Patriotische Phantasien von Justus Moͤser . Herausgegeben von seiner Tochter J. W. J. v. Voigt, geb. Moͤser . Erster Theil . Mit Koͤnigl. Preußischer, Churfuͤrstl. Brandenburg. allergnaͤdigster Freiheit. Berlin , bey Friedrich Nicolai , 1775 . Patriotische Phantasien . Erster Theil . a 2 Vorrede der Herausgeberinn . G egenwaͤrtige Stuͤcke, welchen ich den Namen patriotische Phantasien bey- gelegt habe, sind mehrentheils schon in den Beylagen zu den Oßnabr. Intelligenz- Blaͤttern von dem Jahren 1768. und 1769. abgedruckt gewesen; einige wenige waren vor- her in andern oͤffentlichen Blaͤttern erschienen. Wie ich meinem Vater entdeckte, daß ich solche sammlen, und was ich von dem Ver- leger dafuͤr erhielte, auf eine patriotische Art verwenden wollte, antwortete er mir: 〟Du Vorrede „Du kannst es versuchen, ich besor- 〟ge aber, daß dasjenige, was auf ei- 〟nem Provinzial-Theater ertraͤglich ge- 〟schienen, auf der großen Buͤhne 〟Deutschlandes nicht gefallen werde. 〟Vieles ist zu local und bezieht sich 〟auf einheimische Verbesserungen, die 〟zum Theil gemacht, zum Theil miß- 〟lungen sind. Unsre Landes-Leute 〟sind einzig und allein fuͤr die politi- 〟sche Moral, und oft habe ich wider 〟meine Gewohnheit deklamiren, oder 〟bekannte Wahrheiten mit einer wich- 〟tigen Mine vortragen muͤssen, um mir 〟die Aufmerksamkeit meiner Zuhoͤrer 〟zu erwerben. Daher wird vieles aus- 〟waͤrts der Herausgeberinn . 〟waͤrts einen Erdgeschmack haben, oder 〟zudringlich scheinen, und weil fuͤr 〟dergleichen woͤchentliche Blaͤtter auf 〟dem Glockenschlag gearbeitet werden 〟muß, vieles von der Hand geschla- 〟gen oder doch nicht so gerathen seyn, 〟wie es die große Welt billig fordert. 〟Dieses kannst du zu meiner Entschul- 〟digung sagen, und alle uͤbrige Com- 〟plimente unterwegens lassen.„ Nun mein lieber Vater! das soll auch ge- schehen: indessen hoffe ich doch nicht zu suͤn- digen, wenn ich alle und jede so dieses lesen werden, instaͤndig ersuche, das Werk statt mei- ner zu loben, und mir zu meiner guten Ab- sicht Vorrede der Herausgeberinn. sicht recht viele Kaͤufer zu verschaffen. Sie sollen dann auch noch einen zweyten oder drit- ten Theil haben, wenn ihnen damit gedie- net ist. Oßnabruͤck, den 20. April 1774. J. W. J. von Voigt geb. Moͤsern. Inn- Innhalt . I. Schreiben an meinen Herrn Schwiegervater. 1 II. Gedanken uͤber den Verfall der Handlung in den Landstaͤdten. 7 III. Schreiben einer Mutter uͤber den Putz der Kinder. 24 IV. Reicher Leute Kinder solten ein Handwerk lernen. 26 V. Die Spinnstube, eine Osnabruͤckische Gesch. 41 VI. Man sorge auch fuͤr guten Leinsamen, wenn der Linnenhandel sich bessern soll. 55 VII. Von dem Nutzen einer Geschichte der Aemter und Gilden. 60 VIII. Gedanken uͤber eine Weinrechnung. 64 IX. Klagen eines Meyers uͤber den Putz seiner Frauen. 67 X. Das Gluͤck der Bettler. 70 XI. Etwas zur Verbesser. der Armen-Anstalten. 74 XII. Von der Armenpolicey unsrer Verfahren. 79 XIII. Vorschlag zur Versorgung alter Bedienten. 84 XIV. Unvorgreifliche Beantwortung der Frage: Ob das haͤufige Hollandgehen der Osna- bruͤckischen Unterthanen zu dulden sey? 85 XV. Die Frage: Ist es gut, daß die Untertha- nen jaͤhrl. nach Holland gehen; wird bejahet. 93 XVI. Von dem moralischen Gesichtspunkt. 109 XVII. Antwort an den Hn. Pastor Gildehaus, die Hollandsgaͤnger betreffend. 111 XVIII. Schreiben einer Cammerjungfer. 115 a 5 XIX. XIX. Die Schenkung unter den Lebendigen mit Vorbehalt des Niesbrauchs solte verbo- ten werden. 117 XX. Die gute seelige Frau. 120 XXI. Die allerliebste Braut. 125 XXII. Schreiben eines alten Rechtsgelehrten uͤber das sogenannte Allegiren. 134 XXIII. Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤs- sigen Schulden der Unterth. zu wehren. 136 XXIV. Antwort auf verschiedene Vorschlaͤge we- gen einer Kleiderordnung. 149 XXV. Der selige Vogt. 153 XXVI. Schreiben einer Hofdame an ihre Freun- din auf dem Lande. 158 XXVII. Gedanken uͤber die vielen Lotterien. Bey dem Anfange der Osnabruͤckischen Lotterie. 161 XXVIII. Trostgruͤnde bey dem zunehmenden Mangel des Geldes. 167 XXIX. Johann konnte nicht leben. Eine all- taͤgliche Geschichte. 171 XXX. Von Verbesserung der Bruanstalten. 176 XXXI. Etwas zur Verbesserung der Intelli- genz-Blaͤtter. 179 XXXII. Von dem Verfall des Handwerks in kleinen Staͤdten. 181 XXXIII. Die Klagen eines Edelmanns im Stifte Osnabruͤck. 209 XXXIIII. Die Poltick der Freundschaft. 213 XXXV. Es bleibt beym Alten. 216 XXXVI. Klage wider die Packentraͤger. 219 XXXVII. Schutzrede der Packentraͤger. 223 XXXVIII. XXXVIII. Urtheil uͤber die Packentraͤger. 230 XXXIX. Von der Steuer Freyheit in Staͤdten, Flecken und Weichbilden. 234 XXXX. Schreiben eines westphaͤlischen Schul- meisters, uͤber die Bevoͤlkerung seines Va- terlandes. 239 XXXXI. Schreiben eines reisenden Gasconiers an den Herrn Schulmeister. 247 XXXXII. Gruͤnde, warum sich die alten Sach- sen der Bevoͤlkerung widersetzt haben. 251 XXXXIII. Also sollen die deutschen Staͤdte sich mit Genehmigung ihrer Landesherrn wie- derum zur Handlung vereinigen? 257 XXXXIIII. Schreiben des Herrn von H. 266 XXXXV. Von den wahren Ursachen des Stei- gens und Fallens der Hanseatisch. Handl. 269 XXXXVI. Schreiben einer Dame an ihren Ca- pellan uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. 278 XXXXVII. Antwort des Hrn. Commendeurs auf das Schreiben einer Dame, uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. 282 XXXXVIII. Darf ein Handwerksmeister so viele Gesellen halten als er will? 286 XXXXIX. Haben die V. des Reichsabsch. von 1731. wohl gethan, daß sie viele Leute ehr- lich gemacht haben, die es nicht waren? 287 L. Vorschl. zu einem besond. Advocatencollegio. 292 LI. Ueber die Art und Weise wie unsre Vorfah- ren die Processe abgekuͤrzet haben. 295 LII. Vorschlag zu einer Korn Handlungscom- pagnie auf der Weser. 307 LIII. LIII. Von dem unterschiedenen Interesse, wel- ches die Landesherrn von Zeit zu Zeit an ih- ren Staͤdten genommen haben. 313 LIIII. Der hohe Styl der Kunst unter den Deutschen. 317 LV. Von dem Ursprung der Amazonen. 323 LVI. Kurze Geschichte der Bauerhoͤfe. 325 LVII. Schreiben einer Frau an ihren Mann im Zuchthause. 333 LVIII. Ein Projekt das nicht ausgefuͤhret wer- den wird. 337 LIX. Beantwortung der Frage: Ist es billig, daß Gelehrte die Criminalurth. sprechen? 338 LX. Schreiben uͤber ein Projekt unserer Nach- baren, Colonisten in Westphalen zu ziehen. 344 LXI. An meinen Freund zu Osnabruͤck, uͤber die Beschwerlichk. Colonisten anzusetzen. 352 LXII. Ueber die Veraͤnderung der Sitten. 356 LXIII. Aufmunterung und Vorschlag zu einer westphaͤlischen Biographie. 358 LXIV. Vorstellung zu einer Kreisv. um das Brandteweinsbr. bey dem zu besorgenden Kornmangel einzustellen. 363 LXV. Von der Neigung der Menschen, eher das Gute als das Boͤse von andern zu glauben. 367 LXVI. Klagen einer Hauswirthin. 368 LXVII. Also soll man die Aussuchung der Spitz- buben, Vagab. nicht bey Nachte vornehm. 371 I. I. Schreiben an meinen Herrn Schwie- gervater. E ndlich ist es mir, Gott Lob! gelungen, meine Frau hat ihre Puppen fortgeschickt, und diese Veraͤnderung macht ihrer Erzie- hung noch die meiste Ehre. Das Kam- mermaͤdgen hat die Gelegenheit dazu ge- geben. Sie und meine Frau waren des Nachmittags spatzieren, oder wie sie es nennen, philosophiren gewesen, und erstere war bey ihrer Wiederkunft mit einem Absatze ein klein wenig in die Mistpfuͤtze gerathen. Ich stand eben vor der Thuͤr, aber ohne bemerket zu werden, und da gieng es nun an ein erzehlen, an ein lachen, und an ein leben, das fast eine Stunde waͤhrete; alles uͤber die kleine Geschichte von dem Fuße und der Mistgrube. Meine Frau ergetzte sich mit, und es war nicht anders, als wenn die Kinder einen Vogel gefangen haͤtten. Ich trat endlich hervor und sagte: Es thut mir leid! aber Louise, die Kuh bloͤkt so sehr; will sie nicht einmal zusehen, was ihr fehlt? Das waͤre eine artige Commißion, sagte das schnaͤppische Maͤdgen, und fragte mich, ob ich wohl jemals eine Dame mit einer Kapriole und einer Saloppe im Kuhstalle gesehen haͤtte? Ich schwieg, und dach- te, es ist noch nicht Zeit. Wie aber das Kammermaͤdgen eine eigne Tafel verlangte, und die kleine Magd, welche ihr Mösers patr. Phantas. I. Th. A zur Schreiben an meinen zur Aufwartung ist, nicht mit der Viehmagd essen wolte: so nahm ich endlich Gelegenheit, mit meiner jungen Frau dar- uͤber im Ernst zu philosophiren. Die heutige Erziehung der Toͤchter bemerkte ich, ist zwar wuͤrklich sehr gut: man giebet ihnen feinere Sitten, Geschmack und Verstand; allein es ist auch eine nothwendige Folge davon, daß die Haut auf der Zunge feiner, die Haͤnde weicher, und alle Sinnen schwaͤcher werden, als sich jene Faͤhigkeiten vermehren. Es ist eine sehr wahrscheinliche Folge, daß der Verstand, welcher die Wissenschaften kennet und liebet, sich ungern mit Erfahrungen in der Kuͤche abgeben werde; und endlich muß diejenige Toch- ter schon einen sehr großen Grad von Vernunft besitzen, wel- che bey einem feinen Geschmack und einer vorzuͤglichen Ein- sicht ihre edlere und zaͤrtlichere Glieder nicht in alle die krau- sen, gehackten, gezierten, frisirten und Namenlosen Huͤllen kleiden soll, wodurch jetzt so viele zu einer ordentlichen Haus- arbeit ungeschickt werden. Wann eine Person von vorneh- men Stande sich dergleichen erlaubt, so denkt man endlich, sie sey zum Muͤßiggange privilegirt; und die vornehmen Haushaltungen wuͤrden schon so lange mit Unordnung gefuͤh- ret, daß man es geschehen lassen muͤsse. Bey Menschen Ge- denken hat man wenigstens kein Exempel, daß in einer adli- chen Haushaltung etwas betraͤchtliches eruͤbriget worden. Allein wenn der zweyte Rang dem ersten; der dritte dem zweyten; und der vierte dem dritten in dieser komischen Rolle folgt, so muß die davon abhangende Haushaltung zuletzt jene Wendung auch nehmen, und wir werden in einem frisirten Hemde unsere Pacht verlaufen muͤssen. Jetzt, mein liebes Weib, kannst du noch die Ehre haben, ein Original zu wer- den; du kannst dich freywillig herablassen, und alle die An- toillage, alle diese grosse Beaute, und diesen verdammten Marly, welcher dem gemeinen Besten jetzt hundert tausend Haͤn- Herrn Schwiegervater. Haͤnde stiehlt, mit einer schicklichern Kleidung vertauschen, ohne daruͤber roth werden zu duͤrfen. Gott hat uns Mittel gegeben; daher koͤnnen wir es mit Anstand thun. Wir koͤn- nen keinen gluͤcklichern Gebrauch von unserm Vermoͤgen ma- chen, als wenn wir die schwachen Toͤchter, welchen nichts als ein großes Exempel fehlet, vor der Versuchung bewahren in gleiche Ausschweifung zu fallen. Die Muͤtter werden dich preisen, und die Vaͤter mit Vergnuͤgen auf ihre Kinder sehen, wenn sie solche nicht mehr als kostbare Zierpuppen betrachten duͤrfen; und wie zaͤrtlich, wie aufrichtig wird dir das min- der begluͤckte aber auch ehrgeizige Maͤdgen danken, welches sich jezt, da es ihm an dem Vermoͤgen zu so vielen uͤberfluͤßi- gen Nothwendigkeiten fehlet, entweder versteckt, oder fuͤr eine neue Frisur ihre Unschuld aufopfert. Alle unsere jetzi- gen Moden haben blos das Verdienst des wunderbaren, des ausschweiffenden und des kostbaren. Sie tragen nichts zur Erhoͤhung deiner Reizungen bey. Diese werden vielmehr nur versteckt, beladen, und auf eine recht gothische Art ver- ziert. Neuigkeit und Einbildung haben zwar ihre Rechte; und ich verlange nicht, daß du diese verleugnen moͤgest. Al- lein hebe dich einmal aus dem Schwarm so vieler verdienst- losen Affen. Erweitere deine Einbildung, und erwege, ob nicht eine heroische Verachtung aller Modesclaven etwas eben so neues, und eben so reizendes fuͤr deine Einbildung seyn werde, als alles, was dein Kammermaͤdgen mit einem diebi- schen Blicke der Hofdame entwenden kann? Es ist jezt die Mode a la grecque zu seyn; und diese solte in der edelsten Ausbildung des menschlichen Koͤrpers bestehen. .... Ich weis nicht, wie mir dieses alles in einem Odem vom Herzen fiel, und woher meine kleine Frau die Gedult nahm, diesen lehrenden Ton zu ertragen. Inzwischen muß ich ihr zum Ruhm bekennen, daß sie mir in allem Beyfall A 2 gab; Schreiben an meinen gab; und kaum waren acht Tage verflossen, so kam sie auf einmal mit den Worten in die Stube getreten: Nun sieh mich a la grecque. Nie hatte ich sie so reitzend gesehen. Eine allerliebste Bauren-Muͤtze bedeckte ihr schoͤnes Haar, das ohne Kunst aufgemacht war, und sich nur so weit sehen ließ, als man es gerne siehet. Durch ein Camisol mit kur- zen Schoͤssen druͤckte sich der schoͤnste Wuchs und noch etwas mehrers aus. Die Ermel an demselben giengen nicht weiter als bis an den Ellenbogen: und waren frey von dem dreyfa- chen Geschleppe, wodurch sie vordem immer gehindert wurde, einem hungerigen Manne einen guten Bissen mit eigener Hand vorzulegen. Ein netter und huͤbscher Rock schien mit einigem Unwillen den feinsten Fuß zu verrathen, den ein weisser Strumpf und ein schwarzer Schuh weit gelenker zeig- te, als vorhin, da er mit Stof und Band beschweret und von einem großen Geschleppe gefesselt war. Kaum hatte sie mei- nen Beyfall aus meinen entzuͤckten Blicken gelesen: so fuͤhrte sie mich in die Kuͤche, wo die frische Butter bereit stund, welche sie jetzt mit eigener Hand wusch; waͤhrender Zeit ihr junger schlanker Koͤrper in jeder Bewegung eine neue Reitzung zeigte. Ihr ganzes Gesichte schien sich veraͤndert zu haben. Denn anstatt, daß sie vorhin zu ihrer Dormeuse a la Tching- Tchang - fy, Diese neue Chinesische Art von Dormeusen ist oben mit ei- ner Springfeder, die, wenn man die Stirn kraus zieht, beyde Fluͤgel vorn zusammen schlaͤgt. Da die Chinesischen Cammer-Jungfern die ganze Ingenieur-Kunst verstehen, und sowol die Angrifs- als Vertheydigungs-Anstalten ei- nes jeden Kopfs beurtheilen und dirigiren muͤssen: so sind dergleichen große Erfindungen in diesem Lande sehr ge- mein. eine Haut, wie Esels-Milch, und ein paar unreifer Augen gebrauchte: so war sie jetzt nichts denn Feuer und Leben; und wie wir auf den Acker giengen, konnte sie Bei- Herrn Schwiegervater. Beine und Haͤnde gebrauchen, da vorher jede Furche fuͤr sie ein fuͤrchterlicher Grabe, und jeder Steig ein Riesengebuͤr- ge war. Seitdem haben wir nun unsern neuen Plan noch mit mehrer Ueberlegung ausgearbeitet. Das Cammer-Neglige, welches sonst von acht Uhr bis um 10 des Morgens waͤhrete, ist voͤllig abgeschaft; und so wie sie aufsteht, ist sie in ihrer kurzen Kleidung geputzt. Das große Neglige, womit sie sonst bey Tische erschiene; wird im Hause gar nicht mehr getragen; und also auch des Nachmittages nicht zum drittenmal veraͤn- dert, wie sonst geschahe, wenn etwan ein Besuch vermuthet wurde. Des Abends aber faͤllt der Nacht-Tisch von selbst weg, indem keine tausend Nadeln auszuziehen, und keine hundert kostbare Kleinigkeiten wegzukramen sind. Durch diese Anstalten gewinnet sie taͤglich ein plus von acht Stun- den in ihrem wuͤrklichen Leben; welche, da sie nun zum Be- sten unsrer Haushaltung angewandt werden, mich nicht allein vor Schaden bewahren, sondern auch durch Gottes Segen in den Stand setzen werden, ein ehrlicher Mann zu bleiben. Das Cammermaͤdgen haben wir in ihrem groͤßten Staat, in unsrer besten Gutsche, nach der Stadt zuruͤck geschickt; und meine Frau und ich haben die Dame zu Pferde begleitet. Denn sie reitet nun auch, und dies ist ein nuͤtzliches Vergnuͤ- gen, das den Koͤrper staͤrkt, und den Muth des Geistes un- terhaͤlt, welchen eine Landhaushaltung erfordert. Wenn wir einen Besuch erhalten: so empfaͤngt ihn meine Frau in ihrer jetzt gewoͤhnlichen Kleidung, mit einem so heroischen Anstande, daß ein jeder ihre großmuͤthige Ver- leugnung bewundert. Da ihrem Anzuge an Reinlichkeit und edler Schoͤnheit nichts fehlet: so kann sie sich darinn zeigen, ohne den Wohlstand zu verletzen; und unser Denkungsart A 3 ist Schreiben an meinen Herrn Schwiegervater. ist so bekannt, daß wir keine uͤble Auslegung befuͤrchten duͤr- fen. Im uͤbrigen aber koͤnnen sie versichert seyn, daß die Gesellschaft gerne bey uns ist; indem Munterkeit und Gefaͤl- ligkeit sich uͤber alles verbreiten, und das, was wir unsern Freunden vorsetzen, durch die Aufmerksamkeit meiner Frau merklich verschoͤnert wird. Versuchen sie es, und kommen zu uns. Die Schnurre, welche sie Wissenschaft heissen, und dem schoͤnen Geschlecht ehedem anpriesen, ist bey uns ordentlich zum Gelaͤchter ge- worden. Die Arbeit, dieser Fluch, womit Gott das mensch- liche Geschlecht segnete, giebt uns wahres und dauerhaftes Vergnuͤgen; und wir lesen ausser der letzten Abendstunde nicht leicht ein Buch; indem wir einmal uͤberzeuget sind, daß der Mensch nicht zum Schreiben und lesen, sondern zum Saͤen und Pflanzen geboren sey; und daß derjenige, welcher sich bestaͤndig damit beschaͤftiget, entweder keine gesunde Seele, oder sehr viele lange Weile haben muͤsse. Die Quelle alles wahren Vergnuͤgens ist Arbeit. Aus dieser kommt Hunger, Durst und Verlangen nach Ruhe. Und wer diese drey Be- duͤrfnisse recht empfindet, kennet Wollust. Leben Sie wohl, und besuchen uns bald. II. II. Gedanken uͤber den Verfall der Handlung in den Landstaͤdten. .... Wir muͤssen uns schaͤmen, wenn wir an unsere Vorfahren in der deutschen Com- pagnie (die Hanse) gedenken. Alles, was wir jezt in den Landstaͤdten thun, ist dieses, daß wir unsere Manufacturen einem Bremer oder Hamburger vertrauen, und uns durch die- selben herumfuͤhren lassen. Mancher ist gar so feige, oder geldbeduͤrftig, daß er gleich in Bremen und Hamburg ver- kauft, und sich dem Preise unterwirft, welchen die auf der Boͤrse daselbst versammleten Aufkaͤufer seiner Verlegenheit oder seiner kurzen Einsicht bestimmen. Die Laune eines Seestaͤdters, eine Zaghaftigkeit, welche ihm seine groͤßere Verwickelung in mehrern Orten des Handels auf einen Post- tag zuziehet; eine zufaͤllige Veraͤnderung des Wechsels; eine vortheilhaftere Fracht; die Zeit, welche er noch abwarten kann; die Noth des Verkaͤufers und andere Zufaͤlle entschei- den den Vortheil des Mannes, der den ganzen Verdienst ha- ben solte; und der Kuppler entfuͤhret ihm die Braut. Kaum wissen unsre Landstaͤdter die Zeit, wenn ihre Waaren am be- sten gehen. Sie verkaufen ihr Korn nach der Erndte, ihr Linnen um Pfingsten, und bekuͤmmern sich nicht darum, wenn die Flotten aus England und Spanien nach Osten und We- sten abgehen, und der Factorist an der Stelle den verlegenen Schiffspatron zuͤchtiget, oder doch an der Waare, wobey die erste Hand sich kaum das Leben gefristet, noch dreyßig vom Hundert gewinnet. Alles, alles wird dem Seestaͤdter gelas- A 4 sen, Gedanken uͤber den Verfall sen, der mit runzelnder Stirne und hangenden Lippen die Ungedult des Landstaͤdters, der ihm seinen Segen feilbietet, oder auf den Hals schicket, und Geld und Waare darauf nimmt, haͤmisch demuͤthiget. Wie erweitert, wie stark, wie gluͤcklich waren dagegen die Einsichten unserer Vorfahren in der deutschen Compagnie? Sie bedienten sich zwar des Schiffbodens der Seestaͤdter: Allein sie verkauften ihre Waaren nicht auf dem Bremischen Markte, sie uͤberlieferten sich nicht mit Leib und Seele der Aufrichtigkeit eines Hamburgers. Fuͤr eigene Rechnung wurde ihre Waare eingeladen. An dem Orte ihrer Bestim- mung zu Bergen, Londen, Novogrod, Bruͤgge und ander- waͤrts hielten sie ihre eigene Bediente, ihre eigne Packhaͤuser und ihren eignen Markt. Ihre Bediente, welche solcherge- stalt an allen Enden der Welt waren, gaben ihnen getreue Berichte. Sie sahen nicht durch die Brillen der Seestaͤdt- schen Unterhaͤndler. Sie liessen sich nicht von einigen Ne- benbuhlern unterbohren, sondern wußten gleich, wenn und warum eine Waare nicht mehr zog; wie sich Geschmack und Nothdurft aͤnderten, wer bessere Preise gab, wodurch dem- selben der Rang abzugewinnen, was fuͤr Farben und Strei- fen den Vorzug hatten, welche Moden am liebsten, und in welchem Stuͤcke es auf die Guͤte der Sache, oder nur auf den Glanz ankam, wo sich neue Quellen eroͤfneten, und welche Handlungsmaxime der fremde Staat faßte. Jede Veraͤnde- rung wurde ihnen zeitig, gruͤndlich und von getreuer Hand bekannt, jede Theurung oder Thorheit unmittelbar und schnell genuzt, jede Aussicht schleunig eroͤffnet, und jede Unterneh- mung derselben angemessen. Alle Zahlungen giengen ohne Umschweife, und die Seestaͤdte mußten ihren Wechsel aus den Landstaͤdten in der Hanse kaufen. Jezt der Handlung in den Landstaͤdten. Jezt ist es einem Seestaͤdter leicht, den Handel eines ganzen Landes zu verderben. Ungestraft macht er die Wap- pen und Zeichen anderer Laͤnder nach, druͤckt solche auf schlechte Waare, und verlaͤumdet damit die Redlichkeit des Mannes und des Orts, der mit aller Treue seinem Zeichen und Wap- pen Ehre zu machen suchte. Er veraͤndert das Gewicht, ver- kuͤrzt die Elle, und verkauft polnisch fuͤr preußisch, bis endlich die Empfaͤnger der schlechten Waare uͤberdruͤßig auf eine neue Spur geleitet und durch andere Laͤnder oder Waaren besser versorget werden. Wo ist itzt der Landstaͤdter, der sich ruͤh- men kann, einige Nachricht aus dem wahren Sitze der Hand- lung zu empfangen, die Ursache eines steigenden und fallenden Wechsels zeitig zu bemerken, seinen Plan auf sichere Gruͤnde zu bauen, die Beduͤrfnisse jeder Colonie, jedes Reiches zu kennen, und sofort seine Maasregeln darnach zu nehmen? Kaum kann er noch eine geringe Zahlung durch eigene Wech- sel verrichten. Moses und Abraham rechne ich aber nicht mit. Diese koͤnnen freylich Wechsel in Menge schreiben; aber darf man fragen wie? Und koͤnnen wir ohne Erroͤthen daran gedenken? Sie lassen die Wechsel in Bremen, Hamburg oder Amsterdam aufkaufen, schicken solche zur Erhebung an ihre Freunde in Spanien oder England, und verkauffen uns denn ihre Anweisungen auf das erhobene Geld. Der Hamburger, Bremer oder Hollaͤnder gewinnet also daran ein halbes vom Hundert. Der Englaͤnder und Spanier eben so viel, und Moses und Abraham sicher ein ganzes. Und woher ruͤhren diese Gelder? Sind es nicht Zahlungen, die wir aus Spa- nien und England zu fordern hatten? Geschehen sie nicht fuͤr Waaren, die man aus dem Lande nach den Seestaͤdten ge- schickt hatte? Und verkauft man uns nicht unser eigen Geld? Erst schnellen uns die Seestaͤdter um die Waare, und nun pluͤndern sie unsern Beutel. Kann man sich etwas schimpfli- A 5 chers Gedanken uͤber den Verfall chers vorstellen, und wuͤrde nicht ein Kind aus der alten Hause sagen, wir haͤtten allen Verstand verlohren? Dies ist aber die Sache nur noch von einer Seite; von der Seite, wie wir unsere eigene Producten und Manu- facturen durch die Haͤnde der Seestaͤdter los werden, betrach- tet. Nimmt man nun auch vollends die andere, wie wir un- sere Beduͤrfnisse, und den sogenannten nothwendigen Ueber- fluß aus fremden Laͤndern erhalten, hinzu: so vermehret sich der Schade der Landstaͤdter nach dem Maaße, als die Einfuh- re die Ausfuhre jezt uͤberwieget. Unsere Vorfahren im Han- sischen Bunde, da sie an den Enden der Welt ihre Factoreyen hatten, erhielten nothwendig alles ohne Mittel und aus der ersten Hand. Sie kauften die Heringe nicht von den Hol- laͤndern; ihr Factor zu Bergen ließ sie selbst fangen. Sie kauften den Leinsamen nicht um Ostern zu Bremen, sondern im Herbst von dem Landmanne an dem Orte, wo er waͤchst, oder doch wenigstens auf dem Markte zu Riga oder in der Li- bau. Jeder Kaufmann, der in einer Hansestadt wohnte, ließ den Thran bey seiner Factorey in Bergen sieden, seine Fische daselbst salzen oder trocknen, und die Kaufleute der Stadt Soest hatten so vieles fuͤr eigene Rechnung auf der See, daß es ihnen der Muͤhe verlohnte, besondere Freyheitsbriefe von dem daͤnischen Monarchen zu nehmen. Wo aber ist jezt der Geist einer gleichen Unternehmung? Wie viele sind in der Hauptstadt, die nur einmal den Reis aus England ziehen? und gleichwohl schickt ihn der Englaͤnder ohne Zahlung nach Bremen, und wartet gern ein Jahr auf sein Geld. Wer kauft nicht seinen Toback bey fuͤnf oder sechs Faͤssern in Bre- men, und laͤßt sich nicht oft dasjenige, was bey der Stuͤrzung in England als schadhaft von dem Gewichte der Tonne abge- zogen wird, fuͤr gute Waare verkauffen? Wer achtet auf die Schiffe, welche in England aus den Marylaͤndischen Colonien damit der Handlung in den Landstaͤdten. damit ankommen? Wer hat im voraus einige Nachricht, wie der Jahrwachs daselbst gerathen? Wer unterscheidet die gu- ten Glaßgowischen und Liverpolischen Preise von den London- schen? Wer weis die Rechte eines jeden Hafens und den Ein- fluß, welchen solche auf eine Waare haben? Dies uͤberlaͤßt man der Aufmerksamkeit des Hamburgers und Bremers; und dieser allein ziehet den Vortheil ohne Arbeit. Bey dem letz- teren Verkauf der Ostindischen Compagnie in Amsterdam sahe man italiaͤnische und franzoͤsische Gewuͤrzhaͤndler: aber kei- nen einzigen deutschen in Person. Gleichwol hatte man eine neue Art von Versteigerung durch Uebergeboth eingefuͤhret, welche die Gewuͤrze merklich theurer, und die Ausrichtung durch die Maͤckler fuͤr die Zukunft weit bedenklicher machen wird. Alles, was man von deutscher Aufmerksamkeit dabey bemerkte, war dieses, daß der feine Canel fuͤr Italien, der mittlere fuͤr Frankreich und die schlechteste Borke fuͤr Deutsch- land erhandelt wurde. Wie weit sind diese Grundsaͤtze von den Grundsaͤtzen der ehemaligen Hanse entfernet. Diese betrachtete die See- staͤdte als bloße Niederlagen. Sie behauptete zum Vortheile der Seestaͤdte, daß jede Bundstadt nur ihre eigene Waaren ausfuͤhren sollte und zum Vortheile der Landstaͤdte, das jede Manufactur an dem Orte, wo sie fiele, zur Vollkommenheit gebracht werden muͤßte. Diesem großen Gesetze zufolge, wel- ches, wie man insgemein glaubt, die Koͤnigin Elisabeth nach- her der ganzen Welt zur Regel und zur ewigen Grundlage des englischen Handels gemacht hat, durfte der Seestaͤdter sich nicht unterstehen, das Faͤrberlohn an einem Stuͤcke Tuche zu gewinnen, oder ein Stuͤck Linnen zu glandern, welches nicht dort gemacht war. Man sahe ein, daß es dem See- staͤdter an wohlfeilen Haͤnden mangelte, um die Spinnerey zu Gedanken uͤber den Verfall zu bestreiten; und daß es ihm im Gegentheile leichter fiele, einem rohen Stuͤcke Tuch Farbe und Glanz zu geben. Man sahe ein, daß, wenn ihnen dieses gestattet wuͤrde, die Land- staͤdte nur fuͤr die Seestaͤdte arbeiten, und diese zuletzt sich der Handlung und des wahren Vortheils bemeistern wuͤrden. Was wuͤrden die Maͤnner von solchen Einsichten den- ken, wenn sie hoͤrten, daß jene zwey große Gesetze als die wichtigste Erfindung dem Englischen Genie zugeschrieben, und in Deutschland in ihrem ganzen Umfange kaum noch begriffen wuͤrden? wenn sie hoͤrten, daß jezt in den Seestaͤdten alle Ar- ten von Fabriquen bestehen, und von dort her Huͤte und Struͤmpfe in die Landstaͤdte geschickt werden koͤnnen? Sie wuͤrden glauben, die Welt haͤtte sich umgekehret, und die Handarbeit sey wohlfeiler in der Seestadt, als in der Land- stadt. Unsere Gelehrten beschreiben uns die Hansischen Kriege, aber nicht den Geist der damaligen Handlung. Leben und Thaten eines Luͤbeckischen Buͤrgermeisters sind ihnen so wich- tige Gegenstaͤnde, daß sie die Thorheit einer handelnden Com- pagnie, die in das Eroberungssystem verfaͤllt, nicht einmal ahnden. Auch damals haben die Seestaͤdter die deutsche Land- handlung einem Schwindelgeiste aufgeopfert. Ist denn aber den Landstaͤdten der Weg nach andern Gegenden versperret? Sind ihnen die Schottischen Fabriquen und Hafen unentdeckt? Ist ihnen Oporto und Bourdeaux mehr, als den Seestaͤdtern, verschlossen? Koͤnnen sie nicht eben so gut, als diese, ihre Factoren in Lissabon und Cadix haben? Koͤnnen sie nicht eben so gut, als ein Englaͤnder und Hollaͤnder, nach allen Spani- schen und Portugiesischen Colonien handeln, wenn sie ein Packhaus in Lissabon, und den Namen eines Spaniers oder Portugiesen miethen? Verleihet ein Buͤrger in London sei- nen Namen einzig und allein an einen deutschen Seestaͤdter? Oder der Handlung in den Landstaͤdten. Oder ist es unmoͤglich, an jedem Orte einen Freund zu fin- den, der gegen einigen Genuß des Vortheils, auf aller Welt Beduͤrfnisse Acht giebt; neue Aussichten eroͤfnet, und blos die Stelle eines getreuen Spediteurs, vertritt? Und koͤnnten un- sere muͤßigen Residenten nicht in mancher Absicht dem Staate dienen? Man wird einwenden, daß man auf solche Art sein Gut dem Meere und unbekannten Personen vertrauen, drey Jahre auf den Umschlag warten, aus dem Spanischen und Portugiesischen Indien Waare zuruͤck nehmen, und fuͤr letz- tere einen großen Markt haben muͤsse. Eine Ladung Oel, Zitronen, Rosinen, Weine, Wolle, Domingo, Indigo und dergleichen Waaren, welche Spanien zuruͤck gebe, wuͤrde eine Landstadt nicht mit Vortheil verschlingen koͤnnen, und letzteres sey der wahre Vorzug der Seestaͤdte, wodurch sie sich der Handlung bisher allein bemeistert haͤtten. Allein Un- sicherheit ist die Seele des Handels; und je laͤnger man auf sein Geld warten muß, je groͤßer ist auch der Vortheil, weil Kraͤmer und Schleicher, die ihrer wenigen Pfennige gleich wiederum beduͤrfen, sich nicht daran wagen, und den Han- del verderben koͤnnen. Blos die letzte Schwierigkeit wuͤrde erheblich seyn; wenn der Bremer und Hamburger Buͤrger den Markt fuͤr sich allein, und Auswaͤrtige nicht die Freys- heit haͤtten, auf diesem Markt im Großen zu verkaufen. Ein Landstaͤdter kann alle seine Spanische Ruͤckfrachten dort able- gen, verkaufen, und an alle Ende der Welt gehen lassen. Er darf nur Kunden auf dem Lande haben, und, wenn er denn bessere Preise, als der Bremer geben kann, so wird die- ser keinen Vorzug vor ihm gewinnen. Bessere Preise aber kann er geben; wenn er die Waare, als zum Exempel das Linnen, welches der Bremer in Bezahlung nach Spanien oder un- Gedanken uͤber den Verfall unter eines Spaniers Namen nach den Indien geschickt, und aus den Landstaͤdten gekauft hat, unmittelbar dahin versendet. Sollte Hamburg und Bremen nicht wollen; so ist Harburg und Emden offen; und beyden fehlet nichts, als Ruͤckfracht in die Fremde. Man denke nicht, daß der Neid zu stark dagegen ar- beiten wuͤrde: Der deutsche Seestaͤdter ist verlegener, als man glaubt. Er wuͤnscht, und der Hollaͤnder wuͤnscht es mit ihm, daß aus Deutschland jaͤhrlich zehen tausend Schiffsla- dungen ohne seine Gefahr abgehen, und ihm weiter nichts, als die Packhausheuer, die Besorgungsgebuͤhr und die Schiffs- fracht einbringen moͤchten. Er verlanget nicht fuͤr eigene Rechnung zu handeln, und erkennet gern, daß Luͤbeck und Hamburg zur Zeit der Hanse groͤßer durch die Waarenlager von Deutschland, als durch eigenen Handel geworden. Zu diesem Preise wird er seinen Lieblingshandel mit Franzoͤsischen Weinen gern den Landstaͤdten selbst uͤberlassen; und noch et- was mehr, als Tonnenstaͤbe nach Frankreich zuruͤck fuͤhren koͤnnen. Es fehlet ihm oft an Ruͤckfrachten; und er muß gleich den Schweden in Ermangelung einiger Waaren bey den Fremden ein Fuhrlohn verdienen. Allein der Landstaͤdter muß die Entwuͤrfe machen, und den Seestaͤdter leiten. Er muß wissen, was fuͤr Waaren aus Cuͤrasseau oder St. Eusta- che am besten verschleifet; was in der Levante erfordert, und in Norden gebrauchet wird. Der Seestaͤdter, so lange er blos seine Gebuͤhren fuͤr die Besorgung ziehet, wird ihm kei- nen Faktor in Smirna halten, und nicht fuͤr den Verkauf der Waare an den Orten der Abladung einstehen. Dies muß der Landstaͤdter selbst wissen, und diese Idee hat er jetzt voͤl- lig verlohren. Wenn ihm eine Pflanzung in Suriname an- geboten wuͤrde; wenn er seinen Caffee dort selbst bauen las- sen der Handlung in den Landstaͤdten. sen sollte; er wuͤrde glauben, in einer ganz neuen Welt zu seyn. Und gleichwol ist er so nahe dazu, als ein anderer, und durch die Umstaͤnde zu weiter nichts verbunden, als seine Erndte in Holland auszuladen. Die ganze Levante steht ihm offen; der Hollaͤnder hat den Handel, theils weil er der keinen Vortheile satt war; theils weil er aus Deutschland mit keinen Waaren versorgt wurde, eine ganze Zeit uͤber vernachlaͤßiget. Der aufmerk- same Englaͤnder hat ihn verdrungen, und die Leidener Tuch- fabrique, welche in der Tuͤrkey noch beruͤhmter, als in Deutschland war, ist daruͤber versunken. Allein, in Deutsch- land hat niemand darauf gedacht, einige Produkten nach der Levante zu schaffen. Keiner gedenkt sich in Alexandrien einen Markt zu machen, oder aus Cairo etwas zu erhalten, man laͤßt dem Englaͤnder dort seinen Tuͤchern den Preis setzen, und das aͤrmeste Staͤdtgen in Deutschland wagt es nicht, die seinigen dorten wohlfeiler auszubieten. Was die Amerikanischen Co- lonien den Englaͤndern, und was England der Stadt London ist; das sollte Deutschland den Hollaͤndern und uͤbrigen See- staͤdten seyn koͤnnen. Oder sollte eine Schiffsladung von Schuhen aus London wohlfeiler abgehen koͤnnen, als aus Bremen? Und sollten selbige, wenn sie rechtschaffen gemacht werden, nicht eben so viel Kaͤufer in den Spanischen Indien finden, als andere, die unter dem Namen eines Spanischen Einwohners dahin gehen? Jetzt ist es freylich die Zeit nicht mehr, auf die Schuhe zu gedenken, nachdem die Ameri- kanischen Colonien das Leder so wohlfeil liefern, daß Deutsch- land bald seine Schuhe aus England erhalten wird. In- dessen findet ein aufmerksamer Geist allemal noch neue Wege. Es gehen noch ganze Ladungen von gestickten Schuhen aus Sachsen Gedanken uͤber den Verfall Sachsen nach Rußland; und der Franzose brachte die Feder- muffen wieder in Mode, nachdem er das Rauchwerk aus Canada verlohren hatte. Einer fleißigen Hand ist nichts unmoͤglich. Ueberhaupt aber ist der Deutsche Handel nicht allein in dem aͤussersten Verfall, sondern wir stehen auch in Ge- fahr, unser Brod mit der Zeit wohlfeiler aus America zu erhalten, als es bey uns gebacken wird. England, das von uns nichts zuruͤck nimmt, und Gottes Wort fuͤr Con- trebande erklaͤret, wenn es auswaͤrts gebunden ist, wird unsere offene Haͤfen mit aller Leibes Nothdurft und Nahrung versorgen; und die Seestaͤdter, welche entweder bey der wenigen Ausfuhr aus Deutschland die Haͤnde in den Schooß legen, oder alle fremde Handlung beguͤnstigen muͤssen, werden uns noch mehr Butter, Talg, Wachs, Honig, Hanf und Korn zufuͤhren, uns mit Burton- oder Dorchester-Bier traͤnken, und, wenn es ihnen an bessern Frachten fehlet, aus Noth mit Eis aus Groͤnland handeln. Nach England darf ohne besondere Erlaubniß des Koͤnigs keine irlaͤndische Butter kommen. Allein, in Deutschland findet sie uͤberall ihren Markt, und was noch schlimmer ist, Kaͤufer, welche sie aus Mangel einheimischer nehmen muͤssen. Woher ruͤhret denn dieses? Und warum befinden wir uns in dieser Be- duͤrfnisse? Das einzige, was wir jetzt noch ausfuͤhren, oder den Namen einer Ausfuhre verdienet, ist Linnen. Auf selbigem liegen in England vierzig vom Hundert, wovon auf dasjenige, was nach America 35, und auf dasjenige, was uͤber Lissabon und Cadix nach Indien gehet, fast alles zuruͤck gegeben wird. Gesetzt nun, es kaͤme dahin, wie es bey der vorigen Parlementssitzung beynahe gekommen waͤre, wenn sich nicht eini- der Handlung in den Landstaͤdten. einige besondere Nebenursachen ins Mittel geleget haͤtten, daß die 35 vom Hundert auf dasjenige, was nach America gehet, nicht weiter zuruͤckgegeben wuͤrden: so ist nicht der ge- ringste Zweifel, daß nicht die Schottlaͤndischen Fabriken alles Schlesische, und die Irlaͤndische alles Osnabruͤckische, Ravens- bergische, Lippische und Weser-Linnien verdrungen haben wuͤrden. Womit wollte aber denn Deutschland noch weiter bezahlen? Und woran haͤngt es, daß jener große Entwurf, nach welchem die Americanischen Colonien entweder Schott- laͤndisch und Irrisch Linnen nehmen, oder aber dem Staate die 35 p. C. davon bezahlen sollten, nicht zum Stande ge- kommen? An einer Furcht vor den Amerikaner, an einem Haß gegen Schottland; an einem Neide der Londonschen Kaufleute, die, so lange das Linnen uͤber Bremen koͤmmt, mehr Meister von der Quelle sind; und an einiger Ruͤcksicht auf die Spanische Handlung, wohin das deutsche Linnen den Weg mehr uͤber Holland, wie vor dem, genommen haben moͤchte. Wie leicht moͤgen aber diese Bedenklichkeiten nicht verschwinden, wenn die Seestaͤdter ohne Ueberlegung und ohne Gewicht nur immer und aus Noth von den Auswaͤrti- gen abhangen, Weine von Bourdeaux holen, aber nichts als Holz wieder zuruͤck bringen duͤrfen? Ich erwehne mit Fleiß nichts von der Menge des Caffees, Thees, Zuckers und Weines, welche nunmehro zu den Beduͤrfnissen eines Bettlers gehoͤren, und Deutschland auf das sichtbareste erschoͤpfen. Dergleichen Dinge sind zu klar und zu abgenutzt, als daß ich ihrer erwehnen sollte. Und die Gefahr kann nicht groͤßer seyn, als sie ist, wenn man die aͤussersten Beduͤrfnisse wohlfeiler aus der Fremde ziehet, als daheim bauet; gleichwohl aber mit seinen Haͤnden wenig oder nichts schaffet, um das Gleichgewicht dagegen zu halten, Mösers patr. Phantas. I. Th. B kei- Gedanken uͤber den Verfall keinen Blick in die Welt thut, welche dem Fußgaͤnger, wie dem Reuter, offen steht. Es ist fast unglaublich, wie sehr wir seit einigen Jahren die Bilanz der Handlung verlohren haben. Wie lange ist es, daß hundert Alberts-Thaler 120 Thaler unserer Muͤnze galten? Und, wie lange stehen sie nun an und uͤber 135? Wer denkt die Zeit, daß der Englische Wechsel so lange und so anhaltend, um und uͤber sechshundert geschwebet? Und welcher Mensch in der Welt haͤtte es sich vorstellen sollen, daß England in wenigen Jahren an die zehn Millionen Pf. Sterl. haͤtte nach Deutschland uͤbermachen koͤnnen, ohne dort schuldig zu werden, und den Wechsel gegen sich zu haben? Fluͤsse und Haͤfen koͤnnten uns dienen. Allein zufuͤllen und versenken sollten wir sie beynahe, da sie ihrem Vaterlande ungetreu und fremden dienstbar werden. Jedes Seestaͤdtgen handelt blos nach seiner eigenen Politik, und die Wohlfahrt des Reichs, welche leider mit jedem einzelnem Theile desselben contrastirt, ist kaum noch, dem Namen nach, bekannt. Aber auch in keinem Friedens- schlusse wird fuͤr die Befestigung der Handlung gesorgt. Man hat sich von Rußland, Frankreich, England und Holland, nie etwas fruchtbares dafuͤr bedungen, und ist stolz, einen Rang- streit ausgemacht, oder eine neue Messe angelegt zu haben. Man glaube aber nicht, daß die Seestaͤdte ihren Vore- theil zuerst von dem Vortheile des Reichs getrennet haben. Den ersten Fehler ausgenommen, welchen sie jetzt mit der englischen Ostindischen Compagnie gemein haben, daß sie Kriege mit den Reichen anfingen, mit dessen Einwohnern sie handeln wollten, so sind es die Landstaͤdte, welche sich ihnen zuerst entzogen, und sie dadurch in die Nothwendigkeit ge- setzet der Handlung in den Landstaͤdten. setzet haben, alles fuͤr eigene Rechnung zu thun, und in Er- mangelung deutscher Waaren, uns so viel mehr fremde zu- zufuͤhren. Es liegt an uns, daß wir nicht unsern Vortheil mit dem ihrigen wieder vereinigen, und Leute aus ihnen auf- muntern, welche zum Vortheile Deutschlandes reisen; neue Oefnungen fuͤr den Handel suchen; neue Quellen entdecken; die Beduͤrfnisse eines jeden Landes ausfinden; den Mitteln, wodurch es jetzt von andern Nationen ausgeholfen wird, nach- spuͤren; die Moͤglichkeit, ihm besser und wohlfeiler zu dienen, uͤberlegen, und uns denn die Vorschriften geben, wornach wir in den Landstaͤdten arbeiten muͤssen, um ihre Erfahrungen zu nutzen. Dieses ist wenigstens, da wir selbst dergleichen Reisen nicht unternehmen, und nur mit fremden Augen sehen wollen, das ertraͤglichste, und vielleicht braͤchten alle unsere Landstaͤdte mehr als dreyhundert Fragen zusammen, welche solchen Reisenden mitgegeben werden koͤnnten. Es gehet kein Jahr vorbey, daß nicht wenigstens zehn Englaͤnder der Handlung wegen Deutschland bereisen, und sich Kunden erwerben; zwar sind es mehrentheils Londoner, welche blos Bestellungen suchen, und eben so viel nicht scha- den, weil Leute von Einsicht, welche ihre Waaren aus den innern Haͤfen und aus den Landstaͤdten Großbrittanniens selbst ziehen, ihnen eben das, was sie anzubieten haben, wohlfei- ler in Deutschland geben koͤnnen, als es ein Londoner, der seine Gebuͤhren auf der Waare und der Zahlung suchet, ver- schaffen kann. Wie mancher Landstaͤdter glaubet aber nicht alles gefangen zu haben, wenn er seine Waaren nur aus der beschwerten Themse erhaͤlt? Und wie sehr beweisen diese Rei- sen die Aufmerksamkeit des Britten? Es war eine Zeit, wo ganz Niederdeutschland mit den sogenannten englischen Adven- tuͤrers (mercatoribus adventuratoribus) uͤberschwemmet war. B 2 Sie Gedanken uͤber den Verfall Sie hatten ihre Stapel in allen Hansischen Staͤdten, und diese mußten ihnen eben das Recht gestatten, was sie selbst in ihrer Guildhall, der Hansischen Niederlage in London, ge- nossen. Nun haben zwar die Englaͤnder den Hansischen so viele Schwierigkeit gemacht, daß sie den Platz raͤumen muͤs- sen, und die Adventuͤrers sind diesseits aus ihren Nestern ge- stossen. Allein, letzters ist in der That nur dem Namen nach geschehen; die Seestaͤdter dienen ihnen mit geringeren Unkosten als Factoren, und die Englaͤnder wuͤrden ein glei- ches fuͤr uns thun, wenn wir nur etwas haͤtten, was ihnen zu gebrauchen beliebte. Letzters aber ist sehr wenig. Wir tragen alles, was sie machen, sie aber nehmen nur von uns, was sie selbst nicht hervorbringen koͤnnen. Sie haben sogar im vorigen Jahre, nachdem die große Gesellschaft zu Befoͤr- derung der Kuͤnste einen Preis von hundert Pfund Sterling demjenigen versprochen hatte, welcher eine gewisse Menge Osnabruͤcksches Linnen, auf gleiche Art und zu gleichem Preise, als hier geschiehet, liefern wuͤrde, das Garn aus Westpha- len kommen lassen, und sich erst durch wiederholte Versuche von der Unmoͤglichkeit uͤberzeugen lassen. Anfangs wunder- ten sie sich, wie wir so einfaͤltig seyn, und ihnen das Garn zukommen lassen koͤnnten, ohne das Weberlohn daran zu ver- dienen. Wie sie aber das Garn fast theurer fanden als das Linnen, was davon gemacht werden konnte: so schienen sie uns doch noch etwas mehr als Klugheit zuzutrauen. Der Britte ist in der That so gefaͤhrlich nicht, als wir glauben. Es giebt nahe bey London so schoͤne Heyden, als in Deutsch- land; und die Englaͤnder rechnen sehr maͤßig, wenn sie auf vierhundert Millionen Quadratruthen wuͤster Gegenden, blos in England rechnen. Nil desperandum. Wenn wir uns nur angreifen wollen. Allein, wir kennen die Welt von der Seite der Handlung nicht, und der Seestaͤdter treibt die Hand- der Handlung in den Landstaͤdten. Handlung als die Alchimie. Sonst muͤßten wir, die wir unter einer Last von Pfenningen seufzen, wo der Englaͤnder Pfunde zu entrichten hat, laͤngst weiter seyn, als wir sind. Alles, was wir zu unsrer Entschuldigung sagen koͤnnen, ist, daß uns der Markt fehle. Woran liegt es aber, daß wir ihn uns nicht verschaffen? Und, warum muß ein Deutscher zu Birmingham uns die lackirten Tische auf die Messe schicken? Warum muͤssen wir eine Sache, als die Fußdecken, wovon die Mode in funfzig Jahren so allgemein, als in England seyn wird, von Wilton haben? Sollte die Stahlarbeit nicht eben so gut auf dem Harze, als in Schweden und England gerathen? Ein Grund unsers Verderbens liegt in der Schwaͤchung der Handwerker, und in der Ermunterung unserer Kraͤmer. Man lasse sich die Rollen von unsern Handwerkern nur seit hundert Jahren zeigen. Die Kraͤmer haben sich gerade drey- fach vermehret, und die Handwerker unter der Haͤlfte verloh- ren. Der Eisenkram hat den Kleinschmid; der Buͤreau- und Stuhlkram den Tischler; der Tuchhandel den Tuchmacher; der Goldkram den Bortenwirker; der goldene, haͤrene, gelbe und weiße Knopf den Knopfmacher und Gelbgiesser verdorben. Und kann man sich eine Sache gedenken, womit der Kraͤmer jetzt nicht heimlich oder oͤffentlich handelt? Lauret er nicht auf alle Gelegenheiten und Thorheiten, um etwas neues, wun- derbares und fremdes einzufuͤhren? Und kann man ein Exem- pel aufweisen, daß ein einziger Kraͤmer auch nur einen einzi- gen Handwerker unter seinen Mitbuͤrgern, durch seine Anlei- tung und Einsicht aufgeholfen habe? Die Rechtshoͤfe, welche die Kraͤmerey fuͤr die Handlung ansehen, und dasjenige, was von der Handelsfreyheit mit Recht gilt, der Kraͤmerey zu gute kommen lassen, wuͤrden sich einer Ketzerey schuldig zu B 3 ma- Gedanken uͤber den Verfall machen glauben, wenn sie eine Handwerks-Gilde gegen die Kraͤmer schuͤtzten, ohne, daß erstere nicht ein Privilegium aufzuweisen haͤtte. Und, wer ist denn der Handwerker? Es ist der Mann, der die Landesprodukten veredelt, an frem- den und rohen die Fruͤchte des Fleißes gewinnet, und dem Staate jaͤhrlich unsaͤgliche Summen ersparet? Was aber ist der Kraͤmer? Ein Mann der blos fremde, sie seyn Freunde oder Feinde, bereichert; die Wollust naͤhret, einen jeden durch neue Arten von Versuchungen reitzet, den Handwerker und sei- nen Markt, durch jede neue Mode, ehe er es sich versieht, altfraͤnkisch, durch seinen Stolz die Handarbeit veraͤchtlich, und den Juͤngling von Genie zum neuen Kraͤmer macht. Sind die Handwerker jetzt schlecht; sind sie eigensinnig, und theuer: so ist dies nur eine Folge des erstern. Bey der betruͤbten Aussicht in die vielen Krambuden kann kein Hand- werker Muth fassen, er kann nichts wagen, er kann nicht im Großen und mit vielen Haͤnden arbeiten, es verlohnt sich nicht mehr der Muͤhe Geschicklichkeit zu haben. Wer Geld hat, wird kein Handwerker, und, wenn alle Kraͤmer dermaleinst mit Schuhen handeln werden: so bedarf ein Schuster zuletzt nichts mehr, als das Altflicken zu lernen. Der praͤchtigste Anblick von London zeigt sich im Gegentheil in den Buden der Handwerker. Jeder Meister handelt mit seiner Waare, in unsern Landstaͤdten hingegen arbeitet der Meister auf Be- stellung; und man scheuet sich zu bestellen, weil man oft etwas schlechtes theuer bezahlen, oder grobe Worte hoͤren muß. Man lasse sich aber durch diesen Cirkelfehler nicht blenden, schraͤnke die Kraͤmer ein, und befoͤrdere tuͤchtige Handwerker in genugsamer Menge: so wird der Staat nur weniger rohen Materialien beduͤrfen, den Fremden nicht bereichern, und wenigstens durch Ersparen gewinnen. Man lasse nur jaͤhrlich von der Handlung in den Landstaͤdten. von Obrigkeits wegen die neuesten Franzoͤsischen und Englischen Modell-Buͤcher kommen, und den Handwerks-Gilden gegen Erstattung der Auslagen austheilen. Die Geschicklichkeit wird sich bald finden, und eine genugsame Menge der Hand- werker die Preise mehr erniedrigen, als alle Kraͤmerey....... Darf ich es sagen, daß auch sogar das System unserer Fabriken ungleich schlechter sey, als das alte? Vordem war die Eintheilung so, daß alle Fabriken zum Handwerk gehoͤr- ten, und der Kaufmann blos der Verleger und Befoͤrderer des Handwerks blieb. Jetzt hingegen ist der fabricirende Kaufmann gleichsam der Meister; und wer fuͤr ihn arbeitet, nur ein Gesell; und dieser Gesell arbeitet fuͤr Tagelohn. In einem solchen Plan, wenn er nicht von vielem Gluͤcke beglei- tet wird, liegen weit mehr Fehler, als in dem alten: der Tageloͤhner nimmt die Sache nicht so zu Herzen; er stiehlt manche Stunde; erfordet viele Aufsicht, und eine Reihe von Bedienten, um den richtigen Uebergang der Manufactur aus einer Hand in die andere zu bewahren, zu berechnen und zu balanciren. Der Handwerksmeister hingegen, der sich von jenem, wie der Pachter von dem Verwalter unterscheidet, koͤnnte dem Kaufmann weit vortheilhafter dienen; und der Staat erhaͤlt Buͤrger statt fluͤchtiger Gesellen. Dieses war die Maxim der Staͤdte in jenen Zeiten, welche wir die bar- barische nennen. Dies war die wahre Quelle ihrer Groͤße, che der Kaufmann den Handwerker verlassen, und sich dafuͤr auf die Kraͤmerey gelegt hat. Durch diese heben sich noch die Staͤdte in der Laußnitz und im Voigtlande wieder empor. Alle Fabrik ist dort Handwerk, und der Kaufmann ihr Verleger......... B 4 III. Schreiben einer Mutter III. Schreiben einer Mutter uͤber den Putz der Kinder. Mein Herr! Ich bin eine Mutter von acht Kindern, wovon das aͤlteste 13 Jahr alt ist; und mein Stand erfordert, daß ich solche miteinander auf eine gewisse Art kleiden lasse, welche demselben gemaͤß ist. Ich kann versichern, daß ich Tag und Nacht darauf denke, alles so maͤßig einzurichten, wie es mir im- mer moͤglich ist, und selbst seit meinem Hochzeitstage kein einziges neues Kleid mir habe machen lassen, auch vieles bereits von meinem jugendlichen Staat fuͤr meine Kinder zerschnitten habe. Gleichwol bin ich nicht vermoͤgend so vieles anzuschaf- fen, als die heutige Welt bey Kindern aufs mindeste erfordert. Ich mag ihnen die Rechnung von demjenigen, was mir meine fuͤnf Maͤdgen, seitdem sie die Windeln verlassen, kosten, nicht vorlegen. Sie wuͤrden daruͤber erstaunen. Und das geht alle Tage so fort. Wenn ich mit der einen fertig zu seyn ver- meine, so muß ich mit der andern wieder anfangen, und eine Mutter, die redlich durch die Welt will, hat vom Morgen bis in den Abend nichts zu thun, als ihre Kinder nur so zu putzen, daß sie sich sehen lassen duͤrfen. Vor einigen Tagen mußte ich die Aelteste in eine feyerliche Gesellschaft schicken: so gleich mußten 18 Ellen Blonden, 12 Ellen Band, 6 Ellen grosse beaute zu Manschetten ꝛc. geholet werden. Da solten schottische Ohrringe, italiaͤnische Blumen, englische Haͤnschen, Faͤchtel a la pernvienne und Schoͤnpflaͤsterchen a la Condamine seyn. Der Friseur rief um eau de Pourceaugnac, und um Puder uͤber den Putz der Kinder. Puder von St. Malo. Das Maͤdgen schimpfte auf die Na- deln; die Porteurs auf das lange Zaudern, und der Laquais auf das unendliche Laufen. Kurz, die ganze Haushaltung war in Aufruhr, und meine arme Tasche war dergestalt a la grecque frisirt, daß wir die ganze Woche Wassersuppen essen mußten. Und gleichwohl waren die damaligen Ausgaben noch nichts in Vergleichung derjenigen, welche ich auf ihr besetztes Kleid, auf eine neue berlinische Schnuͤrbrust, auf eine petite Saloppe und andre wesentliche Kleidungsstuͤcke hatte wenden muͤssen. Ach! waͤhrender Zeit mir eine ungesehene Thraͤne entwischte, hatte das Maͤdgen die unschuldige Leichtfertigkeit, mir zu sagen: sie muͤßte nun auch bald eine goldene Uhr ha- ben, weil ihre Gespielinnen bereits dergleichen haͤtten. O! dachte ich in meinem Sinn, moͤchte doch ein Lan- desgesetz vorhanden seyn, wodurch es allen Eltern verboten wuͤrde, ihren Toͤchtern vor dem funfzehnten Jahre Silber oder Gold, Spitzen oder Blonden, Seiden oder Agremens zu geben! oder moͤchten sich patriotische Eltern zu einem so heil- samen Vorsatze freywillig vereinigen! Mit welchem Vergnuͤ- gen wuͤrde so denn manche bekuͤmmerte Mutter auf ihre zahl- reichen Toͤchter herabschauen! die Ungleichheit der Staͤnde duͤrfte hier den Gesetzgeber nicht aufhalten. Kinder sind noch alle gleich, und wann die Eltern mit einer solchen Ein- schraͤnkung zufrieden waͤren: so wuͤrde ihre kleine Empfind- lichkeit nicht in Betrachtung kommen. Wie groß wuͤrde die Freude der Maͤdgen seyn, wenn sie sich nun in ihrem funf- zehnten Jahre zum erstenmal der aufmerksamen Neugierde in einem seidnen Kleide zeigen duͤrften! Und wuͤrde nicht diese Oekonomie mit ihrem Vergnuͤgen, ihnen bey ihrem Eintritt B 5 in Reicher Leute Kinder in die junge Welt tausend kleine Zierrathen in so viel reizende Neuigkeiten verwandeln, wenn solche nicht in ihren dummen Jahren bey ihnen schon veraltet waͤren! Wir erschoͤpfen das Vergnuͤgen ihrer bessern Jahre durch unsre unuͤberlegte Ver- schwendung. Eine Uhr war sonst fuͤr ein Maͤdgen so viel als ein Mann. Jetzt giebt man sie ihnen fast in Fluͤgel- kleide. Ein Englischer Lord schickt seinen Sohn bis ins zwan- zigste Jahr ins Collegium, wo er mit abgeschnittenen Haaren ungepudert und ungeschoren in einem schlechten Kleide bey Hammelfleisch und Erdaͤpfeln groß gemacht wird. In Italien laͤßt man die Toͤchter in der Kindheit einen Ordenshabit tra- gen. Die Roͤmer, wie mein Mann sagt, hatten aus einer gleichen Klugheit eine besondere Kleidung fuͤr die Jugend; und es war ein grosses Fest, wenn der Sohn zum erstenmal ein Kleid mit Rabbatten anlegte. Koͤnnten wir diesen großen Exempeln nicht nachfolgen? Ueberlegen Sie es doch einmal. Die Vereinigung des Adels wegen der Trauer hat mich zu diesen Gedanken bewo- gen. Ich bin ꝛc. IV. Reicher Leute Kinder solten ein Handwerk lernen. Der Hauptfehler unsrer mehrsten deutschen Handwerker ist der Mangel an Gelde. Das Soͤhngen einer be- mittelten Mutter schaͤmet sich die Hand an eine Zange oder Feile zu legen. Ein Kaufmann muß er werden. Solte er auch solten ein Handwerk lernen. auch nur mit Schwefelhoͤlzern handeln: so erhaͤlt er doch den Rang uͤber den Kuͤnstler, der den Lauf einer Flotte nach sei- ner Uhr regiert; dem Koͤnige Kronen, dem Helden Schwerd- ter und dem edlen Landmann Sensen giebt; uͤber den Kuͤnst- ler, der mit seiner Nehnadel den Mann macht, und den Gelehrten durch seine Presse Bewunderung und Ewigkeit ver- schaft. Es haͤlt schwer, sich aus diesem Zirkel zu heben: Wenn ein Handwerk einmal verachtet wird: so treiben es nur arme und geringe Leute, und was arme und ge- ringe Leute treiben, das will selten Geschmack, Anse- hen, Güte und Vortreflichkeit gewinnen. Schrecklicher Zirkel, der uns an der Wiederaufnahme der mehrsten deutschen Landstaͤdte zweifeln laͤßt! Indessen verdient die Wichtigkeit der Sache doch, daß man einmal diesen Kno- ten aufloͤse, und dasjenige Ende ergreife, was Natur und Vernunft am ersten hervorstossen. Der Kluͤgste muß uͤberall den Anfang machen; der soll fuͤr diesesmal der Reiche seyn, weil er es am ersten seyn kann. Der Reiche soll also gemeine Vorurtheile mit Fuͤssen treten, seinen Kindern ein Handwerk lernen lassen und ihnen seinen maͤchtigen Beutel geben, da- mit der boͤse Zirkel zerstoͤret werde. Nichts giebt der Stadt London ein praͤchtiger Ansehen als die Buden ihrer Handwerker. Der Schuster hat ein Magazin von Schuhen, woraus sogleich eine Armee versorgt werden kann. Beym Tischler findet man einen Vorrath von Sachen, welche hinreichen, ein koͤnigliches Schloß zu meu- bliren. Bey den Goldschmieden ist mehr Silberwerk als alle Fuͤrsten in Deutschland auf ihren Tafeln haben; und durch den Stadtschmied leben hundert Dorfschmiede, die ihm in die Hand arbeiten, und ihm die Menge von Waaren liefern, welchen er die letzte Feile und seinen Namen giebt. Solche Reicher Leute Kinder Solche Handwerker doͤrfen es wagen, den koͤniglichen Prinzen ihr Gilderecht mitzutheilen. Solche Handwerker sind es, woraus der Lordmaire erwaͤhlt wird, und Parla- mentsglieder genommen werden. Ein solcher war Tailor, der als Generalzahlmeister im letztern Kriege sich als Meister zu dem Silberservice bekannte, woraus er die Generalitaͤt be- wirthete. Was ist der Kraͤmer dagegen, der mit Caffee und Zucker hoͤckert, oder mit Maͤufefallen, Puppen und Schwaͤr- mern hausirt! Zur Zeit des Hanseatischen Bundes hatte das deutsche Handwerk eben die Ehre, die es noch in England hat. Noch in dem vorigen Jahrhundert liessen es sich die Vornehmsten einer Stadt gefallen, das Gilderecht anzunehmen; und Ge- lehrte machten sich sowol eine Ehre, als eine Pflicht daraus, Gildebruͤder zu werden. Die fuͤrstlichen Raͤthe waren Zunft- genossen; und man hielt es fuͤr keinem Widerspruch wie jezt, zugleich ein guter Buͤrger und ein guter Canzler zu seyn. Es ist ein falscher Grundsatz gewesen, der hier eine Trennung gemacht hat. Sehr viele Streitigkeiten und unnoͤthige Be- freyungen wuͤrden ein Ende haben, wenn sie nie erfolgt waͤre. Jedes Amt, das ein Buͤrger uͤbernimmt, wuͤrdiget ihn in seiner Maasse, und ertheilt ihm einige demselben angemessene persoͤnliche Freyheiten. Es hindert ihn aber nicht in allen uͤbrigen, der buͤrgerlichen Lasten und Vortheile theilhaftig zu bleiben. Der Verfall der deutschen Handlung zog den Verfall des Handwerks nach sich. Der beruͤhmte Reichsabschied, welcher die Handwerks-Mißbraͤuche heben sollte, in der That aber den Gilden einen Theil ihrer bis dahin gehabten Ehre raubte, kam hierzu. Und der Kaiser, der die Vereinigun- gen der Domcapittel und Ritterschaften, wegen der Ahnen- probe solten ein Handwerk lernen. probe bestaͤtigte, fand es ungerecht, daß die Gilden nicht alle Soͤhne von Mutterleibe gebohren in ihre Zunft aufnehmen wolten; gerade als ob es nicht die erste und feinste Regel der Staatsklugheit waͤre, unterschiedene Klassen von Menschen zu haben, um jeden in seiner Art mit einem nothduͤrftigen Antheil von Ehre aufmuntern zu koͤnnen. In despotischen Staaten ist der Herr alles, und der Rest Poͤbel. Die gluͤck- lichste Verfassung geht vom Throne in sanften Stufen herun- ter, und jede Stufe hat einen Grad von Ehre, der ihr eigen bleibt, und die siebende hat so wohl ein Recht zu ihrer Er- haltung als die zweyte. Diese Grundsaͤtze hatte man bey dem Reichsabschiede ziemlich aus den Augen gesetzt; und die Wissenschaften, welche sich damals immer mehr und mehr ausbreiteten, erhoben den Mann, der von den Schuhen der Griechen und Roͤmer schreiben konnte, uͤber den Mann, der mit eigner Hand weit bessere machte. Den lezten Stoß empfiengen die Handwerke von den Fabricken. Die Franzosen, welche ihr Vaterland verlassen mußten, adelten diesen Namen. Fuͤrsten und Grafen durf- ten die Aufsicht uͤber ihre Fabrickleute, welche fuͤr ihre Rech- nung arbeiteten, haben; aber wer ihnen deswegen den Titel eines Amtsmeisters haͤtte geben wollen, wuͤrde ihrer Ungnade nicht entgangen seyn. Der Minister eines gewissen Herrn war ein Lederfabricant; aber kein Lohgerber. Nach den Plan der neuen ist es besser, daß alle Buͤrger, Gesellen, und die Cammerraͤthe Meister seyn. Und die weitere Verachtung des Handwerks fuͤhret gerades Weges zu dieser tuͤrkischen Ein- richtung. Diesem Uebel kann nicht vorgebeugt werden oder reiche Leute muͤssen Handwerker werden. Da der Gold- und Sil- berfabricant, der Hut- und Strumpffabriqueur an vielen Or- ten Reicher Leute Kinder ten in Pallaͤsten wohnet, und alle der Vorzuͤge geniesset, wel- che Erfahrung, Klugheit, Auffuͤhrung und Reichthum ge- waͤhren kann: warum sollte ein Meister Hutmacher und ein Meister Strumpfwirker, wenn er es so hoch als jene bringt, nicht eben das Ansehen erlangen koͤnnen? die Meisterschaft ist gewiß keine Unehre. Der Czar, Peter der Große, diente als Junge und Geselle und ward Schifs-Zimmermeister. Der Krieg ward ehedem Zunftmaͤßig erlernt. Einer mußte als Junge und Knape gedient haben, ehe er Ritter oder Meister werden konnte. Die Zunftgerechte Krieger haben sich zuerst von dem gemeinen Landkrieger unterschieden, und das ist der erste Ursprung des Adels gewesen. Noch jetzt ist im Mili- tairstande ein Schatten dieser Verfassung uͤbrig. Einer muß erst als Gemeiner gedienet haben, ehe er von Rechtswegen zum Grade eines Officiers gelangen kann. Unter den Ge- meinen finden sich oft sehr schlechte Leute, und man ist in neuern Zeiten, wo jeder gesunder Kerl willkommen ist, min- der aufmerksam auf die Ehre der Recruten. Allein es ist darum kein Schimpf als gemeiner gedienet zu haben, ob man gleich wegen des letztern Umstandes schon anfaͤngt den Recru- ten aus fuͤrstlichen Gebluͤte hoͤher andienen zu lassen, und uͤber- haupt einen bedenklichen Eingang macht jenes große Gesetz, dem sich nur Peter der Große unterwarf, allmaͤhlig in Ver- gessenheit zu bringen, und damit die Ehre der Gemeinen, wovon doch der Geist des Regiments abhaͤngt, zu vermin- dern. Wenn es also an sich eine Ehre ist, Zunftgerecht seyn; und wenn sich so gleich ein Handwerk hebt, so bald es nur Leute treiben, die demselben den aͤusserlichen Glanz geben koͤn- nen; was hindert es denn, daß reiche Leute ihren Kindern ein Handwerk lernen lassen? Man denke nicht die Ehre sey blos eine nothwendige Triebfeder des Militairstandes. Der ge- solten ein Handwerk lernen. geringste Bediente, der geringste Handwerker ohne Ehrgeitz ist insgemein ein schlechter Mensch. Um aber dem Handwerke seine Ehre wieder zu geben, sollte man jede Zunft zum wenigsten doppelt eintheilen. In England wie in Frankreich steht der handelnde Handwerker mit dem Tagwerkenden (journeymen) nicht in einer Gilde, und uͤberall werden Kaufleute von Krämern unterschieden. Die Kaufleute machen billig die erste Classe der Buͤr- gerschaft aus. Niemand aber sollte zu dieser Classe gehoͤren, der nicht am Schluß des Jahrs bescheinigen koͤnnte, daß er eine nach den Umstaͤnden jedes Orts abgemessene Quantitaͤt einheimischer Produkten und im Lande verfertigter Waaren auswaͤrts verkaufet habe. Naͤchst diesen koͤnnten diejenigen, welche mit fremden Waaren ins Große handeln, ihren Rang behalten. Auf die Kaufleute aber sollten alle Handwerker in ihrer Ordnung folgen, welche ein bestimmtes Lager von ihrer Ar- beit halten. Diesen moͤchten die Handwerker, welche auf Bestellung arbeiten oder Tagwerk machen, und gar keinen Verlag haben, folgen. Die Kraͤmerey aber sollte die un- terste Classe von allen seyn, oder jedem Buͤrger offen stehen, und folglich gar kein Gilderecht haben. Denn was ist doch in aller Welt mancher Kraͤmer? Ein Mann der Tag und Nacht darauf denkt neue Moden, neue Kleidungsarten und neue Reitzungen fuͤr den Geschmack einzufuͤhren; ein Mann der in der ganzen Welt herum lauscht, ob nicht irgendwo eine aͤrmere Nation sey, welche ein Stuͤck Arbeit um etliche Pfennige wohlfeiler macht; und dann sei- nen Mitbuͤrger, der unter mehrern Lasten und bey theurern Arbeitspreisen, die seinige nicht gleich eben so wohlfeil geben kann, ums Brod bringt; ein Mann der jedem Handwerke mit Reicher Leute Kinder mit klugem Fleiße nachstellet, und so bald es einigen Fortgang hat, so fort auf Mittel und Wege denkt, etwas aͤhnliches oder etwas anders einzufuͤhren, wodurch die einheimische Arbeit entbehret, gestuͤrzet, und der Vortheil in seine Haͤnde ge- bracht werden kann — Der allezeit fertige Einwurf, dessen sich Kaͤufer und Verkaͤufer bedienen: Es wird auswärts wohlfeiler gemacht, sollte nicht leicht von einem jeden nach seinem Vorurtheil ge- braucht, sondern vom Policeyamte beurtheilet werden. Die Hollaͤndischen Fabrikstoffen sind alle wohlfeiler als die Fran- zoͤsischen und diese oft glaͤnzender und verfuͤhrerischer als die Englischen. Allein Frankreich haͤlt dafuͤr, und jeder kluger Mensch wird es dafuͤr halten, daß der Staat weniger leide, wenn fuͤnf Thaler an einen Einheimischen als drey an einen Fremden bezahlet werden. Die Ausflucht, daß die hollaͤn- dischen Stoffen wohlfeiler seyn, bemaͤchtiget den franzoͤsischen Unterthanen nicht, diese aus Holland kommen zu lassen; und der Englaͤnder muß seine Butter mit 8. 12. bis 18 Mgr. das Pfund bezahlen, wenn er sie gleich aus Irrland unter der Haͤlfte frey in sein Hauß geliefert erhalten koͤnnte, was wuͤrde auch sonst aus einem verschuldeten Staate werden, wenn die Auflagen in demselben alles theurer, und es dem Einheimi- schen unmoͤglich machten, gegen den Fremden zu gleichen Preise zu arbeiten? Unserm ehmaligen zaͤrtlichen Landesvater Ernst August dem Andern, kam jedes Loth Silber das auf dem Huͤg- gei hieselbst gegraben wurde, auf vier Gulden zu stehen; und er gewann seiner Großmuth nach mehr dabey, als wenn er es vor einen Gulden haͤtte aus Amsterdam kommen lassen. Denn was konnte er mehr gewinnen, als den Vortheil, armen Unter- thanen Brod zu geben? Die solten ein Handwerk lernen. Die Alten hatten zwey Wege dem Eigensinn und der Uebertheurung der Handwerker zu wehren. Dieses war ein jaͤhrlicher freyer Markt und die Freymeisterey. Das Große, das uͤberlegte, das feine und das nuͤtzliche, was in diesem ihren Plan steckt, verdient die Bewunderung aller Kenner, und beschaͤmt alle Wendungen der Neuern. Durch tausend Frey- meister, welche in Hamburg auf einer ihnen angewiesenen Freyheit wohnen, entgeht dem Staate kein Pfennig; und zunftmaͤßige Handwerker werden durch sie in der Billigkeit erhalten. Allein hundert Kraͤmer, welche mit Ehren und Vorzuͤgen dafuͤr belohnet werden, daß sie fremde Fabriken zum Schaden der einheimischen Handwerker empor bringen, alles Geld aus dem Lande schicken, und Kinder und Thoren taͤglich in neue Versuchungen fuͤhren, haͤtten unsre Vorfah- ren nie geduldet. Ein Jahrmarkt duͤnkte ihnen genug zu seyn den Fremden auch etwas zuzuwenden, und sowol die zuͤnftige als freye Meisterschaft in Schranken zu halten. Und was soll man von der geringen Art Kraͤmer sagen? Sollte es wohl der Muͤhe werth seyn ihnen Zunftrecht zu vergoͤnnen? Sie muͤssen, sagen sie, sechs Jahre diese Hand- lung muͤhsam lernen, und sich lange quaͤlen, ehe sie zu der noͤthigen Wissenschaft gelangen. Allein diese Lehrjahre sind eigentlich bey der Kaufmannschaft und nicht bey der Kraͤme- rey urspruͤnglich hergebracht. Und was ist es noͤthig dem jungen Burschen dasjenige muͤhsam lernen zu lassen, was jede Kraͤmerin, wenn sie einen Monat in der Buden gewesen, ins- gemein besser als der ausgelernte Eheherr weis? Ich sage wohlbedaͤchtlich insgemein, denn es giebt auch große Kraͤmer, welche eben so viel Einsicht, Erfahrung und Handlungswis- senschaft als der große Kaufmann gebrauchen. Dergleichen privilegirte Seelen rechne ich nie mit, wenn ich von dem großen Haufen spreche. Von jenem sage ich nur, daß er die Mösers patr. Phantas. I. Th. C oͤffent- Reicher Leute Kinder oͤffentliche Aufmunterung nicht verdiene, und daß die mit der Kraͤmerey bis dahin verknuͤpft gewesene falsche Ehre die An- zahl der Kraͤmer in vielen Staͤdten unendlich vermehret, ver- schiedene Handwerker voͤllig verdrungen, andre blos zum pfu- schen und alle uͤbrigen um zwey Drittheile herunter gebracht habe. Der schlechte Kraͤmer sorgt nicht dafuͤr, auch nur ei- nen einheimischen Buͤrstenbinder empor zu bringen, und laͤßt sogar die weiße Staͤrke, welche jede Hausmagd zu machen im Stande ist, und worauf gerade hundert von hundert zu gewinnen sind, aus Bremen kommen, so groß ist seine Wis- senschaft und sein Patriotismus. Wie gluͤcklich werden un- sre Nachbaren die Preussen seyn, wenn die mit einer weisen Hinsicht auf die Verdienste solcher Kraͤmer gemachte Einrich- tungen die Wuͤrkung haben, daß alle Handwerker sich wieder zu ihrem alten Flor erheben, und alle solche Kraͤmer zu Grabe begleiten. Der handelnde Handwerker in England besitzt ganz andre Eigenschaften. Er lernt erst das Handwerk, und dann den Handel. Die Gesellen eines handelnden Tischlers muͤs- sen fast eben so vollkommene Buchhalter als manche Kaufleute seyn. Der Meister greift keinen Hobel mehr an. Er sieht seine vierzig Gesellen den Tag uͤber arbeiten, beurtheilet das- jenige was sie machen, verbessert ihre Fehler, zeigt ihnen Vortheile und Handgriffe, erfindet neue Werkzeuge, beobach- tet den Gang der Moden, besucht Leute von Geschmack oder geht zu Kuͤnstlern, deren Einsicht ihm dienen kann, und koͤmmt in seine Werkstatt zuruͤck, wenn er im Parlament das Wohl von Ost- und Westindien mit entschieden oder auf der Boͤrse seine Geschaͤfte verrichtet hat. Wie unterschieden ist dieses Gemaͤhlde von unsern mehr- sten deutschen Fabriken. Da nimmt ein großer Herr Leute an, solten ein Handwerk lernen. an, welche sich ihm darbieten und ein huͤbsches Projekt aus- gedacht haben. Der vornehme Stuͤmper, der durch einen gluͤcklichen Zufall ein gutes und patriotisches Herz empfangen hat, siehet es mit beyden Augen an, verliebt sich in die Hof- nung sein Vaterland aufzuhelfen, uͤberlaͤßt sich dem schlauen Projektmacher, der nur nach seinen Beutel trachtet, und fin- det die erste Probe unverbesserlich. Sein Auge entdeckt ihm nichts an dem Stoffe das ihm vorgelegt wird. Er weis nicht, ob zu viel oder zu wenig Wolle, Zeit und Arbeit daran ver- wendet ist; Er kennt keine Arbeit; hat kein Maaß der Zeit; keine Hand zum Gefuͤhl; und keinen einzigen durch Erfah- rung und Einsicht gestaͤrkten Sinn um eine Sache richtig und schnell zu beurtheilen; und doch will er eine Fabrik regieren. Allein was kommt am Ende heraus? Er freuet sich noch, und ist laͤngst betrogen — Zur Strafe, daß er das Handwerk nicht ordentlich gelernet hat. Doch ich habe mich aus meinem Wege entfernt. Die Eintheilung der Handwerker in Handelnde und Tagwerker und die Erhebung der erstern zu dem Range wahrer Kauf- leute, solte dienen dem Reichen, der seinem Sohn ein Hand- werk lernen lassen will, einen Prospect zu geben, daß er sich keinesweges erniedrige, wann er diesen Schritt thut. Sein Sohn kann als handelnder Handwerker mit Recht zu eben der Ehre gelangen, wozu es der vornehmste Banquier (das Wort klingt) wenn er gluͤcklich ist, bringen kann. Es ist nicht noͤthig, daß er ein Tagwerker bleibe; und verwuͤnscht sey der faule Junge, wenn er reich und dumm ist und hoͤchstens auf dem Faulbette aller Muͤßiggaͤnger, der betretenen Mittel- strasse, liegen bleibt. Die Ehre, wozu es reicher Leute Kinder im Hand- werke bringen koͤnnen, ist gezeigt. Solte es noͤthig seyn auch C 2 den Reicher Leute Kinder den Vortheil zu beweisen? Ich denke er muͤsse einem jeden selbst einleuchten. Doch ein Exempel wird allemal noch gern angehoͤrt. Nicht leicht ist ein Ort zur Lohgerberey besser ge- legen, als die hiesige Stadt; und wenn wir wollen, so muͤssen alle Haͤute aus Ostfriesland sich zu uns ziehen. Das hiesige Lohgerberamt hat Proben seiner Erfahrung und Geschicklich- keit gegeben. Es ist stark und reich gewesen, und noch jetzt in ziemlichen Ansehen, wiewohl es nach und nach immer mehr abnimmt, weil unsre Kraͤmer sich ein Geschaͤfte daraus machen allerley fremdes Leder einzufuͤhren. Worinn steckt aber die wahre Ursache des Verfalls? Darinn, daß jeder Loh- gerber nicht einige tausend Thaler im Vermoͤgen hat? Von dem englischen Leder sagt man, daß sechs Jahre daruͤber hingehen, ehe eine rohe Haut gar und zeitig werde. Vielleicht ist hier etwas uͤbertrieben. Aber wahrscheinlich ist es, daß alle Haͤute, wenn sie drey Jahre zu ihrer Gare und Reife haben, unendlich schoͤner, dauerhafter und edler werden als sie im ersten und andern Jahre sind. Wenn nun unsre Lohgerber ein solches Capital haͤtten, um alle Haͤute, welche jaͤhrlich in Ostfriesland und hiesigen Gegenden fallen, anzu- kaufen, und solche die gehoͤrige Zeit von Jahren uͤber reifen lassen zu koͤnnen, wuͤrde sodenn nicht die hiesige Zubereitung der englischen und Brabaͤndischen gleich, und der Vortheil so viel groͤßer seyn? Ein Lohgerber, der seine Felle unter zwoͤlf Monaten losschlagen muß, gewinnet vielleicht kaum 4 p. C. und wer sie drey Jahre liegen lassen kann, nicht unter 30. Von denen die ihm den groͤßten Vortheil geben, wird er ge- segnet, von dem Tagloͤhner hingegen, dem seine Schuh von halbgaren Leder im ersten Regen zerfliessen, ohne Vortheil verdammet. Ich betrachte die Sache jetzt nicht von ihrer edelsten Seite: sondern nur von derjenigen, welche auch dem ge- mein- solten ein Handwerk lernen. meinsten Auge aufftoͤßt. Sonst hat Rousseau bereits die Gruͤnde gezeigt, warum ein jeder Mensch ein Handwerklernen solle, damit er nicht noͤthig habe fremdes Brod zu essen, wenn er eignes haben koͤnnte. Man sahe diese wichtige Wahr- heit ehedem nicht deutlicher ein, als in der Tuͤrkey, wo der gefangene Ungarische Magnat, weil er nichts gelernet hatte, vor dem Karren gieng, und der Handwerker seine Sklaverey so leidlich als moͤglich hatte. Wie viel Bedienungen und Staͤnde sind nicht in der Welt, welche zwar einen Mann, aber nicht den sechsten Theil seines Tages erfordern. Was macht er mit den uͤbrigen Fuͤnfsechsteln. Er schlaͤft, und ißt und trinkt und spielt und gaͤhnt, und weis nicht was er mit seiner Zeit anfangen soll. Wie mancher Gelehrte wuͤnschte sich etwas arbeiten zu koͤnnen, wobey er seinen Kopf und seine Augen minder anstrengen, und ein Stuͤck Brod im Schweisse seines Angesichts essen koͤnnte, wofuͤr jetzt seiner verstopften Galle oder seinem versaͤuerten Magen eckelt? In einem Lande, worinn sich hunderttausend Menschen befinden, haben zehntausend gewiß, um nur wenig zu sagen, den halben Tag nichts zu thun. Man setze diesen halben Tag zu sechs Stun- den; so werden alle Jahr an die zwey und zwanzig Millionen Stunden, und wenn man jede nur auf 1 Pfennig anschlaͤgt, an die hunderttausend Tahler verlohren. Wuͤrde aber, wenn ein jeder ein Handwerk koͤnnte, ihn seine Geschicklichkeit und der dem Menschen gegebene natuͤrliche Trieb zur Arbeit ihn nicht reitzen, etwas mit seinen Haͤnden zu schaffen? Jedoch diese Betrachtungen gehoͤren eigentlich nicht zur Sache. Eine sehr wichtige aber ist es, daß Ihro Koͤnigliche Hoheit unser gnaͤdigster Herr, dermaleinst aus einem Lande zu uns kommen werden, wo alle Handwerker zur groͤßten Voll- kommenheit gediehen sind. Es ist kein Zweifel, oder Hoͤchst- dieselbe werden wuͤnschen, alles bey dero geliebten Untertha- C 3 nen Reicher Leute Kinder nen zu finden, und nichts in der Fremde suchen zu muͤssen. Die ersten Eindruͤcke, welche Hoͤchstdieselbe von Ihren zaͤrt- lichen und rechtschaffenen Eltern (der Glanz des Thrones darf niemanden hindern, diese privat Tugenden an des Koͤnigs und der Koͤniginn Maj. Maj. zu bewundern) erhalten, sind die ge- heiligten Pflichten, welche ein Landesherr gegen sein Volk zu beobachten hat; und unter diese rechnet man nunmehr auch, daß ein Landesher als Vater seinen Kindern das Brod nicht entziehe und es den Fremden gebe. Seine Koͤnigl. Hoheit werden diese geheiligte Wahrheit gewiß fruͤh hoͤren, und gern ausuͤben. Wie aber, wenn unsre Handwerker alsdann nichts liefern koͤnnen, was einen Herrn der von seiner ersten Jugend an, alles besser und vollkommener gesehen hat, mit Billigkeit befriedigen kann? Wenn der Schloͤsser ein Grobschmied; der Bildhauer ein Holzschuhmacher und der Mahler ein Michel angelo della scopa ist? Wenn wir bey den dankbarsten Herzen uns mit unsern dummen Fingern hinter die Ohren kratzen muͤssen? oder da stehen wie der Junge des Hogarths In the Noon. Hogarth war auch ein Handwerker, der auf Bestellung und zum Verkauf arbeitete. In seiner Stube, worinn er die ihn taͤglich besuchende Fremde, im Nachtrocke mit der Muͤtze in der Hand ehrbar empfing, hatte er einen kleinen Schrank, worinn alle seine Werke, die er oͤffentlich verkaufte, bereit lagen. Hier erklaͤrte er denn wohl selbst sei- nen Kaͤufern den Sinn verschiedener Grouppen, und ver- kaufte davon vor etliche Schillinge. Allein zu welchem Ruhm hat er es nicht gebracht, und wuͤrde nicht die große Welt seinen Umgang mit Eyfer gesucht haben, wenn er den besondern Geist in seinem Reden gehabt haͤtte, welchen er in seinen Karikaturen zeigte? welchem die Pastete in den Faͤusten bricht, und die Bruͤhe durch die Hosen fließt? Werden wir denn nicht mit Wahr- scheinlichkeit sehen, und mit Recht erleiden muͤssen, daß der Herr dasjenige, was er gebraucht, daher kommen lasse, wo die El- solten ein Handwerk lernen. Eltern ihren Kindern das Handwerk besser lernen lassen? wird nicht der ganze Hof dem Exempel des Herrn folgen? Und wird nicht das Exempel des Hofes alle Affen du bon ton mit Recht dahin reissen? Dann werden wir klagen; und wie alle diejenigen, die ihre Schuld fuͤhlen, ungerecht genug seyn, uͤber diejenige zu murren, die uns mit Recht verachten. Wir werden den besten Herrn nicht so lieben, wie er es verdient, und aus Schaam zuletzt undankbar werden. Ihro Koͤnigliche Hoheit Ernst August der Andre hatten die Gedult einige Handwerker reisen zu lassen. Man weis wie der Erfolg davon gewesen, und wie weit der Schloͤsser, welcher sich diese Gnade recht zu Nutze machte, alles uͤbertraf, was wir in der Art jemals gesehen hatten. Seine Geschick- lichkeit hat andre gebildet, die ihn zwar nicht erreicht, sich aber merklich gebessert haben. Ihro Koͤnigliche Majestaͤt von Großbritannien fordern die hiesigen Gilden auf, und bieten den jungen Leuten, welche ein Handwerk gelernet haben und Genie zeigen, die Reisekosten und alle moͤgliche Befoͤrderung an. Was koͤnnen wir in der Welt mehr er- warten, und ist es nicht eine ausserordentliche Vorsorge auf die kuͤnftigen Zeiten, daß diejenigen Knaben, welche sich jetzt zum Handwerke geben, gerade zu der Zeit, wann die Minder- jaͤhrigkeit unsers Hofnungsvollen Landesherrn ein Ende nimmt, und unsre getreusten Wuͤnsche Ihn zu uns fuͤhren werden, nicht bloß ausgelernte, sondern auch große Meister seyn koͤnnen? Machen wir uns nicht vorsetzlich alles des Un- willens, des Murrens und der Undankbarkeit schuldig, welche uns dereinst, wann wir als zunftmaͤßige Stuͤmper den Frem- den nachgesetzt werden, gewiß dahin reissen wird, im Fall wir uns nicht mit dankbaren Eyfer bestreben, diese Gelegenheit mit beyden Haͤnden zu ergreifen? Was koͤnnen also vernuͤnftige und bemittelte Eltern besser thun, als ihre Kinder ein Handwerk lernen zu lassen? C 4 Mit Reicher Leute Kinder Mit der Kraͤmerey wird es in zwanzig Jahren sehr betruͤbt aussehen, da sich alles in Kraͤmer verwandelt und zuletzt ei- ner den andern zu Grunde richten muß. Es ist zu viel ge- fordert, daß einer bloß von der Kraͤmerey leben will. Die Modenkraͤmer in der ganzen Welt wissen ihre Coeffuͤren, ihre Broderien, und alle Arten Galanterien selbst zu machen. Die Tyroler arbeiten auf der Reise, und machen in jeder muͤßigen Stunde die Ohrringe, die Halsgeschmeide, die Zit- ternadeln, die Bouquets, die Allongen und unzaͤhlige andre Din- ge selbst, die sie verkaufen. Die Italiaͤner machen uͤberall Mau- sefallen, Barometer und Diaboli Cartesiani. Die Franzosen reiben wenigstens Taback, um bey einem kleinen Handel die uͤbrigen Stunden nuͤtzlich anzuwenden. Das geschieht, weil sie eine Kunst oder ein Handwerk zum Grunde ihrer Hand- lung gelegt haben. Bey uns hingegen - - - - - O Scarron! Scarron! wo bleibt deine Peruͤke und was darunter saß? Zur Urkunde der Wahrheit dessen was oben angefuͤhrt, setzen wir folgendes Rescript hieher: Wir Georg der Dritte von Gottes Gnaden Koͤnig und Churfuͤrst. Uns ist aus Eurem Berichte vom 11. Febr. unterthaͤnigst vorgetragen worden, was massen in der Stadt Osnabruͤck eben wie in andern Staͤdten des Hochstifts die zur Aufnahme derselben vorzuͤglich dienenden Handwerke nach und nach in Abnahme und Verfall gerathen sind. Da wir nun aus besondrer Gnade fuͤr die dortige Buͤrgerschaft Uns gnaͤdigst entschlossen haben, die noͤthigsten und dienlichsten derselben bestens wieder herzustellen, insbesondere aber einige junge Leute, welche demselben sich zu widmen gedenken, und da- zu solten ein Handwerk lernen. zu eine vorzuͤgliche Faͤhigkeit zeigen, nachdem sie sattsam vorbereitet und tuͤchtig befunden seyn werden, auf ihren Reisen zu unterstuͤtzen, und bey ihrer Wiederkunft auf alle thunliche Weise zu befoͤrdern: So habet ihr dem dortigen Magistrat von dieser Unserer Absicht Eroͤffnung zu thun, und von dem- selben weitere Vorschlaͤge einzuziehen, auf was Art hierunter das vorgesetzte Ziel am besten erreichet werden koͤnne. Wir ꝛc. St. James den 22 Merz 1766. V. Die Spinnstube, eine Osnabruͤckische Geschichte. Selinde, wir wollen sie nur so nennen, ihr Taufnahme war sonst Gertraud, war die aͤlteste Tochter redlicher Eltern, und von Jugend auf dazu gewoͤhnt worden, das noͤthige und nuͤtzliche allein schoͤn und angenehm zu finden. Man erlaubte ihr jedoch, so viel moͤglich, alles Nothwendige in seiner groͤßten Vollkommenheit zu haben. Ihr Vater, ein Mann von vieler Erfahrung, hatte sie in Ansehung der Buͤ- cher auf aͤhnliche Grundsaͤtze eingeschraͤnkt. Die Wissenschaften, sagte er oft, gehoͤren zum Ueppigen der Seele; und in Haus- haltungen oder Staaten, wo man noch mit dem Nothwendi- gen genug zu thun hat, muß man die Kraͤfte der Seelen bes- ser nuͤtzen. Selinde selbst schien von der Natur nach gleichen Regeln gebauet zu seyn, und alles Nothwendige in der groͤß- ten Vollkommenheit zu besitzen. Die ganze Haushaltung bestand eben so. Wo die Mutter von einer bessern Art Kuͤhe oder Huͤner hoͤrte; da ru- hete sie nicht eher, als bis sie daran kam. C 5 Man Die Spinnstube, Man fand das schoͤnste Gartengewaͤchse nur bey Selinden. Ihre Ruͤben giengen den maͤrkischen weit vor; und der Bi- schof hatte keine andre Butter auf seiner Tafel, als die von ihrer Hand gemacht war. Was man von ihrer Kleidung se- hen konnte, war klares oder dichtes Linnen, ungestickt und unbesetzt; jedoch so nett von ihr gesaͤumt, daß man in jedem Stiche eine Grazie versteckt zu seyn glaubte. Das einzige, was man an ihr uͤberfluͤßiges bemerkte, war ein Heidebluͤm- gen in den lichtbraunen Locken. Sie pflegte aber diesen Staat damit zu entschuldigen, daß es der einzige waͤre, welchen sie jemals zu machen gedaͤchte; und man konnte denselben um so viel eher gelten lassen, weil sie die Kunst verstand, diese Blu- men so zu trocknen, daß sie im Winter nichts von ihrer Schoͤn- heit verlohren hatten. In ihrem Hause war Eingangs zur rechten Hand ein Saal oder eine Stube, welches man so genau nicht unter- scheiden konnte. Vermuthlich war es ehedem ein Saal ge- wesen. Jetzt ward es zur Spinnstube gebraucht, nachdem Selinde ein helles, geraͤumiges und reinliches Zimmer mit zu den ersten Beduͤrfnissen ihres Lebens