Hamburgische Dramaturgie. Zweyter Band. Hamburg . In Commission bey J. H. Cramer , in Bremen. Hamburgische Dramaturgie . Drey und funfzigstes Stück. Den 3ten November, 1767. D en ein und vierzigsten Abend (Freytags, den 10ten Julius,) wurden Cenie und der Mann nach der Uhr, wiederholt. S. den 23sten und 29sten Abend, Seite 153 und 172. „Cenie, sagt Chevrier gerade heraus, Observateur des Spectacles Tome I. p. 211. führet den Namen der Frau von Graffigni, ist aber ein Werk des Abts von Voisenon. Es war Anfangs in Versen; weil aber die Frau von Graffigni, der es erst in ihrem vier und funfzigsten Jahre einfiel, die Schriftstellerinn zu spielen, in ihrem Leben keinen Vers gemacht hatte, so ward Cenie in Prosa gebracht. Mais l’Auteur, fügt er hinzu, y a laissé 81 vers qui y existent dans leur entier. „ Das ist, ohne Zweifel, von einzeln hin und wieder zer- streu- A streuten Zeilen zu verstehen, die den Reim ver- loren, aber die Sylbenzahl beybehalten haben. Doch wenn Chevrier keinen andern Beweis hat- te, daß das Stück in Versen gewesen: so ist es sehr erlaubt, daran zu zweifeln. Die französi- schen Verse kommen überhaupt der Prosa so nahe, daß es Mühe kosten soll, nur in einem etwas gesuchteren Stile zu schreiben, ohne daß sich nicht von selbst ganze Verse zusammen fin- den, denen nichts wie der Reim mangelt. Und gerade denjenigen, die gar keine Verse machen, können dergleichen Verse am ersten entwischen; eben weil sie gar kein Ohr für das Metrum ha- ben, und es also eben so wenig zu vermeiden, als zu beobachten verstehen. Was hat Cenie sonst für Merkmahle, daß sie nicht aus der Feder eines Frauenzimmers könne geflossen seyn? „Das Frauenzimmer überhaupt, sagt Rousseau, à d’Alembert p. 193. liebt keine einzige Kunst, versteht sich auf keine einzige, und an Genie fehlt es ihm ganz und gar. Es kann in kleinen Werken glücklich seyn, die nichts als leichten Witz, nichts als Geschmack, nichts als Anmuth, höchstens Gründlichkeit und Philosophie ver- langen. Es kann sich Wissenschaft, Gelehr- samkeit und alle Talente erwerben, die sich durch Mühe und Arbeit erwerben lassen. Aber jenes himmlische Feuer, welches die Seele erhitzet und ent- entflammet, jenes um sich greifende verzehrende Genie, jene brennende Beredsamkeit, jene er- habene Schwünge, die ihr Entzückendes dem Innersten unseres Herzens mittheilen, werden den Schriften des Frauenzimmers allezeit feh- len.„ Also fehlen sie wohl auch der Cenie? Oder, wenn sie ihr nicht fehlen, so muß Cenie nothwen- dig das Werk eines Mannes seyn? Rousseau selbst würde so nicht schliessen. Er sagt viel- mehr, was er dem Frauenzimmer überhaupt ab- sprechen zu müssen glaube, wolle er darum kei- ner Frau insbesondere streitig machen. ( Ce n’est pas à une femme, mais aux femmes que je refuse les talens des hommes Ibid. p. 78. .) Und dieses sagt er eben auf Veranlassung der Cenie; eben da, wo er die Graffigni als die Verfasserinn derselben anführt. Dabey merke man wohl, daß Graffigni seine Freundinn nicht war, daß sie übels von ihm gesprochen hatte, daß er sich an eben der Stelle über sie beklagt. Dem ohngeachtet erklärt er sie lieber für eine Ausnahme seines Satzes, als daß er im gering- sten auf das Vorgeben des Chevrier anspielen sollte, welches er zu thun, ohne Zweifel, Frey- müthigkeit genug gehabt hätte, wenn er nicht von dem Gegentheile überzeugt gewesen wäre. A 2 Che- Chevrier hat mehr solche verkleinerliche ge- heime Nachrichten. Eben dieser Abt, wie Che- vrier wissen will, hat für die Favart gearbeitet. Er hat die komische Oper, Annette und Lubin, gemacht; und nicht Sie, die Aktrice, von der er sagt, daß sie kaum lesen könne. Sein Be- weis ist ein Gassenhauer, der in Paris darüber herumgegangen; und es ist allerdings wahr, daß die Gassenhauer in der französischen Ge- schichte überhaupt unter die glaubwürdigsten Dokumente gehören. Warum ein Geistlicher ein sehr verliebtes Singspiel unter fremdem Namen in die Welt schicke, ließe sich endlich noch begreifen. Aber warum er sich zu einer Cenie nicht bekennen wol- le, der ich nicht viele Predigten vorziehen möchte, ist schwerlich abzusehen. Dieser Abt hat ja sonst mehr als ein Stück aufführen und drucken las- sen, von welchen ihn jedermann als den Verfas- ser kennet, und die der Cenie bey weiten nicht gleich kommen. Wenn er einer Frau von vier und funfzig Jahren eine Galanterie machen woll- te, ist es wahrscheinlich, daß er es gerade mit seinem besten Werke würde gethan haben? — Den zwey und vierzigsten Abend (Montags, den 13ten Julius,) ward die Frauenschule von Moliere aufgeführt. Moliere hatte bereits seine Männerschule ge- macht, als er im Jahre 1662 diese Frauenschule darauf darauf folgen ließ. Wer beide Stücke nicht kennet, würde sich sehr irren, wenn er glaubte, daß hier den Frauen, wie dort den Männern, ihre Schuldigkeit geprediget würde. Es sind beides witzige Possenspiele, in welchen ein Paar junge Mädchen, wovon das eine in aller Strenge erzogen und das andere in aller Einfalt aufge- wachsen, ein Paar alte Laffen hintergehen; und die beide die Männerschule heissen müßten, wenn Moliere weiter nichts darinn hätte lehren wol- len, als daß das dümmste Mädchen noch immer Verstand genug habe zu betrügen, und daß Zwang und Aufsicht weit weniger fruchte und nutze, als Nachsicht und Freyheit. Wirklich ist für das weibliche Geschlecht in der Frauen- schule nicht viel zu lernen; es wäre denn, daß Moliere mit diesem Titel auf die Ehestandsregeln, in der zweyten Scene des dritten Akts, gesehen hätte, mit welchen aber die Pflichten der Wei- ber eher lächerlich gemacht werden. „Die zwey glücklichsten Stoffe zur Tragödie und Komödie, sagt Trublet, Essais de Litt. \& de Morale T. IV. p. 295. sind der Cid und die Frauenschule. Aber beide sind vom Corneille und Moliere bearbeitet worden, als diese Dichter ihre völlige Stärke noch nicht hat- ten. Diese Anmerkung, fügt er hinzu, habe ich von dem Hrn. von Fontenelle.„ A 3 Wenn Wenn doch Trublet den Hrn. von Fontenelle gefragt hätte, wie er dieses meine. Oder Falls es ihm so schon verständlich genug war, wenn er es doch auch seinen Lesern mit ein Paar Wor- ten hätte verständlich machen wollen. Ich we- nigstens bekenne, daß ich gar nicht absehe, wo Fontenelle mit diesem Räthsel hingewollt. Ich glaube, er hat sich versprochen; oder Trublet hat sich verhört. Wenn indeß, nach der Meinung dieser Män- ner, der Stoff der Frauenschule so besonders glücklich ist, und Moliere in der Ausführung desselben nur zu kurz gefallen: so hätte sich dieser auf das ganze Stück eben nicht viel einzubilden gehabt. Denn der Stoff ist nicht von ihm; sondern Theils aus einer Spanischen Erzehlung, die man bey dem Scarron, unter dem Titel, die vergebliche Vorsicht, findet, Theils aus den spaßhaften Nächten des Straparolle genommen, wo ein Liebhaber einem seiner Freunde alle Tage vertrauet, wie weit er mit seiner Geliebten ge- kommen, ohne zu wissen, daß dieser Freund sein Nebenbuhler ist. „Die Frauenschule, sagt der Herr von Vol- taire, war ein Stück von einer ganz neuen Gat- tung, worinn zwar alles nur Erzehlung, aber doch so künstliche Erzehlung ist, daß alles Hand- lung zu seyn scheinet.„ Wenn Wenn das Neue hierinn bestand, so ist es sehr gut, daß man die neue Gattung eingehen lassen. Mehr oder weniger künstlich, Erzeh- lung bleibt immer Erzehlung, und wir wollen auf dem Theater wirkliche Handlungen sehen. — Aber ist es denn auch wahr, daß alles darinn erzehlt wird? daß alles nur Handlung zu seyn scheint? Voltaire hätte diesen alten Einwurf nicht wieder aufwärmen sollen; oder, anstatt ihn in ein anscheinendes Lob zu verkehren, hätte er wenigstens die Antwort beyfügen sollen, die Moliere selbst darauf ertheilte, und die sehr pas- send ist. Die Erzehlungen nehmlich sind in die- sem Stücke, vermöge der innern Verfassung desselben, wirkliche Handlung; sie haben alles, was zu einer komischen Handlung erforderlich ist; und es ist bloße Wortklauberey, ihnen die- sen Namen hier streitig zu machen. In der Kritik der Frauenschule, in der Per- son des Dorante: Les recits euxmêmes y sont des actions suivant la constitution du sujet. Denn es kömmt ja weit weniger auf die Vorfälle an, welche erzehlt werden, als auf den Eindruck, welchen diese Vorfälle auf den betrognen Alten machen, wenn er sie erfährt. Das Lächerliche dieses Alten wollte Moliere vornehmlich schil- dern; ihn müssen wir also vornehmlich sehen, wie er sich bey dem Unfalle, der ihm drohet, ge- behr- behrdet; und dieses hätten wir so gut nicht gese- hen, wenn der Dichter das, was er erzehlen läßt, vor unsern Augen hätte vorgehen lassen, und das, was er vorgehen läßt, dafür hätte er- zehlen lassen. Der Verdruß, den Arnolph empfindet; der Zwang, den er sich anthut, die- sen Verdruß zu verbergen; der höhnische Ton, den er annimmt, wenn er den weitern Progresse des Horaz nun vorgebauet zu haben glaubet; das Erstaunen, die stille Wuth, in der wir ihn sehen, wenn er vernimmt, daß Horaz dem ohn- geachtet sein Ziel glücklich verfolgt: das sind Handlungen, und weit komischere Handlungen, als alles, was außer der Scene vorgeht. Selbst in der Erzehlung der Agnese, von ihrer mit dem Horaz gemachten Bekanntschaft, ist mehr Hand- lung, als wir finden würden, wenn wir diese Bekanntschaft auf der Bühne wirklich machen sähen. Also, anstatt von der Frauenschule zu sagen, daß alles darinn Handlung scheine, obgleich alles nur Erzehlung sey, glaubte ich mit meh- rerm Rechte sagen zu können, daß alles Hand- lung darinn sey, obgleich alles nur Erzehlung zu seyn scheine. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Vier und funfzigstes Stück. Den 6ten November, 1767. D en drey und vierzigsten Abend (Dienstags, den 14ten Julius,) ward die Mütter- schule des La Chaussee, und den vier und vierzigsten Abend (als den 15ten,) der Graf von Essex wiederholt. S. den 26sten u. 30sten Abend Seite 161 u. 173. Da die Engländer von je her so gern dome- stica facta auf ihre Bühne gebracht haben, so kann man leicht vermuthen, daß es ihnen auch an Trauerspielen über diesen Gegenstand nicht fehlen wird. Das älteste ist das von Joh. Banks, unter dem Titel, der unglückliche Lieb- ling, oder Graf von Essex. Es kam 1682 aufs Theater, und erhielt allgemeinen Beyfall. Damals aber hatten die Franzosen schon drey Essexe; des Calprenede von 1638; des Boyer von 1678, und des jüngern Corneille, von eben die- B diesem Jahre. Wollten indeß die Engländer, daß ihnen die Franzosen auch hierinn nicht möch- ten zuvorgekommen seyn, so würden sie sich viel- leicht auf Daniels Philotas beziehen können; ein Trauerspiel von 1611, in welchem man die Geschichte und den Charakter des Grafen, unter fremden Namen, zu finden glaubte. Cibber’s Lives of the Engl. Poets. Vol. I. p. 147. Banks scheinet keinen von seinen französischen Vorgängern gekannt zu haben. Er ist aber ei- ner Novelle gefolgt, die den Titel, Geheime Geschichte der Königinn Elisabeth und des Gra- fen von Essex, führet, The Companion to the Theatre. Vol. II. p. 99. wo er den ganzen Stoff sich so in die Hände gearbeitet fand, daß er ihn blos zu dialogiren, ihm blos die äußere dramatische Form zu ertheilen brauchte. Hier ist der ganze Plan, wie er von dem Verfasser der unten angeführten Schrift, zum Theil, ausge- zogen worden. Vielleicht, daß es meinen Lesern nicht unangenehm ist, ihn gegen das Stück des Corneille halten zu können. „Um unser Mitleid gegen den unglücklichen Grafen desto lebhafter zu machen, und die hef- tige Zuneigung zu entschuldigen, welche die Kö- niginn für ihn äußert, werden ihm alle die erha- bensten Eigenschaften eines Helden beygelegt; und und es fehlt ihm zu einem vollkommenen Cha- rakter weiter nichts, als daß er seine Leidenschaf- ten nicht besser in seiner Gewalt hat. Burleigh, der erste Minister der Königinn, der auf ihre Ehre sehr eifersüchtig ist, und den Grafen wegen der Gunstbezeigungen beneidet, mit welchen sie ihn überhäuft, bemüht sich unabläßig, ihn ver- dächtig zu machen. Hierinn steht ihm Sir Walter Raleigh, welcher nicht minder des Gra- fen Feind ist, treulich bey; und beide werden von der boshaften Gräfinn von Nottingham noch mehr verhetzt, die den Grafen sonst geliebt hatte, nun aber, weil sie keine Gegenliebe von ihm erhalten können, was sie nicht besitzen kann, zu verderben sucht. Die ungestüme Gemüths- art des Grafen macht ihnen nur allzugutes Spiel, und sie erreichen ihre Absicht auf fol- gende Weise. Die Königinn hatte den Grafen, als ihren Generalissimus, mit einer sehr ansehnlichen Ar- mee gegen den Tyrone geschickt, welcher in Irr- land einen gefährlichen Aufstand erregt hatte. Nach einigen nicht viel bedeutenden Schar- mützeln sahe sich der Graf genöthiget, mit dem Feinde in Unterhandlung zu treten, weil seine Truppen durch Strabazen und Krankheiten sehr abgemattet waren, Tyrone aber mit seinen Leu- ten sehr vortheilhaft postiret stand. Da diese Unterhandlung zwischen den Anführern münd- B 2 lich lich betrieben ward, und kein Mensch dabey zu- gegen seyn durfte: so wurde sie der Königinn als ihrer Ehre höchst nachtheilig, und als ein gar nicht zweydeutiger Beweis vorgestellet, daß Essex mit den Rebellen in einem heimlichen Ver- ständnisse stehen müsse. Burleigh und Raleigh, mit einigen andern Parlamentsgliedern, treten sie daher um Erlaubniß an, ihn des Hochver- raths anklagen zu dürfen, welches sie aber so wenig zu verstatten geneigt ist, daß sie sich viel- mehr über ein dergleichen Unternehmen sehr aufgebracht bezeiget. Sie wiederholt die vori- gen Dienste, welche der Graf der Nation er- wiesen, und erklärt, daß sie die Undankbarkeit und den boshaften Neid seiner Ankläger verab- scheue. Der Graf von Southampton, ein auf- richtiger Freund des Essex, nimmt sich zugleich seiner auf das lebhafteste an; er erhebt die Ge- rechtigkeit der Königinn, einen solchen Mann nicht unterdrücken zu lassen; und seine Feinde müssen vor diesesmal schweigen. (Erster Akt.) Indeß ist die Königinn mit der Aufführung des Grafen nichts weniger, als zufrieden, son- dern läßt ihm befehlen, seine Fehler wieder gut zu machen, und Irrland nicht eher zu verlassen, als bis er die Rebellen völlig zu Paaren getrie- ben, und alles wieder beruhiget habe. Doch Essex, dem die Beschuldigungen nicht unbekannt geblieben, mit welchen ihn seine Feinde bey ihr an- anzuschwärzen suchen, ist viel zu ungeduldig, sich zu rechtfertigen, und kömmt, nachdem er den Tyrone zu Niederlegung der Waffen ver- mocht, des ausdrücklichen Verbots der Königinn ungeachtet, nach England über. Dieser unbe- dachtsame Schritt macht seinen Feinden eben so viel Vergnügen, als seinen Freunden Unruhe; besonders zittert die Gräfinn von Rutland, mit welcher er insgeheim verheyrathet ist, vor den Fol- gen. Am meisten aber betrübt sich die Königinn, da sie sieht, daß ihr durch dieses rasche Betra- gen aller Vorwand benommen ist, ihn zu ver- treten, wenn sie nicht eine Zärtlichkeit verrathen will, die sie gern vor der ganzen Welt verbergen möchte. Die Erwägung ihrer Würde, zu wel- cher ihr natürlicher Stolz kömmt, und die heim- liche Liebe, die sie zu ihm trägt, erregen in ihrer Brust den grausamsten Kampf. Sie streitet lange mit sich selbst, ob sie den verwegnen Mann nach dem Tower schicken, oder den geliebten Verbrecher vor sich lassen und ihm erlauben soll, sich gegen sie selbst zu rechtfertigen. Endlich entschließt sie sich zu dem letztern, doch nicht ohne alle Einschränkung; sie will ihn sehen, aber sie will ihn auf eine Art empfangen, daß er die Hoffnung wohl verlieren soll, für seine Verge- hungen so bald Vergebung zu erhalten. Bur- leigh, Raleigh und Nottingham sind bey dieser Zusammenkunft gegenwärtig. Die Königinn B 3 ist ist auf die letztere gelehnet, und scheinet tief im Gespräche zu seyn, ohne den Grafen nur ein einzigesmal anzusehen. Nachdem sie ihn eine Weile vor sich knien lassen, verläßt sie auf ein- mal das Zimmer, und gebiethet allen, die es redlich mit ihr meinen, ihr zu folgen, und den Verräther allein zu lassen. Niemand darf es wagen, ihr ungehorsam zu seyn; selbst Sout- hampton gehet mit ihr ab, kömmt aber bald, mit der trostlosen Rutland, wieder, ihren Freund bey seinem Unfalle zu beklagen. Gleich darauf schicket die Königinn den Burleigh und Raleigh zu dem Grafen, ihm den Kommandostab abzu- nehmen; er weigert sich aber, ihn in andere, als in der Königinn eigene Hände, zurück zu liefern, und beiden Ministern wird, sowohl von ihm, als von dem Southampton, sehr verächt- lich begegnet. (Zweyter Akt.) Die Königinn, der dieses sein Betragen so- gleich hinterbracht wird, ist äußerst gereitzt, aber doch in ihren Gedanken noch immer unei- nig. Sie kann weder die Verunglimpfungen, deren sich die Nottingham gegen ihn erkühnt, noch die Lobsprüche vertragen, die ihm die un- bedachtsame Rutland aus der Fülle ihres Her- zens ertheilet; ja, diese sind ihr noch mehr zu- wider als jene, weil sie daraus entdeckt, daß die Rutland ihn liebet. Zuletzt befiehlt sie, dem ohngeachtet, daß er vor sie gebracht werden soll. soll. Er kömmt, und versucht es, seine Auf- führung zu vertheidigen. Doch die Gründe, die er desfalls beybringt, scheinen ihr viel zu schwach, als daß sie ihren Verstand von seiner Unschuld überzeugen sollten. Sie verzeihet ihm, um der geheimen Neigung, die sie für ihn hägt, ein Genüge zu thun; aber zugleich entsetzt sie ihn aller seiner Ehrenstellen, in Betrachtung dessen, was sie sich selbst, als Königinn, schuldig zu seyn glaubt. Und nun ist der Graf nicht län- ger vermögend, sich zu mäßigen; seine Unge- stümheit bricht los; er wirft den Stab zu ih- ren Füßen, und bedient sich verschiedner Aus- drücke, die zu sehr wie Vorwürfe klingen, als daß sie den Zorn der Königinn nicht aufs höchste treiben sollten. Auch antwortet sie ihm darauf, wie es Zornigen sehr natürlich ist; ohne sich um Anstand und Würde, ohne sich um die Folgen zu bekümmern: nehmlich, anstatt der Antwort, giebt sie ihm eine Ohrfeige. Der Graf greift nach dem Degen; und nur der einzige Gedanke, daß es seine Königinn, daß es nicht sein König ist, der ihn geschlagen, mit einem Worte, daß es eine Frau ist, von der er die Ohrfeige hat, hält ihn zurück, sich thätlich an ihr zu vergehen. Southampton beschwört ihn, sich zu fassen; aber er wiederholt seine ihr und dem Staate geleisteten Dienste nochmals, und wirft dem Burleigh und Raleigh ihren niederträchtigen Neid, Neid, so wie der Königinn ihre Ungerechtigkeit vor. Sie verläßt ihn in der äußersten Wuth; und niemand als Southampton bleibt bey ihm, der Freundschaft genug hat, sich itzt eben am wenigsten von ihm trennen zu lassen. (Dritter Akt.) Der Graf geräth über sein Unglück in Ver- zweiflung; er läuft wie unsinnig in der Stadt herum, schreyet über das ihm angethane Un- recht, und schmähet auf die Regierung. Alles das wird der Königinn, mit vielen Uebertrei- bungen, wiedergesagt, und sie giebt Befehl, sich der beiden Grafen zu versichern. Es wird Mannschaft gegen sie ausgeschickt, sie werden gefangen genommen, und in den Tower in Ver- haft gesetzt, bis daß ihnen der Proceß kann ge- macht werden. Doch indeß hat sich der Zorn der Königinn gelegt, und günstigern Gedan- ken für den Essex wiederum Raum gemacht. Sie will ihn also, ehe er zum Verhöre geht, allem, was man ihr darwider sagt, ungeachtet, nochmals sehen; und da sie besorgt, seine Verbrechen möchten zu strafbar befunden werden, so giebt sie ihm, um sein Le- ben wenigstens in Sicherheit zu setzen, einen Ring, mit dem Versprechen, ihm gegen diesen Ring, sobald er ihn ihr zuschicke, alles, was er verlangen würde, zu gewähren. Fast aber bereuet sie es wieder, daß sie so gütig gegen ihn gewesen, als sie gleich darauf erfährt, daß er mit der Rutland vermählt ist; und es von der Rutland selbst erfährt, die für ihn um Gnade zu bitten kömmt. (Vierter Akt.) Ham- Hamburgische Dramaturgie . Fünf und funfzigstes Stück. Den 10ten November, 1767. W as die Königinn gefürchtet hatte, ge- schieht; Essex wird nach den Gesetzen schuldig befunden und verurtheilet, den Kopf zu verlieren; sein Freund Southampton desgleichen. Nun weiß zwar Elisabeth, daß sie, als Königinn, den Verbrecher begnadigen kann; aber sie glaubt auch, daß eine solche frey- willige Begnadigung auf ihrer Seite eine Schwäche verrathen würde, die keiner Königinn gezieme; und also will sie so lange warten, bis er ihr den Ring senden, und selbst um sein Leben bitten wird. Voller Ungeduld indeß, daß es je eher je lieber geschehen möge, schickt sie die Nottingham zu ihm, und läßt ihn erinnern, an seine Rettung zu denken. Nottingham stellt sich, das zärtlichste Mitleid für ihn zu fühlen; und er vertrauet ihr das kostbare Unterpfand sei- nes Lebens, mit der demüthigsten Bitte an die C Kö- Königinn, es ihm zu schenken. Nun hat Not- tingham alles, was sie wünschet; nun steht es bey ihr, sich wegen ihrer verachteten Liebe an dem Grafen zu rächen. Anstatt also das auszu- richten, was er ihr aufgetragen, verleumdet sie ihn auf das boshafteste, und mahlt ihn so stolz, so trotzig, so fest entschlossen ab, nicht um Gnade zu bitten, sondern es auf das Aeußerste ankommen zu lassen, daß die Königinn dem Berichte kaum glauben kann, nach wiederholter Versicherung aber, voller Wuth und Verzweif- lung den Befehl ertheilet, das Urtheil ohne Anstand an ihm zu vollziehen. Dabey giebt ihr die boshafte Nottingham ein, den Grafen von Southampton zu begnadigen, nicht weil ihr das Unglück desselben wirklich nahe geht, sondern weil sie sich einbildet, daß Essex die Bit- terkeit seiner Strafe um so vielmehr empfinden werde, wenn er sieht, daß die Gnade, die man ihm verweigert, seinem mitschuldigen Freunde nicht entstehe. In eben dieser Absicht räth sie der Königinn auch, seiner Gemahlinn, der Gräfinn von Rutland, zu erlauben, ihn noch vor seiner Hinrichtung zu sehen. Die Königinn williget in beides, aber zum Unglücke für die grausame Rathgeberinn; denn der Graf giebt seiner Gemahlinn einen Brief an die Königinn, die sich eben in den Tower befindet, und ihn kurz darauf, als man den Grafen abgeführet, er- erhält. Aus diesem Briefe ersieht sie, daß der Graf der Nottingham den Ring gegeben, und sie durch diese Verrätherinn um sein Leben bitten lassen. Sogleich schickt sie, und läßt die Voll- streckung des Urtheils untersagen; doch Bur- leigh und Raleigh, dem sie aufgetragen war, hatten so sehr damit geeilet, daß die Bothschaft zu spät kömmt. Der Graf ist bereits todt. Die Königinn geräth vor Schmerz außer sich, ver- bannt die abscheuliche Nottingham auf ewig aus ihren Augen, und giebt allen, die sich als Feinde des Grafen erwiesen hatten, ihren bittersten Un- willen zu erkennen.„ Aus diesem Plane ist genugsam abzunehmen, daß der Essex des Banks ein Stück von weit mehr Natur, Wahrheit und Uebereinstimmung ist, als sich in dem Essex des Corneille findet. Banks hat sich ziemlich genau an die Geschichte gehalten, nur daß er verschiedne Begebenheiten näher zusammen gerückt, und ihnen einen un- mittelbarern Einfluß auf das endliche Schicksal seines Helden gegeben hat. Der Vorfall mit der Ohrseige ist eben so wenig erdichtet, als der mit dem Ringe; beide finden sich, wie ich schon angemerkt, in der Historie, nur jener weit frü- her und bey einer ganz andern Gelegenheit; so wie es auch von diesem zu vermuthen. Denn es ist begreiflicher, daß die Königinn dem Gra- fen den Ring zu einer Zeit gegeben, da sie mit C 2 ihm ihm vollkommen zufrieden war, als daß sie ihm dieses Unterpfand ihrer Gnade itzt erst sollte ge- schenkt haben, da er sich ihrer eben am meisten verlustig gemacht hatte, und der Fall, sich des- sen zu gebrauchen, schon wirklich da war. Die- ser Ring sollte sie erinnern, wie theuer ihr der Graf damals gewesen, als er ihn von ihr erhal- ten; und diese Erinnerung sollte ihm alsdann alle das Verdienst wiedergeben, welches er un- glücklicher Weise in ihren Augen etwa könnte verloren haben. Aber was braucht es dieses Zeichens, dieser Erinnerung von heute bis auf morgen? Glaubt sie ihrer günstigen Gesinnun- gen auch auf so wenige Stunden nicht mächtig zu seyn, daß sie sich mit Fleiß auf eine solche Art fesseln will? Wenn sie ihm in Ernste ver- geben hat, wenn ihr wirklich an seinem Leben gelegen ist: wozu das ganze Spiegelgefechte? Warum konnte sie es bey den mündlichen Ver- sicherungen nicht bewenden lassen? Gab sie den Ring, blos um den Grafen zu beruhigen; so verbindet er sie, ihm ihr Wort zu halten, er mag wieder in ihre Hände kommen, oder nicht. Gab sie ihn aber, um durch die Wiedererhaltung desselben von der fortdauernden Reue und Unter- werfung des Grafen versichert zu seyn: wie kann sie in einer so wichtigen Sache seiner tödlichsten Feindinn glauben? Und hatte sich die Notting- ham nicht kurz zuvor gegen sie selbst als eine solche bewiesen? So So wie Banks also den Ring gebraucht hat, thut er nicht die beste Wirkung. Mich dünkt, er würde eine weit bessere thun, wenn ihn die Königinn ganz vergessen hätte, und er ihr plötz- lich, aber auch zu spät, eingehändiget würde, indem sie eben von der Unschuld, oder wenig- stens geringern Schuld des Grafen, noch aus andern Gründen überzeugt würde. Die Schen- kung des Ringes hätte vor der Handlung des Stücks lange müssen vorhergegangen seyn, und blos der Graf hätte darauf rechnen müssen, aber aus Edelmuth nicht eher Gebrauch davon machen wollen, als bis er gesehen, daß man auf seine Rechtfertigung nicht achte, daß die Königinn zu sehr wider ihn eingenommen sey, als daß er sie zu überzeugen hoffen könne, daß er sie also zu bewegen suchen müsse. Und indem sie so bewegt würde, müßte die Ueberzeugung dazu kommen; die Erkennung seiner Unschuld und die Erinne- rung ihres Versprechens, ihn auch dann, wenn er schuldig seyn sollte, für unschuldig gelten zu lassen, müßten sie auf einmal überraschen, aber nicht eher überraschen, als bis es nicht mehr in ih- rem Vermögen stehet, gerecht u. erkeñtlich zu seyn. Viel glücklicher hat Banks die Ohrfeige in sein Stück eingeflochten. — Aber eine Ohrfeige in einem Trauerspiele! Wie englisch, wie unan- ständig! — Ehe meine feinern Leser zu sehr dar- über spotten, bitte ich sie, sich der Ohrfeige im C 3 Cid Cid zu erinnern. Die Anmerkung, die der Hr. von Voltaire darüber gemacht hat, ist in vieler- ley Betrachtung merkwürdig. „Heut zu Tage, sagt er, „dürfte man es nicht wagen, einem „Helden eine Ohrfeige geben zu lassen. Die „Schauspieler selbst wissen nicht, wie sie sich da- „bey anstellen sollen; sie thun nur, als ob sie „eine gäben. Nicht einmal in der Komödie ist „so etwas mehr erlaubt; und dieses ist das ein- „zige Exempel, welches man auf der tragischen „Bühne davon hat. Es ist glaublich, daß man „unter andern mit deswegen den Cid eine Tra- „gikomödie betitelte; und damals waren fast „alle Stücke des Scuderi und des Boisrobert „Tragikomödien. Man war in Frankreich lange „der Meinung gewesen, daß sich das ununter- „brochne Tragische, ohne alle Vermischung mit „gemeinen Zügen, gar nicht aushalten lasse. „Das Wort Tragikomödie selbst, ist sehr alt; „Plautus braucht es, seinen Amphitruo damit „zu bezeichnen, weil das Abentheuer des Sosias „zwar komisch, Amphitruo selbst aber in allem „Ernste betrübt ist.„ — Was der Herr von Voltaire nicht alles schreibt! Wie gern er im- mer ein wenig Gelehrsamkeit zeigen will, und wie sehr er meistentheils damit verunglückt! Es ist nicht wahr, daß die Ohrfeige im Cid die einzige auf der tragischen Bühne ist. Vol- taire hat den Essex des Banks entweder nicht ge- gekannt, oder vorausgesetzt, daß die tragische Bühne seiner Nation allein diesen Namen ver- diene. Unwissenheit verräth beides; und nur das letztere noch mehr Eitelkeit, als Unwissen- heit. Was er von dem Namen der Tragiko- mödie hinzufügt, ist eben so unrichtig. Tragi- komödie hieß die Vorstellung einer wichtigen Handlung unter vornehmen Personen, die einen vergnügten Ausgang hat; das ist der Cid, und die Ohrfeige kam dabey gar nicht in Betrach- tung; denn dieser Ohrfeige ungeachtet, nannte Corneille hernach sein Stück eine Tragödie, so- bald er das Vorurtheil abgelegt hatte, daß eine Tragödie nothwendig eine unglückliche Kata- strophe haben müsse. Plautus braucht zwar das Wort Tragicocomœdia: aber er braucht es blos im Scherze; und gar nicht, um eine be- sondere Gattung damit zu bezeichnen. Auch hat es ihm in diesem Verstande kein Mensch ab- geborgt, bis es in dem sechszehnten Jahrhun- derte den Spanischen und Italienischen Dichtern einfiel, gewisse von ihren dramatischen Mißge- burten so zu nennen. Ich weiß zwar nicht, wer diesen Namen ei- gentlich zuerst gebraucht hat; aber das weiß ich gewiß, daß es Garnier nicht ist. Hedelin sagte: Je ne sçai si Garnier fut le premier qui s’en servit, mais il a fait porter ce titre à sa Bradamante, ce que depuis plusieurs ont imité. (Prat. du Th. liv. II. ch. 10.) Und Wenn aber auch Plau- tus tus seinen Amphitruo im Ernste so genannt hätte, so wäre es doch nicht aus der Ursache geschehen, die ihm Voltaire andichtet. Nicht weil der Antheil, den Sosias an der Handlung nimmt, komisch, und der, den Amphitruo daran nimmt, tragisch ist: nicht darum hätte Plautus sein Stück lieber eine Tragikomödie nennen wollen. Denn sein Stück ist ganz komisch, und wir belustigen uns an der Verlegenheit des Amphitruo eben so sehr, als an des Sosias seiner. Sondern dar- um, weil diese komische Handlung größtentheils unter höhern Personen vorgehet, als man in der Komödie zu sehen gewohnt ist. Plautus selbst erklärt sich dar- über deutlich genug: Faciam ut commixta sit Tragico-comœdia: Nam me perpetuo facere ut sit Comœdia Reges quo veniant \& di, non par arbitror. Quid igitur? quoniam hic servus quoque partes habet, Faciam hanc, proinde ut dixi, Tragico-co- mœdiam. Ham- Und dabey hätten es die Geschichtschreiber des französischen Theaters auch nur sollen bewen- den lassen. Aber sie machen die leichte Ver- muthung des Hedelins zur Gewißheit, und gratuliren ihrem Landsmanne zu einer so schö- nen Erfindung. Voici la premiére Tragi- Comedie, ou pour mieux dire le premier poeme du Theatre qui a porté ce titre — Garnier ne connoissoit pas assez les finesses de l’art qu’il professoit; tenons-lui cepen- dent compte d’avoir le premier, \& sans le secours des Anciens, ni de ses contempo- rains, fait entrevoir une idée, qui n’a pas été inutile à beaucoup d’Auteurs du der- nier siecle. Garniers Bradamante ist von 1682, und ich kenne eine Menge weit frühere spanische und italienische Stücke, die diesen Titel führen. Hamburgische Dramaturgie . Sechs und funfzigstes Stück. Den 13ten November, 1767. A ber wiederum auf die Ohrfeige zu kom- men. — Einmal ist es doch nun so, daß eine Ohrfeige, die ein Mann von Ehre von seines Gleichen oder von einem Höhern be- kömmt, für eine so schimpfliche Beleidigung ge- halten wird, daß alle Genugthuung, die ihm die Gesetze dafür verschaffen können, vergebens ist. Sie will nicht von einem dritten bestraft, sie will von dem Beleidigten selbst gerächet, und auf eine eben so eigenmächtige Art gerächet seyn, als sie erwiesen worden. Ob es die wahre oder die falsche Ehre ist, die dieses gebiethet, davon ist hier die Rede nicht. Wie gesagt, es ist nun einmal so. Und wenn es nun einmal in der Welt so ist: warum soll es nicht auch auf dem Theater so seyn? Wenn die Ohrfeigen dort im Gange sind: warum nicht auch hier? D „Die „Die Schauspieler, sagt der Herr von Vol- taire, wissen nicht, wie sie sich dabey anstellen sollen.„ Sie wüßten es wohl; aber man will eine Ohrfeige auch nicht einmal gern im fremden Namen haben. Der Schlag setzt sie in Feuer; die Person erhält ihn, aber sie fühlen ihn; das Gefühl hebt die Verstellung auf; sie gerathen aus ihrer Fassung; Scham und Verwirrung äußert sich wider Willen auf ihrem Gesichte; sie sollten zornig aussehen, und sie sehen albern aus; und jeder Schauspieler, dessen eigene Em- pfindungen mit seiner Rolle in Collision kommen, macht uns zu lachen. Es ist dieses nicht der einzige Fall, in wel- chem man die Abschaffung der Mas ken betauern möchte. Der Schauspieler kann ohnstreitig unter der Maske mehr Contenance halten; seine Person findet weniger Gelegenheit auszubre- chen; und wenn sie ja ausbricht, so werden wir diesen Ausbruch weniger gewahr. Doch der Schauspieler verhalte sich bey der Ohrfeige, wie er will: der dramatische Dichter arbeitet zwar für den Schauspieler, aber er muß sich darum nicht alles versagen, was diesem we- niger thulich und bequem ist. Kein Schauspie- ler kann roth werden, wenn er will: aber gleich- wohl darf es ihm der Dichter vorschreiben; gleichwohl darf er den einen sagen lassen, daß er es den andern werden sieht. Der Schau- spieler spieler will sich nicht ins Gesichte schlagen lassen; er glaubt, es mache ihn verächtlich; es verwirrt ihn; es schmerzt ihn: recht gut! Wenn er es in seiner Kunst so weit noch nicht gebracht hat, daß ihn so etwas nicht verwirret; wenn er seine Kunst so sehr nicht liebet, daß er sich, ihr zum Besten, eine kleine Kränkung will gefallen las- sen: so suche er über die Stelle so gut wegzu- kommen, als er kann; er weiche dem Schlage aus; er halte die Hand vor; nur verlange er nicht, daß sich der Dichter seinetwegen mehr Bedenklichkeiten machen soll, als er sich der Person wegen macht, die er ihn vorstellen läßt. Wenn der wahre Diego, wenn der wahre Essex eine Ohrfeige hinnehmen muß: was wollen ihre Repräsentanten dawider einzuwenden haben? Aber der Zuschauer will vielleicht keine Ohr- feige geben sehen? Oder höchstens nur einem Bedienten, den sie nicht besonders schimpft, für den sie eine seinem Stande angemessene Züchti- gung ist? Einem Helden hingegen, einem Hel- den eine Ohrfeige! wie klein, wie unanstän- dig! — Und wenn sie das nun eben seyn soll? Wenn eben diese Unanständigkeit die Quelle der gewaltsamsten Entschließungen, der blutigsten Rache werden soll, und wird? Wenn jede ge- ringere Beleidigung diese schreckliche Wirkun- gen nicht hätte haben können? Was in seinen Folgen so tragisch werden kann, was unter ge- D 2 wissen wissen Personen nothwendig so tragisch werden muß, soll dennoch aus der Tragödie ausgeschlos- sen seyn, weil es auch in der Komödie, weil es auch in dem Possenfpiele Platz findet? Worüber wir einmal lachen, sollen wir ein andermal nicht erschrecken können? Wenn ich die Ohrfeigen aus einer Gattung des Drama verbannt wissen möchte, so wäre es aus der Komödie. Denn was für Folgen kann sie da haben? Traurige? die sind über ihrer Sphäre. Lächerliche? die sind unter ihr, und gehören dem Possenspiele. Gar keine? so ver- lohnte es nicht der Mühe, sie geben zu lassen. Wer sie giebt, wird nichts als pöbelhafte Hitze, und wer sie bekömmt, nichts als knechtische Kleinmuth verrathen. Sie verbleibt also den beiden Extremis, der Tragödie und dem Possen- spiele; die mehrere dergleichen Dinge gemein haben, über die wir entweder spotten oder zit- tern wollen. Und ich frage jeden, der den Cid vorstellen sehen, oder ihn mit einiger Aufmerksamkeit auch nur gelesen, ob ihn nicht ein Schauder überlau- fen, wenn der großsprecherische Gormas den alten würdigen Diego zu schlagen sich erdreistet? Ob er nicht das empfindlichste Mitleid für diesen, und den bittersten Unwillen gegen jenen empfun- den? Ob ihm nicht auf einmal alle die blutigen und traurigen Folgen, die diese schimfliche Be- geg- gegnung nach sich ziehen müsse, in die Gedanken geschossen, und ihn mit Erwartung und Furcht erfüllet? Gleichwohl soll ein Vorfall, der alle diese Wirkung auf ihn hat, nicht tragisch seyn? Wenn jemals bey dieser Ohrfeige gelacht wor- den, so war es sicherlich von einem auf der Gal- lerie, der mit den Ohrfeigen zu bekannt war, und eben itzt eine von seinem Nachbar verdient hätte. Wen aber die ungeschickte Art, mit der sich der Schauspieler etwa dabey betrug, wi- der Willen zu lächeln machte, der biß sich ge- schwind in die Lippe, und eilte, sich wieder in die Täuschung zu versetzen, aus der fast jede ge- waltsamere Handlung den Zuschauer mehr oder weniger zu bringen pflegt. Auch frage ich, welche andere Beleidigung wohl die Stelle der Ohrfeige vertreten könnte? Für jede andere würde es in der Macht des Kö- nigs stehen, dem Beleidigten Genugthuung zu schaffen; für jede andere würde sich der Sohn weigern dürfen, seinem Vater den Vater seiner Geliebten aufzuopfern. Für diese einzige läßt das Pundonor weder Entschuldigung noch Ab- bitte gelten; und alle gütliche Wege, die selbst der Monarch dabey einleiten will, sind frucht- los. Corneille ließ nach dieser Denkungsart den Gormas, wenn ihn der König andeuten läßt, den Diego zufrieden zu stellen, sehr wohl antworten: D 3 Ces Ces satisfactions n’appaissent point une ame: Qui les reçoit n’a rien, qui les fait se diffame. Et de tous ces accords l’effet le plus commun, C’est de deshonorer deux hommes au lieu d’un. Damals war in Frankreich das Edict wider die Duelle nicht lange ergangen, dem dergleichen Maximen schnurstracks zuwider liefen. Cor- neille erhielt also zwar Befehl, die ganzen Zeilen wegzulassen; und sie wurden aus dem Munde der Schauspieler verbannt. Aber jeder Zu- schauer ergänzte sie aus dem Gedächtnisse, und aus seiner Empfindung. In dem Essex wird die Ohrfeige dadurch noch kritischer, daß sie eine Person giebt, welche die Gesetze der Ehre nicht verbinden. Sie ist Frau und Königinn: was kann der Beleidigte mit ihr anfangen? Ueber die handfertige wehrhafte Frau würde er spotten; denn eine Frau kann weder schimpfen, noch schlagen. Aber diese Frau ist zugleich der Souverain, dessen Beschimpfun- gen unauslöschlich sind, da sie von seiner Würde eine Art von Gesetzmäßigkeit erhalten. Was kann also natürlicher scheinen, als daß Essex sich wider diese Würde selbst auflehnet, und gegen die Höhe tobet, die den Beleidiger seiner Rache ent- entzieht? Ich wüßte wenigstens nicht, was seine letzten Vergehungen sonst wahrscheinlich hätten machen können. Die bloße Ungnade, die bloße Entsetzung seiner Ehrenstellen konnte und durfte ihn so weit nicht treiben. Aber durch eine so knechtische Behandlung außer sich ge- bracht, sehen wir ihn alles, was ihm die Ver- zweiflung eingiebt, zwar nicht mit Billigung, doch mit Entschuldigung unternehmen. Die Königinn selbst muß ihn aus diesem Gesichts- punkte ihrer Verzeihung würdig erkennen; und wir haben so ungleich mehr Mitleid mit ihm, als er uns in der Geschichte zu verdienen scheinet, wo das, was er hier in der ersten Hitze der gekränkten Ehre thut, aus Eigennutz und andern niedrigen Absichten geschieht. Der Streit, sagt die Geschichte, bey welchem Essex die Ohrfeige erhielt, war über die Wahl eines Königs von Irrland. Als er sahe, daß die Königinn auf ihrer Meinung beharrte, wandte er ihr mit einer sehr verächtlichen Ge- behrde den Rücken. In dem Augenblicke fühlte er ihre Hand, und seine fuhr nach dem Degen. Er schwur, daß er dieseu Schimpf weder leiden könne noch wolle; daß er ihn selbst von ihrem Vater Heinrich nicht würde erduldet haben: und so begab er sich vom Hofe. Der Brief, den er an den Kanzler Egerton über diesen Vor- fall schrieb, ist mit dem würdigsten Stolze abge- faßt, faßt, und er schien fest entschlossen, sich der Kö- niginn nie wieder zu nähern. Gleichwohl fin- den wir ihn bald darauf wieder in ihrer völligen Gnade, und in der völligen Wirksamkeit eines ehrgeitzigen Lieblings. Diese Versöhnlichkeit, wenn sie ernstlich war, macht uns eine sehr schlechte Idee von ihm; und keine viel bessere, wenn sie Verstellung war. In diesem Falle war er wirklich ein Verräther, der sich alles ge- fallen ließ, bis er den rechten Zeitpunkt gekom- men zu seyn glaubte. Ein elender Weinpacht, den ihm die Königinn nahm, brachte ihn am Ende weit mehr auf, als die Ohrfeige; und der Zorn über diese Verschmälerung seiner Einkünf- te, verblendete ihn so, daß er ohne alle Ueber- legung losbrach. So finden wir ihn in der Geschichte, und verachten ihn. Aber nicht so bey dem Banks, der seinen Aufstand zu der un- mittelbaren Folge der Ohrfeige macht, und ihm weiter keine treulosen Absichten gegen seine Kö- niginn beylegt. Sein Fehler ist der Fehler einer edeln Hitze, den er bereuet, der ihm vergeben wird, und der blos durch die Bosheit seiner Feinde der Strafe nicht entgeht, die ihm ge- schenkt war. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Sieben und funfzigstes Stück. Den 17ten November, 1767. B anks hat die nehmlichen Worte beybehal- ten, die Essex über die Ohrfeige ausstieß. Nur daß er ihn dem einen Heinriche noch alle Heinriche in der Welt, mit sammt Alexan- dern, beyfügen läßt. Act. III. — — — — By all The Subtilty, and Woman in your Sex, I swear, that had you been a Man you durst not, Nay, your bold Father Harry durst not this Have done — Why say I him? Not all the Harrys, Nor Alexander’s self, were he alive, Shou’d boast of such a deed on Essex done Without revenge. — — — Sein Essex ist über- haupt zu viel Prahler; und es fehlet wenig, daß er nicht ein eben so großer Gasconier ist, als der Essex E Essex des Gasconiers Calprenede. Dabey er- trägt er sein Unglück viel zu kleinmüthig, und ist bald gegen die Königinn eben so kriechend, als er vorher vermessen gegen sie war. Banks hat ihn zu sehr nach dem Leben geschildert. Ein Charakter, der sich so leicht vergißt, ist kein Charakter, und eben daher der dramatischen Nachahmung unwürdig. In der Geschichte kann man dergleichen Widersprüche mit sich selbst, für Verstellung halten, weil wir in der Geschichte doch selten das Innerste des Herzens kennen lernen: aber in dem Drama werden wir mit dem Helden allzuvertraut, als daß wir nicht gleich wissen sollten, ob seine Gesinnungen wirk- lich mit den Handlungen, die wir ihm nicht zu- getrauet hätten, übereinstimmen, oder nicht. Ja, sie mögen es, oder sie mögen es nicht: der tragische Dichter kann ihn in beiden Fällen nicht recht nutzen. Ohne Verstellung fällt der Cha- rakter weg; bey der Verstellung die Würde des- selben. Mit der Elisabeth hat er in diesen Fehler nicht fallen können. Diese Frau bleibt sich in der Geschichte immer so vollkommen gleich, als es wenige Männer bleiben. Ihre Zärtlichkeit selbst, ihre heimliche Liebe zu dem Essex, hat er mit vieler Anständigkeit behandelt; sie ist auch bey ihm gewissermaßen noch ein Geheim- niß. niß. Seine Elisabeth klagt nicht, wie die Elisa- beth des Corneille, über Kälte und Verachtung, über Gluth und Schicksal; sie spricht von keinem Gifte, das sie verzehre; sie jammert nicht, daß ihr der Undankbare eine Suffolk vorziehe, nachdem sie ihm doch deutlich genug zu verstehen gegeben, daß er um sie allein seufzen solle, u. s. w. Keine von diesen Armseligkeiten kömmt über ihre Lip- pen. Sie spricht nie, als eine Verliebte; aber sie handelt so. Man hört es nie, aber man sieht es, wie theuer ihr Essex ehedem gewesen, und noch ist. Einige Funken Eifersucht verra- then sie; sonst würde man sie schlechterdings für nichts, als für seine Freundinn halten können. Mit welcher Kunst aber Banks ihre Gesin- nungen gegen den Grafen in Action zu setzen gewußt, das können folgende Scenen des drit- ten Aufzuges zeigen. — Die Königinn glaubt sich allein, und überlegt den unglücklichen Zwang ihres Standes, der ihr nicht erlaube, nach der wahren Neigung ihres Herzens zu handeln. In- dem wird sie die Nottingham gewahr, die ihr nachgekommen. — Du hier, Nottingham? Ich glaubte, ich sey allein. Verzeihe, Königinn, daß ich so kühn bin. Und doch befiehlt mir meine E 2 Pflicht, Pflicht, noch kühner zu seyn. — Dich bekümmert etwas. Ich muß fragen, — aber erst auf meinen Knien Dich um Verzeihung bitten, daß ich es fra- ge — Was ists, das Dich bekümmert? Was ist es, das diese erhabene Seele so tief herab beu- get? — Oder ist Dir nicht wohl? Steh auf; ich bitte dich. — Mir ist ganz wohl. — Ich danke dir für deine Lie- be. — Nur unruhig, ein wenig unruhig bin ich, — meines Volkes wegen. Ich habe lange regiert, und ich fürchte, ihm nur zu lange. Es fängt an, meiner überdrüßig zu werden. — Neue Kronen sind wie neue Kränze; die frischesten, sind die lieb- lichsten. Meine Sonne neiget sich; sie hat in ih- rem Mittage zu sehr gewärmet; man fühlet sich zu heiß; man wünscht, sie wäre schon untergegan- gen. — Erzehle mir doch, was sagt man von der Ueberkunft des Essex? — Von seiner Ueberkunft — sagt man — nicht das Beste. Aber von ihm — er ist für einen so tapfern Mann bekannt — Wie? tapfer? da er mir so dienet? — Der Verräther! Gewiß, es war nicht gut — Nicht gut! nicht gut? — Weiter nichts? Es war eine verwegene, fre- velhafte That. Die Nicht wahr, Notting- ham? — Meinen Befehl so gering zu schätzen! Er hätte den Tod dafür verdient. — Weit geringere Verbrechen haben hundert weit geliebtern Lieblin- gen den Kopf gekostet. — Ja wohl. — Und doch sollte Essex, bey so viel größerer Schuld, mit geringerer Strafe davon kommen? Er sollte nicht sterben? Er soll! — Er soll sterben, und in den empfindlichsten Martern soll er ster- ben! — Seine Pein sey, wie seine Verrätherey, die größte von allen! — Und dann will ich seinen Kopf und seine Glieder, nicht unter den finstern Thoren, nicht auf den niedrigen Brücken, auf den höchsten Zinnen will ich sie aufgesteckt wissen, da- mit jeder, der vorübergeht, sie erblicke und aus- rufe: Siehe da, den stolzen undankbaren Essex! Diesen Essex, welcher der Gerechtigkeit seiner Kö- niginn trotzte! — Wohl gethan! Nicht mehr, als er verdiente! — Was sagst du, Notting- ham? Meinest du nicht auch? — Du schweigst? Warum schweigst du? Willst du ihn noch vertre- ten? Weil Du es denn befiehlst, Königinn, so will ich Dir alles sagen, was die Welt von diesem stolzen, undankbaren Manne spricht. — Thu das! — Laß hören: was sagt die Welt von ihm und mir? E 3 Not- Von Dir, Königinn? — Wer ist es, der von Dir nicht mit Entzücken und Bewunderung spräche? Der Nachruhm eines ver- storbenen Heiligen ist nicht lauterer, als Dein Lob, von dem aller Zungen ertönen. Nur dieses einzige wünschet man, und wünschet es mit den heissesten Thränen, die aus der reinsten Liebe gegen Dich ent- springen, — dieses einzige, daß Du geruhen möch- test, ihren Beschwerden gegen diesen Essex abzuhel- fen, einen solchen Verräther nicht länger zu schützen, ihn nicht länger der Gerechtigkeit und der Schande vorzuenthalten, ihn endlich der Rache zu überlie- fern — Wer hat mir vorzuschreiben? Dir vorzuschreiben! — Schrei- bet man dem Himmel vor, wenn man ihn in tiefe- ster Unterwerfung anflehet? — Und so flehet Dich alles wider den Mann an, dessen Gemüthsart so schlecht, so boshaft ist, daß er es auch nicht der Mühe werth achtet, den Heuchler zu spielen. — Wie stolz! wie aufgeblasen! Und wie unartig, pö- belhaft stolz; nicht anders als ein elender Lakey auf seinen bunten verbrämten Rock! — Daß er tapfer ist, räumt man ihm ein; aber so, wie es der Wolf oder der Bär ist, blind zu, ohne Plan und Vor- sicht. Die wahre Tapferkeit, welche eine edle Seele über Glück und Unglück erhebt, ist fern von ihm. Die geringste Beleidigung bringt ihn auf; er tobt und raset über ein Nichts; alles soll sich vor ihm ihm schmiegen; überall will er allein glänzen, al- lein hervorragen. Lucifer selbst, der den ersten Saamen des Lasters in dem Himmel ausstreuete, war nicht ehrgeitziger und herrschsüchtiger, als er. Aber, so wie dieser aus dem Himmel stürzte — — Gemach, Nottingham, ge- mach! — Du eiferst dich ja ganz aus dem Athen. — Ich will nichts mehr hören — (bey Seite) Gift und Blattern auf ihre Zunge! — Gewiß, Not- tingham, du solltest dich schämen, so etwas auch nur nachzusagen; dergleichen Niederträchtigkei- ten des boshaften Pöbels zu wiederholen. Und es ist nicht einmal wahr, daß der Pöbel das sagt. Er denkt es auch nicht. Aber ihr, ihr wünscht, daß er es sagen möchte. Ich erstanne, Königinn — Worüber? Du gebothest mir selbst, zu reden — Ja, wenn ich es nicht be- merkt hätte, wie gewünscht dir dieses Geboth kam! wie vorbereitet du darauf warest! Auf einmal glühte dein Gesicht, flammte dein Auge; das volle Herz freute sich, überzufließen, und jedes Wort, jede Gebehrde hatte seinen längst abgezielten Pfeil, deren jeder mich mit trift. Verzeihe, Königinn, wenn ich in dem Ausdrucke meine Schuldigkeit gefehlet habe. Ich maß ihn nach Deinem ab. Die Rach meinem? — Ich bin seine Königinn. Mir steht es frey, dem Dinge, das ich geschaffen habe, mitzuspielen, wie ich will. — Auch hat er sich der gräßlichsten Verbrechen gegen meine Person schuldig gemacht. Mich hat er belei- diget; aber nicht dich. — Womit könnte dich der arme Mann beleidiget haben? Du hast keine Ge- setze, die er übertreten, keine Unterthanen, die er bedrücken, keine Krone, nach der er streben könnte. Was findest du denn also für ein grausa- mes Vergnügen, einen Elenden, der ertrinken will, lieber noch auf den Kopf zu schlagen, als ihm die Hand zu reichen? Ich bin zu tadeln — Genug davon! — Seine Königinn, die Welt, das Schicksal selbst erklärt sich wider diesen Mann, und doch scheinet er dir kein Mitleid, keine Entschuldigung zu verdienen? — Ich bekenne es, Königinn, — Geh, es sey dir verge- ben! — Rufe mir gleich die Rutland her. — Ham- Hamburgische Dramaturgie . Acht und funfzigstes Stück. Den 20sten November, 1767. N ottingham geht, und bald darauf erschei- net Rutland. Man erinnere sich, daß Rutland, ohne Wissen der Königinn, mit dem Essex vermählt ist. Kömmst du, liebe Rutland? Ich habe nach dir geschickt. — Wie ists? Ich finde dich, seit einiger Zeit, so traurig. Woher diese trübe Wolke, die dein holdes Auge umziehet? Sey munter, liebe Rutland; ich will dir einen wackern Mann suchen. Großmüthige Frau! — Ich ver- diene es nicht, daß meine Königinn so gnädig auf mich herabsiehet. Wie kannst du so reden? — Ich liebe dich; ja wohl liebe ich dich. — Du sollst es daraus schon sehen! — Eben habe ich mit der Nottingham, der widerwärtigen! — einen Streit gehabt; und zwar — über Mylord Essex. F Rut- Ha! Sie hat mich recht sehr ge- ärgert. Ich konnte sie nicht länger vor Augen sehen. (bey Seite) Wie fahre ich bey die- sem theuern Namen zusammen! Mein Gesicht wird mich verrathen. Ich fühl es; ich werde blaß — und wieder roth. — Was ich dir sage, macht dich erröthen? — Dein so überraschendes, gütiges Vertrauen, Königinn, — Ich weiß, daß du mein Ve r trauen verdienest. — Komm, Rutland, ich will dir alles sagen. Du sollst mir rathen. — Ohne Zweifel, liebe Rutland, wirst du es auch gehört haben, wie sehr das Volk wider den armen, unglücklichen Mann schreyet; was für Verbrechen es ihm zur Last leget. Aber das Schlimmste weißt du vielleicht noch nicht? Er ist heute aus Irrland angekommen; wider meinen ausdrücklichen Be- fehl; und hat die dortigen Angelegenheiten in der größten Verwirrung gelassen. Darf ich Dir, Königinn, wohl sagen, was ich denke? — Das Geschrey des Vol- kes, ist nicht immer die Stimme der Wahrheit. Sein Haß ist öfters so ungegründet — Du sprichst die wahren Ge- danken meiner Seele. — Aber, liebe Rutland, er ist ist dem ohngeachtet zu tadeln. — Komm her, meine Liebe; laß mich an deinen Busen mich lehnen. — O gewiß, man legt mir es zu nahe! Nein, so will ich mich nicht unter ihr Joch bringen lassen. Sie vergessen, daß ich ihre Königinn bin. — Ah, Lie- be; so ein Freund hat mir längst gefehlt, gegen den ich so meinen Kummer ausschütten kann! — Siehe meine Thränen, Königinn — Dich so leiden zu sehen, die ich so bewundere! — O, daß mein guter Engel Gedanken in meine Seele, und Worte auf meine Zunge legen wollte, den Sturm in Deiner Brust zu beschwören, und Balsam in Deine Wunden zu gießen! O, so wärest du mein gu- ter Engel! mitleidige, beste Rutland! — Sage, ist es nicht Schade, daß so ein braver Mann ein Verräther seyn soll? daß so ein Held, der wie ein Gott verehret ward, sich so erniedrigen kann, mich um einen kleinen Thron bringen zu wollen? Das hätte er gewollt? das könnte er wollen? Nein, Königinn, gewiß nicht, gewiß nicht! Wie oft habe ich ihn von Dir sprechen hören! mit welcher Ergebenheit, mit welcher Bewunde- rung, mit welchem Entzücken habe ich ihn von Dir sprechen hören! Hast du ihn wirklich von mir sprechen hören? Und immer als einen Begeisterten, aus dem nicht kalte Ueberlegung, aus dem ein in- F 2 neres neres Gefühl spricht, dessen er nicht mächtig ist. Sie ist, sagte er, die Göttinn ihres Geschlechts, so weit über alle andere Frauen erhaben, daß das, was wir in diesen am meisten bewundern, Schön- heit und Reitz, in ihr nur die Schatten sind, ein größeres Licht dagegen abzusetzen. Jede weibliche Vollkommenheit verliert sich in ihr, wie der schwache Schimmer eines Sternes in dem alles überströmen- den Glanze des Sonnenlichts. Nichts übersteigt ihre Güte; die Huld selbst beherrschet, in ihrer Person, diese glückliche Insel; ihre Gesetze sind aus dem ewigen Gesetzbuche des Himmels gezogen, und werden dort von Engeln wieder aufgezeichnet. — O, unterbrach er sich dann mit einem Seufzer, der sein ganzes getreues Herz ausdrückte, o, daß sie nicht unsterblich seyn kann! Ich wünsche ihn nicht zu erleben, den schrecklichen Augenblick, wenn die Gottheit diesen Abglanz von sich zurückruft, und mit eins sich Nacht und Verwirrung über Britan- nien verbreiten. Sagte er das, Rutland? Das, und weit mehr. Immer so neu, als wahr in Deinem Lobe, dessen unver- siegene Quelle von den lautersten Gesinnungen gegen Dich überströmte — O, Rutland, wie gern glaube ich dem Zeugnisse, das du ihm giebst! Und kannst ihn noch für einen Ver- räther halten? Die Nein; — aber doch hat er die Gesetze übertreten. — Ich muß mich schämen, ihn länger zu schützen. — Ich darf es nicht einmal wagen, ihn zu sehen. Ihn nicht zu sehen, Königinn? nicht zu sehen? — Bey dem Mitleid, das seinen Thron in Deiner Seele aufgeschlagen, beschwöre ich Dich, — Du mußt ihn sehen! Schämen? wes- sen? daß Du mit einem Unglücklichen Erbarmen hast? — Gott hat Erbarmen: und Erbarmen sollte Könige schimpfen? — Nein, Königinn; sey auch hier Dir selbst gleich. Ja, Du wirst es; Du wirst ihn sehen, wenigstens einmal sehen — Ihn, der meinen ausdrück- lichen Befehl so geringschätzen können? Ihn, der sich so eigenmächtig vor meine Augen drengen darf? Warum blieb er nicht, wo ich ihm zu bleiben be- fahl? Rechne ihm dieses zu keinem Ver- brechen! Gieb die Schuld der Gefahr, in der er sich sahe. Er hörte, was hier vorgieng; wie sehr man ihn zu verkleinern, ihn Dir verdächtig zu machen suche. Er kam also, zwar ohne Erlaub- niß, aber in der besten Abstcht; in der Absicht, sich zu rechtfertigen, und Dich nicht hintergehen zu lassen. Gut; so will ich ihn denn sehen, und will ihn gleich sehen. — O, meine Rut- land, wie sehr wünsche ich es, ihn noch immer F 3 eben eben so rechtschaffen zu finden, als tapfer ich ihn kenne! O, nähre diese günstige Gedan- ke! Deine königliche Seele kann keine gerechtere hägen. — Rechtschaffen! So wirst Du ihn gewiß finden. Ich wollte für ihn schwören; bey aller Deiner Herrlichkeit für ihn schwören, daß er es nie aufgehöret zu seyn. Seine Seele ist reiner als die Sonne, die Flecken hat, und irrdische Dünste an sich ziehet, und Geschmeiß ausbrütet. — Du sagst, er ist tapfer; und wer sagt es nicht? Aber ein tapferer Mann ist keiner Niederträchtigkeit fä- hig. Bedenke, wie er die Rebellen gezüchtiget; wie furchtbar er Dich dem Spanier gemacht, der vergebens die Schätze seiner Indien wider Dich verschwendete. Sein Name floh vor Deinen Flot- ten und Völkern vorher, und ehe diese noch eintra- fen, hatte öfters schon sein Name gesiegt. (bey Seite) Wie beredt sie ist! — Ha! dieses Feuer, diese Innigkeit, — das bloße Mitleid gehet so weit nicht. — Ich will es gleich hören! — (zu ihr) Und dann, Rutland, seine Gestalt — Recht, Königinn; seine Gestalt. — Nie hat eine Gestalt den innern Vollkommenheiten mehr entsprochen! — Bekenn es, Du, die Du selbst so schön bist, daß man nie einen schönern Mann gesehen! So würdig, so edel, so kühn und gebietherisch die Bildung! Jedes Glied, in welcher Har- Harmonie mit dem andern! Und doch das Ganze von einem so sauften lieblichen Umrisse! Das wahre Modell der Natur, einen vollkommenen Mann zu bilden! Das seltene Muster der Kunst, die aus hundert Gegenständen zusammen suchen muß, was sie hier bey einander findet! (bey Seite) Ich dacht es! — Das ist nicht länger auszuhalten. — (zu ihr) Wie ist dir, Rutland? Du geräthst außer dir. Ein Wort, ein Bild überjagt das andere. Was spielt so den Meister über dich? Ist es blos deine Kö- niginn, ist es Essex selbst, was diese wahre, oder diese erzwungene Leidenschaft wirket? — (bey Seite) Sie schweigt; — ganz gewiß, sie liebt ihn. — Was habe ich gethan? Welchen neuen Sturm habe ich in meinem Busen erregt? u. s. w. Hier erscheinen Burleigh und die Notting- ham wieder, der Königinn zu sagen, daß Essex ihren Befehl erwarte. Er soll vor sie kommen. „Rutland, sagt die Königinn, „wir sprechen „einander schon weiter; geh nur. — Notting- „ham, tritt du näher.„ Dieser Zug der Ei- fersucht ist vortrefflich. Essex kömmt; und nun erfolgt die Scene mit der Ohrfeige. Ich wüßte nicht, wie sie verständiger und glücklicher vor- bereitet seyn könnte. Essex anfangs, scheinet sich völlig unterwerfen zu wollen; aber, da sie ihm befiehlt, sich zu rechtfertigen, wird er nach und und nach hitzig; er prahlt, er pocht, er trotzt. Gleichwohl hätte alles das die Königinn so weit nicht aufbringen können, wenn ihr Herz nicht schon durch Eifersucht erbittert gewesen wäre. Es ist eigentlich die eifersüchtige Liebhaberinn, welche schlägt, und die sich nur der Hand der Königinn bedienet. Eifersucht überhaupt schlägt gern. — Ich, meines Theils, möchte diese Scenen lieber auch nur gedacht, als den ganzen Essex des Corneille gemacht haben. Sie sind so cha- rakteristisch, so voller Leben und Wahrheit, daß das Beste des Franzosen eine sehr armselige Fi- gur dagegen macht. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Neun und funfzigstes Stück. Den 24sten November, 1767. N ur den Stil des Banks muß man aus mei- ner Uebersetzung nicht beurtheilen. Von seinem Ausdrucke habe ich gänzlich abge- hen müssen. Er ist zugleich so gemein und so kostbar, so kriechend und so hochtrabend, und das nicht von Person zu Person, sondern ganz durchaus, daß er zum Muster dieser Art von Mißhelligkeit dienen kann. Ich habe mich zwi- schen beide Klippen, so gut als möglich, durchzu- schleichen gesucht; dabey aber doch an der einen lieber, als an der andern, scheitern wollen. Ich habe mich mehr vor dem Schwülstigen gehütet, als vor dem Platten. Die mehresten hätten vielleicht gerade das Gegentheil gethan; denn schwülstig und tragisch, halten viele so ziem- lich für einerley. Nicht nur viele, der Leser: auch viele, der Dichter selbst. Ihre Helden sollten wie andere Menschen sprechen? Was G wären wären das für Helden? Ampullæ \& sesqui- pedalia verba, Sentenzen und Blasen und ellenlange Worte: das macht ihnen den wahren Ton der Tragödie. „Wir haben es an nichts fehlen lassen, sagt Diderot, Zweyte Unterredung hinter dem natürlichen Sohne. S. d. Uebers. 247. (man merke, daß er vornehmlich von seinen Landsleuten spricht,) „das Drama „aus dem Grunde zu verderben. Wir haben „von den Alten die volle prächtige Versification „beybehalten, die sich doch nur für Sprachen „von sehr abgemessenen Quantitäten, und sehr „merklichen Accenten, nur für weitläufige Büh- „nen, nur für eine in Noten gesetzte und mit „Instrumenten begleitete Deklamation so wohl „schickt: ihre Einfalt aber in der Verwickelung „und dem Gespräche, und die Wahrheit ihrer „Gemählde haben wir fahren lassen.