum Abschluß in Princip und Ausführung gediehen zu sein. In der Gewerbepolizei geht sie dann in die Gesund- heitspflege über. Eine Reihe einzelner örtlicher Vorschriften über Marktpolizei (Fleischer- schau, Mühlordnungen, Bäckerordnungen, Bier- und Weinpolizei) sehr alt. Erst Peter Frank erhebt dieß Gebiet zur wissenschaftlichen Betrachtung. Von da an Uebergang in die Polizeiwissenschaft; die Gesetzgebungen für alle Punkte erscheinen theils in den großen Sanitätsordnungen des vorigen Jahr- hunderts, theils in ganz einzelnen Vorschriften. In unserem Jahrhundert bilden sich auf Grundlage der Wissenschaft namentlich nur die Giftpolizei , die in Gif tsorten und Geheimmittelp olizei sehr genaue und zweckmäßige Bestimmungen enthält, und andererseits die Begräbniß - und Todten - polizei mit genauen Vorschriften über Leichenkammern . Daneben hat die Strafgesetzgebung in der Bestrafung culposer Gefährdungen der Gesund- heit ein zweites Schutzsystem entwickelt, das namentlich durch Art. 471 des Code Pénal begründet, die Sicherheitspolizei in die Gesundheitspolizei hinüber- führt. Uebrigens liegt es in der Natur der Sache, daß das Wichtigste dabei nur von der Thätigkeit der Selbstverwaltung ausgehen kann, die bisher fast nur in den großen Städten gehörig entwickelt ist, aber hier die eben so schwierige als wichtige Aufgabe hat, die Gefährdung der Gesundheit der ärmeren Classen durch billige, aber gefährliche Nahrungsmittel zu begreifen und zu hindern (s. über das ganze Gebiet Stein , Gesundheitswesen S. 51 ff.). II. Die Gesundheitspflege. Die Aufgabe und das Wesen der Gesundheitspflege, der Gesund- heitspolizei gegenüber selbständig aufgefaßt, besteht darin, einerseits diejenigen Verhältnisse des Verkehrs im weitesten Sinne zu beseitigen , welche langsam aber sicher die Gesundheit gefährden und untergraben, andererseits solche Anstalten und Einrichtungen des öffentlichen Lebens herzustellen, welche als allgemeine Bedingungen der Sicherung und Entwicklung der öffentlichen Gesundheit betrachtet werden müssen. Hier liegt das Gebiet, wo das höhere Verständniß des öffentlichen Werthes der Gesundheit aller Einzelnen beginnt und wo die Wissenschaft diesem Verständniß zu Hülfe kommen und Mittel und Wege für das große Ziel angeben muß. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß das Gebiet das jüngste und unentwickeltste des ganzen Gesundheitswesens ist; seine Anerkennung liegt noch mehr im Gefühle als in dem System der Gesetze und dem der Maßregeln der Verwaltung; es ist klar, daß gerade hier die Wissenschaft (wesentlich durch ärztliche Vereine) die ge- fährlichen oder nützlichen Thatsachen und die Principien des Fortschrittes aufstellen, die Gesetzgebung die leitenden Grundsätze geben und die Selbstverwaltung sie ausführen soll. Hier ist noch unendlich viel zu thun; doch sind die Grundlagen des Gebietes bereits angedeutet. Man kann dieselbe eintheilen in die Gesundheitspflege für die Erziehung , für das Bau - und Wohnungsw esen und für die Ge- werbe . Die Gesundheitspflege der Erziehung ist zugleich ein Theil der gesellschaftlichen Verwaltung; sie erscheint in den Krippen und Warteschulen , dann in der Sorge für die Schulräume , dann in der physischen Erziehung des Turnwesens , endlich aber in den, namentlich von Frankreich ausgehenden Bestimmungen über Kinder- arbeit . Jeder dieser Theile hat seine eigene Gesetzgebung und Ge- schichte. — Die Gesundheitspflege im Bau - und Wohnungswesen beginnt ihrerseits mit den Vorschriften der Feuer - und Sicherheits - polizei bereits im vorigen Jahrhundert; erst in unserem Jahrhundert, und zwar namentlich seit der Cholera, erscheinen die Maßregeln, welche sich zuerst auf gesunde und lichte Raumverhältnisse der Wohnungen und Straßen beziehen und damit wieder zugleich den Charakter socialer, polizeilicher und sanitärer Bestrebungen verbinden; dann erkennt man den großen Werth des Wassers und sorgt für dasselbe; endlich An- lagen der Städte, freie Plätze, Straßen, Pflanzungen u. a. — Die Gesundheitspflege des Gewerbewesens endlich steht fast allenthalben noch auf dem vorwiegend polizeilichen Standpunkt, vor den direkt schäd- lichen Einflüssen des Gewerbes zu schützen; die Gesundheitspolizei der Anlagen bezieht sich vorzugsweise auf das Verhalten des Gewerbes zu der Gesundheit Dritter, während die des Betriebes in Verbin- dung mit den Arbeitern selbst steht. Es ist natürlich, daß jedes Ge- werbe seine Gesundheitspolizei hat (Concession, Polizei der Maschinen, Zündhölzer, Gifte, Schifffahrt u. s. w.) Allein bisher hat sich diese Polizei nur noch auf die größeren Unternehmungen beschränkt. Sie wird ihre wahre Idee erst dann erhalten, wenn sie jede Werkstatt ihrer Untersuchung unterzieht und die Forderungen der Gesundheits- pflege von der größten Fabrik bis zum kleinsten Arbeitslokale hinab mit unerbittlicher Strenge zur Geltung bringt. Das kann und soll nun zwar das Vereinswesen anregen, aber zuletzt kann und soll es nur die Selbstverwaltung ausführen. Hier beginnt ein weites und hoch- wichtiges Gebiet dieses Theiles der inneren Verwaltung, das bis jetzt noch der Zukunft gehört. Jeder Theil dieser Gesundheitspflege hat seine Gesetzgebung und zum Theil seine Literatur. Kinderarbeit. Frankreich : Gesetz vom 22. März 1841 als Grundlage der ganzen Bewegung (Villerm é ); spätere Entwicklung. — England : specielle Gesetze von 1842—1864. — Oesterreich : Gewerbeordnung von 1859 §. 86—88. — Preußen seit Gesetz vom 9. März 1839; erweitert durch Gesetz vom 16. Mai 1863. Stein a. a. O. S. 74—76. — Gewerbe- wesen. Frankreich : strenge Ordnung bei der Concession seit dem Gesetz vom 12. Februar 1806; dann die drei Classen der Gewerbe mit Decret von 1810. ( Pappenheim , Sanitätspolizei; Tardien , Dictionnaire. ) — Deutschland : Aufnahme des Princips in die Gewerbeordnungen (Preußen 1845. Oester- reich 1859). Ohne eine eingehende Beachtung von Seiten der bisherigen Lite- ratur; fast durchgehend überlassen an die Gemeinden, und von diesen wenig verstanden und ausgeübt. Auch in den Gewerbsgenossenschaften noch ohne Heimath; hier steht noch fast alles auf dem Standpunkt, für die Heilung der Krankheit, statt für die Verhinderung des Krankwerdens zu sorgen. Ueber die Gesundheitspflege im Betriebe der Gewerbe (Werkstattspolizei) außerhalb der Fabriken noch gar keine Gesetzgebung. Möchte doch das ärztliche Vereins- wesen diese Frage bald ernstlich in die Hand nehmen! B. Das Heilwesen (Medicinalwesen). Das Heilwesen umfaßt den Inbegriff derjenigen Bestimmungen und Anstalten, welche von der Verwaltung für die Heilung bereits ausgebrochener Krankheiten getroffen werden. Die Heilung der Krankheit ist zunächst Sache des Einzelnen. Allein je höher die Gesittung in einem Volke steht, um so mehr wird es klar, daß die Bedingungen der Heilung in den meisten Fällen außerhalb der Kräfte des Einzelnen liegen. Denn diese Bedingungen bestehen einerseits in einer hohen Ausbildung der wissenschaftlichen Heilkunde, andererseits in Anstalten, welche die Voraussetzungen der Heilung nach wissenschaftlichen Principien vereinen. Beides kann nur die Gemeinschaft der Einzelnen darbieten. Und so entstehen die beiden großen Gebiete des Heilwesens, die Bildung des Heilpersonals und die Herstellung der Heilanstalten . I. Der Heilungsberuf. Das Heilpersonal ist die Gesammtheit der Personen, welche die Heilung von Krankheiten zum Lebensberuf gemacht haben. Der selb- ständige Heilungsberuf entsteht eben deßhalb erst mit der ständischen Gesellschaftsordnung, schließt sich an die Corporation der ständischen Wissenschaft, die Universität und ihre Facultät, und wird erst mit dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert Gegenstand der Gesetzgebung und Verwaltung des Staats. Das Princip dieser Gesetzgebung und Verwaltung ist, daß nur die regelmäßige wissenschaftliche Bildung die rechtliche Bedingung für die Ausübung des Heilberufes sein soll; daß für jeden Theil eine besondere Fachbildung erfordert wird, und daß mit dem Eintreten in dessen Bereich auch bestimmte Rechte der Be- treffenden verbunden sein sollen. Auf dieser Grundlage hat sich das gegenwärtige Recht des Heilberufs entwickelt, das in dem Recht der Aerzte, der Apotheker, der Hebammen und der Heildiener seinen Aus- druck empfängt. a) Die Aerzte und ihr Berufsrecht . Obgleich es zu allen Zeiten Personen gegeben hat, welche die Heilung von Krankheiten zu ihrem Lebensberuf gemacht haben, so ent- stehen die eigentlichen Aerzte doch erst mit der ständischen Gesellschaft und ihre Fachbildung an den Universitäten. Doch bleibt ihre Stellung und ihr Recht noch ein bloßes Standesrecht, bis mit der Entstehung des staatlichen Gesundheitswesens auch die Aerzte und ihre Verhältnisse Gegenstand der Verwaltung wurden. Seit dieser Zeit bildet sich das Berufsrecht der Aerzte heraus. Die Grundlage desselben ist die Forderung einer wissenschaftlichen Fachbildung, durch die öffentlich recht- liche Prüfung constatirt. Der Inhalt ist das Recht auf die Praxis, geschützt durch Maßregeln gegen Kurpfuscherei und Quacksalberei und geordnet durch die ärztliche Taxe und Vorrecht des Honorars. Bis ins achtzehnte Jahrhundert bestehen nun die alten gewerbsmäßig be- triebenen Heilgewerbe (Bader, Feldscheerer u. s. w.) neben dem Berufs- arzte fort, wenn auch in untergeordneter Stellung; mit dem achtzehn- ten Jahrhundert aber wird die Forderung wissenschaftlicher Bildung allgemein, und jene Gewerbe gehen in das Gewerberecht über, wäh- rend die Berufsärzte ihrerseits sich noch in die zwei Hauptklassen der Chirurgen und Mediciner mit verschiedener Bildung und verschiedenem Recht scheiden. Erst in unserem Jahrhundert entsteht aus der Erkennt- niß, daß die Wissenschaft für alle Theile der Medicin die gleiche sei, der rechtliche Grundsatz der gleichen Bildung für alle und das Ver- schwinden auch jenes Unterschiedes, wogegen allerdings wieder Special- fächer (Augen-, Zahnärzte ꝛc.) sich ausbilden. Zugleich beginnt die Verwaltung gegenüber jenen Rechten auch die öffentlichen Pflichten der Aerzte zu formuliren und stellt sie unter die Oberaufsicht der Ge- sundheitsorgane, während die ärztlichen Interessen neben der Wissen- schaft durch das ärztliche Vereinswesen auf allen Punkten gefördert wird. So ist das ärztliche Berufswesen im Großen und Ganzen in lebendi- gem Aufschwunge begriffen. Behandlung fast nur in der ärztlichen Literatur; hauptsächlich seit Frank a. a. O. Bd. VII. — Die Gesetzgebung beginnt mit dem ständischen Berufs- recht (Facultät von Salerno), Eid der Aerzte. Beginn des staatlichen Berufs- rechts bei den Physikaten in den größeren Städten seit dem sechzehnten Jahr- hundert und städtische Reglements für dieselben ( Stein a. a. O. S. 98 ff.) Mit den großen Medicinalgesetzgebungen des achtzehnten Jahrhunderts Ein- führung eines allgemeinen öffentlichen Berufsrechts, das wieder in den einzel- nen Staaten ein besonderes ist. Preußen : Allgemeines Landrecht II. §. 505. (Aerzte als Beamte betrachtet) spätere Gesetzgebung bei Horn II. S. 1 ff. — Oesterreich: Kopetz , Polizeigesetzkunde I. S. 389. Frank Bd. VII. S. 321. Das Fachbildungs- und Prüfungswesen fällt unter das Universitätswesen. — In Frankreich geringe Ausbildung des Berufsrechts; doch Grundlage die Fach- bildung und Prüfung (Doctorat); Hauptgesetz vom 19. Vend. an XI. Amette , Code médical 1855. — In England noch größerer Mangel; nicht einmal Fach- bildung nothwendig, und bis zur letzten Zeit auch keine Art von Oberaufsicht. Einziges Gesetz bisher St. 21. 22. Vict. 96. (Medical Act.) Andere Gesetz- gebung bei Stein a. a. O. S. 105. b) Das Apothekerwesen . Das Apothekerwesen hält in allen Hauptsachen gleichen Schritt mit dem ärztlichen Recht. Seine Selbständigkeit beginnt mit der Facul- tätsfachbildung (Salernum). Von da an werden die beiden Grundsätze festgehalten: erstens, daß die Apotheken öffentliche Anstalten sind, und zweitens, daß zu ihrer Betreibung Fachbildung nothwendig ist. Aus dem ersten Grundsatz geht die Organisation der öffentlichen Oberaufsicht über die Apotheken hervor, die durch die Aerzte ausgeübt wird; aus dem zweiten die öffentlich rechtliche Ordnung der Fachbildung der Apo- theker, die fast nur in Deutschland systematisch ausgebildet ist. Die gemeinsame Consequenz beider sind das Princip der Genehmigung der Anlage von Apotheken, das Princip der Prüfung für die Apo- theker, endlich die Aufstellung der Pharmacopöen mit den officiellen Heilmitteln und die damit eng verbundene Apothekertaxe und das ausschließliche Dispensationsrecht , während andererseits das rein gewerbliche Element im Apothekerwesen gleichfalls in der Lehrzeit mit ihren Pflichten und zum Theil in den alten Apothekergenossenschaften (Gremien) seinen Ausdruck findet. Doch ist das ganze Apothekerwesen fast nur in Deutschland rationell organisirt. Literatur schließt sich an die Entstehung des Medicinalwesens; Frank Bd. VII. Pappenheim , Handbuch der Sanitätslehre III. S. 34. Gesetzgebung mit der Entstehung der großen Medicinalordnungen; Preußen seit 1725; Oester- reich seit 1770. Locale Apothekerordnungen seit dem sechzehnten Jahrhundert; Stoll Bd. I. Anhang. — Frankreich (Ordnung durch Gesetz vom 21. Germ. an XI. ) — England : St. 35. G. III. 194; gewerbliche Ordnung ( Gneist §. 114. Stein S. 111 ff). c) Hebammenwesen . Das Hebammenwesen ward erst mit dem achtzehnten Jahrhundert Gegenstand des öffentlichen Gesundheitswesens; mit dem neunzehnten Jahrhundert tritt der Grundsatz in Kraft, daß eine Fachbildung recht- liche Bedingung zur Ausübung dieses Berufes sei. Daher Errichtung von Hebammenschulen, Prüfungen, formelle Verpflichtung derselben, und Oberaufsicht. Einzelne Ordnungen in allen Staaten, mit Ausnahme Englands; specielle Vorschriften seit Beginn dieses Jahrhunderts (vergl. Stein S. 118. 119). Hannover : Reglement für Hebammen vom Februar 1864. d) Heildiener . Bisher noch ganz unentwickelt, und fast ausschließlich der Privat- thätigkeit überlassen, trotz der hohen Wichtigkeit des Instituts. Hier kann in der That nur die Selbstverwaltung den festen organischen Kern eigener Stellung abgeben; das Vereinswesen ist dann berufen, dasselbe nach den einzelnen Richtungen auszubilden. Geringe Beachtung bis jetzt, auch noch von Seiten der ärztlichen Vereine! Vergl. Stein S. 119—121. II. Die Heilanstalten. Die Heilanstalten beginnen fast ausschließlich als milde Stiftungen, bei denen das sociale Element vorherrscht, und das ärztliche und recht- liche in den Hintergrund tritt. Sie werden in die Verwaltung des Gesundheitswesens erst mit dem achtzehnten Jahrhundert hineingezogen, theils als Lehrmittel für die Fachbildung der Universitäten, theils in- dem sie unter ärztliche und verwaltungsrechtliche Oberaufsicht und Lei- tung kommen. Sie bestehen daher auch jetzt noch theils als Stiftungen, theils als Gemeinde-, theils als Vereinsanstalten; aus ihrer verschie- denen Aufgabe ist aber ein sehr verschiedenes, zum Theil sehr entwickeltes Recht derselben geworden. Ihre Hauptformen sind die Hospitäler und die Irrenanstalten; von geringerer Bedeutung sind die Gebär- und Ammenanstalten und die Gesundbäder. a) Hospitäler und Armenärzte . Die Hospitäler sind ursprünglich Stiftungen, mehr für die Noth der armen Kranken als für die Heilung derselben bestimmt. Ihre ra- tionelle Behandlung beginnt mit der Zeit, wo sie mit der Fachbildung verbunden worden; von den für die Kliniken bestimmten Hospitälern geht die Organisation auf die Gemeinde- und Stiftungsspitäler über. Grundlage ist: Trennung der Verwaltung von dem Heilwesen, und Unterordnung der ersteren unter das letztere. In neuester Zeit Entstehung von Vereinsspitälern der Gewerbsgenossen; dafür mangelt die allgemeine Gesetzgebung für das Hospitalwesen. Dagegen vertreten ihre Stelle die Bestimmungen über das Armenarztwesen , das der Selbstverwaltung angehört, und bisher nur höchst einseitig für Heilung der Krankheiten bestimmt war, während es unendlich mehr wirken könnte und sollte , wenn das Gebiet der Gesundheits- pflege der niederen Classe als seine Hauptaufgabe betrachtet und öffentlich anerkannt würde. Das Verhältniß der Hospitäler ist in den verschiedenen Staaten sehr ver- schieden, und ermangelt einer Behandlung im Ganzen. England hat gar keine allgemeine Gesetzgebung. Frankreich: Hospitäler sind Staatsanstalten, werden zum Theil durch eigene Steuern erhalten, nur auf Genehmigung errichtet, und streng administrativ verwaltet; daher mangelt gänzlich das Institut der Armen- ärzte. Grundlage ist das Gesetz vom 16. Vend. an V (1796); später den Behörden unterworfen, wie alle Selbstverwaltung in Frankreich; es vertritt das Heimathsrecht des Armen. In Deutschland Grundlage: Armenhospitäler, Universitätskliniken und Armenärzte; in Oesterreich wenig, in Preußen gut geordnet (vergl. Stein S. 124 ff). b) Das Irrenwesen . Das Irrenwesen ist überhaupt erst mit dem öffentlichen Gesund- heitswesen entstanden, und daher gleich von Anfang an als Gegen- stand der Verwaltung behandelt. Seine Aufgabe ist eine doppelte. Zuerst das Irrenheilwesen , dem der große Gedanke der physischen Heilbarkeit geistiger Krankheiten zum Grunde liegt. Dann das Irren- recht , weil die Geisteskrankheit das Aufhören der Rechtsfähigkeit mit sich bringt. Das Irrenwesen, nach beiden Richtungen hin erst mit unserem Jahrhundert ausgebildet, ist in jeder Beziehung als ein Triumph der neueren Civilisation anzuerkennen; die ärztliche Behand- lung hat hier niemals das Bewußtsein der Wichtigkeit des öffentlich rechtlichen Elementes verloren, und namentlich verdient das, was in dieser Beziehung von den Deutschen geleistet wird, die höchste Achtung, da Deutschland hier wenigstens auf dem Gebiet der Wissenschaft Allen voransteht. Statt der Literatur im Einzelnen, die in den verschiedenen Staats- und Verwaltungsrechten enthalten ist, verweisen wir auf die treffliche Sammlung aller europäischen Gesetzgebungen in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie Bd. XIX. Suppl. von 1862; mit Scheidung in Civil-, Straf- und Polizei- recht. S. schon Gerando , Bienf. publ. IV. 394 ff. (1839). England : Lunacy-Regul. Act. 25. 26. Vict. 86 (1862). Vergl. dazu Nasse , Vorschläge zur Irrengesetzgebung (1850). Stein S. 128—130. c) Gebär- und Ammenanstalten . Erste Andeutung in Paris seit 1715; spätere Ausbildung nur in den Kliniken; namentlich geringe Beachtung des Ammenwesens; auch das ist eine der künftigen wichtigen Aufgaben der Selbstverwaltung. Literatur seit Frank gering; in Frankreich Gesetz vom 10. Januar 1849. Ordnung in Deutschland meist örtlich. Stein S. 131. d) Gesundbäder . Nothwendige Scheidung zwischen Heilbädern (Gesundbrunnen) und öffentlichen Bädern. Erstere sind ihrer Natur nach Privat- unternehmungen, deren Benützung die ärztliche Praxis regelt; letztere sind ein wichtiges Element der Gesundheitspflege , hängen aufs engste mit der Wasserversorgung zusammen, und werden eine wesent- liche Aufgabe der künftigen rationellen Selbstverwaltung bilden. Verwaltungsrechtliche Literatur mangelt, bei großer Fülle der hygie- nischen. Die französische Gesetzgebung des vorigen Jahrhunderts seit 1772 ist durch Decret vom 24. Mai 1790 für Frankreich als dauernd anerkannt, mit strenger polizeilicher Ueberwachung: Block , Eaux minérales. In Deutschland stehen die Heilbäder meist unter der Gewerbeordnung; mit den öffentlichen Bädern hat England im Vereinswege begonnen. Wann werden die deutschen Selbst- verwaltungskörper die Sache in ihre Hand nehmen? Vergl. Stein S. 123—133. III. Das Polizeiwesen. Historische Grundlage . Bei keinem Theil der Verwaltungslehre ist eine möglichst klare Begriffsbestimmung so nothwendig als beim Polizeiwesen, weil aus historischen Gründen bei keinem Theile eine so große Verwirrung der Auffassung geherrscht hat. Es ist daher auch keine einfach formale Definition hier möglich, sondern der gegenwärtige Begriff muß histo- risch entwickelt werden, wie er historisch entstanden ist. Bis auf unsere Zeit nämlich bedeuten Polizei und Polizeiwesen eigentlich alle Formen, in denen überhaupt ein Eingreifen der Regierung in die Verwaltung stattfindet. Erst mit unsern letzten Jahrzehnten gewinnt das Wort einen anderen, bestimmten Sinn; es ward zu einem bestimmten einzelnen Verhältniß zwischen Regierung und Verwaltung, und erscheint somit als ein Theil der Verwaltungs- lehre. Der Proceß, durch den das entstanden ist, ist eben die Entwick- lung des Begriffes des Polizeiwesens. Die Polizei entsteht nämlich in Wort und Inhalt erst mit der Entstehung der Regierung, und umfaßt als innere Staatskunst (πολι- τεία) im Gegensatz zur „Politik“ alle Thätigkeiten derselben. Im siebzehnten Jahrhundert ward nun aus dieser Polizei eine Wissenschaft; die junge Rechtsphilosophie versucht, ihr Princip und System im Jus naturae zu geben; dieß Princip für die Gesammtheit aller Aufgaben der immer mächtiger werdenden Regierung ausgedehnt, ist der Eudämo- nismus; mit ihm aber tritt zugleich die erste Scheidung in dem Begriff der Polizei als Wohlfahrts- und als Sicherheitspolizei auf; aber da gerade durch diese Scheidung die Polizei jetzt alle Beziehungen der Regierung zum Volke umfaßt, so entsteht die Vorstellung, daß die Polizeiwissenschaft eigentlich identisch mit der Staatswissenschaft sei, während man sich andererseits nicht läugnen kann, daß sie dieses Ge- biet nicht erschöpft. Daher große Verwirrung; bald Identificirung mit dem öffentlichen Recht überhaupt, bald mit den Cameralwissenschaften, bald auch Auffassung derselben als das von Finanzen und Volkswirth- schaft geschiedene selbständige, aber alle Verhältnisse umfassende ge- sammte Gebiet der inneren Verwaltung überhaupt, deren Be- griff und Organismus man noch nicht kennt. Dieser Standpunkt, von Heumann und Delamare begründet, von Justi und Sonnenfels durch- geführt, und von Jacob und Mohl beibehalten, bleibt in der Theorie bis auf die neueste Zeit, während das wirkliche Leben mit dem Beginne unseres Jahrhunderts eine ganz neue Bahn betritt. Auf dieser nun ist es die Entwicklung des öffentlichen Rechts, welche den gegenwärtigen Begriff der Polizei begründet hat. Der Charakter des öffentlichen Rechts im vorigen Jahrhundert ist nämlich die Verschmelzung von Gesetzgebung und Verwaltung, und damit Allgewalt des Staats. Mit unserem Jahrhundert scheiden sich beide. Es tritt das große Princip auf, daß es das Gesetz ist, welches alle Thätigkeiten der Staatsgewalt ordnen soll. Damit entsteht der selbständige Begriff der vollziehenden Gewalt, und ihre erste und ver- ständlichste Form ist die der Regierung . Offenbar nun ist die Re- gierung selbst keine bloße Polizei, sondern die Polizei erscheint vielmehr als ein Theil, eine Funktion und ein Recht der Regierung. Dieser Satz bildet namentlich das neue Staatsrecht der Deutschen, wenn auch noch unter dem Gesichtspunkt der „Polizeihoheit“ aus. Damit denn entsteht die Frage, welchen Theil der Regierungsfunktion dann der Polizei jetzt zukomme. Das aber fand man nicht, weil eben der all- gemeine Begriff, sowohl der vollziehenden Gewalt, als der systematische Gedanke der inneren Verwaltung fehlte. Und so gab es hier zwar das Gefühl des Ungenügens des Alten, aber keine Gestaltung des Neuen. In der That war dieß letztere auch nicht leicht. Drei Gründe machten es hauptsächlich schwierig. Erstlich erschien die Polizei faktisch zugleich als ein Organ der namentlich strafrechtlichen Verwaltung, und die Gränze zwischen Polizei und Gericht war schon hier schwer zu ziehen. Zweitens war es nicht zu verkennen, daß bei aller Herrschaft des Ge- setzes der Polizei doch eine gewisse Befugniß zur Erlassung von gül- tigen Vorschriften auch außerhalb des Gesetzes zugesprochen werden müsse, wenn sie ihre Thätigkeit vollziehen solle. Und drittens war es nicht zu verkennen, daß diese Polizei schließlich in allen Gebieten der Verwaltung auftrete, ob dieselben durch Specialgesetze geordnet waren oder nicht, während sie wieder doch nur einen Theil dieser Gebiete umfaßte. Es war daher sehr schwer, Begriff und Gränze dieser Polizei und ihres Rechts aufzustellen. Daher die Unsicherheit über alle dahin gehörigen Fragen, und die Unbestimmtheit sowohl in Gesetzgebung als in Theorie, so daß es in der That fast erscheint, als wäre erst mit der definitiven Bewältigung dieses Begriffes die innere Staatswissenschaft ein Fertiges. Diese elementaren Grundzüge desselben sind nun wohl folgende. Wir stehen keinen Augenblick an, zu erklären, daß auch unsere Arbeit ( Polizeirecht , als vierter Band der Verwaltungslehre) uns nicht hat genügen können, obwohl wir auf dem richtigen Wege waren. Jedoch sind wir in Fol- gendem wohl zum Abschluß gelangt; das Material unseres Polizeirechts dürfte sich darnach von selber ordnen. Begriff und Elemente des Systems . Geht man nämlich von dem Begriffe der inneren Verwaltung aus, so ergibt sich zuerst, daß die Sicherheit der äußeren Existenz eine der ersten Bedingungen der Entwicklung ist, die sich der Einzelne nicht immer selbst schaffen kann. Es ist daher Aufgabe der inneren Ver- waltung, diese Sicherung vor Gefahren herzustellen, so weit sie vermag, und die Gesammtheit von Ordnungen und Bestimmungen, durch welche das geschieht, bildet das Polizeiwesen . Das Polizeiwesen als selbständiger Organismus gedacht, hat nun wieder die Fähigkeit, einerseits für die ganze innere Verwaltung als Organismus der Zwangsgewalt zu dienen, andererseits ist es durch- aus geeignet, in vielen Fällen die Vollziehung für die Rechtspflege zu bieten. Beide Aufgaben der Polizei gehören aber offenbar eben nicht dem Polizeiwesen, sondern sind nur (cumulative) Verwendungen der Polizeiorgane für die Verwirklichung der Verwaltung in Finanz, Recht und Innerem. Hier handelt die Polizei nicht vermöge ihres Wesens, sondern auf Anordnung eines andern Organes, dem sie zu gehorchen verpflichtet sein kann und gewöhnlich auch ist . Sie hat sich hier daher auch nicht an ihre eigene Ansicht oder ihren Willen, sondern an die ihr gegebenen amtlichen Aufträge zu halten und hat deßhalb auch weder Verantwortlichkeit noch Haftung für das, was sie hier thut. Das Recht , welches für diese ihre Funktion (z. B. bei Exekution, gerichtlicher Verhaftung ꝛc.) gilt, ist deßhalb auch kein Polizeirecht , sondern das Zwangsrecht , und gehört in die Lehre von der vollziehenden Gewalt. Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 7 Das eigentliche Polizeiwesen beginnt daher erst da, wo die Auf- gabe der inneren Verwaltung, die Gesammtheit vor Gefahren zu sichern, als selbständige Funktion mit eigenem Organismus und eigenem Recht auftritt. Offenbar werden nun System und Recht dieses Polizeiwesens sich nach der Natur eben dieser specifischen Aufgabe gestalten, welche dem- gemäß dasselbe in der inneren Verwaltung übernimmt, und in der Entwicklung der ersteren aus der zweiten besteht demnach das, was wir jetzt die Wissenschaft des Polizeirechts zu nennen haben. Das Wesen dieser Aufgabe besteht nun darin, daß die Polizei es mit der Abwendung von Gefahren zu thun hat, welche die Sicher- heit bedrohen. Ihr Objekt ist also nicht eine bereits geschehene That , die stets der Rechtspflege angehört und bei deren Verfolgung die Polizei dienen, die sie aber nicht selbst übernehmen kann, sondern eine mögliche und wahrscheinliche . Sie wendet sich daher nicht der geschehenen Verletzung der Sicherheit zu, sondern vielmehr der Kraft , welche diese Verletzung hervorzubringen droht. Ihr Objekt ist daher, stets etwas seinem Wesen nach Unbestimmtes , und es folgt daher, daß auch ihr Recht diesen Charakter des Unbestimmten an sich tragen muß. Sie muß daher rechtlich befugt sein, je nach Natur, Größe und Gefahr dieser Kraft ihre Verfügungen nach eigenem Ermessen zu erlassen. So entsteht der Begriff und das Princip der Polizei- Verfügungen . Aber in diesem Princip liegt auch wieder die Mög- lichkeit, je nach diesem Ermessen der Polizei die persönliche Freiheit zu beschränken und somit die Polizeiverfügung über das Recht zu stellen. So lange nun Gesetz und Verordnung identisch waren, war das nur eine mit dem ganzen Rechtszustande harmonirende Consequenz. Als aber mit dem neunzehnten Jahrhundert der Grundsatz Geltung gewinnt, daß jede Funktion der Verwaltung unter dem Gesetze stehen solle, also auch die der Polizei, mußte der Versuch entstehen, auch der Polizei für ihre Funktion gegenüber den gefährlichen Kräften eine ge- setzliche Gränze zu geben. Auf diese Weise entstand das Bedürfniß nach einem gesetzlichen Polizeirecht . Nun aber sind Gefahren auf jedem Punkte vorhanden; das ganze Leben der Gemeinschaft ist be- ständig von menschlichen und natürlichen Kräften durchdrungen und umgeben, welche seine Sicherheit bedrohen. Ein systematisches Polizei- recht hatte daher zur Voraussetzung eine streng systematische Auffassung eben dieses Gesammtlebens, um genügen zu können, und das ist eben ein System der Verwaltung. Dieses nun fehlte. Und so bildete sich zwar ein Polizeirecht, aber stückweise und ohne Zusammenhang. Die Sache ist da, aber das System fehlt. Daher denn die natürliche Erscheinung, daß bisher nur wenig Gesetzgebungen es zu einer selbständigen Polizei- gesetzgebung gebracht haben und daß es zwar treffliche Commentare der letzteren, aber keine Wissenschaft des Polizeirechts an sich gibt. Um nun zu dieser zu gelangen, muß man scheiden zwischen dem, was wir die Sicherheits - und die Verwaltungspolizei nennen. Die Natur der Gefahren, mit denen die innere Verwaltung im Polizeiwesen zu kämpfen hat, ist nämlich eine doppelte. Insofern sie nämlich in der losgelassenen, an sich maßlosen Kraft des Menschen besteht, ist sie ihrem Wesen nach unbestimmt und umfaßt ohne Gränze alle Lebensverhältnisse der Gemeinschaft. Sie kann aber auch nicht mehr in der Persönlichkeit überhaupt, sondern in einer bestimmten Handlung derselben bestehen, und in diesem Falle bezieht sie sich auch nur auf bestimmte Verhältnisse der Einzelnen oder der Gesammtheit. In diesem Falle gibt es so viele Arten der gefährlichen Handlungen, als es einzelne Gebiete der Verwaltung gibt, während im ersten Falle die Gefahr sich auf alle gleichmäßig bezieht. Demnach sagen wir, daß die Abwendung der in der schrankenlosen Kraft der Persönlichkeit überhaupt liegenden Gefahr die Sicherheitspolizei bildet, wäh- rend die gegen einzelne und bestimmte gefährliche Handlungen gerichtete Polizei die Verwaltungspolizei ist. Jene erscheint deß- halb als ein durchaus selbständiges Gebiet, während diese vielmehr einen immanenten Theil jedes einzelnen Theiles der Verwaltung bildet und daher eine selbständige Darstellung bezw. Gesetzgebung nur in sofern fordert, als sie durch den Organismus der Sicherheitspolizei allgemein vollzogen wird. Diese Unterscheidung nun ist um so wichtiger, als jeder dieser Theile der Polizei wieder vermöge seiner besondern Aufgabe auch sein eigenes Recht und meist auch seine eigene Gesetzgebung hat. Daraus dann ergibt sich folgendes System des Polizeiwesens und seines Rechts. In dem Mangel dieser Unterscheidung der Sicherheits- und Verwaltungs- polizei liegt der wesentliche Fehler sowohl von Mohls Präventivjustiz, der übrigens auch die gerichtliche Funktion der Polizei nicht hinreichend scheidet, als Maiers Polizeirecht. Die Gestalt des ganzen Gebiets wird erst durch diese Scheidung klar und verständlich. A. Die Sicherheitspolizei. Begriff und Rechtsprincip. Die Sicherheitspolizei ist demnach die Aufgabe und das Recht der inneren Verwaltung, die persönliche Freiheit im Allgemeinen durch ihre Verbote und Maßregeln da zu beschränken, wo vermöge derselben dem Zustande der allgemeinen Sicherheit Gefahr droht. Das Element der Willkür, das darin liegt, empfängt erst mit der französischen Revolution seine Gränze durch das Princip, daß ein solches Eingreifen nur „im Namen des Gesetzes“ stattfinden dürfe. Die Nothwendigkeit aber, der Verwaltung das obige Recht zu lassen, erzeugte die zweite, nicht bei einem allgemeinen Princip stehen zu bleiben, sondern die einzelnen Fälle und Gränzen gesetzlich zu bestimmen, in denen und bis zu denen die Polizei in die persönliche Freiheit wirklich eingreifen dürfe. So entstanden die beiden Elemente, aus denen das Recht der Sicherheits- polizei sich bildet. Einerseits die verfassungsmäßige Anerkennung eben der persönlichen Freiheit in ihren Grundformen, und anderer- seits die Gesetze, nach denen die innere Verwaltung durch die Polizei dieselbe zu beschränken berechtigt ist, und die im Gegensatz zur Ver- fassung auch wohl die „Ausnahmsgesetze“ genannt werden. Diese nun bilden somit ein System, dessen beide Theile, die höhere und die Einzelpolizei , jede wieder ihr selbständiges Rechtsgebiet besitzen. I. Die höhere Sicherheitspolizei. Die höhere Sicherheitspolizei entsteht da, wo durch irgend eine Vereinigung von Menschen eine öffentliche Gefahr droht. Es ist ihre Aufgabe, diese Gefahr zu beseitigen; so wie aber die Vereinigung bereits eine Ungesetzlichkeit wirklich begangen hat, soll sie nur noch als gerichtliche Polizei die Maßregeln zur Verfolgung des Unrechts sichern. Ihr Recht besteht demnach in der strengen Ausübung der gesetzlichen Vorschriften, nach welchen sie durch ihr Einschreiten die an sich freien Vereinigungen hindern oder beschränken kann, und dafür bestehen seit Anfang dieses Jahrhunderts fast in allen Staaten genaue gesetzliche Bestimmungen. Ihr System entsteht an der Verschiedenheit dieser gefahrbringenden Vereinigungen. Ihr Inhalt ist folgender. Ihr erstes Gebiet ist das des Vereinswesens im weitesten Sinne. Ihr Recht geht hier nur auf Kenntnißnahme derselben; das aber ist ein principielles Recht, und daher , ganz abgesehen von dem Zwecke, der an und für sich schon strafbar sein kann, der Grundsatz, daß geheime Verbindungen an und für sich verboten und von der Sicherheitspolizei zu verfolgen sind. Ihr zweites Gebiet sind die öffentlichen Versammlungen . Es ist ihre Aufgabe und damit ihr Recht, bei denselben gegenwärtig zu sein, und wenn ihrem Ermessen nach durch die Thätigkeit oder die Bewegung derselben eine öffentliche Gefährdung entsteht, sie aufzulösen; jedoch kann sie dieselben wegen Vergehen und Verbrechen, welche von einzelnen Mitgliedern in ihr geschehen, nur dann auflösen, wenn die Versammlung als Ganzes das Mitglied gegen die Anordnung der Polizei thätlich in Schutz nimmt. Eben deßhalb hat sie das Recht auf Anzeige und Verbot der Versamm- lung. Ihr drittes Gebiet bildet die Gesammtheit von Erscheinungen, welche wir als Volksbewegungen bezeichnen, Auflauf, Tumult u. dergl. Ihre Aufgabe ist, dieselben auf dem Punkte zu hindern, wo sie durch erregte Leidenschaften zu einer öffentlichen Gefahr werden. Es muß ihrem Ermessen überlassen bleiben, zu bestimmen, wann dieser Zeitpunkt eingetreten ist; ist er eingetreten, so hat sie die Mittel zu bestimmen, welche dieselben bändigt; doch sind die Bedingungen der Anwendung von Waffengewalt gesetzlich vorgeschrieben und sie haftet für die Innehaltung dieser Bedingungen (Aufruhrsakte). Das vierte Gebiet endlich tritt da ein, wo entweder ein äußerer Feind das Land angreift, oder die Volksbewegung zur thätlichen Bedrohung des ge- sammten Rechtszustandes übergeht; im ersten Falle tritt das Kriegs- recht ein, im zweiten das Standrecht als Einführung der militä- rischen Gerichtsbarkeit statt der bürgerlichen, meist nur für einzelne bestimmte Verbrechen, oder bei allgemeiner Auflösung des Rechtszustandes der Belagerungszustand , dessen Recht das des militärischen Gehor- sams und seiner Pflichten und Folgen statt des staatsbürgerlichen ist. Dieses Recht hat nun da, wo die einzelnen staatsbürgerlichen Rechte durch specielle Gesetze formulirt sind, seine gesetzliche Ordnung nach Vorbild der Aufhebung der Habeas Corpus -Akte in den Ausnahme- gesetzen gefunden, welche das Recht der Regierung auf Suspension der staatsbürgerlichen Rechte genau beschränken und ordnen. Gegen alle diese Maßregeln als solche gibt es kein Klagerecht, sondern nur Beschwerderecht. Dagegen tritt das Klagerecht für die einzelnen Akte der Polizeigewalt ein, wenn sie ein bestimmtes, für die Sicherheits- polizei gegebenes Recht verletzt. Diese höhere Sicherheitspolizei kann, weil sie allgemeine Verhält- nisse betrifft, nur von der Regierung ausgeübt werden. Anders die folgende. Die Gesetzgebung für diese Polizei tritt erst ins Leben mit den Verfas- sungen; sie ist kein System, sondern besteht aus einzelnen Gesetzen für die ein- zelnen Aufgaben der Polizei. Das Verbindungs - und Versammlungsrecht ist meist mit dem Ver- einsrecht bis auf die neueste Zeit verschmolzen; die Unfreiheit des Vereins- wesens bestand wesentlich darin, daß man sie als Verbindungen behandelte. Da- her Erlaubniß - und Verbotsrecht für beide; doch unbedingtes Verbot geheimer Verbindungen schon in Frankreich (Decret vom 29. Sept. 1791); das Princip der Erlaubniß fortgesetzt ( Code Pén. Art. 291). Auf gleichem Stand- punkt das frühere deutsche Recht; so in allen Verfassungen (Bundesbeschluß von 1854). Dann freies Vereins- und Versammlungsrecht. Preußen: Rönne , Staatsrecht I. 100. Oesterreich : Früheres polizeiliches Vereinsrecht (Gesetz von 1852); neues freies Recht (Gesetz vom 25. Dec. 1867). Bayern : Gesetz vom 26. Febr. 1850. Vergl. Stein , Polizeirecht S. 112—115. Die Volksbewegungen im vorigen Jahrhundert noch rechtlos; dann Entstehung der französischen Gesetzgebung über Attroupements seit Gesetz vom 21. Okt. 1789, und Subsummirung unter das Strafgesetz ( Code Pén. I. 4). Darnach das deutsche Recht gebildet: Preußen (Verordnung von 1798 und 17. Aug. 1835); wichtig das Princip der Solidarität der Theilnahme und Haftung der Gemeinden (Gesetz vom 11. März 1850). Rönne , Staatsrecht II. 346. Bayern : Gesetz vom 12. März 1850 (über Haftung der Gemeinden) und Gesetz vom 4. Mai 1851 über Anwendung von Waffen. Sachsen (Gesetz vom 11. Mai 1851). Uebrigens ist das Ganze nicht sehr ausgebildet. Belagerungszustand : Grundlage die französische Gesetzgebung vom 10. Frim. an V und Hauptgesetz vom 24. Dec. 1810. In Deutschland wenig klar; meist unbestimmt unter das Wesen der Nothverordnungen (Ausnahms- gesetze) subsumirt, ohne genaue Bestimmungen. (Vergl. Mittermaier , Archiv des Criminalrechts 1849. Stein , Polizeirecht S. 124—132.) Das beste Gesetz über den Ausnahmszustand ist unzweifelhaft das österreichische Gesetz vom 5. Mai 1869 über Suspension der Art. 8. 9. 10. 12. 13 des Staatsgrund- gesetzes vom 31. Dec. 1867 bei hochverrätherischen oder sonst die Verfassung bedrohenden oder die persönliche Freiheit gefährdenden Umtrieben“ mit genauer Bezeichnung des ganzen von der Regierung einzuhaltenden Verfahrens. II. Die Einzelpolizei. Die Einzelpolizei tritt nun da ein, wo eine einzelne Persönlichkeit als solche eine gefährliche ist. Gerade nun das, daß dieser Begriff sich nicht formell definiren und daß sich andererseits das Recht der Polizei, gegen den wirklich Gefährlichen einzuschreiten, nicht bestreiten läßt, hat bis zur Entstehung der Verfassung die ganze persönliche Freiheit in das Ermessen der Polizei gestellt. Es kam daher dem neunzehnten Jahrhundert, da es das Polizeirecht an sich weder gänzlich negiren wollte noch konnte, darauf an, gerade dieß Recht der Polizei mit den möglichst genau bestimmten gesetzlichen Schranken zu umgeben. Das sind die Gesetze über die „persönliche Freiheit“ der Staatsbürger, ent- weder in der Verfassungsurkunde enthalten wie in den meisten deutschen Verfassungen, oder als selbständige Gesetze erlassen, wie die Habeas Corpus -Akte oder die vortrefflichen österreichischen Gesetze vom 27. Okt. 1862 zum Schutze der persönlichen Freiheit und des Hausrechts und Briefgeheimniß (Staatsgrundgesetz vom 21. Dec. 1867, Art. 10). Die Entwicklung dieser Gesetze enthält die Bestimmung über Recht und Ver- fahren der Polizei bei Verhaftung, Hausdurchsuchung und Beschlagnahme. Leitender — nicht immer klar festgehaltener Grundsatz: die Polizei soll stets streben, die persönliche Freiheit nur auf gerichtlichen Befehl zu be- schränken; thut sie es ohne denselben, so soll sie sofort das Gerichtsver- fahren eintreten lassen, haftet aber persönlich für das, was sie ohne Gerichtsbefehl thut. Was zu geschehen hat, wenn die Aktion der Rechts- pflege beginnt, ist nicht mehr Sache der Sicherheitspolizei und ihres Rechts, sondern der Strafrechtspflege. An diese Grundsätze hat sich eine ganze Theorie angeschlossen, welche namentlich in Deutschland noch vielfach Strafproceß und Polizei vermengt, zugleich aber in den ver- schiedenen Staaten sehr verschieden ist, vorzugsweise im Gebiete der Verhaftung und ihres Rechts. Einen ganz speciellen Theil dieser Polizei bildet endlich die Waffenpolizei , die selbst wieder zum Theil mit der Jagdpolizei zusammenhängt. Ueber das vielbesprochene und selten ganz vorurtheilsfrei betrachtete Gebiet der Einzelpolizei ist viel von Criminalisten und wenig von der Staatswissen- schaft gearbeitet. Das englische System und die einseitigen Vorstellungen darüber: Glaser , Englisch-schottisches Strafverfahren 1860; Bertrand , de la détention prévent. en France 1862. Das französische seit 1790 im Code de l’Instr. Crim. V. 50. Die deutsche Rechtsbildung auf Grundlage des eng- lischen Princips des Rechts der polizeilichen Verhaftung mit der Pflicht der Uebergabe an das Gericht binnen vierundzwanzig Stunden; nebst den Bestim- mungen über polizeiliches Haus- und Beschlagsrecht: in zu enger Verbindung mit dem Strafverfahren: Sundelin , die Habeas-Corpus -Akte 1862. Zöpfl , Staatsrecht II. 290 ff. Stein , Polizeirecht S. 133 ff. nebst den gesetzlichen Bestimmungen; die österreichischen Gesetze vom 27. Okt. 1862 und 1867 (s. oben) sind noch das Beste hierüber; die meisten Bestimmungen finden sich sonst leider ausschließlich in den Strafgesetzbüchern, die von der Polizei keine Vorstellung haben. Das Verhältniß der Gemeinde zur niederen Sicherheitspolizei noch sehr unklar; Grundlage meist wie in Preußen: nur die Feldpolizei derselben überlassen. Eintreten des Vereinswesens für Bettler und Sträflinge, nebst (mangelhaften) gesetzlichen Bestimmungen. ( Stein , Polizeirecht S. 166 ff.) B. Die Verwaltungspolizei. I. Begriff und System. Die Verwaltungspolizei im Unterschiede von der Sicherheitspolizei entsteht nun da, wo es sich nicht mehr um die in einer Persönlichkeit überhaupt liegende, sondern um eine, ein bestimmtes Lebensver- hältniß der Gemeinschaft oder Einzelner bedrohende Thätigkeit eines Einzelnen handelt. Ihre Aufgabe ist daher der Schutz eines ganz bestimmten Gebietes des öffentlichen Lebens, und da das letztere der Verwaltung überhaupt unterliegt, so ergibt sich, daß die Verwaltungs- polizei der gesammten Verwaltung inwohnend, das ist, nicht mehr eine besondere Funktion, sondern vielmehr der polizeiliche Theil der Funktion in jedem Gebiete der Verwaltung ist. Es hat diese Polizei daher auch kein selbständiges System, sondern sie erscheint in dem gesammten System der Verwaltung als der für den Schutz der letzteren bestimmte Theil der öffentlichen Thätigkeit. Es gibt daher eine Bevölkerungs-, Gesundheits-, Wege-, Post-, Kredit-, Landes-, Forst-, Bergbaupolizei u. s. w. Das bedarf mithin keiner Erklärung. Es muß nur hinzugefügt werden, daß die Bettel- und Vagabunden- polizei der gesellschaftliche Theil der Verwaltungspolizei ist und daher noch im dritten Abschnitt der Verwaltungslehre wieder selbständig auftritt. Daß einzelne Gebiete der letzteren, wie z. B. die Forstver- waltung, noch im Allgemeinen als (Forst-) Polizei bezeichnet werden, wird als historische Erscheinung wohl niemand mehr irre machen. Dagegen bedarf das Rechtsprincip und die Rechtsbildung dieser Polizei einer speciellen Darstellung. II. Rechtsprincip. Die Polizeistrafgesetze. Während nämlich die Sicherheitspolizei es nur mit der Möglichkeit einer That zu thun hat, muß die Verwaltungspolizei stets eine be- stimmte Handlung als gefährlich bezeichnen und daher dieselbe aus- drücklich verbieten . Thut sie das, so wird damit die Begehung einer solchen polizeilich verbotenen Handlung eine Verletzung des öffentlichen Willens und ist damit an und für sich strafbar . So lange nun die Strafgesetzgebung sich mit diesen Uebertretungen verwaltungspolizeilicher Verbote nicht beschäftigte, mußte das Verbot, die Strafe und das Verfahren bei solchen Uebertretungen ganz der Polizei selbst überlassen werden; sie war damit Gesetz, Verordnung und Gericht zugleich . Aus dem Widerspruch, der darin mit dem Principe des Staatsbürger- thums lag, ging nun der erste große Versuch hervor, das ganze Gebiet dieser Uebertretungen aus der Verwaltungspolizei herauszunehmen und es zu einem integrirenden Theile der Strafgesetzgebung zu machen, um statt polizeilicher Willkür wenigstens irgend ein Gesetz dafür zu haben. Das geschah zuerst durch den Code Pénal, der den Begriff der Contravention zu einem strafrechtlichen machte und die ersten Versuche eines strafrechtlichen Systems dieser Contravention im Art. 471 aufstellte. Die deutschen Strafgesetzgebungen folgten mit mehr oder weniger Be- wußtsein, und so entstand das Strafrecht der „Uebertretungen,“ die nichts anderes sind, als Vergehen gegen die Verwaltungspolizei. Allein trotz dem blieb theils die Natur der Uebertretung, da sie keine Persön- lichkeit verletzt, selbst von der des Vergehens wesentlich verschieden; theils konnte man daher auch die Folgen der Uebertretung keine rechte Strafe nennen; theils endlich genügten die kurzen Andeutungen des eigentlichen Strafgesetzbuches für das zweite Gebiet derselben nicht. So blieb der Polizei das Recht, durch ihre einseitigen Vorschriften Befehle zu geben: das war das Gebiet der Polizeiverfügungen neben den Straf- und Polizeigesetzen; sie behielt consequent das Recht, die Ueber- tretung solcher Polizeiverfügungen mit eigenen Strafen zu belegen und so entstanden die Ordnungsstrafen neben den peinlichen Strafen; und endlich ergab es sich als zweckmäßig, für diese Uebertretungen ein eigenes Verfahren vor der Polizei beizubehalten, das Polizeiver- fahren neben dem Strafproceß, dem gleichfalls aus Gründen der Zweckmäßigkeit für jene Ordnungsstrafen das Polizeigericht neben dem Strafgericht entspricht. Alle diese Rechtsverhältnisse bildeten sich nur durch ihre eigene Natur aus und zwar meistens neben der Strafgesetzgebung, also eigentlich im Widerspruche mit dem Princip, daß keine Strafe ohne ordentliches Gericht und Verfahren sein soll. Erst in der neuesten Zeit löst sich das ganze Gebiet als ein selbstän- diges von dem übrigen Verwaltungs- wie von dem Strafrecht los, und so entstehen die Polizei-Strafgesetzbücher der letzten Decennien, welche in ihrem allgemeinen Theil das Verfügungsrecht, die Com- petenz und das Verfahren der Polizei überhaupt, in dem besondern Theil das System der Uebertretungen nach dem Elemente der Verwal- tung enthalten. Es ist demnach kein Zweifel über den Standpunkt, auf dem wir jetzt stehen. Wir fassen denselben in folgender Weise. 1) Die Polizeistrafgesetzbücher sind ein nothwendiges Element des inneren Verwaltungsrechts; 2) ein eigenes dem summarischen Verfahren ent- sprechendes polizeigerichtliches Verfahren ist bei Ordnungsstrafen zweck- mäßig; und 3) da trotz der Polizei-Strafgesetzbücher dennoch nicht alle Fälle von demselben vorhergesehen werden können, so muß der Ver- waltungspolizei das Recht zum Erlaß von Verfügungen mit Ordnungs- strafen bleiben , jedoch soll diese Gesetzgebung für Ordnungsstrafen stets unter Zuziehung der Gemeinde und nur innerhalb einer bestimmten Gränze ausgeübt werden; allerdings kann sie dann sich auch auf alle Gebiete der inneren Verwaltung beziehen. Es wird die Aufgabe der Zukunft sein, auf Grundlage dieser Unterscheidung von peinlicher und Ordnungsstrafe einerseits und der Sicherheits- und Verwaltungspolizei andererseits hier zu einer genügenden Gesetzgebung und Praxis zu gelangen. Seit Berg , Allgemeines Teutsches Polizeirecht (1799) ist allerdings die Verwaltungspolizei in die Staatswissenschaft aufgenommen, aber theils mit dieser, theils mit der Sicherheitspolizei so vollständig identificirt, daß der selb- ständige Begriff damit verloren ging; Mohl hat wieder in der Präventivjustiz den ersten, aber nicht zum klaren Bewußtsein gelangten Versuch gemacht, eine selbständige Sicherheitspolizei aufzustellen. Mein Polizeirecht (Verwaltungs- lehre Bd. 4) ist durch den Mangel der obigen Unterscheidungen gleichfalls nicht klar geworden, und hat daher auch die Stellung der verschiedenen Polizeistraf- gesetzbücher und ihre Aufgabe nicht verstanden. Hier ist also noch fast alles zu thun. Der Charakter des Verwaltungspolizeirechts in England beruht darauf, daß die Polizei nur im Namen eines bestimmten Gesetzes vorgehen darf; daher gibt im Grunde nur das Parlament Polizeiverfügungen und Ordnungsstrafen (Bußen = fees ). In Frankreich dagegen beginnt die Polizei mit selbständigem Ordnungsstrafrecht, was auch in Preußen und Oester- reich gilt. Dagegen haben die süddeutschen Staaten eigene Polizeistrafgesetz- bücher: Württemberg 1837; Baden 1863; Bayern 1866. Ueber die- selben gibt es vortreffliche Commentare, aber noch keine wissenschaftliche Be- handlung. IV. Das Pflegschaftswesen. Die letzte Aufgabe der inneren Verwaltung des persönlichen Lebens tritt nun da ein, wo eines der beiden Momente der Persönlichkeit, das physische Dasein einer Person oder die freie Selbstbestimmung fehlt , und die Persönlichkeit daher, obwohl vorhanden, nicht fähig ist zu funktioniren. Da nun aber diese Thätigkeit der einzelnen Persönlichkeit ein Theil und Element des Gesammtlebens ist, so muß derselben die Fähigkeit zur Funktion wiedergegeben werden, indem das ihr fehlende Element ersetzt, und sie dadurch wieder als verkehrsberechtigte Persön- lichkeit hergestellt wird. Dieß nun kann nicht durch den Einzelnen, sondern nur mit allgemeiner Gültigkeit durch die Verwaltung geschehen; und die dafür geltenden Grundsätze bilden das Pflegschaftswesen . Die Arten des Pflegschaftswesens beruhen demgemäß auf den- jenigen Elementen der Persönlichkeit, welches eben ersetzt werden müssen. Das Vormundschaftswesen hat die Aufgabe den mangelnden selb- ständigen Willen sowohl des Mündels als der Frau zu ersetzen; im Verlassenschaftswesen fehlt der wirthschaftlichen Persönlichkeit die physische und die Verwaltung leitet daher den Proceß des Ueberganges der Güter an die Erben; in der Massenverwaltung (dem Concurs- wesen) ist dagegen die rechtliche Scheidung der wirthschaftlichen und physischen Persönlichkeit eins; der Concurs ist der wirthschaftliche Tod der letzteren und die Verwaltung leitet den Auflösungsproceß des Ver- mögens. Das Recht aller drei Arten des Pflegschaftswesens ist daher zugleich ein öffentliches und ein bürgerliches. Das öffentliche Recht enthält die Grundsätze, nach denen der Einzelne berufen und berechtigt wird, die mangelnde Persönlichkeit zu ersetzen; das bürgerliche Recht die einzelnen Folgen, welche diese Vertretung sowohl im Verkehr mit Dritten als im Verhältniß zu dem Vertreter erzeugt. Die historische Entwicklung der Rechtswissenschaft hat es mit sich gebracht, daß die wissenschaftliche Behandlung aller drei Gebiete nie als ein Ganzes auf- gefaßt worden ist, und daß man den Inhalt derselben stets ausschließlich als einen Theil des Privatrechts angesehen hat; trotzdem daß ander- seits die Gesetzgebung über Verlassenschaft und Concurswesen ihren ganz selbständigen Weg gegangen sind. Erst das Verständniß der inneren Verwaltung wird diesem großen Gebiete als dem Schlußpunkt der Sorge für das persönliche Leben des Einzelnen seinen richtigen Platz und damit seine Behandlung anweisen. Vor der Hand muß man den Inhalt dieses Rechts theils im Privatrecht, theils im sogenannten außergerichtlichen Verfahren suchen, auf die wir hier verweisen dürfen. B. Die Verwaltung und das geistige Leben . (Das Bildungswesen.) Begriff der Bildung und des Bildungswesens. Das zweite große Gebiet der Verwaltung des persönlichen Lebens ist gegeben durch das zweite Element aller Persönlichkeit, den Geist und seine Entwicklung. Den bestimmten Zustand der geistigen Entwicklung des Einzelnen als die Gesammtsumme der von ihm erworbenen geistigen Güter nennen wir die Bildung . Es ist kein Zweifel, daß die Bildung den höchsten Werth für jeden Einzelnen hat; sie ist zugleich die Bedingung und die Consequenz alles Fortschrittes; ihr Maß und ihre Tiefe sind das Maß und der Werth des Einzelnen überhaupt. Sie hat daher ihre eigenen Gesetze und ihre eigenen Gebiete, und erfüllt das ganze menschliche Da- sein mit ihrem geistigen Inhalt. Allein auch in dieser Bildung ist der Mensch kein alleinstehendes Wesen. Es hängt auch hier von allen andern ab, und wirkt mit ihr auf alle andern ein. Diese Gemeinschaft der ldung nennen wir die Gesittung ; die Gesittung ist die Bildung aller Einzelnen als die wichtigste Thatsache des öffentlichen Lebens. Damit aber ergibt sich, daß der Einzelne weder dazu bestimmt noch auch dazu fähig ist, seine Bildung für sich allein zu erwerben oder zu behal n. Wie die wichtigsten Bedingungen derselben, so liegen auch ihre bedeutendsten Folgen außerhalb der Sphäre des Einzellebens. Sind aber Bildung und Gesittung auf diese Weise Elemente und Faktoren des Gesammtlebens, so werden sie damit auch Gegenstand der für ihre eigene Entwicklung thätigen Gemeinschaft, die auch hier im Staate und seiner Verwaltung ihren persönlichen Ausdruck findet. In diesem Sinne erscheint der Bildungszustand der Bildung aller Einzelnen als die öffentliche Bildung , und demgemäß nennen wir die organische Gesammtheit der Thätigkeit in Staat und Verwaltung für die Bildung und Gesittung des Volkes als öffentliche Bildung das Bildungswesen . Das Bildungswesen ist daher die Verwaltung der geistigen Welt; es ist die Arbeit des Geistes für den Geist. Es ist ein mächtiges und unendlich wichtiges Gebiet des Staatslebens, aber es hat große Vor- aussetzungen, um zu seiner vollen Bedeutung zu gelangen. Diese Voraussetzungen liegen theils in der Erkenntniß der Gesetze, nach denen sich der Geist bildet, der Pädagogik und Methodologie , theils in dem Verständniß ihrer richtigen Anwendung durch die für die Bil- dung bestimmten Organe, das durch das Unterrichtswesen geboten wird, theils endlich in der Unterscheidung der organischen Stufen und Gebiete der Bildung, dem Bildungssystem . Das Verhältniß dieser Begriffe zu einander ist, daß in dem Bildungssysteme die praktische Verwendung der Pädagogik und Methode als Unterricht zu Geltung gelangt. Ein Bildungswesen ist daher so lange unorganisch und zum Theil sogar unverständlich, bis es zu den festen Kategorien dieses Sy- stems gelangt ist. Natürlich hat es nun Jahrtausende gedauert, bis dieser allgemeine Grundgedanke der öffentlichen Bildung eine feste Gestalt, ein klares System und ein bestimmtes öffentliches Recht angenommen hat, und bis die Erkenntniß auch wissenschaftlich feststand, daß alle Gebiete des Bildungswesens eine Einheit sind. Das gegenwärtige System desselben in Europa muß daher als das große Resultat der ganzen Geschichte des menschlichen Geistes erkannt, und daher von dem Standpunkt dieser Geschichte aus behandelt werden. Bei großem Reichthum der Literatur über die einzelnen Gebiete und da- hinein schlagenden Fragen nur geringe Berücksichtigung der Einheit derselben. Sie wurden erst im vorigen Jahrhundert in das System der Staatswissenschaft aufgenommen. ( Justi , Polizeiwissenschaft 10. Bd. S. 38. Sonnenfels , I. 80. Berg , Polizeirecht II. Hauptstück V. ) Mit unserem Jahrhundert scheidet sich die Frage in die zwei Gebiete des öffentlichen Rechts des Unterrichtswesens und der Systematik desselben. Das erste s. unten. Die systematische Behand- lung zieht sich durch die Polizei oder Staatswissenschaft ziemlich gleichförmig hindurch ( Jacob I. 146. Pölitz , staatswissenschaftliche Erziehungspolizei II. 19 Lotz , Polizei S. 379. Soden , Staatsnationalbildung (Nationalökonomie Bd. 8) letztere das bedeutendste; Mohl , Polizeiwissenschaft I. II. 2. Bezeichnend, daß die ganze Lehre von der Presse gar nicht als Theil des Bildungswesens be- handelt war, sondern nur als Polizeirecht erscheint. Stein , Bildungswesen (Verwaltungslehre Bd. V ) S. 17 ff. — Die Geschichte und Theorie der Päda- gogik meist auf die Elementarschulen bezogen, während die Methodologie für die Berufsbildung gilt; Literatur erst seit dem vorigen Jahrhundert; in unserem Jahrhundert gründlich und systematisch, aber immer nur für den Volksunter- richt behandelt. (Vergl. Stein S. 87 f.) Geschichtliche Epochen des Bildungswesens. Die Geschichte des Bildungswesens in Europa bietet einen solchen Reichthum an Erscheinungen und Einzelheiten, daß man sie nur von dem höchsten Standpunkt aus als ein Ganzes zu betrachten vermag. Thut man das aber, so erkennt man, daß bei aller noch so tief greifenden Verschiedenheit dennoch Eine große Thatsache dieß ganze Leben beherrscht, die zuletzt auch die Individualität der Culturstaaten allein ganz verständlich macht. Kein Erwerb der Bildung ist denkbar, ohne Selbstthätigkeit des Einzelnen; keine erworbene Bildung ist denkbar ohne Gleichheit des Ge- bildeten. Jedes Werden der Bildung ist daher die durch die geistigen Faktoren sich vollziehende Entwicklung der Völker zur freien Gesittung. Die großen Gestaltungen der Gesittung aber sind die Gesellschaftsord- nungen. Jede Gesellschaftsordnung hat daher ihr Bildungswesen; jedes bestimmte Bildungswesen ist der Ausdruck einer bestimmten Gesellschafts- ordnung. Und dieß nun gilt nicht bloß für jedes der drei Gebiete, sondern auch für das Verhältniß derselben zu einander und den Organismus des Bildungswesens. Die Geschlechterordnung zuerst hat kein staatliches Bildungswesen; die Bildung ist und bleibt Sache der Familie und des Einzelnen; es kann unter ihr eine große (Griechenland) und eine geringe (das alte Deutschland) Arbeit des geistigen Lebens, aber nie eine Verwaltung desselben geben. Daher mangelt gänzlich und unbedingt die Scheidung der drei Gebiete, und der Hauptgegenstand der Bildung bleibt stets die physische Bildung in Kraft, Waffen und Schönheit. Die ständische Ordnung dagegen, durch das höhere Wesen des Berufes organisirt, er- zeugt nothwendig die Berufsbildung , während sie gegen die Volks- bildung gleichgültig bleibt, und der allgemeinen Bildung sogar feindlich ist. Dadurch wird sie die Mutter der „Wissenschaft;“ denn die Wissen- schaft ist ihr die zu einem selbständigen Ganzen zusammengefaßte Berufs- bildung. Aus demselben Grunde hat jeder Stand seine Bildung und Wissenschaft, von der er die andern Stände ausschließt, und sie inner- halb seiner Körperschaft organisirt in Lehre und Recht. Jeder Stand wird dadurch zu einem selbständigen Lehr- und Prüfungskörper, und vermag es, innerhalb seiner Gränzen Großes zu leisten. Allein das Princip der Ausschließlichkeit zieht seine scharfen Gränzen; damit wird dem geistigen Leben seine höchste Natur, die Entwicklung jedes Einzelnen zur gleichen geistigen Bestimmung, genommen; die unterworfenen Klassen werden alsbald zur Bildung gar nicht zugelassen, und das Leben des Geistes erstarrt in Tradition und Formel. Hier sind es nun die großen Faktoren aller Entwicklung, welche die neue Epoche des Bildungswesens der staatsbürgerlichen Gesellschaft gründen. Der arbeitende Geist beginnt die „Wissenschaften“ als Ein großes Ganze zu begreifen und derjenige Theil der ständischen Berufs- bildung, welcher als der große Träger dieser Idee der Einheit Jahr- hunderte lang dagestanden und gearbeitet hat und noch arbeitet, ohne bisher in diesem Sinne eine Geschichte gefunden zu haben, ist die Philosophie und ihre philosophische Facultät. Der gewerbliche Besitz macht die Volksbildung zu einer wesentlichen Bedingung jedes wirth- schaftlichen Fortschrittes, und die entstehende organische Staatsidee er- kennt, daß es ihr Interesse — das Interesse des Reichthums und der Macht des Staats — und mithin auch ihre Aufgabe sei, die Allgemein- heit und Einheit der Bildung herzustellen. So entsteht das, was das Bildungswesen der staatsbürgerlichen Gesellschaft charakterisirt, die staat- liche Verwaltung und ein öffentliches Recht desselben. Doch ist diese Entwicklung eine langsame, obgleich von Anfang an alle Elemente der- selben vorhanden sind. Man kann im Großen und Ganzen drei Epochen mit selbständigem Charakter unterscheiden. In der ersten Epoche, die mit der Buchdruckerei beginnt, beschränkt sich der Staat darauf, in den Gymnasien und Universitäten eine ge- lehrte Vor- und Fachbildung theils herzustellen, theils zu ordnen; wäh- rend die Volksbildung noch dem Selbstverwaltungskörper des gewerb- lichen Besitzes, den Städten überlassen bleibt, und die allgemeine Bildung durch die bereits in ihren Grundformen entstehende Presse (Flugschriften und Bücher) vertreten wird. Aber schon in dieser Epoche zeigt sich die große organische Thatsache, daß mit dem Fortschreiten der Volksbildung die Macht der Presse immer steigt; daher die ersten Anfänge des Kampfes der Regierung mit der Presse, während die gelehrte Bil- dung rasch fortschreitet. Diese Elemente entwickeln sich weiter bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts und bilden die neue Epoche, während die wirthschaftliche Bildung sich von allen am meisten auf dem ständischen Standpunkt der gewerblichen Zunftlehrlings-Wirthschaft erhält. Das achtzehnte Jahrhundert ist nun die Epoche, in welcher die Regierungen beginnen, die Elementarbildung als Volksschulwesen in die Staatsverwaltung aufzunehmen, und die Leitung der gelehrten Vor- und Fachbildung gleichfalls derselben unterzuordnen. Dadurch entsteht zuerst der Gedanke einer Einheit des ganzen Bildungswesens, indem dasselbe jetzt auch die Elemente der künstlerischen Bildung ent- wickelt, und Staatsanstalten für die allgemeine Bildung, Bibliotheken, Museen u. s. w. herzustellen beginnt. Allein die wirthschaftliche Bil- dung bleibt noch unfrei und zufällig, und die Presse wird unter scharfe Ueberwachung gestellt. Der Charakter dieser Epoche ist der Ausschluß der freien einzelnen Arbeit für das Ganze und die Herrschaft der polizeilichen Bevormundung, die im Volksschulwesen viel Gutes wirkt, dagegen das Berufsbildungswesen vielfach beschränkt und der freien allgemeinen Bildung geradezu feindlich ist. Die dritte Epoche, das neunzehnte Jahrhundert, ist nun die Zeit des entscheidenden Kampfes der freien Bildung, sowohl mit den Resten der ständischen Wissenschaft, als mit der polizeilichen Bevormundung. Hier treten an die Stelle der Regierung das wirthschaftliche Leben und die Presse in erste Reihe. Der Erwerb wird seinerseits zu einem Beruf und die Arbeit der Presse zu einem allgemeinen Bedürfniß und Recht. Die Elementarbildung empfängt allmälig ihre gleichartige Organisation; sie wird Sache der Selbstverwaltung unter Aufsicht der Regierung; die Berufsbildung erzeugt neben dem gelehrten das wirthschaftliche Bildungs- wesen in all seinen verschiedenen Formen, und nach langem und hartem Kampfe wird die Presse frei. In dem Kampfe dieser Elemente wird nun die große Thatsache klar, daß die Bildung nicht bloß die Grund- lage der individuellen Entwicklung, sondern auch alles Werthes der Formen des öffentlichen Rechts und des Fortschrittes in Ver- fassung und Verwaltung sei; und damit verschwinden die letzten Gränzen der ständischen Epoche zwischen den Gebieten des menschlichen Wissens, das geistige Leben erscheint in seiner großen, machtvollen Ein- heit, die Verwaltung des Bildungswesens wird ein äußerliches und innerliches Ganzes, und jetzt erst beginnt das Bildungswesen der Na- tionen das zu werden, was es seinem höhern Wesen nach ist, das zur selbständigen und thätigen Organisation gewordene Bewußtsein der Völker, daß in ihm der Geist sich zum Gegenstande und Ziel seiner eigenen Arbeit erhoben hat. Allein in dieser organischen Einheit und Anschauung des Bildungs- wesens bleiben nun die drei großen Grundformen. Sie behalten nach wie vor ihr selbständiges Recht, ihre selbständige Aufgabe und ihre selbständige Geschichte. Während in dem Obigen die Idee des Bildungs- wesens gegeben ist, ist in ihnen der Inhalt desselben gesetzt; und nach wie vor muß das System des Bildungswesen zu ihnen zurückkehren. Zugleich aber entwickelt sich auf Grundlage der besondern gesell- schaftlichen Verhältnisse der einzelnen Völker Europas das, was wir die nationale Individualität derselben nennen, welche wiederum als ein wesentliches Element des Verständnisses für jedes einzelne Volk be- trachtet werden muß. Die Geschichte des Bildungswesens ist im Ganzen viel zu wenig behandelt. ( Raumer , Geschichte der Pädagogik; vergl. dazu Niemeyer , Grundsätze der Erziehung II. Bd. S. 453.) Ueber die alte Welt: Graßberger , Erziehung und Unterricht im klassischen Alterthum II. Bd. 1866. Charakteristisch ist auch hier die gänzliche Vernachlässigung des allgemeinen Bildungswesens. Dagegen ist die Geschichte der einzelnen Gebiete zum Theil sehr gründlich behandelt; namentlich das Volksschulwesen, obgleich stets mehr Rücksicht auf die Pädagogik und Theorie gelegt wird. Hier ist für das Ganze noch fast alles zu thun. (Vergl. Stein , Bildungswesen S. 16 ff. und 88 f.) Das neunzehnte Jahrhundert und sein Bildungswesen. Das neunzehnte Jahrhundert hat nun das gesammte Bildungs- wesen in die Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft aufgenommen, und dasselbe theils zum Gegenstande großer und umfassender Gesetzgebung, theils zur Aufgabe seiner das ganze geistige Leben umfassenden Bildungsanstalten, theils zum Objekt eingehender wissenschaftlicher Unter- suchungen gemacht. Es ist daher jetzt die Aufgabe der Verwaltungs- lehre, in diesem großen und so unendlich reichen Gebiete die Einheit in Auffassung und Behandlung zu schaffen, indem die für alle Theile desselben gültigen Grundbegriffe zuerst festgestellt werden. Diese sind die Elemente des Systems , die leitenden Principien für das öffent- liche Recht , die Fundamente für den Organismus , und die natio- nale Gestalt des Bildungswesens überhaupt, wobei dann jeder Theil schon hier wieder seine elementaren Grundverhältnisse zeigt, die den Inhalt des Systems des Verwaltungsrechts der Bildung abgeben. 1) Das System des Bildungswesens . Indem nun das neunzehnte Jahrhundert die ganze öffentliche Bil- dung gleichmäßig als Aufgabe der Gemeinschaft umfaßt, erscheinen drei große Grundgebiete derselben, die allerdings in Bedeutung, Inhalt und Recht so verschieden sind, daß man sie nur vom höchsten Stand- punkt des geistigen Lebens als eine organische Einheit verstehen kann. Das erste Gebiet ist das der elementaren Bildung , das wir deßhalb auch wohl das Unterrichts - oder Volksbildungswesen nennen. Das zweite ist das der Berufsbildung oder Fachb ildung, das dritte ist das der allgemeinen Bildung. In jedem dieser Ge- biete arbeitet der Geist für seine eigne Gesammtentwicklung in hundert- facher Weise; aber nicht das was hier auf geistigem Gebiete überhaupt geschieht, sondern speciell nur das, was der thätige Staat für jedes dieser Gebiete thut, ist dasjenige, was wir das öffentliche Bildungs- wesen nennen. Das System des letzteren ist daher die objektive Rechtsordnung für die Bewegung der gesammten öffentlichen Bil- dung. Und daraus entsteht dann das Rechtssystem derselben, dessen Princip wie dessen Inhalt für jeden Theil des Ganzen ein natur- gemäß verschiedenes ist. 2) Das Recht und die Gesetzgebung des Bildungswesens . Das Recht des Bildungswesens umfaßt demnach formell die Ge- sammtheit von öffentlichen Bestimmungen für die Thätigkeit der Verwaltung in Beziehung auf die Erhaltung und Ent- wicklung der Gesittung des Volkes. An sich ist die Bildung des Einzelnen absolut frei. Allein einer- seits sind ihre Bedingungen dem Einzelnen unerreichbar, andrerseits ist die Bildung des Einzelnen eine Bedingung der Entwicklung der Gesammtheit. Die Aufgabe der Verwaltung in Beziehung auf das Bildungswesen ist demgemäß eine doppelte. Sie hat einerseits die dem Einzelnen unerreichbaren Bedingungen der Bildung herzustellen, und andrerseits das ganze Maß derselben zu sichern, welches für die thätige Betheiligung des Einzelnen am Gesammtleben theils im Allgemeinen, theils für die einzelnen Berufe und ihre Ausübung gefordert wird. Damit greift die Verwaltung tief in das geistige Leben des Einzelnen hinein; und die daraus entstehenden Beschränkungen der Freiheit des Einzelnen bilden den Inhalt des öffentlichen Bildungsrechts. Indem sich nun dieß Rechtsprincip an das System des Bildungs- wesens anschließt, entsteht das, was wir das Rechtssystem der öffent- lichen Bildung nennen. Das Rechtsprincip des Volksunterrichts ist der Schulzwang mit seinen Voraussetzungen, die staatsbürgerliche Verpflichtung zur Erwer- bung der Elementarkenntnisse, auf Grundlage der confessionellen Frei- heit und der Unentgeldlichkeit des Volksunterrichts. Das Rechtsprincip der Berufsbildung ist, daß die Fachbildung und Prüfung die rechtliche Bedingung für die Ausübung öffentlicher Funktionen sei, woraus die Ordnung der Studien und das Recht des Geprüften folgen. Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 8 Das Rechtsprincip der allgemeinen Bildung ist die Freiheit , welche die Beschränkung der Verwaltungsthätigkeit auf die Verhinde- rung und Bestrafung der Rechtsverletzungen fordert, die das geistige Leben erzeugen kann. Es ist demnach nicht möglich, von einem einfachen und gleichen Rechtsprincip, und demgemäß von einer einheitlichen Gesetz- gebung für das ganze Gebiet zu reden. Denn es ist nicht die Auf- gabe der Verwaltung, ihre Thätigkeit oder ihr Recht an die Stelle der freien Thätigkeit des Einzelnen zu setzen, sondern nur das Maß und diejenige Ordnung derselben zu bestimmen, welche als Bedingung der Gesammtentwicklung angesehen werden müssen. Selbst der größte Versuch, der je den Bildungsproceß des gesammten Volkslebens der Verwaltung ausschließlich unterordnen wollte, die französische Gesetzgebung Napo- leons I., hat das nicht vermocht. Das Bildungswesen fordert daher für jedes seiner drei Gebiete mit dem selbständigen System derselben auch ein eignes Bildungsrecht; die drei Gebiete sind aber ein Ganzes in der gemeinsamen Idee der Verwaltung des geistigen Lebens der Gesammtheit. Den ersten Ausdruck dieser Auffassung der Einheit des Ganzen und der Selbständigkeit der Theile auf Grundlage der Idee der (polizeilichen) Staats- verwaltung mit der Polizeiwissenschaft des vorigen Jahrhunderts, fortgesetzt in der heutigen. Die positiven Bestimmungen in den Lehrbüchern des Staatsrechts jedoch höchst ungleichmäßig behandelt, und nicht als Einheit aufgefaßt, sondern jeder Theil für sich dargestellt. Das beste Material in Schmid , Encyclopädie. 3) Principien des Organismus des Bildungswesens . Der Organismus des Bildungswesens enthält formell die Organe und ihre Competenz, durch welche die Gemeinschaft ihre Thätigkeit für das Bildungswesen ausübt. Es liegt in der Natur der Geschichte des letzteren, daß dieser Or- ganismus in den verschiedenen Zeiten ein sehr verschiedener war, und daß jedes Land sich seine Gestalt desselben selbständig herausbildete. Dennoch ist in ganz Europa ein durchgreifender Grundzug unverkenn- bar; und dieser beruht wieder auf dem Wesen der drei Gebiete der Bildung, ihrem besonderen Inhalt und ihrer schließlichen organischen Einheit. Man muß denselben aber kennen, um unsre Gegenwart zu beurtheilen. Während in der Geschlechterordnung noch gar kein Organ für das Bildungswesen existirt, und in der Ständeordnung die Körperschaften allein die Verwaltung desselben haben, tritt mit dem polizeilichen Staat des achtzehnten Jahrhunderts zuerst der Gedanke einer einheitlichen Leitung der gesammten Bildung auf, die dann im neunzehnten Jahr- hundert im Ministerium (für Cultus und Unterricht) zum verfassungs- mäßigen Verwaltungsorganismus wird. Anfänglich beherrscht dann die Regierung in dieser Form das ganze Bildungswesen fast ausschließ- lich, bis mit der freieren Entwicklung auch hier die Selbstverwaltung und das Vereinswesen thätig auftreten, und sich neben dem öffent- lichen Bildungswesen auch das private entwickelt, das in der Form von Unternehmungen aller Art auftritt. Damit entsteht die Frage nach dem Verhältniß dieser Organe und der Einzelthätigkeit gegenüber dem Organismus der Einheit, die man gewöhnlich als die Frage der Frei- heit des Bildungswesens bezeichnet. Das Princip dieser Freiheit ist nun im Allgemeinen das Recht der Selbstverwaltung, der Vereine und des Einzelnen, die Bildung nach eigner Ansicht und Methode zu erzeugen. Die Idee der geistigen Ein- heit des Bildungswesens erscheint dem gegenüber in der Oberaufsicht der Regierung. Diese Oberaufsicht ist dann wieder je nach den drei Gebieten, in denselben je nach ihren einzelnen Theilen sehr verschieden; ihr gemeinsamer Grundsatz ist aber der, daß die Regierung auf Grund- lage der Gesetze einerseits die geistigen Gefährdungen der Gesittung zu hindern (Bildungspolizei in allen Gebieten) und andrerseits das Minimum der Bildung festzustellen und zu constatiren hat, das die Gemeinschaft von dem Einzelnen überhaupt oder von dem Manne eines bestimmten Berufes zu fordern berechtigt ist. Die große und namentlich praktische Frage nach dem rechtlichen Verhältniß, in welchem dem gemäß die Organe der Regierung als Vertreter der Einheit zu denen der Selbst- verwaltung, der Vereine und dem Einzelnen stehen, ist in Form und Inhalt eine so vielfache, daß sich nichts weiter im Allgemeinen darüber sagen läßt, als daß der Natur der Sache nach die Fachbildungsanstalten Sache der Regierung, die Volks- und Vorbildungsanstalten Sache der Selbstverwaltung, Fortbildungsanstalten für ganz specielle Gebiete Sache der Vereine, die Presse Sache des Einzelnen ist, ohne daß objektiv eine scharfe Gränze gezogen werden könnte. In der Art und Weise aber, wie sich diese Thätigkeiten faktisch in einem Lande vertheilen, spiegelt sich theils die Geschichte des Volkes, theils seine Nationalität in bedeutsamer Weise ab. Alle diese Ordnungen haben nun in jedem Volke wieder ihre indi- viduelle Gestalt. Der Charakter derselben in den drei Haupt-Cultur- völkern Europas ist der folgende. Der amtliche Organismus des Bildungswesens im Anfange dieses Jahr- hunderts: Malchus , Politik Bd. I. Neueste Zeit: Brachelli , Staatenkunde Europas S. 533 ff. Für Preußen speciell: Rönne , Unterrichtswesen der preußischen Monarchie. Oesterreich: Brachelli , das Kaiserthum Oester- reich 1868. Charakter des Bildungswesens in England, Frankreich und Deutschland. England entbehrt in seinem Bildungswesen von allen Staaten Europas am meisten der Verwaltung. Es hat kein Ministerium des Unterrichts, sondern nur das Committee for Education im Privy Council, das nur mit einem Theile des Volksschulwesens zu thun hat. Die Universities sind ganz ständische Anstalten, eben so die Colleges; der übrige Unterricht beruht auf Privatanstalten. Dagegen sind für Bil- dung und Gesittung die beiden andern Faktoren, der gewerbliche Besitz und die Presse, freier und thätiger als in irgend einem Lande Europas. Die Folge ist der stark ausgeprägte Charakter der Individualität in der Bildung, bei großem Mangel der Bildung in den untern Classen. Frankreich dagegen hat sich, nach fast gänzlicher Bewältigung der ständischen Elemente, sein Bildungswesen unter Napoleon I. durch Gesetz vom 17. März 1808 büreaukratisch als ein administratives, auf jedem Punkte unter der amtlichen Verwaltung stehendes Ganze organisirt, indem es dasselbe als Instruction publique, als reine Verwaltungsaufgabe ansah, und dem gesammten Bildungsorganismus von dem höchsten Lehrkörper bis zur mindesten Volksschule herab als „Université“ hin- stellt, welche die Instruction primaire (Elementarbildung), secondaire (Vorbildung) und supérieure (Fachbildung) umfaßt. Dadurch ist der freien Bewegung des Geistes eine enge Schranke gezogen, welche durch die Rechtlosigkeit der Selbstverwaltungskörper und des Vereinswesens noch enger und härter, und durch eine allgemeine thätige und freie Presse nicht ganz gut gemacht werden kann. Das Bildungswesen Deutschlands hat den einzig richtigen Weg eingeschlagen, indem es zunächst jedes Gebiet für sich gründlich nach allen Richtungen bearbeitet hat. Es hat dadurch die Fähigkeit behal- ten, jeden Theil des Ganzen sich in seiner Eigenthümlichkeit nach seinen Bedürfnissen und Forderungen entwickeln zu lassen, ohne doch die Lei- tung des Ganzen aufzugeben. Allerdings wird es dadurch schwer, die Einheit in Anschauung und Darstellung, in Gesetz und Thätigkeit fest- zuhalten; dafür aber wirken namentlich in neuester Zeit seit Befreiung der Presse alle drei Elemente gleichmäßig und in großer Kraft, und es ist durch dieß Zusammenwirken kein Zweifel, daß Deutschland in jeder Beziehung den ersten Rang im Bildungswesen Europas einnimmt, indem es die innere und äußere Einheit Frankreichs mit der freien individuellen Bildung Englands verbindet. Die übrigen Völker Europas haben sich nun meistens formell dem französischen, dem Inhalte nach dem deutschen angeschlossen; und so hat bei aller Verschiedenheit des Charakters der einzelnen Staaten das Bildungswesen Europas eine Gleichartigkeit der Gestaltung und des öffentlichen Rechts gewonnen, durch welche sich unser Erdtheil an die Spitze der Gesittung der Welt erhoben hat. Das Beste über das englische Bildungswesen haben die Deutschen gesagt. Historische Notizen bei Buckle , Geschichte der Civilisation I. S. 202. Ueber den gegenwärtigen Zustand namentlich Wiese , Briefe über englische Erziehung (1852), welcher vorzugsweise den Charakter, und Guglers Uebersetzung von Taylors Industry and schools 1865, welche die Institutionen, jedoch vorzugs- weise des Volksschulwesens bespricht. Das öffentliche Recht bei Gneist I. S. 326. — Frankreich hat selbst wenig Literatur über sein Bildungswesen; da das- selbe vorzugsweise unter die Verwaltung fällt, so muß man die französischen Bearbeitungen in den Werken über das droit administratif suchen. Die Ge- schichte der Université seit 1808 sehr kurz und klar bei Laferri è re , Droit publ. et admin. II. p. 265 ff. — Deutschlands Literatur ist unendlich reich im Einzelnen; doch fehlt im Ganzen genommen die eingehende Behandlung des Berufsbildungswesens, namentlich der Universitäten. Vortreffliches Material in Schmids Encyclopädie des Unterrichtswesens ziemlich über alle Staaten Europas; dazu das Werk von Hochstetter und Beer , die Fortschritte des Unterrichtswesens in den Culturstaaten Europas Bd. I. 1867. Bd. II. 1868. (Vergl. über die übrigen Länder so wie die übrigen Staaten die kurze Dar- stellung bei Stein , Bildungswesen S. 39—65.) A. Das Elementar- oder Volksschulwesen. Begriff und Elemente der Geschichte. Die Elementarbildung umfaßt ihrem formalen Begriffe nach die Gesammtheit von Kenntnissen und Fähigkeiten, welche an und für sich keinen Werth haben, sondern nur als die Bedingung jeder Bildung und Gesittung erscheinen. Das Volksschulwesen ist die Gesammtheit von Anstalten und Thätigkeiten, durch welche diese Elementarbildung als Aufgabe der Verwaltung erzeugt wird. So lange nun die Geschlechterordnung herrscht, beruht diese ele- mentare Bildung allein auf der Familie; daher hat es in der Ge- schlechterordnung wohl einzelne Schulen, wie bei den Griechen und Römern, aber nie ein Volksschulwesen gegeben. In der ständischen Ordnung entsteht allerdings der Gedanke der „Volksschule,“ aber er gehört in Auffassung und Durchführung ganz der Geistlichkeit. Erst im achtzehnten Jahrhundert beginnt mit der staatsbürgerlichen Gesell- schaft der Gedanke, daß die Volksbildung ein nothwendiges Element der Gesammtentwicklung des Staats sei. Die erste Erscheinung dieses Gedankens ist die Gründung der Gemeindeschulen , die ursprünglich nur in den Städten, dann aber sich auch aufs Land verpflanzen; dann tritt der polizeiliche Standpunkt namentlich seit der Mitte des achtzehn- ten Jahrhunderts in den Vordergrund, und zwar am kräftigsten in Preußen, welches das ganze Volksschulwesen zur Sache der Selbstver- waltung macht, theils eine höchste Behörde dafür einsetzt, theils die Ge- meinden zur Herstellung der Schulen verpflichtet , theils endlich durch systematische Gesetzgebung das innere Schulwesen ordnet. Das was die norddeutschen Staaten somit als Theil der Verwaltung lange an- erkannt und durchgeführt, ward dann durch die französische Revolution zu einem Princip der Verfassung und durch Napoleon 1808 zu einem streng administrativen System, während in Deutschland sich schon die höheren Fragen der Pädagogik an den elementaren Unterricht anschließen, und die Gesetzgebung neben der Schulverwaltung immer tiefer in die Schulordnung und das Lehrerwesen eingreift, die Aufgabe und die Er- füllung derselben immer mehr erhebend und veredelnd. England da- gegen hat es bis jetzt weder zu einem Volksschulgesetz noch zu einem Volksschulwesen, sondern nur zu einer Unterstützung des Privatschul- wesens gebracht. Die Verschiedenheit des Volksschulwesens zwischen diesen drei Ländern ist eine große und tiefgehende; aber auch in Deutschland ist sie keineswegs ganz verschwunden. Die Basis der Beurtheilung des Ganzen ist daher ein durchgreifendes System, dessen Elemente folgende sind. Charakter des öffentlichen Rechts des Elementarunterrichts. England hat auch jetzt noch den ganzen Elementarunterricht wesentlich der individuellen Fürsorge überlassen. Seine Gesetzgebung ist bis zum Revised Code nur ein Schulwesen für arme und verwahrloste Kinder: Peels Kinderarbeitsbill (42. Georg. III. 73); Einführung der District pauper schools; Zwangsschulen für Armenkinder (11. 12. Vict. 82); die Adderley Act 20. 21. Vict. 40): Zwangsschulen für verwahrloste Kinder; Einführung der Zwangsschulen; Kinder der Fabrikarbeiter: Industrial school Act (24. 25. Vict. 113. 1861); dann tritt das System der Unterstützung von Seiten der Regierung auf, die durch das Education Committee gegeben, durch Inspektoren überwacht, und an die Bedingung der Benützung staatlich anerkannter Lehrer und Innehaltung des vorgeschriebenen — höchst beschränkten — Lehrplanes gebunden ist. Grundlage das Revised Code seit 1863, jährlich mit den einzelnen neuen Bestim- mungen. Jede Schule, die keine Unterstützung braucht, ist absolut ohne alle Oberaufsicht (vergl. Wagner , das Volksschulwesen Englands in seiner neuesten Entwicklung 1865. Schmid , Encyclopädie, Art. Großbritannien und bei Stein , Bildungswesen S. 93—100). Gegenwärtig geht bekanntlich das ganze Volksschulwesen einer gründlichen Reform entgegen, in welcher England end- lich die deutschen Grundsätze über das Schulwesen bei sich einzuführen be- absichtigt. Die Sache wird gut, wenn sich die Gemeinden derselben ernstlich annehmen. — Frankreich hat das Volksschulwesen erst 1791 in seine Ver- fassung ( Tit. 1) aufgenommen mit dem Satze der Droits de l’homme: „II sera crée et organisée une instruction publique .“ Die Université Napoleons nahm dann die durch die verschiedenen Verfassungen bereits aus- gebildeten Kategorien der Instruction primaire, secondaire et supérieure als amtlichen Organismus auf, aber erst das Gesetz vom 28. Juni 1833 ist das eigentliche Volksschulgesetz, das auch durch das Gesetz von 1850 nicht geändert, aber praktisch viel zu wenig durchgeführt ist, während die Abhängigkeit der Gemeinde einerseits, und das Enseignement libre der Privatschulen ohne alle Aufsicht des Staats andererseits auch die Weiterentwicklung ernstlich in Frage stellen. — In Deutschland hat die Theorie das Volksschulwesen schon seit Mitte des vorigen Jahrhunderts in die Staatswissenschaft aufgenommen ( Justi , Bd. 10. S. 58); das preußische Generallandschulreglement vom 12. Aug. 1763 ist die erste große systematische Schulordnung für das eigentliche Unterrichtswesen. Schulrecht im Allgemeinen Landrecht II. T. 12. Vergl. Rönne , Staatsrecht I. §. 200. Die übrigen Staaten sind dann gefolgt; Oesterreich erst 1808 mit seiner „Verfassung der teutschen Schulen,“ die mit vielen Aenderungen bis jetzt galt, und erst durch das Volksschulgesetz vom 14. Mai 1869 umgestaltet ist. Seit 1848 ist nun das Princip des Volksunter- richts auch vielfach in die Verfassungen aufgenommen, eigentlich nutzlos. Aretin (Constitutionelles Staatsrecht II. S. 265) führt es in die Verfassungslehre (als „Garantie der Verfassung“) ein; Mohl in das Verwaltungsrecht (württem- bergisches Verwaltungsrecht II. S. 393 ff.); Zöpfl ins deutsche Staatsrecht §. 480. Die Auffassung vom Standpunkt der Pädagogik seit Pestalozzi, Niemeyer und Düntzer ; neueste zugleich lehrreiche publicistische Behandlung von Hohenegger und Beer . Versuch der Systematik mit Material bei Stein , Bildungswesen S. 72 ff.; encyclopädische Darstellung bei Schmid ; statistische Zusammenstellung bei Brachelli , Staaten Europas S. 533 ff. System des Volksschulwesens . Das System des Volksschulwesens enthält in der Schulordnung das Recht derselben gegenüber den Einzelnen, in dem Lehrerwesen das Recht für die Lehrer, und in der Schulverwaltung die Grund- sätze für das Verhältniß der Schule zur inneren Verwaltung überhaupt. I. Die Schnlordnung . a ) Die Schulordnung enthält zuerst in der Schulpflicht die ge- setzliche Anerkennung der staatsbürgerlichen Pflicht des Einzelnen, die Kinder zum Erlernen der elementaren Bildung anzuhalten. Das Gesetz spricht diese Pflicht aus; die Gemeinde soll ihre Vollziehung bewirken; die Regierung durch ihre Organe diese Vollziehung überwachen. Die Voraussetzung der letzteren bleibt daher ein tüchtiges Gemeindewesen; die elementare Bildung soll dem Zufall und der Willkür nicht über- lassen bleiben. Demnach gehört schon ein gebildetes Volk dazu, um sie einzuführen; aber ein noch gebildeteres, um sie überflüssig zu machen. England kennt keine Schulpflicht, nicht zu seinem Heil. Frankreich bleibt bei der allgemeinen Vorschrift stehen. Nur Deutschland hat die Schul- pflicht principiell durchgeführt, und zwar meistens zwischen dem siebenten bis vierzehnten Jahre (vergl. Brachelli , Staaten Europas S. 534; Stein S. 121 ff). Entschiedene, gewiß berechtigte Tendenz des preußischen Schul- wesens, die Kinder in die öffentliche Schule zu bringen ( Rönne I. §. 200) schon seit dem Generallandschulreglement von 1763. — Bayern : Schulzwang bis zum sechzehnten Jahre (Verordnung vom 31. Dec. 1864). — Das neue öster- reichische Schulgesetz von 1869 setzt acht Jahre Schulpflicht statt der früheren sechsjährigen und der Wiederholungsschule, mit Strafen für Nichtbesuch, und gibt den Inspektoren das Recht, sich von dem wirklichen Schulbesuch der Schulpflichtigen zu vergewissern. b ) Der Schulplan enthält zwei Theile. Zuerst das Classens ystem, und dann den Lehrplan desselben. Beide sind das Ergebniß einer langen und tiefgehenden Arbeit der Geschichte. Der ursprüngliche Lehr- plan beruht auf der Vorstellung, daß die Volksschule nur für die unterste Volksclasse existire; daher nichts als die „drei Species“ und der Religionsunterricht, und keine Schulclassen. Mit dem neunzehnten Jahrhundert fällt die Scheidewand zwischen der gelehrten und der Volks- bildung. Jetzt beginnen die Vorbildungsanstalten auch den höheren Elementarunterricht, und die Volksschule ihrerseits nimmt die Aufnahme der Elemente der allgemeinen Bildung, namentlich im Anschauungs- unterricht, in Geographie und Geschichte in sich auf; die „Bürgerschule“ und „Mittelschule“ wird die Vorbildung für das allgemeine Leben, und scheidet sich von der Elementarschule; jede von ihnen empfängt ihren Lehrplan; die Mädchen werden von den Knaben getrennt; an die Knabenschulen schließen sich die Fortbildungs - und Sonntags - schulen; aus der einfachen Volksschule ist ein System geworden, und dieses System, seiner ethischen Aufgabe immer klarer bewußt, nimmt mit unserer Zeit auch die sociale Idee mehr und mehr in sich auf; nirgends ist die tiefe schaffende Kraft der Gesittung lebendiger, als in diesem Gebiete! Kein Volk kann sich mit Deutschland vergleichen. England hat bis jetzt gar keinen öffentlichen Lehrplan gehabt; laute Klagen bei Senior , Report. — Frankreichs Classensystem ( Instruction primaire, élémentaire et supérieure ) durch das Gesetz vom 28. Juni 1833 aufgestellt, aber wenig inne gehalten. — In Preußen ersetzen örtliche Ordnungen und die Forderung des Volkes den Mangel der neuen, bis jetzt nur versprochenen Volksschulgesetzgebung ( Rönne a. a. O.; vieles auch in Wiese , höheres Schulwesen in Preußen). — Oester- reich : Gründliche Neugestaltung des Volksschulwesens (Gesetz vom 14. Mai 1869); Volksschulgesetz: Errichtung von 8classigen Bürgerschulen statt der alten 4classigen; Schulpflicht vom 6—14. Jahre. Lehrerbildungswesen: §. 43 ff.; Schullast §. 62 ff. (Gesetz vom 25. Mai 1868); Verhältniß der Schule zur Kirche; amtliche Oberaufsicht statt der kirchlichen hergestellt (Gesetz vom 26. März 1869); Errichtung von amtlichen Landes- und Bezirksschulräthen, mit Instruk- tionen vom 18. Mai und 11. Juni, und Organisation des Bildungswesens für Lehrer und Lehrerinnen (Verordnung vom 12. Juli 1869). — Speciellere An- gaben bei Schmid unter den einzelnen Staaten. Positive Literatur fehlt. II. Das Lehrerwesen. a ) Die Voraussetzung für alles, was die Schulordnung vorschreibt und beabsichtigt, ist die Lehrerbildung . Sie ist Jahrhunderte hin- durch mit der Lehre selbst nicht viel anders als ein Gewerbe gewesen. Der gebildete Lehrer war allein der Geistliche. Daher die natur- gemäße Abhängigkeit der Schule von der Kirche. Es war zugleich falsch und nutzlos, diese zu bekämpfen, bevor die Verwaltung in den Seminarien ein eigenes Lehrerbildungswesen gründete. Durch sie ist aus dem Lehrerwesen ein Lehrerberuf entstanden; und erst an diesen, der seine große ethische Auffassung seit Pestalozzi geistig erzeugt hat, schließt sich die höhere Entwicklung des ganzen Volksschulwesens. b ) Unmittelbar daran schließt sich die gesellschaftliche Stellung der Lehrer als Beamteter der Gemeinde und des Staats, die wirth- schaftliche Stellung derselben in Beziehung auf Gehalt und Ruhe- gehalt, und endlich die Selbstverwaltung des Lehrerberufs in den Lehrer conferenzen und den Lehrer vereinen. Sie sind berufen, die Entwicklung des Lehrerwesens vor allem zu fördern. England hat gar kein eigentliches Lehrerwesen; seine Lehrer haben höch- stens einen individuellen Beruf, aber keine Stellung. Erst in jüngster Zeit die „Normal school“ und das „Trinity College“ mit ihrer misdirected in- struction ( Senior , Report S. 21). Vergl. Literatur bei Stein S. 131. — Frankreich hat zuerst das Princip des „Enseignement libre“ aufgestellt, das mit der „Lehrfreiheit“ gar nichts zu thun hat, sondern die rein negative Abtrennung von der Kirche in dem Satze enthält: daß jeder Franzose mit acht- zehn Jahren auf Grundlage eines brevet de capacité, ausgestellt durch einen andern Lehrer, sich als Lehrer niederlassen kann (Gesetz vom 28. Juni 1833, T. II. §. 4). Die Stellung der Lehrer ist jedoch bei den öffentlichen Schulen eine so abhängige von den amtlichen Behörden, daß schon darum die tüchtigen Lehrer Privatschulen gründen müssen . Errichtung einer Art von Seminarien in den Ecoles normales (Gesetz von 1850. Stein S. 133). — In Deutschland Seminarien schon im vorigen Jahrhundert; das Seminarienwesen in den Auf- sätzen bei Schmid ; Auszug bei Stein S. 133 ff. Neuere Bewegung in Preußen : „Zur Vorlage des Unterrichts- und Dotationsgesetzes,“ von einem deutschen Pädagogen 1868; Erhöhung der Lehrergehalte in Baden (Gesetz vom 27. Nov. 1864). Oesterreich : Lehrerbildung (Gesetz von 1869, §. 26 ff.). III. Die Schnlverwaltung . Die Schulverwaltung entsteht nun, indem der Staat die Ver- wirklichung jener im Wesen der Schule liegenden Forderungen durch seinen Organismus verwirklicht. Sie ist zuerst allerdings eine rein örtliche, und gehört der Gemeinde. Erst mit dem achtzehnten Jahr- hundert, wo der Volksunterricht als Aufgabe der Gesammtheit aner- kannt wird, unterzieht der einheitliche Staat denselben seiner Gewalt, und jetzt wird die Schulverwaltung zu einem Systeme , indem sie das Rechtsverhältniß der Schule zum Staate, zur Gemeinde und zum Einzelnen feststellt. Aus dem ersten entsteht das, was wir den Organismus der Schulverwaltung nennen; aus dem zweiten die öffentliche Ordnung der Schullast ; aus dem dritten das Verhältniß der Privatschulen . a ) Organismus der Volksschulverwaltung . Die Organisation des Schulwesens beginnt allenthalben in den Stadtgemeinden. Ihre Grundlage ist anfänglich eine doppelte: die Schule ist entweder eine rein kirchliche Institution, oder eine städtische. Von den Städten geht die Bildung von Schulen auf das Land über, und das grundherrliche Schulwesen entsteht neben dem städtischen . Mit diesem Resultat tritt dasselbe in das achtzehnte Jahrhundert. Das dauernde Ergebniß der ersten Epoche ist der Grundsatz, daß die Schule eine Gemeindeangelegenheit sei. Das achtzehnte Jahrhundert erzeugt nun auch hier das Princip, daß die neuentstehende Regierungs- gewalt nicht bloß die Oberaufsicht, sondern auch die eigentliche Ver- waltung der Schule habe, für welche die Gemeinde nunmehr nur die Mittel bieten solle. So entsteht aus dem Gemeindeschulwesen das Landesschulwesen mit dem System der Schulbehörden . Oertlich steht an der Spitze der letzteren die Geistlichkeit; für das ganze Land gewöhnlich ein eigenes höchstes Schulorgan. Dem Princip nach herrscht der Staat, der Wirklichkeit nach die Kirche. Dieser Zustand wird nun mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts zuerst ernstlich angegriffen durch die Entstehung der Pädagogik, welche die Lehre aus einer bloßen Uebung zu einer Wissenschaft, und aus der Lehre einen der Kirche und ihrem Gebiete gleichstehenden Stand macht. Dann kommt mit dem Beginne unseres Jahrhunderts die Bildung des freien Gemeinde- wesens hinzu, und damit entstehen die Grundlagen der neuen Organi- sation des Volksschulwesens. Die Basis dieser Verwaltung ist die Oberaufsicht der Regierung, welche die Einheit in das Schulwesen zu bringen hat, und unter dem Ministerium für Unterricht durch Schulinspektoren geübt wird, andererseits die örtliche Verwaltung der Schule durch die Gemeinde, welche principiell die Herrschaft der Kirche über die Schule ausschließt, und die erstere nur noch für das Gebiet der Religion zuläßt. Zwischen Ministerium und Gemeinde stehen dann die höchsten Landesbehörden , und die Schulangelegenheiten sind mit Recht als Angelegenheiten des Landes der Landesvertretung überwiesen. Bei großen Verschiedenheiten im Einzelnen ist das wenigstens auf dem Continent die Grundlage für den Organismus der Schulverwaltung. Festzuhalten, daß bei aller Gleichheit der Form die Verschiedenheit der Organisation und ihr Charakter in der Stellung liegt, welche die Vertretung der Gemeinde namentlich in Beziehung auf den Schulplan und das Lehrer- wesen besitzt. Der Charakter Englands besteht darin, daß der Einfluß der Regierung überhaupt erst dann entsteht , wenn die Schule eine Unterstützung fordert, also ein facultativer ist. Der Charakter Frankreichs besteht darin, daß bei scharf ausgeprägtem System der Einfluß der Gemeinde durch Mangel an Selbstverwaltung ein stets geringer ist, und das Schulwesen daher nur eine formale Freiheit hat. Der Charakter der deutschen Schulverwaltung ist der Kampf der Gemeinde mit dem noch immer in vielen Theilen herrschen- den Elemente der Grundherrlichkeit und der Kirche. In den Städten ist der Sieg meistens entschieden, auf dem Lande nicht. Ihren Abschluß kann diese ganze Bewegung erst erhalten, wenn die systematische Lehrerbildung durchgeführt ist. (Vergl. das System bei Stein , Bildungswesen S. 114—121.) Interessant ist die Vergleichung zwischen Preußen, in welchem auf dem Lande noch Patrone und Geistliche die leitenden Faktoren sind, und Oesterreich mit seinem neuen Gesetze von 1869, das den Schwerpunkt in die Gemeinde legt, durch Landes- und Bezirksinspektoren das Schulwesen überwacht, und den Landesvertretungen die höchste Selbstverwaltung einräumt; Trennung von der Kirche (Gesetz vom 25. Mai 1868); Instruktion für die Bezirksschulinspektoren (Verordnung vom 18. Mai 1869); für die Landesschulinspektoren (Verordnung vom 11. Juli 1869). Neueste bedeutende Bewegung in Preußen: Gneist , die confessionelle Schule 1869, und besonders: Gneist , die Selbstverwaltung der Volksschule 1869; das österreichische Gesetz vom 25. Mai 1868 hat unseres Wissens das Princip der „confessionslosen“ Volksschule am klarsten formulirt und dasselbe auf die beiden einfachen Grundsätze zurückgeführt: 1) jede mit öffentlicher Unterstützung arbeitende Schule muß Kinder ohne Unterschied der Confession aufnehmen und 2) die Con- fession ist weder Bedingung noch Hinderniß für die Lehrerstellung an der Volksschule. b ) Die Gemeinde und die Schullast . Die historische Anknüpfung an die Gemeinde hat zuerst den Grundsatz erzeugt, daß jede Gemeinde gesetzlich zur Aufstellung von Volksschulen verpflichtet sei. Aus dieser Verpflichtung ist durch die Armuth vieler Gemeinden der zweite Grundsatz entstanden, daß bei Unvermögen der Gemeinde der Staat verpflichtet sein müsse, die Gemeinde zu unterstützen. Diese letztere Verpflichtung ist meistens dahin formulirt, daß die Gemeinde Haus, Holz, Lehrmittel ganz, der Staat höchstens die Lehrerbesoldung zu geben habe. Daran schließt die Frage nach dem Schulgeld . Es ist naturgemäß entstanden, allein mit unserem Jahrhundert durch den Grundsatz beherrscht, daß die Fähigkeit das Schulgeld zu zahlen nicht die Bedingung des Rechts auf Schulbesuch sein dürfe (Freischüler — Armenschüler). Aus diesem Grundsatz hat sich dann der höhere Gesichts- punkt entwickelt, daß das Schulgeld überhaupt aufzuheben und der Volksunterricht ganz unentgeldlich sein solle, was an sich richtig, durch das Privatschulwesen wieder sehr bedenklich wird, da sich gerade dadurch der Unterschied zwischen der besitzenden und nicht besitzenden Classe wieder herstellt. Die obigen Grundsätze gelten wohl jetzt im Wesentlichen in ganz Europa (s. die einzelnen Aufsätze bei Schmid a. a. O. und kurz bei Stein S. 123 ff.). Gegen alles Schulgeld: Gneist , Vortrag in Berlin 1869; besonders Fr. Hof- mann , die öffentliche Schule und das Schulgeld 1869. Oesterreich : Gesetz von 1869, §. 62 ff. c ) Das Privatschulwesen . Das Privatschulwesen ist das Recht jedes Einzelnen, neben der öffentlichen Schule eine Schule als Privatunternehmen zu gründen. Das Recht darauf ist die Freiheit des Unterrichtswesens, in Deutschland und England von jeher anerkannt, in Frankreich als enseignement libre erst mit der Revolution ausgesprochen. Das Recht ist an sich unzweifelhaft; allein auch die Privatschule bleibt ein öffentliches Institut als organischer Theil des Unterrichtswesens und soll daher der Ober- aufsicht der Regierung unterworfen sein. Die beiden Formen, in denen dieselbe zu Tage tritt, ist zuerst die Forderung einer öffentlichen Lehramtsprüfung für die Privatlehrer, zweitens die Gleichstellung der Privatschule mit der öffentlichen Schule in der Unterordnung unter die Schulorgane der Behörde und der Gemeinde. Diese Grundsätze sind an sich sehr einfach; sie werden erst Gegenstand des heftigsten Kampfes da, wo sich kirchliche Körperschaften des Privatschul- wesens bemächtigen und das enseignement libre als Ausschließung der Oberaufsicht verstehen. Hier ist der Punkt, wo sich das katholische und evangelische Schulwesen so tief scheiden, daß eine äußerliche Ver- mittlung unthunlich erscheint. Gänzliche Freiheit in England. In Frankreich hat sich dieselbe erst nach der Revolution als enseignement libre ausgebildet; das Gesetz von 1833 be- zieht sich noch wesentlich auf Privatschulen. Das Gesetz von 1850 macht auch die kirchlichen Schulen jeder Oberaufsicht baar. In Deutschland hat die Tüchtigkeit der Volksschule das Privatschulwesen auf die höheren Bildungsstufen beschränkt, und den Grundsatz der Prüfung der Lehrer und Oberaufsicht im Wesentlichen durchgeführt (s. Stein S. 145—147). Oesterreich : Gesetz von 1869, §. 68 ff. B. Das Berufsbildungswesen. Begriff und Princip. Unter dem Berufe an sich verstehen wir die zum Bewußtsein gekommene besondere Lebensaufgabe des Einzelnen. Der Beruf empfängt seine öffentliche Erscheinung durch die Erklärung des Einzelnen, seine Thätigkeit auch praktisch der Ausübung dieses Berufes widmen zu wollen. Dadurch entsteht der Begriff des Standes im weiteren Sinne, als der Gesammtheit derer, welche einen gemeinsamen Beruf haben. Im engeren Sinne aber bedeutet der Stand diese Gesammtheit, inso- fern sie in irgend einer Weise vom Staate als solche anerkannt ist. Beruf und Stand sind nun zunächst Sache des Einzelnen und Sache des Einzelnen ist es auch, sich an den für den Beruf gebildeten und vorkommenden Fall zu wenden oder nicht. Allein die Natur des Berufes bringt es mit sich, daß die Einzelnen sich der Berufsgenossen stets in dem Falle bedienen werden, wo es sich um Thätigkeiten han- delt, die der Ausübung des Berufes angehören. So wie das der Fall wird, so wird auch die Fähigkeit der Berufsgenossen für seinen Beruf die Bedingung dafür, daß dem Einzelnen geholfen werde. Je weiter sich nun die Berufe entwickeln, je weniger wird der Einzelne fähig, darüber zu urtheilen, ob jene Fähigkeit vorhanden ist, und je schwie- riger wird es, die Höhe der Berufsbildung sich durch vereinzelte Kraft anzueignen. Demnach wird eben dadurch die Tüchtigkeit des Einzelnen im Berufe eine der großen Voraussetzungen für die Entwicklung des Gesammtlebens. Und hier ist daher der Punkt, wo die Verwaltung eingreift und zugleich das Princip derselben entsteht. So wie nämlich mit der steigenden Gesittung die Theilung der geistigen Arbeit der Menschen in den Berufen gleichfalls steigt, so wird einerseits die Bildung für den Beruf und zweitens die Gewißheit, daß diese Bildung für die einzelnen Standesgenossen auch wirklich vor- handen sei, eine der großen Bedingungen der Entwicklung des Ge- sammtlebens. Damit entsteht die Aufgabe der Verwaltung des geistigen Lebens, für die Bildungsmittel der Berufe und für das nothwendige Maß derselben ihrerseits zu sorgen; und die Gesammtheit der dafür bestimmten Grundsätze und Einrichtungen der Verwaltung ist das öffentliche Berufsbildungswesen . Ueber die Begriffsbestimmungen von Beruf und Stand s. Stein , Bildungs- wesen S. 149 ff. Die Begriffe selbst sind wenig untersucht; die Thatsachen bekannt, aber wenig geordnet. Elemente der Geschichte . Das große System des Berufsbildungswesens, wie es sich im Laufe der Jahrhunderte ausgebildet hat, ist das Ergebniß einer der machtvollsten Arbeiten der Geschichte; das Verständniß desselben hat in unserer Gegenwart einen neuen Inhalt gewonnen. Jeder Beruf enthält stets eine höhere geistige Entwicklung des Individuums. Es ist daher natürlich, daß die Berufsbildung stets die entschiedene Neigung hat, eine Bildungsform der höheren Klassen der Gesellschaft und eine der Grundlagen ihrer Herrschaft über die niederen zu werden. Die Entwicklung der Freiheit greift nun diese Thatsache an; ihr großes Ziel ist es, den Beruf mit seinem ethischen Inhalt und seinem geistigen Besitzthum allen Klassen der Gesellschaft gemeinsam zu machen — nicht etwa die Berufsbildung an sich auf- zuheben oder zu beschränken. Das ist das große Princip in der Ge- schichte des Berufsbildungswesens und der Standpunkt für die Beur- theilung des Charakters desselben in jeder bestimmten Zeit und in jedem Lande. Und aus ihm ergeben sich die leitenden Grundsätze, welche die Entwicklung des Berufsbildungswesens als Aufgabe der über jedes Sonderrecht und jedes Sonderinteresse erhabenen Staatsidee und ihrer Verwirklichung in der inneren Verwaltung erfordern. Der erste dieser leitenden Grundsätze in der Geschichte ist dem- nach der, durch das Eingreifen der Verwaltung jeden Beruf für jeden zugänglich zu machen; der zweite ist der, jeder Lebensaufgabe eine selbständige Berufsbildung zu geben; der dritte ist der, jede selbstän- dige Berufsbildung mit den Elementen der allgemeinen Bildung und darin die höhere Einheit des geistigen Lebens für alle mit der vollsten Entwicklung in jedem Theile zu verbinden. Das erste ist das sociale , das zweite ist das wissenschaftliche , das dritte ist das ethische Princip des Berufsbildungswesens. Und die Geschichte desselben im höheren Sinne ist daher die allmählige Verwirklichung nicht bloß dieser oder jener vollkommenen Berufsbildungsform, sondern der langsame, aber sichere Sieg dieser drei großen Principien im Bildungswesen Europa’s, so daß erst durch sie das System des Berufsbildungswesens in seiner ganzen, nicht mehr bloß formalen Bedeutung eben so ver- ständlich wird, wie die Elemente der positiven Geschichte desselben. Diese nun sind an sich einfach. Die Geschlechterordnung kennt nur die Herrschaft der Geschlechter über die Geschlechterlosen. Das Mittel dafür ist die Waffe und das Gericht. Die Bildung ist daher in dieser Ordnung zuerst nur auf die Glieder der herrschenden Geschlechter beschränkt, dann enthält sie nichts als Waffenbildung und die Bildung für die Rechtspflege im Volksrechte, neben völliger Bildungslosigkeit der beherrschten Classe. Die Ständeordnung ihrerseits ist eben nichts anderes, als die Ordnung der ganzen Gemeinschaft nach den zu herrschenden Stän- den erhobenen Berufen. Naturgemäß stellt sie daher den rein geistigen Beruf in der Geistlichkeit an die Spitze, neben sich durch die Aufnahme der Geschlechterordnung den Waffenberuf und unter sich den gewerb- lichen Beruf in Zunft- und Innungswesen. Sie ist ein unendlicher Fortschritt gegenüber der Geschlechterordnung; mit ihr erwacht das geistige Leben, und im Grundsatz ist wenigstens in Kirche und Zunft auch das Mitglied der beherrschten Classe nicht ausgeschlossen. Allein das körperschaftliche Element, das diese ganze ständische Welt durch- dringt, schließt faktisch diese Körperschaften in geistiger wie zuletzt auch in gesellschaftlicher Beziehung von einander ab, und so entsteht der Charakter des ständischen Bildungswesens, dem bei wenn auch großer, so doch einseitiger wissenschaftlicher Bildung sowohl das sociale als das höhere ethische Element verloren zu gehen droht. Das ist nun der Punkt, auf welchem sich die welthistorische Er- scheinung der Universitäten entfaltet. Das große Princip der Uni- versitäten ist geistig die Idee der Einheit aller Wissenschaft, die wieder in den Fakultäten als Berufsbildungsanstalten erscheinen, während es die große nie genug gewürdigte Aufgabe der philosophischen Fakultät war und ist, eben die Einheit der Fakultäten zum wissenschaftlichen Ausdruck zu bringen; gesellschaftlich das Princip der freien Zulassung jedes Einzelnen zur Universität, die Negation des ständischen Unter- schiedes in dem „akademischen Bürgerthum.“ An diese Macht der Uni- versitäten schließt sich ihr zweiter Einfluß. Durch sie scheidet sich die Vorbildung von der Fachbildung . Das „Gymnasium“ und die „Schola“ werden Vorbildungsanstalten und die wissenschaftliche Bildung empfängt ihre erste Organisation . Das ist der Anfang des eigent- lichen Berufsbildungswesens Europa’s. Allein auch die Universitäten und selbst die Gymnasien und hohen Schulen behalten doch den ständischen Charakter. Nicht allein daß sie ständische Körperschaften bilden, sondern ihr Grundcharakter bleibt der Satz, daß es doch zuletzt keine höhere Bildung außer der Universitäts- bildung und daß es keinen wahren Beruf außer dem auf der „classischen Gelehrsamkeit“ beruhenden gebe. Ein großer Fortschritt bleibt daher zu machen; es ist der, die Idee, die Aufgabe und die öffentliche An- erkennung des Berufes auch außerhalb der Universität, im Gesammt- leben des Volkes, zu finden. Und diesen Schritt thut das achtzehnte Jahrhundert. Das achtzehnte Jahrhundert ist der Wendepunkt in der Geschichte des Berufsbildungswesens von Europa. Sein Inhalt ist das Auftreten des wirthschaftlichen Berufes und seine Berufsbildung. Und gleich die erste Grundlage dieser neuen Berufsbildung zeigt ihre Eben- bürtigkeit. Sie beginnt einerseits mit der völligen Negation des Werthes der gelehrten Bildung, die von Frankreich ausgehend ihren geistreichen Vertreter in Rousseau und seinem Emile findet, gleichzeitig aber mit der positiven Gestaltung der Realschule in Deutschland. Sie findet sogar in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ihren Platz an den Universitäten in der Cameralwisssenschaft , dieser Mutter der Staatswissenschaft. Allein zu einer staatlichen Anerkennung bringt es die Idee des wirthschaftlichen Berufes in diesem Jahrhundert doch nicht, während die ersten Anfänge des künstlerischen Berufes mit seiner Bildung bereits sich an die Galerien und Theater anschließen. Erst das neunzehnte Jahrhundert bringt die Vollendung dessen, was das acht- zehnte begonnen hat. Seine allgemeine Bildung steht viel zu hoch, um den Werth der classischen Bildung zu verkennen; allein das große Princip der staatsbürgerlichen Gesellschaft hat gesiegt: es gibt auch im Begriffe wie im öffentlichen Rechte des Berufes kein Vorrecht mehr; jeder Beruf ist dem andern gleich; jeder Beruf hat seine Berufsbildung zu fordern; der Staat hat in gleicher Arbeit alle Gebiete des menschlichen Lebens mit seiner höchsten Bildungsaufgabe zu umfassen, und so entsteht das, was das neunzehnte Jahrhundert auch hier zur entscheidenden Epoche im geistigen Leben der Völker macht; das ist das Berufsbildungswesen unserer Zeit. Das was das Berufsbildungswesen umfaßt, gibt nun ein so reiches und mannigfaltiges Bild, daß nur eine strenge systema- tische Auffassung im Stande ist, die Summe seiner Erscheinungen zu beherrschen. Diese Elemente aber, die der Betrachtung alles Einzelnen zum Grunde liegen müssen, sind einfach. Das ganze Gebiet theilt sich in das System und das öffentliche Recht des Berufsbildungs- wesens, und die Darlegung der höchsten Principien beider wird zeigen, daß trotz des Mangels aller Codifikation und selbst aller systematischen wissenschaftlichen Behandlung, und trotz der tiefen Verschiedenheit der Berufsbildung bei den großen Culturvölkern dennoch Ein Geist das Gesammtleben Europa’s auch hier beherrscht. Der Charakter der Literatur über die Geschichte des Berufsbildungs- wesens ist einfach in ganz Europa die noch immer herrschende Trennung derselben von der Geschichte des Volksschulwesens einerseits, und das zum Theil gründliche Eingehen auf die Geschichte einzelner Erscheinungen, ohne die Einheit aufzufassen. — Der Charakter der Gesetzgebung ist wesentlich ver- schieden in England, Frankreich und Deutschland. In England fehlt jede Gesetzgebung über das Vorbildungswesen, und die Fachbildungsanstalten ( Uni- versities und Colleges ) sind rein ständische Körperschaften. In Frankreich dagegen, das bis zur Revolution ganz den Charakter der deutschen Berufs- bildung, jedoch ohne Realschulen und Cameralwissenschaften hat, der erste große Versuch einer Codifikation des ganzen Berufsbildungswesens als der „Université“ seit 1808, unverändert bis jetzt geltend. In Deutschland dagegen neben der körperschaftlichen Selbstverwaltung der Universitäten die allgemeine Gesetzgebung über das Vorbildungswesen in Gymnasien und höhern Schulen, und vielfache einzelne Gesetze auch über das Universitätswesen, jedoch bisher ohne formale Einheit in der Legislatur und ohne System in der Theorie. Das System des Berufsbildungswesens. Das System des Berufsbildungswesens nun, wie es sich mit dem neunzehnten Jahrhundert ziemlich definitiv gestaltet hat, beruht auf zwei allgemeinen Grundlagen. Die erste ist die grundsätzliche Unter- scheidung zwischen Vorbildung und Fachbildung , die zweite ist die Aufstellung und Durchführung der drei großen Kategorien des Berufs- bildungswesens, der gelehrten , der wirthschaftlichen und der künstlerischen Berufsbildung. Das Element der allgemeinen Ent- wicklung dieses Systems beruht dann auf denjenigen Institutionen, welche das Uebergehen von einem Gebiete in das andere enthalten. Die besondere Entwicklung dagegen wird festgehalten durch den Grund- satz, daß jeder Beruf zugleich sein eigenes Vorbildungswesen besitzen soll und besitzt. Darnach sind die formalen Elemente des Systems einfach. An sie muß jede Vergleichung sich anschließen. a ) Die gelehrte Berufsbildung beruht nach wie vor auf der classischen Bildung oder der Vorbildung für jede gelehrte Fach- bildung. Die Vorbildungsanstalten sind die hohen Schulen oder Gym- nasien. Die großen Fachbildungskörper sind die Universitäten ; die Fachbildungskörper für die einzelnen Berufe sind die Fakultäten , in denen die philosophische Fakultät wieder die doppelte Aufgabe hat, theils der Fachbildungskörper für das Lehrerwesen der Vorbildungsanstalten, theils aber auch die Vertreterin der höchsten wissenschaftlichen Einheit aller speciellen Fachbildung zu sein, während die Naturwissenschaften wieder die höchste wissenschaftliche Form der wirthschaftlich-technischen Bildung, die Staatswissenschaften aber endlich die höchste wissen- schaftliche Form der allgemeinen Bildung enthalten. Das ist das organische Wesen der Universitäten. In ihrer formalen Ordnung und Eintheilung herrscht selbst in Deutschland noch so viel Unklarheit, daß es formell unthunlich ist, diese Kategorien durchzuführen. Der Sache nach ist jedoch kein Zweifel vorhanden. Ein wesentlicher Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 9 Mangel ist und bleibt dagegen die Unfertigkeit des Verhältnisses der Universitäten zu den höchsten wirthschaftlichen Bildungsanstalten. Ver- ständniß und Ordnung dieses Gebiets wird die Aufgabe der nächsten Zukunft sein. b ) Die wirthschaftliche Berufsbildung geht zunächst in den Gewerbeschulen aller Art aus der Volksbildung hervor, erhebt sich aber im Realschulsystem zum Vorbildungswesen für die Fachbildung, und diese nun hat hier zwei Grundformen. Die erste ist diejenige, welche wir die technische nennen müssen und deren Organ die poly- technischen Institute sind; die zweite besteht in einer Reihe von wirthschaftlichen Specialschulen , wie Landwirthschafts-, Handels-, Bergbau- und anderen höheren Lehranstalten. In diesem Organismus ist kein fester Abschluß und die Verhältnisse des wirthschaftlichen Lebens verbieten einen solchen. Die große Frage dieses Fachbildungswesens ist ohne Zweifel das Verhältniß zu den Universitäten. Sie kann nicht gelöst werden ohne eine gründliche Organisation der Staatswissenschaft und der Naturwissenschaft. Wir stehen hier noch auf dem Standpunkt, daß England das wirthschaftliche Berufsbildungswesen gar nicht kennt, Frankreich es in seinem viel besprochenen „Bifurcationssystem“ in der Vorbildung zu viel, in der Fachbildung zu wenig mit der wissenschaft- lichen Bildung in Verbindung gebracht hat, während Deutschland beide Gebiete formell von oben bis unten sondert und sie nur in der Sache selbst, zu sehr nur geistig, verbindet. Dennoch ist mit Recht Deutsch- land das Vorbild, und wird es bleiben. c ) Das künstlerische Berufsbildungswesen hat seine Vorbildung in doppelter, die Fachbildung in vielfacher Form gefunden. Die Vor- bildung besteht nämlich theils in der Aufnahme des Zeichnens in die Gewerbeschulen, theils in selbständigen Vorbildungen der Akademien . Diese selbst sind dann nur für die bildende Kunst, während Musik und Tanzfachbildung für sich bestehen. Das Ganze ist für das Ganze der Berufsbildung noch zu wenig beachtet. Dieses nun sind die festen Elemente des Systems. Sie gestalten sich allerdings wesentlich anders bei den verschiedenen Völkern und die künftige vergleichende Staatswissenschaft hat hier eine eben so große als schöne Aufgabe. Bei ungemein reicher Literatur über einzelne Erscheinungen und Fragen mangelt die einheitliche Auffassung des Berufsbildungswesens sowohl in Be- ziehung auf Geschichte als auf Systeme. Nachrichten über die alten scholae bei Vitriar . T. III. V. 35. Erste systematische Anschauung bei Seckendorf , Teutscher Fürstenstaat 1666. II. 4. Mit dem Ende des achtzehnten Jahrhun- derts nur noch vom Standpunkte des öffentlichen Rechts behandelt. Streit des Realismus mit dem Humanismus; Entstehung der wirthschaftlichen Vor- bildung seit Mitte des vorigen Jahrhunderts: „Realschulen sind die Lyccen des Bürgerstandes“ Rottenhauer 1795. Gewerbeschulen erst im neunzehnten Jahr- hundert, in gleichem Schritt mit der Gewerbefreiheit. Die „Gymnasialfrage“ hauptsächlich seit den zwanziger Jahren in Anregung: Thiersch , Ueber ge- lehrte Schulen. Die Literatur wie die Gesetzgebung hat hier durchgehend den Charakter der Oertlichkeit, trotz der großen Gleichartigkeit der Grundlage. Statistik: Brachelli , Staaten Europas S. 535 ff. „Humanismus und Realis- mus“ Schmid , Encyclopädie. Geschichte der Universitäten noch immer nur Meiners tüchtige, aber sehr unvollständige Arbeit; Kink , Geschichte der Wiener Universität. — Cameralistische Fachbildung seit Mitte vorigen Jahr- hunderts Stein S. 267; theoretische Literatur der technischen Bildung seit Dingler : Nothwendigkeit der Gründung einer polytechnischen Akademie 1821. Vorbild dafür war und blieb Frankreich, obwohl man es nur wenig kannte. Das Material für Studien bei Stein , Bildungswesen S. 191—282. Ueber künstlerisches Bildungswesen existiren gar keine Arbeiten. Stein S. 282—286. — Der Charakter der Berufsbildung in Frankreich ist ein wesentlich von dem deutschen verschiedener. Der Ausdruck Université bedeutet nicht die Uni- versität, sondern die Gesammtheit des ganzen staatlichen Bildungswesens, ein- getheilt in die Instruction primaire (Volksschule), secondaire (Vorbildungs- wesen, lycées und gymnases ) und supérieure ( facultés der einzelnen Fach- wissenschaften). Eine Universität im deutschen Sinne gibt es in Frankreich überhaupt nicht. Die wirthschaftliche Vorbildung als section des sciences mit der gelehrten als section des lettres in den Lyceen verbunden; die Spitze der ersteren in der Ecole polytechnique (untergeordnet) und dem Conservatoire des arts et métiers (höchste Bildungsanstalt die „gewerbliche Universität.“ Dar- stellung bei Stein , nebst den Specialschulen S. 286—318). — Ueber Eng- lands Berufsbildungswesen, das in seinen Universities und Colleges ganz den ständischen Charakter hat, und kein öffentliches System zu entwickeln ver- mochte, vergl. V. Huber , Engl. Universitäten; Wiese , Briefe über englische Erziehung 1852; Gneist (Verfassung der Universitäten) Verwaltungsrecht I. S. 142. Stein S. 319. 331. Gerando , Bienf. publ. über die Origine des écoles d’industrie in den verschiedenen Staaten Europas II. S. 524; über den Plan Pitts zur Organisirung derselben und den Zustand zwischen 1830 und 1840 ebend. S. 552. Das Berufsbildungsrecht. Das öffentliche Recht der Berufsbildung entsteht nun da, wo der Staat durch seine Anstalten die Berufsbildung in Fach- und Vorbildung einerseits möglich macht, andererseits im höchsten Gesammt- interesse die wirklich gewonnene Berufsbildung zur rechtlichen Bedin- gung für die Ausübung des Berufes erhebt. Aus dem ersten Punkte entsteht die Lehrordnung mit der Lern- und Lehrfreiheit, und die Studienordnung; aus dem zweiten das Prüfungswesen . Beide sind jedoch sehr verschieden, sowohl für die Vorbildung, als für die einzel- nen Berufe andererseits. Für die ersteren sind sie beide nothwendig und allgemein; für die zweite sind sie nur für die gelehrte Fachbildung ganz durchzuführen, während für die wirthschaftliche Fachbildung die Prüfung nur theilweise nothwendig, theilweise frei, für die künstlerische Bildung dagegen unthunlich ist. Daher haben einerseits die Vorbil- dungsanstalten, andererseits die Fachbildungskörper jede ihr eigenes Rechtssystem , dessen Elemente sehr einfach, dessen Einzelheiten sehr mannichfaltig, und dessen Codifikation in Einem Gesetze weder thunlich noch auch wünschenswerth ist. Die gesetzlichen Bestimmungen beziehen sich daher fast nur — mit Ausnahme Frankreichs und seiner Univer- sité, die wieder das ganze wirthschaftliche und künstlerische Bildungs- wesen nicht kennt — auf die einzelnen Anstalten. Die Einheit in diesem großen Ganzen liegt daher in der Aufgabe der Regierung; die wahre Bedeutung des Ministeriums des Unterrichts erscheint erst dann, wenn man neben dem Princip der Selbständigkeit jedes Lehr- körpers zugleich die Idee des einheitlichen Berufsbildungswesens festhält. Denn diese in jedem Theile festzuhalten, ist eben die wahre Aufgabe der höchsten Verwaltung des Bildungswesens. Der wesentliche Inhalt jener beiden großen Gebiete des öffentlichen Rechts der Berufsbildung ist nun folgender. a ) Die Lehrordnung . Das erste Princip der Lehrordnung des neunzehnten Jahrhunderts ist das der Lern- und Lehrfreiheit . Sie ist in der That wesentlich negativ . Sie ist der Grundsatz, daß nachdem die großen Grundlagen aller Berufsbildung feststehen, die in- dividuelle Lehrthätigkeit und die individuelle Selbstbestimmung für die Bildung entscheidend sein sollen. Sie hebt die formelle Ordnung auf, und setzt an ihre Stelle die freie Thätigkeit. Ihre Voraus- setzung aber ist der Gewinn des festen wissenschaftlichen Minimums jeder Berufsbildung; ohne sie wird sie zur Ungründlichkeit. Ihre bei- den praktischen Hauptanwendungen sind einerseits die freie Zulas- sung von Vorbildungsanstalten als Privatunternehmungen, andererseits die Freiheit im Uebergang von einem Berufe zum andern. Auf diesem Gebiete sind freilich sowohl die Grundsätze als ihre organische Ausfüh- rung noch sehr unklar und im Werden begriffen. Die Studienordnungen enthalten die gleichmäßigen Vorschriften für den Plan und die Disciplin der Studien durch die Schüler, als Gränzen der Lernfreiheit. Sie sind naturgemäß für jeden Zweig der Berufsbildung verschieden, haben für die Vorbildungsanstalten den Charakter von Vorschriften, für die Fachbildungsanstalten den Charakter eines fachmännischen Rathes; ihre Handhabung ist dem Lehrkörper überlassen, während die wirthschaftliche Verwaltung fast ganz dem- selben entzogen, und der Regierung übergeben ist. b ) Das Prüfungssystem wird in dem Maße wichtiger, in welchem die Lernfreiheit die Strenge der Studienordnung durchbricht. Es ist kein Zweifel, daß hier die schwierigste Frage der nächsten Zu- kunft liegt. Durch die frühere ständische Gestalt des gelehrten Unter- richts hat namentlich Deutschland große Neigung, auf diesem Gebiete überhaupt zu viel zu thun und zu fordern , während England entschieden zu wenig thut, und Frankreich die Sache vorwiegend formell und ziemlich systemlos behandelt. Nur Deutschland hat daher ein aus- gebildetes Prüfungssystem und Prüfungsrecht , das übrigens hoffentlich einer Neugestaltung entgegen gehen wird. Die Grundlage ist die Unterscheidung der drei Kategorien des Prüfungswesens der Classenprüfung als Bedingung für die Benützung einer bestimmten Abtheilung der Berufsbildung, die Berufsprüfung als Beweis der für den Beruf erforderlichen Minimalbildung, und die Dienstprüfung als Bedingung für die Ausübung bestimmter öffentlicher Berufe. Die Theorie mangelt fast ganz; das positive Recht ist sich über das Classen- prüfungswesen ziemlich einig, dagegen wenig über Inhalt, Form und Verhältniß der Berufs- und Dienstprüfung; die neuere Zeit erkennt jedoch mehr und mehr, daß es dabei vor allem auf die Organisirung der Prüfungsstellen ankommt. Hier nun waltet noch eine große Ver- schiedenheit in Auffassung und Einrichtungen ob; dennoch steht es schon jetzt fest, daß die beiden Bedingungen einer guten Prüfung einerseits die Oeffentlichkeit derselben, andererseits das Herbeiziehen von Fachmännern als Examinatoren sind. Auf diesen Grundlagen wird das Prüfungswesen der Zukunft beruhen. Auch hier die Erscheinung, daß die Literatur der einheitlichen Auffassung ermangelt, während sie über einzelne Punkte in hohem Grade reich, jedoch un- gleichmäßig entwickelt ist. Es gibt bisher keinen andern Versuch als Stein , Bildungswesen S. 149 bis Ende. — In Deutschland hat jedes Gebiet seine eigene Gesetzgebung , und diese ist wieder in den einzelnen Ländern ver- schieden. Ziemlich gleichmäßig geordnet ist das Gymnasialwesen. Schmid , Encyclopädie unter den einzelnen Ländern; Stein S. 212 ff. Realschul- wesen seit 1817 zuerst in Preußen als Gewerbeschulwesen organisirt, von da an allmählige Ausbildung bis zur Gegenwart, Stein S. 256 ff. Wirth- schaftliche Fachbildungsordnungen Stein S. 277 ff. Prüfungswesen : Zusammenstellung Stein S. 170—176. Statistik bei Brachelli S. 542. Die Gesetzgebung Frankreichs ; allgemeiner Charakter ebend. 45—52; speciell S. 295 ff.; Block , Dictionn. v. Instruction. Schmid , Encyclopädie Art. Frankreich (Bücheler). Beer und Hochstetter , Fortschritte des Unterrichts- wesens. 1867. 1. Bd. Speciell das sog. „Bifurkationssystem.