rechnete. Aus dersel- ben gieng ein Fenster auf den Huͤnerplatz; ein anders auf den Platz vor der Thuͤr, und ein drittes in die Kuͤche, der Kel- lerthuͤr gerade gegenuͤber. Hier hatte Selinde manchen Tag ihres Lebens arbeitsam und vergnuͤgt zugebracht, indem sie auf einem dreybeinigten Stuhle, (denn einen solchen zog sie den vierbeinigten vor, weil sie sich auf demselben, ohne auf- zustehen und ohne alles Geraͤusch auf das geschwindeste her- umdrehen konnte) mit dem einen Fusse das Spinnrad und mit dem andern die Wiege in Bewegung erhalten, mit einer Hand den Faden und mit der andern ihr Buch regiert, und die Augen bald in der Kuͤche und vor der Kellerthuͤr, bald aber auf dem Huͤnerplatze oder vor der Hausthuͤr gehabt hatte. Oft eine Osnabruͤckische Geschichte. Oft hatte sie auch zugleich auf ihre Mutter im Kindbette acht gehabt, und die spielenden Geschwister mit einem freudigen Liede ermuntert. Denn das Kindbette ward zu der Zeit noch in einem Durtich ( dortoir ). gehalten, wovon die Staats- seite in die Spinnstube gieng und mit schoͤnem Holzwerk, welches Pannel hieß, nun aber minder gluͤcklich Pannel ouvrage a pans oder Stuͤckelarbeit, wovon auch das Wort Pfennig als das erste Stuͤck eines Schillings seinen Ursprung hat, druckt die Sache unstreitig besser aus, als boiserie. boiserie genannt wird, gezieret war. Desgleichen hatten die Eltern ihre Kinder noch mit sich in der Wohnstube, um selbst ein wachsames Auge auf sie zu haben. Ueber dem Durtich war der Hauptschrank, worinn die Briefschaften, die Becher und andre Erbschaftsstuͤcke verwahret waren; und auch diesen hatte Selinde zugleich vor Dieben bewahrt. Wann die langen Winder-Abende herankamen, ließ sie die Hausmaͤgde, welche sich daher ebenfalls uͤberaus rein- lich halten mußten, mit ihren Raͤdern in die Spinnstube kommen. Man sprach sodann von allem was den Tag uͤber im Hause geschehen war, wie es im Stalle und im Felde stuͤnde, und was des andern Tages vorzunehmen seyn wuͤrde. Die Mutter erzaͤhlte ihnen auch wohl eine lehrreiche und lu- stige Geschichte, wenn sie haspelte. Die kleinen Kinder lie- fen von einem Schooße zum andern, und der Vater genoß des Vergnuͤgens, welches Ordnung und Arbeit gewaͤhren, mittlerweile er seine Haͤnde bey einem Fisch- oder Vogelgarn beschaͤftigte, und seine Kinder durch Fragen und Raͤthsel un- terrichtete. Bisweilen ward auch gesungen, und die Raͤder vertraten die Stelle des Basses. Um alles mit wenigen zu sagen: so waren alle nothwendige Verrichtungen in dieser Haushaltung so verknuͤpft, daß sie mit dem mindesten Zeit- ver- Die Spinnstube, verlust, mit der moͤglichsten Ersparung uͤberfluͤßiger Haͤnde und mit der groͤßten Ordnung geschehen konnten; und die Spinnstube war in ihrer Anlage so vollkommen, daß man durch dieselben auf einmal so viele Absichten erreichte, als moͤglicher Weise erreichet werden konnten. Nicht weit von dieser gluͤcklichen Familie lebte Arist; der einzige Sohn seiner Eltern, und der fruͤhe Erbe eines ziemlichen Vermoͤgens. Als ein Knabe und huͤbscher Junge war er oft zu Selinden in die Spinnstube gekommen, und hatte manche schoͤne Birn darinn gegessen, welche sie ihm ge- schaͤlet hatte. Nach seiner Eltern Tode aber war er auf Rei- sen gegangen, und hatte die große Welt in ihrer ganzen Pracht betrachtet. Er verstand die Baukunst, hatte Ge- schmack und einen natuͤrlichen Hang zum Ueberfluͤßigen, wel- chen er in seiner ersten Jugend nicht verbergen konnte, da er schon nicht anders als mit einem Federhute in die Kirche ge- hen wollte. Man wird daher leicht schliessen, daß er bey seiner Wiederkunft jene eingeschraͤnkte Wirthschaft nicht von ihrer besten Seite betrachtet und die Spinnstube seiner Mut- ter in einen Vorsaal veraͤndert habe. Jedoch war er nichts weniger als verderbt. Er war ein billiger und vernuͤnftiger Mann geworden, und sein einziger Fehler schien zu seyn, daß er die edle Einfalt als etwas niedriges betrachtete und sich ei- nes braunen Tuchs schaͤmte, wenn andre in goldgesticktem Scharlach uͤber ihn triumphirten. Seine Eltern hatten seine fruͤhe Neigung zu Selinden gern gesehen, und die ihrigen wuͤnschten ebenfalls eine Ver- bindung, welche allen Theilen eine vollkommene Zufrieden- heit versprach. Seinen Wuͤnschen setzte sich also nichts entge- gen; und so viele Schoͤnheiten als er auch auswaͤrts gesehen hatte, so war ihm doch nichts vorgekommen, welches ihre Rei- eine Osnabruͤckische Geschichte. Reitzungen uͤbertroffen haͤtte. Er widerstand daher nicht lange ihrem maͤchtigen Eindruck, und der Tag zur Hochzeit ward von den Eltern mit derjenigen Zufriedenheit angesetzt, welche, eine ausgesuchte Ehe unter wohlgerathenen Kindern insgemein zu machen pfleget. Allein so oft Arist seine Braut besuchte, fand er sie in der Spinnstube, und er muste man- chen Abend, die Freude, seine Geliebte zu sehen, mit dem Verdruß, zwischen Raͤdern und Kindern zu sitzen, erkaufen. Er konnte sich endlich nicht enthalten, einige satyrische Zuͤge gegen diese altvaͤterische Gewohnheit auszulassen. Ist es moͤglich, sagte er einsmal gegen den Vater, daß sie unter diesem Gesumse, unter dem Geplauder der Maͤgde und unter dem Laͤrm der Kinder so manchen schoͤnen Abend hinbringen koͤnnen? In der ganzen uͤbrigen Welt ist man von der alten deutschen Gewohnheit, mit seinem Gesinde in einem Rauche zu leben, zuruͤck gekommen, und die Kinder koͤnnen unmoͤg- lich edle Gesinnungen bekommen, wenn sie sich mit den Maͤg- den herum zerren. Ihre Denkungsart muß nothwendig schlecht, und ihre Auffuͤhrung nicht besser gerathen. Ueberall wo ich in der Welt gewesen, haben die Bediente ihre eigne Stube; die Maͤgde haben die ihrige besonders; die Kammer- jungfer sitzt allein; die Toͤchter sind bey der Franzoͤsin; die Knaben bey dem Hofmeister; der Herr vom Hause wohnt in einem und die Frau im andern Fluͤgel. Blos der Eßsaal nebst einigen Vorzimmern dienen zu gewissen Zeiten des Tages, um sich darinn zu sehen und zu versammlen. Und wenn ich meine Haushaltung anfange, so soll die Spinnstubr gewiß nicht im Corps de logis wieder angelegt werden. Mein lieber Arist, war des Vaters Antwort, ich habe auch die Welt gesehen, und nach einer langen Erfahrung ge- funden, daß Langeweile unser groͤßter Feind, und eine nuͤtz- liche Die Spinnstube, liche Arbeit unsre dauerhafteste Freundinn sey. Da ich auf das Land zuruͤckkam, uͤberlegte ich lange, wie ich mit mei- ner Familie meine Zeit fuͤr mich ruhig und vergnuͤgt hinbrin- gen wollte. Die Sommertage machten mich nicht verlegen. Allein die Winterabende fielen mir desto laͤnger. Ich fieng an zu lesen, und meine Frau nehete. Im Anfang gieng al- les gut. Bald aber wollten unsre Augen diese Anstrengung nicht aushalten, und wir kamen oft zu dem Schlusse, daß das Spinnen die einzige Arbeit sey, welche ein Mensch bis ins hoͤchste Alter ohne Nachtheil seiner Gesundheit aushalten koͤnnte. Meine Frau entschloß sich also dazu; und nach und nach kamen wir zu dem Plan, welcher ihnen so sehr mißfaͤllt. Dies ist die natuͤrliche Geschichte unsers Verfahrens; Nun lassen sie uns auch ihre Einwuͤrfe als Philosophen be- trachten. In meiner Jugend diente ich unter dem General Mon- tecuculi. Wie oft habe ich diesen Helden in regnigten Naͤch- ten auf den Vorposten, sich an ein schlechtes Wachfeuer nie- dersetzen, aus einer versauerten Flasche mit den Soldaten trinken, und ein Stuͤck Commisbrod essen sehen? Wie gern unterredete er sich mit jedem Gemeinen? Wie aufmerksam hoͤrte er oft von ihnen Wahrheiten, welche ihm von keinen Adjutanten hinterbracht wurden? Und wie groß duͤnkte er sich nicht, wenn er in der Brust eines jeden Gemeinen Muth, Gedult und Vertrauen erwecket hatte? Was dort der Feld- herr that, das thue ich in meiner Haushaltung. Im Kriege sind einige Augenblicke groß; in der Haushaltung alle, und es muß keiner verlohren werden. Solte nun aber wohl das- jenige, was den Helden groͤßer macht, den Landbauer beschim- pfen koͤnnen? Ist der Ackerbau minder edel als das Krieges- handwerk? Und sollte es vornehmer seyn, sein Leben zu ver- miethen, als sein eigner Herr zu seyn, und dem Staate ohne Sold eine Osnabruͤckische Geschichte. Sold zu dienen? Warum sollte ich also nicht mit meinem Ge- sinde wie Montecuculi mit seinen Soldaten umgehen? Ein gesunder und reinlicher Mensch hat von der Na- tur ein Recht, ein starkes Recht uns zu gefallen. Der Ehr- geitzige braucht ihn; die Wollust sucht ihn; und der Geitz verspricht sich alles von seinen Kraͤften. Ich habe allzeit ge- sundes und reinliches Gesinde; und bey der Ordnung, welche wir in allen Stuͤcken halten, faͤllt es uns nicht schwer es wohl zu ernaͤhren und gut zu kleiden. Das Kleid macht nicht blos den Staatsmann; es macht auch eine gute Hausmagd; und es kann ihnen, mein lieber Arist, nicht unbemerkt geblieben seyn, daß der Zuschnitt ihrer Muͤtzen und Waͤmser ihnen eine vorzuͤgliche Leichtigkeit, Munterkeit und Achtsamkeit gebe. Ich erniedrige mich nicht zu ihnen; ich erhebe sie zu mir. Durch die Achtung, welche ich ihnen bezeige, gebe ich ihnen eine Wuͤrde, welche sie auch im Verborgnen zur Rechtschaf- fenheit leitet. Und diese Wuͤrde, dieses Gefuͤhl der Ehre dienet mir besser als andern die Furcht vor dem Zuchthause. Wenn sie des Abends zu uns in die Stube gelassen werden, haben sie Gelegenheit manche gute Lehre im Vertrauen zu hoͤren, welche sich nicht so gut in ihr Herz praͤgen wuͤrden, wenn ich sie ihnen als Herr im Voruͤbergehen mit einer ernsthaften Mine sagte. Durch unser Betragen gegen sie, sind sie ver- sichert, daß wir es wohl mit ihnen meynen, und sie muͤßten sehr unempfindliche Geschoͤpfe seyn, wenn sie sich nicht dar- nach besserten. Ich habe zugleich Gelegenheit, ohne von meiner Arbeit aufzustehen, und meine Zeit zu verlieren, von ihnen Rechenschaft wegen ihrer Tagesarbeit zu fordern, und ihnen Vorschriften auf den kuͤnftigen Morgen zu geben. Meine Kinder hoͤren zugleich wie der Haushalt gefuͤhret, und jedes Ding in demselben angegriffen werden muß. Sie ler- nen gute Herrn und Frauen zu werden. Sie gewoͤhnen sich zu Die Spinnstube, zu der nothwendigen Achtsamkeit auf Kleinigkeiten; und ihr Herz erweitert sich bey Zeiten zu den christlichen Pflichten im niedrigen Leben, wozu sich andre sonst mehr aus Stolz als aus Religion herab lassen. Ordentlicher Weise aber lasse ich meine Kinder mit dem Gesinde nicht allein. Wenn es aber von ungefehr geschieht; so habe ich weniger zu fuͤrchten, als andre, deren Kinder mit einem verachteten Gesinde ver- stohlne Zusammenkuͤnfte halten. Ich muß aber dabey be- merken, daß ich meine Kinder hauptsaͤchlich zur Landwirth- schaft, und zu derjenigen Vernunft erziehe, welche die Erfah- rung mit sich bringt. Von gelehrten Hofmeistern lernen tau- send die Kunst nach einem Modell zu denken und zu handlen. Aufmerksamkeit und Erfahrung aber bringen nuͤtzliche Origi- nale oder doch brauchbare Copien hervor. Arist schien mit einiger Ungedult das Ende dieser lan- gen Rede zu erwarten, und vielleicht haͤtte er Selindens Va- ter in manchen Stellen unterbrochen, wenn der Ernst, wo- mit diese ihrem Vater zuhoͤrte, ihn nicht behutsam gemacht haͤtte. Es ist einem jeden nicht gegeben, fiel er jedoch hier ein, sich mit seinem Gesinde so gemein zu machen; und ich glaube man thut allezeit am besten, wenn man sie in gehoͤri- ger Ehrfurcht und Entfernung haͤlt. Alle Menschen sind zwar von Natur einander gleich. Allein unsre Umstaͤnde wollen doch einigen Unterschied haben; und es ist nicht uͤbel solchen durch gewisse aͤusserliche Zeichen in der Einbildung der Men- schen zu unterhalten. Mit eben den Gruͤnden, womit sie mir die Spinnstube anpreisen, koͤnnte ich ihnen die Dorfschenke ruͤhmen. Und vielleicht bewiese ich ihnen aus der Geschichte des vorigen Jahrhunderts, daß verschiedene Kayser und Koͤ- nige, wenn ihnen die allezeit in einerley Gemuͤthsuniforme erscheinende Hofleute Langeweile verursachet, sich oft in einem Baurenhause gelabet, und ihren getreuesten Unterthanen un- erkannter Weise zugetrunken haben. Und eine Osnabruͤckische Geschichte. Und sie wollten dieses verwerfen? versetzte Selindens Vater mit einem edlen Unmuthe. Sie wollten eine Hand- lung laͤcherlich machen, welche ich fuͤr die gnaͤdigste des Koͤ- nigs halte? Kommen sie, fuhr er fort, ich habe hier noch ein Buch, welches ich oft lese. Dieses ist Homer. Hier hoͤren sie (und in dem Augenblick las er die erste Stelle so ihm in die Hand fiel) der alte Nestor zitterte ein wenig, aber Hector kehrte sich an nichts. Welch eine natuͤrliche Schilderung rief er aus? Wie sanft, wie lieblich, wie flies- send ist diese Schattirung in Vergleichung solcher Gemaͤhlde, worauf der Held in einem einfaͤrbigen Purpur steht, den Him- mel uͤber sich einstuͤrzen sieht, und den Kopf an einer poeti- schen Stange unerschrocken in die Hoͤhe haͤlt? Wodurch war aber Homer ein solcher Mahler geworden? Wahrlich nicht dadurch, daß er alles in einen praͤchtigen aber einfoͤrmigen Mo- deton gestimmt, und sich in eine einzige Art von Nasen ver- liebt? Nein, er hatte zu seiner Zeit die Natur uͤberall, wo er sie angetroffen, studirt. Er war auch unterweilen in die Dorf- schenke gegangen, und der schoͤnste Ton seines ganzen Werks ist dieser, daß er die Mannigfaltigkeit der Natur in ihrer wirklichen und wahren Groͤße schildert, und durch uͤbertrie- bene Vergroͤßerungen oder Verschoͤnerungen sich nicht in Ge- fahr setzt, statt hundert Helden nur einen zu behalten. Er ließ der Helene ihre stumpfe Nase, ohne ihr den schoͤnen Huͤ- gel darauf zu setzen; und Penelopen ließ er in der Spinnstube die Aufwartung ihrer Liebhaber empfangen. Arist wollte eben von dem Durtich sprechen, welcher beym Homer wie ein Vogelbauer in die Hoͤhe gezogen wird, damit die darinn schlafende Prinzen nicht von den Ratzen oder andern giftigen Thieren angegriffen wuͤrden. Allein der Alte ließ ihn nicht zu Worte kommen, und sagte nur noch: ich weis wohl, die veredelten, verschoͤnerten, erhabenen und ver- Mösers patr. Phantas. I. Th. D wehn- Die Spinnstube, wehnten Koͤpfe unser heutigen Welt lachen uͤber dergleichen Gemaͤhlde. Allein mein Trost ist: Homer wird in England, wo man die wahre Natur liebt, und ihr in jedem Stande Gerechtigkeit wiederfahren laͤßt, mehr gelesen und bewun- dert, als in dem ganzen uͤbrigen Theile von Europa; und es gereicht uns nicht zur Ehre, wenn wir mit den niedrigsten Stande nicht umgehen koͤnnen, ohne unsre Wuͤrde zu verlie- ren. Es giebt Herrn, welche in einer Dorfschenke am Feuer mit vernuͤnftigen Landleuten, die das ihrige nicht aus der Encyclopedie, sondern aus Erfahrung wissen, und aus eignem Verstande wie aus ofnen Herzen reden, allezeit groͤßer seyn werden, als orientalische Prinzen, die, um nicht klein zu schei- nen, sich einschliessen muͤssen. Wenn wir daͤchten, wie wir denken sollten: so muͤßte uns der Umgang mit laͤndlichen un- verdorbenen und unverstelleten Originalen ein weit angeneh- mer Schauspiel geben, als die Buͤhne, worauf einige abge- richtete Personen ein auswendig gelerntes Stuͤck in einem geborgten Affekte daher schwatzen. Wie Selinde merkte, daß ihr Vater eine Wahrheit, welche er zu stark fuͤhlte, nicht mehr mit der ihm sonst eignen Gelassenheit ausdruͤckte, unterbrach sie ihn damit, daß sie sagte: sie wuͤrde sichs von Aristen als die erste Gefaͤlligkeit ausbitten, daß er seiner Mutter Spinnstube wieder in den vorigen Stand setzen liesse. Und sie begleitete diese ihre Bitte mit einem so sanften Blicke, daß er auf einmal die Satyre vergaß, und ihr unter einer einzigen Bedingung den vollkom- mensten Gehorsam versprach. Selinde wollte zwar Anfangs keine Bedingung gelten lassen. Doch sagte sie endlich, die Bedingungen eines geliebten Freundes, koͤnnen nichts widri- ges haben, und ich weis zum voraus, daß sie zu unserm ge- meinschaftlichen Vergnuͤgen seyn werde. Arist erklaͤrte sich also, und es ward von allen Seiten gut gefunden, daß Se- linde eine Osnabruͤckische Geschichte. linde ein Jahr nach ihres Mannes Phantasie leben, und als- dann dasjenige geschehen sollte, was sie Beyderseits wuͤnschen wuͤrden. Jeder Theil hofte in dieser Zeit den andern auf seine Seite zu ziehen. Der Hochzeitstag gieng froͤlich voruͤber, und wann gleich Arist sich an demselben in seiner schoͤnsten Groͤße zeigte, so bemerkte man doch auf der andern Seite nichts was man Ueberfluß nennen konnte. Selindens Vater kleidete alle Arme im Dorfe neu; nur sich selbst nicht, weil sein Rock noch voͤl- lig gut war. Er gab nicht mehr als drey Speisen und ein gutes Bier, welches im Hause gemacht war. Denn der Wein war damals noch keine allgemeine Mode, und es hatte sich kein Leibarzt beyfallen lassen, der Braunahrung zum Nach- theil das Wasser gesunder zu finden. Die Braut trug ihr Heidebluͤmgen, und die liebenswuͤrdige Sittsamkeit war das durchscheinende Gewand vieler edlen und maͤchtigen Reitzun- gen. Sie war weis und nett ohne Pracht. Des andern Morgens aber erschien sie nach der Abrede in unaussprechli- chen Kleidungen. Denn die Zeit hat die Modenamen aller Kopfzeuge, Huͤllen und Phantasien, welche zu der Zeit zum Putz eines Frauenzimmers gehoͤrten, laͤngst in Vergessenheit kommen lassen. Und wenn sie solche auch erhalten haͤtte: so wuͤrde man sie doch eben so wenig verstehen, als dasjenige, was man in der Limburger Chronick Die Worte davon lauten in fastis Limburg. S. 18. also: Die Kleidung von den Leuten in deutschen Landen war also gethan. Die alte Leute mit Namen, tru- gen lange und weite Kleider, und hatten nicht Knauff, sondern an den Armen hatten sie vier oder fünf Knäuff. Die Ermel waren bescheidentlich weit. Die- selben Röcke waren um die Brust oben gemützert und geflützert, und waren vornen aufgeschlitzt bis an den Gürtel. Die junge Männer trugen kurze Kleider, die von gemuͤtzerten, ge- D 2 fluͤtzer- Die Spinnstube, fluͤtzerten, verschnittenen und verzattelten, von kleinspalt, ko- geln, sorkett und disselsett lieset. Selinde, die alles was sie war, jederzeit aus Ueberlegung war, spielete ihre neue Rolle wuͤrklich schoͤner, als wenn sie solche gelernet haͤtte. Sie stand spaͤt auf, saß bis um neun Uhr am Coffeetische, putzte sich bis um zwey, aß bis um vier, spielete bis achte, setzte sich wieder zu Tische bis zehn, zog sich aus bis um zwoͤlfe und schlief wieder bis achte; und in diesem ein- die waren abgeschnitten auf den Lenden, und ge- mützert und gefalten mit engen Armen. Die Kogeln waren groß. Darnach zu Hand trugen sie Roͤcke mit vier und zwanzig oder dreyßig Geren, und lange Hoicken, die waren geknäufft vornen nieder bis auf die Füß. Und trugen stumpe Schuhe. Etliche tru- gen Kugeln, die hatten vornen einen Lappen und hinten einen Lappen, die waren verschnitten und ge- zattelt. Das manches Jahr gewähret. Herren, Rit- ter und Knechte, wann sie hoffarthen, so hatten sie lange Lappen an ihren Armen bis auf die Erden, ge- füdert mit Kleinspalt oder mit Bund, als den Her- ren und Rittern zugehört, und die Knechte als ihnen zugehört. Die Frauen giengen gekleidet zu Hof und Dänzen mit paar Kleidern, und den Unterrock mit engen Armen. Das oberste Kleid hieß ein Sorkett, und war bey den Seiten neben unten aufgeschliffen, und gefüdert im Winter mit Bund, oder im Sommer mit Zendel, das da ziemlich einem jeglichen Weib war. Auch trugen die Frauen die Burgersen in den Städ- ten gar zierliche Hoicken, die nennte man Fyllen, und war das kleine Gespense von Disselsett, krauß und eng beysammen gefalten mit einem Same beynahe einer Spannen breit, deren kostet einer neun oder zehen Gülden. Die Kugeln hiengen vermuthlich auch an den Kappen; und ruͤhrt daher das heutige Sprichwort: Kappen und Kugeln verspielen. eine Osnabruͤckische Geschichte. einfoͤrmigen Zirkel verfloß der erste Winter in einer benach- barten Stadt, wohin sie sich nach der Mode begeben hatten. Wie der folgende Winter sich naͤherte, fing Arist all- maͤhlig an Ueberlegungen zu machen. Sein ganzes Hausge- sinde hatte sich nach seinem Muster gebildet. In der Haus- haltung war vieles verlohren, vieles nicht gewonnen, und in der Stadt ein ansehnliches mehr als sonst verzehrt. Er mußte sich also entschliessen auf dem Lande zu bleiben, wofern er seine Wirthschaft in Ordnung halten wollte. Selinde hatte ihm bis dahin noch nichts gesagt. Denn auch dieses hatte er sich bedungen. Allein nunmehr da das Probjahr zu Ende gieng, schien sie allmaͤhlig mit einem Blicke zu fragen, wiewohl mit aller Bescheidenheit, und nur so, daß man schon etwas auf dem Herzen haben mußte, um diesen Blick zu verstehen. Zur Zeit, wie Arist in Paris gewesen war, hatte man eben die Spinnraͤder erfunden, welche die Damen mit sich in Gesellschaft trugen, auf dem Schooß setzten, und mit ei- nem staͤhlernen Hacken an eben derselbigen Stelle befestigten, wo jetzt die Uhr zu haͤngen pflegt. Man drehete das Rad mit einem schoͤnen kleinen Finger, und taͤndelte oder spann mit einem andern. Von dieser Art hatte er heimlich eines fuͤr Selinden kommen lassen; und fuͤr sich ein Gestell zu Knoͤtgen. Denn die Mannspersonen fingen eher an zu knoͤt- gen als zu trenseln. Das Trenseln, welches vor dreyßig Jahren Mode war, bestand darinn, daß man goldne und silberne Borten, auch seidne Zeuge in ihre Faͤden aufloͤsete. Viele modische Leute kauften sich neue Borten, um ihre Haͤnde solcherge- stalt zu beschaͤftigen. Ehe sichs Selinde versah, ruͤckte Arist mit diesen allerliebsten Kleinigkeiten hervor; und gedachte da- mit eine Wendung gegen sein feyerliches Versprechen zu ma- D 3 chen. Die Spinnstube, chen. Vielleicht waͤre es ihm auch eine Zeitlang gegluͤckt, wenn nicht das charmante Raͤdgen mit einer unendlichen Menge Berloquen waͤre gezieret gewesen. Sie wußte zwar die Geschichte ihres Ursprungs, und zu welchem Ende der Gott der Liebe diese kleinen Siegeszeichen erfunden hatte, nicht. Allein sie sahe doch ganz wohl ein, daß dieser uͤber- fluͤßige Zierrath ein kleiner Spott uͤber ihre ehmaligen Grund- saͤtze seyn solte. Indessen schwieg sie und spann. Arist aber machte Knoͤttgen. Kaum aber war ein Monat und mit diesem die Neuig- keit voruͤber, so fuͤhlete Arist selbst die ganze Schwere dieser langweiligen Taͤndeley. Laͤngst hatte er eingesehen, daß nichts als nuͤtzliche Arbeit die Zeit verkuͤrzen, und ein dauer- haftes Vergnuͤgen erwecken koͤnnte; Allein diese seine Erkennt- niß war unter dem Geraͤusch jugendlicher Lustbarkeiten ver- schwunden; jetzt verwandelte sie sich aber in eine lebhafte Ueberzeugung, da die Noth sich bey ihm als ein ernsthafter Sittenlehrer einstellte. Er fing also an Selinden offenherz- und zaͤrtlich zu gestehen, wie es wohl schiene, daß sie Recht behalten wuͤrde...... Die Scene, welche hierauf erfolgte, ist zu ruͤhrend um sie zu beschreiben. Es ist genug zu wissen, daß Selinde den Sieg, und eine ganz neue Spinnstube erhielt; woraus sie, wie zuvor, ihre ganze Haushaltung regieren konnte. Nur wolte Arist nicht, daß sie Eingangs zur linken liegen solte, weil er hier seinen Saal behalten, und die Damen so ihn be- suchten, wie im Menuet, von der rechten zur linken fuͤhren wollte. Dies war leicht eingeraͤumt; und jedermann weis daß sie beyde unter Raͤdern und Kindern ein sehr hohes und vergnuͤgtes Alter erreichet haben. Man sagt dabey, daß die damalige Landesfuͤrstin ihnen die Ehre erwiesen, sie in der Spinnstube zu besuchen; und daß sie zum Andenken derselben eine eine Osnabruͤckische Geschichte. eine dergleichen auf dem Schlosse zu Iburg angelegt habe, welche bis auf den heutigen Tag die Spinnstube genannt wird. VI. Man sorge auch fuͤr guten Leinsaamen, wenn der Linnenhandel sich bessern soll. Der Handel ins große mit Leinsaat ist so laͤunisch und falsch, daß mancher, der dreyßig Jahre damit gehandelt, am Ende der Rechnung nicht das mindeste gewonnen hat. Er wuͤrde auch laͤngst gefallen seyn, wenn nicht die Kaufleute, welche Schifstheile haben, und diese auf eine oder andre Art nutzen muͤssen, sich oft aus Noth und in Ermanglung andrer Speculationen damit bemengten, und noch dann und wann einen so ploͤtzlichen Vortheil daraus zoͤgen, daß sie den Schaden vieler Jahre uͤbertragen koͤnnten. Es hat sich daher auch dieser Handel, nehmlich der große, welcher das Lein unmittel- bar aus der Quelle holete, seit 1750 im hiesigen Stifte ganz verlohren; und der jetzige bestehet darinn, daß einige Land- kraͤmer mit demjenigen, was sie von Bremen holen, hoͤkern, oder aber die Landleute sich zusammen thun, und den Saamen selbst zu Bremen einkaufen. Die Ursache jenes Abfalls ist folgende. Es geschehen im Jahr aus den deutschen Haͤfen zwey Farthen des Leinsaa- mens halber nach der Ostsee. Die erste zu Ende des Som- mers, oder im Anfange des Herbstes, und die andre zu Ende des Winters, oder im Anfang des Fruͤhjahrs. Denn im November, December, Jenner und Februar kann die Ostsee D 4 nicht Man sorge auch fuͤr guten Leinsaamen, nicht ohne große Gefahr befahren werden, und so muͤssen die Schiffe sich an obige beyde Perioden halten. Der Preiß des Leinsaamens in den Haͤfen der Ostsee richtet sich natuͤrlicher Weise nach der Menge der ankommenden Schiffe, und des vorhandenen Saamens. Gesetzt nun, daß der Vorrath groß ist, und wenig Schiffe kommen: so kaufen die, so im August und Septemper ab- fahren, den Saamen sehr wohlfeil. Sie legen denselben in Bremen und Hamburg ab; und den Winter uͤber erhaͤlt der Kaufmann Briefe, daß wenig oder gar kein Leinsaamen fuͤr diejenigen, welche im Fruͤhjahr dahin fahren werden, in den Haͤfen der Ostsee angelanget sey. Alsdenn erhoͤhen sie den Preiß und gewinnen vielleicht hundert Procent. Gesetzt aber umgekehrt, daß im August und September viele Schiffe nach der Ostsee gehen, und zu der Zeit wenig Saamen in den dortigen Haͤfen vorhanden ist: so muͤssen sie ihre Ladung theuer bezahlen. Laͤuft nun den Winter uͤber Nachricht ein, daß vieler Saame auf Schlitten aus den innern Theilen Lieflandes in den Haͤfen angelanget sey, und daß die Fruͤhjahrsfahrer vor halb Geld kaufen werden: so ver- lieren sie vielleicht hundert Procent. Ein drittes Ungluͤck kann seyn, daß die Verkaͤufer in der Ostsee speculiren wollen, und ihren Saamen, wenn die ersten Schiffe im Fruͤhjahr ankommen, hoch halten, in der Meinung, daß noch mehrere kommen werden, zuletzt aber, wenn diese Meinung triegt, alles losschlagen und den letzten Saamen zum Drittel des Preises abschicken, wozu sie ihn vorher verkaufet haben. Alsdenn sind beyde so wohl die Herbst- als Fruͤhjahrsfahrer hintergangen. Man solte denken, es liesse sich dieser Handel einiger- massen in bessere Gleise bringen, wenn die Herbstfahrt ganz eingestellet, und alles nach dem Fruͤhjahrspreise in den Haͤfen der wenn der Linnenhandel sich bessern soll. der Ostsee eingekaufet, nachher aber gar kein Schiff mit Lein- saat in einen deutschen Hafen weiter mehr zugelassen, indem dadurch die Verkaͤufer in der Ostsee von weitern Speculiren zuruͤckgebracht werden wuͤrden. Allein andrer Schwierigkeiten, welche jeder Kornhaͤndler einsehen kann, nicht zu gedenken; so koͤnnen die ersten Fruͤhjahrsfahrer vor den 6 May nicht zuruͤck seyn, und folglich sehr viele Gegenden, wo fruͤh gesaͤet wird, zu keinem Saamen gelangen. Der Unterschied in der Saatzeit, und der oͤftere Mangel des Saamens in der Ostsee im Herbste, machen also zwey Farthen nothwendig, und daher entsteht es, daß diejenigen, so hier im Stifte den 22. 23 und 24 May saͤen, ihren Saamen oftmals fuͤr 6 und 7 Thaler in Bremen kaufen, wann die hiesigen Landkraͤmer, welche ihren Vorrath gegen den April fuͤr die Fruͤhsaat gemacht, und also von der Herbstfahrt gekaufet haben, 13 bis 16 Thaler nehmen muͤssen. Oder aber der Preiß des im Herbst einge- holten Saamens laͤuft bereits in Bremen nach dem Verhaͤlt- nisse herunter, als die Nachrichten aus der Ostsee melden, daß die Fruͤhjahrsfahrer einen wohlfeilen Markt finden werden. Im vorigen Monat fiel daher jede Tonne schon um 18 Mgr. Dies sind die Folgen der Unsicherheit im großen Han- del mit Leinsaat! und der kleine hat wiederum seine Tuͤcke, wenn der Kraͤmer den Saamen a) ein Jahr borgt, b) vor Mißwachs einsteht, und c) dasjenige, was ihm liegen bleibt, zu seinem Schaden behalten muß. Diese drey Gefahren ver- wirren manchen Kraͤmer, besonders wenn er erst ein Ungluͤck erlebt hat, den Kopf, und er nimmt um sicher zu gehen den groͤßten Vortheil. Es haͤlt schwer den Folgen dieser ganz natuͤrlich wirken- den Ursachen in den hiesigen Landen vorzubauen; und be- sonders die Versuchung zu schwaͤchen, worinn sich der große Kaufmann befindet, nicht den besten und theuersten Saamen D 5 ein- Man sorge auch fuͤr guten Leinsaamen, einzukaufen. Die Vorsorge der Landesobrigkeiten in den Haͤfen der Ostsee kann nicht weiter gehen, als daß sie den besten und mittlern Saamen durch Zeichen an den Tonnen bemerket, und den schlechten gar ungezeichnet laͤßt. Allein was hilft dieses, wenn das Kronlein mehrentheils allein von den Hollaͤndern und fast wenig von den Bremern eingekauft, folglich auch zu uns fast gar nicht gebracht wird. Nur Schweden hat dieses Jahr den Entschluß fassen koͤnnen, einen eignen Commissair nach Riga zu schicken, durch denselben alle Tonnen, welche fuͤr dieses Reich geladen werden, zeichnen, und darauf ein Verbot zu erlassen, daß kein andrer Saame, als welcher von dem Commissair der Krone gestempelt, ins Reich zugelassen werden solle. Die Ausfuͤhrung dieses Ent- schlusses ist fuͤr unsre unverbundene Staͤdte einzeln zu kostbar; und noch haben sie sich nicht vereinigt einen gemeinschaftlichen Consul NB. der selbst nicht handelt, zu dergleichen Ver- richtungen in Riga oder anderwaͤrts zu halten. Indessen ist doch so viel augenscheinlich Daß eben, wie in Schweden, der beste Leinsaamen unter obrigkeitlicher Aufsicht angeschaft, und alle Unsicherheit ab- gewandt werden koͤnne, wenn nachher, und so bald dieses geschehn, alle weitere Einfuhr verboten wuͤrde. Der Preis in der Ostsee, oder in Bremen, moͤchte nachher steigen und fallen: so haͤtte dieses keinen Einfluß auf den an- gekauften Vorrath; und die Unsicherheit, welche vorhin der Kaufmaun tragen und um derentwillen er sich allerhand schaͤdlicher Huͤlfsmittel bedienen muͤßte, fiele aufs ganze Land zuruͤck. Dieses leistete gleichsam die Assecuranz. In einem Jahre profitirte es nicht von der spätern Wohlfeiligkeit, und im andern verloͤhre es nicht bey der spaͤtern Theurung, mithin haͤtte es im Durchschnitt von dreyßig Jahren, wie jener Kauf- mann nichts daran verlohren oder gewonnen, aber allezeit sicher guten aͤchten Saamen erhalten. Wie wenn der Linnenhandel sich bessern soll. Wie ist aber dieser Endzweck zu erhalten? Soll die Obrigkeit den Saamen selbst kommen lassen? Dieses ist uͤber- aus bedenklich, und was zuerst mit der redlichsten Absicht angefangen wird, den groͤsten Mißbraͤuchen unterworfen. Hier im Stifte mag ehedem etwas aͤhnliches eingefuͤhrt ge- wesen seyn. Dann die Bemuͤhungen, welche weyland der Bischof Ernst August der Erste anwandte, um den Handel mit Leinsaamen aus den Haͤnden der Beamte und Voͤgte zu bringen, lassen glauben, daß dieses Uebel unter dem Schein der obrig- keitlichen Vorsorge eingerissen sey. Soll der Handel einer Compagnie anvertrauet werden? Dieses wuͤrde allerdings das bequemste seyn, wenn man nicht Monopolien befuͤrchten muͤßte, wiewohl dieses durch ein gutes Temperament leicht vermieden werden koͤnnte. Das Beste unter allen scheinet mir eine Compagnie zum Handel, aber dabey eine allgemeine freye Einzeichnung zu seyn. Ich will mich deutlicher erklaͤren. Es treten ei- nige Personen zusammen, welche den Einkauf nach der Vor- schrift uͤbernehmen, ein Schif oder mehrere im Herbst ab- schicken, den Saamen uͤberkommen lassen, die Bezahlung ver- fuͤgen, und nichts wie die Provision nebst der Assecuranz, wenn sie wollen, daran verdienten, selbst aber keine einzige Tonne für eigne Rechnung kommen liessen. Vor einem ge- wissen anzusetzenden Tage meldeten sich bey ihnen alle Kraͤ- mer im Lande, und liessen die Anzahl der Tonnen einzeich- nen, welche sie verlangten. Jene bezahlten an der Quelle, diese zahlten beym Empfang der Tonnen. Die Rech- nungen der ersten wuͤrden einer obrigkeitlichen Person vorge- legt, darnach die Ausrechnung gemacht, und die Kraͤmer er- hielten den gesetzten Preiß, und zahlten daruͤber, wenn ih- nen die Compagnie borgen wollte, ein zu bestimmendes Interesse. In Von dem Nutzen einer Geschichte In der Theorie scheinet diesem Plan nichts zu wider- stehn. Aber die Ausfuͤhrung? Nun diese haͤngt blos von vielen kleinen Umstaͤnden ab, welche, da sie einzig und allein die mindere oder mehrere Aufmerksamkeit der Landesobrigkeit betreffen, zu beruͤhren unnoͤthig sind. Nur eins ist wichtig. In der Gegend von hiesiger Stadt und der Seite von Oesede geraͤth der rigaische, auch der pernauische: nach Bissendorf und weiter hinauf der libaui- sche; wo fein Flachs gezogen wird, der windauische Saame, und um Borgloh das Seelaͤndische Sack-lein am besten. Al- lein in diese Absichten muß sich die Compagnie schicken, und vielleicht haͤtte dieselbe Gelegenheit, eben so wie in Sachsen vor zwey Jahren geschehn, mit Anconitanischen und andern Saamen Versuche anstellen zu lassen, welches bey dem jetzi- gen Handel, wo der Kraͤmer den Saamen nach dem Willen seiner Kaͤufer kauft, nicht mit Sicherheit geschehen kann. Die Compagnie kann bey obigen Plan allezeit bestehen, und sich uͤberdem den Vortheil zueignen, welchen der gleiche Cours des Albertsthalers mit dem Rubel in den rußischen Provinzen den schlauen Hollaͤndern darbietet, und der zur geheimen Com- merzrechnung gehoͤret. VII. Von dem Nutzen einer Geschichte der Aemter und Gilden. Es ist kein Feld worinn die Gelehrten so viele Entdeckun- gen machen, als in der Handlung und dem Fabrikwesen. Denn da sie sehr vieles nicht wissen: so muͤssen sie nothwen- dig vieles zuerst entdecken, und der kluge Kaufmann laͤßt sie schreiben, und die gluͤcklichen Cameralisten sich den Kopf mit neuen der Aemter und Gilden. neuen Vorschlaͤgen fuͤllen, um vor sich in der Stille seinen Handel ungestoͤrt zu behalten. Indessen wuͤrde es doch den Gelehrten nicht zu verdenken seyn, wenn sie sich um die Ge- schichte der Handlung und besonders der Aemter und Gilden jedes Orts einige Muͤhe geben wollten. Diese Geschichte aber hat ihre eigne Schranken. In den Lebenslaͤufen großer Herrn macht die Abstammung mit Recht ein großes aus. In der Geschichte vornehmer Fami- lien erwartet man große Thaten, Helden, und glaͤnzende Scenen. In einer Staatsgeschichte die Veraͤnderungen seiner Verfassung, Gesetze, Gewohnheiten und Systeme. In der Amts- und Gildengeschichte aber koͤnnen sogar die Na- men der Mitglieder und die Lebenslaͤufe aller Gildemeister entbehret werden, es sey denn, daß sich einer durch eine neue Erfindung oder durch eine kuͤhne Wendung in der Art des Gewerbes ruͤhmlich hervorgethan habe. Man denke nicht, daß eine solche Geschichte ohne Nutzen und Reitzungen seyn wuͤrde. Wenn man hoͤret, daß das Tuchmacher Amt in hiesiger Stadt ehedem uͤber zwey hundert Meister gezaͤhlt, und uͤber zwey tausend Menschen ernaͤhret habe: so wuͤrde es wahrlich kein geringer Anblick seyn, die Ursachen seines ausserordentlichen Versalls zu kennen, die Stuffen, worauf es nach und nach gesunken, mit einem ge- ruͤhrten Auge zu betrachten, durch die Erkenntniß der Fehler, wodurch die gesetzgebende Macht einen solchen Verfall ent- weder befoͤrdert oder zugelassen, sich zu bessern, und die Be- rechnung der Folgen nach ihren Ursachen in einer zusammen- hangenden Kette zu haben. Eine solche Geschichte wuͤrde ei- nem Philosophen fast so vielen Stof zu Betrachtungen als die Todten-Listen geben. Sie wuͤrde den Fuͤrsten die trau- rigen Folgen verschiedener Auflagen und Einschraͤnkungen vor- legen; unsre Gedanken uͤber die Handelsfreyheit herichtigen; alte Von dem Nutzen einer Geschichte alte Wege zum Erwerb wieder eroͤfnen, oder die Moͤglichkeit neuer zeigen. Wir wuͤrden aus derselben die Abnahme ver- schiedener Staaten deutlicher entdecken; die Einfluͤsse aus- waͤrtiger Veraͤnderungen gleichsam auf der That ertappen; die Klugheit mancher Nation in ihren Friedenschluͤssen deut- licher bemerken; die großen Einsichten des handelnden Ge- nies mit dankbarer Hochachtung erkennen, und unsre Be- wunderung nicht blos dem Helden, sondern auch dem großem privat Manne bezeugen koͤnnen. Und wie mancher Kauf- mann oder Kuͤnstler wuͤrde nicht um Gewinnst sondern fuͤr seinen Ruhm arbeiten, wenn ihm dergleichen Jahrbuͤcher die Unsterblichkeit versicherten? Staaten und Handwerks-Gilden haben ihre ungleichen Perioden. Manche sterben ganz aus, oder fallen doch durch die Zeitumstaͤnde so sehr herunter, daß man auf andre Wen- dungen denken muß; welches die Geschichte am besten zeigen kann. Die Ursachen, warum einige Handwerker dem Staat absterben, sind klar. Die Gilde der Panzerfeger mußte mit dem Panzer fallen. Die Schwerdfeger nahmen ab, wie die heutige Militz nach und nach vollkommener, und ihr Gewehr auf den Huͤtten gemacht wurde. Die alte Verfassung, da der Buͤrger noch zu Walle zog, und keine sammetne Hosen trug, ernaͤhrte weit mehr Weißgerber als die neuere, worinn der goldene Degen an einem seidenen Bande haͤngt, und der Sol- dat von aussen versorgt wird. Eine Mode von Federmuffen kann ein Pelzeramt sehr herunter bringen; der Geschmack an Rohrstuͤhlen alle Stuͤhlmacher vertreiben; die Begierde al- les von Mahagony-Holz zu haben, die Tischler zu Grunde richten; die Einfuhr der Eisenwaare von den Eisenhuͤtten, wo alles durch Muͤhlen in großen gearbeitet wird, die Zahl der der Aemter und Gilden. der Schmiede vermindern. Der Untergang der Tuchmacher reißt die Schoͤnfaͤrber zu Boden. Die Art, wie die Uhren an großen Orten gemacht werden, verhindert alle Uhrmacher in kleinen Staͤdten. Und ein Geschichtschreiber, der diese verschiedenen Abfaͤlle mit ihren Ursachen genau bemerkte, wuͤrde manchen jungen Kuͤnstler anweisen koͤnnen, seine Auf- merksamkeit dahin zu wenden, wohin der Hang der Moden, des Geschmacks, des Eigensinns, und der Staatsbeduͤrf- nisse mit einem nur scharfen Augen einleuchtenden Blicke win- ket. Was wuͤrde es helfen, die besten Hutmacher zu haben, wenn die Franzosen es sich einfallen liessen auf einmal Huͤte von Wachstuche zu tragen? Wie leicht beraubt eine neue Mode das beste Handwerk seines Verdienstes? Und wohin muß ein Staat versinken, der sich hierinn zuvor kommen laͤßt, oder nicht geschwind sein Handwerk aͤndert? Wie viele Wachstuch-Fabriken sind nicht blos durch die papierne Tape- ten gestuͤrzet worden? Und wer soll uns hierinn klug machen, wenn es eine Geschichte nicht thut? Und wie pragmatisch koͤnnte nicht eine solche Geschichte gemacht werden? denn so giebt der Ursprung eines jeden Amts ein Zeugniß von den Nothwendigkeiten der damaligen Zeit; von der Art zu handeln, zu kriegen, zu denken, sich zu kleiden und zu ernehren; Der maͤchtige Anwachs eines Amts erweckt Vermuthungen von dem, was der Staat da- mals ausgefuͤhret habe. Beym Verfall desselben entdeckt man, wie und wodurch eine Nation uͤber die andre das Ueber- gewicht erhalten. Er kann die Veraͤnderungen in dem Mili- tair-System anzeigen, Gesetze und Moden erlaͤutern, und den Buͤrger lehren, diejenige Verfassung, welche ehedem von zwanzig tausend Schultern getragen wurde, nun aber kaum noch von so viel hunderten mit Angst und Muͤhe empor ge- halten wird, nach veraͤnderten Umstaͤnden sparsamer einzurich- ten. Gedanken uͤber eine Weinrechnung. ten. Wie viele Gewißheit wuͤrde nicht auch die Vergleichung der verschiedenen Epoquen in der Handlungs- und Staats- geschichte manchen Nachrichten geben? Jeder Krieg zwischen den Hanseestaͤdten und den nordischen Kronen hat einen sichtbaren Einfluß auf die Gilden und Aemter in den nie- dersaͤchsischen und westphaͤlischen Staͤdten gehabt. Zur Zeit, wie die Comtoirs zu Novogrod und Bergen in ihren großen Ansehen waren, wurden uͤber 20000 Stuͤck Tuͤcher aus hie- siger Stadt abgesetzt. Und die Wahrheit eines jeden Sieges, den die nordischen Voͤlker, oder die Hanseestaͤdte erhalten, laͤßt sich an dem Steigen und Fallen der niedersaͤchsischen Hand- werker ziemlich bemerken. Nichts koͤnnte uns die Ursachen von dem Verfall der mehrsten Staͤdte deutlicher als eine solche Geschichte entwickeln. Die oͤffentlichen Rechnungen einer Stadt, worinn die Ein- nahme von ein- oder ausgefuͤhrten Waaren verzeichnet ist, wuͤrde zur Erlaͤuterung und Controlle aller Begebenheiten dienen; und mit wie vieler Bewunderung und Neugierde wuͤrden wir diese Einfluͤsse der oͤffentlichen Cassen bemerken, woraus unsre Vorfahren so viele ansehnliche Gebaͤude mit einer recht stolzen Verschwendung erbauet haben? VIII. Gedanken uͤber eine Weinrechnung. Die Geschichtschreiber haben bisher eine Hauptquelle zur Erlaͤuterung der Geschichte verfehlet; indem sie sich um die Weinrechnung gar nicht bekuͤmmert haben. Gleich- wohl zeiget die hiernach gedrukte Urkunde aus eines erbaren Raths Weinregister, welch einen vortreflichen Zuwachs die Staats- Gedanken uͤber eine Weinrechnung. Staatsgeschichte von Europa dadurch erhalten koͤnnte; beson- ders zu unsern gegenwaͤrtigen Zeiten, wo man so sehr auf die Erfindung und Schilderung historischer Charakter erpicht ist, und anstatt in Handlungen zu reden, das Gemaͤhlde mit schim- mernden Colorit beschwert. Das ganze Gewicht der Nieder- saͤchsischen Kreis-Generalitaͤt, welche im Jahr 1626 vor hie- siger Stadt war, und die Coadjutorwahl des koͤnigl. daͤnischen Prinzen unterstuͤtzte, wird durch jene Weinrechnung ins Licht gesetzt. Man sieht leicht, daß der Herzog von Sachsen-Wei- mar das mehrste gegolten habe, weil er vier Ohm Wein be- kommen; und um den historischen Charakter des Prinzen von Birkenfeld festzusetzen, darf man nur sagen: er war ein Herr, der mit einem Faͤßgen von 58½ Maaß gern vorlieb nahm. Der kaiserl. General Graf von Anhalt aber mußte uͤber die der Kreisgeneralitaͤt wiederfahrene Ehre, sehr erzuͤrnet seyn, indem sein Zorn nicht anders als durch sechs Ohm gestillet werden konnte; der Obrist Limbach ist nach Ausweise der Rechnung, die Seele des Corps gewesen; und der Obrist Schepf ein Guͤnstling des Herrn Generallieutenants, indem er diesem seinen Ohm uͤberlassen mußte. So viele wichtige Schluͤsse lassen sich aus einer Weinrechnung machen. Anlage . Auf Beschluß der Stiftsstaͤnde sind nachfolgende Weine aus eines Erbaren Raths Weinkel- ler gefuͤrdert. Anno 1626 dem Herrn Pfenningmeistern Arnold von der Burgk, verkauft ein Faß Wein, so dem Herrn General, Sachsen-Weimar, ist verehret worden 3 Ohm, 1 Maaß. Der Ohm 28 Thlr. facit 85 Thlr. Mösers patr. Phantas. I. Th. E Den Gedanken uͤber eine Weinrechnung. Den 8 und 10ten Martii. Dem Obristen Limbach sind den 8ten und 10ten Octob. verehret worden 2 Faͤsser, haltend zusammen 2 Ohm, 7½ Viertel. Den 16 Martii. Noch dem Hrn. General, Sach- sen-Weimar, auf St. Gertrudenberg 1 Ohm, 1 V. 2M. Den 17 Martii. Einem Pfalzgrafen von Birken- feld ein Faͤßgen von 58½ Maaß. Den 28 Martii. Auf Begehren Herrn Canzlern ausgefordert ein Faß von 2 Ohm, 10 Viertel. So nach Meller gekommen. Den 29 Martii. Auf Erfordern Herrn Werpup, Drosten, ein Faͤßgen Wein, so nach Melle ge- bracht 67 Maaß. Den 14 Junii. Herrn Grafen von Anhalt nach Wiedenbruͤgt verehret 6 Ohm. Den 4 Julii. Dem Herrn Generallieutenant Ver- praet verehret, so nach Astrupf gebracht 1 Ohm, 23 V. Den 5ten Julii. Herrn Obristen Lymbach verehret 1 Ohm, 17 Viert. 3 Maaß. Den 5 Julii. Herrn Obristen Schepf zugeordnet 1 Ohm, 3 Maaß. welche der Generallieutenant an sich genommen. Den 7 Jul. Selbigem Obristen verehret 1 Ohm, 2 Maaß. Den 7 Jul. Dem Obristen Conrad Vellen vereh- ret 1 Ohm min. 2 Maaß. Den 7ten Julii. Eodem Herrn Obristen Gortzki 25 Viertel, 2 Maaß. Dem Gedanken uͤber eine Weinrechnung. Dem Obristen-Proviantmeistern 18 Viertel, 1½ Maaß. Summa 24 Ohm 3 Maaß. Thun mit Unkosten der Faͤsser 672 Thlr. 15 ß. 5 pf. Item wegen Danitzen, so auf Befehl J. F. G. ausgeholet 45 Thlr. Summa 717 Thlr. 1 ß. 9 pf. J. F. G. in Gnaden bevohlen, den alten Pfenning- meistern hieruͤber zu hoͤren, und was er in Rech- nung gestaͤndig befunden, zu berichten. Prout factum den 28 Jan. 1630. IX. Klagen eines Meyers uͤber den Putz seiner Frauen. O mein Herr, Sie solten uns arme Maͤnner klagen las- sen! hier im Kirchspiel, wo ich wohne, tragen unsre ehelichen Wirthinnen zwar noch keinen Merlin oder Andullage; und verlangen auch noch nicht, daß unsre Koͤpfe nach ihren goldnen Uhren gerichtet seyn sollen. Nein, sie sind mit der Zeit zufrieden, wie sie der Kuͤster eintheilt; ob wir gleich nichts davon hoͤren und uns nach unsern Magen richten muͤs- sen. Allein sehen Sie nur einmal folgende Rechnung von einem einzigen Sonntagsputze an, welchen meine selige Frau getragen, und mein gnaͤdiger Gutsherr nun zum Sterbfall gezogen hat, und den ich jezt an einen Kaufmann noch bezah- len muß, wenn ich nicht will, daß meine selige Frau mich in der Ruhe mit meiner zukuͤnftigen stoͤren soll. Hier ist sie: E 2 1) Fuͤr Klagen eines Meyers 1) Fuͤr eine fammtne Obermuͤtze mit goldnen Blumen gestickt = = = 5 Thlr. 2) Fuͤr Gold darauf = = = 4 = 3) Fuͤr 2 Ellen Spitzen zur Untermuͤtze a 5 Thlr. 10 = 4) Fuͤr eine Halsschnur von silbernen Perlen mit drey goldnen Schloͤssern und einer gold- nen Schleife = = = 50 = 5) Fuͤr 2 Ellen Spitzen zur Tour de Gorge 10 = 6) Fuͤr 1½ Elle Cammertuch zum Halstuch 3 = 7) Fuͤr 6 Ellen Spitzen darum = 30 = 8) Fuͤr 1½ Elle bunten Cammertuch zu Man- schetten = = = = 3 = 9) Fuͤr 3 Ellen Spitzen darum = 15 = 10) Fuͤr ein paar sammtne Winterhandschuh mit maßiv silbernen Knoͤpfen = 3½ = 11) Fuͤr fuͤnf Ellen Damast zum Camisol a 2½ Thaler = = = = 12½ = 12) Fuͤr das Schnuͤrleib = = 5 = 13) Fuͤr 4 Ellen besten Sitz zur Schuͤrze, a 2½ Thaler = = = = 10 = 14) Fuͤr acht Ellen Tuch zum Oberrock, a 2½ Thlr. = = = = 20 = 15) Fuͤr den zweyten Rock von Serse = 4 = 16) Fuͤr den kleinen Fischbeinen Rock = 2½ = 17) Fuͤr Schuhschnallen = = 5 = 18) Fuͤr ein paar Camuslederne Schuh = 1 = 19) Fuͤr ein Gesangbuch mit Silber = 10 = Summa 203 Thlr. 18 Mgr. Rech- uͤber den Putz seiner Frauen. Rechnen Sie dabey, daß die gute selige Frau diesen ihren Putz neunmal veraͤndern konnte, und daß im Sterbefall noch eine goldne Halskette, drey paar seidene Handschuh, und sechs ge- stickte Tuͤcher sich befanden, welche mit 15 Thalern das Stuͤck bezahlet waren. Erwegen Sie, daß an den hohen Festtagen schwarz, und Camisol und Schuͤrze von Damast getragen wurde; und bedenken Sie endlich, daß die Selige, um mich und ihre Verwandte zu betrauren, ihr Trauerzeug so vollstaͤn- dig hatte, daß sie das andre Jahr, denn hier im Kirchspiel wird zwey Jahr getrauret, mit Abwechselungen erscheinen konnte: so werden Sie gewiß finden, daß es mir als einen armen Leibeignen schwer gefallen sey, mich sofort zu einer un- dern Heyrath zu entschliessen. Doch habe ich mich jetzt besser vorgesehen als mein Nachbar, der zwar einen freyen Kotten erheyrathet, aber 14 Tage nach der Hochzeit erfahren hat, daß seine Hausehre vor Galanteriewaaren an Kraͤmer und Packentraͤger 300 Thaler schuldig waͤre. Sie muß zwar da- fuͤr redlich buͤssen; und koͤmmt nicht anders als braun und blau zu Bette, so bunt sie auch zur Kirche geht. Allein was ist einem ehrlichen Manne damit gedienet, daß er seine beste Zeit, die er ruhig im Kruge vertrinken koͤnnte, mit pruͤgeln zubringen muß? Meine zukuͤnftige soll, wie ich hoffe, mir wenigstens einige Muͤhe in diesem Stuͤcke ersparen. Denn ich sehe, sie siehet mehr auf das wesentliche, und hat ihre Bett- tuͤcher von feinem Drell machen lassen. Wie gluͤcklich sind gegen uns die Kirchspiele auf der Heyde, wo der ganze Staat einer Hausfrauen mit dreyßig Thaler bezahlet ist. Allein ich hoͤre auch, da lieben die Frauen Coffee und Muscatwein, und die Maͤnner trinken fleißig mit. Das thun wir hier nun nicht. Wir halten uns an gutes Bier und redliche Kost. Allein der Putz unsrer Weiber ist die Zuchtruthe des Him- mels, womit wir weidlich gestaͤupet werden. Wenn man sie E 3 ent- Das Gluͤck der Bettler. entbehren koͤnnte, welch ein schoͤner Viehstapel koͤnnte nicht dafuͤr angelegt werden? Allein kaum ist die eine tod: so nimmt man schon eine andre wieder. Es ist ein wunderli- ches Ding. X. Das Gluͤck der Bettler. Neulich sah ich einen Handwerksmann mit seiner Frauen bereits um 4 Uhr des Morgens in seiner Werkstaͤtte an der Arbeit. Der Mann schien mir munter und zufrieden zu seyn, die Frau aber mit einer gewissen aͤngstlichen Eilfertigkeit zu spinnen. Auf eine kleine Warnung: sie wuͤrde sich auf diese Weise uͤberarbeiten: antwortete sie mit seufzen: Ach ich habe acht lebendige Kinder. Und in dem Augenblick traten die vier aͤltesten schon munter herein um zu beten und zu ar- beiten. Der Anblick war uͤberaus ruͤhrend; und der Mann erzaͤhlte mir mit einem anstaͤndigen Stolze, wie sauer er es sich werden liesse, als ein ehrlicher Mann mit den Seinigen durch die Welt zu kommen; und wie sichtbar Gott seinen Fleiß und Ordnung segnete. Wir haben, setzt er hinzu, im Anfange oft Wasser und Brod gegessen; waren aber gesund und freudig dabey; bis uns endlich GOtt mit Kindern seg- nete, und mein taͤglicher Verdienst mit ihnen zunahm. Sauer ist es mir geworden, schloß er; Blutsauer! aber ich habe Brod, und bin vergnuͤgt.. Ich verglich hiemit eine Scene, die mir einmal zu Lon- den in einem Speisekeller, im Kirchspiele St. Giles aufge- stossen ist. Herr Schuter, ein beruͤhmter Acteur auf dem Schauplatze in Covent-Garten, welcher damals eben die nie- drigen Das Gluͤck der Bettler. drigen Classen der Menschen studirte, um sich in der komi- schen Mahlerey fest zu setzen, und eine voͤllige Kenntniß vom high Live below Stairs zu erhalten, fuͤhrte mich dahin. Die Magd, welche uns empfieng, setzte geschwind die Leiter an, worauf wir herunter stiegen, und zog solche so gleich wieder herauf, damit wir ihr ohne Bezahlung nicht entlaufen moͤch- ten. Im Keller fanden wir zehn saubere Tische, woran Messer und Gabel in langen Ketten hiengen. Man setzte uns eine gute Rindfleisch Suppe; etwa vier Loth Rindfleisch mit Senf; einen Erbsen-Pudding mit etwa 6 Loth Speck, zwene Stuͤck gutes Brod und 2 Glaͤser Bier vor; und vor der Mahlzeit forderte die Waͤscherin unser Hemd, um es waͤh- rend derselben zu waschen und zu trocknen; alles vor 2½ Pence oder 16 Pfennig unser Muͤnze, mit Einschluß der Waͤsche, Doch diese Beschreibung im voruͤber gehen. Am Sonntag wird kein Hemd gewaschen; und dafuͤr ½ Pfund gebratenes Rindfleisch mit Kartoffeln zur Mahlzeit aufgesetzt. In diesem Keller fanden wir uns in Gesellschaft der Gassenbettler. Da wir uns vorher eine dazu schickliche Klei- dung vom Troͤdelmarkte gemiethet hatten; so wurden wir bald mit ihnen vertraut; und man that uns leicht die Ehre zu glauben, daß wir Diebe oder Bettler aus einem andern Kirchspiel waͤren. Allein wie sehr erstaunten wir nicht, als wir die angenehme und unbekuͤmmerte Lebensart dieser Bett- ler erblickten. Erstlich zaͤhlte ein jeder seinen Gewinnst vom Tage; und besonders liessen sich die Blinden von zweyen andern ihre Einnahme oͤffentlich und auf ihre Ehre zehlen, damit sie von ihren Fuͤhrerinnen nicht betrogen werden moͤchten. Es war keiner unter ihnen, der nicht doppelt und dreymal so viel erbettelt hatte, als der fleißigste Handwerksmann in einem E 4 Tage Das Gluͤck der Bettler. Tage verdienen kann. Nachdem das Finanzwesen in Ord- nung gebracht, und die Mahlzeit voruͤber war, ließ sich ein jeder nach Gewohnheit, einen Bumper mit starken Porter- bier geben, welcher auf die Gesundheit aller wohlthaͤtigen See- len ausgeleeret wurde. Hierauf spielten die Blinden zum Tanz; und es war ein Vergnuͤgen zu sehen, wie geschickt Bettler und Bettlerinnen, auch so gar einige die des Tages uͤber lahm gewesen waren, mit einander tanzten. Die kraͤftigsten Gassenlieder folgten auf diese Bewegung; bis endlich der er- wartete Durst erfolgte. Dann ward von gewaͤrmten Porter und Rum ein starker Ponsch gemacht, die Zeitung dabey ge- lesen, und der Abend bis drey Uhr des Morgens mit trinken und politischen Urtheilen uͤber das Ministerium auf das ver- gnuͤgteste zugebracht. Ueberhaupt aber hat der Bettelstand sehr viel reitzen- des. Unser Vergnuͤgen wird durch nichts besser befoͤrdert als durch die Menge von Beduͤrfnissen. Wer viel durstet, hun- gert und frieret, hat unendlich mehr Vergnuͤgen an Speise, Trank und Waͤrme, als einer der alles im Ueberfluß hat. Was ist ein Koͤnig, der nie zum hungern oder duͤrsten koͤmmt, und oft zwanzig große und kleine Minister gebraucht, um eine einzige neue Kitzelung fuͤr ihn auszufinden, gegen einem sol- chen Bettler, der sechs Stunden des Tages Frost, Regen, Durst und Hunger ausgehalten; und damit alle seine Beduͤrf- nisse zum hoͤchsten gereitzet hat; jezt aber sich bey einem guten Feuer niedersetzt, sein erbetteltes Geld uͤberzaͤhlt, vom staͤrk- sten und besten genießt, und das Vergnuͤgen hat, seine Wol- lust verstohlner weise zu saͤttigen? Er schlaͤft ruhig und unbe- sorgt; bezahlt keine Auflagen; thut keine Dienste; lebt un- gesucht, ungefragt, unbeneidet und unverfolgt; erhaͤlt und beantwortet keine Complimente; braucht taͤglich nur eine ein- zige Luͤge; erroͤthet bey keinem Loche im Strumpfe, kratzt sich Das Gluͤck der Bettler. sich ungescheut wo es ihm juckt; nimmt sich ein Weib und scheidet sich davon unentgeltlich und ohne Proceß; zeugt Kin- der ohne aͤngstliche Rechnung, wie er sie versorgen will; wohnt und reiset sicher vor Diebe, findet jede Herberge bequem, und uͤberall Brod; leidet nichts im Kriege oder von betriegerischen Freunden; trotzt dem groͤßten Herrn, und ist der ganzen Welt Buͤrger. Alles was ihm dem Anschein nach fehlt, ist die Delicatesse, oder derjenige zaͤrtliche Eckel, womit wir al- les, was nicht gut aussieht, verschmaͤhen. Allein, wer ist im Grunde der Gluͤcklichste; der Mann, der ein Stuͤck Brod, wenn es gleich sandig ist, vergnuͤgt herunter schlucken kann; oder der Zaͤrtling, der in allen Herbergen hungern muß, weil er seinen Mundkoch nicht bey sich hat? Und wie sehr erwei- tert derjenige nicht die Sphaͤre seines Vergnuͤgens, der sich jedes Brod wohl schmecken laͤßt? Wie beschwerlich ist dagegen der Zustand des fleißigen Arbeiters, der sich von dem Morgen bis zum Abend quaͤlet, sich und seine Familie von eignem Schweisse zu ernaͤhren? Alle oͤffentliche Lasten fallen auf ihn. Bey jedem Ueberfall feind- licher Partheyen muß er zittern. Um sich in dem noͤthigen Ansehen und Credit zu erhalten, muß er oft Wasser und Brod essen, seine Naͤchte mit aͤngstlicher Sorge zubringen, und eine heimliche Thraͤne nach der andern vergiessen ..... Wenn ich solchergestalt den ehrlichen fleißigen Arbeiter mit dem Bettler vergleiche: so muß ich gestehen, daß es eine uͤberaus starke Versuchung sey lieber zu betteln als zu arbeiten. Das einzige was den Bettlern bishero gefehlt, ist dieses, daß ihre Nahrung unruͤhmlich gewesen, und diesen Fehler will ich nechstens abhelfen. E 5 XI. Etwas zur Verbesserung XI. Etwas zur Verbesserung der Armen- Anstalten. Wie, Sie wollen das Betteln ruͤhmlich machen? In der That, das fehlt den faulen Muͤßiggaͤngern noch. Allein herunter mit dem Schleyer, herunter mit dem Regen- tuche, worinn sich viele unsrer Bettlerinnen verstecken, um ihre Ehre nicht zu verlieren. Verdient eine arme ungluͤckliche Person so viel Schonung: so sorge man fuͤr sie daheim; und setze dieselbe nicht der traurigen Nothwendigkeit aus, ihr Brod vor den Thuͤren zu suchen. Verdienet sie es aber nicht; so verfolge Schimpf und Verachtung den verschuldeten Bettler. Er gehe, wenn er ja gehen soll, als ein Scheusahl durch die Gassen, und sey allen jetzt wankenden, jetzt auf die faule Seite nach und nach sinkenden, jetzt sorglos darauf los zehrenden Einwohnern, ein so schreckliches Exempel, daß sie sich lieber das Blut aus den Fingern arbeiten, und Wasser und Brod geniessen, als auf kuͤnftige Almosen ihre Zeit und ihren Fleiß ungenutzt verschlafen oder verprassen. Eine Bettlerinn im Regentuch ist eine Satyre wider die Obrigkeit, die entweder die Ungluͤckliche nicht versorgt, oder die Schuldige nicht strafet. Nirgends giebt es mehr Bettler, als wo eine unuͤberlegte Guͤtigkeit sich als christliches Mitleid zeigt, und jeden Armen ernaͤhrt; nirgends giebt es weniger, als bey den Fabriken, wo man den Bettler, der noch arbeiten kann, auf dem Mist- haufen sterben laͤßt, um andre zum Fleisse zu zwingen. Doch ich will die Sache gelassen betrachten. Von dem großen Gesetze, daß niemand im Staat sein Brod um- sonst der Armen-Anstalten. sonst haben muͤsse, weil die Versuchung zur Faulheit sonst zu stark werden wuͤrde; und daß es besser sey, denjenigen, der nur noch einzig und allein ein gesundes Auge uͤbrig hat, sein Brod durch eine ihm anvertrauete Aufsicht verdienen zu lassen, als ihn auf dem Faulbette zu ernaͤhren, will ich jetzt nichts er- wehnen. Es ist bekannt genug; der Satz, worauf ich bauen will, soll seyn, Armuth muß verächtlich bleiben. Nur muß man mich wohl verstehen. Ein gesunder fleißiger Mensch ist nie arm. Der Reichthum bestehet nicht in Gelde sondern in Staͤrke, Geschicklichkeit und Fleiße. Diese haben einen guͤldnen Boden; und verlassen einen nie; das Geld sehr oft. In der letzten Erndte sahe ich die Frau eines Heuermanns, deren Mann ein Hollands-Gaͤnger ist, welche selbst maͤhete und band, und ihr vierteljaͤhriges Kind neben sich in der Furche liegen hatte; wo es so geruhig als in der besten Wiege schlief. Nach einer Weile warf sie muthig ihre Sense nieder, setzte sich auf eine Garbe, legte das Kind an die gesunde Brust und hieng mit einem zufriedenen und muͤt- terlichen Blicke uͤber den saugenden Knaben. Wie groß, wie reich, dachte ich, ist nicht diese Frau? Zum maͤhen, binden, saͤugen und Frau zu seyn, gehoͤren sonst vier Personen. Aber dieser ihre Gesundheit und Geschicklichkeit dienet fuͤr viere. Die Natur zeigt hier eine homerische Allegorie fuͤr die Arbeit- samkeit ohne Caylus und Winkelmann. Wenn ich es also als ein Gesetz annehme, daß Armuth schimpfen muͤsse; so bald sie nicht durch ein besonders Ungluͤck ehrlich gemacht wird: so verstehe ich darunter den Mangel, der aus Ungeschicklichkeit und Faulheit entspringt; und mache mit Fleiß dieses große Gesetz hart, weil wir von Natur ohne hin weichherzig genug sind, mit jedem Armen ohne Unter- suchung Mitleid zu haben; und unser Herz insgemein den Verstand betriegt, wenn es aufs Wohlthun ankoͤmmt. Das Spruͤch- Etwas zur Verbesserung Spruͤchwort: Armuth schimpft niemand, dienet insgemein nur dem stolzen Armen, dessen Eitelkeit sich beleidigt fuͤhlt. Und wenn wir mit dem Armen ins Verhoͤr gehen: so finden sich immer viele zweydeutige Umstaͤnde zu seiner Entschuldigung. Daher mag die Armuth uͤberhaupt immer etwas veraͤchtliches behalten; wenn wir nur dabey unsre Hochachtung gegen die Frau, die zugleich maͤhet, bindet und saͤuget, verdoppeln. Jene Verachtung und diese Hochachtung muͤssen zusammen bleiben, und die Bewegungsgruͤnde zum Fleiße verstaͤrken. Dieses Gesetz muß aber nicht eher in Uebung kommen, bevor wir nicht einige Voranstalten gemacht haben, wozu folgende meines Ermessens hinreichen werden. Man theile alle Arme in drey Classen. In die erste Klasse sollen diejenige kommen, welche durch Ungluͤcksfaͤlle oder Gebrechlichkeit arm sind; und einige Schonung verdienen; In die andre; alle, welche eben keine Schonung ver- dienen, und sich nur damit entschuldigen, daß sie keine Ge- legenheit zu arbeiten haben, um ihr Brod zu gewinnen; In die dritte, alle muthwillige Bettler, die durch ihr eigen Verschulden arm sind, und gar nicht arbeiten wollen, ohnerachtet sie Gelegenheit, Geschicklichkeit und Kraͤfte dazu haben. Die Einrichtung dieser Klassen werde mit Zuziehung der Pfarrer und mit der genauesten Untersuchung gemachet; so dann aber die erstre Klasse durch oͤsfentliche Vorsorge zu Hause versorgt; die andere mit Arbeit versehen; und die dritte in dem angelegten Werkhause dazu gezwungen. Man sieht leicht ein, daß bey diesem Plan alles auf die Vorkehrungen fuͤr die zweyte Klasse ankomme. Und wenn ich der Armen-Anstalten. ich zeige, daß mit den Armengeldern, welche jetzt vertheilet werden, noch halb so viel mehr als sonst ausgerichtet werden koͤnne: so glaube ich wenigstens einen guten Rath dazu mit- getheilet zu haben. Ich will solchen auf einen ganz leichten Satz bauen. „Man nehme z. E. in seine Hand zween 〟Thaler, und gebe einigen Armen davon 6 mgr.: so sind 〟12 Personen versorgt. Man lasse aber diese 12 Personen, 〟jede 2 Stuͤcke Garn, welche zusammen 4 Mgr. werth sind, 〟spinnen, und bezahle ihnen solche mit 8 Mgr.: so ernaͤhrt 〟man 〟 a) mit eben diesen zween Thalern 18 Personen; jede da- von bekommt 〟 b) 2 Mgr. mehr; Es bleiben 〟 c) die Armen durch die Arbeit gesund; sie geniessen 〟 d) ihr Brod nicht umsonst; locken also 〟 e) andre nicht zum Unfleiße; und laufen 〟 f) nicht herum. Diese Saͤtze sind klar; nur wird man sagen: Die Armen werden entweder das Garn von andern auf- kauffen; oder es werden auch selbst fleißige Leute sich zu den Armen gesellen, um ihr Garn zum doppelten Preise zu verkaufen. Der Einwurf ist richtig. Allein hier muß man durch einigen Schimpf vorbauen. Man waͤhle folglich ein oͤffentliches Zimmer auf einem Armenhofe. Dort seyn Raͤder und Flachs. Dieses sey des Winters gewaͤrmt und erleuchtet; und von dem fruͤhesten Morgen bis zum spaͤtesten Abend keinem Armen verschlossen. Und was in diesem Zimmer gesponnen wird, das werde doppelt bezahlt. Der Schimpf in einem oͤffentlichen Zimmer zu spin- Etwas zur Verbesserung spinnen, und in der Zahl der Armen bekannt zu seyn, wird den fleißigen und empfindlichen Mann hinlaͤnglich abhalten, seine Hand sinken zu lassen. Hingegen ist eben dieser Schimpf nicht unschwer fuͤr diejenige zu tragen, die sonst auf den Gassen betteln, und von Obrigkeitswegen in die zweyte Klasse gesetzt sind. Die Anstalt wird den Betrug verhuͤten, und bey ei- nem Lichte und einer Waͤrme koͤnnen mehrere Personen zu- sammen sitzen, mithin vieles ersparen. Dabey hat jeder Arme seine Freyheit zu gehen und zu kommen, und wenn er des Tages eine bessere Arbeit findet, solcher nachzugehen. So bald ist aber nicht die oͤffentliche Anstalt gemacht: so muß keiner sich unterstehen zu betteln; oder er muß sich gefallen lassen in die dritte Klasse gesetzt ins Werkhaus einge- sperret und zur Arbeit gezwungen zu werden. Denn nun ist die Entschuldigung, daß er keine Gelegenheit habe sein Brod zu verdienen, gehoben, und folglich die Obrigkeit berechtiget, das letzte Mittel zu gebrauchen. Die Armengelder in hiesiger Stadt, welche von Obrig- keitswegen gesammlet, und vor den Thuͤren gegeben werden, belaufen sich des Jahrs zum allerwenigsten auf 12000 Thaler. Davon sollen 40 Hausarme einen jaͤhrlichen Zuschuß von 50 Thaler empfangen: so bleiben noch 10000 Tahler uͤbrig. Wenn diese auf obige Art verwendet werden: so koͤnnen 150 Arme der zweyten Klasse, jeder das Jahr 100 Thaler ver- dienen; und so viel Arme finden sich hoffentlich nicht. Man wird einwenden: „Die Anstalt sey ganz gut, 〟wenn man jaͤhrlich mit Gewißheit auf eine sichere Summe 〟rechnen koͤnnte.„ Allein warum kann man das nicht? In der Stadt London sind die Almosen von jedem Hause fixirt und zum Etat gebracht. In Deutschland, oder doch wenigstens in einem großen Theil desselben, hat man die un- bestaͤndigsten Gefaͤlle zu fixiren gewußt. Warum solte dieses nicht der Armen-Anstalten. nicht auch mit den Almosen geschehen koͤnnen? Wir legen Schatzungen an, um Pulver zu kaufen, und die besten Staͤdte damit in den Grund zu schießen. Solte man denn nicht auch so etwas thun koͤnnen, um andre wiederum gluͤcklich zu machen? Sind die Armen nicht ein eben so wichtiger Gegen- stand der oͤffentlichen Vorsorge als andre Dinge? Und wuͤrde sich nicht jeder Hauswirth, jaͤhrlich gern zu einem gewissen Almosen Beytrag selbst subscribiren, wenn er dagegen von allen andern Ueberlauf enthoben seyn koͤnnte? Wuͤrden diese Gelder nicht besser angewandt werden, als diejenigen, die wir ohne genugsame Pruͤfung vor den Thuͤren oft an un- wuͤrdige verschwenden? Und werden wir von unsern neuan- gelegtem Werkhause, welches wir mit so großen Kosten auf- gefuͤhret haben, den wahren Vortheil haben, wofern wir nicht durch jene Claßification zuvor alle moͤgliche Uegerechtig- keit entfernen? Wie viele Vermaͤchtnisse, Hospitaͤler und Stiftungen liessen sich nicht ohnehin mit jener Anstalt fuͤr die Arme vereinigen, so daß eins den andern die Hand boͤte, und den Fleiß gemeinschaftlich befoͤrderte? XII. Von der Armenpolicey unsrer Vor- fahren. Man glaubt insgemein, unsre Vorfahren haͤtten sich we- nig um die Policey bekuͤmmert und die Sachen so ge- hen lassen, wie sie gewolt. Um diesen Vorwurf abzulehnen, wollen wir einige die Armenanstalten betreffende Gesetze der mittlern Zeit wiederum in Erinnerung bringen. Das Von der Armenpolicey Das erste, was hieher gehoͤrt, lautet also: Es soll sich kein Bettler unterstehen herumzulaufen. Wer dergleichen auf seinem Hofe oder auf seinen Guͤ- tern hat, soll sie ernaͤhren; und keiner soll sich unterste- hen solchen einige Beyhuͤlfe zu geben, wo sie nicht ar- beiten. De mendicis qui per patrias discurrunt, volumus ut unusquisque fidelium nostrorum suum pauperem de beneficio aut de propria familia nu- triat, et non permittat alibi ire mendicando. Et ubi tales inventi fuerint, nisi manibus laborent, nullus eis quicquam tribuere praesumat. Capit . V. ann. 805. §. 10. Um andern hierinn ein gutes Exempel zu geben, verpflichtete sich der Kaiser selbst, diejenigen Armen, welche sich auf seinen Guͤtern befaͤnden, ernaͤhren zu wollen. Fiscalini qui mansos non habent, de Dominica ac- cipiant praebendam (einen Proͤven) Capit . d. mis- sis §. 50. Zur Beyhuͤlfe fleißiger Armen ward in jedem Kirchspiele der vierte Theil des Zehnten ausgesetzt. Ut decimae populi in quatuor partes dividantur. Prima pars Episcopis detur, alia Clericis, tertia pauperibus, quarta in fabrica ipsius ecclesiae v. CAROLI M. LL. §. 95. Und Gott solte die Seele der Armen von den Priestern for- dern, die solches versaͤumten, und die Armen daruͤber sterben liessen. Capit . addit. IV. §. 153. Zur Zeit der Hungersnoth wurden jedem Menschen, die Ar- men unsrer Vorfahren. men so er ernaͤhren und die Allmosen so er geben solte, vor- geschrieben: Episcopi Abbates et Abbatissae pauperes famelicos quatuor pro illa striccitate nutrire debent, usque ad tempora messium ‒ Comites fortiores libram de argento aut valente donent in eleemosyna ‒ ib. §. 143. Die Armensachen sollten an den Gerichtstagen allezeit zuerst vorgenommen und durch nichts aufgehalten werden. CAROL . M. LL. §. 58. Die Bischoͤffe und Grafen solten sie in ihrem unmittelbaren Schutze haben. Capit . add. IV. 5 ‒ 115. Die Wundaͤrzte wurden von Gerichtswegen augehalten der Armen zu warten. Si quis medicum ad placitum pro infirmo visitan- do aut vulnere curando poposcerit: ut viderit vul- nus medicus aut dolores agnoverit, statim sub cer- to placito cautione emissa infirmum suscipiat. Es zwar hier nicht eigentlich, daß von armen Kranken die Rede sey. Vermuthlich aber beduͤrfte es keines Zwan- ges, um reiche Patienten in die Cur zu nehmen. Doch konnte bey den Westgothen auch dieses unterweilen noͤthig seyn, weil dieses Volk auf den Einfall des Herrn v. Mau- pertuis gerathen war, daß der Arzt nicht belohnt und wohl gar bestraft werden solte, wenn er einen Patienten sterben ließ; daher mancher sich wegern konnte einen gefaͤhrlichen Patienten in die Cur zu nehmen. Die Westgothen waren uͤberhaupt den Wundaͤrzten nicht gewogen. Sie mußten Mösers patr. Phantas. I. Th. F 100 L. 3. Wisig. tit. de medicis. Und Von der Armenpolicey Und gewiß mußten ihnen Richter und Advocaten allezeit um- sonst helfen, da beyde blos fuͤr die Ehre dienten. Ihre Ord- nung gegen die Bettler und Landstreicher war so strenge, daß jeder Reisender, der von der Heerstrasse auf einen Dorf- oder Nebenweg wich, und kein Nothgeschrey machte, als ein Stras- senraͤuber von jedermann erschlagen werden konnte. Si peregrinus vel alienus extra viam per sylvas va- getur, \& non vociferet, neque cornu insonet pro fure sit judicandus vel percutiendus vel redimen- dus v. LL. Inae regis. §. 20. Sie hielten es in diesem Stuͤcke, eben wie wir es zu Krieges- zeiten halten, wo der General den ankommenden Fremden die Route vorschreibt, welche sie gehen muͤssen, wo sie nicht als Spions gehangen werden wollen. Eben dahin zielte an- aͤnglich des Koͤnigs- oder Kaisersgeleit, und die Abzeichnung gewisser Heerstrassen. Man war mit keinem Geleite auf Dorf- und Nebenwegen sicher. Wie verhalten wir uns aber jetzt in diesen Stuͤcken? Die Heerstrassen haben ihren Charakter verlohren. Man weis kaum mehr was sie bedeuten sollen. Die Landstreicher laufen wie und wo sie wollen. Mit Geleit haͤlt sich ein jeder sicher, und berechtiget sogar andern ins Haus zu kommen. Die 100 Ducaten Strafe geben, wenn sie einen durchs Ader- lassen laͤhmten; sie durften keinem Frauenzimmer ohne daß jemand dabey zugegen war, die Ader oͤffnen. Nullus medicus sine praesentia patris — mulierem inge- nuam flebotomare praesumat — quia difficilli- mum non est, ut tali occasione ludibrium inter- dum adhaerescat. L. 1. de medicis. Und sie wuͤr- den ihnen gewiß das Pulsfuͤhlen verbothen haben, wenn es waͤre Mode gewesen. unsrer Vorfahren. Die Wundaͤrzte schicken ihre Rechnungen zur Lan- descasse ein, wenn sie einem armen Ungluͤcklichen gedienet haben. Die Richter wollen den Armen nicht umsonst dienen, die Gerichtsschreiber ihre Copeygebuͤhren nicht fahren lassen, die Advocaten nicht umsonst schreiben und die Procuratoren nicht umsonst laufen, ohnerachtet sie miteinander wenigstens den Zehnten ihres Fleißes den Armen nach den Carolingischen Gesetzen schuldig sind. Die Zehnten kommen den Armen nicht mehr zu gute; die Allmosen sind des Geizigen Willkuͤhr uͤberlassen, und die Reichen sind froh, wenn sie sich des Ueberlaufs und Bettlens auf andrer Rechnung erwehren koͤnnen. Jeder nimmt nach Gefallen Fremde und Arme auf seine Gruͤnde, und laͤßt sie das Land belaufen. Die christliche Religion verpflichtet keinen mehr, sich armer Anverwandten anzunehmen. Man schickt sie lieber auf die Lansescasse. Das ist die Einrichtung unsrer erleuchteten Zeiten. Carl der Große wolte nicht haben, daß ein Kind auf- wachsen solte, ohne eine Kunst zu lernen, womit es sich er- naͤhren koͤnnte. Dies ist der Sinn des Gesetzes: De com- puto ut omnes veraciter discant; de medicinali arte ut infantes hanc discere mittantur Cap. I. 1. de 805. §. 