Die Schriften des Waldschulmeisters. Herausgegeben von P. K. Rosegger. Pest. Verlag von Gustav Heckenast. 1875. Druck von C. F. Wigand in Preßburg. Seiner Excellenz dem hochgebornen Herrn Dr. Carl von Stremayr , österreichischer Minister für Cultus und Unterricht, k. k. geheimer Rath ꝛc. ꝛc., dem Schützer und Förderer der Volksschule weiht dieses Buch in dankbarer Ehrerbietung der Verfasser. W eg nach Winkelsteg.“ — Diese Worte standen am Holzarm. Aber der Regen hatte die alt- förmigen Buchstaben schier verwaschen und der Balken selbst wackelte im Wind. Ringsum ist dunkler, struppiger Tannenwald; über demselben stehen ein paar uralte Lärchen empor, deren kahles knorriges Geäste weit hineinragt in den Himmel. Aus der Tiefe einer finsteren felsigen Schlucht braust ein Gewässer. Unzähligemale führt die alte Bergstraße mittelst schiefer halbeingesunkener Holzbrücken über diesen Wildbach, bis da herein, wo der Bergwald rechts sich lichtet und zwischen den Rosegger: Waldschulmeister. 1 Wipfeln zum erstenmale die Gletscher niederleuchten auf den Wanderer, der aus fernen, bevölkerten Ge- genden kommt. Der Wildbach gießt von den Gletschern her. Die Straße aber wendet sich links, milderen Wald- geländen zu, um nach vielen Meilen von Oeden und Wildnissen endlich wieder in belebte Ortschaften einzuziehen. Das Flußgebiet entlang zieht nur ein verschwemmter steiniger Hohlweg, über welchen der Sturm Fichtenstämme geworfen hatte, die nun seit Jahrzehnten lehnen und dorren. Hier am Scheidewege stand ein hohes hölzer- nes Kreuz mit drei Querbalken und den bildlich dargestellten Marterwerkzeugen der heiligen Leidens- geschichte, als Speer, Schwammstab, Zange, Ham- mer und den drei Nägeln. Auf einem Felsen stand der Pfahl, wettergrau und bemoost. Eng daneben stand der Balken mit dem Arme und der Inschrift: „Weg nach Winkelsteg.“ Dieses Zeichen wies den verwahrlosten steini- gen Weg mit dem Gefälle — gegen das enge Hochthal, in dessen Hintergrunde die Schneefelder liegen. In fernster Höhe, über den sanft sich hin- ziehenden Schneetüchern ragt ein grauer Kegel auf, an dessen Spitze so gerne Nebelflocken hängen. Ich saß auf einem Felsblock neben dem Kreuze, und blickte zu jener grauen Spitze empor. Das war der weit und breit berühmte und berüchtigte graue Zahn — das Ziel meiner Gebirgsreise. Als ich so dasaß, hauchte jenes Gefühl durch meine Seele, von dem kein Mensch zu sagen weiß, wie es ent- steht, was es bedeutet und warum es sosehr das Herz beklemmt; gleichsam mit einem Panzer umgürtet, auf daß es gerüstet sei gegen ein Etwas, das kommen muß. Ahnung nennen wir den wundersamen Hauch. Ich hätte vielleicht länger noch geruht auf dem Steine und dem Tosen des Wildwassers und dem Säuseln der Waldwipfel gelauscht; allein, mir schien, als strecke sich der Holzarm immer länger und länger aus, und zum Mahnrufe wurden mir die Worte: „Weg nach Winkelsteg.“ Und wahrhaftig, als ich mich erhob, da sah ich, daß mein Schatten schon ein gut Stück länger war, als ich selbst. Und wer weiß, wie weit ab es noch lag, das letzte und kleinste Dorf Winkelsteg. Ich ging rasch und sah mich nicht viel um. Ich merkte nur, daß die Wildniß immer größer wurde. Rehe hörte ich röhren im Walde, Geier hörte ich pfeifen in der Luft. Es begann zu dunkeln, und es war noch nicht Zeit zum Nachten. Ueber dem Felsgebirge lag ein Gewitter. Ein dumpfes halbersticktes Murren war zu hören und nicht lange, so erhob sich ein Grollen und Rollen, als ob all die Felsen und Eiswuchten des Hochgebirges tausend 1* und tausendfach aneinander prallten. Die Bäume über mir bogen sich mächtig hin und her und in den breiten Blättern eines Ahorn rauschten schon die großen eiskalten Tropfen. Das Gewitter ging bis auf diese wenigen Tropfen vorüber. Weiter drin aber mußte es ärger gewesen sein, denn plötzlich brauste mir im Hohl- weg ein wilder Gießbach mit Erde, Steinen, Eis und Holzstücken entgegen. Ich rettete mich an die Lehne hinan und kam mit großer Mühe vorwärts. Ueber der Gegend lag nun Nebel und an den Aesten der Tannen stieg er nieder bis zu dem feuch- ten Heidegrunde. Als es gegen die Abenddämmerung ging und als die Waldschlucht sich ein wenig weitete, kam ich in ein schmales Wiesenthal, dessen Länge ich des Nebels wegen nicht ermessen konnte. Der Matten- grund war bedeckt mit Eiskörnern; der Bach hatte sein Bett überschritten und hatte die Brücke fort- gerissen, die mich hätte hinübertragen sollen auf das jenseitige Ufer, von wo mir durch das Nebelgrauen ein weißes Kirchlein und die Bretterdächer einiger Häuser zuschimmerten. Es war frostig kalt und es begann zu dunkeln. Ich rief hinüber zu den Leuten, die am Wasser ar- beiteten, Holzblöcke auffingen und den Fluß zu regeln suchten. Sie schrieen mir die Antwort zurück, sie könnten mir nicht helfen, ich müsse warten, bis das Wasser abgelaufen sei. Bis so ein Gießwasser abläuft, das kann die gange Nacht währen. Ich wage es und wate durch den Fluß. Aber als sie drüben diese meine Absicht bemerkten, winkten sie mir warnend zu. Und bald stemmte ein großer, hagerer, schwarzbärtiger Mann eine Stange an und schwang sich mittelst derselben zu mir herüber. Dann häufte er hart am Ufer einige Steine übereinander und legte auf dieselben das Brett, welches die Anderen über die Fluthen herüber- schoben. Nun nahm er mich an der Hand und sagte: „Nur fest anhalten!“ dann führte er mich über das schaukelnde Brett an das andere Ufer. Während wir über dem Wasser schwebten, hub das Aveglöcklein an zu klingen und die Leute zogen ihre Hüte ab. Der große schwarze Mann geleitete mich über die knisternden Eiskörner zum Dörfchen hinan. „So ist es;“ brummte er unterwegs, „läßt der Herrgott was aufwachsen, hauts der Teufel wieder in die Erden hinein. Die Kohlpflanzen sind hin, bis auf das letzte Stammel; und das letzte Stammel auch. Der Hafer liegt auf dem Hintern und reckt seine Knie gegen Himmel hinauf.“ „Das Wetter hat so viel Schaden gethan?“ sagte ich. „Vom heutigen Tag an darf sich Eins den ganzen Sommer über wieder nicht satt essen, wollen wir für den Winter den Magen nicht in den Rauch- fang hängen,“ antwortete er. Das Dorf bestand aus drei oder vier hölzernen Häusern, einigen Hütten, rauchenden Kohlstätten und dem Kirchlein. Vor einem der größeren Häuser, an dessen Thür ein breiter, von vielen Tritten zerschleifter An- trittstein lag, blieb mein Begleiter stehen und sagte: „Kehrt der Herr bei mir ein? ich bin der Winkel- wirth.“ Er deutete bei diesen Worten auf das Haus, als ob es das sein Ichselbst wäre. Bald hernach war ich in der Stube. Die Wirthin nahm mir gar behende die Reisetasche und den feuchten Ueberrock ab und brachte mir ein par Strohschuhe herbei: „Nur gleich das nasse Leder aus und die Schliefschuhe anstecken; nur fein gleich, fein gleich, ein nasser Schuh auf dem Fuß läuft zum Bader!“ Nicht lange, so saß ich trocken und bequem an dem großen Tische unter dem Hausaltar und unter Wandleisten, auf welchen der Reihe hin buntbemaltes Ton- und Porzellan- geschirr lehnte. Auf dem Gläsergestelle war eine Un- zahl von Kelchfläschchen umgestülpt und der Wirth frug mich gleich, ob ich Branntwein begehre. Ich verlangte Wein. „Ist wol kein Tröpfel im Keller gewesen, so lang das Haus steht,“ versetzte der Wirth, „aber Holzapfelmost hätt’ ich einen rechtschaffen guten.“ Das war mir schon recht; aber als er in den Keller gehen wollte, trippelte sein Weib herbei, nahm ihm hastig den Schlüssel aus der Hand: „Geh, La- zarus, schneutz’ dem Herrn das Licht; fein geschwind, Lazarus, wirst schon dein Tröpfel noch kriegen.“ Ein wenig brummend kam er zum Tisch zu- rück, reinigte den Docht der Unschlittkerze, sah mich eine Weile so an und frug endlich: „Der Herr ist zuletzt gar unser neuer Schulmeister? — Nicht? — So, auf den grauen Zahn hinauf geht die Wander? Wird morgen wol nicht gehen. Ist auch diesen Som- mer noch kein Mensch hinaufgestiegen. Das muß Einer im Frühherbst thun; zur andern Zeit ist kein Verlaß auf das Wetter. — Nu, wie man halt schon so nachgrübelt; ich hab’ gemeint, der Herr dürft’ der neue Schulmeister sein. Es versteigt sich sonst wun- derselten Einer da herein, der nicht herein gehört. Auf den neuen Schulmeister warten wir schon alle Tag. Der alte ist uns durchgegangen; — hat der Herr nichts gehört?“ „So, Lazarus, thu’ schön fein plaudern mit dem Herrn,“ sagte die Wirthin im zärtlichen Tone zu ihrem Manne, als sie mir den Most und zu- gleich auch die Abendsuppe vorsetzte. Das Weib war nicht mehr zu jung, aber es war das, was die Wäldler „kugelrund“ nennen. Sie hatte ein zweifaches Kinn und unter demselben, um den vollen Hals, eine Silberkette. Ihre Aeuglein guckten klug und mild hervor, wenn sie sprach und wenn sie, mit jedem Winkel und Nagel des ganzen Hauses bekannt und verwachsen, lustig in allen Ecken und Enden herumregierte. Wie im Scherze regelte sie Alles und schäckerte mit dem Gast und lachte mit dem Gesinde in der Küche und im Vorhause. Daß jetzt der Schauer wieder Alles zerschlagen, sei freilich nicht gar lustig, meinte sie, aber besser sei es allerwege, das Eis falle vom Himmel auf die Erde, als wenn es von der Erde auf den Himmel fiele und da oben auch noch Alles in Scherben schlüge. Da hätt’ Eins schon gar nichts mehr zu hoffen. Und wie sie so die Sache auslegte, spru- delte die Fröhlichkeit ordentlich aus ihr hervor, und der ganze Kreis um sie war heiter; und Jedes schien sich so gehen zu lassen in Dem, was es that, em- pfand und sagte; aber es ging doch Alles nach der Schnur. „Ihr habt ein treffliches Frauchen,“ sagte ich zum Wirth. „Das wol, das wol“ bestätigte er leise und lebhaft, „brav ist sie, meine Juliana, aber halt — aber halt —“ Das Wort blieb ihm im Halse stecken, oder vielmehr, er zerbiß es, drückte und preßte es hinab, hinab; aufsprang er und die Hände am Rücken geballt schritt er über die Stube und wieder zurück und goß sich ein Glas Wasser in die Gurgel. Dann setzte er sich auf die Bank und war ruhig; aber es war noch nicht ganz gut, er hatte die Fäuste geschlossen und starrte auf den Tisch. — Ich habe einmal auf einem Jahrmarkt einen Araber gesehen, eine mächtig hohe Gestalt, knochig, hager, rauh und lederbraun, schwarz- und vollbärtig, glut- äugig, mit langer scharfgebogener Nase, schneeweißen Zähnen, mit dichten Brauen und einem weichen, wollartigen Haarfilze — völlig so sah der Mann aus, der jetzt schier unheimlich vor mir brütete. „’s gibt kein Weibel mehr, so herzensgut und getreu,“ murmelte er plötzlich; weitere Worte zer- malmte er zwischen den Zähnen. Ich sah, der Mann war in einer sehr peinlichen Stimmung; ich suchte ihn aus derselben zu erlösen. „Also durchgegangen, sagt ihr, ist der alte Schulmeister?“ Da hob der Wirth seinen Kopf: „Man kann just nicht sagen, daß er durchgegangen ist; es hat ihm nichts weh gethan bei uns. Ich denk’, wer fünfzig Jahr in Winkelsteg Schullehrer, oder was weiß ich, alles ist, der läuft im einundfünfzigsten nicht davon wie ein Korndieb.“ „Fünfzig Jahre dahier Schullehrer!“ rief ich. „Schullehrer und Bader und Amtmann und eine Weil’ gar auch Pfarrer ist er gewesen.“ „Und ein Halbnarr ist er auch gewesen!“ schrie Einer vom Nebentische her, wo sich mehrere schwarze Gesellen, etwa Holzer und Kohlenbrenner, bei Schnapsgläsern niedergelassen hatten. „Ja frei- lich,“ rief die Stimme, „da draußen bei der Wach- holderstauden ist er die längste Zeit gehockt und hat mit dem Wisch geschwätzt und den Gimpeln hat er das Singen lehren wollen nach Noten. Hat er wo einen scheckigen Falter erspäht, so ist er ihm nachgeholpert den ganzen halben Tag; — ein Halterbübel könnt nicht kindischer sein. Hat ihn leicht gar so ein Thier fortgelockt, hat der Alte nimmer heimgefunden, ist liegen blieben im Wald.“ „Zur Weihnachtszeit fliegen keine Falter herum, Josel,“ sagte der Wirth, halb berichtigend, halb ver- weisend, „und daß er in der Christnacht ist in Ver- lust gerathen, das wirst wissen.“ „Der Teufel hat ihn geholt, den alten Saker- menter!“ gröhlte eine andere Stimme in dem finster- sten Winkel der Stube, am großen Kachelofen. Als ich hinblickte, sah ich in der Dunkelheit die Funken eines Feuersteines sprühen. „Mußt nit, Schorschl, mußt nit so reden!“ sagte einer der Köhler, „mußt bedenken, der alte Mann hat schneeweiße Haar gehabt!“ „Ja, und Hörner unter denselben,“ riefs vom Ofen her, „leicht hat ihn Keiner so gekannt, den alten Schleicher, wie der Schorschl! Meint ihr, er hätt’s nit abgemacht gehabt mit den großen Herren, daß wir keiner was haben gewonnen beim Lotter- g’spiel (Lotterie)! Wesweg hat denn der Kranabet- sepp gleich in der zweiten Woch’, da der Schul- meister ist weggewesen, einen Amber (Ambo) gemacht? Der bucklig’ Duckmauser selber hat freilich Geld gehabt; hats vergraben, auf daß, was er selber nit braucht, die armen Leut’ auch nit brauchen sollen. Oh — leicht könnt’ Einer noch andere Geschichten erzählen, wären nicht so gewisse Leut’ in der Stub.“ Die Stimme schwieg; man hörte nur das Pfauchen der rauchsaugenden Lippen und das Zu- klappen eines Pfeifendeckels. Der Wirth stand auf, warf seinen Lodenwamms weg und ging in flatternden Hemdärmeln einige Schritte gegen den Ofen. Mitten in der Stube stand er still. „So gewisse Leut’ sind in der Stube,“ sagte er gedämpft, „Schorschl, dasselb’ deucht mich selber; aber nit beim redlichen Tisch sitzen sie vor aller Leut’ Augen; im stockfinsteren Winkel ducken sie sich, wie ein nichtsnutziger Schelm, wie — wie —“ Er brach ab, man merkte es, wie er sich Gewalt anthat, gelassen zu bleiben; er zog sich schier krampf- haft zusammen, aber er blieb stehen mitten in der Stube. „Freilich, freilich, die Branntweinbrenner haben den Alten nicht leiden mögen,“ sagte einer der Köhler. Dann zu mir gewendet: „Bester Herr, Der hat’s gut gemeint! Gott tröst’ seine arme Seel! — Hat noch die Orgel gespielt in der heiligen Nacht, aber in der Christtagsfrüh ist kein Gebetläuten gewesen. Den Reiter Peter, — das ist halt unser Musikant — hat’ er in der Nacht noch angeredet, daß der sollt’ die Musik für den Christtag übernehmen; — das ist sein letzt’ Wort gewesen, und weg ist der Schulmeister. — Du heiliger Antoni, was haben wir den alten Mann nicht gesucht. Spüren hat man ihn nicht können, der Schnee ist weit und breit, und gar im Wald drin, steinhart gewesen; hat Jeden tragen, so weit er hat wollen gehen. Ganz Winkel- steg ist auf gewesen, ist alle Wälder abgegangen und alle Straßen draußen im Land —.“ Der Mann schwieg; ein Achselzucken und eine Handbewegung deuteten an, sie hätten den Schul- meister nicht gefunden. Der Wirth wendete sich wieder langsam gegen den Tisch und sagte fast traurig: „Und so haben wir Winkelsteger halt keinen Schulmeister. Ich für mich brauch keinen; ich hab’ nichts gelernt und werd’ nichts mehr lernen — ich leb’ so. Aber einsehen thu’ ichs wol, ein Schulmeister muß sein. Und so sind wir Gemeindebauern halt zusammengestanden, daß wir einen neuen —“ Ich hatte in diesem Augenblick das Mostglas an den Mund gesetzt, um den Rest des trefflichen Trankes zu schlürfen. Und das war, als hätte es dem Manne die Sprache verschlagen. Er starrte auf das leere Glas, wollte dann sein Gespräch wieder fort- setzen, schien aber kaum mehr zu wissen, wovon er geredet. „Ich denk’ mir meinen Theil,“ versetzte einer der Kohlenbrenner, „und ich sag’ dasselb’, just und gerade dasselb’, was der Wurzentoni sagt. Der alte Schulmeister, sagt er, hat ein Stückel mehr ver- standen, als Birn sieden, ein gut Stückel mehr. Der Wurzentoni — nicht einmal, zehn- und hundertmal hat er den Schulmeister gesehen aus einem klein- winzigen Büchlein beten, und im Büchlein sind alles so Sprüchel gewesen und Zauber- und Hexenzeichen, lauter Hexenzeichen. Wär’ der Schulmeister im Wald wo gestorben, sagt der Wurzentoni, so hätt’ man den Todten finden müssen; und hätt’ ihn der Teufel ge- holt, so wär’ das Gewand zurückgeblieben, denn das Gewand, sagt der Wurzentoni, ist unschuldig, über das hat der Teufel keine Gewalt! hat keine! — Ganz was anders ist geschehen, meine Leut! Der Schulmeister — verzaubert hat er sich, und so steigt er unsichtbar Tag und Nacht in Winkelsteg herum — Tag und Nacht, zu jeder Stund’. Das ist, weil er will wissen, was die Leut’ in der Heimlichkeit thun und über ihn reden, und weil — —. Ich sag’ nichts Schlechtes über den Schulmeister, ich nicht. Wüßt auch nicht was, bei meiner Treu, wüßt auch nicht, was!“ „Ei, thät der Teufel nicht mehr wissen, wie der schwarz’ Kohlenbrenner!“ hüstelte die Stimme hinter dem Ofen, „noch heut’ führt der alt’ Grau- schädel die Winkelsteger bei der Nase herum!“ Ein gereizter Löwe könnte nicht wüthender auf- springen, als es jetzt der derbe finstere Wirth that. Ordentlich stöhnend vor Begier stürzte er hin in den Ofenwinkel, und dort war ein angstvolles Aufkreischen. Da eilte die Wirthin herbei: „Geh, Lazarus, wirst dich scheren mit diesem dummen Schorschel da! ist nicht der Müh’ wert, daß du desweg einen Finger krumm thust. Geh, sei fein gescheidt, Lazarus; schau, jetzt hab’ ich dir dort dein Tröpfel hingestellt.“ Lazarus ließ nach; der Schorschl huschte wie ein Pudel heulend zur Thür hinaus. Lazarus hatte Haarlocken in der Faust, fahle, zerzauste Haarlocken. Knurrend schritt er gegen den Kasten, auf welchen ihm sein Weib ein Glas Apfel- most gestellt hatte. Fast lechzend, zitternd griff er nach dem Glase, führte es zum Mund und that einen langen Zug. Dann hielt er starren Auges ein bischen inne, dann setzte er wieder an und leerte das Glas bis auf den letzten Tropfen. Das mußte ein fürchterlicher Durst gewesen sein. Langsam sank die Hand mit dem leeren Gefäße nieder; tief auf- athmend glotzte der Wirth vor sich hin. So verging die Zeit, bis die Wirthin zu mir kam und sagte: „Wir haben ein gutes Bett, da oben auf dem Boden; aber ich sag’s dem Herrn fein g’rad heraus, der Wind hat heut ein par Dach- schindeln davongetragen und da thut’s ein kleinwenig durchtröpfeln. Im Schulhaus oben wär’ wol ein rechtschaffen bequemes Stübelein, weil es für den neuen Lehrer schon eingerichtet ist; und fein zum Heizen wär’s auch, und wir haben den Schlüssel, weil mein Alter Richter ist und auf das Schulhaus zu schauen hat. Jetzt, wenn sonst der Herr nicht gerade ungern im Schulhaus schläft, so thät ich schon dazu rathen. Ei beileib’, es ist nicht unheimlich, gar nicht; es ist fein still und fein sauber. Mich däucht, das ganze Jahr wollt’ ich darin wohnen.“ So zog ich das Schulhaus dem Dachboden vor. Und nicht lange nachher geleitete mich ein Küchen- mädchen mit der Laterne hinaus in die stockfinstere regnerische Nacht, das Dörfchen entlang, an der Kirche hin über den Friedhof, an dessen Rande das Schulhaus stand. Das Rasseln des Schlüssels an der Thür wiederhallte laut im Innern. Im Vor- hause war es öde, und die Schatten der Latern- säulchen zuckten wie gehetzt an den Wänden hin und her. Da traten wir in ein kleines Zimmer, in dessen Thonofen helle Glut knisterte. Meine Begleiterin stellte ein Licht auf den Tisch, schlug die braune Decke des Bettes über und zog aus dem Wandkasten eine Lade hervor, damit ich meine Sachen dort unter- bringe. Da rief sie auf einmal: „Nein, das ist richtig, daß wir uns allmiteinander schämen müssen; jetzt liegen diese Fetzen noch da herum!“ Sofort faßte sie einen armvoll Papierblätter, wie sie in der Lade wirr herumlagen: „Will euch gleich helfen, ihr verzwickelten Wische, in den Ofen steck’ ich euch!“ „Mußt nicht, mußt nicht,“ kam ich dazwischen, „vielleicht sind Dinge dabei, die der neue Lehrer noch brauchen kann.“ Verdrießlich warf sie die Blätter wieder in die Lade. Es wäre ihr in ihrer Aufräumungswuth sicher eine große Lust gewesen, sie zu verbrennen, wie ja unwissende Leute häufig das Verlangen haben, Alles, was ihnen nutzlos dünkt zu vernichten. „Der Herr kann des alten Schulmeisters Schlaf- hauben aufsetzen,“ sagte das Mädchen hernach und legte eine blaugestreifte Zipfelmütze auf den Kopf- polster des Bettes. Dann gab es mir noch einige Rathschläge bezüglich der Thürschlüssel, sagte: „So, in Gottesnamen, jetzt geh’ ich,“ — und sie ging. Die äußere Thür sperrte sie ab, an der inne- ren drehte ich den Schlüssel um, und nun war ich allein in der Wohnung des in Verlust gerathenen Schulmeisters. Was war das für ein sonderbares Geschick mit diesem Manne, und was waren das für son- derbare Nachreden der Leute? Und wie verschieden waren diese Nachreden! Ein guter, vortrefflicher Mann, ein Narr, ein Hexenmeister, und gar Einer, den zuletzt der Teufel holt! — Ich sah mich in der Stube um. Da war ein wurmstichiger Tisch und ein brauner Kasten. Da hing eine alte, schwarze Pendeluhr mit völlig erblindetem Zifferblatte, vor welchem der kurze Pendel so emsig hin nnd herhüpfte, als wollte er nur hastig, hastig aus banger Zeit in eine bessere Zukunft eilen. — Und meint ihr, ich hätte von draußen herein nicht auch die Unruh der Kirch- thurmuhr gehört? Neben der Uhr hingen einige aus Wachholder geschnittene Tabakspfeifen mit übermäßig langen Röhren; ferner eine Geige und eine uralte Zither mit drei Saiten. Sonst war überall das gewöhn- Rosegger: Waldschulmeister. 2 liche Hausgeräthe, vom Stiefelzieher unter der Bettstatt bis zu dem Kalender an der Wand. Die Fenster waren bedeutend größer, als sie sonst bei hölzernen Häusern zu sein pflegen und mit gefloch- tenen Gittern versehen. In diesen Gittern steckten verdorrte Birkenzweige. Da ich einen der blauen Vorhänge bei Seite geschoben hatte, blickte ich hinaus in das Freie. Es war finster, nur von einer Ecke des Kirchhofes her schimmerte es, wie ein verlorner Strahl des Mondes. Das war wohl das Moderleuchten eines zusammengebrochenen Grabkreuzes oder eines Sarg- restes. Der Regen rieselte; es zog ein frostiger Windhauch durch die Luft wie gewöhnlich nach Hagelgewittern. Ich hatte die Alpenfahrt für den nächsten Tag aufgegeben. ich beschloß, entweder in Winkel- steg schön Wetter abzuwarten, oder mittelst eines Kohlenwagens wieder davon zu fahren. Brauen im Gebirge selbst zur Sommerszeit ja doch oft wochen- lang die feuchten finstern Nebel, während draußen im Vorlande der milde Sonnenschein liegt. Ehe ich mich ins Bette legte, wühlte ich noch ein wenig in den alten Papieren der Schublade herum. Da waren Musiknoten, Schreibübungen, Aufmerkblätter und allerhand so Geschreibe auf grobem, grauem, gelbem Papier. Es war theils mit Bleistift, theils mit blasser Tinte, bald flüchtig bald mit Fleiß geschrieben. Und da lagen zwischen Blättern gepreßte Pflanzen, entstaubte Schmetter- linge und eine Menge Thier- und Landschaftszeich- nungen, zumeist gar recht unbeholfen gemacht. Aber ein Bild fiel mir doch auf, ein mit bunten Far- ben bemaltes, eigenartiges, komisches Bild. Es stellte einen alten Mann dar. Der kauerte auf einem Baumstrunk und schmauchte eine langberohrte Pfeife. Auf dem Haupte, dessen Haare nach rück- wärts gekämt waren, hatte er eine plattgedrückte, schwarze Kappe mit einem breiten, wagrecht hinaus- stehenden Schilde. Aber ein Künstler war es doch, der das Bild gemacht; im Ausdrucke des Angesichts war er zu spüren. Aus dem einen Auge, das ganz offen stand, blickte eine ernste und doch milde Seele heraus; aus dem andern, das halb geschlossen nur so blinzelte, sah ein wenig Schalkheit hervor. In einem Hause, aus dessen Fenstern solche Gäste lugen, ist’s nicht gar sonderlich arm und öde. Ueber den, vom wohlwollenden Künstler vielleicht doch zu rosig gehaltenen Wangen war es aber fast, als ob seiner Zeit Wildbäche Furchen gerissen hätten. Völlig spaßhaft hingegen nahm sich auf dem sonst völlig glatt rasirten Gesichte der lange weiße Spitz- bart aus; er war unter dem vorgebeugten Kopfe wie ein vom Kinne niederhängender Eiszapfen. 2* Um den Hals war ein hellrothes Tuch mehrfach geschlungen und vorne mehrfach zusammengeknüpft. Dann kam der hohe Wall des Rockkragens und der blaue Tuchrock selbst, ein Frack mit niederstrebenden Taschen, aus deren Einer der launige Künstler gar ein Kipfelchen hervorlugen ließ. Der Rock war eng zugeknöpft bis hinauf zum Eiszapfen. Die Hose war grau, sehr eng und sehr kurz; die Stie- fel waren auch grau, aber sehr weit und sehr lang. — So kauerte das Männchen da und hielt mit beiden Händen genußselig das lange Pfeifen- rohr, und schmauchte. Leichte Ringelchen und Herz- chen bildete der Rauch . . . . Der das Bild gemacht, ist ein Kautz gewesen; nach dem es gemacht, der ist noch ein größerer gewesen. Einer oder der Andere war sicher der alte Schulmeister, der auf unerklärliche Weise ver- schwunden, nachdem er fünfzig Jahre im Orte Lehrer gewesen. — „Und unsichtbar steigt er in Winkelsteg herum, Tag und Nacht — zu jeder Stund!“ Ich stieg ins Bett und lag und sann. Ich ahnte nicht, wer es gewesen war, der das Haus gebaut und vor mir auf dieser Stätte geruht. Die Glut im Ofen knisterte matt und matter und war im Absterben. Draußen rieselte der Regen, und doch lag eine Stille über Allem, so daß mir war, als hörte ich das Athemholen der Nacht. — Ich war im Einschlummern; da erhob sich plötzlich ganz nahe über mir ein lebhaftes Schallen, und eilfmal hintereinander laut und lustig klang der Wachtelschlag. Ganz täuschend ähnlich waren die Laute dem lieblichen Rufe des Vogels im Korn- felde. Die alte Uhr war’s gewesen, die mir so seltsam die eilfte Stunde verkündet hatte. Und der süße Wachtelschlag hatte mein Sinnen und Träumen entführt hinaus auf das lichte son- nige Kornfeld zu den wiegenden Halmen, zu den blauleuchtenden Blumenaugen, zu den gaukelnden Schmetterlingen — und so war ich eingeschlafen an demselben Abende, im geheimnißvollen Schulhause zu Winkelsteg. Wie mich der Wachtelschlag eingelullt hatte, so weckte mich der Wachtelschlag wieder auf. Es war des Morgens zur sechsten Stunde. Im Stübchen athmete noch die milde Wärme des Ofens; an den Wänden und auf der Decke lag es wie Mondlicht. Und es mußte die Sonne schon am Himmel stehen; es war im Juli. Ich erhob mich und zog einen der blauen Fenstervor- hänge zurück. Die großen Scheiben waren grau angelaufen; nur hie und da löste sich eine Tropfen- perle und rollte hin und herzuckend nieder durch die unzähligen Bläschen und Tröpfchen, hinter sich einen schmalen Pfad ziehend, durch welchen das Dunkel des braunen Kirchendaches hereinblickte. Ich öffnete das Fenster; frostige Luft ergoß sich in das Zimmer. Der Regen hatte aufgehört; an der Friedhofsmauer lag ein Wall zusammen- geschwemmter Eiskörner, mit niedergeschlagenen Baumrinden und gebrochenen Reisigwipfeln ge- mischt. An der Kirchenwand lagen Schindelsplitter des Daches; die Fenster der Kirche waren mit Brettern geschützt. Einige Eschen standen am Platze, da tropfte es nieder von den wenigen Blättern, die der Hagel verschont hatte. Noch ragte dort das verschwommene Bild eines Rauchfanges; was wei- ter hin war, das deckte der Nebel. Ich hatte den Gedanken an die Alpenwande- rung heute gar nicht mehr hervorgeholt. Langsam zog ich mich an und betrachtete das Triebwerk der alten Schwarzwälderuhr, welches durch zwei an einander schlagende Holzblättchen den schmetternden Schlag der Wachtel so täuschend gab. Hernach wühlte ich, da es mir zum Frühstück noch zu zeit- lich war, noch eine Weile in den Papieren der Lade herum. Ich bemerkte, das außer den Zeich- nungen, Rechnungen und jenen Bogen, die zu Pflanzenmappen dienten, alle beschriebenen Blätter eine gleiche Größe hatten und mit rothen Seiten- zahlen versehen waren. Ich versuchte die Blätter zu ordnen und warf zuweilen einen Blick auf deren Inhalt. Es waren tagebuchartige Aufzeichnungen, die sich auf Winkelsteg bezogen. Die Schriften waren aber so voll von eigenartigen Ausdrücken und regellos geformten Sätzen, daß eine Art Uebersetzung nöthig schien, um sie der Verständlich- keit zuzuführen. Die Mühe däuchte mir nicht abschreckend, denn ich hoffte hier Urkunden des so entlegenen Alpendörfchens und vielleicht gar aus dem Leben des verschwundenen Schulmeisters zu finden. Indem ich emsig weiter ordnete, und mit dieser Arbeit schon völlig zur Rüste kam, entdeckte ich plötzlich ein dickes graues Blatt, auf welchem mit gro- ßen rothen Buchstaben geschrieben stand: „ Die Schriften des Waldschulmeisters .“ So hatte ich nun gewissermaßen ein Buch zusammengestellt; und das Blatt mit den rothen Lettern legte ich auf Geradewohl oben an, als des Buches Ueberschrift. Mittlerweile hatte meine Wachtel die achte Stunde verkündet, und auf dem Kirchthurme läu- teten zwei helle Glöcklein zur Messe. Der Pfarrer, ein schlanker Mann mit blassem Angesichte, schritt von seinem Hause die kleine Steintreppe heran zur Kirche. Einige Männer und Weiber zogen ihm nach, entblößten noch weit vor der Thür ihr Haupt oder zerrten die Rosenkranzschnur hervor und besprengten sich andächtig am Weihwasserkessel des Einganges. Ich ging zur Thür hinaus und über den hügeligen Sandboden hin. Und ich ging, weil die Orgel gar so freundlich herausklang, zur Kirche hinein. Da war es auf den ersten Blick, wie es in jeder Dorfkirche ist — und doch eigentlich ganz anders. Je ärmer sonst so ein Kirchlein ist, desto mehr Silber und Gold sieht man in ihm funkeln; alle Leuchter und Gefäße sind von Silber, alle Verzierungen und Heiligenröcke und Engelsflügel und gar die Wolken des Himmels sind von Gold. Aber es ist nicht Silber, es ist nicht Gold; es ist nur der Schein davon und inwendig ist eitel Holz mit Wurmstichen. Ich kann jenem Bauersmann nicht Unrecht geben, der, als er in der Kirche ein- mal Meßnerdienste verrichten mußte und dabei in nähere Bekanntschaft mit den Bildnissen und Altä- ren gekommen, ausrief: „Wie unsere Heiligen von Weitem funkeln und vornehm sind, so meint man, was der tausend wir für Himmelsmänner haben, und wenn man sie in der Nähe anschaut, ist nichts dahinter.“ In der Kirche zu Winkelsteg fand ich das anders. Freilich war auch da Alles aus Holz und größtentheils aus ganz gewöhnlichem Fichtenholz, aber es war nicht geschminkt mit schreienden Far- ben, Geflunker und Gebändern und was sonst sol- chen Zierrath gibt; es war, wie es war und wollte nicht anders sein. Die Kirchenwände standen in mattem Grau und waren fast leer. In einer Ecke des Schiffes klebten ein Paar Schwalbennester, deren Bewohner heute auch bei dem Gottesdienste blieben und dem Herrn nach ihrer Art das „Sanctus“ sangen. Den Chorboden da oben und den Beichtstuhl und die Kanzel und die Betstühle — man sah es wohl — hatten heimische Zimmerleute ausgeführt; der Tauf- stein hatte auch sein Lebtag keinen Steinmetz, und der Hochaltar keinen Bildhauer gesehen. Aber es war Geschmack und Zweckmäßigkeit in Allem. Der Altar war ein hoher, würdevoll dastehender Tisch, zu welchem drei breite Stufen emporführten. Er war bedeckt mit einfachen weißen Linnen, und in einem Gezelte aus weißer Seide, zwischen sechs schlanken, aus Lindenholz geschnitzten Leuchtern stand das Heiligthum. Was mir aber am meisten auffiel, was mich rührte, fast erschütterte, das war ein nacktes großes Kreuz aus Holz, welches über dem Zelte ragte. Dieses Kreuz mochte nicht immer da oben gestanden haben; es war wettergrau, der Regen hatte die Fasern hervor- gewaschen, die Sonne hatte Spalten gezogen. Das war der Winkelsteger Altarbild. Ich habe nie einen Prediger ernster und eindringlicher spre- chen gehört, von Liebe und Geduld, von Auf- opferung und Entsagung, als es dieses stille Kreuz that auf dem Altare. Dann fiel mir noch ein Zweites auf, was fast abstach von der Armut und Einfachheit, so in diesem Gotteshause herrschte, was aber die Stim- mung und Ruhe nur noch erhöhte. An beiden Sei- ten des Altares waren zwei schmale hohe Fenster mit Glasmalereien. Sie thauten ein mildes rosiges Dämmerlicht über den Altar. Der Priester verrichtete die Handlung; die wenigen Anwesenden knieten in den Stühlen und beteten still; und die mild tönende, wie in Ehr- furcht leise zitternde Orgel betete mit, war wie eine flehende, weinende Fürsprache vor Gott für die arme Gemeinde, die seit gestern, da das Unge- witter die Feldfrucht vernichtet, neuen Kummer trug. Als die Messe zu Ende war, und die Leute sich erhoben, bekreuzten, die Kniebeugung machten und davongingen, stieg ein hübscher junger Mann die Chorstiege herab. Ich frug ihn vor der Kirch- thür, ob er es sei, der die Orgel gespielt habe. Er neigte den Kopf. Er schritt gegen das Dörf- chen hinab; ich ging mit ihm und suchte ein Gespräch anzufangen. Er sah mir mehrmals be- trübt und treuherzig ins Gesicht, aber er sagte kein Wort; fast zitterten seine frischrothen Lippen und er wendete sich bald und schritt abseits gegen den Bach. Er war stumm. Bald nachher saß ich im Wirthshause bei meinem Frühstück. Es bestand aus einer Schale Milch mit gebranntem Kornmehl gewürzt. Das ist der Winkelsteger Kaffee. Und nun — was gedachte ich zu thun? Ich theilte der heiteren Wirthin meine Absicht und meinen Wunsch mit: das ungünstige Wetter in Winkelsteg abzuwarten, im Stübchen des Schul- hauses zu wohnen und die Schriften des Schul- meisters zu lesen — „wenn ich dazu Erlaubniß hätte.“ „O mein Gott, ja, von Herzen gern!“ rief sie, „wen wird der Herr denn irren, da oben! und das alte Papierwerk schaut sonst auch kein Mensch an — wüßt’ nicht, wer! Davon kann sich der Herr aussuchen, was er will. Der neue Schul- meister wird schon selber so Sachen mitbringen. Glaub’s aber dieweilen noch gar nicht, daß Einer kommt. Ja freilich mag der Herr oben bleiben und ich laß ihm fein warm heizen.“ So ging ich wieder hinauf zum Schulhause. Nun sah ich es von außen an. Es war recht bequem und zweckmäßig gebaut; es hatte ein fla- ches weit vorspringendes Schindeldach, und es hatte in diesem Vorsprunge und in seinen hellen Fen- stern eine Art Verwandtschaft mit dem gutmütig schalkhaften schildkäppchenbedeckten Antlitze jenes Alten auf dem Bilde. Dann trat ich in das Stübchen. Es war bereits aufgeräumt und im Ofen knisterte frisches Feuer. Durch die hellen Fenster starrte zwar der düstere Tag mit dem tief auf die Bergwälder hän- genden Nebel herein, aber das machte das Stüb- chen nur noch traulicher und heimischer. Die Blätter, die ich am Morgen in Ordnung gebracht hatte, die rauh und grau vergilbt waren und eng beschrieben, Zeile an Zeile, die nahm ich nun aus der Schublade und setzte mich damit zum reingescheuerten Tisch am Fenster, so daß das Tageslicht recht freundlich auf ihnen ruhen konnte. Und was hier ein seltsamer Mann nieder- geschrieben hatte, das begann ich nun zu lesen. Was ich las, das gebe ich hier, besonders dem Inhalte nach, gewissenhaft treu wieder. Doch mußte an der Urschrift in der Form Manches geändert und geglättet, es mußte gestri- chen, ja beigefügt werden, wie es zum Verständ- nisse nöthig, und so weit es mir nach genauer Durchforschung der Zustände erlaubt und möglich war. Ferner mußten die absonderlichen Ausdrücke in Klarheit, die regellos hingeworfenen Sätze in Regeln gebracht werden. Indeß sei bemerke, daß im Kleineren ältere Sprachformen und Wendun- gen, die in den Blättern sich vorfanden, beibelassen wurden, um der seltsamen Schrift möglichst viel an ihrer Eigenart zu wahren. — — — Das erste Blatt erzählt nichts und Alles; es enthält vier Worte: Die Schriften des Waldschulmeisters. (Erster Theil.) „ Lieber Gott ! Ich grüße dich und schreibe dir eine Neuig- keit. Heute ist mein Vater gestorben. Er ist schon zwei Jahre krank gewesen. Die Leut’ sagen, es ist ein rechtes Glück, daß er gestorben. Die Muhme- Lies sagt es auch. Jetzt haben sie den Vater schon fortgetragen. Der Leib kommt in die Todtenkammer, die Seel’ geht durch das Fegfeuer in den Himmel hinauf. Lieber Gott, und da hätt ich jetzt recht eine schöne Bitt’. Schick meinem Vater einen Engel entgegen, der ihn weist. Für den Engel leg ich mein Pathengeld bei; es sind drei Groschen. Mein Vater wird recht eine Freud’ haben im Himmel, und führ ihn gleich zu meiner Mutter. — Ich grüße dich tausendmal, lieber Gott, den Vater und meine Mutter. Andreas Erdmann . Salzburg, im 1797-ger Jahr, am Apostel Simonitag.“ Rosegger: Waldschulmeister. 3 Dieser Brief ist erhalten geblieben, mit ihm hebe ich an. Ich weiß noch den Tag. Ich habe in meiner sehr großen Einfalt just die drei Groschen wollen in das Papier legen. Kommt selbunter die Muhme-Lies herbei, liest mit ihren Glasaugen die Schrift und schlägt die Hände zusammen. „Du bist ein dummer Junge!“ ruft sie aus, „ein sehr dummer Junge!“ Eilends nimmt sie mein Pathen- geld, läuft davon und erzählt meine Sach’ im ganzen Hause, vom Thorwartgelaß an bis hinauf zum dritten Stock, wo ein alter Schirmmacher wohnt. Jetzt kommen die Leut’ allmiteinander zu- sammen in unser Zimmer herein, zu sehen, wie ein sehr, sehr dummer Junge denn ausschaut. Gelacht haben sie, und so lang haben sie gelacht, bis ich angehebt hab’ zu weinen. Und jetztund haben sie noch ärger gelacht. Der alte Schirmmacher mit seinem himmelblauen Schurz ist auch da; der hebt die Hand auf und sagt: „Ihr Herrschaften, das ist ein albernes Lachen; etwan ist er gescheidter, wie ihr all miteinand. Geh her zu mir, Büblein; heute ist dein guter Vater ge- storben; deine Muhme ist viel zu gescheidt und ihr Haus zu klein für dich, du kleinwinziger Bub’. Geh mit mir, ich lehre dich das Regenschirmmachen.“ Was hat jetzo die Muhme gegeifert überlaut! aber das kann ich mir denken: insgeheim ist es ihr recht gewesen, da ich mit dem Alten die zwei Treppen hinaufgestiegen bin. Selbunter, wie mir mein Vater gestorben, werd ich im siebenten Jahr gewesen sein. Ich weiß nur, daß meine Eltern mit mir bis zu meinem fünften Jahr im Waldland gelebt haben. Im Waldland am See. Felsgebirge, Wald und Wasser haben die Ortschaft eingefriedet, in der mein Vater Salzwerksbeamter gewesen. Wie die Mutter gestor- ben, hebt mein Vater an zu kränkeln; hat seine Stelle aufgeben müssen, ist mit mir zu seiner wohlhabenden Schwester in die Stadt gezogen. In einem leichteren Amt hat er wieder arbeiten wollen, um seiner Schwester, die sich stets der Tugend der Sparsamkeit beflissen, Dach und Nahrung redlich erstatten zu können. Aber in der Stadt ist er krank Jahr und Tag; nur daß er mir zur Noth das Lesen und Schreiben lehrt, sonst hat er gar nichts gethan. Und es ist gekommen, wie ich es im frü- hern Blatt aufgeschrieben habe. Bei dem alten Mann im dritten Stock bin ich mehrere Jahre gewesen. Wie er, so habe auch ich einen himmelblauen Brustschurz getragen. Man erspart dadurch Kleider. In der ersteren Zeit bin ich mehrmals zur Muhme hinabgegangen auf Be- such; aber sie hat mich fortweg und so lange einen sehr dummen Jungen geheißen, bis ich nicht 3* mehr hinabgegangen bin. Selbunter hat mein Meister einmal das Wort gesagt: „Gib Acht, Andreas, daß du nicht so gescheidt wirst, wie deine Frau Muhme!“ Wir haben lauter blaue und rothe Regen- schirme gemacht, haben sie dann in großen Bünden auf Jahrmärkte getragen und verkauft. Einen gro- ßen Schirm haben wir über unsere Waare ge- spannt, und die Marktbude ist fertig gewesen. Und wenn das Geschäft so gut ist gegangen, daß wir letztlich auch die Bude verkauft, so sind wir allbeide in ein Wirthshaus gegangen, und haben uns was gut sein lassen. Ansonsten aber haben wir die Waare in Bünden wieder nach Hause getragen und daheim eine warme Suppe ge- nossen. Wie mein Meister über die siebzig Jahr alt ist, wird ihm das blaue und rothe Zwilchtuch jählings nicht mehr recht; hat müssen ein ander Gezelt haben — ist mir gestorben. Gestorben wie mein Vater. Ich bin der Erbe gewesen. Zweithalb Dutzend Schirme sind da; die pack’ ich eines Tages auf und trag sie dem Markte zu. Auf demselbigen Markt hab ich Glück gehabt. Er ist in einem Thal nicht gar weit von der Stadt. Menschen in Ueber- fluß, aber die Wenigsten werden sich zur Morgen- frühe gedacht haben, sie gehen auf den Markt, daß sie Regenschirme kauften. Kommt zur Mittagszeit jählings ein Wetter- regen; wie weggeschwemmt sind die Leute vom Platz, und mit ihnen meine Schirme. Ein allein- ziger ist mir noch geblieben für mich selber, daß ich trocken bliebe mitsammt meinem gelösten Geld. Was läuft doch über den Platz ein Mann daher, daß alle Lachen spritzen! Meinen Regenschirm will er kaufen. „Hätt’ ich selber keinen!“ sage ich. „Hab schon manchen Schuster barfuß laufen sehen,“ lacht der Mann, „aber hörst, Junge, wir richten uns die Sach’ schlau ein. Bist du aus der Stadt?“ „Ja,“ sag’ ich, „aber kein Schuster.“ „Das macht nichts. Ein Wagen ist nicht zu haben; so gehen wir zusammen, Bursche, und be- nützen den Schirm gemeinsam; letztlich magst ihn behalten oder das Geld dafür haben.“ Gottesschad’ wär’s um den feinen Rock, den er an hat, denk ich, und sag: „So ist es mir recht.“ Arm in Arm bin ich, der Schirmmacher- bursch mit dem vornehmen Herrn in die Stadt gegangen. Wir haben unterwegs miteinander ge- plaudert. Er hat es so zu fügen gewußt, daß ich ihm nach und nach all meine Verhältnisse und meine ganze Lebensgeschichte erzählt hab. Der Regen hört auf; die Sonne scheint, ich trage den Schirm noch offen über der Achsel, daß er trocknen mag. Wir kommen zur Stadt, da will ich zurückbleiben — es ist nicht schicksam, daß ich mit einem so feinen Herrn durch die Stadt gehe. Er hat mich aber freundlich eingeladen, nur mit ihm zu kommen. Er hat mich zuletzt mit in sein Haus geführt, hat mir Speise und Trank vorsetzen lassen, hat mich endlich gar gefragt, ob ich nicht bei ihm bleiben wolle, er stehe einer großen Bü- cherei vor und benöthige einen Handlanger in der- selben. Was weiß ich unfertiger Mensch mit der Schirmmacherei anzufangen? Ich werde Handlanger in der Bücherei. Damalen hab ich’s gut gehabt. Mit meinem Herrn bin ich zufrieden gewesen; der hat mir das Regenschirmdach reichlich erstattet; kein gröblich Lüftchen hat mich beleidigt unter seinem Dach. Aber die Handlangerarbeit hat mir nicht von Statten gehen wollen. Der helle Fürwitz ist’s ge- wesen; mit jedem Buch, daß ich zur Hand bekom- men, hätt ich auch gleich Bekanntschaft machen mögen. Allerweile hab ich’s mit den Aufschrift- blättern und Inhaltsverzeichnissen zu thun gehabt, und ich hab das, was mir insonderheit erfahrens- wert geschienen, gar zu lesen angefangen. Auf das Zurechtstellen und Ordnen der Bücher hab ich ver- gessen. Was sagt mein Herr eines Tages zu mir? — „Bursche, für das Auswendige der Bücher bist du nicht zu brauchen, du mußt in das Inwendige hinein. Mir dünkt es gut, daß ich dich in einer Lehranstalt unterbringe. „Ja freilich, ja freilich — das ist ja mein heimlich Verlangen.“ „Es wird gelingen, dich in die dasige Ge- lehrtenschule zu stellen, du wirst rechtschaffen und fleißig sein, wirst Unterstützung finden; es geht rasch aufwärts und kehr die Hand, wird’s heißen: Herr Doktor Erdmann!“ Ganz heiß wird mir bei diesen Worten. Nicht gar lange nachher und mir ist noch heißer ge- worden. Mein Brotherr hat es durchgesetzt; ich bin in die Gelehrtenschule gekommen und schnurgerade mitten hinein in das Innere der Bücher. Aber in der Schule, da werden Einem trutz die allerlang- weiligsten Bücher in die Hand gegeben; die kurz- weiligen sind allsammt verboten. Dinge, die mich auswendig und einwendig gar nichts angegangen, hab ich müssen in meinen Kopf hineintrichtern. Das ist eine Pein gewesen; denn damalen haben mir meine Jahre und Lebensumstände den Kopf schon vollgepfropft gehabt mit tausend anderen Dingen. Eine mannigfaltige Speiskarte ist mein Wo- chenkalender gewesen. Mein Mittagstisch ist gestan- den: Am Montag bei einem Lehrer; am Dienstag bei einem Freiherrn; am Mittwoch bei einem Kaufmann; am Donnerstag bei einem Schul- genossen, der ein reicher Tuchmacherssohn gewesen und mich zu sich in einen Gasthof geladen hat. Am Freitag hab ich bei einem alten Obersten gegessen; am Samstag bei sehr armen Leuten in einer Dachstube, denen ich dafür die Kinder im Rechnen unterrichtet; und am Sonntag bin ich bei meinem Schutzherrn gewesen, dem Vorsteher der Bücherei. Auch habe ich von all diesen Menschen Kleider an meinem Leibe getragen. So ist es jahrelang gewesen. Da hat mich mein Dienstagtischherr für sein Söhnlein zum Hauslehrer bestellt. Jetzo ist’s schon besser gegangen. Zuerst habe ich den armen Leuten in der Dach- stube das Mittagsmahl nachgelassen, aber die Pflicht empfunden, den Unterricht ihrer Kinder fortzusetzen. Ein Weiteres ist gewesen, daß ich ein- mal meinen Frack anziehe — der ist sehr fein und vornehm, ist auch für mich nicht gemacht worden — und meine Muhme besuche. Meine Muhme macht zierliche Bücklinge und nennt mich ihren lieben, sehr lieben Herrn Vetter. Wie freudig ich auch anfangs drein gegangen bin in meinem Lernen, es ist mir gar bald ver- leidet worden. Da habe ich vormalen immer ge- meint, in einer Gelehrtenschule würde man Himmel und Erde erfassen, und alles, was darin ist im schönen Zusammenhange erkennen lernen; sie thun ja so, als ob sie das Alles zutiefst inne hätten, die Herren Gelehrten, wenn sie im Scheine hoher Würde über die Gasse gehen. Das hat mich sauber betrogen. Für Einen, der nur studirt, um ein lustiger Student sein zu können; für Einen, der nur lernt, um dereinstmalen als „Gelehrter“ zu prunken, oder als solcher sein Brot zu erwerben — für so Einen mag diese Gelehrtenschule taugen. Für Einen nach wahrem Wissen und Erkennen Strebenden aber ist sie ein erbärmlich Ding. Ein sehr erbärmlich Ding. Schöne Gegenstände sind auf dem Lehrplan gestanden. Schon in den unteren Abtheilungen haben wir Erdbeschreibung, Geschichte, Meß- und Größenlehre, Sprachlehre u. s. w. gehabt. Die verkehrte Welt ist’s gewesen. In der Erdbeschrei- bung haben wir statt Länder- und Völkerkunde nur die Größe der Fürstenthümer und ihrer Städte vor Augen gehabt. In der Geschichte haben wir, anstatt der naturgemäßen Entwickelung der Mensch- heit nachzuspüren, spitzfindige Staatenklügelei ge- trieben; der Lehrer hat allfort nur von hohen Fürstenhäusern und ihren Stammbäumen, Umtrie- ben und Schlachten geschwätzt; sonst hat der Wicht nichts gewußt. In der Meßlehre haben wir uns mit Beispielen abgeplagt, die weder der Lehrer noch der Schüler verstanden und im Leben schier gar nicht vorkommen. Die Sprachlehre ist schon gar ein Elend gewesen. Ach, die schöne arme deutsche Sprache ist zugerichtet, daß Einem das Herz möcht’ brechen. Seit vielen Jahren ist sie von der welschen belagert, ja hochnothpeinlich auf die Folter gespannt. Und wollt’s ein deutscher Bursche einmal versuchen, seine reinen Mutterlaute wieder zu Ehren zu bringen, allsogleich thaten die hochgelahrten Herren zu Dutzenden herbeistürzen mit ihrem Griechisch und Latein, um mit dem todten Buchstaben der todten Sprachen auch den deutschen Laut zu tödten. Ich weiß recht gut, welch hohen Segen die Sprache des Homer und Virgil für unsere arg geschändete deutsche Zunge in sich trägt; davon zeugt unser Klopstock und Schiller. Aber die gelehrten Pharisäer, von denen ich rede, gehen auf den Buchstaben und nicht auf den Geist. Mit überflüßigen Dingen pferchen sie uns den Kopf voll. Die unsinnigsten Lehrsätze, vor Jahrhunderten von verkehrten Köpfen erfunden, müssen wir auswendig lernen; … ja, wenn ich all das Erbärmliche wollte beschreiben! — Und wer das dürre Zeug nicht mag und kann, der wird von den Lehrern mißhandelt. Wir sind schutzlos; sie haben uns in ihrer Gewalt. Beliebt es ihnen, Spässe zu machen, so müssen dieselben uns geistreich sein. Haben sie Zahnschmerz, so müssen wir es entgelten. Ach, das ist ein böses Gehetze und Geplage; für unbemittelte Bursche schon gar ein Elend! Während ich an der Anstalt gewesen, haben sich drei Schüler um’s Leben gebracht. — Auch gut, hat der Leiter der Schule gesagt, was sich nicht biegt, das muß brechen. Und das ist die Grabrede gewesen. Da ist es am ersten Tage nach einem solchen Selbstmord, daß ich daran komme, in der lateini- schen Sprache über das Wesen der römischen Welt- unterjocher vor meinen Lehrern und Lerngenossen eine Rede zu halten. Ich komme geradewegs von der Bahre meines unglücklichen Kameraden und hocherregten Gemüthes besteige ich den Redestuhl. „Ich will vergleichen zwischen den Römern und den Deutschen,“ rufe ich, „die alten Tyrannen haben den Körper geknechtet, die neuen knechten den Geist. Da draußen in der finsteren Kammer, verlassen und aller Ehre beraubt, liegt Einer, zu todte gehetzt, nicht das einzige Opfer, das seine Befreiung im Tode gesucht . . . .“ Ich mag noch einige Worte gesagt haben; dann aber nahen sie und führen mich lächelnd vom Redestuhl herab. „Der Erdmann ist verwirrt,“ sagt einer der Lehrer, „nicht deutsch, sondern lateinisch soll er sprechen. Demnächst wird Er’s besser machen.“ Bin nach Hause getaumelt wie ein Narr. Heinrich, der Tuchmacherssohn, mein Tisch- und Schulgenosse eilt mir nach: „Andreas, was hast du gethan? was hast du geredet?“ „Zu wenig, viel zu wenig,“ sage ich. „Das wird dich verderben, Andreas; kehre sogleich um und leiste den Herren Abbitte.“ Da lache ich dem Freunde in das Gesicht. Er faßt mich jedoch tiefbewegt an der Hand und sagt: „Wahr ist es, bei Gott, was du gesprochen. Wir empfinden es Alle, aber just deswegen werden dir die Herren das Wort nimmer verzeihen.“ „Das sollen sie auch nicht,“ entgegne ich in meinem Stolze. Heinrich schweigt eine Weile und geht neben mir her. Endlich sagt er: „Ein wenig klüger mußt du werden, Andreas; und jetzt geh’ und fasse dich.“ Meine Hand zittert, da sie das schreibt; es ist aber Alles schon vorbei. Ein Jahr vor dieser obigen Begebenheit hat mir mein Freund Heinrich die Unterrichtsstelle ver- mittelt, und zwar in dem vornehmen Hause des Freiherrn von Schrankenheim. Meine Aufgabe ist nicht groß, einen Knaben habe ich zu unterrichten und für die Lehrgegenstände der Hochschule vor- zubereiten. In diesem Hause ist es mir gut ergan- gen und ich habe nicht mehr nöthig gehabt, mein Mittagsbrot an verschiedenen Tischen zu erbetteln. Mein Schüler Hermann, ein prächtiger, lernbegie- riger Bursche hat mich lieb gehabt. So auch seine Schwester, ein außerordentlich schönes Mädchen — ich bin von Herzen ihr Freund gewesen. Aber, wie die Zeit so hingeht, da wird mir zuweilen kindisch zu Muthe, wird mir fortweg schwüler und unbehaglicher in dem reichen Hause. Ein wenig ungeschickt und linkisch bin ich immer gewesen — jetzund wird’s noch ärger. Ich habe keinen festen Boden unter den Füßen und zuweilen kein rechtes Vertrauen zu mir selber. Die Leute im Hause wissen es Alle, das ich ein blutarmer Junge bin, und sie vergessen es keinen Augenblick; sie zeigen sich gar mitleidig und selbst die Dienerschaft will mir oftmals kleine Geschenke zu- stecken. Gerade allein mein Zögling hat Feingefühl, ist lustig und zutraulich zu mir; und das Mäd- chen — o Gott, o mein Gott, das ist ein schönes, schönes Kind gewesen. Wenn ich des Abends gewandelt bin außer der Stadt und über entlegene Wiesen, oder an buschigen Lehnen hin, und es hat mir ein Blüthen- blatt um das Haupt getanzt, oder es ist mir eine Heuschrecke über den Fuß gehüpft, da hab’ ich oft- mals bei mir gedacht, was es doch eine Glückselig- keit wäre, schön und reich zu sein. Die Zwerge von dem nahen Untersberg und den Kaiser Karl habe ich angerufen in meiner tiefen Einfalt. Heiß ist mir geworden in der Brust; geschwärmt habe ich von „Blumen und Sternen und ihren Augen.“ — Von wessen Augen? da schrecke ich auf — Jesus, was ist das? Andreas, Andreas, was soll daraus werden? — Dazumal bin ich achtzehn Jahre alt gewesen. Aus Rand und Band bin ich eines Tages zu meinem Freunde Heinrich gelaufen — hab’ ihm Alles anvertraut. Heinrich hat mich sonst am Besten verstanden von allen Menschen. Aber diesmal hat er mir den Rath gegeben, ich möge mich bezwin- gen; es ginge fast allen jungen Leuten so, wie mir, aber es ginge vorüber. — Kaum um fünf Jahre älter als ich, hat er so altklug gesprochen. So bin ich ganz allein. Da denke ich bei mir: Gleichwohl jung an Jahren, kann ich die Sache doch auch ruhig überlegen — trutz altkluger Leute. Daß ich arm bin, das verspürt Keiner so, als ich selber; daß ich bescheidener Herkunft bin, das treibt mich, aus mir selber etwas zu machen. Recht hat er, ich werde mich bezwingen; aber nur, wenn ich vor meinen Lehrern stehe. Ich werde meine eigenmächtig strebenden Neigun- gen bezähmen und mich mit Fleiß und Ausdauer der Anstalt unterwerfen. Trotz all des Unsinnes und der Ungerechtigkeit, so durchlaufen werden muß, ist man in ein par Jahren Doktor, hoch- weiser Magister. Und hochweise Magister dürfen um Freiherrn- töchter freien. Eines Mannes würdig werde ich hintreten und um sie werben. — Noch habe ich meine Absicht in mir ver- schlossen; habe mich aber mit ganzer Seele mei- nem Studium ergeben, bin unter meinen Genossen einer der Ersten gewesen. Prächtig ist es vorwärts gegangen und meinem Ziele näher und näher. Schon sehe ich den Tag, an welchem ich, ein Mann von Stand und Würde die Jungfrau freien werde. Im Hause haben sie mich Alle so lieb; der Freiherr ist nicht adelsstolz und mag gerne einen Gelehrten zum Tochtermann haben. Bin wol in Freude und Glück gewesen. Da haben mich meine Lehrer bei der Hauptprüfung — geworfen. Schnurgerade bin ich nach Hause gegangen an demselbigen Tag, bin hingetreten vor den Vater meines Zöglings: „Herr, ich habe großen Dank für Ihre Güte zu mir. Länger kann ich in Ihrem Hause nicht bleiben.“ Er sieht mich sehr verwundert an und ent- gegnet nach einer Weile: „Was wollen Sie denn beginnen?“ „Ich muß fortgehen von dieser Stadt.“ „Und wo werden Sie hingehen?“ „Das weiß ich nicht.“ Der gute Mann hat mir mit ruhigen Wor- ten gesagt, daß ich überspannt und wol krank sein müsse. Was mir geschehen, könne auch Anderen geschehen; er wolle mich pflegen lassen, und im Frieden seines Hauses würde ich mich wieder erholen und über’s Jahr die Prüfung gewiß mit Glück bestehen. Hierauf habe ich meine Absicht, fortzugehen, noch bestimmter dargethan; ich habe es wol gewußt, die Ursache meines Falles ist die deutsche Rede über die lateinischen Weltunterjocher gewesen, und in meinen Verhältnissen würde ich eine Haupt- prüfung nimmer bestehen. Heinrich hat Recht gehabt. „Gut, mein Herr,“ ist der Bescheid des Edel- mannes, „ich entlasse sie denn.“ Bei wem soll ich mich verabschieden? Bei meinem jungen Zögling? Bei der Jungfrau? Herrgott, führe mich nicht in Versuchung! Sie ist noch gar so jung. Sie hat mich freundlich und heiter entlassen. Ein Schlucker geht davon, ein gemachter Mann kehrt vielleicht wieder zurück. Mehr Trotz als Muth ist in mir gewesen. Meine alte Muhme habe ich noch besucht. Jetztund, wie ich nicht mehr im feinen Frack, sondern in einem groben Zwilchrock vor ihr stehe und ihr meinen Entschluß sage, daß ich fortginge, fort, vielleicht zur Rechten, vielleicht zur Linken hin — — da hat nicht viel gefehlt, daß ich wieder die ausdrucksvolle Bezeichnung bekomme. „Nein,“ ruft sie, „nein, aber du bist ein — ein — recht absonderlicher Mensch! Da ist er schon völlig ein braver, rechtschaffener Mann gewesen, und jetzt — ach, geh’ mir weiter!“ Sie ist meine einzige Verwandte auf der Welt. Zu Heinrich bin ich endlich gegangen: „Ich danke dir zu tausendmal für deine Lieb’! du ge- treuer Freund, wie thut es mir weh’, daß ich sie dir nicht lohnen kann. Du weißt, was geschehen ist. Wie du mich hier siehst, so gehe ich davon. Habe ich etwas Bedeutendes vollbracht, so werde ich wiederkehren und dir vergelten.“ Es ist mir nicht mehr erinnerlich, ob ich ihm auch noch das schmerzenreiche, das wonnige Wort Rosegger: Waldschulmeister. 4 ausgesprochen habe. Jung, sehr jung bin ich frei- lich gewesen, als ich meinen Fuß hab’ gesetzt in die weite Welt. Heinrich hat mich eine weite Strecke begleitet. Am Scheidewege hat er mich gezwungen, seine Baarschaft anzunehmen. Brust an Brust haben wir uns ewige Treue gelobt, dann sind wir geschieden. O: Heinrich! du gutes, du goldgetreues Herz, du hast es gut mit mir gehalten. Und ich habe es dir schlecht — gar höllisch schlecht gelohnt. Heinrich! . . . . Die Sonne geht von Morgen gegen Abend; sie hat mir meinen Weg gewiesen. „Ade, Welt, ich gehe nach Tirol!“ hab ich gesagt; im Tiroler- land thun sich jetztund die Leut’ zusammen gegen den Feind. Der Höllenmensch Bonaparte führt die Franzosen ein, will uns das Vaterland zertreten ganz und gar. Nach etlichen Tagen steig ich zu Innsbruck die Burgtreppen hinan. „Mit dem Andreas Hofer will ich reden!“ sag ich zum Thorwart. „Wer wehrt dir’s denn!“ sagt der und stößt seinen Spieß auf den Marmelstein, daß es gerade klingt. Ich geh durch Zimmer dreie oder vier, eines vornehmer wie das andere; große Spiegel an den Wänden, funkelnde Kronleuchter an den Decken, und gar der Fußboden glänzt, wo nicht bunte Webematten gebreitet sind, wie Glas und Edelholz. Bauernbursche gehen aus und ein, singen, pfeifen, poltern, rauchen Tabak und sind in Alpen- tracht von den derben Nägelschuhen bis hinauf zum spitzen Hahnenfederhut. Letztlich stehe ich in einer großen Stube; sitzen ein par bäuerliche Männer am Schreibtisch, ein par andere stehen daneben, laden ihre großen Pfeifen mit Tabak, halten baierische Geldnoten über eine brennende Kerze und zünden sich damit das Rauchzeug an. „Will mit dem Andreas Hofer sprechen,“ sage ich. Da steht ein Mann in Hemdärmeln mit einem großmächtigen Vollbart auf: „Was willst denn?“ „Ich will zu der Wehr gehen?“ Der bärtige Mann — es ist der Hofer über und über — schaut mich an und nicht allzu- laut sagt er: „Bist gleichwohl noch recht jung? Hast Vater und Mutter?“ „Nimmermehr.“ „Bist vom Land Tirol?“ „Nicht just eben, aber gleich von der Nach- barschaft her.“ „Wol ein Studiosus? willst Geistlich werden?“ „Zur Wehr möcht ich gehen und für’s Vater- land streiten.“ 4* Nun greift er in den Ledergurt, zieht eine Handvoll Silbergeld heraus: „Da, Bursche, Gott gesegne’s; magst nach Wien gehen und dich beim Karl werben lassen. Bist ein unerfahrener Mensch. Bist unser Landsmann nicht.“ Ich mach meine Begrüßung und will mich kehren. „He, da!“ ruft er mir nach, hält mir das Silbergeld vor. „Ich sage meinen Dank. Das Geld brauch’ ich nicht.“ Jetztund, wie ich das gesagt, hebt dem Mann das Aug’ an zu glühen: „Das ist wacker, das ist brav!“ ruft er, „kannst bleiben. Brauch’ einen Schreiber, der eine gute Schrift und ein gutes Gewissen hat.“ „Mein Gewissen ist auch für einen Soldaten gut genug,“ sage ich finster. „He Seppli!“ schreit d’rauf der Hofer, „weis’ dem Mann Messer und Stutzen bei! — Schau, das ist brav!“ er preßt mir die Hand, „Arbeit werden wir schon kriegen, selbander.“ Ich bin Kriegsmann, Tirolerschütz’. Arbeit hat es bald gegeben. Die Franzen und die Baiern, und etwan auch die Oesterreicher hinten haben es nicht ge- litten, daß in der Burg zu Innsbruck ein Bauer sollt’ König sein. Mit Haufen ist der früher von den Tirolern dreimal geschlagene Feind eingebro- chen in’s Land. Der Stutzen ist mir besser in die Hand gegangen, als ich vermeint. All Vergangenes hab’ ich vergessen, nur meinen Freund Heinrich hätt’ ich an der Seit’ mögen haben gegen den Feind. Eine welsche Fahne hab ich genommen und wie ich die zweit’ will holen, haben sie mich er- tappt. Drei bärtige Franzen haben mir wüthenden Knaben lachend das Wehrzeug abgenommen . . . . Gefangen haben sie mich dann davongeschleppt, durch das Baiern- und Schwabenland hinein in das Frankenreich. Ich mag die Zeit nicht wieder beschreiben. Eine Hundenoth ist es gewesen. Eine Hundenoth, nicht weil ich drei Jahr lang gelegen bin in der Gefangenschaft eines fremden Landes; sondern weil ich ein Empörer gegen mein eigen Land. Gegen des Kaisers Willen — hat es geheißen — hätten sich die Tiroler erhoben, denn von seiner Hand seien sie den Baiern zugetheilt gewesen. Deutsche Lands- leute selber haben es gesagt, und so ist mein Her- zensunglück angegangen. — Anstatt ein Helden- werk hast du eine böse That vollführen helfen, Andreas; nicht als braver Kriegsmann! — aber als Abtrünniger liegst du in Ketten. Von einem großen Feldzug nach Rußland und in’s Morgenland hinein wird gesprochen. Selb- under werde ich, wie viele andere meiner Lands- leute, frei. Viele Andere haben der Heimat zuge- strebt. Ich weiß von einer Heimat nichts; darf nichts wissen. Blutarme Narren, wie ich einer bin, sind in der Heimat übler daran, als anderswo. Und als Empörer, der ich nun bin, kehre ich schon gar nicht heim. Ich will das arge Fehl sühnen, daß ich gegen den großen Feldherrn rechtlos die Waffen geführt, ich will mit seinen Schaaren zie- hen, um die Völker des Morgenlandes befreien und der Hut des Abendlandes unterordnen zu helfen. — Ein großes Ziel, Andreas, aber ein weiter Weg! Die Deutschen haben uns den Weg schwer gemacht, aber der Feldherr ist wie ein Blitz hingefahren in die zerrissenen Völkerfetzen, die kei- nen großen Gedanken gehabt und keine große That. Und das Heer der Russen haben wir vor uns hin- geschoben über die wilden Steppen und endlosen Schneeheiden, viele Wochen lang. Aber zu Moskau hat der Russe den Feuerbrand geschleudert zwischen sich und uns, mitten in seine eigene Hauptstadt hinein. — Jetztund stehen wir zutiefst im Lande des ewigen Winters, und sind ohne Halt und Stätte und Mittel. Mensch und Schöpfung allmit- sammt ist unser Feind gewesen. Da hat’s der Feldherr gesehen, es geht bös’ in die Brüch’, und wir haben uns zur Umkehr gewendet. — O, die vielen Sturmwüsten, die hundert Eisströme, die tausend und tausend Schneegräber, die gewesen sind zwischen uns und dem Vaterland! — Wer mar- schiren kann und seine erstarrten Beine mag ab- schleifen bis auf die Knie; wer dem sterbenden Gefährten den letzten Fetzen vom Leib mag reißen, um sich selber zu decken; wer das warme Blut will saugen aus seinen eigenen Adern, und das Fleisch von gefallenen Rossen und getödteten Wöl- fen will verzehren; wer mit den Decken des Schnee’s sich kann erwärmen und in den Flüssen mit den Wellen des Wassers und mit den Schollen des Eises versteht zu ringen, und obendrein den Schreck und den Gram und die Verzweiflung weiß zu besiegen — vielleicht, daß er seine Heimat sieht. Erstarrt wie mein Leib ist meine Seel’ und mein Gedanken — in einer Wildniß, unter den schneebelasteten Aesten einer Tanne bin ich liegen geblieben . . . . Ein räucherig Holzgelaß, und ein lebendig Feuer, und ein langbärtiger Mann, und ein braun- färbig Mädchen haben mich umgeben, als ich er- wacht bin auf einem Lager von Flechten. Eine Pelzhaut ist auf meinem Körper gelegen. Draußen hat es getost wie ein wildes Wasser oder wie ein Sturm. — Das sind gute, freundliche Augen gewesen, die aus den zwei Menschen mich angeschaut haben. Der Mann hat des Feuers gepflegt; das Mädchen hat mir Milch in den Mund geflößt. In ihrer rauhen Sprache haben sie Worte gewechselt; ich hab kein einziges verstanden. An Heinrich habe ich gedacht, an den lieben Laut seiner Worte . . . . Mein Leib hat mich fürchterlich geschmerzt; der Mann hat ihn in ein nasses Tuch geschlagen. Das Mädchen hat mir ein kleines Kreuz mit zwei Gegenbalken vor die Augen gehalten und dabei etwas gemurmelt, wie ein Gebet. — Sie betet den Sterbesegen, Andreas! Du liebes Freundeshaus in Feindesland, was in dir weiter mit mir gewesen ist, das weiß ich nicht mehr zu denken. Das braune Mädchen hat seine Hand oftmals an meine Stirne gelegt. Wär’s dazumal dazu gekommen, es wär ein schönes Ster- ben gewesen. Es hat sich anders zugetragen. Noch heute hör ich den Schlag, der die Hüttenthür hat zertrümmert. Kriegsgefährten sind eingedrungen, haben den alten Mann mißhandelt und das braun- färbige Mädchen von meinem Lager gestoßen. Mich haben sie davon getragen, hin durch den Sturm und hin durch die Wildnissen — dem Heere nach. Mir aber ist gewesen, als thäten sie mich schleppen aus der Heimat fort . . . . Gottes ist die Welt allüberall. Aber die Gefährten haben mich nicht zurückgelassen; das hat mich doch wieder im Herzen gefreut. Fest und treu will ich sein, will zu ihnen halten und meinem großen Feld- herrn dienen. Am Rhein bin ich genesen. Und zur neuen Frühjahrszeit ein neues Leben hab ich in mir empfunden. Ein Bursch’, der dreiundzwanzig Jahre zählt, hab ich geglüht für das Hohe und Rechte, für das Gemeinsame, für die Menschenbrüder aller Himmelsstriche; hab’ in Begeisterung mit meinen Schaaren ausgerufen: „Ein Gott im Himmel und ein Herr auf Erden!