„ Diderot hätte noch einen Grund hinzufügen können, warum wir uns den Ausdruck der alten Tragödien nicht durchgängig zum Muster neh- men dürfen. Alle Personen sprechen und unter- halten sich da auf einem freyen, öffentlichen Platze, in Gegenwart einer neugierigen Menge Volks. Sie müssen also fast immer mit Zurück- haltung, und Rücksicht auf ihre Würde, sprechen; sie können sich ihrer Gedanken und Empfindun- gen nicht in den ersten den besten Worten entla- den; den; sie müssen sie abmessen und wählen. Aber wir Neuern, die wir den Chor abgeschaft, die wir unsere Personen größtentheils zwischen ih- ren vier Wänden lassen: was können wir für Ursache haben, sie dem ohngeachtet immer eine so geziemende, so ausgesuchte, so rhetorische Sprache führen zu lassen? Sie hört niemand, als dem sie es erlauben wollen, sie zu hören; mit ihnen spricht niemand als Leute, welche in die Handlung wirklich mit verwickelt, die also selbst im Affekte sind, und weder Lust noch Muße haben, Ausdrücke zu controlliren. Das war nur von dem Chore zu besorgen, der, so genau er auch in das Stück eingeflochten war, dennoch niemals mit handelte, und stets die handelnden Personen mehr richtete, als an ihrem Schicksale wirklichen Antheil nahm. Umsonst beruft man sich desfalls auf den höhern Rang der Personen. Vornehme Leute haben sich besser ausdrücken ge- lernt, als der gemeine Mann: aber sie affecti- ren nicht unaufhörlich, sich besser auszudrücken, als er. Am wenigsten in Leidenschaften; deren jeder seine eigene Beredsamkeit hat, mit der al- lein die Natur begeistert, die in keiner Schule gelernt wird, und auf die sich der Unerzogenste so gut verstehet, als der Polirteste. Bey einer gesuchten, kostbaren, schwülstigen Sprache kann niemals Empfindung seyn. Sie zeigt von keiner Empfindung, und kann keine G 2 her- hervorbringen. Aber wohl verträgt sie sich mit den simpelsten, gemeinsten, plattesten Worten und Redensarten. Wie ich Banks Elisabeth sprechen lasse, weiß ich wohl, hat noch keine Königinn auf dem französischen Theater gesprochen. Den niedri- gen vertraulichen Ton, in dem sie sich mit ihren Frauen unterhält, würde man in Paris kaum einer guten adlichen Landfrau angemessen finden. „Ist dir nicht wohl? — Mir ist ganz wohl. „Steh auf, ich bitte dich. — Nur unruhig; „ein wenig unruhig bin ich. — Erzehle mir „doch. — Nicht wahr, Nottingham? Thu „das! Laß hören! — Gemach, gemach! — Du „eiferst dich aus dem Athem. — Gift und Blat- „tern auf ihre Zunge! — Mir steht es frey, „dem Dinge, das ich geschaffen habe, mitzu- „spielen, wie ich will. — Auf den Kopf schla- „gen. — Wie ists? Sey munter, liebe Rut- „land; ich will dir einen wackern Mann su- „chen. — Wie kannst du so reden? — Du sollst „es schon sehen. — Sie hat mich recht sehr geär- „gert. Ich konnte sie nicht länger vor Augen „sehen. — Komm her, meine Liebe; laß mich „an deinen Busen mich lehnen. — Ich dacht „es! — Das ist nicht länger auszuhalten.„ — Ja wohl ist es nicht auszuhalten! würden die feinen Kunstrichter sagen — Wer- Werden vielleicht auch manche von meinen Lesern sagen. — Denn leider giebt es Deutsche, die noch weit französischer sind, als die Franzo- sen. Ihnen zu gefallen, habe ich diese Brocken auf einen Haufen getragen. Ich kenne ihre Art zu kritisiren. Alle die kleinen Nachläßigkeiten, die ihr zärtliches Ohr so unendlich beleidigen, die dem Dichter so schwer zu finden waren, die er mit so vieler Ueberlegung dahin und dorthin streuete, um den Dialog geschmeidig zu machen, und den Reden einen wahrern Anschein der au- genblicklichen Eingebung zu ertheilen, reihen sie sehr witzig zusammen auf einen Faden, und wol- len sich krank darüber lachen. Endlich folgt ein mitleidiges Achselzucken: „man hört wohl, daß der gute Mann die große Welt nicht kennet; daß er nicht viele Königinnen reden gehört; Racine verstand das besser; aber Racine lebte auch bey Hofe.„ Dem ohngeachtet würde mich das nicht irre machen. Desto schlimmer für die Königinnen, wenn sie wirklich nicht so sprechen, nicht so spre- chen dürfen. Ich habe es lange schon geglaubt, daß der Hof der Ort eben nicht ist, wo ein Dich- ter die Natur studiren kann. Aber wenn Pomp und Etiquette aus Menschen Maschinen macht, so ist es das Werk des Dichters, aus diesen Maschinen wieder Menschen zu machen. Die wahren Königinnen mögen so gesucht und affek- G 3 tirt tirt sprechen, als sie wollen: seine Königinnen müssen natürlich sprechen. Er höre der Hekuba des Euripides nur fleißig zu; und tröste sich im- mer, wenn er schon sonst keine Königinnen ge- sprochen hat. Nichts ist züchtiger und anständiger als die simple Natur. Grobheit und Wust ist eben so weit von ihr entfernt, als Schwulst und Bom- bast von dem Erhabnen. Das nehmliche Ge- fühl, welches die Grenzscheidung dort wahr- nimt, wird sie auch hier bemerken. Der schwülstigste Dichter ist daher unfehlbar auch der pöbelhafteste. Beide Fehler sind unzer- trennlich; und keine Gattung giebt mehrere Ge- legenheit in beide zu verfallen, als die Tragödie. Gleichwohl scheinet die Engländer vornehm- lich nur der eine, in ihrem Banks beleidiget zu haben. Sie tadelten weniger seinen Schwulst, als die pöbelhafte Sprache, die er so edle und in der Geschichte ihres Landes so glänzende Per- sonen führen lasse; und wünschten lange, daß sein Stück von einem Manne, der den tragischen Ausdruck mehr in seiner Gewalt habe, möchte umgearbeitet werden. (Companion to the Theatre Vol. II. p. 105.) — The Diction is every where very bad, and in some Places so low, that it even becomes unnatural. — And I think, there can- Dieses geschah end- lich lich auch. Fast zu gleicher Zeit machten sich Jones und Brook darüber. Heinrich Jones, von Geburt ein Irrländer, war seiner Pro- feßion nach ein Maurer, und vertauschte, wie der alte Ben Johnson, seine Kelle mit der Fe- der. Nachdem er schon einen Band Gedichte auf Subscription drucken lassen, die ihn als ei- nen Mann von großem Genie bekannt machten, brachte er seinen Essex 1753 aufs Theater. Als dieser zu London gespielt ward, hatte man bereits den von Heinrich Brook in Dublin gespielt. Aber Brook ließ seinen erst einige Jahre her- nach drucken; und so kann es wohl seyn, daß er, wie man ihm Schuld giebt, eben sowohl den Essex des Jones, als den vom Banks, genutzt hat. Auch muß noch ein Essex von einem James Ralph vorhanden seyn. Ich gestehe, daß ich keinen gelesen habe, und alle drey nur aus den gelehrten Tagebüchern kenne. Von dem Essex des Brook, sagt ein französischer Kunstrichter, daß tannot be a greater Proof of the little Encouragement this Age affords to Merit, than that no Gentleman possest of a true Genius and Spirit of Poetry, thinks it worth his Attention to adorn so celebra- ted a Part of History with that Dignity of Expression befitting Tragedy in general, but more particularly, where the Cha- racters are perhaps the greatest the World ever produced. daß er das Feuer und das Pathetische des Banks mit der schönen Poesie des Jones zu verbinden gewußt habe. Was er über die Rolle der Rut- land, und über derselben Verzweiflung bey der Hinrichtung ihres Gemahls, hinzufügt, (Journal Encycl. Mars 1761.) Il a aussi fait tomber en demence la Comtesse de Rut- land au moment que cet illustre epoux est conduit à l’echafaud; ce moment ou cette Comtesse est un objet bien digne de pitié, a produit une tres grande sensation, \& a été trouvé admirable à Londres: en France il eut paru ridicule, il auroit été sifflé \& l’on auroit envoyé la Comtesse avec l’Au- teur aux Petites-Maisons. ist merkwürdig; man lernt auch daraus das Pari- ser Parterr auf einer Seite kennen, die ihm wenig Ehre macht. Aber einen spanischen Essex habe ich gelesen, der viel zu sonderbar ist, als daß ich nicht im Vorbeygehen etwas davon sagen sollte. — Ham- Hamburgische Dramaturgie . Sechzigstes Stück. Den 27sten November, 1767. E r ist von einem Ungenannten, und führet den Titel: Für seine Gebietherinn ster- ben. Dar la vida por su Dama, el Conde de Sex; de un Ingenio de esta Corte. Ich finde ihn in einer Samm- lung von Komödien, die Joseph Padrino zu Sevilien gedruckt hat, und in der er das vier und siebzigste Stück ist. Wenn er verfertiget worden, weiß ich nicht; ich sehe auch nichts, woraus es sich ungefehr abnehmen ließe. Das ist klar, daß sein Verfasser weder die französischen und englischen Dichter, welche die nehmliche Geschich- te bearbeitet haben, gebraucht hat, noch von ih- nen gebraucht worden. Er ist ganz original. Doch ich will dem Urtheile meiner Leser nicht vorgreifen. Essex H Essex kömmt von seiner Expedition wider die Spanier zurück, und will der Königinn in Lon- don Bericht davon abstatten. Wie er anlangt, hört er, daß sie sich zwey Meilen von der Stadt auf dem Landgute einer ihrer Hofdamen, Na- mens Blanca, befinde. Diese Blanca ist die Geliebte des Grafen, und auf diesem Landgute hat er, noch bey Lebszeiten ihres Vaters, viele heimliche Zusammenkünfte mit ihr gehabt. So- gleich begiebt er sich dahin, und bedient sich des Schlüssels, den er noch von der Gartenthüre bewahret, durch die er ehedem zu ihr gekommen. Es ist natürlich, daß er sich seiner Geliebten eher zeigen will, als der Königinn. Als er durch den Garten nach ihren Zimmern schleichet, wird er, an dem schattichten Ufer eines durch den- selben geleiteten Armes der Temse, ein Frauen- zimmer gewahr, (es ist ein schwüler Sommer- abend,) das mit den bloßen Füßen in dem Was- ser sitzt, und sich abkühlet. Er bleibt voller Verwunderung über ihre Schönheit stehen, ob sie schon das Gesicht mit einer halben Maske bedeckt hat, um nicht erkannt zu werden. (Diese Schönheit, wie billig, wird weitläuftig beschrie- ben, und besonders werden über die allerliebsten weissen Füße in dem klaren Wasser, sehr spitzfin- dige Dinge gesagt. Nicht genug, daß der ent- zückte Graf zwey krystallene Säulen in einem fließenden Krystalle stehen sieht; er weiß vor Er- stau- staunen nicht, ob das Wasser der Krystall ihrer Füße ist, welcher in Fluß gerathen, oder ob ihre Füße der Krystall des Wassers sind, der sich in diese Form condensirt hat. Las dos columnas bellas Metiò dentro del rio, y como al vellas Vi un crystal en el rio desatado, Y vi crystal en ellas condensado, No supe si las aguas que se vian Eran sus pies, que liquidos corrian, O si sus dos columnas se formaban De las aguas, que alli se congelaban. Diese Aehnlichkeit treibt der Dichter noch weiter, wenn er beschreiben will, wie die Da- me, das Wasser zu kosten, es mit ihrer hohlen Hand geschöpft, und nach dem Munde geführt habe. Diese Hand, sagt er, war dem klaren Wasser so ähnlich, daß der Fluß selbst für Schrecken zusammen fuhr, weil er befürchtete, sie möchte einen Theil ihrer eignen Hand mit- trinken. Quiso prabar a caso El agua, y fueron crystalino vaso Sus manos, acercò las a los labios, Y entonces el arrayo llorò agravios, Y como tanto, en fin, se parecia A sus manos aquello que bebia, Temi con sobresalto (y no fue en vano) Que se bebiera parte de la mano. Noch verwirrter macht ihn die halbe schwarze Maske auf dem weissen Gesichte: er kann nicht begrei- fen, in welcher Absicht die Natur ein so göttli- H 2 ches ches Monstrum gebildet, und auf seinem Ge- sichte so schwarzen Basalt mit so glänzendem Helfenbeine gepaaret habe; ob mehr zur Be- wunderung, oder mehr zur Verspottung? Yo, que al principio vi, ciego, y turbado A una parte nevado Y en otra negro el rostro, Juzguè, mirando tan divino monstruo, Que la naturaleza cuidadosa Desigual uniendo tan hermosa, Quiso hacer por assombro, o por ultrage, De azabache y marfil un maridage. ) Kaum hat sich das Frauenzimmer wieder ange- kleidet, als, unter der Ausrufung: Stirb Ty- ranninn! ein Schuß auf sie geschieht, und gleich darauf zwey maskirte Männer mit bloßem De- gen auf sie los gehen, weil der Schuß sie nicht getroffen zu haben scheinet. Essex besinnt sich nicht lange, ihr zu Hülfe zu eilen. Er greift die Mörder an, und sie entfliehen. Er will ih- nen nach; aber die Dame ruft ihn zurück, und bittet ihn, sein Leben nicht in Gefahr zu setzen. Sie sieht, daß er verwundet ist, knüpft ihre Schärpe los, und giebt sie ihm, sich die Wunde damit zu verbinden. Zugleich, sagt sie, soll diese Schärpe dienen, mich Euch zu seiner Zeit zu erkennen zu geben; itzt muß ich mich entfer- nen, ehe über den Schuß mehr Lermen entsteht; ich möchte nicht gern, daß die Königinn den Zu- fall erführe, und ich beschwöre Euch daher um Eure Eure Verschwiegenheit. Sie geht, und Essex bleibt voller Erstaunen über diese sonderbare Begebenheit, über die er mit seinem Bedienten, Namens Cosme, allerley Betrachtungen anstellt. Dieser Cosme ist die lustige Person des Stücks; er war vor dem Garten geblieben, als sein Herr hereingegangen, und hatte den Schuß zwar ge- hört, aber ihm doch nicht zu Hülfe kommen dür- fen. Die Furcht hielt an der Thüre Schild- wache, und versperrte ihm den Eingang. Furcht- sam ist Cosme für viere; Ruido de armas en la Quinta, Y dentro el Conde? Que aguardo, Que no voi à socorrerlé? Que aguardo? Lindo recado: Aguardo à que quiera el miedo Dexarme entrar: — — — — — — — Cosme, que ha tenido un miedo Que puede valer por quatro. und das sind die spanischen Narren gemeiniglich alle. Essex be- kennt, daß er sich unfehlbar in die schöne Unbe- kannte verliebt haben würde, wenn Blanca nicht schon so völlig Besitz von seinem Herzen genommen hätte, daß sie durchaus keiner andern Leidenschaft darinn Raum lasse. Aber, sagt er, wer mag sie wohl gewesen seyn? Was dünkt dich, Cosme? — Wer wirds gewesen seyn, ant- wortet Cosme, als des Gärtners Frau, die sich H 3 die die Beine gewaschen? — La muger del hortelano, Que se lavaba las piernas. Aus diesem Zuge, kann man leicht auf das Uebrige schließen. Sie gehen endlich beide wieder fort; es ist zu spät ge- worden; das Haus könnte über den Schuß in Bewegung gerathen seyn; Essex getraut sich da- her nicht, unbemerkt zur Blanca zu kommen, und verschiebt seinen Besuch auf ein andermal. Nun tritt der Herzog von Alanzon auf, mit Flora, der Blanca Kammermädchen. (Die Scene ist noch auf dem Landgute, in einem Zimmer der Blanca; die vorigen Auftritten waren in dem Garten. Es ist des folgenden Tages.) Der König von Frankreich hatte der Elisabeth eine Verbindung mit seinem jüngsten Bruder vorge- schlagen. Dieses ist der Herzog von Alanzon. Er ist, unter dem Vorwande einer Gesandt- schaft, nach England gekommen, um diese Ver- bindung zu Stande zu bringen. Es läßt sich alles, sowohl von Seiten des Parlaments als der Königinn, sehr wohl dazu an: aber indeß erblickt er die Blanca, und verliebt sich in sie. Itzt kömmt er, und bittet Floren, ihm in seiner Liebe behülflich zu seyn. Flora verbirgt ihn nicht, wie wenig er zu erwarten habe; doch oh- ne ihm das geringste von der Vertraulichkeit, in welcher der Graf mit ihr stehet, zu entdecken. Sie Sie sagt blos, Blanca suche sich zu verheyra- then, und da sie hierauf sich mit einem Manne, dessen Stand so weit über den ihrigen erhaben sey, doch keine Rechnung machen könne, so durfte sie schwerlich seiner Liebe Gehör geben. — (Man erwartet, daß der Herzog auf diesen Ein- wurf die Lauterkeit seiner Absichten betheuern werde: aber davon kein Wort! Die Spanier sind in diesem Punkte lange so strenge und deli- kat nicht, als die Franzosen.) Er hat einen Brief an die Blanca geschrieben, den Flora übergeben soll. Er wünscht, es selbst mit an- zusehen, was dieser Brief für Eindruck auf sie machen werde. Er schenkt Floren eine güldne Kette, und Flora versteckt ihn in eine anstoßende Gallerie, indem Blanca mit Cosme hereintritt, welcher ihr die Ankunft seines Herrn meldet. Essex kömmt. Nach den zärtlichsten Bewill- kommungen der Blanca, nach den theuersten Versicherungen des Grafen, wie sehr er ihrer Liebe sich würdig zu zeigen wünsche, müssen sich Flora und Cosme entfernen, und Blanca bleibt mit dem Grafen allein. Sie erinnert ihn, mit welchem Eifer und mit welcher Standhaftigkeit er sich um ihre Liebe beworben habe. Nachdem sie ihm drey Jahre widerstanden, habe sie end- lich sich ihm ergeben, und ihn, unter Versiche- rung sie zu heyrathen, zum Eigenthümer ihrer Ehre Ehre gemacht. ( Te hice dueño de mi ho- nor: der Ausdruck sagt im Spanischen ein wenig viel.) Nur die Feindschaft, welche un- ter ihren beyderseitigen Familien obgewaltet, habe nicht erlaubt, ihre Verbindung zu vollzie- hen. Essex ist nichts in Abrede, und fügt hin- zu, daß, nach dem Tode ihres Vaters und Bru- ders, nur die ihm aufgetragene Expedition wider die Spanier dazwischen gekommen sey. Nun aber habe er diese glücklich vollendet; nun wolle er unverzüglich die Königinn um Erlaubniß zu ihrer Vermählung antreten. — Und so kann ich dir denn, sagt Blanca, als meinem Geliebten, als meinem Bräutigam, als meinem Freunde, alle meine Geheimnisse sicher anvertrauen. Bien podrè seguramente Revelarte intentos mios, Como a galan, como a dueño Como a esposo, y como a amigo. — Ham- Hamburgische Dramaturgie . Ein und sechzigstes Stück. Den 1sten December, 1767. H ierauf beginnt sie eine lange Erzehlung von dem Schicksale der Maria von Schott- land. Wir erfahren, (denn Essex selbst muß alles das, ohne Zweifel, längst wissen,) daß ihr Vater und Bruder dieser unglücklichen Königinn sehr zugethan gewesen; daß sie sich ge- weigert, an der Unterdrückung der Unschuld Theil zu nehmen; daß Elisabeth sie daher gefan- gen setzen, und in dem Gefängnisse heimlich hin- richten lassen. Kein Wunder, daß Blanca die Elisabeth haßt; daß sie fest entschlossen ist, sich an ihr zu rächen. Zwar hat Elisabeth nachher sie unter ihre Hofdamen aufgenommen, und sie ihres ganzen Vertrauens gewürdiget. Aber Blanca ist unversöhnlich. Umsonst wählte die Königinn, nur kürzlich, vor allen andern das Landgut der Blanca, um die Jahreszeit einige Tage daselbst ruhig zu geniessen. — Diesen Vor- J zug zug selbst, wollte Blanca ihr zum Verderben ge- reichen lassen. Sie hatte an ihren Oheim ge- schrieben, welcher, aus Furcht, es möchte ihm wie seinem Bruder, ihrem Vater, ergehen, nach Schottland geflohen war, wo er sich im Verborgnen aufhielt. Der Oheim war gekom- men; und kurz, dieser Oheim war es gewesen, welcher die Königinn in dem Garten ermorden wollen. Nun weiß Essex, und wir mit ihm, wer die Person ist, der er das Leben gerettet hat. Aber Blanca weiß nicht, daß es Essex ist, wel- cher ihren Anschlag vereiteln müssen. Sie rech- net vielmehr auf die unbegrenzte Liebe, deren sie Essex versichert, und wagt es, ihn nicht blos zum Mitschuldigen machen zu wollen, sondern ihm völlig die glücklichere Vollziehung ihrer Rache zu übertragen. Er soll sogleich an ihren Oheim, der wieder nach Schottland geflohen ist, schreiben, und gemeinschaftliche Sache mit ihm machen. Die Tyranninn müsse sterben; ihr Name sey allgemein verhaßt; ihr Tod sey eine Wohlthat für das Vaterland, und niemand ver- diene es mehr als Essex, dem Vaterlande diese Wohlthat zu verschaffen. Essex ist über diesen Antrag äußerst betroffen. Blanca, seine theure Blanca, kann ihm eine solche Verrätherey zumuthen? Wie sehr schämt er sich, in diesem Augenblicke, seiner Liebe! Aber was soll er thun? Soll er ihr, wie es bil- lig lig wäre, seinen Unwillen zu erkennen geben? Wird sie darum weniger bey ihren schändlichen Gesinnungen bleiben? Soll er der Königinn die Sache hinterbringen? Das ist unmöglich: Blanca, seine ihm noch immer theure Blanca, läuft Gefahr. Soll er sie, durch Bitten und Vorstellungen, von ihrem Entschlusse abzubrin- gen suchen? Er müßte nicht wissen, was für ein rachsüchtiges Geschöpf eine beleidigte Frau ist; wie wenig es sich durch Flehen erweichen, und durch Gefahr abschrecken läßt. Wie leicht könnte sie seine Abrathung, sein Zorn, zur Verzweiflung bringen, daß sie sich einem an- dern entdeckte, der so gewissenhaft nicht wäre, und ihr zu Liebe alles unternähme? Ay tal traicion! vive el Cielo, Que de amarla estoi corrido. Blanca, que es mi dulce dueño, Blanca, à quien quiero, y estimo, Me propone tal traicion! Que harè, porque si ofendido, Respondiendo, como es justo, Contra su traicion me irrito, No por esso ha de evitar Su resuelto desatino. Pues darle cuenta a la Reina Es impossible, pues quiso Mi suerte, que tenga parte Blanca en aqueste delito. Pues si procuro con ruegos Di- — Die- J 2 ses ses in der Geschwindigkeit überlegt, faßt er den Vorsatz, sich zu verstellen, um den Roberto, so heißt der Oheim der Blanca, mit allen seinen Anhängern, in die Falle zu locken. Blanca wird ungeduldig, daß ihr Essex nicht sogleich antwortet. „Graf, sagt sie, wenn Du erst lange mit Dir zu Rathe gehst, so liebst Du mich nicht. Auch nur zweifeln, ist Verbrechen. Undankbarer! — Si estàs consultando, Conde, Allà dentro de ti mismo Lo que has de hacer, no me quieres, Ya el dudarlo fue delito. Vive Dios, que eres ingrato! Sey ruhig, Blanca! er- wiedert Essex: ich bin entschlossen. — Und wo- zu? — Gleich will ich Dir es schriftlich geben.„ Essex setzt sich nieder, an ihren Oheim zu schreiben, und indem tritt der Herzog aus der Gal- Disuadirla, es desvario, Que es una muger resuelta Animal tan vengativo, Que no se dobla à los riesgos: Antes con afecto impio, En el mismo rendimiento Suelen agusar los filos; Y quizà desesperada De mi enojo, o mi desvìo, Se declarara con otro Menos leal, menos fino, Que quizà por ella intente, Lo que yo hacer no he querido. Gallerie näher. Er ist neugierig zu sehen, wer sich mit der Blanca so lange unterhält; und er- staunt, den Grafen von Essex zu erblicken. Aber noch mehr erstaunt er über das, was er gleich darauf zu hören bekömmt. Essex hat an den Roberto geschrieben, und sagt der Blanca den Inhalt seines Schreibens, das er sofort durch den Cosme abschicken will. Roberto soll mit allen seinen Freunden einzeln nach London kommen; Essex will ihn mit seinen Leuten unter- stützen; Essex hat die Gunst des Volks; nichts wird leichter seyn, als sich der Königinn zu be- mächtigen; sie ist schon so gut, als todt. — Erst müßt ich sterben! ruft auf einmal der Herzog, und kömmt auf sie los. Blanca und der Graf erstaunen über diese plötzliche Erscheinung; und das Erstaunen des letztern ist nicht ohne Eifer- sucht. Er glaubt, daß Blanca den Herzog bey sich verborgen gehalten. Der Herzog rechtfer- tiget die Blanca, und versichert, daß sie von seiner Anwesenheit nichts gewußt; er habe die Gallerie offen gefunden, und sey von selbst her- eingegangen, die Gemählde darinn zu betrach- ten. Por vida del Rey mi hermano, Y por la que mas estimo, De la Reina mi señora, Y por — pero yo lo digo Que J 3 Der Bey dem Leben meines Bru- ders, bey dem mir noch kostbarern Leben der Kö- niginn, bey — Aber genug, daß Ich es sage: Blanca ist unschuldig. Und nur ihr, Mylord, haben Sie diese Erklärung zu danken. Auf Sie, ist im geringsten nicht dabey gesehen. Denn mit Leuten, wie Sie, machen Leute, wie ich — Prinz, Sie kennen mich ohne Zweifel nicht recht? — Freylich habe ich Sie nicht recht gekannt. Aber ich kenne Sie nun. Ich hielt Que en mi es el mayor empeño De la verdad del decirlo, Que no tiene Blanca parte De estar yo aqui — — — — — — Y estad mui agradecido A Blanca, de que yo os dè, No satisfacion, aviso De esta verdad, porque a vos, Hombres como yo — Cond. Imagino Que no me conoceis bien. Duq. No os havia conocido Hasta aqui; mas ya os conozco, Pues ya tan otro os he visto Que os reconozco traidor. Cond. Quien dixere — Duq. Yo lo digo, No pronuncieis algo, Conde, Que ya no puedo sufriros. Cond. Qualquier cosa que yo intente — Duq. hielt Sie für einen ganz andern Mann: und ich finde, Sie sind ein Verräther. Wer darf das sagen? Ich! — Nicht ein Wort mehr! Ich will kein Wort mehr hören, Graf! Meine Absicht mag auch gewesen seyn — Denn kurz: ich bin überzeugt, daß ein Verräther kein Herz hat. Ich treffe Sie als einen Verräther: ich muß Sie für einen Mann ohne Herz halten. Aber um so weniger darf ich mich dieses Vortheils über Sie bedienen. Meine Ehre Duq. Mirad que estoi persuadido Que hacer la traicion cobardes; Y assi quando os he cogido En un lance que me dà De que sois cobarde indicios, Non he de aprovecharme de esto, Y asfi os perdona mi brio Este rato que teneis El valor desminuido; Que a estar todo vos entero, Supiera daros castigo. Cond. Yo soi el Conde de Sex Y nadie se me ha atrevido Sino el hermano del Rey De Francia. Duq. Yo tengo brio Para que sin ser quien soi, Pueda Ehre verzeiht Ihnen, weil Sie der Ihrigen ver- lustig sind. Wären Sie so unbescholten, als ich Sie sonst geglaubt, so würde ich Sie zu züchtigen wissen. Ich bin der Graf von Essex. So hat mir noch niemand begegnen dürfen, als der Bruder des Königs von Frankreich. Wenn ich auch der nicht wäre, der ich bin; wenn nur Sie der wären, der Sie nicht sind, ein Mann von Ehre: so sollten Sie wohl empfinden, mit wem Sie zu thun hätten. — Sie, der Graf von Essex? Wenn Sie dieser beru- fene Krieger sind: wie können Sie so viele große Thaten durch eine so unwürdige That vernichten wollen? — Ham- Pueda mi valor invicto Castigar, non digo yo Solo a vos, mos a vos mismo, Siendo leal, que es lo mas Con que queda encarecido. Y pues sois tan gran Soldado, No echeis a perder, os pido, Tantas heroicas hazañas Con un hecho tan indigno — Hamburgische Dramaturgie . Zwey und sechzigstes Stück. Den 4ten December, 1767. D er Herzog fährt hierauf fort, ihm sein Un- recht, in einem etwas gelindern Tone, vorzuhalten. Er ermahnt ihn, sich ei- nes bessern zu besinnen; er will es vergessen, was er gehört habe; er ist versichert, daß Blanca mit dem Grafen nicht einstimme, und daß sie selbst ihm eben das würde gesagt haben, wenn er, der Her- zog, ihr nicht zuvorgekommen wäre. Er schließt endlich: „Noch einmal, Graf; gehen Sie in sich! „Stehen Sie von einem so schändlichen Vorha- „ben ab! Werden Sie wieder Sie selbst! Wol- „len Sie aber meinem Rathe nicht folgen: so „erinnern Sie sich, daß Sie einen Kopf haben, „und London einen Henker!„ Miradlo mejor, dexad Un intento tan indigno, Corresponded à quien sois, Y — Hiermit ent- K entfernt sich der Herzog. Essex ist in der äußer- sten Verwirrung; es schmerzt ihn, sich für einen Verräther gehalten zu wissen; gleichwohl darf er es itzt nicht wagen, sich gegen den Herzog zu rechtfertigen; er muß sich gedulden, bis es der Ausgang lehre, daß er da seiner Königinn am getreuesten gewesen sey, als er es am wenigsten zu seyn geschienen. Non he de responder al Duque Hasta que el sucesso mismo Muestre como fueron falsos De mi traicion los indicios, Y que soi mas leal, quando Mos traidor he parecido. So spricht er mit sich selbst: zur Blanca aber sagt er, daß er den Brief sogleich an ihren Oheim senden wolle, und geht ab. Blanca desgleichen; nachdem sie ih- ren Unstern verwünscht, sich aber noch damit getröstet, daß es kein Schlimmerer als der Her- zog sey, welcher von dem Anschlage des Grafen wisse. Die Königinn erscheinet mit ihrem Kanzler, dem sie es vertrauet hat, was ihr in dem Garten begegnet. Sie befiehlt, daß ihre Leibwache alle Zugänge wohl besetze; und morgen will sie nach London zurückkehren. Der Kanzler ist der Mei- nung, die Mäuchelmörder aufsuchen zu lassen, und Y sino bastan avisos, Mirad que ay Verdugo en Londres, Y en vos cabeza, harto os digo. und durch ein öffentliches Edict demjenigen, der sie anzeigen werde, eine ansehnliche Belohnung zu verheissen, sollte er auch selbst ein Mitschul- diger seyn. „Denn da es ihrer zwey waren, sagt er, „die den Anfall thaten, so kann leicht „einer davon ein eben so treuloser Freund seyn, „als er ein treuloser Unterthan ist.„ Y pues son dos los culpados Podrà ser, que alguno de ellos Entregue al otro que es llano, Que serà traidor amigo Quien fue desleal vassallo. — Aber die Königinn mißbilliget diesen Rath; sie hält es für besser, den ganzen Vorfall zu unter- drücken, und es gar nicht bekannt werden zu lassen, daß es Menschen gegeben, die sich einer solchen That erkühnen dürfen. „Man muß, sagt sie, „die Welt glauben machen, daß die „Könige so wohl bewacht werden, daß es der „Verrätherey unmöglich ist, an sie zu kommen. „Ausserordentliche Verbrechen werden besser ver- „schwiegen, als bestraft. Denn das Beyspiel „der Strafe ist von dem Beyspiele der Sünde „unzertrennlich; und dieses kann oft eben so sehr „anreitzen, als jenes abschrecken.„ Y es gran materia de estado Dar a entender, que los Reyes Estan en si tan guardados Que aunque la traicion los busque, Nunca K 2 In- Indem wird Essex gemeldet, und vorgelassen. Der Bericht, den er von dem glücklichen Er- folge seiner Expedition abstattet, ist kurz. Die Königinn sagt ihm, auf eine sehr verbindliche Weise: „Da ich Euch wieder erblicke, weiß ich von dem Ausgange des Krieges schon ge- nug.„ Que ya solo con miraros Sè el sucesso de la guerra. Sie will von keinen nähern Um- ständen hören, bevor sie seine Dienste nicht be- lohnt, und befiehlt dem Kanzler, dem Grafen sogleich das Patent als Admiral von England auszufertigen. Der Kanzler geht; die Königinn und Essex sind allein; das Gespräch wird ver- traulicher; Essex hat die Schärpe um; die Kö- niginn bemerkt sie, und Essex würde es aus die- ser bloßen Bemerkung schliessen, daß er sie von ihr habe, wenn er es aus den Reden der Blanca nicht schon geschlossen hätte. Die Königinn hat den Grafen schon längst heimlich geliebt; und nun ist sie ihm sogar das Leben schuldig. No bastaba, amor tyranno Una inclinacion tan fuerte, Sin que te aya ayudado Del deberle yo la vida? Es Nunca ha de poder hallarlos; Y assi el secreto averigue Enormes delitos, quando Mas que el castigo, escarmientos Dè de exemplares el pecado. Es kostet ihr alle Mühe, ihre Neigung zu ver- bergen. Sie thut verschiedne Fragen, ihn aus- zulocken und zu hören, ob sein Herz schon einge- nommen, und ob er es vermuthe, wem er das Leben in den Garten gerettet. Das letzte giebt er ihr durch seine Antworten gewissermaaßen zu verstehen, und zugleich, daß er für eben diese Person mehr empfinde, als er derselben zu ent- decken sich erkühnen dürfe. Die Königinn ist auf dem Punkte, sich ihm zu erkennen zu gebene doch siegt noch ihr Stolz über ihre Liebe. Eben so sehr hat der Graf mit seinem Stolze zu käm- pfen: er kann sich des Gedankens nicht entweh- ren, daß ihn die Königinn liebe, ob er schon die Vermessenheit dieses Gedankens erkennet. (Daß diese Scene größtentheils aus Reden bestehen müsse, die jedes seitab führet, ist leicht zu erach- ten.) Sie heißt ihn gehen, und heißt ihn wie- der so lange warten, bis der Kanzler ihm das Patent bringe. Er bringt es; sie überreicht es ihm; er bedankt sich, und das Seitab fängt mit neuem Feuer an. Thörichte Liebe! — Eitler Wahnsinn! — Wie blind! — Wie verwegen! — So tief willst du, daß ich mich herabsetze? — K 3 Essex . So hoch willst du, daß ich mich ver- steige? Bedenke, daß ich Königinn bin! Bedenke, daß ich Unterthan bin! Du stürzest mich bis in den Abgrund, — Du erhebest mich bis zur Sonne, — Ohne auf meine Hoheit zu achten. Ohne meine Niedrigkeit zu erwägen. Aber, weil du meines Herzens dich bemeistert: — Aber, weil Du meiner Seele Dich bemächtiget: — So stirb da, und komm nie auf die Zunge! So stirb da, und komm nie über die Lippen! Loco Amor — Cond. Necio impos- sible — Què ciego — Cond. Què temerario — Me abates a tal baxeza — Me quieres subir tan alto — Advierte, que soi la Reina — Advierte que soi vasallo — Pues me humillas a el abysmo — Pues me acercas a los rayos — Sin reparar mi grandeza — Cond. (Ist (Ist das nicht eine sonderbare Art von Unter- haltung? Sie reden mit einander; und reden auch nicht mit einander. Der eine hört, was der andere nicht sagt, und antwortet auf das, was er nicht gehört hat. Sie nehmen einander die Worte nicht aus dem Munde, sondern aus der Seele. Man sage jedoch nicht, daß man ein Spanier seyn muß, um an solchen unnatür- lichen Künsteleyen Geschmack zu finden. Noch vor einige dreyßig Jahren fanden wir Deutsche eben so viel Geschmack daran; denn unsere Staats- und Helden-Actionen wimmelten da- von, die in allem nach den spanischen Mustern zugeschnitten waren.) Nachdem die Königinn den Essex beurlaubet und ihm befohlen, ihr bald wieder aufzuwarten, gehen beide auf verschiedene Seiten ab, und machen dem ersten Aufzuge ein Ende. — Die Stücke der Spanier, wie bekannt, haben deren nur drey, welche sie Jornadas, Tagewerke, nennen. Ihre allerältesten Stücke hatten viere: sie krochen, sagt Lope de Vega, auf allen vie- ren, wie Kinder; denn es waren auch wirklich noch Kinder von Komödien. Virves war der erste, Sin mirar mi humilde estado — Ya que te miro acà dentro — Ya que en mi te vas entrando — Muere entre el pecho, y la voz. Muere entre el alma, y los labios. erste, welcher die vier Aufzüge auf drey brachte; und Lope folgte ihm darinn, ob er schon die er- sten Stücke seiner Jugend, oder vielmehr seiner Kindheit, ebenfalls in vieren gemacht hatte. Wir lernen dieses aus einer Stelle in des letztern Neuen Kunst, Komödien zu machen; Arte nuevo de hazer Comedias, die sich hinter des Lope Rimas befindet. El Capitan Virves insigne ingenio, Puso en tres actos la Comedia, que antes Andava en quatro, como pies de niño, Que eran entonces niñas las Comedias, Y yo las escrivi de onze, y doze años, De à quatro actos, y de à quatro pliegos, Porque cada acto un pliego contenia. mit der ich aber eine Stelle des Cervantes in Wider- spruch finde, In der Vorrede zu seinen Komödien: Donde me atrevi a reducir las Comedias a tres Jornadas, de cinco que tenian. wo sich dieser den Ruhm an- maßt, die spanische Komödie von fünf Akten, aus welchen sie sonst bestanden, auf drey ge- bracht zu haben. Der spanische Litterator mag diesen Widerspruch entscheiden; ich will mich dabey nicht aufhalten. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Drey und sechzigstes Stück. Den 8ten December, 1767. D ie Königinn ist von dem Landgute zurück- gekommen; und Essex gleichfalls. So- bald er in London angelangt, eilt er nach Hofe, um sich keinen Augenblick vermissen zu lassen. Er eröfnet mit seinem Cosme den zwey- ten Akt, der in dem Königlichen Schlosse spielt. Cosme hat, auf Befehl des Grafen, sich mit Pistolen versehen müssen; der Graf hat heim- liche Feinde; er besorgt, wenn er des Nachts spät vom Schlosse gehe, überfallen zu werden. Er heißt den Cosme, die Pistolen nur indeß in das Zimmer der Blanca zu tragen, und sie von Floren aufheben zu lassen. Zugleich bindet er die Schärpe los, weil er zur Blanca gehen will. Blanca ist eifersüchtig; die Schärpe könnte ihr Gedanken machen; sie könnte sie haben wollen; und er würde sie ihr abschlagen müssen. Indem er sie dem Cosme zur Verwahrung übergiebt, L kömmt kömmt Blanca dazu. Cosme will sie geschwind verstecken: aber es kann so geschwind nicht ge- schehen, daß es Blanca nicht merken sollte. Blanca nimt den Grafen mit sich zur Königinn; und Essex ermahnt im Abgehen den Cosme, wegen der Schärpe reinen Mund zu halten, und sie niemanden zu zeigen. Cosme hat, unter seinen andern guten Eigen- schaften, auch diese, daß er ein Erzplauderer ist. Er kann kein Geheimniß eine Stunde be- wahren; er fürchtet ein Geschwär im Leibe da- von zu bekommen; und das Verboth des Grafen hat ihn zu rechter Zeit erinnert, daß er sich die- ser Gefahr bereits sechs und dreyßig Stunden ausgesetzt habe. — Yo no me acordaba De decirlo, y lo callaba, Y como me lo entrego, Ya por decirlo rebiento, Que tengo tal propriedad, Que en un hora, ô la mitad, Se me hace postema un cuento. Er giebt Floren die Pi- stolen, und hat den Mund schon auf, ihr auch die ganze Geschichte, von der maskirten Dame und der Schärpe, zu erzehlen. Doch eben be- sinnt er sich, daß es wohl eine würdigere Person seyn müsse, der er sein Geheimniß zuerst mit- theile. Es würde nicht lassen, wenn sich Flora rühmen könnte, ihn dessen deflorirt zu haben. haben. Alla Flora; mas no Sera persona mas grave — No es bien que Flora se alabe Que el cuento me desflorò. (Ich muß von allerley Art des spa- nischen Witzes eine kleine Probe einzuflechten suchen.) Cosme darf auf diese würdigere Person nicht lange warten. Blanca wird von ihrer Neu- gierde viel zu sehr gequält, daß sie sich nicht, sobald als möglich, von dem Grafen losmachen sollen, um zu erfahren, was Cosme vorhin so hastig vor ihr zu verbergen gesucht. Sie kömmt also sogleich zurück, und nachdem sie ihn zuerst gefragt, warum er nicht schon nach Schottland abgegangen, wohin ihn der Graf schicken wol- len, und er ihr geantwortet, daß er mit anbre- chendem Tage abreisen werde: verlangt sie zu wissen, was er da versteckt halte? Sie dringt in ihn: doch Cosme läßt nicht lange in sich drin- gen. Er sagt ihr alles, was er von der Schärpe weiß; und Blanca nimt sie ihm ab. Die Art, mit der er sich seines Geheimnisses entlediget, ist äußerst eckel. Sein Magen will es nicht länger bey sich behalten; es stößt ihm auf; es kneipt ihn; er steckt den Finger in den Hals; er giebt es von sich; und um einen bessern Geschmack wieder in den Mund zu bekommen, läuft er ge- L 2 schwind schwind ab, eine Quitte oder Olive darauf zu kauen. Ya se me viene a la boca La purga. — — O que regueldos tan secos Me vienen! terrible aprieto. — Mi estomago no lo lleva; Protesto que es gran trabajo, Meto los dedos. — — Y pues la purga he trocado, Y el secreto he vomitado Desde el principio hasta el fin, Y sin dexar cosa alguna, Tal asco me diò al decillo, Voi à probar de un membrillo, O a mordar de una azeituna. — Blanca kann aus seinem verwirr- ten Geschwätze zwar nicht recht klug werden: sie versteht aber doch so viel daraus, daß die Schärpe das Geschenk einer Dame ist, in die Essex verliebt werden könnte, wenn er es nicht schon sey. „Denn er ist doch nur ein Mann; sagt sie. „Und wehe der, die ihre Ehre einem „Manne anvertrauet hat! Der beste, ist noch „so schlimm!„ Es hombre al fin, y ay de aquella Que a un hombre fiò su honor, Siendo tan malo el mejor. — Um seiner Untreue also zuvorzukommen, will sie ihn je eher je lieber heyrathen. Die Königinn tritt herein, und ist äußerst niedergeschlagen. Blanca fragt, ob sie die übri- übrigen Hof damen rufen soll: aber die Königinn will lieber allein seyn; nur Jrene soll kommen, und vor dem Zimmer singen. Blanca geht auf der einen Seite nach Jrenen ab, und von der andern kömmt der Graf. Essex liebt die Blanca: aber er ist ehrgeitzig genug, auch der Liebhaber der Königinn seyn zu wollen. Er wirft sich diesen Ehrgeitz selbst vor; er bestraft sich deswegen; sein Herz gehört der Blanca; eigennützige Absichten müssen es ihr nicht entziehen wollen; unechte Convenienz muß keinen echten Affekt besiegen. Abate, abate las alas, No subas tanto, busquemos Mas proporcionada esfera A tan limitado vuelo. Blanca me quiere, y a Blanca Adoro yo ya en mi dueño; Pues como de amor tan noble Por una ambicion me alexo? No conveniencia bastarda Venza un legitimo afecto. Er will sich also lieber wieder entfernen, als er die Kö- niginn gewahr wird: und die Königinn, als sie ihn erblickt, will ihm gleichfalls ausweichen. Aber sie bleiben beide. Jndem fängt Jrene vor dem Zimmer an zu singen. Sie singt eine Re- dondilla, ein kleines Lied von vier Zeilen, dessen Sinn dieser ist: „Sollten meine verliebten Kla- L 3 „gen „gen zu deiner Kenntniß gelangen: o so laß das „Mitleid, welches sie verdienen, den Unwillen „überwältigen, den du darüber empfindest, daß „ich es bin, der sie führet.„ Der Königinn gefällt das Lied; und Essex findet es bequem, ihr durch dasselbe, auf eine versteckte Weise, seine Liebe zu erklären. Er sagt, er habe es glossiret, Die Spanier haben eine Art von Gedichten, welche sie Glossas nennen. Sie nehmen eine oder mehrere Zeilen gleichsam zum Texte, und erklären oder umschreiben diesen Text so, daß sie die Zeilen selbst in diese Erklärung oder Um- schreibung wiederum einflechten. Den Text heissen sie Mote oder Letra, und die Ausle- gung insbesondere Glossa, welches denn aber auch der Name des Gedichts überhaupt ist. Hier läßt der Dichter den Essex das Lied der Jrene zum Mote machen; das aus vier Zeilen besteht, deren jede er in einer besondern Stanze umschreibt, die sich mit der umschrie- benen Zeile schließt. Das Ganze sieht so aus: Mote . Si acaso mis desvarios Llegaren a tus umbrales, La lastima de ser males Quite el horror de ser mios. Glossa . Aunque el dolor me provoca De mis quexas, y no puedo, Que und bittet um Erlaubniß, ihr seine Glosse Glosse vorsagen zu dürfen. Jn dieser Glosse beschreibt er sich als den zärtlichsten Liebhaber, dem es aber die Ehrfurcht verbiethe, sich dem geliebten Gegenstande zu entdecken. Die Kö- niginn Que es mi osadia tan poca, Que entre el respeto, y el miedo Se me mueren en la boca; Y assi non llegan tan mios Mis males a tus orejas. Porque no han de ser oidos Si acaso digo mis quexas, Si aca so mis desvarios . El ser tan mal explicados Sea su mayor indicio, Que trocando en mis cuidados El silencco, y vos su oficio, Quedaran mas ponderados: Desde oy por estas señales Sean di ti conocidos, Que sin duda son mis males Si algunos mas repetidos Llegaren a tus umbrales . Mas ay Dios! que mis cuidados De tu crueldad conocidos, Aunque mas acreditados, Seran menos adquiridos, Que con los otros mezclados: Porque no sabiendo a quales Mas tu ingratitud se deba Viendolos todos iguales Fuerza es que en commun te mueva La lastima de ser males . En niginn lobt seine Poesie: aber sie mißbilliget seine Art zu lieben. „Eine Liebe, sagt sie unter andern, die man verschweigt, kann nicht groß seyn; denn Liebe wächst nur durch Gegenliebe, und der Gegenliebe macht man sich durch das Schweigen muthwillig verlustig.„ Ham- En mi este afecto violento Tu hermoso desden le causa; Tuyo, y mio es mi tormento; Tuyo, porque eres la causa; Y mio, porque yo siento: Sepan, Laura, tus desvios Que mis males son tan tuyos, Y en mis cuerdos desvarios Estos que tienen de tuyos Quite el horror de ser mios . Es müssen aber eben nicht alle Glossen so sym- metrisch seyn, als diese. Man hat alle Frey- heit, die Stanzen, die man mit den Zeilen des Mote schließt, so ungleich zu machen als man will. Man braucht auch nicht alle Zei- len einzuflechten; man kann sich auf eine ein- zige einschränken, und diese mehr als einmal wiederholen. Uebrigens gehören diese Glossen unter die ältern Gattungen der spanischen Poe- sie, die nach dem Boscan und Garcilasso ziem- lich aus der Mode gekommen. Hamburgische Dramaturgie . Vier und sechzigstes Stück. Den 11ten December, 1767. D er Graf versetzt, daß die vollkommenste Liebe die sey, welche keine Belohnung erwarte; und Gegenliebe sey Belohnung. Sein Stillschweigen selbst mache sein Glück: denn so lange er seine Liebe verschweige, sey sie noch unverworfen, könne er sich noch von der süßen Vorstellung täuschen lassen, daß sie viel- leicht dürfe genehmiget werden. Der Unglück- liche sey glücklich, so lange er noch nicht wisse, wie unglücklich er sey. — El mas verdadero amor Es el que en si mismo quieto Descansa, sin atender A mas paga, o mas intento: La correspondencia es paga, Y tener por blanco el precio Es querer por grangeria. — — — — — M Den- Die Königinn wider- legt legt diese Sophistereyen als eine Person, der selbst daran gelegen ist, daß Essex nicht länger darnach handle: und Essex, durch diese Wider- legung erdreistet, ist im Begriff, das Bekennt- niß zu wagen, von welchem die Königinn be- hauptet, daß es ein Liebhaber auf alle Weise wagen müsse; als Blanca hereintritt, den Her- zog anzumelden. Diese Erscheinung der Blanca bewirkt einen von den sonderbarsten Theater- streichen. Denn Blanca hat die Schärpe um, die sie dem Cosme abgenommen, welches zwar die Königinn, aber nicht Essex gewahr wird. Por no morir de mal, quando Puedo morir de remedio, Digo pues, ea, ossadia, Ella me alento, que temo? — Que sera bien que a tu Alteza — ( Sale Essex . Dentro esta del silencio, y del respeto Mi amor, y assi mi dicha esta segura, Presumiendo tal voz (dulce locura!) Que es admitido del mayor sugeto. Dexandome engañar de este concepto, Dura mi bien, porque mi engaño dura; Necio sera la lengua, si aventura Un bien que esta seguro en el secreto. — Que es feliz quien no siendo venturoso Nunca llega a saber, que es desdichado. So sey es gewagt! — Frisch! Sie er- muntert mich selbst. Warum will ich an der Krauk- heit sterben, wenn ich an dem Hülfsmittel sterben kann? Was fürchte ich noch? — Königinn, wann denn also, — Der Herzog, Jhro Majestät, — Blanca könnte nicht ungelegener kom- men. Wartet in dem Vorzimmer, — Ah! Himmel! M 2 Blan- ( Sale Blanca con la vanda puesta .) A mal tiempo Viene Blanca. Bl . Esta aguardando En la antecamara — Rein . Ay, cielo! Que es lo que miro! Decid; — que veo! — Decid que espere; — estoi loca! — Decid, andad. Bl . Ya obedezco. Venid aca, volved. Bl . Que manda Vuestra Alteza? Rein . El daño es cierto. — Decidle — no ay que dudar — Entretenedle un momento — Ay de mi! — mientras yo salgo — Y dexadme. Bl . Que es aquesto? Ya voi. Con . Ya Blanca se fue, Quiero pues volver — Rein . Ha zelos! A declararme atrevido, Pues si me atrevo, me atrevo En fè de sus pretensiones. Rein . Auf Erlaubniß, — Was erblicke ich? Hereintreten zu dürfen. Sag ihm — Was seh ich! — Sag ihm, er soll warten. — Jch komme von Sinnen! — Geh, sag ihm das. Jch gehorche. Bleib! Komm her! nä- her! — Was befehlen Jhro Majestät? — O, ganz gewiß! — Sage ihm — Es ist kein Zweifel mehr! — Geh, unter- halte ihn einen Augenblick, — Weh mir! — Bis ich selbst zu ihm herauskomme. Geh, laß mich! Was ist das? — Jch gehe. Blanca ist weg. Jch kann nun wie: der fortfahren, — Die Mi prenda en poder ageno? Vive dios, pero es verguenza Que pueda tanto un afecto En mi. Con . Segun lo que dixo Vuestra Alteza aqui, v supuesto, Que cuesta cara la dicha, Que se compra con el miedo, Quiero morir nobelmente. Rein . Ha, Eifersucht! Mich zu erklären. — Was ich wage, wage ich auf ihre eigene Ueberredung. Mein Geschenk in fremden Händen! Bey Gott! — Aber ich muß mich schä- men, daß eine Leidenschaf t so viel über mich vermag! Wenn denn also, — wie Jhre Ma- jestät gesagt, — und wie ich einräumen muß, — das Glück, welches man durch Furcht erkauft, — sehr theuer zu stehen kömmt; — wenn man viel edler stirbt: — so will auch ich, — Warum sagen Sie das, Graf? Weil ich hoffe, daß, wann ich — Warum fürchte ich mich noch? — wann ich Jhro Majestät meine Leidenschaft bekennte, — daß einige Liebe — Was sagen Sie da, Graf? An mich richtet sich das? Wie? Thor! Unsinni- M 3 ger! Porque lo decis? Con . Que espero, Si a vuestra Alteza (que dudo!) Le declarasse mi afecto, Algun amor — Rein . Que decis? A mi? como, loco, necio, Conoceisme? Quien soi yo? Decid, quien soi? que sospecho, Que se os huyo la memoria. — ger! Kennen Sie mich auch? Wissen Sie, wer ich bin? Und wer Sie sind? Jch muß glauben, daß Sie den Verstand verlohren. — Und so fahren Jhro Majestät fort, den armen Grafen auszufenstern, daß es eine Art hat! Sie fragt ihn, ob er nicht wisse, wie weit der Himmel über alle menschliche Erfrechungen er- haben sey? Ob er nicht wisse, daß der Sturm- wind, der in den Olymp dringen wolle, auf hal- bem Wege zurückbrausen müsse? Ob er nicht wisse, daß die Dünste, welche sich zur Sonne erhieben, von ihren Stralen zerstreuet wür- den? — Wer vom Himmel gefallen zu seyn glaubt, ist Essex. Er zieht sich beschämt zurück, und bittet um Verzeihung. Die Königinn be- fiehlt ihm, ihr Angesicht zu meiden, nie ihren Pallast wieder zu betreten, und sich glücklich zu schätzen, daß sie ihm den Kopf lasse, in welchem sich so eitle Gedanken erzeugen können. — — No me veais, Y agradeced el que os dexo Cabeza, en que se engendraro n Tan livianos pensamientos. Er entfernt sich; und die Königinn geht gleichfalls ab, nicht ohne uns merken zu lassen, wie we- nig ihr Herz mit ihren Reden übereinstimme. Blanca Blanca und der Herzog kommen an ihrer Statt, die Bühne zu füllen. Blanca hat dem Herzoge es frey gestanden, auf welchem Fuße sie mit dem Grafen stehe; daß er nothwendig ihr Gemahl werden müsse, oder ihre Ehre sey verlohren. Der Herzog faßt den Entschluß, den er wohl fassen muß; er will sich seiner Liebe entschlagen: und ihr Vertrauen zu vergelten, verspricht er sogar, sich bey der Königinn ihrer anzunehmen, wenn sie ihr die Verbindlichkeit, die der Graf gegen sie habe, entdecken wolle. Die Königinn kömmt bald, in tiefen Gedan- ken, wieder zurück. Sie ist mit sich selbst im Streit, ob der Graf auch wohl so schuldig sey, als er scheine. Vielleicht, daß es eine andere Schärpe war, die der ihrigen nur so ähnlich ist. — Der Herzog tritt sie an. Er sagt, er komme, sie um eine Gnade zu bitten, um welche sie auch zugleich Blanca bitte. Blanca werde sich näher darüber erklären; er wolle sie zusam- men allein lassen: und so läßt er sie. Die Königinn wird neugierig, und Blanca verwirrt. Endlich entschließt sich Blanca, zu reden. Sie will nicht länger von dem verän- derlichen Willen eines Mannes abhangen; sie will es seiner Rechtschaffenheit nicht länger an- heim stellen, was sie durch Gewalt erhalten kann. kann. Sie flehet die Elisabeth um Mitleid an: die Elisabeth, die Frau; nicht die Königinn. Denn da sie eine Schwachheit ihres Geschlechts bekennen müsse: so suche sie in ihr nicht die Kö- niginn, sondern nur die Frau. — — Ya estoi resuelta; No a la voluntad mudable De un hombre esté yo sujeta, Que aunque no sè que mi olvide, Es necedad, que yo quiera Dexar a su cortesia Lo que puede hacer la fuerza. Gran Isabela, escuchadme, Y al escucharme tu Alteza, Ponga aun mas que la atencion, La piedad con los orejas. Isabella os he llamado En esta ocasion, no Reina, Que quando vengo a deciros Del honor una flaqueza, Que he hecho como muger, Porque mejor os parezca, No Reina, muger os busco. Solo muger os quisiera. — Ham- Hamburgische Dramaturgie . Fünf und sechzigstes Stück. Den 15ten December, 1767. D u? mir eine Schwachheit? fragt die Kö- niginn. Schmeicheleyen, Seufzer, Liebkosungen, und besonders Thränen, sind ver- mögend, auch die reinste Tugend zu untergraben. Wie theuer kömmt mir diese Erfahrung zu stehen! Der Graf — Der Graf? Was für ein Graf? — Von Essex. Was höre ich? Seine verführerische Zärtlichkeit — Der Graf von Essex? Er selbst, Königinn. — (bey Seite) Jch bin des Todes! — Nun? weiter! Jch zittere. — Nein, ich darf es nicht wagen — N Die Die Königinn macht ihr Muth, und lockt ihr nach und nach mehr ab, als Blanca zu sagen brauchte; weit mehr, als sie selbst zu hören wünscht. Sie höret, wo und wie der Graf glücklich gewesen; Bl . Le llamè una noche obscura — Rein . Y vino a verte? Bl . Pluguiera A dios, que no fuera tanta Mi disdicha, v su fineza. Vino mas galan que nunca, Y vo que dos veces ciega, Por mi mal, estaba entonces Del amor, y las tinieblas — und als sie endlich auch höret, daß er ihr die Ehe versprochen, und daß Blanca auf die Erfüllung dieses Versprechens dringe: so bricht der so lange zurückgehaltene Sturm auf einmal aus. Sie verhönet das leichtgläubige Mädchen auf das empfindlichste, und verbiethet ihr schlechterdings, an den Grafen weiter zu denken. Blanca erräth ohne Mühe, daß dieser Eifer der Königinn, Eifersucht seyn müsse: und giebt es ihr zu verstehen. Die Königinn . Eifersucht? — Nein; blos deine Aufführung entrüstet mich. — Und gesetzt, — ja gesetzt, ich liebte den Grafen. Wenn ich, — Jch ihn liebte, und eine andere wäre so vermessen, so thöricht, ihn neben mir zu lieben, — was sage ich, zu lieben? — ihn nur anzusehen, — was sage ich, anzusehen? — sich nur eine Gedanke von ihm in den Sinn kommen zu lassen: das sollte dieser an- dern dern nicht das Leben kosten? — Du siehest, wie sehr mich eine blos vorausgesetzte, erdichtete Eifer- sucht aufbringt: urtheile daraus, was ich bey ei- ner wahren thun würde. Jtzt stelle ich mich nur eifer- süchtig: hüte dich, mich es wirklich zu machen! Este es zelo, Blanca. Bl . Zelos, Añadiendose una letra. Rein . Que decis? Bl . Señora, que Si acaso possible fuera, A no ser vos la que dice Essas palabras, dixera, Que eran zelos. Rein . Que son zelos? No son zelos, es ofensa Que me estais haciendo vos. Supongamos, que quisiera A el Conde en esta ocasion: Pues si yo a el Conde quisiera Y alguna atrevida, loca Presumida, descompuesta Le quisiera, que es querer? Que le mirara, o le viera; Que es verle? No sè que diga, No hai cosa que menos sea — No la quitara la vida? La sangre no la bebiera? — Los zelos, aunque fingidos, Me arrebataron la lengua, Y dispararon mi enojo — Mirad que no me deis zelos, Que si singidos se altera Tanto mi enojo, ved vos, Si fuera verdad, qui hiciera — Escarmentad en las burlas, No me deis zelos de veras. N 2 Mit Mit dieser Drohung geht die Königinn ab, und läßt die Blanca in der äußersten Verzweif- lung. Dieses fehlte noch zu den Beleidigungen, über die sich Blanca bereits zu beklagen hatte. Die Königinn hat ihr Vater und Bruder und Vermögen genommen: und nun will sie ihr auch den Grafen nehmen. Die Rache war schon be- schlossen: aber warum soll Blanca noch erst war- ten, bis sie ein anderer für sie vollzieht? Sie will sie selbst bewerkstelligen, und noch diesen Abend. Als Kammerfrau der Königinn, muß sie sie auskleiden helfen; da ist sie mit ihr allein; und es kann ihr an Gelegenheit nicht fehlen. — Sie sieht die Königinn mit dem Kanzler wieder- kommen, und geht, sich zu ihrem Vorhaben ge- faßt zu machen. Der Kanzler hält verschiedne Briefschaften, die ihm die Königinn nur auf einen Tisch zu le- gen befiehlt; sie will sie vor Schlafengehen noch durchsehen. Der Kanzler erhebt die ausseror- dentliche Wachsamkeit, mit der sie ihren Reichs- geschäften obliege; die Königinn erkennt es für ihre Pflicht, und beurlaubet den Kanzler. Nun ist sie allein, und setzt sich zu den Papieren. Sie will sich ihres verliebten Kummers entschlagen, und anständigern Sorgen überlassen. Aber das erste Papier, was sie in die Hände nimt, ist die Bittschrift eines Grafen Felix. Eines Grafen! „Muß es denn eben, sagt sie, von einem Gra- fen fen seyn, was mir zuerst vorkömmt!„ Die- ser Zug ist vortrefflich. Auf einmal ist sie wie- der mit ihrer ganzen Seele bey demjenigen Gra- fen, an den sie itzt nicht denken wollte. Seine Liebe zur Blanca ist ein Stachel in ihrem Her- zen, der ihr das Leben zur Last macht. Bis sie der Tod von dieser Marter befreye, will sie bey dem Bruder des Todes Linderung suchen: und so fällt sie in Schlaf. Jndem tritt Blanca herein, und hat eine von den Pistolen des Grafen, die sie in ihrem Zim- mer gefunden. (Der Dichter hatte sie, zu An- fange dieses Akts, nicht vergebens dahin tragen lassen.) Sie findet die Königinn allein und ent- schlafen: was für einen bequemern Augenblick könnte sie sich wünschen? Aber eben hat der Graf die Blanca gesucht, und sie in ihrem Zim- mer nicht getroffen. Ohne Zweifel erräth man, was nun geschieht. Er kömmt also, sie hier zu suchen; und kömmt eben noch zurecht, der Blanca in den mörderischen Arm zu fallen, und ihr die Pistole, die sie auf die Königinn schon gespannt hat, zu entreissen. Jndem er aber mit ihr ringt, geht der Schuß los: die Königinn erwacht, und alles kömmt aus dem Schlosse herzugelaufen. (im Erwachen) Ha! Was ist das? N 3 Der Herbey, herbey! Was war das für ein Knall, in dem Zimmer der Königinn? Was geschieht hier? (mit der Pistole in der Hand) Grausa- mer Zufall! Was ist das, Graf? Was soll ich thun? Blanca, was ist das? Mein Tod ist gewiß! Jn welcher Verwirrung befinde ich mich! Wie? der Graf ein Verrä- ther? (bey Seite) Wozu soll ich mich ent- schliessen? Schweige ich: so fällt das Verbrechen auf mich. Sage ich die Wahrheit: so werde ich der nichtswürdige Verkläger meiner Geliebten, meiner Blanca, meiner theuersten Blanca. Sind Sie der Verräther, Graf? Bist du es, Blanca? Wer von euch war mein Retter? wer mein Mörder? Mich dünkt, ich hörte im Schlafe euch beide rufen: Verrätherinn! Verräther! Und doch kann nur eines von euch die- sen Namen verdienen. Wenn eines von euch mein Leben suchte, so bin ich es dem andern schuldig. Wem bin ich es schuldig, Graf? Wer suchte es, Blanca? Jhr schweigt? — Wohl, schweigt nur! Jch will in dieser Ungewißheit bleiben; ich will den Unschuldigen nicht wissen, um den Schuldigen nicht zu zu kennen. Vielleicht dürfte es mich eben so sehr schmerzen, meinen Beschützer zu erfahren, als mei- nen Feind. Jch will der Blanca gern ihre Verrä- therey vergeben, ich will sie ihr verdanken: wenn dafür der Graf nur unschuldig war. Conde, vos traidor? Vos, Blanca? El juicio esta indiferente, Qual me libra, qual me mata. Conde, Blanca, respondedme! Tu a la Reina? tu a la Reina? Oid, aunque confusamente: Ha, traidora, dixo el Conde; Blanca dixo: Traidor eres. Estas razones de entrambos A entrambas cosas convienen: Uno de los dos me libra, Otro de los dos me ofende. Conde, qual me daba vida? Blanca, qual me daba muerte? Decidme! — no lo digais, Que neutral mi valor quiere, Por no saber el traidor, No saber el innocente. Mejor Aber der Kanzler sagt: wenn es die Königinn schon hierbey wolle bewenden lassen, so dürfe er es doch nicht; das Verbrechen sey zu groß; sein Amt erfodere, es zu ergründen; besonders da aller Anschein sich wider den Grafen erkläre. Der Kanzler hat Recht; man muß es untersuchen. — Graf, — Königinn! — Die Bekennen Sie die Wahr- heit. — (bey Seite) Aber wie sehr fürchtet meine Liebe, sie zu hören! — War es Blanca? Jch Unglücklicher! War es Blanca, die mei- nen Tod wollte? Nein, Königinn; Blanca war es nicht. Sie waren es also? Schreckliches Schicksal! — Jch weiß nicht. Sie wissen es nicht? — Und wie kömmt dieses mörderische Werkzeug in ihre Hand? — Der Graf schweigt, und die Königinn be- fiehlt, ihn nach dem Tower zu bringen. Blan- ca, bis sich die Sache mehr aufhellet, soll in ihrem Zimmer bewacht werden. Sie werden abgeführt, und der zweyte Aufzug schließt. Ham- Mejor es quedar confusa, En duda mi juicio quede, Porque quando mire a alguno, Y de la traicion me acuerde, A pensar, que es el traidor, Que es el leal tambien piense. Yo le agradeciera à Blanca, Que ella lá traidora fuesse, Solo à truque de que el Conde Fuera el, que estaba innocente. — Hamburgische Dramaturgie . Sechs und sechzigstes Stück. Den 18ten December, 1767. D er dritte Aufzug fängt sich mit einer langen Monologe der Königinn an, die allen Scharfsinn der Liebe aufbiethet, den Grafen unschuldig zu finden. Die Vielleicht werden nicht gesparet, um ihn weder als ihren Mörder, noch als den Liebhaber der Blanca denken zu dürfen. Besonders geht sie mit den Voraussetzungen wider die Blanca ein wenig sehr weit; sie denkt über diesen Punkt über- haupt lange so zärtlich und sittsam nicht, als wir es wohl wünschen möchten, und als sie auf un- sern Theatern denken müßte. No pudo ser que mintiera Blanca en lo que me conto De gozarla el Conde? No, Que Blanca no lo fingiera: No pudo haverla gozado, Sin estar enamorado, O Y Es Es kommen der Herzog, und der Kanzler: je- ner, ihr seine Freude über die glückliche Erhal- tung ihres Lebens zu bezeigen; dieser, ihr einen neuen Beweis, der sich wider den Essex äußert, vorzulegen. Auf der Pistole, die man ihm aus der Hand genommen, steht sein Name; sie gehört ihm; und wem sie gehört, der hat sie un- streitig auch brauchen wollen. Doch nichts scheinet den Essex unwidersprech- licher zu verdammen, als was nun erfolgt. Cosme hat, bey anbrechendem Tage, mit dem bewußten Briefe nach Schottland abgehen wol- len, und ist angehalten worden. Seine Reise sieht einer Flucht sehr ähnlich, und eine solche Flucht läßt vermuthen, daß er an dem Verbre- chen seines Herrn Antheil könne gehabt haben. Er wird also vor den Kanzler gebracht, und die Königinn besiehlt, ihn in ihrer Gegenwart zu verhören. Den Ton, in welchem sich Cosme rechtfertiget, kann man leicht errathen. Er weiß von nichts; und als er sagen soll, wo er hin- Y quando tierno, y rendido, Entonces la haya querido, No puede haverla olvidado? No le vieron mis antojos Entre acogimientos sabios, Mui callando con los labios, Mui bachiller con los ojos, Quando al decir sus enojos Yo su despecho reñi? hingewollt, läßt er sich um die Wahrheit nicht lange nöthigen. Er zeigt den Brief, den ihm sein Graf, an einen andern Grafen nach Schott- land zu überbringen befohlen: und man weiß, was dieser Brief enthält. Er wird gelesen, und Cosme erstaunt nicht wenig, als er hört, wohin es damit abgesehen gewesen. Aber noch mehr erstaunt er über den Schluß desselben, worinn der Ueberbringer ein Vertrauter heißt, durch den Roberto seine Antwort sicher bestellen könne. „Was höre ich? ruft Cosme. Jch ein Ver- „trauter? Bey diesem und jenem! ich bin kein „Vertrauter; ich bin niemals einer gewesen, „und will auch in meinem Leben keiner seyn. — „Habe ich wohl das Ansehen zu einem Vertrau- „ten? Jch möchte doch wissen, was mein Herr „an mir gefunden hätte, um mich dafür zu neh- „men. Jch, ein Vertrauter, ich, dem das „geringste Geheimniß zur Last wird? Jch weiß, „zum Exempel, daß Blanca und mein Herr „einander lieben, und daß sie heimlich mit ein- „ander verheyrathet sind: es hat mir schon lan- „ge das Herz abdrücken wollen; und nun will „ich es nur sagen, damit sie hübsch sehen, meine „Herren, was für ein Vertrauter ich bin. „Schade, daß es nicht etwas viel wichtigeres „ist: ich würde es eben so wohl sagen.