5. Wir hingegen lassen die Jugend auf dem Lande, welche der- einst zum Ackerbau bestimmt ist, die Gaͤnse und Schweine huͤten, wovon sie wahrlich nicht lernen werden, sich bey meh- rern Jahren zu ernaͤhren und zu unterhalten. Die Mutter eines Kindes, das im zwoͤlften Jahre sich seine Struͤmpfe nicht knuͤtten oder sein Hemd nicht naͤhen, oder seine andert- halb Stuͤck Garn des Tages nicht haͤtte spinnen koͤnnen, wuͤrde F 2 Carl Vorschlag zur Versorgung Carl der Große zum Schandpfahl verdammet haben. Und solte sie es auch nicht verdienen? Wie mancher Mensch wird nicht endlich Kruͤppel, und weil er keine Handarbeit gelernt, ein Strassenbettler? XIII. Vorschlag zur Versorgung alter Bediente. Vom Handwerk sagt man, daß es einen guͤldenen Boden habe. Allein von dem Dienste kann man behaupten, daß er einen eisernen habe. Ein Mensch, der seine beste Le- benszeit mit Aufwarten zugebracht, ist am Ende seines Le- bens insgemein sich und andern unnuͤtz, und wann er treu gedient, hat er von seinem Lohn kein Kapital gemacht. Er setzt daher oft einen gutherzigen Herrn in die Versuchung, ihn wider sein Gewissen mit einem Dienste zu versorgen, wozu er nicht geschickt ist. Waͤre es also nicht billig, eine Invali- dencasse vor bejahrte Bediente zu stiften? Nach meiner Rechnung koͤnnte es fuͤglich angehen, daß ein Bedienter, der 30. Jahr im Lande wohl gedient, und jaͤhrlich 1 Thaler zu dieser Invalidenkasse contribuiret haͤtte, die uͤbrige Zeit seines Lebens monatlich 2 Thaler; und wenn er jaͤhrlich 2 Thaler contribuirt; monatlich 4 Thaler und so ferner erhielte. Eben dieses konnte in Ansehung der weibli- chen Dienstboten Statt haben. Und wie manche Herrschaft wuͤrde diesen Fuͤrschuß nicht fuͤr ihre Dienstboten jaͤhrlich gern thun, wenn diese sich dagegen des Caffees und Thees frey- willig enthalten wollten? Wie gluͤcklich waͤre dieses Geld nicht angewandt; und was kann eine Obrigkeit abhalten, eine solche An- alter Bediente. Anstalt zu treffen? Kaͤme ein Schade dabey heraus: so muͤßte ihn das Publikum, das dagegen mit guten und treuen Dienst- boden versorgt wuͤrde, uͤbernehmen. XIV. Unvorgreifliche Beantwortung der Frage: Ob das haͤufige Hollandgehen der Osnabruͤcki- schen Unterthanen zu dulden sey? Dieses Stuͤck, welches von einem andern Verfasser ist, wird der Verbindung halber mit eingeruͤckt. Wenn ich uͤber vorstehende Frage meine Gedanken mit- theile, so erstrecken sich selbige hauptsaͤchlich uͤber den Ort, wohin mich die Vorsehung Gottes vor einigen Jahren gerufen hat. Diese kleine Gemeinde liefert jaͤhrlich den Hol- laͤndern wenigstens 60 Arbeiter, unter welchen aber ein Un- terscheid gemacht werden muß, da sie nicht alle zu gleicher Zeit zu ihnen gehen, und auch nicht zu einer Jahrszeit wie- der zu Hause kommen. Einige gehen in ihrem 17. bis 18. Jahr nach Holland, und kommen in 10 bis 20 Jahren nicht wieder, oder bleiben Zeit Lebens aus. Andre, und zwar die Haͤlfte treten ihre Reise gleich nach Lichtmessen an, und stel- len sich um Allerheiligen oder Martini wieder ein, und das sind die, welche der Hollaͤnder in seinen Lustgaͤrten gebrauchet. Die letztern gehen gleich nach Pfingsten, und kehren zur Erndtezeit wieder zuruͤck, und das sind die Grasmeher. Erstere, sind gewissenlose Unterthanen gegen ihren Lan- desherrn, und insgemein hoͤchstundankbare Kinder gegen ihre Eltern. Sie entvoͤlkern das Vaterland, und opfern ihre Kraͤfte einem fremden Volke auf, welche sie doch ihrem ange- F 3 bohr- Ob das haͤufige Hollandgehen bohrnen Oberherrn mit Gut und Blut zu weihen, schuldig waͤren. Der Undankbare gehet inzwischen hin, und der el- terliche Seegen wird ihm mitgetheilet. Gott fodert nach et- lichen Jahren seinen Vater ab, die Mutter wird in den be- truͤbten Wittwenstand gesetzet, und die kleinen Kinder verway- sen. Sie schreibt an ihren Sohn in Holland, er moͤchte zu Hause kommen und helfen ihr arbeiten; sie predigt aber tau- ben Ohren. Der Sohn meldet: Ich habe ein Weib genom- men, drum kann ich nicht kommen, und weil ich selber Kin- der habe, so kann ich euch auch nicht mit Gelde unterstuͤtzen. Das ist denn der Dank, den der Sohn seiner trostlosen Mut- ter beweiset, die sich denn vor Gram, Kummer und uͤber- maͤßiger Arbeit viel zu fruͤh ihr eigen Grab zubereitet. Ich komme zu der zweyten Gattung dieser Art Leute, welche drey Theile des Jahrs in Holland zubringet. Und das ist eben die betrieglichste Sorte von Menschen, die unserm Lande so viel Schaden bringen, welches ich meinen Lesern deutlich vor Augen legen will. Es wuͤrde zwar zu einem glaͤnzenden Vorzuge gereichen, wenn der beruͤhmte Hr. D. Buͤsching in seiner neuen Erdbeschreibung von unserm Hoch- stifte berichtet, daß die Unterthanen desselben jaͤhrlich so viel tausend Gulden aus Holland hereinschleppen, zu welchen man sagen muͤßte: Quis potest resistere tot armatis? Allein es ist nicht alles Gold, was glaͤnzet. Nach der genauesten Erkundigung, bringet ein arbeitsamer und schonender Mensch in seiner 40woͤchigen Abwesenheit 100. Gulden zu Hause, und das ist das allerhoͤchste, was er baar haben kann. Wie gluͤcklich waͤre er, wenn er alles fuͤr reinen Profit halten koͤnnte. Es muß aber ein nicht geringes Rabat gemacht wer- den. Ein solcher Arbeiter kaufet sich jaͤhrlich ein Schwein und maͤstet solches von seinem Boden, weil er alle Jahr keine Baum-Mast haben kann. Speck und Schinken duͤrfen nicht ange- der Osnabruͤck. Unterth. zu dulden sey. angetastet werden, weil diese besten Theile der Vater mit nach Holland haben muß. Alle Butter der Haushaltung wird ver- wahret und leistet dem Speck Gesellschaft. Das den Winter durch gesponnene Garn muß gewirket, und dem Vater zu Hemden, Beinkleidern und Futterhemden mitgegeben wer- den. Doch, dieses alles ist nichts zu rechnen, denn es muß doch gegessen, getrunken und der Leib bekleidet seyn. Nur Schade, daß Frau und Kinder durch Entziehung dieser besten Nahrung entkraͤftet, und nicht selten in Krankheit gestuͤrzet werden! Der Faden meiner Gedanken ziehet mich aber auf eine weit wichtigere Betrachtung bey diesen Leuten. Der verehelichte Theil von ihnen hat wenigstens 8 oder 10 Scheffel Saatlandes unter den Pflug. Er kommt zu Martini und folglich zu einer Zeit zu Hause, da ein rechtschaffner Ackers- mann seine Wintersaat schon laͤngst bestellet hat. 8 bis 14 Tage ruhet der zu Hause gekommene Vater aus, und faͤnget nunmehro sein Land zu bearbeiten an, und wird nach Neujahr auch wohl oͤfters um Lichtmessen mit seiner Rockensaat fertig- Anstatt, daß Koͤrner sollen eingeerndtet werden, so hat er Gras und Stroh, und wenigstens 3 Scheffel Rocken von je- dem Scheffelsaat weniger, als er bey gehoͤrigem Fleis und rech- ter Zeit ohnfehlbar erhalten haͤtte. Die Zeit der Abreise stel- let sich wieder ein. Er schnuͤret seinen Buͤndel, er gehet und laͤsset der Frau den trostreichen Segen: Siehe zu, wie du mit Acker, Viehe, Haushaltung und Kindern fertig wirst. Mein Gott! wie muß das arme Weib rennen und laufen, daß sie Wagen und Pflug erhaͤlt, um ihren Haber und Buch- weitzen in die Erde zu kriegen. Da liegen die kleinen Kinder um den Heerd oder hinter den Kuͤhen, um selbige zu huͤten, herum; sie schreyen nach der Mutter und nach Brod, aber die ist nicht da, weil sie nicht zugleich bey den Ihrigen und auf dem Acker seyn kann. Sie ist dennoch bey der groͤßten F 4 Un- Ob das haͤufige Hollandgehen Unordnung im Hause wohl zufrieden, wenn die Kinder nur des Viehes gut huͤten; denn das waͤre Schade, wenn der mehrste Bauer nicht glauben sollte, daß seine Kinder nur um seines Viehes willen allein in der Welt waͤren! Solte der abwesende Mann wohl den Schaden in der Fremde durch sei- nen Fleis wieder ersetzen koͤnnen, der in seiner Abwesenheit in der Haushaltung verursachet wird? Dieses alles lege ich folgendergestalt in eine Waage: An Speck und Butter wird mitgenommen und nachgesendet = = = 15 Fl. An 8 Schfl. Saat-Landes hat er wegen Versaͤu- mung und schlechter Bestellung Schaden 24 = An Kleidung wird zerrissen = = 10 = An Versaͤumungen in der Haushaltung = 10 = Bey seinem zu Hause bleiben haͤtte er in 9 Mo- naten mit Spinnen und Taglohn verdienen koͤnnen, wenigstens = = 30 = Summa 89 Fl. Aus dieser billigmaͤßigen Vergleichung entstehet mit Recht die Frage: Was hat denn ein so abgematteter Mann fuͤr alle seine Muͤhe, Arbeit und lange Reise? In der That nichts als einen glaͤnzenden Betrug; denn der schlaue Hollaͤn- der kriegt seine Arbeiten verrichtet und steckt den Vortheil in die Tasche. Und sind denn auch die etwann noch uͤberschies- sende eilf Gulden zu des Vaters Beruhigung hinreichend, daß er seine Kinder so gewissenlos versaͤumet, selbige der Erkennt- niß Gottes und der Schule entzogen, und seine eigene Haus- haltung so schaͤndlich vernachlaͤßiget hat? Ich gehe weiter. Nicht selten geschiehet es, daß ein eine Kraͤfte so vergeudender Mensch vor der Zeit ein Raub des der Osnabruͤck. Unterth. zu dulden sey. des Grabes wird. Der Bauer, in dessen Behausung der Er- blaßte gewohnet, nimmt sich der zuruͤckgebliebenen Waysen an. Die Knaben machet er zu seine Schaͤfer, lernet sie mit Pferden umgehen, und werden seine Knechte. Was gewin- net er aber dadurch? Er muß es nur allzu spaͤt erfahren, daß er Schlangen in seinem eignen Busen genaͤhret hat. Der Knecht ist kaum der Kinderlehre entlaufen; so faͤngt er an trotzig gegen seinen Brod-Herrn zu werden. Er spricht im hohen Thone: Wollet ihr mir nicht 20 bis 24 Thl. Lohn, so viele Ellen Hemde- und Wollenlaken nebst ein paar Schuhe jaͤhrlich geben: adieu patrie! ich gehe nach Holland. Ver- miethet sich ein auswaͤrtiger Knecht bey einem hiesigen Bau- ren, so fodert er obiges Lohn, und bedinget sich dabey einen jaͤhrl. hollaͤndischen Gang ausdruͤcklich mit aus. Und eben da ich dieses schreibe, hat kein Bauer seinen Knecht zu Hause, sondern er mehet das wasserlaͤndische Gras ab. Die Maͤgde fangen es jetzt eben so an. Koͤnnen sie nicht 10 bis 12 Thlr. Lohn, so viel Lein gesaͤet und so viel Stock Linnen jaͤhrlich er- halten, so gehen sie in die hollaͤndischen Bleichen oder in die Salzbrennereyen. Ein wolluͤstiger Juͤngling gehet nach jenen Oertern um seine Leidenschaften zu befriedigen. Er hat sich in seinem Geburtsorte ein Maͤdgen, oder auch eine junge Witwe auser- sehen, der er aber zu schlecht ist, weil er nicht gut genug ge- kleidet, und seine Umstaͤnde nicht brillant genug sind. Er laͤuft nach den guͤlden Inseln, und arbeitet aus allen Kraͤften. Alles was er verdienet, haͤngt er auf seinen Leib. Er kommt als ein Stutzer wieder: ein modefaͤrbigtes Kleid von hollaͤn- dischen Tuch bedecket ihn, große silberne Schnallen, womit sich leicht drey behelfen koͤnnten, spielen an seinen Fuͤssen. In diesem reitzenden Gewande gehet er zu seinem vorerwaͤhl- ten Schatz, wiederholet seine Anwerbung, ist gluͤcklich und F 5 sieget. Ob das haͤufige Hollandgehen sieget. Schwiegereltern und Verwandte glauben hier den reichen Hollaͤnder an seinem Kleide und Beutel zu erblicken, und die Ehe wird getroffen. Aber ach! Was entstehet dar- aus? Die betrogene Frau bereuet ihre Thorheit ohne Erhoͤ- rung und stirbet endlich vor Gram. Der durch Faulheit zum Weichling gewordene Mann geraͤth in die groͤste Armuth- und die ungluͤcklichen Kinder werden zur Last der Gemeinde auf den Armen-Kasten verwiesen. Noch mehr. Solche Art Leute, als wir bisher abge- malet haben, machen faule und uͤppige Bauren, die ihren Landes- oder Gutsherrn betriegen, und ihr Erbe in ewige Schulden setzen. In unsern wolluͤstigen Tagen weis der Bauer, allen strengen Gesetzen ohngeachtet, eben so gut Cof- fee und Thee zu trinken, als der vornehme Mann in der Stadt. Er hat bey seiner Staͤtte 8 bis 12 Malter Saatlan- des, und diese sind seine Goldgruben; und sie wuͤrden es auch ohnfehlbar seyn, wenn ers nur nicht auf die verkehrteste Art anfienge. Anstatt sein Land gehoͤrig zu bearbeiten, ver- pfaͤndet er lieber ein Schfl. Saat nach dem andern. Kommt ein Creditor, so spricht er ihn bis Allerheiligen zufrieden, und ist die Schuld nicht allzugroß, so giebt er ihm ein Gedulthuhn, sonst aber wohl gar ein Schwein mit auf dem Weg. Sein hollaͤndischer Heuermann ist kaum zu Haufe, so klopfet der Bauer schon an dessen Tasche und holet 80 Gulden auf 4 Schfl. Saatlandes zu dessen Gebrauch und Unterpfand. Damit be- zahlet er nun seine wolluͤstigen Schulden, und machet seine Staͤtte immer kleiner und druͤckender. Endlich nimmt er seine Zuflucht zum 6 oder 12 jaͤhrigen Stillstand, und setzet sich, sein Erbe und Kinder in die klaͤglichsten Umstaͤnde, die auch der unermuͤdete Schweiß seiner Nachkommen eines Jahrhun- derts nicht zu bessern vermoͤgend sind. Wuͤrde nun der Bauer diese Quelle seines Verderbens nicht kennen; so wuͤrde er auch der Osnabruͤck. Unterth. zu dulden sey. auch gewiß regelmaͤßiger leben, seine Arbeiten ununterbrochen und gebuͤhrender verrichten, und folglich sich und seine Staͤtte gluͤcklicher machen. Was faͤngt nun aber der vierteljaͤhrige Unterthan in seinem Hause an? Er fuͤhlet die Mattigkeit seiner erschoͤpften Kraͤfte; der Zustand seiner Gesundheit wird wankend, und muß seine eroberten Stuͤber dem Apotheker, oder wozu er am meisten geneigt ist, einem Quacksalber in die Haͤnde geben, und wird dabey geschneutzet. Er trinket seinen mitgebrachten Thee und Coffee in stiller Ruhe, arbeitet aber nicht mehr, als was er nothwendig thun muß, und die Wohlfahrt seiner Kinder lieget ihm an wenigsten am Herzen, denn die gehoͤrt fuͤr keinen Vater, sondern allein fuͤr die Mutter. Er wird muͤrrisch und verdrießlich; seine mannbare Jahre haben ihn schon ins graue Alter verfetzet: sein Grab oͤfnet sich ihm vor der Zeit, und laͤsset eine junge seufzende Witwe mit vielen Kindern nach, die nicht selten der Gemeinde zur groͤßten Last werden. Wuͤrde dieses alles erfolget seyn, wenn er im Lande geblieben waͤre, und sich redlich genaͤhret haͤtte? Woher kommt es doch, daß wir ein so schlechtes Christenthum und Erkennt- niß bey solcher Leute Kindern antreffen, daß wir einen so ver- dorbenen und elenden Acker haben? Woher ruͤhret es, daß der Bauer die Arbeiten seines verwoͤhnten Knechts mit schwe- rem Gelde aufwiegen muß, oder gar keinen kriegen kann? Was ist die Ursache, daß der Linnenhandel unsers Vaterlan- ders nicht empor kommen kann und so sehr faͤllt? Wer brin- get die Baurenhoͤfe in uͤberwiegende Schuldenlasten? Von allen diesen und noch mehrerern Uebeln ist der nach Holland gehende Unterthan der vornehmste und eigentliche Schoͤpfer. Die letztern Arbeiter sind die Grasmeher. Diese gehen zu einer Zeit zu dem Hollaͤnder, da sie ihre Haus- und Feld- arbei- Ob das haͤufige Hollandgehen arbeiten hier verrichtet haben. Sie versehen sich auf ihre zwey monatliche Abwesenheit mit Speck, Brod und Butter. Kommt ein solcher nach Jacobi zu Hause, so hat er etwan aufs hoͤchste 30 Fl. in der Tasche. Fuͤnf davon hat er zum wenigsten an Eßwaaren mitgenommen, und drey hat er am Zeuge zerrissen. Ein solcher Mann siehet bey seiner Wieder- kunft aus, als wenn er schon 3 Tage im Grabe gelegen haͤtte, und wie ist das anders moͤglich? der Geizige unter ihnen hat sich durch seine entsetzlichen Arbeiten alle Kraͤfte ausgepresset. Bey seinem Speck und Brodte hat er die hollaͤndische Wad- dicke Eimerweise eingeschlungen, und des Nachts ist unter blauen Himmel die Heufime sein Bette gewesen. Kaum das der Tag grauet, so wadet er mit seiner Sense schon im Thaue, zapfet sich den Schweiß ab. Diese Leute sind insgemein in ihrem ganzen Leben ungluͤcklich. Kommen sie zu Hause, so finden sie schon beyde Haͤnde voll Arbeit wieder; denn unsre Erndte wartet ihrer schon mit Schmerzen. Sie sind aber ganz ermuͤdet und koͤnnen nicht zu Kraͤften kommen. Gesund und wohl sind sie hingegangen, haben aber gelaͤhmte Glieder, auch sehr oͤfters die Schwind- und Wassersucht, oder eine enge Brust nebst den sogenannten hollaͤndischen Pipp, der in einer immerwaͤhrenden Schuͤtterung oder schleichenden Frost beste- het, wieder mitgebracht. Solten diese Leute nicht große Schuld mit dran seyn, wenn unser Hochstift so schlecht bevoͤl- kert ist: wenn hier und da im Lande oft hinreissende Krank- heiten sich einfinden: wenn sie selbst so viele ungesunde Kin- der in die Welt setzen, und mit denselben vor der Zeit hin- sterben? Ein jeder wird also aus dieser wahrhaften Vorstellung schon die Frage beantworten koͤnnen: Ob die starken Zuͤge nach Holland unserm Hochstifte vortheilhaft oder schaͤdlich seyn? So der Osnabruͤck. Unterthan. zu dulden sey. So sehr ich auch mit diesen Gruͤnden meinen eignen Nutzen schade, und wenigstens der dritte Theil meines ohne- hin geringen Einkommens schwinden wuͤrde, wenn diesem schaͤdlichen Hollandgehen abhelfliche Maas gesetzet wuͤrde; so bin ich voͤllig versichert, daß mein allergnaͤdigster Koͤnig die- sen Verlust auf andre Weise reichlich ersetzen wuͤrde. Der aͤchteste Patriotismus belebet mich, und wuͤnsche nichts so sehr, als das unsre Landesstuͤtzen diesem immer mehr und mehr ein- reissenden Uebel durch weise und zur Kraft kommende Gesetze vorzubeugen, gnaͤdigst geruhen moͤchten. XV. Die Frage: Ist es gut, daß die Unterthanen jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. Es liegt alles an dem Gesichtspunkt, woraus man eine Sache betrachtet; und Phidias lief Gefahr von den Athenien- sern gesteiniget zu werden, wie sie die von ihm mit aller Kunst verfertigte Statue der Minerve, welche fuͤr einen hohen Altar bestimmet war, in der Naͤhe und nicht in gehoͤriger Ehrfurchtsvoller Entfernung kniend betrachteten. Eben so wahr ist es, daß große Rechnungen die Probe nicht leicht im kleinen halten. In einer großen Menge von Faͤllen kann jeder einzelner Fall vor sich unrichtig, und doch der daraus gezogene Schluß auf das genaueste wahr seyn. Man weis z. E. wie viel Menschen von einer gewissen gegebe- nen Anzahl jaͤhrlich sterben; man weis zu seiner großen Be- ruhigung, daß ungefehr Knaben und Maͤdgen in gleichen Ver- haͤlt- Die Frage: Ist es gut, daß die Unterthan. haͤltniß gegen einander geboren werden. Nun moͤgen alle Hausmuͤtter auftreten, und auf ihr Gewissen bezeugen, GOtt habe ihnen Toͤchter und Knaben in ungleicher Anzahl bescheret; es moͤgen alle Todtengraͤber bezeugen, sie haͤtten mehr oder weniger Leute von der in ihren Dorf-Gemeinden befindlichen Anzahl begraben, als nach jener Regel haͤtten sterben sollen: so schadet dieses der Rechnung im Großen nichts. Die große Regel bleibt wahr, wenn sie gleich in der Anwendung auf jeden einzelnen Fall nicht zutrift. Nach dieser kurzen Vorerinnerung will ich alles, was wider die Hollands-Gaͤnger aus diesem Stifte, angefuͤhret worden, zugestehen. Ich will aber zeigen, daß der Gesichts- punkt, woraus man die Sache betrachtet, zu nahe an der Statue genommen; und ein einzelner Fall von diesen oder jenen Kirchspielen nicht hinlaͤnglich sey, um darnach die Rech- nung im Großen zu machen. Jedoch noch eins zum voraus. Es gehen jaͤhrlich uͤber zwanzig tausend Franzosen nach Spanien, um den Spaniern in der Erndte zu helfen. Eben so viel Brabaͤnder gehen in gleicher Absicht nach Frankreich. Eine nicht geringere Menge Westphaͤlinger geht den Hollaͤn- dern und Brabaͤndern zu Huͤlfe; und mittlerweile kommen die Schwaben, Thuͤringer und Baiern nach Westphalen, um unsre Mauren zu verfertigen; die Italiaͤner weissen unsre Kirchen und versorgen uns mit Mausefallen; die Tyroler rei- nigen unsere Teiche; die Schweizer gehen nach Paris, um den Franzosen die Thuͤr zu huͤten oder die Schuh zu putzen; und so wandert eine Nation zur andern, um bey ihr des Sommers ein Stuͤck Brod zu verdienen, was sie des Winters zu Hause verzehre. Nichts ist hier leichter als zu fragen: Warum jede Nation nicht zu Hause bleibe, so lange sie noch Beduͤrfnisse hat, welche sie durch fremde Haͤnde bestellen las- sen jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. sen muß? Warum nicht der Westphaͤlinger seine Teiche selbst rein mache? Warum er seine Kirchen nicht weisse, und seine Haͤuser nicht selbst maure? Und, ob es nicht weit leichter und vortheilhafter sey Wetterglaͤser zu machen, als in Holland Torf zu stechen, oder in England Thran zu sieden? Allein nichts ist auch offenbarer, als daß Landes-Einwohner, welche sich auf gewisse Dinge allein legen, und ihre Kinder von Jugend auf dazu erziehen, es darinn zu einer so vorzuͤglichen Fertig- keit und Geschicklichkeit bringen koͤnnen, daß sie fuͤr halbes Geld mehr thun als andre fuͤr doppeltes. Nichts ist sicht- barer, als daß auch in groben Arbeiten eben die Vortheile aus der Simplification entstehen, welche den feinern Kuͤnsten daraus zugewachsen sind, wenn nemlich ein ander die Federn, ein ander die Raͤder, und ein dritter die Zieferblaͤtter ver- fertiget, so dann der Uhrmacher nur blos zusammen setzt. Nichts ist endlich gewisser, als daß sich oft in ganzen Gegen- den eine Handarbeit von Vater auf Sohn und von Nachbar zu Nachbar auf das gluͤcklichste ausbreite und sich gleichsam mit den National-Charakter vermische. Gesetzt nun, die Einwohner eines Landes bringen es durch das Exempel ihrer Vorfahren, durch die taͤgliche Uebung und andere Vortheile zu einer vorzuͤglichen Geschicklichkeit in einer groben Arbeit: so koͤnnen sie nicht wie die feinere Hand- arbeiter an einem Orte wohnen, sondern muͤssen herumziehen; weil eine Nation die aus lauter Maurern bestehet, keine Bruͤcken zu Hause machen, und solche auf der Post verschicken kann. Sie muͤssen weiter doppelt gewinnen, und ihre Art zu arbeiten lieben, weil sie durch ihre Fertigkeit und Ge- schicklichkeit gar zu viel vor allen andern voraus haben. Und man koͤnnte sich wuͤrklich den Fall vorstellen, daß die Tyroler in Westphalen Graͤben ausbraͤchten; die Westphaͤlinger hin- gegen in Tyrol Torf gruͤben, und beyde mehrern Vortheil von Die Frage: ist es gut, daß die Unterthan. von ihren weiten Reisen haͤtten, als wenn sie jedes Orts ihre Sachen zu Hause verrichteten. Denn die Nerven, der Ruͤck- grad und alle Gliedmassen biegen sich zu einer von Jugend auf gelernten, taͤglich gesehenen und geuͤbten Arbeit auf das vollkommenste, und auch der kleinste Vortheil wird zuletzt entdeckt und genutzt. Wer wuͤrde es nun aber wagen, jede Nation hierinn auf andere Gedanken ’zu bringen? Die alten von dreyßig vierzig und funfzig Jahren zu bekehren ist fast unmoͤglich, und allezeit gefaͤhrlich. Um die Kinder aber in ihrer Eltern Hause, unter ihrer Aufsicht und Lehre, voͤllig umzubilden, dazu gehoͤren solche Anstalten, welche nicht so leicht auszufuͤhren seyn moͤchten. Und so ist es eine sehr be- denkliche Sache, einem Volke seinen gewohnten Weg zu ver- sperren, um ihn mit Unsicherheit auf einen ungewohnten zu fuͤhren. Wahr ist es, daß die Leute, welche nach Holland und England zur Arbeit gehen, fruͤher alt und unvermoͤgend werden als andere, die bey ordentlicher Land- und Hausarbeit ihre Kraͤfte nicht uͤbernehmen: denn wenn sie etwas verdienen wollen, muͤssen sie alle Augenblicke nutzen, und keinen Odem- zug ohne Arbeit thun. Der Gewinnst staͤrkt ihre Begierde; und die Begierde giebt eine groͤßere aber kurze Staͤrke. Allein es ist auch nicht weniger wahr, daß die Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts unter den Heuerleuten um ein Drittel schneller gehe, als unter den Landbesitzern. Hier muß insge- mein der Anerbe warten, bis der Vater stirbt oder abzieht; ehe ist fuͤr eine junge Frau kein Platz im Hause offen. Die Mahljahre von Stiefeltern gehen insgemein so weit bis der Anerbe sein dreyßigstes Jahr erreicht. Dreyßig Jahre ma- chen also das gewoͤhnlichste Alter aus, worinn Landbesitzer beyrathen; und wenn Tacitus es der deutschen Enthaltsam- keit zuschreibt, daß sie vor den 25. Jahre nicht heyratheten: so jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. so bedachte er nicht, daß das fruͤhere Heyrathen nur bey Hand- thierungen, wovon Buͤrger und Heuerleute leben, moͤglich sey, und die deutsche Nation, welche er schilderte, nicht aus Buͤrgern und Heuerleuten, sondern aus Landbesitzern bestand. Die hiesigen Heuerleute heyrathen mit zwanzig Jahren; und mithin zehn Jahr fruͤher als Anerben. Gesetzt also, sie waͤ- ren mit funfzig Jahren alt und kuͤmmerlich: gesetzt, ein gan- zes Kirchspiel saͤhe seine besten Leute; und ein Mann alle seine Bruͤder und Verwandte sterben: so wird derjenige, der nahe am Kirchhofe wohnet; oder den dieser Verlust hauptsaͤchlich trist, das ungluͤckliche Hollandsgehen leicht beklagen. Allein die große Staatsrechnung leidet darunter nichts. Es ver- haͤlt sich hierinn mit den hiesigen Hollandsgaͤngern, wie mit den Bergleuten. Diese erreichen kein hohes Alter, und sind fruͤh kuͤmmerlich. Ihre Anzahl vermindert sich aber da- durch nicht. Sie werden sich doppelt vermehren, wenn hin- laͤngliche Arbeit vorhanden. Wahr ist es weiter, daß von den Leuten, welche sol- chergestalt in die Fremde gehen, jaͤhrlich zehen von hundert verlohren gehen. Einige gehn auf den Herings- und Wall- fischfang; und die Reisen zur See verfuͤhren manchen nach Ost- und Westindien. Wie viel Einwohner in Cuirasseau sind nicht aus hiesigem Stifte? Viele, die nach England in die Thransiedereyen, oder nach Holland auf allerhand Arbeit aus- gehen, lassen sich, wenn sie zu Hause keine Weiber haben, leicht bereden, gar auszubleiben. Allein es ist auch wiederum wahr, daß wir die große Menge von Heuerleuten nicht ha- ben wuͤrden, wenn der Verdienst in der Fremde wegfallen sollte. Wir wuͤrden alsdenn sicher nicht den zehnten Theil derjenigen haben, die jetzt im Lande sind; und so ist der ge- genwaͤrtige Verlust nichts gegen denjenigen, welchen wir im Gegentheil leiden wuͤrden. Ein Baum, wovon viele wurm- Mösers patr. Phantas. I. Th. G stichi- Die Frage: Ist es gut, daß die Unterthan. stichige Aepfel fallen, ist insgemein fruchtbarer, als ein an- der, worunter keiner liegt. Wer hier blos auf die Erde und nicht in die Hoͤhe sieht, der wird leicht unrichtig urtheilen, und nicht erkennen, daß jener mehr Fruͤchte habe als dieser. Es laͤßt sich sehr wahrscheinlich zeigen, daß in diesem Jahrhundert, sich uͤber viertausend Neubauer im hiesigen Stifte niedergelassen haben; und der unmaͤßige Preis unser Laͤndereyen, welcher hoͤher ist, als er irgendwo in Europa seyn wird, bestaͤrket diese Vermuthung. Sechs und funfzig Qua- dratruthen von unsern besten Feldlande, und wahrlich unser bestes kann in Vergleichung anderer Laͤnder, kaum fuͤr mit- telmaͤßiges gelten, ist in verschiedenen Gegenden uͤber vier Thaler jaͤhrlichen Heuergeldes ausgebracht worden; und das Gartenland doppelt so hoch als das Feldland. Es ist kein ein- ziger sogenannter großer Haushalt im ganzen Stifte mehr, weil kein Paͤchter das Land so hoch bezahlen und kein Eigen- thuͤmer es so theuer nutzen kann, als es die Heuerleute bezah- len. Da diese in den oͤffentlichen Lasten weislich geschonet; von aller Werbung befreyet, und an manchen Orten mit der Feurung und Weide leicht versorget werden: so verheuret der Eigenthuͤmer der Laͤndereyen nicht blos sein Land, sondern auch die freye edle Luft unter einer milden Regierung; und alle die Vortheile, die ein Land ohne Truppen, ohne Accise, und ohne Cameralisten gewaͤhren kann; die Vortheile, welche Heiden und Mohre darbieten; und den oͤffentlichen Credit, worinn unsere gluͤckliche Verfassung, sowol die heilsame Gerechtigkeit, als die Landesherrliche Macht erhalten hat; alle diese Vor- theile wuͤrden ungenutzt seyn, wenn wir die Menge von Heuer- leuten nicht haͤtten; und diese wieder wegfallen, wenn sie ihr Brod aus dem Heid- Sand- oder Mohrlande ziehen sollten. Viele Edelleute machen sich mit Recht ein Gewissen daraus, ihre Laͤnder an den Meistbiethenden zu vermiethen. Die jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. Die geringen Nebenwohner, da sie einmal da sind, und in benachbarten Laͤndern nicht gleiche Vortheile finden, koͤnnen es nicht entbehren; und die Prediger in manchen Kirchspielen eifern gegen das Verheuren an den Meistbiethenden auf den Canzeln als gegen eine Suͤnde. Wo ist aber ein Land, da man diese Art von Suͤnde kennt? Der vornehme Verfasser des Hausvaters, der gewiß den Haushalt von allen moͤglichen Seiten betrachtet hat, der Herr Landdrost von Muͤnchhausen gesteht, daß, wenn er seine Guͤter in unserm Stifte haͤtte, sie ihm doppelt so viel als jetzt einbringen wuͤrden. Dies wuͤrden sie thun, ohne daß er noͤthig haͤtte, sich des Jahrs mehr als einmal, wenn der Zahlungstag der Heuergelder ist, darnach umzusehen. Die Ursachen, so derselbe hievon an- giebt, besteht in der vorzuͤglichen Bevoͤlkerung durch jene Heuerleute. Wahr ist es, daß diese Bevoͤlkerung den Landbesitzern auf sichere Weise zur Last falle; und die unzaͤhlichen Beschwer- den, welche die Landstaͤnde ehedem uͤber die Zunahme der Neubauer gefuͤhret haben, sind damals nicht ohne Grund gewesen. Wir haben Landesherrliche Verordnungen von dem Bischoffe Philipp Sigismund, worinn die Ansetzung eines neuen Hauses, bey einer Strafe von 10 Goldfl. verboten ist; und der Landtags-Abschied vom Jahr 1608. enthaͤlt buchstaͤb- lich, daß auf den ganzen und halben Erben, wo vorhin zwey Feuerstaͤtten gewesen, nur die Sahlstaͤtte und Leibzucht gestat- tet, auf den Kotten, wo vorhin keine gewesen, keine neue er- richtet, und auf jeder Feuerstaͤtte nur eine Parthey geduldet werden sollte. Allein seitdem sich unter der Territorial-Ho- heit die Grundsaͤtze in diesem Stuͤcke veraͤndert haben, und die Bevoͤlkerung in einen andern Gesichtspunkt gekommen ist; seitdem der Landbesitzer sich nicht mehr mit seinem eigenen Vieh und Korne fertig machen kann, sondern auch Geld noͤ- G 2 thig Die Frage: Ist es gut, daß die Unterthan. thig hat; seitdem die Landesherrn ihre Naturalgefaͤlle in Geld verwandelt haben, und der Edelmann diesem Exempel gefolget ist; seitdem endlich tausend vorhin entbehrte Reitzun- gen der Wollust und Bequemlichkeit den Fremden baar bezah- let werden muͤssen, haben sich die Grundsaͤtze in diesem Stuͤcke so geaͤndert, daß man jene Verordnung laͤcherlich findet. Jezt wohnen nicht eine, sondern vier Partheyen in Nebenhaͤusern, welche in die quer durchgesetzt sind, und wovon jede Parthey eine Seite hat. Man mag immerhin sagen: Die Heuerleute beschweren nur die gemeinen Weiden, bestehlen die Holzun- gen, und zeugen Bettler oder Diebe. So lange die Theu- rung der Landpreise im Ganzen ein Vortheil vor Zeiten ist, worinn alles auf Geld ankoͤmmt: so sind jene Zufaͤlle nur Flecken, die von der praͤchtigen Hoͤhe kaum gesehen werden muͤssen, und durch gute Verordnungen gehoben werden koͤnnen. Jedoch die wichtigste Betrachtung verdienet Garn und Linnen. Schwerlich kann ein Mensch sich mit Spinnen er- naͤhren. Spinnen ist die armseligste Beschaͤftigung; und kann nur in so weit vortheilhaft seyn, als es zur Ausfuͤllung der in einem Haushalt uͤberschiessenden Stunden gebraucht wird. Haͤtten wir nun keine Leute die im Sommer nach Hol- land giengen; so wuͤrden diese auch den Winter nicht spinnen koͤnnen. Wir wuͤrden auch ihre Weiber und Kinder nicht beym Rade haben. Es wuͤrde also vielleicht nicht die Haͤlfte des Linnens im Stifte gemacht werden, was aus demselben jetzt verfuͤhret wird. Der scheinbarste Einwurf unter allen, welcher gegen das Hollandsgehen gemacht wird, ist die Theurung des Ge- sindes. Ich will diesen Einwurf mit den Worten vortragen, womit er in der Landtags-Proposition vom Jahr 1608. vor- getragen ist, um dabey zu erinnern, daß unsre Vorfahren sich jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. sich mit uns aus einerley Tone beklagt, und die Zeiten sich also in 160 Jahren nicht verschlimmert haben. Der Bischof Philipp Sigismund erklaͤret sich aber folgendergestalt: Ueberdies zum Vierten waͤren J. F. G. nun eine zeither fast aus allen Aemtern vielfaͤltige Klage und Ueppigkeit, Muthwille und Frevel des gemeinen Dienstvolks, Knech- ten und Maͤgden und Jungen, auch gemeinen Arbeitsleu- ten und Tageloͤhnern vorgekommen; indem weil GOtt all- maͤhlig etliche Jahr her wohlfeile Zeit am Getreide und andern verliehen, daß fast alles Gesinde daher widerspenstig wuͤrde, sich hin und wieder auf dem Lande in den Doͤr- fern, Flecken und Staͤdten, in Backhaͤusern, Spiekern, Koͤtten, Gaden und sonst niederliesse und selbst erhielte, und niemand zu dienen begehrte, und daruͤber die erbge- sessen Bauren, Buͤrger und andre so ihrer Arbeit gebrau- chen muͤßten und noͤthig haͤtten, zum aͤussersten aussoͤgen, sonsten auch das ledige Volk seines Gefallens wiederum da- von streiche, anderer Orten sich verhielte, auch wohl bey andern in Dienst sich wieder einstellete und aufgenommen wuͤrde, auch wohl ganz an andere Orte nacher Friesland und sonst ausserhalb Stifts davon streiche, da es etwa auf eine geringe Zeit ein mehrers verdienen koͤnnte, hernacher seines Gefallens wieder herein kaͤme, und das ganze Jahr hernach im Stifte unterhalten werden muͤßte; wie denn ebenmaͤßig bey den Arbeitsleuten und Tageloͤhnern die Be- zahlung uͤbermaͤßig waͤre, und zweifelten J. F. G. nicht, die Anwesende von den Staͤnden saͤmtlich wuͤrden davon gute Zeugniß geben koͤnnen; stuͤnde derowegen zu reiflichen Bedenken, ob man sich nicht mit einer bestaͤndigen Poli- cey-Ordnung, wie es damit auf alle Faͤlle gehalten werden solle, dem gemeinen Nutzen zum Besten sich hieruͤber zu vergleichen ꝛc. G 3 Da- Die Frage: Ist es gut, daß die Unterthan. Damals hielte man es also dem Lande so gar nachtheilig, daß die Leute, welche nach Friesland, (worunter das jetzige West- Friesland und Holland verstanden ist) giengen, des Winters zuruͤcke kamen, und das Korn, uͤber dessen Wohlfeiligkeit doch geklagt wird, fuͤr ihr erworbenes Geld, verzehren hal- fen. Man suchte durch Erschwerung der Heyrathen; durch Verminderung der Anbauer und durch Einschraͤnkung des Er- werbs wohlfeiles Gesinde zu erhalten. Jetzt aber wuͤnscht man viele Mitesser zum Korn, um gute Preise; viele Heuer- leute, um theures Land, und viele Menschen, um desto leich- ter Gesinde zu haben. Schade vor beyde Grundsaͤtze, daß das Land kein Sack ist, worinn man die unangesessene Heuerleute nach seinen Gefallen schuͤtteln kann. Wie wei- land Ihro Churfuͤrstl. Durchl. Ernst August der Erste das Hollandsgehen zum Vortheil der Werbung einschraͤnkten, beschwerten sich unterm 19 Febr. 1671. die Stiftsstaͤnde: Daß wegen der Hollandsgaͤnger, so vor diesem viel Geld ins Stift geholet, itzt dem Lande viele tausend abgiengen, indem selbige sich erst bey den Amthaͤusern melden muͤßten, weil die Leute bey vorgehenden Zwang zur Werbung sich befuͤrchteten, daß sie beym Kopf genommen wuͤrden. Hier war der Sack zugeknuͤpft; und man war auch nicht zu- frieden. Die Klage in den alten Zeiten war indes noch ge- gruͤndeter als jezt. Damals gieng es dem Land-Eigenthuͤmer, wie jetzt dem Menschen uͤberhaupt. Dieser glaubt alle Sterne und Thiere seyn blos um seinetwillen erschaffen; und der Land-Eigenthuͤmer behauptete, vielleicht gar nicht mit Un- recht, er sey der Mann um dessentwillen ein Regent und Staat zuerst entrichtet worden. Jetzt sind alle Menschen um des Regenten willen in der Welt, und wann diesem die Menge von Koͤpfen zu seiner Groͤße dienlich ist: so ist es bes- ser, jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. ser, daß zehntausend geringe als tausend wohllebende Fami- lien im Lande sind. Vordem war es umgekehrt. Jedoch um auf den Einwurf zuruͤck zu kommen: so ist es uͤberhaupt noch eine große Frage, ob es besser sey, daß der Handlohn hoch oder niedrig stehe. Zur Bequemlichkeit der Großen ist vielleicht ein niedriges Lohn das beste; die kleine Menge aber, die den Gesetzgeber ernaͤhret, und daher auch seine vorzuͤgliche Aufmerksamkeit verdienet, duͤrfte wohl eine andere Sprache fuͤhren. So viel aber ist allezeit gewiß, daß ein Land, wo die Handarbeit wohlfeil ist, die wenigsten; und wo sie theuer ist, die mehresten Einwohner habe. Die- ser Satz gruͤndet sich in der Erfahrung und Vernunft. Es ist weiter gewiß, daß das Handlohn, welches hier verdienet wird, dem Staate nicht entgehe. Der Verpaͤchter kann mehr Geld von seinem Paͤchter ziehen, wenn dieser seinen Acker mit lauter wohlseilen Haͤnden bestellen kann; allein was jener mehr ziehet, gehet vielleicht vor Wein aus dem Lande, und was dieser mehr verdienet, wird zu Hause vor Korn ausgege- ben. Endlich ist es offenbar, daß der Handlohn nicht nie- drig seyn koͤnne, ohne daß das Korn und mithin auch Laͤnde- derey im Preise falle. Diejenigen also, die einen Knecht fuͤr den niedrigsten Lohn und zugleich fuͤr ihr Land den hoͤchsten Preis haben wollen, fordern etwas widersprechendes. Wie kann der Heuermann seinen Sohn dem Land-Eigenthuͤmer des Jahrs vor 8 oder 10 Thaler Lohn vermiethen, wenn er dasjenige Land, welches er geheuret hat, so uͤbermaͤßig be- zahlen muß? Er wuͤrde sich nie gesetzt, nie geheyrathet, oder doch wie die vornehmen in Italien und Frankreich zur Er- haltung der Stammguͤter thun, nur einen Sohn gezeuget ha- ben, wenn er fuͤr sich und seine ungezaͤhlte Kinder keine an- dere Aussicht als ein so geringes Dienstlohn gehabt haͤtte. Der Gutsherr wuͤrde seine Paͤchte alle in Natur empfangen, und G 4 sie Die Frage: Ist es gut, daß die Unterthan. sie fuͤr die Haͤlfte des jetzigen Preises verkaufen muͤssen, wenn der Haͤnde so wenig; oder die Erwerbungsmittel so gering waͤren, daß man einen Knecht fuͤr 5 Thaler des Jahrs ha- ben koͤnnte. Ich koͤnnte Exempel von Laͤndern beybringen, wo sich die Umstaͤnde wuͤrklich so verhalten; wo niemand nach Holland gehet, das hiesige Malter Rocken im vorigen Jahr halb so viel als hier gegolten, und dennoch der Mangel des Gesindes Klagen veranlasset hat. Aber wie, wenn ein reiches und armes Land neben einan- der laͤgen; wovon das erstere die Handarbeit immer doppelt bezahlte, wuͤrde dann nicht endlich das letztere von Leuten voͤllig erschoͤpft werden? Dem ersten Anblick nach ja! Allein in der That nicht. Ich beruͤhre die großen Gruͤnde nicht, nach welchen Hume dieses politische Problema zum Vortheil der bejahenden entschieden hat; glaube aber, daß wenn jaͤhr- lich noch zehntausend Leute mehr nach Holland giengen als jetzt, die Vermehrung in dem Lande, worinn diese Leute, Freyheit und Brod finden, in gleichem Verhaͤltniß steigen werde. Ich glaube, daß das arme Land seine in reiche Laͤn- der reisende Heuerleute eher in ihre Heymath zuruͤckziehe, als das reiche; weil jeder doch gern in seinem Dorfe, und vor seinen Nachbarn glaͤnzen, und sein erworbenes Geld da am liebsten ausgoben will, wo es am mehrsten gilt. Ich schließe endlich, daß Leute von der Art, wie wir sie annehmen, nie so viel erwerben, um in dem reichen Lande bleiben zu koͤnnen, und daher immer wieder zuruͤckkehren muͤssen. Und alles dies ist der Erfahrung gemaͤs. Westphalen muͤßte laͤngst von den Hollaͤndern verschlungen, und diejenige Provinz, woraus gar keine Leute nach Holland gehen, die volkreichste seyn, wenn obiger Satz seine Richtigkeit haͤtte. Es zeigt sich aber von beyden das Gegentheil. Ins- jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. Insgemein klagt man auch daruͤber, daß die Hollands- Gaͤnger den Landbauer in die Tasche steckten; ihm leichtfertiger und unnoͤthiger Weise Geld vorstreckten, seine besten Laͤnde- reyen dafuͤr unternaͤhmen, zu den oͤffentlichen Lasten fast nichts entrichteten, und zur Zeit der Anfechtung den Landbauer in der Beschwerde stecken ließen. Diese Klage hat nun zwar einigen Grund, in so fern man sich beklagen darf, daß die Braut zu schoͤn sey. Allein seit dem man in den neuern Zeiten sich keine Muͤhe verdriessen lassen, den Landbauer um allen Credit zu bringen, indem man dem Leibeigenen, ja so gar dem Freyen, wie doch ohne gehoͤrige Untersuchung und Be- willigung der Glaͤubiger nie geschehen solte, einen Stillestand fast nach Willkuͤhr gegeben, und sonst davor gesorget hat, den leichtfertigen Glaͤubigern Ziel zu setzen: so ist zu glauben, daß diese Klage in den naͤchsten funfzig Jahren nicht gemacht, und in solcher Zeit ein Gutsherr nicht den vierten Theil an ausser- ordentlichen Gefaͤllen erhalten werde, die er vorhin erhalten hat, als der Leibeigene noch tapfer borgen, und die Heuerleute in dieses schoͤne Spiel ziehen konnte. Wer borgt jetzt noch einem Leibeigenen? Um zehn Thaler willen muß er sich pfaͤnden und zum Concurs bringen lassen. Und wenn es mit Ver- heurung der Staͤtten nur erst recht zur Orduung ist, und die Abaͤusserungs-Ursachen voͤllig bestimmet sind: so sind hundert gegen eins zu wetten, daß jene Klage nie wieder vorkommen werde. Denn die Welt wird immer besser und kluͤger. Die Ursache, warum man die Heuerleute in den oͤffent- lichen Lasten so sehr schonet, ist aber gewiß der feinsten Poli- tik gemaͤs. Wir haben keine bessere Reeruten fuͤr den Leib- eigenthum als die Heuerleute; diese allein sind im Stande ihren Kindern etwas erhebliches mitzugeben, oder ein erledig- tes Erbe mit voller Hand zu beweinkaufen; und so schimpflich es ehedem der leibeigene Landbauer hielt, seine Kinder unter G 5 ih- Die Frage: Ist es gut, daß die Unterthan. ihrem Stande unangesessene freye Leute zu geben: so anstaͤn- dig ist es doch in den neuern Zeiten geworden; und wenn die Gutsherrn, so wie der Eingang gemacht ist, fortfahren den Stand des Leibeigenthums immermehr einzuschraͤnken, zu er- niedrigen und zu beschimpfen: so duͤrfte sich bald der freye Heuersmann zu vornehm halten, sich oder sein Kind auf ein Erbe zu bringen. Was ist aber der erste Grund des Ver- moͤgens der Heuerleute? Sicher das Hollandsgehen, als wodurch sie zur Einsicht, Unternehmung und Handlung ge- langen. Wie manches Vermoͤgen, wie manche Erbschfat ist nicht uͤberdem aus Holland und Ostindien in hiesiges Stift gekommen? Und wie mancher, der sich in Holland gluͤcklich niedergelassen, hat von dorther seine arme Verwandte unter- stuͤtzt, oder ihnen Mittel und Wege zum Erwerb geoͤfnet? Daß in hiesigem Stifte uͤberhaupt der Ackerbau ver- nachlaͤßiget werde, glaube ich nicht, und daß das Hollands- gehen daran Schuld sey, noch weniger. Fremde geben den hiesigen Einwohnern, welche gute Wirthe sind, das Zeugniß einer guten Acker-Bestellung; und da die Laͤnderey im hoͤchsten Preise stehet: so darf man eine bessere Vermuthung fassen. Ich habe 56 Quadrat-Ruthen, worauf noch erst einige hun- dert Fuder Plaggen gebracht werden mußten, ehe sie urbar gemacht werden konnten, und welche die Markgenossen nicht an den Meistbietenden, sondern an die unter ihnen wohnende geringe Koͤtter aus der Gemeinheit uͤberliessen, mit hundert Thaler freudig bezahlen sehen; und fasse daher gute Gedanken von ihrem Fleiße, ohne mich durch die schlechte Wirthschaft einiger der Faulheit, und der Ueppigkeit ergebenen andern irren zu lassen. Wenn der Landbauer selbst nach Holland gienge: so wuͤrde es zum Schaden des Ackerbaues gereichen. Dies aber geschiehet hier im Stifte nicht, außer wenn der Landbauer, um sich aus seinen Schulden zu retten, sein Erbe Meist- jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. Meistbietend verheuret, und immittelst eine Handarbeit in der Fremde sucht, um nicht eben bey seinen Nachbarn zu die- nen. Die Klage uͤber den Mangel und in Theurung des Ge- sindes, kann auch wohl einen Neid der Landbauer gegen die mit freudigem Gesange nach Holland tanzenden und auf lustige Ebentheuer irrende Heuerleute zum Grunde haben; die bey ihrer Wiederkunft ein petit air erranger zeigen und sich vom besten einschenken lassen. Wenigstens finde ich die Klage uͤber die Theurung des Gesindes, wenn ich scharf nachfrage, nicht so gegruͤndet, als es uns der Mund mancher Redner bereden will, und ich habe die Klagen anderer Laͤnder uͤber diese Theurung, woraus niemand nach Holland gehet, noch bitte- rer als die unsrigen gefunden. Einer Treulosigkeit gegen ihr Vaterland kann man die Hollandsgaͤnger mit Billigkeit nicht beschuldigen. Die Freyheit nach ihrem Gefallen zu reisen, ist die erste Bedin- gung gewesen, worunter sie sich bey uns niedergelassen und worauf sie geheyrathet haben. Diese Freyheit macht sie eben so getreu, daß sie wieder kommen; und sie zu zwingen auf einem Boden zu bleiben, der ihnen nicht zum Erbtheil uͤber- geben, sondern fuͤr baar Geld verheuret ist, wuͤrde so schaͤd- lich als unbillig seyn. In den strengsten Laͤndern geht der Zwang nicht weiter, als den treulosen Unterthanen ihr Erb- theil zu entziehen. Eigentlich solte diese Entziehung sich nur auf das Erbtheil an liegenden Gruͤnden erstrecken, welches der Besitzer unter der Bedingung empfangen hat, es zu ver- theidigen oder zu verlassen. Dergleichen Erbtheil aber hat das Vaterland jenen Fluͤchtlingen nicht angewiesen. Der Einwurf, daß die Hollandsgaͤnger nichts als Gras oder elendes Korn von ihren geheuerten Laͤndereyen erndten solten, koͤmmt mit der hohen Landmiethe nicht uͤberein. Wenn er Die Frage: Ist es gut, daß die Unterthan. Wenn er seine Richtigkeit haͤtte: so wuͤrden diese Leute lieber das Korn kaufen, als Land zum Bau miethen; und uͤberhaupt bleibt allemal der Schluß wahrscheinlich, daß keiner auf die Dauer etwas unternehme, wovon er keinen Vortheil hat. Es verdient uͤbrigens bemerkt zu werden, daß vom Lande da- hier kein Korn zur Stadt oder zu Markte gebracht werde. Die Ursache davon ist, daß jeder sein Korn aus dem Hause los werden kann. Eine Bequemlichkeit, welche der Landbauer sicher denjenigen zu verdanken hat, die den Sommer uͤber in Holland liegen, und des Winters ihr Brod zu Hause kaufen. Wie gern wuͤrden unsere Nachbaren an der Weser, die von zehn Meilen her uns ihr Korn zufuͤhren, sich die weite Reise ersparen, wenn einige tausend Hollandsgaͤnger bey ihnen uͤber- wintern wolten. Sie wuͤrden sie als ehrliche und nicht als treulose Zugvoͤgel behandeln. Die Rechnung von denjenigen, was die Hollandsgaͤn- ger mitnehmen, verreisen und versaͤumen sollen, scheinet mir uͤbertrieben zu seyn; und wenigstens noch eine naͤhere Unter- suchung zu erfordern, wozu ich einen erfahrenen Landwirth hiemit aufgefordert haben will. Im voraus aber glaube ich, daß die Familie, wovon der Vater die Schinken, den Speck, das Garn, die Wolle und das Linnen in Holland verzehrt und verreist, den besten Markt habe, und ihre Waare am theuersten ausbringe. Meiner Meynung nach waͤre es gut, wenn all unser Linnen so gluͤcklich verrissen wuͤrde. Das Schwein der Heuerleute wuͤrde nicht gemaͤstet, und das Garn nicht gesponnen seyn, wenn der Weg nach Holland nicht die Ursache gewesen, daß diese Leute sich unter uns besetzt haͤtten. In andern Laͤndern wohnen die Heuerleute, welche Taglohn verdienen, in Barraken, und werden nie so reich, eine eigne Kuh oder ein Schwein unterhalten zu koͤnnen. Ihre Weiber und Kinder tragen keine Modefaͤrbige Kleider, und keine breite Schuh- jaͤhrlich nach Hollandgehen; wird bejahet. Schuhschnallen. Versaͤuerte Schafmilch ist ihr Futter; und ihre Gesichtsfarbe nichts roͤther als die unsrige. Wenn dort der Wirth seinem Knechte nicht den Lohn geben will was er fordert: so wird er Soldat; und hier geht er nach Holland. Uebrigens bleibt es allemal eine ewige Wahrheit, daß es besser seyn wuͤrde, wenn alle Landeseinwohner zu Hause blieben, und dort eben so viel, oder doch nicht viel weniger verdienten. Bis dahin aber den Leuten diese Mittel zum Er- werb verschaffet werden, ist es am sichersten, sie nicht zu stoͤ- ren. Kein einziger wird so unvernuͤnftig seyn, in Holland auf der Heufime unterm blauen Himmel zu schlafen, und sein schwarzes Brod mit Waddike zu essen, wenn er zu Hause nur Dach und Stroh, und Brod und Milch haben, und eben so viel als in Holland verdienen kann. Wie stark muͤssen die Bewegungsgruͤnde dieser Leute seyn, wenn sie bey solchem Un- gemach Gesundheit und Leben wagen? Und darf der Gesetz- geber hoffen, sie auf andre Art als durch ein besseres Auskom- men davon zuruͤck zu bringen? XVI. Von dem moralischen Gesichtspunkt. Koͤnnen Sie mir ein einziges schoͤnes Stuͤck aus der phy- sikalischen Welt nennen, welches unter dem Microsco- pio seine vorige Schoͤnheit behielte? Bekoͤmmt nicht die schoͤnste Haut Huͤgel und Furchen; die feinste Wange ei- nen fuͤrchterlichen Schimmel; und die Rose eine ganz falsche Farbe? Es hat also jede Sache ihren Gesichts- punkt, worinn sie allein schoͤn ist; und so bald sie diesen veraͤndern; so bald sie mit dem anatomischen Messer in das Ein- Von dem moralischen Eingeweide schneiden: so verfliegt mit dem veraͤnderten Ge- sichtspunkt die vorige Schoͤnheit. Das, was ihnen durch das Vergroͤßerungsglas ein rauhes Ding; eine fuͤrchterliche Borke; ein heßlicher Quark scheinet; wird dem ungewafneten Auge eine suͤsse und liebliche Gestalt. Der Berg in der Naͤhe ist voller Hoͤhlen; und der Herkules auf dem Weissenstein ein ungeheures Geschoͤpfe; aber unten — in der Ferne — wie praͤchtig ist beydes? Wann dieses in der physicalischen Welt wahr ist; warum wollen wir denn diese Analogie in der moralischen verkennen? Setzen sie ihren Helden einmal auf die Nadelspitze, und las- sen ihn diesesmal unter ihrem moralischen Mikroscopio einige Maͤnnchen machen! Nicht wahr, Sie finden ihn recht schwarz, grausam, geizig und seinem Bruder ungetreu.... Aber treten Sie zuruͤck; wie groß, wie wundernswuͤrdig wieder? Wer heißt Ihnen nun die Schoͤnheit dieses großen Ein- drucks um deswillen anfechten, weil die dazu wuͤrkende Theile bey einer schaͤrfern Untersuchung so heßlich sind? Gehoͤret nicht ein guter Theil Grausamkeit eben so gut zur wahren Tapferkeit, als Kienruß zur grauen Farbe? Muß nicht ein Strich von Geitz durch den Charakter des Haushalters gehen, um ihn sparsam zu machen? Ist nicht Falschheit zum Miß- trauen, und Mißtrauen zur Vorsicht noͤthig? Die Leute, welche von der Falschheit der menschlichen Tugenden schreiben, wollen immer Fuͤmet ohne Faͤulung; und Blitze haben, die nicht zuͤnden. Sie werden zwar sa- gen, die Grausamkeit sey alsdenn nur Strenge; der Geitz nur Haͤrte und die Faͤulung eine natuͤrliche Aufloͤsung: Allein daß Sie die Pest unter den Woͤlfen zu einem Erhaltungsmit- tel ihre Schaafe machen, veraͤndert die Sache nicht. Wir wollen also aufrichtig zu Werke gehen, und die Tugend blos fuͤr Gesichtspunkt. fuͤr die Taugsamkeit oder die innere Guͤte eines jedweden Dinges nehmen. So hat ein Pferd, so hat das Eisen seine Tugenden, und der Held auch, der seinen gehoͤrigen Antheil Stahl, Haͤrte, Kaͤlte und Hitze besitzt. Die Anwendung soll sein Verdienst, und die Menge der Wirkungen, welche das mensch- liche Geschlecht davon zieht, die Groͤße seines Verdienstes be- stimmen.... XVII. Antwort an den Herrn Pastor Gildehaus, die Hollandsgaͤnger betreffend. ....... Ihr Hollandsgaͤnger haͤtte also, wenn man vor mitgenommene Speisen, = = 15 Fl. vor Schaden am Lande, = = 24 = vor Versaͤumung in der Haushaltung, = = 10 = vor Abgang an Kleidung, = = 10 = die er zu Hause haͤtte gewin- nen koͤnnen, = = 30 = Summa 89 Fl. abrechnet; noch immer in vierzig Wochen eilf Gulden uͤbrig. Laßt uns nun aber auch einmal sehen, wie immittelst der Heuermann, der sein gemaͤstetes Schwein mit seiner lie- ben Frau zu Hause verzehrt, bestanden sey? Wir wollen setzen, er habe in eben der Zeit 20 Wochen gesponnen, und 20 mit Tag- Antw. an den Hn. Pastor Gildehaus, Taglohn zugebracht. Gegessen hat er wenigstens dreymal des Tages, jedesmal verzehrt 1 Stuͤber, thut in 20 Wochen 21 Fl.-St. In den uͤbrigen 20 Wochen soll er die Kost mitver- dienet, die Sonn- und Festtage aber a 3 St. wie vorher verzehret haben = = 5 = Wie er auf Tagelohn, besonders bey Holz und Stei- nen gearbeitet, hat er leicht so viel und mehr als in den Hollaͤndischen Lustgarten zerrissen. Es bleiben also obige = = 10 = Wenn ich ihm hiernaͤchst volles Spinn- und Taglohn in der Rechnung gut thue: so muß er ebenfalls im Haushalt versaͤumen = = 10 = Es kostet ihm also sein Aufenthalt im Lande = 46 = Nun wollen wir sehen, was er dagegen zu Hause ver- dient. Wer gut spinnen kann, der bringt taͤglich hervor 1½ Stuͤck Schiergarn oder 37½ Ge- bind uͤber einen Siebenviertel Haspel, oder 3 Stuͤcke vom sogenannten Moltgarn. Dieses giebt etwa 6 Stuͤver, das Stuͤck zu 2 Stuͤver gerechnet. Der hiezu noͤthige Flachs kostet aufs genaueste ausgerechnet 3 St., folglich bleibt rei- ner Gewinnst in 20 Wochen, 32 Feyertage ab- gezogen, = = 16 Fl. 3 St. In den uͤbrigen 20 Wochen, welche 108 Werk- tage halten, soll er taͤglich nach Abzug der nothduͤrftigen Kost, uͤbrig haben, 3 Stuͤ- ver, ist = = 16 Fl. 3 St. Summa 32 Fl. 6 St. An- die Hollandsgaͤnger betreffend. Anstatt also wie jener 11 Fl. uͤbrig zu haben, koͤmmt er um 13 Fl. 14 Stuͤber zu kurz. Sie werden mir sagen; der Mann soll sein Garn nicht roh verkaufen, sondern Linnen daraus machen. Allein wer da weis, wie mancher Tag zum Garnkochen, Bleichen, Trocknen, Bocken, Winden, Schieren und Weben erfor- dert wird; wie vieles Asche und Potasche kosten; und wie manche Eßstunde der letzte Schlag der Weberin vom Haspel entfernet ist, der weis auch, daß es weit vortheilhafter sey, Garn roh zu verkaufen, als Linnen daraus zu machen, und daß diejenigen, welche letzters erwaͤhlen, solches blos aus der Ursache thun, weil sie die Gelegenheit nicht haben, das das Garn roh zu verkaufen; oder weil das Linnen auf ein- mal ein besser Stuͤck Geld bringt; oder aber, weil sie nicht so viel Flachs haben, um ihre Weibsleute den Winter uͤber mit Spinnen zu beschaͤftigen, und sie daher Weben lassen muͤssen, damit sie die Kost, welche ihren Gang gehet, in et- wa bezahlen. Mancher versteht es auch nicht besser; oder folgt dem Herkommen; oder gedenkt sein bisgen Hede besser zu nutzen. Dies waͤre nun die erste Bilanz. Aber wie steht es jetzt um die 24 Fl. welche sie dem Hollandsgaͤnger fuͤr Scha- den am Lande an seinem Gewinnst abziehen? Wenn der fleis- sige Mann zu Hause 40 Wochen am Rade gesessen, oder Tag- lohn verdienet hat: so kann er ebenfalls nicht auf seinem Acker gewesen seyn. Diese fallen also aus ihrer Rechnung heraus; oder wir muͤssen sie dem andern auch anrechnen. Wir wollen das erste thun, und so hat der Hollandsgaͤnger 35 Fl. uͤbrig; und der Heuermann zu Hause bleibt 13 Fl. 14 Stuͤber schuldig. Ueberhaupt aber sind die 24 Fl. welche der Hollands- gaͤnger am Ackerbau Schaden leiden soll, zu hoch berechnet. Mösers patr. Phantas. I. Th. H Er Antw. an den Hn. Pastor Glidehaus ꝛc. Er selbst hat keine Pferde; und der Heuermann zu Hause auch nicht. Beyde muͤssen also mit ihrer Bestellung so lange warten, bis der Bauer fertig ist. Ob der Mann am Rade oder in Holland sitzt, das ist dem Acker einerley. Einer Or- ten kann er nur seyn; und so geht die Bestellung ihren Gang. Vermuthlich aber dienet der Bauer dem Hollandsgaͤnger, auf dessen vollen Beutel er rechnet, besser als dem Heuermann, der 13 Fl. 14 Stuͤber weniger einnimmt, als er ausgegeben hat. Und wie viele Dienste muß der Heuermann, der zu Hause ist, seinem Bauer in der Erndte und sonst thun, wofuͤr ihm nur ein großer Dank zu Theil wird? Der einzige Vortheil des Heuermanns daheim gegen den Hollandsgaͤnger, waͤre also wohl nur der Trost seiner Frauen, die Gesundheit, und die bessere Kinderzucht. Das erste will ich nicht beurtheilen. Meine Anmerkungen daruͤber moͤchten satyrisch werden. Das andre wollen wir dahin, oder auf die große Staatsrechnung stellen. Der Mann, der zu Hause Wasser trinkt und nicht auskoͤmmt, graͤmt sich vielleicht zu Tode, indessen daß der Hollandsgaͤnger sich zu Tode arbeitet: und also auf dem Bette der Ehre stirbt. So viel aber die Kinderzucht betrift, haben sie sich beyde so gar viel nicht vor- zuwerfen. Des Sommers laufen beyderley Kinder, so bald sie einen Stecken aufheben koͤnnen, hinter den Kuͤhen; und wenn die Zeit dazu voruͤber ist, jagt sie die Mutter in die Schule; oder sie liegen beym Heerde, und das groͤssere war- tet den kleinern. Die Mutter liegt im Garten oder auf dem Lande zu arbeiten; der Vater ist auf Taglohn; und wenn die Kinder des Hollandsgaͤngers oder des einheimischen Tagloͤh- ners nach Brod schreyen: so waͤhret dieses so lange, bis sie von selbst wieder aufhoͤren, oder von der Mutter gestillet werden. XVIII. XVIII. Schreiben einer Cammerjungfer. Sie thun in der That recht wohl daran, daß Sie mir den Coffee als ein sehr schaͤdliches und schleichendes Gift widerrathen, und ich weis ihnen die ernsthafte Mine recht von Herzen Dank, womit sie mein Gewissen in diesem wichtigen Punkte zu ruͤhren gesucht haben. Da er mir schon lange nicht mehr geschmeckt hat: so habe ich ihren Gruͤnden vollkommen Beyfall gegeben, und wir sind hier zu Lande alle darinn eins, daß in den Familien, worinn seit funfzig Jah- ren Coffee getrunken worden, keiner mehr sey, der seinem El- tervater an die Schulter reiche. Und wo sind die braunro- then Kernbacken der vormaligen Großtanten geblieben? Sind unsre jungen Herrn nicht lauter Marionetten? und unsre al- lerliebsten Puppen, Dinger, die sich in verschlossenen Saͤnf- ten herum tragen lassen muͤssen, damit der Fruͤhlingswind sie nicht austrockne? Indessen glauben Sie ja nicht, daß wir hier noch so altfraͤnkisch sind, um funfzig Jahr bey einem Ge- traͤnke zu bleiben. Mich duͤnkt, die Mode eine schwarze Lauge zu trinken, hat lange genug gewaͤhrt; und es ist wohl hohe Zeit, daß man endlich einmal etwas anders genieße. Ich und meine gnaͤdige Frau haben die letzte Zeit schon das abgeschmackte Zeug nicht mehr herunter bringen koͤnnen, und immer auf jedes Loth Coffee einen Theeloͤffel voll Senfsaat zugesetzt, um ihm nur noch einigen haut gout zu geben. Ich wollte aber, daß wir vor zehn Jahren so klug gewesen waͤ- ren wie jetzt: so wuͤrde unser gnaͤdiges Fraͤulein nicht so man- ches Herzklopfen gefuͤhlt, und mich nicht durch so manchen Schwindel erschreckt haben. Und wer weis wo es herkoͤmmt, daß wir seit zwanzig Jahren einen solchen abscheulichen Man- H 2 gel Schreiben einer Cammerjungfer. gel an Freyern haben, und einem Leibarzt Jahrgeld geben muͤssen? Es ist dieses gerade zu der Zeit aufgekommen, wie man angefangen hat Coffee zu trinken. Meine Großmutter hatte nichts als Rhabarber und Hollunderbeerensaft im Hause, damit erhielt sie 12 Kinder so gesund als wie die Fische. Aber damals wußte man nichts von Coffee, von Blehungen, von Koliken, von Hypokundrie und von den verzweifelten Ma- genkraͤmpfen. Meine gnaͤdige Frau hat ihren noch uͤbrigen Coffee den Waschweibern vermacht. Diese koͤnnen ihn bey der Waschmulde wieder ausduͤnsten; oder ein Schluck Seif- fenwasser darauf nehmen, damit keine Steine davon wachsen. Neulich kam ein junger Herr aus Frankreich, der erzaͤhlte uns, wie sich bey einer angestelleten Uebersuchung gefunden haͤtte, daß kein einziger in Paris sey, dessen Großvater nicht vom Lande in die Stadt gezogen waͤre. Die dortigen Familien sagte er, gehen alle im dritten Gliede aus. Und woher kann dieses anders kommen als vom Coffee? Wir armen Cammerjungfern sind dabey am uͤbelsten daran, keiner getrauet sich in allen Ehren an uns, weil wir leider in dem Rufe sind, als wenn wir nichts wie Coffee und Wein trinken, und nichts als vergebliche Arbeit machen koͤnn- ten. Dies soll mir aber keiner nachsagen koͤnnen. Ich esse ein Stuͤck hausbacken Brod mit wahren Vergnuͤgen, und spinne alle Abend heimlich mein Stuͤck Garn, um nicht in jenen boͤsen Ruf zu kommen. Wenn es doch die Leute nur wissen moͤchten! Unser Gaͤrtner hat Suͤßholz-Weiden setzen lassen, und hoft, die Leute sollen davon zu dem neuen Zigorien-Coffee, welcher jezt so sehr getrunken wird, gebrauchen. Allein ich fuͤrchte, unsre Aerzte werden sich bald dagegen setzen, weil bey diesem Getraͤnke kein Mensch krank werden wird. Es wird damit wie mit den Kartoffeln gehen, welchen die Becker und Muͤller an- Schreiben einer Cammerjungfer. anfangs Schuld gaben, daß sie die Wassersucht befoͤrderten. Wo wollten auch unsre vielen Kraͤmer bleiben, wenn kein Coffee und Zucker mehr gebraucht, und die lieblichen jungen Pfirschenblaͤtter anstatt des schaalen Thees getrunken wuͤrden? Unlaͤngst hatte unser junger Herr eine Rechnung ge- macht, worinn er zeigte, daß, wenn jede Familie in hiesigem Stifte jaͤhrlich 5 Thaler fuͤr Coffee, Thee und Zucker ausgaͤbe, 150000 Rthlr. alle Jahr aus dem Lande giengen, fuͤr welche Summe 150 Maͤdgen ausgesteuret werden koͤnnten. Der allerliebste junge Herr! helfen Sie doch ja den Coffee verban- nen, damit sein Projekt zu Stande komme. Denn gewiß ich bin ein recht huͤbsches fleißiges gutes Kind. Mir fehlt nichts als eine gute Aussteuer. Ich bin .... XIX. Die Schenkung unter den Lebendigen mit Vor- behalt des Niesbrauchs solten verboten werden. Klage einer Wittwe. Ach mein guter Herr, es ist mir wunderlich in dieser Welt gegangen. Allein es hilft Ihnen und mir nichts, daß ich Ihnen solches weitlaͤuftig klage. Nur eins will ich Ihnen doch erzaͤhlen, weil sich vielleicht andre daran spiegeln koͤnnen. Ich bin eine betagte Wittwe aber ohne Kinder. Um Trost in meinem Alter zu haben, nahm ich meines Brudern Kinder zu mir; und um sie zu einiger Dankbarkeit zu ver- pflichten, gieng ich zu einem Notarius in der Absicht, ihnen alles auf meinen Todesfall zu schenken. Dieser Mann hat H 3 mich Die Schenkung unter den Lebendigen mich aber ohne daß ich es begriffen, das meinige unter den Lebendigen verschenken lassen; und nun trotzen mir meine kuͤnftigen Erben taͤglich im Hause, und sagen: Sie waͤren Herrn meiner Koͤtterey, und ich koͤnnte ihnen keinen groͤßern Gefallen thun, als wenn ich mich zu Tode aͤrgerte. Diese Undankbarkeit schneidet mich durch die Seele; und ich bin deswegen zu einem Rechtsgelahrten in die Stadt gegangen, um mich bey demselben Raths zu erholen; ob ich nicht noch mit dem meinigen thun koͤnnte was ich wollte? Allein er hat mir schlechten Trost gegeben. Der Beweis, sagte er, daß ich eine Schenkung auf den Todesfall und keine Schenkung unter den Lebendigen haͤtte machen wollen, wuͤrde mir schwer fallen, indem der Notarius mit zween Zeugen das Gegentheil bekraͤftigte. Mit dem Be- weise der Undankbarkeit wuͤrde ich so leicht nicht auslangen, weil meines Brudern Kinder keine Zeugen dabey gerufen ha- ben wuͤrden, wenn sie mich fuͤr eine alte Hexe gescholten, und mir den Tod gewuͤnschet haͤtten. Endlich beliefe sich auch mein verschenktes Vermoͤgen nicht uͤber 500 Ducaten, und so waͤre diese Schenkung, ob sie gleich ausser Gerichts geschehen, zu Recht bestaͤndig. Wie kann aber eine geringe Koͤtters Frau den Unter- schied zwischen schenken auf den Todesfall und schenken unter den Lebendigen wissen, wenn sie in beyden Faͤllen das ver- schenkte Zeit Lebens in Besitz behaͤlt? Wer huͤtet sich fuͤr solche verzweifelte Quinten? Und haben die Gesetzgeber, welche eine ausser gerichtliche Schenkung alsdenn, wenn sie unter 500 Ducaten ist, fuͤr guͤltig erkennen, auch wohl an eine Koͤtters Frau in Westphalen gedacht? Sind dieser ihre fuͤnfhundert Pfennige nicht eben so lieb und wichtig, als ei- nem Edelmann 500 Ducaten? Und solten die Gesetze nicht eher mit Vorbehalt. des Niesbr. solten verboten werden. eher die Armen und Einfaͤltigen als die Reichen und Klugen gegen dergleichen Uebereilung schuͤtzen? Ach mein Herr! wenn es moͤglich ist: so bewegen sie doch unsere Obrigkeit, daß sie alle Schenkungen unter den Lebendigen, welche mit Vorbehalt des Niesbrauchs auf Lebens- zeit, geschehen, (denn durch diese verzweifelte Maske werden wir einfaͤltige Leute am ersten verfuͤhrt,) einmal fuͤr alle wiederruflich machen, und ihnen keine mehrere Kraft als ei- ner Schenkung auf den Todesfall oder einem Testamente bey- legen. Stellen Sie ihr doch auf das lebhafteste vor, wie ungluͤcklich wir alten Leute sind, wenn wir in den Jahren, wo wir schwaͤchlicher, leichtglaͤubiger und huͤlfsbeduͤrftiger sind, durch einige Liebkosungen um Freyheit und Eigenthum gebracht, und der bittern Gnade undankbarer Erben unter- worfen werden koͤnnen. Sagen sie ihr doch, wie gefaͤhrlich unser Zustand sey, wenn es uns frey gelassen ist, eine solche Thorheit zu begehen, und wir den Kuͤnsten und Listen schmei- chelnder Erben nichts als ein: ich will nicht entgegen zu setzen haben, und daruͤber bey unsern Leben von ihnen ange- feindet werden. Hat man doch fuͤr die Ehefrauen gesorgt, und ihnen die Buͤrgschaften fuͤr ihre Maͤnner aus der Ur- sache verboten, weil sie in taͤglicher Gefahr sind durch List oder Gewalt dazu gebracht oder verfuͤhrt zu werden? Ist aber der Zustand einer betagten Wittwe, welche ihre Erben zunaͤchst um Trost, Huͤlfe und Beystand ansprechen, und dieselben oft zu sich ins Haus nehmen muß, minder gefaͤhrlich? Und da die Gesetze einmal die uͤbermaͤßigen Schenkungen, welche sich uͤber 500 Ducaten belaufen, auf eine vernuͤnftige Weise ein- geschraͤnkt haben; solten sie denn nicht auch zum Vortheil der Aermern verordnen, daß sie nicht uͤber ein Drittel ihres Ver- moͤgens mit Vorbehalt des Niesbrauchs, verschenken duͤrften? Solten sie nicht eben wie beym Eide, eine Warnung für H 4 grös- Die gute seelige Frau. größere Schenkungen den Partheyen vorlesen, und ihnen ihre eigne Noth und den Undank der Erben recht nachdruͤck- lich vorhalten lassen, ehe eine solche Schenkung zum Gerichts- protocoll genommen werden duͤrfte? Solten sie nicht wenig- stens eine Jahresfrist setzen, worinn eine solche Schenkung noch widerrufen werden koͤnnte? Koͤnnten sie nicht uͤberhaupt, wie es bereits in verschiedenen Laͤndern geschehen seyn soll, verordnen, daß alle Schenkungen, welche entweder uͤber 500 Ducaten, oder wann darunter, mehr als ein Drittel des Ver- moͤgens enthielten, nicht anders als gerichtlich geschehen solten? Ich bitte sie instaͤndigst, stellen Sie doch meine Noth vor. Denn da ich meine Koͤtterey verschenkt habe, so kann ich kein Geld zu Processen darauf borgen, und ich bin von allen Menschen verlassen; ich arme Frau! XX. Die gute seelige Frau. Ich habe meine Frau im vierzigsten Jahre verlohren, und meine Umstaͤnde erfordern, daß ich mich wieder verhey- rathe. Allein so viele Muͤhe ich mir auch dieserhalb bereits gegeben: so kann ich doch keine finden, die mir ansteht, und der lieben Seeligen einigermaßen gleich ist. Ich hoͤre von keiner, oder man sagt mir so gleich, diese Person hat sehr vie- len Verstand eine schoͤne Lektuͤre, und ein uͤberaus zaͤrtliches Herz. Sie spricht franzoͤsisch, auch wohl englisch und italiaͤ- nisch, spielt, singt und tanzt vortreflich, und ist die artigste Person von der Welt. Zu meinem Ungluͤck ist mir aber mit allen diesen Voll- kommenheiten gar nichts gedient. Ich wuͤnsche eine recht- schaf- Die gute seelige Frau. schaffene christliche Frau, von gutem Herzen, gesunder Ver- nunft, einem bequemen haͤuslichen Umgange, und lebhaften doch eingezogenen Wesen; eine fleißige und emsige Haushaͤl- terinn, eine reinliche verstaͤndige Koͤchin und eine aufmerk- same Gaͤrtnerin. Und diese ist es, welche ich jetzt nirgends mehr finde. Der Himmel weis, daß ich es nie verlangt habe, allein meine seelige stand alle Morgen um fuͤnf Uhr auf, und ehe es sechse schlug, war das ganze Haus aufgeraͤumet, jedes Kind angezogen und bey der Arbeit, daß Gesinde in seinem Beruf, und des Winters an manchen Morgen oft schon mehr Garn gesponnen, als jetzt in manchen Haushaltungen binnen einem ganzen Jahr gewonnen wird. Das Fruͤhstuͤck ward nur beylaͤufig eingenommen; jedes nahm das seinige in die Hand, und arbeitete seinen Gang fort. Mein Tisch war zu rechter Zeit gedeckt, und mit zween guten Gerichten, welche sie selbst mit Wahl und Reinlichkeit simpel aber gut zubereitet hatte, besetzt. Kaͤse und Butter, Aepfel, Birn und Pflaumen, frisch oder trocken, waren von ihrer Zubereitung. Kam ein guter Freund zu uns: so wurden einige Glaͤser mit Eingemachtem aufgesetzt, und sie verstand alle Kuͤnste so dazu gehoͤrten ohne es eben mit einer Menge von Zucker verschwenderisch zu zwin- gen: was nicht davon gegessen wurde, blieb in dem sorgfaͤl- tig bewahrten Glase. Ihre Pickels Er versteht vermuthlich Sachen so in Salz oder Eßig gelege werden. uͤbertrafen alles was ich jemals gegessen habe; und ich weis nicht wie sie den Eßig so unvergleichlich machen konnte. Sie machte alle Jahr ein Bitters fuͤr den Magen, wogegen Dr. Hills und Stoughtons Tropfen nichts sind. Ihren Hollundersaft kochte sie selbst; H 5 und Die gute seelige Frau. und in keinem Nonnenkloster fand man bessers Krausemuͤn- zen Wasser als das ihrige. In unserm ganzen Ehestande hat keines aus dem Hause dem Apotheker einen Groschen ge- bracht, und wenn sie etwas laͤcherliches nennen wollte: so war es ein Kraͤuterthee aus der Apotheke. Auf jedes Stuͤck Holz das ins Feuer kam, hatte sie acht. Nie ward ein großes Feuer gemacht, ohne mehrere Absichten auf einmal zu erfuͤllen. Sie wußte wie viel Stunden das Gesinde von einem ℔ Thran brennen mußte. Ihre Lichter zog sie selbst, und wußte des Mor- gens an den Enden genau, ob jedes sich zu rechter Zeit des Abends niedergelegt hatte. Das Bier ward im Hause gebraut, das Malz selbst gemacht, und der Hopfe daheim besser gezogen, als er von Braunschweig eingefuͤhret wird. Der Schluͤssel zum Keller kam nicht aus ihrer Tasche. Sie wußte genau, wie lange ein Faß laufen und wie viel ein Brod waͤgen mußte. Butter und Speck gab sie selbst aus, und ohne geitzig zu seyn, bemerkte sie das Gesinde so genau, daß nichts davon verbracht werden konnte. Eben so machte sie es mit der Milch. Sie kannte jedes Huhn das legte, und futterte nach der Jahrszeit so, daß kein Korn zu viel oder zu wenig gege- ben wurde. Das Holz kaufte sie zu rechter Jahrszeit, und ließ die Maͤgde des Winters alle Tage zwey Stunde saͤgen, um sie bey einer heilsamen Bewegung zu bewahren. Im Sommer ward des Abends nie warm gegessen. Die war- men Suppen schienen ihr eine laͤcherliche Erfindung der Fran- zosen; und bey dem kalten Essen konnte das Geschirr auch mit kalten Wasser gewaschen werden. Man brauchte alsdenn kein Feuer, und bey Winter-Abenden ward bey dem letzten Feuer im Ofen gekocht. Was in der Daͤmmerung geschehen konnte, geschahe nicht bey Lichte, und die Arbeit war darnach abgepaßt. Ihre schmutzige Waͤsche untersuchte sie alle Sonn- abend, und hieng solche des Winters einige Tage auf Linien, da- Die gute seelige Frau. damit sie nicht zu feucht weggelegt und stockigt werden moͤchte. Wenn die Bettetuͤcher in der Mitte zu sehr abgenutzt schienen, schnitt sie solche los, und kehrte die aussen Seite gegen die Mitte. Auch die Hemde wußte sie auf eine aͤhnliche Art um- zukehren und die Struͤmpfe zwey bis dreymal anzuknuͤtten. Alles, was sie und ihre Kinder trugen, ward im Hause ge- macht; und sie verstand sich auch sehr gut auf einen Manns- schlafrock. Sie konnte ihn in einem Tage mit eigner Hand fertig machen. Im Stopfen gieng ihr keine Frau vor; alle Jahr wurden einige Stuͤcken Linnen in der Haushaltung ge- macht, und einige greis zugekauft, welche sie hernach zusam- men bleichen ließ. Sie buͤckete solches selbst, und bewahrte es so viel moͤglich fuͤr die gewaltsame Behandlung des Blei- chers. Das Garn zu einem Stuͤcke mußte von einer Hand, und von einer Art Flachs gesponnen seyn. Von dem Besten ward gezwirnet; und keine Nadel oder Nehnadel konnte verlohren gehen, weil nicht ausgefegt werden durfte, ohne daß sie zugegen war. Ihr Garten war zu rechter Zeit, und mit selbst gezo- genen Saamen bestellt. Im Fruͤhjahr erholte sie sich in dem- selben von der langen Winterarbeit, indem sie saͤete und jaͤ- tete. Die Fruͤchte lachten dem Auge entgegen, ob sie gleich kaum den halben Duͤnger gebrauchte, den ihre Nachbaren ohne Verstand untergruben. Da sie allem Unkraut zeitig widerstand: so hatte sie nicht die halbe Arbeit. Alles was sie pflanzte, gerieth recht wunderbarlich, und ihr Vieh gab bey kluger Futterung bessere und mehr Milch, als andre mit doppelten Futter erhalten konnten. Keine Feder wurde ver- lohren, und kein Brocken fiel auf die Erde. Das Bewußtseyn ihrer guten Eigenschaften gab ihr ei- nen ganz vortreflichen Anstand. Alles was bey Tische mit Appetit gegessen wurde, war die schmeichelhafteste Lobrede fuͤr Die gute seelige Frau. fuͤr sie. Das Tischzeug konnte nicht bewundert werden, ohne daß nicht der Ruhm davon auf sie fiel. Ihre emsigen, rein- lichen und muntern Kinder verkuͤndigten der Mutter Lob vor allen Augen; und die Ordnung im Hause, die Fertigkeit, womit alles von statten gieng, und die Zufriedenheit, womit sie vieles ohne Beschwerde geben konnte, erheiterten ihre Blicke dergestalt, daß alle Gaͤste davon entzuͤckt wurden. Keiner Frau ist mehr geschmeichelt, und keiner weniger schmei- chelhaftes gesagt worden. Ihr Blick breitete Lust und Zu- friedenheit uͤber alles aus, und ich kann es nicht genug sagen, wie artig sie jede Gesellschaft mit in den Plan ihrer Arbei- ten ziehen konnte. In der Daͤmmerung schaͤleten wir Aepfel mit ihr, oder pfluͤckten Hopfen, und wer sein ihm zugetheil- tes Werk zuerst fertig hatte, bekam von ihr einen Kuß. Man glaube es oder nicht, der eine hielt den Zwirn; der andre wickelte ihn auf, der dritte laß Erbsen oder andere Saamen aus; der vierte machte Dochte zu Lichtern, und ich glaube, wir haͤtten ihr zu Gefallen gern mit gesponnen, wenn wir es verstanden haͤtten. Spinnen, sagte sie uns oft, giebt alle- zeit warme Fuͤße, und wuͤrde sehr gut gegen die Hypochon- drie seyn. Wenn wir unsre Arbeit gut gemacht hatten, setz- ten wir uns, nachdem die Jahrszeit war, an das Darrenfeuer, und trunken ein Glas September-Bier, welches damals noch nicht so schwach gebrauet wurde, daß es in dem ersten Mo- nat sauer werden mußte; oder wir thaten uns sonst mit Plau- dern etwas zu gute. Nach ihrem Tode, ach ich kann ohne Thraͤnen nicht daran gedenken, fand ich die Brautwagen fuͤr unsre vier Toͤch- ter fertig; und wie ich alles, was sie waͤhrend unserm 16 jaͤh- rigen Ehestande in der Haushaltung gezeugt hatte, uͤberschlug, belief es sich hoͤher als das Geld, was sie in aller Zeit von mir empfangen hatte. So vieles hatte sie durch Fleis, Ord- nung und Haushaltung gewonnen. Jezt Die allerliebste Braut. Jezt will ich Ihnen sagen, wie es mir damalen mit meiner allerliebsten Braut gehet. XXI. Die allerliebste Braut. Wir haben zwar in unserm letztern versprochen, die Ab- bildung der allerliebsten Braut, welche dem Wittwer von allen Menschen empfohlen worden, von seiner Hand zu geben. Allein er ist so unerfahren in der feinen Sprache und der zarten Manier, worinn dergleichen Abbildungen gezeich- net werden muͤssen; er hat so wenig Empfindung und Kennt- niß von dem jetzt uͤblichen Schoͤnen; und die Art, womit er das Ding angreift, ist so unbehuͤlfsam, daß wir Bedenken tra- gen, unsre Leser mit seiner extra curioͤsen Relation zu unterhal- ten. Die jetzigen Schoͤnheiten sind ohnehin so fein, so zart und so geistig sie verfliegen, so leicht; und sind so changeant, daß man es fast nicht wagen kann mit dem Pinsel oder der Feder daran zu kommen, ohne etwas davon zu zerstoͤren. Was dem guten Manne am seltsamsten vorgekommen ist, ist dieses, daß er keine einzige gesund angetroffen hat. Alle ha- ben sich uͤber eine Schwaͤche der Nerven, und einige uͤber Migraine und Wallungen beklagt. Zwey haben ihre Sinnen dergestalt verfeinert gehabt, daß die eine von dem Schnurren eines Rades, und die andre von dem Geruch eines kurzen Kohls in Ohnmacht gefallen sind. Die mehrsten haben fran- zoͤsisch und immer die Worte tant pis und tant mieux uͤber- aus zierlich gesprochen. Alles ist Empfindung an ihnen ge- wesen. Weswegen auch keine das Herz gehabt, sich zum Saͤen und Pflanzen in die Merzen- und Aprillenluft zu wa- gen. Die allerliebste Braut. gen. Einsmal ist ihm eingefallen mit ihnen von Kartoffeln mit Senf zu reden; er hat sich aber dadurch dergestalt laͤcher- lich gemacht, daß man mit ihm eine geschlagene Stunde von nichts als dem Belisaire des Marmontels gesprochen. Die Farbe der Nachtmuͤtze, womit Voltaire zu Fernex bisweilen aufs Theater springt, wenn der Kutscher den Orosmann nicht recht spielt, ist keiner unbekannt gewesen. Allein, kaum eine hat einen Tissot auch nur den Namen nach gekannt, oder ihm zu sagen gewußt, wie lange ein Rockenbrey kochen muͤste, ehe er gar wuͤrde. Seine Beschreibung von ihrem Auszuge ist vollends eine ausserordentliche Karikatur. Die Worte haben ihm hier schlechterdings gefehlt, und seine Absicht ist, sie zur Warnung aller Freyer mit Anmerkungen in Kupfer stechen zu lassen. Am Ende sagt er blos, daß eine Cammerjungfer mit einem Cacadoue en Colere auf dem Kopfe, ihm die Thuͤre gewiesen habe, nachdem er sich bey ihr erkundiget, ob ihre Jungfer im vorigen Sommer auch Kohlsaamen aufgenommen habe. Die Vollkommenheit in der franzoͤsischen Sprache muß ihm besonders anstoͤßig gewesen seyn, denn er thut auf die- selbe einen recht ernsthaften Ausfall. Ist, sagt er, wenn es uns erlaubt ist, seine Gruͤnde recht zu verdeutschen, der aller- mindeste Gebrauch in der Haushaltung in Kuͤchen und Kellern davon zu machen. Ist irgend ein Nutzen anzugeben, welcher unsre Kinder fuͤr den Zeitverlust schadlos haͤlt, den sie in ihren lehrbegierigen Alter darauf verwenden muͤssen? Zugegeben, daß sie ihre Erkenntnisse dadurch erweitern, die Sphaͤre ihrer Zeitkuͤrzungen dadurch ausdehnen und in allen Gesellschaften erscheinen koͤnnen, sind darum diese Erkenntnisse nuͤtzlich? Haben wir bey einer guten Haushaltung noͤthig unsre Zeitkuͤr- zungen aus franzoͤsischen Romans zu betteln? Und ist die Kunst in allen Gesellschaften erscheinen zu koͤnnen, nicht die ab- Die allerliebste Braut. abscheulichste Verraͤtherin ihrer Besitzer? Wer erscheinet in Gesellschaften anstaͤndiger, der redliche, fleißige, bescheidene Mann, der seinen Beruf wuͤrdig erfuͤllt, und sein Gutes in der Welt mit Freuden thut; oder der Unbesonnene, der nicht einsieht, daß ihm seine glaͤnzendsten Vorzuͤge zum groͤßten Verbrechen angerechnet werden? Der Mann, der dem Kaiser einen guten Tag wuͤnschet, spricht freyer und anstaͤndiger mit ihm, als alle unterthaͤnigste Buͤcklinge. Und wie groß sind denn die Wahrheiten, womit sie durch Huͤlfe der franzoͤsischen Sprache ihr Erkenntniß erwei- tern? Ich habe eines der gelehrtesten Maͤdgen, das ich sonst wohl leiden mochte, befragt: Wie viel Pfund Mehl aus ei- nen Scheffel Rocken kaͤmen? Wie viel Garn auf ein Stuͤck Linnen von 60 Ellen zu Schierung und Einschlag gehoͤret? Und welches die beste Art sey, einen Monatlang das Gesinde gut und wohlfeil zu unterhalten? Allein so wahr ich ehrlich bin, sie hat mir nichts als dreymal comment? geantwortet, und mich Spottweise gefragt, ob ich wohl eine Sauçe de diable zum wilden Schweinskopf verstuͤnde, und wuͤßte, wie man die Citronen am feinsten dazu schaͤlen koͤnnte. Vermehrung unsers Vergnuͤgens … Das muͤßte erschrecklich seyn, wenn sich meine Maͤdgen nicht mehr in ei- ner Comoͤdie ergetzen solten, als alle, die sich daran muͤde und krank gelesen haͤtten. Dieser Lust geniessen sie sehr leicht und wohlfeil, und brauchen darum das Magazin der Frau Beaumont nicht zu lesen. Sie geniessen ihrer besser, als die- jenigen, die in der Comoͤdie nicht lachen duͤrfen, als wenn ihnen von dem bel esprit du jour die Erlaubniß darzu erthei- let wird. Die ganze sogenannte schoͤne Erziehung ist hoͤchstens die Frisur der gesunden Vernunft, und es ist eine laͤcherliche Thor- heit, Die allerliebste Braut. heit, ehender an die Frisur als an das Linnen zum Hembde zu gedenken. Wann der Luxus den Ueberfluß zum Grunde hat: so ist er anstaͤndig; und er kann auch dem Staate nuͤtz- lich seyn. Allein da, wo er auf Kosten des Nothwendigen gesucht wird; wo die Seele noch Mangel an den nothduͤrftig- sten Wahrheiten leidet, und sich dennoch mit einem ohnmaͤch- tigen Schwunge zur Tafel der hoͤhern Weisheit erheben will; wo unsre Toͤchter franzoͤsisch und englisch plaudern sollen, ohne die geringste Theorie oder Praxis von der Haushaltung zu haben: Da ist dieser Luxus der Seelen nichts als ein praͤchti- ges Elend, und die Folge davon ist fuͤr die Seele eben so er- schrecklich, als die uͤbermaͤßige Wollust fuͤr den Koͤrper ist. Sie verzaͤrtelt, schwaͤcht und verwoͤhnt den Geist von den alten ehrlichen Tugenden, womit unsre Mutter wie in einer samt- nen Muͤtze umher giengen; sie bringt der Empfindung einen Eckel gegen die alltaͤglichen haͤuslichen Pflichten bey; sie ver- fuͤhrt die Einbildung gutherziger und leichtglaͤubiger Kinder zu Hofnungen, die kaum der Romanschreiber mit aller seiner Zauberey kunstmaͤßig erfuͤllen kann, und so wie der durch den Genuß der Wollust geschwaͤchte Gaume mit der Zeit Liqueurs und uͤbertriebene Speise zu seiner Kitzelung haben muß: eben so muß die Seele zuletzt sich an allerhand moralisches Tollkraut, an schwermerische und beissende Schriften halten, um sich des Eckels und der toͤdtenden Langenweile zu erwehren. Und der Himmel sey demjenigen gnaͤdig, der alsdenn nicht ohne Schwin- del lesen, und ohne Migraine denken oder verdauen kann: ja der Himmel erbarme sich des Maͤdgens, das sich aus Buͤchern und philosophischen Gruͤnden beruhigen soll. Die Philoso- phie ist eine abgefeimte Kupplerin; und die beste Sittenlehre eine barmherzige Schwester; zur Zeit der Truͤbsale und Anfech- tung hilft nichts besser als ein Rad fuͤr die Schiene und ein: Wer nur den lieben Gott läßt walten. Die Die allerliebste Braut. Die schoͤnen Wissenschaften, schließt unser Wittwer wei- ter, vertreten beym Frauenzimmer jetzt hoͤchstens die Stelle der Leberreime. Sie dienen ihnen blos zur Zeitkuͤrzung; und in diesem Falle sey es besser das nuͤtzliche dem unnuͤtzlichen vorzuziehen. Bey den erstern komme nichts heraus. Eine Franzoͤsin werde mit Huͤlfe des Rollins und der Frau Beau- mont keine Genies aus ihren Untergebenen ziehen. Sie sey nur eine Putzmacherinn fuͤr den Geist, und alles was sie die Maͤdgen lehrte, sey ein bisgen gelehrte Entoillage; und hoͤch- stens laufe alles auf einen kleinen Schleichhandel der Eigen- liebe beyderley Geschlechter hinaus; indem die weiblichen Thoren so viel lernten als sie gebrauchten, um sich von dem maͤnnlichen Narren bewundern zu lassen; und umgekehrt. Beyde haͤtten sich ganz unbesonnen verglichen alle Tage von einem dutzend Kerls, von Schakespear, Young, Voltairen, Leßingen und andern zu sprechen. Man waͤre vor funfzig Jahren ehe Talander und Menantes auf den Nachttischen er- schienen, gluͤcklicher und vergnuͤgter gewesen. Das menschliche Herz habe sich bey allen guten Buͤchern eher verschlimmert als verbessert, und die Treuherzigkeit, womit seine gute seelige Frau ihre Knipptasche den Armen geoͤfnet, waͤre eine ganz andre Tugend gewesen, als das zaͤrtliche Mitleid, womit man jetzt die Noth der Ungluͤckseeligen empfaͤnde. Er siehet es als einen Rest der ehemaligen Galanterie des franzoͤsischen Hofes unter Ludewig dem XIV. an, der sich aus der Gar- derobe auf den Troͤdelmarkt geschlichen haͤtte, daß ein Frauen- zimmer viele Buͤcher gelesen haben muͤßte; gerade als ob sie nicht zehnmal so viel Vernunft, Geschicklichkeit, Wuͤrde und Anstand aus eigner Erfahrung und von guten Leuten lernen koͤnnte. Mösers patr. Phantas. I. Th. J End- Die allerliebste Braut. Endlich kommt er in das Haus, wo er seine jetzige Braut findet. Die Mutter sitzt bey ihrer Arbeit, und sagt ihm, ohne aufzustehen, er moͤge sich setzen wenn er wolle. Dieser Empfang reizt ihn gleich, verfuͤhrt ihn aber auch zu einer abermaligen bittern Ausschweifung uͤber die Vernei- gungen und Complimente. Was ist erschrecklicher, will er ungefehr sagen, als die laͤcherliche Nachahmung des franzoͤ- sischen Verneigens. Wie edel ist der Stolz einer Frau, die fest im Knie, ihren Gast mit einem freundlichen Blicke be- willkommt, gegen die beschaͤmte Verlegenheit einer knicksenden Aesfin? Erstere ist in ihrer Art vollkommen; sie ist original; sie ist dreist mit Anstand; sie behauptet ihre Wuͤrde gegen eine Fuͤrstin, und sagt ihr einen großen Dank, wenn ihr diese einen guten Tag bietet. Man sieht daß sie sich fuͤhlt; und gluͤcklich ist das Land, wo das Maͤdgen das das beste Garn gesponnen hat, auf ihr Werk so stolz ist, als Voltaire auf sein Marquisat. Es war eine Zeit, wo die Hofdame sich raͤuchern ließ, wenn sie mit einer Handwerks-Frau gesprochen hatte. Allein diese Zeit ist nicht mehr. Jezt verachtet man nur, und verachtet mit Recht die Thoͤrinnen die ihren eignen Stand verachten; und ehret die Frau, die ihren Sitten und ihrem Stande getreu, dasjenige rechtschaffen ist was sie seyn muß. Der Minister besucht den Handwerker, aber nicht den laͤcher- lichen Stutzer; und die ganze Welt erkennet, daß eine unuͤber- legte Geringschaͤtzung der niedrigen aber ehrlichen arbeitsamen und bescheidenen Staͤnde, uns beynahe in die Gefahr gesetzt habe, anstatt einer guten tuͤchtigen Hausehre hundert Mode- prinzeßinnen zu erhalten. In England veraͤndert die groͤßte Frau, nach dem dreyßigsten Jahre ihre Moden nicht mehr; sie geht damit stolz dem ganzen Hofe unter Augen; bey uns hingegen will man auch noch im Sarge coquettiren, und die Wuͤrme in einem frisirten Todtenhembde empfangen. Bey uns Die allerliebste Braut. uns soll jedes Knie, wenn es auch mit Ruhm und Ehre steif geworden ist, einen Knicks machen, und die falsche Scham- haftigkeit bettelt um Verzeihung fuͤr den ungelenkten Ruͤckgrad, da sie kuͤhn ihre beyden runden Arme in die Seite setzen, und ungebeugt den Muth ausdruͤcken koͤnnte, womit Arbeit und Redlichkeit ihre Freunde erfuͤllet. Hat der Mensch denn keine Wuͤrde mehr, als in so fern er ein Affe des Hofes ist? Ist da Freyheit und Eigenthum wo das vaͤterliche Erbe der Mode verpfaͤndet, der Geist ein sklavischer Nachahmer, und unser edles Selbst eine entlehnte Rolle ist? Jedoch wir duͤrfen unserm Wittwer in seiner altdeutschen Laune nicht zu weit folgen. Zu seiner Entschuldigung muß ich aber noch sagen, daß er dem vornehmen Damen einiges Klapperwerk erlaube, um einigen vornehmeren Kindern die Langeweile zu vertreiben. Er bedauret sie aber von Herzen, und bemerkt nicht unrecht, daß sehr viele unter ihnen heimlich seufzeten und arbeiteten, und nichts mit den Affen gemein haͤtten, die ihre Manieren copirten, ohne sich an ihre Werke wagen zu duͤrfen. Endlich kommt er auf seine Braut. Wir wollen ihn hier selbst reden lassen. Meine gute Catharine, sagte er, saß hinterm Webestuhle und webte den Drell zu ihrem Braut- bette. Der Webestuhl war huͤbsch, und vielleicht eben so schoͤn als derjenige, welchen die Fuͤrstin von Ithaca in ihrem Visitenzimmer hatte. Ich fragte sie, ob es nicht vortheilhafter waͤre, ausser Hauses weben zu lassen? Ich glaube wohl, war ihre Antwort; allein wann wir auch nichts dabey gewinnen: so sind wir doch sicher, daß unser gutes Garn vom Leinweber nicht vertauscht, nicht halb untergeschlagen, und nicht ver- dorben wird. Ich habe, fuͤgte die Mutter hinzu, allen mei- nen Toͤchtern das Weben gelernt. Es dient zu ihrer Veraͤn- derung; sie lernen eine gute Arbeit kennen, und wissen bis J 2 auf Die allerliebste Braut. auf einen Faden, was der Leinweber gebraucht. Vordem war in jedem Hause, und unser Pastor sagt, es waͤre bey den Hebraͤern, Griechen und Roͤmern auch so gewesen, ein Webe- stuhl; und das Weben ist leichter gelernt als das Clavierspie- len. Wenn man es recht kann: so ist es auch wuͤrklich ange- nehmer, und unsre Nachbarinnen koͤnnen sich nicht so sehr an einem Concert ergoͤtzen, als meine Toͤchter an einem neuen Muster. Was ihre Augen sehen, koͤnnen ihre Haͤnde machen, und der Nutze davon ist merklich groͤßer als der verschwin- dende Schall des schoͤnsten Concerts. Meiner Meinung nach ist es gut, daß die Kinder allerhand Arbeit lernen. Die mei- nigen knuͤtten alle ihre Struͤmpfe selbst; sie machen ihre Kanten, ihr Linnen, und weben sich bunte Zeuge, von Baumwolle und allerley Garn. Sie zeigte mir ein Bette, wozu der Um- hang wie die Schnuͤre von ihrer Arbeit waren. Ich bewun- derte die schoͤne Zeichnung an verschiedenen Stuͤcken, und hoͤrte mit Vergnuͤgen, daß alle Maͤdgen auch zeichnen und mahlen koͤnnten. Die Mutter machte hier wieder eine An- merkung, die nicht uneben war. Wenn man, sagte sie, in mei- ner Jugend, wie das Frauenzimmer noch keine Buͤcher las, auf ein fuͤrstliches, graͤfliches oder adeliches Schloß kam: so wurden einem in jedem Zimmer Tapeten, Stuͤhle, Bettge- stelle und andere huͤbsche Meubles gezeigt; und dabey erzaͤhlt, daß dieses Stuͤck von der Großmutter, jenes von der Groß- tante, und ein anders von der Ururtante hoͤchsteigenhaͤndig waͤre gemacht worden. Man erstaunte denn uͤber die schoͤne Stickerey, uͤber den großen Fleiß, uͤber die artigen Erfin- dungen, und uͤber den Witz, womit jedes Laͤppgen Zeuges, was hundert andre weggeworfen haͤtten, genutzt und angebracht war, und gieng mit dem heimlichen Wunsche nach Hause, daß man doch auch so geschickt seyn moͤchte. Die lieben Ehe- maͤnner, welche nichts als die Jagd verstanden, waren ent- zuͤckt Die allerliebste Braut. zuͤckt uͤber die vorzuͤgliche Geschicklichkeit ihrer Weiber und Toͤchter, und bliesen sich von dem Lobe auf, welches diese er- hielten und verdienten. Diese Umstaͤnde bewogen mich, da ich noch klein war, meine Eltern zu bitten, mich doch auch so etwas lernen zu lassen, und in einigen Jahren brachte ich es so weit, daß ich mein Brod auf zehnerley Art haͤtte verdienen wollen. Und so habe ich auch meine Maͤdgen erzogen. Solte ihnen Gott ein Ungluͤck zuschicken: so sind sie gewiß im Stande sich mit ihrer Haͤnde Arbeit zu ernaͤhren. Wenn ich ihnen das Werkzeug dazu gaͤbe: so solten sie mir Uhren machen. So kunstmaͤßig ist ihr Gefuͤhl durch eine bestaͤndige Uebung in allerley Arbeiten geworden. Ich bewunderte die alte Frau, die ob sie gleich den Kopf nicht gerade, und den Leib nicht so einwerts hielt, wie es der franzoͤsische Tanzmeister den guten Dentschen ohne Unterscheid befiehlt, meine ganze Hochachtung erhielt; und ich versprach mir von ihrer Tochter, die waͤhrend dieser Rede immer fort- webte, daß sie eine eben so gute Mutter fuͤr meine Kinder seyn wuͤrde. Die Mutter befahl ihr aufzustehen, und mir das letzte Stuͤck Dammast zu zeigen, was sie von ihrem eigenen Garn gewirkt haͤtte. Flugs war sie bey der Hand, und brachte es ihrer Mutter mit einer Zuversicht, die meines Bey- falls gewiß war. Erstere zeigte mir zugleich die Spitze, die ihre Tochter vor der Muͤtze hatte, mit dem beyfuͤgen, daß Muster und Arbeit von ihr waͤren. Allein, fuͤgte sie hinzu, dergleichen Arbeit erlaube ich ihnen nur zu ihrer Veraͤnderung in den Feyerstunden. Durch die Groͤße der Ordnung, durch ihre Fertigkeit, und durch die Aufmerksamkeit, womit sie jedes kleine Uebel in der Geburt ersticken, gewinnen sie sich Zeit genug. Sie duͤrfen mir kein Wurmloch ins Holz kommen lassen, oder ich schmaͤle, und erlaube ihnen den ganzen Tag keine Feyerstunde zu ihrer eigenen Arbeit. Eben so halte ich J 3 es Schreiben eines alten Rechtsgelehrten es, wann sie einen Schluͤssel verlegt haben, oder ich ein Stuͤck von ihnen auf der unrechten Stelle finde. Diejenige, welche des Tages das Hauswesen und die Kuͤche zu besorgen hat, darf mir in den Zwischenzeiten nichts thun als Spinnen, weil dieses eine Arbeit ist, wobey man ab- und zugehen kann, und keinen Augenblick verlieret. Mit Ordnung und Fleiß kann einer mehr beschicken als zehn andre; und es ist unglaub- lich, wie reichlich sich beydes belohne. Ich erstaune oft uͤber die kuͤnstlichen Sachen, welche wir aus der Tuͤrkey erhalten, und gleichwohl soll dort alles von Frauensleuten im Hause ge- zeugt werden. … Wir koͤnnen das uͤbrige aus der Erzaͤhlung unsers Witt- wers weglassen, weil er mit seiner Catharine keinen Roman spielt, und an ihr eine wuͤrdige Tochter ihrer Mutter findet. XXII. Schreiben eines alten Rechtsgelehrten uͤber das sogenannte Allegiren. Sie kommen von einer Akademie zuruͤck, deren Mitglie- der sich mehrentheils zu gros duͤnken, um ihre Ent- scheidung mit Anfuͤhrung andrer Rechtsgelehrten zu unterstuͤ- tzen; und vermuthlich werden sie als Advokat einem so gros- sen Exempel folgen, mithin lauter Gruͤnde und keine Dokto- res anfuͤhren wollen. Wie kindisch, wie pedantisch sieht es nicht aus, sagten Sie juͤngst, einen jeden Rechtgrund mit ei- nem solchen juristischen Zaunpfahl zu unterstuͤtzen? Haben Faber und Mevius mehr Verstand gehabt, als andre ehr- liche Leute? Und kann die Wahrheit durch den Beyfall eines sol- uͤber das sogenannte Allegiren. solchen alten Knasterbarts etwas gewinnen oder verlieren? Die gesunde Vernunft ist uns gegeben, um selbst zu pruͤfen, nicht aber um andern nachzuschreiben; und der ganze Schwarm von Rechtsgelehrten vermag nichts gegen die Wahrheit … Allein wissen Sie auch wohl, in welchen Staaten man zuerst einen Haß auf die alte Methode geworfen? Es waren diejenigen, welche sich dem Despotismus naͤherten. Haben Sie auch bemerkt, welches diejenigen sind, die sich lieber nach der gesunden Vernunft, als nach der Lehre eines ehrba- ren alten Rechtsgelehrten richten? Es sind die fuͤrstlichen Cammerraͤthe. Erinnern Sie sich eines Krieges, worinn Grotius und Pufendorf wenig allegirt, und lauter Vernunft- schluͤsse gebraucht sind? Es war der letzte, worinn ein jeder that, was er konnte. Haben Sie endlich auch wohl bemerkt, daß in England, Holland, in den Stiftern und den Reichs- staͤdten die Gewohnheit zu allegiren und die Ehre der Advo- katen sich am laͤngsten erhalten hat? Mich duͤnkt, diese allgemeinen Betrachtungen solten uns schon bewegen, der Sache weiter nachzudenken; und wenn wir den großen Haß dazu nehmen, welcher in allen de- spotischen Staaten den von der Familie des Bartolus und Baldus bewiesen wird, indem man sie von allen Befoͤrderun- gen so viel moͤglich entfernt, und mit Verachtung druͤckt: so solten wir billig schliessen, die gesunde Vernunft, nach welcher jetzt alles behandelt und entschieden werden soll, muͤsse eine gefaͤllige Schmeichlerin der Maͤchtigen, und jene Pedanterie eine ziemliche Stuͤtze der Freyheit seyn. Ja, wir solten schlies- sen, die Verachtung solcher Rechtsgelehrten sey ein Versuch, um die Vertheydigung der Freyheit mit der Zeit in lauter schluͤpfrige oder verachtete Haͤnde zu bringen. Die Frage: Was ist Wahrheit? ist sehr alt; und nach- dem man einige tausend Jahr sich daruͤber gezankt hat, ist man J 4 end- Gedanken uͤber die Mittel, den uͤberfluͤßigen endlich in den neuern Zeiten auf den alten Grundsatz zuruͤck- gekommen: der sicherste Probierstein sey die Mehrheit der Stimmen in der groͤßten Versammlung Sachverstaͤndiger Maͤnner. Diesen Grundsatz hatte die erste Kirche. Ihn waͤhlte Grotius, indem er aus der Geschichte das Vetragen der kriegenden Maͤchte in allen vorgekommenen Faͤllen samm- lete, und daraus die Folge zog, was man zu thun habe. Ihn haben die groͤßten Maͤnner, die alten fuͤrstlichen Canzler mit dem Stutzbarte befolgt. Und wir thun fuͤr uns und unsre Kinder wohl, wenn wir ihn nicht verlassen, mithin so oft wir einen streitigen Satz zu beurtheilen haben, die Stimmen sol- cher Rechtsgelehrten mitzaͤhlen, die ohne Partheylichkeit die Sache angesehen und entschieden haben. Folgen Sie also der neuen Mode, eine Sache durch Raisonnements auszufuͤhren, nicht. Sie fuͤhrt gewiß zur Sclaverey; und es ist in vielen Faͤllen weit sicherer, sich auf einen Mevius und Faber als auf seine eigne Logik, die selten so demonstrativisch als die Cabinetslogik ist, zu verlassen. Ich bin ꝛc. XXIII. Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen Schulden der Unterthanen zu wehren. Die Frage; ist es gut, daß der Mann, der die gemei- nen Lasten des Staats tragen muß, Eigenthum habe? ist uͤberaus wichtig. Man hat in Petersburg einen Preis auf ihre Beantwortung gesetzt; und vielleicht wird ihre Ver- neinung jetzt das erste Grundgesetz der rußischen Nation. Um Schulden der Unterthanen zu wehren. Um ihre Wichtigkeit voͤllig einzusehen, muß man sich auf die beyden Spitzen stellen. Hat der schatzbare Unterthan ein unumschraͤnktes Eigenthum: so kann er sich einem Herrn zum Leibeignen uͤbergeben, und sein Gut mit Zinsen, Paͤch- ten und Diensten erschoͤpfen, mithin sowol seine Person, als sein Vermoͤgen voͤllig aus der gemeinen Reihe bringen. Hat er gar keines, so wenig an seiner Person als an seinen Gruͤnden: so ist er eben so arm und ohne Mittel wie ohne Credit zur Zeit der Noth seine Last zu tragen. Der Punkt, wohin der Gesetzgeber winkt, ist dieser: Der Reichsunterthan muß so viel Eigenthum haben als er gebraucht, um sich in allen gewoͤhnlichen und wahrscheinlichen Faͤllen zu retten, aber nicht so viel, um sich selbst aus Reih und Glie- dern bringen, seinen Hof zu Grunde richten und seinen Theil der gemeinen Last andern zuwaͤlzen zu koͤnnen. Der Gesetz- geber behauptet: so bald hundert Menschen zusammen treten, um sich mit ihrem rechten Arm zu wehren: so gehoͤre dieser Arm dem gemeinen Wesen, und keiner von ihnen sey befugt, seinen Daumen zu zerbrechen und hinterm Ofen bleiben zu duͤrfen. Die Kunst ist aber, diesen Mittelweg zu finden und zwischen beyden Klippen ohne Anstoß durchzukommen, und noch ist kein sterblicher Mensch hierinn mit mehrer Weisheit und Vorsicht zu Werke gegangen als Moses. Es verlohnt sich der Muͤhe, einen Blick auf seinen Plan zu werfen. Bey den mehrsten bekannten alten Nationen hieß es: So mancher Hof oder eigner Heerd, so mancher Degen. Moses aber forderte so manchen Degen, als streitbare Haͤnde vorhanden waren. Bey jenen war die gemeine Vertheydi- gung eine Grundsteuer, bey den Israeliten sollte es, um die Kriegesmacht auf den hoͤchsten Gipfel zu bringen, eine Kopf- J 5 steuer Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen steuer seyn. Jene vertheydigten ihr Eigenthum; diese blos die Ehre ihres Geschlechts. Das Recht vom Saamen Abra- hams zu seyn, war der Grund ihrer Kriegesrolle, und das Geschlechtsregister, woraus man sogleich ersehen mochte, wel- che Knaben die streitbaren Jahre erreicht und welche Vaͤter ihre Dienstjahre uͤberlebt hatten, ihr erstes Kataster. Nach dieser Einrichtung konnte kein Israelire, so lange er die Ehre seines Geschlechts oder sein Buͤrgerrecht behalten wollte, sich fuͤr Knecht verkaufen, weil er sich dadurch der Kriegesrolle entzogen haben wuͤrde. Ein Israelite hatte also kein Eigenthum an seiner Person. Allein auf der andern Seite hatte nun auch ein Mann, der ausser seinen gesunden Gliedern nichts eigenes besaß, gar keinen Credit fuͤr irgend ein Kapital. Um den uͤblen Folgen, welche daher entstehen konnten, vorzubeugen, erlaubte Moses jedem Israeliten, sich ohne Nachtheil seiner buͤrgerlichen Ehre, auf 6 Jahr verkaufen, oder welches einerley ist, so viel Geld auf seine Person borgen zu koͤnnen, als er in 6 Jahren wie- der abverdienen konnte. Damit aber hievon kein Misbrauch gemacht, und kein Israelit sich durch Verschwendung, Traͤg- heit oder Feigheit auf mehrere Jahre dem Kataster entziehen moͤchte: so verordnete er zugleich, daß man demjenigen, wel- cher laͤnger in der Knechtschaft bleiben wuͤrde, oͤffentlich und feyerlich ein Loch durch die Ohren bohren und ihn ewig fuͤr einen Knecht halten sollte; ohne Zweifel verlohr ein solcher dadurch zugleich sein Erbrecht und sein Name ward im Geschlechtsre- gister getilgt. Maͤchtige Bewegungsgruͤnde fuͤr eine empfind- liche Nation, um sie auf der einen Seite von einer muth- willigen Verschwendung ihres persoͤnlichen Eigenthums abzu- halten, und auf der andern Seite der Traͤgheit und Nieder- traͤchtigkeit zu steuren, womit mancher eine ruhige Dienstbar- keit den oͤffentlichen Kriegeslasten vorgezogen haben wuͤrde. So Schulden der Unterthanen zu wehren. So gluͤcklich Moses auf diese Weise das Recht was je- der Mensch in seinem natuͤrlichen Zustand auf seine eigne Per- son hat, zum Vortheil der gemeinen Freyheit und der Lan- desvertheydigung eingeschraͤnkt hatte, ohne dem Credit zu nahe zu treten: eben so gluͤcklich war er auch in der Einschraͤnkung desjenigen Eigenthums, was ein Israelit an seinem ihm zu- getheilten Grunde haben sollte. Sein erster Grundsatz war: Die Erde ist des HErrn, oder nach unser Art zu reden: alles Land gehoͤrt der Krone, und die Landesunterthanen haben nur in so fern die Abnutzung davon, als es ihnen diese gestattet. Ein Israelit erhielt also kein vollkommenes Eigenthum an seinem Acker, sondern nur die Erbnutzung davon. Moses gieng weiter, und verordnete, daß ein jeder auch sein Theil oder seine Erbnutzung nur zum ewigen Lehn oder Fideicommiß besitzen sollte. Die Leviten mußten ein Lagerbuch von allen Aeckern machen, welche ei- nem jeden zugetheilet wurden, und das Geschlechtsregister zeigte allezeit den naͤchsten Lehns- oder Fideicommißfolger sicher an. Keiner mochte also sein Land verkaufen, und keiner hatte auf diese Weise Credit: besonders da Moses, um seinem Hauptplan zufolge bestaͤndig eine große Menge von freyen Koͤpfen und Eigenthuͤmern zu erhalten, (die sonst in einer Reihe von hundert Jahren allemal in die Dienstbarkeit und Abhaͤngigkeit des reichern Theils der Nation gerathen,) alle Zinsen verboten, und solchergestalt den Reichen die erste Ver- suchung benommen hatte, sich ihres Geldes zur Unterdruͤckung der Geringern zu bedienen. Allein um ihnen nun auch wieder auf der andern Seite den noͤthigen Credit zu verschaffen, erlaubte er ihnen die Nutzung ihrer Laͤndereyen auf sichere Jahre zu verkaufen, und setzte ein Jahr fest, worinn mit Verwerfung aller Hypothe- ken, Verschreibungen, Privilegien und andern Ausreden, ein Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen ein jeder wieder zu seinem Erbtheil kommen mußte. In die- sem Jahre ward jeder Israelit zu einem freyen und freudigen Eigenthuͤmer wieder gebohren; dabey wurde durch das oͤffent- liche Protocoll, welches die Leviten von allen Erbtheilen und Geschlechtern hielten, allen Processen vorgebeuget. Keine Verdunkelung eines Grundstuͤckes, keine Verjaͤhrung und kein Zwist uͤber den rechten Eigenthuͤmer oder Lehnsfolger konnte die Sache verwirren; und da das Jahr mit Posau- nen verkuͤndiget und in der ganzen Nation gefeyert werden mußte: so war es dadurch dergestalt bezeichnet und bekannt, daß keiner sich sein Recht durch heimliche Concracte vergeben, und vom Richter ein Urthel gegen das Erlaßjahr erwarten konnte. Auf diese Weise sorgte der große Gesetzgeber sowol fuͤr die Erhaltung des noͤthigen Credits als des Nationaleigen- thums. Nach seinem Plan konnte und sollte in dem Ge- schlechte Abrahams kein einziger bestaͤndiger Leibeigner, kein Erbpaͤchter und kein Erbzinsmeyer, kein Vasall und kein Lehns- herr und uͤberhaupt nichts entstehen, was die Unmittelbarkeit des freyen Eigenthuͤmers unter der Krone auf irgend eine ge- faͤhrliche Weise unterbrechen, den gemeinen Krieger in einen privat Dienstmann und die israelitische Theokratie in eine Aristokratie verwandeln konnte. Keiner war im Stande, auch nur zwey Erbtheile auf ewig zu vereinigen, ein Schloß darauf zu bauen, und seines Nachbarn Erbtheil in einen Park oder Thiergarten zu verwandeln, oder ein hundert Erbtheile mit Erbpaͤchtern und Erbzinsmeyern zu besetzen. Moses hatte vorhergesehen, und jetzt sind wir im Stande es ihm nachzurechnen, daß alle buͤrgerlichen Verfas- sungen zuletzt alle dahin auslaufen, daß die Menge ein Opfer weniger maͤchtigen wird. Diesem fehlerhaften aber unwider- stehlichen Hange setzte er sein großes Erlaßjahr entgegen; und er Schulden der Unterthanen zu wehren. er ist der einzige unter allen Gesetzgebern geblieben, der eine so große Idee in seinen Plan gebracht hat. Die Buͤrger zu Rom wichen zu zweenmalen aus der Stadt, und brachten sich durch Aufruhr ein Erlaßjahr zuwege. Allein kein Ge- setzgeber hat dergleichen mit Ueberlegung und Ordnung zu einem eignen Mittel gebraucht, Freyheit und Eigenthum zu versichern, und gewisse feyerliche Perioden zur jedesmali- gen Wiederherstellung der urspruͤnglichen Verfassung einzu- fuͤhren. Es wuͤrde einen wunderbaren Auftritt geben, wenn jezt im Gefolge eines großen Erlaßjahrs alles Lehn in Erbe; aller Erbpacht und Erbzinsgut in Eigenthum; und folgends jeder Leibeigner in einen freyen Mann verwandelt werden muͤßte. Wir duͤrfen es auch nicht einmal wuͤnschen, indem ausser einer solchen Verfassung wie die Israelitische war, die erschrecklichste Sclaverey daraus erwachsen wuͤrde, wenn zwischen dem Landesherren und so vielen geringen Eigenthuͤ- mern gar keine selbststaͤndige mittlere Gewalt in einem Staate vorhanden waͤre. Indessen verdienet der Plan doch allemal bewundert, und wenn er sich durch menschliche Kraͤfte erhal- ten koͤnnte, allen uͤbrigen vorgezogen zu werden, weil er die groͤßte Summe von Freyheit und Eigenthum enthaͤlt. Ich soll nun jezt auf die Mittel zuruͤck kommen, wo- durch den uͤbermaͤßigen Schulden schaͤtzbarer Unterthanen vor- gebeugt werden koͤnnte. Das hauptsaͤchlichste was ich dieser- halb vorzuschlagen habe, ist auch ein Erlaßjahr; und zwar also: Daß ein Leibeigner oder freyer Erbpaͤchter so bald seine Glaͤubiger einen Concurs uͤber ihn erregen oder er solchen zu veranlassen gezwungen ist, binnen 8 Jahren von allen sei- nen unbewilligten Schulden gaͤnzlich befreyet seyn soll. Acht Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen Acht Jahre sollen seine Glaͤubiger den Ueberschuß seiner Guͤter unter sich theilen, und sich daraus bezahlt machen moͤgen. Allein nach Verlauf derselben soll er wiederum frey seyn, und unter keinem Scheine Rechtens wegen einer vergangenen Schuld belanget werden moͤgen. So bald ein Concurs ent- steht, sollen saͤmmtliche unbewilligte Glaͤubiger zu einem solchen Nachlaß angewiesen werden moͤgen, daß die Staͤtte binnen acht Jahren voͤllig befreyet seyn kann; und keiner von ihnen soll sein Geld empfangen koͤnnen, ohne zugleich auf das buͤndigste zu bekennen, daß er eine aufrichtige und vollkom- mene Verlassung thue, und mit dem Schuldener solcher zu- wider keine heimliche Abrede genommen habe. Der Schuld- ner aber soll ohne alle Gnade seines Erbpachtrechts verlustig seyn, wenn er nach geendigtem Stillestande Schulden zu Ab- findung einiger alten macht. Dieser Plan scheinet mir uͤberaus billig zu seyn. Denn 1) Hat der Erbpaͤchter dadurch einen ziemlichen Credit; und man kann ihm fast nicht mehr geben, ohne ihm zum voͤlligen Eigenthuͤmer zu machen. 2) Muͤssen die Glaͤubiger wissen wem sie trauen; und da sie dem Paͤchter eigentlich auf sein Gut, ohne Bewilli- gung des Herrn gar nichts leihen solten, koͤnnen sie zu- frieden seyn, daß ihnen aus dem Gute noch einiger und billiger maaßen geholfen wird. 3) Vereiniget sich ihr Vortheil mit dem Vortheil des Schuldners; und sie werden zusammen dahin sehen, daß die 8 jaͤhrige Verwaltung der Staͤtte mit moͤglichster Ersparung der Kosten geschehe. 4) Muß es einem ungluͤcklichen Schuldner zu neuem Fleiße aufmuntern, wenn er endlich noch ein Ende seiner Noth sieht; Schulden der Unterthanen zu wehren. sieht; anstatt daß unsere jetzigen Verheurungen insge- mein eine unendliche Aussicht haben, und den Glaͤubi- gern fast so wenig als dem Schuldner helfen. 5) Fordert der Staat mit Recht, daß jedes Erbe gehoͤrig besetzet seyn solle. Eine ausgeheuretes Erbe ist aber in der That nicht gehoͤrig besetzt; und der gemeine Reihe ist es nicht wohl zuzumuthen, jede vorkommende Last fuͤr das verschuldete Erbe auszurichten, und sich dafuͤr einen willkuͤhrlichen Lohn auf laͤngere Zeiten zuwerfen zu lassen. 6) Verliert der Gutsherr ohnedem genug dadurch, daß er 8 Jahrlang sein Erbe in fremden Haͤnden, und sich waͤhrend solcher Zeit aller ausserordentlichen Gefaͤlle be- raubet sehen, auch seine Dienste und Paͤchte entweder in Gelde, oder von einer aͤrgern Hand als die Hand ei- nes guten Wirths ist, annehmen muß. Endlich und 7) Ist in allen Westphaͤlischen Hofrechten, worinn durch- gehends die schaͤtzbaren Hoͤfe durch ganz Westphalen fuͤr freye Reichsgruͤnde, oder fuͤr Kroneigenthum erkannt sind, aufs nachdruͤcklichste versehen, daß kein Besitzer, er sey nun freyen oder leibeigenen Standes, sein unter- habendes Gut mit mehrern Schulden beschweren solle, als hoͤchstens durch die Abnutzung von drey oder vier Jahren getilget werden koͤnne. Was dort zur Zeit ehe die Territorialhoheit jeden Staat vom Reiche gleichsam abgeschnitten hat, Reichseigenthum genannt wird, ist jezt Staatseigenthum. Und so wie letzters den Guts- herren noch bis auf die heutige Stunde es verwehret, einen schaͤtzbaren Hof mit neuen Diensten und Pflichten zu beschweren; eben so verwehret es auch jedem freyen und leibeignen Besitzer solcher Gruͤnde sich selbst ausser Stand zu setzen, seinen Hof in allen gewoͤhnlichen und wahr- Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen wahrscheinlichen Faͤllen vertheidigen und Nachbarn gleich thun zu koͤnnen. Ein solches Erlaßjahr wuͤrde aber dem Schuldner nicht genug fruchten, wenn er nach dessen Verlauf mit leerer Hand wieder aufs Erbe ziehen sollte. Er wuͤrde sich so fort um das noͤthige Vieh- und Feldgeraͤthe anzuschaffen in neuen Schulden stuͤrzen muͤssen, und bey dem annoch frischen An- denken seines vorigen Verfalls schwerlich den noͤthigen Cre- dit dazu finden, mithin zu falschen Umschlaͤgen schreiten muͤs- sen. Es soll also die Verheurung noch vier Jahre dauren, und das darinn aufkounnende Geld zur Haus- und Feldruͤstung wieder verwendet werden. Ich folge hierinn abermals dem mosaischen Plan. Die- ser große Gesetzgeber, besorgte die mehrsten Israeliten, welche nach Verlauf von 6 Jahren ihr Buͤrgerrecht wieder erhielten. Wuͤrden aus Noth, und weil ihnen alle Mittel zur neuen Anlage fehlten, die fortdaurende Knechtschaft der Frey- heit vorziehen, und folglich die Kriegesrolle ganz verlassen, dieserwegen verordnete er, daß alle Israeliten, worunter aber nach dem Costume und dem Charakter aller alten Gesetze, (welche von dem heutigen Unterthan , eine Benennung, wo- durch alles was zur Menschheit gehoͤrt, in eine Classe gewor- fen wird, nichts wissen,) blos die wuͤrklichen Rechtsgenossen oder diejenigen, so das israelitische Buͤrgerrecht wuͤrklich hat- ten, zu verstehen sind, im siebenden Jahre ihre Laͤnderey, ihre Wiesen, ihre Weinberge, und ihr Vieh, dem Herrn eine große Feyer halten lassen sollten. Sie durften also weder zu saͤen noch zu erndten, und brauchten auch beydes nicht, weil die Erndte vom sechsten Jahr, da sie fuͤr den gewoͤhnlichen Haushalt gemacht war, ein Jahr weiter reichte, wenn dieser Haushalt sich durch die Freylassung aller Knechte um die Haͤlfte verminderte, und diese sich selbst fertig machen, auch was sie an Schulden der Unterthanen zu wehren. an Vorschuß empfangen, von ihrer Erndte wieder erstatten mußten. Da das siebende Jahr den jezt befreyeten Knech- ten den Armen und Fremdlingen zu statten kommen sollte: so saͤeten und erndteten diese in denselben umsonst. Der Ei- genthuͤmer durfte sich nicht unterstehen einen Apfel von seinem Baume, oder eine Traube von seinem Weinstocke, zu nehmen, auch selbst nicht einmal um allen Chicanen vorzubeugen, als- dann wann kein Knecht es nehmen wollte. Denn in diesem Falle sollte es den wilden Thieren Preis gegeben seyn. Al- les Ackergeraͤthe, Wagen, Pflug und Zugvieh stand seinen Eigenthuͤmern im siebenden Jahre lahm, und folglich den Knechten gern zu Dienst. Der Duͤnger wuͤrde jenen nur zur Last gefallen seyn: sie mußten ihn also nur verschenken. Scheuren und Tennen waren natuͤrlicher Weise leer und of- fen. Und auf diese Weise gab das siebende Jahr, welches vermuthlich auch zugleich nur das letztere in der gewoͤhnlichen Bestellzeit war, den neuen Buͤrgern nicht allein die Bequem- lichkeit, sondern auch die Mittel sich ungefehr so viel zu er- werben, als sie gebrauchten, um sich als freye Leute und An- faͤnger selbst fertig zu machen, und um nicht noͤthig zu haben noch ferner mit ihrer streitbaren Hand knechtische Dienste zu verrichten. So bald es einer hiernaͤchst so weit gebracht haͤtte, daß seine Glaͤubiger sich zu einen solchen Erlaßjahr nicht vereini- gen koͤnnten und wollten, muͤßte der bloße Mangel dieser Ver- einigung als ein hinlaͤnglicher Grund zur Abmeyerung oder Ab- aͤusserung angesehen werden. Ueberhaupt sollte jedes Unvermögen dem Hofe vor- zustehen die Entsetzung oder Abaͤusserung nach sich fuͤhren. Der Hof ist eine Pfruͤnde oder Vicarey des Staats, wovon dem Gutsherrn die Besetzung nebst gewissen hergebrachten Dien- sten und Paͤchten zusteht. Der Gutsherr vergiebt die Pfruͤnde Mösers patr. Phantas. I. Th. K unbe- Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen unbeschwert, unvermindert und ohne alle Nebenbedingungen. Und der darauf gefestete Mann, oder der Wehrfester, muß sie unbeschwert und unveraͤndert erhalten; dem Gutsherrn wie dem Staate das seinige davon geben; und wenn er solches nicht mehr thun kann, wenn es durch Ungluͤck ist, auf die Leibzucht, und wenn es durch sein Verschulden geschieht, ganz herunter gesetzt werden. Die deutschen Rechte sind in diesem Stuͤcke klar und allgemein gewesen. Die fuͤrstlichen Vor- mundschaften sind mit der voͤlligen Abnutzung verknuͤpft, so lange der Erbfolger zu schwach ist sein Reichslehn zu verthey- digen. Ein gleiches hat bey allen Guͤtern, welche jemals im Reichs- Lehns- und Landeskataster gestanden, Statt ge- habt; und der Grund unser Mahljahre oder einer auf sichere Jahre bestimmten Verwaltung mit der voͤlligen Abnutzung des Hofes liegt darinn. Wer an Jahren, Verstande, Ver- nunft, Vermoͤgen, guten Willen und Kraͤften zu schwach ist, sein Land, sein Lehn oder sein schatzbares Erbe zu vertheydi- gen, der ist ohne Ruͤcksicht auf Schuld oder Unschuld seiner Pfruͤnde auf ewig oder so lange sein Unvermoͤgen dauret, zu entsetzen. Wir haben diese klaren Begriffe selbst dadurch verwir- ret, daß wir theils den Contract zwischen dem Gutsherrn und seinen pachtpflichtigen Mann, als eine gemeine aber mit der Zeit erblich gewordene Verpachtung betrachtet und solche nach den roͤmischen Rechten beurtheilt; sodann aber zu den Ab- meyerungsursachen ein Verbrechen, oder doch so etwas aͤhnli- ches, erfordert haben, wozu uns dasjenige, was in der Eigen- thumsordnung vom Ehebruch und Hurerey gesagt ist, ver- fuͤhret haben kann. Allein das erstere ist irrig, wie mit un- widerleglichen Gruͤnden gezeigt werden kann, und das letztere ein offenbares Mißverstaͤndniß. Es ist nicht der Ehebruch, nicht die Hurerey, sondern die daraus erwachsende schwere Last, Schulden der Unterthanen zu wehren. Last, als Gefaͤngniß, Landesverweisung, schwere Geld- oder Leibesstrafe, wodurch der Pachtpflichtige unvermoͤgend wer- den kann, seinen Hof zu vertheydigen, so die Abmeyerung nach der Eigenthumsordnung nach sich ziehen soll. Es kann also meines Ermessens mit allem Rechte ge- schehen, daß ein Pachtpflichtiger, so bald sich die Glaͤubiger mit einer 8 jaͤhrigen Abnutzung nicht befriedigen wollen, als ein Knecht seinen Glaͤubiger oder als unvermoͤgend dem Erbe fuͤrzustehen, abgemeyert werde; und sollte der Fall, da ihm sein Hofgewehr gepfaͤndet wuͤrde, sofort als ein selbst reden- des Zeugniß seiner Unfaͤhigkeit laͤnger auf dem Hofe zu blei- ben angesehen werden. Wird doch der beste Soldat aus Reih und Glieder gesetzt, wenn er durch die ruͤhmlichsten Wunden ausser Stand geraͤth, sein Gewehr gegen den Feind zu fuͤhren. Wenn wir aber diese nuͤtzliche und in den deutschen Rechten gegruͤndete Strenge auf der einen Seite einfuͤhren wollen: so muͤssen wir auch auf der andern einen nothwendi- gen Schritt thun. Moses hob mit dem siebenden Jahr alle personal Action auf; und dies muͤssen wir nach obigen Vor- schlag mit dem zwoͤlften auch thun. Die Meynung, daß die Glaͤubiger gegen den abge- meyerten Schuldner eine ewige personal Action behalten, ist bisher angenommen, und selbst durch die Landesgesetze, wel- che hierinn zu sehr nach dem roͤmischen Fuß abgemessen sind, beguͤnstiget worden. Sie ist aber urspruͤnglich bürgerlichen nicht aber ländlichen Rechtens, und verdienet offenbar in An- sehung der letztern eingeschraͤnkt zu werden. Wenn der Schuldner stirbt, und sich keiner zu seinem Erben angiebt: so muͤssen die Glaͤubiger zufrieden seyn, wenn sie auch nichts erhalten. Warum sollte man also nicht durch K 2 ein Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen ein Gesetz verordnen koͤnnen, daß der Schuldner alles was er im 12 Jahr erwerben koͤnnte, seinen Glaͤubigern hingeben, und ihnen allenfalls fuͤr Knecht dienen, hiernaͤchst aber seine voͤllige persoͤnliche Freyheit von allen Anspruͤchen wieder er- langen solte. Vernunft, Billigkeit, Menschlichkeit, Reli- gion und Landeswohlfahrt scheinen ein solches Gesetz zu for- dern, damit ein Mitglied der Gesellschaft nicht auf seine ganze Lebenszeit ein Sclave seiner Glaͤubiger bleibe. Und wenn ein solches Gesetz fuͤr Landbesitzer gemacht wuͤrde: so koͤnnte der Gutsherr seinen Hof, wann die Glaͤubiger sich nicht be- quemen wollen, auf 12 Mahljahre austhun, und hernach das Gebluͤt wieder aufs Erbe und zu Gnaden annehmen, ohne die Personalverfolgung der Glaͤubiger zu fuͤrchten. Ein Land- besitzender Schuldner ist von dem Handelnden sehr unterschie- den. Dieser braucht viel Credit, und kann, nachdem er eine große Idee von seinen unsichtbaren Vermoͤgen erweckt hat, einen großen Banquerott machen. Um diesen zu zwingen, laͤßt man die personal Action gegen ihn ewig dauren, wenn er sich nicht vergleichen kann. Allein die Gruͤnde und Um- staͤnde eines Pachtpflichtigen Ackermannes sind so verdeckt, kri- tisch und bedenklich nicht, und die Ewigkeit der personal Action ist gegen ihn eine unbillige und nicht genug uͤberlegte Sache. Dem freyen Schuldner wird, wenn er sich und das Seinige den Glaͤubigern uͤbergiebt, auf sichere Weise geholfen, dem abgemeyerten aber keine Leibzucht zur Competenz gelassen. Die Befreyung von allen personellen Anspruͤchen nach einer gewissen Zeit waͤre also gleichsam seine Competenz. Und was gewinnet der Glaͤubiger durch die Fortdauer seiner Forderung an der Person des Glaͤubigers? Nichts als ein unnuͤtzes Recht; der Schuldner verliert den Muth, und der Staat eine arbeit- same Hand. Ein Schulden der Unterthanen zu wehren. Ein jeder wird zu diesem Vorschlage noch vieles hinzu denken koͤnnen, welches ich mit Fleiß nicht anfuͤhre, um nicht zu lange bey einer Sache zu verweilen. Indessen will ich doch noch beym Schluß eines Nebenvortheils gedenken, wel- chen der mosaische Plan gewaͤhrte. Da alle Laͤndereyen in Israel im siebenden Jahre auf einen Tag Winn- und Pacht- los, und als voͤllig gemein angesehen wurden: so hatten die Eigenthuͤmer den Vortheil davon, daß sie mit dem 8ten Jahre alle ihre Laͤndereyen aus freyer Hand besser verheuren konn- ten, als wenn die letzten Paͤchter noch waͤren darauf gewesen, und sie unter dem Vorwand der Besserungen oder durch Bit- ten und Betteln bewogen haͤtten, ihnen die Laͤndereyen von neuen zu dem vorigen Preise zu lassen; wie wir denn in West- phalen taͤglich sehen und erfahren, daß ein Paͤchter oder ein Heuermann den andern nicht uͤberbieten will. Und wie vie- len unendlichen Processen wurde nicht dadurch vorgebogen, daß alle Winnen und Pachtungen mit dem sechsten Jahre ab- geschnitten, veraͤndert und erneuert und ein reines petitorium oder possessorium fuͤr Paͤchter und Verpaͤchter gesetzt, beson- ders aber das verzweifelte Jus retentionis aufgehoben wurde? XXIV. Antwort auf verschiedene Vorschlaͤge wegen einer Kleiderordnung. Seitdem man unlaͤngst den Gedanken geaͤussert, daß eine Kleiderordnung so gar leicht nicht zu machen sey, wie sich manche wohl einbildeten, sind uͤber zwanzig Vorschlaͤge dazu eingelaufen, deren Verfasser nicht allein zu erwarten, K 3 son- Antwort auf verschiedene Vorschlaͤge sondern auch zu fordern scheinen, daß man ihre Gedanken oͤf- fentlich mittheile, und ihnen den darauf gesetzten Preis zuer- kenne. Um allen diesen Forderungen auf einmal abzuhelfen, will man nur mit wenigen erklaͤren, wie keiner unter andern die Sache auf der rechten Seite getroffen und den versproche- nen Preis verdienet habe. Einige Proben werden hoffentlich hinreichen, sie davon selbst zu uͤberzeugen. Alle sprechen von Bauern, als der untersten Klasse der Menschen; vermischen unter diesem Namen alles was einen schatzbaren Acker bauet; unterscheiden weder Freye noch Leib- eigne, und wenn sie ja recht genau gehen wollen: so setzen sie Vollerbe, Halberbe und Koͤtter von einander, ohne zu unter- suchen, ob einer sein eigen Erbgut oder einen fremden Acker baue; oder unter welchen Bedingungen er einen Hof bewohne. Und dann ist es bey ihnen keinem Zweifel unterworfen, daß nicht der Buͤrger den Rang fuͤr den besten .......... (leider hat unsre verraͤtherische Sprache kein Wort mehr den ruricolam vom Colono zu unterscheiden,) den Vorzug habe. Allein seit wann, moͤchte man wohl fragen, ist es dann ein Schimpf, seinen vaͤterlichen Acker zu bauen? Seit wann hat die Vernunft dem Hochmuthe das Recht bestaͤtiget, das Wort Bauer so unschicklich gebrauchen zu duͤrfen? Was kann einen Landesherrn bewegen, denjenigen Mann fuͤr den schlechtesten zu halten, der monatlich seinen Schatz richtig bezahlt, und die erste Stuͤtze des Staats ist? In Spanien ist das Pfluͤ- gen so schimpflich als in Deutschland das Abdecken. Sollten wir es etwann auch dahin bringen? Die Hummeln ehren und die Bienen beschimpfen? Warum soll der schatzbare Landei- genthuͤmer, der sein angestammtes Gut mit eignen Hengsten bauet, und der seinen Pudding so oft essen kann als er will, bey Thurm- und Leibesstrafe ein braunes Kleid tragen? weil er wegen einer Kleiderordnung. er ihn aus Bescheidenheit bishero gern getragen hat, und ihn aus freyer Wahl allezeit als ein Ehrenzeichen tragen wird? Alle sind ferner geneigt, den fuͤrstlichen Dienern uͤberall große Vorzuͤge einzuraͤumen. Sollte aber der Mann, der seinen Ellbogen auf seinen eigenen Tisch stuͤtzt und von seinem Fleiße oder von seinem Vermoͤgen wohl lebt und andern gu- tes thut, nicht eben so gut seyn, als der sich im Dienste kruͤm- met? Soll man den Hunger nach Bedienungen, der jetzt Ueberhand nimmt, und so manchen tapfern Kerl dem Fleiße und der Handlung entzieht, noch durch Vorzuͤge und Ehre reitzen? Ist denn das deutsche Herz so tief herabgesunken, daß es schlechterdings den Dienst uͤber die Freyheit setzt? Und se- hen diese Leute nicht, daß, da sie solchergestalt allen Vorzug dem Dienste geben, kein Mann von Ehre und Empfindung der ungeehrten Freyheit getreu bleiben werde? Alle sprechen von fuͤrnehmen und geringen Buͤrgern. Wer ist aber der fuͤrnehme und geringe? Der Mann, der aus seinem Comtoir der halben Welt Gesetze und Koͤnigen Credit giebt; oder der Pflastertreter, der in einem langen Mantel zu Rathe geht? Der Handwerker, der tausend dem Staate gewinnt, oder der Kraͤmer, der sie herausschickt? Der Mann, der von seinen Zinsen oder der so von Besoldung lebt, und dem gemeinen Wesen in der Futterung gegeben ist? Der Taugenichts, der seines Wohledlen Grosvaters Rang noch mit geerbten Stock und Degen behauptet, oder der Mei- ster, der die beste Arbeit macht? Keiner denkt an die Gefahr die dem Lande bevorsteht, das dem Fleiße die Ehre raubt von seinen wohlerworbenen Reichthuͤmern zu glaͤnzen. Wird denn auch wohl nur ein Hollandsgaͤnger, wenn er etwas erworben hat, in sein un- dankbares Vaterland zuruͤckkehren, wenn es ihm nicht erlaubt seine silberne Knoͤpfe zu zeigen? Werden wir nicht die Leute K 4 so Antwort auf verschiedene Vorschlaͤge so Mittel haben, ohne sich ein bisgen hervorthun zu duͤrfen, durch eine gar zu genaue Einschraͤnkung zwingen, sich in solche Laͤnder zu begeben, wo sie unter dem Schutze eines leeren Tittels ihre Thorheit und ihren Reichthum nach Gefallen zeigen koͤnnen? Werden wir diejenigen, so wir mit Gewalt in eine niedrige Klasse setzen, auch abhalten koͤnnen, sich ei- nen Adelbrief oder einen Tittel und mit diesem das Recht geben zu lassen, sich in derjenigen Farbe zu zeigen, die ihnen am besten gefaͤllt? Oder werden etwa die Gesetze blos fuͤr kluge Leute gegeben? Es ist kein einziger unter ihnen, der nicht den Adel in eine Klasse werfe, und ihn alt oder neu, bewiesen oder unbe- wiesen, reich oder arm, im Dienst oder ausser Dienst unter einer Rubrik setze. Glauben die Verfasser demselben durch diese Vermischung zu schmeicheln? Oder meinen sie, daß es etwas sehr vernuͤnftiges sey, ein Oberheroldsamt aufzurichten, fuͤr dem- selben alle Stammtafeln zu pruͤfen, und um zwey fehlender Ahnen willen den bemittelten Mann, der sich auf diese Art beschimpft halten wuͤrde, ans dem Lande zu weisen? Glauben sie, daß die gemeine Ehre und der gemeine Vorzug sich eben so gut als der Hofrang und die Hofkleidung ausmachen lasse? Ein Fuͤrst darf nur sein Hausrecht gebrauchen um zu befehlen, daß dieser in dieser und jener in jener Kleidung an Hof kom- men solle. Wer keine Lust dazu hat, der setzt sich in seinem Lehnstuhl und pfeift. Allein um die Kleider im ganzen Staat zu reguliren, ohne hier wider die Billigkeit, dort gegen die Klugheit, und dann gegen sein eignes und des Landes Intresse anzustossen, dazu gehoͤret sehr viel. Ich erwehne nichts von der Tyranney, welche darinn steckt, wenn Fuͤrnehmere sich alles erlauben, und den Geringern alles untersagen wollen; nichts davon woher sie die Befugiß nehmen wollen, zehn freyen Eigenthuͤmern das, und zehn andern das zu verbieten, und wegen einer Kleiderordnung. und die Buͤrger eines Staats in willkuͤhrliche Klassen abzu- theilen; und endlich nichts davon, wie gefaͤhrlich ein solcher Eingang fuͤr die allgemeine Freyheit seyn wuͤrde, wenn ein Landesherr die gemeine Ehre wie die Hofehre bestimmen, und allen, die sich wegerten, taͤglich Brod und Lehnungen von ihm anzunehmen, in die niedrigsten Klassen zu verweisen. Was heute dem geringen Eigenthuͤmer wiederfaͤhrt, das wird dem großen auf die Zukunft, unmerklich zubereitet; und schon in Frankreich gilt keiner mehr oder er muß gedienet haben; die Heerstraße zum Despotismus. In Holland und England weis man von keinen Kleiderordnungen; und um dergleichen Dinge vernuͤnftig zu bestimmen, werden große Exempel, edle Selbst- verleugnungen und tapfere Lehrer und Prediger erfordert; der Zwang schimpft, und macht aus muthigen, fleißigen und lebhaften Buͤrgern, eine traͤge, verzagte und kriechende Heerde. XXV. Der selige Vogt. Es ist laͤngst angemerkt worden, daß es nicht undienlich seyn wuͤrde, jedem Landesbedienten nach seinen Tode ein Denkmal aufzurichten. Ein Denkmal, wodurch die Treue oder Untreue seiner Amtsverrichtung oͤffentlich bekannt ge- macht; der Redliche von dem Unredlichen unterschieden; und jeder der ihm im Dienste folgte, ermuntert oder gewarnet werden moͤchte. Vermuthlich hat die Besorgniß, daß dieses Denkmal bald nur ein Werk der Schmeicheley werden moͤchte, eine solche oͤffentliche Anstalt verhindert. Indessen koͤnnte es unter gehoͤriger Aufsicht seinen großen Nutzen haben. Wenig- K 5 stens Der selige Vogt. stens sehen wir nicht ab, was uns verhindern solte, das Lob eines Vogtes in hiesigen Landen mitzutheilen, welcher zwar fuͤr vielen Jahren bereits verstorben, aber doch auch bey den aͤltesten Maͤnnern in seiner Vogtey in so guten und lebhaften Andenken steht, daß man ihn aus ihrer Erzaͤhlung mit allen Zuͤgen aufs genaueste beschreiben kann. Der Ort, wo er ge- standen, thut nichts zur Sache. Diejenigen, so ihn gekannt haben, werden seinen Namen leicht errathen; und die ihn nicht gekannt haben, doch allezeit wuͤnschen, daß er der ihrige gewesen seyn moͤchte. Wir brauchen nicht anzufuͤhren, daß er ein christlicher, redlicher und gewissenhafter Mann gewesen. Dergleichen allgemeine Tugenden gehoͤren nicht hieher. Seine Amtstreue und die Art und Weise, wie er sich in den ihm obliegenden fuͤrnehmsten Pflichten verhalten, ist dasjenige, was wir aus der Abschilderung, die man uns von ihm gemacht, mit wenigen bemerken wollen. Wenn eine neue Landesordnung erlassen, und von ei- nigen uͤbertreten wurde, setzte er solche nicht so gleich zur Strafe. Er ließ erst die Uebertreter zu sich kommen, erklaͤrete ihnen den Inhalt und die Absicht der Verordnung, ermahnte sie solche in Zukunft zu beachten, und uͤbersahe fuͤr dasmal ihren Ungehorsam, in dem richtigen Vertrauen, es sey dem Landesherrn mehr an einem gebesserten Unterthan als an ei- nigen Thalern Strafgeldern gelegen. Hoͤrte er von ihnen Gruͤnde, welche die Verordnung beschwerlich machten, oder eine Einlenkung und Abaͤnderung zu erfordern scheinen: so untersuchte er die Sache gruͤndlich, berichtete daruͤber an die hoͤhere Obrigkeit vollstaͤndig, und zeigte die Mittel an, wo- durch die loͤbliche Absicht der Landesobrigkeit mit der mindesten Beschwerde der Unterthanen fuͤglicher erreichet werden koͤnnte. Hat- Der selige Vogt. Hatte einer eine Schuldforderung an den andern: so wandte der Glaͤubiger, ehe er ans Gericht gieng, sich aus blos- sen Vertrauen allemal erst zu ihm, er ließ dann hierauf den Schuldner rufen, fragte ihn, ob er der Schuld gestaͤndig und warum er nicht bezahlte, und vermittelte denn insgemein die Sache zwischen beyden so, daß beyde nach Moͤglichkeit und Gelegenheit zufrieden seyn konnten. Erhob sich ein Streit zwischen seinen Leuten uͤber Ge- rechtigkeiten: so gieng er mit den aͤltesten und vernuͤnftigsten Maͤnnern aus seiner Vogtey nach dem Orte wo der Streit war; hoͤrte beyde Theile mit Gelassenheit, und berieth sich dann mit jenen erfahrnen Maͤnnern uͤber die Art und Weise, wie der Stein des Anstossens am besten gehoben werden koͤnnte. Fand er dann, daß der eine oder der andre Theil sich nicht nach ihren billigen Vorschlaͤgen bequemen wollte: so setzte er den Streitpunkt deutlich auseinander, und die gut- achtliche Meinung der zugezogenen Maͤnner darunter, und gab solche dem unschuldigen Theile zu seiner Vertheidigung ans Gerichte mit, da denn nicht selten der Richter seine Ent- scheidung darnach einrichtete. Die Auflagen welche seine Untergebene zu zahlen hatten, forderte er nie zur unbequemen Zeit. Er borgte ihnen aber auch nicht drey Tage uͤber die Stunde, worinn sie ihrer Ge- legenheit nach bezahlen konnten und mußten. Hier hielte er die große Strenge nothwendig, weil er wohl wußte, daß aller Aufschub in solchen Faͤllen nur denen zum Schaden ge- reicht, die ihn nehmen. Er kannte eines jeden Vermoͤgen und Gelegenheit, und richtete allemal seine Maaßregeln so ein, daß der Faule angestrengt und der Fleißige nicht unterdruͤcket wurde. War ein Erbe in Schulden so tief versunken, daß es sich ohne Stillestand nicht retten konnte: so machte er mit Zu- zie- Der selige Vogt. ziehung einiger vernuͤnftigen Nachbaren, und nach Gelegen- heit der fuͤrnehmsten Glaͤubiger, einen standhaften Anschlag vom Gute und dessen Schulden; zeigte ihnen die Unmoͤglich- keit ihrer Befriedigung; und ihren Nachtheil, wenn sie den Schuldner ins Gericht ziehen wuͤrden; bediente sich so denn der Glaͤubiger ihrer eignen redlichen Ueberzeugung dem Schuld- ner hinlaͤnglichen Nachlaß und billige Zahlungsfristen in Guͤte zu erwerben; und hielt den Schuldner, der durch ein solches Verfahren zu neuen Fleiß ermuntert ward, zur genauesten Erfuͤllung des verglichenen an; und die Glaͤubiger waren von seiner Redlichkeit dergestalt versichert, daß sie auf sein Ver- sprechen mehr als auf alles uͤbrige baueten. Wo er von einem neuen Mittel zur Verbesserung des Ackerbaues und der Landnahrung hoͤrte oder laß, da war er der erste der Versuche anstellte. Jeder Hauswirth kam zu ihm, sahe was eine gluͤckliche Erfahrung bestaͤtigte, und lernte von ihm was Nachahmungswuͤrdig war. Der Ackerbau in seiner Vogtey unterschied sich von allen Benachbarten durch die Schoͤnheit der Fruͤchte, der Reinlichkeit des Ackers, und der Ordnung der Felder. Mit dem Pfarrer seines Kirchspiels lebte er in dem voll- kommensten und angenehmsten Vertrauen. So oft er in Er- fahrung brachte, daß jemand in heimlichen Lastern und Aus- schweifungen lebte, meldete er es dem Pfarrer in Vertrauen, und ersuchte ihn dem angezeigten nachdruͤcklich zuzureden, und ihn von seinem boͤsen Wandel zuruͤckzuziehen. Insgemein glau- hen dergleichen heimliche Diebe und Verbrecher ihre Bosheit sey der ganzen Welt unbekannt. Wie sehr erschracken sie aber, und wie oft besserten sie sich nicht, wenn der Pfarrer ihnen auf einer Seite ihrer Unthaten halber ruͤhrende Vorstellun- gen that, der Vogt ihnen aber auf der andern mit einer vaͤ- terlichen Stimme in die Ohren donnerte, und beyde ihnen solcher- Der selige Vogt. solchergestalt auf das empfindlichste zu erkennen gaben, daß das Geruͤchte ihrer Bosheit bereits zu ihren Ohren gekom- men sey? Wie manchen hat er nicht auf solche Weise Leibes- und Geldstrafen erspart? Und wie viele hat er nicht blos da- durch, daß sie wußten, er kenne sie, von boͤsen Unternehmun- gen abgehalten? Bey seinen Oberbeamten stand er in einem solchen An- sehen, daß sie ohne ihm nicht leicht in seinem Kirchspiele et- was vornahmen; Sie wußten wie er dachte, und um seinet- willen getraute sich niemand dem Kirchspiel bey Einquartie- rungen oder Fuhren ein mehrers zuzuschieben, als die Ord- nung erforderte. Seine Redlichkeit und Geschicklichkeit ga- ben ihm Dreistigkeit genug die Wahrheit zur gehoͤrigen Zeit und am gehoͤrigen Orte zu reden; und wo es auf die Rechte seines Kirchspiels oder dessen Eingesessene ankam, sprach er wie ein Mann der auch das Unrecht des kleinsten vor GOtt zu verantworten hat. Nie verleitete ihn auch ein gerechter Eifer jemanden seine Pflichten zu erschweren, oder ihm ein mehrers aufzubuͤrden, als die Ordnung mit sich brachte. Um alles mit wenigen zu sagen, er war der Vater und der Friedensrichter seines Kirchspiels; der Freund seiner Un- tergebenen, und der Rathgeber in allen Wirthschaften. Er starb im 76. Jahr seines Alters am Schlage, und wuͤrde un- streitig sein Leben hoͤher gebracht haben, wenn er zu seiner Zeit, der Rockencaffee, bereits waͤre eingefuͤhrt gewesen. Denn es ist gewiß, daß er ihn als Patriot getrunken, und auch die- es Exempel seinem Kirchspiele gegeben haben wuͤrde. XXVI. Schreiben einer Hofdame XXVI. Schreiben einer Hofdame an ihre Freundin auf dem Lande. Das heißt einmal auf dem Lande gewesen und nun auch in meinem Leben nicht wieder. Bin ich doch beynahe erstickt von dem Dufte ihrer groben Schuͤsseln! Welcher Mensch setzt einem dann noch Schinken und Kalbsbraten vor? Hatten sie nicht auch noch einen Rinderbraten oder Markpud- ding? Es war ein Gluͤck fuͤr mich, daß die Fenster offen wa- ren, sonst waͤre ich nicht lebendig aus dem Speisezimmer ge- kommen, so kraͤftig so saͤttigend war alles bey Ihnen ange- richtet. Ich glaube Sie kennen bey ihnen den Hunger wie der geringste Tagloͤhner. Gottlob! ich habe in zehn Jahren nicht gewußt was Hunger sey, und setze mich nicht zu Tische um zu essen, sondern blos um die unnuͤtze Zeit zwischen dem Nachttische bis zur Cour zu vertreiben. Alleine Sie .... mit Augen voller Lust sehen sie die Schuͤsseln. Und die Lich- ter? Himmel, waren doch in jedem so starke Dochte wie un- sre Großmuͤtter machten? Und sahen die Bediente nicht aus als wenn sie die Wohlfahrt des Hauses einem jeden unter die Nase reiben sollten? In meinem Leben habe ich solche Phy- sionomien nicht gesehen. Die Leute muͤssen, deucht mich in ihrem Leben nichts gethan haben, als essen. Ich mußte Ih- rem Cammermaͤdgen drey Schritte aus dem Wege gehen, um nicht in ihrer Atmosphere die Luft zu verlieren. Gestehen Sie es nur aufrichtig, es ist eine besondre Dummheit, welche Ihnen und den Landleuten uͤberhaupt alle- zeit eigen bleibt, daß sie nicht es zu derjenigen feinen Vollkom- menheit bringen, welche wir am Hofe haben. Wenn Sie einen an ihre Freundin auf dem Lande. einen Garten recht schoͤn machen wollen: so suchen sie die be- sten Fruͤchte darinn zu ziehen. Wollen sie sich gut kleiden: so nehmen sie vom besten Zeuge. Und zur Speise? Nun das versteht sich. Friesisches Rindfleisch, hollaͤndisches Kalb- fleisch, Karpen von dreyßig Pfunden und welsche Hahnen so groß, wie sie fuͤr eine Buͤrgerhochzeit gemaͤstet werden koͤn- nen, oder der Lord Anson sie auf der Insel Tinian fand. Je nun von solcher Atzung kann auch wohl eben kein feiner Geist in die Dickkoͤpfe kommen. Und es ist kein Wunder, wenn sie sich immer wie die Kugeln zum Ziel werfen lassen. Wie allerliebst sieht es dagegen nicht bey uns aus. Gaͤr- ten haben wir da, ich will nur allein derer von Porcellain gedenken, worinn alle Baͤume und Blumen von einer schoͤpfe- rischen Hand auf das aͤhnlichste nachgeahmet, und alle Jahrs- zeiten zu unserm Befehle sind. Fordert man Fruͤhling: so ist alles in der Bluͤte, und diese Bluͤte hat so gar den ihr eig- nen Geruch. Will man Sommer; so schafft der Gaͤrtner, daß alle Baͤume mit den schoͤnsten Fruͤchten prangen; die nun freylich nicht zu essen, aber eben deswegen um so viel schoͤner sind, weil sie der gemeine Mann nicht so gleich herunter schlucken kann. Unsre Tafeln geben den schoͤnsten Gaͤrten in der Pracht des Anblicks gewiß nichts nach, und auf den Anblick kommt doch alles an, weil man bey einer hohen Tafel mehr fuͤr ein goͤttliches Auge als fuͤr einen gemeinen niedertraͤchtigen Ma- gen sorget. Jeder Tag, ja selbst jeder Gang hat seine eigne Farbe. Zur maygruͤnen Suppe sind die Nebengerichte ganz anders als zum himmelblauen Hecht schattirt; und ich wolte keinem Koche rathen eine Bruͤhe couleur de procureur ge- neral zu einer gruͤnen mit Silber incrustirten Pastete zu ge- ben, oder mosaique auf dem Schinken aus andern Farben zu- Schreiben einer Hofdame zusammen zu setzen, als wovon die Frisur an der Hammel- keule oder der Email andrer Krusten gemacht ist. Ich wolte keinem rathen im Fruͤhlinge, wo die Natur und die Tafel mit Blumen besetzt seyn muß, einfarbige oder wohl gar rothe und gelbe Gallerte zu geben und die Tafel mit modernen Dormans zu groupiren, wenn der ganze Aufsatz a la Romaine ist. Der Kaiser, der sich durch die Erfindung der Farcen Heliogabulus primus de piscibus isitia fecit. Lam- prid. in Heliog. einen unsterblichen Namen gemacht und zuerst Fische Dulciarios (confituriers) et lactarios (Milchkoͤche) tales habuit ut quaecumque coqui de diversis edu- libus exhibuissent, illi modo de dulciis modo de lactariis exhiberent. ib. von Schweinefleisch und Schinken von Kaͤse erfunden hat, wuͤrde gegen unsre heutigen Koͤche eine schlechte Figur machen, und seine Tafel, worauf er oft zur Pracht alle Speisen in petit point oder kuͤnstlich gestickter Arbeit nachahmen ließ, gegen die unsrigen, wenn sie mit Gerichten von Porcellain oder Email besetzt sind, sehr verlieren. Hieran ist wohl noch zu zweifeln. Denn der Kaiser ließ auch ganze Tische de vitreis, worauf alle Gerichte in ge- faͤrbten Glase nachgeahmt waren, aufsetzen; und er hatte Deserts von Wachs, Elfenbein, Porcellain, Marmor und Stein so gut wie wir. In secunda coena saepe cere- am coenam saepe eburneam aliquando fictilem non nunquam vel marmoream vel lapideam exhibuit. ib. In den gestickten Schauessen uͤbertraf er aber uns neuere. Tot picta mantilia in mensam mittebat his eduli- bus picta quae apponerentur, quot missus esset ha- biturus ita ut de acu aut de textili pictura exhibe- rentur. Unsre Koͤche sind in der an ihre Freundin auf dem Lande. der Mythologie, der Geschichte, der Dichtkunst, der Mahle- rey, der Heraldik und uͤberhaupt in allen nur immer moͤgli- chen Kuͤnsten und Wissenschaften weit erfahrner als mancher Hofmeister, der doch sonst auch alles wissen muß, und es muͤßte Schade seyn, wenn sie nicht eine Belagerung besser ausbacken koͤnnten als der groͤßte Feldmarschall. Urtheilen Sie also, was ich bey Ihnen auf dem Lande gelitten habe, wo ihre Krebse nichts als Krebs, und ihre gros- sen Karpen nichts als Karpen waren. Wie ist es aber moͤg- lich, daß Sie ihre Zeit so abgeschmackt zubringen, und ihren Verstand so wenig uͤben koͤnnen. Noch ist es Zeit sich zu be- kehren. Sie haben erst zwanzig Jahr, und eine Figur die wenigstens etwas verspricht. Kommen Sie also zu uns. Ich will Ihnen die Manier und den Weg zur Bewunderung in einem Monate zeigen, und so koͤnnen Sie vielleicht noch eine kleine Rolle am Hofe mitspielen. ...... XXVII. Gedanken uͤber die vielen Lotterien. Bey dem Anfange der Osnabruͤckischen Lotterie. Sie haben recht, mein guter Crito, die vielen Lotterien, und der große Beyfall, den sie uͤberall finden, ist ein Merkmal unser hoͤchstverdorbenen Sitten. Die Menschen, und sogar auch diejenigen unter ihnen, denen die weise Vor- sehung nichts ohne Muͤhe zugedacht hat, wollen alle ploͤtzlich reich werden, und fallen in Versuchung und Stricke; und viel reitzendere Stricke als die Lotterien giebt es, den Stein der Weisen ausgenommen, gewiß nicht. Die Neigung zu Mösers patr. Phantas. I. Th. L leicht- Gedanken uͤber die vielen Lotterien. leichtfertigen Gewinnsten hat sich uͤber ganz Deutschland aus- gebreitet, und kaum ist noch hie und da ein alter ehrlicher Vater, dem die saure Frucht des Fleisses schmeckt, und der sich an dem Abende seiner Tage durch die suͤsse Erinnerung seiner uͤberstandenen Muͤhseligkeiten erquickt. Wenn ehedem eine Gesellschaft junger Waghaͤlse dem Gluͤcke mit staͤrkern als gewoͤhnlichen Schritten nacheilen wollte: so uͤbernahm sie Bergwerke zu bauen, Canaͤle zu graben, Schiffe auszuruͤ- sten, und sich neue Quellen des Erwerbs und der Handlung zu eroͤfnen. Allein jetzt will jeder ploͤtzlich und leichtfertig reich werden. Die Kriegeslieferungen und die glaͤnzenden Halb- metalle unser verschwundenen Muͤnzen liegen den mehrsten noch in Gedanken, und stoͤren ihre Ruhe. Der Handwerks- mann kann noch nicht wieder zu dem kleinen, oͤftern und dauer- haften Gewinnst zuruͤckkehren; er will doppelt und dreyfach gewinnen. Der Landmann vertrinkt die Pfennige, so er fuͤr Butter und Eyer einnimmt, und will sich noch nicht wieder gewoͤhnen, aus vielen Hellern einen Thaler zu sammlen. Und so scheinet ein allgemeiner Schwindelgeist alle Staͤnde der Menschen zu beherrschen. Allein was thut ein Vater, wenn seine Toͤchter nicht mehr ruhig schlafen wollen? Er giebt den luͤsternen Maͤdgen gute Maͤnner, und macht sie zu fruchtbaren Muͤttern. Was thut ein Landesvater, wenn seine Kinder zur Verschwendung geneigt sind? Er leitet ihre Neigungen auf einheimische Pro- dukte; verwandelt die Verschwender in Patrioten, und legt selbst Lotterien an, wenn sie durchaus ihr Gluͤck auf eine ploͤtzliche und schwermerische Art machen wollen. Laßt uns also auch die Sache von dieser Seite betrachten. Laßt uns annehmen, der Strom der Thorheit wolle sich in seinem star- ken Laufe nicht aufhalten lassen; und so sey es der weisen und aufmerksamen Politik gemaͤß, ihm diejenige Richtung zu ge- ben, Bey dem Anfange der Osnabruͤck. Lotterie. ben, wo er in seinem Laufe annoch einige Wiesen waͤssern und dem Staate nuͤtzlich werden kann. Sollten denn eben die Lotterien mehr als andre Nothmittel zu tadeln seyn? Koͤnnte man sie alle verbieten, und dabey verhindern, daß die Menschen nicht in heimliche Versuchungen und Stricke fielen: so moͤchte man es immerhin thun. Koͤnnte man durch ein solches Verbot vollends allen verwoͤhnten Buͤrgern, die Buͤrgerinnen nicht ausgeschlossen, wieder einen Geschmack an den zu ihrer Gesundheit sowol als zu ihrem wahren Ver- gnuͤgen dienenden sauren Fruͤchten des Fleisses beybringen: so wuͤrde es noch besser seyn. Denn tausend Thaler, so in einer auswaͤrtigen Lotterie oder in Peru gewonnen werden, bezeichnen den wahren Reichthum eines Landes nicht so sehr, als hundert Thaler, die mit der schweresten Arbeit daheim erworben werden. Erstere koͤnnen dem leichtfertigsten Muͤs- siggaͤnger zufallen: aber letztere setzen voraus, daß ein Land viele fleißige Haͤnde, wehrhafte Maͤnner, und eigne Nerven habe. Allein da ein solches Verbot dem herrschenden Geist der Thorheit nicht angemessen ist, und die Versuchung zum ploͤtz- lichen reich werden, vielleicht gar nur noch verstaͤrken wuͤrde: so ist nichts uͤbrig als nachzugeben, und aus einem schlimmen Wurf den besten Vortheil zu ziehen. Die Lotterien haben von einer andern Seite betrachtet auch noch einen wichtigen Vortheil fuͤr den Staat. Denn seitdem unsre roͤmischgelehrten Richter den Geist der deutschen Verfassung verlohren haben, und daher bey allen vorkommen- den Streitigkeiten den Besitzstand zur Richtschnur ihrer vor- laͤufigen Entscheidungen nehmen muͤssen; so darf es ein ehr- licher Mann fast nicht mehr wagen, ein gutes Werk zu thun, ohne sich der Gefahr auszusetzen, sich auch fuͤr die Zukunft da- zu pflichtig zu machen. Wie mancher christlicher Bauer L 2 wuͤr- Gedanken uͤber die vielen Lotterien. wuͤrde seinem Gutsherrn gern diese oder jene Gefaͤlligkeit erweisen; wie mancher freyer Mann wuͤrde mit Vergnuͤ- gen zu dieser oder jener gemeinen Unternehmung einen Beytrag thun: wie mancher Edelmann wuͤrde den Kirch- weg zu seiner Kirche in den vortreflichsten Stand setzen lassen, wenn er nicht befuͤrchten muͤßte, dazu in der Folge als zu ei- ner Schuldigkeit angehalten zu werden? Der Richter fraͤgt in einem zweifelten Falle gleich, wer den Weg das letzte- mal gebessert habe, und so verdammet er ihn sofort mit Vor- behalt seines Rechtes, ihn auch fuͤr dasmal zu bessern; und dieser Vorbehalt nuͤtzt ihm zu nichts, weil die Hauptsache sel- ten zu Ende kommt. Dergleichen Unbequemlichkeiten kann durch Lotterien vorgebogen werden, so lange dieser Name ein redendes Zeug- niß bleibt, daß dasjenige, was einer darinn setzt, sein frey- williger Beytrag sey. Man oͤfnet also durch dieselbe allen freyen Personen einen Weg, ihre Großmuth und ihren Eyfer fuͤr das gemeine Beste ohne alle Gefahr fuͤr ihre Freyheit, zu zeigen. Man oͤfnet ihnen durch dieselbe einen Weg unge- zwungen, ungeschaͤtzt und nach eignen Gefallen dem gemeinen Wesen zu Huͤlfe zu kommen. Man gelangt durch dieselbe an den Geldbeutel, welcher sich sonst noch bis hiezu der Steuer- anlage einigermaßen entzogen hat; und da die Begierde, ploͤtz- lich reich zu werden, wuͤrklich alle Menschen mehr oder weni- ger in Versuchung fuͤhret: so lockt man sie dadurch gerade auf den Heerd, wo sie sich am liebsten zum gemeinen Besten fan- gen lassen. Was jene roͤmische Rechtsgelahrsamkeit dadurch verdorben, daß sie das Wohlthun, das Mitleid, die Gast- freyheit und andre Tugenden furchtsam und zuruͤckhaltend ge- macht hat, das kann durch diesen Weg einigermaßen wieder ersetzt und verguͤtet werden. Die Tugend hat keine eifrigere Verehrerin als die Thorheit, wenn diese ihre Rechnung dabey fin- Bey dem Anfange der Osnabruͤck. Lotterie. findet; und wenn es aufs bezahlen geht, so hat die letztere ih- ren Beutel allezeit geschwinder offen als die erste. Beynahe moͤchte ich sagen, es sey die Schuldigkeit einer Obrigkeit, dafuͤr zu sorgen, daß eine einheimische Lotterie be- staͤndig im Gange sey. Denn ist es einmal durch die Erfah- rung bewaͤhrt, daß das heutige Menschengeschlecht durchaus Gluͤcksspiele haben wolle: so ist es besser, daß die ein- heimische Obrigkeit fuͤr ein redliches Spiel sorge, als daß die Unterthanen den Schlingen fremder Lotteriepaͤchter blosge- stellet werden. Sorget doch die Policey in großen Staͤdten dafuͤr, daß gewisse nun einmal herrschende Laster mit der min- desten Unordnung und Unsicherheit ausgeuͤbet werden koͤnnen; und fordert man nicht von einem Vater, daß er seinen Sohn ins Spielhaus begleiten solle, damit er nicht in unsichere Haͤnde gerathen moͤge? Ich weis wohl, vordem war es nicht also. Vordem reichte der Fluch einer Mutter und die Macht einiger andern dunklen Ideen hin, die Jugend in mancher Versuchung zu be- wahren. Das Maͤdgen zitterte wie Espenlaub, und wußte oft nicht eigentlich warum, wenn es auch nur in aller Unschuld einen verbotenen Weg betreten wollte. Allein seitdem wir die Jugend mit lauter deutlichen Wahrheiten und klaren Ideen erziehen wollen, muͤssen wir um die Reinigkeit ihrer Sitten und die Gesundheit ihres Koͤrpers zu erhalten, ganz andre Vertheidigungsanstalten machen; und seitdem die Kunst ohne Muͤhe reich zu werden, der Wunsch aller Menschen ist, muͤssen Obrigkeiten ebenfalls neue Wege versuchen, diesen Wunsch mit der unschaͤdlichsten Nahrung zu unterhalten. Sie sehen hieraus mein lieber Crito, daß es noch ei- nige hoͤhere und wichtigere Ursachen giebt als diejenigen sind, welche sie nicht gelten lassen wollen, warum man billig eine Lotterie im Lande haben muͤsse. Sie sehen es mit ihren L 3 sterb- Gedanken uͤber die vielen Lotterien. sterblichen Augen, wie sehr sich die fremden Lotterien verviel- faͤltigen, und wie sie in jedem freyen Lande, in jedem kleinen Flecken und in jedem Dorfe bereits ihre Schilder ausgehangen und ihre Werbhaͤuser aufgerichtet haben. Sie sehen, wie sich die ansteckende Begierde ohne Muͤhe reich zu werden, in die kleinsten Koͤttereyen ausbreitet, und wo nicht den Mann, wenn er seinen Brantewein trinket, doch gewiß die Frau, wenn sie ihren Coffee holet, mit einem Billet erhaschet. Solte denn nicht ein jeder Patriot wuͤnschen, daß dieser allgemeine Hang zum gemeinen Besten genutzt werden moͤchte? Ver- wandelt sich nicht das Geld, was die Unterthanen auf solche Weise verschwenden, in einem nuͤtzlichen Beytrag, wenn es zur allgemeinen Wegebesserung verwandt, und denjenigen, die es ausgeben, gleichsam wieder fuͤr die Thuͤre gebracht wird? Gewiß Sie werden noch selbst hundert Billets nehmen, und an dem Beschlag ihrer Wagen und Pferde jaͤhrlich so viel er- sparen, als sie dafuͤr ausgeben. Sie werden dieses Geld mit so viel mehrerm Vergnuͤgen ausgeben, je oͤfterer sie schon gewuͤnscht haben etwas zur Wegebesserung ohne Nachtheil ih- rer Freyheit beytragen zu koͤnnen. Dies werden Sie gewiß thun. Ihre Devise ist: Freyheit, und ihre Seele: Patrio- tismus ꝛc. N. S. Ich uͤbersende Ihnen hiebey einen Plan von der hie- sigen Lotterie, welchen Ihro Koͤnigl. Majestaͤt als Vater ge- nehmiget, und Loͤbl. Stiftsstaͤnde garantiret haben. An der Sicherheit fehlt ihr also gewiß nichts. Daß sie mit aller moͤglichen Treue und Aufrichtigkeit werde gezogen werden, daran zweifeln sie gar nicht; und daß sie eben so vortheilhaft als irgend eine andre Lotterie sey, koͤnnen sie leicht daher schließen, weil man nicht mehr und vielleicht noch weniger da- von nimmt als anderwaͤrts geschieht, und keine andre Neben- absicht Bey dem Anfange der Osnabruͤck. Lotterie. absicht dabey hat, als mit einem redlichen Spiele die Gauner zu vertreiben. XXVIII. Trostgruͤnde bey den zunehmenden Mangel des Geldes. Geld! entsetzliche Erfindung! du bist das wahre Uebel in der Welt. Ohne deine Zauberey war kein Raͤuber oder Held vermoͤgend das Mark zahlreicher Provinzien in eine Hauptstadt zusammen zu ziehen, und unzaͤhlbare Heere zum Fluch seiner Nachbaren zu erhalten. Du warst es, wo- durch er zuerst die Heerden seiner getreuen Nachbarn ihre Erndten und ihre Kinder sich eigen machte, und zum Un- gluͤck einer kuͤnftigen Welt, den Schweiß von Millionen ar- men Unterthanen in tiefen Gewoͤlben bewachen ließ. Ehe du erfunden wurdest, waren keine Schatzungen, und keine ste- hende Heere. Der Hirte gab ein Boͤcklein von seiner Heerde, der Weinbauer von seinem Stocke einen Eymer Weins, und der Ackersmann den Zehnten gern von allem was er bauete: denn er hatte genug fuͤr sich, und genoß des Opfers mit, welches er von seinem Ueberflusse brachte. Der Herr war froh seinen Acker zu verleihen, und so viel Korn dafuͤr zu em- pfangen, als er fuͤr sich und seine Freunde gebrauchte. Er wuͤrde erstaunt seyn, wenn ihm sein Knecht, durch die Zau- berkraft des Geldes, die ganze Erndte von funfzig Jahren zum Antrittsgelde oder zum Weinkaufe haͤtte opfern wollen. Welch ein grausames und laͤcherliches Geschoͤpf wuͤrde ein Geizhals zu der Zeit gewesen seyn, da man deine Zaube- rey, die Kunst das Vermoͤgen von hundert Mitbuͤrgern in L 4 einer Trostgruͤnde bey den zunehmenden einer papiernen Verschreibung zu besitzen, noch nicht kannte! Berge von Korn unzaͤhlbare Heerden haͤtten seinen Schatz ausmachen muͤssen. Zwischen diesen Reichthuͤmern haͤtte er verhungern, haͤtte er den Armen nichts mitgeben, haͤtte er die Beduͤrfnisse des Staats dem Geringern zuwelzen sollen? Auf seinen Kornhaufen wuͤrde man den Boͤsewicht verbrannt haben; und wer haͤtte seinen Vorrath fuͤr Wuͤrmer, seine Heerden fuͤr Seuchen und ihn selbst wider die Rache seiner Nachbaren sicher stellen wollen? Ehe du kamest, war die Wohlthaͤtigkeit die gemeinste Tugend; wenn man es eine Tugend nennen kann, was die natuͤrliche Folge verderblicher Guͤter war. Komm zu mir, sprach der Reiche zum Armen, und labe dich von meinem Biere, und iß von meinem Brodte. Es verdirbt ja doch, und die Erndte ist wieder vor der Thuͤr. Soll ich fuͤr die Wuͤrmer sparen und dich darben lassen? So sprach der Deutsche, wie er noch dem roͤmischen Gelde fluchte; und in der Wohlthaͤtigkeit besaß er alle Tugenden. Ehe du kamest, war der Unterscheid der Staͤnde und die Begierde sich zu erheben, nicht groß unter den Menschen. Jezt hat der Himmel oft Muͤhe ohne Wunder einen Reichen arm zu machen, da er seine Fruͤchte in hartes Metall ver- wandelt, und bey unzaͤhligen Schuldnern verwahrt. Da- mals aber lebte er mit seiner Heerde und mit seinen Scheunen un- ter der unmittelbaren Furcht von jedem Wetterstrahle; und dankbar und gefuͤhlvoll betete er die goͤttliche Vorsehung bey jeder Landplage gleich den geringsten unter seinen Flurgenossen an. Ehe du kamest, war noch Freyheit in der Welt. Keine Macht konnte unbemerkt und sicher den Schwaͤchern zu Haupte steigen, kein Richter konnte heimlich bestochen werden, und brauchte sich bestechen zu lassen, kein Zanksuͤchtiger konnte eine Rechtssache weiter bringen, als seine Futterung reichte, kein Thor Mangel des Geldes. Thor mit einem Fuder Korns nach dem Cammergerichte rei- sen, und kein Kluger in die Versuchung gerathen mehr Pro- cesse fuͤr andre zu fuͤhren, als er zu seiner taͤglichen Noth- durft und Nahrung gebrauchte. Groͤßere Feindschaften waͤh- reten nicht laͤnger als bis der Kriegesvorrath verzehrt war; und der Hunger war ein sicherer Friedensbote. Ehe du kamest, wußte man nichts von fremden Thor- heiten und Lastern. Deutschland konnte weder in Frankreich verzehret noch die Erndten aus Westphalen fuͤr Wein und Coffee versandt werden. Wer satt hatte, konnte nichts mehr verlangen, und satt hatten alle Laͤnder, denen der Himmel Vieh und Futter gab. Jeder liebte seinen eignen Acker und sein Vaterland, weil er nicht anders reisen konnte als ein Bettler auf die Rechnung der allgemeinen Gastfreyheit, und wo er mit einer stolzen Begleitung reisen wollte, als ein Feind zuruͤckgewiesen wurde. Ehe du kamest, war der Landbesitzer allein ein Mit- glied der Nation. Man kannte eines jeden Vermoͤgen, und die Anwendung der Strafgesetze geschahe nach einem sichtba- ren Verhaͤltniß. Die Gerechtigkeit konnte einem jeden das seinige mit dem Maasstabe in der Hand zumessen; die Gleich- heit der Menschen durch eine sichere Anweisung der Aecker- zahl bestimmen, und ewig verhindern, daß keiner zwey Erb- theile zusammen brachte. Man kannte keine geldreiche Leute diese Verraͤther der menschlichen Freyheit; das Mittel Schul- den zu machen, und tausend Schuldner zu heimlichen Scla- ven zu haben, war den Menschen unerhoͤrt. Die Kinder konnten den vaͤterlichen Acker nicht schaͤtzen lassen, und von dem gesetzmaͤßigen Erben nicht fordern, daß er ihnen den Werth desselben zu gleichen Theilen herausgeben solte. Er gab ihnen Pferde und Rinder; der Richter oder Gutsherr beurtheilte die Billigkeit in diesem Stuͤcke leicht, weil sie L 5 auf Trostgruͤnde bey den zunehmenden auf sichtbaren Gruͤnden beruhete, und der Staat duldete es nicht, daß der Acker mit jaͤhrlichen Abgiften zum Vortheil der abgehenden Kinder, beschweret wurde. Ehe du kamest, entschieden Klugheit und Staͤrke diese wahren Vorzuͤge der Thiere und Menschen das Schicksal der Voͤlker. Die Kraͤmer herrschten nicht mit ihrem Gelde uͤber die Tapfersten; und der Zugang zu den geheimsten Staats- raͤthen konnte fuͤr eine Tonne Poͤckelfleisch nicht so leise als fuͤr eine Tonne Goldes in Wechseln eroͤfnet werden. Gluͤckselige Zeiten! denen wir uns nunmehr wieder naͤhern koͤnnen, da die maͤchtige Zauberin zusehends verschwin- det. Wie maͤßig, wie ruhig, wie sicher werden wir leben, wenn wir ohne Geld alles mit Korn wieder bezahlen koͤnnen; wenn der Steuereinnehmer, der Gutsherr, der Richter und der Glaͤubiger nicht mehr nehmen moͤgen, als sie mit Ge- walt verzehren, und fuͤr Wuͤrmer bewahren koͤnnen! wenn der Bettler mit seinem taͤglichen Brodte zufrieden seyn muß, und keine Pfaͤnder mehr verkaufet werden koͤnnen! Bedauret demnach edle Mitbuͤrger den Mangel des Geldes nicht. Bemuͤhet euch vielmehr den Rest dieses Uebels vollends los zu werden! Werft eure Reichthuͤmer ins Meer oder schickt sie den boͤsen Nationen zur Strafe zu, die euch mit Wein, Coffee und neuen Moden versorgen. Hungert die Einwohner der Staͤdte, die ohne Ackerbau, blos von eurer Thorheit leben, voͤllig aus, und zwingt sie, euch bey eurer Maͤßigkeit zu lassen. Ihr braucht alsdenn nichts wie Mausefallen, um euch fuͤr die gefaͤhrlichste Art von Feinden und Dieben sicher zu stellen. Johann Jacob. .... N. S. Ich hoffe, meine geneigten Leser, werden dem Sophi- sten zu gefallen, wenn sie auch dessen Gruͤnde nicht beantwor- ten Mangel des Geldes. ten koͤnnen, keinen Kreuzer wegwerfen. Ich wuͤnsche aber auch, daß sie die Deklamationes der Freygeister unsrer Zeiten gegen den Grundwahrheiten der Religion und Moral mit ei- ner gleichen Wuͤrkung lesen werden. XXIX. Johann konnte nicht leben. Eine alltaͤgliche Geschichte. Hast du es dem Thorschreiber gesagt, Johann, daß er kuͤnftig seine schlaͤfrigen Augen besser aufsperren, und die Luͤgen unter Gottes Geleite, ich meine die Frachtbriefe der Kaufleute, nicht so blindlings fuͤr Wahrheiten halten solle? Ja, Herr Kriegesrath, aber die Leute muͤssen auch le- ben, und nach dem bekannten Sprichwort ..... Kein aber, mein guter Kerl! das bitte ich mir aus; und noch weniger Sprichwoͤrter, wenn sie auch aus deinem gestempelten A B C-Buch seyn sollten. Sie sind mir ver- haßter als die Rechtsregeln, und du weist schon aus der Er- fahrung, daß dergleichen im Cammeretat nicht gut gethan werden. Je nun, ich sage ja weiter nichts, als der Mann kann von den hundert Thalern, die er des Jahrs hat, nicht leben, und wenn er die Augen zu weit aufthut: so thun die Kauf- leute den Beutel zu. Schon wieder eine Sentenz. Aber weist du auch wohl Johann, was Leben sey? Leben ist, ja Leben ist, daß man lebt. Aber wie? das ist die Sache. Der Fuͤrst klagt, daß er Johann konnte nicht leben. er nicht leben kann; der Feldmarschall kann nicht leben, der Kriegesrath kann nicht leben, der Thorschreiber kann nicht leben, und vielleicht kannst du auch von den zehn Thalern, die ich dir des Jahrs gebe, nicht leben. Das ist mir ein Le- ben, wovon der Schluß allezeit ist, wir muͤssen Betruͤger werden. Wenn ich dich zum Thorschreiber befoͤrderte, und dies ist doch dein groͤßter Wunsch; so wuͤrdest du ja auch nicht leben koͤnnen? Freylich nicht, Herr Kriegesrath; aber ich haͤtte denn doch bessere Gelegenheit als jetzt bey ihnen, meine fuͤnf Sinne zu gebrauchen. Wenn ich alsdenn nur meine Augen des Ta- ges einmal zuthue: so stehe ich weit besser, als wenn ich sie bey ihnen Nacht und Tag aufsperre. Und dennoch, du magst es mir nur auf mein Wort glauben, wirst du nicht leben koͤnnen. Der Koͤnig hoͤrte ein- mal, daß ein Gartenjunge sich beschwerte, er koͤnnte nicht leben. Er machte ihn darauf zu seinem Hofgaͤrtner; allein, er konnte wieder nicht leben. Er kam als Secretair bey der Gartencanzley; noch konnte er nicht leben. Er wurde end- lich Oberintendant aller Gaͤrten und Lustschloͤsser; und nun glaubte der Fuͤrst er wuͤrde gewiß leben koͤnnen. Aber nein; Bob, so hieß er, hielt jezt Kutschen und Pferde; er hatte Bediente; hielt Tafel und spielte, als wenn er große Liefe- rungen gehabt haͤtte; und wie ihn sein Herr fragte, ob er nun leben koͤnnte: so gab er ihm zur Antwort: Ach! gnaͤdig- ster Herr, der Staat erfordert heutiges Tages so viel; es gehoͤrt so vieler Ueberfluß zum Nothwendigen; man wird so wenig geachtet, wenn man nicht seinem Range gemaͤß lebt; die Frauen sind solche kostbare Puppen; und die Kinder, wenn ich sie Standesmaͤßig erziehen soll, erfordern so viel, daß es unmoͤglich, ja unmoͤglich ist als Intendant des Jahrs mit zweytausend Thalern auszukommen ...... Ich wette, Jo- Eine alltaͤgliche Geschichte. Johann, du wuͤrdest auch Bob oder wohl gar Herr von Bob werden, wenn du erst ein paar Jahr Thorschreiber gewesen waͤrest. Das kaͤme auf die Probe an, Herr Kriegesrath. In- dessen ist es doch so gut, als eine gestempelte Wahrheit, daß wenn die Frau Visitatorin eine schwarze Saloppe traͤgt, meine kuͤnftige Liebste als Thorschreiberin doch wenigstens eine von große Beaute haben muͤsse. Just so philosophirte Bob auch. Weist du aber auch wohl was er sagte, als er im Zuchthause von seiner Haͤnde Ar- beit leben mußte? Bin ich nicht ein erzdummer Narr gewe- sen, sagte er, daß ich mir gerade die groͤßten Narren zu Mustern gewaͤhlt habe! Ich daͤchte also, mein lieber Johann, wenn die Frau Visitatorin kollerte: so muͤßte die Frau Thor- schreiberin dermaleinst Verstand genug besitzen, sich nach ihrer Decke zu strecken. Du thust aber wohl am besten, daß du das Heyrathen noch eine Zeitlang aufschiebst. Denn wuͤrklich, die Weiber sind es jezt, welche die Maͤnner ins Zuchthaus bringen; und du koͤnntest ohnedem leicht dahin kommen, wenn du die Augen zu oft verschloͤssest. Ach Herr Kriegesrath, das hat gute Wege. Wem der Koͤnig ein Amt giebt, dem giebt er auch zu leben; dies er- fordert die Billigkeit, die Gerechtigkeit, und was das fuͤr- nehmste ist, sein eignes Interesse. Denn wer nicht gut lohnt, wird auch nicht gut gedient. Nun kein Wort mehr, ich mag das Gewaͤsche gar nicht mehr hoͤren. Dein Bruder ist Kuͤster, und zieht dreymal in der Woche an die Glocke. Er hat also ein Amt; und nun soll ihn das Amt auch ernaͤhren? Das waͤre eine erschreckliche Sache. Wenn Bediente, die alle Stunden des Tages, und noch manche des Nachts ihrem Herrn aufopfern muͤssen; von ih- Johann konnte nicht leben. ihrem Herrn fordern, daß er ihnen nach dem Stande, wor- inn er sie setzt, zu leben gaͤbe: so ist ihre Forderung gerecht. Allein, daß der Mann, der ihm alle Monat ein paar Schuh macht, sogleich von diesen zwoͤlf paar Schuhen leben will, das ist unertraͤglich. Hoͤren Sie, Herr Kriegesrath, mein voriger Herr, ein Burgemeister, sprach eben so. Wovon, sagte er zu dem vorigen Praͤsidenten, muß ich, wovon muͤssen so viele Raths- herrn leben? Wir sind nicht, gleich so vielen besoldeten Die- nern, dem gemeinen Wesen in die Futterung gegeben. Nein, die Buͤrgerschaften haben von je her ganz andre Grundsaͤtze gehabt. Sie waͤhlen bemittelte Leute zu Burgemeistern, und fordern von dem Rathsherrn, daß er von seinem Fleiße le- ben solle. Sie belohnen sie mit Ehre, mit Achtung und mit Liebe. Dies ist ihre Besoldung; das eine Jahr wie das an- dre; und die beste Besoldung von jedem rechtschaffenen Maune. Die großen Herrn haben uͤbel gethan, daß sie zu allen gemei- nen Verwaltungen lauter besoldete Diener angenommen ha- ben, die alle klagen, daß sie nicht leben koͤnnen; und nicht wissen wie sie leben wollen. Eine Zeitlang haben ihnen diese Diener plus uͤber plus gebracht, aber am Ende nehmen sie plus uͤber plus wieder weg; und der Herr hat nicht mehr uͤbrig als er vorher uͤbrig hatte. Es schadet ihnen aber nichts; in- dem sie oft die schlechtesten Leute zu ihren Dienern annehmen, und dann ihre Diener uͤber alle andre erheben, und diejeni- gen, welche keine andre Besoldungen, als die Liebe und den Seegen ihrer Mitbuͤrger haben, unbillig heruntersetzen. In unserm Buͤrgerrath werden keine andre als angesessene und angesehene Leute zugelassen. Die Bedienungen der Stadt werden als Reihelasten betrachtet, die jeder nach seiner Ord- nung mit uͤbernehmen muß. Keiner wird besoldet. Besol- dungen sind fuͤr die Unterbediente, die keinen Theil an unsrer Ehre Eine alltaͤgliche Geschichte. Ehre haben. Und der Unterbediente, insbesondere aber den Untervogt und den Visitator besolden wir kaͤrglich, damit diese Leute nicht zu viel Zeit zum spintisiren haben, sondern beym graben, spinnen und arbeiten vergessen moͤgen, wie sehr sie die Buͤrger scheren koͤnnen, wenn sie alles aufs schaͤrfste suchen und Knoͤtgen zu Knoten machen wollen. Wenn dergleichen Leute so viel Besoldung haͤtten, daß sie davon leben koͤnnten: so wuͤrden sie muͤßige Spionen abgeben, und nicht fuͤrs ge- meine Beste, sondern blos fuͤr die Casse sorgen. So sprach mein voriger Herr, der Burgemeister, zum seligen Praͤsidenten. Und ich habe seitdem allezeit gewuͤnscht ein bemittelter Mann zu seyn; das weis der liebe Himmel. Ist deine Predigt aus, Johann? Nun so gehe hin, und sage dem Thorschreiber, daß ihn der Koͤnig seines Dienstes in Gnaden erlassen, und dich wieder an seine Stelle gesetzt habe. ............ Wer war vergnuͤgter als Johann? Er ward Thorschrei- ber und konnte nicht leben. Er heyrathete die Cammerjungfer von der Frau Kriegsraͤthin, und konnte noch nicht leben. Er that alle Tage zweymal die Augen zu, und konnte doch alle die Saloppen von große Beaute, welche die junge Frau Thor- schreiberin gebrauchte, nicht bezahlen. Sie machte ihn zum Hahnrey, und dem allen ungeachtet, konnte auch sie nicht leben. Sie kamen beyde ins Zuchthaus. Nun konnten sie leben. XXX. Von Verbesserung der Brauanstalten. XXX. Von Verbesserung der Brauanstalten. In den mehresten Provinzien Deutschlandes giebt es auf dem Lande Zwangbrauereyen und Zwangkruͤge. Die Staͤdte, welche sich von diesem Zwange losgemacht, haben ihre besondern Ordnungen, und sie werden entweder durch eine eigne Bierprobe oder aber durch beeidete Braumeister und andre Anstalten zur Beobachtung einer sichern Regel im Brauen angehalten. Gleichwohl sagt man, daß daselbst das Bier immer schlechter und bey weiten nicht so gut als ehedem gemacht werde. Hier im Stifte weis man von keinem Zwange; die Bierprobe ist laͤngst in Vergessenheit gerathen, und beeidete Braumeister sind wohl niemals vorhanden gewesen. Auf dem Lande braut und schenkt wer Lust und Mittel dazu hat. In den Staͤdten ist kein Reihebrauen, kein Brauhaus und keine eigentliche Braugerechtigkeit. Man genießt also einer unumschraͤnkten Freyheit. Dennoch sagt und sieht man, daß das Bier uͤberall schlechter und lange nicht so gut als in den vorigen Zeiten gebrauet werde. Es haben also so wenig Zwang als Freyheit den Ver- fall der Braunahrung verhindern koͤnnen. Indessen scheinet es doch das sicherste zu seyn, das Brauwesen eher mit als ohne Ordnung fortgehen zu lassen. Unstreitig sind ehedem und zwar zur Zeit als jedes Kirch- spiel noch ein eignes Amt unter seinem Kaspelherrn ausmachte, gute Anstalten vorhanden gewesen; die aber mit einander ver- lohren gegangen, als man jene kleine Kaspelämter und Nie- der- Von Verbesserung der Brauanstalten. dergerichtsbarkeiten gesprengt, und lauter große Aemter ge- macht hat. Es wuͤrde also eben nichts neues seyn, wenn die allzugroße Freyheit ohne Probe, ohne Aufsicht und ohne Ord- nung zu brauen einigermaaßen eingeschraͤnket wuͤrde. Wir befinden uns in den gluͤcklichen Umstaͤnden, daß wir so wenig von dem Malze und dem Hopfen als von der Pfanne und dem Gebraͤude das allergeringste zu entrichten haben. Desto eher muͤßten wir im Stande seyn, mittelst einer guten Ord- nung ein gutes und gesundes Bier zu haben. Die beste Ordnung, welche ich noch kenne, findet sich bey dem Reichshofe Westenhof, in dessen Rechten Beym von Steinen in seiner Westphaͤl. Gesch. N. VI. S. 1565. es also lautet: 〟In deser Baronie binnen den Ryksvredepaelen ist de alde 〟Parochiekerke de aͤlste und hoͤchste Erve, de dat Recht 〟hefft, dat die dieses Rykshafes Saete und Maet bewah- 〟ret und uytdelet, und mag ook niemand Beer to koepe 〟brouwen dann in deser Kerken Brouwpanne, und der 〟Kerken daervan geven. Hier gehoͤrt die Braupfanne im Kirchspiel der Kirche. Die Gildemeister oder Bauerrichter sind beeidigt, darauf zu sehen, daß die Wirthe, welche zum feilen Kauf brauen, das gehoͤrige Malz dazu nehmen, und nicht mehr davon ziehen, als die Ordnung erlaubt; der Kuͤster holet die Probe, ehe es verzapft werden darf; und der Pastor urtheilet ob es gut sey oder nicht. Ist es nicht gut: so laͤßt er die sechs aͤltesten der Gemeine zusammen rufen, welche nach einem abermaligen Versuch, und wenn ihr Urthel mit jenem gleich ausfaͤllt, so- fort das Bier um die Haͤlfte oder nachdem es ist, noch weiter herunter setzen. Sie Möscrs patr. Phantas. I. Th. M Von Verbesserung der Brauanstalten. Sie haben bey dieser Anstalt noch einen andern Vor- theil. Die Kirche bekoͤmmt von jedem Gebraͤude ein Ge- wisses, welches zu ihrer Unterhaltung dienet; und die Ein- gesessenen merken es nicht, wenn sie auf eine so leichte Art das ihrige zum Bau und zur Besserung der Kirchen beytragen koͤnnen. Wie waͤre es also, wenn wir diesem alten Exempel folg- ten? Dadurch, daß die Pfanne der Kirche gehoͤrt, und jeder- mann in dieser Pfanne brauen muß, wird keine wahre Zwang- gerechtigkeit eingefuͤhret. Von der Freyheit geht dabey auch nichts verlohren. Die Kirche ist kein Finanzcollegium, welches mit jeder guten Ordnung neue Auflagen verknuͤpfet. Sie hat auch keine Bruͤchten von den Uebertretern zu empfangen. Sie wird auf diese Art unmerklich, und hauptsaͤchlich von Brauern, die das meiste verdienen und das wenigste zur Kirchencol- lecte beytragen, unterhalten. Und da die ganze Direction zwischen dem Pastor, dem Kuͤster und der Gemeine bleibt: so ist auch nicht zu befuͤrchten, daß die Pfanne in eines Paͤch- ters oder Erbpaͤchters Hand werde gegeben werden. Zu be- wundern ist es uͤbrigens allemal, daß die Eingesessenen der Freyheit Westhofen ihre Braupfanne wie die Wroge ihrer Kirchen uͤbergeben haben. Man erkennet in dieser Einrich- tung den Geist der alten deutschen Freyheit, der weit voraus sahe, das aus solchen Rechten, wenn sie in die Hand der Obrigkeit kaͤmen, leicht Regalien werden wuͤrden, und sie da- her lieber ihrer Kirche als dem Kirchspielsamte beylegen wollten. XXXI. XXXI. Etwas zur Verbesserung der Intelligenz- Blaͤtter. Man muß immer lernen; solte es auch von den Wilden seyn. Die deutschen Colonisten, welche sich in Amerika befinden, koͤnnen zwar mit Recht nicht unter die Wilden ge- zaͤhlet werden. Indessen haͤlt ein Europaͤer doch insgemein dafuͤr, daß er nicht noͤthig habe bey ihnen in die Schule zu gehen. Diesmal aber wollen wir ihn doch dahin schicken, und zwar, um die europaͤischen Intelligenzblaͤtter aus den Amerikanischen verbessern zu lernen. Die Germantowner Zeitung oder Sammlung wahr- scheinlicher Nachrichten aus dem Natur- und Kirchenreiche, welche bey Christoph Sauer zu Germantown herauskommen, und bey Daͤschler in Philadelphia, bey Lauman in Lancaster, bey Billmayer in Yorkraum, und bey Hofmann in Neuyork zu haben ist, haben das vorzuͤgliche, daß bey jedem Intelli- genzartikel gleich vor dem ersten Buchstaben ein kleiner Buch- druckerstock oder Holzschnitt angebracht ist, wodurch der In- halt des Artikels angezeigt wird. Vor dem Artikel, worinn z. E. einem verlohrnen oder ver- laufenen Pferde nachgefragt wird, steht ein Pferd mit dem Kopfe nach der Aussenseite gewandt. Ist von einem aufgefange- nen oder zugelaufenen Pferde darinn die Rede; so haͤlt ein Pferd den Kopf einwaͤrts nach den Artikel. Auf gleiche Weise stehen Ochsen ‚Kuͤhe und Schafe vor solchen Artikeln, worinn von die- sem Viehe geredet wird. Ist von einem gestohlnen Pferde die M 2 Frage: Etwas zur Verbesserung Frage: so sitzt ein Reuter darauf, der es wegreitet; und wenn ein andrer Diebstahl angezeigt wird: so steht ein Mann, der einen Buͤndel wegtraͤgt, an der Spitze. Vor eine Citation gegen eine verlaufene Frau, steht eine Dame im Reisehute; und ein wilder Mann mit einer Kaͤule bedeutet, daß in dem Artikel von einem verlohrnen oder verloffenen Menschen die Rede sey. Ist ein Haus zu verkaufen: so ist auch ein Haus vorangedruckt; und eine Plantage, wenn diese zu verkaufen ist. Auf solche Art laͤßt man in den amerikanischen Zeitungen alle Rubriken, deren wir uns in Europa bedienen, ganz weg: ersparet dadurch vielen Raum, und ist im Stande den In- halt des ganzen Intelligenzblattes sogleich aus den Ochsen, Pferden, Haͤusern, Bouteillen, Medecinglaͤsern und andern aͤhnlichen Zeichen mit einem Blicke zu uͤbersehen. Die Zei- chen sind fast nicht groͤßer und kuͤnstlicher als die so auf der letzten Tafel in unsern gewoͤhnlichen A B C-Buͤchern zu stehen pflegen. Allein sie sind kenntbar und charakteristisch und gleich zu verstehen. Verdiente diese Mode nun nicht auch von Uns ange- nommen zu werden? Ich meine ja. Allein liessen sich auch zu unsern Artikeln eben so bedeutende erfinden? Nun das kaͤme auf die Probe an; und wir wollen gleich einen Versuch dazu machen. Unsre mehrsten Artikel bestehen aus Ladungen gegen Glaͤubiger, welche kommen, hoͤren und sehen, und nichts empfangen sollen. Die koͤnnten nun wohl, wenn sie nichts besonders enthielten, mit einer großen Nulle, worinn eine Schelle aufgehangen waͤre, bezeichnet werden. Wuͤrden die Glaͤubiger zur Einwilligung eines Stillestandes berufen, so koͤnnte man das Zeichen zwoer ins Kreuz gelegter Ruthen, als eine fuͤr den Schuldner und eine fuͤr den Glaͤubiger da- vor der Intelligenz-Blaͤtter vor setzen, indem insgemein beyde dadurch gezuͤchtiget wer- den. Ein Schuldner der bonis cedirt, kuͤndigte sich am besten durch einen Baum mit Voͤgeln an; und ein muthwilliger Bankerottier durch einen Pfal mit dem Halseisen. Die Lotterieartikel koͤnnten durch ein vorgesetztes Perspec- tiv; Leute so ihre Dienste anbieten, durch ein gesatteltes Pferd mit drey Beinen; Capitalien so gesucht werden, durch einen ausgeleerten Beutel, und Capitalien so zu verleihen sind, durch einen erfuͤlleten angezeigt werden. Zur Anzeige nener Buͤcher schickten sich allerley Thiere um den Inhalt anzu- zeigen; und wenn die Intelligenzblaͤtter vollends zu der Voll- kommenheit gelangten, daß auch die Personen so zu heyrathen suchen, oder zu heyrathen verlangt werden, sich darinn an- zeigen ließen: so wuͤrde man auch mehrere artige Zeichen ge- brauchen koͤnnen. Die ganze Kunst der Allegorie wuͤrde zugleich auf diese Art zur Vollkommenheit gebracht werden koͤnnen, und wer weis, was ein Genie dabey leisten wuͤrde, wenn nur erst ein Anfang gemacht waͤre. XXXII. Von dem Verfall des Handwerks in kleinen Staͤdten. Die Handwerker in kleinen und maͤßigen Staͤdten nehmen immer mehr und mehr ab; ihre Aussicht wird taͤglich trauriger, und die natuͤrliche Folge davon ist, daß sie sich zu- letzt in lauter Pfuscher verwandeln muͤssen. Die Ursache hie- von ist zwar so schwer nicht zu finden. Indessen wann man M 3 die Von dem Verfall des Handwerks die Mittel angeben will, wie einem Uebel abzuhelfen: so ist es doch allemal gut, sie noch einmal aufzusuchen und mit Auf- merksamkeit zu betrachten. Erst muͤssen wir aber sehen, wo- durch die großen Staͤdte den kleinen so vieles abgewonnen ha- ben, und noch abgewinnen. Der erste Meister, der es in einer großen Stadt so hoch brachte, daß er dreißig, vierzig und mehr Gesellen halten konnte, verfiel ganz natuͤrlicher Weise auf den Gedank n n, jedem Jungen oder Gesellen sein eignes Fach anzuweisen, und denselben dazu ganz allein zu gebrau- chen. So unterrichtete ein Uhrmacher zuerst einen Gesellen blos in der Kunst die Uhrfedern zu machen. Ein ander durfte nichts als Stifte; und ein ander nichts als Raͤder arbeiten. Dieser verfertigte Ziferblaͤtter, jener emaillirte sie, und ein andrer machte Gehaͤuse dazu, die wiederum ein andrer gravirte oder durch getriebene Arbeit verschoͤnerte. Wie alle diese Ge- sellen ausgelernet hatten, verstand keiner eine ganze Uhr zu machen. Sie blieben also, wie sie sich besonders sezten und heyratheten, von dem Hauptuhrmacher abhaͤngig und gezwun- gen sich unter ihm an dem großen Orte aufzuhalten, wo er seinen Markt aufschlug. Eben so machte es der Tischler. Er hatte funfzig und mehr Gesellen; der eine lernte nichts als Stuhlbeine schneiden; der andere lernte sie ausarbeiten, und der dritte poliren. Nach einer nothwendigen Folge behielt er diese seine Gesellen, wie sie alle Haarklauber in ihrer Art, und Meister fuͤr sich waren, als Tagloͤhner neben sich; oder wo sie sich veraͤndern wollten, musten sie an einem eben so großen Ort gehen, wo sie andern Hauptmeistern in die Hand arbeiten konnten. Dies ist die kurze Geschichte von dem Ursprung der so- nenannten Simplification, und noch jetzt der Gebrauch in London wie in Paris. Die großen Meister geniessen ausser der Huͤl- fe ihrer Gesellen, den Vortheil einige hundert solcher in ein- zel in kleinen Staͤdten. zelnen Stuͤcken vorzuͤglich geschickter und ums Taglohn arbei- tender Meister in ihrer Abhaͤngigkeit zu haben, und gelingt es nur reichen Gesellen, die etwas zuzusetzen haben, daß der Hauptmeister sie zu allen Arten von Arbeiten des Handwerks anfuͤhret. Sonst braucht er sie nur in einzelnen Verrichtun- gen, und wenige Gesellen verlangen es besser, weil sie nicht Mittel genug haben, selbst Hauptmeister zu werden, und wenn sie alle Theile des Handwerks lernen wollten, damit, so bald sie nicht Hauptmeister sind, nichts anfangen koͤnnen. Denn wozu sollte es ihnen nutzen, alle Theile einer Uhr verfertigen zu koͤnnen, da gar keine Uhr auf die alte Art oder von einer Hand mehr verfertiget werden kann, ohne hoͤher im Preise zu kommen; und sie die Mittel nicht haben als Hauptmeister sich die Arbeit von hundert Untermeistern zu Nutze zu machen. Es konnte also erstlich nicht fehlen, oder in großen Staͤdten muste besser und wohlfeiler gearbeitet werden koͤn- nen als in kleinen. Ein Mahler, Modelleur, Vergulder, Bildhauer, Ver- nisseur und Graveur gehoͤren unstreitig mit dazu, um allen Arten von Handwerkern ihre wahre Vollkommenheit zu geben; der Tischler gebraucht sie wie der Schmidt, und der Zeugma- cher wie der Goldarbeiter. Allein ein kleiner Ort ist keine Schaubuͤhne fuͤr so große Acteurs, und schwerlich wird ein maͤßiges Staͤdtgen vortrefliche Mahler, Bildhauer und an- dre Kuͤnstler unterhalten koͤnnen. Die Folge ist hievon zweytens, daß in großen Staͤdten der Handwerker die groͤßten Kuͤnstler zu seiner Fuͤhrung und Huͤlfe haben kann; und da er sich derselben nur beylaͤufig bedient, dafuͤr nicht mehr als den wahren Werth bezahlt. In einer großen Stadt ist insgemein der Geschmack, oder wenigstens die Mode, welche dessen Stelle vertritt, neuer M 4 glaͤn- Von dem Verfall des Handwerks glaͤnzender und verfuͤhrerischer als in einer Landstadt. Die Werke, so daselbst gemacht werden, zeichnen sich dadurch vor- zuͤglich aus; und so muß drittens der beste Meister in einer Landstadt in einigen Jahren seinen Markt verliehren, weil ihm der Meister der großen Stadt solchen mit Huͤlfe des Ge- schmacks und der Mode, ehe er es noch einmal merkt, abge- wonnen hat. Ein Meister in der großen Stadt haͤlt dreyßig, vierzig und mehr Gesellen, wenn der in einer kleinen, deren nur zwey oder drey hat. Dort wird also dasjenige in einer Haushal- tung gemacht, was hier in zwanzigen verfertiget wird; und weil zwanzig Haushaltungen mehr Beschwerden und Abgiften haben als eine; so arbeitet viertens die eine mit vierzig Ge- sellen wohlfeiler als die zwanzig Haushaltungen mit zween. In großen Staͤdten sind insgemein Niederlagen von rohen Materialien, die der große Materialist fuͤr eine Menge von Abnehmer haͤlt. In der kleinen Stadt hingegen fehlt es entweder an solchen Niederlagen; oder der Handwerker muß sich solche selbst anschaffen; oder aber sie sind nicht so gut als in den großen Niederlagen, wo die Menge des Absatzes im- mer frischen Vorrath, haͤufigere Umschlaͤge und bessere Preise aus der ersten Hand zuwege bringt. Der Handwerker hat dort nicht noͤthig, ein Capital in die rohen Materialien zu stecken, weil ihm ein ander das Magazin haͤlt; und so hat fünftens das Handwerk in großen Staͤdten auch hierinn vieles zum voraus. Sechstens sind insgemein an großen Orten bereits ei- nige Fabricken vorhanden, wobey sich Presser, Tuchscheerer, Schoͤnfaͤrber und andre Professionisten befinden. Nun haͤlt es schwerer an einem Orte, wo gar keine Fabrik vorhanden, eine einzige, als an andern, wo bereits fuͤnfe vorhanden, noch zehen in kleinen Staͤdten. zehen zu errichten. Hier ist der Esprit de Fabrique bereits zu Hause. Der geringe Tuchmacher, der einen Webestuhl zuwege bringt, findet sogleich Gelegenheit, dasjenige, was er gemacht hat, walken, scheeren, faͤrben und pressen zu las- sen, ohne daß es mehr kostet, als er tragen kann. In einer kleinen Stadt hingegen koͤnnen zehn Tuchmacher nichts anfan- gen. Sie sind nicht im Stande, die Kosten einer eignen Walkmuͤhle, einer Schoͤnfaͤrberey und andere Erfordernisse zu uͤbertragen: Sie koͤnnen folglich ihre Arbeit zu keiner Voll- kommenheit bringen; und wenn sie ja so gluͤcklich sind, ein- mal einen Faͤrber zu erhaschen: so ist es ein Pfuscher, der ihre Sachen noch dazu verdirbt; und wenn sie solche zur Apre- tur in große Staͤdte tragen, werden sie leicht uͤbernommen, angefuͤhrt und in falsche Unkosten gestuͤrzt. Endlich und siebendens sind große Fabriken im Stande kostbare Erfindungen, und Maschinen und Wind und Wasser zu nutzen. Sie koͤnnen auf deren Entdeckung und Anlegung vieles verwenden. Sie koͤnnen eigne Leute zum Absatze, und zur Entdeckung fremder Nationen Geheimnisse reisen lassen, und eine Fabrik durch die andre unterstuͤtzen. Alles dieses fehlt in kleinen Staͤdten. Hier koͤmmt alles auf die kostbare Hand an; der Verdienst ist zu schwach, um die Anschaffung großer Maschinen und die Anlegung von Wasserwerkern zu nutzen, und so ist alles hier theurer, als an großen Orten. Wenn man dieses uͤberdenkt: so wird man leicht einse- hen, daß das Handwerk in kleinen Staͤdten, wo die Simpli- fication nicht statt hat, sondern der Handwerker ein Tausend- kuͤnstler seyn muß, wo ihm die Huͤlfe des Geschmacks der Mo- den und der schoͤnen Kuͤnste fehlt; wo ihm keine Niederlagen, Maschinen und große Erfindungen helfen, und wo insgemein der Esprit de Fabrique mangelt, nothwendig versinken M 5 muͤsse. Von dem Verfall des Handwerks muͤsse. Man wird leicht einsehen, daß die Kraͤmer, welche bessere und wohlfeilere Waare aus jenen großen Orten anschaf- fen koͤnnen, sich in der Geschwindigkeit vernehmen und den Handwerker platt niederdruͤcken muͤssen. Man wird endlich bemerken, daß ein Ort, der einmal auf diese Art zu sinken anfaͤngt, seine edelsten Buͤrger verlieren, und da fuͤr jede zehn Thaler, die der Kraͤmer gewinnt, hundert zum Lande hinaus gehen, seinen sichern Untergang befuͤrchten muͤsse, wofern er nicht einen uͤbermaͤßigen Reichthum von rohen Materialien zur Ausfuhr besitzt. Von dem großen Vortheil, welchen die Handwerker in großen Staͤdten dadurch erlangen, daß sie gleichsam eine taͤg- liche Messe vor der Thuͤr haben, will ich nichts erwehnen, weil er eigentlich nur den Virtuosen und Marktschreyern zu statten kommt. Indessen ist er doch zum Vortheil neuer Er- findungen von ungemeinem Werthe. Churchil konnte zu Lon- don binnen acht Tagen leicht funfzig tausend Stuͤck von seinen Satyren absetzen; Deon de Beaumont mit seinen Briefen alle seine Schulden bezahlen, und noch ein ziemliches eruͤbri- gen. Ein Mann, der die Mondfinsterniß vom 1 April 1764. in Kupfer stechen ließ, und solche nebst einem kleinen Glase verkaufte, fand gewiß gleich hunderttausend Kaͤufer. Einer der lederne Dinteflaschen von besondrer Art; ein andrer der einen neuen Korkzieher, welcher den Kork heraushebt indem man ihn einschraubt; und noch ein andrer der ein Federmes- ser, das auf einer Seite rund geschliffen war, erfand; ver- diente in der Geschwindigkeit mehr als alle Handwerker in ei- ner kleinen Stadt das Jahr durch zusammen verdienen. Und wem sind die Lectures on Heads oder die Vorlesungen uͤber 51 Stuͤck von Papp verfertigte Koͤpfe unbekannt, wo- mit der Erfinder, Herr Steevens in Londen, in den 298 ma- len, daß er seine Vorlesungen daruͤber vor einer zahlreichen Ge- in kleinen Staͤdten. Gesellschaft wiederholte, sich mehr erwarb, als alle Comoͤ- dianten und Operisten in ganz Deutschland? Ich schweige von den Coffee- und Theeconversations des Herrn Foote. Dergleichen Unternehmungen werden dem besten Genie in einer maͤßigen Stadt kaum Beyfall vielweniger einen Tha- ler einbringen. Er eilt also heraus in den großen Ort, wo er sich fuͤr besser Geld zeigen kann, wenn er anders Lunge genug hat, den großen Markt zu uͤberschreyen. Und so ver- lieret die kleine Stadt ein Genie nach dem andern, weil sie demselben nicht alle Tage einige tausend Zuschauer, Bewun- derer und Kaͤufer verschaffen kann. Doch es ist hohe Zeit, daß wir die kleinen Staͤdte auch einmal ohne Hinsicht auf die großen betrachten, und die Ur- kunden, warum in ihnen das Handwerk immer mehr und mehr abnimmt, in ihrem eignen Archive aufsuchen. Es finden sich hier wichtige Stuͤcke; nur schade, daß man sie nicht recht beurtheilen kann, ohne die ganze staͤdtische Anlage und Verfassung zu kennen. Und diese ist bey man- chen so verdunkelt; man hat die wahren Begriffe davon der- gestalt vernachlaͤßiget und verlohren, daß es Muͤhe hat sich einem jeden, dessen Sache es eben nicht ist, sogleich einige Folianten nachzuschlagen, verstaͤndlich zu machen. Doch ich weis noch einen Rath, und den wollen wir befolgen, bis man mir einen bessern angiebt. Wir wollen hier um die Anlage und Verfassung der Staͤdte mit hinlaͤnglicher Deutlichkeit zu uͤbersehen, eine na- gelneue Stadt auf dem Papier anlegen. Hier sey das Dorf, und dort der Landesherr, der ihm in einem gnaͤdigen Briefe bekannt macht, daß er nach reiflicher Ueberlegung in eine Stadt verwandelt und mit Wall und Mauren umgeben wer- den Von dem Verfall des Handwerks den solle. Was werden die Eingesessene dieses Dorfs dage- gen vorstellen? „Ach gnaͤdigster Herr! werden sie unterthaͤnigst sagen, 〟verschonen sie uns doch mit dieser Gnade. Unser sind fuͤnf 〟hundert geringe Marckoͤtter, die nichts als eine Hausstaͤtte 〟und ein klein Gaͤrtgen dabey besitzen. Wir haben bis hie- 〟zu als arme geringe Leute, die keinen Acker bauen und keine 〟Pferde halten, unsre Fuß- und Handdienste so oft wir zur 〟gemeinen Vertheidigung aufgeboten worden, schuldigst ver- 〟richtet; unsre Wachen am Hause alle 6 Wochen willig ge- 〟than, unsern Rauchschatz bezahlt, und unser Pfund Wachs 〟dem Kirchspielsheiligen reichlich abgefuͤhret. Womit ha- 〟ben wir es denn in aller Welt verbrochen, daß wir jetzt 〟Wall und Graben anlegen, Thore bauen, und unsre Mist- 〟grube vor der Hausthuͤr, wo unser einziger bester Raum 〟ist, kostbarlich zufuͤllen, und mit Steinen bepflastern sollen? 〟Womit haben wir es verbrochen, daß wir unsere geringe 〟Marckotten, wobey wir kaum eine Austrift fuͤr unser Vieh 〟haben, ewig mit der Last, alle diese kostbaren Anlagen zu 〟unterhalten, beschweren sollen? Es gehen fuͤnf Wege durch 〟unsern kleinen Ort; wir werden also auch fuͤnf Thore und 〟fuͤnf Bruͤcken anlegen; und um den dritten Tag auf die 〟Wache ziehen muͤssen, um solche zu bewachen. Wir wer- 〟den uns Kanonen und Doppelhaken, und Gott weis, was 〟alles zur Vertheidigung dieser Waͤlle, anschaffen; mit un- 〟sern Soͤhnen und Knechten auf dem Musterplatze liegen; 〟und wenn ein großer Herr durch unsre Mauern zieht, ihm 〟zu Ehren mehr Pulver verschiessen muͤssen, als wir mit 〟demjenigen, was wir in einem Monat eruͤbrigen, bezah- 〟len koͤnnen. Kommt ein Feind, dem wir nicht widerstehen 〟koͤnnen: so wird er sich in unsern Mauren festsetzen, und 〟Geld, Quartier, Essen und Trinken satt fordern. Kom- 〟men in kleinen Staͤdten. 〟men Sie uns gnaͤdigster Herr mit Ihrer Mannschaft zu 〟Huͤlfe: so werden Sie solche in unsre Haͤuser legen, und 〟von uns fordern, daß wir ihnen unser einziges Bette und 〟unsre beste Kammer einraͤumen sollen. Und was werden 〟uns nicht unsre eigne Vorsteher, unsre Buͤrgercapitains 〟unsre Buͤrgerobersten und unzaͤhlige andre Bediente, die 〟zu einer solchen Anstalt nothwendig erfordert werden, kosten? 〟Jetzt bringen wir unsern Rauchschatz an den Vogt, und 〟haben ausser einen Bauerrichter keinen Vorsteher zu besol- 〟den. Dann aber werden wir deren wenigstens funfzig, und 〟Rathhaͤuser, und Arsenale, und Pulverthuͤrme, und mehr 〟Steinpflaster zu unterhalten haben, als sich im ganze Lande 〟befindet. Wie kann man aber uus geringen Leuten dieses 〟der Billigkeit nach ausbuͤrden? Von unserm Acker kann 〟man dieses nicht fordern; denn wir haben keinen. Auf 〟unsere Koͤpfe kann man es nicht legen, da jedermann in 〟hiesigem Lande seinen Kopf frey hat; und da sonst niemand 〟eine Vermoͤgensteuer bezahlt: so wird man das wenige, 〟was wir mit unser Hand erwerben, so lange Recht noch 〟Recht bleibt, auch nicht damit belegen koͤnnen. Dieses werden ihre Gruͤnde seyn, dem sich noch hun- dert andre von gleichem Gewichte hinzufuͤgen lassen. Was wird aber der Landesherr auf diese Beschwerden versetzen. „Lieben Leute, wird er sagen, es ist wahr, ihr seyd 〟nicht schuldig diese Last fuͤr das ganze Land zu uͤbernehmen. 〟Allein es ist kayserlicher Befehl, und die Reichs- so wie die 〟gemeine Landesnoth erfordert es, daß euer Dorf in eine 〟Stadt verwandelt werde. Wir haben sonst in Kriegeszei- 〟ten keine Zuflucht, und ein streifender Feind kann sonst alles 〟auf einmal auspluͤndern, wenn wir nicht unsre beste Sachen 〟hinter eure Mauren fluͤchten koͤnnen. Damit es euch aber 〟nicht Von dem Verfall des Handwerks 〟nicht zu hart falle: so soll das ganze Land zur Errichtung 〟der Waͤlle und Graben helfen. Wir wollen solche auf ge- 〟meinsame Kosten in guten Stand setzen, und euch eine kleine 〟Accise von allem was durch euren Ort geht, erlauben, damit 〟ihr solche unterhalten koͤnnt. Ihr sollet den bisherigen 〟Rauchschatz dazu einbehalten; und von den Wachen an den 〟Amthaͤusern befreyet seyn. Die Bruchfaͤlle, so in euerm 〟Orte vorfallen, sollen zum Unterhalt eurer Buͤrgercapitains 〟dienen. Sie sollen die Fischerey in den Graben zu ihrer 〟Ergoͤtzlichkeit und fuͤr die Raͤumung behalten. Ihr sollet, 〟da ihr keinen Acker habt, und alle diese Lasten einzig und 〟allein von eurer Handarbeit bestreiten muͤsset, nach Vor- 〟schrift der vom Kayser ausgegangenen Befehle, das Hand- 〟werk und den Handel durchs ganze Land allein treiben duͤr- 〟fen, und dabey von allen Zoͤllen befreyet seyn. Es soll kein 〟Jude oder ander reisender Kraͤmer gegen euch gedultet wer- 〟den. Und wir wollen ohne die hoͤchste Noth keinen Krieg 〟anfangen, ohne euch zu Rathe zu ziehen, damit wir euch 〟nicht zu oft mit den Kosten einer ausserordentlichen Ver- 〟theidigung uͤberladen.„ So sieht der Originalcontrakt zwischen dem Lande und seinen Staͤdten durch ganz Deutschland aus; und man wird leicht von selbst einsehen, daß derselbe nicht anders angenom- men werden koͤnne: er ist auch wuͤrklich dem Plan vieler orientalischer Staͤdte vorzuziehen, worinn man oft tausend Ackerhoͤfe zusammen gezogen hat, weil man sich nicht getrauete, eine solche schwere Anlage blos dem Fleiße, oder dem Handel und Handwerke allein aufzubuͤrden. Ehe wir aber die Folgen, so wir hieraus zu unser Ab- sicht gebrauchen, ziehen wollen, wird es noͤthig seyn, einige scheinbare Einwuͤrfe zu heben, welche man jetzt einer solchen ehe- in kleinen Staͤdten. ehedem unter obigen Bedingungen angelegten Stadt machen koͤnnte. Man kann sagen, es sey erstlich dieser Originalcon- trakt von den Markkoͤttern selbst gebrochen, da sie anfaͤnglich ihre Bannkreuze zunaͤchst an ihrem Kohlgarten gehabt, jetzt aber eine weitlaͤuftige Feldmark und Aecker in Menge haͤtten- Allein man kann dreiste annehmen, daß kein Weichbild einen Morgen Landes erhalten habe, ohne von jedem jaͤhrlich ein Scheffel Korns zu uͤbernehmen, Dies ist der Ursprung des sogenannten Morgenkorns, welches noch jetzt aus der Wiedenbruͤcker, Luͤbker, Beckum- mer und andrer Staͤdte Feldmarken entrichtet wird. Die Formul der Verleihung, wenn einem Weichbilde Acker- land zugestanden wurde, war insgemein diese: Nos Lu- dolfus Dei gratia Monasteriensis Episcopus -- civi- bus in Beckheim curtem Beckem ac duos mansos Moderich et agros eis attinentes ad sirman locavi- mus, concedentes eos perpetuo dictis civibus et eorum successoribus, titulo juris, quod in teutoni- co Wichbelete Rechte dicitur sub annua pensione ut videlicet centum pullos et de unoquoque jugere quod Morgen sonat, unum modium tritici annuatim exsolvant. Nunning in monum. Monast. p. 117. Von dem Osnabruͤckischen Morgenkorn heißt es z. E. Wedekindus D. G. Osn. eccl. Ep. -- Mericam (die Mark) inter novam civitatem nostram et villam quæ vocatur Hetlage juxta communem viam -- de consensu eorum qui vulgariter Ervexen nunc dicun- tur, et de consensu antiquæ civitatis nostræ Osnab. et novæ per certa jugere inter Burgenses ita distri- buendam decrevimus ut de unoquoque jugere unus modius siliginis et unus ordei per dimidiam men- suram singulis annis in Festo S. Martini persolvan- tur Docnm. d. 1267. womit insgemein ein Mann Von dem Verfall des Handwerks Mann beliehen wurde, der dafuͤr die auf diesen Aeckern haf- tende gemeine Reichs- und Landesvertheydigung ausrichtete. Wo sie nun dieses Korn nicht mehr entrichten, da haben sie solches mit baarem Gelde ausgekauft; und sie geniessen dieses ihres Kaufs mit Rechte. Hiernaͤchst sind nach geschlossenen Originalcontrakt fuͤr jede Stadt weitlaͤufige Landwehren und Wahrthuͤrme hinzugekommen, deren Unterhaltung und Be- satzung die Stelle derjenigen gemeinen Vertheydigung vertritt, welche aus der Feldmark, ehe sie der Stadt zugestanden wurde, erfolgte. Allenfals aber muß man ihr den Acker nehmen und sie auf ihre urspruͤngliche Verfassung von neuen einschraͤnken. Man wird zweytens sagen; die Staͤdte koͤnnten jetzt Waͤlle und Mauren, Landwehren und Wahrthuͤrme eingehen lassen, auch ihre Wachen abschaffen, da man jetzt das eine so wenig als das andere zur gemeinen Vertheydigung weiter gebrauche; und so waͤre es nicht unbillig, wenn die alten Markkoͤtter wieder zu den Amtswachten, zum Rauchschatze und zu andern gemeinen Auflagen gezogen oder aber die ihnen zugestandene Accisegelder zur gemeinen Landesvertheydigung verwendet wuͤrden. Allein nicht zu gedenken, daß das letztere in vielen Laͤndern, wiewohl nicht durch einen philosophischen Schluß, wuͤrklich geschehen; und daß man mit diesem Ein- wurfe alle Lehnguͤter, da die Lehnleute auch nicht mehr die- nen, aufheben, und viele andre geist- und weltliche Privile- gien, die unter andern Umstaͤnden und Bedingungen gegeben sind, wieder einziehen koͤnnte: so stehen die den Staͤdten von Reichswegen obliegender Quartier- und Winterquartierslasten, so wie die von ihnen fuͤr das Land uͤbernommenen Einquar- tierungen und viele andre mit ihrer Verfassung verknuͤpfte Lasten, noch immer mit ihren Gründen in keiner Verhaͤltniß; und so lange der Landmann so wenig seinen Kopf als sein Ver- moͤgen zur gemeinen Vertheydigung versteuret, muß auch der Ein- in kleinen Staͤdten. Einwohner einer Stadt beydes frey haben. Wenn sie also nicht Handwerk und Handel zum voraus behalten; wofuͤr soll denn der Koͤtter zwischen den Mauren mehr tragen als derje- nige, so ausser den Mauren wohnet? Warum soll ein Buͤr- ger, der vom Staate nichts steuerbares als sein Haus und sein Gaͤrtgen besitzt, einem Soldaten Quartier geben, da der Besitzer eines Hauses und Gaͤrtgens auf dem Lande, Him- mel und Erde bewegen wuͤrde, wenn man ihn damit belegen wollte? Warum sollen die Koͤtter hinter den Mauren zur ge- meinen Vertheydigung Accisegelder entrichten, so lange im ganzen Lande keine Accise eingefuͤhret ist? Man setze sie wie- der in ihren alten Zustand: so bezahlen sie hier von ihren Haͤu- sern Rauchschatz; und von ihrem Handel einen traficanten Thaler. Weiter aber in solchen Laͤndern nichts, wo keine an- dere gemeine Auflagen insgemein bewilliget sind. Man wird endlich und drittens richtig bemerken, daß das Land, welchem zum Besten das Dorf in eine Stadt verwandelt worden, nicht die ganze Provinz gewesen sey. Ganz gut; man nehme das Land kleiner an; man setze nach dem Sinn der Reichsgesetze, daß das Land, mit welchem der Originalcon- trakt geschlossen worden, vier Meilen lang und vier breit ge- wesen; so wird man der Stadt doch auf allen Seiten zwey Bannmeilen geben muͤssen, binnen welchen ihr der Handel und das Handwerk ganz allein zusteht, wofern anders jener Originalcontrakt nicht gebrochen werden soll. Jetzt zur Sache. Die erste Ursache des Verfalls der kleinen und maͤßigen Staͤdte, ist der Bruch dieses Original- contrakts, da man demselben zuwider Handel und Handwer- ker binnen den Bannmeilen ( banlieues ) dieser Orte gedulter hat. Ich weis wohl, diese Bannmeile ist nicht uͤberall von gleicher Laͤnge gewesen, indem ein Ort der viele Graben, Waͤlle, Bollwerke, Thoren und Bruͤcken zu unterhalten hat, Mösers patr. Phantas. I. Th. N ganz Von dem Verfall des Handwerks ganz andre Bannmeilen bekommen hat, als ein Weichbild, das hoͤchstens eine steinerne Mauer und zwey Thore zur Lan- desvertheidigung unterhaͤlt, oder etwa mit einer Compagnie belegt wird, wenn in dem groͤßern Ort viele Regimenter lie- gen. Allein das hindert nicht, daß nicht eine Bannmeile, sie sey nun so groß oder so klein wie sie wolle, sollte sie auch fuͤr ein kleines Flecken nicht uͤber eine halbe Stunde betragen, aus der urspruͤnglichen Anlage herfuͤrgehe, und durch keine Verjaͤhrung geschmaͤlert werden koͤnne, weil diese Verjaͤhrung das Staͤdtgen mit der Zeit von selbst aufheben, und in ein Ackerdorf verwandeln wuͤrde. In Sachsen, wo die Staͤdte noch in ziemlichen Flor sind, wird auf die Bannmeile ganz genau gesehen, und auf den Doͤrfern kein Handel und kein Handwerk gestattet. Man findet auf denselben zwar wohl einige Hoͤker, die mit Theer, Thran, Wagenstricken und Schwefelhoͤlzern handeln; auch wohl einen Hufschmied und Rademacher; und endlich von den Handwerkern einen Altflicker. Allein ausser diesen wird kein Gewerbe ausserhalb den Staͤdten und Weichbilden gedultet. In den mehrsten westphaͤlischen Provinzien hingegen, und besonders in unserm Stifte, ist seit hundert Jahren sowol der Handel als das Handwerk aus den Staͤdten auf das Land ge- zogen. In allen Doͤrfern sind Apotheken, Weinschenken und Kraͤmer in Menge, und es ist noch nicht gar lange, daß sich aus einem einzigen Kirchspiele dreyßig Schneider meldeten, und Gilderecht verlangten. Wir wollen nun annehmen, daß sich hier tausend Kraͤmer und Handwerker auf dem platten Lande befinden und ernaͤhren: so ist dieses ein Abgang von tausend Buͤrgern fuͤr die Staͤdte, die sich ehedem daselbst er- naͤhrten, nun aber auf dem Lande frey sitzen, und ihre zuruͤck- gebliebene Mitbuͤrger unter der Last der bestaͤndigen Wachen, Einquartierungen, und Auflagen zur Unterhaltung von Waͤl- len, in kleinen Staͤdten. len, Thoren und Mauren seufzen lassen. Diese Last dauert unvermindert fort; die Zahl der Buͤrger hingegen nimmt ab; und wenn es also weit gediehen, daß sie bis auf zwey oder dreyhundert zusammenschmelzen: so muß die Stadt ganz ein- gehen, weil in diesem Falle die Last fuͤr jeden bis auf hundert Thaler des Jahrs steigen muß, wogegen derjenige, so ausser den Mauren sitzt, hoͤchstens einen Thaler bezahlt. Diesem gaͤnzlichen Verfalle vorzukommen, ist kein ander Mittel, als daß ein Landesherr mit seinen Staͤnden sowol den Handel als das Handwerk von dem Lande wieder in die Staͤdte ziehe, und da wo diese zu entlegen sind, das Dorf, was da- zu am bequemsten liegt, zum Weichbilde erhebe. Die zweyte Ursache des Verfalls der Landstaͤdte ist der Mangel einer genauen Bilanz zwischen dem Ackerbau und dem Fleiße. So bald der Handel und das Handwerk den Staͤdten vorabgelassen und ihnen gleichsam ein Monopolium im Lande eingeraͤumet wird; so muͤssen die Buͤrger in gleichem Verhaͤltnisse mit dem Landmann die oͤffentlichen Lasten tragen. Dies ist der erste Grund ihrer Verfassung gewesen. Ihnen ist die Unterhaltung von Thoren, Waͤllen, Graben, Pulver- thuͤrmern und Zeughaͤusern nebst deren Vertheidigung als ihr Antheil der gemeinen Landesvertheidigung auferlegt worden; waͤhrender Zeit der Landmann entweder selbst fuͤrs Vaterland fochte, oder einen Lehnmann unterhielt, oder eine Steuer zu Bezahlung der Soͤldner entrichtete. Wollten nun die Staͤdte den Handel und das Handwerk vorab be- halten, und gleichwohl sich auf keine Bilanz mit dem umlie- genden Lande einlassen: so werden sie leicht zu viel oder zu wenig beytragen. Hiernechst und da jede Landschaft insge- mein aus dreyen Staͤnden bestehet, wovon zween mehr An- theil an der Wohlfarth des platten Landes als der Staͤdte ha- ben: so wuͤrde in der Beurtheilung und Bewilligung der ge- N 2 mei- Von dem Verfall des Handwerks meinen Vertheidigung ein verschiedenes und den Staͤdten schaͤdliches Interesse herrschen. Daher ist es billig und noth- wendig, daß eine Bilanz gemacht, und dazu ein Satz von der Art, wie er sich vieler Orten findet, angenommen werde; nemlich: Wenn einer Stadt zwey Bannmeilen zugestanden sind; und diese zwey Bannmeilen zehntausend Thaler aufzu- bringen haben, sollen 9 Theile vom Acker und der Zehnte von dem staͤdtischen Fleiße entrichtet werden. Durch diesen Satz vereiniget sich das Interesse der Staͤnde; und die schaͤdliche Vermuthung faͤllt weg, daß ein Stand dem andern die Lasten zuzuwelzen gedenke. Ein solcher Satz, welcher blos nach den Bannmeilen abgemessen wird, druͤckt den Groshandel der Staͤdte nicht. Dieser wird, weil er sonst nicht bestehen kann, nicht dadurch beschweret, sondern denselben zur mehrern Ermunterung des Fleißes, und des daher in die Wohlfarth des ganzen Landes fliessenden Vortheils billig freygelassen. Ein solcher Satz wuͤrde auch zugleich dazu dienen, die Last, welche die Staͤdte jetzt noch durch die Einquartierung fuͤr dem Lande voraus ha- ben, in richtige Abrechnung zu bringen. Denn gesetzt, daß eine Stadt sodann mit tausend Mann belegt wuͤrde: so waͤre nichts billigers und leichters als ihr fuͤr jeden Mann ein sichers an ihrem Beytrage abziehen zu lassen, oder aber der- selben, dasjenige zu verguͤten, was sie uͤber ihren Antheil an den oͤffentlichen Lasten solchergestalt tragen muͤßte. Zur dritten Ursache rechne ich den Abfall der gemeinen Ehre. Zur Zeit, wie der Krieg noch mit Lehnleuten gefuͤhret wurde, verhielten sich die Buͤrger zu den Lehnleuten, wie ein Garnisonbataillon zum Feldbataillon; und mancher treflicher Lehnmann trug gar kein Bedenken eine Compagnie unter dem Garnisonbataillon anzunehmen. Aber durch die große in kleinen Staͤdten. große Veraͤnderung im Militairwesen hat der Buͤrger als Buͤrger sehr vieles von seiner alten Ehre verlohren. Dies verursacht, daß die besten Genies und die bemitteltesten Leute unter ihnen, Gluͤck und Ehre im Herrndienste, der gemei- nen buͤrgerlichen Ehre vorziehen. Und da der Herrndienst sich nicht wie der alte Buͤrgerdienst mit dem Handel und dem Handwerke vertragen will: so macht dieses einen entsetzlichen Ausfall aus der Zahl der Buͤrger. Der roͤmische Soldat gieng lange Zeit vom Pfluge zu Felde, und vom Siege zum Pfluge. Dies erhob und erhielt die gemeine Ehre. So bald aber Schwerdt und Pflug getrennt wurden; so wurde dieser schimpflich und verlassen, jenes aber geehrt und gesucht. Hingegen ist kein ander Mittel als den Buͤrger in Uni- forme zu setzen, und ihn auf eine vernuͤnftige Weise zu seiner vormaligen Ehre wieder zu erheben. In der That ist auch gar kein hinlaͤnglicher Grund anzugeben, warum der Buͤr- ger und Landwirth, zwischen zwanzig und funfzig Jahren, nicht sowol einen rothen oder blauen als einen braunen Rock tra- gen koͤnne? Warum unsre Kinder auf Schulen und Univer- sitaͤten nicht eben so gut das Exerciren als Reiten, Tanzen und Fechten lernen sollten? Warum Uebung und Manns- zucht nicht eben das aus ihnen sollte machen koͤnnen, was aus ihren Soͤhnen gemacht wird? Und warum ein Doctor der Rechte nicht so gut mit dem Degen, als mit der Feder fech- ten sollte? Es liegt einzig und allein an dem Grade der Ehre, welcher damit verknuͤpft wird. Ein Fuͤrst sey nur so unvor- sichtig, und gebe einem Land- oder Garnisonbataillon nicht den gehoͤrigen und zaͤrtlichen Grad der Ehre der ihm zukoͤmmt; sogleich wird es seine besten Leute, und seinen ganzen Ton verlieren. Er beehre seine Buͤrger, so bald sie in Uniforme gesetzt, und gleich andern geuͤbt sind, mit seinem Beyfalle und mit der noͤthigen Achtung! sogleich werden sich die reichsten N 3 und Von dem Verfall des Handwerks und bemitteltesten Leute um die Wette bestreben einen Platz darunter zu erhalten. So war die alte Verfassung. Durch diese kluge Vertheilung der Ehre erhielt man alle Staͤnde in ihrer gluͤcklichsten Gradation, und man brauchte nicht nach dem Exempel des jetzigen Kriegs von Frankreich jaͤhrlich zwey Kaufleute zu adeln (ein Ausweg der allein die Schwaͤche un- ser neuern Politik zeigt) um den Handel empor zu bringen. Der Gedanke, daß alle Buͤrger in Uniforme gesetzt werden sollen, wird manchem seltsam vorkommen. Ich be- haupte aber, daß dieses der erste und fuͤrnehmste Schritt zur Wiederstellung der staͤdtischen Wohlfarth seyn werde. Wenn der Soldat ein Handwerk treibt: so sieht der Officier dieses gern. Er betrachtet ihn als einen tuͤchtigen guten und sichern Mann; und wenn er heyrathen will: so ist das Handwerk die beste Empfehlung bey seiner Braut. Sie sieht darauf als auf seine sicherste Pension im Alter. Wenn hingegen ein buͤrgerlicher Handwerker den Degen ergreift: so lacht man daruͤber. So naͤrrisch ist unsre Einbildung. Der Grund ist und bleibt aber unstreitig, daß die nordischen Voͤlker und besonders die Deutschen die Ehre hauptsaͤchlich mit den Waf- fen verknuͤpfen, und diejenigen auf die Dauer verachten, die solche zu tragen und zu brauchen nicht berechtiget sind. Und so ist kein ander Mittel, als den Degen mit dem Handwerke wieder zu verbinden, um diesem Stande die noͤthige Ehre zu verschaffen. Die hartnaͤckigtesten Belagerungen, wovon wir in der Geschichte lesen, sind von Buͤrgern ausgehalten wor- den, die fuͤr ihren Heerd, fuͤr Weiber und Kinder gefochten. Man lieset, daß diese mit zu Walle gegangen, und ihren Maͤnnern geholfen, sie verbunden und begraben haben. War- um sollte ihnen denn nicht nach den Feldregimentern die Ehre von Garnisonregimentern eingeraͤumet werden koͤnnen? War- um sollte ein kluger Fuͤrst, solche Leute, die ihre Pflicht ohne Sold in kleinen Staͤdten. Sold thun, die ihre Uniforme selbst bezahlen, ihre Pension selbst erwerben, ihre Officier, Feldprediger, Feldaͤrzte und Commissarien selbst unterhalten, Pulver, Bley und Waffen selbst anschaffen, und ihre ganze Bezahlung allein in der noͤ- thigen Ehre finden wuͤrden, warum, sage ich, sollte ein klu- ger Fuͤrst diese nicht wieder zu ihrem alten Range, und durch denselben dahin bringen koͤnnen, daß sie ihr Handwerk mit Eifer, Muth und Freude fortsetzten? und solches allezeit in Verbindung mit der Ehre betrachteten? Ich will nichts da- von erwehnen, daß die Uniforme zugleich ein Mittel seyn wuͤrde, der Kleiderpracht abzuhelfen und dem Staate unend- liche Summen zu ersparen; nichts davon, wie sehr der Wett- eifer dadurch angeflammet werden koͤnnte, wenn keinem Tag- loͤhner, keinem Beywohner, und keinem andern als wuͤrkli- chen Buͤrgern und Meistern die Ehre der Uniforme und an- derer Ehrenzeichen zugestanden wuͤrde. Und endlich nichts davon, wie reich und mannichfaͤltig die Quelle der buͤrgerli- chen Belohnungen werden wuͤrde, welche man jezt aus Noth, aber zum Verderben des Staats, in Adelsbriefen und Titeln suchen muß. Es ist genug, daß fuͤr drey hundert Jahren die buͤrgerliche Verfassung so gewesen, daß sie damals in großen Flor war; und daß in London die Buͤrger den Titel Livree- men als ihren eigentlichen Ehrennamen betrachten, wodurch sie sich von Beywohnern und Einliegern, die nicht zur Fahne und Farbe gehoͤren, unterscheiden. Mancher wird zwar gedenken, es sey gefaͤhrlich, so vie- len Leuten das Recht der Waffen zu erlauben, und selbige den regulairen Truppen gleich zu uͤben. Allein dies ist die Politik der Despoten, die ihren freyen Unterthanen das Recht zu klagen, nicht aber das Recht ihren Worten Nachdruck zu geben, verstatten wollen. Fuͤrsten, welche anders denken, tragen kein Bedenken, eine wohlgeuͤbte Nationalmiliz zu un- N 4 ter- Von dem Verfall des Handwerks terhalten; und nichts ist gewisser, als daß nach der Wendung, welche die Sachen nehmen, in hundert Jahren die National- miliz uͤberall das Hauptwesen ausmachen, und Freyheit und Eigenthum, welche sonst bey der Fortdauer unser jetzigen Verfassung zu Grunde gehen muß, von neuen befestigen werde. Die vierte Ursache des staͤdtischen Verfalls ist, daß das beschwerliche der alten Einrichtungen beybehalten und das nuͤtz- liche davon verlohren ist. Das Regiment ist durch den Ver- lust seiner Ehre auseinander gejagt und die Officiers sind ge- blieben. Eine Stadt hat ehedem leicht dreytausend wehrhaf- ter Buͤrger gehabt; jetzt sind deren an manchen Orten keine fuͤnfhundert vorhanden; und doch sollen diese den General- stab oder den Magistrat nach dem ersten Plan unterhalten. Dies ist nicht moͤglich; und so verlaͤuft ein Buͤrger nach dem andern das Regiment, und setzt sich in Freyheit aufs Land. Es muß daher entweder die alte Verfassung durch Mit- theilung der noͤthigen Ehre wieder hergestellet oder aber auch dasjenige, was davon zuruͤck geblieben, voͤllig aufgehoben, und fuͤr den ganzen Generalstab ein einziger Amtmann mit einem tuͤchtigen Schreiben eingefuͤhret werden, wofern an- ders die noch uͤbrigen Buͤrger unter der Last nicht erliegen sollen. Alsdenn aber sind die Buͤrger, wofern man sie nicht willkuͤhrlich behandeln will, keiner andern Steuer als den all- gemeinen Landsteuren unterworfen, und das ganze Land ist schuldig ihnen fuͤr jeden einquartierten Soldaten die Miethe, fuͤr jede Wache so sie außer der gemeinen Reihe thun, den Lohn; und fuͤr jedes Vollwerk die Unterhaltungskosten zu be- zahlen. Geschicht dieses nicht: so zieht sich jeder aus einem so beschwerlichen Kefigt heraus; und die Stadt hoͤret allmaͤh- lig auf Stadt zu seyn. Eine in kleinen Staͤdten. Eine andre Frage ist es jedoch, ob eine Stadt unter einem Amtmann solchergestalt bestehen koͤnnen? Hievon findet sich kein Exempel in der Geschichte; und es ist auch gar nicht glaublich oder wahrscheinlich, daß irgend eine betraͤchtliche Anzahl von geschickten, fleißigen und unternehmenden Hand- werkern oder Kaufleuten sich jemals auf andre Art vereinigen koͤnne und werde, ohne eine buͤrgerliche Obrigkeit ihres Mit- tels zu haben. Eben deswegen aber ist es um so viel noͤthi- ger auf die Wiederherstellung der gemeinen Ehre zu denken. Die Mittel, Staͤdte in Flor zu bringen, jedem Buͤrger Pa- triotismus einzufloͤßen, und ihn zu großen Unternehmungen zu begeistern, waren in den alten Zeiten Ehre, Ruhm, Frey- heit und Privilegien. In den neuern Zeiten glaubt man sich zu versuͤndigen, wenn man ihnen einen Ehrentittel mehr giebt, als sie vor drey hundert Jahren gehabt. Trefliche Politik, deren Ungrund nicht deutlicher als aus dem elenden Anblicke der Staͤdte selbst erhellet. Der Abfall jener Ehre hat aber nicht allein die besten und bemitteltesten Leute in den Herrn- dienst gejagt; ihre Soͤhne zu Titteln, und ihre Toͤchter zu unbuͤrgerlichen Ehen verfuͤhrt; sondern auch auf die niedrig- ste Classe der Einwohner gewuͤrket. Sie ist an manchen Or- ten Schuld daran, daß der Tagloͤhner dem Buͤrger gleich auf die Wache ziehen, und solchergestalt den vierten Pfennig von seinem Erwerb steuren muß. Denn da er des Jahrs gewiß 50 Wachen thun muß, und nach der von den franzoͤsischen Generalpaͤchtern jetzt gemachten Rechnung, welche jedoch das Parlament noch viel zu stark findet, nur zweyhundert Arbeits- tage im Jahr, sonst aber kein Vermoͤgen hat: so steuret der Tagloͤhner, der funfzigmal des Jahrs auf die Wache zieht, den vierten von allem was er hat. Dies ist eine uͤbermaͤßige Steuer; die ihm nie wuͤrde aufgebuͤrdet seyn, wenn der wahre Buͤrger die alte Ehre eines Garnisonsoldaten behalten, und N 5 man Von dem Verfall des Handwerks man es fuͤr einen Schimpf geachtet haͤtte, diese Ehre mit ei- nem Tagloͤhner zu theilen. Die sicherste Folge davon ist, daß Tagloͤhner, Beywohner und alle Arten geringer Leute, welche doch zum Flor der Manufakturen und zur wohlfeilen Hand so unentbehrlich sind, schlechterdings unter der Buͤrgerschaft nicht bestehen, und entweder auf befreyten Plaͤtzen oder auf dem Lande wohnen, mithin solchergestalt den staͤdtischen We- sen nicht zum Vortheil kommen koͤnnen. Die buͤrgerliche Ehre erwaͤchst aus dem Vermoͤgen viele Beschwerden freudig uͤber- stehen zu koͤnnen. Und will ein Tagloͤhner diese Ehre haben: so muß er Buͤrger werden, und seinen Antheil der Beschwerde uͤbernehmen. Allein es muß erst wieder eine Ehre werden, das Buͤrgerrecht zu haben; und das kann allein durch eine allgemeine Vereinigung der Reichsfuͤrsten geschehen, wodurch sie dem Buͤrger wieder zu seiner ehemaliger kriegerischen Ehre verhelfen. Die Menge von kleinen Territorien, und ihr bestaͤndi- ger heimlicher Krieg gegen einander, mag fuͤglich zur fuͤnften Ursache ihres Verfalls gezaͤhlet werden, besonders da so wenig an Reichs- als Kreistagen die gemeine deutsche Wohlfahrt in Handel und Wandel in einige Betrachtung gezogen wird. Man muß erschrecken und lachen, wenn man an man- che Kreistagesgeschaͤfte gedenkt. Vorzeiten, wie erfahrne Canzler, Burgemeister und Syndici aus den Staͤdten als Gesandten auf den allgemeinen Reichstag geschickt wurden, so las man in den Reichsabschieden noch wohl, daß kein un- gefaͤrbter Ingwer verkauft, kein ungenetzt und ungeschornes Tuch ausgeschnitten, keines mit Teufelsfarbe gefaͤrbt, keine Haͤute ungesalzen verfuͤhrt, keine Wolle ausserhalb Reichs ge- bracht, und keinem Wandschneider ein dunkles Vordach ver- stattet werden solle. S. die Policeyordnung von 1577. Tit. 20. 21. 22. Seitdem aber solche Herrn, de- nen in kleinen Staͤdten. nen man es eben nicht zum Schimpf anrechnen kann, wenn sie von Wollen- und Lederarbeiten nichts verstehen, zum Reichstage abgeschickt worden, hat man zwar von vielen wich- tigen Dingen aber nichts von solchen gehoͤrt, welche auf den Handel der Nation und eine gute allgemeine Policey die ge- ringste Beziehung haͤtten. Aber desto fleißiger und reiflicher sollten dergleichen Sachen auf den Kreistagen, und besonders auf denen Kreistagen, welche von einer Menge kleiner Reichs- staͤnde beschickt werden, und dazu in der Reichs-Policeyord- nung eigentlich angewiesen sind, uͤberleget werden. Die Landstaͤdte sollten hier, ohne Nachtheil ihrer Mittelbarkeit, ihre eigne Handelstage, ihre Kreisboͤrse, und ihre Verei- nigungen haben. Sie sollten die Handels- und Handwerks- Policeysachen fuͤr sich abthun moͤgen, und von ihren Landes- herrn mit dem Vertrauen beehret werden, daß sie solche bes- ser als seine Krieges- und Cammerraͤthe beurtheiten und ein- richten wuͤrden. Die heutige Politik der einander nacheifernden Natio- nen bestehet darinn, daß die eine fuͤr der andern schoͤnere, bes- sere und wohlfeilere Waaren zu verfertigen, und damit den auswaͤrtigen Markt zu gewinnen und zu erhalten sich bemuͤ- het. Die Politik der Kreisstaͤdte und der kleinen Staaten hingegen geht einzig und allein dahin, sich einander durch schlechte, betriegliche und wohlfeilere Waaren den Vortheil ab- zujagen. Wenn die Stadt Coͤlln es wagt, zwoͤlfloͤthig Silber zu verarbeiten, um den Augspurgern den Preis abzugewinnen: so wagt es .... eilfloͤthig Silber zu verarbeiten; und kaum hat diese damit den Anfang gemacht: so macht die Stadt … ihre Probe zehnloͤthig, und damit diese nicht zu viel gewinne: so ist die Probe der Stadt … achtloͤthig; und der Jude hat seine Hausirwaare aus sechsloͤthigem verfertigen lassen. Der arme Unterthan, der von allen diesen nichts ver- ste- Von dem Verfall des Handwerks stehet, und das neue Silber immer glaͤnzend genug findet, wird indeß betrogen; und denkt, der Markt, worauf er ein Loth Silber fuͤr 12 mgr. kaufen kann, sey ungleich schoͤner, als ein ander, der es zu 24. mgr. ausbietet. Sollte aber einem solchen Unwesen nicht durch Kreisschluͤsse abgeholfen, einerley Silberprobe eingefuͤhrt, und der Preis desselben auf dem Kreistage so gesetzt werden, wie es die auswaͤrtige Cor- respondenz mit sich braͤchte? Der westphaͤlische Kreis muß sich schaͤmen, wenn er an die Art und Weise gedenkt, wie er sich von einigen Frankfur- ter Kaufleuten mit dem Zinn behandeln laͤßt. Die Wilden in Amerika werden nicht so arg mit glaͤsernen Corallen, Spie- geln und Puppenzeug als wir init dem Zinne um unser gutes Geld betrogen. Die Italiaͤner, Tyroler, Bayern, Schwa- ben und Franken, welche unsre Gegenden mit allerhand un- geprobten Waaren belaufen, versorgen sich alle in Frankfurt, und dort arbeitet man fuͤr das platte Land in westphaͤlischen Kreise wie fuͤr die Hottentotten. Das Pfund Zinn, was die Tyroler den Landleuten aufhaͤngen, haͤlt uͤber drey Viertel Bley; und da ist es kein Wunder, daß die Zinngießer in den Staͤdten, die Gewissen und Ehre haben, gegen eine solche Waare keinen Markt halten koͤnnen. Der Englaͤnder ist noch großmuͤthig mit uns umgegangen, da er uns die englische Zinn- arbeit entzogen. Er hat das rohe feine Zinn fast so hoch im Preise als das verarbeitete gehalten, und uns dadurch ausser Stand gesetzt, es so wohlfeil zu verarbeiten, als er es uns durch die allzeit fertigen Bremer zuschickt. Allein die Frank- furter — — doch warum sind wir so sorglos; oder viel- mehr so uneinig im westphaͤlischen Kreise, daß wir uns der- gleichen Handlungen nicht gemeinschaftlich widersetzen? Wie schwach sind unsre Maasregeln, die wir gegen solche Mißbraͤuche ergreifen? Wir sehen mit den einheimi- schen in kleinen Staͤdten. schen Handwerkern durch die Finger, und erlauben ihnen erst ein bisgen und dann wieder ein bisgen, und noch ein bisgen von der alten wahren Reichsgesetzmaͤßigen Silber- oder Zinn- probe herunter zu gehen, damit sie gegen die Betrieger doch noch einigermaßen den Markt halten koͤnnen. Wir werfen ein Auge auf die angrenzende Laͤnder, und haben auf jeder Grenze eine besondre Probe, sinken immer nach dem Maaße als unser Nachbar sinkt, und bringen es durch diesen Landver- derblichen Wetteifer dahin, daß zulezt alle Handwerker Be- trieger und allerseits Unterthanen betrogen werden muͤssen. Dieses wuͤrde nicht geschehen, wenn die gesamten Staͤdte im Kreise sich vereinigten; die fremden Hausirer ausschafften, und ihre Landesherrn dahin bewoͤgen, die Schluͤsse der Kreis- staͤdte mit seiner Macht zu unterstuͤtzen. Die Vereinigung aller westphaͤlischen Staͤdte; eine Kreis-Handlungsversammlung, und ein gutes Einverstaͤnd- niß zwischen dieser Versammlung und einer gleichen im nie- dersaͤchsischen Kreise, wuͤrde uͤberdem gewiß fuͤr die Wieder- aufnahme der Staͤdte von unendlichem Vortheil seyn. Es ist eine ganz irrige Meinung, wenn man glaubt, daß die Verschiedenheit der Laͤnder und ihrer Landesherrn solches gar nicht zulasse. Wir haben zu Bremen und Emden alle Frey- heit zur Handlung die wir noͤthig haben. Wir haben sogar einen Vergleich mit England, daß die Bremer nicht blos ihre eigne Producte, sondern auch die nachbarlichen mit Bremi- schen Schiffen ins Grosbrittannische Reich fahren duͤrfen. Es ist an beyden Orten kein Landesherr der sich der Aufnahme des Handels widersetzt. Wir koͤnnen uns vielmehr von ih- nen alle nur moͤgliche Beguͤnstigung versprechen. Warum solten sie also nicht gemeinschaftlich eine Schifsfracht von ih- ren Producten und verfertigten Waaren zusammen bringen, und einen offnen Hafen besuchen; gemeinschaftlich sich der Ein- Von dem Verfall des Handwerks Einfuhr dieser oder jenen fremden Producte widersetzen; und eine einfoͤrmige Handelsordnung behaupten koͤnnen? Der Schiffer liegt auf der Rhede, laͤuft ganze Monate um einige Fracht zu erhalten, und segelt endlich mit halber Fracht ab; da doch, wenn eine richtige Correspondenz unter den Kreis- staͤdten fuͤrwaltete, wann man zeitige Nachricht von den Pro- ducten und Waaren haͤtte, welche auswaͤrts abzusetzen sind, und uͤberhaupt die auswaͤrtige Handlung hinlaͤnglich kennete, eine der andern die Hand bieten, die Abseglung der Schiffe sicher und zeitig wissen, sich darnach einrichten, und solcherge- stalt mit Nachdruck und Vortheil handeln koͤnnte. Eine solche Versammlung muͤßte sich leicht selbst er- halten koͤnnen. Von einzelnen Kreisstaͤnden koͤnnen die frem- den Waaren, die der Aufnahme unserer einheimischen Fabri- ken entgegen sind, mit keinem Impost belegt werden. Was man in Bremen damit beschweren wuͤrde, das wuͤrde uͤber Emden frey kommen; und was man auch hier mit neuen Impost belegen wollte, das wuͤrde man uͤber Holland kommen lassen. Allein wenn alle Kreisstaͤnde eins sind: so kann die Speculation hoͤher gehen, und die schoͤnste Bilanz erhalten werden. Man kann aus einigen zum besten des Kreises go- reichenden Imposten eine eigne Kreiscasse errichten, Leute daraus besolden, und auf neue Unternehmungen in der Hand- lung denken, deren Moͤglichkeit wir jezt zwar einsehen, aber gewiß einzeln nie zu Stande bringen werden. Es steht so- denn bey uns, Frankreich zu noͤthigen, uns billige Vortheile in der Handlung einzuraͤumen, oder uns nicht zu verdenken, wenn wir, wie die Englaͤnder, fuͤr alle franzoͤsischen Weine und Branteweine, rheinische, portugiesische und italiaͤnische trin- ken. Es steht bey uns mit allen nordischen Reichen Hand- lungsverbindungen zu errichten, uns Vortheile zu bedingen, und doch einige Figur in der Welt zu machen, anstatt daß wir in kleinen Staͤdten. wir jezt annehmen, was jede Nation uns zuschickt; und uns auf die schimpflichste Art von allen Vortheilen verdringen lassen muͤssen. In der ganzen Welt ist kein Reich, von der Groͤße und Lage als der niedersaͤsichsche und westphaͤlische Kreis ist, der eine erbaͤrmlichere Figur in der Seehandlung mache als wir. Und warum? Weil jedes Dorf auf sein Privatin- teresse sieht, und kein großes Ganze vorhanden ist, daß sich zur Handlung vereinigt. Alle Bemuͤhungen einzelner kleiner Kreisstaͤnde in Handlungs- und Policeysachen bedeuten nichts; so lange man das Werk nicht mit gesamter Hand angreift. Ja es sind Handwerkssachen die selbst der Kreis nicht zwingen kann, und die durchaus von dem gesamten Reiche verbessert werden muͤs- sen. Sachen die ihrer Nation und Eigenschaft nach, eben so gut als Reichs-Lehn- und Adelssachen einzig und allein von dem allerhoͤchsten Reichsoberhaupt Silites oriantur inter opifices cujuscumque generis — discordiae hae deserti debent ad Caesarem siue ad ejus electos scabinos S. Ius Caesar. §. 43. beym Senkenb. in Corp. Iur. Germ. T. 1. p. 41. beurtheilet und verord- net werden koͤnnen und muͤssen. Zum Exempel wollen wir blos der Freymeisterey ge- denken. Alle Rechtsgelehrte geben den Landesherrn das Recht, wofern die Handwerker ausspuͤrig werden, denselben einen oder mehrere Freymeister entgegen setzen zu duͤrfen. Allein sie bedenken nicht, daß dieses Recht beynahe von gar keinem Nutzen sey, weil sich kein Bursche bey dem Freymeister in die Lehre giebt; und wo er ja einen erhaͤlt, solcher hernach in Deutschland nicht reisen kann, und so vieler Vortheile beraubt ist, daß es fast kein einziger wagen mag, seinen Sohn einem Freymeister zu uͤbergeben. Was hilft also dem angenomme- nen Freymeister das Landesherrliche Privilegium, wenn er den Von dem Verfall des Handwerks den Vortheil Lehrbursche zu haben, entbehren, und wofern er einen Gesellen haben will, solchen kostbarlich aus fremden ausserhalb Reichs gelegenen Orten kommen lassen muß. Wie aber, wenn Ihro Kayserl. Majestaͤt, nach dem Beyspiele des jetzigen Koͤniges von Frankreich, in allen gros- sen deutschen Staͤdten vier Freymeister in jeder Kunst privile- girten, die miteinander eben wie die zuͤnftigen Meister cor- respondirten; ihre Lehrburschen zu Freygesellen machten; ihre Logen oder Kruͤge zu deren Aufnahme hielten und in allen eben so aneinander hiengen, als die geschlossenen Zuͤnfte? Wie wenn es Ihro Kayserl. Majestaͤt gefiele, sich mit England, Frankreich und Holland daruͤber zu vereinigen, daß die Haupt- Freymeisterlogen in jedem Reiche eine gemeine Kundschaft zu- sammen errichteten und die Freygesellen wechselsweise von ein- ander annaͤhmen? Solte alsdenn nicht das Recht eines jeden Landesherrn, nach Gefallen einen Freymeister anzuordnen, von ganz andrer Wuͤrkung seyn? Jetzt ist es ein Schatten; alsdenn aber wuͤrde es das allerkraͤftigste Mittel werden auf einmal den groͤßten Wetteifer in ganz Deutschland zu erregen. In den alten Zeiten waren viele Gesellschaften, und besonders die von der sogenannten runden Tafel, worinn nie- mand zugelassen wurde, als der gewisse Ahnen beweisen konn- te. Diese Gesellschaften hiessen Massoneyen, welches mit dem hollaͤndischen Maetschapy und dem deutschen Mascopey uͤbereinkoͤmmt. Gegen diese Gesellschaften wurden freye Mas- soneyen errichtet, worinn jeder ehrlicher Mann ohne Ruͤck- sicht auf seine Geburt aufgenommen wurde. Ihre Mitglie- der nennten sich freye Massons, welche laͤcherlich genung durch Freymaͤurer Die Erbauung der Paulskirche in London, welche die jetzt so- genannten Freymaͤurer durch Beyschuͤsse an Gelde zu Stan- de brachten, hat zu jener Mißdeutung und auch dazu Ge- legenheit gegeben, daß jene Freygesellschaft die Maurer- Werkzeuge als Ordenszeichen angenommen haben. uͤbersetzt ist, und in der That nur einen Frey- in kleinen Staͤdten. Freygesellen bedeutet, wie denn Mate im hollaͤndischen und Masson im alten englischen noch einen Gesellen bezeichnet. So wie nun diese Freygesellen sich gegen jene adliche Zuͤnfte empor gebracht haben; eben so sollte sich auch die Freymeiste- rey in allen Kuͤnsten gegen die Zuͤnfte ausbreiten. Frank- reich hat uns in diesem Stuͤcke vor zweyen Jahren ein Exem- pel gegeben. Woran liegts also, daß wir ihm nicht nachfol- gen? An dem Willen der Landesfuͤrsten? Nein; diese sind dazu laͤngst bereit, aber nicht im Stande ein solches Werk auszufuͤhren. Es gehoͤret fuͤr den Kayser, und die Reichs- staͤnde muͤssen es gemeinschaftlich befoͤrdern. Ein solches Werk wuͤrde das groͤßte seyn, was in diesem Jahrhundert am Reichstage vorgenommen worden; und die Einrichtung der Freymaͤurer koͤnnte in allen Stuͤcken dabey zum Muster die- nen. Doch wir wollen hier schliessen. XXXIII. Die Klagen eines Edelmanns im Stifte Osnabruͤck. Wenn das so fort gehet, so will ich meinen Hof nur da- ran geben; kein Stockholz ist mehr zu verkaufen, seitdem die Berge getheilet sind. Vordem konnte man noch einen Noth- und Ehrenpfennig daraus machen, und jederman glaubte die Verwuͤstungen des Krieges wuͤrden eine gluͤckliche Theu- rung im Holze bringen. Aber es geht gerade umgekehrt. Fuͤr einen Schlag, welcher mir vor dem Kriege mit fuͤnfhun- dert Thalern zu allem Danke bezahlet wurde, erhalte ich jetzt kaum die Haͤlfte, und wenn sich das nicht aͤndert, mag ich nur eine Glashuͤtte anlegen und Pottasche brennen. Und Mösers patr. Phantas. I. Th. O den- Die Klagen eines Edelmans dennoch schreiben die Gelehrten immer von der Holzsparkunst: die Narren! moͤchten sie doch auf den Wink der Vorsehung achten, die uns bereits mit Woͤlfen und wilden Schweinen straft, seitdem unsre Berge mit Holze wieder bewachsen sind! ich hoffe den Tag noch zu erleben, daß man alles niederhauet, um sich von dieser Strafe wieder zu erretten. Eben so geht es uns mit allen den Zuschlaͤgen, Zuschlaͤge nennt man im Stifte Osnabruͤck, was aus der gemeinen Heide und Weide zugeschlagen, und urbar ge- macht, oder im Zaune genutzet wird. die man nun seit etlichen Jahren gemacht hat. Kein Henker will mehr eine Wiese heuren. Jeder hat nun selbst Wiesen, und macht so viel Heu als er braucht. Ich glaube, daß seit dem Kriege hier im Stifte uͤber sechstausend und in dem benach- barten Muͤnsterlande uͤber dreyßigtausend Morgen Acker- und Wieseland neu gemacht sind. Die Tecklenburger und Lingi- schen geben den andern darinn nichts nach; und die westphaͤ- lischen Gemeinen, um ihre Kriegesschulden zu bezahlen, ver- kaufen ihre schoͤnen Plaggengruͤnde um die Wette, und den- ken nicht, daß die Heuerleute und Koͤtter, welche ihnen vor- dem fuͤr ein Scheffel Saatland so viel Geld als sie wollten, und die schoͤnsten Worte dazu geben mußten, bey diesem Ver- kaufe allein gewinnen. Ich will eben kein Prophet seyn; aber Gott lasse nur noch einen solchen Krieg kommen, wie der vorige war: so wollen wir sehen, ob die Marken nicht ganz darauf gehen werden. Es ist uͤberhaupt jezt eine sehr wunderliche Welt. Die großen Herren, diese Zerstoͤrer des menschlichen Geschlechts, den- ken auf nichts als auf Bevoͤlkerung; und wir werden sicher, naͤchstens ein philosophisches System erhalten, worinn die moͤglichste Vermehrung der Menschen, als die groͤßte Verherr- lichung im Stifte Osnabruͤck. lichung Gottes angepriesen wird, blos um eine Menge mensch- liches Vieh anzuziehen, welches sie auf die Schlachtbank lie- fern koͤnnen. Allein die Bevoͤlkerung will es wahrlich nicht ausmachen. Wir ziehen Bettler und Diebe damit an; das ist es alles, die Voll- und Halberbe bleiben in der Last stecken; und das Vieh der vielen Neubauer nimmt ihrem Viehe die beste Weide vor dem Maule weg. Die Weidelaͤnder sind kluͤger als wir Schlucker auf der Heide. In Ostfriesland werden mehr Kaͤlber gebohren als Kinder; und sie stehen sich wohl dabey. Wir hingegen wollen alle Sandhuͤgel bebauen und bepflanzen, und meynen Wunder was wir gethan haben, wenn wir zum groͤßten Nachtheil unser Erblaͤndereyen ein Stuͤck Heide urbar gemacht haben. Die Gutsherrn sollten sich mit gesammter Hand allem fernern Anbau widersetzen. In England darf keiner sich un- terstehen ein neues Haus zu bauen, wenn er nicht drey Mor- gen Erbland besitzt. Diesem Exempel sollten wir folgen: so muͤßte die Menge von Markkoͤttern, die sich, so bald sie ein Kohlgaͤrtgen erhaschen koͤnnen, sogleich eine Huͤtte bauen, wohl unterbleiben. Unsre Vorfahren sind hierinn kluͤger ge- wesen. Sie erlaubten zum hoͤchsten nur zwey Gezimmer auf jedem Erbe; und eiferten gegen die Menge von Heuerleuten ja so stark, als die Cameralphilosophen jezt fuͤr die Bevoͤlke- rungen streiten. Die Markkoͤtter sind wie der Krebs, der rund um sich frißt, und man wuͤrde erstaunen, wenn man eine Nachmessung anstellen wollte, wie vieles diese Leute in funfzig Jahren von der Mark eingezaͤunet haben. Und wie viel Processe entstehen nicht daruͤber? Alle unsre Markprotocolle weisen deutlich nach, daß keiner als ein wahrer Erbmann in der Mark etwas zu sagen hat. Ihre Einwilligung wurde allein erfordert, wenn etwas zugeschla- O 2 gen Die Klagen eines Edelmanns gen oder verkaufet werden sollte. Jezt aber wollen alle Ein- koͤmmelinge mit sprechen. Unter dem Vorwande, daß ihr Vieh keine Weide behalte, widersetzen sie sich den nuͤtzlichsten Anstalten; und man kann keinen Fußbreit verkaufen, ohne von diesen Leuten, die doch nur aus Gnaden eingenommen sind, einen Widerspruch zu befuͤrchten. Das gute Geld wird daruͤber den Gerichten zu Theil; und selten wird mehr ein Zuschlag verkauft, dessen ganzer Werth nicht der lieben Justitz aufgeopfert wird. Die Processe sind uͤberhaupt der wahre Verderb un- sers Landes, und die einzige Ursache, warum so viele Land- leute einen Stillestand nehmen muͤssen. Der Himmel weis, wie es unsre Vorfahren angefangen, ob sie friedfertiger oder vernuͤnftiger gewesen, daß sie so wenig Processe gefuͤhret haben. Allein wahr ist es, daß zu ihrer Zeit kein Bauer die Reichsgerichte kannte. Die Reichsfuͤrsten haben es dem Kayser wohl abgesessen, und ihm in seiner Capitulation vor- geschrieben, daß er die Unterthanen gegen ihre Landesherrn nicht leicht hoͤren solle. Wir sollten ein gleiches Gesetz im Lande haben, wodurch den Gerichten geboten wuͤrde, die Markgenossen gegen ihren Holzgrafen, und die Leibeigene ge- gen ihre Gutsherren nicht zu hoͤren, oder wenigstens vorher einen Bericht zu fordern, ehe sie mit Befehlen hervorzuschnel- len sich unterstuͤnden. Die Reichsstaͤnde sind jederzeit ein Vorbild der Landstaͤnde gewesen; und was jenen Recht ist, muͤßte auch billig diesen Recht seyn. Das baare Geld nimmt taͤglich ab; und doch erhaͤlt man noch nicht mehr fuͤr einen Thaler als fuͤr zwanzig Jahren. Vielmehr konnte man damals mit tausend Thaler weiter kom- men, als jetzt mit zweytausend. Der Himmel weis, wie das zugeht; und was es endlich fuͤr ein Ende nehmen wird. Aber alles im Stifte Osnabruͤck. alles wird schlimmer in der Welt. Sogar die Sommer sind lange so heiß nicht mehr als in meiner Jugend. Und wer hat so viele nasse Fruͤhjahre erlebt, als wir seit zwanzig Jah- ren gehabt haben. — — — XXXIIII. Die Politick der Freundschaft. Zu ihr hin will ich gehen; ihr sagen, daß sie die nieder- traͤchtigste Creatur von der Welt sey; das sie das edelste und zaͤrtlichste Vertrauen gemißbraucht, und mich auf eine recht schaͤndliche Art hintergangen habe. Ja dies will ich thun; diese Genugthuung will ich haben. Ich will sie in ihren eignen Augen erniedrigen, ihr den verraͤtherischen Brief vorlegen, und sie dann ihrer Schaam und den Bissen ihres Gewissens uͤberlassen. .... Und wenn Sie das denn nun gethan haben Madame? So bin ich gerochen. Gerochen? und wodurch? Dadurch, daß sie ihre ganze Schwaͤche zeigen? Das ist in der That eine sonderbare Rache. O meine liebe Ißmene; sollten sie mich je beleidigen; so glau- ben Sie nicht, daß ich es Ihnen so leicht machen werde mich zu vergessen und sich zu beruhigen. Also sollte ich es mir wohl gar nicht einmal merken las- sen, Arist, daß ich so schaͤndlich hintergangen bin? Nein, Ißmene. Ihr Eyfer mag noch so gerecht; das Ihnen wiederfahrne Unrecht mag noch so klar seyn: so muß es der letzte Schritt unter allen seyn, seinem Freunde wissen zu lassen, daß man von seiner uns zugefuͤgten Beleidigung O 3 un- Die Politick der Freundschaft. unterrichtet sey. Nie kann dieser uns hernach wieder unter die Augen treten, ohne sich zu schaͤmen: und wer sich vor uns zu schaͤmen hat, der flieht uns erst, haßt uns leicht, und ver- folgt uns zuletzt, um sich eines beschwerlichen Zeugens seiner Unwuͤrdigkeit zu entledigen. Aber wenn mir nun der Haß und die groͤßte Feindschaft einer solchen Person als diejenige ist, woruͤber ich mich beklage, angenehmer waͤre als alle die Freundschaft, welche sie mir ehedem gezeigt hat? Das ist nicht moͤglich. Eine Person, welche Sie ein- mal werthgeschaͤtzt haben, kann nicht ohne alle Verdienste seyn. Sie muß werth seyn gebessert und wiedergewonnen zu werden; und das koͤnnen Sie nie hoffen, wenn Sie ihr einmal ge- rechte Vorwuͤrfe gemacht haben. Falsche Vorwuͤrfe treffen flach; aber wahre fassen tief, und man vergißt sie um so viel weniger, je mehr man sie verdient hat. Sie benehmen dem Schuldigen seinen Werth; und diejenige redliche Zuversicht, welche doch zum wahren Vertrauen und zu einer aufrichtigen Freundschaft unentbehrlich ist. Erinnern Sie sich nur ein- mal ihrer Geschichte mit Cephisen. Diese ihnen jetzt so werthe Freundin hatte Ihnen faͤlschlich ein Verbrechen Schuld gegeben, welches man niemals erweiset, und allezeit ohne Be- weis glaubt. Sie hoͤrten es und beruhigten sich damit, daß es aus Eyfersucht geschehen seyn koͤnnte. Sie veraͤnderten nichts in ihrem Betragen gegen sie. Sie bezeugten ihr immer das zaͤrtliche Vertrauen; die nemliche Achtung und eben die Gefaͤlligkeiten, welche Sie allezeit gegen sie gehabt hatten. Keine Zuruͤckhaltung, kein Ernst im Blicke verrieth die min- deste Empfindlichkeit. Kaum waren einige Wochen verflossen; so gereuete Cephisen ihre Verlaͤumdung. Sie ward unruhig, und das Bekenntniß ihres Verbrechens schwebte ihr hundert- mal auf der Zunge, ohne daß sie es wagen mochte um Ver- zeihung Die Politick der Freundschaft. zeihung zu bitten. Von der edelsten Reue geruͤhrt, kam sie endlich in Gesellschaft derjenigen Personen, gegen welche sie mit der falschen Beschuldigung herausgegangen war, zu ihnen, und that Ihnen unter tausend Thraͤnen gleichsam eine oͤffent- liche Erklaͤrung. Damals gestanden Sie mir, Ißmene, daß Sie sich keinen Begriff von einer edlern Genugthuung machen koͤnnten, als diese gewesen waͤre. Ihre Zaͤrtlichkeit fuͤr Cephisen verdoppelte sich, und dasjenige was unter andern die groͤßte Feindschaft veranlasset haben wuͤrde, ist der Grund einer der dauerhaftesten Freundschaft geworden. Wuͤrde aber der Er- folg eben so angenehm gewesen seyn, wenn sie ihre Freundin gleich zur Rede gestellet; derselben ihre Verlaͤumdung vorge- worfen, und sie damit auf ewig ihrer Schande uͤberlassen haͤtten? Wuͤrde die Reue Cephisens jemals zugereicht haben, eine voͤllige Versoͤhnung unter ihnen herzustellen? Und war nicht gleichsam ihr heroischer und freywilliger Entschluß noͤthig, um ihr ein Vertrauen zu sich selbst, und mit diesem die Wuͤrde wieder zu geben, sich als eine Freundin in ihre Arme werfen zu koͤnnen? Es ist wahr, Arist, ich fuͤhle die Wahrheit dessen was sie sagen: und bin nun zu groß um in Vorwuͤrfe auszubre- chen. Glauben Sie nur, liebenswuͤrdigste Freundin, der Un- schuldige verzeihet leicht. Aber der Schuldige kann nie wie- der ein Herz zu uns gewinnen, wofern wir ihm nicht helfen sich vor dem Richterstuhl seines eignen Gewissens zu rechtfer- tigen, und erst wiederum ein Vertrauen zu sich selbst zu ge- winnen. Die Gelegenheit dazu koͤnnen wir ihm nicht besser unterlegen, als wenn wir ihn zuerst in der guten Meinung lassen, daß wir sein Verbrechen nicht wissen. Hierdurch wird er allmaͤhlich sicher; bemuͤht sich erst etwas wieder gut zu machen, wird immer eifriger, und zuletzt, nachdem er uns viele neue O 4 Be- Es bleibt beym Alten Beweise von seiner Redlichkeit gegeben, wagt er es, Verzei- hung fuͤr das vergangene zu erwarten und zu bitten. Ehen- der kann er es nicht thun, ohne sich in seinen eignen Ge- danken zu erniedrigen. Es fehlt ihm auch die Gelegenheit zu jener Rechtfertigung, wofern wir ihn gleich durch verdiente Vorwuͤrfe beschaͤmen und entfernen. Dies wird aber doch wohl nur die Pflicht gegen solche schuldige Freunde seyn, die wuͤrklich Verdienste haben? Freylich; aber selten ist ein Mensch ohne einige Ver- diensten; und man kann auch oft einen Boͤsewicht auf kurze Zeit oder in einzelnen Geschaͤften ehrlich machen, wenn man ihn fuͤr ehrlich haͤlt, und Vertrauen auf ihn setzt. Es ge- reicht der Tugend zur Ehre, daß auch der boͤseste Mensch denjenigen ungern hintergehet, der ihm fuͤr einen rechtschaffe- nen Mann haͤlt. Glauben Sie, Ismene, daß ich nicht bis- weilen in die Versuchung gerathen wuͤrde, Ihnen ungetreu zu werden, wenn ich versichert waͤre, daß Sie ein Mißtrauen in mich setzten? O schweigen Sie, Arist; oder ihre Gruͤnde fangen an bey mir allen ihren Werth zu verlieren. XXXV. Es bleibt beym Alten. Es geht doch auch jetzt sehr weit in der Welt. Bisher sind es nur die Gelehrten gewesen, welche uns Landleuten den Vorwurf gemacht haben, daß wir so fest am Alten, als der Rost am Eisen, klebten, und gar nichts neues versuchen wollten; und diesen Gelehrten, unter deren Nachtmuͤtzen nichts wie Projekte zur Verbesserung der Landesoͤkonomie aus- ge- Es bleibt beym Alten. geheckt werden, hat man das zu gute gehalten, und es ihnen als ein Mittel ohne viel Arbeit ihr taͤgliches Brod zu erwer- ben, gegoͤnnet, daß sie uns solche Vorwuͤrfe in gedruckten Buͤchern, die eben nicht viele von uns lesen, gemachet haben. Sie muͤssen doch von etwas schreiben, da sie leben und schrei- ben muͤssen, und sonst nichts zu verdienen wissen. Allein nun faͤngt auch sogar unser Kuͤster an, unsern Kindern die bey ihm dann und wann in die Schule gehen, von einem schrecklichen Gespenste, welches er das Vorurtheil des Alterthums nennet, etwas vorzuplaudern, und verlangt sie sollen ihren vaͤterlichen Acker dermaleinst ganz anders pfluͤ- gen, als wir, unsre Vaͤter, Großvaͤter und Eltervaͤter ihn gepfluͤget haben. Er verlangt, sie sollen die Bestellung des- selben aus großen Buͤchern lernen, bald bey den Englaͤndern, bald bey den Franzosen und bald bey den Schweden in die Schule gehen; und spricht von Projekten, wogegen die Er- fahrung von zehn Menschenaltern nicht das allermindeste er- heben soll. Dies ist in Wahrheit von einem Manne, der kaum den Sonnenzeiger an unser Kirche recht zu stellen weis, un- ertraͤglich, und die ganze Gemeinde hat mir aufgetragen, ihm hiemit oͤffentlich zu sagen, daß wir fuͤr dasjenige, was unsre Vorfahren, die ihren Acker lange gekannt, und ihn fruͤh und spaͤt betreten haben, eingefuͤhrt, mehrere Ehrfurcht haben, als fuͤr alle Projekte der neuern. Wie wuͤrde es uns armen Leuten gegangen seyn, wenn wir alle die Vorschlaͤge, die nun seit zehn Jahren zur Verbes- serung des Ackers gemachet sind, befolget haͤtten? Wenn wir alle die Saͤemaschinen, und alle die Arten von Pfluͤgen an- geschaffet haͤtten, welche in dieser Zeit angepriesen und ver- gessen sind? Wenn wir alle die Futterkraͤuter gesaͤet und alle O 5 die Es bleibt beym Alten. die Ackerbestellungen nachgeahmet haͤtten, wovon man uns ein so herrliches Bild gemahlet hat? Sollte der Gutsherr seine Paͤchte, der Zehntherr seinen Zehnten und der Vogt seine Schatzungen wohl nachgegeben haben, wenn wir ihnen er- zaͤhlet haͤtten, daß wir neue Versuche gemacht und damit ver- ungluͤcket waͤren? Eine hundertjaͤhrige Erfahrung ist eine erstaunende Probe; hundert, ja tausend Jahr haben wir mit Plaggen geduͤngt, im sauren Schweisse unsers Angesichts damit ge- duͤngt, und uns wohl dabey befunden. Warum sollen wir denn davon ablassen? Meynen Sie nicht, das wir alle Jahr mit den Plaggen auf einigen Feldern zu kurz kommen, und also auch hundertjaͤhrige Erfahrungen von solchen Feldern ha- ben, die nicht damit geduͤngt sind? Da wir verschiedene Kirch- spiele und Gegenden haben, die keine Plaggen gebrauchen, und einen Grund bauen, der dieses Duͤngers entbehren kann: Meynen Sie denn nicht, daß unsre Vorfahren auch wohl bis- weilen auf den Gedanken gerathen sind, zu versuchen, ob sie dieses muͤhseligen Duͤngers entrathen koͤnnten? Und glauben Sie nicht, daß wir gute durch die Erfahrung bestaͤtigte Gruͤn- de haben, warum wir dabey beharren? Man beschuldige uns keines Eigensinns. Die Kartof- feln sind noch nicht viel uͤber dreyßig Jahren in Westphalen bekannt; und gleichwol baut sie schon ein jeder. Die Feld- mauern sind erst vor 40 Jahren aufgekommen, dennoch sind sie nunmehro fast durchgehends, wo Steine zu haben und Feldmauern nuͤtzlich sind, anstatt der Zaͤune und Hecken ein- gefuͤhrt. Der Hanfbau ist funfzig Jahr in hiesigen Gegen- den alt, und gleichwol jezt schon uͤberall, wo es nur moͤglich ist, gemein; vor sechzig Jahren saͤete noch niemand Buch- weizen ins Mohr; und jezt wird er uͤberall gesaͤet. Der Wei- Es bleibt beym Alten. Weizenbau vermehrt sich taͤglich in Gegenden, wo man ihn vorhin gar nicht moͤglich glaubte. Wir sind also folgsam — — aber gegen Erfahrungen und nicht gegen Projekte und unsichere Proben. Proben und Versuche sind fuͤr den Edelmann, der et- was verlieren kann; nicht fuͤr den Landmann, der jedes Han- debreite Land zu Rathe halten muß. Dies mag sich der Kuͤ- ster merken. XXXVI. Klage wider die Packentraͤger. Die Packentraͤger sind der Verderb des ganzen Landes. Wie mancher Viehmagd kroch ehedem ihr braunes Haar unter einer mit Schraubschnur eingefaßten Muͤtze her- vor; die der Packentraͤger erst zu Lioner-Golde, drauf zu Kannten, und zuletzt wohl gar zu Spitzen verfuͤhret hat. Nur stolz, wenn ihre Kuͤhe nach einem harten und langen Winter dick und glatt waren, dachte sie noch nicht an sich selbst; und wuͤnschte blos durch die Zierde ihrer Kuͤhe, sich als eine gute Haushaͤlterin dem Großknecht zu empfehlen. Sie schaͤmte sich nicht in Holzschuhen, diesem den Bewohnern nasser Gegenden von der Vorsehung angemessenen Fußwer- te Die Holzschuhe sind den nassen Weidegegenden, und den- jemgen so darauf gehen oder arbeiten, unentbehrlich, weil die lederne Sohlen theils schwammicht werden, theils mit der Feuchtigkeit eine bestaͤndige Kaͤlte bewahren. In den Berggegenden werden sie wenig gebraucht. Wo ein schwe- rer Acker und die Erde klebrich ist, kennt man sie gar nicht; weil zu Dorfe und barfuß zur Kirche, deren Boden noch nicht mit Klage wider die Packentraͤger. mit Teppichen belegt war, zu kommen. Ihr Hals zeigte seine wohlerworbene braune Farbe; und der einzige Staat war eine runde silberne Schnalle, womit sie ihr selbst gezeugtes Hemd befestigte; und zwey Roͤcke, wovon sich nur einer se- hen lassen durfte. Der Knecht hatte die Haͤlfte seines Garns, welches er bey Feyerabend gesponnen, in einer Grube mit Eichenlaub gefaͤrbt; und die Webemagd ihm ein buntes Zeug zum Wamms daraus gemacht, zur Belohnung, daß er ihr Flachs in die Roͤthe Man schreibt jezt vielsaͤltig: Rotten. Allein das franzoͤsi- sche rouir und rouissage lehrt, daß es beym alten Roͤ- then verbleiben muͤsse. und wieder heraus gebracht hatte. Sie wußten mit einander nichts von fremden Putze; und be- wunderten den Staat der Frau Pastorin als etwas Fuͤrstliches, ohne sich den Wunsch beyfallen zu lassen, so etwas nachah- men zu duͤrfen. Wer hat aber diese guten Sitten verderbt? Gewiß nie- mand mehr als der Packentraͤger, der mit seinen Galanterie- waaren nicht auf den Heerstrassen, sondern auf allen Bauer- wegen wandelt, die kleinesten Huͤtten besucht, mit seinem Geschwaͤtz Mutter und Tochter horchend macht, ihnen vor- luͤgt, was diese und jene Nachbarin bereits gekauft; ihnen den Staat, welchen diese am naͤchsten Christfeste damit ma- chen werde, mit verfuͤhrischen Farben mahlt; der entzuͤckten Tochter ein Stuͤck Sitz auf die Schulter haͤngt, ihr eine sanfte Roͤthe uͤber ihren kuͤnftigen Staat ablockt, und der gefaͤlligen Mutter selbst eine neue Spitze aufschwatzt, damit sie sich vor ihrer weil man nicht darinn fortkommen kann. Sie sind nichts weniger als ein Zeichen der Armuth, indem wir Bauren- frauen sehen, die zwanzig Thaler auf eine Muͤtze, und zehn Thaler auf einen Halstuch wenden, aber doch, aus angefuͤhrten Ursachen, bis zur Stadt in Holzschuhen kom- men muͤssen. Klage wider die Packentraͤger. ihrer Tochter im sitzenen Camisole, beym naͤchsten Kirchgange nicht schaͤmen duͤrfe. Dem Knechte gefallen die schoͤnen sei- denen Halstuͤcher, die großen silbernen Schnallen, der huͤbsch beschlagene Pfeifenkopf; und andre entbehrliche Kleinigkei- ten, welche ihm die Wirthin aus Hoͤflichkeit gegen den Packen- traͤger anpreiset; und dieser, der gern eine Zeitlang borget, wenn er nur die Haͤlfte, als den wahren Werth bezahlt er- haͤlt, geht freudig weiter, um eine andre Frau Nachbarin zur Nachfolge zu ermuntern. Er hat von allen was sich fuͤr jeden Stand paßt, und weis einer jeden gerade das anzuprei- sen, was sich am besten fuͤr sie schickt. Das Vermoͤgen aller Familien ist ihm bekannt; er weis wie die Frau mit dem Manne steht, und nimmt die Zeit wahr, jene heimlich zu be- reden, wenn der graͤmliche Wirth nicht zu Hause ist. Kurz, der Packentraͤger ist der Modekraͤmer der Landwirthinnen, und verfuͤhrt sie zu Dingen, woran sie ohne ihm niemals ge- dacht haben wuͤrden. Solche gefaͤhrliche Leute sollten in einem Staate um so viel weniger gedultet werden, da es mehrentheils Auslaͤnder sind, die unsre Thorheit in Contribution setzen; und keine funfzig Jahr hingehen werden, daß nicht die Franzosen, wel- che seit dem letzten Kriege die offne Handelsfreyheit der Stifter bemerkt haben, in dem Besitze dieses ganzen Handels seyn werden. Wir sehen schon wie sie sich taͤglich vermehren; und wie Leute, die im Jahr 1763 noch mit einigen Stuͤcken Cammertuche aus Champagne und den Luͤttichischen herunter schlichen, jezt mit Pariser Nippes auf den Posten reisen, und ganze Ballen nachkommen lassen. Knaben die zuerst mit Chansons handelten, sind große Libraires Ambulans gewor- den, und versorgen uns mit den Fabrik-Romans, die vorhin nach Canada zu gehen pflegten. Wie haͤufig kommen nicht die Muͤtzenprinzeßinnen? Und wie leicht ist es moͤglich, daß sie Klage wider die Packentraͤger. sie auch mit der Zeit einige allerliebste Baurenmuͤtzen mit- bringen und die Doͤrfer bereisen? Man darf an nichts mehr zweifeln; und es ist nicht unmoͤglich, daß wir in funfzig Jah- ren eine Bande von franzoͤsischen Comoͤdianten auf jeden Dorfe haben werden? Es ist ein leichter und lustiger Erwerb; und ich sehe es als etwas sehr wahrscheinliches an, daß waͤhrender Zeit die Westphaͤlinger in Holland Torf stechen, die Franzosen ihren Weibern ein Ballet vortanzen, und eine Opera im Kasten zeigen. Die Alten duldeten keinen Kraͤmer auf dem platten Lande; sie waren sparsam in Ertheilung der Markfreyheiten; sie ver- banneten die Juden aus unsern Stifte; und warum diese Strenge; Sicher aus der Ursache, damit der Landmann nicht taͤglich gereizt, versucht, verfuͤhrt und betrogen werden solte. Sie baueten auf die practische Regel: Was man nicht siehet, das verfuͤhrt einen auch nicht. Der Packentraͤger ist ein wichtiger Mann fuͤr solche Fabriken, denen es an einem großen Verleger mangelt. Da er zu Fuße geht; sein Essen von der guten Mutter, die sich etwas von seiner Waare aufschwaͤtzen laͤßt, im Kauf erhaͤlt, und des Nachts bey frommen Leuten zu Gaste schlaͤft: so ver- zehrt er nichts, nimmt auch mit einem kleinen Gewinnst vor- lieb, und dient den Fabriken, welche keinen Haber fuͤr Pferde abwerfen, statt des Packesels. Die Bielefeldischen Linnen- haͤndler wuͤrden ohne solche Packentraͤger laͤngst den wichtigsten Theil ihres Handels verlohren haben. So groß aber diese Wohlthat ist; so lange sie uns mit nuͤtzlichen und unentbehr- lichen Dingen versorgen; so sehr gereicht es zu unserm und der einheimischen Manufactunren Nachtheil, wenn durch den wohlfeilen Preis reitzender Kleinigkeiten, und sofort durch den geringsten Vortheil, welchen eine fremde Manufactur uͤber Klage wider die Packentraͤger. uͤber die einheimische giebt, das baare Geld aus dem Lande und dessen kleinsten Quellen gezogen, und der einheimische Fleiß gestuͤrzet wird. Von Markt zu Markt mag er reisen; das ist nothwen- dig, um die einheimischen Kraͤmer und Fabrikanten vom uͤber- theuren abzuhalten. Auf den Maͤrkten ist er auch so gefaͤhr- lich nicht, weil der Mann seine Frau dahin begleitet; und wenn sie dort etwas kauft, seinen unmaßgeblichen Rath dazu ertheilet. Allein ausser dieser Zeit, und von Huͤtte zu Huͤtte solte er nicht geduldet werden. Vordem da aller Handel in den Staͤdten war, mußte sich ein solcher Packentraͤger noth- wendig an diese wenden; und hier erhielt er nach vorgaͤngiger Untersuchung der Frage, ob seine Waare den Einwohnern nuͤtzlich und noͤthig sey, die Erlaubniß zu Hausiren. Seit- dem sich aber die Handelsfreyheit aufs Land ausgebreitet hat, und es fast schwer ist, Handlungs-Policeygesetze ausser- halb einer Ringmauer beobachten zu lassen, hat sich dieser Theil der Obrigkeitlichen Vorsorge nothwendig verlieren muͤssen. .... XXXVII. Schutzrede der Packentraͤger. Da die Policey jetzt fast iu allen benachbarten Laͤndern gegen die sogenannten Bund- oder Packentraͤger auf- wacht; und selbige entweder gaͤnzlich verbannet, oder doch sehr einschraͤnkt: so verdient es allergings eine Untersuchung, in wie fern diese Bemuͤhungen zum besten eines Staats ge- reichen oder nicht? Wenn Schutzrede der Packentraͤger. Wenn man die handelnden Patrioten eines jeden Lan- des fraͤgt: so haben dieselbe insgesamt nur eine Stimme gegen diese armen Leute. Die kleinen Staͤdte sehen sie als ihre ge- schwornen Feinde an; die Cameralisten sagen, daß sie das Geld aus dem Lande schleppten. Die Moralisten rufen mit lauter Stimme, daß sie Ueppigkeit und Eitelkeit in die klein- sten Huͤtten verbreiteten; und die Maͤnner schreyen, daß sie ihre Weiber und Toͤchter zu allerhand Thorheiten verfuͤhrten. Was sagen aber die armen Packentraͤger dazu? Bis dato nichts; so oft wir sie auch dazu aufgefordert haben. Viel- leicht ist ihnen die in diesen Blaͤttern wider sie eingefuͤhrte Klage nicht einmal zu Gesichte gekommen. Vielleicht verlas- sen sie sich auch auf ihre gute Sache. Es sey aber diese oder eine andre Ursache ihres Stillschweigens: so ist es unsre Pflicht sie nicht ungehoͤrt zu verdammen. Wir muͤssen sie, da sich kein Advocat fuͤr sie gefunden, selbst reden lassen; da- mit sie aber nicht zu weitlaͤuftig werden, sollen sie blos zu uns reden. Denn jeder Staat hat in diesem Stuͤcke sein eig- nes Interesse; und wir bekuͤmmern uns billig zuerst um das unsrige. „Was bewegt euch, koͤnnten sie zu uns Osnabruͤckern sagen, uns das freye hausiren zu verbieten? Ihr wohnet in einem Lande, wo die Auflagen gering sind, wo ihr gar keine Rekruten zu stellen, keine Cavallerie zu ernaͤhren und keine Accise zu entrichten habet; In einem Lande, wo die Zinsen gering, Haͤnde genug, und die Lebensmittel in einem billigen Preise sind. Wenn ihr wollt: so muͤsset ihr alles was ihr macht, eben so wohlfeil geben koͤnnen, als wir es euch auf unsern Ruͤcken zutragen; Und wenn ihr dieses thut: so muͤs- sen wir von selbst zu Hause bleiben. Daß in solchen Laͤndern, wo die Landesschulden hoch, und die Anflagen stark, der Haͤnde Schutzrede der Packentraͤger. Haͤnde aber aus Furcht fuͤr die Werbung wenig sind, der Landesherr alles Gewerbe und alle Handlung im Lande zu er- halten sucht; damit dessen Einwohner fuͤr so viele Beschwerden einigen Vortheil haben, und demselben gewachsen bleiben moͤgen, das lassen wir gelten. Allein bey euch ist dieses gluͤck- licher Weise nicht