“ Er ist der Befreier, der Fürstenhader muß enden. Die deutschen Stämme müssen ein großes einiges Volk werden! — Solche Gedanken haben mich begeistert. Des Feldherrn finsteres Aug’, wie ein Blitz in der Nacht, hat uns Alle entflammt. Gegen das Sachsenland sind wir gezogen, um dort den Streit für unseren Herrn auszukämpfen, und das schöne deutsche Land unter seinen Schutz zu stellen. Bei Lützen hab ich einem welschen Feldherrn das Leben geschützt; vor Dresden hab ich dem Blücher das Roß niedergestochen; bei Leipzig hab ich meinen Heinrich erschossen . . . . — — — — — — — — — — „Andreas!“ das ist sein Todesschrei gewesen. An dem hab ich ihn erkannt. Mitten aus der Brust ist der Blutquell gesprungen. — Mein Gewehr hab ich um einen Stein geschlagen, daß es zerschmettert; waffenlos bin ich in die Schlacht gerast; mit seinem eigenen Schwert hab ich einem Franzosenführer den Schädel gespalten. Was hat’s genützt? ich hab doch gegen mein Vaterland gestritten, gegen die Brüder, die meine Sprache reden, während ich meine welschen Gefähr- ten kaum verstanden. Und ich hab meinen Heinrich erschossen. Ach, wie spät gehen mir die Augen auf! — Bist ein unerfahrner Mensch. Geh nach Wien zum Karl! — Du getreuer Hofer, hätt’ ich deinen Wink befolgt! — Wol, auch deine Fahne ist gut gewesen, und herrlicher, als alle anderen im weiten Land. Von der Stund an, da mir der Glauben an sie aus dem Herzen gerissen worden, ist mein Unglück angegangen. Die Lieb’ zur freien Welt hat mich in die Gefangenschaft gebracht; die Sühne meines eigenen Fehls hat mich in Noth und Qual geführt; die Treue zu meinem Feld- herrn und die Sehnsucht nach einem Großen und Gemeinsamen hat mich zum Verräther meines Vaterlandes, zum Mörder meines Freundes ge- macht. — Andreas, wenn dich schon die Tugend zum Verbrechen führt, wohin erst hätte dich böse Absicht gestürzt? — den treuen Führer hast du stolz abgelehnt, da hat dir Erfahrung und Füh- rung gemangelt. — Andreas! du hast dich dem Handwerk und der Wissenschaft und dem Soldaten- leben zugewendet; Armut, Wirrniß und Reue hast du geärntet. Fremde Menschen haben dich gehegt und gepflegt wie einen Sohn und Bruder; sie sind dafür mißhandelt worden. Du bringst der Welt und den Menschen nichts Gutes; Andreas, du mußt in die tiefste Wildniß gehen und ein Ein- siedler sein! — Im Sachsenlande, unter den Balken einer Windmühle hab’ ich mir diese Wahrheiten gesagt. Und darnach bin ich davon, bin geflohen durch das Böhmen- und Oesterreicherland, bin nach vielen Tagen in die Stadt Salzburg gekommen. Daß in dieser Stadt mich armen, kranken, herabgekommenen Teufel noch wer erkennen sollt’, hab ich nicht ge- fürchtet. Im Petershofe liegt mein Vater begraben, den Hügel hab ich sehen wollen, ehe ich mir eine Höhle suche in einer verlassenen Waldschlucht. Und wie ich so auf der kalten gefrornen Erde liege, und wieder einmal weinen kann aus tiefstem Her- zen über mein noch so blutjunges und so unglück- seliges Leben, da kommt ein Herr zwischen den Gräbern gegangen, frägt nach meiner Kümmerniß und schlägt die Hände zusammen. „Erdmann,“ ruft er aus, „Sie hier? und wie sehen Sie aus! kaum vier Jahre davon und kaum mehr zu er- kennen!“ Herr von Schrankenheim steht vor mir, der Vater meines einstigen Zöglings. Ich bin mit ihm zwischen den Hügeln auf und ab gegangen, hab’ ihm Alles erzählt. Mit nassen Augen drückt mir der Mann Geld in die Hand: „Da, schaffen Sie sich zu essen und Klei- der und kommen Sie dann in mein Haus. — Einsiedler werden, pah, das ist kein Gedanke für einen jungen, braven Burschen. Ihre Kleinmut müssen Sie überwinden, ein Weiteres wird sich geben.“ Mit großer Angst bin ich in sein Haus ge- gangen; denn die eine Narrheit hab ich noch nicht überwunden gehabt. Der Herr von Schrankenheim hat mich sei- nem Sohne vorgestellt. Ei, das ist schon ein recht hochgewachsener, zierlicher Herr geworden. Die Hände am Rücken hat er eine stille Verbeugung vor mir gemocht und nach kurzer Weile noch eine, und ist abgetreten. Hierauf hat mich der Vater in sein Arbeitsgemach geführt, hat mich auf den weichsten Sessel niedersitzen geheißen. „Erdmann,“ hebt er nachher an zu reden, „ist es Ihr wahrhaftiger Ernst, daß Sie in die Wildniß gehen und Einsiedler werden wollen?“ „Das ist für mich das Beste,“ antworte ich, „ich tauge nicht unter die Menschen, die in Lust und Freuden leben; mich haben die wenigen Jahre meiner Jugend herumgeworfen in Irren und Wir- ren, von einem Land in das andere, und in der Völker Noth. Herr, ich kenne die Welt und ich bin ihrer satt.“ „Sie sind kaum an die vierundzwanzig Jahre und noch nicht auf der Höhe Ihrer Kraft; und Sie wollen verzichten auf die Dienste, die Sie den Mitmenschen würden leisten können?“ Da horche ich auf; das Wort faßt mich an. „Wenn Sie meinen, Sie haben bislang nur Uebles gestiftet, warum wollen Sie sich aus dem Staube machen, ohne der Welt, dem Gemeinsamen auch das Gute zu geben, das gewiß in reichem Maße in Ihnen schlummert?“ Da erhebe ich mich von meinem Sitze: „Herr, so weisen Sie mir die Wege dazu!“ „Wohlan,“ sagt der Herr von Schranken- heim, vielleicht „kann ich es, wenn Sie wieder Platz nehmen und mich anhören wollen. — Erdmann, ich wüßte eine tiefe und wahrhaftige Einsiedelei, in welcher man den Menschen dienen und vielleicht Großes für das Gemeinsame wirken könnte. Weit von hier, tief drin in den Alpen, dehnen sich zwischen Felsgebirgen große Waldun- gen, in welchen Hirten, Schützen, Holzschläger, Kohlenbrenner beschäftigt sind, in welchen auch andere Menschen wohnen, wie sie sich etwa redlich zurückgezogen, oder unredlich geflüchtet haben, und die nun durch erlaubten oder unerlaubten Erwerb ihr Leben fristen. Wol wahr, es sind finstere Men- schen, in deren Herzen das Unglück oder noch was Aergeres nagt. Sie haben weder einen Priester, noch einen Arzt, noch einen Schullehrer in ihrer Nähe; sie sind ganz verlassen und abgesondert, und nur auf ihre Unbeholfenheit und auf ihr eigenes ungezügeltes Wesen angewiesen. — Ich bin der Eigenthümer der Waldungen. Ich habe seit längerer Zeit schon die Absicht, einen Mann in diese unwirthliche Gegend zu senden, der die Bewohner derselben ein wenig leite, ihnen mit redlichem Rathe beistehe, und die Kinder in Lesen und Schreiben unterrichte. Der Mann könnte sich gar sehr verdient machen. Es findet sich wahr- haftig so leicht Keiner dafür; es wäre denn Einer, der weltsatt in der Einsamkeit leben und doch für die Menschen wirken wolle. — Erdmann, was meinen Sie dazu?“ Nach diesen Worten ist mir jählings gewesen, als ob ich sogleich meine Hand hinhalten und sagen müßte: Ich bin der Mann dazu. Mit den Zuständen dieser alten Welt zerfallen, will ich in der Wildniß eine neue gründen. Eine neue Schule, eine neue Gemeine — ein neues Leben. Lasset mich heute noch ziehen! — So ist das Feuer doch nicht ganz todt; es sind zuweilen aus der Asche noch Funken gestoben. „Wir haben den Winter vor der Thür,“ redet der Herr weiter, „Sie bleiben den Winter über in meinem Hause und pflegen reiflicher Ueber- legung, und wenn wieder der Sommer kommt, und es gefällt Ihnen mein Antrag noch, so gehen Sie in die Wälder.“ So oft ich im Vorzimmer ein Kleid hab’ rauschen gehört, bin ich erschrocken, und letztlich hab’ ich den Herrn gebeten, er möge mich über den Winter ziehen lassen; mit den Schwalben würde ich wieder kommen und seinen Vorschlag annehmen. Er hat sich’s nicht nehmen lassen, mir die „Mittel“ für den Winter zu spenden; dann aber bin ich geflohen. Im Vorsaale ist eine Frauen- gestalt gestanden, an der bin ich vorübergehuscht, wie ein Wicht. Einen Tag bin ich gewandert bis in’s Wald- land an den See, wo meine Kindheit und meine Mutter begraben liegt. Und hier im Ort hab’ ich mir für den Winter ein Stübchen gemiethet. Oft- mals steige ich die Schneelehnen hinan, und stehe unter bemoosten Bäumen, wo es mir ist, als sei ich einmal mit meiner Mutter, mit meinem Vater gestanden; oftmals gehe ich über den gefrornen See, und denke an die Tage, in welchen ich im Kahn bei Vater und Mutter über die weichen Wellen gefahren bin. Das Abendroth ist auf den Bergen gestanden; der Sangschall einer Almerin hat an die Wände geschlagen. Mein Vater und meine Mutter haben auch helle Lieder gesungen. Das ist voreh gewesen; voreh . . . . Ich bin in Frankreich auf der Festung gele- gen drei Jahre lang; ich bin krank und sterbend in den Wüsten Rußlands geirrt und nun leb’ ich in dir, du mildes, trautes Stübchen am See. — Es wär’ ja Alles gut, die Zeit der Noth versinkt, wie ein Traumbild; — nur du solltest nimmer aufgegangen sein, du unglückseliger Tag im Sach- senland, du wirst mich ewiglich brennen. — Hein- rich, ich fürchte mich nicht vor deiner Grabgestalt; nur ein einzigmal trete zu mir, daß ich dir sag: es ist in Blindheit geschehen, ich kann nicht mehr anders — mit meinem eigenen Leben will ich’s löschen . . . . Nun ist es gut. Ich habe mich seit vielen Tagen geprüft; habe mein Vorleben erforscht, und es in kurzen Worten hier aufgeschrieben, auf daß es mir stets um so klarer vor Augen liege, wenn neue Wirrniß und Trübsal über mich kommen wird. Ich denke wol, daß ich die Schule des Lebens besser bestanden habe und noch bestehen mag, als die Schule der Bücher und todten Lehr- sätze. Ich bin zur Erkenntniß gekommen und mein Gemüth ist ruhig geworden. Wie ich meine Erleb- nisse und Verhältnisse, meine Eigenschaften und Neigungen genau überdacht habe, so glaube ich, es ist keine Vermessenheit, den Vorschlag des Frei- herrn von Schrankenheim anzunehmen. Bin ich von außen gleichwol noch recht jung, von innen bin ich hochbetagt. Von einem alten Mann ein guter Rath darf wol den Waldleuten willkommen sein. Salzburg. Am Tage des heiligen Antoni von Padua 1814. Es ist richtig, ich gehe in den Wald. Ich bin ausgerüstet und mit Allen fertig. Der Freiherr hat mir in Allem seinen Beistand zugesagt. Sein Sohn Hermann hat mich wieder mit einer freund- lichen Verbeugung begrüßt. Der junge Herr ist ein wenig blaß; er wird viel lernen. Seine Schwester . . . . (hier waren in der Urschrift zwei Zeilen so vielfach durchstrichen, daß sie vollständig unlesbar geworden sind). Meiner Muhme soll es wohl gehen. Ich habe ihr nicht das Leid anthun mögen, das sie bei mei- Rosegger: Waldschulmeister. 5 nem Aussehen und Vorhaben empfunden hätte; habe sie nicht mehr besucht. Nun bläst das Post- horn. Lebe wohl, du schöne Stadt! Schon drei Tage auf der Reise. Das ist doch ein freundlicheres Wandern, wie jenes auf den Wintersteppen. Vorgestern hat liebliches Hügelland mit ma- lerischen Gebirgsgegenden gewechselt. Gestern sind wir in ein breites freundliches Thal gekommen. Heute geht es fort Berg auf und ab, durch grüne Wälder und finstere Schluchten und an Felswänden hin. Jetzt wird die Straße allweg schmaler und holperiger; zuweilen müssen wir aus dem Wagen steigen und niedergebrochene Steinblöcke beseitigen, daß wir weiter fahren können. Gemsen und Rehe sehen wir mehr, als Menschen. Die heutige Nacht- herberge habe ich schuldig bleiben müssen. Die Geldnoten, die ich bei mir habe, können die Leute dieser Gegenden nicht wechseln. Ich hätte dem Wirth ein Pfand gelassen, aber er hat gemeint, wenn es sei, wie ich sage, daß ich in die Wälder der Winkelwässer gehe und alldorten verbleibe, so würde sich wol einmal eine Gelegenheit bieten, ihm den geringen Betrag zuzuschicken. Es käme zu Zei- ten ein Bote aus jenen Waldungen gegangen, der dieß gerne besorge. — Die Geldnoten muß ich zurückschicken und um kleine Münzen bitten. An diesem vierten Tage bin ich ausgesetzt worden. Die Postkutsche ist ihren Weg weiter gerollt; ich habe noch eine Weile das helle Horn klingen gehört im Walde, darauf ist Alles still gewesen, und ich sitze da bei meinem Bündel, mitten in der Wildniß. Durch die Waldschlucht rauscht ein Bach heraus, der die Winkel heißen soll, und dem ent- lang ein Fußsteig geht. Er geht über Gestein und Wurzeln und ist mit dürren Fichtennadeln vergan- gener Jahre besäet. Diesen Weg muß ich wandeln. Dort, durch die Wipfel sehe ich eine weiße Tafel blinken, das ist ein Schneefeld. — Und da drin sollen noch Menschen wohnen? — — — So weit hatte ich in den Schriften gelesen, da läutete es auf dem Thurme zum Zeichen der zwölften Stunde. Gleich darauf klopfte es an’s Fenster: Die Wirthin schicke mir einen Regen- schirm, wenn ich zum Essen gehen wolle. — Es 5* strömte der Regen und in zahllosen grauen Fäden rieselte es vom Dache. Nach Tische las ich weiter. Im Winkel. So will ich Alles aufschreiben. Für wen, das weiß ich nicht; etwan für den lieben Gott, wie dermaleinst das Brieflein, als mein Vater ge- storben. All das Seltsame und Bewegende, das ich erlebe, müßt’ mir das Herz zersprengen, dürft’ ich es nicht ausplaudern. Ich erzähle es dem Blatt Papier. Vielleicht findet sich dereinst ein Mensch, dem ich’s mag vertrauen, und sollt’ er mich auch nur zum halben Theil verstehen. Ihr stillen weißen Blätter wollt jetztund meine Freunde sein und theilnehmen an den Tagen, die mir nun kommen mögen. Ich trag heute noch ein frisches dunkles Haar, und ihr seid grau zumal; etwan überlebt ihr mich weit und seid mein zukünftig Geschlecht. Ein Blättchen Papier kann älter werden, Wie das frischeste Maiblatt auf Gottes Erden, Wie das flinkeste Gemslein am Felsenwall, Wie das lockige Kind im lieblichen Thal. Ein Blättchen Papier weiß und mild Ist oft das treueste einzige Bild, Das der Mensch zurückläßt künftigen Zeiten, Da über seinen Staub die Urenkel schreiten. Das Gebein ist zerstreut, der Grabstein verwittert, Das Haus zerfallen, die Werke zersplittert; Wer weist in der ewigen, großen Natur In der wir gewaltet, unsere Spur? Neue Menschen ringen mit neuem Geschick, Keiner denkt an die alten zurück. Da ist ein Blatt mit seinen bleichen Tintenstrichen oft das einzige Zeichen, Von dem Wesen, das einst gelebt und gelitten, Gelacht, geweint, genossen, gestritten; Und der Gedanke, dem Herzen entsprossen In Schmerz oder Lust und tollen Possen, Sinkt hier nieder, und der Ewigkeit Kuß Verhärtet ihn zu einem ewigen Guß. O, möge er geläutert in fernen Zeiten Wieder in die Herzen der Menschen gleiten! Meine Ankunft hier ist an einem Samstag gewesen. Als ich am Winkelbach hereingestolpert bin, ist mir schon hie und da so ein Waldteufel begegnet, wie sie braun und bärtig, voll Moos und Harz in ihren Lodenkitteln hier herumgehen. Sie sind anzuschauen, wie verbannte dürrästige Baumstrünke, die nach einem frischen Erdboden suchen, auf dem sie wieder wachsen und gedeihen mögen. Da sind sie gerne vor mir stehen geblie- ben, haben mit Schwamm und Stein Tabakfeuer geschlagen und mich finster oder völlig verwundert angeschaut. Mancher Augen haben so Funken ge- worfen, wie ihre Feuersteine. Andere sind wieder treuherzig und weisen mir den Weg. Ein sehr der- ber und sehr stemmiger Bursche, der eine Rücken- trage mit Säge, Axt, Mehlkübel und anderen Dingen getragen hat, ist, als er mich des Weges schreiten sieht, mißtrauisch bei Seite gestanden, und hat gemurmelt: „Gelobt sei Jesu Christ!“ „In Ewigkeit, Amen,“ ist meine Antwort, und als er diese hört, wird er zutraulich und geht eine Strecke mit mir. Endlich öffnet sich ein wenig das Thal. Es ist ein kleiner Kessel, in welchen aus verschiedenen Schluchten, und gar über das Gewände hernieder, das sich zu meiner linken Hand erhebt, mehrere Wässer zusammenfließen. Diese bilden die Winkel. Hier ist ein sehr dicker, oberseitig plattgehackter Baumstamm über den Bach gelegt, auf welchem der Fußsteig hinüberführt zu einem hölzernen Hause, das am Waldhange steht. Das ist die Försterschaft, das einzige größere Haus in diesen Wäldern. Weiter hin in den Gräben (Schluchten) und Hochthälern sind Hirten- oder Holzschläger- wohnungen, und jenseits der bewaldeten Bergrücken, wo schon große Blößen geschlagen sind und ein Koh- lenweg angelegt ist, stehen Dörfer von Köhlerhütten. Dieses kleine Thal heißen sie „im Winkel.“ Es ist noch fast ganz in seiner Urthümlichkeit, nur daß das stattliche Haus mit seiner kleinen, häus- lichen Umgebung darin steht, und der Fußpfad und der Weg dahin führt. Das Försterhaus nennen sie auch das Winkel- hüterhaus. Ich bin in dasselbe gegangen, habe in der Flur mein Bündel auf eine Truhe gestellt und mich selbst daneben hingesetzt. Der Förster ist just mit Arbeitsleuten be- schäftigt, die ihre Rait, das heißt, ihren vierwöchent- lichen Arbeitslohn einheben, wie es bei den Holz- leuten so Herkommen ist. Der Förster, ein sehr herrischer und ein sehr rothbärtiger Mann, hat die Leute gar rauh und kurz abgefertigt; und die Leute haben sich die Rauheit sehr gerne gefallen lassen und gar artig schweigsam ihr Geld eingestrichen. Nachdem das Geschäft geschlichtet worden, steht der Förster auf und reckt seine stemmigen Glieder, die in echter und rechter Jägertracht stecken. So trete ich jetztund zu ihm und überreiche ihm ein Schreiben, das ich von dem Eigenthümer der Wälder mitgebracht habe. In diesem Schreiben wird alles Wesentliche gestanden sein. Es ist mir eine gut eingerichtete Stube angewiesen worden. Eine kernige Frau, die da ist und umsichtig Alles ordnet, wie es ihr scheint, daß es nöthig und gut, ist mit in die Seiten ge- stemmten Armen jählings vor meiner offenen Thür stehen geblieben und hat laut und hell gerufen: „Jerum, jerum, so schaut ein Schulmeister aus?!“ Sie hat in ihrem Leben noch keinen Schul- meister gesehen. Ich bin bald eingerichtet, habe meine wenigen mitgebrachten Habseligkeiten in Ordnung. Da tritt der Förster in meine Stube. Er hat schier höflich angeklopft. Er besieht meine Wohnung und frägt: „Ist sie euch gut genug?“ „Sie ist gut genug.“ „Seid ihr zufrieden?“ „Ich hoffe, daß ich recht zufrieden sein werde.“ „So wird es recht sein.“ Darauf geht er mehrmals über die Dielen auf und ab und die beiden Hände in die Hosen- taschen gesteckt, bleibt er letztlich vor mir stehen: „Und nun seht zu, wie ihr anheben und fortkommen mögt. Ich gehe morgen davon und komme nur jeden Samstag in das Winkel herein. Die übrigen Tage habe ich in anderen Gegenden zu schaffen, meine Wohnung ist in Holdenschlag, vier Wegstunden von hier. — Gleich eine Schule aufrichten, lieber Mann, das schlagt euch wol aus dem Kopf. Erst müssen wir mit den Alten fertig werden. Ihr, ich sag’s, das sind Steinschädel! Und daß ihr’s nur gleich wißt, wir haben aller- hand Leut’ da in unseren Wäldern. Nachweisen läßt sich Keiner was Arges, aber sie sind herge- zogen von Aufgang und Niedergang — weßweg, das weiß der Herrgott. Zumeist sind es wol Bauersleut’ von den vorderen Gegenden herein, die sich in die Wälder geflüchtet haben, um der Wehrpflicht zu entrinnen. Gibt auch Gesellen unter ihnen, denen man in der dunklen Nacht nicht gerne begegnet. Wildschützen sind sie Alle. So lange sie nur auf das Thier des Waldes schießen, lassen wir sie frei herumgehen; das ist nicht zu ändern und man braucht ihrer Hände Arbeit. Wenn sie aber auch einmal einen Jäger niederbrennen, dann lassen wir sie wol aus dem Wald führen. Bewei- bet sind die meisten, aber Jeder hat die Seine nicht vom Traualtar geholt. Werdet Leute antreffen, die in diesem Jahrhundert noch keine Kirchenglocke gehört und keinen Chorrock gesehen haben. Werdet bald merken, was das bei den Leuten für Folgen hat. — Thut es, auf welche Weise ihr glaubt, aber ihr müßt vorerst die Leute kennen lernen. Und wenn ihr dann meint, ihr würdet auf sie einzuwirken vermögen, dann werden wir euch darin unterstützen. Ihr seid noch recht jung, mein Freund, gebt Acht und seid gescheit! — Wenn ihr wollt, so nehmt euch die erste Zeit einen Jungen, der euch mit der Gegend bekannt macht. Und wenn ihr was benöthigt, so wendet euch an mich. Ge- habt euch wohl!“ Nach diesen Worten ist er davon gegangen, Das, scheint es, ist nun mein Herr; möge er auch mein Schützer sein! Schon in der ersten Nacht habe ich in dem Strohbette sehr gut geschlafen. Das Rauschen, das vom Bach heraufkommt, thut mir wol. — Es ist der Brachmonat, aber die Sonne kommt sehr spät über den Waldberg herauf, daß sie freundlich in meine Stube luget. Ich bin des Morgens hinaus in das Freie gegangen. Wie ist es da frisch und grün und thauschimmernd, und über die Waldberge, so weit sie von dem engen Thal aus zu sehen, spinnt und webt sich das bläuliche Sonnen- tuch über die schattigen Lehnen. Gegen die Abend- seite hin streben die Vesten der Felsen auf, und oben am Rande stehen wie Schildwachen verwitterte Fichtenzwerge in die tiefe Bläue des Himmels hinein. Der Rand da oben soll aber noch lange die höchste Zinne nicht sein. Darüber kämen erst die Matten der Almen, wo jetzt die rothen Rosen blühen sollen in zahllosen Sträuchen; hernach kämen wieder Felswände, an denen das milde Edelweiß prangt und die rothen Tropfen der Kohl- röschen zittern, wie ich das als Hochschüler auf Ausflügen mehrmals gefunden habe. Ueber diesen Felsen legt es sich wol hin in weiten unwirthlichen Feldern des Schnee’s und des Eises, wie ich sie gestern als eine weiße Tafel schimmern hab gesehen. Wenn ich in meinen Aufgaben hierunten glücklich bin, so will ich einmal emporsteigen zu den Gletschern. Und über den Gletschern ragt letzt- lich der graue Zahn, von dessen Spitze aus, wie mir meine Wirthin hat gesagt, in weitesten Weiten das große Wasser soll zu sehen sein. Bin ich glück- lich hierunten, so gönne ich mir, daß ich von dem hohen Berge aus einmal das Meer erschaue. Ich bin in Krieg und Sturm durch die halbe Welt gerast, und hab nichts gesehen, als Staub und Stein; und jetzt in Ruh und Frieden der Einsamkeit geht mir ein Auge auf für die Schöpfung. Aber — Wildschützen, Soldatenflüchtlinge, wilde Gesellen, denen man zur Nacht nicht gerne begegnet! — Andreas, das wird ein heißes Tag- werk geben! Urwaldfrieden. Mir ist es schon recht im Walde. Die weni- gen Leute, die mich in den Wald gehen sehen, lugen mir nach und können es nicht verstehen, daß ich ein junger blühender Bursche so in der Ein- samkeit herumsteige. Ei ja, freilich, ich werde von Tag zu Tag jünger und hebe gar an, zu blühen. Ich genese. Das macht die frische, urthümliche Schöpfung, die mich umwebt. Gefühlsschwärmerei treibe ich nicht. Wie er einzieht durch die Augen und Ohren und all die Sinne, der liebe, der schöne Wald, so mag ich ihn genießen. Nur der Einsame findet den Wald; wo ihn Mehrere suchen, da flieht er, und nur die Bäume bleiben zurück. Sie sehen den Wald vor Bäumen nicht. Ja, noch mehr, oder zwar noch weniger, sie sehen auch die Bäume nicht. Sie sehen nur das Holz, das zum Zimmern oder Verkohlen, das Reisig, das zum Besen dient. Oder sie machen die grauen Augen der Gelahrtheit auf und sagen: Der da gehört in diese Klasse, oder in diese — als wie wenn die hundertjährigen Tannen und Eichen lauter Schulbuben wären. Mir ist es schon recht im Walde. Ich will, so lange ich ihn genieße, von seinem Zwecke, wie diesen Zweck die Gewinnsucht der Menschen ver- steht, kein Wort noch gehört haben; ich will so kindlich unwissend sein, als wär ich erst heute vom Himmel gefallen auf das weiche, kühle Moos im Schatten des Waldes. Ein Netz von Wurzeln umgibt mich, theils saugt es aus der Erde seinen Bäumen die Mutter- milch, theils sucht es den Moosboden und den Andreas Erdmann darauf mit sich zu verflechten. Ich ruhe sanft auf den Armen des Netzes — auf Mutterarmen. Geradeempor ragt der braune Stamm der Fichte und reckt einen reichen Kranz von knorrigen Aesten nach allen Seiten. Die Aeste haben lange, graue Bärte — so hängen die filzigen Flechten- fahnen nieder von Zweig zu Zweig. Wohlgeglättet und balsamtriefend ist die silberigschimmernde Tanne. In den rauhen, furchigen, verschnörkelten Rinden der Lärche aber ist mit den geheimnißvollen Zeichen der zahllosen Schrammen die ganze Weltgeschichte eingegraben, von dem Tage an, als der verbannte Brudermörder Kain zum erstenmale unter dem wilden Astgeflechte der Lärche geruht hat, bis zur Stunde, wo ein Anderer, auch ein Heimatloser, den Wohl- duft der weichen, hellgrünen Nadeln friedlich trinkt. Dunkel ist’s, wie in einem gothischen Tempel; nur der Nadelwald baut den Spitzbogenstyl. Oben- hin ragen die hunderttausend Thürmchen der Wipfel; dazwischen nieder auf den schattigen Grund leuchtet, wie in kleinen Täfelchen zerschnit- ten, die tiefe Himmelsbläue. Oder es segeln hoch oben weiße Wölkelein hin, und suchen mich zu erspähen, mich, das Würmchen im Waldfilz, und wehen mir einen Gruß zu — von . . . . Nein, sie ist geborgen unter stolzem Dache von Menschen- hand; ihr Wolken habt sie nicht gesehen, oder habt ihr sie? — Ach, sie wehen von fernen Oeden und Meeren. Da flüstert es, da säuselt es; es sprechen miteinander die Bäume. Es träumt der Wald. Eine schneeweiße, große Blüte weht heran; blühen die Nadelwälder denn nicht in den Bluts- tropfen ihrer purpurnen Zäpfchen? Woher die weiße Blüte? Es ist ein Schmetterling, der sich verirrt von seiner sonnigen Wiese und nun im Dunkel des Waldes angstvoll gaukelt. Wer bricht aber in den verwachsenen Kronen die Aeste entzwei, daß sie krachen und prasseln und in dürren Strünken niedertänzeln? Ein Habicht braust dahin mit einem grellen Pfiff und ein armes Waldhuhn muß sein Leben enden. Alle Wildtauben sind auf und girren ihr Sterbegebet — da knallt es, und nieder inmitten des schim- mernden, wogenden Kranzes der Tauben stürzt der getroffene Raubvogel. Unterwegs zum Grab will seine Klaue noch ein Opfer haschen und in dem brechenden Auge funkelt lange noch die Raubgier. All mein Lebtag hab ich keine so merk- würdige Webematte gesehen, als dieses bunte, wun- derbare Flechtwerk des Moosbodens. Das ist ein Wald im Kleinen und in dem Schooße seines Schattens ruhen vielleicht wieder Wesen, die wie ich das ewige Gewebe der Schöpfung betrachten. Hei, wie die Ameisen eilen und rennen, wie sie mit ihren haardicken Armen der kleinen Dinge kleinste umklammern, mit ihrem ätzenden Saft alles feindliche zu vergiften meinen; sie wollen gewiß auch noch die Welt gewinnen vor dem jüngsten Tag. Ein glänzender Käfer hat ihnen lange zuge- sehen, er denkt verächtlich über die mühsam Krie- chenden, denn er selbst hat Flügel. Jetzt flattert er übermütig empor und funkelnd kreist er hin, und plötzlich ist er umgarnt und gefesselt in zahllosen Stricken. Die Spinne hat an diesem Dinge schon lange still und emsig gearbeitet; ein Schleier, wie kostbarer keiner geflochten wird auf Erden, ist des strahlenden Käfers Leichenkleid geworden. Die Vöglein im Geäste wollen auch ihr Kunstwerk stellen; sie flechten, wo das Reisig am dichtesten ist, aus Halmen und Zweigen ein Wie- genkörbchen für ihre liebe Jugend. Und wenn ihnen die Sonne just recht am Himmel steht, so singen und jauchzen sie bei ihrer Arbeit, daß es in allen Nadeln und Bäumen wiederklingt, sonst aber hocken sie im Nest und schnäbeln und legen die zarten, buntstreifigen Eier. Ob es denn wahr ist, daß sich derselbe eine rothe Faden fortspinnt durch alle Geschlechter des Menschen- und Thierreiches bis hinab zum aller- kleinsten Wesen; ob denn Alles nach dem einen und selben Gesetze geht, was der König Salomon gethan auf seinem goldenen Throne, und was die träge sich wälzende Raupe thut unter dem Stein? Das möcht’ ich wol wissen. Husch, dort hüpft ein Reh und ein Hase, bricht sich der gekrönte Hirsch Bahn durch das Gestrüppe. Jeglicher Strauch thut auch so geheim- nißvoll, als ob er hundert Leben und Waldgeister in sich verberge. — Jetztund höre ich das Läuten der Hummel. Wenn in diesen Wäldern einmal eine Kirche gebaut würde und eine Glocke auf den Thurm käme — so müßte sie klingen. — Auf dem Erdgrunde liegen die scharfgeschnittenen Schatten- gestalten und darüber hin spinnen sich die Saiten des Lichtes. Und die Finger des Waldhauches spielen in diesen Saiten. Ich trete hinaus in die Lichtung. Ein zittern- der Lufthauch rieselt mir entgegen, schmeichelt mit den Locken, küßt die Wangen, daß sie röthen. Hell- grünes Haidegebüsch mit den rothen Blüthenglöck- chen der Beeren hier, und dunkelglänzendes Preisel- beerkraut, der immergrüne Lorbeer unserer Alpen, für den würdigen Dichter des Waldes, so einer zur Welt geboren wird. Die Waldbiene surrt herum auf den Sträuchen und jedes Blatt ist für sie ein gedeckter Tisch. Und über dieser dämmernden, duftenden Flur erhebt sich ein schwarzer Strunk, mit dem gehobe- nen Arm seines kahlen Astes trotzig dem Himmel drohend, weil dieser durch einen nächtlichen Blitz- strahl ihm das Haupt gespalten. Und es erhebt sich dort graues, zerklüftetes Gestein, in dessen Spalten sich behende die Eidechse birgt und die schimmernde Natter, und an dessen Fuße die breiten, durchbro- chenen Blätter der Farrenkräuter, und die blauen, allfort grußschwankenden Hütchen der Enziane wu- chern. Weithin, wo sich die Quelle befreit und aus ihrem dunkelschattigen Grunde schimmert, wachsen Rosegger: Waldschulmeifter. 6 an ihrem Ufer die tausend Herzen des Sauerklee’s und der Wildkresse, die der Hirsch so gerne pflückt und das Reh, auf daß sie ihre Lunge nicht ver- lasse zur gefährlichen Stunde der Flucht. An der Lehne neben Dornstrauch und wilden Rosen liegt vom Sturme hingeworfen seit vielen Jahren das Gerippe einer mächtigen Fichte, schier weiß, wie Elfenbein. Hoch ragen ihre Wurzeln auf, wie einst ihr Wipfel, und eine Schnecke hat sich verirrt in einen starren Zweig der Wurzel hinaus und kann ihren Weg kaum finden zum Erdreich zurück. Das jauchzende Brüllen eines Stieres hallt heran, oder das Schellen und Meckern einer Ziege. Der Hirtenjunge hüpft herbei. Mit den Wachholder- sträuchen mag er nichts zu schaffen haben, die Nadeln stechen, die blauen Beeren sind bitter. Aber Erdbeeren pflückt er in die Haube, oder, was ihm lieber ist, in den Mund. Dann pflückt er das schmale, spitzige Blatt einer Enziane, führt es zur Lippe und bringt durch dasselbe einen Pfiff hervor, der weithin hallt in den Hängen und den in der Ferne andere Hirtenjungen wieder zurückgeben. Das ist dem Völklein des Waldes das Zeichen seiner Brüderlichkeit. Durch das Himbeergestrüppe windet sich ein halblahmer Pecher, oder ein schiefäugiger Wurzel- gräber, oder ein dickhalsiger Waldrauchsammler, der aus dem Ameisenhaufen die Harzkörner hervor- schafft. Aus diesen Harzkörnern bereitet er den Weihrauch, das wundersame Korn, dessen Wolken- schleier der Sterblichen Augen bezaubert, daß sie hinsinken vor das Opferbrot und den Herrn sehen. Am Rain bei purpurnen Eriken, unter Brom- beerlaub wuchert die Süßwurzel; das ist des Hir- tenknaben leckeres Gewürze, und auch die Sennin nascht gerne davon, auf daß sie eine klingende Stimme kriege zum Jodeln auf der Alm. Der Sennin — merk ich — geht es oft sonderbar, wol hat sie viele, gar rechtschaffen viele Worte auf der Zunge, aber sie hat noch weit mehr Empfin- dungen im Herzen; sie hat zuletzt keine Worte für Alle, und so drückt sie sich denn anders aus und singt ein Lied ohne Worte, das sie hier, so weit es klingt, den Jodler heißen. Ich ziehe durch einen von Wildwässern des Kares ausgerissenen Hohlweg abwärts. Bäume und Sträuche wölben ihn zu einer düsteren Laube. Ein kühler Lufthauch fächelt, da stehe ich am schattigen Ufer eines finsteren Waldsees. Düsteres Gewände und schlanke, röthlich braune Stämme des Urwal- des schließen ihn ein, und die Wipfelkronen oben sind miteinander verschlungen zu einer dämmerigen Decke. O, so still — so still ist’s über dem See. 6* Das verlorene Blatt einer Buche oder Eiche raschelt heran, ich höre jenes ewige Klingen der tiefsten Lautlosigkeit. Es ist wo ein Glöcklein im Weltenraum, wir wissen nicht im Erdengrund hienieden, oder im Sternenkranze — das ruft uns allerwege. Und zur ruhsamen Stund’ erfaßt unsere Seele den trau- lichen Klang und sehnt sich . . . . und sehnt sich — — — — — — — — — — Urwaldfrieden, du stille, du heilige Zuflucht der Verwaisten, Verlassenen, Verfolgten — Welt- müden; du einziges Eden, das den Glücklosen noch geblieben! — Horch, Andreas! Hörst du das Klingen und Hallen des wortlosen Liedes? Das ist das Lust- und Gotteslied der Hirten. — Hörst du auch das ferne Pochen und Schallen? Das ist der Holzhauer mit der Axt — der Engel mit dem Schwerte. Bei den Hirten. Das Hirtenvolk ist das erste gewesen. Die Hirten sind von den Menschen, denen man in diesen Waldbergen begegnen kann, die harm- losesten. So habe ich mit dem Hirtenvolke an- gefangen. Hab jetztund auch schon ein gut Stück Schä- ferleben ausgekundschaftet. Bis auf die Zweie oben in der Miesenbachhütte sind sie aber nicht allhier daheim; die Hirten sind nirgends daheim, sind Wandersleute. Zur Winterszeit leben sie in den unteren, vorderen Gegenden, hausen in Bauern- höfen, denen sie angehören. Sie leben bei den Menschen und schlafen bei den Rindern und Ziegen. Dann kommt das Frühjahr; die Aehren auf dem Felde gucken schon ein wenig aus den grünen Hülsen hervor und gen Himmel auf, zu sehen, ob nicht die Schwalben schon da. Die Frühlingsgießbäche schwinden und trocknen. — Jetzt thun sie ihren Viehstand aus dem Stall und ziehen selbander den Almen zu. Die Kühe tragen klin- gende Schellen, die Kalben und Stiere tragen grünende Kränze, schier, wie am Gottleichnamstag die Knaben und Mädchen. Bei dem Auftriebe zur Alm, wenn junge Leute und Rinder mitsammen wandern, geht das Bekränzen ohn’ Aergerniß ab; wenn aber nach vielen Flitterwochen auf lichten Höhen die Rinder zum Spätherbst wieder mit frischen Kränzen zurück in’s Thal kommen, so trägt nicht immer auch die Sennin den grünen Zweig noch im Haar. Auf der Alm gibt es viel Sonne und wenig Schatten, und das frische Wasser muß der Almbub weiten Weges herbeischleppen — da verdorrt bigott nichts leichter, als so ein zart Sträußlein im Lockenhaar. Zur lieben Sommerszeit ist es da oben gut sein. So sind sie denn gut und froh, und ich — wahrhaftig und bei meiner Treu, ich bin’s mit ihnen. Gram und Herzweh sind wie Glashauspflan- zen, die wollen in der frischen Alpenluft nicht ge- deihen. Gar der Alte, der sonst brumbeißige Ochsen- halter, der seine schwerfällige Schaar auf den Almen weidet, hat ein lustig Pfeiflein bei sich, das trotz der heisergewordenen Lunge des Alten noch recht- schaffen hell mag jauchzen. Allerweil singen und blasen, sonst wird er mager, der arme, einsame Narr, und das Oechslein nicht fett. Und in der Sennerei, da ist’s gut bestellt; da ist hübsch Alles beisammen. An dem Herd mit der Flamme und den rußigen Töpfen sitzt die Häuslichkeit. Vor dem wackelnden Tischchen an dem kindisch aufgeputzten Hausaltar kniet die Religion. Und wo die Bettstatt steht, da hatte Gott nichts Besseres mehr hinzustellen vermögen. Aus rauhen Brettern ist das Bett gezimmert, mit Moos und Binsen gefüttert — so muß es sein, soll die junge Almerin fröhlich darin träumen. In der Nebenkammer stehen Kübel und Töpfe; da ist das Milch- und Buttergeschäft, dessen Erträg- niß dem Eigenthümer der Sennerei redlich zuge- liefert wird. Die ganze Wirthschaft schließen vier Holz- wände ein, in denen die Almerin nächtlicher Weile das Goldmännlein klöpfeln hört; dieses Klöpfeln bedeutet ihr die Erfüllung des geheimsten Herzens- wunsches. — Ich habe der gläubigen Aga nicht sagen mögen, daß ich meine, das klöpfelnde Gold- männlein dürft ein fleißiger Holzwurm sein. Was der tausend gingen auch dem Holzwurm ihre Her- zenswünsche an! Diese werden aber doch erfüllt; die einfältigen Leute da herum haben lauter Wünsche, die erfüllbar sind. Und wie die Maid in der Hütte, so schlummert im Stall die Herde und der Hirtenbursche ruhigen Gewissens. Am Morgen, da schreit die helle Sonne zum Fenster herein. Sie schreit, es sei Zeit! da will die Sennin mit dem Kübel in den Stall, wo unter vier Füßen die weißen Milch- und Butterbrünnlein fließen. Auf die Milch wartet schon die Flamme des Herdes und auf die Suppe der Hirtenbursche. Er jodelt und jauchzt, da vergeht die Zeit. Das Einfachste aber ist schon, wie’s der Berthold macht: er legt sich unter die Bäuche der Kühe und trinkt das Frühstück gleich aus dem Euter heraus. Just bei dem Berthold und der Aga in der Miesenbachhütte hab ich meine Erfahrungen gemacht. — Nimmt nach der Morgensuppe die Aga den Korb auf den Rücken und steigt hinab gegen die Futterwiese der Thalmulde, auf daß sie als sorgliche Hausfrau ihrem vierfüßigen Gesinde den Tisch bereite, bei dem es sich melken läßt. Mahl hält die Herde den ganzen Tag; schon zur Morgenfrühe leitet sie der Berthold auf die thau- frische Weide. Ich habe zu solcher Stunde einmal der Aga zugehört. Sie trillert und singt; es ist ein wunder- sam Liedchen: „Wan da Winkelboch va Milch wa, Und da Hochkogl va Butta, Und ’s Winkelthol vul Sterz dazua, Dös war a Fress’n mei Bua!“ Der Berthold hört’s, besinnt sich nicht lange; auf ein so sächlich Lied gehört ein noch sächli- cheres. Er steht auf der Wand und singt dem Mädchen zu: „Wan dei roth’s Hor va Guld wa, Und dei Kröpfl vul Thola, Und dei Miada vul Edlstoan, Dös wa ma recht, dös kunt’s thoan!“ Und d’rauf sie: „Die Thola thatn dih juckn, Die Edlstoan thatn dih druckn, A guldanas Hor war olls z’viel zort Fü dein borstadn Bort.“ O, sie bleiben einander nichts schuldig, sie wissen zu fechten. Wie es aber nur kommen mag, daß im Waldland für Lieb’ und Zärtlichkeit nicht so viele und gute Worte wachsen wollen, als für Spott und Posse? Ist schon die Lieb’ da unten nicht gar geschwätzig, so ist sie hieroben bei den Leg- fähren und Kohlröschen stumm, wie der Fisch im Wasser. Der Kuß wird hier auch nicht so gepflegt, wie anderswo. Weiß sich aber so ein verlieb- ter Bursch mit seiner Empfindung nicht anders zu helfen, so faßt er sein Mädchen, wie der Müller den Kornsack, und schwingt es hoch in die Luft und thut ein Jauchzen dabei, daß schier die Wolken auseinanderfahren, wenn welche am Himmel stehen. Der Berthold macht es um kein Tüpfelchen anders. — Es sind zwei junge, blutarme Leute, auf einsamer Alpenhöh’ sich selbst überlassen. Was ist da zu beginnen? Je nun, je nun, ich denk’, für mich dieweilen noch gar nichts. Bei den Waldteufeln. In dieser Wildniß gibt es Gewerbe, von denen ich keine Ahnung gehabt habe. Buchstäblich von der Erde, von dem Gesteine heraus graben die Leute ihr Brot. Und von den Bäumen schaben sie es herab, und aus dem alllebendigen Ameis- haufen wühlen sie es hervor, und aus wilden, ungenießbaren Früchten zwingen sie es durch all die hundertfältigen Mittel ihrer Schlauheit. Daß der Mensch doch so Alles zu finden und zu nützen weiß! Hat er aber schon Alles gefunden und ge- nützt? Und die Bedürfnisse, sind sie schon da ge- wesen, ehe die Mittel gefunden worden, oder sind sie die Folgen der errungenen Dinge? — Wäre das Letztere der Fall, ich hielte die tausenderlei Errungenschaften für keinen Gewinn. Die wüsten, verkommenen „Waldteufel“ stehen mit den Menschenschaaren draußen in engerer Verbindung, als man meint, und als sie es vielleicht selbst ahnen mögen. Ei doch, sie wissen es gar wol. Da ist gleich der Wurzner. Seine Lodenkutte geht ihm schier bis zu den Waden hinab; sein Hut ist ein wahres Familiendach, das aber stellenweise schon durchlöchert ist und durch- bricht. Schon von Weitem kennt man ihn. Da oben im Gestein klettert er herum und wühlt mit seinem krummen Stecheisen die Speikwurzel hervor. Dabei brummt er denn gar zuweilen das Liedchen: „Wan ih speikgrobn thua Auf der Olm, do herobn, Do denk ih gern auf d’Weibaleut. Daroth’s es, wo da Speik hinkimmt? In’s Türknlond für d’Weibaleut, Damit s’ an bessern Gruchn kriagn, Im Türknland, de Weibaleut!“ Dieses stolze kühne Bewußtsein des Wurzners, daß er die Frauenwelt des Morgenlandes in einen bessern Geruch bringe, wird aber angefochten. Dort auf der Felswand steht ein alter Ge- fährte, der hört das Lied; er häckelt die Messing- häftchen seines Wamses auf und öffnet seinen Mund: „Wanst ollaweil auf die türkischn Weibaleut denkst, Du Lota, so woaß ma’s schon! Geh gwürz dih liaba selba Mit Speik auf der Olm, Leicht stehts da besser on!“ So necken sie sich, und das ist ihre harmlose Seite. Aber der Waldteufel hat seinen Pferde- fuß. Der rechte Waldteufel hat einen doppelläufigen Kugelstutzen; der eine Lauf heißt „Gemsennoth,“ der andere „Jägertod.“ Könnt’ er schreiben, mit seinem krummen Messer hätte er diese Namen in den Stahl gegraben; aber, er merkt sich’s im Kopf, das von Gemsennoth und Jägertod. Wenn er einen lebendigen Geier oder Adler zu kriegen weiß, so verschluckt er die Augen des Vogels. Nach seinem Glauben leiht ihm das einen scharfen Blick für sicheren Schuß. Längst hätt’ er das Gra- ben aufgegeben und wollt’ ganz dem Wildern leben, aber er vermeint, unter den Steinen und Wurzeln einmal einen vergrabenen Schatz zu finden. Schatzgraben, Gold und Edelstein unter der Erde, das hat er im Märchen gehört und kann es nimmermehr vergessen. Gold und Edelstein unter der Erde! Schatzgra- ben! — Das Märchen hat recht; der Wurzelgräber hat recht; der Ackersmann hat recht; der Bergknappe hat recht. Aber der Schatzgräber hat nicht recht. Deß acht ich, daß ich den Wurzner, oder den Pechschaber, oder den Ameisenwühler nicht beleidige. So Leute heben gar mit dem Wettermachen an, daß all des Teufels ist. Blitz und Hagel kann die Wälder vernichten weit und breit. Darum in den Wald- und Alpengegenden die vielen schweren Ge- witter, weil dahier die Wettermacher daheim. Wie sie es aber anfangen, diese Waldteufel, daß die Nebel aufsteigen aus den Schründen und Wetter- löchern, daß die Thaustäubchen zu Wasser verdich- ten, daß die Tropfen zu Eiskörnern erstarren, daß die Eiskörner zu schweren Schlossen sich kochen, daß aus den Wolken das wilde Feuer sprüht, daß die flammenden Wurfspieße der Blitze hinsausen durch die Nacht und daß die ungeheueren Rollen der Donner sich wälzen, bis endlich Alles nieder- bricht zu den zitternden Menschen und Thieren der Erde — wie sie das anfangen, das soll ein tiefes Geheimniß der wilden Gesellen sein; ich habe es bislang nicht zu erfahren vermögen. Eines ist gewiß. Der Bauer der vorderen Gegenden hat Ehrfurcht vor den Wildlingen im Gebirge und liefert ihnen die Lebensmittel gegen geringes Entgelt; es ist doch allfort besser, im Beutel kein Gewinn, als auf dem Felde Schaden. Wahrhaftig, das ist ein fürchterlicher Wahn dieser Menschen, daß sie durch eigenes Wollen und eigene Kraft Dinge zu wirken vermeinen, von denen die Schöpfung den menschlichen Witz ausgeschlossen hat für immerdar; und daß sie dagegen Dinge verabsäumen, in denen sie durch eigenes Wollen und eigene Kraft Großes hervorzubringen vermöchten. Da oben hinter dem Bergrücken ist eine um- waldete Thalmulde, die sie die Wolfsgrube nennen. Vor Kurzem bin ich in dieser Wolfsgrube gewesen. Ich komme eben zurecht, wie sie einen Mann be- graben, der weder Wurzner, noch Ameiswühler, noch Pechschaber, noch Branntweinbrenner, noch ein Wilderer gewesen war. Aber der allermerkwürdigste Waldteufel. Die Sache hab ich theils selbst erfah- ren, theils ist sie mir erzählt und verbürgt worden. Gearbeitet hat er gar nichts. Das ist Einer gewesen, der sich durch Essen sein Brot erworben hat. Sie haben ihn allerwärts den „Fresser“ ge- nannt; einen andern Namen, halt ich, hat er gar nicht gehabt. Das soll ein ganz verkommener Mensch gewesen sein, aber gewaltig stark am Leibe. Sein Haupthaar ist durch Schweiß und Harz zu einem unlöslichen Filz verworren gewesen; da hat er keines Hutes bedurft. Sein Bart ist gewesen wie aus verdorrten Fichtennadeln; seine mächtig- breite Brust wie übersponnen mit zehnfachem Spinnenweb; da hat er den Brustlatz erspart. An seinen wuchtigen Füßen hat sich eine völlige Horn- haut gebildet; da ist ihm das Schuhwerk über- flüßig gewesen. Eine fast grauenhafte Erscheinung! ich hab ihn noch vor einigen Tagen im Winkel be- gegnet. Hebt, wie er mich sieht, eine Handvoll Sand vom Boden auf und will den Sand verschlingen, wenn ich ihm eine kleine Gabe dafür wollt’ reichen. — Oft ist er hinaus auf die umliegenden Dörfer auf Kirchtage gegangen, hat den Leuten was vor- gefressen. Nicht Werg und Bänder und derlei Dinge, wie es sonst Taschenspieler thun, hat er verschlungen, sondern Tuchstücke, Leder und Glas- scherben. Selbst Schuhnägel, und sie mögen noch so rostig gewesen sein, hat er verzehrt. Gerne hat er einen alten Stiefel oder Filzhut zerrissen, die Fetzen mit Essig und Oel bereitet und gegessen. Das hat ihm viel Geld eingebracht, und sein Beutel wie sein Magen haben wol verdaut. Unser- einem thät so ein Essen nicht taugen, hat der Rüppel gesagt, freilich wol, ein Schnäpslein muß dazu sein, das beißt im Magen auch die Kiesel- steine klein. — Jahr und Tag hat er’s trieben, aber ein End nimmt’s mit Allem, und der Oster- sonntag hat nicht viel größere Läng’, wie der Charfreitag. Just beim Schnäpslein ist er gesessen in Kranabethannes Hütte, und hat in seinem Ueber- muth gesagt: „Kiefel (kaue) dein Schwarzbrot nur selber Hannes, ich trink den Branntwein und beiß das Gläselein dazu.“ — Ist jetztund vom finsteren Herdwinkel ein alter Wurzner hervorgekrochen: „s schwarz’ Brot willst verachten? du!“ Darauf der Fresser: „Geh her, Wurzner, dich freß ich mitsammt deiner Krax (Rücktrage)!“ Hat der Alte ein Würzlein hervorgezogen: „Da thät ich wol was haben! Bursch, das ist noch ein wenig stärker, wie du!“ — „Her damit!“ schreit der Fresser, er rafft das Würzlein und steckt es in seinen Schlund. — „Bist hin!“ hat der Alte gekichert, ist davon in den Wald. — Steht nicht lang an, springt der Fresser auf und hinaus auf den Anger. Dort stürzt er nieder und ist todt über und über. Da haben wir’s wol gewußt, was das Ding bedeutet. Den alten Wurzner hat kein Mensch gekannt — der Teufel ist’s gewesen. Halb That, halb Mähr, so hat es der Leute Aberglauben aufgefaßt und mir erzählt. Sie haben den Mann auch nicht hinausgetragen auf den Hol- denschlager Kirchhof. Im Moorboden der Wolfs- grube, wo nur die Binsengarbe wuchert und ihre Flockenfähnlein wiegt, haben sie eine Grube gemacht. In dichtes Fichtengeäste haben sie den Mann ge- schlungen, mit einer Stange haben sie ihn an das Grab gewälzt bis er hinabgekollert. Zur selbigen Stund’ ist eine kleine Schaar von Betern über die Moorheide und durch die Wolfsgrube gezogen. Sie war in einem Kare des Hochgebirgsstockes gewesen, wo ein Kreuz stehen soll im Gestein. Diese kleine Schaar ist an der Grube stehen geblieben und hat laut für den Todten ein Vaterunser gesprochen. Da hat jählings eine braune Rosegger: Waldschulmeister. 7 Kohlenbrennerin das Wort ergriff en und in ihrer Art ausgerufen: „Ihr Hascher, dem hilft euer fromm Gebet just so viel, wie dem Fisch im Wasser ein trocken Pfaidlein thät nützen. Der ist schon dort, wo die Hühner hin pissen, das ist ja der Glasscherbenfresser!“ „Nachher gilt das heilig Vaterunser für un- sern Viehstand daheim!“ murmeln die Beter und gehen davon. Ein einziger Mann, ein blasser, schwarzlockiger, völlig genickter und seltsam hastender Mann ist noch stehen geblieben an der Grube, hat hinab- gestarrt, hat mit zitternder Hand eine Scholle auf den Leichnam im grünen Reiserkleide geworfen, hat in der Runde umhergeblickt und die Worte gesagt: „Mit Erden werden sie ihn doch bedecken. Seines guten Magens wegen wird ihn der Teufel nicht geholt haben; und etwan ist sein Herz nicht schlech- ter gewesen, als sein Magen.“ So die Grabrede. Und hierauf kommen ein par Männer und scharren Erdreich in die Grube. Ich bin später mit dem blassen, geknickten Mann, den sie den Einspanig nennen, wieder zu- sammengekommen. Da habe ich an ihn die Frage gethan: „Was ist das mit dem Glasscherbenfresser? Das ist doch eine seltsame und märchenhafte Ge- schichte.“ „Seltsam und märchenhaft ist das ganze Waldland,“ versetzt der blasse Mann, „besseren Magen als unsereiner mag so ein Sohn der Wild- niß schon haben. Und der Aberglauben ist dieser Leute geistiges Leben.“ Nach diesen Worten hat er sich gewendet und ist emsig von hinnen gestolpert. Wie, Alter, bist nicht auch du selber ein Sohn der Wildniß? Bist wahrhaftig seltsam und märchenhaft genug. — Den Einspanig, den Ein- samen nennen sie ihn, sonst wissen sie schier nichts von ihm zu sagen. Auch mit den Pechern hab ich schon Be- kanntschaft gemacht. Der Pecher, das ist ein recht wunderlicher Waldteufel. Man riecht ihn schon von Weitem und man sieht ihn glitzern durch das Dickicht. Die Hacke glitzert, mit der er das Harz von den Bäumen schabt; die Steigeisen glitzern, vermittelst welchen er an den glatten Stämmen emporklettert, wie eine Waldkatze, um den Baum auch an seiner Höhe abzuernten, oder wenn keine Ernte ist, zu verwunden, auf daß für künftig das Harz hervorquelle. Und die Lederhose glitzert, und der mit Pech völlig überzogene Lodenspenser glitzert, und die Scheide des langen Messers an den Len- den glitzert, und letztlich das schwarze Glutauge. Wenn eine Blüthe oder eine niederfallende Tannen- 7* nadel ihn streift, so bleibt sie kleben an seinem Arm, an seinen Haaren, an seinem Bart. Wenn eine Fliege herumtanzt oder ein Falter, oder eine Spinne — das Thierchen bleibt kleben an dem Manne; und bunt besetzt ist sein Kleid mit kleinen Wesen aus dem Pflanzen- und Thierreiche, wenn er in Wald- und Abenddunkel heim in seine Klause kehrt. Der Pecher verwundet die Bäume gar arg und bringt sie zuletzt um’s Leben. Der Urwald ist dem Untergang verfallen. Die alten Tannen und Fichten sind durch den Pecher zu Krüppeln ge- worden; jetzt strecken sie ihre langen Arme nach ihm aus, möchten den Todfeind am liebsten erschlagen. Aus dem Harze bereitet der Pecher durch das Verfahren des Abdunstens das Terpentin und an- dere Oele, wie sie in den Waldgegenden gegen allerhand Krankheiten und Gebrechen in großen Mengen verwendet werden. Ich habe schon mehr- mals zugesehen auf so einer Brennstelle, wie die schwarze Masse kocht und brodelt, bis sie in ge- schlossene Thonbehälter kommt, aus welchen ihr zu- gewinnender Gehalt durch enge Röhren in die Zuber und Flaschen übergezogen wird. Mit diesen Zubern und Flaschen in einem großen Korbe geht nun der Mann hausiren. Der Holzschläger kauft Pechöl gegen jegliche Verletzungen, die er sich in seinen Kämpfen mit dem Walde zuzieht. Der Kohlenbrenner kauft Pechöl gegen Brandwunden; der Kohlenführer für sein Roß; der Branntweiner für sein Fäßchen. Der Wurzner kauft gegen Verrenkungen und Bauchgrim- men, das er sich durch seine meist ungekochte Nahrung zuzieht. Das Kleinbäuerlein weiter draußen kauft Pechöl für sein ganzes Haus und Vieh, gegen alle bösen Zustände. Du Pechölmann! mir nagt seit lang schon im Herzen ein kleinwinzig Käferlein — wär’s nicht zu tilgen mit deinem gallbitteren Oel? — In des Pechers Klause darf man sich nicht niedersetzen, man bliebe kleben. Und gleich kämen die kleinen, ungewaschenen und zerzausten Rangen heran, und krabbelten empor und ritten gar auf den Nacken und man käme ihrer nicht mehr los. — Das sind die lebendigen Sünden der Alten, sagt meine Haushälterin. Des Pechers Wohnung ist einfach genug. Unterhalb der nackte Erdboden, oberhalb das schie- ferige Baumrindendach, seithalb die Wand aus rohen Stämmen gezimmert und mit Moos ver- stopft. Der holperige Herd ist gleich als Tisch eingerichtet. Unter der Bettstatt ist die Vorraths- kammer für Erdäpfel, Schwämme und Holzbirnen. Der wurmstichige Kleiderschrank ist das Allerheiligste des Hauses, er bewahrt die geweihten Andenken der Voreltern, das Taufangebinde der Kinder, und den Wettermantel des Pechers, wenn er nicht am Leibe ist. Die Fenster haben kaum so viel Glas, daß, wie die Leut’ sagen, der „Fresser“ sich daran einmal hätte satt essen können. „Lappen und Strohpapier sind auch so gut, wie Spiegelscheiben, wenn Einer kein sauberes Gesicht durchgucken lassen kann,“ meint der Pecher. Wol, er weiß von Spie- gelscheiben was, der ist nicht allfort im Wald ge- wesen. Gar weit, weit in der Wienerstadt ist er wachgestanden vor Spiegelscheiben — hat ihm nicht gefallen, ist durchgegangen, ist eingefangen worden, ist spießruthengelaufen, ist wieder durchgegangen und in die tiefste Wildniß herein, — läßt sich nicht mehr fangen. Hinter dem Schrank hängt das Schießgewehr. Tritt einmal der herrschaftliche Jäger in’s Haus und sieht er’s, so ist’s gut — eine Waffe muß sein, im Wald gibt es Wölfe. Sieht er’s nicht, so ist’s besser. Bei des Pechers Hauswirthin ist’s auch so; sieht man sie, so muß man bedenken, daß im vier- zigsten Jahr bei Niemandem ein neuer Frühling mehr anbricht, daß, wie das Sprichwort sagt, am Halse ein Kropf besser ist, als ein Loch, daß ein- äugig nicht blind, und daß ein wenig Säbelbeinig- keit weder Schande noch Prahlerei ist. Sieht man sie nicht, so ist’s besser. Wie ich aber schon wahrgenommen hab, bleibt an manchem Pecher zuweilen auch ein junges Weibchen kleben. Viele Landmädchen sind um ein gut Theil anders, wie die Stadtfräulein. Die Stadtfräulein haben es zumeist nicht ungern, wenn ihre Liebhaber recht schön weiß und zart und schlank und gefügig sind, und zärtlich wie Tauben. Die Landdirnen wieder mögen Einen, der recht derb und rauh und struppig und eckig und wild ist. Wenn Eine die Wahl hat zwischen Einem, der ihr schäckernd die Strümpfchen stopfet, und einem An- dern, der sie anwettert mit jedem Wort — so nimmt sie den Wetterer. Sie hat ihn ja doch im Sack. Wie geht das Lied, das der Pecher gern singt? „Für’s Pech hon ih mei Hackel, Für’s Haserl mei Bix; Für’n Jager a por dicke Fäust, Für’s Mensch hon ih nix. Nix is ollszweng, hot s’ gsogt, Hot mih ba da Thür ausgjogt; Hiazt geh ih, und prügl an Jager o, Daß ih an Unterholtin ho.“ Indeß, wer einmal so ein Liedchen singt, der thut dem Jäger nichts. Wer mit finsteren Gedanken umgeht, der singt kein heiter Lied. — Unter den Waldteufeln der Gehobeltste, Ge- schmeidigste und meines Ermessens der Gefährlichste ist der Branntweiner. Er trägt ein feineres Tuch, wie die Andern und schneidet allwöchentlich seinen Bart. Er trägt allerwege so ein Fläschchen mit sich herum, mit dem er vertraulich Jedem aufwartet, der ihm in den Weg kommt. „Du,“ sagt er zum Wurzner, zum Pecher, wenn es heißer Sommer ist, „du, ein süß, frisch Tröpfel hätt ich da!“ Und wenn es kalter Winter ist: „Du, los (horch) auf, das höllisch Feuer hätt’ ich da!“ Wer trinkt, der ist ihm verschrieben, verfallen, der kommt ihm in die Schenke. Der Branntweiner erntet zweimal. Für’s Erste von den Ebereschen die rothen Beeren, von den Hagebutten, Wachholdersträuchen, vom Heidekraut, von Allem, was hier Früchte hervorbringt. Der Branntweiner glaubt an den Geist der Natur, der in allen Geschöpfen lebt, und beschwört ihn hervor aus den Früchten des Waldes, und — wie jener Zauberer im Märchen — hinein in die Flasche; — flugs den Stöpsel darauf, daß er gefangen ist. Seine Brennerei ist ein förmlicher Zauberkreis unter dem hohen, finsteren Tann, ein Kreis, wie ihn auch die Spinne zieht und einwebt. Bald sind ein par Fliegen da und zappeln in dem Netze. Die Waldleute, wie sie herum- und ihren Geschäften nachgehen, zuletzt aber kleben bleiben in der Schenke — das sind der Spinne die Fliegen, an denen der Branntweiner nun seine zweite Ernte hält. Jedes Weib räth dem Mann, er möge nicht den Weg über den Tann nehmen, der sei so finster und uneben, er sei auch weiter. Der Mann sieht’s ein, hat auch gar nichts auf dem Tann zu thun, aber — ’s ist eben ein wandelbar Ding, die Ge- sundheit — wie er so hinschreitet, da empfindet er jählings so ein Drücken in der Gurgel, ein Grim- men im Bauch — ein schlimmes Grimmen, schier wie die Magengicht. Pechöl hat er keines bei sich, da weiß er nur noch Ein Mittel und — er nimmt den Weg über den Tann. — „Das erste Gläschen — sagt der Rüppel — lindert den Schmerz; das zweite macht warm im Herz; das dritte macht noch wärmer; das vierte macht den Beutel nicht mehr ärmer; das fünfte mag erst recht die Glieder spannen; bei dem sechsten wackeln schon die Tannen; bei dem siebenten geht es glühheiß durch den Leib; bei dem achten verlangt sich’s nach dem Weib.“ Heimwärts wankend aber flucht der gute Mann über das „schlechte“ Weib, daß es ihm in diesem schaudervollen Nebel mit keinem Licht ent- gegenkommt; und wenn er endlich — den Hut tief und schief in die Stirne gedrückt, zur Hütte hereintorkelt, so weiß das Weib schon, was es ge- schlagen hat und was es noch schlagen könnte, wenn es sich nicht beeilte, sofort auf den Dachboden oder anderswohin zu entkommen. Mich närrischen Jungen stimmen meine Ent- deckungsreisen heiterer, als ich’s je vermeint hätte. Es liegt ein traurig Geschick über diesem Völklein, aber dieses Geschick macht zuweilen ein unsäglich spaßhaftes Gesicht. Ich halte diese Waldteufel auch nicht für so verdorben und verkommen. Verwahr- lost und ungeschlacht sind sie. Es ließe sich vielleicht was aus ihnen machen; — nur Sauerteig muß dazu kommen. Aussterben wird das Geschlecht nicht so leicht. Gerade in dem feuchten, dunkeln Waldboden gedei- hen die kleinen Rangen, wie die Pilze. Die Jun- gen gehen den Weg der Alten, und tragen die Wurzelkrampe, oder den Hirtenstab, oder die Pech- hacke oder die Holzaxt. Beim Pfarrer draußen in Holdenschlag ist nur bekannt, daß die Waldkinder lauter Mädchen sind. Die Knaben werden zumeist getauft mit dem Wasser des Waldes; sie sind in kein Pfarrbuch ge- schrieben, auf daß sie vergessen bleiben draußen im Kreisamte und im Verzeichnisse der Wehrpflichtigen. Die Mädchen, werden sie ein wenig flügge, gehen bald auch ins Ameisen- und Wurzelgraben, ins Kräutersammeln, und sie wissen für Alles Ab- satz, und sie pflücken die Eberbeeren und die Hage- butten- und die Wachholderfrüchte für den Brannt- weiner. Und die Jungen, denen noch das Höschen nicht trocken wird den ganzen Tag, helfen schon auch den Branntwein trinken. Vor einiger Zeit habe ich einer Kinderschaar zugesehen. Sie spielen unter Lärchbäumen. Die niedergefallenen Lärchzapfen sind ihre Hirschen und Rehe, denen sie grünes Reisig vorlegen zum Fressen. Andere laufen umher und spielen hinter Gebüsch „Versteckens,“ „Salzhalten,“ „Geier austreiben,“ „Himmel- und Höllfahren,“ und wie sie die Schalk- heiten und Leibesbewegungen alle heißen. — Man sieht ihnen gerne zu; sie sind zwar alle halbnackt, haben wohlgebildete und gesunde Glieder, und ihre Spiele sind so kindlich heiter — wie ich anderwärts noch nie Kinder spielen gesehen habe. — Hier ist die verwundbare Stelle des gehörnten Siegfrieds, den sie den „Waldteufel“ heißen. Ich habe den Kleinen unter den Lärchen fort- wegs zugelächelt, aber sie haben mich kaum ange- blickt; nur daß sich die Jüngsten vor mir gefürchtet. Nach einer Weile hab ich es versucht, mich in ihre Spiele zu mengen; wie sich da die Meisten gleich verblüfft zurückgezogen haben! Nur Wenige geben sich mit mir ab; wie ich aber von diesen Wenigen im Wettlaufen und Haschen einigemale überlistet werde, da kommen auch die Andern wieder herbei. Und bald bin ich in dem tollschwirrenden Kreise die- ser jungen Menschen ein guter und gern gesehener Bekannter. Ich schwätz’ ihnen Manches vor, noch öfter aber lasse ich mir von ihnen erzählen. Ich gehe zu den Kindern in die Schule, um die Schulmeisterei zu lernen. Von oben durch einen Strick zur Höhe ziehen lassen sich die Waldleute nicht; wer sie für die Höhe gewinnen will, der muß ganz zu ihnen niedersteigen, muß sie Arm in Arm und wol auf weiten Umwegen emporführen. Im Felsenthale. An den Lehnen der Voralpe und an den Hängen des Hochzahn und seiner Gletscherketten ziehen sich fort und fort die Waldberge hin in der Richtung gegen Abend. Von oben gesehen liegen sie da in der tiefen Bläue des Meeres, in ihren Gründen die ewigen Schatten und die seltsamen Menschen bergend. Eine Tagreise vom Thale der Winkel gegen Abend hin, fernab von der letzten Klause, ist jene Stelle, von der die Waldleute sagen, da sei die Welt mit Brettern verschlagen. Mit Steinen vermauert wäre aber besser ge- sagt. Wildklüftige, fast senkrecht aufsteigende Wände schließen hier das Waldland ab. Es beginnt der Urstock der Alpen, in welchem die Felsschichten nicht mehr liegen noch lehnen, sondern fallrecht gegen Himmel ragen. Ein Meer von Schnee und Eis mit zahllosen Klippen, an denen ewige Nebel hängen, soll unabsehbar hingebreitet sein über die Riesenburgen, die da oben ragen und vormaleinst ein Eden gewahrt haben sollen, das heute verstei- nert und in Starrniß versunken ist. So die Sage. Daß doch dieser wundersame Traum von einer einstigen verlornen Glückseligkeit die Herzen aller Völker und Volksschichten durchdämmert! Daß jenseits des Alpenstockes wieder menschen- bewohnte Gegenden beginnen, das wollen mir viele Leute hier gar nicht glauben. Nur ein alter, schlau- blinzelnder Kohlenbrenner sagt, sein Großvater hätte wol einmal erzählt, es seien da hinten drüben Menschenwesen, die so hohe und spitze Hüte trügen, daß, wenn sie des Nachts auf den Bergen herum- gingen, sie nicht selten damit einen Stern vom Himmel stechen thäten. Und der Herrgott müßt des Abends jedmal sorgsam die Wolken vorschieben, sonst hätt’ er längst mehr kein einzig Sternlein an seinem Himmel. Der Schalk hat die Spitzhüte der Tiroler gemeint. Wo nun dieses Waldland von dem Urgebirge begrenzt wird, sind gar verrufene Stellen. Dort hat man schon manchen todten Gemsjäger gefunden, dem ein Körnlein Blei mitten durch die Brust ge- gangen. Auch bricht, sagen die Leute, aus einer der zahlreichen Felsenhöhlungen zuweilen ein Un- geheuer hervor, das Alles verschlingt, das aber im Gebirge einen unermeßlichen Schatz von Edelgestein bewacht. Wenn das Waldland noch eine Weile be- fteht , so muß ein heldenhafter Mann kommen, der das Ungeheuer besiegt und die Schätze hebt. Bis- lang ist noch kein solcher dagewesen. Ich meine, ich wollte es erkennen und nennen, das Ungeheuer . . . . Den finsteren Sagen angepaßt ist die Gegend. Sie ist ein todtes Thal, in welchem kein Finklein will singen, keine Wildtaube will glucken, kein Specht will schnattern, in welchem die Einsamkeit selbst ist eingeschlummert. Auf dem grauen Laub- moosboden liegen zerstreut wuchtige Felsblöcke um- her, wie sie von dem hohen Gewände niedergebro- chen sind. Dort und da ist ein vorwitziges Fichten- bäumchen hinangeklettert auf einen solchen wetter- grauen Klotz, und blickt stolz um sich, und meint, es sei nun besser, als die andern, halbverkommenen Gewächse unten auf dem Sandboden. — Wird nicht lange dauern, so wirst du verhungern und verdursten auf dem dürren Felsboden und hernieder- fallen. Hierum kann der Wald nicht gedeihen, und steigt doch wo eine schlanke, kerzengerade Fichte empor, so sind ihre Tage gezählt. Jählings kommt ein Sturmwind niedergefahren von den Felsmulden und legt den schönen jungen Stamm mitsammt der losgelösten Wurzel fast sanft hin über den Boden. Und da thut er jetztund, als wollte er eine kleine Weile sich nur ausrasten und bald wieder aufstehen mit seinen grünen Zweigen und weiter wachsen; und indessen fallen ihm schon die Nadeln ab und es schrumpft und springt die Rinde, und die Käfer lösen sie los, und nach einer Zeit liegt das nackte, bleiche Gerippe da, das immer mehr und mehr in die Erde hinein versinkt, aus der das Bäumchen einst hervorgewachsen war. Und doch muß eine Zeit gewesen sein, in welcher der Wald hier glücklicher gediehen ist; es ragt ja noch hier und da der graue, gespaltene Rest eines gewaltigen Tannenbaumes empor, oder eines uralten Ahorn, in dessen Höhlen das Wiesel wohnt, oder durch die der Fuchs den Eingang hat zu seiner unterirdischen Behausung. Die Kiefer allein ist noch kampfesmuthig, sie will die steilen Lehnen hinanklettern zwischen den Wänden, will wissen, wie es da oben aussieht bei dem Edelweiß, bei den Alpenrosen, bei den Gemsen, und wie weit es noch hinauf ist, bis zum Schnee. Aber die gute Kiefer ist keine Tochter der Alpen, balde faßt sie der Schwindel und sie bückt sich angstvoll zusammen und kriecht mühsam auf den Knieen hinan, mit ihren geschlungenen, verkrüppel- ten Armen immer weiter vorgreifend und rankend, die Zapfenköpfchen neugierig emporreckend, bis sie letztlich in den feuchten Schleier des Nebels kommt und in demselben planlos umherirrt zwischen dem Gestein. Auf einem der niedergestürzten Felsblöcke die- ses letzten Thales des Waldlandes steht ein Kreuz. Es ist sehr unbeholfen aus zwei rohen Holzstücken gezimmert; es hängt stellenweise die Rinde noch daran. Still steht es da in der verlornen Oede; es ist, wie die erste Kunde von dem Welterlöser, welche der heilige Bonifaz vormaleinst in den deutschen Wildnissen aus den Stämmen des Waldes aufge- pflanzt hat. Die Eidechse schlüpft unter dem Felsengrunde dahin; ein Rehlein trippelt heran mit seinen schlanken Füßen und blickt mit hochgehobenem Kopf und klugen Augen zu dem Kreuzbilde empor. Es will ihm schier bedünken, das Ding sei nicht so geradewegs gewachsen auf dem Stein; es hebt ängstlich an, hin und her zu lugen, es schwant ihm von jenem schrecklichen Wesen, das schlank wie ein Baum auf zwei Beinen einherzieht und den knallenden Blitzstrahl schleudert nach ihm, dem armen, harm- und wehrlosen Thiere. Des Ent- setzens voll schlägt es seine Beine aus und eilt von dannen. Ich habe schon mehrmals nach der Bedeutung jenes Kreuzes gefragt. Seit Gedenken steht es auf Rosegger: Waldschulmeister. 