“ Bücheler a. a. O. Stein S. 299. Specialanstalten ebend. S. 307. — In England mangelt alles allgemeine Recht; jede Berufsbildungsanstalt beruht theils auf dem alten rein ständischen Recht, sogar mit eigener wirthschaftlicher Verwaltung, wie die Universities und die meisten alten Colleges, theils sind sie Vereinsanstalten oder Unternehmungen. Recht: Gneist I. S. 141. Huber , Engl. Universi- täten II. Bd. Stein S. 328 ff. C. Die allgemeine Bildung. Wesen und System derselben. Die allgemeine Bildung ist nun diejenige geistige Entwicklung aller Einzelnen, welche nicht mehr einen bestimmten Zweck, sondern die ge- sammte geistige Entwicklung des Einzelnen zum Inhalt hat. Sie ist daher das geistige Leben der Gemeinschaft als solches; sie ist zugleich Ergebniß und Grundlage jeder besonderen Bildung; sie ist die geistige Gesittung der Menschheit, und in ihrer nationalen Gestalt die höchste Individualität jedes Volkes. Aber ihr Lebenselement ist die Idee der gleichen und gemeinsamen Bestimmung aller Menschen. Es ent- steht daher auch eine allgemeine Bildung in den beiden Gesellschafts- ordnungen, welche auf der rechtlichen und socialen Ungleichheit der Menschen beruhen; allein in der Geschlechter- und Ständeordnung ist sie nur das natürliche Resultat der geistigen Einzelarbeiten. Das höchste Kennzeichen der staatsbürgerlichen Gesellschaft ist dagegen, daß hier das Wesen und der Werth der allgemeinen Bildung zuerst zum Be- wußtsein kommt, und dann in den höheren Stadien Gegenstand der selbständigen Arbeit der Gemeinschaft wird. Auch diese Arbeit bleibt nicht bei allgemeinen Thatsachen stehen, sondern nimmt allmählig bekannte Formen an, die ihrerseits sich wieder mit bestimmten Rechten umgeben; auf dem Verständniß dieser Formen beruht dann die Wissen- schaft der allgemeinen Bildung, als organischer Theil des Bildungs- wesens; und so entsteht das, was wir das System des allgemeinen Bildungswesens nennen. Das System wird nun von dem Princip beherrscht, daß jede all- gemeine Bildung eine freie ist. Freiheit heißt hier, daß jeder sich die allgemeine Bildung selbstthätig aneigne, und daß jeder dafür in seiner Weise arbeite. Diese Thätigkeit für die allgemeine Bildung, diese Thätigkeit für dieselbe vertheilt sich daher an den Organismus des Lebens, und so entstehen die Grundformen derselben. Die Aufgabe des Staates ist dabei die, die öffentlichen Gefähr- dungen der Gesittung zu bekämpfen; die Aufgabe der Selbstverwaltung und des Vereinswesens ist es, die Mittel für dieselbe herzustellen und zu verwalten; die Aufgabe des Einzelnen, mit seiner individuellen Ar- beit für das Ganze beizutragen. Aus dem ersten Element entsteht die Sittenpolizei , aus dem zweiten die öffentlichen Bildungsan- stalten , aus dem dritten die Presse . Jedes von ihnen hat seine reiche Geschichte, sein Recht und seine nationale Gestalt; aber keines wird von dem andern ersetzt, sie wirken gemeinschaftlich und es ist viel gewonnen, wenn man sich dieß lebendige Zusammenwirken zum Bewußtsein bringt. Frühere Auffassung als „Culturpolizei,“ der das polizeiliche Element zum Grunde lag, ohne viel auf die andern Gebiete Rücksicht zu nehmen. Eine systematische Auffassung erst in Mohls Polizeiwissenschaft. Dagegen fehlt fast allenthalben, namentlich im öffentlichen Recht, das Verständniß der Presse als Bildungselement (vergl. Stein , Allgemeine Bildung und Presse S. 1—15). I. Die Sittenpolizei. Der Begriff der Unsitte ist so alt wie die Geschichte, aber ihr Recht ist sehr verschieden. In der Geschlechterordnung gibt es fast nur die geschlechtliche Unsittlichkeit, die aber sehr hart bestraft wird; in der ständischen Ordnung entwickelt jede Körperschaft die eigene Sittenord- nung und wacht darüber mit Strafen; erst im Polizeistaat entstehen Be- griff und Recht der öffentlichen Vergehen gegen die Sittlichkeit, die zuerst als Sittenzwang (Unmäßigkeitsstrafen aller Art) auftreten, und in der neuesten Zeit durch den Grundsatz beherrscht werden, daß nicht das Unsittliche an sich, sondern nur die öffentliche Verletzung der Sitte verboten und strafbar ist. Das gesetzliche Strafrecht der Un- sitte zuerst im Code Pénal art. 471; von da geht es in die neueren deutschen Strafgesetzgebungen über, bis es sich in den Polizeistraf- gesetzbüchern wieder selbständig hinstellt. Sie sind daher die Quelle des Rechts der Sittenpolizei; daneben gelten eine Reihe von Einzel- bestimmungen, namentlich über die Fälle der Unzucht , der öffentlichen Unmäßigkeit (Trunkenheit ꝛc.), der Glück sspiele , der Feiertage und endlich der Thierquälerei . Die bisherige Polizeigesetzgebung hat diese Hauptgebiete nur zum Theil zu verarbeiten vermocht. — Die Verwaltung der Sittenpolizei ist meist Sache der Selbstverwaltungs- körper. Das geltende Recht der Sittenpolizei ward zuerst in den „Polizeirechten“ der vorigen Jahrhunderte ( Justi, Berg u. a.) verarbeitet, verflacht sich in den „Polizeiwissenschaften“ unseres Jahrhunderts zu allgemeinen Sätzen, er- scheint dagegen in den Bearbeitungen des Verwaltungsrechts der einzelnen Staaten (Mohl, Pözl, Stubenrauch, Roller, Jolly u. a.) und wartet wie oben gesagt, auf eine systematisch und von einem höhern Standpunkte aufgefaßte Polizeigesetzgebung (vergl. das System und Material Stein a. a. O. S. 11—27). Ueber die Sonn- und Feiertagsordnung in Oesterreich Leonhardt , Verhandl. des niederösterr. Gewerbevereins 1867. II. Die Bildungsanstalten. Wesen und Bedeutung der Bildungsanstalten sind bisher weder in der Wissenschaft noch in der Praxis zu ihrer wahren Entwicklung ge- diehen. Allerdings gehören sie der staatsbürgerlichen Epoche, und ihr Princip ist das der freien und unentgeldlichen Benützung zum Zweck der allgemeinen Bildung. Allein bisher sind sie fast nur noch vom Staate gegründet und verwaltet; das Verständniß ihrer hohen Bedeutung und ihrer Nothwendigkeit ist im Volke noch sehr wenig all- gemein. Erhebt man sich zu der Vorstellung, daß sie Aufgaben der Gesammtheit für sie selber enthalten, so entstehen drei große Kategorien von wirklichen Anstalten, deren Benutzung eine der wichtigsten Auf- gaben der Zukunft bilden. Die erste sind die Staatsanstalten (Museen, Sammlungen, große Bibliotheken). Die zweite Kategorie hat von der Selbstverwaltung und den Vereinen auszugehen. Es muß die Zeit kommen, wo jede Gemeinde ihre Volksbibliothek und ihr System von populär wissenschaftlichen Vorträgen organisirt; und daneben kann drittens das Gebiet specieller Anstalten, auch Theater, Lesezimmer u. s. w. von einzelnen Unternehmungen ausgehen. Was bisher in dieser Beziehung geschehen ist, ist noch ganz unorganisch und zufällig. Doch scheint die Zeit nicht fern, wo auch dieß Gebiet als ein integrirender Theil in den Organismus des thätigen Bildungs- wesens aufgenommen werden wird. Sowohl in Literatur als Gesetzgebung fehlt jede einheitliche Auffassung. Für die Theater gibt es nur noch Polizei, für Sammlungen und Bibliotheken nur noch einzelne Ordnungen, für die Errichtung eines zweckmäßigen Systems des Gemeindebibliothekwesens und der öffentlichen Vorträge nur noch Wünsche, Hoffnungen und zerfahrene einzelne Anfänge. — Ueber die Einzelheiten vergl. Stein a. a. O. S. 27—44. III. Die Presse. Die Presse ist vermöge der Natur des Buchdruckes die Form, in welcher der Einzelne für Alle arbeitet. Sie vermag es daher, je- dem Einzelnen auf jedem einzelnen Gebiet die Bildung Aller zu geben. Sie ist daher ihrer Natur nach weder in Beziehung auf die Gegen- stände, noch auf die Auffassung, noch auf die Personen begränzt. Sie ist die Verkörperung und thätige Verwirklichung des Gesammtlebens des Geistes. Sie ist daher eine gewaltige Macht; denn sie ist die Macht des Werdenden und Zukünftigen über das Gegenwärtige. Eben darum entwickelt sie sich mit der höheren Gesittung, und nimmt alle Formen an, in denen die geistige Arbeit zu dem geistig Arbeitenden redet. Diese Formen entstehen mit ihr, dasselbe und doch verschieden. Sie sind das Buch , die Zeitschrift , die Flugschrift und die Tagespresse , an welche sich die Zeichnung anschließt. Jede dieser Formen wirkt in ihrer Weise; keine vermag die andere ganz zu ersetzen. Aber eben deßhalb haben sie auch auf Grundlage des ge- meinsam für sie geltenden Princips ein besonderes Recht, das jedoch erst mit der Entwicklung der Tagespresse seine feste Gestalt empfängt. Das Recht nun geht einerseits aus dem Wesen der Presse an sich hervor, andererseits aus der Natur der gesellschaftlichen und staatlichen Zustände, in denen sie thätig ist. Die Presse nämlich erscheint stets zuerst als eine große und zu- gleich unbestimmte Gewalt eines Einzelnen über Alle, und damit als eine öffentliche Gefahr . Diese Gefahr verschwindet, wo die Ueber- zeugungen Aller über Staat und Gesellschaft in der Hauptsache fest- stehen; sie wächst in dem Grade, in welchem die Elemente beider in Gegensatz treten. Die Presse aber ist zweitens ein Mittel, um durch sie Verbrechen zu versuchen, oder geradezu zu begehen. Aus dem ersten Verhältniß geht die Preßpolizei hervor, aus dem zweiten das Preß- strafrecht . Es hat nun Jahrhunderte gedauert, bis man sich über das Ver- halten beider zu einander klar geworden ist, wie man erst nach Jahr- hunderten über Polizei und Strafrecht überhaupt klar ward. Denn das Preßrecht hat bis auf die neueste Zeit den Standpunkt festgehalten, daß das Gefährliche strafbar sei . Dieser Gedanke beruhte aller- dings auf der Thatsache, daß die Presse der mächtigste Hebel für jede neue Gesellschafts- und Rechtsbildung und damit an und für sich ein Gegner des Bestehenden wird. Aus dieser Auffassung sind die großen Grundformen des Preßrechts hervorgegangen. Die erste nennen wir das Prohibitivsystem . Sein Princip ist, die Gefahren der Presse durch die Erlaubniß der Veröffent- lichung zu beseitigen. Seine beiden Consequenzen sind, daß jede nicht erlaubte Veröffentlichung an und für sich ein Vergehen enthalte, während die erlaubte gegen kein Recht verstoßen konnte. Der Name dieses Systems ist die Censur . Ihr Organ ist in der ständischen Epoche die Corporation, in der polizeilichen die Censurbehörde. Ihr Erfolg war von jeher, den Umfang der Wirksamkeit der Presse aller- dings zu vermindern, die Intensivität derselben aber zu erhöhen. Als die größere Bewegung der Geister jene die Beschränkung des Umfangs durch die Polizei vernichtet, verschwindet die Prohibition ganzer Werke, wie die Censur der einzelnen Stellen; sie ward lächerlich durch ihre Wirkungslosigkeit. Ihr folgt das Repressivsystem . Das Repressivsystem beruht darauf, den Schriftsteller und Verleger zu ihren eigenen Cen- soren zu machen. Die Voraussetzung für diesen Zweck ist, daß jede Veröffentlichung zugleich als ein wirthschaftliches Unternehmen erscheint. Das Mittel seiner Verwirklichung ist das Recht des Verbotes in den Händen der Polizei, welches durch den verhinderten Absatz das Unternehmen ruinirt. Die Bedingung dafür war die gewerbliche Ge- nehmigung , sowohl für Drucker wie für Verleger, und die Stellung der Caution für die Tagespresse. Die Formen waren die Verwar- nung, die Suspension und das Verbot der Publikation. Der Natur der Sache nach traf das am meisten die Tagespresse; daher erscheint von jetzt an das ganze Preßrecht wesentlich als das Recht der Tages- presse. Allein alle jene Mittel sind dennoch nicht fähig, weder den Kampf einer Idee mit dem alten Recht, noch ein Verbrechen durch die Presse zu hindern. Es muß daher neben der Preßpolizei , die im Obigen liegt, noch ein Pre ßstrafrecht geschaffen werden. So scheiden sich beide. Jetzt ist das Objekt der Preßpolizei die gefährliche Macht der Presse, das des Preßstrafrechts ein durch dieselbe wirklich unbegan- genes Verbrechen. Das war einfach. Allein im Kampfe der Rechts- bildungen in Staat und Gesellschaft gingen die herrschenden Elemente so weit, nicht mehr den Inhalt der Drucksache, sondern die Folge- rungen , die aus demselben gezogen werden konnten, für ein Preß- vergehen zu erklären. Der Ausdruck dieses Gedankens war der aus England nach Frankreich, aus Frankreich nach Deutschland wandernde Satz, daß „jede Verleitung zu Haß und Verachtung gegen die be- stehende Rechtsordnung“ strafbar sei. Damit ward thatsächlich der Unterschied zwischen Polizei und Strafe wieder aufgehoben, und das gesammte Preßrecht ein Polizeirecht, und so formulirte sich der Wider- spruch, der den eigentlichen Grundgedanken des Repressivsystems bildet, und alle Preßfreiheit untergrub, daß nicht mehr der formelle Inhalt, sondern daß die „Tendenz als Geist der Presse,“ das Objekt von Strafrecht und Polizei zugleich sein solle. Erst in der neuesten Zeit bricht sich nun das wahre Recht der freien Presse Bahn. Seine Grundsätze sind folgende. Die Freiheit der Presse bedeutet einerseits die volle gewerbliche Freiheit des wirthschaftlichen Unternehmens der Presse, andererseits den Rechtsgrundsatz, daß die durch geistige Arbeit erst zu gewinnenden Folgerungen aus dem Wortlaut einer Druckschrift nie Gegen- stand des Rechts sind, also auch keine Verbrechen enthalten können, sondern nur der Wortlaut selber. Es gibt daher keine Preßvergehen mehr, sondern nur Verbrechen und Vergehen, die auch durch das Mittel der Presse begangen werden können (Verbrechen und Beleidi- gungen gegen Staat, Kirche, Einzelne). Die Polizei der Presse besteht neben der Preßfreiheit; sie hat aber jetzt nur noch ein doppeltes Gebiet. Einerseits hat sie ein Recht auf diejenigen Maßregeln und Vorschriften, welche als Bedin- gung der Entdeckung und Bestrafung eines durch die Presse begangenen Verbrechens erscheinen (Angabe des Druckes, Druckortes und Pflicht- exemplar), andererseits hat sie bei drohender Gefahr das Recht der Beschlagnahme — der Verhaftung des Gedankens, die sie, wie die persönliche Verhaftung, unter eigener Verantwortlichkeit vor dem Gericht zu vertreten hat. Das Recht des Nachdruckes dagegen gehört anerkannt nur dem Rechte des geistigen Eigenthums an. Kampf gegen die Censur schon im vorigen Jahrhundert ( Justi , Polizei- wesen IX. 110; Hoffmann , Geschichte der Censur 1819; Phillips , Kirchen- recht VI. 324; Stein S. 100—103). Im neunzehnten Jahrhundert beginnt derselbe mit Gentz , Sendschreiben an Friedrich Wilhelm III. 1797; Fortsetzung seit 1816. R(ühle v.) L(ilienstern), Studien zur Orientirung 1820. Dagegen Ancillon und Gentz (bei Rühle v. L.), einzelne Arbeiten bis 1830; Stein S. 85. Kampf des deutschen Bundes gegen die Preßfreiheit und für die Censur; Forderung nach Aufhebung Welker , Die vollkommene und ganze Preßfreiheit 1830: Juristische Verschmelzung von Preßpolizei und Strafrecht: Löffler , Ge- setzgebung der Presse 1837; Mohl , Polizeiwissenschaft III. 126. — Erster Versuch der Preßfreiheit: 1848. Erlaß der einzelnen Preßgesetze : Aufhebung der Censur , aber fast allenthalben systematische Durchführung des Repressiv- systems: Preußen (Gesetz vom 12. Mai 1851). Oesterreich (Gesetz vom 13. März 1849) und Repressivgesetz vom 27. Mai 1852. Bayern (Gesetz vom 17. März 1850). Sachsen (Gesetz vom 14. März 1851). Württemberg (Gesetz vom 26. Aug. 1849). Baden (Gesetz vom 16. Febr. 1851). Dann der Bundesbeschluß von 1854, als Formulirung des Repressivsystems. Gegenwärtiges Recht: unfertige Entwicklung. Oesterreichs freie Gesetz- gebung von 1862. In den übrigen Staaten keine neue Gesetzgebung; daher hier Mangel an Einheit. England . Ueber die falschen Vorstellungen von Englands Preßfreiheit Stein S. 124 ff.; das Repressivsystem gilt strenge bis 1848 (vergl. Lorbeer , Engl. Preßgesetzgebung). Die Fox-Libel Bill. 32. Georg. III. 60)! Polizei und Strafrecht noch verschmolzen, die Tendenz wird als strafbar an- erkannt! Quelle des deutschen Bundesbeschlusses von 1854. Campbells Libel Bill 7. Vict. 96. (1843) erster Versuch, das Preßstrafrecht ( diffam tory words ) von der Preßgesetzgebung zu scheiden. Gneist I. 195. Erst durch 11. Vict. 12 (1848) wird das Recht die Tendenz zu verfolgen, aufgehoben; die Preßpolizei bleibt im Wesentlichen bestehen; so ist die englische Presse jetzt auch formell eine freie. Frankreich dagegen führt schon durch Constitution von 1791 das Re- pressivsystem mit strenger Polizei durch; die „Tendenz“ „l’esprit d’un journal résultant d’une succession d’articles“ selbständig als strafbar anerkannt ( Loi des tendances 17. März 1822); aufgehoben 1828; definitive Aufhebung der Censur: Charte 1830; darauf Repressivgesetz vom 6. Febr. 1834. Nach der Freiheit unter der Revolution wieder noch strengere Herstellung desselben seit dem Gesetz vom 18. Juli 1850, hauptsächlich durch Decret organique vom 17. Febr. 1852; Verwarnung, Suspension und Unterdrückung bloß als mésure de sureté ( Batbie , Droit publique I. 45. Mousset , N. Code annoté de la Presse). Literatur: Mohl , Literatur deutscher Staatswissenschaft III. S. 177. Stein S. 133—139. Ebendas. über Holland, Belgien, Italien und Schweden. Zweiter Theil. Die Verwaltung und das wirthschaftliche Leben. Begriff und Wesen. Das zweite große Gebiet des Lebens ist die wirthschaftliche Welt, die Erfüllung des natürlichen Daseins mit der Arbeit und den Zwecken der Persönlichkeit und die organische Herrschaft der Menschen über die Natur. Die Grundbegriffe, welche hier erscheinen, und die Gesetze, nach denen dieß geschieht, bilden die Volkswirthschaftslehre . Die Volkswirthschaftslehre aber zeigt uns, daß auch hier der Einzelne durch seine eigne Kraft seine Bestimmung nicht zu erfüllen vermag. Auf allen Punkten bedarf er der Herstellung der Bedingungen, welche die Vor- aussetzung seiner individuellen wirthschaftlichen Entwicklung sind. Um diese zu erreichen, muß er zuerst dem Staate in der Form von Steuern die wirthschaftlichen Mittel dazu bieten. Der Staat wird dadurch wieder zunächst ein wirthschaftlicher Körper, und so entsteht der Begriff und Inhalt der Staatswirthschaft , in welcher der Staat für sich als wirthschaftende Persönlichkeit auftritt mit Einnahmen, Ausgaben und Reproduktion, wie der Einzelne. Indem nun der Staat die ihm auf diese Weise hauptsächlich durch die Steuern zur Verfügung gestellten Mittel wirklich verwendet, um jene Bedingungen der wirthschaftlichen Entwicklung jedes Einzelnen herzustellen, ohne welche die letztere nicht möglich ist, entsteht die Volkswirthschaftspflege als dasjenige große Gebiet der inneren Verwaltung, dessen Aufgabe die Entwicklung und Vollendung der Volkswirthschaft durch die organisirte Thätigkeit der Gemeinschaft für diejenigen materiellen Voraussetzungen ist, ohne welche der Einzelne seine wirthschaftliche Bestimmung nicht erreichen kann. Wir nennen sie deßhalb die wirthschaftliche Verwaltung . Die hohe Bedeutung dieser wirthschaftlichen Verwaltung liegt zu- nächst in der Gewalt, welche Besitz und Arbeit über das persönliche Leben haben, und deren Ausdruck der Satz ist, daß die wirthschaft- liche Unabhängigkeit den Körper der Freiheit und die Grundlage alles Fortschrittes bildet . Die organische Lehre der Nationalökonomie zeigt aber anderseits, daß die Bedingung des Erwerbes des Einen stets die Fähigkeit des Andern ist gleichfalls zu erwerben; indem die Verwaltung daher für jeden Einzelnen sorgt, sorgt sie zugleich für alle; so wird diese wirthschaftliche Verwaltung die orga- nische Verwirklichung der Idee der Harmonie der Interessen , und mit ihr erscheint daher die Verkörperung der großen, die Zukunft beherrschenden Wahrheit, daß die Harmonie das Interesse, die Verwirklichung alles Fortschrittes und aller Freiheit ent- hält. Erst von diesem höchsten Standpunkte entfaltet sich die Volks- wirthschaftspflege zu ihrer ganzen Bedeutung für das Leben der Mensch- heit, und ihr Inhalt wird auch in seinen einzelnsten, materiellsten Theilen zu einer der großartigsten Aufgaben der Wissenschaft. Die geschichtliche Entwicklung derselben. Eben deßhalb ist die Grundlage der geschichtlichen Entwicklung der wirthschaftlichen Verwaltung das allmälige Entstehen des Verständnisses dieser Idee derselben, der freien und gleichen Bestimmung aller wirth- schaftlichen Bewegung. Die Geschlechterordnung entbehrt darum der- selben ganz. Die ständische Ordnung löst ihr wirthschaftliches Leben in die Sonderinteressen der einzelnen Stände und ihrer Körperschaften und in den auch wirthschaftlichen Kampf derselben untereinander auf. Erst mit dem Siege der Staatsidee entsteht der Gedanke und der Ver- such einer wirthschaftlichen Verwaltung. Diese selbst entfaltet sich nun aus ihrer ursprünglichen Einfachheit nur allmälig zu einer, das gesammte Leben mit vollem Bewußtsein ihrer Aufgabe umfassenden Thätigkeit. Den Ausdruck der Standpunkte, welche die Verwaltung nach einander seit dem sechzehnten Jahrhundert einnimmt, bilden zunächst die drei sogenannten Schulen der National- ökonomie, die in der That wesentlich Principien und Systeme der wirthschaftlichen Verwaltung enthalten. Das Merkantilsystem sucht die Zukunft und Vollendung aller Volkswirthschaft in dem Erwerb durch den internationalen Verkehr, und erschöpft sich damit in den Principien des Schutzsystems für den Handel nach Außen und der Staatsunter- stützung nach Innen. Das physiokratische System erkennt die Aufgabe der Verwaltung in der Hebung der Urproduktion, und fordert daher die großen Elemente desjenigen, was wir die Landwirth- schaftspflege nennen. Das sogenannte Industriesystem endlich er- kennt in der Arbeit die Quelle alles Wohlstandes, und fordert von der Verwaltung im Namen derselben die Freiheit des Handels und der Gewerbe . So entstehen die großen Principien der wirthschaft- lichen Verwaltung, aber zu einem Systeme wird sie nicht, weil sie nur Eine Seite des Ganzen umfaßt. Unterdessen entwickelt sich in Deutsch- land theoretisch das System des Eudämonismus , dessen Princip die allgemeine Förderung des Volkswohlstandes ist, praktisch die Ver- waltung der Regalien, aus der die Cameralwissenschaft entsteht. Beide unterscheiden sich von dem obigen Systeme dadurch, daß sie das gesammte Gebiet der Volkswirthschaftspflege umfassen; sie sind aber mit ihnen darin wieder gleich, daß auch sie die Volkswirthschaftslehre von der Volkswirthschaftspflege nicht zu scheiden, und daher keinen festen Begriff der letzteren zu finden vermögen. Diese Unklarheit setzt sich bis zu unsrer Zeit fort, indem theils Staats- und Volkswirthschaftspflege in der „Staatswirthschaftslehre“ verschmolzen bleiben (Lotz), theils die Verschmelzung mit der reinen Nationalökonomie fortgesetzt wird (Roscher), während in der Polizeiwissenschaft (Mohl) der Eudämonismus eine inhaltsleere Existenz fortsetzt. Die volle Scheidung der Volkswirthschafts- pflege von der Nationalökonomie (Rau) ist dem gegenüber ein großer Fortschritt, hat aber den Begriff der Verwaltung wieder festgehalten. So ist es die Aufgabe unserer Zeit, die wirthschaftliche Verwaltung als organischen Theil des Ganzen, und zugleich als einen selbständigen Organismus aufzufassen und zu entwickeln. Es gibt noch keine Geschichte der inneren Berwaltung. Mohl , Literatur der Staatswissenschaft hat sich hier ausschließlich auf das Recht der vollziehen- den Gewalt beschränkt; die Geschichte der Nationalökonomie von Kantz u. A. halten die Verschmelzung fest. Die in der Polizeiwissenschaft (Mohl, Pötzl) gegebenen Anfänge sind unentwickelt geblieben (vergl. Stein , wirthschaftliche Verwaltung S. 1—61). Die Elemente des Systems und des Organismus derselben. Das System der wirthschaftlichen Verwaltung beruht nun darauf, daß die Verwaltung dasselbe von ihrem Gegenstand empfängt. Das System derselben ist daher die organische Einheit derjenigen Lebens- verhältnisse, in denen die Bedingungen der wirthschaftlichen Entwicklung nicht mehr durch Kraft und Thätigkeit der Einzelnen erreichbar sind, sondern durch die Gesetzgebung und Vollziehung des Staats gegeben werden müssen. Die Elemente dieses Systems sind der Allgemeine Theil , der die für alle einzelnen Zweige des wirthschaftlichen Lebens gleichmäßig nothwendigen Bedingungen enthält, und der besondere Theil, der sich auf die Arten der Unternehmungen bezieht. Jeder dieser Theile hat wieder sein eigenes reiches System und bildet ein Ganzes für sich, das mit dem Gesammtgebiet nur seine innere wirthschaftliche Ver- bindung gemein hat. Das Gebiet selbst ist nun so reich in Umfang und Inhalt, daß der für die Volkswirthschaftspflege thätige Organismus nicht etwa bloß die Regierung umfaßt, wo dieselbe theils dem Ministerium des Innern, theils dem des Handels und des Ackerbaues, theils dem der öffentlichen Arbeiten untersteht; im Gegentheil sind fast auf jedem Punkte desselben alle drei Organismen, Regierung, Selbstverwaltung und Vereinswesen gleichmäßig thätig. Während nun im vorigen Jahrhunderte die ganze Volkswirthschaftspflege grundsätzlich und beinahe auch faktisch nur in den Händen der Regierung lag (Volkswirthschaftspflege als Theil der „Polizeiwissenschaft“) ist es der Charakter unserer Zeit, mehr und mehr die freie Verwaltung für dieselbe eintreten zu lassen. Namentlich breitet sich das Vereinswesen mit jedem Jahre mehr aus, nicht so sehr da- durch, daß es die Thätigkeit der Regierung übernimmt, sondern dadurch, daß es für die Volkswirthschaftspflege ganz neue Bahnen bricht, und damit Aufgaben der Thätigkeiten der Gesammtheit für die volkswirth- schaftliche Entwicklung eröffnet, von denen die frühere Zeit eben deßhalb gar keine Ahnung hatte, weil eben die Regierung ihrem Wesen nach außer Stand war, für dieselben zu sorgen. In der That ist es das lebendige Vereinswesen, durch welches die Volkswirthschaftspflege unsrer Zeit eine so wesentlich andere Gestalt empfängt, als die der frühern. Und zwar nicht bloß dem Umfang nach. Sondern das Vereinswesen bedeutet vielmehr die Entwicklung der freien Volkswirthschaftspflege, in der vermöge der Vereine das in ihnen lebendige Gesammt- interesse für das Einzelinteresse thätig wird, und umgekehrt; es ist daher die Verwirklichung des großen Princips der Harmonie der wirthschaftlichen Interessen durch das freie Verständniß des Einzelnen selbstthätig geworden. Wir stehen noch in der Kindheit dieser Bewe- gungen. Es fehlt uns sogar das erste positive Element der Beurthei- lung, die rationelle Statistik des wirthschaftlichen Vereinswesens vom Standpunkt der freien wirthschaftlichen Verwaltung. Wir müssen uns hier daher noch mit Andeutungen begnügen. Erst wenn man Regie- rung und Verein als Organ derselben Idee erkennen wird, wird man in beiden und ihrer Wechselwirkung das Bild der für sich selbst thätigen Gemeinschaft der Interessen gewinnen. Allgemeiner Theil . Elemente des Systems. Der allgemeine Theil der wirthschaftlichen Verwaltung enthält seinem formalen Begriffe nach die Gesammtheit derjenigen Thätigkeiten, welche sich auf die allen Arten von Unternehmungen gemeinsamen Be- dingungen beziehen. Seinem Inhalte nach ist er der bei weitem rich- tigste, da gerade hier die Kraft des Einzelnen am wenigsten ausreicht. In seinen Elementen ist er daher von jeher dagewesen; so wenig es einen Staat ganz ohne Verfassung gibt, so wenig gibt es einen solchen ganz ohne allgemeine wirthschaftliche Verwaltung. Seine Entwicklung beginnt mit dem Königthum und seinem Sieg über die ständische Ge- sellschaft; seine Vollendung aber kann erst durch die freie Entwicklung des Vereinswesens gegeben werden. Sein System endlich beruht auf den großen Elementen alles Lebens, dem persönlichen, dem natürlichen und dem wirthschaftlichen Element. Auf das erste bezieht sich die Entwährung , auf das zweite die Verwaltung der Elemente , auf das dritte die Verwaltung des Verkehrswesens unter den Einzelnen. Der Reichthum dieser Gebiete, deren jedes wieder sein System und seine Geschichte hat, ist so groß, daß derselbe wohl nie von einem Einzelnen ganz erfaßt, geschweige denn in Geschichte und Gesetzgebung vollständig bewältigt werden wird. Erstes Gebiet. Die Entwährung. Wesen und System. Die Entwährung entsteht da, wo die Aufhebung eines bestimmten einzelnen Rechts als unabweisbare Bedingung der allgemeinen Ent- wicklung der Gesammtheit erscheint, und als solche vom Staate aner- kannt ist. Bedürfniß und Inhalt einer solchen allgemeinen Entwicklung aber entstehen ihrerseits aus der Bewegung der Gesellschaftsordnungen. Jede Entwährung ist daher eine Forderung des gesellschaftlichen Fort- schrittes an den Einzelnen; der Staat erzeugt keine Entwährung, son- dern ordnet und vollzieht sie nur; jede Entwährung ist daher ihrem Wesen nach ein gesellschaftlicher Proceß und ihr Recht ein gesell- schaftliches Recht, beide durch die Verwaltung des Staats geordnet. Und dadurch, daß der Staat dieß thut, entsteht das Rechtssystem der Entwährung. Denn das Wesen der Unverletzlichkeit der Persönlichkeit erscheint darin, daß nie das ganze Recht Gegenstand der Entwährung sein kann; sondern nur dasjenige, welches sich die Gemeinschaft ohne die Entwäh- rung überhaupt nicht zu verschaffen im Stande ist. Das nun ist immer nur das natürliche Element, die Sache, nie das persönliche, der Werth. Das Rechtsprincip aller Entwährung ist daher die Rückstellung des Werthes der Sache an den Entwährten, das ist die Entschädi- gung . Eine gesellschaftliche Gewaltthat ist eben nichts anderes, als eine Entwährung ohne Entschädigung. Diese nun erscheint in der ganzen Weltgeschichte stets da, wo sich ausschließlich die gesellschaftlichen Classen gegenüber stehen. Erst wo der Staat im Königthum erscheint, erscheint auch das Princip der Entschädigung und damit ein Recht der Entwährung. Das System dieses Rechts wird dann gebildet durch die Grundsätze, nach denen die Verwaltung des Staats bei der Ent- währung zu verfahren hat. Erst mit diesem Rechtssystem tritt das verfassungsmäßige Verwaltungsrecht an die Stelle der gesellschaftlichen Gewaltthaten, welche die ganze alte Geschichte des Volkslebens erfüllen. Der gesellschaftliche Lebensproceß Europas ist nun zuerst die Ent- faltung der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung mit ihren Principien der Freiheit und Gleichheit, auch des wirthschaftlichen Lebens aus der Geschlechter- und Ständeordnung; dann die Entwicklung der Thatsache und der Gewalt der Gesammtinteressen gegenüber dem Einzelrecht. Aus dem ersten Theile entstehen die Entlastungen , welche mit dem völ- ligen Siege der freien Gesellschaft abschließen, und daher als historische Erscheinung gelten müssen; aus dem zweiten die Enteignung , welche der freien Gesellschaftsbildung angehören, daher erst in unserm Jahr- hundert auftreten, und den dauernden Inhalt des Entwährungsrechts bilden. Deßhalb hat man auch bisher in der Wissenschaft nur die letzteren beachtet. Die größte Frage der wirthschaftlichen und damit der gesellschaftlichen Zukunft Europas liegt aber in dem Ende dieses Pro- cesses, dessen eigentliche Bedeutung uns erst durch die sociale Auf- fassung des Enteignungsrechts erschlossen wird. Das Staatsnoth- recht endlich ist nur die zeitweilige Enteignung des Gebrauches einer Sache und hat daher keine sociale, sondern nur eine administrative Berechtigung. I. Die Entlastungen. Die Entlastungen gehen aus der Thatsache hervor, daß sowohl das Geschlechter- als das Ständewesen die unfreie Ordnung des Grund- Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 10 besitzes erzeugen, welche vermöge der gesellschaftlichen Rechtsbildung den Charakter eines Privatrechts annehmen. Ihre Aufgabe ist es, durch die Entwährung dieses Privatrechts die Freiheit des Grundbesitzes herzustellen, und damit die Principien der staatsbürgerlichen Gesell- schaft für ländliche Selbstverwaltung und Landwirthschaft zur Geltung zu bringen. Sie theilen sich daher in zwei große Gebiete. Das erste ist das der Grundentlastungen , das auf der Grundherrlichkeit beruht; das zweite das der Gemeinheitstheilungen , das mit dem Eigenthums- verhältniß der alten Geschlechterdörfer zu thun hat. Die Aufhebung der unfreien Arbeit gehört allerdings demselben historischen Proceß, aber nicht der Entwährung und zwar deßhalb nicht, weil bei ihnen keine Entschädigung vorkommt, da kein wirthschaftlicher Werth des auf- gehobenen Vorrechts nachgewiesen werden kann. Die Aufhebung der Bann- und Realrechte bildet daher den Uebergang von der Befreiung der gewerblichen Arbeit durch die Gewerbefreiheit zu den Grundentlastungen. 1) Die Grundentlastungen umfassen daher eine mehr als zwei- hundertjährige Arbeit der Geschichte theils auf dem Gebiete der Wissen- schaft, theils auf dem der Gesetzgebung, theils auf dem der Verwaltung. In der ersten Epoche derselben handelt es sich um die Aufhebung der Leibeigenschaft, in der zweiten um die Regulirung der Frohnden und Zehnten, in der dritten, der eigentlichen Periode der Grundentlastung, um die volle Entwährung derselben. Die Wissenschaft hat in diesem Processe das Princip der Freiheit, ihre höhere Nothwendigkeit und ihren wirthschaftlichen Werth, die Gesetzgebung die rechtliche Ordnung der Entwährung und die Verwaltung die Umgestaltung der Grund- herrlichkeit in amtliche und Selbstverwaltung der Gemeinde zu vertreten. Natürlich gehen diese Verhältnisse vielfach durcheinander. Doch kann man im Allgemeinen sagen, daß das achtzehnte Jahrhundert die Noth- wendigkeit der Befreiung des Bauernstandes zu erkennen beginnt, die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mit derselben anfängt und erst die zweite Hälfte sie auf Grundlage der Entwährung zum Princip des öffentlichen Rechts gemacht hat. Die Epoche derselben ist daher im Großen und Ganzen als abgeschlossen zu betrachten. 2) Die Gemeinheitstheilungen und Ablösungen haben dagegen einen ganz andern Charakter. Sie erscheinen von Anfang an nicht als ein socialer Proceß, sondern als eine volkswirthschaftliche Maßregel, da das Gemeindegut (Almend, Hutweide ꝛc.) so wenig als die Weide- und Holzservituten den Ausdruck der Herrschaft einer Classe über die andere enthalten. Daher ist auch ihre Geschichte eine ganz andere. Während sie im achtzehnten Jahrhundert im Namen der Volks- wirthschaft zum Theil polizeilich erzwungen wurden, werden sie mit dem Beginne des neunzehnten schon großentheils der freien Wahl der Be- theiligten überlassen, und in neuester Zeit hat sich der Charakter des Verhältnisses ganz umgestaltet, indem die Gemeinweide zum Gemeinde- eigenthum erklärt wird, während sie früher nur Eigenthum der Bauern in der Gemeinde war und ihre Benützung fast ausschließlich von dem Viehstande abhing. Hier erscheint die Entwährung der Alt- berechtigten daher als Uebergang aus dem Geschlechter-Eigenthum in die Gemeindeverwaltung und damit eröffnet sich eine ganz neue Gestalt dieser Verhältnisse. Die Ablösung der Grunddienstbarkeiten dagegen behielt, obwohl auch die letzteren fast ausnahmslos aus dem Gemein- gut der Geschlechterordnung herstammen, ihren streng volkswirthschaft- lichen Charakter und ist natürlich in Schätzung und Entschädigung je nach der Natur der Dienstbarkeiten in Feld und Wald principiell und örtlich sehr verschieden. Auch hier ist daher ein Abschluß theils schon gemacht, theils bevorstehend, so weit überhaupt das Princip der Ent- währung Platz greift. Die Geschichte der Entlastungen als Theil der neueren Geschichte der euro- päischen Völker und Staaten bis auf die neueste Zeit durchgeführt bei Stein , Entwährung (Verwaltungslehre Bd. VII. ). Vergl. dazu vorzüglich Sugen- heim , Geschichte der Aufhebung der Leibeigenschaft. Nachweisung, daß bei großer Verschiedenheit im Einzelnen die Haupterscheinungen und Epochen des Entlastungswesens in allen Staaten Europas dieselben sind. Englands früheres feodal system und die feudale Gutsherrlichkeit. Herstellung des bürgerlichen Eigenthums aller Grundbesitzer durch Stat. 12. Ch. II. 24. Dann Beginn der eigentlichen Entlastungen mit 6. 7. Will. IV. 71; Durchführung mit 4. 5. Vict. 35 (1844) und 9. 10. Vict. 73 (1849). Stein S. 108—140. — Die englischen Gemeinheitstheilungen, das alte manor oder waste of the Lord (Gemeingründe); feste Verkoppelungen seit dem vori- gen Jahrhundert; die Enclosures ( Thaer , Engl. Landwirthsch. III. S. 333 ff.); die Enclosure Act 8. 9. Vict. 118 (1848) und ihre Erfolge: Stein S. 269 f. Frankreich . Frühere Zustände ( Stein , Franz. Rechtsgeschichte Bd. III. ). Das entscheidende und erste Gesetz über die Grundentlastung Decret vom 4. August 1789, mit Anerkennung des Princips der Entschädigung; Durch- führungsgesetz vom 25. August 1792 und 17. Juli 1793; gänzliche Störung des Entlastungsprocesses durch die Emigration und die Kriege; die Milliarde der Emigrirten als nachträgliche Grundentlastung: Stein , Entwährung S. 146—150. — Die Gemeinheitstheilung Frankreichs; schon seit der früheren Zeit Gemeindeeigenthum an der Gemeinweide; seit der Revolution Durchführung dieses Princips durch das System der Parcellarverpachtung der- selben, der Allottements; die alten Weide- und Walddienstbarkeiten in ihrer gegenwärtigen Gestalt: Hauptgesetz das Code Rural vom 28. Sept. 1791. Stein S. 272 ff. Deutschlands Entlastungsgeschichte; der theoretische Kampf um das dominium eminens, das Recht der Grundherren, der Bauern, ihrer Hörigkeit und ihrer Frohnden und Zehnten mit dem achtzehnten Jahrhundert. ( Stein S. 150—178.) Die wirkliche Entlastung des neunzehnten Jahrhunderts, ihr Sieg seit 1848 und ihre Gestalt in Preußen : zwar Aufhebung der Patrimo- nialjurisdiktion (Verordnung vom 2. Jan. 1849) und Zulässigkeit der Ab- lösungen und definitiven Entlastungen; aber zur grundsätzlichen Befreiung des Bauernstandes hat sich Preußen nicht erheben können ( Rönne , Staats- recht I. 53; Lassalle , Erworbene Rechte I. 133: Judeich , Grundentlastung S. 48, 49. In den übrigen deutschen Staaten sehr verschieden; in den meisten bis 1848 wenig geschehen; Gesetzgebung und Regierung überließen die Sache sich selbst; erst mit dem Jahr 1848 durchgreifende Entlastung, indem fast allenthalben die bisherige freiwillige Ablösung zur Pflicht gemacht, von den Behörden durchgeführt und durch Rentenbanken die Entschädigung ermöglicht wird; jedoch steht Deutschland vermöge vieler Ausnahmen noch immer wesent- lich hinter Frankreich zurück; daher ein großer Theil der geistigen Suprematie des französischen Volkes. Nur in Oesterreich ist das Princip der Entlastung gründlich und vollständig durchgeführt: Patent vom 7. Sept. 1848; Ausführung durch Patent von 1850 und 1851. Vergl. über die einzelnen Gesetze besonders Judeich , Grundentlastung; Stein S. 192—234) — Die Gemeinheitstheilungen der polizeilichen Epoche ( Stein S. 280—285). Die preußische Theilungsordnung von 1821; der neuere Standpunkt des Gemeinde- eigenthums (ebend. S. 285—292); Ablösungen und ihr System nebst der großen Verschiedenheit in den einzelnen Territorien ( Stein S. 234—253). II. Die Enteignung. Während nun die Entlastungen den Sieg der staatsbürgerlichen Gesellschaft gegenüber der Geschlechter- und Ständeordnungen begleiten und vollziehen, erscheint die Enteignung innerhalb der ersteren als Er- füllung ihres Princips gegenüber dem einzelnen Privatrecht. Sie tritt da auf, wo ein Einzelrecht die Lebensbedingung der freien Gesellschaft, die allgemeine Freiheit in Erwerb und Verkehr aufhebt oder hemmt. Das allgemeine Princip derselben ist daher schon im siebenzehnten Jahr- hundert anerkannt; im achtzehnten Jahrhundert wird es im polizeilichen Verordnungswege für einzelne bestimmte Betriebe — Wasser-, Berg-, Waldindustrie — in Anwendung gebracht; im neunzehnten Jahrhundert wird es als ein Theil des öffentlichen Rechts anerkannt, und damit entsteht das verfassungsmäßige Enteignungsrecht („Expropriation“ nach dem ersten systematischen Enteignungsgesetz von Frankreich 1841). Von da an wird es ein organischer Theil der Wissenschaft und empfängt sein System und seine Jurisprudenz. Das Enteignungsrecht zerfällt daher in zwei Theile. Zuerst muß die Aufhebung des Eigenthums als nothwendige Bedingung der öffentlichen Verkehrs- und Betriebsfreiheit von der Re- gierung anerkannt werden. Die Formen, in denen dieß geschieht, bilden das eigentliche Enteignungsverfahren. Dasselbe beginnt mit der Genehmigung des Enteignungs planes , als deren Voraussetzung je nach Umständen die Genehmigung der Unternehmung selbst voraufgehen muß, wie bei Eisenbahnen, und enthält die genaue Bezeichnung der Objekte der Enteignung auf Grundlage der Erklärung, daß die Ent- eignung selbst ein öffentliches Bedürfniß ( cause d’utilité publique ) sei. Das Entschädigungsverfahren hat dann die Aufgabe, dem Ent- eigneten den Werth des enteigneten Gutes zu bestimmen und zurück- zugeben. Dasselbe beginnt mit der Schätzung , welche gleich nach der Genehmigung eintreten kann; wenn auf diese Weise die letztere das Objekt und die erstere den Werth der Enteignung festgestellt hat, so tritt der Enteignungsspruch ein, der auf Grundlage beider den rechtlichen Uebergang des Eigenthums und die Zahlungspflicht ausspricht und den immer das Gericht erlassen sollte ; hier herrscht namentlich in der deutschen Gesetzgebung noch viel Unklarheit. Den Schluß bildet dann die Einweisung in den Besitz, bedingt durch die wirkliche Aus- zahlung , für welche nicht das privatrechtliche Zahlungsrecht, sondern das behördliche Auszahlungsverfahren eintritt und haftet. Ueber die Anklänge im Röm. Recht sehr gut G. Meyer , Recht der Ex- propriation 1868. Früheres deutsches Recht: Stein S. 301—303. (Verhält- niß zum Dominium und Jus eminens. ) Zusammenfassung dieser Anfänge in der französischen Decl. des droits art. 17. Von da übergegangen in der Form eines allgemeinen Grundsatzes in die neuesten deutschen Verfassungen ( Stein S. 314). Die eigentliche Entwicklung aber findet die Enteignung erst durch das Eisenbahnwesen ; daraus geht zunächst das französische Expro- priationsgesetz von 1841 hervor, das der übrigen europäischen Gesetzgebung zum Grunde liegt ( Stein S. 312, 313). Deutschland gelangt zu einer eigenen und selbständigen Gesetzgebung nicht; bis auf die letzte Zeit vielfache Verwechslung mit dem Nothverordnungs- und Staatsnothrecht ( Bischof in Linde’s Archiv III. 3). Die Anwendung auf Eisenbahnwesen am besten bei Koch , Deutschlands Eisenbahnen I. S. 8—133. Eigene Literatur im Grunde ganz neu: Thiel , das Expropriationsrecht und Expropriationsverfahren 1866 und G. Meyer (s. oben). Einzelne Andeutungen ohne Entwicklung in den Ver- waltungsrechten Stein S. 318, so wie einzelne Abhandlungen ebend. S. 317. Wendt , Expropriationscodex (Nürnberg nur bis 1837). Das englische Recht hat die Expropriation gleichfalls erst bei Gelegenheit der Bahnbauten gesetzlich, und zwar in allem Wesentlichen nach den französischen Principien geordnet in der Lands Clauses Act Vict. 18. (1845); Stein S. 309—312. III. Das Staatsnothrecht. Das Staatsnothrecht — wohl zu unterscheiden von der Noth- verordnung — tritt da ein, wo aus irgend einem plötzlich eintretenden und vorübergehenden Grunde der Staat den vorübergehenden Gebrauch eines Besitzes in Anspruch nimmt, oder den Einzelnen zu einer nicht dauernden Leistung zwingen muß. Es unterscheidet sich von der Ent- eignung dadurch, daß es sich dabei zuerst nur um das Eigenthum handelt, und daß zweitens die einfache Verfügung der Behörde das- selbe eintreten lassen kann, während das Entschädigungsverfahren erst später folgt, wenn es nicht von kurzer Hand abgemacht wird. Die Hauptanwendung ist das militärische Nothrecht des Krieges ; für den friedlichen Dienst sollte es gesetzlich geordnet sein; es kann auch in andern Fällen (Wasser-, Feuersnoth ꝛc.) eintreten und ist daher wesent- lich anderer Natur als die Entlastungen und Enteignungen. So wie aber eine dauernde Entziehung des Gebrauches erforderlich wird, soll statt desselben die Enteignung mit ihren Grundsätzen eintreten. Ueber die unklare Stellung desselben, Verhältniß zum alten Jus eminens und Verwechslung mit dem Nothverordnungsrecht Stein , Entwährung S. 342—344. Zweites Gebiet. Die Verwaltung und die Elemente. Begriff und Wesen. Das ganze physische und wirthschaftliche Leben des Menschen ist ein beständiger Kampf mit den elementaren Kräften. Allerdings ge- horchen sie dem Verständigen und Thätigen; allein theils werden sie eine übermächtige Gefahr, wenn sie ihre wirthschaftlichen Gränzen durch- brechen, theils sind sie in Kraft und Macht zu umfassend, als daß der Einzelne sie ganz dienstbar machen könnte, theils endlich kann auch die größte Vorsicht sie nicht ganz bändigen; sie greifen vernichtend in das Einzelleben hinein und der Schaden, den sie bringen, wird zu einer regelmäßigen Erscheinung im wirthschaftlichen Leben. Hier muß daher die Kraft der menschlichen Gemeinschaft der Kraft der Natur entgegen- gestellt werden. Dieselbe erscheint zunächst als Polizei derselben, speciell in der Feuerpolizei ; dann als rechtliche Ordnung ihrer Benutzung im Wasserrecht und endlich als Organisirung des Ersatzes für den Elementarschaden in der Schadenversicherung . Die Gesammtheit dieser Thätigkeiten der Verwaltung gegenüber den Elementen nennen wir die Elementar-Verwaltung ; sie ist die Verwaltung im Kampfe mit dem natürlichen Dasein, seinen Kräften und seinen Bewegungen. Es liegt nun in der Natur der Sache, daß der Organismus dieser Verwaltung stets zuerst ein rein örtlicher ist und daher anfangs ganz unter die Selbstverwaltung fällt. Erst mit der Entwicklung des Verkehrs tritt die Erkenntniß ein, daß die technischen Bedingungen jener Verwaltung allenthalben wesentlich eben so gleichartige sind, wie das Interesse an der Thätigkeit der letzteren. Aus dem ersten dieser Momente geht dann eine für jeden Theil der Verwaltung geltende allgemeine Gesetzgebung , aus dem zweiten das Auftreten des Ver- einswesens hervor, welches in mehr als Einer Gestalt helfend ein- greift. Und so entsteht ein System der Elementar-Verwaltung, das freilich zu einer formellen Einheit unfähig ist, wohl aber in seinen drei Grundformen denselben Gedanken verwirklicht und damit ein wesent- liches Gebiet der wirthschaftlichen Verwaltung bildet. Das Wasser- und Feuerwesen schon seit dem vorigen Jahrhundert in jedes Polizeirecht aufgenommen, jedoch nur vom Standpunkt der Polizei. Der Be- griff einer Verwaltung fehlt. Vergl. etwa Berg , Polizeirecht Theil III. Haupt- stück 8. I. (sehr reich an Angaben aus der Feuerpolizei des vorigen Jahrhunderts). Jacoby , Polizeiwissenschaft §. 137; Lotz , Staatswirthschaft II. §. 102, Mohl (Polizeiwissenschaft Buch III. Cap. 2) ist der erste, der nach Bergs Vorgange das Versicherungswesen auch mit dem Wasserschaden in Verbindung bringt. I. Die Feuerpolizei. Wesen. Elemente der historischen Entwicklung. Die Feuerpolizei umfaßt die Gesammtheit von Thätigkeiten der Gemeinschaft, um den Ausbruch von Feuer zu verhüten und das aus- gebrochene zu löschen. — Der Gedanke, daß die Gemeinschaft diese Pflicht habe, entsteht erst da, wo das Feuer für Dritte gefährlich wird. Er tritt daher stets erst in den Städten auf, entwickelt sich mit der Dichtigkeit der Bevölkerung und wird erst im siebenzehnten Jahr- hundert ein selbständiger Gegenstand der Gesetzgebung und Verwaltung und der daraus entstehenden allgemeinen Feuerordnungen. Der erste und natürliche Inhalt derselben ist dann die Sorge gegen den Aus- bruch des Feuers, namentlich auch die Bauordnung und die Ordnung der Löschung; erst im achtzehnten Jahrhundert tritt die Rettung der bedrohten Güter hinzu; im neunzehnten, bei wachsender Höhe und Dichtigkeit der Wohnungen auch das Rettungssystem für Menschen. Während nun alle diese Vorschriften noch den Schutz in die Hände der Verwaltung legen, fügt das jetzt entstehende System der Versicherungen das subjektive Moment des Einzelinteresses hinzu, indem es einerseits die Niedrigkeit der Prämie von der Sicherheit des Baues abhängig, andererseits die Agenten der Versicherungsgesellschaften zu den natür- lichen Vertretern der Lösch- und Rettungsanstalten macht oder doch machen sollte . So ist allmählig ein System des öffentlichen Feuer- wesens entstanden, dessen Grundlage zunächst ein allgemeines (Landes-) Gesetz, dessen Vollziehung vorzugsweise der Selbstverwaltungskörper der Landschaft und Gemeinde ist, dem das Vereinswesen theils im Löschwesen, theils im Versicherungswesen zur Seite tritt. Dabei bleibt ihm aber sein vorzugsweise lokaler Charakter, indem seine örtliche Aus- bildung stets in geradem Verhältniß zur Dichtigkeit der Bevölkerung, zum Theil auch zur Ausbildung feuergefährlicher Gewerbe steht. Das Beste über das Feuerwesen und die alten Feuerpolizeiordnungen seit dem siebzehnten Jahrhundert: Justi , Polizeiwesen I. §. 247 ff. „Anstalten wider die Feuersbrünste“ Sonnenfels , Handlung V. 229. Berg , Polizei- recht Theil III. S. 21 ff. — Die Literatur des vorigen Jahrhunderts war ziemlich reich, aber fast ausschließlich technisch; das neunzehnte Jahrhundert hat wenig in dieser Beziehung hervorgebracht. Vergl. Berg a. a. O. und dazu Mohl III. 2. — Die Gesetzgebung der neuesten Zeit hat ziemlich allenthalben den Standpunkt festgehalten, den Landschaften die Gesetze und die Oberaussicht, den Gemeinden die Vollziehung zu überlassen (vergl. schon in diesem Sinne Berg S. 20; Rönne , Preuß. Staatsrecht II. §. 365; Preuß. Allgem. Land- recht II. 7. 13. §. 37. Württemb . Löschordnung von 1808. §. 57 f.). Der Mangel einer guten Organisirung liegt daher nicht im Princip, sondern in der Selbstthätigkeit der Gemeinde. Grundsatz sollte sein: Lösch anstalten von der Gemeinde herzustellen, mit Pflicht zur Stellung von Pferden; häusliche Löschanstalten: Pflicht des Eigenthümers; dann Bildung von freien Lösch corps mit selbstgewähltem Vorstand, unter Verbindung mit den Turnvereinen; da- gegen Oberaufsicht über die Lösch anstalten durch die Landschaft, sowie Vor- schriften über die gegenseitige Gemeindehülfe. Dagegen muß in großen Städten das Feuerwesen ein selbständiger Verwaltungszweig unter dem Magistrate sein. System der Feuerpolizei . Die Polizei des Feuers hat zwei Hauptgebiete. Das erste ist das der Verhütung der Feuersbrunst. Sie beginnt mit der Polizei feuer- gefährlicher Gegenstände , geht dann über zur Feuerpolizei in den Bauordnungen , so weit dieselben die Feuerstellen und Rauchfänge ꝛc. betreffen, und wird bei der Entwicklung der Gewerbe zugleich zur Feuer- polizei des Betriebes derselben. Die Vorschriften darüber sind all- gemein; die Ueberwachung ist Sache der Gemeinde; das Recht dieser Polizei ist dann ein, meist — freilich nicht allenthalben — gesetzlich bestimmtes Bußrecht . Der zweite Theil ist das Löschwesen . Das Löschwesen enthält zwei Theile. Der erste betrifft die Löschanstalten . Diese scheiden sich in die öffentlichen Löschanstalten (Spritzen ꝛc.) und in die privaten (Eimer, Wasservorrath ꝛc.). Das Minimum derselben ist gesetzlich vor- geschrieben oder sollte es sein; die Oberaufsicht über dieselben ist amtlich oder sollte es sein. — Der zweite ist die Löschordnung . Diese ist nun stets in zwei Theile getrennt. Der erste ist die eigentliche Löschordnung, die Ordnung der Thätigkeit beim Löschen. Diese ent- hält wieder die öffentliche Feuerwache , mit der Organisation der Löschmannschaft , die wiederum in großen Städten ein eigenes Corps bildet, während in kleinen Orten an ihre Stelle die bürgerliche „Feuer- wehr“ tritt, welche in neuester Zeit höchst zweckmäßig durch die Turner- vereine ersetzt wird; und die Löschpolizei , welche die öffentliche (Straßen-) Ordnung beim Löschen enthält. — Den zweiten Theil bildet das Rettungswesen , das durch die große Entwicklung der Städte zu einer selbständigen Technik ausgebildet worden ist und Großes leistet. Hätten wir eine tüchtige administrative Statistik, so würde es möglich sein, die Ergebnisse dieser Ordnungen im Verhältniß zur Dichtigkeit der Bevölkerung zu constatiren und dadurch ein Maß für ihren Werth zu bekommen. Ursprung aller Feuerordnungen in den alten Stadtrechten , schon im dreizehnten Jahrhundert, wenn auch nur noch in Beziehung auf die Elemente der Feuerpolizei. Das Löschwesen gehört hauptsächlich dem achtzehnten Jahr- hundert an. Feuerordnung für Berlin von 1727 bei Justi I. 247 ff. schon als Muster aufgestellt. Die Feuerordnungen des vorigen Jahrhunderts ent- halten daher schon alle wesentlichen Punkte dieses Systems: vergl. Berg a. a. O. und Mohl ebend. Preußen : Landesfeuerordnungen seit 1720 bei Rönne , Staatsrecht II. 365. — Oesterreich : Landesfeuerlöschordnungen seit 1782 ( Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde I. §. 257). — Württemberg : die Stuttgarter Feuerordnung von 1703 wird zur allgemeinen Landesfeuerordnung im achtzehnten Jahrhundert ( Mohl , Württemb. Verwaltungsrecht I. §. 253). Neueste ausführliche Feuerlöschordnung vom 20. Mai 1808 und Feuerpolizei- ordnung vom April 1808. Genau bei Roller , Württemb. Polizeirecht §. 352—405. Uebrigens ist die Feuerordnung von Breslau 1630 (selbst schon Revision) wieder das Muster der Berliner. — Bayern : Pötzl, Verwaltungsrecht §. 125. (Locale Entwicklung). Die Literatur des vorigen Jahrhunderts schon bei Berg ; dann bei Mohl ; sie ist ihrer Natur nach fast ausschließlich technisch. Ueber Frankreich : Gesetz vom 24. Aug. 1790, welches die ganze Feuerordnung unter den amt- lichen Maire stellt; specielle Entwicklung in den großen Städten (vergl. Block , Dict. v. Incendie und Sappeurs-Pompiers. England : Neueste Feuerpolizei: 24. 25. Vict. 130 (1861) Austria 1864 p. 41. II. Das Wasserrecht. Begriff und System. Das Wasserrecht beruht in Begriff und Inhalt darauf, daß das Wasser für das Gesammtleben eine doppelte Natur hat. Es ist erstlich fähig, Gegenstand des Privateigenthums zu sein. Es hat aber zweitens vermöge seiner Natur die Bestimmung, als ein allgemeines Element des gesammten persönlichen und wirthschaftlichen Lebens zu dienen. Daraus entstehen die beiden naturgemäßen großen Theile der Bildung des Wasserrechts, die wir demnach das Privatrecht und das öffent- liche Recht des Wassers nennen. Das letztere beruht darauf, daß das Wasser in allen Formen als Bedingung der persönlichen und wirth- schaftlichen Entwicklung Gegenstand der Verwaltung und daß sein öffentliches Recht daher unbedingt ein Theil des Verwaltungsrechts ist. Und die Gesammtheit derjenigen Bestimmungen, Anstalten und Thätig- keiten, vermöge deren die Verhältnisse des Wassers in der Weise im allgemeinen Interesse geordnet werden, daß dasselbe alle Bedin- gungen der Entwicklung des physischen und wirthschaft- lichen Lebens eines Volkes erfüllt, welche zu erfüllen es fähig ist , nennen wir das Wasserwesen . So einfach nun auch diese Begriffe an sich sind, so ist es dennoch die Aufgabe von Jahrhunderten gewesen, die erste Voraussetzung alles Wasserverwaltungsrechts, die Gränze zwischen dem Privat- und öffent- lichen Recht des Wassers festzustellen. Der Kampf zwischen beiden bildet die Geschichte des Wasserrechts. Erst nachdem derselbe nach den heftig- sten Bewegungen beendet ist, ist das heutige System in seinen Grund- lagen, wenn auch noch nicht in seiner Form, dafür anerkannt worden. Elemente der Geschichte des Wasserrechts . Die Geschichte des Wasserrechts muß demnach vom höheren Stand- punkt aufgefaßt werden als derjenige Proceß, durch welchen die Idee des volkswirthschaftlichen Wasserwesens sich gegenüber dem (bürgerlichen), privaten und ständischen Wasserrecht und seinen Wasserordnungen Gel- tung verschafft. Ein Wasserwesen kann überhaupt erst da entstehen, wo das wirth- schaftliche Leben des Volkes Zustände und Unternehmungen entwickelt, für welche Gebrauch und Verwendung des Wassers zu unabweisbaren Bedingungen werden, so weit es sich nicht um örtlichen Wasserschutz handelt. So lange das nicht der Fall ist, erscheint das Wasser im Rechtsleben eines Volkes überhaupt nicht. Es entwickelt sich deßhalb stets erst da, wo das Privateigenthum an Wasser mit dem öffentlichen Gebrauch desselben in Gegensatz tritt. Sein erster und naturgemäßer Inhalt ist deßhalb stets die Bestimmung der Gränze zwischen dem Privat- und öffentlichen Wasser, seine erste Aufgabe, den Gebrauch des als öffentlich anerkannten Wassers vor den Eingriffen der Einzelnen zu schützen (Wasserrecht und Wasserpolizei). Dieß ist der Standpunkt des römischen Rechts. Der leitende Gedanke desselben ist dabei, daß das Wasser, wenn es nicht ausdrücklich als öffentlich anerkannt ist, Accessorium des Grundes und Bodens sei. Mit diesem Princip tritt es in die germanische Rechtsbildung. Hier traf es zusammen mit dem Princip der Grundherrlichkeit einerseits und der Lehenshoheit anderer- seits. Aus dem ersten entwickelt sich der Gedanke, daß auch das fließende Wasser Eigenthum des Grundherrn sei, so weit sein Grund- besitz reicht; aus dem zweiten der Grundsatz, daß auch dieses Recht unter der Hoheit des obersten Lehnsherrn stehe, dem vermöge seiner Lehnshoheit daher alles fließende Wasser, auch die Flüsse, Ströme, ja die Meere unterstehen. Das erste erzeugt dann das grundherr- liche (germanische) Wasserrecht, dessen Princip es ist, den an sich öffent- lichen Gebrauch des fließenden Wassers zum Privateigenthum der herr- schaftlichen Grundbesitzer des Ufers zu machen. Das zweite erzeugt dagegen den Gedanken des Wasser-Regals , der hier wie immer zuerst das bloße Obereigenthum bedeutet, aber mit dem sechzehnten und siebenzehnten Jahrhundert sich zu der Idee erhebt, daß der König oder die „Krone“ vermöge dieses Regals nicht bloß den Rechtstitel, sondern auch die Pflicht habe, das Wasserwesen im öffentlichen Interesse durch seine Bestimmungen zu ordnen. So entstehen jetzt drei Richtungen; die erste behandelt das Wasser als Eigenthum (römisches Recht), die zweite als grundherrliches Recht (deutsches Privatrecht), die dritte als öffentliches Recht (Wasserregal als „Hoheit“ im jus publicum ), die sich gegenseitig kreuzen und verwirren. Daraus ergibt sich denn schon im siebenzehnten Jahrhundert das Bedürfniß, diesen Zustand durch ein einheitliches Wassergesetz zu ordnen. Den ersten Versuch macht Frankreich, dem im achtzehnten Jahrhundert mehrere deutsche Staaten folgen. Allein eine feste Ordnung entsteht nicht, und zwar deßhalb nicht, weil diese Wassergesetzgebungen das Princip des grundherrlichen Wasserrechts bestehen lassen und dadurch ihr Hauptobjekt, gerade die kleinen fließenden Gewässer, verlieren, die nach wie vor mit ihrem an sich öffentlichen Gebrauch Gegenstand des Privateigenthums und Privat- rechts bleiben. Auch in unserem Jahrhundert bleibt man lange Zeit in Gesetzgebung und Wissenschaft bei diesem Standpunkt und all seiner Ver- wirrung stehen, welche er in Auffassung und Folgerung mit sich bringt. Erst in dem letzten Jahrzehent tritt das wahre Verständniß ein, welches als Grundlage des Wasserwesens der Zukunft anerkannt werden muß und dessen Inhalt sich in drei Punkten zusammenfassen läßt. Es gibt nicht bloß ein Privateigenthum am Wasser, sondern es kann auch ein historisch erworbenes Privatrecht an dem öffentlichen Gebrauch desselben geben. Das ist das Wasserrecht . Die Verwaltung hat dagegen die Aufgabe, das Wasserwesen in jeder Rücksicht so zu ordnen, daß das Wasser alle Bedingungen der allgemeinen Entwicklung erfüllt, zu denen es vermöge seiner Natur fähig ist. Das ist die Wasserverwaltung . Tritt zwischen diesem Princip der Verwaltung und dem obigen des Privatrechts ein Widerspruch ein, so hat die Verwaltung das letz- tere wie jedes andere Privateigenthum zu entwähren . Das ist die Enteignung des Wasserrechts. Die Anwendung dieser Grundsätze auf das Wasserwesen ergibt nun das folgende System. Den Ausgangspunkt für Wissenschaft und Gesetzgebung des Wasserwesens bildet die Ordonnance des Eaux et forêts von 1699, welche zuerst die Grenze zwischen dem historischen Wasserrecht der Grundherrlichkeit und dem neuen Recht der Verwaltung des Wassers zum systematischen Ausdruck bringt, und bereits alle Punkte enthält, welche das ganze Wasserwesen des siebzehnten und acht- zehnten Jahrhunderts bilden. Sie formulirte den die Geschichte des letztern beherrschenden Gegensatz zwischen dem grundherrlichen und öffentlichen Wasser- recht in der Bestimmung desjenigen, was zum „domaine de la Couronne“ und was zur „justice seigneuriale“ gehört, und bildet dafür die dauernde Grundlage bis zur Revolution. In Deutschland kam es zu keiner selbständigen Gesetzgebung, da es keine einheitliche Staatsgewalt gab, welche der Idee der Wasserverwaltung gegenüber dem historischen Rechte ihren Ausdruck zu geben vermochte. Die Literatur beschränkte sich daher darauf, das bestehende Recht in drei Formen zu verfolgen — die reinen Grundbegriffe des Wasserrechts in der Interpretation der betreffenden Titel der Digesten, die örtlichen Gerechtsame der Grundherrlichkeit in den verschiedenen Bearbeitungen des deutschen Privat- rechts, und endlich das staatliche Verwaltungsrecht und seinen Inhalt in der Lehre vom Wasserregal. Erste Hauptbearbeitung: A. Fritsch , Jus fluviati- cum, 1672; letzte und gründlichste Cancrin , Abhandlungen vom Wasserrecht 1789—1800. 4. Bde. Vom Regal zur Idee des Verwaltungsrechts gelangt man jedoch noch nicht, vergl. Berg , Polizeirecht III. S. 76 ff. Quellen und Ueber- sicht der Geschichte des Wasserregals nebst Literatur s. Mittermaier , deutsches Privatrecht I. 222. Auch die Gesetzgebung kommt nicht weiter. Die österreichi- sche Strompolizeiordnung von 1770 ist eigentlich eine Schifffahrtsord- nung für die Donau ; an dieselbe schließen sich bis auf die jüngste Zeit eine Reihe von Strompolizeiordnungen für die einzelnen Ströme (bei Stubenrauch I. §. 224), erst in den neuesten Bestrebungen für eine einheitliche Wassergesetz- gebung. Ueberdieß beginnt namentlich die preußische Gesetzgebung schon neben dem Deichrecht auch die eigentliche Wasserverwaltung, Ent- und Bewässerung zu ordnen. Erstes Edict 1704; folgende bei Nieberding , Wasserrecht und Wasserpolizei im preuß. Staate 1866. S. 10 ff. Doch bleibeu diese Bestim- mungen localer Natur. Erst in unserem Jahrhundert beginnt ein allgemeines Verständniß. Beginn: die französische Verbindung des Wasserrechts mit der Landwirthschaftspflege: Decret vom 28. Sept. 1791 ( Code Rurale ): Laferri è re , Droit adm. I. 1. 5; das Verwaltungsrecht ist hier schon entschieden dem Privat- recht untergeordnet. Preuß. Allgem. Landrecht , Theil I. 8; folgende Ver- ordnung dieses Jahrhunderts bei Nieberding , Anhang. Unterdessen aber halten sowohl das römische Recht als das deutsche Privatrecht an dem Privat- eigenthum fest, und jetzt beginnen sich die Begriffe zu verwirren, da sie nun- mehr durch die neue Bewegung der Gesetzgebung in engste Berührung gesetzt werden. Die Nothwendigkeit einer neuen Auffassung des ganzen Gebietes wird klar, und die gesetzlichen Bestimmungen treten in rascher Folge in allen deut- schen Staaten auf und so entstehen die Elemente des Systems des Wasserrechts unserer Gegenwart, in denen Deutschland entschieden sowohl England als Frank- reich voraus ist. A. Das Privatwasserrecht. Um zu einem durchgreifenden Begriff des Privatwasserrechts zu kommen, muß man die Unterscheidung des Wassers als begränzte Substanz und des Wassers als bewegende Kraft oder des fließen- den Wassers zum Grunde legen. Alles Wasser kann in beiden Be- ziehungen Gegenstand des Privateigenthums sein; nur hat das letztere in beiden Fällen einen wesentlich verschiedenen Inhalt. Die Bedingung dafür, daß das Wasser seiner Substanz nach Privateigenthum sei, ist die, daß es ein begränztes und damit be- stimmtes Quantum bilde. Daher sind von diesem Eigenthum aus- geschlossen nicht bloß die Meere und Seen, sondern auch das fließende Wasser. Ist aber eine bestimmte Wassermenge eine Sache und damit ein Eigenthum, so folgt, daß auf dasselbe ganz einfach alle Grundsätze des Eigenthums angewendet werden. Es gibt für dasselbe Erwerb und Verlust, Besitz und Tradition, Servituten, Pfandrecht, Verjährung und die Grundsätze der Culpa, des Schadens und Schadenersatzes ganz nach der lex Aquilia. Das System dieser Anwendung des Privat- rechts auf das Wasser bildet dann das System des Wassereigen- thumsrechts . Und hier wie im ganzen Eigenthumsrecht ist es das römische Recht , welches die Quelle dieses Rechtssystems zu bilden hat. Wo aber ein fließendes Wasser vorhanden ist, da ist durch die Natur desselben das Eigenthum an der Substanz ausgeschlossen . Das Objekt des Rechts ist bei fließendem Wasser nur der Gebrauch desselben. Dieser Gebrauch ist ferner naturgemäß nicht ein Recht eines Einzelnen, sondern das Recht kann sich immer nur auf einen bestimm- ten und begränzten Gebrauch beziehen. Es ist kein Zweifel, daß ein solcher Gebrauch auch von einem Einzelnen erworben werden und als Eigenthum desselben angesehen werden kann. Ist das der Fall, so ge- hört ein solcher Gebrauch zu den unbeweglichen Gütern, und es ist durchaus rationell, denselben mit dem Grundstück, dem er angehört, auch in die Grundbücher eintragen zu lassen und ihm damit das Recht des Grundbuchs in Beziehung auf Eigenthum und Besitz zu geben. Die Natur dieses Gebrauches bringt es dann mit sich, daß er selbst den bereits von einem Andern erworbenen Gebrauch an demselben Wasser nicht störe und ausschließe. Ist er aber erworben, so gilt für ihn wie für jedes erworbene Recht der Grundsatz, daß wenn das öffent- liche Interesse eine Aufhebung jenes Rechts fordert, dafür die Enteig- nung nach den allgemeinen Grundsätzen einzutreten hat. An das Eigenthum und das Grundbuch des fließenden Wassers schließt sich daher das Princip der Wasserenteignung . Alle diese Sätze scheinen klar zu sein. Fraglich wird das System des Privatwasserrechts nur da, wo das fließende Wasser der Art ist, um neben dem Einzelgebrauch auch einen öffentlichen Gebrauch zuzulassen. Offenbar ist ein jedes Wasser, welches für alle einen Gebrauch zuläßt, seiner Natur nach unfähig, ein Privateigenthum zu werden. Das ist der Begriff des flumen publi- cum des römischen Rechts, den die germanische Rechtsbildung dahin bestimmte, daß die schiff- und flößbaren Wasser öffentliches Eigen- thum seien und als solche dem öffentlichen Wasserrecht unterstehen. Dieser an sich einfache Satz wird nun durch das Princip der Grund- herrlichkeit gebrochen, indem dieselbe aus dem Obereigenthum an dem ganzen Ufer das Eigenthumsrecht auch an dem öffentlichen Gebrauche des Wassers ableitete. Das ist das Rechtsprincip des grundherr- lichen Wasserrechts, dessen Inhalt und Entwicklung dann das deutsche Privatrecht gegeben hat. Die Geschichte des Wasserrechts zeigt nun den Kampf und Sieg der Idee des öffentlichen Interesses mit diesem grundherrlichen Wasser- recht zuerst in der Idee des Wasserregals , und dann in der seit dem siebenzehnten Jahrhundert entstehenden Wassergesetzgebung . Der schließliche Inhalt dieser Bewegung ist der Uebergang aller eigent- lich grundherrlichen Wasserrechte an die Verwaltung. Auf diese Weise haben sich mit dem neunzehnten Jahrhundert die beiden Kategorien des Privat- und des öffentlichen Wasserrechts der Sache nach festgestellt, wenn auch in der theoretischen Form namentlich dadurch viel Unsicher- heit hineingekommen ist, daß entweder das römische Recht mit seinen Begriffen, die es höchstens bis zur Wasserpolizei bringen, für die ganze Lehre vom Wasserrecht zum Grunde gelegt, oder das deutsche Privat- recht, das nur historische Rechtsbildungen kennt, als einfacher und unerkannter Gegensatz des römischen Rechts angenommen wurde. So wie aber die Verwaltungslehre ihren Platz findet, so ergibt sich sofort, daß weder das eine noch das andere dieser Rechte fähig und bestimmt ist, das ganze Wasserrecht zu beherrschen, sondern daß man sie, will man nicht alle Begriffe verwirren, auf die beiden Fragen nach dem Eigenthum an Substanz und begränztem Gebrauch des Wassers be- schränken muß, während das zweite große Gebiet, das öffentliche Wasser- recht, einzig und allein der Verwaltungslehre angehört. Die Geschichte der Literatur des Wasserrechts von diesem Standpunkt — dem Versuche sich von der ungenügenden privatrechtlichen Theorie des römischen und deutschen Rechts loszumachen, ohne daß man doch zu einem festen Resultate gelangt wäre, sind sehr interessant und einer eigenen Darstellung werth. Vergl. darüber Mittermaier , deutsches Privatrecht I. §. 222 nebst Literatur; in neuer Zeit namentlich die schöne Arbeit von Ubbelohde a. a. O. Schenk , die Wasserrechtsfrage 1860 und Stein, die Wasserrechtslehre, in Haimerls Magazin Bd. XVIII. H. 2. In der Literatur Frankreichs ist der Streit dem deutschen ganz gleich : schon Pothier ( Traité de la propriété 1784; Proudhon , Domaine public III. 947; Championnière , Eaux courants; Laferrière , Droit administr. L. I. P. I. T. VI. p. 703) sagt schon sehr gut: „l’usage est un démembrement de la propriété et par conséquent il suppose la propriété.“ — Die Polizeiwissenschaft läßt die Frage ganz beiseite. Da- gegen die Enteignung stets richtig behandelt im Sachsen-Altenb. Gesetz I. III. B. Das öffentliche Wasserrecht. Begriff und Wesen. Das öffentliche Wasserrecht beginnt demnach da, wo der Gebrauch eines Wassers vermöge seiner Natur nicht mehr durch die Substanz begränzt, sondern ein allgemeiner ist. Hier tritt die höhere Natur des Wassers ein; es wird aus einem Gegenstand des Privatrechts ein Ge- genstand der inneren Verwaltung, und das leitende Princip dieses Rechts ist, diejenigen Ordnungen zu treffen, vermöge deren das Wasser der Gesammtheit alle die Dienste leistet, welche zu leisten es fähig und bestimmt ist. Das öffentliche Wasserrecht empfängt nun sein System dadurch, daß eben jedes der Grundverhältnisse, in denen es dem allgemeinen Bedürfnisse entgegenkommt, selbständiger Gegenstand einer eigenen Ver- waltungsthätigkeit und damit Rechtsbildung wird. Dasselbe ist daher nicht ein abstraktes System der Theorie, sondern ein praktisches des wirklichen Lebens. Seine Gebiete sind der Wasserschutz, und die recht- liche Ordnung des Wasserwesens für die Gesundheit, die Verkehrs-, die gewerblichen und die landwirthschaftlichen Zwecke. Die Wasser- polizei ist der Schutz gegen die Störungen dieser Ordnungen auf jedem Punkte und daher kein eigenthümliches Gebiet. Der Gesichts- punkt für die Behandlung dieser Fragen darf aber nicht der des Privat- rechts, sondern muß der des öffentlichen Interesses sein. Erst das neunzehnte Jahrhundert hat nun diesen Grundsatz durchgehend aner- kannt, und so sind die Ausführungen desselben, die Wassergesetz- gebungen entstanden, die mit mehr oder weniger Klarheit und Ein- heit die Codifikationen des Wasserrechts unserer Gegenwart bilden, und deren Inhalt sich demgemäß in die folgenden Gebiete auflöst. England hat keine vollständige Wassergesetzgebung, sondern von jeher einzelne Parlamentsbeschlüsse, die dann in der ersten Waterworks-Clauses Act von 1847 und dann in der neuen Waterworks-Clauses Act 26. 27. Vict. 93 zusammengefaßt sind, sich aber wesentlich auf die Baulichkeiten für das Wasser bezieht. Vergl. Gneist , Verwaltungsrecht II. 737 ff. Daneben specielle Akte; s. unten. — Frankreich hat in seiner großen Ordonnance de la marine vom August 1681 die allgemein gültigen Bestimmungen für das öffentliche Wasser- recht des Meeresufers aufgestellt; eine einheitliche Wassergesetzgebung entbehrt es (vergl. Laferri è re , Dr. publ. ). P. 1. Tit. 4. Die Grundlage des eigentlichen Wasserrechts ist dagegen die große Ordonnance des eaux et forêts vom Aug. 1669. — Deutschland zeichnet sich durch reiche und zum Theil ausgezeichnete Ge- setzgebungen aus, zum Theil in den allgemein bürgerlichen Gesetzbüchern, wie im Allgem. Landrecht II. 15. 62; dann in eigenen Gesetzen bis 1856 gesammelt von Glaß : die wasserrechtliche Gesetzgebung. Die Literatur darüber bei Ubbe- lohde und Nieberding S. 23, 24. — Das bayerische Wasserrecht von 1852 erläutert von Pözl , bei Dollmann. — Hessen-Darmstadt : Wasser- rechtsgesetz von 1853 und 1858. — Lübeck : Wasserlösungsordnung vom 2. Dec. 1865. Das rationellste Gesetz ist das Sachsen-Altenb. Wasserrecht, Gesetz vom 18. Okt. 1865. — Ueber das preußische Wasserrecht außer Nieberding a. a. O. Rönne und Lette , Landw. Culturgesetzgebung Bd. III. Das neueste österreichische, kaum genügende Gesetz vom 30. Mai 1869. a ) Der Wasserschutz und Wasserbau . Der Wasserschutz ist diejenige Ordnung der Verwaltung, welche der elementaren physischen Gewalt des Wassers und ihren zerstörenden Wirkungen entgegentritt. Der Wasserschutz ist ursprünglich wie die Wassergefahr örtlich . Es ist zuerst dem Einzelnen überlassen; dann wird es Gegenstand der Selbstverwaltung, und daraus bildet sich das Deich- und Dammwesen und seine Organisation; erst mit dem achtzehn- ten Jahrhundert tritt die Staatsverwaltung thätig hinzu, und so ent- steht die große technische Organisation, welche wir das Wasserbau- wesen nennen. Grundlage desselben ist, daß die allgemeinen technischen Vorschriften von der Regierung, die rechtlichen Bestimmungen nament- lich über die Wasser last oder die Vertheilung der Kosten von der Gesetz- gebung, der wirkliche Wasser bau dagegen von den Deichverbänden unter technischer Leitung und Oberaufsicht ausgehen. Bei hoher ört- licher Wichtigkeit der Sache fehlt natürlich die allgemeine Bedeutung der Sache. Daher auch die sehr ungleichmäßige Behandlung derselben. Ueber das alte Deich recht und die Deichverbände in jedem deutschen Privatrecht vergl. für die neuere Zeit Gierke , Genossenschaftsrecht §. 587. Mittermaier , deutsches Privatrecht I. §. 223—226. Beseler , deutsches Privatrecht §. 198. — Entstehung der verwaltungsrechtlichen Behandlung im vorigen Jahrhundert vergl. Berg , Polizeirecht III. 2. 8. Neue Zeit: Mohl , Polizeiwissenschaft II. §. 124. — Specielle Gesetzgebung vergl. Nieberding a. a. O. S. 208—243. Ubbelohde S. 4—6. Roller , württembergisches Polizeirecht S. 103. 206. — Hannover : Deichordnung vom 2. März 1864. — Oesterreich: örtliche Vorschriften, die aber analog angewendet werden bei Stubenrauch I. §. 258. — Bayern : Hauptgesetz für den Uferschutz vom 28. Mai 1852. Mayer , Verwaltungsrecht S. 172. Pözl , Verwaltungs- recht. — Das englische Recht ist nicht ausgebildet. — Das französische Deich- recht ist geordnet durch Gesetz vom 14. Flor. XI. und Gesetz vom 16. Sept. 1807. Hier sind die ersten Associations syndicales in Frankreich entstanden. Vergl. Block , Art. Endiguement . Neuestes Gesetz über die Associations syndicales bei Wasserbauten vom 21. Juli 1865. b ) Die Wasserversorgung . Die Wasserversorgung — das Wasserrecht der Gesundheitspflege — bei den Alten hoch ausgebildet, gehört für unsere Epoche erst der neuesten Zeit. Sie hat aus naheliegenden Gründen einen wesentlich localen Charakter, und ist bisher mehr auf das Bedürfniß als auf die Gesundheitspflege berechnet. Eigentliche Gesetzgebungen gibt es dafür nicht; es wird solche erst dann geben, wenn die öffentliche Gesundheits- pflege diese erste Bedingung aller Gesundheit nicht mehr dem zufälligen Verständniß der einzelnen Gemeinden überläßt. Die bisherigen Wasser- versorgungen haben mehr den Charakter von Unternehmungen als den von öffentlichen Anstalten. Das wird in der Zukunft anders werden. Mangel der Berücksichtigung in den Gesetzgebungen. In England jedoch schon in der Waterworks Clauses Act ausführlich berücksichtigt. Sonst nur ein- zelne theils sicherheitspolizeiliche und hygienische Bestimmungen in den Strom- und Wasserpolizeiordnungen. Das Ganze ist grundsätzlich, aber nicht rationell, Sache der Gemeindeverwaltungen. c ) Die Wassertriebkraft . Die Triebkraft des Wassers bildet den Punkt, wo sich das Privat- und das öffentliche Wasserrecht in der germanischen Welt, vorzugweise aber in dem bergigen Deutschland am engsten berühren, während das Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 11 Gebiet in dem flachen England und selbst in Frankreich nahezu fehlt. Das Recht desselben hat zwei Epochen. Die erste ist die grundherr- liche, in der der Grundherr als Eigenthümer auch des fließenden Wassers auftritt; daher Recht auf Anlage von Mühlen ꝛc. als Perti- nenz der Grundherrschaft. Die zweite beginnt mit dem achtzehnten Jahrhundert sich klarer zu bilden, erscheint jedoch noch wesentlich als Recht der bestehenden Wassergewerke, namentlich der Mühlen; daher erschöpft sich das Recht in den Mühlwasserordnungen, die dem römi- schen Recht ganz unbekannt sind, mit Vorfluths-, Staurecht, Wehrrecht und anderen Punkten. Dadurch Verbindung mit gewissen Servituten, und daran sich knüpfend eine große Jurisprudenz, welche noch immer alle Fragen aus dem einseitigen privatrechtlichen Gesichtspunkt be- handelt. Vergl. das betreffende Recht für Preußen bei Nieberding a. a. O. Letzte preußische Mühlordnung vom 15. Nov. 1811. — Oesterreich : Stand- punkt der Verleihung von Wassergefällen (niederösterreichische Verordnung vom 28. Febr. 1858; Stubenrauch I. S. 258). d ) Die Wasserverkehrswege . Die zweite große Form des Gebrauchs des Wassers ist die der Wasserverkehrswege . Der einfache Grundsatz, daß ein Gewässer welches die Fähigkeit hat, als Verkehrsweg benützt zu werden, auch der Gesammtheit gehöre, entsteht mit dem Verkehr selbst, und ist daher dem römischen Recht wie dem ältesten deutschen Recht ein unbezweifeltes Princip. Die Entstehung der Grundherrlichkeit hat nun diesen Grund- satz seit dem Mittelalter wieder in Zweifel gestellt, die Benützung der Wasserstraßen als ein Recht der ersteren, und vermöge derselben Zoll- und Wegegeld von der Flußschifffahrt gefordert. Der Kampf gegen diesen verderblichen Grundsatz erscheint dann in der Regalität des Wassers. Dieselbe wird in verschiedener Weise ausgedrückt, enthält aber zunächst und ursprünglich nur den negativen Gedanken, daß alle schiffbaren Ströme und Flüsse, als Eigenthum der Krone, nicht der Grundherrlichkeit angehören. In dem theils theoretischen, theils prak- tischen Kampf um das Princip erschöpft sich dann das achtzehnte Jahr- hundert; doch gelangt dasselbe schon zu den allgemeinen Strom- und Flußpolizeiordnungen , welche zugleich Schifffahrtsordnungen sind, während für die kleineren fließenden Gewässer wieder die Leinpfade- ordnungen und das Flößerrecht , obwohl meist örtlich entstanden, dennoch gleichfalls den Gedanken des allgemeinen Rechts an jedem schiffbaren Gewässer in ihrem Gebiete durchführen. Aber erst das neunzehnte Jahrhundert gelangt zu einer größeren Auffassung. Während in dem achtzehnten Jahrhundert die schiffbaren Gewässer noch immer den Charakter örtlicher Verkehrswege haben, erscheinen dieselben im neunzehnten Jahrhundert schon als Verkehrswege der allgemeinen Handelsbewegung. Die Verwaltung fängt daher jetzt an, unmittelbar für dieselben thätig zu sein. So entstehen zuerst die Canalbauten einerseits, und die Strom- und Flußregulirungen andererseits. Aber auch sie sind zunächst nur als Aufgaben der angränzenden Länder aufgefaßt; den Ausdruck dieses Princips bilden theils die Privilegien für bestimmte Schifffahrtsgesellschaften, theils die Belegung fremder Schiffe mit besonderen Abgaben. Erst die Mitte unseres Jahrhunderts stellt sich auf den Standpunkt, die großen schiffbaren Ströme als Theil des Meeres zu betrachten; und so bricht sich der Gedanke der vollen Verkehrsfreiheit Bahn, der theils in der Aufhebung der noch be- stehenden Stromzölle, wie auf Rhein und Elbe, theils in der unbe- schränkten Zulassung fremder Dampfschifffahrtslinien, wie auf der Donau, theils in großen internationalen Stromarbeiten wie an der Sulinamündung, theils in nicht minder bedeutenden Weltcanalbauten, wie der Suezeanal seinen großartigen Ausdruck findet. Hier reicht das Wasserrecht dem Schifffahrtswesen die Hand, und das Princip der Ge- meinschaft des Verkehrslebens von ganz Europa erringt einen neuen, hochbedeutenden Sieg über Grundherrlichkeit und Partikularismus der früheren Epochen. Zuerst und am klarsten ist das Princip der Unterordnung aller schiffbaren Flüsse gesetzlich ausgesprochen in der Ord. des eaux et forêts 1669: „toutes les eaux portants bateaux de leur fonds — sont domaine de la Couronne.“ Stein bei Haimerl a. a. O. Laferri è re , Droit publ. I. 1. Tit. 4. (Geschichte.) Ueber die Entwicklung des deutschen Rechts Mittermaier , deutsches Privat- recht I. §. 221. 222 nebst Literatur. Oesterreichs Strompolizeiordnung von 1770. (s. oben). Preuß . Allgem. Landrecht I. 8 und 22 und das Gesetz über die Benützung der Privatflüsse vom 28. Febr. 1843. Vergl. Nieberding a. a. O. und Glaß . Alte Rhein- und Elbzölle Klüber , Oeffentliches Recht §. 568 ff. mit all den früheren Bestimmungen auch über Main, Neckar, Mosel, Maas und Schelde als internationale Verträge. Elbzölle speciell: Aktenstücke und Nachweise 1860. Freiheit der Donau 1859. Befreiung von den Elbzöllen in Aussicht gestellt (Norddeutsche Bundesverfassung Art. 54). — Convention über internationale Schifffahrt auf dem Pruth von 1869. e ) Das Wasserrecht der Landwirthschaft . Das was wir das Wasserrecht der Landwirthschaft nennen, ent- steht endlich da, wo die Fähigkeit des Wassers der Produktion , na- mentlich in der Landwirthschaft zu dienen, nicht mehr der Einzelthätig- keit überlassen, sondern Gegenstand der Verwaltung wird. Nach dem Wesen der letzteren kann dieß nur da der Fall sein, wo der Einzelne nicht mehr im Stande ist, auf Grundlage einzelner Kräfte und Rechte diese Fähigkeit des Wassers auszunutzen. Die Voraussetzung dafür ist ein höheres Verständniß der produktiven Qualitäten des Wassers. Der Zweck ist die möglichst allgemeine Verwerthung dieser Qualitäten. Der Organismus dafür ist vermöge der örtlichen Natur des Wassers, wesent- lich das Vereinswesen in der Gestalt der Wasserverbände. Das Recht derselben enthält einerseits die Aufstellung der Principien für die Ordnung dieser Wasserkörperschaften und ihrer Verwaltungsthätig- keiten, andererseits die Durchführung der Enteignung für die Zwecke derselben. Die beiden Hauptgebiete sind die Entwässerung , zu einem speciellen Rechtsverhältniß ausgebildet durch das Drainirungs- system, und die Bewässerung in ihren verschiedenen Formen. Die Grundsätze, nach denen beide anzulegen und zu betreiben sind, gehören der Landwirthschaftslehre; die Wasserverwaltung hat nur die rechtlichen Bedingungen herzustellen, welche die Voraussetzung für beide bilden. Hier tritt daher die Thätigkeit des Staats hinter die des Einzelnen zurück, und Verständniß und Energie der Vereine und der Individuen übernehmen die Aufgabe, das Wasser zu einem integrirenden Elemente des produktiven Lebens der Volkswirthschaft zu machen. Das nun sind die drei Hauptgebiete der Wasserverwaltung. Ge- schichtlich successiv entstanden, und örtlich sehr verschieden ausgebildet, sind sie dennoch stets alle zugleich in jeder Verwaltung gegenwärtig und thätig; sie sind ein Ganzes, und müssen als solches aufgefaßt und erkannt werden. Die Epoche der Strompolizei und des Wasserordnungsrechts kennt gesetz- lich noch das Gebiet nicht. Doch ist bei Justi I. §. 37. 80 die Ent wässerungs- lehre technisch schon verarbeitet. Die Ent- und Bewässerungsgesetzgebung hat ihre örtliche Heimath aus physischen Gründen in der Lombardei und Holland (Waterstaat). Anfang für Deutschland im achtzehnten Jahrhundert in Preußen mit Edikt von 1704; die folgenden Verordnungen bei Nieberding S. 10 ff. In unserem Jahrhundert ward sie ein integrirender Bestandtheil aller Wasser- gesetzgebung; Gesetze bei Glaß , Wasserverordnungen. Gesetzgebung; Preußen : bei Nieberding S. 91—116 und 122—170. Lette und Rönne Landeskultur- gesetz Bd. III. Hannover bei Ubbelohde S. 27 ff. Neueste Deich- und Abwässerungsordnung vom 22. Jan. 1864. Wassergenossenschaften : vergl. Gierke a. a. O. Allgemeine Bemerkungen bei Stein a. a. O. Fort- schreitende Bildung von Ent- und Bewässerungsverbänden mit eigener Verwaltung und Enteignungsrecht; Statuten derselben nach den Grundsätzen des Vereinswesens bestätigt; vergl. preuß. Gesetzsamml. 1865—69. Grundlage ist dabei stets das Gesetz vom 11. März und 14. Nov. 1853 für die Entwässe- rungsverbände. — In Frankreich haben sich Irrigation ( servitude légale d’irrigation L. 29. Avr. 1845) und Desséchement ( Code de des- séchement v. Poterlet ) zu selbständigen Gesetzgebungen entwickelt, ( Loi sur le drainage vom 10. Juni 1854), und sind für beide die Verbände als Asso- ciations syndicales eingeführt. Gesetz über die Associations syndicales für Entwässerungen vom 24. Juli 1865. Austria 1866 S. 364. Vergl. Lafer- ri è re , Droit. admin. I. P. 1. Tit. IV. Ch. 1—2. — In Belgien gleiche Grundsätze: de Fooz , Droit admin. belge 1861. III. S. 241. Neben dem holländischen Waterstaat s. de Bosch Kemper , Nederl. Staatsregt §. 201 ff. — In England gilt für den Wasserbau die Waterworks Clauses Act von 1863. 26. 27. Vict. 93. Früheres Recht Gneist II. S. 737. Waterworks Clauses Act von 1847. Für das Drainage-Recht 24. 25. Vict. 133 mit Drai- nage boords und districts und die Drainage Act 26. 27. Vict. 58. Austria 1865. N. 8. Die frühere Drainage Act 9. 10. Vict. 101 hatte 1 Million Vorschuß gewährt. Roscher II. 36—39. III. Das Schadenversicherungswesen. Begriff und historische Entwicklung. Im Wasserwesen und Feuerwesen schützt nun der Einzelne unter Hülfe der Gemeinschaft seine Güter vor den Elementen. Da aber, wo dieser Kampf für das Gut aufhört, beginnt ein zweiter. Es ist der Versuch, auch bei wirklichem elementarem Untergang des Gutes das- jenige zu erhalten, um dessentwillen er das Gut eigentlich besitzt, den Werth desselben. Diese Erhaltung des Werthes bei Untergang des Gutes ist nun dem Einzelnen für sich geradezu unmöglich. Sie ist nur denkbar, in- dem er mit Anderen in eine Gemeinschaft tritt, welche auf Grundlage gegenseitiger Leistungen ihm den Ersatz für den wirklich eingetretenen Elementarschaden darbietet. Eine solche Gemeinschaft bedarf der Ord- nung sowohl für die Bestimmung der Leistungen und Gegenleistungen, als für die daraus entstehenden Rechtsverhältnisse; und diese Ordnung ist, als öffentlich anerkannte Organisation des gegenseitigen Ersatzes für Elementarschäden, das Schadenversicherungswesen . Es ist klar, daß ein solcher Ersatz anfänglich nur auf dem guten Willen des Einzelnen beruht. Zu einer öffentlichen Organisation ge- langt die Sache erst dann, wenn sich aus den Einzelwirthschaften größere Unternehmungen entwickeln, die nur vermöge der Sicherung eines Ersatzes in Schadensfällen ihre Verpflichtungen aufrecht halten können. Sie werden damit die Basis des Credits, und schreiten in dem Grade vor, in welchem der Unternehmungscredit seinen privaten Charakter verliert und die Gefährdung der Zahlungsfähigkeit des einen Unternehmens zu einer Gefahr für die des andern wird. Alle Orga- nisation des Versicherungswesens geht daher von gleichartigen Unter- nehmungen aus, und entsteht zunächst in der Form des Vereinswesens. Aus dem letzteren Grunde kennt die alte Welt kein Versicherungswesen, aus dem ersteren das Mittelalter nicht. Dasselbe entsteht erst mit dem Welthandel im fünfzehnten Jahrhundert und zwar für die Schifffahrt als Seeversicherung durch freie Versicherungsvereine; von da geht es über auf die Städte als örtliche (städtische) Feuer-Assecuranzen ; im siebzehnten Jahrhundert greifen dann die Regierungen hinein, und errichten öffentliche Brandschadenversicherungen auch für das flache Land mit Verpflichtung zur Theilnahme und unter amtlicher Verwal- tung. Frankreich und England halten sich allerdings davon frei, da- für aber entsteht die erste große Seeversicherungsgesetzgebung in der Ordonnance de la marine von 1667, während mit dem englischen Handel das Vereinswesen aufblüht. Im achtzehnten Jahrhundert geht das Versicherungswesen dann auf die Theorie über; das Versicherungs- recht wird Gegenstand historischer und juristischer Forschung, und die großen Versicherungsgesellschaften, namentlich Englands, beginnen zu internationalen Instituten zu werden. Im neunzehnten Jahrhundert löst sich dann auch das Feuerversicherungswesen in den übrigen euro- päischen Staaten von der Vormundschaft der Regierung ab, mit Aus- nahme Preußens und einiger andern deutschen Staaten, welche an den Beschränkungen des vorigen Jahrhunderts auch jetzt noch festhalten. Das Versicherungswesen entwickelt sich nunmehr in gleichem Schritte mit Verkehr und Credit zu einem integrirenden Element des gesammten volkswirthschaftlichen Lebens; es bildet sich einerseits das Schadenver- sicherungswesen in seinen Hauptzweigen, der See- und der Feuer- versicherung, daneben in Hagel- und Viehv ersicherung zu einem großartigen Systeme aus, an das sich die Lebensversicherung als neue und eigenthümliche Form der Capitalbildung anschließt; die große Ge- meinsamkeit des Verkehrs verbindet die Gesellschaften in der Form der Rückv ersicherungen wieder unter einander, und erzeugt in den Rück- versicherungsgesellschaften selbständige Organe dieser Gegen- seitigkeit, so daß jetzt das Versicherungswesen, von kleinen Anfängen ausgehend, zu einem alle Welttheile in Credit und Verkehr gleichmäßig umfassenden, gewaltigen Organismus geworden ist, eine der großartig- sten Erscheinungen, welche die Weltgeschichte kennt, und die nunmehr auf allen Punkten der Erde jeden Einzelnen zwar nicht vor dem ele- mentaren Verlust seiner Güter, wohl aber ihres Werthes schützt. Auf diesem hohen Standpunkte nun verlieren offenbar die Verei- nigungen für die Versicherung ihren ursprünglichen Charakter. Sie können gegenüber einer solchen, die ganze Welt umfassenden und den ganzen Völkerverkehr durchdringenden Funktion weder bloß örtliche Staatsanstalten, noch bloße Erwerbsgesellschaften bleiben. Sie sind ihrem Wesen nach freie Organismen der Verwaltung; das ist, sie sind Vereine , und ihr Recht, ursprünglich nichts als Vertrags- und ad- ministratives Recht, wird ein Theil des Verwaltungsrechts im höchsten Sinne des Wortes. Sie sind Organe des öffentlichen Lebens geworden; sie verwalten uns die wichtigsten öffentlichen Interessen und Recht und Theorie ihrer Funktion sollte daher jetzt nicht mehr als bloßes Privatrecht und Geschäftslehre, sondern als ein wesentlicher Theil der Verwaltungslehre erkannt werden. Allerdings nun stehen wir in dieser Beziehung vor dem entschei- denden Uebergange von der früheren Auffassung. Die Zukunft des Schadenversicherungswesens im Besonderen (wie des Versicherungswesens im Allgemeinen) beruht darauf, daß man die Principien, das Recht und die Verwaltung der Vereine als Elemente des Verwaltungsrechts erkennt, und daher das Sonderinteresse derselben den großen Forderun- gen des Gesammtinteresses sich organisch unterordnet. Dazu hat nun die neuere Zeit noch das große Element des internationalen Ver- sicherungswesens hinzugefügt, indem die Zulassung fremder Gesell- schaften, die nicht einmal dem einheimischen Vereinsrecht unterliegen, und die daher in ihrer unbegränzten Freiheit das Versicherungswesen ganz als ein Geschäft und freie unbeschränkte internationale Zulassung als eine einfache Consequenz der leeren Handelsfreiheit erscheinen lassen. Offenbar genügt hier das formale Element des Rechts nicht mehr; es muß vielmehr das Wesen der Sache für die Verwaltung zur Geltung kommen. Um das darzulegen, muß man das Princip und die Ent- wicklung der Rechtsbildung des Versicherungswesens ins Auge fassen. See-Assecuranz als Grundlage des organischen Versicherungswesens, nur durch Vereine möglich. Erste Assecuranz wahrscheinlich im vierzehnten Jahrhundert in Flandern; im fünfzehnten Jahrhundert Ausbreitung derselben namentlich von Holland aus. Hauptwerk noch immer Beneke , System des Assecuranz- und Bodmereiwesens 1805. 4. Bde. Geschichtliche Einleitung Bd. I. S. 1 ff. Literatur: Mittermaier , deutsches Privatrecht III. Bd. §. 303. Uebergang zur Feuerversicherung im siebzehnten Jahrhundert. Beginn als städtische Versicherungen; Angaben von Hellwig in Zeitschrift des stat. Bur. 1868. Im achtzehnten Jahrhundert in Deutschland gesetzliche Aus- dehnung auf das ganze Land im Verordnungswege: „die Staatspolizei ist zur Einführung solcher Anstalten nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet“ Berg , Polizeirecht III. S. 68. Dieß Princip erhält sich noch immer in mehreren deutschen Staaten. — Preußen scheint mit der obrigkeitlichen Orga- nisation der „Feuersocietäten“ voranzugehen (Feuerkassenreglement von 1705 und 1706); Beibehaltung dieses Standpunktes in neuester Zeit (Gesetz von 1841 und 1845); Literatur bei Rönne , Staatsrecht II. 439; sehr exclusiv gegen die freie Bewegung der Versicherungsvereine, dagegen ohne Gesetz für die See- versicherung u. s. w. — Aehnlich in Bayern ; neuestes Gesetz vom 28. Mai 1852. Pözl , Verwaltungsrecht §. 130 und bei Dollmann . — In Württemberg schon seit 1773 Umwandlung der seit 1753 bestehenden Gesellschaft in eine Staatsanstalt mit Zwang durch Brandversicherungsordnung vom 16. Jan.; darauf die Brandschadenordnung von 1807. Mohl , württembergisches Ver- waltungsrecht II. §. 255. — Oesterreich : Im vorigen Jahrhundert Stand- punkt der öffentlichen Unterstützungen ohne Versicherungsanstalt ( Kopetz , Polizeigesetzkunde II. 118 Art.; Entschluß vom Sept. 1819 wodurch „die Er- richtung von Feuerversicherungen bloß dem Privatunternehmen anheimgestellt werden soll“ vergl. Dorninger , Feuerversicherungsanstalten 1822 S. 14—17; daher jetzt bloß Vereinswesen. — In Frankreich ohne alle gesetzliche Rege- lung. Grundsatz nur, daß die Bestimmungen über Seeversicherungen (s. unten) analog auf Feuerversicherung angewendet werden. Literatur bei Block , Dict. de l’adm.; dagegen das Seeversicherungsw esen früh geregelt; Assecuranz- ordnung schon 1435 (Barcelona), dann 1523 (Florenz) u. a. Beneke a. a. O. S. 10 ff. Erstes vollständiges Assecuranzrecht in der Ord. de la marine 1681; dieß Gesetz liegt noch jetzt dem französischen Recht zum Grunde; der Code de Com. T. 10. 1. 2 ist nur Redaction der Ordonnanz und des Gesetzes von 1779; Zusammenstellung bei Beneke in Bd. IV. — England besitzt keine Gesetz- gebung; Deutschland auch nicht. Dabei gilt, daß das Feuerversicherungsrecht materiell als Interpretationsmittel für das Schadenversicherungsrecht angesehen wird ( Block , Assecurances. ) — Während dessen starke Entwicklung der Theorie , für Brands chaden jedoch wesentlich vom polizeilichen Standpunkt; Gäng , Versicherungsanstalten wider Feuerschaden 1792. Frank , landwirthschaftliche Polizei II. 313. Dorninger , Feuerversicherungsanstalten 1822. Krünitz , Encyclopädie XIII. 214. Brüggemann , Mobiliarversicherung in Preußen 1838. Mohl , Polizeiwissenschaft II. 127 ff. Rau , Volkswirthschaftspflege §. 23 ff. — Bayern : Feuerversicherungswesen unter öffentliche Controle gestellt (Gesetz vom 10. Febr. 1865). Was speciell die Seeversicherung betrifft, so hat sie ihrer Natur nach von jeher einen Theil des Seerechts gebildet, und eine eigene sehr eingehende Jurisprudenz erzeugt, die sich an die Gesetzgebung an- schließt. Wie lange werden wir warten müssen, bis das Feuerversicherungs- wesen Bearbeitungen wie die von Pöhls aufzuweisen haben wird? (s. unter Seerecht). — Ueber Wesen und Recht der internationalen Versicherungen mangelt noch alles, bis auf den einfachen, wir möchten sagen rohen Satz, daß die Zulassung fremder Gesellschaften von Verträgen oder im einzelnen Falle von Genehmigungen abhängt. Es wird aber die Zeit kommen, wo man auch für die Versicherungsgesellschaften internationale Rechtssätze als völkerrechtliche Bedingung ihrer Zulassung aufstellen wird! Vorläufig haben fast alle Zulas- sungsverträge fremder Aktiengesellschaften die Versicherungsgesellschaften aus- geschlossen, in dem richtigen Gefühl, daß es bei denselben noch auf mehr an- komme, als auf die bloße Sicherheit des Capitals (s. Stein , im Compaß 1869). A. Die Rechtsbildung des Versicherungswesens und sein Fortschritt. Die Rechtsbildung des ganzen Versicherungswesens beruht nämlich darauf, daß in jeder Versicherung zwei Elemente zusammenwirken. Das erste dieser Elemente ist der privatrechtliche Versicherungsvertrag, das zweite ist die öffentliche Funktion des Versicherungswesens als Theil der organischen Verwaltung der Volkswirthschaft. In dem ersten steckt das Sonderinteresse der Unternehmer, in dem zweiten die Forderung des öffentlichen Interesses, die auch hier in scharfen Gegensatz kommen können. Der gegebene Rechtszustand des Versicherungswesens besteht deßhalb wesentlich in dem zeitweiligen Verhältniß beider zu einander; die Entwicklung in dem allmähligen Siege des letzteren über das erstere. Der Gang derselben aber bis zum gegenwärtigen Zustand ist in seinen Hauptpunkten folgender. Die Versicherung beginnt allerdings als reiner Vertrag in den Seeversicherungen; allein fast gleichzeitig wird dieß Vertragsrecht, na- mentlich im Anschluß an das Seerecht, als eine öffentliche Angelegen- heit anerkannt, und dadurch Gegenstand der Gesetzgebung in den alten Assecuranzordnungen. Das ist die erste Epoche der Rechtsbildung. Sie bleibt jedoch dabei stehen, daß sich die Gesetzgebung nur auf die Be- stimmung des rechtlichen Inhalts dieses Versicherungsvertrages be- schränkt , und sich um die Verwaltung der Versicherungsanstalten noch gar nicht kümmert. Die zweite Epoche entsteht da, wo der Staat die polizeilichen Brandschadenanstalten einführt; in diesen ver- schwindet wieder das Vertragsrecht und an seine Stelle tritt das Ver- ordnungsrecht, und der Staat verwaltet das Versicherungswesen durch seine Beamtete, entweder ausschließlich, oder unter Zuziehung der Betheiligten (Deutschland, achtzehntes Jahrhundert). Da jedoch die Seeversicherung davon ausgeschlossen bleibt, so geschieht es, daß für das letztere eine ausführliche Jurisprudenz entsteht, während sie für das Feuerversicherungswesen bis auf den heutigen Tag mangelt. Trotz dem erzeugt diese polizeiliche Epoche theils durch den Einfluß der Lite- ratur, theils durch specielle Gesetze das Verständniß für die wichtige öffentliche Funktion alles Versicherungswesens. Die Regierungen er- kennen die Nothwendigkeit, dasselbe im öffentlichen Interesse ihrer Oberaufsicht zu unterwerfen. Das ist der Grund, weßhalb sich der unfreie Zustand der gesetzlichen Zwangsversicherungsanstalten noch theil- weise erhält. Da aber, wo die Vereine an ihre Stelle treten, und das Versicherungswesen in die Hand nehmen, mangelt der Verwaltung Erfahrung und Theorie, um dasselbe einer ausreichenden Controle zu unterziehen, und sie muß sich deßhalb genügen lassen, jene Oberauf- sicht durch einfache Anwendung der Grundsätze des Vereins- rechts auf die Gesellschaften auszuüben, während statt fester Prin- cipien die Concurrenz der letzteren für das ganze Versicherungs- wesen maßgebend wird. Das deutsche Handelsgesetzbuch hat dieß so wenig geändert wie der Code de Com. und seine Nachbildungen in den übrigen Staaten. Dieß ist der gegenwärtige Zustand. Sein Charakter ist der Mangel einer, auf einer festen Theorie beruhenden Oberaufsicht trotz richtigem Verständniß der öffentlichen Bedeutung der Sache. Die Aufgabe der Zukunft ist demnach, die erstere zu formu- liren, wie der zweiten ihren wahren Inhalt zu geben. Dafür aber sind die leitenden Grundsätze folgende. Die Stellung der Theorie des Versicherungswesens in der Staatswissen- schaft ( Justi I. 718) ist falsch; Berg, Sonnenfels , Handbuch VII. 256 nehmen es noch allgemein a. a. O.; ähnlich Mohl , Polizeiwissenschaft II. 127 ff. Rau dagegen hat es in die „Landwirthschaft“ verwiesen (Volkswirthschaftspflege I. 105), dem Roscher (Volkswirthschaft II. C. 13) gefolgt ist. Wie gering ist aber das versicherte landwirthschaftliche Capital gegenüber dem übrigen! Ein Verständniß des Verwaltungsrechts für dieses Gebiet mangelt gänzlich. Gierke (Genossenschaft S. 1049 ff.) hat wieder nichts darin gesehen, als eine Form der Genossenschaft, und behandelt nur ihre formalen Elemente. Döhl , Versicherungswesen des preuß. Staates 1865 ist eine sehr fleißige Zusammen- stellung der preußischen Gesetzgebung. Die eigentliche Versicherungslehre ist neben der Versicherungsjurisprudenz höchst unentwickelt; ihr Vater bleibt noch immer Masius (systematische Darstellung des gesammten Versicherungs- wesens 1846, rein geschäftlich). Die neuere Zeit arbeitet dagegen kräftig; viel Inhalt in Elsners Assecuranzalmanach 1867 f. Freilich alles nur vom Standpunkt des Versicherungs geschäfts , sogar ohne alle Rücksicht auf die innere Verwaltung des Gesellschafts- geschweige denn des öffentlichen Interesses. B. Grundsagen des öffentlichen Rechts des Versicherungswesens. Es ist kein Zweifel, daß jede Versicherungsgesellschaft zunächst ein Unternehmen ist, und daher berechtigt, frei nach eigenem Interesse zu handeln. Es ist aber auch kein Zweifel, daß das Interesse des Ver- sicherten zugleich ein öffentliches ist, das sie trotz alles allgemeinen Vereinsrechts nicht vertreten können. Wenn daher die Gesellschaften den Einzelnen gegen Elementarschaden schützen, so hat die Verwaltung die Aufgabe, die Ansprüche der letzteren gegen die Gesellschaft und ihre Interessen zu sichern. Die Kenntniß der Elemente des Versiche- rungswesens, das jetzt tausende von Millionen umfaßt, ist daher ein wesentlicher Theil der Verwaltungslehre, nicht in Beziehung auf die einzelnen Geschäfte, sondern auf ihre prineipiellen Grundlagen; nur sie zeigt die wahre Stelle für die Oberaufsicht des Staats in allen Versicherungsgebieten. Ihren Inhalt bildet das öffentliche Recht der Versicherungen. Das letztere zerfällt in zwei Haupttheile; das Recht des Ver- sicherungsvertrages , und das Recht der Versicherungsver- waltung . I. Der Versicherung svertrag enthält diejenigen Modifikationen des allgemeinen Vertragsrechts, welche durch das Wesen der Versicherung gefordert werden. Der Versicherungsvertrag entbehrt noch jeder Ge- setzgebung, nur das Seeversicherungswesen hat ihn ausgebildet. Die Folge ist, daß sich die Versicherungsanstalten ihr Vertragsrecht selber bilden theils in ihren Statuten, theils in den Policen. Das ist ein wesentlicher Mangel unseres Rechtslebens. II. Die Versicherungsverwaltung umfaßt die Gesammtheit der Thätigkeiten der Versicherungsanstalten, durch welche sie jene Verträge einerseits abschließen, andererseits erfüllen. Dem ersten liegt die Tariflehre zum Grunde, dem zweiten die Lehre von den Reserven . Die eigentliche Geschäftsführung hat die in beiden enthaltenen Grundsätze nur zur Ausführung zu bringen. a) Die Elemente der Tariflehre sind folgende: Der durch den Versicherungsvertrag (Police) dem Versicherten von der Gesellschaft zugesicherte Betrag im Falle des vertragsmäßig be- stimmten Schadens ist das Risico . Die Gesellschaft kann nur dann ihre Verpflichtungen erfüllen, wenn jeder Versicherte successive einen Betrag bezahlt, der dem Risico und den Kosten der Gesellschaftsver- waltung gleichkommt . Dieser von dem Versicherten zu zahlende Be- trag ist die Prämie , ihre regelmäßige Zahlung die Bedingung des Rechts auf die versicherte Summe. Die erste Aufgabe der Gesellschaft ist es daher, die Höhe der Prämien zu bestimmen. Die theoretische Grundlage ist dafür die Division des Risicos mit der wahrscheinlichen Zahl der Prämienzahlungen, mit Berücksichtigung der Zinsen der ein- gezahlten Prämien; das Facit ist die gesuchte Höhe der Prämie. Die Schwierigkeit besteht demnach allein in der Bestimmung dieser wahr- scheinlichen Zahl. Diese nun ist natürlich für die einzelnen Zweige der Versicherung (Leben, Feuer, Wasser, Hagel, Vieh, Transport u. s. w.) sehr verschieden und die Entwicklung dieser Verschiedenheit bildet den Inhalt der Lehre von den Arten der Versicherung. Allein die allen gemeinsame Grundlage dafür ist die Eintheilung der Risiken in Classen . Statistische Erfahrung und richtige Beurtheilung der ein- zelnen Fälle innerhalb dieser Classen bestimmen dann das System der Classenprämien , und diese Höhe ergibt den Prämientarif , den die Gesellschaft ihrem Geschäfte zum Grunde legt. Es folgt, daß die Bedingung einer soliden Versicherungsverwaltung eine gute Classeneintheilung und eine richtige Classificirung der einzelnen Fälle in diese Classen ist. Beides ist Sache der Direk- tion . Eine gute Controle sollte daher mit der Untersuchung und Motivirung dieser Classen beginnen, und Stichproben der Classi- ficirung machen. Ohne dieß Verfahren ist jede Controle werthlos. b) Das zweite Element aller Versicherung ist die Reserve . Es ist klar, daß die eingezahlten Prämien gesammelt vorhanden sein müssen, um das Risico zahlen zu können, wenn der Schaden eintritt. Die gesammelte Prämie ist die Reserve. Jede Versicherung muß daher durch ihre Prämie zunächst ihre eigene Reserve bilden; die letztere muß aber so hoch sein, daß sie, wenn der Versicherte seine Prämie regel- mäßig zahlt, am wahrscheinlichen Ende der Versicherung die ganze ver- sicherte Summe deckt. Addirt man nun die ganze Summe aller nach diesem Grundsatze von dem Einzelnen wirklich bereits gezahlten und von der Gesellschaft gesammelten Reserven, so entsteht der Reserve- fond . Das was diesen Reservefond steigen läßt, sind daher die Einnahmen durch die Prämien; das was ihn vermindert , ist die Auszahlung des Risicos im Schadenfalle. Die Höhe des Reserve- fondes muß daher stets gleich sein der addirten Summe der bereits gebildeten Einzelreserven. Ist sie das nicht , so ist die Sicherheit jeder einzelnen Versicherung gefährdet. Die Aufgabe besteht deßhalb zunächst darin, die richtige Höhe des Reservefonds zu beurtheilen, und die Er- haltung und Verfügbarkeit desselben zur rechtlichen Bedingung der Thätigkeit der Gesellschaft zu machen . Daher ist es zu- nächst Sache des Verwaltungsrathes, diesen Reservefond gegen jede andere Verwendung als die Auszahlung der Schadenfälle zu schützen. Die Controle des Staats hat diese Funktion des Verwaltungsrathes zu bewachen. Sie muß zu dem Ende selbst die Reserve nachrechnen . Das nun ist wieder nur thunlich durch die auf den Classen beruhende Systemisirung der Reserven . Es ist klar, daß jede Classe ihre Reserve haben muß, und daß daher der Reservefond als Addition der Classenreserven erscheint. Die Controle soll daher die Höhe der Classenreserve mit den Erfahrungen über die Dauer der Versiche- rungen nach den Classen vergleichen; das Resultat wird die Beantwor- tung der Frage sein, ob die Reserven ausreichen, um den Versicherten volle Sicherheit für ihre Forderung zu gewähren, wenn sie ihre Prä- mien richtig einzahlen. Es ist falsch , dieß den Gesellschaften allein zu überlassen. Denn wenn die Reserven nicht ausreichend oder nicht flüssig sind, muß stets das eine Risico aus den Reserven des andern bezahlt werden, so daß, da dieß letztere ja doch auch zur Erhebung gelangt, die Existenz der Gesellschaft allein noch auf Erwerb von neuen Risiken beruht, und der Untergang von dem Augenblick an be- ginnt, wo die Zunahme der Einnahme aufhört. Diese Grundsätze zur Geltung zu bringen, ist Sache der künftigen Versicherung sgesetz- gebung ; sie für jede Versicherungsgesellschaft anzuwenden, wäre Sache der inneren Verwaltung . Freilich gehört dazu, daß das Versiche- rungswesen als ein hochwichtiger Theil der Verwaltungslehre in Theorie und Praxis nicht bloß der Unternehmungen, sondern auch des Staats- lebens seinen gebührenden Platz finde. Drittes Gebiet. Das Verkehrswesen. Begriff. Während nun die Entwährung die Bedingungen der allgemeinen Entwicklung herstellt, so weit sie im persönlichen Recht, und die Ele- mentarverwaltung, so weit sie in den natürlichen Kräften liegen, hat das Verkehrswesen es mit denjenigen zu thun, welche im Güterleben liegen. Es scheint nun durchaus nothwendig, den Begriff des Verkehrs- wesens als einen selbständigen und organischen in der gesammten Volks- wirthschaftspflege zu entwickeln, um dieses große Gebiet klar übersehen zu können. Keine Einzelwirthschaft kann durch sich allein fortschreiten. Die Quelle aller Entwicklung beruht darauf, daß das, was die eine besitzt, für die zweite einen höheren Werth hat, als für die erste. Die Fähigkeit, solche Güter zu erzeugen, nennen wir die Produktivität . Die Produktivität ist daher die lebendige Seele aller Produktion. Aber wenn solche Güter wirklich erzeugt sind , so entsteht sofort ein Proceß, der dieselben derjenigen Wirthschaft zuführt, für welche sie den gesuchten höheren Werth besitzen, der die Produktivität verwirklicht. Diesen Proceß nennen wir den Verkehr . So wird der Verkehr die Bedingung aller wirklichen Produktivität und vermöge derselben aller Produktion, das ist, die Bedingung aller Entwicklung der Volkswirth- schaft überhaupt; und es ergibt sich, daß wiederum die Bedingungen des Verkehrs die Voraussetzung des Fortschrittes in der Volks- wirthschaft werden. Nun liegen die Bedingungen des Verkehrs nur so weit in der Einzelpersönlichkeit, als sie in der Berechnung jener Differenz des Werthes für Art und Umfang der Produktion einerseits und für die Eingehung des Vertrages andererseits bestehen. Da wo die wirkliche Bewegung des Ueberganges der Güter und Leistungen von einer Wirth- schaft zur andern beginnt, hängen die Bedingungen der Verwirklichung des Verkehrsaktes nicht mehr von den Einzelnen ab. Hier beginnt also die dritte große Aufgabe der wirthschaftlichen Verwaltung. Dieselbe besteht darin, diejenigen Bedingungen des wirk- lichen Verkehrs herzustellen, welche der Einzelne sich nicht mehr schaffen kann, und die Gesammtheit der dafür bestimmten Rechtssätze, Thätig- keiten und Anstalten der Verwaltung bilden das Verkehrswesen . I. Die Elemente des Systems. Das Verkehrswesen bildet daher seiner Natur nach ein inneres Ganzes. Seine großen Gebiete entwickeln sich aber an der Natur jener Bedingungen, die es herzustellen hat. Diese nun theilen sich vermöge des Wesens der Güter in zwei große Gruppen. Die erste hat es mit dem Gute an sich zu thun, die zweite mit der Grundlage aller Produktivität, dem Werthe des Gutes. Die Bedingungen der Be- wegung der Güter bilden daher den ersten Theil jenes Systems, die der Bewegung der Werthe den zweiten Theil. Der erste Theil umfaßt daher die Herstellung der außerhalb der Macht der Einzelnen liegenden Bedingungen der räumlichen und örtlichen Bewegung des Verkehrs. Diese erscheinen wieder als solche, deren Benutzung noch durch individuelle Thätigkeit möglich ist, die Verkehrsmittel im Wegewesen und Schifffahrtswesen, und in solche, welche der Staat selber im Gesammtinteresse in Bewegung setzt, die Verkehrsanstalten in Post, Bahnen, öffentlichen Dampfschiff- fahrtslinien und Telegraphen. Man kann diese Anstalten als das Verkehrswesen im engeren Sinne zusammenfassen. Der zweite Theil zerfällt gleichfalls in zwei Theile. Zuerst kommt es darauf an, durch eine öffentlich geltende Ordnung des Maßes und des Rechts des Werthes demselben die Fähigkeit zu geben, Gegen- stand des selbständig auf ihn gerichteten Verkehrs zu werden; und diesen Theil nennen wir die Werthordnung , auf welcher der Werth- umlauf beruht. Dann aber muß der an sich mit dem Gute ver- bundene Werth die Fähigkeit gewinnen, sich von den Gütern zu tren- nen und selbständig in den Verkehr zu treten und die Bedingungen dafür, auf das Innigste mit dem Leben der Einzelwirthschaft verbunden, bilden das, was wir das Creditwesen nennen, durch welches der Werth der Güter und Leistungen der Einzelwirthschaft zum Objekt und Inhalt des gesammten Güterlebens wird. Hier muß die Verwaltungs- lehre die Grundbegriffe der Nationalökonomie im Allgemeinen, speciell aber die elementare Scheidung von Gut und Werth als bekannt vor- aussetzen; dafür aber hat sie die Fähigkeit, durch ihren Inhalt die Richtigkeit dieser organischen Auffassung der Güterlehre endgültig zu beweisen. II. Das Princip des Verkehrswesens und seine historische Entwicklung aus der Regalität. Es ist nun kein Zweifel, daß das ganze Verkehrswesen der Aus- druck eines und desselben Gedankens ist. Allein es hat lange gedauert, bis man es als eine formale Einheit zusammenstellte und es als eine organische anerkannte. Der geschichtliche Entwicklungsproceß dieses Ge- dankens ist aber vom höchsten Interesse, weil derselbe zugleich die an Einzelheiten fast unübersehbare reiche Geschichte jedes einzelnen Theiles allein beherrscht und klar macht. Auch das Verkehrswesen als Aufgabe der Verwaltung entsteht erst da, wo durch die Loslösung der persönlichen Staatsidee von der Ge- schlechter- und Ständeherrschaft der Gedanke klar wird, daß überhaupt die erste Bedingung der Entwicklung des Staats der wirthschaftliche Fortschritt des Einzelnen und die erste Bedingung des letzteren wieder die freie Bewegung desselben ist. Dieser Gedanke knüpft sich nun an das alte System der öffentlichen Staatsrechte, der Regalien . Zwar fehlt ursprünglich dem Regal gänzlich der Gedanke der Verwaltung; es ist nur ein Recht des Staats gegenüber dem Rechte der Grundherr- lichkeit; es wird nur ausgeübt, um Einnahmen zu verschaffen; aber die alten Regalien sind ihrem Inhalte nach fast ausnahmslos die öffentlichen, einzeln hingestellten Rechte des Staats in Beziehung auf das Verkehrswesen . Der Inhalt der juristi- schen Lehre von den Regalien ist daher die erste juristische Gestalt der Lehre vom Verkehrswesen. Als nun mit dem siebenzehnten Jahrhundert das Merkantilsystem die hohe Bedeutung der Volkswirthschaft und der Eudämonismus die hohe Aufgabe der Staatsidee zu entwickeln be- ginnen, werden aus den Regalrechten (Wegeregal, Postregal, Münz- regal ꝛc.) Aufgaben der noch jungen und unfreien, aber gegen die Beschränkungen des ständischen Rechts rücksichtslose Staatsaufgaben , was wohl niemand klarer fühlte, als Justi , der schon 1766 in seinem „Finanzwesen“ S. 423 sagt, daß dem Staate die Direktion vermöge des Regals zustehe. Mit dem achtzehnten Jahrhundert entsteht daher eine neue Epoche. Die Staatsgewalt übernimmt es, auf Grundlage ihrer Regalien die Verkehrsverhältnisse theils durch ihre Gesetze, theils durch ihre Organe zu ordnen; die Staatswissenschaft in der Gestalt der „Polizeiwissenschaft“ lehrt den Zusammenhang mit dem Gesammt- leben; die Technik in der Gestalt der „Cameralwissenschaft“ lehrt die Ausführung, und so bildet sich allmählig eine erste, freilich noch un- zusammenhängende Verwaltung des Verkehrswesens. Allein diese Epoche kennt noch weder die Einheit desselben, noch die Freiheit, noch das Princip der Betheiligung des Einzelnen an ihrer Ausführung. Das nun wird anders in der zweiten Epoche. Mit dem Siege der staats- bürgerlichen Gesellschaft wird das Verkehrswesen in seiner ganzen Be- deutung erkannt, als die höchste Bedingung des wirthschaftlichen Fort- schrittes des Einzelnen; die neue Wissenschaft der freien Nationalökonomie mit ihrem größten Vertreter, Adam Smith, zeigt die unabweisbare Nothwendigkeit eines großen und freien Verkehrswesens; die neue Ge- setzgebung der Volksvertretung schafft ein neues Recht für alle Zweige desselben und hebt die rechtlichen Hemmnisse und Willkürlichkeiten, die noch aus der ständischen Epoche übrig blieben, auf; die neue Organi- sation der Verwaltung in der Regierung erzeugt die Einheit und Gleich- artigkeit in jedem Gebiete, die Selbstverwaltung gibt den örtlichen Verhältnissen ihre Berechtigung und das Vereinswesen lernt, die Be- dürfnisse des Verkehrs zum Gegenstande seiner freien Unternehmungen zu machen. So wird jetzt das Verkehrswesen ein mächtiges, das ge- sammte volkswirthschaftliche Leben umfassendes Ganze; die alten Be- griffe des Regals und der Regalsrechte führen nur noch ein Schein- leben in der deutschen Rechtslehre fort und an ihre Stelle treten tief- einschneidende Behandlungen der einzelnen Theile in Princip und Ausführung; in unserer Zeit ist es kein Zweifel mehr, daß es unter allen dasjenige Gebiet der Verwaltung ist, auf welchem in unserem Jahrhundert das Größte geleistet wird, was je in der gesammten Ge- schichte der Verwaltung der Welt geschehen ist, und das Bewußtsein ist gewonnen, daß, während bisher der Schwerpunkt der Volkswirth- schaftspflege in der Sorge für die einzelnen Produktion sarten lag, von jetzt an derselbe in der Verwaltung des Verkehrswesens gefunden werden muß . Das ist der Charakter der gegenwärtigen Epoche, die in der Frage nach dem Creditwesen bereits den Keim zum Uebergange in die folgende, zukünftige enthält. Und jetzt bleibt nur das Eine übrig, die Erkenntniß, daß alle einzelnen Theile desselben ein Ganzes bilden und daß sie daher auch alle von denselben Principien beherrscht werden, die wiederum ihrerseits nur der Ausfluß der großen Elemente der staatsbürgerlichen Gesellschaft sind, und daß jeder der- selben wie das Ganze sich auf Grundlage der letzteren organisch ent- wickelt und seine gegenwärtige Gestalt gebildet hat. Jene Principien aber sind einfach. Die Idee der organischen Einheit des Staatslebens erzeugt das Princip der Einheit für das System der Verkehrsbedin- gungen; das Princip der staatsbürgerlichen Gleichheit erzeugt das Princip der Allgemeinheit derselben, welche ihre Benützung jedem zugänglich macht; und das Princip der volkswirthschaftlichen Entwick- lung erzeugt den Grundsatz der vollen Gleichheit und Freiheit in der Benützung derselben für jeden Einzelnen. Diese leitenden obersten Grundsätze erscheinen nun in jedem Theile wieder und das höhere Wesen jedes dieser Theile ist eben die gleichmäßigere Geltendmachung jener Grundsätze für jeden der großen Zweige des Verkehrswesens, deren organische Einheit das System des letzteren bildet. Charakter der staatswissenschaftlichen Literatur: Zersplitterung in einzelne Gebiete, theils in die Finanzwissenschaft, theils in die Volkswirthschaftspflege, wo sie meist, wie bei Rau und Roscher , nur in ihrer Verbindung mit der Landwirthschaft dargestellt werden. Nur die Polizeiwissenschaft ( Mohl ) hält die Idee der Selbständigkeit fest, ohne jedoch zu einem System zu gelangen. Da- neben ausgezeichnete Einzelarbeiten, die jedoch entweder nur den volkswirth- schaftlichen oder den technischen Standpunkt durchführen. Aufgabe: die einheitliche Idee der Verwaltung für das Ganze zur Geltung zu bringen. III. Das öffentliche und das bürgerliche Verwaltungsrecht des Verkehrswesens. Die Verwirklichung dieser großen Principien, die als eines der wichtigsten Resultate der neueren Staatengeschichte betrachtet werden müssen, hat nun zwei Grundformen. Die erste entsteht dadurch, daß der Staat selbst die Bedingungen des Verkehrs durch seine Thätigkeit herstellt und dann die Benützung dieser Bedingungen durch die Einzelnen im Gesammtinteresse rechtlich ordnet. Das nun wird vollzogen durch alle drei Organe der voll- ziehenden Gewalt zugleich, und zwar im Großen und Ganzen der Natur derselben entsprechend in der Weise, daß die Gesetzgebung die leiten- den Principien gibt, die Regierung die Einheit und Gleichheit in dem vielfältigen Organismus des Verkehrswesens aufrecht hält, die Selbstverwaltung die örtlich begränzte Ausführung übernimmt und das Vereinswesen da eintritt, wo es sich um einzelne bestimmte Aufgaben und Zwecke handelt. Die öffentlich rechtlichen Bestimmungen, nach denen jedes dieser Organe das Verkehrswesen innerhalb seines Gebietes ordnet, bildet dann das öffentliche Verkehrsrecht. Jeder Theil desselben hat daher erstlich sein System, dann seinen Organismus und endlich wieder seine Geschichte, und es ist Sache der Wissenschaft, den unendlich reichen Inhalt all dieser Theile in Eins zusammenzufassen, während eine Codifikation schon für die einzelnen Gebiete schwierig, für das Ganze aber unmöglich erscheint. Dieß nun hat das Folgende zu zeigen. Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 12 Die zweite Grundform entsteht dadurch, daß die Verwirk- lichung der Idee des Verkehrswesens die an sich absolut freie Willens- bestimmung des Einzelnen im Einzelverkehr in so weit beschränkt und bestimmt, als dieß im Interesse des Verkehrswesens gefordert wird. Diese durch das letztere gegebene Beschränkung des Vertragsrechts ist nun dasjenige, was wir das bürgerliche Verwaltungsrecht des Verkehrs nennen, und das, obgleich es einen formellen Theil des bürgerlichen Vertragsrechts bildet, dennoch dem Wesen nach dem öffentlichen Rechte angehört. Die Verwaltungslehre muß sich begnügen, auf das Gebiet aufmerksam zu machen; die vollendete Rechtswissenschaft hat es im Ein- zelnen durchzuführen. Von diesem Standpunkte aus muß das folgende System im Gan- zen wie im Einzelnen betrachtet werden. Erster Theil . Die Verkehrsmittel und die Verwaltung. I. Das Wege- und Bauwesen. Begriff und System. Der Weg im weitesten Sinne des Wortes ist die erste materielle, unbedingte Voraussetzung alles Verkehrs und damit aller Produktivität, ja des gemeinsamen Lebens überhaupt. Es gibt aber keinen Weg an sich, sondern der Begriff des Weges ist ein rein verwaltungsrecht- licher . Ein Weg ist dasjenige örtliche Verkehrsmittel zwischen bestimm- ten Orten, dessen Benützung jedem Einzelnen zum Zwecke seines Verkehrs rechtlich zusteht. Aus diesem einfachen Begriffe des Wege- rechts entsteht nun der Begriff und Inhalt der Wegeverwaltung und ihres Rechts, indem der auf diese Weise dem öffentlichen Leben angehörende Weg eine Reihe von technischen Bedingungen und admini- strativen Ordnungen fordert, um seine Bestimmung ganz erfüllen zu können. Das nun ist die Aufgabe der Verwaltung, die ihr Objekt aus den Händen des Rechts empfängt. Die wirklichen Wege theilen sich dann in Land- und Wasserwege; die Anwendung der obigen Begriffe auf beide Arten ist eine sehr verschiedene theils nach der Natur der Sache, theils auch örtlich und historisch bestimmt. Immer aber bleiben die obigen Principien die einheitliche und gemeinsame Grundlage, und die Gesammtheit aller Rechte, Anstalten und Anordnungen, durch welche die Wege vermöge der Gesetzgebung und Verwaltung in den Stand gesetzt werden, ihren Zweck zu erfüllen, bilden das Wegewesen . Beginn der Behandlung des Gegenstandes erst mit der Regalität. Die historisch rechtliche Auffassung setzt sich fort in der deutschen Rechtsgeschichte und dem deutschen Privatrecht, ohne staatswissenschaftliches Verständniß. Auf- nahme in die Polizeiwissenschaft im achtzehnten Jahrhundert (Justi und Sonnen- fels) und Beibehaltung in derselben (Mohl) jedoch mit vorwiegend technischer Auffassung. Uebergang in die Verwaltungsgesetzkunde (Mohl, Württemb. Ver- waltungsrecht), von da an als Excerpt aus den einzelnen gesetzlichen Anord- nungen. In der Praxis wesentlich örtliche Auffassung. A. Das Landwegewesen. Elemente seiner Rechtsgeschichte. Das gegenwärtige Princip des Landwegerechts ist das Ergebniß einer vielhundertjährigen Geschichte, die innig mit der Entwicklung von Staat und Volkswirthschaft zusammenhängt und welche den langsamen Sieg der Idee der Verwaltung über das historische Wegerecht in ziem- lich klaren Stadien darlegt. Man kann daher die geschichtliche Ent- wicklung des Wegewesens in die zwei großen Epochen des Wege- rechts und der Wegeverwaltung theilen. Die erste reicht bis zum achtzehnten Jahrhundert, die zweite empfängt erst mit dem neunzehnten ihren wahren Inhalt. Anfänglich sind alle Wege Theile der Grundbesitze, welche sie ver- binden. Nur die Heerstraßen gehören dem Ganzen. Das öffentliche Recht ist nur noch das des Wegefriedens. Als aus der bäuerlichen Geschlechterordnung sich die ständische der Grundherrlichkeit entwickelt, erzeugt jenes Princip das des grundherrlichen Wegerechts ; aus dem Eigenthum am Wege gehen die Zölle und das Mauthrecht hervor ( telonium und passagium ), so wie die öffentliche Dienstbarkeit des Straßenzwanges. Das Wegewesen wird unfrei . Ueber das grund- herrliche Wegerecht erhebt sich mit dem sechzehnten Jahrhundert das Princip des Wegeregals , das anfänglich rein negativ nur noch das Recht des Staats enthält, gegen die Bedrückungen des Grundherren als Eigenthümer der Wege einzuschreiten, freilich aber auch das Recht der Zölle auf den Heerstraßen erzeugt. Das Wegeregal bildet den Uebergang vom bloßen Wegerecht des Mittelalters zur Wegeverwaltung der neueren Zeit. Es bildet den rechtlichen Boden für die Verwirklichung der For- derungen, welche das entstehende Verständniß der Volkswirthschaft an die neue Auffassung des öffentlichen Wegewesens stellt. Man beginnt mit dem achtzehnten Jahrhundert den wirthschaftlichen Werth der Wege zu begreifen; die Staatswissenschaft gibt der Regalität ihren ersten positiven Inhalt in der Forderung nach guten Wegen; schon beginnt die Technik des eigentlichen Wegebaues sich an das allgemeine Princip anzulehnen, und die Gesetzgebung entwickelt, wenn auch noch wesentlich auf dem Wege örtlicher Verordnungen, die Wegepolizei und Wegeordnung. Allein noch fehlt die systematische Auffassung derselben als einer allgemeinen Anstalt; noch immer bleibt der Grundherr die vollziehende Gewalt für die Gemeindewege und die Oberaufsicht fast immer eine nominelle, während an Anlage neuer Wege gar nicht ge- dacht wird. Dieß nun gestaltet sich erst mit dem Anfang unseres Jahrhunderts um. Der Beginn der Volksvertretung läßt organische Wegegesetze entstehen; die Aufhebung der Grundherrlichkeit übergibt die Gemeindewege der freien Selbstverwaltung; die Regierung fängt an, aus den Elementen des alten Rechts ein System des Wegewesens zu bilden, und die Belebung der Volkswirthschaft, die sich vor allen Dingen in der vermehrten Benützung aller Wege äußert, vermehrt damit auch den Werth und folgeweise die Nothwendigkeit der guten Wege. So entsteht jetzt der Grundsatz, daß das gesammte Wegewesen Ein rechtliches Ganzes und daß die Verwaltung desselben mithin be- rechtigt und verpflichtet sei, demselben diejenige Gestalt und Ordnung zu geben, welche als die Bedingungen des allgemeinen Verkehrs von der Volkswirthschaft gefordert werden. Damit bildet sich der Inhalt der zweiten Epoche, die Wegeverwaltung mit ihren Rechten und Systemen als Gestalt des Wegewesens unserer Gegenwart, bei aller ört- lichen Verschiedenheit im Princip allenthalben gleich und gleichmäßig thätig. Das alte Recht der Heerstraßen (vergl. Eichhorn , Rechtsgeschichte IV. §. 312 und Deutsches Privatrecht §. 214; Mittermaier , deutsches Privat- recht §. 534). Im deutschen Reich wird allerdings schon durch R-A. von 1668 ( Gerstlacher , Handbuch IX. 1382) den Reichsständen die Wegepflicht auf- erlegt, aber nur die Reich skreise hatten die Oberaufsicht und thaten nichts. Vergeblich blieb das Kreisrecht von 1764; doch stand theoretisch das Recht der Kreisstände fest, Vernachlässigung zu ahnden ( Möser , Teutsche Kreisverfas- sung S. 738); Anlage von gemeinschaftlichen Straßen konnte nur auf gemeinsamen Beschluß stattfinden ( Berg , Polizeirecht III. S. 546 f.); die Hauptsache blieb daher den großen Territorialherren. Hier geschah von Einzelnen schon im acht- zehnten Jahrhundert vieles; mustergültig war die preußische Verordnung vom 28. März 1738 (vergl. Fischer , Cameral- und Polizeirecht III. 409). Indeß entstand keine gleichartige Wegeverwaltung, obgleich die Regalität schon als „Recht der landesherrlichen Straßen- und Wegepolizei“ anerkannt wird ( Berg a. a. O. 548; Fischer edend. 513; Moser , Landeshoheit in Ansehung Erde und Wassers S. 9). Die Theorie forderte indeß laut eine gute Wegverwaltung. Justi , Finanzwissenschaft §. 287; Polizei Bd. IV. Hauptst. 15. §. 434: „Lasset nur erst unsere Hufner von dem großen Nutzen solcher Straßen überzeugt sein, so werden sich die Kosten dazu bald finden.“ Sonnenfels stellt schon das leitende Princip auf: „der Vortheil gut angelegter Wege besteht in der Er- sparung der Zeit und des Zuges,“ Handlung V. 229. Dennoch Festhalten des grundherrlichen Wegerechts: namentlich im Preuß. Allgem. Landrecht II. 15. §. 15 unter der Formel, daß „die Provinzialgesetze oder besonderen Wegeordnungen“ gegenüber dem Allgem. Landrecht in Kraft zu verbleiben haben. Dadurch Entkräftung aller staatlichen Institutionen, trotz vielfacher einzelner polizeilicher Vorschriften ( Rönne , Preuß. Staatsrecht II. 415). Erst das Ent- stehen der Kunststraßen gibt Veranlassung zu neuer Thätigkeit. Die Theorie bleibt jedoch dabei fast ausschließlich technisch; die Gesetzgebungen beschränken sich auf Ordnung der Wegelast und des Wegebaues und auch dieß nur in fast durchgehend localer Weise. Eine systematische Wegegesetzgebung und eine orga- nische Wegeverwaltung ist aus dem vielfachen Material noch nirgends hinaus- gewachsen. Der Theorie fehlt der Mittelpunkt der Behandlung; das ganze Wegewesen erscheint namentlich seit Berg als Theil der Handelspolizei, oder nach Frank , landwirthsch. Polizei II. 256 als Theil der Landwirthschafts- polizei (vergl. Lotz , Staatswissenschaft I. §. 67; Rau , Volkswirthschaftspflege §. 256; Mohl , Polizeiwissenschaft II. 168; Wirth , Nationalökonomie S. 192. Das alte Princip der Regalität zuletzt noch formell vertreten von Klüber , öffentliches Recht §. 409. 410. Von da an verschwindet es aus dem allge- meinen Strafrecht, und die territorialen Staatsrechte führen es nach Mohls Vorgange (württemb. Staatsrecht II. S. 30. 604) im Verwaltungsrecht fort. — Mecklenburg : Landstraße und Communikationsweg ( Ductus viae ) vom 12. Mai 1829. Der Grund des Mangels ist wesentlich der Mangel der Einheit Deutschlands, obgleich Rönne mit Recht klagt, daß Preußen es auch noch zu keinem allgemeinen Wegegesetz gebracht hat (Staatsrecht II. 415). Staats- baudienst -Ordnung nebst Organisation des Bildungswesens für Bautechnik. — Baden : Bekanntmachung vom 14. Mai und 14. Aug. 1864. — Bayern : Baupolizeiordnung vom 30. Juni 1864. — In Frankreich nimmt die Sache einen andern Verlauf. Vor der Revolution gab es zwar einen Grand Voyer, schon seit 1607; aber er hatte mit dem Wegewesen gar nichts zu thun, wie Robert bei Block ( Dict. ) meint, sondern nur die Einnahme von den Wegen ( Gujot , Repert. de jurisprudence, Vol. 17, v. Voirie ). Die wegepolizei- lichen Vorschriften standen unter den Gerichten. Erst das Decret vom 26. Juli 1790 hob alle Grundherrlichkeit der Wege auf; dann wurden die alten Ordnungen provisorisch anerkannt (Decret vom 19. Juli 1791), bis das Grundgesetz des ganzen französischen Wegewesens (Decret vom 10. Dec. 1811) dasselbe voll- ständig ordnete; es gilt in allem Wesentlichen bis auf den heutigen Tag. Die Literatur, die sich daran geschlossen, bei Block , Dict. v. Voirie; die technische bei Mohl , Polizeiwissenschaft a. a. O. Unterschied der Routes nationales (Staat), départementales (Departement); Chemin de grande vicinalité (zwi- schen mehreren Gemeinden), de petite vicinalité (innerhalb der Gemeinde): Gesetz vom 21. Mai 1836. Laferri è re , Droit publ. et adm. I. 1. T. IV. — Englands Wegewesen unterscheidet sich wesentlich dadurch, daß es nie ein grundherrliches Wegerecht hatte, sondern die Wege von jeher Gemeinde- angelegenheit waren; das Parlament erließ viele einzelne Verordnungen als Statutes , und diese wurden in der üblichen Form in allgemeinen Wegeord- nungen gesammelt. Ihr Hauptinhalt war Strafpolizei. Die jetzt geltende eigentliche Wegeordnung ist 5. 