noͤthig; und man wuͤrde nur euere Faulheit oder die Gewinnsucht eurer Kraͤmer zum Schaden des Ganzen unterhalten, wann man uns verbannen, und diesen die Will- kuͤhr lassen wollte euch nach Gefallen zu behandeln. Ihr seht es ja an euern Beckern und Brauern, wie reich diese Leute wer- den, da niemand mit Vier und Brodte hausiren darf. Daß wir umsonst bey euch schlafen und essen, wo wir fuͤr Geld le- ben muͤssen, nichts als Wasser trinken, und unsern Weg zu Fuße machen, ist euer Vortheil. Ihr habet die Waare, die wir euch zubringen, dagegen so viel wohlfeiler. Machen es doch eure Kaufleute in vielen Stuͤcken auch so, die ihre Waa- ren aus eben der Hand nehmen, woraus sie der Hamburger, Bremer und Hollaͤnder nimmt, und solche hernach wohlfeiler geben, als diese, welche aus ihrer Handlungscasse Kutschen und Pferde, Lustgarten und Maitressen unterhalten. Unsrer geringen Meinung nach sind in eurem Lande hundert Ackers- leute gegen einen Kraͤmer; wenn nun jene ein Scheermesser fuͤr 2 ggr. von uns erhalten: so steht sich unfehlbar der groͤs- sere und wichtigere Theil des Landes besser, als wenn er euren Kraͤmer dafuͤr einen halben Gulden bezahlt, den sie hernach nur in Wein vertrinken, oder auf andre leichtfertige Art ver- spielen. Ueberdem muͤssen wir euch sagen, daß ihr mit vielen Sachen gar nicht handeln koͤnnet, womit ein Hausirer handelt. Dieser besucht des Jahrs fuͤnfhundert Doͤrfer, und wenn er in deren zehn jaͤhrlich von gewissen Waaren nur ein Stuͤck absetzt: so kann er schon ein Lager von hundert Stuͤcken dar- auf halten, und euch eine jedem Kaͤufer angenehme Wahl ver- Mösers patr. Phantas. I. Th. P schaf- Schutzrede der Packentraͤger. schaffen, wohingegen ein Kaufmann, der diese zehn Doͤrfer versorgen will, deren jedesmal nur ein oder zwey vorraͤthig haben kann, weil ihm der Absatz von mehrern mangelt. Haͤtte er mehr auf dem Lager: so muͤßten die Zinsen des Capitals, welches darinn steckt, auf das eine Stuͤck geschlagen und dieses um so viel theurer verkauft werden, wo der Mann nicht zu Grunde gehen will. Wir hingegen, die wir immer von ei- nem Lande ins andre reisen, und taͤglich Markt haben, ver- kaufen immer, und koͤnnen um so viel wohlfeiler verkaufen, je geschwinder wir unser Capital umsetzen. Wenn wir 1 p. C. verdienen, und unser Capital alle Monat von neuen anlegen: so gewinnen wir mehr, als ein Kaufmann der 10 p. C. hat, und kaum alle Jahr umsetzet. Denket aber nicht, daß es damit genug sey, wenn ihr uns blos den freyen Markt lasset. Ja, wenn eure alten Kreisstaͤnde so klug gewesen waͤren, daß sie alle Jahrmaͤrkte in geographischer Ordnung angelegt haͤt- ten: so daß wir um Lichtmessen von einem Punkt aus in ei- ner Kette, immer von einem Jahrmarkt aufs andre ziehen, und sodann gegen Martini zu Hause seyn koͤnnten, so liesse sich das noch hoͤren. So aber gehn die Jahrmaͤrkte zick zack, zehn Meile hin zehn Meile her; und bald muͤssen wir 14 Tage bald achte in der Schenke liegen und unser Geld ver- zehren, wenn wir in der Zwischenzeit nichts verdienen, oder von jedem Jahrmarkte nach Hause, und sodann wieder auf ein anders reisen solten. Und wuͤrden wir diese Unkosten nicht auf die Waare legen, und folglich euch zur Last bringen muͤssen? Was ihr von euern Weibern und Toͤchtern sagt, daß diese sich so leicht von uns beschwatzen liessen, ist eure Schuld. Warum haltet ihr sie nicht in besserer Zucht? Und gesetzt, wir sagten ihnen bisweilen ein Wort mehr als sie von andern hoͤren, sind wir denn allein Diebe unserer Nahrung? Werdet ihr euch nicht in Ewigkeit Aderlassen und den Bart scheren Schutzrede der Packentraͤger. scheren lassen muͤssen: so sange ihr Balbierer im Lande duldet? Sind eure Weinschenken auf den Doͤrfern nicht aͤrger als die falschen Spieler? Ihr duldet sie aber doch, damit der Rei- sende und der Kranke sich bey ihnen erquicke. Je nun so duldet auch von uns um des groͤssern Vortheils willen ein ge- ringeres Uebel, und werft es euren Weibern und Toͤchtern nicht so haͤmisch vor, wenn wir ihnen bisweilen ein paar Nehe- nadeln im Kauf dafuͤr geben, daß wir bey ihnen oder bey euch zu Gaste schlafen. Was will endlich daraus werden, wenn jeder kleiner Reichsstand seinen kleinen Bezirk so zuschliessen will? Ihr habt in eurem Lande gewiß fuͤnfhundert Packen- traͤger, welche die benachbarten Laͤnder beziehen? Warum wollt ihr uns denn nicht die Freyheit goͤnnen, die ihr selbst noͤthig habt? Sind nicht unter uns viele, die ihre Waare von euern eignen Kaufleuten nehmen? Und wuͤrden wir nicht noch gern ein mehrers von euren Fabriken nehmen, wenn diese uns ihre Waaren nur eben so wohlfeil geben, als wir sie ander- waͤrts haben koͤnnen? Verbietet uns allenfalls den Handel mit solchen Sachen, die ihr im Lande selbst zieht oder macht; aber lasset es nicht zu, daß eure Kaufleute den Kohlsaamen mit schweren Kosten von der Braunschweiger Messe holen, den wir euch aus unsern Kohlgarten ohne alle Unkosten zu- tragen. Wie wir das letztemal in Leipzig waren, fragten uns die Kaufleute, wovon wir so die gestickten Tuͤcher und andre huͤb- schen Sachen vor eure jungen Weiber nehmen, wohin wir alle diese Waaren braͤchten, und wie es moͤglich waͤre, daß wir zehntausend Stuͤck dergleichen Tuͤcher im Jahre absetzen koͤnnten; und auf unsre Antwort, daß wir solche mehrentheils in den westphaͤlischen Stiftern vertrieben, und die Menschen aus allen vier Welttheilen und mit allerley Waaren daselbst freyen Aus- und Eingang haͤtten, wollte er sich zu Tode wun- P 2 dern. Schutzrede der Packentraͤger. dern. Mein Gott, rief er aus, was muß da fuͤr eine Poli- cey seyn; das arme Land muß ja bis auf den Grund ausge- sogen werden. Es hat ja keine Fabriken und nichts. Die Leute muͤssen ja aͤrmer seyn als die Wilden; und man hat mir gar dabey gesagt: sie haͤtten keine Justitz, und ein Proceß kaͤme nie zu Ende. Da moͤgte der Henker Kaufmann seyn und borgen. Wisset ihr, was einer von uns darauf antwortete? Ich kann ihnen, sagte er, von der dortigen Policey und Justitz nichts sagen; ich habe wenigstens nie von einem Gesetzbuche In pessima quavis republica plurimæ sunt leges. Tacit. , von Hypothekenbuche, von Proceßordnung dort gehoͤrt. Aber das weis ich, daß die Zinsen dort vor dem Kriege nicht hoͤher als zu 3 p. C. gewesen, und jezt zum Theil zu vieren gestie- gen sind; daß man dort hundertmal mehr auf eine Privat- handschrift oder auf ein Wort borge als anderwaͤrts auf ge- richtliche Briefe; daß die liegenden Gruͤnde dort hoͤher im Preise sind, als sonst irgendwo; daß man seine Bezahlung dort richtig erhalte, und der Richter gegen die Schuldner nicht saͤumig sey; daß die Leute dort zufriedener sind, als bey euch, und daß ohne Policey- und Justitzverordnungen, ein jeder so ziemlich weis, was er zu thun hat. Dagegen hoͤren wir in den Laͤndern, worinn von nichts als Justitz und Poli- cey gesprochen wird, daß die Zinsen ohne Handel allemal um 1 bis 2 p. C. hoͤher gewesen; daß man dort adeliche und freye Guͤter um ein Drittheil, wo nicht um die Haͤlfte wohlfeiler verkaufe; und daß man alle Muͤhe in der Welt habe, auf große praͤchtige und kostbare Verschreibungen ein tausend Tha- ler zu borgen. Es muß also doch, wenn der Erfahrung zu trauen, dort so uͤbel nicht seyn, als ihr meynet; und es muß eine wunderliche Beschaffenheit mit der Klugheit aller Poli- cey- Schutzrede der Packentraͤger. ceyanstalten haben, daß sie das Geld seltener, den Credit schwaͤcher und die liegende Gruͤnde wohlfeiler machen. Der Kaufmann gab uns seine Waare und schuͤttelte den Kopf. Was wir aber damals zu ihm sagten, das sagen wir jezt zu euch. Wenn es nach allen politischen Rechnungen gienge; so muͤsset ihr laͤngst keinen baaren Schilling mehr im Lande haben; und gleichwol ist es in diesem Stuͤcke bey euch jezt nicht schlimmer, als in den so gepriesenen wohl eingerich- teten Staaten; und ihr habt das Vergnuͤgen zu sehen, daß sogar die komischen Packentraͤger, welche eine Oper im Kopfe und kein Geld in der Tasche haben, aus der Mitte von Frank- reich der Quelle aller Policey zu euch kommen. Ihr habt miteinander Menschenverstand; und wenn ihr euern Beutel selbst nicht flicken koͤnnt: so werden ihn wahrlich alle Poli- ceyanstalten nicht fuͤr Loͤcher bewahren. Fegen koͤnnen sie ihn, das ist gewiß. Sie koͤnnen euch auch so arm machen, daß ihr nichts von uns kaufen koͤnnt. Allein dasjenige, was ihr drein habt, wird nie nach Verordnungen, sondern allezeit nach euern freyen Willen gebraucht werden. Das glaubt mir gewiß: wir kriegen Jahr aus Jahr ein viele Menschen und viele Staͤdte zu sehen, wir kennen sie, und der große Mo- gul selbst wird dieses nicht aͤndern. Was ihr uͤbrigens davon sagt, daß sich unter uns Packen- traͤgern viele Diebe und Spitzbuben faͤnden, ist ein falscher Gedanke. Habt ihr je gehoͤret, daß ein Mausefallen- oder Barometerkraͤmer zu einer Diebesbande gehoͤret habe? Und warum dieses nicht? Sind die Italiaͤner weniger diebisch als die Deutschen? Nein. Die Ursache ist, daß ein einzelner Mensch, der weder Freunde noch Verwandte hat, sich in ei- nem fremden Lande doppelt in Acht nehmen muß. Kein Franzose wird daher leicht in Deutschland, und kein Deut- scher in Frankreich stehlen. Ist diese Ursache wahr: so wer- P 3 det Urtheil uͤber die Packentraͤger. det ihr auch bekennen muͤssen, daß wir Packentraͤger nach ei- ner ganz richtigen Politik minder diebisch sind als andre Men- schen. Demjenigen unter uns, der sich damit abgaͤbe, wuͤrde es gewiß an aller Fuͤrsprache mangeln. Seinen Packen be- hielte man erst, und ihn futterte man gewiß so lange in Ket- ten, bis man es muͤde wuͤrde. XXXVIII. Urtheil uͤber die Packentraͤger. Die Packentraͤger lassen sich uͤberhaupt in zwey Klassen theilen, wevon die eine mit Waaren, welche in ihrer Heymath fallen oder gemacht werden, handelt; die andre aber eine Art von von zweyter Hand ist, welche die Waare so sie fuͤhret, auf den Messen oder von Großhaͤndlern nimmt und zum Verkauf umher traͤgt. Die erste von diesen Klassen verdienet eine ganz andre Aufnahme, als die zweyte; und ich glaube nicht zu fehlen, wenn ich mit ihnen nach dem großen Grundsatze verfahre, welchen die englische Nation in der Weltberuͤhmten Acte of Navigation vom 23 Sept. 1660 in Ansehung der Seehandlung festsetzte. In derselben heißt es: Daß jedes Land seine eignen Producten und seine eignen Fabriken mit eignen Schiffen nach England bringen koͤnnte. Und die Absicht dabey ist, auf einer Seite zu verhin- dern, daß die Hollaͤnder, welche aller Welt Waaren fuͤhren, oder die Schweden, welche aller Welt Fuhrleute abgeben, oder andre Nationen, die eine gute und bequeme Ladung nach England bringen koͤnnten, keine Vorkaͤufer abgeben und ihnen fremde Waaren zubringen sollen; auf der andern Seite aber ihren Urtheil uͤber die Packentraͤger. ihren eignen Kaufleuten, welche solchergestalt den Einkauf fremder Waaren, die aus der Quelle nicht hergefuͤhret werden, allein haben, und die englischen Waaren wieder in die Laͤnder verfuͤhren, woher sie fremde holen, diesen Vortheil mit Aus- schluß aller andern zuzuwenden. Nach diesem von der ganzen handelnden Welt bewun- derten Grundsatze muͤssen wir es zum ersten Hauptgesetze ma- chen, daß Jeder Fremder mit den Waaren, die in seiner Heymath fallen oder gemacht werden, zu uns kommen und hausiren koͤnne; das Recht aber mit andern Waaren zu handeln und zu hausiren, keinem als einheimischen im Lande wohnenden Unterthanen verstattet werden solle. Auf diese Art bliebe den Franzosen der Handel mit Cam- mertuch, Nesseltuch und andern dergleichen in Frankreich fal- lenden Waaren; den Leuten, von denen Glas- und Eisenhuͤt- ten, der Handel mit Glaͤsern, Schneidemessern, Sensen, Naͤgeln und dergleichen Eisenwaaren; den Sieb- und Korb- machern, der Handel mit Sieben und Koͤrben; den Ravens- bergern, der Handel mit klaren und seinen Linnen; verschie- denen Nachbaren der Handel mit Drellen, Kanefassen, wol- lenen Decken, wollenen und leinenen Struͤmpfen, mit Mau- sefallen und Barometern ungehindert; und da dieser Sachen, welche aus der Quelle von Leuten, so an derselben wohnen, hergebracht werden, so gar viel nicht sind: so liesse sich dieses bey weiter Ueberlegung leicht auf das genaueste bestimmen; indem doch uͤberhaupt keinem das Hausiren im Lande ohne vorherige Untersuchung und Vergeleitung gestattet wird. Da- gegen waͤre es aber blos einheimischen erlaubt mit andern Waaren, als Messern, Scheeren, metallenen Knoͤpfen, Schnal- len, Spiegeln, Bohren, Pfeiffenkoͤpfen, Handschuhen, baum- wollenen Muͤtzen und Struͤmpfen ꝛc. zu hausiren. P 4 Gleich- Urtheil uͤber die Packentraͤger. Gleichwie aber jene Acte of Navigation die den frem- den Nationen erlaubte Einfuhr eigner Waaren nur in sofern zulaͤßt, als diese Waaren nicht contrebande sind: also muß es ein zweytes Hauptgesetz seyn, ein gleiches auch dahier zu beobachten, und sowol den fremden als einheimischen Packen- traͤgern das Hausiren mit sichern Waaren gaͤnzlich zu unter- sagen; als nemlich mit allen Spitzen, allen gestickten Sachen, allen Seidenwaaren, allen Zitzen oder Cattunen, allen wol- lenen Stoffen und dergleichen Sachen, als welche entweder in den Staͤdten oder auf Jahrmaͤrkren gekaufet werden koͤnnen. Ich rede hier blos von dem Hausiren ausserhalb Jahr- markts. Denn dieser muß vor wie nach frey bleiben; und ist es meine Meynung jezt nicht, solchen gleichfalls auf jene Grundsaͤtze einzuschraͤnken. Damit aber diejenigen, welche zu Markte kommen, diese ihnen zugestandene Freyheit nicht mißbrauchen, und unter Weges auspacken moͤgen: so ist Drittens noͤthig, die Heerstrassen zu bezeichnen, und das Urtheil dahin zu fassen, daß wer sich mit denen blos auf Jahrmaͤrkten zugelassenen Waaren ausserhalb der Heerstrasse betreten lassen wird, sofort aller seiner bey sich fuͤhrenden Waare verlustig seyn solle. Die Lage der westphaͤlischen Laͤn- der beguͤnstiget diese Anstalt ungemein. In andern Gegen- den gehen die Heerwege von Dorf zu Dorf; und die Land- leute wohnen alle im Dorfe. In Westphalen hingegen woh- net in den Doͤrfern und an der Heerstrasse fast kein einziger Landmann, sondern blos Wirthe, Kraͤmer und Handwerker; und diese sind nur schlechte Kunden fuͤr die Packentraͤger. Der wahre Bauer liegt in Hoͤlzern zerstreuet, und man kann nicht zu ihm kommen, ohne die Heerstrasse zu verlassen. Es waͤre also sowol in dieser als in mancher andern Absicht noͤthig die Heerstrassen zu bezeichnen, als wodurch zugleich die nach der Urtheil uͤber die Packentraͤger. der Lage andrer Laͤnder noͤthige und beschwerliche Versiege- lung der Packen voͤllig hinwegfallen wuͤrde. Ich denke nicht, daß durch dieses Urtheil uͤber die Packentraͤger sich jemand mit Recht beschwert erachten koͤnne; denn daß man darin 1) Diejenigen beguͤnstiget, die uns ihre eignen Waa- ren, welche wir noͤthig haben, mit der ersten Hand zubringen, hat in so fern seinen guten Grund, als wir sonst der zweyten und dritten Hand unnoͤthig zinsbar werden wuͤrden; daß man 2) den Vortheil der zweyten Hand, wenn eine Waare aus der ersten nicht zu haben ist, selbst zu gewinnen, und solchen einheimischen Unterthanen zu zuwenden suchet, ist der Klugheit gemaͤs, daß man 3) alles Hausiren mit Spitzen, gestickten Sachen ꝛc. wobey die einfaͤltigen Unterthanen uͤberlistiget und uͤbervor- theilet werden, verbiete, ist um so nothwendiger, weil der Werth dieser Sachen nicht so gut als der Werth eines Schnei- demessers beurtheilet werden kann, und das Geld was fuͤr wahre Beduͤrfnisse aus dem Lande gehet, nicht den zehnten Theil von demjenigen ausmacht, was auf Thorheiten ver- wandt wird. Endlich und 4) wird ein maͤßiger Ueberschlag zeigen, daß von hun- dert fremden Packentraͤgern, welche das Land belaufen, neun- zig die nichts als fremde zusammengekaufte Waaren fuͤhren, zu Hause bleiben muͤssen. Die Leute so von einer Quelle kommen, fuͤhren insgemein nur einerley Waare, und es ist gar nicht schwer sie zu unterscheiden, und dem Befinden nach, mit einem bestaͤndigen Geleitsbriefe zu versehen. P 5 Man Von der Steuer-Freyheit Man will indessen doch die Gruͤnde derjenigen, welche gegen dieses Urtheil etwas einzuwenden haben, gern verneh- men, und ihnen in der fernern Appellations Instanz nicht allein Gehoͤr sondern auch Gerechtigkeit wiederfahren lassen. XXXIX. Von der Steuer-Freyheit in Staͤdten, Flecken und Weichbilden. Es ist nicht leicht eine Sache, woruͤber in den Staͤdten und Flecken mehr gestritten wird, als uͤber die Frage, ob diese oder jene Person einer Freyheit von buͤrgerlichen La- sten geniesse oder nicht? und nichts ist dabey gewoͤhnlicher, als daß man sich auf seinen geistlichen Stand, seinen Adel oder seine Bedienung berufe, und dem Magistrate solcher Staͤdte und Flecken es sehr uͤbel nehme, daß er es sich nur einmal einfallen lasse, befreyeten Personen dergleichen anzu- muthen. Ich gestehe, daß mich die Gruͤnde der Befreyeten mehrmalen geblendet haben; und daß ich es sehr unanstaͤndig gefunden, wenn der Fleckensdiener einen Reichsfreyen Mann zu Stadtspflichten verabladen wollen. Allein, nachdem ich die Sache in aller Einfalt erwogen und von allem falschen Schein entbloͤßet habe; so bin ich davon voͤllig zuruͤckge- kommen. Ich hoffe, ein jeder wird mit mir darinn einstimmen, wenn ich ihm die Sache so vortrage, wie sie mir vorgekom- men ist. Ehe ich aber solches thun kann, muß ich bemerken, worinn die Freyheit in ofnen Doͤrfern und auf dem platten Lande, sich von der Freyheit in geschlossenen Orten, derglei- chen in Staͤdten, Flecken und Weichbilden. chen Staͤdte, Weichbilder und Flecken sind, unterscheide. Eine Befreyung im Reiche oder im Lande geht dem Ganzen ab; und folglich kann sie von demjenigen, der uͤber das Ganze zu sagen hat, ertheilet werden. Eine Befreyung in einer Stadt oder in einem Flecken, geht aber blos einem Theile ab, und da dieser nicht schuldig ist, fuͤr das Ganze zu leiden: so kann derjenige, der uͤber das Ganze zu sagen hat, solche nicht ertheilen. Z. E. ein Landesherr mit seinen Staͤnden kann einen Hof schatzfrey machen; aber kein Haus in einem Flecken, ohne diesem solches an seinem Anschlage abzusetzen. Jezt wollen wir die Anwendung machen. Der Kaiser, ohnerachtet er das allerhoͤchste Reichsober- haupt ist, mag kein Haus in irgend einem Flecken befreyen. Denn da das Haupt vom ganzen Koͤrper getragen werden muß: so wuͤrde es ungerecht seyn, solches einem einzelnen Flecken aufzubuͤrden; und vermuthlich war dieses auch der wahre Grund, warum Kayser und Koͤnige ehedem immer von einem Orte des Reichs zum andern reisen mußten, damit eine Provinz und eine Stadt die Last nicht allein zu tragen hatte. Ein Landesherr ist in keinem Staͤdtgen oder Flecken seines Landes frey, weil seine Freyheit dem ganzen Lande nicht aber einem einzelnen Theile desselben berechnet werden muß. Es hindert aber nichts, daß nicht der Kayser wie der Landes- herr einen freyen Pallast neben oder an einem Flecken habe, dessen Befreyung dem ganzen nicht aber einem Theile zur Last faͤllt. Landesherrliche Bediente sind aus einem gleichen Grun- de, zwar im Ganzen, aber in keinem einzelnen Flecken frey. Eben so kann des Adelsfreyheit zwar wohl dem Reiche oder dem Reichslande, dem er dienet oder gedienet hat, keines- weges aber einem einzelnen Flecken aufgebuͤrdet werden. Der ge- Von der Steuer-Freyheit geringste Edelmann wuͤrde es nicht leiden, daß ihm der Kay- ser einen Burgfestendienst aus der Reihe naͤhme, und ihm dafuͤr einen Reichsgrafen, wenn er auch den Erbfeind des christlichen Namens zur See und zu Lande geschlagen haͤtte, einschoͤbe. Und eben die Bewandniß hat es mit den Staͤd- ten und Flecken. Die Beamte, welche mehrere Kirchspiele unter sich ha- ben, die Richter, Gerichtschreiber, Voͤgte, Pedellen und Amtsdiener, ja selbst der Pfarrer und der Kuͤster, wenn Bauerschaften in dem Flecken eingepfarret sind, koͤnnen dem- selben mit ihren Freyheiten nicht zur Last fallen, weil dieselbe von dem ganzen Amte, dem Gerichtssprengel, der Vogtey oder dem Pfarrsprengel, der offenbaresten Billigkeit und Ge- rechtigkeit nach, mit gemeinsamen Schultern uͤbertragen wer- den muͤssen. Dies ist die Regel der Vernunft; eine Folge des Originalcontrakts, und der Grundsatz, worauf das Al- terthum gebauet hat. Nun wollen wir aber auch die Ausnah- men betrachten. Die erste giebt uns das Wehdum, welches seinen Na- men von geweihten Gute hat. Dieses wurde zwar in der saͤchsischen Anlage von Carln dem Großen nicht Dienstfrey erklaͤrt. Allein der gemeine Dienst, so davon kommen mußte, wurde ans Altar gelegt; und auf diese Art wurde es in der weltlichen Dienstleistung frey. Das Wehdum ist fast durch- gehends aͤlter als Staͤdte und Flecken, und diese haben folglich nie ein Recht gehabt, solches zum Weichbildesgute zu rech- nen, und eine Beyhuͤlfe davon zu fordern. Eben das gilt von allen geistlichen Gruͤnden, deren besitzlich hergebrachte Freyheit einen gleichen Ursprung rechtlich vermuthen laͤßt. Die zweyte Ausnahme macht Reichs- oder Amtsgut. Lange vorher ehe Staͤdte und Flecken sich schlossen, waren Amts- in Staͤdten, Flecken und Weichbilden. Amts- und Vogtshoͤfe vorhanden; und jene entstanden insge- mein an und neben einem Amtshofe oder einer Burg; und ob sie gleich, nachdem die sich daneben anbauende Handwer- ker und Kraͤmer eine Mauer oder einen Bannkreis erhielten, mit darinn zu liegen kamen: so laͤßt sich doch leicht gedenken, daß das Amtsgut seine vollkommenste Freyheit behalten habe. Die dritte Ausnahme macht Burgmannsgut. Dieses ist theils aus alten Reichs- oder Amtsgute entstanden, und folglich zwar wohl in den staͤdtischen Bannkreis gekommen, aber nicht zum Weichbilde pflichtig geworden; theils hat es die Sicherheit der Staͤdte und Flecken erfordert, Burgleute an sich zu ziehen; da sie denn denselben, dafuͤr, daß sie den Flecken und die Stadt beschuͤtzet, eine Freyheit zugestanden haben. Hierauf gruͤnden sich die Freyheiten adelicher Haͤu- ser in Staͤdten. Die vierte Ausnahme gruͤndet sich auf alten Verglei- chen. So sehen wir, daß in den neuern Zeiten, wie in hie- sigem Stifte die Staͤdte und Flecken zum Schatze angeschla- gen sind, denenselben fuͤr diejenigen Landesbediente, welche sich darin aufhielten, so viel nachgelassen worden, als ihr An- theil der Schatzung betragen konnte; und so wird noch ver- schiedenen Landesbedienten ein sicheres fuͤr ihre Wohnung aus der Landescasse bezahlet, damit sie dem Orte wo sie wohnen, nicht allein zur Last fallen moͤgen. Man hat also immer den Grundsatz befolgt, daß die Landesfreyheit der Landescasse, nicht aber der Caͤmmerey des Staͤdtgens obliege; und es er- hellet aus den jetzt angefuͤhrten beyden Umstaͤnden, daß man nach der von mir oben festgesetzten Regel verfahren, und kei- nem Staͤdtgen oder Flecken anmuthen wollen, die den Lan- desherrlichen Bedienten von dem ganzen Lande zu verschaffen- de Freyheit, ganz allein zu stehen. Was wir in den neuern Zei- Von der Steuer-Freyheit Zeiten sehen, das kann in den alten geschehen seyn, und wo Landesherrliche Bediente an einzelnen Orten einer Freyheit geniessen, da muß man ebenfalls einen alten Vergleich zum Grunde dieser Freyheit annehmen. Ich solte noch der fünften Ausnahme, nemlich der kay- serlichen Befreyungen, gedenken. Allein da solche eigentlich zu der Zeit ihren Ursprung nahmen, wo alles noch zum Reiche steuerte; da sie hiernaͤchst insgemein nur dem Amtsgute was an dem Flecken oder Staͤdtgen lag, und nicht eigentlich buͤr- gerlicher Grund war, ob er gleich mit in der Mauer befasset wurde, zu statten kamen; und da sie endlich die Regel offen- bar befestigen, indem sie nicht mehr statt haben, seitdem die Laͤnder geschlossen sind: folglich auch schwerlich statt hatten, so bald ein Flecken oder Staͤdtgen sich mit kayserlicher Be- willigung geschlossen hatte: so ist es eben nicht noͤthig daraus eine besondre Ausnahme zu machen; indem fast alles kaiser- lich freye Gut unter Wehdum, Amtsgut, und Burgmanns- gut verstanden ist. Dies sind meines Ermessens uͤberaus begreifliche Wahr- heiten, woraus man zugleich abnimmt, warum der Thor- schreiber eines Fleckens mehrere Freyheit zur Stelle haben koͤnne, als der erste Minister eines Landesherrn. Denn je- ner ist der Bediente dem das Flecken die Freyheit zur Besol- dung reicht; dieser hingegen ist der Landesbediente, dem das Flecken keine Besoldung schuldig ist. Es verdienen diese Wahrheiten um so viel mehr in Betracht gezogen zu werden, da die Freyheiten durch ein offenbares Mißverstaͤndniß gar zu weit ausgedehnet, und auch viele Staͤdte dadurch ausser Stand gesetzt werden, nur eine maͤßige Einquartierung zu tragen, und man es oft dem Landesherrn glaubend machen will, daß seine Ehre daran liege, wenn seine Bedienten nicht uͤberall im Lande frey gelassen werden wollen. Ich in Staͤdten, Flecken und Weichbilden. Ich leugne nicht, daß es uͤberaus billig sey, diejenigen, welche fuͤr des Landes Beste streiten, arbeiten oder beten, von allen Auflagen und Beschwerden frey zu machen. Es kann ihnen diese Freyheit zur Aufmunterung und zur Beloh- nung dienen. So seltsam es aber einem Privatmann vor- kommen wuͤrde, wenn man ihm anmuthen wollte, seines Fuͤrsten Bedienten allein zu bezahlen; eben so seltsam ist es auch von einem Reichsflecken oder von einer Landstadt zu for- dern, dem Kaiser oder dem Fuͤrsten mit seinem ganzen Hof- staat eben die Freyheit in ihren Mauren zu geben, welche sie ihren eignen staͤdtischen Bedienten statt der Besoldung giebt. XXXX. Schreiben eines westphaͤlischen Schulmeisters, uͤber die Bevoͤlkerung seines Vaterlandes. Euer Intelligenzien erlauben mir großguͤnstig, daß ich mir durch den Canal ihrer Blaͤtter von Sr. Wohlweißheiten dem Herrn Publico etwas Erlaͤuterung uͤber einen Punct ausbitte, den ich in meinem einfaͤltigen Kopfe nicht recht begreifen kann. Ich hoͤre und lese nemlich oft, daß unser dunkles Westphalen unter allen Laͤndern am schlechtesten bevoͤl- kert und angebauet sey; und man will daher schliessen, daß wir faule, ungeschickte und ungezaͤhmte Leute waͤren, die sich aller guten Policey schlechterdings widersetzten und lieber auf Eben- theuer in die weite Welt giengen, als zu Hause den ihnen von Gott verliehenen Acker baueten. Nun will ich nicht laͤugnen, daß unsre Kinder sehr haͤufig in die Fremde ziehen, und man- ches ehrlichen Mannes Sohn in den benachbarten Handels- orten Schreiben eines westphaͤl. Schulmeisters, orten hangen bleibe, auch wohl auf der See sein junges Leben einbuͤsse. Allein es kommt mir doch immer so vor, als wenn wir auch etwas mehrers verlieren koͤnnten als andre Laͤnder; und daß der undankbare Boden, worauf uns die Vorsehung so hingeworfen, wohl so gut besetzet sey, als die retchen und ge- segneten Fluren, welche gluͤcklichere Nationen zu ihrem Erb- theil erhalten haben. Ich kann solches Euer Intelligenzien nicht besser bedeuten, als wenn ich Ihnen den Streit vorlege, welchen ich mit meinem Sohne, den ich ohne Ruhm zu mel- den, selbst im Rechnen und Schreiben unterwiesen habe, bey Feyerabend mehrmalen gehabt habe. Gedachter mein Sohn, der mit einem Herrn aus un- serm Lande nur als Bedienter gereiset ist, aber doch auf alles gute Acht gegeben hat, erzaͤhlete mir, daß die Franzosen, diese volkreiche Nation, ihr Land auf 10000 geographische Quadratmeilen rechneten, und daß auf diesem großen Boden zur Zeit Ludewigs des XIV. zwanzig; nachwaͤrts unter der Minderjaͤhrigkeit Ludewigs des XV. achtzehn, und im Jahr 1764 sechzehn Millionen gezaͤhlet und gerechnet worden. Gut, dachte ich, nun wollen wir bald sehen, wer der beste sey. Unser Stift haͤlt nach der von dem Herrn Obristlieutenant von dem Bussche verfertigten Charte 28 Quadratmeilen und folglich betraͤgt unser Land nur den 350ten Theil von Frankreich. Wie viel Einwohner muͤßten wir also haben, wenn unser Land eben so volkreich als Frankreich seyn solte? Die Antwort war leicht, hoͤchstens 50000. Wie viel haben wir aber wuͤrklich? An gezaͤhlten Koͤpfen hundert sechzehntausend sechshundert vier und sechzig. Die Zaͤhlung geschahe erst bey der Theurung im Jahr 1772. und wurden damals 19684. Wohnungen gezaͤhlt; mithin kommen auf jedes Haus uͤber 5 Menschen. Das uͤber die Bevoͤlkerung seines Vaterlandes. Das ist nicht moͤglich, sagte mein Sohn; in Frank- reich sind so viele Hauptstaͤdte, so viele Seehafen, und allein uͤber achtmal hundert tausend Bediente; denket nur einmal an 12000 Equipagen in Paris ..... das kann alles wohl seyn, war meine Antwort; und ich freue mich, daß wir nicht den 350- ten Theil von Bedienten und Gutschen haben. Allein es ist klar, daß unser Land mehr als doppelt so stark bevoͤlkert sey als Frank- reich; und aller ihrera Huptstaͤdte und Seehaͤfen ungeachtet, den Vorzug behalte. Doch wir wollen der Sache naͤher treten. Wie viel Feuerstaͤtten haben die Franzosen im Lande? Man rechnete sie ehedem, sagte er, auf vier Millio- nen. Andre sagen nur von 3½ Millionen, oder 3713563. Noch andre setzen sie auf 2½; und zu meiner Zeit (1764) nahm man sie zu zwey Millionen an. Gut, erwiederte ich, wir wollen ih- nen die 4 Millionen lassen; es koͤmmt hier auf ein paar Millionen nicht an; und so muͤßten in unserm Stifte nur et- wa 11000 Wohnungen seyn. Es sind ihrer aber wie du weist vom Herzoge Ferdinand 18000 gezaͤhlet worden; und man kann wohl annehmen, daß man diesem großen boͤsen General zweytausend weniger gesagt habe als wuͤrklich vorhanden sind. Du siehst also, daß nach dem angenommenen Verhaͤltnisse in unserm Lande doppelt so viel Feuerstaͤtte als in Frankreich sind. Es sey darum wie es wolle, versetzte er: so hat Frank- reich 38000 Kirchspiele; und hier im Stifte sind deren nicht viel uͤber funfzig. In Frankreich wird das Saͤeland auf 150 Millionen und das Wiesen-Garten- und Weinbergsland auf 50 Millionen Arpens, den Arpent zu 150 Quadratruthen gerechnet, angeschlagen. So viel wird von unsern Heyden und Moͤhren doch jaͤhrlich nicht genutzt. Und wie schoͤn ist dort nicht der Acker gebauet, seitdem man eigne Akademien dafuͤr errichtet? Mösers patr. Phantas. I. Th. Q Wie Schreiben eines westphaͤl. Schulmeisters, Wie herrlich ist nicht ihre Viehzucht? Und wie fleißig sind nicht alle Menschen? Hoͤre einmal, sagte ich zu ihm: ein westphaͤlisches Kirch- spiel, worunter einige 1500 bis 2000 Feuerstaͤtten haben, ist gewiß dreymal so stark als ein franzoͤsisches. Ich habe in meiner Schule 373 Kirchspielskinder; diejenige, so in die catholische Schule, und in die vorhandene Nebenschulen gehen, ungerechnet. So viel wirst du schwerlich in einer franzoͤsischen Dorfschule gefunden haben. Und was den Acker betrift: so besitzen wir an Heyden, Moͤhren und Gebuͤrgen 948672 Mor- gen, jeden zu 120 Calenb. Ruthen gerechnet, hierauf leben 116664 Menschen; und nach diesem Verhaͤltniß muͤssen in Frankreich uͤber 40 Millionen Menschen seyn, ohne daß wir einmal untersuchen wollen, ob unter den 200 Millionen Ar- pens lauter urbares, oder auch Heide- und Mohrland mit be- griffen sey. Ueberdem traue ich dir, lieber Fritz, Erstens dieses, daß so viel gebauetes Land in Frankreich sey, auf dein Wort noch nicht zu. Denn der Landschatz in Frankreich betraͤgt nur, wie du wohl eher gesagt hast, 75 Millionen Livres; und wenn ich den vierten Theil deiner 200:000:000 Arpens fuͤr die Geistlichkeit und den Adel ab- rechne, als welche zum Landschatze nichts beytragen: so muͤßte jeder Arpent nur zu ½ Livre angeschlagen seyn, folglich in Frankreich von jeden funfzig Quadratruthen nur 1 ggl. an Schatzung jaͤhrlich bezahlet werden. Das glaube ich nicht. Denn du hast mir von einem franzoͤsischen Paͤchter gesagt, der von 550 Arpens oder von 1500 Scheffelsaat 1800 Livres im Landschatze bezahlt haͤtte. Fürs andre, machen sie in Frankreich ein Geschrey uͤber die 400 Millionen Livres, die jaͤhrlich aufzubringen sind, als wann Himmel und Erde vergehen soll. Dies waͤre nicht moͤglich, wenn die Bevoͤlkerung und der Ackerbau mit den uͤber die Bevoͤlkerung seines Vaterlandes. den westphaͤlischen Landen in Vergleichung stuͤnde. Denn in Verhaͤltniß mit ihnen muͤßten wir 800:000 Livres oder 200:000 Thaler jaͤhrlich aufzubringen haben; und diese wer- den wir mehrentheils, mit Einschluß der Domainen aufbrin- gen, ohne daß wir alle die Auflagen kennen, die in Frank- reich ein eignes Woͤrterbuch erfordern, ohne einen Pfennig von allem, was wir essen, trinken, rauchen, schnupfen und am Leibe tragen, zu bezahlen, ohne von Stempel-Accise-Licent- und Kopfgeld etwas zu wissen. Fürs dritte hast du mir gesagt, daß dein Herr sich bey einem Edelmann zu Brie aufgehalten haͤtte, der von 550 Ar- pens, oder 1500 hiesigen Scheffelsaat, des besten Landes jaͤhr- lich 4800 Livres oder 1200 Rthlr. an Pachtgelde erhalten haͤtte. Daneben haͤtte der Paͤchter 450 Thaler Landschatz, und 150 Thaler Kopfschatz jaͤhrlich entrichten muͤssen. Die 1500 Scheffelsaat haben also uͤberhaupt zur Heuer gethan 1800 Thaler. Hier im Stifte haͤtten solche uͤber 3000 Thal. zur Heuer oder Pacht thun muͤssen, ohnerachtet zu Brie das Land weit besser ist als hier. Du siehst also, daß wir unsre Heyden und Moͤhre eben wohl nutzen; Fürs vierte mußt du wissen, daß man in Frankreich Brache und in Westphalen keine habe; weil wir die Heyde- plaggen anstatt der Brache gebrauchen. Es bauet also Frank- reich jaͤhrlich ein drittel Land weniger als du angegeben hast, wohingegen wir solches jaͤhrlich nutzen, und im Ackerbau den Franzosen gleich seyn wuͤrden, wenn wir von unsern 28 Quadratmeilen ⅓ schlechterdings ungenutzt, und noch ein Drit- tel des genutzten anstatt der Brache in der Heyde liegen haͤtten. Fürs fünfte zaͤhltest du zu Brie bey dem Paͤchter 40 Stuͤck Hornvieh auf 1500 Scheffelsaat genuͤtztes Land; wenn du aber die westphaͤlische Wirthschaft ansiehst, und aus diesen 1500 Scheffelsaat 12½ Bauerhoͤfe, jeden von 10 Malter- Q 2 saat Schreiben eines westphaͤl. Schulmeisters, saat machest: so kommen auf jeden Hof etwa 3 Stuͤck Horn- vieh, und ich glaube doch, daß Hoͤfe von 10 Maltersaat nicht unter 8, viele aber wohl 16 haben werden; besonders wenn ich das Vieh der Heuerleute mit einrechne. Fürs sechste hatte der Paͤchter zu Brie 48 Leute, an Knechten und Maͤgden im Diensten; welches mit ihm, seiner Frau und 4 Kindern, 56 Personen auf 1500 Scheffelsaat ausmachte. Wenn du aber hier dafuͤr 12½ Bauerhoͤfe nimmst; auf jeden Hof die Leibzucht und nur einen einzigen Kotten rechnest, deren doch jeder insgemein 2 oder 4 hat: so kommen 37½ Haͤuser heraus; und diese enthalten, auf jedes Haus 5 Menschen gerechnet, 187 Menschen. Du magst mir also sagen was du willst, mein Sohn: so sehe ich noch nicht, daß die Franzosen Ursache haben, unser Land la vuide Westphalie zu nennen. Denn was von un- serm Stifte gilt, das gilt hoͤchstens mit einem fuͤnftel Absatz von ganz Westphalen. Euer Intelligenzien duͤrfen aber nicht denken, daß ich unsere Moͤhre und Heyden allein mit dem galanten franzoͤsi- schen Boden verglichen habe. Nein, ich habe auch meine bey- den Augen, womit ich noch zur Zeit ohne Brillen sehe, auf andre Laͤnder gewandt. So haͤlt zum Exempel England 2916. geographische Quadratmeilen, und 5,340,000. Einwohner. Dies macht auf jede Quadratmeile 1831 Einwohner, wovon man noch ⅕ abrechnen sollte, weil London nicht mit zum An- schlag bey der gegenwaͤrtigen Vergleichung kommen kann. Dagegen aber haͤlt unser Stift 28. dergleichen Quadratmei- len, und hat folglich bey der sicher als richtig angenommenen Zahl von 116664 Einwohnern, uͤber 4000 Koͤpfe, auf jede Quadratmeile und lauter Koͤpfe, die lesen und schreiben lernen. Dies uͤber die Bevoͤlkerung seines Vaterlandes. Dies uͤbertrift auch noch die schlesischen Lande, als welche nach Herrn Büschings Angabe (wenn der Multiplica- tor gehoͤrig verbessert wird) 2552 Seelen auf jede Quadrat- meile haben; und die Koͤnigl. Preußischen Lande uͤberhaupt, worinn im Jahr 1756., 4,512,528., auf 2940 Quadrat- meilen, folglich auf jede derselben nur 1534. gerechnet wurden. Nach gedachten Herrn Büschings Rechnung hat auch Deutschland im Durchschnitt nur 2135 Menschen auf jeder Quadratmeile. Der Elsaß, der fuͤr ziemlich bevoͤlkert gehal- ten wird, und wo gewiß alle Lebensmittel im Ueberfluß und wohlfeil sind, ernaͤhrt nach dem Süßmilch nur 1835. auf einer dergleichen; und um wieder auf Frankreich zu kommen: so zaͤhlt solches nach dem Süßmilch 1900.; nach dem Bü- sching 2000. und nach dem Schmeichler d’Expilly 2201 Men- schen auf einer Quadratmeile. Aus welchen allen denn meiner unterdienstlichen Meynung nach zur Gnuͤge erscheinet, daß ich Recht, die ganze uͤbrige Welt aber Unrecht habe. Dieselben werden mir zwar vermuthlich erwiedern, daß man in Westphalen an der Heerstrasse kaum ein Haus, und noch seltener ein Dorf sehe; wohingegen man in den bluͤhen- den Gegenden Deutschlandes oft 70 bis 80 Doͤrfer aus ei- nem nur einigermaßen erhobenen Fenster erblicken kann. Allein ich kann Ihnen hierauf weiter nichts antworten, als daß eins von den obgedachten Doͤrfern insgemein 80 bis hundert Ziegeldaͤcher halte, deren sich eine Menge in einem ebnen Felde leicht uͤbersehen laͤßt; wohingegen sich schwerlich ein Standort finden lassen wird, woraus man die in einem westphaͤlischen Kirchspiel auseinander gestreute 1000 bis 2000 Wohnungen uͤbersehen kann; weil das Land uneben und meh- rentheils jedes Haus mit Baͤumen umgeben ist. Daneben findet man, daß sich alles von der Heerstrasse entfernt, in Q 3 Win- Schreiben eines westphaͤl. Schulmeisters, Winkeln versteckt, und die Aussicht, wo es die bare Heyde nicht verhindert, so viel immer moͤglich unterbrochen habe; eine Politick, die im Kriege nicht ohne Nutzen und vermuth- lich eine Folge desselben ist. Soll ich ihnen aber auch meine Meynung von der vorzuͤglichen Bevoͤlkerung der westphaͤlischen Laͤnder sagen: Don Geronimo de Ustaritz, erschrecken Sie nicht, es ist ein Spanier, hat bemerkt, daß die spanischen Provinzien, welche die mehrsten Leute nach Indien schicken, die volkreichsten sind, und man kann, verzeihen Sie mir das Gleichniß, das menschliche Geschlecht mit einer Waare vergleichen, die, wenn sie stark abgeht, auch stark verarbeitet wird. ...... Vollstaͤndige Berechnung der Menschen im Stifte Osnabruͤck, wie solche im Jahr 1772. gezaͤhlet wurden. Hausvaͤter = = = 21308 Hausmuͤtter = = = 24481 Soͤhne uͤber 14 Jahr = = 5197 = unter 14 Jahr = = 19668 Toͤchter uͤber 14 Jahr = = 5228 = unter 14 Jahr = = 19647 Maͤnnliche Angehoͤrige bey ihren Verwand- ten im Hause = = 1552 Weibliche = = = 1949 Gesellen und Bursche = = 549 Knechte = = = 5062 Maͤgde = = = 5910 Ohne Unterschied der Jahre und des Ge- schlechts angegebene = = 6113 Summa 116664 XXXXI. XXXXI. Schreiben eines reisenden Gasconiers an den Herrn Schulmeister. Euer Wohlehrwuͤrden moͤgen mir noch so viel zum Lobe ihres Vaterlandes sagen: so kann ich es ihnen doch nicht verheelen, daß ich noch zur Zeit, ohnerachtet ich zu Lande und zur See gereiset bin, kein Land angetroffen habe, worinn es weniger Originalnarren giebt als in dem ihrigen. Ich bin meines Handwerks ein Comoͤdienschreiber, und in der Absicht zu ihnen gereiset, um einige besondre laͤcherliche Charaktere fuͤr meine Buͤhne bey ihnen aufzusuchen; so wie mancher in die Fremde reiset, um Loͤwen und Meerkatzen oder andre seltne Thiere zu erhandeln. Allein es ist mir in dero Heymath kein Narr vorgekommen, wovon ich es der Muͤhe werth ge- achtet haͤtte, eine Schilderung mit zunehmen. Dies bewei- set denn doch wohl unstreitig, daß Sie auch keine große Ge- nies unter sich haben. Ich will Ihnen den Ruhm von guten ehrlichen und fleißigen Leuten nicht absprechen. Allein dergleichen findet man uͤberall; und wenn man einen gesehen hat: so hat man sie alle gesehen. Es liegt mir auch nichts daran, wie wiel Menschengesichter sich in ihrem Lande befinden, wenn sie alle die Nasen auf einer Stelle haben. Die Hauptsache ist jetzt Wunder der Natur zu sehen, und bey mir kommt hinzu, sie vor Geld sehen zu lassen. Anfangs glaubte ich, der Fehler dieser Einfoͤrmigkeit waͤre blos den gemeinen Leuten in ihrem Lande eigen; und ich hoffte noch immer unter den Vornehmen, oder doch wenig- Q 4 stens Schreiben eines reisenden Gasconiers stens unter den Damen etwas zu finden, was sich in meine Sammlung von seltenen Thieren schicken wuͤrde. Allein auch hier schlug meine Vermuthung fehl. Ich traf einen vorneh- men Edelmann an, der mit seinen Leibeignen als mit vernuͤnf- tigen Menschen umgieng; der ihre Beduͤrfnisse fuͤhlte; ihnen mit Rath an die Hand gieng; ihnen in der Noth Vorschuß that; und sich um ihr ganzes Hauswesen mit einer vaͤterlichen Sorgfalt bekuͤmmerte. Die Frau vom Hause verließ mich mitten in einer interessanten Erzaͤhlung, um mit einer armen Frau zu sprechen. Und was ich beynahe fuͤr etwas origina- les gehalten haͤtte: so gieng das gnaͤdige Fraͤulein aus dem Zimmer in den Keller um den Wein auszulangen; ohnerach- tet ich ihr eben eine neumodische Caricaturhaube vorzeichnete. In dem Zimmer fand sich nichts als Ordnung und Reinlich- keit, und wie wir nach Tische in den Garten giengen, fan- den sich, erzittern Sie doch, keine Orangeriebaͤume mehr. Der Herr vom Hause erzaͤhlte mir dabey, daß zu seines Groß- vaters Zeiten kein Edelmann ohne eine Orangerie gewesen waͤre; und jeder sein bestes Gehoͤlze dazu verbraucht haͤtte, um diese fremden Puppen zu unterhalten. Jezt aber hielte man mehr auf eine Eiche, als auf einen Lorbeerbaum. Der gute Mann, daß er seine Orangerie nicht behalten hat? Wer vordem zu ihm kam, erzaͤhlte ihm allemal, wo er dieselbe besser gesehen; und das mußte er fuͤr ein Compliment auf- nehmen. Jezt wird man ihn fragen muͤssen: Ob es dieses Jahr auch Mast geben werde? Und dann wird die Rede wohl gar auf die Schweine fallen. Was fuͤr eine Erniedrigung! Ich dachte endlich; auf dem Lande ist es schlecht; aber in den Staͤdten wird es doch Merkwuͤrdigkeiten fuͤr mich ge- ben. Aber nein, auch hier fand ich einige verungluͤckte Co- peyen, wovon ich die Originale unendlich schoͤner gesehen hatte, ausgenommen, nichts als gesunde Leute; die emsig und zu- frie- an den Herrn Schulmeister. frieden vor sich hin arbeiteten, und mir nichts zu mahlen ga- ben; nicht eine menschliche Figur, welche werth gewesen waͤre, in einem Kunstsaale aufbehalten zu werden. Eine Dame, der ich meine Verwunderung hieruͤber bezeugte, versprach mir jedoch eine Seltenheit zu zeigen, welche ich in andern Laͤndern nicht gesehen haben wuͤrde: und hierauf fuͤhrte sie mich in ihre Kinderstube, wo der Mann sich die Muͤhe gab, seinen Kindern die Gruͤnde des Christenthums beyzubringen; wo er dem Hofemeister Lehren gab; und sich, nachdem die ersten Hoͤflichkeiten voruͤber waren, in meiner Gegenwart nicht scheuete, in seiner Arbeit fortzufahren. Die Dame setzte sich, wie ich glaube, mir zum Possen, bey ihrer Toch- ter nieder, und druͤckte ihr die Hand, wann sie dem Vater wohl antwortete, und das Maͤdgen war entzuͤckter uͤber die- sen Beyfall, als uͤber mich; ohnerachtet ich doch glaube, kein alltaͤglicher Kerl zu seyn. Himmel, dachte ich bey mir, wie willst du aus dieser verwuͤnschten Kinderstube kommen. Ich sahe es dem Herrn an, daß er es nach dero Landesart fuͤr eine Grobheit aufge- nommen haben wuͤrde, wenn ich ihm nicht mit Aufmerksam- keit zugehoͤret haben wuͤrde; und die Frau vom Hause, ohn- erachtet sie mich anfangs auf eine lose Art dahin gefuͤhret hatte, schien nunmehro ebenfalls bey dem Vergnuͤgen ihre Kinder zu sehen, auf meine Ungedult keine Acht zu haben. Zum Gluͤck vor mich, nahm die zu dieser Arbeit bestimmte Zeit von selbst ein Ende; und ich hatte wahrlich kein Verlan- gen mehrere Originalien in einem Hause aufzusuchen, wo man nichts als die Erfuͤllung solcher Pflichten sahe, die jeder Pfarrer seiner Gemeinde alle Sonntage ohne Unterlaß vor- predigt. Ich glaube gar, daß die Leute mit den gemeinsten Mann zur Kirche gehen, und sich nicht einmal davon traͤu- Q 5 men Schreiben eines reisenden Gasconiers men lassen, daß die zehn Gebote mehr als hundert Jahr aus der Mode sind. Bey einer solchen Lebensart, und in einem Lande, wor- inn, wie ich vermuthe, Mann und Frau noch in einem Bette schlafen, ist es wohl kein Wunder, daß aus langer Weile des Jahres viele Kinder erzeugt werden. Mich wundert nur, daß Euer Wohlehrwuͤrden nicht auf jeder Quadratmeile eine ganze Million gefunden haben. Allein, ihre Kirchspielsschule mag sich so gut dabey stehen, als sie immer will: so danke ich fuͤr ein Land, worinn man nichts als Gesundheit und Arbeit kennet, und ohne Cedras verdauen muß. Ich nehme aus demselben nichts als einen rohen Schinken und ein Stuͤck Pumpernickel mit, um es den Parisern fuͤr Geld sehen zu lassen. Ich will ihnen naͤchstens eine Rechnung schicken, wie viel Thoren sich in andern Laͤndern auf jeder Quadratmeile finden; und da sollen sie sehen, wie sehr sie die Bilanz gegen sich haben. Bis dahin begnuͤgen sie sich der einzige in ihrem Kirchspiel zu seyn, den ich auf meiner Wunderreise einiger Aufmerksamkeit gewuͤrdiget habe. Geschrieben auf der Reise. N. S. Apropos, noch eins! In ganz Westphalen habe ich keine Obstbaͤume an der Heerstrasse gefunden; und ich habe mich wuͤrklich oft darnach umgesehen, weil ich hungrig war. Wie ist es aber moͤglich, in einem so wesentlichen Stuͤcke zu fehlen? Sollten sie nicht uͤberall Datteln- Pignolen- Capern- Oliven- und Feigenbaͤume stehen haben? Sollte jedes Dorf nicht angewiesen seyn, einen Zuschlag fuͤr Melonen zu ma- chen? Wahr ist es zwar, in manchen niedersaͤchsischen Ge- gen an den Herrn Schulmeister. genden sehen die Obstbaͤume an der Heerstrasse ziemlich ver- froren, kruͤpplicht und bemooset aus; und es hat das Anse- hen, als wenn der erste Nordwestwind dieser herrlichen Po- liceyanstalt bald ein Ende machen und den Cameralisten sagen werde, daß die Natur das fuͤr 32 Winden offne Feld nicht eigent- lich zum Obstbau bestimmet habe. Indessen ist es doch ein Beweis von dem Genie einer Nation, wenn sie den Kirch- thurm mit zur Windmuͤhle gebraucht. Sie kann sodann al- lemal deren Fluͤgel nach dem Hahnen stellen. XXXXII. Gruͤnde, warum sich die alten Sachsen der Bevoͤlkerung widersetzt haben. Indem jetzt die Bevoͤlkerung eines Staats als dessen vor- nehmste Gluͤckseligkeit angesehen wird: so verlohnt es sich wohl der Muͤhe, die Gruͤnde zu untersuchen, warum unsre Vorfahren, die Sachsen, sich derselben von den aͤltesten Zeiten her widersetzet, und ihre Jugend lieber zur Ueberziehung und zum Anbau fremder Laͤnder ausgeschickt, als zu Hause neben sich gedultet haben. Ihre Meinung war unstreitig, wie sich aus unendlichen Spuren zeigt, daß sie ihre Hoͤfe und Erbe besetzt halten, und ausserdem keine freye Markkoͤtter, Brink- lieger, Heuerleute, Buͤrger und andre Neubauer um und neben sich haben wollten; und es ist hoͤchst wahrscheinlich, daß ihre Kinder, in sofern sie keine Hoffnung hatten einen Hof zu erben, oder nicht niedertraͤchtig genug waren als Knechte zu dienen, sich dadurch genoͤthiget sahen auszuwandern und auf Ebentheuer zu ziehen. Allein die Gruͤnde, welche sie fuͤr diese ihre Meinung hatten, sind nicht so einleuchtend: und wir koͤn- Gruͤnde, warum sich die alten Sachsen koͤnnen uns solche nicht lebhafter vorstellen, als wenn wir einen dieser Alten in oͤffentlicher Versammlung auftreten, und gegen die Neubauer sprechen lassen: „Liebe Freunde und Rechtsgenossen, mogte er sagen, 〟wir haben uns in dieser Mark als Maͤnner vereiniget, wel- 〟che Ehre und Gut besitzen; die Gesetze woruͤber wir uns 〟verglichen haben, gruͤnden sich auf diesen Besitz; die hoͤchste 〟Strafe ist der Verlust desselben, und die mindern Vergehun- 〟gen werden mit einem Theil unsers Vermoͤgens gebuͤsset. 〟Was sollen wir aber mit freyen Neubauern anfangen, die wenn 〟sie ein Verbrechen begehen, ihre geringe Huͤtte, ihr Gaͤrtgen 〟oder ihre anderthalb Scheffelsaat Landes im Stiche lassen und 〟davon fluͤchten koͤnnen? Unser einer, der einen ganzen Hof be- 〟sitzt; der mit seinem Hofe auch seinen Stand und seine Ehre un- 〟ter uns einbuͤsset; und wo er sich auf fluͤchtigen Fuß setzt, uͤber- 〟all mit seinen Kindern nichts als die Knechtschaft oder ein 〟schlechter Loos zu erwarten hat; wird sich wohl huͤten die 〟Gesetze zu brechen. Unser einer wird nicht gern sein ganzes 〟oder halbes Vermoͤgen daran wagen, um seinen Nachbaren 〟todtzuschlagen. Wie koͤnnen wir aber von Neubauern, die 〟wenig oder nichts zu verlieren haben, ein gleiches erwarten? 〟Werden wir dadurch gebessert, wenn sie ein Verbrechen be- 〟gehen, daß wir ihnen ein elendes Leben nehmen, oder sie 〟mit Ruthen peitschen lassen? Koͤnnen wir Leute, die unter 〟solchen Strafen stehen, fuͤr unsere Rechtsgenossen erkennen; 〟sie mit zu unsrer Versammlung ziehen, und wenn sie sich, 〟wie leicht vorher zu sehen, gleich den Heuschrecken vermeh- 〟ren werden, von der Mehrheit ihrer leichtfertigen Stim- 〟men das Wohl unsers Staats und unser eigenes abhangen 〟lassen? Werden sie nicht mit der Zeit, wenn sie von dem 〟Maͤchtigern geheget und geschuͤtzet werden, diesem ihren 〟Schutzherrn zu gefallen, unsre Verraͤther und Unterdruͤcker 〟wer- der Bevoͤlkerung widersetzt haben. 〟werden? Werden sie nicht bald den groͤßten Haufen aus- 〟machen, und eine ganz neue Gesetzgebung erfordern? Kann 〟ein solches liederliches Gemengsel anders als durch Leib- und 〟Lebensstrafen regieret werden? Und wird derjenige Schutz- 〟herr, der sie auf diese Art regiert, nicht bald zu maͤchtig, 〟nicht bald unser Oberherr und zulezt unser Tyrann werden? 〟Und warum sollen wir dergleichen Leute in unsern Marken 〟sich ansetzen lassen? Im Kriege kommen sie uns nicht zu 〟statten; von einem elenden Kotten koͤnnen sie sich so wenig 〟Waffen als Unterhalt schaffen; und mit Billigkeit koͤnnen 〟wir auch nicht fordern, daß sie sich fuͤr einen Staat aufopfern 〟sollen, der ihnen nichts als eine elende Huͤtte erlaubt hat. 〟Weg also mit diesem Ungeziefer. Wollen sie als Knechte 〟dienen, so mag sie derjenige annehmen, der fuͤr ihr Ver- 〟brechen einstehen und fuͤr sie bezahlen will. Knechte haben 〟eine ewig todte Hand; sie koͤnnen nicht fechten, nie etwas 〟erwerben, nichts verjaͤhren, und uns mithin auf keine Art 〟gefaͤhrlich werden? Goͤnnet man ihnen auch ein Stuͤck Vieh 〟auf der gemeinen Weide: so widerspricht ihr Stand alle- 〟mal ihrer Befugniß. Wir sind also sicher gegen ihre Aus- 〟dehnung. Aber freye Neubauer koͤnnen erwerben; sie koͤn- 〟nen Markgerechtigkeit erhalten; sie koͤnnen sich eins 〟uͤber das andre anmaßen; sie muͤssen nothwendig un- 〟sre Weiden und unser Holz, es sey nun heimlich oder 〟oͤffentlich mitgebrauchen; und wenn wir nicht bestaͤn- 〟dig gegen sie auf unser Hut und auf der Jagd sind; so wer- 〟den sie sich wie Heerden zusammen ziehen, Mauren um sich 〟aufwerfen, und uns auf die Koͤpfe schleudern, wenn wir 〟sie in Schranken halten wollen. Und was werden unsre 〟Nachbaren sagen, wenn einer von diesen Neubauern zu ih- 〟nen koͤmmt, und bey ihnen ein Verbrechen begehet? Wer- 〟den sie nicht von uns fordern, daß wir den Umstaͤnden nach, 〟den Gruͤnde, warum sich die alten Sachsen 〟den Schaden Die alten Nationen hatten alle mittelst des bekannten Wehr- geldes eine Art von Cartel unter sich, nach welchem sie sich einander den Schaden verguͤteten und die Gefangenen loͤseten. fuͤr ihn gut machen sollten? Woher neh- 〟men wir aber diesen, wenn der Neubauer keinen Hof unter 〟uns besitzt? Wollen wir es aus den unsrigen bezahlen, oder 〟werden unsere Nachbaren damit zufrieden seyn, daß wir 〟ohne alle Vorsicht stoͤßiges Vieh oder unsichere Menschen 〟unter uns dulden?„ Es kann niemand, der den Geist der saͤchsischen Frey- heit kennet, und den Mitteln, wodurch sie solche erhalten ha- ben, aufmerksam nachspuͤret, an der Richtigkeit dieser Gruͤnde zweifeln; und wenn wir uns einigermaßen wieder in ihre Stelle setzen: so werden wir gerade eben so denken. Wir duͤrfen nur z. E. in Gedanken mit einigen guten Freunden und Freundinnen in eine wuͤste Gegend ziehen, und dort ei- nen kleinen Staat errichten. Keiner von uns wird leicht auf eine Leib- und Lebensstrafe verfallen; keiner wird es wagen, seinem Freunde anzumuthen, daß er des andern Henker Es muß Muͤhe gekostet haben, in der ersten buͤrgerlichen Gesellschaft, einen Henker zu finden. Sie haben ihn auch nicht gehabt; und die Schinderlehne sind jung. Das schoͤnste Auskunftsmittel in einem solchen Falle hatten die Juden mit ihrer Steinigung. Der Verbrecher ward her- ausgefuͤhrt, und jeder Mitbuͤrger warf ihm sein Votum an den Kopf. Ein Volk, daß ausser seiner Haut anfaͤnglich wenig eignes hatte, mußte nothwendig auf Lebensstrafen verfallen; und wie es solche erwaͤhlte, war es wuͤrklich eine schoͤne Anstalt, daß ein jeder durch einen Steinwurf seinen Theil an der Bestrafung des Verbrechers nehmen mußte. Wenn sie blos den processum accusatorium hat- seyn der Bevoͤlkerung widersetzt haben. seyn solle. Wir werden es also zur ersten Regel machen, daß derjenige, der sich wider einen andern versuͤndiget hat, dem- selben genug thun, oder aber von allen Vortheilen und Nu- tzungen ausgeschlossen, und der Rache des Beleidigten uͤber- lassen seyn solle. So bald wir aber von diesem Grundsatze ausgehen, werden wir keine fluͤchtige unangesessene Leute un- ter uns dulden. Wir werden keinen zum Mitbuͤrger aufneh- men, der nicht Schaden und Vortheil mit uns theilet, und durch den Verlust seines Antheils hinlaͤnglich gestrafet werden kann. Man findet diesen Plan in den aͤltesten Verfassungen, und es gehoͤrte schon eine ganz andre Denkungsart dazu Staa- ten nach heutiger Art einzurichten. Leib- und Lebensstrafen haben entweder bey ziehenden Voͤlkern, oder aber bey einer vermischten Bevoͤlkerung Ueber- hand genommen. Man uͤbte sie zuerst blos an Knechten aus; und die ebenbuͤrdige Gesellschaft mußte sich erst in eine Mi- schung von Unterthanen verwandeln, ehe man es wagen mochte, ihr von Staupenschlaͤgen und Torturen vorzusprechen. Die vermischte Bevoͤlkerung nahm zuerst unter dem Schutze maͤchtiger Herren ihren Anfang. Diese masseten sich des Armenschutzes an, und unter Armen sind alle Einwohner der Staͤdte, Heuerleute und alle kleine Beywohner verstan- den. Die Hyen und Hoden, und allerhand Gotteshaus- und heiligen Schutzleute wurden erfunden, um Neubauer zu decken. Diejenigen so einzeln unsicher schienen, wurden in solche Hoden zusammen geschoben, um die Sicherheit mit gesamter Hand zu bestellen, und mit Huͤlfe ihrer Beschuͤtzer ent- hatten, was mußte der Klaͤger sodann nicht fuͤr ein stand- hafter Mann seyn, wenn er den ersten Stein auf seinen Verklagten zu werfen hatte; und was fuͤr ein Boͤsewicht mußte er seyn, wenn er bey voͤlliger Ueberlegung einem Unschuldigen die Hirnschaͤdel einschmiß? Gruͤnde, warum sich die alten Sachsen der ꝛc. entstanden bald große Staͤdte, welche die ehrbaren Grund- saͤtze der Landeigenthuͤmer zulezt ganz verdunkelten. Vorher war die Menge der Knechte groß, und wer sich darunter nicht begeben wollte, gleichwol aber nicht zum Eigenthum eines er- forderlichen Landerbes gelangen konnte, mußte nothwendig auswandern und neue Gegenden anbauen; ein Umstand, wel- cher die ersten Menschen immer mehr noͤthigte auseinander zu ziehen, und nach des Schoͤpfers Absichten den ganzen Erd- kreis zu bevoͤlkern. Noch vor zweyhundert Jahren, wie man keine Neu- bauer aufnahm, war die Menge der Knechte In verschiedenen alten Rechnungen findet man daher noch eine Rubrik von Extravaganten, worunter man die Leibeig- nen verstand, welche nicht Hofgesessen waren. Jezt kennet man diese Rubrik nicht mehr. in Westpha- len sehr groß. Ein beguͤterter Edelmann hatte derselben ins- gemein einige hundert, welche ihre Freyheit nicht suchten, und bey den ihrigen so haͤngen blieben. Seitdem aber der Neu- bau uͤberhand genommen und eine Menge von Nebenhaͤusern entstanden, kauft sich jedes Kind, das nicht zum Hofe gelangt, frey, und setzt sich auf seine eigne Hand. Vorher mußte ei- ner, der eine zweyte Leibzucht bauete, sich verbinden, solche nach dem Absterben desjenigen, fuͤr welchem sie hatte gesetzt werden muͤssen, wieder niederzureissen; jezt sind wir nicht so strenge, und die Beduͤrfnisse von Menschen und Gelde haben dem Staate so wie den menschlichen Begriffen eine ganz an- dre Wendung gegeben. XXXXIII. XXXXIII. Also sollen die deutschen Staͤdte sich mit Ge- nehmigung ihrer Landesherrn wiederum zur Handlung vereinigen? Deutschland hat seine Haͤfen wie andre Reiche, und es ist zur Handlung so gut gelegen als das beste. Allein so lange seine gegenwaͤrtige Regierungs-Verfassung dauret, wird es nie zu der Groͤße in der Handlung gelangen, wozu es nach seinen Kraͤften gelangen koͤnnte. Schon in der Taufe, wie unsre Vorfahren aus dem Heydenthum bekehret wurden, mußten sie nicht blos dem Teu- fel, sondern auch den Teufelgilden, das ist, allen den großen Verbindungen entsagen, welche sie in Ermanglung einer voll- kommenen Oberherrschaft nach dem Exempel aller freyen Voͤlker unter dem Schutze einer irrdischen Gottheit zu ihrer Vertheidigung und Aufnahme errichtet hatten. Die besorgte Eyfersucht Carls des Großen verstattete ihnen kaum ihre Schif- und Brandassecurations-Gesellschaften beyzubehalten. Alle uͤbrigen Verbindungen wurden aufgehoben. De Sacramentis pro Gildonia invicem conjuranti- bus ut nemofacere praesumat. Alio vero modo de eorum eleemosynis aut de incendio aut de nau- fragiis , quamvis convenientiam faciant, nemo in hoc jurare præsumat. Capit . Caroli M. de 779. Auf dem Reichstage zu Worms von 1231 ward die Frage aufgeworfen: ob eine Stadt oder Gemeinheit mit andern Mösers patr. Phantas. I. Th. R Ver- Also sollen die deutsch. Staͤdte sich mit Genehm. Verbindungen oder Gesellschaften aufrichten koͤnnte? und der gute Kayser Henrich erkannte mit Rath der Reichsfürsten, daß ihnen dergleichen nicht erlaubt seyn koͤnnte. In der neuesten Wahlcapitulation heißt es endlich noch, wiewohl leider zu einem sehr großen Ueberflusse: Ihro Kayserliche Majestaͤt wollen die Commertia des Reichs zu Wasser und zu Lande nach Moͤglichkeit befor- dern ‒ ‒ Dagegen aber die großen Gesellschaften, Kauf- gewerbsleute und andre so bisher mit ihrem Gelde regiert gar abthun. Und so hat zu allen Zeiten von dem ersten Augenblick an, da der deutsche Nationalgeist sich einigermaßen erheben wollen, bis auf die heutige Stunde ein feindseliges Genie gegen uns gestritten. Man denke aber nicht, daß unsre Gesetzgeber zu schwache Augen gehabt haben. Nein, die Territorialhoheit stritt gegen die Handlung. Eine von beyden mußte erliegen; und der Untergang der letztern bezeichnet in der Geschichte den Aufgang der erstern. Waͤre das Loß umgekehrt gefallen; so haͤtten wir jezt zu Regenspurg ein unbedeutendes Oberhaus, und die verbundenen Staͤdte und Gemeinden wuͤrden, in ei- nem vereinigten Koͤrper die Gesetze handhaben, welche ihre Vorfahren, mitten in dem heftigsten Kriege gegen die Terri- torialhoheit, der uͤbrigen Welt auferlegt hatten. Nicht Lord Clive, sondern ein Rathsherr von Hamburg wuͤrde am Ganges Befehle ertheilen. Noch sind es keine vierhundert Jahre daß der Hansea- tische Bund den Sund und die Handlung auf Daͤnnemark, Schweden, Pohlen und Rußland mit Ausschluß aller uͤbrigen Nationen behauptete; Philipp den IV. von Frankreich noͤ- thigte, den Britten alle Handlung auf den franzoͤsischen Kuͤsten zu verbieten; und endlich mit einer Flotte von hundert Schif- fen ihrer Landesh. wiederum zur Handl. vereinigen? fen Lissabon eroberte, um auch diesen großen Stapel zur Hand- lung vor alle entdeckte und zu entdeckende Welttheile zu sei- nem Winke zu haben; eine Unternehmung, welche mehr Genie zeiget, als die Erfindung des Pulvers, deren die Reichsgeschichte noch wohl gedenket, wenn sie jenen großen Entwurf auf Lissabon mit Stillschweigen uͤbergeht. Kaum sind dreyhundert Jahre verflossen (1475) daß eben dieser Bund England noͤthigte den Frieden von ihm mit 10000 ℔ Sterling zu erkaufen, Daͤnnemark feil bot, Lief- land erobern half, und den Ausschlag in allen Kriegen mit eben dem Uebergewichte gab, womit es England seit einigen Jahren gethan hat. Keine Krone wegerte sich die Ambassia- dores dieser deutschen Kaufleute (sie hiessen mercatores Ro- mani Imperii ) zu empfangen und dergleichen an sie abzu- schicken. Noch im sechszehnten Jahrhundert hehauptete er die alleinige Handlung in der Ostsee mit einer Flotte von 24 Kriegesschiffen gegen die Hollaͤnder. Und dieser große Geist der Nation ist es, welchen Ihro Kayserliche Majestaͤt aller- gnaͤdigst abzuthun, geschworen haben. Dieser Geist welcher sich gewiß von beyden Indien Meister gemacht, und den Kayser zum Universal-Monarchen erhoben haben wuͤrde, ist es, welchen die Reichsfuͤrsten nicht ohne Ursache verfolgt, aber allezeit uͤbereilt ersticket haben. Was muß ein Deutscher nicht empfinden, wenn er die Nakommen solcher Maͤnner gleich- sam in der Karre schieben, oder Austern fangen, Citronen aus Spanien holen, und Bier aus England einfuͤhren sieht? Fuͤnf und achtzig verbundene Staͤdte in der untern Haͤlfte von Deutschland waren es indessen, welche diese Wunder verrichteten, und in der Handlung die Mittel fanden, so große Kosten zu bestreiten; waͤhrender Zeit in der obern Haͤlfte von Deutschland eine Suͤdsee-Compagnie mit ihrer Handlung die R 2 Le- Also sollen die deutsch. Staͤdte sich mit Genehm. Levante beherrschte, und die Schaͤtze aus Asien und Africa in Deutschland zuruͤckbrachte. Beyde Compagnien so wohl die Hanseatische oder die nordliche und westliche als die suͤdliche verstanden ihr gemeinschaftliches Interesse; und man kann es nicht ohne Erstaunen betrachten, daß Englands Handlung damals durch deutschen Fleiß nach der Levante getrieben wurde. Die Groͤße der Venetianer und die Flotten, womit die ungluͤck- lichen Creutzzuͤge unterstuͤtzet, und die wichtigen Unternehmun- gen auf Africa und Asien ausgefuͤhret wurden, sind aus dem Handel erwachsen, welchen die verbundenen Staͤdte in Ober- deutschland aus den Italiaͤnischen Haͤfen trieben. Jedoch diese guͤldnen Zeiten der deutschen Handlung kommen wohl niemals wieder. Sie werden kaum mehr ge- glaubt; so sehr haben wir uns von ihnen entfernt. Das be- sonderste dabey ist, daß alle Handwerker zugleich ausgeartet und der fliehenden Handlung nachgefolget sind. Man sehe nur auf die alten Arbeiten an Altaͤren, Einfassungen der Re- liquien, Monstranzen, Kelchen, Bechern und dergleichen, auf die Kaͤstlein von Ebenholz; auf die Kunstwerke von Elfen- bein und auf verschiedene andre getriebene, geschnitzte, einge- legte und durchgearbeitete Stuͤcke, welche sich noch hie und da in Cabinetten finden; Man betrachte nur einige Denk- maͤler der Mahlerey, Bildhauerkunst und Baukunst, so uns aus dem XIV. XV. und XVI. Jahrhundert noch uͤbrig sind; man gedenke an das Dauerhafte, Kuͤhne und Praͤchtige der gothischen Stuͤcke, welche um deswillen, daß sie nach einem besondern Zeitgeschmack gearbeitet sind, ihren Kunstwehrt nicht verlohren haben: so wird man sehen, daß zur Zeit der Henseatischen Handlung eine Periode in Deutschland gewesen, worinn es die groͤßten Meister in jedem Handwerke gegeben habe. Und man kann dreiste behaupten, daß die Deutschen die Handlung und den damaligen gothischen Styl der Kunst zu ihrer Landesh. wiederum zur Handl. vereinigen? zu gleicher Zeit aufs hoͤchste gebracht hatten. Man wuͤrde jezt Muͤhe haben einen einzigen solchen Meister in Ebenholz, Elfenbein und Silber wieder aufzubringen, dergleichen vor dreyhundert Jahren in allen Staͤdten angetroffen wurden. Fast alle deutsche Arbeit hat zu unser Zeit etwas unvollendetes, dergleichen wir an keinem alten Kunststuͤck und gegenwaͤrtig an keinem rechten engellaͤndischen Stuͤcke antreffen. So sehr ist das Handwerk zugleich mit der Handlung gesunken. Die einzige Aufmunterung der Handwerke kommt jezt noch von Hoͤfen, und was sollen einige wenige mit Besoldungen ange- lockte Hofarbeiter gegen Handwerker, die waͤhrend des Han- seatischen Bundes fuͤr die ganze Welt in die Wette arbeiteten? Das Exempel der Staͤdte in Frankreich, wovon die vornehmsten im vorigen Kriege dem Koͤnige ein Schif baueten; der aͤhnliche Entschluß des Theaters zu Paris, und der große Anschein, daß jede große Stadt und Herrschaft in Deutsch- land, wenn der Landesherr wollte, ein Schif zur See haben koͤnnte, moͤgte zwar manchen auf den Einfall bringen, daß man endlich auch wohl eine deutsche Flotte in See setzen und sich damit eben die Vortheile wieder erwerben koͤnnte, welche unsre Vorfahren besassen, und andre Seemaͤchte besitzen, die ihre Commerzientractaten mit der Kriegesmacht unterstuͤtzen. Man koͤnnte wenigstens hoffen, die Handlung damit offen, und die Seemaͤchte abzuhalten, sich in jedem Reiche Monopo- lien zu bedingen. Denn was sind die heutigen Commerzien- tractaten anders als Monopolien? Und ermaͤchtiget sich nicht beynahe jeder Herr die Handlung seines Reichs den meistbie- tenden Seemaͤchten zu verpachten? Allein dergleichen suͤsse Traͤume, ohne deren Erfuͤllung Deutschland gleichwohl niemals einen einzigen Commerzientractat mit den nordischen Reichen zu Stande bringen wird, verbietet uns die Reichsverfassung und auf sichere Weise selbst die Kayserliche Capitulation. R 3 Beym Also sollen die deutsch. Staͤdte sich mit Genehm. Beym Anfang des dreyßigjaͤhrigen Krieges legten es die Schweden dem Kayser sogar zum Uebermuth aus, daß er an eine Reichsflotte in der Ostsee, welche doch, wenn man sich nur uͤber den Nahmen versteht, nichts ungewoͤhnliches war, gedacht hatte. Wir muͤssen uns also durch andere Wege helfen. Fast alle Reiche haben sich auf sichere Weise gegen uns geschlossen, seitdem die Flotten der Gewerksleute, welche mit ihrem Gelde regierten, wie die Capitulation es zur Ehre der Nation noch ausdruͤckt, allerunterthaͤnigst abgeschaft werden muͤssen. Den Luͤbeckern, Bremern und Hamburgern, welche einzeln zu schwach waren den Unterhandlungen der Seemaͤch- te sich mit Nachdruck entgegen zu setzen, ist nichts weiter uͤbrig geblieben, als dasjenige aus der Fremde abzuholen, was man daselbst gern los seyn will, und etwas wieder dahin zu bringen, was man von den Seemaͤchten noch zur Zeit nicht erhalten kann. Man laͤßt ihnen blos die Allmosen, welche jene verachten. Die einzige Handlung in der Levante ist noch frey, so lange bis es der Seemacht, welche gegenwaͤr- tig daruͤber aus ist solche durch einen Commerzientractat zu pachten, gelingt auch diesen Ausfluß zu sperren. Wie ist aber die Levantische Handlung beschaffen? Ge- rade so wie wir solche gebrauchen. Die dortigen Tuͤrken, Griechen, Mohren und Juden sind wie unsre Westphaͤlischen Packentraͤger, oder wie die Italiaͤnischen Hechel- und Baro- meterkraͤmer, welche so viel Waare borgen als sie tragen koͤn- nen, damit tief ins Land hausiren gehn, und wenn sie solche verkauft haben, das Geborgte bezahlen, und ihren Packen von neuen fuͤllen. Dies ist die ganze Handlung; und man trift fast keinen großen tuͤrkischen Kaufmann an, welcher ein Waarenlager fuͤr solche Hausirer hielte. Dieses uͤberlassen sie den Fremden. Bey ihrer Landesh. wiederum zur Handl. vereinigen? Bey solchen Umstaͤnden sollte man gedenken, es wuͤr- den einige hundert Bremer oder Hamburger Kaufleute dort ihre Waarenlager haben, und fuͤr die Hausirer alles was in Niedersachsen und Westphalen nur verfertiget werden koͤnnte, in Bereitschaft halten; besonders da die dortigen Sensali oder Maͤkeler die Hausirer genau kennen, und gegen eine billige Provision den ganzen Handel fuͤhren. Allein die genaueste Erkundigung zeigt, daß kein Bremisches oder Hamburgisches Comptoir in der ganzen Levante sey. Man laͤßt diese Vor- theile den Franzosen, Englaͤndern und Hollaͤndern uͤber, die natuͤrlicher Weise dasjenige zu Hause verfertigen lassen, was sie dort abzusetzen gedenken. Wie wichtig ist aber nicht die- ser Handel? und zu welchem Reichthume erhob sich nicht da- mit der Herr Fremaux in Smyrna? der in einer Theurung fuͤr hundert tausend Gulden Korn unentgeltlich austheilen, und dennoch Millionen nach Amsterdam zuruͤckbringen konnte? Sollte es denn aber nicht moͤglich seyn, daß einige Land- staͤdte nur ein oder anders gemeinschaftliches Packhaus in den Levantischen Haͤfen errichteten, und dort einen gemeinschaft- lichen Bedienten hielten? welchem sie ihre Waaren in Com- mißion zuschicken koͤnnten? Sollten alle Caͤmmereyen der Westphaͤlischen Staͤdte, wenn die Unternehmung fuͤr einen einzelnen Kaufmann im Anfange zu groß ist, nicht im Stande seyn, eine so leichte Sache zum Vortheil ihrer Buͤrger und Handwerker auszufuͤhren? Sie brauchen dazu weder Schiffe noch Flotten. Der Hollaͤnder ist alle Stunde bereit, unsre Produkten dahin zu fuͤhren. Er bittet darum, und fraͤgt nur an wen die Ablieferung geschehen solle. Und dieses An wen ? ist es was wir nicht beantworten koͤnnen: so lange wir in den Landstaͤdten so einfaͤltig sind zu glauben, daß die See- staͤdte auf ihre Gefahr und Rechnung unsre Waaren dort ab- setzen, ausborgen, und verhandeln werden. Wir haben die R 4 gluͤck- Also sollen die deutsch. Staͤdte sich mit Genehm. gluͤcklichste Lage zur Handlung. Tausend und abermals tau- send Schifsboͤden sind in Holland fuͤr uns bereit. Wir sind der Lage nach den Hollaͤndern das was die Englaͤnder im Lande ihren Seehaͤfen sind. Aber in England sind die im Lande fleißige Handwerker und schaffen den Seefahrern Stof zum Absatz. Wir hingegen versorgen die Hollaͤnder mit wenigen oder Nichts. Diese verlieren daruͤber an allen Ecken den Markt; und sie sind noch zu groß, um zugleich unsre Hoͤker und Maͤkeler zu werden. Dafuͤr muͤssen wir sorgen; Wir muͤssen Comptoirs und Waarenlager in der Fremde halten; und die Caͤmmereyen in den Staͤdten koͤnnten durch eine Ver- einigung diesen Endzweck befoͤrdern. Unsre Kaufmannssoͤhne spatzieren nach Bremen und Hamburg. Nach Cadix, nach Lissabon, nach Smyrna, nach Aleppo, nach Cairo sollten sie gehn, sich um dasjenige bekuͤmmern, was dort mit Vortheil abgesetzt werden kann, sich dort Bekannte und Associirte er- werben, und dann handlen. Es sind bisher Ostindische, es sind Levantische Com- pagnien errichtet worden. Man hat das dazu erforderliche Capital in Actien vertheilet, und nicht den Innhabern jeder einzelen Actie, sondern nur denjenigen, welcher zehn oder zwanzig zusammen gehabt, als ein stimmbares Mitglied be- trachtet. Dieser Plan ist gut fuͤr Compagnien in großen Hauptstaͤdten, aber schlecht fuͤr eine Compagnie, deren Actio- nairs weit auseinander zerstreuet wohnen. Wer will daselbst eine Actie nehmen, sich blindlings der Fuͤhrung einiger weni- gen stimmbaren vielleicht durch besondre Absichten geleiteten Mitglieder uͤberlassen, und um einer Actie willen einen großen Briefwechsel unterhalten? der Besitzer einer solchen einzelnen Actie, kann mit Billigkeit nicht fordern, daß ihm die Direk- teurs von allen Nachricht geben sollen; und so denken viele- es ist besser sein Geld zubehalten, als solches an Orte und Leu- te ihrer Landesh. wiederum zur Handl. vereinigen? te auf guten Glauben hinzuschicken, die man nicht kennt, und von welchen man keine Nachricht erwarten kann Eine ganz andre Gestalt bekoͤmmt aber die Sache, wenn eine Stadt zehn, zwanzig oder hundert Actien zusam- men nimmt, mithin eine oder mehrere Stimmen zur Haupt- handlung erhaͤlt. Fuͤr diese ist es der Muͤhe werth, einen besondern Correspondenten darauf zu halten, und diese kann fordern, daß ihr die Directeurs von allen Vorfaͤllen, Absich- ten und Unternehmungen ordentliche Nachricht geben sollen. So hielt es die deutsche Hanse. Die Kaufleute einer Stadt machten Eins; mehrere Staͤdte zusammen ein Quartier, und alle Quartiere den Bund aus; und auf diese Weise konnte eine Correspondenz bequem gefuͤhrt, die Handlung wohl diri- girt, und alles zeitig beachtet werden; anstatt daß tausend einzelne Actionairs entweder die Direction verwirren, oder sich wie Schafe fuͤhren lassen muͤssen. Die Uebernehmung einer stimmbaren oder zusammen- gesetzten Actie ist vor eine Stadt leicht, und wenn es auch ungluͤcklich geht, der Schade so empfindlich nicht wozu viele beytragen. Es ist aber auch nicht noͤthig, daß eben die Caͤmmerey einer Stadt die große Actie auf ihre Gefahr nehme. So bald die Sache nur so eingerichtet wird, daß jeder Ort eine ganze und damit auch eine Stimme zur Direction er- haͤlt, finden sich leicht so viel Theilnehmer die zusammen tre- ten, und ihre Stimme durch einen gemeinschaftlichen Bevoll- maͤchtigten fuͤhren lassen. Sie sind alsdenn sicher von allem was unternommen wird, zeitige und gehoͤrige Nachricht zu empfangen. Sie erhalten ihren Antheil an dem Einflusse; und es wuͤrde eine ganz neue Scene fuͤr die deutsche Hand- lung seyn, wenn die Consuls aller Niedersaͤchsischen und West- phaͤlischen Staͤdte zu Hamburg, Bremen, oder Emden ihre R 5 eigne Schreiben des Herrn von H… eigne Versammlung haͤtten, und das Handlungs-Interesse jeder Landstadt in der Seestadt wahrnehmen. XXXXIIII. Schreiben des Herrn von H… Auf meine Ehre. Die Liebhaber der edlen Jaͤgerey sind miteinander ausgestorben. Ich wuͤnsche, daß ich beyde Beine zerbreche, wenn ich heute, Hubertustag, ein Horn ge- hoͤret habe. Wenn ich das in meiner Jugend erlebt haͤtte: so wuͤrde ich solches fuͤr ein weit boͤser Zeichen als funfzig Co- meten gehalten haben. Wo will das aber hinaus? Und was will man zulezt auf dem Lande anfangen? Mein Vater, der lange in Ungarn gegen die Tuͤrken gedienet und sein Lederwerk, was er auf der Jagd brauchte, diesen Unchristen bey lebendem Leibe aus dem Baste gerissen hatte und gewiß die Welt kannte, pflegte mir oft zu sagen: Mein Sohn, bleib der edlen Jaͤgerey treu. Sie erhaͤlt und vergnuͤgt dich daheim; ehrt dich bey großen Herrn; dienet dir im Felde, und macht dir alle Bissen gut schmecken. Und diese Lehre habe ich auf meine Ehre richtiger gefunden, als alles, was ich mein Lebetage in Buͤchern gelesen. Vier Jaͤger, ein gut Stuͤck Rindfleisch und ein ehr- licher Trunk, daruͤber geht mir nichts. Was haben die fuͤr Gesichter gegen unsre gekraͤuselten junge Herrn und aufge- thuͤrmten Pasteten? Ich komme alle Jahr fuͤr meine Suͤnde in die Stadt, und speise bey Hofe. Da sitzt ein jeder als wenn er aufs Maul geschlagen waͤre. Von politischen Dingen duͤrfen sie nicht sprechen. Aus Buͤchern schaͤmen sie sich zu spre- Schreiben des Herrn von H… sprechen. Lustige Histoͤrgen sind gar aus der Mode. Die Komplimente sind bald aus. Den Wein trinken sie aus Fingerhuͤten; und ein Boͤf alle Mode koͤmmt gar nicht mehr auf den Tisch. Wenn ich mich dagegen erinnere, was zu meines Großvaters Zeit die Gesellschaften waren, wie ein halb Duzend Weidgenossen, die den Tag uͤber sich im Felde gebraten hatten, Haͤnde und Maͤuler bey Tische gehen liessen, was da gesprochen, gelacht und getrunken wurde: so moͤchte ich auf meine Ehre lieber der wilde Jaͤger als ein heutiger Landmann seyn. Das Landleben ist jezt nichts als die abgeschmackteste Langweile die man sich erdenken kann. Man koͤmmt zusam- men in der Stube; steht auf einem gewaͤchsten Boden, daß man sich alle Augenblick den Hals zerbrechen moͤchte, und geht so nuͤchtern auseinander, wie man zusammen gekommen ist; und wenn man sich recht vergnuͤgen will: so bringt man die verdammten Karten her. Hoͤchstens spatziert man, und spatziert und spatziert bis einem der Angstschweiß ausbricht. Ich wundre mich gar nicht, daß manche Haushaltungen nicht fort kommen. Wenn man vordem von der Jagd zuruͤck kam: so besuchte man noch wohl einmal seine Hofdiener, und sahe was sie machten; und hielt sie bestaͤndig bey der Arbeit, weil sie einen hinter allen Hecken vermuthen mußten. Aber jezt; jezt wissen die Faullenzer, der Herr kommt im Thau ge- wiß nicht; auch nicht wenns regnet; auch nicht wenn die Sonnne brennt; auch nicht vor 11 Uhr des Morgens; auch nicht vor 5 Uhr des Abends; und so stehlen sie dem lieben Gott den Tag, und ihrem Herrn das Brod. Die Englaͤnder das waren noch Leute. Wie sie hier waren, jagten sie nach einen Kirchthurm uͤber Stock und Block. Hecken und Graben, wenn sie keinen Fuchs auftreiben konnten; oder sie liessen des Morgens fruͤh eine gebratene Speckseite uͤber den Weg schleifen, und Schreiben des Herrn von H… und jagten hernach mit ihren Hunden auf der Spur dieses Schweinewildes, blos um sich an dem Gelaͤut der Hnnde zu ergetzen, und ihren Rostbif im Schweiß ihrer Angesichts zu verzehren. Einem solchem Exempel muͤssen wir folgen, wenn wir das Landleben von dem Fluche der Langweile befreyen wollen. Ich habe noch eine Sammlung, von achtehalbhundert Weidspruͤchen, und einen dicken Band voller Fuchshistorien, welche von meinen Vorfahren gesamlet sind: damit konnte man sich Jahr aus Jahr eine auf die angenehmste Art in Ge- sellschaften ergoͤtzen. Aber jezt ist die ewige, und allezeit fertige Karte der einzige Behelf; und ich will einen koͤrper- lichen Eyd darauf ablegen, daß keine von unsern Froͤlens auch nur einmal einen rechten Leberreim zu machen weis. Vor- dem schossen sie noch wohl einmal mit nach der Scheibe, und brachten demjenigen, der den besten Schuß gethan hatte, den großen Becher zu. Aber nun, das Gott erbarme, sinken sie in Ohnmacht, wenn sie einen Schuß hoͤren. Die heutige Zierlichkeet ist der Tod aller Lustbarkeiten. Kein Ellenboge auf dem Tische, kein Glas in der Hand, kein Auge das gluͤet, kein Herz das lacht, .......... Schieß mich todt Kerl, damit ich das Ungluͤck nicht laͤnger ansehen moͤge. P. S. A propo! wie befindet sich des Hrn. Oberjaͤgermeisters gruͤne Peruͤke, worinn er vordem diesen Tag zu feyren pflegte? Hat er sie auch von den Maͤusen auffressen lassen? XXXXV. XXXXV. Von den wahren Ursachen des Steigens und Fallens der Hanseatischen Handlung. In dem aͤltesten bekannten Freyheitsbriefe welchen der hanseatische Bund ums Jahr 1237. von dem Koͤnige in England Henrich dem III. erhielt, und folgenden Inhalts ist; Henricus , Dei gratia Rex Angliae \&c. Sciatis, Nos concessisse, et presenti Charta nostra confirmasse, pro Nobis et Heredibus nostris, omnibus Mercatoribus de Gutlandia, quod ipsi, et heredes eorum in perpetuum, salvo et secure veniant in Angliam, cum rebus et Mercandisis suis, quas emerint in terra nostra Angliae, ducendas versus partes suas. Et quod predicti Mercatores et Heredes sui, in per- petuum sint quieti, p e r totam potestatem nostram Angliae, ad quascunque partes venerint, de omni theolonio, et consuetudine, ad Mercatores pertinente, tam de rebus et mercandisiis suis, quas ducent de partibus suis in Angliam, quam de illis, quas emerint in Anglia, ducen- das versus partes suas. Quare volumus, et firmiter precipimus, pro No- bis et Heredibus nostris, quod predicti Mercatores de Gutlandia, et heredes sui, in perpetuum salvo, et secure veniant in Angliam, cum rebus et Mercandisis suis, quas ducant de partibus suis Gutlandie, et quod salvo ibi mo- rentur, et quod salvo inde recedant, cum rebus, et mer- candisis suis, quas emerint in terra nostra Anglie, du- cendas versus partes suas. Et Von den wahren Ursachen des Steigens Et quod predicti Mercatores, et Heredes sui im- perpetuum quieti sint, per totam potestatem nostram Anglie, ad quascunque partes venerint, de omni Theo- lonio, et consuetudine, ad Mercatores pertinente, tam de rebus, et Mercandisis suis, quas ducant de partibus suis in Angliam, quam de illis, quas emerint in Anglia, ducendas versus partes suas. His Testibus: Venerabilibus Patribus: P. Winton. R. Dunelium. et W. Careolum. Episcopis. W. Com. WARANN. SYME. de MONTE SANCTO AMANDO. BARTRAMO de CRYOIL. HENRICO de CAPELLA. Et aliis. Data. per manum Venerabilis Patris R. Cyster. Episcopi, Cancellarii nostri. Apud Westmonasterium. (Vicesimo die Martii.) Anno regni nostri Vicesimo primo. Diese wichtige Urkunde hat vor einigen Jahren der Herr Hofrath Häberlin in seinen Analectis medii ævi pag. 3. zuerst bekannt gemacht. Sie erwehnt zwar nur der Goth- landischen Kaufleute. Allein unter diesen ist gewiß eine Ostsee-Compagnie, die zu Wißby auf der Insel Gothland ihr Hauptcomtoir gehabt haben mag, verstanden; welche Compagnie nachgehends die deutsche Hanse genannt wor- den. Wann eben dieser Koͤnig in dem Privilegio was er im Jahr 1257. der deutschen Hanse namentlich ertheilet, der libertatum quas Teutonici mercatores ab ipso et progenitoribus suis obtinuerunt, gedenket: so scheint er auf obiges Privilegium vom Jahr 1237. zu zie- len, und es wuͤrde dieses in einem diplomatario Hansæ Teutonicæ nicht voranstehen, wenn diese Vermuthung nicht ihre Richtigkeit haͤtte. Wird es viermal wiederholt, daß sie sicher kommen und gehen moͤgen, mit allen Waaren die sie aus ihrer Heymath brin- und Fallens der Hanseatischen Handlung bringen und aus England in ihre Heymath wieder zurück- führen; und man mag daraus wohl schliessen, daß schon da- mals der Geist, welcher im Jahr 1660. die Schiffahrtsacte eingab, fuͤr die englische Handlung gewachet habe. Denn hier wird es ebenfalls ausdruͤcklich festgesetzt, daß keiner mit fremder Waare in England Markt halten; und keiner engli- sche Waare auf fremde Maͤrkte verfuͤhren sollte. Beydes wollten die Englaͤnder zur Befoͤrderung ihrer Schiffahrt selbst thun, oder sie giengen von den damals in ganz Europa her- gebrachten Satze aus: Daß dasjenige, was einer von seinen Guͤtern nach der Stadt und von dieser wieder nach seinen Guͤ- tern bringt, Zollfrey sey; gleich es sich denn noch auch wohl erweisen liesse, daß in diesen Faͤllen alle Bauren Zollfrey ge- wesen, und der Zoll blos die Handlung mit fremder Waare ruͤhren sollen. Indessen giengen die Englaͤnder von diesem großen Grundsatze bald hernach selbst ab, und Eduard der erste war derjenige, der 1303. ganz England gleichsam zu einem Frey- hafen machte Ibid. pag. 12. n. 4. , und allen Nationen gegen sichere schwere Abgaben erlaubte sowol ihre eigne als fremde Waaren dahin zu bringen und en Gros zu verhandeln, mithin auch allerley Waaren von dort wieder mitzunehmen, und hinzufahren wo- hin sie wollten, selbst von einem englischen Hafen zum andern. Jedoch wurde dadurch das besondre Privilegium der deutschen Hanse nicht aufgehoben, indem diese mit allen Waaren, welche sie aus ihrer Heymath nach England, und von dorther wie- der dahin zuruͤck brachten, nach wie vor ohne jene neuen Ab- gaben zu entrichten, auf den vorigen Fuß handlen konnten. Ibid. pag. 48. Natuͤrlicher Weise mißbrauchten die Hansischen Kaufleute diese Frey- Von den wahren Ursachen des Steigens Freyheit, welche sich blos aus der Heymath und dahin er- streckte, dergestalt, daß sie unter diesem Vorwande alle fremde Waare ein und allerley englische Waare wohin sie wollten ausfuͤhrten, Unter andern Waaren kommen auch panni lanosi vor, welche Herr Häberlin fuͤr wollene Tuͤcher ansieht. Allein es sind wollichte oder wie wir jezt sprechen, ungeschorne und ungepreßte Tuͤcher, welche denen Lectis et pannis de Worstede als einer voͤllig bereiteten und besiegelten Waare entgegen gesetzt worden. Man erkennet dieses aus der ganzen Handelsgeschichte, und das Recht ungeschornes Tuch auszufuͤhren, welches nach dem Hanseatischen statu- to: ubi confectus pannus ibi et tingatur nicht er- laubt war, wurde von den Englaͤndern, die an ihren Tuͤ- chern das Appreturlohn selbst verdienen wollten, ungern zugestanden. Die Koͤnigin Maria sagt in ihrem Privile- gio vom Jahr 1534. beym Willebrand in der Hansischen Chronik in app. p. 94.: Daß ihr Vater Henrich der achte es verboten haͤtte, unrowed unborded and unshorne Tuͤcher bey einer gewissen Strafe auszufuͤhren, sie aber solches der deutschen Hanse auf 3 Jahr erlauben wollte. Dies sind panni lanosi. ohne den neuen Impost zu entrichten, welchen alle uͤbrige Nationen, denen Eduard der erste die Handlung eroͤfnet hatte, entrichten mußten; und auf diese Weise bemaͤch- tigten sie sich des ganzen Seehandels. Unter Richard dem zweyten wurden sie dieserhalb maͤch- tig angefochten; und die Einnehmer der Gefaͤlle wollten sie schlechterdings zu allen den Abgaben anhalten, welche die Kaufleute andrer Nationen, und selbst die Deutschen, so nicht zur Hanse gehoͤrten, entrichten musten. Sie gewannen aber doch ihren Proceß, und Richard der II. bestaͤtigte ihnen ihr altes Recht, ohne es deutlich auszudruͤcken, worin solches be- standen haͤtte. Sie stiegen also in ihrer Handlung immer hoͤher, und ohnerachtet es wegen jenen Schleichhandels, wel- cher und Fallen der Hanseatischen Handlung. cher beynahe unmoͤglich zu verhindern war, mancherley Be- schwerden, Kriege, Arresten und Confiscationes setzte, erhiel- ten sie sich doch durch ihr Geld und ihre Macht sowol dagegen als gegen die Plackereyen der Zolleinnehner und den Neid der englischen Kaufleute. Endlich aber und wie sie es zu arg machen mogten, ließ ihnen der Koͤnig im Jahr 1411. einige Schiffe mit Arrest belegen mit der Erklaͤrung, daß er solche nicht eher losgeben wuͤrde, bis sie von allen Waaren, welche ad partes transma- rinas geschifft werden sollten, subsidia, costumas und deverias (dies waren alte neue Imposten) bezahlet haben wuͤrden; und dies ist die erste bekannte und deutliche Erklaͤrung, wodurch sie auf den Inhalt ihres ersten Privilegiums wiederum zuruͤckge- wiesen wurden; indem unter den partibus transmarinis haupt- saͤchlich die jetzigen England am naͤchsten liegende franzoͤsische, und so ferner hinauf die spanischen und italiaͤnischen Haͤfen verstan- den sind, als wovon England damals die Hansischen gern aus- geschlossen haͤtte. Die Englaͤnder schienen fruͤh den Plan zu haben, die Handlung nach der Ostsee dem Hanseatischen Bunde uͤberias- sen zu wollen, diesem aber dagegen den Ocean zu schliessen, und ihr Land zum Stapel aller nordlichen Producte zu ma- chen, welche nach Frankreich, Spanien und Italien verfuͤh- ret wuͤrden. Sie machten sich wenigstens anfaͤnglich nichts aus dem Handel nach Moskau, und der Luͤbeckische Sekretair Wolf bemerkt es erst spaͤt in seinem Gutachten vom Jahr 1556. Beym Häberlein in Analectis medii aevi p. 199. 