8 dem Stein, kein Mensch kann sagen, wer es auf- gestellt. Der Sage nach sei es gar nicht aufgestellt worden. Alle tausend Jahre flöge ein Vögelein in den Wald und das brächte ein Saamenkorn mit aus unbekannten Landen. Alle anderen Körner seien bislang verloren gegangen, oder man wisse nicht, sei die Giftpflanze mit der blauen Beere, oder der Dornstrauch mit der weißen Rose oder ein anderes Schlimmes oder Gutes daraus ent- wachsen. Das letzte Korn aber habe jenes Vöglein auf den Klotz im Felsenthale gelegt, und daraus sei das Kreuz entsprossen. Man gehe zuweilen hin, um davor zu beten; manchmal habe das Gebet daselbst schon Segen gebracht, manchmal aber sei auch ein Unglück darauf gekommen. Man wisse also auch vom Kreuze nicht, ob es zum Heile oder zum Unheile sei. Den Einspanig sehe man noch am öftesten im Felsenthale und er verrichte seine An- dacht vor dem Bilde; aber man wisse auch vom Ein- spanig nicht, ob er Gutes oder Schlimmes bedeute. Nach mehreren Tagen der Wanderung bin ich wieder einmal zurückgekehrt in mein Haus an der Winkel. Mehrmals über das Kreuz im Felsenthale und den Einspanig nachdenkend, hab ich im Winkel von Letzterem ein Weniges erfahren. Erstlich, wie ich eintrete in das Haus, wun- dere ich mich baß, daß meine, sonst recht gutmütige Hauswirthin heute gar aufgebracht ist. Die Sache soll so gewesen sein: Am Försterhause geht der Einspanig vorüber. Die Haushälterin schaut just zur Thür hinaus und denkt: ei, wenn sich nur mit diesem seltsamen Menschen einmal ein kleines Plau- dern anheben ließ, daß Eins doch ein bischen was von ihm erfahren könnt’. Und kaum er so zufällig sein Haupt gegen die Thür wendet, lädt sie ihn artig ein, an der Bank ein wenig abzurasten. Er thut’s, sie bringt ihm eilig Milch und Brot herbei und frägt in ihrer Weise: „Ihr guter Mann Gottes, wo kommt ihr denn her?“ „Von dem Felsenthale hernieder,“ ist die Antwort. „Ihr Närrchen!“ ruft das Weib aus, „das soll ja so viel eine böse Gegend sein. Da oben im Felsenthal ist die Welt mit Brettern ver- schlagen.“ Darauf der Einspanig: „Wo ist die Welt mit Brettern verschlagen? Gar auf keinem Fleck. Die Berge gehen weit, weit zurück hinter den Hoch- zahn, dann kommen die Hügelländer, dann kommen die Ebenen, dann kommt das Wasser. Viele tau- send Stunden breitet sich das Wasser, dann kommt wieder Land mit Berg und Thal und Hügeln, und wieder Wasser, und wieder Land und Wasser und Land und Land —“ 8* Hat ihn die Haushälterin unterbrochen: „Jesus, Einspanig, wie weit denn noch?!“ „Bis heim, bis in unser Land, in unseren Wald, in das Winkel, in das Felsenthal. — Ehr- same Frau, gibt euch Gott Flügel und ihr fliegt fort gegen Sonnenuntergang, und fort und immer- fort, der Nase und der Sonne nach, so kommt ihr eines Tages von Sonnenaufgang her geflogen gegen euer friedsam Haus.“ Darauf die Hauswirthin: „O du Fabelhans, fable wen Andern an, ich bin die Winkelhüterin. Die Milch schenk’ ich euch und redlicher alter Leut’ Wort dazu: Es ist ein Fleck, da ist die Welt mit Brettern verschlagen. So ist der alte Glauben und in dem will ich leben und sterben.“ Der Mann soll darauf gesagt haben: „Weib, eueren alten Glauben hoch in Ehren! aber ich bin den Weg schon gegangen, gegen Niedergang hin, und von Aufgang her.“ Und dieses Wort hätte das Weib vollends erbittert; „du bist eine Lugentafel!“ soll sie gezet- tert haben, „auf dich hat der Teufel seinen Heimat- schein geschrieben!“ Und hierauf sei der Mann kopfschüttelnd davongezogen. Das gute Weib muß schon schwer auf mich gewartet haben, um sich weiters Luft zu machen. Als ich nach Hause komme, ruft sie mir über den Gadern (Bretterzaun) her entgegen: „Mein Eid, mein Eid! was es doch auf der lieben Erden Gottes für Leute gibt! Jetztund glauben sie gar nimmer an’s End der Welt! Ich aber sag: unser Herrgott hat’s recht gemacht, und ich bleib bei meinem alten Glauben, und die Welt ist mit Brettern verschlagen!“ „Freilich, freilich, Winkelhüterin! gebe ich bei und steige gelassen über die Bretter des Haus- gaderns: „Wol richtig — mit Brettern verschlagen!“ Und so bleiben wir beim alten Glauben! Bei den Holzern. Daß doch der Wald, wie er sich so hinbreitet über Höhen und Thäler — unabsehbar, wie er daliegt, grün und dunkel und weiterhin duftig blauend am sonnigen Sehkreis — der stille, un- endliche Wald — daß er doch auch seine Feinde hat! Wie ist das eine schöne, säuselnde, rauschende, brausende, alllebendige Ringmauer, schützend vor dem wüsten Unfrieden draußen! Aber — Wald- fried ist gestorben. Im Forste braust der Sturmwind, schlägt manchem jungen Tannling den lustig winkenden Arm weg, bricht manchem trotzigen Recken das Genick. Und in der Tiefe rauscht und schäumt in weißen Gischten und Flocken — wie ein brauender Wolkenstrom — der Wildbach, und wühlt und gräbt und nagt das Erdreich von den Wurzeln, immer weiter und weiter hinein, daß der wuchtige Baum zuletzt schier in der Luft dasteht, und sich oben mit starken Armen nur noch an den Nachbarn hält, um nicht zusammenzubrechen, endlich aber doch niederstürzt in das Grab, das ihm jenes Wasser heimtückisch gegraben hat. Jenes Wasser, welches er durch seinen Nebelthau gestärkt, durch seine dich- ten Kronen vor dem Lechzen des Windes geschützt, durch seinen Schatten vor dem zehrenden Kusse der Sonne bewahrt hat. — Und auf den luftigen Wipfeln hackt der Specht, und unter den Rinden frißt die Borke, und das Sägerad der Zeit geht allerwege, und die Späne fliegen — im Frühlinge als Blüten, im Herbste als gedörrte Nadeln und Blätter. Es geht ewig zu Ende und im Ende keimt ewig der Anfang. Da naht nun erst der Mensch mit seiner Zerstörungswuth. Da schallt das Schlagen und Pochen, da surrt die Säge, da klingt das Beil auf das Stemmeisen im dunkeln Grunde; — wenn du oben hinblickest über das stille Meer der Wipfel, so ahnst du es nicht, welchen es angeht. Aber das Stemmeisen und der Keil dringt tiefer und tiefer; da schüttelt einer der Hundert- jährigen sein hohes Haupt, er weiß doch gar nicht, was die Menschlein wollen da unten, die kleinen, possierlichen Wesen — er kann nicht begreifen und schüttelt wieder das Haupt. Da geht ihm der Stoß in’s Herz; — unten knistert es, schnalzt es, und nun wankt der Riese, knickt ein, rauschend und pfeifend in einem ungeheuren Bogen fällt er hin, mit wildem Krachen stürzt er zu Boden. Leer ist es in der Luft, eine Lücke hat der Wald. Hundert Frühlinge haben ihn emporgehoben mit ihrer Liebe und Milde; jetzt ist er todt, und die Welt ist und bleibt ganz auch ohne ihn — den leben- digen Baum. Still stehen die zwei, drei Menschlein, sie stützen sich auf den Beilstiel und blicken auf ihr Opfer. Sie klagen nicht, sie jauchzen nicht, eine grausame Kaltblütigkeit liegt auf ihren rauhen, sonnverbrannten Zügen; ihr Gesicht und ihre Hände sehen ja völlig aus, wie von Fichtenrinden. Sie stopfen sich ein Pfeiflein, schärfen die Hacken und gehen wieder an die Arbeit. Sie hauen die Aeste von dem hingestreckten Stamme, sie schürfen ihm mit einem breiten Messer die Rinden ab, sie schnei- den ihn vielleicht gar in klafterlange Stücke; — und nun liegt der stolze Baum, der viele Menschen- alter lang gegrünt und gesäuselt; dessen Großvater vielleicht die Vollmondfestnächte der alten Germanen beschattet — nun liegt er da in nackten Klötzen. Der Holzhauer denkt nicht daran, kann nicht daran denken, nur daß er sich, wenn der „Meister- knecht“ nicht zugegen, ein wenig auf den weißen Stock mit den Jahresringen setzt, und sich wieder ein Pfeifchen stopft, oder — wie das bei den Waldleuten schon eine absonderliche Gewohnheit ist — sich gar einen faustgroßen Ballen Tabak in den Mund steckt, um einen ganzen halben Tag an ihm zu kauen. Das Tabakkauen ist dem Holzschläger ein großer Genuß, es ist ihm, wie er sagt, das halbe Essen und dreiviertel Arznei. Die Baumstämme werden in diesen Gegenden zumeist zu Kohlen verwandelt und zu diesem Zwecke zu Scheitern oder längeren Stücken, den „Drei- lingen“ (drei hackenstiellangen Strünken) zerklei- nert. Die Kohlen werden entweder zu Wagen, oder wo der Weg zu elend ist, auf den Rücken der Pferde und Halbpferde hinausbefördert zu den Hammerwerken der Vorgegenden. Nur die schönsten Stämme werden als Bauholz verwendet. Die Bu- chen und Ahorne und andere Laubhölzer, wie sie hier wachsen, werden am wenigsten benützt, nur daß sie ihr Laub für Streu und Lagerstätten lie- fern; sonst bleiben sie sich selbst überlassen, bis sie inwendig verfault, ausgehölt, nach und nach absterben und zusammenbrechen. Dann entstehen schwammartige Auswüchse auf den vermodernden Strünken, und es kommt der Pecher oder der Wurzner, schlägt sich die Auswüchse los, mörsert sie platt, beizt sie ein und bereitet so den Feuer- schwamm. Der Holzhauer weiß freilich nichts von der Schönheit der Wildniß. Dem Holzhauer ist der Wald nichts, als ein feindlicher Vorwart, dem er Brot und Leben abringen muß mit dem blitzenden Beile. Und wie ist das ein langes Tagwerk von der Morgenfrühe bis zur Abenddämmer, eine ein- zige Ruhestunde nur zu Mittag. Während der Waldteufel sein eigener Herr ist, so ist der Holz- hauer der Herren Knecht. — Was die Nahrung anbelangt, so ist der Holzschläger ein Geschöpf, das sich von Pflanzen nährt; außer er wäre ein tüchtiger Wilderer und ließe sich nicht erwischen. Doch schwelgt er in der Einbildung und nennt seine Mehlnocken gerne nach den Thieren des Waldes. So genießt er zum Frühstück, zum Mittagsmahle, zum Abendbrot nichts als Hirschen, Füchse, Spatzen, und wie er seine Mehlnudeln schon tauft. — Mich hat ein junger Mann eines Freitags zu einem „Hirschen“ eingeladen. Ei, denke ich, der hält den Fasttag nicht, das ist sicher der Evangelischen Einer, die von den Bauernkriegen her in den Alpen zurückgeblieben sein sollen. Aber jene „Hirschen“ sind harmlose Mehlküchlein gewesen. Achtzehn Groschen Arbeitslohn des Tages, das ist schon eine gute Zeit; mancher Wäldler hat sich davon ein Häuschen, Weib und Kind und eine Ziege angeschafft. Das ist dann ein eigener Herd, da kommt zu dem Mehlgerichte noch eine fette Ziegenmilchsuppe, und zu der Suppe ein Häuflein schreiender Rangen — da geht’s schon hoch her! Indeß ist der Aufwand in der Waldhütte nicht übertrieben. Es wird zum Glücke von braven Familienvätern nicht viel verlangt. „Jo, won ma’s holt hot, Kon ma lebn noch sein Gschmock, Für die Kinder a Brot Und für mih an Tabok!“ heißt das Lied des Waldhäuslers. Andere freilich, und wol die Meisten, erträn- ken ihr Erworbenes und ihre anspruchslose Zufrie- denheit im Branntwein. Solche Habenichtse wohnen zusammen zu Dutzenden in einer einzigen Hütte, kochen ihr Brot an einem gemeinsamen Herd, der in der Mitte der Klause steht. An den Wänden ringsum sind die Strohlager aufgestellt. In jeder Hütte haben sie einen „Goggen“ und einen „Thomerl;“ der Gogg ist ein Holzgestell auf dem Herde, welches die Kochpfannen über dem Feuer hält — es sind deren oft ein Halbdutzend um die Flammen aufgerichtet. Der Thomerl ist ein Mensch, der aber auch Hansl oder Lippl, oder wie er will, heißen kann, aber gewöhnlich einen groß- mächtigen Kopf, hohe Achseln und kurze Füße hat, der die Hände gerne bis zu den Knieen hinab- hängen läßt und allweg grinst und lächelt, ohne daß er selbst weiß, warum. Er ist das Stuben- mädchen, der Küchenjunge, der Holz- und Wasser- träger, allfällig der Ziegenhirt, die Zielscheibe für ledige Spässe und — die Hausehre. Ferner sind in jeder Holzknechthütte in irgend einem Winkel, unter irgend einer Diele stets ge- ladene Kugelstutzen verborgen. Der Werktagsanzug der Holzschläger hat kei- nen ausgeprägten Grundzug; er ist zum Theile ein zerfasertes Lodengewebe, zum Theile ein mattfar- biges Strickwollenzeug, zum Theile eine hornähn- liche Lederrinde, alles mehr oder minder mit Harz überklebt, nothdürftig den inneren Menschen ver- deckend. Das Wahrzeichen aber ist der hohe, gelb- lich grüne Hut mit dem Federbusche. Der Feder- busch muß wol in Ordnung sein, daran hängt, weiß Gott, eine Wilderer- oder Liebesgeschichte, oder ein „saggerisch Raufen.“ Aber wenn einmal die Kirchweih kommt! — die Kirchweih muß es sein, denn Sonntags gibt’s hier nicht, fehlt ja doch des Sonntags Herz — die Kirche. Zur Kirchweih aber ziehen sie hinaus zu den ferneren Orten, und da sind sie angethan, diese rauhen Waldmenschen, mit Frack und „Cilinder;“ — ’s ist kaum zu glauben. Aber der Frack ist ja aus grobem Loden, mit grünem Tuche verbräumt; ganze Bäumchen aus grünem Tuche geschnitten prangen am Rücken über den Schössen, und an den Aermeln, und große Messingknöpfe leuchten in die Ferne, und ein mächtig hoher Stehkragen bildet die Veste um den Kopf, auf welchem nun der ebenfalls aus groben Haaren, aber mit einem brei- ten grünen Bande und funkelnder Messingschnalle, breitkrempige, oben weit ausgeschweifte Cilinder sitzt. Bis in die Alpenwildniß herein also die welsche Mode gedrungen! Zum größten Theile sind es gutmüthige Men- schen; gereizt aber können sie unglaublich wild werden. Da hebt ihr Blut an zu brausen, wie gischtende Alpenbäche, wie ein Sturmwind im Forst, und der kleinste Funken leidenschaftlicher Erregung wird zu einem Waldbrande. Die Augen dieser Waldmenschen, so tief sie stecken mögen hinter den buschigen Brauen, sind klar und glühend. Deutlich ist die Gutherzigkeit darin zu lesen und der Jähzorn. Aber fromm sind sie, schier verdächtig fromm. Jeder hat sein Weihwasserfläschchen und sein christlich Anhängsel an der Brust; jeder betet seinen Rosen- kranz, mit Einschließung „aller armen Seelen im Feg- feuer, und zur Erlangung von Geld und Gut, so nutz- los vergraben ist in der Erde.“ Und Jeder hat in seinem Leben zum Mindesten Ein Gespenst gesehen. Wie ich diese Leute bis jetzt kennen gelernt habe, ist ihnen ein blutiger Raufhandel etwas Ge- wöhnliches, schier Selbstverständliches, ein Todt- schlag nichts so Seltenes. Hingegen Diebstähle kommen nicht vor. So sind sie in den Hochwäldern. Der Holz- hauer wird geboren unter dem Baume, sein Vater gibt ihm fast eher den Axtstiel in die Hand, als den Löffel, und anstatt nach dem Zulp greift der Kleine nach der Tabaksblase. Wer Tabak nicht zu kaufen vermag, der macht sich ihn aus Buchenblättern. Just sonderliche Anmut ist ihnen nicht ange- boren. Die stille Freude kennen sie kaum; sie fahn- den nach gellender Lust. Selbst der Schmerz greift nicht recht an. Wenn Einer sich mit dem scharfen Beil in das Bein fährt, so sagt er, es thät ein bischen „kitzeln.“ In wenigen Tagen ist Alles wieder heil. Haut sich Einer unversehens einen Finger weg, so ist das unselig, des — Tabak- feuerschlagens wegen. Tannenharz und Pechöl, und ein alter Bein- brucharzt und Zahnbrecher ist in dieser waldschatti- gen Welt die ganze medizinische Facultät. Heimweh ist ihr größtes Seelenleid, wenn sie hinauskommen. Heimweh die Heimatlosen? — Das Leid heißt vielmehr Sehnsucht nach den Waldber- gen, in welchen sie einmal den Jahreslauf durchlebt. Der schwarze Mathes. Im Hinterwinkel steht die unheimliche Hütte. Ich bin vor Kurzem in ihr gewesen und hab den Raufbold Mathes, den Menschen mit der herben Schale gesehen. Es ist ein gar kleines, hageres Männchen, liegt hingestreckt auf einem Mooslager und hat Arm und Kopf in Fetzen gewunden. Er ist arg verletzt. Die Fenster der Klause sind mit Lappen ver- deckt; der Mann kann das Licht nicht vertragen. Sein Weib, jung und anmuthig, aber abgehärmt zum Erbarmen, kniet neben ihm und netzt ihm mit Holzapfelessig die Stirne. Sein Auge starrt sie fast leblos an, aber sein Mund mit den schneeweißen Zähnen ist, als wolle er lächeln. Der Mann riecht stark nach Pechöl. Als ich eintrete, hockt ein blasser, schwarz- lockiger Knabe und ein helläugiges Mädchen zu seinen Füßen und diese Kinder spielen mit Moos- flocken. „Das wird ein Gärtelein,“ sagt das Mäd- chen, „und da baue ich weiße Rosen an!“ Der Knabe bildet aus dem Moose ein Kreuz und ruft: „Vater, jetzt weiß ich es: ich mache den Holdenschlager Freithof!“ Die Mutter erschrickt und verweist den Klei- nen das gellende Geschrei; der Mathes aber sagt: „Je, schreien magst sie schon lassen; den Freithof wird auch noch Einer brauchen. Aber, Eines, Weib, laß dem Lazarus seinen Jähzorn nicht gelten. Um des Herrgotts Willen, nur das nicht! Du schweigst? Du willst mein Wort nicht halten? Meinst etwan, du verstündest es besser, als ich?! Du! ich sag’ dir’s, Weib! —“ Die Lappen reißt er von den Armen und will sich aufrichten. Das Weib sagt ihm liebreiche Worte und schiebt ihn sanft zurück. Mehr noch aber schiebt die Schwäche und er sinkt auf das Lager. Die Kinder sind aus der Hütte gewiesen worden, und auf dem sonnigen Wiesenplane bin ich eine Weile bei ihnen gewesen und habe mich mit ihnen unter Spielen und Märchenerzählen ergötzt. Ein par Tage später komme ich wieder hinauf. Da geht es dem Kranken ein gut Theil schlechter. Er kann sich nicht mehr aufrichten, wenn die Wuth kommt. „So viel geschlagen ist er worden,“ hat mir das betrübte Weib mitgetheilt. Ich bin anfangs durch die Kinder eingeführt worden und genieße im Hause des Mathes einiges Vertrauen. Ich gehe öfters hinauf; ich will all- zumal auch das Elend im Walde kennen lernen. Einmal, als der Mathes in einem tiefen, ruhigen Schlummer liegt, und ich neben dem Lager sitze, athmet das Weib schwer auf, als trüge sie eine Last. Dann sagt sie die Worte: „Ich ge- trau’ mir’s wol zu sagen, auf der Welt gibt es keine bessere Seel’, als der Mathes ist. Aber wenn ein Mensch einmal so gepeinigt worden von den Leuten, und so niedergedrückt und so schwarz ge- macht, wie er, so müßt’ er kein frisch’ Tröpfel Blut im Leib haben, wollt’ er nicht wild werden.“ Und ein wenig später fährt sie fort: „Ich wüßt’ zu reden, ich hab’ ihn von Kindeszeit auf gekannt.“ „So redet,“ habe ich entgegnet, „in mir habt ihr einen Menschen vor euch, der Herzenskummer niemalen böse deuten mag.“ „Lustig ist er gewesen, wie ein Vöglein in den Lüften; hell zuckt hat Alles an ihm vor lauter Freud’ und Lebendigkeit. Und er hat’s damalen noch gar nicht gewußt, daß er zwei großmächtige Meierhöf’ erben sollt’; hätt’s wahrhaftig auch nicht Rosegger: Waldschulmeister. 9 geachtet; am liebsten ist ihm die Erden Gottes gewesen, wie sie daliegt im hellen Sonnenschein. — Wartet nur, ’s ist nicht allerweg’ so fortgegangen.“ Und nach einer weiteren Weile fährt das Weib fort: „In seinem zwanzigsten Jahr herum mag’s gewesen sein, da ist er einmal mit einer Kornfuhr in die Kreisstadt gefahren. Das Fuhr- werk hat ein Ueberreiter zurückgebracht; der Mathes ist nicht mehr heimgekommen.“ „Oho! heimgekommen schon!“ unterbricht sie der Kranke, und will sich heben. — „Es ist nichts Unrechtes, daß du erzählst, Weib, aber wissen wirst es nicht recht, bist ja nicht dabei gewesen, Adel- heid, wie sie mich erwischt haben. Ich erzähl’s selber. Wie ich in der Stadt mein Geschäft fertig hab’, geh’ ich in’s Wirthshaus, daß ich mir ein klein wenig die Zunge netz’. Auf dem Kornmarkt, müßt’ ihr denken, wird das Red’werk trocken, bis der letzte Sack vom Wagen geschwätzt ist. — Wie ich in die Wirthsstuben tret’, sitzen ihrer drei, vier Herren bei einem Tisch, laden mich ein, daß ich mich zu ihnen setz’, und mit ihnen Wein trink’. — Freundlich sind die Herren gewesen, eingeschenkt haben sie mir.“ Der Mann unterbricht sich, um Athem zu schöpfen; sein Weib bittet ihn, daß er sich schone. Der Kranke hört es nicht und fährt fort: „Von den Welschen haben sie erzählt, die in Ewigkeit keine Ruh’ geben wollen, und von den Kriegs- zeiten und dem lustigen Soldatenleben; und gleich darauf fragen sie wieder, wie das Korn gerathen, was das Schäffel koste. Ich bin lustig worden, hab’ meine Freud’ gehabt, daß sich mit den weltfremden Leuten so schön über allerhand schwätzen läßt. Da hebt Einer das Glas: Unser König soll leben! — Wir stoßen an, daß schier die Gläser springen; ich schrei dreimal lauter, als die Andern: Der König soll leben!“ — Der Kranke bricht ab, es zittern ihm die Lippen. Nach einer Weile murmelt er dumpf: „Mit diesem Ruf ist mein Unglück ange- gangen. — Wie ich wieder fort will, springen sie auf, halten mich fest: Oho, Bursch, du bist unser! — Unter die Werber bin ich gerathen. Fortgeführt haben sie den jungen, noch gar nicht ausgewach- senen Menschen; — unter die Soldaten haben sie mich gesteckt und verkauft bin ich gewesen.“ Mit den knochigen Fingern zerballt der Mathes eine Moosflocke. „Gräm’ dich nicht, Weib,“ stößt er hervor, „bin schon besser. Mit meinen letzten Worten will ich das Gezücht’ noch niederschlagen. Das kann ich wol sagen: auf weitem breitem Feld bin ich nicht so wild gewesen, wie auf dem Todten- bette hier. — Heim hätt’ ich mögen, heim hat’s 9* mich zogen mit schweren guldenen Ketten. Und einmal, mitten in der stürmischen Winternacht bin ich fort und heimzu geflohen. Im Rainhäusel hab’ ich mich aufgehalten bei meiner alten Base. Und jetzt haben mich meine eigenen Landsleute ver- rathen. Auf einmal sind die Ueberreiter da, daß sie mich fangen. Just, daß ich noch aus dem Häu- sel und in den Wald hinaufhusch’ und denk’, wenn sie mich überlistet haben, so überlist ich sie wieder. Zwei große Fanghunde haben umher- geschnuppert, aber ich bin durch den Bach gelaufen und in demselben eine gute Läng’ hinan, daß die Aeser meine Spur haben verloren. Und die Ueber- reiter im Häusel haben Alles durchstöbert; in’s Bettstroh und in’s Heu haben sie gestochen mit ihren Messern, die Höllteufel, und die ganze Hütte hätten sie schier umgestürzt. Wie sie mich aber nicht haben gefunden, hat Einer sein Brennscheit meiner alten Base auf die Brust gesetzt: Auf der Stell’ sag’, wo er ist, oder ich schieß dich nieder wie einen Hund! — Ja, da ist er gewesen, und wo er jetzt ist, das kann ich nicht sagen. — Vor die Thür hinaus haben sie drauf das Weibel geschleppt, drei Gewehrläuf’ sind auf ihrer Brust gerichtet und insgeheim haben sie ihr zugemunkelt: Aber gleich schrei, so laut du kannst: Geh nur her, Hiesel, die Ueberreiter sind lang’ schon wieder davon! Willst es nicht thun, wirst morgen begraben. — Von all dem hab’ ich im selbigen Augenblick nichts gewußt, wie ich so im Dickicht versteckt bin. Hab’ aber lang gelauert und gemeint, ’s wär hell erlogen, daß sie mich fangen. Da hör’ ich die Base rufen: Geh her, Hiesel, die Ueberreiter sind lang schon davon! — Ich spring’ auf und der Hütte zu, da seh’ ich schon das Weibel die Händ’ über den Kopf zu- sammenschlagen, da hör’ ich schon das Lachen und ich steh mitten drinn unter den Ueberreitern. Herr- gotts Kreuz! da bin ich wol nach meinem Taschen- veitel gefahren! hat mir aber Einer den Kolben an den Arm gehaut, daß ich die Hand — die link’ Hand da — heutigen Tags noch nicht recht mag lenken. Viel gescheidter und stärker sind sie gewesen, als wie der arme, ausgehungerte Teufel, der Mathes. — Und ein par Tag drauf gehts über mich los. — Herr, wenn jeder Spießruthenstreich ein Blitzschlag auf mich wär gewesen, und ich doch nicht hätt’ versterben können, mir lieber zu tausend- mal als so, da mich ein Mensch geschlagen und be- handelt hat, wie ein leibeigen Thier. — Die zwei- hundert Ruthenstreiche damalen haben den Teufel in mich hineingeschlagen. Zehnfach hab’ ich seither die Streiche zurückgegeben, und gar an meine Genossen im Wald, wenn mich das Blut an- hebt zu jucken. Aber vermeint ist’s wem Andern gewesen, vermeint ist’s den Spießruthenleuten ge- wesen. Damalen hätt’ ich das einzigmal der Herr- gott sein mögen, bei meiner Seel! — in tausend Millionen Scherben hätt’ ich ihn zerschlagen, den verfluchten Erdboden! — Mein zerfetzter Rücken ist mit Essig und Salz eingewürzt worden, der Hei- lung wegen. Oh, es hat Eil’ gehabt. Der Welsche ist in’s Land gefahren, wie der bös’ Feind. Da bin ich freilich auch in die Hitz’ gekommen und hab’ drein gefeuert, wie der Höllische selber. Ein’ einzige Pulverladung hab’ ich noch gehabt, wie der Feind ist zurückgeworfen; für dieselbig’ Kugel hätt’ ich noch wen Andern gewußt; bei uns herüben auf hohem Roß wär’ der Rechte gesessen. Aber das nicht, das nicht! hab’ ich mir gedacht, Aug’ in Aug’ ihn mit den Händen herabreißen vom Schim- mel und mit den Füßen in den Erdboden hinein- vertreten, das wol; aber vom Hinterhalt aus, nein, nein, das ist kein Zeug! — Das Gescheidteste hab’ ich doch noch gemacht, durchgegangen bin ich weg vom Schlachtfeld, und einem Bauern hab’ ich mei- nen Mantel gegeben, daß er mich in seinem Heu- wagen über Land hat geführt. Glücklich bin ich in die Heimat zurückgekommen.“ „Und wenn ihr euere Heimat so geliebt, warum habt ihr nicht für sie streiten wollen?“ unterbreche ich ihn, „warum seid ihr davongegangen?“ „Mag sein, daß es eine Schurkerei gewesen,“ sagt der Mathes, „mag sein.“ „Mag das sein, wie es will,“ ist meine Antwort, „ich kenne einen Mann, der hat nicht nur nicht für sein Land gestritten, sondern gegen dasselbe.“ „Ich bin in meiner Heimat nicht verblieben,“ fährt der Mathes fort, „mein Eigenthum hab’ ich im Stich gelassen, und hab’ mich, daß sie mich nimmermehr finden, in diese hinterste Wildniß ver- krochen. — Gehetzt, gehetzt, Herr Jesus! und in der Wildniß bin ich erst das wilde Thier geworden. Mein Weib, du weißt es.“ Ein gellender Aufschrei war es gewesen; aber die Worte sind wie im Entschlummern gelallt. Er schweigt und schließt die Augen. Wie ein letztes Auflodern der Flamme und ein Verlöschen. „Für einen Hascher haben ihn die Leut’ ge- halten, da er ist zurückgekommen,“ setzt das Weib fort, „Groschen und Pfennige haben sie zusammen- geworfen in einen Hut und ihm denselbigen Hut wollen schenken. Dafür hätt’ der Mathes bald ein par todtgeschlagen; er will nichts geschenkt haben. Wie ihn darauf die Leut’ zu Dutzenden verfolgt, ist er auf einen Lärchbaum geklettert, hat sich von einem Wipfel auf den andern geschwungen, wie eine Waldkatz; und da haben die Leut’ gesehen, daß er doch kein Hascher. Aber das Hieselein haben sie ihn spottweise geheißen. — Nachher — ja frei- lich wol — hat er sich ein Mädel ausgesucht —“ „Das allerschönste im Wald!“ unterbricht sie der Kranke wieder, „und ein solcher Hoffahrtsteufel ist in ihm gewesen, daß er — der Halbkrüppel — demselbigen Mädchen die Treu’ nur versprochen, im Fall er kein Schöneres mehr sollt’ finden. Heiliges Kreuz, was ist da nicht gerauft worden! Andere haben das Mädel auch haben wollen. Den Vor- nehmsten und Saubersten hab’ ich die Adelheid an der Nase vorbei heimgeführt, und eine Bravere hätt’ ich nimmer finden mögen.“ Wieder schweigt er und überläßt sich dem Halbschlummer. „Fürchterliche Schläg’ hat er oftmalen be- kommen,“ sagt das Weib, „aber auf den Füßen ist er geblieben, und da hat ihn Einer herum- schleudern mögen, wie der Will’. Und weil er nie gefallen und nimmer auf dem Boden ist gelegen, so haben sie ihn das Stehmandel geheißen. — Rechtschaffen gut haben wir allbeid’ zusammen ge- lebt,“ fährt sie leiser fort, „aber seine Wildheit hat er nicht lassen mögen. Zu jedem Samstagabend hat er sein Messer geschärft für das Erlholz- schneiden; aber oftmalen hab’ ich gebeten: lieber Mann, um Christiwillen, lass’ das Messerschärfen sein! — Am Sonntag ist er zum Kranabethannes gegangen; zu später Mitternacht ist er mir heim- gekommen mit blutigem Kopf. Allerweg hat’s mir geschwant, einmal werden sie ihn bringen auf der Tragbahr. — Und sonst, wenn er ruhig und nüch- tern gewesen, da hat’s gar keinen besseren, fleißi- geren und hilfreicheren Menschen gegeben im gan- zen Waldland, als den Mathes. Da hat er lustig sein und wie ein Kind lachen und weinen können. Freilich ist ihm, weil er Soldatenflüchtling, sein Heimatsgut draußen im Land verfallen gewesen; aber mit bluteigenen Händen hat er die Kinder ernährt, und gar für andere Leut’, die sich nichts mehr erwerben mögen, hat’s noch gelangt. Die Kranken hat er besucht und sie getröstet, schier wie ein Pfarrer. Wegen seiner Redlichkeit und Verläß- lichkeit haben sie ihn im Holzschlag zum Meister- knecht gemacht. Und dennoch hat zum Sonntag der Wirth die Händ’ über den Kopf zusammengeschla- gen, ist das Hieselein gekommen, das sie nun schon allfort das schwarze Hieselein geheißen haben. Ist es auch ganz heiter und voll Gemüthlichkeit zur Thür hereingestolpert, so ist doch darauf zu schwö- ren gewesen, daß es ohne ein fürchterlich’ Raufen nicht abgeht. Er hat’s nicht lassen mögen. Im Branntwein hat er sein Elend ersäufen wollen; aber der Branntwein hat die zweihundert Ruthen- streiche wieder lebendig gemacht. Händel hat er ge- stiftet, bis das helle Blut ist geronnen. Nieder- geschlagen haben sie ihn und geschrieen: So, Hiese- lein, jetztund stiftest leicht keinen Unfried mehr! — aber das Hieselein ist aufgestanden. Dasselb’ ist aber wahr, nüchtern geworden, hat er Jedem Alles wieder abgebeten. — Zuletzt aber, du meine heilige Mutter Gottes, da ist das Abbitten nicht mehr angegangen. — Die Holzschläger sind All’ zum Kranabethannes gekommen, daß sie dem Raufer, gleichwol er ihr Meisterknecht, im Wirthshaus den Herrn einmal zeigen. Erstlich, wie sie sehen, daß er Branntwein trinkt, ein Glas um’s andere, haben sie angefangen, ihn zu necken und zu höhnen, bis er wild wird und dreinfährt. Sie sind All’ über ihn her, haben ihn niedergeworfen, haben ihm Haar und Bart gerauft. Und zur selbigen Stund’ hat ihn der Schutzengel verlassen; eine Hand frei, fährt er nach dem Messer, stößt es dem Köhler Bastian in die Brust. — Jetzt haben sie den Mathes geschlagen, daß er liegen geblieben auf der Erden. Zwei Wurzner haben ihn heimgetragen. Leicht bin ich morgen Witwe, und die armen Kinder —“ Das Weib bricht in Schluchzen aus. Da richtet sich der Mathes noch einmal auf: „Mit euch hat’s der Herrgott recht gemacht. Etwan hätt’ ich euch doch noch erschlagen im Jähzorn. — Das aber sag’ ich, daß ich so nicht versterben mag. Aufsteh’ ich und geh’ zum Gericht, und klag’ An- dere an, daß ich den Bastian hab’ erstochen. Von den hinterlistigen Werbern an, die mich aus mei- nem Jugendfrieden in die blutige Welt geliefert haben, wo ich geschändet worden mit Peitschen- hieben und verhetzt wie ein Hund, und abgerichtet zum Menschenmorden — — bis auf den Köhler Bastian, der mir mit Hohn und Spott selber noch das Messer aus der Scheiden hat gelockt — — Alle ruf’ ich vor den Richterstuhl, Alle müssen dabei sein, wenn mir der Freimann den Hals bricht.“ Das Weib kreischt auf; der Mann sinkt röchelnd auf das Moos zurück. Da hüpfen und jauchzen die Kinder zur Thür herein. Sie zerren ein weißes Kaninchen bei den Ohren mit sich, lassen es in der Stube frei, und der Knabe verfolgt es. Das bedrängte Thierchen hüpft zum Mooslager und dem Kranken über die Beine. Im Winkel bleibt es sitzen und schnuppert und sieht mit seinen großen Augen angstvoll her- vor. Der Knabe schleicht ihm bei, und erwischt es bei den Beinchen. Da winselt das Thier kläglich und beißt den Verfolger in den Finger. — „Wart du! wart du, Rabenvieh!“ wüthet der Knabe und wird glühroth im Gesicht, und seine Augen gehen über und seine Lippen pressen sich, und seine Fin- ger graben sich krampfig in den Hals des Thier- chens — und ehe noch Mutter und Schwester da- zwischen kommen — ist das Kaninchen todt. Der Mathes schlägt sich die Hände in das Gesicht und ruft, daß es mir das Herz erschüttert: „O, fürchterlich! Jetzt lebt der Zornteufel auch in meinen Kindern fort, das muß ich noch erfahren!“ Wenige Minuten hernach bricht der Mann in eine schreckliche Tobsucht aus. Noch an demselben Abend ist er gestorben. Den schwarzen Mathes haben sie im Walde eingescharrt, weil er den Bastian erstochen. Das Weib hat unsäglich geweint auf dem Hügel, und als sie endlich von dannen geführt ist worden, da ist der Einspanig gekommen und hat ein Tannen- bäumchen gepflanzt auf das verlassene Grab. Am Tage der Geburt Mariens 1814. Und so bin ich in den Winkelwäldern herum- gegangen. Ich bin im Hinterwinkel gewesen und in den Miesenbachschluchten, und in den Karwäl- dern und in den Lautergräben und in der Wolfs- grube und im Felsenthale und auf den Triften der Almen, und drüben in der Senke, wo der schöne See liegt. Ich habe diese wundersame Alpengegend kennen gelernt, und zum großen Theile auch die Menschen, die in derselben wohnen. Ich habe mich bei den Alten eingeführt und mit den Jungen be- kannt gemacht. Es kostet Mühe und es gibt Miß- verständnisse. Die besten dieser Leute sind nicht so gut, und die schlechtesten nicht so schlecht, als ich mir vor Zeiten gedacht habe. Ein par Ausnahmen aber gibt es doch. Ich muß sogar ein wenig unredlich sein; sie dürfen es nicht wissen, weshalb ich da bin. Viele halten mich für einen Flüchtling, und sind mir deshalb gewogen. Ein Mensch, den diese Wäldler gern haben mögen, muß von der Welt verachtet und verlassen und verbannt sein, muß schier so wild und glück- und sorglos sein, wie sie selbst. Ich habe mich denn auch um eine Arbeit umsehen müssen. Ich flechte Körbe aus Rispenstroh und Weiden, ich sammle und bereite Zunder, ich schnitze aus Buchenholz Spielsachen für Kinder. Ich habe mich schon so sehr in dem Zutrauen der Leute be- festigt, daß sie mich das Schärfen der Arbeits- werkzeuge lehren, so daß ich den Holzschlägern die Beile und Sägen scharf zu machen verstehe. Das bringt mir manchen Groschen ein, und ich nehme ihn an — muß ja angewiesen sein auf meiner Hände Arbeit, wie Alle hier. In meiner Stube sieht es bunt aus. Und da sitze ich, wenn draußen schlecht Wetter oder der lange Herbstabend ist, zwischen den Weidenbüscheln und Holzstücken und den verschiedenen Werkzeugen, und schaffe. Selten bin ich allein dabei; es plaudert mir meine heitere Hauswirthin vor, oder es sitzt ein Pecher oder Wurzner, oder Kohlenbrenner neben mir, und schmaucht sein Pfeifchen und sieht mir schmunzelnd zu, wie ich das Alles anfange und zu Ende bringe, und greift letztlich wol gar selber an. Oder es sind Kinder um mich, denen ich Märchen erzähle, oder die mit den Schnittspänen spielen, bis auch das Spielzeug in meiner Hand fertig ist. An Sonn- tagen sitzt gar der Förster stundenlang bei mir, und hört meine Erfahrungen und Pläne in Bezug der Winkelwaldleute. Wir besprechen Allerlei, und zuweilen schreibe ich einen langen Brief an den Herrn des Waldes. Die Holzschläger, die früher drüben in den Lautergräben gereutet haben, ziehen sich immer mehr gegen das Winkel herüber, und schon einige Male hab’ ich durch den stillen Wald das Donnern eines fallenden Baumes vernommen. Von der Lauter- kuppe schaut seit einigen Tagen eine röthliche Tafel herab, die sich von Tag zu Tag ausdehnt und in der Morgensonne freundlich zwischen dem dunkeln Grüne des Waldes niederleuchtet. In den Schluchten der Winkel gegen die Straße hinaus arbeiten Steinbrecher und Teich- gräber; es wird ein Fahrweg angelegt, daß die Kohlen und Holzstämme hinausbefördert werden können. Ich gehe gerne zu den Arbeitern herum und sehe ihnen zu, und spreche mit ihnen, auf daß ich mir in den Dingen einige Erfahrungen sammle. Zuweilen aber sind die Leute doch ein wenig mißtrauisch gegen mich, und begegnen mir mit ihren Vorurtheilen. Ich trage gerne ein Büchelchen von Wolfgang Göthe mit mir herum, und wo so ein schönes lauschig Plätzchen ist, da setze ich mich auf einen Rasen oder auf einen Stein und lese in dem Büchelchen. Dabei bin ich schon mehrmalen aus dem Hinterhalte beobachtet worden. Und da schleicht im Walde das Gerücht herum, ich sei ein Zau- berer und hätte ein Büchlein mit lauter Zauber- sprüchen. Ich habe nachgedacht, ob mir dieser seltsame Nimbus für meine Pläne Anfangs nicht einigen Vortheil brächte. Gewiß wären die Eltern leicht zu bewegen, ihre Kinder von mir das Lesen lehren zu lassen, wenn ich ihnen sagte: Versteht Einer nur erst die Zaubersprüche in dem Büchlein, so kann er teufelbeschwören, schatzgraben, wettermachen, oder je nach Bedarf die Wettermacher unschädlich halten nach Belieben. Ich denke, daß selbst Erwachsene und gar Grauköpfe ihre Arbeitswerkzeuge fallen lassen und zu mir in die Schule gehen würden. — Von mir aber wäre es schändlich und ich thäte dadurch nur das Verkehrte erreichen von dem, was ich will. Nicht, daß die Leute lesen und schreiben lernen ist die Hauptsache, sondern, daß sie von den schädlichen Vorurtheilen befreit werden und ein reines Herz haben. Freilich könnte ich ihnen später Bücher der Sittenlehre unterschieben und sagen: Da drin stehen die echten Zaubersprüche; aber die Getäuschten hätten kein Vertrauen mehr zu mir, und das Uebel wäre größer, anstatt kleiner. Nicht auf Umwegen wollen wir schleichen; eine gerade Straße hauen wir durch das Urge- stämme der Wildniß. Ich habe aus dem Buche den Leuten einige- male Lieder vorgelesen; den Mädchen das „Heiden- röslein“ und den Burschen das „Christel“ gelehrt. Gleich haben sie — ich weiß gar nicht, woher — eine Weise dazu, und jetzt werden die Lieder im Walde schon vielfach gesungen. Und so ist nun der Herbst gekommen. Der Himmel ist, wenn die Morgennebel in den Thälern sich lösen, hell und rein und alle Wolken sind auf- gesogen. Die Nadelwälder sind dunkelbraun, die Laubhölzer sind geld oder roth, und auf der Thal- wiese grünt es frisch, oder es liegt auf derselben das matte Silber des Reifes. In diesen Wäldern ist der Herbst buntfarbiger und fast lieblicher, als der Lenz. Der Frühling ist ein übermüthiges Glitzern und Schillern, Singen und Jauchzen aller- wege; der Nachsommer hingegen ist, wie ein stiller, feierlicher Sonntag. Da horcht und gehorcht nichts mehr der Erde; da lauscht Alles ahnungsvoll dem Himmel und der Athem Gottes säuselt stimmungs- volle Lieder durch die gold’nen Saiten der milden Sonne. Rosegger: Waldschulmeister. 10 Und hoch oben in der Buchenkrone löset sich ein müdes Blättchen los, sinkt nieder von Ast zu Ast und tänzelt an unendlich zarten schillernden Spinnenfäden vorüber und hernieder zu mir auf den kühlen schattigen Grund. — Die Menschen in der Ferne, mit denen ich vormaleinst gelebt, was werden sie treiben? Das außerordentliche Mädchen blüht immer — immer — auch im Herbst; — im Sachsenland werden die dürren Blätter wehen über Gräbern . . . . Einsamkeit kann einsam Leid nicht bannen. Ich muß mich nach Dingen umsehen, die mich zer- streuen und erheben und die mich nicht einseitig werden lassen in meiner Umgebung. Ich habe begonnen, Pflanzenkunde zu treiben; ich habe mit meinen Augen aus Büchern heraus- gelesen, wie die Eriken leben und die Heiderosen und andere; und ich habe mit meinen Augen die- selben Pflanzen betrachtet, stunden- und stunden- lang. Und ich habe keine Beziehung gefunden zwischen dem todten Blatt im Buche und dem lebendigen im Walde. Da sagt das Buch von der Genziane, diese Pflanze gehöre in die fünfte Klasse, unter dieser in die erste Ordnung, komme in den Alpen vor, sei blaublüthig, diene zur Medizin. Es spricht von einer Anzahl Staubgefäßen, von Stem- pel- und Fruchtknoten u. s. w. Und das ist der armen Genziane Tauf- und Familienschein. O, wenn so eine Pflanze ihre eigene, mit eitel Ziffern gezeichnete Naturbeschreibung selbst lösen könnte, sie müßte auf der Stelle erfrieren. Das ist ja frostiger, wie der Reif des Herbstes. Das wissen die Waldleute besser. Die Blume lebt und liebt und redet eine wunderbare Sprache. — Aber ahnungsvoll zittert die Genziane, naht ihr ein Mensch; und mehr bangt sie vor dessen leidenschaftglühendem Hauch, als vor dem todes- kalten Kusse des ersten Schnee’s. So bin ich der Nichtverstehende und Unver- standene. Sinnlos und planlos wirble ich in dem ungeheueren lebendigen Rade der Schöpfung. Verstünde ich mich nur erst selbst. Kaum nach dem Fieber der Welt zu Ruhe gekommen und mich des Waldfriedens freuend, drängt es schon wieder, einen Blick in die Ferne zu thun, soweit des Menschen Auge kann reichen. — Dort auf der blauen Waldesschneide möcht’ ich stehen, und weit hinaus in’s Land zu anderen Menschen sehen. Sie sind nicht besser, wie die Wäldler und wissen auch kaum mehr; jedoch sie streben und ahnen und suchen dich, o Herr! . . . . 10* Auf der Himmelsleiter. Eines schönen Herbstmorgens habe ich mich aufgemacht, daß ich den hohen Berg besteige, dessen höchste Spitze der graue Zahn genannt ist. — Bei uns im Winkel herunten ist doch allzuviel Schatten, und da oben steht man im Lichtrunde der weiten Welt. Es ist kein Weg, man muß gerade aus, durch Gestrüppe und Gesträuche und Gerölle und Zirmgefilze. Nach Stunden bin ich zu der Miesenbach- hütte gekommen. Das junge heitere Paar ist schon davon. Die lebendige Sommerszeit ist vorbei; die Hütte steht in winterlicher Verlassenheit. Die Fenster, aus der sonst die Aga nach dem Burschen geguckt, sind mit Balken verlehnt; der Brunnen davor ist verwahrlost und sickert nur mehr, und das Eiszäpfchen am Ende der Rinne wächst nieder- wärts — der Erde zu. Die Glocke einer Herbst- zeitlose wiegt daneben, die läutet der versterbenden Quelle zu ihren letzten Zügen. Das Gartenbeetlein, das die Sennin im Sommer so sorgsam gepflegt hat, auf welchem lieblich und mild die hellen Blüten haben geflammt, wuchert jetzt wild, halbverdorrt, zernichtet. O, wie sehnsuchtsvoll wartet im jungen Frühling unser Auge auf die ersten Blumen des Gartens! Mit all unseren Mitteln stehen wir dem Beete bei in seinem Keimen; wie schützen wir es in seinem Grünen und Blühen, mit welch’ stolzer Freude be- wundern wir sein hochzeitliches Prangen! — Nun aber beginnt unsere Liebe für den Garten mälig zu erkühlen, wir reichen ihm nicht mehr unsere Hände. Allein prangt er weiter und wird eine wuchernde Wildniß von unsäglicher Schönheit. Aber umsonst — des Menschen Gemüth ist satt geworden, und der Garten wuchert und verwuchert und verblaßt — unverstanden und unbeklagt. In meinem Gärtlein wachsen brennende Nesseln, und Hummeln summen darin. Ich sollt’ wol irgendwen haben, der es bestellt! . . . . Geht hinweg, ihr bösen Geschichten! ein Narr könnt’ Einer werden, wollt’ man d’ran denken . . . . Ich habe mich auf den Kopf des Wasser- troges gesetzt und mein Frühstück verzehrt. Das ist ein Stück Brotes aus Roggen- und Hafermehl ge- wesen, wie es hier allerwärts genossen wird. Das ist ein Essen, wie es — buchstäblich — den Gaumen kitzelt; recht grobkörnig und voll Kleiensplitter. Draußen im Land, wo Weizen wächst, thät’ so ein Backwerk nicht schmecken; hier ist es ganz der Ge- genstand der Bitte: Gib uns heut’ unser täglich Brot! — Gibt aber auch Zeiten in dieser Gegend, in welchen der Herrgott selbst mit dem Haferbrote kargt; da kommt gedörrtes Stroh und isländisch Moos unter den Mühlstein. Mir gesegne Gott das Stück Brot und den Schluck Wasser dazu! Nachher heb’ ich an, weiter zu steigen. Zuerst bin ich über das Kar hingegangen, aus dessen Mulden überall graue, verwaschene Steine hervor- quellen. Dazwischen stehen falbe Federgrasschöpfe und Flechtengefilze. Einige zarte, schneeweiße Blüm- lein wiegen sich auch und blicken ängstlich um sich, als hätten sie sich gar sehr verirrt in die Felsenöde herauf und möchten gerne wieder zurück. Von dem einst so schönen rothen Meere der Alpenrosen stehen die spießigen Struppen des Strauches. Ich steige weiter, umgehe einige Felswände und die Kuppe des Kleinzahn, dann schreite ich einer Kante ent- lang, die sich gegen den Hauptgebirgsstock hin- zieht. Da habe ich die blendenden Felder der Gletscher vor mir, glatt, mildleuchtend wie Elfen- bein, sich hinlegend in weiten sanften Lehnen und Mulden oder in schründigen, vielgestaltigen Eis- hängen von Höhe zu Höhe. Dazwischen ragen kahle Felsthürme auf, und dort in luftiger Ferne über die lichten Gletscher erhebt sich ein dunkelgrauer, scharfzacki- ger Kegel, weit emporragend über die höchsten Gipfel des Gebirges. Das ist mein Ziel, der graue Zahn. Ein scharfkalter Luftstrom hat gerieselt von den Gletschern her und das ganze unmeßbare Himmelsrund ist fast finsterblau gewesen, daß ich über den grauen Zahn herüber jenen Stern hab erblickt, den wir zur ersten Morgen- oder Nachtstunde so wundersam leuchten sehen und den sie die Venus heißen. Es ist aber doch die Sonne gestanden hoch in dem Gezelt. Die fernen Schneeberge und Felshäupter sind so klar und niedlich gewesen, daß ich schier vermeint, sie lägen ein par Büchsenschußweiten vor mir und wären aus glitzerndem Zucker geformt. Gegen Morgen hin fällt die Gegend ab in den hügeligen Grund des dämmernden Waldes. Und die sonst so hochragenden Almweiden liegen tief wie in einem Abgrunde, und dort und da liegt das graue Würfelchen einer Almhütte, von dem nur die eine Fläche, das Dach heraufschimmert. Von der Mitternachtsseite heran gähnen die schauerlichen Tiefen des Gesenkes, in deren Schatten das schwarze glanzlose Auge des Sees starrt. Nun bin ich ein par Stunden den beschwer- lichen und gefährlichen Weg der Kante entlang gegangen bis zu den Gletschern. Hier hab ich meine Steigeisen an die Füße gebunden, das Ränzlein enger geschnallt und den Bergstock fester in die Hand genommen. Der Bergstock ist ein Erbstück von dem schwarzen Mathes. Es sind in diesem Stocke eine Unzahl kleiner Einschnitte, die aber nicht andeuten, wie oft etwan sein früherer Eigner den Zahn oder einen andern Berg bestiegen, sondern wie viel Leute er im Raufen mit diesem Knittel zu Boden geschlagen. Ein umheimlicher Geselle! — und mir hat er emporhelfen müssen über die weite, glatte Schneelehne, hinweg über die wilden Eis- schründe und letztlich hinan den letzten steilen Hang auf die Spitze des Zahn. Hat’s getreulich gethan. Und wie gerne hätte ich von diesem hohen Berge aus dem Mathes nachgerufen in die Ewigkeit: Freund, das ist ein guter Stock, wärst hoch mit ihm gekommen, hättest ihn verstanden! Jetzt steh’ ich oben. Wenn ich so ein Wesen thät’ sein, das sich an den Sonnenfäden könnt’ emporspinnen in das Reich Gottes . . . . Unter einem Steinvorsprung auf verwittertem Boden hab ich mich hingesetzt, hab die Dinge be- trachtet. Hart um mich sind die feinen zerbröckeln- den Zacken der völlig senkrecht liegenden Schiefer- tafeln gewesen. Ueber mir wogt vielleicht ein scharfer Luftstrom hin; ich höre und fühle ihn nicht; mich schützt der Felsvorsprung, die höchste Spitze des Zahn. Auf meine Glieder legt sich die freundliche Wärme des Sonnensternes. Die Ruhe und die Himmelsnähe thun wohl. Ich sinne, wie das wäre in der ewigen Ruh . . . . Und selig sein! — ewig im Glück, ewig zufrieden und schmerzlos leben; nichts wünschen, nichts verlangen, nichts fürchten und hoffen durch alle Zeiten hin . . . . Ob das nicht doch ein wenig langweilig wird? Ob ich mir nicht etwan doch einmal Urlaub nehmen möcht’, daß ich hier unten wieder könnt’ die Welt an- schauen. Mein Gutsein dahier geht leichtlich in eine Nußschale hinein. Aber ich meine, wenn ich einmal oben wär; herunten wollt’ ich wieder sein. ’s ist ein Eigenes um irdisch Freud’ und Schmerz! Nur Eines wollt’ ich mir bedenken, ginge ich auf Urlaub zurück. Ein gutes Engelein müßte mir seine Flügel mitleihen; wie wollt’ ich fliegen über die weißen Höhen und sonnigen Gipfel und lufti- gen Kanten, bis in die Ferne dort, wo die Säge der Gebirgskette den lichten Himmel durchschneidet; und auf jenem letzten weißen Zähnchen wollt’ ich ruhen und hinblicken in die Weiten des Flachlan- des und zu den Thürmen der Stadt. Vielleicht könnte ich den Giebel des Hauses erblicken, oder gar das Gefunkel des Fensters, an dem sie steht . . . . Und thät’ ich das Gefunkel desselbigen Fen- sters erblicken, dann wollt’ ich gern umkehren und zurück in den Himmel. Ob es wol wahr ist, daß man von dieser Spitze aus das Meer kann sehen? — Meine Augen sind nicht klar, und dort in Mittag zittert das Graue der Erde mit dem Grauen des Himmels ineinander. — Den festen Boden kenne ich; was Moder ist, nennen sie fruchtbare Erde. Könntest du, mein Augenblick, nur ein einzigmal das weite Meer erreichen! — — Als endlich die Sonne sich so hat gewendet, daß der blaue Schatten ist erschienen auf meiner steinigen Ruhestatt, da habe ich mich erhoben und bin emporgestiegen auf den allerhöchsten Punkt. Ich habe den Rundblick gethan in die ungeheuere Zackenkrone der Alpen. Und darnach bin ich niedergestiegen an den Felshängen, den Gletscherschründen, den Schneefel- dern; bin hingegangen auf dem langen Grat, bin endlich wieder herabgekommen auf die sanften, weichen Matten. Da sind vor mir wieder die Waldberge gewesen; aus den Thälern ist die Dämmerung gestiegen. Diese hat mir fast wohl- gethan; vor meinem überreizten Auge hat es noch lange geflimmert und gefunkelt. Eine Weile habe ich die Hand davorgehalten. Und als ich meinen Blick wieder vermocht zu heben, da hat auf den Höhen das Gold der untergehenden Sonne ge- leuchtet. Wie ich zu der Miesenbachhütte komme, vor der ich des Morgens eine Weile gesessen bin, ver- anstaltet der schalkhafte Zufall eine Begebenheit. Ich denke, da ich so vorübergehen will, just darüber nach, wie freundlich und heimatlich ein bewohntes Menschenhaus dem Wanderer entgegen- grüßt, hingegen aber, wie so eine leere, verlassene Stätte gespensterhaft dasteht, schier wie ein hoch- ragender Sarg. Da höre ich von der Hütte her plötzlich ein Gestöhne. Meine Füße, sonst recht müde schon, sind auf einmal federleicht geworden, haben davonlaufen wollen, aber der Kopf hat sie nicht fortgelassen, und die Ohren haben angestrengt gelauscht, und die Augen haben gelugt. Unter einem Winkel des Dachvorsprunges ist ein Pfauchen und Schnaufen, und da sehe ich gar was recht Sonderbares. Aus der rohen, braunen Holzwand ist ein Menschen- haupt mit Brust, zwei Achseln und einer Hand herausgewachsen, und allsammt ist es lebendig und zappelt, und von innen höre ich, wie Knie und Füße poltern. Aha, denke ich, ein Dieb, der sich da drin vielleicht die Taschen ein wenig zu voll angestopft hat und beim Herauskriechen unselig stecken geblie- ben ist. — Es ist ein junger Kopf mit krausem Haar, aufgestrichenem Schnurbärtlein, weißem Hemd- kragen und rothseidenem Halstuche, wie man das sonst in diesen Wäldern selten findet. Wie er mich gewahr wird, schreit er hell: „Du heiliges Kreuz, aber das ist ein Glück, daß da Einer kommt. Erweiset mir die Gutthat und helfet mir ein wenig nach, es braucht nur ein klein Rukel. Das ist schon ein verflixt Fenster, das!“ „Ja, Freund,“ sage ich, „da muß ich dich früher wol ein wenig ausfragen. Wissen thät’ ich’s, wer dich am leichtesten könnt’ herauskriegen; der Gevattersmann mit der rothen Pfaid, der thät’ dir schön sachte das Stricklein an den Hals legen, ein wenig anziehen — gleich wärst heraußen in der freien Luft.“ „Dummheiten,“ entgegnet er, „als ob der ehrlich Christenmensch nicht kunnt stecken bleiben, ist das Loch zu eng. Ich bin der Holzmeistersohn von den Lautergräben und geh’ heut über die Alm in den Winkelegger Wald hinab. Wie ich da an der Hütten vorbeigeh’, seh’ ich die Thür angelweit offen, daß sie der Wind allfort hin- und herschlägt. ’s ist nichts drin, denk’ ich bei mir selber, gar nichts drin, was der Müh’ werth wäre, daß sie’s forttrügen, aber eine offene Thür in einem stock- leeren Haus mag Eins nicht leiden; über den gan- zen Winter hindurch der Schnee hereinfliegen, das ist keine gute Sach’. Die Sennin muß es eilig gehabt haben, wie sie ab in’s Thal getrieben hat — das ist schon die Rechte, die Alles offen läßt. — Nu, ich geh’ darauf hinein, mach’ die Thür zu, und rammle von innen ein par Holzstücke vor, steig’ nachher auf die Bank, will durch’s Rauch- fenster hinaus, und verklemm mich da, das schon des Teufels ist.“ Ich hab dem Burschen aber noch nicht getraut und guck’ ihm eine Weile zu, wie er zappelt. „Und stecken bleiben, meinst, wolltest nicht da unter dem Dach, bis morgen ein par Leut’ kommen und dich kennen thäten?“ Da knirscht er mit seinen Zähnen, und macht die heftigsten Anstrengungen, aus seiner bösen Lage zu entkommen. „Muß morgen in aller Früh zu Holdenschlag sein,“ murmelt er. „Was willst denn zu Holdenschlag?“ sage ich. „Nu mein Gott, weil eine Hochzeit ist!“ brummt er schon recht unwirsch. „Und mußt leicht wol dabei sein?“ Er will nicht mehr antworten. „Jessas und Anna, weil ich dazu gehör’!“ stößt er endlich heraus. „Nachher freilich, nachher müssen wir schon trachten, daß wir dich loskriegen,“ sage ich, klettere an der Wand ein wenig empor, und heb’ an dem Burschen zu zerren an, bis wir die zweite Hand heraus haben; dann geht’s schon leichter. Nicht lange darauf, so steht er am Boden, sucht seinen davongerollten Spitzhut auf, schlingt sich die steif- gewordenen Arme und Beine ein, blickt mit hoch- rothem Gesicht nochmals empor zu dem Rauchfenster- lein und ruft: „Du Höllsaggra, da hat’s mich der- wischt gehabt!“ Dann sind wir in der Dämmerung zusammen hinabgestiegen gegen den Winkelegger Wald. Der Bursche hat nicht recht mit mir reden wollen. Ich habe versucht, meine Bosheit gut zu machen, habe ihn versichert, daß ich’s ja gleich erkannt, er sei kein Dieb. „Und morgen wirst also zu Holdenschlag bei der Hochzeit sein! Bist zuletzt gar der Braut- führer, he?“ „Der Brautführer, nein, dasselb’ bin ich nicht.“ „Leicht hätten sie’s zu Holdenschlag auch allein gemacht, wärst da oben stecken geblieben.“ Er zieht den Hut über die Augen, und blickt auf die schlüpferigen Baumwurzeln, über die wir nun hinabsteigen. „Allein,“ meint er endlich, „nein, dasselb’ glaub’ ich nicht. Wisset, die Sach’ geht halt so zu, allein machen sie es schon deswegen nicht, weil — weil’s völlig so ausschaut, wie wenn ich der Bräu- tigam wär’.“ Dieses Wort gehört, bin ich stillgestanden, hab den Burschen eine Weile angestarrt und gedacht, wie das böse wäre, wenn unten die Braut und die ganze Hochzeit harren und harren thäten, und der Bräutigam steckt oben im Rauchfenster der Sennhütte. Der junge Mann hat mich hierauf höflich zu seinem Ehrentag eingeladen. Er hat mich getreulich geführt; wir sind hinabgestiegen durch den finsteren Wald, bis zum engen Thale des Winkelegg. Ein Berg von ausgeschälten Holzblöcken liegt da; das ist der Winkelegger Wald, der auf einer langen Riese Stamm an Stamm herangerutscht gekommen ist. Neben dem Holzhaufen stehen die drei schwarzen, großmächtigen Betten der Meiler, über denen langsam und still milchweißer Rauch emporqualmt zu den Kronen der Schirmtannen und zum nächtlichen Herbsthimmel. Der Holzmeistersohn von den Lautergräben hat mich genöthigt, mit ihm in die Klause zu treten, die unter den Schirmtannen steht. In der Klause sind drei Menschen, zwei Hühner, eine Katze und die Herdflamme. Sonst habe ich kein lebendiges Wesen gesehen. Ein junges Weib steht am Herd und legt Lärchengeäste kreuzweise über das Feuer. Mein Be- gleiter sagt mir, dieses junge Weib sei seine Braut. Hinter dem breiten Kachelofen, der schier bis zu der rußigen Decke der Stube emporgeht, und der mich, den fremden Eindringling, mit sehr gro- ßen, grünen Augen anglotzt, sitzt ein Mütterlein und zieht mit unsicheren Fingern die Bundriemen durch ein neues par Schuhe, wobei es sich allfort die Augen wischt, die schon recht abgestanden sein mögen, wie ein altes Fensterglas, das viele Jahre lang im Rauche der Köhlerhütte gestanden. Mein Begleiter sagt mir, dieses Weiblein sei die Mutter seiner Braut, welche von den Leuten allerwege die Rußkathl geheißen wird. Weiter hin, im düstersten Winkel, sehe ich eine derbe, männliche Gestalt mit entblößtem Ober- körper, die sich aus einem mächtigen Holzbecken mit solcher Gewalt wäscht und abreibt, daß sie schnauft und pfaucht wie ein Lastthier. „Das ist meiner Braut der Bruder,“ erklärt mir mein Begleiter, „er ist der Köhler dahier und sie heißen ihn den Ruß-Bartelmei.“ Dann tritt der Holzmeistersohn zu seiner Braut und sagt ihr, daß er da sei und daß er an mir jenen Menschen mitgebracht habe, der allweg in den Wäldern herumgehe und eine hohe Gelehrsamkeit habe und der ihnen zum Hochzeitstag die Ehre erweisen werde. Das junge Weib wendet sich ein wenig gegen mich und sagt: „Schauet, daß ihr wo niedersitzen mögt, ’s geht halt so viel zerissen zu, bei uns; wir haben nicht einmal einen ordentlichen Sitzstuhl.“ Hierauf spricht der junge Mann eine Weile leise mit seiner Braut. Ich halte, er hat ihr die Geschichte von der Sennhütte erzählt, weil sie auf einmal ausgerufen: „Aber na, du bist aber doch ein rechter Närrisch! Mußt denn überall hinein- gucken, oder bist es von eher so gewohnt worden, da oben bei der Sennhütten?“ Der Bursche wendet sich zu seiner Schwieger- mutter: „Gebt her die Schuh’, ihr laßt ja doch die Löcher zur Hälfte aus; für so feine Arbeit mögt ihr nimmer lugen.“ „Ja, du Paul, dasselb’ ist wol wahr auch,“ keifelt die Alte gemüthlich aus ihrem zahnlosen Munde, „aber hörst, Paul, meine Ahndl hat mei- ner Mutter die Brautschuh eingeriemt, meine Mutter hat’s mir gethan; und ich, für was wäre ich altes Krückel denn auf der Welt, wollt’ ich für meine Annamirl nicht auch einriemen.“ „Leicht kriegt ihr bald andere Arbeit, Mutterle, beim Heideln (Wiegen) braucht ihr nicht zu lugen,“ versetzt der Paul schalkhaft. Rosegger: Waldschulmeister. 11 Da hebt die Annamirl den Finger: „Du!“ Und im dunkeln Winkel ist das vorige Plät- schern und Pfauchen. Ein Mensch, der einmal so angeschwärzt ist, wie der Ruß-Bartelmei, der ver- mag sich nicht mehr so leicht weiß zu waschen vor der Welt und sollte seine Schwester gar den Holz- meistersohn von den Lautergräben heiraten. Und mein Holzmeistersohn zieht die Riemen in die Schuhe seiner Braut. Die Alte, einmal zu den ersten Worten veranlaßt, kommt in’s Schwätzen: „Und vergiß mir’s ja nicht, Annamirl,“ sagt sie, mußt es auch probiren. Einmal wird’s doch anschlagen.“ „Daß ich den Pathengroschen sollt’ anbauen, Mutterle?“ „Dasselb’, ja. Und unter einer Zwieseltann’ mußt du in der Hochzeitsnacht den Groschen ver- graben. Das ist der Geldsamen, und wirst sehen, in drei Tagen wird er blühen, und in drei Mo- naten kann er gleichwol schon zeitig sein. Die Vor- fahren haben es auch so gemacht, aber allen ist’s nicht gelungen. Gewesen ist’s so: Meine Ahndl hat die Zeit versäumt, meine Mutter hat die Zwiesel- tann’ nicht mehr gefunden, und ich hab’ einen un- rechten Groschen in die Erden than. Deswegen, meine Tochter, merk’ dir die Stund’ und die Zwiesel- tann’, und der Groschen wird aufgehen, und Geld genug wirst haben dein Lebtag lang.“ Die Annamirl öffnet eine alte Truhe und be- ginnt in den Kleidungsstücken und anderen Geräthen herumzukramen. Ich glaube, sie hat den Pathen- groschen gesucht. Der Köhler im Winkel aber wäscht und reibt sich. Mehrmals wechselt er das Wasser, und immer wird es schier schwarz wie Dinte. Endlich aber bleibt es nur grau, da läßt der Ruß-Bartelmei ab und trocknet sich; dann kleidet er sich an, setzt sich auf die Thürschwelle, und aufathmend sagt er: „Ja, Leut’, die eine Haut hätt’ ich jetzt herunter und die andere ist noch ein wenig oben.“ Dieselbe aber, die noch ein wenig oben, ist sehr roth geworden, ist stellenweise gar noch ein bischen braun, und es soll doch immer noch der Ruß-Bartelmei sein, der morgen seiner Schwester zur Hochzeit geht. Ich werde eingeladen, daß ich über die Nacht in der Hütte bleibe und die Braut setzt mir gast- lich eine Eierspeise vor, weil ich der „gelehrte Mann,“ der, käme die Zeit und hätten die Kinder einen guten Kopf, leicht zu brauchen wäre. Der Rauch hat die Hühner aus ihrer Abend- ruh’ aufgetrieben; da kommen sie nun zu mir auf das Tischchen und machen hohe Krägen über den Topfrand in meinen Kuchen hinein. Wollen sie zuletzt gar ihre Eier wieder zurückhaben? 11* Auch die Alte kommt mir immer näher, thut zwei- mal den Mund auf und unverrichteter Sache wieder zu, und murmelt dann in ihr blaues Halstuch hinein: „Ich red’s doch nicht — ’s wird gescheidter sein.“ Ich bin ihrer Furchtsamkeit zu Hilfe gekommen: „Allfort wolauf, Mutterle?“ „Dank euch Gott die Frag’,“ entgegnet sie sogleich und rückt mir noch näher, „diemal ja, — unberufen. Was noch kommen wird, weiß Unser- eins nicht. Und daß ich’s nur daher red’, wie ich’s versteh’: Er ist ein gelehrsamer Mann, sagen die Leut, nachher wird Er das Wahrsagen wol auch kennen? — Gar nicht? — Aber das, hätt’ ich gemeint, sollt’ so ein Mensch wol lernen. Und von wegen dem Lottospiel, weil wir schon so weit be- kannt sind: weiß Er keine Nummern?