6. Will. IV. 50 (vergl. über das englische Wege- recht Gneist , Englisches Verwaltungsrecht II. §. 42). Die Wegeverwaltung dagegen entwickelt sich erst mit den Chausseen und nimmt fast ganz den fran- zösischen Charakter an (s. unten). Das System des Wege- und Bauwesens und seines Rechts . Während nun auf diese Weise mit dem achtzehnten Jahrhundert das Princip durchgreift, daß das Wegewesen als Ganzes eine Aufgabe der Gesammtheit sei, der sich jedes einzelne Wegerecht unterzuordnen habe, bildet das neunzehnte Jahrhundert, durch den immer allgemeine- ren Verkehr gezwungen, die Principien aus, nach denen die Benütz- barkeit der Wege für alle Arten und Theile derselben gleichmäßig hergestellt wird. Die Grundlage dieses Systems ist nun eine doppelte, das Bau- wesen und das eigentliche Wegewesen . Das erste enthält die technischen , das zweite die rechtlichen Verhältnisse und Bedingun- gen des Wegewesens und seiner Entwicklung. a) Das öffentliche Bauwesen. Das Bauen ist an sich ein freies Gewerbe, wie jedes andere. Der Begriff und das Recht des öffentlichen Bauwesens entsteht jedoch da, wo überhaupt für öffentliche Zwecke ein Bau geführt wird. Das leitende Princip für das öffentliche Bauwesen ist daher, daß dasselbe ohne Rücksicht auf Privatinteressen dem öffentlichen Bedürfniß diene, und daher, da dieses selbst beständig dauernd und stets lebendig ist, auch allen Forderungen der soliden und zweckmäßigen Technik entspreche. Daraus entsteht der Grundsatz, daß das öffentliche Bauwesen selbst wieder eine vollendete Fachbildung einerseits, und eine öffentliche Oberaufsicht über die geführten Bauten andererseits enthalte. Und die Gesammtheit der für beide Theile geltenden Bestimmungen bilden das Recht des öffentlichen Bauwesens. Das Princip dieses Rechts ist, daß zu öffentlichen Bau- ten nur diejenigen zugelassen werden sollen, welche die vorgeschriebene Fachbildung an den Bau- oder technischen Bildungsanstalten gewonnen und die Prüfung dafür bestanden haben; die Ausführung ruht in der Hand des dafür eingesetzten amtlichen Körpers, der theils Instruk- tionen zu erlassen, theils die Oberaufsicht über die Ausführung zu leiten hat. Natürlich umfaßt nun das öffentliche Bauwesen alle öffentlichen Bauten, also auch diejenigen, welche mit dem Wegewesen nichts zu thun haben. Allein es ist keine Frage, daß das Wegewesen die Haupt- anwendung der Grundsätze bildet, welche dafür gelten. Man scheidet daher mit Recht Hochbauten, Brückenbauten, Wasserbauten und Wege- bauten. Jede derselben hat ihre Technik und daher ihre technische Fach- bildung, welche die Verwaltungslehre als bekannt vorauszusetzen hat. Dagegen ist für die Beurtheilung dieses Gebietes in erster Linie das Verhältniß maßgebend, in welchem die Regierung zur Selbstverwaltung steht; je weniger diese letzterer überhaupt überlassen ist, desto stärker ist gegenüber dem Privatbau die Entwicklung des amtlichen Baukörpers und seiner Thätigkeit; und umgekehrt entsteht daraus der große Unter- schied zwischen England, Frankreich und Deutschland in dieser Beziehung. Aus demselben Grunde erklärt sich auch die sehr verschiedene Entwick- lung der Sache in den einzelnen Staaten Deutschlands, sowie anderer- seits das Hineingreifen in das Privatbauwesen wieder ein eigentlich wissenschaftliches System nicht thunlich macht. In England gibt es gar kein öffentliches Bauwesen, wie es keine öffent- liche Fachbildung für die Technik gibt. Hier ist alles der Privatthätigkeit und Industrie überlassen. Dagegen ist mit unserem Jahrhundert das Wegewesen stark amtlich entwickelt, theils auch durch die Gesellschaftsunternehmungen der Turnpike Roads wesentlich gefördert (s. Gneist , Engl. Verwaltungsrecht II. §. 119). Das gerade Gegentheil davon ist Frankreich . Hier ward schon 1722 der Plan gefaßt, das ganze Reich mit 12000 lieues Wegen vom Staat aus zu versehen: 1750 ward das Corps der Ponts et Chaussées errichtet, das 1791 erhalten, mit mannichfachen Organisationen versehen, und zuletzt durch Decret vom 13. Okt. 1851 neu organisirt wurde. Grundlage ist die Eintheilung in den Conseil général des Ponts et Chaussées und die Inspecteurs erster und zweiter Classe. Unter ihnen steht das ganze öffentliche Bauwesen Frankreichs, spe- ciell das Wege- und Brückenwesen. Strenge und sehr detaillirte Vorschriften über das Verfahren (s. besonders Laferri è re , Droit publ. T. I. p. 620 sq. ). Kurze Darstellung der Organisation mit der sich daran schließenden Literatur bei Block , v. Ponts et Chaussées; Errichtung der Ecole des Ponts et Chaus- sées schon 1750. Stellung des ganzen Körpers unter den Minister des Innern durch Decret vom 25. Aug. 1804; unter das Ministère des travaux publics (Decret vom 25. Juli 1833). Ueber das Verfahren bei Ueberlassung der Arbeiten an Private, die Cahiers, die licitation etc. s. Laferri è re a. a. O. §. 2. 3. Das Conseil des bâtiments civils ib. §. 3. In Preußen besteht nach französischem Vorbilde die durch Verordnung vom 22. Dec. 1849 neu organisirte technische Baudeputation als Oberaufsichtsbehörde; daneben die königliche Bauakademie in Berlin (errichtet durch Verordnung vom 20. April 1799); von da an mehrfach reorganisirt dem Ministerium für Handel und öffentliche Arbeiten untergeordnet (Verordnung vom 18. März 1855); s. Rönne , Baupolizei 2. Ausgabe S. 44 ff.; Rönne , Staatsrecht II. §. 228 (Kurz.) In Oesterreich ist das öffentliche Bauwesen noch nicht organisirt; die Fachbildung auf dem polytechnischen Institute. Aehnlich in den meisten deutschen Staaten, wo sich die Verwaltung auf die Herstellung der technischen Fachbildungsanstalten beschränkt. Allerdings auch hier mit steter Berücksichti- gung des Wegewesens. b) Das eigentliche Wegewesen. Das eigentliche Wegewesen enthält nun die Grundsätze, Bestim- mungen und Organe, durch welche die Anforderungen des öffentlichen Wegebauwesens an die Wege eines Reiches in Vollzug gesetzt werden. Die Aufgabe dieses Wegewesens ist nun eine zweifache. Zuerst bilden alle Wege eines Reiches gegenüber dem Gesammtverkehr desselben ein Ganzes , und die für das gesammte Wegewesen bestehenden gleich- artigen gesetzlichen Bestimmungen bilden die Wegeordnung , welche durch die Behörden für das Wegewesen örtlich in Ausübung gebracht werden. Zweitens aber kommt es darauf an, die Bedingungen der Herstellung der Wege durch die gesetzliche Ordnung der Wegelast fest- zustellen. 1) Die Organisation des Wegewesens hat fast allenthalben, wo eine solche existirt, denselben Charakter; das Wegewesen steht im Cen- trum unter den Organen des öffentlichen Bauwesens. Oertlich besteht das Institut der Wegeinspektoren , das allerdings mit mehr oder weniger Nachdruck thätig ist. Speciell gehören diesem Organismus die Brücken aus naheliegenden Ursachen. Das Wegewesen einer Land- schaft soll allerdings Sache dieses Selbstverwaltungskörpers sein, je- doch soll festgehalten werden, daß die ausführenden Techniker wie die Landesbehörden der öffentlichen Fachbildung bedürfen. 2) Die Wegeordnung ist in den meisten continentalen Staaten Gegenstand eigener Gesetzgebung , die jedoch vorzugsweise die Wegelast betreffen (s. unten). Die Wegepolizei ist der Schutz der Wege gegen die verderbliche Benützung derselben durch Einzelne, und zwar theils als eigentliche Wegepolizei, welche den Wegekörper gegen den Verderb durch Bäume schützt, Gräben offen hält u. s. w. Dann aber die Fuhrwerkspolizei , die früher, namentlich seit dem Ent- stehen der Wegebautechnik nach der Methode Mac Adams als „Chaussee“ sehr genau ausgebildet und gehandhabt ward (Räderbreite, Zahl der Pferde, Gewicht der Fuhr), jetzt aber durch ein adäquates System von Wegeabgaben rationell überflüssig gemacht ist. Einen speciellen Theil der Wegeordnung bildet die Straßenordnung und die Straßen - und Straßenfuhrpolizei der Städte, an die sich die zwar lokale, aber höchst wichtige Fuhrpolizei der Lohnfuhrwerksordnung anschließt, die der Selbstverwaltung überlassen bleiben soll. 3) Die Wegelast als Summe der Leistungen für die Herstellung der Wege hat sich dadurch organisirt, daß eben durch sie aus dem ur- sprünglich rein rechtlichen System der Reichs -(Heer)straßen, Land- straßen und Gemeindewege ein System der Wegeverwaltung mit dem Princip der Verpflichtung zur Herstellung brauchbarer Wege geworden ist. Die Verwirklichung dieses Princips hatte nun die Classi- fikation der Wege für diesen Zweck zur Voraussetzung und zwar in der Weise, daß Wegelasten und Wegeeinnahmen je nach der Classe des Weges dem Staate, dem Lande, der Gemeinde, oder gemeinschaftlich beiden zufallen und in dieser Beziehung ist Frankreich mit seiner for- malen Eintheilung das Muster geworden. In Deutschland hat sich dagegen noch vielfach leider das aus dem grundherrlichen Wegewesen entstandene Recht der Wegefrohnden erhalten. Daran hat sich dann das System der Unterstützung der Gemeinden aus Staatsmitteln für den Wegebau gebildet, mit Unrecht von Adam Smith ( V. B.) gänzlich verurtheilt, und ebenso mit Unrecht von Say unbedingt ver- treten, dem in oft unklarer Weise die deutsche Literatur zu sehr gefolgt ist. Das Richtige liegt offenbar darin, daß bei guter Classifika- tion die Unterstützung nur Ausnahme sein kann, dann aber ein- treten soll. Der Wegelast gegenüber steht dann das System der Weg eab- gaben oder der Mauth als ein Theil des Gebührensystems. Die Wegeabgaben sind gerechtfertigt, wenn sie zur Herstellung der Wege wirklich benützt werden. Bei Brücken sind sie an sich immer richtig, wenn sie auch nicht immer durchführbar sind. — Das Recht auf Wege- abgaben für die Benützung von Wegen und Brücken, welche Private erbauen, ist begründet, bedarf aber der Zustimmung der Behörde. Die Form der Erhebung ist am besten die Verpachtung; die Straßenmauthen gehören in Princip und Ausführung der Selbst- verwaltung. Die einzige systematische Sammlung für Preußen: Rönne , Wegepolizei vergl. dessen Staatsrecht §. 415—418. Das Preuß. Allgem. Landrecht II. 15 ist mit all seinen Mängeln und Unklarheiten noch immer die Grundlage des Wegerechts und hat zuerst das Princip ausgesprochen, daß alle Orte mit öffentlichen Wegen verbunden sein sollen. Die Classifikation als Grundlage der einheitlichen Verwaltung fehlt. Zerstreute Angaben bei Mayer , Verwal- tungsrecht (bayerische Verordnung vom 18. Febr. 1835); Kunststraßenordnung (kurhessische Verordnung von 1858, S. 171—174); Pözl , bayerisches Ver- waltungsrecht §. 166. 167; Mohl , württembergisches Verwaltungsrecht II. §. 116 (Straßenbauinspektion) und §. 246 (Verwaltung); Römer , kursächsisches Staats- recht II. 807; Weiß , sächsisches Staatsrecht II. 191. Ueber die frühere Literatur s. Klüber , Literatur S. 426. Neuere für Frankreich: Mohl , Literatur der Staatswissenschaft III. 273; Königreich Sachsen ebend. II. 366. Das frühere, örtlich behandelte Wegewesen Oesterreichs bei Stubenrauch , Ver- waltungsgesetzkunde II. 527. Die neue Ordnung der Verwaltung auf der fach- gemäßen Grundlage der Competenz der Landtage und Gemeindeverwaltung mit Oberaufsicht und entscheidender Stimme der ersteren seit 1861. Nach dem Patent vom Febr. 1861 ist die Gesetzgebung über das Wegewesen der „Landes- straßen“ den Landtagen überlassen; bestätigt im Grundgesetz vom 21. Juni 1867 §. 17. Das Grundgesetz vom 16. April 1864 gibt die Gemeindestraßen den Gemeinden, die Bezirksstraßen durch Gesetz vom 25. Juli 1864 den Bezirks- vertretungen. Die Wegelast ist speciell als Straßenconcurrenzgesetz durch Gesetz vom 12. August 1864 regulirt. — Den technischen einfachen Grund- gedanken spricht schon Justi aus (1760) I. §. 427: „Man muß den Schluß machen, daß alle Landstraßen sehr wenig taugen, wenn man nicht durch die Kunst einen festen Grund gelegt hat.“ Das System Mac Adams ( Remarks on the present systeme of road making 1819 6. Auflage 1822) hat diesen Grundsatz dem zweiten hinzugefügt, auf der festen Grundlage eine gleich feste Decke zu bilden. So sind die eigentlichen Kunststraßen entstanden (vergl. Mohl , Polizeiwissensch. II. §. 168; deutsche technische Literatur bei Lotz I. S. 354; Mohl a. a. O.; Rau 256). Der Streit über die Ansicht von Adam Smith, die wesentlich auf englische Verhältnisse berechnet war, gut in Block , Dict. de l’Econ. pol. v. Alignement und Voirie. Das französische Recht ist namentlich klar über das Wege recht ; der Wegebau ist dagegen ganz dem amt- lichen Körper der Ponts et Chaussées übergeben; die Ecole des Ponts et Chaussées gegründet 1750; letzte Organisation des Corps: Decret vom 13. Okt. 1851 (vergl. Annales des Ponts et Chaussées seit 1831; Literatur bei Mohl und Block; vergl. Rau §. 256); die beste Darstellung bei Lafer- ri è re , Droit adm. L. I. 1. T. 4) nebst der Geschichte. Das Recht und die Geschichte des englischen Wege- und Brückenwesens gewinnt erst mit der Wegeordnung von 5. 6. Will. IV. eine allgemeine und feste Gestalt; das System der Surveyors of highways und der besoldeten Beamteten ist unzweifelhaft dem französischen Recht nachgebildet. Die Justices of the Peace haben die Wegepolizei; mit den Chausseen ( Turnpike Roads ) tritt dann das neue System der Chausseeverwaltung ein; das durch die General Turnpike Act 3. G. IV. 126 ins Leben, das durch mehrere neue Gesetze weiter entwickelt wird (s. Gneist , Englisches Verwaltungsrecht II. §. 117—122). B. Wasserwege. Die Wasserwege haben zunächst denselben Charakter wie die Land- wege, soweit die Natur des Wassers sie nicht ändert, und im wesent- lichen daher auch dieselbe Geschichte. Allein daneben sind sie zugleich die großen volkverbindenden Verkehrslinien; sie berühren damit das Gebiet des internationalen Verwaltungsrechts, und müssen daher von diesem Gesichtspunkt betrachtet werden, während andererseits der Unterschied von Fluß- und Seeweg auf die einzelnen Bestimmungen entscheidenden Einfluß hat. Endlich sind sie ihrer Natur nach örtlich, und Recht und Verwaltung derselben haben daher stets einen vor- wiegend örtlichen, je nach den Verhältnissen des betreffenden Landes sehr verschieden entwickelten Inhalt. Doch bleiben die beiden Gedanken gemeinsam. 1) Das Recht der Wasserwege wird wie das der Landwege ur- sprünglich von dem Grundbesitze beherrscht. Die Geschichte dieses Rechts ist die langsame Befreiung jedes Wasserweges von dieser Herrschaft des Grundbesitzes, und die Verwirklichung der Idee der vollen Frei- heit des Verkehrs auf demselben. Den Ausgangspunkt gibt auch hier der Begriff des Wasseregals . Die erste Frage des öffentlichen Wasserrechts war daher die nach der rechtlichen Gränze zwischen dem Recht des Grundherrn am fließenden Wasser, und dem der Gemein- schaft, welche der Staat vertrat. Sie ward nach römischem Vorgang dahin entschieden, daß die Fähigkeit des Wassers, zum Verkehr benützt zu werden, demselben das Recht des öffentlichen Weges gebe ( flumen navigabile, Schiffbarkeit). Dasselbe galt von den Häfen , sowohl den Fluß- als den Seehäfen. Allein eben diese Regalität erzeugt in ihrer ersten Epoche für die Flüsse und Meerwege das Recht der Zölle in internationalem Verkehr, für die Häfen vielfach das Stapelrecht und die Differentialabgaben der Schiffe fremder Flaggen. Erst das neun- zehnte Jahrhundert wendet das innere Rechtsprincip der Freiheit der Benützung auch auf den internationalen Verkehr an; Zölle und Diffe- rentialabgaben verschwinden mehr und mehr, und Schiffbarkeit und Verkehrsfreiheit werden zum Heile des Volkes gleichbedeutend. 2) Einen ähnlichen Entwicklungsgang nimmt die Verwaltung der Wasserwege . Dieselbe hat die Aufgabe für den öffentlichen Wasserweg einerseits die Sicherheit, andererseits die Leichtigkeit der Benützung herzustellen. Das erste geschieht durch die Strompolizei , die seit dem siebzehnten Jahrhundert für die Flußwege zu umfassen- den Gesetzen geordnet und lokal entwickelt wird, und durch die Hafen- polizei , welche sich ihrer Natur nach vorzugsweise lokal entwickelt. Das zweite erzeugt die öffentlichen Anstalten und Unternehmungen, welche theils in den Canälen eigene neue Wasserwege bauen, theils in den Baggerungen und Regulirungen die Schiffbarkeit gegen die natürlichen Versandungen schützen, theils endlich in Damm- und Hafenbauten die örtliche Benützung sichern und fördern. Bis zum neunzehnten Jahrhundert bleiben auch diese Anstalten auf die ein- zelnen Staaten beschränkt; erst in der neuesten Zeit beginnt ein großes internationales Leben, und auf all den Punkten, wo europäische Ver- kehrslinien zu Wasser vorhanden sind, entstehen Völkerverträge und Unternehmungen, welche den rechtlichen und volkswirthschaftlichen Aus- druck der großen Gemeinschaft der Interessen unseres Erdtheils bilden. Es ist die große Schwierigkeit, hier theoretisch aus einander zu halten, was im wirklichen Leben beständig in einander übergeht, Wasserordnung, Wasser- wege und Schifffahrtswesen. Doch hat die Theorie seit Justi I. §. 459—462 und Sonnenfels , Handlung VI. (Wasserfracht) diese Scheidung mit Recht festgehalten ( Mohl , Polizeiwissenschaft II. §. 172). Ueber das alte Recht des Wasserwesens s. die deutschen Privatrechte; der Kampf über das Mare clausum (Hugo Grotius: Mare liberum, im 17. Jahrh.); Beginn des Strebens nach Frei- heit für Fluß- und Seewege Mitte des vorigen Jahrhunderts; schon Justi klagt über die „erschrecklich hohen und so vielfältigen Zölle“ namentlich auf dem Rhein, der Elbe und der Weser. Das Princip des öffentlichen Eigen- thums vermöge der Schiffbarkeit formell zuerst in der Ordonnance de la Marine von 1681. Darnach das Preuß. Allgem. Landrecht II. 14. 21. Die österreichische Gesetzgebung scheidet zuerst strenge zwischen der Strompolizei (1770) und dem Schifffahrtswesen ( Editto von 1782); die französische Verwal- tung hat die Binnenwasser mit der Waldverwaltung in den Eaux et forêts verbunden. Specielle Gesetzgebung für Preußen: Rönne , Staatsrecht II. 418 und Literatur. Aufhebung aller Binnenzölle II. 350. Oesterreich: Stuben- rauch , Verwaltungsgesetzkunde I. §. 224. 258 und II. 527. Neuere Literatur fast nur technisch; bei Mohl a. a. O. — Bayern : Schifferordnung vom 4. Juni 1865. — Die neueste Zeit hat gerade hier mächtigen Anlauf genom- men auf internationalem Gebiet; Aufhebung des Sundzolls 1857; Freigebung der Donau 1856, nach langem Hadern und Klagen die Ausführung der Wiener Congreß-Akte §. 109—117 über die Rhein-, Elb- und Weserschifffahrt eine Reihe von Verträgen, welche zugleich die Verpflichtung zur Regulirung enthalten ( Rönne , Staatsrecht II. §. 531). Europäische Donauregulirungs- commission seit 1856; Suezcanal; inniger Zusammenhang mit dem internatio- nalen Schifffahrtsrechte (s. unten). II. Das Schifffahrtswesen. Begriff und Elemente der Geschichte. In ganz anderer Weise wie das Wegewesen bildet nun das Schiff- fahrtswesen einen Theil der Verwaltung des Verkehrs. Denn während bei jenem der Weg allgemeines Eigenthum, und in jedem Augenblicke und auf jedem Punkte bewachbar ist, ist das Objekt des Schiff- fahrtswesens, das Schiff, immer ein Privatgut; der Dienst, den es dem Verkehr leistet, beruht zunächst auf einem Vertrage, das Ver- kehrsrecht ist und bleibt hier stets vorwiegend ein Vertragsrecht, und das Schiff entfernt sich so weit von seiner Heimath, daß es durch die gewöhnliche Thätigkeit der Verwaltung gar nicht zu erreichen ist. Soll daher hier dennoch ein Verwaltungsrecht entstehen, so muß es durch die Natur des Schiffes und der Schifffahrt selbst sowohl in seinem Princip als in seinem System bestimmt und so verständlich sein, daß das erstere, richtig aufgefaßt, das letztere seinen Inhalt fast von selbst ergibt. Das Schiff, obgleich Privatgut, ist dennoch eine unabweisbare Be- dingung für den Verkehr, und namentlich für denjenigen, der nicht so sehr die Einzel- als vielmehr die Volkswirthschaften verbindet. Dennoch hat der, der es benützt, vermöge der Natur der Schifffahrt weder Sicherheit für die Leistungen von Schiff und Schiffer, noch für die Haltung der mit dem letzteren geschlossenen Verträge. Da nun aber beides eine für den Einzelnen unerreichbare Bedingung des See- verkehrs ist, so ist von jeher das auf die Schifffahrt bezügliche Ver- tragsrecht seinem Charakter als reines Privatrecht zum Theil verloren, und ist zu einem öffentlichen Recht geworden; wir nennen das das See- recht ; und dieß Seerecht ist eben daher das erste systematisch entwickelte Verkehrsrecht in der Rechtsgeschichte. Allein während dieß Seerecht noch immer nur das Recht des Vertragsverhältnisses zwischen den Einzelnen enthält, die an der Schifffahrt betheiligt sind, entsteht mit der Ent- wicklung des transatlantischen Verkehrs und den glänzenden Erfolgen, welche die Theilnahme an der Weltschifffahrt den Nationen bereitet, die Erkenntniß, daß die Schifffahrt als Ganzes ein wesentlicher Zweig der Ent- wicklung des materiellen und geistigen Lebens der Völker sei, und die Regierungen fangen an, durch die Maßregeln ihrer Verwaltung das Aufblühen der Schifffahrt unmittelbar zu fördern . So entsteht neben dem Seerecht der zweite Theil des Schifffahrtswesens, die Verwal- tung desselben; und diese, zunächst auf die internationale Schifffahrt beschränkt, wird in den Grundsätzen des Merkantilsystems zum theore- tischen Ausdruck gebracht, und breitet sich dann auch über die Binnen- schifffahrt aus. Der Beginn dieser zweiten Epoche ist die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts mit der Navigationsakte in England und der Ordonnance de la Marine in Frankreich; während aber mit der freie- ren Bewegung des neunzehnten Jahrhunderts die daraus entstandenen Beschränkungen des Verkehrs im Sinne des Schutzsystems allmählig verschwinden, entsteht dafür eine Reihe von positiven, mehr und mehr geordneten Maßregeln für Ordnung und Hebung der Schifffahrt; und so entwickelt sich in Seerecht und Schifffahrtsverwaltung ein großes und hochbedeutendes System der Verwaltung, das aber freilich direkt nur von Werth für die Küstenländer ist, und daher nur bei diesen volles Verständniß und eingehende Würdigung findet. Doch muß man die elementaren Grundsätze des Schifffahrtswesens als einen integriren- den Theil der Verwaltung des Verkehrswesens betrachten. Das Schifffahrtswesen hat eine beschränkte, aber zum Theil ausgezeichnete Literatur und Gesetzgebung. Man muß im Allgemeinen sagen, daß sich die letztere in zwei große Epochen theilt. Die erste geht vom Anfange der Handels- schifffahrt (12. Jahrh.?) mit dem Seerecht von Oleron bis zur Mitte des sieb- zehnten Jahrhunderts; ihr gehören neben der Roole des jugemens d’Oleron der Guidon de la mer, das berühmte Consolato del mare (13. Jahrh.), das Wisby’ sche Seerecht, das hanseatische Seerecht und mehrere andere. Voll- ständige Sammlung von Pardessus , Collection des lois maritimes jusqu’au 18. siècle 1828; vgl. Pöhls Seerecht Bd. I. S. 11 ff.; Beneke , See-Assecuranz- recht I. S. 6 f.; reiche Literatur bei Berg , Polizeirecht III. 563; Mitter- maier , Deutsches Privatrecht, §. 541; Lotz , Staatswirthschaftslehre II. S. 270 (Schifffahrtspolitik und Verträge). Die zweite Epoche beginnt mit der Navigationsakte ( Büsch , Geschichte der englischen Navigationsakte) und der Ordonnance de la Marine von 1681, welche letztere als ein Muster der Gesetzgebung nicht bloß die unvollkommene Nachbildung des preußischen See- rechts von 1727 und der unvollständigen des österreichischen im Editto poli- tico di navigazion mercantile von 1774 erzeugte, sondern auch die maßgebende Grundlage des Code de commerce und aller aus demselben hervorgehenden Handelsgesetzbücher im ganzen Westen von Europa geworden ist, während Deutschlands Handelsgesetzbuch das Seerecht fast ganz übergeht. Der Charakter der öffentlichen Rechtsbildung der ersten Epoche ist die Entwicklung des See- rechts im eigentlichen Sinne, der Charakter der zweiten ist die Aufnahme der Elemente der Schifffahrtsverwaltung und ihre systematische Ver- arbeitung neben dem ersteren, und zwar in der Weise, daß Englands Rechtsbildung durch die Navigationsakte sich fast ausschließlich auf den Schutz der eigenen Flagge im großen Seeverkehr beschränkt, Frankreichs Gesetz- gebung dagegen zugleich das Seerecht höchst systematisch und praktisch ausbildet und die Schifffahrtsverwaltung zur Staatsangelegenheit macht, Deutschland dagegen in den Hansestädten (Hamburg) das Seerecht ohne Verwaltung , und in Preußen und Oesterreich die Verwaltung ohne Seerecht (mit Aus- nahme des Editto ) entwickelt. Daraus ergibt sich, daß Seerecht und Ver- waltung nicht bloß die beiden systematischen Gebiete des Schifffahrtswesens find, sondern auch jedes für sich ihre selbständige Geschichte haben. Die Literatur ist bisher fast nur für das Seerecht von Werth; in England als Sammlung von Urtheilen; in Frankreich als Commentar der Ordonnance (Valin) und des Code de commerce; in Deutschland als wissenschaftliche Be- handlung. Hier steht ohne Zweifel Pöhls in seinem Seerecht (als 3. Theil seines Handelsrechts) und See-Assecuranzrechts 1832 oben an (1830, 2 Bde.). Hartes Urtheil desselben ( p. VI. ) über Beneke , System des Assecuranz- und Bodmereiwesens (4 Bde. 1810); nicht unbegründet. Das Seekriegsrecht in den verschiedenen Völkerrechtslehren; das Consulatwesen in dem reich- haltigen Handbuch des Consulatwesens von L. Neumann 1854, nebst An- hang der österreichischen Schifffahrtsgesetze. Die deutschen Privatrechte haben viel zerstreutes historisches Material, bei weitem am besten Mittermaier a. a. O. Die Angaben bei Mohl , Polizeiwissenschaft Bd. II. §. 169 ff. nicht von Bedeutung. Von den Territorialrechten haben nur Rönne , Staats- recht II. §. 396 und Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde II. S. 531 dar- auf Rücksicht genommen; der erstere faßt das Ganze leider nur als „Gewerbe“ auf, der letztere gibt einen Auszug aus dem Editto, ohne Eingehen auf die Sache. — Die Bestimmungen über Verhüten des Zusammenstoßens der Schiffe auf offener See: Gegenstand der Gesetzgebung und internationale Ver- träge (s. Preußen , Gesetz vom 22. Febr. 1864); Zustimmung der übrigen Seestaaten; Organisirung des Schifffahrtswesens und eigene Schifffahrtsord- nung (Gesetz vom 26. März 1864). A. Seerecht. Wesen und Gebiete. Das Seerecht umfaßt daher die Gesammtheit derjenigen Modisi- kationen des bürgerlichen Sachen-, Personen- und Vertragsrechts, welche durch die Natur des Schiffes und der Schifffahrt gefordert werden, und die mithin als rechtliche Bedingungen des Seeverkehrs zum gelten- den öffentlichen Recht erhoben sind. Das Gebiet des Seerechts ist demnach strenge begränzt auf die Rechtsverhältnisse zwischen den einzelnen bei der Schifffahrt betheiligten Personen; daß in die See- gesetze auch Gegenstände des Seeverwaltungsrechts aufgenommen sind, ändert natürlich an der Sache nichts. Die Gebiete desselben sind folgende. a) Das specifische seerechtliche Sachenrecht erscheint für das Schiff in den Bestimmungen über den Bielbrief (Eigenthumsrecht), der Bodmerei (Seepfandrecht) und dem Abandon (Recht des Casus). Für die Ladung in dem Recht des Seewurfs (lex Rhodia), dem Strandrecht und dem Bergerecht . b) Das seerechtliche Personenrecht ist in dem Rechte des Ca- pitäns über die Mannschaft gegeben, speciell in dem Disciplinar- Strafrecht desselben, in dem Strafrecht für Desertion , und der strengen Organisation des Rechts auf Befehl und Gehorsam. c) Das seerechtliche Vertragsrecht enthält zwei große Theile. Der erste ist einerseits das Recht der Fahrt zwischen Capitän und Eigenthümer, und andererseits das Recht der Verfrachtung zwischen Schiffer und Rheder. Der zweite ist das wichtige Gebiet der See- versicherung , die hier vermöge der besondern Verhältnisse des Scha- dens zur See (der Havarie), eine eigenthümliche, höchst entwickelte Gestalt des Schadenversicherungswesens, und mit ihr eine ausgebildete Gesetzgebung und Jurisprudenz erzeugt. d) Die Elemente dieses Rechts sind nun schon in den alten See- rechten vorhanden; die große Entwicklung der transatlantischen Schiff- fahrt hat dazu das letzte Element als organisches Mittel der Sicherung der Ansprüche und als Analogon der Handelsbücher in den Schiffs- büchern , die Pflicht zu ihrer Führung und dem Rechte ihrer Beweis- kraft hinzugefügt; sie sollten in allen Landen einen wesentlichen Be- standtheil des Seerechts bilden. Die Ausbildung dieses Seerechts ist noch ungleichmäßig. England : „In privatrechtlicher Hinsicht sind die englischen Gesetze sehr mangelhaft. Pöhls I. 33. Frankreichs Ordonnance de la Marine ist ein Muster für alle Theile, mit Ausnahme der Schiffsbücher, die erst im Code de commerce (Livre II. du commerce maritime) ihre volle Entwicklung findet; die Asse- curanz ist jedoch in allem Wesentlichen trefflich organisirt. Das österreichische Editto hat das Personen- und Vertragsrecht nach französischem Muster vor- trefflich; Assecuranz fehlt; die Literatur sowie die genaue Zusammenstellung aller Gesetzgebungen über jeden Punkt bei Pöhls , Bodmerei und Assecuranz in den deutschen Privatrechten; namentlich bei Mittermaier mit kurzer Gründ- lichkeit als Theil „des Rechts der Forderungen“ II. §. 303 ff. Rönne hat zwar das Seerecht weggelassen, dagegen das Flußschifffahrtsrecht aufgenommen II. 399, während die Frage, ob die Grundsätze des Seerechts auch auf Flußschifffahrt Anwendung finden, bei keinem Gesetz oder Schriftsteller zur Erwägung gelangt. Es ist klar, daß dieß nicht ganz der Fall sein kann; wie weit das aber thunlich? — Das deutsche Handelsgesetzbuch ist arm, seine Exegeten hier nicht reich. B. Die Schifffahrtsverwaltung in Schutz und Förderung. Die Schifffahrtsverwaltung entsteht nun neben dem Seerecht durch die Erkenntniß, daß die Schifffahrt als wesentliches Element der all- gemeinen volkswirthschaftlichen Entwicklung durch die Thätigkeit des Staats diejenigen Bedingungen fordern müsse, welche die Schiffer so wenig als die Rheder sich selbst verschaffen können. Sie löst sich erst im sieb- zehnten Jahrhundert von dem Seerecht ab; ihr erstes Gebiet ist das der Navigationsgesetze zum Schutz der eigenen Flagge in der internationalen Concurrenz auf dem Gebiete des Welthandels; ihr zweites, zwar gleichzeitig in den Anfängen entstehendes, aber mit dem neunzehnten Jahrhundert entwickeltes Gebiet ist das der Maßregeln zur Hebung der Schifffahrt auf Grundlage des freigewordenen Welthandels. Jeder dieser Theile hat seine Geschichte und sein System. Die Elemente der- selben sind folgende. A. Der Schutz der Schifffahrt im internationalen Verkehr ent- steht mit der Navigationsakte von 1651 als gesetzliches Princip der völligen Ausschließung jeder Schifffahrtsconcurrenz im eigenen Handel; sein zweites, gemildertes Stadium, wesentlich von Frankreich ausgehend, ist das der Differentialabgaben von fremden Flaggen in den eigenen Häfen; beide bilden den Grundsatz der Nationalität einerseits des Schiffes und andererseits der Mannschaft zu einem ganzen System von Bestimmungen aus, die dann bis auf die neueste Zeit beibehalten werden. Beide Systeme der direkten und indirekten Prohi- bition werden dann seit dem achtzehnten Jahrhundert schrittweise ge- mildert und abgeschwächt durch die Handels- und Schifffahrts- verträge , deren Basis fast immer die Gegenseitigkeit in dem Erlaß der Differentialabgaben („Gleichstellung mit den meist begünstigten Nationen“) ist; nur in dem System der Küstenschifffahrt ( Cabotage ) bleibt die Ausschließung des Fremden bestehen, und auch das nur für einzelne Länder. So geht die Entwicklung auf diesem Gebiete der Frei- heit des Verkehrs entgegen, und der Schwerpunkt der Verwaltung fällt mit unserem Jahrhundert in das Gebiet des zweiten folgenden Theiles. B. Die Förderung der Schifffahrt beginnt allerdings auch hier mit dem Versuch, durch Belohnungen aufzumuntern, der jedoch bald verschwindet und in vielen Ländern gar nicht Platz greift. Anstatt derselben entwickelt sich allmählig aber sicher ein System von Anstalten, deren Grundlage mehr und mehr der einzig richtige Gedanke ist, daß die Verwaltung nie die Sache selbst, sondern nur die Bedingungen ihrer Entwicklung zu geben hat. Jeder der Theile dieses Systems hat nun wieder seine Geschichte und seine Ordnung: die wesentlichen sind folgende. Zuerst haben die Verwaltungen des Continents in den Navi- gationsschulen ein Fachbildungssystem hergestellt, und zugleich die letzteren in der Form von Zeugnissen (Patenten) zur rechtlichen Bedin- gung der Schiffsführung gemacht (Steuermannsexamen; Patente für kurze und lange Fahrt ꝛc.) — Zweitens beziehen sich die öffent- lichen Einrichtungen auf Hülfsanstalten für die Fahrt der Schiffe, je mit eigener Ordnung; Lootsenwesen, Leuchtfeuer und Thürme; Baken- wesen. — Drittens entstehen Hülfsanstalten und Ordnungen theils für die elementaren Seegefahren, Rettungsanstalten u. s. w.; theils für erwerbsunfähig gewordene Seeleute in den Marinehospitälern. — Viertens endlich ist die eigentliche Schifffahrtspolizei syste- matisch entwickelt, und zwar wieder theils für die Fahrten in den ge- setzlich sanktionirten Signalordnungen , theils für die Häfen in den Hafenordnungen , theils für die Dampfschifffahrt in der Polizei der Dampfmaschine , theils endlich für Mannschaft und Passagiere in der Ueberwachung der Proviantvorräthe und der Pflicht zur Auf- stellung von Schiffsärzten. Für die Vollziehung dieser Anordnungen, sowie überhaupt für thätige Ausführung der Schifffahrtsverwaltung sind eigene Organe geschaffen; die Vertretung der Interessen der Schifffahrt in fremden Häfen ist einem sehr ausgebildeten Consulat- Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 13 system übergeben, und so ist das Schifffahrtswesen der neusten Zeit auf seine wahren Elemente, die Kraft und Tüchtigkeit des Einzelnen unter der Hülfe des Staats zurückgeführt. Charakteristischer Unterschied namentlich Englands von Frankreich und den meisten nach Frankreichs Muster arbeitenden Völkern, daß England bis zur neuesten Zeit die Aufgabe der Schifffahrtsverwaltung von jeher mit Ausnahme der Navigationsakte ganz der privaten Thätigkeit überließ; nur die registry act für die Eintragung der Schiffe in die öffentlichen Schiffscatafler (26. G. III. 1786) hat für Europa die letzteren ins Leben gerufen; dafür mangeln sogar Vorschriften über die nöthigen Schiffspapiere ( Pöhls I. 33). Dann er- scheint die große Merchant Shipping Act von 1854 (17. 18. Vict. 104), welche allerdings ein vollständig ausgebildetes Seerecht enthält, und zugleich die Schiff- fahrtsordnung bestimmt. Dazu die Merchant Shipping Amendement Act 18. 19. Vict. 91. Organisation unter dem Board of Trade; über Lootsen ꝛc. örtliche Statutes. Rettungsanstalten durch Vereine. — Frankreichs Ecole de navigation, strenge Hafenordnungen unter den Hafencapitänen schon nach der Ordnung von 1681. Das Hafenwesen in England wird für jeden einzelnen Hafen, besonders für die Landungsplätze, nebst den Hafenabgaben besonders geordnet; daher die beständig wiederholten Pier and Harbour Acts in den englischen Parlamentsakten. Allgemeine Hafenordnung 24. 25. Vict. 45. (Unternehmungen unter Oberaufsicht der Admiralty); dem nach- folgend das österreichische Editto von 1774; lokales Recht in den Hansestädten. Organisation unter dem Marineministerium nach französischem Vorbild; in Oesterreich das höchst nützliche Organ der Centralseebehörde in Triest seit 1851 (vergl. Stubenrauch I. §. 19. 50). In Preußen und Oesterreich Navi- gationsschulen ; Einrichtung und Rechte der Prüfungen ( Rönne II. 454; Regulativ vom 24. April 1863; Stellung des „Navigationsdirektors“ ebend. und II. §. 228). Lootsen- Barken- und Leuchtthurm wesen in einzelnen örtlichen Verordnungen und Regulativen ( Stubenrauch I. 515; Lootsen- corps von Triest 1850). — Preußen: Rönne II. §. 398. Hülfe im Auslande durch die Consuln: Rönne ebend. (Verordnung vom 4. Okt. 1832). — Sardi- nien : neueste Schifffahrtsgesetzgebung für die Handelsmarine ( Codice marit- timo vom 26. Juni 1865). Die Behandlungen des Seerechts haben alle diese Gegenstände nicht aufgenommen; eine selbständige Bearbeitung der Schiff- fahrtsverwaltung im Sinn einer Gesammtauffassung mangelt. Zweiter Theil . Die Verkehrsanstalten. Begriff und Wesen der drei Grundformen. Die Verkehrsanstalten eröffnen nun ein anderes Gebiet. So wie die Gesittung eines Volkes höher steigt, genügt das Ver- kehrsmittel, zu dessen Benützung die individuelle Thätigkeit nothwendig ist, die nicht immer alle Bedingungen besitzt, der Idee des Verkehrs nicht mehr. Je klarer es wird, daß der Fortschritt aller Einzelnen auf der möglichst lebendigen Berührung derselben untereinander sowohl in geistiger als in wirthschaftlicher Beziehung beruht, wird es zur Auf- gabe der Verwaltung, diese Berührung durch eigene Anstalten herzu- stellen und durch die Thätigkeit derselben jene Gegenseitigkeit der Ein- zelnen und jene Gemeinschaft des Ganzen selbstthätig ins Leben zu rufen, welche die absolute Voraussetzung aller Civilisation ist. Aller- dings entstehen diese Anstalten langsam und breiten sich auch langsam über alle Verhältnisse aus; allein dennoch ist diese Ausbreitung eine unwiderstehliche, und so bildet sich allmählig ein selbstwirkendes System, welches den Gesammtverkehr in sich aufnimmt, organisirt und weiter führt. Die Gesammtheit dieser Anstalten nennen wir die Verkehrs- anstalten . Diese Verkehrsanstalten haben nun drei Grundformen. Sie sind die Post , die Eisenbahnen mit der dazu gehörenden öffentlichen Dampfschifffahrt und die Telegraphen . Scheinbar durch äußer- liche Anlässe und Erfindungen entstanden, bilden sie dennoch ein inneres System, und zwar indem jede derselben eine bestimmte Funktion erfüllt, so daß sie obwohl geschieden und verschieden, dennoch in Wahr- heit ein Ganzes sind, das zuletzt den Ausdruck Eines Gedankens bildet und daher auch von Einem Princip beherrscht wird. Die Post ist das- jenige Organ, welches den individuellen Verkehr vermittelt, die Eisenbahn ist der Verkehrsorganismus für die Bewegung des Gesammt- verkehrs der Massen in Personen und Gütern, der Telegraph bestimmt sich von selbst für den Verkehr des Augenblicks . Technisch und mechanisch lassen sich diese Anstalten sehr viel weiter entwickeln; orga- nisch aber scheint mit ihnen die Basis des gesammten selbstthätigen Verkehrs gegeben zu sein. Sie sind daher alle drei in jedem civilisirten Volke vorhanden und thätig; an ihrer Weiterbildung wird auf allen Punkten der Erde mächtig gearbeitet; sie wirken unwiderstehlich dem- selben Ziele auf allen Punkten entgegen; sie verwischen die Gränzen aller historischen und nationalen Besonderheit; beginnend bei dem inneren Leben eines Staates, schreiten sie, selbst durch Unglück und Krieg nicht aufgehalten, beständig fort, und indem sie die Länder und Völker in unermüdeter Arbeit verbinden, erzeugen sie ein Gesammt- leben der Welt , das ohne sie nicht möglich wäre, für das die frühere Geschichte kein Beispiel hat und das als die lebendige Grundlage alles Fortschrittes angesehen werden muß. Und so groß ist die Gewalt dieser vielleicht mächtigsten Thatsache unseres Jahrhunderts, daß sie sogar die Selbständigkeit der einzelnen Staaten in Gesetzgebung und Ver- waltung sich zu unterwerfen gewußt hat. Ihre Funktionen und ihre Bedürfnisse sind Weltthatsachen, und die einzelnen Staaten, indem sie sich den letzteren willig fügen, werden damit gleichsam zu Vollzugs- organen dieses allgemeinen Lebens; die geltende Ordnung für jene An- stalten ist vorwiegend eine internationale , und die staatlichen Gesetz- gebungen sind gezwungen , sich dem anzuschließen, was in diesen internationalen Ordnungen gemeinschaftlich festgestellt wird, weil der Weltverkehr es fordert. Wege und Brücken baut der Staat für sich und ordnet und verwaltet sie wie er will; allein der Zug des Postwagens, der Lokomotive und des elektrischen Funkens, der über beide hinaus- geht, gehört nicht mehr ihm. Es ist ein großes und gewaltiges Bild, das sich uns hier entwickelt. Das statistische Bild nun wird zum Gegenstande der Wissenschaft, indem für dasselbe die beiden allgemeinen Kategorien gelten, die wir dem ganzen Gebiete zum Grunde gelegt haben. Die Verwaltung dieser Theile bestimmt das, was der Staat für jede Grundform der Verkehrsanstalt zu thun hat; das Recht formulirt die Verhältnisse, welche aus der Thätigkeit derselben in Beziehung zu den Einzelnen hervorgeht. Wir haben daher von einer Postverwaltung und einem Postrecht, von Eisenbahnverwaltung und -recht und von Telegraphen- verwaltung und -recht zu reden. Das sind die Elemente aller syste- matischen Behandlung dieser Gebiete. So verschieden nun auch dabei die letzteren im Einzelnen sind, so gleichartig und einfach ist die Grundlage, auf der sie sich entwickeln. Diese Grundlage ist der Sieg der Idee der Verwaltung über das historische Rechtsprincip, ein Proceß, der sich in verschiedener Weise in jedem Theile gleichartig wiederholt. Alle Verkehrsanstalten sind nämlich in erster Reihe als unzweifel- haft allgemeine Angelegenheiten Sache des Staats . Dieß Recht des Staats auf die Verkehrsanstalten heißt das Regal . Alle Ver- kehrsanstalten sind daher grundsätzlich Regalien . Als Regalien sind sie ursprünglich nur Einnahmsquellen; ihre große Verkehrsfunktion wird diesem Princip unbedenklich untergeordnet. Das bleibt sogar, als man schon mit dem achtzehnten Jahrhundert den allgemein volkswirthschaft- lichen Werth derselben zu verstehen beginnt, und erhält das ausschließ- liche Recht des Staats gegenüber jeder Privatthätigkeit auf diesem Gebiet. Erst mit dem neunzehnten Jahrhundert und dem Auftreten der Eisenbahnen wird es anders. Der Staat gibt auch hier zum Theil seine Regalität auf; die Verkehrsanstalten werden Gegenstand von Privatunternehmungen, und jetzt entsteht die entscheidende Frage über das Verhältniß der Verwaltung zum Rechtsbegriffe und sein Inhalt. Hier nun siegt die höhere Idee des Verkehrswesens auf jedem Punkte und die alle jene Gebiete beherrschenden Grundsätze sind von jetzt an, daß die Benützung aller dieser Verkehrsanstalten für alle ohne Unter- schied gleich, frei und gemeinsam sein sollen, daß sie als Quelle von Einnahmen nur so weit gelten dürfen, als dadurch ihre große volks- wirthschaftliche Funktion nicht gestört wird , und endlich daß auch alle Privatunternehmungen für den Verkehr als öffentliche An- stalten gelten und daher sich dem öffentlichen Recht zu unterwerfen haben. Aus der systematischen Anwendung dieser leitenden Grundsätze auf die drei erwähnten Gebiete entsteht dann das System des Rechts der Verkehrsanstalten, das allerdings in den verschiedenen Ländern in seinen Principien zwar wesentlich gleich, in seiner Ausführung dagegen vielfach tiefgehend modificirt ist. Eine gemeinschaftliche Literatur über das ganze Gebiet der Verkehrsan- stalten fehlt; die „Polizeiwissenschaft“ hat nur die allgemeinsten Gesichtspunkte festgehalten. Auch die einzelnen Theile sind noch sehr sporadisch und unsyste- matisch behandelt; das technische Element bildet neben der einfachen Statistik fast den ausschließlichen Inhalt. Erst in neuester Zeit ist das juristische Element hinzugekommen. Im Allgemeinen aber sehen wir auch hier den Charakter der drei großen Staaten wieder ausgeprägt. Frankreich ist klar, einfach, aber im höchsten Grade administrativ; England hat der Selbstverwaltung und dem Ver- einswesen viel, oft zu viel überlassen; in Deutschland sucht man nach der Ver- einigung beider Principien. Dieß ist nun wieder sehr verschieden, je nachdem es sich um Post, Bahnwesen oder Telegraphen handelt, so daß die Einheit der Auffassung beständig zu verschwinden droht. Dennoch sind sie ein Ganzes, und von denselben Principien beherrscht und in ihrer Entwicklung bestimmt. Es ist die Aufgabe der Verwaltungslehre, eben dieß festzuhalten. I. Das Postwesen. Natur seiner Funktion und Elemente seiner Geschichte. Das Postwesen beruht darauf, daß der beständige, tägliche, regel- mäßige Verkehr der Einzelnen eine der großen Bedingungen aller Entwicklung ist, welche sich der Einzelne nicht schaffen kann. Die An- stalt, durch welche der Staat diese Bedingung herstellt, ist das Post- wesen . Die wissenschaftliche Behandlung des Postwesens enthält daher die Lehre von den Bedingungen und Ordnungen, durch welche das Postwesen diese organische Funktion zu erfüllen im Stande ist und welche wieder in die beiden Kategorien der Postverwaltung und des Postrechts zerfällt. Bevor jedoch das Postwesen in diesem höheren Sinne aufgefaßt und verwaltet worden ist, sind Jahrhunderte unter sehr verschiedenen Versuchen hingegangen. Regelmäßige Verbindungen zum Zwecke der Regierung haben wohl in allen Staaten der Welt Platz gefunden. Das, was wir das Postwesen nennen, beginnt jedoch erst da, wo diese Regierungsanstalten auch den Verkehr der Einzelnen in sich auf- nehmen. Dadurch entsteht die erste Epoche des Postwesens, in welcher die Regierungspost noch die Hauptsache ist und die Briefe der Einzel- nen nur noch mitgenommen werden. Sie geht ungefähr bis zum achtzehnten Jahrhundert. Die zweite Epoche steht bereits auf dem Standpunkt, die Beförderung des Einzelverkehrs als solche zur Auf- gabe der Post zu machen, und daher sich, wenn auch nur langsam und unvollkommen, nach den Bedürfnissen des Verkehrs statt wie früher nach denen der Regierung zu richten. Es entstehen daher in dieser zweiten Epoche bereits die drei formalen Kriterien einer jeden wirklichen Postverwaltung, die centrale Organisation, die örtliche Aus- dehnung und Ordnung der Postlinien und Poststationen und der Unter- schied von Brief- und Fahrpost, nebst dem dazu gehörigen System der Postgebühren. Allein noch ist das ganze Postwesen vorzugsweise eine Einkommensquelle und die Forderung eines von derselben zu er- zielenden Reinertrags wird noch immer für alle Theile des Postwesens ausschließlich maßgebend. Erst im neunzehnten Jahrhundert entsteht unter heftigen Kämpfen der Gedanke, daß die Post nicht so sehr ein finanzielles Institut, als vielmehr eine Verwaltungsanstalt sein solle; und jetzt entwickelt sich auf Grundlage dieser Idee das Postwesen der Gegenwart , das in Princip, System und Ausführung eine der großartigsten Erscheinungen aller Zeiten ist. Die Elemente desselben sind folgende. Die Geschichte des Postwesens in Deutschland , wo man zuerst über das- selbe nachgedacht hat und zuletzt zu einer tüchtigen Verwaltung der Post ge- langt ist, beruht von Anfang an auf dem Gegensatz zwischen dem Kaiser und den Reichsständen mit ihrem Territorialrecht. Erste regelmäßige Post 1516 zwischen Wien und Brüssel, besorgt durch die Familie Taxis, erste Anerkennung als Reichspost (Reichsabschd. 1522); darauf Entstehung einzelner Linien; Reichs- post als Regal des Kaisers; Verleihung an Taxis 1615; zugleich territoriale Postlinien; der Kampf zwischen beiden bricht aus; Ausbreitung des Verkehrs durch die einzelnen Reichsstände; vergebliche Versuche des Kaisers, hier zu helfen: J. P. Osn. Art. 9. §. 1 — „ut immoderata postarum onera et impedi- menta tollantur.“ Das Haus Taxis erwirbt indessen durch Verträge die Post in vielen Kleinstaaten; dagegen führt Oesterreich sein eigenes Postwesen ein (1624 Verleihung an das Haus Paar); die meisten norddeutschen Staaten be- halten ihr Territorialpostwesen. Unter dem Streit über die Gränze der Reichs- regalität geht fast das Postwesen zu Grunde; vergebliches Bemühen der kaiser- lichen Regierung Gleichheit und Ordnung herzustellen (Wahlcapitulation 1. 8; Moser , Reichstagsgeschäfte S. 1370; weitläuftige Literatur über die Regalität Klüber , öffentliches Recht §. 434 ff.) Justi , Polizeiwissenschaft 4. Buch, 16. Hauptst. §. 436 ff. Häberlin , Handbuch des deutschen Staatsrechts III. 65; Pütter , Reichspostwesen (Erörterungen, Heft I. ). So entsteht in der ganzen Literatur die Klage über das Postwesen, und der, nur aus den damaligen Ver- hältnissen erklärliche Wunsch, daß das Reichspostwesen dem Hause Taxis aus- schließlich übergeben werden möge ( Berg , Polizeirecht III. S. 553 ff.; Bergius , Polizei- und Cameral-Magazin Bd. VII. 149 ff.). Die Folge war allerdings die höhere Auffassung des Postwesens überhaupt; „die Posten sind nichts anderes als eine Polizeianstalt zur Bequemlichkeit des gemeinen Wesens und Beför- derung der Commerzien und Gewerbe“ ( Bergius a. a. O. S. 151); das Hauptwerk in dieser Richtung ist Klübers Schrift: „das Postwesen in Teutsch- land 1811“ („ Weder als Gewerbewucher der Unternehmer, noch als unmittel- bare Quelle der Staatsfinanzen ist die Post zu behandeln“ S. 144 ff.). — Damit ward die Frage angeregt, ob denn überhaupt die Regalität der Post richtig sei, oder die volle Freigebung; für die letztere besonders Lotz , Staats- wirthschaftslehre III. S. 152 ff.; für die Regalität besonders Malchus , Finanz- wissenschaft I. S. 132 ff. Unterdessen schreitet allerdings die Territorialgesetz- gebung vorwärts; eine Reihe von Postgesetzgebungen am Ende des achtzehnten und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in den verschiedenen Staaten bei Berg und Klüber a. a. O.; die preußische von 1782 und die Bestimmungen des Allgem. Landrechts II. 15. 4 bei Rönne , Staatsrecht II. §. 424 nebst der preußischen Postliteratur. Das deutsche Postwesen und sein Recht während des Rheinbundes und unter dem deutschen Bunde: ( Klüber , öffentliches Recht §. 434 und ein wenig in den Staatsrechten. Entwicklung der Postverwaltung und ihrer strengern Organisation in den ersten Jahrzehnten; Postgesetzgebung in den dreißiger Jahren; namentlich Oesterreich (Postgesetz von 1837, Stuben- rauch II. §. 528). Von da an beginnt die gegenwärtige Epoche; allmählige Einführung des Briefmarkensystems und daran Anschluß der Postverträge und der Postvereine seit 1850. Die Gedanken des Anfangs dieses Jahrhunderts tragen den vollständigen Sieg über die finanzielle Behandlung davon; das Post- wesen spaltet sich gleichsam in zwei Theile: die internationale Postverwaltung auf Grundlage des deutsch-österreichischen Postvereins (vom 6. April 1850) und des deutsch-österreichischen Postvereinsvertrags vom 5. Dec. 1851, dessen definitive Gestaltung der neue Postvereinsvertrag vom 18. Aug. 1860 bildet. Von da an empfängt die ganze Postverwaltung der deutschen Staaten einen andern Charakter: die territoriale Postverwaltung wird die Executive für die Bestimmung des internationalen Postrechts . Die territorialen Gesetze schließen sich unmittelbar an jenen Vertrag an; nament- lich Oesterreich (Organisation von 1851 bis 1854; Stubenrauch I. §. 19 namentlich aber Dessory , die österreichische Postverfassung 1848). — Preußen : Postgesetz vom 3. Juni 1852 und freiere Reform (Gesetz vom 21. Mai 1860. Rönne II. §. 424). Die Behandlung in der Literatur gewinnt gleichfalls einen neuen Charakter, und beginnt sich wissenschaftlich zu gestalten; vorzüglich Hersfeld (Reform des Post- und Transportwesens 1841), dessen bedeutender Nachfolger Hüttner (Beiträge zur Kenntniß des Postwesens 1847, 1848; besonders das Postwesen unserer Zeit 1854); Einfluß der englischen Reform; neue Ordnung des Portosystems, jedoch noch immer Mangel an administra- tiver Einheit und systematischer Wissenschaft. Allgemeiner Standpunkt ungefähr der von Mohl , Polizeiwissenschaft II. §. 173 ff. In Frankreich hört das Princip der Verleihung der Posten mit der Revolution auf; dagegen das Princip der strengen Regalität festgestellt durch Gesetz vom 29. Aug. 1790 und folgende Gesetze; die Gesetze von 1793 und 1798 namentlich die Fahr- und Briefpostordnungen; dann nach der Restau- ration namentlich Entwicklung der Posthaltereien im zweiten Jahrzehnt; neue Organisation seit 1839 (Gesetz vom 11. und 21. Okt.). Charakter des französischen Postwesens; feste strenge Centralisation; Benützung der Messagerien , nach Englands Vorbild. — Das frühere Postwesen Englands vom administra- tiven Gesichtspunkt am besten bei Mac Culloch , Dict. of Commerce Bd. II, S. 517—527; das neuere vom finanziellen bei Bocke , Steuern des brittischen Reiches 1866 S. 265 ff. — Die Literatur ist seit einem Jahrzehnt fast ganz statistisch; der einzige ernsthaft vertretene Gesichtspunkt ist der der Billigkeit des Portos und die, fast schon übertriebene Beseitigung jedes finanziellen Ge- sichtspunktes (s. unten). Daneben große und höchst anerkennenswerthe Entwick- lung des Details, und andererseits wachsende Ausbreitung des internationalen Postwesens durch Verträge . A. Die Postverwaltung. Nach der Ueberwindung des früheren finanziellen Standpunktes ist das Princip der Postverwaltung, der Gesammtheit der Bevölke- rung einen allgemeinen, einheitlichen, leicht zugänglichen und billigen Organismus zur beständigen und regelmäßigen Vermittlung des Einzel- verkehres darzubieten. Die Entwicklung dieses Princips zu seinen Hauptaufgaben und Organen enthält das System der Postverwaltung. Das System der Postverwaltung hat drei Gebiete: die Organi- sation der Post, die Grundsätze des Postbetriebes und das Princip des Portos. 1) Organismus der Postverwaltung . Die Organisation der Postverwaltung soll die Einheit und Ver- theilung der Organe enthalten, durch welche jene Idee der Postverwal- tung im Ganzen wie im Einzelnen verwirklicht werden kann. Zu dem Ende zerfällt sie in zwei Hauptkategorien. 1) An der Spitze der gesammten Verwaltung der Post steht die Generalpostdirektion mit den ihr untergeordneten Landespostdirek- tionen (unter verschiedenen Namen), welche die Einheit und Gleich- mäßigkeit der Funktionen der Verwaltung aufrecht hält. Obwohl sie formell bald dem Ministerium der Finanzen, bald dem des Handels zugetheilt, bald selbständig ist, ist sie ihrem Wesen nach stets dieselbe; sie hat selbständig die verordnende und oberaufsehende Gewalt und ist ein Theil des Ministeriums. 2) Die örtliche Funktion des Postwesens übernimmt das ört- liche Postorgan , die Poststation . Die Besonderheit der Aufgaben, welche dieß örtliche Organ zu vollziehen hat, löst dasselbe wieder in verschiedene Organe auf, deren Verbindung oder Scheidung, Rechte und Funktionen eben die Postgesetze bestimmen. Die Grundlage für diese Organisation ist die Versendung der Briefe ; in ihr besteht die wesentliche Funktion jeder Poststation, der sich alle anderen unter- und nebenordnen. Das Organ, welches diese Versendung zu besorgen hat, ist die Postmeisterei . Jene Versendung selbst besteht in zwei Theilen: der Besorgung der Briefbewegung im Ganzen (Briefpakete), welche durch den Postmeister geschieht, und der Besorgung der einzelnen Briefe an ihre Adressen (Austragung), wel- ches dem Briefbotenwesen unter dem Postmeister übergeben wird. — An die Briefpost schließt sich dann einerseits die Personen- und anderseits die Frachtpost an, zusammengefaßt unter dem Ausdrucke der Fahrpost . Grundsatz ist, daß Personen und Güter mit den Briefen in so weit sogleich befördert werden sollen, als dieß vermöge der Einrichtung der Briefpost thunlich ist. Die Nothwendigkeit des freien Verkehrs fordert aber auch die Möglichkeit der außerordent- lichen Beförderung sowohl von Briefen als von Personen und Gütern. Daraus entsteht die Verpflichtung der Poststation, auch für diesen Fall vorbereitet zu sein (das Extrapost- und Expressenwesen ). Das dafür bestimmte Organ ist die Posthalterei . Der Postmeister kann zugleich Posthalter sein; sie können aber auch getrennt sein; fest steht nur, daß jede Poststation eine Posthalterei haben muß mit Briefboten- und Extrapostwesen. Allgemeiner Grundsatz ist, daß auf den Haupt- verkehrslinien der Schwerpunkt in der guten Organisirung des Brief- botenwesens, auf den Nebenlinien dagegen in der der Postmeisterei liegt. Das entscheidende Moment in der Entwicklung dieses Organismus ist die Beseitigung der rein gewerblichen Stellung der Postmeisterei, sowie des letzten Restes der erblichen und Lehensrechte, und die Erhebung derselben zu einem amtlichen Organismus, womit die eigentliche Verwaltung der Post beginnt. In Deutschland geschieht dieß definitiv erst durch die Postgesetze unseres Jahrhunderts. Postwesen zur Zeit des deutschen Bundes: Klüber §. 426; gut bei Zöpfl , deutsches Staatsrecht II. §. 303; Denkschrift an die deutsche Nationalversammlung vom 31. Mai 1848 von Hüttner (s. dessen Beiträge II. S. 313 ff.). Geschichte dieser Entwicklung für Oesterreich: Linden , Abhandlungen über Cameralgegenstände 1842, S. 55—101; letztes Gesetz der alten Zeit (Postgesetz vom 5. Nov. 1837) ebendaselbst; definitive amtliche Organisation durch Entschließung vom 7—15. Nov. 1851; von da an nur Ausbildung auf Grundlage der Postdirektion, Postämter und Poststationen. — Für Preußen : Geschichte der preußischen Post von H. Stephan 1859. Auch hier hat erst das Gesetz vom 5. Juni 1852 den richtigen Standpunkt durchgeführt ( Rönne , Staatsrecht II. §. 424). Postwesen unter der Polizei (Publ. vom 16. Dec. 1808); dann unter dem Ministerium des Innern (Ver- ordnung vom 27. Okt. 1810); dann 1848 unter dem Handelsministerium. — Bayern : Berordnung vom 14. Nov. 1851; Pözl , bayerisches Verwaltungs- recht §. 34 und 173 ff. — Württemberg: Roller , württemb. Polizeirecht 1841; Scholl , das württemb. Postwesen 1838. — Sachsen : Postverfassung des K. Sachsen 1849. In Frankreich ward das ganze alte Rechtsverhältniß schon durch die Revolution aufgehoben und das amtliche Postwesen strenge durchgeführt; ver- gleiche die reiche, jedoch vorzugsweise praktisch-technische Literatur bei Block , Dict. v. Postes und Mohl , Polizeiwissenschaft a. a. O. — Englands früheres Recht bei Blackstone I. 322. Hauptgesetz, zum Theil als Codifi- kation des älteren Rechts, zum Theil als neue Organisation auf Grundlage amtlicher Verwaltung und des neuen Postrechts (1. Vict. 32—36; vgl. Gneist , Englisches Verwaltungsrecht, 2. Aufl. Bd. II. S. 814). 2) Organisation des Betriebes . Der Betrieb der Post ist die Gesammtthätigkeit der obigen Organe der Postverwaltung. Aus der Bewegung der früheren Zeit hat sich nun das gegenwärtige Princip des Postbetriebes entwickelt, wonach die Post in allen ihren Funktionen weder als Finanzquelle noch als Privatunternehmen, sondern als Verwaltungsorgan für den persön- lichen Verkehr dienen soll. Das System des Postbetriebes, das sich daraus ergibt, beruht im Wesentlichen auf folgenden Elementen. Erster Grundsatz ist, daß jeder Punkt des Staates in irgend eine möglichst regelmäßige Brief verbindung mit dem Gesammtverkehr gesetzt werde, so wie daß die Extraposten gleichfalls nach jedem Punkt die Möglichkeit persönlichen Verkehrs eröffnen. Zu dem Ende ist zweitens ein möglichst einfaches System der Verbindungslinien herzustellen und nach Bedarf zu entwickeln. Das Organ dafür ist das centrale Post- Coursbureau . Die dritte Aufgabe ist die Aufnahme und Ordnung einerseits der verschiedenen Brief sendungen (Briefe, Zeitungen, Kreuzband, Mustersendungen und damit verbunden die Ordnung und Erleichterung der Geldsendungen (Regeln für Postvorschüsse und Postnachnahmen) — andererseits die möglichste Verbindung der Personen- und Fracht- gutsendungen mit den Briefsendungen, um den ersteren die Schnellig- keit und Regelmäßigkeit der letzteren zu geben — System der Malle- posten . Um diese Aufgaben nun auf die möglichst billige und schnelle Weise zu erfüllen, tritt der Postbetrieb viertens in immer engere Verbindung mit allen auf regelmäßigen Personen- und Güterverkehr berechneten Unternehmungen , und hier entsteht ein neues Gebiet der Postverwaltung, das sich nach zwei Richtungen entwickelt hat. Die erste beruht auf der theils concessionsmäßigen, theils ver- tragsmäßig formulirten Verbindung der Post mit den Eisenbahnen und der Dampfschifffahrt : Grundlage ist die Verpflichtung der- selben, Briefe, Geldsendungen und die Postgüter (s. unten) entweder unentgeldlich (Postwaggons der Bahnen) oder gegen jährliche Abfindung oder Staatssubvention (subventionirte Dampferlinien) mitzunehmen. Die einzelnen Fragen über Umfang dieser Verpflichtung und Haftung bei derselben sind oft sehr verwickelter Natur. Die zweite dieser Richtungen umfaßt das Verhältniß der Post zum Lohnfuhrwesen und hat das öffentliche Recht der Lohnfuhr erzeugt, das einen wesentlichen Theil des Postrechts bildet. — Die volle Entwicklung dieser Grundsätze tritt historisch erst da ein, wo die Staaten einerseits die freie Bewegung des Personenverkehrs nicht mehr hemmen können und wollen (Beseitigung des polizeilichen Paßsystems für Postreisende), und andererseits die wachsende Masse der Briefe die Aufmerksamkeit auf den einzelnen Brief unmöglich macht (Beseitigung des Kartirungsystems für Briefe). Das erste verdanken wir den Bahnen, das zweite den Briefmarken. Erst durch sie ist ein rationeller Post- betrieb zugleich unabweisbar und möglich geworden. Der Postbetrieb ist das Gebiet des Postreglements einerseits, und der technischen Postliteratur andererseits. In den meisten Ländern eigene Post- verordnungsblätter (Verordnungsblätter für Verkehrsanstalten u. s. w.). Die wissenschaftliche Behandlung des Postbetriebes ist fast ganz verschwunden, seit das Postwesen hier den Anforderungen der Zeit zu entsprechen versteht (vgl. oben und Mohl , Polizeiwissenschaft §. 133; Block , Dict. v. Postes ). Das System der französischen „Messageries,“ die als Messageries impériales zu Personenposten und als Messageries publiques zu Lohnfuhrunternehmungen, aber der Post zum Dienst verpflichtet sind (gegenwärtig fast 4000 solcher Unter- nehmungen) gut dargestellt ebend. v. Messageries. 3) Das Portosystem . Das Portosystem ist das Ergebniß eines langen Kampfes der Bedürfnisse des Verkehrs und der Idee des Postwesens mit der Fähigkeit der letzteren eine finanzielle Einnahmsquelle zu bilden. Eine Geschichte desselben fehlt noch trotz ihres großen Interesses. Man kann drei Grundformen unterscheiden. Die erste historische Form entsteht daraus, daß die Post im Ganzen verliehen und verpachtet und die Poststationen verkauft werden. Von einem staatlichen Princip für die Höhe und das System des Portos ist keine Rede, der ganze Postbetrieb ist ein finanzielles Regal, jede einzelne Poststation erscheint als ein Unternehmen und der Post- meister bestimmt die Taxe. In der zweiten Epoche tritt bereits die Verwaltung ein. Sie ent- wickelt zwei Momente. Zuerst regelt sie gesetzlich die Taxe, anfäng- lich nach ziemlich rohem Ermessen, dann nach dem System der Ent- fernungen. Zweitens aber zieht sie aus jeder Taxe eine finanzielle Einnahme und steigert daher die letztere so hoch als möglich. Dadurch entsteht ein zwar höchst einseitiges, aber doch geregeltes System sowohl des Portos der Briefe als der Meilen und Fahrtaxen für die Fahr- post. Natürlich wird die Post jetzt einträglicher für den Staat, aber die Verhaltungskosten, namentlich das Porto wachsen, während durch die Höhe des Portos bei steigender Entfernung der persönliche Verkehr wesentlich auf örtlich enge Gränzen beschränkt bleibt. Dieß ist erträglich, so lange Handel und Verkehr der einzelnen Unternehmungen nur ausnahmsweise weitere Kreise suchen. Es wird unerträglich, so wie das Gesammtleben durch die Eisenbahnen und die Dampfschifffahrt seine gewaltigen Dimensionen auf jede einzelne Person zur Geltung bringt. Die bloße systematische Ordnung und Genauigkeit in der Beförderung, wie sie die Gesetze der dreißiger Jahre erzeugen, reichen nicht aus. So entsteht ein ganz neues Princip, dessen Grund- lagen die beiden Sätze sind, daß bei einem festen Minimalgewicht die Gestehungskosten des Postbetriebes nicht in dem Transport, sondern in der Aufnahme und Abgabe der Briefe bestehen, und daß das Baarzahlen bei der Frankirung theurer zu stehen komme als das Porto selbst. Diese beiden Sätze in Verbindung mit dem obersten Princip, daß das Porto nicht mehr principiell eine Einkommensquelle für die Finanzen bilden solle, bilden zusammengenommen das gegenwärtige Portosystem Europa’s, dessen Gründer Rowland Hill ist (1839—41) und dessen Grundlagen das gleiche, niedrige und in Marken zu zahlende Porto sind. Seine weitere Entwicklung empfängt dann dasselbe theils durch Systemisirung nach den Versendungen (Briefe, Muster, Zeitungen u. s. w.), theils durch das System der Rayons, die wieder in neuester Zeit verschwinden und an deren Stelle die Einheit der Länder tritt, während die Postverträge das System bereits durch gegenseitige Zugeständnisse über die ganze Welt ausgedehnt haben. Die Fahrpostentaxen bleiben dagegen naturgemäß territorial; das inter- nationale System derselben hat man in den Conventionen der Eisen- bahnen zu suchen. Eine Geschichte des Portowesens mangelt; sehr viele Klagen und sehr viel einzelnes Material bei Klüber, Herrfeld, Müller , Reform des Post- wesens 1843. Die beste Geschichte des Entstehens und der Kämpfe des Hill- schen Systems in Hüttner , Beiträge zur Kenntniß des Postwesens, 2. Jahrg. 1848. Den Kampf in Deutschland bei Herrfeld und Müller . Die wich- tige Frage, ob dann das Herabgehen des Portosatzes unter die Gestehungs- kosten des Postbetriebes, wenn auch mit Aussicht auf Ausgleichung durch spätere Zunahme, gerechtfertigt sei, ist wenig untersucht. Ueber England vgl. Vocke a. a. O.; Morton Peto , On taxation 1863. B. Das Postrecht. Begriff. Das Postrecht im weitesten Sinne enthält nun die Gesammtheit von Rechtsverhälinissen, welche durch die Thätigkeit dieser Postverwal- tung zwischen ihr und den Einzelnen entstehen. Das Princip für das- selbe ist die Modifikation des an sich privatrechtlichen Beförderungs- unternehmens und Beförderungsvertrages durch das höhere administrative Wesen der Post. Das letztere ist ausgedrückt im Begriff der Regalität . Das Postrecht erscheint daher als das rechtliche System der Regalität der Post. Diese Regalität aber hat zwei historische Grundformen. Sie ist hier wie immer zuerst eine reine finanzielle , welche die Post als Einnahmsquelle behandelt; dann wird sie mit dem neunzehnten Jahr- hundert ein wirthschaftliches Hoheitsrecht, in welchem das aus- schließliche Recht des Regals nur deßhalb und nur so weit aufrecht erhalten wird, als die staatliche Funktion der Post es fordert . Jeder Theil des Postrechts hat daher beide Epochen durchgemacht, und vermöge derselben eine doppelte Gestalt. Die Grundlage der Ent- wicklung aber ist die Bewegung zur größeren Freiheit im ganzen Postwesen, welche zwar nicht das Postregal aufhebt, wohl aber es gegenüber der Einzelthätigkeit auf die möglichst engen Gränzen zurück- führt. Es ist keine Frage, daß wir in dieser Beziehung noch vielfach im Uebergange, namentlich in den einzelnen Bestimmungen der Regalität begriffen sind. Um so nothwendiger ist es, die festen systematischen Grundlagen für das ganze Gebiet aufzustellen, um daran die weitere Entwicklung messen zu können. Die Begriffe von der Regalität sind überhaupt nur dadurch unklar, daß man regelmäßig bei dem historisch begründeten finanziellen Regal stehen bleibt, ohne das Wesen des volkswirthschaftlichen Hoheitsrechts als die zweite, freie Gestalt desselben aufzunehmen. Daher kommt es, daß man in England und Frankreich, wo man das letztere gerade so gut als in Deutschland besitzt, weder Wort noch Bedeutung des deutschen „Regals“ kennt, während die deutsche Literatur dasselbe bald als rein historisch, bald staatswissenschaftlich behandelt (vgl. Stein , Finanzwissenschaft, S. 138 ff.); das neueste bedeutende Werk: Gab , das deutsche Postrecht 1865. Einen wesentlichen Theil der Frei- heit in der Verkehrsbewegung ist die des periodischen Personentrans- ports ; vollkommene Freigebung in Oesterreich (Gesetz vom 11. März 1865); jedoch unter Aufsicht. System des Postrechts. Zwangsrecht, Postpflicht, Poststrafrecht, Postnothrecht . Die einzelnen Gebiete des Postrechts sind nun das Postzwangs- recht , die Postpflicht , das Poststrafrecht und das Postnothrecht . 1) Das Postzwangsrecht erscheint als das Postregal im engeren Sinne, und enthält die ausschließliche Befugniß der Post auf Beför- derung von Briefen, Personen und Gütern innerhalb gewisser gesetz- licher Gränzen. Das Briefregal ist der wesentliche Theil dieses Postregals, der sich noch erhalten hat. Es erscheint als das gesetzliche Verbot , sowohl durch eigene Unternehmungen als durch einzelne Personen Briefe zu befördern. Das Frachtenregal der Post ist dagegen auf Güter von gewissem Gewicht beschränkt. Das Personenregal endlich erscheint nur noch in dem Grundsatz, daß Unternehmungen, welche die regel- mäßige Beförderung von Personen zum Zweck haben, nur unter Er- laubniß der Regierung bestehen dürfen. Diese Erlaubniß (Concession) ist dann regelmäßig mit gesetzlicher Oberaufsicht, meist auch mit gesetz- lich bestimmten Taxen verbunden, in vielen Fällen zugleich mit der Verpflichtung, die der Post selbst zukommenden Personen, Güter und selbst Briefe unentgeldlich oder gegen Entgelo mit zu befördern. Das daraus entstehende System der Beförderung scheidet sich dann wieder in das Lohnfuhrwesen mit seinen öffentlichen Rechtsverhältnissen, das in allen Ländern Europas in seinen Grundlagen gleich ist (die Messagerien Frankreichs haben bei dem letzteren meist das Muster ge- geben) — und die Verpflichtungen der Eisenbahnen und Dampf- schiffe zu Mitnahme der Briefe und Güter, wogegen die Personen- beförderung ihnen freigegeben ist (Postwagen der Bahnen, Postcabinet der Dampfschiffe.) Das Recht derselben hat sich in neuerer Zeit zu einer großen Reihe von einzelnen Bestimmungen entwickelt, welche jedoch territorial mannigfach verschieden sind. 2) Die Postpflicht enthält die Gesammtheit von Rechten, welche den Einzelnen aus der Verpflichtung entstehen, das Postregal sich für ihre Anforderungen zu unterwerfen. Die Hauptmomente dieser Post- pflicht sind die Pflicht zur Aufnahme und wirklichen Beförderung der Objekte des Postregals, die Innehaltung der Lieferzeit , und endlich das Postgarantiesystem als Haftungsrecht der Post für die ihr übergebenen Briefe und Güter. Dieses Garantiesystem hat zur Aufgabe, erstlich die Haftung für den einfachen Brief, dann für die ihm gleichstehenden Sendungen (Zeitungen, Muster ꝛc.), dann diejenige für rekommandirte und Werth briefe zu bestimmen. Das einfachste ist freilich, wenn die Postgesetzgebung die erste überhaupt abweist, die zweite nur nach einseitig von ihr bestimmten Tarifen anerkennt, während sie für Lieferungszeit ꝛc. gar keine Haftung übernimmt. So hat sich das gegenwärtige System gebildet, daß sie unbedingt für ihren Postbetrieb das Verordnungs- und Verfügungsrecht hat, ohne daß aber mit dem Inhalt einmal erlassener gültiger Verordnungen auch das Klagerecht der Einzelnen gegen die Post verbunden wäre, was aber um so mehr eintreten sollte, als eben jenes Verordnungsrecht der Post die Möglichkeit gibt, sich selber die Bedingungen ihrer Haf- tung vorzuschreiben. Auch hier ist daher eine Postgesetzgebung als Grundlage der Postverordnungen im höchsten Grade wünschenswerth und nothwendig. 3) Das Poststrafrecht enthält seinerseits die Strafbestimmungen für die Verletzung des Postregals; auch diese können und sollen nur als Gesetze erlassen werden. Es ist natürlich, daß das Poststrafrecht in dem Maße verschwindet, in welcher die freie Concurrenz der Privat- unternehmungen neben dem staatlichen Postbetrieb zugelassen wird. 4) Das Postnothrecht endlich ist das Recht des Postbetriebes im Falle elementarer Gefährdung des Postbetriebes die Einzelnen zu zwingen , der Post Hülfe zu leisten, oder ihren Betrieb auch auf eigenem Grund und Boden zuzulassen. Die Entschädigung bleibt hier wie bei dem Staatsnothrecht überhaupt vorbehalten. Die Befreiung von Wegeabgaben u. s. w. ist jedoch eigentlich durch die admini- strative Natur der Post begründet. Eine systematische Behandlung des Postregals vom Standpunkt der obigen einzelnen Punkte mangelt. In der That haben sich namentlich die Begriffe der Posthaftung erst in unserem Jahrhundert entwickelt und bilden jetzt zum Theil ein völliges und eingreifendes System von Rechtssätzen. Die Frage nach dem Post zwang erscheint erst im vorigen Jahrhundert als Gegenstand der Gesetzgebung, indem der Zweifel Platz greift, ob überhaupt das Postregal ver- nünftig und berechtigt sei. (Vergl. über den Standpunkt der Mitte des vorigen Jahrhunderts in dieser Beziehung Justi , Polizeiwissenschaft 4. Bd. 16. Hauptst. §. 436 ff.; für unser Jahrhundert s. Lotz , Staatswirthschaftslehre III. S. 153; Mohl , Polizeiwissenschaft §. 173; Herfeld , Reform des Post- und Trans- portwesens in Deutschland 1841. S. 49.) Die gesetzliche Anerkennung des Postzwanges wird jedoch streng aufrecht gehalten; daneben harte Strafen für die Umgehung (vergl. Preuß. Allgem. Landrecht II. 15. 141). In Frankreich gab das Decret vom 16. Okt. 1794 völlige Freiheit der Beförderung bis 1 Kilo- gramm, und forderte nur Postzwang für Briefe und Extrapost. Dann ent- stand die Besteuerung der Unternehmungen 1804; die Beförderung von Reisen- den wieder verboten 1805; dann Entwicklung des Systems der Messagerien, deren jetzt gegen 4000 als Privatunternehmungen bestehen. Das deutsche Post- recht als Haftungsrecht und in systematischer Behandlung eigentlich erst seit dem Postvertrag von 1850; dieser Postvertrag wird die Basis der Bildung des deutschen Postrechts ; ihm folgt das preußische Postgesetz vom 5. Juni 1852; dem Vertrage von 1860 folgt das preußische Gesetz vom 21. Mai 1860 (vergl. Rönne , Staatsrecht II. §. 424; Pötzl , bayerisches Verwaltungsrecht §. 173 bis 176). — Badisches Postgesetz vom 1. Juli 1864. — Braunschweig : Postgesetz vom 1. Juli 1864. Sehr klar ist das französische Postrecht behandelt von Lavall é e bei Block , Dict. v. Postes. — Die deutsche Literatur über das Postrecht ist seit den letzten zwanzig Jahren sehr einseitig entwickelt; das Ge- schichtliche schließt sich fast ausschließlich an die Thurn- und Taxis’sche Post- frage ( Zöpfl , Staatsrecht II. §. 303). Die bedeutendste Arbeit ist in neuester Zeit der administrative, meist einfache Auszug aus den Gesetzen wie bei Rönne, Mayer , Verwaltungsrecht (unklar an mehreren Orten); die casuistische Behand- lung der Haftpflicht der Post geht vom reinen privatrechtlichen Standpunkt aus, ohne es zu einer gesammten wissenschaftlichen Auffassung zu bringen ( Linde , Haftverbindlichkeit der Postanstalt 1859; Schellmann , Rechtliche Natur des Postbeförderungsvertrages von 1861; Kompe , Posttransportvertrag (Zeitschrift für deutsches Recht XVIII. ) II. Das Eisenbahnwesen. Natur seiner Funktion . Während nun die Post den Verkehr der Einzelnen zum Gegenstand der Staatsthätigkeit macht, bilden die Eisenbahnen den Organismus, der den Gesammtverkehr der Massen, sowohl der Personen als der Güter einerseits in sich aufnimmt, andererseits erzeugt. Die Eisen- bahnen sind daher das Mittel und der Ausdruck des Zusammen- lebens der Theile des Staates und der Staaten unter einander. Ihre Bedeutung ist daher eben so groß, als es ihr Erfolg ist. Und es ist deßhalb natürlich, daß Gesetzgebung und Literatur im Anfang dieser Erscheinung die verschiedenen Gesichtspunkte, die für dasselbe gelten, zusammenwerfen. Die erste Aufgabe ist daher für die Verwal- tungslehre die, ihr eigenes Gebiet von dem verwandten zu sondern, und dasselbe auf der Grundlage einer festen Desinition und eines klaren Principes festzustellen. Die Fragen über Werth, Einfluß, wirthschaftliche Bedingungen und geistige Bedeutung der Eisenbahnen gehören der Nationalökonomie und Gesellschaftslehre. Die Frage über Ausdehnung, Linien, Bewegung und Capitals- verwendung gehören der Statistik . Die Fragen über die Zweckmäßigkeit in Bau und Betrieb im weitesten Sinne gehören der Technik . Der Verwaltungslehre dagegen gehört das Eisenbahnwesen, insofern dasselbe als eine jener großen organischen Bedingungen be- trachtet wird, welche der Einzelne nicht mehr entbehren, die er aber auch als Einzelner nicht schaffen kann, und die daher durch die Ge- meinschaft hergestellt werden muß. Die Verwaltungslehre hat es daher nur mit demjenigen zu thun, was der Staat für das Eisenbahn- wesen zu leisten und von demselben zu fordern hat. Diese Leistungen und Forderungen des Staats bilden die Eisenbahnverwaltung ; die Bestimmungen über Eisenbahnverwaltung, zum geltenden Recht formulirt, bilden das Eisenbahnrecht ; und die Gesammtheit aller auf die Eisenbahnen bezüglichen öffentlich rechtlichen Erscheinungen und Thatsachen, in Verbindung mit der statistischen und technischen Ent- wicklung desselben nennen wir das Eisenbahnwesen . Diese formalen Begriffe sind einfach. Aber die positive Gestal- tung derselben hat einen ganz speciellen Charakter, der seinerseits auf den dem ganzen Bahnwesen eigenthümlichen Elementen desselben beruht. Die rechtsbildenden Elemente des Eisenbahnwesens . Es ist kein Zweifel mehr, daß die Auffassung des ganzen Bahn- wesens sich wesentlich in dem letzten Jahrzehnt umgestaltet hat. Als die Bahnen entstanden, erschienen sie vielen als ein Vortheil, manchen als eine Annehmlichkeit, den meisten aber wohl als eine Anstalt von örtlichem Werth und örtlicher Bedeutung. Dieser Standpunkt ist überwunden. Die Eisenbahnen sind als eine volkswirthschaftliche Noth- wendigkeit , als die unabweisbare Bedingung für die wirthschaftliche und selbst geistige Entwicklung der ganzen Gemeinschaft anerkannt. Das ist der Grundgedanke unserer Zeit, der mit jedem Tage sich fester einprägt, und zur allgemeinen Ueberzeugung aller Völker wird. Ist das der Fall, so sind an sich betrachtet die Eisenbahnen eine Aufgabe der Verwaltung in Herstellung und Betrieb, wie Wege und Postwesen. Dem Princip nach soll der Staat sich selber seine Bahnen bauen und sie selbst verwalten. Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 14 Allein er kann es nicht; theils weil die Bahnen ein zu großes Capital fordern, theils aber weil sie den Charakter von Unternehmungen haben, die der Staat nie gut verwaltet, so lange ein Reingewinn ihre Voraussetzung und ihr Zweck ist. Weder Regierung noch Selbstver- waltung genügen hier. Um die Bahnen herzustellen, muß daher der dritte große Organismus der vollziehenden Gewalt eintreten, das Ver- einswesen . Und zwar ist diejenige Form desselben, in der es das Bahnwesen in sich aufnimmt, die Aktiengesellschaft . Das Bahn- wesen fast der ganzen Welt beruht daher auf der Bildung von Aktien- gesellschaften. Nun aber vertritt jede Erwerbsgesellschaft oder selbständiges Unter- nehmen das Lebensprincip des letzteren, das Erwerbsinteresse der Unternehmer (Aktionäre). Dies Interesse geht dahin, den möglichst großen Erwerb vermöge des Unternehmens in Anlage und Betrieb zu machen. Dieser Erwerb beruht auf der möglichst hohen Zahlung der Einzelnen für die Benützung der Bahn. Der Staat aber, das allgemeine Interesse vertretend, muß im Namen desselben vor allem den möglichst niedrigen Betrag für diese Benutzung fordern. Die Unternehmer fordern daher eine Verwaltung und ein Recht, welches dem möglichsten Ertrage ihres Capitals dienen, der Staat eine Ver- waltung und ein Recht, welche sich dem Gesammtinteresse unterordnen. Jedes von beiden Elementen macht daher die volle Herrschaft des andern unmöglich. Dennoch ist es kein Zweifel, daß sie beide gleich berechtigt sind. So wie daher die Bahnen entstehen, treten beide Faktoren, jeder mit seinen Ansprüchen, mit einander in Gegensatz; es entsteht ein im Ganzen wie auf jedem einzelnen Punkte wiederholter Kampf des Gesellschafts- mit dem öffentlichen Interesse, ein beständig wieder- holter Versuch, beide in Harmonie zu bringen; und dieser Gegensatz ist es, welcher als das eigentlich rechtsbildende Element des Bahnwesens, und als die Grundlage für die Geschichte und das System desselben angesehen werden muß. Er durchdringt das Ganze, und bildet den Charakter des öffentlichen Bahnwesens in jedem Lande und das Ver- hältniß, in welchem beide Elemente zu einander stehen, die Stadien der Entwicklung in dem Kampfe beider mit einander, und gibt dem formalen System seinen concreten Inhalt. Von ihm aus ist erst das wissenschaftliche Verständniß des Ganzen möglich. Die Elemente der Geschichte des Bahnwesens . Geht man nun von dem obigen Standpunkt aus, so erscheint die historische Entwicklung des Bahnwesens in drei Hauptstadien, die von der statistischen, technischen und volkswirthschaftlichen Frage ganz unabhängig sind, sondern vielmehr die wahre Grundlage der Geschichte des Eisenbahnrechts und der Eisenbahnverwaltung bilden. Die erste Zeit, der Beginn des Bahnwesens, geht noch von dem einfachen Gedanken aus, daß alle Bahnen nur durch Gesellschaften entstehen können, erkennt aber zugleich, daß sie eine öffentlich rechtliche Function haben. Noch sind die wichtigen Fragen, die sich an den eigentlichen Betrieb knüpfen, nicht bekannt. Die Rechtsbildung dieser Zeit, etwa von 1830 bis zur Mitte der vierziger Jahre, beschränkt sich daher auf die Ausbildung des Concessionsr echts und die Elemente der Bau- und Betriebspolizei . Aber mit dem Ende der vier- ziger Jahre wird schon der Gedanke lebendig, daß die Eisenbahnen in der That Verwaltungsanstalten sind. Die Staaten beginnen daher unmittelbar in das Bahnwesen einzugreifen, und so bildet sich das Unterstützungssystem einerseits, und der Versuch andererseits, die Bahnen als Staatsbahnen zu bauen. Der letztere Versuch wird aber aufgegeben; die Staaten sind nicht reich genug, um mit den Steuern die Anlagecapitalien aufzubringen; sie treten zurück, und die gesellschaftlichen Bahnen werden die Hauptform der Bahnunternehmung. So wie das mit der Mitte der fünfziger Jahre feststeht, entwickelt sich nunmehr das eigentliche System des Bahnrechts, in welchem in Princip und Ausführung die Vermittlung zwischen den Forderungen des öffent- lichen Interesses und der einzelnen Bahnunternehmung auf allen Punk- ten zugleich gesucht wird. In dieser Epoche steht noch die Gegenwart. Ihr Charakter ist demgemäß die möglichste Förderung der Anlage von Bahnen durch die Aufnahme des Princips der Unterstützung in das Concessionswesen, aber zugleich die Erhaltung des Princips der Verwaltung in dem Grundsatz des Heimfallsrechts im Allge- meinen und der Ausübung der Oberaufsicht in Administration und Betrieb in den einzelnen Punkten. Das sind im Wesentlichen die Grundzüge des Bahnverwaltungsrechts. Sie bilden die Basis der Ver- gleichung des Bahnwesens bei den einzelnen Völkern, der Beurthei- lung des Werthes der einzelnen Bestimmungen des Bahnrechts, und endlich den Ausgangspunkt der Wissenschaft des Verwaltungsrechts, indem das Verhältniß beider Elemente zu einander für jede Betrachtung des Bahnwesens zum Grunde gelegt wird. System . Daraus nun ergibt sich auch Wesen und Werth des Systems für diese wissenschaftliche Behandlung. Das System hat die Grund- verhältnisse des Bahnwesens zum Grunde zu legen, und in jedem derselben das Verhalten jener beiden Faktoren nachzuweisen. Als solche erscheinen die Organisation , die Anlage , der Betrieb und der Verkehr der Bahnen. Allerdings sind nun hier die obersten Prin- cipien ziemlich gleichartig in ganz Europa; allein der specifische Cha- rakter der drei großen Culturvölker wiederholt sich auch in seinem Eisenbahnwesen. Während in England das Bahnwesen als Sache der Gesellschaften angesehen wird, und der Staat sich zu keiner Unter- stützung herbeiläßt, dafür aber auch kein Heimfallsrecht beansprucht, sondern die Bahn wie ein Privatunternehmen unter öffentlicher Ober- aufsicht behandelt, sind in Frankreich und Deutschland die meisten Bahnen mit Unterstützung entstanden, heimfallsverpflichtet, und unter Mitwirkung der Regierung in Bau und Betrieb. Nur ist das System viel weiter ausgebildet in Frankreich als in Deutschland, wo die Bahnen nie ihrer Selbständigkeit beraubt worden sind, so daß man sagen kann, daß die Bahnen in Frankreich durch die Intervention der Regierung nur noch als Erwerbsgesellschaften erscheinen, während sie in Deutsch- land als Verwaltungsvereine auftreten. Auf diesem Charakter beruht der Unterschied im Systeme des Bahnwesens und seinen einzelnen Theilen. England . Der Gang der Eisenbahngesetzgebung Englands ist unzweifel- haft der belehrendste von allen. Die erste Railway Act für Pferdebahnen ( Wandsworth-Crowden ) ist von 1801, erste Concession für die Locomotivbahn von Darlington nach Stockton 1823; Liverpool-Manchester-Concession 1825; 1836 waren 490 miles in England und 50 in Schottland. Kosten: 13,300,000 Pfund Sterling; 1840 (3. 4. Vict. 97); Uebertragung des Concessionsrechts an den Board of Trade (organische Gesetzgebung 1844); die Companies Clauses Act (8. Vict. 16); Aufbringung des Anlagecapitals, die Lands Clauses Act (8. Vict. 18. Expropriation) und die Railways Clauses Act (8. Vict. 20. Bauordnung mit sect. 76 über Vicinalbahnen). Die genaueren Bestimmungen bei jeder Bahn in den einzelnen Concessionen jeder Bahn, die Private Acts, aus denen die französischen Cahiers de Charge entstanden sind (s. unten). 1846 Einsetzung der Board of Commissioners of Railways, dem die Compe- tenz des Board of Trade übertragen wird, speciell in Beziehung auf Conces- sionen; Einsetzung des Clearing House 1847; die Traffic Act, (1853) verbietet die Bevorzugung einzelner Parteien. Die Verschiedenheit des Inhaltes der Concessionen erzeugte dann die Nothwendigkeit gesetzlich für alle Bahnen gül- tige Betriebsordnungen aufzustellen (die Railw. Comp. Powers Act ) und die Bauo rdnung gleichförmig zu machen (die Railw. Construction Facilities Act ) 1858, 27. 28. Vict. 120 und 121. Die Railw. Comp. Securities Act 1866 schreibt die halbjährliche Angabe über die Anlehen und Schulden der Bahnen bei der Registratur der Joint Stock Companies vor; die neueste Betriebsordnung ist dann die Bill von 1868 (31. 32. Vict. 119). S. Report der Royal Com- mission on Railways 1867. p. I—CXXVI und die Minutes of evidence (Ver- nehmungen) vom März 1865 bis Mai 1866 S. 1—889. Frankreichs System ist wesentlich anders. Grundlage ist nach wie vor das Gesetz vom 11. Juni 1842, dem nur einzelne polizeiliche Verordnungen vorhergehen. Grundgedanke: Die Eisenbahnen bilden Ein Ganzes; sie sind als solche öffentliche Anstalten; der Staat nimmt direkt an ihrer Herstellung Theil; er gibt den Unterbau (die Theilnahme des Departements und der Com- mune seit 1845 zurückgenommen), die Gesellschaft die Schienen, den Ober- bau und Betrieb. Der Staat bestimmt daher das System der zu bauenden Linien ( le réseau ), die Gesellschaft führt sie aus. Daher kurzes Heimfallsrecht (40 Jahre ursprünglich s. unten). Der Staat schreibt daher die Tarife vor, so wie den ganzen Bau und Betrieb für die Compagnie; die Bestimmungen über Bau und Betrieb werden als Vertrag zwischen Staat und Compagnie festgestellt, und dieser Vertrag heißt das Cahier des Charges. Die natürliche Folge ist ein strenges Oberaufsichtsrecht des Staats mit ausgebildetem System der Inspektion; die Bahnpolizei umfaßt den ganzen Betrieb (erstes Gesetz vom 15. Juli 1845 mit erläuternder Concession und Verordnung vom 15. Nov. 1846). An diesem Standpunkt ist bis zur neuesten Zeit nichts geändert; nur ist das System der réseaux auf neue Grundlagen gestellt (1859 s. unten) und die Bahnaufsicht sehr genau durch Concession und Verordnung ausgeführt, wo- durch das Unterstützungswesen sich dem deutschen sehr genähert hat. — Die Lite- ratur ist wesentlich noch exegetisch; das an Material reichste, aber ungeordnete Werk ist der Code annoté des Chemins de fer von Fleury, 2 Bde. 1861; Bibliographie S. XI (vergl. Block , Dict. v. Chemin de fer, mit Literatur). In Deutschland konnte nur in den beiden größeren Staaten sich das Bahnwesen zu einem systematischen Ganzen entwickeln, da die kleineren Staaten mit einigen wenigen und kurzen Linien es zu keinem selbständigen Bahnrecht brachten; gesetzliche Bestimmungen fast nur als Inhalt der Concessionen und Statuten. Selbständig nur in Preußen und Oesterreich. — Preußen : Erste Epoche: Auffassung der Bahnen als Privatunternehmungen unter öffentlicher Aufsicht; Grundlage: Gesetz vom 3. Nov. 1838. Zweite Epoche: Versuch des Staats, die Herstellung der Bahnen ganz in eigene Hand zu nehmen. (Be- steuerungsperiode). Dritte Epoche: Subvention, Garantie und Heimfall ohne besondere Entwicklung der Gesetzgebung (vergl. Rönne , Staatsrecht II. S. 419 ff. Ders . Wegepolizei II. Literatur über das preußische Bahnwesen ebend. §. 419. Fürstemann , das preußische Eisenbahnrecht 1869 (statistisch). — Oesterreich : derselbe Gang; erste Epoche bis 1848 (Nordbahn, Wien-Gloggnitz) — zweite bis 1854; Staatsbahnen; Hauptgesetz: Eisenbahn- Betriebso rdnung vom 16. Nov. 1851 (vergl. Michel , österreichisches Eisenbahnrecht 1860; dritte seit 1854; Subvention, Garantie, Heimfall; Eisenbahn-Concessionsgesetz vom 14. Sept. 1854; Michel S. 202). Daneben Entwicklung des gemeinschaft- lichen deutschen Eisenbahnrechts einerseits durch die Literatur; Hauptwerke: Beschorner , das deutsche Eisenbahnrecht 1858, mit vielem Material, jedoch vorzugsweise über Aktien- und Enteignungsgesetzgebung; bedeutender W. Koch , Deutschlands Eisenbahnen 2 Bde. 1860; sehr reich an Literatur, erste Aufnahme des eigentlichen Verkehrsrechts. Zugleich gemeinschaftliche Gesetzgebung theils im Handelsgesetzbuch über Aktien- und Frachtgeschäft, der erste als Theil des Vereinsrechts (Bd. I. Tit. 3), der zweite als Theil des eigentlichen Handels- rechts (Bd. IV. Tit. 4 und 5) mit der Literatur des Handelsrechts; theils aber durch die Bildung und Thätigkeit des Vereins deutscher Eisenbahnen ( Vereinsreglement vom 1. Dec. 1856, im wesentlichen unverändert, bei Beschorner und Koch). Doch mangelt bei großer technischer Bildung noch durch- aus die administrative für das Eisenbahnwesen, und es ist falsch, zu glauben, daß hier Nationalökonomie und Statistik genügen. Für das Verständniß der ersteren wäre festzuhalten , daß das gesammte Bahnrecht sich aus dem Zusammenwirken von Regierung und Vereins- wesen bildet. Das Folgende gibt nur die das Einzelne beherrschenden Ge- sichtspunkte. 1) Organisation des Bahnwesens. Jenes doppelte Element des ganzen Bahnwesens erscheint nun zu- nächst in der Organisation desselben. Jede Bahn ist zuerst ein selbständiger Vereinsorganismus, der durch das Wesen des Aktienvereins und durch die Bedürfnisse des Unternehmens gegeben ist. Aus dem ersten gehen die bekannten Kate- gorien der Generalversammlung, des Präsidenten und des Verwaltungs- rathes, aus dem zweiten die der Direktion, der Angestellten und der Bediensteten hervor. Der Unterschied in dieser Beziehung ist im Bahn- wesen des gesammten Europas ein sehr geringer. Jede Bahn ist aber zugleich ein öffentlicher Verwaltungskörper. Alle Bahnen unterstehen daher in Concession, Bau und Betrieb dem (Handels)Ministerium, das meistens für das Bahnwesen eine eigene Sektion hat. Die Vertretung der Regierung bei den Thätigkeiten der Gesellschaft in Generalversammlung und Verwaltungsrath hat der Regierungscommissär , bei dem Betriebe die Inspektion . Recht und Competenz beider großen Faktoren sind an sich und ihrem gegen- seitigen Verhältniß noch unbestimmt, haben sich aber allmählig zu einem festen System durch die selbständige Entwicklung des Baues und Be- triebes ausgebildet. England . Das Board of Trade schon seit 1840 als höchste Behörde (Abtheilung des Privy Council ); genehmigendes Organ; die Einführung der Inspectors schon 3. 4. Vict. 97; später genauer definirt. Recht auf bye laws ausdrücklich in die Railway Regul. Act unter Genehmigung des Board of Trade anerkannt. Vergl. Gneist , Englisches Verwaltungsrecht II. §. 106. — In Frankreich Unterordnung unter das Ministère des travaux publics; so gut als gar keine Verfügungsgewalt. — In Preußen bis 1851 mit dem öffentlichen Bauwesen vereinigt; seit 1851 Abth. II. des Handelsministeriums; Eisenbahnconcession schon durch das Gesetz von 1838. — In Oesterreich unter dem Handelsministerium mit Generalinspektion. — Das Vereinswesen der Bahnen in England zu dem selbständigen, aber nur mit der Verrechnung beschäftigten Railway Clearing House erhoben; gesetzlich geordnet durch 13. 14. Vict. 33 (1850) und mit besonderen Rechten versehen; in Frankreich durch das System der réseaux unthunlich; in Deutschland großartige Entwicklung durch den Verein der Eisenbahnen begonnen 1847, für ganz Deutschland orga- nisirt 1850; daneben die einzelnen Eisenbahn verbände für gewisse Trans- portkreise und -Fragen, mit dem Princip bindender Majorität, jedoch ohne selbstberechtigte Executive. Organisation des Bahnbetriebes sehr gut bei Koch , a. a. O. Anlage S. 1—46. Die Verhältnisse des deutschen Eisenbahn- vereins so wie der Verbände Ders . Bd. II. T. III. §. 126 und §. 129 ff. — Ueber das System der Nebenbahnen , seit 1861 in Frankreich begonnen, und den schottischen und irischen Betrieb solcher Bahnen s. Revue des deux Mondes, Janvier 1866. 2) Concessionsrecht der Eisenbahnen. Das erste große Gebiet nun, wo sich jene beiden Faktoren begegnen und ein keinesweges einfaches System bilden, ist das Concessions- wesen . Jede Concession als solche hat einen doppelten Inhalt, weil sie eine doppelte Aufgabe hat. Sie hat einerseits den Capitalien, welche die Gesellschaft bietet, die Bedingungen zu geben, unter denen die letztere das Unternehmen überhaupt beginnen kann, und an- drerseits diese Bedingungen so zu formuliren, daß schon in der ersten Anlage das Gesammtinteresse gegenüber dem Erwerbsinteresse der Gesellschaft gewahrt wird. Aus dem Zusammenwirken beider Ge- sichtspunkte hat sich allmählig ein System gebildet, das in jedem seiner Theile beide Principien vertritt, und das Concessionswesen schon an und für sich zu einem reichhaltigen Gebiete des Verwaltungsrechts macht. Seine leitenden Gesichtspunkte sind folgende. a ) Die Vorconcession ist die Verleihung des Rechts die Vor- arbeiten zu unternehmen. Ihr positiver Inhalt ist die Verleihung des Enteignungsrechts in Beziehung auf diejenige Benützung des Grundes und Bodens, welche zu den Vorarbeiten (Tracirung und Vermessung) nothwendig sind. England kennt ein solches Recht noch nicht; in Deutschland ist das Princip desselben klar, aber über den Inhalt existirt noch keine besondere Bestimmung. b ) Die eigentliche Concession ist nun der Akt, durch welchen die Gesellschaft von der Regierung zur Anlage der Bahn berechtigt wird. Der nothwendige Inhalt dieser Concession ist stets ein doppelter. Einerseits enthält sie die Verbürgung des Enteignungs- rechts der Gesellschaft für die bestimmte und zwischen zwei Punkten meistens ausschließlich berechtigte Linie; daneben zweitens das Recht auf Aktien- und Prioritätenemission. Andererseits sichert die Re- gierung das öffentliche Interesse durch die Verhandlungen, welche der Concessionsertheilung vorauf gehen. Principien und Vorlage der Tracen mit allen dazu gehörigen Arbeiten; Bestimmung theils der Linie selbst, theils auch der Hauptstationen als Bedingung der Geneh- migung; Sicherstellung des wirklichen Baues durch Fristen und selbst durch Cautionen; endlich Genehmigung der Statuten der Gesellschaft als Theil der Concession. An diese an sich einfachen Grundsätze schließt sich nun aber ein weiteres Gebiet, das sehr oft — in neuester Zeit zum letzteren Theil immer — in den Concessionen selbst enthalten ist. Dasselbe bezieht sich auf die Unterstützungen und das Heim- fallsrecht . c ) Die Staatshülfe , welche der Staat den Gesellschaften ge- währt, hat die Aufgabe, durch die Sicherung der Ertragsfähigkeit das Einzelcapital zur Betheiligung an den Bahnen herbeizuziehen. Hier ist es das Einzelinteresse, welchem der Staat entgegenkommt. Die Grundformen sind dreifach. Die erste ist die direkte Betheiligung am Bau durch den Staat, das ursprüngliche französische System, in welchem der Staat den Grund und Boden hergab, die Gesellschaft das Uebrige. Die zweite ist die deutsche Form der Zinsgarantie, die stets mit einem Amortisationssystem verbunden ist. Die dritte ist die neue Form der Unterstützung durch Befreiung von Steuern und Gebühren für die Anlage und selbst für Betrieb und Dividende. Jede dieser Arten hat ihre Vorzüge, Mängel und Folgen, speciell für das Verhältniß der Regierung zum Betriebsrecht. Ihr Werth wird meist von der wahrscheinlichen Ertragsfähigkeit der Bahnen, wie von den finanziellen Zuständen des Staates bedingt. d ) Dem Princip der Unterstützung gegenüber hat nun die Ver- waltung das zweite des Heimfallsrechts als „Dauer der Concession“ formulirt. Objekt derselben nach französischem Muster ist der Unter- und Oberbau, nicht das Betriebscapital. Princip für die Dauer ist die Annahme einer Periode, in welcher der wahrscheinliche Ueberschuß das Anlagecapital amortisirt hat. Daher gar kein Rückfall in Eng- land, ursprünglich sehr kurzer in Frankreich, verlängert mit der Aus- dehnung in dem Risiko der Unternehmung, in Deutschland ursprünglich bei manchen Bahnen gar keiner, seit 1848 bei allen Bahnen meist 90 Jahre. Grundlage für das Heimfallsrecht daher in Maß und Art der Unterstützung. Alle diese Punkte sind in England in den Eisenbahngesetzen, in Frankreich theils in den Concessionen und Statuten, theils in den Cahiers de Charge, in Deutschland wesentlich in den Concessions- urkunden festgestellt. Ein allmähliges Ausgleichen der Unterschiede ist dabei unverkennbar, soweit überhaupt mit dem Princip der Unter- stützung das des Heimfallsrechts zur Geltung gelangt. Die Concession in England ist die gewöhnliche Incorporation der Gesell- schaft durch Private bill, jedoch nach vorhergegangenem Gutachten der Railway Commission im Board of Trade über die Pläne, und selbst über die Tarife. Subvention und Garantie existiren nicht. — In Frankreich erstes System der Subvention nach dem Gesetz von 1842; Dauer nach der Wahrscheinlichkeit der Erträgnisse auf vierzig Jahre; bei der Erweiterung im nouveau réseau durch Convention von 1859, schon Garantie von 4,65 Procent und Dauer auf neunundneunzig Jahre; zugleich gesetzlich fixirtes Baucapital; das troisième réseau von 1862 garantirt mit einem größeren Baukapital, das um 160 Mil- liarden Franken erhöht ward, 12,664 Kilometer umfaßt und 1871 fertig sein soll. — In Deutschland reine Staatsbahnen, ungarantirte mit absolutem Eigenthum, garantirte mit 5 Procent, solche bei denen eine feste und solche bei denen die nachgewiesene Bausumme garantirt ist; neuere Zeit statt der Garantie Befreiung von Steuern (österreich. Gesetz vom 20. Mai 1869). Ueber Verpflichtungen und Heimfallsrecht, so wie über Concessionswesen im besondern vergl. in England die verschiedenen Railway Regulations Acts oben, namentlich die Railway Clauses Act von 1845, Pflicht die Post zu be- fördern schon 1. Vict. 36 und öfter; für Deutschland in Preußen das Eisen- bahngesetz von 1838, welches zuerst die Betriebsverpflichtungen gegen die Regierung (Post, Militärtransporte ꝛc.) bestimmt formulirte; Oesterreichs beide Gesetze von 1851 und 1854; über die Vorconcession und Bildung des Aktien- gesetzes das Vereinsgesetz von 1852. Das französische System der „Cahiers de Charge“ ist sehr beachtenswerth, indem es die öffentlich-rechtlichen Ver- pflichtungen der Bahngesellschaft in Form eines privatrechtlichen Ver- trages zusammenfaßt; allgemein angenommene Formel für jede Concession bei Fleury a. a. O. I. S. 99 ff. Die Entwicklung des Concessionswesens in Frankreich beruht auf der Ausbreitung des réseaux. Es gibt daher in Frank- reich gar keine Concession für eine einzelne Bahn, sondern jede wird als Theil des ganzen Systems (réseau) concessionirt und nimmt mit allen gleich- mäßig an allen Rechten und Pflichten Theil. England kennt nur einzelne Bahnen; in Deutschland bilden große Linien selbständige Systeme, oft mit ganz verschiedenen Concessionsbedingungen. Statistik darüber fehlt aus meh- reren Gründen. Die Unterstützung für die Bahnen als Steuerbefreiung (Einkommen-, Coupon-, Stempelsteuer bei Verträgen und erste Aktienmission österreich. Gesetz vom 20. Mai 1802). 3) Betriebsrecht. Aus denselben beiden Faktoren geht nun in ihrem Zusammen- wirken auch das Betriebsrecht hervor. Der Betrieb selbst ist mit seiner Ordnung durch die Natur des Bahnwesens überhaupt gegeben; seine nächste Quelle ist das Interesse der Unternehmung, sein nächster In- halt die technischen Erfordernisse für die Güterbewegung. Allein auch hier arbeitet der Betrieb der Gesellschaft zugleich im Interesse des Ganzen. Dasselbe macht sich auf jedem Punkte geltend und so entsteht das Betriebsrecht als die Gesammtheit von Bestimmungen über den Betrieb, in welchen das geschäftliche Interesse des Unternehmens nach dem allgemeinen Interesse des Verkehrs geregelt wird. Das Verhältniß der eigenen Verwaltung der Bahn zur Regierung in dem Gebiete des Betriebsrechts beruht nun darauf, daß die Bahnverwal- tung ihrerseits den Betrieb unter eigener Verantwortlichkeit selbst zu führen hat, daß aber die Regierung nicht bloß im Allgemeinen, son- dern vielmehr auf jedem einzelnen Punkte sich vermöge ihrer Oberauf- sicht die Vertretung des allgemeinen Interesses und seiner Anforderun- gen vorbehält. So greifen hier beide Elemente so eng in einander, daß das Betriebsrecht formell ein Ganzes wird. Seine Abtheilungen sind folgende. a ) Die Bahnordnung und Bahnpolizei hat zur Aufgabe, Fahrbarkeit und Sicherheit der Bahn herzustellen. Grundlage: Eröff- nung der Bahn erst nach geschehener Inspektion auf Genehmigung der Bahnbehörden. Erhaltung der Bahn und der „Objekte“ durch die Bahnverwaltung unter Aufsicht der Inspektoren, ebenso Fahrbar- keit durch beständige Ueberwachung der Bahnstrecke durch die Bahn- inspektoren, Ingenieure, Stationschefs, Bahnwärter. b ) Betriebsmittel; Maschinen , unter dem Gewerbepolizei- recht der Maschinen, Wagen und Lastwagen: Zahl, Einrichtung und Sicherheit; Grundsatz: Aufgabe der Bahnen im eigenen Interesse in allen diesen Beziehungen dem Bedürfniß des Verkehrs zu genügen; Recht der Regierung, sie dazu zu veranlassen. c ) Die Betriebsordnung enthält erstlich die Fahrordnung ; Verpflichtung der Bahnen im öffentlichen Interesse, erstlich auf gehörige Veröffentlichung, dann auf regelmäßige Innehaltung, endlich auf pas- senden Anschluß der Züge. Recht der Regierung, auf diese Punkte zu achten, ausgedrückt in dem Recht der Genehmigung der Fahr- ordnungen . Zweitens die Zugsordnung mit den Bestimmungen über Passagier- und Frachtenpolizei, Wagenordnung und das wichtige Signalwesen. Hier sind die Instruktionen der Bahndirektionen maßgebend. d ) Der Bahntelegraphendienst mit seiner selbständigen Orga- nisation und Aufgabe, als wesentlicher Faktor der Sicherheit und Ord- nung des Betriebes. Vergl. die früher angeführten Gesetze, welche meistens die Bestimmungen über Betrieb oder Betriebspersonal enthalten; der Unterschied liegt wesentlich in dem größeren oder geringeren Fleiß, den die Behörden darauf nehmen. Natürlich ist die Masse von einzelnen Gesetzen und Verordnungen gerade hier am größten; namentlich in England und Frankreich, so daß viele die Eisen- bahngesetzgebung fast ganz auf diesem Gebiete suchen. — In Frankreich ist das Meiste in dem Cahier des Charges bestimmt; daneben sehr genaue Instruktionen an das Bahnpersonal; das polizeiliche Betriebsreglement ist das Gesetz vom 13. Nov. 1846. In England sehr ausführliche Bestimmungen in den Regulations. Neuestes Gesetz: Locomotive Act 1865, 28. 29. Vict. 83 mit Oberaufsicht der Board of Trade; Bahntelegraphen (26. 27. Vict. 112). In Deutschland Verbindung von Gesetz und Instruktionen in den größeren Staaten; in den kleineren nur letztere. Preußen : Eisenbahnbetriebs-Regle- ment der unter Staatsverwaltung stehenden Bahnen (Verordnung vom 3. Sept. 1865). Oesterreich : Betriebsordnung von 1851 ( Michel , Eisenbahnrecht, S. 4 ff.). Pollanctz und Wittek Sammlung 1869. 4) Verkehrsrecht. Das Verkehrsrecht der Bahnen entsteht nun da, wo die Thätig- keit des Betriebes nunmehr mit dem Einzelnen in Berührung kommt. Diese Berührung ist dem Princip nach eine privatrechtliche und das Recht derselben ein gewöhnliches Vertragsrecht. Allein auch hier wird das an sich einfache Rechtssystem modificirt durch die öffentliche Natur der Funktionen der Bahnen, und auch hier entsteht daher aus dem Zusammenwirken beider Faktoren das, was wir als das Verkehrsrecht der Bahnen kennen. Das Verständniß der doppelten Natur desselben bildet sich erst da aus, wo die Idee der Regalität in den Hintergrund tritt, und die Bahn Dritten gegenüber als ein reines Privatunternehmen erscheint. Die Funktion des öffentlichen Rechts ist dabei die, das freie Privat- recht der Bahnen in so weit zu beschränken , als das öffentliche In- teresse es fordert. Die drei, wissenschaftlich zwar im Einzelnen, nicht aber im Ganzen bisher bearbeiteten Gebiete dieses Rechts sind: a ) Das Tarifrecht . Der Tarif ist der Preis für die Trans- portleistung der Bahnen. An sich haben die Bahnen ein unbegränztes Tarifrecht. Die öffentliche Natur des Betriebs aber erscheint darin, daß die Concession den Bahnen erstlich überhaupt ein Maximum des Tarifs vorschreibt, und zweitens jeder Tarif der Regierung zur Ge- nehmigung vorgelegt werden muß. Pflicht der Bahnen zu möglichst großer Veröffentlichung des Tarifs. Bestandtheile des Tarifs (Asse- kuranz, Spesen ꝛc.). Die Frage nach der Höhe des Tarifs ist aller- dings von der größten volkswirthschaftlichen Wichtigkeit, aber an sich keine Sache der Verwaltung. Innerhalb des Maximums muß die Bahn unbedingt freie Bewegung haben. Dagegen hat unzweifelhaft die Regierung das Recht, ein Herabgehen unter das concessionsmäßige Maximum zu fordern , aber sie muß dafür nach den Grundsätzen der Enteignung ein Verfahren einleiten und Entschädigung leisten . Das natürliche Correktiv dieses Rechts ist nicht das Eingreifen der Regierung, sondern die Concurrenz der Bahnen , die mit jedem Tage bedeutender wirkt. b ) Das Transportrecht ist gleichfalls zunächst das reine Privat- recht für den Transport von Personen und Gütern; das öffentliche Recht erzeugt den Grundsatz der Pflicht zur Aufnahme beider gegen Zahlung des Tarifs und zur Beförderung derselben nach Maßgabe der Fahrpläne. Die Entwicklung des Transportrechts beginnt da, wo der Transport zugleich eine Spedition und eine Lieferung wird; dasselbe fällt damit unter das Frachtgeschäft; dabei muß den Bahnen die Be- rechtigung gelassen werden, den Transport auf Grundlage der geneh- migten Fahrpläne nach ihrem Ermessen zu ordnen. Die betreffenden Fragen können erst durch ihre Scheidung von dem Haftungsrecht richtig beurtheilt werden. c ) Das Haftungsrecht der Bahnen, das seinerseits erst durch die Anerkennung ihrer privatrechtlichen Natur zur Entwicklung gediehen ist, enthält drei Grundformen. Es ist zuerst das rein bürgerliche Haftungsrecht, mit den gewöhnlichen Grundsätzen über dolus und culpa ohne Rücksicht auf das Objekt oder die Art der Beschädigungen, die Dritten durch den Betrieb entstehen; es ist zweitens die han- delsrechtliche Haftungspflicht nach den Grundsätzen des Handels- gesetzbuches, und für die dem Handelsrecht angehörigen Leistungen; es ist drittens das öffentliche Haftrecht, das wieder theils die Haf- tung der Gesellschaft als Ganzes gegenüber der Regierung für die Er- haltung ihrer Betriebsfunktion ist, theils aber die, durch die Natur des Betriebes bedingte vielbestrittene onerose Haftung der Bahnen gegenüber den einzelnen Beschädigten, deren Grundprincip darin be- steht, daß nicht wie bei bürgerlicher Haftung dem Beschädigten der Beweis der Verschuldung durch die Bahn, sondern umgekehrt der Bahn der Entlastungsbeweis der unabwendbaren Gewalt obliegt, um sich von der Ersatzpflicht zu befreien. Die Höhe des Ersatzes ist immer Sache des Gerichts. Das Princip der Genehmigung der Tarife ist fast so alt wie die Bahn- gesetzgebung selbst; formell im preuß. Gesetz von 1838 anerkannt §. 29. 30; ebenso in den englischen Regulations. Das Princip der Cheap trains bereits ein- geführt mit 7. 8. Vict. 85, und genauer regulirt 21. 22. Vict. 75 (1858). Das französische Recht betrachtet überhaupt den Tarif nur von dem Standpunkt der Erlaubniß der Regierung „le Gouvernement accorde à la société l’au- torisation de percevoir les droits de péage et les prix de transport suivants“ (Cahier des Charges art. 42; Fleury l. c. II. p. 120). In Deutschland hängt das Maximum des Tarifs stets eng mit der Garantie, und diese wieder mit den Bau- und Betriebsschwierigkeiten zusammen, und erscheint daher meist in den einzelnen Concessionen. Das Transportrecht tritt fast nur als Transportpolizei auf; daneben als Bahnverfügungsrecht über die Passagier- ordnung, Güteraufnahme, Verpackung u. s. w. Seine eigentliche Entwicklung hat es natürlich erst an dem handelsrechtlichen Haftungsrecht gefunden. Hier stehen sich, weder durch Gesetzgebung noch durch Wissenschaft ganz vermittelt, das deutsche Handelsgesetzbuch und das Vereinsreglement gegenüber, und eine selbständige Jurisprudenz ist im Begriffe sich zu bilden; siehe namentlich Koch a. a. O. mit reichhaltiger Sammlung; vgl. auch Michel , österreich. Eisen- bahnrecht, S. 156—199; Haftpflicht der Eisenbahnen in England von H. A. Simon , deutsch von M. Frhr. v. Weber 1868. Das polizeiliche und administrative Haftrecht wird mehr selbstverständlich angenommen als speciell entwickelt; das onerose namentlich in neuester Zeit ausdrücklich anerkannt für Oesterreich durch Gesetz vom 5. März 1869. III. Oeffentliche Dampfschifffahrt. Die Dampfschifffahrt gehört ihrem allgemeinen Wesen nach unter die Schifffahrt; vermöge ihrer Maschinen steht sie unter der Maschinen- polizei; ihre Bedeutung für das volkswirthschaftliche Leben ist groß, fehlt aber der Nationalökonomie und Statistik. Begriff und Recht der öffentlichen Dampfschifffahrt entstehen erst da, wo die Linien der- selben als Fortsetzung der Eisenbahnlinien auftreten. Hier beginnt das Interesse des Verkehrs, seine Forderung an einen regelmäßigen An- schluß und Beförderung aufzustellen; um dieß zu bewirken, muß der Staat entweder selbst Dampferlinien errichten, oder den errichteten durch Subventionen solche Verpflichtungen auferlegen, und die sich daraus ergebenden gesetzlichen, beziehungsweise vertragsmäßigen Be- stimmungen bilden dann das Recht der öffentlichen Dampfschifffahrt. Dem Principe nach ist dieses Recht ganz dem der Eisenbahnen gleich ; bezeichnend ist nur, daß die onerose Haftpflicht gerade hier am wenigsten ausgebildet ist. Natürlich ist, daß die Unterstützung der Dampfschifffahrt je nach den Linien eine sehr verschieden geartete sein muß, so weit nicht der Staat selbst die Dampfschiffe herstellt (Post- dampfer). Es sind daher die betreffenden Fragen stets von Fall zu Fall zu erwägen. Der österreichische Lloyd und seine Verhältnisse und Subventionsverträge; die Donau-Dampfschifffahrtsgesetze; Ablösung ihres ausschließlichen Privilegiums seit 1856 gegen Garantie von 7 Procent; die Messagerien von Marseille für den Orient; italienische und griechische Dampferlinien; englische Linien über den Ocean. — England : neuestes Gesetz 25. 26. Vict. 63 (namentlich polizei- licher Natur, Ordnung und Zahl der Engineers u. a.). IV. Das Telegraphenwesen. Das Telegraphenwesen vermittelt den momentanen Verkehr. Es dient daher dem öffentlichen Interesse, wie Post und Bahnen. Es hat aber zugleich den Charakter und das Recht eines Privatunternehmens; die Bedingung des letzteren ist aber wieder aus naheliegenden Gründen entweder die Ertragsfähigkeit, oder die Subvention. Und da nun bis- her der wesentlichste Theil der Telegramme aus Staatsdepeschen besteht, so besteht demgemäß mit wenig Ausnahmen das ganze Telegraphen- wesen noch in Staatstelegraphen. Das Telegraphen recht ist daher fast nur noch von der Seite der reinen Verwaltung ausgebildet und hängt enge mit der Geschichte der Telegraphen zusammen. Die ursprünglichen optischen Telegraphen waren reine Staatsanstalt, ausschließlich im Dienst der höheren Ver- waltung, wie der Anfang der Post. Die Einführung der Telegraphen beim Bahndienste war der entscheidende Schritt zur Bildung neuer Verhältnisse. Zunächst benützte man die Bahntelegraphen auch für Verwaltungszwecke; dann gestatteten die Bahnen ausnahmsweise auch Privatdepeschen; dann fingen die Verwaltungen an, selbständige Linien anzulegen und die Privatdepeschen neben den öffentlichen zuzulassen; daraus entstand die Nothwendigkeit, das Telegraphenwesen in Gemein- schaft mit den Nachbarstaaten zu ordnen; so wurden die Verträge die Faktoren der Rechtsbildung für das Telegraphenwesen und sind es für Deutschland geblieben, während Englands Telegraphen als Privat- unternehmungen auftreten und Frankreich sein Telegraphenwesen durch eigene Gesetze geordnet hat. Das Telegraphenrecht ist dadurch sehr einfach. Es theilt sich in das Betriebsrecht und das Verkehrsrecht , zu welchen bei den Telegraphengesellschaften noch das Concessionsrecht hinzukommt, das aber nichts als ein Analogon des Bahn-Concessionsrechts ist. Das Betriebsrecht ist wesentlich technischer Natur; die Betriebs- ordnung muß auch bei Privattelegraphen der Aufsicht des Staates unterworfen bleiben. Die Grundlage ist das Betriebsreglement mit den Instruktionen. Der Organismus ist ausschließlich technischer Natur mit Inspektion und Stationen. Wesentlich ist dabei die strenge Polizei der Telegraphenlinien mit eigenem Strafrecht. Das Verkehrsrecht hat dieselben Momente wie das der Bahnen, mit den durch die Natur der Telegraphen gebotenen Modifikationen. Die Tarife setzt die Verwaltung selbst; das Beförderungsrecht besteht in der Verpflichtung, die Aufnahme und Abgabe nach dem stets zu veröffentlichenden Reglement vorzunehmen. Dagegen ist das Haftungsrecht noch unausgebildet. Fest steht nur, daß die Anstalt für falsche Telegramme haftet; die Haftung für Mißbrauch des Telegraphen- geheimnisses ist bisher nur als eine persönliche für den betreffenden Beamteten betrachtet; der Grundsatz, daß auch dafür die Haftung der Anstalt auf dem Punkte eintreten sollte, wo dieser Mißbrauch durch die Aufsicht der oberen Organe hätte verhütet werden können, ist noch nicht zur Geltung gelangt; der Grundsatz, daß bei Beschädigungen der Anstalt der Beweis der vis major auferliegt, ist nicht anerkannt; wie weit diese Haftung in Beziehung auf die Zustellung geht, ist nicht untersucht, namentlich nicht die Frage der Zeit der Zustellung. Hier muß sich daher erst eine Jurisprudenz bilden, wie beim Eisenbahnwesen. England : Recht auf Anlage von Privattelegraphen an den Bahnlinien in der Regul. Act 7. 8. Vict. 85. art. 13; art. 14 Verpflichtung zur Beför- derung von Privattelegrammen für jede Telegraphenlinie; genauer in 26. 27. Vict. 112; Telegraphenpolizei (24. 23. Vict. 97). Die Regierung schließt mit den Telegraphengesellschaften für ihre Depeschen eigene Verträge (25. 26. Vict. 39); das neueste, ziemlich vollständige Gesetz (26. 27. Vict. 112; the Telegraf Act ). Austria 1866, Nr. 15. — Frankreich : durch erstes Gesetz vom 29. Nov. 1850 der elektrische Telegraph dem Privatdienst eröffnet; weitere Entwicklung dieser Gesetzgebung namentlich durch Dekret vom 17. Juni 1852 und Gesetz vom 28. Mai 1853 und 24. Juni 1854. — Preußen : Telegraphendirektion dem Postamt untergeordnet (Organisation durch Erlaß vom 12. Febr. 1856) und Telegraphen-Reglement vom 10. Dec. 1858. Rönne II. §. 429. — Oesterreich : Organisations-Erlaß vom 24. August 1856; mit dem Post- wesen vereinigt seit 1851 (Regulativ für den Betrieb vom 6. Febr. 1850; Stubenrauch II. §. 532). — Der erste Vertrag für das deutsche Tele- graphenwesen vom 16. Mai 1850; deutsch-österreich. Telegraphenverein vom 25. Juli 1850 (Vertrag vom 14. Oct. 1851); daraus das gegenwärtige Betriebsreglement von 1863, das jetzt an die Stelle aller örtlichen Betriebs- reglements getreten ist; Vertrag in Rohrscheidt , Staatsverträge S. 245; ein Vertrag vom 21. Juni 1868 mit Erweiterungen und Modifikationen. — Bayern : Grundlage Gesetz vom 6. Juni 1850 und Schutzgesetz vom 24. Dec. 1849; Pözl , Verwaltungsrecht §. 176. Vom Standpunkte der Volkswirth- schaft in ihrer Entwicklung Knies , der Telegraph als Verkehrsmittel 1857. — Sardinische Gesetzgebung vom 18. Sept. 1865. Die große Idee des euro- päischen internationalen Telegraphenwesens hat in jüngster Zeit ihren Ausdruck gefunden in dem Centralbureau für das internationale Telegraphenwesen in Zürich, seit 1868 thätig, mit seinem Centralblatt für das europäische Tele- graphenwesen seit 1870. Dritter Theil . Das Umlaufswesen. Begriff und Inhalt. Der Umlauf schließt sich nun unmittelbar an den Verkehr, aber als selbständiger Theil der wirthschaftlichen Bewegung. Der Umlauf ist seinem Begriffe nach derjenige Akt, durch welchen die im Verkehr örtlich bewegten Personen- und Güterverhältnisse aus dem wirthschaft- lichen Leben des Einen in das des Andern übertragen werden. Der Umlauf als rechtlicher Akt ist der Vertrag; sein wirthschaftlicher Inhalt ist die Verwirklichung des Gewinnes, den der Verkehr beabsichtigt. Der Umlauf ist daher zunächst ein rein nationalökonomischer Proceß und ein Verhalten, das an und für sich rein dem Einzelnen gehört. Dennoch hat er Eine Bedingung, welche der Einzelne nicht her- stellen kann, wenigstens nicht ohne eine mit dem Gewinne in keinem Verhältniß stehende Anstrengung. Das ist die Sicherheit für das rich- tige Maß in Gut und Werth bei den Leistungen. Diese Sicherheit kann nur gegeben werden, indem das Maß objektiv feststeht und der subjektiven Willkür entgegen ist. Diese zur objektiven Geltung gelangende Bestimmung des festen Maßes kann nun weder die Selbstverwaltung noch der Verein geben, weil sie für alle Umlaufsverhältnisse in gleicher Weise gelten soll. Sie muß durch das Gesetz des Staats aufgestellt und durch die Verwaltung desselben durchgeführt werden, und die Gesammtheit der darauf bezüglichen Bestimmungen und Maßregeln bilden nun das, was wir im Sinne der Verwaltung das Umlaufs- wesen nennen. Dieses Umlaufswesen hat nun, nach dem Wesen des Gutes, einen doppelten Inhalt. Es bezieht sich zuerst auf das Gut für sich und erscheint hier als Gütermaß im Maß- und Gewichtssystem; dann bezieht es sich auf den Werth im System der Münze und des Papier- geldes. Mit dem letzteren geht es in das Creditwesen über, dem auch die Frage nach den Werthpapieren angehört. Das Umlaufswesen ist nun an sich so nothwendig und natürlich, daß es als öffentliches Recht fast mit dem Entstehen der menschlichen Einigung überhaupt entsteht. Dennoch ist es weder praktisch noch theo- retisch zum Abschluß gebracht. Das beruht darauf, daß dieser Abschluß nicht etwa in dem Finden dieses oder jenes Systems, sondern in der einheitlichen Gültigkeit derselben Größenmaße und Grundsätze für den ganzen Weltverkehr liegt. Die Geschichte des Umlaufs- wesens ist aber nichts anderes, als der allerdings höchst langsame und zugleich bei dem Maß- und Geldwesen sehr verschieden verlaufende Proceß, der diese Einheit des Umlaufswesens im Weltverkehr herbei- führt und der gerade in gegenwärtiger Zeit in eine hochbedeutsame Epoche für beide getreten ist. A. Der Güterumlauf. Maß- und Gewichtswesen. Es gibt kein Maß und Gewicht an sich. Alles Maß und Gewicht geht von Menschen aus; jedes einzelne Maß und Gewicht so wie das System derselben ist zunächst nur die Anwendung körperlicher Verhält- nisse auf die natürliche Erscheinung. Das Maß und Gewicht entsteht daher auch durch die Thätigkeit der Person, sei es die physische, sei es die geistige. So bildet sich ein natürliches Maß- und Gewichts- system, das in den Elementen bei allen Völkern gleichartig ist. Innerhalb der damit gesetzten Größenverhältnisse aber haben Zufall und Willkür ihren Raum. So wie dagegen der Verkehr ent- steht, fordert er die allgemeine Geltung des Maßes. So lange nun der Verkehr bloß vom Einzelnen zum Einzelnen geht, können die Ein- zelnen sich untereinander darüber individuell einigen. Sobald aber der Umlauf allgemein wird, muß die Geltung des feststehenden Maßes zu einer objektiv rechtlichen werden. Alsdann wird ein bestimmtes Maß durch die gesetzgebende Gewalt anerkannt und durch die vollziehende durchgeführt. Damit entstehen die drei Momente, welche zusammen das Maß- und Gewichtswesen im öffentlichen Recht bilden. Das erste dieser Momente ist die Aufstellung eines geltenden Systemes von Maßen und Gewichten, das meist historisch entstanden und nach einem gegebenen Grundmaß ausgebildet wird. Es gehört ein sehr hoher Grad von Bildung dazu, um die verschiedenen Maße und Gewichte als eine organische Einheit aufzufassen, namentlich das Längen- maß als Grundlage des Raummaßes zu bestimmen; ja es ist sogar schon sehr schwierig, auch nur die vorhandenen Maße, die oft nur einen ganz örtlichen Werth haben, statistisch genau festzustellen und auf gleiche Einheiten zu reduciren. Hier liegt daher der Kern der Geschichte des Maß- und Gewichtswesens, die in den beiden folgenden Punkten sich im Wesentlichen fast zu allen Zeiten gleich geblieben ist. Das zweite Moment ist das Recht des Maßes und Gewichts. Das Recht besteht einfach in der Verpflichtung, allenthalben wo der gesetzlich anerkannte Ausdruck im Verkehr gebraucht wird, auch das dafür gesetzlich bestimmte Quantum zu leisten, so daß jede subjektive Interpretation des ersteren damit ausgeschlossen ist. Das Recht ist die Grundlage des wirthschaftlichen Werthes eines jeden gesetzlichen Maß- systems. Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 15 Das dritte Moment ist die Maß- und Gewichtspolizei . Das Objekt dieser Polizei sind die Maße und Gewichte des Kleinverkehrs; die Ausübung derselben ist theils der polizeiliche Grundsatz, daß nur gestempelte Maße und Gewichte gebraucht werden dürfen, theils die polizeiliche Ueberwachung der wirklich in Gebrauch befindlichen Maße; die Sicherung gegen falsches Maß und Gewicht besteht dann in den Ordnungsstrafen für den Gebrauch derselben. Es liegt nun in der Natur der Sache, daß die gesetzliche Ordnung und das Recht von Maß und Gewicht von der Regierung ausgehen, während die örtliche Ueberwachung Sache der Selbstverwaltung ist. Das Bedeutsame dabei ist eben der Gang der Entwicklung im Ganzen, der zugleich von der volkswirthschaftlichen Bewegung, von der Staaten- bildung und der Wissenschaft bedingt erscheint. Man kann dabei drei Grundformen unterscheiden. Die erste Gestalt alles öffentlichen Rechts von Maß und Gewicht geht immer von den Städten aus und ihr Objekt sind stets zuerst gewerbliche Produkte, die durch Pfund und Elle gemessen werden können, während die Bodenprodukte des Landmannes meist ganz örtliche, jedoch auch hier stets an die Produktionsverhältnisse sich anschließende Maße zeigen. Die Ausbreitung des einzelnen Maßsystems schließt sich dann an die des einzelnen städtischen Handelsgebietes; die großen Städte werden für den Weltverkehr maßgebend, wogegen die kleinen meist ihre eigenen Maße und Gewichte für den Verkehr zwischen Land und Stadt beibehalten. Die Maß- und Gewichtspolizei ist dabei vorwiegend eine Markt- und Kleinhandelpolizei; doch bestehen öffentliche Maß- und Gewichtstypen (unsere Ellen an den Kirchen und Rathhäusern, Raths- wagen u. s. w.). Mit dem Eintreten der Staatenbildung tritt auch die Erkenntniß ein, daß ein einheitliches Maß- und Gewichtssystem einen volkswirth- schaftlichen Werth habe. Das ist die große Epoche des Merkantilsystems. Sie ist charakterisirt durch die ersten Versuche, ein gemeingültiges Maß und Gewicht zunächst innerhalb des eigenen Staats gesetzlich festzustellen. Der geringe Erfolg beruht in den meisten Fällen darauf, daß das Ver- hältniß der letzteren zu den ortsüblichen Maßen und Gewichten nicht genau angegeben ist. Daher treten in dieser Zeit die gesetzlichen Maße und Gewichte fast nur für den Großhandel ein, während der ganze Kleinhandel noch an den ortsüblichen Maßen festhält. So wie dagegen der eigentliche Weltverkehr beginnt, ergreift der- selbe auch die verschiedenen bestehenden Maß- und Gewichtssysteme. Die Berührung der Nationen fordert eine klare, allgemein anerkannte Form, um die mehr oder weniger selbständigen Maß- und Gewichts- systeme der einzelnen Völker und Staaten auf eine gemeinschaftliche Einheit reduciren zu können. So beginnt mit unserem Jahrhundert eine doppelte Arbeit. Die eine geht wesentlich von Frankreich aus und fordert, daß mittelst der Annahme seines großen metrischen Systems auf dem Wege der Gesetzgebung jene Einheit für die ganze Welt hergestellt werde. Die zweite ist vorzugsweise deutsch; sie ist wissenschaftlicher Natur und strebt durch wissenschaftliche Reducirung aller verschiedenen Maße und Gewichte auf eine gemeinschaftliche Größe das Bedürfniß des internationalen Verkehrs zu befriedigen. Daraus nun viel Streit, dessen Endergebniß als Grundlage der künftigen Gestaltung folgendes ist. Es ist falsch zu behaupten, daß ein System als solches einen größeren Werth habe als ein anderes; sondern was den größten Werth hat, ist die Einheit des Systems. Es ist falsch, ein solches System durch Zwang für alle Theile des wirthschaftlichen Lebens durchführen zu wollen; richtig ist es dagegen, seine Einführung für diejenigen Güterverhältnisse zu fordern, welche den Gegenstand des internatio- nalen Verkehrs bilden. Das Gebiet des einheitlichen Maßes und Gewichtes wird daher stets nur ein verhältnißmäßig enges sein, und sich — mit Ausnahme des Gebietes wissenschaftlicher Untersuchungen — naturgemäß auf diejenigen Produkte beschränken, welche durch die Eisen- bahnen und Dampfschifffahrt Artikel des Weltverkehrs werden, während es ziemlich werthlos und auch erfolglos ist, den örtlichen (Markt) Ver- kehr mit seinem, meist der örtlichen Produktion angepaßten System einem solchen allgemeinen System unterwerfen zu wollen. — In der That folgen auch die Bewegungen der neuesten Zeit auf diesem Gebiete fast unwillkürlich den obigen Grundsätzen. Daneben genaue und leicht zugängliche Ordnung des inneren Maß- und Gewichtssystems theils durch Aufstellung fester Typen , theils durch gut eingerichtete öffent- liche Wag - und Meßanstalten , theils durch strenge Stempelungs- und Aichungspolizei des Kleinverkehrs. Da, wohin diese praktischen Maßregeln nicht reichen, beginnt die Aufgabe der Wissenschaft mit ihren Sammlungen und Reducirungen der verschiedenen Systeme in den einzelnen Staaten. England . Gegenüber dem alten gesetzlichen Maß- und Gewichtssystem geordnet in 5. G. IV. 74 (1824) und 4. 5. Will. 49 (1834) als Concession an die Bestrebungen zur Annahme des metrischen Systems die Metric Weights and Mesures Act 27. 28. Vict. 167 (1864), daß kein Vertrag ungültig sein soll, der nach metrischem Maß und Gewichtssystem geschlossen ist. Oertliche Maß- und Gewichtspolizei (justice of peace) 5. 