„ Que escucho? Señores mios, Dos mil demonios me lleven, Si O 2 Diese Diese Nachricht schmerzt die Königinn nicht we- niger, als die Ueberzeugung, zu der sie durch den unglücklichen Brief von der Verrätherey des Grafen gelangt. Der Herzog glaubt, nun auch sein Stillschweigen brechen zu müssen, und der Königinn nicht länger zu verbergen, was er in dem Zimmer der Blanca zufälliger Weise an- gehört habe. Der Kanzler dringt auf die Be- strafung des Verräthers, und sobald die Kö- niginn wieder allein ist, reitzen sie sowohl belei- digte Majestät, als gekränkte Liebe, des Gra- fen Tod zu beschließen. Nunmehr bringt uns der Dichter zu ihm, in das Gefängniß. Der Kanzler kömmt und eröfnet dem Grafen, daß ihn das Parlament für schul- dig erkannt, und zum Tode verurtheilet habe, wel- Si yo confidente soi, Si lo he sido, o si lo fuere, Ni tengo intencion de serlo. — — — Tengo yo Cara de ser confidente? Yo no sè que ha visto en mi Mi amo para tenerme En esta opinion; y à fe, Que me holgara de que fuesse Cosa de mas importancia Un secretillo mui leve, Que rabio ya por decirlo, Que es que el Conde a Blanca quiere, Que estan casados los dos En secreto — — — welches Urtheil morgen des Tages vollzogen wer- den solle. Der Graf betheuert seine Unschuld. Jhre Unschuld, Mylord, wollte ich gern glauben: aber so viele Beweise wi- der Sie! — Haben Sie den Brief an den Roberto nicht geschrieben? Jst es nicht Jhr eigenhändiger Name? Allerdings ist er es. Hat der Herzog von Alanzon Sie, in dem Zimmer der Blanca, nicht ausdrück- lich den Tod der Königinn beschließen hören? Was er gehört hat, hat er freylich ge- hört. Sahe die Königinn, als sie erwachte, nicht die Pistole in Jhrer Hand? Gehört die Pistole, auf der Jhr Name gestochen, nicht Jhnen? Jch kann es nicht leugnen. So sind Sie ja schuldig. Das leugne ich. Nun, wie kamen Sie denn dazu, daß Sie den Brief an den Roberto schrie- ben? Jch weiß nicht. Wie kam es denn, daß der Herzog den verrätherischen Vorsatz aus Jhrem eignen Munde vernehmen mußte? Weil es der Himmel so wollte. O 3 Der Wie kam es denn, daß sich das mörderische Werkzeug in Jhren Händen fand? Weil ich viel Unglück habe. Wenn alles das Unglück, und nicht Schuld ist: wahrlich, Freund, so spielet Jhnen Jhr Schicksal einen harten Streich. Sie werden ihn mit Jhrem Kopfe bezahlen müssen. Schlimm genug. Solo el descargo que tengo Es el estar innocente. Aunque yo quiera creerlo No me dexan los indicios, Y advertid, que ya no es tiempo De dilacion, que mañana Haveis de morir. Con . Yo muero Innocente. Sen . Pues decid No escribisteis a Roberto Este carta? Aquesta firma No es la vuestra? Con . No lo niego. El gran duque de Alanzon No os oyò en el aposento De Blanca trazar la muerte De la Reina? Con . Aquesso es cierto. Quando desbertò la Reina No os hallò, Conde, a vos mesmo Con la pistola en la mano? Y „Wissen Jhro Gnaden nicht, fragt Cosme, der dabey ist, „ob sie mich etwa mit hängen „wer- „werden?„ Der Kanzler antwortet Nein, weil ihn sein Herr hinlänglich gerechtfertiget habe; und der Graf ersucht den Kanzler, zu verstatten, daß er die Blanca noch vor seinem Tode sprechen dürfe. Der Kanzler betauert, daß er, als Richter, ihm diese Bitte versagen müsse; weil beschlossen worden, seine Hinrichtung so heim- lich, als möglich, geschehen zu lassen, aus Furcht vor den Mitverschwornen, die er viel- leicht sowohl unter den Großen, als unter dem Pöbel Y la pistola que vemos Vuestro nombre alli gravado No es vuestro? Con . Os lo concedo. Sen . Luego vos estais culpado. Con . Esso solamente niego. Sen . Pues como escribisteis, Conde, La carta al traidor Roberto? Con . No lo sè. Sen . Pues como el Duque Que escucho vuestros intentos, Os convence en la traicion? Con . Porque assi lo quiso el cielo. Sen . Como hallando en vuestra mano Os culpa el vil instrumento? Con . Porque tengo poca dicha. — Sen . Pues sabed, que si es desdicha Y no culpa, en tanto aprieto Os pone vuestra fortuna, Conde amigo, que supuesto Que no dais otro descargo, En fe de indicios tan ciertos, Mañana vuestra cabeza Ha de pagar — Pöbel in Menge haben möchte. Er ermahnt ihn, sich zum Tode zu bereiten, und geht ab. Der Graf wünschte blos deswegen die Blanca noch einmal zu sprechen, um sie zu ermahnen, von ihrem Vorhaben abzustehen. Da er es nicht mündlich thun dürfen, so will er es schrift- lich thun. Ehre und Liebe verbinden ihn, sein Leben für sie hinzugeben; bey diesem Opfer, das die Verliebten alle auf der Zunge führen, das aber nur bey ihm zur Wirklichkeit gelangt, will er sie beschwören, es nicht fruchtlos bleiben zu lassen. Es ist Nacht; er setzt sich nieder zu schreiben, und befiehlt Cosmen, den Brief, den er ihm hernach geben werde, sogleich nach seinem Tode der Blanca einzuhändigen. Cosme geht ab, um indeß erst auszuschlafen. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Sieben und sechzigstes Stück. Den 22sten December, 1767. R un folgt eine Scene, die man wohl schwer- lich erwartet hätte. Alles ist ruhig und stille, als auf einmal eben die Dame, welcher Essex in dem ersten Akte das Leben ret- tete, in eben dem Anzuge, die halbe Maske auf dem Gesichte, mit einem Lichte in der Hand, zu dem Grafen in das Gefängniß hereintritt. Es ist die Königinn. „Der Graf, sagt sie vor sich im Hereintreten, „hat mir das Leben erhal- „ten: ich bin ihm dafür verpflichtet. Der „Graf hat mir das Leben nehmen wollen: das „schreyet um Rache. Durch seine Verurthei- „lung ist der Gerechtigkeit ein Genüge gesche- „hen: nun geschehe es auch der Dankbarkeit „und Liebe!„ El Conde me diò la vida Y assi obligada me veo; P El Jndem sie näher kömmt, wird wird sie gewahr, daß der Graf schreibt. „Ohne „Zweifel, sagt sie, „an seine Blanca! Was „schadet das? Jch komme aus Liebe, aus der „feurigsten, uneigennützigsten Liebe: itzt schweige „die Eifersucht! — Graf!„ — Der Graf hört sich rufen, sieht hinter sich, und springt voller Er- staunen auf. „Was seh ich!„ — „Keinen „Traum, fährt die Königinn fort, „sondern „die Wahrheit. Eilen Sie, sich davon zu „überzeugen, und lassen Sie uns kostbare Au- „genblicke nicht mit Zweifeln verlieren. — Sie „erinnern sich doch meiner? Jch bin die, der „Sie das Leben gerettet. Jch höre, daß Sie „morgen sterben sollen; und ich komme, Jhnen „meine Schuld abzutragen, Jhnen Leben für „Leben zu geben. Jch habe den Schlüssel des „Gefängnisses zu bekommen gewußt. Fragen „Sie mich nicht, wie? Hier ist er; nehmen „Sie; er wird Jhnen die Pforte in den Park „eröfnen; fliehen Sie, Graf, und erhalten „Sie ein Leben, das mir so theuer ist.„ — Theuer? Jhnen, Madame? Die El Conde me daba muerte, Y as n ofendida me quexo, Pues va que con la sentencia Esta parte he satisfecho, Pues cumpli con la justicia, Con el amor cumplir quiero. — Würde ich sonst so viel ge- wagt haben, als ich wage? Wie sinnreich ist das Schicksal, das mich verfolgt! Es findet einen Weg, mich durch mein Glück selbst unglücklich zu machen. Jch scheine glücklich, weil die mich zu befreyen kömmt, die meinen Tod will: aber ich bin um so viel un- glücklicher, weil die meinen Tod will, die meine Freyheit mir anbiethet. — Ingeniosa mi fortuna Hallò en la dicha mas nuevo Modo de hacerme infeliz, Pues quando dichoso veo, Que me libra quien me mata, Tambien desdichado advierto, Que me mata quien me libra. Die Königinn verstehet hieraus genugsam, daß sie Essex kennet. Er verweigert sich der Gnade, die sie ihm angetragen, gänzlich; aber er bittet, sie mit einer andern zu vertauschen. Und mit welcher? Mit der, Madame, von der ich weiß, daß sie in Jhrem Vermögen steht, — mit der Gna- de, mir das Angesicht meiner Königinn sehen zu lassen. Es ist die einzige, um die ich es nicht zu klein halte, Sie an das zu erinnern, was ich für Sie gethan habe. Bey dem Leben, das ich Jhnen ge- P 2 ret- rettet, beschwöre ich Sie, Madame, mir diese Gnade zu erzeigen. (vor sich) Was soll ich thun? Vielleicht, wenn er mich sieht, daß er sich recht- fertiget! Das wünsche ich ja nur. Verzögern Sie mein Glück nicht, Madame. Wenn Sie es denn durch- aus wollen, Graf; wohl: aber nehmen Sie erst diesen Schlüssel; von ihm hängt Jhr Leben ab. Was ich itzt für Sie thun darf, könnte ich hernach vielleicht nicht dürfen. Nehmen Sie; ich will Sie gesichert wissen. Pues si esto ha de ser, primero Tomad, Conde, aquesta llave, Que si ha de ser instrumento De vuestra vida, quiza Tan otra, quitando el velo, Serè, que no pueda entonces Hacer lo que ahora puedo, Y como a daros la vida Me empeñè, por lo que os debo, Por si no puedo despues, De esta suerte me prevengo. (indem er den Schlüssel nimt) Jch erkenne diese Vorsicht mit Dank. — Und nun, Madame, — ich brenne, mein Schicksal auf dem Angesichte der Königinn, oder dem Jhrigen zu lesen. Die Graf, ob beide gleich eines sind, so gehört doch nur das, welches Sie noch sehen, mir ganz allein; denn das, welches Sie nun erblicken, (indem sie die Maske abnimt) ist der Kö- niginn. Jenes, mit welchem ich Sie erst sprach, ist nicht mehr. Nun sterbe ich zufrieden! Zwar ist es das Vorrecht des königlichen Antlitzes, daß es jeden Schuldigen begnadigen muß, der es erblickt; und auch mir müßte diese Wohlthat des Gesetzes zu Statten kommen. Doch ich will weniger hierzu, als zu mir selbst, meine Zuflucht nehmen. Jch will es wagen, meine Königinn an die Dienste zu erin- nern, die ich ihr und dem Staate geleistet — Morirè yo consolado, Aunque si par privilegio En viendo la cara al Rey Queda perdonado el reo; Yo de este indulto, Señora, Vida por ley me prometo; Esto es en comun, que es Lo que a todos da el derecho; Pero si en particular Merecer el perdon quiero, Oid, vereis, que me ayuda Major indulto en mis hechos, Mis hazañas — — An diese habe ich mich schon selbst erinnert. Aber Jhr Verbrechen, Graf, ist größer als Jhre Dienste. P 3 Essex . Und ich habe mir nichts von der Huld meiner Königinn zu versprechen? Nichts. Wenn die Königinn so streng ist, so rufe ich die Dame an, der ich das Leben gerettet. Diese wird doch wohl gütiger mit mir verfahren? Diese hat schon mehr ge- than, als sie sollte: sie hat Jhnen den Weg geöfnet, der Gerechtigkeit zu entfliehen. Und mehr habe ich um Sie nicht ver- dient, um Sie, die mir Jhr Leben schuldig ist? Sie haben schon gehört, daß ich diese Dame nicht bin. Aber gesetzt ich wäre es: gebe ich Jhnen nicht eben so viel wieder, als ich von Jhnen empfangen habe? Wo das? Dadurch doch wohl nicht, daß Sie mir den Schlüssel gegeben? Dadurch allerdings. Der Weg, den mir dieser Schlüssel eröfnen kann, ist weniger der Weg zum Leben, als zur Schande. Was meine Freyheit bewirken soll, muß nicht meiner Furchtsamkeit zu dienen schei- nen. Und doch glaubt die Königinn, mich mit die- sem Schlüssel, für die Reiche, die ich ihr erfochten, für das Blut, das ich um sie vergossen, für das Leben, das ich ihr erhalten, mich mit diesem elen- den den Schlüssel für alles das abzulohnen? Luego esta, que assi camino Abrirà a mi vida, abriendo, Tambien la abrirà a mi infamia; Luego esta, que instrumento De mi libertad, tambien Lo havrà de ser de mi miedo. Esta, que solo me sirve De huir, es el desempeño De Reinos, que os he ganado, De servicios, que os he hecho, Y en fin, de essa vida, de essa, Que teneis oy por mi esfuerzo? En esta se cifra tanto? — Jch will mein Leben einem anständigern Mittel zu danken haben, oder sterben. (indem er nach dem Fen- ster geht) Wo gehen Sie hin? Nichtswürdiges Werkzeug meines Le- bens, und meiner Entehrung! Wenn bey dir alle meine Hoffnung beruhet, so empfange die Fluth, in ihrem tiefsten Abgrunde, alle meine Hoffnung! (Er eröfnet das Fenster, und wirft den Schlüssel durch das Gitter in den Kanal) Durch die Flucht, wäre mein Leben viel zu theuer erkauft. Vil instrumento De mi vida, y de mi infamia, Por esta rexa cavendo Del parque, que bate el rio, Entre Die Was haben Sie gethan, Graf? — Sie haben sehr übel gethan. Wann ich sterbe: so darf ich wenigstens laut sagen, daß ich eine undankbare Königinn hin- terlasse. — Will sie aber diesen Vorwurf nicht: so denke sie auf ein anderes Mittel, mich zu retten. Dieses unanständigere habe ich ihr genommen. Jch berufe mich nochmals auf meine Dienste: es steht bey ihr sie zu belohnen, oder mit dem Andenken derselben ihren Undank zu verewigen. Jch muß das letztere Ge- fahr laufen. — Denn wahrlich, mehr konnte ich, ohne Nachtheil meiner Würde, für Sie nicht thun. So muß ich dann sterben? Ohnfehlbar. Die Frau wollte Sie retten; die Königinn muß dem Rechte seinen Lauf lassen. Morgen müssen Sie sterben; und es ist schon morgen. Sie haben mein ganzes Mitleid; die Wehmuth bricht mir das Herz; aber es ist nun einmal das Schicksal der Könige, daß sie viel weniger nach ihren Empfindungen handeln kön- nen, als andere. — Graf, ich empfehle Sie der Vorsicht! — Ham- Entre sus crystales quiero, Si sois mi esperanza, hundiros, Caed al humedo centro, Donde el Tamasis sepulte Mi esperanza, y mi remedio. Hamburgische Dramaturgie . Acht und sechzigstes Stück. Den 25sten December, 1767. N och einiger Wortwechsel zum Abschiede, noch einige Ausrufungen in der Stille: und beide, der Graf und die Königinn, gehen ab; jedes von einer besondern Seite. Jm Herausgehen, muß man sich einbilden, hat Essex Cosmen den Brief gegeben, den er an die Blanca geschrieben. Denn den Augenblick dar- auf kömmt dieser damit herein, und sagt, daß man seinen Herrn zum Tode führe; sobald es damit vorbey sey, wolle er den Brief, so wie er es versprochen, übergeben. Jndem er ihn aber ansieht, erwacht seine Neugierde. „Was mag „dieser Brief wohl enthalten? Eine Ehever- „schreibung? die käme ein wenig zu spät. Die „Abschrift von seinem Urtheile? die wird er doch „nicht der schicken, die es zur Wittwe macht. „Sein Testament? auch wohl nicht. Nun was „denn?„ Er wird immer begieriger; zugleich Q fällt fällt ihm ein, wie es ihm schon einmal fast das Leben gekostet hätte, daß er nicht gewußt, was in dem Briefe seines Herrn stünde. „Wäre ich „nicht, sagt er, bey einem Haare zum Ver- „trauten darüber geworden? Hohl der Geyer „die Vertrautschaft! Nein, das muß mir nicht „wieder begegnen!„ Kurz, Cosme beschließt, den Brief zu erbrechen; und erbricht ihn. Na- türlich, daß ihn der Jnhalt äußerst betroffen macht; er glaubt, ein Papier, das so wichtige und gefährliche Dinge enthalte, nicht geschwind genug los werden zu können; er zittert über den bloßen Gedanken, daß man es in seinen Händen finden könne, ehe er es freywillig abgeliefert; und eilet, es geraden Weges der Königinn zu bringen. Eben kömmt die Königinn mit dem Kanzler heraus. Cosme will sie den Kanzler nur erst abfertigen lassen; und tritt bey Seite. Die Königinn ertheilt dem Kanzler den letzten Be- fehl zur Hinrichtung des Grafen; sie soll sogleich, und ganz in der Stille vollzogen werden; das Volk soll nichts davon erfahren, bis der ge- köpfte Leichnam ihm mit stummer Zunge Treue und Gehorsam zurufe. Hasta que el tronco cadaver Le sirva de muda lengua. Den Kopf soll der Kanzler in den Saal bringen, und, nebst dem bluti- blutigen Beile, unter einen Teppich legen lassen; hierauf die Großen des Reichs versammeln, um ihnen mit eins Verbrechen und Strafe zu zeigen, zugleich sie an diesem Beyspiele ihrer Pflicht zu erinnern, und ihnen einzuschärfen, daß ihre Königinn eben so strenge zu seyn wisse, als sie gnädig seyn zu können wünsche: und das alles, wie sie der Dichter sagen läßt, nach Gebrauch und Sitte des Landes. Y assi al salon de palacio Hareis que llamados vengan Los Grandes y los Milordes, Y para que alli le vean, Debaxo de una cortina Hareis poner la cabeza Con el sangriento cuchillo, Que amenaza junto a ella, Por symbolo de justicia, Costumbre de Inglaterra: Y en estando todos juntos, Monstrandome justiciera, Exhortandolos primero Con amor a la obediencia, Les mostrarè luego al Conde, Para que todos atiendan, Que en mi ay rigor que los rinda, Si ay piedad que los atreva. Der Kanzler geht mit diesen Befehlen ab, und Cosme tritt die Königinn an. „Diesen „Brief, sagt er, „hat mir mein Herr gegeben, Q 2 „ihn „ihn nach seinem Tode der Blanca einzuhändi- „gen. Jch habe ihn aufgemacht, ich weiß selbst „nicht warum; und da ich Dinge darinn finde, „die Jhro Majestät wissen müssen, und die dem „Grafen vielleicht noch zu Statten kommen „können: so bringe ich ihn Jhro Majestät, und „nicht der Blanca.„ Die Königinn nimt den Brief, und lieset: „Blanca, ich nahe mich „meinem letzten Augenblicke; man will mir „nicht vergönnen, mit dir zu sprechen: em- „pfange also meine Ermahnung schriftlich. Aber „vors erste lerne mich kennen; ich bin nie der „Verräther gewesen, der ich dir vielleicht ge- „schienen; ich versprach, dir in der bewußten „Sache behülflich zu seyn, blos um der Kö- „niginn desto nachdrücklicher zu dienen, und „den Roberto, nebst seinen Anhängern, nach „London zu locken. Urtheile, wie groß meine „Liebe ist, da ich dem ohngeachtet eher selbst „sterben, als dein Leben in Gefahr setzen will. „Und nun die Ermahnung: stehe von dem Vor- „haben ab, zu welchem dich Roberto anreitzet; „du hast mich nun nicht mehr; und es möchte „sich nicht alle Tage einer finden, der dich so „sehr liebte, daß er den Tod des Verräthers für „dich sterben wollte.„ Blanca en el ultimo trance, Porque hablarte no me dexan, He — Mensch! Mensch! ruft die bestürzte Königinn, was hast du mir da gebracht? Nun? sagt Cosme, bin ich noch ein Vertrauter? — „Eile, fliehe, deinen Herrn zu retten! Sage dem Kanzler, einzuhalten! — Holla, Wache! bringt ihn augenblicklich vor mich, — den Grafen, — geschwind!„ — Und eben wird er gebracht: sein Leichnam nehmlich. So groß die Freude war, welche die Königinn auf einmal über- strömte, ihren Grafen unschuldig zu wissen: so Q 3 groß He de escribirte un consejo, Y tambien una advertencia; La advertencia es, que yo nunca Fui traidor, que la promessa De ayudar en lo que sabes, Fue por servir a la Reina, Cogiendo a Roberto en Londres, Y a los que seguirle intentan; Para aquesto fue la carta: Esto he querido que sepas, Porque adviertas el prodigio De mi amor, que assi se dexa Morir, por guardar tu vida. Este ha sido la advertencia: (Valgame dios!) el consejo Es, que desistas la empressa A que Roberto te incita. Mira que sin mi te quedas, Y no ha de haver cada dia Quien por mucho que te quiera, Por conservarte la vida Por traidor la suya pierda. — groß sind nunmehr Schmerz und Wuth, ihn hingerichtet zu sehen. Sie verflucht die Eilfer- tigkeit, mit der man ihren Befehl vollzogen: und Blanca mag zittern! — So schließt sich dieses Stück, bey welchem ich meine Leser vielleicht zu lange aufgehalten habe. Villeicht auch nicht. Wir sind mit den dramatischen Werken der Spanier so wenig be- kannt; ich wüßte kein einziges, welches man uns übersetzt, oder auch nur Auszugsweise mitgetheilet hätte. Denn die Virgina des Au- gustino de Montiano y Luyando ist zwar spa- nisch geschrieben; aber kein spanisches Stück: ein bloßer Versuch in der correcten Manier der Franzosen, regelmäßig aber frostig. Jch be- kenne sehr gern, daß ich bey weiten so vortheil- haft nicht mehr davon denke, als ich wohl ehe- dem muß gedacht haben. Theatralische Bibliothek, erstes Stück, S. 117. Wenn das zweyte Stück des nehmlichen Verfassers nicht besser gerathen ist; wenn die neueren Dichter der Nation, welche eben diesen Weg betreten wol- len, ihn nicht glücklicher betreten haben: so mögen sie mir es nicht übel nehmen, wenn ich noch immer lieber nach ihrem alten Lope und Cal- deron greife, als nach ihnen. Die Die echten spanischen Stücke sind vollkom- men nach der Art dieses Essex. Jn allen einer- ley Fehler, und einerley Schönheiten: mehr oder weniger; das versteht sich. Die Fehler springen in die Augen: aber nach den Schön- heiten dürfte man mich fragen. — Eine ganz eigne Fabel; eine sehr sinnreiche Verwicklung; sehr viele, und sonderbare, und immer neue Theaterstreiche; die ausgespartesten Situatio- nen; meistens sehr wohl angelegte und bis ans Ende erhaltene Charaktere; nicht selten viel Würde und Stärke im Ausdrucke. — Das sind allerdings Schönheiten: ich sage nicht, daß es die höchsten sind; ich leugne nicht, daß sie zum Theil sehr leicht bis in das Roma- nenhafte, Abentheuerliche, Unnatürliche, kön- nen getrieben werden, daß sie bey den Spaniern von dieser Uebertreibung selten frey sind. Aber man nehme den meisten französischen Stücken ihre mechanische Regelmäßigkeit: und sage mir, ob ihnen andere, als Schönheiten solcher Art, übrig bleiben? Was haben sie sonst noch viel Gutes, als Verwicklung, und Theaterstreiche und Situationen? Anständigkeit: wird man sagen. — Nun ja; Anständigkeit. Alle ihre Verwicklungen sind anständiger, und einförmiger; alle ihre Theater- Theaterstreiche anständiger, und abgedroschner; alle ihre Situationen anständiger, und ge- zwungner. Das kömmt von der Anständigkeit! Aber Cosme, dieser spanische Hanswurst; diese ungeheure Verbindung der pöbelhaftesten Possen mit dem feyerlichsten Ernste; diese Ver- mischung des Komischen und Tragischen, durch die das spanische Theater so berüchtiget ist? Jch bin weit entfernt, diese zu vertheidigen. Wenn sie zwar blos mit der Anständigkeit stritte, — man versteht schon, welche Anständigkeit ich meine; — wenn sie weiter keinen Fehler hätte, als daß sie die Ehrfurcht beleidigte, welche die Großen verlangen, daß sie der Lebensart, der Etiquette, dem Ceremoniel, und allen den Gauckeleyen zuwiderlief, durch die man den größern Theil der Menschen bereden will, daß es einen kleinern gäbe, der von weit besserm Stoffe sey, als er: so würde mir die unsinnigste Abwechslung von Niedrig auf Groß, von Aber- witz auf Ernst, von Schwarz auf Weiß, will- kommner seyn, als die kalte Einförmigkeit, durch die mich der gute Ton, die feine Welt, die Hofmanier, und wie dergleichen Armselig- keiten mehr heissen, unfehlbar einschläfert. Doch es kommen ganz andere Dinge hier in Betrachtung. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Neun und sechzigstes Stück. Den 29sten December, 1767. L ope de Vega, ob er schon als der Schöpfer des spanischen Theaters betrachtet wird, war es indeß nicht, der jenen Zwitterton einführte. Das Volk war bereits so daran ge- wöhnt, daß er ihn wider Willen mit anstimmen mußte. Jn seinem Lehrgedichte, über die Kunst, neue Komödien zu machen, dessen ich oben schon gedacht, jammert er genug darüber. Da er sahe, daß es nicht möglich sey, nach den Regeln und Mustern der Alten für seine Zeitge- nossen mit Beyfall zu arbeiten: so suchte er der Regellosigkeit wenigstens Grenzen zu setzen; das war die Absicht dieses Gedichts. Er dach- te, so wild und barbarisch auch der Geschmack der Nation sey, so müsse er doch seine Grund- sätze haben; und es sey besser, auch nur nach diesen mit einer beständigen Gleichförmigkeit zu handeln, als nach gar keinen. Stücke, welche R die die klassischen Regeln nicht beobachten, können doch noch immer Regeln beobachten, und müs- sen dergleichen beobachten, wenn sie gefallen wollen. Diese also, aus dem bloßen Natio- nalgeschmacke hergenommen, wollte er festsetzen; und so ward die Verbindung des Ernsthaften und Lächerlichen die erste. „Auch Könige, sagt er, könnet ihr in euern „Komödien auftreten lassen. Jch höre zwar, „daß unser weiser Monarch (Philipp der zwey- „te) dieses nicht gebilliget; es sey nun, weil er „einsahe, daß es wider die Regeln laufe, oder „weil er es der Würde eines Königes zuwider „glaubte, so mit unter den Pöbel gemengt zu „werden. Jch gebe auch gern zu, daß dieses „wieder zur ältesten Komödie zurückkehren heißt, „die selbst Götter einführte; wie unter andern „in dem Amphitruo des Plautus zu sehen: und „ich weiß gar wohl, daß Plutarch, wenn er von „Menandern redet, die älteste Komödie nicht „sehr lobt. Es fällt mir also freylich schwer, „unsere Mode zu billigen. Aber da wir uns „nun einmal in Spanien so weit von der Kunst „entfernen: so müssen die Gelehrten schon auch „hierüber schweigen. Es ist wahr, das Ko- „mische mit dem Tragischen vermischet, Seneca „mit dem Terenz zusammengeschmolzen, giebt „kein geringeres Ungeheuer, als der Minotaurus „der „der Pasiphae war. Doch diese Abwechselung „gefällt nun einmal; man will nun einmal keine „andere Stücke sehen, als die halb ernsthaft „und halb lustig sind; die Natur selbst lehrt uns „diese Mannigfaltigkeit, von der sie einen Theil „ihrer Schönheit entlehnet.„ Eligese el sujeto, y no se mire, (Pardonen los preceptos) si es de Reyes, Aunque por esto entiendo, que el pru- dente, Filipo Rey de España, y Señor nuestro, En viendo un Rey en ellos se enfadava, O fuesse el ver, que al arte contradize, O que la autoridad real no deve Andar fingida entre la humilde plebe, Este es bolver à la Comedia antigua, Donde vemos, que Plauto puso Dioses, Como en su Anfitrion lo muestra Jupiter. Sabe Dios, que me pesa de aprovarlo, Porque Plutarco hablando de Menandro, No siente bien de la Comedia antigua, Mas pues del arte vamos tan remotos, Y en España le hazemos mil agravios, Cierren los Doctos esta vez los labios. Lo Tragico, y lo Comico mezclado, Y Terencio con Seneca, aunque sea, Como otro Minotauro de Pasife, Haran grave una parte, otra ridicula, Que aquesta variedad deleyta mucho, Buen exemplo nos da naturaleza, Que por tal variedad tiene belleza. R 2 Die Die letzten Worte sind es, weswegen ich diese Stelle anführe. Jst es wahr, daß uns die Natur selbst, in dieser Vermengung des Ge- meinen und Erhabnen, des Possirlichen und Ernsthaften, des Lustigen und Traurigen, zum Muster dienet? Es scheinet so. Aber wenn es wahr ist, so hat Lope mehr gethan, als er sich vornahm; er hat nicht blos die Fehler seiner Bühne beschöniget; er hat eigentlich erwiesen, daß wenigstens dieser Fehler keiner ist; denn nichts kann ein Fehler seyn, was eine Nachah- mung der Natur ist. „Man tadelt, sagt einer von unsern neuesten Scribenten, „an Shakespear, — demjenigen un- „ter allen Dichtern seit Homer, der die Menschen, „vom Könige bis zum Bettler, und von Julius „Cäsar bis zu Jak Fallstaff, am besten gekannt, „und mit einer Art von unbegreiflicher Jntui- „tion durch und durch gesehen hat, — daß seine „Stücke keinen, oder doch nur einen sehr fehler- „haften unregelmäßigen und schlecht ausgesonne- „nen Plan haben; daß komisches und tragisches „darinn auf die seltsamste Art durch einander „geworfen ist, und oft eben dieselbe Person, die „uns durch die rührende Sprache der Natur, „Thränen in die Augen gelockt hat, in wenigen „Augenblicken darauf uns durch irgend einen „seltsamen Einfall oder barokischen Ausdruck „ihrer „ihrer Empfindungen, wo nicht zu lachen macht, „doch dergestalt abkühlt, daß es ihm hernach „sehr schwer wird, uns wieder in die Fassung zu „setzen, worinn er uns haben möchte. — Man „tadelt das, und denkt nicht daran, daß seine „Stücke eben darinn natürliche Abbildungen „des menschlichen Lebens sind.„ „Das Leben der meisten Menschen, und (wenn „wir es sagen dürfen) der Lebenslauf der großen „Staatskörper selbst, in so fern wir sie als eben „so viel moralische Wesen betrachten, gleicht den „Haupt- und Staats-Actionen im alten gothi- „schen Geschmacke in so vielen Punkten, daß „man beynahe auf die Gedanken kommen möchte, „die Erfinder dieser letztern wären klüger gewesen, „als man gemeiniglich denkt, und hätten, wofern „sie nicht gar die heimliche Absicht gehabt, das „menschliche Leben lächerlich zu machen, wenig- „stens die Natur eben so getreu nachahmen wol- „len, als die Griechen sich angelegen seyn liessen, „sie zu verschönern. Um itzt nichts von der zu- „fälligen Aehnlichkeit zu sagen, daß in diesen „Stücken, so wie im Leben, die wichtigsten „Rollen sehr oft gerade durch die schlechtesten „Acteurs gespielt werden, — was kann ähnlicher „seyn, als es beide Arten der Haupt- und Staats- „Actionen einander in der Anlage, in der Ab- „theilung und Disposition der Scenen, im Kno- R 3 „ten „ten und in der Entwicklung zu seyn pflegen. „Wie selten fragen die Urheber der einen und „der andern sich selbst, warum sie dieses oder „jenes gerade so und nicht anders gemacht ha- „ben? Wie oft überraschen sie uns durch Bege- „benheiten, zu denen wir nicht im mindesten „vorbereitet waren? Wie oft sehen wir Perso- „nen kommen und wieder abtreten, ohne daß sich „begreifen läßt, warum sie kamen, oder warum „sie wieder verschwinden? Wie viel wird in bei- „den dem Zufall überlassen? Wie oft sehen wir „die größesten Wirkungen durch die armseligsten „Ursachen hervorgebracht? Wie oft das Ernst- „hafte und Wichtige mit einer leichtsinnigen Art, „und das Nichtsbedeutende mit lächerlicher Gra- „vität behandelt? Und wenn in beiden endlich „alles so kläglich verworren und durch einander „geschlungen ist, daß man an der Möglichkeit der „Entwicklung zu verzweifeln anfängt: wie glück- „lich sehen wir durch irgend einen unter Blitz „und Donner aus papiernen Wolken herabsprin- „genden Gott, oder durch einen frischen Degen- „hieb, den Knoten auf einmal zwar nicht aufge- „löset, aber doch aufgeschnitten, welches in so „fern auf eines hinauslauft, daß auf die eine oder „die andere Art das Stück ein Ende hat, und „die Zuschauer klatschen oder zischen können, wie „sie wollen oder — dürfen. Uebrigens weiß man, „was für eine wichtige Person in den komischen „Tra- „Tragödien, wovon wir reden, der edle Hans- „wurst vorstellt, der sich, vermuthlich zum ewi- „gen Denkmal des Geschmacks unserer Vorel- „tern, auf dem Theater der Hauptstadt des „deutschen Reiches erhalten zu wollen scheinet. „Wollte Gott, daß er seine Person allein auf „dem Theater vorstellte! Aber wie viel große „Aufzüge auf dem Schauplatze der Welt hat „man nicht in allen Zeiten mit Hanswurst, — „oder, welches noch ein wenig ärger ist, durch „Hanswurst, — aufführen gesehen? Wie oft ha- „ben die größesten Männer, dazu gebohren, die „schützenden Genii eines Throns, die Wohlthä- „ter ganzer Völker und Zeitalter zu seyn, alle „ihre Weisheit und Tapferkeit durch einen klei- „nen schnakischen Streich von Hanswurst, oder „solchen Leuten vereitelt sehen müssen, welche, „ohne eben sein Wamms und seine gelben Hosen „zu tragen, doch gewiß seinen ganzen Charakter „an sich trugen? Wie oft entsteht in beiden Ar- „ten der Tragi-Komödien die Verwicklung selbst „lediglich daher, daß Hanswurst durch irgend „ein dummes und schelmisches Stückchen von „seiner Arbeit den gescheidten Leuten, eh sie sichs „versehen können, ihr Spiel verderbt?„ — Wenn in dieser Vergleichung des großen und kleinen, des ursprünglichen und nachgebildeten, heroischen Possenspiels — (die ich mit Vergnü- gen gen aus einem Werke abgeschrieben, welches unstreitig unter die vortrefflichsten unsers Jahr- hunderts gehört, aber für das deutsche Publi- cum noch viel zu früh geschrieben zu seyn scheinet. Jn Frankreich und England würde es das äus- serste Aufsehen gemacht haben; der Name seines Verfassers würde auf aller Zungen seyn. Aber bey uns? Wir haben es, und damit gut. Unse- re Großen lernen vors erste an den *** kauen; und freylich ist der Saft aus einem französischen Roman lieblicher und verdaulicher. Wenn ihr Gebiß schärfer und ihr Magen stärker geworden, wenn sie indeß Deutsch gelernt haben, so kommen sie auch wohl einmal über den — Agathon. Zweyter Theil S. 192. Dieses ist das Werk von welchem ich rede, von welchem ich es lieber nicht an dem schicklichsten Orte, lieber hier als gar nicht, sagen will, wie sehr ich es bewundere: da ich mit der äußersten Befremdung wahrnehme, welches tiefe Still- schweigen unsere Kunstrichter darüber beobachten, oder in welchem kalten und gleichgültigen Tone sie davon sprechen. Es ist der erste und einzige Roman für den denkenden Kopf, von klassischem Geschmacke. Roman? Wir wollen ihm diesen Titel nur geben, vielleicht, daß es einige Leser mehr dadurch bekömmt. Die wenigen, die es darüber verlieren möchte, an denen ist ohnedem nichts gelegen.) Ham- Hamburgische Dramaturgie . Siebzigstes Stück. Den 1sten Januar, 1768. W enn in dieser Vergleichung, sage ich, die satyrische Laune nicht zu sehr vorstäche: so würde man sie für die beste Schutz- schrift des komisch tragischen, oder tragisch ko- mischen Drama, (Mischspiel habe ich es einmal auf irgend einem Titel genannt gefunden) für die geflissendlichste Ausführung des Gedankens beym Lope halten dürfen. Aber zugleich würde sie auch die Widerlegung desselben seyn. Denn sie würde zeigen, daß eben das Beyspiel der Natur, welches die Verbindung des feyerlichen Ernstes mit der possenhaften Lustigkeit rechtfer- tigen soll, eben so gut jedes dramatische Unge- heuer, das weder Plan, noch Verbindung, noch Menschenverstand hat, rechtfertigen kön- ne. Die Nachahmung der Natur müßte folg- lich entweder gar kein Grundsatz der Kunst seyn; oder, wenn sie es doch bliebe, würde durch ihn S selbst selbst die Kunst, Kunst zu seyn aufhören; we- nigstens keine höhere Kunst seyn, als etwa die Kunst, die bunten Adern des Marmors in Gyps nachzuahmen; ihr Zug und Lauf mag gerathen, wie er will, der seltsamste kann so seltsam nicht seyn, daß er nicht natürlich scheinen könnte; blos und allein der scheinet es nicht, bey wel- chem sich zu viel Symmetrie, zu viel Ebenmaaß und Verhältniß, zu viel von dem zeiget, was in jeder andern Kunst die Kunst ausmacht; der künstlichste in diesem Verstande ist hier der schlechteste, und der wildeste der beste. Als Kriticus dürfte unser Verfasser ganz an- ders sprechen. Was er hier so sinnreich auf- stützen zu wollen scheinet, würde er ohne Zwei- fel als eine Mißgeburth des barbarischen Ge- schmacks verdammen, wenigstens als die ersten Versuche der unter ungeschlachteten Völkern wieder auflebenden Kunst vorstellen, an deren Form irgend ein Zusammenfluß gewisser äußer- lichen Ursachen, oder das Ohngefehr, den mei- sten, Vernunft und Ueberlegung aber den we- nigsten, auch wohl ganz und gar keinen Antheil hatte. Er würde schwerlich sagen, daß die ersten Erfinder des Mischspiels (da das Wort einmal da ist, warum soll ich es nicht brauchen?) „die Natur eben so getreu nachahmen wollen, „als die Griechen sich angelegen seyn lassen, sie „zu verschönern.„ Die Die Worte getreu und verschönert, von der Nachahmung und der Natur, als dem Gegen- stande der Nachahmung, gebraucht, sind vielen Mißdeutungen unterworfen. Es giebt Leute, die von keiner Natur wissen wollen, welche man zu getreu nachahmen könne; selbst was uns in der Natur mißfalle, gefalle in der getreuen Nachahmung, vermöge der Nachahmung. Es giebt andere, welche die Verschönerung der Na- tur für eine Grille halten; eine Natur, die schöner seyn wolle, als die Natur, sey eben darum nicht Natur. Beide erklären sich für Verehrer der einzigen Natur, so wie sie ist: jene finden in ihr nichts zu vermeiden; diese nichts hinzuzusetzen. Jenen also müßte noth- wendig das gothische Mischspiel gefallen; so wie diese Mühe haben würden, an den Meister- stücken der Alten Geschmack zu finden. Wann dieses nun aber nicht erfolgte? Wann jene, so große Bewunderer sie auch von der ge- meinsten und alttäglichsten Natur sind, sich den- noch wider die Vermischung des Possenhaften und Jnteressanten erklärten? Wann diese, so ungeheuer sie auch alles finden, was besser und schöner seyn will, als die Natur, dennoch das ganze griechische Theater, ohne den geringsten Anstoß von dieser Seite, durchwandelten? Wie wollten wir diesen Widerspruch erklären? S 2 Wir Wir würden nothwendig zurückkommen, und das, was wir von beiden Gattungen erst be- hauptet, widerrufen müssen. Aber wie müßten wir widerrufen, ohne uns in neue Schwierig- keiten zu verwickeln? Die Vergleichung einer solchen Haupt- und Staats-Action, über deren Güte wir streiten, mit dem menschlichen Leben, mit dem gemeinen Laufe der Welt, ist doch so richtig! Jch will einige Gedanken herwerfen, die, wenn sie nicht gründlich genug sind, doch gründ- lichere veranlassen können. — Der Hauptge- danke ist dieser: es ist wahr, und auch nicht wahr, daß die komische Tragödie, gothischer Erfindung, die Natur getreu nachahmet; sie ahmet sie nur in einer Helfte getreu nach, und vernachläßiget die andere Helfte gänzlich; sie ahmet die Natur der Erscheinungen nach, ohne im geringsten auf die Natur unserer Empfin- dungen und Seelenkräfte dabey zu achten. Jn der Natur ist alles mit allem verbunden; alles durchkreutzt sich, alles wechselt mit allem, alles verändert sich eines in das andere. Aber nach dieser unendlichen Mannichfaltigkeit ist sie nur ein Schauspiel für einen unendlichen Geist. Um endliche Geister an dem Genusse desselben Antheil nehmen zu lassen, mußten diese das Vermögen erhalten, ihr Schranken zu geben, die sie nicht hat; das Vermögen abzusondern, und und ihre Aufmerksamkeit nach Gutdünken len- ken zu können. Dieses Vermögen üben wir in allen Augen- blicken des Lebens; ohne dasselbe würde es für uns gar kein Leben geben; wir würden vor allzu verschiedenen Empfindungen nichts empfinden; wir würden ein beständiger Raub des gegenwär- tigen Eindruckes seyn; wir würden träumen, ohne zu wissen, was wir träumten. Die Bestimmung der Kunst ist, uns in dem Reiche des Schönen dieser Absonderung zu überheben, uns die Fixirung unserer Auf- merksamkeit zu erleichtern. Alles, was wir in der Natur von einem Gegenstande, oder einer Verbindung verschiedener Gegenstände, es sey der Zeit oder dem Raume nach, in unsern Gedanken absondern, oder absondern zu können wünschen, sondert sie wirklich ab, und gewährt uns diesen Gegenstand, oder diese Verbindung verschiedener Gegenstände, so lau- ter und bündig, als es nur immer die Empfin- dung, die sie erregen sollen, verstattet. Wenn wir Zeugen von einer wichtigen und rührenden Begebenheit sind, und eine andere von nichtigem Belange läuft queer ein: so su- chen wir der Zerstreuung, die diese uns drohet, möglichst auszuweichen. Wir abstrahiren von ihr; und es muß uns nothwendig eckeln, in der S 3 Kunst Kunst das wieder zu finden, was wir aus der Natur wegwünschten. Nur wenn eben dieselbe Begebenheit in ihrem Fortgange alle Schattirungen des Jnteresse an- nimt, und eine nicht blos auf die andere folgt, sondern so nothwendig aus der andern ent- springt; wenn der Ernst das Lachen, die Traurigkeit die Freude, oder umgekehrt, so unmittelbar erzeugt, daß uns die Abstraction des einen oder des andern unmöglich fällt: nur alsdenn verlangen wir sie auch in der Kunst nicht, und die Kunst weiß aus dieser Unmög- lichkeit selbst Vortheil zu ziehen. — Aber genug hiervon: man sieht schon, wo ich hinaus will. — Den fünf und vierzigsten Abend (Freytags, den 12ten Julius,) wurden die Brüder des Hrn. Romanus, und das Orakel vom Saint-Foix ge- spielt. Das erstere Stück kann für ein deutsches Ori- ginal gelten, ob es schon, größten Theils, aus den Brüdern des Terenz genommen ist. Man hat gesagt, daß auch Moliere aus dieser Quelle geschöpft habe; und zwar seine Männerschule. Der Herr von Voltaire macht seine Anmerkun- gen über dieses Vorgeben: und ich führe Anmer- kungen von dem Herrn von Voltaire so gern an! Aus seinen geringsten ist noch immer etwas zu ler- lernen: wenn schon nicht allezeit das, was er darinn sagt: wenigstens das, was er hätte sagen sollen. Primus sapientiæ gradus est, falsa intelligere; (wo dieses Sprüchelchen steht, will mir nicht gleich beyfallen) und ich wüßte keinen Schriftsteller in der Welt, an dem man es so gut versuchen könnte, ob man auf dieser ersten Stuffe der Weisheit stehe, als an dem Herrn von Voltaire: aber daher auch keinen, der uns die zweyte zu ersteigen, weniger behülflich seyn könn- te; secundus, vera cognoscere. Ein kri- tischer Schriftsteller, dünkt mich, richtet seine Methode auch am besten nach diesem Sprüchel- chen ein. Er suche sich nur ersten jemanden, mit dem er streiten kann: so kömmt er nach und nach in die Materie, und das übrige findet sich. Hierzu habe ich mir in diesem Werke, ich be- kenne es aufrichtig, nun einmal die französi- schen Scribenten vornehmlich erwählet, und unter diesen besonders den Hrn. von Voltaire. Also auch itzt, nach einer kleinen Verbeu- gung, nur darauf zu! Wem diese Methode aber etwann mehr muthwillig als gründlich scheinen wollte: der soll wissen, daß selbst der gründliche Aristoteles sich ihrer fast immer be- dient hat. Solet Aristoteles, sagt einer von seinen Auslegern, der mir eben zur Hand liegt, quærere pugnam in suis libris. Atque hoc facit non temere, \& casu, sed certa ra- ratione atque consilio: nam labefactatis aliorum opinionibus, u. s. w. O des Pedan- ten! würde der Herr von Voltaire rufen. — Jch bin es blos aus Mißtrauen in mich selbst. „Die Brüder des Terenz, sagt der Herr von Voltaire, „können höchstens die Jdee zu der „Männerschule gegeben haben. Jn den Brü- „dern sind zwey Alte von verschiedner Gemüths- „art, die ihre Söhne ganz verschieden erziehen; „eben so sind in der Männerschule zwey Vor- „münder, ein sehr strenger und ein sehr nachse- „hender: das ist die ganze Aehnlichkeit. Jn „den Brüdern ist fast ganz und gar keine Jntri- „gue: die Jntrigue in der Männerschule hinge- „gen ist fein, und unterhaltend und komisch. „Eine von den Frauenzimmern des Terenz, wel- „che eigentlich die interessanteste Rolle spielen „müßte, erscheinet blos auf dem Theater, um nie- „der zu kom̃en. Die Jsabelle des Moliere ist fast „immer auf der Scene, und zeigt sich immer witzig „und reitzend, und verbindet sogar die Streiche, „die sie ihrem Vormunde spielt, noch mit Anstand. „Die Entwicklung in den Brüdern ist ganz unwahr- „scheinlich; es ist wider die Natur, daß ein Alter, der „sechzig Jahre ärgerlich und streng u. geitzig gewesen, „auf einmal lustig und höflich und freygebig werden „sollte. Die Entwicklung in der Männerschule aber, „ist die beste von allen Entwicklungen des Moliere; „wahrscheinlich, natürlich, aus der Jntrigue selbst „hergenommen, und was ohnstreitig nicht das schlech- „teste daran ist, äußerst komisch.„ Ham- Hamburgische Dramaturgie . Ein und siebzigstes Stück. Den 5ten Januar, 1768. E s scheinet nicht, daß der Herr von Voltaire, seit dem er aus der Klasse bey den Jesui- ten gekommen, den Terenz viel wieder gelesen habe. Er spricht ganz so davon, als von einem alten Traume; es schwebt ihm nur noch so was davon im Gedächtnisse; und das schreibt er auf gut Glück so hin, unbekümmert, ob es gehauen oder gestochen ist. Jch will ihm nicht aufmutzen, was er von der Pamphila des Stücks sagt, „daß sie blos auf dem Theater erscheine, um nieder zu kommen.„ Sie erscheinet gar nicht auf dem Theater; sie kömmt nicht auf dem Thea- ter nieder; man vernimt blos ihre Stimme aus dem Hause; und warum sie eigentlich die in- teressanteste Rolle spielen müßte, das läßt sich auch gar nicht absehen. Den Griechen und Römern war nicht alles interessant, was es den Franzosen ist. Ein gutes Mädchen, das mit T ihrem ihrem Liebhaber zu tief in das Wasser gegangen, und Gefahr läuft, von ihm verlassen zu wer- den, war zu einer Hauptrolle ehedem sehr unge- schickt. — Der eigentliche und grobe Fehler, den der Herr von Voltaire macht, betrift die Entwick- lung und den Charakter des Demea. Demea ist der mürrische strenge Vater, und dieser soll seinen Charakter auf einmal völlig verändern. Das ist, mit Erlaubniß des Herrn von Vol- taire, nicht wahr. Demea behauptet seinen Charakter bis ans Ende. Donatus sagt: Ser- vatur autem per totam fabulam mitis Micio, sævus Demea, Leno avarus u. s. w. Was geht mich Donatus an? dürfte der Herr von Voltaire sagen. Nach Belieben; wenn wir Deutsche nur glauben dürfen, daß Dona- tus den Terenz fleißiger gelesen und besser ver- standen, als Voltaire. Doch es ist ja von kei- nem verlohrnen Stücke die Rede; es ist noch da; man lese selbst. Nachdem Micio den Demea durch die triftig- sten Vorstellungen zu besänftigen gesucht, bittet er ihn, wenigstens auf heute sich seines Aeger- nisses zu entschlagen, wenigstens heute lustig zu seyn. Endlich bringt er ihn auch so weit; heute will Demea alles gut seyn lassen; aber morgen, bey früher Tageszeit, muß der Sohn wieder mit ihm aufs Land; da will er ihn nicht gelinder hal- ten, ten, da will er es wieder mit ihm anfangen, wo er es heute gelassen hat; die Sängerinn, die diesem der Vetter gekauft, will er zwar mitneh- men, denn es ist doch immer eine Sklavinn mehr, und eine, die ihm nichts kostet; aber zu singen wird sie nicht viel bekommen, sie soll kochen und backen. Jn der darauf folgenden vierten Scene des fünften Akts, wo Demea allein ist, scheint es zwar, wenn man seine Worte nur so obenhin nimt, als ob er völlig von seiner alten Den- kungsart abgehen, und nach den Grundsätzen des Micio zu handeln anfangen wolle. — Nam ego vitam duram, quam vixi usque adhuc Prope jam excurso spatio mitto — Doch die Folge zeigt es, daß man alles das nur von dem heutigen Zwange, den er sich anthun soll, verstehen muß. Denn auch diesen Zwang weiß er hernach so zu nutzen, daß er zu der förmlich- sten hämischsten Verspottung seines gefälligen Bruders ausschlägt. Er stellt sich lustig, um die andern wahre Ausschweifungen und Tollhei- ten begehen zu lassen; er macht in dem verbind- lichsten Tone die bittersten Vorwürfe; er wird nicht freygebig, sondern er spielt den Verschwen- der; und wohl zu merken, weder von dem Sei- nigen, noch in einer andern Absicht, als um al- les, was er Verschwenden nennt, lächerlich zu machen. Dieses erhellet unwidersprechlich aus T 2 dem, dem, was er dem Micio antwortet, der sich durch den Anschein betriegen läßt, und ihn wirklich verändert glaubt. Mi . Quid istuc? quæ res tam repente mo- res mutavit tuos? Quod prolubium, quæ istæc subita est lar- gitas? De . Dicam tibi: Ut id ostenderem, quod te isti facilem \& festivum putant, Id non fieri ex vera vita, neque adeo ex æquo \& bono, Sed ex assentando, indulgendo, \& largi- endo, Micio. Nunc adeo, si ob eam rem vobis mea vita invisa est, Aeschine, Quia non justa injusta prorsus omnia, om- nino absequor; Missa facio; effundite, emite, facite quod vobis lubet! Hic ostendit Terentius, sagt Donatus, magis Demeam simulasse mutatos mores, quam mutavisse. Jch will aber nicht hoffen, daß der Herr von Voltaire meinet, selbst diese Verstellung laufe wider den Charakter des Demea, der vorher nichts als geschmählt und gepoltert habe: denn eine solche Verstellung erfodere mehr Gelassen- heit und Kälte, als man dem Demea zutrauen dürfe. Auch hierinn ist Terenz ohne Tadel, und er hat alles so vortrefflich motiviret, bey jedem Schritte Natur und Wahrheit so genau beobach- tet, bey dem geringsten Uebergange so feine Schat- Schattirungen in Acht genommen, daß man nicht aufhören kann, ihn zu bewundern. Nur ist öfters, um hinter alle Feinheiten des Terenz zu kommen, die Gabe sehr nöthig, sich das Spiel des Akteurs dabey zu denken; denn dieses schrieben die alten Dichter nicht bey. Die Deklamation hatte ihren eignen Künstler, und in dem Uebrigen konnten sie sich ohne Zwei- fel auf die Einsicht der Spieler verlassen, die aus ihrem Geschäfte ein sehr ernstliches Stu- dium machten. Nicht selten befanden sich unter diesen die Dichter selbst; sie sagten, wie sie es haben wollten; und da sie ihre Stücke über- haupt nicht eher bekannt werden ließen, als bis sie gespielt waren, als bis man sie gesehen und gehört hatte: so konnten sie es um so mehr über- hoben seyn, den geschriebenen Dialog durch Einschiebsel zu unterbrechen, in welchen sich der beschreibende Dichter gewissermaaßen mit unter die handelnden Personen zu mischen scheinet. Wenn man sich aber einbildet, daß die alten Dichter, um sich diese Einschiebsel zu ersparen, in den Reden selbst, jede Bewegung, jede Ge- behrde, jede Mine, jede besondere Abänderung der Stimme, die dabey zu beobachten, mit an- zudeuten gesucht: so irret man sich. Jn dem Terenz allein kommen unzählige Stellen vor, in welchen von einer solchen Andeutung sich nicht die geringste Spur zeiget, und wo gleichwohl T 3 der der wahre Verstand nur durch die Errathung der wahren Aktion kann getroffen werden; ja in vielen scheinen die Worte gerade das Gegentheil von dem zu sagen, was der Schauspieler durch jene ausdrücken muß. Selbst in der Scene, in welcher die vermeinte Sinnesänderung des Demea vorgeht, finden sich dergleichen Stellen, die ich anführen will, weil auf ihnen gewissermaaßen die Mißdeutung beruhet, die ich bestreite. — Demea weiß nun- mehr alles, er hat es mit seinen eignen Augen gesehen, daß es sein ehrbarer frommer Sohn ist, für den die Sängerinn entführet worden, und stürzt mit dem unbändigsten Geschrey heraus. Er klagt es dem Himmel und der Erde und dem Meere; und eben bekömmt er den Micio zu Gesicht. Ha! da ist er, der mir sie beide ver- dirbt — meine Söhne, mir sie beide zu Grunde richtet! — O so mäßige dich, und komm wieder zu dir! Gut, ich mäßige mich, ich bin bey mir, es soll mir kein hartes Wort entfahren. Laß uns blos bey der Sache bleiben. Sind wir nicht eins geworden, warest du es nicht selbst, der es zuerst auf die Bahn brachte, daß sich ein jeder nur nur um den seinen bekümmern sollte? Antwor- te. — — — De . Eccum adest Communis corruptela nostrum liberum. Mi . Tandem reprime iracundiam, atque ad te redi. De . Repressi, redii, mitto maledicta om- nia: Rem ipsam putemus. Dictum hoc inter nos fuit, Et ex te adeo est ortum, ne te curares meum, Neve ego tuum? responde. — u. s. w. Wer sich hier nur an die Worte hält, und kein so richtiger Beobachter ist, als es der Dichter war, kann leicht glauben, daß Demea viel zu geschwind austobe, viel zu geschwind diesen ge- lassenern Ton anstimme. Nach einiger Ueber- legung wird ihm zwar vielleicht beyfallen, daß jeder Affekt, wenn er aufs äußerste gekommen, nothwendig wieder sinken müsse; daß Demea, auf den Verweiß seines Bruders, sich des un- gestümen Jachzorns nicht anders als schämen könne: das alles ist auch ganz gut, aber es ist doch noch nicht das rechte. Dieses lasse er sich also vom Donatus lehren, der hier zwey vor- treffliche Anmerkungen hat. Videtur, sagt er, paulo citius destomachatus, quam res etiam incertæ poscebant. Sed \& hoc mo- rale: nam juste irati, omissa sævitia ad ra- ratiocinationes sæpe festinant. Wenn der Zornige ganz offenbar Recht zu haben glaubt, wenn er sich einbildet, daß sich gegen seine Be- schwerden durchaus nichts einwenden lasse: so wird er sich bey dem Schelten gerade am wenig- sten aufhalten, sondern zu den Beweisen eilen, um seinen Gegner durch eine so sonnenklare Ueberzeugung zu demüthigen. Doch da er über die Wallungen seines kochenden Geblüts nicht so unmittelbar gebiethen kann, da der Zorn, der überführen will, doch noch immer Zorn bleibt: so macht Donatus die zweyte Anmerkung; non quod dicatur, sed quo gestu dicatur, specta: \& videbis neque adhuc repressisse iracun- diam, neque ad se rediise Demeam. De- mea sagt zwar, ich mäßige mich, ich bin wieder bey mir: aber Gesicht und Gebehrde und Stim- me verrathen genugsam, daß er sich noch nicht gemäßiget hat, daß er noch nicht wieder bey sich ist. Er bestürmt den Micio mit einer Frage über die andere, und Micio hat alle seine Kälte und gute Laune nöthig, um nur zum Worte zu kommen. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Zwey und siebzigstes Stück. Den 8ten Januar, 1768. A ls er endlich dazu kömmt, wird Demea zwar eingetrieben, aber im geringsten nicht überzeugt. Aller Vorwand, über die Lebensart seiner Kinder, unwillig zu seyn, ist ihm benommen: und doch fängt er wieder von vorne an, zu nerrgeln. Micio muß auch nur abbrechen, und sich begnügen, daß ihm die mürrische Laune, die er nicht ändern kann, we- nigstens auf heute Frieden lassen will. Die Wendungen, die ihn Terenz dabey nehmen läßt, sind meisterhaft. — — — De . Ne nimium modo Bonæ tuæ istæ nos rationes, Micio, U Et Nun gieb nur Acht, Micio, wie wir mit diesen schönen Grundsätzen, mit dieser deiner lieben Nachsicht, am Ende fahren werden. Micio . Schweig doch! Besser, als du glau- best. — Und nun genug davon! Heute schenke dich mir. Komm, kläre dich auf. Mags doch nur heute seyn! Was ich muß, das muß ich. — Aber morgen, sobald es Tag wird, geh ich wieder aufs Dorf, und der Bursche geht mit. — Lieber, noch ehe es Tag wird; dächte ich. Sey nur heute lustig! Auch das Mensch von einer Sän- gerinn muß mit heraus. Vortrefflich! So wird sich der Sohn gewiß nicht weg wünschen. Nur halte sie auch gut. De- Et tuus iste animus æquus subvertat. Mi . Tace; Non fiet. Mitte jam istæo; da te hodie mihi: Exporge frontem. De . Scilicet ita tempus fert, Faciendum est: ceterum rus cras cum filio Cum primo lucu ibo hinc. Mi . De nocte censeo: Hodie modo hilarum fac te. De . Et istam psaltriam Una illuc mecum hinc abstraham. Mi . Pugnaveris. Eo pacto prorsum illic alligaris filium. Modo facito, ut illam serves. De . Ego istuc videro. At- Da laß mich vor sorgen! Sie soll, in der Mühle und vor dem Ofenloche, Mehlstaubs und Kohlstaubs und Rauchs genug kriegen. Dazu soll sie mir am heissen Mittage stoppeln gehn, bis sie so trocken, so schwarz geworden, als ein Lösch- brand. Das gefällt mir! Nun bist du auf dem rechten Wege! — Und alsdenn, wenn ich wie du wäre, müßte mir der Sohn bey ihr schlafen, er möchte wollen oder nicht. Lachst du mich aus? — Bey so einer Gemüthsart, freylich, kannst du wohl glücklich seyn. Jch fühl es, leider — Du fängst doch wieder an? Nu, nu; ich höre ja auch schon wieder auf. U 2 Bey Atque ibi favillæ plena, fumi, ac pollinis, Coquendo sit faxo \& molendo; præter hæc Meridie ipso faciam ut stipulam colligat: Tam excoctam reddam atque atram, quam carbo est. Mi . Placet. Nunc mihi videre sapere. Atque equidem filium, Tum etiam si nolit, cogam, ut cum illa una cubet. De . Derides? fortunatus, qui istoc animo sies: Ego sentio. Mi . Ah, pergisne? De . Jam jam desino. Bey dem „Lachst du mich aus?„ des Demea, merkt Donatus an: Hoc verbum vultu Demeæ sic profertur, ut subrisisse videa- tur invitus. Sed rursus ego sentio , amare severeque dicit. Unvergleichlich! Demea, dessen voller Ernst es war, daß er die Sängerinn, nicht als Sängerinn, sondern als eine gemeine Sklavinn halten und nutzen wollte, muß über den Einfall des Micio lachen. Micio selbst braucht nicht zu lachen: je ernsthafter er sich stellt, desto besser. Demea kann darum doch sagen: Lachst du mich aus? und muß sich zwingen wollen, sein eignes Lachen zu verbeissen. Er verbeißt es auch bald, denn das „Jch fühl es leider„ sagt er wieder in einem ärgerlichen und bittern Tone. Aber so ungern, so kurz das Lachen auch ist: so große Wirkung hat es gleich- wohl. Denn einen Mann, wie Demea, hat man wirklich vors erste gewonnen, wenn man ihn nur zu lachen machen kann. Je seltner ihm diese wohlthätige Erschütterung ist, desto län- ger hält sie innerlich an; nachdem er längst alle Spur derselben auf seinem Gesichte vertilgt, dauert sie noch fort, ohne daß er es selbst weiß, und hat auf sein nächstfolgendes Betragen einen gewissen Einfluß. — Aber wer hätte wohl bey einem Grammatiker so feine Kenntnisse gesucht? Die alten Gram- matiker waren nicht das, was wir itzt bey dem Na- Namen denken. Es waren Leute von vieler Einsicht; das ganze weite Feld der Kritik war ihr Gebiethe. Was von ihren Auslegungen klassischer Schriften auf uns gekommen, ver- dient daher nicht blos wegen der Sprache stu- diert zu werden. Nur muß man die neuern Jnterpolationen zu unterscheiden wissen. Daß aber dieser Donatus (Aelius) so vorzüglich reich an Bemerkungen ist, die unsern Geschmack bil- den können, daß er die verstecktesten Schönhei- ten seines Autors mehr als irgend ein anderer zu enthüllen weiß: das kömmt vielleicht weni- ger von seinen größern Gaben, als von der Be- schaffenheit seines Autors selbst. Das römische Theater war, zur Zeit des Donatus, noch nicht gänzlich verfallen; die Stücke des Terenz wur- den noch gespielt, und ohne Zweifel noch mit vie- len von den Ueberlieferungen gespielt, die sich aus den bessern Zeiten des römischen Geschmacks her- schrieben: er durfte also nur anmerken, was er sahe und hörte; er brauchte also nur Aufmerk- samkeit und Treue, um sich das Verdienst zu machen, daß ihm die Nachwelt Feinheiten zu verdanken hat, die er selbst schwerlich dürfte ausgegrübelt haben. Jch wüßte daher auch kein Werk, aus welchem ein angehender Schauspie- ler mehr lernen könnte, als diesen Commentar des Donatus über den Terenz: und bis das La- tein unter unsern Schauspielern üblicher wird, U 3 wünschte wünschte ich sehr, daß man ihnen eine gute Uebersetzung davon in die Hände geben wollte. Es versteht sich, daß der Dichter dabey seyn, und aus dem Commentar alles wegbleiben müß- te, was die bloße Worterklärung betrift. Die Dacier hat in dieser Absicht den Donatus nur schlecht genutzt, und ihre Uebersetzung des Textes ist wäßrig und steif. Eine neuere deutsche, die wir haben, hat das Verdienst der Richtig- keit so so, aber das Verdienst der komischen Sprache fehlt ihr gänzlich; Halle 1753. Wunders halben erlaube man mir die Stelle daraus anzuführen, die ich eben itzt übersetzt habe. Was mir hier aus der Feder geflossen, ist weit entfernt, so zu seyn, wie es seyn sollte: aber man wird doch ungefehr daraus sehen können, worinn das Verdienst besteht, das ich dieser Uebersetzung absprechen muß. Aber mein lieber Bruder, daß uns nur nicht deine schönen Gründe, und dein gleichgültiges Gemüthe sie ganz und gar ins Verderben stürzen. Ach, schweig doch nur, das wird nicht geschehen. Laß das immer seyn. Ueber- laß dich heute einmal mir. Weg mit den Runzeln von der Stirne. Ja, ja, die Zeit bringt es so mit sich, ich muß es wohl thun. Aber mit anbrechendem Tage gehe ich wieder mit mei- nem Sohne aufs Land. Mi- und Donatus ist ist auch nicht weiter gebraucht, als ihn die Da- cier zu brauchen für gut befunden. Es wäre also keine gethane Arbeit, was ich vorschlage: aber wer soll sie thun? Die nichts bessers thun könnten, können auch dieses nicht: und die et- was bessers thun könnten, werden sich bedan- ken. Doch Jch werde dich nicht aufhalten, und wenn du die Nacht wieder gehn willst; sey doch heute nur einmal fröhlich. Die Sängerinn will ich zugleich mit herausschleppen. Da thust du wohl, dadurch wirst du machen, daß dein Sohn ohne sie nicht wird leben können. Aber sorge auch, daß du sie gut verhältst. Dafür werde ich schon sorgen. Sie soll mir kochen, und Rauch, Asche und Mehl sollen sie schon kenntlich machen. Aus- serdem soll sie mir in der größten Mittagshitze gehen und Aehren lesen, und dann will ich sie ihm so verbrannt und so schwarz, wie eine Kohle, überliefern. Das gefällt mir; nun seh ich recht ein, daß du weislich handelst; aber dann kannst du auch deinen Sohn mit Gewalt zwin- gen, daß er sie mit zu Bette nimt. Lachst du mich etwa aus? Du bist glücklich, daß du ein solches Gemüth hast; aber ich fühle. Ach! hältst du noch nicht inne? Jch schweige schon. Doch endlich vom Terenz auf unsern Nach- ahmer zu kommen — Es ist doch sonderbar, daß auch Herr Romanus den falschen Gedanken des Voltaire gehabt zu haben scheinet. Auch er hat geglaubt, daß am Ende mit dem Cha- rakter des Demea eine gänzliche Veränderung vorgehe; wenigstens läßt er sie mit dem Cha- rakter seines Lysimons vorgehen. „Je Kinder, läßt er ihn rufen, „schweigt doch! Jhr über- „häuft mich ja mit Liebkosungen. Sohn, Bru- „der, Vetter, Diener, alles schmeichelt mir, „blos weil ich einmal ein bißchen freundlich aus- „sehe. Bin ichs denn, oder bin ichs nicht? „Jch werde wieder recht jung, Bruder! Es „ist doch hübsch, wenn man geliebt wird. Jch „will auch gewiß so bleiben. Jch wüßte nicht, „wenn ich so eine vergnügte Stunde gehabt „hätte.