“ „Jeßtl und Josef,“ schreit jetzt das junge Weib plötzlich auf, „eilet, eilet, Mutterle, mir däucht, das Kätzl ist in’s Wasserschaff gekugelt!“ Da wackelt die Alte gegen den Winkel hin, in welchem früher der Bartelmei gewesen; aber das Kätzlein ist schon fort, ist vielleicht gar nie im Wasser gewesen. Die Annamirl wird sich der kindi- schen Fragen ihrer Mutter schämen, und hat ihnen durch obige List ein Ende gemacht. Am andern Tag, als die Morgenröthe durch den weißen Kohlenrauch hat geglüht, sind von allen Seiten des Waldes her Leute gekommen. Schmuck und geschmeidig sind alle gewesen, wie ich sie hier noch nie so gesehen. Sie bringen Hochzeitsgaben mit. Der Pecher kommt mit dem glänzend schwarzen Pechöltopf: „Für die Brautleut’ zur Gesundheit. Was will das Pechöl sagen? Habt ihr im Leben auch Pech zu tragen, müßt ihr ihm gleich das Oel der Geduld zutheilen. Das will das Pechöl sagen.“ Wurzner kommen mit Gesäme und duftenden Kräuter- büscheln; die Ameisgräber kommen mit „Wald- rauch“; Kinder bringen Wildobst in Fichtenrinden- körbchen; Holzhauer tragen Hausgeräthe herbei. Der Schwamelfuchs, ein altes, verhöckertes und verknor- peltes Männlein, schleppt eine großmächtige Thon- schüssel heran, einen rechten Familientopf, wol für ein ganzes Dutzend Esser. Andere bringen hölzerne Löffel dazu; wieder Andere kramen Mehl- und Schmalzkübel aus, und ein Kohlenbrennerweibchen kommt ganz verlegen hereingetorkelt und steckt der Braut ein sorgsam umwickeltes Päckchen zu. Als diese, mit unbehilflichen Worten die Spenderin lobend, es öffnet, kommen zwei wackergestopfte Kapauner zum Vorschein. Das erspäht die alte Rußkathl, die, bereits auch festlich angezogen, er- wartungsvoll an den Wänden herumschleicht, und sie flüstert zu ihrer Tochter: „Weißt wol, Annamirl, wo die best’ Brautgab’ hinkommen muß? Jawol, in den kühlen Erdboden hinein. Nachher kommt eine schöne Frau in guldenem Wagen gefahren, und an den guldenen Wagen sind zwei Kätzlein gespannt, die graben mit ihren Pfoten die Braut- gabe aus, und die Frau nimmt die Gab’ in ihre schneeweißen Händ’ und fährt dreimal um die Hütten herum; nachher kann kein Elend kommen in eueren heiligen Eh’stand.“ — So klingt das Mär- chen von der Freya noch fort im deutschen Walde. Die Annamirl schweigt eine Weile und dreht die schweren, säuberlich gerupften und gefüllten Ge- flügel in der Hand um und um, als wären sie schon am Bratspieß, dann versetzt sie: „Ich halt’, Mutter, in der Erden kunnten sie verfaulen, oder es fräßen sie die Kätzlein, und deswegen ist es, daß ich sag’: wir essen sie selber.“ Zuletzt naht gar der feine Branntweiner mit seinem großen vollbauchigen Plutzer, der gleich einen prächtigen, weingeistigen Geruch verbreitet in der ganzen Hütte. Das riecht der Ruß-Bartelmei, der sofort herbeieilt, um zu sehen, wie so ein Ton- plutzer doch eigentlich gemacht und zugestopft ist. Aber da kommt die Annamirl dazwischen: „Dank dir zu tausendmal Gott, Branntweinhannes, das ist schon gar zu viel, das können wir nicht ab- statten. Das ist leicht das best’ Brautgeschenk, und so thu’ ich damit den alten Brauch.“ Behendig zieht sie den Stöpsel aus dem Plutzer gießt den funkelnden, rauchenden Branntwein bis auf den letzten Tropfen auf den Erdboden. Die Alte kichert und keift: „Du Närrisch du, allbeid’ Kätzlein werden dir rauschig; wird aber das ein Gehetz sein!“ Als Alle beisammen, hat schon die Sonne zur Thür hereingeleuchtet. In der Nacht ist ein Mahl gekocht worden, das die Leute nun mit gutem Appetit und lustigen Worten verzehren. Ich habe ebenfalls davon genossen, und habe mich unter die Kinder gemacht, die da gewesen und denen ich von den Speisen in ihre hölzernen Schüsselchen gefaßt, auf daß sie auch etwas bekommen. Darauf sind wir Alle davongegangen. Bei den Kohlenmeilern bleibt nur ein einziger alter Mann zurück, der mit seinem Eisenhacken lange vor der Thüre steht, ein kurzes, hochthürmiges Pfeifchen schmaucht und uns schmunzelnd nachblickt, bis wir in dem waldschattigen Hohlweg ihm ver- schwunden. Dann liegt nur noch die stille, freund- liche Morgensonne auf den Schirmtannen. Viele Männer des Hochzeitszuges haben sogar Schußgewehre bei sich getragen; aber nicht nach den Thieren zielen sie heute, in die freie Luft schießen sie hinein, und sie halten es für eine große Feier- lichkeit und Pracht, wenn es recht knallt und hallt. Gesungen und gejauchzt wird, daß der Sommer- tag zittert. Herzensfreudige Lieder habe ich da ge- hört; Schalkheiten werden gethan, althergebrachte Spiele unterwegs gehalten und es ist schon Mittag, als wir zur Pfarrkirche von Holdenschlag gelangen. Fünf Männer kommen uns entgegen mit Trom- peten, Pfeifen und einer gewaltig großen Trommel. Mit einer wahren Festfreudenwuth haut der Trommel- schläger drein; und das ist ein Gehetz und mächti- ges Gelächter, als der Schlägel plötzlich das so sehr gemarterte Fell durchbricht und in den Bauch hinein- schießt, um seinem Takte auf dem andern Felle noch rechtzeitig nachzukommen. Ein Bursche schleicht lauernd um den Zug und will uns nach alter Sitte die Braut entführen, allein der Brauthüter wacht. Er wacht eigentlich mehr über seinen Geld- beutel als über die Braut; denn wäre ihm letztere abhanden gekommen, der Entführer hätte sie in ein entlegenes Gasthaus geschleppt und der Brauthüter hätte müssen die Zeche zahlen. Der Bräutigam geht neben der ersten Kranz- jungfrau; erst nach der Trauung gesellt er sich als Ehemann zu seiner Gattin, und nun geht der frü- here Brauthüter mit der Kranzjungfrau, auf daß gleich der Keim zu einer neuen Hochzeit gelegt ist. Der Brauthüter ist mir wol bekannt, er heißt Berthold, die Kranzjungfrau heißt Aga. In der Kirche wird Wein getrunken und der Herr Pfarrer hält eine sehr erbauliche Rede von dem Ehesakrament und den Absichten Gottes. Der gute, alte Herr hat sehr schön gesprochen, aber die Leute aus dem Walde verstehen sein Hochdeutsch nicht recht. Erst im Wirthshause, als wir schon Alle gegessen, getrunken und Schabernack getrieben haben, ist für die Leutchen die rechte Predigt. Da erhebt der alte, bärtige Rüppel sein Weinglas und hebt an zu reden: „Ich bin kein gelehrter Mann, hab’ keinen Doktornzipf auf und keine Kutten an. Thät’ ich mein Weinglas nit haben zur Hand, bei meiner Treu’, Leut’, ich brächt’ kein gescheit Wörtl zu Stand. Daß die Zung’ mir wird gelöst, wie es bei Moses ist gewest, desweg’ trink ich den Wein; fällt mir auch leichter ein schicksam Wörtl ein. — Ich bin als der alte Bibelreiter bekannt; wär’ ich ein Ritters- mann, ich ritt auf einem Schimmel durch’s Land. Und in der Bibel, da hab’ ich einmal ein Sprüch- el erfragt, der Herrgott, das Kreuzköpfel, hat’s selber gesagt: Ist der Mensch allein, sagt er, so thut er kein Gut; aber sind ihrer viel, so thun sie auch kein Gut; so probir ich’s halt justament zu zwein und zwein, und sperr’ sie paarweis’ in die Hütten ein. Aber schaut’s, da wird gleich die Hütten zu klein. Sie brauchen ein großmächtiges Haus; zuletzt ist’s heilig Paradeis zu eng, sie müssen in die weit’ Welt hinaus. Müssen hinaus in den wilden Wald und auf stockfremde Hei- den, müssen leiden und meiden und zuletzt wie- der scheiden. Da hat der lieb’ Herrgott seinen Sohn geschickt, daß er sollt die Schäflein weiden. Ich hör’ auf das Kreuz wol drei Hammerschläg’ klingen, zur Rechten, zur Linken, zu Füßen — da möcht’ Einem das Herz zerspringen. Darauf ist geronnen das rosenfarbne Blut, das thut uns den Himmel erwerben. Dir bring’ ich das Glas, o Gotteslamm, für dein heiliges Leiden und Sterben!“ Da ist es still gewesen in der ganzen, weiten Stube, und der alte Mann hat das Glas getrunken. Bald aber füllt er es zum zweiten Mal und spricht: „Ihm sei die Ehr’, aber es soll der Herr nun in Freuden auch bei uns sein, und darum laden wir zu diesem Ehrentag auch den Herrn Jesus ein, wie auf der Hochzeit zu Galilä, auf daß er uns mache das Wasser zu Wein, den gan- zen Winkelbach, heut’ und alle Tag’. Und der Wein ist hell und rein, weiß und roth zusammengossen, wie die zwei jungen Herzen sein zusammengeschlossen in Lieb’ und Ehr’, und sonst keiner mehr. Der Wein wird gewachsen sein bei Sonn- und Monden- schein zwischen Himmel und Erden, so wie unsere Seel’ von oben ist, und der Leib von der Erden. Und der süße, guldene Wein soll Braut und Bräu- tigam zur Gesundheit sein.“ Das ist jetzt eine Lust und ein Geschrei, und die Pfeifen und Geigen klingen drein, und der Braut gießen sie Wein auf ihren grünen Kranz. Jeder hebt nun sein Glas und bringt seinen Hochzeitsspruch, sein Brautlied aus dem Stegreif dar. Zuletzt torkelt die alte Rußkathl empor und mit unglaublich heller Stimme singt sie: „Schneid Birnbam, Schneid Buxbam, Schneid birn-buxbam’ni Lad’n, Mei Schatz will a buxbam’as Bettstadl hab’n!“ Das ist ihr Trinklied und Hochzeitsspruch ge- wesen. Wie’s jetzt angegangen, da hab ich gemeint, der Hall und Schall drücke alle vier Wände hinaus in den ruhsamen Abend. Nach und nach ist es wol wieder stiller ge- worden und die Leute haben ihre Augen auf mich gelenkt, ob ich, der gelehrte Mann, denn keinen Brautspruch wisse. So bin ich denn aufgestanden: „Glück und Segen dem Brautpaar! Und wenn nach fünfund- zwanzig Jahren seine Nachkommen in den Ehestand treten, so wird es in der Pfarrkirche am Stege der Winkel sein. Das möge kommen! ich leere den Becher!“ So hat mein Brautspruch gelautet. Darauf ist ein Gemurmel und Geflüster ge- wesen und einer der Aeltesten ist an meinen Platz getreten und hat mich höflich gefragt, wie die Rede gemeint. Die ganze Nacht hin hat in dem Wirthshause zu Holdenschlag die Musik geklungen, haben die Hochzeiter getanzt und gesungen. Am andern Morgen haben wir das Ehepaar aus seiner Kammer hervorgeholt. Dann ist eine lange Weile der Brauthüter gesucht und nicht ge- funden worden. Wir hätten den Berthold zu einem uralten Hochzeitsspiele, dem Wiegenholzführen be- nöthigt. Wer hätte gedacht, daß der wildlustige Bursche in des Pfarrers Stube steht, eine ganze Alpenglut auf seinen Wangen trägt und mit beiden Händen die Krempen seines Hutes zerpreßt! Der Pfarrer zu Holdenschlag geht würdigen Schrittes die Stube auf und ab und sagt mit väterlicher Stimme die Worte: „Zähme dich, mein Sohn, und bete, verlängere dein Abend- gebet dreimal oder siebenmal, wenn es nöthig ist. Die Versuchung wird weichen. — Heiraten! ein Habenichts, wozu denn? Hast du Haus und Hof, hast du Gesinde, Kinder, daß du ein Weib brauchst? — nun also! — Auf den Bettelstab heiraten, die Narrheit geht nicht an. Wie alt bist denn?“ Auf diese Frage erröthet der Bursche noch mehr. Es ist eine schauderhafte Blödheit, wenn Einer sein Alter nicht weiß. Und er weiß es nicht. Um zehn Jahre wird er nicht fehlen, wenn er auf geradewol zwanzig sagt. „Werde dreißig, erwerbe dir Haus und Hof, und dann komme wieder!“ ist des Pfarrers Be- scheid. Darauf geht er in die Nebenstube, und der Berthold bleibt stehen und ihm ist, als müsse er noch was sagen — ein gewichtig Wort, das alle Einwände zu Boden wirft und der geweihte Herr beigeben muß: ei, das ist ganz was anders, dann heiratet in Gottesnamen. Aber der Bursche weiß kein Wort, das es vermöchte zu deuten und hell zu künden, warum er eins — ewig eins sein will mit Aga, dem armen Almmädchen. Da der Herr Pfarrer nicht mehr zurückkehrt aus der Nebenstube, sondern in derselben gemächlich sein Frühstück verzehrt, wendet sich der Bursche endlich traurig der Thür zu, und steigt die Treppe nieder, die Himmelsleiter des Liebesglückes, an der er vorhin mit freudevoller Zuversicht emporgestiegen war. Aber auf der grünen Erde angelangt, ist er ein Anderer. Und es ist ein Arg’ gewesen, wie der Bursche sich an diesem zweiten Hochzeitstage über- müthig toll geberdet hat. Am Nachmittage hat sich gepaart Mann und Weib, Bursch und Magd; der Andreas Erdmann hat sich zum alten, bärtigen Rüppel gesellt, und so sind wir Alle wieder zurückgegangen in die Wälder der Winkel. (Des ersten Theiles Ende.) Die Schriften des Waldschulmeisters. (Zweiter Theil.) 1815. Vor mehreren Jahrhunderten sollen in der Gegend der Winkelwässer Menschen gewohnt haben die sich von Getreidebau, Viehzucht und Jagd ernährt. — Die Winkel ist fürsorglich eingedämmt, an ihren Ufern hin grünen gepflegte Wiesen und ein Fahr- weg führt hinaus zu den vorderen Gegenden. An den Bergen grünen Felder. — So soll es gewesen sein. Unweit von dem Platze, wo jetzt das Holz- meisterhaus steht, zeigt ein Mauerrest die Stätte, wo eine Kirche gestanden haben soll. Zwar geht die Meinung, es sei keine Kirche gewesen, sondern ein Götzentempel, in welchem sie noch dem Woutan Meth zugetrunken und Thiere geopfert, so oft der Vollmondschein durch die Blätter der Linden gerieselt. Zur selben alten Zeit sei jedes Jahr ein schneeweißer Rabe niedergeflogen von den Alpen- wüsten, und diesem habe man Korn auf die Steine gestreut, der Vogel habe das Korn aufgepickt und hierauf sei er wieder von dannen geflogen. Einmal Rosegger: Waldschulmeister. 12 aber habe man dem weißen Raben keine Körner gestreut, weil ein Mißjahr gewesen, und weil ein Mann die Sache für etwas Albernes ausgelegt habe. Darauf sei der Rabe nicht mehr gekommen. — Aber kaum der Winter vorüber, so seien von Sonnenaufgang her wilde Völkerschaaren heran- geströmt mit häßlichen braunen Gesichtern, blut- rothen Hauben und Roßschweifen, auf wunderlichen Thieren reitend, seltsame Waffen schleppend — und gar in die Winkelwälder hereingezogen. Diese Rotten haben geplündert und die Bewohner zu Hunderten davongeschleppt, so daß die Gegend menschenleer geworden. Dann sind die Häuser und der Tempel verfallen, das Wasser hat die Dämme und Wege zerstört und die Wiesen mit Schutt oder Gestein übergossen. Die Obstbäume sind verwildert; auf den Feldern sind Lärchenwälder gewachsen, die Lärchen aber durch Tannen und Fichten verdrängt worden. Und so sind die finsteren, hundertjährigen Hochwälder entstanden. Es ist nicht zu bestimmen, ob der Kern der heutigen Waldleute von jenem vor Jahrhunderten abstammt. Ich glaube vielmehr: so wie die alten Bewohner durch eine an die Alpen brandende Welle wilder Zeiten fortgeschwemmt worden sind, so sind nach vielen Jahren in den Stürmen der Zeit Splitter anderer Stämme in diese Wälder verschla- gen worden. Man sieht es den Leuten ja an, daß sie nicht auf sicherem Boden der Heimat fußen, daß sie aber gleichwol den Drang haben, sich in den Waldboden einzuwurzeln und den Nachkommen ein gesichertes und geregeltes Heim zu bereiten. Dennoch aber dämmert auch in diesen Men- schen die Waldesgöttermähr der alten Deutschen fort. Sie lassen im Herbste die letzten wilden Früchte auf den Bäumen, oder behängen mit denselben ihre Kreuze und Hausaltäre, um für ein nächstes Jahr Fruchtbarkeit zu erlangen. Sie werfen Brot in das Wasser, wenn eine Ueberschwemmung droht; sie streuen Mehl in den Wind, um träuende Stürme zu sättigen — so wie die Alten den Göttern haben geopfert. Sie hören zur heiligen Zeit der Zwölfen die wilde Jagd, so wie die Alten schaudernd Vater Woutan’s Tosen haben vernommen. Sie erinnern sich an Hochzeitsfesten der schönen Frau mit den zwei Katzen, so wie die Alten die Freya haben gesehen. Und wenn die Winkelwäldler draußen in Holden- schlag Einen begraben, so leeren sie den Becher Methes auf sein Andenken. Ueberall klingt und schimmert sie durch, die alte germanische Sage und Sitte. Im Vordergrunde aber tönt und webt als Herrschendes das hohe Lied vom Kreuze. Wol die Meisten der Winkelwäldler müssen es empfinden, was hier fehlt; nur die Wenigsten wissen 12* es zu nennen. Aber jener Speiker hat es getroffen, als er vor einem Jahre bei der Köhlerhochzeit die Worte gesagt: „Um uns schiert sich kein Pfarrer und kein Herrgott. Dem Elend und dem Teufel sind wir verschrieben. Für uns ist auch ein Hunds- fottleben gut genug; wir sind ja die Winkler!“ Aber der Speiker kann’s noch erleben und mein Trinkspruch wird in Erfüllung gehen. Ich bin seit der Hochzeit wieder um ein Jahr jünger geworden. Die Winkelwäldler werden eine Kirche bekommen. Will ein Volk aus wilder Ursprünglichkeit sich aufbauen zu einer schönen, ebenmäßigen Höhe, so muß der Gottestempel zu dem Baue das Gerüste sein. Darum beginne ich in den Winkelwäldern mit der Kirche. Ich habe drängen und dringen müssen. Der Herr von Schrankenheim hat seinen Palast mitten in der Stadt; da schallt zu jedem Fenster eine andere Kirchenglocke herein, und zwischen den Fen- stern auf zierlichen Gestellen prangen hundert Bücher für Herz und Geist. Wer ahnt es da , was in den fernen Wäldern so ein Klang und ein Predigtstuhl bedeutet! Endlich aber hat es der Gutsherr doch eingesehen, und heute sind schon Männer da, um die Baustelle zu prüfen. Da drüben neben dem Winkelhüterhaus, schnur- gerade vom Steg herauf, der über die Winkel führt, ist ein erhöhter Felsgrund, sicher vor Gesenken, Lahnen und Wildwasser. Er liegt zwischen dem Hinter- und Vorderwinkel, und von den Lautergrä- ben, dem Miesenbachthale und dem Karwasserschlag ist völlig die gleiche Weite bis hierher zu dem er- höhten Felsgrund. Das ist der rechte Platz für das Gotteshaus. Ich habe einen Plan eingereicht, wie ich mir denke, daß so ein Waldkirchlein sein soll. Das Kirchlein sei nicht gar zu klein, damit Alle darin Platz haben, die kummervollen und be- dürftigen Herzens sind, wie es deren im Waldlande Viele gibt und fürder geben wird. Es sei nicht gar zu niedrig, denn der hohe Wald und die Fels- wände haben den Sinn verwöhnt und erweitet; und ist es auch, daß die Menschenwohnungen hier sehr gedrückt sind, so wird es dem Blicke doppelt wohl thun, wenn er sich in der Wohnung Gottes erheben kann. In den Kirchen der Städte sollte stets ernste Dämmerung herrschen, damit sie dem licht- und genußvollen Leben der Reichen und Großen einen Gegensatz darbieten; in dem Gotteshause des Waldes aber muß lichte und milde Freundlichkeit lächeln, denn ernst und dämmerig ist der Wald und des Wäldlers Haus und Herz. So soll die Art der Gottesverehrung das Leben ausgleichen und ergän- zen; und was der Werktag und das Haus verwei- gert, das soll der Sonntag und die Kirche bieten. Der Tempel soll die Schutzstätte in den Stürmen dieser Welt, und er soll der Vorhof der Ewig- keit sein. Der Thurm des Waldkirchleins sei schlank und luftig, wie ein aufwärts weisender Finger, mahnend, drohend oder verheißend. Drei Glöcklein mögen die Dreizahl in der Einheit Gottes verkün- den und das dreitönige Lied singen von Glaube, Hoffnung und Liebe. Einen recht schönen Platz möchte ich der Orgel bestimmen, denn der Orgel- ton muß den Armen im Geiste so die Predigt nicht verstehen — das Wort Gottes sein. Vergoldete Bilder und prunkende Zierrathen in der Kirche sind verwerflich; die Gottesehre soll nicht liebäugeln mit Schätzen dieser Erde. Mit dem Einfachen und durch das Einheitliche kann man am beredtesten und würdigsten den Gott- und Ewigkeit- gedanken versinnlichen. Es muß aber noch des Weiteren das Zweck- mäßige bedacht werden. So habe ich für die Mauern der Trockenheit wegen Backsteine vorgeschlagen. Die Bänke und Stühle müssen zum Ausruhen einge- richtet sein, denn der Sonntag ist ein Ruhetag. Wenn während des Orgelklingens auch einmal Einer einnickt, was weiter? er träumt in den Himmel hinüber. — Für den Fußboden sind die Steinplatten zu feucht und kalt, dicke Fichtenläden sind dazu geeignet. Für das Dach sind des häufigen Hagelschlages wegen weder Ziegeln noch größere Bretterlatten anwendbar; dazu sind kleine Lärchen- schindeln am Besten. Mein Plan ist angenommen worden. Es werden bereits Wege ausgeschlagen und Baustoffe herbeigeschafft. Im lehmigen Binsthal wird eine Ziegelei errichtet; an der Breitwand ist ein Steinbruch angelegt worden. Die Waldleute stehen da und sehen den frem- den Arbeitern zu. Sie haben auch ihre Gedanken dabei. „Eine Kirch’ wollen sie uns bauen,“ sagt Einer, „gescheiter, sie thäten das Geld den Armen theilen. Der Herrgott soll sich nur selber ein Haus bauen, wenn er nicht unter freiem Himmel bleiben und im Winkelwald wohnen will.“ „Was sie uns nur für einen Kirchenheiligen einlegen werden?“ „Den Huberti, denk’ ich.“ „Den Huberti? Je, der hat eine Büchs bei sich und thät’ sich leicht auf’s Wildern verlegen. Den mögen die Jäger nicht leiden. Ich sag’, für uns wären die vierzehn Nothhelfer recht.“ „Geh’, die thäten uns zu viel kosten. Und der große Christof ist auch dabei; für den wäre ja gar keine Kirchthür weit genug.“ „Wer verlorne Sachen finden will: sanct Antoni thut Wunder viel!“ sagt Rüppel, der alte Borstenbart, bei dem sich jedes Wort im Gleich- klang zum andern fügt, er mag die Zunge wenden, wie er will. Andere wünschen zum Kirchenheiligen den Florian, der gegen das Feuer ist; aber die am Wasser wohnen, möchten den Sebastian haben. Ein Weiblein hat gar nicht uneben bemerkt, in den ganzen Winkelwäldern sei kein Mensch, der die Orgel spielen könne, da wisse man doch, daß als Pfarrheilige nur Cäcilia die Rechte. Darauf entgegnet ein alter Hirt: „So eine Red’ ist keine Sach’. Die Leut’ können sich selb- ander helfen; aber auf das arme Vieh müßt ihr denken! Der heilige Erhart geht uns schon herein in das Winkel.“ Darnach ein Anderer: „Mit dem Vieh halt’ ich’s nicht. Wir brauchen die Kirch’ für die Leut’. Und weil sich Einer schon was kosten läßt, so muß was Rechtes werden. Ich bin kein Heid’ und ich geh’ in die Kirch’, und ich bin für ein sauberes Weib. Was meint ihr zu der Magdalena?“ „Du Loter,“ schreit sein Weib, „die schlechte Person willst auf den Altar heben?!“ „Hast recht, Alte, da muß Eine sein, die mit gutem Beispiel vorangeht.“ So rechten sie, halb im Spaß und halb im Ernst. Den ganzen Himmel haben sie durchstöbert, und keinen Heiligen gefunden, der Allen recht ge- wesen wäre. Und es muß doch Eines kommen, das Allen recht ist. Ich habe darüber schon meine Gedanken. Die Waldberge lichten sich immer mehr und und mehr, wie wenn es Tag würde aus der Dämmerung. Die Höhenschneiden werden schartig und es dehnt sich der Himmel. Mancher Marder kommt um seinen hohlen Baum, mancher Fuchs um seine Höhle. Unschuldige Vöglein und raubgierige Geier werden heimatlos, da Wipfel um Wipfel hinstürzt auf den feuchten Moosboden, den endlich wieder einmal die Sonne bescheint. Winter und Sommer hindurch sind die Holzschläger thätig ge- wesen. Draußen im Lande haben Holz und Kohlen in gutem Begehr gestanden. In diesem Sommer habe ich nicht mehr viele freie Zeit für mich. Draußen ist der Krieg, der, Gott weiß es, nicht mehr enden will. Zu Holdenschlag sind schon wieder die Hämmer geschlossen worden und es kommt kein Kohlenwagen in den Wald. Die Holzarbeit ist eingestellt; die kräftigsten Männer streichen müßig umher. Da drüben in den Lautergräben sollen vor kurz zwei Holzschläger eines Beutel Tabaks wegen bös gerungen haben, bis der Eine dem Andern ein Aug ausgeschlagen. Tabak ist ihre halbe Nahrung. Ich habe den Männern den Rath gegeben, zu den Vaterlandsvertheidigern zu gehen. Davon wollen sie nichts hören. Sie haben keine Heimat, sie wissen von keinem Vaterlande. Willkommen sind ihnen die Welschen, wenn sie Geld mitbringen und eine bessere Zeit. Gott gebe die bessere Zeit und halte die Wel- schen fern! Für mich ist es ein Glück, daß ich kühlen Blutes bin. Das wilde Jahr hat die jungen Sprossen meiner Leidenschaft getödtet. Nun darf ich mein ganzes Streben auf das eine Ziel lenken: aus die- sen zerstreuten, zerfahrenen Menschen ein Gemein- sames, ein Ganzes zu bilden. Ist dieses gelungen, so haben wir Alle einen Halt. — Ich werde ihnen und mir eine Heimat gründen. Vor Allem kömmt es darauf an, den Freiherrn zu stimmen; sonach muß auf die Waldleute eingewirkt werden. Eine übermäßige Kraft scheint mir dazu nicht nöthig zu sein, wol aber ein zähes Bemühen. Diese Menschen sind wie Lehmkugeln; ein Anstoß, und sie rollen eine Weile fort. Weiter kommen sie selbst, nur geleitet müssen sie werden, daß sie einem und demselben Ziele zustreben. Glieder sind genug, aber spröde und unschmiegsam selbander. Wenn nur erst die Kirche fertig ist, daß die Gemeinde ein Herz hat; dann machen wir uns an den Kopf und bauen das Schulhaus. Im Herbste 1816. In einer der letzten Wochen bin ich mit einem Papierbogen zu allen Hütten des Waldes herum- gegangen. Da habe ich die Hausväter nach dem Stande ihrer Wirthschaft, nach der Zahl ihrer Familie, nach den Geburtsjahren und Namen der Leutchen gefragt. Das Geburtsjahr kann zumeist nur nach Geschehnissen und Zeitumständen angege- ben werden. — Der ist geboren im Sommer, in welchem das große Wasser gewesen; Die ist zur Welt gekommen in demselbigen Winter, als man Strohbrot hat essen müssen. Solche Ereignisse sind hochragende Marksteine. Das Namensverzeichniß wird nicht gar zu mannigfaltig. Die Bewohner männlicher Art heißen Hannes oder Sepp, oder Berthold, oder Toni oder Mathes; die Leute weiblicher Gattung sind Kathrein benamset, oder Maria, welch letzter Name in Mini, Mirzel, Mirl, Mili, Mirz, Marz umgewandelt und ausgesprochen wird. Aehnlich geht es mit anderen Namen; und kommt Einer von draußen, so muß er sich eine Umwandlung nach den Zungen der Hiesigen sogleich gefallen lassen. Mich haben sie einige Zeit den Andredl geheißen; aber das ist ihnen ein zu großer Name für einen so kleinen Menschen, und heute bin ich nur mehr der Redl. Von Geschlechtsnamen wissen schon gar die Wenigsten was. Viele mögen den ihren wol ver- loren, vergessen, Andere einen solchen nie gehabt haben. Die Leute gebrauchen eine eigene Form, ihre Abstammung und Zugehörigkeit zu bestimmen. Beim Hansl-Toni-Sepp! Das ist ein Hausname, und es ist damit angezeigt, daß der Besitzer des Hauses Sepp heißt, dessen Vater aber Toni und dessen Großvater Hansel genannt worden ist. — Die Kathi-Hani-Waba-Mirz-Margareth! Da ist die Kathi die Ururgroßmutter der Margareth. — Der Stamm mag doch schon lange in der Wald- einsamkeit stehen. Und so wird eine Person oft durch ein halbes Dutzend Namen bezeichnet und Jeder schleppt die rostige Kette seiner Vorfahren hinter sich her. Es ist das einzige Erbe und Denkmal. Das Wirrsal darf aber nicht so bleiben. Die Namen müssen für das Pfarrbuch vorbereitet werden. Zu den Taufnamen müssen Zunamen erfunden werden. Das wird nicht schwer gehen, wenn man der Sache am Kern bleibt. Man benenne die Leute nach ihren Eigenschaften, oder Beschäftigungen oder Stellungen; das läßt sich leicht merken und für die Zukunft beibehalten. Ich nenne den Holzarbeiter Paul, der die Annamirl geheiratet, nicht mehr den Hiesel-Franzel-Paul, sondern kurzweg den Paul Holzer, weil er die Holzstrünke auf den Riesen zu den Kohlstätten befördert, und die Leute diese Arbeit „holzen“ heißen. Der Schwammschlager Sepp, der seines Vaters Name vergessen, soll auch nicht mehr anders heißen, als der Schwammschlager, und er und seine Nachkommen mögen angehen, was sie wollen, sie bleiben die Schwammschlager. Eine Hütte in den Lautergräben nenne ich die Brunn- hütte, weil vor derselben eine Quelle fließt. Wozu den Besitzer der Hütte Hiesel-Michel-Hiesel-Hannes heißen? er ist der Brunnhütter und sein Weib ist die Brunnhütter, und wenn sein Sohn einmal in die Welt hinausfährt, Soldat wird oder Fuhr mann oder was immer, er bleibt der Brunnhütter allerwegen. So haben wir auch einen Sturmhanns; der hat oben auf der stürmischen Wolfsgrubenhöhe sein Haus. Einen alten, sehr dickhalsigen Zwerg, den Kohlenführer Sepp, heißen sie seit lange schon den Kropfjodel. Da habe ich letztlich das Männlein gefragt, ob es zufrieden sei, wenn ich es unter dem Namen Josef Kropfjodel in meinen Bogen ein- schreibe. Er ist gerne dazu bereit. Ich habe ihm noch vorgestellt, daß aber auch seine Kinder und Kindeskinder Kropfjodel heißen würden. Da grinst er und gurgelt: „Zehnmal soll er Kropfjodel heißen, mein Bub!“ Und ein wenig später setzt der Schelm bei: „Den Namen, gottdank, den hätten wir! — ei, hätten wir den Buben auch!“ Drüben im Karwasserschlag stehen drei buschige Tannen, die der Holzschläger-Meisterknecht, der Josel-Hansel-Anton zu Schutz für Mensch und Thier hat stehen gelassen. Zu Lohn heißt der Mann Anton Schirmtanner für ewige Zeiten. Die neuen Namen finden Gefallen, und Jeder, der einen solchen trägt, hebt seinen Kopf höher und ist zuversichtlicher, selbstbewußter, als er sonst gewesen. Nun weiß er, wer er ist. Jetztund kommt es darauf an, dem neuen Namen einen guten Klang zu erwerben und ihm Ehre zu geben. Schauderlich erschreckt hat mich nur der Alm- bursche Berthold. „Einen Namen,“ schreit er, „für mich? ich brauch’ keinen Namen, ich bin ja Nie- mand. Zu einem Weib hat mich Gott nicht ge- macht, und ein Mann sein, das erlaubt der Pfarrer nicht. Die Ehe ist mir verwehrt, weil ich bettelarm bin. Heißet mich den Berthold Elend! heißet mich den Satan! ich brech’ die Satzung und mein Fleisch und Blut verrath ich nicht!“ Nach diesen Worten ist er wie ein Wüthender davon geeilt. Der einst so lustige Bursche ist kaum mehr zu erkennen. Ich habe in den Bogen den Namen Berthold geschrieben und ein Kreuz dazu gemacht. Auch noch ein Anderer streicht in den Winkel- wäldern herum, von dem ich nicht weiß, ob und welchen Namen er trägt. Wenn doch, so kann’s ein böser sein. Der Mann weicht mir und allen Leuten aus; vergräbt sich oft für lange Zeit, und man weiß nicht wo, taucht zu seltsamen Stunden wieder auf, und man weiß nicht, warum. Es ist der Einspanig. Im Mai 1817. In diesem Winter habe ich eine schwere Krankheit zu bestehen gehabt. Die Ursache derselben ist das Unglück des Markus Jäger, den ein Wild- schütze angeschossen hat. Der Jäger ist drüben in einer Hütte der Lautergräben gelegen. Ich gehe mehrmals zu ihm hinüber, weil der Brand in die Wunde zu kommen droht, und weil sonst Niemand ist, der den Kranken pflegen wollte und könnte. Anstatt die Leute hier eine Wunde mit lauem Wasser und gezupften Leinen rein halten thäten, kleben sie allerlei Schmieren und Salben hinein. Das muß schon eine kräftige Natur sein, die sich trotz solcher Hemmnisse aufrafft. Ich habe recht zu thun gehabt, daß mir der Jäger nicht unterlegen ist. Als ich das letztemal bei ihm bin, ist ein stürmischer Märztag. Auf dem Rückwege sind die Pfade schauderhaft verschneit und verweht. Stellen- weise ist mir der Schnee bis zur Brust empor- gegangen. Viele Stunden habe ich mich so fort- gekämpft, aber es bricht die Nacht herein und ich habe das Winkelthal noch lange nicht erreicht. Eine unsägliche Ermüdung kommt über mich, der ich zwar lange widerstehe, die endlich aber nicht mehr zu überwinden ist. Da habe ich schon gar nichts Anders mehr gemeint, als daß ich so mitten im Schnee würde umkommen müssen, und daß sie mich im Frühjahre finden und an der neuen Kirche im Winkel vorüber nach Holdenschlag tragen würden. — Dahier im Waldesfriedhof möcht’ ich liegen. Erst nach Wochen habe ich es erfahren, daß ich nicht erfroren bin, daß mir an demselbigen Abende zwei Holzhauer auf Schneeleitern entgegen- gekommen sind, mich bewußtlos gefunden und in’s Winkelhütterhaus getragen haben. Als ich nachher viele Tage lang in der schweren Krankheit gelegen, sollen sie sogar einmal den Bader von Holdenschlag zu mir gerufen haben. Und der Bote, der den Arzt geholt, hätte, wie er mir seither selbst erzählt, den Auftrag gehabt, gleich auch mit dem Todtengräber zu reden. Der Todtengräber hätte gesagt: „Wenn mir der Mann nur das nicht anthäte, daß er jetzt stürbe; ’s ist ja kein Loch zu machen in dieser steinhart gefrorenen Erden!“ Es freut mich recht, daß ich dem guten Mann die Mühe hab ersparen mögen. Als die Gefahr der Krankheit vorbei, hat mich erst ein recht hartneckiges Augenleiden verfolgt, das aber noch nicht ganz gehoben ist. Ich muß noch eine lange Zeit in der Stube verbleiben, wol so lange, bis draußen das Thauen eingetreten und das Wildwasser vorbei. Mir ist gar nicht einsam. Ich schnitze in Holz, ich will mir eine Zither zusammen- leimen, daß ich mich in der Tonkunst übe, bis in der Kirche die Orgel fertig sein wird. Es sind oft Leute gekommen, die sich neben mir auf die Bank gesetzt und gefragt haben, ob ich schon recht gesund sei. Die Ruß-Annamirl, die jetzt- und mit den Ihren in das Holzmeisterhaus der Lautergräben gezogen ist, und nach der neuen Ord- nung Anna Maria Ruß heißt, hat mir in der vorigen Woche drei große Krapfen herübergeschickt. Dieselben sind von denen, die in großer Anzahl zur Festfreude gebacken worden, da ein kleinwinziger Ruß angekom- men ist. Sie haben den Kleinen mit Krapfen getauft. Rosegger: Waldschulmeister. 13 Auch die Witwe des schwarzen Mathes ist einmal zu mir gekommen. Sie hat mich in großem Kummer gefragt, was mit ihrem Buben, dem La- zarus zu machen, der habe die wilde Wuth. Die wilde Wuth, das sei, wenn Einer über den gering- sten Anlaß in Zorn ausbreche und Alles bedrohe. Der Lazarus sei so; er habe das in weit höherem Grade, als es sein Vater gehabt; Schwester und Mutter seien in Gefahr, wenn der Knabe nur erst kräftiger würde. Ob es gegen ein solches Elend denn gar kein Mittel gäbe. Was kann ich der be- drängten Frau rathen? Eine stete, gleichmäßige Beschäftigung und eine liebreiche, aber ernsthafte Behandlung sei dem Knaben angedeihen zu lassen, habe ich vorgeschlagen. Unter allen Menschen der Winkelwälder dauert mich dieses Weib am meisten. Ihr Mann ist nach einem unglückseligen Leben gewaltsam erschlagen und ehrlos begraben worden. Dem Kinde steht nichts Besseres bevor. Und das Weib, vormaleinst an bessere Tage gewohnt, ist so weichherzig und milde. Ehgestern kommt ein Knabe zu mir, der einen Vogelkäfig mit sich schleppt. Der Junge ist so klein, daß er mit seinem Händchen gar die Thürklinke nicht erreichen kann, und eine Weile zaghaft klöpfelt, bis ich ihm öffne. Er steht noch in der Thür, als er anhebt: „Ich bin der Bub’ vom Markus Jäger, und mein Vater schickt mich her — der Vater schickt mich her . . . .“ Der Schlingel hat die Ansprache auswendig gelernt und bleibt stecken und wird roth und will sich wieder von dannen wenden. Ich habe Mühe, bis ich es erfahre, daß sein Vater mir sagen lassen, er sei völlig geheilt und mir wünsche er dasselbe, und er komme demnächst zu mir, um sich zu be- danken, und er schicke zwei übermütige Schopfmeisen, und er möchte mir, da ich, wie er wisse, noch nicht in das Freie gehen könne, das ganze Frühjahr in die Stube senden. Was fange ich mit den kleinen Thieren an? sie flattern wirr im Käfig umher und zerstoßen sich vor Angst die Köpfchen an den Spangen. Ich lasse sie in unseres Herrgotts Vogelkäfig, in den Mai hinausfliegen. Und als endlich die Zeit erfüllt, da bin ich eines frühen Morgens hinausgetreten in den freien Mai. — Der Haushahn kräht, der Morgenstern guckt helläugig über den dunkeln Waldberg. Der Morgenstern ist ein guter Geselle; der leuchtet getreu- lich, so lange es noch dunkel ist, und tritt beschei- den in den Hintergrund, sobald die Sonne kommt. Leise schleiche ich durch das Hausthor, daß ich die Leute nicht wecke, die haben nicht wochenlang so ausgerastet, wie ich; denen liegt noch der gestrige 13* Tag auf den Augenlidern, die der heutige schon wieder wach begehrt. Im Walde ist bereits das zitternde, rieselnde Erlösen aus tiefer Ruhe. Wie ist eines Genesenen erster Ausgang so eigen! Man meint, der ganze Erdboden schaukelt mit Einem — schaukelt sein wiedergebornes Kind in den Armen. O du heiliger Maimorgen, gebadet in Thau und Wohlduft, durch- zittert und durchklungen von ewigen Gottesgedanken! — Wie gedenke ich Dein und deines Märchen- zaubers, der sich zu dieser Stunde von der Glocke des Himmels und von den Kronen des Waldes niedergesenkt hat in meine Seele! Und dennoch habe ich zur selbigen Stunde ein seltsam Weh empfunden. — Mir ist die Jugend gegeben und ich lebe sie nicht. Was ist mein Zweck? Was bedeute ich? — Kurz vor diesen Tagen bin ich seit Ewigkeit her ein Nichts gewesen; kurz nach diesen Tagen werde ich ein Nichts sein in Ewigkeit hin. Was soll ich thun? Warum bin ich an dieser kleinen Stelle und zu dieser kurzen Zeit mir meiner bewußt worden? Warum bin ich erwacht? Was muß ich thun? — Da habe ich mir’s von Neuem gelobt, zu arbeiten nach allen meinen Kräften, und auch zu beten, daß mir so schwere, herzverbrennende Ge- danken nicht mehr kommen mögen. Als die Sonne aufgeht, stehe ich noch am Waldessaume. Unten rauscht das Wasser der Winkel und aus dem Rauchfange des Hauses steigt ein silberfärbig Schleierband auf und im Kirchenbaue hämmern die Maurer. Meine Hauswirthin hat es gleich wahrgenom- men, daß ich des Morgens nicht in der Stube und hat gezettert über meinen Leichtsinn. Und als sie erst gar erfährt, daß ich in der kühlen Frühe auf feuchtem Moosboden geruht, da fragt sie mich ganz ernsthaft: ob es mir denn zu schlecht sei in ihrem Hause, oder ob ich sonst was auf dem Herzen hätte, daß ich mir so an’s Leben wolle; ja, und ob ich nicht wisse, daß Der, welcher sich so auf den Thauboden des Frühjahres hinlege, dem Todten- gräber das Maaß gebe! — Sonnenwende 1817. Das ist ein seltsamer Waldgang gewesen, und ich ahne, er läßt sich nicht verantworten im Himmel und auf Erden. Wo in den schattigen Felsschluchten des Winkeleggerwaldes das Wässerlein rieselt, da bleibe ich stehen. — Hier auf diesen Wellen lasse deine Gedanken schaukeln ohne Zweck und Ziel. Du kennst die Mähr vom Lethestrom der Griechen. Das ist ein eigen Wasser gewesen, wer davon getrunken, hat der Vergangenheit vergessen; die Wellen des Waldbächleins sind ein noch eigeneres Wasser, wessen Seele auf denselben schaukelt, und trüge er auch den Winter im Haar, der findet wieder die längst vergangene Zeit seiner Kindheit und Jugend. Ich gehe tiefer hinein in die Wildniß und ruhe im Moose und lausche der säuselnden, immerdar klingenden Ruhe. Manches erst aufge- blühte Blümlein wiegt nah’ an meiner Brust, und will leise anklopfen an der Pforte meines Herzens. Und mancher Käfer krabbelt ängstlich heran, er hat im Dickicht der Gräser und der Moose etwan den Weg verloren zu seinem Liebchen. Jetztund hebt er seinen Kopf empor und frägt nach dem rechten Pfad. Weiß ich ihn selber? — Sag’ du uns an, wo wird die Sehnsucht gestillt, die mit uns ist auf allen Wegen? — Eine Spinne läßt sich nieder vom Geäste; sie hat sich empor gerungen zur Höhe, und nun sie oben ist, will sie wieder unten sein auf der Erden. Sie spinnt Fäden, ich spinne Ge- danken. Wer ist der Weber, der aus losen Gedanken- fäden ein schönes Kleid weiß zu weben? — Wie ich noch so träume, rauscht es im Dickicht. Es ist kein Hirsch, es ist kein Reh; es ist ein Menschenkind, ein junges, glühendes Weib, erregt und angstvoll, wie ein verfolgtes Wild. Es ist Aga, das Almmädchen. Sie eilt auf mich zu, erhascht meine Hände und ruft: „Weil ihr’s nur seid, weil ich euch nur finde!“ Dann schaut sie mich an, und es stockt ihr der Athem, und sie vermag den Auf- ruhr in ihr nicht niederzudämpfen. „Es hat einen bösen Schick!“ schreit sie wieder, „aber ein ander Mittel weiß ich nimmer. Der bös’ Feind stellt mir fürchterlich nach, mir und ihm gleichwol auch. Wir fürchten die Leut’ jetztund, aber euch bin ich zuge- laufen; ihr seid fromm und hochgelehrt! ihr helft uns, daß wir nicht versinken allbeid’, ich und der Berthold! Wir wollen in Ehren und Sitten leben, Gebt uns den Eh’spruch!“ Ich weiß anfangs völlig nicht, was das be- deutet, und als ich es endlich erfahre, sage ich: „Habt ihr den treuen Willen, so wird euch der Eh’segen von der Kirche nicht vorenthalten werden.“ „Mein Gott im Himmel!“ schreit das Mäd- chen, „mit der Kirche heben wir nichts mehr an, die versagt uns die Ehe, weil wir kein Geld haben. Aber wenn der Herrgott bös’ auf uns thät’ werden, das wäre arg! — Das Gewissen läßt mir keine Ruh’, und zu tausendmal bitt’ ich euch, schenket uns den Segen, den jeder Mensch kann schenken. Ihr seid wol selber noch jung, und habt ihr ein Lieb, so werdet ihr’s wissen, es gibt kein Lösen und Lassen. Wir leben in der Wildheit zusammen, weil wir uns nicht lassen mögen; wir haben keine Seel’, die unser Freund wollt’ sein und uns Glück wollt’ wünschen von Herzen. Ein liebreiches Wort möchten wir hören, und wenn nur Einer thät’ kommen und sagen: wollet mit Gottes Willen und Segen ein- ander verbleiben bis zum Tod! So ein einzig Wort und wir wären erlöst von der Sünd’ und ein Eh’paar vor Gott im Himmel!“ Diese Sehnsucht nach Befreiung von der Sünde, dieses Ringen nach dem Rechten, nach der menschlichen Theilnahme, nach dem Frieden des Her- zens — wen hätte das nicht zu rühren vermögen! „Ihr herzgetreuen Leut’!“ rufe ich aus, „der Herrgott mög’ mit euch sein, immerdar!“ Da ist schon auch der Bursche neben dem Mädchen gekniet. Und so habe ich etwas gethan, was von mir gar nicht zu verantworten ist im Himmel und auf Erden. Ich habe eine Trauung vollzogen mitten im grünen Wald. Am Peter- und Paulitag 1817. Doch seltsam, was in diesem Jungen steckt, in des schwarzen Mathes Sohn. Er hat das Herz seiner Mutter und das Blut seines Vaters. Nein, er hat ein noch größeres Herz als seine Mutter und ein dreimal wilderes Blut, als sein Vater. Dieser Knabe wird ein Heiland, oder ein fürchter- licher Mörder. Die alte Ruß-Kath siecht seit Monaten. Die Leute sagen, es fehle ihr an jungem Blut. Das hat auch der kleine Lazarus gehört, und gestern ist er zu mir gekommen mit einem hölzernen Töpfchen und dem großen Seitenmesser seines Vaters, und hat mich aufgefordert, ich möge aus seiner Hand Blut ablassen und es der Ruß-Kath schicken. Er glüht im Gesicht, ist aber sonst ruhig. Ich verweise ihm sein Ansinnen. Er schießt davon. Und bald darnach hat er im Hofe des Winkelhüterhauses eine Taube erwürgt — aus Zorn, aus Liebe — ich mag es nicht entscheiden. Ich trete hinaus zu dem todten Thiere. „Lazarus,“ sage ich, „jetzt hast du eine Mutter umgebracht. Siehst du die armen, hilflosen Jungen dort? Hörst du, wie sie weinen?“ Bebend steht der Knabe da, blaß wie Stein, und ringt nach Luft und zerbeißt sich die Unter- lippe, daß Blut über den Backen rieselt. Ich drehe ihm den eingezogenen Daumen aus und gieße Wasser auf seine Stirne. Ich führe ihn in seine Hütte zurück. Dort fällt er erschöpft auf das Moos und sinkt in einen tiefen Schlaf. Es muß was geschehen, um das Kind zu retten. Wie, wenn ich es zu mir nähme, sein Vater und sein Bruder wäre, es zähmte und leitete nach meinen Kräften, es unterrichtete und zur Arbeit anhielte und in aller Weise seine Leidenschaft zu tödten suchte? Etwan hat der Knabe doch zu viel Blut . . . . meinen die Leute. Am Jakobitag 1817. Heute bin ich wieder im Hinterwinkel, im Hause des Mathes gewesen. Das Weib ist trostlos. Seit zwei Tagen ist der Knabe Lazarus ver- schwunden. Das Schreckliche ist geschehen. In seinem Jäh- zorn hat er einen Stein nach der Mutter geschleu- dert. Als das geschehen, hat er einen wilden Schrei gethan und ist davongegangen. Auf der Grabstätte des Mathes hat man gestern frische Spuren zweier Kniee entdeckt. Wir haben Leute aufgeboten, daß sie den Knaben suchen. In einer der Hütten ist er nicht. Es wird auch an den Abgründen und Bächen nachgespürt. „Er hat mich nicht treffen wollen!“ jammert die Mutter, „und das ist ein kleiner Stein gewesen, aber auf dem Herzen liegt mir ein großer. Einen größeren hätt’ er nimmer nach mir schleu- dern mögen, als daß er davon ist.“ Drei Tage später. Keine Spur von dem Knaben. Wol eine andere Spur haben die Leute gefunden: große Pfoten mit vier und fünf Zehen. Wölfe und Bären gibt es in der Gegend. Es geht das Gerücht, drüben in den Lauter- gräben habe ein Holzhauer gestern die halbe Nacht mit einem Bären gerungen, bis es dem Mann endlich gelungen sei, seinen Arm dem Thiere in den Rachen zu stoßen, daß es daran erstickt. Ich bin heute in den Lautergräben gewesen, dort wissen sie nichts von der Mähr. Dagegen hat mich Einer von dort gefragt, ob es wol wahr, daß im Winkel drüben, ganz nahe am Hause, ein Rudel Wölfe den Erdmann gefressen hätte. Das sei nicht wahr, habe ich geantwortet. Aber der Mann behauptet, er wisse das eigent- lich ganz bestimmt, nur sei es wahrscheinlich heute erst geschehen. Die Leute thäten es allerwärts er- zählen, und hundert Schritte vom Kirchenbau hintan sehe man das Blut auf dem Sandboden und Fetzen von der Bekleidung. Ich entgegnete, daß ich das Blut auch gesehen habe, daß dasselbe aber von einem Lämmlein her- rühre, welches die Winkelhüterin gestern Abends eben für den Erdmann ausgeweidet habe; daß den Erdmann also nicht die Wölfe aufgefressen hätten, sondern daß der Erdmann das Lämmlein aufgegessen habe, und daß besagter Erdmann ich selber sei. Der Mann ist darauf recht verlegen und meint, er habe mich nicht erkannt, sonst hätte er das Ge- rücht nicht nacherzählt, ich möge ihm nur verzeihen, daß die Sache nicht wahr. Am Petri-Kettenfeiertag 1817. Das ist wie ein knatterndes Lauffeuer durch den Wald gegangen. Im Karwasserschlag wissen sie es, in Miesenbach wissen sie es, in den Lautergräben wissen sie es; und ich im Winkel weiß es, daß es Die ’ bereits Alle wissen, was doch erst heute morgens geschehen ist. Das Töchterlein des Mathes besucht zuweilen die Grabesstätte des Vaters und bepflanzt sie mit Hagebuttensträuchen. Heute zur Frühe, wie es wieder hinkommt, leuchtet ihm etwas entgegen. Auf dem Hügel ragt ein Stab und daran flattert ein Stück Papier. Das Mädchen läuft heim zur Mutter, diese läuft zu mir in das Winkelhüterhaus, daß ich kommen und sehen möge, was das sei. Es ist sehr merkwürdig. Eine Nachricht ist es von dem Knaben. Auf dem Papier stehen in frem- den Zügen die Worte: „Meine Mutter und meine Schwester! Habt keinen Groll und keine Sorge. Ich bin in der Schule des Kreuzes. Lazarus.“ — — — — — — — — — — Die Leute richten ihre Blicke auf mich. Der Knabe kann nicht lesen und schreiben, fast niemand kann es im Walde. Die Leute meinen, ich sei hoch- gelehrt, ich müsse von Allem wissen. Ich weiß von nichts. Die Schule des Kreuzes, das ist ein geheimnißvolles Wort. Allerseelen 1817. Das ist ein lautloses Auf- und Niedergehen der Menschen. Ein Tröpfchen sammelt sich am hohen Zweig des Baumes, sickert hinaus auf die letzte Nadel, wiegt sich und glitzert und funkelt, oft grau, wie Blei, oft roth, wie Karfunkel. Kaum noch hat es die Farbenpracht des Waldes und des Himmels in sich gespiegelt, so zieht ein Lufthauch, und das Tröpfchen löst sich von dem wiegenden Tannenzweig und fällt nieder auf den schattigen Erdengrund. Und der Erdboden saugt es ein und keine Spur ist mehr von dem funkelnden Sternchen. So lebt des Waldes Kind und so vergeht es. Draußen ist es anders. Draußen erstarren die Tropfen in dem frostigen Hauch der Sitte, und die Eiszapfen klingeln aneinander und gar im Nieder- fallen klingeln sie und ruhen, eine Weile noch der Welt Herrlichkeit in sich spiegelnd, auf dem Erd- boden bis sie zerfließen und verthauen, wie der Gedanke an einen lieben Todten. Draußen treiben sie noch ein helles Geflunker mit ihren Sterbenden und mit ihren Todten. Im Walde hat der todte Schläfer kein Nachtlicht, wie der lebendige keines gehabt. „Das ewige Licht leuchte ihnen!“ ist das einzige Begehren. Die matte Spätherbstsonne lächelt mild und verspricht ihren ewigen Glanz, und der nächste Frühling sorgt für Blumen und Kränze. Nicht der todten Leiber wird im Walde gedacht, sondern ihrer lebenden Seelen Wehe, wenn diese sündig verstorben im Fegfeuer schmachten! Als der hungernde Hans seinem hungernden Nachbar auf der Au das Stück Brot hat gestohlen und darauf war verstorben, da war der Urwald noch nicht gestanden. Der Leib war verwesen, der Hans vergessen, die Seel’ ist im Fegfeuer gelegen. Die Au ist zum Walde, der Wald ist zur Wildniß geworden; die Wölfe heulen und kein Mensch ist weit und breit; an den Hängen des Gebirges wogen Sommerlüste und Winterstürme, und mit jeder Minute ein Körnlein Sand, und mit jedem Jahr- hundert eine Bergeswucht rollt in die Tiefe der Schluchten. Und die arme Seele liegt im Feuer. Wieder kommen Menschen in die Einöden und die Hochwälder fallen, und Hütten und Häuser erstehen und eine Gemeinde wird gebildet — die Seele aus alten, längstuntergegangenen Sonnen liegt in den Gluten des Fegfeuers und ist verlassen und vergessen. Aber ein Tag geht auf im Jahre, solch’ ver- gessenen Seelen zum Troste. Als Christus der Herr am Kreuz ist gestorben und nur noch der letzte Tropfen Blut in seinem Herzen ist gewesen, da hat ihn sein himmlischer Bater gefragt: „Mein lieber Sohn, die Menschheit ist erlöst; wem willst du den letzten Tropfen deines rosen- farbenen Blutes zukommen lassen?“ — Da hat Christus der Herr geantwortet: „Meiner lieben Mutter, die am Kreuze steht, auf daß ihre Schmer- zen sollen gelindert sein.“ — „O nein, mein Kind Jesus,“ hat darauf die Mutter Maria geantwortet, „wenn du den bitteren Tod willst leiden für die Menschenseelen, so mag ich die Mutterherzens- pein auch noch ertragen, ist sie gleichwol so groß, daß sie nicht das Meer kann löschen, und wär’ die ganze Erden ein Grab, sie nicht kunnt begraben. Ich schenke den letzten Tropfen deines Blutes den vergessenen Seelen im Fegfeuer, auf daß sie einen Tag haben im Jahr, an dem sie von dem Feuer befreit sind.“ Und so sei — nach der Sage Deutung — der Allerseelentag entstanden. An diesem Tage sind auch die verlassensten und vergessensten Seelen von ihrer Pein befreit und stehen im Vorhofe des Himmels, bis der letzte Stundenschlag des Tages sie wieder in die Flammen ruft. Das ist im Walde der Sinn und Gedanke des Festes Allerseelen, und manche gute That wird geübt auf die Meinung, den abgeschiedenen Seelen die Feuerspein zu lindern. Ueber den einsamen Gräbern aber brauen die Spätherbstnebel, und junger Schnee verbirgt des Hügels letzten Rest, und darauf haben etwa die Klauen eines Hähers ein Kettchen gezogen — als einziges Zeichen des Lebens, das hier oben noch waltet — des unauflöslichen Bandes Deutung: Um Leben und Tod ist eine ewige Kette gewunden. In den Winkelwäldern gibt es nur ein ein- ziges Grab, von dem die Leute wissen. Aber sie verachten es und sie fliehen es. Und dennoch ist es an diesem Tage des Gedächtnisses nicht einsam gewesen. Das Töchterlein des schwarzen Mathes hat am Grabe des Vaters wieder ein Blatt gefunden. „Mir geht es wohl. Ich denke an meine Mutter, an meine Schwester und an meinen Vater. Lazarus.“ Das ist die Botschaft. Die einzige Botschaft von dem verschwundenen Knaben seit vielen Tagen. Die Schriftzüge sind dieselben, wie auf dem ersten Blatte. Keine Menschenspur geht außer der des Mäd- chens zum Grabe hin, keine davon. Pfade von Füchsen und Rehen und anderen Thieren ziehen in Zick und Zack durch den winterlichen Wald. Am Katharinentag 1817. Es ist ein Brief geschrieben worden, daß der Knabe um Gottes- und der Mutterwillen zurück- kehren möge in die Hütte. Der Brief ist gut ver- wahrt über dem Grabe an dem Kreuzlein befestiget worden. Bis zum heutigen Tag ist er noch dort, Niemand hat ihn erbrochen. Rosegger: Waldschulmeister. 14 Weihnacht 1817. Heute habe ich Heimweh nach den Glocken- klängen, nach in Wehmuth erlösenden Orgeltönen. Ich sitze in meiner Stube und spiele Krippenlieder auf der Zither. Meine Zither hat nur drei Saiten; eine vollkommenere habe ich mir nicht zu schaffen gewußt. Die drei Saiten sind mir genug; die eine ist meine Mutter, die andere mein Weib, die dritte mein Kind. Stets in seiner Familie begeht man die Weihnacht. Nur wenige der Waldleute gehen mit Span- lunten hinaus nach Holdenschlag zur nächtlichen Feier. Es ist auch gar zu weit. Die Uebrigen blei- ben in ihren Hütten; aber schlafen wollen sie doch nicht. Sie sitzen beisammen und erzählen sich Mährchen. Sie haben heute einen sonderartigen Drang, aus ihrer Alltägigkeit herauszutreten und sich eine eigene Welt zu schaffen. Mancher übt alte, heidnische Sitten aus, und vermeint durch die- selben einem unsäglichen Gefühle des Herzens zu genügen. Mancher strengt seine Augen an und blickt hin über die nächtigen Wälder und meint, er müsse irgendwo ein helles Lichtlein sehen. Er horcht nach Feierglockenklingen und lieblichen Engelsstimmen. Aber nur die Sterne leuchten über den Waldbergen, heute wie gestern und immer. Ein kalter Lufthauch weht über den Wipfeln; Eisflämmchen flimmern nieder von den Kronen und zuweilen schüttelt ein Geäste seine Schneelast ab. Aber anders berührt in dieser Nacht das Flimmern und das Fallen des Schnees, und die Menschengemüther zittern in sehnsuchtsvoller Er- wartung des Erlösers. Ich habe ein einfältig Christbäumchen zu- sammengerichtet und dasselbe der Anna Maria Ruß in die Lautergräben geschickt. Ich denke, die Kerzen- flammen müssen freundlich spiegeln in den Aeuglein ihres Kleinen. Vielleicht, daß gar ein Flämmchen in’s junge Herz hineinzuckt. In der Hütte der Witwe kann kein Christ- baum sein. Auf dem Grabe des Mathes liegt sehr viel Schnee; das Briefgehäuse aus Reisig hat eine hohe Haube. Der flehende Brief der Mutter an das Kind muß verderben, ohne erbrochen und gelesen worden zu sein. 14* März 1818. In einem Winkel der Karwässer drüben hat sich der Berthold eine Klause erworben. Er ist zu den Holzleuten gegangen. Die Aga hat gestern ein Kindlein geboren. Es ist ein Mädchen. Sie haben es nicht nach Holdenschlag getragen. Ich bin geholt worden, daß ich es taufe. Ich bin kein Priester und darf dem Kirchenkalender keinen Namen stehlen. Waldlilie habe ich das Mädchen geheißen, und mit dem Wasser des Waldes habe ich es getauft. Ostern 1818. Wann wird der Engel kommen, der den Stein hinwegwälzt? „Jerum, jerum, unser Herrgott ist gestorben? aber wie ich schon sag’, es erfährt Ein’s halt nichts in dieses Hinterland herein. Schau, schau, so ist er dennoch wol einmal gestorben; ist eh’ nimmer jung gewesen, hab’ schon mein Lebtag von ihm gehört. Hat halt doch auch einmal fort müssen. Uh, wem bleibt’s aus!“ — Das hat der alte Schwamelfuchs gesagt, als er erfahren, daß zu Holdenschlag am Charfreitag von der Kanzel verkündet worden, unser Herrgott sei gestorben für die Sünden der Welt. In ernster und in höchster Verwunderung meint es der Alte, der doch zu jedem Abendgebete die Worte sagt: „Gelitten unter Pontius Pilatus, ge- kreuziget, gestorben.“ Es ist Zungengebet. Das wahre Gebet betet nur das Herz in seiner Noth, in seiner Freude, aber die Leute werden sich desselben nicht bewußt. In Untiefen begraben liegt noch das Ding, das wir wahre Gottesehre oder Sittlichkeit heißen. Die Leute eilen in der Osternacht oder am Morgen in den freien Wald hinaus, zünden Feuer an, lassen Schießpulver knallen und spähen in der Luft nach dem päpstlichen Segen, der am Oster- morgen von der Zinne der Peterskirche zu Rom ausgestreut werde nach allen vier Winden. Es ist immer das unbewußte Sehnen und Ringen. Man merkt, es liegt etwas begraben in den Herzen, was nicht todt ist. Wann aber wird der Engel kommen, der den Stein hinwegwälzt? Am Sankt-Markustag 1818. Der Schnee ist geschmolzen. Drüben im Ge- senke donnern noch die Lahnen. Vor einem Jahre haben wir einige Obstbäume gepflanzt; diese grü- nen jetzt ganz frisch, und der Edelkirschbaum treibt fünf schneeweiße Blüthen. Der Kirchenbau hat wieder begonnen. Die Maurer haben sich auch schon an den Pfarrhof gemacht. Der wird ein stattliches Haus nach dem Plane des Waldherrn. Warum muß der Pfarrhof denn größer sein, als etwan das Schulhaus? Das Schulhaus soll ja für eine ganze Familie und für eine Schaar junger Gäste eingerichtet sein; der Pfarrhof herbergt nur einen oder ein par einzelne Menschen. Aber der Pfarrhof soll das Heim und die Zuflucht sein für alle Rath- und Hilfbedürftigen; eine Freistatt für Verfolgte und Schutzlose, — der Mittelpunkt der Gemeinde. Als Neues in der Jahreszeit kehrt stets das Alte wieder, die Leute leben in ihrer gewohnten Beschäftigung und unbewußten Armuth fort. Ich kann nicht mehr so im Walde herumgehen um mit den Leuten zu verkehren, von ihnen zu lernen und ihnen dafür anderweitig zu nützen. Ich kann nicht mehr flechten und schnitzen, nicht mehr so in der Schöpfung leben und Baum- und Blu- menkunde treiben und das Erdreich ausspähen, was etwan aus demselben für uns zu holen wäre. Ich muß stetig bei dem Baue sein; die Arbeiter und Vorarbeiter geben auf meinen Rath. Ich muß viel nachdenken und Bücher und fremde Erfahrungen zu Hilfe ziehen, daß wir nicht auf Irrwege gerathen. Mir behagt aber die Sache bei all der An- strengung und ich werde jünger und kräftiger. Gestern ist der Dachstuhl aufgesetzt worden. Viele Menschen sind dabei anwesend gewesen; Jeder will zur Kirche sein Schärflein beitragen. Die Witwe des Mathes und ihre Tochter arbeiten auch im Bau. Sie sprechen kein Wort mehr von dem Knaben. Aber letzthin hat das Weib ein Steinchen mit aus ihrer Hütte gebracht und die Worte ge- sagt: „Ich möchte gern, daß dieses Sandkorn unter dem Altar liege.“ Es ist der Stein, den der Knabe nach der Mutter geworfen. Pfingsten 1818. Das erste Fest der neuen Kirche. Aber nicht in derselben, sondern vor derselben. Gestern ist das Thurmkreuz aufgerichtet worden. Es ist von Stahl und vergoldet, — ein Geschenk des Freiherrn. Eine große Menge Leute hat sich versammelt; es gibt doch viele Bewohner in den Wäldern. Von Holdenschlag aber soll kein Mensch da- gewesen sein, nicht einmal der Pfarrer. Letztlich gönnen sie uns etwan gar die neue Kirche nicht? — Wol aber ist jenseits des Winkelbaches der Einspanig gesehen worden. Er schleicht und lauert, zerrt sein aschenfarbig Lodentuch über das bewüstete Haupt; hastet am Bache hin und wieder und endlich hinein in das Dickicht. — Das ist ein seltsamer Mensch; mehr und mehr zieht er sich zurück von den Leuten und nur an bedeutsamen Tagen wird er gesehen. Niemand weiß, wer er ist, von wannen er kommt, und was er webt, das weiß kein Weber. Auch der Holzmeister nimmt an dem Feste theil, ist ganz außerordentlich aufgeziert und hat gar seinen rothen Vollbart gekämmt. In der Hand hat er einen beknopften Stock getragen, da merke ich gleich, es geht nicht gewöhnlich zu. Und richtig, er hält eine Rede, in welcher er sagt, daß er heute im Namen des Waldherrn der neuen Gemeinde die neue Kirche übergebe. Das Kreuz trägt ein kräftiger Mann an den Arm gebunden hinauf. Es ist Paul, der junge Meisterknecht aus den Lautergräben. Von dem Thurmfenster, durch das er heraussteigt, ist ein sehr einfaches Gerüste an dem fast senkrechten Schindeldach empor bis zur Spitze. Gelassen klettert der Träger an den Balken hinan. Zur Spitze an- gekommen steht er frei aufrecht und löst sich das Kreuz vom linken Arm. — In der Menschenmasse ist es still, und ringsum kein Laut, als ob noch die Urwildniß wäre an den Ufern der Winkel. Jeder hält den Athem an, als wäre ein unbewachter Hauch im Stande, dem Manne auf schwindelnder Höhe das Gleichgewicht zu stören. Paul hütet seinen Blick und seine Bewegungen sind langsam und regelmäßig. Ich vermeine schon ein Zucken und Wenden zu bemerken, das nicht zur Sache gehört, schon faßt mich der Schreck — da senkt sich das Kreuz in seinen Grund und steht fest. In demselben Augenblicke strauchelt der Mann — da schallt herunten in meiner Nähe ein Schrei. Aber Paul steht oben. Der Schrei ist aus dem Munde der Anna Maria gekommen. Sie ist todtenblaß und ohne noch einen Laut zu thun, setzt sie sich auf einen Stein. Und jetztund wird’s erst lustig. Paul zieht ein Glas hervor, hebt es, leert es und schleudert es nieder auf den Boden. Es zerspringt in tausend Scherben und die Leute ringen untereinander um diese Scherben, um solche für ihre Enkel zu erhaschen und dereinst sagen zu können: Sehet das ist ein Theil des Glases, aus dem bei der Aufrichtung unseres Kirchthurmkreuzes getrunken worden. Noch steht Paul auf hoher Zinne, Arm in Arm mit dem Kreuze; da kommt im Thurmfenster der graubärtige Kopf unseres Fabelhans-Rüppel zum Vorscheine. Der zwinckert so gewaltig mit den weißen Augenbüschen, daß man es gar herunten bemerken kann, und hebt so an zu reden: „Weil ich mich nicht auf die Spitz’ getrau, so ich zu diesem Fenster herausschau. Auf der Spitz’ steht ein junger Mann, dem steht das Trinken an; das Reden aber mir Alten. Will euch doch keine Predigt halten; dafür wird unten die Kanzel gebaut und dieselb’ einem rechtschaffenen Pfarrer vertraut. Neben der Kanzel werdet ihr einen Taufstein er- blicken; dem hab’ ich nichts mehr zu schicken; aber es gibt Leut’ in der Pfarr, die brauchen so ein’ Waschtrog alle Jahr; Der Taufbrunn’ darf nicht zu klein, im Holzhauerland muß das ein starker Brunnen sein. Aber gleich daneben thut der Beicht- stuhl stehn, da tragen sie alle Sünden hinein, sind sie groß oder klein. Gott wird sie verzeihn; der Beichtvater aber soll die Ohren verschließen, der kann die Sünden von sich selber wissen. Dann ist der Hochaltar, da schüttet man seinen Kummer aus und geht wieder frisch und jung nach Haus. Und der liebe Gott wird zwölf Engel senden, die werden die Gemeinde bewachen an allen Enden. Da hör’ ich, was auf dem Thurm das Glöcklein spricht, und seh’ leuchten das heilige Kreuz im Sonnenlicht, wie ein Wegweiser, ein göttliches Zeichen, daß wir all- zusamm’ mit Gottes Gnad’ den Himmel erreichen. — Und weil ich heut auf diesem Thurm schon die Glocken muß sein, so ruf’ ich es weit in’s Land hinein, daß es hallt und schallt über Berg und Wald, bis hin in die schöne Stadt, wo unser braver Herr seinen Wohnsitz hat. Ich und wir All’ und die ganze Gemein bedanken uns wol von Herzen fein für’s Gotteshaus zur schönen Zier! und der Engel soll uns leiten All’ zur himmlischen Thür. — Das ist mein armer Gruß; und noch thät’ ich meinen zum Schluß: eh’vor wir selbander im Himmel uns freu’n, wollen wir auf Erden noch lustig sein!“ In allen Herzen haben die Worte gezündet und ich hätte gleich meinen eigenen Schutzengel mögen schicken, daß er dem Herrn in der Stadt den lieblichen Dankesgruß gebracht. Als hierauf der Paul glücklich vom Thurme zurückkommt auf den festen Erdengrund, hat ihn sein Weib mit beiden Armen empfangen: „Gott gibt dich mir mit eigenen Händen zurück!