6. Will. IV. 68. Gneist II. 104. — Frankreich : Zustand vor der Revolution wie in Deutschland; jede Provinz und jeder Ort hatte sein Maß- und Gewichtssystem. Darauf Begründung des metrischen Systems durch Decret vom 26. März 1791. Auffassung des Meters als zehnmillionsten Theil des Viertelmeridians, und Annahme des Decimal- systems; Ausführung mit Gesetz vom 18. Germ. III. (1795); das Maß- und Gewichtssystem mit seinen Namen (Gesetz vom 12. Frim. VIII. ); Vollendung: die Gesetzgebung erklärt das metrische System für „ein System für alle Zeiten und Völker“ (Decret vom 12. Febr. 1812); geordnete Bestimmung zu den alten Gewichten. Dieß Decret wird endlich durch Gesetz vom 4. Juli 1837 auf- gehoben und die unbedingte Gültigkeit des Systems durchgeführt, welches einerseits die Anwendung jedes andern Maßes und Gewichtes in allen öffentlichen Ankündigungen unter Ordnungsstrafe verbietet, das System der Vérificateurs (mindestens einen in jedem Arrondissement) einführt, welche die Gewichte und Maße für den Verkehr stempeln (la vérification première), eine Liste verfassen, und den Gebrauch überwachen (vérification périodique) unter Beihülfe der Maires. Jede Abweichung wird mit Ordnungsstrafen belegt (Ord. vom 17. April 1839), vergl. Système légal des poids et mesures par Lamotte 14. Aufl. Weitere Literatur bei Block , Dict. — In Deutschland war das Maß- und Gewichtswesen ein Theil des „Commerzienregals“ der Terri- torialhoheit; die Zerfahrenheit blieb auch unter dem deutschen Bunde. Schon Justi , Polizeiwissenschaft II. Bd. Hauptst. 42. §. 215: „Es würde nicht wenig zur Beförderung der Commerzien beitragen, wenn alle europäischen Völker Ein Maß und Gewicht hätten.“ Beziehung auf Deutschland mit dem neun- zehnten Jahrhundert; Klüber , öffentliches Recht §. 414: „zu wünschen wäre ein allgemeines Maßsystem für alle Bundesstaaten;“ frühere Literatur ebend. — In Preußen : Maßwesen als „Majestätsrecht“ unklar (Allgem. Landrecht II. 13. 12). Erste Maß- und Gewichtsordnung vom 16. Mai 1816, mit erster Organisation (Probemaße beim Ministerium für Handel; Provinzial-Eichungs- commission, Eichungsämter mit Stempelung und Prüfungsrecht, und Pflicht zur Anwendung von gestempelten Maßen und Gewichten); dann erster Schritt zur Einheit in der Einführung des preußischen Pfundes als Zollpfund für den ganzen Zollverein durch Verordnung vom 31. Okt. 1839. Weiter ist die Sache nicht gediehen. Aehnlich in den kleinern deutschen Staaten. — Würt- temberg : Gesetz vom 1. Dec. 1806. Mohl , Verwaltungsrecht II. 626. — Bayern : Gesetz vom 28. Februar 1809; Pözl , §. 178. — Baden : Gesetz vom 10. Nov. 1810; Gewichts- und Maßordnung vom 2. Juni 1829. — Oesterreich : erster Versuch bereits im vorigen Jahrhundert 1764. 1787 ein österreichisches Maß- und Gewichtssystem, fortgesetzt durch eine Reihe von Ver- ordnungen von 1770 bis auf unsere Zeit. Die Eichungsämter seit 1784 ein- geführt; die Gemeindeordnung von 1849 überträgt die Polizei definitiv den Gemeinden (§. 137); zeitweise (alle drei Jahre) Untersuchung seit 1790 vor- geschrieben; Errichtung von öffentlichen Wäge- und Meßanstalten (Gesetz vom 19. Juli 1865). Neuestes sehr rationelles Gesetz vom 19. Juni 1866; Einfüh- rung öffentlicher Wäge- und Meßanstalten; auch sie haben die Gemeindever- waltung und Polizei. Ueber den Kampf mit dem metrischen System vergl. Mohl , Polizeiwissenschaft II. §. 176 und Literatur. — Seit 1848 nun viele Bestrebungen zur Einführung des metrischen Systems, namentlich auch in Deutsch- land. Diese Bestrebungen (namentlich Erklärung des deutschen Handelstages in Heidelberg 1861) leiden daran, daß sie die unbeschränkte Einführung fordern, während dieselbe nur innerhalb des obigen Kreises von wirklichem Werth ist (vgl. Rau , Verwaltungspflege II. §. 230 ff). Einsetzung der Bundes- Commission für die Einführung der deutschen Maß- und Gewichtsordnung; Schlußprotocoll vom 9. Aug. 1865. B. Der Werthumlauf. Das Geldwesen. Begriff und Inhalt. Das Geld ist ein national-ökonomischer Begriff. Derselbe kann nicht verstanden werden ohne die strenge Scheidung von Gut und Werth. Denn das Geld ist eben der vom Gute geschiedene, selbständig erschei- nende und daher auch selbständig funktionirende Werth. Auf diesem Gedanken beruht das ganze System des Geldwesens. Es ist nun klar, daß diese Selbständigkeit des Werthes im Gelde die erste Voraussetzung jedes Umlaufes ist. Jeder Kauf ist in der That nichts anderes, als die Hingabe des Werthes für das Gut. Mit dem Gelde ist daher das gemeinsame Werthmaß für alle Güter, und damit die erste Voraussetzung aller wirthschaftlichen Gegenseitigkeit gegeben. Eben darum entsteht Geld stets unmittelbar mit der Produktion des Einen für den Andern. Aber eben deßhalb kann auch das Geld nicht der Willkür des Einzelnen unterworfen sein. Es muß die Grund- sätze, welche für Maß und Gewicht gelten, auf den selbständigen Werth anwenden ; das ist, es muß selbst ein System von öffentlich anerkanntem Maß und Gewicht sein. Damit ist es der Thätigkeit so- wohl der Selbstverwaltung als der Vereine entzogen; es ist in seiner Herstellung nothwendig eine ausschließliche Aufgabe der Regierung; dieses ausschließliche Recht nennen wir die Regalität ; das Geldwesen ist daher ein Regal , und die Gesammtheit von Anstalten und Be- stimmungen der Regierung über Ordnung und Recht des Geldes als Grundlage des selbständigen Werthumlaufes nennen wir das Geld- wesen . Ein Geldwesen ist daher zu allen Zeiten mit der Staatsordnung zugleich entstanden, mit ihm seine systematischen Hauptgebiete, welche in seiner Natur selbst liegen. Diese sind das Münzwesen , welches die Ordnung, das Wahrungswesen , welches das Recht, und das Papiergeldwesen , welches die Quantität des Geldes zum Objekt hat. Diese drei Theile bilden daher die Verwaltung des Geld- wesens . Diese Verwaltung des Geldwesens ist nun an sich eine sehr ein- fache. Ihre Entwicklung beginnt erst da, wo die unabänderliche wirth- schaftliche Natur des Geldwesens von den Regierungen erkannt wird, und der Versuch entsteht, diese Natur und ihre organische Funktion den Verwaltungsmaßregeln zu unterwerfen. An den Verwirrungen und wirthschaftlichen Krankheitszuständen, die daraus entstehen, bildet sich dann langsam aber sicher das Bewußtsein vom wahren Wesen des Geldes und von der Aufgabe der Verwaltung aus, und die letztere empfängt auf diese Weise ihre rationellen Grundsätze durch die Er- kenntniß der Fehler, welche dieselben verletzt haben. Dieses nun tritt naturgemäß da ein, wo die organische Funktion des Geldes sich von dem unmittelbaren Umlauf der Güter losläßt, und als selbständiger wirthschaftlicher Proceß erscheint. Diese organische Funktion ist die Zahlung (des Preises.) Auf den niederen Stufen des wirthschaftlichen Lebens ist die Zahlung stets mit dem einzelnen Vertrage verbunden, und das Geld erscheint daher stets als Theil des Vertrages. So wie aber der Weltverkehr entsteht, wird die Zahlung für die einzelne Leistung unmöglich, die Zahlung der Rechnung tritt an die Stelle der Zahlung der Waare, und damit entwickelt sich ein selbständiger Geldumlauf, allerdings als Bedingung und Ausdruck des Güterumlaufs, aber äußerlich doch von demselben unabhängig. Das beginnt mit dem überseeischen Handel, entwickelt sich durch die Ma- schinenproduktion, und durchdringt zuletzt das ganze Volksleben im Creditwesen. Jetzt erscheint das Geldleben als ein vom Güterleben vollständig geschiedenes und selbständiges, und jetzt beginnt daher auch die Frage, ob und wie weit dasselbe seine wirthschaftliche Natur dem Willen der Gesetzgebung und Verwaltung unterwerfen kann. Diese Frage hat drei Grundformen und in ihnen zugleich aus naheliegenden Gründen die drei Stadien seiner Geschichte. Die erste Frage ist die, ob es die Prägung ist, die der Münze den Werth gibt; aus dieser Frage entsteht das Münzwesen und Recht; die zweite Frage ist die nach dem Verhältniß von Gold und Silber, aus welcher die Währung und ihr Recht entsteht; die dritte Frage ist die nach der für den Ver- kehr nothwendigen Summe Geldes, welche das Papiergeldwesen erzeugt. Jede dieser Fragen hat ihre Geschichte, ihre Gesetzgebung, ihre Literatur; dennoch bilden sie innerlich ein Ganzes mit seiner reichen Gesetzgebung und Literatur. Bei der Verschmelzung der volkswirthschaftlichen und verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkte im Geldwesen ist es schwer, den Gang der Literatur, welche hier am meisten die allmählige Entwicklung des Bewußtseins bedeutet, in feste Gestalt zu bringen. Doch sind die Hauptstadien folgende. Die Literatur beginnt mit dem Verständniß des eigentlichen Münzwesens — italienische Epoche; die zweite Epoche fängt an mit der Frage nach dem Papiergeld durch J. Laws Considérations sur la Monnaie, die mit Riccardo’s Schrift On the high price of bullion (1808) eine streng wissenschaftliche Gestalt empfängt; von da an beginnen die deutschen Arbeiten mit Büsch , an das Bankwesen anlehnend, Hoffmanns Lehre vom Gelde 1838 und Soetbeers Untersuchungen über Gold und Silber, letztere namentlich angeregt durch den Kampf gegen die Silberwährung, der in England praktisch, in Frankreich bis auf die neueste Zeit theoretisch geführt wird (M. Chevalier und Wolowski) während die deutsche Nationalökonomie alles durch einander wirft, und fast nur Rau den Stand- punkt der Verwaltung in seiner Volkswirthschaftspflege festhält. Es ist aber kein Zweifel, daß wir gegenwärtig einer definitiven Klärung in Gesetzgebung und Wissenschaft entgegen gehen. I. Das Münzwesen. Die Münze ist das Geld, insofern dasselbe an der Substanz der edlen Metalle Maß und Gewicht empfängt. Das System der Münzen wird daher das Maßsystem des Werthes für sich betrachtet. Die Her- stellung dieses Maßsystems in den Münzen ist, als Aufgabe der Ver- waltung, das Münzwesen . Die allgemeinen Grundlagen des Münzwesens sind folgende. Die Münze bedarf eines Grundgewichts ; die Eintheilung des Grundgewichts ist die Stückelung; das System der Stückelung ist der Münzfuß ; die Münze des Münzfußes ist die Hauptmünze . Die Prägung ist die durch die Münzstempelung vollzogene staatliche An- erkennung, daß die geprägte Münze wirklich so viel Edelmetall enthält, als der Münzfuß fordert. Die technischen Elemente der Prägung for- dern die Legirung (Schrot zum Korn) und lassen ein Minimum der Abweichung vom Münzfuß, das Remedium zu. Der Umlauf der Münze erzeugt mit der Abreibung einen Werthverlust, der durch be- ständige, aber geregelte Umprägung aufgehoben wird. Die Ge- stehungskosten der Prägung können als Schlagschatz von jeder Münze abgezogen werden. Die Münzen aus unedlem Metalle sind die Scheide- münzen, mit eigenem Münzfuß. Dieß sind die formalen Grundbegriffe des Münzwesens. Das rechtliche Princip ist das der Regalität . Auch die Nach- ahmung vollkommen richtiger Münze ist ein volkswirthschaftliches Ver- brechen. Das Verwaltungsprincip besteht nun offenbar einfach darin, in jeder einzelnen Münze die höchste Genauigkeit des Maßes herzustellen, da auch die geringste Abweichung durch den unendlich wiederholten Gebrauch derselben im Zahlungsproceß eine große und allgemeine Störung des Werthes hervorruft. Grundgewicht und Münzfuß sowie die Stückelung sind an sich gleichgültig, und gewinnen erst Bedeutung, wo der Weltverkehr die Münzsysteme der Völker in allgemeine Berüh- rung bringt. Die Scheidemünze behält unter allen Umständen den Charakter einer örtlichen Münze. Mit diesen an sich höchst einfachen Begriffen wäre nun das ganze Münzwesen rein der ausführenden Technik der Münzämter überwiesen, wenn sich nicht im Laufe der Geschichte zwei Fragen ergeben hätten, durch welche eigentlich die Welt erst zum Bewußtsein der hohen Be- deutung des Münzwesens gekommen ist. 1) Offenbar ist die Voraussetzung jeder Geltung der Münze die Prägung. Daraus ist auf den unteren Stufen der wirthschaftlichen Bildung die Meinung entstanden, daß es auch die Prägung sei, welche der Münze den Werth gebe. Die Consequenz davon war der Versuch der Regierungen, bei eintretendem Geldmangel den Münzfuß zu ändern, und theils zwar offen, indem man das Grundgewicht in mehr Theile theilte, aber der so entstandenen leichteren Hauptmünze den Werth der schwereren gesetzlich beilegte, obwohl sie ihn faktisch nicht hatte; theils heimlich, indem man ohne Gesetz mehr Münzen aus dem Grundgewicht schlug, als der Münzfuß zuließ. Damit begann jener merkwürdige Kampf der Regierungen mit der höheren Natur des Geldes. Die letztere ließ sich aber nicht bewältigen. Der Verkehr, der ohne einen festen Maßstab des Werthes nicht bestehen kann, ließ die gesetzlichen Werthbestimmungen der Münze fallen, und berechnete sie sofort durch Reducirung ihres wirklichen Feingehalts auf das Grundgewicht nur nach dem letzteren, während da, wo einmal ein leichter Münzfuß ge- setzlich eingeführt war, und der alte Name der Hauptmünze daher auch für die neue leichtere Münze blieb, der Nominalpreis der Güter stieg, während ihr Werth der gleiche blieb. So gewannen die Regierungen nichts, da sie immer mindestens dasselbe Quantum edler Metalle, wenn auch in anderer Form, zahlen mußten; der Verkehr aber verlor die Sicherheit seines Werthmaßstabes, und der Nachtheil dieses Ver- lustes war für das Gesammtleben ein so großer, daß endlich mit unserem Jahrhundert die absolute Unverletzlichkeit der höchstmöglichen Genauigkeit der Ausbringung für alle europäischen Staaten feststeht. Die Geschichte des Münzwesens ist bis auf die neueste Zeit fast nur die Geschichte dieses merkwürdigen Kampfes zwischen Staat und National- ökonomie, in welchem die letztere den entschiedenen Sieg davon trägt. Aus demselben Princip ist mit dem neunzehnten Jahrhundert der Schlagschatz aufgehoben; die Gestehungskosten der Münze sind jetzt Verwaltungskosten, da der Werth der absolut genauen Ausbringung größer ist als der eines Ersatzes der Prägungskosten durch Abzug am Münzgehalt. 2) So lange nun die volkswirthschaftliche Bewegung mit ihren Zahlungen eine innere ist, bewegt sich das ganze Münzwesen noch fast ausschließlich auf dem Gebiet jener ersten Frage. So wie aber, wie namentlich in unserem Jahrhundert, der Völkerverkehr mächtiger wird, entsteht das Bedürfniß, mit der Münze des einen Landes eine Forde- rung des andern möglichst leicht zahlen zu können. Die erste technische Bedingung dafür ist nun natürlich die möglichste Gleichheit erstlich an Grundgewicht, dann im Münzfuß, endlich in der Legirung. Der erste und zweite Punkt schließen sich an die werdende Einheit des Maß- und Gewichtssystems, der dritte an das Währungswesen und seine Geschichte. Als erster Schritt dazu muß daher die Identificirung des Grundgewichts und der Stückelung mit dem gesammten Maß- und Gewichtssystem, als zweiter der Versuch des internationalen Währungs- wesens erscheinen. Das nun wieder steht im engsten Zusammenhang mit dem Verhältniß zwischen Gold und Silber. Je weiter aber der einheit- liche Verkehr der Völker unter einander fortschreitet, je nothwendiger wird ein solches internationales Münzwesen. Nur muß man auch hier die Grundsätze festhalten, die für Maß und Gewicht gelten. Das künftige internationale Münzwesen braucht nicht das ganze Münzwesen der Völker zu umfassen, sondern nur denjenigen Theil, der eben für den internationalen Verkehr bestimmt ist. Nun ergibt sich, daß dieser Theil naturgemäß in den Goldmünzen besteht. Es folgt daraus die Grund- lage für das ganze internationale Münzwesen der Zukunft; das System der Goldmünzen muß auf internationalen Prägungsordnungen beruhen; die Silbermünzen fordern nur eine Landesmünzordnung; die Scheidemünzen sind ihrem Wesen nach dem örtlichen Münzwesen zu überweisen. In der That nun entspricht der Gang der Geschichte in Europa im Großen und Ganzen diesen in der Sache selbst liegenden Elementen, und die große Münzliteratur, welche dieselbe begleitet, hat dabei nur die Aufgabe, jene Gesetze und Verhältnisse zum Bewußtsein zu bringen. Die Epoche des örtlichen Münzregals, die bis zum siebenzehnten Jahrhundert dauert, ist die Zeit der völligsten Verwirrung im Münz- wesen Europas; das achtzehnte Jahrhundert ist die Zeit, in welcher der Werth und die Nothwendigkeit eines festen, selbst für die höchste Staatsgewalt unantastbaren Münzsystems klar und gesetzlich anerkannt wird; das gegenwärtige Jahrhundert hat dann den großen Versuch begonnen, ein internationales Münzwesen durch Verträge zu erzeugen, was dann wieder, wie die Natur der Sache es fordert, fast nur noch für das Goldmünzensystem der Staaten in Geltung gelangt ist. So sind wir auch hier noch in erster Entwicklung begriffen, und die Münz- literatur behält die Aufgabe, durch theoretische Reducirung der ver- schiedenen Systeme auf das gleiche Gewicht die Ausgleichung der Werthe der Münzen im Verkehre möglich zu machen. Diese ganze historische Bewegung des Münzwesens hat nun in den verschiedenen Staaten wieder eine verschiedene Gestalt. Das Princip der örtlichen Entwick- lung ist dabei, daß die Münzordnung in dem Grade sich bestimmter und fester entwickelt, in welchem die königliche Gewalt die feudale Selbständigkeit der Territorien überwältigt, während die europäische Einheit des Systems ihrerseits sich der Ausbildung des Eisenbahnsystems und Eisenbahnverkehrs der Länder unter einander anschließt. Der Grund, weßhalb es so schwierig ist, sich über den Gang der Geld- und Münzfrage in Europa klar zu werden, besteht theils in der beständigen Verschmelzung der Frage nach Werth und Geld, theils in der Verschmelzung des Münzwesens mit der Währung und dem Papiergelde; dabei gehört die Literatur über diese Gegenstände ganz Europa, während die Gesetzgebung in jedem Lande eine verschiedene ist. Wir scheiden sie. Die italienische Literatur beginnt eigentlich mit der reinen Münzfrage ( Blanqui , Hist. de l’Econ. pol. ). Die systematische Auffassung fängt erst mit dem Merkantilsystem an. Der Charakter dieser ganzen Richtung ist der bei allem noch unfertige Versuch, den Werth vom Gelde zu scheiden , ohne daß man zu einem definitiven Resultat gelangt. Beginn: Locke , Considerations of the cons. of raising the interest and of raising the value of money 1691. Law , Considérations sur le numéraire (Coll. d’Econ. s. unten bei Papiergeld). So entsteht die Gestalt, welche wir die Lehre vom „Werthe des Geldes“ nennen wollen, und die namentlich Ad. Smith I. 4 entwickelt. Erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts trennt sich das Münzwesen vom Geldwesen und zwar namentlich in Deutschland; während die deutsche National- ökonomie, vollständig von Ad. Smith beherrscht, die obige Unklarheit beibehält, entsteht die selbständige Lehre vom Münzwesen theils in der selbständigen Theorie der Mün ztechnik (Busse, Krünitz), theils in dem ersten Entstehen einer ratio- nellen Mün zpolitik. Justi (Polizeiwissenschaft 6. Bd. 24. Hauptst.) sieht schon, daß 1760 der Umlauf des Geldes von dem Umfang des Waarenverkehrs be- dingt wird. „Ja, wenn die Völker Europas wahrhaftig weise wären, so sollten sie sich in einem Friedensschluß über ein gemeinsames Markgewicht von einerlei Schwere und Eintheilung vergleichen, das in allen Staaten Europas auf das Genaueste übereinstimmt.“ Vom engeren praktischen Gesichtspunkte Büsch , Grundsätze über Münzpolitik 1779, theils im Anschlusse daran, in der Frage nach dem Mün zregal , seinem Zustand, seinen Folgen und seinem rechtlichen Inhalt ( Klüber , das Münzwesen in Deutschland 1828 — erste wissenschaftliche Behandlung der Geschichte des Münzrechts), theils indem die Polizeiwissenschaft das Münzwesen selbständig behandelt ( Jacob , Polizeiwissenschaft 611 ff. Lotz , Staatswirthschaftslehre II. §. 113); selbständig, aber mit specieller Beziehung auf das preußische Münzwesen Hoffmann (Lehre vom Gelde 1838 und kleinere Arbeiten), Rau nimmt dann das Gebiet in die Volkswirthschaftspflege auf II. 232 ff., während Roscher I. 117—127 wieder alles durch einander wirft. Ueber Begriff und Recht des Geldes: Goldschmid , Handbuch des Handelsrechts I. Abth. VI. S. 1060 ff., reiches Material, viel Recht, wenig Volkswirthschaft. Die neueste Zeit hat dann die Münzfrage der Währungsfrage und zwar theils in Beziehung auf Gold und Silber, theils auf Papiergeld theoretisch unter- geordnet ( Enquête sur la Monnaie fiduciaire 6 Bde. 1869) mit reichem aber durchaus ungeordnetem Material und vielen selbständigen Aufsätzen; daneben aber schreitet die Einheit des Münzwesens, und zwar noch geschieden vom Währungswesen, durch internationale Verträge fort: Vertrag vom 19. Febr. 1857 für Deutschland; der große Goldmünzungsvertrag zwischen Frankreich, Belgien, Italien und der Schweiz vom 23. Dec. 1865, aus welchem die inter- nationale Münzconferenz zu Paris 1867 zwischen Frankreich, Oesterreich, Preußen, Belgien, Holland, Dänemark, Ver. Staaten, Großbritannien, Griechen- land, Italien, Rußland, Schweden und Norwegen, Schweiz, Türkei und den deutschen Staaten hervorging, deren Zweck allerdings neben der Goldmünz- einheit die Herstellung der einheitlichen Goldwährung war; daneben eine reiche Literatur über die Nothwendigkeit und den Werth der Münze inheit für Europa. Grundlage: Forderung nach völliger Gleichheit in Grund- gewicht, Stückelung, Ausbringung und Umprägung zunächst der Goldmünze als Völkerverkehrsmünze; erst wenn dieß geschehen, kann die Währungseinheit (für Geld) sich entwickeln. Sehr gut: Gschwendner , zur allgemeinen Münz- einheit 1869 (vergl. besonders zur Orientirung Beil. I. S. 172). Dazu Ein- führung des Decimalsystems im Münzwesen von Spanien (Gesetz vom 26. Juni 1864); jedoch auch hier die Währungs- nicht von der Münzfrage gehörig ge- schieden; die Papiergeldfrage ist nicht in Betracht gekommen. Was nun die Gesetzgebung betrifft, so ist sie in England von jeher sehr einfach und klar gewesen, in Frankreich ist sie es seit der Revolution geworden, in Deutschland dagegen arbeitet sie noch jetzt nach Einheit und System. Das definitive Münzsystem Englands durch 14. G. III. 92 und 56. G. III. normirt. Mün zrecht Gneist , Verwaltungsrecht §. 67. MacCulloch , Dict. s. Münzen. Rau §. 214. Das Münzwesen Frankreichs im innigsten Anschluß an das Maß- und Gewichtssystem; der Frank als Hauptmünze seit Gesetz vom 18. Germ. III; die Goldmünzung seit 1848 und 1854 erweitert (Stücke zu 5 und 100 Fr.) das Prägungswesen durch eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen bestimmt. Material und Literatur bei Block , v. Monnaies. Das deutsche Münzrecht: Klüber , öffentliches Recht §. 416 ff. — Preußen : erste allgemeine Ordnung von 1750; dann Gesetz über die Münzverfassung des preußischen Staates von 1821; erste Münzconvention von 1838; Münzvertrag vom 19. Febr. 1853. Rönne , Staatsrecht II. §. 430. — Oesterreich : das gegenwärtige Münz- system auf Grundlage des Vertrags von 1857 neu geregelt als „österreichische Währung“ durch Patent vom 19. Sept. 1857. II. Das Währungswesen. Offenbar nun genügt auch das beste Münzwesen nicht allein. Der Verkehr fordert mit Recht, mit einer bestimmten Münze in der Weise seine Zahlungen machen zu können, daß derselben ein bestimmtes, ge- setzlich anerkanntes Zahlung srecht und ein gesetzlicher Zahlung swerth beigelegt werde, da ohne beide jede Zahlung von der Willkür des Gläubigers abhängen würde. Dies Recht und dieser Zahlungswerth, oder die gesetzliche Zahlungsfähigkeit ist nun die Währung , und die darauf bezüglichen Bestimmungen bilden das Währungswesen . Die Währung ist nun an sich gegen die Prägung gleichgültig; allein es ist naturgemäß, daß zunächst die Landesmünze und ihr System die Währung besitzen. Das Mittelalter, das Geld und Werth nicht zu scheiden vermochte, kam dadurch zu der Meinung, daß die ge- setzliche Währung auch die Fähigkeit besitze, der Münze einen beliebigen wirthschaftlichen Werth zu geben, woraus die Münzverschlechterungen hervorgingen. Erst mit dem achtzehnten Jahrhundert erkannte man, daß der gesetzlich ausgesprochene Zahlungswerth der Münze nur dann im Verkehr Gültigkeit behalte, wenn er mit dem wirthschaftlichen Werth möglichst genau übereinstimme. Von da an verschwinden daher aus dem gesetzlichen Währungswesen die Versuche, über den Werth der Münzen Bestimmungen zu treffen, und dasselbe, auf das Zahlungs- recht sich strenge beschränkend, entwickelt nunmehr ein neues und selb- ständiges System. Dieses System schließt sich nun zuerst an den Unterschied der bei- den edlen Metalle und so entsteht die Frage nach der Gold - und Silberwährung , mit der die Frage nach der Währung der Scheide- münze unmittelbar zusammenhängt. Der große Weltverkehr erzeugt dann die Frage nach der internationalen Währung, deren Basis allerdings die Annahme eines internationalen Münzwesens ist. Das entstehende Papiergeld endlich erzeugt dann den Unterschied zwischen Staatsw ährung und Verkehrsw ährung, in welchem die erstere das Recht auf Zahlung bei den Staatskassen, die letztere das Recht auf Zahlung im Verkehr bedeutet; die erstere nennen wir deßhalb die halbe , die zweite, die ohne die erstere nicht denkbar ist, die volle Währung. Diese Papierwährung ist aber ihrerseits nur als Theil des Papiergeld- wesens überhaupt zu verstehen, und so bildet die Metallwährung das eigentlich selbständige System des Währungswesens. Dieses gegenwärtige Metallwährungswesen muß nun als ein histo- rischer Uebergangspunkt zu dem definitiven Währungswesen angesehen werden, dem wir unzweifelhaft entgegen gehen. Ursprünglich war alle Währung Silberwährung ohne eine besonders geschiedene Scheidemünzwährung. Die Goldmünze war Waare, ohne Zahlungsrecht und Zahlungswerth. Mit dem wachsenden Völkerverkehr wird vermöge seiner Natur die Goldmünze mehr und mehr zuerst ein internationales Zahlungsmittel. Als einerseits die industrielle Pro- duktion und Consumtion sich entwickeln, und andererseits der ostindische Handel die Zahlungen nach dem Orient in einem steigenden Maße hebt, vermag die Masse des Silbers allmälig auch dem Zahlungsbedürfniß des inneren Verkehrs nicht mehr zu genügen, und das Gold wird da- her neben dem Silber zur umlaufenden Münze, die in dem Grade unentbehrlicher wird, in welchem der überseeische Verkehr das Silber absorbirt, und die fortschreitende Gesittung den Geldbetrag auf den Kopf der Bevölkerung steigert. Damit wird nun auch für die Gold- münze nicht bloß eine genaue und strenge Münzung, sondern auch die Währung nothwendig, und so entstehen jetzt drei Währungssysteme: die Goldw ährung, welche die Silberwährung nur noch als Scheide- münze mit kleiner Verkehrswährung neben sich aufnimmt, die Doppel- währung , welche die Gold- und Silberwährung zugleich anerkennt, und daher stets gezwungen ist, einen gesetzlichen Zahlung swerth neben dem Zahlungsrecht für das Werthverhältniß beider Metalle aufzustellen, und die Silberwährung , in der die Goldmünze noch Waare ohne Zahlungsrecht, und mit bloßem Verkehrswerth ist. Es ist nun kein Zweifel, daß dieselben Gründe, welche die Goldwährung erzeugt haben, sie auch allmälig bei allen Völkern des Weltverkehrs einführen werden, da die Masse des Silbers anerkannt sich vermindert, und für den Münzbedarf nicht mehr ausreicht. Die Goldwährung erscheint daher als natürliche Währung des Völkerverkehrs, die Silberwährung als die des inneren Verkehrs, so zwar, daß dem entsprechend die Münzung des Goldes Sache der Völkerverträge, die Münzung des Silbers Sache der einheimischen Gesetzgebung bleibt. Die einzige Frage ist dabei die über die Modalitäten der Einführung der Goldwährung. Die lei- tenden Grundsätze dafür sind: 1) das Gold muß bereits als Verkehrs- zahlungsmittel bekannt sein, ehe man ihm die Währung gibt; 2) man muß ihm zuerst nur die halbe, und dann die volle Währung geben; 3) die Einlösungen des Papiergeldes und die Verzinsung der Staats- schulden in Gold gleichfalls der Verkehrswährung voraufgehen; 4) mit Uebergehung jeder Doppelwährung dem Silber als Scheidemünze seinen eigenen leichteren Münzfuß und seine eigene Scheidemünzwährung bei- legen. Man wird den großen theoretischen Streit zwischen Gold und Silber nur dann richtig beurtheilen, wenn man sich dem Obigen gemäß darüber einig ist, daß die Frage überhaupt keine rein wissenschaftliche, sondern ausschließlich eine Frage der Statistik des Goldes und Silbers, und der sich daraus regelnden Zweckmäßigkeit der Einführung der Geldwährung ist. Die Frage selbst stammt aus der neueren Zeit; die bisherige Nationalökonomie hat sie so gut als gar nicht berücksichtigt. Die Heimath des Streits ist Frankreich wegen seiner Doppelwährung. (M. Chevalier , De l’Or 1866; Wolowsky , Question monétaire 1867); beide machen viel zu sehr einen theoretischen Streit daraus. Dagegen hat Soetbeer „die Goldfrage und deren Einfluß auf die Handel treibenden Länder“ (Zeitschrift für Staatswissenschaft, Bd. 18), den einzig richtigen Standpunkt der statistischen Behandlung durchgeführt, und die entscheidende Thatsache festgestellt, daß die Silberausfuhr seit den letzten Jahr- zehnten die Silberproduktion und Einfuhr in Europa übertroffen hat; daß demgemäß, unter Mitwirkung der neuen Goldentdeckungen, das Silber im Verhältniß zum Golde gegen 3½ Procent theurer geworden, und daher mehr und mehr aus dem Verkehr verschwunden ist, und daß der Uebergang zur Goldwährung dadurch unabweisbar wird. Speciell für Gold: H. Contzen , Geschichte des Goldes und der Goldwährung 1868. Die Frage selbst schon in der Münzconferenz in Wien 1855 und 1856 in Hamburg untersucht; die Handelstage von 1862 und 1865 haben sie einseitig vom Standpunkt der deutschen Münzeinheit betrachtet. Das gegenwärtige Metallwährungssystem der Hauptstaaten ist folgendes: Vereinigte Staaten : Doppelwährung eingeführt durch Congreßakte vom 18. Jan. 1837 und 21. Febr. 1853; Sistirung der Ausprägung des Silberdollars; ½ Dollar als Scheidemünze; Goldwährung mit 5 Dollar als Hauptmünze. Frankreich : Doppelwährung durch Bericht von Mirabeau angenommen, 12. Dec. 1790; definitives Währungsgesetz vom 28. März 1803, mit festem Werth zwischen Gold und Silber; Streit über die Goldwährung seit 1849; Commission von 1854 ohne definitives Ergebniß (vgl. Soetbeer a. a. O. 32 ff.). Italien : Einführung der französischen Währung und Münzsystems seit Gesetz vom 26. Okt. 1826. Schweiz : Vor 1848 rein lokales Münz- und Währungssystem; die Bundesverfassung von 1848 hebt die Münzhoheit der Cantone auf (Gesetz vom 7. Mai 1850); Einheit des Systems und Silberwährung. Seit 1858 Frage der Goldwährung. Darauf Gesetz vom 31. Jan. 1860; Einführung der Gold- währung mit Silberwährung bis 20 Franken. Belgien : Streit über die von Holland überkommene Silberwährung seit 1837; Versuche der Erhaltung der letzteren (Gesetz vom 11. August 1854); Seltenheit der Silbermünzen, Bericht von 1859, und Einführung der Gold- währung (Gesetz vom 4. Juni 1861). Portugal : Bis 1854 Doppelwährung, durch Münzgesetz vom 1. August 1854 Goldwährung eingeführt. Holland : Altes Münzgesetz vom 28. Sept. 1816. Nach vielem Kampf darüber die Silberwährung 1850 definitiv angenommen. — Ebenso für Britt. Ostindien die Silberwährung durch Gesetz vom 1. August 1855 aus- schließlich angenommen. Die deutschen Staaten durch die Münzverträge von 1857 Silberwährung; Bremen Goldwährung. Erster wesentlicher Schritt zur Goldwährung die internationale Commission von 1867 in Paris ( Gschwendner , Münzeinheit I. II.; Contzen a. a. O. S. 18 ff.). III. Das Papiergeldwesen. Das ganze Gebiet des Papiergeldwesens ist theils durch die histo- rische Entwicklung, theils durch die Verschmelzung mit Credit- und Bankwesen, und theils durch den Mangel des selbständigen Gesichts- punktes für die Verwaltung und ihre Aufgabe so verwirrt, daß die volkswirthschaftliche Definition des letzteren unabweisbar vorauf gehen muß, um zu einem bestimmten Resultate zu gelangen. Die Grundlage des letzteren ist die scharfe Scheidung zwischen Kreditpapier und Papiergeld. Der Mangel an Geld, die Kosten und Schwierigkeiten der Zah- lung in Münze und das natürliche Princip der Compensation erzeugen ohne alles Zuthun der Verwaltung als naturgemäßen Ersatz der Münze Werthscheine, Anweisungen aller Art, als ein die Münzzahlung ver- tretendes Zahlungsmittel. Da nun dieses Zahlungsmittel aus dem Verkehr der gegenseitig Verpflichteten in den Verkehr Dritter übergeht, welche sich desselben in der Ueberzeugung der Zahlungsfähigkeit der Verpflichteten als gegenseitiges Zahlungsmittel bedienen, entsteht das System der Noten , welche an sich weder Münze noch Geld, sondern Creditpapiere sind. Allerdings stehen auch sie unter der Verwal- tung des Creditwesens, sie haben aber mit dem Geldwesen gar nichts zu thun . Ihre Bedeutung für das letztere beruht nur darauf, daß sie die Form des eigentlichen Papiergeldes abgeben. Denn so wie einmal die Noten in den Verkehr treten, gewinnt mit ihnen der Staat die Möglichkeit, entweder solche Noten, obwohl sie nicht von ihm ausgegeben werden, als Geld anzuerkennen, indem er ihnen die Währung verleiht , oder selbst Noten mit gesetzlicher Währung auszugeben: Banknoten, Staatsnoten. Solche, mit einer gesetzlichen Währung versehene Noten heißen Papiergeld , und die Grundsätze, nach welchen die Verwaltung für die Ausgabe solchen Papiergeldes sich zu richten hat, bilden das Papiergeldwesen . Kein Werthzeichen ist daher Papiergeld, welches nicht gesetzliche Währung hat; jedes Werthzeichen wird zum Papiergeld durch die Währung ; die bloße Fähigkeit, die Funktion der Metallmenge als Zahlungsmittel im Verkehr, ganz gleich ob gut oder schlecht, zu übernehmen, macht aus dem Creditpapier kein Papiergeld, eben so wenig wie die Oberaufsicht über das Notenwesen, und wie die faktische Annahme der Noten bei den Staatskassen, oder gar die bloße Con- cession von Banken mit Notenausgabe. Sondern zum Papiergelde gehört die ausdrückliche gesetzliche Verleihung mindestens der halben Währung. Und jetzt erst ist es klar, daß die Papiergeld- frage nichts anderes ist, als die Frage, unter welchen Bedingun- gen der Staat einer Note diese Währung verleihen soll . Diese Bedingungen liegen nun nicht etwa in dem Begriff des Geldes an sich oder des Werthes, wo man sie zu suchen pflegt, sondern vielmehr in der durch den Preis der Münze ausgedrückten Höhe des Münzbedarfs im Verkehr . Der Grundsatz für die Bemessung dieser Höhe muß folgender sein. Das Steigen des Münzbedarfs zeigt sich in dem Preise, der für den Gebrauch der Münze zur Zahlung gezahlt werden muß. Steigt dieser Preis für das Zahlungsmittel im Verkehr , so schafft sich der Verkehr selbst ein seinem Bedarf entsprechendes Verkehrszahlungs- mittel in den Noten. Steigt er aber auch für die nothwendig in der Währung zu leistenden Zahlungen, wie bei Steuern, Kündigungen, Hypotheken, bis zu dem Grade, daß bei voller Sicherheit für das Geld zu solchen Zwecken mehr als 6 Procent (5 Procent Zins, 1 Pro- cent Provision) regelmäßig gezahlt werden muß, so ist zu wenig Geld vorhanden, und das Fehlende kann für diese Zwecke nicht mehr durch die Thätigkeit der Einzelnen geschaffen werden. Hier muß daher die Verwaltung eintreten, und das Papiergeld schaffen, indem sie der Note die Währung gibt, und so entsteht das Papiergeldwesen als Ver- mehrung nicht der Zahlungsmittel überhaupt , welche der Selbsthülfe des Creditwesens zu überlassen ist, sondern als Vermehrung der mit Währung versehenen Geldmasse des Staats für diejenigen Zahlungen, welche der Währung bedürfen . Steht dieß Princip nun fest, so entsteht die zweite Frage nach der Quantität des auf diese Weise nothwendig gewordenen Papiergeldes. Denn das richtige Maß des letzteren ist zwar nicht mehr die Bedingung seiner rechtlichen, wohl aber seiner wirthschaftlichen Fähigkeit, seines Werthes, als Münze zu functioniren. Gibt der Staat zu wenig aus, so nützt er nicht, gibt er zu viel aus, so sinkt der Werth der Note, und tritt mit dem Rechte derselben, mit seinem Nominalbetrag als Zahlung gebraucht zu werden, in Widerspruch, und Werthordnung und Zahlungswesen sind gleichmäßig gestört. So wie daher der Verkehr seine Abneigung gegen Papiergeld, der durch den Mißbrauch desselben entsteht, überwunden hat, tritt die Frage nach der richtigen Quantität in den Vordergrund. Die Schwierigkeit sie zu beantworten, liegt als- dann im Anfange stets in der Vermischung mit der Frage nach der richtigen Fundation der Banknoten, die man vom Papiergeld nicht zu unterscheiden vermag, und das ist noch gegenwärtig der allgemeine Standpunkt in der Behandlung der Sache. Scheidet man sie aber, so erscheinen folgende allgemeine Grundsätze. Da der Staat nie die Geldmasse als solche, sondern nur das Währungsgeld vermehren soll, so muß er die Quantität des Papier- geldes nach den beiden Punkten bemessen, wo eben das Währungsgeld erscheint. Das sind die Steuern und die Hypotheken . So lange noch die Steuern zur Hälfte mit Metall gezahlt werden, ist die Summe des ausgegebenen Papiergeldes nicht zu groß; ebenfalls ist sie nicht zu groß, so lange bei voller Sicherheit nicht mehr als 5 Procent Zins gezahlt werden. Sinkt die Metallzahlung bei den Steuern unter ein Drittel, oder steigt der Zinsfuß über 6 Procent, so ist die Quantität des Papiergeldes so groß, daß sein wirthschaftlicher Werth gefährdet ist. Und zwar beruht das darauf, daß dieser Werth des Papiergeldes von der Möglichkeit abhängt, anstatt der Metallwährung verwendet zu werden; es ist klar, daß diese Möglichkeit im umgekehrten Verhältniß zu ihrer Quantität steht. Damit dieß Verhältniß nicht gestört werde, soll der Staat nie den bloßen Noten die Steuerwährung geben. Ist aber einmal das Metall durch Emission von Papiergeld aus dem Verkehr verdrängt, so hilft nur noch die Einführung einer neuen Währung, und die strenge Festhaltung des Grundsatzes, nur noch für Gold- und unter keiner Bedingung für Silbermünze Papiergeld aus- zugeben. Die Gesammtheit dieser Grundsätze bilden das System der Steuerfundation , die also ganz andere Grundsätze hat wie die Bankfundation, und nur dann mit der letzteren verbunden werden sollte, wenn die niedrigste Staatsnote so hoch ist, daß sie bei der überwiegenden Mehrzahl der Steuern nicht in Anwendung kommt. Es ist nicht thunlich, von einer selbständigen Literatur des Staatspapier- geldes zu sprechen, da dieselbe bisher durchstehend die Creditpapiere und das Papie rgeld vermengt. Der Grund liegt darin, daß England und Frankreich, als die Heimath des Creditpapiers, gar kein reines Staatspapiergeld haben, und daß Deutschland, welches allein das letztere besitzt, auch hier in seiner Theorie gänzlich von der englischen und französischen Literatur abhängig ist. Der von mir dargestellte Unterschied von Steuerfundation und Bank- fundation , so klar er ist, ist eben deßhalb unbeachtet geblieben. Stein , Volkswirthschaftslehre, S. 57 ff. Am meisten Verständniß noch in Wagners Schriften: die Geld- und Credittheorie der Peel’schen Bankakte 1862 und Her- stellung der österreich. Nationalbank 1862. Hier können nur die Grundsätze Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 16 der Verwaltungslehre Klarheit bringen. Die beiden Beispiele des eigentlichen Staatspapiergeldes: die preußischen Kassenscheine , bloß mit halber Währung und reiner Steuerfundation, die österr. Banknoten , welche die Steuer- fundation mit der Bankfundation verbinden, und die Staatsnoten , welche nur Steuerfundation haben; letztere beide Arten haben dagegen die volle Staats- und Verkehrswährung. Daneben ist durch Erlaß vom 4. März 1866 auch den Coupons der Staatsobligationen die Staatswährung gegeben (Steuerzahlungsmittel an allen Kassen). Damit ist der Unterschied zwischen halber und voller Währung eine der praktischen Finanzwelt vollkommen bekannte Thatsache; der Theorie ist sie noch immer unbekannt geblieben. Allerdings gestaltet sich auf dieser Basis nun auch das ganze Creditpapier- wesen als Theil der Verwaltung ganz anders, als in der gewöhnlichen Theorie. IV. Das Inhaberpapier. Während nun das Geld in seinen verschiedenen Formen den Werth an sich darstellt und im Umlauf erhält, erscheint das Inhaber- papier da, wo der Werth eines bestimmten Gutes oder einer bestimmten Leistung Gegenstand des allgemeinen Verkehrs wird. Die Form, in der dieß geschieht, ist das Werthpapier als Beweismittel des Eigen- thums an dem vom Gute getrennten Werth. So wie man überhaupt den Werth als von jedem Gute trennbar und somit als selbständigen Verkehrsgegenstand erkennt, hat das Verständniß der Sache keine Schwierigkeit. Im Beginne des Verkehrs indeß erscheint der Umlauf des Werthes durch das Werthpapier im obigen Sinne stets als Ueber- tragung desselben an eine bestimmte Person, und setzt daher einen Ver- trag und somit den Beweis des geschlossenen Vertrags voraus, der durch den Beweis des auf Annahme des betreffenden Werthpapieres be- stimmten Aktes zu führen ist. In den höhern Stadien der wirthschaft- lichen Entwicklung dagegen löst sich der Werth der Güter, Leistungen und Unternehmungen vollständig von demselben los, und wird dann selbständig Gegenstand des Verkehrs. Es ist kein Zweifel, daß darin eines der mäch- tigsten und wichtigsten Elemente des wirthschaftlichen Fortschrittes besteht; allein die erste Bedingung dafür ist, daß dieser Werth die Natur und damit auch das Recht des Geldes empfange, so weit dieses durch die Natur des Werthpapieres möglich ist. Nun enthält des Werthpapier zwei recht- liche Hauptmomente: zuerst das Recht auf den Werth eines bestimmten Gutes, und dann die Berechtigung seines Besitzers auf diesen Werth. In der ersten Beziehung kann das Werthpapier, ohne sein Wesen zu verlieren, überhaupt nie die Natur des Geldes annehmen, das princi- piell nur den Werth an sich enthält; in der zweiten Beziehung da- gegen ist die Identificirung mit dem Gelde möglich; und diese geschieht, indem der Uebergang des Eigenthumsrechts nicht mehr von dem Be- weise eines bestimmten Erwerbsvertrages, sondern wie beim Gelde von der bloßen Tradition abhängig gemacht, und der Besitz daher mit dem Eigenthum identificirt wird. Damit entstehen nun zwei Grundformen des Werthpapiers: das eigentliche Werthpapier, bei welchem der Erwerb des Rechts auf den Werth durch einen bestimm- ten Akt bewiesen werden muß, der im Interesse des Verkehrs sehr vereinfacht werden kann, aber stets und unbedingt vorhanden sein muß (Wechsel und Giros in blanco, Papiere auf Inhaber) und das Inhaberpapier , bei welchem wie beim Gelde der Besitz das Recht des Eigenthums gibt, bis von Dritten ein Besitzerwerb vi, clam, pre- cario bewiesen wird. Die natürliche und für den Verkehr durchaus nothwendige Consequenz ist, daß auch der unrechte Besitzer dem Dritten volles Eigenthum überträgt, da das letztere eben durch den Besitz selbst gegeben ist. Ohne diese strenge Unterscheidung ist es unmöglich, zum Princip und System des Rechts beider Arten zu gelangen. Denn wie es jedem Nationalökonomen klar ist, daß im wirth- schaftlichen Leben die Funktion beider Arten wesentlich verschieden ist, so ist auch das Recht derselben ein durchaus anderes. Das Recht der eigentlichen Werthpapiere gehört ohne Zweifel in das Obligationenrecht, und ist eine ganz bestimmte Form des Ver- tragsrechts, das zwar im Interesse des Verkehrs Modifikationen an- nimmt wie beim Wechsel, aber im Princip unbedingt Privatrecht bleibt. Das Recht der Inhaberpapiere ist dagegen schon in seinem Princip ein öffentliches Recht, da nur die Verwaltung den Besitz mit dem Eigenthum im Gesammtinteresse modificiren kann, und das Privatrecht derselben beschränkt sich daher auf das Erwerbsrecht des Besitzes , ohne sich um den Unterschied von Besitz und Eigenthum zu kümmern. Daraus folgt das Rechtssystem beider Arten, dessen Unterschied zugleich den tiefgehenden des bürgerlichen und des öffentlichen Rechtswesens zeigt. Seine Hauptmomente sind folgende. 1) Die Ausstellung von eigentlichen Werthpapieren steht jeder- mann frei, da sie nur dem Einzelverkehr angehören. Die Ausstellung von Inhaberpapieren dagegen, durch welche der Werth auf den sie lauten, Inhalt des Gesammtverkehrs wird, kann nur unter Zustim- mung der Verwaltung geschehen, da der obige Rechtssatz dem Ein- zelnen die Möglichkeit nimmt, sich auf privatrechtlichem Wege gegen den Verlust des Werthes dieser Papiere zu schützen. Daher der Grundsatz der Concession und der Oberaufsicht bei Versicherungsanstalten und Sparkassen, deren Policen und Bücher jedem Ueberbringer ausge- zahlt werden. Eine Ausnahme davon bilden diejenigen Inhaberpapiere, die auf eine ganz bestimmte einzelne Leistung einer Unternehmung lauten (Fahrbillets, Entr é ekarten ꝛc.) 2) Bei eigentlichen Werthpapieren gilt daher auch die Haftung des Cedenten, wenn nichts anderes ausgemacht ist; bei Inhaberpapieren fällt wie bei dem Gelde diese Haftung naturgemäß hinweg. 3) Die Mortifikation (Amortisation) der eigentlichen Werth- papiere erzeugt nicht an und für sich das Recht auf Reproduktion derselben Papiere von Seiten des Gläubigers, bei den Inhaber- papieren dagegen ist dieselbe eine nothwendige Forderung des Verkehrs. Es ist wohl kühn, mit so wenig Worten einer so reichen Literatur und speciell so ausgezeichneten Werken wie Contze’s Inhaberpapieren gegenüber zu treten. Dennoch können wir nicht umhin, zu wiederholen, daß der Haupt- irrthum aller bisherigen Bearbeitung des Gegenstandes darin lag, das Wesen und den Inhalt eines öffentlich rechtlichen Instituts durch die Begriffe des Privatrechts verstehen zu wollen; der zweite nicht minder große Irrthum ist der, Werthpapiere und Inhaberpapiere beständig zu confundiren. Daß man die Natur der letzteren ohne Anschluß an das Wesen des Geldes und speciell des selbständigen Werthes hat erklären wollen, zeigt auch hier die Folgen davon, daß die beiden Gebiete der Güterlehre und der Rechtswissenschaft sich gegenseitig beinahe gänzlich unbekannt sind. Vierter Theil . Das Creditwesen. Begriff und Wesen des Credits. Mit dem Creditwesen betreten wir nun einen ganz anderen Boden. Um so wichtiger ist es, sich über die Grundlagen des Folgenden voll- kommen klar und einig zu sein. Während nämlich Verkehrs- und Umlaufswesen sich auf diejenigen Bedingungen der wirthschaftlichen Entwicklung beziehen, welche außer- halb der Einzelwirthschaft liegen, gehört der Credit sowohl wie das, was die Verwaltung für denselben thun kann, dem inneren wirth- schaftlichen Leben an. Der Credit ist nämlich die Fähigkeit der einen Wirthschaft, das Capital der andern zur Benutzung und zum Erwerb herbeizuziehen. Das Vertrauen auf die Zahlungsfähigkeit des Schuldners (objektives Moment) und die wirkliche Zahlungsfähigkeit (subjektives Moment) sind nur die zwei selbständig gedachten Elemente des wirklichen Credits. Der Credit ist daher zunächst Sache des Einzelnen. Er muß ihn selbst begründen und sich ihn selbst schaffen. Er ist daher an sich ein durchaus volkswirthschaftlicher Begriff. Eben deßhalb ist es von entscheidender Bedeutung, den Punkt zu bestimmen, auf welchem der Credit seine öffentliche Natur entwickelt. Es ist kein Zweifel, daß die Vertheilung der Fähigkeit, die Capi- talien zu benützen, eine andere ist, als die Vertheilung der Capitalien selbst. Es ist kein Zweifel, daß das Capital in den Händen des Fähigen sowohl für diesen, als für den weniger fähigen Besitzer, als endlich durch beides für die Gemeinschaft am meisten leistet. Eine der ersten Bedingungen der höchsten wirthschaftlichen Entwicklung ist daher dasjenige Element, welches beständig dahin arbeitet, die Verwerthung des vorhandenen Capitals den Erwerbfähigsten zuzuführen. Dieses Element ist der Credit. Es ist daher zunächst kein Zweifel, daß der Beginn der Entwicklung des Credits zugleich der Beginn alles volks- wirthschaftlichen Aufschwunges ist. Allein der Credit ist eben so sehr ein gewaltiger gesellschaftlicher Faktor. Der tiefste Widerspruch aller gesellschaftlichen Zustände beruht nicht darauf, daß die persönliche Fähigkeit kein Capital besitzt , sondern daß sie nicht im Stande ist, zur Benützung des ihr entsprechenden Capitals zum Zwecke des Er- werbs zu gelangen. Der Credit ist es, der diesen Widerspruch löst. Der Credit gleicht nicht das Eigenthum aus, sondern den Besitz. Er gibt nicht die Gleichheit im Capital, wohl aber die Gleichheit im Er- werb; er ist es, der, indem er das Recht bestehen läßt, zugleich die gleiche Berechtigung der wirthschaftlichen Kraft gegenüber der Ungleich- heit des Vermögens verwirklicht. Er ist damit die Quelle des Erwerbs und der Capitalbildung durch seine Vertheilung der Capital sbenützung nach der Tüchtigkeit und Thätigkeit der Persönlichkeit; durch ihn ge- langt jede Persönlichkeit zu so viel Capital, als sie zu besitzen wirklich werth ist; in ihm lebt daher an letzter Stelle etwas viel Höheres, als ein bloß wirthschaftliches Verkehrsverhältniß; er ist in der That die höchste Harmonie zwischen der unantastbaren Härte des Eigenthums- rechts und den unabweisbaren Forderungen der freien persönlichen Entwicklung; denn während das Capital zeigt, was jemand werth ge- wesen ist, gibt der Credit, was jemand werth ist . Der Credit ist daher bestimmt, durch seine wirthschaftlichen Gesetze die große sociale Frage des Gegensatzes zwischen Besitz und Arbeit zu lösen; in ihm lebt die Zukunft der Volkswirthschaft und die der Gesellschaft, und in diesem Sinne hat unsere Zeit vollkommen Recht, wenn sie in ihm den Schwer- punkt ihrer höchsten theoretischen und praktischen Aufgaben anerkennt. Ist dem nun so, so ist endlich auch kein Zweifel, daß Wesen und Organisation dieses Faktors nicht bloß mehr Sache der Einzelnen, des Creditgebers und Nehmers, sondern zugleich eine hochwichtige An- gelegenheit der Verwaltung ist. Das kann daher nicht mehr die Frage sein, ob das Creditwesen als ein organischer Theil des Ge- sammtlebens zu betrachten sei; die Frage, um welche es sich handelt, ist vielmehr die, auf welchem Punkte, in welchen Formen, und mit welchem Inhalt es der Verwaltung als Angelegenheit der Gemein- schaft angehört. Das wirthschaftliche und das öffentliche Creditwesen . a ) Der Organismus des wirthschaftlichen Creditwesens. Um nun zum Begriff des öffentlichen Creditwesens zu gelangen, muß man bei der Natur des wirthschaftlichen Credits beginnen. Jeder wirkliche Credit ist zunächst ein rein wirthschaftlicher Ver- kehrsakt, in welchem der Gläubiger ein Capital zur Benutzung hergibt, während der Schuldner nebst dem Capital den Werth dieser Benutzung als Zins erstattet. Die Differenz zwischen diesem Werth und dem da- für als Zins gezahlten Preis ist der Erwerb des Schuldners; der (arbeitslose) Zins ist der Ertrag des Capitals für den Gläubiger. Der Verkehrsakt, in welchem dieß festgestellt wird, heißt Darlehen . Das Darlehen empfängt seine drei Formen nach demjenigen Mo- ment, in welchem die Zahlungsfähigkeit des Schuldners, das ist also seine wirthschaftliche Fähigkeit lag, das Capital als Darlehen zu ver- mehren. Das erste dieser Momente ist die rein persönliche Fähig- keit der Rückzahlung; sie begründet das persönliche Darlehen. Das zweite ist die sachliche , durch den Besitz bestimmter Güter gegebene Fähigkeit; sie begründet das Darlehen auf Pfand . Das dritte ist die in dem Unternehmen des Schuldners liegende Fähigkeit der Rückzahlung, und erzeugt das geschäftliche Darlehen. Der Grund- gedanke des Darlehens ist aber noch immer ein Verkehrs- und Rechts- verhältniß zwischen den zwei bestimmten Individuen des Gläubigers und Schuldners. So wie dagegen in der Auffassung beider die Zah- lungsfähigkeit des Schuldners von der eines Dritten abhängt, der die Produkte aus dem gedachten Capital von dem Schuldner ge- liehen hat, und daher dem Schuldner zahlen muß, damit dieser dem ersten Gläubiger zahlen kann, ändert das einfache Darlehen seinen Charakter, und wird zum Credit im eigentlichen Sinne. Bei jedem Darlehen gibt es daher nur Einen Gläubiger, bei jedem Credit da- gegen mindestens zwei , von denen der eine stets Gläubiger und Schuld- ner zugleich ist; bei höherer Entwicklung des Geschäftslebens steigt die Zahl der bei jedem Credit betheiligten Personen; der Credit des Einen wird zur Bedingung des Credits des Andern, und die Zahlung des Einen zur Bedingung der Zahlung des Andern; der Credit fängt an, die Grundlage aller gegenseitigen Leistungen und Zahlungen zu werden; er durchdringt die ganze Volkswirthschaft; jeder Unternehmer bedarf desselben; jeder findet ihn auch: er wird ein selbstthätig wir- kender Faktor des wirthschaftlichen Lebens und das Darlehen in ihm beginnt seine Natur zu ändern. Der Credit wird ein integrirender Bestandtheil jedes Unternehmens; er beherrscht das Unternehmenscapital, ja er kann es ganz ersetzen; das Creditgeben wird daher aus einem einzelnen und zufälligen Geschäft wie beim Darlehen zu einem selb- ständigen Unternehmen (Bankhäuser, Wechselhäuser); damit verschwindet für die Volkswirthschaft der Begriff des Darlehens, und an seine Stelle treten Name und Begriff des Credits als persönlicher Credit, Realcredit, Geschäfts credit; jeder derselben empfängt seine eigenen Regeln und wirthschaftlichen Gesetze; aus der Privatwirthschaft ist das Darlehen in die Volkswirthschaft hineingetreten. Allein damit beginnt auch im Creditwesen sein eigenthümlicher Widerspruch hervorzutreten. Es ist seinem Wesen nach ein Theil des Gesammtlebens; in der Wirklichkeit aber ist es nach wie vor ein Ein- zelgeschäft. Alle hängen von dem Credit ab, aber jeder Einzelne ent- scheidet über ihn. Jeder Credit ist formell von der Willkür oder der Fähigkeit des Einzelnen in Darlehen und Rückzahlung bedingt, mate- riell dagegen ist keiner mehr im Stande, seinem Capitalsbedürfniß ohne Creditgeben und Nehmen allein zu genügen. Auf dem Organis- mus und der lebendigen Thätigkeit des Credits beruht die Bewegung der ganzen Volkswirthschaft; aber der wirkliche Credit beruht noch auf der zufälligen Unternehmung oder der Willkür des Einzelnen. Das ist ein Widerspruch; und hier ist der Punkt, wo aus dem rein wirth- schaftlichen Leben des Credits das öffentliche Creditwesen wird. b) Princip und Organe des öffentlichen Creditwesens. So wie nämlich der Credit das Stadium seiner Entwicklung er- reicht, in welchem der Credit eines Unternehmens die unabweisbare Bedingung für das Bestehen und die Entwicklung Anderer wird, ohne daß man die Gränze dieses gegenseitigen Bedingtseins bestimmen kann, so ist der Credit eines von denjenigen Gebieten, deren Herstellung und Verwaltung Sache der Gemeinschaft werden, wie das Verkehrs- und Umlaufswesen. Das persönliche Haupt des Gemeinwesens ist nun der Staat. Die erste unfertige Vorstellung ist daher die, daß der Staat die Ver- waltung des Creditwesens durch die Staatsverwaltung zu besor- gen, und durch die Gesetzgebung zu organisiren habe. Allein der Credit verliert dabei seine wirthschaftliche Natur nicht . Es gibt im wirthschaftlichen Leben keinen allgemeinen Credit, sondern nur einen Credit des Einzelnen . Es ist überflüssig, das hier zu begründen. Jedem Creditgeben muß daher das wirthschaftliche Urtheil des Einzelnen über die Creditfähigkeit des Einzelnen voraufgehen; denn im höheren Sinne ist nicht der Creditbedarf, sondern die Credit fähig- keit die sowohl wirthschaftliche als gesellschaftliche Berechtigung zum Credit. Der Staat als Persönlichkeit hat nun dieses Urtheil faktisch nicht, weil es seiner Natur widerspricht, es zu besitzen. Denn vor dem Staate sind alle Angehörigen gleich ; ein gleicher Credit für Alle ist ein Unsinn. Soll daher dennoch der Staat in das Creditwesen eingreifen, so kann er das organisch nur in der Form, in welcher er in seiner ganzen Verwaltung, also auch im Creditwesen, dasjenige Element zur Geltung und zur Theilnahme an seiner Thätigkeit bringt, ohne welches kein Creditwesen bestehen kann. Das Element ist das der Individualität und ihrer individuellen Auffassung und Thätigkeit im öffentlichen Leben. Die große Form, in welcher der Staat das Element der individuellen Persönlichkeit für seine Verwaltung verwendet, ist nun das Vereinswesen . Das Vereinswesen allein hat die Fähigkeit, in seiner allgemeinen Thätigkeit auch das individuelle Leben, die individuelle Wirthschaft und Tüchtigkeit wie das individuelle Be- dürfniß zur Geltung zu bringen. Das Vereinswesen ist daher auch allein fähig, das öffentliche Element in dem Creditwesen zum Ver- ständniß und zur Verwirklichung zu bringen, während es ohne das- selbe ein ewig unfertiger Widerspruch bleibt. Es bedarf nicht einmal des Bewußtseins davon, daß es diese Funktion hat; es vollzieht dieselbe seiner Natur nach von selbst. Und wir sagen daher, daß aus der wirthschaftlichen Organisation des Creditwesens die öffentliche auf dem Punkte wird, wo das Vereinswesen durch seine Creditvereine im weitesten Sinne des Wortes die Creditverwaltung der Volkswirthschaft in die Hand nimmt . Natürlich nun übernimmt das Vereinswesen das Creditwesen weder in seinem ganzen Umfang, noch ohne Unterschied, noch wird es gesetzlich oder durch die Regierung dazu berufen, noch arbeitet es, einmal in Bewegung gesetzt, von jenem höchsten Standpunkt eines allgemeinen Interesses. Im Gegentheil tritt es langsam, stückweise, vorsichtig an die Stelle des Einzelcredits; es bildet sich von selbst, und tritt nur insofern auf, als es aus dem Creditgeben einen Erwerb macht; es will eben nur diesen Erwerb, und überläßt mit vollem Recht die wirth- schaftlichen und gesellschaftlichen Folgen jener Thätigkeit der Natur der Dinge. Die Creditvereine sind daher zuerst Erwerbgesellschaften . Als solche haben sie ihre historische Entwicklung, die von Gesetzgebung und Theorie unabhängig, sich wesentlich nach dem Gesetze der Produk- tivität wie bei jedem andern Unternehmen richtet. Allein ihre höhere Natur behalten sie darum nicht weniger. Und diese nun erscheint da- rin, daß ihnen Gesetzgebung und Regierung theils mit ihrer Macht zu Hülfe kommen, theils sie unter ihre Oberaufsicht stellen, wie jeden an- dern Theil der freien Verwaltung, indem und weil sie den Credit mit seiner ganzen Bedeutung in sich aufnehmen und verwalten. So wer- den sie aus bloßen Erwerbsgesellschaften langsam, aber unwiderstehlich das, was wir im Vereinswesen als Verwaltungsvereine be- zeichnet — Vereine, die den Erwerb ihrer Mitglieder in der Voll- ziehung einer öffentlichen Aufgabe suchen. Sie gehen daher jetzt mit Gesetzgebung und Regierung Hand in Hand, und in diesem damit im Creditvereinswesen sich selbständig ordnenden Creditwesen gewinnt das letztere erst feste Gestalt und klare Aufgabe; die Theile und Ge- biete scheiden sich und ordnen sich; es wird ein Stück des Gesammt- lebens, dessen Wesen und Werth sich nun auch rechtlich bestimmen läßt; und die Gesammtheit von Organen, Thätigkeiten, Gesetzen und Rechten, die daraus hervorgehen, nennen wir die öffentliche Organi- sation des Creditwesens . Diese Organisation des Credits durch das Creditvereinswesen und ihre Natur als Verwaltungsverein muß sich nun natürlich an die wirthschaftlichen Grundformen des Credits anschließen. Es gibt daher Vereine für den persönlichen, für den Real- und für den Geschäfts- eredit; jede dieser Gruppen hat ihre Geschichte, ihre wirthschaftlichen Regeln und ihre Funktion und Rechte. Allein daneben haben sie zu- gleich eine gemeinsame historische Entwicklung, welche auf ihrer gemein- samen organischen und rechtlichen Natur beruht. Diese Entwicklung bildet die Geschichte der Organisation des Credits. Sie hat noch nicht einmal Versuche ihrer Bearbeitung gefunden. Ihre letzten Elemente indeß sind folgende. Jeder, der die Literatur der Nationalökonomie kennt, wird aus dem Obigen begreifen, weßhalb wir sie weder auf andere Autoren noch auf Gesetz- gebungen verweisen können. Trotz der ungeheuren Masse von Schriften über die einzelnen Fragen und Verhältnisse des Credits gibt es unsres Wissens keinen Versuch, die Bedeutung und den Inhalt der vielbesprochenen „Organi- sation des Credits“ wissenschaftlich zu bestimmen, oder auch nur alle dahin gehörigen Verhältnisse und Thatsachen als ein Ganzes zu betrachten, weder in der Nationalökonomie noch in den der Verwaltung angehörigen Arbeiten. Die ganze Literatur erschöpft sich im Geschäftscredit, und auch hier ohne feste Sondirung der wirthschaftlichen und verwaltungsrechtlichen Principien, trotz- dem daß das Vereinswesen mit seiner entscheidenden Bedeutung so nahe lag. Uebrigens ist die sociale Bedeutung des Credits bekanntlich erst durch die St. Simonisten erkannt, und durch die socialistischen Arbeiten der 40ger und 50ger Jahre in Frankreich zu dem System des socialen Creditwesens ausge- bildet worden, auf Grundlage dessen Hildebrand , Nationalökonomie der Zukunft I. 276 geistreich den Charakter der kommenden Volkswirthschaft als Creditwirthschaft gegenüber der gegenwärtigen „Geldwirthschaft“ bezeichnet. Roscher I. 90. c) Elemente der Geschichte der Organisation des Credits. Auch die Geschichte des Credits zeigt uns, wie die übrigen Ge- biete der Verwaltung, daß es nicht das wirthschaftliche, sondern das gesellschaftliche Element ist, welche dieselbe bestimmt. Im Darlehen wie im Credit ist es das gewerbliche, und daher freie, aus der persönlichen Thätigkeit erzeugte Capital, welches in Be- wegung ist. Die Selbstthätigkeit und Freiheit des Einzelnen aber, wirthschaftlich ausgedrückt in seinem Capital, ist das Princip der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung gegenüber der Geschlechter- und Ständeordnung, die auf erblichem Grundbesitz und Vorrecht beruhen. Der Credit wie das Darlehen sind daher zwar immer vorhanden, allein da alle Verfassung und Verwaltung und mithin auch das, was sie für den Credit leisten, von der herrschenden Gesellschaftsordnung bestimmt werden, so ergibt sich als allgemeinste Grundlage für die Ge- schichte des Creditwesens, daß die Organisation des Credits überhaupt erst mit dem Siege über staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung auf- treten kann, dafür aber den wesentlichen Charakter derselben im Ge- biete der volkswirthschaftlichen Verwaltung bildet. Die Geschichte des Creditwesens hat daher zwei große Epochen oder Grundformen. Das Princip ihrer ersten Epoche, der Zeit der Geschlechter- und Ständeordnung besteht darin, das Recht des Darlehens so zu bestim- men, daß es den Besitz und das Vorrecht nicht angreifen kann. Den Inhalt des Creditwesens dieser Zeit bilden daher wesentlich Beschrän- kungen des Rechts der Gläubiger theils in Beziehung auf die Zinsen, theils in Beziehung auf die Exekution der Forderungen. Soweit bei beiden nicht die Unterwerfung des Grundbesitzes oder der ständischen Rechte in Frage kommt, erscheint die Sorge des Staats für den Creditumlauf in der einfachen Herstellung des zur Einbringung der Forderungen geeigneten gerichtlichen Verfahrens. Das ist der Stand- punkt des römischen und gemeinen deutschen Rechts und Processes, und es ist daher charakteristisch, daß beide den Credit weder als Begriff noch als Rechtsgebiet kennen, sondern ihn einfach als Obligatio und Darlehen behandeln. Sie haben sich auch in neuester Zeit unfähig ge- zeigt, jenen Begriff aufzunehmen. Um das Recht desselben zu schaffen, hat die staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung neben ihnen ganz neue Rechtsgebiete erzeugen müssen. Die zweite Epoche beginnt da, wo mit den entstehenden gewerb- lichen und Handelsunternehmungen Natur und Umfang des Darlehens nicht mehr ausreichen, und nicht mehr augenblickliche Bedürfnisse durch Anlehen gedeckt, sondern die Capitalien durch den Credit erzeugt und in Thätigkeit erhalten werden. In der ersten Zeit dieser Epoche küm- mert sich der Staat um diese neue Erscheinung noch sehr wenig; erst mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts zwingt ihn das Be- dürfniß nach eigenem Credit, das Creditwesen überhaupt in Gesetz- gebung und Verwaltung zu berücksichtigen. Er thut es deßhalb auch anfangs nur da, wo er selbst Credit braucht. So entsteht das Bank- und Notenwesen. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts beginnt dann mit dem regelmäßig gewordenen Creditbedürfniß der Grundherren der erste Versuch, theils das Grundbuchswesen zu ordnen, theils den Realcredit zu organisiren; daran schließen sich die Gesetzgebungen für das Handels- und Wechselrecht, die ihrem Lebensprincip nach das Privatrecht des Credits gegenüber dem des Darlehens bilden. Aber noch herrscht die ständische Gesellschaftsordnung, und das Creditrecht selbst erscheint noch als ein beschränktes Recht des „Handelsstandes“ wie sich der Realcredit nur noch auf die Grundherren bezieht. Erst mit dem Siege der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung im neun- zehnten Jahrhundert tritt eine neue Bewegung ein. Dieselbe beginnt mit der immer lauter werdenden Forderung nach der Freiheit des Credit- verkehrs bei der besitzenden, und mit der Forderung nach Capital bei der nichtbesitzenden Classe; beide, durchdrungen von der Bedeutung des Capitals als Grundlage der persönlichen Stellung und Entwicklung erzeugen zunächst die negative Bewegung der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, die bei der ersten als Kampf gegen die Zinsgesetzgebung, bei der zweiten als Socialismus und Communismus erscheint. Gegen beide verhält sich der Staat noch ablehnend; noch halten und tragen ihn ständische Elemente, und andererseits das Bewußtsein, daß er nicht berufen sei, weder Capital noch Credit zu gewähren. Die zweite Hälfte erst findet den richtigen Weg, die Vermittlung zwischen Besitz und Nichtbesitz in dem, wenn auch nicht klar begriffenen Worte der Organisation des Credits, und den einzig dafür geeigneten Organismus im Creditvereinswesen. Das Vereinswesen bricht sich mit einer fast unglaublichen Gewalt Bahn, ohne auf eine systematische oder auch nur richtige Theorie der Gesetze zu warten; und so wie das ge- schieht, wird nun dieß Creditvereinswesen Gegenstand einer selbständigen Verwaltung, die naturgemäß, wenn auch keineswegs immer mit vollem Bewußtsein oder mit systematischer Ergründung, ganz richtig das Credit- wesen und sein Recht in dem Creditvereinswesen und seinem Rechts- leben sucht. Auf diesem Punkte steht unsere Gegenwart. Wenn auch vielfach beirrt durch Streit der Theorie und Mißbrauch der Privilegien und Statuten im Einzelnen, sind dennoch die Grundzüge des öffent- lichen Creditwesens unzweifelhaft klar erkennbar; wir reduciren dieselben als Basis des Folgenden zunächst auf zwei allgemeine Kategorien. Die Organisation des Credits bedeutet nämlich nicht etwa eine von der Regierung ausgehende Einrichtung zur Creditirung auf Grund- lage eines vom Staate dazu bestimmten Capitals, sondern diejenige durch die wirthschaftlichen Gesetze erzeugte Gestalt des Creditvereins- wesens, nach welchem für jede Art des Credits sich — wenn auch lang- sam so doch sicher — eine bestimmte, den wirthschaftlichen und gesell- schaftlichen Funktionen desselben entsprechende Vereinsgruppe bildet. Das Creditrecht ist daneben diejenige Modifikation, theils des bürgerlichen, theils des Vereinsrechts, welche durch das Wesen und die wirthschaftliche und gesellschaftliche Funktion des Credits gefordert und von Gesetzgebung und Verwaltung gesetzt wird. Durch die allmählige Entwicklung des Credits aus dem Darlehen einerseits und des Creditvereinswesens andererseits entsteht die Ge- schichte — und durch den Anschluß des Creditrechts an die Organi- sation des Credits das System des Creditwesens , dessen Elemente folgende sind. Die Geschichte des Credits beschränkt sich bis jetzt fast nur noch auf die Geschichte des Wechsels und seines Rechts und auf die des Notenwesens (s. unten). Die Polizeiwissenschaft unsres Jahrhunderts hat diesen Gegenstand nur etwas weitläuftiger behandelt, als die des vorigen. Dabei bestehen sehr eingehende Arbeiten über die einzelnen Theile; ein großer Mangel ist die Nichtberücksichtigung des Vereinswesens, welches der Creditorganisation zum Grunde liegt. Eine einheitliche und systematische Behandlung des Ganzen mangelt vollständig. A. Personal-Creditwesen. Das Personal-Creditwesen beginnt da, wo in dem gewöhnlichen bürgerlichen Darlehen sich die ersten Momente der öffentlichen rechtlichen Bedeutung des eigentlichen Credits zeigen. Während daher das Dar- lehen noch ganz dem Privatrecht angehört, schließt sich an jene Momente die Verwaltung an, die auf ihren höchsten Stufen schon hier das Ver- einswesen und seine Funktion zur Geltung bringt. Wir haben dabei den Darlehens- und den Pfand credit zu unter- scheiden. Das Recht jedes derselben hat seine eigene Geschichte. a) Der Darlehenscredit und die Zins- und Wuchergesetze. Das Darlehen ist zunächst ein rein privatrechtlicher Vertrag. Allein der Keim seiner höheren Bedeutung liegt darin, daß in ihm der Besitz des Werthes als Geld in seiner Herrschaft über den Besitz des Gutes zur Geltung kommt. Werth und Geld sind unendlich und unbedingt durch persönliche Fähigkeit erwerbbar, das erworbene Geld wird zum Geldcapital und beginnt nun sich den Güterbesitz zu unterwerfen, indem es die Bedingungen vorschreibt, unter denen es dem letztern dient, ohne Rücksicht darauf, ob der Güterbesitz und der Güterbesitzer durch die Erfüllung dieser Bedingungen zu Grunde geht. Diese Bedingungen fassen wir zusammen als den Zins . Der Zins kann daher größer sein als der Ertrag, den das Darlehen (durch den in ihm enthaltenen produktiven Gebrauch des Geldcapitals) überhaupt geben kann. Wo dieß der Fall ist, ändert das Darlehen seine Natur und wird aus einem Faktor der Produktion für die Empfänger zu einem Element der Verzehrung ihrer Wirthschaft, da der Zins statt aus dem Ertrage des Capitals aus dem Vermögen des Schuldners bezahlt werden muß. Das Geben solcher Darlehen kann nun zu einem selbständigen im Sonderinteresse der Einzelnen auf jenen Erfolg berechneten Geschäft gemacht werden; es ist kein Zweifel, daß solche Unternehmungen auf die Ausbeutung des Einen durch den Andern berechnet sind; und ein solches, durch seinen Zins das Vermögen verzehrende Darlehens- geschäft ist der Begriff des wirthschaftlichen Wuchers . Der wirthschaftliche Wucher gehört nun unzweifelhaft dem Güter- lehen an und steht zunächst unter den Gesetzen desselben. Nach diesen Gesetzen stehen Sicherheit des Capitals und Höhe des Zinsfußes im umgekehrten Verhältniß; wenn jene sinkt, muß dieser steigen, und zwar steigt derselbe alsdann so hoch, daß er, obwohl nationalökonomisch vollkommen gerechtfertigt, dieselbe Höhe und mithin auch dieselbe Folge haben kann und muß , wie der wirkliche Wucher. Es ergibt sich daraus, daß auch die größte Höhe des Zinsfußes nicht an sich einen Wucher enthält, sondern daß diese Höhe immer nur die Höhe der Sicherheit für Capital und Zins ausdrückt. Die Zahlung eines solchen Zinses aber, der auf diese Weise eine Rückzahlungsprämie für die Schuld enthält, wird daher zur absoluten Bedingung des Darlehens, ohne Rücksicht darauf, ob jener Zins das Vermögen des Schuldners aufzehrt. Dieß Gesetz der Volkswirthschaft kann nun in seiner Wirkung durch kein Gesetz des Staats aufgehoben werden. Wenn daher die staatliche Gesetzgebung, um die Vernichtung des Vermögens durch die Zinsforderung aufzuhalten, den Zinsfuß beschränkt, so ist die unab- weisbare Folge, daß entweder auch in der größten Noth kein Darlehen gegeben oder der gesetzliche Zinsfuß umgangen wird. Es gibt kein Mittel der Gesetzgebung oder Verwaltung, diese Folgen zu hindern. Das erstere aber ist für den Schuldner noch verderblicher wie der hohe Zins, das zweite untergräbt das Rechtsgefühl im Namen der National- ökonomie und hindert die wirthschaftlichen Folgen des Wuchers dennoch nicht. Es ergibt sich daraus, daß der volkswirthschaftliche Wucher durch staatliche Maßregeln darum nicht zu bekämpfen ist, weil man ihn nie- mals von dem wirthschaftlich berechtigten Zinsfuß scheiden kann. Alle dahinzielenden Versuche enden mit der völligen Erfolglosigkeit derselben. Es kann als ein durch Jahrhunderte lange Kämpfe definitiv gewonnenes Ergebniß angesehen werden, daß jeder gesetzliche Zinsfuß geradezu falsch und jede andere Beschränkung des Darlehens nutzlos ist. Dennoch ist der zu hohe Zinsfuß ein Uebel, der Wucher ein un- sittliches und gefährliches Element und das Streben, beide zu beseitigen, ein natürliches und berechtigtes. Es ist aber klar, daß der nothleidende Einzelne sich nicht selbst gegen jene Gefahr schützen kann, eben so wenig vermag es die Regierung. Hier zuerst tritt daher im Credit das Ver- einswesen auf. Es besitzt allein die Fähigkeit, ohne Ausbeutung der Noth den Zins nach seiner wirthschaftlich gerechtfertigten Höhe zu bestimmen und das Darlehen zu geben. Die Hülfe gegen Wucher und zu hohen Zins liegt daher im Creditvereinswesen , und wir stellen daher fest, daß dieses Creditvereinswesen alle Wucher- und Zinsgesetze überflüssig macht; wo der Creditverein nicht mehr helfen kann, ist jede Hülfe überhaupt vergebens; das Vereinswesen allein ist fähig und bestimmt, das gesammte Wucherrecht zu beseitigen und auch hier der Capitalsbewegung im Darlehen seine volle Freiheit wieder- zugeben . Wenn aber trotzdem die Wuchergesetze bis auf die neueste Zeit bestanden haben, so muß der Grund dafür, wie die Gewalt welche sie bewältigt hat, nicht in Nationalökonomie und Verwaltung, sondern wieder in der Gesellschaft gesucht werden. Die Geschlechterordnung nämlich sowohl als die Ständeordnung beruhen auf dem Grundbesitze; jene ganz, diese in allem Wesentlichen. In beiden ist die Stellung, die Ehre, ja das Recht jedes Einzelnen durch seinen Grundbesitz bedingt. Nun aber bietet der Grundbesitz zwar große Sicherheit des Capitals, aber er hat geringe Fähigkeit zur Rückzahlung und zum Zinserträgniß; je höher der Zinsfuß, je schwerer die Rückzahlung. Der Darleiher hat daher vermöge seines Rechts auf Exekution gegen den Grundbesitz, namentlich aber bei hohem Zins, die ganze gesellschaftliche und rechtliche Stellung des Debitors in der Hand. In der ersten Zeit der Geschlechterordnung nun, wo die großen Grundbesitzer die Darleiher für die kleinen waren, wie in Rom und Deutschland, ward jenes Recht zur Sicherung und Ausdehnung der Classenherrschaft der besitzenden über die mittlere und niedere Classe gebraucht; es stimmte mit ihrem Interesse, und daher die furchtbare Härte aller ältesten Schuldgesetze. Als aber das Capital sich neben dem Grundbesitze selbständig hinstellt, und auch die herrschende Classe Dar- lehen gegen Zins empfängt, fühlt dieselbe wiederum sich in der Hand der Geldbesitzer, und die rechtliche Auffassung kehrt sich um. So ent- steht die Ansicht, daß gar kein Zins gegeben werden solle; als sich nun das Capital weigert, Darlehen ohne Zins zu geben, entstehen die gesetzlichen Zinsfüße einerseits und andererseits die Vorstellung, daß jedes Darlehen gegen einen hohen Zins ein (gesellschaftliches) Unrecht sei ( usuraria pravitas ). Beide Elemente gewinnen nun die feste Gestalt der Zins- und Wucher gesetzgebung mit dem Auftreten der selbständigen Regierungsgewalt in den verschiedenen Staaten Euro- pas, namentlich mit dem sechzehnten und siebenzehnten Jahrhundert, weil eben die Regierungen allenthalben noch auf ständischen Grundlagen ruhen und von ihnen umgeben sind. An diese Gesetzgebungen schließt sich eine weitläuftige Wucherjurisprudenz , die bis auf die neueste Zeit dauert. Unterdessen entwickeln sich Handel und Gewerbe. In dem jungen Unternehmen wird die Möglichkeit des Verdienstes mit dem ge- liehenen Capital so groß, die Zahlung so wichtig, und die Sicherheit der Darlehen oft so unbestimmbar, daß ein gesetzlicher Zinsfuß zu einer wirthschaftlichen Unmöglichkeit wird. Somit beginnt der Kampf gegen den gesetzlichen Zinsfuß, der sich aber noch auf das Gebiet der wirthschaftlichen Unternehmungen beschränkt, während derselbe sich im Realcredit noch unangegriffen erhält. Diese Epoche dauert bis zum Anfang unseres Jahrhunderts. Jetzt aber ist die ständische Gesellschaft im Wesentlichen bewältigt, die öffentliche Stellung beruht nicht mehr auf dem Grundbesitz, das ganze volkswirthschaftliche Leben ist bereits von der Nothwendigkeit des Credits durchdrungen, und der gesetzliche Zinsfuß, mehr noch aber die eigentliche Wuchergesetzgebung treten in scharfen Gegensatz zu dem ersten Bedürfniß der sich neuentwickelnden Gesellschaftsordnung, der freien Bewegung von Credit und Capital, die durch die beständig steigende Creditbenützung der Grundbesitzer den Grundbesitz auch wirthschaftlich allen andern Gebieten gleichstellt. Jetzt wird die Zinsgesetzgebung in ihrem Fundamente angegriffen; der volks- wirthschaftliche Widerspruch, der in ihr liegt, wird der Ausgangs- punkt des Kampfes; aber noch steht der völligen Freiheit der Capitals- bewegung die Furcht vor ihren Folgen, namentlich in den Fällen wirthschaftlicher Noth entgegen. Da nun beginnt namentlich seit der Mitte unseres Jahrhunderts, die neue Bewegung auf dem Gebiete des Vereinslebens; der Credit wird eine der Hauptgegenstände der Vereins- unternehmungen; mit ihnen verschwindet nun auch der letzte Halt für Zins- und Wuchergesetz, und auf allen Punkten in Europa wird die Capitalsbewegung vollständig freigegeben, so daß die letzten Reste des früheren Standpunktes mit dem vollständigen Siege der staatsbürger- lichen Gesellschaft nach einander beseitigt werden. Es ist einer der größten Siege, den die letztere durch ihr Vereinswesen in der Geschichte errungen hat; mit ihm gibt es kein öffentliches Recht des Dar- lehens mehr , sondern nur noch ein Privatrecht desselben. Die Literatur und Gesetzgebung über Zins und Wucher ist so reich, daß man sie nur dann beherrscht, wenn man sie von dem obigen Standpunkt aus als einen in sich wesentlichen Entwicklungsproceß betrachtet (s. Stein in Haimerls Magazin Bd. XIV. Heft 3, als erster Versuch, die Wuchergesetz- gebung auf die gesellschaftlichen Besitzverhältnisse zurückzuführen). Sehr gute, aber vom Standpunkt der Vertheidigung des Wuchers aufgefaßte Geschichte der Gesetzgebung bei Th. Rizy , über Zins- und Wuchergesetze 1859. S. 35 ff. Die großen Epochen der legislativen Entwicklung sind folgende. Aelteste Zeit: äußerste Strenge der Schuldgesetze: der Schuldner ward Knecht „zu Hand und Halfter“ (Sachsenspiegel III. 39; Grimm , Reichsalterthümer S. 612 ff.). Zweite Epoche. Standpunkt der Kirche: Verdammung nicht bloß des Wuchers, sondern der Zinszahlung überhaupt ( C. 2. X. de pignoribus, Buckle , Hist. of Civ. I. 215); daneben große Unsicherheit in den Bestimmungen der Landes- herrn über die Berechtigung Zins zu nehmen; Auffassung und Verleihung der letzteren als Privilegium , namentlich an die Juden (s. Rizy a. a. O. S. 69 ff.). Dritte Epoche: seit dem sechzehnten Jahrhundert mit der Ent- wicklung des Verkehrs die Nothwendigkeit, allgemein gültige Bestimmungen dafür aufzustellen. Gesetzlicher Zinsfuß in Frankreich von 8½ Proc. (1567) bis auf 5 Proc. ( Ord. Dec. 1655 auf 5 Proc.). — In England durch 37. Henry III. 9. das verzinsliche Darlehen mit 10 Proc. bestätigt durch 13. Elis. 9; bis das Stat. 12. Ann. 16 einerseits den gesetzlichen Zins auf 5 Procent fest- stellt, andererseits aber strenge Wucherstrafen ausspricht (völlige Ungültigkeit der Verträge und dreifacher Betrag des Darlehens). Stephens , New Com- mentaries 182. v. II. 141. — In Deutschland nach manchen örtlichen Bewegungen (Oesterreich bei Rizy S. 76 ff.) die allgemeine Feststellung des 5proc. Zinsfußes im Reichsabschd. von 1654. Die vierte Epoche ward ein- geleitet durch die neue nationalökonomische Anschauung der Engländer, von Culpepper ( A treaty against the high rate of usery 1623); Chill (s. Roscher , Geschichte der englischen Nationalökonomie 1851) und namentlich Locke , fortgesetzt durch die Physiokraten, vorzüglich Turgot , Mém. sur les prêts d’argent à interêt 1769 ( Econ. fr. Daire V. 278) und durch Adam Smith eigentlich definitiv begründet, der den Zins als Preis des Capital- gebrauches den wirthschaftlichen Gesetzen unterordnet (vergl. Roscher a. a. O.). Benthams Defense of usery 1787 formulirte die Sache dialektisch. Daraus ging der erste Versuch hervor, die Wuchergesetze ganz aufzuheben; zuerst in Oesterreich durch Joseph II. und (Patent vom 29. Jan. 1787; vergl. nament- lich Rizy S. 98 ff.); dann die faktische, wenn auch nicht formelle ( Rizy S. 124 und 145 ff.) Beseitigung des Wuchergesetzes durch die verschiedenen Gesetze von 1791 bis 1796. ( Rizy S. 136). — England bleibt bei bloßen Erleichterungen des Zinswesens stehen (5. 8. G. III. 93); doch wird die Auf- hebung alles gesetzlichen Zinsfußes für Wechsel bis auf zwölf Monate durch 1. Vict. 80. (1837) anerkannt; Aufhebung der Wuchergesetze erst 17. 18. Vict. 90. Allein dieser noch rein negative Kampf hat keinen dauernden Erfolg; in Oester- reich neues Wucherpatent vom 2. Dec. 1803; in Frankreich nach harten Kämpfen das Wuchergesetz Napoleons I. vom 3. Sept. 1807; in Italien eingeführt durch Decret vom 31. Okt. 1807. Dem entsprechend halten im Anfange unseres Jahrhunderts die deutschen Gesetzgebungen nicht bloß den Grundsatz der Zinsgesetzgebung fest, sondern führen auch die peinliche Bestrafung des Wuchers in den neuen Strafgesetzbüchern durch. — Preußen : Allgem. Land- recht §. 1273 und Strafgesetzbuch Art. 263; ähnlich in Württemberg und Baden , jedoch vorsichtiger; Hannover und Oesterreich : Strafgesetzbuch 1852; vergl. Lotz , Staatswissenschaftslehre II. 283; Rau II. 319. 320; Braun und Wirth , die Zinswuchergesetze 1856 S. 174 ff. Unterdeß bereitet sich die Umgestaltung des Verkehrs auf allen Punkten vor, und seit dem Jahre 1848 erscheint das Vereinswesen als die neue Creditorganisation der siegenden freien Gesellschaft. Jetzt ist der positive Boden für die Freiheit des Credits gefunden, und nunmehr hebt ein Staat nach dem andern sowohl den gesetzlichen Zinsfuß als die Wucherstrafe auf. England ging voran mit 2. 3. Vict. 37. (1839); dem die definitive und durchgreifende Aufhebung des Wuchergesetzes der Königin Anna durch 17. 18. Vict. 90. (1854) folgte. Während nun Frankreich bei seinem Gesetze von 1807 einfach stehen blieb, haben Preußen und Oester- reich unter gleichzeitiger energischer Entwicklung des wirthschaftlichen Vereins- wesens ihre Wuchergesetzgebungen beseitigt; Aufhebung der Lex Anast. (Gesetz vom 1. Febr. 1864); in Preußen und Hannover : Gesetz vom 2. Juni 1864. Dann Aufhebung aller Zinsbeschränkungen für Darlehen ohne Immobiliensicherheit (Verordnung vom 12. Mai 1866). b) Der Pfandcredit, die Pfand- und Leihhäuser. Der Pfandcredit entsteht, im Gegensatz zum Darlehenscredit da, wo das Suchen nach einem Darlehen auf persönlicher Noth beruht, und demnach die persönlichen Verhältnisse des Schuldners keine Sicher- heit für Zins und Capital bieten. Hier macht daher die Noth die Gefahr der Ausbeutung viel größer als bei dem Darlehen, die Aus- beutung selbst aber, da in dem Pfande doch die Sicherheit für Capital und Zins geboten ist, erscheint um so härter, indem der ganze Pfandcredit der Regel nach nur in den niederen, nichtbesitzenden Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 17 Classen der großen Städte vorkommt. Der Gewinn, den derselbe bietet, erzeugt das Pfandleihgewerbe; die Gefahr, die mit ihm verbun- den ist, hat dieses Gewerbe theils unter strenge gewerbliche Oberauf- sicht gestellt (Concessionssysteme), theils aber nach dem Muster der Monts de Piété die Stadtgemeinden veranlaßt, selbst städtische Pfand- häuser mit eigener öffentlicher Einrichtung aufzustellen, was der Regel nach mit strengem Verbot gegen private Pfandleihanstalten verbunden wird, bis endlich in neuester Zeit auch hier das Vereinswesen aufge- treten ist, und sich als die beste Form der Hülfe bewährt. Das öffentliche Recht dieser Anstalten beruht nun darauf, daß der möglichst niedrige Zins für das Darlehen erzielt werde; daraus folgt, daß die Verwaltung den Anstalten diejenige Sicherheit für ihre Dar- lehen geben muß, welche sie durch die eigene Verwaltung nicht erzielen können. Das nun geschieht durch die Grundsätze, auf denen das ganze öffentliche Pfandleihhauswesen beruht; erstens bekommen sie an den Pfandobjekten durch die Uebergabe das Recht auf ihre concessions- mäßige Veräußerung ohne Rücksicht auf den Ursprung des Be- sitzes von Seiten des Verpfänders; zweitens übernehmen sie dafür die Pflicht der öffentlichen Versteigerung; ihr Zinsfuß ist gesetzlich normirt, und ihre Papiere (Versatzscheine) sind Inhaberpapiere. Es ist klar, daß diese Rechte den concessionirten Privatleihhäusern nicht gegeben werden können, und daß andererseits bei der örtlichen Bedeutung dieser Anstalten dieselben stets unter der Oberaufsicht der Städte stehen sollen. Entsehen der öffentlichen Ordnung mit der Noth in den großen Städten; Anfang bereits im vierzehnten Jahrhundert; Entwicklung namentlich in Ita- lien; zur systematischen Ausbildung jedoch erst in Frankreich und Deutschland; vergl. Laferri è re , Droit publ. et admin. I. 1. 2; Wanderung von Italien 1491, nach Flandern; Statut Ludwigs XIV. in Frankreich; 1771 zuerst in Paris; 1707 in Wien, neue Organisation 1765 daselbst. Im vorigen Jahrhundert noch rein als polizeiliche Institute gegen den Wucher betrachtet (vergl. Mar- perger , Mons pietatis oder Leihassistenz oder Hülfshäuser, 2. Aufl. 1760. In Paris unter Ludwig XIV. mit 15 Proc. Zins; später 10 Proc.; gegen- wärtig 9 Proc.; der Ueberschuß erfällt an die Hospices ( Laferri è re a. a. O.) Berg , Polizeirecht I. 379 und vorzüglich Bergius , Magazin IV. 188. Mit dem Entstehen des Classengegensatzes in den großen Städten Verbindung mit der neuen Lehre von der Armuth ( Gerando , Bienf. publ. III. 13); eine ziemlich reiche selbständige Literatur; namentlich Blaize , des Monts-de-piété et des banques de prête sur gage 1843 und 1856. Recht: Laferri è re , Droit publ. et admin. I. 1. 2 (Gesetz vom 24. Juni 1851), als cause d’utilité publique anerkannt. Rau , Volkswirthschaftspflege II. 332. Mohl , Polizeiwissenschaft I. §. 58. Oesterreich ( Stubenrauch II. 214); neueste Ordnung von 1864; Preußen ( Rönne II. §. 402, Concessionswesen) Pözl , Verwaltungsrecht §. 123. B. Das Real-Creditwesen. Begriff. Bei dem Realcredit betritt die Verwaltung nun einen ganz anderen Boden. Der Realcredit ist undenkbar ohne das Verständniß des national- ökonomischen Satzes, daß der Werth auch von dem einzelnen bestimm- ten Gute geschieden, und in dieser seiner Selbständigkeit umlaufen und benutzt werden kann. Da wo das geschieht, ist nun das einzelne bestimmte Gut, dessen Werth von ihm geschieden und selbständig ein Eigenthum und Besitz eines andern ist, das Pfand ; der Erwerb des Werthes durch die Hingabe des Darlehens geschieht, indem das Dar- lehen als Kaufpreis des Werthes und die Uebertragung des letzteren an den Käufer als die Pfandbestellung erscheint; das so entstandene Eigenthum am Werthe ist als Schuld (oder Forderung) die Pfand- schuld, die wir lieber gleich die Hypothek nennen; und die rechtliche Bestimmung des Verhältnisses zwischen beiden ist das Pfand- recht , oder in specieller Beziehung auf die Immobilien das Hypo- thekenrecht . Diese Möglichkeit nun, den Werth von dem Gute durch das Pfandrecht zu scheiden, und dem ersteren einen andern Eigenthümer zu geben als dem letzteren, ist nun für die Volkswirthschaft von höch- ster Wichtigkeit. Denn während das Gut für sich seine Produktivität behält, gewinnt der selbständige Werth eine zweite neben jenem; es verdoppelt sich der Stoff für die menschliche Arbeit, und damit der Fortschritt des wirthschaftlichen Lebens. Allerdings nun ist es kein Zweifel, daß dieser Proceß der Scheidung von Gut und Werth in der Hypothek zuerst von dem Einzelnen ausgeht und sein Bedürfniß befrie- digt; allein daß jeder diesen Proceß je nach seiner persönlichen und wirthschaftlichen Individualität vornehmen könne , ist eine der großen Forderungen des allgemeinen wirthschaftlichen Interesses. Das nun aber hat gewisse Bedingungen, welche weder allein von dem Gläubiger noch von dem Schuldner erfüllt werden können. Es ist daher eine wesentliche Aufgabe der Verwaltung, diese Bedingungen herzustellen, und die Gesammtheit derjenigen Gesetze, Maßregeln und Anstalten, durch welche jene Bedingungen wirklich hergestellt werden, bilden das Realcreditwesen . Diese Bedingungen theilen sich nun in zwei große Gruppen. Die erste dieser Gruppen umfaßt die Gesammtheit aller Voraussetzungen für die Sicherheit der Hypothek, die zweite dagegen bezieht sich auf die Herstellung eines, für die Anlage in Hypotheken bestimmten Capitales . Aus dem ersten geht dasjenige hervor, was wir das Grund- buchswesen nennen, aus dem zweiten das Vereinswesen des Realcredits , der die Organisirung des Realcredits enthält und daher auch wohl das Realcreditwesen im eigentlichen Sinne heißt. Vor allem mangelt auch hier die einheitliche Auffassung in der bisherigen Literatur; aus naheliegenden Gründen haben Nationalökonomie und Volks- wirthschaftspflege sich fast nur mit dem eigentlichen Realcredit beschäftigt, und das Grundbuchswesen der strengen Jurisprudenz überlassen. Es ist klar, daß dieß falsch ist; das Grundbuchswesen beruht in allen Punkten auf öffentlichem Interesse und nicht auf Privatrecht; mit Recht interpretirt die Jurisprudenz seine gesetzlichen Bestimmungen, aber verstehen kann es nur die Verwaltungs- lehre durch Verständniß der Gründe, welche es selbst erzeugt haben. Bericht des volkswirthschaftlichen Congresses zu Cöln über die Zustände des Real- credits (Sachsen und Oesterreich) 1866. I. Das Grundbuchswesen. Unterschied vom Pfandrecht . Es ist allerdings kein Zweifel, daß jedes Darlehen auf Hypothek als Kauf des Werthes eines unbeweglichen Gutes zunächst ein bürger- licher Vertrag ist, der alle Voraussetzungen und Rechte eines solchen enthält. An sich ist es daher Sache jedes Einzelnen, sich aller juristi- schen und wirthschaftlichen Bedingungen des Eigenthumserwerbes an dem Werthe des Immobile zu vergewissern, nicht anders wie bei jedem andern Kaufvertrage. Es ist seine Sache, die Bedingungen für sein Darlehen sowohl in juristischer als wirthschaftlicher Beziehung so zu stellen, wie er es für nöthig hält; die Verwaltung hat ihn in diesem seinem Rechte nur so weit zu schützen, wie in jedem andern; sie hat zunächst für das Kaufrecht des Werthes kein anderes Recht aufzustellen, als für jedes andere; das Darlehen ist ein gewöhnliches Geschäft, das Gericht wahrt dasselbe, so weit es erworben ist, aber Sicherheit, Gewinn und Verlust und wirthschaftliche Folgen gehen die Verwaltung auf diesem Punkte gar nichts an. Die Gesammtheit aller Rechtsverhältnisse, die sich daraus ergeben, bilden das, was die Juris- prudenz das Pfandrecht nennt. So wie aber mit dem Auftreten der staatsbürgerlichen Gesellschaft der selbständig werdende Werth seine Funktion beginnt, beginnen auch die Bedingungen, unter denen der Einzelne ein Darlehen auf Immobilien gibt, eine öffentliche Bedeutung zu gewinnen. Und jetzt entsteht daher die Frage, zuerst welches diese Bedingungen sind, und zweitens ob und was die Gesetzgebung und Verwaltung dafür thun kann, um sie in so weit herzustellen, als der Einzelne selbst es nicht vermag. Nun sind diese Bedingungen zwar im Allgemeinen leicht klar, allein es ist keineswegs einfach, sie im Einzelnen in der Art auszu- führen, daß sie ihren öffentlichen Zweck erreichen, ohne die Freiheit des individuellen Verkehrs zu beschränken. Es kommt deßhalb darauf an, sie zuerst in Princip und Begriff zu bezeichnen, und dann sie zu ihrem elementaren Systeme zu entwickeln. Wenn dereinst das römische Recht im deutschen Rechtsbewußtsein seine rich- tige Stellung eingenommen haben wird, wird es eine unabweisbare Aufgabe für das römische Pfandrecht werden, sich und Andern zum Bewußtsein zu bringen, daß es selbst im Realcredit nur eine höchst beschränkte, wesentlich historisch interessante Stellung einnimmt, und jeder Rechtslehrer wird damit beginnen oder damit schließen, daß erst im Grundbuchswesen, welches er weder im Corpus Juris finden noch ins Römische übersetzen kann, das höhere Recht des Realcredits liegt; bis dahin muß das Verwaltungsrecht allein ausreichen. Princip und Begriff des Grundbuchswesens . Die Gesammtheit aller einzelnen Forderungen, welche der Dar- lehengeber aufstellen muß, um auf ein Immobile ein Darlehen zu geben, lassen sich zusammenfassen in dem Begriffe der Sicherheit für Capital und Zins. Diese Sicherheit liegt nun zwar zuerst in dem guten Willen des Schuldners und der Gültigkeit des Vertrages, und für beide haben die Contrahenten zu sorgen. Allein die beiden Haupt- voraussetzungen der Sicherheit liegen nicht innerhalb des Vertragsrechts. Diese nun sind die objektive Gewißheit einerseits dafür, daß der Schuldner auch wirklich Eigenthümer des Pfandes und seines Werthes sei , und andererseits dafür, daß durch das Darlehen als Kauf des Werthes auch dieser Werth wirklich als Eigenthum zu voller Dispositionsfreiheit dem Gläubiger erworben werde . Bei genauerer Betrachtung nun lösen sich diese Forderungen wie- der in ganz bestimmte einzelne Fragen auf. Die Frage nach dem Eigenthumsrecht des Schuldners enthält zuerst die Frage, wer über- haupt das Eigenthumsrecht an dem betreffenden Immobile hat; dann die zweite Frage, welche einzelne Güter diesem Eigenthümer ange- hören, da das Pfandrecht stets als Eigenthumsrecht nur an einem be- stimmten Gute bestehen kann, und drittens die Frage, ob überhaupt auch der Werth vorhanden ist, der durch die Pfandbestellung Eigen- thum des Gläubigers wird. Die letztere Frage scheidet sich wieder in die, wie viel von dem überhaupt vorhandenen Werth bereits in das Eigenthum Dritter übergegangen ist, sei es als Steuern, sei es als Lasten und Servituten, sei es als Hypothek; und die, wie groß der Werth des Immobile an sich sei. Die Forderung der Sicherheit des durch die Pfandbestellung erworbenen Eigenthums am bestimmten Werth enthält wieder die Frage, wie dieses Eigenthumsrecht gegen Dritte unbedingt, wie jedes Eigenthum an einem Gute, geschützt wer- den könne, so daß einerseits das Recht auf den Werth als solchen, andererseits das Recht auf den Zins (Gebrauchswerth des Darlehens) sowohl gegenüber dem Eigenthümer als den dritten Gläubigern objektiv feststehe. Es ist klar, daß alle diese Forderungen durch den bloßen Willen der beiden Contrahenten zwar zwischen ihnen, nicht aber gegen- über Dritten mit objektiver Gültigkeit erfüllt werden können, und den- noch die Bedingung eines billigen Darlehens sind; denn werden sie nicht erfüllt, so wird nach den wirthschaftlichen Gesetzen über die Zinshöhe die mangelnde Sicherheit durch hohen Zins ersetzt werden müssen . Die Verwaltung muß daher Anstalt treffen, um denselben durch ihre Maßregeln nachzukommen. Und diejenige Einrichtung nun, welche die obigen Forderungen erfüllt, nennen wir das Grundbuchs- wesen . Von diesem specifischen Begriffe des Grundbuchswesens bildet der Versuch, Pfandscheine einzelner Besitzer auf Inhaber auszustellen, einen unvollkom- menen Uebergang zu den eigentlichen Realcreditanstalten, und ist nur durch den Mangel derselben zu erklären und zu vertheidigen (vergl. darüber Mascher a. a. O. S. 750 ff.). Elemente der Geschichte des Grundbuchswesens . Die Geschichte des Grundbuchswesens, sehr reich an Einzelnheiten, ist im Großen und Ganzen sehr einfach. Das Entstehen des Grundbuchswesens beruht darauf, daß erstlich der Werth als ein selbständiges Element neben dem Gute als fähig erkannt werde, auch ein selbständiges Objekt des Eigenthums und des Verkehrs zu sein; zweitens darauf, daß es eine Verwaltung gebe, welche die Entwicklung des Verkehrs für ihre Aufgabe hält. So lange beides nicht da ist, gibt es zwar eine Pfandschuld, aber kein Grund- buchswesen. Beides nun war weder im römischen noch im alten germanischen Recht der Fall. Beide haben die Pfandschuld überhaupt nur als ein Vertragsverhältniß der Contrahenten aufgefaßt, und daher auch es ganz den Betheiligten überlassen, für die Sicherheit zu sorgen. Das Immobiliarpfandrecht ist ein reines Privatrecht. Das Grundbuchswesen beginnt vielmehr erst da, wo vermöge des ständischen Rechts die landtaflichen Grundstücke durch Execution für den bürgerlichen Erwerber nicht erstanden werden können, und daher das Darlehen nur gegeben wird, wenn es ein selbständiges Recht neben dem Grundstück selbst empfängt. Dieß geschieht durch öffentliche Anerkennung der Schuld vermöge der Landtafel . Das ist die erste Epoche des Grundbuchswesens. Sie hat nur noch mit der Pfandschuld zu thun; das Eigenthumsrecht liegt außerhalb ihrer Sphäre. Daran schließt sich die erste wissenschaftliche Behandlung in dem (germanischen) Privatrechte in England, Frankreich und Deutschland. Die zweite Epoche beginnt im achtzehnten Jahrhundert mit dem allgemeineren Bedürfniß der Landwirthschaft nach Geldkapital. Die Nothwendigkeit des letzteren für die erstere, namentlich durch die Kriege hervorgebracht, wird so groß, daß die Verwaltungen beginnen, die Bedingungen der öffentlichen Sicherheit des Darlehens ihrerseits her- zustellen, und die Grundsätze der Pfandschuld auch auf das Eigenthums- recht auszudehnen. So entsteht aus der Landtafel das Grundbuch . Noch aber ist der Verkehr überhaupt, also auch der Verkehr im Werth, kein allgemeiner. Das Bedürfniß ist ein örtliches; daher behält auch das Grundbuch seine durchaus örtliche Gestalt. Ja in England und Frankreich kommt es überhaupt noch zu keinem Grundbuchswesen; nur in den deutschen Staaten entwickelt sich dasselbe. Aber auch hier ist es ganz auf die Intelligenz der Regierungen angewiesen, und tritt daher in selbständiger und rationeller Form als eigene „Hypotheken- gesetzgebung“ nur in Preußen und Oesterreich auf (preußisches Hy- potheken-Gesetz von 1783 auf Grundlage der ersten Versuche seit 1722; in Oesterreich Hypothekengesetze für die einzelnen Kronländer, Grundbuchs-Ordnung in der Manz’schen Gesetzausgabe), während die übrigen deutschen Staaten sich begnügen, dasselbe bloß in ihren Landes- rechten aufzunehmen (vgl. Mittermaier, deutsches Privatrecht I. §. 261). Die Folge davon ist, daß das entstehende Grundbuch sich mit wenigen Ausnahmen auf die öffentlichen Bedingungen der Sicherheit des Einzel- darlehens beschränkt, ohne noch einen höheren Standpunkt anzu- nehmen. Erst mit dem völligen Siege der staatsbürgerlichen Gesellschaft in unserem Jahrhundert, die in ihrer wirthschaftlichen Grundlage auf dem selbständigen Werth und Credit beruht, siegt die Ansicht, daß das Grundbuchswesen den Bedürfnissen des Credits überhaupt zu entsprechen habe, und daher ein allgemeines , alle Punkte umfassendes und gleichartiges sein müsse. Diese Erkenntniß ist jetzt allgemein. Frankreich und zuletzt sogar England erkennen es, und haben daher jedes in seiner Weise das Grundbuchswesen gesetzlich eingeführt. Allein zwei Gründe haben bisher die volle Entwicklung dieser Verwaltungs- anstalt gehindert. Erstlich ist es sehr schwierig, ein einmal eingeführ- tes Grundbuchssystem zu ändern; zweitens aber hatte der historische Gang der Dinge die ganze Grundbuchsfrage vorwiegend zu einer juristischen gemacht, so daß es sich in der Grundbuchsliteratur seit fünfzig Jahren mehr um die Interpretation des bestehenden Rechts als um die wirthschaftlichen Grundsätze desselben handelte. Daher finden wir bei großer Uebereinstimmung in den Principien eben so große Unterschiede in ihrer Durchführung. Doch führt die Vergleichung zu folgenden allgemeinen Ergebnissen. Deutschlands Grundbuchswesen scheidet sich in zwei große Gruppen, von denen die erste , an deren Spitze Preußen und Oesterreich stehen, sowohl das volle System des Grundbuchs als das der Legalität wenigstens principiell ausgebildet haben, obgleich in den einzelnen Provinzen wieder unvollkommene Systeme herrschen. An beide schließen sich namentlich Sachsen und Bayern, während andere wie Hannover und Nassau Besonderheiten mannigfacher Art darbieten. Die zweite Gruppe ist die vorwiegend sächsische, welche zwar das Hypo- theken-, nicht aber das Grundbuchswesen und seine Legalität ausgebildet hat. Die neueste Zeit hat viele Bestrebungen nach Einheit gezeigt, ohne doch zu einem Resultate zu gelangen. Frankreich hat ein Grundbuchswesen, das in der Mitte zwischen beiden stehend, die volle Legalität nur für die Hypothek anerkennt, und die Priorität durch die gesetzlichen Pfandrechte zur Hälfte vernichtet; dem französischen Pfandrecht schließen sich das badische und rheinische an. Englands Grundbuchswesen hat weder die volle Legalität, noch die volle Priorität, noch auch die Publicität, sondern ist bloß auf Sicherheit der einzelnen dinglichen Rechte berechnet. Auf diese Kategorien lassen sich nun die übrigen geltenden Ord- nungen leicht zurückführen; jedoch muß die Grundlage dafür das System der Grundbuchsordnung und des Grundbuchsrechts sein, dessen Elemente folgende sind. Deutschland . Die Literatur über das Grundbuchswesen theilt sich in drei Gruppen. Die erste besteht aus den Interpretatoren der betreffenden bürgerlichen Gesetzbücher, die zweite in der historischen Behandlung namentlich im deutschen Privatrecht, die dritte sparsame aus den Versuchen einer volks- wirthschaftlichen Behandlung derselben. Munde , Patriotische Phantasien S. 225; Meck , das deutsche Credit- und Hypothekenwesen 1831. 2 Theile. Dünkel- berg , Landwirthschaft und Capital 1860. Reiches Material bei Mitter- maier , deutsches Privatrecht §. 201 ff. — Preußen : Erste allgem. Hypotheken- ordnung vom 4. Febr. 1722. Neue Ordnung beschlossen 1751; daraus die von Suarez entworfene Hypothekenordnung vom 20. Dec. 1783, die noch gegen- wärtig gilt, und Allgem. Landrecht I. 10; Führung der Grundbücher (In- struktion vom 2. Jan. 1849). Rönne , Staatsrecht II. §. 321. Neues Gesetz speciell das Grundbuchsverfahren betreffend vom 24. März 1853. Ausführlich bei Mascher , das deutsche Grundbuch- und Hypothekenwesen 1869. Cap. 7). Daneben die verschiedenen Systeme, die im preußischen Staate gelten, und weit hinter der Hypothekenordnung von 1783 zurückstehen. — Oesterreich ; Geschichte: L. Haan , Studien über das Landtafelwesen 1866, höchst gründlich; Chlumetzky , die Landtafel von Mähren 1856. Die allgemeinen Principien für das Grundbuchsrecht im Allgem. bürgerl. Gesetzbuch §. 331—446, die aber nur die Rechtsprincipien der Einverleibung betreffen, daneben Commentare von Winiwarter und Protabevera; jedes Kronland hat dann seit dem vorigen Jahr- hundert seine specielle Grundbuchsordnung (s. Stubenrauch II. §. 411). Geistreich und gründlich, wenn auch etwas kurz, namentlich Franz Neumann , der landwirthschaftliche Credit in Oesterreich 1864 (aus der österr. Revue 1864). Die übrigen Staaten haben theils mit unserem Jahrhundert selbständige Hypo- thekenordnungen: Bayern (Hypothekenordnung vom 1. Juni 1822); Württem- berg (Gesetz vom 15. April 1825); theils bestehen die alten höchst unfertigen Hypo- thekenordnungen des vorigen Jahrhunderts noch fort. Mittermaier a. a. O. §. 262. 363. — K. Sachsen : Ordnung des Grundbuchswesens (Verordnung vom 9. Jan. 1865). In der rationellen Vergleichung ist die deutsche Literatur noch hinter der französischen und englischen zurück. Ausführliche, aber principlose Zusammenstellung aller deutschen Hypothekenordnungen bei Mascher a. a. O. Cap. 7—28. — Hannover : Hypothekengesetz vom 14. Dec. 1864 (Vollzugs- verordnung vom 22. März 1865). Frankreich . Recht bis zur Revolution: Loisel , Institut. coutumières II. 51. Basnage , Traité des hypothèques 1788. Das gegenwärtige Recht beruht theils auf dem Code Civil L. II. T. XVIII. , der auf der Hypotheken- ordnung vom 5. Sept. 1804 beruht. Commentare der ersten von Troplong und Guichard . Sehr charakteristische Kritik des französischen Hypotheken- wesens von Foelix : Gebrechen des französischen Hypothekenwesens, Zeitschrift für Rechtswissenschaft des Auslandes Bd. II. 1836. Vergleichende Darstellungen nebst Text von St. Joseph , kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft des Auslandes Bd. XX. S. 101 und Pierre Odier , des systèmes hypothé- caires 1840. Verhandlungen über die Hypothekarreform in der Assemblée nationale 1848; Anschütz in der citirten Zeitschrift Bd. XXIII. Neueste Be- wegung namentlich durch den Crédit foncier angeregt; vorzüglich Wolowsky in der Revue de lég. et jurispr. 1852. England . Früheres Recht in Blackstone II. C. 10. Beginn der Studien und Untersuchungen schon im vorigen Jahrhundert; vergebliche Ver- suche, Grundbücher gesetzlich einzuführen schon seit 1652; neue Bewegung in diesem Jahrhundert: Humphrey , Actual state of the English laws of real property 1825; Hayes , A Popular view of the law of real property 1831. Niedersetzung eines Committees des Parlaments, und dessen zwei Reports mit genauer Vergleichung der bestehenden Hypothekenordnungen in den verschie- denen Staaten Europas 1830 (vergl. über den Inhalt Mittermaier in der kritischen Zeitschrift Bd. IV. 1832). Nach vielen Kämpfen dann die neuen Hypothekengesetze 25. 26. Vict. 53 und 67; jedoch streng auf dem Stand- punkt des Einzelcredits (vergl. Austria 1864. Nr. 45). Weitere Entwicklung dieses ersten Beginns in der Mortgage debenture Act 1865 28. 29. Vict. 78. Die neueste Bewegung in Deutschland arbeitet nun kräftig dahin, in die höchst unfertigen und ungleichartigen Systeme der deutschen Gesetze vor allen Dingen Einheit zu bringen. In Oesterreich bereits Berathungen in diesem Sinne seit 1851 (Stubenrauch II. 411). In Preußen Entwurf von Forkenbeck und Henning 1852 (Mascher S. 159 nebst Literatur) und Regierungsentwurf von 1864. Die Schwierigkeit liegt aber in der That in den einfachen Grundbegriffen. Diese nun sind die folgenden. System. 1) Organismus der Grundbuchsverwaltung. Die Organisation der Grundbuchsverwaltung bestimmt die Organe, welche das Grundbuch zu führen haben. Diese Bestimmung hängt ihrerseits von dem Standpunkte ab, den die Gesetzgebung für das ganze Grundbuch einnimmt. Ursprünglich wird die Landtafel von den Landtagen selbst, das erste Grundbuch von den Magistraten geführt. So wie der Gedanke der rechtlichen Sicherheit des Einzelcredits maß- gebend wird, geht die Führung des Grundbuchs auf die Gerichte über; die Berücksichtigung des Werthes erzeugt dann die Frage, ob nicht eine eigene Hypothekenbehörde errichtet werden solle. Es kann, in Gemäßheit der richtigen Principien über das Verfahren kaum zweifel- haft sein, daß die Verbindung mit dem Gerichte das Richtige ist, so daß man die eigenen Hypothekenbehörden des französischen Rechts jetzt wohl ziemlich allgemein als mit der eigentlichen Aufgabe des Grund- buchswesens fallen läßt, und die Organisation des letzteren somit mit der Gerichtsorganisation identisch wird. In Deutschland ist meistens das Gericht zugleich Grundbuchsbehörde. Die Frage hat eine neue Gestalt bekommen durch die Aufhebung der Patri- monialgerichte , wodurch das Grundbuchswesen derselben an die ordent- lichen Gerichte übergegangen ist, während es eben deßhalb da, wo solche nicht bestand, zum Theil den Gemeinden überlassen blieb. Preußen : durch Ver- ordnung vom 2. Januar 1849 den Gerichten übertragen. Rönne I. §. 321. — Oesterreich : Grundbuchsämter und Verbindung mit dem Gericht je nach den Kronländern; Prüfung für das Grundbuchswesen (Verordnung vom 10. Juni 1855). — Bayern : Regul.; Führung durch das Untergericht ( Pötzl , Ver- waltungsrecht §. 59). — Württemberg, Baden, Nassau : Führung durch die Gemeindevorstände (vergl. Archiv für civilist. Praxis Bd. XVIII ). — Frank- reich : Conservateurs des hypothèques schon im Code Civil als selbständige Behörde. — England : Einsetzung einer höchsten Behörde: Office of Land Registry mit den Grundbuchsführern ( Registrars ) Gesetz von 1862 Art. 108 ff. Neuere Bewegung in dieser Frage mit dem ziemlich allgemeinen Resultat, die Grundbuchsführung den Gerichten zu übergeben bei Mascher a. a. O. Cap. X; ausführlich und gut. 2) Grundbuchs-Ordnung. Die Grundbuchsordnung ist nun die Gesammtheit der gesetzlichen Bestimmungen, welche über die Form entscheiden, nach der das Grundbuch die Verhältnisse angibt, welche die Sicherheit des Darlehens auf Hypothek bedingen. Es ergibt sich daraus, daß die Ordnung der Grundbücher sehr verschieden ist, je nach dem Umfang und der Klarheit der gesetzlichen Auffassung über den oben angegebenen Inhalt des Princips des Grundbuchswesens. Es bleibt daher nichts übrig, als diejenigen Kategorien aufzustellen, welche als die absoluten angesehen werden müssen, und auf welche daher die einzelnen positiven Bestim- mungen vergleichend zurückzuführen sind. A. Das Folium bedeutet die wirthschaftliche Einheit, deren Ver- hältnisse im Stand- und Hypothekenbuch einzeln aufgeführt werden. Das Personal-Folium , bei welchem die Person des Eigenthümers als wirthschaftliche Einheit angenommen wird, ist eigentlich nur da denkbar, wo die Besitzer wenig oder gar nicht wechseln; bei ihm be- ginnt daher das Grundbuchswesen in den Landtafeln. Das Real- Folium setzt die wirthschaftliche Einheit des Grundbesitzes, bei welcher der Besitzer selbst nur als Moment erscheint, und ist um so praktischer, ja nothwendiger, je systematischer sich das Grundsteuersystem ausbildet. Namentlich in den Städten ist fast nur das letztere möglich. B. Die Eintheilung des Foliums in die Rubriken ist das eigentliche System des Grundbuches. Diese Rubriken beziehen sich nun mit ihren Unterabtheilungen auf die drei elementaren Verhältnisse des Credits, und bilden somit den systematischen Inhalt des Fo- liums . Sie sind Eigenthum, Werth und Schuld. a) Das Eigenthums- oder Besitzfolium (oder Rubrik) enthält zu- erst die Angabe über den gegenwärtigen Eigenthümer (Namen, Wohn- ort ꝛc.), dann über sein Eigenthum srecht ( titulus possessionis ) und drittens über die Objekte dieses Eigenthums. Bei unentwickelten Zuständen des Grundbuchswesens begnügt sich dasselbe mit einer all- gemeinen, meist ortsüblichen Bezeichnung des Grundstücks oder der Hausnummer. Ein vollständiges Grundbuch fordert dagegen die genaue Angabe der Größe des Grundstücks. Diese nun ist ohne einen Par- cellenkataster und eine Flurmappe nicht möglich. Letztere müssen daher als erste Voraussetzung eines guten Eigenthumsfoliums angesehen werden. Leider fehlt dieß Element noch fast in allen Grundbuchs- ordnungen. b) Das Werthfolium oder Lastenbuch soll enthalten alle dauernden Rechte an Werth und Gebrauch des Grundstücks, welche den Werth desselben unabhängig von Privatverträgen vermindern. Zuerst die auf dem Grundstück haftenden dinglichen Rechte, dann die Summe der direkten Steuern , und endlich die gesetzlichen Pfandrechte. Es ist klar und man ist sich vollkommen darüber einig, daß gesetzliche Pfandrechte, wenn sie ohne Einverleibung bestehen dürfen, durch die Unsicherheit des Werthes, die sie erzeugen, den Werth des Grundbuches selber in Frage stellen, jedenfalls ihn wesentlich vermin- dern. Endlich muß gefordert werden, daß auch der Kaufpreis als Verkehrswerth so weit selbständig aufgenommen werde, als er aus den Akten ersichtlich ist; ein Zwang zur Angabe desselben ist weder durch- führbar noch räthlich. c) Das Schuldfolium oder das eigentliche Hypotheken- buch enthält nun die Gesammtheit von Rubriken, welche den Erwerb und das Aufgeben des Eigenthums am Werthe für den Gläubiger feststellen und zwar als persönliche Momente Namen des Gläubigers, als wirthschaftliche die Höhe der Summe und des Zinses, und als juristische das Datum der Urkunde, ihrer Einreihung, ihre etwaige Cession, die Kündigungsfrist und die wirkliche Löschung. Dieß sind absolut nothwendige Elemente. Bei sehr entwickeltem Grundbuchs- wesen kommen dazu noch die Protestationen und Pränotationen , die gleichfalls eigener Rubriken bedürfen. C. Die volle Erfüllung der Aufgabe des Grundbuches in allen Theilen setzt nun neben demselben noch zwei Bücher voraus. Zuerst das Tagebuch oder Einlaufsregister mit Rubriken für Objekt, Tag und Stunde der Präsentation, und zweitens das Urkundenbuch, in welchem die Dokumente bewahrt werden, die als Beweis für den In- halt der drei Folien (oder Bücher) dienen. Es ist selbstverständlich, daß Bücher, Journal und Urkunden mit correspondirenden Nummern versehen sein müssen. Das sind nun die Bestandtheile und Ordnung eines vollkommenen Grundbuches. Die wirklichen Grundbücher sind dagegen von ein- ander in allen diesen Beziehungen sehr verschieden. Die Vergleichung dieser Verschiedenheit ist ein wesentliches Element des Verständnisses der eigentlichen Aufgabe des Grundbuchswesens überhaupt. Am letztern Orte beruht nämlich jene Verschiedenheit darauf, ob das Grundbuch die Sicherheit des Einzelcredits zur Hauptsache macht, und dadurch nur indirekt das allgemeine Realcreditwesen för- dern will, oder ob es grundsätzlich eine Anstalt des öffentlichen , allgemeinen Realcreditwesens ist, und den Einzelcredit nur in sich auf- nimmt. Dieser doppelte Charakter durchzieht das gesammte Grund- buchswesen und erscheint, wenn man darnach die Grundbücher überhaupt in zwei große Classen theilt, für die Grundbuchsordnung in folgenden Punkten. Die erste Classe, Grundbücher des Einzelcredits, fordern nur un- bedingt das einfache Schuldfolium ; die Aufnahme des Besitzfoliums als selbständiges Folium ist ein allerdings unabweisbarer Fortschritt. Das letztere kann dann die höchste Ausbildung erfahren, ohne daß das Grundbuch noch seinen Charakter ändert. Die zweite Classe dagegen, Grundbücher des eigentlichen Realcredits, sollen ein vollständiges Bild des Gutes als Grundlage des Credits feststellen. Sie müssen daher ein genaues Lasten- oder Werthfolium enthalten, namentlich alle dergleichen Rechte, Steuern und Lasten, ge- setzliche Pfandrechte, Angabe der Kaufpreise, und Pränotationsrubrik. Sehr häufig nun sind, namentlich in den deutschen Grund- und Hypo- thekenbüchern, allerlei Verbindungen der Elemente beider Classen; im Allgemeinen ist eine Entwicklung der ersten Classe zur zweiten, und damit die Anerkennung der Nothwendigkeit eines vollständigen Grundbuches unverkennbar; die Herstellung desselben muß, wie das Folgende zeigt, die erste Aufgabe der neuen Gesetzgebung sein. Es verwirrt das richtige Urtheil, wenn man die Classifikation der Grund- bücher bloß auf die beiden Principien der Legalität zurückführt, wie es bisher üblich war (vergl. Mittermaier , deutsches Privatrecht §. 263). — Englands Grundbuchswesen gehört durchaus der ersten Classe, wie denn auch in England überhaupt keine Realcreditanstalten bestehen. — Frankreich fällt durch seine gesetzlichen, der Einverleibung nicht unterworfenen Hypotheken in die erste Classe; auch hat es keine Steuern, jedoch die Aufnahme der dinglichen Rechte; for- mell ist es dabei höchst unvollkommen. — In Deutschland ist die preußi- sche Hypothekenordnung das große Muster der zweiten Classe, jedoch noch der Vervollkommnung fähig. — Oesterreichs Grundbuchsordnungen haben größten- theils die meisten Elemente der zweiten Classe aufgenommen, ohne gleichmäßig oder formell durchgebildet zu sein; namentlich Tirol ist selbst in der ersten Classe weit zurück. Aehnliches gilt von Bayern und Württemberg , wäh- rend Baden und der Rhein den französischen Standpunkt vertreten, und Sachsen der ersten Classe gehört. Doch sind die gesetzlichen Pfandrechte allent- halben, bis auf gewisse ärarische Forderungen, ohne Einverleibung ungültig. Das im Einzelnen durchzuführen, ist eine schwierige, aber wichtige Arbeit. Das Material dafür in reichem Maße gehäuft bei Mascher a. a. O. S. 94; die Vielgestaltigkeit der deutschen Grundbücher macht allerdings eine erschöpfende und klare Uebersicht sehr schwer (vergl. „Foliografie“ bei Mascher a. a. O. Cap. 8; Fr. Neumann a. a. O. S. 138 ff. 3) Die Grundbuchsführung. Die Grundbuchsführung enthält nun die Thätigkeiten des Grund- buchsorgans, durch welche den Betheiligten das Recht des Grundbuches erworben wird, und deren formale Richtigkeit daher die Voraussetzung des Credits bildet. Dadurch werden die einzelnen Momente dieses Verfahrens von entscheidender Bedeutung, und fordern eine eingehende Erwägung. Natürlich sind dieselben verschieden, je nachdem bloß ein Schuld- oder auch ein Besitz- und Lastenbuch vorliegt. Die für alle Momente gemeinsamen Grundlagen sind das Princip, die Führung, die Haftung und die Kosten. A. Das leitende Princip aller Grundbuchsführung muß ein solches sein, das dem ganzen Verfahren selbst objektive Gewißheit und Sicherheit gibt; die Grundbuchsakten dürfen demnach nicht einfach von dem Willen und der Angabe der Parteien abhängen, sondern müssen durch ein öffentliches Organ anerkannt werden. Dieß aber ist bei allen Verkehrsakten das Gericht. Das leitende Princip alles Grundbuchs- verfahrens ist demnach, daß die Gültigkeit jedes Akts einen gericht- lichen Bescheid als Grundlage fordert . Die Uebelstände dabei durch mögliche Verzögerung sind groß, der Werth einer objektiven Gültigkeit der Erklärungen ist aber für den Credit weit größer, und die ersten werden durch das Princip der Führung (s. unten) im Wesentlichen wieder aufgehoben. Dagegen hat das Gericht nicht über die Natur und Gültigkeit des den Grundbuchsakten zum Grunde liegenden Geschäfts , sondern nur über die Dispositionsfähigkeit der Personen und die formale Gültigkeit des Vertrages zu entscheiden und die Ein- und Austragung nur aus solchen Gründen zurückzuweisen. Denn die erste macht das Geschäft selbst ungültig, die zweite dagegen läßt das Recht auf die Priorität bestehen, wenn die Ungültigkeit zu ändern ist. B. Die Führung umfaßt im weitern Sinne auch das Verfahren von Seiten der Betheiligten, im engern nur das des eigentlichen Grund- buchsorgans. Sie beginnt mit der Einreichung , für welche Tag und Stunde als Grundlage der Priorität angemerkt werden, darauf folgt die Eingabe an das Gericht, der Bescheid desselben, und dann die Eintragung oder Löschung . Die letzteren, als zweite wesent- liche Aufgabe der Führung, sollen sich auf das Geschäft nicht beziehen, so wenig wie auf das Recht desselben, sondern nur die Thatsache des geschehenen Aktes (unter Angabe des erworbenen Rechts) und seinen Zeitpunkt constatiren, natürlich mit Bezug auf die zum Grunde liegen- den Akten. Es ist von Wichtigkeit, daß dafür bestimmte Formeln be- stehen; jede Grundbuchsordnung sollte dieselben genau vorschreiben. Jeder hat das Recht, eine Bestätigung der geschehenen Akte für sich zu fordern, ohne Rücksicht auf das Princip der Publicität (Recognitions- schein). Wollen die Betheiligten mehr, so haben sie eben so unzweifel- haft das Recht auf einen Grundbuch sauszug , als auf eine vollständige Abschrift . Gegen die Führung geht der Recurs an das Gericht; gegen das letztere ist offenbar nur die Appellation berechtigt. Die Gültigkeit der Entscheidungen des Gerichts gehen dagegen unbedingt auf den Tag der Einreichung zurück. C. Mit diesen Grundsätzen ist auch die Haftung eine einfache. Für das Gericht gibt es keine Haftung; die Haftung der Führung bezieht sich wesentlich auf die Genauigkeit des Einreichungsprotokolls; gegen alle andern Akte der Führung genügt der Gegenbeweis. Die Haftungsfrage wird nur dann schwierig, wenn die Grundbuchsbehörde vom Gericht getrennt ist. D. Von großer Bedeutung sind endlich die Kosten des Grund- buchsverfahrens, nicht bloß für den Betreffenden, sondern für die Ent- wicklung des Creditwesens überhaupt. Ueber die Nothwendigkeit mög- lichst niedriger Ansätze ist man sich einig; nicht so über das folgende. Das System dieser Kosten enthält erstlich die Gebühr für Eintragung und Löschung, und zweitens die (meist in Stempelform erhobene) Ver- kehrssteuer auf das Darlehen (Schuldscheinstempelung). Das Princip, welches dafür gilt, ist bisher das der Gleichheit , und zwar der Gleichheit des Betrages bei der Gebühr, und des Steue rfußes bei dem Schuldstempel. So natürlich dieß Princip erscheint, so ist es den- noch falsch, denn gerade diese formale Gleichheit wird zur Ungleich- heit im wirklichen Creditverkehr. Die Natur gerade des kleinen land- wirthschaftlichen Credits und seiner steigenden Nothwendigkeit fordert, daß man vermöge eines nach der Höhe des Darlehens steigenden Gebühren- und Steuerfußes für den kleinen Realcredit die Benutzung des Grundbuches so billig als möglich, und den kleinsten Credit ganz kostenfrei mache; die höhere Belastung, die der große Credit leicht trägt, soll dazu bestimmt sein, den Ausfall zu decken. Die genauere Begründung dieser Forderung ist wohl eine sehr einfache, wenn ihr auch bisher keine Grundbuchsordnung nachgekommen ist. In Beziehung auf das Princip des Verfahrens scheiden sich zwei große Systeme, welche formell von der Organisation des Grundbuchsamts abhängen. Das eine ist das französisch-englische, nach welchem die Intervention eines gerichtlichen Bescheides grundsätzlich ausgeschlossen ist, und das Gericht nur im Falle der Streitigkeit aufgerufen wird. In dem deutschen Hypothekenwesen steht durchgehends der Grundsatz fest, daß der gerichtliche Bescheid die Voraus- setzung jedes Aktes sein soll. Der Ursprung dieses Princips ist allerdings ein historischer, da die Grundbuchsämter der Patrimonialgerichte zugleich Ver- waltungsbehörden waren, und daher ihr Recht auf Führung von keinem Standpunkt in Zweifel gezogen werden konnte. Bei der theilweisen und gänz- lichen Auflösung hielt jedoch die deutsche Grundbuchsordnung um so entschie- dener an dem Grundsatz der gerichtlichen Bescheide fest, als dieselbe mit wenig Ausnahmen die Legalität auch für das Eigenthum forderte. Streit darüber bei Mascher S. 690 ff. Vergl. Mittermaier a. a. O. §. 263. Haftung der Hypothekbehörden ( Mittermaier §. 267; Code Civ. Art. 2197 ff.). Die formelle Frage nach Inscription und Transscription Mascher S. 699; erstere nur in Frankreich und England nothwendig, nach deutschem System mehr als überflüssig. Ueber die großen Kosten des Grundbuchverfahrens f. Ran , Volks- wirthschaftspflege a. a. O. In Frankreich schon Hauteville ( de la revision du Syst. hypothécaire 1843); dann Enquête von 1846 ohne Erfolg; dann neuer Kampf ( Wolowsky , Revue de législat. et jurisprud. 1852; vergl. Dünkelberg , Landwirthschaft und Capital, 1860; zu kurz Mascher S. 803). — Wichtig ist die Gesetzgebung über grundbücherliches Verfahren bei Zerthei- lung von Liegenschaften: österreich. Gesetz vom 6. Febr. 1869. 4) Das Grundbuchsrecht. Das Grundbuchsrecht ist nun seinem formellen Begriffe nach die Gesammtheit von Rechten , welche mit den einzelnen Akten des eben bezeichneten Grundbuchsverfahrens verbunden sind . Seinem Wesen nach ist das Grundbuchsrecht, als Theil des Ver- waltungsrechts, die Gesammtheit derjenigen Modifikationen des bürgerlichen Pfand- und in zweiter Reihe Erwerbs- und Besitz- rechtes unbeweglicher Güter, welche durch die Natur des öffentlichen oder allgemeinen Realcredits im Gegensatze zum Einzeldarlehen gefor- dert sind. Es gibt daher im römischen Recht überhaupt kein Grundbuchsrecht. Die bürgerlichen Gesetzbücher der germanischen Welt aber haben das Grundbuchsrecht meistens ganz oder doch zum Theil in sich aufgenom- men, und dadurch das Verständniß des öffentlichen Charakters desselben und seiner Begründung im Creditwesen sehr erschwert, so daß die ganze Behandlung des Grundbuchsrechts sich in bei weitem überwiegendem Grade als Interpretation der bürgerlichen Gesetze herausstellt. Daher der Mangel an selbständiger wissenschaftlicher Behandlung, den nur die Lehre vom Credit in der Verwaltungslehre zu heben vermag. Dennoch ist man über die selbständigen Elemente des Grund- buchsrechts im wesentlichen einig, wenn man dasselbe auch noch nicht immer von dem Grundbuchsverfahren zu unterscheiden vermag. Jene Elemente stehen in einem historischen Verhältniß zu einander, und müssen daher auch nicht als einfaches Nebeneinander, sondern als inner- lich bedingtes Ganze aufgefaßt werden. Sie sind die Priorität, die Specialität, die Legalität und die Publicität, welche gemeinsam nur als Consequenzen des Wesens des öffentlichen Credits und nicht bloß als Inhalt der bürgerlichen oder selbst öffentlichen Gesetzgebung an- erkannt werden müssen. Unterscheidung der doppelten Richtung in der deutschen und der ihr fol- genden französischen Literatur: die Interpretatoren der Gesetzbücher, an welche sich die selbständigen Darstellungen und Sammlungen der positiven Grundbuchsbestimmungen, und selbst die kurzen Angaben in den Staatsrechten (wie bei Rönne, Pötzl, Stubenrauch) anschließen und die Literatur über den landwirthschaftlichen Credit, der mit unserem Jahrhundert entsteht, und theils das Creditwesen vom vorwiegend rechtlichen, theils aber vom volkswirthschaft- lichen Standpunkt betrachtet, letzteres jedoch meist ohne Eingehen auf die Sache, wie bei Rau und Roscher, während es bei den meisten andern gänzlich fehlt. Mascher , Abschn. II. verwechselt geradezu die „Hypotheke npolitik “ mit dem Hypotheke nrecht . a) Die Priorität . Die Priorität ist der erste Schritt vom römischen Recht zum Grundbuchswesen. Sie besteht in dem Grundsatz, daß unter den nach bürgerlichem Recht gültigen Pfandbestellungen diejenige den Vorzug hat, welche eingetragen ist, und zwar nach Maßgabe des Datums der Einverleibung. Sie enthält zweitens die nähere Bestimmung über den Umfang , in welchem in Beziehung auf Zinsen und Früchte das eingetragene Pfandrecht zur Gültigkeit kommt. Sie wird gerechnet vom Tage der Anmeldung , auf welchen der gerichtliche Bescheid zu- rückwirkt. Sie enthält an sich noch weder die Specialität noch die Le- galität, aber sie führt unmittelbar auf beide hinüber. Ihr gegenüber steht das Princip der gesetzlichen Pfandrechte (gesetzliche im eigent- lichen Sinne und richterliche), deren Wesen die Priorität ohne Ein- tragung, und zwar vor jeder eingetragenen Post ist. Juristisch durch- aus richtig, sind die gesetzlichen Pfandrechte vermöge der Natur des Credits mit dem Grundbuchswesen unvereinbar, daher obwohl anfäng- lich anerkannt, doch in allen deutschen und englischen neueren Gesetzen abgeschafft, und nur das französische Recht hat sie in einem Umfange beibehalten, der trotz der von ihm anerkannten Legalität den Werth des französischen Hypothekenwesens für den Credit in hohem Grade beein- trächtigt. Völlige Einstimmigkeit der deutschen und selbst der französischen Literatur über die Verkehrtheit der gesetzlichen Hypothek: Mittermaier , deutsches Privat- recht §. 203; Mascher S. 94 — 125; Foelix a. a. O.; Geschichte der Priorität aus der Ingrossation ( Mittermaier §. 260. 261 nebst Literatur; Mascher S. 63 ff. fast ohne Literatur). Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 18 b) Die Specialität . Aus der Priorität ergibt sich von selbst der Grundsatz, daß jedes eingetragene Pfandrecht, um ein Eigenthum am Werthe constatiren zu können, sich auf ein bestimmt angegebenes Gut mit einem bestimmt angegebenen Betrage beziehen müsse. Der römische Grundsatz der Hypotheca omnium bonorum ist mit dem Wesen des Realcredits un- vereinbar, und wird daher in allen deutschen Grundbuchsgesetzen aus- drücklich, theils indirekt wie in der englischen, welche nur eine bestimmte Schuld eintragen läßt, beseitigt. Die weitere Consequenz ist die Auf- hebung der gesetzlichen Hypotheken schon darum, weil die meisten nur auf unbestimmte Summen lauten. Priorität und Specialität sind nur noch specifische Grundsätze des Hypothekenrechts; von dem Eigenthumsrecht ist bei ihnen noch keine Rede. Sie beziehen sich daher auch nur noch auf den Einzelcredit, und bilden damit das Element und die Aufgabe des ersten Theiles der Ge- schichte des Grundbuchsrechts. Der zweite Theil beginnt da, wo die Verwaltung auch die Voraussetzung des Werthes der Forderung in den Eigenthums- und Besitzverhältnissen erkennt, und daher auch diese in das Grundbuchswesen als Legalität und Publicität systematisch auf- nimmt, ohne natürlich das Recht der Priorität und Specialität für die Pfandschulden damit anzugreifen. Geschichte der Beseitigung der Generalhypothek ( Mittermaier §. 265). Unbestimmtheit der Hypothekenordnung für den Fall, wo die Hypothek mit ungetheilter Summe auf mehrere Güter eingetragen ist. In einigen Hypo- thekenordnungen noch Fortbestand der Generalhypothek, jedoch unter Beschrän- kungen. Oldenburg : §. 51. — Braunschweig (Gesetz von 1823) §. 