〟Daß sich die Erbare von Revel beklagten, welcher 〟massen nun die Englischen seit zwey Jahren her die 〟Segelation und Schiffahrt auf die Moskau gebraucht, 〟die- Mösers patr. Phantas. I. Th. S Von den wahren Ursachen des Steigens 〟dieselbe auch staͤrker und mehr zu gebrauchen fuͤrhaͤtten, 〟welches ihnen und allen gemeinen erbaren Anzestetten 〟an alter gewoͤhnlicher Nahrung und Handthierung 〟auf die Niederland, England und Frankreich am 〟hoͤchsten nachtheilig und zu Verderb gereichen thaͤte. Und die Deputirte der Hanse, wiewohl dieselbe dazu keine Vollmacht hatten, boten den Englaͤndern an 〟daß sich die Hansischen Kaufleute des Lakenverkaufens 〟in Braband, Flandern, Holland und Seeland gaͤnz- 〟lich enthalten, und aus Frankreich, Spanien und Ita- 〟lien allein einen vierten Theil solcher Commoditaͤten, 〟als an dem Orte fallen, zu England bringen solten. S. Articuli Commissariorum legatorum Anze Teu- tonice. Ebend. p. 209. Woraus man zur Gnuͤge ersieht, wie das beyderseitige Interesse gegeneinander gestanden und wohin sie sich versteckte Winke gegeben haben. Das sonderbareste bey diesem Streite war, daß die Hanseestaͤdte sich nie auf das vorhin eingeruͤckte Privilegium vom Jahr 1237, welches von Gothlandischen Kaufleuten spricht, bezogen, sondern ihren ruhigen Besitz der freyen Ein- und Ausfuhr vom Jahr 1260 anrechneten; die Englaͤnder aber ebenfalls jenes Privilegium gar nicht kannten, sondern blos durch die gesunde Vernunft geleitet, behaupteten, es koͤnne sich die Einfuhr der Hanseestaͤdte nicht weiter als auf solche Waare, so in ihrer Heymath fiele, erstrecken, ihnen auch die Feyheit nicht zustehen englische Waaren auf auswaͤrtige freye Maͤrkte zu fuͤhren. Unstreitig hatten die Hansischen gute Ursachen jenes Privilegium im Dunkeln zu lassen; und sich dafuͤr auf den Besitzstand, sodenn auf die vor und nach erhaltene in allge- mei- und Fallen der Hanseatischen Handlung. meinen Ausdruͤcken abgefaßte Koͤnigl. Privilegien zu beziehen; welche, nachdem man ihnen das von 1237 unterlegte, einen ganzen andern Sinn bekamen, als wenn man sie nach der Voraussetzung der Hanseestaͤdte erklaͤrte. Denn die Koͤnigl. Privilegien bestaͤtigten blos die Freyheiten der Hanse so wie sie solche erlangt hatten; und das Wie? blieb dunkel, weil das allererste Privilegium von 1237 niemals vorgelegt, sondern dafuͤr ein ruhiges Herbringen untergeschoben wurde. Allein diese schlaue Wendung, wogegen sich die Englaͤn- der immer darauf, daß ihnen die authentische Erklaͤrung der Privilegien zustuͤnde und daß sie der deutschen Hanse ein meh- reres nicht gestatten wollten, beriefen, half ihnen nichts; und wie endlich die Englaͤnder den Hansischen allen Handel so lange in possessorio sperreten, bis sie ihr Recht in petito- rio vor dem englischen Rechte ausgefuͤhret haben wuͤrden: so neigte sich die deutsche Handlung sofort zu ihrem Untergange. Die ganze damalige Politik der deutschen Hanse hatte bisher darinn bestanden, daß sie uͤberall den Kaisern und Koͤ- nigen den Handel in ihren Landen gleichsam abgepachtet hat- ten; oder um mit andern Worten zu reden: sie machten den großen Herrn praͤchtige Geschenke, und erhielten dafuͤr im Handel alle diejenigen Rechte, welche die eignen Landesunter- thanen hatten. Nun stelle man sich vor, daß die Hansea- tischen Kaufleute, als Englische Unterthanen die freye Ausfuhr, und als Rußische, Schwedische und Daͤnische Unterthanen die freye Einfuhr in diese Laͤnder hatten: so wird man auf ein- mal den Grund ihrer Macht uͤbersehen. Man wird sogleich die große Folge erkennen, daß z. E. kein Englaͤnder nach Ruß- land, und kein Russe nach England handeln konnte, weil diese hier und jene dort das Unterthanenrecht nicht hatten, folglich den hohen Zoll, dem uͤberall die Fremden unterworfen S 2 sind, Von den wahren Ursachen des Steigens sind, entrichten mußten, unter welcher Beschwerde es ihnen unmoͤglich war den Hansischen gleich zu kommen. Man wird aber auch gleich den Grund ersehen, warum die Hanseatische Handlung zu Grunde gehen muͤssen. Denn so bald die Englaͤnder diesen das Unterthanenrecht oder die freye Ausfuhr nach allen Gegenden untersagten: so konnten diese die englischen Waaren, worauf der Handel sich haupt- saͤchlich gruͤndete, in Rußland, Schweden und Daͤnnemark nicht mehr so wohlfeil geben als es die Englaͤnder selbst zu thun vermoͤgend waren. Die Russen, Daͤnen und Schweden sahen bald ein, daß die Hanseatischen zu einer zweyten Hand herab- gesunken waren, und beguͤnstigten sofort die Englaͤnder mit den Freyheiten, welche die Hanseatischen bisher genossen hat- ten. Folglich verlohren diese in den Nordlanden das Unter- thanenrecht; und ihr Handel mußte sofort stocken, wie sie uͤberaͤll als Fremde die Beschwerden der Ein- und Ausfuhr er- legen mußten. Freylich erfolgte diese Entwickelung nicht so ploͤtzlich, wie sie hier beschrieben wird; es gieng ein Zeitraum von mehr als hundert Jahren daruͤber hin, ehe die deutschen Kaufleute solchergestalt unterbohret wurden. Allein bey einer aufmerk- samen Betrachtung der widerseitigen Unterhandlungen, ergiebt sich jener einfache Plan deutlich; die Hanseatischen schrien zwar bestaͤndig uͤber Chicane, Gewalt und Unrecht, und uͤber die Verletzung der heiligsten Vertraͤge; besonders auch im Norden. Wie konnte man aber den Czaaren und Koͤnigen zumuthen, ihnen ihre Privilegien zu halten, nachdem die Hansischen ihr Unterthanenrecht oder die freye Ausfuhr aus England verlohren hatten, folglich ihres Orts nicht mehr im Stande waren den Russen, Schweden und Daͤnen die Waaren so wohlfeil zu liefern, als die Englaͤn- der sie selbst dahin brachten. Die Bundbruͤchigkeit der Koͤni- ge und Fallen der Hanseatischen Handlung ge gieng aus der Natur des veraͤnderten Handels hervor: und obgleich noch im Jahr 1603. die Hansischen Kaufleute dem Rusischen Kaiser Foederowitz, einen Adler, Strauß, Peliean, Greif, Baͤren, Einhorn, Pferd, Hirsch und Rhino- ceros; so wie dessen Prinzen einen Adler, eine Fortuna, eine Venus, einen Paulus und ein Pferd alles von vergoldetem Silber uͤberschickten: so mogten sie doch damit die alte Zoll- freyheit nicht wieder erlangen; mithin andern Nationen den Vorzug abgewinnen. Hiezu kam nun noch das veraͤnderte Cameralinteresse der allerseitigen Koͤnige. Diese, welche ihre Un- terthanen nicht mit neuen Zoͤllen und Auflagen beschweren konn- ten, waren froh, einen silbernen Adler oder eine silberne Venus von den Fremden zu erhaschen. Wie aber vor und nach die Staatsbeduͤrfnisse allerhand neue Auflagen und Zoͤlle erforderten; und die Untherthanen sich solchen unterwarfen; hatten sie kein Interesse mehr gleich den heutigen Afrikani- schen und Asiatischen Maͤchten, den Handel in ihren Landen fuͤr ein Geschenk Fremden zu verpachten; der Nutze des Lan- desherrn verband sich mit der Wohlfahrt der eignen Unter- thanen. Um eine kleine Sache mit großen zu vergleichen: so hatten die Hansischen Staͤdte den Plan der Packen- oder Bundtraͤger, welche in mehrern Städten das Bürgerrecht nehmen, und dadurch bürgerliche Freyheiten erhalten; und die Packentraͤger erleben das Schicksal der Hanseestaͤdte, da ihnen das Einbringen fremder Waaren aus ihrer Hey- math gestattet, und der Markt mit solcher Waare, die nicht in ihrer Heynath faͤllt, verboten, und blos Einheimischen erlaubet wird. Die deutschen Landesherrn fangen an ihr wahres Interesse auf die Wohlfahrt einheimischer Untertha- nen zu gruͤnden, nachdem sich diese oder die Landstaͤnde zu solchen Abgaben bequemet haben, wogegen ein silberner Rhi- S 3 no- Schreiben einer Dame an ihren Capellan noceros der Packentraͤger nicht mehr in Betracht kommen kann. XXXXVI. Schreiben einer Dame an ihren Capellan uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. Mein lieber Herr Capellan! ich muß Ihnen einmal ei- nige Gewissensfragen thun. Sie sagen mir immer, ich muͤßte von jeder Stunde meines Lebens am Ende Rechen- schaft geben; und die Stunde dieser Rechenschaft ruͤcke mit jedem Augenblicke naͤher. Nun wollte ich gern beym Schlusse dieses Jahrs, um nicht uͤbereilt zu werden, einen kleinen An- fang mit der Rechnung machen. Ich finde aber dabey einige Schwierigkeiten, woruͤber ich mir Ihre Erlaͤuterungen aus- bitten muß. Erstlich habe ich auf dem Lande gesehen, daß die Leute bey der schwersten Arbeit nur 5 und hoͤchstens 6 Stunde schla- fen. Ich aber bin des Abends um 11 Uhr zu Bette gegan- gen und des Morgens um 8. wieder aufgestanden, mithin vier Stunden laͤnger im Bette geblieben. Sollte ich diese auch berechnen muͤssen, oder werden sie so mit durchlaufen? Zweytens habe ich in meinen jungen Jahren wohl ei- nige Stunden am Caffee- und Nachttische zugebracht; jezt aber, da ich eben keinen Trost mehr vor dem Spiegel finde, und meine Dormeuse sehr geschwind aufsetze, bringe ich diese Zeit mit der groͤßten Langeweile zu. Sollte ich dafuͤr nicht hillig eine Schadloshaltung fordern koͤnnen? Drittens habe ich oft Gott gedankt, daß ich drey Stunde am Tische verweilen koͤnnte, weil mir sonst die Zeit bis uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. bis zur Assemblee zu lang wurde. Diese Wohlthat habe ich mit Dank genossen; und so wird man von mir doch nicht ver- langen, daß ich dieserhalb noch lange Rechnung geben solle? Viertens ; Hoffe ich doch eine Stunde zum Caffeetrin- ken werde einem jeden Christenmenschen freygegeben seyn? Fünftens habe ich von 5 Uhr bis um 8. in diesem Jahre 730 Spiel Karten verbrauchen helfen, und solchergestalt arme Fabrikanten unterstuͤtzt; koͤnnte ich diese nuͤtzliche Anwendung meiner Zeit nicht doppelt anrechnen? Sechstens habe ich von 8 Uhr bis um 11. zu Abend ge- gessen, und mich einigermaßen zu den Verrichtungen des fol- genden Tages vorbereitet; auch wohl, nachdem ich eben auf- geraͤumet war, ein huͤbsches Buch zu meiner Ermunterung in die Hand genommen; diese Stunden koͤnnen also richtig berechnet werden. Wollten Sie mir aber wohl dieserhalb ein Zeugniß geben, womit ich bestehen koͤnnte? Sagen Sie mir nicht, daß ich die Zeit haͤtte nuͤtzlicher anwenden sollen. Denn dieser ist hiesigen Orts, wo man weder Opern noch Comoͤdien, weder Redouten noch Akademie haͤlt, fast unmoͤglich. Gesetzt also, ich haͤtte weniger Zeit im Bette und bey Tische zubringen wollen, was haͤtte ich in al- ler Welt anfangen sollen? Reiten habe ich nicht gelernt? die Jagd ist mir zu muͤhsam; des Spatzirens werde ich bald muͤde; und durch jede Arbeit, die ich verrichtet haͤtte, wuͤrde ein armer Mensch sein Brod verlohren haben. Mein gutes Einkommen uͤberhebt mich auch der Arbeit, und je weniger ich selbst thue, je mehr gebe ich fleißigen Armen zu verdienen. Es wuͤrde ein straͤflicher Geiz seyn, wenn ich selbst die Kuͤche versehen, oder ein Cammermaͤdgen weniger halten wollte. Ich habe es einmal versucht und bin mit einem heroi- schen Vorsatze um 4 Uhr des Morgens aufgestanden; allein S 4 so Schreiben einer Dame an ihren Capellan so wahr ich ehrlich bin, ich mußte mich um 6 Uhr wieder nie- derlegen, blos um mich von der Langenweile zu erholen. Was fuͤr ein entsetzlicher Morgen war dieser! Es fror mich; ich gaͤhnte, mein Cammermaͤdgen graͤmelte; die Leute murreten; und die ganze Haushaltung gerieth in Unordnung. Ich las ein Buch, ohne das gelesene zu empfinden; ich war geschaͤf- tig ohne was zu beschicken; dabey regnete es, sonst waͤre ich wohl hingegangen um ein bisgen im Holze bey den Nachti- gallen zu schaudern. Kurz, den ganzen Tag uͤber war mir nicht wohl; und da that ich ein Geluͤbde niemals ohne die hoͤchste Noth vor 8 Uhren aufzustehen. Eben so bin ich einmal des Nachmittags zu Hause und allein geblieben. Um 4 Uhr trank ich meinen Caffee; um 5 Uhr Thee; um 6 Uhr ward ich etwas matt; ich ließ mir meine Tropfen und eine kleine Bouteille Kapwein geben. Ich nahm etwas davon und las; nahm wieder ein Bisgen, und was meynen sie? — Aus war die Bouteille ehe es achte schlug. Bey Tische des Abends war ich nicht ein bisgen hei- ter, und alles was ich mit Muͤhe herunter bringen konnte, war eine Tasse Chocolade, und nach Tische mußte ich mich gleich zu Bette legen. So uͤbel lief dieser Versuch ab. Was aber bey dem allen das beste seyn mag, mein Herr Capellan; so preise ich die Leute gluͤcklich, die alle Tage 16 Stunde mit nuͤtzlichen Arbeiten zubringen koͤnnen; ich be- neide sie sogar, wenn dieses etwas zu meiner Entschuldigung helfen kann. Ja mich duͤnkt, daß Leute die im Leben so gluͤcklich sind, alle ihre Stunden nuͤtzlich hinbringen zu koͤn- nen, wenn es dermaleinst zur Rechnung kommen sollte, min- dern Lohn verdient haben, als ich, der es so sauer wird nur eine Stunde ohne Schlaf, Spiel oder Essen zu nutzen. Ich spreche im Ernst; die Tage gehen mir so langsam und die Jahre uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. Jahre so geschwind hin, daß ich ganz verwirret daruͤber bin. Oft schmaͤle ich noch mit meiner seligen Mutter im Grabe, daß sie mir nicht mehrern Geschmack an der Haushaltung beygebracht; und daß ich in den Jahren, wo die Begierde zu gefallen, mich zu keiner ernsthaften Ueberlegung kommen ließ, mir nicht wenigstens eine kleine gute Faust, womit ich einen Topf vom Feuer nehmen koͤnnte, erworben habe. Al- lein da sagte meine liebe Mutter: Kind, wer will dir die Hand kuͤssen, wenn sie nach der Kuͤche riecht; und um einen kleinen Fuß zu behalten, trippelte ich hoͤchstens einmal auf ei- ner gruͤnen Terrasse herum. Jezt in meinen Alter kann ich mir nicht einmal abgewoͤhnen ohne Handschuh zu schlafen; wie wollte ich mich denn in andern Stuͤcken aͤndern koͤnnen? Sie, Herr Capellan, haben mir oft gesagt, daß Sie keine Stunde hinbringen koͤnnten, ohne eine Prise Tabak zu neh- men. Ach nehmen Sie jezt auch eine, und uͤberlegen dabey einmal, wie ich meine Rechnung besser einrichten koͤnne? Zei- gen Sie mir einen Plan, der meinen Kraͤften und meiner Gewohnheit angemessen ist. Einen Plan, wobey ich nicht noͤthig habe mein Bette fruͤher zu verlassen oder die Assem- blee zu versaͤumen. Nehmen Sie mich als ein Geschoͤpfe an, das lahme Fuͤsse und Haͤnde, und dabey einen Kopf hat, der durch die Laͤnge der Zeit nun einmal so verdorben ist, daß er zu einsamen ernsthaften Betrachtungen gar nicht mehr aufge- legt ist, dem Youngs Nachtgedanken sogleich die heftigste Schmerzen verursachen, und der diese Nacht gewiß nicht schla- fen wird, da ich so lange geschrieben habe. Ich bin in dessen Erwartung ꝛc. S 5 XXXXVII. Antw. des H. Commendeurs auf das Schreiben XXXXVII. Antwort des Herrn Commendeurs auf das Schreiben einer Dame, uͤber den Ge- brauch ihrer Zeit. Ich habe Ihnen einen kleinen Streich gespielt, meine gnaͤdige Frau, wofuͤr Sie mir wirklich Dank schuldig sind. Ihr Kutscher brachte mir ihren Brief an den Capellan; und weil der Kerl glaubte, es sey darinn gewiß die Frage: Ob es erlaubt sey, Kutschen und Pferde zu halten, wenn man sich mit einer Saͤnfte behelfen kann? So brachte er den Brief zu mir, und bat mich, ich moͤchte doch einmal durch die Fal- ten sehen, und ihm sagen: ob er seinen Kutscherdienst wohl verlieren wuͤrde, wenn er ihn bestellete? Ich wollte meine Herrschaft ungern verlassen, setzte der ehrliche Johann hinzu, die Pferde sind so gut im Stande, unsre gnaͤdige Frau auch, sie bezahlt so gut, sie schmaͤhlet so sanft....... Kurz, dem guten Kerl der gemerkt zu haben glaubte, daß Sie seit einiger Zeit sich allerhand Bedenklichkeiten machten und ganz tiefsinnig geworden waͤren, flossen die Thraͤnen durch den Schnurbart; und ich ließ mich dadurch bewegen den Brief zu oͤfnen. Besondre Geheimnisse dachte ich, schreibt man wohl eben an seinen Capellan nicht, und die Gewissensfragen einer Dame kann ich besser als dieser beantworten, der vielleicht auf einen scharfen Text verfallen moͤchte. Genug, ich er- brach ihn; und bediente mich des Rechts, welches Sie mir mehrmalen gegeben haben. Aber nun zum Inhalte. Wie ist es moͤglich, daß Euer Gnaden sich mit zu dem Menschen rechnen, zu diesen Geschoͤpfen die ihre Zeit nuͤtzlich zu- einer Dame, uͤber den Gebrauch ihrer Zeit zubringen und von jeder Stunde Rechenschaft geben muͤssen? Sagen Sie mir doch ums Himmels willen, was Sie mit diesen gemein haben, und ob Sie sich vorstellen koͤnnen, daß Sie eine Seele wie andre Menschen empfangen haben? Gewiß die Natur verschwendet ihre Kraͤfte nicht. Ein so feiner zaͤrtlicher Koͤrper wie der Ihrige, kann durch die ge- ringste Wallung des Gebluͤts in Bewegung gesetzet werden; wozu denn eine ganze ruͤstige Seele? Haben Sie Gefahren zu uͤberstehen, Ungluͤcksfaͤlle auszudauern, große Entwuͤrfe auszufuͤhren? Nein; Sie essen, trinken, spielen und schlafen; und dieses so regelmaͤßig, daß man keine einzige freye Be- wegung der Seele dabey bemerkt. Die Seele zeugt nur-Ge- danken, und diese hindern den Schlaf mehr als daß sie ihn befoͤrdern; die Verdauung geht auch weit besser von statten, wenn man sich Gedankenlos hinsetzt. Lassen Sie sich also, ich beschwoͤre Sie, nicht beyfallen, sich eine solche Unruhe in den Kopf zu setzen, die Ihnen zu nichts dienen wuͤrden, als Grillen und Vorwuͤrfe zu machen. Sie haben sich so lange darum beholfen; warum wollten Sie sich denn dergleichen im Alter wuͤnschen, und die Natur in unnoͤthige Kosten stuͤrzen? Fuͤhlen sie einige Schwaͤchen: so lassen Sie ihre Kammer mit eau de venise besprengen. Sogleich werden Sie alle noͤ- thige Begeisterung empfinden. Ein gemeines Frauenzimmer wuͤrde es vielleicht fuͤr ein schlecht Compliment aufnehmen, wenn ich ihm eine Seele ab- sprechen wollte. Allein Sie, gnaͤdige Frau kennen mich, und wissen, daß Sie keinen eifrigern Bewundrer in der Welt ha- ben als mich. Sie sind also auch versichert, daß ich dieses nicht thun wuͤrde, wenn ich es nicht als einen besondern Vor- zug von Ihnen betrachtete, daß Sie ohne Seele tausendmal mehr thun als andre, die sich dieser allgemeinen Gabe ruͤh- men. Bey Ihnen wird der Feldherr zaͤrtlich, der Minister hei- Antw. des H. Commendeurs auf das Schreiben heiter, und der ganze Hof gefaͤllig. Gesetzt nun, Sie wollten durchaus eine Seele haben, sich andern gleich beschaͤftigen und auf ihrem Canape der Rechenschaft, welche Sie davon abzu- legen haͤtten, nachdenken; gesetzt, andre Damen folgten diesem traurigen Exempel: wo wollte der Arbeiter im Cabinet und im Felde sich erholen? wer wuͤrde ihnen Empfindungen bey- bringen? Empfindungen, welche das rauhe Herz zum Mit- leiden und zur leutseligen Huͤlfe herabstimmen? Ohne Er- holung ist keine Arbeit; und wo Sie nicht behaupten wol- len, daß wir uns wie unsre Vorfahren blos am Weine erholen sollen: so muͤssen Sie mit ihrer gluͤcklichen Muße dem allge- meinen Besten zu statten kommen, so muͤssen Sie sich vor wie nach in der Gallerie oder in der Assemblee zeigen; und die Stelle des Gestirns vertreten, das auch die finstersten Philo- sophen zu seiner Betrachtung reizet: so muͤssen Sie den Scherz und die Heiterkeit zu Tische fuͤhren, und damit den arbeitsa- men Seelen neue Kraͤfte geben. Dabey aber koͤnnen und duͤrfen Sie nicht arbeiten, nicht denken und nicht rechnen; denn dies wuͤrde Ihnen nichts als fruͤhe Runzeln einbringen; und welcher Staatsmann wuͤrde bey diesen nur ein einziges Project vergessen? Bedenken Sie nur das einzige: Die Leute, welche von ihrer Zeit Rechenschaft abzulegen haben, sind zugleich verdammt ihr Brod im Schweiß ihres Ange- sichts zu essen. Wie schickt sich dieses aber fuͤr eine Hofdame, die den ganzen Tag geschminkt seyn soll? Wuͤrde nicht alle Farbe von ihren schoͤnen Wangen fliessen? Haben Euer Gnaden aber jedoch eine kleine Herzstaͤr- kung noͤthig; gut, so will ich Ihnen eine vorschreiben, die gewiß nach Ihrem Geschmack seyn wird. Verrichten Sie alle Tage in diesem Jahre eine gute Handlung. Der Arbeit- same, der immer an seinem Werke klebt, und unermuͤdet be- schaͤftigt ist, wird nur durch unmittelbare Gegenstaͤnde zum Mit- einer Dame, uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. Mitleid bewegt. Er ist barmherzig, huͤlfreich und fertig, wenn ihm seines naͤchsten Ungluͤck ruͤhrt; allein die Noth derjenigen, so im Verborgenen oder in der Entfernung un- gluͤcklich sind, kommt nicht so leicht zu seinem Herzen. Euer Gnaden aber hoͤren bey ihrer Muße und Langeweile man- che traurige Erzaͤhlung; ihr empfindliches Herz wird schneller geruͤhrt; Sie koͤnnen laͤnger bey der suͤssen Betrachtung, wie sie einem ungluͤcklichen helfen wollen, verweilen. Sie kom- men taͤglich zu solchen Personen, welche Verdienste unterstuͤ- tzen, und den Fleiß gluͤcklich machen koͤnnen. Bedienen Sie sich ihres zaͤrtlichen Auges, ihres schmeichelhaften Tons, ihres ganzen Einflusses, um taͤglich das Gluͤck eines Menschen zu befoͤrdern, ihn nur in guten Andenken zu erhalten, ihn von der besten Seite zu zeigen, eine ungegruͤndete uͤble Meinung von ihm zu unterdruͤcken und uͤberall das beste zu befoͤrdern. Wie mancher wird Ihnen nicht noch beyde Haͤnde dazu kuͤssen, daß Sie ihm nur Gelegenheit gegeben, eine edle Handlung zu verrichten? Sie sehen, ich bin ein bequemer Gewissensrath; ich fordere nicht von ihnen, daß Sie Filet machen oder Marly nehen sollen; dieses koͤnnen Sie in ihren Umstaͤnden andern uͤberlassen, die ihr Brod damit verdienen. Ich lasse Ihnen ihren Schlaf, ihr Assemblee und ihr Soupe; und gebe ihnen vier und zwanzig Stunden fuͤr eine einzige gute Handlung. Dazu lasse und goͤnne ich ihnen ihre Langeweile, entweder zur Strafe oder zur Besserung. Es bleibt aber dieses unter uns. Ihr Capellan ist ver- pflichtet bey der Regel zu bleiben. Er wird mehrers von Ih- nen erfordern, und die Entschuldigung der verwoͤhnten Zaͤrt- lichkeit nicht gelten lassen. Ich aber denke anders, weil ich auch nicht viel mehr in der Welt beschicke, und ich moͤgte nicht Darf ein Handwerksmeister nicht gern, daß die Rechnung von Ihrer Zeit besser ausfiele als die meinige. Hiemit kuͤsse ich Ihnen Ehrfurchtsvoll die Haͤnde und bin wie Sie wissen ꝛc. XXXXVIII. Darf ein Handwerksmeister so viele Gesellen halten als er will? Es ist wohl nicht zu leugnen, daß die Frage: Ob einem jeden Handwerksmeister die Freyheit zu lassen sey, so viele Gesellen als er wolle, zu halten? von groͤßerer Wichtigkeit sey, als man vielleicht bey Abfassung des Reichs-Abschiedes von 1731. dafuͤr gehalten hat. Die Gruͤnde, worauf es bey ihrer Beurtheilung an- kommt, sind eben dieselben, welche in den neuern Zeiten fuͤr und wider die großen Pachtungen angefuͤhret werden; der Meister der vierzig Gesellen haͤlt, ist der Paͤchter der vierzig Knechte haͤlt; statt der großen Pachtungen koͤnnten zwanzig Bauerhoͤfe, und statt des einzigen Amtsmeisters zwanzig Fa- milien leben. Unsre Vorfahren in den Staͤdten, welche zu Walle ge- hen und selbige vertheidigen mußten, erhielten an jedem neuen Buͤrger, einen neuen Vertheidiger, der mit ihnen die Lasten theilte. Was haͤtten sie anfangen wollen, wenn es in dem Vermoͤgen eines verschmitzten Meisters gestanden haͤtte, mit Huͤlfe einer Menge von Gesellen die Arbeit der ganzen Stadt an sich zu ziehen, und alle seine Mitmeister herunter zu brin- gen? Niemand wird leugnen, daß ein Mann mit zehn Ge- sellen so viele Gesellen halten als er will. sellen wohlfeiler arbeiten koͤnne, als zehn Meister mit einem. Es waͤre also einem geschickten und vermoͤgenden Handwerker gar leicht gewesen, allen uͤbrigen Mitmeistern das Brod zu nehmen; und dieses wollten sie dadurch verhuͤten, daß sie fuͤr jedes Amt die Zahl der Gesellen bestimmten. Unstreitig ist auch noch jezt dem Staate mehr an zwo Familien als zween Gesellen gelegen. Der Geselle zieht dem Staate keine Kinder, traͤgt keine Einquartierung, bezahlt we- nig Schatzung, und fleugt bey dem geringsten Ungewitter uͤber die Mauer. Daher muß der Reichs-Abschied billig nach jedes Orts Umstaͤnden ermaͤßiget, und der Landes-Obrigkeit die Freyheit gelassen werden, es wegen der Anzahl der Gesel- len so zu halten, wie es das gemeine Beste erfordert. In Hauptstaͤdten, Seehaͤven und uͤberhaupt an allen Orten, wo fuͤr auswaͤrtige Maͤrkte gearbeitet wird, ist es Thorheit die Anzahl der Gesellen einzuschraͤnken. Wo aber der Meister ein Tagloͤhner ist, und ein Tagloͤhner nur den andern in Pacht hat, ist die geringste Anzahl von Gesellen gewiß die beste. XXXXIX. Haben die Verfasser des Reichsabschiedes von 1731. wohl gethan, daß sie viele Leute ehrlich gemacht haben, die es nicht waren? Es ist ferner gewiß, daß die Zuͤnfte und Gilden ungemein dadurch gelitten haben, daß sie nach dem juͤngern Reichs- abschiede alle von irgend einem Pfalzgrafen ehrlich gemachte Hur- Haben die V. des Reichsabsch. v. 1731. wohl gethan, Hurkinder und beynahe alle Geschoͤpfe, die nur zwey Beine und keine Federn haben, als Zunftfaͤhig erkennen muͤssen. Nach der seit einiger Zeit Mode gewordenen Menschenliebe, und vielleicht auch nach unser Religion, nach welcher Gott keinen Unterscheid macht unter den Menschen, von Mutter- leibe gebohren, mag es mit dieser Verodnung gut genug ge- meint seyn. Allein ein rechtschaffener Policeygrund laͤßt sich davon nicht angeben; oder man moͤchte denn an jene Verord- nungen eines sichern Reichsfuͤrsten denken, welche also anfieng: Wir von Gottes Gnaden ꝛc. fuͤgen hiemit zu wissen, was maßen und nachdem Wir uns mit unser fuͤrstlichen Fa- milie und unsern Raͤthen, der menschlichen Gesellschaft entzogen haben, diese nur aus lauter Canaille besteht: Als wollen Wir gnaͤdigst, daß alle Hurkinder, denen Wir unter unserm Fuͤrstl. Siegel die Rechte einer echten Geburt ertheilen, darinn bey hundert Goldgulden Strafe aufgenommen werden sollen. Was kann das unschuldige Kind dafuͤr; und warum soll dieses darunter leiden, daß seine Mutter ein einziges klei- nes Kind gehabt hat; pflegt man zwar insgemein zu sagen. Allein zum Henker mit dem Wechselbalg rief die Aebtißin von........ als man ein fuͤrstliches Hurkind ins frey- adeliche Stift bringen wollte. Man erbot sich zur Kaiserl. Legitimation, und bedaurete hundertmal das arme unschuldige Kind. Allein es half alles nicht; der Wechselbalg mußte fort, weil die Aebrißin keine andere aufnahm, als diejenigen, so aus einem reinem adlichen deutschen Ehebette erzielet waren. Sie handelte recht daran, aber warum ließ man die Gilden nicht bey diesen mit der deutschen Ehre zugleich gebohrnen Grundsaͤtzen? Warum schaͤndete man die gemeine National- ehre mehr als die hohe oder Dienstehre? Warum verdiente der große, der wuͤrksame Theil der Nation mindere Achtung als daß sie viele Leute ehrlich gemacht haben? als der geringere und unwuͤrksame? Wahrlich aus keinem andern Grunde, als den vor Hoͤchstgedachte Ihro Fuͤrstl. Gnaden anzufuͤhren geruheten. Die Verfasser des Reichs- abschiedes standen auf der Hoͤhe; und was unten am Berge war, schienen ihnen nur aus Muͤcken zu bestehen. Der Grundsatz der neuern Gesetzgeber, daß man die Hurerey minder schimpflich machen muͤsse, um den Kindermord zu verhuͤten, ist falsch und unzureichend. Der alte: daß man den aͤußersten Schimpf darauf setzen muͤsse, um die Ehe zu befoͤrdern, ist weit dauerhafter; und nach den feinsten philosophischen Grundsaͤtzen angelegt. Der Reichsabschied macht eine Menge von Leuten ehr- lich, welche bis dahin fuͤr unehrlich gehalten wurden. Man kann aber darauf wetten, daß die Verfasser den Sinn des Worts Unehrlichkeit verfehlet, und die Sache wiederum aus dem unpolitischen Gesichtspunkte der Menschenliebe betrachtet haben. Bey den Deutschen war alles unehrlich, was nicht im Heerbann oder im Buͤrgerbanne focht; und nach diesem Begriffe, wuͤrden sie zu unsern Zeiten allen Leuten die Ehre abgesprochen haben, die keine Soldaten sind. Diese Den- kungsart scheint seltsam zu seyn. Verhietet nicht aber noch jetzund ein jeder Hauptmann seinen Gemeinen, mit andern Leuten, die nicht zu ihnen gehoͤren, Bruͤderschaft zu trinken oder sich mit ihnen zu dutzen? Und hatte der Heerbann min- dre Ursache mit allen Leuten nicht aus einem Kruge zu trinken? Der Krug war der geheiligte Becher, der in einer ebenbuͤrti- gen Gesellschaft nach der Reihe herum gieng. Wer nicht zu der Gesellschaft gehoͤrete, gehoͤrte auch nicht zum Kruge; und so sagten unsre Vorfahren: Wir trinken mit keinen Schaͤfern ꝛc. aus einem Kruge, weil sie nicht mit fuͤrs Vaterland ausziehen, sondern daheim bey der Heerde bleiben muͤssen. Sie sprachen ihnen die christliche und moralische Redlichkeit nicht ab. Aber Mösers patr. Phantas. I. Th. T so Haben die V. des Reichsabsch. v. 1731. wol gethan. so wenig der Marketenter die Ehre eines Soldaten hat; so wenig hatte der Schaͤfer die Ehre eines Bannalisten. Eben diese Unehrlichkeit wuͤrde allen Heuerleuten, (den Leibzuͤchter als den Invaliden aus dem Heerbann jedoch nicht mitgerechnet) angeklebet haben, wann unsre Vorfahren Heuerleute auf dem platten Lande gekannt haͤtten. Der Grund, daß Schaͤfer, Hirten ꝛc. und dergleichen Leute, doch gleichwohl unentbehrliche Mitglieder der Gesell- schaft sind, und daher billig aller Ehre geniessen solten; ist scheinbar in dem Munde des Philosophen, und des Christen, aber nicht die Sprache der rechten Policey. Der zweyte Rang kann sich in der Einbildung fuͤr beschimpft halten, daß er nicht zum ersten gehoͤrt; und der dritte kann eben so em- pfindlich daruͤber seyn, daß er nicht zum zweyten gehoͤrt. Aber darum ist es noch kein Schimpf zum dritten Range zu gehoͤ- ren. Die unehrliche Classe in der buͤrgerlichen Gesellschaft ist weiter nichts, als die unterste oder die achte Classe. Die Ehre war durch die sieben Heerschilde vertheilet. Zum sieben- den gehoͤrten die gemeinen Bannalisten. Wann nun die achte Classe sich nicht zu der siebenden rechnen kann, muß sie dieses nicht mit eben der Gedult ertragen, womit es die siebende Classe ertraͤgt, daß sie nicht zur sechsten gehoͤrt? Der Reichsabschied, der christliche und philosophische Ehrlichkeit bey solchen Menschen fand, welche in die Classe ohne Ehre gehoͤrten, hatte daher noch keinen Grund, diese aus der achten Classe, oder aus der Classe ohne Nummer, in die sechste zu setzen; und noch jezt solten keine Heuerleute, Markkoͤtter und andre, welche blos Rauchschatz bezahlen, zur siebenden Classe, worinn die Voll- und Halberben, wie auch Erbkoͤtter stehen, die dem Staate mit dem Monatschatze, mit Wagen und Pferden ihre Ehre abverdienen, gerechnet wer- den, um so viel bessere Wirthe auf den Staͤtten zu erhalten, und daß sie viele Leute ehrlich gemacht haben? und die Heuerleute zu reizen, durch Uebernehmung mehrer Lasten, sich den Weg zur gemeinen Ehre zu eroͤfnen. Durch die heutige Vermischung laufen wir Gefahr alles in Heuer leute zu verwandeln. Die Folgen des Reichsabschiedes sind wuͤrklich traurig, fuͤr Gilden und Zuͤnfte gewesen. Denn dadurch, daß ihre Ehre solchergestalt, und ihre Classe zerstoͤret ist, wird es al- maͤhlich veraͤchtlich sich in eine Zunft zu begeben. Nur in England verschmaͤht es der Koͤnig nicht. Der Reiche wird lieber ein sogenannter Fabricant; und die etwas Vermoͤgen haben, kaufen sich Adelbriefe, um aus der siebenden Classe in eine hoͤhere zu kommen. Die Politik unser Vorfahren war unendlich feiner, und nach ihren Grundsaͤtzen solte die ge- meine Ehre eben so sorgfaͤltig bewahret werden, als die Hohe, weil der Stand der gemeinen Ehre alle Lasten traͤgt, und dem Staat daran gelegen ist, daß sich solcher taͤglich vermehre, welches gewiß nicht dadurch geschicht, daß er beschimpft wird. So wenig der Kayser einen aus der siebenden Classe Stifts- faͤhig machen kann: so wenig haͤtte er jemand aus der Classe ohne Ehre Zunftfaͤhig machen sollen. Allein diejenigen, so den Reichsabschied verfertigten, waren nicht aus der siebenden Classe; diese fuͤhlten nur fuͤr sich und nicht fuͤr andre. Sie dachten wie vor Hoͤchstgedach- ter Reichsfuͤrst, ohne es oͤffentlich zu sagen. In der That aber war es eine fehlerhafte Gesetzgebung, daß solchergestalt ein Stand uͤber den richtete. Der gemeine Soldat kann nicht verurtheilet werden, ohne daß nicht zwey seiner Cameraden mit zu Gerichte kommen. Und der Reichsabschied haͤtte nach den Grundsaͤtzen der deutschen Gesetzgebung nicht ohne beson- dere Deputirte aus der siebenden Classe verfertiget werden sol- len. Diese verliert auf einmal Freyheit und Eigenthum, so bald man ihr ohne ihre Einwilligung willkuͤhrliche Gesetze ge- T 2 ben Vorschlag zu einem besondern Advocatencollegio. ben kann; und die Rußische Kaiserin verfaͤhrt mit ihren Un- terthanen so strenge nicht; wie das Reich mit bestaͤtigten und privilegirten Zuͤnften verfahren hat. L. Vorschlag zu einem besondern Advocaten- collegio. Es ist unstreitig besser, daß ein Staat gar keine Advoca- ten dulde, als daß er ihnen mit Verachtung begegne. Ein Mann, der die Kunst aus dem Grunde gelernt hat, andre zu scheeren, und von dieser Kunst leben muß, ist so gefaͤhr- lich als ein Kriegscommissair, er verkauft andern das Recht ihn zu verachten so theuer als er kann, wenn er es durchaus verkaufen muß. Oder wenn er das nicht thut; wenn er ehr- lich und verachtet zugleich bleiben kann; so ist er ganz gewiß ein Stuͤmper. Unsre Vorfahren hatten den Hauptmann in Heerbann oder den spaͤtern Gerichtsherrn zum Advocaten und Sindi- cus seiner ihm untergebenen Gemeinen geordnet; dieser machte es wie es unsre heutigen Capitains noch machen. Wenn ihre Soldaten mit andern, die nicht von ihrer Compagnie sind, eine Sache haben: so fuͤhrt sie der Capitain aus; und was die Leute von einer Compagnie unter sich zu thun haben, wird ohne Schriftwechsel entschieden. Solche Personen aber, wel- che nicht zum Heerbann gehoͤrten, oder um nach den jetzigen Styl zu sprechen, Leute die nicht Amtsaͤßig waren, hatten ihre erwählten Advocaten; dergleichen den Heerbannalisten oder Amtsassen nicht gestattet wurde. Natuͤrlicher Weise war der erste, den die spaͤtern Zei- ten zum Dynasten oder auch belehnten Gerichtsherrn erho- ben Vorschlag zu einem besondern Advocatencollegio. ben haben, ein Mann von Ehre und Ansehen; und der Er- waͤhlte, welchem sich die Dynasten selbst vertraueten und ihn zu ihrem Patron und Vorsprecher erwaͤhlten, auch kein schlech- ter Mann. Nur erst zu der Zeit, wie die Heerbannsrolle ge- sprengt, und die Leute vereinzelt oder einzeln genoͤthiget wur- den, sich Advocaten zu suchen, mußten sich diese vermehren und verschlimmern. In Frankreich und England gieng man damals zu, und gab den sich solchergestalt nothwendig vermehrenden Advoca- ten Gilde- oder Ordensrecht. Sie versammleten sich zu Ca- pittel, erwaͤhlten ihren Dechanten, machten Statuta, Stif- tungen und andre Vorkehrungen zur Erhaltung ihres Anse- hens. In Deutschland hingegen begnuͤgte man sich, mit der Doktorwuͤrde geschickten Leuten das Recht zu advociren zu ertheilen; und des Heil. Roͤm. Reichs Doktoren machten es wie des Heil. Roͤmischen Reichs Ritter. Sie blieben un- ter sich ohne Verein oder Gilde, folglich ohne Stiftungen und Statuten. Daher zeigt sich bey der Kaiserwahl kein Dal- wich mehr der Ritter werden will, und kein Landgraf von Hessen nimmt mehr die Doctorwuͤrde an. Des Heiligen Roͤmischen Reichs Ritter aber sollten unstreitig mit den deutschen Ordensrittern in gleichen Ansehen stehen. Allein es fehlt daran sehr viel; warum? Weil lez- tere sich zu einer Gilde oder zur Zunft geschlossen haben, wor- inn sie keinen aufnehmen, der nicht seine 16 Ahnen beweisen kann. Eben so sollten alle Edelleute gleich seyn. Aber dieje- nigen, die sich zu einem Capittel oder Collegium vereint, und durch gewisse Statuta fuͤr sich gesorgt haben, erhalten sich in weit groͤßern Ansehen als jene Zerstreueten; warum? Weil des Heil. Roͤmischen Reichs Edelleute, eben wie des Heil. Roͤmischen Reichs Ritter und Doktoren keinen allgemeinen Verein haben und daher vermischet werden. Ferner sollten T 3 die Vorschlag zu einem besondern Advocatencollegio. die Pfarrer den Rang fuͤr einen Canonicus haben; sie haben ihn aber nicht, weil die Pfarrer unter sich keine Zunft und keine Statuten haben, mithin ohne Ruͤcksicht auf Geburt al- lerhand Leute zu ihres Gleichen erhalten, wogegen doch alle Collegiatstifter einige Gegenanstalten gemacht haben. Dies muß uns natuͤrlicher Weise auf den Gedanken bringen, daß es gut seyn wuͤrde, wenn jeder Landesherr da- fuͤr sorgte, daß die Landesadvocaten sich zu einem Corpus ver- einigen, ihre Statuten errichten, ihre Mitglieder selbst waͤh- len, oder doch gewisse Vorzuͤge der Geburt und des Standes von ihnen erfordern, und solchergestalt sich fuͤr alle willkuͤhr- liche und oftmals ehrenruͤhrige Vermischung sicher setzen muͤß- ten. Sie wuͤrden dadurch natuͤrlicher Weise aufmerksamer auf ihre Ehre, empfindlicher auf deren Erhaltung, und durch eine Ausstossung aus diesen Orden haͤrter bestrafet werden, als durch irgend eine andre Strafe. Sie wuͤrden Stiftun- gen machen und annehmen, die Bejahrten daraus versorgen, die Wittwen ernaͤhren, und sich der Kinder ihrer Collegen gemeinschaftlich annehmen koͤnnen. Sie wuͤrden endlich Col- legialische Rechtsbedenken ausfertigen, eine einfoͤrmige Praxin befoͤrdern, eine Praͤbende fuͤr den Advocaten der Armen aus- setzen und sehr viele andere gute Anstalten, die der esprit de corps von selbst mit sich bringt, machen koͤnnen. Dies ist wenigstens das Mittel, wodurch sich der Stand der Advoca- ten in Frankreich, da er sonst in allen despotischen Staaten aus guten Gruͤnden heruntergesetzt wird, bey einem wahren Ansehen erhalten hat. Und ohne diese Vorsorge wird derselbe mit der Zeit keinen als solchen anstehen, die nach keiner Ver- achtung fragen, wenn sie nur gewinnen koͤnnen. LI. LI. Ueber die Art und Weise wie unsre Vorfahren die Processe abgekuͤrzet haben. In dem Frieden, welchen Symon Edler Herrn zur Lippe, mit dem Osnabr. Bischofe Ludolf im Jahr 1305. einzuge- hen genoͤthiget wurde, und worin er seine beyden Schloͤsser zu Rhe- da und zu Engerschleifen zu lassen versprach, heißt es zuletzt: Ponemus quatuor de nostris ministerialibus sive ca- stellanis qui ad aliquem competentem locum con- venient, et intra 15nam, a die notificationis in juriæ propter quam discordia est exorta, terminabunt discordiam vel in amicitia vel in jure et si intra 15nam ipsam dictam discordiam non terminarent, intra- bunt oppidum Bilevelde in quo jacebunt per conti- nuam 15nam, \& si intra ipsam 15nam praedictam discordiam non decident per proximam 15nam tunc sequentem jacebunt in oppido Hervorde, \& sic vi- cissim in oppidis dictis jacebunt inde non exituri, antequam ipsam discordiam decident vel in amici- tia vel in jure, \& si aliquis \& quoties aliquis prae- dictorum ministerialium vel castellanorum obierit statuetur statim alius pro eodem \&c. anno 1305. die beatorum Kiliani \& Sociorum. 〟Und wenn kuͤnftig unter ihnen sich neue Irrungen her- 〟vorthun sollten: so wollten sie beyderseits vier von 〟ihren Dienst- oder Burgleuten an einen dritten Ort 〟zusammen schicken, welche die Sreitigkeit binnen 14 〟Tagen entweder in Guͤte oder zu Recht ausmachen T 4 〟sol- Ueber die Art und Weise 〟solten, und wenn sie damit binnen 14 Tagen nicht fertig 〟wuͤrden, solten sich diese acht Schiedsleute nach Biele- 〟feld, und wenn sie dort auch binnen 14 Tagen noch 〟nicht uͤbereinkaͤmen, nach Herford begeben, und so 〟lange von 14 Tagen zu 14 Tagen aus einer Stadt in 〟die andre gehn, bis sie sich eines Spruchs verglichen 〟haͤtten. Diese Art, die Streitigkeiten zu entscheiden, war damals nichts ungewoͤhnliches. Indessen verdient die Denkungsart, wor- auf sich ein solcher Plan der Entscheidung gruͤndete, noch immer eine genauere Betrachtung, besonders da derselbe das Geheimniß zu enthalten scheint, wodurch unsere Vorfahren die Weitlaͤuftigkeit der Processe zu verhindern gewußt haben. Das Merkwuͤrdige in diesem Plan ist nicht die Wahl einiger Schiedsrichter; diese werden auch jezt noch wohl er- waͤhlet; es beruhet auch darauf nicht, daß jeder Theil gleiche Stimmen schicken, und keiner vor dem andern wie auch kein Dritter dabey den Ausschlag zu geben haben solte; denn auch dieses ist nur eine gemeine Erfindung. Das Große, was in der Sache steckt, ist dieses, daß den erwaͤhlten Schiedsleuten die Macht gegeben wurde einen Vergleich von Amtswegen zu treffen. Ich weis nicht, ob ich mich deutlich ausdruͤcke. Wenn unsre heutigen Richter die Partheyen zur Pflegung der Guͤte vorladen, und ihnen die beste Vorschlaͤge thun, diese aber solche nicht annehmen wollen: so haben sie, einige geringe Sachen ausgenommen, nicht die Macht zu sagen: ihr solt sie annehmen; auch unsre heutigen Schiedsrichter haben eigent- licht diese Macht nicht; sondern beyde sprechen ein Urtheil, und setzen dabey: von Rechtswegen. Diese Art der Entscheidung kannten unsre Vorfahren gar nicht; sondern diejenigen, welche eine Sache zu entscheiden hat- wie unsre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben. hatten, sie mochten nun dazu erwaͤhlt oder bestellet seyn, er- oͤfneten, was sie gut und billig Jus est ars boni et æqui. Diese Definition will viel sagen; das bonum ist quod convenit fini societatis; das æquum quod cum minimo damno sociorum obtinentur. befanden, und die Par- theyen mußten dies fuͤr Recht annehmen. Ihre Vollmacht war also von ungleich weitern Umfange als die Vollmacht unsrer heutigen Richter, die auf Gesetze und Ordnung schwe- ren, und an dem traurigen Buchstaben kleben muͤssen. Wenn man von diesen viere so lange zwischen Bielefeld und Herford reisen lassen wollte, bis sie ein Urtheil gefunden haͤtten; so wuͤrde oftmals ein Gewissenszwang mit eintreten koͤnnen. Wenn man aber vier Leute mit der Vollmacht erwaͤhlt, die Sache nach ihrem Gut- und Billigfinden abzuthun: so ist es ihre Schuld, wenn sie sich nicht endlich muͤde zanken und ver- einigen. Vier ehrliche Leute von beyden Seiten, die sich alle Tage quaͤlen, und nur stuͤndlich ein Haarbeit gegen ein- ander nachgeben, muͤssen endlich auf eine Linie zusammen tref- fen, welche fuͤr beyde Theile von dem mindesten Nachtheile ist. Und die Parthey so sich damit nicht beruhiget, verraͤth eine eitle Zanksucht. Wenn man mit dieser Voraussetzung auf die Sorgfalt zuruͤckgeht, womit unsere Vorfahren darauf bestunden, daß jeder Parthey nicht allein ebenbuͤrtige sondern auch Gerichts- genosse Urtheilsweiser gegeben werden mußten: so fuͤhlt man erst, wie groß ihre Einsicht gewesen. Denn vier Fuͤrsten konnten die Sache eines Edelmanns nicht damit entscheiden, daß sie sagten: sie fänden es so gut und billig. Vier Edel- leute konnten auf diese Weise eben wenig die Sache eines Buͤrgers richten; und vier Buͤrger waren auch allerdings un- befugt den Proceß zwischen zweyen Landleuten gleichsam nach T 5 ih- Ueber die Art und Weise ihren Gutduͤnken zu endigen; ausser dem Falle, wo der Edel- mann, der Buͤrger oder der Landmann sich dergleichen Richter von freyen Stuͤcken gewaͤhlt und sein Vertrauen darauf ge- setzt hatte. Eine solche Vollmacht, wie unsre Vorfahren dem Richter oder vielmehr den Schoͤpfen gaben, konnte keinen andern als ebenbuͤrtigen und gerichtsgenossen Personen er- theilet werden, die auf den Fall, daß sie in gleiche Streitig- keiten verwickelt wurden, dasjenige wider sich gelten lassen mußten, was sie als Urtheilsweiser uͤber andre ihres Mittels gut fanden. Ueberhaupt aber kommen wir hier auf die beyden Haupt- arten Streitigkeiten zu endigen. Die erste ist, daß ein ebenbuͤrtiger und genosser Mann nach seinem Gutduͤnken sage, wie es seyn solle. Die andre, daß ein Gelehrter, der den Partheyen so wenig eben- buͤrtig als Genoß ist, sage, was die Gesetze auf den strei- tigen Fall verordnet haben. Die erste war die Art unser Vorfahren: die letztere ist die unsrige, nach welcher ein Doctor am Cammergericht dem groͤßten Reichsfuͤrsten Recht sprechen kann. Es ist der menschlichen Freyheit unendlich viel daran ge- legen, daß beyde Arten nicht vermischet werden. Unsre heutigen Philosophen und philosophischen Rechtsgelehrten, ja selbst Cabinetsminister und Justitzreformatoren, tragen kein Bedenken zu sagen: 〟Der Richter muͤsse auf das wahre, das gute, das heyl- 〟same und das billige sehen, seine gesunde Vernunft 〟brauchen und darnach sprechen, ohne sich um alle roͤ- 〟mischen Gesetze und die Glossatoren zu bekuͤmmern. 〟So haͤtten es unsre Vorfahren gemacht. Allein wie unsre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben. Allein so wahr dieser Satz ist, wo die Partheyen ebenbuͤrtige und genosse Richter erhalten: so falsch, so verraͤtherisch ist er im Gegentheile, und in unser heutigen Verfassung. Wie, ein Fuͤrst solte acht fremde Maͤnner verschreiben, ihnen ihren Unterhalt reichen, und ihnen die Vollmacht ertheilen koͤnnen, nach der Vernunft, nach der Billigkeit, nach ihrer Weißheit zu entscheiden? Und das sollen unsre Vofahren geduldet haben? Die Weisheit graͤnzt so nahe an die Willkuͤhr, daß man unmittelbar von der einen zur andern uͤbergehen kann; und wo Weisheit und Macht in einer Hand sind, da ist des Herrn Wille natuͤrlicher Weise allezeit die Weisheit selbst. Wenig- stens ist kein sterblicher Mensch im Stande die Furche anzu- weisen, wo die Willkuͤhr sich von der Weisheit scheidet. Und wenn es einer wagen wollte: so wuͤrden ihm gleich zehn an- dre widersprechen. Unsre Vorfahren waren in diesem Stuͤcke so genau, daß sie denjenigen sofort fuͤr einen Knecht hielten, der von eines ungenossen Es ist dieses ein altes deutsches Wort, wofuͤr ich kein bes- sers zu finden weis. Ein franzoͤsischer und deutscher Edel- mann koͤnnen einander ebenbuͤrtig seyn; sie sind aber einer des andern ungenoß. Buͤrger aus verschiedenen Staͤdten sind ebenfalls einander ungenoß. Menschen Ausspruch abhangen mußte. Alle Fremde erfuhren dieses, so bald sie sich ohne Geleit ausser ihrer Heymath befanden, und sich mithin nicht auf ihre Genossen zu Hause berufen mochten. Ganz anders verhaͤlt es sich in dem Falle, wo ein ehr- licher Markgenosse nicht von der Weisheit seines Holzgrafen, nicht von der Vernunft des Partheyenrichters, und auch nicht von der Auslegungskunst der Gesetzgelehrten, und noch we- niger von dem Despotismus der unter dem Namen einer gu- ten Ueber die Art und Weise ten Policey bisweilen offenbare Gewaltthaten ausuͤbt; sondern von dem Urtheile seiner Mitmaͤrker abhaͤngt. Wenn diese es gut und vernuͤnftig finden, daß er nicht mehr als zwey Gaͤnse und einen Ganten haben soll; wenn diese ihm verbieten auf dem Grasanger Plaggen zu mehen; wenn diese ihm dahin zu Recht weisen, daß er sein Schwein krampfen soll: so hat er die Beruhigung zum voraus, daß sich mit ihm alle so die- ses Recht weisen, in einem gleichen Falle befinden; und das Recht was sie ihm sprechen, auch wider sich gelten lassen muͤs- sen; anstatt, daß wenn ihm der Policeycommissarius befiehlt keinen Coffee zu trinken, dieser den seinigen ungestoͤrt herun- terschluͤrft, und seinen Befehl blos mit der Vernunft und Weisheit (diese ewigen Kupplerinnen der menschlichen Leiden- schaften) rechtfertigen kann. Da unsre Vorfahren gar keine geschriebene Gesetze dul- deten, weil sie voraus sahen, daß solche mit der Zeit eigne Ausleger und Rechtsgelehrte nach sich ziehen, und die heuti- ge Art Streitigkeiten durch gelehrte und ungenosse Maͤnner zu entscheiden befoͤrdern wuͤrde: so konnten sie auch nicht an- ders verfahren. Es konnte nach keinen Gesetzen gesprochen werden; sondern die bestelleten Urtheilsweiser sprachen nach dem was ihnen, ihren Kindern, ihren Nachbarn und der ganzen Gemeinheit nuͤtzlich und heylsam schien; oder sie be- zeugten in jedem vorkommenden Fall die loͤbliche Gewohnheit, und dieses ihr Zeugens war zugleich ein richterliches Urtheil. Zum Zeugniß einer Gewohnheit konnte aber kein bloßer Ge- lehrter zugelassen werden. Um eine adliche Gewohnheit zu bezeugen, ward ein Edelmann und zur buͤrgerlichen ein Buͤr- ger erfordert. Jezt hingegen besteht die Kunst zu richten fast nur in der Gelehrsamkeit und Auslegungskunst, und kein Ort in Europa hat sich dagegen besser gewahret, als die kleine Stadt wie unsre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben. Stadt Norica oder Nursia Norica vor Alters Nursia, eine Stadt, deren Regiment aus 4 Maͤnnern besteht, welche man li quatri illiterati nennet, weil sie dem Gesetze nach Leute seyn muͤssen, die weder schreiben noch lesen koͤnnen. Alles wird muͤndlich und ohne Schriften abgethan. Diese Stadt ist der Ge- burtsort der Bruchschneider in Italien. S. Buͤschings Erdbeschreibung II. Th. 2. B. p. 1061. in Italien, wo es durchaus erfordert wird, daß die Obrigkeit weder lesen noch schreiben koͤnne. Jezt erlauben wir beynahe den Gutsherrn das Zeug- niß daruͤber: ob diese oder jene Art von Leuten zu den Leib- eignen oder Freyen gehoͤre, Carl der Große sagte: Solus comes de libertate et pro- prietate judicat. Der Comes aber urtheilete nicht an- ders als mit 12. oder sieben genossen Schoͤpfen. da doch eigentlich und so balde daruͤber Streit ist: ob einer frey oder eigen sey; oder ob ein Daelfreyer nach Leibeigenthumsrechte gerichtet werden koͤnne oder nicht, die Sache nicht blos von dem Urtheile oder Zeug- nisse des einen Theiles, ohne daß der andre auch seine Ge- nossen dabey habe, abhangen kann. Ueberhaupt glaubten un- sre Vorfahren, die Weisheit der Katze koͤnne niemals einen guͤltigen Spruch wider die Maͤuse hervorbringen; sondern Maͤuse mußten von Maͤusen und Katzen von Katzen beurthei- let werden. Aber wird man sagen, der Streit der Maͤuse unter sich ist von so großer Wichtigkeit nicht, daß sie ihn nicht leicht von einigen ihres Mittels austragen lassen sollten. Die Haupt- sache ist, wenn die Katze gegen die Maͤuse, oder eine Mark gegen die andre, und eine Genossenschaft gegen die andre die Graͤnzen ihrer Befugniß uͤbertritt, und den Landfrieden bricht. Was hatten unsre Vorfahren hier fuͤr Richter? Nach Ueber die Art und Weise Nach dem Exempel der oberwaͤhnten von beyden Seiten erwaͤhlten 4 Schiedsleute zu rechnen, welche so lange zwischen Herford und Bilefeld reisen solten, bis sie ein Urtheil faͤnden, mag es hier einige Muͤhe gekostet haben. In der That aber erkannte man zuerst hier keinen Richter, und wie man den Kaiser nachwaͤrts zum Friedensrichter erhielt, bekuͤmmerte sich auch dieser nicht darum, wer von zweyen Partheyen Recht hatte oder nicht. Die Macht des Kaisers gieng nur dahin zu beachten, daß die Austraͤge alle 14 Tage von Herford nach Bielefeld ritten und ihre Pflicht in diesem Stuͤcke aufs ge- naueste beachteten. Aber den Streit selbst konnte der Kaiser, weil seine Weißheit nichts damit zu thun hatte, unmoͤglich entscheiden. Denn wenn er dieses haͤtte thun wollen: so blieb ihm doch nichts uͤbrig, als vier Schoͤpfen von einer und vier von andrer Seite erwaͤhlen, sodann solche so lange in einem Zim- mer verschliessen, oder von einem Orte zum andern reiten, oder auch in geschlossenen Schranken fechten zu lassen, bis sie das Recht gefunden hatten. Der Kaiser konnte darauf achten, daß sie im letztern Fall mit gleichem Winde und gleichem Ge- wehr fochten; er konnte darauf halten, daß redliche und eben- buͤrtige Biederleute gegen einander geschickt wurden. Aber das Recht oder die Wahrheit selbst konnte er unsern Vorfah- ren nicht weisen, weil noch keine geschriebene Gesetze vorhan- den waren, und alle menschliche Weißheit, so lange es an geschriebenen Gesetzen fehlt, auf eine Willkuͤhr hinaus lauft, und so verschieden ist, als die Menschen selbst verschieden sind. Natuͤrlicher Weise sagte die Weißheit der einen streitenden Parthey ja; und die Weißheit der andern nein; und wer konnte ohne der einen oder der andern Gewalt zu thun, eine dritte Weißheit urtheilen lassen? Die Gallier suchten sich auf eine andre Art zu helfen. Sie hatten ihre Druiden oder eigne Priester, welchen sowol die Civil- wie unsre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben. Civil- als Criminaljurisdiction anvertrauet war; Fere de omnibus controversiis publicis privatisque Druidae constituunt \& si quod est admissum facinus, si caedes facta, si de hereditate de finibus contro- versia, iidem decernunt praemia, poenasque consti- tuunt. Caes : und die, wie wohl zu merken, von keiner hoͤhern weltlichen Macht be- stellet oder besoldet wurden, indem sie ihr geistliches Ober- haupt selbst durch die Mehrheit der Stimmen waͤhlten, und wann die Stimmen gleich waren, zum Zeichen ihrer voͤlligen Unabhaͤngigkeit die Sache mit dem Degen ausmachten. Druidibus praeest unus qui summam inter eos habet autoritatem. Hoc mortuo, si quis ex reliquis ex- cellit dignitate succedit aut si sunt pares plures suf- fragio Druidum adlegitur. Nonnunquam etiam de principatu armis contendunt. Diese Druiden, an deren Stellen von dem ersten Mo- narchen besoldete Richter oder Grafen (comites) angeordnet wurden, moͤgen zwar auch bisweilen zwey streitende Partheyen so auseinander gesetzt haben, daß eine gleiche Zahl von beyden Seiten erwaͤhlter Schoͤpfen, das Urtheil mit ihrem Eide oder mit ihrem Degen, oder mit Reiten zwischen Herford und Bielefeld haben finden muͤssen. Allein im Grunde scheinen sie vieles auch durch ihre eigne Weisheit entschieden zu haben, indem sie die gelehrtesten Leute ihrer Zeit waren, und uͤber 20 Jahr studieren mußten. Ihre Weißheit war aber bey vorangefuͤhrten Umstaͤnden lange nicht so gefaͤhrlich als die Weißheit solcher Richter, welche von der hoͤchsten Macht im Staate angenommen und erlassen werden koͤnnen. Zudem wußten sie die große Kunst ihre Weißheit in ein Gottesurtheil zu verhuͤllen, und die Partheyen gleichsam mit Orakeln schei- den. Ueber die Art und Weise den. Eine Wendung, wodurch die menschliche Eigenliebe weniger als durch menschliche Ausspruͤche gekraͤnket wurde. Da sie von keinem Regenten besoldet wurden; und oh- ne Zweifel eben wie die Leviten keine liegende Gruͤnde erwer- ben konnten, vielleicht auch nicht heyrathen durften. Sie waren wenigstens wie unsre heutigen Orden Sodali- tiis ad stricti consortiis. Ammian : und erhielten ihre novitios a parentibus propinquisque. Caes . genossen auch einer vollkommenen Befreyung a tributis Id . So war ihre Weisheit noch einigermaßen ohne Nachtheil der Freyheit zu ertragen; wenigstens besser als die von den spaͤtern Grafen, welche von einer hoͤhern Macht verordnet und besoldet wur- den; jedoch aber das Urtheil nicht selbst zu sprechen, sondern nur dasjenige zu bestaͤtigen hatten, was ihnen von einer glei- chen Anzahl beyderseits oder von saͤmtlichen Genossen erwaͤhl- ter Schoͤpfen zugewiesen wurde. Haͤtten die Grafen eben wie jene, Gottesurtheile finden duͤrfen: so waͤre sogleich al- les was unter ihnen gestanden, Knecht geworden. Die Einrichtung mit den Druiden hatte indessen noch einen feinern Vortheil, welcher darinn bestand, daß sie von keiner Parthey als ungenoß angesehen werden konnten. Das Schoͤpfenwerk hingegen bey den Deutschen hatte die Unbe- quemlichkeit, oder wie andre denken werden, die Bequem- lichkeit, daß kein Gemeiner mit einem Edelmann unmittel- bar Proceß fuͤhren konnte. (Man muß aber hiebey wissen, daß alles, was wir jezt schatzbare Unterthanen nennen, noch in eigne Rollen oder Compagnien vertheilt war, und seine be- sondren Vorsteher oder belehnte Gerichtsherrn hatte; und fer- ner, daß zur Zeit, wovon ich hier rede, unter einem Edel- manne der Hauptmann im Heerbanne verstanden ist.) War ei- wie unsre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben. einem Gemeinen Unrecht wiederfahren: so gieng er zu seinem Gerichtsherrn, und nachdem die Umstaͤnde waren, mußte die- ser sein bestes Pferd tummeln und die Sache fuͤr ihn ausma- chen. Waͤre diese Einrichtung nicht gewesen: so haͤtte der Fall nothwendig oft eintreten muͤssen, worinn Edelleute und Bauern, es sey nun mit reiten zwischen Herford und Bielefeld, oder mit dem Degen gegen einander gekommen waͤren. Diese Un- schicklichkeit zu verhuͤten, war jene Einrichtung noͤthig. Die Anstalt mit den Druiden hatte diese Unbequemlichkeit nicht. Der Druide konnte eben wie jezt ein gelehrter Richter selbst einen Fuͤrsten und seine Unterthanen, wenn sie gegen einan- der auf der Rubrik einer Schrift zu Felde ziehen, scheiden. Der belehnte Richter oder der Gerichtsherr hieß Ad- vocatus, weil er die zu seiner Rolle gehoͤrige Leute zu Ge- richte und zu Kampfe vertheydigen mußte. Die unter seinen Leuten vorfallende Streitigkeiten, so lange sie nicht Leib und Gut betrafen, machte er nach ihrer Weisung selst ab. So- bald es aber auf Leib und Gut ankam, mußte er bey den Galliern die Sache zu den Druiden; und spaͤter bey den Deutschen zum Grafen verweisen; eben wie jetzt noch ein Ca- pitain, oder ein Beamter dergleichen Sachen zum hoͤhern Richter verweisen muß. Wir sind noch jezt sehr eifrig dar- auf, keinen Beamten einige Erkenntniß uͤber das Mein und Dein zu gestatten, ohne uns zu erinnern, daß der Grund die- ser Sache in den aͤltesten Zeiten geleget worden; und ohne zu wissen, was das Liberty und Property der Englaͤnder Sie wollen damit nichts anders sagen, als daß ihre Frey heit und ihr Eigenthum nicht von der Weisheit eines Rich- ters, sondern von dem Erkenntniß ihrer Genossen ab- hange. eigentlich zu bedeuten habe. Mösers patr. Phantas. I. Th. U Das Ueber die Art und Weise wie unsre Vorfahren ꝛc. Das sonderbarste bey dem allen ist die Wendung, welche die Sachen genommen haben. So lange die Schoͤpfen eine streitige Sache, nachdem was ihnen gemeinnuͤtzig und billig duͤnkte, entscheiden, vergleichen oder abmachen mochten, wurde durchaus erfordert, daß sie den Partheyen ebenbuͤrtig und genoß waren. So bald aber die Kunst streitige Sachen zu entscheiden, sich auf die beste Auslegung und Anwendung der Gesetze gruͤndete, ward der gelehrteste und redlichste Mann fuͤr den besten Richter gehalten; der Edelmann verlohr mit Recht seinen Stuhl im Gerichte, so bald er sich weniger auf jene Kunst legte. Die gefaͤhrlichste Wendung aber, welche wir zu befuͤrch- ten haben, ist nun diese, daß ungenossen Richtern eben die Macht gegeben werde, welche vordem die Genossen hatten. Wenn diesen, wie jenen, die Vollmacht ertheilet wird, blos nach der Billigkeit und nachdem, was ihnen Gemeinnuͤtzig oder Po- liceymaͤßig duͤnket, zu entscheiden; wenn diesen erlaubt wird, nach dem gewoͤhnlichen Ausdruck, mit Hindansetzungen un- noͤthiger Formalitaͤten zu verfahren; wenn diese von dem duͤr- ren Buchstaben der Gesetze nur einen Haarbreit abweichen duͤrfen: so beruht Freyheit und Eigenthum einzig und allein auf der Gnade des Landesherrn; so kann er solche Leute zu Richtern verschreiben, die in dem Lande, wo sie nach ihrer Weisheit und Billigkeit verfahren sollen, nichts eignes haben und keinem genoß sind; die aus der Tuͤrkey oder Tartarey zu Hause sind, und es nach unverwerflichen Gruͤnden zeigen koͤn- nen, daß es vernuͤnftiger sey, die Beinkleider als den Huth unter den Arm zu nehmen .......... LII. LII. Vorschlag zu einer Korn-Handlungscompagnie auf der Weser. Es ist eine besondre Sache um uns arme Deutschen; ohne Hauptstadt sollen wir ein eignes Nationaltheater; ohne Nationalinteresse Patriotismus, und ohne ein allgemeines Oberhaupt unsern eignen Ton in der Kunst erlangen; wir, die wir auf die Buͤhne hoͤchstens einen Provincialnarren brin- gen; zum allgemeinen Reichsbesten dann und wann eine gute Hausanstalt machen; und in den Kunstwerken selten mehr als eine Art von Bocksbeutel kennen, wo wir nicht Muster in der Fremde suchen; und nun sollen wir auch sogar Handlungs- compagnien ohne Nationalunterstuͤtzung errichten? Wir kommen nicht einmal zu einem rechten Nationalfluche oder Scheltworte: jede Provinz flucht und schimpft anders, oder verbindet mit dem Fluche oder Worte andre Begriffe; anstatt daß ein Fluch aus Paris nicht allein in Frankreich, sondern auch sogar in Deutschland in seinem voͤlligen Ton verstaͤndlich ist. Die Pariser Galgen, Zuchthaͤuser und Spitaͤler sind so bekannt wie der Fuchs in der Fabel. Jede Allegorie, jede Allusion, so auf Grubstreet, Tyburn, Bed- lam in der Comedie gemacht wird, ist voͤllig verstaͤndlich und sinnlich. Der dadurch bezeichnete Begriff koͤmmt zu einer hinlaͤnglichen Intuition; einer nenne mir aber einmal einen deutschen Galgen, der so bezeichnet werden koͤnnte. Alles was bey nns auf die Buͤhne koͤmmt, ist noch zur Zeit provincial; und so wenig Wien als Berlin und Leipzig ha- ben ihren Ton zum Nationalton erheben koͤnnen. Nun wohl! wird mancher sagen: so wollen wir die Musik den Italiaͤnern, die Comedie den Franzosen, und den U 2 Pa- Vorschlag zu einer Korn-Handlungscompagnie Patriotismus als eine Waare, die nirgends besser als in Eng- land bezahlt wird, den Englaͤndern uͤberlassen. Wir wollen nach Bremen reisen, um den dortigen Kaufleuten den Sand in ihre Schiffe schieben helfen, welchen sie fuͤr Ballast ein- laden; wir wollen uns von den Franzosen zu Nantes auf die Sandberge fuͤhren lassen, welche dort am Hafen von den Bremern wieder ausgeschoben, und unter dem Tittel: Les produits de l’Allemangne bekannt sind. Das wollen wir thun; Unser Flegma schickt sich zu allem, warum nicht auch hierzu? Allein der erste Anblick mag so unguͤnstig seyn wie er will: so ist es doch fuͤr einen ehrlichen Mann hart, dergleichen bittre Vorwuͤrfe mit Gelassenheit anzuhoͤren. Es ist hart, sich auch des Vergnuͤgens begeben zu sollen, dann und wann ein glaͤnzendes Project zu machen. Wir wollen also immer- hin in unsern Forderungen gegen die deutsche Nation uner- schrocken fortgehen, und solchemnach auch eine Korn-Hand- lungscompagnie an der Weser, da dergleichen jezt an der Elbe versucht wird, errichten; auf dem Papier, das versteht sich. Solte sie auch nur ein bloßer Treum bleiben: so ist es doch angenehmer, gute als schreckliche Traͤume zu haben. An der Oberweser hoͤrt man nicht selten klagen, daß das Korn keinen Preis halten wolle, und im vorigen Jahre galt das hiesige Malter Das hiesige Malter besteht aus 12 Scheffeln oder 11 neu Braunschweigischen Himten, und der Berliner Scheffel verhaͤlt sich gegen den hiesigen wie 5 zu 9, oder wie 40 zu 72. Rocken oberhalb Paderborn nach der Dimel zu, 4 Thaler. Der dortige Landmann seufzete, und verlohr den Muth zu bauen; der Acker fiel daselbst im Preise; und die durch den letztern Krieg veroͤdeten Gegenden reizten weiter keine Neubauer. Jedermann klagte dort; und auf der Weser. und wann gleich die unterhalb Paderborn liegenden Gegen- den von ihrem Ueberflusse zum erstenmal Wier ziehen unser Korn sonst von der Emse; und der Preis ist in den Gegenden, welche von der Emse am weitsten entfernt sind, sonst immer am hoͤchsten gewesen; bis auf voriges Jahr, wo aus dem Paderbornschen vieles Korn heruͤber gekommen. einiges Korn auf der Achse in unsre Heidlaͤnder brachten: so machte doch solches keine merkliche Veraͤnderung des Preises in den Gegenden an der Dimel. Warum, hieß es damals, schicken diese Gegenden ihr uͤberfluͤßiges Korn nicht nach Bremen? Wohin so vieles aus Polen und Liefland eingefuͤhrt wird? und der Preis doch noch immer so hoch bleibt, als es billiger Weise zu erwarten steht? Haben Sie nicht die Weser bey Beverungen und andern Orten in der Naͤhe? Fehlt es ihnen an Fuhrwerk oder an Einsicht? oder sind sonst Schwierigkeiten vorhanden, welche sich diesem natuͤrlichen Abflusse widersetzen? Dies war nun gut genug gefragt; aber es brauchte kei- ner andern Antwort, als: Die Bremer kaufen kein Korn. Und so war alle Aussicht von dieser Seite verlohren. Man fragte nun nicht weiter; sondern erwartete in ruhiger Ver- zweiflung, ob die Zeit Kaͤufer oder Wuͤrmer zu dem uͤber- fluͤßigen Seegen bringen wuͤrde? Haͤtte man sich aber nach der Ursache, warum die Bremer kein Korn kaufen, erkundi- get: so wuͤrde man naͤher zur Sache gekommen seyn. In allen Seestaͤdten von England und Frankreich, wor- aus das mehrste Korn verfuͤhret wird, steckt kein Handels- mann sein Geld in Korn; sondern denkt, 〟die guten Hausvaͤter auf dem platten Lande muͤssen ihr 〟Korn wohl zur Stadt schicken, wenn sie es los seyn wollen; U 3 〟sie Vorschlag zu einer Korn-Handlungscompagnie 〟sie koͤnnen unsre Boden heuren und die Proben von 〟ihrem Korn dem Maͤkeler geben. Erhalten wir denn 〟einmal Ordre, aus der Fremde Korn zu versenden; 〟und mit der Ordre die baare Remesse: nun so schicken 〟wir zu den Maͤkelern, vernehmen ihre Preise, und 〟lassen diese, wenn wir einig werden, fuͤr die Einladung 〟sorgen. Von dieser Handlung haben wir kein Risico; 〟wir ziehen unsre Bodenheuer, unsre Provision, und 〟was wir auf dem Wechsel verdienen. Was am Korn 〟verdorben, und was davon verlohren oder gewonnen 〟wird, das ist fuͤr den guten Hausvater. So sprechen alle Kaufleute in den Seestaͤdten; und so sprechen auch die Bremer; mithin bleibt allen Kornlaͤndern, und uͤberhaupt allen gesegneten Gegenden, welchen ihre Pro- ducte leicht zur Last bleiben, kein ander Mittel uͤbrig, als Boden in den Seestaͤdten zu heuren, dort ihr Korn fuͤr eigne Rechnung aufzuschuͤtten, die Proben davon auf der Boͤrse zu zeigen, und zu erwarten, bis der Commißionair in der See- stadt Ordre erhaͤlt, Korn einschiffen zu lassen, oder aber ein anderer Kaufmann sein Geld oder sein Schiff nicht zu nutzen weis, und es auf Speculation verschickt. Ist also nur die Hauptfrage entschieden: ob von einem Seeorte Korn ausgefuͤhret wird; und dies kann man von Bremen behaupten, weil das Lieflaͤndische und Polnische Korn, was dort jaͤhrlich aufgeschuͤttet wird, noch niemals dort verfaulet ist: so kommt es lediglich noch darauf an, ob die Laͤnder, welche ihr Korn dahin verschicken wollen, den Markt gegen das Schiffkorn halten koͤnnen; und hiernaͤchst, ob sie fuͤr eigne Rechnung Niederlagen von Korn daselbst an- legen wollen? Das erste, nemlich daß die Gegenden an der Oberweser, besonders wenn der Ackerbau daselbst durch den ver- auf der Weser. vermehrten Absatz in die Hoͤhe steigt, den Markt gegen das Schiffkorn halten koͤnnen, ist nach demjenigen was bereits an- gefuͤhret worden, glaublich; das andre aber erfordert eine Compagnie, oder einen großen Beutel. Denn wenn einzelne Landleute, einzelne Paͤchter ihren Vorrath dahin abschicken wollten: so wuͤrden sie a) jeder einen besondern Boden heuren. b) Besondre Leute zur Aufsicht und zum Umschlagen halten. c) Unterschiedene Maͤkeler brauchen, und d) entweder aus Verlegenheit unter Preise verkaufen; oder e) sich untereinander den Handel verderben; und her- nach einzeln zu Grunde gehen; anstatt, daß wenn eine Com- pagnie oder eine maͤchtige Hand die Niederlage in Bremen haͤlt, alle diese Schwierigkeiten wegfallen; uͤberdem aber noch verschiedene Punkte mit der Obrigkeit wegen beeydeter Mes- ser, Probierer, Handelsrichter und dergleichen regulirt wer- den koͤnnen, welche einzelne Leute selten suchen und erlangen, gleichwol aber zu Vermeidung aller Streitigkeiten mit den Commißionairs, und zu Erhaltung Treu und Glaubens un- umgaͤnglich erfordert werden, auch uͤberall in den Seestaͤdten, wo Korn ausgefuͤhret wird, in Gebrauch sind. Es ist aber auch nicht durchaus noͤthig, daß der ganze Vorrath der Compagnie in Bremen aufgeschuͤttet werde. Wenn sie maͤchtig genug ist: so wird sie an allen Stapelorten an der Weser ihre Niederlagen errichten, und daraus immer, so wie ihr Hauptmagazin in Bremen ausgeleerer wird, sol- ches wieder anfuͤllen koͤnnen. Durch diese Vorsorge bleibt der Vorrath in den Stapelorten gewissermaßen auch zugleich ein eignes Landesmagazin, dessen man sich in Zeit der Noth selbst U 4 be- Vorschlag zu einer Korn-Handlungscompagnie bedient. Man uͤberhaͤuft den Seeort nicht zu sehr, und setzt sich nicht in Gefahr, das Opfer laurender Speculatorn zu wer- den. Die Bodenheuer und das Handlohn muß in den Sta- pelorten wohlfeiler seyn als in dem Seeorte; und wenn es allmaͤhlig nach letztern abgeht: so kann es gelegentlich und als Ruͤckfracht auch zur bequemsten Jahrszeit, und wenn die Schiffer sonst nicht zu laden haben, fortgeschaffet werden. Aller dieser Vortheile kann eine Compagnie sich bedienen; nie aber ein einzelner Paͤchter, wofern er nicht mehr im Vermoͤ- gen hat, als er in jenen Gegenden zu haben pflegt. Eine Compagnie kann auch ehender die Correspondenz mit benach- barten wegen der Zoͤlle des Stapelrechts und andern Dingen ausfuͤhren, daruͤber einen Generalaccord schliessen, und sich zu gewissen Bedingungen einlassen, welche ein einzelner Mann nicht leicht; jene aber, da sie den beyderseitigen Vortheil da- von zeigen kann, mehrentheils leicht zu erhalten im Stande ist. Um nun auch hievon eine Anwendung auf unser Stift zu machen: so werden wir, wenn von der Weser das Korn ausserhalb Reichs verfahren wird, nicht zu besorgen haben, daß die Menge von Kornwagen, welche aus den Gegenden von der Weser kommen, uns unsre lieben gewohnten theuren Preise verderben; besonders wann auf dem naͤchsten Reichs- tage durch Gottes sonderbare Fuͤgung eine Praͤmie auf die Ausfuhr gesetzt wuͤrde; welche die Boͤhmen mit Vergnuͤgen allein bezahlen wuͤrden, sobald der Abzug aus der Elbe und Weser die ober- und niedersaͤchsischen Gegenden von ihrem Ueberfluß entladen, und so mit die jetzigen Sperrungen gegen das fruchtbare Boͤhmen unnoͤthig machen koͤnnten. Aber so muß der Ueberfluß in der Mitte von Deutschland unverkauft liegen, waͤhrender Zeit Hamburg und Bremen den Polen und Russen dienen. Sollte das Heil. Roͤm. Reich nicht wenig- stens auf der Weser. stens zu gewissen Zeiten die Einfuhr verbieten? und sich uͤber die Ausfuhr verstehen? LIII. Von dem unterschiedenen Interesse, welches die Landesherrn von Zeit zu Zeit an ihren Staͤdten genommen haben. Die Staͤdte sind zuerst Doͤrfer und in solcher Maaße meh- rentheils den Reichs Unterbeamten (advocatis) unter- worfen gewesen. Wo aber ein Bischof, Herzog oder Pfalz- graf seinen Sitz in einem solchem Dorfe hatte; stund der- selbe ihm gegen jene Unterbeamte fruͤhzeitig bey und machte, daß der Kayser eins nach dem andern von solcher Botmaͤßig- keit befreyete. Daher findet man in den mehrsten Staͤdtischen Privilegien, daß solche auf das Vorwort gedachter Reichs- Oberbeamte vom Kaiser ertheilet worden. Andre, worinn die Kaiser selbst ihren Sitz hatten, bedienten sich ebenfalls der Gelegenheit, sich den Unterbeamten zu entziehen, und unter des Kaisers unmittelbaren Schutz zu kommen. Gegen das Ende des zwoͤlften Jahrhunderts hatten die Herzoge, Bischoͤfe Pfalzgrafen und andre missi, die in ihren Sprengeln gelegene Unterbeamte mehrentheils verschlungen; und die Vereinigung des Oberamts mit dem Unteramte brach- te ein ganz neues Interesse hervor. Jenen Fuͤrsten war nun mit der Freyheit der Staͤdte gar nichts mehr gedienet. Sie wuͤnschten solche wo nicht ihrem Unteramte, doch wenigstens ihrem Oberamte zu unterwerfen. Allein die Staͤdte, so durch den Vorschub der Fuͤrsten selbst das Recht zu Mauern und U 5 Waͤl- Von dem versch. Interesse, welches die Landesh. Waͤllen, und die Macht sich hinter denselben zu wehren, erhal- ten hatten, auch mit ihrem durch die Handlung erworbenen Gelde am weitesten reichen konnten; bedienten sich der ihnen ertheilten Freyheiten gegen ihre ehmaligen Befoͤrderer, ver- einigten sich untereinander, und setzten dem Oberamte eben die Privilegien entgegen, welche ihnen ehedem gegen das Un- teramt waren ertheilet worden. Der roͤmische Koͤnig Henrich, verbot zwar hierauf auf Begehren der Reichsfuͤrsten alle dergleichen Vereinigungen, Ipsi (scilicet principes) sententiantes pronunciando diffinierunt: Quod nulla civitas, nullum oppidum, communiones, constitutiones, colligationes, con- fœderationes vel conjurationes aliquas quocunque nomine censeantur facere possent. Constit. regis Henrici de 1231. und der Kaiser Friederich der II. gieng in der bekannten Con- stitution vom Jahr 1232. noch weiter, indem er die Staͤdte namentlich dem Reichsfuͤrstlichen Oberamte unterwarf, Die Constitution geht zwar eigentlich nur auf die Erz- und Bischoͤflichen Staͤdte. Der Grund derselben spricht aber sowol fuͤr die missos imperatorios sæculares als ecclesiasticos; wenn es heißt: Sicut enim tempori- bus retroactis ordinatio civitatum \& bonorum omnium, quæ ab imperiali celsitudine conferuntur ad archiepiscopos \& episcopos (hier muß man noth- wendig hinzudenken, qua missos Cæsareos, folglich auch die duces \& comites palatinos qua missos mit verste- hen) pertinebat; sie eandem ordinationem ad ipsos \& eorum officiales, ab eis specialiter institutos per- petuo volumus permanere, non ob stante abusu aliquo — mit- von Zeit zu Zeit an ihren St. genommen haben. mithin dieselben dadurch an der Befugniß sich mit andern ih- res Gleichen zusammen zu thun, zu verhindern suchte. Der große Staͤdtebund oder die bekannte Hanse kam aber dem ungeachtet um diese Zeit zu Stande, es sey nun, daß der Kaiser, welcher den Fuͤrsten zu gefallen, jene Verordnun- gen gogen das wahre Staatsinteresse, gegeben, solche fuͤr ein- seitig erschlichen achtete und den Bund unter der Hand beguͤn- stigte, oder auch nicht maͤchtig genug war, denselben zu ver- hindern. Es fiel aber auch dieser Bund; wovon wir die Ursachen anderwaͤrts angezeigt haben; und die getrenneten Staͤdte wur- den einzeln den Herrn des Landes, worinn sie lagen, unter- worfen. Ihre eigne Macht half ihnen nicht weiter, und die Reichsgerichtliche Unterstuͤtzung lenkte auf den Plan ein, wel- chen die vorangezogenen Reichsconstitutionen mit dunkeln Stri- chen entworfen hatten; unstreitig von Rechtswegen, jedoch nach einem Rechte, welches die Fuͤrsten dem Kaiser selbst zu- gewiesen hatten; insbesondre aber auch von Villigkeitswegen, indem die Staͤdte nicht fordern mochten, daß diejenige, so die ganze kaiserliche Gewalt in ihren Sprengeln oder Ober- Amtsdistrikten an sich gebracht hatten, und mit einer einzigen Petarde das staͤrkste Stadtthor sprengen konnten, sich dieser ihnen von Gott verliehenen Macht nicht auch gegen sie nach Gelegenheit bedienen sollten. Diesem ungeachtet, sahen die Fuͤrsten ihre Staͤdte noch immer mit heimlichen Unwillen an. Denn obgleich diese vor und nach, wenn es an Gelde gebrach, angewiesen wur- den, ihrem nunmehrigen Landesherrn zu den gegen den grau- samen Erbfeind des christlichen und deutschen Namens bewil- ligten Steuren und Kriegesvoͤlkern zu Huͤlfe zu kommen: so be- Von dem untersch. Interesse, welches die Landesh. behielten sie doch das uͤbrige, was sie nicht freywillig weg- schenkten, fuͤr sich, und dachten noch wohl gar daran, eine neue Confoͤderation zu entrichten. Denn so schreibt Joh. Ol. Seck aus Braunschweig in einem uns kuͤrzlich mitgetheilten Briefe: Sonsten verhalte Deroselben ich hiemit zu E. E. neuer Zeitung nicht, daß nicht allein die allhie juͤngst anwe- sende, sondern auch viel andre Hansestette mehr die Con- foͤderation mit den Hochmoͤgenden Herrn Staaten Ge- neral der vereinigten freyen Niederlande einzugehen sich pure erklaͤret, auch guten Theils uf billige uud rechtmaͤs- sige Conditiones albereitz, jedoch uf Radification ein- gelassen haben. Da irgends die civitates Hanseaticae in circulo Westphaliae auch dazu geneigt seyn moͤch- ten, koͤnnen dieselben aequissimis et a nemine impro- bandis conditionibus dazu gelangen. Den 8 Jan. 1608. st. v. S. der Oßnabr. Unterhaltungen drittes Stuͤck. n. 46. p. 43 Dieser bey gesunden Verstande und schwachen Leibe er- klaͤrte letzte Wille blieb aber unerfuͤllet. Doch veraͤnderte sich das Interesse der Landesherrn in Ansehung der ihrem Reichs- fuͤrstlichen Amte, oder wie es jezt heißt, der Territorialhoheit unterworfenen Staͤdte gar bald wieder, indem diese 1) Demselben entweder zu Ausfuͤhrung der gen inen Landes: Beschwerden mit einem freywilligen Beytrage jaͤhrlich zu Huͤlfe kamen; oder 2) mit demselben, die in den Staͤdten fallende Accise ein vor allemal theileten; oder gar demselben 3) die von Zeit zu Zeit an ihren St. genommen haben. 