“ Darauf gehen sie dem Hause zu, das heute eine laute Schenke geworden ist. Und siehe die Fügung, da ist der Paul nach wenigen Stunden auf dem breiten, ebenen und grundfesten Boden des Wirthshauses nicht mehr so sicher gestanden, wie oben auf der Spitze. Das erhöhte Kreuz aber hat seinen Arm huldreich ausgebreitet über die Kirche und über das Wirthshaus. Einige Tage später. Es wird aber nicht wahr sein, was man über den Sohn unseres Waldherrn redet. Der junge Herr soll es toll treiben. Es haben auch der Reichthümer allzuviel auf ihn gewartet, als er in dieser Welt ist angekommen. Ei freilich läßt sich mit klingendem Namen und klingender Münze im Leben etwas machen. Aber ich habe dem guten Hermann ja gesagt, woher das Brot kommt und was Arbeit heißt. Freilich, das Eine hat mir nicht gefallen wollen, daß er niemals auf die Arbeiter des Feldes und auch niemals auf die Blumen des Frühlings und auf die Blätter des Herbstes hat geachtet. Doch nein, Hermann, du kannst so sehr nicht irren. An deiner Seite steht ja der heiligste, treueste Schutzgeist, den Erde und Himmel je geboren hat. — Ei, komme doch einmal herein in unseren schönen, stillen Wald! Morgenroth und Edelweiß. Im Sommer 1818. Zuweilen ist mir im Winkel hier doch gar recht einsam zu Herzen. Ich weiß nun aber ein Mittel dagegen; ich gehe zu solchen Stunden hinaus in die noch größere Einsamkeit des Waldes; und ich bin in derselben sogar schon nächtlicher Weile gewesen, und habe die schlummernde Schöpfung be- trachtet und Ruhe und Befriedigung empfunden. Nacht liegt über dem Waldlande. Der letzte Athemzug des vergangenen Tages ist verweht. Die Vöglein ruhen und träumen und dichten künftige Lieder. Aber die Käuze krächzen und Aeste seufzen in ihren Stämmen. Die Welt hat ihr Auge ge- schlossen, aber ihr Ohr thut sie auf der ewigen Klage der Menschen. Wozu? ihr Herz ist Fels- gestein und nimmer zu wärmen. Ei, sie wärmt ja mit ihrer Ruhe und mit ihrem Blick. — Oben drängt sich Gestirn an Gestirne, es tanzt seinen Reigen und freut sich des ewigen Tages. — Auch dem Walde naht der Morgen wieder, schon winken ihm die Zweige. Es naht der junge König auf Wolkenrossen vom Aufgang her geritten und bohrt seine glut- lodernden Lanzen in das Herz der Nacht, und diese stürzt nieder in dämmernde Schluchten, und von felsiger Zinne rieselt das Blut. Alpenglühen nennen es die Leute. Zu dieser Jahreszeit wäre es auf dem grauen Zahn gut sein. Während unten in finsteren Thälern die Menschen ausruhen von Mühsal, und träumen von Mühsal, und sich stärken zu neuer Mühsal — stehen da oben die ewigen Tafeln in stiller Glut, und um Mitternacht reicht über dem Zahn ein Tag dem andern die Hände. „O, das ist ein schönes Licht!“ hat der alte Rüppel einmal ausgerufen, „das leuchtet hinaus in die weite Fern, das leuchtet mir hinein in mein tiefes Herz, das leuchtet mir hinauf zu Gott dem Herrn!“ In meiner Seele ist zuweilen eine so seltsame Empfindung; Sehnsucht nach dem Weiten, nach dem Unbegrenzten ist nicht ganz der rechte Name dafür; Durst nach dem Lichte möchte ich sie heißen. — Mein armes Auge, du vermagst der dürstenden Seele nicht genug zu thun; du wirst in dem Meere des Lichtes noch ertrinken. Ich bin dieser Tage wieder auf dem Zahn gewesen. Bald werde ich ja an den Glockenstrick geknüpft sein, wenn andere Leute Feiertag haben. Es sei, der Glockenstrick ist ein langer Athem, der sagt mit jedem Zug den Menschen was Gutes und lobet Gott. Ich habe von dem hohen Berge aus nach den Niederungen geschaut, aber das Meer hab ich nicht gesehen. Ich habe gegen Mitternacht geschaut bis zu den fernsten Kanten hin, von da aus man viel- leicht das Flachland könnt’ sehen, und die Stadt und den Giebel des Hauses, und das Gefunkel der Fenster . . . . Und wie lang’ müßtest du fliegen, du Blick meines Auges, bis hin in’s Sachsenland zum Grabe! . . . . Der scharfe Wind hat meine Gedanken abge- schnitten. Da bin ich wieder niederwärts gestiegen. An einem Ueberhang des Grates habe ich etwas recht Freundliches gefunden. Das habe ich am Gestade des fernen See’s von meiner Ahne schon gehört, und das habe ich von den Menschen dieses Waldlandes wiederholt vernommen, daß in der Sonne drin die heilige Jungfrau Maria am Spinnrade sitzt. Sie spinnt Wolle von schneeweißen Lämmlein, wie sie im Paradiese weiden. Da ist ihr einmal, als sie bei dem Spinnen eingeschlummert und vom Menschen- geschlechte hat geträumt, ein Flockchen der Wolle auf die Erde gefallen, ist hängen geblieben an einem hohen Felsen, und die Leute haben es gefun- den und Edelweiß geheißen. Zwei Sternchen davon hab ich abgepflückt und sie an meine Brust gethan. Das eine, das ein wenig röthlich leuchtet, sei Heinrichroth genannt, das andere, schneeweiße, das . . . . lasse ich bei seinem alten Namen. Als ich gegen Abend zu den Wäldern und Geschlägen niederkomme, stößt mir was unsäglich Liebliches zu. Da sehe ich unweit meines Fußsteiges eine Schichte frischgrünen Grases; es duftet mir so einladend entgegen, und so denke ich, daß ich hin- schreite dazu und meine ermüdeten Glieder darauf ein wenig rasten lasse. Und wie ich nun zur Gras- schichte komme, sehe ich darin ein Kindlein schlafen. Ein blüthenzartes, herziges Kindlein, sorglich in Linnen gewickelt. Ich bleibe stehen, und wahre mei- nen Athem, daß er nicht in Verwunderung aus- breche und so das Wesen wecke. Ich vermag kaum zu denken, wie es komme, daß dieses hilflose, blut- junge Menschenkind zu dieser Stunde an dieser ent- legenen Stelle sei. Da klärt es sich schon auf. Von der Thalmulde wankt eine Grasladung heran, und unter derselben schnauft die Aga, die für ihre Ziegen Futter sammelt, und das Kind ist ihr Töchterchen — meine Waldlilie. Das Weib ladet hierauf den Grasvorrath auf ihren Rücken und das Kind auf ihre Brust, und wir gehen zusammen dem Thale zu. Ich bin an demselben Abende in ihre Klause eingekehrt und hab Ziegenmilch getrunken. Der Berthold ist spät vom Holzschlage heimgekommen. Die Leutchen führen ein kümmerliches Leben; aber sie sind guten Muthes, und die junge Waldlilie ist ihre Glückseligkeit. Als der Berthold an meiner Brust das Edel- weiß sieht, sagt er mit dem Finger drohend: „Ihr, gebt Acht, das ist ein gefährlich Kraut!“ Ich verstehe ihn nicht, da setzt er bei: „Das Edelweiß hätt’ schier meinen Vater getödtet und das Edelweiß will mir die Lieb’ zu meiner schon ver- storbenen Mutter vergiften.“ „Wie so, wie so, Berthold?“ frage ich. Da erzählt er mir folgende Geschichte: Auf der andern Seite des Zahn, vom Gesenke hinaus, ist ein Forstjunge gewesen, der hat ein Sennmäd- chen lieb gehabt. Aber das ist gottlos stolz gewesen und hat eines Tages zum Forstjungen gesagt: „Bist mir ja recht und ich mag dein werden, aber eine Gewährschaft mußt du mir geben von deiner treuen Lieb’. Bist ein flinker und prächtiger Bursch; Rosegger: Waldschulmeister. 15 schlagst mir’s ab, wenn ich ein Edelweiß verlang’ von der hohen Wand herab?“ „Mein Leben, ein Edelweiß sollst du haben?“ jauchzt der Bursch, denkt aber nicht daran, daß sie die hohe Wand die Teufelsburg heißen, weil sie unbesteigbar ist, weil an ihrem Fuß sechs Marter- tafeln stehen, von Wurznern und Gemsjägern zei- gend, die herabgestürzt. Und die Sennin bedenkt es nicht, daß sie die siebente Martertafel begehrt. Aber dasselb’ ist wol wahr, daß Einem die Lieb’ toll den Kopf verrückt. Der Forstjunge hat sich aufgemacht noch an demselbigen Tag. Er besteigt das niedrigere Gewände, über wel- ches der Holzhauer mit seiner Kraxe noch wandeln muß; er erklettert Hänge, an denen der Wurzner seinen Speik aussticht; er schwingt sich über Schluch- ten und Klippen, denen kaum mehr der Gemsjäger traut. Und er erreicht endlich jene schaudervollen Stellen an der Teufelsburg, die unter sich den zer- rissenen Abgrund, über sich das senkrecht aufsteigende Gethürme haben. Auf einem nächsten Felsvorsprung ist ein Gemslein gestanden, das hat lustig sein Haupt erhoben und spottend auf den Burschen herüber- geschaut. Es ist nicht geflohen, da oben ist das Wild der Jäger und der Mensch das hilflose Wild. Das Gemslein scharrt mit dem Forder- fuß, da fliegen weiße Flaumschüppchen auf. — Edelweiß. Der Bursche weiß wol, er hat sein Auge zu wahren, daß das Rad in seinem Haupte nicht an- hebt zu kreisen. Er weiß wol: blickt er empor am Gewände, so ist es der Abschied vom Himmelslicht, und senkt er sein Auge niederwärts, so schaut er in sein Grab. Nicht die Gemse, der Boden, auf dem sie steht, ist heute sein Ziel. Einstemmt er den Alpen- stock und windet sich und schwingt sich. Blau und grau wird es um sein Auge. Funken tauchen auf und kreisen und vergehen. Nichts sieht er mehr, als das Lächeln der Sennin, da schleudert er den Stock von sich, da hebt er an und hüpft und springt in weiten Sätzen. Und die Gemse macht sich auf und setzt wild über sein Haupt, und der Forstjunge sinkt hin auf das weiße Bettlein des Edelweiß. Am zweiten Tage nachher hat der Oberförster bei den Leuten nachfragen lassen, ob der Forstjunge nicht gesehen worden sei. Am dritten Tage haben sie das Sennmädchen gesehen im Walde laufen mit gelösten Haaren und ringenden Händen. Und an dem Abende desselben Tages ist der Forstjunge auf einen Stock gestützt durch das Thal geschritten. Wie er herabgekommen von der Teufelsburg, das hat er keinem Menschen erzählt, noch vielleicht 15* erzählen können. Edelweiß hat er bei sich ge- tragen — einen Strauß an der Brust — einen Kranz auf dem Haupte; schneeweiß, edelweiß sind seine Haare gewesen. Und das Sennmädchen, das sich in seinem Uebermuth an dem braunen Lockenkopf versündigt, hat jetztund das Weishaupt geliebt und gepflegt, bis es selbst ein solches geworden in späten Jahren. Fast schön hat der Berthold diese Geschichte erzählt und letztlich beigesetzt, daß er von dem Forstjungen und der Sennin das Kind sei. Im Herbst 1818. Wenn ich in den Wäldern herumgehe zu großen und kleinen Leuten, und von den ersteren lerne und die letzteren lehre, so sehne ich mich oftmals zurück zum Steg der Winkel. Da haben die letzten Jahre her die Leute um das Winkelhüterhaus mit Axt und Hammer so herumgearbeitet und ich hab selber zu- weilen ein wenig meine Hand daran gelegt. Und nun ich die Augen einmal aufmache und die Dinge betrachte, sehe ich, daß wir ein Dorf haben. Neben dem Hause sind ein par Hütten auf- gerichtet worden, anfangs nur für die Bauarbeiter, und nun werden sie zu ständigen Häusern ein- gerichtet. Und da ist der Martin Grassteiger, ein Kohlenbrenner aus den Lautergräben herübergekom- men, und hat zwei solche Hütten um eine ganz erkleckliche Summe erkauft und zur Verwunderung der Leute gleich baar ausbezahlt. Aus den pech- schwarzen Kohlen werden funkelnde Thaler gemacht, hat die alte Ruß-Kath einmal gesagt. Und mit planken Thalern hat der Grassteiger die Hütten be- zahlt, und nun ist er ein ansehnlicher Mann. Der Pfarrhof ist der Vollendung nahe und die Kirche ebenfalls, und darnach kommt das Schulhaus dran; — o Gott, ich erlebe eine sehr große Freude in diesen Wäldern. Gestern zur Abendstunde haben wir die Kirche zum erstenmal zugesperrt. Es ist der Baumeister, der Tischler aus Holdenschlag, der Holzmeister dabei gewesen, aber ich weiß nicht, wie es gekommen, daß, wie wir auseinandergegangen, der Schlüssel mir in den Händen ist verblieben. Ja so — ich bin ja der Schulmeister. Ich weiß es selber kaum, daß ich es bin, und da schreibt mir letztlich der Waldherr, er sei mit meinem schulmeisterlichen Wir- ken im Walde recht zufrieden. Was thue ich denn? Geschichten erzähle ich den Kindern, und weise ihnen mancherlei Kleinigkeiten des Waldes, die sonst zeit- lebens kein Mensch hier noch beachtet hat, mit denen aber die Kinder tolles Wesen treiben und ihre Freude haben. Die vordersten Fenster in der Kirche, zwischen welchen der Altar kommt, sind mir nicht ganz recht. Die Scheiben sind so hell, und das thut mir zu- weilen im Auge weh. Und es schaut die Waldlehne und der Holzschlag herein. Ei, das wäre was Rechtes für den Sonntagsbeter, da thät’ er im Gedanken allfort Holz hacken, statt seine arme Seele demüthig dem lieben Gott vorzuführen, und er thät’ die ge- schlagenen Stämme zählen und die Stöcke und die Reisighaufen und solche Dinge, um deren Anzahl er sich sonst die ganze Woche nicht kümmert. Da muß das Gebet schon wie ein Blutquell aus dem Herzen strömen, wenn der Gedanke dabei nicht durch- zugehen trachtet, und so muß man die Kirche wie eine Burg bewahren, daß der Sonntag nicht hinaus und der Werktag nicht herein kann. Die beiden Fenster müssen mit Glasmalereien versehen werden, und das will ich besorgen. Ich habe mir rothes, gelbes, blaues und grünes Papier kommen lassen und arbeite nun schon seit Tagen als Bildschnitzer bei verschlossenen Thüren. Ueber den Kirchenheiligen sind die Leute noch nicht einig geworden. Aber ich habe darüber meine Gedanken. Stellen wir gar keinen auf. „Leute,“ hab ich gesagt, „stellen wir gar keinen auf. Jeder soll sich den seinen denken nach Belieben. Die Hei- ligen sind unsichtbar und im Himmel; wir könnten sie nur aus schlechtem Holz nachmachen, und das thäte sie leicht verdrießen.“ „’s mag wol richtig sein,“ haben Einige auf diesen Vorschlag geantwortet, und wir ersparen die Unkosten.“ Den Altartisch hat ein Vorhacker vom Kar- wasserschlag gezimmert. Der Vorhacker ist ein armer Mann mit reichem Kindersegen; er hat aber für die Kirchenarbeit kein Entgeld genommen. — „Auf eine gute Meinung thu’ ich’s,“ hat er gesagt, „für die Meinigen thu’ ich’s, auf daß mir keines stirbt und keines mehr dazukommt.“ Der liebe Gott muß nicht recht verstanden haben; kaum ist der Altartisch fertig, rückt dem Vorhacker der neunte Bub auf die Welt. Um zu zeigen, daß es eine Ehre ist für den Wald, wenn so ein armer Mann ein gemeinnütziges Werk vollbringt, so nennen wir den Vorhacker, weil er auch einer ist, der seinen Namen nicht weiß, — den Franz Ehrenwald. — Der Name reicht für seine neun Buben und für Weiteres. Der Franz Ehrenwald ist ein geschickter und strebsamer Kopf. Weil ihm der Altartisch gelungen ist, so will er sich nun ganz auf das Zimmer- und Tischlerhandwerk verlegen. Er hat sich schon eine Unzahl Werkzeuge gesammelt und zwei Körbe voll von Hobeln, Reifmessern, Bohrern, Sägen, Beilen, Stemmeisen und Dingen verschafft, die er gar nicht anzufassen weiß und sein Lebtag nicht brauchen wird. Aber die Werkzeugkörbe sind sein Stolz und seine schwache Seite, und seine Buben können ihm keinen größeren Aerger verursachen, als wenn sie in ihren eigenmächtigen Tischlerarbeiten ihm etwan einen Bohrer verschleppen oder ein Messer schartig machen. Sie mögen nur brav das Handwerk lernen, die zwei Körbe werden ja einmal ihre Erbschaft sein. Ich habe mehrere Pläne für Wohnhäuser ge- zeichnet, wie sie gebaut werden sollen, daß sie dauer- haft, licht, luftig, leicht heizbar, für die Lebensweise der Leute geeignet und geschmackvoll sind. Nach sol- chen Plänen hat der Franz Ehrenwald bereits mehrere Häuser begonnen. Eines davon gehört dem Meisterknecht Paul in den Lautergräben. Die Bau- ten sind nicht kostspielig, da der Waldherr das Holz dazu umsonst gibt; auch sollen sie, sagt man, steuer- frei bleiben. So fängt das Geschäft des Meister Ehrenwald prächtig an; er muß sich Gehilfen nehmen und seine Buben werden ihm zu wenig. Auch geht er bereits mit einem Plan für sein eigenes Haus um. Letztlich, als ich einmal unten am Bach stehe und Forellen fische, kommt er plötzlich, ich weiß gar nicht von woher, auf mich zu und lispelt mir ge- heimnißvoll in’s Ohr: „Glaubt mir, mein neues Haus wird saggrisch toll, saggrisch toll wird’s!“ Kein Mensch sonst ist in der Nähe gewesen und die Fische sind auch in der Winkel taub. Aber saggrisch toll — flüstert er leise — wunderprächtig wird sein Haus! Der Mann ist schier kindisch vor Glückseligkeit; er ist auf seinem Fahrwasser; früher ist es gar Keinem eingefallen, daß man auch in den Winkelwäldern stattliche Wohnungen bauen könne. Auf dem Kreuzwege. Im Herbst 1818. Oben, in der Oede des Felsenthales steht ein hölzernes Kreuz. Es ist dasselbe, welches empor- gewachsen sein soll aus dem Saamenkorne des Vögleins, das alle tausend Jahre in den Wald fliegt. Ich bespreche mich mit dem Förster und einigen der Aeltesten. Hernach frage ich den alten Bart- kopf und Fabelhans Rüppel, der sonst auch just kein wichtig Geschäft hat, ob er mit mir gehen wolle hinauf in die Karwässer und in das Felsen- thal, und ob er mir das bemooste Kreuz wolle herabtragen helfen in den Winkel. Und so gehen wir an einem hellen Herbst- morgen davon. Beiden ist uns unsäglich wohl gewesen. Dem schattendunkeln Winkelbach haben wir Dank gesagt für sein Schäumen und Rauschen. Dem Wiesen- grün haben wir Dank gesagt, daß es wiesengrün ist, dem Thaue und den Vögeln und dem Reh und dem ganzen Wald haben wir Dank gesagt. — Wir steigen über glatten Waldboden, wir steigen über verwittertes Gefälle und bemoostes Gestein. Die Bäume sind alt und tragen lange Bärte, mit jedem steht der Fabelhans auf brüderlichem Fuße. Unter den Weben der Moose begegnen uns Käfer, Amei- sen, Eidechsen; wir grüßen sie alle, und lustflun- kernde Schmetterlinge laden wir ein, daß sie mit uns kommen sollten zum Kreuze. Ei, die kleine bunte Welt hat davon nichts wissen wollen. Mein Gefährte ist ein sehr seltsamer Kauz. Wer ihn nicht kennt, der kann ihm nicht glauben. Aber unter den Waldmenschen gibt es einmal die wunderlichsten Sondergestalten. Draußen in der durchgebildeten und abgeschliffenen Welt nennt man solche Erscheinungen große Geister; hier heißen sie Narren und Halbnarren. Der Rüppel ist so ein Halbnarr. Sie heißen ihn auch den Fabelhans, weil er allfort was zu fabeln weiß; und sie heißen ihn den Reim-Rüppel, weil er — und das ist die Merkwürdigkeit — nicht zehn Worte sprechen kann, ohne zu reimen. Es ist eine tollwitzige Gewohnheit. Seine ganze Lebensgeschichte hat er mir unterwegs in Reimen erzählt. Die Reime haben zwar gottslästerlich ge- holpert; aber wer soll auf so steinigem Waldboden nicht holpern und stolpern? — Ich will es doch versuchen, mir seine Geschichte einzuprägen. „Ein Küsterbüblein bin ich gewesen,“ hebt er an, „draußen in Holdenschlag steht’s noch zu lesen. Wenn ich den Strick hab’ geschwungen und die Glocken haben geklungen, hab’ ich den Takt gesun- gen und den Schwenkel nachgeahmt mit meiner Zungen. Beim Ministriren hab’ ich wol andächtig die Orgel genossen, hab’ dem Pfarrer Wein in den Kelch gegossen; aber unter dem Wasserkrüglein hat er gleich gezuckt; kaum ein Tröpflein, ist er schon davongeruckt. Wasser und Wein als Fleisch und Blut, das ist unser höchstes Gut, aber wer in den Kelch zu viel Wasser thut, der verdirbt das rosen- farben’ Christiblut. — Als ich von der Kirchen bin fortgekommen, hat mich ein Schmied in die Lehr’ genommen. Der Blas’balg hat mit Gleich- maaß angefangen und der Hammer ist taktfest mit- gegangen, und der Ambos hat geklungen, sind die Funken gesprungen, und Alles hat sich gefügt und gereimt, als wär’ es gehobelt gewesen und geleimt. Gerade meinem Meister hat’s nicht angepaßt, da hat er mich nach dem Takt beim Schopf gefaßt. Und schaut, bei diesen taktfesten Dingen, Klingen, Singen und Springen, hab’ ich zum stillen Feier- abendfrieden baß angefangen Reime zu schmieden. Aber, wie auch geschmiedete Reime gerathen, es sind keine Hufeisen, sind keine Spaten, und der Eisenschmied hat den Reimschmied bald verjagt hinaus in den Wald. — Im Wald hab’ ich Moos gezupft und Wurzeln und Kräuter gerupft, bin federleicht geworden und mit dem Reh gesprungen, bin lustig geblieben, hab’ mit den Vöglein gesungen. Der Förster, ein Vetter von mir, hat gedacht, ich kunnt bei dem Lungern gar leicht verhungern, und hat mich zum Jäger gemacht. — Wie ich die erste Büchs hab’ umgehangen, haben die Thier’ im Wald ein Freudenfest begangen. Ich hab’ nach dem Wild geschossen und die blaue Luft getroffen, da bin ich dem Reh auf Versfüßen nachgeloffen. Das ist gar stehen geblieben: ich kunnt nach Belieben mich setzen auf seinen Rücken; auf so ungleichen Bein’, das sehe es ein, könne das Gehen nicht glücken. — Und schaut, kaum hab’ ich das Wild mir zur Freund- schaft genommen, bin ich mit dem Förster in Feind- schaft gekommen, und von meinem Jagen und Schießen, will er gar nichts mehr wissen. — Bin eine Weil’ in der Welt herumgegangen, hab’ allerlei angefangen; mit allerhand Herren thät’ ich ver- kehren; theils haben sie mir gutherzig den Dienst aufgesagt, theils haben sie mich mit Stecken davon- gejagt. — Und schaut, so schleift es fort und so werd’ ich alt, und so holper’ ich wieder zurück in den Wald; und das ist mein Aufenthalt. Und wenn ich wo Leute find’, die gutherzig und lustig sind, so mach’ ich mich bescheiden und mit Freuden daran, und singe sie an; und singe zur Tauf’ und Hochzeit und anderer Lustbarkeit um mein Stücklein Brot; ist’s auch schwarz und trocken, gesegne mir’s Gott! bin ich gesund und wird mir die Zungen nicht lahm im Mund, so leid’ ich keine Noth. Und ist es Zeit, so kommt der Herr Tod, ich bin bereit und gehe heim, und das ist der allerbeste Reim. Und hör’ ich singen und posaunenklingen, so steh’ ich wieder auf. Und das ist des Reim-Rüppels Lebenslauf.“ Ich möchte den Mann die wilde Harfe oder den Waldsänger heißen, oder den evangelischen Sperling; er säet nicht und erntet nicht und bettelt nicht, und die braven Winkelwäldler ernähren ihn dennoch, während draußen im weiten Land die Sänger verhungern. Nach vielen Stunden sind wir endlich hinauf- gekommen in das Felsenthal. Als wir am zerrissenen Gewände hingehen, in deren Klüften das Grauen schlummert, und als wir mitten in den nieder- gebrochenen Klötzen das Kreuz ragen sehen, theilt mir mein Begleiter mit, es thät’ ihm scheinen, als husche dort eine Menschengestalt zwischen den Steinen. Ich aber habe außer uns zweien Nieman- den bemerkt. Vor dem Kreuze stehen wir still. Auf dem be- moosten Felsklotz ragt es, wie es vor vier Jahren geragt, wie es nach der Menschen Sagen seit un- vordenklichen Zeiten gestanden. Wetterstürme sind über ihn hingezogen und haben die Rinde gelöst von dem Holze; sie sind dem Kreuzbilde nicht wei- ter gefährlich worden. Aber die milden Sonnentage haben Spalten gesprengt an den Balken. — Das Himmelsauge wölbt sich in lichter Bläue über den verlornen Weltwinkel. Die niedergehende Sonne blitzt schräge hinter dem Gefelse hervor und spinnt in den uralten, kahlästigen Baumrunen und bescheint den rechten Arm des Kreuzes. Ein braunes Würm- chen kriecht über den Balken dem sonnigen Arme zu, doch kaum es den Arm erreicht, ist die Glut erloschen. — Ein Kieferschabkäfer lauft an dem Stamme empor und eilt unter das letzte Rinden- schüppchen, um etwan die Puppe einer Ameise zu erhaschen. — Dem ist das bestrahlte Kreuz ein Gottesreich; dem ist es ein Tummelplatz seines Strebens und Genießens. Unserer Gemeinde möge es das Erstere sein! Es ist gut, daß kein Mensch weiß, wer den Pfahl im Felsenthale gezimmert und aufgestellt hat. Denn niemals sollen sich unter den Anbetenden jene Hände falten, die das Bild der Gottheit ge- schnitzt haben. Von dem Berge Sinai herab hat Moses die Gesetztafeln geholt, als wahres Bild Gottes. Erst als die Israeliten aus ihrem eigenen Geschmeide und mit eigenen Händen ein Bild ge- formt, ist ein Götzenbild daraus geworden. Als wir auf den Fels gestiegen, um den Kreuz- pfahl abzulösen, hat der Rüppel sein Gesicht bedeckt mit beiden Händen. „Wir brechen den Altar im Felsenkar!“ ruft er in Erregung, „bei wem soll nun im Sturme beten der Baum und das verfolgte Reh am Waldessaum?“ Mir selbst haben die Hände gezittert, als wir das Kreuz ausheben und auf unsere Schultern nehmen. Ich habe es so getragen, daß der Quer- balken an meinem Nacken gelegen, wie ein Joch; der Rüppel hat den Stamm nachgeschleppt. Und so gehen wir mit der Last hin zwischen den Klötzen und zwischen den einzelnen Baumrunen. Als wir zu dem Hange kommen, da bricht die Abenddämmer an. Die ganze Nacht sind wir mit dem Kreuze gegangen her durch die Waldungen. In den Schluch- ten und Engpässen ist es ganz grauenhaft finster gewesen und an manch alten Stamm hat unser Pfahl gestoßen. Wo der Weg über Höhen geht, da rieselt durch das Geäste das Mondlicht, und wir schreiten hin über die milden weißen Tafeln und Herzen, die auf dem Boden liegen. Mehrmals haben wir das Kreuz auf die Erde gestellt und uns den Schweiß getrocknet; gar wenig haben wir mitsammen gesprochen. Nur einmal hat der Rüppel den Mund aufgethan und folgende Worte gesagt: „Das Kreuz ist schwer und herb; mag’s nur tragen, bis ich sterb’. Aber thun sie mich begraben, so möcht ich ein grünes Bäumlein haben, das nicht zusammenbricht auf mein Gebein, das aufwächst gegen Himmel im Sonnenschein!“ Da ist es bei so einem Ablasten, daß neben uns eine dunkle Gestalt über den Weg huscht. Sie streckt eine Hand aus, deutet auf einen breiten Stein, und dann ist sie verschwunden. Wir haben beide diese Erscheinung bemerkt, aber wir haben kein Wort gesagt, und erst, als wir auf der Wiese der Karwässer das Kreuz wieder aufrecht auf die Erde stellen, so daß dessen tiefer Schatten ruhesam über dem thauigen Grasgrunde liegt, sagt der Alte: „Wie in den bitteren Leidenstagen der Herr das Kreuz auf den Berg hat getragen, und wie er mit seinen schweren Lasten auf einem Stein hat wollen rasten, da tritt aus dem Haus ein Jud’ heraus, und sagt: der Stein gehört mein. Und der Herr schwankt weiter in seiner Pein. — Und selbiger Jud’ kann nicht sterben und ruhen, muß heut’ noch wandern von Landen zu Landen, von einem Jahr- tausend zum andern, in glühenden Schuhen.“ — Rosegger: Waldschulmeister. 16 Dann nach einer kleinen Weile fährt der Rüppel fort: „Und weil in der heutigen Nacht wir mit dem Kreuze gehen, so haben wir gar den ewigen Juden gesehen. Er hat uns geladen ein zur Ruh’ auf den Stein, das wäre gewesen nicht unsere Rast, aber die Ruhe sein.“ In der Kohlstatt der hinteren Lautergräben haben uns vier Männer aus dem Winkelthale erwartet. Diese nehmen uns das Kreuz ab, legen es auf eine grünsprossige Bahre und tragen es davon. Wie wir herauskommen zu unserem Thale, da bricht der Tag an. Und es klingt und zittert ein Ton durch die Luft, der nicht vergleichbar ist mit Menschengesang und Saitenspiel und aller Musik auf Erden. Schon jahrelang habe ich diesen Ton nicht gehört, weiß ihn kaum mehr zu deuten. Wir alle stehen still und horchen; es ist die Glocke von unserer neuen Kirche. Während wir im Felsenthale gewesen, sind die Glocken angekommen und erhöht worden. Wie ich an diesem Morgen das Glöcklein gehört, da habt ich es nicht lassen mögen, habe laut gerufen: „Leute, jetzt sind wir nimmer allein! alle Gemeinden draußen läuten zu dieser Stunde; wir haben mit ihnen den gleichen Morgengruß, den gleichen Gedanken. Wir sind nicht mehr stumm wir haben unsere gemeinsame Zunge auf dem Thurm, die in Freude und in Trübsal spricht, was wir empfinden, aber nicht vermögen zu sagen. Und der ewige Gottesgedanke, der allüberall weht und webt, aber nirgends faßbar, und in keinem Bilde und durch kein Wort voll und ganz aus- gedrückt werden kann, im klingenden Reife der Glocke allein nimmt er Gestalt an für unsere Sinne und wird faßbar unserem Herzen. Und so bringst du uns, du süßer Glockenklang, trostreiche Botschaft von außen und von innen und von oben!“ Die Männer haben mich angestaunt, daß ich rede, und was es denn viel zu reden gäbe, wenn Kirchenglocken läuten; das höre man draußen zu Holdenschlag doch alle Tage. Nur der gute Rüppel ist bei Seite geeilt und hinter die Erlenbüsche hin, auf daß er unbeschadet von meiner heiseren Rede den reinen Glockenton hat hören können. Vor der Kirche sind sehr viele Menschen ver- sammelt, um die Glocken zu vernehmen und das Kreuz zu sehen. Jenes Kreuz, das entsprossen ist aus dem Samenkorne, so das Vöglein hat ge- bracht, welches alle tausend Jahre einmal durch den Wald fliegt. 16* Kirchweih 1818. Sonntag ist! Der erste Sonntag in den Winkelwäldern. Die Glocken haben es schon im Morgenroth ver- kündet, und da sind die Leute herbeigekommen aus dem Hinterwinkel, aus dem Miesenbacheck, von den Lautergräben, von den Karwassern, und aus allen Klausen und Höhlen der weiten Wälder. Heute machen sie nicht Holzer oder Kohlenbrenner, oder was sie eben sonst sind, heute zum erstenmal schmelzen sie zusammen in Eins, in einen Körper und heißen: die Gemeinde. Die Kirche ist fertig. Ueber dem Altartische ragt das Kreuz aus dem Felsenthale; es steht hier- orts so anspruchslos und schier so stimmungsvoll, wie es dort in der Einsamkeit gestanden. Unter den Leuten werden Aeußerungen gehört, das sei das wahrhaftige Kreuz des Heilandes. Wenn sie Trost und Erhebung in diesem Gedanken finden, dann ist es, wie sie sagen. Das Gezelt des Heiligsten ist ein Geschenk des Freiherrn; die Kerzenleuchter und das Speisegitter hat der Ehrenwald geschnitzt. Wer doch die zwei schönen Altarfenster mit den Glasmalereien gespendet hat, werde ich gefragt. Es ist gut, daß die Fenster so hoch sind, sonst müßte man es wol merken, daß über den Glastafeln nur buntes Papier klebt. Die beiden Fenster stellen in einem grünen Dornenkranze mit rothen und weißen Rosen die zwei Gesetztafeln Moses vor. Ueber dem Altare und dem Kreuze ist ein Rundfenster mit dem Auge Gottes und den Worten: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich befreit aus der Knechtschaft. Mache dir kein geschnitztes Bild, um es anzubeten.“ Der Pfarrer von Holdenschlag, der hier ge- wesen, um die Weihe und den Gottesdienst zu voll- ziehen, hat mir bedeutet, die obigen Worte paßten nicht. „Du sollst allein an einen Gott glauben!“ müsse es heißen. Ich antworte, daß ich die angewen- deten Worte in einer sehr alten Bibel gelesen hätte. Der Schulmeister von Holdenschlag hat die Orgel gespielt, die einen sehr reinen, innigen Klang hat. „Die Freuden und Schmerzen im Herzen, die der Mund nicht kann sagen und klagen, die spru- deln aus Musik hell und klar, wie ein Bronnen in der Sonnen!“ sagt der alte Waldsänger. Wie ich mich auf der Zither geübt habe, so übe ich mich nunmehr auf der Orgel. Jeder liebliche Ton ist ein Eimer, der niedersteigt in das Herz der Andächtigen und die Seele emporhebt zum Altare Gottes. Der Pfarrer von Holdenschlag hat eine Pre- digt gehalten über die Bedeutsamkeit der Kirchweih und der Pfarrkirche und über das Leben des Men- schen vom Taufstein bis zum Grabe. Da fällt mir ein, daß wir noch keinen Friedhof haben. Kein Mensch hat daran gedacht oder denken wollen, so oft auch die Rede vom Taufstein gewesen. — Meine ganze Andacht ist weg, und während hernach bei der Messe der Schleier des Weihrauches auf- steigt, habe ich immer daran denken müssen, wohin wir doch den Friedhof legen werden. Und nach dem Hochamte, da Alles herausströmt auf den Platz zu den Verkaufsbuden der Hausirer, um die Schätze und Künste zu betrachten, die nun die Welt der neuen Gemeinde im Winkel hereinzusenden beginnt, steige ich den Hang hinan bis zur sanften Hebung, über die sich der finstere Hochwald hinzieht gegen das Gewände. Dort lege ich mich auf die abge- fallenen Fichtennadeln des Bodens. Ich bin schier abgespannt von den ungewohnten Erregungen des Ereignisses und versuche des Friedhofes wegen, wie sich’s hier oben ruhen läßt. Vom Platze herauf höre ich das Geschrei der Marktleute und das Gesurre der Menge. Vielen ist aber die Kirche nicht recht, weil noch kein ordentlich Wirthshaus dabei steht. Ei, der Branntweiner Hannes ist ja doch da, der hat sich unter Eschen ein Tischchen aufgeschlagen und große Flaschen und kleine Kelchgläser darauf gestellt. „Was wär’ das für eine steintrockene Kirchweih, wenn wir nicht trinken thäten!“ sagen die Leute, und der Bursche will auch seiner Maid ein Gläschen zahlen. Und der Teufel ist ein frommer Mann, der will jede neue Kirche nachmachen, aber es wird halt immer ein Wirthshaus daraus. Der Schenktisch ist sein Hochaltar, die weißgeschürzte Wirthin sein Priester, das Gläserklingen sein Glocken- und Orgel- spiel, des Wirths Säckel sein Opferstock, die Spiel- karten sind sein Gebetbuch und wenn Einer in Rausch und Zank niedergeschlagen wird, so ist das sein Opferlamm. Das ist der Schatten von der Kirche. Und der Arbeiter legt sich nach der heißen Woche nur zu gerne in den Schatten. Bei dem Mittagsmahle, das wir selbander im Winkelhüterhause eingenommen, hat es der Holz- meister schon erzählt, der Graßsteiger will um Er- laubniß einkommen, daß er eine Schnapsschenke errichten dürfe. Den Wirth hätten wir schon, aber wo steckt unser Pfarrer? „’s wird auch Keiner hereinwollen in diesen mit Brettern verschlagenen Weltwinkel,“ meint der Holdenschlager. „Gelt, Hochwürden!“ schreit die Winkelhüterin in’s Gespräch hinein, „wahrhaftig, das sag’ ich hundertmal. Fort möcht’ ich von dieser Einöden, heut lieber wie morgen. Es ist nichts anzuheben in diesem Winkel. Wie wär’ es Unsereinem so handsam gewesen, daß Ein’s an Sonntagen ein wenig Branntwein ausgeschenkt hätt’, aber halt ja, der Graßsteiger ist der Hahn im Korb!“ „He,“ lacht der Pfarrer, „Wirthshäuser! wird noch ein belebter Ort werden, dieses Winkel — Winkel — ei, die Gemeinde hat ja noch gar keinen Namen?!“ Ueber den Namen der Gemeinde ist nicht blos nachgedacht, es ist ein solcher sogar schon bestimmt worden. Wie soll die Waldpfarr heißen? Den Leuten wäre die Erörterung dieser Frage eine will- kommene Veranlassung gewesen, bei dem neuen Wirth zusammenzukommen und die Gemeinde mit Schnaps zu taufen. Aber wir taufen mit Wasser. Unser Wasser heißt die Winkel; über die Winkel führt dahier seit unvordenklichen Tagen ein Steg; wenn ihn das Wasser fortgerissen, so hatten ihn die Leute wieder gebaut, weil er hier, am Kreuz- punkte der Thalschluchten und der Waldpfade un- entbehrlich ist. Den Platz um das Winkelhüterhaus nennen sie kurzweg „am Steg.“ Am Steg, am Winkelsteg steht die neue Kirche. Und Winkelsteg , so heißt sie, und so heißt die Gemeinde. Unser Waldherr Schrankenheim hat’s unterschrieben. Wie unsere Kirchweih eingeläutet worden, so wird sie ausgeläutet. Da hat sich an diesem Tage noch etwas sehr Erregendes zugetragen. Die Holden- schlager Herren und der Förster sind fortgewesen; am Winkelsteg ist es wieder still. Es dunkelt schon früh und im Hochgebirge liegt der Nebel. Es ist bereits finster, da ich zu meinen Glocken gehe. Heute zum erstenmale brennt das rothe Aemplein am Altare, das nun fortan das ewige Licht geheißen werden wird, und nimmer verlöschen soll, so lange das Gotteshaus steht. Das ist die Wacht vor dem Herrn. Wie ich in die Kirche trete, sehe ich in dem matten Schein am Speisegitter eine Gestalt. Da kniet noch ein Mensch und betet. Wenn Einer so lange leben muß in dem Elende des Tages, so wird hernach völlig der Sonntag zu kurz, da man bei dem lieben Gott eingekehrt ist, oder bei sich selber. — So denke ich und trete vor, daß ich den Beter aufmerksam mache auf das Absperren der Kirche. Wie mich aber die Gestalt bemerkt, rafft sie sich auf und will fliehen. — Zuletzt ist das gar kein Beter, sage ich und fasse den Davon- eilenden und sehe ihm in’s Gesicht. Ein junger Bursche ist’s. „Was wirst du roth, Schelm!“ rufe ich. „Ich bin kein Schelm,“ antwortet er, „und ihr seid auch roth; das ist von der Ampel.“ Da sehe ich ihn recht an. Wer wird es gewesen sein? Der Lazarus ist’s gewesen, der verschollene Sohn der Adelheid. Ich habe die Hände über den Kopf zusammen- geschlagen und ein Geschrei erhoben mitten in der Kirche. „Junge, was ist das mit dir um Gottes- willen, wo bist du gewesen? wir haben dich gesucht, deine Mutter hat dich ausgraben wollen aus dem Gesteine der Alpen. Und wie bist du heute da, Lazarus! ja, das ist schon gar aus aller Weis’!“ Der Knabe ist dagestanden und hat auf meine Worte gar nichts geantwortet — nicht ein Wörtlein. Darauf habe ich geläutet. Lazarus ist neben mir gestanden; seine Bekleidung ist eine Wollen- decke, seine Haare gehen ihm über die Achseln hinab, sein Antlitz ist gar blaß. Er sieht mir zu, er hat noch keine Glocke läuten gesehen. Und was ich empfinde! jetzt hab ich eine hellklingende Zunge, jetzt kann ich das Ereigniß ja verkünden hin in die Berge. Endlich kommt meine Haushälterin: was denn das Läuten bedeute, ein halbdutzendmal habe sie schon den „englischen Gruß“ gebetet und ich höre noch nicht auf! Da lasse ich den Glockenstrick wol fahren und deute auf den Jungen: „Seht, endlich ist er da. Habt ihr das Läuten denn nicht verstanden? Der Lazarus ist gefunden.“ Besser als jegliche Glocke weiß solche Mähr ein Weib zu verkünden. Kaum eilt die Winkel- hüterin zetternd davon, sind ich und der Lazarus schon von Menschen umringt. Ich weiß kaum, wie ich die Sache erzählen soll und der Junge murmelt ein- um das anderemal: „Paulus,“ und sonst sagt er kein Wort. Wir fragen ihn, wer Paulus sei; statt auf die Frage zu antworten, versetzt er mit seltsam scheuem Blick: „Er hat mich hergeführt zum Kreuz.“ Und laut und angstvoll ruft er: „Paulus!“ Seine Zunge ist unbeholfen, seine Stimme völlig fremdartig. Wir führen ihn in’s Haus; die Hauswirthin stellt ihm zu essen vor. Traurig blickt er auf den Eierkuchen, wendet den Kopf nach allen Seiten und immer wieder zurück auf den Kuchen, und rührt keinen Bissen an. Allmiteinander reden wir ihm zu, daß er essen möge. Seine mageren Hände strecken sich aus dem Lodenüberwurf hervor und nach der Speise aus, aber sie zucken wieder zurück und der Junge zittert und hebt endlich an zu schluchzen. Später bittet er um ein Stück Brot, das er mit Heißhunger ver- schlingt. Dabei fallen ihm die schwarzen Locken über die Augen herab, er streicht sie nicht zur Seite. Zuletzt taucht er das Brot in den Wasser- krug und ißt mit gesteigerter Gier und trinkt das Wasser bis auf den letzten Tropfen. Wir stehen herum und wir sehen ihm zu und wir schütteln unsere weisen Häupter und wollen fragen und fragen; und der Junge hört nichts und starrt in die Spanlunte, die an der Wand leuchtet, oder zum Fenster hinaus in die Dunkelheit. Noch in derselben Nacht haben ich und der Graßsteiger den Knaben hinaufgeführt in den Hinter- wald zu seiner Mutter Hütte. Ein parmal hat er uns davon und die Lehnen hinanklettern wollen in den finstern Wald. Stumm wie ein Maulwurf und scheu wie ein Reh ist er gewesen. Wir kommen zu des schwarzen Mathes Haus, die schwarze Hütte genannt. Da liegt Alles in tiefer Ruh. Das Brünnlein flüstert vor der Thür; das Geäste der Tannen ächzt über dem Dache. In der Nacht hört man auf solche Dinge; am Tage ist, wenn Einer so sagen dürfte, das stete Tönen des Lichtes, da wird dergleichen selten beachtet. Der Graßsteiger hält den Knaben an der Hand. Ich stelle mich an ein Fensterchen und rufe hinein durch die Papierscheibe: „Adelheid, wacht ein wenig auf!“ Da ist drinnen ein kleines Geräusch und ein verzagtes Fragen, wer denn draußen. „Der Andreas Erdmann von Winkelsteg ist da und noch zwei Andere,“ sage ich. „Erschreckt aber nicht. In der neuen Kirche hat sich ein Wun- der zugetragen. Der Herr hat den Lazarus erweckt!“ In der Hütte leckt mehrmals ein rother Schein an den Wänden, wie matte Blitze zu sehen. Das Weib hat an der Herdglut einen Span angeblasen. Sie leuchtet uns zur Thüre hinein, aber als sie den Knaben sieht, fällt der Span zu Boden und verlischt. Da ich endlich wieder ein Licht zu wege bringe, lehnt das Weib an dem Thürpfosten und Lazarus liegt auf dem Angesichte. Er wimmert. Der Graßsteiger hebt ihn empor und thut ihm die Locken aus dem Antlitz. Die Adelheid steht fast regungslos in ihrem ärmlichen Nachtkleide; nur in ihrer Brust ist eine mächtige Unruhe. Sie legt die beiden Hände über die Brust, sie wendet sich gegen die Wand und lechtzt nach Athem, ich habe gemeint, sie bricht uns zusammen. Letztlich wendet sie sich zum Knaben und sagt: „Bist wol einmal da, Lazarus?“ — Und zu uns: „Thut euch ab dort auf der Bank, will gleich eine Suppe kochen!“ — Und wieder zum Knaben: „Zieh’ die nassen Schuh’ aus, Bub!“ Er hat gar keine Schuhe an den Füßen; Sohlen aus Baumrinden hat er angebunden. Das Weib geht zum Bette, weckt das Mäd- chen, es möge schnell aufstehen, es sei der Lazarus gekommen. Das Mädchen hebt an zu weinen. Die Suppe steht fertig auf dem Tisch; der Knabe starrt mit seinen großen Augen den Tisch und die Mutter an. Und jetzt erst bricht das Mutter- herz los: „Mein Kind, du kennst mich nimmer! Ja, ich bin alt geworden über die hundert Jahr! wo bist mir gewesen diese ewige Zeit! Jesus Maria!“ Sie reißt das Kind an ihre Brust. Lazarus starrt zur Erde; ich merke wol, wie seine Lippen zucken, aber er bricht nicht in Weinen aus und er sagt kein Wort. Er muß Bedeutsames erfahren haben; seine Seele liegt unter einem Banne. Als er hierauf seinen Lodenüberwurf austhut, um auf das frischbereitete Lager zu steigen, langt er aus diesem Ueberwurf eine Handvoll grauer Körner und streut sie mit einem Schlag über den Fußboden hin. Kaum das geschehen, hebt er an, sich zu bücken und die Körner, Steinkügelchen sind es, wieder aufzulösen. Er zählt sie in seiner Hand und sucht dann in allen Fugen und Winkeln, und hebt mit Sorgfalt jedes der Körnchen, und zählt und sucht wieder, und sucht mit großer Gelassenheit eine lange Weile auf dem Estrich der Hütte, bis er das letzte Stückchen hebt und ihm die Zahl in der Hand voll ist. Und selbunter haben wir den Jungen zum erstenmale lächeln gesehen. Darnach thut er die Steinknöpfchen wieder in die Tasche seines Ueberwurfes und geht zu Bette. Er schläft bald ein. Wir sind noch lange am Herd gestanden bei der Spanlunte, und haben unsere Gedanken aus- gesprochen über das Seltsame, wie es mit und in diesem Kinde ist. Christmonat 1818. Der Knabe Lazarus muß in einer wunderbar mächtigen Schule gewesen sein. Von seinem Jäh- zorn ist kaum eine Spur mehr, nur geht, wenn er erregt ist, ein kurzes, blitzartiges Zucken durch sein Wesen. Er wird auch wieder fröhlich und heiter. Von seinem Leben im Jahre seiner Abwesenheit will er nichts Rechtes aussagen. Paulus hätte ihm verboten, mehr zu reden, als nöthig. Zuweilen er- zählt er aber doch, nur sind die Worte unklar und verwirrt, schier wie Traumrednerei. Er spricht von einem Felsenhause und von einem guten, finsteren Manne, und von Bußübungen, und von einem Kreuzbilde. Lebhaft und bestimmt werden seine Worte nur, wenn er in der Lage ist, seine und des finsteren Mannes Ehre irgendwie vertheidigen zu müssen. In der Gemeinde wird viel von dem „Wunder- knaben“ gesprochen. Einige glauben, Lazarus sei bei einem Zauberer in der Lehre gewesen und werde noch große Dinge vollbringen. Der alte Waldsänger sagt, er thäte meinen, nun müsse bald der Messias erscheinen; Lazarus sei der neue Vorläufer, Johannes der Täufer, der sich in der Wüste genährt von Heuschrecken und wilden Schnecken. Gott walte es. Ein thätiger und herzenswarmer Pfarrer wäre für Winkelsteg der Messias. Aber es ist, wie der Holdenschlager gesagt hat, es will Keiner herein in die verlornen Waldthäler. Ich bin der einzige, der die Kirche verwaltet, läutet, orgelspielt, singt und vorbetet, wenn Sonn- tag ist. Die Täuflinge und Todten müssen nach Holdenschlag wie vor und eh. Im Hornung 1818. Was geht das mich an? gar nichts geht’s mich an. Aber ich bringe es doch nicht aus dem Kopf, was mir der Förster von dem jungen Herrn erzählt hat. Mit Verweichlichung seines Körpers sei es angegangen, mit losen, lockeren Spielen, Gelagen, Schlemmereien und Ausschweifungen gehe es weiter. Bah, wir sind Freiherr, wir sind Millionär, wir sind ein schöner junger Mann, also dreinfahren! — So hat’s der Förster ausgelegt. — Ei, der wird’s so genau nicht wissen. Hermann soll in der Hauptstadt sein, weit von daheim und von seiner Schwester. Ja, selb- under wäre freilich Alles möglich. — Gott schütze dich, Hermann! Es wäre auch nicht schön von mir, dem Schulmeister, wenn sein erster Schüler ein . . . . Heb’ dich weg, du häßliches Wort! Hermann ist ein braver, junger Mann. Was weiß der Förster! Im Frühjahr 1819. Die Gegend altert schnell. Die Berge werden grau und kahl; der Wald wird verbrannt; in allen Thälern rauchen Kohlstätten. Mit Mühe habe ich es durchgesetzt, daß sie da oben an der Hebung einen kleinen Schachen stehen lassen. Der soll das letzte und bleibende Stück Urwald sein und unter seinem Schatten sollen die todten Winkelsteger ruhen. Der Pfarrhof ist fertig. Die Pfarre ist längst ausgeschrieben. Einen Lacher thun sie, wenn sie es Rosegger: Waldschulmeister. 17 lesen: „Das mag eine saubere Seelsorge sein in diesem Winkelsteg; der Meßopferwein besteht aus Holzäpfelmost, die Hostie aus Hafermehl. — Je, wenn in Winkelsteg der Pfarrer verhungert, so ist er selber Schuld, warum speist er nicht Baum- rinden; die Waldkatzen kommen ja auch davon.“ Winkelsteg ist bös’ verschrieen; es wäre aber so arg nicht. Ich kriege für das, daß ich die Kirche versorge und zuweilen auf den Predigtstuhl steige, um den Leuten ein bischen zur Erbauung vorzu- lesen, reichlich Mehl und Wildpret. Die Leute sagen, es sei Schade, daß ich nicht Pfarrer ge- worden. Von der Herrschaft des Waldes sind Messen- gelder geschickt worden, daß in der Gemeinde Winkel- steg ein Gottesdienst gestiftet und gebetet werde auf eine gute Meinung. Es hat sich die Tochter des Hauses vermählt. — — — Gott sei Dank, daß mein Körper und mein Geist hier so reichliche Beschäftigung findet. Dieser Einspanig gibt Nachdenken; der ist ein wahrhaftiges Fragezeichen. Oefter und öfter wird er im Orte gesehen; ge- bückt, wie ein leibhaft Fragezeichen, gebückt und krumm, so geht er einher. Noch immer aber weicht er den Leuten aus; und wer ihm doch nahe zu kommen weiß, um eine Frage an ihn zu stellen, dem gibt er eine Antwort, die drei Fragen gebiert. Auch in der Kirche ist er schon gesehen worden, ganz zu hinterst in der Nische, wohin der Beicht- stuhl kommen soll. Der alte Rüppel hält das Wesen ganz ent- schieden für den ewigen Juden. — Nun, so viel mag ich selber glauben: der Einspanig ist ein Theil desselben. Der ganze ewige Jude hat aber viele Millionen Köpfe. Im Sommer 1819. Da hätten wir nun auf einmal einen Pfarrer, und zwar einen so seltsamen, und der so ge- heimnißvoll ist, wie unser Altarbild, das Kreuz aus dem Felsenthale. Am letzten Tage des Heumonats, zur Mittags- zeit ist es gewesen. Ich gehe in die Kirche, um die Gebetglocke zu läuten. Da steht der Einspanig auf der obersten Stufe des Altares, und übt die Förm- lichkeiten des Messelesens. Ich sehe ihm eine Weile zu. Er liest die Messe, wie sie der Holdenschlager nicht vollendeter darbringt. Als er aber damit fertig ist, ernsthaft 17* von den Stufen niedersteigt und mit niedergeschla- genen Augen dem Ausgange zuwandelt, da ist es doch meine Pflicht, daß ich ihn anhalte und zur Rede stelle. „Herr,“ sage ich, „ihr tretet in dieses Gottes- haus, wie es ja Jeder darf, der aufrichtigen Her- zens ist; aber ihr steiget zu dem Allerheiligsten empor und übet Dinge, die nicht Jedem zustehen. Ich bin der Hüter dieses Hauses und habe euch zu fragen, was euer Treiben bedeutet?“ Er ist dagestanden und hat mich mit großer Gelassenheit angeblickt. „Guter Freund,“ sagt er hierauf mit einer Stimme, die wie eingerostet knarrt und schrillt: „Die Frage ist kurz und leicht; die Antwort ist lang und schwer. Weil ihr aber das Recht habt, sie zu verlangen, so habe ich die Pflicht, sie zu geben. Bestimmet den Tag, an welchen ihr hinauf- gehen wollet zu den drei Schirmtannen in der Wolfsgrube.“ „Wozu?“ sage ich. „Die Antwort liegt nicht auf dem Wege. Unter den Schirmtannen mögt ihr sie erfahren.“ „Wol,“ sage ich, „wenn es so ist, so will ich mich am nächsten Sonnabend um die dritte Nach- mittagsstunde bei den drei Schirmtannen in der Wolfsgrube einfinden.“ Er neigt den Kopf und geht davon. Ich will von diesem Vorfalle einstweilen den Leuten nichts melden. Das ist ein Narr! würden sie aufschreien allmiteinander. Mag ja sein. Ich werde zu den Schirmtannen gehen und vielleicht Näheres über den Mann er- fahren. Finde ich so viele und so schöne Narrheit in ihm, wie in dem alten Rüppel, so bin ich zu- frieden. Sollte es in Winkelsteg schon mit Pfarrhof und Schulhaus nicht gehen, so bringe ich doch etwan einen lustigen Narrenthurm zu weg. Und das ist besser. Die Antwort des Einspanig. Am Morgen. Im Tannenwalde herrscht tiefe Trauer; wie Todtenklage, wie Grabesschauer, so weht’s durch der Wildniß umnachtete Mauer. Dahingestreckt am Waldessaum in’s Leichenbett aus moosigem Flaum, gemordet liegt der urälteste Baum. — O, seht den Mörder über die Steppe fahren, er rast in Ver- zweiflung mit fliegenden Haaren, verfolgt und ge- geißelt von rächenden Schaaren. — Den armen Mörder, o laßt ihn ziehen, ihm ist’s gegeben, Un- heil zu sprühen. Und neu aus dem Tode wird Leben blühen. Nicht der alte Rüppel ist es, der mich ansteckt, daß ich schon am frühen Morgen solche Zeilen schreibe, sondern eine innere Bewegung, die mich bei der Kunde von dem Sturme erfaßt, hat sich in Worten Luft gemacht. In dieser Nacht hat ein Sturm gehaust. In Winkelsteg haben wir nichts verspürt; nur ein schweres Getose ist gehört worden von Mitternacht her. Im Schachen des Gottesackers ist kein Wipfel- chen geknickt. Am Abend. Wie ich aber nun, da ich in den neuen Ge- schlägen drüben Geschäfte habe, über die Lauterhöhe geh’, ist mir der Weg zehnfach verlegt durch wild zerzauste, zersplitterte, in Kreuz und krumm gefallene Bäume. Ein starker Harzduft weht in den Gräben; zahllose Waldvögel flattern heimatlos umher, denn ihre Nester sind zerrissen. Hier und da machen sich schon Holzhauer an das Gefälle, daß sie die Stämme glätten und schälen. In den Holzhauerhütten soll das eine fürchterliche Nacht gewesen sein. Einigen hat es den Dachstuhl zerrissen, daß am Morgen die treibenden Wolken des Himmels hineingeschaut auf den Feuerherd und die wirren Strohstätten. Bei den Köhlern im Karwasser ist ein abgerissener Fichtenstamm auf einen Meiler gefallen, so daß das Feuer herausgebrochen ist und die hingepeitschten Flammen schier einen Waldbrand erzeugt hätten. Der Berthold soll wie wüthend mit dem Dämpfen des Feuers gearbeitet haben und dabei mit seinem linken Fuß arg zu Schaden gekommen sein. Manch wüste Scharte ist den Wäldern ge- schlagen, und als ich am Nachmittage zu den Schirmtannen in der Wolfsgrube komme, sehe ich, daß die mittlere geknickt ist. Sie ist von den dreien die mächtigste und wol die älteste gewesen. Auf dem hingestreckten Stamm, der sein wild- knorriges Geäste tief in den Erdboden gebohrt hat, sitzt der Einspanig. Er hat sich ein Wollentuch um die Schultern gelegt, und über das Tuch wallen die Strähne des schwarzen Haares mit seinen vielen grauen Fäden. Die Beine hält der Mann über einandergeschlagen, darauf stützt er seinen Ellbogen, und auf diesen das gesenkte Haupt mit dem blassen Antlitz. Da ich nahe, erhebt er sich. „Ihr kommet doch,“ sagt er, „und ich hätte beinahe nicht kommen können. Die Sturmnacht hat meine Behausung gesperrt; sie hat einen Fels- klotz vor den Ausgang gewälzt.“ Und nach einem schweren Athemzug, der wieder an das Tosen eines Sturmes gemahnt, sagt er das trübselige Wort: „Vielleicht wäre es besser gewesen, diese Nacht hätte mich in der Felsenhöhle begraben für alle Zeit, als daß ich euch heute die Antwort gebe. Da ich sie aber gebe, so gebe ich sie euch am liebsten. Ich habe Rechtschaffenes von euch gehört, und freue mich der Gelegenheit, euch näher zu kommen. Meine Antwort, junger Mann, ist eine schwere Last; helfet mir sie tragen, wie ihr ja auch die Mühsal der anderen Waldbewohner auf euch geladen habt. Ich weiß wol, ihr versteht Priesteramt zu vertreten; so seid mein Beichtvater und erlöset mich von einem Geheimniß, von dem ich nicht weiß, ist es eine schwarze Taube oder ein weißer Rabe. — Wenn es aber wäre, daß ihr mich nicht solltet be- greifen können . . . .“ Er hat eingehalten; in seinem Blick ist etwas wie Mißtrauen gelegen. Ich versetze hierauf, daß ich ihn nach nichts fragen wolle, als nach der Ursache seines Gebah- rens am Altare unserer Kirche. „Da fragt ihr mich ja nach Allem!“ ruft er mühsam lachend aus; „da fragt ihr mich nach meinem Lebenslauf, nach meinem Seelenweh, nach meinem Teufel und nach meinem Gott. — Gut, gut, kommt nur her und setzet euch zu mir auf diesen Stamm. Besser schickt sich keine Stätte für meine Antwort, als eine aus Vernichtung gebaute. So setzet euch auf diese Rune!“ Mir wird schier unheimlich. Im Tann ist es still, daß man das Aechzen des Geästes vernehmen kann; oben aber fliegt das Gewölke dahin von einem Gewände zum andern. Ich setze mich neben den Mann, in dessen Augen und Worten aber vielmehr Kraft liegt, als man in dem gebückten, sich schwerschleppenden Ein- spanig hätte vermuthen können. Ja, der Einspanig geheißen, weil er nie in Gesellschaft eines zweiten gesehen worden. Und jetztund sitzt das Zwei span auf dem Stamme: Die Frage und die Antwort. „Wisset, was das ist, ein Herrenkind?“ frägt der Mann plötzlich und starrt mir in’s Gesicht. — „In einem Palast geboren, in einer goldenen Wiege gewiegt werden. Der rauhe Erdboden ist verdeckt mit weichen Geweben; die brennenden Sonnenstrahlen und Wetterwolken des Himmels sind verhüllt mit schweren Seidenvorhängen; für jeden leisen Wunsch eine Dienerschaar; — eine Gegen- wart voll Ebenmaaß und hundertfach gehüteten Glückes; eine Zukunft voll Genuß und hoher Würden: das heißt Herrenkindschaft. Auch ich bin ein Heerenkind gewesen, und als solches ärmer, wie ein Bettelknab’. Ich habe es aber zur Zeit nicht gewußt und erst als ich der Jahre zwölf oder vierzehn gezählt, ist mir die schreckliche Frage er- wacht: Mensch, wo hast du deine Mutter? — Meine Mutter hat mir das Leben gegeben und das Sonnenlicht; — ihr eigenes war’s gewesen — bei meiner Geburt ist sie gestorben. Meinen Vater habe ich selten gesehen; er ist auf Jagden oder auf Reisen, oder in der großen Stadt Paris, oder in Bädern. Meine Liebe, für Vater und Mutter mir in’s Herz gegeben, verschwende ich an meinem Hofmeister, der stets um mich ist als Lehrer und Gesellschafter, und der mich sehr lieb hat. Er ist Priester und gehört dem Orden der Gesellschaft Jesu an. Er ist ein mildfreund- licher, heiterer Mann und sehr fromm und gut. Oft, wenn er in unserer Hauskirche die Messe ge- lesen, hat er ein verklärtes Antlitz gehabt, wie der heilige Franz Xaver auf dem Altare. Ich erinnere mich noch, daß er mir einmal vertraut hat, wie er bei der Messe oft in Seligkeit schwebe, denn da habe er wiederholt Eingebungen, daß ich, sein lieber junger Freund, zu großen, göttlichen Dingen erkoren sei. Daraus habe ich seine außerordentliche Liebe zu mir wahrgenommen. Und nun soll ich eines Tages diesen meinen einzigen Freund verlieren. Da ist zur selben Zeit ein arges Gesetz herausgekommen und in den Ländern regt sich die Verfolgung gegen den Orden der Ge- sellschaft Jesu. Mein guter Hofmeister muß fort, bitterlich weint er, als er von mir Abschied nimmt. Aber in einem Zustande der Erleuchtung spricht er die Zuversicht aus, daß wir nach überstandener Trübsal uns wieder sehen würden. Und siehe, das priesterliche Wort ist über alles Erwarten schnell in Erfüllung gegangen. Nach we- nigen Monaten schon ist mein Erzieher wieder im Hause. Er ist aus dem Jesuitenorden getreten; gehört nun den „Vätern des Glaubens“ an; somit hat er wieder Schutz in unserem Lande. Ich bin zum Jünglinge herangewachsen. Mei- nen Hofmeister liebe ich, wie einen älteren Bruder. Oft habe ich ihn insgeheim um seine heitere Ruhe beneidet und um das stille Glück seiner Seele. In mir hat sich zur selbigen Zeit ein Unstätes zu regen begonnen. Im Hause ist es mir zu eng, im Freien nicht weit genug; ist es still, so verlangt mir nach Lärm, und habe ich Lärm, so sehne ich mich nach Stille. Mein Drang ist gewesen wie ein blinder Mann auf der Heide, der, von Angst und Hoffen gepeitscht, fiebernd tappt nach dem leitenden Pfad und ihn nicht finden kann. Da sagt mir einmal mein Erzieher: Das, lieber Freund, ist der Fluch der Kinder der Welt. Das ist die rasende Sehnsucht, die trotz allen Gütern und Genüssen der Erde keine Sättigung finden kann, außer sie flieht in die Burg, die Christus gegründet hat auf Erden, in das Reich Gottes der heiligen Kirche. — Wenn du zu mir sprichst — entgegne ich — du weißt, daß ich ein katholischer Christ bin. — Das bist du nur in deinem geistigen Leben — sagt er — aber dein Leib, dein Herz ist es, was so wild nach Erfüllung lechzt. Deinen Leib, dein Herz mußt du in das Reich Gottes auf Erden einführen. Mein lieber Freund, alle Tage bete ich zu Gott, daß er dich so glücklich lassen werden möge, als ich es bin, daß du wie ich ein Bruder Jesu Christi werdest zum Heile deiner Seele und zum Wohle des heiligen Glaubens. Von diesem Tage an, als mein geistlicher Hofmeister so gesprochen hat, empfinde ich die Last und das Unstäte in mir doppelt schwer; aber, als ich mich ernstlich prüfe, sehe ich, daß es mir un- möglich wäre, der Welt zu entsagen. — Du hast mich nicht verstanden, sagt hier- auf mein Erzieher einmal, und es wundert mich, daß du nach den vielen Jahren christlicher Erziehung deinen Freund so mißverstehen kannst. Wer sagt dir, daß du den Freuden der Welt entsagen sollest? Die Freuden der Welt sind ein Geschenk Gottes; aber sie nicht genießen, seiner selbst willen, sondern zu Gottes Ehre, das ist es, was uns wahre Be- friedigung gewährt. So geht mir nun ein neues Leben auf; mein sittliches Gefühl, das mich sonst zurückgehalten, eifert mich jetzt an, daß ich all den verlangenden Sinnen meines Wesens Sättigung verschaffe. In Freude und Genuß Gott dem Herrn dienen — so gibt es keinen Zwiespalt mehr in diesem Leben. Mein Freund lächelt und läßt gewähren. Die Welt ist schön , wenn man jung, und auch gut , wenn man reich ist. Ich lasse mir sie sehr gut sein; ich will ihren süßesten Becher leeren, ehe ich am Altare den Kelch des göttlichen Opferblutes trinken soll. Und nach wenigen Jahren habe ich den Freuden- becher geleert, bis zum Bodensatz. Da eckelt mich, da bin ich satt und übersatt. Und die Welt lang- weilt mich. Und nun, da ich mittlerweile auch großjährig geworden, hat mein Freund wieder ein Wort ge- sprochen, und auf seinen Rath habe ich mich ent- schlossen, dem Dienste Gottes und dem Heile der Menschen zu leben. Ich trete in den Orden der „Glaubensväter,“ und gerne thue ich nun das Ge- lübde der Geduld und der Keuschheit und der Armut. Mein ganzes Vermögen fällt dem Orden zu, und ich leiste das Gelöbniß des unbedingten Gehorsams. Und nun — — da ist eines Tages ein Mädchen zu mir gekommen, das ich früher oft ge- sehen. Jetzt darf ich es nicht kennen. Es bittet mich, daß ich es mit dem Kinde nicht verlassen möge; es bittet um Gottes Willen. Allein — ich bin bettelarm, darf mich auch für sie an niemand Andern wenden, ich habe ausschließlich nur meinem Orden zu leben — so gebietet es der blinde Ge- horsam. Wenige Tage darnach ist das Mädchen als Leiche aus einem Teiche gezogen worden. — Unsäg- lich weine ich an der Brust meines priesterlichen Freundes, dieser schiebt mich sanft von sich und sagt: Gott hat Alles wohl gemacht!“ Nach diesen Worten ist der Mann, den sie den Einspanig nennen, wie erschrocken zusammen- gefahren. Ein Häher ist über unseren Häuptern dahingeflattert. Hierauf greift der Einspanig rasch nach meiner Hand und ruft: „Heute noch bin ich vermählt mit ihr. In jeder Nacht steht sie mit dem Kinde vor meinem Lager. Mein Orden hat einen schönen leuchtenden Stern, aber nur einen einzigen, das ist der Marien- Cult. Mancher Jüngling, der von äußeren Ge- schicken in den Orden gedrängt, entsagen muß, blickt begeistert und liebeglühend auf zu der Jung- frau mit dem Jesukinde. Mir aber wird das liebliche Bildniß zum Gespenst, ich sehe in dem- selben stets nur das betrogene Mädchen. Ich bin zum Priester geweiht worden und habe für meine weltlichen Titel und Würden nichts als den Namen Paulus erhalten. Aber meines Standes wegen darf ich ein Glied überspringen und werde aus dem Novizen gleich zum Professen gemacht. Es braucht keine besonderen Vorstudien dazu, da sie mir ja mein Erzieher gegeben seit meiner ersten Kindheit an. Ich bin für den Orden vorbereitet worden, viel eher, als ich oder mein Vater es geahnt haben. Ich habe Natur und Vermögen geopfert und meinen eigenen Willen; und nur Eines habe ich noch besessen, das Vaterland. Auch daran kommt die Reihe. Es wird unserem Orden vorgeworfen, er sei — möge er sich nennen, wie immer — nichts, als verkappter Jesuitismus, dessen Zwecken er in Allem diene. Und als solcher sei er nach dem bestehenden Gesetze des Bodens im Lande verlustig. Fast war ich zu schwach gewesen, meine Heimat und meinen betagten Vater zu verlassen; allein, da gibt es kein Auflehnen des Herzens. Wir sind Märtirer zur größeren Ehre Gottes; und sosehr bin ich Schwärmer, daß mir dieser Gedanke Halt und Entschlossenheit gibt, mich von Allem los- zureißen. Wir sind nach Wälschland gezogen. Zu Rom lebt Pius der Siebente, der Freund unseres Ordens. Ich habe die Gräber der Apostel und Märtirer besucht; ich habe gewähnt, in dem gottgesegneten Lande ein stillbeschauliches Leben führen zu können. Allein, Gebet und erbauliche Betrachtung ist nicht immer Sache der Gesellschaft Jesu. Bald werden wir ausgesandt zu heißer Arbeit im Weinberge des Herrn. Ich weiß kaum mehr durch welche Vermitt- lung, aber auf einmal sehe ich mich versetzt in eines der Länder, die gegen Abend liegen, und zwar unter Veränderung des Ordensnamens, an den Hof des Königs. Vielleicht ist es meine Abkunft, vielleicht die feine Erziehung, die ich genossen, vielleicht auch meine Gelehrsamkeit oder eine gewisse Klugheit, die ich mir nach und nach angeeignet, oder es kann meine Körpergestalt gewesen sein, die schön ge- nannt war — oder all das zusammen oder noch ein Anderes, das mich befördert hat, ich weiß es nicht. Ich habe nach einiger Zeit ein einflußreiches Amt in der Staatskanzlei erhalten. Und mein Wahl- spruch ist gewesen: Sei ein geheimes Rad im großen Werkskasten des Staates und leite das Volk nach den Absichten Gottes. — Die Absichten Gottes, die sind freilich nur dem Statthalter zu Rom be- kannt gewesen. Geschmeidigkeit, Sanftmut, Heiterkeit und Duld- samkeit sind die Tugenden, deren ich mich zu be- fleißen gehabt habe. So bin ich der Freund des Hofes geworden, der gerne gesehene Gesellschafter, der gesuchte Rathgeber; und wenn ich in der Schloß- kapelle meine Messe gelesen habe, so ist die ge- sammte hohe Frauenwelt vor dem Altare auf den Knieen gelegen. Endlich bin ich Beichtvater des Königs geworden. Rosegger: Waldschulmeister. 18 Um diese Zeit kommt mir aus Rom ein ehrendes Anerkennungsschreiben zu, mit der Er- mahnung zu fernerer Klugheit. Klugheit? Selbst- verständlich handle ich ohne Hinterhalt, wie es mir Kopf und Herz eingibt. Es ist aber ein schönes Leben für mich gewesen. Die Welt lächelt, und mir gefällt ihr Lächeln wieder. Leicht trage ich das Ge- lübde der Armut, denn ich wohne im Königspalast. Treu bleibe ich dem Gelübde der Entsagung, denn was ich genieße, das genieße ich nicht mir, sondern Gott zu Liebe. Auch das Marienbild mit dem Kinde in unserer Schloßkapelle habe ich wieder inbrünstig zu ehren vermocht. Da bricht eine bewegte Zeit an. In der Welt wüthet die Empörung; auch in unserem Lande gährt ein Aufruhr. Oefter als sonst versammelt der König die Großen des Reiches um sich, und angelegent- licher wird die Beichte, die er an jedem dreißigsten Tag mir ablegt. Da kommt eines Tages an mich ein Befehl aus Rom; er ist mit einem großen Siegel ver- schlossen. Als ich ihn gelesen und erwogen, lehnt sich etwas in mir auf und frägt laut: Wie habt ihr das Recht, euch zwischen König und Volk zu drängen und das Gesetz von dem Altare des Vater- landes zu reißen! — Da sehe ich plötzlich, welch eine Gewalt mir in die Hand gegeben ist und nun erst verstehe ich die Ermahnung zur Klugheit. — Mein Gewissen warnt mich; ich horche anfangs unentschlossen seiner Stimme, dann werde ich kühn und ersticke es. Ich hätte den Schritt gethan, und vielleicht wüßte die Geschichte heute von einer zweiten Bar- tholomäusnacht zu erzählen; — da erhalte ich zur selben Zeit die Nachricht von dem Tode meines Vaters. Das rüttelt mich auf. Kindesliebe, Schmerz, Sehnsucht, Heimweh, Schuldbewußtsein und Reue schneiden in meinem Herzen, graben in meinem Gehirne. Ich schreibe nach Rom, daß ich in mei- nem Schmerze unfähig sei zu Allem. Was ist die Antwort darauf? Dieselbe gebietet mir: ich möge bei Hofe um meine Entlassung bitten, denn ich würde mich ehestens einschiffen nach Ostindien. Dieser Auftrag schmettert mich vollends nieder. Anstatt in’s Vaterland, wohin mein Herz mich zieht mit allen seinen Adern, soll ich in einen fernen Welttheil reisen. Warum? Zu welchen Zwecken? Wer frägt? Die erste Satzung des Ordens lautet: blinder Gehorsam!