1. — Das französische Recht hat sie einfach erhalten (vergl. Mascher S. 636 ff.; Götz , Gutachtliche Vorschläge S. 28; Matern , volkswirthschaftliche Aufgaben der landwirthschaftlichen Hypothekeninstitute). c) Die Legalität . Die Legalität des Grundbuchs ist nun das für alle Theile desselben geltende Princip, daß gegenüber dem bürgerlichen Rechte und seinen Grundsätzen jeder Erwerb von dinglichen Rechten wirk- lich nur durch das Grundbuch und nach den Regeln des Grund- buchsverfahrens stattfindet, während jeder auf das unbewegliche Eigenthum bezügliche Vertrag ohne Eintragung nur ein persönliches Recht gegen die Verpflichteten begründet. Es gehört nun schon ein hoher Grad von Entwicklung des Credit- lebens einerseits und des Verständnisses desselben andererseits dazu, um diese Legalität in ihrem vollen Umfange zur Geltung kommen zu lassen. Sie hat daher auch ihre Geschichte, deren Stadien strenge zu scheiden sind; verwischt man sie, so ist auch die rechte Vergleichung unmöglich. Grundlage ist die Unterscheidung zwischen der Legalität der Hypothek , und der Legalität des Eigenthums . Die Legalität der Hypothek ist der Grundsatz, daß ohne Eintragung in das Hypothekenbuch über- haupt kein Pfand an Immobilien bestellt werden kann, so daß jede bürgerliche Pfandbestellung nur das Recht auf eine Hypothekbestellung, nicht die letztere selber gibt. Mit diesem Grundsatz beginnt eigentlich erst das Grundbuchswesen, und die folgenden Begriffe und Rechte sind nur die Consequenzen desselben; denn erst mit ihm scheidet sich das Grundbuchsrecht von der römischen hypotheca . Die Entstehung der Legalität der Hypothek bildet daher das erste Stadium des Grund- buchswesens, und findet ihre volle Formulirung in dem Rechte der Priorität und Specialität. Erst langsam entwickelt sich daraus, durch den höheren Standpunkt des allgemeinen Credits, der zweite Grundsatz, daß auch kein Eigenthum und kein Besitz ohne Eintragung in das Grundbuch erworben werden könne, die Legalität des Eigenthums . Mit ihr tritt das ein, was wir die volle Legalität des Grundbuchs- wesens nennen. Sie ist es, welche einerseits die möglichst klare Ord- nung des Grundbuchs, und andererseits die möglichste Genauigkeit des Grundbuchsverfahrens erzeugt; erst mit ihr ist daher das ganze Grund- buchswesen zu seiner vollen Entwicklung und die folgenden Begriffe zu ihrer ganzen Bedeutung gelangt. Man wird sie mit Recht das deutsche Princip des Grundbuchswesens nennen. Ihr gegenüber steht das processuale Princip desselben, nach welchem die Eintragung in das Grundbuch nicht das Recht selber, sondern nur den unanfechtbaren Beweis desselben bildet. Man hat es auch wohl das römische System genannt. Vergleicht man demnach die bestehenden Systeme, so steht das eng- lische Grundbuchswesen auf dem rein processualen Standpunkt; das französische System hat die halbe Legalität, indem es nur die Lega- lität der Hypothek im obigen Sinne, nicht aber die des Eigenthums anerkennt; das preußische und österreichische haben die volle Legalität, also die des Eigenthums und Besitzes durchgeführt; viele deutsche Staaten sind ihnen gefolgt, andere dagegen stehen noch auf dem rein processualen, andere auf dem Standpunkt der halben Legalität. Das nun hängt natürlich so eng mit der Grundbuch sordnung zusammen, daß man als leitendes Princip für die Entwicklung des ganzen Grund- buchswesens, und namentlich als Basis für die neue Gesetzgebung den Grundsatz aufstellen muß, daß die volle Legalität ohne eine syste- matische Grundbuchsordnung gar nicht möglich ist , während die systematische Grundbuchsordnung sie selbst, und mit ihr die Vollendung des Grundbuchswesens von selber erzeugt . Die klare Scheidung dieser Faktoren ist daher die erste Bedingung des Fortschrittes im Grundbuchswesen. Durchstehend bei allen Besprechungen des Grundbuchswesens ist die Un- klarheit über Grundbuchsordnung und Grundbuchsrecht, ihre Selbständigkeit und ihr gegenseitiges Bedingtsein. Namentlich bei dem reichen Werke von Mascher (vergl. namentlich S. 552 und 586). Von diesem Standpunkt müssen auch die einzelnen Grundbuchsordnungen und Rechte verglichen werden. — Englands Grundbuchswesen beruht nicht auf dem Bedürfniß nach Credit, sondern auf der Vielgestaltigkeit und zum Theil Unklarheit der Eigenthums- verhältnisse, und der Schwierigkeit der Processe . Daher will es vor allen Dingen eine „indefensible Title “ für alle dinglichen Rechte herstellen (vergl. Austria a. a. O). Früheres Recht, falsch als noch bestehend angenommen bei Mascher S. 555. 556. Es ist daher eine registrirte Sammlung von Beweis- urkunden . — In Frankreich vermengen sich die Systeme; die Hypothek existirt allerdings nur durch die Eintragung bei dem Conservateur; von andern dinglichen Rechten ist dagegen keine Rede, und das Recht der Transscription für das Eigenthum ist Grund von hundert Streitigkeiten (s. Foelix a. a. O. und Mascher 94—125, S. 556; Mittermaier , deutsches Privatrecht §. 262). — Preußen und Oesterreich haben die volle Legalität grundsätzlich aus- gesprochen; in beiden aber haben die Kronländer und Provinzen wieder ihre eigenen Grundbuchsordnungen, so daß die Durchführung des Princips vielfache Schwierigkeiten findet, daher auch die Modifikation in Preußen seit 1864, daß Grundeigenthum nur durch Tradition erworben wird ( Mascher S. 552 ff.). Die von Mascher S. 225 ff. sog. Länder des sächsischen Rechts (nur nicht das Königreich Sachsen selbst) unterscheiden sich von denen des österreichisch- preußischen Rechts dadurch, daß sie nur die Legalität des Pfandrechts an- erkennen, und auch das zum Theil nur unvollkommen. Das wäre die Auf- gabe der Vergleichung gewesen. Die leitenden Grundsätze über Legalität bei Mascher unter der Rubrik „Publicität.“ d) Publicität . Der letzte Grundsatz zur vollen Geltung des Grundbuchswesens als Basis des Realcredits ist nun der, daß jeder das Recht der Einsicht in das Grundbuch haben soll. Dieser Grundsatz ist so- wohl im Princip als in der Ausführung bestritten. So lange das Grundbuch ein reines Hypothekenbuch ist, ist die allgemeine Einsicht in dasselbe nicht motivirt, und die Erlaubniß des Schuldners erforderlich; mit der vollen Legalität wird sie nothwendig. Die natürliche Form ist das Recht auf einen Grundbuch sauszug gegen Gebühr. Daneben steht das Recht jedes Besitzers, eine Bescheinigung der Eintragung von der Führung zu verlangen. Die Bedeutung der Sache für den Werth- umlauf bedarf keiner Motivirung. Verwechslung der Publicität mit der Legalität schon bei Mittermaier §. 262; Mascher a. a. O. Streit über die Publicität schon seit Gönner (vergl. Mittermaier §. 262. Nr. 2). Anerkennung im französischen Recht ( Code Civ. Art. 2196). II. Die Realcredit-Anstalten. Begriff und Wesen. So wichtig nun auch das Grundbuchswesen ist, so ist es dennoch unfähig, das höhere Bedürfniß des Realcredits zu erfüllen. Der Hypothekencredit wird stets von einem einzelnen Capitale gegeben und entspricht daher auch nur einem einzelnen Bedürfniß. Er macht zwar den Verkehr mit dem Pfandrecht nicht unmöglich, aber schwerfällig. Die Schuld selbst ist zwar sicher, aber wird schwer zurückgezahlt; selbst die Zinsen finden oft Schwierigkeiten, regelmäßig einzukommen. So wie daher das Capital überhaupt in rascherem Kreislauf rascheren und gleich verwerthbaren Gewinn findet, sucht es trotz der Sicherheit im Grundbuch doch den Realcredit nicht mehr auf, und wo es das thut, wird es theurer, als es die Produktivität der landwirthschaftlichen und der ihr analogen Produktion zuläßt. Zu gleicher Zeit steigt aber der Bedarf am Capital für die Ur- produktion; sie wird eine rationelle, indem sie Capital auf die Pro- duktivkräfte selbst verwendet. Dieser Bedarf ist allgemein für die ge- sammte Urproduktion. Dadurch entsteht ein Mißverhältniß, dem auch das beste Grundbuchswesen nicht abzuhelfen vermag. Es stellt sich mehr und mehr heraus, daß der Credit des Grundbuchs nur in den Fällen einzelner Noth zu helfen fähig ist, während für die allgemeine Herbeiziehung von eigentlichen Anlagecapitalien für die Urproduktion ein eigener Proceß entstehen muß. Dieser nun hat offenbar zur Voraussetzung, daß den als Anlage- capital für die Urproduktion verwendeten Creditcapitalien zu der durch das Grundbuchswesen gegebenen Sicherheit auch noch die Fähigkeit hin- zukomme, in den Werthumlauf einzutreten . Diese Fähigkeit aber können weder Schuldner noch Gläubiger allein solchen Capitalien geben. Sie kann nur durch Theilnahme der Staatsgewalt geschehen. Es ist daher natürlich, daß im Beginn dieser Entwicklung die Regie- rung daran denkt, der Urproduktion direkte Hülfe durch öffentlichen Credit zu verschaffen. Allein das Wesen des Credits macht ein Eingreifen durch die Regierung auch hier wirthschaftlich undurchgreifbar (s. oben). Die Form, in der das Gesammtleben sich daher jene große Bedingung der Entwicklung der Urproduktion verschafft, ist das Vereinswesen . So tritt das Vereinswesen in das System des Realcredits hinein, und der daraus entstehende, nicht durch Gesetze und Verwaltungsmaßregeln gebildete, sondern auf der freien Thätigkeit des Einzelnen und den wirthschaftlichen Gesetzen des Credits beruhende Organismus des Real- credits nennen wir die Realcreditvereine . Jede Realcreditanstalt ist daher ein Realcreditverein. Das Princip der Realcreditanstalten ist daher, daß sie ein eigens für die Anlage im Realcredit bestimmtes Capital schaffen, und dasselbe durch ihre Thätigkeit so verwalten, daß es mit der vollen Sicherheit des Realcredits die volle Beweglichkeit des Geschäfts- credits verbindet . Erst damit werden Begriff und Funktion des Credits für die unbeweglichen Güter vollständig gültig, und im Real- creditwesen beginnt eine neue, hochwichtige Epoche. Natürlich hat das Eintreten dieser Epoche nicht bloß das Ein- treten wirthschaftlicher Verhältnisse des Credits zum Inhalt. Es be- deutet und enthält vielmehr die Zeit, wo das gewerbliche Capital der staatsbürgerlichen Gesellschaft die specifische Form des Besitzes der stän- dischen Gesellschaft, den Grundbesitz, sich unterwirft und wirthschaftlich mit ihren Bedingungen und Folgen beherrscht. Das Auftreten der Realcreditanstalten ist daher nicht bloß eine große wirthschaftliche und rechtliche, sondern auch eine mächtige gesellschaftliche Thatsache, und greift damit auf das tiefste, langsam aber gewaltig wirkend, in das ganze innere Leben Europas ein. Es ist daher leicht verständlich, daß die Realcreditanstalten sich weder plötzlich noch gleichförmig entwickelt haben. Ihre Grundformen sind zugleich ihre Geschichte. Ihre Darstellung aber zerfällt in ihr wirthschaftliches und ihr öffentlich rechtliches Element, von denen bei den zwei Grundformen, den gegenseitigen und den Aktivcreditvereinen das erste sehr verschieden, das zweite aber sehr gleichartig ist. Erst in neuester Zeit in der Literatur die Grundlage richtiger Behandlung in dem Verständniß dafür, daß Grundbuchswesen und Realcreditanstalten bei tiefster Verschiedenheit dennoch zwei Seiten des allgemeinen Begriffes des Real- creditwesens sind. Vergl. namentlich die Auffassung bei Rau , Volkswirth- schaftspflege II. §. 110 ff.; Roscher II. §. 133 ff. Uebrigens hat der Gang der Dinge es mit sich gebracht, daß auch die gesammten Realcreditanstalten ausschließlich auf die Landwirthschaft bezogen werden; bei den Bedürfnissen der letzteren beginnend, ist die Theorie auch bei ihnen stehen geblieben, und in der That ist auch die Hauptanwendung die Landwirthschaft. Man kann übrigens in der ziemlich reichen Literatur, die mit den Aufsätzen über die schlesischen Vereine in Bergius Magazin, und systematisch in Berg , Polizei- wissenschaft Bd. V. 494 f. beginnt, zwei Hauptformen scheiden; die erste , die sich auf die Interessen der Landwirthschaft überhaupt bezieht, und die zweite, an deren Spitze Rau steht, die mit tiefer gehendem Verständniß das Vereins- wesen als Quelle des Realcredits ansieht, und daher mit Recht den Schwer- punkt in die Charakteristik der Statuten der betreffenden Vereine legt. Roscher hat dann das historische Element betont. Jetzt ist die Auffassung des Ganzen als Theil der Verwaltungslehre zu vollziehen. Der Realcredit-Verein . Die Bedeutung des Vereinswesens als Grundlage der Realcredit- anstalten besteht nun zuerst darin, daß durch sie die Möglichkeit und zweitens das eigentliche Gebiet des Realcreditwesens zum Bewußtsein gekommen, und in die Creditverwaltung aufgenommen ist. Sie haben die Aufgabe gelöst, das Gesammtinteresse der Volkswirthschaft an der Entwicklung des Immobiliarcredits, mit der ersten Voraussetzung alles Credits, den Forderungen des beweglichen Capitals, in Harmonie zu bringen. In der Art und Weise, wie sie das gethan, besteht ihr Princip; in den Formen, in denen es geschieht, bestehen ihre Arten. Das Princip ist allen Arten gemein; die Formen sind, und zwar auf historischer Basis, verschieden. a) Princip und System desselben. Das Princip der Realcreditvereine besteht darin, für den Immo- biliarcredit ein seiner Natur entsprechendes und mithin selbständig wir- kendes Capital zu schaffen und ihm seine gehörige Sicherheit zu geben. Beides kann nur dann geschehen, wenn die Voraussetzungen beider Elemente statt wie im Hypothekarcredit zum Gegenstand der in- dividuellen Thätigkeit, hier vielmehr zur Aufgabe der Vereinsthätigkeit auf Grundlage der Vereinshaftung werden. Aller Realcredit kann daher nur als Gegenstand einer Vereinsverwaltung gedacht wer- den, welche in ihm das allgemeine Interesse mit dem Einzelinteresse in Harmonie bringt. a) Um das zu erzielen, muß zuerst der Realcredit, statt ein bloßes Eigenthum am Werth zu sein, eine Waare für den Markt wer- den , und damit den Charakter und das Recht eines jeden anderen Verkehrsgegenstandes annehmen. Dieß geschieht, indem der Verein nicht mehr den Werth eines einzelnen bestimmten Gutes, wie beim Grundbuchscredit, sondern die durch solidarische Haft vereinigte Werth- masse vieler Güter als ein Ganzes in den Verkehr bringt, und dabei jedem Einzelnen es möglich macht, von diesem Werth so viel zu er- werben, als er braucht. Die Form dafür ist der Pfandbrief , der als Inhaberpapier dem Schuldner für die Ueberlassung des Wer- thes seiner Güter an den Verein übergeben wird. Durch den Pfand- brief ist die Möglichkeit für den Schuldner gegeben, so lange und so weit Eigenthümer seines eigenen Werthes zu sein, als er will; dem Gläubiger die, den durch den Kauf dieses Werthes erworbenen Werth jeden Augenblick zu verkaufen; dem Werthe endlich die, zur Waare zu werden, und dadurch das zu finden, dessen der Werth der Immobilien so gut bedarf wie ein jedes andere Gut, seinen Markt (Börse) und seinen Preis (der Curs der Pfandbriefe). Und damit ist das Mittel gefunden, für jedes Immobile Credit zu erhalten, da gerade die durch den Markt-(Börsen)-Verkehr mit dem Werthe im Pfandbriefe her- gestellte Möglichkeit, denselben gleichgültig gegen den Nominalbetrag des Pfandbriefes mit seinem Preise durch den Curs in Harmonie zu bringen , das Capital für jeden Grundwerth in jedem Augenblick finden läßt. b) Zugleich aber muß der Pfandbrief die Gewißheit geben, daß, möge sein Preis (Curs) sein welcher er wolle, der Werth desselben wirklich vorhanden ist. Es ist die wesentlichste Aufgabe des Vereins, vermöge der Grundsätze seiner Verwaltung eben diese Sicherheit als integrirenden Theil dem Pfandbriefe mitzugeben, und zwar sowohl für das Capital als für seinen Ertrag, den Zins. Diese Aufgabe ist so noth- wendig, daß die Grundsätze für ihre Erfüllung mit dem Realcreditwesen gleichzeitig entstanden, und stets anerkannt sind. Dieselben sind folgende. Erstlich genaue Schätzung jedes Gutes, und Feststellung — meist Auszahlung — seiner bisherigen Hypothekenschulden, als Grund- lage für die richtige Berechnung der Höhe des in den Pfandbriefen zu gebenden Darlehens. Zweitens die Verwaltung der Zinsen und Rückzahlung durch den Verein, ausgedrückt in den Coupons und ihren von der Zahlung der Vereinsschuldner ganz unabhängigen Zahlungsverpflichtung durch den Verein selbst. Drittens aber in dem Grundsatze, welche dem Verein die Inne- haltung dieser seiner Verpflichtung möglich machen, und die mithin als die Grundlage der ganzen Vereinsverwaltung angesehen werden. Diese nun sind; erstlich die solidarische Haftung aller Schuldner mit ihrem ganzen Vermögen für jeden Pfandbrief; zweitens die Verbin- dung der Rückzahlung mit der Zinszahlung des Schuldners, das Amor- tisations-Procent; drittens endlich die Bildung eines selbständigen Capitals, das für den Fall des Ausbleibens der Einzelzahlung dem Verein die Zahlung von Zins und Schuld dennoch möglich macht (Garantie und Reservefond). Auf diesen gemeinsamen Grundlagen haben sich nun die Arten der Realcreditvereine ausgebildet. Das praktische Verständniß und die wissenschaftliche Formulirung dieser Grundsätze sind eines der größten Verdienste, das Deutschland um die Volkswirthschaft Europas sich errungen hat. England hat zwar sein Grund- buch, aber gar keinen Realcreditverein; Frankreichs Crédit foncier ist ein sehr unfertiges Gebäude; die deutschen Realcreditvereine sind fähig und bestimmt, das Muster der Welt zu werden. Für den methodisch gebildeten deutschen Geist hat die Sache nie ernstliche Schwierigkeit gehabt, und ist zu einem integriren- den Bestandtheil der Wissenschaft geworden (vergl. vor allem Rau , Volks- wirthschaftspflege II. §. 211 und Roscher , System II. §. 133). Preußen : Hypothek-Aktiengesetzkunde (Gesetz vom 18. März 1865). b) Die Arten der Realcredit-Vereine. Die Arten der Realcreditvereine entstehen nun, indem die Sicher- heit entweder auf den Werth der Immobilien, oder auf ein eigenes Capital, zurückgeführt wird. A. Die gegenseitigen Realcreditvereine beruhen darauf, daß die Sicherheit jedes einzelnen Pfandbriefes durch die solidarische Haft aller Mitglieder begründet wird, während in allen übrigen Punkten die Verwaltung mit der folgenden Art gleich ist. Die Folge dieses Princips aber ist, daß, namentlich bei der Verschiedenheit des Grund- buchsrechts, solche Vereine nur von Besitzern gebildet werden können, die in Art und Umfang ihres Besitzes wesentlich gleichartig sind. Sie gehören daher der Epoche der rechtlichen Verschiedenheit des Grund- besitzes an, und schließen sich naturgemäß an die ständische Ordnung des Grundbesitzes. Sie entstehen deßhalb meistens aus der Noth, und haben zur Aufgabe, den Widerwillen des Capitals gegen Hingabe an bevorrechtete Classen zu überwinden. Sie haben den Vortheil, keinen Gewinn zu beabsichtigen, aber den Nachtheil, gerade den kleinen Besitz creditlos zu machen. Sie verfügen über große Werthe, aber ihre Einzelschätzung ist leicht von Standesinteressen beeinflußt. Sie haben kein bewegliches freies Capital zur Verfügung, und müssen dasselbe daher theils durch Garantie der Landschaften, theils durch Bildung eines Reservefonds ersetzen, während sie als ständischer Verein erst in unserem Jahrhundert die Principien der Oeffentlichkeit und Rechen- schaftsablage angenommen haben. Sie sind daher als die erste und hochwichtige, aber historische Form der Realcreditvereine zu betrachten. B. Die Bodencreditvereine (Hypothekenbanken) sind dagegen Unternehmungen , welche mit eigenem Aktiencapital und unter Haf- tung desselben gegenüber den Inhabern der Pfandbriefe den Realcredit fördern. Bei ihnen ist die Verwaltung ein Geschäft . Sie wollen Gewinne, aber sie lassen auch jeden Realbesitz zu. Ihre Schätzung ist geschäftlich, ihre Berechnung kaufmännisch, aber sie gestatten volle und freie Concurrenz, und erkennen alle Grundsätze des Vereinswesens für sich als maßgebend. Sie sind daher die staatsbürgerliche Form des Vereins für Realcredit, und allein der größeren Entwicklung fähig. Eben deßwegen gehören sie auch der neuen Zeit, und bilden sich rasch und systematisch aus, indem sie das Creditgeben zum Geschäft machen, ohne doch den Besitzer zu gefährden. Nur in ihnen liegt die Zukunft des Realcredits. An diese Erscheinung schließt sich die zweite, daß in vielen Staaten auch die eigentlichen (Geschäfts-) Credit- anstalten Darlehen auf Grundstücke geben. Hier ist aber in der That nur ein Einzelc reditverhältniß vorhanden, das auf unentwickelte Zu- stände des Geschäftslebens hinweist. Ueber die Landesc reditkassen s. unten. C. Die Hypotheken- Versicherungsvereine beruhen ihrerseits nur darauf, daß die Bodencreditanstalten noch nicht zur vollen Ent- wicklung gediehen sind, und das Grundbuchsrecht und Verfahren dem Einzelcredit kaum volle Sicherheit gewähren. Ihre sehr beschränkte Be- deutung verschwindet mit der Ausbildung der Bodencreditvereine fast von selbst. Im Allgemeinen gehören die wechselseitigen (ständischen) Creditvereine natur- gemäß dem vorigen Jahrhundert, die Bodencreditanstalten dem gegenwärtigen und die Literatur, welche sich an die ersten anschloß (Bergius, Berg, Struen- see u. A.; vergl. Rau §. 114) hat das Verdienst, den letzteren den Weg ge- bahnt zu haben, die dann selbst wieder eine reiche Literatur erzeugten, deren Gesammtresultate die Volkswirthschaft dann (Rau, Roscher) als ein Ganzes verarbeitet hat. Was nun das positive Recht betrifft, so muß man für Deutsch- land drei Gruppen unterscheiden. Die erste ist die österreichische , sie be- steht aus der galizischen ständischen Creditanstalt, welche 1841 errichtet der ständischen Form angehört; zweitens aus der Hypothekenabtheilung der Nationalbank, welche für den Grundbesitz des ganzen Reiches 1856 als Theil der Nationalbank errichtet ward; und drittens aus den Bodencredit- anstalten , die für die einzelnen Kronländer successive errichtet, für alle Theile wirken und ganz auf dem Standpunkt der Aktienunternehmungen stehen; s. be- sonders Franz Neumann a. a. O. S. 115 ff. Die zweite Gruppe bildet Preußen mit seinen seit 1770 ins Leben gerufenen ständischen Creditver- bänden, die unter der Landschaft stehen und dadurch mehr Institute als Ver- eine sind (s. Rönne , Staatsrecht II. §. 79 nebst Literatur). Erst in neuester Zeit sind auch einige Bodencreditanstalten entstanden, jedoch neben den ständi- schen Anstalten nicht von Bedeutung. Die dritte Gruppe wird von den Anstalten der kleineren deutschen Staaten gebildet, in denen die Geschäftscreditanstalten zugleich für den Realcredit bestimmt oder eigene öffentliche Anstalten errichtet wurden. — Bayern: Hypotheken- und Wechselbank, mit der Verpflichtung ⅗ ihres Fonds zu Anlagen auf Grund und Boden zu verwenden (Gesetz vom 1. Juli 1834). — Hannover : Creditanstalt von 1848 (Bening im Archiv ꝛc. neue Folge IX. 272). — Nassau : Landesbank von 1849, an der Stelle der Landescreditkasse von 1840 (Instruktion vom 14. April 1849; Rau §. 113). — Gotha : Landescreditanstalt vom 25. Dec. 1833. — K. Sachsen : Erb- licher Creditverein von 1844 (vergl. Rau und Roscher a. a. O.). Eine all- gemein systematische Darstellung für Deutschland fehlt. — England hat der- artige Institute überhaupt schon wegen des Mangels an einem Grundbuch nicht ausbilden können. — Frankreich dagegen hat durch Decret vom 28. Febr. 1852 die Creditvereine ins Leben gerufen, die durchaus nach deutschem Muster, aber strenge als Aktiengesellschaften, organisirt und concessionirt sind; bisher vier (vergl. Block , Dict. v. Crédit foncier ). c) Oeffentliches Recht der Realcredit-Vereine. Das öffentliche Recht der Realcreditvereine besteht nun in den- jenigen gesetzlichen Bestimmungen, welche solchen Vereinen diejenigen rechtlichen Bedingungen der Sicherheit ihrer Forderungen geben, für welche das Grundbuchswesen nicht mehr ausreicht . Diese nun scheiden sich in zwei Gruppen. Die erste ist nichts anderes, als die Anwendung der geltenden Bestimmungen des Vereinsrechts auf diese Vereine, die jedoch nur in der zweiten Classe ganz zur Geltung gelangen, da die erste Classe seit ihrem Entstehen den Charakter von Corporationen nie ganz hat beseitigen, und deßhalb auch nicht mit vollem Erfolg hat wirken können. Die zweite Gruppe jedoch enthält das eigentliche öffentliche, nur auf die Bedürfnisse der Creditoren bezügliche Recht derselben. Hier nun scheiden sich die beiden Arten. Die ständischen Creditvereine sind meistens auf Grundlage direkter Staatshülfe gegründet, unterstehen daher der unmittelbaren Oberauf- sicht der Regierung, und genießen (Preußen) die Garantie der (ständi- schen) Landschaft, wofür die letztere auch die Sequestration bietet. Erst bei dem eigentlichen Creditverein kommt daher die reine Natur des Verwaltungsrechts zur Geltung. Der Staat gibt demselben gar keine direkte Unterstützung, sondern nur Rechte. Diese sind principiell doppelter Natur: erstlich enthalten sie die Berechtigung, die Zinsen mit dem Rechte der Steuern einzutreiben, und zweitens Vorrechte bei der Execution der Schuldsumme. Wo noch Zinsbeschränkungen bestehen, werden auch diese aufgehoben; Stempel- und andere Befreiun- gen können nur durch besondere Gründe motivirt erscheinen. Diese Rechte sind meist auch den Banken verliehen, wo dieselben das Recht oder gar die Pflicht haben, auf Immobilien Credit zu geben. In Deutschland bestehen über diese Rechte keine allgemeinen Gesetze, son- dern dieselben sind in den Statuten der einzelnen Anstalten enthalten (s. Busch , Einfluß des Handelsgesetzbuches auf das Grund- und Hypothekenrecht; Archiv des allgem. deutschen Hypothekenrechts IV. 1. 2). — In Preußen hat jede Landesbank ihre eigene gesetzliche Geschichte; kurz bei Rönne II. 379. Der landschaftliche Charakter derselben hat meist die Verwaltung unter Abgeordnete der Landtage (Deputirte) gestellt; Oesterreich ist viel weiter, indem die Ver- waltungen ganz als Vereinsverwaltungen behandelt werden. Das Hauptvor- recht der Vereine geht dahin, daß sich ihre Exekution auch auf bewegliche Güter erstreckt, daß sie die ihr vorgehenden Prioritäten ablösen kann. Als gesetzliche Grundlage der Schätzung gilt die hundertfache der Grundsteuer. Für die all- gemeine Boden-Creditanstalt : Erlaß vom 1. Juni 1864, namentlich in Bezug auf Eintreibung der Gelder und Geltung der Dokumente (Stat. Art. 83). Neuestes allgemeines Gesetz vom 28. Okt. 1864 über die den Anstalten, welche Creditgeschäfte betreiben, zukommenden Ausnahmen von den allgemeinen Justiz- gesetzen; namentlich Recht auf Exekution für ihre Faustpfänder nach Art. 310, 311 des Handelsgesetzbuches; 2) auf den Zahlungsauftrag für Hypotheken nach dem bloßen Auszug ihrer Bücher; 3) und auf Verpachtung wenn die Hypothek zugesprochen ist. — In Frankreich stehen die Creditvereine direkt unter dem Minister, der die Direktion ernennt , und ihre Abrechnungen werden den Finanzbehörden zur Verifikation vorgelegt, wobei die Com- missaires jeden Akt der Société überwachen. Natürlich konnte unter diesen Umständen ein solches streng bureaukratisches Vereinswesen keinen bedeutenden Erfolg haben. Die kurze Exekutionsfrist (sechs Wochen) hilft dagegen nicht, eben so wenig das Recht, die andern Hypotheken einseitig zu löschen, und die Bestimmung, daß die Hypothek nie die Hälfte des Schätzungswerthes über- steigen darf, hindert mehr die natürliche Entwicklung als sie dieselbe fördert. C. Der Geschäftscredit. Wirthschaftlicher Begriff. Während nun der Personalcredit sich auf die wirthschaftliche Per- sönlichkeit bezieht, der Realcredit den Werth der einzelnen Güter zum Gegenstand des Verkehrs macht, ist der Geschäftscredit der Credit der Unternehmung , und eben deßhalb der eigentliche Credit. Für ihn erst gelten daher in ihrem vollen Umfange die Grundsätze einer- seits und die Forderungen andererseits, welche über den Credit über- haupt aufgestellt sind. Erst mit dem Geschäftscredit beginnt die höhere wirthschaftliche Entwicklung der Völker. Denn erst beim Geschäftscredit wird das Darlehen gegeben, regelmäßig mit der Absicht, immer aber mit dem Bewußtsein, daß es durch Produktion und Verkehr verwerthet werden soll, und daß daher Rückzahlung und Zins von dieser seiner Verwerthung im weitesten Sinne durch das Unternehmen abhängt. Der Geschäftscredit hat daher zu seiner Grundlage weder das Vermögen noch den guten Willen des Debitors, sondern den Werth der Unter- nehmung desselben; die beiden ersten Momente sind für ihn unter- geordnet. Eben darin liegt seine große Gewalt; denn dieser Werth der Unternehmung beruht eben so sehr auf der persönlichen Tüchtigkeit als auf dem Capital; der Geschäftscredit ist daher auch ohne Capital möglich; einmal gegeben aber, gibt er dem Schuldner das Capital, das ein dritter ihm für die Leistungen seiner Unternehmung schuldig ist, noch vor der wirklichen Fälligkeit desselben, und während daher die capitallose persönliche Tüchtigkeit durch ihn Capital findet, empfängt der capitalbesitzende Unternehmer die Möglichkeit, mit doppeltem und dreifachem Capital zu arbeiten. Erst mit dem Geschäftscredit ist daher der Aufschwung, den das Capital überhaupt geben kann, nicht mehr an den zufälligen Besitz des Capitals gebunden. Nicht der persönliche und auch nicht der Realcredit, sondern der Geschäftscredit ist es, der jedem gibt, was er für sein Geschäft braucht; er ist die absolut freie Bewegung des Capitals, und daher der Beginn und die Grundlage der wirthschaftlichen Freiheit für die wirthschaftlich tüchtige Persönlichkeit. Seine Entwicklung ist daher die Bedingung des allgemeinen volks- wirthschaftlichen Fortschrittes; und es ist daher nothwendig, daß er wieder mit demjenigen, was für ihn Bedingung ist, Gegenstand der Frage werde, was die Verwaltung dafür thun könne und dürfe. Die Natur des Geschäftscredits aber macht die Antwort hierauf nicht einfach. Wenn die obige Begriffsbestimmung des Geschäftscredits als des Credits der Unternehmung neu erscheint, so wird hier nur darauf verwiesen werden können, daß das Kriterium seiner Richtigkeit nicht in der Definition, sondern in der Auffassung des gesammten Creditwesens als eines organischen Ganzen gesucht werden muß! Das Princip des Verwaltungsrechts des Geschäftscredits. Ist es nämlich zuerst wahr, daß der Geschäftscredit auf diese Weise die Grundlage der ganzen freien staatsbürgerlichen Volkswirthschaft wird, und daß die letztere, so wie sie sich aus der ständischen Gestalt der letzteren erhebt, ohne ihn nicht mehr sein kann, so folgt, daß sich diese staatsbürgerliche Volkswirthschaft die Organisation dieses Credits selbst schaffen muß . Der Staat kann den Geschäftscredit nicht geben, und soll es nicht. Er kann und soll es darum nicht, weil die Voraussetzung des Geschäftscredits die individuelle Gestalt und Tüchtigkeit des Unternehmens und seiner Unternehmung ist. Es gibt keinen allgemeinen Geschäftscredit, sondern nur der Credit eines ein- zelnen , bestimmten Unternehmens, bemessen nach dem in seinem Capital und seinem Unternehmen. Das was wir die Organisirung des Geschäftscredits nennen, der durch selbständige Organe verliehene Geschäftscredit, kann daher nur auf solchen Organen beruhen, welche eben fähig sind, ihrem Credite ein solches, für den Staat unmögliches individuelles Urtheil zum Grunde zu legen. Nicht also eine Reihe von Gründen der Zweckmäßigkeit, sondern die unabänderliche Natur der Individualität des Geschäftscredits macht eine direkte Credit- verleihung durch den Staat an die Geschäftswelt unmöglich. Wenn es daher dennoch ein Verwaltungsrecht des Geschäftscredits überhaupt geben soll, so muß dasselbe aus dem allgemeinsten Princip der Verwaltung überhaupt hervorgehen, nach welchem die letztere dem persönlichen Leben nur diejenigen Bedingungen seiner Entwicklung im Ganzen wie im Einzelnen zu geben hat, die sich der Einzelne selbst vermöge ihrer Natur nicht verschaffen kann. Diese nun liegen für den Geschäftscredit nicht im Gebiete des Güter-, sondern des Rechtslebens. Die geschäftliche Tüchtigkeit, welche den Credit verdient, und die Be- rechnung der Sicherheit und des Ertrages, welche ihn gibt, sind Sache des Einzelnen; aber die Rückzahlung darf nicht Sache der Willkür desselben in Form und Zeit sein, weil der Creditgebende seinerseits mit derselben rechnet und rechnen soll. Dasjenige demnach, was der Staat für den Geschäftscredit thun kann, besteht in der Herstellung derjenigen rechtlichen Grundsätze, durch welche dem gegebenen Credit dasjenige verliehen wird, das seine einzige formale Sicherheit bietet, seine recht- liche Gültigkeit und Zahlungspflicht ; und die Gesammtheit der hierauf bezüglichen geltenden Bestimmungen bilden das Verwaltungs- recht des Geschäftscredits . Dieses nun hat drei Grundformen, nach den Grundformen, in denen das wirthschaftliche Leben die Organisation des Geschäftscredits herstellt. Diese aber schließen sich eng an die drei Grundformen des Geschäftscredits selbst, die wir daher zuvörderst selbständig ins Auge fassen müssen. Die drei Grundformen des Geschäftscredits: der Zahlungs-, Unternehmungs- und Vorschußcredit. An sich ist nun der Credit stets gleich. Seine Arten aber ent- stehen dadurch, daß er selbst zu einem verschiedenen Zwecke gegeben werden kann und gegeben wird. Dieser Zweck ändert mit der Bestimmung des als Credit gegebenen Capitals auch die Forderungen des Darleihers an Sicherheit und Rückzahlung, und damit treten dann diejenigen Modifikationen des Geschäftscreditrechts ein, welche das System des- selben bilden. Dem Systeme des Creditrechts liegen daher eben so wohl als dem der Creditorganisation die Arten der Grundformen des Ge- schäftscredits zum Grunde. Sie sind folgende. Der Zahlungscredit entsteht da, wo die Zahlungspflicht früher eintritt, als die Fälligkeit der Schuld, mit der die betreffende Zahlung gedeckt werden soll. Die Bestimmung des im Zahlungscredit dargeliehenen Capitals ist daher nicht die, für die Produktion verwendet zu werden, sondern einzig und allein die, als Zahlungsmittel für eine fällige Ge- schäftsschuld so lange zu dienen, bis die Zahlung des zweiten Schuldners an den ersten erfolgt. Der Zahlungscredit ist daher ganz gleichgültig gegen den Reinertrag ; er hat nothwendig kurze Termine; er muß aber, da das rückgezahlte Capital wieder als Credit begeben werden soll, gegen den Schuldner rücksichtslos sein. Darauf beruht sein Recht. Der Unternehmungscredit dagegen enthält ein Darlehen, welches zum geschäftlichen Betriebe bestimmt ist, und sich daher in Anlage- oder Geschäftscapital verwandelt. Die Sicherheit beruht hier nicht auf der Zahlungsfähigkeit eines Dritten, sondern auf der Produktivität des Unternehmens; die Rückzahlung kann nicht kurz, und braucht nicht rücksichtslos zu sein; dafür aber wird sie Sicherheit in Unterpfändern suchen, und daher ist der Unternehmungscredit so eng mit dem persön- lichen und Realcredit verwandt, daß er äußerlich erst selbständig er- scheint, indem selbständige Organe für ihn entstehen. Der Vorschußcredit ist seinerseits nichts als der Unternehmungs- credit ohne geschäftliche oder reale Sicherheit, und daher stets ein Credit für die entstehende Unternehmung der nicht besitzenden Classe. Es ist daher an sich eine selbständige Form nicht durch die Güter-, sondern durch die Gesellschaftslehre, und erscheint als solche für die Verwaltung erst durch die eigenen Organe, die für ihn bestimmt sind. An diese drei Funktionen des Geschäftscredits schließen sich nun die Organe der Volkswirthschaft, die für ihn wirken; und für diese Organe entsteht das System des Geschäftscreditrechts , das sich darnach in drei Theile theilt, das kaufmännische, das Banquiers- und das Vereinscreditrecht. Die Unterscheidung zwischen Zahlungs- und Unternehmungscredit aufgestellt bei Stein „das Bankwesen Europas und die Gesetzgebung“ in Jahrb. für Gesetzkunde und Statistik 1. Jahrg. 1861. Ueber den Vorschußcredit ebend. und Stein , Vereinswesen S. 166 ff. Bei den übrigen Autoren fehlt auch die Anknüpfung an diese Unterscheidung. Die Folge zeigt, daß ohne sie eine Behandlung des öffentlichen Creditrechts unthunlich ist. I. Der Zahlungscredit und seine öffentlich-rechtliche Ordnung. 1) Der kaufmännische Credit und die Handelsbücher . Der kaufmännische Credit ist derjenige Geschäftscredit, der in gegenseitiger Leistung und Abrechnung durch die Natur des Handels selbst erzeugt wird. Der kaufmännische Verkehr macht die formale Ab- schließung des einzelnen Vertrages für die einzelne Leistung eben so wie die jedesmalige Zahlung für dieselbe thatsächlich unthunlich. Er selbst wird daher unmöglich, und mit ihm alle seine die ganze Volkswirth- schaft umfassenden Folgen, wenn die Gültigkeit des Vertrags und des daraus entspringenden Creditverhältnisses von dem formalen Vertrags- abschlusse abhängig wären. Der kaufmännische Verkehr hat daher die seiner Natur entsprechende Vertragsform für Lieferungen, Vertrag und Schuld sich selbst erzeugt; und diese Form nennen wir das Handels- buch . Das Handelsbuch ist daher zugleich die kaufmännische Form der Schuld- und Zahlungsurkunden für den im kaufmännischen Verkehr erscheinenden Geschäftscredit; und die Aufgabe des Staats besteht nun einfach darin, diesen Handelsbüchern dasjenige Recht beizulegen, durch welches sie die Fähigkeit empfangen, jenem kaufmännischen Verkehre als Stellvertreter formeller Verträge zu dienen. Dieß Moment ist die Beweiskraft der Handelsbücher, die wieder die Beobachtung der formalen Bestimmungen über ihre Führung zur Voraussetzung hat. Die Beweiskraft der Handelsbücher für den kaufmännischen Credit ist daher das erste und sehr wichtige Gebiet des Geschäftscreditrechts, und die Gesetzgebung, welche über dasselbe bestimmt, ist die des Handels- rechts in den Handelsgesetzbüchern . Der kaufmännische Credit enthält nun noch ganz ungeschieden alle drei Arten des Credits. Er selbst entsteht langsam namentlich aus dem internationalen Verkehr; seine Grundlage ist die Scheidung des selb- ständigen Handels von der auf denselben berechneten Produktion, und sein Recht ist Jahrhunderte lang ein bloßes Gewohnheitsrecht der kauf- männischen Welt. Dasselbe wird erst klar, wenn sich der Zahlungs- credit selbständig durch den Handelsverkehr ausbildet. 2) Das Zahlungswesen der Bankhäuser und das Wechselrecht . Je weiter sich nun das Verkehrsleben ausbildet, um so klarer wird es, daß der gesammte Proceß des wirthschaftlichen Lebens in Produktion und Consumtion und ihrer beständigen, durch den Handel vermittelten Wechselwirkung auf der regelmäßigen Innehaltung der gegenseitigen Verbindlichkeiten in der Form der Zahlung beruht. Nach dem Wesen des Handels aber setzt die Zahlung des Einen stets die des Andern voraus; ja sie wird zur Bedingung der ganzen gewerblichen Leistung und Stellung jedes Unternehmers. Das Ausbleiben der Zahlung eines Einzelnen wird daher zu einer Gefahr für den ganzen Verkehr ; der organische Proceß des Güter- und Werthumlaufs ist gestört; und an diese Gefahr und Störung schließt sich nun, als Hilfe und Heilmittel, die weitere Entwicklung des Creditwesens. Diese nun beginnt damit, daß zunächst die Creditirung der zur Zahlung bestimmten Summe durch den hohen Werth, den die prompte Zahlung für jedes Geschäft hat, selbst zu einem Unternehmen wird. Ein solches Unternehmen heißt ein Bankhaus (Banquier). Das Entstehen der Bankhäuser daher, sowohl als die Funktion derselben im wirthschaftlichen Leben ist ein volkswirthschaftlicher Proceß, der zunächst rein volkswirthschaftlichen Gesetzen folgt. Je weiter aber die wirth- schaftliche Bewegung fortschreitet, und je nothwendiger daher das Da- sein und die Funktion dieser Bankhäuser erscheint, um so klarer wird es, daß die erste Bedingung dieser Funktion die Sicherheit und Genauig- keit der Rückzahlung des zum Zwecke der Zahlung eingeräumten Credits ist, da diese Rückzahlung allein es ist, welche das Bankhaus in dem nie ruhenden Proceß des gegenseitigen Zahlungswesens in den Stand setzt, durch beständig wiederholte Creditirung die Störung des Verkehrs in Handel und Produktion zu beseitigen. Damit wird dieser Credit der Bankhäuser aus einem ursprünglich rein privatrechtlichen Vertrage eine Funktion im allgemeinen Interesse, eine öffentliche Funktion; sie wird ein integrirendes, für kein Geschäft mehr entbehrliches Element des Zahlungswesens der gesammten Volkswirthschaft, und jetzt wird es daher auch Aufgabe der Gesetzgebung und Verwaltung, dieser für das Ganze nothwendigen Funktion diejenige Bedingung zu geben, ohne welche sie selbst eben diesen allgemeinen Charakter verlieren würde. Diese Bedingung aber ist die unbedingte und unmittelbare Pflicht zur Rückzahlung eines solchen Zahlungscredits. Die Vor- aussetzung dafür ist, daß ein Credit als Zahlungscredit von den Be- theiligten anerkannt sei; dazu bedarf es einer klaren, zu diesem Zweck genau bestimmten Form; diese Form ist der Wechsel ; und die gesetz- lich ausgesprochene unbedingte Zahlungspflicht des Wechsels ist das Wechselrecht . Der Wechsel unterscheidet sich daher von der Anweisung, die ihm historisch voraufgeht und ihn natürlich auch ferner begleitet, formell durch seine Zahlungsverpflichtung; der Sache nach aber entsteht der Wechsel erst da, wo sich der reine Zahlungscredit von dem kaufmänni- schen Credit scheidet , und in den Bankhäusern seine eigenen Organe sucht. Die Geschichte der kaufmännischen Anweisungen als einfaches Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 19 Zahlungsmandat darf daher nicht mit der des Wechsels verschmolzen werden, wie es gewöhnlich geschieht; denn der Anweisung liegt ein kaufmännischer Credit und ein Handelsbuch zum Grunde, dem Wechsel nicht . Der Wechsel beginnt , wo seine Form die gesetzliche Be- dingung seines Rechts wird, und das darum, weil eben diese Form den reinen Zahlungscredit ohne alle Beziehung auf vorhergegangene Geschäfte bedeutet. Die zweite Epoche des Wechselrechts ist die, wo vermöge der Entwicklung des geschäftlichen Lebens der Creditumlauf sich über alle wirthschaftlichen Verhältnisse erstreckt, und enthält daher die Ausdehnung der Wechselfähigkeit über alle wirthschaftlichen Persönlichkeiten. Das System des Wechselrechts endlich entsteht da- durch, daß diese Form des Wechsels eine Reihe von Modifikationen der Zahlungspflicht zuläßt, die aber das Princip nicht ändern können. Das Wechselrecht selbst aber ist demgemäß ein selbständiges Gebiet des Rechtslebens, dessen wissenschaftliche Grundlage nicht der Vertrag, son- dern die Lehre vom Credit ist. Sie ist es, welche uns das Wechsel- recht als das erkennen läßt, was es wirklich ist, nämlich das Ver- waltungsrecht des Zahlungscredits der einzelnen Unter- nehmung . Und darin liegt auch der Uebergang zur folgenden Gestaltung des Creditwesens. Es liegt wohl in dem Mangel eines festen Begriffes von der inneren Verwaltung, daß einerseits auch das Wechselrecht keine bestimmte systematische Stellung in der Wissenschaft hat, und daß ihm weder die Nationalökonomie, noch die Polizeiwissenschaft, noch die Volkswirthschaftspflege eine solche hat geben können. Das Obige wird wohl feststellen, daß ohne den entscheidenden Unter- schied zwischen Zahlungs- und Unternehmungscredit zwar die Exegese des Wechsel- rechts, nicht aber das organische Verständniß desselben zum Abschlusse gedeihen kann. Im Uebrigen muß es hier genügen, sowohl in Beziehung auf Geschichte als Theorie und Gesetzgebung auf die ausgezeichneten Werke von Thöl, Contze u. A. zu verweisen, bei denen wir einzig den klaren Unterschied zwischen An- weisung und Wechsel vermissen, der freilich von der obigen Unterscheidung ab- hängig ist. Jedenfalls gehört hierher auch das Gesetz über die Cheques, so weit es ein solches gibt (französisches Gesetz vom 28. Mai 1865; s. Austria 1865, Nr. 65). 3) Das Vereinswesen des Zahlungscredits. Das Bankwesen . Begriff und Rechtsprincip. Mit kaufmännischem und Bankhauscredit, mit Handelsbuch und Wechselrecht sind nun zwar die Elemente des Creditwesens und Rechts gegeben, allein der Credit selbst erscheint noch immer als Sache der Einzelnen , welche ihn brauchen und geben. So wie aber das Credit- wesen sich weiter entwickelt, und jede Wirthschaft streben muß, durch Credit den Werth ihrer ausstehenden Forderungen in ein unmittelbar benutzbares Capital zu verwandeln, erhebt es sich über das zufällige und willkürliche Verhältniß des Einzelcredits, und erzeugt mit dem allgemeinen Geschäftscredit einen selbständigen Organismus für den- selben. Dieser Organismus entsteht durch das Eintreten des Vereins- wesens in den Geschäftscredit . Die Vereine für den Geschäftscredit beruhen nun zunächst darauf, daß der Credit fähig ist, Gegenstand einer Unternehmung zu sein. Jeder Creditverein ist daher zuerst eine Gesellschaft. Allein die All- gemeinheit ihrer Funktion läßt das Stehenbleiben bei Einer Art des Credits nicht zu. Sie breitet sich daher aus über den gesammten Credit, und so entsteht das System der Creditgesellschaften durch die Theilung der Arbeit im Creditgeben in den Gesellschaften für Zahlungs-, Unter- nehmungs- und Vorschußcredit. Mit diesem System ist nun das ge- geben, was wir die Organisation des Credits nennen. In dieser Organisation nun wird nicht bloß mehr das Einzelinteresse der Mit- glieder, sondern auch das Gesammtinteresse des Creditwesens vertreten; die Gesellschaften werden damit Vereine ; und somit empfangen sie auch den doppelten Inhalt ihres Rechts . Dasselbe ist zuerst das reine Gesellschaftsrecht, und dann das Vereinsrecht, von denen das erste das Einzelinteresse der Mitglieder, das zweite das öffentliche Interesse ver- tritt. So bildet sich die Organisation des Credits zu einem System von Verwaltungsvereinen des Credits, deren Recht nun wieder je nach der Art ihrer Funktion ein verschiedenes ist und so zum Sy- steme des öffentlichen Creditrechts wird, dessen einzelne Gebiete nun folgende sind. Unmöglichkeit, den Gegenstand gründlich zu behandeln, so lange man nicht ein selbständiges Bild vom Vereinswesen hatte. Darum auch die Unmöglich- keit, die rein nationalökonomische Auffassung von der verwaltungsrechtlichen zu scheiden. Demnach ist ohne diese Scheidung ein genügendes Resultat nicht zu finden. a) Das Bankwesen als Organismus des reinen Zahlungscredits. Volkswirthschaftliche Funktion der Notenbank. Das Bankwesen in seiner öffentlichen Stellung und Bedeutung muß nun zuerst in seinem Verhältniß zur Entwicklung des Zahlungs- credits aufgefaßt werden. I. Sobald nämlich durch die Bankhäuser und das Wechselrecht der Zahlungscredit selbständig funktionirt, wird die erste Bedingung dafür, daß diese Bankhäuser selbst einen höheren und regelmäßigen Zahlungscredit finden, um den übrigen Geschäften regelmäßig Credit geben zu können. Diese Bedingung selbst kann wieder nur erfüllt werden, indem sich die Bankhäuser selbst eine Gesellschaft bilden, deren Aufgabe es ist, ihnen den für ihre Creditgeschäfte nöthigen Credit unter möglichst billigen und gleichartigen Bedingungen zu geben, da in der That ihr Credit die Bedingung für den Einzelcredit ist, den sie den einzelnen Geschäften geben. Die Bildung einer solchen Gesellschaft ist daher schon an und für sich die Bedingung der vollen Ordnung und der Entwicklung des Creditwesens überhaupt . Sie hat mithin von vorn herein den Charakter eines Organes des öffentlichen Interesses, und erscheint daher, obwohl zunächst auf den Erwerb ihrer Mitglieder berechnet, als ein Verwaltungsverein des öffentlichen Credit- wesens, und ist von jeher als solcher behandelt. Eine solche Gesellschaft als Verwaltungsverein anerkannt, ist eine Bank . Die Bank ist da- her die Vollendung und Spitze des öffentlichen Creditwesens im obigen Sinne. Das ist ihre wahre Bedeutung. Nur hat sich dieß erst stufen- weise ausgebildet, und die sogenannten Arten der Banken sind nichts als die Stadien, welche das öffentliche Creditwesen in dieser seiner höchsten Spitze durchmacht. Denn die Grundlage derselben sind nur die Formen , in welchen der Zahlungscredit je nach der Entwicklung der Volkswirthschaft gefordert und gegeben wird. II. Die erste Art ist die Depositenbank , in welcher die Sicherheit der Zahlungen auch ohne Credit durch das von der Gesell- schaft übernommene einfache Depositum erzielt wird. Sie ist die noch gänzlich unentwickelte Form des Bankwesens. Erst in der Girobank wird durch das Depositum nicht mehr bloß die Zahlung gesichert , sondern sie wird auch durch das Giro vollzogen . Das Rechtsprincip derselben ist, daß die Umschreibung als wirkliche Zahlung gilt . Die nothwendige Voraussetzung dafür aber ist die Reduktion der Depositen auf eine gemeinsame Rechnungs- münze, das Bankgeld. Auch in der Girobank ist daher noch von Credit keine Rede; wohl aber entsteht hier zuerst ein Geld, das keiner Münze entspricht. Die Gründe, weßhalb das geschah, sind bekannt. Aber mit dem Bankgelde ist die Form für die Note gegeben, die nun- mehr zur Geltung gelangt. III. So wie nämlich, namentlich durch die Entwicklung des trans- atlantischen Handels, der Credit in seiner Quantität nicht wie das Geld an ein bestimmtes Quantum gebunden ist, sondern sich nach Be- dürfniß vermehren und vermindern wird, entsteht die Note. Mit ihr kann die Bank in jedem Augenblick über das ganze Capital verfügen, dessen der Credit bedarf, da die Grundlage des Notenwerthes in der That die gegenseitige Zahlungsfähigkeit der Noteninhaber selbst bildet. Und aus dieser Natur der Notenbank folgen nun die wirthschaftlichen Grund- sätze ihrer Verwaltung, welche zugleich die Verwaltung des Zah- lungscredits in der Volkswirthschaft enthalten. Die Form nämlich, in welcher die Bank ihren Credit in Noten gibt, ist die des eigentlichen Zahlungscredits im Gegensatz zum Unter- nehmungscredit. Die Bank darf kein Darlehen geben, anders als gegen Inhaberpapiere, sondern sie discontirt die Wechsel , und zwar wesentlich die Wechsel der Bankhäuser , die den gegen ihr Accept von der Bank entnommenen Notenbetrag den einzelnen Unternehmungen creditiren. Für das Urtheil über die Zahlungs- (nicht bloß Credit-) Fähigkeit der Aussteller ist das Organ der Censoren bestimmt. Die Summe des in der Form der discontirten Wechsel dem allgemeinen Credit zugeführten Notenmasse ist das Portefeuille der Bank; die Summe der gegen Inhaberpapiere dargeliehenen Noten ist der Lom- bard . Die Zeit, für welche der Zahlungscredit bewilligt wird, ist die Sicht . Es darf , wie gesagt, keine lange Sicht des Bankaccepts geben. Wenn jedoch das Creditbedürfniß der einzelnen Unterneh- mungen größer wird als das Capital der Bankhäuser, das sie selbst oder die Bank besitzen, muß der Credit statt mit wirklichem Gelde, mit Zahlungsanweisungen gegeben werden, welche die Bank auf sich selber ausstellt. Die Bedingung dafür, daß diese Anweisungen die Funktion des Geldes übernehmen, und daher dem Credit dienen können, besteht in der Fähigkeit der Bank, dieselben einzulösen. Die Grund- sätze und Errichtungen, welche diese Fähigkeit sichern, bilden die Fun- dation der Bank; die Summe, welche dafür zunächst bestimmt ist, ist der Bankfonds . Die auf die unmittelbare Zahlung durch den Bankfonds lautenden Anweisungen der Bank sind die Noten , und die für die Ausgabe von solchen Noten bestimmte Bank ist die Notenbank . Erst mit der Note wird die Bank ein Creditverein. Denn die Vor- stellung, daß irgend eine Bank ihre Noten wirklich gegen Münze ein- lösen könne und solle, ist bekanntlich durchaus falsch und gehört der niederen Entwicklung der Volkswirthschaft. Die Fähigkeit der Note, als Zahlungsmittel zu dienen, beruht vielmehr darauf, daß der erste Empfänger der Note Forderungen an Dritte hat, durch deren Zahlung er seine Verpflichtung gegen die Bank deckt, während sein Schuldner wieder Gläubiger von Dritten ist, und so fort. Die wahre Sicherheit der Note ist daher die gegenseitige Zahlungsfähigkeit aller Unterneh- mungen, welche die Noten brauchen. Die Fähigkeit der Noten aber, dem Credit zu dienen, besteht darin, daß sie für die Anlage in der Unternehmung bestimmt sind. Der Lombard muß stets auf kurze Kündigung gelten. Der Preis, den die Bank für ihren Credit in Noten fordert, ist der Discont . Seine Höhe richtet sich nach den Gesetzen des Preises überhaupt; allein da die Bank ihrem Wesen nach mit den Bankhäusern verkehrt, und daher die größte Sicherheit für ihren Credit hat, so ist der Bankdiscont stets der niedrigste Zahlungszinsfuß, wäh- rend sein Steigen und Fallen das Steigen und Fallen der in den Zahlungspflichtigkeiten ausgedrückten Bewegung der Unternehmungen bedeutet. So ist die (eigentliche) Bank das Haupt des Creditumlaufs, aber in ihrer Thätigkeit zunächst geregelt durch das Interesse ihrer Mitglieder; denn dieß Interesse fordert, was das volkswirthschaft- liche Leben selbst von der Bank fordern muß: möglichste Thätigkeit für den Credit, um des Gewinns willen, der damit verbunden ist, und möglichste Sicherheit für die Note, welche die Sicherheit des Gesell- schaftscapitals bedeutet, und nur durch Beschränkung der Notenausgabe auf das Nothwendige, strenge Innehaltung der Discontregeln, und scharfe Censur erzielt werden kann. Es würde daher gar kein Grund vorhanden sein, die Bank anders als jeden andern Verein zu be- handeln, wenn nicht ein ganz specifisches Element hinzukäme, welches die Quelle eines ihm entsprechenden oder des eigentlichen Bank- rechts wird. Der Grund weßhalb es für unser Gebiet ganz werthlos ist, einfach die Arbeiten über das Nationalbankwesen von Laws Considerations und Adam Smith bis hinab auf Fullarton, Mac Leod und Wagner zu citiren, liegt wohl klar vor. So lange man nicht einerseits Zahlungs- und Unternehmungscredit scheidet, und damit beständig Banken und Creditinstitute verschmilzt, und so lange man nicht andererseits die von allen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen unabhängigen rein wirthschaftlichen Gesetze des Bankwesens von dem öffentlichen Recht derselben trennt, kann nur eine ins Einzelne gehende kritische Bearbei- tung das große Material, in dem jedoch sehr selten etwas wirklich Neues gesagt wird, behandeln. Wir setzen nun hier alles was die reine Nationalöko- nomie betrifft, hier als bekannt voraus. Unsere Aufgabe liegt im Folgenden. Sie ist im Grunde sehr einfach. b) Das öffentliche Recht des Bankwesens. Sobald nämlich das Creditleben der Völker sich entwickelt, dringen mit dem Credit, den die Bank gibt, die Noten in das gesammte Völkerleben hinein und werden allgemeines Zahlungsmittel, indem der Credit der Bank sich auf jede einzelne Note erstreckt. Dadurch stellt sich in der Notencirculation zunächst faktisch ein zweites Geldwesen, das Papiergeldwesen, neben das Münzgeldwesen. Die Gründe, aus dem das erstere zunächst an den großen Handelsplätzen, dann aber auch im ganzen Verkehr allmälig das letztere verdrängt, sind bekannt. Sie liegen theils in der Bewegung namentlich des Silbers nach Osten, theils in dem wachsenden Bedarf des Verkehrs nach Umlaufsmitteln, denen die Stei- gerung der Zunahme der Edelmetalle nicht zu entsprechen vermag. So wie dieß der Fall ist, wird die Frage nach dem Verhältniß beider Geldsysteme zu einander eine entscheidende für Europa; sie ist natürlich zugleich die Frage nach dem Verhältniß der Bank als Organ des Papiergeldwesens zu der Regierung als Organ des Metallgeld- wesens; und die Entscheidung dieser Frage ist die Geschichte und der Inhalt des öffentlichen Rechts der Banken seit dem Ende des acht- zehnten Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Natürlich nun ist es, daß die gegenwärtige zum geltenden Recht gewordene Auffassung sich nur langsam gebildet hat. Es ist durchaus nothwendig, die Sache in ihrer historischen Entwicklung aufzufassen. Denn die großen Grundsätze dieses Rechts sind in der That nichts anderes, als schwer erkaufte Ueberzeugungen über die Elemente des öffentlichen Bankrechts. Man kann hier drei Epochen scheiden. I. Die erste beginnt mit der Ansicht der Regierungen, daß die Banken geeignet und auch verpflichtet seien, ihren Credit in der Form von Notenemissionen gegen bloße Schuldverschreibungen oder Haftungs- erklärungen von Seiten des Staates demselben zur Verfügung zu stellen. Die wirthschaftliche Folge ist natürlich eine Vermehrung der Noten über das Credit- und Zahlungsbedürfniß der Volkswirth- schaft; damit Entwerthung der ihrer wahren Funktion entzogenen Noten; damit die heftigsten Störungen und Krämpfe des volkswirth- schaftlichen Lebens, die namentlich mit den Napoleonischen Kriegen be- ginnen, und bekannt genug sind. Die rechtliche Folge aber ist die, daß die Banken, obwohl bloße Erwerbsgesellschaften, jetzt im Princip als Verwaltungsorgane angesehen werden, so daß einige Staaten das Notenwesen ganz der Regierung übergeben, andere es dem Willen der Regierung anbedingt unterordnen; dieses letztere Verhältniß bleibt als Princip ; die Banknoten sind allgemeines Zahlungsmittel, sie müssen von den Staaten, die ihre Emission veranlaßt, als gesetzlich anerkannt werden; ihre Emission ist daher jetzt das Analogon des Münzregals, und es ergibt sich daher, daß die Verwaltung der Banken dauernd aus einem Gegenstande der Vereinsverwaltung zu einem Objekt der Gesetzgebungen und Regierungen wird, die zwar in verschiedener Weise, immer aber grundsätzlich über die Banken ent- scheiden. Dabei stellten sich nun schon damals als Inhalt dieser Ge- setzgebung zwei Grundsätze heraus, welche seit dieser Zeit auf Grund- lage der Erfahrungen der Notencurse als Basis dieses öffentlichen Rechts der Banken angesehen werden müssen: zuerst die Beschränkung der Notenemission durch eine bestimmte, gesetzliche Fundation , und zweitens die Beschränkung des Bankcredits auf den Zahlungscredit, theils durch Verbot des Ankaufs von Immobilien, theils durch die gesetzliche Vorschrift der kurzen Sicht bei Bankdiscont. Die Regierungs- organe haben dabei die Aufgabe, diese beiden Punkte zu überwachen; die Creditverwaltung bleibt in den Händen der Vereinsorgane. Das ist das dauernde Resultat dieser ersten Epoche, welche bis zum zweiten Jahrzehnt geht. II. Mit der Herstellung des Friedens tritt nun eine gewaltige, ganz Europa umfassende Entwicklung des Credits ein. Das edle Metall reicht als Zahlungsmittel nirgends mehr aus; die neu entstehenden Unternehmungen beginnen daher, sich auf Umwegen aus dem Zahlungs- credit Unternehmungscredit zu machen. Noch ist der wesentliche Unter- schied beider nicht klar. Die Banken, an ihrer Spitze die Bank von England, geben nach, und discontiren Wechsel, deren Basis nicht mehr eine Zahlungspflicht Dritter, sondern nur ein rentables Unternehmen ist, das zwar den hohen Discont trägt, nicht aber zur Rückzahlung des Capitals fähig ist. Die Folge ist mit der eintretenden Wechsel- zahlungspflicht der Concurs der auf dem Bankcredit beruhenden Unter- nehmungen; durch die allgemeine Gegenseitigkeit des Credits wird er selbst allgemein, und so entstehen die Handelskrisen (1820). Die Handelskrisen zeigen, daß die Stellung der Banken auch jetzt noch keine klare ist. Theorie und Gesetzgebung geben sich gleichzeitig alle Mühe, Grund und Beseitigung des Uebels zu entdecken; theoretischer Streit und praktische Versuche ziehen sich hin bis zu den fünfziger Jahren, und da erst wird es verstanden, daß die Bank ihre Funktion erst dann ungestört vollziehen könne, wenn der Zahlungscredit zur aus- schließlichen Aufgabe der Banken , und der Unternehmungs- credit, von ihnen definitiv getrennt, Gegenstand selbständiger Creditvereine wird. Das ist das Resultat der Epoche, welche von der Peels-Akte bis auf unsere Zeit geht. Sie hat in dem Rechte der Banken nicht viel geändert, sondern dasselbe nur klarer gemacht; wohl aber hat sie den alten Gedanken Laws aufs neue geboren und zu einem Systeme gemacht, dem die Zukunft gehört. Das ist der Grund- satz, überhaupt an die Stelle des Metallgeldes das Papiergeld- system zu setzen . Mit ihm wird eine ganz neue Verwaltung und ein neues Recht des Bankwesens eintreten. Die leitenden Grundsätze dieses Rechts, vielbestritten aber siegreich vordringend, sind erstlich, daß es nur Eine Note und nur Eine Notenbank geben dürfe, zweitens , daß die Note die volle Währung habe, und drittens , daß die Bank an die Stelle der finanziellen Cassenverwaltung trete. Diese Grundsätze beginnen bereits sich Bahn zu brechen. Unterdessen schließt die bisherige Epoche mit dem großen Resultate, das als Vor- aussetzung der nächsten Epoche betrachtet werden muß: der Scheidung der Notenbanken von den Creditbanken . Diese ist daher bis jetzt der herrschende Charakter des öffentlichen Bankrechts unserer Zeit und hat das gegenwärtige Bankrecht definitiv gestaltet. III. Die leitenden Grundsätze dieses öffentlichen Bankrechts, als Ergebniß dieser historischen Entwicklung, sind nun folgende: 1) Das Bankrecht ist kein reines Vereins- sondern ein Verwal- tungsrecht, in welchem die Gesetzgebung (durch Gesetz oder Bank- statut) die Principien der Funktion der Bank bestimmt, und der Bank- verein unter amtlicher Oberaufsicht die Vollziehung hat. 2) Es darf nur Eine Notenbank geben. 3) Die Fundation und Emission der Noten werden vom Gesetze bestimmt. 4) Die gesetzliche Aufgabe der Creditverwaltung der Bank ist der Zahlungscredit mit strengem Ausschluß des Unternehmungscredits. Da- her kein Erwerb von Immobilien, keine Betheiligung an Unterneh- mungen, kein Handel in Werthpapieren, kein Disconto auf lange Sicht. Consequent ist dafür, daß den Noten der Bank die volle Währung , Staatswährung sowohl als Verkehrswährung gegeben werde. 5) Die Erfüllung dieser Aufgabe setzt ein System von Filialen voraus, und diese wieder machen es möglich und werden es hervor- bringen, daß das ganze Zahlungswesen des Staats in Ein- und Aus- gabe durch die Bank verwaltet werde . Diese Grundsätze des Bankrechts sowohl als der historische Ent- wicklungsgang des Bankwesens ist in jedem Staate Europas wieder verschieden . Die Banken haben eben so wohl ihre staatliche Indi- vidualität wie die übrigen Theile der Verwaltung. Bei dieser natio- nalen Darstellung des Bankwesens beginnt daher das besondere Gebiet der Banklehre, das selbständige und weitläufige Bearbeitung bedarf. Die bisherige Literatur über das Bankwesen ist aus zwei Gründen nur als Material für die Beurtheilung zu gebrauchen. Erstlich mangelt ihr die Beachtung des öffentlichen Rechts der Banken, zweitens aber und vor allem jede Vergleichung der verschiedenen Banksysteme. Wagner ist zu einseitig im englischen Bankwesen, Hübner zu einseitig compilirend. Die Engländer wissen wenig von Frankreich und gar nichts von Deutschland; die Franzosen kennen nur Frankreich; die Deutschen kennen beide, aber sind eben nur Natio- nalökonomen, die von Busch und Adam Smith bis zu Wagner fast nur über die Gefahren und Gesetze der Emission reden, ohne auf das öffentliche Recht einzugehen, so weit daß Neuere wie Roscher und die Zahl von Handbüchern gar nicht mehr vom Bankwesen reden. Das Verständniß beginnt hier bei der Vergleichung . Der erste Versuch einer solchen organischen Vergleichung: Stein , das Bankwesen Europas und die Gesetzgebung (Jahrb. für Gesetzkunde und Statistik 1862. S. 113—165). Vortrefflich ausgeführt in dem schönen Werke von Wolowsky (la question des Banques 1864); nur kennt er Deutschland nicht. Die Elemente sind folgende. England . Bis zu unserem Jahrhundert Auffassung der Banken als reine Erwerbsgesellschaften ; daher die Note als reiner Wechsel derselben auf Sicht; daher volle Freiheit der Errichtung und der Notenausgabe. Ein- treten der Regierungsthätigkeit 1796 mit der ersten Suspension der Baarzahlung. Von da an Gegensatz der Bank von England mit den Privats Banks (örtliches Banksystem); die Bank von England wird allmählig zur eigentlichen Bank, und die örtlichen Banken zu Creditinstituten . Erster Schritt: Akte vom 26. Mai 1826; Bank von England ausschließlich zur Notenausgabe für London und den Umkreis von 65 Meilen berechtigt, Abhängigkeit der andern Banken von ihr. Akte von 1836: Errichtung von Creditinstituten (s. unten). Darauf Akte von 1844: Bank Charter vom 19. Juli; Organisation der Fundation und Emission (Banking Department) und Creditverwaltung (Issuing Department): Verbot neuer , Einziehung alter örtlicher Banken: Joint Stock Banks Act vom 19. Sept. 1844: Organisation der Creditinstitute ohne Noten. Das ist die Basis des gegenwärtigen Rechts. Daran schließt sich in neuerer Zeit die eigentliche Papiergeldfrage (Fullarton, Mac Leod, die Currency-theorie und die Manchesterschule, sehr gut bei Wagner . Beiträge zur Lehre von den Banken 1857; besonders die Geld- und Credittheorie der Peelschen Bankakte 1862. Stein a. a. O. 128—144. Wolowsky , Question des banques S. 307—381. Frankreichs Bankwesen ist einfach. Die banque de France ist seit ihrer Entstehung beherrscht von der Furcht vor dem Assignatenwesen. Entsteht als société anonyme 1800; Unsicherheit ihrer Noten; dann gesetzliche Errichtung der eigentlichen banque de France (L. 24. Germ. an XI.) Statuten bestätigt am 10. Jan. 1808. Entstehung des Princips der Fundation und das Auf- treten und die Nothwendigkeit örtlicher Banken als Filiale derselben: Mollien und Napoleon; vortrefflich bei Wolowsky S. 37 und ff. Streng bureau- kratisches System; aber bei Mangel an Vorschriften sehr gute Leitung: Ce que la loi impose à la banque d’Angleterre, la bonne et sage direction donnée à la banque de France permet de le réaliser en grande partie ( Wolowsky S. 376). Die Provinzialbanken und ihr Kampf mit der banque de France bis 1848; dann 1848 Kampf um die Einheit hervorgerufen durch die Creditstörungen der örtlichen Banken ( Wolowsky S. 131 ff). Sieg 1848. Alle örtlichen Banken werden der banque de France incorporirt (Decret vom 27. April und 2. Mai 1848) ebend. S. 235 ff. Die örtlichen Banken sind jetzt Creditinstitute , welche mit den Noten der banque de France operiren. Ihr gegenwärtiger Bestand und die Vorschriften über die formale Verwaltung der Bank bei Block , Dict. v. Banque de France. Von besonderem Interesse ist das Princip des Bankwesens von Nord- amerika , das nach langen Kämpfen zu folgenden einfachen Grundsätzen gelangt ist durch das Gesetz vom 30. Juni 1864: „Jede Notenbank hat den Betrag ihrer zu emittirenden Noten in Staatspapieren zu deponiren, und erhält dafür 90 Proc. in United States Notes. Damit hat sie zu operiren. Der Gesammtbetrag ist auf 300 Mill. Doll. festgestellt; Pflicht: 25 Proc. der Staats- schuldverschreibungen im Depot zu haben und vierteljährliche Revision (vergl. das treffliche Werk von K. v. Hock , Finanzen und Finanzgeschichte der Ver- einigten Staaten (S. 731—743). Deutschland . In keinem Lande der Welt ist das Bankwesen so un- organisch als in Deutschland; es fehlt nicht bloß alle Einheit, sondern auch die formale Anerkennung gleichartiger Principien, und es ist klar, daß das Bankwesen Deutschlands erst durch die Einheit seiner Verwaltung überhaupt entstehen kann. Die Literatur hat sich viel mit den theoretischen Grund- fragen, aber wenig mit den faktischen Zuständen des Bank- und Notenwesens Deutschlands beschäftigt. Der Gedanke des deutschen Bankwesens schon an- geregt Justi , Polizeiwesen 6. Buch, Hauptst. 24. und Buch 7. Hauptst. 36. Hübner , Banken. Dennoch ist gerade das Bankwesen Deutschlands höchst belehrend, denn es trägt auch hier durchaus den Charakter der stattlichen Entwicklung. Preußens Bankwesen hat eine kurze und klare Geschichte. Sie ward als reine Regierungsanstalt „königl. Giro- und Lehnb ank“ am 17. Juni 1765 errichtet, ohne Noten, also als ein Creditinstitut für Unternehmungscredit. Diesen streng amtlichen Charakter behielt sie ; 1808 dem Finanzministerium untergeordnet, bloß mit Staatsmitteln fundirt; dann 1817 neue Organisation, jedoch unter ausschließlicher Leitung des königl. Commissarius. Aber erst durch Kabinetsordre vom 3. Okt. 1846 Errichtung einer eigentlichen Bank, fundirt auf Aktien neben dem Staatscapital, mit Notenausgabe und grund- sätzlicher Beschränkung auf den Zahlungscredit und Feststellung der Drittel- deckung. Jedoch ward das Issuing Department in der „königl. Immediatcom- mission zur Controlirung der Banknoten“ durch Kabinetsordre vom 11. Jan. 1846 wiedergegeben; die Leitung hat nach wie vor ein amtlicher Chef, unter ihm ein gewählter Bankausschuß; Comptoire und Filiale in den Provinzen; neuere Bestimmungen durch Gesetz vom 7. Mai 1856. Neben dieser eigent- lichen Bank die örtlichen Banken mit beschränkter Zettelausgabe (7 Mill.), deren Zweck neben den Filialen der preuß. Bank nicht einzusehen ist, und un- klare Scheidung des Unternehmungscredits (Cassenverein, s. unten) während die Banknoten dennoch keine Währung haben. Ohne eigene Literatur. Vergl. Rönne , Staatsrecht II. §. 235. Stein a. a. O. S. 150 ff. — Oester- reichs Bankwesen datirt eigentlich von dem Entstehen der Nationalbank (Patent vom 1. Juli 1816). Sie war bestimmt, vor allem Ordnung in das zerrüttete Papiergeldwesen Oesterreichs zu bringen. Ihr Princip war und ist daher von Anfang an allerdings das einer eigentlichen Bank für den Zah- lungscredit, aber dadurch daß sie ihre fundirten Noten an die Stelle der durch sie einzuziehenden Währungsscheine setzen mußte, entstand das Verhältniß, das eigentlich ihre Geschichte bildet; ihre wesentliche Fundation war die dadurch entstandene Schuld des Staates an die Bank , durch welche sie so innig mit der Finanzverwaltung zusammenhängt. (Vergl. J. v. Hauer , Beiträge zur Geschichte der österr. Finanzen und Bidermann , die Wiener Stadtbank. 1859.) Die Errichtung der Creditanstalt schied dann definitiv den Unternehmungs- credit vom Zahlungscredit. — Die übrigen deutschen „Banken“ bilden nur eine Anzahl von Instituten, von denen die meisten zugleich Unternehmungscredit gewähren, und einige sogar direkt durch ihre Statuten dazu verpflichtet sind, während über die Notenemission und Fundation durchaus kein gemeinsames Princip existirt, vielmehr die widersprechendsten Grundsätze zur Geltung gelangt sind. Das ist nur erklärlich durch den Mangel einheitlicher Gesetzgebung in Deutschland, und wird ohne dieselbe auch nicht besser werden. Von einem deutschen Bankrecht oder Bankwesen kann dabei keine Rede sein (s. das Material bei Hübner ; die Zusammenstellung bei Stein S. 155 ff.). II. Der Unternehmungscredit und sein öffentliches Recht. Wirthschaftliche Funktion. Ursprünglich nun erscheint in der Volkswirthschaft das Creditwesen mit dem Darlehen einerseits und dem Zahlungscredit andererseits er- schöpft. Allein das Darlehen beruht auf einem bestehenden Vermögen, und der Zahlungscredit auf einem abgeschlossenen Geschäft. Wo daher eine künftige Unternehmung für Anlage und Betrieb Credit sucht, genügen beide nicht. Die neue Unternehmung sucht eine andere Art des Credits. Das Wesen dieses Credits besteht darin, daß derselbe seine Sicherheit in dem Werthe der Unternehmung an sich, und seine Verzinsung in dem Ertrage derselben sucht, während er die Rückzahlung nur als gewöhnliche industrielle Amortisation der Anlage betrachtet. Er erscheint daher nicht als ein Darlehen eines Gläubigers an einen Schuldner, sondern als eine Betheiligung eines Capitals an einem Unternehmen. Er kann daher zu seiner Entwicklung weder durch die Anstalten für Darlehen, noch durch Realcredit, noch durch Zahlungs- credit gelangen, sondern fordert und erzeugt sich seinen eigenen Kreis von Organen, deren Lebensprincip nach dem Obigen nicht bloß das Hingeben eines Capitals, sondern die Theilnahme der Creditoren an der Unternehmung selbst ist; das ist, der Unternehmungscredit wird, unentwickelt in vielen Darlehen liegend und meist nur durch die Höhe des Zinsfußes angedeutet (foenus nauticum) erst durch das Gesell- schaftswesen zu einer selbständigen Creditform , die alsbald neben Zahlungs- und Vorschußcredit eine mächtige und wichtige Stelle in der ganzen Volkswirthschaft einnimmt. Das Entstehen und die Organisirung des Unternehmungscredits muß daher zunächst als ein naturgemäßer Proceß des volkswirthschaftlichen Lebens betrachtet werden. Allein so wie nun mit der staatsbürgerlichen Gesellschaft sich der Unternehmungsgeist, die Bethätigung der freien wirthschaftlichen Per- sönlichkeit, entwickelt, treten diese Organe, die „Gesellschaften“ aus der Sphäre des Privatrechts (societas) hinaus; sie umfassen nicht mehr bloß das Verhalten zu einander, sondern sie werden Organe des Ge- sammtlebens und seines Verkehrs; damit wird ihr Recht ein öffentliches, wie es ihre Stellung ist, und so entsteht das Verwaltungsrecht des Unternehmungscredits als das öffentliche Recht der Unterneh- mungsgesellschaften . Dieses Recht hat nun, wie das was wir die Funktion dieser Ge- sellschaften nennen, zwei große Grundformen, welche selbst wieder die zwei geschichtlichen Epochen der öffentlichen Gestaltung des Unter- nehmungscredits bezeichnen. 1) Das Gesellschaftswesen des Unternehmungscredits und die Handelsgesetzbücher . Es ist tief im Wesen der gesellschaftlichen Geschichte begründet, daß der Unternehmungscredit überhaupt erst dann zur selbständigen Geltung und Organisirung in den Gesellschaften und Vereinen gelangt, wenn die staatsbürgerliche Gesellschaft sich von der ständischen trennt. Das römische Recht kennt die letztere daher so wenig, als das alte deutsche Privatrecht. Sie entstehen von selbst, aber sie werden erst Gegenstand des öffentlichen Rechts mit dem vorigen Jahrhundert, und entwickeln dann drei Formen, von denen die ersten beiden die erste, die letztere wieder die zweite Epoche des Unternehmungscredits bilden, und die sich wieder durch das leitende Princip für die Berechtigung der Theilnehmer als Mitglieder wesentlich unterscheiden. Die erste Form ist die der stillen Gesellschaft , in welcher der Creditor sich noch mit dem bloßen Antheil am Unternehmung sgewinn begnügt, ohne die Leitung der Unternehmung zu übernehmen. Die zweite Form ist die der offenen Gesellschaft, in welcher neben der gleichen Berechtigung jedes Theilnehmers am Unternehmungs- gewinn auch die gleiche Berechtigung derselben an der Leitung des Unternehmens gilt. In diesen beiden Formen herrscht nun noch das privatrechtliche Element, weil beide sich auf bestimmte einzelne Mitglieder beziehen, obwohl das öffentliche Recht bereits in der Geltung der Einheit nach Außen und zwar als das Recht der Firma zur bestimmten Er- scheinung gelangt. Erst in der zweiten Epoche, die im achtzehnten Jahrhundert mit den Handelscompagnien beginnt, wird auch das gegenseitige Verhältniß der Mitglieder Gegenstand des öffentlichen Rechts, und der Unternehmungscredit empfängt damit eine neue Gestalt. Die dritte Form ist nämlich die Unternehmung auf Aktien . Die Zeichnung und Einzahlung der Aktien ist wirthschaftlich nichts als ein Creditverein des betreffenden Betrages an die Unternehmung; das Recht der Aktien auf Dividende ist nur der Ausdruck des Wesens alles Unter- nehmungscredits; der wesentliche Unterschied von den beiden andern Gesellschaften aber besteht darin, daß die leitenden Organe von den Creditoren (Aktionären) gewählt werden, ihrem Beschlusse unter- worfen , und für die Leitung der Unternehmung ihnen verantwortlich sind. Erst in der Aktiengesellschaft beginnt daher das, was wir die eigentliche Organisation des Unternehmungscredits nennen. Aber die Aktienunternehmung bildet doch zunächst nur Credit und Capital für die bestimmte einzelne Unternehmung, für welche sie selbst ge- gründet ist . Sie ist daher im Einzelgeschäft wie jede andere Unter- nehmung. Das Princip aber, das in ihr lebendig ist, erzeugt nun vorübergehend die Form, welche fähig ist, den Unternehmungscredit als solchen zu organisiren. Alle diese Formen des Unternehmungscredits entstehen nun nicht durch die Verwaltung und ihre Thätigkeit, eben so wenig wie der kauf- männische Credit und die Bankhäuser. Sie sind zunächst rein volks- wirthschaftliche Gestaltungen, und für sie gelten in allen Epochen daher in erster Reihe die Gesetze der Nationalökonomie und des Privatrechts. Allein mit der Entwicklung des volkswirthschaftlichen Lebens treten sie in den allgemeinen Verkehr, und nehmen in ihm selbst eine bedeutendere Stellung ein, wie die Einzelunternehmungen. So wie das geschieht, treten diejenigen Momente bei ihnen in den Vordergrund, die die for- male Bedingung ihrer Wirksamkeit sind, die rechtliche Gültigkeit ihrer Einheit gegenüber Dritten, und die rechtliche Ordnung der Betheiligung ihrer Mitglieder an der Unternehmung als Ganzem. Diese nun müssen, damit das Capital willig seinen Credit gebe, über individuelle Willkür und Streitigkeiten erhaben sein. Das aber kann nur geschehen, indem das Recht der Mitglieder gegen einander und das Recht des Ganzen gegen Dritte als objektives Recht festgestellt wird. Der Inhalt dieses Rechts ist dann wieder nicht eine Entwicklung des Rechts des Dar- lehens oder des Mandats, sondern ist die Consequenz des Wesens des Unternehmungscredits, gleichviel ob man denselben kennt oder nicht. Die volle und rechtlich abgeschlossene Entwicklung dieser Grundsätze tritt nun bei den Aktiengesellschaften ein; zunächst empfangen nun diese Ge- sellschaften ihr Recht in der Form der Statuten , die ihrem Begriff nach stets auf die Einzelgesellschaften berechnet sind. Mit ihrer Aus- dehnung aber entsteht ein allgemeines öffentliches Recht des Gesellschafts- wesens, und das Recht scheidet sich um so bestimmter von dem übri- gen Privatrecht, je klarer der Unternehmungscredit seine selbständige Function einnimmt. Die daraus entstehende Gesetzgebung bilden die Handelsgesetzbücher . Die Handelsgesetzbücher sind daher das syste- matische Recht der Organisation des Unternehmungsc redits, wie die Wechselrechtsordnungen das des Zahlungscredits . Es ist klar, daß das ganze Gebiet zu seiner ersten Voraussetzung das Vereinswesen und seine systematische Organisation hat, da das ganze Ge- sellschaftswesen einen Theil desselben bildet. Wir müssen hiefür auf unser „System des Vereinswesens und Vereinsrechts“ (1869, vollz. Gewalt 3. Thl.) verweisen. Die Fragen ferner, welche die obige Auffassung sowohl an die geschichtliche Behandlung des Handelsrechts als an die Interpretation der Handelsgesetzbücher vom Standpunkte der Creditlehre stellen muß, namentlich die Entstehung und das Recht der Firma und den Zeitpunkt ihrer Scheidung von der societas, sind sehr einschneidender Natur, und scheinen uns eben so wenig genügend behandelt, als die nach der Geschichte der Aktiengesetzgebung. Ueber die letztere und die Mängel der Handelsgesetzbücher s. unser Vereins- wesen S. 63 u. a. Erste Anregung in Deutschland von Friedrich Har- kort (über Volksbanken 1851). 2) Der organische Unternehmungscredit und die Creditanstalten . Während nun das ganze Gesellschaftswesen nur noch den einem einzelnen bestimmten Unternehmen zum Grunde liegenden Credit enthält, wächst das Bedürfniß nach dem Unternehmungscredit zu einem allgemeinen, und die Möglichkeit, für jedes Unternehmen Credit zu gewinnen, wird namentlich in der internationalen Concurrenz eine Be- dingung aller Entwicklung der Volkswirthschaft. Der Unternehmungs- credit wird daher als solcher Gegenstand von Unternehmungen, ohne sich auf eine bestimmte Unternehmung zu beschränken; der all- gemeine Unternehmungscredit fordert und erzeugt seine Organe so gut wie der besondere, und die auf diese Weise für den Unternehmungs- credit überhaupt gebildeten Gesellschaften sind die (eigentlichen) Credit- anstalten . Aus dieser Natur der Funktion der Creditanstalten folgen nun zunächst die wirthschaftlichen Grundsätze, welche für ihre Thätigkeit gelten, und welche als nothwendige Bedingungen der Erfüllung ihrer Aufgabe sie sowohl von den Zahlungs- als von den Vorschußanstalten scheiden. Zuerst kann sie Darlehen geben; allein nur als Discont oder Lombard, um nicht dauernd das Capital zu binden. Dafür aber sind sie in der Sicht der Wechsel und der Prolongation der Lombards naturgemäß unbeschränkt, so daß sie nicht bloß eben so kurze, sondern auch lange Wechsel escomptiren; und gerade das letztere ist das Gebiet, auf welchem das Discontogeschäft der Creditanstalten das der Banken ersetzt und erhält, in der Form gleich, im Wesen tief verschieden . Zweitens können sie Immobilien werden, aber nicht als dauern- der Besitz. Drittens können sie sich an einem Unternehmen in jeder Form, als stille und offene Gesellschafter, oder als Gründer oder Aktionäre betheiligen. Viertens können sie sowohl Güter- als Werthgeschäfte (Effekten- handel) betreiben. Das sind nun die an sich einfachen Grundsätze für das Recht und die Funktion der Creditanstalten. Allein gerade durch die letzteren wird ihre Aufgabe so umfassend, daß sie, da sie im Grunde mit den gesammten Unternehmungen zu thun haben, mit keinem eigenen Capi- tale mehr ausreichen. Sie müssen daher ihrerseits Credit nehmen . Das geschieht nun zunächst in der gewöhnlichen Form des Wechsel- credits. An diese aber schließt sich eine zweite. Sie ziehen die für den Augenblick müßigen Capitale der Einzelnen an sich, theils als Depositoren — ohne Zins, aber gegen augenblickliche Kündigung — theils als Leiher mit Verzinsung, oder gegen Kündigungsfrist. Mit diesen Capitalien arbeiten sie jetzt, in der Mitte des ganzen Geschäfts- credits stehend; und hier nun beginnt die Frage, welche als Lebens- frage für das ganze Creditwesen und die Werthordnung der Volks- wirthschaft anzusehen ist, und namentlich das Verhältniß der Credit- anstalten zu den Banken scheidet. II. So wie die ersteren nämlich die obige Stellung eingenommen haben, so erscheint ihre Funktion eben so groß und wichtig als die der Banken, und die nächste Folge ist, daß sie nun auch dasselbe Recht für sich in Anspruch nehmen, welches das eigentliche Wesen der Bank ausmacht; das ist das Recht der Notenausgabe . So lange man nun nicht vollkommen klar ist über das Wesen der Noten, kann es fraglich sein, ob diese Forderung eine berechtigte ist oder nicht. Die schweren Folgen aber, welche sich an das wirkliche Notenrecht der Creditanstalten anschließen, rufen ernste Zweifel daran hervor. So entstehen die zwei Systeme, welche jedes Volk durch- machen muß, um zu einer definitiven Ordnung seines Geld- und Bank- wesens zu gelangen, deren Bewegung die Geschichte des öffentlichen Creditwesens, und deren Abschluß die definitive Gestaltung desselben ist. Das erste System ist das der freien Banken . Princip desselben: Recht auf Notenausgabe für jede Creditanstalt, unter irgend einer Bestimmung über die Fundation derselben. Diese Noten sind dann im Unterschiede von den Banknoten die Creditnoten . Begrün- dung: erst durch die Note der Creditanstalt wird die Möglichkeit des Credits auch für die Unternehmung gewährt, die bei dem strengen Banknotensystem nur auf bereits fertige Unternehmungen und ihre wirklich schon fälligen Zahlungen beschränkt wird. Daher ist ohne das Recht der Creditnoten ein Aufschwung des Gesammtlebens in einer Zeit nicht möglich, in der dasselbe ganz auf dem Credit ruht. Da die Creditnote keine Währung hat, so ist es ja Sache jedes Einzelnen, sie anzunehmen oder nicht anzunehmen. Der Freiheit in dieser An- nahme muß die Freiheit in der Ausgabe entsprechen . Das und nichts anderes ist die wahre „free trade in banking.“ Das zweite System ist das einheitliche Banksystem. Das System erklärt, daß das freie Recht der Notenemission für die Credit- anstalten unabweisbar verderblich wirken müsse, indem trotz aller Freiheit in der Annahme die Creditnote wenn auch nicht das Recht, so doch die Funktion der Banknote übernehme, und unaufhaltsam als Geld circulire. Auf diese Weise werde ein Theil des umlaufen- den Geldes stets von dem Credit der Banken abhängig; wichtiger aber sei es, daß damit die Vermehrung und Verminderung der Geldmasse von der Emission an Creditnoten abhänge, und daß, da der Preis stets von der Geldmasse bedingt ist, das Recht zur Emission der Creditnote die gesammte Preisordnung der Volkswirthschaft in Gefahr bringe. Die Creditanstalten sollen daher unter keiner Bedingung das Recht auf selbständige Emission haben, sondern sollen sich bei den Banken einen Credit eröffnen, groß genug, um dem soliden Unternehmungscredit den sie vertreten, zu genügen, und den sie dann mit Banknoten be- friedigen. Trete ein Bedürfniß ein, so könne man die Emission der Banknoten vermehren, nie aber die Creditnote als Zahlungsmittel zulassen. Dem theoretischen Kampfe dieser Systeme ging die praktische Er- fahrung zur Seite; da wo die Creditanstalten das Recht der Emission von Creditnoten bekamen, entstand allerdings ein plötzlicher gewalt- samer Aufschwung des Unternehmungsgeistes; allein die glänzendsten Erfolge des letztern konnten die Natur der Note nicht ändern . Die Creditnote hatte keine Fundation im Capital, sondern nur im Er- trage desselben; ihr Werth hing daher von dem letztern ab, und wo dieser Ertrag fehlte, trat unfehlbar Werthlosigkeit der Credit- note ein. Die Folge war diejenige Störung des gesammten, auf diese Note wenigstens zum Theil angewiesenen Zahlungsprocesses in Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 20 der Volkswirthschaft, welche wir die Handelskrisen nennen. Es war damit kein Zweifel, daß die Nachtheile der Handelskrisen viel größer waren, als die Vortheile der Creditnote. Darüber wurde man sich allmählig, wenn auch nach heftigen Kämpfen einig, und die Folge war das nunmehr ziemlich feststehende Resultat, die Zulassung der Emission der Creditnoten aufzuheben. Dagegen aber mußte man andererseits den Creditanstalten das Recht lassen, die auf kurze Zeit unbeschäftigten Capitale an sich zu ziehen, ohne ihnen doch die Fähig- keit des Umlaufs zu nehmen. Das Mittel dafür war nun der Cre- ditcassenschein , dessen Wesen es ist, auf eine bestimmte Summe (nicht unter 100) zu lauten, feste Zinsen zu tragen und feste Kün- digungsfrist zu enthalten. Zu der Emission solcher verzinslichen Kassenscheine soll jede Creditanstalt berechtigt sein, zu weiteren nicht. Auf diese Weise hat sich nun das System des Rechts dieser Credit- anstalten gerade durch ihr Verhältniß zum Recht des Bankwesens fest- gestellt. Seine fundamentalen Grundsätze sind: Eine Bank, aber so viele Creditanstalten als möglich; Eine Note , oder freie Zulassung von Kassenscheinen, so daß die Summe der Banknoten das na- türliche Correctiv der Summe der Kassenscheine ist und blei- ben kann. Das muß die Grundlage der Gesetzgebung im Allgemeinen, und der Statuten der Creditanstalten im Einzelnen sein. III. Die wirkliche Geltung dieser einfachen Grundsätze ist nun natürlich auch hier ein Werk der Zeit und der Erfahrung. Wir sind weder in der Form noch in der Sache damit fertig. Es ist aber fest- zuhalten, daß die Schwierigkeit hiefür namentlich auf Einem Punkte liegt. Das ist das Wort „Bank“. Da ursprünglich in England alle Creditanstalten das Recht der Notenausgabe hatten, so war es aller- dings natürlich, daß man sie alle, wie die englische Bank selbst, auch „Banken“ nannte, ihre Creditnoten mithin als „Banknoten“ bezeichnete, und dadurch die größte Verwirrung in das positive Recht, wie in die Theorie selbst hineinbrachte. Die scharfe Unterscheidung beider hat da- her bis jetzt nicht stattgefunden. Dennoch ist ohne sie zu keinem defi- nitiven Resultat zu gelangen. Es sollte in Theorie und Praxis feste Uebung werden, das Wort „Bank“ und „Note“ nur von der eigent- lichen Bank, „Creditanstalt“ oder „Verein“ und „Kassenschein“ nur von den Unternehmungscreditinstituten zu gebrauchen. Aus dem Obi- gen aber ergibt sich zunächst, daß die Grundlage einer richtigen Beur- theilung der thatsächlichen und rechtlichen Zustände und namentlich ihre wahre Vergleichung bei den verschiedenen Völkern nur das Ver- hältniß sein soll, in welchem das eigentliche Bankwesen zur Stel- lung und zum Rechte der Creditanstalten steht . Von dem obigen Standpunkt aus ist nicht mehr schwierig, weder den Charakter der Literatur noch den der positiven Gesetzgebung festzustellen. Was die erstere betrifft, so leidet sie an der Unklarheit über den Unterschied zwischen Banken und Creditanstalten, während über die Folgen des Rechts der freien Notenemission durch die letzteren kein Zweifel ist. Die Sache bei Rau , Volks- wirthschaftspflege §. 312; dagegen Unklarheit über das Notenwesen §. 247 ff. Hübner nennt alles Banken. Leider ebenso Röpel , Borgung der deutschen Banken. Gegen das Notenrecht der Creditanstalten (auch hier Banken ge- nannt) Hertz , zu Büsch; Moritz Mohl , Bankmanöver, Bankfrage und Krisis 1858. Der englische und nordamerikanische Streit über free trade in banking bei Wagner , Beiträge zur Lehre von den Banken 1857, jedoch auch ohne Unterscheidung; doch in der Sache klar und auf die Bullion theory zurück- kommend: Fullarton : „Papiergeld wird in Zahlungen, Noten“ (er meint Creditn oten) „als Darlehen ausgegeben;“ Wagner S. 64—68. Der Grund der englischen Unklarheit in der Bedeutung des Wortes „bank“ und in der falschen Vorstellung die Torrens ausspricht „daß Geld in allem bestehe, was als Umlaufsmittel dient“ (die sog. banking discipline ); die Sache: Botschaft des Präsidenten der Vereinigten Staaten von 1858: „Es ist offenbar, daß unser Mißgeschick lediglich aus unserem extravaganten und fehlerhaften System des Papiergeldes und Bankcredits hervorging“ namentlich aus dem Recht der 1460 Creditanstalten in Nordamerika, welche sich alle „Banken“ nannten und Zettel emittirten. So lange man nicht die obige Unterscheidung macht, ist die Diskussion endlos . Führt man nun die Vergleichung des positiven Rechts der einzelnen Völker auf die obigen Grundbegriffe zurück, so ist das Resultat ein einfaches. England hat dieselben drei Systeme ausgebildet, welche in anderer Weise in Deutschland bestehen. Die englische Bank ist für den reinen Zahlungscredit, neben ihr bestehen die örtlichen Banken, die in der That nur Creditanstalten mit Notenrecht sind, die aber in den meisten Fällen darauf beruhen, daß sie die unbeschäftigten Capitalien als Depositen empfangen, so daß ihre Depo- sita ihre Fundation sind. Eine gesetzliche Vorschrift über die Fundation besteht nicht . Die Folge ist, daß die Gefahr dieser sog. „Banken“ in der plötzlichen Kündigung dieser Deposita besteht, welche, wenn sie mit der Prä- sentation der Noten zur Einzahlung zusammentrifft, die „Bank“ stürzt. Früher half dann die englische Bank, nach der Bank Charter Act nicht mehr, weil die örtliche Bank ihr Privilegium an die englische Bank verliert, wenn sie sich auflöst. Der Sieg der englischen Bank seit 1844 ist daher eine Beseitigung der Creditinstitute mit Notenausgabe; dafür aber hat gleichzeitig die Akte von 1833 die gesetzliche Organisation der neuen englischen Creditinstitute ohne Notenausg be begründet; sie erlaubte allenthalben (auch innerhalb des Bankrayons) d urch Gesellschaften von mehr als sechs Personen „Banken“ zu errichten, aber „ ohne Noten auf Sicht oder zahlbar in weniger als sechs Monaten auszugeben“ (vergl. Schwebemayer Aktengeschichte Englands, der die Sache erkennt. Stein S. 136). Die Joint Stock Comp. Act von 1844 hat dann diese Banken als Aktieninstitute organisirt. Das Unorganische, die zweite Classe der „Banken“ mit Noten verschwindet daher mehr und mehr, und England nähert sich daher langsam aber sicher dem französisch-österreichi- schen System. Frankreich nämlich hatte bis 1848 in seiner Banque de France seine eigentliche Bank, und in den Provinzbanken seine Creditinstitute . Mit der Einverleibung der letzteren in die Banque de France gingen eigent- lich die Creditanstalten als solche unter; die Umwandlung in Filiale machte sie aus Anstalten für den Unternehmungscredit zu Anstalten für den Zahlungs- credit. Es war daher ganz natürlich, daß der erstere wieder eines eigenen Institutes bedurfte, und dieß fand er in dem Crédit mobilier (Stat. vom 12. Okt. 1852). Der Crédit mobilier ist die erste vollkommen klare Schei- dung des Unternehmungscredits vom Zahlungscredit; er hat Europa eigentlich erst zum Bewußtsein darüber gebracht, daß der erstere der Notenemission über- haupt nicht bedarf, die er nicht haben soll. Mißverstanden von Tooke , Hist. of Prices VI. 104. Von ihm aus gehen die großen Capitalunternehmungen, namentlich in Eisenbahnen; seine Gefahr war nicht die Ueberspekulation, sondern das verkehrte Urtheil über den Werth der von ihm ausgehenden Aktienu nter- nehmungen. — In Oesterreich begriff der geniale Bruck zuerst die ganze Bedeutung der Sache. Errichtung der Creditanstalt (1855) als rein für den Unternehmungscredit bestimmt; neben ihr die nicht minder bedeutsame niederösterreichische Escomptegesellschaft , die sich zwar auf Wechselcredit, aber nicht mit kurzer Sicht beschränkte und dadurch innerhalb dieses Gebiets, ohne sich bei Aktienunternehmungen zu betheiligen, Unternehmungscredit gibt. In neuester Zeit Entstehung einer ganzen Anzahl von „Banken“ alle ohne Notenemission; in der That nur Creditanstalten. Gemeinschaftlich ist diesen An- stalten das Recht der Emission von zinstragenden Kassenscheinen mit fester Kündigung. So ist in Oesterreich das System der Creditanstalten am klarsten wohl in der ganzen Welt ausgebildet. Vollständige Aufzählung im Compaß , Jahrb. für Handel und Industrie 1869; Verordnung vom 28. Okt. 1865 über „die den Anstalten, welche Creditgeschäfte betreiben, zukommenden Ausnahmen von den allgemeinen Justizgesetzen.“ Dagegen im übrigen Deutschland in dieser Beziehung vollständige Verwirrung . Grundlage ist die Scheidung der Banken vor und nach Brucks Schöpfung. Vor 1854 sind die verschiedenen „Darlehenskassen,“ „Leihanstalten“ u. s. w. Banken mit Notenausgabe, die aber zugleich Creditanstalten, ja sogar Real creditanstalten sind (bayerische Hypotheken- und Wechselbank). Ihr Schutz lag darin, daß überhaupt wenig Geschäfte von Bedeutung gemacht wurden, und der Grundsatz festgehalten ward, daß die Summe ihrer Noten an eine Fundation in Metall gebunden war. Nur Preußen hat seine Reichsbank, während seine sieben örtlichen Banken in der That Creditanstalten, die Noten derselben Creditnoten mit Bankfundation, die Sicht aber eine Unternehmungs- und keine Zahlungssicht war. Nach 1854 Entstehung einer Masse von sog. „Banken,“ die alle, obgleich sie reine Credit- institute waren, doch Notenausgabe mit den verschiedensten Fundationen be- saßen (Leipziger, Darmstädter, Meininger, Dessauer, Coburger Bank u. s. w.; s. bei Hübner , Banken). Da sich nirgends das deutsche Geschäftsleben con- centrirt hat, so hat sich auch keine Krisis dadurch ergeben. Es ist eben nur ein unfertiger Zustand, den nur die Einheit Deutschlands auf diesem wie auf andern Gebieten bessern kann (vergl. Stein a. a. O. S. 154 ff.). II. Der Vorschutzcredit und die gesellschaftlichen Creditvereine. Wirthschaftliche und gesellschaftliche Funktion. Der Vorschußcredit entsteht nun, zunächst nach seinem formalen Wesen betrachtet da, wo es sich um Unternehmungs- und Zahlungs- credit für einen ganz bestimmten einzelnen Act handelt. Es ist for- mell die Verbindung beider Arten in demselben Credit . Denn er wird gegeben, um die Produktion möglich zu machen und rechnet darauf, daß er bei dem Verkauf des speciellen, durch ihn er- worbenen Produkts wieder gezahlt werde. Er ist daher der Punkt, wo der Geschäftscredit in den persönlichen Credit einerseits und in das Hülfswesen andererseits übergeht. Das ist es, was seine eigent- liche Bedeutung und damit auch sein Recht ausmacht. Denn vermöge jener Funktion ist dieß die sociale Form des Ge- schäftscredits, das ist, diejenige Form, in welcher vermöge des Credits die Erhebung der niederen Classe in die höhere durch selbstthätiges Streben des Einzelnen möglich wird. Der Vorschußcredit hat daher zwei Grundformen, die zugleich seine historischen Stadien ausmachen. Die erste beruht darauf, daß die Regierung die Nothwendigkeit eines Vorschußcredits erkennt, und denselben daher als Regierungsmaßregel aus öffentlichen Mitteln anordnet. Es ist natürlich, daß diese Form alsbald in das öffentliche Hülfswesen fällt, und faktisch den Charakter der Armenunterstützung annimmt. Die zweite Epoche dagegen entsteht erst aus dem Gegensatz der besitzenden und nichtbesitzenden Classe. Seine Aufgabe wird hier nicht damit erschöpft, daß er dem Einzelnen einen helfenden Credit gebe, sondern besteht vielmehr darin, die Ver- leihung des zur Produktion nöthigen Credits zu einer allgemeinen An- gelegenheit zu machen. Die Form, in der dieß geschieht, ist der Ver- ein . Und so verwirklicht sich der gesellschaftliche Vorschußcredit in einem Vorschußvereinswesen . Das Vorschußvereinswesen nimmt nun die Elemente alles Credit- vereinwesens in sich auf, verarbeitet sich aber vermöge seines eigenthüm- lichen Lebensprincips in seiner Weise. Dieses Lebensprincip ist die Gegenseitigkeit . Sie ist auf allen Punkten das bildende Element im Vorschußverein. Zuerst bringt sie das nöthige Capital durch Beiträge der Einzelnen auf und wirkt so über den Credit hinaus capitalbildend für jeden einzelnen Theilnehmer. Dann erzeugt sie, da das auf diese Weise gebildete Capital nicht zureicht, den Credit durch das große Princip der gegenseitigen Haftung für den Credit eines jeden Theilnehmers; diese gegenseitige Haftung aber erzeugt wieder die möglichst große Theilnahme an der Thätigkeit des Creditvereins selbst; die Mitglieder verwalten ihre Angelegenheiten selber, statt die Verwaltung einem Vorstand zu übertragen. Durch diese Theilnahme entsteht weiter der Grundsatz, daß überhaupt die Voraussetzung der- selben ein gewisses Maß der gegenseitigen Achtung enthalte; damit greifen sie über das rein wirthschaftliche Gebiet hinaus und werden ein allgemeines Bildungselement für die vorwärtsstrebende Classe. Und so müssen sie in jeder Weise als ein höchst bedeutsames und heilsames Element angesehen werden. Ihr öffentliches Recht aber liegt dem Obigen gemäß zunächst ein- fach im Vereinsrecht , in welchem sie ihre besondere Stelle einnehmen. Dann aber hatte zweitens das Handelsgesetzbuch die Aufgabe, ihre Creditfähigkeit, welche wesentlich auf der Gegenseitigkeit beruht, durch genaue Entwicklung der solidarischen Haft und ihres Rechts fort- zubilden, was erst in neuester Zeit theilweise geschehen ist. So wie diese feststeht, wird sich daran als Schlußpunkt der weitere Grundsatz schließen, daß auch diese Vereine Vorschußscheine auf Grundlage ihres festen Capitals ausgeben dürfen; mit diesen Vorschußscheinen wird dann die Nothwendigkeit einer Gemeinsamkeit des ganzen Vorschuß- vereinswesens, die bisher nur theoretisch existirt, praktisch werden, und dann erst wird das Vorschußvereinswesen seine ganze wirthschaftliche sowohl als gesellschaftliche Bedeutung empfangen. Die Literatur für das Vorschußvereinswesen ist sehr gering, aber selb- ständig. In der alten Polizeiwissenschaft erscheinen sie gar nicht. In der neueren Volkswirthschaftspflege werden sie, wie bei Rau , mit dem System der Leihbanken verschmolzen. Den Anstoß zur selbständigen Bildung und Besprechung gab, auf Grundlage der Proudhonschen Idee der Banque du Peuple, aber praktisch und ausführbar, Schulze-Delitzsch , (Vorschuß- und Creditvereine als Volks- banken. 1. Aufl. 1855). Die daraus entstehende Bewegung hat nun die Gesetz- gebung hervorgerufen, die übrigens fast nur noch die privatrechtliche Seite im Auge hat. Das englische Gesetz Act relating to Industrial and Pro- vident Societies (1862) stellt (als Fortschritt gegenüber der Akte von 1852) die Begünstigungen solcher Vereine auf: Steuerbefreiung, Schiedsgericht und Verpflichtung jedes Mitgliedes durch Gesellschaftsbeschluß. Das franzö- sische Gesetz vom 24. Juli 1867 sur les sociétés bezieht sich eigentlich nur auf das Recht der Einlagen ( T. III. Soc. à Capital variable ). Die deutsche Gesetzgebung gewinnt erst eine feste Gestalt durch das Gesetz vom 4. Juli 1868 (privatliche Stellung der Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften; dazu das sächsische Gesetz vom 15. Juni 1868, die juristischen Persönlichkeiten betreffend) haben das Creditwesen nur indirekt berührt. Schultze-Delitzsch , Gesetz- gebung über die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirthschafts- genossenschaften 1869; Parrhisius , Commentar zum Gesetz vom 4. Juli. Als Theil des gesammten Vereinswesens aufgefaßt; historisch und rechtlich, nebst Material: Gierke , Genossenschaftswesen 1869. Systematisch Stein , System des Vereinswesens und Vereinsrechts 1869, S. 166 ff. Besonderer Theil der Volkswirthschaftspflege. Begriff desselben und Princip seiner Verwaltung. Während nun der allgemeine Theil der Volkswirthschaftspflege es mit denjenigen Verhältnissen zu thun hat, welche die Bedingung für jeden Theil der Volkswirthschaft ohne Rücksicht auf sein Capital bilden, entsteht der besondere Theil, indem die einzelnen Arten der Unterneh- mungen theils durch die besondere Natur ihres Capitals, theils durch die ihrer Arbeit, besondere Bedingungen ihrer Entwicklung fordern, die sich der Einzelne nicht selbst schaffen kann. Das System dieses besondern Theiles liegt daher nicht, wie das des allgemeinen, in einem organischen Begriffe, sondern in der that- sächlichen Verschiedenheit der Capitals- und Arbeitsverhältnisse. Dar- nach scheiden wir die Urproduktion, Forstwirthschaft, Jagd, Fischerei, Landwirthschaft, Gewerbe, Industrie, Handel und geistige Produktion. Jedes dieser Gebiete ist ein selbständiger Theil der besonderen Volks- wirthschaftspflege; jeder hat sein eigenes Recht, seine eigenen Aufgaben und seine eigenen Geschäfte, und in ihnen ist der zweite Theil der Verwaltung vollständig. Daneben aber haben sie trotz ihrer Verschiedenheit die großen allgemeinen Grundlagen ihrer Entwicklung gemein. Diese Grund- lage ist die Auffassung des Staats von demjenigen, was er in Bezie- hung auf die Volkswirthschaft seinerseits zu thun habe. Diese Auf- fassung wieder bestimmt sich historisch nicht nach dem wirthschaftlichen Wesen jener einzelnen Gebiete, sondern vielmehr auch hier durch das große Element aller staatlichen Entwicklung, die gesellschaftliche Ord- nung und ihre Kämpfe und Grundsätze. Sie sind es, welche das Princip der Volkswirthschaftspflege für jene einzelnen Gebiete abgeben, an das sich dann das specielle Recht derselben als Ausführung der ge- gebenen Verhältnisse anschließt. Es ist daher nothwendig, diese Ele- mente als die allgemeine Grundlage für jeden besonderen Theil fest- zustellen. Das ganze Gebiet der hierher gehörigen Literatur hat zwei Hauptrichtungen, die sich schon im vorigen Jahrhundert trennen. Die erste ist die volkswirth- schaftliche , welche jedoch vermöge ihres Gegenstandes vorzüglich das tech- nische Element vertritt, und so das ganze Gebiet erzeugt, das wir die Cameral- wissenschaft nennen, deren letzter bedeutender Vertreter Baumstark ist. Die zweite ist die juristische , welche ihrerseits an den Begriff der Regalität und vermöge desselben theils im deutschen Privatrecht auftritt, theils zu selb- ständigen Arbeiten wird. Daneben hat die Polizeiwissenschaft schon seit dem vorigen Jahrhundert versucht, ein System in diese Gebiete hineinzubringen, und sie vom Standpunkte der Verwaltung aufzufassen, wobei Berg an der Spitze steht; Mohl hat den Gedanken formeller ausgeführt, Rau dagegen bleibt bei dem vorwiegend nationalökonomischen Standpunkt. Elemente der Rechtsgeschichte des besondern Theils der volkswirthschaftlichen Verwaltung . Es ist klar, daß die Epoche der Geschlechterordnung, die überhaupt neben ihrer specifischen Rechtspflege und Polizei noch keine innere Ver- waltung kennt, auch noch kein Recht der einzelnen Arten der volks- wirthschaftlichen Verwaltung besitzen kann. Die großen wirthschaftlichen Erwerbsformen sind noch weder ausgebildet, noch zum Bewußtsein ge- bracht; sie sind weder frei noch unfrei; sie sind eben Sache des Ein- zelnen , und eben deßhalb ohne öffentliches Recht. Dieß öffentliche Recht kann daher erst da entstehen, wo jene Er- werbsformen zu selbstthätigen Faktoren des Gesammtlebens werden, indem sie in die gesellschaftliche Ordnung als mitwirkende Potenzen eintreten. Damit erst empfangen sie Gestalt und Recht; und dafür unterscheiden wir drei Epochen, deren öffentliche Principien dem ge- sammten wirthschaftlichen Leben gemeinsam sind. Die erste Epoche ist die der ständischen Gesellschaft. In ihr verliert jede Art der Unternehmung den individuellen Charakter der Geschlechterzeit; sie nimmt, als Trägerin der neuen Gestalt des Besitzes und Erwerbes die große Form der neuen gesellschaftlichen Ordnung an, und verbindet die ihr angehörigen Wirthschaften zu selbständigen Corporationen . Das ist die Epoche, in welche die corporative Ge- stalt der Selbstverwaltung das öffentliche Recht des besonderen Theiles der Volkswirthschaft bildet. Ihr Charakter ist die mit dem Wesen der Corporation verbundene strenge Ordnung , aber auch die ständische Unfreiheit . Sie kann den Erwerb entstehen lassen und erhalten, aber sie kann ihn nicht fortbilden. Die zweite Epoche ist die, wo die im Königthum und seiner Re- gierung vertretene persönliche Staatsidee sich die ständische Selbständig- keit unterwirft. Wir nennen sie in Beziehung auf die Verwaltung die polizeiliche Epoche . Die polizeiliche Epoche bricht nun auch das corporative Recht der Erwerbsarten. Sie setzt an seine Stelle theils das Gefühl und das Bestreben, durch positive Maßregeln alle diese Gebiete der Volkswirthschaft zu fördern, theils aber glaubt sie auch, die wahren Bedürfnisse derselben am besten zu kennen, und erschöpft sich daher in bevormundenden Vorschriften. Um diese zur Geltung zu bringen, muß sie ihre Berechtigung an die Stelle des corporativen Rechts setzen; die Form daher ist das Privilegium ; und so ist diese Epoche vor allem die des privilegirten Erwerbsrechts . Der Charakter desselben ist die Herstellung der Freiheit des Erwerbs im Einzelnen, dafür aber auch die Beseitigung des Princips der Selbst- verwaltung. Es ist die Epoche, wo die großen Erwerbsgesetz- gebungen aller Art beginnen, wo aber mehr das Streben nach eudä- monistischer Fürsorge durch die Regierung als die persönliche Tüchtig- keit und als die Grundlage der ganzen Entwicklung angesehen wird. So bildet auch hier diese Epoche, die bis in unser Jahrhundert hinein- reicht, den Uebergang zu der folgenden Epoche. Die dritte Epoche ist die staatsbürgerliche , welche eine neue Gestalt auch in dieses Gebiet der Verwaltung bringt. Ihr erstes großes Princip ist das der individuellen Freiheit , im Erwerbe wie auf andern Gebieten. Sie setzt daher zuerst an die Stelle der Cor- porationsrechte und der Privilegien die freie Bestimmung und Aus- übung jedes Gewerbes. Allein in ihr ist der Staat mit seiner Re- gierung zugleich der Träger des höchsten allgemeinen Interesses. In diesem Sinne erkennt er den Werth der möglichsten Entwicklung aller Erwerbsarten. Daraus entsteht das zweite Princip seiner Thätig- keit, das Streben, jedem einzelnen Zweige des Erwerbs die besondern Bedingungen seiner Entwicklung so weit zu geben, als derselbe sie sich nicht selbst zu schaffen vermag. Eben daraus folgt nun das, was den Charakter der äußeren Form der volkswirthschaftlichen Verwaltung in dieser Epoche unserer Gegenwart bildet. Gesetzgebung und Voll- ziehung theilen sich in die Aufgabe. Die Interessen der Erwerbs- formen werden der polizeilichen Verordnungsgewalt entzogen und zum Gegenstand selbständiger Gesetze auf Grundlage selbständiger Freiheit des Einzelnen. Grundlage ist dabei das Streben, an die Stelle der früheren Vorschriften über die Produktion ein System von Special- bildungsanstalten zu setzen, und die ersten auf die innere Sicher- heitspolizei zu beschränken. Die eigentliche Regierung ihrerseits bildet sich für die Vollziehung dieser Aufgabe des Staats jetzt eigene nach den Haupterwerbsformen organisirte selbständige Ministerien mit eigenen Sektionen; die Selbständigkeit jener Erwerbsformen aber empfängt ihren frei arbeitenden Organismus in dem von der corporativen Beschränkung befreiten Vereinswesen für alle Arten der Unter- nehmungen, und hier ist das Gebiet, wo sich eigentlich die Unter- nehmungs- und die Interessenvereine am deutlichsten in Be- griff und Funktion scheiden, eine Wirksamkeit enthaltend, die allmählig nicht bloß eine großartige und heilsame wird, sondern auch im richti- gen Verständniß der wahren Bedürfnisse in das sociale Gebiet hinein- reicht. Zugleich bildet sich die rationelle Güterlehre einerseits, und die Betriebstechnik andererseits immer weiter aus, und ihr wesent- liches Ergebniß ist, daß sie die Gränze feststellen, wo statt der öffent- lichen Rechtsbestimmungen und Maßregeln die organischen und die technischen Gesetze der Produktion allein zu herrschen bestimmt sind. Und so beginnt mit der Mitte unseres Jahrhunderts in Wahrheit die Epoche der wirklichen Verwaltung des Erwerbes, deren einzelne Theile viel zu reich sind, um hier erschöpft werden zu können, deren Haupt- gebiete aber folgende sind. I. Das Bergwesen und sein öffentliches Recht. Begriff und Princip. Die Urproduktion ist im wirthschaftlichen Sinne diejenige Produk- tion, welche durch ihre Arbeit den natürlichen Stoff von der Erde trennt , und ihn dadurch zu einem Erzeugniß und einem Gute macht. Die darauf gerichtete Unternehmung ist der Bergbau . Der Bergbau ist zunächst eine Unternehmung wie jede andere, und steht daher unter den allgemeinen Gesetzen der Produktion und der Produktivität. Seine Technik ist die Lehre vom Bergbau. Er ist daher zunächst Sache des Einzelnen. Allein er bildet mit Stoff und Arbeit einen so wesentlichen Faktor des gesammten wirthschaftlichen Lebens, daß er, sowie die allgemeine Produktion sich entwickelt, sofort eine selbständige öffentliche Bedeutung empfängt, die sich als ein eigenes Rechtsgebiet zur Geltung bringt. Das letztere beruht nun auf den Punkten, mit denen derselbe über die Gränze der Einzelwirthschaft hinausgreift. Zuerst ist bei allem Reichthum die Masse des Urprodukts eine begränzte, und dennoch für das Ganze absolut nothwendig. Aus dem ersten Moment folgt das allgemeine Interesse daran, daß die Produk- tion eine rationelle sei; aus dem zweiten die Forderung, daß sie nicht durch Einzelrechte an Grund und Boden unmöglich gemacht werde. Zweitens ist das Anlage- und Betriebscapital so groß, daß ihm nur das Princip der Erwerbsgesellschaft genügen kann, das ein genügendes Vereinsrecht voraussetzt. Drittens endlich ist der Betrieb seiner Natur nach mit eigenthümlichen Gefahren für die Arbeit verbunden, welche im Sonderinteresse der Unternehmer nur zu leicht unberücksichtigt bleiben. Das Gesammtinteresse fordert daher eine öffentlich rechtliche Ordnung und Verwaltung dieser Punkte, und die Gesammtheit der darauf be- züglichen Bestimmungen bildet das Bergwesen . Das Bergwesen ist daher die öffentlich rechtliche Ordnung des Bergbaus, durch welche das Sonderinteresse und Recht der einzelnen Betheiligten dem allgemeinen Interesse untergeordnet wird. Er hat daher dieselben historischen Bildungsepochen durchgemacht, wie die übri- gen Gebiete, bis es mit unserer Zeit hier wie immer seine feste Ge- staltung im Bergrecht empfangen hat. Die reiche Literatur über das Bergwesen hat drei Richtungen, die tech- nische, die wirthschaftliche und die juristische, von denen die letztere bei weitem die entwickeltste ist, da sich in ihr in der That die ganze Lehre vom Bergwesen in rechtlicher Form zusammenfaßt. Dieselbe begleitet daher auch die Rechts- bildung, die gerade hier von großem Interesse ist. Elemente der Geschichte des Bergwesens . Die Geschlechteordnung kennt noch kein vom Grundbesitz geschie- denes eigenes Bergrecht. Dasselbe entsteht erst da, wo der Bergbau zu einer selbständigen Unternehmung wird, und daher die Frage auftritt, ob das Privateigenthum berechtigt sein solle, ein solches Unternehmen vom eigenen Grund und Boden auszuschließen. Ein Aufheben dieser Berechtigung war offenbar für die ganze Volkswirthschaft unabweisbar nothwendig, aber sie konnte nur vom Oberhaupt verliehen werden. Diese Verleihung ist die Freierklärung des Bergbaues, welche als Beginn des öffentlichen Rechts desselben angesehen werden muß (drei- zehntes Jahrhundert). Aus diesem Entwährungsrecht der Krone fol- gerte nun die öffentliche Jurisprudenz die Regalität , und zwar mit ihrem doppelten, bis zu unserem Jahrhundert nicht zum klaren Be- wußtsein gelangenden Inhalt, das Princip eines Obereigenthums an den Urprodukten, und dem Princip der Oberaufsicht über den wirklichen Betrieb. Aus dem ersten ging der Gedanke hervor, daß das Recht auf den Beginn des Bergbaues einer förmlichen Belehnung bedürfe, wobei es fraglich war, wer sie zu geben habe, der Kaiser oder der Landesherr. Aus dem zweiten entsteht der Grundsatz der Bestä- tigung der rechtlichen Ordnungen, welche sich durch die Natur des Bergbaues von selbst gebildet hatten und alle Verhältnisse desselben umfaßten und ordneten. Das ist der Inhalt der ständischen Epoche des Bergwesens, in welcher jede solche Unternehmung noch als selb- ständige Corporation mit eigener corporativer Rechtsbildung auftritt. Im achtzehnten Jahrhundert beginnt dann das Bewußtsein zur Gel- tung zu kommen, daß der Bergbau ein Element des gesammten volks- wirthschaftlichen Lebens sei, und daß daher der Regierung die Aufsicht zustehe, „daß solches Regal gesetzmäßig und zum Nutzen des Publici verwaltet werde“ (Magdeburger Bergordnung von 1772. C. 1. §. 5), daher denn Errichtung eigener Verwaltungsbehörden, principielle Durch- führung der Polizei, Auftreten des Kampfes gegen den Raubbau u. a. Aus dieser Epoche gehen nun die neuen Bergordnungen des sieben- zehnten und achtzehnten Jahrhunderts hervor, an die sich die neue Wissenschaft des Bergrechts anschließt, die jedoch noch immer auf der Verschmelzung der beiden Elemente der Regalität beruht. Sie erscheint theils in eigenen größeren Werken, theils als Theil des deut- schen Privatrechts und selbst des Staatsrechts. Erst mit unserem Jahr- hundert beginnt nun die Epoche, in welcher die Freiheit des Bergbaues mit den volkswirthschaftlichen Anforderungen verbunden, und das Ganze zugleich als ein Theil der Verwaltung anerkannt wird. So entsteht das System der Verwaltung des Bergwesens , das künftig einen organischen Theil des Verwaltungsrechts bilden wird. In Deutschland , der Heimath des europäischen Bergwesens, eben so reiche Literatur als Gesetzgebung. Einerseits als Theil der Rechtslehre : öffentliches Recht; alte Staatsrechtslehrer; vergl. Klüber , öffentliches Recht §. 446 ff. Dann als Theil des deutschen Privatrechts , gleichfalls seit dem vorigen Jahrhundert Runde §. 161—163; sehr reichhaltig Mittermaier I. 241 ff.; dann in der Cameralwissenschaft namentlich Fischer , Cameral- und Polizeirecht II. 813 ff. 1255 ff.; juristisch: Baumstark , Encyclopädie §. 83 und 431. 402; technisch, in der Polizeiwissenschaft besonders Berg , Deutsches Polizeirecht Bd. III. S. 384 ff. (rationeller Standpunkt). Dann in selbständigen Sammlungen : Hauptwerk Wagner , Corpus jur. metallici 1791; dann eine Menge juristischer Untersuchungen (vergl. bei Berg und Mitter- maier ); selbständige Arbeiten Cancrin , teutsches Berg- und Salzrecht; Beyer , Bergrechtslehre. Literatur: Pütter , Liter. III. 621; Klüber , Liter. §. 1382 ff. besonders Karsten , Grundriß der deutschen Bergrechtslehre. — Gesetzgebung: Bergordnungen seit dem zwölften Jahrhundert; Bergrecht des Königs Wenzel von 1295; Wagner , Corpus jur. met. p. XX. ( Mittermaier §. 241); Kampf über die Belehnungen, Meyer , Geschichte des teutschen Bergrechts. Sachsen- spiegel I. 35. — Aeltere Bergordnungen, als corporatives Recht, bereits seit dem elften Jahrhundert. Gmelin , Beiträge zur Geschichte des deutschen Bergwesens 1783. ( Iglauer Bergordnung 1086—93; Klotz , Geschichte §. XII ). Dann die eigentlichen Bergordnungen der Regierung seit dem sechzehnten Jahrhundert, reichlicher im siebzehnten. Muster: die Joachimsthaler Berg- ordnung von 1584; darnach die folgenden: Mittermaier §. 242; Fischer II. 814. Daraus ergibt sich der formale Charakter der ganzen Bergrechts- gesetzgebung: örtliche Entstehung auf Grundlage gemeinsamer Prin- cipien. Preußisches Bergrecht, bisheriges System desselben: das Berg- recht hier als Theil des allgem. preuß. Landrechts II. 14; daneben die ört- lichen , provinziellen Bergrechte; wesentlicher Unterschied der früheren von den Gesetzen unseres Jahrhunderts; größere Freiheit der Unternehmung gegen- über dem streng entwickelten Behördensystem und genaue Aufzeichnung des Eigenthumsrechts . (Gesetz vom 12. Mai 1831 und vom 21. Mai 1860.) Rönne , preuß. Staatsrecht II. 384 nebst der reichen preuß. Literatur. Dieses System ist nun durch das neue Berggesetz vom 24. Juni 1865 aufgehoben, ein einheitliches Bergrecht, wesentlich wie das österreichische, an seine Stelle gesetzt, und das Provinzialrecht nur noch in einzelnen Punkten zugelassen. — Nassauische Bergordnung von 1857. — Bayern: vier verschiedene Berg- ordnungen ( Pötzl , Verwaltungsrecht S. 209); die eigentlich kurbayerische Berg- ordnung von 1784. — Oesterreich dagegen unter Aufhebung aller örtlichen Rechte Einführung des großen Berggesetzes vom 23. Mai 1854 nebst den sehr wichtigen Vollzugsverordnungen. Manzsche Gesetzausgabe Bd. V. — Das französische Bergrecht beruht auf dem Principe der Regalität bis zur Revolu- tion. Kurze Geschichte: Laferri è re , Droit publ. et adm. I. Liv. I. P. I. T. VII. Beschluß der Assemblée nationale von 1791: Recht der Nation auf alle Urprodukte. Darauf Hauptgesetz vom 21. April 1810 (Grundlage der Gedanke des Code Civ. art. 552); Organisation der Oberaufsicht (Gesetz vom 27. April 1838); Ausdehnung auf Salz, Mineralquellen und Salzbrunnen (Gesetz vom 17. Juni 1840); die ganze Gesetzgebung ist (trotz Rönne §. 385) doch nichts als eine Formulirung der deutschen Grundsätze, die weder Villefort du Heron ( de la richesse minérale 1810—19 und Etat actuel de la legislat. sur les mines 1816) noch Dunoyer , Liberté du travail 1840 gehörig kannten. Mittermaier a. a. O. mit Literatur; Rau I. §. 38. Oesterreich : Exegesen des Bergrechts von Hingenau , Handbuch von 1856 und Wenzel , Hand- buch 1855. System des Bergrechts . Das System des Bergrechts enthält nun die Gesammtheit der Be- stimmungen des öffentlichen Rechts über das Bergwesen, welche das Gesammtinteresse in diesem Zweige der Produktion zur Geltung bringen. Seine wesentlichen Punkte sind folgende. I. Der Organismus des Bergwesens scheidet sich in zwei Ge- biete. Das erste ist die Organisation der Bergbehörden , welche die Oberaufsicht des Staats ausüben, und die erst mit unserem Jahrhundert sich von den Finanzbehörden getrennt haben. Das zweite ist das des Vereinswesens . Das Bergrecht entsteht überhaupt erst in Deutsch- land mit den Gewerkschaften , der ständischen Form der Erwerbs- gesellschaften, von deren Rechte sich in dem Kuxenwesen noch ganz un- motivirte Ueberreste erhalten haben. An ihre Stelle treten jetzt die Aktiengesellschaften, und mit ihnen das Recht des Vereinswesens, welches bis auf einen Punkt (Zahl der Kuxe und Beschränkung der Ueberlassung der Antheile) ganz das Gewerkschaftsrecht enthält. Die höchste Leitung unter dem Finanzministerium mit örtlichen Berg- behörden (Berghauptmannschaften ꝛc.) Preußen: Rönne II. 227. Neue Or- ganisirung im Berggesetz von 1865. T. VIII. — Oesterreich : Grundlage der Unterschied von Bergämtern und Berggerichten (Einführungspatent vom 25. Mai 1854 und Organ. Patent Art. VII. und Organ. Patent vom 13. Sept. 1858). — Frankreich : Conseil des mines als oberste Behörde und Ingenieurs des mines. Block , Dict. v. Mines. II. Das Erwerbs- und Eigenthumsrecht beruht auf dem Gedanken, daß das Eigenthum an unterirdischen Gütern ein von dem der Oberfläche unabhängiges sei, und daher ein eigenes System des Erwerbes und Besitzes habe. Das ist eigentlich das Princip der Re- galität. Daher das System dieses Erwerbes und Besitzes ein Haupt- theil der Berggesetzgebung. Es beruht auf dem Recht eines Jeden, auch auf fremdem Grund und Boden Minerale zu suchen , wozu die Bewilligung (als Form der Enteignung) ertheilt wird, der Schür- fung , welche das Besitzrecht gibt, den Freischurf , aus welchem durch die Belehnung das Eigenthum wird, für welche ein Grund- buch eingerichtet wird. Diese Rechtsverhältnisse bilden dann das Berg- recht im eigentlichen Sinne. Ueber das Vereinsrecht in seiner Anwendung auf den Bergbau s. syste- matisch Stein , Vereinsrecht S. 74; historisch Gierke , Genossenschaften S. 965 ff. Das übrige Recht in den Bergordnungen. Der französische Grundgedanke, daß jedes Eigenthum des Grundes das Schürfrecht habe, dasselbe aber durch Con- cession auch für andere erworben werden könne, ist nichts als eine andere Form des deutschen Gedankens. Es wäre am besten, die „Regalität“ ganz aus der Terminologie wegzulassen; die Bestimmung der Metalle und Erden, für welche das Schürfrecht gegeben werden kann, bedeutet in der That nicht Re- galität, sondern kann nur die Bezeichnung der Objekte sein, für welche das Enteignungsverfahren der Schürfbewilligung eintritt. Die Ablieferungs pflicht der edlen Metalle mit Recht in Oesterreich aufgehoben 1856. Sehr nachahmens- werth die französische Ertheilung des Gesetzes von 1810 in Minières, Carrières und Tourbières, welche viele Unklarheiten des deutschen Rechts beseitigen würde. III. Das besondere Recht der Arbeiterverhältnisse beim Bergbau beruht nun theils auf dem alten ständischen Rechte der Knapp- schaften , theils auf der Natur des Bergbaues. Die ersteren sind fast verschwunden. Nur ist polizeilich eine gewisse Organisation des Arbeiterwesens vorgeschrieben (Steiger, Obersteiger, Schichtmeister u. s. w.) und die Verpflichtung zu gegenseitigen Hülfsvereinen in den Bundes- landen zum Gesetz geworden; jedoch nur im deutschen Bergrecht. Oesterreichisches Berggesetz §. 210—214. — Preußisches Gesetz vom 10. April 1854 (Bruderlade und Knappschafts-Kassen und -Vereine; in Preußen aus- gedehnt auf die Metallproduktion. Wiederholt im Berggesetz von 1865 T. VII. Die Entwicklung des Versicherungswesens macht das mehr und mehr überflüssig . IV. Die Theilnahme der Staatsverwaltung an dem wirk- lichen Betrieb als Ausübung der Oberaufsicht, im vorigen Jahrhundert stark ausgebildet, ist mit unserem Jahrhundert auf die feste Gränze der Ausführung der bestehenden Vorschriften über die Betriebspolizei zurückgeführt, die sich wieder in die Sicherheitspolizei und die Vorschriften über Raubbau beschränkt. Die Thätigkeit der Behörden ist jetzt vorwiegend eine richterliche ; die direkte Unterstützung der früheren Zeit (Holzlieferung, Darlehenscassen, Vorrechte) ist ver- schwunden. Vergl. für frühere Zeit Berg , Polizeirecht III. S. 384 ff. Preußen : Beseitigung des „Direktionsprincips“ der alten Bergordnung durch Gesetz vom 21. Mai 1860; Freiheit des Betriebes und Freizügigkeit der Bergleute (vergl. Rönne VI. §. 384). Dagegen Aufhebung der alten Berggerichtsbarkeit, der Oberbergämter und Uebergang an die ordentlichen Gerichte (Verordnung vom 26. Dec. 1808. Rönne §. 259). Neues Berggesetz von 1865 T. VIII. Berg- behörden und T. XI Bergpolizei. — In Oesterreich ist ein solches Princip nie vorhanden gewesen. Organisation der Berggerichte (mit sachkundigen Bei- sitzern). Einf. Patent Art. VII. Manzsche Gesetze S. 13 ff. Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde I. §. 17. — In Frankreich ist das Recht der Ingenieurs sehr allgemein gehalten und gering (vergl. Rau , Volkswirthschaftspflege §. 38). V. Der wichtigste Theil der Sorge des Staats für den Bergbau sind nun die unserem Jahrhundert angehörigen Fachschulen . Das deutsche Princip ist, daß die darin gebotene Bildung die öffentlich recht- liche Bedingung für die Leitung des Betriebes sein soll; die fran- zösische Fachbildung ist nur für die Behörde geltend. Ueber das deutsche Berufsbildungswesen vergl. Stein , Bildungswesen S. 261 ff., über die Ecole des mines ebend. S. 316. Preußen : Organisation des Bildungs- und Prüsungswesens (Reglement vom 31. Dec. 1863). Rönne II. 293. — Oesterreich : Organisation der montanistischen Lehranstalten (Ver- ordnung vom 25. März 1851; Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde II. §. 412). II. Das Forstwesen. Begriff und Princip. Das Forstwesen hat einen anderen Charakter als das Bergwesen. Es wird daher vor allem nöthig, hier die Grundbegriffe festzustellen. Jede Waldung ist zuerst ein Capital wie ein anderes, und unter- liegt daher den allgemeinen Gesetzen und Rechten der Privatwirthschaft. Aber es liegt im Wesen der Forste, daß sie mit ihrem Bestand als Bedingung der allgemeinen Produktion, also als Gegenstand des all- gemeinen Interesses anerkannt werden. Die Nachweisung dieses im Allgemeinen unbezweifelten Satzes hat die Volkswirthschaftslehre ge- liefert. Dieses allgemeine Interesse faßt sich nun zusammen in dem Grundsatz der dauernden Erhaltung und Produktion des Waldcapitals. Und nun nennen wir diejenigen Grundsätze, nach denen die Bewirth- schaftung der Forste in jenem öffentlichen Interesse auf die dauernde Erhaltung des Capitals und seiner regelmäßigen Produktion berechnet ist, im eigentlichen Sinne die Forstwirthschaft . Die Geltung der wirthschaftlichen Grundsätze einer solchen eigent- lichen Forstwirthschaft für jede Bewirthschaftung von Waldungen er- scheint daher als eine Forderung des Gesammtinteresses der Volks- wirthschaft an jeden einzelnen Besitzer, gleichviel ob es der Staat oder ein Einzelner ist. Inhalt und Unabweisbarkeit dieser Forderung kommt nun dem Gesammtleben mit der steigenden Gesittung zum Be- wußtsein, und aus diesem Bewußtsein geht dann der Grundsatz hervor, daß es Aufgabe des Staats und seiner Verwaltung sei, jene Forde- rung zur gesetzlichen Geltung und Durchführung zu bringen. Und die Gesammtheit der Gesetze, Vorschriften und Anstalten, welche auf diese Weise die Grundsätze der Forstwirthschaft im obigen Sinne für alle Bewirthschaftungen von Forsten zur Geltung bringen, nennen wir das Forstwesen . Auch das Forstwesen hat nun seine Geschichte und sein System, deren Elemente in Folgendem enthalten sind. Die sehr reiche Literatur über Forstwirthschaft und Forstwesen muß in ihre Hauptrichtungen geschieden werden, um den Ueberblick zu gewinnen. Die erste ist die rein juristische , welche sich an die Frage nach dem rechtlichen Inhalt des Forstregals anknüpft, und bereits im siebzehnten Jahrhundert beginnt ( Pütter , Literatur III. 639; Klüber , Literatur §. 1399). Sie theilt sich im achtzehnten Jahrhundert in die Behandlung im deutschen Privatrecht (bei Runde §. 140. Danz II. 11, zuletzt und am reichsten Mittermaier I. §. 304 ff.) und in die Behandlung als Theil des Staatsrechts ( Moser , Landeshoheit in Ansehung Erde und Wassers; dann die Staatsrechtslehrer herab bis Klüber , öffentliches Recht §. 451). Die zweite ist die Auffassung der Forstwirthschaft als Gegenstand der Polizei , welche in der That bereits das ganze Forstwesen in seinen Grundsätzen enthält, aber von der technischen Lehre sich noch fern hält; voriges Jahrhundert vorzüglich Berg , Polizeirecht III. 344 ff., während Fischer (Cameral- und Polizeirecht II. 868 ff.) mehr für die positiven Bestimmungen ein reiches Material bietet, bis in unserem Jahr- hundert die abstrakt allgemeine Behandlung in der Polizeiwissenschaft Boden gewinnt ( Mohl , Polizeiwissenschaft II. §. 142). Damit scheidet sich die rein technische Forstwirthschaftslehre als Gebiet der eigentlichen Cameralwissenschaft; namentlich Baumstark , Encyclopädie §. 262 u. a. O. Während nun die eigentliche Nationalökonomie bei Allgemeinheiten stehen bleibt, tritt mit unserem Jahrhundert die Frage auf, ob die Freiheit der Privatwirthschaft auch für die Forstwirthschaft gelten solle. Der Anfang des Jahrhunderts neigt sich in seiner Literatur dem Princip der Freiheit zu (vergl. Literatur bei Mohl a. a. O. §. 