„ Und Frontin sagt: „Nun unser Al- „ter stirbt gewiß bald. So soll es ohne Zweifel heissen, und nicht: stirbt ohnmöglich bald . Für viele von unsern Schauspielern ist es nöthig, auch sol- che Druckfehler anzumerken. Die Veränderung ist „gar zu plötzlich.„ Ja wohl; aber das Sprüch- wort, und der gemeine Glaube, von den un- vermutheten Veränderungen, die einen nahen Tod vorbedeuten, soll doch wohl nicht im Ernste hier etwas rechtfertigen? Ham- Hamburgische Dramaturgie . Drey und siebzigstes Stück. Den 12ten Januar, 1768. D ie Schlußrede des Demea bey dem Te- renz, geht aus einem ganz andern Tone. „Wenn euch nur das gefällt: nun so macht, was ihr wollt, ich will mich um nichts mehr bekümmern!„ Er ist es ganz und gar nicht, der sich nach der Weise der andern, sondern die an- dern sind es, die sich nach seiner Weise künftig zu bequemen versprechen. — Aber wie kömmt es, dürfte man fragen, daß die letzten Scenen mit dem Lysimon in unsern deutschen Brüdern, bey der Vorstellung gleichwohl immer so wohl aufgenom- men werden? Der beständige Rückfall des Lysimon in seinen alten Charakter macht sie komisch: aber bey diesem hätte es auch bleiben müssen. — Jch verspare das Weitere, bis zu einer zweyten Vor- stellung des Stücks. Das Orakel vom Saint-Foix, welches diesen Abend den Beschluß machte, ist allgemein be- kannt, und allgemein beliebt. X Den Den sechs und vierzigsten Abend (Montags, den 20sten Julius,) ward Miß Sara, S. den 11ten Abend, Seite 103. und den sieben und vierzigsten, Tages darauf, Na- nine S. den 27sten und 33sten und 37sten Abend, Seite 162. wiederholt. Auf die Nanine folgte, der unvermuthete Ausgang, vom Marivaux, in einem Akte. Oder, wie es wörtlicher und besser heissen würde: die unvermuthete Entwicklung. Denn es ist einer von denen Titel, die nicht sowohl den Jnhalt anzeigen, als vielmehr gleich An- fangs gewissen Einwendungen vorbauen sollen, die der Dichter gegen seinen Stoff, oder dessen Behandlung, vorher sieht. Ein Vater will seine Tochter an einen jungen Menschen verheyra- then, den sie nie gesehen hat. Sie ist mit ei- nem andern schon halb richtig, aber dieses auch schon seit so langer Zeit, daß es fast gar nicht mehr richtig ist. Unterdessen möchte sie ihn doch noch lieber, als einen ganz Unbekannten, und spielt sogar, auf sein Angeben, die Rolle einer Wahnwitzigen, um den neuen Freyer ab- zuschrecken. Dieser kömmt; aber zum Glücke ist es ein so schöner liebenswürdiger Mann, daß sie gar bald ihre Verstellung vergißt, und in aller Geschwindigkeit mit ihm einig wird. Man gebe dem Stücke einen andern Titel, und alle Leser Leser und Zuschauer werden ausrufen: das ist auch sehr unerwartet! Einen Knoten, den man in zehn Scenen so mühsam geschürzt hat, in einer einzigen nicht zu lösen, sondern mit eins zu zerhauen! Nun aber ist dieser Fehler in dem Titel selbst angekündiget, und durch diese Ankündigung gewissermaaßen gerechtfertiget. Denn, wenn es nun wirklich einmal so einen Fall gegeben hat: warum soll er nicht auch vor- gestellt werden können? Er sahe ja in der Wirk- lichkeit einer Komödie so ähnlich: und sollte er denn eben deswegen um so unschicklicher zur Ko- mödie seyn? — Nach der Strenge, allerdings: denn alle Begebenheiten, die man im gemeinen Leben wahre Komödien nennet, findet man in der Komödie wahren Begebenheiten nicht sehr gleich; und darauf käme es doch eigentlich an. Aber Ausgang und Entwicklung, laufen beide Worte nicht auf eins hinaus? Nicht völ- lig. Der Ausgang ist, daß Jungfer Argante den Erast und nicht den Dorante heyrathet, und dieser ist hinlänglich vorbereitet. Denn ihre Liebe gegen Doranten ist so lau, so wetterläu- nisch; sie liebt ihn, weil sie seit vier Jahren nie- manden gesehen hat, als ihn; manchmal liebt sie ihn mehr, manchmal weniger, manchmal gar nicht, so wie es kömmt; hat sie ihn lange nicht gesehen, so kömmt er ihr liebenswürdig genug vor; sieht sie ihn alle Tage, so macht er X 2 ihr ihr Langeweile; besonders stoßen ihr dann und wann Gesichter auf, gegen welche sie Doran- tens Gesicht so kahl, so unschmackhaft, so eckel findet! Was brauchte es also weiter, um sie ganz von ihm abzubringen, als daß Erast, den ihn ihr Vater bestimmte, ein solches Gesicht ist? Daß sie diesen also nimt, ist so wenig unerwar- tet, daß es vielmehr sehr unerwartet seyn wür- de, wenn sie bey jenem bliebe. Entwicklung hingegen ist ein mehr relatives Wort; und eine unerwartete Entwicklung involviret eine Ver- wicklung, die ohne Folgen bleibt, von der der Dichter auf einmal abspringt, ohne sich um die Verlegenheit zu bekümmern, in der er einen Theil seiner Personen läßt. Und so ist es hier: Peter wird es mit Doranten schon ausmachen; der Dichter empfiehlt sich ihm. Den acht und vierzigsten Abend (Mittewochs, den 22sten Julius,) ward das Trauerspiel des Herrn Weiß, Richard der Dritte, aufgeführt: zum Beschlusse, Herzog Michel. Dieses Stück ist ohnstreitig eines von unsern beträchtlichsten Originalen; reich an großen Schönheiten, die genugsam zeigen, daß die Fehler, mit welchen sie verwebt sind, zu ver- meiden, im geringsten nicht über die Kräfte des Dichters gewesen wäre, wenn er sich diese Kräfte nur selbst hätte zutrauen wollen. Schon Schon Shakespear hatte das Leben und den Tod des dritten Richards auf die Bühne ge- bracht: aber Herr Weiß erinnerte sich dessen nicht eher, als bis sein Werk bereits fertig war. „Sollte ich also, sagt er, bey der Vergleichung „schon viel verlieren: so wird man doch wenig- „stens finden, daß ich kein Plagium begangen „habe; — aber vielleicht wäre es ein Verdienst „gewesen, an dem Shakespear ein Plagium zu „begehen.„ Vorausgesetzt, daß man eines an ihm bege- hen kann. Aber was man von dem Homer gesagt hat, es lasse sich dem Herkules eher seine Keule, als ihm ein Vers abringen, das läßt sich vollkommen auch vom Shakespear sagen. Auf die geringste von seinen Schönheiten ist ein Stämpel gedruckt, welcher gleich der ganzen Welt zuruft: ich bin Shakespears! Und wehe der fremden Schönheit, die das Herz hat, sich neben ihr zu stellen! Shakespear will studiert, nicht geplündert seyn. Haben wir Genie, so muß uns Shake- spear das seyn, was dem Landschaftsmahler die Camera obscura ist: er sehe fleißig hinein, um zu lernen, wie sich die Natur in allen Fällen auf Eine Fläche projektiret; aber er borge nichts daraus. Jch wüßte auch wirklich in dem ganzen Stücke des Shakespears keine einzige Scene, sogar keine X 3 ein- einzige Tirade, die Herr Weiß so hätte brauchen können, wie sie dort ist. Alle, auch die kleinsten Theile beym Shakespear, sind nach den großen Maaßen des historischen Schauspiels zugeschnit- ten, und dieses verhält sich zu der Tragödie französischen Geschmacks, ungefehr wie ein weit- läuftiges Frescogemählde gegen ein Migniatur- bildchen für einen Ring. Was kann man zu diesem aus jenem nehmen, als etwa ein Gesicht, eine einzelne Figur, höchstens eine kleine Grup- pe, die man sodann als ein eigenes Ganze aus- führen muß? Eben so würden aus einzeln Ge- danken beym Shakespear ganze Scenen, und aus einzeln Scenen ganze Aufzüge werden müs- sen. Denn wenn man den Ermel aus dem Kleide eines Riesen für einen Zwerg recht nutzen will, so muß man ihm nicht wieder einen Ermel, sondern einen ganzen Rock daraus machen. Thut man aber auch dieses, so kann man we- gen der Beschuldigung des Plagiums ganz ruhig seyn. Die meisten werden in dem Faden die Flocke nicht erkennen, woraus er gesponnen ist. Die wenigen, welche die Kunst verstehen, ver- rathen den Meister nicht, und wissen, daß ein Goldkorn so künstlich kann getrieben seyn, daß der Werth der Form den Werth der Materie bey weitem übersteiget. Jch für mein Theil betauere es also wirklich, daß unserm Dichter Shakespears Richard so spät spät beygefallen. Er hätte ihn können gekannt ha- ben, und doch eben so original geblieben seyn, als er itzt ist: er hätte ihn können genutzt haben, ohne daß eine einzige übergetragene Gedanke davon gezeugt hätte. Wäre mir indeß eben das begegnet, so würde ich Shakespears Werk wenigstens nachher als einen Spiegel genutzt haben, um meinem Werke alle die Flecken abzuwischen, die mein Auge un- mittelbar darinn zu erkennen, nicht vermögend gewesen wäre. — Aber woher weiß ich, daß Herr Weiß dieses nicht gethan? Und warum sollte er es nicht gethan haben? Kann es nicht eben so wohl seyn, daß er das, was ich für dergleichen Flecken halte, für keine hält? Und ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß er mehr Recht hat, als ich? Jch bin überzeugt, daß das Auge des Künstlers größtentheils viel scharfsichtiger ist, als das scharfsichtigste seiner Betrachter. Unter zwanzig Einwürfen, die ihm diese machen, wird er sich von neunzehn er- innern, sie während der Arbeit sich selbst ge- macht, und sie auch schon sich selbst beantwortet zu haben. Gleichwohl wird er nicht ungehalten seyn, sie auch von andern machen zu hören: denn er hat es gern, daß man über sein Werk urtheilet; schaal oder gründlich, links oder rechts, gutar- tig oder hämisch, alles gilt ihm gleich; und auch das das schaalste, linkste, hämischste Urtheil, ist ihm lieber, als kalte Bewunderung. Jenes wird er auf die eine oder die Art in seinen Nutzen zu verwenden wissen: aber was fängt er mit dieser an? Verachten möchte er die guten ehrlichen Leute nicht gern, die ihn für so etwas ausseror- dentliches halten: und doch muß er die Achseln über sie zucken. Er ist nicht eitel, aber er ist gemeiniglich stolz; und aus Stolz möchte er zehnmal lieber einen unverdienten Tadel, als ein unverdientes Lob, auf sich sitzen lassen. — Man wird glauben, welche Kritik ich hiermit vorbereiten will. — Wenigstens nicht bey dem Verfasser, — höchstens nur bey einem oder dem andern Mitsprecher. Jch weiß nicht, wo ich es jüngst gedruckt lesen mußte, daß ich die Amalia meines Freundes auf Unkosten seiner übrigen Lustspiele gelobt hätte. Eben erinnere ich mich noch: in des Herrn Schmids Zusätzen zu seiner Theorie der Poesie. S. 45. — Auf Unkosten? aber doch wenigstens der frühern? Jch gönne es Jhnen, mein Herr, daß man niemals Jhre ältern Werke so möge tadeln können. Der Him- mel bewahre Sie vor dem tückischen Lobe: daß ihr letztes immer ihr bestes ist! — Ham- Hamburgische Dramaturgie . Vier und siebzigstes Stück. Den 15ten Januar, 1768. Z ur Sache. — Es ist vornehmlich der Cha- rakter des Richards, worüber ich mir die Erklärung des Dichters wünschte. Aristoteles würde ihn schlechterdings verwor- fen haben; zwar mit dem Ansehen des Aristote- les wollte ich bald fertig werden, wenn ich es nur auch mit seinen Gründen zu werden wüßte. Die Tragödie, nimt er an, soll Mitleid und Schrecken erregen: und daraus folgert er, daß der Held derselben weder ein ganz tugendhafter Mann, noch ein völliger Bösewicht seyn müsse. Denn weder mit des einen noch mit des andern Unglücke, lasse sich jener Zweck erreichen. Räume ich dieses ein: so ist Richard der Dritte eine Tragödie, die ihres Zweckes ver- fehlt. Räume ich es nicht ein: so weiß ich gar nicht mehr, was eine Tragödie ist. Y Denn Denn Richard der Dritte, so wie ihn Herr Weiß geschildert hat, ist unstreitig das größte, abscheulichste Ungeheuer, das jemals die Bühne getragen. Jch sage, die Bühne: daß es die Erde wirklich getragen habe, daran zweifle ich. Was für Mitleid kann der Untergang dieses Ungeheuers erwecken? Doch, das soll er auch nicht; der Dichter hat es darauf nicht angelegt; und es sind ganz andere Personen in seinem Werke, die er zu Gegenständen unsers Mit- leids gemacht hat. Aber Schrecken? — Sollte dieser Bösewicht, der die Kluft, die sich zwischen ihm und dem Throne befunden, mit lauter Leichen gefüllet, mit den Leichen derer, die ihm das Liebste in der Welt hätten seyn müssen; sollte dieser blut- dürstige, seines Blutdurstes sich rühmende, über seine Verbrechen sich kitzelnde Teufel, nicht Schrecken in vollem Maaße erwecken? Wohl erweckt er Schrecken: wenn unter Schrecken das Erstaunen über unbegreifliche Missethaten, das Entsetzen über Bosheiten, die unsern Begriff übersteigen, wenn darunter der Schauder zu verstehen ist, der uns bey Er- blickung vorsetzlicher Greuel, die mit Lust be- gangen werden, überfällt. Von diesem Schrecken hat mich Richard der Dritte mein gutes Theil empfinden lassen. Aber Aber dieses Schrecken ist so wenig eine von den Absichten des Trauerspiels, daß es vielmehr die alten Dichter auf alle Weise zu mindern suchten, wenn ihre Personen irgend ein großes Verbrechen begehen mußten. Sie schoben öf- ters lieber die Schuld auf das Schicksal, mach- ten das Verbrechen lieber zu einem Verhäng- nisse einer rächenden Gottheit, verwandelten lieber den freyen Menschen in eine Maschine: ehe sie uns bey der gräßlichen Jdee wollten ver- weilen lassen, daß der Mensch von Natur einer solchen Verderbniß fähig sey. Bey den Franzosen führt Crebillon den Bey- namen des Schrecklichen. Jch fürchte sehr, mehr von diesem Schrecken, welches in der Tra- gödie nicht seyn sollte, als von dem echten, das der Philosoph zu dem Wesen der Tragödie rech- net. Und dieses — hätte man gar nicht Schrecken nennen sollen. Das Wort, welches Aristote- les braucht, heißt Furcht: Mitleid und Furcht, sagt er, soll die Tragödie erregen; nicht, Mit- leid und Schrecken. Es ist wahr, das Schrecken ist eine Gattung der Furcht; es ist eine plötzli- che, überraschende Furcht. Aber eben dieses Plötzliche, dieses Ueberraschende, welches die Jdee desselben einschließt, zeiget deutlich, daß die, von welchen sich hier die Einführung des Wortes Schrecken, anstatt des Wortes Furcht, Y 2 her- herschreibet, nicht eingesehen haben, was für eine Furcht Aristoteles meine. — Jch möchte dieses Weges sobald nicht wieder kommen: man erlaube mir also einen kleinen Ausschweif. „Das Mitleid, sagt Aristoteles, verlangt „einen, der unverdient leidet: und die Furcht „einen unsers gleichen. Der Bösewicht ist we- „der dieses, noch jenes: folglich kann auch sein „Unglück, weder das erste noch das andere er- „regen.„ Jm 13ten Kapitel der Dichtkunst. Diese Furcht, sage ich, nennen die neuern Ausleger und Uebersetzer Schrecken, und es ge- lingt ihnen, mit Hülfe dieses Worttausches, dem Philosophen die seltsamsten Händel von der Welt zu machen. „Man hat sich, sagt einer aus der Menge, Hr. S. in der Vorrede zu s. komischen Thea- ter, S. 35. „über die Erklärung des Schreckens nicht verei- „nigen können; und in der That enthält sie in „jeder Betrachtung ein Glied zu viel, welches „sie an ihrer Allgemeinheit hindert, und sie allzu- „sehr einschränkt. Wenn Aristoteles durch den „Zusatz „unsers gleichen,„ nur blos die Aehn- „lichkeit der Menschheit verstanden hat, weil „nehmlich der Zuschauer und die handelnde Per- „son beide Menschen sind, gesetzt auch, daß sich „unter ihrem Charakter, ihrer Würde und ih- „rem „rem Range ein unendlicher Abstand befände: „so war dieser Zusatz überflüßig; denn er ver- „stand sich von selbst. Wenn er aber die Mei- „nung hatte, daß nur tugendhafte Personen, „oder solche, die einen vergeblichen Fehler an „sich hätten, Schrecken erregen könnten: so „hatte er Unrecht; denn die Vernunft und die „Erfahrung ist ihm sodann entgegen. Das „Schrecken entspringt ohnstreitig aus einem Ge- „fühl der Menschlichkeit: denn jeder Mensch ist „ihm unterworfen, und jeder Mensch erschüt- „tert sich, vermöge dieses Gefühls, bey dem „widrigen Zufalle eines andern Menschen. Es „ist wohl möglich, daß irgend jemand einfallen „könnte, dieses von sich zu leugnen: allein die- „ses würde allemal eine Verleugnung seiner na- „türlichen Empfindungen, und also eine bloße „Prahlerey aus verderbten Grundsätzen, und „kein Einwurf seyn. — Wenn nun auch einer „lasterhaften Person, auf die wir eben unsere „Aufmerksamkeit wenden, unvermuthet ein wi- „driger Zufall zustößt, so verlieren wir den La- „sterhaften aus dem Gesichte, und sehen blos „den Menschen. Der Anblick des menschlichen „Elendes überhaupt, macht uns traurig, und „die plötzliche traurige Empfindung, die wir so- „dann haben, ist das Schrecken.„ Ganz recht: aber nur nicht an der rechten Stelle! Denn was sagt das wider den Aristote- Y 3 les? les? Nichts. Aristoteles denkt an dieses Schrecken nicht, wenn er von der Furcht re- det, in die uns nur das Unglück unsers gleichen setzen könne. Dieses Schrecken, welches uns bey der plötzlichen Erblickung eines Leidens be- fällt, das einem andern bevorstehet, ist ein mit- leidiges Schrecken, und also schon unter dem Mitleide begriffen. Aristoteles würde nicht sa- gen, Mitleiden und Furcht; wenn er unter der Furcht weiter nichts als eine bloße Modification des Mitleids verstünde. „Das Mitleid, sagt der Verfasser der Briefe über die Empfindungen, Philosophische Schriften des Herrn Moses Mendelssohn, zweyter Theil, S. 4. „ist eine vermischte „Empfindung, die aus der Liebe zu einem Ge- „genstande, und aus der Unlust über dessen Un- „glück zusammengesetzt ist. Die Bewegungen, „durch welche sich das Mitleid zu erkennen giebt, „sind von den einfachen Symptomen der Liebe, „sowohl als der Unlust, unterschieden, denn „das Mitleid ist eine Erscheinung. Aber wie „vielerley kann diese Erscheinung werden! Man „ändre nur in dem betauerten Unglück die ein- „zige Bestimmung der Zeit: so wird sich das „Mitleiden durch ganz andere Kennzeichen zu „erkennen geben. Mit der Elektra, die über „die Urne ihres Bruders weinet, empfinden wir „ein mitleidiges Trauern, denn sie hält das Un- „glück „glück für geschehen, und bejammert ihren ge- „habten Verlust. Was wir bey den Schmerzen „des Philoktets fühlen, ist gleichfalls Mitlei- „den, aber von einer etwas andern Natur; „denn die Quaal, die dieser Tugendhafte aus- „zustehen hat, ist gegenwärtig, und überfällt „ihn vor unsern Augen. Wenn aber Oedip sich „entsetzt, indem das große Geheimniß sich plötz- „lich entwickelt; wenn Monime erschrickt, als „sie den eifersüchtigen Mithridates sich entfär- „ben sieht; wenn die tugendhafte Desdemona „sich fürchtet, da sie ihren sonst zärtlichen Othello „so drohend mit ihr reden höret: was empfinden „wir da? Jmmer noch Mitleiden! Aber mit- „leidiges Entsetzen, mitleidige Furcht, mitlei- „diges Schrecken. Die Bewegungen sind ver- „schieden, allein das Wesen der Empfindungen „ist in allen diesen Fällen einerley. Denn, da „jede Liebe mit der Bereitwilligkeit verbunden „ist, uns an die Stelle des Geliebten zu setzen: „so müssen wir alle Arten von Leiden mit der ge- „liebten Person theilen, welches man sehr nach- „drücklich Mitleiden nennet. Warum sollten „also nicht auch Furcht, Schrecken, Zorn, Ei- „fersucht, Rachbegier, und überhaupt alle Ar- „ten von unangenehmen Empfindungen, sogar „den Neid nicht ausgenommen, aus Mitleiden „entstehen können? — Man sieht hieraus, wie „gar ungeschickt der größte Theil der Kunstrich- „ter „ter die tragischen Leidenschaften in Schrecken „und Mitleiden eintheilet. Schrecken und Mit- „leiden! Jst denn das theatralische Schrecken „kein Mitleiden? Für wen erschrickt der Zu- „schauer, wenn Merope auf ihren eignen Sohn „den Dolch ziehet? Gewiß nicht für sich, son- „dern für den Aegisth, dessen Erhaltung man so „sehr wünschet, und für die betrogne Königinn, „die ihn für den Mörder ihres Sohnes ansiehet. „Wollen wir aber uur die Unlust über das ge- „genwärtige Uebel eines andern, Mitleiden nen- „nen: so müssen wir nicht nur das Schrecken, „sondern alle übrige Leidenschaften, die uns von „einem andern mitgetheilet werden, von dem „eigentlichen Mitleiden unterscheiden.„ — Ham- Hamburgische Dramaturgie . Fünf und siebzigstes Stück. Den 19ten Januar, 1768. D iese Gedanken sind so richtig, so klar, so einleuchtend, daß uns dünkt, ein jeder hätte sie haben können und haben müssen. Gleichwohl will ich die scharfsinnigen Bemer- kungen des neuen Philosophen dem alten nicht unterschieben; ich kenne jenes Verdienste um die Lehre von den vermischten Empfindungen zu wohl; die wahre Theorie derselben haben wir nur ihm zu danken. Aber was er so vortrefflich auseinandergesetzt hat, das kann doch Aristote- les im Ganzen ungefehr empfunden haben: we- nigstens ist es unleugbar, daß Aristoteles ent- weder muß geglaubt haben, die Tragödie könne und solle nichts als das eigentliche Mitleid, nichts als die Unlust über das gegenwärtige Uebel eines andern, erwecken, welches ihm schwerlich zuzutrauen; oder er hat alle Leiden- schaften überhaupt, die uns von einem andern Z mit- mitgetheilet werden, unter dem Worte Mitleid begriffen. Denn er, Aristoteles, ist es gewiß nicht, der die mit Recht getadelte Eintheilung der tra- gischen Leidenschaften in Mitleid und Schrecken gemacht hat. Man hat ihn falsch verstanden, falsch übersetzt. Er spricht von Mitleid und Furcht, nicht von Mitleid und Schrecken; und seine Furcht ist durchaus nicht die Furcht, welche uns das bevorstehende Uebel eines an- dern, für diesen andern, erweckt, sondern es ist die Furcht, welche aus unserer Aehnlich- keit mit der leidenden Person für uns selbst ent- springt; es ist die Furcht, daß die Unglücks- fälle, die wir über diese verhänget sehen, uns selbst treffen können; es ist die Furcht, daß wir der bemitleidete Gegenstand selbst wer- den können. Mit einem Worte: diese Furcht ist das auf uns selbst bezogene Mitleid. Aristoteles will überall aus sich selbst erklärt werden. Wer uns einen neuen Commentar über seine Dichtkunst liefern will, welcher den Dacierschen weit hinter sich läßt, dem rathe ich, vor allen Dingen die Werke des Philosophen vom Anfange bis zum Ende zu lesen. Er wird Aufschlüsse für die Dichtkunst finden, wo er sich deren am wenigsten vermuthet; besonders muß er die Bücher der Rhetorik und Moral studie- ren. Man sollte zwar denken, diese Aufschlüsse müß- müßten die Scholastiker, welche die Schriften des Aristoteles an den Fingern wußten, längst gefunden haben. Doch die Dichtkunst war ge- rade diejenige von seinen Schriften, um die sie sich am wenigsten bekümmerten. Dabey fehl- ten ihnen andere Kenntnisse, ohne welche jene Aufschlüsse wenigstens nicht fruchtbar werden konnten: sie kannten das Theater und die Mei- sterstücke desselben nicht. Die authentische Erklärung dieser Furcht, welche Aristoteles dem tragischen Mitleid bey- füget, findet sich in dem fünften und achten Ka- pitel des zweyten Buchs seiner Rhetorik. Es war gar nicht schwer, sich dieser Kapitel zu er- innern; gleichwohl hat sich vielleicht keiner sei- ner Ausleger ihrer erinnert, wenigstens hat keiner den Gebrauch davon gemacht, der sich davon machen läßt. Denn auch die, welche ohne sie einsahen, daß diese Furcht nicht das mitleidige Schrecken sey, hätten noch ein wich- tiges Stück aus ihnen zu lernen gehabt: die Ur- sache nehmlich, warum der Stagirit dem Mit- leid hier die Furcht, und warum nur die Furcht, warum keine andere Leidenschaft, und warum nicht mehrere Leidenschaften, beygesellet habe. Von dieser Ursache wissen sie nichts, und ich möchte wohl hören, was sie aus ihrem Kopfe antworten würden, wenn man sie fragte: war- um z. E. die Tragödie nicht eben so wohl Mit- Z 2 leid leid und Bewunderung, als Mitleid und Furcht, erregen könne und dürfe? Es beruhet aber alles auf dem Begriffe, den sich Aristoteles von dem Mitleiden gemacht hat. Er glaubte nehmlich, daß das Uebel, welches der Gegenstand unsers Mitleidens werden solle, nothwendig von der Beschaffenheit seyn müsse, daß wir es auch für uns selbst, oder für eines von den Unsrigen, zu befürchten hätten. Wo diese Furcht nicht sey, könne auch kein Mitlei- den Statt finden. Denn weder der, den das Unglück so tief herabgedrückt habe, daß er wei- ter nichts für sich zu fürchten sähe, noch der, welcher sich so vollkommen glücklich glaube, daß er gar nicht begreife, woher ihm ein Unglück zustossen könne, weder der Verzweifelnde noch der Uebermüthige, pflege mit andern Mitleid zu haben. Er erkläret daher auch das Fürch- terliche und das Mitleidswürdige, eines durch das andere. Alles das, sagt er, ist uns fürch- terlich, was, wenn es einem andern begegnet wäre, oder begegnen sollte, unser Mitleid er- wecken würde: Ὡς δ᾽ ἁπλως εἰπειν, φοϐεϱα ἐςιν, ὀσα ἑτερων γιγνομενα, ἠ μελλοντα, ἐλεεινα ἐςιν. Jch weiß nicht, was dem Aemilius Portus (in seiner Ausgabe der Rhetorik, Spiræ 1598.) einge- kommen ist, dieses zu übersetzen: Denique ut simpliciter loquar, formidabilia sunt, quæ- und alles das finden wir mit- mitleidswürdig, was wir fürchten würden, wenn es uns selbst bevorstünde. Nicht genug also, daß der Unglückliche, mit dem wir Mitleiden haben sollen, sein Unglück nicht verdiene, ob er es sich schon durch irgend eine Schwachheit zugezogen: seine gequälte Unschuld, oder viel- mehr seine zu hart heimgesuchte Schuld, sey für uns verlohren, sey nicht vermögend, unser Mit- leid zu erregen, wenn wir keine Möglichkeit sähen, daß uns sein Leiden auch treffen könne. Diese Möglichkeit aber finde sich alsdenn, und könne zu einer großen Wahrscheinlichkeit er- wachsen, wenn ihn der Dichter nicht schlimmer mache, als wir gemeiniglich zu seyn pflegen, wenn er ihn vollkommen so denken und handeln lasse, als wir in seinen Umständen würden ge- dacht und gehandelt haben, oder wenigstens glauben, daß wir hätten denken und handeln müssen: kurz, wenn er ihn mit uns von gleichem Schrot und Korne schildere. Aus dieser Gleich- heit entstehe die Furcht, daß unser Schicksal gar leicht dem seinigen eben so ähnlich werden könne, als wir ihm zu seyn uns selbst fühlen: und diese Furcht sey es, welche das Mitleid gleichsam zur Reife bringe. Z 3 So quæcunque simulac in aliorum potestatem venerunt, vel ventura sunt, miseranda sunt. Es muß schlechtweg heissen, quæcun- que aliis evenerunt, vel eventura sunt. So dachte Aristoteles von dem Mitleiden, und nur hieraus wird die wahre Ursache begreif- lich, warum er in der Erklärung der Tragödie, nächst dem Mitleiden, nur die einzige Furcht nannte. Nicht als ob diese Furcht hier eine be- sondere, von dem Mitleiden unabhängige Leiden- schaft sey, welche bald mit bald ohne dem Mit- leid, so wie das Mitleid bald mit bald ohne ihr, erreget werden könne; welches die Mißdeutung des Corneille war: sondern weil, nach seiner Erklärung des Mitleids, dieses die Furcht noth- wendig einschließt; weil nichts unser Mitleid erregt, als was zugleich unsere Furcht erwecken kann. Corneille hatte seine Stücke schon alle ge- schrieben, als er sich hinsetzte, über die Dicht- kunst des Aristoteles zu commentiren. Je hazarderai quelque chose sur cinquante ans de travail pour la scène, sagt er in sei- ner Abhandlung über das Drama. Sein er- stes Stück, Melite, war von 1625, und sein letztes, Surena, von 1675; welches gerade die funfzig Jahr ausmacht, so daß es gewiß ist, daß er, bey den Auslegungen des Aristo- teles, auf alle seine Stücke ein Auge haben konnte, und hatte. Er hatte funfzig Jahre für das Theater gearbeitet: und nach dieser Erfahrung würde er uns unstrei- tig vortreffliche Dinge über den alten dramati- schen Codex haben sagen können, wenn er ihn nur nur auch während der Zeit seiner Arbeit fleißi- ger zu Rathe gezogen hätte. Allein dieses schei- net er, höchstens nur in Absicht auf die mechani- schen Regeln der Kunst, gethan zu haben. Jn den wesentlichern ließ er sich um ihn unbeküm- mert, und als er am Ende fand, daß er wider ihn verstoßen, gleichwohl nicht wider ihn ver- stoßen haben wollte: so suchte er sich durch Aus- legungen zu helfen, und ließ seinen vorgeblichen Lehrmeister Dinge sagen, an die er offenbar nie gedacht hatte. Corneille hatte Märtyrer auf die Bühne ge- bracht, und sie als die vollkommensten untadel- haftesten Personen geschildert; er hatte die ab- scheulichsten Ungeheuer in dem Prusias, in dem Phokas, in der Kleopatra aufgeführt: und von beiden Gattungen behauptet Aristoteles, daß sie zur Tragödie unschicklich wären, weil beide weder Mitleid noch Furcht erwecken könnten. Was antwortet Corneille hierauf? Wie fängt er es an, damit bey diesem Widerspruche weder sein Ansehen, noch das Ansehen des Aristoteles leiden möge? „O, sagt er, mit den Aristoteles „können wir uns hier leicht vergleichen. Il est aisé de nous accommoder avec Aristo- te \&c. „Wir dürfen nur annehmen, er habe eben nicht „behaupten wollen, daß beide Mittel zugleich, „sowohl Furcht als Mitleid, nöthig wären, um „die „die Reinigung der Leidenschaften zu bewirken, „die er zu dem letzten Endzwecke der Tragödie „macht: sondern nach seiner Meinung sey auch „eines zureichend. — Wir können diese Erklä- „rung, fährt er fort, aus ihm selbst bekräfti- „gen, wenn wir die Gründe recht erwägen, „welche er von der Ausschliessung derjenigen „Begebenheiten, die er in den Trauerspielen „mißbilliget, giebt. Er sagt niemals: dieses „oder jenes schickt sich in die Tragödie nicht, „weil es blos Mitleiden und keine Furcht er- „weckt; oder dieses ist daselbst unerträglich, „weil es blos die Furcht erweckt, ohne das Mit- „leid zu erregen. Nein; sondern er verwirft „sie deswegen, weil sie, wie er sagt, weder „Mitleid noch Furcht zuwege bringen, und giebt „uns dadurch zu erkennen, daß sie ihm deswe- „gen nicht gefallen, weil ihnen sowohl das eine „als das andere fehlet, und daß er ihnen seinen „Beyfall nicht versagen würde, wenn sie nur „eines von beiden wirkten.„ Ham- Hamburgische Dramaturgie . Sechs und siebzigstes Stück. Den 22sten Januar, 1768. A ber das ist grundfalsch! — Jch kann mich nicht genug wundern, wie Dacier, der doch sonst auf die Verdrehungen ziemlich aufmerksam war, welche Corneille von dem Texte des Aristoteles zu seinem Besten zu ma- chen suchte, diese größte von allen übersehen können. Zwar, wie konnte er sie nicht überse- hen, da es ihm nie einkam, des Philosophen Erklärung vom Mitleid zu Rathe zu ziehen? — Wie gesagt, es ist grundfalsch, was sich Cor- neille einbildet. Aristoteles kann das nicht ge- meint haben, oder man müßte glauben, daß er seine eigene Erklärungen vergessen können, man müßte glauben, daß er sich auf die handgreif- lichste Weise widersprechen können. Wenn, nach seiner Lehre, kein Uebel eines andern unser Mitleid erreget, was wir nicht für uns selbst fürchten: so konnte er mit keiner Handlung in A a der der Tragödie zufrieden seyn, welche nur Mitleid und keine Furcht erreget; denn er hielt die Sache selbst für unmöglich; dergleichen Handlungen existirten ihm nicht; sondern sobald sie unser Mitleid zu erwecken fähig wären, glaubte er, müßten sie auch Furcht für uns erwecken; oder vielmehr, nur durch diese Furcht erweckten sie Mitleid. Noch weniger konnte er sich die Handlung einer Tragödie vorstellen, welche Furcht für uns erregen könne, ohne zugleich unser Mitleid zu erwecken: denn er war über- zeugt, daß alles, was uns Furcht für uns selbst errege, auch unser Mitleid erwecken müsse, so- bald wir andere damit bedrohet, oder betroffen erblickten; und das ist eben der Fall der Tra- gödie, wo wir alle das Uebel, welches wir fürchten, nicht uns, sondern anderen begegnen sehen. Es ist wahr, wenn Aristoteles von den Handlungen spricht, die sich in die Tragödie nicht schicken, so bedient er sich mehrmalen des Ausdrucks von ihnen, daß sie weder Mitleid noch Furcht erwecken. Aber desto schlimmer, wenn sich Corneille durch dieses weder noch verführen lassen. Diese disjunctive Partikeln involviren nicht immer, was er sie involviren läßt. Denn wenn wir zwey oder mehrere Dinge von einer Sache durch sie verneinen, so kömmt es darauf an, ob sich diese Dinge eben so so wohl in der Natur von einander trennen las- sen, als wir sie in der Abstraction und durch den symbolischen Ausdruck trennen können, wenu die Sache dem ohngeachtet noch bestehen soll, ob ihr schon das eine oder das andere von diesen Dingen fehlt. Wenn wir z. E. von einem Frauenzimmer sagen, sie sey weder schön noch witzig: so wollen wir allerdings sagen, wir würden zufrieden seyn, wenn sie auch nur eines von beiden wäre; denn Witz und Schönheit las- sen sich nicht blos in Gedanken trennen, sondern sie sind wirklich getrennet. Aber wenn wir sagen, dieser Mensch glaubt weder Himmel noch Höl- le: wollen wir damit auch sagen, daß wir zu- frieden seyn würden, wenn er nur eines von beiden glaubte, wenn er nur den Himmel und keine Hölle, oder nur die Hölle und keinen Him- mel glaubte? Gewiß nicht: denn wer das eine glaubt, muß nothwendig auch das andere glau- ben; Himmel und Hölle, Strafe und Beloh- nung sind relativ; wenn das eine ist, ist auch das andere. Oder, um mein Exempel aus einer verwandten Kunst zu nehmen; wenn wir sagen, dieses Gemählde taugt nichts, denn es hat weder Zeichnung noch Kolorit: wollen wir da- mit sagen, daß ein gutes Gemählde sich mit einem von beiden begnügen könne? — Das ist so klar! A a 2 Allein, Allein, wie, wenn die Erklärung, welche Aristoteles von dem Mitleiden giebt, falsch wäre? Wie, wenn wir auch mit Uebeln und Unglücksfällen Mitleid fühlen könnten, die wir für uns selbst auf keine Weise zu besorgen haben? Es ist wahr: es braucht unserer Furcht nicht, um Unlust über das physikalische Uebel eines Gegenstandes zu empfinden, den wir lieben. Diese Unlust entstehet blos aus der Vorstellung der Unvollkommenheit, so wie unsere Liebe aus der Vorstellung der Vollkommenheiten dessel- ben; und aus dem Zusammenflusse dieser Lust und Unlust entspringet die vermischte Empfin- dung, welche wir Mitleid nennen. Jedoch auch so nach glaube ich nicht, die Sache des Aristoteles nothwendig aufgeben zu müssen. Denn wenn wir auch schon, ohne Furcht für uns selbst, Mitleid für andere empfinden kön- nen: so ist es doch unstreitig, daß unser Mit- leid, wenn jene Furcht dazu kömmt, weit leb- hafter und stärker und anzüglicher wird, als es ohne sie seyn kann. Und was hindert uns, an- zunehmen, daß die vermischte Empfindung über das physikalische Uebel eines geliebten Gegen- standes, nur allein durch die dazu kommende Furcht für uns, zu dem Grade erwächst, in wel- chem sie Affekt genannt zu werden verdienet? Aristo- Aristoteles hat es wirklich angenommen. Er betrachtet das Mitleid nicht nach seinen primi- tiven Regungen, er betrachtet es blos als Affekt. Ohne jene zu verkennen, verweigert er nur dem Funke den Namen der Flamme. Mitleidige Regungen, ohne Furcht für uns selbst, nennt er Philanthropie: und nur den stärkern Regun- gen dieser Art, welche mit Furcht für uns selbst verknüpft sind, giebt er den Namen des Mit- leids. Also behauptet er zwar, daß das Un- glück eines Bösewichts weder unser Mitleid noch unsere Furcht errege: aber er spricht ihm darum nicht alle Rührung ab. Auch der Bö- sewicht ist noch Mensch, ist noch ein Wesen, das bey allen seinen moralischen Unvollkommen- heiten, Vollkommenheiten genug behält, um sein Verderben, seine Zernichtung lieber nicht zu wollen, um bey dieser etwas mitleidähnli- ches, die Elemente des Mitleids gleichsam, zu empfinden. Aber, wie schon gesagt, diese mit- leidähnliche Empfindung nennt er nicht Mitleid, sondern Philanthropie. „Man muß, sagt er, „keinen Bösewicht aus unglücklichen in glück- „liche Umstände gelangen lassen; denn das ist „das untragischste, was nur seyn kann; es hat „nichts von allem, was es haben sollte; es er- „weckt weder Philanthropie, noch Mitleid, noch „Furcht. Auch muß es kein völliger Bösewicht „seyn, der aus glücklichen Umständen in un- A a 3 „glück- „glückliche verfällt; denn eine dergleichen Be- „gebenheit kann zwar Philanthropie, aber weder „Mitleid noch Furcht erwecken.„ Jch kenne nichts kahleres und abgeschmackteres, als die ge- wöhnlichen Uebersetzungen dieses Wortes Phi- lanthropie. Sie geben nehmlich das Adjectivum davon im Lateinischen durch hominibus gra- tum; im Französischen durch ce que peut faire quelque plaisir; und im Deutschen durch „was Vergnügen machen kann.„ Der einzige Goulston, so viel ich finde, scheinet den Sinn des Philosophen nicht verfehlt zu haben; indem er das φιλανϑϱωπον durch quod huma- nitatis sensu tangat übersetzt. Denn aller- dings ist unter dieser Philanthropie, auf welche das Unglück auch eines Bösewichts Anspruch macht, nicht die Freude über seine verdiente Bestrafung, sondern das sympathetische Gefühl der Menschlichkeit zu verstehen, welches, Trotz der Vorstellung, daß sein Leiden nichts als Ver- dienst sey, dennoch in dem Augenblicke des Lei- dens, in uns sich für ihn reget. Herr Curtius will zwar diese mitleidige Regungen für einen unglücklichen Bösewicht, nur auf eine gewisse Gattung der ihn treffenden Uebel einschränken. „Solche Zufälle des Lasterhaften, sagt er, die „weder Schrecken noch Mitleid in uns wirken, „müssen Folgen seines Lasters seyn: denn treffen „sie ihm zufällig, oder wohl gar unschuldig, so „behält „behält er in dem Herzen der Zuschauer die Vor- „rechte der Menschlichkeit, als welche auch ei- „nem unschuldig leidenden Gottlosen ihr Mit- „leid nicht versagt.„ Aber er scheinet dieses nicht genug überlegt zu haben. Denn auch dann noch, wenn das Unglück, welches den Bösewicht befällt, eine unmittelbare Folge sei- nes Verbrechens ist, können wir uns nicht ent- wehren, bey dem Anblicke dieses Unglücks mit ihm zu leiden. „Seht jene Menge, sagt der Verfasser der Briefe über die Empfindungen, „die sich um „einen Verurtheilten in dichte Haufen drenget. „Sie haben alle Greuel vernommen, die der „Lasterhafte begangen; sie haben seinen Wan- „del, und vielleicht ihn selbst verabscheuet. Jtzt „schleppt man ihn entstellt und ohnmächtig auf „das entsetzliche Schaugerüste. Man arbeitet „sich durch das Gewühl, man stellt sich auf die „Zähen, man klettert die Dächer hinan, um „die Züge des Todes sein Gesicht entstellen zu „sehen. Sein Urtheil ist gesprochen; sein Hen- „ker naht sich ihm; ein Augenblick wird sein „Schicksal entscheiden. Wie sehnlich wünschen „itzt aller Herzen, daß ihm verziehen würde! „Jhm? dem Gegenstande ihres Abscheues, den „sie einen Augenblick vorher selbst zum Tode „verurtheilet haben würden? Wodurch wird „itzt ein Strahl der Menschenliebe wiederum „bey „bey ihnen rege? Jst es nicht die Annäherung „der Strafe, der Anblick der entsetzlichsten phy- „sikalischen Uebel, die uns sogar mit einem Ruch- „losen gleichsam aussöhnen, und ihm unsere Liebe „erwerben? Ohne Liebe könnten wir unmöglich „mitleidig mit seinem Schicksale seyn.„ Und eben diese Liebe, sage ich, die wir gegen unsern Nebenmenschen unter keinerley Umstän- den ganz verlieren können, die unter der Asche, mit welcher sie andere stärkere Empfindungen überdecken, unverlöschlich fortglimmet, und gleichsam nur einen günstigen Windstoß von Unglück und Schmerz und Verderben erwartet, um in die Flamme des Mitleids auszubrechen; eben diese Liebe ist es, welche Aristoteles unter dem Namen der Philanthropie verstehet. Wir haben Recht, wenn wir sie mit unter dem Na- men des Mitleids begreifen. Aber Aristoteles hatte auch nicht Unrecht, wenn er ihr einen ei- genen Namen gab, um sie, wie gesagt, von dem höchsten Grade der mitleidigen Empfindun- gen, in welchem sie, durch die Dazukunst einer wahrscheinlichen Furcht für uns selbst, Affekt werden, zu unterscheiden. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Sieben und siebzigstes Stück. Den 26sten Januar, 1768. E inem Einwurfe ist hier noch vorzukommen. Wenn Aristoteles diesen Begriff von dem Affekte des Mitleids hatte, daß er noth- wendig mit der Furcht für uns selbst verknüpft seyn müsse: was war es nöthig, der Furcht noch insbesondere zu erwähnen? Das Wort Mitleid schloß sie schon in sich, und es wäre genug gewesen, wenn er blos gesagt hätte: die Tragödie soll durch Erregung des Mitleids die Reinigung unserer Leidenschaft bewirken. Denn der Zusatz der Furcht sagt nichts mehr, und macht das, was er sagen soll, noch dazu schwan- kend und ungewiß. Jch antworte: wenn Aristoteles uns blos hätte lehren wollen, welche Leidenschaften die Tragödie erregen könne und solle, so würde er sich den Zusatz der Furcht allerdings haben er- sparen können, und ohne Zweifel sich wirklich B b er- ersparet haben; denn nie war ein Philosoph ein größerer Wortsparer, als er. Aber er wollte uns zugleich lehren, welche Leidenschaften, durch die in der Tragödie erregten, in uns gereiniget werden sollten; und in dieser Absicht mußte er der Furcht insbesondere gedenken. Denn ob- schon, nach ihm, der Affekt des Mitleids, weder in noch außer dem Theater, ohne Furcht für uns selbst seyn kann; ob sie schon ein noth- wendiges Jngredienz des Mitleids ist: so gilt dieses doch nicht auch umgekehrt, und das Mit- leid für andere ist kein Jngredienz der Furcht für uns selbst. Sobald die Tragödie aus ist, höret unser Mitleid auf, und nichts bleibt von allen den empfundenen Regungen in uns zurück, als die wahrscheinliche Furcht, die uns das bemit- leidete Uebel für uns selbst schöpfen lassen. Diese nehmen wir mit; und so wie sie, als Jngredienz des Mitleids, das Mitleid reinigen helfen, so hilft sie nun auch, als eine vor sich fortdauernde Leidenschaft, sich selbst reinigen. Folglich, um anzuzeigen, daß sie dieses thun könne und wirk- lich thue, fand es Aristoteles für nöthig, ihrer insbesondere zu gedenken. Es ist unstreitig, daß Aristoteles überhaupt keine strenge logische Definition von der Tra- gödie geben wollen. Denn ohne sich auf die blos wesentlichen Eigenschaften derselben einzu- schränten, hat er verschiedene zufällige hinein- gezo- gezogen, weil sie der damalige Gebrauch noth- wendig gemacht hatte. Diese indeß abgerech- net, und die übrigen Merkmahle in einander reduciret, bleibt eine vollkommen genaue Er- klärung übrig: die nehmlich, daß die Tragödie, mit einem Worte, ein Gedicht ist, welches Mitleid erreget. Jhrem Geschlechte nach, ist sie die Nachahmung einer Handlung; so wie die Epopee und die Komödie: ihrer Gattung aber nach, die Nachahmung einer mitleidswürdigen Handlung. Aus diesen beiden Begriffen lassen sich vollkommen alle ihre Regeln herleiten: und sogar ihre dramatische Form ist daraus zu be- stimmen. An dem letztern dürfte man vielleicht zwei- feln. Wenigstens wüßte ich keinen Kunstrichter zu nennen, dem es nur eingekommen wäre, es zu versuchen. Sie nehmen alle die dramatische Form der Tragödie als etwas Hergebrachtes an, das nun so ist, weil es einmal so ist, und das man so läßt, weil man es gut findet. Der ein- zige Aristoteles hat die Ursache ergründet, aber sie bey seiner Erklärung mehr vorausgesetzt, als deutlich angegeben. „Die Tragödie, sagt er, „ist die Nachahmung einer Handlung, — die „nicht vermittelst der Erzehlung, sondern ver- „mittelst des Mitleids und der Furcht, die Rei- „nigung dieser und dergleichen Leidenschaften be- „wirket.„ So drückt er sich von Wort zu Wort B b 2 aus. aus. Wem sollte hier nicht der sonderbare Ge- gensatz, „nicht vermittelst der Erzehlung, son- dern vermittelst des Mitleids und der Furcht,„ befremden? Mitleid und Furcht sind die Mittel, welche die Tragödie braucht, um ihre Absicht zu erreichen: und die Erzehlung kann sich nur auf die Art und Weise beziehen, sich dieser Mittel zu bedienen, oder nicht zu bedienen. Scheinet hier also Aristoteles nicht einen Sprung zu ma- chen? Scheinet hier nicht offenbar der eigent- liche Gegensatz der Erzehlung, welches die dra- matische Form ist, zu fehlen? Was thun aber die Uebersetzer bey dieser Lücke? Der eine um- geht sie ganz behutsam: und der andere füllt sie, aber nur mit Worten. Alle finden weiter nichts darinn, als eine vernachläßigte Wortfügung, an die sie sich nicht halten zu dürfen glauben, wenn sie nur den Sinn des Philosophen liefern. Da- cier übersetzt: d’une action — qui, sans le secours de la narration, par le moyen de la compassion \& de la terreur u. s. w.; und Curtius: „einer Handlung, welche nicht durch „die Erzehlung des Dichters, sondern (durch „Vorstellung der Handlung selbst) uns, ver- „mittelst des Schreckens und Mitleids, von den „Fehlern der vorgestellten Leidenschaften reini- „get.„ O, sehr recht! Beide sagen, was Aristoteles sagen will, nur daß sie es nicht so sagen, wie er es sagt. Gleichwohl ist auch an die- diesem Wie gelegen; denn es ist wirklich keine blos vernachläßigte Wortfügung. Kurz, die Sache ist diese: Aristoteles bemerkte, daß das Mitleid nothwendig ein vorhandenes Uebel er- fodere; daß wir längst vergangene oder fern in der Zukunft bevorstehende Uebel entweder gar nicht, oder doch bey weitem nicht so stark bemit- leiden können, als ein anwesendes; daß es folg- lich nothwendig sey, die Handlung, durch welche wir Mitleid erregen wollen, nicht als vergan- gen, das ist, nicht in der erzehlenden Form, sondern als gegenwärtig, das ist, in der dra- matischen Form, nachzuahmen. Und nur die- ses, daß unser Mitleid durch die Erzehlung wenig oder gar nicht, sondern fast einzig und allein durch die gegenwärtige Anschauung erre- get wird, nur dieses berechtigte ihn, in der Er- klärung anstatt der Form der Sache, die Sache gleich selbst zu setzen, weil diese Sache nur dieser einzigen Form fähig ist. Hätte er es für möglich gehalten, daß unser Mitleid auch durch die Er- zehlung erreget werden könne: so würde es al- lerdings ein sehr fehlerhafter Sprung gewesen seyn, wenn er gesagt hätte, „nicht durch die „Erzehlung, sondern durch Mitleid und Furcht.„ Da er aber überzeugt war, daß Mitleid und Furcht in der Nachahmung nur durch die einzige dramatische Form zu erregen sey: so konnte er sich diesen Sprung, der Kürze wegen, erlau- B b 3 ben. ben. — Jch verweise desfalls auf das nehmliche neunte Kapitel des zweyten Buchs seiner Rhe- torik. Επει δ᾽ εγγυς φαινομενα τα παϑη, ἐλεεινα ἐισι. τα δε μυριοςον ἐτος γενομενα, ἠ εσομενα, ου᾽τ᾽ ἐλπι- ζοντες, ου᾽τε μεμνημενοι, ἠ ὁλως ου᾽κ ἐλεουσιν, ἠ ου᾽χ᾽ ὁμοιως, ἀναγκη τους συναπεργαζομενους σχημασι και ϕωναις, και ἐσϑητι, και ὁλως τῃ ὑποκρισει, ἐλεεινο- τερους εἰναι. Was endlich den moralischen Endzweck anbe- langt, welchen Aristoteles der Tragödie giebt, und den er mit in die Erklärung derselben brin- gen zu müssen glaubte: so ist bekannt, wie sehr, besonders in den neuern Zeiten, darüber ge- stritten worden. Jch getraue mich aber zu er- weisen, daß alle, die sich dawider erklärt, den Aristoteles nicht verstanden haben. Sie haben ihm alle ihre eigene Gedanken untergeschoben, ehe sie gewiß wußten, welches seine wären. Sie bestreiten Grillen, die sie selbst gefangen, und bilden sich ein, wie unwidersprechlich sie den Philosophen widerlegen, indem sie ihr eigenes Hirngespinste zu Schanden machen. Jch kann mich in die nähere Erörterung dieser Sache hier nicht einlassen. Damit ich jedoch nicht ganz ohne Beweis zu sprechen scheine, will ich zwey Anmerkungen machen. 1. Sie lassen den Aristoteles sagen, „die Tra- „gödie solle uns, vermittelst des Schreckens und „Mit- „Mitleids, von den Fehlern der vorgestellten „Leidenschaften reinigen.„ Der vorgestellten? Also, wenn der Held durch Neugierde, oder Ehrgeitz, oder Liebe, oder Zorn unglücklich wird: so ist es unsere Neugierde, unser Ehr- geitz, unsere Liebe, unser Zorn, welchen die Tragödie reinigen soll? Das ist dem Aristoteles nie in den Sinn gekommen. Und so haben die Herren gut streiten; ihre Einbildung verwan- delt Windmühlen in Riesen; sie jagen, in der gewissen Hoffnung des Sieges, darauf los, und kehren sich an keinen Sancho, der weiter nichts als gesunden Menschenverstand hat, und ihnen auf seinem bedächtlichern Pferde hinten nach ruft, sich nicht zu übereilen, und doch nur erst die Augen recht aufzusperren. Των τοιουτουν πα- ϑηματων, sagt Aristoteles: und das heißt nicht, der vorgestellten Leidenschaften; das hätten sie übersetzen müssen durch, dieser und dergleichen, oder, der erweckten Leidenschaften. Das τοιου- των bezieht sich lediglich auf das vorhergehende Mitleid und Furcht; die Tragödie soll unser Mitleid und unsere Furcht erregen, blos um diese und dergleichen Leidenschaften, nicht aber alle Leidenschaften ohne Unterschied zu reinigen. Er sagt aber τοιουτων und nicht τουτων; er sagt, dieser und dergleichen, und nicht blos, dieser: um anzuzeigen, daß er unter dem Mitleid, nicht blos das eigentlich sogenannte Mitleid, sondern über- überhaupt alle philanthropische Empfindungen, so wie unter der Furcht nicht blos die Unlust über ein uns bevorstehendes Uebel, sondern auch jede damit verwandte Unlust, auch die Unlust über ein gegenwärtiges, auch die Unlust über ein vergangenes Uebel, Betrübniß und Gram, verstehe. Jn diesem ganzen Umfange soll das Mitleid und die Furcht, welche die Tragödie er- weckt, unser Mitleid und unsere Furcht reini- gen; aber auch nur diese reinigen, und keine andere Leidenschaften. Zwar können sich in der Tragödie auch zur Reinigung der andern Leiden- schaften, nützliche Lehren und Beyspiele finden; doch sind diese nicht ihre Absicht; diese hat sie mit der Epopee und Komödie gemein, in so fern sie ein Gedicht, die Nachahmung einer Hand- lung überhaupt ist, nicht aber in so fern sie Tra- gödie, die Nachahmung einer mitleidswürdigen Handlung insbesondere ist. Bessern sollen uns alle Gattungen der Poesie: es ist kläglich, wenn man dieses erst beweisen muß; noch kläglicher ist es, wenn es Dichter giebt, die selbst daran zweifeln. Aber alle Gattungen können nicht alles bessern; wenigstens nicht jedes so vollkom- men, wie das andere; was aber jede am voll- kommensten bessern kann, worinn es ihr keine andere Gattung gleich zu thun vermag, das allein ist ihre eigentliche Bestimmung. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Acht und siebzigstes Stück. Den 29sten Januar, 1768. 2. D a die Gegner des Aristoteles nicht in Acht nahmen, was für Leidenschaften er eigentlich, durch das Mitleid und die Furcht der Tragödie, in uns gereiniget ha- ben wollte: so war es natürlich, daß sie sich auch mit der Reinigung selbst irren mußten. Ari- stoteles verspricht am Ende seiner Politik, wo er von der Reinigung der Leidenschaften durch die Musik redet, von dieser Reinigung in seiner Dichtkunst weitläuftiger zu handeln. „Weil „man aber, sagt Corneille, „ganz und gar „nichts von dieser Materie darinn findet, so ist „der größte Theil seiner Ausleger auf die Ge- „danken gerathen, daß sie nicht ganz auf uns „gekommen sey.„ Gar nichts? Jch meines Theils glaube, auch schon in dem, was uns von seiner Dichtkunst noch übrig, es mag viel oder wenig seyn, alles zu finden, was er einem, C c der der mit seiner Philosophie sonst nicht ganz unbe- kannt ist, über diese Sache zu sagen für nöthig halten konnte. Corneille selbst bemerkte eine Stelle, die uns, nach seiner Meinung, Licht genug geben könne, die Art und Weise zu ent- decken, auf welche die Reinigung der Leiden- schaften in der Tragödie geschehe: nehmlich die, wo Aristoteles sagt, „das Mitleid verlange ei- nen, der unverdient leide, und die Furcht einen unsers gleichen.„ Diese Stelle ist auch wirk- lich sehr wichtig, nur daß Corneille einen fal- schen Gebrauch davon machte, und nicht wohl anders als machen konnte, weil er einmal die Reinigung der Leidenschaften überhaupt im Kopfe hatte. „Das Mitleid mit dem Un- „glücke, sagt er, von welchem wir unsers glei- „chen befallen sehen, erweckt in uns die Furcht, „daß uns ein ähnliches Unglück treffen könne; „diese Furcht erweckt die Begierde, ihm auszu- „weichen; und diese Begierde ein Bestreben, „die Leidenschaft, durch welche die Person, die „wir betauern, sich ihr Unglück vor unsern Au- „gen zuziehet, zu reinigen, zu mäßigen, zu bes- „sern, ja gar auszurotten; indem einem jeden „die Vernunft sagt, daß man die Ursache ab- „schneiden müsse, wenn man die Wirkung ver- „meiden wolle.„ Aber dieses Raisonnement, welche die Furcht blos zum Werkzeuge macht, durch welches das Mitleid die Reinigung der Lei- Leidenschaften bewirkt, ist falsch, und kann un- möglich die Meinung des Aristoteles seyn; weil so nach die Tragödie gerade alle Leidenschaften reinigen könnte, nur nicht die zwey, die Ari- stoteles ausdrücklich durch sie gereiniget wissen will. Sie könnte unsern Zorn, unsere Neu- gierde, unsern Neid, unsern Ehrgeitz, unsern Haß und unsere Liebe reinigen, so wie es die eine oder die andere Leidenschaft ist, durch die sich die bemitleidete Person ihr Unglück zugezo- gen. Nur unser Mitleid und unsere Furcht müßte sie ungereiniget lassen. Denn Mitleid und Furcht sind die Leidenschaften, die in der Tragödie wir, nicht aber die handelnden Per- sonen empfinden; sind die Leidenschaften, durch welche die handelnden Personen uns rühren, nicht aber die, durch welche sie sich selbst ihre Unfälle zuziehen. Es kann ein Stück geben, in welchem sie beides sind: das weiß ich wohl. Aber noch kenne ich kein solches Stück: ein Stück nehmlich, in welchem sich die bemitlei- dete Person durch ein übelverstandenes Mitleid, oder durch eine übelverstandene Furcht ins Un- glück stürze. Gleichwohl würde dieses Stück das einzige seyn, in welchem, so wie es Cor- neille versteht, das geschehe, was Aristoteles will, daß es in allen Tragödien geschehen soll: und auch in diesem einzigen würde es nicht auf die Art geschehen, auf die es dieser ver- C c 2 langt. langt. Dieses einzige Stück würde gleichsam der Punkt seyn, in welchem zwey gegen einander sich neigende gerade Linien zusammentreffen, um sich in alle Unendlichkeit nicht wieder zu begeg- nen. — So gar sehr konnte Dacier den Sinn des Aristoteles nicht verfehlen. Er war ver- bunden, auf die Worte seines Autors aufmerk- samer zu seyn, und diese besagen es zu positiv, daß unser Mitleid und unsere Furcht, durch das Mitleid und die Furcht der Tragödie, gereiniget werden sollen. Weil er aber ohne Zweifel glaubte, daß der Nutzen der Tragödie sehr ge- ring seyn würde, wenn er blos hierauf einge- schränkt wäre: so ließ er sich verleiten, nach der Erklärung des Corneille, ihr die ebenmäßige Reinigung auch aller übrigen Leidenschaften beyzulegen. Wie nun Corneille diese für sein Theil leugnete, und in Beyspielen zeigte, daß sie mehr ein schöner Gedanke, als eine Sache sey, die gewöhnlicher Weise zur Wirklichkeit gelange: so mußte er sich mit ihm in diese Bey- spiele selbst einlassen, wo er sich denn so in der Enge fand, daß er die gewaltsamsten Drehun- gen und Wendungen machen mußte, um seinen Aristoteles mit sich durch zu bringen. Jch sage, seinen Aristoteles: denn der rechte ist weit ent- fernt, solcher Drehungen und Wendungen zu bedürfen. Dieser, um es abermals und aber- mals zu sagen, hat an keine andere Leidenschaf- ten ten gedacht, welche das Mitleid und die Furcht der Tragödie reinigen solle, als an unser Mit- leid und unsere Furcht selbst; und es ist ihm sehr gleichgültig, ob die Tragödie zur Reinigung der übrigen Leidenschaft viel oder wenig beyträgt. An jene Reinigung hätte sich Dacier allein hal- ten sollen: aber freylich hätte er sodann auch einen vollständigern Begriff damit verbinden müssen. „Wie die Tragödie, sagt er, Mit- „leid und Furcht errege, um Mitleid und Furcht „zu reinigen, das ist nicht schwer zu erklären. „Sie erregt sie, indem sie uns das Unglück vor „Augen stellet, in das unsers gleichen durch „nicht vorsetzliche Fehler gefallen sind; und sie „reiniget sie, indem sie uns mit diesem nehm- „lichen Unglücke bekannt macht, und uns da- „durch lehret, es weder allzusehr zu fürchten, „noch allzusehr davon gerührt zu werden, wann „es uns wirklich selbst treffen sollte. — Sie be- „reitet die Menschen, die allerwidrigsten Zu- „fälle muthig zu ertragen, und macht die Aller- „elendensten geneigt, sich für glücklich zu hal- „ten, indem sie ihre Unglücksfällen mit weit „größern vergleichen, die ihnen die Tragödie „vorstellet. Denn in welchen Umständen kann „sich wohl ein Mensch finden, der bey Erblickung „eines Oedips, eines Philoktets, eines Orests, „nicht erkennen müßte, daß alle Uebel, die er „zu erdulden, gegen die, welche diese Männer C c 3 „er- „erdulden müssen, gar nicht in Vergleichung „kommen?„ Nun das ist wahr; diese Erklä- rung kann dem Dacier nicht viel Kopfbrechens gemacht haben. Er fand sie fast mit den nehm- lichen Worten bey einem Stoiker, der immer ein Auge auf die Apathie hatte. Ohne ihm indeß einzuwenden, daß das Gefühl unsers ei- genen Elendes nicht viel Mitleid neben sich dul- det; daß folglich bey dem Elenden, dessen Mit- leid nicht zu erregen ist, die Reinigung oder Lin- derung seiner Betrübniß durch das Mitleid nicht erfolgen kann: will ich ihm alles, so wie er es sagt, gelten lassen. Nur fragen muß ich: wie viel er nun damit gesagt? Ob er im geringsten mehr damit gesagt, als, daß das Mitleid un- sere Furcht reinige? Gewiß nicht: und das wäre doch nur kaum der vierte Theil der Foderung des Aristoteles. Denn wenn Aristoteles be- hauptet, daß die Tragödie Mitleid und Furcht errege, um Mitleid und Furcht zu reinigen: wer sieht nicht, daß dieses weit mehr sagt, als Dacier zu erklären für gut befunden? Denn, nach den verschiedenen Combinationen der hier vorkommenden Begriffe, muß der, welcher den Sinn des Aristoteles ganz erschöpfen will, stück- weise zeigen, 1. wie das tragische Mitleid unser Mitleid, 2. wie die tragische Furcht unsere Furcht, 3. wie das tragische Mitleid unsere Furcht, und 4. wie die tragische Furcht unser Mit- Mitleid reinigen könne und wirklich reinige. Dacier aber hat sich nur an den dritten Punkt gehalten, und auch diesen nur sehr schlecht, und auch diesen nur zur Helfte erläutert. Denn wer sich um einen richtigen und vollständigen Begriff von der Aristotelischen Reinigung der Leiden- schaften bemüht hat, wird finden, daß jeder von jenen vier Punkten einen doppelten Fall in sich schliesset. Da nehmlich, es kurz zu sagen, diese Reinigung in nichts anders beruhet, als in der Verwandlung der Leidenschaften in tu- gendhafte Fertigkeiten, bey jeder Tugend aber, nach unserm Philosophen, sich disseits und jen- seits ein Extremum findet, zwischen welchem sie inne stehet: so muß die Tragödie, wenn sie un- ser Mitleid in Tugend verwandeln soll, uns von beiden Extremis des Mitleids zu reinigen ver- mögend seyn; welches auch von der Furcht zu verstehen. Das tragische Mitleid muß nicht allein, in Ansehung des Mitleids, die Seele desjenigen reinigen, welcher zu viel Mitleid fühlet, sondern auch desjenigen, welcher zu wenig empfindet. Die tragische Furcht muß nicht allein, in Ansehung der Furcht, die Seele desjenigen reinigen, welcher sich ganz und gar keines Unglücks befürchtet, sondern auch desje- nigen, den ein jedes Unglück, auch das entfern- teste, auch das unwahrscheinlichste, in Angst setzet. Gleichfalls muß das tragische Mitleid, in in Ansehung der Furcht, dem was zu viel, und dem was zu wenig, steuern: so wie hinwiederum die tragische Furcht, in Ansehung des Mitleids. Dacier aber, wie gesagt, hat nur gezeigt, wie das tragische Mitleid unsere allzu große Furcht mäßige: und noch nicht einmal, wie es den gänzlichen Mangel derselben abh ie lfe, oder sie in dem, welcher allzu wenig von ihr empfindet, zu einem heilsamern Grade erhöhe; geschweige, daß er auch das Uebrige sollte gezeigt haben. Die nach ihm gekommen, haben, was er unter- lassen, auch im geringsten nicht ergänzet; aber wohl sonst, um nach ihrer Meinung, den Nutzen der Tragödie völlig außer Streit zu setzen, Dinge dahin gezogen, die dem Gedichte überhaupt, aber keinesweges der Tragödie, als Tragödie, ins- besondere zukommen; z. E. daß sie die Triebe der Menschlichkeit nähern und stärken; daß sie Liebe zur Tugend und Haß gegen das Laster wir- ken solle u. s. w. Hr. Curtius in seiner Abhandlung von der Ab- sicht des Trauerspiels, hinter der Aristoteli- schen Dichtkunst. Lieber! welches Gedicht sollte das nicht? Soll es aber ein jedes: so kann es nicht das unterscheidende Kennzeichen der Tragödie seyn; so kann es nicht das seyn, was wir suchten. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Neun und siebzigstes Stück. Den 2ten Februar, 1768. U nd nun wieder auf unsern Richard zu kom- men. — Richard also erweckt eben so we- nig Schrecken, als Mitleid: weder Schre- cken in dem gemißbrauchten Verstande, für die plötzliche Ueberraschung des Mitleids; noch in dem eigentlichen Verstande des Aristoteles, für heilsame Furcht, daß uns ein ähnliches Unglück treffen könne. Denn wenn er diese erregte, würde er auch Mitleid erregen; so gewiß er hin- wiederum Furcht erregen würde, wenn wir ihn unsers Mitleids nur im geringsten würdig fän- den. Aber er ist so ein abscheulicher Kerl, so ein eingefleischter Teufel, in dem wir so völlig keinen einzigen ähnlichen Zug mit uns selbst fin- den, daß ich glaube, wir könnten ihn vor un- sern Augen den Martern der Hölle übergeben sehen, ohne das geringste für ihn zu empfinden, ohne im geringsten zu fürchten, daß, wenn solche D d Strafe Strafe nur auf solche Verbrechen folge, sie auch unsrer erwarte. Und was ist endlich das Un- glück, die Strafe, die ihn trift? Nach so vie- len Missethaten, die wir mit ansehen müssen, hören wir, daß er mit dem Degen in der Faust gestorben. Als der Königinn dieses erzehlt wird, läßt sie der Dichter sagen: Dieß ist etwas! — Jch habe mich nie enthalten können, bey mir nachzusprechen: nein, das ist gar nichts! Wie mancher gute König ist so geblieben, indem er seine Krone wider einen mächtigen Rebellen be- haupten wollen? Richard stirbt doch, als ein Mann, auf dem Bette der Ehre. Und so ein Tod sollte mich für den Unwillen schadlos hal- ten, den ich das ganze Stück durch, über den Triumph seiner Bosheiten empfunden? (Jch glaube, die griechische Sprache ist die einzige, welche ein eigenes Wort hat, diesen Unwillen über das Glück eines Bösewichts, auszudrücken: νεμεσις, νεμεσαν. Arist. Rhet. lib. II. cap. 9. ) Sein Tod selbst, wel- cher wenigstens meine Gerechtigkeitsliebe befrie- digen sollte, unterhält noch meine Nemesis. Du bist wohlfeil weggekommen! denke ich: aber gut, daß es noch eine andere Gerechtigkeit giebt, als die poetische! Man wird vielleicht sagen: nun wohl! wir wollen den Richard aufgeben; das Stück heißt zwar zwar nach ihm; aber er ist darum nicht der Held desselben, nicht die Person, durch welche die Absicht der Tragödie erreicht wird; er hat nur das Mittel seyn sollen, unser Mitleid für andere zu erregen. Die Königinn, Elisabeth, die Prinzen, erregen diese nicht Mitleid? — Um allem Wortstreite auszuweichen: ja. Aber was ist es für eine fremde, herbe Empfin- dung, die sich in mein Mitleid für diese Perso- nen mischt? die da macht, daß ich mir dieses Mitleid ersparen zu können wünschte? Das wünsche ich mir bey dem tragischen Mitleid doch sonst nicht; ich verweile gern dabey; und danke dem Dichter für eine so süße Quaal. Aristoteles hat es wohl gesagt, und das wird es ganz gewiß seyn! Er spricht von einem μιαϱον, von einen Gräßlichen, das sich bey dem Unglücke ganz guter, ganz unschuldiger Perso- nen finde. Und sind nicht die Königinn, Eli- sabeth, die Prinzen, vollkommen solche Perso- nen? Was haben sie gethan? wodurch haben sie es sich zugezogen, daß sie in den Klauen die- ser Bestie sind? Jst es ihre Schuld, daß sie ein näheres Recht auf den Thron haben, als er? Besonders die kleinen wimmernden Schlacht- opfer, die noch kaum rechts und links unter- scheiden können! Wer wird leugnen, daß sie unsern ganzen Jammer verdienen? Aber ist die- ser Jammer, der mich mit Schaudern an die D d 2 Schick- Schicksale der Menschen denken läßt, dem Mur- ren wider die Vorsehung sich zugesellet, und Verzweiflung von weiten nachschleicht, ist die- ser Jammer — ich will nicht fragen, Mit- leid? — Er heisse, wie er wolle — Aber ist er das, was eine nachahmende Kunst erwecken sollte? Man sage nicht: erweckt ihn doch die Ge- schichte; gründet er sich doch auf etwas, das wirklich geschehen ist. — Das wirklich geschehen ist? es sey: so wird es seinen guten Grund in dem ewigen unendlichen Zusammenhange aller Dinge haben. Jn diesem ist Weisheit und Güte, was uns in den wenigen Gliedern, die der Dichter herausnimt, blindes Geschick und Grausamkeit scheinet. Aus diesen wenigen Gliedern sollte er ein Ganzes machen, das völlig sich rundet, wo eines aus dem andern sich völlig erkläret, wo keine Schwierigkeit aufstößt, deren- wegen wir die Befriedigung nicht in seinem Plane finden, sondern sie außer ihm, in dem allgemeinen Plane der Dinge, suchen müssen; das Ganze dieses sterblichen Schöpfers sollte ein Schattenriß von dem Ganzen des ewigen Schö- pfers seyn; sollte uns an den Gedanken gewöhnen, wie sich in ihm alles zum Besten auflöse, werde es auch in jenem geschehen: und er vergißt, diese seine edelste Bestimmung so sehr, daß er die unbegreiflichen Wege der Vorsicht mit in sei- nem nem kleinen Zirkel flicht, und geflissendlich un- sern Schauder darüber erregt? — O verschonet uns damit, ihr, die ihr unser Herz in eurer Ge- walt habt! Wozu diese traurige Empfindung? Uns Unterwerfung zu lehren? Diese kann uns nur die kalte Vernunft lehren; und wenn die Lehre der Vernunft in uns bekleiben soll, wenn wir, bey unserer Unterwerfung, noch Vertrauen und fröhlichen Muth behalten sollen: so ist es höchst nöthig, daß wir an die verwirrenden Beyspiele solcher unverdienten schrecklichen Ver- hängnisse so wenig, als möglich, erinnert wer- den. Weg mit ihnen von der Bühne! Weg, wenn es seyn könnte, aus allen Büchern mit ihnen! — Wenn nun aber der Personen des Richards keine einzige, die erforderlichen Eigenschaften hat, die sie haben müßten, Falls er wirklich das seyn sollte, was er heißt: wodurch ist er gleichwohl ein so interessantes Stück geworden, wofür ihn unser Publikum hält? Wenn er nicht Mitleid und Furcht erregt: was ist denn seine Wirkung? Wirkung muß er doch haben, und hat sie. Und wenn er Wirkung hat: ist es nicht gleichviel, ob er diese, oder ob er jene hat? Wenn er die Zuschauer beschäftiget, wenn er sie vergnügt: was will man denn mehr? Müs- sen sie denn, nothwendig nur nach den Regeln des Aristoteles, beschäftiget und vergnügt werden? D d 3 Das Das klingt so unrecht nicht: aber es ist dar- auf zu antworten. Ueberhaupt: wenn Richard schon keine Tragödie wäre, so bleibt er doch ein dramatisches Gedicht; wenn ihm schon die Schönheiten der Tragödie mangelten, so könnte er doch sonst Schönheiten haben. Poesie des Ausdrucks; Bilder; Tiraden; kühne Gesin- nungen; einen feurigen hinreissenden Dialog; glückliche Veranlassungen für den Akteur, den ganzen Umfang seiner Stimme mit den mannich- faltigsten Abwechselungen zu durchlaufen, seine ganze Stärke in der Pantomime zu zeigen u. s. w. Von diesen Schönheiten hat Richard viele, und hat auch noch andere, die den eigentlichen Schönheiten der Tragödie näher kommen. Richard ist ein abscheulicher Bösewicht: aber auch die Beschäftigung unsers Abscheues ist nicht ganz ohne Vergnügen; besonders in der Nach- ahmung. Auch das Ungeheuere in den Verbrechen par- ticipiret von den Empfindungen, welche Größe und Kühnheit in uns erwecken. Alles, was Richard thut, ist Greuel; aber alle diese Greuel geschehen in Absicht auf etwas; Richard hat einen Plan; und überall, wo wir einen Plan wahrnehmen, wird unsere Neugierde rege; wir warten gern mit ab, ob er ausgeführt wird werden, und wie er es wird werden; wir lieben das Zweckmäßige so sehr, daß es uns, auch auch unabhängig von der Moralität des Zweckes, Vergnügen gewähret. Wir wollten, daß Richard seinen Zweck er- reichte: und wir wollten, daß er ihn auch nicht erreichte. Das Erreichen erspart uns das Miß- vergnügen, über ganz vergebens angewandte Mittel: wenn er ihn nicht erreicht, so ist so viel Blut völlig umsonst vergossen worden; da es einmal vergossen ist, möchten wir es nicht gern, auch noch blos vor langer Weile, vergos- sen finden. Hinwiederum wäre dieses Errei- chen das Frohlocken der Bosheit; nichts hören wir ungerner; die Absicht intereßirte uns, als zu erreichende Absicht; wenn sie aber nun er- reicht wäre, würden wir nichts als das Abscheu- liche derselben erblicken, würden wir wünschen, daß sie nicht erreicht wäre; diesen Wunsch sehen wir voraus, und uns schaudert vor der Errei- chung. Die guten Personen des Stücks lieben wir; eine so zärtliche feurige Mutter, Geschwister, die so ganz eines in dem andern leben; diese Ge- genstände gefallen immer, erregen immer die süßesten sympathetischen Empfindungen, wir mögen sie finden, wo wir wollen. Sie ganz ohne Schuld leiden zu sehen, ist zwar herbe, ist zwar für unsere Ruhe, zu unserer Besserung, kein sehr ersprießliches Gefühl: aber es ist doch immer Gefühl. Und Und so nach beschäftiget uns das Stück durch- aus, und vergnügt durch diese Beschäftigung unserer Seelenkräfte. Das ist wahr; nur die Folge ist nicht wahr, die man daraus zu ziehen meinet: nehmlich, daß wir also damit zufrieden seyn können. Ein Dichter kann viel gethan, und doch noch nichts damit verthan haben. Nicht genug, daß sein Werk Wirkungen auf uns hat: es muß auch die haben, die ihm, vermöge der Gattung, zukommen; es muß diese vornehmlich haben, und alle andere können den Mangel derselben auf keine Weise ersetzen; besonders wenn die Gattung von der Wichtigkeit und Schwierig- keit, und Kostbarkeit ist, daß alle Mühe und aller Aufwand vergebens wäre, wenn sie weiter nichts als solche Wirkungen hervorbringen woll- te, die durch eine leichtere und weniger Anstal- ten erfordernde Gattung eben sowohl zu erhalten wären. Ein Bund Stroh aufzuheben, muß man keine Maschinen in Bewegung setzen; was ich mit dem Fuße umstossen kann, muß ich nicht mit einer Mine sprengen wollen; ich muß keinen Scheiterhaufen anzünden, um eine Mücke zu verbrennen. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Achtzigstes Stück. Den 5ten Februar, 1768. W ozu die sauere Arbeit der dramatischen Form? wozu ein Theater erbauet, Männer und Weiber verkleidet, Ge- dächtnisse gemartert, die ganze Stadt auf einen Platz geladen? wenn ich mit meinem Werke, und mit der Aufführung desselben, weiter nichts hervorbringen will, als einige von den Regungen, die eine gute Erzehlung, von jedem zu Hause in seinem Winkel gelesen, ungefehr auch hervorbringen würde. Die dramatische Form ist die einzige, in wel- cher sich Mitleid und Furcht erregen läßt; we- nigstens können in keiner andern Form diese Lei- denschaften auf einen so hohen Grad erreget wer- den: und gleichwohl will man lieber alle andere darinn erregen, als diese; gleichwohl will man sie lieber zu allem andern brauchen, als zu dem, wozu sie so vorzüglich geschickt ist. E e Das Das Publikum nimt vorlieb. — Das ist gut, und auch nicht gut. Denn man sehnt sich nicht sehr nach der Tafel, an der man immer vorlieb nehmen muß. Es ist bekannt, wie erpicht das griechische und römische Volk auf die Schauspiele waren; besonders jenes, auf das tragische. Wie gleich- gültig, wie kalt ist dagegen unser Volk für das Theater! Woher diese Verschiedenheit, wenn sie nicht daher kömmt, daß die Griechen vor ih- rer Bühne sich mit so starken, so außerordentli- chen Empfindungen begeistert fühlten, daß sie den Augenblick nicht erwarten konnten, sie aber- mals und abermals zu haben: dahingegen wir uns vor unserer Bühne so schwacher Eindrücke bewußt sind, daß wir es selten der Zeit und des Geldes werth halten, sie uns zu verschaffen? Wir gehen, fast alle, fast immer, aus Neugier- de, aus Mode, aus Langerweile, aus Gesell- schaft, aus Begierde zu begaffen und begaft zu werden, ins Theater: und nur wenige, und diese wenige nur sparsam, aus anderer Absicht. Jch sage, wir, unser Volk, unsere Bühne: ich meine aber nicht blos, uns Deutsche. Wir Deutsche bekennen es treuherzig genug, daß wir noch kein Theater haben. Was viele von un- sern Kunstrichtern, die in dieses Bekenntniß mit einstimmen, und große Verehrer des fran- zösischen Theaters sind, dabey denken: das kann ich ich so eigentlich nicht wissen. Aber ich weiß wohl, was ich dabey denke. Jch denke nehm- lich dabey: daß nicht allein wir Deutsche; son- dern, daß auch die, welche sich seit hundert Jahren ein Theater zu haben rühmen, ja das beste Theater von ganz Europa zu haben prah- len, — daß auch die Franzosen noch kein Theater haben. Kein Tragisches gewiß nicht! Denn auch die Eindrücke, welche die französische Tragödie macht, sind so flach, so kalt! — Man höre ei- nen Franzosen selbst, davon sprechen. „Bey den hervorstechenden Schönheiten un- „sers Theaters, sagt der Herr von Voltaire, „fand sich ein verborgner Fehler, den man nicht „bemerkt hatte, weil das Publikum von selbst „keine höhere Jdeen haben konnte, als ihm die „großen Meister durch ihre Muster beybrachten. „Der einzige Saint-Evremont hat diesen Feh- „ler aufgemutzt; er sagt nehmlich, daß unsere „Stücke nicht Eindruck genug machten, daß „das, was Mitleid erwecken solle, aufs höchste „Zärtlichkeit errege, daß Rührung die Stelle „der Erschütterung, und Erstaunen die Stelle „des Schreckens vertrete; kurz, daß unsere „Empfindungen nicht tief genug gingen. Es „ist nicht zu leugnen: Saint-Evremont hat mit „dem Finger gerade auf die heimliche Wunde „des französischen Theaters getroffen. Man E e 2 „sage „sage immerhin, daß Saint-Evremont der Ver- „fasser der elenden Komödie Sir Politik Would- „be, und noch einer andern eben so elenden, die „Opern genannt, ist; daß seine kleinen gesell- „schaftlichen Gedichte das kahlste und gemeinste „sind, was wir in dieser Gattung haben; daß „er nichts als ein Phrasesdrechsler war: man „kann keinen Funken Genie haben, und gleich- „wohl viel Witz und Geschmack besitzen. Sein „Geschmack aber war unstreitig sehr fein, da er „die Ursache, warum die meisten von unsern „Stücken so matt und kalt sind, so genau traf. „Es hat uns immer an einem Grade von Wär- „me gefehlt: das andere hatten wir alles.„ Das ist: wir hatten alles, nur nicht das, was wir haben sollten; unsere Tragödien waren vortrefflich, nur daß es keine Tragödien waren. Und woher kam es, daß sie das nicht waren? „Diese Kälte aber, fährt er fort, diese ein- „förmige Mattigkeit, entsprang zum Theil von „dem kleinen Geiste der Galanterie, der damals „unter unsern Hofleuten und Damen so herrschte, „und die Tragödie in eine Folge von verliebten „Gesprächen verwandelte, nach dem Geschmacke „des Cyrus und der Clelie. Was für Stücke „sich hiervon noch etwa ausnahmen, die bestan- „den aus langen politischen Raisonnements, der- „gleichen den Sertorius so verdorben, den Otho „so kalt, und den Surena und Attila so elend „ge- „gemacht haben. Noch fand sich aber auch eine „andere Ursache, die das hohe Pathetische von „unserer Scene zurückhielt, und die Handlung „wirklich tragisch zu machen verhinderte: und „diese war, das enge schlechte Theater mit sei- „nen armseligen Verzierungen. — Was ließ „sich auf einem Paar Dutzend Brettern, die „noch dazu mit Zuschauern angefüllt waren, „machen? Mit welchem Pomp, mit welchen „Zurüstungen konnte man da die Augen der Zu- „schauer bestechen, fesseln, täuschen? Welche „große tragische Action ließ sich da aufführen? „Welche Freyheit konnte die Einbildungskraft „des Dichters da haben? Die Stücke mußten „aus langen Erzehlungen bestehen, und so wur- „den sie mehr Gespräche als Spiele. Jeder „Akteur wollte in einer langen Monologe glän- „zen, und ein Stück, das dergleichen nicht „hatte, ward verworfen. — Bey dieser Form „fiel alle theatralische Handlung weg; fielen „alle die großen Ausdrücke der Leidenschaften, „alle die kräftigen Gemählde der menschlichen „Unglücksfälle, alle die schrecklichen bis in das „Jnnerste der Seele dringende Züge weg; man „rührte das Herz nur kaum, anstatt es zu zer- „reissen.„ Mit der ersten Ursache hat es seine gute Rich- tigkeit. Galanterie und Politik läßt immer kalt; und noch ist es keinem Dichter in der Welt E e 3 ge- gelungen, die Erregung des Mitleids und der Furcht damit zu verbinden. Jene lassen uns nichts als den Fat, oder den Schulmeister hören: und diese fodern, daß wir nichts als den Men- schen hören sollen. Aber die zweyte Ursache? — Sollte es mög- lich seyn, daß der Mangel eines geräumlichen Theaters und guter Verzierungen, einen solchen Einfluß auf das Genie der Dichter gehabt hätte? Jst es wahr, daß jede tragische Hand- lung Pomp und Zurüstungen erfodert? Oder sollte der Dichter nicht vielmehr sein Stück so einrichten, daß es auch ohne diese Dinge seine völlige Wirkung hervorbrächte? Nach dem Aristoteles, sollte er es allerdings. „Furcht und Mitleid, sagt der Philosoph, läßt „sich zwar durchs Gesicht erregen; es kann aber „auch aus der Verknüpfung der Begebenheiten „selbst entspringen, welches letztere vorzüglicher, „und die Weise des bessern Dichters ist. Denn „die Fabel muß so eingerichtet seyn, daß sie, „auch ungesehen, den, der den Verlauf ihrer „Begebenheiten blos anhört, zu Mitleid und „Furcht über diese Begebenheiten bringet; so „wie die Fabel des Oedips, die man nur anhö- „ren darf, um dazu gebracht zu werden. Diese „Absicht aber durch das Gesicht erreichen wol- „len, erfodert weniger Kunst, und ist deren „Sache, welche die Vorstellung des Stücks „übernommen.„ Wie Wie entbehrlich überhaupt die theatralischen Verzierungen sind, davon will man mit den Stücken des Shakespears eine sonderbare Er- fahrung gehabt haben. Welche Stücke brauch- ten, wegen ihrer beständigen Unterbrechung und Veränderung des Orts, des Beystandes der Scenen und der ganzen Kunst des Decora- teurs wohl mehr, als eben diese? Gleichwohl war eine Zeit, wo die Bühnen, auf welchen sie gespielt wurden, aus nichts bestanden, als aus einem Vorhange von schlechtem groben Zeuge, der, wenn er aufgezogen war, die bloßen blan- ken, höchstens mit Matten oder Tapeten behan- genen, Wände zeigte; da war nichts als die Ein- bildung, was dem Verständnisse des Zuschauers und der Ausführung des Spielers zu Hülfe kommen konnte: und dem ohngeachtet, sagt man, waren damals die Stücke des Shake- spears ohne alle Scenen verständlicher, als sie es hernach mit denselben gewesen sind. (Cibber’s Lives of the Poets of G. B. and Ir. Vol. II. p. 78. 79.) — Some have insinua- red, that fine scenes proved the ruin of acting. — In the reign of Charles I. there was nothing more than a curtain of very coarse stuff, upon the drawing up of which, the stage appeared either with bare walls on the sides, coarsly matted, or covered with tapestry; so that for the place originally represented, and all the suc- Wenn Wenn sich also der Dichter um die Verzierung gar nicht zu bekümmern hat; wenn die Verzie- rung, auch wo sie nöthig scheinet, ohne beson- dern Nachtheil seines Stücks wegbleiben kann: warum sollte es an dem engen, schlechten Thea- ter gelegen haben, daß uns die französischen Dichter keine rührendere Stücke geliefert? Nicht doch: es lag an ihnen selbst. Und das beweiset die Erfahrung. Denn nun haben ja die Franzosen eine schönere, geräumli- chere Bühne; keine Zuschauer werden mehr dar- auf geduldet; die Coulissen sind leer; der Deco- rateur hat freyes Feld; er mahlt und bauet dem Poeten alles, was dieser von ihm verlangt: aber wo sind sie denn die wärmern Stücke, die sie seit- dem erhalten haben? Schmeichelt sich der Herr von Voltaire, daß seine Semiramis ein solches Stück ist? Da ist Pomp und Verzierung ge- nug; ein Gespenst oben darein: und doch kenne ich nichts kälteres, als seine Semiramis. Ham- successive changes, in which the poets of those times freely indulged themselves, there was nothing to help the spectator’s understanding, or to afsist the actor’s per- formance, but bare imagination. — The spirit and judgement of the actors supplied all deficiencies, and made as some would insinuate, plays more intelligible without scenes, than they afterwards were with them. Hamburgische Dramaturgie . Ein und achtzigstes Stück. Den 9ten Februar, 1768. W ill ich denn nun aber damit sagen, daß kein Franzose fähig sey, ein wirklich rührendes tragisches Werk zu machen? daß der volatile Geist der Nation einer solchen Arbeit nicht gewachsen sey? — Jch würde mich schämen, wenn mir das nur eingekommen wäre. Deutschland hat sich noch durch keinen Bouhours lächerlich gemacht. Und ich, für mein Theil, hätte nun gleich die wenigste Anlage dazu. Denn ich bin sehr überzeugt, daß kein Volk in der Welt irgend eine Gabe des Geistes vor- züglich vor andern Völkern erhalten habe. Man sagt zwar: der tiefsinnige Engländer, der witzige Franzose. Aber wer hat denn die Theilung gemacht? Die Natur gewiß nicht, die alles unter alle gleich vertheilet. Es giebt eben so viel witzige Engländer, als witzige Fran- zosen; und eben so viel tiefsinnige Franzosen, F f als als tiefsinnige Engländer: der Braß von dem Volke aber ist keines von beiden. — Was will ich denn? Jch will blos sagen, was die Franzosen gar wohl haben könnten, daß sie das noch nicht haben: die wahre Tragödie. Und warum noch nicht haben? — Dazu hätte sich der Herr von Voltaire selbst besser kennen müssen, wenn er es hätte treffen wollen. Jch meine: sie haben es noch nicht; weil sie es schon lange gehabt zu haben glauben. Und in diesem Glauben werden sie nun freylich durch etwas bestärkt, das sie vorzüglich vor allen Völ- kern haben; aber es ist keine Gabe der Natur: durch ihre Eitelkeit. Es geht mit den Nationen, wie mit einzeln Menschen. — Gottsched (man wird leicht be- greifen, wie ich eben hier auf diesen falle,) galt in seiner Jugend für einen Dichter, weil man damals den Versmacher von dem Dichter noch nicht zu unterscheiden wußte. Philosophie und Critik setzten nach und nach diesen Unterschied ins Helle: und wenn Gottsched mit dem Jahr- hunderte nur hätte fortgehen wollen, wenn sich seine Einsichten und sein Geschmack nur zugleich mit den Einsichten und dem Geschmacke seines Zeitalters hätten verbreiten und läutern wollen: so hätte er vielleicht wirklich aus dem Versma- cher ein Dichter werden können. Aber da er sich schon so oft den größten Dichter hatte nen- nen nen hören, da ihn seine Eitelkeit überredet hat- te, daß er es sey: so unterblieb jenes. Er konnte unmöglich erlangen, was er schon zu be- sitzen glaubte: und je älter er ward, desto hart- näckiger und unverschämter ward er, sich in die- sem träumerischen Besitze zu behaupten. Gerade so, dünkt mich, ist es den Franzosen ergangen. Kaum riß Corneille ihr Theater ein wenig aus der Barbarey: so glaubten sie es der Vollkommenheit schon ganz nahe. Racine schien ihnen die letzte Hand angelegt zu haben; und hierauf war gar nicht mehr die Frage, (die es zwar auch nie gewesen,) ob der tragische Dichter nicht noch pathetischer, noch rührender seyn kön- ne, als Corneille und Racine, sondern dieses ward für unmöglich angenommen, und alle Beeiferung der nachfolgenden Dichter mußte sich darauf einschränken, dem einen oder dem andern so ähnlich zu werden als möglich. Hun- dert Jahre haben sie sich selbst, und zum Theil ihre Nachbarn mit, hintergangen: nun komme einer, und sage ihnen das, und höre, was sie antworten! Von beiden aber ist es Corneille, welcher den meisten Schaden gestiftet, und auf ihre tragi- schen Dichter den verderblichsten Einfluß ge- habt hat. Denn Racine hat nur durch seine Muster verführt: Corneille aber, durch seine Muster und Lehren zugleich. F f 2 Diese Diese letztern besonders, von der ganzen Na- tion (bis auf einen oder zwey Pedanten, einen Hedelin, einen Dacier, die aber oft selbst nicht wußten, was sie wollten,) als Orakelsprüche angenommen, von allen nachherigen Dichtern befolgt: haben, — ich getraue mich, es Stück vor Stück zu beweisen, — nichts anders, als das kahlste, wäßrigste, untragischste Zeug her- vorbringen können. Die Regeln des Aristoteles, sind alle auf die höchste Wirkung der Tragödie calculirt. Was macht aber Corneille damit? Er trägt sie falsch und schielend genug vor; und weil er sie doch noch viel zu strenge findet: so sucht er, bey einer nach der andern, quelque moderation, quel- que favorable interpretation; entkräftet und verstümmelt, deutelt und vereitelt eine jede, — und warum? pour n’etre pas obli- gés de condamner beaucoup de poemes que nous avons vû réussir sur nos thea- tres; um nicht viele Gedichte verwerfen zu dür- fen, die auf unsern Bühnen Beyfall gefunden. Eine schöne Ursache! Jch will die Hauptpunkte geschwind berüh- ren. Einige davon habe ich schon berührt; ich muß sie aber, des Zusammenhanges wegen, wiederum mitnehmen. 1. Aristoteles sagt: die Tragödie soll Mit- leid und Furcht erregen. — Corneille sagt: o ja, aber aber wie es kömmt; beides zugleich ist eben nicht immer nöthig; wir sind auch mit einem zufrie- den; itzt einmal Mitleid, ohne Furcht; ein an- dermal Furcht, ohne Mitleid. Denn wo blieb ich, ich der große Corneille, sonst mit meinem Rodrigue und meiner Chimene? Die guten Kin- der erwecken Mitleid; und sehr großes Mitleid: aber Furcht wohl schwerlich. Und wiederum: wo blieb ich sonst mit meiner Cleopatra, mit meinem Prusias, mit meinem Phocas? Wer kann Mitleid mit diesen Nichtswürdigen haben? Aber Furcht erregen sie doch. — So glaubte Corneille: und die Franzosen glaubten es ihm nach. 2. Aristoteles sagt: die Tragödie soll Mit- leid und Furcht erregen; beides, versteht sich, durch eine und eben dieselbe Person. — Cor- neille sagt: wenn es sich so trift, recht gut. Aber absolut nothwendig ist es eben nicht; und man kann sich gar wohl auch verschiedener Per- sonen bedienen, diese zwey Empfindungen her- vorzubringen: so wie Jch in meiner Rodogune gethan habe. — Das hat Corneille gethan: und die Franzosen thun es ihm nach. 3. Aristoteles sagt: durch das Mitleid und die Furcht, welche die Tragödie erweckt, soll unser Mitleid und unsere Furcht, und was die- sen anhängig, gereiniget werden. — Corneille weiß davon gar nichts, und bildet sich ein, Ari- F f 3 sto- stoteles habe sagen wollen: die Tragödie erwecke unser Mitleid, um unsere Furcht zu erwecken, um durch diese Furcht die Leidenschaften in uns zu reinigen, durch die sich der bemitleidete Ge- genstand sein Unglück zugezogen. Jch will von dem Werthe dieser Absicht nicht sprechen: ge- nug, daß es nicht die aristotelische ist; und daß, da Corneille seinen Tragödien eine ganz andere Absicht gab, auch nothwendig seine Tragödien selbst ganz andere Werke werden mußten, als die waren, von welchen Aristoteles seine Absicht abstrahiret hatte; es mußten Tragödien werden, welches keine wahre Tragödien waren. Und daß sind nicht allein seine, sondern alle französi- sche Tragödien geworden; weil ihre Verfasser alle, nicht die Absicht des Aristoteles, sondern die Absicht des Corneille, sich vorsetzten. Jch habe schon gesagt, daß Dacier beide Absichten wollte verbunden wissen: aber auch durch diese bloße Verbindung, wird die erstere geschwächt, und die Tragödie muß unter ihrer höchsten Wir- kung bleiben. Dazu hatte Dacier, wie ich ge- zeigt, von der erstern nur einen sehr unvollstän- digen Begriff, und es war kein Wunder, wenn er sich daher einbildete, daß die französischen Tragödien seiner Zeit, noch eher die erste, als die zweyte Absicht erreichten. „Unsere Tra- „gödie, sagt er, ist, zu Folge jener, noch so „ziemlich glücklich, Mitleid und Furcht zu er- „wecken „wecken und zu reinigen. Aber diese gelingt „ihr nur sehr selten, die doch gleichwohl die „wichtigere ist, und sie reiniget die übrigen Lei- „denschaften nur sehr wenig, oder, da sie ge- „meiniglich nichts als Liebesintriguen enthält, „wenn sie ja eine davon reinigte, so würde es „einzig und allein die Liebe seyn, woraus denn „klar erhellet, daß ihr Nutzen nur sehr klein „ist.„ (Poet. d’Arist. Chap. VI. Rem. 8.) Notre Tragedie peut réussir assez dans la pre- miere partie, c’est a dire, qu’elle peut ex- citer \& purger la terreur \& la compassion. Mais elle parvient rarement à la derniere, qui est pourtant la plus utile, elle purge peu les autres passions, ou comme elle roule ordinairement sur des intrigues d’a- mour, si elle en purgeoit quelqu’une, ce seroit cella-la seule, \& par la il est aisé de voir q’elle ne fait que peu de fruit. Gerade umgekehrt! Es giebt noch eher französische Tragödien, welche der zwey- ten, als welche der ersten Absicht ein Genüge leisten. Jch kenne verschiedene französische Stücke, welche die unglücklichen Folgen ir- gend einer Leidenschaft recht wohl ins Licht setzen; aus denen man viele gute Lehren, diese Leidenschaft betreffend, ziehen kann: aber ich kenne keines, welches mein Mitleid in dem Gra- de erregte, in welchem die Tragödie es erregen sollte, in welchem ich, aus verschiedenen grie- chi- chischen und englischen Stücken gewiß weiß, daß sie es erregen kann. Verschiedene französische Tragödien sind sehr feine, sehr unterrichtende Werke, die ich alles Lobes werth halte: nur, daß es keine Tragödien sind. Die Verfasser derselben konnten nicht anders, als sehr gute Köpfe seyn; sie verdienen, zum Theil, unter den Dichtern keinen geringen Rang: nur daß sie keine tragische Dichter sind; nur daß ihr Corneille und Racine, ihr Crebillon und Vol- taire von dem wenig oder gar nichts haben, was den Sophokles zum Sophokles, den Eu- ripides zum Euripides, den Shakespear zum Shakespear macht. Diese sind selten mit den wesentlichen Foderungen des Aristoteles im Wi- derspruch: aber jene desto öfterer. Denn nur weiter — Ham- Hamburgische Dramaturgie . Zwey und achtzigstes Stück. Den 12ten Februar, 1768. 4. A ristoteles sagt: man muß keinen ganz guten Mann, ohne alle sein Verschul- den, in der Tragödie unglücklich wer- den lassen; denn so was sey gräßlich. — Ganz recht, sagt Corneille; „ein solcher Ausgang er- „weckt mehr Unwillen und Haß gegen den, wel- „cher das Leiden verursacht, als Mitleid für „den, welchen es trift. Jene Empfindung also, „welche nicht die eigentliche Wirkung der Tra- „gödie seyn soll, würde, wenn sie nicht sehr fein „behandelt wäre, diese ersticken, die doch eigent- „lich hervorgebracht werden sollte. Der Zu- „schauer würde mißvergnügt weggehen, weil „sich allzuviel Zorn mit dem Mitleiden ver- „mischt, welches ihm gefallen hätte, wenn er „es allein mit wegnehmen können. Aber — kömmt Corneille hinten nach; denn mit einem Aber muß er nachkommen, — „aber, wenn diese Ur- G g „sache „sache wegfällt, wenn es der Dichter so einge- „richtet, daß der Tugendhafte, welcher leidet, „mehr Mitleid für sich, als Widerwillen gegen „den erweckt, der ihn leiden läßt: alsdenn? — „O alsdenn, sagt Corneille, halte ich dafür, „darf man sich gar kein Bedenken machen, auch „den tugendhaftesten Mann auf dem Theater im „Unglücke zu zeigen.„ J’estime qu’il ne faut point faire de diffi- culté d’exposer sur la scene des hommes tres vertueux. — Jch begreife nicht, wie man gegen einen Philosophen so in den Tag hineinschwatzen kann; wie man sich das Anse- hen geben kann, ihn zu verstehen, indem man ihn Dinge sagen läßt, an die er nie gedacht hat. Das gänzlich unverschuldete Unglück eines rechtschaffenen Mannes, sagt Aristoteles, ist kein Stoff für das Trauerspiel; denn es ist gräßlich. Aus diesem Denn, aus dieser Ur- sache, macht Corneille ein Jnsofern, eine bloße Bedingung, unter welcher es tragisch zu seyn aufhört. Aristoteles sagt: es ist durchaus gräßlich, und eben daher untragisch. Cor- neille aber sagt: es ist untragisch, insofern es gräßlich ist. Dieses Gräßliche findet Aristote- les in dieser Art des Unglückes selbst: Corneille aber setzt es in den Unwillen, den es gegen den Urheber desselben verursacht. Er sieht nicht, oder will nicht sehen, daß jenes Gräßliche ganz etwas etwas anders ist, als dieser Unwille; daß wenn auch dieser ganz wegfällt, jenes doch noch in sei- nem vollen Maaße vorhanden seyn kann: ge- nug, daß vors erste mit diesem Quid pro quo verschiedene von seinen Stücken gerechtfertiget scheinen, die er so wenig wider die Regeln des Aristoteles will gemacht haben, daß er vielmehr vermessen genug ist, sich einzubilden, es habe dem Aristoteles blos an dergleichen Stücken ge- fehlt, um seine Lehre darnach näher einzuschrän- ken, und verschiedene Manieren daraus zu ab- strahiren, wie dem ohngeachtet das Unglück des ganz rechtschaffenen Mannes ein tragischer Ge- genstand werden könne. En voici, sagt er, deux ou trois manières, que peut-ètre Aristote n’a sû prevoir, parce qu’on n’en voyoit pas d’exemples sur les théatres de son tems. Und von wem sind diese Exempel? Von wem anders, als von ihm selbst? Und welches sind jene zwey oder drey Manieren? Wir wollen geschwind sehen. — „Die erste, sagt er, „ist, wenn ein sehr Tugendhafter durch „einen sehr Lasterhaften verfolgt wird, der Ge- „fahr aber entkömmt, und so, daß der Laster- „hafte sich selbst darinn verstricket, wie es in „der Rodogune und im Heraklius geschiehet, „wo es ganz unerträglich würde gewesen seyn, „wenn in dem ersten Stücke Antiochus und Ro- „dogune, und in dem andern Heraklius, Pul- G g 2 „cheria „cheria und Martian umgekommen wären, Cleo- „patra und Phokas aber triumphiret hätten. „Das Unglück der erstern erweckt ein Mitleid, „welches durch den Abschen, den wir wider ihre „Verfolger haben, nicht erstickt wird, weil „man beständig hoft, daß sich irgend ein glück- „licher Zufall eräugnen werde, der sie nicht un- „terliegen lasse.„ Das mag Corneille sonst jemanden weiß machen, daß Aristoteles diese Manier nicht gekannt habe! Er hat sie so wohl gekannt, daß er sie, wo nicht gänzlich verwor- fen, wenigstens mit ausdrücklichen Worten für angemessener der Komödie als Tragödie erklärt hat. Wie war es möglich, daß Corneille die- ses vergessen hatte? Aber so geht es allen, die im voraus ihre Sache zu der Sache der Wahr- heit machen. Jm Grunde gehört diese Manier auch gar nicht zu dem vorhabenden Falle. Denn nach ihr wird der Tugendhafte nicht un- glücklich, sondern befindet sich nur auf dem Wege zum Unglücke; welches gar wohl mitlei- dige Besorgnisse für ihn erregen kann, ohne gräßlich zu seyn. — Nun, die zweyte Manier! „Auch kann es sich zutragen, sagt Corneille, „daß ein sehr tugendhafter Mann verfolgt „wird, und auf Befehl eines andern umkömmt, „der nicht lasterhaft genug ist, unsern Unwillen „allzusehr zu verdienen, indem er in der Ver- „folgung, die er wider den Tugendhaften betrei- „bet, „bet, mehr Schwachheit als Bosheit zeiget. „Wenn Felix seinem Eidam Polyeukt umkom- „men läßt, so ist es nicht aus wüthendem Eifer „gegen die Christen, der ihn uns verabscheu- „ungswürdig machen würde, sondern blos aus „kriechender Furchtsamkeit, die sich nicht ge- „trauet, ihn in Gegenwart des Severus zu „retten, vor dessen Hasse und Rache er in Sor- „gen stehet. Man fasset also wohl einigen Un- „willen gegen ihn, und mißbilliget sein Ver- „fahren; doch überwiegt dieser Unwille nicht „das Mitleid, welches wir für den Polyeukt „empfinden, und verhindert auch nicht, daß „ihn seine wunderbare Bekehrung, zum Schlusse „des Stücks, nicht völlig wieder mit den Zu- „hörern aussöhnen sollte.„ Tragische Stümper, denke ich, hat es wohl zu allen Zeiten, und selbst in Athen gegeben. Warum sollte es also dem Aristoteles an einem Stücke, von ähnli- cher Einrichtung, gefehlt haben, um daraus eben so erleuchtet zu werden, als Corneille? Possen! Die furchtsamen, schwanken, unent- schlossenen Charaktere, wie Felix, sind in der- gleichen Stücken ein Fehler mehr, und machen sie noch oben darein ihrer Seits kalt und eckel, ohne sie auf der andern Seite im geringsten we- niger gräßlich zu machen. Denn, wie gesagt, das Gräßliche liegt nicht in dem Unwillen oder Abscheu, den sie erwecken: sondern in dem Un- G g 3 glücke glücke selbst, das jene unverschuldet trift; daß sie einmal so unverschuldet trift als das andere, ihre Verfolger mögen böse oder schwach seyn, mögen mit oder ohne Vorsatz ihnen so hart fal- len. Der Gedanke ist an und für sich selbst gräßlich, daß es Menschen geben kann, die ohne alle ihr Verschulden unglücklich sind. Die Heiden hätten diesen gräßlichen Gedanken so weit von sich zu entfernen gesucht, als möglich: und wir wollten ihn nähren? wir wollten uns an Schauspielen vergnügen, die ihn bestätigen? wir? die Religion und Vernunft überzeuget haben sollte, daß er eben so unrichtig als got- teslästerlich ist? — Das nehmliche würde sicher- lich auch gegen die dritte Manier gelten; wenn sie Corneille nicht selbst näher anzugeben, ver- gessen hätte. 5. Auch gegen das, was Aristoteles von der Unschicklichkeit eines ganz Lasterhaften zum tra- gischen Helden sagt, als dessen Unglück weder Mitleid noch Furcht erregen könne, bringt Cor- neille seine Läuterungen bey. Mitleid zwar, gesteht er zu, könne er nicht erregen; aber Furcht allerdings. Denn ob sich schon keiner von den Zuschauern der Laster desselben fähig glaube, und folglich auch desselben ganzes Unglück nicht zu befürchten habe: so könne doch ein jeder ir- gend eine jenen Lastern ähnliche Unvollkommen- heit bey sich hegen, und durch die Furcht vor den den zwar proportionirten, aber doch noch immer unglücklichen Folgen derselben, gegen sie auf seiner Hut zu seyn lernen. Doch dieses gründet sich auf den falschen Begriff, welchen Corneille von der Furcht und von der Reinigung der in der Tragödie zu erweckenden Leidenschaften hat- te, und widerspricht sich selbst. Denn ich habe schon gezeigt, daß die Erregung des Mitleids von der Erregung der Furcht unzertrennlich ist, und daß der Bösewicht, wenn es möglich wäre, daß er unsere Furcht erregen könne, auch noth- wendig unser Mitleid erregen müßte. Da er aber dieses, wie Corneille selbst zugesteht, nicht kann, so kann er auch jenes nicht, und bleibt gänzlich ungeschickt, die Absicht der Tragödie erreichen zu helfen. Ja Aristoteles hält ihn hierzu noch für ungeschickter, als den ganz tu- gendhaften Mann; denn er will ausdrücklich, Falls man den Held aus der mittlern Gattung nicht haben könne, daß man ihn eher besser als schlimmer wählen solle. Die Ursache ist klar: ein Mensch kann sehr sehr gut seyn, und doch noch mehr als eine Schwachheit haben, mehr als einen Fehler begehen, wodurch er sich in ein un- absehliches Unglück stürzet, das uns mit Mit- leid und Wehmuth erfüllet, ohne im geringsten gräßlich zu seyn, weil es die natürliche Folge seines Fehlers ist. — Was Du Bos Reflexions cr. T. I. Sect. XV. von dem dem Gebrauche der lasterhaften Personen in der Tragödie sagt, ist das nicht, was Corneille will. Du Bos will sie nur zu den Nebenrol- len erlauben; blos zu Werkzeugen, die Haupt- personen weniger schuldig zu machen; blos zur Abstechung. Corneille aber will das vornehm- ste Jnteresse auf sie beruhen lassen, so wie in der Rodogune: und das ist es eigentlich, was mit der Absicht der Tragödie streitet, und nicht jenes. Du Bos merket dabey auch sehr richtig an, daß das Unglück dieser subalternen Böse- wichter keinen Eindruck auf uns mache. Kaum, sagt er, daß man den Tod des Narciß im Bri- tannicus bemerkt. Aber also sollte sich der Dichter, auch schon deswegen, ihrer so viel als möglich enthalten. Denn wenn ihr Unglück die Absicht der Tragödie nicht unmittelbar beför- dert, wenn sie bloße Hülfsmittel sind, durch die sie der Dichter desto besser mit andern Per- sonen zu erreichen sucht: so ist es unstreitig, daß das Stück noch besser seyn würde, wenn es die nehmliche Wirkung ohne sie hätte. Je simpler eine Maschine ist, je weniger Federn und Räder und Gewichte sie hat, desto vollkommener ist sie. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Drey und achtzigstes Stück. Den 16ten Februar, 1768. 6. U nd endlich, die Mißdeutung der ersten und wesentlichsten Eigenschaft, welche Aristoteles für die Sitten der tragischen Personen fodert! Sie sollen gut seyn, die Sit- ten. — Gut? sagt Corneille. „Wenn gut hier so viel als tugendhaft heissen soll: so wird es mit den meisten alten und neuen Tragödien übel aussehen, in welchen schlechte und lasterhafte, wenigstens mit einer Schwachheit, die nächst der Tugend so recht nicht bestehen kann, behaf- tete Personen genug vorkommen.„ Besonders ist ihm für seine Cleopatra in der Rodogune bange. Die Güte, welche Aristoteles fodert, will er also durchaus für keine moralische Güte gelten lassen; es muß eine andere Art von Güte seyn, die sich mit dem moralisch Bösen eben so wohl verträgt, als mit dem moralisch Guten. Gleichwohl meinet Aristoteles schlechterdings H h eine eine moralische Güte: nur daß ihm tugendhaf- te Personen, und Personen, welche in gewissen Umständen tugendhafte Sitten zeigen, nicht ei- nerley sind. Kurz, Corneille verbindet eine ganz falsche Jdee mit dem Worte Sitten, und was die Proäresis ist, durch welche allein, nach unserm Weltweisen, freye Handlungen zu guten oder bösen Sitten werden, hat er gar nicht ver- standen. Jch kann mich itzt nicht in einen weit- läuftigen Beweis einlassen; er läßt sich nur durch den Zusammenhang, durch die syllogisti- sche Folge aller Jdeen des griechischen Kunst- richters, einleuchtend genug führen. Jch ver- spare ihn daher auf eine andere Gelegenheit, da es bey dieser ohnedem nur darauf ankömmt, zu zeigen, was für einen unglücklichen Ausweg Corneille, bey Verfehlung des richtigen Weges, ergriffen. Dieser Ausweg lief dahin: daß Ari- stoteles unter der Güte der Sitten den glänzen- den und erhabnen Charakter irgend einer tugend- haften oder strafbaren Neigung verstehe, so wie sie der eingeführten Person entweder eigenthüm- lich zukomme, oder ihr schicklich beygeleget werden könne: le caractere brillant \& éle- vé d’une habitude vertueuse ou crimi- nelle, selon qu’elle est propre \& conve- nable à la personne qu’on introduit. „Clcopatra in der Rodogune, sagt er, ist äus- „serst böse; da ist kein Meuchelmord, vor dem „sie „sie sich scheue, wenn er sie nur auf dem Throne „zu erhalten vermag, den sie allem in der Welt „vorzieht; so heftig ist ihre Herrschsucht. Aber „alle ihre Verbrechen sind mit einer gewissen „Größe der Seele verbunden, die so etwas Er- „habenes hat, daß man, indem man ihre Hand- „lungen verdammet, doch die Quelle, woraus „sie entspringen, bewundern muß. Eben die- „ses getraue ich mir von dem Lügner zu sagen. „Das Lügen ist unstreitig eine lasterhafte Ange- „wohnheit; allein Dorant bringt seine Lügen „mit einer solchen Gegenwart des Geistes, mit „so vieler Lebhaftigkeit vor, daß diese Unvoll- „kommenheit ihm ordentlich wohl läßt, und die „Zuschauer gestehen müssen, daß die Gabe so „zu lügen ein Laster sey, dessen kein Dummkopf „fähig ist. — Wahrlich, einen verderblichern Einfall hätte Corneille nicht haben können! Befolget ihn in der Ausführung, und es ist um alle Wahrheit, um alle Täuschung, um allen sittlichen Nutzen der Tragödie gethan! Denn die Tugend, die immer bescheiden und einfältig ist, wird durch jenen glänzenden Charakter eitel und romantisch: das Laster aber, mit einem Firniß überzogen, der uns überall blendet, wir mögen es aus einem Gesichtspunkte nehmen, aus welchem wir wollen. Thorheit, bloß durch die unglücklichen Folgen von dem Laster abschre- cken wollen, indem man die innere Häßlichkeit H h 2 dessel- desselben verbirgt! Die Folgen sind zufällig; und die Erfahrung lehrt, daß sie eben so oft glück- lich als unglücklich fallen. Dieses bezieht sich auf die Reinigung der Leidenschaften, wie sie Corneille sich dachte. Wie ich mir sie vorstelle, wie sie Aristoteles gelehrt hat, ist sie vollends nicht mit jenem trügerischen Glanze zu verbin- den. Die falsche Folie, die so dem Laster un- tergelegt wird, macht daß ich Vollkommenheiten erkenne, wo keine sind; macht, daß ich Mitt- leiden habe, wo ich keines haben sollte. — Zwar hat schon Dacier dieser Erklärung widerspro- chen, aber aus untriftigern Gründen; und es fehlt nicht viel, daß die, welche er mit dem Pater Le Bossu dafür annimmt, nicht eben so nachtheilig ist, wenigstens den poetischen Voll- kommenheiten des Stücks eben so nachtheilig werden kann. Er meinet nehmlich, „die Sit- „ten sollen gut seyn,„ heisse nichts mehr als, sie sollen gut ausgedrückt seyn, qu’elles soient bien marquées. Das ist allerdings eine Re- gel, die, richtig verstanden, an ihrer Stelle, aller Aufmerksamkeit des dramatischen Dichters würdig ist. Aber wenn es die französischen Muster nur nicht bewiesen, daß man „gut aus- drücken„ für stark ausdrücken genommen hätte. Man hat den Ausdruck überladen, man hat Druck auf Druck gesetzt, bis aus charakte- risirten Personen, personifirte Charaktere; aus laster- lasterhaften oder tugendhaften Menschen, hage- re Gerippe von Lastern und Tugenden gewor- den sind. — Hier will ich diese Materie abbrechen. Wer ihr gewachsen ist, mag die Anwendung auf un- sern Richard, selbst machen. Vom Herzog Michel, welcher auf den Ri- chard folgte, brauche ich wohl nichts zu sagen. Auf welchem Theater wird er nicht gespielt, und wer hat ihn nicht gesehen oder gelesen? Krüger hat indeß das wenigste Verdienst darum; denn er ist ganz aus einer Erzehlung in den Bremi- schen Beyträgen genommen. Die vielen guten satyrischen Züge, die er enthält, gehören jenem Dichter, so wie der ganze Verfolg der Fabel. Krügern gehört nichts, als die dramatische Form. Doch hat wirklich unsere Bühne an Krügern viel verloren. Er hatte Talent zum niedrig Komischen, wie seine Candidaten be- weisen. Wo er aber rührend und edel seyn will, ist er frostig und affectirt. Hr. Löwen hat seine Schriften gesammelt, unter welchen man jedoch die Geistlichen auf dem Lande vermißt. Dieses war der erste dramatische Versuch, wel- chen Krüger wagte, als er noch auf dem Grauen Kloster in Berlin studierte. Den neun und vierzigsten Abend, (Donner- stags, den 23sten Julius) ward das Lustspiel H h 3 des des Hrn. von Voltaire, die Frau die Recht hat, gespielt, und zum Beschluße des L’Affichard Jst er von Familie? S. den 17ten Abend Seite 131. wiederholt. Die Frau, die Recht hat, ist eines von den Stücken, welche der Hr. von Voltaire für sein Haustheater gemacht hat. Dafür war es nun auch gut genug. Es ist schon 1758 zu Carouge gespielt worden: aber noch nicht zu Paris; so viel ich weiß. Nicht als ob sie da, seit der Zeit, keine schlechtern Stücke gespielt hätten: denn dafür haben die Marins und Le Brets wohl gesorgt. Sondern weil — ich weiß selbst nicht. Denn ich wenigstens möchte doch noch lieber ein großen Mann in seinem Schlafrocke und seiner Nachtmütze, als einen Stümper in seinem Fey- erkleide sehen. Charaktere und Jnteresse hat das Stück nicht; aber verschiedne Situationen, die komisch ge- nug sind. Zwar ist auch das Komische aus dem allergemeinsten Fache, da es sich auf nichts als aufs Jncognito, auf Verkennungen und Miß- verständnisse gründet. Doch die Lacher sind nicht eckel; am wenigsten würden es unsre deut- schen Lacher seyn, wenn ihnen das reinde der Sitten und die elende Uebersetzung das mot pour rire nur nicht meistens so unverständ- lich machte. Den Den funfzigsten Abend (Freytags den 24ten Julius) ward Gressets Sidney wiederhohlt. Den Beschluß machte, der sehende Blinde. Dieses kleine Stück ist vom Le Grand, und auch nicht von ihm. Denn er hat Titel und Jn- trigue und alles, einem alten Stücke des de Bros- se abgeborgt. Ein Officier, schon etwas bey Jahren, will eine junge Wittwe heyrathen, in die er verliebt ist, als er Ordre bekömmt, sich zur Armee zu verfügen. Er verläßt sein Ver- sprochene, mit den wechselseitigen Versicherungen der aufrichtigsten Zärtlichkeit. Kaum aber ist er weg, so nimmt die Wittwe die Aufwartun- gen des Sohnes von diesem Officiere an. Die Tochter desselben macht sich gleichergestalt die Abwesenheit ihres Vaters zu Nutze, und nimmt einen jungen Menschen, den sie liebt, im Hause auf. Diese doppelte Jntrigue wird dem Vater gemeldet, der, um sich selbst davon zu überzeugen, ihnen schreiben läßt, daß er sein Gesicht verlohren habe. Die List gelingt; er kömmt wieder nach Paris, und mit Hülfe eines Bedienten, der um den Betrug weiß, sieht er alles, was in seinem Hause vorgeht. Die Ent- wicklung läßt sich errathen; da der Officier an der Unbeständigkeit der Wittwe nicht länger zweifeln kann, so erlaubt er seinem Sohne, sie zu heyrathen, und der Tochter giebt er die nehm- liche Erlaubniß, sich mit ihrem Geliebten zu ver- bin- binden. Die Scenen zwischen der Wittwe und dem Sohn des Officiers, in Gegenwart des letzten, haben viel Komisches; die Wittwe ver- sichert, daß ihr der Zufall des Officiers sehr na- he gehe, daß sie ihn aber darum nicht weniger liebe; und zugleich giebt sie seinem Sohn, ih- rem Liebhaber, einen Wink mit den Augen, oder bezeigt ihm sonst ihre Zärtlichkeit durch Ge- behrden. Das ist der Jnhalt des alten Stücks vom de Brosse, Hist. du Th. Fr. Tome VII. p. 226. und ist auch der Jnhalt von dem neuen Stücke des Le Grand. Nur daß in diesem die Jntrigue mit der Tochter weg- geblieben ist, um jene fünf Akte desto leichter in Einen zu bringen. Aus dem Vater ist ein Onkel geworden, und was sonst dergleichen klei- ne Veränderungen mehr sind. Es mag end- lich entstanden seyn wie es will; gnug, es ge- fällt sehr. Die Uebersetzung ist in Versen, und vielleicht eine von den besten die wir haben; sie ist wenigstens sehr fliessend, und hat viele drolli- ge Zeilen. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Vier und achtzigstes Stück. Den 19ten Februar, 1768. D en ein und funfzigsten Abend (Montags, den 27sten Julius,) ward der Hausvater des Hrn. Diderot aufgeführt. Da dieses vortreffliche Stück, welches den Franzosen nur so so gefällt, — wenigstens hat es mit Müh und Noth kaum ein oder zweymal auf dem Pariser Theater erscheinen dürfen, — sich, allem Ansehen nach, lange, sehr lange, und warum nicht immer? auf unsern Bühnen erhalten wird; da es auch hier nicht oft genug wird können gespielt werden: so hoffe ich, Raum und Gelegenheit genug zu haben, alles auszu- kramen, was ich sowohl über das Stück selbst, als über das ganze dramatische System des Verfassers, von Zeit zu Zeit angemerkt habe. Jch hohle recht weit aus. — Nicht erst mit dem natürlichen Sohne, in den beygefügten Un- terredungen, welche zusammen im Jahre 1757 J i heraus- herauskamen, hat Diderot sein Mißvergnügen mit dem Theater seiner Nation geäußert. Be- reits verschiedne Jahre vorher ließ er es sich merken, daß er die hohen Begriffe gar nicht da- von habe, mit welchen sich seine Landsleute täu- schen, und Europa sich von ihnen täuschen las- sen. Aber er that es in einem Buche, in wel- chem man freylich dergleichen Dinge nicht sucht; in einem Buche, in welchem der persifflirende Ton so herrschet, daß den meisten Lesern auch das, was guter gesunder Verstand darinn ist, nichts als Posse und Höhnerey zu seyn scheinet. Ohne Zweifel hatte Diderot seine Ursachen, warum er mit seiner Herzensmeinung lieber erst in einem solchen Buche hervorkommen wollte: ein kluger Mann sagt öfters erst mit Lachen, was er hernach im Ernste wiederholen will. Dieses Buch heißt Les Bijoux indiscrets, und Diderot will es itzt durchaus nicht geschrie- ben haben. Daran thut Diderot auch sehr wohl; aber doch hat er es geschrieben, und muß es geschrieben haben, wenn er nicht ein Plagia- rius seyn will. Auch ist es gewiß, daß nur ein solcher junger Mann dieses Buch schreiben konnte, der sich einmal schämen würde, es ge- schrieben zu haben. Es ist eben so gut, wenn die wenigsten von meinen Lesern dieses Buch kennen. Jch will mich auch wohl hüten, es ihnen weiter bekannt zu zu machen, als es hier in meinen Kram die- net. — Ein Kayser — was weiß ich, wo und wel- cher? — hatte mit einem gewissen magischen Ringe gewisse Kleinode so viel häßliches Zeug schwatzen lassen, daß seine Favoritinn durchaus nichts mehr davon hören wollte. Sie hätte lie- ber gar mit ihrem ganzen Geschlechte darüber brechen mögen; wenigsten nahm sie sich auf die ersten vierzehn Tage vor, ihren Umgang einzig auf des Sultans Majestät und ein Paar witzige Köpfe einzuschränken. Diese waren, Selim und Riccaric: Selim, ein Hofmann; und Ric- carie, ein Mitglied der Kayserlichen Akademie, ein Mann, der das Alterthum studiret hatte und ein großer Verehrer desselben war, doch ohne Pe- dant zu seyn. Mit diesen unterhält sich die Fa- voritinn einsmals, und das Gespräch fällt auf den elenden Ton der akademischen Reden, über den sich niemand mehr ereifert als der Sultan selbst, weil es ihn verdrießt, sich nur immer auf Unkosten seines Vaters und seiner Vorfah- ren darinn loben zu hören, und er wohl voraus- sieht, daß die Akademie eben so auch seinen Ruhm einmal dem Ruhme seiner Nachfolger aufopfern werde. Selim, als Hofmann, war dem Sultan in allem beygefallen: und so spinnt sich die Unterredung über das Theater an, die ich meinen Lesern hier ganz mittheile. J i 2 „Jch „Jch glaube, Sie irren sich, mein Herr: „antwortete Ricaric dem Selim. Die Akade- „mie ist noch itzt das Heiligthum des guten Ge- „schmacks, und ihre schönsten Tage haben we- „der Weltweise noch Dichter auf zu weisen, de- „nen wir nicht andere aus unserer Zeit entgegen „setzen könnten. Unser Theater ward für das „erste Theater in ganz Afrika gehalten, und „wird noch dafür gehalten. Welch ein Werk „ist nicht der Tamerlan des Tuxigraphe! Es „verbindet das Pathetische des Eurisope mit dem „Erhabnen des Azophe. Es ist das klare Al- „terthum!„ „Jch habe, sagte die Favoritinn, die erste „Vorstellung des Tamerlans gesehen, und „gleichfalls den Faden des Stücks sehr richtig „geführet, den Dialog sehr zierlich, und das „Anständige sehr wohl beobachtet gefunden.„ „Welcher Unterschied, Madam, unterbrach „sie Ricaric, zwischen einem Verfasser wie „Tuxigraphe, der sich durch Lesung der Alten „genähret, und dem größten Theile unsrer „Neuern!„ „Aber diese Neuern, sagte Selim, die Sie „hier so wacker über die Klinge springen lassen, „sind doch bey weitem so verächtlich nicht, als „Sie vorgeben. Oder wie? finden Sie kein „Genie, keine Erfindung, kein Feuer, keine „Charaktere, keine Schilderungen, keine Tira- „den „den bey ihnen? Was bekümmere ich mich um „Regeln, wenn man mir nur Vergnügen macht? „Es sind wahrlich nicht die Bemerkungen des „weisen Almudir und des gelehrten Abdaldok, „noch die Dichtkunst des scharfsinnigen Facar- „din, die ich alle nicht gelesen habe, welche es „machen, daß ich die Stücke des Aboulcazem, „des Muhardar, des Albaboukre, und so vieler „andren Saracenen bewundrer! Giebt es denn „auch eine andere Regel, als die Nachahmung „der Natur? Und haben wir nicht eben die „Augen, mit welchen diese sie studierten?„ „Die Natur, antwortete Ricaric, zeiget sich „uns alle Augenblicke in verschiednen Gestalten. „Alle sind wahr, aber nicht alle sind gleich schön. „Eine gute Wahl darunter zu treffen, das müssen „wir aus den Werken lernen, von welchen Sie „eben nicht viel zu halten scheinen. Es sind die „gesammelten Erfahrungen, welche ihre Ver- „fasser und deren Vorgänger gemacht haben. „Man mag ein noch so vortrefflicher Kopf seyn, „so erlangt man doch nur seine Einsichten eine „nach der andern; und ein einzelner Mensch „schmeichelt sich vergebens, in dem kurzen Rau- „me seines Lebens, alles selbst zu bemerken, „was in so vielen Jahrhunderten vor ihm ent- „deckt worden. Sonst liesse sich behaupten, daß „eine Wissenschaft ihren Ursprung, ihren Fort- „gang, und ihre Vollkommenheit einem einzigen J i 3 „Geiste „Geiste zu verdanken haben könne; welches doch „wider alle Erfahrung ist.„ „Hieraus, mein Herr, antwortete ihm Se- „lim, folget weiter nichts, als daß die Neuern, „welche sich alle die Schätze zu Nutze machen „können, die bis auf ihre Zeit gesammelt worden, „reicher seyn müssen, als die Alten: oder, wenn „ihnen diese Vergleichung nicht gefällt, daß sie „auf den Schultern dieser Kolossen, auf die sie ge- „stiegen, nothwendig müssen weiter sehen kön- „nen, als diese selbst. Was ist auch, in der „That, ihre Naturlehre, ihre Astronomie, ihre „Schiffskunst, ihre Mechanik, ihre Rechenleh- „re, in Vergleichung mit unsern? Warum „sollten wir ihnen also in der Beredsamkeit und „Poesie nicht eben so wohl überlegen seyn?„ „Selim, versetzte die Sultane, der Unter- „schied ist groß, und Ricaric kann Jhnen die Ur- „sachen davon ein andermal erklären. Er mag „Jhnen sagen, warum unsere Tragödien schlech- „ter sind, als der Alten ihre: aber daß sie es „sind, kann ich leicht selbst auf mich nehmen, „Jhnen zu beweisen. Jch will Jhnen nicht „Schuld geben, fuhr sie fort, daß Sie die Al- „ten nicht gelesen haben. Sie haben sich um „zu viele schöne Kenntnisse beworben, als daß „Jhnen das Theater der Alten unbekannt seyn „sollte. Nun setzen Sie gewisse Jdeen, die sich „auf ihre Gebräuche, auf ihre Sitten, auf „ihre „ihre Religion beziehen, und die Jhnen nur „deswegen anstößig sind, weil sich die Umstände „geändert haben, bey Seite, und sagen Sie „mir, ob ihr Stoff nicht immer edel, wohlge- „wählt und interessant ist? ob sich die Hand- „lung nicht gleichsam von selbst einleitet? ob „der simple Dialog dem Natürlichen nicht sehr „nahe kömmt? ob die Entwicklungen im gering- „sten gezwungen sind? ob sich das Jnteresse „wohl theilt, und die Handlung mit Episoden „überladen ist? Versetzen Sie sich in Gedanken „in die Jnsel Alindala; untersuchen Sie alles, „was da vorgieng, hören Sie alles, was von „dem Augenblicke an, als der junge Jbrahim „und der verschlagne Forfanti ans Land stiegen, „da gesagt ward; nähern Sie sich der Höhle „des unglücklichen Polipsile; verlieren Sie kein „Wort von seinen Klagen, und sagen Sie mir, „ob das geringste vorkömmt, was Sie in der „Täuschung stören könnte? Nennen Sie mir „ein einziges neueres Stück, welches die nehm- „liche Prüfung aushalten, welches auf den „nehmlichen Grad der Vollkommenheit An- „spruch machen kann: und Sie sollen gewonnen „haben.„ „Beym Brama! rief der Sultan und gähn- „te; Madame hat uns da eine vortreffliche aka- „demische Vorlesung gehalten!„ „Jch „Jch verstehe die Regeln nicht, fuhr die Fa- „voritinn fort, und noch weniger die gelehrten „Worte, in welchen man sie abgefaßt hat. Aber „ich weiß, daß nur das Wahre gefällt und „rühret. Jch weiß auch, daß die Vollkom- „menheit eines Schauspiels in der so genauen „Nachahmung einer Handlung bestehet, daß „der ohne Unterbrechung betrogne Zuschauer „bey der Handlung selbst gegenwärtig zu seyn „glaubt. Findet sich aber in den Tragödien, „die Sie uns so rühmen, nur das geringste, „was diesem ähnlich sähe?„ Ham- Hamburgische Dramaturgie . Fünf und achtzigstes Stück. Den 23sten Februar, 1768. „ W ollen Sie den Verlauf darinn loben? Er „ist meistens so vielfach und verwickelt, „daß es ein Wunder seyn würde, wenn „wirklich so viel Dinge in so kurzer Zeit geschehen „wären. Der Untergang oder die Erhaltung ei- „nes Reichs, die Heyrath einer Prinzeßinn, der „Fall eines Prinzen, alles das geschieht so ge- „schwind, wie man eine Hand umwendet. Kömmt „es auf eine Verschwörung an? im ersten Akte „wird sie entworfen; im zweyten ist sie beysam̃en; „im dritten werden alle Maaßregeln genommen, „alle Hindernisse gehoben, und die Verschwornen „halten sich fertig; mit nächstem wird es einen „Aufstand setzen, wird es zum Treffen kommen, „wohl gar zu einer förmlichen Schlacht. Und „das alles nennen Sie gut geführt, interessant, „warm, wahrscheinlich? Jhnen kann ich nun „so etwas am wenigsten vergeben, der Sie wis- K k „sen, „sen, wie viel es oft kostet, die allerelendeste „Jntrigue zu Stande zu bringen, und wie viel „Zeit bey der kleinsten politischen Angelegenheit „auf Einleitungen, auf Besprechungen und „Berathschlagungen geht.