“ Hier hat der Mann seine Erzählung unter- brochen. Mit den Fingern ist er sich über seine blassen, hageren Wangen gefahren bis herab zu den kohlschwarzen Bartstoppeln des Backens. Sein Auge, 18* in welchem Unruhe und Müdigkeit gelegen, hat sich schwermüthig empor zur Höhe gewendet. Da oben haben die finsteren Wolkenlasten nicht mehr hin- gejagt, sondern angefangen, sich an den Felswänden niederzusenken. Tiefe Stille und Dämmerung ist gelegen über dem Waldkessel der Wolfsgrube. Und endlich fährt der Einspanig fort: „Vier ewige Jahre, vier ewige Sommer habe ich mit einigen Gefährten in dem heißen Indien verlebt. Die Beschwerden sind groß gewesen, aber größer noch die innere Noth, das erwachte Bewußtsein eines verfehlten Lebens. Nur in der strengen Er- füllung des Priesterberufes habe ich einigen Trost gefunden, denn rein und selbstlos ist nunmehr mein Amt gewesen. Nicht mehr für besondere Vortheile eines Bundes haben wir gearbeitet, sondern für das große, gemeinsame und göttliche Erbe der Menschen, für die Gesittung. Wir haben den Hin- dus europäische Sitten und Denkweise und Gottes- verehrung gepredigt. Ihren Steppen haben wir den Pflug gegeben, auf ihren Berghöhen haben wir das Kreuz gepflanzt. Wir predigen ihnen die Gottes- lehre der Selbstaufopferung und Liebe. Anfangs haben sie Mißtrauen und Verfolgung gegen uns, endlich aber öffnen sie ihr Herz. Als Boten des Himmels haben sie uns verehrt, und eine hohe Meinung haben sie von dem Volke im Abendlande, dessen Gott ein Mensch geworden, um durch sein Leben die Liebe und durch sein Sterben die Auf- opferung zu lehren. Bereits haben wir in Dekan eine christliche Gemeinde zu Stande gebracht, da kommen abend- ländische Schaaren, Engländer und Franken, bekrie- gen Theile des Landes und unterjochen sie. Da handelt es sich nicht mehr um die christliche Liebe, sondern um Reis und Gewürze. Und vorbei ist es gewesen mit dem Glauben der Hindus an unsere Lehre. Ermorden haben sie uns wollen. Auf ein fränkisches Schiff haben wir uns geflüchtet und sind zurückgekehrt nach Europa. Nun sehe ich endlich mein Vaterland wieder. Eine andere Zeit ist, und unser Orden hat Boden und Schutz im Lande. Aber das Volk war von der Geistesrichtung der letzten Jahre sehr beeinflußt worden und hat stückweise gar gedroht, von der katholischen Kirche abwendig zu werden. So hat für uns eine neue schwere Arbeit begonnen. Wir werden planmäßig vertheilt in Stadt und Land. Da ich mich am Königshofe nicht bewährt habe, ich auch auf den Reisen verwildert und aus dem Geleise der gesellschaftlichen Verhältnisse gekommen bin, und da an mir ferner mehr Ge- wissensskruppel als Klugheit zu merken ist, so trifft mich das böse Los: ich werde den Volks- missionären zugetheilt. Kaum kann ich meine Ge- burtsstadt und das Grab meines Vaters besuchen, ehe ich fort muß in das Gebirge. Mit drei Ge- nossen wandere ich von Gegend zu Gegend, um in bestimmten Pfarrkirchen sogenannte Missionen abzu- halten. Das ist ein fast so schwieriges Wander- leben, wie jenes in Indien gewesen. Aber in diesen Verhältnissen muß unsere Priesterschaft eine ganz neue Seite hervorkehren. Bei hohen, mächtigen Herren sind wir die Heiteren, Geschmeidigen, Duld- samen gewesen; bei den wilden Völkern die Apostel der Cultur, die strengen aber liebevollen Lehrer des Christusglaubens. Hier aber, bei dem verknö- cherten, trägen, leichtsinnigen und noch dazu durch neue Grundsätze verdorbenen Landvolke müssen wir erscheinen als ernste Warner, als gewaltige Richter der Sünde. Mit Gott und Himmel und Liebe richtet man bei solchen Leuten nichts aus, damit hat der Ortsseelsorger sich abgemüht genug. Wir predigen von Teufel und Hölle und ewigen Peinen. Anfangs, da kommen sie mit Uebermuth und Neugierde zur Kirche herein, um die Wanderprediger zu sehen; aber als sie die dumpfen Worte von der Noth der Seelen, von der Gefahr des irdischen Lebens, von der drangvollen Sterbstunde und von dem schrecklichen Gericht des Gerechten hören, da heben sie an zu erbleichen. Bald liegen sie zerknirscht und bebend vor dem schwarzverhüllten Altare, bald drängen sie sich zu unseren Beichtstühlen. Den Kin- dern wird gedroht mit der Verdammniß der Eltern, den Eltern mit dem Verderben ihrer Kinder. Der erwachsenen Jugend wird jeder Blutstropfen ihres blühenden Lebens verflucht; den Ehleuten wird die Liebes- und Kindesfreude vergällt. Und den Greisen wird das nahe Ende dargestellt in schrecklichen Zügen. Für Alle die einzige Rettung ist: Bekehrung zur Buße. — Da rutschen sie auf den Knieen um den Altar, da versagen sie sich den Bissen Brot bis die Sonne niedergeht, da thun sie Sand in die Schuhe und wallen zu fernen Kirchen und ent- legeneren Kapellen, um Ablaß zu erbitten. Vor jeder Kirche haben wir ein hohes, kahles Kreuz aufgestellt. Christus ist für euch gekreuzigt worden, jetzt kreuziget euch selbst in Abtödtung und Buße. Ich bin in Eifer gerathen, der mich fortgezogen hat in dem, was unseres Amtes gewesen, und der mich fortgerissen hat in eine Schwärmerei, die ich bislang an mir nicht gekannt habe. Wie eine wild- lodernde Gottesoffenbarung steht es vor meiner Seele: Die Buße ist das Einzige, was uns erlö- sen kann. Wie lebendig und lustig es im Dorfe auch gewesen ist, wo wir eingezogen: es wird bald still in den Gassen und öde auf den Feldern und Wiesen. Das Gotteshaus ist die Zuflucht geworden; und wie rasch die Bewohner bereit sind, das Irdische gegen das Himmlische zu vertauschen, zeigen die Früchte der Erde, die verwahrlost verderben, wäh- rend die Leute in den Kirchen beten. Und selbst die Regierung hat es eingesehen, wie im Lande eine allgemeine und gründliche Be- kehrung Noth thut. Wo doch Einer ist, der zum Sonntag, während in der Kirche Gottesdienst ist, auf dem Dorfplatze sitzt, sich sonnt und seine Pfeife schmaucht, da weisen Wachmänner mit messer- bepflanzten Gewehren den Glaubenslauen in die Kirche. Das ist eine erfreuliche Zeit gewesen für un- seren Orden, und er ist stark und heimisch gewor- den im Lande, wie er es in dem Grade früher nie gewesen war. Was aber mich anbelangt: glücklich bin ich nicht. Wenn die Stunden der Begeisterung vorüber, so ist eine Oede in mir und ein Dämon, der mich fortweg abwenden will von dem heiligen Beruf, welcher die große Aufgabe hat, die übermüthige Menschennatur zu bändigen und der Einheit und Allgemeinheit unserer Kirche zuzuführen. Ich habe diesen Dämon bekämpft durch Arbeit und Gebet, denn ich habe ihn für den Teufel gehalten. Er wird aber was Anderes gewesen sein. — Nicht wahr, jetzt kommt schon die Nacht?“ Fast verwirrt hat mich der Mann angeblickt, als hätte er von mir die Beantwortung seiner Frage erwartet. „Die Nacht kann das noch nicht sein;“ habe ich entgegnet, „der finstere Nebel legt sich so über den Wald.“ „Ja, ja,“ fährt der seltsame Erzähler wie träumend fort, „es kommt die Nacht. Junger Freund, ihr werdet sehen, es kommt die finstere Nacht.“ Nun ist es eine Weile so still, daß man ver- meint, den Nebel spinnen zu hören in dem Geäste der Tannen. Nachher fährt der Mann wieder fort: „In einem großen Dorfe ist es gewesen. Ich sitze noch spät Abends im Beichtstuhl. Die Kirche ist endlich leer geworden und die Ampel des Altares legt ihren mattrothen Schein schon an die Wände. Ein einziger Mann steht noch neben dem Beicht- stuhle und scheint unentschlossen, ob er sich nähern oder auch die Kirche verlassen soll. Ich winke ihm. Er schrickt zusammen, tritt näher und sinkt auf die Kniee vor dem Schuber des Beichtstuhles. Sein Bekreuzen ist ein krampf- haftes Zucken der rechten Hand über das Gesicht. Er sagt nicht das übliche Gebet; in wirren und hastigen Worten theilt er mir sein Bekenntniß mit. Dann faltet er die Hände so fest ineinander, daß sie zittern und stammelt die Bitte um Lossprechung. — Mein Herz steigt empor zu den Lippen, ich will dem Geängstigten Worte des Trostes sagen. Aber unwirsch stoße ich mein eigen Herz zurück in die Brust; denn die Satzung verlangt in diesem Falle unerbittliche Strenge. Das Verbrechen ist kein un- gewöhnliches gewesen; es kommt oft genug vor. Nehmen wir zum Beispiel, der Mann hätte sich an dem Gute seines Nachbars vergangen. Und wie er stumm so dakniet, entgegne ich in ruhiger Weise: das Unrecht könne ihm nicht ver- ziehen werden vor Gott, so lange es nicht bis auf das letzte Pünktchen gut gemacht. — Gutmachen, das kann ich nicht, versetzt er, mein Nachbar ist fortgezogen; ich weiß ihn nicht zu finden. — So wandert durch die Welt, ihn zu suchen; besser die Füße abgehen bis auf die Kniee, als daß die einzige, kostbare Seele ewig verloren gehe. — Aber mein Weib, meine unmündigen Kinder! ruft er und fährt sich mit den Händen über die Stirne. — Umsomehr Seelen stürzet ihr mit euch in das Verderben, wollt das Unrecht ihr nicht sühnen. — Um Gotteswillen, ja, ich will fasten, beten, will Almosen geben zehnfach mehr, als was ich betrogen. — Alles fruchtlos. Vor dem Betrogenen müßt ihr es sühnen, wenn Der es vergibt, so wird auch Gott es streichen aus dem Buche des Lebens. — So soll ich jetzt fort und suchen, die ganze Welt durchsuchen? schreit er fiebernd; ist der Herr nicht am Kreuz gestorben, daß er die Sünden der Welt auf sich nehm’? Mord und Todt- schlag werden verziehen, und mir kann meine Ver- irrung um Christi Bluteswillen nicht vergeben sein? — Markelt nicht mit dem gerechten Gott im Himmel! rufe ich erbittert, daß sich da Einer auf- lehnt gegen den Höchsten, jeder Tropfen des rosen- farb’nen Christiblutes wird dem Lästerer zu einer Flammenzunge des höllischen Feuers. Dreimal höher ist der Himmel, seit er durch das Kreuzopfer ist erkauft worden; und neunmal tiefer ist die Hölle, seitdem die Menschen drei Nägel geschlagen durch Christi Händ’ und Füße. Ueber diese meine Worte ist ein Aufstöhnen, ein Fluchwort, und ich höre den Schall der Tritte eines Davoneilenden. Dann bin ich in der nächtigen Kirche allein. Ich trete aus dem Beichtstuhle, kniee hin vor den hochragenden Altar und bete lange für den Verstockten. Und wie ich so emporblicke zu dem Bilde der Königin der Beichtiger, da ist es mir, als trete sie plötzlich hervor aus der Nische — sie, mit dem Kinde, in blutrothem Schein. Der Thür eile ich zu, auf daß ich den er- quickenden Abend im Freien erlange. Siehe, da ist der Ausgang verschlossen. Ich habe die Sperrstunde nicht wahrgenommen. Die Kirche ist entlegen vom Orte; das nächste Haus ist die Todtenkammer. Da hört es Keiner, wie man auch rufen wolle. So bin ich eingeschlossen in den düsteren Raum, in welchem ich so oft von dem leidigen Teufel gesprochen und von der ewigen Höllenpein. — Dort im heiligen Gezelt thront der ewige Gott in Wesenheit und Wahrheit; jetzo bist du mit ihm allein, jetzo wirst du Rechenschaft ablegen, wie du als sein Stellvertreter unter den Menschen die hohe Lehre hast verkündet. Nein, ich habe es nicht vermocht, hinzublicken auf den Altar; das schreckliche Bild steht dort, wie in der Luft, das rothe Licht schwebt auf mich zu. Ich eile auf den Zehenspitzen von einem Winkel zum andern, verkrieche mich endlich wieder in den Beichtstuhl und ziehe den Vorhang zu. So bin ich dagesessen mit höchst erregten Sinnen. Ich meine, jetzt und jetzt müsse sich der Vorhang bewegen und eine kalte Hand hereinfahren nach meinem treulosen Herzen. Aber es bleibt ruhig und still, nur daß zuweilen auf dem Thurme die Uhr ihre Viertheile schlägt — und am hohen Fen- ster, durch das nun der Mond hereinscheint, zuweilen eine Fledermaus vorbeihuscht. Ich lehne mich an die Rückwand und schließe die Augen; der Schlaf kommt nicht . . . . Gedanken sind gekommen. Ja, sonst knieen sie da draußen vor dem Schuber, die armen Sünder, und erforschen das Gewissen; und heute erforscht es der Beichtiger selbst einmal. — Ich habe zurückgeblickt auf mein ganzes Leben. Wie ist es so bewegt, wie bin ich arm und einsam gewesen! Meinen Vater habe ich verlassen, wie er mich ja nicht gehalten hat; mein Erzieher ist von mir gezogen worden, als er mich in die Wirren der Welt geschoben hat; in dem Teiche ist ein flammendes Herz verloschen. Da habe ich keinen Freund mehr auf der weiten, weiten Erden. Wie ein Spielzeug bin ich geworfen worden über Land und Wasser. Was ist gemeint gewesen mit meinen hohlen Thaten? Was ist erstrebt wor- den? Habe ich wohl gethan? Ich bin Priester; habe ich Gott verehrt mit meinem Herzen? — Ich bin Vermittler; habe ich Gott versöhnt mit den Menschen, und diese mit sich selbst? — Wenn ich dereinst vor Gottes Richterstuhl stehe, wenn die Wagschale sinkt mit meiner Uebelthat; ist eine Seele, die das Zünglein hält und ruft: er hat mich gerettet, er sei erlöst! Und als es in mir so ringt und schreit, da ist plötzlich ein klägliches Stöhnen vor dem Schuber des Beichtstuhles, als kniete jener Mann noch davor mit seiner Schuld. Ich fahre empor, aber — es hat mich betrogen; — öde und still ist es, und das helle Mondlicht rinnt durch das Fenster. So sind meine Jahre verronnen, die goldenen Jahre — in den Sand. — Guter Freund, ein solches Unglück könnt ihr nimmer verstehen. — Endlich hebe ich an schmerzlich zu weinen. Gewiß, ich hätte in meinem einflußreichen Stande die Menschen geliebt und ihnen gedient. Abgeleitet bin ich worden; und mein einziger Freund ist nicht mein Freund gewesen. — Wie viele Jahre sind mir noch gegeben, daß ich sie mißbrauche? Nein und nimmer. O Gott führe mich weg von deinem Altare, dem ich ein unwürdiger Diener gewesen; führe mich aus deinem Tempel, in dem ich deinen Namen eitel genannt. Und von den Menschen führe mich weg; ich habe dich ihnen so gottlos gefälscht. Führe mich zu einer stillen, einsamen Stätte, wo ich mich selbst erlösen kann! Diese Sehnsucht hat sich wie Thau gelegt auf mein Gemüth; ruhiger ist es geworden und meine Augen sind gesunken. Jetzt aber höre ich plötzlich von außen eine Stimme, die Pater Paulus! ruft, und eine zweite: Wenn ihm nur nichts zugestoßen! — Pater Paulus! ruft es wieder. — Endlich befreit! denke ich und will mich erheben, auf daß ich antworte. In dem- selben Augenblick höre ich fürchterlich aufschreien: Jesus Maria! da ist er, da hängt er am Strick! Ich thue einen Schrei, der in dem Kirchen- schiffe gellt und von dem ich selbst erschrocken bin. Da ist draußen noch ein Klageruf und ich höre, wie sich die Leute eilig wieder davonmachen. Der Aufschrei in der Kirche, mein Hilferuf, hat sie ver- scheut. Ich bin allein. Erregt bin ich, daß mir der Athem stockt. Mitternacht schlägt es. Und wie? Draußen hängt Einer am Strick? Sie haben doch so gerufen. Hatten sie nicht mich gesucht und ge- schrieen: Da ist er, da hängt er am Strick? Auf mein Angesicht bin ich gefallen: Heiliger Gott, bewahre mich vor Selbstmord! Aber jetzo steigt plötzlich eine Ahnung in mir auf. Wie, wenn es der Mann ist, dem ich zur späten Abendstunde die Lossprechung verweigert und den Trost? dessen nach Vergebung ringende Seele ich in ihrer Verzweiflung zurückgestoßen habe? Wenn er hingegangen ist und sich das Leben ge- nommen hat?! Wer ist sein Mörder, o Herrgott im Himmel! — In derselben Stunde, guter Freund, habe ich Schreckliches ausgestanden. Das Klappern der Todtengerippe habe ich in meinem fiebernden Zustande gehört; den Selbstmörder habe ich bau- meln gesehen an der Kirchhofsmauer, und wie er mich angrinst mit starrem Auge! — Und aus den Tiefen des Teiches steigt ein Weib empor mit dem Kinde, und seine feuchten Locken werden zu Schlan- gen und legen sich um meine Glieder. Und all die unerlösten Seelen kommen, denen ich die Verdam- mung gepredigt. Und inmitten steht das hohe Kreuz und eine Stimme höre ich rufen: Du hast den Heiland getödtet in den Herzen, du hast ihnen das schwere Kreuz aufgebürdet, das Kreuz ohne Heiland. — Gottesmörder!“ Aechzend ist der Mann hingesunken auf das Geäste des Baumes. Kaum habe ich es vermocht, ihn wieder aufzurichten. Nebelfeuchtes Wildfarren- kraut reiße ich ab und lege es auf seine glühende Stirne. „Erzählet ein andermal zu Ende,“ sage ich, „und gehen wir heute in unsere Wohnungen, es kommt wahrhaftig schon die Nacht.“ Er hat sich aufgerichtet, ist mit den Zipfeln seines Mantels über die Augen gefahren. „Heute ist der Frieden in mir,“ sagt er hierauf ruhig, „aber so oft ich an dieselbe Stunde denke, glüht mein Blut wie Höllenflammen. Nun jetzo wird es schon besser. — Wie ich meine Augen wieder aufthue, da schaut das Morgenroth zu den Fenstern herein. Wie ein mildes Lächeln liegt es auf dem Altare und auf dem Bilde der Mutter Gottes. — Ich habe mich aufgerichtet und ein Gelöbniß gethan, und da ist es mir in meinem Gemüthe gewesen, als müsse Alles, Alles gut enden. Bald darnach haben die Schlüssel der Kirchen- thüre gerasselt; der Schulmeister tritt herein, und einer der Ordensbrüder und noch andere Leute. Sie brechen in ein Frohlocken aus, als sie mich sehen, und führen mich an der Hand in das Freie. Sie erzählen, wie sie mich gesucht, wie sie wol einen Schrei gehört in der Kirche, wie sie aber in ihrer Verwirrung gemeint hätten, es sei eine Geister- stimme. Sie führen mich abseits vom Friedhofe, denn dort ist an einem eisernen Grabkreuze der Selbstmörder gehangen. Ich habe mich nachher in mein Zimmer ver- schlossen und bin in demselben verblieben den gan- zen Tag. Ich hätte an dem Tage eine Predigt hal- ten sollen über die Buße und die Erbarmungen Gottes. Ein anderer meiner Genossen hat es für mich gethan. Die Leute hätten sich erzählt, ich sei die Nacht über absichtlich in der Kirche geblieben und habe Offenbarungen gehabt, denn ich sei der Frömmste unter den Vieren. Rosegger: Waldschulmeister. 19 Spät Abends, als ringsum Alles geschlafen, habe ich auf ein Blatt Papier die Worte geschrieben: Lebt wohl, meine Brüder. Forschet nicht nach mir. Meine neue Mission heißt Selbsterlösung. Und dann habe ich genommen, was mein, und bin aus dem Hause gegangen und aus dem Dorfe, und der Landstraße entlang die ganze Nacht. Planlos ist mein Wandern. Ich überlasse mich dem Zufall. Ich habe nichts zu verlieren; nur aus dem Bereiche der belebteren Gegenden trachte ich fortzugelangen. Ich habe meine Richtung gegen das Gebirge genommen. Als der Morgen graut, bin ich zwischen Wald- bergen; ein Wildbach rauscht mir entgegen. Ich trinke aus dem Wasser und ruhe auf einem Stein. Da kommt so ein Waldmensch des Weges, der zieht seine Kopfbedeckung ab vor meinem priesterlichen Kleide. Ich erhebe mich und bitte den Mann, daß er mir den Weg weise, ich wolle weit hinein in’s Ge- birge, bis dorthin, wo der allerletzte Mensch wohnt. — Der allerletzte Mensch, der wird wol der Kohlenbrenner, der Ruß-Bartelmei sein, hat der Mann geantwortet. — So weiset mir den Weg zum Ruß-Bartel- mei und bedeckt euer Haupt. — Habt ihr mit dem Köhler was zu schaffen? frägt er dreister, da wir schon auf dem Wege sind, ihr, der Köhler ist leicht schwarz an Leib und Seel’; den mögt ihr nimmer weiß waschen. Nun, weil er halt wildert. Schlechter wie Andere wird er auch nicht sein. Was wollt ihr ihm denn? Ich glaube, ich habe dem Frager von einer weitläufigen Verwandtschaft was gesagt. Da bleibt er stehen und sieht mich an: Verwandtschaft! thät’ mich wol freuen! Der Ruß-Bartelmei bin ich halt selber. Ich gehe mit dem Manne über Berge und durch Schluchten. Bis zur Mittagszeit sind wir bei seinem Hause. Drei Tage bleibe ich bei den Leuten. Schwarz sind sie freilich. Bei einem Volke des Morgenlandes ist schwarz die Farbe der Tugend und der Seligen; sie malen dafür den Teufel weiß. — Ich habe das, in der Meinung, ihm ein Gefälliges mitzutheilen, dem Kohlenbrenner gesagt. Der aber guckt seltsam aus seiner Hutkrempe hervor und entgegnet: Nachher wäre der Pfarrer in der Kirche ein Teufel und auf der Gasse ein Engel. Am dritten Tage, nachdem ich und der Bartel- mei viel und über Vieles miteinander gesprochen und uns gegenseitig Theile aus unserer Lebens- geschichte erzählt (die seine ist kohlschwarz und die meine noch schwärzer), da frage ich ihn, ob er mein Freund sein wolle. Ich hätte vor, in der Wildniß zu 19* leben und zu arbeiten für meine Seele, und wolle redlich bestrebt sein, in der Einsamkeit Gutes zu stif- ten, da man unter Menschenschaaren auch mit bestem Willen nicht immer das Rechte fördere. Als Freund habe er mich gegen Entgeltung mit den allernoth- wendigsten Bedürfnissen zu versehen, des Weiteren aber mich als Geheimniß zu bewahren. Der Mann hat sich lange besonnen; dann sagt er: So, ein Einsiedler wollt ihr werden? Und da soll ich der Rab’ sein, der euch das Brot vom Himmel bringt? Ich erkläre, daß ich mir das Brot selbst suchen wolle, daß man aber auch Kleidungsstücke und andere kleine Dinge bedürfe, und daß ich nicht er- mangeln würde, mit meiner kleinen Habe dafür zu danken. So ist er bereit, mir zu dienen. Nur müsse ich ihm auch einmal eine Gefälligkeit erweisen, und vielleicht eine ganz absonderliche. Er habe schon auch sein Anliegen. Ich habe das Köhlerhaus verlassen und der Bartelmei hat mich geführt noch weiter in die Wildniß hinein. Bis in das Felsenthal bin ich hinaufgekommen; da sind gar keine Menschen mehr, da ist nur der Urwald und das starre Gewände. Und hier ist es mir recht gewesen; in einer ver- borgenen Höhle, an der eine Ouelle vorbeirieselt, habe ich mich eingerichtet. Im Felsenthale ist ein hölzernes Kreuz gestanden, das seiner Tage auch ein verlorner Waldmensch aufgerichtet haben mag. Das ist mein Versöhnungsaltar. Ein Kreuz ohne Heiland, wie ich es sonst den bedrängten Seelen vorgehalten, war mir nun selber geworden. Und so, junger Freund, habe ich nun gelebt in der Einsamkeit, habe mit den Wurznern und Pechern gearbeitet. Und so ist Jahr um Jahr ver- flossen. Von Entbehrung will ich nicht reden, schwerer ist mir das Gefühl des Verlassenseins geworden, und die Sehnsucht nach den Menschen hat mich oft unsäglich gepeinigt. Nur der Gedanke, daß Ent- sagung meine Sühne ist, hat mich getröstet. Oft aber bin ich hinaus in die Thäler gegangen, wo Menschen wohnen in lieber Geselligkeit. Ich habe mich gelabt mit dem Bewußtsein ihrer Gewissens- ruhe und Zufriedenheit und bin wieder zurückgekehrt in das ewig einsame Felsenthal zu meiner Höhle und zu dem stillen Kreuze auf dem Steingrunde. Der Kampf in mir aber ist, statt geringer, größer und schwerer geworden, und zuweilen kommt mir der Gedanke: was ist das für ein Leben in lahmer Thatlosigkeit, in der man Niemandem nützt, sich selber doch verzehrt? Kann das Gottes Wille sein? Zurückkehren in den Orden, das wäre un- möglich. In der offenen Welt leben unter dem Schilde eines abtrünnigen Priesters, das wäre ein zu großes Aergerniß an der treuen Berufserfüllung im Allgemeinen. Was bleibt mir übrig, als für das Völklein des Waldes nach Kräften wohlthätig zu wirken? Aber ich weiß es nicht anzufassen. Mit trockenen Predigten stiftet man nicht immer das Wahre. Den Teufel habe ich ja so lange gerufen, bis er mir selber gekommen; Gott und die christ- liche Liebe lehren? Damit bin ich in Indien schlecht gefahren. So habe ich gar keine Neigung mehr, den Menschen mit Worten zu dienen. Wo ich Kinder sehe, da gehe ich auf sie zu, daß ich ihnen ein Liebes könnte erweisen; aber sie haben sich vor mir gefürchtet. Ich bin gemieden und nirgends gern gesehen, selbst in der Hütte des Bartelmei nicht mehr. Ich bin auch so seltsam, so unheimlich; zuletzt hat mir vor mir selber gegraut. Ein Verbannter lebe ich im Felsenthale und zwi- schen dem Gestein lechze ich nach Wohlthun. Und ich bin doch wieder davongeschlichen gegen die Wässer hinaus. Dem altersschwachen Weiblein habe ich die Holzschleppe vom Rücken genommen, auf daß ich sie in seine Klause trage. Dem Hirten habe ich die Herde von dem gefährlichen Gewände abgeleitet. Und im Winter, wenn gar keine Menschen sind weit und breit, habe ich mit dürren Saamen und wilden Früchten die Vöglein gefüttert und die Rehe. Geweint habe ich über diesen meinen armseligen Wirkungskreis und vor dem Kreuze habe ich ge- betet: Herr, vergib! und nur einmal laß mich was Gutes vollenden! Und so habe ich, in der Absicht, etwas Rechtes zu vollbringen, den Jungen aus dem Hinterwinkel zu mir genommen. Ich hatte gehört, daß er von seinem Vater die Tobsucht geerbt haben soll. Ich habe bedacht, daß, wie der Mathes daran zu Grunde gegangen, so auch der Lazarus daran zu Grunde gehen müsse, könne durch eine entsprechende Zucht dem Uebel nicht gesteuert werden. Auch habe ich bedacht, daß ein schwaches, weichherziges Weib nimmer im Stande ist, dem gefährdeten Kind die strenge Leitung, die nöthig ist, angedeihen zu lassen. Da habe ich eines Tages im Walde den Knaben am Grabe seines Vaters getroffen. Er hat erbärm- lich geweint und ist nicht von mir geflohen wie andere Kinder. Und als ich ihn frage, was ihn denn sosehr betrübe, da antwortet er, er hätte einen Stein geschleudert nach seiner Mutter, und so wolle er jetzt sterben. Ich entgegne ihm, er möge getrost sein; ich hätte auch einmal so einen Stein geschleudert gegen Menschen, aber nun wäre ich in die Wildniß ge- gangen, daß ich Buße thue und einen besseren Mann aus mir mache. Und ich frage ihn, ob er es auch so halten wolle. Der Knabe hat mich flehend angeblickt und ja gesagt. So habe ich ihn mit mir genommen in das Felsenthal und in mein Haus. Ueber ein Jahr habe ich ihn bei mir behalten, auf daß ich ihn an strenge Ordnung hielte und seine wilden Anfälle zu unter- drücken suchte. Täglich haben wir vor dem Kreuze gemeinsam unsere Andacht verrichtet. Und ich habe dem Knaben erzählt die Geschichte von dem Ge- kreuzigten, habe ihm mit aller Wärme meines Her- zens dargestellt die Liebe, Geduld und Sanftmut des Heilandes, und ich habe gemerkt, wie das Ge- müth des Knaben davon ergriffen worden ist. Es ist ja ein herzensguter Junge. Wir haben zusammen gearbeitet, haben Wald- früchte, Kräuter und Schwämme gesammelt zu un- serer Nahrung. Hirsche und Rehe haben wir nicht geschossen, wie der Lazarus einmal vorgeschlagen. Stühle und Fußmatten flechten wir für unsere Felsenwohnung und für den Branntweiner, der sie an den Mann zu bringen weiß. Viel Brennholz sammeln wir und einen kleinen Schutzwall führen wir auf vor unserem Eingang. Gehe ich in die Lautergräben oder in die Winkelwälder hinaus, so bleibt der Knabe willig im Felsenhause und arbeitet allein. Gerne hat er mir von seiner kleinen Schwester erzählt, aber nie ein Wort von seiner Mutter, gleichwol er im Traume oft genug von ihr ge- sprochen hat. Ich habe es ihm angemerkt, wie sehr das Gewissen seiner That ihn hat gepeinigt. Auf daß sich der Knabe an Geduld und Sanft- muth übe, habe ich ein Mittel erfunden, das, wie seltsam und einfältig es auch aussehen mag, doch eine schätzbare Wirkung in sich trägt. Ich fasse einen Rosenkranz aus grauen Steinperlen zusammen, und diesen Rosenkranz muß mir der Lazarus allabendlich abbeten, ehe er zu Bette geht. Aber nicht mit dem Munde abbeten, sondern mit den Fingern und mit den Augen. Er muß nämlich alle Perlen von der Schnur streifen, daß sie auf den Erdboden hin- kollern; und nun ist seine Aufgabe, daß er die in alle Winkel gerollten Kügelchen mühsam wieder zusammensuche und auflese. Anfangs hat er bei dieser mühsamen Arbeit sein Zucken wol bekommen; aber da er dadurch dem Geschäfte nur hinderlich statt förderlich ist, so hat er es nach und nach mit mehr und mehr Fassung verrichtet, trotzdem das Suchen oft stundenlang dauert, bis er die letzte und allerletzte Perle findet. Und endlich hat er es mit einer Ruhe und Selbstüberwindung gethan, die ver- ehrungswürdig ist. — Kind, sage ich einmal, das ist das schönste Gebet, das du Gott und deiner Mutter zu Liebe thun kannst, und damit erlösest du deinen Vater. Da blickt mich der Junge mit seinen großen Augen glückselig an. Wir haben nicht gar viel miteinander geschwätzt, aber um so gewichtiger und überlegter ist jedes ge- sprochene Wort gewesen. Er scheint mich lieb gehabt zu haben, er hat jeden Wunsch meiner Augen zu erfüllen gesucht. Nach meiner Weisung hat er mich den Bruder Paulus geheißen. Wol, es ist eine gewagte Art gewesen, wie ich den Knaben zu mir gerissen und geschult habe; aber ich mag hoffen, daß er glücklich auf einen besseren Weg geleitet ist. — O, mein Freund, wie oft habe ich mir gesagt: Einem, und wenn auch nur Einem Menschen mußt du von allen Seelen- gaben, die dem Priester zu Gebote stehen, die Gabe der Selbstbeherrschung eigen machen, dann bist du erlöst. Ich habe mich im Laufe des Jahres oft nach der Mutter des Knaben umgesehen; und sosehr ich mich selbst an den Knaben gewöhnt, habe ich doch den Tag ersehnt, an welchem ich dem armen Weibe das verschollene Kind wieder zurückgeben kann, wie ein Stück reinen Goldes nach der Läuterung. Da finden wir eines Abends das Kreuz nicht mehr auf dem Steingrunde. Es war dagestanden, ehe ich das Felsenthal durchwandelt und an seinem Fuße Erbauung und Zuflucht gefunden. Es war unser Gottesaltar gewesen und das Zeichen der Entsagung und Selbstbeherrschung. Und nun starrt uns die moderige Grube an, aus dem es empor- geragt. Wer hat mir auch dieses Einzige noch weg- genommen? Soll es Kohlen geben oder eine Herd- flamme in der Hütte? Ist der weite Wald nicht mehr groß genug, legen sie die Hand noch an das Kreuz? Was hat es ihnen gethan? Oder schnitzt Einer den Heiland dazu? Oder hat es ein Kranker, ein Sterbender holen lassen, auf daß er davor bete? So habe ich an jenem Tage gefragt und ge- grübelt. Und am Abend noch eile ich durch das steinige Thal und meine, irgendwo müsse mein Gotteszeichen liegen. Ich laufe in den Wald hinab, den Fußsteig hin, da sehe ich zwei Männer, die das Kreuz auf den Schultern tragen. Und nun ist es mir eingefallen, es kommt in die neue Kirche am Steg, die Wäldler stellen es auf den Altar. Sie verehren es, wie ich es ver- ehre; auch sie wollen Entsagung und Aufopferung lernen; auch sie sind Menschen, die streben und ringen nach dem Rechten, wie ich. Da ist in mir eine Freude erwacht, die mir schier das Herz hat zersprengt. Um den Hals fallen hätte ich euch mögen, euch, der ganzen Gemeinde. Ich gehöre ja zu euch — ein Pfarrkind.“ „Ja, jetzo ist keine Zeit mehr für müßige Gedanken,“ fährt der Einsiedler fort. „Kurze Zeit darnach habe ich den Lazarus fortgeführt aus die- sem Felsenthale und hinaus zur neuen Kirche, auf daß er vor dem Kreuze bete. Ich habe ihn von Herzen gesegnet, denn ich habe wol gewußt, daß er mir nicht mehr zurückkehren wird in das Felsenhaus. Und allein habe ich weiter gelebt, wol ver- lassener als je, und doch beruhigter, und mein Herz hat sich gehoben, als wollte der Bann anheben zu schwinden. Oefter und öfter bin ich hinausgegangen zur neuen Kirche, in der mein Kreuz steht. Und die Menschen haben mich nicht mehr gemieden; Almosen haben sie mir gereicht, auf daß ich beten möge vor Gott für ihr Seelenheil. Daraus habe ich wol mit Beschämung ersehen, daß sie mich für besser halten, als sich selber. Ich bin auch wieder in das Haus des Bartel- mei gegangen, in dem sie mehr von mir wissen, als in den anderen Hütten. Des Köhlers Mutter, die Kath, ist schon seit Jahren krank, die bittet mich, daß ich um Gottes Erbarmung Willen doch einmal eine Messe für sie lese zu einem glück- lichen Sterben. Das habe ich dem alten Weiblein gerne versprochen und die Messe habe ich ge- lesen und zwar vor meinem Kreuze in der Kirche am Steg.“ So weit hat der Mann erzählt. Wir schweigen beide eine gute Weile. Endlich habe ich die Worte gesagt: „Wie sich das schon wunderbar fügt im Lebenslaufe, so ist das vielleicht euere letzte Messe in unserer Kirche nicht gewesen.“ „Ich habe euch die schuldige Antwort gegeben,“ versetzt der Einspanig, „was daraus für euch, für mich erwächst, davon kann heute noch nicht ge- sprochen werden.“ Mit diesen Worten hat er sich von dem Holz- stamme erhoben. Und wie er nun so aufgerichtet vor mir steht, da ist er jünger und größer, als er sonst geschienen. Einen tiefen Athemzug hat er ge- than und plötzlich hat er heftig meine Hände gefaßt in die seinen und mit bebender Stimme gerufen: „Ich danke euch, ich danke euch!“ Und hierauf ist er hastig davongegangen. Er schreitet aufwärts in der Richtung gegen das Felsenthal. Ich schreite abwärts in die Lauter- gräben und gegen Winkelsteg. Meine Schuhe stoßen oftmals an Gestein und Gefälle. Eine nebelfeuchte finstere Nacht liegt über den Wäldern. So ist mein Mißtrauen gegen den Einsiedler glücklich zu Schanden geworden. Wenn Einer auf die Welt verzichtet, sie mag ihm sein, was sie will, und jahrelang in der Wild- niß lebt unter unsäglichen Entbehrungen und mit eisernem Willen die Sehnsucht seiner Seele be- kämpft — dem ist es ernst. — Zu welchem Zwecke wäre er auch in die Wälder gegangen, lange ehvor am Steg noch ein Kirchenstein gelegen, zu welchem Zwecke hätte er sich gemieden gemacht von den Leuten und seinem Wohlthätigkeitsdrang nur im Verborgenen zu genügen gesucht? — Und vor mei- nen Augen hat er die Fasern seines Herzens ent- wirrt, daß ich zutiefst hineinsehe in sein Inneres, wie es auch dasteht in der Schuld. Oft habe ich mir gedacht, der erste Seelsorger in Winkelsteg darf kein Gerechter sein, sondern ein Büßer. Nicht ein Mann sei es, der nie gefallen, sondern einer, der aus dem Falle ist aufgestanden. In der Tiefe und Finsterniß der Wäldler muß er stehen und sich zurechtfinden können, auf daß er diesen Menschen vorauszugehen weiß empor zur lichten Höhe. Im Sommer 1819. Das ist sauber! das ist possirlich! das ist schon gar zu lustig, jetzund! Ich habe heute den ganzen Tag gelacht und geweint. Es wird nur eine scherzhafte Mähr sein, aber sie wird allenthalben ernsthaft erzählt. Und bei dem, was bislang schon zu hören gewesen, kann es ja möglich sein. Verspielt soll er uns haben, der schlechte Mensch! Verspielt, uns sammt und sonders, die ganzen Winkelwälder mit Stock und Stein, mit Mann und Maus und mit dem Andreas Erdmann, ver- spielt am grünen Tisch in einer einzigen Nacht. Und verspielt an einen Juden. Einige Tage später. Sei es, wie es sei, wir wollen an unserem Tagwerk weiter arbeiten. Ich bin heute in dem Miesenbachwald gewesen, um die Bäume zu besehen, die für den Schulhausbau bestimmt sind. Sie müssen im Christmonat gefällt werden; das ist für Bauholz die beste Schlagzeit; über den Sommer können sie trocknen und im nächsten Herbst muß der Bau auf- geführt werden. Als ich an der Schwarzhütte vorübergehe, tritt der Einspanig heraus. Er hat den Lazarus besuchen wollen; der Knabe ist aber nicht daheim, der ist jetzt Ziegenhirt bei den Holzern im Vorderwinkel. Adelheid soll dem Einspanig anfangs bittere Vor- würfe gemacht haben; hierauf aber habe sie ihr Gesicht in die Schürze verborgen und schluchzend ausgerufen: „Ich weiß es wol, ihr habt euch das Himmelreich verdient mit meinem Kinde!“ Ich und der Einspanig sind mitsammen gegen Winkelsteg gegangen. Leute, die uns begegnen, lachen sich die Hälse dick über die Geschichte, daß wir ver- spielt seien. Der alte Rüppel sagt, er schneide dem Moisi zu Ehr seinen Bart nicht mehr und trage zumal das Kreuz wieder hinauf in das Felsenthal. „Ja, ja,“ sage ich zu meinem Begleiter, „so sind wir jetztund jüdisch, und in unserem neuen Tempel kriegen wir einen polnischen Rabi herein. So säuberlich hat uns der junge Herr Judas Schrankenheim verrathen.“ Da bleibt der Einspanig stehen und starrt mich an. Vom Fuß bis zum Kopf und wieder vom Kopf bis zum Fuß starrt er mich an und sagt endlich: „Ihr seid mir sonst nicht dumm vor- gekommen, Erdmann.“ Und da wir wieder einige Schritte gegangen sind, versetzt er: „Ein ordentlicher Mensch sollte so alberne Dinge nicht glauben. Wie kann uns der junge Herr Schrankenheim denn ver- spielt haben? mit dem besten Willen nicht. Er ist nicht Herr über die Güter seines Vaters und noch gar nicht großjährig.“ Da glotz’ ich einmal drein. Eine Bergeslast ist mir vom Herzen gefallen; aber im zweiten Augenblick bin ich wieder erschrocken. Ich hab’ ja noch gestern vor aller Leute Ohren den jungen Herrn einen schlechten Menschen geheißen. Das wird mich noch in der Ewigkeit martern. Aber, wenn ich ein Ehrenmann bin, so mach’ ich’s gut. Ein lockerer Vogel mag er ja sein; aber red- lich und hochherzig bist du, Hermann, und das müssen die Leute wissen. An drei Sonntagen nach- einander verkünde ich es von der Kanzel: Unser junger, zukünftiger Herr, Hermann von Schranken- heim, ist redlich und brav. Gott erhalte ihn! — Und das Schmachwort bitte ich dir ab bis zu mei- nem Tode. Der Einspanig ist bei mir eingekehrt. Eines meiner Stubenfenster geht gegen die Kirche und den Pfarrhof hinüber. An demselben sitzen wir und ver- fallen in ein Gespräch, das zwei Stunden lang dauert. Rosegger: Waldschulmeister. 20 Wir können jetzt, wenn schön Wetter, die Zeit schon nach Stunden messen; der Franz Ehrenwald hat an die Mittagsseite des Thurmes eine Sonnen- uhr gemalt. Als der Einspanig fort ist, schreit die Haus- hälterin: „Wie närrisch, jetzt hat uns der Kukuk Den auch wiederum in’s Haus getragen. „Der Kukuk?“ entgegne ich, „ja wol, dieser Mann ist selber wie der Kukuk, hat kein Nest, muß ruhlos von einem Baum zum andern flattern, ist überall gemieden und nirgends daheim. Aber im Lenz hören wir ihn doch gern, denn er bringt uns ja das Frühjahr und er ist ein Wahrsager und zählt uns die Lebensjahre vor.“ „Ja,“ schreit das Weib, „und fabelt uns himmelblau an, wie mich damalen; und ist ihm die Welt leicht nicht mit Brettern verschlagen, so ist es sicherlich sein Kopf. Geht mir weg mit euerem Einspanig!“ Wenn die gute Winkelhüterin wüßte, was ich in einer Stunde darauf dem Freiherrn für einen Brief geschrieben habe! Im Mai 1820. Hier im Walde ist Tag und Nacht, ist Winter und Sommer, ist Friede und Noth, ist Sorge und Brot, und ist zuweilen ein wenig Behagen im Ausruhen von der Arbeit. So schleppt es sich fort. Der Wagen der Zeit hat bei uns das vierte Rad verloren, da geht es zuweilen schief und unschön, aber es geht. Draußen, sagt man, wollen sie wieder die Welt umkehren. Von Krieg wird gesprochen. Um uns Winkelsteger kümmert sich kein Mensch mehr. Aber ich erlebe eine Freude. Mehrere junge Winkel- steger wollen sich freiwillig anwerben lassen zu den Soldaten. Das ist ein Anzeichen ihres erwachten Bewußtseins, daß sie ein Vaterland und eine Heimat haben, die sie vertheidigen müssen. — Es ist eine erste schöne Frucht der jungen Gemeinde. Das Wäldermorden ist für eine Zeit eingestellt; draußen sind die Hämmer geschlossen. Viele heben jetzt an, die Geschläge zu reuten und daraus Aecker zu machen. Aus Holzschlägern und Kohlenbrennern werden Ackersleute. Das ist gut; der Holzschläger vernichtet, aber der Bauer richtet auf. 20* Von der Herrschaft ist auf ein Ansuchen von mir hin ein Schreiben gekommen: Jetzt sei nicht die Zeit für Kirchen- und Pfarrergeschichten; wir sollten uns behelfen. Das ist ein sehr weiser Rath. Aber die Leute wollen nicht mehr in die Kirche gehen. „Wenn es keine Mess’ und keine Predigt gibt,“ sagen sie, „still beten kann Eins auch unter dem grünen Baum.“ Sie stellen sich aber nicht unter den grü- nen Baum, sondern in die Branntweinschenke. Die Herde zerstreut sich wieder, wenn kein Hirte ist. Der Förster ist auch davon, da er in anderen Gegenden zu walten hat. So bin ich allein mit meinen Winkelstegern, wie Moses mit den Israeliten allein ist gewesen in der Wüste. Die Gebote sind verkündet, aber die Leute bauen wieder an dem goldenen Kalb. Und Manna fällt nicht mehr vom Himmel. Pfingsten 1820. Heute ist der Einsiedler aus dem Felsenthale in unserer Kirche vor dem Altare gestanden, hat die Messe gelesen. Das Kirchengeräthe haben wir aus Holden- schlag, wie es dort in der Pfarrkammer gelegen und nicht mehr benützt worden ist. Im Meßkleide haben die Mäuse Löcher gefressen, aber die Spinnen haben diese Löcher wieder zugewoben. Ich habe die Orgel gespielt. Die Kirche ist just so groß, daß man es vom Chor aus noch sehen kann, wenn dem Priester am Altare Tropfen im Auge stehen. Die Leute haben wenig gebetet und viel ge- flüstert. — Dieser Einspanig, das ist zuletzt ja der zweite heilige Hieronimus. Und der Waldsänger hat mir nach dem Gottes- dienst die Worte gesagt: „Habt ihr den ewigen Juden gesehen? Er hat in den Leidenstagen für den Heiland das Kreuz getragen heut’ hinauf nach Golgatha. Er ist erlöst, Hosanna!“ Ich habe dem Einsiedler die Worte mitgetheilt und beigesetzt: „Laßt euch die Rede freuen; der Mann ist voll des heiligen Geistes!“ Am Feste Allerheiligen 1820. In Wälschland haben sie Händel. Ansonsten ist es blinder Lärm gewesen und unsere Vaterlands- vertheidiger sind wieder zurückgekommen. Es geht in das alte Geleise und wir stecken dem Wagen der Zeit das vierte Rad wieder an. Ich habe die Leute veranlaßt, daß sie unter sich ein Oberhaupt wählen, auf daß jemand sei, der Verordnungen ertheile, Streitigkeiten schlichte und die Gemeinde zusammenhalte. Sie haben den Martin Graßsteiger gewählt und nennen ihn nun den Richter. Und bei derselben Versammlung hat der neue Richter den von dem Waldherrn anerkannten, zu- künftigen Schullehrer der Gemeinde Winkelsteg vor- gestellt. Dieser Schullehrer bin denn ich. Die Leute sagen, das hätten sie längst schon gewußt, daß ich der Schulmeister sei. Der Graßsteiger sagt, es müsse Alles auch Form Rechtens geschehen. Wenige Tage nach dem Obigen läßt der Richter durch mich die Pfarrerwahl ausschreiben. Darüber lacht Alles. — „Sollen wir aus den Pechhackern und Kohlenbrennern Einen wählen? ’s wird aber Keiner taugen. Studiert ist für uns Winkler gleich Einer genug, aber so närrische Ge- wohnheiten haben unsere Männer, keine Pfarrer- köchin mögen sie leiden.“ So machen sie ihre Spässe, wissen aber recht gut, auf wen es abgesehen ist. Und sie haben ihn auch gewählt. Wir sollen uns selber behelfen, hat der Wald- herr gesagt; so haben wir uns selber beholfen. Der Einsiedler aus dem Felsenthale ist Pfarrer von Winkelsteg. Martini 1820. Die Ruß-Kath ist gestorben. Sie ist neunzig Jahre alt geworden. Ihr letzter Wille ist, daß man ihrer Leiche feste, nagel- beschlagene Schuhe anziehe; sie würde den Weg aus der Ewigkeit oftmals zurückmachen müssen auf die Erde, um zu sehen, wie es ihren Kindern und Kindeskindern fortan gehe. Der Weg aber sei voll scharfer Dornen. Die Ruß-Kath ist die erste, die sie in die Walderde unseres neuen Friedhofes hinabthun werden. Auf zwei Stangen haben sie zwei Männer herübergetragen aus den Lautergräben. Der weiße, noch harzduftende Tannenbrettersarg ist mit Erl- strauchbändern auf der Bahre befestigt gewesen. Der Ruß-Bartelmei und sein Schwestermann Paul Holzer mit einem Knäblein sind hinter den Trägern dreingegangen. Sie haben laut gebetet und stets auf die Wurzeln der Bäume geblickt, über die sie geschritten. Auch die Träger haben sehr behutsam gehen müssen, denn der Boden mit dem Spätherbst- reif ist jetzt gar schlüpferig. Vor Jahren soll es gewesen sein. Da haben sie von den Almen einen Hirten herabgetragen, um ihn draußen auf dem Holdenschlager Kirchhof zur Ruhe zu bringen. Wie sie sich da oben an den schmalen Steigen der Miesenbachwände heraus- winden, strauchelt einer der Träger, und der Sarg rollt über den Hang und stürzt in den Abgrund, so daß nicht Ein Splitterchen davon mehr gesehen worden ist. Der Todtengräber zu Holdenschlag aber hat bezahlt werden müssen. Wir Winkelsteger haben keinen Todtengräber. Wir können ihn nicht ernähren. Wenn doch einmal Einer stirbt, so thut er’s nicht eher, als bis sein letzter Groschen verthan ist. So müssen eben ein par Holzerburschen her und die Grube ausschaufeln. Sie verlangen nichts dafür, sie sind froh, wenn sie aus der Grube frisch und gesund wieder hervor- kriechen mögen. Während der Todtenmesse ist der Sarg ganz allein vor der Kirche auf der harten Erde gestanden. Da kommt ein Vöglein geflogen, hüpft auf den Sarg- deckel und pickt und pickt, und flattert wieder davon. Der Rüppel hat es gesehen; und das sei, habe es ihn nicht betrogen, der Vogel gewesen, der alle tausend Jahr’ einmal in den Wald kommt geflogen. Nach der Messe haben wir die Ruß-Kath hinaufgetragen zum bereiteten Grab. Die An- gehörigen blicken starr in die Grube. Nach der Einsegnung hat der Pfarrer eine kurze Rede gehalten. Ich habe mir davon nur ge- merkt, daß wir durch den Tod der Unsern an Gleichmuth gewinnen für die Widerwärtigkeiten dieses Lebens, und einen ruhigen, ja vielleicht freudigen Hinblick auf unseren Tod. Jede Stunde sei ja ein Schritt dem Wiedersehen zu; und bis uns jene Pforte der Vereinigung wird aufgethan, leben unsere Heimgegangenen fort im heiligen Frieden unseres Herzens. Er kann’s auslegen. Wie es Unsereins wol auch empfindet, aber man weiß die Worte nicht dazu. Er hat die Sach’ nicht verlernt, und ist er gleich jahrelang oben im Felsenthal gewesen. Jetzt ist aber auch noch ein Anderer gekommen. Der Rüppel schiebt sich sachte vor, da machen ihm die Leute Platz: „Schauen, was der Rüppel heut’ weiß!“ Und als der Waldsänger auf dem Erdhügel steht und den Spattenstiel als Stock in der Hand hält, daß er auf dem lockeren Grund nicht strau- chelt, und als er einen Blick hinabthut auf den Schrein, da hebt er an zu reden: „Geboren ist sie worden vor neunzig Jahren. Ihr Lebtag ist sie mit keinem Rößlein gefahren. Mit ihren Füßen ist sie gegangen thalab und berg- auf ihren ganzen mühseligen Lebenslauf. Sie ist beigesprungen den Leuten in Kummer und Nöthen, und dabei hat sie hundert par Schuh’ zertreten. Und andere hundert par Schuh’ thät sie wagen, um ihren Kindern das Brot auf den Tisch zu tragen. Und weitere hundert par Schuh sind zerrissen auf Schmerzenswegen, die sie hat wandeln müssen. Für Tanz und sonstige Lustbarkeiten fürwahr, thät’ sie brauchen nicht ein einziges Paar. Dann hat sie angezogen die letzten Schuh’, und fortgegangen ist sie in die ewige Ruh’. Die heiligen Engel thaten ihre Seele führen wol durch das Fegfeuer bis zu den himmlischen Thüren. Und unter der Erde thut ruhen der arme Leib in seiner hölzernen Truhen. — Schlaf wohl, Kathrin, in deiner neuen Wiegen, wir werden bald an deiner Seiten liegen; bis der Herr uns thut wecken zu seinen heiligen Schaaren, auf daß wir mit Leib und Seel’ in den Himmel mögen fahren!“ — — — — — — — — — — „Der Rüppel wäre der Pfarrer für die Winkel- steger!“ hat nun der Mann gesagt, den sie den Einspanig geheißen. Als wir, ich und der Pfarrer, mit der Schaufel einige Erdschollen auf den Sarg geworfen, tritt der Ruß-Bartelmei ganz betrübt zu uns und frägt, was uns seine Mutter denn gethan habe, daß wir ihr noch in das Grab die Klösse nachschleuderten? Da haben wir es ihm dargelegt, daß das einen letzten Liebesdienst bedeute, und daß Erde die ein- zige Gabe sei, die man einem Todten zu Lieb könne reichen. Darauf hebt der Bartelmei an und schaufelt Erde hinab, bis man kein Stückchen mehr sieht von dem weißen Schrein und die Gräber ihm die Schaufel sanft aus der Hand nehmen, auf daß sie die Grube schließen. Nach dem Begräbnisse sind sie in das Wirths- haus des Graßsteiger gegangen und haben sich mit Branntwein erfrischt .... so wie auch die Alten ihren Todten haben nachgetrunken. Gott zählt seine Leute auch in Winkelsteg und da darf ihm Keines fehlen. Kaum ist auf dem Friedhofe das Gräblein zugemacht, wird in der Kirche das Taufbecken auf- gethan. Der erste Todte und der erste Täufling an Einem Tage und — aus Einer Familie. Auf demselben Waldweg, den heran vor ein par Stunden der Sarg ist geschwankt, haben zwei Weiber ein neugebornes Kind herübergetragen aus den Lautergräben. Das Kind ist eine Enkelin der Ruß-Kath und gehört der Anna Maria. Es klopst an die Kirchthür, thät’ bitten um die Taufe und heißen möcht’ es gern: Katharina. (Des zweiten Theiles Ende.) Die Schriften des Waldschulmeisters. (Dritter Theil.) Im Jahre 1830. Zur Winterszeit. Die sechzehn Jahre her, seit ich in den Winkel- wäldern bin, weiß ich keinen solchen Schnee, als in diesem Jahre. Schon seit Tagen kommt mir kein Einziges mehr in die Schule. Die Fenster meiner Stube sehen aus, wie Schießscharten. Wenn es noch ein wenig so fortgeht, so sind wir allmit- einander verschneit. Zweimal des Tages wird von mir bis zum Pfarrhofe ein Pfad ausgeschaufelt, der an der Thür des Graßsteigerhauses vorübergeht. In dem Graßsteigerhause haben wir, ich und der Pfarrer, unser gemeinschaftliches Mittagsmahl. Das Frühstück bereitet sich jeder in seiner Wohnung. Am Abende kommen wir stets zusammen, entweder im Pfarrhofe oder bei mir im Schulhause. Wie es nur denen in den Gräben und Kar- wässern gehen wird! Da drüben ist ein Schnee- gestöber noch viel wüster, als im Winkel. Es liegen um diese Zeit in den Häusern viel kranke Leute, und es werden sich keine Wege machen und erhalten lassen, daß sie einander beispringen könnten. Und über die Lauterhöhe zu kommen ist schon gar eine Unmöglichkeit. Die Markstangen, die an den Stei- gen stecken, gehen kaum mehr aus dem Schnee hervor; die Lasten auf den Bäumen reißen die Aeste ab und brechen die Stämme. Des Schneiens ist kein Ende. Keine Flocken fallen mehr, es ist ein schweres, undurchsichtiges Staubwirbeln. Und die Hauben der Geäste und Pfähle, und die Dachgiebel bauen sich höher von Minute zu Minute. Wenn ein Wind kommt, so rettet das viel- leicht den Wald, kann aber zu unserem Verderben sein. Eine Stunde Sturm über die lockeren Schnee- lehnen her, und wir sind begraben. Der Pfarrer hat alle Waldarbeiter, denen nur beizukommen ist, gedungen, daß sie Pfade herstellen in die Lautergräben, Karwässer, und daselbst von einer Hütte zur andern. Einmal sind sie richtig hinübergekommen, aber die Rückkehr ist wieder die neue Mühe. Die verschneiten Leute drüben werden doch vorgesorgt sein; sie haben ihre Welt ja in ihren Hütten. In einer Klause des Karwasserschlages soll wol schon seit fünf Tagen die Leiche eines alten Mannes liegen. Der Pfarrer hat sich heute Schneeleitern an die Füße gebunden, um bei den Kranken Besuche zu machen. Aber der Schnee ist zu locker, der Mann hat wieder umkehren müssen. Nun macht er Paketchen zusammen, sie sind aus der Speisekammer unseres Wirthes und sollen durch kräftige Holz- hauer in die Lautergräben zu den Kranken getragen werden. Das sind kurze Tage und doch so lang. Ich habe meine Zither, habe die neue Geige, die mir der Pfarrer zu meinem jüngstvergangenen Namens- tage hat bringen lassen; ich habe andere Dinge, die mir sonsten Zerstreuung geboten haben. Aber jetzt muthet mich nichts an. Stundenlang gehe ich in der Stube auf und ab und denke nach, was dieser Winter noch für Folgen haben kann. Es gibt Hütten genug in den Gräben, wo die Leute mit ihren Schaufeln nicht gewesen sind. Wir wissen nicht, wie es in denselben aussieht. Auf daß ich mich von der drückenden That- losigkeit erlöse, habe ich heute die Lade unter der Ofenbank aufgemacht und meine alten Tagebuch- blätter herausgenommen, um nachzuschlagen, was die Gemeinde seit ihrem Bestehen für Schicksale gehabt. Da sehe ich, es ist seit zehn Jahren nichts mehr geschrieben worden. — Zwei Dinge mögen die Ursache gewesen sein, daß ich die Aufzeichnungen unterbrochen habe. Erstens ist das Bedürfniß nicht Rosegger: Waldschulmeister. 21 mehr in mir gewesen, meine Gedanken und meine Empfindungen aufzuschreiben, da ich an unserem Pfarrer einen vortrefflichen Freund ge- funden habe, dem ich mich unverholen mittheilen kann, wie er sich mir mittheilt, und mir seine selt- same Lebensgeschichte dargelegt, ehe er mich noch gekannt hat. Das ist einer der Wenigen, die durch Drangsale geläutert edel und rein aus den Wirren und Irren der Welt hervorgehen. Die Wäldler lieben ihn von Herzen; er leitet sie nicht durch Worte bloß, sondern mehr durch seine Thaten. Seine Sonntagspredigten erhärtet er an den Wochen- tagen durch Beispiele. Er opfert sich auf, er ist den Leuten Alles. Seine Haare sind nicht mehr schwarz, wie vormaleinst im Felsenthale, sein Ge- sicht ist ernst und heiter wie Regenbogenschein. Die Betrübten blicken ihm in die Augen und empfinden Trost. Gerne erzählt er, wenn wir auf der Bank oder um den Tisch beisammen sitzen, von der weiten, schönen Welt, von fremden, merkwürdigen Ländern, von den Wundern der Natur. Pfeifenfeuer gehen dabei aus, denn Alles hört ihm zu mit Ohren und Mund. Nur die alte Frau aus dem Winkelhüter- hause erklärt des Pfarrers Erzählungen für vor- witzige Fabeleien; ein ordentlicher Priester, meint sie, müsse hübsch von Himmel und Fegfeuer reden, und nicht allweg von der Erden. Sie horcht aber zu und schmunzelt. Vor mehreren Jahren hat die kirchliche Be- hörde unsere Pfarrerfrage einmal aufgetischt, hat unseren Vater Paul nicht anerkennen wollen, son- dern einen Neuen hereinzustellen Miene gemacht. Hei! da haben die Winkelsteger zu toben angefan- gen und die Sache ist beim Alten belassen worden. Dagegen aber wird Winkelsteg draußen nicht als Gemeinde und Seelsorge anerkannt, sondern als eine Niederlassung von Halbwilden und verkommenen Menschen, wie sie das früher gewesen. Um so besser, so lassen sie uns fürder in Ruh, und wir können ungefährdet und unbeschränkt — wie sie es draußen nicht können noch wollen — dem Ziele einer Mustergemeinde zustreben. Die zweite Ursache der Vernachlässigung mei- nes Tagebuches ist die viele und mannigfaltige Arbeit, die mein Beruf mir auferlegt. Anfangs ist es der Bau des Schulhauses ge- wesen, der mir keine Ruhe gelassen. Es ist denn hergestellt worden, wie ich es für die wichtige Sache am Zweckmäßigsten halte. Das Haus ist aus Holz aufgeführt. Das Holz regelt den Wärmezustand besser, als der Stein, auch zerstreut es mehr die Dünste und gibt frische Luft. Dann ist mir darum zu thun gewesen, den 21* Leuten einen zweckmäßigen und geschmackvollen Holz- bau als Muster aufzustellen. Es ist zu meiner Freude die leichte, zierliche und doch haltfeste Art meines Schulhauses und seine bequeme Eintheilung und Einrichtung schon vielfach nachgeahmt worden. Meine Fenster, Thüren, Maurer- und Schlosser- arbeiten werden bereits von der ganzen Umgebung als mustergiltig betrachtet. Um das Haus ist ein Garten und ein geräu- miger Spielplatz mit Werkzeugen für körperliche Uebungen angelegt. Das Haus ist zum Schutze gegen die Unbill der Witterung ringsum mit einem breiten Vordache versehen, aber so, daß es dem Lichte des Inneren nicht Eintrag thut. In der Schul- stube ist vor Allem auf die Gesundheit der Kinder Rücksicht genommen worden. Die Bänke stehen nicht zu dicht aneinander und die Tischläden sind hoch, damit sich die Schüler das gebückte Sitzen nicht angewöhnen. Bei dem Lesen lasse ich den Schüler aufstehen, damit er das Buch von den Augen in entsprechender Entfernung halten kann. Die Fenster sind so vertheilt, daß das Licht den Arbeitenden von der linken Seite oder von rückwärts kommt. Zum Ablegen der Ueberkleider ist ein Vorkämmerchen eingerichtet, auf daß bei schlechtem Wetter uns die Ausdünstung der Nässe nicht gefährlich wird. Den Wärmegrad der Stube suche ich immer mit jenem von draußen in einem guten Verhältniß zu halten, damit die Ein- und Austretenden nicht ein zu jäher Wechsel treffe. Was meine Wohnung im Schulhause an- belangt, so ist sie nicht groß, aber sehr traulich. Und tausendmal traulicher noch macht sie mir jene Winterfahrt durch Rußland, der ich zuweilen wie eines wilden Traumes gedenke. — Wol, ich bin seit jenem Traume um viele Jahre jünger geworden; wie mich die Stürme der Welt zu Boden geschla- gen, so habe ich mich aufgerichtet an der Ursprüng- lichkeit des Waldes. Ein weit schwereres Amt als die Schulange- legenheiten und eine weit größere Pflicht ist mir die Ueberwachung der geistigen Gesundheit der mir Anvertrauten. Klugheit und für ihren eigenen Vor- theil zu denken und zu handeln lernen sie leicht; aber sich dem Ganzen und Gemeinsamen anzupassen, daß ihr Dasein mit jenem der Mitmenschen und jenem der Außenwelt im Allgemeinen stimme, das findet sich viel schwerer. Es ist einmal so. Das erste und allererste Lebenszeichen, welches in dem jungen Menschenkinde die aufkeimende Seele von sich gibt, ist die erste Offenbarung der Selbstliebe. Ob Menschenliebe daraus wird, oder Selbstsucht, das entscheidet die Erziehung. Was die Erziehung und Belehrung der Kinder anlangt, so sind dazu die gewöhnlichen Regeln all- hier nicht brauchbar. Es läßt sich darüber nichts sagen und nichts schreiben; die Erfahrung muß es geben und der Erzieher muß sich nach dem Zögling richten. Richtet sich doch auch unser Pfarrer nach den Leuten. Wo die Menschen sich nicht nach ihm kehren, da kehrt er sich nach den Menschen. Gleich ein Beispiel dafür: Der Lazarus Schwarzhüter sieht des Graßsteigers Töchterlein Johanna gern. Das Töchterchen mag auch den Burschen leiden; so gucken sie zusammen. Jetzt hat aber der Pfarrer das Zusammengucken so junger Leute verboten. Gut, er hat das Recht zu predigen; sie gucken zusammen und vermeinen dazu auch ein Recht zu haben, ein Recht, von dem der Lazarus erklärt hat, daß sie nimmer davon lassen wollen. Wolan, denkt sich der Pfarrer, sie sollen sich haben; zusammenbinden werde ich die Leutchen — fester, als ihnen vielleicht lieb ist. Waldlilie im Schnee. Im Winter 1830. Uns ist ein Stein vom Herzen. Das Unwetter hat sich gelegt. Ein ganz leichter Wind ist gekom- men, hat die Bäume sachte von ihren Lasten erlöst. Ein par mildwarme Tage sind gewesen, da hat sich der Schnee gesetzt und man kann mit Fußleitern gehen, wohin man will. Es hat sich in dieser Zeit aber doch was zu- getragen drüben in den Karwässern. Der Berthold, dessen Familie von Jahr zu Jahr wächst, und von Jahr zu Jahr weniger zu essen hat, ist ein Wilderer geworden. Der Holdenschlager versteht es besser, als Unsereiner, der ein weichmüthiger Spiegelfechter ist sein Lebtag lang. Arme Leute dürfen nicht heiraten, sagt der Holdenschlager. Nun, nach Sitte und Brauch haben sie freilich nicht geheiratet, aber vor mir sind sie gekniet im Walde .... und — jetzt hungern sie allmiteinander. Meinetwegen? Nein, nein, mein Segen be- deutet ja nichts. O Herrgott, Dein ist die Macht, und mich lasse nicht noch einmal versinken in Schuld und Verzweiflung! Ist also ein Wilderer geworden, der Berthold. Das Holzen wirft viel zu wenig ab für eine Stube voll von Kindern. Ich schicke ihm an Lebens- mitteln, was ich vermag; aber das genügt nicht. Für das kranke Weib eine kräftige Suppe, für die Kinder ein Stück Fleisch will er haben und schießt die Rehe nieder, die ihm des Weges kommen. Dazu thut die Leidenschaft das ihre, und so ist der Berthold, der vormaleinst als Hirt ein so guter, lustiger Bursch gewesen, durch Armuth, Trotz und Liebe zu den Seinigen, recht sauber zum Verbrecher herangewachsen. Einmal schon bin ich vor dem Förster auf den Knieen gelegen, daß er es dem armen Familien- vater um Gotteswillen ein wenig, nur ein klein wenig nachsehen möge, er werde sich gewiß bessern und ich wolle mich für ihn zum Pfande stellen. Bis zu diesen Tagen hat er sich nicht gebessert; aber das Geschehniß dieser wilden Wintertage hat ihn laut weinen gemacht, denn seine Waldlilie liebt er über Alles. Ein trüber Winterabend ist es gewesen. Die Fensterchen sind mit Moos vermauert; draußen fallen frische Flocken auf alten Schnee. Berthold wartet bei den Kindern und bei der kranken Aga nur noch, bis das älteste Mädchen, die Lili, mit der Milch heimkehrt, die sie bei einem nachbarlichen Klausner im Hinterkar erbetteln muß. Denn die Zie- gen im Hause sind geschlachtet und verzehrt; und kommt die Lili nur erst zurück, so will der Berthold mit dem Stutzen in den Wald hinauf. Bei solchem Wetter sind die Rehe nicht weit zu suchen. Aber es wird dunkel, und die Lili kehrt nicht zurück. Der Schneefall wird dichter und schwerer, die Nacht bricht herein und Lili kommt nicht. Die Kinder schreien schon nach der Milch, den Vater verlangt schon nach dem Wild; die Mutter richtet sich angstvoll auf in ihrem Bette. „Lili!“ ruft sie, „Kind, wo trottest denn herum im stockfinsteren Wald? geh’ heim!“ Wie kann die schwache Stimme der Kranken durch den wüsten Schneesturm das Ohr der Irren- den erreichen? Je finsterer und stürmischer die Nacht wird, desto tiefer sinkt in Berthold der Hang zum Wil- dern und desto höher steigt die Sehnsucht nach seiner Waldlilie. Es ist ein schwaches, zwölfjähriges Mädchen; es kennt zwar die Waldsteige und Ab- gründe, aber die Steige verdeckt der Schnee, den Abgrund die Finsterniß. Endlich verläßt der Mann das Haus, um sein Kind zu suchen. Stundenlang irrt und ruft er in der sturmbewegten Wildniß; der Wind bläst ihm Augen und Mund voll Schnee; seine ganze Kraft muß er anstrengen, um wieder zurück zur Hütte gelangen zu können. Und nun vergehen zwei Tage; der Schneefall hält an, die Hütte des Berthold wird fast ver- schneit. Sie trösten sich überlaut, die Lili werde wol bei dem Klausner sein. Diese Hoffnung wird zu nichte am dritten Tag, als der Berthold nach einem stundenlangen Ringen im verschneiten Ge- lände die Klause vermag zu erreichen. Lili sei vor drei Tagen wol bei dem Klausner gewesen, und habe sich dann bei Zeiten mit dem Milchtopf auf den Heimweg gemacht. „So liegt meine Waldlilie im Schnee be- graben,“ murmelt der Berthold tonlos. Dann geht er zu anderen Holzern und bittet, wie diesen Mann kein Mensch noch so hat bitten gesehen, daß man komme und ihm das todte Kind suchen helfe. Am Abende desselben Tages haben sie die Waldlilie gefunden. Abseits in einer Waldschlucht, im finsteren, wildverflochtenen Dickichte junger Fichten und Ge- zirme, durch das keine Schneeflocke vermag zu dringen, und über dem die Schneelasten sich wölben und stauen, daß das junge Gestämme darunter ächzt, in diesem Dickichte, auf den dürren Fichtennadeln des Bodens, inmitten einer Rehfamilie von sechs Köpfen ist die liebliche, blasse Waldlilie gesessen. Es ist ein sehr wunderbares Ereigniß. Das Kind hat sich auf dem Rückweg in die Waldschlucht verirrt und da es die Schneemassen nicht mehr überwinden können, sich zur Rast unter das trockene Dickicht verkrochen. Und da ist es nicht lange allein geblieben. Kaum ihm die Augen anheben zu sinken, kommt ein Rudel von Rehen an ihm zusammen, Alte und Junge; und sie schnuppern an dem Mäd- chen und sie blicken es mit milden Augen völlig verständig und mitleidig an, und sie fürchten sich gar nicht vor diesem Menschenwesen, und sie blei- ben und lassen sich nieder, und benagen die Bäum- chen und belecken einander, und sind ganz zahm; das Dickicht ist ihr Winterdaheim. Am andern Tage hat der Schnee Alles ein- gehüllt. Waldlilie sitzt in der Finsterniß, die nur durch einen blassen Dämmerschein gemildert ist, und sie labt sich an der Milch, die sie den Ihren hat bringen wollen, und sie schmiegt sich an die guten Thiere, auf daß sie im Froste nicht ganz erstarre. So vergehen die bösen Stunden des Verloren- seins. Und da sich die Waldlilie schon hingelegt zum Sterben und in ihrer Einfalt die Thiere hat gebeten, daß sie getreulich bei ihm bleiben möchten in der letzten Sterbstunde, da fangen die Rehe jählings ganz seltsam zu schnuppern an und heben ihre Köpfe und spitzen die Ohren und in wilden Sätzen durchbrechen sie das Dickicht und mit gellen- dem Pfeifen stieben sie davon. Bald darnach arbeiten sich die Männer durch Schnee und Gesträuche herein und sehen mit lautem Jubel das Mädchen, und der alte Rüppel ist auch dabei und ruft: „Hab’ ich nicht gesagt, kommt mit herein zu sehen, vielleicht ist sie bei den Rehen!