142); mit den zwanziger Jahren dagegen siegt der Grundsatz der Nothwendigkeit eines gesetzlichen Forstwesens, dem vor allem in Verbindung mit gründlicher Forstwirthschaftslehre Hundeshagen in dem Hauptwerk Lehrbuch der Forst- polizei seit 1835 zum Siege hilft. Dieser Grundsatz ist jetzt der gemein- gültige, und liegt den neueren Arbeiten von Mohl a. a. O., Rau , Volks- wirthschaftspflege II. §. 168 ff. zum Grunde, während er durch die neuen Forstlehranstalten immer größere Geltung empfängt und in den Forstgesetz- gebungen entschiedene Anerkennung findet. — Die Verwaltungslehre nun muß festhalten, daß sie alle technischen und volkswirthschaftlichen Grundsätze voraus- zusetzen und nur die Momente darzustellen hat, in denen das Gesammtinteresse gegenüber dem Recht und Interesse der Einzelwirthschaft zur Geltung gelangt. Elemente der Geschichte des Forstwesens . Die Geschichte des Forstwesens ist nun die allmälige Entwicklung des Sieges der Ideen des öffentlichen Rechts über das Princip der freien Einzelverwaltung. Ihre Stadien zeichnen sich deßhalb bei großer Thätigkeit der einzelnen Gesetzgebung im Ganzen klar ab. Wir nennen sie die Epoche des Forstregals, die der Forsthoheit, und die des Forst- wesens. In der Epoche des Forstregals schließt sich der Gedanke der Herrschaft des Staats über die Forstwirthschaft an die allerdings falsche Vorstellung von einem Recht des Obereigenthums der Krone an allen Waldungen; der Streit über die Gränze des öffentlichen und Privatrechts erzeugt damit das System und die Lehre vom Forstrecht mit seinen Forstgerichten, Bann- und Jagdrechten, Servituten und Gemeinheitsrechten. In der Epoche der Forsthoheit , die mit der Polizeiwissenschaft des vorigen Jahrhunderts ihre feste Gestalt gewinnt, siegt die Erkennt- niß, daß die Regierung vermöge des öffentlichen Interesses die Berechtigung zu gesetzlicher und polizeilicher Ordnung des Forstwesens habe. Daraus entstehen seit dem siebenzehnten Jahrhundert die Forst- ordnungen und Forstgesetze nebst der Organisation eigener Forst- ämter; zugleich aber scheidet sich die Bewirthschaftung der Staats- forste als eigentlicher Gegenstand der Cameralwissenschaft aus, und das Forstwesen findet in ihr seinen Schwerpunkt, während das Forst- recht ziemlich in seiner Entwicklung stillsteht. Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 21 Das gegenwärtige Jahrhundert, das weder des Begriffes des Regals noch des Princips einer besondern „Hoheit“ bedarf, faßt da- gegen die Forstwirthschaft des Volkes als ein Ganzes auf, und be- gründet das eigentliche Forstwesen als einen selbständigen Theil der inneren Verwaltung und ihres Rechts, indem es alle Gebiete des Forst- wesens in Eine Gesetzgebung und Verwaltung systematisch zusammenfaßt. Die Elemente dieses Systems sind folgende. Literatur der Geschichte Mittermaier §. 204 ff. Etwas über das Forst- regal ebend. §. 206. Erste Forstordnungen bereits aus dem fünfzehnten Jahrhundert (Rheingau 1487; Nassau 1465 u. a). Beginn der eigentlichen Forstgesetzgebung im siebzehnten Jahrhundert: Fischer , Cameral- und Polizei- recht II. 787; Fritsch , Corp. Jur. venator. forest. 1705; bayerische Forst- ordnung 1616. — Württembergische Jagd- und Forstordnung. — Braun- schweig 1768 (vergl. Mittermaier a. a. O.; Pfeil , Forstpolizeigesetze. Berg , Polizeirecht III. 363). — Neuere Epoche. Preußen : Allgemeine Grund- sätze im Allgem. Landrecht I. T. 8. 83—89; völlige Freiheit im Landescultur- edikt vom 14. Sept. 1811, und vielfache örtliche Gesetzgebungen ( Rönne II. §. 380 ff). — Oesterreich : Systematische Gesetzgebung (Gesetz vom 3. Dec. 1852 nebst einzelnen Gesetzen in der Manzschen Ausg. Bd. 8). — Bayern : Forstgesetz vom 2. April 1852; Pözl , Verwaltungsrecht §. 150. — Frank- reich : das Gesetz vom 21. Mai 1827 (Code Forestier); Block , Diction. v. Forêts nebst Literatur. — Italien : neueste Forstgesetzgebung (Gesetz vom 1. Juni 1865 mit Vollzugsverordnung; Austria 1865. Nr. 36). System des Forstrechts . A. Princip desselben . Das System des Forstwesens entsteht nun, indem der allgemeine Grundgedanke desselben, die Erhaltung von Bestand und Produktion der Forste wegen ihrer allgemeinen Bedeutung für die Volkswirthschaft, auf alle wirkliche Bewirthschaftung von Waldungen nach ihren ein- zelnen Theilen hin gesetzlich und administrativ durchgeführt wird. Hier nun ist es, wo die rechtliche Thatsache, daß die Waldungen theils Eigenthum des Staats, theils der Selbstverwaltungskörper in Landschaften, Gemeinden und Corporationen, theils Einzelner sind, Unsicherheit und Unklarheit in die Systeme des Forstwesens bringt, so lange man nicht zu einem selbständigen, allgemein gültigen Princip desselben gelangt. Dies Princip beruht nun darauf, daß vom höheren Standpunkte der Volkswirthschaft alle Waldungen des Staats als ein Ganzes betrachtet , mithin ohne Rücksicht auf das Eigenthum Einer großen Gesammtwirthschaft unterworfen werden müssen, die ausschließlich im Interesse der Volkswirthschaft die Grundsätze der Forstwirthschaft voll- zieht; daß zweitens die Waldbestände in jedem Reich statistisch auf- genommen werden müssen, um diejenigen auszuscheiden, welche nicht fähig sind, eine dauernde Wirthschaft zuzulassen, und diese der Privat- wirthschaft mit unbeschränkter Freiheit zu überlassen; endlich aber diejenigen, welche dadurch ihr Eigenthumsrecht verlieren, in derselben Weise zu entschädigen , wie bei der Grundentlastung und der Ab- lösung. So lange dieser Grundsatz nicht durchgeführt, und die gesammte Forstwirthschaft nicht als Ein großes, einheitlich behandeltes Verwal- tungsgebiet behandelt wird, bleibt die Idee des Forstwesens unfertig, so weit auch die Theorie und Praxis der Forstwirthschaft sonst fort- geschritten sein mag. In der That ist noch die Geschichte des Forst- wesens die langsame, aber sichere Entwicklung dieses Gedankens, der bis jetzt seinen Hauptausdruck in zwei Grundsätzen hat: erstlich darin, daß die Staatsforste die Musterwirthschaft für die Privatforstwirthschaft sei, und zweitens daß die letztere ohne sie gezwungen ist, bei der Rodung die Zustimmung der Forstverwaltung zu suchen. Geht man aber von dem obigen Gesichtspunkt aus, so ist das eigentliche System des Forst- wesens sehr einfach. Die vielfache Unklarheit sowohl in Gesetz als Theorie über die Geltung gewisser öffentlich-rechtlicher Bestimmungen (z. B. Forstpolizei, Forstabtrag) auch für die Privatwirthschaft zeigt in der That, daß wir dem obigen Gedanken näher stehen als wir glauben. Die jährlich steigenden Holzpreise werden ihn nur zu bald praktisch machen. Sehr bedeutsam ist daher die klare Be- stimmung des Code forestier, welche zuerst alle Forste in Reichs-, Communal- und Privatforste getheilt und den Grundsatz ausgesprochen hat, daß die ersteren unbedingt dem „régime forestier“ unterworfen sein sollen ( T. I. 1). Darnach das österreichische Forstgesetz von 1852 I. 1. B. Die Entwicklung dieses Princips zum eigentlichen System zer- fällt nun in drei Theile. I. Die Forstbehörden und ihr Organismus sind bisher nur für die Staatsforsten da gewesen. Sie sollen demnach das Forstwesen des ganzen Reiches verwalten. Aeltere Ordnungen: Berg a. a. O. Neuere: Oesterreich : Organisirung 1850; Stubenrauch I. §. 18. Forstgesetz 5. Abschn. Ausführliche Instruk- tionen: Manzsche Ausg. S. 43 f. — Preußen : Zutheilung der Inspektionen zu den Regierungen ( Rönne II. 255 und 240). — Frankreich : Code forest. Art. 1 und Decret vom 6. Mai 1854 (drei Administratoren unter dem Finanz- minister, und örtliche Inspektionsbezirke). So wie das obige Princip des Forst- wesens angenommen wird, werden dann zwei Dinge nothwendig: erstlich ein ganz genauer öffentlicher Waldkataster , und zweitens das Recht der Landschaften , die Anlegung und Aenderung derselben zu verwalten, und bei der Forstverwaltung mitzuwirken. Darin liegt die Zukunft der Organi- sation des Forstwesens. II. Das Forstbildungswesen , das erst unserem Jahrhundert als öffentliche Berufs- und Fachbildung angehört, soll mit seinem Recht der Prüfung und Anstellung für alle Forste gelten. Früher bloß als Theil der Cameralwissenschaft. Selbständige Bildungs- anstalten. Oesterreich : Grundzüge für das Fortbildungswesen (Ministerial- erlaß vom 9. Juni 1849; Errichtung der Forstlehranstalt zu Mariabrunn nebst Instruktion und Prüfungsordnung (Ministerialerlaß vom 30. April 1852). — Preußen : Errichtung der Forstlandsanstalt zu Neu-Eberswalde (Kabinets- ordre vom 27. März 1830); Organisirung: Erlaß vom 7. Febr. 1864; Rönne II. S. 227 und 456. — Frankreich : Ecole forestière zu Nancy (Decret vom 1. Dec. 1824. Block , Dict. art. Ec. forest. ). III. Eigentliche Forstverwaltung ( Service forestier ). Das Princip der eigentlichen Forstverwaltung als der im Gesammtinteresse geordneten Forstwirthschaft für alle Forste muß demnach sein, die als öffentliche Forste erklärten Waldungen mit Ausschluß jedes augenblicklichen Gewinns als ein dauerndes Capital zu verwalten, wofür die Forstwirthschaftslehre die Grundsätze gibt und der Forst- organismus die Verantwortlichkeit hat. Die praktische Anwendung er- gibt zwei Kategorien, deren Ausfüllung dann Aufgabe der Forstwissen- schaft bildet. a) Der Forstschutz . Der Forstschutz zerfällt wieder 1) in die Forstpolizei , welche den Bestand der Waldungen gegen Menschen und Elemente schützt: Polizei α) der Wald benutzung (Waldstreu, Wald- weide) und β) der Wald gefährdung (Feuer, Wasser); 2) das Rodungs- recht , Grundsatz, daß kein Boden dem Wald ohne Beschluß entzogen werden darf; 3) das Bannrecht ; Grundsatz, daß gewisse Waldungen auch der wirthschaftlichen Benutzung zu entziehen sind aus elementaren Gründen; 4) genaue Bestimmungen über den Ersatz des Waldscha- dens , und Strafen für den Wal dfrevel und Diebstahl; zum Theil peinliches, zum Theil Ordnungsstrafrecht. b) Die Forstpflege . Die allgemeinen Grundsätze der Forst- pflege sind Sache der Forstwirthschaftslehre, welche die Verwaltungs- lehre als bekannt vorauszusetzen hat. Die Anwendung derselben auf das öffentliche Recht ergibt folgende Kategorien: 1) Die Freiheit der Forstwirthschaft fordert die Ablösung der meisten Servituten , die meist auf historischer Basis aus der Zeit der Werthlosigkeit des Holzes stammen. Entstehung, Inhalt und Princip der Ablösung solcher Dienstbarkeit (Holzlieferung, Streusammeln, Mastung, Weide). Keine Ablösung durch Abtheilung. 2) Pflanzungso rdnungen: 1) bei geschlagenen Waldflächen; 2) bei unbestandenem absolutem Waldboden; 3) Baumpflanzen (bei Wegen ꝛc.); Nutzbäume (Fruchtbäume, Maulbeerbäume ꝛc.) gehören nicht der Forstwirthschaft. 3) Schlagordnung , mit dem Grundsatz, daß keine Rodung ohne Erlaubniß der höheren Stelle, und genaue Vorschrift über das Verfahren sowohl beim Schlagen als beim Verkaufe der Waldprodukte. 4) Holzbringung , theils durch eigene Straßen, theils mit sog. Riesen, theils zu Wasser mit Trift- und Schwemmrecht, nebst dem Recht der Holzwehren. Princip der eventuellen Expropriation für die Nachbargrundstücke. Für die einzelnen Fragen Verweisung auf die Forstwirthschaftslehre (Forst- polizei). Dieselben sind in den meisten Fällen nur dadurch verwickelt, daß das bisherige Recht den Unterschied zwischen den Staatsforsten und den Privat- forsten aufrecht hält, und daher stets die Frage zu entscheiden bleibt, wie weit das öffentliche Recht des Forstwesens in das Privatrecht im öffentlichen In- teresse hineingreifen dürfe und solle. Daher hier Schwanken der Gesetzgebung. Fast allgemein ist jedoch schon jetzt der Grundsatz, daß keine Rodung ohne Genehmigung der Forstbehörde, wobei merkwürdiger Weise das Princip der Entschädigung fehlt. — Frankreich : Code forest. Art. 147. Neues und sehr ausführliches Decret über Bergbewaldung vom 10. Nov. 1864. — Oester- reich : Forstgesetz Art. 2. 3. Badens neues Forstgesetz von 1854 hat die durch das Forstgesetz von 1833 eingeführte volle Freiheit der Einzelwirthschaft wieder aufgehoben ( Rau §. 156). — Preußen stellte früher die ganze Privat- wirthschaft unter behördliche Oberaufsicht; als das zu Widersprüchen führte, schlug die Gesetzgebung in das Gegentheil um, und gab durch das Landes- kulturedikt vom 14. Sept. 1811 die volle Freiheit, die jedoch durch die vielen lokalen Forstordnungen (bei Rönne §. 382) im Einzelnen wesentlich beschränkt ist. Aus diesem Zustand der Gesetzgebung der Uebelstand, daß es mit Aus- nahme des Rodungsverbotes und zum Theil der Servitutenablösung ( Frank- reich : Code For. 130; Oesterreich : Gesetz vom 5. Juli 1853 bei Manz, nebst Verwaltungsverordnung; Preußen : Rönne §. 381) und einer Reihe von An- pflanzungsvorschriften, stets zweifelhaft ist, ob die gesetzlichen Bestimmungen auf Privatwirthschaft Anwendung finden, während doch die Waldungen der Selbstverwaltung den staatlichen Vorschriften unterworfen sind (vergl. österreich . Staatsforstgesetz Art. 1. 2). — Rönne über Preußen §. 381. — Baden : Forststrafrecht (Verordnung vom 25. Jan. 1865). — Code forest. Art. 90. 128. Jagdrecht . Die Jagd ist zunächst wirthschaftlich eine Form der Benützung des Grundes und Bodens. Allein sie ist zugleich die einzige Art, wie gewisse Grundstücke, namentlich der Wald, ihre volle Benützung erzielen. Aus dem ersten geht die volle Freiheit der Jagd hervor, aus dem zweiten die Beschränkung derselben im allgemeinen Interesse. Die öffentlich rechtliche Ordnung, die daraus entsteht, bildet das Jagd- wesen . Auch das Jagdwesen hat bekanntlich seine Geschichte, und zwar hängt dieselbe innig mit der allgemeinen Geschichte der Gesellschaft zu- sammen. Darin liegen Interesse und Bedeutung derselben. Die Ge- schlechterordnung erkennt das Jagdrecht als selbstverständlich mit dem Grund und Boden verbunden. Mit der Trennung der herrschenden Classe derselben von der beherrschten, des Adels vom Bauern, trennt sich auch die Jagd vom Grundbesitz; der Bauer verliert sie und die Grundherrlichkeit gewinnt sie. Die Idee, daß alle Grundherrlichkeit als Lehn vom Souverain abstamme, erzeugt die Vorstellung vom Jag dregal ; die wachsende Unfreiheit der niederen bäuerlichen Classe die Jag dservituten , Jagddienste und Frohnden; aus der entstehen- den landesherrlichen Gewalt geht dagegen der Gedanke der Jag dhoheit als des Rechts derselben auf Gesetzgebung und Verwaltung der Jagd hervor, die dann aber erst zur wahren Bedeutung und Thätigkeit ge- langt, als die Grundentlastung die Freiheit alles Grundes, also auch principiell die der Benützung derselben durch die Jagd herstellt. Jetzt erst gibt es eine eigentliche Jagdgesetzgebung . Das Princip der- selben ist die Herstellung der Bedingungen , unter denen auch bei dem Jagdrecht auf eigenem Grund und Boden die Jagd als ein Pro- duktionszweig des allgemeinen Interesses erhalten werden kann . Als diese drei Bedingungen erscheinen die Hegezeit , die Herstellung angemessener Jagdreviere , und der Grundsatz der Ausübung des Jagdrechts für die letzteren durch Verpachtung , namentlich bei den Gemeinden , während die Jagd auf Raubthiere der Polizei der Landwirthschaft angehört. Die Annahme des obigen Systems des Forstwesens würde diese Fragen in hohem Grade vereinfachen. Die Grundsätze der Jagdverwaltung sind dabei ein Theil der Forstwissenschaft. Literatur der Geschichte des Jagdrechts: Fischer , Cameral- und Polizei- recht II. 847 ff. sehr reich; Mittermaier deutsches Privatrecht I. §. 213—218; Berg , Polizeirecht III. S. 376 (rationeller Standpunkt). Neuerer rechtlicher Standpunkt: Klüber , öffentliches Recht §. 455 ff. nebst reicher Literatur. Volkswirthschaftlich: Rau , Volkswirthschaftspflege I. §. 174; Roscher II. §. 173. Technisch: Baumstark §. 246 ff. Sehr gut und gründlich mit Angabe der neuesten Gesetzgebung: Brünneck , das heutige deutsche Jagdrecht und das Eigenthumsrecht am Wild (s. Archiv für Civilpraxis Bd. 48 Heft 1. S. 80 ff. Neue Gesetze: Oesterreich : Jagdfreiheit (Patent vom 7. März 1849). Jagdpolizei: Erlaß vom 15. Dec. 1852. — Preußen : Jagdfreiheit (Gesetz vom 31. Okt. 1848); Jagdpolizei (Gesetz vom 7. März 1850). — K. Sachsen : Jagdgesetz vom 1. Dec. 1864. — Frankreich : Begriff und System des Régime forestier und Inbegriff der niederen Jagd in dasselbe (Gesetz vom 3. März 1844). Lite- ratur: Block , Dict. v. Chasse. — England : Jagdgesetz gegen Wilddieberei 25. 26. Vict. 64. Fischereiordnung . Die Fischerei hat für ihre Geschichte und ihre Principien in der Hauptsache dieselben Grundlagen wie die Jagd; doch ist wesentlich zu unterscheiden zwischen der Fischerei zur See und der Fischerei im Süßwasser . Die Seefischerei ist von jeher als eine Schule der See- fahrt betrachtet, und bei ihr daher die Sache um der erwerbenden Thätigkeit willen eben so sehr geschützt als wegen des Produkts selbst. Die Süßwasserfischerei ist zunächst ein Ausfluß des Eigenthums am Wasser, dann aber eine Sache des allgemeinen Interesses, die aller- dings einer bestimmten Sorge von Seiten der Verwaltung werth ist. Das Recht auf Eingreifen der letzteren entwickelt sich auch hier aus der vollen Freiheit zum Regal, aus diesem zur Fischereigesetzgebung, zunächst mit den Bestimmungen über Hegezeit und Fangart . Die neueste Zeit hat dem Fischereiwesen die künstliche Fischzucht hinzu- gefügt, die noch als Privatunternehmung auftritt, wohl aber werth wäre, Gegenstand specieller Sorge der Verwaltung zu werden. Die Literatur über das Fischereiwesen ist fast immer mit der über das Jagdwesen verbunden; daher vergl. die im vor. Abschn. citirten Schriftsteller und Angaben. — Frankreich hat eine sehr entwickelte Gesetzgebung nament- lich für die Seefischerei, mit Vorschriften und Prämiensystem als Concurrenz- mittel gegen England und Holland; Süßwasserfischerei (Gesetz vom 15. April 1829). — Oesterreich dagegen sehr unvollständig; es gilt noch die Verordnung vom 24. März 1771 ohne rationelle Gesetzgebung. Stubenrauch II. §. 470. — Preußen : gleichfalls noch auf dem einfachen Standpunkt der Regalität und der Polizei. (Allgem. Landrecht II. 16; Rönne II. §. 378.) III. Die Landwirthschaftspflege. Princip derselben. In der Landwirthschaft tritt uns nun zuerst das Gebiet entgegen, in welchem nicht mehr, wie bei Berg- und Forstwirthschaft, die Wirth- schaft durch die Natur ihres Stoffes Gegenstand des Gesammtinteresses und damit des Verwaltungsrechts ist. Sie ist vielmehr die ursprüng- liche, und damit auch systematisch erste Gestalt der freien Wirthschaft. Und hier beginnt daher auch die Frage, was die Verwaltung für das an sich freie wirthschaftliche Leben überhaupt thun könne und solle. Namentlich ist das und zuerst für die Landwirthschaft der Fall, und viele denken sich unter der „Landwirthschaftspflege“ ein förmliches be- ständig thätiges System von Verwaltungsmaßregeln, denen die Land- wirthschaft ihre wesentliche Blüthe verdanken solle. Es ist daher noth- wendig, diese Vorstellung auf ihr festes Maß zurückzuführen. 1) Begriff und Natur der freien Wirthschaften schließen nämlich zuerst eine unmittelbare Theilnahme der Verwaltung an derselben aus. In ihnen soll sich die einzelne Persönlichkeit durch sich selber entwickeln, sie sollen sich selber helfen . Sie werden werthlos für die Mensch- heit, wenn die Verwaltung die Aufgabe übernimmt, ihre innere Ent- wicklung direkt zu fördern, oder gar ihre Ordnung zu bestimmen. Da- gegen gibt es ein zweites Gebiet, bis zu welchem das große Princip der freien Selbstthätigkeit nicht reicht. Das ist die Gesammtheit der außerhalb der Einzelwirthschaft liegenden allgemeinen Bedingungen des wirthschaftlichen Fortschrittes. Mit dem Auftreten der freien Einzelwirthschaft scheiden sie sich von der letzteren; von da an sind sie selbständige Gebiete der Verwaltung; und so entsteht der allgemeine Satz, der seine erste Anwendung in der Landwirthschaft findet, daß mit ihnen der Schwerpunkt der ganzen wirthschaftlichen Verwaltung in den allgemeinen Theil der Volkswirthschaftspflege fällt, und der besondere Theil eben nur aus denjenigen besonderen und ein- zelnen Bestimmungen und Thätigkeiten der Verwaltung besteht, welche durch die besondere Natur der einzelnen Wirthschaft sart gefordert werden. Die freie Wirthschaft fordert demnach vor allem die tüchtige Verwaltung des Communikations- und des Creditwesens; das Uebrige — die besondere Volkswirthschaftspflege — hat von da an nur einen suppletorischen Charakter. 2) Aber freilich hat die volle Gültigkeit dieses Standpunkts Eine große Voraussetzung. Das ist, daß eben die einzelnen Wirthschaften frei seien. Und nun hat der Gang der historischen Entwicklung es mit sich gebracht, daß alle Arten der Einzelwirthschaft, von der Ge- schlechter- und Ständeordnung beherrscht, erst durch einen Jahrhunderte dauernden Kampf wirklich zu freien Unternehmungen geworden sind. In der That verwirklicht sich eigentlich erst mit dieser Freiheit der Einzelwirthschaft die staatsbürgerliche Gesellschaft unseres Jahrhunderts. Die werdende Geschichte ihres öffentlichen Rechts ist auf allen Punkten zuerst die Geschichte der freien Gesellschaftsordnung und damit der für sie geltenden freien Verwaltung. Bis das geschehen ist, kann weder eine hinreichende Lehre von der wirthschaftlichen Technik, noch ein rechter Werth der besonderen, auf die Eigenthümlichkeit der Wirth- schaftsarten berechneten Verwaltungsmaßregeln entstehen, so klar auch das Princip an sich sein mag. Und von diesem Standpunkt aus muß daher die folgende Darstellung ihre Ordnung empfangen. 3) Diese nun wird, so wie man über die Idee der Freiheit der Einzelwirthschaft als erste Grundlage der wahren Entwicklung einig ist, durch Einen großen Gedanken beherrscht. Allerdings vermögen Staat und Verwaltung, welche jene Befreiung vollzogen, auch nach derselben noch viel für die Entwicklung der freien Wirthschaft überhaupt, und speciell der Landwirthschaft zu leisten. Allein das, was die Verwaltung für die Landwirthschaft positiv thun und die Punkte, auf denen sie in den Landwirthschaftsbetrieb eingreifen kann, sind sehr unwesentlich, und weit unbedeutender als bei irgend einem andern Theile der Volks- wirthschaftspflege. In der That war es zuerst die große Mission der Verwaltung, die Landwirthschaft frei zu machen . So wie sie diese erfüllt hat, ist auch das Gebiet ihrer positiven Thätigkeit im wesentlichen erschöpft. Von diesem Punkte aus muß sich dieß Gebiet der Volkswirthschaft, von den Fesseln der früheren Zustände befreit, selbst helfen . Das Bewußtsein der Wichtigkeit seiner großen volks- wirthschaftlichen Funktion und der Gesetze, nach welchen durch eigene Thätigkeit sein Besitz ihm Selbständigkeit und Einkommen gibt, muß an die Stelle der positiven Fürsorge der Regierung treten; in ihm liegt die Hülfe gegen die Gefahren der Landwirthschaft, in ihm auch die wahre und beste Entscheidung über die Zweifel, die über den Werth und Erfolg der Gesetze und Regierungsmaßregeln stets entstehen wer- den. Die Freiheit der Landwirthschaft ist zuletzt nur die Negation der historischen Beschränkungen derselben; die dann noch nöthigen speciellen Bestimmungen für das öffentliche Recht derselben sind Ausnahmen; die wahre Basis des Fortschrittes der Landwirthschaft ist der tüchtige, durch die möglichste Entwicklung der allgemeinen Volkswirthschaftspflege unter- stützte und getragene Landwirth selber ; das Organ, durch welches er thätig ist, das landwirthschaftliche Vereinswesen neben der Regie- rung, wird nur noch die höhere Ordnerin für die Einheit und Gleich- artigkeit dessen sein, was die Landwirthe für sich selber thun. Die Literatur der Landwirthschaft ist sehr groß, aber sie ist keine Einheit. Faßt man sie als Ganzes, so erscheinen folgende Grundzüge. Sie beginnt in der Mitte des vorigen Jahrhunderts mit der Anerkennung der Wichtigkeit der Landwirthschaft überhaupt. Daraus entstehen die ersten Bearbeitungen, die sich zunächst an die Polizeiwissenschaft anschließen, und zwar theils als selbständige Werke, namentlich Frank , landwirthschaftliche Polizei 2 Bde. und Benekendorf , Oeconomia forensis 2 Bde. 1776, theils als unmittelbarer Theil der eigentlichen Polizeiwissenschaft, zuerst bei Heumann , Jus politiae Cap. 27; dann Justi , Grundsätze 1. Buch, 1. Theil; besonders bei Berg , Teutsches Polizeirecht III. S. 243 ff.; theils auch in den Encyclopädien wie in Krünitz Bd. XV. Daneben geht das sog. Landwirthschaftsrecht als die rechtliche Darstellung der bäuerlichen Lasten und Beschränkungen einher; s. bes. Fischer , Cameral- und Polizeirecht S. 692 ff. und Literatur; Stein , Ent- währung von S. 150 ff. Erst mit dem Anfang unseres Jahrhunderts scheidet sich die Landwirthschaftslehre als selbständige Wissenschaft von Polizei und Recht; der Vater dieser ganzen Richtung ist Thaer in seinen Werken: die englische Landwirthschaft und die rationelle Landwirthschaft seit 1808. Diese Richtung entwickelt sich zunächst zur höheren, chemischen Bodenkunde (namentlich Hundes- hagen , Bodenkunde in land- und forstwirthschaftlicher Hinsicht 1830). Dann zur Physiologie der Landwirthschaft und Düngerlehre durch Liebigs Arbeiten. Diese Richtungen werden nun in der Cameralwissenschaft ( Baumstark , Ency- clopädie §. 133 ff.) vom technischen Standpunkt bearbeitet, während die Natio- nalökonomie, namentlich Rau , Volkswirthschaftspflege §. 121 ff. mit großem Reichthum des Materials, und vorwaltend vom wirthschaftlichen, Roscher da- gegen (Nationalökonomie Bd. II. ) mehr vom rechtshistorisch geschichtlichen Stand- punkt die wirthschaftlichen und Verwaltungsfragen verschmelzen, und dabei sehr viel leisten, aber auch viel verwirren. Neben ihnen hält sich die Verwaltungs- gesetzkunde, wie Rönne, Pötzl, Stubenrauch, auf der Gränze des gegebenen Rechts, und stellt damit die Scheidung zwischen Wirthschaft und Verwaltung wieder her. Es ist festzuhalten, daß erst das Verwaltungslehre und Recht der Landwirthschaft ist, was übrig bleibt, wenn die Rechtsgeschichte der Be- freiung abgezogen wird. Elemente der Geschichte . Das Princip und das Ziel der Geschichte des Landwirthschaftsrechts sind sehr einfach; die Bewegungen derselben dagegen außerordentlich reich an Einzelheiten, und gehören im Großen und Ganzen der Ent- währungslehre an. Sie beginnt da, wo die Regierungen zum Be- wußtsein nicht etwa von dem Recht des Bauernstandes auf Freiheit des Grundbesitzes, sondern von der Wichtigkeit der landwirthschaftlichen Produktion für die Finanzen und für die Volkswirthschaft gelangen. Das ist mit der Mitte des vorigen Jahrhunderts der Fall; in Deutsch- land schon bei Justi ; aber erst die Physiokraten erhoben diese Wahr- heit zu einem allgemein anerkannten Satze. Die Folge, die erste Epoche der Landwirthschaftspflege ist dann einerseits der deutsche Ver- such, für die letztere ein eigenes Behördensystem (Landwirthschafts- oder landwirthschaftliche Oekonomiecollegien) zu schaffen, neue Dorfordnungen mit specieller Beziehung auf die „Feldpolizei“ einzuführen, und nament- lich in der Aufhebung der Leibeigenschaft. Erst mit der französischen Revolution jedoch, welche die völlige Aufhebung aller Beschränkungen des Bauernstandes am 4. August 1789 decretirt und dann im Ein- zelnen durchführt, beginnt die zweite große Epoche, deren Inhalt die langsam aber systematisch fortschreitende rechtliche Befreiung der Land- wirthschaft von der Grundherrlichkeit enthält, und die wir als Grund- entlastungs- und Ablösungswesen bezeichnen. Beides sind nicht Maßregeln für die Entwicklung der eigentlichen Landwirthschaft, sondern nur die rechtlichen Voraussetzungen derselben. Erst da, wo beide wenig- stens principiell zur Geltung gelangt sind, entstehen die beiden großen, die Landwirthschaft besonders betreffenden Fragen und ihr Recht, das Recht der Theilbarkeit und das Recht des Schutzes durch den Kornzoll . Die erste beginnt bei der Frage nach den Gemein- heitstheilungen bereits im vorigen Jahrhundert und geht allmählig von dem Princip der absoluten Theilungspflicht über zu dem Gedanken, die Gemeindeweide als Grundlage der Gemeindefinanzen zu betrachten; die Kornzollfrage, ursprünglich das Gebiet strengen Schutzes, wird mit unserem Jahrhundert die eigentliche Heimath des Freihandels. Die erste schließt sich daher mehr an die socialen Gegensätze, die zweite an die Entwicklung der Industrie an. Je bestimmter nun alle diese Ge- biete im Sinne der freien Bewegung des Besitzes, wie der Produktion sich entscheiden, um so enger wird das Gebiet der eigentlichen Land- wirthschaftspflege, und es bildet sich mehr und mehr die Ueberzeugung heraus, daß die wahre Sorge des Staats für den Landbau zwar innerhalb der Aufgaben der allgemeinen wirthschaftlichen Verwal- tung liege, daß dieselbe aber allerdings die Fähigkeit habe, speciell die Interessen der Landwirthschaft in ihren Anwendungen zur Geltung zu bringen. Die Verwaltung der Landwirthschaft muß daher jetzt von einem allgemeinen und von einem besonderen Theile reden, welche wieder beide durch ihr gemeinsames Princip zusammengehalten, das gegenwärtige System der Landwirthschaftspflege bilden. Wir glauben in Beziehung auf die Befreiung des Grundes und Bodens und die auf Entlastung und Ablösung bezüglichen Gesetze und ihre Geschichte auf unsere Darstellung in der „Entwährungslehre“ (Innere Verwaltungs- lehre Bd. 7) verweisen zu können. In ihrer Anwendung auf die obigen Prin- cipien erscheinen folgende Sätze. England kennt eigentlich keine selbständige Landwirthschaftspflege, da durch das System der Verpachtung jede Landwirth- schaft den Charakter eines freien Unternehmens hat. Auch Frankreich besitzt dafür mit Ausnahme der Flurpolizei keine Theorie und keine systematischen Gesetze. In Deutschland ist der Charakter der preußischen Gesetzgebung von dem der österreichischen wesentlich dadurch verschieden, daß Preußen allerdings viel früher und systematischer die Befreiung des Grundes und Bodens von den ständischen Lasten herstellte (Aufhebung der Unterthänigkeit schon im Edikt vom 9. Okt. 1807: „Fortan soll es nur freie Leute in Preußen geben“) was durch das Landesculturedikt vom 15. Sept. 1811 und durch die Ablösung der Reallasten (Gesetz vom 7. Jan. 1831) weiter ausgeführt ward; das Gesetz vom 2. Nov. 1830 hat diese Bestimmungen, die an wesentlichen Mängeln litten, aufgehoben, und das gegenwärtige Ablösungs- und Entlastungsverfahren ge- ordnet. Allein die politische Freiheit ist dem Grundbesitz doch nicht gegeben, indem die Patrimonialjurisdiktion zum Theil bestehen blieb. Oesterreich da- gegen hat zugleich nebst der vollen Freiheit auch die volle Freiheit der Selbst- verwaltung gegeben. Dagegen hat Preußen für die Entlastung eine eigene Rentenbank (Gesetz vom 27. Jan. 1860) wogegen Oesterreich das System der Grundentlastungsobligationen eingeführt hat. Für das Uebrige vergl. Rau und Roscher a. a. O. Es ist nur ein nicht unwesentlicher Fehler, noch immer das Ablösungs- und Entlastungswesen als Theil der gegenwärtigen Land- wirthschaftspflege aufzuführen, was nur Verwirrung bringen kann. System der Landwirthschaftspflege . Das System der Landwirthschaftspflege entsteht nun, indem die Verwaltung mit ihren Organen und Bestimmungen auf denjenigen Punkten eintritt, wo nach dem Erwerbe der Freiheit der Landwirth- schaft bestimmte Bedingungen ihrer Entwicklung eintreten, welche sich die Einzelnen nicht mehr selber verschaffen können. Das Princip dafür ist, durch diese Maßregeln nicht mehr direkt in die Landwirthschaft einzugreifen, sondern durch Schutz und Hülfe im Einzelnen den Landmann in den Stand zu setzen, seine wirthschaft- liche Freiheit mit vollem Bewußtsein für die wirthschaftliche Entwicklung zu gebrauchen. Daraus ergeben sich folgende Hauptgebiete. 1) Die Organisation. Die Organisation der landwirthschaftlichen Verwaltung mit dem vorigen Jahrhundert beginnend, legt bis auf die neueste Zeit den Schwerpunkt in die amtlichen Stellen, deren Aufgabe eben in der rechtlichen Durchführung der Befreiungsmaßregeln besteht. Zugleich beginnt neben der Regierung auch die freie Verwaltung als Vereins- wesen thätig einzugreifen, jedoch hauptsächlich auf dem Gebiete der landwirthschaftlichen Bildung; je weiter die Befreiung und Selbständig- keit der Landwirthschaft geht, je unbedeutender wird die Funktion der Regierungsorgane und je wichtiger das Vereinswesen. Die Zukunft des letzteren liegt in der Verbindung der landwirthschaftlichen Creditvereine mit den landwirthschaftlichen Bildungs- vereinen , für welche noch die Formel nicht gefunden ist. Eine Geschichte dieser Organisation wäre von nicht geringem Interesse. Für das vorige Jahrhundert über die „Landesökonomiecollegien“ der verschie- denen Staaten Deutschlands Berg a. a. O. Eben so über die verschiedenen Landwirthschaftsgesellschaften Berg ebend. Thüring. Civilgesetzgebung von 1762. Leipziger Ackerbaugesetz von 1764. Gesellschaft zu Celle 1764. Vergl. auch Stubenrauch , Vereinswesen in Oesterreich 1857. S. 183. Auf- forderung von Maria Theresia an „gelehrte und praktische Landwirthe in den einzelnen Provinzen,“ dann Gesellschaftsplan für Oesterreich 1769, und Sta- tuten von 1773. Mit unserem Jahrhundert stehen amtliche Organe und Land- wirthschaftsvereine fast in allen Staaten neben einander, die ersteren meist für die Durchführung der rechtlichen Ordnung thätig, die letzteren theils als Bil- dungs- und theils als Interessenvereine . Den Anstoß zur neuesten Ent- wicklung des Vereinswesens P. Jordan , Vorlesung über „rationelle Land- wirthschaft 1796,“ darauf Bildung vieler, zum Theil sehr gut organisirter Vereine (vergl. auch Rau I. 146). Oesterreich. Niederösterreichische Landwirthschaftsgesellschaft seit 1806; neue Statuten 1850. Steiermärkische Landwirthschaftsgesetze seit 1848; Forstverein 1852; andere Vereine theils für den Landbau im Allgemeinen, theils für die einzelnen Zweige desselben s. bei Stubenrauch nebst kurzer Geschichte und Register a. a. O. S. 192. Darauf Errichtung des Ackerbauministeriums 1868. — In Preußen : Generalcommission und landwirthschaftliche Regierungsabtheilungen; Geschichte und (meist rechtliche) Aufgaben seit 1848 bei Rönne , Staatsrecht II. §. 262. Landesökonomiecollegium , als Haupt der eigentlichen Landwirthschafts- pflege, auf Grundlage des Landesculturedikts von 1811 durch Kabinetsordre vom 16. Jan. 1842 errichtet; neue Organisation durch Regulativ vom 24. Juni 1859; zugleich Mittelpunkt des landwirthschaftlichen Vereinswesens. Dieses ins Leben gerufen durch Landesculturedikt von 1811, Anzahl und Stellung der- selben Rönne II. §. 378. — In Bayern liegt der Schwerpunkt in dem landwirthschaftlichen Verein seit 1809, der ein förmliches Verwaltungsorgan geworden ist ( Pötzl , Verwaltungsrecht §. 147). — Für Frankreich existiren die Conseils d’Agriculture, die aber, da sie nur durch den Préfet ernannt werden, fast gar keine Bedeutung haben. Sie haben eine streng begränzte, consultative Funktion. Daneben die Comices agricoles, Vereinsform, wieder unter behördlicher Leitung, jedoch in Ausdehnung begriffen (1865 über 500) Block , Dict. v. Com. agric. — Eine Gesammtdarstellung dieses wichtigen Gebietes für Deutschland fehlt; auch bei Rau und Roscher. Dagegen vom Standpunkt der neueren Zeit G. Schönberg , die Landwirthschaft der Gegen- wart und das Genossenschaftsprincip 1869. 2) Eigentliche Landwirthschaftspflege. Die eigentliche Landwirthschaftspflege entsteht nun da, wo aus dem allgemeinen Princip die einzelnen Maßregeln für die Hebung der Landwirthschaft hervorgehen; und diese theilen sich wieder in zwei Ge- biete, die wir als den allgemeinen und den besonderen Theil zu be- zeichnen haben. a ) Allgemeiner Theil . Das, was wir die allgemeine Landwirthschaftspflege nennen, ist nun die besondere Gestalt, welche die allgemeinen Grundsätze der Volkswirthschaftspflege in ihrer Anwendung auf die Landwirthschaft empfangen. Dieselben sind an sich sehr einfach, ihre Verwirklichung aber fordert große Fachkenntniß, und in ihr besteht jetzt eigent- lich der Inhalt der Volkswirthschaftspflege unserer Epoche. Die betreffenden Gebiete sind die Verkehrsfreiheit des Grundes und Bodens, der Schutz der Produktion, das Communikationswesen für die erzeugten Produkte, und das Creditwesen für die landwirthschaftlichen Unter- nehmungen, welche sie erzeugen. a ) Die rechtliche Verkehrsfreiheit des Grundes und Bodens ist die freie Theilbarkeit . Das Recht der Theilbarkeit hat zwei Epochen. In der ersten erscheint es als einfacher Ausdruck der wirthschaftlichen Befreiung des Grundbesitzes von der ständischen Herrschaft, und ist eben deßhalb der freieren Richtung überhaupt nicht zweifelhaft. In der zweiten tritt die Frage nach der Zweckmäßigkeit derselben auf, welcher die Vorstellung von der einerseits wirthschaftlichen und anderer- seits gesellschaftlichen Gefahr zum Grunde liegt, die mit der Zerstücke- lung in zu kleine Theile und der Anhäufung zu großer Grundbesitze verbunden ist. Der Streit darüber kommt weder auf Grundlage stati- stischer Thatsachen noch theoretischer Erwägungen zu einem festen Re- sultat, obwohl er seit einem halben Jahrhundert auf das lebhafteste geführt wird, da immer neue Thatsachen bisher anerkannte wissenschaft- liche Principien wieder zweifelhaft machen. Es wird daher klar, daß ein definitives Resultat innerhalb der Gränze der bloßen Zweckmäßig- keit oder Gefahr überhaupt nicht gefunden werden kann. Der einzig richtige Standpunkt ist der, der über beiden steht. Zerstückelung und Zusammenlegung sind an und für sich weder gut noch schlecht; Verbote der Theilung des Gutes können die Theilung des Werthes durch Hy- potheken doch nicht aufhalten, so wenig wie man gesetzlich die Bildung von Latifundien hindern kann; und was man nicht thun kann, soll man nicht thun wollen. In der That ist jeder Rechtssatz, der den freien Verkehr hindert, nicht ein Ausdruck nationalökonomischer Auf- fassungen, sondern der Rest der Geschlechterordnung im Recht des Grundbesitzes, und die freie Theilbarkeit die rechtliche Geltung der staatsbürgerlichen Gesellschaft und ihrer Principien auch auf diesem Gebiet. Und darum ist ihr Sieg unvermeidlich, und der Kampf da- gegen nutzlos. Denn jede freie Bewegung ist heilsam, so lange die persönliche wirthschaftliche Tüchtigkeit nicht darunter leidet. Beschrän- kungen derselben sind nicht bloß immer volkswirthschaftlich bedenklich, sondern stets die Unmündigkeitserklärung des Standes der Landwirthe, und die ist an und für sich schlimmer, als alle Folgen der Zerstücke- lung. Die Latifundienbildung aber ist nie bedenklich, so lange die gebildeten großen Besitze nicht durch Fideicommisse dem freien Verkehr entzogen werden. Im richtigen Verständniß dieser Wahrheit, daß die Uebelstände, welche der freie Verkehr bringt, allein durch denselben freien Verkehr wieder geheilt werden, ist daher jetzt die freie Theilbar- keit des Bodens in allen civilisirten Staaten als eine der wesentlichsten Grundlagen der tüchtigen Landwirthschaft anerkannt, und der Streit über ihren Werth als ein historischer anzusehen. Die ganze Literatur über die Theilbarkeit mit ihrer Resultatlosigkeit resul- tatlos zusammengestellt namentlich bei Roscher , Nationalökonomie II. (vergl. Mohl , Polizeiwissenschaft II. 170 und Rau , Volkswirthschaftspflege I. §. 76. 77). Allmählige Entwicklung der Freiheit des Verkehrs aus den früheren Verboten theils der „Niederlegung“ von Bauerngütern, theils „Gebundenheit“ derselben, theils der „Größe“ derselben. Ausführliche und gründliche Zusammenstellungen von Bernhardi , Kritik der Gründe für großes und kleines Grundeigenthum 1849. Der theoretische Streit ist naturgemäß endlos. — Frankreich hat die volle Freiheit des Verkehrs; Preußen hat sie bereits durch das Landes- culturedikt von 1811 eingeführt; Oesterreich durch das neue Gesetz vom 25. Mai 1868. — Bayern hat noch das Gesetz über gewerbsmäßige Guts- zertrümmerung vom 28. Mai 1852. — Sachsen-Weimar : Verordnung vom 4. Jan. 1864 (Ordnung der Theilbarkeit). Noch haben keine statistischen Thatsachen die Verkehrsfreiheit als nachtheilig bewiesen (s. gründliche statistische Bearbeitung von Engels Zeitschrift des stat. Bureaus 1865; Ergebnisse der Theilbarkeit von 1816—1859). b. Der Schutz der Landwirthschaft ist ein doppelter. 1) Der Schutz der Produktion besteht in der Anwendung des Schutzollprincips auf den Handel mit der Produktion der Landwirthschaft, gewöhnlich als Kornzoll bezeichnet. Jeder Kornzoll ist an und für sich falsch , weil er überhaupt nicht die Fähigkeit hat, die Produktion zu steigern, da die jährliche Produktion von der Ernte, die allgemeine aber von der Entwicklung der Gewerbe und Industrie abhängt. Er ist aber auch als Ausgleichung der Grundsteuer falsch, weil er zu einer solchen gleichfalls nicht fähig ist. Er ist endlich für das ganze Volk um so schädlicher, als er durch Vertheuerung der Nahrungs- mittel um so nachtheiliger wirkt, je mehr er einträgt. Es gibt gar keinen rationellen Gesichtspunkt, von dem aus man ihn vertheidigen könnte. Natürlich auch hierüber großer Streit; Bewußtsein über den Nachtheil der Kornzölle zuerst in der physiokratischen Schule. Bedeutung der Kornzölle im geraden Verhältniß zu den Communikationsmitteln. Lotz , Staatswirthschafts- lehre II. §. 110 ff. gründlich und ausführlich für Freiheit des Getreidehandels. Reiche und umfassende Darstellung der Zollgesetzgebungen bei Rau , Volks- wirthschaftspflege §. 131. Es ist durchaus nicht abzusehen, welcher vernünftige Zweck noch mit den Einfuhrzöllen auf landwirthschaftliche Produkte in unserer Zeit noch erreicht werden soll. 2) Der Schutz des Betriebes und der Produktion . Ge- wöhnliche Auffassung als bloße Anwendung der Sicherheitspolizei auf die Landwirthschaft. Im höheren Sinne ist sie dagegen ein systemati- scher Kampf gegen alle Gefährdungen und Hemmnisse der landwirth- schaftlichen Produktion durch die Elemente zuerst, und dann durch die Menschen . Daher erstlich: Elementarpolizei der Landwirth- schaft, und zwar: a ) landwirthschaftliche Flurp olizei; b ) die landwirth- schaftliche Wasserordnung , speciell die Entwässerungs- und Be- wässerungsordnungen, die eben deßhalb vielfach als rein landwirth- schaftliche Maßregel und Rechtsverhältnisse behandelt werden; c ) land- wirthschaftliches Versicherungswesen , speciell die Hagel- und Viehv ersicherungen. Es ist schon früher dargestellt, daß diese drei Aufgaben wesentlich dem Vereinswesen angehören; die Landwirth- schaftsvereine sollen, was sie bisher nicht oder zu wenig gethan haben, das Vereinswesen für diese Zwecke theils ins Leben rufen, theils ordnen, indem sie hierfür so viel als thunlich das Princip der Gegenseitig- keit zur Geltung bringen. Daran schließt sich als selbständiges wich- tiges Gebiet das Viehseuchenwesen und sein Polizeirecht mit dem bisher nur in Deutschland ausgebildeten System der unbedingten Ver- nichtung des ganzen angesteckten Viehstandes, strengster Polizei des Viehverkehrs bei Seuchen, Abschließung, amtlicher Untersuchung, aber zugleich öffentlicher Entschädigung , wo Vieh bloß wegen der Gefahr der Ansteckung vernichtet wird. Das zweite Gebiet ist die eigentliche Flurpolizei , Aufgabe der Selbstverwaltung; die Gesetze sollen die Grundsätze geben, die Land- schaften die Verordnungen, und die Ortsgemeinde die Ausführung. Die Grundsätze über Elementarpolizei s. oben. Das landwirthschaftliche Versicherungswesen nebst Literatur: Rau , Volkswirthschaftspflege I. §. 105 ff. Ueber Entwässerung und Urbarmachung Rau ebend. §. 103. Die Flur- oder Feldpolizeigesetzgebung Gegenstand eigener Gesetze, weil sie ein selbständiges Ordnungsstrafrecht enthält, dessen Ausübung den Gemeinden übergeben wird. — Preußen : örtliche Feldpolizeiordnungen der früheren Zeit ( Rönne II. §. 377; neueste Feldpolizeiordnung vom 1. Nov. 1847; Lette und Rönne , Landeskulturgesetzgebung II. 2). — Oesterreich : Gesetz über Waldschutz und Waldfrevel vom 30. Jan. 1860. Hauptsache in beiden das Verfahren von Seiten der Feldhüter gegen Personen, welche die Ordnung verletzen. Die Vieh- seuchenpolizei namentlich in Preußen und Oesterreich zu einem höchst ratio- nellen System ausgebildet, und zwar auf Grundlage eigener Thierarznei- schulen und eigener Gesetzgebung. — Preußen : Patent vom 2. April 1803. Regulativ vom 28. Okt. 1835 und Gesetz vom 11. März 1850. Einzelne Be- stimmungen Rönne und Simon , Medicinalwesen I. 613; Rönne , Staats- recht II. 367. — Oesterreich : erste Instruktion schon vom 6. Okt. 1803; neueste Ordnung durch Gesetz vom 4. April 1864. c. Das landwirthschaftliche Communikationswesen wird erst ein selbständiges innerhalb des gesammten Wegewesens, wo die großen Handelswege mit Eisenbahnen versehen sind. Grundsatz daher, daß die Zufahrtswege zu den Eisenbahnen als das eigentlich landwirthschaftliche Communikationswesen angesehen und als solches behandelt werden müssen. Außerordentliche Wichtigkeit gerade dieser Linien für die Landwirthschaft. Aufgabe der Landtage und Verwaltungsgemeinden. Eigentliche Bedeutung der Vicinalbahnen als Landwirthschaftsbahnwesen. d. Das landwirthschaftliche Creditwesen besteht in der Verbindung des Personal- und Realcredits für den landwirthschaft- lichen Credit. Der Realcredit wird sogar fast allgemein nur als land- wirthschaftlicher Credit aufgefaßt, obgleich der letztere nur die Hauptart des ersteren ist, der vielmehr jedem Unternehmen angehört. Der landwirthschaftliche Personalc redit wird dadurch Gegenstand besonderer Fürsorge, daß auf dem Lande das Geld seltener und theuerer ist, und die Rückzahlung in größeren Terminen vor sich geht, als bei den Ge- werben in den Städten. Daher Errichtung eigener Anstalten für die- selben: theils die Bestimmung der Waisen- und Depositenk assen, theils eigene Darlehens- oder Leihk assen. Der Erfolg ist stets zweifelhaft. Vergl. Rau I. §. 120 ausführlich und reich. Roscher II. §. 133 ff.; die Waisen- und Depositenkassenordnung in Oesterreich (Verordnung vom 16. Nov. 1850 und 14. Juli 1851, nebst Instruktion vom 17. Mai 1853); Ausdehnung des wichtigen Instituts auf die einzelnen Provinzen. — Die preußischen Dar- lehenskassen (Rönne II. §. 379) sind offenbar nur für den größeren Credit bestimmt und daher nicht ausreichend. — Bayern : Kreishülfskassen, ge- gründet 1828 ( Pötzl , Verwaltungsrecht §. 90 und 148. — K. Sachsen : Organisation eines landwirthschaftlichen Creditvereins (Verordnung vom 27. April 1866). Nur fehlt allenthalben die statistische Veröffentlichung ihrer Thätigkeit. Gut: E. Richter , die landwirthschaftlichen Creditvereine Preußens und die Hypothekenbanken Frankreichs und Belgiens; Lette , das landwirthschaftliche Credit- und Hypothekenwesen 2. Aufl. 1868; Faucher , Vierteljahrsschrift 1864. 2. Bd. S. 40 ff.; Ernst Jäger , das landwirthschaftliche Betriebscapital, Wesen und Entwicklung der Bodencreditinstitute 1868. (Württemberg.) e. Das Fachbildungswesen für die Landwirthschaft beginnt im vorigen Jahrhundert mit Aufnahme des Gegenstandes in die Uni- versitätslehre, theils als Landwirthschaftspolizei, theils als Theil der Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 22 Cameralwissenschaft, bis sich in unserem Jahrhundert eigene Muster- wirthschaften und dann selbständige Lehranstalten entwickeln. Doch fehlt noch immer die Hauptsache, die vernünftige Verbindung der Ele- mente der Landwirthschaftslehre mit dem höheren Volksschulwesen auf dem Lande. Die allgemeine landwirthschaftliche Fortbildung hat in den Ausstellungen jetzt ihr öffentliches Hauptorgan, die durch die Vereine veranstaltet und geleitet werden, während die Lehranstalten dem Staate gehören, eben so wie die Musterwirthschaften . Aeltere Zustände: Berg , Polizeirecht III. S. 251. Erste eigentliche Land- wirthschaftsschule von Thaer gegründet in Mögelin 1804; dann Anstalten in Eldena 1825 und Poppelsdorf 1847 (Preußen) nebst mehreren andern; Oesterreich: Altenburg in Ungarn 1849; Sachsen: Tharand ; Württemberg: Hohenheim 1818; Bayern: Weihenstephan (vergl. Rau §. 145; Rönne II. §. 229; Pözl §. 148; Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde II. §. 412; Roscher §. 172). Landwirthschaftliche Lehranstalten in Deutschland (Allgemeine Zeitung, März 1865). b ) Besonderer Theil . Der besondere Theil der Landwirthschaftspflege entsteht nun durch die Anwendung der Grundsätze und Einrichtungen des allgemeinen Theils auf die einzelnen Zweige der Landwirthschaft. Es ist klar, daß dazu eine ganze Reihe von Fachkenntnissen gehört, und daß eben deßhalb die Regierung nur sehr wenig dafür thun kann. Hier ist das eigentliche Gebiet des Vereinswesens , das theils durch seine Fach- versammlungen, theils durch periodische Organe, theils aber und nament- lich in der neuesten Zeit durch Ausstellungen mit Prämien und sonstigen Anregungen thätig ist, und hier hat das letztere bisher auch bei weitem am meisten geleistet, da sich hier je nach Verhältnissen Wünsche und Bedürfnisse der Menschen und Dinge geltend machen. Die Hauptgebiete sind: 1) Der Gartenbau mit seinen Vereinen für Nutzgewächse und Blumen; 2) Viehzucht , in der namentlich die Pferdezucht eine wesentliche Stelle einnimmt, die unter allen Zweigen der Landwirth- schaft die meiste direkte Unterstützung von der Regierung empfängt (Gestüte, Beschälwesen, Pferderennen); 3) Handelsgewächse , nament- lich in Verbindung mit dem Seidenbau ; 4) Obstbaumzucht ; 5) Bienenzucht . Es wäre sehr wesentlich, alle diese verschiedenen Vereine um die allgemeinen landwirthschaftlichen Vereine zu centrali- siren. Die Einheit fehlt in allen diesen Dingen. Specielle Berücksichtigung namentlich der Viehzucht schon im vorigen Jahrhundert. Berg a. a. O. Außer den Fachschriften s. Rau , Volkswirth- schaftspflege 1. Buch, Hauptst. 2 und Roscher , Nationalökonomie Buch 3. Abth. 2 (unvollständig). Natürlich ist hier das technische Element das wichtigste. Nur bei der Pferdezucht tritt in dem Landesbeschälwesen außerdem das militärische Element specifisch hervor, das zu besondern Anstalten und Gesetz- gebungen Anlaß gibt. IV. Das Gewerbewesen. Begriff und Princip. Das Verständniß des Gewerbewesens als eines selbständigen Ge- bietes der Verwaltung entsteht erst da, wo man in Begriff und Princip das Gewerbe von Handel und Industrie scheidet . Das Gewerbe ist seinem formalen Begriffe nach diejenige Erwerbs- form, bei welcher das persönliche Capital die Hauptsache, und die auf einen bestimmten und dauernden Erwerb berechnet ist. Von der Industrie scheidet es sich formell im Wesentlichen dadurch, daß es mit dem Werkzeug statt mit der Maschine arbeitet; die neue Entwick- lung des gewerblichen Lebens überhaupt hat es aber unmöglich gemacht, künftig noch eine formelle Gränze des Gewerbes festzuhalten. Seine eigentliche Bedeutung muß daher jetzt von einem allgemeinen Stand- punkt aus erfaßt werden. Seinem höheren Wesen nach ist nämlich das Gewerbe die Pro- duktion des Individuums für das individuelle Bedürfniß. Es schließt sich daher an das individuelle Leben sowohl der Producenten als der Consumenten; es setzt individuelle Zwecke und Mittel für den Consumenten, individuelle Erfahrung und Fähigkeit bei den Producenten voraus. Es kann daher keine Entwicklung finden, ohne tüchtige Ent- wicklung der Individualität; ist es aber ausgebildet, so ist es wieder der Körper der individuellen selbständigen Persönlichkeit. Daher ist ein Gewerbe unmöglich ohne staatsbürgerliche Freiheit und Selbständig- keit; daher hat die alte Welt kein rechtes Gewerbe; daher löst sich mit dem Gewerbe die freie Gesellschaftsordnung von der Geschlechter- und Ständeordnung ab; daher ist es unfähig, auf den Maßregeln der Verwaltung zu beruhen, sondern muß in allen seinen Theilen auf sich selber stehen; daher sind alle rechtlichen und polizeilichen Bestimmungen, welche in den Betrieb der Gewerbe hineingreifen, nur Uebergangsmaß- regeln; und alle diese Sätze fassen wir in den einen zusammen: das höchste Princip des Verwaltungsrechts der Gewerbe ist die höchste ge- werbliche Freiheit . Dennoch hat auch das Gewerbe gewisse Bedingungen, welche durch dieses Princip des Gewerbes nicht allein erfüllt werden können. Diese Bedingungen bestehen einerseits in dem Schutze gegen die Gefahren, welche theils in dem Gewerbe selbst, theils durch das Gewerbe entstehen, und die Verhinderung derselben ist Sache der Regierung; andererseits aber in gewissen Voraussetzungen für die Entwicklung des Einzelgewerbes, welche nach dem Wesen der gewerblichen Freiheit nur theilweise durch die persönliche Regierung, theilweise aber nur durch das freie Vereins- wesen geboten werden können. So wie nun das Gewerbe sich selb- ständig theils aus den früheren Beschränkungen, theils aus der Ver- schmelzung mit der Industrie herauslöst, bestimmen sich jene Maßregeln nach der besondern Natur der gewerblichen Erwerbsarten, und so ent- steht als Gesammtheit der speciell auf das Gewerbe berechneten öffent- lichen Ordnungen und Bestimmungen das Gewerbewesen , das man auch wohl, aber unklar, als „Organisation der Gewerbe“ bezeichnet hat. Jedoch hat es manche Jahrhunderte gedauert, bis wir zu dem gegenwärtigen Standpunkte gelangt sind. Es ist wohl nicht zweifelhaft, daß die wissenschaftliche Behandlung des Gewerbewesens einer ganz neuen Gestalt entgegengeht, die von einem höheren als dem bisherigen Standpunkte ausgehen wird. Die bisherige Auffassung des Gewerbes namentlich in Deutschland beruht im Grunde noch auf der formellen Scheidung der einzelnen Gewerbe, wie sie sich historisch gebildet haben, während unsere Zeit auch hier die feste Gränze aufhebt, und an ihre Stelle den des gewerblichen Betriebes überhaupt setzt, auf dem, gegenüber dem alten Recht, der Begriff und das Recht der Gewerbefreiheit beruht. Die Literatur der eigentlichen Gewerbe schließt sich zunächst an die Gewerbeordnungen theils der Reichs-, theils der Landesgesetze, ihre erste Gestalt ist die der Polizei- wissenschaft , welche allerdings noch Handel, Industrie und Gewerbe ver- mengt, im Allgemeinen jedoch das Princip der Freiheit und die Erkenntniß des hohen Werthes derselben vertritt. So Sonnenfels II. 210 ff; Justi , Polizeiwissenschaft 1. Th. 2. Buch; Berg , Teutsches Polizeirecht III. (Manufaktur-, Fabrik,- Gewerke- und Handelspolizei, als besonderer Theil der „Stadtwirth- schaftspolizei“). Mit dem Anfange dieses Jahrhunderts jedoch bereits eine eigene Literatur des Gewerbes , anschließend an die Frage nach Aufhebung der Zünfte. Christiani , Grundlage eines Planes zur Veredlung des Hand- werkerstandes in Dänemark 1801; Höck und Roth , Materialien für das Hand- werksrecht und die Handwerksprivilegien 1808; Meerbach , Theorie des Zunft- princips 1806. Der Kampf über das Zunftwesen beginnt eigentlich erst mit Ad. Smith eine feste Gestalt anzunehmen (vergl. die Literatur bei Rau , Volkswirthschaftspflege II. §. 178) und zieht sich bis in unser Jahrhundert hinein. Die bedeutendste Vertretung der früheren Principien von Hofmann , die Befugniß zum Gewerbebetriebe, zur Berichtigung der Meinungen über Gewerbefreiheit und Gewerbezwang 1840. Die Nationalökonomie ist, vom Standpunkte Smiths, durchstehend, wenn auch meist beschränkt, für Gewerbe- freiheit (vergl. Bülau , der Staat und die Industrie, jedoch auch ohne Scheidung von Industrie und Gewerbe; Lotz , Staatswirthschaftslehre II. §. 9465; Mohl , Polizeiwissenschaft II; Baumstark , Encyclopädie §. 467). Daneben steht die juristische Literatur, die schon seit Runde den Stoff in das deutsche Privat- recht aufnimmt; vergl. hier Mittermaier , deutsches Privatrecht. So hat sich ein gewaltiger Stoff angesammelt, der wesentlich nur historischen Werth hat. Den richtigen Standpunkt bezeichnet zuerst Geßler , „zur Gewerbeord- nung“ (Zeitschrift für Staatswissenschaft Bd. 18) mit der Frage, ob es noch eine eigentliche „Gewerborganisation“ durch die Gesetzgebung bei voller Gewerbe- freiheit geben könne? Nur will er doch noch zu viel „organisiren“ (Bezirks- eintheilung mit Bezirksausschuß S. 458; Mangel des Verständnisses des Vereins- wesens). Statistisch hat dem eigentlichen Gewerbeverein, Kleingewerbe, in seiner Scheidung von der Industrie seine Selbständigkeit gegeben G. Schmoller , Geschichte der deutschen Kleingewerbe im neunzehnten Jahrhundert 1869. Elemente der Geschichte des Gewerberechts . Auch die Geschichte des Gewerberechts ist außerordentlich reich an Einzelnheiten, und zugleich höchst einfach in ihren Grundzügen. Es ist im Großen und Ganzen kein Zweifel, daß wir gegenwärtig am Anfang einer neuen Epoche stehen, deren Grundcharakter nach dem Siege der gewerblichen Freiheit über die ständische Unfreiheit der Kampf seiner höheren Natur, der individuellen durch das Gewerbe gegebenen Selbständigkeit, mit der Gewalt des Capitals ist, das auch die gewerbliche Arbeit sich dienstbar machen will. Daran schließt sich das Princip des Gewerbewesens unserer Gegenwart, das erst auf Grund- lage dieser historischen Auffassung seine wahre Bedeutung empfängt. Das Gewerbe beginnt mit der Ablösung der freien Arbeit von der Grundherrlichkeit, und bildet sich seine Heimath und Ordnung in den Städten . Aber die Gewalt der ständischen Elemente ist so groß, daß sich die corporative Unfreiheit auch der Gewerbe bemächtigt. Die Zünfte und Innungen (ursprünglich Gilden) des freien Vereinswesens der gewerblichen Arbeit, werden schon im dreizehnten Jahrhundert zu ständischen Corporationen mit ausschließlichen Rechten, und eigener ständischer Gesetzgebung und Verwaltung. Die Folge des tiefen Wider- streites der freien Natur des Gewerbes mit der ständischen Gebundenheit und der Herrschaft der Sonderinteressen ist der Verfall der Gewerbe, der gleichen Schritt hält mit dem Zurückgehen des freien Bauernstandes, namentlich seit dem sechzehnten Jahrhundert. Dem entgegen tritt nun die neue Staatenbildung dieser Zeit mit ihrem beginnenden volkswirth- schaftlichen Bewußtsein und ihrer Negation jeder außerhalb ihres Rechts stehenden Selbständigkeit, und der Kampf für die Gewerbefreiheit beginnt. Seine erste Gestalt ist das Auftreten der Polizei gegen die schreiendsten Mißbräuche; seine zweite ist das Concessionswesen der Regierungen, welche neben den scharf begränzten Zünften und Innungen neue Zweige der gewerblichen Arbeit einzeln genehmigen; seine dritte ist das Auftreten der „Manufaktur,“ in der sich mit dem vorigen Jahrhundert die Industrie (noch ohne Maschinen, aber schon im Großbetrieb) vom Gewerbe ablöst; seine vierte sind die „Bestätigun- gen“ der „Privilegien,“ welche die historische Selbständigkeit der aus- schließlichen Berechtigungen allmälig auflösen; zugleich beginnt mit dem achtzehnten Jahrhundert die physiokratische und die Smith’sche Schule theoretisch den Gedanken der Arbeitsfreiheit zu vertreten, bis die fran- zösische Revolution den Anstoß zu der dritten Epoche der eigentlichen Gewerbefreiheit gibt. Diese dritte Epoche beruht nun in ihrer Rechtsbildung einerseits allerdings auf der Gleichheit des staatsbürgerlichen Rechts für alle, andererseits aber auch auf der wirthschaftlichen Unmöglichkeit, die historisch feste Gränze der einzelnen Gewerbe faktisch oder rechtlich fest- zuhalten. Die Beschränkung des Gewerbes wird damit ein immer härterer Widerspruch mit dem neuen Leben der Volkswirthschaft, dem nur noch Begriff und Recht der Gewerbefreiheit genügen. Die- selbe hat nun neben ihrer unbedingten französischen und englischen Anerkennung in Deutschland wieder ihre eigene Geschichte. Sie beginnt mit der preußischen Gewerbefreiheit, deren Grundgedanke wir als die polizeiliche bezeichnen. Ihr Princip ist die völlige Unabhängig- keit des Gewerbes von den bisherigen Zunftbeschränkungen, dagegen die polizeiliche, fast alle Gewerbe umfassende Genehmigung , die in der Form von Prüfungen, resp. Verboten durch die Behörde auftritt. Das war ein großer Fortschritt vor dem übrigen Deutsch- land, das bis auf unsere Zeit noch immer seine Zünfte und ihre Privilegien, die Realgewerbe und Bannrechte des Mittelalters nicht los werden konnte. Die Bewegung von 1848 erschütterte freilich auch hier das bisherige System, aber den entscheidenden Schritt that doch erst Oesterreich in seiner Gewerbeordnung von 1859, welche die volle Freiheit des Gewerbebetriebes zuerst durchführte. An das Bei- spiel Oesterreichs schloßen sich alsbald die meisten übrigen Staaten an, und es ist zu hoffen, daß auch Preußen dieser allein berechtigten Rich- tung Raum geben werde. Erst dadurch ist nun die Frage praktisch geworden, ob es neben dem positiven Gewerberecht in den gesetzlichen Gewerbeordnungen noch eine Verwaltung des Gewerbewesens geben könne. Und diese nun enthält folgende wesentlichen Grundlagen, die in ihren Hauptformen dem Landwirthschaftswesen analog sind. In Deutschland beginnt der Kampf des Staats mit der Zunftordnung bereits mit dem Reichsabschied von 1558; Gerstlacher , Handbuch IX. (1722) und X. (1996) (Reichsgesetze mit Anmerkungen). Das Hauptgesetz ist der Reichs- abschied von 1731, das auf das Entschiedenste gegen die Zunft- und Handwerks- mißbräuche auftritt, ohne jedoch auch nur im Entferntesten die Idee einer gewerblichen Freiheit anzuregen. Sein Inhalt bildet die Basis der polizei- lichen Literatur bis zum neunzehnten Jahrhundert (vergl. Berg , Teutsches Polizeirecht III. 473 ff; von allen die freieste und umfassendste Behandlung schon bei Justi , Polizeiwesen II. §. 480 ff.). Daneben erhält sich dann die streng juristische Behandlung des historischen Gewerberechts theils für das Zunftrecht überhaupt, theils für die einzelnen Gewerbe, wie Mühlen, Braue- reien, Bäckereien u. a. sowohl in selbständigen Werken wie Fricke , Grundsätze des Rechts der Handwerker 1771—1778, theils in den Staatsrechten jener Zeit, wie bei Moser, Kretschmann u. a., theils im deutschen Privatrecht wie bei Runde , theils im Cameralrecht wie bei Fischer (vergl. Literatur bei Pütter III. 644; Mittermaier , deutsches Privatrecht II. §. 507 ff.). Die neuere Staatslehre faßt das Recht von der Vorstellung eines „Industrieconcessions- regals“ auf ( Klüber , öffentliches Recht §. 461 ff.), bis mit unserem Jahr- hundert der Kampf der Gesetzgebung beginnt. Preußen : Edikt vom 2. Nov. 1810; Princip: bloße Anmeldung; Normirung (Gesetz vom 7. Sept. 1811); dabei Fortbestehen der Zünfte; dieselben Grundsätze wesentlich in der neuen Gewerbeordnung vom 17. Jan. 1845 beibehalten; Erhaltung der Zünfte, aber ohne Ausschließlichkeit; dagegen weitläuftiges System der behördlichen Meister- prüfung (vergl. Rönne , Staatsrecht II. §. 401 ff.). — Bayern : Recht der Concessionirung an der Stelle der Zünfte (Gesetz vom 11. Sept. 1825); jedoch Aufrechthaltung der Realgewerberechte und Prüfungssystem (Verordnung vom 17. Dec. 1853; Pözl , Verwaltungsrecht §. 155). — Hannover : Zunftwesen aufgehoben 1807; Wiedereinführung 1817. — Nassau : Aufhebung der Zünfte 1819 (Edikt vom 15. März). — Sachsen : Gewerbeordnung von 1842. — Württemberg : Gewerbeordnung von 1837 auf Grundlage der Zünftigkeit einer bestimmten Anzahl von Gewerben; Durchführung der polizeilichen Auf- sicht ( Mohl , württemb. Verwaltungsrecht §. 240). Dieß sind die Grundzüge der preußischen Epoche in der Gewerbeordnung. Die zweite bedeutsamere ist die österreichische , die mit dem Gewerbegesetz vom 20. Dcc. 1859 beginnt. Das Gesetz schließt die Concessionsepoche ab; Grundsatz das Handwerkerpatent von 1731: die Errichtung neuer Zünfte und die Bestätigung der alten nur vom Landesherrn. Die Generalzunftartikel von 1739. Dann Zulassung unzünftiger Gewerbe mit den Schutzdecreten seit 1725. Lombardei mit der französischen Gewerbefreiheit seit 1806. Dann in unserem Jahrhundert das neue Gewerbe- gesetz von 1859; dann das nassauische von 1860; Bremen (Gesetz von 1861); Oldenburg (Gesetz vom 11. Juli 1861); Sachsen (Gesetz vom 15. Okt. 1861); Württemberg (Gesetz vom 12. Febr. 1862); Baden (Gesetz vom 20. Sept. 1862); vergl. Rau , Volkswirthschaftspflege §. 192 ff. Ueber das Gewerberecht Badens speciell Dietz , die Gewerbe in Baden 1863 vor der Gewerbefreiheit S. 231—256 (Gewerbegesetz von 1862 S. 256 ff.). Braun- schweig : Gewerbegesetz vom 3. Aug. 1864 (nach der österreich. Gewerbeord- nung). Hessen : Einführung der Gewerbefreiheit (Gesetz vom 16. Febr. 1866). Charakter ist die volle Freiheit in der Errichtung eines Gewerbebetriebes, ohne Prüfung, und nur mit Genehmigung in einzelnen Fällen. — Frankreich : älteste Ordnung Livre des metiers von Boileau 1260 (1. Thl. Statut von hundert Gewerben; 2. Thl. Ordnung der Wegeabgaben und Zölle; 3. Thl. die gewerbliche Gerichtsbarkeit in Paris); 1467 L. XI.: militärische Errichtung der Zünfte (61 bannières ). Erster Versuch einer Gewerbeordnung (Edikt von 1581 in ganz Frankreich); dann Einführung des Concessionswesens als System der „Offices“ gegen Abgaben; der tiers Etat von 1714 bittet schon um größere Freiheit, jedoch vergeblich. Dann erste Gewerbefreiheit : Edikt Turgots von 1776 (droit au travail), Zurücknahme desselben, bis die Ass. constit. 1791 die volle Gewerbefreiheit unter völliger Beseitigung aller Zünfte einführt. Dar- nach noch eine Reihe von Gesetzen über das innere und das polizeiliche Recht der Gewerbe (s. unten). — England hatte gar kein Zunftwesen in seinen Städten, wohl aber eine Fortsetzung der alten Gilden und eine Reihe meist unwichtiger polizeilicher Bestimmungen ( Kleinschrod , Engl. Gewerbegesetz- gebung; Gneist , Engl. Verwaltungsrecht I. §. 38; Princip des Rechts: System von Popularklagen, s. unten). System des Gewerberechts . Geht man nun davon aus, daß die Gewerbefreiheit das allein richtige Princip für das öffentliche Recht der Gewerbe ist, so erscheint das System des Gewerberechts als die Gesammtheit von denjenigen öffentlich rechtlichen Grundsätzen, welche die öffentlichen Interessen gegen- über dieser Freiheit zur Geltung bringen, während das Gewerberecht, insofern es nur noch diese Freiheit herstellt, fast allenthalben als eine bloß historische Thatsache angesehen werden muß. Dieses System hat auch hier die drei Gebiete der Organisation des allgemeinen und des besonderen Theiles der Gewerbever- waltung. Bei der Behandlung dieses Gegenstandes muß man sich vor allem hüten, die „Gewerbeordnungen“ zum Grunde zu legen. Sie sind selbst mit ihrem ganzen Inhalt nur ein Theil und eine Consequenz des Princips des Gewerbe- wesens. Eben so sollte alles noch bestehende Recht der Unfreiheit der Gewerbe aus dem System der Verwaltung des Gewerbewesens beseitigt, und in die Geschichte verwiesen werden. a ) Organisation des Gewerbewesens. Die Organisation des Gewerbewesens hat die drei Grundformen aller Verwaltung. Die amtliche Organisation enthält das Recht und die Competenz der Behörden, in die Gewerbepflege einzugreifen. Die Aufgaben sind der Regel nach örtlicher Natur; so wie sie weiter greifen, umfassen sie Handel, Industrie und Landwirthschaft zugleich. Je freier das Gewerbe, je geringer ist die Thätigkeit der Behörde. Die Frage nach der Er- richtung besonderer Gewerb egerichte muß durchaus verneint werden. Die Selbstverwaltung erscheint in den Gewerbekammern, die meist mit den Handelskammern verbunden sind, und die Vertretung der Gewerbe übernehmen. Das Vereinswesen entwickelt sich in dem Grade, in welchem die Gewerbe freier werden, als der eigentliche Träger der Gewerbe- verwaltung. Es beginnt mit dem vergeblichen Versuch der preußischen Gewerbeordnung, die alten Zünfte zu Gewerbevereinen umzugestalten; derselbe Gedanke setzt sich fort in den Genossenschaften der öster- reichischen Gewerbeordnung; aber erst da, wo die Gewerbetreibenden selbst aus freiem Antrieb Vereine bilden, entwickelt es seine Bedeutung. Die speciell auf die Gewerbe berechneten Hülfs- und Bildungsvereine gehen in allgemeine Vereine auf; dagegen entstehen die gewerblichen Unternehmungsvereine , meist als Verkaufsgesellschaften u. s. w. und von großer Bedeutung die gewerblichen Interessenvereine, die eigentlich sog. Gewerbevereine , welche mit der Verbreitung höherer gewerblicher Bildung das Verständniß der wahren Interessen der Ge- werbe verbinden, und dadurch höchst wohlthätig wirken. England hat weder eigene Gewerbebehörden noch Gewerberäthe, noch Gewerbegerichte. Das Gericht ist der Friedensrichter (Gneist , Engl. Ver- fassung I. 312; Verwaltung I. §. 38). — Frankreich hat die Gewerbe nicht speciell in sein System der Conseils aufgenommen ( Stein , Selbstverwaltung S. 118 f.), wohl aber sind sie in den Chambres de Commerce vertreten. Da- gegen ist das Conseil des prudhommes (Gesetz vom 18. März 1806) als Ge- werbegericht der Ursprung der „Gewerbegerichte“ namentlich in Deutschland. ( Meißner , Fabriksgerichte 1856); die Hauptaufgabe dieser Conseils liegt je- doch nicht im Gebiete der Gewerbe, sondern der Industrie. — Preußen : Art. 91 der Verfassung (Verordnung vom 9. Febr. 1849; Rönne II. §. 294; vergl. Rau , Volkswirthschaftspflege II. §. 198); Gewerb eräthe in Preußen als Gewerbekammern fakultativ (Gesetz vom 9. Febr. 1849); Bauräthe in Baden ( Dietz , Gewerbe S. 229). Handelskammern seit 1808; Gewerbeschulräthe ebend. S. 242 f. — Bayern : Gewerbekammer (Verordnung vom 27. Jan. 1850; Pözl , Verwaltungsrecht S. 337). — In Oesterreich mit den Handelskammern als selbständige Sektion verbunden ( Stubenrauch II. §. 514). Neue Handels- kammerordnung von 1868. Ueber die Genossenschaften der österreich. Gewerbe- gesetze s. Stubenrauch II. §. 500. — Preußen seit 1849 ( Rönne II. §. 395). — Oesterreich: Stubenrauch , Vereinswesen S. 216 ff. Das Gewerbe- gesetz hat die Gewerbegenossenschaften fakultativ mit Gerichtsbarkeit über Streitig- keiten zwischen Meister und Hülfspersonal ins Leben rufen wollen, Hauptst. VII. und §. 102, ohne rechten Erfolg. — Baden : zweiundzwanzig Vereine ( Dietz a. a. O. Bayern: Pözl , Verwaltungsrecht §. 160). b ) Allgemeine Gewerbspflege. Die allgemeine Gewerbspflege erscheint als Anwendung der allge- meinen Volkswirthschaftspflege auf das gewerbliche Leben, so weit das letztere eine besondere Gestalt des ersteren fordert. Das ist der Fall im Bildungs- und Creditw esen. Das gewerbliche Bildungswesen als Theil des wirthschaftlichen Berufsbildungswesens beruht in seinem Princip auf dem höheren Wesen des Gewerbes, und zwar im wesent- lichen Unterschied von der Industrie darin, daß es das Moment der individuellen Produktionskraft zu entwickeln hat. Das nun kann nur durch Bildung des Geschmackes geschehen, welcher den Produkten den freien Werth gibt. Die specielle Gewerbebildung besteht daher wesentlich in Zeichnen- und Musters chulen für die Lehrlinge, wäh- rend für die Meister die Vorträge in den Gewerbevereinen und die Ausstellungen eintreten. Diese Bildungsanstalten sind naturgemäß Sache der Vereine . Der gewerbliche Creditverein ist vermöge der Natur der gewerblichen Produktion weder ein strenger Zahlungs- noch ein Unternehmungscredit, sondern diejenige Verbindung beider, die wir den Vorschußcredit genannt haben, da er nur kleine Capi- talien fordert, seine Sicherheit zunächst in der producirten Waare findet, und mit dem Erlös derselben zurückgezahlt wird. Das gewerbliche Creditvereinswesen beruht daher auf der Gegenseitigkeit , dem zwar ein Aktiencapital als Grundlage zu Hülfe kommen kann, dem aber nothwendig die gewählte Creditverwaltung die Sicherheit für jeden einzelnen Credit, und die gegenseitige solidarische Haftung die Sicherheit und damit den billigen Zinsfuß für das Ganze geben muß. Diese Gruppe von gewerblichen Creditanstalten bezeichnen wir als das System der Gewerbe- und Volksbanken , die sich bisher nur noch theilweise von dem übrigen Creditwesen losgelöst haben. Neben ihnen stehen Anstalten für den persönlichen Credit, Leihanstalten ꝛc., die in der Regel mehr auf die Noth als auf die gewerbliche Unternehmung be- rechnet sind. Ueber die eigentlichen gewerblichen Bildungsanstalten war man schon im vorigen Jahrhundert im Wesentlichen einig. Bensen , Staatslehre, Abth. 3. §. 728; Vogt : durch welche Mittel können unsere Handwerker dazu gebracht werden, daß sie Verbesserungen ihrer Gewerbe nützen ꝛc. 1799; Berg , Polizeirecht III. S. 444. Neuere Zeit: Grundsatz der organischen Einfügung des gewerblichen Bildungswesens in den Volks- und Berufsunterricht, des ersteren in dem System der Realschulen, des letzteren in dem der eigentlichen Gewerbeschulen. Damit hat das gewerbliche Unterrichtswesen seine organische Stellung empfangen. Falsch ist nur die Verschmelzung des Gewerbeunterrichts mit der Handels- und Kunstbildung. Rau II. §. 204; Mohl , Polizeiwissen- schaft I. §. 77 ff. II. §. 160. Gewerbeschulen in Oesterreich: Stubenrauch II. §. 411. Die Provinzialgewerbeschulen und das technische Gewerbeinstitut: Rönne , Unterrichtswesen des preuß. Staates I. 260; Staatsrecht II. §. 452. — Gewerbeschulen in Bayern seit 1833 (Gesetz vom 16. Febr.; Pözl , Ver- waltungsrecht §. 153). — Baden: Dietz S. 64. — Ueber die französischen Ecoles de dessin vergl. Stein , Bildungswesen S. 286 ff. — England: Lotz , Staatswirthschaftslehre II. 63 ff.; Stein , Bildungswesen S. 319 f.; über Englands Mechanics Institutes, Vereine für gewerbliche und zugleich all- gemeine Fachbildung s. Fallati , Zeitschrift für Staatswirthschaft 1846. Ueber die Gewerbebanken s. oben. Nothwendigkeit, sie von den gewöhn- lichen Banken zu scheiden, und das Princip der Gegenseitigkeit besser hervorzuheben. c) Gewerberecht. Das Gewerberecht entsteht nun, indem die Natur des Gewerbes das allgemeine bürgerliche Recht des Gewerbetreibenden theils in Be- ziehung auf sein Verhältniß zum eigenen Unternehmen, theils in Be- ziehung auf Dritte modificirt. Aus dem ersten Faktor entsteht die eigentliche Gewerb eordnung , aus dem zweiten die Gewerb epolizei . Beide zusammen bilden das Gewerberecht in der Gewerbefreiheit, und ist dasselbe wieder theils ein allgemeines, für alle Arten des Gewerbes gemeinschaftliches , theils ein besonderes . I. Die Gewerbeordnung enthält zwei Gebiete; einerseits das Recht auf den Gewerbebetrieb, andererseits das Rechtsverhältniß zwi- schen Meister und Hülfspersonal (Unternehmer und Arbeiter). a) Das Princip der Gewerbefreiheit fordert das an sich unbe- schränkte Recht auf das Unternehmen eines jeden Gewerbes durch jede Person, so weit sie überhaupt nach bürgerlichem Recht dispositionsfähig ist. Es ist weder richtig, durch die Begriffe von Unbescholtenheit ꝛc., noch durch Mangel an Heimathsberechtigung den Beginn eines Ge- werbsunternehmens aufzuhalten. Die Anzeige muß als eine Steuer- pflicht beurtheilt werden. Es ist nicht richtig, den Standpunkt der preußischen und österreichischen Gewerbeordnung (Verbot des Gewerbebetriebes durch gerichtliches Urtheil, Un- fähigkeit wegen begangenen Verbrechens ꝛc.) aufrecht zu halten, um so weniger als die Gränze für den Begriff des gewerblichen Unternehmens überhaupt nicht mehr festzuhalten ist. Prüfungen ꝛc. gehören schon der Gewerbepolizei. b) Meister, Gesellen, Lehrlinge sind nach der vollen Ge- werbefreiheit im Grunde nur noch historische Begriffe und Rechtsverhält- nisse; für alle dabei zur Sprache kommenden Beziehungen gilt nur das allgemeine bürgerliche Recht. Allein die Natur der meisten, als dauernde und selbständige Unternehmungen auftretenden eigentlichen Gewerbe, hat einen großen Theil jener Verhältnisse der früheren Gewerbeordnung erhalten, und wird sie erhalten. Es muß daher als Grundsatz ange- nommen werden, daß für alle Verhältnisse des „Hülfspersonals“ zu- nächst der eingegangene Vertrag gilt, wenn ein solcher nachgewiesen werden kann; wo aber kein solcher besteht, muß das Recht der Ge- werbeordnungen als subsidiäres Recht gelten . Das ist der Standpunkt, von dem aus die Bedeutung dieses Theiles der bestehen- den Gewerbeordnungen zu betrachten ist. Obgleich die deutschen Gewerbeordnungen sich nicht klar darüber aussprechen, ist doch wohl über diesen Satz kein Zweifel aus ihrem Inhalt herzuleiten. Am klarsten ist derselbe anerkannt in dem Lehrlingsgesetz von Frankreich (22. Febr. 1851; vergl. Block , Dict. v. Apprentissage; Kleinschrod a. a. O. 95; Rau §. 199). II. Die Gewerbegerichte . Die historische Grundlage derselben ist ohne Zweifel das Recht der Selbstverwaltung der alten Körper- schaften in Zunft und Innung. Das neue Princip der Gewerbefreiheit hat dieselben jedoch zum Theil aufgenommen auf Grundlage des Ge- dankens, daß die Verhältnisse zwischen Meister, Gesellen und Lehrling noch immer einen besonderen Inhalt haben, und daß andererseits ein eigentliches Gerichtsverfahren dafür nicht geeignet sei. England hat in dieser Beziehung jedoch dem Friedensrichter noch seine alte Gewalt gelassen; Frankreich , das die Gewerbe mit der Industrie im Grunde mehr principiell als wirklich scheidet, hat das Conseil des Prudhommes vielmehr als ein Arbeitergericht hergestellt; nur in Deutschland hat man die eigentlichen, übrigens wohl für das Lehrlingswesen kaum sehr praktischen Gewerbegerichte beibehalten, respektive neu eingeführt. In England stand die Jurisdiktion über Streitigkeiten zwischen Meister und Lehrlingen schon seit 5. Eliz. 4. den Friedensrichtern zu; 20. Georg. II. 19; ausgedehnt auf Strafrecht, bei Gericht von zwei Friedensrichtern. Das Zwangs- lehrlingswesen als Theil der Armenkinderpflege gleichfalls schon durch 43. Eliz. 2. eingeführt und durch 56. Georg. III. 139. für die Kirchspiele organisirt; nach 7. 8. Vict. 101. stehen diese Lehrlingscontrakte unter den guardians of the poor; s. Gneist , Engl. Verwaltungsrecht II. §. 47. — Die Prudhommes Frankreichs unterscheidet sich wesentlich davon, theils durch die Zusammensetzung (Wahl und Bildung aus Ministern, Arbeitgebern und Arbeitern) theils durch ihre Competenz (neben louage d’ouvrage auch propriété industrielle ). Erste Bildung 1806; neue Organisation seit 1850 (Gesetz vom 1. Juni 1853; mehrere Gesetze über einzelne Fragen; Literatur bei Block , Dict. v. Prudhomme; Meißner , Fabrikgerichte). — Die österreichische Gesetzgebung hat den bereits in der Gewerbeordnung von 1859 liegenden Grundsatz zu einem eigenen System im Gesetz vom 14. Mai 1869 entwickelt; Competenz: Streit zwischen Herren und Arbeitern; Organisation: Wahl von beiden Seiten; Recht: In- appellabel bis 30 fl. Grundlage des Verfahrens: Vergleichsversuch. — Preußens Gewerbegerichte auf Grund der Verfassungsurkunde schon durch Verordnung vom 2. Jan. 1849 eingerichtet, gleichfalls nach dem französischen Muster, wesentlich mit derselben Verschmelzung von Gewerbe und Industrie (vergl. Rönne , Staatsrecht II. §. 274). III. Die Gewerbepolizei enthält die Gesammtheit derjenigen gesetzlichen Bestimmungen und Maßregeln, welche den Zweck haben, die Einzelnen gegen die Nachtheile zu schützen, welche ihnen durch die Ausübung des Gewerbes entstehen können. Die Auffassung derselben ist wesentlich verschieden nach dem englischen, französischen und deutschen Recht. Nach dem englischen Princip gibt es überhaupt keine allge- meine , für alle Gewerbe gültige Gewerbepolizei, sondern dieselbe tritt nur bei einzelnen Gewerben ein, und zwar nicht auf Grundlage eines Einschreitens der Behörde, sondern durch Popularklagen der Be- theiligten beim Friedensrichter. Nach französischem Recht ist dagegen die Polizei der „Etablissements dangereux“ selbständige Aufgabe der Behörde, während sonst keine eigenen Maßregeln bestehen. Nach deut- schem Recht endlich ist mit der Aufhebung der Gewerbefreiheit ein ausgebildetes System der polizeilichen Vorsorge geschaffen. Dieses beruht auf drei Punkten. Zuerst wird für gewisse Gewerbe ein ge- wisses Maß von Fachbildung gefordert zur Sicherung des Publi- kums. Dann wird aus dem Gesichtspunkte der Elemente der Gesund- heitspolizei, so wie zum Schutze der Anwohner für gewisse Gewerbe die Anlage der behördlichen Genehmigung unterworfen, und für ge- wisse andere im Interesse der öffentlichen Sicherheit der Betrieb unter Concession gestellt; das Recht des Verbotes von Seiten der Behörde ist das Correlat dieses Rechts der Gewerbsbewilligung . Es ist kein Zweifel, daß in gewissen Gränzen dieses Princip das richtige ist, da die Popularklagen dasselbe für das praktische Leben nicht ersetzen. Diese Gewerbepolizei bildet fast allenthalben den Haupttheil der neuen Gewerbeordnungen; die darauf bezüglichen Bestimmungen haben eigentlich die Aufgabe, die Gränze zwischen dem Recht des Einzelnen und dem des öffent- lichen Interesses im Gewerbe gesetzlich festzustellen. Ueber England vergl. Kleinschrod , gewerbliche Gesetzgebung und Gneist , Engl. Verwaltungs- recht, Gewerbepolizei §. 38. Das französische Gesetz über die Établisse- ments dangereux, das Decret vom 15. Okt. 1810 war eigentlich nur die Ab- hülfe gegen die große und höchst unbestimmte polizeiliche Gewalt der Maires, die ihnen das Gesetz vom 13. Nov. 1792 gegeben hatte. Das Decret vom 15. Okt. 1810 stellt drei Classen auf (établissements dangereux, insalubres et incommodes); erste Classe: Anlagen, welche wegen elementarer Gefahr von den Wohnungen entfernt sein müssen; zweite Classe: solche Anlagen, welche durch ihren Umfang in die Interessen der Nachbarn eingreifen (nament- lich Fabriksanlagen); dritte Classe: solche welche bloß Nachtheile bringen und dadurch die Nachbarn beeinträchtigen. Ueber die Begränzung und das Verfahren bei solchen Genehmigungen, das zuletzt durch das Decret vom 6. April 1852 geregelt ward, ein fast endloser Streit und eine Reihe von Verordnungen, welche beweisen, daß das ganze Princip der Classeneintheilung falsch, und nur das deutsche System der speciellen Bezeichnung der zu genehmigenden An- lagen richtig ist. Doch halten die Franzosen noch fest daran. Trebuchet ( Code administratif des établissements dangereuses, insalubres et incom- modes, Paris 1832) und Avissi ( Etablissements industriels; industries dangereuses, insalubres et incommodes, Paris 1851). Ueber das Ver- fahren derselben Decentralisation administrative, ses effets sur le régime administrative des établissements, Paris 1852; Block , Dict. v. Eta- blissements publ. — Das deutsche Recht scheidet sich in Beziehung auf den ersten Punkt in den preußischen Standpunkt, der die polizeiliche Prüfung für den Beginn des Gewerbes zur Regel, und den freien Beginn zur Ausnahme macht (Gewerbeordnung von 1845; sehr kurz: Rönne , Staats- recht II. §. 402) und den österreichischen , der umgekehrt den freien Beginn zur Regel und die Prüfung zur Ausnahme macht. Das preußische Recht ist, zum Nachtheil der freien Entwicklung, noch bedeutend verschärft durch die Ver- ordnung vom 9. Febr. 1849 und Gesetz vom 15. Mai 1854; Rönne §. 403. Die österreichische Gewerbeordnung hat ferner den Unterschied zwischen Geneh- migung der Anlage und des Betriebes klar durchgeführt in den richtigen Kate- gorien der freien (§. 13), der concessionirten §. 16 ff. („gesetzlich vorge- schriebenen besondern Befähigung zur Erlangung des concessionirten Ge- werbes“ wegen elementaren und Gesundheitsgefahren) und der genehmigten Gewerbe §. 31. („Genehmigung der Betrieb sanlage “) durchgeführt, das Ver- fahren dabei ist mit gutem Recht den formellen Bestimmungen des französischen Rechts nachgebildet (Ediktalverfahren mit Rekurs §. 35 ff.). IV. Einzelne Gewerbeordnungen und ihre Polizei . In diesem Sinne des freien Gewerberechts löst sich die Gewerbepolizei nun eigentlich auf in die polizeilichen Vorschriften für die ein- zelnen Gewerbe , deren ordnungsmäßiger Betrieb entweder eine Be- dingung oder eine Gefahr für das Gesammtleben enthält. Das erste ist der Fall bei den für die tägliche Ernährung sorgenden Ge- werben, namentlich Bäckerei, Schlächterei, Brauerei und Gastgeberei; das zweite bei den mit elementaren Stoffen und Kräften arbeitenden Betrieben, namentlich bei Maschinen, Baugewerben, Schiffern, Rauch- fangskehrern u. A. Der Inhalt der polizeilichen Vorschriften ergibt sich als Consequenz der Natur des Gewerbes selbst, und es ist daher erklärlich, daß hier zum Theil auch das frühere Recht vielfach eingreift, so daß hier jedes dieser Gewerbe sein eigenes Recht hat, das be- sonderer Darstellung bedarf. Englische specielle Gewerbepolizei für eine ganze Reihe von Einzelge- werben bei Gneist a. a. O. §. 38. — Frankreich hat namentlich das Recht und die Ordnung der Schlächterei und Bäckerei ausgebildet, vergl. Block v. Boucherie und Boulangerie. — Das preußische Recht bei Rönne a. a. O. und §. 404. — Das österreichische: Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde II. §. 472 ff. Mühlo rdnungen ebend. I. II. §. 315. Schlachtviehordnung II. §. 271. Beachtenswerth der §. 56 der österreich. Gewerbeordnung über Verpflichtung zu Vorräthen und §. 57 Verpflichtung zur zweimonatlichen Fort- führung des Gewerbes bei Bäckern, Fleischern und Rauchfangkehrern. V. Die Industrie und die Verwaltung. Begriff und Princip. Es muß wie gesagt, als eine wesentliche Forderung der Volks- wirthschaftspflege angesehen werden, daß man die Industrie von dem Gewerbe scheide , damit das Gebiet der Verwaltung der ersteren mit ihren specifischen Aufgaben gegenüber der letzteren selbständig hervortrete. Denn es ist zugleich ein wesentlich verschiedenes Rechtsgebiet, welches wir hier betreten. Die Industrie umfaßt ihrem formalen Begriffe nach die Gesammt- heit derjenigen wirthschaftlichen Produktionen, welche auf der Verwen- dung der Maschinen als Arbeitskraft beruhen. Es ändert auch hier das Wesen der Sache nicht, daß die äußere Gränze zwischen Gewerbe und Industrie vielfach in einander übergeht. Aus dieser formalen Grundlage ergibt sich die höhere Natur der Industrie dahin, daß durch das Auftreten der Maschinen das Güter- capital die Bedingung des Unternehmers wird, und das persönliche Capital nicht mehr ausreicht, wie bei dem Gewerbe. Die Folge davon ist, daß während bei dem Gewerbe Capital und Arbeit noch Hand in Hand gehen, bei der Industrie Capital und Arbeit sich scheiden . So wie sie geschieden sind, haben sie nicht bloß jedes für sich selbständige Interesse, sondern sie treten auch mit einander in Gegensatz. Die Aufgabe der Verwaltung wird damit nicht bloß die, für jedes dieser beiden Elemente die Bedingungen herzustellen, die sie sich nicht selber geben können, sondern auch die dritte große Bedingung aller indu- striellen Entwicklung, der sociale Inhalt des Industriewesens, die Harmonie , bei den großen Faktoren der Industrie da einzugreifen, wo die Störung derselben eine Gefahr für die letztere wird, und in diesem Sinne müssen wir von einem selbständigen System der Verwal- tung der Industrie neben dem der Gewerbe reden. Es ist wohl als eine unabweisbare Forderung anzuerkennen, daß wir die Industrie von dem Gewerbe in Theorie und Gesetzgebung trennen, da das Recht der ersteren von dem des letzteren so wesentlich verschieden ist. So viel auch von „Industrie“ die Rede ist, so sind wir doch in dieser Beziehung nicht weiter als die Literatur des vorigen Jahrhunderts, indem man bald wie Rau die Industrie unter das Gewerbe fallen läßt, bald wie Bulau das Gewerbe in die Industrie zieht, bald wie Mohl die letzteren überhaupt nicht erwähnt. Die Nationalökonomie freilich müßte mit gutem Beispiel vorangehen. Elemente der Geschichte . Die Geschichte der Industrie im obigen Sinn und ihres Rechts hat daher auch einen ganz anderen Charakter als die des Gewerbes. Die Industrie ist ihrem Wesen nach unfähig, wie das Gewerbe, das ständische Element überhaupt in sich aufzunehmen. Sie gehört an und für sich der staatsbürgerlichen Gesellschaft; ihre Grundlage ist das selbständige Capital; ihre Entwicklung ist die der Dampfmaschine; ihr Inhalt, der über beide weit hinausgeht, ist die zu einer europäischen Thatsache sich erhebende Bildung des Bewußtseins von dem Verhältniß und Gegen- satz zwischen Capital und Arbeit . Wohl aber muß man auch hier drei Stadien unterscheiden, die wieder ihrerseits in der Verwaltung ihren entsprechenden Ausdruck finden. Das erste Stadium, meist der Maschinenverwendung voraufgehend, ist das der Hülflosigkeit und inneren Unsicherheit des Capitals, das noch nicht wagt, sich auf sich selbst zu verlassen. Dem entspricht das Princip der direkten Unterstützung der entstehenden, aber nur noch in ver- einzelten Anfängen auftretenden Industrie, die zum Theil mit einzelnen Staatsunternehmungen begleitet ist. Letztere erscheinen allerdings wesentlich als Musteranstalten und Vorbilder; sie verschwinden aber mit der direkten Unterstützung gleichzeitig so wie die Dampfmaschine auftritt. Mit der Dampfmaschine beginnt nämlich die Epoche, in der nicht mehr ein einzelner Capitalist, sondern das Geldcapital der Volks- wirthschaft überhaupt in die Unternehmungen hineintritt, und seine volle Produktionskraft entfaltet. Der Einfluß dieser Bewegung erstreckt sich alsbald auf jede Art der Unternehmung; jede Unter- nehmung strebt von da, durch Verwendung von Capital eine höhere Produktivität zu gewinnen, und zwar nicht bloß durch Aufstellung und Gebrauch von Maschinen, sondern überhaupt durch Entwicklung der Produktion zum eigentlichen Betriebe . So geschieht es, daß der Be- griff der Industrie sowohl als der Name derselben sich über Bergbau, Forstwirthschaft und Gewerbe ausdehnt , und in dem gewöhnlichen Sprachgebrauch seine feste Bedeutung verliert. Allein das Wesen der Sache bleibt in allen Formen; die Industrie ist das Capital als producirende Kraft , und alles producirende Capital ist In- dustrie. Das ist die große volkswirthschaftliche Thatsache, welche diese Epoche ausschließlich beherrscht. Das Bewußtsein von dieser Thatsache und die Scheidung derselben vom Gewerbe entsteht nun durch den internationalen Kampf der Capi- talien, und erscheint für die Verwaltung als Princip und System des Schutzzolles . Der Schutzoll ist das Verwaltungsrecht des produ- cirenden Capitals. Er hat noch kein Bewußtsein von dem Arbeiter, sondern nur von der Arbeit; er kümmert sich noch gar nicht um die gesellschaftlichen, sondern bloß um die wirthschaftlichen Verhältnisse; so hoch man auch bei ihm greifen mag, so wird er nie Frage des Princips, sondern nur der Zweckmäßigkeit; so lange er allein herrscht, ist es ein Beweis, daß die Industrie noch nicht ihre volle Bedeutung ent- wickelt hat. Das ist nun erst der Fall in dem dritten Stadium, wo das Ca- pital seine volle Kraft entfaltet, der capitallose Arbeiter überhaupt nicht mehr Unternehmer werden, und daher sich aus der Abhängigkeit vom Capital nicht mehr losmachen kann. Damit entsteht das Bewußt- sein von dem Gegensatze zwischen Capital und Arbeit, und damit der Punkt, auf welchem die wirthschaftliche Frage in das sociale Gebiet hinübergreift. Die Verwaltung der Industrie aber behält dabei ihre bestimmte Aufgabe. Sie hat die sociale Frage nicht zu lösen; aber sie hat zu verhindern, daß das organische Verhältniß von Arbeit und Capital nicht durch die Willkür der einzelnen Arbeiter und Unter- nehmer gestört werde. Ihr Princip ist nicht, die wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Gesetze ändern zu wollen, sondern nur das, denselben durch Aufrechthaltung der Ordnung freien Lauf zu lassen. Während wir daher den Kampf um das Capital als die Arbeiterfrage bezeichnen, ist die Aufgabe der Verwaltung gegenüber der Industrie die Arbeiter- ordnung . Und die Herstellung dieser Ordnung und ihrer Harmonie mit der socialen Entwicklung ist der Inhalt der nächsten, gegenwärtigen Epoche, die übrigens die Anforderungen der übrigen Verhältnisse keines- wegs ausschließt. Und so können wir jetzt von einem selbständigen System dieses Gebietes reden, das dann wieder dieselben formalen Elemente, aber einen andern Inhalt hat, als das System des Gewerberechts. Der Charakter der Gesetzgebung ist für das Industriewesen ganz dem der Literatur analog. Es gibt kein selbständiges System derselben; die geltenden Bestimmungen sind theils in den Gewerbeordnungen enthalten, theils sind es einzelne legislative Akte und Maßregeln, welche eben für einzelne Verhältnisse der Industrie entstanden sind und gelten. In der That kann es auch keine einheitliche Codifikation dafür geben; die Wissenschaft muß und wird die Ein- heit ersetzen, sobald sie beginnt Industrie und Gewerbe zu scheiden, und die sociale Verwaltung selbständig zu betrachten. Ueber die englische Fabriks- ordnung und ihre Geschichte s. Austria 1865. S. 294 ff. Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 23 System des Industriewesens . Wenn schon bei dem Gewerbe der leitende Gedanke für die Thätig- keit der Verwaltung und die öffentliche Rechtsbildung die Selbstthätig- keit der kleinen Unternehmungen sein muß, so ist dieß natürlich bei der Industrie, in der jede Unternehmung zugleich ihr eigenes Capital besitzt, in noch höherem Grade der Fall. Die Industrie soll sich nicht bloß im Allgemeinen selber helfen, und die Hülfe von Seiten der Regierung soll nur eine ausnahmsweise sein, sondern sie soll sogar, so weit sie vermag, ihre eigene Organisation und ihr eigenes Recht bilden. Die größte Bedeutung der Industrie liegt für das Verwaltungsrecht deßhalb eben darin, daß sie das mächtigste Gebiet der freien Verwal- tung ist . In diesem Punkte beruht ihr wichtigster Einfluß auf das Gesammtleben des öffentlichen Rechts; sie ist es in der That, welche man als die Erzieherin der wirthschaftlichen Selbständigkeit in jedem Volke anzusehen hat. Und daraus folgt nun, daß sie zugleich das- jenige Organ am stärksten entwickelt, das wir als die Basis der freien Verwaltung ansehen müssen, das wirthschaftliche Vereinswesen, an welches sich hier das gesellschaftliche anschließt. Dieses Princip durchdringt das ganze Gebiet des Industriewesens und gibt ihm seine Selbständigkeit; man kann sagen, daß während alle andern Theile uns zeigen, was die Regierung zu thun hat, die Industrie uns zeigt, was ohne sie geschehen kann und geschehen soll. Im Industriewesen hat die Thätigkeit der Regierung einen streng suppletorischen Cha- rakter ; und das im Einzelnen nachzuweisen, ist die Sache des Systems des Industriewesens. Von diesem Standpunkt aus muß namentlich die Wirkung Adam Smiths auf dem Continent betrachtet werden. Adam Smith ist es, der die alte Tra- dition von der Nothwendigkeit einer direkten Unterstützung der Industrie durch die Regierungen, wie sie das Merkantilsystem groß gezogen, zuerst geradezu und unbedingt verneint: sein Wort, es sei eine „impertinence and presump- tion to watch over the industry of private people“ ist das Schlagwort ge- worden, das den Continent zunächst von der Bevormundung im Gebiete der Volkswirthschaft befreit, und die Gesetze der Nationalökonomie an die Stelle der Verordnungen der Behörden gesetzt hat. In ihm liegt ein unmeßbarer Fortschritt, und dieser Gedanke von Adam Smith ist der erste und eigent- liche Inhalt der Idee des Freihandels , von dem die Zollfrage nur eine specielle Anwendung ist. Aber auch diese Idee hatte noch so lange keinen Körper, als ihr das Vereinswesen fehlte; denn nicht darauf kam es an, daß überhaupt nichts für die Industrie geschehe, sondern darauf, daß das Noth- wendige durch das freie Element des Vereins geschehe . Und so stehen wir erst mit dem letzteren vor der zweiten und größeren Epoche der freien wirthschaftlichen Entwicklung der Industrie. a) Organisation. Die Organisation der Industrie ist nun ihrem formalen Begriff nach die Gesammtheit der Organe, welche einerseits die Interessen der Industrie vertreten, und andererseits das Recht derselben bilden. Das vorige Jahrhundert steht dabei noch auf dem Standpunkt, die Organe der Regierung zur Hauptsache zu machen; die „Gesellschaften“ treten jedoch schon damals neben der Regierung auf, wenn auch in sehr un- bestimmter Gestalt und mit unklarem Recht. Erst mit unserem Jahr- hundert und seiner unwiderstehlichen Selbstthätigkeit des Capitals erscheint das Vereinswesen als Grundlage dessen, was wir die Organisation der Industrie nennen müssen. Die Macht und Thätigkeit desselben, einmal zum Flusse gelangend, ist nun so groß, daß die Stel- lung der Regierung dadurch eine ganz andere wird. Denn gerade in diesem Vereine ist neben, ja über dem großen Gesammtinteresse zugleich das Sonderinteresse der bestimmten Unternehmungen und indu- striellen Gebiete thätig und es wird daher jetzt neben der Aufgabe der Regierung, alles Wichtige und Förderliche selbst zu thun , die zweite und nicht leichtere, dem durch die einzelnen Vereine vertretenen Sonder- interesse im Namen des Gesammtinteresses seine Gränzen zu setzen. Und zwar gewinnt diese Wahrheit ihre ganze Bedeutung erst dann, wenn man festhält, daß die Entwicklung der Industrie eben zugleich ein Kampf von Capital und Arbeit ist, der wie alles andere wesent- lich durch die Entwicklung des wirthschaftlichen Vereinswesens der Ca- pitalien zu den gesellschaftlichen Vereinen der Arbeiter seinen Ausdruck findet. Während daher die Sorge für das Capital fast ganz der Re- gierung durch die erste Art von Vereinen genommen ist, wird die Auf- gabe derselben durch die letztere eine doppelt schwierige. Und so hat sich hier ein ganz eigenthümlicher Organismus herausgebildet, dessen Elemente im Handelsministerium als Haupt der Regierungsthätigkeit, in den Handels- und Gewerbekammern als Formen der Selbstverwal- tung, und im Vereinswesen für Capital und Arbeit bestehen, und dessen Funktion und Charakter gerade durch das letztere als ein noch wesentlich unfertiger, im Werden begriffener betrachtet werden muß. In der That ist die wirkliche Verwaltung der Industrie das Gebiet, auf welchem dieser Charakter zu studiren ist. Vielleicht in keinem Theile der ganzen Verwaltung tritt so sehr der Cha- rakter der einzelnen Staaten zu Tage, als in dem Gebiete der Industrie; nur muß das Einzelne einer genaueren Untersuchung unterzogen werden. In Eng- land liegt der Schwerpunkt im Vereinswesen und zwar nach allen Richtungen; in Frankreich stellt sich dagegen die Regierung an die Spitze, und läßt der freien Verwaltung in Chambres de Commerce und Associations nur geringen Spielraum; in Deutschland endlich arbeiten beide Elemente mit einander fast durchstehend in Harmonie, aber ohne Bewußtsein ihrer Gemeinschaft. Allerdings sieht man die ganze Bedeutung der Sache erst in dem Folgenden. Ueber das Vereinswesen s. Stein , Vereinswesen und Vereinsrecht. 2) Allgemeine Verwaltung. Die allgemeine Volkswirthschaftspflege hat nun, in ihrer speciellen Anwendung auf die Industrie, davon auszugehen, daß die allgemeinen Bedingungen der Entwicklung der letzteren nicht etwas Besonderes for- dern, sondern ihrem Wesen nach genau dieselben sind, welche für das Gewerbe gelten, so daß in dem, was von Seiten des Staats dafür geschieht, gar keine feste Gränze zwischen Gewerbe, Handel und Indu- strie vorhanden ist. Das gilt sowohl für die Anstalten der wirthschaft- lichen Berufsbildung, dem gesammten Realschulwesen, als für die all- gemeine industrielle Bildung durch öffentliche Sammlungen und Aus- stellungen, als endlich für das Verkehrswesen in allen seinen Zweigen. Wohl aber fordert die Industrie dieselben Leistungen in größerem Um- fange ; und hier tritt zuerst das specifische Element der industriellen Verwaltung ein. In der That kann nicht der Staat den Umfang dessen bestimmen oder ausfüllen, was speciell die Industrie fordert, da er für alle gleichmäßig thätig sein muß, sondern die Industrie muß in dieser Beziehung selbst helfen. Das nun geschieht durch das Ver- einswesen , und zwar nach den beiden großen Kategorien des Ver- einswesens durch die Interessenvereine , welche die speciellen Be- dürfnisse der Industrie zum Ausdruck und zum Bewußtsein bringen, und andererseits durch die Unternehmungsvereine , indem diese die Herstellungen der allgemeinen Bedingungen für die Industrie und ihre massenhafte Güter- und Werthbewegung zum Gegenstande selbstän- diger Unternehmungen machen. Die Hauptformen der letzteren sind die Eisenbahngesellschaften für das Communikationswesen, und die Banken und Creditanstalten für das Creditwesen. So ergibt sich der leitende Grundsatz für die Industrie und ihre Verwaltung, daß die letztere für die erstere durch das Vereinswesen verwirklicht wird, und daß somit die Thätigkeit der Regierung hier vorzugsweise in den Funktionen der Oberaufsicht für diese Vereine besteht, deren Grundsätze und Inhalt bereits oben bezeichnet wurden. Je weiter die Industrie sich entwickelt, desto bestimmter tritt dieses Princip hervor, und desto klarer wird es, daß der Staat selbst durch unmittelbares Eingreifen weder der Natur der Industrie entspricht, noch auch etwas positiv Förderliches zu leisten im Stande ist. Und derselbe Charakter erscheint nun auch für den besonderen Theil, in welchem er eine vor- zügliche Wichtigkeit empfängt. Es ist klar, daß ohne organische Auffassung des Vereinswesens das Gebiet nie richtig beurtheilt, und das specifische Element der Sorge für die Industrie, die sich damit nur selbst helfen kann und soll , nicht festgestellt werden kann. Der Staat kann nur der Selbsthülfe helfen (vergl. Stein , Vereinswesen und Vereinsrecht, S. 166 ff.). 3) Besonderer Theil. Derselbe Gedanke setzt sich nun in dem besondern Theile fort; auch hier liegt das eigentlich fördernde und positive Element in den Ver- einen, und nur das ordnende und eventuell negative in den Funktionen der Regierung. Das nun erscheint in den beiden speciellen Gebieten der Industrie, zuerst der einzelnen Unternehmungen, dann in dem Ver- hältniß von Capital und Arbeit. I. Die einzelnen Arten der industriellen Unternehmungen bedürfen neben dem allgemeinen Zahlungs- und Unternehmungscredit und den allgemeinen Communikationsverhältnissen, vor allem der speciellen Fach- kenntniß und des speciellen Capitals. Nachdem der Gedanke aufgegeben ist, dieses durch den Staat zu geben, gilt für unsere Zeit der Grund- satz, daß die Bildung von Aktiengesellschaften das einzige Mittel ist, solche Unternehmungen ins Leben zu rufen und ihnen durch die Aktie den Charakter und das Recht öffentlicher Unternehmungen zu geben. Die Freiheit in der Bildung von Aktiengesellschaften ist daher die einzige Regierungsmaßregel, durch welche eine positive Förderung der Judustrie erzielt werden kann. — Daneben steht dann die indu- strielle Polizei , welche namentlich in der Maschinenpolizei gegen die elementaren Gefahren der Verwendung der Naturkraft für die Arbeit sorgt, und die, im Principe der allgemeinen Gewerbeord- nung gehörend, in ihrer Ausführung ein technisches System von Vorsichtsmaßregeln über die Sicherheit der Maschinen enthält. Zunächst gewinnen die Aktiengesellschaften für einzelne Unternehmungen durch den obigen Standpunkt ein ganz anderes Licht; es ist sehr wahrscheinlich, daß der öffentliche Charakter von solchen Unternehmungen, den sie durch das Wesen der Aktie annehmen, als der Beginn einer ganz neuen Gestaltung dieses Gebietes zu erkennen ist, deren Tragweite noch kein menschlicher Blick zu ermessen vermag. Die industrielle Polizei wird aber dadurch nie un- nöthig. Vorschriften über Maschinenp olizei wesentlich von Frankreich ausgehend ausgebildet, seit der ersten Ordonnanz vom 29. Okt. 1823 an, daß Grundlage streng technischer Instruktion (Hauptgesetz vom 22. Mai 1843; vergl. Fournel bei Block , Dict. v. Mach. à vapeur ). — Deutschland : Princip der Genehmigung jeder Dampfkesselverwendung; Forderung der technischen Bildung für die Maschinenführer, und systematische Kesselprobe. Preußen: Rönne II. 402. — Oesterreich : Regulativ vom 11. Febr. 1854 ( Stuben- rauch I. §. 221). — Bayern : Verordnung vom 9. Sept. 1852 ( Pözl , Verwaltungsrecht II. §. 113; vergl. Stein , Sicherheitspolizei S. 169 f.). II. Die Arbeiterordnung . Während die oben berührte Frage die Verhältnisse des in der Industrie thätigen Capitals betreffen, ent- steht nun das zweite Gebiet dadurch, daß vermöge der Industrie sich die Arbeit selbständig vom Capital trennt , und daß dadurch inner- halb derselben ihre beiden großen Faktoren als zwei selbständige Körper, und zwar mit entgegengesetztem Interesse scheiden. Die Form, in der dieß geschieht, und die Verhältnisse, die dadurch entstehen, be- zeichnen wir als die Arbeiterfrage . Die Arbeiterfrage kann nun nur dann richtig gelöst werden, wenn man ihren doppelten Inhalt scheidet. Sie ist zuerst ein rein wirth- schaftliches Interessenverhältniß; sie ist aber zweitens auch eine gesellschaftliche Erscheinung. Es ist klar, daß nur der erste Ge- sichtspunkt hierher gehört. Für diesen nun hat die Verwaltung davon auszugehen, daß es sich dabei um einen Gegensatz der Interessen handelt, dessen Inhalt von Seiten der Unternehmung der möglichst geringe Lohn bei möglichst großer Arbeitszeit, von Seiten der Arbeiter dagegen umgekehrt der möglichst hohe Lohn bei möglichst geringer Arbeitszeit ist. Nun können allerdings durch einzelne, mehr oder weniger begünstigte Anstrengungen hier zeitweilige außerordentliche Erfolge von der einen oder andern Seite gewonnen werden; allein die Wissenschaft des Güterlebens ist weit genug, um mit absoluter Gewißheit behaupten zu können, daß das Verhältniß zwischen Arbeit und Lohn sich durch keine menschliche Willkür und kein Einzelinteresse definitiv feststellt, sondern daß hier am letzten Orte ein unwandelbares Gesetz entscheidet. Der Lohn der Arbeit kann nie größer sein, als der im Preise des Pro- dukts ausgedrückte Werth derselben ; und nie geringer, als die Summe des durch die Art und das Maß der Arbeit gesetz- ten Bedürfnisses . Ist das nun richtig, so folgt, daß es niemals Aufgabe der Ver- waltung sein kann, in die Preisverhältnisse der Arbeiter direkt einzu- greifen, sondern daß sie vielmehr die Regelung der wirthschaftlichen Arbeiterfrage der zwar langsamen aber unwiderstehlichen Wirkung jenes auch für sie unabänderlichen Gesetzes zu überlassen hat . Sie kann und soll ferner eben so wenig die Erscheinungen jener entgegengesetzten Interessen des Capitals und der Arbeit beseitigen oder unterdrücken, als sie es vermag, diese Interessen und ihren Gegensatz selbst zu beseitigen. Ihr erstes Princip muß daher sein, den Kampf jener Interessen sich selber zu überlassen , soweit derselbe nicht zu einer Störung der öffentlichen Ordnung oder des öffentlichen Rechts wird; sie hat nur dafür zu sorgen, daß das obige rein wirthschaftliche Gesetz in seiner Wirkung nicht durch die Vornahmen der Betheiligten äußerlich gestört werde. Die Verwaltung wird daher niemals ernstlich daran denken, die Arbeiterfrage lösen zu wollen ; sie darf nie versuchen, die natürliche Lösung derselben hindern zu wollen; sondern sie soll eben nur die Polizei der Arbeiterfrage sein und aufrecht erhalten. Und in diesem Sinne sagen wir, daß die Aufgabe der Verwaltung die Herstellung der Arbeiterordnung in der In- dustrie sei. Diese Ordnung nun hat zwei Gebiete. Das erste umfaßt das Auftreten der beiden entgegengesetzten Interessen als organisirte Ge- meinschaft durch das Vereinswesen , das zweite die Verhältnisse und das Recht des einzelnen Arbeiters und seines Lohnes. So enge auch beide zusammen hangen, so müssen beide Aufgaben dennoch scharf geschieden werden, um zu einem klaren Resultat zu gelangen. a) Das Vereinswesen in der Arbeiterfrage hat mit den In- teressen, welche es vertritt, zwei Hauptformen: die Verbindung der Unternehmer zur Einigung über den möglichst niedrigen Lohn und die Verbindung der Arbeiter zur Einigung über die Mittel, um den möglichst hohen Lohn zu erzielen. Es ist in Beziehung auf die letztere nun vor allen Dingen wohl zu unterscheiden zwischen den Associationen und Consumvereinen, welche der socialen Selbsthülfe angehören, und den Coalitionen, welche auf Erhöhung des Lohnes abzielen. Hier handelt es sich um die letzteren. Der frühere Standpunkt nun, nach welchem die Verwaltung in solchen Vereinen eine Gefährdung des öffentlichen Interesses und der Gesammtordnung erblickte, und den Gegensatz und Kampf der beiden Interessen durch einfaches Verbot , namentlich der Coalitionen, be- seitigen zu können glaubte, muß gegenwärtig als ein überwundener angesehen werden. Die Verwaltung ist im Gegentheil zu der Erkenntniß gelangt, daß die Vereine, so lange sie sich in den Gränzen des Ver- einsrechts halten, vielmehr dazu dienen, um einerseits die Interessen zum Bewußtsein von dem wirthschaftlich Erreichbaren zu bringen, und ihre Anstrengungen auf diese Weise auf das richtige Maß zurückzu- führen, andererseits die Ausbeutung sowohl der Arbeit durch das Capital, als die des Capitals durch die Arbeit zu hindern. Das Princip der neuen Zeit ist daher die Freiheit des Vereinsrechts , aber neben demselben auch die volle Strenge desselben verbunden mit der Strenge des Versammlungsrechts. Das, was dazu gehört, ist vor allen Dingen nicht so sehr ein hartes Auftreten der Polizei, als viel- mehr ein ausgebildetes Recht und strenges Rechtsbewußtsein von beiden Seiten. Dazu gehört eine bisher noch fast ganz mangelnde Jurisprudenz des Vereinsrechts, und die regelmäßige Thätigkeit des öffentlichen Gerichtsverfahrens . Dagegen ist es klar, daß die Arbeiterverbindung als solche strafbar wird, und daher der Auf- lösung durch gerichtlichen Beschluß so wie der Sistirung durch die Polizei unterliegt, so wie sie zum Zweck hat, die einzelnen Arbeiter zur Theilnahme , oder auch nur zur Befolgung der Beschlüsse der Verbindung direkt oder indirekt zu nöthigen . Es ist dabei selbst- verständlich, daß die Sicherheitspolizei gegenüber Versammlungen und Coalitionen nach den für sie geltenden Grundsätzen ihrer Berech- tigung und ihrer Haftung in jedem einzelnen Falle einzuschreiten hat. Der Standpunkt, den die verschiedenen Gesetzgebungen in Beziehung auf dieß Gebiet einnehmen, hängt zwar einerseits mit dem Princip derselben wie das Vereinsrecht überhaupt, andererseits aber auch mit der Entwicklung eines concentrirten Arbeiterstandes zusammen. Aus beiden Faktoren hat sich dann das gegenwärtige Rechtsverhältniß gebildet. — England muß bekanntlich die völlige Freiheit des Vereinsrechts für Unternehmer sowohl als für Arbeiter anerkennen; hier ist daher auch der Kampf der beiderseitigen Interessen schon so weit im Vereinswesen organisirt, daß gerade diese Vereine jede Störung des wirthschaftlichen Lebens durch Gewalt unmöglich gemacht haben. S. über Arbeits- und Lehrlings- ( apprentices ) Wesen Englands Gneist , Engl. Ver- waltungsrecht II. 308 ff. und oben (Gewerbegerichte). — Frankreich hat seinen Standpunkt des Code Pénal Art. 414—420 noch immer strenge beibe- halten; jede Verbindung von mehr als zwanzig Personen bleibt ohne Geneh- migung verboten, wenn auch das Gesetz von 1865 in Beziehung auf die Ver- sammlungen einige Freiheit gewährt hat (vergl. Stein , Vereinswesen S. 54. 55). Dabei eine ziemlich abstrakt gehaltene Literatur, welche fast allenthalben das Recht der Association mit dem der Coalition vermengt (vergl. Journ. d’Écon. Bd. XLII. und XLVII. S. 81. Batbie bei Block , Dict. d. Pol. v. Salaires. Ueber die alten Gesellenverbindungen ( Compagnonnage ) Em. Laurent , Assoc. de prévoyance L. II. Ch. 3. — In Deutschland waren die Coali- tionen bis zur neuesten Zeit polizeilich verboten. — Oesterreich : bisheriger Standpunkt: Verbot der Verabredung sowohl von Seiten der Gewerbsleute als der Arbeiter (Strafgesetzbuch §. 479, 480 mit Strafe). Neuer Standpunkt: Gesetz vom 4. Mai 1869, Errichtung von Gewerbegerichten und Entwurf für 1870 mit Bestimmungen über Lehr- und Dienstverhältniß, Verhältniß zwischen Unternehmern und Gehülfen, wesentlich aber die Errichtung von Fabriks- inspektoren , sehr rationell. Der zweite Entwurf: Freiheit des Coalitions - rechts; die Frage, wie sich dieß Recht zu dem freien Vereinsrecht des Gesetzes von 1867 verhält, dahin nach dem neuen Entwurf über Arbeitercoalitionen entschieden, daß solche Verabredungen keine rechtliche Gültigkeit haben sollen. — Preußen : noch immer Strafbarkeit nach der Gewerbeordnung von 1845 §. 181—184. Hier mangelt noch allenthalben die freie Auffassung ( Stein , Vereinsrecht S. 194). b) Neben dem Arbeitervereinsrecht hat die Arbeiterordnung die Aufgabe, die rechtlichen Bedingungen für die Verhältnisse zwischen den einzelnen Arbeitern und der Unternehmung herzustellen. Diese Arbeiterordnung hat drei Hauptgebiete. 1) Die Arbeitsbücher sollen zunächst den rein polizeilichen Zweck haben, die Identität der Arbeiter und den Bestand wie die Dauer des Arbeits- und Lohnvertrages zu constatiren. Die Gesetzgebung hat sich daneben der Hoffnung hingegeben, daß sie zugleich als Arbeits- zeugniß einen heilsamen Einfluß auf die Arbeiter haben werden, und daraus hauptsächlich ist das Recht der Arbeitsbücher entstanden. Die Principien dieses Rechts sind erstlich die Verpflichtung zum Besitz eines solchen Arbeits- oder Dienstbuches und zum Eintragen des über- nommenen oder aufgegebenen Dienstes mit Zeit und Ort; zweitens das Recht der Unternehmer oder Arbeitgeber überhaupt, ein direktes oder indirektes Zeugniß über den Arbeiter auszustellen. Die Praxis hat gezeigt, daß das erstere nur dann zu erzielen ist, wenn die Interessen der Arbeiter und der Arbeitgeber es ihnen selbst wünschenswerth machen, daß aber das zweite fast ganz nutzlos ist. Während daher gesetzlich die Arbeitsbücher fortbestehen, haben sie praktisch fast alle Bedeutung für die Arbeiterfrage verloren, und erscheinen nur noch als Heimathsausweise und persönliche Legitimationsurkunde. Das französische Recht ist die eigentliche Quelle der Jurisprudenz der Arbeitsbücher, während die Sache aus den deutschen Wanderbüchern stammt. Die Aufhebung aller Zünfte und Innungen stellte in Frankreich die Gesellen und Arbeiter gleich , und schon das Decret vom 22. Germ. XI. stellte für alle Arbeiter die gleiche Verpflichtung zur Führung des livret d’ouvrier fest, deren Rechtsverhältnisse durch Gesetz vom 14. Mai 1851 und 22. Juni 1854 neu geordnet wurden; Ausführungsordnung: Decret vom 30. April 1855. — Oesterreich hat das System derselben in der Gewerbeordnung von 1859 auf- genommen und die Arbeitsbücher vorzugsweise vom Standpunkt eines Arbeits- zeugnißbuches durchgeführt (Anhang zur Gewerbeordnung §. 1—8), dem die übrigen Gewerbeordnungen gefolgt sind; praktische Erfolge hat das ganze System für diesen Standpunkt so wenig erzielt, als die Gesindezeugnisse. — K. Sachsen : Arbeitsbücherordnung (Verordnung vom 20. Mai 1864). — Braunschweig : Einführung derselben durch Verordnung vom 11. Nov. 1864. 2) Die Bestimmung der Arbeitszeit durch die Gesetze kann nicht das freie Uebereinkommen über dieselbe aufheben, sondern hat nur den Sinn, die Arbeitsdauer da festzustellen, wo sie nicht ausdrücklich be- dungen ist, und zweitens sie für Frauen und Kinder aus gesund- heitspolizeilichen oder geistigen Rücksichten auf ein bestimmtes Maß zu reduciren. Die Bestimmung der Arbeitszeit im ersten Fall soll daher eben so wenig Gegenstand der Gesetzgebung sein, als die des Arbeits- lohnes; im zweiten Falle ist sie durch höhere Rücksichten als die des Erwerbes geboten und mit Recht durch das Verwaltungsrecht bestimmt. Beginn der Gesetzgebung über die Arbeitszeit in Frankreich mit dem Gesetz vom 22. März 1841. Versuch der Aufstellung von öffentlichen Lohn- tagen schon im Reichsarchiv 1517; Berg , Polizeiordn. I. 352; Rau II. 317. Erste allgemeine Auffassung der Kinderarbeit vom socialen Standpunkt nebst Gesetzgebung: Gerando , Bienf. publ. VI. 540 ff. — England : Haupt- gesetz 7. 8. Vict. 15. nebst vielen einzelnen Bestimmungen. — Oesterreich : Gewerbeordnung von 1859 Art. 87. — Preußen : Gesetz vom 16. Mai 1853 (s. Stein , Gesundheitswesen S. 74—76 und dazu Stein , Polizeirecht S. 170, 171; Rau , Volkswirthschaftspflege II. §. 202). 3) Die Aufstellung eigener Arbeitergerichte für den Fall der Streitigkeit der einzelnen Arbeiter mit den Arbeitgebern beruht darauf, daß zur richtigen Entscheidung in den meisten Fällen eigene Fachkenntniß nothwendig, der gewöhnliche Gerichtsgang dagegen zu kostspielig und schleppend ist. Offenbar nun ist diese Institution da von Bedeutung, wo es sich um Streitigkeiten über den Stücklohn oder Arbeit auf Lieferung handelt, und über die Qualität Streit entsteht, während in allen andern Fällen das summarische gerichtliche Verfahren vorzu- ziehen ist. So lange es ferner noch Arbeitsbücher mit Zeugnissen gibt, kann eine Thätigkeit derselben auch hier gedacht werden. In jedem Falle erscheint ihr moralischer Werth größer als ihr praktischer. Ursprüngliche Idee der französischen Gesetzgebung: Ersatz der alten Rechte des Meisters in der Werkstatt durch das gewählte Conseil des prudhommes: „Tout délit tendant à troubler l’ordre et la discipline de l’atelier peut ètre puni par les prudhommes“ (Gesetz vom 3. August 1810 und Gesetz vom 18. März 1806); dann bloß Rechtss treitigkeiten: Gesetz vom 22. Febr. und 14. Mai 1831; Wahl und Organisation (Gesetz vom 1. Juni 1853). Lite- ratur bei Block , Droit admin. Aufnahme des Gedankens in der österreich . Gewerbeordnung (§. 102); den Genossenschaften ist die „Entscheidung über Streitig- keiten zwischen Gewerbtreibenden und Gesellen und Lehrlingen“ übertragen; doch ohne rechte Anwendung überhaupt, am wenigsten auf die Industrie zu finden. — In Preußen auf Grund der Verfassung Art. 91 allerdings durch Verordnung vom 2. Jan. 1849 eine Anzahl solcher Gerichte eingesetzt; sie haben aber den Erwartungen nicht entsprochen und sind allmählig eingegangen. Rönne II. §. 274; Meißner , Fabrikgerichte. Auffassung der Arbeiterfrage vom rein polizeilichen Standpunkt bei Jacob , Grundsätze der National- ökonomie 3. Aufl. §. 457. Aehnlich bei Lotz , Staatswirthschaftslehre II. §. 95. Ausführlich und umsichtig bei Rau , Volkswirthschaftspflege II. 203. Neues österreich. Gesetz vom 9. Mai 1869. VI. Der Handel und die Verwaltung. Begriff. Von jeher war man sich einig über die hohe Wichtigkeit des Handels; aber auch von jeher uneinig über das, was der Staat für denselben zu thun habe. Um darüber klar zu werden, muß man den Begriff des Handels allerdings in der bestimmtesten Weise feststellen. Während wir nämlich als Verkehr die Gesammtheit aller der- jenigen Bewegungen im Güterleben bezeichnen, durch welche ein Gut von einer Wirthschaft zur andern übergeht, muß der Handel als der- jenige Theil des Verkehrs betrachtet werden, in welchem die Vermitt- lung dieses Ueberganges als ein selbständiges Unternehmen erscheint. Die wirthschaftliche Aufgabe dieses Unternehmens besteht darin, für jedes Gut seinen höchsten Preis zu suchen, indem es aus der Differenz des Kaufs- und Verkaufspreises seinen Gewinn zieht. Allerdings ist somit jede Handelsunternehmung zunächst auf den eigenen Gewinn berechnet. Allein es ist klar, daß die Funktion des Handels von entscheidender Bedeutung für das Gesammtleben der Volkswirth- schaft ist; denn der Preis, den er für jedes Gut sucht und findet, wird natürlich zur Grundlage und Bedingung der Produktion und Consum- tion jedes Produkts; er erscheint daher als der große Lebensproceß, durch den sich die beiden Grundgesetze des ganzen Güterlebens verwirk- lichen, das Gesetz des Werthes und das der Produktivität. Erst durch den Handel kann daher der regelmäßige Fortschritt der Volkswirthschaft erzeugt werden, und erst in ihm seinen Ausdruck und sein äußeres Maß finden. Es ist daher leicht begreiflich, daß man nicht bloß stets für den Handel zu sorgen gesucht hat, sondern auch daß sich Jahr- hunderte hindurch das ganze volkswirthschaftliche Bewußtsein in der Hochachtung desselben und dem Streben nach seiner Entwicklung con- centrirt hat. Und zu allen Zeiten wird die Frage von entscheidender Bedeutung sein, was denn von Seiten der Gesammtheit und ihres Staates für diesen Handel, der beiden so wichtig ist, geschehen könne und solle. Auch diese Frage hat natürlich ihre Geschichte. Allein die Ge- schichte bringt zuletzt doch nur das Wesen der Dinge zur Geltung. Der Handel ist nämlich unter allen Gebieten der Volkswirthschaft dasjenige, welches am meisten auf der individuellen Tüchtigkeit und Fähigkeit beruht, die Werth- und Preisdifferenzen der Güter an ver- schiedenen Orten zu berechnen. Der Handel beruht daher vor allem auf persönlichem Capital, auf persönlicher Thätigkeit und Bildung. Dasjenige, dessen diese Elemente bedürfen, ist vor allem die Möglichkeit ihrer vollen freien Bethätigung im wirthschaftlichen Leben eines Volkes. Die wahren und letzten Bedingungen der Entwicklung des Handels sind daher nicht einzelne, noch so großartige Maßregeln der Verwal- tung, sondern Bildung und Freiheit . Mit ihnen entsteht er, und mit ihnen geht er unter. Sein wahres Lebensgebiet liegt daher in den Elementen der Verwaltung überhaupt, speciell in denen der all- gemeinen Volkswirthschaftspflege. Nur auf einzelnen, ganz bestimmten Punkten fordert er besondere Ordnungen und Anstalten, die ihm eigen- thümlich gehören. Und von diesem Princip aus wird sowohl die Ge- schichte des Handels als das System des öffentlichen Rechts desselben auf jedem Punkte beherrscht. Der Begriff des Handels ist in der Wissenschaft eben so unbestimmt, wie die Vorstellung von demselben bestimmt zu sein scheint. Aufgabe, den Handel zuerst von dem allgemeinen Begriff des Verkehrs zu scheiden, dann Handel und Industrie streng getrennt zu behandeln. Das erste ist die absolute Be- dingung für die richtige Auffassung des Verkehrs- und Vertragsrechts, welches rein bürgerliches Recht ist, und des eigentlichen Handelsrechts, welches das durch das Wesen des Handels im Sinne des Gesammtinteresses modificirte Vertragsrecht enthält. Das zweite ist die Bedingung für eine selbständige Be- handlung des Handels in der Verwaltungslehre. Es ist der Hauptmangel der Handelsgesetzbücher seit dem Code de Com., Handel und Verkehr nicht ge- schieden zu haben; es gibt kaum eine unvollkommenere Definition des Handels als die des „Handelsgeschäfts“ im Handelsgesetzbuch. Das „Handelsgeschäft“ ist das Geschäft (der einzelne Verkehrsakt) nicht eines Wiederverkäufers, sondern einer Firma ; ohne diesen Begriff ist hier nicht weiter zu kommen. Es ist un- glücklich, wenn andere den allgemeinen Begriff des „Gewerbes“ an die Spitze stellen; namentlich wenn man nicht klar festhält, daß der Handel keine Güter, sondern Werth producirt. Uebrigens gibt es wohl kaum einen Begriff in der ganzen Nationalökonomie, der so verschieden behandelt wurde, wie der des Handels; man vergl. z. B. die Volkswirthschaftslehren von Lotz und Kraus an bis auf Glaser, Dietzel, Schulze, Maurus, Dühring und neben Roscher Stein . Hier ist offenbar völlige Unsicherheit in der Hauptsache. Rau hat den Handel in der Volkswirthschaftspflege ausführlich behandelt, Mohl in der Polizeiwissenschaft gar nicht. Elemente der Geschichte . Der Verkehr unter den Menschen ist natürlich so alt wie die Welt. Der Handel aber beginnt innerhalb des Verkehrs da, wo die Völker sich nähern; er gewinnt seine äußere Selbständigkeit zunächst an der See, und erscheint als die Organisation des Völkerverkehrs; allein das öffent- liche Handelswesen, in welchem derselbe Gegenstand selbständiger Thätig- keit der Verwaltung wird, entsteht doch erst mit dem Auftreten des Welthandels durch die Entdeckung Amerikas, und erscheint thatsächlich in dem Streben jedes Staats, an diesem Handel Theil zu nehmen, theoretisch in dem Grundsatz des Merkantilsystems, daß der Handel die Quelle des Reichthums sei oder doch sein solle. Von da an beginnt eine Reihe von Erscheinungen, die wir in zwei große Epochen theilen. Die erste dieser Epochen nennen wir die der Handelspolitik , die zweite die der Handelsfreiheit . Jede von ihnen enthält dasjenige System von Grundsätzen und Maßregeln, dessen Verwirklichung der Staat als Aufgabe seiner Verwaltung gegenüber dem selbständigen Handelswesen anerkennt. I. Die Handelspolitik beruht auf dem Princip, daß der Staat auch für den Handel unmittelbar thätig sein solle, und auf der Ansicht, daß er die Basis des Reichthums der Staaten sei. Es ist die polizei- liche Epoche des Handelswesens. Sie will den Handel durch den Staat organisiren und produktiv machen. Sie findet nun die ständische Organisation des Gewerbes überhaupt auch auf den Handel ausgedehnt in den Handelsinnungen und Kaufläden der Städte des Mittelalters vor, zum Theil mit großen Capitalien, zum Theil mit großen Privi- legien versehen, mächtig, aber doch nicht gewaltig genug, um den neu entstehenden Welthandel zu bewältigen. Sie lehnt sich daher an dieß Vorbild, und bildet die großen Gesellschaften, welche wir als die Handelscompagnien des siebenzehnten Jahrhunderts bezeichnen, und in denen allen das Capital zu den großen transatlantischen Unter- nehmungen durch große öffentlich rechtliche Privilegien und wirthschaft- liche Monopole herbeigezogen wird. Die nun gehen ihren eigenen Weg. Einmal constituirt, nimmt die Verwaltung wenig Einfluß mehr auf sie, aber dennoch sind sie es, welche der Epoche der Handelspolitik ihren zweiten Inhalt geben. Ihre große welthistorische Funktion ist es aller- dings zunächst, Europa zum Mittelpunkt des Welthandels und damit des einheitlichen Weltlebens zu erheben; eben dadurch aber erzeugen sie die Concurrenz der europäischen Staaten unter einander, und da- mit den Gedanken, daß auch in dieser Concurrenz jede Regierung trachten müsse, den europäischen Handel ihres Landes mit dem anderen so vortheilhaft als möglich zu machen. Damit entsteht die Grundlage der europäischen Handelspolitik neben der transatlantischen der Handelscompagnien, und den Ausdruck derselben bildet die Idee der günstigen oder ungünstigen Handelsbilanz . Sie hat eine hoch- bedeutende Stelle in der Geschichte Europas. Sie ist es zuerst, welche durch den innigen Zusammenhang des Handels mit der gesammten Volkswirthschaft die letztere mit ihren statistischen Thatsachen und ihren organischen Gesetzen zum Gegenstande des Nachdenkens gemacht, und das volkswirthschaftliche Bewußtsein der europäischen Staaten erzeugt hat, das ihnen von da an geblieben ist. Sie ist es aber auch ferner, welche im Gesammtverkehr Europas die beiden großen Maß- regeln ins Leben rief, an die sich die individuelle Gestaltung des volkswirthschaftlichen Lebens angeschlossen hat. Die erste besteht in dem Auftreten der Handelsverträge , die zweite in dem, in ihrem Sinne entwickelten systematischen Zollwesen , das, von dem Schutzzollsystem wesentlich verschieden, in der Prohibition und den Ausfuhrprämien culminirt, und nicht die Industrie, sondern das Geld der Unterthanen schützen will. In dieser Richtung werden große Anstrengungen gemacht; allein noch fehlt das Bewußtsein, daß die wahre Quelle der Entwick- lung des Handels nicht in den Maßregeln der Regierung für den Handel als solchen, sondern in einem höheren Gebiete liege. II. Dieses höhere Gebiet betritt nun die zweite Epoche, die wir als die der Handelsfreiheit bezeichnen. Ihre Grundlage ist die Erkenntniß, daß die erste Voraussetzung der Blüthe des Handels nach der Natur desselben die freie Bewegung der Handelsunternehmungen selbst sein müsse. Sie beginnt mit dem vorigen Jahrhundert. Ihren ersten, noch negativen Ausdruck bildet die physiokratische Schule, ihren zweiten die Lehre von Adam Smith, dessen Hauptverdienst es ist, zu- erst den inneren Zusammenhang der Industrie mit dem Handel und die Folgen des Prohibitiv- und Privilegiensystems für die Entwicklung der Volkswirthschaft zum Bewußtsein gebracht zu haben. Von da an zeichnen sich in dem Verhältniß der Verwaltung zum Handel drei Grund- richtungen ab, die zugleich in historischem Verhältniß zu einander stehen. Die erste ist das Auftreten des schon am Ende des vorigen Jahrhunderts zur Klarheit gelangenden Princips der Handelsfreiheit , welche nicht die Beseitigung der Schutzzölle, sondern die Freiheit der Handelsunter- nehmungen überhaupt, und die grundsätzliche Beseitigung aller Monopole, Privilegien und örtlichen Gerechtsame bedeutet, welche die Bewegung des Handels hemmen. Die zweite ist die neue Tendenz der Handels- verträge , welche seit dem neunzehnten Jahrhundert nicht mehr dar- auf berechnet sind, besondere Vortheile für einzelne Nationen zu erzielen, sondern vielmehr die Gleichheit aller Unternehmungen im Handelsverkehr zu verwirklichen. Die dritte endlich ist der Kampf zwischen Schutzzoll und Freihandel , aus welchem das rationelle Zollsystem und die Erkenntniß der Gesetze hervorgeht, nach denen das industrielle Capital sich entwickelt. Alle diese Richtungen zusammen- wirkend mit der steigenden volkswirthschaftlichen Bildung zugleich machen es nun mit jedem Jahre klarer, daß die wahre Voraussetzung für die Hebung des Handels nicht mehr in den Maßregeln der „Handelspolitik“, sondern in der möglichsten Entwicklung der Aufgaben der allgemeinen Volkswirthschaftspflege, namentlich des Credit- und Verkehrswesens liege; daß der Handel unter allen Zweigen der Volkswirthschaft der- jenige sei, der sich selber am besten helfen kann und soll, und daß die direkte Einwirkung der Regierung sich wesentlich auf Einen Punkt zu beschränken habe, nämlich auf die Herstellung einer festen Rechts- ordnung für die Handelsverhältnisse und Geschäfte. Das dauernde Resultat der wechselnden Bestrebungen ist daher die, nach Muster des französischen Code de Commerce sich über ganz Europa ausbreitenden Bildung des Handelsrechts durch die Erlassung des Handels- gesetzbuches und die sich daran knüpfende Jurisprudenz. Bisher nun sind diese Handelsgesetzbücher allerdings wesentlich juristisch aufgefaßt worden; es wird die Aufgabe der nächsten Epoche sein, sie selbst durch die Natur des Handels und des Geschäfts zu verstehen, und so aus dem Handelsrecht in die Handelswissenschaft zurückzukehren. Die Geschichtschreibung des Handels hat sich bisher viel zu wenig mit dem Handelsrecht, und die Jurisprudenz des Handelsrechts zu wenig mit der wirth- schaftlichen Natur des Handels abgegeben. Die „Handelswissenschaft“ soll die Entwicklung des Rechts aus dem Wesen des Handels enthalten. Ablösung der selbständigen Geschichte des Handels von der allgemeinen Geschichte vorzüglich seit Heeren (Geschichte der Kreuzzüge und Sartorius , Geschichte der Hansestädte). Das ältere Handelsrecht: Literatur bei Mittermaier , deutsches Privatrecht §. 