„ „Es ist wahr, Madame, antwortete Selim, „unsere Stücke sind ein wenig überladen; aber „das ist ein nothwendiges Uebel; ohne Hülfe „der Episoden würden wir uns vor Frost nicht „zu lassen wissen.„ „Das ist: um der Nachahmung einer Hand- „lung Feuer und Geist zu geben, muß man die „Handlung weder so vorstellen, wie sie ist, noch „so, wie sie seyn sollte. Kann etwas lächerli- „cheres gedacht werden? Schwerlich wohl; es „wäre denn etwa dieses, daß man die Geigen „ein lebhaftes Stück, eine muntere Sonate spie- „len läßt, während daß die Zuhörer um den „Prinzen bekümmert seyn sollen, der auf dem „Punkte ist, seine Geliebte, seinen Thron und „sein Leben zu verlieren.„ „Madame, sagte Mongogul, Sie haben „vollkommen Recht; traurige Arien müßte man „indeß spielen, und ich will Jhnen gleich einige „bestellen gehen. Hiermit stand er auf, und „gieng heraus, und Selim, Riccaric und die „Favoritinn setzten die Unterredung unter sich „fort.„ „We- „Wenigstens, Madame, erwiederte Selim, „werden Sie nicht leugnen, daß, wenn die Epi- „soden uns aus der Täuschung heraus bringen, „der Dialog uns wieder herein setzt. Jch „wüßte nicht, wer das besser verstünde, als un- „sere tragische Dichter.„ „Nun so versteht es durchaus niemand, ant- „wortete Mirzoza. Das Gesuchte, das Witzi- „ge, das Spielende, das darinn herrscht, ist „tausend und tausend Meilen von der Natur „entfernt. Umsonst sucht sich der Verfasser zu „verstecken; er entgeht meinen Augen nicht, und „ich erblicke ihn unauf hörlich hinter seinen „Personen. Cinna, Sertorius, Maximus, „Aemilia, sind alle Augenblicke das Sprachrohr „des Corneille. So spricht man bey unsern al- „ten Saracenen nicht mit einander. Herr Ri- „caric kann Jhnen, wenn Sie wollen, einige „Stellen daraus übersetzen; und sie werden die „bloße Natur hören, die sich durch den Mund „derselben ausdrückt. Jch möchte gar zu gern „zu den Neuern sagen: „Meine Herren, an- „statt daß ihr euern Personen bey aller Gelegen- „heit Witz gebt, so sucht sie doch lieber in Um- „stände zu setzen, die ihnen welchen geben.„ „Nach dem zu urtheilen, was Madame von „dem Verlaufe und dem Dialoge unserer dra- „matischen Stücke gesagt hat, scheint es wohl K k 2 „nicht, „nicht, sagte Selim, daß Sie den Entwicklun- „gen wird Gnade wiederfahren lassen.„ „Nein, gewiß nicht, versetzte die Favoritinn: „es giebt hundert schlechte für eine gute. Die „eine ist nicht vorbereitet; die andere eräugnet „sich durch ein Wunder. Weis der Verfasser „nicht, was er mit einer Person, die er von „Scene zu Scene ganze fünf Akte durchge- „schleppt hat, anfangen soll: geschwind fertiget „er sie mit einem guten Dolchstoße ab; die ganze „Welt fängt an zu weinen, und ich, ich lache, „als ob ich toll wäre. Hernach, hat man wohl „jemals so gesprochen, wie wir declamiren? „Pflegen die Prinzen und Könige wohl anders „zu gehen, als sonst ein Mensch, der gut geht? „Gesticuliren sie wohl jemals, wie Besessene „und Rasende? Und wenn Prinzeßinnen spre- „chen, sprechen sie wohl in so einem heulenden „Tone? Man nimmt durchgängig an, daß wir „die Tragödie zu einem hohen Grade der Voll- „kommenheit gebracht haben: und ich, meines „Theils, halte es fast für erwiesen, daß von „allen Gattungen der Litteratur, auf die sich „die Afrikaner in den letzten Jahrhunderten ge- „legt haben, gerade diese die unvollkommenste „geblieben ist.„ „Eben hier war die Favoritinn mit ihrem „Ausfalle gegen unsere theatralische Werke, als „Mongogul wieder herein kam. Madame, „sagte „sagte er, Sie werden mir einen Gefallen er- „weisen, wenn Sie fortfahren. Sie sehen, ich „verstehe mich darauf, eine Dichtkunst abzu- „kürzen, wenn ich sie zu lang finde.„ „Lassen Sie uns, fuhr die Favoritinn fort, „einmal annehmen, es käme einer ganz frisch „aus Angote, der in seinem Leben von keinem „Schauspiele etwas gehört hätte; dem es aber „weder an Verstande noch an Welt fehle; der „ungefehr wisse, was an einem Hofe vorgehe; „der mit den Anschlägen der Höflinge, mit der „Eifersucht der Minister, mit den Hetzereyen „der Weiber nicht ganz unbekannt wäre, und „zu dem ich im Vertrauen sagte: „Mein „Freund, es äußern sich in dem Seraglio „schreckliche Bewegungen. Der Fürst, der „mit seinem Sohne mißvergnügt ist, weil er „ihn im Verdacht hat, daß er die Manimon- „bande liebt, ist ein Mann, den ich für fähig „halte, an beiden die grausamste Rache zu üben. „Diese Sache muß, allem Ansehen nach, sehr „traurige Folgen haben. Wenn Sie wollen, so „will ich machen, daß Sie von allem, was vor- „geht, Zeuge seyn können.„ Er nimmt mein „Anerbieten an, und ich führe ihn in eine mit „Gitterwerk vermachte Loge, aus der er das „Theater sieht, welches er für den Pallast des „Sultans hält. Glauben Sie wohl, daß „Trotz alles Ernstes, in dem ich mich zu erhal- K k 3 „ten „ten bemühte, die Täuschung dieses Fremden „einen Augenblick dauern könnte? Müssen Sie „nicht vielmehr gestehen, daß er, bey dem stei- „fen Gange der Akteurs, bey ihrer wunderli- „chen Tracht, bey ihren ausschweifenden Ge- „behrden, bey dem seltsamen Nachdrucke ihrer „gereimten, abgemessenen Sprache, bey tau- „send andern Ungereimtheiten, die ihm auf- „fallen würden, gleich in der ersten Scene mir „ins Gesicht lachen und gerade heraus sagen „würde, daß ich ihn entweder zum besten haben „wollte, oder daß der Fürst mit sammt seinem „Hofe nicht wohl bey Sinnen seyn müßten.„ „Jch bekenne, sagte Selim, daß mich dieser „angenommene Fall verlegen macht; aber könnte „man Jhnen nicht zu bedenken geben, daß wir „in das Schauspiel gehen, mit der Ueberzeu- „gung, der Nachahmung einer Handlung, nicht „aber der Handlung selbst, beyzuwohnen.„ „Und sollte denn diese Ueberzeugung verweh- „ren, erwiderte Mirzoza, die Handlung auf „die allernatürlichste Art vorzustellen?„ — Hier kömmt das Gespräch nach und nach auf andere Dinge, die uns nichts angehen. Wir wenden uns also wieder, zu sehen, was wir ge- lesen haben. Den klaren lautern Diderot! Aber alle diese Wahrheiten waren damals in den Wind gesagt. Sie erregten eher keine Em- pfindung in dem französischen Publico, als bis sie sie mit allem didaktischen Ernste wiederhohlt, und mit Proben begleitet wurden, in welchen sich der Verfasser von einigen der gerügten Mängel zu entfernen, und den Weg der Natur und Täuschung besser einzuschlagen, bemüht hatte. Nun weckte der Neid die Critik. Nun war es klar, warum Diderot das Theater seiner Nation auf dem Gipfel der Vollkommenheit nicht sahe, auf dem wir es durchaus glauben sollen; warum er so viel Fehler in den gepriesenen Meister- stücken desselben fand: blos und allein, um seinen Stücken Platz zu schaffen. Er mußte die Me- thode seiner Vorgänger verschrien haben, weil er empfand, daß in Befolgung der nehmlichen Methode, er unendlich unter ihnen bleiben wür- de. Er mußte ein elender Charlatan seyn, der allen fremden Theriak verachtet, damit kein Mensch andern als seinen kaufe. Und so fielen die Palissots über seine Stücke her. Allerdings hatte er ihnen auch, in seinem na- türlichen Sohne , manche Blöße gegeben. Dieser erste Versuch ist bey weiten das nicht, was der Hausvater ist. Zu viel Einförmigkeit in den Charakteren, das Romantische in diesen Charakteren selbst, ein steifer kostbarer Dialog, ein pedantisches Geklingle von neumodisch phi- losophischen Sentenzen: alles das machte den Tadlern leichtes Spiel. Besonders zog die feyerliche Theresia (oder Constantia, wie sie in dem dem Originale heißt,) die so philosophisch selbst auf die Freyerey geht, die mit einem Manne, der sie nicht mag, so weise von tugendhaften Kindern spricht, die sie mit ihm zu erzielen ge- denkt, die Lacher auf ihre Seite. Auch kann man nicht leugnen, daß die Einkleidung, welche Diderot den beygefügten Unterredungen gab, daß der Ton, den er darinn annahm, ein wenig eitel und pompös war; daß verschiedene Anmerkun- gen als ganz neue Entdeckungen darinn vorge- tragen wurden, die doch nicht neu und dem Ver- fasser nicht eigen waren; daß andere Anmerkun- gen die Gründlichkeit nicht hatten, die sie in dem blendenden Vortrage zu haben schienen. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Sechs und achtzigstes Stück. Den 26sten Februar, 1768. Z . E. Diderot behauptete, S. die Unterredungen hinter dem Natürli- chen Sohne S. 321. 22. d. Uebers. daß es in der menschlichen Natur aufs höchste nur ein Dutzend wirklich komische Charaktere gäbe, die großer Züge fähig wären; und daß die kleinen Verschiedenheiten unter den mensch- lichen Charakteren nicht so glücklich bearbeitet werden könnten, als die reinen unvermischten Charaktere. Er schlug daher vor, nicht mehr die Charaktere, sondern die Stände auf die Bühne zu bringen; und wollte die Bearbeitung dieser, zu dem besondern Geschäfte der ernsthaf- ten Komödie machen. „Bisher, sagt er, ist „in der Komödie der Charakter das Hauptwerk „gewesen; und der Stand war nur etwas Zu- „fälliges: nun aber muß der Stand das Haupt- „werk, L l „werk, und der Charakter das Zufällige wer- „den. Aus dem Charakter zog man die ganze „Jntrigue: man suchte durchgängig die Um- „stände, in welchen er sich am besten äußert, „und verband diese Umstände unter einander. „Künftig muß der Stand, müssen die Pflichten, „die Vortheile, die Unbequemlichkeiten dessel- „ben zur Grundlage des Werks dienen. Diese „Quelle scheint mir weit ergiebiger, von weit „größerm Umfange, von weit größerm Nutzen, „als die Quelle der Charaktere. War der Cha- „rakter nur ein wenig übertrieben, so konnte „der Zuschauer zu sich selbst sagen: das bin ich „nicht. Das aber kann er unmöglich leugnen, „daß der Stand, den man spielt, sein Stand „ist; seine Pflichten kann er unmöglich verken- „nen. Er muß das, was er hört, nothwendig „auf sich anwenden.„ Was Palissot hierwider erinnert, Petites Lettres sur de grands Philosophes Lettr. II. ist nicht ohne Grund. Er leugnet es, daß die Natur so arm an ursprünglichen Charakteren sey, daß sie die komischen Dichter bereits sollten erschöpft haben. Moliere sahe noch genug neue Charaktere vor sich, und glaubte kaum den al- lerkleinsten Theil von denen behandelt zu ha- ben, die er behandeln könne. Die Stelle, in welcher er verschiedne derselben in der Geschwin- digkeit digkeit entwirft, ist so merkwürdig als lehrreich, indem sie vermuthen läßt, daß der Misanthrop schwerlich sein Non plus ultra in dem hohen Komischen dürfte geblieben seyn, wann er län- ger gelebt hätte. ( Im promptu de Versailles Sc. 2.) Eh! mon pauvre Marquis, nous lui (à Moliere) fournirons toujours assez de matiere, \& nous ne prenons guères le chemin de nous rendre sages par tout ce qu’il fait \& tout ce qu’il dit. Crois-tu qu’il ait épuisé dans ses Comedies tous les ridicules des hommes, \& sans sortir de la Cour, n’a-t-il pas encore vingt ca- ractères de gens, ou il n’a pas touché? N’a-t-il pas, par exemple, ceux qui se font les plus grandes amities du monde, \& qui, le dos tourné, font galanterie de se dechirer l’un l’autre? N’a-t-il pas ces adulateurs à outrance, ces flatteurs insi- pides qui n’assaisonnent d’aucun sel les louanges qu’ils donnent, \& dont toutes les flatteries ont une douceur fade qui fait mal au cœur à ceux qui les écou- tent? N’a-t-il pas ces lâches courtisans de la faveur, ces perfides adorateurs de la fortune, qui vous encensent dans la prosperité, \& vous accablent dans la disgrace? N’a-t-il pas ceux qui sont tou- jours mécontens de la Cour, ces suivans inutiles, ces incommodes assidus, ces gens, dis-je, qui pour services ne pou- vent Palissot selbst ist nicht un- L l 2 glück- glücklich, einige neue Charaktere von seiner eig- nen Bemerkung beyzufügen: den dummen Mäcen, mit seinen kriechenden Clienten; den Mann, en seiner unrechten Stelle; den Arg- listigen, dessen ausgekünstelte Anschläge immer gegen die Einfalt eines treuherzigen Bieder- manns scheitern; den Scheinphilosophen; den Sonderling, den Destouches verfehlt habe; den Heuchler mit gesellschaftlichen Tugenden, da der Religionsheuchler ziemlich aus der Mode sey. — Das sind wahrlich nicht gemeine Aus- sichten, die sich einem Auge, das gut in die Ferne trägt, bis ins Unendliche erweitern. Da ist noch Erndte genug für die wenigen Schnitter, die sich daran wagen dürfen! Und wenn auch, sagt Palissot, der komischen Charaktere wirklich so wenige, und diese weni- gen wirklich alle schon bearbeitet wären: wür- den vent compter que des importunités, \& qui veulent qu’on les recompense d’avoir obsedé le Prince dix ans durant? N’a-t-il pas ceux qui caressent egalement tout le monde, qui promenent leurs civilités à droite, à gauche, \& courent à tous ceux qu’ils vovent avec les mêmes embras- sades, \& les mêmes protestations d’ami- tié? — — Va, va, Marquis, Moliere aura toujours plus de sujets qu’il n’en voudra, \& tout ce qu’il a touché n’est que bagatelle au prix de ce qui reste. den die Stände denn dieser Verlegenheit abhel- fen? Man wähle einmal einen; z. E. den Stand des Richters. Werde ich ihm denn, dem Richter, nicht einen Charakter geben müs- sen? Wird er nicht traurig oder lustig, ernst- haft oder leichtsinnig, leutselig oder stürmisch seyn müssen? Wird es nicht blos dieser Cha- rakter seyn, der ihn aus der Klasse metaphysi- scher Abstrakte heraushebt, und eine wirkliche Person aus ihm macht? Wird nicht folglich die Grundlage der Jntrigue und die Moral des Stücks wiederum auf dem Charakter beruhen? Wird nicht folglich wiederum der Stand nur das Zufällige seyn? Zwar könnte Diderot hierauf antworten: Freylich muß die Person, welche ich mit dem Stande bekleide, auch ihren individuellen mo- ralischen Charakter haben; aber ich will, daß es ein solcher seyn soll, der mit den Pflichten und Verhältnissen des Standes nicht streitet, sondern aufs beste harmoniret. Also, wenn diese Person ein Richter ist, so steht es mir nicht frey, ob ich ihn ernsthaft oder leichtsinnig, leutselig oder stürmisch machen will: er muß nothwendig ernsthaft und leutselig seyn, und jedesmal es in dem Grade seyn, den das vorhabende Geschäfte erfodert. Dieses, sage ich, könnte Diderot antwor- ten: aber zugleich hätte er sich einer andern L l 3 Klippe Klippe genähert; nehmlich der Klippe der voll- kommnen Charaktere. Die Personen seiner Stände würden nie etwas anders thun, als was sie nach Pflicht und Gewissen thun müßten; sie würden handeln, völlig wie es im Buche steht. Erwarten wir das in der Komödie? Können dergleichen Vorstellungen anziehend genug werden? Wird der Nutzen, den wir da- von hoffen dürfen, groß genug seyn, daß es sich der Mühe verlohnt, eine neue Gattung dafür fest zu setzen, und für diese eine eigene Dicht- kunst zu schreiben? Die Klippe der vollkommenen Charaktere scheinet mir Diderot überhaupt nicht genug er- kundiget zu haben. Jn seinen Stücken steuert er ziemlich gerade darauf los: und in seinen kri- tischen Seekarten findet sich durchaus keine Warnung davor. Vielmehr finden sich Dinge darinn, die den Lauf nach ihr hin zu lenken ra- then. Man erinnere sich nur, was er, bey Gelegenheit des Contrasts unter den Charakte- ren, von den Brüdern des Terenz sagt. Jn der dr. Dichtkunst hinter dem Hausvater S. 358. d. Uebers. „Die zwey contrastirten Väter darinn sind mit „so gleicher Stärke gezeichnet, daß man dem „feinsten Kunstrichter Trotz bieten kann, die „Hauptperson zu nennen; ob es Micio oder ob „es Demea seyn soll? Fällt er sein Urtheil vor „dem „dem letzten Auftritte, so dürfte er leicht mit „Erstaunen wahrnehmen, daß der, den er gan- „zer fünf Aufzüge hindurch, für einen verständi- „gen Mann gehalten hat, nichts als ein Narr „ist, und daß der, den er für einen Narren ge- „halten hat, wohl gar der verständige Mann „seyn könnte. Man sollte zu Anfange des fünf- „ten Aufzuges dieses Drama fast sagen, der „Verfasser sey durch den beschwerlichen Con- „trast gezwungen worden, seinen Zweck fahren „zu lassen, und das ganze Jnteresse des Stücks „umzukehren. Was ist aber daraus geworden? „Dieses, daß man gar nicht mehr weiß, für „wen man sich interessiren soll. Vom Anfange „her ist man für den Micio gegen den Demea „gewesen, und am Ende ist man für keinen von „beiden. Beynahe sollte man einen dritten Va- „ter verlangen, der das Mittel zwischen diesen „zwey Personen hielte, und zeigte, worinn sie „beide fehlten.„ Nicht ich! Jch verbitte mir ihn sehr, diesen dritten Vater; es sey in dem nehmlichen Stücke, oder auch allein. Welcher Vater glaubt nicht zu wissen, wie ein Vater seyn soll? Auf dem rechten Wege dünken wir uns alle: wir verlan- gen nur, dann und wann vor den Abwegen zu beiden Seiten gewarnet zu werden. Diderot hat Recht: es ist besser, wenn die Cha- raktere blos verschieden, als wenn sie contrastirt sind. sind. Contrastirte Charaktere sind minder natür- lich und vermehren den romantischen Anstrich, an dem es den dramatischen Begebenheiten so schon selten fehlt. Für eine Gesellschaft, im gemeinen Le- ben, wo sich der Contrast der Charaktere so ab- stechend zeigt, als ihn der komische Dichter ver- langt, werden sich immer tausend finden, wo sie wei- ter nichts als verschieden sind. Sehr richtig! Aber ist ein Charakter, der sich immer genau in dem gra- den Gleiße hält, das ihm Vernunft und Tugend vorschreiben, nicht eine noch seltenere Erscheinung? Von zwanzig Gesellschaften im gemeinen Leben, werden eher zehn seyn, in welchen man Väter fin- det, die bey Erziehung ihrer Kinder völlig entgegen gesetzte Wege einschlagen, als eine, die den wahren Vater aufweisen könnte. Und dieser wahre Vater ist noch dazu immer der nehmliche, ist nur ein einzi- ger, da der Abweichungen von ihm unendlich sind. Folglich werden die Stücke, die den wahren Vater ins Spiel bringen, nicht allein jedes vor sich unnatürli- cher, sondern auch unter einander einförmiger seyn, als es die seyn können, welche Väter von verschiednen Grundsätzen einführen. Auch ist es gewiß, daß die Charaktere, welche in ruhigen Gesellschaften blos ver- schieden scheinen, sich von selbst contrastiren, sobald ein streitendes Jnteresse sie in Bewegung setzt. Ja es ist natürlich, daß sie sich sodann beeifern, noch weiter von einander entfernt zu scheinen, als sie wirklich sind. Der Lebhafte wird Feuer und Flamme gegen den, der ihm zu lau sich zu betragen scheinet: und der Laue wird kalt wie Eis, um jenem so viel Uebereilungen begehen zu lassen, als ihm nur im̃er nützlich seyn köñen. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Sieben und achtzig und acht und achtzigstes Stück. Den 4ten Merz, 1768. U nd so sind andere Anmerkungen des Palissot mehr, wenn nicht ganz richtig, doch auch nicht ganz falsch. Er sieht den Ring, in den er mit seiner Lanze stoßen will, scharf genug; aber in der Hitze des Ansprengens, verrückt die Lanze, und er stößt den Ring gerade vorbey. So sagt er über den natürlichen Sohn unter andern: „Welch ein seltsamer Titel! der „natürliche Sohn! Warum heißt das Stück „so? Welchen Einfluß hat die Geburt des „Dorval? Was für einen Vorfall veranlaßt „sie? Zu welcher Situation giebt sie Gelegen- „heit? Welche Lücke füllt sie auch nur? Was „kann also die Absicht des Verfassers dabey ge- „wesen seyn? Ein Paar Betrachtungen über „das Vorurtheil gegen die uneheliche Geburt M m „auf- „aufzuwärmen? Welcher vernünftige Mensch „weiß denn nicht von selbst, wie ungerecht ein „solches Vorurtheil ist?„ Wenn Diderot hierauf antwortete: Dieser Umstand war allerdings zur Verwickelung mei- ner Fabel nöthig; ohne ihm würde es weit un- wahrscheinlicher gewesen seyn, daß Dorval seine Schwester nicht kennet, und seine Schwester von keinem Bruder weiß; es stand mir frey, den Titel davon zu entlehnen, und ich hätte den Titel von noch einem geringern Umstande ent- lehnen können. — Wenn Diderot dieses ant- wortete, sag ich, wäre Palissot nicht ungefehr widerlegt? Gleichwohl ist der Charakter des natürlichen Sohnes einem ganz andern Einwurfe blos ge- stellet, mit welchem Palissot dem Dichter weit schärfer hätte zusetzen können. Diesem nehmlich: daß der Umstand der unehelichen Geburt, und der daraus erfolgten Verlassenheit und Abson- derung, in welcher sich Dorval von allen Men- schen so viele Jahre hindurch sahe, ein viel zu eigenthümlicher und besonderer Umstand ist, gleichwohl auf die Bildung seines Charakters viel zu viel Einfluß gehabt hat, als daß dieser diejenige Allgemeinheit haben könne, welche nach der eignen Lehre des Diderot ein komischer Charakter nothwendig haben muß. — Die Ge- legenheit reitzt mich zu einer Ausschweifung über diese diese Lehre: und welchem Reitze von der Art brauchte ich in einer solchen Schrift zu wider- stehen? „Die komische Gattung, sagt Diderot, Unterred. S. 292. d. Uebers. „hat Arten, und die tragische hat Jndividua. „Jch will mich erklären. Der Held einer Tra- „gödie ist der und der Mensch: es ist Regulus, „oder Brutus, oder Cato, und sonst kein an- „derer. Die vornehmste Person einer Komödie „hingegen muß eine große Anzahl von Menschen „vorstellen. Gäbe man ihr von ohngefehr eine „so eigene Physiognomie, daß ihr nur ein einziges „Jndividuum ähnlich wäre, so würde die Ko- „mödie wieder in ihre Kindheit zurücktreten. — „Terenz scheinet mir einmal in diesen Fehler ge- „fallen zu seyn. Sein Heavtontimorume- „nos ist ein Vater, der sich über den gewaltsa- „men Entschluß grämet, zu welchem er seinen „Sohn durch übermäßige Strenge gebracht hat, „und der sich deswegen nun selbst bestraft, in- „dem er sich in Kleidung und Speise kümmerlich „hält, allen Umgang fliehet, sein Gesinde ab- „schaft, und das Feid mit eigenen Händen bauet. „Man kann gar wohl sagen, daß es so einen „Vater nicht giebt. Die größte Stadt würde „kaum in einem ganzen Jahrhunderte Ein Bey- „spiel einer so seltsamen Betrübniß aufzuweisen „haben.„ M m 2 Zu- Zuerst von der Jnstanz des Heavtontimoru- menos. Wenn dieser Charakter wirklich zu ta- deln ist: so trift der Tadel nicht sowohl den Te- renz, als den Menander. Menander war der Schöpfer desselben, der ihn, allem Ansehen nach, in seinem Stücke noch eine weit ausführ- lichere Rolle spielen lassen, als er in der Copie des Terenz spielet, in der sich seine Sphäre, wegen der verdoppelten Jntrigue, wohl sehr einziehen müssen. Falls nehmlich die 6te Zeile des Prologs Duplex quæ ex argumento facta est simplici, von dem Dichter wirklich so geschrieben, und nicht anders zu verstehen ist, als die Dacier und nach ihr der neue englis. Uebersetzer des Terenz, Colman, sie erklären. Terence only meant to say, that he had doubled the characters; instead of one old man, one young gal- lant, one mistress, as in Menander, he had two old men \&c. He therefore adds very properly: novam esse ostendi , — which certainly could not have been implied, had the characters been the same in the Greek poet. Auch schon Adrian Bar- landus, ja selbst die alte Glossa interlinea- lis des Asceusius, hatte das duplex nicht an- ders verstanden: propter senes \& juvenes sagt diese; und jener schreibt, nam in hac latina senes duo, adolescentes item duo sunt. Aber daß er von Me- nan- nandern herrührt, dieses allein schon hätte, mich wenigstens, abgeschreckt, den Terenz desfalls M m 3 zu sunt. Und dennoch will mir diese Auslegung nicht in den Kopf, weil ich gar nicht einsehe, was von dem Stücke übrig bleibt, wenn man die Personen, durch welche Terenz den Alten, den Liebhaber und die Geliebte verdoppelt ha- ben soll, wieder wegnimmt. Mir ist es un- begreiflich, wie Menander diesen Stoff, ohne den Chremes und ohne den Clitipho, habe behandeln können; beide sind so genau hinein- geflochten, daß ich mir weder Verwicklung noch Auflösung ohne sie denken kann. Einer andern Erklärung, durch welche sich Julius Scaliger lächerlich gemacht hat, will ich gar nicht gedenken. Auch die, welche Eugra- phius gegeben hat, und die vom Faerne an- genommen worden, ist ganz unschicklich. Jn dieser Verlegenheit haben die Kritici bald das duplex bald das simplici in der Zeile zu ver- ändern gesucht, wozu sie die Handschriften gewissermaaßen berechtigten. Einige haben gelesen: Duplex quæ ex argumento facta est du- plici. Andere: Simplex quæ ex argumento facta est du- plici. Was bleibt noch übrig, als daß nun auch ei- ner lieset: Simplex quæ ex argumento facta est sim- plici? Und zu verdammen. Das ὠ Μενανδρε ϰαι βιε, ποτερος ἀῤ ὑμων ποτερον ἐμιμησατο; ist zwar Und in allem Ernste: so möchte ich am lieb- sten lesen. Man sehe die Stelle im Zusam- menhange, und überlege meine Gründe. Ex integra Græca integram comœdiam Hodie sum acturus Heavtontimorume- non: Simplex quæ ex argumento facta est sim- plici. Es ist bekannt, was dem Terenz von seinen neidischen Mitarbeitern am Theater vorge- worfen ward: Multas contaminasse græcas, dum facit Paucas latinas — Er schmelzte nehmlich öfters zwey Stücke in eines, und machte aus zwey Griechischen Ko- mödien eine einzige Lateinische. So setzte er seine Andria aus der Andria und Perinthia des Menanders zusammen; seinen Evnuchus, aus dem Evnuchus und dem Colax eben die- ses Dichters; seine Brüder, aus den Brü- dern des nehmlichen und einem Stücke des Diphilus. Wegen dieses Vorwurfs rechtfer- tiget er sich nun in dem Prologe des Heav- tontimorumenos. Die Sache selbst gesteht er ein; aber er will damit nichts anders ge- than haben, als was andere gute Dichter vor ihm gethan hätten. — Id zwar frostiger, als witzig gesagt: doch würde man es wohl überhaupt von einem Dichter ge- sagt — — — Id esse factum hic non negat Neque se pigere, \& deinde factum iri autumat. Habet bonorum exemplum: quo exem- plo sibi Licere id facere, quod illi fecerunt, putat. Jch habe es gethan, sagt er, und ich denke, daß ich es noch öfterer thun werde. Das bezog sich aber auf vorige Stücke, und nicht auf das Gegenwärtige, den Heavtonti- morumenos. Denn dieser war nicht aus zwey griechischen Stücken, sondern nur aus einem einzigen gleiches Namens genommen. Und das ist es, glaube ich, was er in der streitigen Zeile sagen will, so wie ich sie zu lesen vorschlage: Simplex quæ ex argumento facta est sim- plici. So einfach, will Terenz sagen, als das Stück des Menanders ist, eben so einfach ist auch mein Stück; ich habe durchaus nichts aus andern Stücken eingeschaltet; es ist, so lang es ist, aus dem griechischen Stücke genom- men, und das griechische Stück ist ganz in meinem Lateinischen; ich gebe also Ex integra Græca integram Comœdiam. Die sagt haben, der Charaktere zu schildern im Stande wäre, wovon sich in der größten Stadt kaum Die Bedeutung, die Faerne dem Worte in- tegra in einer alten Glosse gegeben fand, daß es so viel seyn sollte, als a nullo tacta, ist hier offenbar falsch, weil sie sich nur auf das erste integra, aber keinesweges auf das zweyte in- tegram schicken würde. — Und so glaube ich, daß sich meiner Vermuthung und Auslegung wohl hören läßt! Nur wird man sich an die gleich folgende Zeile stoßen: Novam esse ostendi, \& quæ esset — Man wird sagen: wenn Terenz bekennet, daß er das ganze Stück aus einem einzigen Stücke des Menanders genommen habe; wie kann er eben durch dieses Bekenntniß bewiesen zu haben vorgeben, daß sein Stück nen sey, no- vam esse? — Doch diese Schwierigkeit kann ich sehr leicht heben, und zwar durch eine Er- klärung eben dieser Worte, von welcher ich mich zu behaupten getraue, daß sie schlechter- dings die einzige wahre ist, ob sie gleich nur mir zugehört, und kein Ausleger, so viel ich weiß, sie nur von weitem vermuthet hat. Jch sage nehmlich; die Worte, Novam esse ostendi, \& quæ esset — beziehen sich keinesweges auf das, was Te- renz den Vorredner in dem Vorigen sagen lassen; sondern man muß darunter verstehen, apud Aediles; novus aber heißt hier nicht, was aus des Terenz eigenem Kopfe geflossen, son- kaum in einem ganzen Jahrhunderte ein einziges Beyspiel zeiget? Zwar in hundert und mehr Stücken könnte ihm auch wohl Ein solcher Cha- rakter sondern blos, was im Lateinischen noch nicht vorhanden gewesen. Daß mein Stück, will er sagen, ein neues Stück sey, das ist, ein solches Stück, welches noch nie lateinisch er- schienen, welches ich selbst aus dem Griechi- schen übersetzt, das habe in den Aedilen, die mir es abgekauft, bewiesen. Um mir hierinn ohne Bedenken beyzufallen, darf man sich nur an den Streit erinnern, welchen er, wegen seines Evnuchus, vor den Aedilen hatte. Die- sen hatte er ihnen als ein neues, von ihm aus dem Griechischen übersetztes Stück verkauft: aber sein Widersacher, Lavinius, wollte den Aedilen überreden, daß er es nicht aus dem Griechischen, sondern aus zwey alten Stücken des Nävius und Plautus genommen habe. Freylich hatte der Evnuchus mit diesen Stücken vieles gemein; aber doch war die Beschuldi- gung des Lavinius falsch; denn Terenz hatte nur aus eben der griechischen Quelle geschöpft, aus welcher, ihm unwissend, schon Nävius und Plautus vor ihm geschöpft hatten. Al- so, um dergleichen Verleumdungen bey seinem Heavtontimorun enos vorzubauen, was war natürlicher, als daß er den Aedilen das grie- chische Original vorgezeigt, und sie wegen des Jnhalts unterrichtet hatte? Ja, die Aedi- len konnten das leicht selbst von ihm gefodert haben. Und darauf geht das Novam esse ostendi, \& quæ esset. N n rakter entfallen seyn. Der fruchtbarste Kopf schreibt sich leer; und wenn die Einbildungs- kraft sich keiner wirklichen Gegenstände der Nach- ahmung mehr erinnern kann, so componirt sie deren selbst, welches denn freylich meistens Car- rikaturen werden. Dazu will Diderot bemerkt haben, daß schon Horaz, der einen so besonders zärtlichen Geschmack hatte, den Fehler, wovon die Rede ist, eingesehen, und im Vorbeygehen, aber fast unmerklich, getadelt habe. Die Stelle soll die in der zweyten Satyre des ersten Buchs seyn, wo Horaz zeigen will, „daß „die Narren aus einer Uebertreibung in die an- „dere entgegengesetzte zu fallen pflegen. Fufi- „dius, sagt er, fürchtet für einen Verschwender „gehalten zu werden. Wißt ihr, was er thut? „Er leihet monatlich für fünf Procent, und „macht sich im voraus bezahlt. Je nöthiger der „andere das Geld braucht, desto mehr fodert er. „Er weiß die Namen aller jungen Leute, die „von gutem Hause sind, und itzt in die Welt „treten, dabey aber über harte Väter zu klagen „haben. Vielleicht aber glaubt ihr, daß die- „ser Mensch wieder einen Aufwand mache, der „seinen Einkünften entspricht? Weit gefehlt! „Er ist sein grausamster Feind, und der Vater „in der Komödie, der sich wegen der Entwei- „chung seines Sohnes bestraft, kann sich nicht „schlechter quälen: non se pejus cruciave- „rit. „rit. „ — Dieses schlechter , dieses pejus, will Diderot, soll hier einen doppelten Sinn haben; einmal soll es auf den Fusidius, und einmal auf den Terenz gehen; dergleichen bey- läufige Hiebe, meinet er, wären dem Charakter des Horaz auch vollkommen gemäß. Das letzte kann seyn, ohne sich auf die vor- habende Stelle anwenden zu lassen. Denn hier, dünkt mich, würde die beyläufige Anspielung dem Hauptverstande nachtheilig werden. Fusi- dius ist kein so großer Narr, wenn es mehr sol- che Narren giebt. Wenn sich der Vater des Terenz eben so abgeschmackt peinigte, wenn er eben so wenig Ursache hätte, sich zu peinigen, als Fufidius, so theilt er das Lächerliche mit ihm, und Fufidius ist weniger seltsam und ab- geschmackt. Nur alsdenn, wenn Fufidius ohne alle Ursache eben so hart und grausam gegen sich selbst ist, als der Vater des Terenz mit Ursache ist, wenn jener aus schmutzigem Geitze thut, was dieser aus Reu und Betrübniß that: nur als- denn wird uns jener unendlich lächerlicher und verächtlicher, als mitleidswürdig wir diesen finden. Und allerdings ist jede große Betrübniß von der Art, wie die Betrübniß dieses Vaters: die sich nicht selbst vergißt, die peiniget sich selbst. Es ist wider alle Erfahrung, daß kaum alle hundert Jahre sich ein Beyspiel einer solchen Be- N n 2 trüb- trübniß finde: vielmehr handelt jede ungefehr eben so; nur mehr oder weniger, mit dieser oder jener Veränderung. Cicero hatte auf die Na- tur der Betrübniß genauer gemerkt; er sahe da- her in dem Betragen des Heavtontimorumenos nichts mehr, als was alle Betrübte, nicht blos von dem Affekte hingerissen, thun, sondern auch bey kälterm Geblüte fortsetzen zu müssen glau- ben. Tusc. Quæst. lib. III. c. 27. Hæc omnia recta, vera, de- bita putantes, faciunt in dolore: maxi- meque declaratur, hoc quasi officii ju- dicio fieri, quod si qui forte, cum se in luctu esse vellent, aliquid fecerunt huma- nius, aut si hilarius locuti essent, revo- cant se rursus ad mœstitiam, peccati- que se insimulant, quod dolere inter- miserint: pueros vero matres \& magistri castigare etiam solent, nec verbis solum, sed etiam verberibus, si quid in dome- stico luctu hilarius ab iis factum est, aut dictum: plorare cogunt. — Quid ille Te- rentianus ipse se puniens? u. s. w. Menedemus aber, so heißt der Selbstpeini- ger bey dem Terenz, hält sich nicht allein so hart aus Betrübniß; sondern, warum er sich auch jeden geringen Aufwand verweigert, ist die Ur- sache und Absicht vornehmlich dieses: um desto mehr für den abwesenden Sohn zu sparen, und dem dem einmal ein desto gemächlicheres Leben zu versichern, den er itzt gezwungen, ein so unge- mächliches zu ergreifen. Was ist hierinn, was nicht hundert Väter thun würden? Meint aber Diderot, daß das Eigene und Seltsame darinn bestehe, daß Menedemus selbst hackt, selbst gräbt, selbst ackert: so hat er wohl in der Eil mehr an unsere neuere, als an die alten Sitten gedacht. Ein reicher Vater itziger Zeit, würde das freylich nicht so leicht thun: denn die wenig- sten würden es zu thun verstehen. Aber die wohlhabensten, vornehmsten Römer und Grie- chen waren mit allen ländlichen Arbeiten be- kannter, und schämten sich nicht, selbst Hand anzulegen. Doch alles sey, vollkommen wie es Diderot sagt! Der Charakter des Selbstpeinigers sey wegen des allzu Eigenthümlichen, wegen dieser ihm fast nur allein zukommenden Falte, zu ei- nem komischen Charakter so ungeschickt, als er nur will. Wäre Diderot nicht in eben den Fehler gefallen? Denn was kann eigenthümli- cher seyn, als der Charakter seines Dorval? Welcher Charakter kann mehr eine Falte haben, die ihm nur allein zukömmt, als der Charakter dieses natürlichen Sohnes? „Gleich nach mei- „ner Geburt, läßt er ihn von sich selbst sagen, „ward ich an einen Ort verschleidert, der die „Grenze zwischen Einöde und Gesellschaft heis- N n 3 „sen „sen kann; und als ich die Augen aufthat, mich „nach den Banden umzusehen, die mich mit den „Menschen verknüpften, konnte ich kaum einige „Trümmern davon erblicken. Dreyßig Jahre „lang irrte ich unter ihnen einsam, unbekannt „und verabsäumet umher, ohne die Zärtlichkeit „irgend eines Menschen empfunden, noch irgend „einen Menschen angetroffen zu haben, der die „meinige gesucht hätte.„ Daß ein natürliches Kind sich vergebens nach seinen Aeltern, verge- bens nach Personen umsehen kann, mit welchen es die nähern Bande des Bluts verknüpfen: das ist sehr begreiflich; das kann unter zehnen neunen begegnen. Aber daß es ganze dreyßig Jahre in der Welt herum irren könne, ohne die Zärtlichkeit irgend eines Menschen empfunden zu haben, ohne irgend einen Menschen angetrof- fen zu haben, der die seinige gesucht hätte: das, sollte ich fast sagen, ist schlechterdings unmög- lich. Oder, wenn es möglich wäre, welche Menge ganz besonderer Umstände müßten von beiden Seiten, von Seiten der Welt und von Seiten dieses so lange insulirten Wesens, zu- sammen gekommen seyn, diese traurige Mög- lichkeit wirklich zu machen? Jahrhunderte auf Jahrhunderte werden verfließen, ehe sie wieder einmal wirklich wird. Wolle der Himmel nicht, daß ich mir je das menschliche Geschlecht anders vorstelle! Lieber wünschte ich sonst, ein Bär Bär gebohren zu seyn, als ein Mensch. Nein, kein Mensch kann unter Menschen so lange ver- lassen seyn! Man schleidere ihn hin, wohin man will: wenn er noch unter Menschen fällt, so fällt er unter Wesen, die, ehe er sich umge- sehen, wo er ist, auf allen Seiten bereit stehen, sich an ihn anzuketten. Sind es nicht vorneh- me, so sind es geringe! Sind es nicht glück- liche, so sind es unglückliche Menschen! Men- schen sind es doch immer. So wie ein Tropfen nur die Fläche des Wassers berühren darf, um von ihm aufgenommen zu werden und ganz in ihm zu verfließen: das Wasser heisse, wie es will, Lache oder Quelle, Strom oder See, Belt oder Ocean. Gleichwohl soll diese dreyßigiährige Einsam- keit unter den Menschen, den Charakter des Dorval gebildet haben. Welcher Charakter kann ihn nun ähnlich sehen? Wer kann sich in ihm erkennen? nur zum kleinsten Theil in ihm erkennen? Eine Ausflucht, finde ich doch, hat sich Di- derot auszusparen gesucht. Er sagt in dem Verfolge der angezogenen Stelle: „Jn der „ernsthaften Gattung werden die Charaktere „oft eben so allgemein seyn, als in der komi- „schen Gattung; sie werden aber allezeit weni- „ger individuell seyn, als in der Tragischen.„ Er würde sonach antworten: Der Charakter des des Dorval ist kein komischer Charakter; er ist ein Charakter, wie ihn das ernsthafte Schau- soiel erfodert; wie dieses den Raum zwischen Komödie und Tragödie füllen soll, so müssen auch die Charaktere desselben das Mittel zwi- schen den komischen und tragischen Charakteren halten; sie brauchen nicht so allgemein zu seyn als jene, wenn sie nur nicht so völlig individuell sind, als diese; und solcher Art dürfte doch wohl der Charakter des Dorval seyn. Also wären wir glücklich wieder an dem Punk- te, von welchem wir ausgiengen. Wir wollten untersuchen, ob es wahr sey, daß die Tragödie Jndividua, die Komödie aber Arten habe: das ist, ob es wahr sey, daß die Personen der Ko- mödie eine große Anzahl von Menschen fassen und zugleich vorstellen müßten; da hingegen der Held der Tragödie nur der und der Mensch, nur Regulus, oder Brutus, oder Cato sey, und seyn solle. Jst es wahr, so hat auch das, was Diderot von den Personen der mittlern Gattung sagt, die er die ernsthafte Komödie nennt, keine Schwierig- keit, und der Charakter seines Dorval wäre so tadelhaft nicht. Jst es aber nicht wahr, so fällt auch dieses von selbst weg, und dem Charakter des natürlichen Sohnes kann aus einer so unge- gründeten Eintheilung keine Rechtfertigung zu- fließen. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Neun und achtzigstes Stück. Den 8ten Merz, 1768. Z uerst muß ich anmerken, daß Diderot seine Assertion ohne allen Beweis gelassen hat. Er muß sie für eine Wahrheit angesehen haben, die kein Mensch in Zweifel ziehen werde, noch könne; die man nur denken dürfe, um ihren Grund zugleich mit zu denken. Und sollte er den wohl gar in den wahren Namen der tra- gischen Personen gefunden haben? Weil diese Achilles, und Alexander, und Cato, und Au- gustus heissen, und Achilles, Alexander, Cato, Augustus, wirkliche einzelne Personen gewesen sind: sollte er wohl daraus geschlossen haben, daß sonach alles, was der Dichter in der Tra- gödie sie sprechen und handeln läßt, auch nur diesen einzeln so genannten Personen, und kei- nem in der Welt zugleich mit, müsse zukommen können? Fast scheint es so. O o Aber Aber diesen Jrrthum hatte Aristoteles schon vor zwey tausend Jahren widerlegt, und auf die ihr entgegen stehende Wahrheit den wesent- lichen Unterschied zwischen der Geschichte und Poesie, so wie den größern Nutzen der letztern vor der erstern, gegründet. Auch hat er es auf eine so einleuchtende Art gethan, daß ich nur seine Worte anführen darf, um keine ge- ringe Verwunderung zu erwecken, wie in einer so offenbaren Sache ein Diderot nicht gleicher Meinung mit ihm seyn könne. „Aus diesen also, sagt Aristoteles, Dichtk. 9tes Kapitel. nach- dem er die wesentlichen Eigenschaften der poeti- schen Fabel festgesetzt, „aus diesen also erhellet klar, „daß des Dichters Werk nicht ist, zu erzählen, was „geschehen, sondern zu erzählen, von welcher Be- „schaffenheit das Geschehene, und was nach der „Wahrscheinlichkeit oder Nothwendigkeit dabey „möglich gewesen. Denn Geschichtschreiber und „Dichter unterscheiden sich nicht durch die ge- „bundene oder ungebundene Rede: indem man „die Bücher des Herodotus in gebundene Rede „bringen kann, und sie darum doch nichts we- „niger in gebundener Rede eine Geschichte seyn „werden, als sie es in ungebundener waren. Son- „dern darinn unterscheiden sie sich, daß jener erzäh- „let, was geschehen; dieser aber, von welcher Be- „schaffenheit das Geschehene gewesen. Daher ist „denn „denn auch die Poesie philosophischer und nütz- „licher als die Geschichte. Denn die Poesie „geht mehr auf das Allgemeine, und die Ge- „schichte auf das Besondere. Das Allgemeine „aber ist, wie so oder so ein Mann nach der „Wahrscheinlichkeit oder Nothwendigkeit spre- „chen und handeln würde; als worauf die „Dichtkunst bey Ertheilung der Namen sieht. „Das Besondere hingegen ist, was Aleibiades „gethan, oder gelitten hat. Bey der Komödie „nun hat sich dieses schon ganz offenbar gezeigt; „denn wenn die Fabel nach der Wahrscheinlich- „keit abgefaßt ist, legt man die etwanigen Na- „men sonach bey, und macht es nicht wie die Jam- „bischen Dichter, die bey dem Einzeln bleiben. „Bey der Tragödie aber hält man sich an die „schon vorhandenen Namen; aus Ursache, weil „das Mögliche glaubwürdig ist, und wir nicht „möglich glauben, was nie geschehen, da hin- „gegen was geschehen, offenbar möglich seyn „muß, weil es nicht geschehen wäre, wenn es „nicht möglich wäre. Und doch sind auch in „den Tragödien, in einigen nur ein oder zwey „bekannte Namen, und die übrigen sind erdich- „tet; in einigen auch gar keiner, so wie in der „ Blume des Agathon . Denn in diesem „Stücke sind Handlungen und Namen gleich „erdichtet, und doch gefällt es darum nichts „weniger.„ O o 2 Jn Jn dieser Stelle, die ich nach meiner eigenen Uebersetzung anführe, mit welcher ich so genau bey den Worten geblieben bin, als möglich, sind verschiedene Dinge, welche von den Aus- legern, die ich noch zu Rathe ziehen können, entweder gar nicht oder falsch verstanden worden. Was davon hier zur Sache gehört, muß ich mitnehmen. Das ist unwidersprechlich, daß Aristoteles schlechterdings keinen Unterschied zwischen den Personen der Tragödie und Komödie, in Anse- hung ihrer Allgemeinheit, macht. Die einen sowohl als die andern, und selbst die Personen der Epopee nicht ausgeschlossen, alle Personen der poetischen Nachahmung ohne Unterschied, sollen sprechen und handeln, nicht wie es ihnen einzig und allein zukommen könnte, sondern so wie ein jeder von ihrer Beschaffenheit in den nehmlichen Umständen sprechen oder handeln würde und müßte. Jn diesem ϰαϑολου, in die- ser Allgemeinheit liegt allein der Grund, warum die Poesie philosophischer und folglich lehrreicher ist, als die Geschichte; und wenn es wahr ist, daß derjenige komische Dichter, welcher seinen Personen so eigene Physiognomien geben wollte, daß ihnen nur ein einziges Jndividuum in der Welt ähnlich wäre, die Komödie, wie Diderot sagt, wiederum in ihre Kindheit zurücksetzen und in Satyre verkehren würde: so ist es auch eben so so wahr, daß derjenige tragische Dichter, wel- cher nur den und den Menschen, nur den Cä- sar, nur den Cato, nach allen den Eigenthüm- lichkeiten, die wir von ihnen wissen, vorstellen wollte, ohne zugleich zu zeigen, wie alle diese Eigenthümlichkeiten mit dem Charakter des Cä- sar und Cato zusammen gehangen, der ihnen mit mehrern kann gemein seyn, daß, sage ich, dieser die Tragödie entkräften und zur Geschichte erniedrigen würde. Aber Aristoteles sagt auch, daß die Poesie auf dieses Allgemeine der Personen mit den Na- men, die sie ihnen ertheile, ziele, (ου῾ ϛοχαζεται ἡ ποιησις ὀνοματα επιτιϑεμενη;) welches sich besonders bey der Komödie deutlich gezeigt habe. Und dieses ist es, was die Ausleger dem Aristo- teles nach zu sagen sich begnügt, im geringsten aber nicht erläutert haben. Wohl aber haben verschiedene sich so darüber ausgedrückt, daß man klar sieht, sie müssen entweder nichts, oder etwas ganz falsches dabey gedacht haben. Die Frage ist: wie sieht die Poesie, wenn sie ihren Personen Namen ertheilt, auf das Allgemeine dieser Personen? und wie ist diese ihre Rücksicht auf das Allgemeine der Person, besonders bey der Komödie, schon längst sichtbar gewesen? Die Worte: ἐϛι δε ϰαϑολου μεν, τῳ ποιῳ τα ποἰ ἀττα συμβαινει λεγειν, ἠ πραττειν ϰατα το εἰϰος, ἠ το ἀναγϰαιον, ου῾ ϛοχαζε- O o 3 ται ται ἠ ποιησις ὀοοματα ἐπιτιϑεμενη, übersetzt Dacier; une chose generale, c’est ce que tout homme d’un tel ou d’un tel caractere, a dû dire, ou faire vraisemblablement ou necessairement, ce qui est le but de la Pœsie lors même, qu’elle impose les noms à ses personnages. Vollkommen so übersetzt sie auch Herr Curtius: „Das Allgemeine ist, „was einer, vermöge eines gewissen Charakters, „nach der Wahrscheinlichkeit oder Nothwendig- „keit redet oder thut. Dieses Allgemeine ist der „Endzweck der Dichtkunst, auch wenn sie den „Personen besondere Namen beylegt.„ Auch in ihrer Anmerkung über diese Worte, stehen beide für einen Mann; der eine sagt vollkommen eben das, was der andere sagt. Sie erklären beide, was das Allgemeine ist; sie sagen beide, daß dieses Allgemeine die Absicht der Poesie sey: aber wie die Poesie bey Ertheilung der Namen auf dieses Allgemeine sieht, davon sagt keiner ein Wort. Vielmehr zeigt der Franzose durch sein lors même, so wie der Deutsche durch sein auch wenn , offenbar, daß sie nichts da- von zu sagen gewußt, ja daß sie gar nicht ein- mal verstanden, was Aristoteles sagen wollen. Denn dieses lors même, dieses auch wenn , heißt bey ihnen nichts mehr als ob schon ; und sie lassen den Aristoteles sonach blos sagen, daß ungeachtet die Poesie ihren Personen Namen Namen von einzeln Personen beylege, sie dem ohngeachtet nicht auf das Einzelne dieser Per- sonen, sondern auf das Allgemeine derselben gehe. Die Worte des Dacier, die ich in der Note anführen will, Aristote previent ici une objection, qu’on pouvoit lui faire, sur la definition, qu’il vient de donner d’une chose generale; car les ignorans n’auroit pas manqué de lui dire, qu’ Homere, par exemple, n’a point en vuë d’ecrire une action generale \& universelle, mais une action particu- liere, puisqu’il raconte ce qu’ont fait de certains hommes, comme Achille, Aga- memnon, Ulvsse, \&c. \& que par conse- quent, il n’y a aucune difference antre Homere \& un Historien, qui auroit ecrit les actions d’Achille. Le Philosophe va au devant de cette objection, en faisant voir que les Poetes, c’est a dire, les Au- teurs d’une Tragedie ou d’un Poeme Epi- que, lors meme, qu’ils imposent les noms à leurs personnages ne pensent en aucune maniere à les faire parler veritablement, ce qu’ils seroit obligez de faire, s’ils ecri- voient les actions particulieres \& verita- bles d’un certain homme, nommé Achille ou Edipe, mais qu’ils se proposent de les faire parler \& agir necessairement ou vraisemblablement; c’est a dire, de leur faire dire, \& faire tout ce que des hom- mes de ce meme caractére devoient faire \& zeigen dieses deutlich. Nun Nun ist es wahr, daß dieses eigentlich keinen falschen Sinn macht; aber es erschöpft doch auch den Sinn des Aristoteles hier nicht. Nicht genug, daß die Poesie, ungeachtet der von ein- zeln Personen genommenen Namen, auf das Allgemeine gehen kann: Aristoteles sagt, daß sie mit diesen Namen selbst auf das Allgemeine ziele, ου᾽ ϛοχαζεται. Jch sollte doch wohl mei- nen, daß beides nicht einerley wäre. Jst es aber nicht einerley: so geräth man nothwendig auf die Frage; wie zielt sie darauf? Und auf diese Frage antworten die Ausleger nichts. Ham- \& dire en cet etat, ou par necessité, ou au moins selon les regles de la vraisemblance; ce qui prouve incontestablement que ce sont des actions generales \& universelles. Nichts anders sagt auch Herr Curtius in sei- ner Anmerkung; nur daß er das Allgemeine und Einzelne noch an Beyspielen zeigen wol- len, die aber nicht so recht beweisen, daß er auf den Grund der Sache gekommen. Denn ihnen zu Folge würden es nur personifirte Charaktere seyn, welche der Dichter reden und handeln ließe: da es doch charakterisirte Personen seyn sollen. Hamburgische Dramaturgie . Neunzigstes Stück. Den 11ten Merz, 1768. W ie sie darauf ziele, sagt Aristoteles, die- ses habe sich schon längst an der Komödie deutlich gezeigt: Επι μεν ου᾽ν της ϰω- μῳδιας ἠδη τουτο δηλον γεγονεν συϛησαντες γαρ τον μυϑον δια των ἐιϰοτων, ου῾ω τα τυχοντα ὀνοματα ἐπιτιϑεασι, ϰαι ου᾽χ ὡσπερ οἱ ἰαμβοποιοι περι των καϑ᾽ ἐκαϛον ποιουσιν. Jch muß auch hiervon die Uebersetzungen des Dacier und Curtius anführen. Dacier sagt: C’est ce qui est déja rendu sensible dans la Comedie, car les Poetes comiques, après avoir dressé leur sujet sur la vraisemblance imposent après cela à leurs personnages tels noms qu’il leur plait, \& n’imitent pas le Poetes satyriques, qui ne s’attachent qu’aux choses particulieres. Und Curtius: „Jn dem Lustspiele ist dieses schon lange sichtbar „gewesen. Denn wenn die Komödienschreiber P p „den „den Plan der Fabel nach der Wahrscheinlichkeit „entworfen haben, legen sie den Personen will- „kührliche Namen bey, und setzen sich nicht, „wie die jambischen Dichter, einen besondern „Vorwurf zum Ziele.„ Was findet man in diesen Uebersetzungen von dem, was Aristoteles hier vornehmlich sagen will? Beide lassen ihn weiter nichts sagen, als daß die komischen Dich- ter es nicht machten wie die Jambischen, (das ist, satyrischen Dichter,) und sich an das Einzelne hielten, sondern auf das Allgemeine mit ihren Personen giengen, denen sie willkührliche Namen, tels noms qu’il leur plait, beyleg- ten. Gesetzt nun auch, daß τα τυχοντα ὀνο- ματα dergleichen Namen bedeuten könnten: wo haben denn beide Uebersetzer das ου῾τω gelas- sen? Schien ihnen denn dieses ου῾τω gar nichts zu sagen? Und doch sagt es hier alles: denn diesem ου῾τω zu Folge, legten die komischen Dich- ter ihren Personen nicht allein willkührliche Na- men bey, sondern sie legten ihnen diese willkühr- liche Namen so , ου᾽τω, bey. Und wie so ? So, daß sie mit diesen Namen selbst auf das Allgemeine zielten: ου᾽ ϛοχαζεται ἠ ποιησις ὁνοματα ἐπιτιϑεμενη. Und wie geschah das? Davon finde man mir ein Wort in den Anmer- kungen des Dacier und Curtius! Ohne weitere Umschweife: es geschah so, wie ich nun sagen will. Die Komödie gab ihren Per- Personen Namen, welche, vermöge ihrer gram- matischen Ableitung und Zusammensetzung, oder auch sonstigen Bedeutung, die Beschaffenheit dieser Personen ausdrückten: mit einem Worte, sie gab ihnen redende Namen; Namen, die man nur hören durfte, um sogleich zu wissen, von welcher Art die seyn würden, die sie führen. Jch will eine Stelle des Donatus hierüber an- ziehen. Nomina personarum, sagt er bey Gelegenheit der ersten Zeile in dem ersten Auf- zuge der Brüder, in comœdiis duntaxat, habere debent rationem \& etymologiam. Etenim absurdum est, comicum aperte argumentum confingere: vel nomen per- sonæ incongruum dare vel officium quod sit a nomine diversum. Diese Periode könnte leicht sehr falsch ver- standen werden. Nehmlich wenn man sie so verstehen wollte, als ob Donatus auch das für etwas ungereimtes hielte, Comi- cum aperte argumentum confingere. Und das ist doch die Meinung des Donatus gar nicht. Sondern er will sagen: es würde ungereimt seyn, wenn der komische Dichter, da er seinen Stoff offenbar erfindet, gleich- wohl den Personen unschickliche Namen, oder Beschäftigungen beylegen wollte, die mit ihren Namen stritten. Denn freylich, da der Stoff ganz von der Erfindung des Dich- ters ist, so stand es ja einzig und allein bey ihm Hinc servus P p 2 fidelis fidelis Parmeno infidelis vel Syrus vel Geta : miles Thraso vel Polemon: juvenis Pamphilus : matrona Myr- rhina , \& puer ab adore Storax : vel a ludo \& a gesticulatione Circus : \& item similia. In quibus summum Poetæ vi- tium est, si quid e contrario repugnans contrarium diversumque protulerit, nisi per ἀντιϕρασιν nomen imposuerit jocula- riter, ut Misarygrides in Plauto di- citer trapezita. Wer sich durch noch mehr Beyspiele hiervon überzeugen will, der darf nur die Namen bey dem Plautus und Terenz unter- suchen. Da ihre Stücke alle aus dem Griechi- schen genommen sind: so sind auch die Namen ihrer Personen griechischen Ursprungs, und ha- ben, der Etymologie nach, immer eine Bezie- hung auf den Stand, auf die Denkungsart, oder auf sonst etwas, was diese Personen mit meh- ihm, was er seiner Personen für Namen beylegen, oder was er mit diesen Namen für einen Stand oder für eine Verrichtung verbinden wollte. Sonach dürfte sich viel- leicht Donatus auch selbst so zweydeutig nicht ausgedrückt haben; und mit Verän- derung einer einzigen Sylbe ist dieser Anstoß vermieden. Man lese nehmlich entweder: Absurdum est, Comicum aperte argu- mentum confingentem vel nomen per- sonæ \&c. Oder auch aperte argumentum confingere \& nomen personæ u. s. w. mehrern gemein haben können; wenn wir schon solche Etymologie nicht immer klar und sicher angeben können. Jch will mich bey einer so bekannten Sache nicht verweilen: aber wundern muß ich mich, wie die Ausleger des Aristoteles sich ihrer gleich- wohl da nicht erinnern können, wo Aristoteles so unwidersprechlich auf sie verweiset. Denn was kann nunmehr wahrer, was kann klärer seyn, als was der Philosoph von der Rücksicht sagt, welche die Poesie bey Ertheilung der Na- men auf das Allgemeine nimmt? Was kann unleugbarer seyn, als daß ἐπι μεν της ϰωμῳ- διας ἠδη τουτο δηλον γεγονεν, daß sich diese Rücksicht bey der Komödie besonders längst of- fenbar gezeigt habe? Von ihrem ersten Ursprun- ge an, das ist, sobald sich die Jambischen Dich- ter von dem Besondern zu dem Allgemeinen er- hoben, sobald aus der beleidigenden Satyre die unterrichtende Komödie entstand: suchte man jenes Allgemeine durch die Namen selbst anzu- deuten. Der großsprecherische feige Soldat hieß nicht wie dieser oder jener Anführer aus diesem oder jenem Stamme: er hieß Pyrgopo- linices, Hauptmann Mauerbrecher . Der elende Schmaruzer, der diesem um das Maul gieng, hieß nicht, wie ein gewisser armer Schlucker in der Stadt: er hieß Artotrogus, Brockenschröter . Der Jüngling, welcher P p 3 durch durch seinen Aufwand, besonders auf Pferde, den Vater in Schulden setzte, hieß nicht, wie der Sohn dieses oder jenes edeln Bürgers: er hieß Phidippides, Junker Spaarroß . Man könnte einwenden, daß dergleichen be- deutende Namen wohl nur eine Erfindung der neuern Griechischen Komödie seyn dürften, deren Dichtern es ernstlich verbothen war, sich wah- rer Namen zu bedienen; daß aber Aristoteles diese neuere Komödie nicht gekannt habe, und folglich bey seinen Regeln keine Rücksicht auf sie nehmen können. Das Letztere behauptet Hurd ; Hurd in seiner Abhandlung über die ver- schiedenen Gebiete des Drama: From the account of Comedy, here given, it may appear, that the idea of this drama is much enlarged beyond what it was in Aristotle’s time; who defines it to be, an imitation of light and trivial actions, provoking ridicule. His notion was taken from the state and practice of the Athenian stage; that is from the old or middle comedy, which answer to this description. The great revolution, which the introduction of the new co- medy made in the drama, did not hap- pen till afterwards. Aber dieses nimmt Hurd blos an, damit seine Erklärung der Komödie mit der Aristotelischen nicht so ge- rade zu zu streiten scheine. Aristoteles hat die aber es ist eben so falsch, als falsch es es ist, daß die ältere Griechische Komödie sich nur wahrer Namen bedient habe. Selbst in den- die Neue Komödie allerdings erlebt, und er gedenkt ihrer namentlich in der Mo- ral an den Nicomachus, wo er von dem an- ständigen und unanständigen Scherze han- delt. ( Lib. IV. cap. 14.) Ἰδοι δ ἀν τις και ἐϰ των ϰωμῳδιων των παλαιων ϰαι των ϰαινων. Τοις μεν γαρ ἠν γελοιον ἠ ἀισχρολογια τοις δε μαλλον, η ὐπονια. Man könnte zwar sagen, daß unter der Neuen Komödie hier die Mittlere ver- standen werde; denn als noch keine Neue gewesen, habe nothwendig die Mittlere die Neue heissen müssen. Man könnte hinzu- setzen, daß Aristoteles in eben der Olym- piade gestorben, in welcher Menander sein erstes Stück aufführen lassen, und zwar noch das Jahr vorher. ( Eusebius in Chronico ad Olymp. CXIV. 4.) Allein man hat Un- recht, wenn man den Anfang der Neuen Ko- mödie von dem Menander rechnet; Menan- der war der erste Dichter dieser Epoche, dem poetischen Werthe nach, aber nicht der Zeit nach. Philemon, der dazu gehört, schrieb viel früher, und der Uebergang von der Mittlern zur Neuen Komödie war so un- merklich, daß es dem Aristoteles unmöglich an Mustern derselben kann gefehlt haben. Aristophanes selbst hatte schon ein solches Muster gegeben; sein Kokalos war so beschaffen, wie ihn Philemon sich mit weni- gen denjenigen Stücken, deren vornehmste, einzige Absicht es war, eine gewisse bekannte Person lächerlich und verhaßt zu machen, waren, außer dem wahren Namen dieser Person, die übrigen fast alle erdichtet, und mit Beziehung auf ihren Stand und Charakter erdichtet. Ham- gen Veränderungen zueignen konnte: Κοϰα- λον, heißt es in dem Leben des Aristophanes, ἐν ᾡ ἐισαγει φϑοϱαν ϰαι ἀναγνωρισ- μον, ϰαι τἀλλα παντα ἁ ἐζηλοσε Με- νανδρος. Wie nun also Aristophanes Mu- ster von allen verschiedenen Abänderungen der Komödie gegeben, so konnte auch Ari- stoteles seine Erklärung der Komödie über- haupt auf sie alle einrichten. Das that er denn; und die Komödie hat nachher keine Erweiterung bekommen, für welche diese Er- klärung zu enge geworden wäre. Hurd hätte sie nur recht verstehen dürfen; und er würde gar nicht nöthig gehabt haben, um seine an und für sich richtigen Begriffe von der Komödie außer allen Streit mit den Aristotelischen zu setzen, seine Zuflucht zu der vermeintlichen Unerfahrenheit des Ari- stoteles zu nehmen. Hamburgische Dramaturgie . Ein und neunzigstes Stück. Den 15ten Merz, 1768. J a die wahren Namen selbst, kann man sa- gen, giengen nicht selten mehr auf das Allgemeine, als auf das Einzelne. Un- ter dem Namen Sokrates wollte Aristophanes nicht den einzeln Sokrates, sondern alle Sophi- sten, die sich mit Erziehung junger Leute be- mengten, lächerlich und verdächtig machen. Der gefährliche Sophist überhaupt war sein Gegenstand, und er nannte diesen nur Sokra- tes, weil Sokrates als ein solcher verschrieen war. Daher eine Menge Züge, die auf den Sokrates gar nicht paßten; so daß Sokrates in dem Theater getrost aufstehen, und sich der Vergleichung Preis geben konnte! Aber wie sehr verkennt man das Wesen der Komödie, wenn man diese nicht treffende Züge für nichts als muthwillige Verleumdungen erklärt, und sie durchaus dafür nicht erkennen will, was sie Q q doch doch sind, für Erweiterungen des einzeln Cha- rakters, für Erhebungen des Persönlichen zum Allgemeinen! Hier ließe sich von dem Gebrauche der wah- ren Namen in der Griechischen Komödie über- haupt verschiednes sagen, was von den Gelehr- ten so genau noch nicht aus einander gesetzt wor- den, als es wohl verdiente. Es ließe sich an- merken, daß dieser Gebrauch keinesweges in der ältern Griechischen Komödie allgemein ge- wesen, Wenn, nach dem Aristoteles, das Schema der Komödie von dem Margites des Homer, ου᾽ ψογον, ἀλλα το γελοιον δϱαματο- ποιησαντος, genommen worden: so wird man, allem Ansehen nach, auch gleich An- fangs die erdichteten Namen mit eingeführt haben. Denn Margites war wohl nicht der wahre Name einer gewissen Person: indem Μαϱγειτης, wohl eher von μαϱγης gemacht worden, als daß μαϱγης von Μαργειτης sollte entstanden seyn. Von verschiednen Dichtern der alten Komödie finden wir es auch ausdrücklich angemerkt, daß sie sich al- ler Anzüglichkeiten enthalten, welches bey wahren Namen nicht möglich gewesen wäre. Z. E. von dem Pherekrates. daß sich nur der und jener Dichter gelegentlich desselben erkühnet, Die persönliche und namentliche Satyre war so wenig eine wesentliche Eigenschaft der al- ten daß er folg- folglich nicht als ein unterscheidendes Merkmal dieser Epoche der Komödie zu betrachten. Welches gleichwohl fast immer geschieht. Ja man geht noch weiter, und will behaupten, daß mit den wahren Namen auch wahre Be- gebenheiten verbunden gewesen, an welchen die Erfindung des Dichters keinen Theil ge- habt. Q q 2 Es ten Komödie, daß man vielmehr denjenigen ihrer Dichter gar wohl kennet, der sich ihrer zuerst erkühnet. Es war Cratinus, welcher zuerst τῳ χαϱιεντι της ϰωμῳδιας το ὠϕελιμον πϱοσεϑηϰε, τους ϰαϰως πϱατ- τοντας διαβαλλων, ϰαι ὡσπερ δημοσιᾳ μαϛιγι τῃ ϰωμῳδια ϰολαζων. Und auch dieser wagte sich nur Anfangs an gemeine verworfene Leute, von deren Ahndung er nichts zn befürchten hatte. Aristophanes wollte sich die Ehre nicht nehmen lassen, daß er es sey, welcher sich zuerst an die Großen des Staats gewagt habe: ( Ir. v. 750.) Ουϰ ἰδιωτας ἀνϑϱωπισϰους ϰωμῳδων, ου᾽δε γυναιϰας, Αλλ᾽ Ἡϱαϰλεους ὀϱγην τιν᾽ ἐχων, τοισι μεγιϛοις ἐπιχειϱει. Ja er hätte lieber gar diese Kühnheit als sein eigenes Privilegium betrachten mögen. Er war höchst eifersüchtig, als er sahe, daß ihn so viele andere Dichter, die er verach- tete, darinn nachfolgten. Es ließe sich zeigen, daß als er endlich durch ausdrückliche Gesetze untersagt war, doch noch im- habt. Dacier selbst sagt: Aristote n’a pu vouloir dire qu’ Epicharmus \& Phormis inventerent les sujets de leurs pieces, puisque l’un \& l’autre ont été des Poëtes de la vieille Comedie, ou il n’y avoit rien de feint, \& que ces avantures fein- tes ne commencerent à etre mises sur le theater, que du tems d’ Alexander le Grand, c’est à dire dans la nouvelle Co- medie. ( Remarque sur le Chap. V. de la Poet. d’ Arist .) Man sollte glau- ben, wer so etwas sagen könne, müßte nie auch nur einen Blick in den Aristophanes gethan haben. Das Argument, die Fabel der alten Griechischen Komödie war eben so- wohl erdichtet, als es die Argumente und Fabeln der Neuen nur immer seyn konnten. Kein einziges von den übrig gebliebenen Stücken des Aristophanes stellt eine Bege- benheit vor, die wirklich geschehen wäre: und wie kann man sagen, daß sie der Dich- ter deswegen nicht erfunden, weil sie zum Theil auf wirkliche Begebenheiten anspielt? Wenn Aristoteles als ausgemacht annimmt, ὁτι τον ποιητην μαλλον των μυϑων εἰναι δει ποιητην, ἠ των μετϱων: würde er nicht schlechterdings die Verfasser der alten Griechischen Komödie aus der Klasse der Dichter haben ausschließen müssen, wenn er geglaubt hätte, daß sie die Argumente ihrer immer gewisse Personen von dem Schutze dieser Gesetze entweder namentlich ausgeschlossen wa- ren, oder doch stillschweigend für ausgeschlossen gehalten wurden. Jn den Stücken des Me- nanders selbst, wurden noch Leute genug bey ih- ren wahren Namen genannt und lächerlich ge- macht. Mit der Strenge, mit welcher Plato das Verboth, jemand in der Komödie lächerlich zu Doch ich muß mich nicht aus einer Ausschweifung in die andere verlieren. Q q 3 Jch ihrer Stücke nicht erfunden? Aber so wie es, nach ihm, in der Tragödie gar wohl mit der poetischen Erfindung bestehen kann, daß Namen und Umstände aus der wahren Geschichte entlehnt sind: so muß es, seiner Meinung nach, auch in der Komödie beste- hen können. Es kann unmöglich seinen Be- griffen gemäß gewesen seyn, daß die Komödie dadurch, daß sie wahre Namen brauche, und auf wahre Begeheiten anspiele, wiederum in die Jambische Schmähsucht zurück falle: vielmehr muß er geglaubt haben, daß sich das ϰαϑολου ποιειν λογους η μυϑους gar wohl damit vertrage. Er gesteht die- ses den ältesten komischen Dichtern, dem Epicharmus, dem Phormis und Krates zu, und wird es gewiß dem Aristophanes nicht abgesprochen haben, ob er schon wußte, wie sehr er nicht allein den Kleon und Hyperbo- lus, sondern auch den Perikles und Sokra- tes namentlich mitgenommen. Jch will nur noch die Anwendung auf die wahren Namen der Tragödie machen. So wie der Aristophanische Sokrates nicht den einzeln Mann dieses Namens vorstellte, noch vorstellen sollte; so wie dieses personifirte Jdeal einer ei- teln und gefährlichen Schulweisheit nur darum den Namen Sokrates bekam, weil Sokrates als ein solcher Täuscher und Verführer zum Theil bekannt war, zum Theil noch bekannter werden sollte; so wie blos der Begriff von Stand und Charakter, den man mit dem Na- men Sokrates verband und noch näher verbin- den sollte, den Dichter in der Wahl des Na- mens bestimmte: so ist auch blos der Begriff des Charakters, den wir mit den Namen Re- gulus, zu machen, in seiner Republik einführen wollte, (μητε λογῳ, μητε εἰϰονι, μητε ϑυμῳ, μητε ἀνευ ϑυμου, μηδαμως μη- δενα των πολιτων ϰωμῳαδειν) ist in der wirklichen Republik niemals darüber gehal- ten worden. Jch will nicht anführen, daß in den Stücken des Menander noch so man- cher Cynische Philosoph, noch so manche Buhlerinn mit Namen genennt ward: man könnte antworten, daß dieser Abschaum von Menschen nicht zu den Bürgern gehört. Aber Ktesippus, der Sohn des Chabrias, war doch gewiß Atheniensischer Bürger, so gut wie einer: und man sehe, was Menan- der von ihm sagte. ( Menandri Fr. p. 137. Edit. Cl. ) gulus, Cato, Brutus zu verbinden gewohnt sind, die Ursache, warum der tragische Dichter seinen Personen diese Namen ertheilet. Er führt einen Regulus, einen Brutus auf, nicht um uns mit den wirklichen Begegnissen dieser Män- ner bekannt zu machen, nicht um das Gedächt- niß derselben zu erneuern: sondern um uns mit solchen Begegnissen zu unterhalten, die Män- nern von ihrem Charakter überhaupt begegnen können und müssen. Nun ist zwar wahr, daß wir diesen ihren Charakter aus ihren wirklichen Begegnissen abstrahiret haben: es folgt aber doch daraus nicht, daß uns auch ihr Charakter wieder auf ihre Begegnisse zurückführen müsse; er kann uns nicht selten weit kürzer, weit natür- licher auf ganz andere bringen, mit welchen jene wirkliche weiter nichts gemein haben, als daß sie mit ihnen aus einer Quelle, aber auf unzu- verfolgenden Umwegen und über Erdstriche her- geflossen sind, welche ihre Lauterheit verdorben haben. Jn diesem Falle wird der Poet jene er- fundene den wirklichen schlechterdings vorzie- hen, aber den Personen noch immer die wahren Namen lassen. Und zwar aus einer doppelten Ursache: einmal, weil wir schon gewohnt sind, bey diesen Namen einen Charakter zu denken, wie er ihn in seiner Allgemeinheit zeiget; zwey- tens, weil wirklichen Namen auch wirkliche Begebenheiten anzuhängen scheinen, und alles, was was einmal geschehen, glaubwürdiger ist, als was nicht geschehen. Die erste dieser Ursachen fließt aus der Verbindung der Aristotelischen Begriffe überhaupt; sie liegt zum Grunde, und Aristoteles hatte nicht nöthig, sich umständlicher bey ihr zu verweilen; wohl aber bey der zwey- ten, als einer von anderwärts noch dazu kom- menden Ursache. Doch diese liegt itzt außer meinem Wege, und die Ausleger insgesamt ha- ben sie weniger mißverstanden als jene. Nun also auf die Behauptung des Diderot zurück zu kommen. Wenn ich die Lehre des Aristoteles richtig erklärt zu haben, glauben darf: so darf ich auch glauben, durch meine Er- klärung bewiesen zu haben, daß die Sache selbst unmöglich anders seyn kann, als sie Aristoteles lehret. Die Charaktere der Tragödie müssen eben so allgemein seyn, als die Charaktere der Komödie. Der Unterschied, den Diderot be- hauptet, ist falsch: oder Diderot muß unter der Allgemeinheit eines Charakters ganz etwas anders verstehen, als Aristoteles darunter ver- stand. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Zwey und neunzigstes Stück. Den 18ten Merz, 1768. U nd warum könnte das Letztere nicht seyn? Finde ich doch noch einen andern, nicht minder trefflichen Kunstrichter, der sich fast eben so ausdrückt als Diderot, fast eben so gerade zu dem Aristoteles zu widersprechen scheint, und gleichwohl im Grunde so wenig widerspricht, daß ich ihn vielmehr unter allen Kunstrichtern für denjenigen erkennen muß, der noch das meiste Licht über diese Materie ver- breitet hat. Es ist dieses der englische Commentator der Horazischen Dichtkunst, Hurd : ein Schrift- steller aus derjenigen Klasse, die durch Ueber- setzungen bey uns immer am spätesten bekannt werden. Jch möchte ihn aber hier nicht gern anpreisen, um diese seine Bekanntmachung zu beschleunigen. Wenn der Deutsche, der ihr R r ge- gewachsen wäre, sich noch nicht gefunden hat: so dürften vielleicht auch der Leser unter uns noch nicht viele seyn, denen daran gelegen wäre. Der fleißige Mann, voll guten Willens, übereile sich also lieber damit nicht, und sehe, was ich von einem noch unübersetzten gutem Buche hier sage, ja für keinen Wink an, den ich seiner allezeit fertigen Feder geben wollen. Hurd hat seinem Commentar eine Abhand- lung, über die verschiednen Gebiete des Drama , beygefügt. Denn er glaubte bemerkt zu haben, daß bisher nur die allgemei- nen Gesetze dieser Dichtungsart in Erwägung gezogen worden, ohne die Grenzen der verschied- nen Gattungen derselben festzusetzen. Gleich- wohl müsse auch dieses geschehen, um von dem eigenen Verdienste einer jeden Gattung insbe- sondere ein billiges Urtheil zu fällen. Nach- dem er also die Absicht des Drama überhaupt, und der drey Gattungen desselben, die er vor sich findet, der Tragödie, der Komödie und des Possenspiels, insbesondere festgesetzt: so folgert er, aus jener allgemeinen und aus diesen beson- dern Absichten, sowohl diejenigen Eigenschaften, welche sie unter sich gemein haben, als diejeni- gen, in welchen sie von einander unterschieden seyn müssen. Unter Unter die letztern rechnet er, in Ansehung der Komödie und Tragödie, auch diese, daß der Tragödie eine wahre, der Komödie hingegen eine erdichtete Begebenheit zuträglicher sey. Hierauf fährt er fort: The same genius in the two dramas is observable, in their draught of characters . Comedy makes all its characters general ; Tragedy, particular . The Avare of Moliere is not so properly the picture of a co- vetous man , as of covetousneß it- self. Racine’s Nero on the other hand, is not a picture of cruelty , but of a cruel man . D. i. „Jn dem nehmlichen „Geiste schildern die zwey Gattungen des „Drama auch ihre Charaktere . Die Ko- „mödie macht alle ihre Charaktere general ; „die Tragödie partikular . Der Geitzige des „Moliere ist nicht so eigentlich das Gemählde „eines geitzigen Mannes , als des Geitzes „selbst. Racinens Nero hingegen ist nicht das „Gemählde der Grausamkeit , sondern nur „eines grausamen Mannes .„ Hurd scheinet so zu schließen: wenn die Tra- gödie eine wahre Begebenheit erfodert, so müs- sen auch ihre Charaktere wahr, das ist, so be- schaffen seyn, wie sie wirklich in den Jndividuis existiren; wenn hingegen die Komödie sich mit R r 2 er- erdichteten Begebenheiten begnügen kann, wenn ihr wahrscheinliche Begebenheiten, in welchen sich die Charaktere nach allen ihrem Umfange zei- gen können, lieber sind, als wahre, die ihnen einen so weiten Spielraum nicht erlauben, so dürfen und müssen auch ihre Charaktere selbst allgemeiner seyn, als sie in der Natur existiren; angesehen dem Allgemeinen selbst, in unserer Ein- bildungskraft eine Art von Existenz zukömmt, die sich gegen die wirkliche Existenz des Einzeln eben wie das Wahrscheinliche zu dem Wahren verhält. Jch will itzt nicht untersuchen, ob diese Art zu schließen nicht ein bloßer Zirkel ist: ich will die Schlußfolge blos annehmen, so wie sie da liegt, und wie sie der Lehre des Aristoteles schnurstracks zu widersprechen scheint. Doch, wie gesagt, sie scheint es blos, welches aus der weitern Erklärung des Hurd erhellet. „Es wird aber, fährt er fort, hier dienlich „seyn, einer doppelten Verstoßung vorzu- „bauen, welche der eben angeführte Grundsatz „zu begünstigen scheinen könnte. „Die erste betrift die Tragödie, von der ich „gesagt habe, daß sie partikuläre Charaktere „zeige. Jch meine, ihre Charaktere sind par- „tiku- „tikulärer, als die Charaktere der Komödie. „Das ist: die Absicht der Tragödie verlangt „es nicht und erlaubt es nicht, daß der Dichter „von den charakteristischen Umständen, durch „welche sich die Sitten schildern, so viele zusam- „men zieht, als die Komödie. Denn in jener „wird von dem Charakter nicht mehr gezeigt, „als so viel der Verlauf der Handlung unum- „gänglich erfodert. Jn dieser hingegen werden „alle Züge, durch die er sich zu unterscheiden „pflegt, mit Fleiß aufgesucht und angebracht. „Es ist fast, wie mit dem Portraitmahlen. „Wenn ein großer Meister ein einzelnes Ge- „sicht abmahlen soll, so giebt er ihm alle die Li- „neamente, die er in ihm findet, und macht es „Gesichtern von der nehmlichen Art nur so weit „ähnlich, als es ohne Verletzung des allerge- „ringsten eigenthümlichen Zuges geschehen kann. „Soll eben derselbe Künstler hingegen einen „Kopf überhaupt mahlen, so wird er alle die „gewöhnlichen Mienen und Züge zusammen an- „zubringen suchen, von denen er in der gesamm- „ten Gattung bemerkt hat, daß sie die Jdee am „kräftigsten ausdrücken, die er sich itzt in Ge- „danken gemacht hat, und in seinem Gemählde „darstellen will. „Eben so unterscheiden sich die Schildereyen „der beiden Gattungen des Drama: woraus R r 3 „denn „denn erhellet, daß, wenn ich den tragischen „Charakter partikular nenne, ich blos sa- „gen will, daß er die Art, zu welcher er gehö- „ret, weniger vorstellig macht, als der komi- „sche; nicht aber, daß das, was man von dem „Charakter zu zeigen für gut befindet, es mag „nun so wenig seyn, als es will, nicht nach „dem Allgemeinen entworfen seyn sollte, „als wovon ich das Gegentheil anderwärts be- „hauptet und umständlich erläutert habe. Bey den Versen der Horazischen Dichtkunst: Respicere exemplar vitæ morumque ju- bebo Doctum imitatorem, \& veras hinc ducere voces, wo Hurd zeiget, daß die Wahrheit , welche Horaz hier verlangt, einen solchen Ausdruck bedeute, als der all- gemeinen Natur der Dinge gemäß ist; Falschheit hingegen das heisse, was zwar dem vorhabenden besondern Falle angemes- sen, aber nicht mit jener allgemeinen Natur übereinstimmend sey. „Was zweytens die Komödie anbelangt, „so habe ich gesagt, daß sie generale Cha- „raktere geben müsse, und habe zum Beyspiele „den Geitzigen des Moliere angeführt, der „mehr der Jdee des Geitzes , als eines wirk- „lichen geitzigen Mannes entspricht. Doch „auch hier muß man meine Worte nicht in aller „ihrer Strenge nehmen. Moliere dünkt mich „in „in diesem Beyspiele selbst fehlerhaft; ob es „schon sonst, mit der erforderlichen Erklärung, „nicht ganz unschicklich seyn wird, meine Mei- „nung begreiflich zu machen. „Da die komische Bühne die Absicht hat, „Charaktere zu schildern, so meine ich kann diese „Absicht am vollkommensten erreicht werden, „wenn sie diese Charaktere so allgemein macht, „als möglich. Denn indem auf diese Weise die „in dem Stücke aufgeführte Person gleichsam „der Representant aller Charaktere dieser Art „wird, so kann unsere Lust an der Wahrheit „der Verstellung so viel Nahrung darinn fin- „den, als nur möglich. Es muß aber sodann „diese Allgemeinheit sich nicht bis auf unsern „Begriff von den möglichen Wirkungen des „Charakters, im Abstracto betrachtet, erstrecken, „sondern nur bis auf die wirkliche Aeußerung „seiner Kräfte, so wie sie von der Erfahrung „gerechtfertiget werden, und im gemeinen Leben „Statt finden können. Hierinn haben Moliere, „und vor ihm Plautus, gefehlt; statt der Ab- „bildung eines geitzigen Mannes , haben „sie uns eine grillenhafte widrige Schilderung „der Leidenschaft des Geitzes gegeben. „Jch nenne es eine grillenhafte Schilde- „rung, weil sie kein Urbild in der Natur hat. „Jch nenne es eine widrige Schilderung; „denn „denn da es die Schilderung einer einfachen „unvermischten Leidenschaft ist, so feh- „len ihr alle die Lichter und Schatten, deren „richtige Verbindung allein ihr Kraft und Le- „ben ertheilen könnte. Diese Lichter und Schat- „ten sind die Vermischung verschiedener Leiden- „schaften, welche mit der vornehmsten oder „ herrschenden Leidenschaft zusammen den „menschlichen Charakter ausmachen; und diese „Vermischung muß sich in jedem dramatischen „Gemählde von Sitten finden, weil es zuge- „standen ist, daß das Drama vornehmlich das „wirkliche Leben abbilden soll. Doch aber muß „die Zeichnung der herrschenden Leidenschaft „so allgemein entworfen seyn, als es ihr Streit „mit den andern in der Natur nur immer zulas- „sen will, damit der vorzustellende Charakter „sich desto kräftiger ausdrücke. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Drey und neunzigstes Stück. Den 22sten Merz, 1768. „ A lles dieses läßt sich abermals aus der „Mahlerey sehr wohl erläutern. Jn „ charakteristischen Porträten , wie „wir diejenigen nennen können, welche eine Ab- „bildung der Sitten geben sollen, wird der „Artist, wenn er ein Mann von wirklicher Fäh- „igkeit ist, nicht auf die Möglichkeit einer ab- „strakten Jdee losarbeiten. Alles was er sich „vornimmt zu zeigen, wird dieses seyn, daß ir- „gend eine Eigenschaft die herrschende ist; „diese drückt er stark, und durch solche Zeichen „aus, als sich in den Wirkungen der herrschen- „den Leidenschaft am sichtbarsten äußern. Und „wenn er dieses gethan hat, so dürfen wir, nach „der gemeinen Art zu reden, oder, wenn man „will, als ein Compliment gegen seine Kunst, „gar wohl von einem solchen Portraite sagen, „daß es uns nicht sowohl den Menschen, als S s „die „die Leidenschaft zeige; gerade so, wie die Alten „von der berühmten Bildsäule des Apollodorus „vom Silanion angemerkt haben, daß sie nicht „sowohl den zornigen Apollodorus, als die Lei- „denschaft des Zornes vorstelle. Non hominem ex ære fecit, sed iracun- diam. Plinius libr . 34. 8. Dieses aber „muß blos so verstanden werden, daß er die „hauptsächlichen Züge der vorgebildeten Lei- „denschaft gut ausgedrückt habe. Denn im „Uebrigen behandelt er seinen Vorwurf eben so, „wie er jeden andern behandeln würde: das ist, „er vergißt die mitverbundenen Eigen- „schaften nicht, und nimmt das allgemeine „Ebenmaaß und Verhältniß, welches man an „einer menschlichen Figur erwartet, in Acht. „Und das heißt denn die Natur schildern, wel- „che uns kein Beyspiel von einem Menschen „giebt, der ganz und gar in eine einzige Leiden- „schaft verwandelt wäre. Keine Metamorpho- „sis könnte seltsamer und unglaublicher seyn. „Gleichwohl sind Portraite, in diesem tadelhaf- „ten Geschmacke verfertiget, die Bewunderung „gemeiner Gaffer, die, wenn sie in einer Samm- „lung das Gemählde, z. E. eines Geitzigen , „(denn ein gewöhnlicheres giebt es wohl in dieser „Gattung nicht,) erblicken, und nach dieser „Jdee jede Muskel, jeden Zug angestrenget, „verzerret und überladen finden, sicherlich nicht „er- „ermangeln, ihre Billigung und Bewunderung „darüber zu äußern. — Nach diesem Begriffe „der Vortrefflichkeit würde Le Bruns Buch „von den Leidenschaften , eine Folge der „besten und richtigsten moralischen Portraite „enthalten: und die Charaktere des Theo- „phrasts müßten, in Absicht auf das Drama, „den Charaktern des Terenz weit vorzuziehen „seyn. „Ueber das erstere dieser Urtheile, würde jeder „Virtuose in den bildenden Künsten unstreitig „lachen. Das letztere aber, fürchte ich, dürf- „ten wohl nicht alle so seltsam finden; wenig- „stens, nach der Praxis verschiedener unserer „besten komischen Schriftsteller und nach dem „Beyfalle zu urtheilen, welchen dergleichen „Stücke gemeiniglich gefunden haben. Es „liessen sich leicht fast aus allen charakteristischen „Komödien Beyspiele anführen. Wer aber „die Ungereimtheit, dramatische Sitten nach „abstrakten Jdeen auszuführen, in ihrem völli- „gen Lichte sehen will, der darf nur B. Johnsons „ Jedermann aus seinem Humor Beym B. Johnson sind zwey Komödien, die er vom Humor benennt hat: die eine Every Man in his Humour, und die an- dere Every Man out of his Humour. Das S s 2 „vor „vor sich nehmen; welches ein charakteristisches „Stück seyn soll, in der That aber nichts als „eine Das Wort Humor war zu seiner Zeit auf- gekommen, und wurde auf die lächerlichste Weise gemißbraucht. Sowohl diesen Miß- brauch, als den eigentlichen Sinn desselben, bemerkt er in folgender Stelle selbst: As when some one peculiar quality Doth so posseß a Man, that it doth draw All his affects, his spirits, and his powers, In their constructions, all to run one way, This may be truly said to be a hu- mour. But that a rook by wearing a py’d feather, The cable hatband, or the three-pil’d ruff, A yard of shoe-tye, or the Switzer’s knot On his French garters, should affect a humour! O, it is more than most ridiculous. Jn der Geschichte des Humors sind beide Stücke des Johnson also sehr wichtige Do- kumente, und das letztere noch mehr als das erstere. Der Humor, den wir den Eng- ländern itzt so vorzüglich zuschreiben, war damals bey ihnen großen Theils Affecta- tion; und vornehmlich diese Affectation lä- cher- „eine unnatürliche, und wie es die Mahler nen- „nen würden, harte Schilderung einer Gruppe S s 3 „von cherlich zu machen, schilderte Johnson Hu- mor. Die Sache genau zu nehmen, müßte auch nur der affectirte, und nie der wahre Humor ein Gegenstand der Komödie seyn. Denn nur die Begierde, sich von andern aus- zuzeichnen, sich durch etwas Eigenthümliches merkbar zu machen, ist eine allgemeine menschliche Schwachheit, die, nach Be- schaffenheit der Mittel, welche sie wählet, sehr lächerlich, oder auch sehr strafbar wer- den kann. Das aber, wodurch die Natur selbst, oder eine anhaltende zur Natur ge- wordene Gewohnheit, einen einzeln Men- schen von allen andern auszeichnet, ist viel zu speciell, als daß es sich mit der allgemei- nen philosophischen Absicht des Drama ver- tragen könnte. Der überhäufte Humor in vielen Englischen Stücken, dürfte sonach auch wohl das Eigene, aber nicht das Bessere derselben seyn. Gewiß ist es, daß sich in dem Drama der Alten keine Spur von Hu- mor findet. Die alten dramatischen Dichter wußten das Kunststück, ihre Personen auch ohne Humor zu individualisiren: ja die al- ten Dichter überhaupt. Wohl aber zeigen die alten Geschichtschreiber und Redner dann und wann Humor; wenn nehmlich die hi- storische Wahrheit, oder die Aufklärung ei- nes gewissen Facti, diese genaue Schilderung ϰαϑ᾽ ἑϰαϛον erfodert. Jch habe Exempel davon fleißig gesammelt, die ich auch blos darum „von für sich bestehenden Leidenschaf- „ten ist, wovon man das Urbild in dem wirk- „lichen Leben nirgends findet. Dennoch hat „diese Komödie immer ihre Bewunderer gehabt; „und besonders muß Randolph von ihrer „Einrichtung sehr bezaubert gewesen seyn, weil „er sie in seinem Spiegel der Muse aus- „drücklich nachgeahmet zu haben scheint. „Auch darum in Ordnung bringen zu können wünsch- te, um gelegentlich einen Fehler wieder gut zu machen, der ziemlich allgemein geworden ist. Wir übersetzen nehmlich itzt, fast durch- gängig, Humor durch Laune; und ich glaube mir bewußt zu seyn, daß ich der erste bin, der es so übersetzt hat. Jch habe sehr un- recht daran gethan, und ich wünschte, daß man mir nicht gefolgt wäre. Denn ich glaube es unwidersprechlich beweisen zu kön- nen, daß Humor und Laune ganz verschie- dene, ja in gewissem Verstande gerade ent- gegen gesetzte Dinge sind. Laune kann zu Humor werden; aber Humor ist, außer die- sem einzigen Falle, nie Laune. Jch hätte die Abstammung unsers deutschen Worts und den gewöhnlichen Gebrauch desselben, besser untersuchen und genauer erwägen sol- len. Jch schloß zu eilig, weil Laune das Französische Humeur ausdrücke, daß es auch das Englische Humour ausdrücken könnte: aber die Franzosen selbst können Humour nicht durch Humeur übersetzen. — Von „Auch hierinn, müssen wir anmerken, ist „Shakespear, so wie in allen andern noch we- „sentlichern Schönheiten des Drama, ein voll- „kommenes Muster. Wer seine Komödien in „dieser Absicht aufmerksam durchlesen will, wird „finden, daß seine auch noch so kräftig „gezeichneten Charaktere, den größten „Theil ihrer Rollen durch, sich vollkommen „wie alle andere ausdrücken, und ihre wesent- „lichen Von den genannten zwey Stücken des John- son hat das erste, Jedermann in sei- nem Humor , den vom Hurd hier gerüg- ten Fehler weit weniger. Der Humor, den die Personen desselben zeigen, ist weder so individuell, noch so überladen, daß er mit der gewöhnlichen Natur nicht bestehen könn- te; sie sind auch alle zu einer gemeinfchaft- lichen Handlung so ziemlich verbunden. Jn dem zweyten hingegen, Jedermann aus seinem Humor , ist fast nicht die geringste Fabel; es treten eine Menge der wunderlich- sten Narren nach einander auf, man weis weder wie, noch warum; und ihr Gespräch ist überall durch ein Paar Freunde des Ver- fassers unterbrochen, die unter dem Namen Grex eingeführt sind, und Betrachtung über die Charaktere der Personen und über die Kunst des Dichters, sie zu behandeln, an- stellen. Das aus seinem Humor , out of his Humour, zeigt an, daß alle die Per- sonen in Umstände gerathen, in welchen sie ihres Humors satt und überdrüßig werden. „lichen und herrschenden Eigenschaften nur ge- „legentlich, so wie die Umstände eine ungezwun- „gene Aeußerung veranlassen, an den Tag legen. „Diese besondere Vortrefflichkeit seiner Komö- „dien entstand daher, daß er die Natur getreu- „lich copirte, und sein reges und feuriges Genie „auf alles aufmerksam war, was ihm in dem „Verlaufe der Scenen dienliches aufstossen „konnte: da hingegen Nachahmung und „ geringere Fähigkeiten kleine Scriben- „ten verleiten, sich um die Fertigkeit zu beei- „fern, diesen einen Zweck keinen Augenblick „aus dem Gesichte zu lassen, und mit der ängst- „lichsten Sorgfalt ihre Lieblingscharaktere in „beständigem Spiele und ununterbrochner Thä- „tigkeit zu erhalten. Man könnte über diese „ungeschickte Anstrengung ihres Witzes sagen, „daß sie mit den Personen ihres Stücks „nicht anders umgehen, als gewisse spaßhafte „Leute mit ihren Bekannten , denen sie mit „ihren Höflichkeiten so zusetzen, daß sie ihren „Antheil an der allgemeinen Unterhaltung gar „nicht nehmen können, sondern nur immer, zum „Vergnügen der Gesellschaft, Sprünge und „Männerchen machen müssen.„ Ham- Hamburgische Dramaturgie . Vier und neunzigstes Stück. Den 25sten Merz, 1768. U nd so viel von der Allgemeinheit der komi- schen Charaktere, und den Grenzen dieser Allgemeinheit, nach der Jdee des Hurd! — Doch es wird nöthig seyn, noch erst die zweyte Stelle beyzubringen, wo er erklärt zu haben versichert, in wie weit auch den tragischen Cha- rakteren, ob sie schon nur partikular wären, dennoch eine Allgemeinheit zukomme: ehe wir den Schluß überhaupt machen können, ob und wie Hurd mit Diderot, und beide mit dem Ari- stoteles übereinstimmen. „ Wahrheit , sagt er, heißt in der Poesie „ein solcher Ausdruck, als der allgemeinen Na- „tur der Dinge gemäß ist; Falschheit hin- „gegen ein solcher, als sich zwar zu dem vorha- „benden besondern Falle schicket, aber nicht mit „jener allgemeinen Natur übereinstimmet. „Diese Wahrheit des Ausdrucks in der drama- T t „tischen „tischen Poesie zu erreichen, empfiehlet Ho- „raz De arte poet. v. 310. 317. 18. zwey Dinge: einmal , die Socra- „tische Philosophie fleißig zu studieren; zwey- „tens , sich um eine genaue Kenntniß des „menschlichen Lebens zu bewerben. Jenes, „weil es der eigenthümliche Vorzug dieser „Schule ist, ad veritatem vitæ propius „accedere; De Orat. I. 51. dieses, um unserer Nachah- „mung eine desto allgemeinere Aehnlichkeit er- „theilen zu können. Sich hiervon zu überzeu- „gen, darf man nur erwägen, daß man sich in „Werken der Nachahmung an die Wahrheit „zu genau halten kann; und dieses auf doppelte „Weise. Denn entweder kann der Künstler, „wenn er die Natur nachbilden will, sich zu „ängstlich befleißigen, alle und jede Beson- „derheiten seines Gegenstandes anzudeuten, „und so die allgemeine Jdee der Gattung „auszudrücken verfehlen. Oder er kann, wenn „er sich diese allgemeine Jdee zu ertheilen be- „müht, sie aus zu vielen Fällen des wirkli- „chen Lebens, nach seinem weitesten Umfange, „zusammen setzen; da er sie vielmehr von dem „lautern Begriffe, der sich blos in der Vorstel- „lung der Seele findet, hernehmen sollte. Die- „ses letztere ist der allgemeine Tadel, womit die „Schule der Niederländischen Mahler zu „be- „belegen, als die ihre Vorbilder aus der wirk- „lichen Natur, und nicht, wie die Jtalienische, „von dem geistigen Jdeale der Schönheit ent- „lehnet. Nach Maaßgebung der Antiken. Nec enim Phidias, cum faceret Jovis formam aut Minervæ, contemplabatur aliquem e quo similitudinem duceret: sed ipsius in men- te incidebat species pulchritudi- nis eximia quædam , quam intuens in eaque defixus ad illius similitudinem artem \& manum dirigebat. ( Cic. Or. 2.) Jenes aber entspricht einem an- „dern Fehler, den man gleichfalls den Nieder- „ländischen Meistern vorwirft, und der dieser „ist, daß sie lieber die besondere, seltsame und „groteske, als die allgemeine und reitzende Na- „tur, sich zum Vorbilde wählen. „Wir sehen also, daß der Dichter, indem er „sich von der eigenen und besondern Wahrheit „entfernet, desto getreuer die allgemeine Wahr- „heit nachahmet. Und hieraus ergiebt sich die „Antwort auf jenen spitzfindigen Einwurf, den „Plato gegen die Poesie ausgegrübelt hatte, und „nicht ohne Selbstzufriedenheit vorzutragen „schien. Nehmlich, daß die poetische Nach- „ahmung uns die Wahrheit nur sehr von wei- „tem zeigen könne. Denn, der poetische „Ausdruck , sagt der Philosoph, ist das „Abbild von des Dichters eigenen Be- „griffen; die Begriffe des Dichters T t 2 „sind „sind das Abbild der Dinge; und die „Dinge das Abbild des Urbildes, wel- „ches in dem göttlichen Verstande exi- „stiret. Folglich ist der Ausdruck des „Dichters nur das Bild von dem Bil- „de eines Bildes, und liefert uns ur- „sprüngliche Wahrheit nur gleichsam „aus der dritten Hand . Plato de Repl. L. X. Aber alle „diese Vernünfteley fällt weg, sobald man die „nur gedachte Regel des Dichters gehörig fasset, „und fleißig in Ausübung bringet. Denn in- „dem der Dichter von den Wesen alles abson- „dert, was allein das Jndividuum angehet und „unterscheidet, überspringet sein Begriff gleich- „sam alle die zwischen inne liegenden besondern „Gegenstände, und erhebt sich, so viel möglich, „zu dem göttlichen Urbilde, um so das unmit- „telbare Nachbild der Wahrheit zu werden. „Hieraus lernt man denn auch einsehen, was „und wie viel jenes ungewöhnliche Lob, welches „der große Kunstrichter der Dichtkunst ertheilet, „sagen wolle; daß sie, gegen die Ge- „schichte genommen, das ernstere und „philosophischere Studium sey : ϕιλο- „σοϕωτερον ϰαι σπουδαιοτερον ποιησις ἱϛοριας „ἐϛιν. Die Ursache, welche gleich darauf folgt, „ist nun gleichfalls sehr begreiflich: ἡ μεν γαρ „ποιησις μαλλον τα ϰαϑολου, ἡ δ᾽ ἱϛορια „τα „τα ϰαϑ᾽ ἑϰαϛον λεγει. Dichtkunst Kap. 9. Ferner wird „hieraus ein wesentlicher Unterschied deutlich, „der sich, wie man sagt, zwischen den zwey „großen Nebenbuhlern der Griechischen Bühne „soll befunden haben. Wenn man dem So- „phokles vorwarf, daß es seinen Charakteren an „Wahrheit fehle, so pflegte er sich damit zu „verantworten, daß er die Menschen so „schildere, wie sie seyn sollten, Euri- „pides aber so, wie sie wären . Σοφο- „ϰλης ἐϕη, ἀυτος μεν ὁιους δει ποιειν, Ευρι- „πιδης δε οἱοι ἐισι. Ebendas. Kap. 25. Der Sinn hiervon „ist dieser: Sophokles hatte, durch seinen aus- „gebreitetern Umgang mit Menschen, die ein- „geschränkte enge Vorstellung, welche aus der „Betrachtung einzelner Charaktere entsteht, „in einen vollständigen Begriff des Geschlechts „erweitert; der philosophische Euripides hinge- „gen, der seine meiste Zeit in der Akademie zu- „gebracht hatte, und von da aus das Leben über- „sehen wollte, hielt seinen Blick zu sehr auf „das Einzelne, auf wirklich existirende Perso- „nen geheftet, versenkte das Geschlecht in das „Jndividuum, und mahlte folglich, den vor- „habenden Gegenständen nach, seine Charaktere „zwar natürlich und wahr , aber auch dann „und wann ohne die höhere allgemeine Aehn- T t 3 „lich- „lichkeit, die zur Vollendung der poetischen „Wahrheit erfodert wird. Diese Erklärung ist der, welche Dacier von der Stelle des Aristoteles giebt, weit vor- zuziehen. Nach den Worten der Uebersetzung scheinet Dacier zwar eben das zu sagen, was Hurd sagt: que Sophocle faisoit ses Heros, comme ils devoient etre \& qu’ Euripide les faisoit comme ils etoient. Aber er ver- bindet im Grunde einen ganz andern Begriff damit. Hurd verstehet unter dem Wie sie seyn sollten , die allgemeine abstrakte Jdee des Geschlechts, nach welcher der Dich- ter seine Personen mehr, als nach ihren in- dividuellen Verschiedenheiten schildern müsse. Dacier aber denkt sich dabey eine höhere mo- ralische Vollkommenheit, wie sie der Mensch zu erreichen fähig sey, ob er sie gleich nur selten erreiche; und diese, sagt er, habe So- phokles seinen Personen gewöhnlicher Weise beygelegt: Sophocle tachoit de rendre ses imitations parfaites, en suivant toujours bien plus ce qu’une belle Nature etoit ca- pable de faire, que ce qu’elle faisoit. Al- lein diese höhere moralische Vollkommenheit gehöret gerade zu jenem allgemeinen Begriffe nicht; sie stehet dem Jndividuo zu, aber nicht dem Geschlechte; und der Dichter, der sie seinen Personen beylegt, schildert gerade umgekehrt, mehr in der Manier des Euripi- des als des Sophokles. Die weitere Aus- führung hiervon verdienet mehr als eine Note. „Ein „Ein Einwurf stößt gleichwohl hier auf, den „wir nicht unangezeigt lassen müssen. Man „könnte sagen, „daß philosophische Speculatio- „nen die Begriffe eines Menschen eher abstrakt „und allgemein machen, als sie auf das „ Jndividuelle einschränken müßten. Das „letztere sey ein Mangel, welcher aus der kleinen „Anzahl von Gegenständen entspringe, die den „Menschen zu betrachten vorkommen; und die- „sem Mangel sey nicht allein dadurch abzuhelfen, „daß man sich mit mehrern Jndividuis bekannt „mache, als worinn die Kenntniß der Welt be- „stehe; sondern auch dadurch, daß man über „die allgemeine Natur der Menschen nach- „denke, so wie sie in guten moralischen Büchern „gelehrt werde. Denn die Verfasser solcher „Bücher hätten ihren allgemeinen Begriff von „der menschlichen Natur nicht anders als aus „einer ausgebreiteten Erfahrung (es sey nun ih- „rer eignen, oder fremden) haben können, ohne „welche ihre Bücher sonst von keinem Werthe „seyn würden.„ Die Antwort hierauf, dünkt „mich, ist diese. Durch Erwägung der „allgemeinen Natur des Menschen ler- „net der Philosoph, wie die Handlung beschaf- „fen seyn muß, die aus dem Uebergewichte ge- „wisser Neigungen und Eigenschaften entsprin- „get: das ist, er lernet das Betragen überhaupt, „welches der beygelegte Charakter erfodert. „Aber „Aber deutlich und zuverläßig zu wissen, wie „weit und in welchem Grade von Stärke sich „dieser oder jener Charakter, bey besondern Ge- „legenheiten, wahrscheinlicher Weise äußern „würde, das ist einzig und allein eine Frucht „von unserer Kenntniß der Welt. Daß Bey- „spiele von dem Mangel dieser Kenntniß, bey „einem Dichter, wie Euripides war, sehr häu- „fig sollten gewesen seyn, läßt sich nicht wohl „annehmen: auch werden, wo sich dergleichen „in seinen übrig gebliebenen Stücken etwa fin- „den sollten, sie schwerlich so offenbar seyn, daß „sie auch einem gemeinen Leser in die Augen „fallen müßten. Es können nur Feinheiten „seyn, die allein der wahre Kunstrichter zu un- „terscheiden vermögend ist; und auch diesem „kann, in einer solchen Entfernung von Zeit, „aus Unwissenheit der griechischen Sitten, wohl „etwas als ein Fehler vorkommen, was im „Grunde eine Schönheit ist. Es würde also „ein sehr gefährliches Unternehmen seyn, die „Stellen im Euripides anzeigen zu wollen, wel- „che Aristoteles diesem Tadel unterworfen zu „seyn, geglaubt hatte. Aber gleichwohl will „ich es wagen, eine anzuführen, die, wenn ich „sie auch schon nicht nach aller Gerechtigkeit kri- „tisiren sollte, wenigsten meine Meinung zu er- „läutern, dienen kann. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Fünf und neunzigstes Stück. Den 29sten Merz, 1768. „ D ie Geschichte seiner Elektra ist ganz be- „kannt. Der Dichter hatte, in dem „Charakter dieser Prinzeßinn, ein tu- „gendhaftes, aber mit Stolz und Groll erfüll- „tes Frauenzimmer zu schildern, welches durch „die Härte, mit der man sich gegen sie selbst be- „trug, erbittert war, und durch noch weit stär- „kere Bewegungsgründe angetrieben ward, den „Tod eines Vaters zu rächen. Eine solche hef- „tige Gemüthsverfassung, kann der Philosoph „in seinem Winkel wohl schliessen, muß immer „sehr bereit seyn, sich zu äußern. Elektra, „kann er wohl einsehen, muß, bey der gering- „sten schicklichen Gelegenheit, ihren Groll an „den Tag legen, und die Ausführung ihres „Vorhabens beschleunigen zu können wünschen. „Aber zu welcher Höhe dieser Groll steigen „darf? d. i. wie stark Elektra ihre Rachsucht U u „aus- „ausdrücken darf, ohne daß ein Mann, der mit „dem menschlichen Geschlechte und mit den Wir- „kungen der Leidenschaften im Ganzen bekannt „ist, dabey ausrufen kann: das ist unwahr- „scheinlich ? Dieses auszumachen, wird die „abstrakte Theorie von wenig Nutzen seyn. So „gar eine nur mäßige Bekanntschaft mit dem „wirklichen Leben, ist hier nicht hinlänglich uns „zu leiten. Man kann eine Menge Jndividua „bemerkt haben, welche den Poeten, der den „Ausdruck eines solchen Grolles bis auf das „Aeußerste getrieben hätte, zu rechtfertigen „scheinen. Selbst die Geschichte dürfte viel- „leicht Exempel an die Hand geben, wo eine „tugendhafte Erbitterung auch wohl noch weiter „getrieben worden, als es der Dichter hier vor- „gestellet. Welches sind denn nun also die ei- „gentlichen Grenzen derselben, und wodurch „sind sie zu bestimmen? Einzig und allein durch „Bemerkung so vieler einzeln Fälle als möglich; „einzig und allein vermittelst der ausgebreitesten „Kenntniß, wie viel eine solche Erbitterung „über dergleichen Charaktere unter dergleichen „Umständen, im wirklichen Leben gewöhnli- „cher Weise vermag. So verschieden diese „Kenntniß in Ansehung ihres Umfanges ist, so „verschieden wird denn auch die Art der Vor- „stellung seyn. Und nun wollen wir sehen, wie „der vorhabende Charakter von dem Euripides „wirklich behandelt worden. „Jn „Jn der schönen Scene, welche zwischen der „Elektra und dem Orestes vorfällt, von dem sie „aber noch nicht weis, daß er ihr Bruder ist, „kömmt die Unterredung ganz natürlich auf die „Unglücksfälle der Elektra, und auf den Ur- „heber derselben, die Klytämnestra, so wie auch „auf die Hoffnung, welche Elektra hat, von „ihren Drangsaalen durch den Orestes befreyet „zu werden. Das Gespräch, wie es hierauf „weiter gehet, ist dieses: Und Orestes? Gesetzt, er käme „nach Argos zurück — Wozu diese Frage, da er, allem „Ansehen nach, niemals zurückkommen wird? Aber gesetzt, er käme! Wie müßte „er es anfangen, um den Tod seines Vaters zu „rächen? Sich eben deß erkühnen, wessen „die Feinde sich gegen seinen Vater erkühnten. Wolltest du es wohl mit ihm wa- „gen, deine Mutter umzubringen? Sie mit dem nehmlichen Eisen „umbringen, mit welchem sie meinen Vater mor- „dete! Und darf ich das, als deinen festen „Eutschluß, deinem Bruder vermelden? Jch will meine Mutter umbrin- „gen, oder nicht leben! U u 2 „Das „Das Griechische ist noch stärker: „Θανοιμι, μητϱος αἱμ᾽ ἐπισϕαξασ᾽ ἐμης. „ Jch will gern des Todes seyn, so- „bald ich meine Mutter umge- „bracht habe ! „Nun kann man nicht behaupten, daß diese „letzte Rede schlechterdings unnatürlich sey. „Ohne Zweifel haben sich Beyspiele genug er- „äugnet, wo unter ähnlichen Umständen die „Rache sich eben so heftig ausgedrückt hat. „Gleichwohl, denke ich, kann uns die Härte „dieses Ausdrucks nicht anders als ein wenig „beleidigen. Zum mindesten hielt Sophokles „nicht für gut, ihn so weit zu treiben. Bey „ihm sagt Elektra unter gleichen Umständen nur „das: Jetzt sey dir die Ausführung „überlassen! Wäre ich aber allein ge- „blieben, so glaube mir nur: beides „hätte mir gewiß nicht mißlingen sol- „len; entweder mit Ehren mich zu be- „freyen, oder mit Ehren zu sterben ! „Ob nun diese Vorstellung des Sophokles „der Wahrheit , in so fern sie aus einer aus- „gebreitetern Erfahrung, d. i. aus der Kennt- „niß der menschlichen Natur überhaupt, gesam- „melt worden, nicht weit gemäßer ist, als die „Vorstellung des Euripides, will ich denen zu „beurtheilen überlassen, die es zu beurtheilen „fähig „fähig sind. Jst sie es, so kann die Ursache „keine andere seyn, als die ich angenommen: „ daß nehmlich Sophokles seine Cha- „raktere so geschildert, als er, unzäh- „ligen von ihm beobachteten Beyspie- „len der nehmlichen Gattung zu Fol- „ge, glaubte, daß sie seyn sollten; Eu- „ripides aber so, als er in der enge- „ren Sphäre seiner Beobachtungen „erkannt hatte, daß sie wirklich wä- „ren . — Vortrefflich! Auch unangesehen der Absicht, in welcher ich diese langen Stellen des Hurd angeführet habe, enthalten sie unstreitig so viel feine Bemerkungen, daß es mir der Leser wohl erlassen wird, mich wegen Einschaltung derselben zu entschuldigen. Jch besorge nur, daß er meine Absicht selbst darüber aus den Augen ver- loren. Sie war aber diese: zu zeigen, daß auch Hurd , so wie Diderot, der Tragödie besondere, und nur der Komödie allgemeine Charaktere zutheile, und dem ohngeachtet dem Aristoteles nicht widersprechen wolle, welcher das Allgemeine von allen poetischen Charakteren, und folglich auch von den tragischen verlanget. Hurd erklärt sich nehmlich so: der tragische Charakter müsse zwar partikular oder weniger allgemein seyn, als der komische, d. i. er müsse die Art, zu welcher er gehöre, weniger vorstel- U u 3 lig lig machen; gleichwohl aber müsse das Wenige, was man von ihm zu zeigen für gut finde, nach dem Allgemeinen entworfen seyn, welches Ari- stoteles fordere. In calling the tragic character parti- cular , I suppose it only lefs repre- sentative of the kind than the comic; not that the draught of so much cha- racter as it is concerned to represent should not be general . Und nun wäre die Frage, ob Diderot sich auch so verstanden wissen wolle? — Warum nicht, wenn ihm daran gelegen wäre, sich nir- gends in Widerspruch mit dem Aristoteles finden zu lassen? Mir wenigstens, dem daran gelegen ist, daß zwey denkende Köpfe von der nehmli- chen Sache nicht Ja und Nein sagen, könnte es erlaubt seyn, ihm diese Auslegung unterzuschie- ben, ihm diese Ausflucht zu leihen. Aber lieber von dieser Ausflucht selbst, ein Wort! — Mich dünkt, es ist eine Ausflucht, und ist auch keine. Denn das Wort Allge- mein wird offenbar darinn in einer doppelten und ganz verschiedenen Bedeutung genommen. Die eine, in welcher es Hurd und Diderot von dem tragischen Charakter verneinen, ist nicht die nehmliche, in welcher es Hurd von ihm be- jaet. Freylich beruhet eben hierauf die Aus- flucht: aber wie, wenn die eine die andere schlechterdings ausschlösse? Jn Jn der ersten Bedeutung heißt ein allge- meiner Charakter ein solcher, in welchen man das, was man an mehrern oder allen Jndivi- duis bemerkt hat, zusammen nimmt; es heißt mit einem Worte, ein überladener Cha- rakter; es ist mehr die personifirte Jdee eines Charakters, als eine charakterisirte Person. Jn der andern Bedeutung aber heißt ein all- gemeiner Charakter ein solcher, in welchem man von dem, was an mehrern oder allen Jn- dividuis bemerkt worden, einen gewissen Durch- schnitt, eine mittlere Proportion angenommen; es heißt mit einem Worte, ein gewöhnlicher Charakter, nicht zwar in so fern der Charakter selbst, sondern nur in so fern der Grad, das Maaß desselben gewöhnlich ist. Hurd hat vollkommen Recht, das ϰαϑολου des Aristoteles von der Allgemeinheit in der zweyten Bedeutung zu erklären. Aber wenn denn nun Aristoteles diese Allgemeinheit eben sowohl von den komischen als tragischen Cha- rakteren erfodert: wie ist es möglich, daß der nehmliche Charakter zugleich auch jene Allge- meinheit haben kann? Wie ist es möglich, daß er zugleich überladen und gewöhnlich seyn kann? Und gesetzt auch, er wäre so überladen noch lange nicht, als es die Charaktere in dem getadelten Stücke des Johnson sind; gesetzt, er ließe sich noch gar wohl in einem Jndividuo ge- denken, denken, und man habe Beyspiele, daß er sich wirklich in mehrern Menschen eben so stark, eben so ununterbrochen geäußert habe: würde er dem ohngeachtet nicht auch noch viel ungewöhn- licher seyn, als jene Allgemeinheit des Aristo- teles zu seyn erlaubet? Das ist die Schwierigkeit! — Jch erinnere hier meine Leser, daß diese Blätter nichts weni- ger als ein dramatisches System enthalten sol- len. Jch bin also nicht verpflichtet, alle die Schwierigkeiten aufzulösen, die ich mache. Meine Gedanken mögen immer sich weniger zu verbinden, ja wohl gar sich zu widersprechen scheinen: wenn es denn nur Gedanken sind, bey welchen sie Stoff finden, selbst zu denken. Hier will ich nichts als Fermenta cognitionis aus- streuen. Ham- Hamburgische Dramaturgie . Sechs und neunzigstes Stück. Den 1sten April, 1768. D en zwey und funfzigsten Abend (Dienstags, den 28sten Julius,) wurden des Herrn Romanus Brüder wiederhohlt. Oder sollte ich nicht vielmehr sagen: die Brü- der des Herrn Romanus? Nach einer Anmer- kung nehmlich, welche Donatus bey Gelegen- heit der Brüder des Terenz macht: Hanc di- cunt fabulam secundo loco actam, etiam tum rudi nomine poetæ; itaque sic pro- nunciatam, Adelphoi Terenti, non Te- renti Adelphoi, quod adhuc magis de fabulæ nomine poeta, quam de poetæ no- mine fabula commendabatur. Herr Ro- manus hat seine Komödien zwar ohne seinen Namen herausgegeben: aber doch ist sein Name durch sie bekannt geworden. Noch itzt sind die- jenigen Stücke, die sich auf unserer Bühne von ihm erhalten haben, eine Empfehlung seines X x Na- Namens, der in Provinzen Deutschlandes ge- nannt wird, wo er ohne sie wohl nie wäre gehöret worden. Aber welches widrige Schick- sal hat auch diesen Mann abgehalten, mit seinen Arbeiten für das Theater so lange fortzufahren, bis die Stücke aufgehört hätten, seinen Namen zu empfehlen, und sein Name dafür die Stücke empfohlen hätte? Das meiste, was wir Deutsche noch in der schönen Litteratur haben, sind Versuche junger Leute. Ja das Vorurtheil ist bey uns fast all- gemein, daß es nur jungen Leuten zukomme, in diesem Felde zu arbeiten. Männer, sagt man, haben ernsthaftere Studia, oder wichtigere Ge- schäfte, zu welchen sie die Kirche oder der Staat auffodert. Verse und Komödien heissen Spiel- werke; allenfalls nicht unnützliche Vorübungen, mit welchen man sich höchstens bis in sein fünf und zwanzigstes Jahr beschäftigen darf. So- bald wir uns dem männlichen Alter nähern, sollen wir fein alle unsere Kräfte einem nützli- chen Amte widmen; und läßt uns dieses Amt einige Zeit, etwas zu schreiben, so soll man ja nichts anders schreiben, als was mit der Gra- vität und dem bürgerlichen Range desselben be- stehen kann; ein hübsches Compendium aus den höhern Facultäten, eine gute Chronike von der lieben Vaterstadt, eine erbauliche Predigt und dergleichen. Daher Daher kömmt es denn auch, daß unsere schöne Litteratur, ich will nicht blos sagen gegen die schöne Litteratur der Alten, sondern sogar fast gegen aller neuern polirten Völker ihre, ein so jugendliches, ja kindisches Ansehen hat, und noch lange, lange haben wird. An Blut und Leben, an Farbe und Feuer fehlet es ihr endlich nicht: aber Kräfte und Nerven, Mark und Knochen mangeln ihr noch sehr. Sie hat noch so wenig Werke, die ein Mann, der im Denken geübt ist, gern zur Hand nimmt, wenn er, zu seiner Erhohlung und Stärkung, einmal außer dem einförmigen eckeln Zirkel seiner alltäglichen Beschäftigungen denken will! Welche Nahrung kann so ein Mann wohl, z. E. in unsern höchst trivialen Komödien finden? Wortspiele, Sprich- wörter, Späßchen, wie man sie alle Tage auf den Gassen hört: solches Zeug macht zwar das Parterr zu lachen, das sich vergnügt so gut es kann; wer aber von ihm mehr als den Bauch erschüttern will, wer zugleich mit seinem Ver- stande lachen will, der ist einmal da gewesen und kömmt nicht wieder. Wer nichts hat, der kann nichts geben. Ein junger Mensch, der erst selbst in die Welt tritt, kann unmöglich die Welt kennen und sie schil- dern. Das größte komische Genie zeigt sich in seinen jugendlichen Werken hohl und leer; selbst von den ersten Stücken des Menanders sagt X x 2 Plu- Plutarch, Επιτ. της συνϰϱισεως Αρις. ϰαι Μεναν. p. 1588. Ed. Henr. Stephani. daß sie mit seinen spätern und letztern Stücken gar nicht zu vergleichen gewe- sen. Aus diesen aber, setzt er hinzu, könne man schliessen, was er noch würde geleistet ha- ben, wenn er länger gelebt hätte. Und wie jung meint man wohl, daß Menander starb? Wie viel Komödien meint man wohl, daß er erst geschrieben hatte? Nicht weniger als hun- dert und fünfe; und nicht jünger als zwey und funfzig. Keiner von allen unsern verstorbenen komi- schen Dichtern, von denen es sich noch der Mühe verlohnte zu reden, ist so alt geworden; keiner von den itztlebenden ist es noch zur Zeit; keiner von beiden hat das vierte Theil so viel Stücke gemacht. Und die Critik sollte von ihnen nicht eben das zu sagen haben, was sie von dem Me- nander zu sagen fand? — Sie wage es aber nur, und spreche! Und nicht die Verfasser allein sind es, die sie mit Unwillen hören. Wir haben, dem Himmel sey Dank, itzt ein Geschlecht selbst von Critikern, deren beste Critik darinn besteht, — alle Critik verdächtig zu machen. „Genie! Genie! schreien sie. Das Genie setzt sich über alle Regeln hin- weg! Was das Genie macht, ist Regel!„ So schmeicheln sie dem Genie: ich glaube, da- mit mit wir sie auch für Genies halten sollen. Doch sie verrathen zu sehr, daß sie nicht einen Funken davon in sich spüren, wenn sie in einem und eben demselben Athem hinzusetzen: „die Regeln un- terdrücken das Genie!„ — Als ob sich Genie durch etwas in der Welt unterdrücken liesse! Und noch dazu durch etwas, das, wie sie selbst gestehen, aus ihm hergeleitet ist. Nicht jeder Kunstrichter ist Genie: aber jedes Genie ist ein gebohrner Kunstrichter. Es hat die Probe aller Regeln in sich. Es begreift und behält und be- folgt nur die, die ihm seine Empfindung in Worten ausdrücken. Und diese seine in Wor- ten ausgedrückte Empfindung sollte seine Thätig- keit verringern können? Vernünftelt darüber mit ihm, so viel ihr wollt; es versteht euch nur, in so fern es eure allgemeinen Sätze den Augen- blick in einem einzeln Falle anschauend erkennet; und nur von diesem einzeln Falle bleibt Erinne- rung in ihm zurück, die während der Arbeit auf seine Kräfte nicht mehr und nicht weniger wir- ken kann, als die Erinnerung eines glücklichen Beyspiels, die Erinnerung einer eignen glück- lichen Erfahrung auf sie zu wirken im Stande ist. Behaupten also, daß Regeln und Critik das Genie unterdrücken können: heißt mit an- dern Worten behaupten, daß Beyspiele und Uebung eben dieses vermögen; heißt, das Genie nicht allein auf sich selbst, heißt es sogar, le- X x 3 dig- diglich auf seinen ersten Versuch einschrän- ken. Eben so wenig wissen diese weise Herren, was sie wollen, wenn sie über die nachtheiligen Ein- drücke, welche die Critik auf das geniessende Publikum mache, so lustig wimmern! Sie möchten uns lieber bereden, daß kein Mensch einen Schmetterling mehr bunt und schön findet, seitdem das böse Vergrößerungsglas erkennen lassen, daß die Farben desselben nur Staub sind. „Unser Theater, sagen sie, ist noch in einem „viel zu zarten Alter, als daß es den monarchi- „schen Scepter der Critik ertragen könne. — Es „ist fast nöthiger die Mittel zu zeigen, wie das „Jdeal erreicht werden kann, als darzuthun, „wie weit wir noch von diesem Jdeale entfernt „sind. — Die Bühne muß durch Beyspiele, „nicht durch Regeln reformiret werden. — Re- „soniren ist leichter, als selbst erfinden.„ Heißt das, Gedanken in Worte kleiden: oder heißt es nicht vielmehr, Gedanken zu Worten suchen, und keine erhaschen? — Und wer sind sie denn, die so viel von Beyspielen, und vom selbst Erfinden reden? Was für Beyspiele ha- ben sie denn gegeben? Was haben sie denn selbst erfunden? — Schlaue Köpfe! Wenn ihnen Beyspiele zu beurtheilen vorkommen, so wün- schen sie lieber Regeln; und wenn sie Regeln be- urtheilen sollen, so möchten sie lieber Beyspiele haben. haben. Anstatt von einer Critik zu beweisen, daß sie falsch ist, beweisen sie, daß sie zu strenge ist; und glauben verthan zu haben! Anstatt ein Raisonnement zu widerlegen, merken sie an, daß Erfinden schwerer ist, als Raisonniren; und glauben widerlegt zu haben! Wer richtig raisonnirt, erfindet auch: und wer erfinden will, muß raisonniren können. Nur die glauben, daß sich das eine von dem andern trennen lasse, die zu keinem von beiden aufgelegt sind. Doch was halte ich mich mit diesen Schwätzern auf? Jch will meinen Gang gehen, und mich unbekümmert lassen, was die Grillen am Wege schwirren. Auch ein Schritt aus dem Wege, um sie zu zertreten, ist schon zu viel. Jhr Som- mer ist so leicht abgewartet! Also, ohne weitere Einleitung, zu den An- merkungen, die ich bey Gelegenheit der ersten Vorstellung der Brüder des Hrn. Romanus, Drey und siebzigstes Stück. S. 161. annoch über dieses Stück versprach! — Die vornehmsten derselben werden die Veränderun- gen betreffen, die er in der Fabel des Terenz machen zu müssen geglaubet, um sie unsern Sit- ten näher zu bringen. Was soll man überhaupt von der Nothwen- digkeit dieser Veränderungen sagen? Wenn wir so wenig Anstoß finden, römische oder griechische Sitten Sitten in der Tragödie geschildert zu sehen: warum nicht auch in der Komödie? Woher die Regel, wenn es anders eine Regel ist, die Scene der erstern in ein entferntes Land, unter ein fremdes Volk; die Scene der andern aber, in unsere Heimath zu legen? Woher die Verbind- lichkeit, die wir dem Dichter aufbürden, in jener die Sitten desjenigen Volkes, unter dem er seine Handlung vorgehen läßt, so genau als möglich zu schildern; da wir in dieser nur unsere eigene Sitten von ihm geschildert zu sehen ver- langen? „Dieses, sagt Pope an einem Orte, „scheinet dem ersten Ansehen nach bloßer Eigen- „sinn, bloße Grille zu seyn: es hat aber doch „seinen guten Grund in der Natur. Das Haupt- „sächlichste, was wir in der Komödie suchen, ist „ein getreues Bild des gemeinen Lebens, von „dessen Treue wir aber nicht so leicht versichert „seyn können, wenn wir es in fremde Moden „und Gebräuche verkleidet finden. Jn der Tra- „gödie hingegen ist es die Handlung, was unsere „Aufmerksamkeit am meisten an sich ziehet. Ei- „nen einheimischen Vorfall aber für die Bühne „bequem zu machen, dazu muß man sich mit der „Handlung größere Freyheiten nehmen, als eine „zu bekannte Geschichte verstattet„ Ham- Hamburgische Dramaturgie . Sieben und neunzigstes Stück. Den 5ten April, 1768. D iese Auflösung, genau betrachtet, dürfte wohl nicht in allen Stücken befriedigend seyn. Denn zugegeben, daß fremde Sitten der Absicht der Komödie nicht so gut entsprechen, als einheimische: so bleibt noch immer die Frage, ob die einheimischen Sitten nicht auch zur Absicht der Tragödie ein besseres Verhältniß haben, als fremde? Diese Frage ist wenigstens durch die Schwierigkeit, einen einheimischen Vorfall ohne allzumerkliche und anstößige Veränderungen für die Bühne be- quem zu machen, nicht beantwortet. Freylich erfodern einheimische Sitten auch einheimische Vorfälle: wenn denn aber nur mit jenen die Tragödie am leichtesten und gewissesten ihren Zweck erreichte, so müßte es ja doch wohl besser seyn, sich über alle Schwierigkeiten, welche sich bey Behandlung dieser finden, wegzusetzen, als Y y in in Absicht des Wesentlichsten zu kurz zu fallen, welches ohnstreitig der Zweck ist. Auch werden nicht alle einheimische Vorfälle so merklicher und anstößiger Veränderungen bedürfen; und die deren bedürfen, ist man ja nicht verbunden zu bearbeiten. Aristoteles hat schon angemerkt, daß es gar wohl Begebenheiten geben kann und giebt, die sich vollkommen so eräugnet haben, als sie der Dichter braucht. Da dergleichen aber nur selten sind, so hat er auch schon ent- schieden, daß sich der Dichter um den wenigern Theil seiner Zuschauer, der von den wahren Umständen vielleicht unterrichtet ist, lieber nicht bekümmern, als seiner Pflicht minder Genüge leisten müsse. Der Vortheil, den die einheimischen Sitten in der Komödie haben, beruhet auf der innigen Bekanntschaft, in der wir mit ihnen stehen. Der Dichter braucht sie uns nicht erst bekannt zu machen; er ist aller hierzu nöthigen Beschrei- bungen und Winke überhoben; er kann seine Personen sogleich nach ihren Sitten handeln las- sen, ohne uns diese Sitten selbst erst langweilig zu schildern. Einheimische Sitten also erleich- tern ihm die Arbeit, und befördern bey dem Zu- schauer die Jllusion. Warum sollte nun der tragische Dichter sich dieses wichtigen doppelten Vortheils begeben? Auch er hat Ursache, sich die Arbeit so viel als möglich möglich zu erleichtern, seine Kräfte nicht an Nebenzwecke zu verschwenden, sondern sie ganz für den Hauptzweck zu sparen. Auch ihm kömmt auf die Jllusion des Zuschauers alles an. — Man wird vielleicht hierauf antworten, daß die Tragödie der Sitten nicht groß bedürfe; daß sie ihrer ganz und gar entübriget seyn könne. Aber sonach braucht sie auch keine fremde Sit- ten; und von dem Wenigen, was sie von Sitten haben und zeigen will, wird es doch immer bes- ser seyn, wenn es von einheimischen Sitten her- genommen ist, als von fremden. Die Griechen wenigstens haben nie andere als ihre eigene Sitten, nicht blos in der Ko- mödie, sondern auch in der Tragödie, zum Grunde gelegt. Ja sie haben fremden Völ- kern, aus deren Geschichte sie den Stoff ihrer Tragödie etwa einmal entlehnten, lieber ihre eigenen griechischen Sitten leihen, als die Wir- kungen der Bühne durch unverständliche barba- rische Sitten entkräften wollen. Auf das Co- stume, welches unsern tragischen Dichtern so ängstlich empfohlen wird, hielten sie wenig oder nichts. Der Beweis hiervon können vornehm- lich die Perserinnen des Aeschylus seyn; und die Ursache, warum sie sich so wenig an das Costume binden zu dürfen glaubten, ist aus der Absicht der Tragödie leicht zu folgern. Y y 2 Doch Doch ich gerathe zu weit in denjenigen Theil des Problems, der mich itzt gerade am wenig- sten angeht. Zwar indem ich behaupte, daß einheimische Sitten auch in der Tragödie zuträg- licher seyn würden, als fremde: so setze ich schon als unstreitig voraus, daß sie es wenigstens in der Komödie sind. Und sind sie das, glaube ich wenigstens, daß sie es sind: so kann ich auch die Veränderungen, welche Herr Romanus in Absicht derselben, mit dem Stücke des Terenz gemacht hat, überhaupt nicht anders als bil- ligen. Er hatte Recht, eine Fabel, in welche so be- sondere Griechische und Römische Sitten so innig verwebet sind, umzuschaffen. Das Bey- spiel erhält seine Kraft nur von seiner innern Wahrscheinlichkeit, die jeder Mensch nach dem beurtheilet, was ihm selbst am gewöhnlichsten ist. Alle Anwendung fällt weg, wo wir uns erst mit Mühe in fremde Umstände versetzen müssen. Aber es ist auch keine leichte Sache mit einer solchen Umschaffung. Je vollkommner die Fa- bel ist, desto weniger läßt sich der geringste Theil verändern, ohne das Ganze zu zerrütten. Und schlimm! wenn man sich sodann nur mit Flicken begnügt, ohne im eigentlichen Verstande umzuschaffen. Das Stück heißt die Brüder, und dieses bey dem Terenz aus einem doppelten Grunde. Denn Denn nicht allein die beiden Alten, Micio und Demea, sondern auch die beiden jungen Leute, Aeschinus und Ktesipho, sind Brüder. Demea ist dieser beider Vater; Micio hat den einen, den Aeschinus, nur an Sohnes Statt angenom- men. Nun begreif ich nicht, warum unserm Verfasser diese Adoption mißfallen. Jch weis nicht anders, als daß die Adoption auch unter uns, auch noch itzt gebräuchlich, und vollkom- men auf den nehmlichen Fuß gebräuchlich ist, wie sie es bey den Römern war. Dem ohnge- achtet ist er davon abgegangen: bey ihm sind nur die zwey Alten Brüder, und jeder hat einen leiblichen Sohn, den er nach seiner Art erziehet. Aber, desto besser! wird man vielleicht sagen. So sind denn auch die zwey Alte wirkliche Vä- ter; und das Stück ist wirklich eine Schule der Väter, d. i. solcher, denen die Natur die vä- terliche Pflicht aufgelegt, nicht solcher, die sie freywillig zwar übernommen, die sich ihrer aber schwerlich weiter unterziehen, als es mit ihrer eignen Gemächlichkeit bestehen kann. Pater esse disce ab illis, qui vere sciunt! Sehr wohl! Nur Schade, daß durch Auflö- sung dieses einzigen Knoten, welcher bey dem Terenz den Aeschinus und Ktesipho unter sich, und beide mit dem Demea, ihrem Vater, ver- Y y 3 bindet, bindet, die ganze Maschine aus einander fällt, und aus Einem allgemeinen Jnteresse zwey ganz verschiedene entstehen, die blos die Convenienz des Dichters, und keinesweges ihre eigene Na- tur zusammen hält! Denn ist Aeschinus nicht blos der angenom- mene, sondern der leibliche Sohn des Micio, was hat Demea sich viel um ihn zu bekümmern? Der Sohn eines Bruders geht mich so nahe nicht an, als mein eigener. Wenn ich finde, daß jemand meinen eigenen Sohn verziehet, geschähe es auch in der besten Absicht von der Welt, so habe ich Recht, diesem gutherzigen Verführer mit aller der Heftigkeit zu begegnen, mit welcher, beym Terenz, Demea dem Micio begegnet. Aber wenn es nicht mein Sohn ist, wenn es der eigene Sohn des Verziehers ist, was kann ich mehr, was darf ich mehr, als daß ich diesem Verzieher warne, und wenn er mein Bruder ist, ihn öfters und ernstlich warne? Unser Verfasser setzt den Demea aus dem Ver- hältnisse, in welchem er bey dem Terenz stehet, aber er läßt ihm die nehmliche Ungestümheit, zu welcher ihn doch nur jenes Verhältniß berech- tigen konnte. Ja bey ihm schimpfet und tobet Demea noch weit ärger, als bey dem Terenz. Er will aus der Haut fahren, „daß er an seines „Bruders Kinde Schimpf und Schande erleben „muß.