“ So hat es sich zugetragen; und wie der Berthold gehört, die Thiere des Waldes hätten sein Kind gerettet, daß es nicht erfroren, da schreit er wie närrisch: „Nimmermehr! mein Lebtag nimmer- mehr!“ Und seinen Kugelstutzen, mit dem er seit manchem Jahre Thiere des Waldes getödtet, hat er an einem Stein zerschmettert. Ich habe es selber gesehen, denn ich und der Pfarrer sind in den Karwässern gewesen, um die Waldlilie suchen zu helfen. Diese Waldlilie ist schier mild und weiß wie Schnee und hat die Augen des Rehes in ihrem Haupte. Im Winter 1830. Von dem Sohne unseres Herrn wollen die Gerüchte nicht schweigen. Wenn es auch nur zur Hälfte wahr ist, was von ihm gesagt wird, so ist das ein toller Mensch. So fährt kein Vernünfti- ger drein. Ich will mir’s doch anmerken und demnächst seinem Vater schreiben. Hermann möge einmal in unseren Wald hereinkommen und sehen, wie es allhier aussieht und wie arme Leute leben. So Gebirgsreisen können auch von Nutzen sein. Weihnachten 1830. In der heiligen Christnacht sind die Leute schon wieder von allen Seiten herbeigekommen. Die von den Spanlunten abgefallenen Glühkohlen sind lustig hingeglitten über die Schneekruste wie Stern- schnuppen. Viele Wäldler sind in ihrer Sehnsucht nach der mitternächtigen Feier ein gut Stück zu früh daran. Da die Kirche noch nicht aufgesperrt und im Freien es so kalt ist, so kommen sie zu mir in das Schulhaus. Ich schlage Licht und da ist bald die ganze Schulstube voll Menschen. Die Weiber haben weiße, bandartig zusammengelegte Tücher um das Kinn und über die Ohren hinaufgebunden. Sie huschen recht um den Ofen herum und blasen in die Finger, um das Frostwehen zu verblasen. Die Männer halten sich fest in ihren Loden- gewändern verwahrt. Sie behalten die Hüte auf den Köpfen, sitzen auf den Tischbrettern der Schul- bänke und besehen mit wichtigthuender Bedächtigkeit die Lehrgegenstände, welche die Jüngeren den Ael- teren erklären. Einige gehen auch über den Boden auf und ab und schlagen bei jedem Schritte die gefrornen Schuhe aneinander, daß es klappert. Fast Alle rauchen aus ihren Pfeifen. Der Urwald ist auszurotten, aber das Tabakrauchen nimmer. Ich kleide mich rasch an; ich soll in der Kirche doch der Erste sein. Jählings klopft es sehr stark an die Thür. Die Waldleute klopfen nicht, wer ist es also? Eine weiße Schafwollenhaube guckt herein, und unter der Haube steckt ein alter Runzelkopf mit schneeweißen Lockensträhnen. Alsogleich erkenne ich den Wald- sänger. Heute trägt er einen gar langen, fahlen Rock, der bis zu den Waden hinabgeht und mit Messinghäckelchen zugeknöpft ist. Darüber hängt ein Schnappsack und eine Seitenpfeife, und auf einen Hirtenstab stützt sich der Alte und seinen braunen, weltumfassenden Hut hält er in den Händen. Dieser Hut ist seine Hütte und sein Heim und seine ganze Welt. Ein guter Hut, denkt er, ist das Beste im Weltgetümmel, und der Erde Hut nennen sie den Himmel. „Was hocket ihr denn da, ihr Bärenhäuter!“ ruft der Rüppel laut und lustig, „draußen scheint schon lang die Sonnen! — Gelobt sei der Herr, und ich bring’ euch die wundersame Mähr, die sich heut zugetragen hat drunten in der Betlehemstadt. Hört ihr keine Schalmei und kein Freudengeschrei? So luget zum Fenster hinaus, taghell beleuchtet ist jedes Haus!“ Die Leute stecken ihre Köpfe richtig zu den Fenstern; aber da ist nichts, als der finstere Wald und der Sternenhimmel. — Was sollten sie an- sonsten denn noch sehen? Der Alte guckt schmunzelnd nach links und nach rechts, wie viel er wol Zuhörer habe. Sonach stellt er sich mitten in die Stube hin, pocht mit dem Stocke mehrmals auf den Fußboden und hebt so an zu reden: „Da steh ich allein draußen auf der Heid, und schau schläfrig herum weit und breit, und treib meine Schäflein zusamm; hab dabei gehabt ein wutzerlfeist’s Lamm. Und wie ich das anschau eine Weil, da hör ich ein G’hetz und ein G’schall, grad hoch in der Luft, es ist wahr, und sie musiziren sogar. Ich hab nit g’wußt, was das bedeut’t, und wer denn da tobt so mit Freud. Die Lämmlein sein g’sprungen drauf eins nach dem andern auf; das feiste hat so lieblich plärrt, wie es das Wunder hat g’hört. Drauf seh ich — hab g’meint, ’s ist ein’ Mähr, kleine Bub’n fliegen in Lüften umher, wie die Spatzen und die Fledermäus grad, fliegen sie hin über die Betlehemstadt. — Ein Engel fliegt grad auf mich zua, den frag ich: was gibt’s denn heut, Bua? Da schreit er gleich lustig und froh: Gloria in excelsis Deo ! — Das kunnt ich, mein Eid nicht verstehn: Geh, Bübel, mußt deutsch mit mir red’n; ich bin ein armer Hirt in der G’mein, und die Lämmlein können auch nit latein. — So mach sich der Hirt nur geschwind auf und geh Er nach Betlehem drauf, dort wird er finden ein neu- gebor’n Kindelein; ja gar ein wunderschön Kind, liegt zwischen Esel und Rind. Nicht in einem Königssaal, nur in einem Ochsenstall liegt unser eing’fatschter Gott, der uns hilft aus aller Noth. — Ei, ei, sag ich, Alles recht schön, aber Eins kann ich doch nicht versteh’n: Was steh’n denn für bucklige Rösser dabei? Die heilig drei König sein da alle drei. Guld, Weihrauch und Myrrhen, das ist nit gar viel für drei solche Männer, wenn man’s nehmen will. Thät’ ich ein heilig drei König sein, Roß und Wagen ein Pölsterl fein, und für’n alten Vater ein gut’s Glaserl Wein, und für die jung’ Mutter, statt Weihrauch schon eh ein gutes Stückel Butter und ein Hollerthee, und statt die gallbitteren Myrrhen einen Zuckerhut; solche G’schenk stünden den heilig drei König gut. — Jetzt, d’Hüt legt’s auf die Seiten, die Stecken auf die Erden, daß wir uns bekennen vor Gott unserem Herrn.“ Langsam läßt der alte Mann Stock und Hut zu Boden gleiten; er sinkt auf die Knie und faltet die Hände: „Wenn’s einmal geschehen sollt, daß der Herr Vater Dein, dich, du lieb Jesulein, zu sich nehmen wollt, so streck dein Händl, und nimm uns beim Schopf; aber gib Acht, daß du uns nicht wegreiß’st den Kopf, und ruck an, und heb uns All’ hinauf in den guldenen Himmelssaal, Amen.“ Das ist des alten Sängers „Botschaft,“ die er während der Weihnachtszeit in allen Häusern verkündet. Wir haben ihm einen kleinen Botenlohn ge- geben, da murmelt er noch ein par heitere Sprüche und humpelt wieder zur Thür hinaus. Die Leute sind ganz schweigsam und andächtig geworden; und erst, als die Kirchenglocken zu läuten anheben, werden sie wieder lebendiger und verlassen, unbeholfen in Worten und Geberden, die Stube. Rosegger: Waldschulmeister. 22 Ich habe das Licht ausgelöscht, das Haus ver- schlossen und bin in die Kirche gegangen. In der Kirche ist es licht, wie am hellen Tage, nur zu den Fenstern schaut die schwarze Nacht herein. Jeder hat ein Stück Kerze, oder gar einen ganzen Wachs- stock mitgebracht, denn in der Christnacht muß jeder seinen Glauben und sein Licht haben. Die Leute drängen sich zum Kripplein, das heute an der Stelle des Beichtstuhles aufgerichtet worden ist. Ich habe vor mehreren Jahren aus Linden- und Eschen- holz die vielen kleinen Figuren geschnitzt und sie zur Versinnlichung der Geburt Christi zusammen- gestellt. Es ist der Stall mit der Krippe, dem Kind- lein mit Maria und Josef, mit Ochs und Esel, es sind die Hirten mit den Lämmlein, die heiligen Könige mit den Kameelen; es sind andere spaßhafte Männchen und Gruppen, wie sie Freude, Wohlthun und Liebe zum Christkinde nach der Leute Auf- fassung ausdrücken sollen. In der Luft hängen die Engel und die Sterne und im Hintergrunde ist die Stadt Betlehem. Was der Rüppel weiß zu sagen in Worten, das will ich durch diese Bilder erzählen. Und die Leute erbauen sich baß an dieser wundernärrischen Darstellung. Aber sie halten sie, Gott sei Lob, eben nur wie ein Bild, von dem sie wissen, daß es nichts bedeuten und nichts wirken kann, als die Erinnerung. Mit einem Heiligenbilde auf dem Hochaltare wäre das anders; das hätten sie Jahr um Jahr und in allen Lebenslagen vor Augen, das thäten sie gleich zum Herrgott selber machen. Auf dem Chor ist in dieser Nacht Unheil ge- wesen. Der Pfarrer stimmt schon das ambrosianische Loblied an, ich sitze an der Orgel und ziehe zur hohen Festfreude alle sechs Stimmenzüge auf — da platzt jählings der Blasebalg, und die Orgel stöhnt und pfaucht und gibt keinen einzigen, klin- genden Ton. Meiner Tage bin ich nicht in solcher Verzweiflung gewesen, als in dieser Stunde. Ich bin der Schulmeister, der Choraufseher, ich muß Musik machen; und die Musik ist ja eigentlich das Fest und ohne Musik gibt es in der Kirche gar keine Christnacht. Aller Leut’ Herzen hüpfen, aller Leut’ Ohren spitzen sich der Musik entgegen, da schürft mir der Teufel jetzt den Blasbalg auf. Ich habe meinen Kopf in die Hände genommen, hätte ihn am liebsten zum Fenster hinausgeworfen. Ver- gebens hüpfen meine Finger alle zehn über die Tasten hin; taubstumm ist das ganze Zeug und wie maustodt. Der Paul Holzer, sein Weib und die Adel- heid von der Schwarzhütte, die auf dem Chore neben mir sitzen, merken wol meine Pein, aber sie rücken nur so her und hin und hüsteln und räuspern 22* sich und heben an in hellen Stimmen zu singen: „Herrgott, dich loben wir all!“ Das ist mir Oel in’s Herz gewesen. Aber das Lied wird bald aus sein und dar- nach kommt das Hochamt, und da muß Musik, Chormusik sein um alle Welt. Holpert der alte Rüppel die Treppe herauf: „Schulmeister! will schon heut die Orgel schweigen, so nimm die Geigen!“ „O Gott, Rüppel, die ist zu Holdenschlag beim Leimen!“ „Und kunnt ich auch die Geigen nicht zu Wege bringen, so thät ich bei meiner Treu die Kirchen- lieder frei auf der Zither singen!“ Für dieses Wort habe ich den Alten so stür- misch umarmt, daß er bis in’s Herz hinein er- schrocken ist. Ich eile und hole die Zither, und bei dem Hochamte klingt auf dem Chor ein Saiten- spiel, wie es in dieser und etwan auch in einer andern Kirche niemalen so gehört worden ist. Die Leute horchen, der Pfarrer selber wendet sich ein wenig und thut einen kurzen Blick gegen mich herauf. Und so ist mitten in der langen Winternacht zu Winkelsteg das Christfest gefeiert worden. Leise zittern, mild wiegen die Saitentöne; sie singen dem neugebornen Jesukindlein das Wiegenlied und dem Menschen den Frieden. Und sie schrillen und wecken das schlafende Kind, ehe der falsche Herodes kommt; und sie trillern ein Wanderliedchen für die Flucht nach Egypten. Ich spiele den Meßgesang, spiele Lieder, wie sie meine Mutter gesungen, und mein Nährvater, der gute Schirmmacher, und im Hause des Frei- herrn die Jungfrau .... Und letztlich weiß ich selber nicht mehr, was ich kindischer Mann der Gemeinde und dem heiligen Kind hab vorgespielt in dieser Christnacht. Ich werde den Winkelstegern noch so verrückt, wie der Reim-Rüppel. Nach dem Mitternachtsgottesdienst hat der Pfarrer durch mich die Aermsten der Gemeinde, die Alten, die Breßhaften, die Verlassenen, zu sich in den Pfarrhof rufen lassen. Je! da ist es noch heller, wie in der Kirche! da ist mitten in der Stube ein Baum aufgewachsen, und der blüht in Flammenknospen an allen Aesten und Zweigen. Da gucken die alten Männlein und Weiblein gottswunderlich drein, und kichern und reiben sich die Augen über den närrischen Traum. Daß auf einem Baum des Waldes eitel Kerzenlichter wachsen, das haben sie all ihrer Tage noch nicht gesehen. — Jenes Wundervöglein von den tausend Jahren, sagt der Pfarrer, sei wieder durch den Wald geflogen, habe ein Saamenkorn in den Boden gelegt und dem sei dieses Bäumchen mit den Flammenblüthen entsprossen. Und das sei der dritte Baum des Lebens. Der erste sei gewesen der Baum der Erkenntniß im Paradiese; der zweite sei gewesen der Baum der Aufopferung auf Golgatha; und dieser dritte Baum sei der Baum der Menschen- liebe, der uns das Golgatha der Erde wieder zum Paradiese gestalte. Im brennenden Dornbusch habe Gott vormaleinst die Gebote verkündet, und in diesem brennenden Busche wiederhole er es heute: Du sollst den Nächsten lieben, wie dich selbst! Hierauf hat der Pfarrer die Kleidung und Nahrung vertheilt, wie die Gaben bestimmt gewesen und die Worte gesagt: „Nicht mir danket! das Christkind hat’s gebracht!“ „Du mein, du mein!“ rufen die Leutchen zu einander, „jetztund steigt uns das Christkind schon gar in den Wald herein! Ja, weil wir halt eine Kirche haben, und so viel einen guten Herrn Pfarrer!“ Der Rüppel, auch einer der Beschenkten, ist allein kindischer, wie die Andern all mitsammen. Er eilt um den Baum herum, als thäte er das Christkind suchen im Gezweige. — „Aber mein!“ schreit er endlich, „die Sonne darf nicht bös auf mich werden, aber ich weiß kein Licht auf der Erden, weiß keins zu nennen, das so hell thät brennen, wie dieser Wipfel mit seinem Gipfel! Seid fein still und lauscht! Hört ihr’s, wie’s in den Zweigen rauscht? Wie die Spatzen fliegen die Engelein und bauen ein Nest für’s Christkind zum heiligen Fest. Der Weiße dort, der Kleine — Flügel hat er noch keine — der wär’ jetzt schier herab- gefallen. Geh, lass’ dir ein par Steigeisen theilen vom Schmied, ich will sie schon zahlen. Schau, ich hab heut ein warm Jöpplein kriegt, und in jedem Säckel ein Thaler liegt. — Und du, mit dem gul- denen Haar, sag, wann kommt ihr gar zu allen anderen Bäumen in unseren Wald? auf daß ihr bald thätet anzünden die Lichterkronen zu tausend Millionen!“ Keinen Löffel voll hat der alte Rüppel ge- gessen, als die andern beim Graßsteiger warme Suppe genießen. Und als Stroh in die Stube ge- tragen und ein Lager bereitet ist worden, daß die Leutchen nicht in der Nacht zu ihren fernen Hütten wandern müssen, da ist der Rüppel hinausgegangen unter den freien Himmel, und hat die Sterne ge- zählt und jedem einen Namen gegeben. Und der aufgehende Morgenstern hat den Namen „Vater Paul“ erhalten. Der Pfarrer hat sich mehrmals an den Wald- herrn gewendet, auf daß den Kleinbauern hier, die sich den schlechten Boden mit vieler Mühe nutzbar gemacht haben, dieser Boden gegen Entgeld zu eigen überlassen werden möge. Es ist aber kein Bescheid zurückgekommen. Es heißt, der alte Herr sei auf Reisen und der junge in der Hauptstadt, und die Welt sei zu weit und die Hauptstadt zu laut, als daß so ein Wort aus dem Walde gehört werden könne. Wir Winkelsteger bleiben denn Lehensleute. Am 14. des Eismonats 1831. Heute habe ich die Nachricht von dem Tode meiner Base, der Muhme-Lies, erhalten. Sie hat mich zu ihrem Erben eingesetzt. Alte Jugend- bekannte, die sich seit zwanzig Jahren nicht mehr um mich gekümmert haben, beglückwünschen mich zur Erbschaft. Ich weiß aber noch nichts Näheres. Wie viel kann die alte Frau denn besessen haben? Wol war sie reich gewesen, hat aber Alles in Glücksspielen versetzt. Und wenn nur Ein Groschen ist, und wenn gar nichts ist — bei meiner Seel’, so freut es mich doch, daß sie meiner gedacht hat. Sie hat mir es stets wolgemeint. Jetzt hab ich gar keinen Ver- wandten mehr auf dieser Welt. Ostern 1831. In den Winkelwäldern müssen die kirchlichen Feste und Darstellungen das ersetzen, was sie draußen in der Welt die Kunst nennen. So wie ich nach meinem armen Können für die Weihnachtszeit ein Kripplein aufgestellt, so hat nun der Ehrenwald mit seinen Söhnen ein Grab Christi geschaffen. Da stehen im Seitenschiffe der Kirche vier hohe, mit Bildern aus der Leidensgeschichte gezierte Bretterbogen, wie Eingangspforten, die von der vordersten bis zu der hintersten immer enger und dunkler werden. Und im dämmerigen Hintergrunde ist in einer Nische die Grabesruh Jesu, und darüber der Tisch für das Heiligste, umgeben von einem Kranze bunter Lampen. An beiden Seiten des Grabes stehen zwei römische Kriegsknechte zur Wacht. Bei der Feier der Auferstehung verschwindet der Leichnam und in dem Lampenkranze erhebt sich das Bild des auferstandenen Heilandes mit den Wund- mahlen und mit der Fahne. Ein tiefer Reiz liegt in der ganzen Begehung. — Die Fastenzeit schreitet vor, wird ernster und ernster; die Musik verstummt wochenlang, die Bild- nisse verhüllen sich. Es naht die Charwoche, der würdevolle Palmsonntag, der geheimnißreiche Grün- donnerstag, der düstere, tiefbetrübte Charfreitag, der stille Samstag. In der ernsten Ruhe liegt ein Ahnen und Sehnen und leise mahnt des Profeten Wort: Sein Grab wird herrlich sein! — Noch einmal verdüstert sich das Gotteshaus, wie Golgatha in der Finsterniß; aber die rothen und grünen Lampen glühen, die Festkerzen strahlen — da erschallt hell und freudevoll der Ruf: Er ist auferstanden! — Jetzt klingen die Glocken, klingt die Musik, knallen die Pöller; und die Fahnen wehen, und die Menschenschaar zieht in das Freie, und ihre Lichter flammen in Abenddämmerung hin durch den Wald. In den Städten haben sie einen noch viel größeren, einen schweren Prunk. Aber wo nehmen sie die Stimmung und wo nehmen sie die wahre, hoffende Freude an der Auferstehung, die in der gläubigen Armut liegt! Lenzmonat 1831. Ich hebe bereits an, aus der Erbschaft Bauten aufzuführen. Ich baue mir in Winkelsteg ein großes, schönes Haus, größer, wie der Pfarrhof. Den Plan dazu hab ich schon fertig. Aber ich selber mag darin nicht wohnen, so lang ich, gleichwol so jung an Jahren, die Schulmeisterei mag betreiben. Ein- mal dem alten Kropfjodel gebe ich im Hause ein Stübchen; und die alte, kinderlose Brunhüterin aus den Karwässern führe ich hinein und die kranke Aga; dann führe ich den Markus Jäger herbei, der erblindet ist, und den Josef Ehrenwald, den ein fallender Baum geschädigt hat. Und Andere und Andere, und so wird das große Haus nach und nach voll werden. Es torkeln viele mühselige Leute herum in den Winkelwäldern. Einen Arzt und frische Arzneien stelle ich ihnen auch her, das heißt, wenn das Geld auslangt. Dann nehme ich possirliche Leute auf, die viel Musik machen und ansonsten allerhand unterhaltlich Spiel treiben. Ein Armenhaus muß man nicht auch noch mit Einsamkeit und Trübsal umgeben; die lustige Welt soll ihm zu allen Fenstern herein- lugen und sagen: ihr seid auch noch mein und ich lass’ euch nicht fahren! Den Baugrund für dieses Haus brauche ich heute noch nicht zu zahlen, denn ich baue einstweilen mein Schloß nur so in die Luft hinein. Die Erb- schaft ist noch nicht da. Aber es heißt, meine Base hätte im Glücksspiel große Summen gewonnen. Dem alten Rüppel werde ich im neuen Armen- hause das freundlichste Kämmerlein weisen. Der arme Mann ist schier ganz verlassen. Seine Sprüche lohnen die Leute kaum mehr mit einem Stück Brot. Sie haben vergessen, wie sie vormaleinst zu festlichen Stunden so oft von den heiterfrommen Liedern erbaut worden sind, wie sie gelacht und geschluchzt haben dabei, und wie sie so oft zu ein- ander gesagt haben: „’s ist, wie wenn der heilige Geist aus ihm thät reden.“ Freilich wol ist bei dem Alten heute nicht mehr viel zu holen und er wird schon recht kindisch und närrisch. Jetzund hat er sich aus Baumästen einen Reifen gebogen und in demselben eitel Strohhalme wie Saiten aufgezogen. Das ist seine Harfe, er lehnt sie an seine Brust, legt die Finger auf die Halme und murmelt seine Gesänge. Es ist ein wunderlicher Geselle, wenn er so dasitzt auf einem Stein im Waldesdunkel, gehüllt in seinen fahlfarbigen, weiten Mantel, umwuchert von seinem langen, schneeweißen Bart, von seinen schimmernden Lockensträhnen, die voll und wild über die Achsel wallen. Sein starres, thautrübes Auge richtet er zu den Wipfeln empor, und singt den Vöglein, von denen er es gelernt. Die Thiere des Waldes fürchten sich nicht vor ihm; zuweilen hüpft ein Eichhörnchen nieder vom Geäste auf seine Achseln und macht ein Männchen und sagt ihm was in’s Ohr. Seine Worte werden immer unverständlicher, so wie seine Lieder. Er paßt seine Gesänge auch nicht mehr den Menschen und ihren Gelegenheiten an. Er singt tolle Liebes- und Kindeslieder, als träume er seine Jugend. Wenn der Weißbart zur Sommerszeit unbeweglich auf einer Bergeshöhe sitzt, so meint man von Weitem ein Sträußchen Edel- weiß zu sehen. Dann laufen alle Käfer und Ameisen an seinem Rock und krabbeln an seinem Bart empor; und Hummeln umkreisen sein Haupt, als ob wilder Honig in demselben wäre. Der Pfarrer hat mir eine Besorgniß mit- getheilt. Er sagt, es sei möglich, daß ich ein reicher Mann würde. Und als reicher Mann zöge ich fort in die Welt, um all die Wünsche mir zu erfüllen, die ich in der Einsamkeit ausgeheckt und großgepflegt hätte. Ganz selbstlos sei kein Mensch. Diese Aeußerung hat mir eine ruhlose Nacht gekostet. Ich habe mein Herz erforscht und wahr- haftig einen Wunsch in demselben gefunden, der weit über die Winkelwälder hinausgeht. Aber mit Gut und Geld ist er nicht zu er- füllen. Sie ist vermählt .... Was lästerst du, Andreas? Dein Wunsch ist ja erfüllt. Sie ist glücklich. Am 24. des Lenzmonats 1831. Heute haben sie in den Lautergräben den Sturmhans von der Wolfsgrubenhöhe todt gefunden. Es ist an der Leiche der Bart versengt. Die Leute sagen, eine blaue Flamme, die aus dem Munde hervorgestiegen, habe ihn getödtet. Sie erklären es sich so: Der Sturmhans habe sehr viel Wachholder- branntwein getrunken, habe sich dann etwan eine Pfeife anzünden wollen, und anstatt des Tabaks habe der Athem Feuer gefangen und dem Manne die Seele herausgebrannt. Gut zur Hälfte wird das wol richtig sein. Am 1. April 1831. Heute ist mir meine Erbschaft behördlich zu- gewiesen worden. Sie besteht aus drei Groschen und einem Brief von der Muhme-Lies. Der Brief liegt bei: „ Lieber Andreas ! Ich bin alt und krank und hilflos. Du bist, Gott weiß wo, im Gebirge. In meiner Krankheit denke ich über Alles nach. Ich habe dir wol Un- recht gethan und bitte dich um Verzeihung. Dieses Geld drückt mich am meisten, es ist dein Pathen- geschenk; du hast es seiner Tage für deinen Vater in den Himmel schicken wollen. Ich habe es dir damals genommen. Nimm das Andenken zurück, Andreas, und verzeihe mir. Ich will ja ruhig sterben. Gott segne dich, und Eines muß ich dir noch sagen: wenn du zu hinterst im Gebirge bist, so gehe nicht mehr in die Welt zurück. Alles ist eitel. In guten Tagen sind mir meine Freunde getreu gewesen; jetzt lassen sie mich in der Armut sterben. Ich küsse dich viel tausendmal, mein lieber, einziger Blutsverwandter. Wenn mich Gott in den Himmel nimmt, so will ich deine Eltern grüßen. Deine bis in den Tod liebende Muhme Elise .“ Frohnleichnam 1831. Seit drei Jahren schon sammeln wir Geld für einen Traghimmel. Aber wir Winkelsteger kön- nen uns den Himmel nicht kaufen. Wir müssen uns selber einen machen. Der alte Schwamelfuchs hat aus grünenden Birkensträußen ein tragbares Zelt gebaut, auf daß wir zu diesem Feste das Hochwürdigste nach gebüh- render Weise aus der Kirche in das Freie tragen können. Das ist ein feierlicher Umgang gewesen im Sonnenschein. Und die Leute, von dem harten Winter endlich befreit, haben hellen Lobgesang ge- sungen. Im Walde haben wir geruht, und der Pfarrer hat mit dem Heiligsten den Segen gegeben nach allen vier Gegenden des Himmels hin. Es ist noch nicht erhört worden, daß mitten im Gottesdienst ein weltlicher Mensch so seine Stimme hätt’ erhoben. Der alte Rüppel hat’s ge- than und das ist sein Frohnleichnamsspruch ge- wesen: „Klinget alle Glöckelein, singet alle Vögelein; der große Gott kommt aus himmlischen Thüren, geht im grünen Wald spazieren. Er rastet süß auf dem grünen Rasen, wo die Hirschlein und Rehlein grasen. Er sagt sein erstes, mächtiges Wort, da steigen alle Blümlein aus der Erden hervor. Er spricht sein zweites mit hellem Schall, das weckt jeglich Saamenkorn im Thal, daß es mag reifen und werden zum täglichen Brot. Und gegen Un- gewitter Noth ruft er sein drittes Wort; da müssen die Donner schweigen und die Blitze sich neigen, und vor seinem Hauch sind die bösen Schlossen in Wasser zerflossen. O, dir sei Preis und Ehr’, du großmächtiger Herr! Und wirst du einstmal dein letztes Wort sprechen, so werden die Berge beben und die Felsen brechen; werden die Himmel krachen, werden die Todten erwachen; wird das Feuer die Welt vernichten. Zu dieser lieblichen Stund’ im grünen Wald sei gebeten, o Gott in Brotesgestalt: thu’ uns gnädiglich richten!“ Der alte absonderliche Mann weiß an’s Herz zu stoßen mit seinen Worten. Erschüttert und ge- hoben sind wir wieder zurückgekehrt zur Kirche. Und das grüne Birkengezelt mit den weißen Tragsäulen wird über dem Altare stehen, bis seine tausend zar- ten Blätterherzen werden verwelkt sein. Rosegger: Waldschulmeister. 23 Im Herbst 1831. Endlich ist die Antwort in Bezug der Grund- ablösung in unserem Pfarrhofe eingelangt. Der Gutsherr gibt dem Pfarrer zu verstehen, er möge sich als gewissenhafter Seelsorger, der er sei, nicht auch noch weltliche Sorgen aufbürden. Des Weiteren steht nichts zu lesen. Von einem sterbenden Waldsohne. Im Winter 1831. Wer hätte das vor Zeiten von dem Einsiedler im Felsenthale gedacht! Die Thatlosigkeit nach dem bewegten Leben, die Abgeschiedenheit von den Men- schen hätte ihn schier zum Narren gemacht. Es ist wunderbar gekommen. Nur die großen Sorgen und kleinen Leiden eines Waldpfarrers, nur der einförmige und doch so vielseitige und viel- bedeutende Zustand einer Waldgemeinde in seiner Ursprünglichkeit und Abgeschlossenheit ist das Rechte für ihn, das ihn gerettet hat. Nun hat er sich hineingelebt in die Verhält- nisse, kennt jedes seiner Pfarrkinder inwendig wie auswendig und leitet es mit seinen Beispielen. Es wüthet jetzt eine böse Seuche in den Winkelwäldern; es wird uns der Friedhof zu klein, und wir können schier die Todtengräber nicht auf- treiben; die kräftigsten Männer liegen auf dem Krankenbette. 23* Der Pfarrer ist Tag und Nacht nicht daheim, sitzt in den entlegensten Hütten bei den Kranken, sorgt für Seelentrost und auch für leiblich Wohl, hat ihm gleichwol der Freiherr gerathen, sich nicht mit weltlichen Dingen zu befassen. Letztlich, da er doch einmal daheim in sei- nem warmen Bett schläft, klopft es jählings an’s Fenster. „’s ist eine rechte Grobheit, Herr Pfarrer!“ ruft es draußen in der wüsten, pechfinsteren Nacht. „Ein Versehgang ist in die Lautergräben hinüber. Wir wissen uns nicht zu helfen. Steht uns bei; mein Bruder will versterben!“ „Wer ist denn draußen?“ frägt der Pfarrer. „Die Anna Maria Holzer bin ich. Der Bartelmei will uns verlassen.“ „Ich komme,“ sagt der Pfarrer, „wecket nur auch den Schulmeister, daß er die Laterne und das Heiligste bereite. Das Läuten soll er lassen, es schläft ja Alles.“ Das Weib hat mich aber doch gebeten, daß ich die Zügenglocke läute, auf daß auch andere Leute für den Sterbenden beten möchten. Und als der Pfarrer darnach zwischen den Häusern hingeht und das Weib mit der Laterne und dem Glöcklein vorauswandelt, da knieen an den Hausthüren schlaf- trunkene Menschen und beten. Es ist eine stürmische Winternacht; der Wind saust über die Lehnen und pfeift durch das kahle, gefrorne Geäste der Bäume. Schneestaub wirbelt heran und verlegt den Weg und stiebt in alle Fal- ten der Kleider. Das Weib eilt mit Hast voran und die rothen Scheintafeln der Laterne zucken auf dem Schnee- grunde hin und her; und das Glöcklein schrillt un- ablässig, aber die Töne verklingen im Sturmwind, und die Menschen des Dörfleins sind wieder zur Ruhe gegangen, und auch ich bin, nachdem ich den Zweien eine Weile nachgeblickt, in meine Stube zurückgekehrt. Ich will es aber niederschreiben, was dem Pfarrer in derselbigen Nacht begegnet ist. Es ist durch kein Beichtsiegel verschlossen. Als unser Vater Paul an dem Bette des Kranken steht, sagt dieser: „Gedenkt es der Herr Pfarrer noch, wie Er in die Karwässer gekommen ist? Gedenkt Er’s? ’s ist lang vorbei; wir Beid’ haben seither wol was erfahren, sind eisgrau ge- worden, bei meiner Treu!“ Der Pfarrer ermahnt den alten Kohlenbrenner, sich durch angestrengtes Reden nicht aufzuregen. „Und kann Er sich erinnern, was ich damalen hab’ gesagt: ich hätt’ auch mein Anliegen und kunnt leicht einmal von einem geistlichen Herrn eine große Gefälligkeit brauchen. Dieselb’ Zeit ist jetzt da. Ich lieg’ auf dem Todbett. Den Ehrenwald- Franz hab’ ich schon angeredet, daß er mir die Truhen zimmert. Und mit meinem Leib thät’s nach- her in Richtigkeit sein; — aber mit meiner Seel’! Pfarrer, verzeih’ mir’s Gott, die ist dir schwarz wie der Teufel.“ Der Pfarrer sucht zu sänftigen und zu trösten. „Warum denn?“ frägt der Bartelmei, „bin ja gar nicht in Verzweiflung. Weiß gleichwol, daß Alles recht muß werden. — Was macht denn der Herr Pfarrer für Geschichten mit seiner weißen Pfaid? Nein, das brauch’ ich nicht; wir thun die Sach’ kurzweg ab. Wenn Einer so auf dem letzten Stroh liegt, ist man zu nichts mehr aufgelegt. Thu’ sich der Herr nur setzen. — Das sag’ ich aber gleich, mit dem Glauben steht’s bei mir schlecht; glauben thu’ ich, wenn ich’s recht will sagen, an gar nichts mehr. Der Herrgott ist selber Schuld, daß ich so bin herabgekommen. Er hat auf mich schön sauber ver- gessen. Er hat mir’s versagt, und er hätt’s in seiner Allmächtigkeit wahrhaftig bei meiner Seel’ leicht thun mögen! — Ich mag davon ja wol reden. Selbunter, wie die Sepp-Marian ist gestorben, die ein wenig mein ist gewesen, hab’ ich an ihrem Tod- bett gesagt, Marian, hab’ ich gesagt, wenn du jetztund mußt verlöschen, du junges Blut, und ich allein sollt verbleiben meiner Tage lang, so ist das die größte Grausamkeit von Gott im Himmel oben. Aber wissen möcht’ ich’s, Marian, und vor meinem Tod möcht’ ich’s wissen, was es mit der Ewigkeit ist, von der sie sagen allerweg, daß sie kein End’ hätt’, und daß die Menschenseel’ in ihr thät’ fort- leben. Es ist nichts Rechtes zu erfahren, und da sollt’ Einer fremder Leut’ Reden glauben und etwan wissen Die auch nichts. Und jetzt, Marian, hab’ ich gesagt, wenn du doch wol fort mußt, und du bist in der Ewigkeit weiter, gleichwol wir dich be- graben haben, so thu’ mir die Freundschaft und komm’, wenn du kannst, mir noch einmal zurück, und wenn’s auch nur ein Viertelstündlein ist, und richt’ mir’s aus, damit ich weiß, wie ich dran bin. — Die Marian hat’s versprochen, und wenn sie kann, so wird sie’s halten, davon bin ich überzeugt gewesen. — Darauf, wie sie verstorben, hab’ ich viele Nächte nicht schlafen mögen, hab’ immer ge- meint, jetzt und jetzt wird die Thür aufgehen, wird die Marian hereinsteigen und sagen: ja, Bartelmei, magst wol glauben, ’s ist richtig, ’s ist eine Ewig- keit drüben und du hast eine unsterbliche Seel’! — Was meint der Herr Pfarrer, ist sie gekommen? — nicht ist sie gekommen, gestorben und todt und weg ist sie gewesen. Und seither — ich kann mir nicht helfen — glaub’ ich schon an gar nichts mehr.“ Er schweigt und horcht dem Tosen des Winter- sturmes. Der Pfarrer soll eine Weile in die flackernde Spanflamme gestarrt und endlich die Worte gesagt haben: „Zeit und Ewigkeit, mein lieber Bartelmei, ist nicht durch einen Heckenzaun getrennt, über den man hin- und herhüpfen kann, wie man will. Der Eingang in die Ewigkeit ist der Tod; im Tode streifen wir alles Zeitliche ab, denn die Ewigkeit ist so groß und unendlich, daß nichts Zeitliches in ihr bestehen kann. Darum ist der Verstorbenen auch dein vorwitzig Wort ausgelöscht gewesen und alle Erinnerung an das zeitliche Leben. Frei von allem Erdenstaub ist sie in Gott eingegangen.“ Thu’ Er das lassen, Herr Pfarrer,“ unterbricht ihn der Kranke, „es drückt mich auch gar nicht. Ist das, wie es ist, es wird schon recht sein. — Aber einen andern Hacken hat’s, mit mir selber bin ich noch nicht in der Ordnung. Ich bin nicht gewesen, wie ich hätt’ sein sollen, aber ich möcht’ gern meine Sach’, und Andere thuen auch gern ihre Sach’ richtig stellen. Lang hab’ ich nicht mehr Zeit, das merk’ ich wol, und desweg hab’ ich den Pfarrer aufschrecken lassen mitten in der Nacht, und will ihn zu tausendmal bitten, daß Er’s wollt vermitteln. Jetzt — ’s ist zwar heimlich geblieben, aber sagen will ich’s wol: ein arger Wildschütz bin ich gewesen; viel Rehe und Hirschen hab’ ich dem Waldherrn gestohlen.“ Hier bricht der Köhler plötzlich ab. „Und weiter?“ frägt der Pfarrer. „So! und ist Ihm das noch nicht genug?“ ruft der Alte, „aufrichtig, Herr Pfarrer, sonst weiß ich nichts. — Meine Bitt’ wär’ halt nachher die, daß mir der Herr Pfarrer bei dem Waldherrn mein Unrecht wollt’ abbitten. — Hätt’s wol lang selber schon gethan, hab’ mir aber allfort gedacht, ein Weilchen wartest noch zu; könntest leicht wieder was brauchen vom Wald herein, müßtest später noch einmal abbitten, wär’ mir unlieb. Desweg wart’ ein wenig und thu’s nachher mit Einem ab. — Allzulang hab’ ich gewartet; jetzt kann ich nimmer. Der Waldherr ist, wer weiß wo, zu weitest weg. Aber gelt, der Herr Pfarrer ist so gut, und gleicht’s bei ihm aus mit einer christlichen Red’ und thut sagen, ich hätt’s wol bereut, könnt’ es aber nicht anders mehr machen. — Jetzt, gewesen ist’s halt so: die Kohlenbrennerei gibt wol ein schwarz Stückel Brot, aber wenn Einer zum Feiertag einmal so einen Bissen Fleisch dazu wollt’ beißen, so muß man schnurg’rad mit der Büchs hinaus in den Wald. Man kann’s nicht lassen, und wenn sich Einer noch so lang spreizt, ’s ist gar Schad, man kann’s nicht lassen. — Wenn sie mich etwan einmal erwischt hätten, die Jäger, so wär’ jetztund das Gered’ nicht vonnöthen, und ich müßt dem Herrn Pfarrer nicht so schmerzlich zu Gnaden fallen. — Ei, der tau- send, jetzt hab’ ich mich dennoch wol angestrengt; es steigen mir die Aengsten auf.“ Sie haben ihn mit kaltem Wasser gelabt. Der Pfarrer hat seine Hände gefaßt, hat ihn mit guten Worten versichert, daß er bei dem Waldherrn Ver- zeihung erwirken werde. Darnach hat er dem Kran- ken die Lossprechung ertheilt. „Bedank’ mich, bedank’ mich fleißig,“ sagt drauf der Bartelmei mit leiser Stimme, „nachher wär’ ich so weit fertig, und — Pfarrer, jetzt thät’s mich bei meiner Seel’ schon selber freuen, wenn es wahr wär’, dasselb, von der Ewigkeit, und wenn ich nach der unruhvollen Lebenszeit und nach dem bitteren Tod schön langsam könnt’ in den Himmel einrücken. Wär’ wol eine rechtschaffen bequeme Sach’, das!“ So hat sich in dem armen, schwerkranken Mann das hohe Bedürfniß und die Sehnsucht nach Glauben und Hoffen ausgesprochen. Unser Herr Pfarrer hat ihn dann gefragt, ob er die heilige Wegzehrung empfangen wolle. „Nicht vonnöthen,“ ist die Antwort gewesen. „Mußt doch, Bruder, mußt doch,“ meint die Anna Maria, „einem Geistlichen, der mit dem heiligen Leib unverrichteter Sach muß zurückkehren, tanzen die Teufel nach bis zur Kirchenthür!“ „Du närrisch Weibmensch, du!“ schreit der Bartelmei, „jetztund Kindergeschichten erzählen, daß dich der Herr Pfarrer recht mag auslachen. — ’s wär mir doch alleins und gern möcht ich das Teig- blättlein verschlucken, daß der Herr unangefochten könnt’ nach Haus gehen, aber ich halt nichts drauf und da, hab’ ich oftmalen gehört, wär’s eine groß- mächtige Sünd’, wollt’ Einer in vorwitziger Weis’ das Sakrament empfangen.“ Auf dieses Wort hat der Pfarrer des Kranken Hand wol innig gedrückt. „Hochmüthig, Bartelmei, mußt du desweg nicht werden, jetzt in deinen alten Tagen; aber das sag’ ich dir, du denkest schon das Rechte. Du bist tugendreich, du glaubst an Gott und an der Seele ewiges Leben; ob du dir’s gestehen magst oder nicht, ob du das heiligste Brot zu dir nimmst oder nicht, rein ist dein Herz und dein ist das Reich und die Seligkeit!“ Da soll sich der alte Mann hoch empor- gerichtet haben; die Hände hätte er ausgebreitet, mit nassen Augen hätte er gelächelt und gerufen: „Jetzt hab’ ich das Rechte gehört. Der Pfarrer mag so gut sein und mir die Wegzehrung reichen. Nachher mag er kommen, der Knochenhans — Jesus, Jesus! was ist das? die Marian!“ schreit der Bartelmei plötzlich. Dann richtet er die Augen nach der Spanflamme und flüstert: „Ja, Mädel, wo steigst denn du daher heut’ in der finstern Nacht? Marian! Botschaft bringst mir? — Botschaft?“ Immer höher richtet er sich auf, immer wieder- holt er das Wort „Botschaft!“ endlich sinkt er zurück und schlummert. Nach einer Weile schlägt er die Augen auf und sagt mit matter Stimme: „Bin ich kindisch gewesen, Schwester? Ein närrischer Traum! Es steigt mir das Geblüt so auf. Ich verspür’s, lang wird’s nimmer dauern; es kommt mir schon der Brand zum Herzen. — Ich muß euch behüt’ Gott sagen, allen miteinander. Hab’ auf deine Kinder Acht, Schwester, daß sie dir nicht in den Wald laufen mit der Büchs. — Für die Truhen ist der Ehrenwald schon bezahlt. — Und thut mich fleißig waschen; will nicht als der kohlschwarze Ruß- Bartelmei in den Himmel eingehen.“ Als das Morgenroth durch die Fensterlein schimmert, ist der Mann todt. Sie ziehen ihm sein Sonntagsgewand an und legen ihn auf das Brett. Seiner Schwester Kinder besprengen ihn mit Wasser des Waldes. Gestern haben wir ihn begraben. Zur Faschingszeit 1832. Das geht toll zu. Das ganze Graßsteigerhaus wollen sie umkehren; über den Kirchplatz johlen sie hin und treiben Unfug. Im Pfarrhofe liegt ein Bauernknecht, dem haben sie den Kinnbacken zerschmettert. Faschingsonntag ist da. An die Seuche wird nicht gedacht. In das Wirthshaus kommen sie zu- sammen und trinken Branntwein; sie sind heiter und lachen und necken sich. Es röthen sich die Ge- sichter, da will Jeder sticheln und spotten, aber Keiner mehr geneckt sein. Eines krummen Wortes, eines schellen Blickes, oder auch eines Mägdleins wegen — entsteht ein Streit. Es setzt Backenstreiche mit flacher Hand — das ist zu wenig; sie schlagen mit den Fäusten drein — ist auch zu wenig; sie brechen Stuhlfüße, schwingen sie mit beiden Armen wüthend, lassen sie niedersausen auf die Köpfe. Das ist genug. Streckt sich Einer auf dem Boden. Die Unterhaltung ist aus. „Seid gescheit, Leutchen,“ hab ich beim Graß- steiger unten einmal gesagt, „wollt ihr an den Ruhetagen so wüst sein, so weicht der Segen von euerer Arbeit, und es kommt noch eine böse Zeit über Winkelsteg.“ Da thut sich ein Meisterknecht aus dem Schnee- thale hervor: „Weil wir Wildlinge sind, desweg bleiben wir arme Teufel? Glaub’s schon auch. Recht hat er, der Schulmeister; gerauft wird nimmer, und ich sag’ dir’s, Graßsteigerwirt, wenn noch einmal ein Raufhandel geschieht in deinem Haus, so komm ich mit einem Zaunstecken und klieb euch Allen die Schädel auseinand!“ Es steckt einmal so in den Leuten. Nur daß bei solchen Händeln der Lazarus nicht mitthut, das ist mein Trost. Sie wollen wol mit ihm anhäckeln, aber da macht er sich aus dem Staub. Es zuckt zuweilen in ihm, aber er dämpft wacker nieder. Er ist ein Mann durch und durch. Auch ist die Juliana ein Schutzengel und hilft ihm getreulich, daß er sich beherrsche. Der Förster hat den Lazarus wollen auf das Land hinaus befördern; wenn Einer einmal ein so seltsames Geschick habe, wie dieser junge Mensch, meint er, so müsse auch ganz was Besonderes aus ihm werden. Aber der Lazarus will nicht fort vom Walde. Er wird ein braver Mann, und zu etwas Besserem könnte er es auch draußen nicht bringen, und wollt’ ihn gleich Kaiser und König an seinen Thron setzen. Ein gutes Zeichen ist, daß er keinen Brannt- wein trinkt. Der Branntwein ist Oel in’s Feuer und so geschehen die bösen Händel. Wir Gemeindehäupter trinken nie einen Tropfen davon. Nun, trinken wir nicht, umsomehr bleibt für die Anderen. Der Pfarrer hat schon mehrmals scharf vor diesen Getränken gewarnt. Letztlich hat er in seinem Zorn den Branntwein einen Höllenbrunnen, ein Gift für Leib und Seele, und die Branntwein- brenner und Schenker mit heller Stimme Gift- mischer geheißen. Der alte Graßsteiger hat an seiner Nase hinab- gelugt, und nicht lange darnach hat er bekannt werden lassen, daß bei ihm frischer Obstmost angekommen sei. Der Kranabethannes aber hat es so glatt nicht abgehen lassen. Mit einem größeren Stock, als er sonst gewöhnlich bei sich trägt, ist er vor zwei Tagen im Pfarrhofe erschienen. Er klopft an die Thür; und selbst als der Pfarrer schon zweimal vernehmlich herein ruft, klopft er noch ein drittesmal. Schwerhörig ist er nicht; er will nur zeigen, daß, wenn gleich ein Waldteufel, er bei den Herren doch Schick und Anstand zu halten weiß, und wäre es auch vor seinem Feind, den er heute niederschmettern will. Endlich in der Stube, bleibt er eng an der Thür stehen, preßt die Hutkrempe in die Faust und murmelt in seinen fahlen Stoppelbart: „Hätt’ ein Wörtel zu reden mit dem Herrn Pfarrer.“ Der Pfarrer bietet ihm freundlich einen Stuhl. „Hätt’ ein kleines Anliegen,“ sagt der Mann und bleibt auf seinem Flecke stehen, „bin der Branntweinbrenner vom Miesenbachwald, ein armer Teufel, der sich seinen Brotgroschen mit blutigen Händen muß erwerben. Arbeiten mag ich gern, so lang mir altem Manne Gott das Leben noch schenkt, wiewol mich die Leute schon niederdrucken möchten und mir die Kundschaften abzwicken.“ „Setzet euch,“ sagt der Pfarrer, „ihr seid erhitzt, seid etwan recht gelaufen?“ „Gar nicht. Hübsch stad bin ich gegangen, und hab’ unterwegs gedacht bei mir selber, daß keine Gerechtigkeit mehr ist auf der Welt, und bei keinem Menschen mehr — bei gar keinem, er mag noch so heilig ausschauen. Was ist denn das für ein Pfarrer, der einem armen Familienvater seiner Gemeinde das letzt’ Stückel Brot aus der Hand schlägt? — Ist und trägt schon die ehrlich’ Arbeit nichts, recht, so muß Einer halt stehlen, rauben; wird wol besser sein, als wenn ein armer Ab- gematteter so ein Tröpfel Branntwein in den Mund thut; — ist ja der Höllbrunnen das!“ Der Mann schnauft sich aus; der Pfarrer schweigt; er weiß, daß er den Sturm vertoben lassen muß, will er bei ruhigem Wetter säen. „Und wer den Höllbrunnen braut,“ fährt der Mann fort, „der muß wol mit dem Teufel bekannt sein. Die Leut’ schauen mich auch richtig für so Einen an. Sollen Recht haben. Aber wenn ich schlecht bin, aus mir selber bin ich’s nicht. Und wer mir mein Geschäft verdorben, der wird wol anderweitig für mich sorgen. Herr Pfarrer! umsonst bin ich nicht da!“ Der Branntweiner vergißt ganz seine gewohnte Geschmeidigkeit und nimmt schier eine bedrohliche Stellung an. „Wenn ihr der Branntweiner vom Miesenbach- wald seid,“ sagt der Pfarrer in seiner Gelassenheit, „so freut es mich, daß ich euch sehe. Da ihr so selten nach Winkelsteg herauskommt, so habe ich schon zu euch gehen wollen. Wir müssen miteinander schwätzen. Ihr gebt den Winkelwäldlern keinen Branntwein mehr, da seid ihr ein Ehrenmann, ein großer Wohlthäter der Gemeinde. Ich danke euch, Freund! — Und auch euere Umsicht ist sehr zu loben. Es ist doch wahr, daß ihr jetzt mit den Kräutern und Harzen anhebt? Wol, und ich bin ganz euerer Meinung, daß ihr es höher bringt, wenn ihr aus den Kräutern und Harzen und Wur- zeln Arzeneien, Oele und kostbaren Balsam bereitet und draußen im Lande dafür Abzugsquellen suchet. Ich gehe euch nach meinen Kräften und Erfahrungen Rosegger: Waldschulmeister. 24 gerne dabei an die Hand. Ei gewiß, das ist ein guter Griff, den ihr gemacht habt und in wenig Jahren seid ihr ein wohlhabender Mann.“ Da weiß der Branntweiner gar nicht, wie ihm geschieht. Er hat gar keinen Griff gemacht, hat niemals an Balsam und Oelerzeugung gedacht; aber die Sache kommt ihm auf der Stelle so ver- nünftig und faßlich vor, daß er dem Pfarrer nicht widerspricht und schmunzelnd als angehender Balsam- erzeuger den Kopf wiegt. „Und solltet ihr, lieber Freund, vorläufig etwas für Weib und Kind benöthigen — mein Gott, zu Anfang behilft man sich, wie man kann — so mag ich gerne, gerne mit einer Kleinigkeit dienen. Ich bitt’ euch recht, mich ganz als eueren Freund zu kennen!“ Der Hannes hat ein unverständliches Wort ge- brummt, ist aus dem Hause gestolpert, hat seinen Knittel über den Rain geschleudert. In der Fastenzeit 1832. Die kirchliche Behörde fängt wieder an. Ihr ist unser Pfarrer noch immer nicht rechtmäßig genug; sie will ihm die Kirche verschließen. Die Kirche, die wir gebaut haben mit dem Schweiße unseres Angesichtes! Es ist still genug in unserer Kirche; Vater Paul hält den Gottesdienst in den Krankenstuben und auf dem Friedhofe. Die Leute kommen nur mehr in den Särgen zur Pfarrkirche heraus. Die Seuche ist zur „Sterb“ geworden. Die Schule ist schon seit Monaten geschlossen. Es geht die Sage, der Pfarrer wäre Schuld an der Seuche, da er das Branntweintrinken ab- gesagt. Der Branntwein sei das allersicherste Mittel gegen Ansteckungen. Der Hannes lauert. Erst jetzt lehnt sich sein Stolz auf gegen den Pfarrer, dessen Schalkheit und Milde er vor wenigen Wochen unterlegen ist. Es ist ein immerwährender Kampf gegen das Geschick und gegen die Bosheit. Wer ausharrt im Ringen und seiner inneren Ueberzeugung genug thut, der erlangt das Ziel. Am 22. März 1832. Heute ist unser Pfarrer gestorben. Zwei Tage später. So hat sich noch Keiner selbst erlöst, wie dieser Mann — dieser seltsame Mann, der an einem Fürstenhof regiert, in Indien gepredigt und in der Höhle des Felsenthales gebüßt hat. 24* Alle Irrpfade des Priesterthums hat er durchwandeln müssen, bis er das Wahre gefunden: den Armen im Geiste ein Helfer und Freund zu sein. Er hat sich in den Häusern der Kranken seinen Tod geholt. Die Verlobung des Lazarus Schwarz- hüter mit der Juliana Graßsteiger hat er gesegnet. Ein kleines Unwohlsein hat ihn von der Feierlichkeit weg auf seine Stube gerufen. Er hat sie nicht mehr verlassen. Und ein guter, getreuer Hirt, hat er uns in seiner letzten Stunde noch das Bedeut- samste gelehrt, das Sterben. Wie ein lächelndes Kind ist er entschlummert. Wir, die wir es gesehen, fürchten Keiner mehr das Sterben; und wir haben uns zutiefst gelobt, nach seinem Vorbilde streng unsere Pflichten zu erfüllen. Und ich kann’s nicht glauben. Ohne Ruh’ und Rast schau ich zum Fenster hinaus, ob er nicht des Weges kommt in seinem braunen Rock. Er hat sich schon ein wenig stützen müssen; ist schon gebeugt gewesen unter seinen weißen Haaren. Ohne Ruh’ und Rast geh’ ich am Pfarr- hofe vorüber; es ist kein Klopfen mehr an den Fensterscheiben, es lächelt kein freundliches Gesicht heraus. Da stehe ich still und meine, ich müsse laut seinen Namen rufen. Und ich kann es nicht glauben, daß er dahin ist. Bei dem Leichenbegängnisse ist der Holden- schlager Pfarrer dagewesen. Er hat sich baß ge- wundert über die allgemeine Trauer, die in den Winkelwäldern herrscht. Selbst der Branntweiner Hannes ist zum Grabe gekommen und hat eine Scholle hinab- geworfen. Nur der alte Rüppel ist nicht zu sehen gewesen; der hat wol im Urwaldfrieden das Grab- lied gesungen. Zu Winkelsteg haben nur die Glocken gesprochen. Und als letztlich auch die Glocken stumm ge- worden, da sind die Leute still davongezogen in ihre armen, zerstreuten Wohnungen. Nur ich allein stehe noch da und starre hinab auf den falben Tannensarg. Vor achtzehn Jahren habe ich den Mann das erstemal gesehen. Er ist am Grabe gestanden, das sie in der Wolfsschlucht dem „Glasscherbenfresser“ gegraben. Seit zwölf Jahren ist er Pfarrer zu Winkelsteg gewesen. Heute blicke ich nieder auf seinen Schrein; ja, das ist der Schlußpunkt zu der Antwort des Ein- spanig. Wie ich darüber noch sinne, kommt die alte Haushälterin des Winkelhüterhauses, meine ehmalige Wirtin, herbeigewackelt. Sie guckt auch in die Grube, fährt sich mit der Hand hastig über das Gesicht, tappt nach meinem Arm und sagt: „Gott geb’ ihm den ewigen Frieden! Das ist ein braver Mann gewesen. Aber ein Fabelhans auch — ein arger Fabelhans! Wie ein toller Vogel ist sein Sinn herumgeflogen in der weiten Welt, und auf keinem Fleck, hat er gesagt, wär’ die Welt mit Brettern verschlagen. Und jetzt — gucket einmal recht hinab, Schulmeister! da unten ist sie — Gott geb’ ihm den ewigen Frieden — da unten ist sie mit Brettern verschlagen.“ Das Wort ist gesagt und hastig humpelt sie auf ihren Krücken davon. Die Alte hat Recht. So unbegrenzt der mensch- liche Geist auch fliegen mag in den Weiten, sein großes Ziel wird umschlossen von den Brettern des Sarges. — Glücklicher Schläfer, dir ist ein unend- licher Raum jetzt die Truhe. Noch nicht lang, und dir war zu eng die unendliche Welt. — Großer Dichter, vergib, daß ich dein Wiegen- lied zur Grabschrift wandle. Ostern 1832. Die Seuche ist erloschen. Man sieht viele blasse, abgehärmte Gesichter umherwandeln. In den Mulden der Waldberge und in den Schluchten der Felsen schießen Wildwässer zur Tiefe. Im Miesenbachgraben und in den Karlehnen don- nern die Schneelahnen. Hoch über den Firnen blaut der Himmel. Da wir in der Kirche keine Auferstehungs- feier haben, so drängt es die Leute, das Osterfest in anderer Weise zu begehen. Der Charsamstag ist vorbei; das Thurmkreuz der Kirche schimmert im Abendroth viel glühender als sonst. Es wird heute aber nicht Nacht; ein neues Leben steht auf. Die Leute gehen im Fest- kleide aus ihren Wohnungen hervor. Ein neuer Tag bricht an am Abende und zahlreiche Festfeuer leuchten auf den Höhen. — Wer von diesen Menschen weiß es denn, daß auch die alten Deutschen zu dieser Jahreszeit der Göttin des Frühlinges Freuden- feuer haben angezündet? Wem nur dieser Einfall ist beigekommen? Da oben auf dem Bühel steht ein alter, einzelner Fichtenstamm; den haben sie vom Fuß bis zum Wipfel mit dürrem Gezweige, Moos und Stroh umflochten. Wenige Schritte seitwärts haben sich die Leute um ein kleines Feuer versammelt, und singen Lieder. Weiber mit verdeckten Handkörben sind auch dabei und Kinder spielen mit gefärbten Eiern. Es ist schon spät in der Nacht; der Lazarus will mit der Lunte gehen, daß er die Osterkerze in Brand stecke, da huscht durch den finsteren Wald der alte Rüppel herbei, reißt seine Binsenhaube vom Haupte und sagt: „Gelobt sei Jesu Christ, der am Kreuz gestorben ist!“ Wir sind Alle hellverwundert, daß der Alte wieder einmal unter die Leute geht, und ich will ihn sogleich einladen, daß er sich zu mir und dem Graßsteiger setze, wo wir einen Mostkrug stehen haben. „Dank für die Ehr’!“ sagt der Rüppel, und zieht seine Strohharfe unter dem Rock hervor, und in die Flamme hineinstarrend hebt er an zu reden: „Komm just von Jerusalem her. Alle drei Kreuz auf dem Berg Kalvari stehen leer. Christi Leib haben sie gelegt in ein neues Grab, die Seel’ ist gefahren zur Hölln hinab. Die Altväter thäten warten schon hart. Dem Abraham hat das Feuer versengt den langen Bart; der Moses ist schon tausend Jahr im Rauchfang gesessen und hat auf seine zehn Gebot vergessen. Der Adam, der vor- witzig’ Mann, und die Eva haben gehabt kein Röcklein nit an — die thät’ das Feuer wol saggrisch beißen. Das Paradeis ist ihnen schon lang ver- heißen, und durch die Leidensnoth und den bittern Tod thät’s ihnen jetzt Christus erlauben. — So hat mir’s der recht’ Schächer erzählt, den linken thät’ ich’s nit glauben.“ „Nu, Rüppel,“ sagen die Leut, „wenn du sonst nichts mehr weißt, so bist auch grad kein heiliger Geist.“ Unbekümmert um diesen Spott fährt der Alte fort: „Am heutigen Morgen sind unsere lieben Frauen zum Felsengrab gegangen schauen. Ist ein Junggesell gesessen auf dem Stein; die Magdalena gucket schon vorwitzig drein, kreiselt ihr güldenes Lockenhaar fein und denkt: wie alt mag er sein? — Mit Verlaub, schöner Herr, was macht ihr da? die Jungfrauen fragen. — Mit Verlaub, schöne Jungfrauen, sucht ihr den Herrn? thät’ der Jung- gesell sagen, aber der liebe Herr Jesus ist nit mehr hie, der ist auferstanden schon in allerfrüh; den mögt ihr spazierend im Garten erlangen, oder er ist hinab in die Stadt zum Frühstück gegangen. — Da haben die Frauen für die fröhliche Mähr ein Trinkgeld wollen geben Gott zu Ehr; aber der Junggesell ist gelaufen zum Himmel hinein; ich thät’s auch — thäten mich tragen meine alten Bein.“ Wieder schweigt der Rüppel. Da aber Keiner die Anspielung auf ein Trinkgeld verstanden hat, so fährt er fort: „Der Herr Jesus geht spazieren im Wald, thät’ sich ausruhen von bitteren Leiden; ein Hirtenknab’ steht auf stiller Haid, der thät’ weiße Schäflein weiden. Thät’ weiden die Schäflein und weinen dabei, gar bitterlich, bitterlich weinen. Da fragt ihn Herr Jesus: was weinst du mein Kind, es thut ja die Sonnen scheinen! — Ja freilich, sie scheint auf den Rasen grün, der mir meinen Vater thut decken; und der Heiland ist gestern am Kreuze gestorben, wer wird mir den Vater wecken? — Da spricht der liebe Herr Jesus: Mein Kind! siehst du die Felsen beben? Der Herr ist erstanden, wird wecken dereinst die Todten zum ewigen Leben.“ Der alte Mann schweigt und starrt in die Flamme. Sein Haar und Bart ist im Scheine des nächtlichen Feuers roth wie Alpenglühen. Und der Schein des Feuers fällt in rothen Bändern hin durch das Gestämme auf die frischen Gräber des nahen Kirchhofes. Eine schwere Stille ruht über der Versamm- lung, als erwarte sie schon diese Osternacht die Auferstehung der Todten. Da richtet sich jählings der Kopf des Alten wieder auf, anmutig zart gleiten seine Finger über die Saiten aus Stroh; wie Schalkheit zuckt es in seinen Zügen, und als wollte er seine frühere Rede ergänzen, sagt er mit fast kecker Stimme: „Der Hirtenknab’, der junge Tropf, schüttelt ungläubig seinen großen Kopf. Da langt ihm der Herr die Hand hin zumal, und weist ihm sein heiliges Wundenmal; just so fürwahr, und das Wundmal ist groß, wie ein Groschenstück gar ....“ Ueberzeugend genug streckt der Greis die hohle Hand aus, und Mancher legt richtig ein Wund- mal hinein — einen guten Pfennig oder ein Groschenstück. Der Alte bedankt sich gar fein; hat hierauf die Hand über die Flammen gehalten, und die Gaben sind in die Glut gefallen. Dann ist er im Walde verschwunden. Warum er die Geldstücke, die einzigen Gaben, die er seit langer Zeit erhalten haben mag, in das Feuer geworfen hat, das können wir uns nicht erklären. Der Graßsteiger hat den armen Mann suchen lassen, um ihn für die Ostern an seinen Tisch zu führen. Der Rüppel ist nicht gefunden worden. So geht’s immer tiefer in die Nacht; zum großen Glück eine recht milde, warme Nacht, denn Keiner, auch von den erst Genesenen keiner ist zu bewegen gewesen, nach Hause zu gehen. Der Stand eines Sternbildes weist die Mitter- nacht, den Beginn des Ostertages. Da fährt ein Flämmchen in den strohumwundenen Baum, und eine gewaltige Osterkerze lodert hoch über dem Waldthale gegen den Sternenhimmel auf. Nun jubeln die Kinder und die Weiber, jauchzen die Männer; aber weiterhin, als Hall und Schall vermag zu dringen, leuchtet die Feuersäule und verkündet dem Waldlande ringsum den Ostertag. Und zur selbigen Stunde haben die Weiber ihre Handkörbe aufgedeckt, auf daß die Gottesgaben darin, Brot, Eier und Fleisch, der liebe Osterhauch mag befächeln. Und so ist unserem Festbrote die Weihe zu Theil geworden, die der Vater Paul uns für diese Ostern nimmer vermag zu spenden. Erst gegen Morgen ist die Osterkerze, deren hochstrebende Flamme sie gar in den Miesenbach- gräben sollen gesehen haben, verlodert zusammen- gebrochen. So sind wir von dem seltsamen Osterfeste heimgekehrt in unsere Hütten. Von diesen Tagen an, Andreas, wirst du nicht mehr jünger. — Jünger? wer hat dich gelehrt so närrisch zu schwätzen? Zähl’ deine Eisfäden auf dem Haupte, zähle sie, wenn du kannst! du alter Mann! Ich meine, der Pfarrer hat mich mitgenommen. Mai 1832. Von unserem jungen Herrn hört man wieder seltsame Dinge. Und diesmal sind sie amtlich er- härtet. Hermann hat die Güter des Vaters über- nommen und ist demnach unser Herr. Als Angebinde hat er den Winkelstegern alle rückständigen Arbeitsleistungen und die Grundein- zahlungen auf zehn Jahre hinaus nachgesehen. Das ist ein guter Anfang. Die Winkelsteger wissen ihre Dankbarkeit nicht anders zum Ausdrucke zu bringen, als daß sie in der Kirche eine zwölfstündige An- dacht halten, um für die Gesundheit des jungen Herrn zu beten. Hermann soll kränklich sein. Gestern ist der Berthold zu mir gekommen. Seit jenem Tage, da er sein vermißtes Kind unter den Thieren des Waldes gefunden, wildert er nicht mehr, sondern arbeitet mit Fleiß und Schick in den Holzschlägen, und seine Kinder erwerben sich ihr Brot durch Sammeln von Waldfrüchten, Wur- zeln und Kräutern. Der Mann hat mir gestern ein Bündel ge- dörrter Blätter gebracht; dieselben wüchsen nur drü- ben im Gesenke und besäßen eine wunderbare Heil- kraft, die auch der jahrelang kränkelnden Aga die Gesundheit wieder gegeben hätte. Die Lili habe die Blätter gesammelt und getrocknet und da sei es ihnen beigefallen, dieselben dem jungen, gnädigen Herrn Schrankenheim zu schicken; es sei kein Zweifel, daß er bei entsprechendem Gebrauche des Krautes genesen würde. Ob ich nicht so freundschaftlich sein wolle, die Arznei zu übermitteln. Ich habe es dem Berthold zugesagt. Alpenroth. Frohnleichnam 1832. Der Waldsänger ist nun auch verstummt. Sein ganzes Leben und Sterben ist angelegt, wie ein rosenprangender Dornstrauch in der Wildniß. Ich habe seine wunderlichen Worte so gerne aufgeschrieben; nun lege ich sein Ende nieder in diesen Blättern. Der Kropfjodel hat auf der Zahnalm eine Hirtenhütte. Und in dieser Hirtenhütte hat er zur Sommerszeit zwei übermüthige Söhne, welche die Rinder versorgen und zu ihrem Zeitvertreib aller- hand Tollheiten begehen. In letzter Zeit hat sich der Rüppel bei ihnen aufgehalten und ihnen durch seine wunderlichen Lieder und Strohharfenspiele Spaß gemacht. Der Alte ist schon völlig verwirrt und gar zum Erbarmen schwachsichtig gewesen. Und das ist den Jungen just ein rechtes Spielzeug. Allerwege ist der Alte der Bock, auf dem sie reiten; und er läßt es nicht ungerne geschehen; es freut ihn schier, daß er noch wo Anwerth hat; zu an- deren Leuten taugt er nimmer. Des Abends ist der Rüppel stets in die Hütte gekommen, hat was zu essen erhalten und die Nachtruhe auf dem Heuboden. Da ist es eines frühen Morgens, daß der alte Rüppel vor der Hütte auf einem thaufeuchten Stein sitzt. Er spielt auf der Strohharfe und wendet seine matten Augen empor gegen das Morgenglühen der Felsen. Gellt ihm jählings ein wüster Schrei in das Ohr. Er schrickt empor, da stehen die Jodel- buben neben ihm und lachen. Der Alte blickt sie gutherzig an und lächelt eben auch ein wenig. „Thust strohdreschen, Rüppel?“ frägt der Veit und deutet auf die sonderlichen Saiten. „Und schon so zeitig!“ sagt der Klaus. Der Alte wendet sich: „Ihr wisset das, von der Morgenstund?“ Dann legt er die Hände an die Lippen und lispelt den Burschen vertraulich in’s Ohr: „Sie hat Gold im Mund!“ „Geh!“ entgegnet der Klaus spottend, „du, da beißt sie sich ja die Zähne aus!“ — Die Hir- ten erheben über diesen ihren Einfall ein tolles Lachen. „Da, da oben habt ihr’s ja, das Gold, da oben!“ Der Alte deutet zitternd gegen die glühen- den Wände. „Ja, du Rüppel, das ist wahr!“ sagt der Veit ernsthaft, „das ist richtig Gold; geh’ nur hinauf und schabe es herab.“ Der Greis blickt befremdet drein. „Da kriegst du einen ganzen Korb voll Gold zusammen, und etwan mehr noch!“ sagt der Klaus, „da kannst du dir ein goldenes Schloß bauen und einen goldenen Tisch kaufen und einen goldenen Wein und eine goldene Frau und eine goldene Harfe!“ „Eine goldene Harfe!“ murmelt der Rüppel und seine Augen leuchten auf. Dann fährt er sich mit der Hand über die Stirne. — Er hat das vom goldenen Morgen zuerst selber gesagt, aber nur im gleichnißweisen Sinne des Sprichwortes. — Und jetzt sollte es wirklich so sein? „Und das Zeug da gibst du des Graßsteigers Esel in die Krippe!“ ruft der Veit. Bei diesem Spott auf seine Harfe soll es wie der Schatten einer Wolke über des Alten Antlitz gezogen sein. „Du Veit!“ droht er, „mein Harfenspiel, das legt dir nichts vor dein Ziel. Das laß du in Ruh!“ Das Wort reizt die Burschen. „ So spielt man auf dieser Harfe!“ ruft der Veit und fährt mit der Hand über die Saiten, daß es rauscht und alle Halme springen. Dann sind sie davongelaufen. Rosegger: Waldschulmeister. 25 Der Alte sitzt noch eine Weile und bewegt sich nicht. Er starrt auf die zerrissene Harfe, er wischt sich mit beiden Händen die Augen, er will sich aus dem Traume helfen; er kann es nicht glauben, daß es wahrhaftig sei. Sein Alles und Einziges haben sie ihm zerstört — sein Saitenspiel. Erst als oben in den Felsen schon der helle Sonnenschein liegt, erhebt sich das alte Weißhaupt. Den Astreifen mit dem Strohgewirre hat er sich umgehangen, zu den goldigbeleuchteten Wänden hat er emporgestarrt, und mit schweren Schritten ist er davongewankt, hinan gegen die Schroffen, über welche ein Wasserfall stürzt und niederrieselt, im Sonnenleuchten zu sehen wie flüßiges Gold . . . . An dem Abende desselben Tages ist es, daß die beiden Hirten wieder lustig um den Herd ihrer Hütte wirten, wie sie es gewohnt. Sie kochen Mehlklößchen, welche sie „Fuchsen“ nennen, da sie fuchsbraun geröstet sind. Die Herde ist von ihren Weiden geholt und in die Sicherheit des Stalles gebracht. Lustig sind die Jodelbuben allerwege, aber zum Feierabend am lustigsten. Ist der alte Harfner in der Hütte, so necken sie diesen; ist er nicht da, so necken sie sich selbander. Der Harfner ist heute noch nicht da, so hüpft der Klaus wie ein Affe dem Veit auf die Achseln, reitet auf dessen Nacken, läßt ihm die Beine vorne herabhängen und ruft: „Esel, wer reitet?“ „Einer über dem andern.“ So treiben sie es. Dann verzehren sie ihre Mehlfuchsen und mit dem Pfannenruß streichen sie sich Schnurrbärte an. Nach einem Schnurrbart geht ihr Sinn, und ein Mägdlein möchten sie küssen, weil das — nach dem Sprüchwort — den Bartwuchs fördert. — Der alte Rüppel könnt’ aus seinem Bart Silbersaiten spinnen für die Harfe. Heute ist der Alte noch nicht da; hat ihn etwan doch der Spaß am Morgen verdrossen? — Die Burschen mögen davon nicht reden. Eine ge- linde Reue verspüren sie, und ein Stück Mehlfuchs thun sie in eine Holzschüssel und tragen die Holz- schüssel auf den Heuboden und stellen sie auf die Lagerstätte des Alten. Dabei faßt sie schon wieder der Schalk; sie verrammeln das Lager mit Rechen und Heustangen. — Und nun wird der Alte kommen und sich die Nase anrennen und rechtschaffen brum- men und zuletzt auf den Mehlfuchs stoßen. Und der Mehlfuchs wird ihn für Alles versöhnen. Die Burschen haben in derselbigen Nacht prächtig geschlafen. Und als sie erwachen, sind in den Wandfugen schon die goldenen Saiten des Morgens gezogen. 