25. Stapelrechte: Rau , Verwaltungspflege II. §. 269; Lotz , Staatswirth- schaftslehre II. 220. Vertheidiger der Monopole als Hoheitsrecht (Ausfluß der merkantilistischen und eudämonistischen Auffassung nach Hugo Grotius Jus Belli et Pac. II. C. 12. §. 16; Pufendorf , Jus Nat. et Gent. V. C. 5. §. 7; Chr. Wolf , Inst. J. N. G. §. 1112: „si commercio exercendo gens lucrum alterius gentis abrumpit.“ Die Handelscompagnien des siebzehnten Jahr- hunderts: holländisch- ostindische Compagnie beginnt 1595, Auflösung am 16. Okt. 1795; holländisch- westindische Compagnie begründet 1621, auf- gelöst 1795; brittisch -ostindische Compagnie errichtet 1559; definitiv auf- gelöst 21. 22. Vict. 106 (1858); brittisch -afrikanische Gesellschaft 1663—1710; französisch -ostindische Compagnie und französisch -westindische Gesellschaft, beide von 1664 in der Revolution untergegangen; verschiedene andere unbedeu- tende Gesellschaften bei Rau , Volkswirthschaftspflege II. §. 279. Die Doktrin der Handelsbilanz am eingehendsten bei Lotz , Staatswirthschaftslehre II. §. 107—111. Hauptvertreter: Stewart , Grundsätze der Staatswirthschaft II. 224; Aretin , Staatsrecht der constitutionellen Monarchie II. 289. Dagegen schon Büsch , Geldumlauf II. 247; Mac Culloch , Dictionary: Handelsbilanz. Say , Cours complet V. 19. Verbote der Absperrung der Gränze durch die Reichsstände (Reichsabsch. 1555. §. 14; vergl. Berg , Polizeirecht III. S. 493 ff.). Ausfuhrprämien ebend. §. 108; privilegirte Handelsgesellschaften S. 255. Beginn des Kampfes der Handelsfreiheit: schon Verbot der Monopole (Reichspolizei- ordnung 1577). Klare Formulirung des Begriffes und Wesens der Handels- freiheit schon bei Berg , Polizeirecht III. 490: „Handelsleitung ist Handels- unterdrückung“ und „die freyeste Thätigkeit des Handels sicher zu stellen, ist Handelspolizei.“ Das neunzehnte Jahrhundert bringt dann die Entwicklung des Systems der Handelspflege, von der jeder einzelne Theil wieder seine Ge- schichte und sein Recht hat; s. das Folgende. System der Handelsverwaltung . Wenn nun auf diese Weise die Selbstthätigkeit des Einzelnen, die Freiheit der Handelsunternehmung die Grundlage aller Entwicklung des Handels ist, so empfängt dadurch die Aufgabe des Staats gegen- über dem Handel auch im Einzelnen ihren speciellen Charakter. Der Staat hat für dieselbe keine besondere Anstalten herzustellen, welche ihm in seinen einzelnen Zweigen die Bedingungen seiner Entwicklung bieten, sondern er schafft sich diese Anstalten selber , und muß sie auch selber verwalten . Daher der große historische Satz, daß der Handel die Völker frei macht ; es gibt dem Volke in seiner Ver- waltung gleichsam die Freiheit zurück, die er in der Handelsfreiheit von ihnen empfängt. Daher die Thatsache, daß Handelsstaaten einen tief republikanischen Charakter haben, und im Einzelnen das Polizei- regiment hartnäckig abweisen. Von den großen Knotenpunkten des Handels in Europa ist die staatliche Freiheit ausgegangen, in ihnen die Selbstverwaltung erhalten, und durch sie das Vereinswesen erzeugt worden. Und daher schließlich auch die Schwierigkeit für die Theorie, der „Handelspolizei“ oder Handelspflege einen selbständigen systemati- schen Inhalt zu geben, ohne sie mit Gewerbe und Industrie zu ver- schmelzen. Damit nun ergibt sich, daß die Summe dessen, was die Verwal- tung für den Handel im Besondern thun kann, sich in der Herstellung der äußern und der innern Bedingungen dieser Freiheit zu- zusammenfaßt. Die ersteren nun beziehen sich auf den Handel nach Außen, die andern auf diejenigen innern Zustände und Verhältnisse, die sich der Handel für seine eigene Entwicklung selber geschaffen hat. Jene enthalten die Freiheit des internationalen Verkehrs, diese die rechtliche Ordnung der Handelsbewegung im Ganzen und ihrer be- sondern Formen. Beide aber werden vertreten und getragen durch den Organismus des Handels, der seinerseits wieder die Aufgabe hat, die lebendige Verbindung desselben mit den übrigen Gebieten der Volks- wirthschaft für das Ganze aufrecht zu halten, gegenüber dem einzelnen Handelsunternehmen, das stets nun sein eigenes specielles Interesse vertritt, gleichviel ob es eine Einzelfirma oder eine Gesellschaft ist. 1) Eigentliche Handelspflege. A. Organismus des Handels . Der Charakter und die Stel- lung der Organe, welche die Handelspflege enthalten, ist demnach ein doppelter. Sie sind einerseits dazu bestimmt, den innern Zusammen- hang des Handels mit den Voraussetzungen aller Blüthe desselben, der Ordnung und Entwicklung der allgemeinen Volkswirthschaftspflege, und den Forderungen und Fortschritten der Gewerbe und der Industrie, welche ihm seine Substanz liefern, zum Bewußtsein und zur Geltung zu bringen, andererseits die besondern Aufgaben des Handels im Einzelnen zu vertreten. Es ist demnach wesentlich, die Organe gerade hier nach ihren Funktionen mehr als nach ihrer Form zu beurtheilen. Das Handelsministerium hat die Aufgabe, nicht etwa bloß für den Handel zu sorgen, sondern vielmehr die Bedingungen des Handels in der gesammten Volkswirthschaft herzustellen. Indem es das Ministerium der ganzen Volkswirthschaftspflege ist, ist es das höchste Organ für die harmonische Einheit der Interessen der Volks- wirthschaft, insofern dieselben in dem Handel ihren Hauptausdruck finden. Die Selbstverwaltung des Handels ist in den Handels- kammern gegeben, die aus demselben Grunde nicht bloß vom Handel, sondern zugleich von Industrie und Gewerbe gebildet werden. Das Vereinswesen entwickelt gerade im Handel seine drei Grundformen; die Gesellschaften im engern Sinne, die stille, offene und die Commandite, sind vor allem eben Handelsg esellschaften; sie sind daher auch im Gebiete des Handels viel häufiger, als die Unter- nehmungsvereine für denselben, die meist der Industrie angehören; in den Interessenvereinen dagegen verschmilzt sich wieder das Handelsinteresse so eng mit dem der Industrie, daß die äußere Schei- dung nicht mehr aufrecht zu halten ist. Alle diese Organe nun wirken gleichzeitig. Je weiter aber die Selbstverwaltung und das Vereinswesen gedeihen, um so bestimmter empfängt das Handelsministerium seinen Charakter als dasjenige Organ, welches anstatt positiv einzugreifen, vielmehr die streitenden Interessen zu versöhnen und die Einheit in der Bewegung des Handels herzu- stellen hat. Handelsministerium in England als Board of Trade bloß auf den Handel beschränkt ( Gneist , Englische Verfassungskunde, §. 104—107). — In Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 24 Frankreich zuerst die verschiedenen Funktionen geschieden als Min. de l’agri- culture, du commerce et des travaux publ. — In Preußen das Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten; in Oesterreich das Ministerium für Handel und Volkswirthschaft und das Ministerium für Ackerbau. — Ueber Handelskammern s. Stein , Selbstverwaltung S. 117. (Freie Interessen- vereine in England als associations, in Frankreich als Conseils, in Deutsch- land organisirte Vertretungen mit eigener Wahl.) Ueber die Gesellschaften und Vereine s. Stein , Vereinswesen. B. Handelsverträge . Das erste Gebiet der Handelspflege ist nun die Aufgabe, den Handelsunternehmungen im Verkehr mit andern Staaten diejenigen Bedingungen ihrer freien Bewegung zu verschaffen, die sie als einzelne nicht erreichen können. Das nun ge- schieht durch Handelsverträge und Zollwesen. Die Handelsverträge haben die Aufgabe, die eigenen Handels- unternehmungen im Verkehr mit andern Staaten in Beziehung auf Niederlassung, Betrieb und Verkehr der Unternehmungen mit den Angehörigen der letzteren gleichzustellen . Der Inhalt der ein- zelnen Handelsverträge richtet sich natürlich je nach den besondern Ver- hältnissen und Bedürfnissen des betreffenden Landes; die Geschichte der Handelsverträge aber ist die Erhebung des Grundsatzes der Gemeinschaft und Gleichheit des wirthschaftlichen Lebens Europas zum formalen internationalen Recht. Sie entstehen daher als Theile und Zusätze zu den Friedensverträgen; erst mit der Mitte des achtzehnten Jahr- hunderts, wo der Staatenbildungsproceß im Wesentlichen zu Ende ist, lösen sie sich ab von denselben, und beginnen von da an ein selbstän- diges Gebiet des internationalen Rechtssystems zu bilden; im neun- zehnten Jahrhundert aber empfangen sie einen andern Charakter. Mit der steigenden volkswirthschaftlichen Bildung wird nämlich die Erkenntniß allgemein, daß die freie Bewegung der fremden Unternehmungen den Fortschritt der einheimischen bedingt. Aus dieser Erkenntniß geht die Gegenseitigkeit im internationalen Recht der Unternehmungen her- vor, deren Ausdruck die Formel ist, nach der die einzelnen Völker sich gegenseitig mit „dem Recht der meist begünstigten Nationen“ zulassen. Dieß allgemeine Princip der Handelsverträge erhält nun seine Ent- wicklung, indem die Hauptverhältnisse des Verkehrs selbständige Handelsverträge erzeugen, und sich so allmählig ein System derselben ausbildet. Die Hauptgebiete desselben sind die Niederlassungs - verträge, an welche sich die Verträge über gegenseitige Zulassung von Aktiengesellschaften anschließen; die Verträge über die Com- munikationsmittel , namentlich über Schifffahrt und in der neue- sten Zeit über Eisenbahnen; die Verträge über die Verkehrsanstalten der Post und die Verträge über das Münzwesen ; das letzte Gebiet dieser Verträge dagegen, das man als den Höhepunkt des internatio- nalen Vertragswesens betrachten kann, die Verträge über die gegen- seitige Vollziehbarkeit der gegenseitigen rechtskräftigen Urtheile ist noch sehr unentwickelt; dennoch ist es bei der immer steigenden Ver- schmelzung von Interessen und Geschäften als ein nothwendiger Schritt anzusehen. Die Handelsverträge sind bis jetzt nur für die einzelnen Staaten Europas bearbeitet, und auch hier nur in dem Werke von Cussy vollständig für Frank- reich; schon im vorigen Jahrhundert gute Reflexionen bei Mably , droit publ. de l’Eur. Bd. II. bis 1740. Die einzelnen Verträge bei Martens; spe- ciell für Frankreich die Verträge dieses Jahrhunderts aufgezählt bei Block , Dict. v. traités; für Oesterreich: Neumann , Récueil des tr. de l’Autriche; Preußen: Rohrscheidt , Preußens Staatsverträge 1852 (vergl. Rau VI. §. 303; Rönne II. 530). Allgemeine Betrachtungen vom Standpunkte der Handelsfreiheit bei Ad. Smith II. 308; List , Nat. System s. unten. C. Das Zollwesen . Um die hervorragende Bedeutung des Zollwesens in der Volkswirthschaftspflege zu erkennen, kann es nicht genügen, seine formale Definition aufzustellen oder ihren Inhalt dar- zulegen. Man muß vielmehr dasselbe in seiner allmähligen und orga- nischen Entwicklung verfolgen. Der Zoll ist formell die Abgabe, welche der Staat bei dem Ein- gang, Ausgang oder Durchgang gewisser Waaren über gewisse Linien erhebt. Ein solcher Zoll ist ein Steuerzoll , wenn der Zweck desselben eine bloße Besteuerung der betreffenden Waaren ist; der Zoll selbst ist darum die Steue rhebungsf orm. Wenn derselbe dagegen einen wirth- schaftlichen Zweck hat, so wird er ein Verwaltungs - oder Schutz- zoll . Die äußere Gränze zwischen beiden ist eben so schwer zu ziehen, als die principielle leicht zu bestimmen ist; denn es können in einem und demselben Zollsatze beide Arten vereinigt sein. In diesem Falle ist derjenige Theil des betreffenden Zollsatzes Schutzzoll, der nicht mehr durch die Besteuerung motivirt ist. Der Steuerzoll gehört nun der Finanzwissenschaft; die (Verwaltungs- oder) Schutzzollfrage dagegen gehört der Volkswirthschaftspflege. Seine Aufgabe ist formell die Ver- theuerung der Waare um den Betrag des Zolles, und damit ein wesentlicher Einfluß auf die Mitwerbung derselben mit den einheimi- schen Waaren. Das Zollwesen ist die Gesammtheit von Bestimmungen und Maßregeln, durch welche diese Erhöhung des Preises der verzollten Waaren erzielt wird. An diese Fähigkeit desselben schließt sich seine historische Entwicklung, die in den zwei großen Epochen des Prohi- bitiv - und des Schutzzolls ystems zerfällt, und die bei gleicher äußerer Form einen wesentlich verschiedenen Charakter haben. a ) Das Prohibitivsystem war der Ausdruck des Gedankens, den Abfluß des Geldes durch Zahlungen für eingeführte Waaren an das Ausland zu hindern. Das Prohibitivsystem war daher ganz gleich- gültig gegen die Einnahmen; es belastet nicht bloß den Preis der Waare bis zur Unverkäuflichkeit, sondern verbietet sie vielmehr allent- halben, wo es sich um die einfache Consumtion fremder Produkte handelt, während es die zur weitern Produktion bestimmten Produkte frei zuläßt. Es hat daher noch keinen klaren Begriff von dem inneren Zusammenhang aller Arten der Produktion; es ist fast ausschließlich ein System der Pflege von Gewerbe und Industrie. Es kann nur so lange bestehen, als die Produktionen der einzelnen Staaten wesentlich verschieden, und namentlich einige Staaten hinter den andern weit zurück sind. Es will der entstehenden einheimischen Industrie ihren einheimischen Markt schaffen. Es hat noch keine Vorstellung von Capital und Unternehmung, sondern nur noch von Geld und Arbeitslohn. b ) Das Schutzzollsystem dagegen entsteht, wo durch Industrie und Handel die Capitalien und Unternehmungen entstanden, aber noch nicht gleichmäßig entwickelt sind. Die Ungleichheit der Capitalien der Amortisation, der Erfahrung und des Credits macht nun auch bei größter Anstrengung eine Concurrenz der einheimischen Unternehmung mit der auswärtigen nicht thunlich; es fehlen der jüngeren Industrie die Bedingungen für den niederen Marktpreis der älteren; ohne diese Bedingungen kann sie nicht bestehen; sie kann sich dieselben nicht ver- schaffen; es erscheint daher als Aufgabe der Verwaltung, ihr den Er- folg für diese Bedingungen zu bieten; das thut sie durch administrative Erhöhung des Marktpreises der fremden Waare vermittelst des Zolles. Ein solcher Zoll heißt der Schutzzoll , und das System, vermöge dessen er zur Anwendung gelangt ist, das Schutzzollsystem . Das Schutzzollsystem betrifft daher zunächst den Handel, aber es schützt in Wirklichkeit die Industrie als die Gesammtheit der für die Produktion thätigen Capitalien. Es ist an sich gleichgültig gegen Geld und Arbeitslohn, und scheidet sich strenge vom Steuerzoll. Allein es tritt sofort in direkten Gegensatz zum Interesse des Handels , der natürlich vermöge der Vertheuerung der fremden Waare in seinen Ge- schäften beschränkt wird. Durch den lebhaften Gegensatz dieser Interessen des Handels mit dem der Industrie entsteht nun ein Kampf, dessen nächster und wichtigster allgemeiner Erfolg die Erwirkung des öffent- lichen Bewußtseins von dem inneren Zusammenhange aller Zweige der Industrie unter einander ist; dann aber die Nothwendigkeit, den Schutzzoll, der immer eine Belastung des einen Capitals zu Gunsten des andern ist, aus einer einfachen Verwaltungsmaßregel zu einem System zu erheben. Erst vermöge eines solchen Systemes kann der- selbe seiner Idee entsprechen. Die Elemente dieses Systems sind das Princip, die Ordnung und die Verwaltung des Schutzzolles. 1) Das Zollprincip ist nichts als die Anwendung des allge- meinen Princips der Verwaltung auf das Zollwesen. Der Schutzzoll soll nur die Bedingungen für die einheimischen Capitalien geben, die sich dieselben nicht selbst verschaffen können. Das Verhältniß tritt nun überhaupt nur da ein, wo die eigene Industrie mit fremden Capitalien kämpft, welche bereits durch Amortisation billigere Preise stellen, also mit geringerer Verzinsung des Capitals arbeiten können, als junge Unternehmungen, ohne doch zu verlieren. Die Bedingung der Entwicklung der letzteren ist daher ein Preis, der ihnen die Amor- tisation noch möglich macht. Ist nun durch den Schutzzoll ein solcher Preis da, so ist es Aufgabe der Unternehmung, die Amortisation wirklich vorzunehmen. Und tritt nun diese ein, so ist es klar, daß damit der Schutzzoll selbst unnöthig wird. Das höchste Princip des Schutzzolles ist daher das, sich selber überflüssig zu machen . So lange man unter „Freihandel“ nicht „Zolllosigkeit“ ver- steht, ist das die einfache Lösung des Streites zwischen beiden Principien. Das richtige Zollprincip kann daher weder die Ausfuhr- noch die Durchgangszölle anerkennen. Der Schutzzoll hat ferner weder gleiche noch dauernde Zollsätze. Im Gegentheil wird der Zollsatz je nach den besondern Verhältnissen jedes Industriezweiges zu bemessen sein, und somit jeder rationelle Schutzzoll zu einem systematischen , auf möglichst genauer Statistik beruhenden Zolltarif führen. Die Auf- stellung eines solchen Zolltarifes muß ferner festhalten, daß jeder Zoll- satz nur für eine bestimmte Dauer gegeben werden soll. Grund- sätzlich sollte jeder Schutzzollsatz von vorn herein drei Epochen gesetzlich aufstellen. In der ersten soll er volle Geltung haben; in der zwei- ten soll er (bis zur Hälfte) vermindert werden; in der dritten soll er aufhören. Der Tarifsatz für die Zolleinheit soll ferner je nach der Höhe des Capitals, das zu seiner Produktion nothwendig ist, höher sein. Gegenstände, die zu ihrer Produktion kein selbständiges Capital erfor- dern, also der Industrie nicht angehören, sollen keinen Schutzzoll zulassen, daher sollen die Rohprodukte und die Gewerbsprodukte zoll- los sein. Der Gedanke, durch den Zoll die Verschiedenheit der Be- steuerung des Landes auszugleichen, ist an sich richtig, aber unpraktisch. Die äußerste Gränze des Zollsatzes aber ist unter allen Verhältnissen die Höhe der Schmuggelprämie; und schließlich darf nie vergessen werden, daß die Zollbehandlung bei den meisten Waaren wichtiger ist als der Zollsatz. Der Streit zwischen Schutzzoll und Freihandel beruht einerseits auf der Vermengung der Handelsfreiheit mit dem Freihandel, andererseits auf der Un- klarheit über das Wesen der Zolllosigkeit. Endlich haben sich bedeutsame poli- tische Motive hineingemischt, so daß eine objektive Behandlung sehr schwierig ist. Die fast endlose Literatur bei Rau , Volkswirthschaftspflege II. §. 205 ff. für und gegen die Handelsfreiheit; meist in allgemeinen Sätzen sich bewegend. Fr. List hat das unsterbliche Verdienst, den organischen Begriff des Schutz- zollsystems in seinem nationalen System der polit. Oekon. 1841 zuerst begründet zu haben, dem in der That die Zollgesetzgebungen des Continents entsprechen. Vergl. Stein , Volkswirthschaftslehre S. 350 ff. „Die Aufhebung des Schutz- zolles wird trotz aller Theorie stets nur als die praktische Folge der Gleichheit der Capitalverhältnisse zur Geltung gelangen.“ 2) Die Zollbegünstigungen entstehen da, wo einzelne theils örtliche, theils im Wesen des Handels liegende Verhältnisse besondere Ausnahmen von der allgemeinen Zollordnung als Bedingung der Handelsentwicklung erscheinen lassen. Diese sind Freihäfen , die man so lange für nothwendig hielt, als das System der Lagerhäuser nicht zur vollen Geltung und Ausdehnung gelangt war. Lagerhäuser (Waarenhäuser, Zolldepots, docks, entrepôts ) sind Anstalten, in denen die Einfuhren unverzollt niedergelegt werden, so daß der Zoll erst bezahlt wird, wenn der Handel die Waare für den inländischen Consum aus denselben bezieht. Sie sind eine vollkommen logische Consequenz des Schutzzollsystems, da sie den Zwischenhandel zollfrei machen, ohne den Eigenhandel vom Zoll zu befreien. Principiell sollten sie bei jeder Zollstelle sein; praktisch sind sie nur bei den größten. Sie fordern eine selbständige, aber möglichst einfache, freie und kosten- lose Verwaltung. Zollcredite , Creditirung des Zollbetrages mit regelmäßiger Liquidirung, als große Erleichterung für bedeutende Importgeschäfte. Rückzölle bei Wiederausfuhr von Waaren sind consequente Fol- gerungen aus dem Zollprincip, aber nie ohne bedeutende Uebelstände und Gefahren; daher nur als specielle und genau erwogene Ausnahmen zuzulassen. Steuervergütungen als Erstattung der Produktionsbesteue- rung bei der Ausfuhr sind an sich falsch, und nur unter besonderen Umständen und bei durchaus einzelnen Artikeln anzuwenden. Das System der Freihäfen bedeutet stets ein unentwickeltes Zollsystem, und sie verschwinden daher fast gänzlich. Rau II. §. 308. Das System der Waarenhäuser dagegen bildet sich mehr und mehr aus, und wird mit der Zeit die Basis des Großhandels gegenüber dem Kleinhandel werden. In England schon im vorigen Jahrhundert angedeutet, seit 1803 organisirt; Friedländer , das brittische Zollsystem, Packhofsordnung 6. Georg. VI. 112. (1825), seit dem Zollsystem von 1862 nur noch Packhäuser. — Frankreich hat das Entrepotsystem schon seit Colbert (1664 und 1668) eingeführt (elf Städte); erste Organisirung durch Gesetz vom 8. Flor. XI., welche dieselben jedoch nur in einzelnen Städten zuließ; dann allmählige Ausdehnung; das Gesetz vom 9. und 27. Febr. 1832 ließ die Errichtung auch in den inneren Städten zu; Unter- scheidung des entrepôt réel und fictif , welche letztere eigentlich nur ein Zoll- credit ist; Zulassung im Zollverein durch Zollvereinsordnung von 1837. §. 59. 72—75; s. auch Rönne , Staatsrecht II. §. 256. Organisirung des Systems der Waarenhäuser und Freilager in Oesterreich durch Gesetz vom 20. Sept. 1865 und Verordnung vom 19. Juni 1866. Rückzölle in Frankreich orga- nisirt durch Ordnung vom 23. Juli 1818. Verhältnisse in Deutschland: Leuchs , Gewerbe- und Handelsfreiheit S. 207. Beschränkung im Zollverein auf Tabak und Rohzucker; vergl. Rau II. §. 307. Steuervergütung speciell für Zucker und Spiritus. 3) Die Zollverwaltung hat die Zollordnung nach dem Tarif auszuführen. Sie gehört naturgemäß der Finanzverwaltung. Princip muß billige und rasche Beförderung sein; Zol lstrafgesetze mit Confis- kation; Formalitäten sind Gegenstand eigener Anordnungen. Schwierig- keiten entstehen nur, wo die Zolleinheit auf dem Werthe beruht, oder wo die Qualitäten zu sehr verschiedenen Ansätzen im Tarif Anlaß geben. Daher Vermeidung der Werthzölle und möglichste Einfachheit der Tarifsätze. Aus dem Obigen ergeben sich für die Beurtheilung des Zollwesens der einzelnen Länder Europas überhaupt drei Gesichtspunkte. Zuerst hat jeder einzelne Tarifsatz seine Begründung und oft auch seine Geschichte, die nicht ohne Bedeutung ist. Zweitens hat die Zollgesetzgebung jedes ein- zelnen Landes einen ganz bestimmten Gesammtcharakter, der mit der ganzen Capitalsentwicklung desselben auf das Engste zusammenhängt, und dessen Princip ist, daß je nachdem die Unternehmungen alt und die Capitalien billig sind, die Schutzzölle verschwinden. Der Charakter Englands ist daher die volle Zollfreiheit; die sieben einzigen Tarifsätze, welche England noch hat, sind in der That ausschließlich Steuerzölle, und zwar speciell Verzehrungssteuerzölle. Die französische Zollgesetzgebung trägt noch immer den Charakter der Colbert- schen Epoche an sich; sie hat ihr System von Tarifsätzen zu einer Freiheit der Bestimmungen und Unterscheidungen ausgearbeitet, die nur theoretisch zu be- gründen ist, die aber praktisch eher nachtheilig. Daneben sind die Vorschriften über die Zollverwaltung zwar streng bureaukratisch, aber sehr genau ausgeführt; von großem Werth ist dabei die Durchführung des Beschwerdeverfahrens auf Grundlage des Contentieux. Der Zollvereinstarif ist im Wesentlichen nach dem französischen Vorbilde; aus dem sogleich anzuführenden Grunde entbehrt er in Princip und Ausführung der rechten Selbständigkeit, was gleichfalls von dem österreichischen gilt. Es ist nämlich drittens unzweifelhaft, daß seit 1848 ganz Europa demselben Zuge folgt, der für Deutschland seit 1824 für das ganze Zollwesen thätig gewesen ist. Das Zollsystem ist ein Mittel in der Hand der Politik geworden. An dem Zolle ist zuerst Deutschlands Einheit groß geworden; die Geschichte des Zollvereins ist ein Theil der Geschichte Deutsch- lands, und die Tarifsätze sind in den meisten Fällen Compromisse zwischen den Interessen der Theile des Ganzen, so daß der reine Charakter der Zölle dabei verloren geht. Seit 1848 ist dagegen diese Verwendung des Zollwesens allgemein geworden. Seinen Hauptausdruck fand jenes Princip zuerst in dem Februarvertrag von 1853 für das Verhältniß zwischen Oesterreich und Preußen, dann aber in dem französischen Handelsvertrag mit England vom 23. Jan. 1860 und im französisch-deutschen Zollvertrag vom 2. Aug. 1862; die Verträge zwischen Frankreich und Belgien von 1854 gehören gleichfalls in diese Kategorie. Es dürfte jedoch kaum zweifelhaft sein, daß diese Epoche als eine im Wesent- lichen überwundene zu gelten hat. Das Zollwesen Europas wird in nächster Zeit wieder die Selbständigkeit der einzelnen Länder zum Grunde legen . Die Literatur ist meist Parteiliteratur, die streng wissenschaftliche Be- handlung beschränkt sich auf den Streit über das Princip, das Eingehen auf systematische Behandlung fehlt. Die Nationalökonomie überläßt die Frage der Volkswirthschaftspflege, und diese selbst ist noch unfertig. Vergl. Rau , Volks- wirthschaftspflege II. §. 207 und 305 ff. Die bedeutendste Arbeit bleibt der Bericht der volkswirthschaftlichen Commission der württembergischen Kammer über den preußisch-französischen Handelsvertrag (Moritz Mohl). J. G. Cotta’sche Buchhandlung 1864. 2) Das Handelsrecht. Begriff, Princip und Inhalt . Während nun in Handelsverträgen und Zollwesen der Handel als internationaler Verkehr erscheint, ist das, was wir unter der Handels- ordnung verstehen, der Inhalt desjenigen, was die Verwaltung für den inneren Handel zu leisten hat. So wie nämlich der Handel sich in der Volkswirthschaft zu selb- ständigem Leben entwickelt, erzeugt er zwei Dinge, die speciell ihn und sein Wesen enthalten und vertreten. Das erste ist eine neue Gestalt und ein neues Gebiet des Verkehrs und seines Rechts, ein dem Handel als solchem angehöriges Vertragsrecht , das wir im engeren Sinne des Wortes das Handelsrecht nennen. Das zweite sind specielle, selbständige Anstalten und Formen des Handels, die gleichfalls ihre eigene Ordnung fordern. Allerdings nun erzeugt sich das im Handel rastlos thätige und auf jedem Punkte lebendige Einzel- interesse der Unternehmungen beider mit eigener Thätigkeit; allein die rasche Bewegung des Umlaufs fordert für die Ordnung beider Elemente eine in jedem Punkte feststehende objektive Gültigkeit . Diese nun kann sich der Handel nicht selber geben. Der Staat muß sie zum Gegenstande eigener Gesetzgebung machen; allein gerade, weil sie aus der Natur des Handels unmittelbar hervorgehen, fordert der letztere bei der Verwirklichung der auf diese Weise gesetzlich bestimmten recht- lichen Ordnung des Handels eine selbstthätige Mitwirkung, die aller- dings je nach dem speciellen Gebiete eine specielle Gestalt hat. Und die Gesammtheit der dadurch bedingten Bestimmungen und Einrich- tungen nennen wir die als öffentlich geltendes Recht formulirte Handelsordnung. Sie ist das eigentliche Gebiet der Verwaltung des Handels; und die Entwicklung ihrer beiden Grundlagen ergibt so- mit das, was wir das System derselben zu nennen haben. Handelsrecht und Gericht . Das allgemeine Handelsrecht ist dasjenige, welches aus der Natur des Handels an sich folgend, für alle Theile und Gebiete des Handelsverkehrs gleichmäßig gültig ist. Es ist nicht möglich, das all- gemeine Wesen und die Stellung des Handelsrechts in der Wissenschaft zu bestimmen, wenn man es nicht in sein Verhältniß zum übrigen bürgerlichen Rechte stellt. Die tiefen Unterschiede beider beruhen auf folgenden Punkten. Während das bürgerliche Recht die einzelne Persönlichkeit als Rechtssubjekt anerkennt, erscheint im Handelsrechte als das Rechtssub- jekt das Unternehmen . Der Verkehr der einzelnen Persönlichkeiten im bürgerlichen Recht erscheint als Vertrag; der Vertrag, den die Unternehmungen schließen, ist dagegen ein Geschäft . Der Inhalt eines Vertrages wird grundsätzlich nur von dem wohlerwogenen Willen des Contrahenten bestimmt; das Geschäft ist seinem Wesen nach und wird daher auch stets im Handelsverkehr aufgefaßt als bedingt von allen andern Geschäften, die ihm voraufgehen oder nachfolgen. Wie daher das wirthschaftliche Wesen des Geschäfts ein anderes ist als das des Vertrages, so ist auch das Recht desselben ein besonderes. Und in diesem Sinne nennen wir das Recht der Unternehmungen und ihrer Geschäfte im Unterschiede von dem der Wirthschaft und ihrer Verträge das allgemeine Handelsrecht . Aus dieser Natur des Handelsrechts folgt nun auch der Inhalt seines Systems . Dasselbe zerfällt in drei Theile. Das Unternehmen als Persönlichkeit ist die Firma . Sie hat die Fähigkeit in sich, wie das Unternehmen das sie vertritt, nicht bloß in einzelner Person, son- dern als eine organisirte Gesellschaft, ja als ein Verein aufzutreten. Die handelsrechtliche Persönlichkeit , rechtlich in der Firma anerkannt, hat daher drei Grundformen: die einzelne Person, die drei Formen der Gesellschaft, stille, offene und Commandite, und Aktien- gesellschaft. Die Rechtsverhältnisse, die sich daraus ergeben, bilden den ersten Theil des Handelsrechts. Der zweite enthält diejenigen Modifi- kationen des bürgerlichen Vertragsrechts, welche durch die Natur des Geschäfts gesetzt werden, in Begriff, Abschließung, Erfüllung und Be- weiskraft der Handelsbücher. Das ist das natürliche System des all- gemeinen Theiles des Handelsrechts. Für den Handel selbst aber ist es eine erste wesentliche Bedingung, daß dieses Recht objektive Gültig- keit und Selbständigkeit gegenüber dem Privatrecht habe; die Herstellung dieser rechtlichen Selbständigkeit ist daher eine wesentliche Aufgabe der Verwaltung; und so entstehen die Handelsgesetzbücher . Zweitens aber fordert der Handel, eben weil dieses sein Recht auf eigenen, vom Privatrecht wesentlich verschiedenen Grundlagen beruht, daß auch die gerichtliche Organisation, welche das Handelsrecht vollzieht, die Mit- wirkung des Handelsstandes aufnehme; und aus der natürlichen und im Grunde nie bestrittenen Anwendung dieses Princips geht das Handelsgericht hervor. Das ist der erste Theil innerer Verwal- tung des Handels. Das bisherige Handelsrecht theilt noch immer das Schicksal aller Rechts- gebiete; es bildet einen isolirten Theil der Rechtswissenschaft, und wird sein Verständniß erst empfangen, wenn es seine organische Verbindung mit Privat- recht und Verwaltungsrecht durchführt. Bekanntlich besteht das Handelsrecht viel länger als die Handelsgesetzbücher; eben so die Handelsgerichte (vergl. über die Handelsgerichte des vorigen Jahrhunderts: Fischer , Cameral- und Polizei- recht III. 220 f.; Berg , Teutsches Polizeirecht III. S. 491). Handelsgebrauch (Usance) vergl. Mittermaier , deutsches Privatrecht II. §. 530. Neuere Zeit: Lotz , Staatswirthschaftslehre II. 205. Die Erkenntniß, daß die Hauptaufgabe der Verwaltung in der Bildung eines Handelsrechts liege, schon von Lotz am klarsten erkannt (Staatswirthschaftslehre VI. 203 ff.). Die Geschichte des Handels- rechts in allen Commentaren der deutschen Handelsgesetzbücher. Die Geschichte der Handelsgerichte und ihres Rechts speciell Craizenach , Wesen und Wirken der Handelsgerichte 1861. Langer Kampf namentlich in Preußen über Stel- lung und Errichtung derselben auf Grundlage der Verschiedenheit des deutschen und rheinisch-französischen Rechtsgebietes; Badener Handelsbl. Nr. 696. — Oesterreich : Handelsgerichtsbeisitzer aus dem Handelsstand (Erlaß vom 2. Dec. 1864). — Hannover : Errichtung von Handelsgerichten 1865 von Leonhardt . Die Rechtslehre von den einzelnen Orten der Handelsunternehmungen in den Lehrbüchern des Handelsrechts; vergeblicher Versuch den Begriff des „Geschäfts“ zu bestimmen. Ueber die Gesellschaften und Vereine Stein , Vereinswesen und Recht S. 63 ff. 3) Einzelne Handelszweige. Der besondere Theil des Handelsrechts entsteht nun, indem einer- seits innerhalb des Verkehrs der Unternehmungen einzelne Geschäfts- gebiete sich selbständig ausbilden, andererseits gewisse selbständig für den Güterverkehr bestimmte Anstalten entstehen, welche die Angelegen- heiten des Verkehrs vertreten oder enthalten. Auch diese letztere schafft sich der Handel selbst eben so gut wie die ersteren sich von selbst aus ihm herausbilden. Allein auch hier ist für beide eine feste, durch die Verwaltung bestimmte rechtliche Ordnung derselben nothwendig; und die Gesammtheit der hierfür geltenden Rechtssätze bilden den beson- deren Theil des Handelsrechts. 1) Die einzelnen Handelsgeschäfte, um welche es sich handelt, ent- halten eine Theilung der Arbeit innerhalb des Handels. Sie sind einzelne Funktionen des Handelsverkehrs, welche zu selbständigen Unter- nehmungen geworden sind. Darauf beruht das Princip ihres Rechts. Dasselbe enthält diejenige Modifikation des bürgerlichen Rechts, welche durch die Funktion entsteht, die durch jene Unternehmungen für den Verkehr selbständig unternommen wird; die commerzielle Natur dieser Funktion ist es, welche als das rechtbildende Element derselben ange- sehen werden muß. Diese Arten der Handelsgeschäfte sind die Com- missions -, das Speditions - und das Frachtg eschäft. Die Ab- hängigkeit der Güterbewegung von denselben macht ihre rechtliche Ordnung zu einer Bedingung der regelmäßigen Bewegung des Handels; und in diesem Sinne ist das Recht derselben ein wichtiger Theil der Handelspflege, und bildet daher auch einen Theil des Handelsgesetz- buches. Die Literatur über dieselben gehört der Interpretation der Handelsgesetz- bücher; sie ist bisher eine wesentlich juristische gewesen. Der höhere Stand- punkt ist entschieden der volkswirthschaftliche. Bedeutsamer Kampf zwischen den Bestimmungen der Handelsgesetzbücher und den Eisenbahnen über die Lieferungen und die Gefahr (Handelsgesetzbuch IV. Buch- und Vereins-Reglement der Eisen- bahnen, vergl. oben die Literatur des Eisenbahnrechts). 2) Die speciellen Handelsanstalten gehen nun ihrerseits aus dem Bedürfniß des Handels hervor; sie erscheinen als die Formen, in denen sich der Handel seinen Markt selbst ordnet . Die Natur des Verkehrs auf diesen Märkten fordert nun ganz bestimmte Ord- nungen, die objektive Gültigkeit haben müssen, um den Gang des Handels nicht zu stören. Daraus nun entstehen die Formen, deren Werth, Ordnung und Einfluß wieder bedingt erscheinen von dem Um- fang des Handels und seiner Selbständigkeit. a ) Die Börse bildet den Markt der Geschäfte . Sie ist zu- nächst nur der Geschäftsmarkt. Allein der Natur des Handels ent- sprechend ist nur ein Handelsunternehmen börsefähig . Das Börsen- geschäft unterscheidet sich an sich nicht von jedem andern Geschäft; allein es ist die Aufgabe der Börse, zuerst einen Marktpreis zu bilden, der eventuell den individuellen Vertragspreis ersetzt, und zweitens die Erfüllungspflicht zu normiren, wo keine solche vertragsmäßig bestimmt war. Die Wichtigkeit beider Punkte bei der Fluth der Ge- schäfte ist es, welche das Börsenrecht erzeugt hat. Nach demselben wird zu einem gegebenen Zeitpunkt der Marktpreis als „Cours“ oder „Preis“ erklärt und eine Lieferzeit gesetzlich für die abgeschlossenen Börsen- geschäfte bestimmt. Die Vollziehung dieser Ordnung unterliegt der Börsenkammer , der ein Regierungscommissär beigegeben zu sein pflegt, und die auch in Streitigkeiten des Börsenrechts entscheidet. Diese Börseordnung ist Gegenstand der Gesetzgebung, und zwar ohne Unterschied, ob es sich um eine Geld - oder Waarenb örse handelt, obwohl die Verschiedenheit des Objekts einige Modifikationen für jede derselben erzeugt, namentlich in Beziehung auf Zeit und Form der Erfüllung des Börsengeschäfts. Das Börsenrecht gehört entschieden dem Handelsrecht, obgleich es nicht in demselben behandelt und im deutschen Handelsgesetzbuch selbst berührt wird. (Art. 331.) Erste Form bereits in Italien; dann in Flandern ( Hüllmann , Städtewesen I. 302). Weitere Entwicklung im 18. Jahrhundert; dann selb- ständige Börsenordnungen im Anschluß an das Handelsgesetzbuch; vergl. die Börsenordnung Preußens bei Rönne (Staatsrecht II. §. 436). — Oester- reich : Geld-Börsenordnung vom 11. Juli 1854; Waaren-Börsenordnung vom 20. Febr. 1860). — Frankreich : örtliche Börsenordnung vor der Revolution; allgemeine Börsenordnung (Gesetz vom 28. Vent. IX. nebst späteren Be- stimmungen; Foubert bei Block; Rau II. 283). b ) Die Makler sind Handelsorgane, welche dazu bestimmt sind, durch ihre Intervention den Abschluß des Geschäfts in Beziehung auf Objekt, Preis und Lieferung sicher zu stellen, und so durch die Beweis- kraft ihrer Aufzeichnungen die Unsicherheit der Geschäfte zu beseitigen. Das Bedürfniß nach einer solchen entscheidenden Intervention liegt im Wesen des Geschäftsverkehrs; Grundsatz daher, daß sie als solche durch den Selbstverwaltungskörper der Börse, die Börsenkammer (oder Handels- kammer) oft unter Zuziehung der Regierung ernannt, unter bestimmte gesetzliche Vorschriften gestellt und mit entsprechender Haftung belastet werden. Daher bilden die Maklerordnungen meist einen Theil der Börseordnung, und sollten ein Theil der Disciplin des Handelsrechts bilden. Die Bedingungen ihrer Anstellung, ihre Cautionen, ihre Buch- führung, die Beweiskraft derselben sind gesetzlich normirt, jedoch mit Verschiedenheiten je nach dem Gebiet der Geschäfte , für welche sie die Vermittler machen (Geld-, Wechsel-, Waarenmakler ꝛc.); das freie Wesen des Handels hat aber auch für sie die Selbstverwaltung in den Maklergenossenschaften erzeugt, deren Hauptaufgabe es ist, die Ueber- wachung über die Führung des Geschäfts der Genossen auszuüben. Große Verschiedenheit in der Ausbildung des Rechts und der Ordnung des Maklerwesens in Frankreich mit strenger Organisation und großer Haftung (Agents de change); bereits seit dem 16. Jahrhundert organisirt als offices; Aufhebung derselben 1791; neue Ordnung in Verbindung mit der Börsenordnung vom 28. Vent. IX.; Aufnahme in den Code de Comm. I. 5; strenge und systematische Cautionsgesetzgebung, durch eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen geordnet, Ernennung durch den Kaiser; Eid derselben; chambre syndicale (vergl. Lefort bei Block mit Literatur). Die Waarenmakler ( Courtiers ) stehen im Wesentlichen unter denselben Principien, jedoch mit weniger Strenge; Gesetz über die Maklerordnung vom 28. Juni 1866. — In Deutschland war das Maklerrecht ein lokal entwickeltes bis zum Handelsgesetzbuch; aber auch schon damals fast immer mit den Börsenordnungen verbunden ( Rau II. §. 282); namentlich die historischen Daten bei Mittermaier , deutsches Privat- recht II. §. 539. Dann Princip des Handelsgesetzbuches: die Makler bedürfen stets der Anstellung. Preußen : Anstellung mit Beeidigung vor den Handels- gerichten, auf Antrag der Handelskammer und unter Bestätigung der Regie- rung ( Rönne II. §. 402 und 435). — Oesterreich : Prüfung und Anstellung durch den Finanzminister auf Vorschlag der Handelskammern, mit Beeidigung (Wiener Geld-Börsenordnung §. 17 ff.), bei den Waarenmaklern nur Bestätigung durch die Behörde (Waaren-Börsenordnung §. 18); dagegen keine Pflicht sich derselben zu bedienen; nur das Recht der Beweiskraft ihrer genau vor- gezeichneten Aufzeichnungen ausgesprochen (ebend. §. 11); strenge Disciplin auch hier (§. 54 ff.) und Strafe gegen Winkelmakler §. 63; vergl. auch Rau , Volks- wirthschaftspflege II. 282). c ) Messen und Märkte (Jahr- und Wochenmärkte) haben mit der höheren und allgemeineren Organisirung des Handelswesens ihre allgemeine Bedeutung mit wenigen Ausnahmen fast ganz verloren. Sie sind wie die Buchhändlermesse, entweder nur für ganz einzelne Zweige von Bedeutung oder wie die gewöhnlichen Wochenmärkte nur noch der Ortspolizei untergeordnet. Die Aufgabe der Regierung be- steht hier nur noch darin, die Zeit und Dauer derselben zu ordnen; die Gemeinden haben die Ordnung und Polizei derselben zu handhaben. Eine besondere Fürsorge bedürfen sie nicht. Historische Elemente der Messen: Mittermaier , deutsches Privatrecht II. §. 570; alte Meßgerichte: Craizenach a. a. O. S. 13. Gegenwärtiges Princip: Genehmigung der Abhaltung durch die Regierung und Oberauf- sicht durch die Gemeinde. — Frankreich : Beibehaltung der alten Markttage nach dem Decret vom 7. Therm. VIII.; das Gesetz vom 10. Mai 1838 gab den Conseils généraux das Recht, auf Ordnung derselben anzutragen; der Maire ist die leitende Behörde. — Preußens Grundsatz schon im Allgem. Landrecht II. 8. 103 ff. mit näheren Bestimmungen in der Gewerbeordnung von 1845; Rönne II. §. 433. — Oesterreich : Princip der Concession nach Erlaß vom 4. Mai 1849 ( Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde §. 522). d ) Markthallen , für den örtlichen Verkehr, Städte für Nah- rungsmittel sind in dem Grade wichtiger, je größer die Städte. Sie sind aber durchaus Gegenstand der Selbstverwaltung und auch als solche in beständiger seltsamer Entwicklung begriffen. Alles was darüber gesagt werden kann, mit voller Kenntniß der Sache und der bestehenden Ordnungen im Bericht über die Markthallen in Deutschland, England, Frankreich, Belgien und Italien von Theodor Riesen , Berlin 1867. e ) Der Hausirhandel , im vorigen Jahrhundert noch mit vielem Bedenken angesehen, und zum Theil mit Recht, ist jetzt ein einfaches concessionirtes Gewerbe, das jedoch mit besonderen polizeilichen Maß- regeln zum Schutze des Publikums umgeben ist. Das Hauptorgan für die Bewachung sollten die Gemeinden sein. Vergl. das Recht der früheren Zeit: Berg , Privatrecht I. 351; Rau II. §. 290 ff. — England: Mac Culloch , Dict. I. 871; Licenzsystem 50. Georg. III. 41; Lotz , Staatswirthschaftslehre II. 322. — Preußen : pol. Controle-Regul. vom 4. Dec. 1836; Rönne II. §. 336 und 359. — Oester- reich : Regelung durch Erlaß vom 4. Sept. 1852; Hausirpässe: Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde II. §. 511. VII. Der geistige Erwerb. Begriff und Princip. Das Werthrecht der geistigen Produkte. Das geistige Leben erscheint allerdings zunächst als eine Welt für sich, nach eigenen Gesetzen, nach eigenen Zielen strebend, geschieden von der wirklichen Welt, und ohne Zusammenhang mit dem, was sie fordert und leistet. Allein diese Scheidung ist nur eine formale. Alles, und vor allem das wirthschaftliche Leben ist vom Geiste und seiner Arbeit durchdrungen und beseelt. Je höher die Gesittung steigt, je mehr erkennt man, daß die letztere geradezu der wichtigste Faktor für die fortschreitende Entwicklung der ersteren ist. An diese Erkenntniß schließt sich die zweite, daß die Förderung des geistigen Lebens mithin auch zu der Aufgabe der Volkswirthschaftspflege gehöre. Und damit tritt die Frage auf, was diese Verwaltung der Volkswirthschaft ihrerseits nicht etwa für die geistige Entwicklung überhaupt , die dem Bildungswesen angehört, sondern dafür thun könne, daß dieselbe zu- gleich sich der wirthschaftlichen Produktion zuwende und sie bilde. Um diese Frage beantworten zu können, muß man wieder zwischen dem allgemeinen und dem besonderen Theile unterscheiden. Die Gesammtheit von Thätigkeiten, welche die Verwaltung für den geistigen Erwerb im Allgemeinen leistet, bezeichnen wir als die wirthschaftliche Berufsbildung . Sie gehört zwar mit ihrem Zwecke der Volkswirthschaft, mit ihrem Inhalt und ihren Mitteln aber dem Bildungswesen an, und hat daher auch dort ihre Darstellung ge- funden. Der besondere Theil dagegen umfaßt diejenigen Arten des geistigen Erwerbes, in denen eine bestimmte und begränzte geistige Arbeit einen bestimmten und begränzten wirthschaftlichen Erwerb durch ihre Produk- tion erzielt. Die beiden Arten, um welche es sich hier handelt, sind die wissenschaftlichen und künstlerischen Werke , und die technischen Er- findungen . Ueber ihren hohen Werth für die Gesammtentwicklung kann kein Zweifel sein; allein beide sind freie Thaten des Geistes, und die Verwaltung kann sie vor allem nie direkt, sondern nur dadurch fördern, daß sie ihnen diejenigen Bedingungen gibt, ohne welche sie nicht fortschreiten können. Diese Bedingungen nun sind aber doppelter Natur. Zuerst sind sie geistig; es ist die schaffende Kraft des indivi- duellen Geistes, der was er leistet, in sich selbst finden muß. Hier kann keine Verwaltung helfend eingreifen. Allein ihre zweite Bedin- gung ist wirthschaftlicher Natur. Jene Arbeiten enthalten neben ihrem geistigen auch einen wirthschaftlichen Werth, um dessent- willen sie stets wenigstens zum Theil entstehen. Ob dieser Werth vor- handen und wie groß er ist, ist nicht Sache der Verwaltung. Allein so weit er da ist, erscheint die Sicherung des Rechts auf demselben allerdings als eine wesentliche Bedingung dafür, daß sich der tüchtige Einzelne dieser Art der Arbeit überhaupt zuwende. Unzweifelhaft liegt nun diese Sicherung wie die eines jeden andern Rechts zunächst in der allgemeinen bürgerlichen Rechtspflege. Allein das bürgerliche Recht hat bis jetzt den Werth überhaupt noch nicht als selbständigen Gegenstand des Eigenthumsrechts erkannt; und selbst wenn es das hätte, würde der Beweis in vielen Fällen so schwierig und kostbar werden, daß das Recht auf den (wirthschaftlichen) Werth selbst werthlos werden würde. Hier tritt daher die Verwaltung im Namen des allgemeinen Interesses ein, und sind die Principien derselben wohl klar. Ihre erste Aufgabe ist es, den selbständigen wirthschaftlichen Werth überhaupt in diesen geistigen Arbeiten zur Anerkennung zu bringen; ihre zweite, ihn durch ihre Maßregeln zu einer bestimmten und nachweisbaren Sache und dadurch ihn vor Gericht verfolgbar zu machen. Das Verwaltungs- recht des geistigen Erwerbes ist daher gar nichts anderes, als die Auf- stellung und Organisirung des Eigenthumsrechts am wirth- schaftlichen Werthe einer geistigen Produktion , wie das Pfandrecht das Eigenthumsrecht an dem Werthe eines wirthschaftlichen Gutes enthält, oder die durch Verwaltungsmaßregeln gesicherte Aus- dehnung des Werthrechts oder die Gebiete des geistigen Lebens. Und diese Aufgabe hat nun eine doppelte Gestalt: für die geistigen Werke, oder das sogenannte literarische Eigenthum , und für die Erfin- dungen mit dem Patentrecht, dem Musterschutz und dem Markenrecht. Es ist wohl sehr schwierig, das Gebiet in überzeugender Weise zu behan- deln, so lange man in der Rechtswissenschaft nicht als Grundlage das Eigen- thumsrecht besitzt, Gebrauch und Werth als selbständige Momente des Eigen- thums anerkennt, die ihrerseits wieder fähig sind, selbständige Gegenstände des Eigenthums werden zu können. Allein es gibt keinen andern Weg zu einem definitiven und klaren Resultate zu gelangen. Die bisherige Literatur hat sich dabei stets auf dem Standpunkt gehalten, jene Gebiete des literarischen Eigen- thums und der Erfindungen getrennt , ohne Bewußtsein ihres Zusammen- gehörens, zu bearbeiten. Es fehlt daher schon der allein richtige Ausgangs- punkt, eben so sehr, wie die Stellung der ganzen Lehre im System der Staats- wissenschaft. Das Folgende muß sich daher auf die einfachsten Grundlagen beschränken. 1) Das literarische Eigenthum und das Nachdrucksrecht . Es ist wohl durchaus unmöglich, zum Begriff und Wesen des lite- rarischen Rechts zu gelangen, wenn man nicht die des Sachenrechts zum Grunde legt. Es ist ganz richtig, daß die geistige Schöpfung an sich kein Eigen- thum sein kann, da sie keine Sache ist. Allein in ihrer Erscheinung wird sie Sache. Als solche ist sie das Manuscript, die Zeichnung ꝛc. So wie sie das ist, empfängt sie die Momente derselben; sie läßt einen Besitz (das Manuscript), sie läßt einen Gebrauch (zum Setzen, Drucken, Lesen ꝛc.), sie läßt einen Werth (im Honorar), sie läßt ein Erbrecht und eine Verjährung (schriftstellerisches Erbrecht), ja sie läßt den Ver- kehr (im Verlagsvertrage) zu. So wird die geistige Produktion ein sachliches Eigenthum. Allein sie ist zugleich ein Gut . Sie wird nicht bloß erzeugt durch die Arbeit des Geistes aus geistigem Stoff und consumirt, sondern sie hat auch einen wirthschaftlichen Werth, und wird dadurch die Grundlage des wirthschaftlichen Einkommens, da das Honorar als Preis für das Produkt den Produkten die Mittel zur Weiterarbeit gibt. Es läßt sich das eben so wenig bestreiten, als es sich leicht weiter führen laßt. Ist dem nun aber so, so folgt, daß das Vorhandensein jenes wirthschaftlichen Werthes für die geistige Produktion eine eben so abso- lute Bedingung ihres Entstehens ist, wie für jedes andere wirthschaft- liche Gut. Es ist ein eben so absoluter Widerspruch, das ganz Werth- lose für Andere zu erzeugen, als es unmöglich ist, das für alle Werth- volle zu erzeugen, ohne den Werth desselben selbst zu erwerben. So wie aber die mechanische Vervielfältigung durch den Druck möglich wird, tritt ein anderes Verhältniß ein. Diese Vervielfältigung ist nach dem Gesetze des Werthes fähig, den Werth des Produktes zu vernichten , indem sie die Masse des Produkts um so viel vermehrt, daß der Werth bis auf den der mechanischen Herstellungskosten verschwindet. Das unbeschränkte Recht auf die mechanische Vervielfältigung eines ge- kauften geistigen Produkts ist daher ein unlösbarer Widerspruch mit dem Wesen der Güter, da es das geistig werthvolle Produkt zu einem wirthschaftlich werthlosen machen, und ihm dadurch das Wesen des Gutes nehmen würde. Es ist klar, daß damit die Produktion solcher Güter gleichfalls zu Ende wäre. Ist daher die geistige Produktion ein nothwendiges Element des gesammten und speciell des wirthschaft- lichen Lebens, so ist es die Aufgabe der Verwaltung, diesen wirth- schaftlichen Werth des geistigen Produkts, und in ihm die materielle aber unerläßliche Bedingung der geistigen Produktion überhaupt zu schützen. Dieses nun ist wiederum nur dadurch möglich, daß das rechtliche Verhältniß des Gebrauches zum Werthe objektiv festgestellt, das ist, daß die Frage gesetzlich unzweifelhaft entschieden werde, ob der Erwerb der Sache das unbeschränkte Recht des Gebrauches der- selben, also namentlich auch des Gebrauches zur mechanischen Verviel- fältigung geben könne. Es ist klar, daß dieß nach dem Obigen an sich unmöglich ist, ohne dem geistigen Gut das Wesen des wirthschaft- lichen Gutes zu nehmen. Das Recht des Eigenthums des geistigen Produkts auf die Beschränkung des Gebrauchsrechts derselben wird daher zur nothwendigen Consequenz des wirthschaftlichen Wesens der geistigen Güter. Den juristischen Ausdruck dieser Consequenz bildet der Rechtsgrundsatz: das Recht auf die mechanische Vervielfältigung eines geistigen Produkts ist ein selbständiges Recht, das mit dem Er- werb des letzteren nicht auf den Erwerber übergeht, sondern als ein selbständiger Gegenstand des Verkehrs und Vertrages anerkannt werden muß. Und dieses selbständige Recht auf die mechanische Ver- Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 25 vielfältigung solcher geistigen Produkte nennen wir das literarische Eigenthum . Dieses literarische Eigenthum hat daher einen dreifachen Inhalt. Es besteht zuerst in der Anwendung des Erbrechts auf die Be- rechtigung zur mechanischen Vervielfältigung. Der Grundsatz derselben ist, daß der Tod des Verfassers die Möglichkeit einer Weiterbildung dieses Produkts aufhebt, und damit das wirthschaftliche Wesen des Werthes verschwindet, so daß mit dem Werthe auch das Recht auf denselben aufhört; daher Freiheit der mechanischen Produktion in einer gegebenen Zeit nach dem Tode des Verfassers. Zweitens erscheint jenes Recht in dem Verlagsvertrage, bei welchem die Zahl der mecha- nisch producirten Exemplare oder Abzüge festgestellt werden kann ; aus der Natur der Druckerei folgt der Satz, daß wenn diese Zahl nicht bestimmt ist, sie auf die der ersten Auflage beschränkt erscheint. Die dritte Anwendung des literarischen Eigenthums endlich ist der jetzt an sich einfache Rechtssatz, daß der Nachdruck , als widerrechtliche Be- nützung des Eigenthums Dritter (des Verfassers oder Verlegers) nicht bloß unrechtmäßig, sondern auch strafbar ist. Das ist das literarische Eigenthum, das an sich sehr einfach ist; freilich unter der Bedingung, daß man auch hier den Werth als ein selbständig im Verkehr begriffenes Gut anerkenne. So wie man das thut, erscheint auch die Stellung der Lehre in ihrem einzig wahren Licht. Das literarische Eigenthum ist ein Theil des bürgerlichen Rechts und zwar im Erbrecht, im Eigenthumsrecht und im Verkehrs- recht; die Bestrafung des Nachdrucks ist ein Theil des Strafrechts ; die Herstellung von Maßregeln und Anstalten zur leichteren Nach- weisung des literarischen Eigenthums dagegen, so wie die Verträge zur Gültigmachung desselben im internationalen Verkehr gehören dem Verwaltungsrechte, als Theil der Verwaltung des geistigen Er- werbes. Anstatt einer Kritik der höchst reichen und zum Theil sehr gründlichen Literatur über das literarische Eigenthum, ist es vor allem wichtig, die histo- rische Entwicklung seines Begriffes zum Grunde zu legen. Dasselbe liegt so tief im Wesen der Sache, daß keine Zeit es ganz übersehen hat; andererseits erscheint es dem gewöhnlichen Rechte so fremd mit seiner Anwendung des Eigenthumsbegriffes und -Rechts auf die Abstraktion des Werthes, daß es erst im Laufe der Jahrhunderte klar geworden ist. Wir unterscheiden drei Epochen seiner Entwicklung. Die erste ist die der Privilegien gegen den Nachdruck, in der noch das Erbrecht und Verkehrsrecht nicht zur selbständigen Erscheinung gelangen. Aeltestes Buchdruckerprivilegium vom 3. Juni 1491 (Venedig); 1495 Sforza in Mailand; 1501 Reichstag zu Nürnberg ( Pütter , Beiträge I. 241; G. D. Hoffmann , von den ältesten Bücherprivilegien 1777). — In Frank- reich erstes Privilegium 1507; England 1518 Hofbuchdruckerei. Die zweite ist die der Frage nach dem Nachdruck und seinem Recht. Von ihm aus be- ginnt das Verständniß des Wesens des literarischen Eigenthums; schon Thurneisen 1738 erklärt den Nachdruck für ein furtum usus; andere auch damals gegen den Eigenthumsbegriff, wie Reimarus und Hopfer ; Aus- bildung der eigenen Literatur, und zwar einerseits als juristische Deduktion, theils in eigenen Schriften (zuerst Pütter , Abhandlungen vom Büchernach- druck 1774; Becker , Eigenthumsrecht an Geisteswerken 1789; vergl. weitere Literatur: Pütter , Literatur III. 595; Klüber , Literatur §. 1358); theils als Gegenstand des deutschen Privatrechts: Runde §. 197; namentlich mit reicher Literatur: Mittermaier §. 296; andererseits die rechtsphilosophische Untersuchung: zuerst Fichte , Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks (1793) und Kant , Rechtsphilosophie 1797 S. 127; Thurneisen „ein Verbrechen der Entwendung des Vortheils , den der Verleger (Verfasser) aus dem Ge- brauch seines Rechts ziehen konnte und wollte, furtum usus;“ ( Schmid , über den Büchernachdruck 1823). Daraus entwickelt sich dann die erste Gesetz- gebung über das literarische Eigenthum als Verbot des Nachdrucks, die in Deutschland naturgemäß zuerst als Verträge unter den Staaten (von Preußen ausgehend seit 1827, Rönne , Staatsrecht II. §. 532, auf Grundlage der Zu- sage der Bundesakte Art. 18) und einer Petition von zweiundachtzig Buchhänd- lern auftreten, dann zu selbständigen Bundesbeschlüssen (Bundesbeschluß vom 6. Dec. 1832), daß jeder Autor sich des Rechts der andern Bundesstaaten be- dienen kann (Bundesbeschluß vom 2. April 1835); daß der Nachdruck nach gleichen Grundsätzen von allen Staaten zu verbieten sei (Bundesbeschluß vom 4. Nov. 1837); Erblichkeit des Autorrechts (Bundesbeschluß vom 22. April 1841); Ausdehnung auf dramatische Aufführung 1842 und 1843); Dauer des Rechts. Dadurch ging das Nachdrucksrecht zugleich in die Staatsrechtslehre über ( Klüber , öffentliches Recht), namentlich §. 505; reiche Literatur: Mauren- brecher II. 557; Zöpfl II. 474; Zachariä , deutsches Staats- und Bundes- recht II. §. 165. Aus dieser Behandlung entwickelt sich die Frage nach dem Verlagsvertrage und seinem rechtlichen Inhalt, so wie die der Dauer desselben. Zuerst preuß. Allgem. Landrecht (1794) I. II. 996 ff.; Verlagsver- trag II. 20. 1294, Nachdruck. Literatur: Mittermaier , deutsches Privat- recht §. 296. Daran schloß sich die Aufnahme des Verlagsvertrages auch in das Handelsrecht ( Pöhls , Handelsrecht I. 242). Damit waren die Elemente der dritten Epoche gegeben, welche nun den Begriff und das Princip des literarischen Eigenthums an die Spitze stellt und ausbildet, ohne sich jedoch über Stellung und Inhalt einig zu werden. (Der Ausdruck propriété des auteurs zuerst im Gesetz vom 7. Jan. 1791.) — Daneben deutsche Ge- setze: Oesterreich (Gesetz vom 19. Okt. 1846 zum Schutze literarischen und artistischen Eigenthums). — Bayerisches Nachdrucksgesetz vom 28. Juni 1865 (s. vollständige Angabe in Klostermann , das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen nach preuß. und internationalem Recht I. Bd. 1867); Dogmengeschichte S. 119 ff. — Gesetze (S. 86 ff.): Russisches vom 20. Jan. 1830. — Nordamerikanisches vom 3. Febr. 1833. — Holland : Gesetz vom 25. Jan. 1837; während für Deutschland die Bundesbeschlüsse das örtliche Recht vertreten. — Frankreich : Geschichte des literarischen Eigenthums mit Quellen, seit dem Regl. sur la Librairie et Imprimerie 1723; Laboulaye und Guiffrey , la propriété littéraire au XVIII. siècle 1859. Locr é , legislat. civile IX. 1—27; Renouard , traité des droits d’auteur. Neue Gesetzgebung seit 1791; Grundlage für die Scheidung des Verlagsrechts vom Darstellungs- recht, die in der deutschen Gesetzgebung erst spät erscheint; Kampf über die Neugestaltung der Gesetzgebung seit 1835; Literatur bei Mittermaier §. 296 und Block , Dict. v. Propriété littéraire nebst den Gesetzen bis 1854; dazu das sardinische Gesetz vom 25. Juni 1865 nach französischem Vorbild. — England : „Copyright“ Hauptgesetz 5. 6. Vict. 45 (Erwerbung durch Ein- tragung); Dauer: sieben Jahre nach dem Tode (25. 26. Vict. 68). Geschichte: Maugham , Treatise on the law of literary propriety 1828; die Bill von 1837: Mittermaier §. 296. Gegenwärtiges Recht: 5. 6. Vict. c. 45. und Erlaß von Verordnungen in Angelegenheiten des internationalen Verlagsrechts (7. 8. Vict. 12. Gneist , Engl. Verwaltungsrecht II. §. 55). 2) Das Recht der Erfindungen. Begriff und Princip . Stehen nun auf diese Weise Wesen und Recht des literarischen Eigenthums fest, so ist auch das Recht der Erfindungen in allen seinen Formen sehr einfach. Eine Erfindung ist eben nichts anderes, als ein selbständig neu erzeugter und selbständig gedachter wirthschaftlicher Ge- brauchswerth . Auch die Erfindung erscheint als Sache erst in dem Musterstück. Auch dieses wird Gegenstand des Verkehrs. Auch hier ist die unabweisbere Bedingung für die Gutseigenschaft der Erfindung, daß das Recht auf Vervielfältigung, das ist auf unbeschränkten Ge- brauch des erworbenen Musterstückes mit demselben nicht erworben wird, sondern stets Gegenstand eines selbständigen Verkehrsaktes bleibt. Auch hier erscheint dieser Rechtssatz, der der Erfindung allein ihren wirthschaftlichen Werth gibt, als eine Bedingung der Arbeit in den Verwendungen auf das Erfinden. Und auch hier wird es daher Auf- gabe der Verwaltung, das mangelnde bürgerliche Eigenthumsrecht durch besondere Vorschriften und Maßregeln theils geradezu zu ersetzen, theils leicht durchführbar zu machen. Die darauf bezüglichen Grundsätze bilden das Recht der Erfindungen . Hält man diesen Standpunkt fest, so ist die Frage, ob ein solches Recht auch wirklich durch den Nutzen den es bringt, motivirt sei, an sich falsch , denn es ist eben keine Maßregel der Zweckmäßigkeit, sondern einfach eine bestimmte Art des Eigenthumsrechts , und die Maßregeln der Verwaltung, ob sie nun Monopol, Patent oder wie immer heißen, sollen es nicht schaffen, sondern nur so zweckmäßig ordnen, daß diese Ordnung der Verwaltung zur Bedingung für die auf Erfindungen gerichtete Thätigkeit werde. Nur in diesem Sinne ist das Erfindungsrecht eine Frage der Zweckmäßigkeit, und nur dieser Theil gehört eigentlich der Verwaltungslehre an. Steht nun dieser Standpunkt fest, so ist die Aufgabe der Verwal- tung in Beziehung auf das Erfindungsrecht eine einfache. Sie soll nur den Beweis des Rechts auf die Erfindungen möglich machen, nicht dieß Recht selbst erst erzeugen. Zu dem Ende hat sie drei Mittel: zuerst muß sie das Dasein der Erfindung constatiren; dann muß sie die Beweismittel darbieten; und endlich muß sie die Verfolgung des durch die Erfindung erzeugten Rechts erleichtern. Aus der Anwen- dung dieser Grundsätze auf die drei Arten der Erfindung entsteht das System des Erfindungsrechts, das im Patent-, Muster- und Marken- recht erscheint, welches wieder in den Schutzverträgen für die Er- findungen seinen internationalen Ausdruck empfängt. Das Verhältniß dieser drei Arten des Erfindungsrechts ist nun zugleich die Grundlage seiner historischen Entwicklung im Ganzen. An dem Patentrecht ist nämlich überhaupt erst die ganze Frage entstanden, und durch das Wesen des Patents hat das Erfindungsrecht zugleich den Charakter einer besonderen Begünstigung von Seiten des Staats im Interesse der gesammten Volkswirthschaft empfangen, während am Muster- und Markenrecht der einfache Grundsatz eines unbestreit- baren Privatrechts gleich anfangs in den Vordergrund getreten ist. Das, und der Mangel eines klaren Begriffes vom Verwaltungsrecht hat dann die Auffassung zu keinem rechten gemeinsamen Resultate ge- langen lassen. Es ist kein Zweifel, daß das ganze Gebiet erst dann seine definitive Gestaltung finden wird, wenn das Privatrecht sich auch hier grundsätzlich vom Verwaltungsrecht scheidet. a) Das Patentrecht. Das Patentrecht ist seinem Begriffe nach die Gesammtheit von Rechtsgrundsätzen und Maßregeln, durch welche das Recht auf eine Erfindung festgestellt und verwirklicht wird. Die erste Bedingung für den Werth einer Erfindung ist dabei offenbar die Feststellung der Thatsache, daß dieselbe wirklich einen neuerzeugten Gebrauchswerth enthalte . Es ist unzweifelhaft zweck- mäßig , diese Feststellung anstatt durch einen regelmäßigen Beweis vor Gericht, vielmehr durch eine öffentliche Anstalt vollziehen zu lassen. Das geschieht durch die Aufstellung einer Patentcommission mit eige- nem Verfahren. Es folgt, daß in diesem Verfahren der erste öffent- liche Schritt zugleich den Erwerb des Nechts auf die Erfindung enthalte. Es folgt, daß der Erfinder das Recht auf Geheimhaltung seiner Er- findung habe. Es folgt, daß die Commission berechtigt sein muß, zu erklären, daß die Erfindung nichts Neues enthalte. Es folgt aber nicht , daß das Recht auf eine Erfindung nur dann bestehe, wenn die Commission sich darüber ausgesprochen hat, sondern consequent muß es jedem freistehen, vor jedem Gericht den Beweis zu führen, daß er zuerst die Erfindung gemacht, daß sie etwas Neues enthalte, und daß derjenige, der sie benützt, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zur Hinausgabe des Vortheils verbunden sei, den er durch die Erfindung gewonnen. Allerdings aber kann die Gesetzgebung aus naheliegenden Gründen der Zweckmäßigkeit bestimmen, daß wegen des öffentlichen Nutzens die Nachahmung einer solchen Erfindung, sogar bei Strafe, verboten sein soll. Nur wo das der Fall ist, hat die Gesetzgebung aus denselben Gründen der Zweckmäßigkeit das Recht, diesem Verbote auch eine bestimmte Zeitdauer vorzuschreiben; das Recht auf die Er- findung an sich ist allerdings wie das des Eigenthums ein ewiges. Natürlich muß die Commission ein Prüfungsrecht haben, und zweck- mäßig ist entschieden die Veröffentlichung. Allein es scheint kein Zweifel, daß das Patentrecht und Verfahren gegenüber dem reinen Erfindungs- recht nur einen subsidiären Charakter hat. Die wahre Schwierigkeit der Sache besteht eigentlich darin, das Privatrecht von dem öffentlichen Recht zu scheiden , und dazu hat die französische Auffassung, daß das Patent stets als „cause d’utilité publique“ gegeben wird, das meiste beigetragen. Die Gesetzgebungen der verschiedenen Staaten sind übri- gens im Wesentlichen übereinstimmend, da es sich hier eben um Maß- regeln der Zweckmäßigkeit und nicht des Rechts handelt. Beginn des Patentrechts schon im 17. Jahrhundert, in England 1623. In Nordamerika : der Auftrag an den Congreß ein Gesetz zum Schutze der Erfindungen zu erlassen 1787; Erlaß des Gesetzes selbst 1793. — Frankreich : Anregung schon 1787; dann das erste Hauptgesetz vom 7. Jan. 1791. Bei diesem Gesetz erscheint zuerst die Frage nach dem Eigenthum : Rap. von Boufflers : der Erfinder sei Eigenthümer der Erfindung, und habe das Recht des propriété; dagegen heftige Opposition; gegenwärtiges Recht (Gesetz vom 3. Juli 1844) mit sehr genauen und für den Erfinder sehr günstigen Bestim- mungen (s. Kleinschrod , internationale Patentgesetzgebung 1855, S. 105 ff.). An dieses Gesetz schloß sich aufs neue der Streit über das Eigenthumsrecht, das zuerst von Jobard in seinem Monautopol industriel, artistique, com- mercial et industriel 1844 im vollen Umfange vertreten wurde; vergl. auch Kleinschrod S. 6; modificirt in Tilli è re , Traité théorique et pratique des brevêts d’invention 1854 (Commission zum belgischen Patentgesetz). Dagegen erhoben sich andere, welche die völlige Freiheit der Nachahmung theils aus der praktischen Unmöglichkeit, die Erfindungen zu unterscheiden, theils vermöge der Entwicklung neuer Erfindungen aus den früheren, theils um des allge- meinen Nutzens willen, theils auch wegen der angeblichen Werthlosigkeit der Patente forderten; vergl. Literatur bei Block , Brevêts d’invention; Lotz , Staatswirthschaftslehre II. §. 96; Rau II. §. 203; während die Gesetzgebung nicht bloß davon nicht berührt wurde, sondern sogar das Princip auch auf Muster- und Markenschutz ausdehnte. — In England : Grundgesetz 2. Jacob I. 3. (1623); viel zu strenge für die Entwicklung der Industrie; das neue Gesetz 15. 16. Vict. 83 (1852), das die Jury als entscheidendes Organ auf- stellt, und dem Erfinder selbst die Möglichkeit der Verbesserung ohne Verlust des Patents gibt (vergl. Kleinschrod S. 79 ff.). Engl. Literatur vor 1852 bei Lotz , Staatswirthschaftslehre II. §. 96. — In Deutschland fehlt durch- aus Einheit und Gleichartigkeit, so nothwendig und wichtig sie auch wäre (s. Friedr. Bitzer , Vorschläge für ein deutsches Patentgesetz, beantragt durch die von der deutschen Bundesversammlung 1862 berufene Commission von Fach- männern, 1866). — In Oesterreich früheres Recht: Gesetz von 1821; Re- vision durch Gesetz vom 31. März 1832; Kraus , Geist der österreich. Gesetz- gebung zur Aufmunterung von Erfindungen 1838; vergl. Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde II. §. 512. An die Stelle der früheren Privilegiengesetze tritt das neueste Gesetz vom 13. Aug. 1852, anerkannt vortrefflich; s. Klein- schrod S. 131 ff.; Stubenrauch a. a. O. — In Preußen das Recht der Privilegienertheilung als Regal anerkannt (preuß. Allgem. Landrecht II. 13. 7); das blieb der Standpunkt der deutschen Theorie, welche auf Grundlage des Röm. Rechts Begriffe des Eigenthumsrechts definitiv läugnete, und das Patent- recht nur als Sache der Zweckmäßigkeit auffaßte (vergl. Mittermaier , deutsches Privatrecht a. a. O.; Rönne , Staatsrecht I. §. 50; Lotz a. a. O.; ebenso Rau II. §. 203); preuß. Patentgesetzgebung: Grundlage: Patent vom 14. Okt. 1815 nebst Erläuterungen (Juli 1853) bei Kleinschrod S. 162 — 172. — Bayern : Gewerbegesetz vom 11. Sept. 1823. Art. 9; Instruktion vom 21. April 1862; Pözl , Verwaltungsrecht §. 161. — Württemberg : revidirte Gewerbe- ordnung von 1836 §. 141 ff.; Mohl , Verwaltungsrecht II. §. 242. — Baden: Dietz , die badischen Gewerbe S. 351. Versuche zu einer gemeinsamen Patentgesetzgebung der Zollvereinsstaaten: Protokoll vom 21. Sept. 1841; Ueber- einkunft vom 21. Sept. 1842; Dietz a. a. O.; Kleinschrod S. 181—196; vergebliche Versuche des Bundestages seit 1860; Zöpfl , deutsches Staats- recht II. §. 479 c. b) Muster- und Markenschutz. Während bei der Erfindung das Recht derselben sich auf einen ganz bestimmten Gebrauchswerth bezieht, erscheint der letztere bei den Mustern und Marken als ein auf die gesammte Produktion einer bestimmten Unternehmung ausgedehnter und mit demselben bezeichneter Werth der Produktion. Muster und Marken sind die Form, in der die Individualität der Produktion zum Ausdruck gelangt; ihr Werth ist daher der Werth dieser Individualität; er ist an sich aller- dings unfaßbar, aber im wirklichen Leben gelangt er dennoch theils im höheren Preise der einzelnen Artikel, theils aber in der Sicherung des Absatzes (der Kunden) zur Geltung. Auch bei ihm gilt daher der Grundsatz, daß das Recht auf mechanische Vervielfältigung durch andere Unternehmungen mit dem einzelnen Patent nicht übertragen wird, wenn nicht der Verkäufer ein besonderes Uebereinkommen darüber schließt. Und die gesetzlichen Bestimmungen und Maßregeln, welche auch dieses Recht nicht schaffen , sondern schützen , bilden das Muster- und Markenrecht. Dasselbe gehört daher in seiner Ausführung dem Verwaltungsrecht, in seiner Grundlage dem Werthrecht. Sein Princip ist nur, die Verfolgung des Rechts auf die Marken und Muster so leicht und sicher als möglich zu machen. Seine Verwirk- lichung geschieht durch die amtliche Eintragung und durch die Be- strafung der wissentlich unberechtigten Nachahmung beider, um durch dieselbe dem Berechtigten seinen Absatz zu nehmen. Frankreich hat das Muster- und Markenrecht gleich anfangs als einen Theil der propriété industrielle anerkannt; die Sache an sich nie bezweifelt. Musterrecht : schon von 1791 anerkannt; principiell aufgehoben durch die Gewerbefreiheit von 1791; dann aber durch Decret vom 16. März 1806 neu organisirt und dem Conseil des prudhommes zur Entscheidung übertragen, bis das Gesetz vom 29. Aug. 1825 die „Deposition“ der Muster ( dessins de fabrique ) beim Handelsgericht einführte, und damit den Grund der übrigen europäischen Gesetzgebung legte. Die Marken ( marques de fabrique ) schon durch Gesetz vom 22. Germ. XI. und Decret vom 11. Juni 1809 so wie durch den Code Pénal Art. 142. 143 geschützt, gleichfalls gegen Depot. Darnach zunächst England : Errichtung der design office als Depot durch 5. 6. Vict. 100. (1842); Gneist , Engl. Verwaltungsrecht II. §. 107. Strafrecht: 25. 26. Vict. 38. (Verfahrung als misdemeanor ). Dann auch Rußland (Verordnung vom 11. Juni 1864). — Oesterreichs treffliches Gesetz vom 7. Dec. 1858 zum Schutze der gewerblichen Marken und das gleichzeitige vom 7. Dec. 1858 zum Schutze der Muster und Modelle, mit polizeilicher Hülfe und Bestrafung, und wohlgeordnetem Verfahren; s. Stubenrauch , das österreich. Marken- und Musterschutzgesetz, Wien 1859. Zusammenstellung der in den übrigen deutschen Staaten geltenden (zum Theil sehr unfertigen) Bestimmungen s. monatl. Bericht der Wiener Handelskammer (Sitzung vom 13. Juni 1866). — Olden- burg : Markenschutzgesetz von 1864. — Baden : Schutz der Waarenbezeichnung (Gesetz vom 23. Jan. 1864). Dritter Theil. Die Verwaltung und das gesellschaftliche Leben. Das gesellschaftliche Leben. Das dritte große Gebiet des Gesammtlebens und damit der Ver- waltung ist nun das, das wir die Gesellschaft nennen. Die Verwaltungslehre hat in diesem Gebiete nicht den Vorzug wie in den beiden vorhergehenden, sich auf bekannte und anerkannte Begriffe zu stützen. Sie muß daher bis zu einem gewissen Grade das Gebiet selbst schaffen, das sie bearbeiten soll. Das nun wäre unthun- lich in den engen Gränzen eines kurzen Systems, wenn nicht zwei Dinge aushülfen. Das erste ist, daß alle einzelnen Theile dieses Gebietes bereits mehr oder weniger durchgearbeitet vorliegen; während ihnen nur der organische Zusammenhang fehlt; das zweite ist, daß das leitende Princip denn doch nicht hier zuerst aufgestellt wird. Daher ist es möglich, das gesellschaftliche Leben als selbständigen Theil der Verwaltung aufzunehmen, und auch hier das einfache Princip derselben zur Geltung zu bringen. Elemente der Gesellschaftslehre. Begriff der Gesellschaft. Die Grundlage der Gesellschaft ist der Begriff der menschlichen Gemeinschaft , welche die Gesammtheit aller Einzelnen als gleich- berechtigter und gleichbestimmter Persönlichkeiten enthält. Aus der menschlichen Gemeinschaft geht die menschliche Gesellschaft hervor, indem zunächst die Vertheilung der persönlichen, wirthschaft- lichen und geistigen Momente und Güter unter den Einzelnen eine Verschiedenheit hervorbringen. Diese Verschiedenheit wird zu einer Verschiedenheit des ganzen äußeren Lebens, indem sie zunächst die Kräfte, dann die Ansichten und Bestrebungen, dann die Bedürfnisse und damit endlich die ganze Persönlichkeit verschieden gestalten. Den Ausdruck dieser Verschiedenheit bildet dann einerseits die Anerkennung der höheren Stadien der persönlichen Entwicklung durch die niederen, die höhere Achtung , aus der, in Verbindung mit dem Besitze der Mittel andern zu helfen oder ihnen zu schaden, die Geltung hervor- geht. Die Formen, in denen beide im Gesammtleben zur allgemeinen anerkannten Erscheinung gelangen, sind die Ehre und die Macht . Es ergibt sich daher zunächst, daß mit der Verschiedenheit der Men- schen eine das ganze Leben derselben umfassende Verschiedenheit der Ehre und Macht entsteht. Diese Verschiedenheit ist nun nicht bloß eine Thatsache, sondern sie erscheint vielmehr als das größte organische Princip des Lebens der Menschheit. Denn aus ihr geht das Streben der Niederen nach der höheren Entwicklung der Anderen, und zugleich die höchste Befriedigung der Höheren in der Hingabe des Eigenen an die Niederen hervor, welche erst dem Dasein die Fülle des geistigen Lebens verleihen. Denn Leben ist auch hier Wechselwirkung, und die absolute Gleichheit ist der Tod. Es hat daher nie gleiche Menschen gegeben und kann und darf sie nicht geben. Ist dem nun so, so wird diese Verschiedenheit alsbald den Cha- rakter des persönlichen Daseins annehmen, indem sie dasselbe ganz umfaßt. Sie wird sich organisiren; das ist, sie wird Bewußtsein, Willen und äußere Gestalt annehmen. Diese Organisirung kann aber, da ihr Inhalt ein im Wesen der Persönlichkeit liegender ist, und da Unterschied und Bewegung in dieser Verschiedenheit absolute Elemente der Entwicklung werden, nicht bloß auf dem Zufall oder der Will- kür beruhen, sondern das Leben erschafft sie selber mit unwidersteh- licher Gewalt. Das nun kann wieder nur geschehen, indem sich dieselbe an die selbständigen Elemente des letzteren anschließt. Diese nun sind das persönliche, das geistige und das wirthschaftliche Element. Und so entstehen die drei Grundformen, in denen sich die Verschieden- heit der Menschen von jeher organisirt hat und organisiren wird. Die erste dieser Ordnungen ist die, welche an das persönliche Element des Geschlechts anschließt und aus der Familie hervorgehend, das ganze Leben der Menschheit umfaßt. Wir nennen sie daher die Geschlechter- ordnung . Die zweite legt das an sich rein geistige Element der geistigen Arbeit und That zum Grunde, die wir, indem sie das ganze Leben erfüllen, den Beruf nennen; aus dem Berufe wird in seiner äußeren Organisirung der Stand , und die auf dem Stande beruhende Ordnung der menschlichen Gesammtheit ist dann die Standesord- nung . Die dritte endlich legt der gesammten persönlichen Entwicklung und ihren Verschiedenheiten den freien, gewerblichen Besitz zum Grunde, erzeugt und verlöscht mit ihm die Verschiedenheiten in Ehre und Macht, und heißt, indem hier die freie Arbeit die Ordnung für jeden Einzelnen bildet und erhält, die freie , oder nach dem aus ihr erzeugten Rechte die staatsbürgerliche Ordnung. Das nun sind die drei elementaren Ordnungen der Menschen in ihrem Gesammtleben. Natürlich hat das letztere eine Menge von Uebergangszuständen und höchst verschiedene Verschmelzungen jener drei elementaren Grundverhältnisse; und eben so klar ist es, daß, da jene Elemente ja nicht nur einzelnen Persön- lichkeiten vermöge des Wesens der Menschen allein angehören, die- selben stets gleichzeitig vorhanden und auch gleichzeitig wirkend sind; so zwar, daß die Keime derselben in jedem Zustande vorhanden erscheinen. Es gibt Elemente der Stände- und der staatsbürgerlichen Ordnung in der Geschlechterordnung, Elemente der ersteren in den beiden anderen und so fort; eine vollkommene reine Ordnung hat es nie gegeben und wird es nie geben. Das aber ist keine bloß natür- liche Thatsache, sondern ist wieder der Ausdruck eines viel höheren Verhältnisses; denn die tiefere Betrachtung zeigt, daß jede dieser Ord- nungen zugleich eine sehr ethische Funktion hat. Die Geschlechter- ordnung erhebt die Ehre des Geschlechts zu einem Faktor des Strebens nach Ehrenhaftigkeit aller seiner Angehörigen; die Berufsordnung er- zeugt die Veredlung und Erhebung der geistigen Arbeit; die staats- bürgerliche Ordnung vertritt die Kraft und den Muth des individuellen Kampfes mit der Verschiedenheit und ihrem Einfluß auf den Menschen. So wirken sie gemeinsam; es ist ein großes organisches Gesetz, daß keine Ordnung die andere ganz zu ersetzen , und daß auch keine die andere ganz zu verdrängen vermag. Erst in der mächtigen und unerschöpflich reichen Wechselwirkung derselben erfüllt sich das Bild des menschlichen Lebens; und diese Ordnungen nun, ihr Princip, ihr Be- wußtsein, ihre Gestaltung und ihre Wechselwirkung bilden die Gesell- schaft . Die Wissenschaft aber von ihnen, die Erkenntniß der Herr- schaft von elementaren Begriffen und Gesetzen in diesem Leben der Gesellschaft ist die Wissenschaft der Gesellschaft , und die Dar- stellung derselben die Gesellschaftslehre . Es ist bekannt genug, daß kein Begriff so unbestimmt ist, als der der Gesellschaft. Der einfachste Weg, zunächst zur Nothwendigkeit eines festen Be- griffes zu gelangen, ist wohl die historische Entwicklung der Bedeutung des Wortes. Erste Gestalt ist die Vorstellung von der societas des Jus naturae und der französischen société; die menschliche Gemeinschaft überhaupt, mit dem Gefühle, daß sie Verschiedenheiten enthalte, die von höchster Bedeutung sind. Die zweite festere Gestalt beginnt da, wo der Socialismus und Communis- mus zeigen, daß sich diese Unterschiede zu den festen Classen der Besitzenden und Nichtbesitzenden gestalten, die wiederum in einem scharfen Gegensatze stehen, den man weder durch die bloße Nationalökonomie noch durch das Staatsrecht erschöpfen kann. Erstes Verständniß des ethischen Wesens des „Besitzes“ ( Stein , Socialismus und Communismus 1842). Die dritte Epoche beginnt mit der Erkenntniß, daß die Gesellschaft mit dem einfachen Gegensatz zwischen besitzen- der und nicht besitzender Classe nicht erschöpft ist, sondern daß diese Erscheinungen selbst wieder nur Theile eines größeren Lebens sind, welches die ganze Geschichte der Menschheit erfüllt; Entstehung des organischen Begriffes der Gesell- schaft. Es ist hier nicht der Ort zur Kritik. (Literatur: Stein , Geschichte der socialen Bewegung und dessen System der Staatswissenschaft; Coster , System der Gesellschaftswissenschaft 1855; Treitschke , Gesellschaftswissenschaft 1859.) Das Gesellschaftsrecht. So klar nun auch jene Elemente an sich sind, so wird dennoch das Ganze erst da faßbar, wo dasselbe zu einem Rechtssysteme wird. Die Grundlage dieses Rechts der Gesellschaft besteht darin, daß die Bedingungen, welche den Unterschied erzeugen und damit der leben- digen Wechselwirkung zum Grunde liegen, als geistige oder wirthschaft- liche Güter Gegenstand des Rechts sind, und daß daher die Wirkungen , welche die Vertheilung hat, gleichfalls das rechtliche Element in sich aufnehmen. Indem der Einzelne ein bestimmtes Gut hat, empfängt er mit dem Recht auf dasselbe auch das Recht auf die Wirkung desselben, seine gesellschaftliche Stellung; in dem Recht auf das erstere besitzt und vertheidigt er das Recht auf die zweite; und da das zweite das höhere ist, so ergibt sich bald, daß er das erstere um des zweiten willen vertheidigt. So entsteht das, was wir als die Grundlage aller Rechtsbildung anerkennen müssen, daß nämlich in jedem Rechte auf jedes Gut zugleich ein, und zwar an sich herrschendes gesellschaft- liches Element enthalten ist, so daß in Wahrheit das gesammte Rechts- leben als eine durch die Ordnung der Gesellschaft beherrschte Rechtsordnung erscheint; das reine Recht kommt dadurch nie zur allein gültigen Erscheinung, sondern jedes geltende Recht ist stets und unbedingt das Ergebniß der Wechselwirkung des reinen und gleichen Wesens aller Persönlichkeit an sich und der gesellschaftlichen Persönlich- keit. Demgemäß sagen wir, daß die Rechtsphilosophie das Recht lehrt, in so ferne es aus dem reinen Wesen der Persönlichkeit folgt, während die Rechtswissenschaft das lebendige Recht in seinem posi- tiven Verhältniß zum wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Leben zur Erkenntniß bringt. Das nun führt hinüber auf ein anderes Gebiet. Allein es ist klar, daß hier das reine und das gesellschaftliche Recht so innig verschmolzen sind, daß das letztere noch zu keiner selbst- ständigen Darstellung gelangen kann. Das nun geschieht erst da, wo die gesellschaftlichen Elemente nicht mehr durch ihre selbstwirkende Kraft das Recht bilden, sondern wo die gesellschaftlichen Ordnungen mit Bewußtsein und Willen in die Rechtsbildung hineingreifen. Das wiederum kann nur da geschehen, wo diese gesellschaftlichen Ordnungen sich der rechtsbildenden Kraft des Staats bemächtigen. Das Interesse, welches sie an ihrem Besitz und der auf ihn beziehenden gesellschaft- lichen Stellung haben, bringt sie daher unmittelbar dazu, nach dem Besitze dieser rechtsbildenden Kraft des Staats zu streben. Dieß nun gelingt aus naheliegenden Gründen stets der höheren Klasse. Es ist daher ein organisches Gesetz des Staatslebens, daß sich diese höhere Classe jeder der drei Gesellschaftsordnungen der Staatsgewalt bemächtigt, und dieselbe benutzt, um das ihren Interessen entsprechende Recht zum geltenden Recht zu erheben. So wie ihr das erstere gelingt, entsteht die gesellschaftliche Gesetzgebung und Verwaltung . Dieselbe beruht darauf, daß der wirkliche Staat zwar in seinen ab- strakten Elementen aus dem Wesen der Persönlichkeit folgt, daß aber seine wirkliche Individualität stets aus der in ihm herrschenden gesellschaftlichen Ordnung hervorgeht; daß diese stets das ihr entsprechende Recht durch Gesetz und Gericht zu geltendem Recht macht, und damit die ganze Gesellschaftsordnung mit der be- stehenden Rechtsordnung identificirt . In diesem Sinne sagen wir, daß jede Verfassung und Verwaltung eine gesellschaftliche ist, und daß jedes positive Verfassungs- und Verwaltungsrecht nur aus den gesellschaftlichen Elementen und Interessen verstanden werden kann, welche dasselbe gebildet haben. Aus demselben Grunde ergibt sich die große Thatsache, daß auch jede bürgerliche Gesetzgebung, das ganze geltende Privatrecht , nichts als die gesellschaftliche Gestalt des reinen Rechts ist, und daß daher die großen Codifikationen des bürgerlichen Rechts stets die Folge großer gesellschaftlicher Umgestaltungen sind, denen sie eben im bürgerlichen Recht ihren Ausdruck verleihen. Von diesen Gesichtspunkten aus ergibt sich daher eine neue Auffassung des Rechtslebens, die hier gleichfalls nicht weiter verfolgt werden kann. Zunächst aber wird diese gesellschaftliche Rechtsbildung sich stets auf die Ordnung des Besitzes und der Stellung der herrschenden Classe und ihres Verhältnisses zur beherrschten beziehen, und die Unantast- barkeit der wirthschaftlichen und geistigen Bedingungen der gesellschaft- lichen Herrschaft zum Princip des jedesmaligen geltenden Rechts er- heben; und dieß, auf diese Weise selbständig dastehende Recht der Gesellschaftsordnungen nennen wir nun im eigentlichen Sinne das Gesellschaftsrecht . Es ist nun klar, daß damit auch das Gebiet bezeichnet ist, auf welchem die eigentliche Thätigkeit der Verwaltung beginnt. Um dieses aber bestimmter formuliren zu können, muß zuerst das Princip der Geschichte der Gesellschaft, namentlich in ihrem Verhältniß zum Staate, bestimmt werden. Der Hauptgrund, weßhalb die bisherigen Arbeiten über die Gesellschafts- lehre so wenig Resultate geliefert haben, besteht darin, daß man den Zusam- menhang der Gesellschaft und ihrer Gegensätze mit der Rechtsbildung nicht strenger untersucht hat (vergl. Stein , Geschichte der socialen Bewegung, Ein- leitung). Die beiden Versuche, den inneren Zusammenhang nachzuweisen in Stein , französische Rechtsgeschichte von Warnkönig und Stein Bd. III. und Gneist , Engl. Verfassungs- und Verwaltungsrecht. Es dürfte noch einige Zeit dauern, bis die deutsche Rechtsgeschichte diese Auffassung zulassen wird. Die beiden Principien in der Geschichte der Gesellschaft. Von dem obigen Standpunkt erscheint nun allerdings die Gesell- schaft mit ihrer Entwicklung und ihren Gegensätzen als der wahre Inhalt dessen, was wir die innere Geschichte der Völker, ja der Welt nennen möchten. Um so nothwendiger ist es, die beiden Principien festzustellen, welche ihrerseits diese mächtige, die ganze Weltgeschichte beherrschende Bewegung selbst wieder beherrschen. Das erste dieser Principien ist der allmählige aber unabweisbare Sieg der staatsbürgerlichen Gesellschaft über die Geschlechter- und Ständeordnung. Denn nur sie beruht ganz auf dem letzten Element alles Werdens, der durch eigene That sich Ehre und Macht verschaffen- den Persönlichkeit. Allerdings vernichtet sie niemals ganz die beiden letzten Ordnungen, sondern sie nimmt sie vielmehr in sich auf und gestaltet sie um; allein nur diejenigen Völker sind wahrhaft lebensfähig, welche fähig sind, diese freie Gesellschaftsordnung bei sich zu erzeugen und zur Geltung zu bringen. Alle anderen Völker gehen zu Grunde. Und da nun nur der gewerbliche Besitz die Fähigkeit hat, dieser Ge- sellschaftsordnung die ihr entsprechende freie materielle Basis zu geben, die ihrerseits die freie, selbständige Persönlichkeit erzeugt und enthält, so ergibt sich der vielgesuchte Punkt, auf welchem die Nationalökonomie mit der Geschichte der Gesellschaft zusammenhängt; der Kampf und die Geschichte der gewerblichen Thätigkeit sind der Kampf und die Geschichte der staatsbürgerlichen Gesellschaft. Da aber endlich jede Gesellschafts- ordnung ihre Verfassung, ihre Verwaltung und ihr bürgerliches Recht erzeugt, so folgt, daß der Schlußpunkt und zugleich der Keim aller Rechtsgeschichte den Sieg der staatsbürgerlichen Rechtsordnung über die der Geschlechter- und Ständeordnung enthält. So greifen hier die größten Faktoren lebendig wirkend in einander, in dem unendlichen Reichthum des Lebens ihre organische Einheit erzeugend. Dem nun zur Seite steht das zweite große Princip dieser Ent- wicklung; und dieses Princip ist die eigentliche Grundlage der Verwal- tung der Gesellschaft und ihres Rechts. Jede Gesellschaftsordnung hat ihre drei Classen, die höhere, die mittlere und die niedere. Der Unterschied ist ein organischer, und jedes Streben das die Classenunterschiede aufheben will, ist ein Widerspruch mit dem Gesetze des Lebens, das sich nur durch Verschiedenheit ent- wickeln kann. In diesem Unterschiede der Classen erscheint nun die unendliche Bestimmung jeder Persönlichkeit in dem Satze, daß jeder die Möglichkeit haben muß, durch eigene Kraft und Arbeit aus der niederen Classe in die höhere hinaufzusteigen , während er anderer- seits auch theils durch eigene Schuld, theils durch die natürliche Ent- wicklung von der höheren auch zur niederen hinabsteigen kann. Dieser Proceß vollzieht sich in der ganzen Welt in jedem Einzelleben. Wir nennen ihn die gesellschaftliche Classenbewegung . In ihr wird weder die gesellschaftliche Ordnung aufgehoben, noch gehört sie an sich bloß Einer dieser Ordnungen an. Es gibt eine Classenbewegung der Geschlechter-, der Stände- und der staatsbürgerlichen Ordnung. Sie ist aber mehr als eine bloße Thatsache. In ihr verwirklicht sich das Princip, daß das Leben der Person nicht durch die zufällig ihr gewor- dene gesellschaftliche Stellung dauernd bestimmt ist, sondern daß der Einzelne auch in der Gesellschaft die höchste Stufe durch seine That soll erringen können. Dieses Princip ist das der gesellschaftlichen Freiheit . Die gesellschaftliche Freiheit ist daher nicht die gesellschaft- liche Gleichheit , die nie gewesen ist und nie sein wird, sondern die rechtliche und thatsächliche Möglichkeit der aufsteigenden Classen- bewegung für jedes Mitglied der niederen Classe. Da, wo diese Möglichkeit genommen ist, steht das Leben der Gesellschaft still; da wo sie durch das von den höheren Classen gegebene Recht aufgehoben ist, wird sie unfrei. Der Kampf in der Gesellschaft ist daher seinem wahren Wesen nach nie ein Kampf gegen die Ungleichheit, sondern stets nur ein Kampf gegen eine Rechtsordnung, welche es der Arbeit des Einzelnen principiell unmöglich macht, zur Gleichheit mit den Gliedern der höheren Classe zu gelangen. Dieser Kampf hat nun eine sehr verschiedene Gestalt, je nachdem es sich um die Geschlechter-, die Stände- oder die staatsbürgerliche Ordnung handelt; aber seinem inner- sten Wesen nach ist er stets derselbe, und es zeigt sich dabei bei tieferem Eingehen auf diese Erscheinungen das Princip, daß die Gesellschafts- ordnungen überhaupt, und die gesellschaftlichen Zustände eines jeden Volkes um so besser und edler sind, je leichter und freier die organische Classenbewegung vor sich geht . In der That erscheint aber nur aus diesem Grunde die Ständeordnung höher stehend als die Geschlechterordnung, und die staatsbürgerliche Ordnung wieder höher stehend als die Ständeordnung. Denn nicht der geistige oder wirthschaftliche Reichthum als solcher, sondern die lebendige und freie Bewegung, welche ihn für jedes Mitglied der Gesellschaft erreichbar macht, ist das Wohlsein des Volkes. Diesem höchsten Lebensprincip der Gesellschaft aber tritt nun das Interesse der höheren Classen ent- gegen; es arbeitet in seiner Weise; denn nicht das Viel oder Wenig was die Einzelnen besitzen, sondern der Unterschied unter ihnen ist die höchste Befriedigung des Einzelnen; und diesen aufrecht zu halten strebt das Interesse, das somit zum unversöhnlichen Feinde der Freiheit zu werden bestimmt scheint. Hier liegt der tiefste Widerspruch im Leben der Menschheit; und hier ist daher auch der Punkt, wo der Staat als höchste persönliche Form derselben in die Gesellschaft hineingreift; und die daraus entstehenden, mit dem obigen Wesen der letzteren auf das Innigste zusammenhängenden Aufgaben dieses staatlichen Lebens sind es, welche die Principien und den Inhalt der Verwaltung der Gesellschaft bilden. Die gesellschaftliche Verwaltung. Die Principien derselben. Ist dem nämlich so, so ergeben sich in einfacher Weise die zwei Grundgedanken, welche das Verhalten des Staats zur Gesellschaft und ihrer Bewegung enthalten. Zuerst steht fest, daß der Staat weder die Gesellschaft bilden, noch die gebildete Ordnung durch seine Macht leiten kann. Die gesell- schaftlichen Ordnungen und Erscheinungen bilden sich selbst, wie die Ordnungen und Erscheinungen der Volkswirthschaft; sie leben nach ihren eigenen Gesetzen, die unabänderlich ihren Weg gehen; es ist nicht minder unverständig, auf die sociale Gestaltung einen unmittelbaren Einfluß nehmen zu wollen, als auf die Gesetze nach denen Werth und Preis sich richten. Alsdann aber fragt es sich, wozu denn der Staat auf diesem Gebiete berufen ist. Das nun ist einfach, sowie man den Begriff der gesellschaftlichen Entwicklung, wie sie in dem Begriffe der aufsteigenden Classenbewegung liegt, festhält. Der Staat kann und soll diese Entwicklung und Be- wegung nicht selbst erzeugen, denn sie soll durch und für das freie Individuum vor sich gehen; aber er soll die Bedingungen herstellen, welche der Einzelne in der gegebenen gesellschaftlichen Ordnung sich durch eigene Kraft nicht mehr schaffen kann, um aus der niederen in die höhere Classe hinaufzusteigen . Das große Princip der persönlichen Selbstbestimmung fordert, daß der Staat mit seiner Thätig- keit immer erst da beginne, wo die Kraft des Einzelnen ihrem Wesen nach unfähig ist, jenes Ziel zu verwirklichen; allein auf diesem Punkte soll er auch beginnen. Denn der Staat als persönliche Einheit Aller ist zugleich der Vertreter der höchsten Harmonie der Interessen Aller; seinem Wesen nach wird er daher im Geiste dieser Harmonie arbeiten, oder er wird an dem Mangel dieser Fähigkeit selbst untergehen. Denn wenn der Staat nicht seine höchste sociale Funktion, die nicht in der Unterwerfung eines Interesses unter das andere, sondern in der har- monischen Lösung ihrer Gegensätze besteht, zu erfüllen vermag, so tritt die elementare Gewalt der physischen Kräfte an seine Stelle, und der bürgerliche Krieg vernichtet mit dem Wohlsein Aller auch den Staat selbst, der es nicht zu verstehen und zu schützen vermochte. Das ist das allgemeine Princip der gesellschaftlichen Verwaltung; um nun aber zu seinem positiven Inhalte zu gelangen, muß man es zum System entwickeln. Das System der gesellschaftlichen Verwaltung. Das System der gesellschaftlichen Verwaltung ist daher nicht das System der Gesellschaft, so wenig wie das System der wirthschaftlichen Verwaltung das der Volkswirthschaft ist. Da ferner in der Gesellschaft alle Elemente des Lebens ihre Geltung finden, so ist es zweitens klar, daß im allgemeinsten Sinne auch die Sorge für die leibliche, geistige und wirthschaftliche Entwicklung als Voraussetzung der gesellschaftlichen Aufgabe erscheine, ohne welche dieselbe nicht gelöst werden kann. Allein es ist für Wissenschaft wie für Praxis von Wichtigkeit, daß man zwar das sociale Moment in allen diesen Gebieten anerkenne, aber die eigentliche gesellschaftliche Verwaltung in Gemäßheit der Grundbegriffe der Gesellschaftslehre auf die Thätigkeit des Staats für die Be- dingungen der freien gesellschaftlichen Bewegung beschränke. Darnach ergeben sich System und Organisation der gesellschaftlichen Verwaltung in folgender Weise. Das System der gesellschaftlichen Verwaltung enthält drei Ge- biete. Das erste ist das der gesellschaftlichen Freiheit , welches die rechtlichen Hindernisse jener Bewegung durch den Staat beseitigt. Das zweite ist die Sorge des Staats für die gesellschaftliche Noth , welche dem Einzelnen die physischen Voraussetzungen der persönlichen Selb ständigkeit gibt. Das dritte endlich ist das der gesellschaftlichen Ent- wicklung , das sich speciell der aufsteigenden Classenbewegung zuwendet. Jedes dieser Gebiete hat wieder sein System und seine Aufgabe. Diese nun aber werden beide erst dann ganz klar, wenn man den Organismus der Verwaltung gerade für die gesellschaftliche Welt be- trachtet. Denn für gar keinen Theil der Verwaltung ist der Charakter Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 26 der drei Grundformen der vollziehenden Gewalt in der Verwaltung so prägnant, als gerade hier. Es ergibt sich nämlich, daß die Herstellung der gesellschaftlichen Freiheit die wesentliche Aufgabe der Gesetzgebung und Regierung , der Kampf mit der gesellschaftlichen Noth die der Selbstverwaltung , und die gesellschaftliche Entwicklung die des Vereinswesens ist. Es ist selbstverständlich, daß das eine Organ das andere in seinem Gebiete nicht ausschließt; aber der Charakter bleibt. Und die Elemente des Bildes, welche sich daraus ergeben, sind folgende. Erster Theil . Die Verwaltung und die gesellschaftliche Freiheit. Begriff und Princip . Die gesellschaftliche Freiheit beruht darauf, daß in jeder gesell- schaftlichen Ordnung die höheren Elemente derselben vermöge ihres Interesses nach den im Wesen der Gesellschaft liegenden Gesetzen dahin streben, sich durch die Staatsgewalt ein ausschließliches Recht auf die Bedingungen ihrer höheren Stellung zu gewinnen. Die Idee des Staats fordert, daß diese Ausschließlichkeit aufgehoben und die recht- liche Erwerbbarkeit jedes wirthschaftlichen und geistigen Gutes an die Stelle der Ausschließlichkeit gesetzt werde. Es ist nun eine der wich- tigsten Aufgaben der Weltgeschichte, den allmähligen Sieg des freien Rechts über die gesellschaftliche Ausschließlichkeit der Geschlechter- und Ständeordnung durch Gesetzgebung und Regierung zum Verständniß zu bringen. Das Ergebniß dieser langen und schweren Arbeit ist die definitive Geltung des Rechtsprincips der staatsbürgerlichen Gesellschaft, nach welchem die negative Gleichheit alles Rechts in der Beseitigung aller Privilegien und Vorrechte jener beiden Gesellschaftsordnungen ausgesprochen ist. Aber die letzteren sind dadurch an sich nicht auf- gehoben, und sollen es nicht sein; denn sie sind in ihrer freien Form organische Elemente der Gesellschaft an sich. Indem sie aber theils noch mit ihren mittelalterlichen Resten in die staatsbürgerliche Gesell- schaft hineinragen, theils auch die Tendenz behalten, diese natürliche Herrschaft der höheren Classen zu einer rechtlichen zu machen, so bleibt die Aufgabe des Staats, die freie gesellschaftliche Bewegung gegenüber diesen Elementen festzustellen; und die Erfüllung dieser Aufgabe ist die Herstellung der gesellschaftlichen Freiheit . Wir unterscheiden in derselben die einzelnen Gebiete und das dieselben gleichmäßig beherrschende Princip für Gesetzgebung und Verwaltung. Die Gebiete derselben sind die Familie mit dem Hauswesen, die Geschlechterbildung und die Standesordnung. Das Princip, das sie beherrscht, ist folgendes. Die Bildung der Familien, der Geschlechter und der Stände ist ein naturgemäßer Proceß, den der Staat weder schaffen noch stören, noch hindern soll. Sie sind selbständige und selbstthätige Organe der Gesellschaft, und wirken je in ihrer Weise für das Ganze. Sie sollen daher in ihrer selbständigen Bildung frei sein wie die Einzelnen, aus denen sie hervorgehen. Allein sie sollen kein Recht schaffen , das auch nur innerhalb ihrer eigenen Sphäre die freie Bewegung ihrer Glieder mit objektiver Gültigkeit zu beschränken im Stande wäre. Und die systematische Beseitigung solcher Rechtsbildung vermöge der Durchführung des Princips der gesellschaftlichen Freiheit ist eben der Grundgedanke des ersten Theils der gesellschaftlichen Verwaltung in der staatsbürgerlichen Ordnung. A. Die Familie und das Gesindewesen. Die Familie ist nicht bloß die erste Form der einheitlichen Persön- lichkeit, sondern auch der erste und noch rein natürliche gesellschaftliche Körper. Seine Elemente sind die Ehe, die eigentliche Familie, und das Gesinde. Es sind das absolute, d. i. organische Erscheinungen des Lebens. Sie bilden sich daher von selbst, und erzeugen sich selbst ihre Ordnung, welche zuletzt nur wieder der Ausdruck ihrer natürlichen Grundverhältnisse ist. Diese Ordnung ist eine ethische, so weit sie auf dem freien geistigen Einfluß und ihrer höher stehenden Persönlichkeit auf die niedere beruht. Allein das ethische Element gestaltet sich als- bald zu einem rechtlichen , das den individuellen Willen des Ober- haupts zum objektiv geltenden für jedes einzelne Glied macht. Dadurch wird die Familie unfrei . Die Entwicklung der Gesittung beginnt dann den Kampf mit dieser Unfreiheit, und ihre Resultate formulirt dann die Rechtsbildung, indem sie die Herrschaft des Oberhaupts so weit begränzt , als dieß durch die freie Entwicklung der Mitglieder der Familie gefordert wird. So entsteht die Geschichte des Fami- lienrechts . Sie beginnt mit der Anerkennung der wirthschaftlichen Selbständigkeit des Sohnes im peculium, mit derjenigen der Frau im Dotalsystem; sie erscheint im Erbrecht, im Testirrecht des Oberhaupts, die aber alsbald im Namen der Selbständigkeit der Glieder durch das Pflichttheilsrecht beschränkt wird; sie erhebt sich endlich in der staats- bürgerlichen Gesellschaft zur öffentlich rechtlichen Begränzung der natür- lichen Gewalt, und wird damit ein Theil der bürgerlichen Gesetzgebung, während andererseits das Recht der freien Ehe und der Ehescheidung der Stellung der Frau ihre Selbständigkeit zurückgibt. So liegt hier ein Proceß vor, der der Rechtsgeschichte angehört, und der nur durch die Elemente der Gesellschaft erklärt werden kann. Es ist ein Theil desjenigen Gebietes, das wir das bürgerliche Verwaltungsrecht nennen, und das seiner selbständigen Behandlung harrt. Den zweiten selbständigen Theil des Familienwesens bildet das Gesindewesen . Dasselbe umfaßt die zum häuslichen Dienst be- stimmten Personen; ihre Stellung ist daher naturgemäß die einer un- bestimmten Abhängigkeit, ihr Rechtsverhältniß das des häuslichen Ge- horsams auf der einen, aber auch eines gewissen unbestimmten Ange- hörens an das Haus auf der andern Seite. Es beginnt deßhalb bei der Sklaverei, und geht dann über zum Dienst der Unfreien, dem eigentlichen Gesinde, bis sich allmählig die dritte Epoche des reinen Lohnverhältnisses zwischen Familie und Gesinde herausbildet, in welchem Gehorsam und Verpflichtung auf den reinen Privatvertrag zurückgeführt werden. Es ist nun kein Zweifel, daß das rein vertrags- mäßige dienstliche Verhältniß allein der staatsbürgerlichen Gesellschafts- ordnung entspricht, nicht weil das Angehören an das Haus an sich verkehrt wäre, sondern weil die Gränze des Gehorsams und der Verpflichtung sich von jedem anderen Standpunkte der genauen Be- stimmung entzieht, und die dann entstehenden Fragen nur auf der Grundlage der Abhängigkeit gelöst werden können. Das staatsbürger- liche Gesindewesen beruht daher auf dem Grundsatze, daß die ethische Beziehung zwischen Herrschaft und Gesinde rein auf den individuellen Verhältnissen beruhen, und daß ihr Recht das freie Recht des einfachen Vertrages sein soll. Allerdings ist der Uebergang von dem früheren Standpunkt zu diesem staatsbürgerlichen mit einer Reihe von Uebelständen verbunden; allein es ist vergeblich, den Proceß auf- halten zu wollen, der die Dienstboten als einfache Lohnarbeiter der Herrschaft selbständig gegenüber stellt. England und Frankreich haben denselben vollzogen; dort gibt es keinen Begriff und kein Recht des „Gesindes“ mehr. Es ist falsch, daß die deutschen Gesetzgebungen zum Theil noch den Gesichtspunkt des Angehörens an die Familie rechtlich festhalten wollen; bildet sich das letztere nicht von selbst, so soll und kann das Gesetz ihn nicht weiter führen. Das deutsche Gesinderecht beginnt mit dem Grundsatze der Angehörigkeit des Gesindes an das Haus, der Forderung des Gehorsams, der dann das (mäßige) Züchtigungsrecht und die Pflicht zur Pflege kranker Dienstleute ent- spricht. Das blieb um so mehr unbezweifelt bis zum 18. Jahrhundert als die Dienstboten ohnehin meistens aus den unfreien Familien herstammten, und ihre häusliche Unfreiheit nur eine bestimmte Modifikation der Geschlechterunfrei- heit war. Mit dem 19. Jahrhundert beginnt dagegen der Gedanke der persön- lichen Selbständigkeit auch für das Gesinde Platz zu greifen; die alten Verhältnisse werden unklar, und jetzt fängt die Gesetzgebung an, die eigentlichen Gesinde- ordnungen zu entwerfen, die noch bis in die dreißiger Jahre unseres Jahr- hunderts den Grundsatz der Abhängigkeit, der leichten häuslichen Züchtigung und des Anspruches auf Hülfe von Seiten der Herrschaft festhalten, obwohl im Ganzen das rein privatrechtliche Rechtsverhältniß vorwiegt und die einzelnen Bestimmungen beherrscht. Bis zur völligen Gültigkeit des reinen Lohnver- trages ist es noch nicht gediehen, obwohl das wirkliche Leben die Loslösung des Gesindes vom Hauswesen und Hausrecht vollzogen hat, und jede neue Gesetz- gebung nur noch die französischen Grundsätze anwenden konnte (vergl. über louage d’ouvrage in dieser Beziehung namentlich Duvergier , Droit civil XIX. 322. 338). Gesindeordnungen des vorigen Jahrhunderts: Bayern : von 1781; Detmold : 1752. Mit dem Jahre 1809 (badische Gesindeordnung vom 15. April 1809) beginnt die deutsche Gesetzgebung der Uebergangsepoche; Wiener Gesindeordnung von 1810; Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde II. §. 433; neue österreich. Gesindeordnungen nach den einzelnen Provinzen von 1856 und 1857; preußische erste Gesindeordnung vom 8. Nov. 1810; besondere Gesindeordnung von 1844—1847; vergl. Rönne , Staatsrecht II. 349; nebst einer nicht unbedeutenden Literatur (seit 1840); Bayern : Gesindeordnung von 1781 und die folgenden von 1804, 1815 und 1828; Pözl , Verwaltungs- recht §. 112. — K. Sachsen : Dienstbotenordnung von 1835. — Württem- berg : Stuttgarter Gesindeordnung vom 27. Okt. 1819. Andere bei Mitter- maier , deutsches Privatrecht II. §. 294; Vorstellung von einem „Gemeinen deutschen Gesinderecht.“ B. Das Geschlechterrecht. Begriff und Inhalt. Die zweite große gesellschaftliche Erscheinung ist das Geschlecht. Das was wir unter dem Geschlechterwesen und Geschlechterrecht ver- stehen, bildet eine der wichtigsten Thatsachen der Geschichte. Das Gegenwärtige aber sowohl als die daraus sich ergebende Aufgabe der Verwaltung kann nur als Theil eines großen, noch keineswegs abge- schlossenen Processes erkannt werden. Man muß in dieser Beziehung nothwendig das Wesen des Geschlechts , den Adel und das Majorat unterscheiden. 1) Das Geschlecht ist die durch mehrere Generationen erhaltene Familie, deren geistiges Element die Tradition bestimmter öffentlicher Leistungen und die damit verbundene Ehre ist. Das Dasein eines Ge- schlechts bedeutet daher eine Kraft in der Familie, welche stark genug ist, der Auflösung zu widerstehen, und den Sporn für jedes Mitglied, die Ehre des ganzen Geschlechts durch eigene Leistungen zu bewahren. Der Trieb, aus der Familie ein Geschlecht zu bilden, ist daher nicht bloß hoch achtbar an sich, sondern für das Gesammtleben höchst werth- voll. Die Geschlechterbildung selbst vollzieht sich demnach durch die Natur der Familie; sie ist kein Gegenstand weder der Gesetzgebung noch der Verwaltung, sondern ein freier Proceß in der gesellschaftlichen Welt, der allen edleren Völkern und Zeiten gemeinsam ist. Erst da, wo der Adel beginnt, ändert er seinen Charakter und sein Recht. 2) Der Adel entsteht, indem das Geschlecht durch seine innere Kraft sich dauernd derjenigen öffentlichen Stellung bemächtigt, deren Besitz die Ehre und die Macht der Familie ausmacht. Der dauernde Besitz derselben erzeugt dann das Streben, das Recht auf eine solche Stellung erblich zu machen; die Gesammtheit derer, welche auf diese Weise den erblichen Besitz der öffentlich leitenden Stellung für sich ge- winnen, bilden dann eine Gemeinschaft, welche wir dann die „Ge- schlechter“ nennen; diejenige Ordnung, nach welcher die Herrschaft auf diese Weise in den Besitz der Geschlechter kommt, nennen wir die „Ge- schlechterherrschaft,“ und die einzelnen dazu gehörigen Familien bilden den „Adel“ im weitern Sinne des Wortes. Im engern und eigent- lichen Sinne nennen wir den Adel dagegen diejenigen Familien und Geschlechter, die vermöge des grundherrlichen Besitzes und seiner Rechte die Herrschaft ausüben; die Bezeichnung „von“ bedeutet eben den Besitz der Grundherrschaft als Basis der herrschenden Stellung. Es hat daher herrschende Geschlechter bei allen Völkern gegeben, Adel dagegen nur da, wo es eine Grundherrlichkeit mit ihren Rechten gab, also bei den germanischen Völkerschaften. Aus diesem an sich natürlichen, auf dem Wesen des Geschlechts beruhenden Verhältniß entwickelt sich nun vermöge des Sonderinteresses diejenige Rechtsbildung, welche das Angehören an das Geschlecht zur ausschließlichen Bedingung für die Theilnahme an gewissen Zweigen der Staatsgewalt macht. So entsteht aus der Thatsache des Geschlechts und des Adels das Vorrecht desselben. An dieses Vorrecht des Adels schließt sich, so wie es einmal besteht, ein System von Rechtsbestimmungen über die Vorrechte, welche auch ohne Besitz mit der bloßen Abstammung von dem herrschenden Geschlecht verbun- den sind, namentlich über das Gericht, das Adelsprädikat, das Wappen, die Siegel u. s. w. Diese Rechtsbildung nun ist es, welche mit der freien Bewegung der Gesellschaft und zugleich mit den höheren Bedürf- nissen der fortschreitenden Gesittung in Widerspruch tritt, da sie die Berechtigung zu bestimmten öffentlichen Stellungen nicht mehr von der persönlichen Fähigkeit, sondern von dem Zufall der Geburt abhängig macht, und so eine Ungleichheit rechtlich normirt, welche die Kraft und der Werth des Einzelnen nicht mehr zu durchbrechen vermag. So wie daher das Princip der staatsbürgerlichen Gesellschaft zur Geltung ge- langt, so entsteht ein Proceß, der den Adel bekämpft; und in diesem Proceß nimmt der Staat vermöge seiner Regierung eine hochwichtige Stellung ein. Derselbe hat zwei Epochen. In der ersten wird dem Adel das Vorrecht genommen; in der zweiten wird der Adel als solcher angegriffen. Die erste hat wieder zwei Hauptrichtungen. Einer- seits fordert die steigende Wichtigkeit der Regierungsaufgaben, daß die herrschenden Stellungen ohne Rücksicht auf das Geschlecht von den Fähigsten besetzt werden; das thun die Regierungen, seitdem sich mit dem siebzehnten Jahrhundert die Staatsidee von der Geschlechter- und Ständeherrschaft frei macht, und das Staatsoberhaupt sich demselben gegenüber einen durch eigene Tüchtigkeit dazu berufenen Amtsorga- nismus um sich bilden muß. Mit dem neunzehnten Jahrhundert tritt dieser Proceß in ein neues Stadium, den Kampf gegen das Adels- recht in den Verfassungen. Hier entwickelt sich eine Reihe von Er- scheinungen, welche der Verfassungsgeschichte angehören, und die wir als den Unterschied der ständischen von der staatsbürger- lichen Vertretung, und die Frage nach dem Oberhause bezeichnen. Es ist der Kampf der individuellen Berechtigung zur Vertretung des Volkes mit der auf Geburt und Besitz beruhenden; das daraus ent- stehende Recht ist das Verfassungsrecht, das hier nicht zu erörtern ist. Die zweite Richtung ist aber eine wesentlich andere. Sie enthält die Aufhebung aller persönlichen Vorrechte des Adels, und die volle Gleichstellung desselben mit den Nichtadelichen. In diesem Kampf hat die staatsbürgerliche Gesellschaft bereits in England, Frankreich und Oesterreich den vollen Sieg gewonnen; der Rest des besonderen „Adelsrechts“ in den übrigen Staaten bildet in der That nur noch den Schein von besonderen Rechten, und auch dieser verschwindet mit jedem Tage mehr. Als Schlußpunkt dieser Epoche erscheint somit der Satz, daß der Adel nur noch eine Thatsache und kein Recht ist; aus dem ursprünglichen „Adel“ sind jetzt „Geschlechter“ geworden, und die Prädikate bedeuten nur noch „Geschlechter-Prädikate“. Daraus folgt allerdings, daß diese Prädikate nicht willkürlich angenommen werden können, da eine Familie noch kein Geschlecht ist. Die weitere Folge ist die „Verleihung“ derselben durch das Staatsoberhaupt, die als Beginn der Geschlechterordnung betrachtet werden muß, indem sie den Zufall der Geburt vertritt, und daher sich von selbst verliert, wenn die Familie nicht fähig ist, ein Geschlecht zu bilden. Es soll aber dem auf diese Weise zuerkannten Recht auf Führung des Prädi- kats kein Verbot zur Seite stehen; nur darf natürlich eine rechtliche Geltung der Führung des Prädikats (bei Taufen, Firmen, Bestal- lungen u. s. w.) nicht anerkannt werden. Das Wesen der Freiheit des Adels als gesellschaftliche Beziehung liegt daher, soweit seine Vorrechte beseitigt sind, nicht in seiner Vernichtung, sondern in seiner Erwerb- barkeit für jedermann, aber in der Rückkehr des Adelswesens zur Geschlechterbildung . Die deutsche Literatur hat sich mit dem Adel fast nur so weit beschäftigt, als er vermöge seiner Vorrechte Gegenstand des deutschen Privatrechts und der Rechtsgeschichte war. Die höhere Auffassung von Adel tritt in Europa erst durch Montesquieu auf ( Esprit des Lois L. V. Ch. 8); Ende vorigen Jahr- hunderts Suarez , Entwurf des Allgem. preuß. Landrechts, Adel als „Stütze des Thrones;“ Kamptz , Jahrbücher XLI. S. 1681; Steins Princip der Aufhebung aller Vorrechte des Adels; Rönne I. §. 95. Das preuß. Land- recht bleibt jedoch mit seinem System des Adelswesens bestehen II. 472. Die neue Staatenbildung Deutschlands bringt dann das Element der Standesherren hinzu, deren Rechte vertragsmäßig garantirt werden und auf die neueren Verfassungen übergehen. In Oesterreich vollständige Aufhebung aller Vorrechte; dagegen noch immer System des Adelsrechts mit den Grundsätzen über Ver- leihung und Verlust und Rechte auf Wappen ꝛc.: Rönne I. §. 95; Pözl , Verfassungsrecht §. 40 ff.; Mohl , württemb. Verfassungsrecht I. 498 ff. Die neuere Auffassung, wie sie namentlich Eisenlohr über den Beruf des Adels 1852 vertritt, ist allerdings eine viel höhere; allein sie verwechselt Adel und Geschlecht, und das Wahre, das sie unverkennbar enthält, gehört dem Wesen des letzteren und nicht dem des ersteren an. Das Geschlechter-Erbrecht und die Majbrate . Wo nun einmal eine bevorrechtigte Stellung des Adels ist, da ist das Interesse an der Erhaltung derselben für das ganze Geschlecht die natürliche Consequenz. Und da nun die materielle Basis dieser Stellung auch hier wie aller gesellschaftlichen Ordnung der Besitz ist, so erzeugt jenes Interesse das Streben, den Besitz selbst dauernd in dem Geschlechte zu erhalten. Das nun kann nur geschehen, indem der Besitz dem Verkehr entzogen und ein ungetheilter Gegenstand der Erbfolge wird. Einen solchen Geschlechterbesitz nennen wir ein Ma- jorat oder Fideicommiß . Der Ausschluß aus dem Verkehr kann nun in zwei Weisen erfolgen. Zuerst durch das Erbrecht , dann durch einen Akt des Landesherrn . Das Recht auf die Bestimmung, nach welchem der Besitz der Erbtheilung durch den Willen des Familien- hauptes dauernd entzogen, und die Ordnung der Erbfolge für die Nachkommen festgestellt wird, nennen wir die Autonomie , deren histo- risches Princip die ursprüngliche Selbstherrlichkeit der Grundherren war, und die in einzelnen Fällen noch ausnahmsweise erhalten ist. Dem Nichtadeligen kann jenes Recht nur durch ein besonderes Privilegium der Krone für den bestimmten einzelnen Besitz verliehen werden. Die Majorate bilden daher das eigentliche Erbrecht der Geschlechter- ordnung, und in der That ist ihre Erscheinung beim Adel nur der Rest der alten Rechtsbildung der Geschlechter. So wie die staatsbür- gerliche Epoche entsteht, treten sie in unlösbaren Widerspruch mit dem freien Princip der auf- und absteigenden Classenbewegung; sie schließen die ganze staatsbürgerliche Gesellschaft für ihr Gebiet aus, und erschaffen einerseits einen für jeden dritten, auch für den verkehrsrechtlichen Gläubiger unerwerbbaren Besitz, während sie andererseits dem Besitzer eine gesellschaftliche Stellung geben, die ganz gleichgültig ist gegen die persönliche Tüchtigkeit. Die staatsbürgerliche Gesellschaft bekämpft sie daher grundsätzlich, und das Recht der Majorate bildet damit einen von den Maßstäben, nach denen das Verhältniß derselben zu dem Reste der Geschlechterordnung gemessen werden. Daher der tiefe Unterschied des bestehenden Rechts derselben in England, Frankreich und Deutschland; und von diesem Gesichtspunkt ergibt sich das Princip, nach dem das allmählige Verschwinden der Majorate die unzweifelhafte Folge der weiteren Entwicklung der Gesellschaft sein wird. Wir unterscheiden für das Geschlechter-Erbrecht drei große Epochen. Die erste ist die der bäuerlichen Geschlechterordnung, in welcher zuerst der Grundsatz zur Geltung gelangt, der den Charakter des Geschlechter-Erbrechts überhaupt bildet: der Grundbesitz ist nicht Eigenthum des Einzelnen, sondern des ganzen Geschlechts, steht aber unter der Verwaltung des Erstgeborenen, und ist dem Testirrecht entzogen. Das gilt dann von dem kleinsten Geschlechter- hofe bis zur größten Grundherrlichkeit. Die zweite Epoche ist die, welche wir die Epoche der Autonomie nennen würden, das ist das Vorrecht der adeligen Geschlechter, die Erbfolge in die Grundherrlichkeit zu bestimmen. In dieser Epoche tritt neben der Autonomie des adeligen Geschlechts das Recht des Souverains auf, als Oberlehensherr die Beschlüsse der Autonomie zu bestätigen, während sich das alte bäuerliche Geschlechter-Erbrecht der ungetheilten Höfe, aber auch nur für den bäuerlichen Besitz, forterhält. Das 17. Jahr- hundert hebt nun dieß Lehensrecht des Landesherrn in England, die Revolution des 18. dasselbe in Frankreich auf, und im 19. Jahrhundert zerbröckelt es langsam mit der Grundherrlichkeit; aber die Majorate bleiben. In der dritten Epoche greift nun das Princip derselben auch in die siegreiche staats- bürgerliche Gesellschaft hinein, und zwar in der Form, daß das Majorat nicht mehr ein Vorrecht des Adels sein, sondern daß jeder das Recht haben solle, unter gewissen Bedingungen ein Majorat zu errichten, und somit die mate- rielle Geschlechterbildung an die Stelle der geistigen zu setzen . Das ist der Grundzug des gegenwärtig geltenden Rechts, das kaum unser Jahrhundert überdauern wird, nachdem bereits das Geschlechter-Erbrecht der Bauernhöfe durch das Princip der Theilbarkeit fast allenthalben aufgehoben ist. Dabei theilt sich das europäische Majoratsrecht in drei große Systeme. Das englische Recht ist das des Entail. Das alte Princip: „Jus descendit ad primogenitum“ ist kein englischer, sondern ein europäisch-germanischer Grundsatz der Geschlechterordnung. Die frühe Entwicklung der staatsbürgerlichen Gesellschaft in England hat nun hier zuerst das Testament auch bei dem Grund- besitz eingeführt (32. Henry VIII. c. 1). Das Stat. 24. Charl. II. 12. hat das Lehenseigenthum des Königs aufgehoben, aber an dem Erbrecht nichts ge- ändert. Der Grundsatz des englischen Testamenterbrechts ist: „daß der Erb- lasser den Grundbesitz vererben kann auf die Zeit von einem oder mehreren lebenden Erben oder für einundzwanzig Jahre nach dem Tode des über- lebenden Erben“ (vergl. Eisenlohr a. a. O. S. 196 ff.). — In Frank- reich bereits seit dem 16. Jahrhundert Versuche die Errichtung von Majoraten zu beschränken. Das Gesetz vom 14. Nov. 1792 hebt die Majorate absolut auf; der Code Nap. (1804) behält die Aufhebung bei; aber das Decret vom 30. März 1806, das Gesetz vom 17. Mai 1806 erweiterte das Napoleonische Princip zum Rechte jedes Einzelnen, nach englischem Muster die Substitution bis zur zweiten Linie testamentarisch auszudehnen. Ein Senatus-Consult vom 30. Aug. stellte die Majorate jedoch nur als „Gnadenakt des Kaisers“ wieder her. Das Gesetz vom 12. Mai 1835 verbot dann definitiv die Errichtung neuer Fideicommisse; das Gesetz vom 7. Mai 1849 hob das Gesetz von 1806 auf, so daß jetzt der ursprüngliche Standpunkt des Code Nap. wieder gilt. So ist das Geschlechter-Erbrecht in Frankreich aufgehoben . — In Deutsch- land dagegen besteht es noch zum Theil als integrirender Bestandtheil des öffentlichen und bürgerlichen Rechts fort. — In Preußen anerkannt im Allgem. Landrecht II. 4. 72. 73, und jedem gestattet (ebend. 47); darüber eine Reihe von einzelnen Bestimmungen Rönne I. §. 95; das Recht auf Familien- beschlüsse allgemein (Gesetz vom 15. Febr. 1840). — Bayern: Errichtung der Majorate (Edikt vom 28. Juli 1808 und 22. Dec. 1811); erhalten in der Verfassung von 1818, Beil. VII; vergl. Pözl , Verfassungsrecht §. 47. 48. — Oesterreich , Princip: Errichtung nur durch besondere Bewilligung des Landes- herrn: Allgem. bürgerl. Gesetzbuch §. 