„ Wenn ihm nun aber dieser antwor- tete: tete: „Du bist nicht klug, mein lieber Bruder, „wenn du glaubest, du könntest an meinem „Kinde Schimpf und Schande erleben. Wenn „mein Sohn ein Bube ist und bleibt, so wird, „wie das Unglück, also auch der Schimpf nur „meine seyn. Du magst es mit deinem Eifer „wohl gut meinen; aber er geht zu weit; er be- „leidiget mich. Falls du mich nur immer so „ärgern willst, so komm mir lieber nicht über „die Schwelle! u. s. w.„ Wenn Micio, sage ich, dieses antwortete: nicht wahr, so wäre die Komödie auf einmal aus? Oder könnte Micio etwa nicht so antworten? Ja müßte er wohl ei- gentlich nicht so antworten? Wie viel schicklicher eifert Demea beym Te- renz. Dieser Aeschinus, den er ein so lüder- liches Leben zu führen glaubt, ist noch immer sein Sohn, ob ihn gleich der Bruder an Kin- des Statt angenommen. Und dennoch bestehet der römische Micio weit mehr auf seinem Rechte als der deutsche. Du hast mir, sagt er, deinen Sohn einmal überlassen; bekümmere dich um den, der dir noch übrig ist; — — nam ambos curare; propemodum Reposcere illum est, quem dedi- sti — — Diese Diese versteckte Drohung, ihm seinen Sohn zurück zu geben, ist es auch, die ihn zum Schweigen bringt; und doch kann Micio nicht verlangen, daß sie alle väterliche Empfindungen bey ihm unterdrücken soll. Es muß den Micio zwar verdrießen, daß Demea auch in der Folge nicht auf hört, ihm immer die nehmlichen Vor- würfe zu machen: aber er kann es dem Vater doch auch nicht verdenken, wenn er seinen Sohn nicht gänzlich will verderben lassen. Kurz, der Demea des Terenz ist ein Mann, der für das Wohl dessen besorgt ist, für den ihm die Natur zu sorgen aufgab; er thut es zwar auf die un- rechte Weise, aber die Weise macht den Grund nicht schlimmer. Der Demea unsers Verfas- sers hingegen ist ein beschwerlicher Zänker, der sich aus Verwandtschaft zu allen Grobheiten be- rechtiget glaubt, die Micio auf keine Weise an dem bloßen Bruder dulden müßte. Ham- Hamburgische Dramaturgie. Acht und neunzigstes Stück. Den 8ten April, 1768. E ben so schielend und falsch wird, durch Auf- hebung der doppelten Brüderschaft, auch das Verhältniß der beiden jungen Leute. Jch verdenke es dem deutschen Aeschinus, daß er Aufz. I. Auft. 3. S. 18. „vielmals an den Thorheiten des Ktesipho „Antheil nehmen zu müssen geglaubt, um ihn, „als seinen Vetter, der Gefahr und öffentlichen „Schande zu entreissen.„ Was Vetter? Und schickt es sich wohl für den leiblichen Vater, ihm darauf zu antworten: „ich billige deine hierbey „bezeigte Sorgfalt und Vorsicht; ich verwehre „dir es auch inskünftige nicht?„ Was ver- wehrt der Vater dem Sohne nicht? An den Thorheiten eines ungezogenen Vetters Antheil zu nehmen? Wahrlich, das sollte er ihm ver- wehren. „Suche deinen Vetter, müßte er ihm höch- Z z höchstens sagen, so viel möglich von Thorheiten abzuhalten: wenn du aber findest, daß er durch- aus darauf besteht, so entziehe dich ihm; denn dein guter Name muß dir werther seyn, als seiner.„ Nur dem leiblichen Bruder verzeihen wir, hierinn weiter zu gehen. Nur an leiblichen Brüdern kann es uns freuen, wenn einer von dem andern rühmet: — — Illius opera nunc vivo! Festivum caput, Qui omnia sibi post putarit esse præ meo commmodo: Maledicta, famam, meum amorem \& peccatum in se transtulit. Denn der brüderlichen Liebe wollen wir von der Klugheit keine Grenzen gesetzt wissen. Zwar ist es wahr, daß unser Verfasser seinem Aeschi- nus die Thorheit überhaupt zu ersparen gewußt hat, die der Aeschinus des Terenz für seinen Bruder begehet. Eine gewaltsame Entführung hat er in eine kleine Schlägerey verwandelt, an welcher sein wohlgezogner Jüngling weiter kei- nen Theil hat, als daß er sie gern verhindern wollen. Aber gleichwohl läßt er diesen wohl- gezognen Jüngling, für einen ungezognen Vetter noch viel zu viel zu thun. Denn müßte es jener wohl auf irgend eine Weise gestatten, daß dieser ein ein Kreatürchen, wie Citalise ist, zu ihm in das Haus brächte? in das Haus seines Vaters? unter die Augen seiner tugendhaften Geliebten? Es ist nicht der verführerische Damis, diese Pest für junge Leute, Seite 30. dessenwegen der deut- sche Aeschinus seinem lüderlichen Vetter die Nie- derlage bey sich erlaubt: es ist die bloße Conve- nienz des Dichters. Wie vortrefflich hängt alles das bey dem Te- renz zusammen! Wie richtig und nothwendig ist da auch die geringste Kleinigkeit motiviret! Aeschinus nimmt einem Sklavenhändler ein Mädchen mit Gewalt aus dem Hause, in das sich sein Bruder verliebt hat. Aber er thut das, weniger um der Neigung seines Bruders zu willfahren, als um einem größern Uebel vorzu- bauen. Der Sklavenhändler will mit diesem Mädchen unverzüglich auf einen auswärtigen Markt: und der Bruder will dem Mädchen nach; will lieber sein Vaterland verlassen, als den Gegenstand seiner Liebe aus den Augen ver- lieren. Act. II. Sc. 4. Ae. Hoc mihi doler, nos pæne sero scisse: \& pæne in eum locum Rediisse, ut si omnes cuperent, nihil tibi possent auxiliarier. Ct. Noch erfährt Aeschinus zu rechter Z z 2 Zeit Zeit diesen Entschluß. Was soll er thun? Er bemächtiget sich in der Geschwindigkeit des Mäd- chens, und bringt sie in das Haus seines Oheims, um diesem gütigen Manne den ganzen Handel zu entdecken. Denn das Mädchen ist zwar ent- führt, aber sie muß ihrem Eigenthümer doch bezahlt werden. Micio bezahlt sie auch ohne Anstand, und freuet sich nicht sowohl über die That der jungen Leute, als über die brüderliche Liebe, welche er zum Grunde siehet, und über das Vertrauen, welches sie auf ihn dabey setzen wollen. Das größte ist geschehen; warum sollte er nicht noch eine Kleinigkeit hinzufügen, ihnen einen vollkommen vergnügten Tag zu machen? — — — Argentum adnu- meravit illico: Dedit prætera in sumptum dimidium minæ. Hat er dem Ktesipho das Mädchen gekauft, warum soll er ihm nicht verstatten, sich in sei- nem Hause mit ihr zu vergnügen? Da ist nach den alten Sitten nichts, was im geringsten der Tugend und Ehrbarkeit widerspräche. Aber Ct. Pudebat. Ae. Ah, stultitia est istæc, non pudor, tam ab parvulam Rem pæne e patria: turpe dictu. Deos quæso ut istæc prohibeant. Aber nicht so in unsern Brüdern! Das Haus des gütigen Vaters wird auf das ungeziemendste gemißbraucht. Anfangs ohne sein Wissen, und endlich gar mit seiner Genehmigung. Citalise ist eine weit unanständigere Person, als selbst jene Psaltria; und unser Ktesipho will sie gar heyrathen. Wenn das der Terenzische Ktesipho mit seiner Psaltria vorgehabt hätte, so würde sich der Terenzische Micio sicherlich ganz anders dabey genommen haben. Er würde Citalisen die Thüre gewiesen, und mit dem Vater die kräftigsten Mittel verabredet haben, einen sich so sträflichen emancipirenden Burschen im Zaume zu halten. Ueberhaupt ist der deutsche Ktesipho von An- fange viel zu verderbt geschildert, und auch hierinn ist unser Verfasser von seinem Muster abgegangen. Die Stelle erweckt mir immer Grausen, wo er sich mit seinem Vetter über sei- nen Vater unterhält. I. Aufz. 6. Auft. Aber wie reimt sich das mit der Ehrfurcht, mit der Liebe, die du deinem Vater schuldig bist? Ehrfurcht? Liebe? hm! die wird er wohl nicht von mir verlangen. Er sollte sie nicht verlangen? Z z 3 Lycast. Nein, gewiß nicht. Jch habe meinen Vater gar nicht lieb. Jch müßte es lügen, wenn ich es sagen wollte. Unmenschlicher Sohn! Du bedenkst nicht, was du sagst. Denjenigen nicht lieben, der dir das Leben gegeben hat! So sprichst du itzt, da du ihn noch leben siehst. Aber verliere ihn einmal; hernach will ich dich fragen. Hm! Jch weis nun eben nicht, was da geschehen würde. Auf allen Fall würde ich wohl auch sogar unrecht nicht thun. Denn ich glaube, er würde es auch nicht besser machen. Er spricht ja fast täglich zu mir: „Wenn ich dich nur los wäre! wenn du nur weg wärest!„ Heißt das Liebe? Kanst du verlangen, daß ich ihn wie- der lieben soll? Auch die strengste Zucht müßte ein Kind zu so unnatürlichen Gesinnungen nicht verleiten. Das Herz, das ihrer, aus irgend einer Ursache, fähig ist, verdienet nicht anders als sklavisch gehalten zu werden. Wenn wir uns des aus- schweifenden Sohnes gegen den strengen Vater annehmen sollen: so müssen jenes Ausschwei- fungen kein grundböses Herz verrathen; es müs- sen nichts als Ausschweifungen des Tempera- ments, jugendliche Unbedachtsamkeiten, Thor- heiten des Kitzels und Muthwillens seyn. Nach diesem Grundsatze haben Menander und Terenz ihren ihren Ktesipho geschildert. So streng ihn sein Vater hält, so entfährt ihm doch nie das geringste böse Wort gegen denselben. Das einzige, was man so nennen könnte, macht er auf die vortreff- lichste Weise wieder gut. Er möchte seiner Liebe gern wenigstens ein Paar Tage, ruhig genies- sen; er freuet sich, daß der Vater wieder hinaus auf das Land, an seine Arbeit ist; und wünscht, daß er sich damit so abmatten, — so abmatten möge, daß er ganze drey Tage nicht aus dem Bette könne. Ein rascher Wunsch! aber man sehe, mit welchem Zusatze: — — — utinam quidem Quod cum salute ejus fiat, ita se de- fatigarit velim, Ut triduo hoc perpetuo prorsum e lecto nequeat surgere. Quod cum salute ejus fiat! Nur müßte es ihm weiter nicht schaden! — So recht! so recht, liebenswürdiger Jüngling! Jmmer geh, wohin dich Freude und Liebe ru- fen! Für dich drücken wir gern ein Auge zu! Das Böse, das du begehst, wird nicht sehr böse seyn! Du hast einen strengern Aufseher in dir, als selbst dein Vater ist! — Und so sind mehrere Züge in der Scene, aus der diese Stelle genommen ist. Der deutsche Ktesipho ist ein abgefeumter Bube, dem Lügen und Betrug sehr ge- geläuffig sind: der römische hingegen ist in der äußersten Verwirrung um einen kleinen Vor- wand, durch den er seine Abwesenheit bey sei- nem Vater rechtfertigen könnte. Rogabit me: ubi fuerim? quem ego hodie toto non vidi die. Quid dicam? Sy. Nil ne in mentem venit? Ct. Nunquam quicquam. Sy. Tanto nequior. Cliens, amicus, hospes, nemo est vo- bis? Ct. Sunt, quid postea? Sy. Hisce opera ut data sit. Ct. Quæ non data sit? Non potest fieri. Dieses naife, aufrichtige: quæ non data sit! Der gute Jüngling sucht einen Vorwand; und der schalkische Knecht schlägt ihm eine Lüge vor. Eine Lüge! Nein, das geht nicht: non potest fieri! Ham- Hamburgische Dramaturgie. Neun und neunzigstes Stück. Den 12ten April, 1768. S onach hatte Terenz auch nicht nöthig, uns seinen Ktesipho am Ende des Stücks be- schämt, und durch die Beschämung auf dem Wege der Besserung, zu zeigen. Wohl aber mußte dieses unser Verfasser thun. Nur fürchte ich, daß der Zuschauer die kriechende Reue, und die furchtsame Unterwerfung eines so leicht- sinnigen Buben nicht für sehr aufrichtig halten kann. Eben so wenig, als die Gemüthsände- rung seines Vaters. Beider Umkehrung ist so wenig in ihrem Charakter gegründet, daß man das Bedürfniß des Dichters, sein Stück schlies- sen zu müssen, und die Verlegenheit, es auf eine bessere Art zu schließen, ein wenig zu sehr darinn empfindet. — Jch weis überhaupt nicht, woher so viele komische Dichter die Regel genom- men haben, daß der Böse nothwendig am Ende des Stücks entweder bestraft werden, oder sich A a a bessern bessern müsse. Jn der Tragödie möchte diese Regel noch eher gelten; sie kann uns da mit dem Schicksale versöhnen, und Murren in Mitleid kehren. Aber in der Komödie, denke ich, hilft sie nicht allein nichts, sondern sie verdirbt viel- mehr vieles. Wenigstens macht sie immer den Ausgang schielend, und kalt, und einförmig. Wenn die verschiednen Charaktere, welche ich in eine Handlung verbinde, nur diese Handlung zu Ende bringen, warum sollen sie nicht bleiben, wie sie waren? Aber freylich muß die Handlung sodann in etwas mehr, als in einer bloßen Colli- sion der Charaktere, bestehen. Diese kann aller- dings nicht anders, als durch Nachgebung und Veränderung des einen Theiles dieser Charak- tere, geendet werden; und ein Stück, das wenig oder nichts mehr hat als sie, nähert sich nicht so- wohl seinem Ziele, sondern schläft vielmehr nach und nach ein. Wenn hingegen jene Collision, die Handlung mag sich ihrem Ende nähern, so viel als sie will, dennoch gleich stark fortdauert: so begreift man leicht, daß das Ende eben so leb- haft und unterhaltend seyn kann, als die Mitte nur immer war. Und das ist gerade der Unter- schied, der sich zwischen dem letzten Akte des Te- renz, und dem letzten unsers Verfassers befin- det. Sobald wir in diesem hören, daß der strenge Vater hinter die Wahrheit gekommen: so können wir uns das Uebrige alles an den Fin- gern gern abzehlen; denn es ist der fünfte Akt. Er wird Anfangs poltern und toben; bald darauf wird er sich besänftigen lassen, wird sein Unrecht erkennen und so werden wollen, daß er nie wie- der zu einer solchen Komödie den Stoff geben kann: desgleichen wird der ungerathene Sohn kommen, wird abbitten, wird sich zu bessern versprechen; kurz, alles wird ein Herz und eine Seele werden. Den hingegen will ich sehen, der in dem fünften Akte des Terenz die Wen- dungen des Dichters errathen kann! Die Jn- trigue ist längst zu Ende, aber das fortwährende Spiel der Charaktere läßt es uns kaum bemer- ken, daß sie zu Ende ist. Keiner verändert sich; sondern jeder schleift nur dem andern eben so viel ab, als nöthig ist, ihn gegen den Nachtheil des Excesses zu verwahren. Der freygebige Micio wird durch das Manöuvre des geitzigen Demea dahin gebracht, daß er selbst das Uebermaaß in seinem Bezeigen erkennet, und fragt: Quod proluvium? quæ istæc subita est largitas? So wie umgekehrt der strenge Demea durch das Manöuvre des nachsichtsvollen Micio endlich erkennet, daß es nicht genug ist, nur immer zu tadeln und zu bestrafen, sondern es auch gut sey, obsecundare in loco. — A a a 2 Noch Noch eine einzige Kleinigkeit will ich erin- nern, in welcher unser Verfasser sich, gleichfalls zu seinem eigenem Nachtheile, von seinem Muster entfernt hat. Terenz sagt es selbst, daß er in die Brüder des Menanders eine Episode aus einem Stücke des Diphilus übergetragen, und so seine Brüder zusammen gesetzt habe. Diese Epi- sode ist die gewaltsame Entführung der Psal- tria durch den Aeschinus: und das Stück des Diphilus hieß, die mit einander Ster- benden. Synapothnescontes Diphili comœdia est — In Græca adolescens est, qui lenoni eripit Meretricem in prima fabula — — — — eum hic locum sumpsit sibi In Adelphos — — — Nach diesen beiden Umständen zu urtheilen, mochte Diphilus ein Paar Verliebte aufgefüh- ret haben, die fest entschlossen waren, lieber mit einander zu sterben, als sich trennen zu lassen: und wer weis was geschehen wäre, wenn sich gleichfalls nicht ein Freund ins Mittel geschla- gen, und das Mädchen für den Liebhaber mit Gewalt entführt hätte? Den Entschluß, mit einan- einander zu sterben, hat Terenz in den bloßen Entschluß des Liebhabers, dem Mädchen nach- zufliehen und Vater und Vaterland um sie zu verlassen, gemildert. Donatus sagt dieses aus- drücklich: Menander mori illum voluisse fingit, Terentius fugere. Aber sollte es in dieser Note des Donatus nicht Diphilus anstatt Menander heissen? Ganz gewiß; wie Peter Nannius dieses schon angemerkt hat. Sylloge V. Miscell. cap. 10. Videat quæso accuratus lector, num pro Menan- dro legendum sit Diphilus. Certe vel tota Comœdia, vel pars istius argumen- ti, quod hic tractatur, ad verbum e Di- philo translata est. — Ita cum Diphili comœdia a commoriendo nomen habeat, \& ibi dicatur adolescens mori voluisse, quod Terentius in fugere mutavit: om- nino adducor, eam imitationem a Diphi- lo, non a Menandro mutuatam esse, \& ex eo commoriendi cum puella studio συναποϑνησκοντες nomen fabulæ indi- ditum esse. — Denn der Dichter, wie wir gesehen, sagt es ja selbst, daß er diese ganze Episode von der Ent- führung nicht aus dem Menander, sondern aus dem Diphilus entlehnet habe; und das Stück des Diphilus hatte von dem Sterben sogar sei- nen Titel. A a a 3 Jndeß Jndeß muß freylich, anstatt dieser von dem Diphilus entlehnten Entführung, in dem Stücke des Menanders eine andere Jntrigue gewesen seyn, an der Aeschinus gleicher Weise für den Ktesipho Antheil nahm, und wodurch er sich bey seiner Geliebte in eben den Verdacht brachte, der am Ende ihre Verbindung so glücklich be- schleunigte. Worinn diese eigentlich bestanden, dürfte schwer zu errathen seyn. Sie mag aber bestanden haben, worinn sie will: so wird sie doch gewiß eben so wohl gleich vor dem Stücke vorhergegangen seyn, als die vom Terenz dafür gebrauchte Entführung. Denn auch sie muß es gewesen seyn, wovon man noch überall sprach, als Demea in die Stadt kam; auch sie muß die Gelegenheit und der Stoff gewesen seyn, wor- über Demea gleich Anfangs mit seinem Bruder den Streit beginnet, in welchem sich beider Ge- müthsarten so vortrefflich entwickeln. — — Nam illa, quæ antehac facta sunt Omitto: modo quid designavit? — Fores effregit, atque in ædes irruit Alienas — — — — — — clamant omnes, indignissime Factum esse. Hoc advenienti quot mihi, Micio Dixere? in ore est omni populo — Nun Nun habe ich schon gesagt, daß unser Verfasser diese gewaltsame Entführung in eine kleine Schlägerey verwandelt hat. Er mag auch seine guten Ursachen dazu gehabt haben; wenn er nur diese Schlägerey selbst, nicht so spät hätte ge- schehen lassen. Auch sie sollte und müßte das seyn, was den strengen Vater auf bringt. So aber ist er schon aufgebracht, ehe sie geschieht, und man weis gar nicht worüber? Er tritt auf und zankt, ohne den geringsten Anlaß. Er sagt zwar: „Alle Leute reden von der schlechten „Aufführung deines Sohnes; ich darf nur ein- „mal den Fuß in die Stadt setzen, so höre ich „mein blaues Wunder.„ Aber was denn die Leute eben itzt reden; worinn das blaue Wun- der bestanden, das er eben itzt gehört, und worüber er ausdrücklich mit seinem Bruder zu zanken kömmt, das hören wir nicht, und können es auch aus dem Stücke nicht errathen. Kurz, unser Verfasser hätte den Umstand, der dem Demea in Harnisch bringt, zwar verändern können, aber er hätte ihn nicht versetzen müssen! Wenigstens, wenn er ihn versetzen wollen, hätte er den Demea im ersten Akte seine Unzufrieden- heit mit der Erziehungsart seines Bruders nur nach und nach müssen äußern, nicht aber auf einmal damit herausplatzen lassen. — Möchten wenigstens nur diejenigen Stücke des Menanders auf uns gekommen seyn, welche Terenz Terenz genutzet hat! Jch kann mir nichts Unter- richtenders denken, als eine Vergleichung dieser griechischen Originale mit den lateinischen Ko- pieen seyn würde. Denn gewiß ist es, daß Terenz kein bloßer sklavischer Uebersetzer gewesen. Auch da, wo er den Faden des Menandrischen Stückes völlig beybehalten, hat er sich noch manchen kleinen Zusatz, manche Verstärkung oder Schwächung eines und des andern Zuges erlaubt; wie uns deren verschiedne Donatus in seinen Scholien angezeigt. Nur Schade, daß sich Donatus immer so kurz, und öfters so dunkel darüber ausdrückt, (weil zu seiner Zeit die Stücke des Menanders noch selbst in jedermanns Händen waren,) daß es schwer wird, über den Werth oder Unwerth solcher Terenzischen Künsteleyen etwas Zuverläßiges zu sagen. Jn den Brü- dern findet sich hiervon ein sehr merkwürdiges Exempel. Ham- Hamburgische Dramaturgie. Hundertstes Stück. Den 15ten April, 1768. D emea, wie schon angemerkt, will im fünf- ten Akte dem Micio eine Lection nach sei- ner Art geben. Er stellt sich lustig, um die andern wahre Ausschweifungen und Toll- heiten begehen zu lassen; er spielt den Freygebi- gen, aber nicht aus seinem, sondern aus des Bruders Beutel; er möchte diesen lieber auf einmal ruiniren, um nur das boshafte Vergnü- gen zu haben, ihm am Ende sagen zu können: „Nun sieh, was du von deiner Gutherzigkeit hast!„ So lange der ehrliche Micio nur von seinen Vermögen dabey zusetzt, lassen wir uns den hämischen Spaß ziemlich gefallen. Aber nun kömmt es dem Verräther gar ein, den guten Hagestolze mit einem alten verlebten Mütter- chen zu verkuppeln. Der bloße Einfall macht uns Anfangs zu lachen; wenn wir aber endlich sehen, daß es Ernst damit wird, daß sich Micio B b b wirk- wirklich die Schlinge über den Kopf werfen läßt, der er mit einer einzigen ernsthaften Wen- dung hätte ausweichen können: wahrlich, so wissen wir kaum mehr, auf wen wir ungehalt- ner seyn sollen; ob auf den Demea, oder auf den Micio. Act. V. Sc. VIII. De. Ego vero jubeo, \& in hac re, \& in aliis omnibus, Quam maxime unam facere nos hanc familiam; Colere, adjuvare, adjungere. Aes. Ita quæso pater. Mi. Haud aliter censeo. De. Imo hercle ita nobis decet. Primum hujus uxoris est mater. Mi. Quid postea? De. Ja wohl ist das mein Wille! Wir müssen von nun an mit diesen guten Leuten nur eine Familie machen; wir müssen ihnen auf alle Weise auf helfen, uns auf alle Art mit ihnen verbin- den. — Das bitte ich, mein Vater. Jch bin gar nicht dagegen. Es schickt sich auch nicht anders für uns. — Denn erst ist sie seiner Frauen Mutter — Nun dann? Auf die nichts zu sagen; brav, ehr- bar — Micio. So höre ich. Bey Jahren ist sie auch. Ja wohl. Kinder kann sie schon lange nicht mehr haben. Dazu ist niemand, der sich um sie bekümmerte; sie ist ganz verlassen. Was will der damit? Die mußt du billig heyrathen, Bru- der. Und du, (zum Aeschinus) mußt ja machen, daß er es thut. Jch? sie heyrathen? Du! Jch? Du! wie gesagt, du! Du bist nicht klug. (zum Aeschinus) Nun zeige, was du kannst! Er muß! B b b 2 Aeschi- De. Proba, \& modesta. Mi. Ita ajunt. De. Natu grandior. Mi. Scio. De. Parere jam diu hæc per annos non potest: Nec qui eam respiciat, quisquam est; sola est. Mi. Quam hic rem agit? De. Hanc te æquum est ducere; \& te ope- ram, ut fiat, dare. Mi. Me ducere autem? De. Te. Mi. Me? De. Te inquam. Mi. Ineptis. De. Si tu sis homo, Hic Mein Vater — Wie? — Und du, Geck, kannst ihm noch folgen? Du streibest dich umsonst: es kann nun einmal nicht anders seyn. Du schwärmst. Laß dich erbitten, mein Vater. Rasest du? Geh! O, so mach dem Sohne doch die Freude! Bist du wohl bey Verstande? Jch, in meinem fünf und sechzigsten Jahre noch heyra- then? Und ein altes verlebtes Weib heyrathen? Das könnet ihr mir zumuthen? Thu es immer; ich habe es ihnen versprochen. Micio. Hic faciat. Aes. Mi pater. Mi. Quid? Tu autem huic, asine, auscul- tas. De. Nihil agis, Fieri aliter non potest. Mi. Deliras. Aes. Sine te exorem, mi pater. Mi. Insanis, aufer. De. Age, da ve- niam filio. Mi. Satin’ sanus es? Ego novus maritus anno demum quinto \& sexagesimo Fiam; atque anum decrepitam ducam? Idne estis auctores mihi? Aes. Fac; promisi ego illis. Mi. Pro- misti autem? de te largitor puer. De. Versprochen gar? — Bürschchen, versprich für dich, was du versprechen willst! Frisch! Wenn es nun etwas wichti- geres wäre, warum er dich bäte? Als ob etwas wichtigers seyn könnte, wie das? So willfahre ihm doch nur! Sey uns nicht zuwider! Fort, versprich! Wie lange soll das währen? Bis du dich erbitten lassen. Aber das heißt Gewalt brauchen. Thu ein Uebriges, guter Micio. Nun dann; — ob ich es zwar sehr unrecht, sehr abgeschmackt finde; ob es sich schon weder mit der Vernunft, noch mit meiner Lebens- B b b 3 art De. Age, quid, si quid te majus oret? Mi. Quasi non hoc sit maxi- mum. De. Da veniam. Aes. Ne gravere. De. Fac, promitte. Mi. Non omit- tis? Aes. Non; nisi te exorem. Mi. Vis est hæc quidem. De. Age prolixe Micio. Mi. Etsi hoc mihi pravum, ineptum ab- surdum, atque alienum a vita mea Videtur: si vos tantopere istuc vultis, fiat. — — — art reimet: — weil ihr doch so sehr darauf be- steht; es sey! „Nein, sagt die Critik; das ist zu viel! Der Dichter ist hier mit Recht zu tadeln. Das ein- zige, was man noch zu seiner Rechtfertigung sagen könnte, wäre dieses, daß er die nachthei- ligen Folgen einer übermäßigen Gutherzigkeit habe zeigen wollen. Doch Micio hat sich bis dahin so liebenswürdig bewiesen, er hat so viel Verstand, so viele Kenntniß der Welt gezeigt, daß diese seine letzte Ausschweifung wider alle Wahrscheinlichkeit ist, und den feinern Zu- schauer nothwendig beleidigen muß. Wie ge- sagt also: der Dichter ist hier zu tadeln, auf alle Weise zu tadeln!„ Aber welcher Dichter? Terenz? oder Me- nander? oder beide? — Der neue englische Uebersetzer des Terenz, Colmann, will den größern Theil des Tadels auf den Menander zurückschieben; und glaubt aus einer Anmer- kung des Donatus beweisen zu können, daß Te- renz die Ungereimtheit seines Originals in dieser Stelle wenigstens sehr gemildert habe. Dona- tus sagt nehmlich: Apud Menandrum senex de nuptiis non gravatur. Ergo Terentius ἑυρητικως. „Es „Es ist sehr sonderbar, erklärt sich Col- mann, „daß diese Anmerkung des Donatus „so gänzlich von allen Kunstrichtern übersehen „worden, da sie, bey unserm Verluste des Me- „nanders, doch um so viel mehr Aufmerksam- „keit verdienet. Unstreitig ist es, daß Terenz „in dem letzten Akte dem Plane des Menanders „gefolgt ist: ob er nun aber schon die Unge- „reimtheit, den Micio mit der alten Mutter „zu verheyrathen, angenommen, so lernen wir „doch vom Donatus, daß dieser Umstand ihm „selber anstößig gewesen, und er sein Original „dahin verbessert, daß er den Micio alle den „Widerwillen gegen eine solche Verbindung „äußern lassen, den er in dem Stücke des Me- „nanders, wie es scheinet, nicht geäußert „hatte.„ Es ist nicht unmöglich, daß ein Römischer Dichter nicht einmal etwas besser könne gemacht haben, als ein Griechischer. Aber der bloßen Möglichkeit wegen, möchte ich es gern in keinem Falle glauben. Colmann meinet also, die Worte des Dona- tus: Apud Menandrum senex de nuptiis non gravatur, hießen so viel, als: beym Menander streibet sich der Alte gegen die Heyrath nicht. Aber wie, wenn sie das das nicht hießen? Wenn sie vielmehr zu über- setzen wäre: beym Menander fällt man dem Alten mit der Heyrath nicht be- schwerlich? Nuptias gravari würde zwar allerdings jenes heissen: aber auch de nuptiis gravari? Jn jener Redensart wird gravari gleichsam als ein Deponens gebraucht: in dieser aber ist es ja wohl das eigentliche Passivum, und kann also meine Auslegung nicht allein lei- den, sondern vielleicht wohl gar keine andere leiden, als sie. Wäre aber dieses: wie stünde es dann um den Terenz? Er hätte sein Original so wenig verbessert, daß er es vielmehr verschlimmert hätte; er hätte die Ungereimtheit mit der Ver- heyrathung des Micio, durch die Weigerung desselben, nicht gemildert, sondern sie selber er- funden. Terentius ἑυρητικως! Aber nur, daß es mit den Erfindungen der Nachahmer nicht weit her ist! Ham- Hamburgische Dramaturgie. Hundert und erstes, zweytes, drittes und viertes Stück. Den 19ten April, 1768. H undert und erstes bis viertes? — Jch hatte mir vorgenommen, den Jahrgang dieser Blätter nur aus hundert Stücken beste- hen zu lassen. Zwey und funfzig Wochen, und die Woche zwey Stück, geben zwar allerdings hundert und viere. Aber warum sollte, unter allen Tagewerkern, dem einzigen wöchentlichen Schriftsteller kein Feyertag zu Statten kom- men? Und in dem ganzen Jahre nur viere: ist ja so wenig! Doch Dodsley und Compagnie haben dem Publico, in meinem Namen, ausdrücklich hun- dert und vier Stück versprochen. Jch werde die guten Leute schon nicht zu Lügnern machen müssen. C c c Die Die Frage ist nur: wie fange ich es am besten an? — Der Zeug ist schon verschnitten: ich werde einflicken oder recken müssen. — Aber das klingt so stümpermäßig. Mir fällt ein, — was mir gleich hätte einfallen sollen: die Gewohnheit der Schauspieler, auf ihre Hauptvorstellung ein kleines Nachspiel folgen zu lassen. Das Nachspiel kann handeln, wovon es will, und braucht mit dem Vorhergehenden nicht in der geringsten Verbindung zu stehen. — So ein Nachspiel dann, mag die Blätter nun füllen, die ich mir ganz ersparen wollte. Erst ein Wort von mir selbst! Denn warum sollte nicht auch ein Nachspiel einen Prolog ha- ben dürfen, der sich mit einem Poeta, cum primum animum ad scribendum appulit, anfinge? Als, vor Jahr und Tag, einige gute Leute hier den Einfall bekamen, einen Versuch zu ma- chen, ob nicht für das deutsche Theater sich et- was mehr thun lasse, als unter der Verwaltung eines sogenannten Principals geschehen könne: so weiß ich nicht, wie man auf mich dabey fiel, und sich träumen ließ, daß ich bey diesem Unter- nehmen wohl nützlich seyn könnte? — Jch stand eben am Markte und war müßig; niemand wollte mich dingen: ohne Zweifel, weil mich niemand zu brauchen wußte; bis gerade auf diese Freunde! — Noch sind mir in meinem Leben Leben alle Beschäftigungen sehr gleichgültig ge- wesen: ich habe mich nie zu einer gedrungen, oder nur erboten; aber auch die geringfügigste nicht von der Hand gewiesen, zu der ich mich aus einer Art von Prädilection erlesen zu seyn, glauben konnte. Ob ich zur Aufnahme des hiesigen Theaters concurriren wolle? darauf war also leicht ge- antwortet. Alle Bedenklichkeiten waren nur die: ob ich es könne? und wie ich es am besten könne? Jch bin weder Schauspieler, noch Dichter. Man erweiset mir zwar manchmal die Ehre, mich für den letztern zu erkennen. Aber nur, weil man mich verkennt. Aus einigen drama- tischen Versuchen, die ich gewagt habe, sollte man nicht so freygebig folgern. Nicht jeder, der den Pinsel in die Hand nimt, und Farben verquistet, ist ein Mahler. Die ältesten von jenen Versuchen sind in den Jahren hingeschrie- ben, in welchen man Lust und Leichtigkeit so gern für Genie hält. Was in den neuerern er- trägliches ist, davon bin ich mir sehr bewußt, daß ich es einzig und allein der Critik zu verdan- ken habe. Jch fühle die lebendige Quelle nicht in mir, die durch eigene Kraft sich empor arbei- tet, durch eigene Kraft in so reichen, so frischen, so reinen Strahlen aufschießt: ich muß alles durch Druckwerk und Röhren aus mir herauf C c c 2 pres- pressen. Jch würde so arm, so kalt, so kurz- sichtig seyn, wenn ich nicht einigermaaßen ge- lernt hätte, fremde Schätze bescheiden zu bor- gen, an fremdem Feuer mich zu wärmen, und durch die Gläser der Kunst mein Auge zu stär- ken. Jch bin daher immer beschämt oder ver- drüßlich geworden, wenn ich zum Nachtheil der Critik etwas las oder hörte. Sie soll das Genie ersticken: und ich schmeichelte mir, etwas von ihr zu erhalten, was dem Genie sehr nahe kömmt. Jch bin ein Lahmer, den eine Schmäh- schrist auf die Krücke unmöglich erbauen kann. Doch freylich; wie die Krücke den Lahmen wohl hilft, sich von einem Orte zum andern zu bewegen, aber ihn nicht zum Läufer machen kann: so auch die Critik. Wenn ich mit ihrer Hülfe etwas zu Stande bringe, welches besser ist, als es einer von meinen Talenten ohne Cri- tik machen würde: so kostet es mich so viel Zeit, ich muß von andern Geschäften so frey, von un- willkührlichen Zerstreuungen so ununterbrochen seyn, ich muß meine ganze Belesenheit so gegen- wärtig haben, ich muß bey jedem Schritte alle Bemerkungen, die ich jemals über Sitten und Leidenschaften gemacht, so ruhig durchlaufen können; daß zu einem Arbeiter, der ein Thea- ter mit Neuigkeiten unterhalten soll, niemand in der Welt ungeschickter seyn kann, als ich. Was Was Goldoni für das italienische Theater that, der es in einem Jahre mit dreyzehn neuen Stücken bereicherte, das muß ich für das deut- sche zu thun, folglich bleiben lassen. Ja, das würde ich bleiben lassen, wenn ich es auch könn- te. Jch bin mißtrauischer gegen alle erste Ge- danken, als De la Casa und der alte Shandy nur immer gewesen sind. Denn wenn ich sie auch schon nicht für Eingebungen des bösen Feindes, weder des eigentlichen noch des alle- gorischen, halte: An opinion John de la Casa, archbi- shop of Benevento, was afflicted with — which opinion was, — that whenever a Christian was writing a book (not for his private amusement, but) where his intent and purpose was bona fide, to print and publish it to the world, his first thoughts were always the temptations of the evil one. — My father was hugely pleased with this theory of John de la Casa; and (had it not cramped him a little in his creed) I believe would have given ten of the best acres in the Shandy estate, to have been the broacher of it; — but as he could not have the honour of it in the litteral sense of the doctrine, he took up with the allegory of it. Preju- dice of education, he would say, is the devil \&c. (Life and Op. of Tristram Shan- dy Vol. V. p. 74.) so denke ich doch immer, daß die ersten Gedanken die ersten sind, und daß das C c c 3 Beste Beste auch nicht einmal in allen Suppen oben- auf zu schwimmen pflegt. Meine erste Gedan- ken sind gewiß kein Haar besser, als Jedermanns erste Gedanken: und mit Jedermanns Gedan- ken bleibt man am klügsten zu Hause. — Endlich fiel man darauf, selbst das, was mich zu einem so langsamen, oder, wie es mei- nen rüstigern Freunden scheinet, so faulen Ar- beiter macht, selbst das, an mir nutzen zu wol- len: die Critik. Und so entsprang die Jdee zu diesem Blatte. Sie gefiel mir, diese Jdee. Sie erinnerte mich an die Didaskalien der Griechen, d. i. an die kurzen Nachrichten, dergleichen selbst Ari- stoteles von den Stücken der griechischen Bühne zu schreiben der Mühe werth gehalten. Sie erinnerte mich, vor langer Zeit einmal über den grundgelehrten Casaubonus bey mir gelacht zu haben, der sich, aus wahrer Hochachtung für das Solide in den Wissenschaften, einbildete, daß es dem Aristoteles vornehmlich um die Be- richtigung der Chronologie bey seinen Didaska- lien zu thun gewesen. (Animadv. in Athenæum Libr. VI. cap. 7.) Δι α καλια accipitur pro eo scripto, quo explicatur ubi, quando, quomodo \& quo eventu fabula aliqua fuerit acta. — Quan- tum critici hac diligentia veteres chrono- logos adjuverint, soli æstimabunt illi, qui no- — Wahrhaftig, es wäre wäre auch eine ewige Schande für den Aristote- les, wenn er sich mehr um den poetischen Werth der Stücke, mehr um ihren Einfluß auf die Sitten, mehr um die Bildung des Geschmacks, darinn bekümmert hätte, als um die Olympia- de, als um das Jahr der Olympiade, als um die Namen der Archonten, unter welchen sie zu- erst aufgeführet worden! Jch war schon Willens, das Blatt selbst Hamburgische Didaskalien zu nennen. Aber der Titel klang mir allzufremd, und nun ist es mir sehr lieb, daß ich ihm diesen vorgezogen habe. Was ich in eine Dramaturgie bringen oder nicht bringen wollte, das stand bey mir: wenigstens hatte mir Lione Allacci desfalls nichts vorzuschreiben. Aber wie eine Didaska- lie aussehen müsse, glauben die Gelehrten zu wissen, wenn es auch nur aus den noch vorhan- denen Didaskalien des Terenz wäre, die eben dieser Casaubonus breviter \& eleganter scriptas nennt. Jch hatte weder Lust, meine Didaskalien so kurz, noch so elegant zu schrei- ben: und unsere itztlebende Casauboni würden C c c 4 die norunt quam infirma \& tenula præsidia habuerint, qui ad ineundam fugacis tem- poris rationem primi animum appule- runt. Ego non dubito, eo potistimum spectasse Aristotelem, cum Δίδασκαλιας suas componeret — die Köpfe trefflich geschüttelt haben, wenn sie gefunden hätten, wie selten ich irgend eines chronologischen Umstandes gedenke, der künftig einmal, wenn Millionen anderer Bücher ver- loren gegangen wären, auf irgend ein histori- sches Factum einiges Licht werfen könnte. Jn welchem Jahre Ludewigs des Vierzehnten, oder Ludewigs des Funfzehnten, ob zu Paris, oder zu Versailles, ob in Gegenwart der Prinzen vom Geblüte, oder nicht der Prinzen vom Ge- blüte, dieses oder jenes französische Meisterstück zuerst aufgeführet worden: das würden sie bey mir gesucht, und zu ihrem großen Erstaunen nicht gefunden haben. Was sonst diese Blätter werden sollten, dar- über habe ich mich in der Ankündigung erkläret: was sie wirklich geworden, das werden meine Leser wissen. Nicht völlig das, wozu ich sie zu machen versprach: etwas anderes; aber doch, denk ich, nichts schlechteres. „Sie sollten jeden Schritt begleiten, den die „Kunst, sowohl des Dichters, als des Schau- „spielers hier thun würde.„ Die letztere Hälfte bin ich sehr bald über- drüßig geworden. Wir haben Schauspieler, aber keine Schauspielkunst. Wenn es vor Al- ters eine solche Kunst gegeben hat: so haben wir sie nicht mehr; sie ist verloren; sie muß ganz von neuem wieder erfunden werden. Allge- mei- meines Geschwätze darüber, hat man in ver- schiedenen Sprachen genug: aber specielle, von jedermann erkannte, mit Deutlichkeit und Prä- cision abgefaßte Regeln, nach welchen der Ta- del oder das Lob des Akteurs in einem besondern Falle zu bestimmen sey, deren wüßte ich kaum zwey oder drey. Daher kömmt es, daß alles Raisonnement über diese Materie immer so schwankend und vieldeutig scheinet, daß es eben kein Wunder ist, wenn der Schauspieler, der nichts als eine glückliche Routine hat, sich auf alle Weise dadurch beleidiget findet. Gelobt wird er sich nie genug, getadelt aber allezeit viel zu viel glauben: ja öfters wird er gar nicht einmal wissen, ob man ihn tadeln oder loben wollen. Ueberhaupt hat man die Anmerkung schon längst gemacht, daß die Empfindlichkeit der Künstler, in Ansehung der Critik, in eben dem Verhältnisse steigt, in welchem die Gewiß- heit und Deutlichkeit und Menge der Grundsätze ihrer Künste abnimt. — So viel zu meiner, und selbst zu deren Entschuldigung, ohne die ich mich nicht zu entschuldigen hätte. Aber die erstere Hälfte meines Versprechens? Bey dieser ist freylich das Hier zur Zeit noch nicht sehr in Betrachtung gekommen, — und wie hätte es auch können? Die Schranken sind noch kaum geöffnet, und man wollte die Wett- läufer lieber schon bey dem Ziele sehen; bey ei- nem nem Ziele, das ihnen alle Augenblicke immer weiter und weiter hinausgesteckt wird? Wenn das Publikum fragt; was ist denn nun gesche- hen? und mit einem höhnischen Nichts sich selbst antwortet: so frage ich wiederum; und was hat denn das Publikum gethan, damit etwas ge- schehen könnte? Auch nichts; ja noch etwas schlimmers, als nichts. Nicht genug, daß es das Werk nicht allein nicht befördert: es hat ihm nicht einmal seinen natürlichen Lauf gelas- sen. — Ueber den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein Nationaltheater zu verschaffen, da wir Deutsche noch keine Nation sind! Jch rede nicht von der politischen Verfassung, son- dern blos von dem sittlichen Charakter. Fast sollte man sagen, dieser sey: keinen eigenen ha- ben zu wollen. Wir sind noch immer die ge- schwornen Nachahmer alles Ausländischen, be- sonders noch immer die unterthänigen Bewun- derer der nie genug bewunderten Franzosen; al- les was uns von jenseit dem Rheine kömmt, ist schön, reitzend, allerliebst, göttlich; lieber ver- leugnen wir Gesicht und Gehör, als daß wir es anders finden sollten; lieber wollen wir Plump- heit für Ungezwungenheit, Frechheit für Gra- zie, Grimasse für Ausdruck, ein Geklingle von Reimen für Poesie, Geheule für Musik, uns einreden lassen, als im geringsten an der Supe- riorität zweifeln, welche dieses liebenswürdige Volk, Volk, dieses erste Volk in der Welt, wie es sich selbst sehr bescheiden zu nennen pflegt, in allem, was gut und schön und erhaben und an- ständig ist, von dem gerechten Schicksale zu sei- nem Antheile erhalten hat. — Doch dieser Locus communis ist so abgedro- schen, und die nähere Anwendung desselben könnte leicht so bitter werden, daß ich lieber da- von abbreche. Jch war also genöthiget, anstatt der Schrit- te, welche die Kunst des dramatischen Dichters hier wirklich könnte gethan haben, mich bey de- nen zu verweilen, die sie vorläufig thun müßte, um sodann mit eins ihre Bahn mit desto schnel- lern und größern zu durchlaufen. Es waren die Schritte, welche ein Jrrender zurückgehen muß, um wieder auf den rechten Weg zu gelan- gen, und sein Ziel gerade in das Auge zu be- kommen. Seines Fleißes darf sich jedermann rühmen: ich glaube, die dramatische Dichtkunst studiert zu haben; sie mehr studiert zu haben, als zwan- zig, die sie ausüben. Auch habe ich sie so weit ausgeübet, als es nöthig ist, um mitsprechen zu dürfen: denn ich weiß wohl, so wie der Mahler sich von niemanden gern tadeln läßt, der den Pinsel ganz und gar nicht zu führen weiß, so auch der Dichter. Jch habe es wenigstens ver- sucht, was er bewerkstelligen muß, und kann von von dem, was ich selbst nicht zu machen vermag, doch urtheilen, ob es sich machen läßt. Jch verlange auch nur eine Stimme unter uns, wo so mancher sich eine anmaßt, der, wenn er nicht dem oder jenem Ausländer nachplaudern gelernt hätte, stummer seyn würde, als ein Fisch. Aber man kann studieren, und sich tief in den Jrrthum hinein studieren. Was mich also ver- sichert, daß mir dergleichen nicht begegnet sey, daß ich das Wesen der dramatischen Dichtkunst nicht verkenne, ist dieses, daß ich es vollkom- men so erkenne, wie es Aristoteles aus den un- zähligen Meisterstücken der griechischen Bühne abstrahiret hat. Jch habe von dem Entstehen, von der Grundlage der Dichtkunst dieses Philo- sophen, meine eigene Gedanken, die ich hier ohne Weitläuftigkeit nicht äußern könnte. Jn- deß steh ich nicht an, zu bekennen, (und sollte ich in diesen erleuchteten Zeiten auch darüber ausgelacht werden!) daß ich sie für ein eben so unfehlbares Werk halte, als die Elemente des Euklides nur immer sind. Jhre Grundsätze sind eben so wahr und gewiß, nur freylich nicht so faßlich, und daher mehr der Chicane ausge- setzt, als alles, was diese enthalten. Beson- ders getraue ich mir von der Tragödie, als über die uns die Zeit so ziemlich alles daraus gönnen wollen, unwidersprechlich zu beweisen, daß sie sich von der Richtschnur des Aristoteles keinen Schritt Schritt entfernen kann, ohne sich eben so weit von ihrer Vollkommenheit zu entfernen. Nach dieser Ueberzeugung nahm ich mir vor, einige der berühmtesten Muster der französischen Bühne ausführlich zu beurtheilen. Denn diese Bühne soll ganz nach den Regeln des Aristote- les gebildet seyn; und besonders hat man uns Deutsche bereden wollen, daß sie nur durch diese Regeln die Stuffe der Vollkommenheit erreicht habe, auf welcher sie die Bühnen aller neuern Völker so weit unter sich erblicke. Wir haben das auch lange so fest geglaubt, daß bey unsern Dichtern, den Franzosen nachahmen, eben so viel gewesen ist, als nach den Regeln der Alten arbeiten. Jndeß konnte das Vorurtheil nicht ewig gegen unser Gefühl bestehen. Dieses ward, glücklicher Weise, durch einige Englische Stücke aus seinem Schlummer erwecket, und wir mach- ten endlich die Erfahrung, daß die Tragödie noch einer ganz andern Wirkung fähig sey, als ihr Corneille und Racine zu ertheilen vermocht. Aber geblendet von diesem plötzlichen Strahle der Wahrheit, prallten wir gegen den Rand eines andern Abgrundes zurück. Den engli- schen Stücken fehlten zu augenscheinlich gewisse Regeln, mit welchen uns die Französischen so bekannt gemacht hatten. Was schloß man D d d dar- daraus? Dieses: daß sich auch ohne diese Re- geln der Zweck der Tragödie erreichen lasse; ja daß diese Regeln wohl gar Schuld seyn könnten, wenn man ihn weniger erreiche. Und das hätte noch hingehen mögen! — Aber mit diesen Regeln fing man an, alle Re- geln zu vermengen, und es überhaupt für Pe- danterey zu erklären, dem Genie vorzuschreiben, was es thun, und was es nicht thun müsse. Kurz, wir waren auf dem Punkte, uns alle Er- fahrungen der vergangnen Zeit muthwillig zu verscherzen; und von den Dichtern lieber zu ver- langen, daß jeder die Kunst aufs neue für sich erfinden solle. Jch wäre eitel genug, mir einiges Verdienst um unser Theater beyzumessen, wenn ich glau- ben dürfte, das einzige Mittel getroffen zu ha- ben, diese Gährung des Geschmacks zu hem- men. Darauf los gearbeitet zu haben, darf ich mir wenigstens schmeicheln, indem ich mir nicht angelegner seyn lassen, als den Wahn von der Regelmäßigkeit der französischen Bühne zu bestreiten. Gerade keine Nation hat die Regeln des alten Drama mehr verkannt, als die Fran- zosen. Einige beyläuffige Bemerkungen, die sie über die schicklichste äußere Einrichtung des Drama bey dem Aristoteles fanden, haben sie für für das Wesentliche angenommen, und das Wesentliche, durch allerley Einschränkungen und Deutungen, dafür so entkräftet, daß nothwen- dig nichts anders als Werke daraus entstehen konnten, die weit unter der höchsten Wirkung blieben, auf welche der Philosoph seine Regeln calculirt hatte. Jch wage es, hier eine Aeußerung zu thun, mag man sie doch nehmen, wofür man will! — Man nenne mir das Stück des großen Corneille, welches ich nicht besser machen wollte. Was gilt die Wette? — Doch nein; ich wollte nicht gern, daß man diese Aeußerung für Prahlerey nehmen könne. Man merke also wohl, was ich hinzu setze: Jch werde es zuverläßig besser machen, — und doch lange kein Corneille seyn, — und doch lange noch kein Meisterstück gemacht haben. Jch werde es zuverläßig besser machen; — und mir doch wenig darauf einbilden dürfen. Jch wer- de nichts gethan haben, als was jeder thun kann, — der so fest an den Aristoteles glaubet, wie ich. Eine Tonne, für unsere kritische Wallfische! Jch freue mich im voraus, wie trefflich sie da- mit spielen werden. Sie ist einzig und allein D d d 2 für für sie ausgeworfen; besonders für den kleinen Wallfisch in dem Salzwasser zu Halle! — Und mit diesem Uebergange, — sinnreicher muß er nicht seyn, — mag denn der Ton des ernsthaftern Prologs in den Ton des Nachspiels verschmelzen, wozu ich diese letztern Blätter be- stimmte. Wer hätte mich auch sonst erinnern können, daß es Zeit sey, dieses Nachspiel an- fangen zu lassen, als eben der Hr. Stl., wel- cher in der deutschen Bibliothek des Hrn. Ge- heimerath Klotz, den Jnhalt desselben bereits angekündiget hat? — Neuntes Stück S. 60. Aber was bekömmt denn der schnackische Mann in dem bunten Jäckchen, daß er so dienstfärtig mit seiner Trommel ist? Jch erin- nere mich nicht, daß ich ihm etwas dafür ver- sprochen hätte. Er mag wohl blos zu seinem Vergnügen trommeln; und der Himmel weis, wo er alles her hat, was die liebe Jugend auf den Gassen, die ihn mit einem bewundernden Ah! nachfolgt, aus der ersten Hand von ihm zu erfahren bekömmt. Er muß einen Wahrsager- geist haben, Trotz der Magd in der Apostelge- schichte. Denn wer hätte es ihm sonst sagen können, daß der Verfasser der Dramaturgie auch mit der Verleger derselben ist? Wer hätte ihm ihm sonst die geheimen Ursachen entdecken kön- nen, warum ich der einen Schauspielerinn eine sonore Stimme beygelegt, und das Probe- stück einer andern so erhoben habe? Jch war freylich damals in beide verliebt: aber ich hätte doch nimmermehr geglaubt, daß es eine leben- dige Seele errathen sollte. Die Damen können es ihm auch unmöglich selbst gesagt haben: folg- lich hat es mit dem Wahrsagergeiste seine Rich- tigkeit. Ja, weh uns armen Schriftstellern, wenn unsere hochgebiethende Herren, die Jur- nalisten und Zeitungsschreiber, mit solchen Käl- bern pflügen wollen! Wenn sie zu ihren Beur- theilungen, außer ihrer gewöhnlichen Gelehr- samkeit und Scharfsinnigkeit, sich auch noch sol- cher Stückchen aus der geheimsten Magie bedie- nen wollen: wer kann wider sie bestehen? „Jch würde, schreibt dieser Hr. Stl. aus Eingebung seines Kobolts, „auch den zweyten „Band der Dramaturgie anzeigen können, wenn „nicht die Abhandlung wider die Buchhändler „dem Verfasser zu viel Arbeit machte, als daß „er das Werk bald beschließen könnte.„ Man muß auch einen Kobolt nicht zum Lüg- ner machen wollen, wenn er es gerade einmal nicht ist. Es ist nicht ganz ohne, was das böse Ding dem guten Stl. hier eingeblasen. Jch D d d 3 hatte hatte allerdings so etwas vor. Jch wollte mei- nen Lesern erzehlen, warum dieses Werk so oft unterbrochen worden; warum in zwey Jahren erst, und noch mit Mühe, so viel davon fertig geworden, als auf ein Jahr versprochen war. Jch wollte mich über den Nachdruck beschweren, durch den man den geradesten Weg eingeschla- gen, es in seiner Geburth zu ersticken. Jch wollte über die nachtheiligen Folgen des Nach- drucks überhaupt, einige Betrachtungen anstel- len. Jch wollte das einzige Mittel vorschlagen, ihm zu steuern. — Aber, das wäre ja sonach keine Abhandlung wider die Buchhändler ge- worden? Sondern vielmehr, für sie: wenig- stens, der rechtschaffenen Männer unter ihnen; und es giebt deren. Trauen Sie, mein Herr Stl., ihrem Kobolte also nicht immer so ganz! Sie sehen es: was solch Geschmeiß des bösen Feindes von der Zukunft noch etwa weis, das weis es nur halb. — Doch nun genug dem Narren nach seiner Narrheit geantwortet, damit er sich nicht weise dünke. Denn eben dieser Mund sagt: ant- worte dem Narren nicht nach seiner Narrheit, damit du ihm nicht gleich werdest! Das ist: antworte ihm nicht so nach seiner Narrheit, daß die Sache selbst darüber vergessen wird; als wodurch du ihm gleich werden würdest. Und so so wende ich mich wieder an meinen ernsthaften Leser, den ich dieser Possen wegen ernstlich um Vergebung bitte. Es ist die lautere Wahrheit, daß der Nach- druck, durch den man diese Blätter gemeinnützi- ger machen wollen, die einzige Ursache ist, warum sich ihre Ausgabe bisher so verzögert hat, und warum sie nun gänzlich liegen bleiben. Ehe ich ein Wort mehr hierüber sage, erlaube man mir, den Verdacht des Eigennutzes von mir abzulehnen. Das Theater selbst hat die Unkosten dazu hergegeben, in Hoffnung, aus dem Verkaufe wenigstens einen ansehnlichen Theil derselben wieder zu erhalten. Jch ver- liere nichts dabey, daß diese Hoffnung fehl schlägt. Auch bin ich gar nicht ungehalten darüber, daß ich den zur Fortsetzung gesammel- ten Stoff nicht weiter an den Mann bringen kann. Jch ziehe meine Hand von diesem Pfluge eben so gern wieder ab, als ich sie anlegte. Klotz und Consorten wünschen ohnedem, daß ich sie nie angelegt hätte; und es wird sich leicht einer unter ihnen finden, der das Tageregister einer mißlungenen Unternehmung bis zu Ende führet, und mir zeiget, was für einen perio- dischen Nutzen ich einem solchen periodi- schen Blatte hätte ertheilen können und sollen. D d d 4 Denn Denn ich will und kann es nicht bergen, daß diese letzten Bogen fast ein Jahr später niederge- schrieben worden, als ihr Datum besagt. Der süße Traum, ein Nationaltheater hier in Ham- burg zu gründen, ist schon wieder verschwun- den: und so viel ich diesen Ort nun habe kennen lernen, dürfte er auch wohl gerade der seyn, wo ein solcher Traum am spätesten in Erfüllung gehen wird. Aber auch das kann mir sehr gleichgültig seyn! — Jch möchte überhaupt nicht gern das Ansehen haben, als ob ich es für ein großes Un- glück hielte, daß Bemühungen vereitelt worden, an welchen ich Antheil genommen. Sie können von keiner besondern Wichtigkeit seyn, eben weil ich Antheil daran genommen. Doch wie, wenn Bemühungen von weiterm Belange durch die nehmlichen Undienste scheitern könnten, durch welche meine gescheitert sind? Die Welt verliert nichts, daß ich, anstatt fünf und sechs Bände Dramaturgie, nur zwey an das Licht bringen kann. Aber sie könnte verlieren, wenn einmal ein nützlicheres Werk eines bessern Schriftstellers eben so ins Stecken geriethe; und es wohl gar Leute gäbe, die einen ausdrücklichen Plan darnach machten, daß auch das nützlichste, unter ähnlichen Umständen unternommene Werk verunglücken sollte und müßte. Jn Jn diesem Betracht stehe ich nicht an, und halte es für meine Schuldigkeit, dem Publico ein sonderbares Complot zu denunciren. Eben diese Dodsley und Compagnie, welche sich die Dramaturgie nachzudrucken erlaubet, lassen seit einiger Zeit einen Aussatz, gedruckt und geschrieben, bey den Buchhändlern umlaufen, welcher von Wort zu Wort so lautet: Nachricht an die Herren Buch- händler. Wir haben uns mit Beyhülfe verschiedener Herren Buchhändler entschlossen, künftig denenjenigen, welche sich ohne die erforder- lichen Eigenschaften in die Buchhandlung mischen werden, (wie es, zum Exempel, die neuaufgerichtete in Hamburg und anderer Orten vorgebliche Handlungen mehrere) das Selbst-Verlegen zu verwehren, und ihnen ohne Ansehen nachzudrucken; auch ihre ge- setzten Preisse alle Zeit um die Hälfte zu ver- ringern. Die diesen Vorhaben bereits bey- getretene Herren Buchhändler, welche wohl eingesehen, daß eine solche unbefugte Stö- rung für alle Buchhändler zum größ t en Nachtheil gereichen müsse, haben sich ent- schlossen, zu Unterstützung dieses Vorhabens, eine Casse aufzurichten, und eine ansehnliche D d d 5 Summe Summe Geld bereits eingelegt, mit Bitte, ihre Namen vorerst noch nicht zu nennen, da- bey aber versprochen, selbige ferner zu unter- stützen. Von den übrigen gutgesinnten Her- ren Buchhändlern erwarten wir demnach zur Vermehrung der Casse, desgleichen, und er- suchen, auch unsern Verlag bestens zu re- commandiren. Was den Druck und die Schönheit des Pappiers betrifft, so werden wir der Ersten nichts nachgeben; übrigens aber uns bemühen, auf die unzählige Menge der Schleichhändler genau Acht zu geben, damit nicht jeder in der Buchhandlung zu höcken und zu stören anfange. So viel ver- sichern wir, so wohl als die noch zutretende Herren Mitcollegen, daß wir keinem recht- mäßigen Buchhändler ein Blatt nachdrucken werden; aber dagegen werden wir sehr auf- merksam seyn, so bald jemanden von unserer Gesellschaft ein Buch nachgedruckt wird, nicht allein dem Nachdrucker hinwieder allen Scha- den zuzufügen, sondern auch nicht weniger denenjenigen Buchhändlern, welche ihren Nachdruck zu verkaufen sich unterfangen. Wir ersuchen demnach alle und jede Herren Buchhändler dienstfreundlichst, von alle Ar- ten des Nachdrucks in einer Zeit von einem Jahre, nachdem wir die Namen der ganzen Buchhändler-Gesellschaft gedruckt angezeigt haben haben werden, sich los zu machen, oder zu erwarten, ihren besten Verlag für die Hälfte des Preises oder noch weit geringer verkau- fen zu sehen. Denenjenigen Herren Buch- händlern von unsre Gesellschaft aber, wel- chen etwas nachgedruckt werden sollte, wer- den wir nach Proportion und Ertrag der Casse eine ansehnliche Vergütung wiederfahren zu lassen nicht ermangeln. Und so hoffen wir, daß sich auch die übrigen Unordnungen bey der Buchhandlung mit Beyhülfe gutgesinnter Herren Buchhändler in kurzer Zeit legen werden. Wenn die Umstände erlauben, so kommen wir alle Oster-Messen selbst nach Leipzig, wo nicht, so werden wir doch desfalls Commis- sion geben. Wir empfehlen uns deren guten Gesinnungen und verbleiben Deren getreuen Mitcollegen, J. Dodsley und Compagnie. Wenn dieser Aufsatz nichts enthielte, als die Einladung zu einer genauern Verbindung der Buchhändler, um dem eingerissenen Nachdrucke unter sich zu steuern, so würde schwerlich ein Gelehrter ihm seinen Beyfall versagen. Aber wie hat es vernünftigen und rechtschaffenen Leu- ten ten einkommen können, diesem Plane eine so straf bare Ausdehnung zu geben? Um ein Paar armen Hausdieben das Handwerk zu legen, wollen sie selbst Straßenräuber werden? „Sie wollen dem nachdrucken, der ihnen nachdruckt.„ Das möchte seyn; wenn es ihnen die Obrigkeit anders erlauben will, sich auf diese Art selbst zu rächen. Aber sie wollen zugleich das Selbst-Verlegen verwehren. Wer sind die, die das verwehren wollen? Ha- ben sie wohl das Herz, sich unter ihren wahren Namen zu diesem Frevel zu bekennen? Jst ir- gendwo das Selbst-Verlegen jemals verbothen gewesen? Und wie kann es verbothen seyn? Welch Gesetz kann dem Gelehrten das Recht schmälern, aus seinem eigenthümlichen Werke alle den Nutzen zu ziehen, den er möglicher Weise daraus ziehen kann? „ Aber sie mi- schen sich ohne die erforderlichen Ei- genschaften in die Buchhandlung. Was sind das für erforderliche Eigenschaften? Das man fünf Jahre bey einem Manne Pakete zu- binden gelernt, der auch nichts weiter kann, als Pakete zubinden? Und wer darf sich in die Buchhandlung nicht mischen? Seit wenn ist der Buchhandel eine Jnnung? Welches sind seine ausschliessenden Privilegien? Wer hat sie ihm ertheilt? Wenn Wenn Dodsley und Compagnie ihren Nach- druck der Dramaturgie vollenden, so bitte ich sie, mein Werk wenigstens nicht zu verstüm- meln, sondern auch das getreulich nachdrucken zu lassen, was sie hier gegen sich finden. Daß sie ihre Vertheidigung beyfügen — wenn an- ders eine Vertheidigung für sie möglich ist — werde ich ihnen nicht verdenken. Sie mögen sie auch in einem Tone abfassen, oder von einem Gelehrten, der klein genug seyn kann, ihnen seine Feder dazu zu leihen, abfassen lassen, in wel- chem sie wollen: selbst in dem so interessanten der Klotzischen Schule, reich an allerley Histörchen und Aneldötchen und Pasquillchen, ohne ein Wort von der Sache. Nur erkläre ich im voraus die geringste Jnsinuation, daß es gekränkter Eigennutz sey, der mich so warm ge- gen sie sprechen lassen, für eine Lüge. Jch habe nie etwas auf meine Kosten drucken lassen, und werde es schwerlich in meinem Leben thun. Jch kenne, wie schon gesagt, mehr als einen recht- schaffenen Mann unter den Buchhändlern, des- sen Vermittelung ich ein solches Geschäft gern überlasse. Aber keiner von ihnen muß mir es auch verübeln, daß ich meine Verachtung und meinen Haß gegen Leute bezeige, in deren Ver- gleich alle Buschklepper und Weglaurer wahr- lich nicht die schlimmern Menschen sind. Denn jeder von diesen macht seinen coup de main für für sich: Dodsley und Compagnie aber wollen Bandenweise rauben. Das Beste ist, daß ihre Einladung wohl von den wenigsten dürfte angenommen wer- den. Sonst wäre es Zeit, daß die Gelehrten mit Ernst darauf dächten, das bekannte Leib- nitzische Projekt auszuführen. Ende des zweyten Bandes. Gedruckt mit Clermondtischen Schriften. Mit allergnädigsten Chursächsischen Privilegio.