25* Das Lager des Alten aber und das Mehl- gericht ist noch unversehrt und verrammelt mit Rechen und Heustangen. Der Klaus geht zu der Herde; der Veit geht in das Freie. Und das ist heute wiederum eine Morgenfrühe! Frisch und klar und thauig die Almen und Wälder, der Himmel reingeküßt von Morgen- luft. Und hoch auf den Zinnen des nahen Fels- gewändes leuchtet die Sonne. Ein Vöglein wirbelt übermüthig auf dem Giebel der Hütte, und der Brunnen plätschert lustig in den Trog. Der Veit geht zum Brunnen. Die Aelpler waschen sich des Morgens Hände und Gesicht so gerne am kalten Quell. Das schwemmt sofort alle Schläfrigkeit hinweg, und macht Auge und Herz heiter — heiter wie der junge Tag. Veit kraut mit den Fingern emsig sein wirres Haar zu- recht und hält die beiden Hände unter die spru- delnde Rinne. Wohl thut die rieselnde Kühle, Veit! Aber — da spinnt sich im Wässerlein heran ein blutrother Faden, und er schwimmt und schlingelt und ringelt sich in der hohlen Hand. Erschrocken zieht der Bursche die Arme zurück und starrt in die Rinne, auf der ein zweites, drittes Fädchen und Fäserchen heranschwimmt, und er starrt in den Trog, wo die Fäden und Fasern sich winden und einen und theilen und lösen. Veit eilt in den Stall: „Klaus, komm’, es sind heut’ so Dinger im Wasser!“ Klaus kommt und sieht und sagt halblaut: „Das ist Blut!“ „So ist da oben eine Gemse in’s Bächlein gestürzt,“ versetzt Veit. „Aber, daß der Rüppel nicht da ist!“ sagt der Klaus, und ein wenig später setzt er bei: „der thät’s leicht kennen, ob es Gemsenblut.“ Der Veit ist todtenblaß; „Klaus,“ sagt er, „steig’ mit hinauf in die Schlucht!“ Sie sind dem Wässerlein entlang gegangen; es rieselt wieder klar. Tiefer und tiefer steigt die Sonne nieder an den stillen Felsen; höher und höher und mit jedem Schritte hastiger steigen die beiden Burschen empor und zwängen sich durch enge, schattige Schluchten, wie sie das Wasser in wildem Wettertoben gerissen, oder in ruhigem Zeitenlaufe gehöhlt hat. Die Bur- schen sagen kein Wort zu einander, sie winden sich durch wildes, thaunasses Himbeergesträuche und Knieholz; sie klettern an den schroffen Wänden hin; sie hören ein Rauschen. Sie kommen der Stelle nahe, wo das Wässerlein wie ein Goldband über die sonnige Wand stürzt. „Da ist ein Strohhalm,“ sagt der Klaus jählings. Es sind zwei aneinandergeknüpfte Halme. Und daneben liegt der Reifen aus Tannengeäste. An den Gestrüppen des Hanges hängt mancher Halm zerrissen und zerknittert und darunter in der Tiefe des Grundes – In der Tiefe ist der alte Mann gelegen. Der Kopf ist zerschmettert; in der linken Hand hält er starr gepreßt den Zweig eines Alpenrosen- strauches. Über die Rechte rieselt das Wasser. So haben sie ihn gefunden. Wer kann es sagen, wie der alte Mann verunglückt ist? Etwan hat er da oben nach dem Golde des Alpenglühens gefahndet, auf daß er sich eine neue, goldene Harfe erwerbe. Und da ist der mühselige Greis herab- gestürzt über das Gewände in die Schlucht. Noch im Fallen hat er sich halten wollen am Rosen- strauche. – Und das ist des Waldsängers Ende. Ein glühendes Röslein prangt am gebrochenen Zweig in der Hand des Todten. An diesem Fronleichnamsfeste haben wir ihn in die Erde gelegt. Gar viel Leute sind nicht dabei gewesen. Aber die Waldvögelein auf den Wipfeln des Schachens haben ihrem Sangesbruder ein helles Schlummerlied gesungen. So arm hat Keiner geschienen in den Winkel- wäldern als dieser Mann, und so reich ist Keiner gewesen. Das allwaltende, allumfassende und un- faßbare heilige Sängerthum des Volkes hat in diesem seltsamen Manne seine Verkörperung ge- funden. Auf Vater Pauls Grab steht ein Kreuz aus dem Holze einer uralten Tanne. Auf des Sängers Hügel pflanze ich einen jungen, leben- digen Baum. Juli 1832. Mit den Jodelbuben haben wir ein Elend. Sie wollen oben in der Almhütte nicht mehr bleiben; sie sollen in den Nächten ein ewiges Klopfen und Stöhnen auf dem Heuboden ver- nehmen. Mitten im Sommer muß der Kropfjodel abtreiben und die Hütte sperren. Der Veit will sich an keiner Quelle mehr waschen. Er sieht in jedem Brunnen Blutstropfen, die sich anklagend an seine Hand wollen legen. Es ist dieselbe übermüthige Hand, welche die Harfe des Alten zerbrochen. Im Herbst 1834. Die Schule ist auf einige Wochen geschlossen. Die Kinder helfen bei der Ernte; diese ist spät reif geworden und muß nun noch vor dem Frost gewonnen werden. Oben auf den Felsenhöhen gibt es schon Schneestürme. Ich hätte doch wieder einmal hinaufsteigen mögen auf den hohen Berg, auf daß ich könnte hinausblicken. Ich lebe gar so vereinsamt in mich hinein. Die Alten sind mir weggestorben; die Jun- gen habe ich erzogen, aber nicht zu meinen Ge- nossen. Ich bin ihr Schulmeister. Den Schulmeister lassen sie in Frieden ziehen, und wenn er, alt und grau, auf seinem einschichtigen Bänklein sitzt, so meinen sie, ein Schulmeister müsse so sitzen. Der neue Pfarrer ist ein junger Mann, der schickt sich besser für sie; der thut mit im Wirts- haus und auf der Kegelbahn. Als er sich letztlich aus der Kreisstadt das neue Meßbuch verschrieben, hat er auch Spielkarten kommen lassen. Der Lazarus und sein Weib, die Juliana, sind Besitzer des Graßsteigerhofes; sie setzen das Wirtshaus fort, handeln mit Tabak und allerhand Kleinigkeiten. Gar ausländische Kleiderstoffe sind bei dem Graßsteiger zu haben. Es gibt Leute in der Gemeinde, die nicht mehr mit den Loden- und Zwilchjacken Vorlieb nehmen, die was Besonderes am Leibe haben wollen; so aus Spaß , sagen sie heute noch. Aber ich achte, die Sucht bekommt bei Zeiten einen andern Namen. Manchmal durchstreifen, wie voreh, Häscher unsere Gegend, um Schwärzer und Soldatenflücht- linge einzufangen. Sommer 1835. Ich erzähle die Dinge wieder nur meinen ge- duldigen Blättern; sie bewahren die Geschehnisse länger in Erinnerung, als ich und ganz Winkelsteg. Es ist mir Pflicht geworden, unsere Schicksale auf- zuzeichnen. Dereinst werden andere Menschen sein; sie sollen auch von uns wissen. Zuweilen kommt Hagel und großes Wasser und vernichtet die Ernten und schleudert die streb- samen Ackerbauwirte in der Entwicklung ihres Wohlstandes auf Jahre zurück. So auch wieder in diesem Jahre. Die Leute dörren nun das Stroh, bringen es in die Mühle — es sind deren ein halb Dutzend im Thale — und das wird das Brot für den Winter sein. In meinem Leben ist kein Wettersturm und kein Sonnenschein. Aber ich will mein Frühjahr und meinen Sommer haben, und jetzt habe ich zu meiner Wand- uhr eine Vorrichtung gemacht. Die Metallschelle des Schlagwerkes habe ich weggethan und dafür aus zwei Blättchen und einer Feder ein Ding zusammen- gethan, das zu jeder Stunde den Wachtelschlag nachahmt. Hier in der Gegend hört man die Wachtel kaum alle drei Jahre einmal; aber in meiner Stube bleibt es nunmehr Sommer zu allen Jahreszeiten. Ich und die Kinder haben eine rechte Freude daran. Da draußen im Holdenschlager Graben, durch den jetzt eine neugebaute Straße zieht, dort, wo die Winkelsteger Gemeinde begrenzt ist, haben die Bauern ein Wetterkreuz setzen lassen. Es hat drei Querbalken, an denen die bildlichen Leidenswerkzeuge des Herrn ragen. Das Kreuz wird als Schutz gegen böse Wetter hoch verehrt. Der uralte Schwammel- fuchs aber meint, dasselbe sei mehr schädlich als nützlich; es lasse die bösen Wetter, die ja alle vom Zahn herabkämen, nicht weiter, und so müsse es sich über Winkelsteg entleeren. Auf die Meinung des Schwammelfuchs hin haben die Bauern das Wetterkreuz richtig nieder- reißen lassen. Hingegen haben nahe an derselben Stelle die Holdenschlager ein ganz ähnliches auf- gestellt, auf daß die Gewitter hier gebannt und nicht hinaus auf ihre Felder sollen gelangen können. Jetzt sind die Winkelsteger in doppelter Ver- legenheit und ich, — ihr Lehrer, mit ihnen. Schulhalten und nichts als Schulhalten, und die Hirngespinste unter diesen Filzhüten sind nicht umzubringen. Schulhalten! es ist viel, und dennoch ist es ein thatenloses Leben. Wie ist das anders gewesen zur Zeit, als wir die Gemeinde erweckt haben! — Es gäbe auch heute noch genug und übergenug zu schaffen und zu erschaffen; aber der alte Pfarrer ist gestorben und der neue schiebt mich bei Seite. Ich bin so alt noch nicht und thäte noch ar- beiten. Ein par Stunden schulhalten, Schreibbogen liniren, Federn und ein saueres Gesicht schneiden, ein wenig Brennholz klieben und die par Geschäft- chen in der Kirche, das macht meinen Kopf leer und meine Zeit nicht voll. Der Schlaf ist bald satt und wenn ich, bis die lange Nacht vergeht, im Bette müßig liege, so ist das noch das Allerschlechteste. Da kommen mir Gedanken zum Närrischwerden — alte Zeiten, alte blüthenzarte Gesichter und todtenblasse — ja zum Närrischwerden. Und dann höre ich eine Stimme: ich hätte meinen Weg verfehlt, könnte in Glanz leben und sehr glücklich sein . . . . Aufspringe ich vom Lager, die Geige reiße ich von der Wand und hebe an zu scharren an den Saiten, auf daß ich die Gespenster wieder ver- scheuche. Und die Saiten, die wissen mir besseren Trost; sie flüstern, ich möge zufrieden sein, ich hätte das Glück gehabt, ersprießlich für das Allgemeine zu arbeiten; ich hätte den Hang, stets der Voll- kommenheit meines eigenen Wesens zuzustreben; ich hätte die Herrlichkeit der Schöpfung um mich, ich hätte die Geister aller großen Menschen in meinen Büchern versammelt. Ich würde noch Manches nach meinen Kräften wirken und dereinst mit Befrie- digung die Augen schließen. Ich habe mir wieder, wie seiner Tage ein- mal, aber ernstlicher vorgenommen, in meinen freien Stunden des Sommers mich mit der Pflanzenwelt abzugeben, sie wissenschaftlich zu zerlegen und zu betrachten. Aber wie geht es mir dabei? Da habe ich heute ein Pflänzlein gefunden, gepflückt und hier auf meine Mappe gelegt. Mich reut der Mord. Es ist so frisch und hold gestanden am Rain und hat seine kleinen Arme ausgestreckt, den lieben Sonnenschein zu umarmen. O, zürne mir nicht, du liebholdes Wesen, du bist in deiner Jugend gestorben, es hat dir ein Menschenauge gelächelt, es hat dich ein Menschen- herz geliebt . . . . Und so geht es mir. Zu schluchzen hab’ ich angefangen, ich altes Kind. Und das heißt Pflanzen- kunde treiben? — Andreas, für die Wissenschaft bist du verloren ganz und gar; du bist ein Träumer. Letztlich habe ich wieder einmal das Zeichnen versucht, habe eine Karte von den Winkelwäldern gemacht. Während dieses Werk bereits unter der Presse, wurde in der Ortschaft Winkelsteg die mit Bleistift allerdings mangelhaft gezeichnete Karte aufgefunden. Ich ließ die Zeichnung mit ein paar vervollständigenden Zuthaten versehen vervielfältigen und lege sie dem Buche bei. Der Herausgeber. Hätte ich nur auch die Meßkunst gelernt; das gäbe jetzt ein anregendes und nützliches Ge- schäft. Denn diese Gegend muß nun doch auch der Welt zurechtgelegt werden. Waldlilie im Srr. Maria Himmelfahrt 1835. Jählings ist was Unvorhergesehenes gekommen. Vor mehreren Tagen erhalte ich ein Schreiben von meinem einstigen Schüler, unserem jetzigen Herrn. Hermann schreibt mir, daß er jene Kräuter, die ich ihm von einem Holzer gesandt, richtig ver- wendet habe und seither eine große Linderung in seinem kränklichen Zustande empfinde. Dieser Um- stand habe ihn auf den Gedanken gebracht, das Gebirge, welches er bisher ohnehin noch nicht kenne, zu besuchen und in der milden Frühherbstzeit einige Tage daselbst zuzubringen. Er beabsichtige ganz allein zu reisen, denn die Menschen, namentlich die Städter, seien ihm unsäglich zuwider; das sei wol eine Eigenheit seines abgespannten Zustandes, aber er könne sich derselben nicht entschlagen. An den Reichthümern der Welt habe er sich krank genossen, in der Ursprünglichkeit der Alpen, in ihren Wild- nissen wolle er Heilung suchen. — Er erinnere sich noch an mich, seinen ehmaligen Lehrer; er erinnere sich auch meiner Verdienste um die Winkelwäldler, und er bitte mich nun, ihm im Gebirge ein Führer zu sein und mich an dem bestimmten Tage in der Ortschaft Grabenegg einzufinden. Grabenegg, eine gute Tagereise von hier entfernt, ist keine Ortschaft; es sind nur einige Steinschlagerhütten, die an der Zillerstraße stehen und von einer dort auslaufenden Bergschlucht den Namen haben. Ich habe mich denn an dem bestimmten Tage in Grabenegg eingefunden, habe dort den Wald- herrn erwartet, der in einem gemietheten Wagen auch richtig angekommen ist. Dann bin ich mit ihm weiter gegen das Hochgebirge gefahren. Der Herr hat mich völlig erschreckt; ich habe ihn schier nicht mehr erkannt, aber er hat mich auf den ersten Blick als den Andreas begrüßt. Sein Gruß ist höflich und kalt gewesen, und der arme Mann ist lebenssatt. Bis zum ersten Felsenthore führt der Fahrweg. Hier hat der Herr das Fuhrwerk zurückgeschickt, und wir sind auf rauhen Steigen, wie sie das Hochwild getreten, in die Wildniß hineingegangen, auf deren wilden Höhen die Eisfelder liegen. Der Herr ist vorangeschritten, fast finster und trotzig, zuweilen mit der Begier des Jägers, der dem Hirsch auf der Fährte ist. Ich habe nicht gewußt, wohin und was der Mann will; er auch nicht. Ich habe gewaltige Angst gehabt, daß wir für die Nacht kein Obdach finden könnten, habe dem Herrn dieses Bedenken mitgetheilt; er hat darüber eine helle Lache ge- schlagen und ist weiter gestürmt. Da ist mir jählings der Gedanke beigefallen: Andreas, du wanderst mit einem Irren! — Wäre der graue Zahn vor mir niedergestürzt, sosehr hätte mein Herz nicht erbebt, als in diesem Gedanken. Ich habe gefleht und gewarnt, ich habe ihn nicht zu halten vermocht; nur an Hängen ist er stehen geblieben, hat einen Blick in den Abgrund gethan, um sofort wieder weiter zu eilen. Alle Glieder haben ihm gezittert, große Tropfen sind ihm auf der Stirne gestanden, als er in der Abenddämme- rung an einer Felsenquelle zusammengebrochen ist. Ich habe in derselbigen Stunde meinem lieben Gott Alles, Alles versprochen, wenn er uns ein Obdach finden ließe. Er hat mich erhört. Unweit der Quelle habe ich in der Kluft zweier Wände eine Klause entdeckt, wie solche gerne von Gems- jägern aufgerichtet und zum Schutze benützt werden. Und unter diesem Dache, mitten in den Schauern der Wildniß ist ein Feuer angemacht und dem Freiherrn aus Moos und Strauchwerk eine Ruhestätte bereitet worden. Wir verzehren, was wir bei uns haben und trinken Wasser. Als das Mahl vorüber ist, lehnt sich der Herr aufathmend an die Mooswand und haucht: „Das ist gut! das ist gut!“ Und nach einer Weile richtet er sein Auge auf mich und sagt: „Freund, ich danke Ihnen, daß sie bei mir sind. Ich bin krank. Aber hier werde ich genesen. Das ist ja das Wasser, von dem der angeschossene Hirsch trinkt? — Ich hab’ es toll getrieben — sehr toll! Ist kein Spielzeug, der Mensch. Schließlich bin ich zum Glücke den Aerzten entkommen. Ich mag in keinem Metallsarg liegen, er riecht nach Prunk, nach Gold und Sei- den, nach erkünstelten Thränen — pfui!“ Zu meinem Troste ist er bald eingeschlum- mert. Ich habe die ganze Nacht gewacht und auf Mittel gesonnen, den armen, kranken Mann unter Menschen zu bringen. Wir sind weit ab; wollen wir nach Winkelsteg, so müssen wir über das Gebirge. Am andern Morgen, als ich bereits ein neues Feuer angemacht habe und als schon die Sonnen- strahlen durch die Fugen blicken, erwacht der Mann, übersieht anfangs wie staunend seine Lage und sagt: „Guten Morgen, Andreas!“ Hierauf hebt er sogleich an, sich reisefertig zu machen. Rosegger: Waldschulmeister. 26 „Ich will auf den hohen Berg hinaufsteigen, den sie den grauen Zahn heißen,“ versetzt er, „ich will diese Welt einmal von oben ansehen. Begleiten Sie mich und machen Sie, daß wir noch einen oder zwei Männer mitbekommen. Haben Sie keine Sorge meinetwegen; mir ist besser. Gestern ist ein böser Tag gewesen. Wie friedlos und heimatlos bin ich durch die wüsten Gegenden gezogen, ohne Ziel. Mir selber hätte ich entrinnen mögen, wie ich denen da draußen entronnen bin. Der ganze Jammer meines Elendes war über mich gekommen. Aber diese Luft heilt mich — oh, diese reine, heilige Luft!“ Als wir aus der Klause treten, müssen wir die flachen Hände über die Augen halten. Es ist ein mächtiges Leuchten. Die Aeste des Tanns sind goldig roth und in den Schatten des Geflecht- bodens zittern Thautropfen. Viele davon trinken schon von den glühenden Quellen der durch das Geäste rieselnden Sonne. Auf den Wipfeln jauch- zen die Vogelschaaren. Eichhörnchen hüpfen herum und lugen nach Morgenbrot und Gespielen. Eine junge Buche wiegt ihre reisigen Blätter im milden Hauche des Morgens. Da lächelt Hermann. Wir schreiten weiter. Wie lichtes Nebelgrau schimmert es uns zwischen den finsteren Stämmen entgegen. Ein fast kalter Lufthauch zieht. Da lichtet sich jählings der Wald und jeder Baum am Rande streckt seine Arme aus — weist lautlos vor Ehr- furcht ein wunderbares Bild. Ein stiller See liegt da, weit hingedehnt, blau, grün, schwarz — wer kennt die Farbe? An den Ufern der Morgenseite erhebt sich über graues Gestein der hohe, dunkle Bergwald, mild umschleiert von den Lichtfäden der Sonne. An dem gegenüber- liegenden Strande baut sich eine ungeheuere Fels- wand, hinter der sich Höhen und Höhen, Hänge und Hänge schichten, bis hinan zu den höchsten Riffen und Zinnen und Zacken am Saume des blauen Himmels. Mannigfaltig und herrlich über alle Beschreibung zieht sich das Hochgebirge hin in einem ungeheueren Halbrund. Hier unten noch Lehnen, Rasen und sammtgrüne Filze der Wachholdersträuche. Dann die milchweißen Fäden der niederstürzenden Wasserfälle, deren Tosen von keinem Ohre ver- nommen in den Räumen der Lüfte verhallt. Dann die Geröllfelder, die Schuttriesen, jedes Steinchen klar gezeichnet in der reinen Luft; dann Klüfte mit Schatten, mit Schründen, mit Schnee; dann ver- witterte Felsgestalten, wüst und hochragend, dämonen- haft in ihrer Ungeheuerlichkeit und ewigen Ruhe. Ein Steinadler schwingt sich im Blau, jetzt wie ein schwarzer Punkt, jetzt wie ein silbernes Blättchen umkreist er eine Felsenspitze. Und in den 26* fernen Höhen aufgerichtet, sanft lehnend, lichte Gletscher und röthlich leuchtende Tafeln der Wände, in welchen stetig meißelt der Griffel der Zeit, um einzugraben in den Bau der Alpen die ewige Ge- schichte und die ehernen Gesetze der Natur . . . . Ich sehe es noch, sehe Alles noch vor meinen Augen — es ist der See im Gesenke mit dem Bergstocke des grauen Zahn. Ich habe Aehnliches schon geschaut, und den- noch hat mich die Herrlichkeit hingerissen. Der Frei- herr aber steht da wie ein Stein. Seine Augen haben sich verloren in dem unendlichen Bilde; seine Lippen saugen bebend die Seeluft ein. Darnach sind wir hinabgestiegen zu den schat- tigen Ufern des Sees. Hier plätschert das Wasser an den stumpfkantigen Steinen. „Der See kann auch wild sein,“ hat hier der Herr bemerkt, „sehen Sie, wie weit den Hang hinan die Steine glatt geschwemmt sind.“ Aus diesen Worten habe ich ersehen, daß Her- mann ein verständiges Auge für die Natur besitzt. — Freilich, freilich kann dieser See ein wüster Ge- selle werden, so mild und lieblich er heute ruht. — — — Und jetzt kommt jählings das Wundersame, dort unten, wo das Gebüsche der Wilderlen in den See taucht — dort guckt ein Menschenhaupt aus dem Wasser hervor! Es hebt sich das Haupt und von den braunen, langen Locken und von dem blühen- den Antlitz rieseln die Tropfen der Fluth. Hals und Nacken sind ein wenig sonnengebräunt, aber die sanftgebauten, wiegenden Achseln schimmern durch das Wasser wie schneeweißer Marmor. Ein junges, schönes Weib, eine Wasserjungfrau! Weiß Gott, ein Dichter könnt’ Einer werden, wahrhaftig! — Und es hat sich noch mehr zugetragen. Der Waldherr ist kurzsichtiger als ich, und hat sich dem Bilde genähert; in demselben Augen- blicke ist die Gestalt untergesunken und nur die Erlen haben gefächelt über dem Wasser und sonst haben wir nichts mehr gesehen. Hermann starrt mich an. Ich starre in den See. Der wirft im Hauche sanfte Reifen, schwarze Linien, ist hier spiegelglatt, dort zitternd und rie- selnd. Und das Haupt taucht nicht mehr hervor. Minuten vergehen. Ich spähe mit Herzklopfen nach dem badenden Wesen; wer weiß, ob es schwim- men kann? Mir fährt es durch den Kopf: Wie, wenn sich das Mädchen aus Schamgfühl im Wasser vergräbt? Nach einer Weile der Angst und Noth habe ich das athemlose Kind aus den Wellen hervor- gezogen. — Mit der wenigen Erfahrung, die uns zu Gebote steht, haben wir sein Leben wieder er- weckt, sein siebzehnjähriges Leben. Und siehe das wildscheue Wesen! Kaum erwacht und von unseren Händen bekleidet, hat ihm die Angst Kraft geliehen, ist es aufgesprungen und hingeflohen am Wald- hange. Der Herr hält sich den Kopf mit beiden Händen. „Andreas!“ ruft er, „mein Uebel kehrt wieder; ich habe Erscheinungen, eine Fee habe ich gesehen!“ „Das ist keine Fee,“ gebe ich ihm zur Ant- wort, „das ist die Tochter jenes Holzers, der dem gnädigen Herrn die Kräuter geschickt hat.“ Die Waldlilie ist es gewesen. Einige Tage später. Heute ist der Herr mit dem Schimmel des Graßsteiger davongefahren. Aus der Besteigung des Zahnes ist nichts ge- worden. Als uns am See die Waldlilie entschwun- den gewesen, hat Hermann gesagt: „Mein Schicksal ist erfüllt; ich steige nicht auf den Berg. Führen Sie mich in Ihr Winkelsteg, Andreas.“ Und in Winkelsteg ist er drei Tage verblieben, hat unsere Einrichtungen betrachtet und zum Theile belobt, hat sehr viel von unserem Wasser getrunken. Die Leute haben es nicht glauben wollen, daß das der Waldherr sei; ein Weiblein hat gemeint, der Waldherr müsse einen goldenen Rock tragen, und dieser Mann hat einen aus grauem Tuche. Sein Gesicht ist wie mit Aschen bestreut, aber unter der Asche merke ich Funken. Vor wenigen Tagen habe ich gesagt, er sei lebenssatt; heute meine ich schier, er sei lebenshungerig. Es ist recht seltsam. Gestern hat er den Berthold zu sich gerufen, daß er das Heilkraut bezahle. Der Rothbart ist längst versetzt; so ist der Berthold Förster in den Winkelwäldern geworden und wohnt nun mit den Seinen im Winkelhüter- hause. In wenigen Tagen wird die kirchliche Trau- ung des Försters mit dem Weibe Aga still voll- zogen werden. So hat es der Herr angeordnet. Zu tausendmal freut es mich: Hermann hat eine kern- gesunde Seele; ein Kranker kann so rasch und sicher nicht handeln. Aber ein seltsamer Mensch ist er doch. Ehe er davonfährt, kommt er zu mir in das Schulhaus, zieht mich zu sich auf eine Bank nieder und sagt: „Schulmeister! sie hat ihr Magd- thum höher gehalten, als ihr Leben; hätte ich denn geglaubt, daß es ein solches Weib gibt auf Erden? Da unten in den Palästen wohnen die Schamlosen und Gefallsüchtigen. Mir haben sie arg mitgespielt. O, mir ist Alles da draußen zum Ekel geworden. Sie, Erdmann, haben voreinst die Welt von unter- herauf gesehen, kennen gelernt und sind davon satt geworden. Ich habe die Welt von oben hinab durchschaut. Das ist eine ganz neue Seite, voll Glanz und Pracht, aber so niederträchtig wie die andere. Mir ist nichts Außerordentliches wider- fahren, Erdmann, ich habe nur gelebt und bin unglücklich gewesen. Ich gehöre auch herein in die- sen Wald — Andreas — ich gehöre auch herein! Aber ich muß wieder zu meinem alten Vater. Gott bewahre, daß ich sie mit mir nehme! glückselig, daß sie die Welt nicht kennt! Ihnen vertrau’ ich sie, Schulmeister. Hat sie das Bedürfniß, Einiges zu lernen, so lehren Sie sie; hat sie das Bedürfniß nicht, so ehren und bewachen Sie sie, wie eine wilde Lilie im Wald. — Und bewahren Sie das Geheimniß, Schulmeister. Wenn ich genesen kann, so werde ich wiederum kommen.“ Und nachdem er mit seinen mächtigen Worten die großen Aenderungen vollzogen hat, ist er mit dem Knecht und Schimmel des Graßsteiger gegen Holdenschlag gefahren. Andere hat das Leben, wie es unser junger Herr geführt, zu Grunde gerichtet; ihn hat es zum Sonderling gemacht. Sein tiefangelegtes Wesen ist zwar erschüttert, aber nicht gestürzt worden. An demselben Tage, als des Morgens Her- mann von hier abgereist ist, sind drei Steckbriefe angekommen. — Der junge, gnädige Herr von Schrankenheim, seit längerer Zeit schon an einer großen Schwermut leidend, sei in Verlust gerathen. Aller Wahrscheinlichkeit nach sei er in das Gebirge gezogen, denn er habe sich mit Kleidern versehen, wie sie Bergreisende tragen. — Und nun sind die Kleider, ist mein ganzer, lieber Zögling Hermann beschrieben gewesen, so genau wie ein entsprungener Sträfling. Gut, er wird ja zurückkehren. Er hat seine Waldbesitzungen bereist, was weiter? Sollt’ er denn just in der Weise der Reichen reisen? Sollte ein Schrankenheim denn niemals aus seinen Schranken treten dürfen? Das ist einmal ein Herr für Winkelsteg, Gott sei Dank! Und mir ist Heil widerfahren, ist ja doch der Berthold und seine Familie gerettet. Ich habe die Leute so schwer auf meinem Gewissen getragen. Die unklaren Worte unseres Waldherrn, die er mir bei seinem Abschiede gesagt, sind zum Theile klar geworden. Die Waldlilie besucht das Schul- haus und wir üben uns im Lesen und Schreiben und Allem, was daranhängt, so weit ich selber Bescheid weiß. Sie ist gar fleißig und gelehrig, kann selbstständig denken und wird von Tag zu Tag schöner. Für’s Erste ist sie in ihren Namen hinein- gewachsen und hat etwas von einer Lilie an sich; so schlank und weiß und mild, und doch verspürt man auf ihren runden Wangen und auf ihren frischen Lippen den Kuß der Sonne. Für’s Zweite ist ihr von den Rehen jener langen Winternacht was geblieben, die anmutige Behendigkeit und das Auge . . . . Du, Andreas! Siehst du jeden deiner Schüler so genau an? Ja, sie gefällt aber Allen. Sie gefällt den Armen, denen sie beizustehen weiß. Manchen Traurigen hat sie schon getröstet durch ihre milden, warmherzigen Worte; manchen Verzagten hat sie erheitert durch ihren liebholden Gesang. Und es ist zu herzig, alle Kinder von Winkelsteg kennen die Waldlilie und hängen ihr an. Thät’ nur der Pfarrer noch leben, der hat an so Leuten seine Freude gehabt. Und ritterlich ist das Mädchen, trutz wilder Thiere und böser Leute steigt sie im Gebirge umher, um Früchte und Pflanzen zu sammeln. Es steht ja geschrieben auf ihrer Stirne: „Machtlos ist vor dir alles Böse!“ Letztlich bringt sie mir eine blaue Enziane mit hochrothen Streifen, wie solche nur drüben im Gesenke wachsen. „Bist du wieder am See gewesen, Lili?“ frage ich. Da wird sie roth, wie die Enzianstreifen und lauft davon. Etwan hat sie es gar nicht gewußt, daß ich einer jener Männer bin, von denen sie in ihrem Wildbade überrascht worden, vor denen sie sich in ihrer Noth dem Verderben in die Arme gestürzt, und von denen sie der Eine an’s trockene Land gezogen hat? Der Vorfall muß ihr wie ein Traumbild sein, er möge nie mehr erwähnt werden. Aber von dem feinen Waldherrn, der ihre Familie aus Noth und Armut gezogen, spricht sie mit Freude und Begeisterung. Zur Auswärtszeit 1837. Es hat sich erfüllt. Die Anzeichen sind in der Luft gelegen seit jenem Tage im Vorsommer, an welchem Hermann, wie neu erwacht zum kräftigen Manne, in Winkelsteg wieder angekommen ist und als sein Erstes mich nach der Waldlilie gefragt hat. Er findet keinen Gefallen mehr an den lauten, schwelgenden Kreisen, von so Vielen die „Welt“ genannt, aber nichts weniger, als die Welt bedeu- tend. Den gefährlichen Wendepunkt hat er glücklich überstanden. Er ist nun eingetreten in das gereifte Leben, in welchem man nach der Schönheit der Schöpfung und nach dem inneren Werthe des Men- schen frägt. — Die Waldlilie ist eine wundersam schöne Jungfrau geworden, und meine Mühe um die Ausbildung ihrer Seelenanlagen ist herrlich belohnt. So hat es sich erfüllt. Der Schrankenheimer hat seine Schranken durchbrochen. Vor zwei Tagen, am Feste der Himmelfahrt des Herrn, ist in un- serer Kirche der Waldherr mit der Waldlilie ge- traut worden. Hermann hat drüben am See im Gesenke ein Sommerhaus bauen lassen wollen, um mit seiner Gattin alljährlich einige Frühherbstwochen daselbst zu wohnen. Aber die Waldlilie hat ihn gebeten, das zu unterlassen. Sie liebe jene Gegend, aber sie könne den See nicht besuchen. Sie haben uns verlassen und sind davongezogen in die schöne Stadt Salzburg. Im Winter 1842. In Einöde und Einförmigkeit vergehen die Jahre; warum nennt mich Niemand den Ein- spanig? Die junge Frau hat sich seither doch besonnen, am See im Gesenke steht das Sommerhaus. Da geht es in den Wochen des Frühherbstes gar leben- dig zu, und die Bergwände bewachen das Familien- glück unseres Herrn. Der Förster und Großvater mit seinem Weibe wohnt jahraus jahrein in dem Hause am See; und die Geschwister der Frau von Schrankenheim dürfen auf ein besseres Los hoffen, als jenes, von dem ihnen an der Wiege ist gesungen worden. Der alte Herr von Schrankenheim hat noch zwei Enkel gesehen, ehe er zu Salzburg im Winter des Jahres 1840 verstorben ist. Winkelsteg hat durch das Haus im Gesenke nichts gewonnen. Dorthin ist eine gute Straße ge- baut worden, von dort aus werden die Wälder bewacht und die Arbeiten geleitet. Dorthin kommen die Besuche fremder Herrschaften, dort werden die großen Jagden angestellt. Das Haus in dem voreh so öden und verrufenen Gesenke ist das Herrenhaus ; und Winkelsteg bleibt die arme Bauern- und Holzschläger- gemeinde, und die Zustände zu Winkelsteg werden nicht besser, und der Schulmeister zu Winkelsteg . . . . Laß das gut sein, Schulmeister. 1. August 1843. Heute Nacht ist dem Reiterbauer in den Kar- wässern ein Knäblein geboren worden. Sie haben es zur Taufe gebracht. Da der Pfarrer auf einige Tage verreist und das Kind schwächlich ist, so habe ich ihm die Nothtaufe gegeben. Auf den Wunsch des Vaters bin ich gleich auch der Pathe gewesen. Die drei lieben Herrgottsgroschen, meine Erbschaft von der Muhme, vormaleinst auch mein Pathen- geschenk, jetztund soll sie der kleine Peter haben. Im Sommer 1847. Als ich in den Wald gekommen bin, habe ich die Menschen zerstreut, verkommen, ungezählt ge- funden. Heute sehe ich ein neues Geschlecht. Um die Kirche steht ein Dorf. Um das Dorf stehen Aepfel- und Birnbäume und tragen Früchte; in allen Winkeln ist versucht worden, aus Wild- lingen Edelbäume zu ziehen; großentheils ist es gelungen. Zum Sonntag kommen schmucke Menschen aus allen Gräben. Die Männer tragen als Eigenart schwarze Knielederhosen und grüne Strümpfe; die Weiber bauschige Sammtspenser und wunderspaß- hafte Drahthauben mit Vergoldung und Bänder- werk. Das ist keine Kleidung mehr, wie sie im Walde wächst. Sonst haben sie die Leinwand von ihren Flachsäckern, den Loden von ihren Schafen, das Schuhleder von ihren Rindern, die Felle und Pelze von ihrem Wildstande getragen; heute strei- chen Hausirer in den Winkelwäldern um, schleppen werthvolle Rohstoffe fort und lassen Prunk und Flitter dafür da. „Aus Spaß“ haben die Leute anfangs die neuen unzweckmäßigen Dinge genommen, heute haben sie sich hineingelebt und die Sach’ ist zum Bedürfniß geworden. Die Jungen sind wol weit vielseitiger, als die Alten, aber auch weit anspruchsvoller; auch haben sie mir zu wenig Sinn und Ehrfurcht für das Alte, aus dem sie hervorgegangen sind. Nur den Tabak rauchen sie, und den Branntwein trinken sie noch, wie es die Alten haben gethan. Was kann der alte Schulmeister allein machen? Ach, lebte der alte Pfarrer noch! Der kleine Reiter Peter, mein Pathenkind, ist ein ganz holder Junge; aber es ist ein großes Unglück mit ihm geschehen, er hat durch einen Fall aus dem Bette die Stimme verloren. Gerne wollte ich ihm die meine überlassen, für mich hat sie keinen Anwert mehr. Meine Stimme ist heiser geworden, da wird nicht mehr auf sie geachtet. Im Mai 1848. Ich weiß nicht, wie das für mich nun werden wird. Ob es nicht am besten wäre, ich nähme auf einige Wochen Urlaub und ginge davon. Draußen zieht das Kriegsvolk, in den Städten verrammelm sie die Gassen und Straßen und reißen die Paläste ein. Eben deswegen kommt sie ja. Die Frau des Feldherrn kommt, Hermanns schöne Schwester, die mich so hat närrisch gemacht. Im Hause am See ist kein Platz mehr, so flüchtet sie sich mit ihren Kindern zu uns. Das Winkelhüterhaus wird für sie eingerichtet. Wie danke ich Gott, daß unser Winkelsteg ihr eine Zuflucht bieten kann in dieser Zeit! Ich will denn doch nicht weggehen. Will blei- ben und sehr stark sein und mich nicht verrathen. Ich will ihr einmal recht in’s Auge schauen, ehe ich sterbe. Ich sehe es wol, Gott meint es gut mit mir. Ihr Auge wird die dunkelnden Waldberge lichten, ihr Athemhauch wird die Alpenluft mildern und weihen. Und zieht sie auch wieder davon, Winkel- steg, wo sie geweilt, wird meine Heimat sein. Vor den Eingang des Hauses bauen wir einen schönen, hohen Bogen aus Tannengezweige, und wir bekränzen den Altar in der Kirche. Alles wird fein bereitet, aber kein Mensch denkt daran, daß die Steine aus dem Wege ge- schafft werden müssen. Solche Frauen haben zartere Füße, als Unsereiner im Gebirge. Jetztund klaube ich schon einen Tag und zwei Nächte an den Steinen des Weges. Die Leute laß ich lachen und es ist nur gut, daß der Mond scheint. Einige Tage später. Jetzt sind sie da. Sie und die zwei Kinder und die Dienerschaft. Da hätte ich freilich die Steine nicht wegzuräumen gebraucht; sie sind mit Roß und Wagen gekommen. Bei der Ankunft sind schier alle Winkelsteger auf dem Platze versammelt gewesen. Der Pfarrer hat eine Begrüßung gehalten; ich habe mich in das Schulhaus verkrochen. Aber ich bin im Herzen er- schrocken; just vor meinem Fenster sind sie aus- Rosegger: Waldschulmeister. 27 gestiegen, und da hab ich gemeint, sie wollten zu mir herein. Ich habe sie sehr gut gesehen; sie ist jünger geworden. Kaum aus dem Wagen gehoben, lauft sie einem Falter nach. — Das ist aber ihre jüngste Tochter gewesen. Sie selber . . . . Bei meiner Treu, ich hätt’ sie nicht mehr erkannt. Sie hat alte Spiegel mit goldenen Rahmen, aber so treu ist keiner, daß er, wie mein Herz, ihr herrliches Bild so bewahrt hätte bis auf den heu- tigen Tag. Das Bild ist jetzt verloschen und meine Ju- gend wie Nebel zergangen. Brachmonat 1848. Gestern bin ich den ganzen Tag im Gebirge herumgestiegen, bin gar auf dem Zahn gewesen. Unterwegs hab ich mich zehnmal gefragt: Warum steigst du hinauf, du altes Kind? — Oben wird die Antwort sein, hab ich gedacht. Ich habe die Alpenkrone gesehen, ich habe in die blauende Tiefe des Gesenkes geblickt, wo an der schwarzen Tafel des Sees das Herrenhaus liegt, ich habe gegen Mittag hin mein Aug’ angestrengt, mein schon recht schwaches Aug’, aber — es ist gar umsonst. So oft ich hinauf mag klettern, das Meer hab ich noch immer und immer nicht geschaut. Man soll es sehen können, heißt es, aber an einem klaren Wintertag. — Jetztund hab ich sonst nichts mehr zu wünschen, so will ich das Eine noch. Bei meinem Herabsteigen habe ich einen Strauß von Alpenrosen, Edelweiß, Kohlröslein, Speik, Arnika und anderen Blumen und Pflanzen gesammelt, hab ihn vornehm auf meinen Hut ge- steckt, wie ein tollverliebter Bursch. Für wen trägst du den Buschen heim? — Ich? für Weib und Kind. — Hei, du verrückter Alter, du! Aber, wenn ich weg von ihr bin, wie da oben auf der Alm, so sehe ich doch wieder, daß sie hold ist. — Einen Alpenblumenstrauß wird sie von mir nehmen, ich will ja recht artig und nicht zudringlich sein. — Hätt’ ich nur eine einzige Ader von dem alten Rüppel, wie wollt’ ich ein Lied her- sagen, das sich zum Strauß thät’ schicken! So meine Gedanken; es ist schrecklich, wie ich noch übermüthig bin. Wie ich herabkomme zur Lauterhöhe, wo der Schirmtanner ein Kreuz hat setzen lassen und wo heute auf dem Waldanger des Holzmeisters Rinder grasen und lustig dabei schellen, setz’ ich mich zur Rast unter einen Baum. Ich gucke auf einen arg- 27* verwüsteten Ameisenhaufen hin. Nur wenige der Thierchen kriechen rathlos herum auf der Trümmer- stätte ihres Fleißes. Ich merke es, ein Ameisengräber ist dagewesen, hat den herrlich eingerichteten Staat zerstört und beraubt. Aus den geraubten Harzkörnern bereitet er Weihrauch für den Altar des Herrn; mit den ge- raubten Eiern füttert er gefangene Vögel, die frei sein sollten im Himmelslichte, die aber in der Ge- fangenschaft schmachten ihr Lebtag lang, weil sie das Unglück haben, die Lieblinge der Menschen zu sein. Es ist die Sage, daß über den Grabhügel eines Ameisengräbers keine einzige Ameise geht. Aus dergleichen Gedanken weckt mich ein Zupfen an meinem Hut; ich wende mich, um zu sehen, wer mich neckt. — Eine braune Kuh steht da und zerkaut mit Behagen meinen Alpenstrauß. Bin aufgefahren, hab das vorwitzige Rind mit meinem Stab wollen züchtigen, da fällt es mir ein: Gutes Thier, etwan machen meine Blumen dir mehr Vergnügen, als ihr; so gesegne dir sie Gott! Sie trinkt dafür deine gute Milch. Als ich zum späten Abend in das Dorf herab- komme, sind ihre Fenster hell beleuchtet; dieselben Fenster, durch die ich vor Jahren so oft habe nach ihr ausgeguckt. Einen Spaß muß man auch haben. Einer von den Bedienten der Frau, der Jakob, ist ein Kreuzköpfel. Können thut er Alles; er kann musiziren, kann schneidern und schustern und kann zeichnen; gar komödiespielen kann er. Die Frau muß aber solche Dinge nicht recht leiden mögen, denn der Jakob kommt allerweg zu mir in das Schul- haus herab, wenn er seine Künste üben will. Da hab ich meine Kurzweil und muß oft närrisch lachen. Ich habe dem Jakob einen Pfeifenkopf geschnitzt, dafür schenkt er mir allfort den besten Tabak. So schnitzen, sagt er, das könne er nicht. Die Höflichkeit hat mir noch kein Mensch gesagt, wie der Jakob. Auch macht er mir allerhand Schwänke vor; auf dem Kopf kann er stehen, bauchreden kann er, wahr- sagen kann er und kartenaufschlagen. Meiner Tag hab ich keinen so geschickten Menschen gesehen. Aber Eines habe ich ihn gebeten, in Gegenwart der Schulkinder möge er nicht allzuviel so Künste trei- ben; — ’s ist mir lieber. Letztlich hat mich der Jakob gar gezeichnet. Auf Ehre, ich hab nicht sitzen wollen, aber er hat mich herumgekriegt, bis ich all meinen Staat um mich gethan, dort auf dem Holzblock Platz gefaßt habe. Er hat mich gezeichnet und mit Farben be- malt, daß es eine Herrlichkeit ist. Das rothe Hals- tuch ist gar zum Sprechen getroffen. Das Bild hat er mir geschenkt. Ich guck’ es heimlich an; aber Jesus Maria! die Schulkinder dürfen mir’s nicht sehen! Will’s wol fleißig verstecken. Hab gemeint, ich werd’ mich recht an ihre Kinder machen. Aber sie sprechen eine welsche Sprache, und die versteh ich nicht. Der junge Herr ist fortweg bei Pferden und Hunden; das Mädchen möchte sich auf den Wiesen umhertreiben bei den Blumen und Käfern. Aber das wird ihr verwiesen, da es nicht Sitte sei. Sie ist schon völlig zu groß, um glückselig sein zu dürfen. Dieser Tage ist Hermann — verzeih’ mir’s Gott, daß ich ihn allfort noch so nenne — vom Gesenke herübergekommen, um seine Schwester zu besuchen. Die Frau hat sich krank gemeldet. Der Jakob sagt, die Beiden hätten kein rechtes Zusammen- sehen. Die Gnädigste erkenne keine Schwägerin an, die nach Tannenpech rieche. Heute hat die Frau eine Tafel gegeben und dazu den Pfarrer und den Graßsteiger eingeladen. Mir ist ein Stück Braten, eine Buttertorte und ein Glas Wein in’s Haus geschickt worden. Zum Glücke geht ein Bettelmann vorbei, daß mir die Speisen nicht verdorben sind. So sind heute zwei Bettelmänner abgespeist worden. Bei der Tafel sei von mir gesprochen worden, sagt der Jakob. Die Frau habe erzählt, ich hätte als armer Student in dem Hause ihres Vaters eine Weile das Gnadenbrot genossen, dann sei ich aus der Schule davongegangen und als Vagabund zurück- gekehrt; dann hätte mich ihr Vater um Gottes- willen in den Wald gethan und mir das Brot gegeben. So weißt du heute mehr, als gestern, Andreas Erdmann; aber kein graues Haar desweg, es thäte die weißen entstellen. August 1848. Nun sind sie wieder fort. Jakob hat mir ein schwarzes Beinkleid und einen weißen Handschuh dagelassen. Juli 1852. Die Grundablösungen sind bewilligt worden. Die meisten Bauern von Winkelsteg sind nun ihre eigenen Herren. ’s ist ihnen von Herzen zu gönnen. Aber ihre Augen sind seither schlechter geworden; Jeder sieht mich nicht, wenn ich des Weges an ihm vorüberkomme. In diesem Sommer bin ich wieder auf dem Berg gewesen. Hab schon gemeint, ich sehe es gegen Mittag hin. Ist aber nur ein Nebelstreifen gelegen. Ich habe mir bei dieser Bergfahrt, ich weiß nicht, durch das grelle Licht der Wetten, oder durch einen scharfen Wärmewechsel, wieder das böse Augenleiden zugezogen, das viele Wochen gewährt und mich an meinem Berufe gehindert hat. Ich denke, dem stummen Reiter Peter sollte man ein wenig Musik lehren. Er muß doch was haben, um sein Herz auszulegen. Es ist unglaublich, wie das weh thut, wenn man Alles in sich verschließen muß. 1853. Der Peter hat Schick; er spielt schon auf der Zither und auf der Geige. Später muß er mir an die Orgel. Die Winkelsteger werden auch in Zukunft noch ihr Meßlied haben wollen. Ich werde nicht immer sein. Der Graßsteiger, oder wie sie ihn jetzt heißen, der Winkelwirt, ist mir gut, und er ist gegen Jeden gut; ganz Winkelsteg hat an ihm einen Freund. Aber seine alte Krankheit will sich wiederum melden. Wenn ihn zuweilen etwas erregt, so muß er gar sehr mit sich kämpfen. Ich hab gesagt, er sollt’ wieder anheben mit den Rosenkranzkügelchen, thäten aber vielleicht nicht mehr viel helfen; es ist große Gefahr vorhanden, daß er in’s Trinken kommt. Der ging’ zu Grund’, wenn er nicht eine so brave Frau hätt’. Die Juliana weiß mit ihm umzugehen, ihr zu Lieb’ leidet er den bittersten Durst. Der Branntweiner Schorschl — der Hannes ist schon todt — wirft mir dann und wann die Fenster ein. Er hält mich für seinen größten Feind, weil ich die Kinder vor dem Branntwein warne. Die Fenster verklebe ich mit Papier. Die Kinder warne ich vor Schädlichem, so lang’ ich lebe. 1855. Der Pfarrer ist uns ausgetauscht worden gegen einen blutjungen. Der Blutjunge sagt, die Seel- sorge sei arg vernachlässigt, und will das Krumme auf einmal gerade machen. Er ordnet Betstunden, Buß- und Bittgänge an. Seine Predigten sind scharf wie Lauge. Und es gibt so viele wunde Herzen. Seit der neue Pfarrer da ist, bin ich in der Schule schier überflüssig geworden. Er füllt die Stunden mit Glaubensunterricht aus. Die Kinder haben mehr Fähigkeit, als ich je erfahren — den ganzen Katechismus kennen sie auswendig. Der Kaiser und der Papst sollen miteinander ein eigenes Gesetz für das Seligwerden herausgegeben haben, und seit ewigen Zeiten ist zu Winkelsteg nicht so viel vom Teufel gesprochen worden, als jetzt. 24. August 1856. Heute ist öffentliche Schulprüfung gewesen. Der Dechant von der Kreisstadt ist da. In Glau- benssachen ist er sehr zufrieden. Was das Uebrige anbelangt, hat er den Kopf geschüttelt. Beim Kom- men hat er mich artig gegrüßt, beim Fortgehen hat er mich kaum angeblickt. Oft sitze ich eine lange Weil’ da oben im Schachen unter den alten Bäumen. Dieser Schachen ist noch übrig geblieben von den großen Wäldern, über dessen Gründen sich die Gemeinde breitet, als ein in die Kette der Menschheit eingereihtes Glied. Ich mag unter dem Schachen sitzen, so lange ich will, kein Mensch ruft mich. Wenn die Todten nur nicht gar so fest schliefen! Ich bin ein alter Späher. Meine Augen sind krank und müd’ und gucken doch zuweilen was aus. Durch den Bretterzaun habe ich es gesehen, wie der Reiter Peter das Schirmtannermädchen an der Hand gefaßt und nicht mehr lassen hat wollen. Durch tausend Geberden hat er ihr was erzählt, das Blut ist ihm in die Wangen gestiegen, aber das Mädchen hat fortweg gesagt: „Nein, Peter, nein.“ Da hat der Junge jählings die Geige bei der Hand und spielt der Rosa ein Stück vor, das ich ihm nicht gelehrt hab. Wundersam ist es gewesen, wie ich es meiner Tag nimmer hätt’ gemeint, daß der Peter spielen könnt’. Ja, und so lang hat er’s getrieben, bis ihm die Rosa ist an den Hals gefallen: „Hör’ auf, mir thut’s bitterlich weh! Peter, ich hab’ dich ja gern!“ ’s ist ein Gescherr mit den jungen Leuten. Hat so ein Bursch’ keine Stimm’ zum Schwätzen, so hebt er seine Liebschaften gar mit der Geige an. Zur Winterszeit 1857. So ein Tagebuch ist doch ein treuer Freund. Was man ihm auch anvertrauen mag, es vergißt nichts und plaudert nichts aus. Wenn ich diese Schriften durchsehe, so kann ich es gar nicht glauben, daß ich das Alles mit erlebt und geschrieben habe. Es sind wunderliche Geschichten. Ich bin doch einmal wer gewesen! Aus einem alten Mann bin ich ein junger geworden; aus dem jungen wieder ein alter, halbblinder, dem bei dem Meßliede schon die Noten tanzen auf dem Blatt. Die Leut’ haben mich bei Seite geschoben . . . . Mein Gott, Anderen geht es auch nicht besser. Ich verlang’ ja nichts; ich hab mein Theil gethan und bin’s zufrieden. 1864. Und seit fünfzig Jahren bin ich nicht mehr aus diesen Wäldern gekommen. Und die Waldleute entstehen, leben und ver- gehen dahier und steigen in ihrem ganzen Lebens- lauf nicht ein einzigmal auf den Berg, wo man die Herrlichkeit kann sehen, und am hellen Winter- tag das Meer. Das Meer ! wie wird es da leicht und weit im Herzen! Dort zieht ein Kahn, steht ein Jüng- ling darin, der winkt — Heinrich! Was ist das? — Der Narr! Versitzt seine Lebenszeit im Winkel und hätt’ ein Schiffer werden sollen! Heiliger Abend 1864. Die Laufbahn ist kurz. Vom Winkelhüterhause bis hinab zu der Kirchhofsmauer rutschen sie auf ihren Brettchen und Schlittchen dahin über den gefrornen Schnee. Und wie sie dabei zettern und mit leuchtenden Augen und Wangen die Sache be- eifern! — Ich warte auf den Reiter Peter, er kommt mit seiner Geige, daß wir zusammen das neue Krippenlied versuchen. Einstweilen gucke ich den lustigen Kindern zu und schreibe. Pelzhauben haben sie auf, die Kleinen, und eine ganze Weile haben sie zu trippeln und zu schnaufen, bis sie mit ihrem Fahrzeug oben an- kommen — und unten sind sie in zehn Augenblicken. Lange Müh’ und kurzer Genuß! Wird sich aber noch Einer seinen Kopf an die Mauer rennen! Die böse Mauer! Wie wollt’ ich auf meinem Schlitten hingleiten über Berg und Thal, über Länder und Wässer — und nimmer zurück! Der Peter kommt. „Schlaf süß, schlaf in heiliger Ruh,!“ Das Lied ist so lieblich, und morgen — Das letzte Blatt. — und morgen — Mit diesen Worten enden die Schriften. Zwei lange Regentage hatte ich gelesen. Aus dem vorigen Jahrhundert hatte ich mich durch ein seltsames Leben herangelesen bis zu dem letztver- gangenen Weihnachtsfeste. — und morgen — Der Kopf war mir heiß und schwer, ich blickte nach der Thür. Der Mann muß ja hereintreten und weiter schreiben, was am nächsten Morgen ge- kommen, wie es weiter gewesen war. Denn das ist kein Abschluß und kein Abschied, das ist ein hoffen- der Blick in die Zukunft, ein Aufathmen, ein Morgenstern. Fast wie eine Ueberzeugung empfand ich’s: der Schulmeister lebt. In der Fremde wird er wandern und irren, der arme Mann mit der großen Sehnsucht, die keinen Namen hat. Es ist die Sehn- sucht, die wir Alle empfinden, ob seichter, ob tiefer, die Sehnsucht nach dem Ganzen, Allgemeinsamen, nach dem Wahren aber Unfaßbaren, in dem unsere drängende, strebende, bangende Seele Ruhe und Erlösung zu finden hofft. Mir war, als müßte ich auf und davon und den alten, guten, kindlichen Mann suchen allerwege. — Was war das für ein seltsames Streben und Ringen gewesen! Ein vergebliches Aufraffen nach den Zielen der Gesellschaft; ein krampfhaft unter- drücktes Auflodern jugendlicher Leidenschaft, ein ver- zweifeltes Hineinstürzen in die Wirren des Lebens, ein begeisterter Flug durch die Welt, ein furchtbares Erwachen aus Täuschung, ein Fliehen in die Oeden der Wildniß, ein stilles, stetes Wirken in Ergebung und Aufopferung, ein großes Gelingen, eine tiefe Befriedigung. Da naht das Alter, ein junges Volk und neue Verhältnisse bieten keine Gelegenheit zu Thaten mehr; ein betrübtes Zurückziehen in sich selbst, Verlassenheit und Einsamkeit, Zweifeln, Grü- beln und Träumen und ein stilles Ergeben und Versickern. In Alter und Unbehilflichkeit und Ein- falt ist er ein Kind geworden; ein in Träumen lächelndes, glückliches Kind. Aber die Sehnsucht und das Ahnen des Jünglings ist ihm geblieben. Und ein großer Lohn ist ihm geworden, ein Entgelt, das uns mit seinen Schicksalen versöhnt, ein Ent- gelt, wie es die Welt nimmer gibt und geben kann, wie es nur aus treuer Erfüllung des Lebens ent- steht: der Frieden der Seele. Die Wachtel der Uhr schlug achtmal. Ich ver- schloß die Blätter sorgsam in die Lade und ging hinab gegen das Wirtshaus. Es dunkelte schon; eine frostige Trübe lag allerwärts und eine scharfe Luft strich durch den feinrieselnden Regen. Der Lazarus stand vor der Hausthür, wendete sein Gesicht nach allen Himmelsgegenden und sagte: „’s wird anders werden.“ Er sagte es zu sich selbst. Er hatte gewiß keine Ahnung, daß der junge, fremde Mensch, der ihm nun nahte, seine ganze Geschichte wisse. Der Wirt war an demselben Abend recht red- selig, aber ich war schweigsam und begab mich bald wieder in mein Schulhaus zur Ruhe. Wie sah ich nun Alles ganz anders an, als vor zwei Tagen. Völlig daheim war ich in diesem Alpendörfchen, in welchem ich gleichsam in dem Schulmeister jung gewesen und alt geworden. Und der Mann, der die Gemeinde gegründet und großgezogen mit seinem Lebensmark, sollte fremd sein und vergessen? Nein, er ist überall zu verspüren. Unsichtbar steigt er in Winkelsteg herum Tag und Nacht, zu jeder Stund’! — hatte der Kohlenbrenner gesagt. Rosegger: Waldschulmeister. 28 Der nächste Morgen war so hell, daß er mir durch das geschlossene Augenlid drang. Als ich es öffnete, sah ich einen lichten, klaren Wintertag. Ich sprang auf. Es hatte geschneit; die weiße Hülle lag über dem ganzen Thale, auf allen Dä- chern und Bäumen. Der Himmel war rein. Bald war ich gerüstet zu meiner Alpen- fahrt. „Heut wol!“ sagte die Wirtin, „heut ist es fein auf der Höh’, wenn dem Herrn der Schnee nicht irrt. Wer Geduld hat, sag’ ich fort, der er- wartet Alles auf der Welt, gar ein schön’ Wetter in Winkelsteg. Mitnehmen muß der Herr halt wen.“ Dann zu ihrem Manne: „Du, leicht will sich der Reiter Peter einen feinen Führerlohn ver- dienen?“ „Der Reiter Peter,“ sage ich, „der ist mir schon recht; das Schwätzen unterwegs ist mir ohne- hin zuwider.“ „Ei, der Herr weiß es schon, daß der Peter nicht schwätzt; ja, der ist fein still, hat er die Gei- gen nicht bei sich.“ Der Peter war jener stumme, junge Mann, der mir vor zwei Tagen nach der Messe an der Kirchthür begegnete. So stieg ich denn mit dem Taufpathen des Schulmeisters, mit allem Nöthigen wol versorgt, das Gebirge hinan. Der Schnee war weich und leuchtete in der Morgensonne. Bald standen die niedergedrückten Pflanzen und Blumen wieder auf, und die Vögel sangen und hüpften in dem Geäste und schüttelten das Geflocke von den Bäumen. Frisch und neu- lebendig grünte es zwischen dem rosigangehauchten Weiß, und in einer großen Klarheit lagen die Waldberge. Es war in einer wundersamen Weise der Sommer vermählt mit dem Winter. Wir gingen an dem Schachen des Friedhofes vorüber; der Peter zog seinen Hut vom Kopfe und trug ihn so lange in der Hand, bis wir an dem Gottesacker vorbei waren. Die alten Bäume floch- ten hoch über den wenigen Gräbern die Aeste und Kronen so in einander, daß es war, wie in einem gothischen Dome. Wol legte sich über den Wipfeln der Schneeschleier hin, im Schatten auf den Grä- bern aber prangte frisches Gras und Moosgeflechte, und darüber ragten und lehnten an den Stämmen, oder lagen verwahrlost hingestreckt die grauen, bild- und inschriftlosen Holzkreuze. Ich wollte mir die Ruhestätte des Vater Paul und des Reim-Rüppel zeigen lassen. Der Peter sah mich fragend an; davon wußte der junge Mann nichts. Später kamen wir auf einen Bergsattel. „Wir sind auf der Lauterhöhe?“ frug ich meinen stillen Gefährten. Er nickte bejahend mit 28* dem Kopfe. Ich dachte an den zerstörten Ameis- haufen, an das Rind, das den Alpenstrauß fraß, an die Schirmtannen da hinten, an den Schirm- tanner, und plötzlich frug ich den Peter: „Die Schirmtanner-Rosel, die kennst du?“ Er wurde roth wie eine Alpenrose. Von diesem Bergsattel aus hatte sich gegen Mitternacht hin eine ganz neue Gegend aufgethan; Thäler und Waldberge zogen sich in tiefer Klar- heit hin; links erhoben sich Felswände, die weit über die Wälder weg einen schründig durchbro- chenen Wall bildeten. In dieser Richtung hin dachte ich mir die Gegenden der Lautergräben, Karwässer, der Wolfsgrube und des Felsenthales. Der Weg führte thalab, wir aber bogen links ein und stiegen durch Fichtenwald, Zirmgesträuche immer höher empor bis zu den Almenblößen, die sich hinanziehen gegen die hochragenden Fels- massen. Die Schneehülle war hier zwar etwas dichter und spröder, hinderte aber nicht sonderlich im Wan- dern. Ein paar Hütten standen da, aus deren Dach- fugen Rauch hervordrang und in deren Ställen die Rinder schellten. Diese mußten heute Heu fressen, aber nach dem Schnee sollen gute, warme Tage kommen. In welchem Fenster dieser Hütten wol der Meisterknecht Paul gesteckt sein mochte? Wir schritten weiter; bald merkte ich, daß mein Begleiter selbst den Weg nicht kenne. Wir gingen den Felsen zu, stiegen an den Mulden empor, wie ich mich erinnerte, daß der Schulmeister gegangen war, und endlich kamen wir auf das Grat. Das Bild war unvergleichlich. Der Schulmeister hat es geschildert. Wir gingen dem Grat entlang; ruhten dann ein wenig, um uns mit Brot und Fleisch zu laben und die Steigeisen an die Füße zu schnallen. Hierauf gingen wir langsam über das Gletscherfeld hinan gegen den Kegel. Die Luft war außerdentlich rein und ruhig und fast kalt; ich empfand in mir eine Frische und ein Wohlbehagen zum Aufjauchzen. Je näher wir der Spitze kamen, desto behender förderten wir unsere Schritte; auch der Peter war lustig ge- worden. Nun waren wir oben, standen auf der Spitze des Zahn. Mir war zu Muthe, als wäre ich schon früher mehrmals auf dieser Höhe gewesen. Um uns lag in einer unendlichen Runde — wie der Schulmeister sagt — die Krone der Alpen. Selbst dort über den weiten Wäldern, im sonnendurchwobenen Mittag ragten die Kanten und Spitzen eines neuen Gebirgszuges noch deutlich und darüber hinaus, schnurgerade hingezogen lag ein schimmerndes Band — das Meer! Mir war zu Muthe, als müßte ich fortrasen hinab von Fels zu Fels und hin über Berg und Thal, den Schulmeister zu suchen, ihm zuzurufen: „Kommet und sehet das Meer!“ In lauter Begeisterung und in stiller Ver- sunkenheit habe ich wol lange hinausgestarrt. Dann stiegen wir einige Schritte niederwärts unter den Steinvorsprung, an welchem der Mann vor fünfzig Jahren gesessen war und geträumt hatte. Hier schien die Sonne gar mild und von einigen Steinklötzen war der Schnee bereits weg- geschmolzen. Wir setzten uns auf solche trockene Klötze und hielten Mahlzeit. Der Peter spielte mit seinem Stock im Schnee; er zeichnete Buch- staben hin; ich meinte, er wolle mir etwa seine Gedanken und Empfindungen anfschreiben. Aber er zerstörte die Zeichen wieder und es war nur loses Spiel. Mein Auge schweifte hinaus, flog von einem Berg zum andern, bis zu den fernsten, italischen Höhen. Es glitt hin auf den sonnigen Fluthen, es trank vom Meere. Ueber den Wassern sah ich das Lichtwogen der mittägigen Sonne. Ein blauer Schatten senkte sich vor meinem Auge, Sternchen stiegen auf und nieder . . . . Plötzlich gellte neben mir ein wilder Schrei. Der Bursche war emporgesprungen und wies mit beiden Händen gegen den hügeligen Schneeboden hin. Ich forschte nach der Ursache, da waren Buchstabenzeichen, da war aufgewühlter Flaum, da war — Es war grauenhaft zu sehen. Von der Schnee- hülle halb bloßgelegt starrte ein Menschenhaupt hervor. Nur wenige Augenblicke war der Bursche schreckerstarrt, thatlos dagestanden; dann eilte er, die grauenvolle Erscheinung von der Schneehülle vollends zu befreien. Mit Fieberhast arbeitete er, und als ein ganzer Menschenkörper dalag, da ächzte er kläglich, verbarg sein Gesicht, sank mir in die Arme und wimmerte. Da lag ein alter Mann, gerollt in einen braunen Mantel, die Züge fahl und eingetrocknet, die tiefliegenden Augen geschlossen, die wenigen Locken des Hauptes wirr und weiß wie der Schnee. Wie mir in dieser Stunde war, das ist un- beschreiblich. „Kennst du ihn?“ frug ich den Burschen. Er neigte traurig den Kopf. „Ist es der Schulmeister?“ rief ich aus. Der Peter neigte das Haupt. — Als wir endlich einige Fassung gewonnen hatten, huben wir an, den Todten näher zu be- trachten. Er war sorgsam in den Mantel geschlagen, an die Schuhe waren Steigeisen geschnallt, daneben lag ein Bergstock. In dem halboffenen Ledertäschchen fanden sich einige verdorrte Brotkrummen und ein zusammengerolltes Stück Papier. Nach diesem griff ich und zog es auseinander. Da standen Worte, Worte in schiefen, regellosen Zeilen, mit Bleistift unsicher hingedrückt. Die Worte sind leserlich und lauten: „Christtag. Ich habe bei Sonnenuntergang das Meer gesehen und das Augenlicht ver- loren.“ — — — So hatte er sein Ziel geschaut. Als Erblin- deter hatte er das Blatt beschrieben, das letzte Blatt zu seinen Schriften. Dann hatte er sich wol hingelegt auf den Steinboden, hatte die eisige Win- ternacht erwartet und war in derselben gestorben. Wir bauten aus Steinen einen Wall um den Todten und wölbten ihn nothdürftig ein. Dann stiegen wir nieder zu den Almen und den kürzeren Weg über Miesenbach nach Winkelsteg. Des andern Morgens zur frühen Stunde stiegen ihrer Viele empor gegen den grauen Zahn, und ich mit ihnen. Der alte Schirmtanner war auch dabei, der wußte Vieles von dem Schulmeister zu erzählen und seine Worte stimmten mit den Schriften überein. Und so trugen wir den alten Andreas Erd- mann, der in der trockenen, kalten Alpenluft fast zur Mumie vertrocknet war, herab in das Thal der Winkel zur Pfarrkirche, die unter seinem Walten erbaut worden war; trugen ihn auf den Friedhof, den er selbst angelegt hatte im Schatten des Waldes. Die Nachricht, der alte Schulmeister sei auf- gefunden worden, hatte sich bald verbreitet in den Winkelwäldern, und Alles strömte herbei zum Be- gräbnisse, und Alles pries den guten, braven Mann. Der Winkelwirt weinte wie ein Kind. „ Der hat meinen verlassenen Vater gesegnet auf dem Tod- bett!“ rief er. Den Peter mußte der Schirmtanner von der Bahre hinwegführen. Der Förster vom Herrenhaus war da. Ganz in der Nähe des Grabes wuchs eine Waldlilie. Der Branntweiner Schorschl hielt Einigen, die am Friedhofseingange standen, eine Rede; er habe nichts, gar nichts gegen den Schulmeister ge- habt, doch der Schulmeister sei eigensinnig gewesen. Das Eine sei zu bedenken: hätte der Schulmeister ein Fläschchen Wachholderbranntwein bei sich ge- habt, er wäre nicht erfroren. Zur Abendstunde unter Fackelschein ist der gute, alte Mann in die Erde gesenkt worden. Die Schriften, zu denen ich in so eigenthüm- licher Weise gekommen bin, habe ich mir von der Gemeinde Winkelsteg erbeten, auf daß ich sie der Oeffentlichkeit übergebe, als Zeugenschaft von einem armen, reichen, fruchtbaren und selbstlosen Leben in der Verborgenheit des Waldes. In tiefster Bewegung habe ich das letzte Blatt mit den Bleistiftworten zu den Schriften gelegt. Schlage nach, mein Leser, es wird dir ein seltsamer Umstand nicht entgehen: Das erste Blatt ist von einem Kinde an das Jenseits gerichtet. Und von demselben Kinde wird nach der Erfüllung der Zeit das letzte Blatt gleichsam aus dem Jenseits herübergesandt, uns Ringenden auf Erden als des Vermächtnisses Siegel mit der Inschrift: Entsagung und Ergebung! (Des dritten und letzten Theiles Ende.) P. K. Roseggers Werke. Im Verlage von Gustav Heckenast in Pest sind erschienen: Gestalten aus dem Volke der österreichischen Alpenwelt. (8°. 328 Seiten.) Geheftet 2 fl. Hackländer’s „Über Land und Meer“ sagt über dieses Werk: In diesem Buche weht wirklich die erquickende, reine, herzstärkende Alpenluft; es ist mit dem würzigen Harzdufte der Tannenwälder durchzogen, die Wiesen leuchten und spenden erfrischende Wohlgerüche, Vögel singen und die Bäche rauschen und plaudern. Alles wirk- lich, nichts gemacht, nichts hineingetragen. — Es herrscht in diesem Werke eine heitere, reine, klare, herzgewinnende Schlichtheit, die an die antiken Klassiker erinnert, denen die Sonne Homer’s im Lande Homer’s leuchtete. Der Autor gibt eine Menge Gestalten aus den Bergen und Thälern seiner Heimat, mit tiefer Kenntniß dieses Völk- chens, mit herzinniger Liebe, feinem Humor und einer bewunderungswürdigen Kunst der Gestaltung durch die einfachsten Worte. Sämmtliche Figuren sind greifbar wahr, sie leben und geben sich mit einer köstlichen Nai- vität. Sobald man in das Buch hineinschaut, wandelt man sofort unter diesen Leuten und macht die originell- sten, interessantesten und ergötzlichsten Bekanntschaften. Wir weisen mit Freuden auf diese Leistung hin. Geschichten aus den Alpen. 2 Bände. Geheftet 4 fl. 80 kr. „Pester Lloyd“ sagt: „Geschichten aus Steiermark“, „Wanderleben“, „Gestalten aus dem Volke der österrei- chischen Alpenwelt“, „In der Einöde“ (unstreitig Roseg- gers bedeutendste und vollendetste Leistung), „Aus dem Walde“, Tannenharz und Fichtennadeln“ und endlich seine „Geschichten aus den Alpen“ erweisen Rosegger als ein hervorragendes Talent von echtem dichterischen Beruf. Es ist ein kleines Stück Erde, welches er beherrscht, aber dieses kennt er durchaus und weiß uns ganz in die Ei- genart desselben zu versetzen. Schon seine Naturschilde- rungen und jede seiner Erzählungen bietet uns ein be- deutendes Stück Landschaftsmalerei, sind hochpoetisch. — Er versteht es, das Trockenste und Seelenloseste zu bele- ben und durch jenen Reiz einer dichterischen Stimmung zu verklären, wie wir das z. B. auch aus Auerbach’s Dorfgeschichten kennen. — Auch die Menschen, welche aus jener rauhen Natur herauswachsen, sind ihm durch- aus vertraut. Der Dichter hat ein scharfes Auge für das Charakteristische und Eigenthümliche und weiß dasselbe mit Geschick in den Vordergrund zu stellen. — Rosegger ist unstreitig zum Dichter von Dorfgeschichten in selten- ster Weise befähigt und besitzt überdieß ein Erzählertalent, welches aller Anerkennung wert ist. — Das gilt vollstän- dig auch von seinen „Geschichten aus den Alpen.“ Es ist, als ob in diesen Geschichten eine andere Logik herrschte, als im Leben anderer Leute, als ob diese Menschen anders dächten und fühlten, als Unsereins. Es sind echte Origi- nale, knörrige Auswüchse der rauhen Natur, welche sie umgibt — nicht mit dem Maaße meßbar, welches bei anderen Menschenkindern üblich und am Platze ist. In ähnlicher und auch in anderartig anerkennender Weise beurtheilen Roseggers Schriften z. B. der „Ung. Lloyd“, die „Neue freie Presse“, die „Linzer“ und „Grazer Tagespost“, „die Triester Zeitung“, die „Deutsche Zei- tung“, „Gottschall’s literarische Unterhaltungen“, der „Hamburger Correspondent“, das „Magazin für Literatur des Auslandes“, „Westermann’s Monathefte“ und andere Blätter des In- und Auslandes.