627 nebst genauer Ausführung im Decret vom 13. Juli 1832, und ausführlich im Patent vom 9. Aug. 1854 über Er- richtung von Familienfideicommissen. C. Das Berufsrecht. Während sich nun die Geschlechterordnung noch immer in einzelnen Erscheinungen erhält, hat das Berufsrecht durch den Sieg der staats- bürgerlichen Gesellschaft ganz seinen ständischen Charakter bereits ver- loren. So wie der Beruf noch durch Corporationen vertreten ist, wie in Kirche und Wissenschaft, gehört das Berufsrecht dem ständischen Corporationsrecht an. So weit aber der Beruf jetzt noch als selb- ständige Lebensaufgabe auftritt, ist er kein ständisches Ganze mehr, empfängt er sein Sonderrecht aus dem Wesen des Berufes selbst , und hat daher auch nur da ein solches, wo der Beruf es fordert . Das nun ist nur da der Fall, wo der Beruf dem öffentlichen Dienste gehört; nur noch in diesem Sinne gibt es „Stände“ mit eigenem Recht in der staatsbürgerlichen Gesellschaft (Militärstand, Beamten- stand, Lehrstand u. s. w.) und das Berufsrecht und seine Vorrechte sind daher nichts als Theile und Gebiete des Staatsdienstrechts , und fallen in dieser Beziehung unter die Staatsdienstgesetzgebung. Hier hat also die Verwaltung gar kein Gebiet mehr, während das der Geschichte stets ein reiches bleiben wird. Zweiter Theil . Die Verwaltung und die gesellschaftliche Noth. Begriff und Princip . Neben der rechtlichen Begränzung der Persönlichkeit ist nun das zweite Element, welches der freien gesellschaftlichen Bewegung entgegen- steht, der Mangel an den materiellen Bedingungen des persönlichen Daseins. Den Zustand, der daraus hervorgeht, nennen wir die Noth . Die Beseitigung der Noth ist daher die zweite große Voraus- setzung der Entwicklung in der Gesellschaft. Der Begriff der Noth setzt aber selbst schon voraus, daß sich der Einzelne durch eigene Kraft nicht helfen kann. Sie ist daher eine Aufgabe der Verwaltung, und diese Aufgabe bildet dann den zweiten Theil der Verwaltung der Gesellschaft. Allerdings nun hat die Noth verschiedene Formen und Grade. Allein allen ist Eins gemein. Die Noth unterwirft die an sich freie Persönlichkeit der Gewalt derjenigen Dinge, welche ihr Bedürfniß be- friedigen. Die Noth ist daher nicht bloß eine Gefahr, sondern sie ist Unfreiheit für den, der sie leidet. Eben deßhalb ist ihre Beseitigung nicht mehr bloß Sache des Einzelnen, sondern der Gemeinschaft. Es ist daher das erste Princip dieses Theiles der Verwaltung, daß die Gemeinschaft mit ihren Kräften der wirklichen Noth des Einzel- nen abhelfen müsse . Das mächtige ethische Element nun, das darin liegt, hat nun von jeher da wo eine solche wirkliche Noth vorhanden war, auch theils die Herzen, theils den Verstand der Einzelnen bestimmt, als Einzelne dem nothleidenden Einzelnen zu Hülfe zu kommen. Das was vom Einzelnen zum Einzelnen geschieht, ist aber nicht Sache der Verwaltung. Allein die Noth ist in allen Verhältnissen der Menschheit ein stets vor- handener Zustand, der niemals bei dem Einzelnen stehen bleibt; das, was der Einzelne thut und thun kann, ist daher auch nie ausreichend, um der Noth abzuhelfen. Die Hülfe gegen die Nothzustände als domi- nirendes Element der Gesellschaft ist daher ihrem Wesen nach, und demgemäß auch thatsächlich stets eine der großen Angelegenheiten der Gemeinschaft gewesen. Die Abhülfe der Noth ist demnach eine der großen Aufgaben der Verwaltung . Das ist so und ist gewesen, so lange es eine Gemeinschaft gegeben hat. Aber so wie das der Fall ist, verlieren auch Begriff und Gränzen der Noth ihren individuellen Charakter. Es kann einerseits die Hülfe durch den Einzelnen für Einzelne überhaupt nicht viel mehr helfen; es kann zweitens nicht mehr dem Einzelnen überlassen werden, ein- seitig und für sich das Dasein einer Noth zu erklären und somit die Hülfe des Ganzen aufzurufen; es kann endlich diese Hülfe des Ganzen nicht mehr bei dem allgemeinen Gedanken einer helfenden Thätigkeit stehen bleiben. So wie die Verwaltung als helfende Macht eintritt, und die Hülfe gegen die Noth als ihre Pflicht erkennt, so wie sich also eine Verwaltungsthätigkeit entwickelt, so bedarf es für dieselbe eines alle Fälle der Noth gleichmäßig umfassenden Princips , es bedarf eines die einzelnen Verhältnisse je nach ihrer Besonderheit ver- stehenden und behandelnden Systems , und es bedarf endlich eines eigenen und selbstthätigen Organismus . Und die organische Dar- stellung dieses Ganzen bildet dann die Lehre von der Verwaltung der gesellschaftlichen Noth, die wir auch nach ihrem Haupttheile das Armen- wesen nennen. Offenbar nun ist, so wie sich das Ganze zu einem solchen organi- schen System verschiedener Aufgaben ausbildet, zuerst nothwendig, die Einheit der letzteren in dem gemeinsamen Princip für alle ihre Zweige aufzustellen. Dieß Princip ist die einfache Anwendung des höchsten Princips aller Verwaltung auf die Nothzustände des Einzelnen wie des Ganzen. Auch in der Noth bleibt die freie Persönlichkeit. Ihr innerstes Wesen ist vernichtet, wenn man ihr gibt, was sie selbst erwerben kann. Alle Hülfe soll daher erst da beginnen, wo die Unmöglichkeit für den Einzelnen vorliegt , sich durch eigene Kraft zu helfen; sie soll nur so weit gehen, als diese Unmöglichkeit geht, und mit der Fähig- keit zur Selbsthülfe aufhalten . Ob aber eine solche Unfähigkeit in der Persönlichkeit selbst liegt, und wie weit sie geht, das kann, wo es sich um die Aufgabe der Verwaltung handelt, auch nicht mehr das Gefühl über die Meinung des Einzelnen beurtheilen, sondern nur die Verwaltung selbst. Um aber andererseits zu wissen, was sie gegen- über dieser Noth zu thun hat, muß sie selbst die Besonderheiten in dem allgemeinen Begriff der Noth selbständig betrachten. Dem System ihrer Organe muß ein System der Fälle der Noth zur Seite stehen; die gemeinsam von dem übrigen Principe beherrscht, das System der Verwaltung bilden. Die Elemente desselben sind folgende. System und Elemente der Geschäfte . Auch die Noth erscheint im Anfang als ein einfaches Verhältniß. Wissenschaft und Praxis zeigen aber bei steigender Gesittung, daß sie aus wesentlich verschiedenen Elementen besteht, deren jedes seine Natur hat, und seine Behandlung fordert. Diese Elemente sind zunächst die Theurung mit ihren Folgen, als materieller Ursprung der Noth; dann der Hang zur Trägheit, der die Noth in der Persönlichkeit er- zeugt, indem er zum Bettel führt; dann die Noth der Kinder, theils der Findelkinder , theils der Waisen ; und endlich die eigentliche Armuth mit dem eigentlichen Armenwesen . Diese Gebiete bilden das System der Verwaltung der gesellschaftlichen Nothzustände. An dieses System der Sache schließt sich nun das System der Organe für die Verwaltung. Auch dies System liegt im Wesen der Noth selbst, und ist keineswegs ein zufälliges. Die Noth hat unter allen Gestalten gewisse gleichartige Elemente; diese bilden die Aufgabe der Gesetzgebung und Regierung , welche daher auch hier die Ein- heit herzustellen hat. Sie hat aber zweitens stets einen vorwiegend örtlichen Charakter, sowohl in ihren Gründen, als in den Mitteln der Abhülfe; damit ist der Selbstverwaltung ihr Antheil an dem Ganzen gegeben. Endlich berührt sie in Entstehung und Intensität das Individuum und hier beginnt das Gebiet des Vereinswesens . So theilt sich die große Aufgabe des Kampfes mit der gesellschaftlichen Noth; jeder dieser Theile hat nun wieder seine Geschichte und seine speciellen Principien und seinen Organismus. Aber mitten in dieser Verschiedenheit ist der Gang der historischen Entwicklung nicht bloß ein gemeinsamer, sondern er ist zugleich so innig mit dem Wesen aller Theile verbunden, daß seine Elemente als die einfachste gemeinsame Einleitung für jeden Abschnitt gelten dürfen. Die ursprüngliche Form aller Hülfe ist die der Geschlechterordnung. Die Noth ist zunächst eine Sache der Familie, in zweiter Reihe des Geschlechts, wie der Besitz selber; eine allgemeine Verwaltung gibt es hiefür so wenig, wie für die andern Gebiete. Aus der Geschlechter- ordnung geht die Pflicht zur Hülfe an die Gemeinde über; aber die erste Selbstverwaltung der wirthschaftlichen Noth in Dorf und Grund- herrschaft ist doch zuletzt nur eine Form des Geschlechterrechts. Die zweite Epoche beginnt dagegen da, wo aus dem Berufe der Stand wird. Hier wird das ethische Element der Hülfe zum Grunde gelegt, und aus der natürlichen Verpflichtung, dem Verwandten zu helfen, eine christliche, jedem zu helfen. Das ist an sich schön und trefflich; aber die Folgen sind, daß die Hülfe im Namen der christlichen Pflicht ausgeübt, nicht mehr nach Grund und Maß fragt, sondern der per- sönlichen Bitte statt dem wirklichen Bedürfniß gibt. Damit empfängt die Trägheit ihre Prämien, und der Bettel entsteht. Gegen Bettelei und Vagabundenthum erhebt sich dann die Polizei, und verfolgt die Arbeits- und Heimathslosigkeit mit ihren Maßregeln und Strafen; allein das genügt doch nur im Einzelnen. Das Correlat ist die Ueber- nahme der Unterstützung bei wirklicher Noth von Seiten der Gemein- schaft; dieselbe, indem sie diese Verpflichtung anerkennt, fordert natürlich auch das Recht, die objektive Ordnung für ihre Thätigkeit aufzustellen. So entsteht als dritte große Epoche die systematische Verwaltung in Gesetzgebung und Verwaltung. Allein in diese Epoche ragt schon die folgende herein. Die Erkenntniß, daß die Arbeit die Basis der wirth- schaftlichen Selbständigkeit sei, zeigt, daß das was man bisher Noth genannt, einen zweifachen Inhalt habe. Es gibt einen wirklichen Zu- stand des Mangels ; es gibt aber auch einen Zustand, in welchem nur das Gefühl des gesellschaftlichen Gegensatzes der Hülflosigkeit der niederen Classe gegenüber der höheren das Analogon der Noth bildet. Die Classe der Armen scheidet sich von der der Besitzlosen ; die Erkenntniß greift Platz, daß beides, bis dahin vermengt, zwei wesentlich verschiedene Gebiete der gesellschaftlichen Zustände enthalte, und daß demgemäß auch die Aufgabe für jedes derselben eine wesentlich verschiedene sei. Das ist der Charakter der Gegenwart; so wird jetzt das Gebiet der wirthschaftlichen Noth zu einem durchaus selbständigen, gegenüber dem der aufsteigenden Bewegung der nichtbesitzenden Classe, und jetzt unterscheiden wir daher das Unterstützungswesen als Gegenstand des Folgenden, von dem Hülfswesen als dem dritten Theile der gesellschaftlichen Verwaltung. I. Gesellschaftliche Polizei der Roth. a) Die Theurungspolizei. Der Begriff der Theurung ist zunächst ein nationalökonomischer und wird meist ausschließlich als die Höhe der Preise der nothwendigen Lebensbedürfnisse aufgefaßt. Das ist richtig. Allein seine höhere Be- deutung ist die gesellschaftliche. Im Sinne der Gesellschaftslehre ist die Höhe der Preise für den Begriff der Theurung ganz gleichgültig; die Theurung ist für sie diejenige Höhe der Preise, welche gegen- über der regelmäßigen Einnahme aus der capitallosen Arbeit die Ca- pitalbildung , und damit das Aufsteigen vom Nichtbesitz zum Besitze hindert oder unmöglich macht. An sich ist nun weder die wirthschaftliche noch die gesellschaftliche Theurung ein Gegenstand der Verwaltung. Sie weiß und muß wissen, daß sie in die Preisordnung weder eingreifen kann noch soll. Eine Thätigkeit der Verwaltung daher, welche die capitallose Arbeit vor derselben schützt, kann daher nur da denkbar sein, wo ganz be- stimmte örtliche Gründe ganz bestimmte Theurungszustände hervor- rufen. Diese ganz bestimmten Gründe nun liegen in derjenigen Zu- nahme der örtlichen Consumtion , welche stärker ist, als das durch die damit entstehende Nachfrage gegebene Zuströmen des Angebots. Das ist der Fall bei rasch entstehender örtlicher Dichtigkeit der Bevöl- kerung, also namentlich in den großen Städten. Hier kann die Ver- waltung helfen; so wie daher die großen Städte entstehen, entsteht auch der Kampf mit der Theurung, oder das was wir die Theu- rungspolizei nennen. Die Theurungspolizei hat zwei ganz bestimmt geschiedene Epochen, deren erste jetzt im Wesentlichen als eine überwundene angesehen wer- den darf. Die erste Epoche geht von der Vorstellung aus, daß die Theu- rung theils durch das Interesse des Handels, theils durch dasjenige der für die Bedürfnisse producirenden Gewerbe wesentlich erzeugt werde. Aus der ersten Vorstellung entstehen die Ausfuhrverbote für die Länder im Ganzen, und die polizeilichen Verbote und Verfolgungen der Vor - und Aufkäuferei für die einzelnen größeren Städte; aus dem zweiten Gesichtspunkt dagegen die Taxen , und zwar die Brod-, Fleisch-, Wein - und Biertaxen , welche für ein bestimmtes Maß einen bestimmten Preis setzen. Beide Systeme gehören wesentlich dem siebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert, und die Ortsgesetze sind voll von dahin zielenden Bestimmungen. Das ganze System wird nun zuerst dem Princip nach ange- griffen durch die physiokratische Schule. Ihr großer Gedanke ist der, daß die Freiheit in der Bewegung des Handels und des Gewerbes das einzige Heilmittel gegen die Theurung sei. Die Schule von Ad. Smith führt denselben dahin aus, daß die Gesetze, welche Werth und Preis bestimmen, absolut sind, und daß das Erreichbare sich von selbst regelt, wenn man nicht polizeilich eingreift. Damit beginnt dann das allmählige Verschwinden des ganzen Verbots- und Taxwesens mit unserem Jahrhundert. Allein zugleich ist die Zunahme der großen Städte so bedeutend, daß die örtliche Theurung in Verbindung mit dem Drucke, den das Capital auf die Arbeit übt, dennoch eine Ge- fahr der Verarmung erhält. Man beginnt zu erkennen, daß die Ver- kehrs- und Gewerbefreiheit doch nur negative Maßregeln sind; und so entsteht der zweite, aber positive Gedanke dieser Epoche, die Ver- sorgung der großen Städte . Dieselbe ist als Princip anerkannt, als Ausführung noch sehr im Werden. Die letztere hat ihrerseits wieder zwei Stadien und Grundformen; die erste beginnt, den Markt der Nahrungsmittel zum Gegenstande der Verwaltung zu machen, indem sie öffentliche Marktanstalten , Markthallen, Fleischschränke u. s. w. herstellt; diese gehören ihrer Natur nach der Selbstverwaltung und sind städtische Anstalten. Die zweite ist noch kaum begonnen. Ihr Inhalt ist die Herstellung der Versorgung der Städte durch große Ver- sorgungsunternehmungen als Aktiengesellschaften , die wieder erst dann, wenn sie sich auf die einzelnen Zweige beschränken, das Bedeu- tende leisten. Die Schwierigkeit solcher Unternehmungen hat sie bisher zurückgehalten; dagegen bricht sich eine zweite Richtung immer be- stimmter Bahn. Das ist die Herstellung von Arbeiterwohnungen durch Aktienunternehmungen, die ihrer Natur nach örtlich, dennoch für die ganze gesellschaftliche Bewegung die höchste Bedeutung haben, und vielleicht unter allen derartigen Unternehmungen am deutlichsten be- weisen, daß die Harmonie der Interessen auch zwischen Capital und Arbeit nur einer praktischen Lösung harrt, um zur vollen Geltung zu gelangen. Es hat doch lange Zeit gedauert, bis die Culturvölker von dem System der polizeilichen Taxordnungen zu der Freiheit im Verkehr, und wieder von dieser zur Herstellung positiver Maßregeln geschritten sind. Immer aber ist aller- dings die ganze Theurungs- und Taxpolizei als Aufgabe der städtischen Selbst- verwaltung angesehen worden. Das System der Hauptvölker ist dabei ein wesentlich verschiedenes. — England hat sich einfach mit völliger Aufhebung sowohl der Brodtaxen (seit 1815) als der Einfuhrzölle auf Nahrungsmittel be- gnügt (mit Ausnahme von Malz, Spiritus und Zucker) und es dem freien Verkehr allein überlassen, die Preise zu regeln. — Frankreich dagegen hat ein sehr bedeutsames System von positiven Maßregeln aufgestellt, das nach Aufhebung der Brodtaxen durch Decret vom 21. Juli 1863 noch drei Theile hat, aber freilich hier wie immer fast nur auf Paris berechnet ist: die Fleisch- kasse , die Bäckerkasse und die Markthallen (die kürzeste und klarste Dar- stellung der beiden ersten bei Block , Dict. v. Boucherie und Boulangerie; die Markthallen bei Th. Risch , Bericht über Markthallen 1867. S. 48 und öfter). — In Deutschland ist man formell über das Taxwesen noch nicht hinaus, obwohl es der Sache nach wohl ohne praktische Bedeutung ist. Die theoretische Begründung schon im vorigen Jahrhundert: Justi , Polizeiwesen I. 715, Berg VII.; erste systematische Behandlung der „Theurungspolizei“ Hauptst. IX. Abtheil. 3; vergl. Hauptst. X. Abh. 3; dann Lotz , Staatswirth- schaft II. 278; systematisch entwickelt bei Mohl , Polizeiwissenschaft I. §. 46 ff. nebst reicher Literatur, namentlich über den Getreidehandel, Vorrathsmagazine (S. 306) u. s. w. Viel Material im Einzelnen bei Rau , Verwaltungspflege II. §. 313. Positives Recht Preußen : Princip der Aufhebung aller Taxen, Gewerbeordnung von 1845 §. 88, mit Ausnahme der örtlichen Brodtaxen ( Rönne II. 345). Vor- und Aufkauf an sich frei, jedoch Zulassung örtlicher Beschränkungen (Gewerbeordnung ebend. und Rönne a. a. O.). — Oester- reich : Freiheit des Brodhandels zum Theil eingeführt; Aufhebung der Fleisch- taxe für Wien und Errichtung einer Fleischkasse seit 1850; örtliche weitere Be- stimmungen, Stubenrauch II. 316—317. — Bayern : gleichfalls örtliche Taxen, namentlich Biertaxen ( Rau a. a. O. und Pözl , Verwaltungsrecht §. 99 ff.). — Württemberg : Brodtaxenordnung (Verfügung vom 24. Mai 1864; Mohl , württemb. Verwaltungsrecht); Theurungspolizei §. 209 ff. Das bedeutendste Werk über dieß Gebiet Roscher , Kornhandel und Theurungs- polizei (3. Aufl. 1852) im Sinne der Freiheit, jedoch noch ohne Rücksicht auf positive Anstalten. — Die Frage der Arbeiterwohnungen Gegenstand viel- facher Untersuchungen und Versuche, bis jetzt noch vorwaltend technischer Natur (vergl. namentlich über Wohnungsgenossenschaften Gierke , Genossenschaften S. 1069 ff.). Das reichste Material über die eigentliche Wohnungsfrage bei Em. Sax , die Wohnungszustände der arbeitenden Classen und ihre Reform, 1869. b) Bettelpolizei und Arbeitshäuser. Der Bettel entsteht, wo die individuelle Armuth sich an das in- dividuelle Gefühl wendet, um die individuelle Form der Unterstützung, das Almosen, zu empfangen. Seinem Wesen nach ist derselbe frei , so lange er in dieser Gränze der ganz individuellen Beziehung bleibt. Allein so wie er öffentlich auftritt, entweder als Straßenbettelei oder als Sammlung, tritt er in Widerspruch mit dem Grundsatz, daß die Unterstützung der Armuth Gegenstand der Verwaltung ist. Dieser Widerspruch liegt darin, daß bei dem Bettel das Maß für den Geber und die Gewißheit der wirklichen Noth für den Empfänger fehlen, und der öffentliche Bettel daher aus der Arbeitslosigkeit eine Einnahms- quelle macht. So wie daher das Armenwesen sich organisirt, beginnt der Bettel Gegenstand der Polizei zu werden, die um so energischer ist, je unsicherer überhaupt die öffentlichen Zustände erscheinen. Jede Bettelpolizei ist daher eine Verbindung von gesellschaftlicher und Sicher- heitspolizei. Die Gefährdung, welche der Bettel mit sich bringt, ver- bunden mit dem Gefühl des wirthschaftlichen Widerspruches, der bei geordnetem Armenwesen in ihm liegt, erzeugt dann den Satz, daß der Bettel und das mit ihm verbundene oder zu ihm führende Vagabundiren polizeilich strafbar sind. Diese Strafe erscheint bei unsicheren Zustän- den vorwaltend als peinlich. Strafe; so wie die Zustände sicher werden, Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 27 tritt an ihre Stelle der Arbeitszwang in den dazu errichteten Arbeitshäusern . Nach vielen Versuchen und Untersuchungen ist man sich einig, daß die Produktivität der Arbeitshäuser eine sehr geringe ist, und daß man den in ihnen zur Geltung gelangenden Arbeitszwang als wirthschaftliche Ordnungsstrafe betrachten und behandeln muß. Darnach bleibt auch dieses System noch ein rein negatives der Repression. Zu einem positiven, die Uebelstände zugleich aufhebenden System wird es erst durch zwei Momente, deren Keim unsere Gegenwart empfangen hat, und die sich mit der Zeit vollständig und in heilsamer Weise ausbilden werden. Das erste ist die Einfüh- rung der, wenn auch nur elementaren geistigen Bildung in die Auf- gabe der Arbeitshäuser; das zweite ist die Errichtung von öffentlichen Lagerstätten mit Bett, Bad und Wäsche für Unterstandslose. Es ist klar, daß das alles fast nur für große Städte thunlich ist, und daß es daher der Selbstverwaltung angehört. Wir stehen in dieser Beziehung in einer Uebergangsepoche; die Basis der künftigen Gestal- tung ist die allmählig immer klarer werdende Erkenntniß, daß die Ver- ordnungen und Kosten für diese Anstalten sich durch die Verminderung der Quellen der Armuth, Mangel an Ordnung und Bildung, und damit durch Verminderung der Armenlast reichlich wieder ersetzen . Hier liegt noch eine große Aufgabe zu lösen. Ueber Recht und Pflicht, Bettel und Vagabundiren polizeilich zu unter- drücken, hat niemals , auch in der Geschlechterordnung nicht, ein Zweifel bestanden. Die erste Epoche der peinlichen Strafe für beides reicht bis in unser Jahrhundert; für Deutschland s. Berg , Polizeirecht III. 241; vom poli- tischen, Quistorp , Grundsätze des teutschen peinlichen Rechts I. 437; vom strafrechtlichen Standpunkt. Ueber das allerdings der Sicherheitspolizei ange- hörige Landstreicher- und Gaunerwesen namentlich Mohl , Präventivjustiz §. 19 und 20, mit reicher Literatur; für England strenge Gesetze schon seit Hein- rich VIII.; Hauptgesetz 17. G. II. 5 mit den noch heute bestehenden drei Classen von „Vagabonds“ bei Gneist , Engl. Verwaltungsrecht II. §. 37 und Straf- system für dieselben. — Für Frankreich strenge Strafen schon 1351 und 1541 von Franz I. Andere Verordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts bei Block , Mendiants. Das 18. Jahrhundert gelangt von der einfachen Strafe zum System der Arbeitshäuser und dem Correlat, der Ordnungsstrafe . Das englische System bei Kries , Englische Armenpflege S. 17 ff. Vor- trefflich über die Workhouses und die Abneigung der Armen gegen dieselben, die dieselben als Gefängnisse ansehen S. 19 f. Die Workhouses als in door relief gegenüber der eigentlichen Armenpflege als out door relief (vergl. Klein- schrod , Pauperismus in England S. 162). Charakter derselben ist die enge Verbindung mit dem eigentlichen Armenwesen , während die Bettelei für sich strafbar ist. — In Frankreich schon vor der Revolution Errichtung der Maisons de correction ( Strafa rbeitshäuser seit 1764); damals, nach Einfüh- rung des neuen Armenwesens, Anerkennung des Bettels als Vergehen, und Umwandlung in die Maisons de correction. Das System des Code Pénal Art. 269 ff. macht dann den Bettel zu einer bloßen Uebertretung, und straft ihn durch die Police correctionelle; daneben die Errichtung der dépots de mendicité mit Zwangspässen und mechanischer gezwungener Arbeit und Tagelohn; anbefohlen durch Decret vom 5. Juli 1808 für jedes Departement; es existiren jedoch nur zwanzig. Ueber entlassene Sträflinge Gerando III. 441 ff. — In Deutschland wird die Frage nach der Errichtung rationeller Arbeitshäuser in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Gegenstand eifriger Untersuchungen mit Literatur für und gegen dieselben seit Rulffs , über die Preisfrage der vortheilhaftesten Errichtung der Arbeitshäuser 1785; dagegen Naville , dafür Gerando III. 558. Rau fordert mit Recht die Unterscheidung der freien Arbeitshäuser von den Zwangsa rbeitshäusern; freilich erscheinen die ersteren als gänzlich unpraktisch. (Literatur bei Rau II. §. 345. 348.) Positives Recht der deutschen Strafgesetzgebung ist im Allgemeinen auf dem Standpunkt der Bestrafung des Bettelns geblieben, meist in Ver- bindung mit den Bestimmungen über Heimathsrecht, Schulwesen und einem sehr wenig entwickelten System von Arbeitshäusern. Das klassische Werk über Vagabundenthum: Av é Lallemant , das deutsche Gaunerthum 4 Bde; der Proceß der Scheidung der Zucht- und Strafhäuser von den Arbeitshäusern: Wagnitz , die merkwürdigsten Zucht- und Arbeitshäuser in Deutschland. — Preußen: Simon und Rönne , Polizeiwesen I. 522; die älteren Edikte seit 1669; s. Döhl , Armenwesen S. 5; dann das Allgem. Landrecht II. 19. 3—5 (Strafe der Arbeitsscheu); dann Strafgesetzbuch §. 117—119. Arbeit shäuser sind nur lokal ( Rönne , Staatsrecht II. §. 338). Reglement über Verwaltung des Armen- und Corrigendenwesens vom 26. Sept. 1864 (durch eine vom Kreistag gewählte Commission von vier Mitgliedern). — Oesterreich : die Bette lpässe aufgehoben 1785; Versuche, das „unordentliche Almosengeben“ zu beseitigen (in Verbindung mit dem Armeninstitute, s. unten) seit 1783; Bettel- polizei den Magistraten übertragen (Gewerbeordnung von 1849, §. 120); Er- richtung von Zwangsa rbeitshäusern 1811 und 1817 (Strafgesetzbuch §. 518 und 519); Ordnung der Arbeitshäuser nach den Provinzen; s. Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde §. 338 und I. §. 198. — Bayern : „Vagantenwesen“ Mandat von 1816 ( Pözl , Verwaltungsrecht §. 84). — Württemberg: Mohl , Verwaltungsrecht §. 186. Verordnung von 1825. — Waldburg : das Princip der Individualisirung in der Strafrechtspflege 1869, Abth. VIII. Ein- zelne Gesetzgebungen s. Stein , Polizeirecht S. 161 ff. Ueber Lagerstätten leider noch wenig Literatur; s. Rau , Volkswirthschaftspflege II. §. 342. II. Das Armenwesen. Armuth und Armenwesen . Vielleicht ist es bei dem mächtigen Stoffe, der hohen Wichtigkeit der Sache und den tiefgreifenden Consequenzen derselben nirgend wich- tiger als hier, sich über die formalen Grundlagen einig zu sein. Zu dem Ende muß man in der Armuth ihren wirthschaftlichen und ihren gesellschaftlichen Begriff scheiden. Die Armuth als wirthschaftlicher Begriff enthält denjenigen Zustand, in welchem der Mangel an den nothwendigen Existenzmitteln für das Dasein und Leben der Persönlichkeit gefahrbringend wird. Die Armuth als socialer Begriff bedeutet den Zustand des Einzelnen, in welchem ihm alle Mittel fehlen, um, auch bei voller Erwerbskraft, zu einer selbständigen gesellschaftlichen Stellung zu ge- langen, und in die aufsteigende Classenbewegung einzutreten. Aeußerlich decken sich daher die beiden Begriffe der wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Armuth beinahe ganz. Allein ihrem Wesen nach sind sie tief verschieden. Denn bei der wirthschaftlichen Armuth liegt der Grund derselben in dem Mangel der Persönlichkeit, bei der gesell- schaftlichen Armuth in der Störung der Classenbewegung. Es ist kein Zweifel, daß beide Zustände einen Widerspruch mit den höchsten For- derungen des Gesammtlebens enthalten. Allein der wesentlich verschie- dene Inhalt derselben erzeugt daher auch eine wesentlich verschiedene Aufgabe für die Gesammtheit gegenüber beiden Zuständen. Und bei der ersteren Gleichartigkeit beider gelangt jener wesentliche Unterschied erst dann zur Erscheinung, wenn der Staat beginnt, seine Grundsätze und Organe der Verwaltung auf sie anzuwenden. Erst dann wird es klar, daß es falsch ist, beides zugleich als „Armenwesen“ zu bezeichnen und für beide von denselben Gesichtspunkten aus dasselbe zu fordern. Mit der Scheidung der wirthschaftlichen von der gesellschaftlichen Ar- muth erst kann die wissenschaftliche Bearbeitung und die praktische rationelle Behandlung beginnen, indem sich Begriff und Inhalt der gesellschaftlichen Armuth als das Gebiet der Verwaltung der gesell- schaftlichen Entwicklung von demjenigen loslöst, was wir die wirthschaftliche Armuth nennen. Diese rein wirthschaftliche Armuth nun oder der für die Erhaltung der Persönlichkeit selbst gefahrbringende Mangel an Unterhaltsmitteln ist nun in erster Reihe im Widerspruch mit der Persönlichkeit selbst. Daher muß das, was der Einzelne seinem Wesen nach für sich thut, um nicht dem Mangel zu erliegen, von Seite Aller für den geschehen, der dem Mangel zu unterliegen droht. Und die Organisirung dieser Hülfe gegen Mangel als regelmäßige Aufgabe der Verwaltung ist das Armenwesen . Das Armenwesen hat daher zu seinem Inhalt nicht die Herstellung der Bedingungen für die aufsteigende Classenbewegung der niedersten Classe, sondern nur die Hingabe der Mittel, um den Einzelnen gegen Mangel zu schützen. Sein allgemeinstes Princip ist daher, dem Ein- zelnen nichts darzureichen, als die allgemein menschlichen Bedingungen der persönlichen Erhaltung , und das nur dann und nur so weit , als der Einzelne sich dieselben nicht zu schaffen vermag. Es folgt, daß das Armenwesen daher vorzugsweise eine Thätigkeit der eigent- lichen Verwaltung ist, während die gesellschaftliche Entwicklung ohne die kräftige Mitbetheiligung der Einzelnen nicht denkbar ist. Wir nennen deßhalb auch das Armenwesen die Organisation des Unter- stützungswesens , während wir die Förderung der gesellschaftlichen Entwicklung als das Hülfswesen bezeichnen. Die Scheidung dieser beiden Begriffe und Thätigkeiten nun, welche als die erste Voraussetzung aller rationellen Erfüllung beider Verwal- tungsaufgaben gelten muß, ist langsam vor sich gegangen und eine der wichtigsten Thatsachen der Geschichte. Die Elemente der letzteren sind in dieser Beziehung folgende. Elemente der Geschichte des Armenwesens . Die Nothwendigkeit der Hülfe bei wirklicher wirthschaftlicher Noth liegt so tief im Wesen der Persönlichkeit, daß es nie ganz an derselben gefehlt hat. So lange sie nun von dem Einzelnen allein ausgeht, nennen wir sie das Almosen . Das Almosen aber genügt nicht, weder der principiellen Forderung der Noth, noch den allgemeinen Zuständen gegenüber. In den letzteren kann nur die Gesammtheit helfen. Ein Armenwesen entsteht daher da, wo sich die Unterstützung organisirt. Die Grundlage dieser Organisation ist auch hier die gesellschaftliche Ordnung, und die Geschichte des Armenwesens hat daher zu ihrer Grundlage die großen Epochen der Geschichte und der Gesellschaft. Das Armenwesen der Geschlechterordnung beruht darauf, daß auch der Arme der Familie und dem Geschlecht angehört, und von ihm unterstützt werden muß. Daher ist die ursprüngliche Gestalt des Ge- schlechterarmenwesens die Unterstützung durch das Dorf ; mit der Ent- wicklung der Grundherrlichkeit und ihrer polizeilichen Rechte geht diese Pflicht auf die Grundherren über, welche theils die Unterstützung selbst geben, theils ihre Leistung durch das unterthänig gewordene Dorf an- befehlen und mehr oder weniger gut leiten. Diese erste Form ist daher das Armenwesen der Grundherrschaft . Es erhält sich mit seinem Einfluß und seinen Resten so lange, als es noch Grundherrlichkeit gibt; dauernd aber bleibt aus dieser Epoche der Grundsatz, daß die Ge- meinde der eigentliche Armenkörper ist. In der ständischen Gesellschaft empfängt das Armenwesen einen zweiten Inhalt und eine zweite Form. Das ethische Element der christlichen Religion tritt auf, und macht die Armenunterstützung zu einer Pflicht des geistigen Berufes . So wie daher die Kirche aus einem Berufe ein Stand mit organisirter Thätigkeit und eigenem Be- sitze wird, so übernimmt sie neben der Gemeinde die Aufgabe, aus ihren Mitteln eine Armenunterstützung zu geben. Das kirchliche Armenwesen stellt sich neben das der Grundherrlichkeit. Ihr ethisches Princip ist, daß die Armuth im Namen der Religion die Unterstützung des Besitzes fordern kann; ihr praktisches, daß diese Unterstützung nicht wie die der Grundherrlichkeit an die Gemeinde gebunden, sondern eine allgemeine menschliche Pflicht sein solle. Von ihr aus gehen daher die Institute, welche die Mittel für die Armenhülfe im allgemein mensch- lichen Sinne darbieten, einerseits die kirchlichen Sammlungen (Kling- beutel ꝛc.), andererseits auch die Stiftungen. Es war natürlich, daß sie dafür die Verwaltung derselben behielt. Diese Auffassung des all- gemein menschlichen Elements in der Armenpflicht bleibt dauernd; eben so der Gedanke, daß die kirchlichen Organe der Armuth die geistige Erhebung und den religiösen Trost geben sollen; endlich die Verschmel- zung der Kirchengemeinde mit der Ortsgemeinde im Armenwesen. Allein eine objektive Pflicht zur Armenunterstützung entsteht auch dadurch nicht. Diese nun tritt erst ein in der staatsbürgerlichen Gesellschaftsord- nung; und hier gewinnt sie auch den Charakter der Verschmelzung mit dem gesellschaftlichen Hülfswesen, die erst in unserer Zeit behoben wird. Sie beginnt stets erst da, wo die Kirche durch die Reformation ihre ständische Stellung verliert, und daher auch die Armenpflege nicht weiter führen kann. Da nun die Armuth natürlich dauert, und die Pflicht zur Unterstützung gleichfalls dauernd anerkannt wird, so muß jetzt der Staat sie ordnen. Aus dieser Nothwendigkeit geht daher die neue , dritte Epoche des Armenwesens hervor, welche wir die der ge- setzlichen Armenordnungen nennen. Das Princip der gesetzlichen Armenordnung ist, daß jeder Arme als solcher ein öffentliches Recht auf die Unterstützung gegen die Noth habe; daß mithin die Pflicht zur Unterstützung ein Theil des öffentlichen Rechts sei; daß die Gesetzgebung daher einerseits allerdings den Mißbrauch des Armenrechts durch Bettel und Vagabundenthum polizeilich bekämpfen müsse, aber auch dafür zu sorgen habe, daß die wirkliche Armenpflege durch die Gemeinde mit Hülfe der kirchlichen Institute auch regelmäßig und genügend aus- geübt werde. Das Armenwesen wird daher ein Theil der Verwaltung, ausgeführt wesentlich durch den Selbstverwaltungskörper der Gemeinden, nach den gleichartig geltenden Grundsätzen der Armengesetzgebung, und unter der Oberaufsicht der Regierung, die freilich in sehr verschiedener Weise ausgeführt wird. Aus dieser dritten Epoche geht nun die vierte hervor, indem mit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts aus dem Gewerbe die Industrie und mit ihr die lokale Uebervölkerung entsteht, von denen die erste durch Arbeitsmangel den Mangel an Unterhalt, die zweite durch Theue- rung den Mangel an hinreichendem Lohn erzeugt. Es ist die Armuth der Erwerbsfähigen , die sich neben die Armuth der Erwerbs- unfähigen hinstellt, und die durch die Ausdehnung der Industrie zu einem allgemeinen Zustand innerhalb der nichtbesitzenden Classe ent- wickelt, namentlich im Anfange des Auftretens der Maschinen. Dieser Zustand heißt die Massenarmuth oder der Pauperismus . Mit ihm scheiden sich innerhalb des allgemeinen Begriffes der Armuth die zwei großen Elemente desselben, die eigentliche wirthschaftliche Armuth mit Erwerbsunfähigkeit, und die Anfänge der gesellschaftlichen Armuth mit Erwerbsfähigkeit. Jene ist dauernd, diese ist vorübergehend; jener kann nur durch Unterstützung geholfen werden, diese fordert keine Unterstützung, sondern Arbeit und Erwerb. Im Anfange, fast ein halbes Jahrhundert lang, gehen sie nun in einander über, und es herrscht die Vorstellung, daß sie beide mit gleichartigen Maßregeln zu bekämpfen sind. Während durch das letztere die Gesetzgebung daher ihren alten Standpunkt für alle Formen beibehält, kommen in Theorie und wirklichem Leben doch endlich die tiefen Verschiedenheiten beider zur Geltung, und das Armenwesen wird damit Gegenstand einer ein- gehenden Behandlung. Es erzeugt dasselbe zuerst, und zwar schon seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts eine sehr reiche Literatur, und der Charakter derselben ist fast in ganz Europa derselbe. Sie leidet allerdings wegen des Mangels der gesellschaftlichen Auffassung unter der fortgesetzten Verschmelzung beider Formen der Armuth, und bildet daher auch nur sehr langsam und unsicher den Gedanken, daß die Hülfe der gesellschaftlichen Armuth überhaupt nicht in der organischen, sondern in der freien Verwaltung, dem Vereinswesen liege; allein dafür hat sie andererseits, namentlich in unserem Jahrhundert seit den dreißiger Jahren, ihren Blick erweitert, und, alle einzelnen Verhältnisse und Erscheinungen der Armuth selbständig betrachtend, ein System erzeugt, dessen hoher Werth unverkennbar ist. Der Charakter dieses Systems besteht darin, daß jeder einzelne Theil Gegenstand einer selbstän- digen Theorie und dem entsprechend auch nur selbständigen Verwaltung und Rechtsbildung geworden ist; daß die eigentliche Armenpflege, früher das einzige Gebiet des Armenwesens, jetzt selbst nur als ein Theil der- selben dasteht; und endlich daß die ganze Armenpflege auf jedem Punkte von der höheren socialen Idee der Entwicklung der gesellschaftlichen Bewegung durchdrungen ist, während die letztere wieder sich zu einem eigenen Gebiete gestaltet. So sind wir hier in mächtigem Fortschritte begriffen. Allein andererseits ergibt sich, wie überhaupt die Behand- lung des Armenwesens auf gesellschaftlicher Basis ruht, daß dieselbe in den verschiedenen Ländern auch sehr verschieden sowohl in Princip als in Ausführung ist. Und zwar wird es klar sein, daß in dieser Verschiedenheit sich wesentlich der gesellschaftliche Zustand überhaupt, vor allem aber die Stellung der Kirche zur Gemeinschaft abspiegelt. Die höhere Wissenschaft muß daher von dem Gedanken ausgehen, daß die Besonderheiten der positiven Armenverwaltung nicht etwa zufällig sind, sondern daß dieselben im Ganzen als Folgen des gesellschaftlichen Organismus des betreffenden Volkes erkannt und verstanden werden müssen. Diese Besonderheiten aber richten sich wesentlich nach zwei Punkten: nach dem Grade, in welchem die Kirche in einem Lande noch eine Macht in weltlichen Dingen ist, und nach dem Grade der Ent- wicklung der eigentlichen Regierung und ihres centralen Organismus, während das Princip der Vollziehung des Armenwesens durch die Selbst- verwaltungskörper ein ganz Europa gemeinsames ist. Die Literatur über das Armenwesen ist eine ungemein reiche; obwohl syste- matische Werke selten sind (vergl. Mohl , Polizeiwissenschaft I. §. 52: Rau II. §. 315 ff.; de Gerando I. Einleitung). Der Charakter der Hauptvölker in Beziehung auf das Armenwesen in Gesetzgebung und Verwaltung ist ein specifischer, und wird selten verglichen. — England ist das erste Volk, welches eine vollständige Armengesetzgebung mit 13. Eliz. 2. (1539) besitzt, deren Veranlassung die Aufhebung der Klöster war. Geschichte: Eden , State of the poor 1793 höchst gründlich. Ihr bekanntes Princip ist die gesetzliche, den Gemeinden zur Verwaltung übergebene Armenpflicht , deren Grund- lage die Selbstbesteuerung für die Armenlast in der poor rate ist. Die All- gemeinheit dieser Pflicht erzeugte ihre Gleichartigkeit; das Entstehen der Industrie seit dem vorigen Jahrhundert das Wachsen der Last, und so entstand die Noth- wendigkeit, dem Armenwesen eine einheitliche Organisation zu geben, die mit dem Jahr 1834 eintrat. Dieß streng administrative Armenwesen ist daher auch fast ausschließlich auf die eigentliche Armenpflege beschränkt, während die übrigen Gebiete wenig zur Entwicklung gelangen, hat aber für diese Armenpflege gerade durch ihre streng gesetzliche Normirung zugleich einen durchgreifenden juristi- schen Charakter, wie in keinem andern Lande, ohne Rücksicht auf die gesell- schaftliche Armuth, die hier zuerst sich selbst helfen gelernt hat. — In Frank- reich ist mit der Revolution das Armenwesen der Kirche gleichfalls definitiv entzogen; doch bestehen hier die Reste der ständischen Ordnung in gewaltigen Stiftungen (Hospitäler s. unten), während andererseits die örtliche Armenpflege durch den allgemeinen Mangel an freier Selbstverwaltung wenig zur Entwick- lung gediehen ist, und die Stiftungen dasselbe zu viel ersetzen müssen. — In Deutschland ist große Verschiedenheit, je nach der socialen Entwicklung. — Oesterreich hat es, vermöge der Stellung seiner Kirche, nie zu einer einheit- lichen Gesetzgebung oder vermöge der verschiedenen Bildungsstufen seiner Theile auch nur zu einer gleichartigen Verwaltung bringen können. — Preußen hat, nachdem sein Armenwesen bis auf die neueste Zeit fast ganz der Selbstverwal- tung überlassen war, dieselbe mit strenger Beschränkung auf die eigentliche Armenpflege durch das Gesetz vom 11. Dec. 1842 geordnet; in den übrigen Staaten bestehen fast nirgends Codifikationen; gemeinschaftlicher Charakter aller deutschen Armenpflege ist der Mangel einer obersten einheitlichen Leitung, der wieder durch die höchst thätige und ausgezeichnete Literatur ersetzt wird. Zu- sammenstellungen der Gesetzgebungen in de Gerando , de la bienfaisance publique, 4 Bde. 1839, der bei jedem einzelnen Theile des ganzen Armen- wesens die Staaten Europas und ihr Recht vergleicht; allgemeiner Ueberblick über die europäischen Gesetzgaben Bd. IV. S. 540; und jetzt Emminghaus , das Armenwesen und die Armengesetzgebung in europäischen Staaten 1870. — Im Gange der Literatur muß man zwei große Epochen unterscheiden. Die erste ist die, welche sich speciell auf die Armenpflege als Armenpolizei bezieht, noch ohne sich um das sociale Element zu kümmern; die zweite faßt die Armuth als einen innerlich organisirten Zustand auf, und legt den Schwer- punkt der Untersuchung theils in die Frage nach den Gründen und der Ver- hütung der Armuth, theils behandelt sie die speciellen Armuthsverhältnisse als Theile des ganzen Gebietes. An der Spitze dieser ganzen Richtung steht ohne Zweifel Gerando ; sein Werk ist noch immer das Bedeutendste über das ganze Armenwesen. Er bezeichnet zugleich den Punkt, wo die Frage nach dem socialen Inhalt der Armenfrage sich von der der Armenpflege ablöst, selb- ständig wird, und sich schon damals der Frage nach dem Eigenthum und dem Socialismus zuwendet. ( Erste Idee der Organisation du travail II. 281 ff.) Sein, ihm jedoch nicht gewachsener Nachfolger: Em. Laurent , le paupé- risme et les associations de prévoyance 1865. Dann selbständige Entwick- lung der socialen Frage seit L. Reybaud und L. Stein (s. unten). Das Verhältniß der Kirche zum Armenwesen: Chalmers , die kirchliche Armen- pflege; D. v. Gerlach 1847 und Georg Ratzinger , Geschichte der kirch- lichen Armenpflege 1868; gründlich aber streng auf sein Gebiet beschränkt (vergl. de Gerando II. 23 und Rau II. §. 337 a; Kries , Engl. Armenwesen §. 24). Seit der neuen Gestaltung der Staatswissenschaft ist das Armenwesen theils selbständig dargestellt, wie Döhl , Armenpflege des preußischen Staats 1860 (Exegese des Gesetzes von 1842); Kries , Engl. Armenpflege; theils in alle Staatsrechte aufgenommen. — Oesterreich: Stubenrauch , Verwal- tungsgesetzkunde II. 348. — Preußen: Rönne , Staatsrecht II. §. 339. — Bayern: Pözl , Verwaltungsrecht §. 87 ff. — Württemberg: Mohl , Verwaltungsrecht §. 204 ff. Das Gebiet ist auf keinem Punkte in sich fertig. A. Armenverwastung. Organisation derselben . Die Organisation des Armenwesens entsteht nun dadurch, daß das letztere als allgemeiner Zustand einerseits Aufgabe der Verwaltung ist, und andererseits vermöge der Verschiedenheit der Verhältnisse, welche es umfaßt, durch verschiedene Organe verwaltet werden muß. Sie ist von hoher Wichtigkeit, aber bisher nur wenig selbständig behandelt. Ihr inniger Zusammenhang mit dem ganzen Leben der Völker gibt ihr wieder in jedem Staate einen individuellen Charakter; jedoch sind die Elemente derselben stets die gleichen. Zu dem Ende ist es allerdings nothwendig, dieselbe auf die Grundformen aller Vollziehung zurückzu- führen, statt bei allgemeinen Grundsätzen stehen zu bleiben. Darnach gestaltet sich dieselbe in folgender Weise. I. Die Armengesetzgebung hat auch hier die Aufgabe, das Gleichartige in dem gesammten Armenwesen festzustellen; die Regie- rung ihrerseits soll die von der Gesetzgebung aufgestellten allgemeinen Regeln zur gleichmäßigen Durchführung bringen. Beide entstehen eben deßhalb erst dann, wenn die Armuth nicht mehr örtlich auftritt, son- dern als allgemeiner Zustand erscheint. Sie gehört daher der neueren Zeit an; es ist aber eben deßhalb klar, daß die Gesetzgebung stets zu- gleich das Hülfswesen direkt oder indirekt mit umfaßt, während die Regierung in ihrem Recht und ihrer Funktion wesentlich durch die Rechtsbildung und Thätigkeit der folgenden Organe bestimmt wird. Demnach ist es klar, daß die centrale Verwaltung, eine Oberbehörde für das Armenwesen , in dem Grade nothwendiger wird, je mehr die Elemente des Hülfswesens in dasselbe aufgenommen, und je mehr sich das gesellschaftliche Armenwesen aus dem rein wirthschaftlichen entwickelt. II. Den zweiten großen Organismus der Armenverwaltung bilden die Selbstverwaltungskörper . Sie sind die eigentlichen Träger des Armenwesens. Auch hier sind Landschaft, Gemeinde und Stiftungen zu scheiden, weil nicht bloß jedes derselben seine eigene Organisation, sondern auch seinen eigenen Charakter hat. Die Landschaften haben einerseits diejenigen Aufgaben, welche für die Gemeinden und Stif- tungen zu groß sind; andererseits sollen sie die Oberaufsicht über die Armenverwaltung der beiden letzteren haben, und es sollte in jeder Landschaft dafür ein eigenes Organ bestimmt sein. Die Gemeinde hat das örtliche Armenwesen zu verwalten und zwar auf der Grund- lage, daß in jedem Gemeinderath eine eigene Sektion dafür bestimmt sein muß, während die wirkliche Ausübung der Armenpflege im Ein- zelnen wieder auf dem Organismus der Armenväter beruhen soll. Die Stiftungen endlich sind für ihren speciellen Zweck bestimmt, und empfangen die Organisation deßhalb theils durch die Stiftungs- urkunde, theils aber da, wo sie wie die Hospitäler u. s. w. zum Theil von den Gemeinden mit erhalten werden, unter Mitwirkung der Gemeindebeschlüsse; und wo sie wesentlich auf eine Gemeinde beschränkt sind, unter Oberaufsicht derselben. Die Entwicklung und freie Bewegung dieses formalen Systems der Organisation beruht nun auf drei Punkten. Zuerst auf der Bildung von Verwaltungsgemeinden aus den Ortsgemeinden für das Armenwesen, die stets da eintreten muß, wo die Armenanstalten für eine Gemeinde zu groß werden. Es ist eine wesentliche Aufgabe sowohl der Regierung als der Landschaft, diese Bildung auf jede Weise zu fördern und zu ordnen, namentlich da, wo die Armen arbeit in die Armenpflege systematisch aufgenommen wird. In dieser Beziehung ist England das Muster, dem bis jetzt nur Preußen seit 1842 nachgefolgt ist. Zweitens soll die innere Ausbildung des Armenwesens nicht mehr wie bisher bloß auf der Literatur und dem Zufalle der indivi- duellen Theilnahme an der Armenfrage beruhen, sondern es soll jeder Armenkörper verpflichtet sein, durch jährliche Berichte sowohl statistisch als rationell auf die Natur der Armenhülfe im Allgemeinen und die Bedürfnisse der örtlichen Verhältnisse einzugehen. Die Landschaftskörper sollen darüber wachen, daß das regelmäßig geschehe, und aus dem jährlichen Gesammtbericht eine regelmäßige Landschaftsangelegenheit machen. Daran fehlt es bis jetzt am meisten, und daher liegt bis jetzt der Schwerpunkt des Bewußtseins über die Armenfrage mehr in der Literatur als in der Verwaltung selbst. Das dritte und wichtigste Gebiet ist nun das System, nach welchem diese Verwaltungskörper der Armuth ihre Mittel zur Unterstützung gewinnen. Dieses System zerfällt in drei Theile: 1) Die zufälligen Beihülfen . Diese bestehen wieder zuerst aus solchen, die von Individuen ausgehen und daher durchaus unregelmäßig sind, wie Schenkungen und Vermächtnisse. Zweitens aber erscheinen sie als Organisation des Almosenwesens , und zwar in den beiden Instituten des Klingbeutelwesens und der Sammlungen . Beide haben die Aufgabe, die Mängel, welche in dem rein zufälligen Almosengeben, dessen Nachtheile in dem Grade größer werden, in welchem die Armenpflege sich systematisch ausbildet, aufzuheben, ohne das freie individuelle Element der Unterstützung zu beseitigen. Daher werden beide gesetzlich geordnet ; Princip: Ord- nung des Klingbeutelwesens durch die Kirchenvorstände und Bewilli- gung der Sammlungen für einzelne Fälle von der Gemeinde . Es sollte keine Sammlung gestattet werden, ohne öffentliche Rechenschafts- ablage. 2) Das eigene Vermögen der Armenanstalten, das natürlich je nach der Art desselben verschieden ist, aber nie , auch da wo es speciell unter den kirchlichen Organen steht, ohne regelmäßige öffentliche Rechenschaftsablage verwaltet werden soll. 3) Die Armensteuer . Die Frage nach der Armensteuer entsteht, wo die Armuth als allgemeiner Zustand vom Staate anerkannt wird. Eine allgemeine Armensteuer als Theil der allgemeinen Besteuerung ist nicht richtig, schon darum, weil sie durch das System der Armen- steuer vollständig ersetzt wird. Dieses nun besteht aus drei Theilen. Die eigentliche Armensteuer ist eine Gemeinde- und Landes- steuer. Es ist nicht richtig, die Besteuerung einfach in das Steuer- system einzubeziehen, sondern sie muß speciell berechnet und aus- geschrieben werden, wie sie speciell zu verwalten ist. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Selbstbesteuerung fähig, ihren Werth speciell für das Armenwesen zu entwickeln. Die gesetzlichen Armeneinnahmen als Besteuerung gewisser Ein- kommenszweige (wie Steuer auf Theater, öffentliche Lustbarkeiten, das österreichische Armendrittel u. s. w.) sind nicht richtig, da sie ihren höheren Zweck, die Theilnahme der Einzelnen an der Armenfrage nicht erreichen. Die dritte Art entsteht da, wo eine bestimmte Gemeinde nicht im Stande ist, entweder vorübergehend oder dauernd ihrer Armenpflege zu genügen. Grundsatz: Unterstützung durch die Landtage , als Gegenstand der Berathung und Beschlußfassung der Landesvertretung. Nur in außerordentlichen Fällen kann der Staat als Einheit eine solche Unterstützung gewähren. Das sind die Elemente der Organisation des Armenwesens inner- halb der Selbstverwaltung. Es waltet nun nirgends eine größere Verschiedenheit ob, als gerade in diesem Gebiet. Dennoch ist die Rechts- bildung auf demselben in unserer Zeit sehr lebendig. Ihre Grundlage aber muß allerdings die englisch-preußische sein, daß auch in dieser Organisation das Armenwesen von dem Hülfswesen für die sociale Bewegung durchstehend zu scheiden ist, da beide ganz verschiedene Principien und Aufgaben haben. Jede Vermengung stört den Erfolg. Dasselbe gilt von dem Folgenden. III. Der dritte große Organismus ist das Vereinswesen und zwar als das Gebiet der Hülfsvereine . Dieselben bedürfen keiner besonderen Organisation, sondern finden die letztere in den allgemeinen Grundsätzen über die Freiheit und über das Recht des Vereinswesens überhaupt. Die systematische Organisation des Armenwesens als Ganzes ist viel zu wenig behandelt (vergl. de Gerando IV. S. 584 ff.; Mohl , Polizeiwissen- schaft I. §. 65 ff.). Der Charakter desselben ist im Ganzen, mit Ausnahme des Vereinswesens, sehr verschieden in den verschiedenen Ländern. — Englands Organisation beruht auf dem streng durchgeführten Gedanken, daß das Armen- wesen principiell eine Angelegenheit des Staats , in seiner einzelnen Durch- führung eine Aufgabe der Gemeinde sei. Daher strenge Scheidung zwischen den beiden Organen, von denen das letztere erst seit dem Gesetz von 1834 hin- reichend entwickelt ist. Armengemeinde gleich Kirchengemeinde mit voller Selbstverwaltung und Selbstbestimmung in der Poor rate, die fast allen andern direkten Steuern zum Grunde liegt. Innerhalb der Armengemeinde die eigentliche Verwaltung durch die Guardians , welche die obere Leitung des Armenwesens und die Bewilligung der Unterstützung haben (Armenpfleger); die Overseers , welche die letztere austheilen (Armenväter) und Auditors , welche die Rechnung führen. Daran schließen sich die Unions, als die Armen- verwaltungsgemeinden mit den Arbeitshäusern ( Workhouses ) und ihrer Orga- nisation, und die Centralleitung mit dem Poor Law Board . Daneben steht, ohne weiteren Zusammenhang damit, die Ordnung der Armenkinderpflege und der einzelnen großen Armenanstalten, während endlich das Vereinswesen nament- lich für Errichtung von Krankenhäusern eine Entwicklung empfangen hat wie nirgends in der Welt. Die Literatur ist gerade über diese Organisation außer- ordentlich reich. Vergl. außer den bei Rau und Mohl citirten alten Werken: Kries , Engl. Armenpflegwesen §. 9 ff.; de Gerando III. 526; und bei jedem einzelnen Theile: Laurent P. III. Ch. 3; über die Armensteuer S. 33; Vocke , Geschichte der Steuern des brittischen Reiches 1866 S. 623; Gneist , Engl. Verwaltungsrecht II. §. 116. — In Frankreich dagegen liegt der Schwerpunkt des Armenwesens in den Hospitälern, während die Gemeinde- armenpflege durch die Bureaux de bienfaisance, die in jeder Gemeinde sein sollen , aber nicht immer sind, verwaltet wird. Dieselben sind nach franzö- sischem Muster ernannte Gemeindeorgane. Gerando hat die Organisation bei jedem Punkte des Systems aufgenommen; über das Ganze vergl. Gerando IV. am Ende; Laurent P. III. Ch. 2; Block , v. Bureaux de bienfaisance. Eine centrale Leitung angestrebt, aber nicht durchgeführt in dem Grand Conseil, das sich jedoch wie es scheint, wesentlich auf die sociétés de pré- voyance bezieht ( Laurent S. 280 ff.). — Die deutschen Organisationen sind principiell Gemeindeorgane , in Preußen bloß weltliche, in Oesterreich zugleich kirchlich. Organisation, Preußen durch Gesetz vom 31. Dec. 1842; Gemeinde- und Landarmenverbände ( Döhl , Armenpflege des preuß. Staats 1860; Rönne , Staatsrecht II. §. 341). Das sog. Bucquoi ’sche Armen- institut in Oesterreich nur für Armenpflege: Stubenrauch , Verwaltungsgesetz II. §. 348 ff. Ueber alle übrigen Staaten, so wie speciell über die obgenannten gibt jetzt die umfassendste Darstellung das Sammelwerk von Emminghaus a. a. O. Ueber die Frage nach der in Deutschland noch durchaus fehlenden centralen Organisation s. schon Godefroy , Theorie der Armuth 2. Aufl. 55. und Mohl , Polizeiwissenschaft I. §. 67. Das Recht und das System der Unterstützungsvereine bei Stein , Vereinswesen S. 171 ff. B. Das Armenrecht. Während nun der Organismus des Armenwesens die Funktion des Staats in Beziehung auf den Zustand der Armuth organisirt, enthält das Armenrecht die Gesammtheit der Bestimmungen, nach welchen der Einzelne berechtigt ist, an dieser unterstützenden Thätig- keit des Ganzen Theil zu nehmen. Dieß Armenrecht zerfällt in drei Gebiete. I. Das Heimathsrecht enthält die Grundsätze, nach denen durch dauernde Niederlassung das Recht des Einzelnen auf Unterstützung gegen eine Gemeinde als Armenverwaltungskörper gewonnen wird. Das Heimathsrecht ist daher im Grunde nur die Anwendung der Grundsätze der Angehörigkeit an die Gemeinde für die Armen- pflege. Es unterscheidet sich jedoch wesentlich von den letzteren dadurch, daß es auch gegen den Willen der Gemeinde gewonnen werden kann, und daher ein objektives Rechtsverhältniß für dieselbe bildet. Daher langer und fast immer in derselben Weise sich bewegender Kampf um die Frage, auf welchem Punkt dieß Recht der Heimath gewonnen wird, und vielfaches Schwanken der Gesetzgebung. Die Grundzüge, auf denen dasselbe beruht, sind jedoch einfach, sobald die Gebundenheit an die Scholle mit dem Siege der staatsbürgerlichen Gesellschaft aufhört. Grundlage ist, daß so lange keine andere Heimath gewonnen ist, der Geburtsort die natürliche Heimath bildet. Die freie Bewegung von einer Gemeinde zur andern ist die Freizügigkeit , die als freies Niederlassungsrecht erscheint. Wenn diese Niederlassung eine ge- setzlich bestimmte Zeit gedauert hat, so erzeugt sie ohne bestimmten Akt das Heimaths- und damit das Armenrecht . Die eigentliche Frage bewegt sich also nur darum, erstlich, was als Niederlassung anzusehen sei (z. B. wann Dienst und Arbeit die Niederlassung ent- halten) und zweitens, ob die Gemeinde, und unter welchen Bedingungen sie das Recht hat, a ) die Auswärtigen während der Zeit der Nieder- lassung in ihre frühere Heimath zu befördern, und b ) die etwa gemach- ten Auslagen für die während dieser Zeit unterstützten Armen der Heimathsgemeinde aufzurechnen . Die Gesetzgebungen sind auf diesem Punkte sehr genau und oft sehr hart, und an diesen faßbaren Gegen- stand hat sich daher eine förmliche Jurisprudenz des Armenrechts an- geschlossen, die dem folgenden Punkte fehlt. II. Das Armenrecht im eigenen Sinne ist nun das durch die Heimath für den einzelnen Armen erworbene Recht auf die Unterstützung selbst. Die Grundlage dafür ist die Aufnahme in das Armenregister, der Inhalt ist ein Privatrecht auf den Bezug der betreffenden Unterstützung; die Folge ist der schließliche, jedoch natürlich wenig praktische Grundsatz, daß diese Unterstützung selbst nur als Vorschuß behandelt wird. Alle diese drei Punkte werden nun ge- wöhnlich nur vom Standpunkte der eigentlichen Armenpflege betrachtet, obwohl sie bei allen Arten der letzteren vorkommen, allerdings aber bei jeder eine andere Gestalt annehmen. Dieß Recht nun hat seine historischen Grundformen durchgemacht, und ist auch jetzt noch im Wer- den begriffen. Ursprünglich ist es nur ein sittlicher Anspruch, den der Einzelne hat, und seine Befriedigung ist freie Gewährung. Dann treten an die Stelle der letzteren gewisse Regeln der betreffenden Anstalten, die aber noch keinen Anspruch des einzelnen Armen begrün- den. Dann wird die Armenpflicht eine öffentlich rechtliche Verpflich- tung der Armenorgane, zu deren Erfüllung dieselben gezwungen werden können; damit entsteht zugleich der erste Zweifel an einer solchen Verpflichtung und der feste Begriff der charité légale, die übrigens nur ausnahmsweise als privatrechtlicher Anspruch auf Unterstützung anerkannt wird. Die Voraussetzung des letzteren ist allerdings die strenge Unterscheidung zwischen dem Armenwesen und dem Hülfswesen des gesellschaftlichen Fortschrittes, und die Leistungen, auf welche der Arme ein Recht hat, sind natürlich sehr verschieden je nach der Anstalt, um die es sich handelt. Wohl aber wäre es nothwendig, dieß ganze Rechtsverhältniß als gesetzliches Armenverfahren durch ein Gesetz fest- zustellen, und für alle Anstalten zu ordnen. Das Heimathswesen und - Recht hat eine lange und mit vielen Kämpfen durchwobene Geschichte, s. Stein , Innere Verwaltung, 1. Theil ( Bevölke- rungswesen S. 272) englische, französische und deutsche Rechtszustände (vergl. dazu Döhl , die Niederlassung des preußischen Staats oder das Gesetz vom 31. Dec. 1842 und dessen Armenpflege des preuß. Staates von S. 131 bis 171. Engl. Heimathswesen: Kries §. 22 ff.; die Peels Settlements Act §. 26; Emminghaus a. a. O. S. 13). — Das französische Heimathswesen Block bei Emminghaus S. 601 ff. — Oesterreich : Heimathsgesetz vom 3. Dec. 1803 als Corollar zum Gemeindegesetz vom 5. März 1862. — Das Arme nrecht im engeren Sinne ist noch wenig ausgebildet. Direkte Negation des Rechts der Armen: Rau II. §. 339 und Literatur. In England ist ein Privat- und Klagerecht auf die Unterstützung anerkannt ( Kries §. 27); Klagerecht in Schottland ( Kries a. a. O. S. 168. 169). Frankreich versagt ein solches Privat- recht ausdrücklich, und erkennt nur bei Irren und Findelkindern eine bestimmte Verpflichtung (vergl. Emminghaus S. 12. 13). Die deutschen Gesetze stehen auf dem Standpunkt der öffentlichen Verpflichtung und Erzwingung durch die Behörde, ohne privatrechtlichen Anspruch; die meisten übergehen die Frage stillschweigend; vergl. das preuß. Recht, das ein verfolgbares Recht auf Alimen- tation nur sehr beschränkt einräumt ( Rönne II. §. 340. 341). C. Das System der Armenpflege. Das System der Armenpflege entsteht nun, indem die Verschieden- heit der Verhältnisse der Armuth der unterstützenden Thätigkeit eine verschiedene Aufgabe und mithin auch verschiedene Formen gibt. Das System bildet sich eben deßhalb auch nicht einheitlich und als ein Ganzes aus, sondern vielmehr geht jedes Gebiet mit eigener Grund- lage, eigenen Mitteln, eigener Verwaltung und meist sogar mit eigener Gesetzgebung vor. Die Wissenschaft erkennt es aber als ein Ganzes, das im Wesentlichen in drei Gebiete zerfällt; die Armenkinder- pflege , das Armenkrankenwesen und die eigentliche Armen- pflege. 1) Die Armenkinderpflege . Die Pflege der Armenkinder gibt es ursprünglich nicht; sie ist mit der eigentlichen Armenpflege ungeschieden verbunden. Es ist das un- sterbliche Verdienst von Vincent de St. Paul, die Sorge für die Ar- menkinder von der allgemeinen Armenpflege getrennt, und die sittliche Nothwendigkeit, der ersteren eine selbständige Grundlage zu geben, fest- gestellt zu haben. Das achtzehnte Jahrhundert hat daraus die recht- lichen Elemente eines eigenen Systems in der Waisenpflege und den Findelhäusern gebildet; das neunzehnte Jahrhundert hat das ganze Gebiet mit dem Bewußtsein einer socialen Aufgabe durchdrungen und die Sorge für den Unterhalt der Kinder zugleich zu einer Er- ziehungsaufgabe gemacht, indem sie die Krippen und Warteschulen hinzufügte. So ist aus dem Ganzen ein hochwichtiges, zugleich prakti- sches und wissenschaftliches System geworden, das wiederum den Ueber- gang zur gesellschaftlichen Bewegung und Entwicklung der niederen Classe bildet. Jeder einzelne Theil besitzt jetzt seine Anstalten, seine Literatur und zum Theil auch seine Gesetzgebung. a ) Waisenpflege. In der Waisenpflege zuerst löst sich die Sorge für die Armen- kinder zuerst von der allgemeinen Armenpflege los; ihre nächste Auf- gabe besteht allerdings darin, die Eltern für die Kinder in Beziehung auf das materielle Bedürfniß zu ersetzen ; ihre höhere Entwicklung geht aber dahin, durch eine möglichst gute Erziehung sie für die Zu- kunft erwerbsfähig zu machen. Die ersten Waisenhäuser sind daher Armenkinder-Anstalten, die Waisenhäuser werden aber namentlich mit dem neunzehnten Jahrhundert Armen-Erziehungsanstalten . Das ist ihr gegenwärtiger Standpunkt. Sie sind daher örtliche Armen- anstalten. Sie sind nur möglich, wo die Gemeinde so groß ist, nicht daß eine bloße Ernährung, sondern daß eine förmliche Erziehung mit Lehrmitteln gegeben werden kann. Ist das nicht der Fall, so ist es besser, die Waisen bei Familien unterzubringen. Besteht aber ein Waisenhaus, so soll es nicht bloß für eigentliche Waisen da sein, sondern es soll theils auch temporär Kinder, deren Eltern unfähig sind, aufnehmen, theils soll die Waisenschule stets den Kern der Armenkinderschule abgeben , und mithin niemals bloß Waisen- schule sein. Die Verwaltung ist Gemeindeverwaltung unter der Land- schaft; sie wird von dem Armenrathe der Gemeinde geleitet, mit Ober- aufsicht über Unterhalt und Unterricht. Die Dauer der Waisenpflege soll bis zur Vollendung des ersten Grades gewerblicher Bildung gehen; niemand wird hier an confessionelle Unterschiede denken. Die vollste Oeffentlichkeit, namentlich die Verbindung der Waisenschule mit den Armenkinderschulen ist die Grundlage ihres Werthes für ihre gesell- schaftliche Stellung. Die Waisenpflege ist in England wenig ausgebildet, sie wird sich erst an den Armenschulen entwickeln. Eigentliche Waisenhäuser gibt es wohl nur wenige. Gerando II. 85. — In Frankreich wird die Waisenpflege unter den weiten Begriff der Hospices (H. des enfants) zusammengefaßt. Sie be- stehen schon seit dem 14. Jahrhundert; das Gesetz vom 28. Juni 1793 über- nahm alle Armenkinder auf den Staat, verschmolz sie aber mit den enfants abandonnés, bis die Waisenpflege 1814 wieder selbständig und in den Hospices hergestellt ward. Geschichte bei Gerando II. 88 ff. — Preußen hat eben so selbständige örtliche Waisenhäuser ( Rönne II. §. 13). — Oesterreich: Stubenrauch , Verwaltungsgesetz I. 45 (Waisencommission) Verordnung vom 16. Nov. 1850 und 14. Juli 1854 und II. 357. Ueber die übrigen Staaten s. Emminghaus ; vergl. dazu Rau II. 355 mit Literatur, jedoch ohne be- sondere Unterscheidung des Verhältnisses der Armenschulen. b ) Findelkinder. Die Anerkennung, daß verlassene Neugeborene der öffentlichen Sorge anheimfallen, ist schon vom Concil von Nicäa im vierten Jahr- hundert ausgesprochen und niemals bestritten. Das Findelhaus- wesen beginnt jedoch erst da, wo die Anstalt getroffen wird, daß Neugeborene in einem eigens dazu errichteten Hause von den Müttern der öffentlichen Pflege ohne weitere Angabe der Eltern übergeben wer- den können. Damit erst ist die eigentliche Frage der Findelhäuser entstanden, bei denen jene Aufnahme wesentlich im Interesse des Schutzes der Ehre der Mutter und zum Theil auch als Abwehr gegen Kindesmorde und Fruchtabtreibung hergestellt wird, während der Unter- halt der Findlinge als durchaus identisch mit dem Waisenwesen erkannt Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 28 wird und deßhalb unter die Waisenpflege fällt. Der Werth der ge- heimen Aufnahme der Neugeborenen (Drehladen) beruht daher am letzten Ende auf der Frage, ob dieselbe jene Zwecke auch wirklich er- füllen; und mit Recht erscheint daher das von der Waisenpflege ge- trennte Findelwesen vielmehr als eine Anstalt der Sicherheitspolizei als der Armenpflege. Die Statistik zeigt nun, daß die eigenen Findel- häuser jene Zwecke eben nicht erfüllen, indem sie weder Kindesmorde noch Abtreibungen vermindern. Es kommt daher darauf an, das Findel- wesen auf die Aufnahme in die erste Abtheilung der Waisenhäuser ( à bureau ouvert ) zu reduciren, alle übrigen Bestimmungen über Findlinge dagegen mit denen über die veredelte Waisenpflege in ein Ganzes zu verschmelzen. In England Versuche seit dem 18. Jahrhundert; das Londoner Findel- haus 1756 als Staatsanstalt mit Beibehaltung der Kinder bis zum fünfzehnten Jahre; Literatur und Kampf über dasselbe bei Gerando II. 196—276 und 348. — In Frankreich seit dem 16. Jahrhundert; Recht der Findlinge in der Const. von 1791 anerkannt ( I. 15). Später Organisation der Hospices des enfants trouvés ( Gerando II. 271 ff.). Decret vom 19. Jan. 1841 über en- fants abandonnés. Andere Länder ebend. 284 ff. — In Deutschland Ver- bindung mit den Gebäranstalten; die Frage selbst wesentlich vom polizeilichen Gesichtspunkt aufgefaßt ( Rau II. 355), sonst mit der der Waisenhäuser iden- tificirt ( Mohl , Polizeiwissenschaft I. 63). Eigene Gesetzgebungen mangeln . Vergl. Franz Hügel , das Findelwesen Europas, Jahrbuch für Gesetzkunde und Statistik 1862. S. 272; besonders aber dessen gründliches Werk: die Findelhäuser und das Findelwesen Europas 1863. — Findelaufsicht in Oester- reich: Stubenrauch II. 266. c ) Krippen und Warteschulen. Waisenhäuser und Findelhäuser haben es nur mit der wirklichen Noth der Armenkinder zu thun; da aber, wo statt der wirklichen Noth vermöge der Zustände der Familie, sei es verschuldet oder unverschuldet, nur noch die Gefahr des Versinkens der ungeschützten Kinder ein physisches und sittliches Verkommen entsteht, treten die Krippen und die Warteschulen ein. Ihre Aufgabe ist es, die erste Kinder- erziehung da zu ersetzen, wo die Lage oder die Beschäftigung der Eltern es nicht möglich machen. Sie sind natürlich in dem Grade noth- wendiger, in welchem die Eltern mehr vom Hause entfernt sind, und in dem Grade wichtiger, in welchem die Dichtigkeit der Arbeiterbevöl- kerung zunimmt. Sie sind bis jetzt nur noch durch das Vereinswesen entstanden und erhalten. Es wird und muß aber die Zeit kommen, wo die Krippen und Warteschulen mit dem großen Segen, den sie über die Bevölkerung zu bringen vermögen, als eine ganz unabweisbare Aufgabe jeder Gemeinde vom Gesetze eingeführt, von der Verwal- tung öffentlich geleitet , und von jedem verständigen Manne anerkannt werden . Sie sind dazu bestimmt, die erste Grundlage für das ganze öffentliche Bildungswesen der Armen zu werden, und damit den Uebergang zur Verwaltung der gesellschaftlichen Entwicklung zu bilden. In England scheint das Krippen- und Warteschulwesen wenig ausge- bildet. — In Frankreich vertreten die Hospices d’enfants die Warteschulen; die eigentlichen Crêches in Paris gegründet, jedoch gegen Zahlung der Eltern (Block , v. Crêches ). — In Oesterreich seit zwanzig Jahren als Aufgabe der Krippenvereine (vergl. namentlich die Krippenkalender für Wien 1870); Warteschulen schon seit 1832 begonnen; Stubenrauch II. §. 364. Salles d’asile ( Gerando II. 21) schon seit Anfang dieses Jahrhunderts. d ) Armenschul- und Armenerziehungswesen. Das Armenschul- und Erziehungswesen soll nun da anfangen, wo die Armenkinder aus den Warteschulen in die Volksschule übergehen. Das Armenschulwesen hat es bis zur Reife, das Erziehungswesen nach derselben mit den Kindern der Armen zu thun. Die Armenschule be- steht aber nicht in dem bloßen Recht der Freischule für arme Kinder, sondern es beruht vielmehr auf zwei selbständigen Principien. Zuerst enthält es die strenge Schulpolizei mit dem Recht derselben, jedes herumvagirende Kind polizeilich in diese Schule zu senden; zweitens aber als nothwendiges Corollar der Grundsatz, daß in diesen Schulen den Kindern Nahrung während der Schulzeit gegeben und Rein- lichkeit von ihnen erzwungen wird. Keine Gemeinde sollte daran sparen , den Lehrern dazu die Mittel zu geben; keine Schul- aufsicht sollte einen Bericht erstatten, ohne diese Frage zu berühren. Sind eigene Waisenschulen unvermeidlich , so sind sie die natürliche Armenschule. Die Armenerziehung dagegen reicht schon bis in das reifere Alter hinein. Sie hat zur Aufgabe, namentlich verwahrloste Jünglinge und Mädchen, dann entlassene jugendliche Verbrecher aufzu- nehmen und sie zu erziehen. Während das Armenschulwesen in jeder Gemeinde möglich und nothwendig ist, fordert das Armenerziehungs- wesen bereits größere Armenverwaltungsgemeinden, und sollte direkt von der Landschaft ausgehen. Hier ist noch fast alles zu schaffen. England hat das Armenschulwesen fast ausschließlich auf die Polizei ge- gründet; seine district ragged und pauper schools sind Polizeischulen, ohne weiteren socialen Inhalt (vergl. Kries , Engl. Armenpflege 31; Gerando II. 23). Vereinswesen in England für verwahrloste Kinder II. 420. Gesetz- gebung: 8. 9. Vict. 38 und 117, nebst 10. 11. Vict. 33; dann 25. 26. Vict. 113 mit Warrants of removal gegen Eltern mit Strafen durch den Friedens- richter. — Frankreich : Institutions préservatrices ebend. II. 399. 425. Ueber die einzelnen Anstalten Ducpetiaux , Situation des Ecoles de réforme 1861; vgl. Literatur und Angaben: Rau , Volkswirthschaftspflege II. 353. 354. Gesetzgebung und Literatur über das Armenschulwesen bei Stein , Innere Verwaltung (Bildungswesen), namentlich S. 141 ff. über England, Frankreich und Deutschland. Auch Angaben zerstreut bei Emminghaus a. a. O. 2) Das Armenkrankenwesen . Das Armenkrankenwesen entsteht allerdings fast gleichzeitig mit dem Armenwesen, aber zu einem selbständigen Gebiete wird es erst in unserem Jahrhundert. Seine erste Gestalt ist die der Hospitäler , die aber als Stiftungen beschränkt und örtlich sind; erst mit unserem Jahrhundert bildet sich die Armenkrankenpflege als systematisch aufge- faßter Theil der Armenpflege heraus; und auch jetzt steht dasselbe im Grunde noch auf der niederen Stufe, sich wesentlich nur mit der Hei- lung der Krankheiten, und wenig mit der Bekämpfung der Ursache der- selben zu beschäftigen. a ) Hospitäler, Taubstummen-, Blinden- und Irrenanstalten. Die Hospitäler sind die erste historische Form der Sorge für die Heilanstalten; die Taubstummen-, Blinden- und Irrenanstalten folgen ihnen seit dem vorigen Jahrhundert. Sie sind ursprünglich Stiftungen, und als solche selbständig mit selbständiger corporativer Verwaltung. Dann treten sie seit dem vorigen Jahrhundert unter die Oberaufsicht der Gesundheitsverwaltung, zum Theil auch mit wissenschaftlichen In- stituten verbunden, mit eigenem Recht, und nach eigenen Grundsätzen verwaltet. Je größer die Stadt, um so nothwendiger sind sie. Ihre besondere Darstellung gehört jedoch, da sie nicht bloß auf die Armen beschränkt sein sollen, vorwiegend in das Gesundheitswesen. In England beruht das Hospitalswesen vorzugsweise auf dem Vereins- wesen; Armenkrankenhäuser sind gesetzlich nur mit den Workhouses verbunden. — In Frankreich muß man die Hospices streng von den Hospitaux scheiden; innere Einrichtung und Organisation bei Block in Emminghaus a. a. O. Dazu Laurent a. a. O. S. 152. (1324 Hospitäler in Frankreich, allerdings die Hospices inbegriffen mit 85 Mill. Vermögen.) Gerando IV. 278. Ge- schichte und Gesetzgebung in den europäischen Staaten. Reform der letzteren in Frankreich seit 1750, S. 363. Im Uebrigen s. über das Recht dieser An- stalten Stein , Gesundheitswesen, Heilanstalten S. 121 ff. — Preußen: Rönne II. §. 341. — Oesterreich: Stubenrauch II. 231. b ) Armenkrankenpflege. Die Armenkrankenpflege ist nun das für die Krankheiten der Hausarmen organisirte Heilwesen. Dasselbe beruht bisher auf zwei Punkten: zuerst der unentgeldlichen Benützung der Apotheken , dann die Herstellung eigener Armenärzte . Die Nothwendigkeit dieser In- stitution kann nicht , wie in England und Frankreich, wo beides fehlt, ersetzt werden durch die Hospitäler. Aber eben so wenig genügt wie in Deutschland, das bloße Heilwesen durch die Armenärzte der Ge- meinde, um so weniger, als dieselben doch nur in den großen Städten eingerichtet werden. Die höhere, künftige Aufgabe der Armenärzte ist die Vertretung der Forderungen der Gesundheitspflege im Kreise der Armuth, namentlich in Beziehung auf Wohnungen und Arbeitslokale . Was sie hier zu thun haben, zeigt die Lehre vom Sanitätswesen. Wir sind von einer solchen Thätigkeit noch weit ent- fernt; vielleicht daß die Erkenntniß, daß in der Hälfte aller Fälle der Gesunde durch den Kranken und der Wohlhabende durch den Armen krank wird, der Gesundheitspflege des Armenwesens ihre rechte Ent- wicklung geben wird. Das System der Armenkrankenpflege im obigen Sinne ist noch wenig be- handelt, und hat allerdings eine durchgreifende Anerkennung des Gesundheits- wesens als Theil der Verwaltungslehre zur Voraussetzung (s. Stein , Gesund- heitswesen S. 122 ff.). 3) Die eigentliche Armenunterstützung . Die eigentliche Armenunterstützung umfaßt nun die Ge- sammtheit an Unterstützungen, die den erwachsenen Armen in ihrer Nothlage gegeben werden. Ihr Gebiet ist jetzt ein fest bestimmtes; aber gerade in ihm zeigen sich am deutlichsten die drei großen Stadien des Armenwesens, am deutlichsten das zufällige und unorganische Al- mosen , die Unterstützung durch kirchliche Corporationen , und endlich die organisirte Verwaltung des Unterstützungswesens, deren Basis die gesetzlich ausgesprochene Pflicht der Unterstützung durch die Gemeinde, deren System aber die Auflösung der Armuth in ihre ein- zelnen Zustände ist. Wissenschaft und Praxis haben an dem letzteren gleichmäßig gearbeitet; sein Inhalt ist ein dreifacher: die eigentliche Unterstützung , die Versorgungshäuser , wieder mit Versuchen zur Herstellung von Armenarbeit verbunden. Alle diese Thätig- keiten können vom Verein übernommen werden; allein die Selbstver- waltung ist das eigentliche Organ dafür, und kein Vereinswesen kann seine Pflicht und seine Funktion hier überflüssig machen. Es ist nun ein wesentlicher Fortschritt unserer Zeit, daß wir ge- lernt haben, die Aufgabe der Armenunterstützung von der socialen Frage zu scheiden . Die Nothwendigkeit dieser Scheidung bedarf keines weiteren Nachweises. Aber es ist festzuhalten, daß nur sie es ist, welche das ganze Armenunterstützungswesen zuletzt so einfach macht, wie es in Folgendem erscheint. a ) Armenbetheilung. Die Armenbetheilung als die direkte Armenunterstützung, im Ein- zelnen unendlich vielgestaltig, ist in ihren Grundzügen sehr einfach. Wird dieselbe von Gemeinden gegeben, so ist es richtig diese Grundsätze durch Gemeindebeschluß festzustellen; Unterstützungsvereine sollten die- selben principiell durchführen. Die Armenkreise sollen möglichst klein sein, um die Einzelbeur- theilung zuzulassen. Sie soll so wenig als möglich in baarem Gelde, sondern so viel als thunlich in Naturalien bestehen. Sie soll in mög- lichst kurzen Terminen gegeben werden. Sie soll nie größer sein, als zur Deckung des dringendsten Bedürfnisses. Sie soll nie gegeben werden, ohne vorhergehende Constatirung der Noth , nicht bloß der Armuth. Sie soll stets darauf bedacht sein, so bald als möglich zu enden. Sie soll geradezu verweigert werden , wenn der Noth- leidende nachweisbar einen Erwerb, wenn er auch noch so gering ist, ausschlägt. Sie soll daher stets verbunden sein mit dem Versuche, den Armen irgend eine Arbeit zu geben. Jede Unterstützung, welche dem Erwerbfähigen, der Arbeit finden kann, gegeben wird, ist ein Unrecht . Die Frage nach der Errichtung eigener Arbeitshäuser ist keine Frage des Princips, sondern der Zweckmäßigkeit, ebenso die ihrer Ein- richtung. Es ist Pflicht der Gemeindeglieder, wo sie können, den Unterstützten irgend eine Arbeit zu geben. Das Uebrige muß den lokalen Verhältnissen überlassen bleiben. Es ist eben so leicht, diese Grundsätze theoretisch weiter auszubilden, als es schwer ist, sie praktisch gut durchzuführen. — Das englische System be- ruht auf der strengen Unterscheidung der Unterstützung der Hausarmen ( out door relief ) und der Aufnahme in die Arbeitshäuser (in door relief); das continentale System hat das System der Arbeitshäuser mehr als ein Straf- mittel aufgefaßt. Die Literatur darüber war früher viel reicher als in neuester Zeit, wo das sociale Element in den Vordergrund getreten ist (vergl. Rau §. 342 ff.; Mohl , Polizeiwissenschaft I. §. 62; Gerando IV. 193 ff.); in Frank- reich werden die Hausarmen vielfach in Familien untergebracht, ebend. 211. Die englischen Workhouses: Kries , Engl. Armenwesen S. 19 ff.; Gerando III. 520 mit Vergleichung analoger Einrichtungen in Frankreich, der Schweiz, Italien. — Die Idee der Armencolonien ist wohl abgeschlossen (vergl. Rau II. §. 349; Gerando , Colonisation de l’intérieur IV. 49 ff.). Ueber die öffentliche Ordnung der Unterstützung das preußische Gesetz von 1842 von Döhl a. a. O. und Stubenrauch II. 231. b ) Versorgungshäuser. Die Versorgungshäuser sind wohl allenthalben Stiftungen, und sollen es sein; denn man wird wohl kaum die Errichtung solcher An- stalten als Aufgabe der Armenpflege empfehlen. Sie beruhen daher auf ihrem eigenen Stiftungsrecht und sollen nach demselben, stets aber unter Oberaufsicht der Gemeinde verwaltet werden. Das gegen- wärtige Jahrhundert ersetzt sie auf allen Punkten durch das System der Selbsthülfe, das schon jetzt überhaupt das des Armenwesens zu überwiegen beginnt. Angaben und Nachrichten bei Rau II. §. 356 und Einzelheiten bei Emminghaus . Die französischen Hospices sind die Versorgungshäuser Frankreichs, haben aber daneben manche andere Aufgabe, namentlich für die Waisen- und Krankenpflege der Armen, und lassen sich daher auch schwer von den Hospitaux in der Praxis scheiden (vergl. Block , Dict. v. Hospices und Hospitaux ). — England kennt sie fast gar nicht, sondern ersetzt sie durch die Workhouses . Dritter Cheil . Die Verwaltung und die gesellschaftliche Entwicklung. Begriff der socialen Frage. Je weiter die Gesittung vorwärts schreitet, um so bestimmter löst sich die sociale Frage mit ihrem Inhalt von dem Armenwesen ab und überragt das letztere auf allen Punkten. Ohne eine Zurückführung der socialen Frage auf ihren letzten ein- fach formulirten Inhalt ist die Beherrschung dieses mit jedem Tage mächtigeren Gebietes nicht möglich. Dieß Wesen der socialen Frage ergibt sich aber fast von selbst aus der Wissenschaft der Gesellschaft. Die Gesellschaft überhaupt, und in derselben jede Ordnung scheidet sich in Classen. Das Wesen der persönlichen Freiheit erzeugt in diesen Classen das, was wir die aufsteigende Bewegung genannt haben. Diese aufsteigende Bewegung ist eine organische Forderung des gesellschaft- lichen Lebens. Wo sie aufhört, entsteht bei freien Völkern eine Gefahr für den Gesammtzustand; wo sie stattfindet, ist allgemeines Wohlsein. Ihre Voraussetzung ist allerdings die gesellschaftliche Freiheit auf der einen, die Bekämpfung der gesellschaftlichen Noth auf der andern Seite. Allein ihr Inhalt ist die Fähigkeit für den Einzelnen, durch sein per- sönliches Capital zu einem wirthschaftlichen zu gelangen; ihre Verwirk- lichung ist der wirkliche Erwerb eines Capitals. Dieser Verwirklichung gegenüber stehen nun nicht nur das Interesse des Capitals überhaupt, das die capitallose Erwerbsfähigkeit für sich ausbeuten will, sondern auch das Gesetz, nach welchem das große Capital das kleine in der Mitwerbung überwinden muß, das Größengesetz der Capitalien. Aus diesem Gegensatz entsteht nun ein tiefer Widerspruch in der Gesellschaft, der die freie Entwicklung derselben hemmt, und der zugleich als wirth- schaftliche und damit zuletzt auch persönliche Unfreiheit von den Ein- zelnen gefühlt wird. Aus dem Widerspruch entwickelt sich eine Gefahr; aus der Gefahr die Frage, wie dieselbe zu lösen ist; und diese Frage, wie die capitallose Arbeit zur wirthschaftlichen Selbstän- digkeit durch den Erwerb des Capitals gelangen könne, ist die sociale Frage . Es ist daher klar, daß diese Frage etwas wesentlich verschiedenes von der Armenfrage ist. Es ist aber auch klar, daß auch sie einen hochwichtigen, und zwar selbständigen Theil der Verwaltung bildet. Und die Gesammtheit von Thätigkeiten und Anstalten der Gemeinschaft und des Staats zur Lösung dieser Frage bildet die Verwaltung des gesellschaftlichen Fortschrittes . Dieselbe hat nun wie jedes andere selbständige Gebiet ihre eigene Geschichte, ihren eigenen Organismus und ihr eigenes System, das sich freilich erst in unserer Zeit organisch zu entwickeln beginnt. Allerdings aber knüpft sich daran nun die Frage, ob der Staat, der doch auch die socialen Interessen der aufsteigenden Bewegung ver- tritt, diese letztere sich ganz selbst überlassen solle. Und hier ist der Punkt, wo noch bisher die volle Klarheit nicht eingetreten ist; die Frage der nächsten Zukunft ist die Frage nach der Gränze der Staats- verwaltung in der socialen Bewegung. Eine solche Gränze ist aber nur durch ein Princip möglich. Und je weiter wir kommen, je be- stimmter entwickelt sich dasselbe. Das Wesen der socialen Verwal- tung besteht darin, daß nicht etwa ein einzelnes bestimmtes Gebiet, sondern daß die ganze Verwaltung auf allen Punkten von dem Princip durchdrungen und durchgeistigt sei, den arbeitenden Classen alle diejenigen Bedingungen der Entwicklung zu bieten, welche sie sich durch den Mangel an Capital sowohl für ihre physische wie für ihre geistige Erwerbsfähigkeit nicht selbst schaffen können, dagegen den wirklichen Erwerb des Capitals derselben selbst zu überlassen. Es gibt daher kein specielles System der socialen Verwaltung über die Selbsthülfe hinaus, sondern einen socialen Geist der Verwaltung; und es ist, wenn man die letztere überschaut, kein Zweifel, daß wir der höheren und klareren Entwicklung dieses Elementes mit jedem Tage mehr entgegen gehen. Daneben aber bildet die Selbsthülfe nun ein selbständiges System, dessen Elemente die folgenden sind. Die wichtigste Thatsache im Leben der Verwaltung unseres Jahrhunderts, die Scheidung der socialen Idee der Verwaltung von dem Armenwesen und das Bewußtsein von dem wesentlich verschiedenen Princip beider ist das Dauernde, was wir dem Auftreten der communistischen und socialistischen Lehre zu ver- danken haben. Damit ist die Armuth vom Nichtbesitz geschieden. Stein , der Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs, 1. Aufl. 1842. Von da an Beachtung der capitallosen Arbeit; zuerst A. Grün , die arbeiten- den Classen Englands 1845; die socialistisch-communistische Literatur in Stein 2. Aufl. 1847. Die Idee der Selbsthülfe ist in dieser ersten Bewegung nur noch unklar in der Vorstellung des „Associationsrechts“ vertreten. Mit dem Jahre 1848 beginnt die zweite Epoche. Allgemeines Stimmrecht und Republik in Frankreich; Kampf der Arbeiter in den Junitagen; Kampf um das Recht auf Arbeit; le droit au travail à l’Assemblée nationale (vollständiges Re- pertorium der Reden und Ansichten) von J. Garnier 1848; die Frage nach dem Eigenthum von Proudhon und Thiers; Geschichte der Arbeit im socialisti- schen Sinne von Riccord (1845); Histoire des ateliers nationaux par Emile Thomas 1848; Louis Blancs und Proudhons Arbeiten; ähnliche Bewegungen in Deutschland. Entwicklung des Gedankens, daß jede gesellschaftliche Bewe- gung ihre Verfassung und Verwaltung erzeuge, und Auffassung der damaligen Bewegungen als specieller Theil der Geschichte: Stein , Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich 1850, 3 Bde.; Uebergang in deutsche Wissenschaft; Auffassung der Classengegensätze als „Massenarmuth“ Mohl , Polizeiwissen- schaft I. §. 67—70 noch immer als Gegenstand der Staatsverwaltung; Suchen nach dem Begriffe der Gesellschaft; dann aber in den fünfziger Jahren all- mähliges Auftreten der Idee der Selbsthülfe , vorzüglich durch die Arbeiten von Schulze-Delitzsch , dem entgegen die Auffassung Lassalles mit dem Principe der Staatshülfe; dem entsprechend Entwicklung der Associations de prévoyance und secours mutuels s. Em. Laurent a. a. O. 1865. Letzte Wendung: Organisirung dieser Bewegung durch das Hineintreten des Princips des Vereinsrechts , zuerst in der Form der Erwerbsgenossenschaft nach deutschem Muster, dann in der des Coalitionsrechts nach englischem Vorbild; Kampf dagegen; daneben aber systematische Entwicklung des Vereinswesens in allen seinen socialen Formen und des unklaren Begriffes der „Socialdemo- kratie.“ Hauptergebniß: die sociale Frage ist definitiv ein Theil des öffentlichen Lebens, und wird dauernd ein Gegenstand der Verwaltung. Damit stehen wir am Beginne einer neuen Epoche, in der man vor allem den allgemein socia- len Geist der Verwaltung von den einzelnen Anstalten für die Entwicklung der capitallosen Arbeit scheiden muß. Die letzteren sind folgende. Elemente der Geschichte der socialen Verwaltung. Es ist kein Zweifel, daß es einen Classengegensatz in allen Zeiten der Geschichte und in allen Gesellschaftsordnungen gegeben hat. Allein diese Gegensätze haben in der Geschlechter- wie in der Ständeordnung einen wesentlich von der Gegenwart verschiedenen Charakter. Denn der aufsteigenden Bewegung stand in beiden nicht der Mangel des Capitals entgegen, sondern der Mangel des Rechts, dasselbe zu er- werben. Der Widerspruch dagegen wird daher nicht zu einem Gegen- satz zwischen Capital und Arbeit, sondern zu einem Gegensatz der niederen Classe gegen das Recht der höheren, und der Kampf, der sich daraus entwickelt, wird damit zu einem Kampfe gegen die ganze gesellschaftliche Rechtsordnung. Erst wo diese gestürzt, und die Freiheit der Gesellschaft hergestellt ist, beginnt die große, positive Epoche der gesellschaftlichen Bewegung unserer Gegenwart und der Zukunft Europas . Denn wir stehen erst im Beginne dessen, was sich hier entwickeln und bilden will. In dieser Bewegung lassen sich nun drei große Grundformen scheiden, deren feste Bestimmung als die Basis des Urtheils auch über das Kommende angesehen werden muß. Die erste dieser Grundformen beginnt im vorigen Jahrhundert fast gleichzeitig mit dem Siege der staatsbürgerlichen Gesellschaft über die Unfreiheit der Geschlechter- und Ständeordnung. Ihre Grundlage ist eine doppelte. Einerseits beruht sie auf dem großen Princip der Gleichheit in Recht und Bestimmung aller Persönlichkeit; andererseits auf der nicht minder großen Thatsache des Entstehens der capitallosen Arbeitskraft, die sich durch die Industrie über ganz Europa ausbreitet, und durch die Städte an einzelnen Orten zu der gewaltigen erwerb- und capitallosen gesellschaftlichen Gestaltung des Pauperismus zusammenballt. Die geistige Bewegung, die das obige Princip in dieser Thatsache erzeugt, bringt die arbeitende Classe zunächst zum Bewußtsein ihrer Selbständig- keit und zu der Forderung, an dem Capital Theil zu nehmen, das sie durch ihre Arbeit zuerst geschaffen zu haben meint. Es entsteht das erste Nachdenken über die gesellschaftliche Bedeutung des Capitals neben der Erkenntniß seiner wirthschaftlichen Funktion und Macht. Die Ergebnisse dieses Nachdenkens sind die beiden großen Erscheinungen, die wir den Communismus und den Socialismus nennen. Das Princip des ersten ist die Negation des Capitals und mit ihm des Eigenthums überhaupt, das des zweiten eine noch unpraktisch gedachte Unterordnung, das desselben unter die Arbeit. Es sind die ersten Strahlen, welche die neue Zeit auf ein bisher noch nie durchforschtes Gebiet wirft. Ein faßbares Resultat liefern sie dem Leben nicht; aber der Gedanke ist erwacht und weiter arbeitend gelangt er zu seinem zweiten, weit ernsteren Ergebniß. Das nämlich wird klar in dieser Epoche, daß es unmöglich ist, von dem Capital zu verlangen, es solle sich selbst freiwillig seiner herrschenden Stellung in der staatsbürgerlichen Gesellschaft entäußern, und zu dem Ende sich selber aufgeben. Soll daher etwas für die auf- steigende Bewegung der niederen capitallosen Classe geschehen, so wird das nicht durch die rohe Gewalt des Communismus und nicht durch die schönen Theorien des Socialismus geschehen, sondern es kann nur vollzogen werden durch eine dritte Potenz, welche ihrerseits über Ca- pital und Arbeit, aber doch nicht über der höchsten Idee der gesell- schaftlichen Entwicklung steht. Diese Potenz ist der Staat . Und jetzt bereits in der Mitte der vierziger Jahre, beginnt jene Bewegung der arbeitenden Classen, welche die Macht und selbst die Idee des Staats zu Dienern der aufsteigenden Classenbewegung, oder genauer der In- teressen der capitallosen Arbeit machen wollen. Es ist durchaus noth- wendig, die hier eintretenden Erscheinungen zu ordnen, um nicht in Allgemeinheiten zu verfallen. Dieser Staat, dem jenes gesellschaftliche Interesse sich unterwerfen wollte, war und blieb ein doppelter. Er hatte und hat eine Verfassung und eine Verwaltung. Man kann sich daher nicht an den Staat im Allgemeinen, sondern man muß sich an seine Verfassung oder an seine Verwaltung wenden, wenn man will, daß er thätig sein soll. So groß ist die Macht dieses organischen Ver- hältnisses, daß dieß auch da geschieht, wo man sich jenes Unterschiedes nicht klar bewußt wird. Auch die gesellschaftliche Bewegung entwickelte dem entsprechend sofort die zwei Richtungen, die in Namen und In- halt jedem bekannt sind. Die eine Forderung derselben richtete sich auf die Verfassung ; ihr Princip war die Vertretung der capitallosen Arbeit in der Gesetzgebung, und damit die staatsrechtliche Möglichkeit, den Willen des Staats den Interessen der niederen Classe dienstbar zu machen; ihr Programm war daher die Wahlreform und zwar auf Grundlage des von jedem Capitalbesitz unabhängigen , das ist allgemeinen Stimmrechts. Die zweite Forderung, gleichzeitig ent- stehend, richtete sich dagegen auf die Verwaltung ; ihr Princip war das Eintreten des Staats für die capitallose Arbeit; ihr erstes Pro- gramm war der Versuch, das „Recht auf Arbeit“ zu einem verfassungs- mäßigen Rechte der Arbeiter zu machen; ihr zweites dagegen die Her- stellung von solchen Staatsanstalten, durch welche der Staat dem Arbeiter ein Capital zur Verfügung stellen solle; ihr Programm war das der Staatshülfe . In den verschiedensten Formen tritt diese Bewegung auf; zuerst mit den Waffen in der Hand, dann als Re- publikanismus, dann als Demokratie, dann als Socialdemokratismus, aber mit derselben Tendenz und immer mit demselben Schicksal. Sie unterliegt. Und es ist wichtig zu wissen, warum sie unterliegt. Denn der Staat ist die persönliche Einheit aller berechtigten Interessen. Ein berechtigtes Interesse ist das, was eine Bedingung für die Gesammtentwicklung enthält. Gewiß ist die Arbeit eine solche in erster Reihe; aber das Capital ist es nicht minder. Die Störung desselben in seiner natürlichen Entwicklung, und die Störung des ent- wickelten Capitals in seiner natürlichen Funktion im wirthschaftlichen Leben ist eine Gefährdung auch für den Erwerb der capitallosen Arbeit. Der Staat kann und wird daher nie der letzteren die Herrschaft über das erstere durch seine Machtmittel geben; er wird im Gegentheil jede äußerliche Herrschaft mit seiner letzten Kraft bekämpfen. Auch die ge- waltigste Macht der Arbeit kann dieß höhere Wesen des Staats nicht ändern. Auf diesem Wege ist daher ein Sieg dieser Richtung nicht zu erreichen. Damit beginnt eine neue Epoche. Diese Epoche nun liegt dem Gedanken zum Grunde, daß jede persönliche Entwicklung, also auch die der Arbeit, nur dann der höheren Idee des Lebens entspricht, wenn jeder Einzelne durch sich selbst zu dem gelangt, was er sein und besitzen will. Die Werthlosigkeit des äußerlich Gegebenen für den wahren Fortschritt soll auch für das Ge- ben des Capitals an die capitallose Arbeit gelten. Soll daher die letztere zum Capital und damit zu der wirthschaftlichen und gesellschaft- lichen Stellung gelangen, die sie fordert, so muß sie sich ihr Capital selber bilden . Ihr Princip ist daher die Bildung des Capitals aus eigenen Mitteln; ihre Forderung geht nur so weit, daß ihr in diesem Streben kein Hinderniß in den Weg gelegt werde; ihr Programm ist das der Selbsthülfe . Sie übernimmt damit eine große und schwere Arbeit; allein das Ziel dieser Arbeit ist kein geringeres als die Unab- hängigkeit der Arbeit vom Capital durch die eigene Capitalbil- dung . Und offenbar ist nur dieser Standpunkt einer weiteren Ent- wicklung fähig. Denn diese Selbsthülfe ist kein einfacher Akt, sondern, wo einmal ihr Princip anerkannt ist, entfaltet sie sich allmählig zu einem Systeme von Bestrebungen; und in der That sind es diese Anstrengungen, welche zu bestimmten und selbstthätigen Organen sich entwickelnd, die gegenwärtige Gestalt der socialen Frage und die Or- ganisation der Verwaltung des gesellschaftlichen Fortschrittes enthalten. System der gesellschaftlichen Verwaltung. Seinem allgemeinen Begriffe nach enthält nun das System der gesellschaftlichen Verwaltung alles , was von der Gemeinschaft für die freie Classenbewegung der nicht besitzenden Classe geschieht. Das nun theilt sich in zwei große Gebiete. Zuerst gehört dahin alles dasjenige, was innerhalb der einzelnen Gebiete der Verwaltung für diese Hebung der niederen Classe geschieht, und was daher auch theoretisch innerhalb dieser Theile des Systems darzulegen ist. Dahin gehört das sociale Element im Gesundheits- und Unterrichtswesen , im Credit- wesen , und namentlich die Arbeiterfrage in der Industrie; nicht aber, wie gesagt, die Hülfe in der gesellschaftlichen Noth. Wesentlich in jenen Punkten erscheint das, was wir den socialen Geist der Ver- waltung genannt haben, und was daher hier nicht wiederholt, aber stets im wachen Bewußtsein erhalten werden muß. Der zweite specielle Theil, oder das eigentliche System der gesellschaftlichen Verwaltung beruht nun darauf, daß die gesellschaftliche Bewegung eben so wenig durch staatliche Gesetze geregelt werden könne, sondern daß hier nur die gesellschaftlichen Elemente selbst helfen können. Das Organ der Selbstthätigkeit ist auch hier der Verein . Das System der gesell- schaftlichen Verwaltung wird daher, und das ist seine große Bedeutung, identisch mit den Systemen der gesellschaftlichen Vereine , in denen jene Selbstthätigkeit sich organisirt. Diese aber scheiden sich in zwei große Gruppen. Die erste Gruppe sind die Hülfsvereine , aus denen das Hülfscassenwesen hervorgeht. Ihr Princip ist, daß in ihnen die höhere Classe der niedern für ihre Capitalbildung ihre Hülfe als verwaltendes Organ anbietet; neben ihnen steht die Selbst- hülfe , in der sich die nichtbesitzende Classe zu einem selbständigen Vereinswesen erhebt, und die Interessen der Capitalbildung durch ihre eigenen Mitglieder vertritt. Hier wie allenthalben finden Uebergänge statt; das Princip jedoch wird damit nicht geändert. Ebenso haben diese Vereine eine wesentlich verschiedene Gestalt in den verschiedenen Ländern Europas; aber immer bringen sie dieselben elementaren Ver- hältnisse zum Ausdruck. Es ist hier der Punkt, sich über die Unklarheit der Begriffe zu verständigen, welche die Behandlung dieser Gebiete schwierig macht. Sie beruht auf dem Mangel der formalen Unterscheidung des Hülfswesens und ihrem Verein von der Selbsthülfe. Die ältere Literatur, namentlich seit Gerando stellt alles unter die Bienfaisance publique; die Deutschen wie Rau und Mohl unter Verhütung der Armuth. Die neuere scheidet zwar faktisch, aber nicht syste- matisch, wie Em. Laurent a. a. O. und Hobbard , le Paupérisme et les associations de prévoyance 1852. Zum Grunde liegt die Unbestimmtheit des englischen Begriffes der friendly societies, welche alle Vereine, sowohl Ver- sicherungen als Selbsthülfsvereine formell umfassen, und der französische der prévoyance oder der association mutuelle, in der gleichfalls alle Vereine der Selbsthülfe mit denen des Hülfswesens zusammen fallen. Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, diese Begriffe aufzulösen, nicht etwa der Form wegen, sondern weil jede einzelne Erscheinung auf diesem Gebiete eine wesentlich selbständige Funktion und damit einen selbständigen Organismus hat. Auch hier ist das Verständniß der organischen Besonderheiten die Grundlage der Beherr- schung dessen, was wir die „sociale Frage“ nennen. Das formale System der Vereine bei Stein , Vereinswesen und Vereinsrecht. I. Das Hülfskassen-Wesen. Funktion derselben. Unter den Hülfskassen verstehen wir diejenige Gruppe von Ver- einen, in denen die höhere Classe der niederen ihre Hülfe zur Bildung des Capitals ihrer Mitglieder anbietet. Die Hülfskassen setzen daher schon das Bestehen des Classenunterschiedes voraus. Ihre erste Grundlage ist stets die nationalökonomische der bloßen Sorge für die Ersparniß in der capitallosen Wirthschaft; sie erscheinen daher im An- fange stets als Verhinderungsmittel der Armuth, und werden als solche auch von der Theorie betrachtet. Erst dann, wenn der Classengegensatz sich ausbildet und mit ihm die Selbsthülfe auftritt, tritt auch für jene das gesellschaftliche Element hervor, und eben so natürlich ist es, daß sie sich in dieser zweiten Epoche dieser Selbsthülfe unterordnen, indem sie jetzt erst ihren wahren Charakter entwickeln. Dieser nun besteht gegenüber der Selbsthülfe darin, daß sie sehr viel für den Ein- zelnen , aber sehr wenig für das Ganze der socialen Frage zu leisten vermögen, und daher einen großen Werth, aber eine geringe Macht haben. Ihre Grundformen sind dreifach. a) Pfand- und Leihanstalten. Die Creditanstalten für den persönlichen Credit der nicht besitzenden Classe, oder die Pfand- und Leihanstalten , gehören ihrem for- malen Begriffe nach der Organisation des Credits, ihrem Inhalte nach aber dem gesellschaftlichen Leben der nichtbesitzenden Classe. Ihre Auf- gabe ist wesentlich nicht so sehr die Hülfe zur Bildung von Capitalien, sondern die Hülfe in augenblicklicher Noth gegen die Ausbeutung der letzteren durch das Geldcapital . Sie erscheinen daher als die gesellschaftliche Creditpolizei für die nichtbesitzende Classe, und bilden damit den Punkt, wo die Selbstverwaltung als Gemeinde in die gesellschaftliche Bewegung hinein greift. Sie sind somit zwar das älteste, aber auch das unterste Stadium der gesellschaftlichen Verwaltung. S. oben unter Organisation des Credits. Fast von allen unter das „Armenwesen“ gestellt in dem weiteren Sinn, in welchem es noch die gesell- schaftliche Verwaltung enthält. So Gerando , Monts de piété III. 1. ff. Die betreffende Gesetzgebung der europäischen Staaten ebend. III. 469. Eben so Rau II. §. 332. Beide mit reicher Geschichte und Literatur. b) Die Sparkassen. Das Wesen der Sparkassen ist nun die Förderung der Capital- bildung für die capitallose Wirthschaft, und zwar durch Sammlung und Verwaltung der in ihrer Zerstreuung bei den Einzelnen zu jeder Produktivität unfähigen kleinen Beträge. Ihre Aufgabe ist es daher, zuerst diesen kleinen Ueberschüssen die Möglichkeit der Ansammlung , und dann vermöge der letzteren ihnen wieder die Fähigkeit zum Zins- ertrage zu geben. Zugleich aber bilden sie ein Hülfscapital für den Fall der Noth. Aus den ersten beiden Momenten geht die Noth- wendigkeit hervor, die Einzahlungen fest und zinstragend anzulegen, aus den letzteren die den Betrag derselben dennoch stets für den Ein- leger zur Rückzahlung verfügbar zu halten. Auf der Lösung beider Aufgaben beruht die Verwaltung der Sparkassen. Ihre formelle Grundlage ist die des wirthschaftlichen Vereinswesens, indem jeder Ein- leger sofort Mitglied des Vereins wird und stets wieder austreten kann durch Rückforderung seiner Einlage, während der Verwaltungsrath die vorhandenen Einlagen verwaltet; ihr gesellschaftliches Princip dagegen besteht darin, daß die wirkliche Verwaltung unentgeldlich von Mitgliedern der besitzenden Classe vollzogen werden muß, und daß daher statt der allgemeinen Wahl eine Selbstergänzung der leiten- den Organe eintritt. Eben dadurch bilden die Sparkassen den Ueber- gang vom Vereinswesen zur Selbstverwaltung, indem die Elemente beider in denselben vertreten sind. Sie haben deßhalb den Charakter öffentlicher Anstalten und stehen in ihrer ganzen Verwaltung unter öffentlicher Aufsicht. Die formelle Verwaltung hat drei Hauptaufgaben. Zuerst die Aufnahme durch die Einlage mit dem Sparkassenbuch ; die freie Bewegung des Capitals fordert für dasselbe das Recht des Inhaberpapiers trotz der Ausstellung auf den Namen, so wie die Amortisation. Der gesellschaftliche Gesichtspunkt, der in jeder Sparkasse liegt, tritt dabei in dem zuerst in Frankreich ausgeführten Grundsatz hervor, daß nur Einlagen bis zu einer gewissen Höhe an- genommen, und die Capitalien bis zu einem beschränkten Betrage in der Sparkasse belassen werden. Der wirthschaftliche Grund dafür besteht darin, daß Einlagen und Kündigungen über eine gewisse Summe hinaus einen zu starken Umsatz erzeugen würden, um bei vollkommener Sicherheit der Geldverwaltung noch regelmäßige Zinsen geben zu können. Zweitens die Verwaltung der Einlagen. Um die Einlagen ver- zinsen zu können, sind zwei Systeme möglich. Das erste ist das ganz freie System, in welchem die Verwaltung die Capitalien nach ihrem Ermessen anlegt. Das zweite ist das System der theilweisen oder voll- ständigen gesetzlichen Anlage, in welchem die letztere als Uebergabe der gesammelten Capitalien an die Staatskasse , beziehungsweise als Ankauf von Staatspapieren vorgeschrieben ist. Die deutschen Spar- kassen stehen mit Recht auf dem ersten, die französischen und englischen auf dem zweiten Standpunkt. Doch ist es vollkommen berechtigt, die Anlage eines wesentlichen Theiles des fest gewordenen Capitals theils in Hypotheken, theils in guten Papieren zu fordern. Der dritte wenig untersuchte Punkt besteht in dem Recht für das durch Ueber- schüsse entstandene Vermögen der Sparkasse. Allerdings ist kein individuelles Eigenthum desselben nachzuweisen; wohl aber muß an- genommen werden, daß derselbe ein öffentliches Gut ist, und be- stimmt sein soll, als Grundlage des kleinen gewerblichen Credits zu dienen. Aus jeder Sparkasse sollte daher eine Gemeinde-Vor- schußkasse , jedoch unter solidarischer Haftung der Debitoren und unter Selbstverwaltung derselben hervorgehen. Damit wäre der natur- gemäße Uebergang von der Sparkasse zur Organisation der Selbsthülfe gegeben, und die höhere Bedeutung der ersteren gefunden. Das alles wird sich entwickeln, wenn der Organismus der Selbsthülfe erst sein volles Verständniß empfängt. Die hohe Wichtigkeit der Sache zugleich in volkswirthschaftlicher und ge- sellschaftlicher Beziehung wird erst in diesem Jahrhundert anerkannt, und steigt natürlich mit der Entwicklung des gesellschaftlichen Gegensatzes. Die Gesetz- gebung hat daher feste Systeme gebildet. Die Grundlage der staatlichen Systeme ist das englische Recht, das von dem französischen nachgeahmt ist; das deutsche ist dagegen das System der freien Verwaltung. Die englische Gesetzgebung entsteht bereits 1818; Hauptgesetz die Bill vom 28. Juli 1828. Princip : die Einlagen können den öffentlichen Kassen übergeben werden und werden von diesen verzinst (4 Proc.), so daß die Verwaltung nur die Einlagen und Auszahlungen, nicht aber das Capital zu verwalten hat; daher Begränzung der Einlagen auf 30 Pfund Sterling jährlich, und 150 Pfund im Ganzen. Die Gesammtheit aller Einlagen gilt als Theil der National- schuld . Pflicht der Verwaltung: jährliche Rechnungsablage; Gründung meist durch Vorschüsse der Besitzenden; Minimum der Einlagen 1 Schill.; Capitali- sirung alle Halbjahr. Hauptgesetz 26. 27. Vict. 87. (1863); vergl. Mitter- maier , Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht VIII. S. 140. Vergl. auch Gierke , Genossenschaft S. 1079. Spätere Entwicklung zu den Post saving banks, mit dem Grundsatz, daß es zur Einlage überhaupt keiner besondern Sparkasse bedürfe, sondern daß dieselbe bei jeder Poststation gegen Buch erfolgen kann (24. Vict. 14. und 26. Vict. 14). Dieses System ist von der französischen Gesetzgebung nachgeahmt; Grundgesetz vom 5. Juni 1835; eine Reihe von weiteren Gesetzen ist bis 1852 gefolgt. Zusammenstellung bei Block , Dict. v. Caisses dépargnes. Grundgedanke: der Staat übernimmt und verwaltet ausschließlich das Capital, jede verfügbare Summe muß in vierundzwanzig Stunden der Caisse des dépots übergeben werden. Dagegen soll jede Ge- meinde eine Sparkasse haben; Vorstand ist wieder der Maire; die Verwaltung wird auf drei Jahre gewählt; Inspektion durch die Finanzbehörden; strenge Ordnung der comptabilité; keine Succursalen; Zurückzahlung, so viel mög- lich erst gegen schriftliches Ersuchen; Einlagen, Minimum 1 Frank, Maxi- mum wöchentlich 300 Franken, absolutes 1000 Franken; was darüber geht, wird in Renten angelegt. Jede Sparkasse hat ihr Statut , das speciell ge- nehmigt wird. Juristische Literatur bei Block a. a. O. — Das deutsche System ist ein wesentlich anderes. Grundsatz: die Sparkasse geht von Gemeinde oder Verein aus, und ist in ihrer Verwaltung frei ; daher im Anfange gänzliche Ueber- lassung an die Selbstthätigkeit beider. Die wachsende Bedeutung derselben ver- anlaßt dann den Staat, gewisse allgemein gültige Grundsätze gesetzlich festzu- stellen. Gesichtspunkt dafür: „die Errichtung von Sparkassen sind vorzüglich Vereinen von Menschenfreunden überlassen;“ Gemeinden nur dann, wenn dieselben durch Stimmeneinheit die Haftung übernehmen. — Oesterreich : Regu- lativ vom 26. Sept. 1846 (vergl. Stubenrauch II. 344). Ueberschuß zu wohlthätigen Zwecken; die Verwendung der angelegten Summe ist wesent- lich der Sparkassenverwaltung selbst überlassen ; hauptsächlich Anlage in Hypothek; daneben Vorschüsse auf Staatspapiere und dann erst Geldgeschäfte. Pflicht zur öffentlichen Rechnungsablage ; natürlich Genehmigung der Sta- tuten. Auf ganz gleicher Grundlage das preußische Sparkassenwesen; Haupt- regulativ vom 12. Dec. 1838; Errichtung durch Vereine oder Gemeinden; Verwaltung nach den Grundsätzen des Vereins- und Gemeinderechts, und Verordnung vom 24. Aug. 1847 über Verwendung der Ueberschüsse. Daneben ist es als Aufgabe der Regierung anerkannt, das Sparkassenwesen zu fördern (Erlaß vom 27. April 1850), namentlich auf dem Lande; zu dem Ende Errich- tung der Hülfskassen , wie sie zum Theil auch in Süddeutschland bestehen, ohne recht klare Aufgabe; seit 1854 als eine Art von öffentlichen Vorschuß- kassen ausgebreitet; älteste in Westphalen seit 1851 (vergl. Rönne , Staats- recht VI. 339). Etwas Aehnliches sind die Waisenkassen Oesterreichs mit sehr eingehender Gesetzgebung in engster Verbindung mit dem Depositen- und Grundbuchswesen; Hauptgesetz: Verordnung vom 16. Nov. 1850 und Erlaß vom 11. Dec. 1850. Eine sehr unbestimmte Oberaufsicht durch die Regierung. Diesen Grundlagen entspricht das ganze Sparkassenwesen Deutschlands; s. die Literatur desselben zuerst bei Malchus , die Sparkassen in Europa 1838 (wesentlich statistisch; dann Gerando III. 171 ff.; Statistik bis 222; Schmid , das Spar- kassenwesen I. Oesterreich und Preußen 1863; Rau , Volkswirthschaftspflege II. 365. II. Das gesellschaftliche Versicherungswesen. (Prévoyance mutuelle, Friendly societies.) Während das Wesen der Sparkassen darin besteht, durch An- sammlung ein kleines freies Capital zu bilden, besteht das Wesen der Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 29 Versicherung darin, durch regelmäßige Beiträge für einen bestimmten Fall wirthschaftlicher Bedrängniß ein Capital zu schaffen. Das Ver- sicherungswesen gehört daher seinem allgemeinsten Begriffe nach der Volkswirthschaftspflege überhaupt, da es an sich keinen Stand und keine Größe des Capitals ausschließt. Und eben so hat es für alle Classen dieselbe gesellschaftliche Aufgabe. Es soll durch das versicherte Capital das Hinabsinken der Familie in die niedere gesellschaftliche Stufe bei dem Eintritte namentlich des Todes des Familienhauptes hindern, gleichviel ob dieß bei Vermögenden oder Besitzlosen gilt. Allerdings aber kommt diese große sociale Funktion desselben vorzugs- weise bei der arbeitenden Classe zur Geltung. Wir nennen daher das für die letztere eintretende Versicherungswesen vorzugsweise das gesell- schaftliche , und mit Recht scheiden wir dasselbe in diesem Sinne als Lebensversicherung von der Schadenversicherung (s. oben). Wir sagen daher, daß die Lebensversicherung in allen ihren Formen vorzugs- weise eine gesellschaftliche Institution ist. Allein diese gesellschaftliche Aufgabe ändert das Wesen derselben nicht. Die Versicherung ist ein Unternehmen , welches auf bestimm- ten, von jeder socialen Frage fast gänzlich unabhängigen Regeln beruht. Soll sie daher ihren Zweck auch für die nicht besitzende Classe erfüllen, so muß sie auch für diese nach ihren unabänderlichen Regeln geführt werden. Nun liegt es zwar scheinbar nahe, Versicherungen speciell für die nichtbesitzende Classe zu errichten. Allein das große Princip aller Versicherung ist, daß die Sicherheit der Prämie wie die der rationellen Verwaltung steigt , und daß die Regiekosten sinken , je größer und ausgedehnter die Zahl der Versicherungen ist. Es ist daher falsch, ein Versicherungswesen für die nichtbesitzende Classe allein zu fordern, sondern der einzig richtige Standpunkt des gesellschaftlichen Versicherungswesens besteht vielmehr darin, die Versicherungen der nichtbesitzenden Classe mit denen der besitzenden in der Weise zu vereinigen , daß jede Versicherungsgesellschaft Versiche- rungen auch für die kleinsten noch zinstragenden Capitalien bis herab zu 100 fl. annehme und verwalte. Es muß ausdrücklich bemerkt werden, daß die Gegenseitigkeit dabei keinen Unterschied macht. Aber auch in Beziehung auf dieses Princip nehmen die großen Culturvölker einen sehr verschiedenen Standpunkt ein. Englands Versicherungswesen nämlich beruht auf dem ächt eng- lischen Princip, daß sich die eigentlichen Versicherungen, die Assurances, auf eine kleine , für den Nichtbesitzenden noch erschwingbare Ver- sicherungssumme überhaupt nicht einlassen , so daß das Lebens- versicherungswesen der arbeitenden Classen von dem der besitzenden thatsächlich vollständig getrennt, und sich selbst überlassen ist. Um daher zu dem letzteren zu gelangen, haben die Capitallosen sich unter ein- ander Versicherungen, die natürlich nur auf Gegenseitigkeit beruhen können, selbst gegründet und verwalten sie selbst; und diese eng- lischen Versicherungsvereine des Nichtbesitzers sind die friendly societies. Ihr Princip ist eben deßhalb viel besser als ihre Verwaltung. Frankreich hat auch hier die Idee des gesellschaftlichen Versiche- rungswesens als Association mutuelle und Prévoyance lebhaft aufge- griffen, allein eben deßhalb dieselbe nur auf die kleinen Capitalien und ihre Gegenseitigkeit beschränkt, ohne jedoch wie in England dem Vereinswesen vollkommen freie Bahn zu lassen. Die Folge von diesem Widerspruch zwischen abstraktem Princip und formalem Recht ist eine schöne Literatur, aber fast völliger Mangel an wirklichen kleinen, selb- ständigen Versicherungsgesellschaften, so daß auch hier die Regierung hat einschreiten und das gesellschaftliche Versicherungswesen der nicht- besitzenden Classe als Caisse des retrait hat organisiren müssen. Nur in Deutschland hat man von Anfang an richtig erkannt, daß das Versicherungswesen der Nichtbesitzer nur in Verbindung mit dem des Capitals gedeihen könne. Deutschland hat daher in seinem Versicherungswesen den Fehler Englands in der Ausscheidung der kleinen Beträge, und den Fehler Frankreichs in der gouvernementalen Versiche- rung vermieden. Es hat ferner in sein Versicherungswesen neben den kleinsten Summen zugleich alle Eventualitäten der Nothfälle auf- genommen, und die geschäftlich richtige Berechnung des Prämiensystemes so streng durchgeführt, daß das deutsche Versicherungswesen als das beste der Welt auch in seiner gesellschaftlichen Beziehung unzweifel- haft anerkannt werden muß. Erst durch dieß ausgezeichnete System ist es endlich möglich, den Begriff und Inhalt der Selbsthülfe von dem des Hülfskassenwesens, der in England und Frankreich beständig damit verschmolzen ist, zu scheiden, und selbständig darzustellen. Das deutsche Versicherungswesen aber zeigt auf diese Weise in einem der wichtigsten Gebiete, wie die Harmonie der Interessen zwischen Besitz und Nichtbesitz sich bei wohlverstandener Entwicklung des gesell- schaftlichen Lebens von selbst vollzieht. Literatur: Zuerst bei Gerando III. 57 mit Vergleichung ( sociétés de prévoyance, jedoch ohne Verständniß des Versicherungswesens). — Für England zuerst Eden , State of the poor (1797) I. ch. 3.; vergl. Hobbard , de l’organisation des sociétés de prévoyance 1852, und Em. Laurent a. a. O. ch. IV; sociétés de secours mutuels (1865), beide die nichtbesitzende Classe für sich betrachtend. Diesen Elementen entspricht auch der Charakter der Gesetzgebung in diesen Ländern. Grundzug der Geschichte: Loslösung von dem Princip des Hülfswesens der Innungen, Zünfte und Gesellenverbindungen (compagnonnage) mit der fran- zösischen Revolution in England und Frankreich. Schwache Versuche, das Princip in den „Gewerbsgenossenschaften“ Deutschlands noch aufrecht zu halten (vergl. Gerando VII. 57; Laurent P. II. Ch. III. IV. ). — England : Erste Lebensversicherung schon 1706 in Frankreich ( Gerando , Bienf. publ. III. 133); Entwicklung in England seit dieser Zeit. Seit 1793, wo das erste Gesetz über die friendly societies entsteht, bis jetzt 21 Akte über die Verhält- nisse derselben. Anerkennung ihres Werthes, und beständige Versuche, den organischen Mangel durch allerlei Vorrechte und genaue Definirung der Rechte ihrer Vorstände zu ersetzen. Große Enquête vor 1829; dann die Bill von 1829 (10. Georg. III. ) als Consolidation Act bis zum neuesten Hauptgesetz 18. 19. Vict. 63. (1855); Registration der Statuten; Beschränkung der ver- sicherten Summe auf 750 Franken jährlich oder ein Capital von 5000 Franken (!) Errichtung des Registrar of friendly societies mit Oberaufsicht, aber im Grunde ohne Rechtsmittel, sie auszuüben. Vielfache Klagen; nur wenige dieser societies sind lebensfähig, und der Registrar (Tidd Pratt) außer Stande auch nur ihre Existenz zu constatiren, geschweige denn ihre Jahresrechnungen zu bekommen (vergl. Rau , Volkswirthschaftspflege II. 334 b und die einzelnen Gesetze bei Gierke , Genossenschaft S. 1098). — In Frankreich durch die strenge Controle der Vereine bis zur neuesten Zeit fast Unmöglichkeit der Bil- dung solcher Associations mutuelles. Vergebliche Versuche vor 1848. Gerando III. 92.: „Il est pénible, mais il est utile de signaler l’imperfection dont est empreinte la constitution de ces sociétés“ etc.; 1848 volle Freiheit, aber auch ohne Resultat. Dann das erste Hauptgesetz vom 15. Juli 1850 mit dem Princip, daß die sociétés de secours mutuels als „établissements d’utilité publique“ anerkannt werden können. Damit wird die Leitung wieder in die Hände der Administration gelegt; der amtliche Maire ist gesetzlicher Vor- stand (96 c ); dafür gibt die Gemeinde gratis Lokal und Schreibrequisiten (!) Das Decret vom 26. März 1852 ging noch einen Schritt weiter: der Staat kann , wenn er die société anerkannt (reconnue ou approuvée) hat, subven- tions geben; dafür ernennt er den Vorstand, verbietet die pensions im Falle der Chômage auszuzahlen, und überhaupt ohne hinreichende Zahl von Ehrenmitgliedern Pensionen zu versichern ꝛc. Natürlich war unter diesen Ver- hältnissen keine Entwicklung möglich (vergl. Laurent a. a. O. P. III. Ch. 2; M. Block , französiisches Armenwesen in Emminghaus S. 627 ff.); daher Aufstellung der rein amtlichen Caisses des retraites neben den sociétés, die einen durchaus örtlichen Charakter haben (Decret vom 18. Dec. 1850 mit Reglement vom 18. Aug. 1853; vergl. Block v. Caisses des retraites als Staatsinstitut). Daß hier im Grunde ein Versicherungswesen vorliegt, durch die Verwaltung degenerirt, wird nicht erkannt. — In Deutschland gar keine besondere Gesetzgebung für dieses Gebiet, als das allgemeine Recht der Versicherungen, aus den obigen Gründen nothwendig. Dagegen allerdings Genehmigung der Statuten und Behandlung nach dem Vereinsrecht ( Stein , Vereinswesen nnd Vereinsrecht S. 180 ff.). Daneben viele einzelne Pensions- und Krankenvereine bei großen Gewerkschaften, zum Theil auch bei gewissen Classen (vergl. Gierke , deutsche Genossenschaften S. 1049; Rau , Volkswirth- schaftspflege II. 368 ff.). Gierke , Genossenschaft S. 1049 ff. (ohne sociale Beziehung, aber viel Material) s. oben „Versicherungswesen.“ III. Die Selbsthülfe und ihr Vereinswesen. Princip . Die Selbsthülfe ihrem formalen Begriffe nach bildet endlich die Gesammtheit von Erscheinungen, welche dem Gedanken angehören, daß die wahre aufsteigende Bewegung der nichtbesitzenden Classe nur von ihr selbst ausgehen dürfe und solle. Ihre Form ist daher das selb- ständige Vereinswesen der Nichtbesitzenden . Ihre große Vor- aussetzung ist nicht bloß die äußere und thatsächliche, sondern die innere und bewußte Scheidung der arbeitenden Classe vom Capital. Ihr In- halt ist die Erkenntniß, daß sie ein zunächst wesentlich verschiedenes Interesse von dem des Capitals habe. Ihr Princip ist der Gedanke, daß die rechtliche Gleichheit ihrer Mitglieder zu einer gesellschaftlichen durch eigene Anstrengungen erhoben werden müsse. Sie gehört daher der Zeit, in welcher der gesellschaftliche Gegensatz der Classen zu dem Bewußtsein der Gründe gelangt, welche den Unterschied der Classen erzeugen und erhalten. Ihre erste und natürliche Neigung, die politische, ist die, durch das möglichst allgemeine Stimmrecht das entscheidende Gewicht in der Gesetzgebung zu erlangen; ihre zweite praktische Rich- tung entsteht dadurch, daß sie die Capitalbildung für ihre Mit- glieder zum Gegenstande ihrer Vereinsthätigkeit macht. Sie ent- steht daher erst nach 1848 und bildet von da an den Kern der so- cialen Bewegung, das Organ der socialen Frage. Das Wort, welches ihr Auftreten mit ihrem specifischen Inhalt bezeichnet, ist die „Associa- tion.“ Dasselbe geht naturgemäß aus dem Socialismus hervor; in der Association wendet sich der letztere von der Theorie dem praktischen Leben zu; die Société wird zu einem wirthschaftlichen, die Association zu einem gesellschaftlichen Begriffe. An ihrer materiellen Basis aber entwickelt sich ihre systematische Gestaltung. Der Erwerb des Besitzers hat zwei Grundformen. Einerseits entsteht er als Capitalbildung durch Herstellung eines Capitalerwerbs; andererseits richtet er sich auf die Bedingung der Capitalbildung, den Arbeitslohn . So entstehen die zwei großen Classen dieser Vereine, die Associations- oder die Arbeitervereine , und die Coalitions- oder die Arbeiterverbin- dungen . Naturgemäß gehen die ersteren den letzteren vorauf; allein die letzteren schließen die ersteren nicht aus. Ihr Recht ist ein gleiches — das Vereinsrecht; ihr System aber ist die Auflösung der abstrakten und allgemeinen Forderung der aufsteigenden Bewegung in ihre ein- zelnen Gebiete und Aufgaben. Das ist die große Bedeutung der systematischen Betrachtung dieser Vereine und ihre Stellung in der ge- sellschaftlichen Verwaltung. Aber sie selbst sind noch unfertig und sporadisch, so hochbedeutend sie auch für die Zukunft erscheinen. Sie stehen deßhalb in der Praxis noch unvermittelt neben einander, und werden in der Theorie als einzelne Erscheinungen, die von mehr Interesse als Bedeutung sind, behandelt. Dennoch sind sie Ausdruck derselben großen Thatsache; sie sind die Formen der freien Verwaltung der socialen Frage, wie bei allen verschiedenen Einzelheiten ist es das, was ihnen in der Verwaltung ihre Stellung, zugleich aber ihren na- tionalen Charakter gibt. In England sind sie es, in denen bei völliger Freiheit des Vereinsrechts sich der ganze sociale Gegensatz zwi- schen Capital und Arbeit zusammenfaßt, und daher die natürliche Folge, daß in England der Schwerpunkt nicht in den Arbeitervereinen, sondern in den Arbeiterverbindungen liegt. In Frankreich hält das strenge Vereinsrecht die Vereine überhaupt zurück, und daher hier die beständige Neigung zu geheimen Verbindungen, die bereits mit der Julirevolution entstehen, während die Vereine ohne allgemeine Bedeu- tung sind. In Deutschland beginnt die Bewegung ganz organisch mit den Arbeitervereinen für Credit und Capital, und geht dann nach englischem Muster auf die Arbeiterverbindungen und ihren Lohnkampf über, während die Polizei nach französischem Vorgange gerne das Coa- litionsrecht stören möchte, das wieder von dem Princip der staatsbür- gerlichen Freiheit als berechtigt anerkannt wird. So muß es bis jetzt genügen, die Elemente dieser Erscheinungen anzudeuten. System . a) Arbeitervereine. Die Arbeitervereine sind demnach Vereine der nichtbesitzenden Classe, durch selbstgewählte Mitglieder geleitet, deren Zweck es ist, die aufsteigende Bewegung durch eine vermöge des Vereins selbst unter- stützte Capitalbildung zu fördern. Sie sind daher alle nothwendig auf Gegenseitigkeit gegründet, deren Inhalt theils die Gleichheit der Beiträge , theils die Gemeinschaft der Haftung gegenüber Dritten ist. Die Natur dieser Aufgabe fordert nun, daß diese Vereine sich zu verschiedenen selbständigen Arten entwickeln; ihre wahre Wirksamkeit beruht eben auf dieser ihrer systematischen Entfaltung . Diese Hauptarten aber sind folgende. I. Die gesellschaftlichen Creditvereinswesen oder die Vorschuß- cassen sind diejenigen, welche durch Vereinigung der kleineren Capitalien und der vollen Haftung ihrer Mitglieder nicht so sehr einen Capitals- erwerb, als vielmehr einen möglichst hohen Credit für ihre Mitglieder wollen. Sie sind daher ganz auf Grundlage der Creditvereine gebildet, und sogar in den Gewerbebanken fähig, fremdes Capital in sich auf- zunehmen. Zu ihrer Entwicklung gehört ruhige und dauernde Arbeit; ihre Heimath ist Deutschland . II. Die Produktionsvereine oder eigentlichen Associations sind diejenigen, welche nicht mehr Credit für ihre eigenen Mitglieder, sondern ein Anlage- und Betriebscapital für ein gemeinsames Unternehmen bilden. Sie sind unmöglich ohne eine strenge Subordination der einzelnen Mit- glieder unter ein selbstgewähltes Haupt, und hängen von der Hinge- bung des Einzelnen an das Ganze, dem devouement ab. Ihre Hei- math ist Frankreich . III. Die Consumvereine endlich beruhen darauf, daß zunächst durch Selbstverwaltung des Absatzes der täglichen Bedürfnisse, dann durch Ankauf und Verkauf der Rohmaterialien für die kleine Produk- tion der Gewinn des Zwischenhandels an die Mitglieder des Vereins fällt. Ihre höhere Entwicklung beruht darauf, daß der so erzeugte Gewinn wieder als Anlage- und Betriebscapital für neue Unterneh- mungen verwendet, und so der Consum selbst zur Grundlage der Pro- duktion wird. Zu ihrer Entwicklung gehört vor allem kaufmännische Begabung; ihre Heimath ist England . Es ist kein Zweifel, daß die deutsche Literatur den Ruhm hat, die Darstellung der Selbsthülfe in allen ihren Zweigen zuerst verstanden und syste- matisch bearbeitet zu haben. Den Beginn macht Schultze-Delitzsch mit „Vorschuß- und Creditvereine als Volksbanken“ 1855, während V. Huber in seinen „eng- lischen Reisebriefen“ zuerst die Consumvereine Englands, namentlich die merk- würdigen Pionnears von Rochdale bekannt macht. Die englischen Loansocieties geordnet 3. 4. Vict. 40. und später 26. 27. Vict. 56. Erste Entstehung der Vorschuß- und Creditvereine 1848 in Berlin, 1850 in Delitzsch, Entwicklung derselben Schultze-Delitzsch S. 152 ff. Ausdehnung des Princips auf die landwirthschaftlichen Verhältnisse: G. Schönberg , die Landwirthschaft der Gegenwart und das Genossenschaftsprincip 1869; Erlemeyer , die Vorschuß- und Creditvereine in Anwendung auf die ländliche Bevölkerung 1863; Raiff- eisen , Darlehenskassenvereine als Mittel zur Abhülfe der Noth der ländlichen Bevölkerung 1866. Huber im Staatswörterbuch, Genossenschaft. Mehrere treffliche Aufsätze von Engel, Gierke a. a. O. S. 1078 ff. Uebergang auf die Consumvereine; Richter , die Consumvereine 1867 (vergl. Gierke , Ge- nossenschaft S. 1074 ff.). Die Arbeit von Laurent (s. oben) ist daneben un- bedeutend. — Die Aufgabe der Gesetzgebung war, diesen neuen Erscheinungen ihre rechtliche Individualität zu geben. In England kam es darauf an, erst- lich alle diese Gesellschaften formell den großen Aktiengesellschaften gleich zu stellen, und sie dadurch an dem großen Credit derselben Theil nehmen zu lassen (Hauptgesetz vom 7. Aug. 1862). Industrial and provident societies Act 25. 26. Vict. 87. (Austria 1865. Nr. 48); kein Mitglied darf mehr als 200 Pfund Antheil haben; Verleihung des Rechts der Companies Act; Prüfung der Rechnung durch den Board of trade; über die Akte von 1844 vergl. Schwebemayer , die englischen Aktiengesellschaften, Bank- und Versicherungs- wesen 1857. — In Frankreich erzeugte die Beschränktheit des Code de Commerce, unter dessen enge Formen das ganze Vereinswesen nicht paßte, das neue Gesetz vom 24. Juli 1867; über die société à capital variable; Enquête über die sociétés cooperatives als Grundlage dieses Gesetzes: Plener in der Tübinger Vierteljahrsschrift Bd. 24. S. 550 ff.; vergl. Schultze-Delitzsch, die Gesetzgebung über die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirth- schaftsgenossenschaften 1869. S. 148. — In Deutschland lag durch das Ana- logon des Handelsgesetzbuches derselbe Fall vor; daher Nothwendigkeit einer eigenen Gesetzgebung. Diese Gesetzgebung ist eigenthümlich durch die noch nicht überwundene Scheidung der zwei Momente, welche zwei Richtungen in den Gesetzen erzeugt haben. Das eine Princip derselben enthält mit der Freiheit das Vereinsr echt überhaupt, ohne bestimmte Beziehung auf die sociale Frage, allerdings das erste Element der Entwicklung der Selbsthülfe; das andere dagegen überträgt die alte Idee der Zunft und Innung auf die letztere, will die Vereine der Selbsthülfe an die Gewerbe binden, und so entstand der spe- cifisch deutsche Begriff der „Genossenschaft,“ zuerst in der österreich . Gewerbe- ordnung, von da zum Theil übergehend in die andern Gewerbeordnungen, und endlich in allgemeiner Gestalt organisirt in dem bekannten Gesetz vom 4. Juli 1868; das sächsische Gesetz vom 15. Juni 1868 (nebst Verordnung gl. Dat.) hat sich zwar davon freier erhalten, ist aber dennoch bei dem Wesen der juristischen Person stehen geblieben. Es ist kein Zweifel, daß der Kern der Entwicklung nicht in diesen Gesetzen, sondern im Vereinswesen liegt (vergl. Schultze-Delitzsch und Parrhisius über das Gesetz von 1868). Dazu die Angaben bei Gierke , Genossenschaft S. 1106. Das System bei Stein , Vereinswesen S. 185 ff. b) Arbeiterverbindungen. Die Arbeiterverbindungen haben nun alle Elemente mit dem Ar- beitervereine gemein bis auf ihren Zweck . Dieser Zweck ist, vermöge der Verbindung durch alle denselben zu Gebote stehenden Mittel eine Erhöhung des Lohnes zu erzielen und zwar nicht durch Erhöhung des Werthes der Arbeit, sondern das Mittel der gemeinsamen Arbeits- niederlegung . Ihre volkswirthschaftliche Grundlage ist der Gedanke, durch die damit erzwungene Lohnerhöhung indirekt an dem Unterneh- mungsgewinne Theil zu nehmen; ihr socialer Gedanke ist, der nicht- besitzenden, bloß arbeitenden Classe die Gleichstellung mit dem Capital in der wirthschaftlichen, und durch dieselbe auch in der gesellschaftlichen Welt zu geben. Die Mittel , wodurch sie diesen Zweck erreichen, sind zweifacher Natur. Zuerst bilden sie durch regelmäßige Beiträge einen Unterstützungsfonds für die Arbeiter, welche durch die systematisch von der Verbindung ausgehende Niederlegung der Arbeit ihren Unterhalt verlieren. Dann aber streben sie das Bewußtsein des Arbeiterstandes durch Presse und Vorträge zu heben, und ihnen geistig den Kampf mit dem Capitale möglich zu machen. Ihre Rechtsbasis ist der Satz, daß die Arbeit frei ist. Ihr Verfahren ist der Versuch, nach geschehener Niederlegung mit den Unternehmern in Verhandlung zu treten, und die Lohnerhöhung — oft auch andere Wünsche — da- durch vertragsmäßig zu erzielen. Die Verwaltung ihrerseits kann einer- seits die durch dieses System entstehende Gefahr für die wirthschaftliche Ordnung nicht verkennen, indem nicht bloß Noth und Armuth vieler Einzelnen, sondern auch eine systematische Ausbeutung des Capitals durch die Arbeit dadurch entsteht. Es ist daher erklärlich, daß sie an- fangs das Entstehen und die Wirksamkeit solcher Vereine zu hindern sucht. Allein sie erkennt bald, daß ihre Bestrebungen in dieser Rich- tung einerseits nichts nützen, und zweitens, daß sie die freie Selbstbe- stimmung der Arbeiter nicht hindern kann, ohne überhaupt die Frei- heit der Volkswirthschaft aufzuheben. Die natürliche Entwicklung des öffentlichen Rechts hat daher den in den meisten Gesetzgebungen auch schon formell anerkannten Grundsatz erzeugt, daß die Arbeiterverbin- dungen an sich frei sein , aber unter den allgemeinen Rechtsprincipien des Versammlungs- und Vereinsrechts stehen sollen. Diese aber sind volle Oeffentlichkeit jedes Theiles ihrer Verhandlungen, und Aufhebung des Vereins nebst Bestrafung der Mitglieder, wenn er die Anwendung von direkten oder indirekten Zwangsmitteln gegen Mitglieder oder Dritte für seine Zwecke beschließt oder durchführt. Ein festes System in dieser Beziehung ist noch nicht gewonnen. Es wird eine der großen Aufgaben der nächsten Zukunft sein, ein allgemeines Rechtsbewußtsein über diese bedeutsame Frage zu bilden, und die Rechts- principien im Einzelnen mit Maß und Nachdruck zugleich durchzuführen. Die wahre Lösung derselben aber liegt auch hier in der Idee der Harmonie der Interessen, welche nicht bloß örtlich, sondern volkswirth- schaftlich nachweist, daß wenn die eine Bedingung des wirthschaftlichen Fortschrittes allerdings die Funktion des großen Capitals ist, die zweite in der Fähigkeit der Arbeit liegt, durch sich selbst zur wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Unabhängigkeit zu gelangen. Hier aber, wie bei andern großen Fragen, beginnt das wahre Verständniß der gegebenen Zustände und Bewegungen damit, daß man alles Gegenwärtige als ein Entwicklungsstadium der Zukunft erkennt, die uns das Falsche wie das Gute allein richtig messen lehrt. Stein , Handbuch der Verwaltungslehre. 30 Die Geschichte des Rechts der Arbeiterverbindungen hat wohl allenthalben die obigen zwei Epochen; das Stadium des mehr oder weniger strengen poli- zeilichen Verbotes , und das der rechtlichen , oder durch das Vereinsrecht gegebenen Freiheit der Verbindungen. Das letztere Stadium tritt meist erst ein, wo sich die politischen Verbindungen von denselben scheiden. England : Verbot aller Verbindungen mit Oberhaupt und Abstufungen schon seit 1793, die Verabredung der Arbeiter um Erhöhung der Löhne als felony erklärt 39. 40. Georg. III. 106; dann aber, da die Arbeiterverbindungen dieß zu ver- meiden wissen, volle Freiheit dieser trades unions. Bill von 1824 6. G. IV. 29. zuerst die Freiheit der Arbeiterverbindungen, jedoch mit Strafe gegen Gewalt und Drohung gegen Mitarbeiter (vergl. Austria , Nr. 24. 1864). Die folgenden Bestimmungen haben denselben Charakter, Gesetzgebung bei Klein- schrod , großbritann. Gesetzgebung S. 93; vergl. auch Gierke a. a. O. 884. — Frankreich hat dagegen noch lange den strengen Standpunkt seines Code Pénal Art. 414—420 mit Verbot und Strafe beibehalten; freilich fordert der- selbe eine Verbindung mit Absicht auf „Zwang“ gegen Dritte; aber auch die nicht auf Zwang gerichteten Verbindungen sind noch unter polizeilicher Ueber- wachung, und praktisch entscheiden vor der Hand die Behörden über die Frage, ob eine Association oder eine Coalition vorliegt ( Code Pénal Art. 291; Gesetz vom 10. April 1834: Schärfung; Abschaffung 1848; vollständige Reak- tivirung des Code Pénal durch Decret vom 25. März 1852). Eine Unter- scheidung zwischen Arbeiter- und andern Verbindungen fand sich nicht . Bis jetzt die Art. 414—416 des Code Pénal aufgehoben und die Coalition frei- gegeben, mit Strafe für Drohung oder „betrügerischen Umtrieben“ zu Abhal- tung von der Arbeit. Bei weitem am klarsten zeichnen sich beide Epochen in Deutschland ab. Die über Arbeiterverbindungen haben sich hier ganz bestimmt von den Verbindungen im Allgemeinen abgelöst, und eine selbständige Gesetz- gebung hervorgerufen. Diese beginnt mit dem Princip, daß jede Arbeiter- verbindung zum Zweck der Lohnerhöhung an und für sich, und zwar ohne Rücksicht auf die angewendeten Mittel strafbar sei. Am klarsten das öster- reichische Strafgesetzbuch §. 479 ff.; doch liegt dem Verbote mehr ein poli- zeilicher als socialer Gedanke zum Grunde. Den Uebergang zum Princip des freien Verbindungsrechts bildet dann die Anerkennung des freien Vereins- rechts , dem das freie Versammlungsrecht zur Seite geht. Daß damit der Grundsatz des freien Coalitionsrechts anerkannt ist, ist selbst noch nicht anerkannt. Die Aufhebung aller Beschränkungen des Coalitionsrechts nach dem Antrage von Schultze-Delitzsch im norddeutschen Reichsrath vom 14. Okt. 1867. Der Entwurf des Coalitionsgesetzes an den österreichischen Reichs- rath 1870 erkennt gleichfalls das freie Coalitionsrecht an. Es ist kein Zweifel, daß die übrigen deutschen Gesetzgebungen diesem Vorgange folgen, oder ihr freies Vereinsrecht werden aufgeben müssen (vergl. übrigens Stein , Vereins- wesen und Vereinsrecht S. 194 und 210 ff.).