3) die ganze Accise uͤberließen, und die Stadtbeschwer- den von ihren uͤbrigen Einkuͤnften und einer buͤrgerlichen Schatzung trugen. Die Folge davon ist natuͤrlicher Weise gewesen, daß die Landesherrn den Handel und das Handwerk so viel wie moͤglich vom platten Lande in die Stadt gezwungen; und sich der Staͤdte als eines nunmehrigen Cameralgutes angenommen haben; anstart daß uͤberall, wo sich keiner von obigen dreyen Faͤllen eraͤuget, das Landesherrliche Interesse sich dem Staͤdti- schen widersetzt, und die Stadtnahrung dem Lande eroͤfnet hat. Die Landleute waren in den aͤltern Zeiten eben so frey als die Staͤdte. Jene dienten zu Felde; diese zur Besatzung hinter den Mauren; und beyde steuerten zur Tuͤrkenhuͤlfe und andern dergleichen Reichsbeschwerden. Jene haben sich endlich wegen des Felddienstes mit dem Landesherrn verglichen, und ihm dafuͤr jaͤhrlich sichere Beysteuern verwilliget. Diese haben zum Theil, in so fern sie sich zu obigen dreyen Faͤllen verstan- den haben, ein gleiches gethan; und wo sie es nicht gethan, da zeigt sich ein widriges Interesse. LIIII. Der hohe Styl der Kunst unter den Deutschen. Die Zeiten des Faustrechts in Deutschland scheinen mir allemal diejenigen gewesen zu seyn, worinn unsre Nation das groͤßte Gefuͤhl der Ehre, die mehrste koͤrperliche Tugend, und eine eigne Nationalgroͤße gezeiget hat. Die feigen Ge- schichtschreiber hinter den Klostermauren, und die bequemen Ge- Der hohe Styl der Kunst Gelehrten in Schlafmuͤtzen moͤgen sie noch so sehr verachten und verschreyen: so muß doch jeder Kenner das Faustrecht des 12ten und 13ten Jahrhunderts als ein Kunstwerk des hoͤchsten Styls bewundern; und unsre Nation, die anfangs keine Staͤdte duldete, und hernach das buͤrgerliche Leben mit eben dem Auge ansahe, womit wir jezt ein flaͤmisches Stilleleben betrachten; die folglich auch keine große Werke der bildenden Kuͤnste hervorbringen konnte, und solche vielleicht von ihrer Hoͤhe als kleine Fertigkeiten der Handwerker bewunderte, solte billig diese große Periode studiren, und das Genie und den Geist kennen lernen, welcher nicht in Stein und Marmor, sondern am Menschen selbst arbeitete, und so wohl seine Em- pfindungen als seine Staͤrke auf eine Art veredelte, wovon wir uns jezt kaum Begriffe machen koͤnnen. Die einzelnen Rau- bereyen, welche zufaͤlliger Weise dabey unterliefen, sind nichts in Vergleichung der Verwuͤstungen, so unsre heutigen Kriege anrichten. Die Sorgfalt, womit jene von den Schriftstellern bemerkt sind, zeugt von ihrer Seltenheit; und die gewoͤhn- liche Beschuldigung, daß in den Zeiten des Faustrechts alle andre Rechte verletzt und verdunkelt worden, ist sicher falsch, wenigstens noch zur Zeit unerwiesen, und eine Ausflucht ein- ander nachschreibender Gelehrten, welche die Privatrechte der damaligen Zeit nicht aufspuͤren wollen. Es werden jezt in ei- nem Feldzuge mehrere Menschen ungluͤcklich gemacht, als da- mals in einem ganzen Jahrhundert. Die Menge der Uebel macht, daß der heutige Geschichtschreiber ihrer nicht einmal gedenkt; und das Kriegsrecht der jetzigen Zeit bestehet in dem Willen des staͤrksten. Unsre ganze Kriegesverfassung laͤßt keiner persoͤnlichen Tapferkeit Raum; Es sind geschleuderte Maßen ohne Seele, welche das Schicksal der Voͤlker entschei- den; und der ungeschickteste Mensch, welcher nur seine Stelle wohl ausfuͤllt, hat eben den Antheil am Siege, welchen der edel- unter den Deutschen. edelste Muth daran haben kann. Eine einfoͤrmige Uebung und ein einziger allgemeiner Charakter bezeichnet das Heer; und Homer selbst wuͤrde nicht im Stande seyn, drey Personen daraus in ihrem eignen Charakter handeln oder streiten zu lassen. Eine solche Verfassung muß nothwendig alle individuelle Mannigfaltigkeit und Vollkommenheit, welche doch einzig und allein eine Nation groß machen kann, unterdruͤcken. Sie muß, wie sie auch wuͤrklich thut, wenig jugendliche Uebung erfordern, nicht den geringsten Wetteifer reizen und die Fuß- maaße zur Berechnung der Talente gebrauchen. Aber auf diesem Wege kann unsre Nation nie zu der Groͤße gelangen, welche die Natur fuͤr sie allein zu bestimmen schien, als sie den allmaͤhlig ausartenden Buͤrgern der Griechischen und Roͤ- mischen Staͤdte den Meißel und Pinsel in die Hand gab. Ich will jezt der Turnire nicht gedenken, welche als nothwendige Uebungen mit dem ehmaligen Faustrechte ver- knuͤpft waren, ohnerachtet ihre Einrichtung den Geist von mehr als einen Lycurg zeigt; und alles dasjenige weit hinter sich zuruͤck laͤßt, was die Spartaner zur Bildung ihrer Jugend und ihrer Krieger eingefuͤhret hatten; ich will die Vortheile nicht ausfuͤhren, welche eine wahre Tapferkeit, ein bestaͤndi- ger Wetteifer, und ein hohes Gefuͤhl der Ehre, das wir jezt zu unser Schande abentheuerlich finden, nachdem wir uns auch selbst in unser Einbildung nicht mehr zu den ritterlichen Sitten der alten Zeiten hinaufschwingen koͤnnen, auf eine ganze Nation verbreiten mußten. Ich will nichts davon er- wehnen, wie gemein die großen Thaten seyn mußten, da die Dichter das Reich der Ungeheuer und Drachen als die unterste Stuffe betrachteten, worauf sie ihren idealischen Helden Proben ihres Muths ablegen liessen. Nein, meine Absicht ist blos die Vollkommenheit des Faustrechts, als eines ehmaligen Krie- Der hohe Styl der Kunst Kriegesrechts zu zeigen; und wie wenig wir Ursache haben, dasselbe als das Werk barbarischer Voͤlker zu betrachten. Rousseau mag noch so sehr getadelt werden: so bleibt die Staͤrke und die Wissenschaft, solche zu gebrauchen, doch alle- mal ein wesentlicher Vorzug. Unsre neuern Gesetzgeber moͤgen dem Menschen Haͤnde und Fuͤsse binden; sie moͤgen ihm Schwerdt und Rad vormahlen; er wird seine Kraft allemal gegen seinen Feind versuchen, so oft er beleidigt wird. Unsre Vorfahren wagten es nicht, dieses angebohrne Recht zu unter- druͤcken. Sie goͤnneten ihm seinen Lauf; aber sie lenkten es durch Gesetze. Und das Faustrecht war das Recht des Pri- vatkrieges unter der Aussicht der Land-Friedensrichter. Die Landfrieden, welche in Pohlen Confoͤderations heissen, waren eine Vereinigung mehrer Maͤchte, um die Ge- setze des Privatkrieges in Ansehen und Ausuͤbung zu erhalten. Der Pflug war geheiligt; der Landmann in seinen Zaͤunen, wenn er keinen Angriff daraus that; und der Fuhrmann auf der Heerstrasse, er mochte geladen haben was er wollte, wa- ren gegen alle Gewalt gesichert. Die kriegenden Theile durften im hoͤchsten Nothfalle nicht mehr Fourage vom Felde nehmen, als sie mit der Lanze von der Heerstrasse erreichen konnten. Renten und Guͤlten wurden durch den Krieg nicht aufgehoben. Keiner durfte seine Bauern bewafnen und als Helfer gebrau- chen; keiner durste an gefriedigten Tagen In dem ersten westphaͤlischen Landfrieden, oder den statutis Synodalibus Concilii Coloniensis de pace publica vom Jahr 1083 heißt es: a primo die adventus domini usque ad exactum diem epiphaniae, et ab intrante Septuagesima usque in octavas pentecostes, et per totam illam diem, et per annum omni die Domi- nica, Waffen fuͤhren. Die unter den Deutschen. Die Partheyen mußten einander die Wiedersage oder die Befehdung eine genugsame Zeit vorher verkuͤndigen, und wenn sie solches gethan hatten, so ordentlich und ruhig die Heerstrasse ziehen, als andre Reisende, wofern sie sich nicht den ganzen Landfrieden und dessen Handhaber auf den Hals ziehen wollten. Da sie solchergestalt nicht oft mit großen Laͤgern zu Felde zogen, so brauchten sie die Fluren nicht zu verderben, die Waͤlder nicht auszuhauen, die Laͤnder nicht auszuhungern; und wenn es zum Treffen kam: so entschied persoͤnliche Staͤrke, Muth und Geschicklichkeit. Der Land-Friedensoberste, welcher in Pohlen der Confoͤderationsmarschall heißt, ward von den Verbuͤndeten erwaͤhlt, und vom Kaiser, ehe diese Confoͤderations zu maͤchtig wurden, bestaͤtigt. S. den Egrischen Landfrieden vom Jahr 1389. Dessen Amt und Gerichte, vor welchem die kriegenden Theile ihre Befehdungen gegen einander zum Protocoll nehmen liessen, war denjenigen, welche gegen die Kriegesgesetze behandelt wurden, ein sicherer Schutz. Solchergestalt kann man behaupten, daß das ehmalige Faustrecht weit systematischer, und vernuͤnftiger gewesen, als unser nica, feriaque VI. et in Sabbatho addita quatuor temporum feria IIIIor omnique apostolorum vi- gilia cum die subsecuta, insuper omni die canonice ad jejunandum vel feriandum statuta vel statuenda hoc pacis decretum teneatur. Selbst in Belagerungen wurde diese Tage uͤber eingehalten, und man vermehrte die Feste, um so viel mehr Friedenstage zu haben. Es hat uͤbrigens dieser bis dato noch nicht bekannt gemachte Landfrieden viel aͤhnliches mit dem beym Chapeau- ville in hist. Leod. T. II. p. 38. Dieser ganze Synodus Coloniensis ist den Gelehrten, und selbst dem fleißigen Pater Hartzheim S. J. entgangen. Mösers patr. Phantas. I. Th. X Der hohe Stil der Kunst unser heutiges Voͤlkerrecht, welches ein muͤßiger Mann ent- wirft, der Soldat nicht ließt, und der Staͤrkste verlacht. Die mehrsten heutigen Kriegesursachen sind Beleidigungen. welche insgemein eine einzige Person treffen; oder Forderun- gen, so eine einzelne Person zu machen berechtiget ist; und woran Millionen Menschen Theil nehmen muͤssen, die, wenn es auch noch so gluͤcklich geht, nicht den geringsten Vortheil davon haben. In einem solchen Falle haͤtten unsere Vorfah- ren beyde Theile eine scharfe Lanze gegen einander brechen lassen, und dann demjenigen Recht gegeben, welchem Gott den Sieg verliehen hatte. Nach ihrer Meynung war der Krieg ein Gottesurtheil oder die hoͤchste Entscheidung zwischen Partheyen, welche sich keinem Richter unterwerfen wollten. Urlog war die Entscheidung der Waffen; wie Urtheil die Ent- scheidung des Richters. Und es duͤnkte ihnen weit vernuͤnf- tiger, billiger und christlicher zu seyn, daß einzelne Ritter ein Gottesurtheil mit dem Schwerdte oder mit dem Speere such- ten, als daß hunderttausend Menschen von ihrem Schoͤpfer bitten, daß er sein Urtheil fuͤr denjenigen geben solle, welcher dem andern Theile die mehrsten erschlagen hat. Nun laͤßt sich zwar freylich das alte Recht nicht wieder einfuͤhren, weil keine Macht dazu im Stande ist. Es darf uns aber dieses nicht abhalten, die Zeiten gluͤcklich zu preisen, wo das Faustrecht ordentlich verfasset war; wo die Landfrie- den oder Confoͤderations solches aufs genaueste handhabeten, und in einem Krieg nicht mehrere verwickelt werden konnten, als daran freywillig Theil nehmen wollten; wo die Nation einem solchen Privatkriege ruhig zusehen; und dem Sieger Kraͤnze winden konnte, ohne Pluͤnderungen und Gewalttha- ten zu besorgen. Unsre Vorfahren glaubten, jedem Menschen komme das Recht des Krieges zu; und auch noch jezt koͤnnen wir nicht an- unter den Deutschen. anders sagen, als daß es einem jeden Menschen frey stehe, sich von dem richterlichen Urtheil auf seine Faust zu berufen. Er hangt oder wird gehangen, nachdem er oder der Richter der staͤrkste ist. Wir haben aber dadurch, daß immer der staͤrkere Theil auf der Seite des Richters ist, die Ausuͤbung dieses Rechts beynahe unmoͤglich gemacht. Anstatt daß unsre Vorfahren, wie sie zuerst Confoͤderations errichteten, dessen Ausuͤbung beguͤnstigten und sich in vielen Reichslaͤndern nur dahin erklaͤreten: 〟Daß sie die Entscheidung ihres erwaͤhlten Richters 〟zwey Monat erwarten, und wenn diese Entscheidung 〟nicht erfolgte, sich ihres Degens bedienen wollten. So lauten alle Vereinigungsformeln der saͤchsischen Staaten; nur kam es doch zulezt selten mehr zum Ausbruch, indem der Herzog, Bischof oder Graf, so bald die zwey Mo- nate um waren, einen andern Termin von zween Monaten zu neuen Unterhandlungen ansetzte, und damit den Rechts- handel zum Nachtheil des Fausthandels verewigte. LV. Von dem Ursprung der Amazonen. Eine ganze Republik von Frauenzimmern, worinn kein Mann zugelassen wurde, mußte natuͤrlicher Weise sehr vielen Laͤrm in der Welt machen. Und die Dichter konnten unmoͤglich einen Fund ungenutzet lassen, welcher ihrer Einbil- dungskraft ein ganz vortrefliches Feld eroͤfnete. Es ist also gar kein Wunder, daß die Geschichte der Amazonen, nachdem ein witziger Kopf solche erfunden, ein Dichter sie geschmuͤckt, und ein Geschichtschreiber sie als etwas vielleicht gewisses viel- X 2 leicht Von dem Ursprung der Amazonen. leicht ungewisses angefuͤhret hatte, sich bis zu unsern Zeiten erhalten, und durch die vor einiger Zeit uͤbliche halbmaͤnnliche Tracht allen Menschen bekannt gemacht hat. In der That aber bedeutet A30 primorem oder einen Fuͤrsten; und Amazo bezeichnet einen Menschen, der keinen Fuͤrsten uͤber sich er- kennet, und entweder wie die Nomaden unabhaͤngig fuͤr sich, oder wenigstens in einer Demokratie lebt. Nun hat das Wort A30 wahrscheinlich eben die Veraͤnderung erlitten, welche das Wort Mann erlitten hat. Dieses bedeutet nicht blos ei- nen Menschen maͤnnliches Geschlechts, sondern auch einen Vasallen; und konnte zuerst, da der Koͤnig der erste war, wel- cher Vasallen hielt, den primoribus regni eigen seyn. Nach dieser Voraussetzung brauchte der erste Geschichtschreiber, wel- cher der Amazonen gedachte, die Begriffe nur zu verwechseln, um eine Republik ohne Maͤnner herauszubringen. Wir be- gehen taͤglich dieselbe Verwechselung, wenn wir Mannlehn fuͤr solche Lehne halten, welche blos auf die Soͤhne vererben; da doch ein Frauenzimmer gar wohl ein Mann seyn, oder welches einerley ist, ein Lehn als Mann oder Dienstmann, oder a titre d’hommage empfangen kann. Männliches Ge- schlecht ist genus ministeriale; das letztere kann man nicht wohl anders uͤbersetzen, und daher sind viele Frauenzimmer in Deutschland männlichen Geschlechts. Daß dergleichen Verwechselungen mehr vorgegangen, beweisen die Arimaspen, woraus die Griechen einaͤugige Menschen machten, weil Ari- ma-spu (ops) einaͤugig heissen kann. So wie nun diesen die boͤse Etymologie ein Auge geraubt hat; so hat sie den Ama- zonen mehrer Bequemlichkeit halben eine Brust abgeschnitten. LVI. LVI. Kurze Geschichte der Bauerhoͤfe. Da unlaͤngst die Frage aufgeworfen ist: Ob es nicht gut seyn wuͤrde, die ungewissen Eigenthums- Gefaͤlle, auf ein gewisses Jahrgeld zu setzen? So wird es zu einiger Vorbereitung, so wie zur bessern Bestimmung verschiedener Begriffe dienen, wenn wir die Natur der Bauerhoͤfe und ihrer Pflichten etwas genauer untersuchen, und in ihr wahres Licht setzen. Es wird solches aber nicht besser, als durch folgende kurze Geschichte geschehen koͤnnen. In Ostfriesland, nicht weit von der Jade, wo man die Thuͤrme versunkener Staͤdte noch in der Tiefe des Meers er- blickt, lagen vor undenklichen Jahren tausend Baue oder Hoͤfe, welche ehe und bevor die See einbrach und das Meer die Kuͤ- sten bestuͤrmte, tausend unabhaͤngigen Eigenthuͤmern zugehoͤ- reten, die davon keinem sterblichen Menschen den geringsten Zins entrichteten. Wie aber die See einbrach, und fast alle ihre Nachbaren in den Abgrund spuͤlte, sahen sie sich gezwun- gen, einen Teich oder Damm gegen das Meer anzulegen und ein Gesetz Es ist unbegreiflich, wie verschiedene die Richtigkeit der Theo- rie, daß freye Eigenthuͤmer bey ihrer Verbindung einen gewissen Theil ihrer Freyheit und ihres Eigenthums auf- opfern, in Zweifel ziehen koͤnnen. Eine ausdruͤckliche Ver- bindung ist daruͤber wohl nie gemacht: sie fließt aber alle- mahl aus der Natur der Sache, und giebt den sichersten Grundsatz. zu machen: X 3 Daß Kurze Geschichte der Bauerhoͤfe. Daß ein jeder von ihnen taͤglich mit der Spade in der Hand auf dem Deiche erscheinen, oder aber wenn er nicht mehr koͤnnte, sein Eigenthum verlassen und seinen Hof einem andern uͤbergeben solte. Dies war eine Pflicht, welche ihnen die Noth auflegte; und die sonderbare aber unvermeidliche Folge davon war, daß sofort das Meer- Guts- oder Lehnsherr aller Hoͤfe und ein jeder Eigenthuͤmer in einen blossen Bauer (cultorem) verwandelt wurde. Denn von nun an durfte 1) keiner von ihnen sein Gut mit Schulden beschweren, versaͤumen oder versplittern, weil sonst die gemeine Noth- durft nicht mehr davon erfolgen konnte. Man zwang sogar den gewesenen Eigenthuͤmer sein Spann- und Fuhr- werk in guter Ordnung zu erhalten, damit er jederzeit im Stande waͤre, Erde zum Deiche zu fahren. Ja, weil viele Eichenpfaͤle erfordert wurden: so wurde ihm vom Meere als Gutsherrn verboten, Eichenholz nach Belieben zu hauen. 2) Zeigte ihnen die Erfahrung, daß wann sie ihre Knechte an den Deich schickten, die Arbeit schlecht von statten gienge, und nichts dauerhaft gemacht wuͤrde. Sie mußten also persoͤnlich arbeiten, und aus dem Spaden- dienst einen Ehrendienst machen, worauf niemand weiter einen Knecht zum gemeinen Werke schicken durfte. 3) Sahen sie sich genoͤthiget, das Primogeniturrecht einzu- fuͤhren, damit wenn einer von ihnen verstuͤrbe, der Dienst am Deiche nicht auf die Großjaͤhrigkeit des juͤngsten Sohns ausgestellet bliebe. 4) Fan- Kurze Geschichte der Bauerhoͤfe. 4) Fanden sie es unumgaͤnglich noͤthig, dem naͤchsten maͤnnl. Agnaten die Vormundschaft und die ganze Nutzung des Hofes waͤhrender Minderjaͤhrigkeit oder auf Mahljahre zu uͤberlassen, damit man gleich wisse, wer mit der Spade am Deiche erscheinen muͤsse, und dieser sich aus Mangel von Spaden, Spannung und Belohnung zu keiner Zeit entschuldigen koͤnnte. 5) Ward es einem jeden nothwendig untersagt, seinen Hof aus der gemeinen Reihe zu bringen, ihn an einen schlech- ten Menschen, der nicht zum Ehrendienste mit der Spade kommen konnte, oder an einen Knecht und Heuersmann, der bey einbrechender Gefahr weniger als andre zu wagen oder zu vertheidigen hatte, zu uͤberlassen, oder durch ein Testament die gesetzmaͤßige Primogenitur und Vormund- schaft zu veraͤndern. 6) Mußten sie unter sich einen Deichgrafen und zehn Deich- voͤgte erwaͤhlen, welche die ihnen von dem Meere auf- erlegte Gesetze handhabeten, die Bestellungen verrichte- ten, die Ausgebliebene bestrafeten, die Unvermoͤgende oder Widerspenstigen vom Hofe setzten, und uͤberhaupt die Stelle einer Obrigkeit vertraten. 7) Starb einer von ihnen ohne Erben: so fiel sein Hof dem Deichgrafen zur Wiederbesetzung anheim; damit sich kein ungeehrter und unsicherer Mann eindringen konnte. Und so oft ein neuer Besitzer kam, mußte derselbe sich bey diesem melden; sich von ihm beschauen lassen, ob er den Spaden fuͤhren koͤnne, und bey dieser Gelegen- heit, da er in die Deichrolle aufgenommen wurde, dem Deichgrafen eine Erkenntlichkeit entrichten. 8) Kam derselbe auch, so oft einer verstarb, und besich- tigte Spaden und Spannung oder was sonst zum Deich- X 4 ge- Kurze Geschichte der Bauerhoͤfe. geraͤthe gehoͤrte; besorgte, daß es dem kuͤnftigen Besitzer des Hofes richtig uͤberliefert, und der Hof bis zur An- nahme des Vormundes oder des Erben wohl verwahret wurde, wofuͤr ihm denn das beste Stuͤck aus der Erb- schaft zur Belohnung gebuͤhrte. Den abgehenden Kin- dern durfte ohne seine Bewilligung nichts ausgelobet werden, damit die Hoͤfe nicht durch gar zu große Versprechungen ausser dienstfertigen Stand gerathen moͤchten. 9) Endlich durfte keiner abwesend seyn, oder sich in fremde Dienste begeben, weil er sonst nicht taͤglich mit der Spade am Deiche fertig werden konnte. Unter dieser gluͤcklichen und nothwendigen Einrichtung wurden endlich in hundert Jahren saͤmtliche Deiche fertig. Indessen blieb die ganze Verfassung, weil man dem Meere nicht trauen konnte, bestehen. Man diente aber nicht taͤg- lich mit der Spade; sondern versammlete sich jaͤhrlich etliche- mal, um sich in der Deicharbeit zu uͤben. Den Deichgrafen und Voͤgten war ein gewisses von jedem Hofe an Korn und Haber zugelegt. Dieses blieb ihnen; imgleichen die Gerichts- barkeit, und was ihnen von jedem neuen Besitzer, oder aus dem Sterbehause zugebilliget war. Das Meer war uͤber hundert Jahr stille. Dadurch wurden die Hoͤfener sicher; und verlernten die Deicharbeit. Ploͤtzlich aber zeigte sich eine neue Gefahr; und der Deich- graf ward gezwungen, ausgelernte Deichgraͤber kommen zu lassen, solchen von jedem Hofe zur Belohnung gewisse Korn- paͤchte anzuweisen, und die Hoͤfe denselben gleichsam zu After- lehnen zu uͤbergeben, deren Besitzer nunmehr blos den Acker zu bestellen, die Fuhren zu verrichten, und ihre Vorarbeiter, welche Dienstleute genannt wurden, zu ernaͤhren hatten. Es Kurze Geschichte der Bauerhoͤfe. Es waͤhrete aber nicht lange: so riß das Meer von neuen ein; und weil immittelst eine neue Art zu Deichen aufgekom- men war, welcher die vorigen Dienstleute nicht gewachsen wa- ren, und zugleich das Geld, so bisher unbekannt gewesen, bis zu ihnen gedrungen war; so fand man mehrere Bequem- lichkeit darinn, zur bestaͤndigen Deicharbeit eigne Soͤldner anzunehmen; und einen Geldbeytrag von den Hoͤfen zu for- dern; ohne jedoch im Stande zu seyn, die vorhin angenom- mene Lehnarbeiter, welche sich einige hundert Jahre wohl verhalten hatten, und bereit waren, so viel zu thun als ihre Kraͤfte vermochten, abzuschaffen. Nunmehro gieng es mit den Hoͤfen uͤber und uͤber. Einige rissen sich a) aus der gemeinen Reihe los; andre wur- den b) von den Deichgrafen und Voͤgten mit allerhand Ar- ten von Knechten und unter allerhand beschwerlichen Bedin- gungen besetzt; die Amtsgefaͤlle wurden c) verkauft und zer- streut. Was den Dienstleuten an Kornpaͤchten zugestanden war, hatte gleiches Schicksal; und der neue Oberdeichgrafe, der das Geld fuͤr die besoldeten Deichgraͤber zu erheben hatte, bekuͤmmerte sich gar nicht mehr um den Besitzer des Hofes, wenn ihm nur der darauf gelegte Sold zu rechter Zeit bezah- let wurde. Wenn man fuͤr jene Anwohner des Meeres unsre schatz- baren Unterthanen, welche voll- und halbe oder viertel Erbe besitzen; fuͤr das Meer den Krieg oder die gemeine Noth, fuͤr den Deichgrafen den Carolingischen Grafen, und fuͤr die Deichvoͤgte die Reichsvoͤgte setzet: so hat man die Geschichte unser Bauerhoͤfe; und mit derselben zugleich die Art und Weise, wie freye Eigenthuͤmer ganz natuͤrlicher Weise zu leib- eignen und hofhoͤrigen Paͤchtern herunter sinken koͤnnen. X 5 Man Kurze Geschichte der Bauerhoͤfe. Man kann diesem noch hinzuthun, daß unter dem Amts- schutz sich gar kein vollkommenes Eigenthum erhalten koͤnne; indem das Amt oder diejenige Obrigkeit, welche die Direction der gemeinen Angelegenheiten hat, eine gewisse Aufopferung des Eigenthums nothwendig machen, und schlechterdings for- dern kann, daß die unter ihm stehende Erbe mit keinen Schul- den und Pflichten beschweret, mit keinen Auslobungen In den benachbarten Laͤndern traͤgt das Amt eben diese Vor- sorge fuͤr freye schatzbare Hoͤfe, welche ein Gutsherr fuͤr seine Hoͤfe traͤgt. In den desfals erlassenen Verordnungen hat man aber den Grundsatz angenommen, daß die Hoͤfe, welche ein Mann, der keinen Gutsherrn hat, besitzt, die Natur der Gutsherrlichen behalten haͤtten. Dieser Grund- satz ist aber unnoͤthig und fuͤhrt leicht zu einen irrigen Nebenbegriffe. er- schoͤpfet, nicht versplittert, nicht verhauen und nicht verwuͤstet, auch nicht unbesetzt gelassen werden sollen, weil das Unver- moͤgen des einen zur Zeit der Noth den uͤbrigen beschwerlich wird, und was der eine nicht leisten kann, den andern noth- wendig zuwaͤchst. Ja man kann behaupten, daß unter dem Amte aller Unterscheid zwischen Leibeignen und Freyen mit der Zeit ver- dunkelt werden muͤsse. Insgemein schließt man jezt, daß alle und jede, welche ihre Kinder am Amte ausloben lassen, Be- willigungen uͤber ihre Schulden nehmen, wenn sie einen Baum hauen wollen, die Erlaubniß dazu nachsuchen; und bey der Einfahrt und Ausfahrt gewisse Urkunden entrichten muͤssen, durchaus als Leibeigne anzusehen sind. Allein jene Anwoh- ner des Meers, welche nie einen sterblichen Menschen pflichtig gewesen waren, mußten sich eben diesen Gesetzen unterwerfen, und wir denken es nur nicht so deutlich als wir es fuͤhlen, daß das Eigenthum seinen Anfang mit der Exemtion vom Amte Kurze Geschichte der Bauerhoͤfe. Amte nehme Die Roͤmer erforderten nicht umsonst zu dem wahren dominio, daß der Eigenthuͤmer civis Romanus seyn muͤsse. und nur derjenige ein wahrer Eigenthuͤmer sey, der ein exemtes oder adeliches Gut besitzet. Es ist auch ganz natuͤrlich, daß so bald ein Gut nicht zur Besserung des Deiches koͤmmt, keinen Spaden schickt und keine Pfaͤle liefert, dessen Verwuͤstung, Versplitterung und Beschwerung zu einer fuͤr den Staat ganz gleichguͤltigen Sache werde, folglich auch dessen Besitzer von seinen urspruͤnglichen Eigenthum nichts aufgeopfert habe. Noch mehr; die Anstalten, welche ein Edelmann zur Erhaltung seiner Guͤter und Familie trift, beweisen jene Wahrheit; nemlich den nothwendigen Verlust des Eigenthums unter jeder Amtsverfassung. Um seinen Stamm und seine Guͤter zu erhalten, um ihre Verwuͤstung, Versplitterung und Beschwerung zu verhindern, hat er zuerst angefangen Testa- mente zu machen, deren diejenigen, wofuͤr das Amt sorgte, gar nicht noͤthig hatten. Er hat Stammguͤter erfunden; Fi- deicommisse, Majorate oder Minorate verordnet, die Braut- schaͤtze seiner Toͤchter bestimmt, Vormuͤnder angesetzt — — und solchergestalt seinen Nachkommen das Eigenthum und die Freyheit entzogen, welche das Amt seinen Untersassen entzogen hat. Der Unterschied zwischen beyden ist, daß dieses durch ein allgemeines, jenes durch ein besonders Familiengesetz ge- schiehet; daß dieses von den versammleten Eigenthuͤmern auf ewig bewilliget, jenes von einem einzelnen Mann fuͤr seine Nachkommen am Gute gesetzet wurde; daß der Staat dieses nothwendig erfordert, jenes aber der freyen Willkuͤhr des Stifters uͤberlaͤßt. Die aus beyden Anstalten fliessende Wahr- heit ist aber diese, daß der Mann, der durch ein oͤffentliches Gesetz das Recht verlohren hat, sein Gut zu versplittern, zu ver- Kurze Geschichte der Bauerhoͤfe. verschulden, zu verhauen oder mit Auslobungen zu erschoͤpfen; der dieserhalb die Bewilligung vom Amte nachsuchen, und fuͤr die Beschauung seines Deich- oder Heergeraͤthes das beste Pfand liefern, und wenn er sein Erbe beziehen will, sich als tuͤchtig darstellen und die Einweisung erwarten, auch eine bil- lige Gebuͤhr dafuͤr entrichten muß, noch nicht sogleich fuͤr ei- nen leibeignen Knecht gehalten werden koͤnne. Aber hier im Stifte, wird man sagen, schadet das Amt dem Eigenthume nichts. Der Innhaber eines Erbes, Halb- erbes oder Kottens, der sich frey gekauft hat, verschuldet sein Erbe nach gefallen, verhauet und verwuͤstet es wie er will. — — Allein dies ist ein Fehler unser Verfassung, der sich erst seit zweyhundert Jahren eingeschlichen hat. Er findet sich in an- dern Laͤndern nicht; und in diesen Laͤndern sind die groͤßten Rechtsgelehrten noch uͤber die Kennzeichen uneinig, woran der Amtssaͤßige Freye von dem Leibeignen zu unterscheiden sey; weil dem einen wie dem andern, alle Auslobung, Be- schwerung, Verhauung und Versplitterung verboten; beyde die Einfahrt dingen, und beyde den Sterbfall von der Landes- obrigkeit loͤsen muͤssen; eben wie der Pastor, bey seiner Ein- fahrt auf die Wedum die jura investiturae bezahlen und seine Exuvien loͤsen muß. Dies hat das hiesige Amt ebenfals von allen Amtssaͤßigen Unterthanen, welche keinen Gutsherrn ha- ben, fordern koͤnnen; ehe die Zeit es verdunkelt hat. Indes- sen sieht man noch an den sogenannten Freyen eine Spur da- von. Wer kann diese von den Leibeignen unterscheiden? Wie viele Verordnungen, wie viele Zeugnisse sind nicht vorhanden, welche allen Unterscheid unter ihnen aufheben? und wie viele Muͤhe hat man nicht oft einen Nothfreyen von einem Wahl- freyen zu unterscheiden? Das einzige Kennzeichen der erstern ist der Gewinn (laudemium) wofuͤr letztere nur Einschreibe- gebuͤhren bezahlen. Wie aber, wenn eine Zeit gewesen waͤre, wor- Kurze Geschichte der Bauerhoͤfe. worinn man sowol den Gewinn als die Einschreibungsgebuͤh- ren mit dem Namen von Ein- oder Auffahrtsgeldern belegt haͤtte? Wuͤrden sodann nicht schon beyde verwechselt und der Unterschied gar nicht mehr anzugeben seyn? Jedoch es lassen sich diese Dinge nicht hinlaͤnglich ein- sehen, ohne von der alten Hörigkeit der Personen zu handeln. Das Land, worauf wir wohnen, gehoͤrt dem Staate. Aber der Staat kann auch ein Recht auf die Personen haben. Auch diese koͤnnen angehörig werden; die Deichanwohner konnten durch die Groͤße der Noth und den Mangel der Haͤnde ge- zwungen werden, ein Gesetz zu machen, daß alle ihre Kinder dem Meere eigen bleiben sollten. Sie konnten verordnen, daß keines davon seinen Abschied (Freybrief) haben solte, ohne einen andern in seine Stelle zu verschaffen. Dies ist der Wechsel und Wiederwechsel, wovon in Frank- reich noch die Rubrik der Koͤnigl. Einkuͤnfte: Les Droits de change et de contre change herruͤhrt. Jedes Kind ist ein Schuldner des Staats, der zur Rettung seines vaͤterlichen Erbes von der Ueberschwemmung, den Vorschuß gemeintschaftlichen Kraͤfte gethan hat...... Doch hievon ein andermal. LVII. Schreiben einer Frau an ihren Mann im Zuchthause. Ja ich bin es noch, es ist die Hand deiner zaͤrtlichen und ungluͤcklichen Frauen, geliebter und armer Mann! von der du diese Zeilen erhaͤltst. Sieh sie nur recht an, es sind noch Schreiben einer Frau noch die Zuͤge, worin sich dir ehedem das beste, das empfind- lichste Herz ausdruͤckte, worinn ich dich zum erstenmal ver- sicherte: Daß ich dich uͤber alles liebte. Wie glaͤnzend war damals alles! und wie gluͤcklich glaubte ich zu werden! ich stellete mir da noch nicht vor, daß ich einst nach Brodte seuf- zen und solches nicht erhalten wuͤrde; daß ich die erste Frucht unsrer Liebe mit andern als Freudenthraͤnen benetzen; und daß dein erstgebohrner, o Geliebter! an meiner Brust ver- hungern wuͤrde. Ich war jung und unerfahren, und lebte nur fuͤr dein Vergnuͤgen. Jedes Geschenk das du mir so schmeichelhaft machtest, nahm ich freudig an, um mich damit zu schmuͤcken und dir so viel mehr zu gefallen; dir trauete ich Ueberlegung und mir nichts als Folgsamkeit zu. Warum uͤber- legtest du denn nicht wie deine Ausgaben unsre Einnahme nicht uͤbersteigen duͤrften? Warum muntertest du mich selbst auf und noͤthigtest mich fast jeder Mode zu folgen und in ei- nem Tage das zu verschwenden, was ein ganzes Jahr zu un- sern ehrlichen Unterhalt hingereicht haben wuͤrde? Und warum mußte ich mehr der Liebling deiner Eitelkeit als deiner Ver- nunft seyn? Dir kam es zu, mir zu sagen, was ich ausgeben und was ich ersparen solte. Von deiner Liebe konnte ich diesen Rath erwarten; und wie suͤß wuͤrde mir in deiner Gesellschaft auch das Brod gewesen seyn, was ich haͤtte mit Spinnen er- werben muͤssen! Ja Geliebter, wir konnten gluͤcklich seyn. Unsre wahren Beduͤrfnisse waren nicht groß; wir haͤtten sie mit einiger Arbeit und mit einigem Fleiße von den Einkuͤnf- ten die wir hatten, befriedigen koͤnnen; und wann ich dann nach einem muͤhsamen Tage nur einen erkenntlichen Blick von dir erhalten haͤtte; wie gluͤcklich wuͤrde ich dann in deinen Armen geruhet haben! Ich war jung und zaͤrtlich; und nicht uͤbel erzogen, ein Wort von dir wuͤrde einen unausloͤschlichen Eindruck in meinem Gemuͤthe hinterlassen haben. Ein offen- her- an ihren Mann im Zuchthause. herziges Gestaͤndniß von deinen Schulden wuͤrde mich viel- leicht in einige Bestuͤrzung gesetzt haben; aber da es gleich anfangs noch moͤglich gewesen waͤre, dich zu retten, wie lebhaft wuͤrde nicht mein Eyfer geworden seyn, dieses Verdienst mit dir zu theilen? Diese Aufrichtigkeit, liebster ungluͤcklichster Mann! wuͤrde mir deine ganze Liebe bewiesen haben; ich wuͤrde mich durch dieses Vertrauen in deinen Augen recht groß geduͤnkt haben. Und dann welchen Triumph fuͤr meine Liebe, ein Mitarbeiter an deiner Rettung gewesen zu seyn? Jeder kleiner Schritt, wodurch wir uns dieser Hofnung genaͤhert, und welchen wir dann nach jedem fortgearbeiten Tage in der frohen Abendstunde miteinander uͤberrechnet haͤtten, wuͤrde unsre Muͤhe, unsre Kost und o Geliebter! auch unsern Kuß versuͤßet haben. Die stolzeste Frau in der Stadt waͤre ich ge- worden, wenn man von mir sodann geruͤhmt haͤtte, daß ich um deinetwillen, alle Moden absagte, alle Pracht vermiede und ein Gericht Gemuͤse fuͤr dich und mich selbst kochte; wenn man von mir gesagt haͤtte: daß ich dein gutes, dein redliches, dein vernuͤnftiges Weib waͤre. Dies wuͤrde mich zu einer ganz andern Groͤße erhoben haben, als alle die flatternden und kostbaren Kleinigkeiten, womit du mich deinen — ach wie tief gefallenen — kleinen Engel in die groͤßten Gesell- schaften fuͤhrtest. Mit was fuͤr einem edlen Stolze, mit was fuͤr einem Bewustseyn deiner und meiner Wuͤrde, wuͤrde ich in Serge und Flanell auf alle die thoͤrichten Weiber herabge- sehen haben, die dem vergaͤnglichen Glanze eines Tages ihr gutes Vermoͤgen aufopfern; und ein bißgen neidischer Be- wunderung der Ruhe ihres Lebens, dem Wohlstande ihrer Kinder und der Hochachtung aller Rechtschaffenen vorziehen. Ach Mann! Mann! wie vieles haben wir verlohren! Nicht blos das Vermoͤgen uns zu erhalten; Nicht blos deine Frey- heit; nein was groͤßer als beydes ist, auch die Werthachtung aller Schreiben einer Frau aller Rechtschaffenen; und vielleicht — o mein Schmerz ist der Verzweiflung sehr nahe — auch das, woran ich nur mit Entsetzen gedenke. Konntest du, mein Geliebter, in der Verzweiflung, worinn dich deine Schulden stuͤrzten, der Ver- suchung nicht widerstehen, auf unsichere Hoffnungen, fremde dir anvertrauete Gelder anzugreifen; wie werde ich dein Kind verschmachten sehen koͤnnen, ohne mir zuvor selbst das Leben zu nehmen? Du warest redlich; ich bins auch. Aber Gott wende die Versuchung! Man hat mir alles gepfaͤndet; Von allen deinen kost- baren Geschenken, von allen meinen schoͤnen Kleidern habe ich nichts behalten. Unser Bette ist fort. Nur mein Kind ist mir geblieben, und damit sitze ich nun schon in den dritten Tag in meinem binnen vier und zwanzig Stunden zu verlassenden Putzzimmer; weil ich das Herz nicht habe vor die Thuͤr zu gehen, und mich den Haͤmischen oder stolzen Mitleide meiner Nachbarinnen blos zu stellen. Was fuͤr eine Ueberwindung wird es mir noch kosten, sie um ein Suͤck Brod zu bitten! Und wie Verdienstlos bleibt diese Ueberwindung in Vergleichung mit derjenigen, womit ich alle Verschwendung vermieden und dich bey Ehren erhalten haben koͤnnte! Was soll jezt aus mir werden? In meinem 19ten Jahre schon so ungluͤcklich! und vielleicht auf ewig von dir getrennt! Mit einem Kinde, das nur die Zaͤhren, so meine Brust herab rollen, einsaugt, und mir in einem sehnlichen Blicke das ehmals zaͤrtliche Verlan- gen seines ungluͤcklichen Vaters zeigt! Vergieb mir, o Geliebter, den Ausbruch meines Schmer- zens! ich solte dich schonen; denn du bist ungluͤcklich genug; und es koͤnnte dich troͤsten mich ruhiger zu wissen. Allein du mußt daraus die Hofnung schoͤpfen, dein Kind und mich bald zu verlieren; und was hast du in deinem Ungluͤck mehr zu wuͤnschen, als bald allein zu leiden und die Beruhigung zu er- an ihren Mann im Zuchthause. erhalten, diejenigen, so jezt dein Elend mit dir theilen, nicht mehr in der Welt zu wissen! Die Kraͤfte fehlen mir ein mehrers zu schreiben. Doch unterzeichne ich mich noch, Deine ewig getreue und ungluͤck- liche Frau. Filette Marly. LVIII. Ein Project das nicht ausgefuͤhret werden wird. Da wir bald eine neue Charte von hiesigem Hochstifte er- halten werden: so waͤre zu wuͤnschen, daß auch eine dergleichen, worauf nach gehoͤriger Vergroͤßerung uͤberall die Beschaffenheit des Bodens angezeigt waͤre, verfertiget wuͤrde; es koͤnnte solches blos durch Farben geschehen; und zugleich in den Farben wiederum der Unterscheid angebracht werden, daß z. E. der beste Weidegrund durch dunkelgruͤn; der mitt- lere durch etwas hellers, und der schlechteste durch noch hel- lers angezeigt wuͤrde. In der Einfassung, wodurch jede Art dieses Gruͤnen von den andern abzusondern, wuͤrde durch eine Schattirung von roth, gelb, blau oder schwarz angezeigt, ob Mergel- Sand- oder Mohrgrund darunter anzutreffen waͤre; und die Vermischung, Verhoͤhung oder Vertiefung dieser Schattirung wuͤrde auch zu gebrauchen seyn, die Art des Mergels- Sandes- oder Mohrgrundes anzuzeigen. Auf gleiche Art verfuͤhre man mit den Heiden, die etwann mit einer hell- oder dunkelbraunen Farbe angezeigt, und durch die Schatti- rung nach ihrer Erdart unterschieden wuͤrden ....... Mösers patr. Phantas. I. Th. Y Man Beantwortung der Frage: Ist es billig, Man koͤnnte auch auf jeden Fleck durch Nummern die Tiefe einer jeden Lage, oder deren Abstand von einer gewissen an- genommenen Linie, wie auf den Seekarten, bemerken .... … Ausser dieser Charte muͤßten wir noch eine andre ha- ben, worauf die ganze Flaͤche, so wie sie sich 6, 7 oder 8 Schuh tief unter der Erden befaͤnde, verzeichnet wuͤrde; so daß, wann man die erstere Charte auf die andre legte, man sogleich sehen koͤnnte, wie es in vorgedachter Tiefe beschaffen waͤre. Man wuͤrde solches durch Erdbohrer bald untersu- chen, und geometrisch auftragen koͤnnen. Aus der Verglei- chung dieser beyden Charten wuͤrden sich vermuthlich viele gute Schluͤsse ziehen lassen, besonders wenn die Veraͤnderungen auf der Oberflaͤche mit sichern Veraͤnderungen auf der Unter- flaͤche uͤbereinkaͤmen. Diese Schluͤsse wuͤrden uns in der Ur- barmachung leiten, und manches was wir in der Ferne suchen, in der Naͤhe finden lassen. Man koͤnnte auch solche Charten verschicken, und das Urtheil der Forst- und Bergwerksverstaͤn- digen daruͤber einholen, besonders wann noch eine kurze Be- schreibung der wilden Gewaͤchse dabey gefuͤget wuͤrde. LIX. Beantwortung der Frage: Ist es billig, daß Gelehrte die Criminalurtheile sprechen? Diese Frage muß meines Ermessens mit Nein beantwor- tet werden; und zwar selbst nach der peinlichen Hals- Gerichtsordnung. Denn so wie es schon in der Vorrede der- selben heißt: Daß im Heil. Römischen Reich deutscher Nation alten Gebrauch und Herkommen nach die meisten peinlichen Gerichte, mit Personen die der Kaiserl. Rechte nicht gelehrt, er- daß Gelehrte die Criminalurtheile sprechen? erfahren oder Uebung haben, besetzt wären; und daß es dieserwegen noͤthig gewesen, die peinl. Hals-Gerichtsordnung abzufassen, damit alle und jede Reichsunterthanen ein ge- rechtes Urtheil zu finden im Stande seyn möchten: also ist auch ferner sogleich im ersten Artickel verordnet, daß die pein- lichen Gerichte besetzt seyn sollten mit frommen, ehrbaren, verständigen und erfahrnen Personen, ohne die Rechtsge- lehrsamkeit auch nur im mindesten zu erfordern. Vielmehr heißt es eben daselbst ferner: Daß auch wohl edle und ge- lehrte dazu gebrauchet werden möchten; zu einem sichern Beweise, wie man dafuͤr gehalten habe, daß die Gelehrsam- keit wuͤrklich einen Mann eher unfaͤhig als faͤhig zum Ur- theilsfinder mache. Die ganze Ordnung ist auch mit der aͤussersten Deutlichkeit fuͤr ungelehrte abgefasset, und durch- gehends vorausgesetzet worden, daß die Urtheiler keine Rechts- gelehrten seyn wuͤrden, weil sie in zweifelhaften Faͤllen be- staͤndig angewiesen werden, sich bey den Gelehrten Raths aber nicht Urtheils zu erholen. Der Kaiser nennet das Urtheilfinden ungelehrter Per- sonen einen alten deutschen Gebrauch; und da in England noch jezt ein gleiches uͤblich ist; so fraͤgt sich billig, ob wir wohl und recht daran gethan haben, diesen Gebrauch zu ver- lassen? und dazu sage ich nein. Denn was kann unbilliger und grausamer seyn, als ei- nen Menschen zu verdammen, ohne versichert zu seyn, daß er das Gesetz, dessen Uebertretung ihm zur Last geleget wird, begriffen und verstanden habe, oder begreifen und verstehen koͤnnen? Die deutlichste Probe aber, daß ein Verbrecher das Gesetz verstanden habe, oder doch verstehen koͤnnen und sollen, ist unstreitig diese, wann sieben oder zwoͤlf ungelehrte Maͤnner ihn darnach verurtheilen, und durch eben dieses Urtheil zu Y 2 er- Beantwortung der Frage: Ist es billig, erkennen geben, wie der allgemeine Begrif des uͤbertretenen Gesetzes gewesen, und wie jeder mit blosser gesunder Vernunft be- gabter Mensch solches ausgeleget habe. Dies ist die einzige Pro- be von der wahren Deutlichkeit des Gesetzes, welche der Gelehr- te nie geben kann, weil seine Sinne zu geschaͤrft, zu fein und uͤber den gemeinen Begrif zu sehr erhaben sind. Der in der peinl. Hals-Gerichtsordnung vorgeschriebene Eid erfordert von den Urtheilsfindern, daß sie nach ihrem besten Verständ- nisse sprechen sollen. Das beste Verstaͤndniß eines Gelehrten ist aber nothwendig von dem besten Verstaͤndniß des Ver- brechers sehr unterschieden. Der Gelehrte ist ein Naturkuͤn- diger, der durch ein Vergroͤßerungsglas hundert Dinge in ei- ner Sache entdeckt, welche einem gemeinen Auge entwischen; und der feine Moralist, der das menschliche Herz lange studi- ret hat, entdeckt Falschheiten in den Tugenden, welche im ge- woͤhnlichen Leben gar nicht bemerket werden. Wenn also ein Gelehrter urtheilet: so ist er in bestaͤndiger Gefahr von seiner feinern Einsicht entweder zum unzeitigen Mitleide oder zu einer uͤbermaͤßigen Strenge verfuͤhret zu werden; und er sollte sich um seines eignen Gewissens willen nie mit peinlichen Urtheilen abgeben. Haben doch die englischen Gesetze die Flei- scher davon ausgeschlossen, weil sie geglaubt haben, daß ein solcher Mann, der alle Tage ein sterbendes Vieh unter seinem Messer mit Vergnuͤgen roͤcheln saͤhe, leicht zu hart gegen ei- nen armen Suͤnder seyn koͤnne. Es ist Zweytens unwidersprechlich, daß ein Gelehrter durch eine feinere Erziehung zu einem ganz andern Gefuͤhle als der gemeine Mann gebildet sey. Eine garstige Unordnung, eine Injurie, eine Schlaͤgerey, eine Grobheit wird ihm tausend- mal eckelhafter und abscheulicher vorkommen, als sie einem geringen Mann, der mit dem Viehe aufgewachsen ist, vor- kommt; und dies muß nothwendig einen solchen Einfluß auf sein daß Gelehrte die Criminalurtheile sprechen? sein Urtheil haben, daß er schwerlich unpartheyisch seyn kann. Es ist Drittens gewiß, daß die Urtheilsfinder, wenn sie aus der Gegend oder dem Kirchspiele zu Hause sind, worinn der Verbrecher gewohnt hat, dessen vorigen Lebenswandel und moͤgliche Besserung weit sicherer und besser kennen; und nach dieser ihrer auf eigne Erfahrung gegruͤndeten Erkenntniß weit besser urtheilen, als ein Gelehrter, der ein kaltsinniges Zeug- niß vor sich hat. Wer einen Menschen recht kennet, fuͤhlet allemal dessen uͤble oder gute Gemuͤthsart besser, als er sol- ches ausdruͤcken kann. Er wird sich nur unvollkommen in der Beschreibung ausdruͤcken, aber richtig nach seiner Ein- pfindung urtheilen, wenn er den Ausspruch thun soll. Nichts ist aber billiger und vernuͤnftiger, als daß bey Verurtheilung eines Verbrechers dessen Gemuͤths- und Lebensart mit in Be- tracht gezogen werde. Es leidet Viertens der Militairstand kein fremdes und gelehrtes Urtheil. Der Gelehrte oder der Auditeur hat den Vortrag; allein das Urtheil selbst wird von denen, so dem Kriegsrecht beywohnen, und die Lebens- und Gemuͤthsart des Verbrechers kennen, nach ungespitzten Begriffen gefaͤllet; Eben so haͤlt es Fünftens der Buͤrger in den Staͤdten, der sich von keinem andern verurtheilen laͤßt, als die er selbst dazu aus seinen Mitteln und aus den ungelehrten erwaͤhlet hat, ob er gleich auch die von ihm erwaͤhlten Gelehrten, nachdem sie in Gefolge der peinlichen Hals-Gerichtsordnung auf den Noth- fall zugelassen werden, nicht ausschließt; und schwerlich wuͤr- de sich Sechstens ein Edelmann in seinem Lande, oder in einem andern, wohin er auf Geleit gekommen, verurtheilen lassen, ohne Urtheilsweiser von seinem Stande zu fordern. Dies Y 3 kann Beantwortung der Frage: Ist es billig, kann er mit Recht thun; und die peinliche Hals-Gerichts- ordnung ist ihm hierin nicht zuwider. Es ist Siebendens fuͤr einen Landesherrn sehr hart, daß er sich und seine Bediente immer mit dem Hasse der Criminalurtheile beladen solte. Die Faͤlle sind zwar nicht gemein, aber doch bey großen Gaͤhrungen im Staate und wann die Gerechtig- keit nicht gegen Landstreicher sondern gegen angesehene Maͤnner ihr Amt verrichten soll, auch nicht ganz selten, wo die Obrig- keit das Recht zu urtheilen nicht verlangt, sondern lieber den geschwornen Rechtsgenossen des Verbrechers uͤberlaͤßt. Es erstickt auch Achtens nothwendig alle Liebe zur Freyheit, und den aufrichtigen Ausdruck derselben, wenn einer vorher fuͤrchten muß, von Gelehrten so in Bedienungen stehen, verurtheilet zu werden. Der bisherige Gebrauch, daß die Criminalurtheile von Gelehrten abgefasset werden, hindert Neuntens dagegen nichts, indem dieser Gebrauch ledig- lich gegen schlechte und fluͤchtige Verbrecher geuͤbet worden, welche nicht als wahre angesessene Unterthanen sondern als Knechte (servi poenæ) verurtheilet werden. Ein Fremder, der kein Geleit hat, ist ein Feind; der, wenn er die buͤrger- lichen Gesellschaft stoͤret, und sie gleichsam mit Krieg uͤberzieht, als ein Kriegesgefangner ohne Cartel, nach Willkuͤhr gehangen werden kann, und es als eine Gnade anzusehen hat, daß ihm ein foͤrmlicher Proceß durch Gelehrte gemacht wird. Einer solchen Willkuͤhr hat sich aber kein wahrer Unterthan unter- worfen; und dieser kann sich noch immer auf die Hals-Ge- richtsordnung berufen, ohne daß ihm jener Gebrauch mit Be- stande entgegen gesetzt werden koͤnne. In der That ist auch Zehntens ein solcher Gebrauch nur dem Scheine nach vorhanden, indem die Canzleyen kein Urtheil abfassen; son- dern daß Gelehrte die Criminalurtheile sprechen? dern nur ihren rechtlichen Rath geben und daruͤber die Landes- herrliche Bestaͤtigung auf den Fall einholen, daß die Urtheils- finder oder Saelhoͤfer dem Verbrecher sein Recht darnach fin- den werden. Solten die Saelhoͤfer anders weisen, als der Rath der Rechtsgelehrten es mit sich bringt: so kann dieser Rath nie zum Urtheil werden, und die Landesherrliche Be- staͤtigung setzt jene Weisung unwidersprechlich voraus. So leer uns daher auch jezt die Ceremonie mit den Saelhoͤfern, wie man die Urtheilsfinder der Gemeinen hier jezt nennt, scheinet: so wichtig ist sie im Grunde, wenn einmal ein an- gesehener Mann peinlich beklagt werden solte, indem dieser unwidersprechlich fordern kann, daß der Rath der Gelehrten an ihm nicht vollstrecket werden soll, bevor nicht seine Rechts- genossen denselben fuͤr Recht gepriesen haben. Ferner und Eilftens traͤgt es zur Wuͤrde des Menschen vieles bey, daß er von Jugend auf mit den Gesetzen seines Landes be- kannt gemacht wird, und schon in der Schule zu einen kuͤnfti- gen Urtheilsfinder auferzogen wird. Dies geschieht aber nicht, wo blos Gelehrte urtheilen. Bey jedem der zehn Ge- bote solten einem Kinde die daraus fliessenden peinlichen Faͤlle, und was die Gesetze seines Landes darauf fuͤr Strafen verord- net haben, bekannt gemacht werden. So koͤnnte er denken und sich huͤten. Endlich und Zwölftens ist die Appellation in peinlichen Faͤllen eben um deswillen verboten, weil man vorausgesetzt hat, daß der Verbrecher von zwoͤlf ehrlichen frommen und ebenbuͤrtigen Maͤnnern verurtheilet worden, und daher nicht leicht be- schweret seyn wuͤrde. Unmoͤglich haͤtte aber die Appellation in einer so wichtigen Sache abgeschnitten werden koͤnnen, wenn die Meinung eines gelehrten Richters das Urtheil abgeben sollen. Y 4 LX. Schreiben uͤber ein Project unserer Nachbaren LX. Schreiben uͤber ein Project unserer Nachbaren Colonisten in Westphalen zu ziehen. O mein werthster Freund! lassen Sie doch den Gedan- ken von neuen Colonien in Westphalen fahren. Coloni- sten aus andern und besonders aus bessern Gegenden werden auf unsern Heiden nie einschlagen; und Neubauer, die ihre Nah- rung aus dem Boden ziehen sollen, werden bey uns allezeit in Bettler ausarten. Ueberhaupt habe ich kein Zutrauen zu den sogenannten Einigranten. Es ist entweder Faulheit und Ungeschicklichkeit, oder aber eine zu schwere Steuer, die sie aus ihrer Heymath treibt. Ist es das erste: so werden sie auf unsern Heiden gewiß kein weicher Lager finden; und die Steuer, welche ihnen hier die Natur auflegt, indem der hie- sige Acker fuͤr doppelte Arbeit nur halben Lohn bezahlt, ist schwerer als alles, was in andern Laͤndern die Herrschaft for- dern kann. Laßt uns zum Exempel nur eine Vergleichung zwischen den Laͤndern am Rheine und den hiesigen anstellen; und dann urtheilen, ob ein Colonist vom Rheine jemals da- hier gedeihen werde? Der Landmann am Rheine pfluͤgt mit einem Ochsen 2 bis 3 Zoll tief; und der Halm auf seinen Acker ist hoͤher als ein Reuter zu Pferde. Hier im Stifte pfluͤgt man hingegen nach dem Unterschiede des Bodens mit 2 oder 4 Pferden 8 bis 10 Zoll tief; und der Halm bleibt in den besten Gegenden um ein Drittel; in den schlechtern aber um ⅔ kuͤrzer, ohne daß ihn der beste Wirth mit der ordentlichen Kraft hoͤher trei- ben kann. In jenen Gegenden kann man ein Wagenrad ge- gen Colonisten in Westphalen zu ziehen. gen die Saat legen, ohne daß diese sich niederbeugt; wohin- gegen dieselbe in hiesigen schlechtesten Gegenden keinen Peit- schenstiel wiedersteht. In jenen Gegenden futtern vier Pfund Stroh so stark und besser als hier sechs, und alle Futterung hat dort um ein Drittel mehr Wuͤrze. Das Vieh frißt um ein Drittel we- niger und molkt um die Haͤlfte besser. In jenen Gegenden stuͤrzt man auf einmal funfzig Fu- der Stroh in den Mist, um nur Duͤnger zu bekommen; in den hiesigen hat der beste Wirth selten mehr Stroh als er zur Futterung und zum Streuen gebraucht; und der schlechteste hat kaum die Nothdurft zur Futterung; zum Streuen muß er Heide, Laub und Rasen oder Plaggen gebrauchen. Dort futtert man das ganze Jahr sein Vieh auf dem Stalle, weil man Stroh und zwar kraͤftiges Stroh hat; an- statt daß man hier an den schlechtesten Orten dem Viehe schon den Schnee auflecken laͤßt, weil es auch am magern Strohe gebricht. Dort faͤhret der Landmann seinen Strohmist mit einen langen Wagen vom Hofe anf den Acker; hier muß er ihn von der Heide erst muͤhsam abnarben, muͤhsam zusammen fahren, seinen Mist dazwischen legen, und hernach mit kurzen Wagen aufs Land bringen. Diese Erfahrungen kann niemand leugnen, der beyde Gegenden verglichen hat; und die unstreitige Folge davon ist, daß der Heidewohner mit dreyfacher Arbeit von Menschen und Pferden, von einem dreyfach groͤßern Boden dasjenige nicht gewinne, was in jenen Gegenden der Landmann mit dem Drittel Arbeit und auf einen Drittel desselben Bodens gewinnet. Die Natur macht den Mann auf der Heide zum Y 5 Scla- Schreiben uͤber ein Project unserer Nach baren Sclaven der Arbeit; anstatt daß sie den Bewohner jener Ge- genden alle Freyheit zur Ergoͤtzung und Begeisterung goͤnnet. Nun will ich Ihnen urtheilen lassen, ob Leute, die jene Gegenden verlassen, jemals in den hiesigen mit der ge- hoͤrigen Zufriedenheit arbeiten werden, welche doch nothwen- dig dazu gehoͤret, wenn eine Colonistenfamilie Liebe zum Bo- den und zum Fleiße gewinnen soll. Ich getraue mir mit einer Art von Ueberzeugung zu sagen: Man gebe uns nur Stroh und alle Heiden sollen be- völkert seyn. Dieses Stroh, so viel Kunst sie auch darauf verwenden, sind sie nie im Stande uns zu verschaffen. Duͤngen sie den hiesigen Heide- und Sandgrund zu sehr: so wird die Frucht zu geil und legt sich; der Halm wird nie zu einer Roͤhre; und die Aehre verwaͤchst ohne Frucht zu bringen. So lange es aber an Stroh fehlt, um den jetzigen Acker zu duͤn- gen: so lange muͤssen wir den Mangel des Duͤngers von der Heide ersetzen und koͤnnen diese nicht urbar machen. Man sagt zwar, die Heide muͤsse Futterkraͤuter tragen; mit diesen muͤsse man den Viehstapel vermehren; von dem Viehe folglich mehrern Duͤnger gewinnen; und durch den ver- mehrten Duͤnger mehr Korn und Stroh ziehen. Allein so scheinbar dieser Plan auch ist: so getraue ich mir doch darauf zu wetten, daß ihn niemand zu Stande bringen wird. Denn die Heide kann keine Futterkraͤuter tragen, ohne im ersten Jahre wohl geduͤngt zu werden. Man muß dieselbe auch noch im zweyten Jahre duͤngen. Woher soll aber Land- mann, der nicht so viel Stroh und Duͤnger hat, als er zu sei- nem Acker gebraucht, diese erste Anlage nehmen, nachdem alle Heiden urbar gemacht, folglich keine Plaggen gebraucht werden sollen? Gesetzt aber, es regnete zwey Jahr lang Stroh vom Himmel, und der Landmann wuͤrde dadurch einmal in den Stand gesetzt den ersten Schritt zu thun: so muͤßte man, wenn Colonisten in Westphaleu zu ziehen. wenn die Sache nur in der Folge gluͤcklich gehen solte, anneh- men koͤnnen, daß der Heideacker immer jaͤhrlich so viel Stroh wiederbraͤchte, als zu seiner Duͤngung in der Folge erfordert wird; dies ist aber wider die Erfahrung. Ein Mann, dem ich 24 Maltersaat Heidegrund wohl bestellt und wohl geduͤngt mit der Bedingung untergebe, daß er diese Laͤnderey kuͤnftig mit demjenigen Stroh was darauf waͤchst und dem Viehe was darauf gehalten werden kann, duͤngen solle, bauet sich darauf gewiß in 30 Jahren zum armen Manne. Die Heide kann nicht gebrachet werden; folglich muß er Jahr aus Jahr ein alle 24 Malter bestellen. Sie erfordert fast durchgehends alle Jahr frischen Duͤnger; und der Mann soll noch gebohren wer- den, der 24 Maltersaat dieses Grundes, jaͤhrlich mit demje- nigen bestellen will, was darauf gezogen werden kann. Ich zweifle auch noch sehr, daß Sie ein Futterkraut, wenn das Land dazu zwey Jahr geduͤngt wird, nur auf 6 Jahr in der Heide erhalten werden. Das dritte und vierte geht an. Aber im fuͤnften scheint die Heide schon durch, und im sechsten hat sie die Oberhand, wo sie nicht in den beyden lezten Jahren noch etwas nachduͤngen; und wenn dieses ge- schehen muß: so ist es besser Korn als Futter zu bauen. In England, wo man sechs Jahr; und in Holstein, wo man 9 Jahr bracht, sind die Futterkraͤuter mit Vortheil zu ziehen, welche 6 Jahr und 9 Jahr dauren, ohne weiter nachgeduͤngt zu werden; aber hier, wo gar nicht gebracht, und fast jaͤhr- lich geduͤngt werden muß, ist es in jener Maasse und zum voͤl- ligen Anbau der Heide ein eitles Project. Die Colonien in Amerika, welche sich auf dem Land- bau gruͤnden, sind alle auf die Art angelegt worden, daß ei- ner mehr als zehnmal so viel Raum eingenommen, als er wuͤrklich gebraucht hat. Dazu sind noch unendlich viele Nutzun- gen Schreiben uͤber ein Project unserer Nachbaren gen aus Holzungen und wilden Gegenden gekommen, so den Colonisten bey seinen ersten Anbau unterstuͤtzen muͤssen. Das fruchtbare Jamaica bot seinen Colonisten ganze Waͤlder von den besten fremden Holzarten, als Cedern, Ma- hagoni, China und andern, so die Kuͤnstler und Materiali- sten in Menge gebrauchen, ohne die geringste Muͤhe dar. Es hatte eine Menge von wilden Gewaͤchsen zu Oel, Rum, Farben, Gewuͤrzen und dergleichen Specereyen, womit die Natur die neuen Anbauer beschenkte. Der Boden in Caro- lina bringt den wilden Indigo und die schoͤnste Futterung vor allerley Arten von Vieh, Reis mit weniger Duͤngung, und Fichten zu Terpentin, Theer und Pech in unerschoͤpfli- cher Menge hervor. Virginien traͤgt Weizen und Toback; und versorgt seine Colonisten mit Wild und Fischen. Der Zucker- und Caffeebau hebt andre Provinzien; und uͤberall leben die Colonisten, was Weide, Duͤnger und Brandholz betrift, blos auf Kosten der Natur. Wenn in solchen Ge- genden Colonien gerathen; und doch kann man von vielen sagen, daß sie seit einiger Zeit mehr ab- als zugenommen ha- ben: so ist es kein Wunder. Allein, daß einige zugemessene Morgen schlechten Landes, eine magere Weide ein bisgen Torf, und eine eingeschraͤnkte ungewisse Freyheit Neubauer reizen, ermuntern und erhalten soll, das ist zu viel gefordert. Die Rede ist nicht von fabricirenden Colonien, welche sich auf Handlung und Handwerk gruͤnden sollen; sondern von Leu- ten, die ihr Brod aus dem Boden und hoͤchstens von ihren koͤrperlichen zu keinem Handwerke geuͤbten Kraͤften ziehen sol- len. Von diesen sage ich, daß sie nicht aus der Fremde her- gezogen werden koͤnnen. Unser Stift hat seine Bevoͤlkerung blos der Arbeit in Holland zu danken. Dies ist das Capital, wovon sich die Menge von Nebenwohnern ernaͤhret; und wenn man ihnen dieses Colonisten in Westphalen zu ziehen. dieses entzoͤge: so muͤßten sie den Boden und die darauf ste- hende Huͤtte bald verlaufen. Spinnen und Weben allein er- naͤhrt eine Familie nicht. Gesezt, eine Person spinne des Tages drey Stuͤck Garn, wovon 18. fuͤr einen Thaler ver- kauft werden; so ist dieses ein woͤchentlicher Gewinnst von 18 mgr.; indem das Flachs, was dazu geht, gewiß 18 mgr. kestet. Solchergestalt erwirbt eine Person, die alle Woche 6 Tage und taͤglich 3 Stuͤcke spinnet, nicht mehr als 26 Tha- ler des Jahrs. Wenn man davon die Haus- und Garten- miethe, die Handdienste und Auflagen abzieht: so bleibt un- gefehr so viel uͤbrig, als vor die Feyertage abgerechnet wer- den muß; woher soll nun diese Person Brod, Feuerung und Kleider nehmen? Ein Mensch muß wenigstens 5 bis 6 mgr. des Tages gewinnen, wofern er auskommen soll. Ueberhaupt aber wollen Colonisten gleichsam zusammen bruͤten. Wenn man sie einzeln zerstreuet, und unter die Lan- deseinwohner versteckt: so fuͤhlen sie bald das Heimweh. Der Unterschied der Sprache, der Nahrung, der Kleidung, macht, daß sie mit den Landeseinwohnern nie recht vertrauet wer- den. Diese behalten allezeit eine Verachtung gegen solche arme Fremdlinge, hassen und vermeiden sie wohl gar, stehen ih- nen wenigstens in keinen Noͤthen bey, verheyrathen sich nicht mit ihnen, und ein solcher einzelner Colonist sitzt da wie auf einer Insel, ohne daß er sich einmal dem Kruge naͤhern darf. Nun sind aber in Westphalen keine solche Gegenden, wo eine ganze Gemeinheit von Neubauern angelegt werden kann. Es sind immer nur einzelne Flecke, worauf sie unter die alten Einwohner versteckt werden muͤssen; und so moͤgen sie selbst urtheilen, ob sie auf diese Art gedeihen werden? Nicht zu ge- denken, daß Colonisten aus der Ebene sich nicht in bergigten Gegenden, und Colonisten aus letztern nicht auf der Ebene ge- woͤhnen; auch der Uebergang von einem schweren Boden auf ei- Schreiben uͤber ein Project unserer Nachbaren einen leichtern eine ganze Verwandlung der Knochen und Ner- ven erfordere. Unsre Gesetzgeber machen auch jezt viel zu wenig Ge- brauch von dem Hange der Menschen zu religieusen Verbin- dungen, um die Anziehung neuer Colonien hoffen zu koͤnnen. Wir sehen zwar, was die Herrnhuter, die Mennoniten, die Quaͤker und andre mit einer begeisterten Vereinigung ausrich- ten. Wir legen aber den Plan der Colonien darauf gar nicht an; und nutzen den Hang nicht genug, welchen religieuse Bruderschaften ehedem auf den Fleiß und die Sitten der Men- schen gehabt haben. Alles soll mit Strafen und Bruͤchten gezwungen werden. Die Eitelkeit, die Verschwendung, die Ueppigkeit, welche unsre Zeiten verderben, sollen blos durch Policeygesetze eingeschraͤnkt werden; da man doch gewiß hun- dertmal mehr ausrichten wuͤrde, wenn man der einen Par- they erlaubte, den Kopf auf die Rechte, und der andern den- selben auf die Linke zu tragen. Ohne diese Freyheit wuͤrde die Haͤllische Apotheke das nicht seyn was sie ist. Und man kann darauf wetten, daß gewisse Einrichtungen, wenn sie nicht mehr von Sonderlingen, sondern von einer gemeinen Art von Menschen dirigirt werden sollten, bald ihren ganzen Vor- theil verlieren werden. So kraͤftig sind die selbst erwaͤhlten und selbst geschaffenen Meynungen der Menschen. Die allge- meinen Lehren verlieren ihre Kraft. Was reitzen, anfeuern und begeistern soll, muß durch Neuheit, Sonderbarkeit und eigne Erfindung bezeichnet seyn; und es waͤre eine große Frage, ob nicht alle hundert Jahre eine Generalrevolution in den Koͤpfen der Menschen zu befoͤrdern waͤre, um eine Gaͤhrung in der sittlichen Masse des menschlichen Geschlechts, und mit Huͤlfe derselben bessere Erscheinungen, als wir jezt haben, hervorzubringen. Doch nichts weiter von diesem Texte. Ge- Colonisten in Westphalen zu ziehen. Genug, eine neue Colonie erfordert zu ihrer Aufnahme und Erhaltung ganz andre Maschinen als man jezt gebrauche und gebrauchen kann. Man muß nach Pensylvanien reisen. und aus der Vergleichung dieser einzigen Colonie mit allen uͤbrigen sich von einer so wichtigen Wahrheit uͤberzeugen. Wem diese Reise etwas zu weit duͤnkt, der lest An Account of the European Settlements in America, so zu Lon- don 1765 zum viertenmal in 2 Octavbaͤnden aufgelegt, und im Jahr 1760. verfertiget worden. Endlich, so sind die Gegenden, so man insgemein den Colonisten anweisen will, ohne Holz und ohne Baͤche, und ringsherum mit Bauerhoͤfen, welche das Holz, die Baͤche, und den besten Weidegrund eingenommen haben, besetzt. Auf diesen Hoͤfen befinden sich die Saelstaͤtte, die Leibzucht, und 2. 4. 6. 8 Nebenhaͤuser, welche von der naͤchsten Heide die besten Flecke auf mancherley Art nutzen. Wenn man nun zwischen diesen Gruͤnden einzelne Koͤttereyen fuͤr Neubauer anlegen will: so ist es begreiflich, daß sie nicht allein von den ersten Anwohnern, sondern auch von der Natur auf alle Weise eingeschraͤnkt sind. Sie sind selten im Stande ein Taglohn zu verdienen, weil die Hofgesessene ihre alten Nebenwohner um sich und von ihnen alle erforderliche Huͤlfe haben; der Alte sieht es als ein Eingrif in sein Eigenthum an, daß er dergleichen Neubauer, wodurch er in den oͤffentlichen Lasten nicht erleichtert wird, zum Mitgenuß seiner gemeinen Weide lassen soll, und er druͤckt sie auf so mancherley heimliche Art, bis sie endlich das Weite suchen muͤssen. Die beste Art der Bevoͤlkerung in Westphalen bleibt also allemal diese, daß der Hofgesessene vermocht wird, die an seinem Hofe zu naͤchst liegende Gemeinheiten mit zu seinem Hofe zu ziehen, darauf Heuerhaͤuser, welche ihm in allen La- sten zu Huͤlfe kommen, und in denselben Nachbars Kinder zu setzen, An meinen Freund zu Osnabruͤck, setzen, die der Gegend und der Arbeit gewohnt, und mit ihm verwandt und bekannt sind. Diesen, weil es Heuerleute sind, die nicht fuͤr den Staat und fuͤr ihr Eigenthum arbeiten, wird er Weide, Holz und Huͤlfe geben, nie aber fremden Colo- nisten, die dem Boden zu ihrem Eigenthum haben, und ihm seine Rechte schmaͤlern sollen. ..... Ich bin ꝛc. LXI. An meinen Freund zu Osnabruͤck, uͤber die Be-schwerlichkeiten Colonisten anzusetzen. Von einem unbekannten Verfasser. Und doch mein Werthester, bleibe ich allezeit von dem Projecte Colonisten anzusetzen, ganz eingenommen, so viel Beschwerlichkeiten Sie auch dabey finden. Projecten- macher erwecken Difficultantenmacher: Wir wundern uns gar nicht daruͤber, daß man in unserer Nachbarschaft Sachen unmoͤglich glaubt, die uns leichte vorkommen. Weil wir be- staͤndig Nachahmer finden, so halten wir uns des kuͤnftigen Beyfalls der Welt zum voraus versichert, so sproͤde sich dieselbe im Anfang dawider bezeiget. Von ihnen aber verlange ich, daß Sie nicht auf den Ausschlag warten sollen, um Ihre Zu- stimmung zu unsern Einrichtungen zu geben, weil Sie ver- moͤgend sind eine Sache von vorne gruͤndlich zu beurtheilen, und weil daran gelegen ist, daß Sie sich durch die Lust Neuig- keiten zu widersprechen, nicht verleiten lassen, den Vortheil des Vaterlandes und der Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts zu widersprechen. Ich uͤber die Beschwerl. Colonisten anzusetzen. In dem Augenblick, bekennen Sie es nur, als Sie von dem großen Reuter zu Pferde, von dem Wagenrad, von der Fuhrmannspeitsche und von dem aromatischen Strohe im Reiche schrieben, waren Sie dichterisch begeistert, und mehr rednerisch als die gegenwaͤrtige Sache erforderte. Bilden Sie sich von dem Colonistenwesen den wahren Begriff, so werden Sie anderst denken. Der Koͤnig, der Auslaͤnder, die Ursache finden ihr Vaterland zu verlassen, ohne Unterschied der Religion und der Sprachen, in seinen Laͤndern aufnimmt, und ihnen von seinen eigenthuͤmlichen Grundstuͤcken oder wuͤsten Feldern, nothduͤrftig Land, große ungezweifelte Freyheiten schenket, nimmt den alten Einwohnern nichtes, und befoͤrdert den An- bau ihrer Soͤhne mit gleicher Bereitwilligkeit als der Auslaͤn- der. Dies ist der Plan wornach wir arbeiten. Alle Deutsche sind Unterthanen ihrer Fuͤrsten. So viele Fuͤrsten, so viele Koͤpfe. Was Wunder, daß sich der Unterthan den besten erwaͤhlet, wenn er die Gelegenheit dazu findet. Es sind also fuͤr Auslaͤnder mehr als die zwey Ursa- chen die Sie angeben, ausziehen, und wenn Sie alle andere auch dahin rechnen wollten, so muͤssen Sie die Neigung, welche Fremde haben, in den preußischen Staaten zu wohnen, doch als die dritte hinzusetzen. Die Fruchtbarkeit einer Provinz ist es nicht allein, das die Menschen vorzuͤglich bewegt, dieselbe zu bewohnen, denn sonst wuͤrden die Corsen, sich nicht um die rohen Felsen ihres Landes streiten, und wenigstens gegenwaͤrtig unter der franzoͤ- sischen Herrschaft gebeuget, Timian suchen und daselbst die Wollust der Elisaͤen geniessen. Was hilft es dem Rheingauer zu Hochheim die fetten Trauben keltern, die wir ohne Durst und zum Scherz her- unterschlucken. Mösers patr. Phantas. I. Th. Z Un- An meinen Freund zu Osnabruͤck, Unser Vaterland aber, liebster Freund, ist nicht so unfrucht- bar als Sie es beschreiben. Unsre Heiden sind durchgaͤngig mit gruͤnen Angern durchwachsen, und sie sind nirgends so schlecht, daß sie nicht Holz tragen koͤnnten. Die Verschieden- heit des Erdreichs, welche sich fast allenthalben findet, giebt der Kunst Mittel durch vielerley Vermischungen ein neues zu schaffen, und aus mehreren unfruchtbaren ein fruchtbares zu machen. Wir sind hier der ungezweifelten Meinung, daß Westphalen um ein unendliches besser seyn wuͤrde, wenn alles mit Korn und Gras und Holz angebauet waͤre, und daß sol- ches in unserm Jahrhundert noch geschehen koͤnne. So viel hat uns der Fleiß und die Erfahrung vor ihnen bereits voraus gegeben, daß wir von einer Sache Ueberzeugung haben, die ihnen noch lange Zeit zweifelhaft seyn wird, denn wir wissen wohl, daß sie noch lange fuͤr das Plaggenmatt ihres Vater- landes patriotisch streiten werden. Es ist keinesweges unmoͤglich einen Rheinlaͤnder, oder einen andern Fremden, in unsern Gegenden zurechte zu helfen; Es ist hier aber nicht Raum genug und nicht die Gelegenheit Ihnen alle Mittel dazu zu zeigen. Sie wissen, daß unsere Kameralisten einen Vorzug vor vielen haben, und daß sie die Hindernisse, welche anderen unuͤbersteiglich scheinen, leicht uͤberwinden. Sie werden das Mittel leicht finden, die alten Einwohner mit den Ankoͤmmlingen zu vereinigen; Und als- denn sind alle Schwierigkeiten schon gehoben. Haben so viele Eingebohrne und benachbarte Fremde bey uns gebauet, die nicht die gegenwaͤrtige Vortheile genossen haben und dennoch gut bestehen, warum sollen jene nicht fortkommen? Sie ar- gumentiren aber uͤberhaupt zu viel, denn es kommt hier nicht allein darauf an, Meyereyen anzulegen: Wir nehmen Hand- werker und Profeßionisten auf, und wer nicht bauen will, der uͤber die Beschwerl. Colonisten anzusetzen. der setzet sich zur Heuer, und also haben wir ein großes Feld mit Colonisten zu besetzen, vor uns. Ein Eingeborner der reiset, wird die Wissenschaften vieler Provinzien mit zu Haus bringen, und nichts davon ein- fuͤhren. Fremde, so sich irgendswo niederlassen, fuͤhren ihre Gebraͤuche ein, und die Alten nehmen das gute davon an: Der Buchweitzen, die Kartoffeln sind uns von Fremden ge- bracht, wir haben sie nicht geholet, wenn man mich recht un- terrichtet hat. Alle gluͤckliche Revolutionen in der Oeconomie sind durch Kriege, Emigrationen und Transplantationen ent- standen. Wir haben keine große Revolutiones noͤthig, so roh ist unser Vaterland nicht; Fremde aber zwischen unsere Einwohner setzen, ist noch immer von Nutzen: Es sind in Handwerken und im Ackerbau gewisse Behandlungen, und in denen dahin gehoͤrenden Werkzeugen und Maschinen gewisse Vortheile, die nachgeahmt zu werden verdienen. Ich will nicht sagen, was fuͤr Vortheile in Ansehung der Sitten, der Religion und der Moralitaͤt der Einwohner daraus entsprin- gen. Der Umgang mit Fremden macht sanftmuͤthig und hoͤflich- und besieget die Vorurtheile, die jede Nation eigenthuͤmlich hat. Dies sind die Vortheile fuͤr die Provinz. Es gehoͤret nicht hiehin, den Vortheil fuͤr den Her- ren oder fuͤr den Staat zu berechnen, der sonder Zweifel groͤßer ist. Als ich die Ehre hatte, Ihren Brief zu empfangen, riß mich erst der Strom ihrer Reden hin, und ich gieng der Sa- che nachzudenken aufs Feld. Ich traf einen Bauren an, der Ellern um junge Eichen pflanzte. Was wollt ihr doch, sagte er, mit dem fremden Volke anfangen, das wir haben holen muͤssen? Warum pflanzest du, fragte ich, so viel von dem Zeuge um die Telgen, die schon dicke genug stehen, sie neh- men ihnen ja nur die Nahrung? Nein, sprach der Bauer, Z 2 das Ueber die Veraͤnderung der Sitten. das hat keine Noth, die Eller nimmt nichtes von dem, so der Eiche zukommt, sondern nur die sauren Saͤfte, so ihr schaden; sie bruͤtet und schuͤtzet aber die Telgen und naͤhret sie durch ihr Laub, und sie ist ein nutzbares Holz. Wohl, sprach ich, so wollen wir auch die fremden Leute um euch pflanzen. Ich konnte dem guten Bauren hiedurch leicht zum schweigen brin- gen. Ihnen aber gebe ich diese Vergleichung mit dem Nutzen der Bevoͤlkerung in seinem ganzen Umfang und in allen sei- nen Theilen nach Ihren Einsichten zu uͤberlegen, und ich wette, daß Sie minder Widerwillen gegen die Colonisten empfinden werden, wenn Sie solches aufrichtig gethan haben. Ist es endlich, mein Werthester, eine huldreiche Ge- sinnung unseres Monarchen, Fremde, die Ursache finden, sich uͤber ihr Vaterland zu beklagen, aufzunehmen, so lassen Sie es eine edle Bemuͤhung fuͤr seine Diener seyn, ihnen zu hel- fen. Und in dieser Absicht betrachten Sie die ganze Sache als ein Gluͤck fuͤr Deutschland. Uebrigens muß Ihnen ein jeder beypflichten, daß die Bevoͤlkerung durch Heuerleute dem Genie der westphaͤlischen Provinzien am gemaͤßesten sey, und ich habe mich gefreuet, Sie am Ende ihres Briefes wieder zu finden. Wir vernach- laͤßigen dies so wenig, daß unsere Neubauer schon anfangen, Heuerleute anzusetzen. Leben Sie wohl. Minden d. 30. Jul. 1770. LXII. Ueber die Veraͤnderung der Sitten. Es ist oft ein angenehmer und lehrreicher Anblick zu sehen, wie sich gewisse Thorheiten gegen alle Gesetze erhalten; und oftmals auch Gesetze zu einer Zeit gegen Laster eifern, welche Ueber die Veraͤnderung der Sitten. welche zur andern Zeit ungestraft hingehen. Nach dem Reichs- abschiede von 1431. sollte allen denjenigen, so in der Armee spielen wuͤrden, die Hand abgehauen werden. Diese Ver- antwortung wurde im Reichsabschiede von 1486. dahin ge- schaͤrft, daß den Spielern der Kopf abgeschlagen werden sollte. In der Reichs- Fuß- Knechtsbestallung von 1570. lenkte man wieder dahin ein, daß niemand auf Credit spielen sollte, bey Verlust des Gewinnstes; und nachher hat man es gar unnoͤthig gefunden, dieserhalb Reichsgesetze zu machen. In dem Reichsabschiede von 1577. wird den Weibsleuten das Springen verboten. Und jezt laͤßt man sie so viel sprin- gen wie sie wollen. Es ist fast kein Reichs-Policeygesetz, worinn nicht gegen die Schalksnarren geeifert wird. Ist es aber eine Folge des Verbots oder der veraͤnderten Zeiten, daß die Narren ihre Kappen abgelegt und dafuͤr ehrbare Kleider angezogen haben? Wie vielmal heißt es nicht in eben diesen Gesetzen, als z. E. in den Reichsabschieden von 1497, 1498, 1500, 1530, 1548, 1577, daß die Herrn, welche Pfeiffer und Trommeter halten, solche bey andern als ihren Untertha- nen, welche es leiden wollen, nicht zum Neujahr blasen schicken sollen? Dennoch aber sehen wir deren oft viele aus benach- barten Laͤndern, welche auf dem platten Lande herumziehen, und den Unterthanen das neue Jahr ungerufen verkuͤndigen. Vermoͤge des Reichsabschiedes vom Jahr 1498. soll jeglicher kurzer Rock oder Mantel in der Länge gemacht werden, daß er hinten und vorn ziemlich und wohl decken möge. Jezt aber wuͤrde ein Reichsgesetz erfordert werden, um die gar zu große Laͤnge der Kleider zu verbieten. Ferner wird im Reichsabschiede von 1427. verboten, gar keine Frauen mit zur Armee zu bringen; in dem vom Jahr 1431. aber wird dieses auf die gemeinen Frauen eingeschraͤnkt. Wer derglei- Z 3 chen Aufmunterung und Vorschlag chen mitbraͤchte, heißt es, sollte gehörnet Hier hat man den Gebrauch des Hoͤrnertragens, der zwar aͤlter ist, wie Salmasius, Menagius und andre Kritiker es gewiesen haben, doch hier als eine reichsgesetzliche Strafe bekannt gemacht wird. werden. Im Reichsabschiede vom Jahr 1570. werden beyde zugelassen, doch mit dem Unterscheide, daß man die gemeinen unehrba- ren Weiber zur Zeit der ersten Musterung oder hernach, wenn es befohlen wuͤrde, zum Troß schicken solle. In diesem Stuͤcke hat sich die neuere Kriegeszucht besser gehalten. Allein das Reichsgesetz von 1667., worinn alle guͤldene und silberne Spitzen und Borten, wie auch guͤldene und silberne Knoͤpfe, nicht weniger die guͤldene und silberne Tuͤcher, die mit Gold und Silber gestickten Kleider und das unnoͤthige Vergulden verboten sind, und worinn ferner alle seidene und zwirnene Spitzen verboten werden sollten, ist vermuthlich nie zur Aus- uͤbung gekommen, und giebt lediglich eine Beylage zur Ge- schichte der menschlichen Thorheiten ab. LXIII. Aufmunterung und Vorschlag zu einer westphaͤ- lischen Biographie. Es ist unstreitig eine der groͤßten und feinsten Ideen, daß Menschen, die ihre Tage in stiller Ausuͤbung aller Tu- genden zugebracht haben, nach ihrem Tode von dem Ober- haupte der Kirchen heilig und selig gesprochen werden. Maͤn- ner, welchen ihre Demuth im Leben nicht gestattete, nach ei- nen glaͤnzenden Ruhm zu streben, und sich entweder an der Spitze eines Heers oder am Ruder des Staats in der Ge- schichte zu einer westphaͤlischen Biographie. schichte zu verewigen, erhalten auf diese Weise auch ihr ver- dientes Ehrenmahl; und die Vergoͤtterung, womit Geschicht- schreiber und Dichter ein so unerlaubtes als gefaͤhrliches Mo- nopolium treiben, muß einer Heiligsprechung weichen, welche nicht anders als nach der strengsten Untersuchung und von Einsichtsvollen Richtern geschiehet. Die glaͤnzenden Tugen- den oder Laster, wie man sie nennen will, sind solchergestalt nicht die einzigen, welche der Nachwelt in der Geschichte zu Mustern vorgestellet werden; die Menschen lernen dadurch einsehen, daß auch durch stille Tugenden ein ruhmvolles An- denken zu erwerben sey; und nicht jedes Genie das einen Be- ruf empfindet, sich aus seiner Sphaͤre zu heben, wird in die Versuchung gesetzt, sich sogleich durch die Anzuͤndung eines Tempels oder durch die Unterdruͤckung eines Nachbaren zu verewigen. Nichts koͤnnte wuͤrklich einem Staate vortheilhafter seyn, als die Lebensbeschreibungen solcher Heiligen, wann sie von einer geschickten Hand verfertiget, und solchergestalt den From- men und Redlichen im Lande als Muster zur Nachahmung vorgelegt wuͤrden. Hat gleich mancher Fehler, welche sich nach dem umerschiedenen Geschmacke der Zeiten in die Art der Behandlung eingeschlichen, insbesondre aber der Fehler, daß man wider die Natur der Sache in diesen Lebenslaͤufen auch das Glaͤnzende, das Heroische und das Rittermaͤßige zu sehr und oͤfters auf Kosten des Wahrscheinlichen gesucht, viele davon anders denken lassen: so bleibt die Sache an sich doch allemal von einem so großen Werth, daß sie die allergroͤßte Aufmerksamkeit und Bewunderung verdient. Um die Tugend in Mustern vorzustellen, nehmen wir jezt oft unsere Zuflucht zu moralischen Erzaͤhlungen. Diese sind aber nicht so wuͤrk- sam als die Geschichte solcher Maͤnner, deren man sich als sei- ner ehemaligen Mitbuͤrger und Verwandte erinnert; insbe- Z 4 sondre Aufmunterung und Vorschlag sondre aber fehlt ihnen die wahre Reizung fuͤr uns auch ein- mal selbst und mit den Namen der Nachwelt auf gleiche Art empfohlen zu werden; und diese Reizung, welche die ver- nuͤnftige Eigenliebe vielleicht nicht deutlich denkt, aber doch allemal empfindet, ist nicht das letzte Mittel die Menschen zur Ausuͤbung stiller und wahrer Tugenden zu fuͤhren. Ein Ehrenmal, worauf die Tugend in ihrem feyerlichsten Gewande auf das liebenswuͤrdigste abgebildet ist, wird nie so vielen Ein- druck in unsern Busen hinterlassen als das Denkmal, das der Staat einem genannten Privatmanne, dessen Familie, Freund- schaft und Andenken noch lebt, zur Dankbarkeit fuͤr sein Wohl- verhalten errichtet. Bey dem allen bleibt es aber doch wahr, daß man die Heilig- und Seligsprechung nur selten und sparsam gebrau- chen, und sie nicht wie unsre heutigen Tittel verschwenden muͤsse, wosern man ihren Werth nicht schwaͤchen, und den himmlischen Adel so gemein als den irrdischen machen will. Es bleibt ferner wahr, daß solche nicht die Stelle einer buͤr- gerlichen Krone vertrete und zur Aufmunterung politischer Tu- genden diene. Daher reicht derselbe auch zu allen Absichten nicht hin, und man denkt billig darauf, das Andenken solcher Thaten, welche zu ihrer Ehre erst den Zeitungsschreibern und Journalisten, und hernach solchen gelehrten Fabricanten, welche daraus das Leben großer Kriegeshelden beschreiben, unbekannt bleiben, noch auf mehrere Arten in Segen zu erhalten. Und hiezu ist das Mittel einheimischer Biographien oder Lebens- beschreibungen gewiß das bequemste und wohlfeilste. Unsre Vorfahren kannten diesen großen Plan, indem sie die soge- nannten Personalien eines verdienten Mannes drucken lies- sen. Und es ist schade, daß die Satyre hier das Kind mit dem Bade verschuͤttet, und nicht darauf eingelenkt hat, daß blos zu einer westphaͤlischen Biographie. blos verdienten Maͤnnern ex decreto reipublicæ dergleichen Ehre wiederfahren solte. Doch dies im Voruͤbergehen. Deutschland macht kein recht vereinigtes Ganze aus, wie andre Reiche. Es hat keine Hauptstadt wie Frankreich und England, und folglich stehen diejenigen Personen, welche dem Staate und gemeinen Wesen dienen, oder auch sonst in stiller Groͤße leben, nicht auf der Hoͤhe und in dem Lichte, worinn sie sich in jenen Reichen befinden. Wir koͤnnen uns also nie schmeicheln, solche Biographen zu erhalten, wie unsre Nachbaren haben. Wir koͤnnen hoͤchstens Helden und Ge- lehrte (und dergleichen Muster brauchen wir so gar viel nicht) aber nie den Mann, der dem Staate im Cabinet und auf dem Rathhause dienet, zu einem Terray Was muß man sich fuͤr eine Idee von einem Manne machen, der sich mit dem Hasse eines Reichs beladen laͤßt, und allen Spoͤttereyen aussetzt, um einen voͤllig verdorbenen Staat wieder herzustellen? Desgleichen giebt es alle hundert Jahre nur einen. oder Beckford machen. Der Minister eines Bischofen oder Reichsgrafen mag seinem kleinen Staate noch so große Dienste leisten und zehntausend Unterthanen gluͤcklich machen; sein Ruhm wird mit ihm bald in die Grube sinken, wenn er auf einen solchen Biographen warten soll, wie die Englaͤnder und Franzosen haben. Daher ist es noͤthig auf eine einheimische Anstalt zu denken, wofern wir nicht den Nutzen, welchen die Ehre nach dem Tode, dieser große obgleich unerklaͤrliche Bewegungs- grund, dem gemeinen Wesen ohne viele Kosten verschafft, ganz verlieren wollen. Unser Stift ist zu klein, um allein etwas zu unterneh- men. Allein Westphalen ist groß genug, und das Leben eines Westphaͤlingers kann wenigstens alle seine Landesleute interes- Z 5 siren; Aufmunterung und Vorschlag zu einer westph. ꝛc. siren; es kann Nutzen und Nachahmung erwecken, da man sich einander kennt, oder doch an seinen Landesleuten einen naͤhern Antheil als an fremden nimmt. Wir haben große Maͤnner gehabt; und es ist zu glauben, daß die Familien, welche dergleichen unter ihre Ahnen zaͤhlen, die Nachrichten gern mittheilen werden, so bald sie sehen, daß ein so nuͤtzli- cher Gebrauch davon gemacht werden soll. Wir koͤnnen auch Kuͤnstler, Mahler und Bildhauer aufweisen, die entweder von fremden Biographen mit Stillschweigen uͤbergangen oder auf fremde Rechnung geschrieben worden. Wie ist es uns nicht mit den bekannten Israel von Mecheln gegangen, der nicht weit von Bokholt im Stifte Muͤnster zu Hause war, dort gelebt und gearbeitet hat? Der juͤngst verstorbene Canzler von Braband, Herr von Crumpypen, war eines Schmids Sohn aus Warburg. Er selbst hat es in seinem Leben keinen verhehlet; aber seine Nachkommen koͤnnten es leicht vergessen. Die Geschichte solcher Landesleute, die sich durch eigne Verdienste haben heben muͤssen, bleibt aber allemal angenehm und nuͤtzlich; und das Leben eines Grafen von Osterman ist wichtiger als die Sammlung aller Thaten von manchem ge- bohrnen Reichsfuͤrsten. Es sind aber nicht blos diese Art von Cometen, die nur selten erscheinen, deren wunderbaren Lauf eine Beschreibung verdient. Wir wuͤnschten auch die Lebens- laͤufe solcher Maͤnner und Muster zu haben, die zur Nachah- mung geschickter, von minderm Glanze, aber von gleicher Groͤße gewesen; und wir wuͤnschen, daß sich eine Gesellschaft zusammen thun und vorerst mit Sammeln den Anfang machen moͤge. Bis dahin dieses geschicht, werden alle Kenner und Liebhaber ersucht, diejenigen Nachrichten von ruhmwuͤrdigen Maͤnnern aus Westphalen, welche in einer solchen Sammlung erwehnt zu werden verdienen, dem Intelligenzcomtoir, wo sie zu getreuer Hand aufbewahret werden sollen, einzuschicken. LXIV. LXIV. Vorstellung zu einer Kreisvereinigung, um das Brandteweinsbrennen bey dem zu besor- genden Kornmangel einzustellen. Es ist schon mehrmalen erinnert worden, wie hoͤchstnuͤtz- lich es seyn wuͤrde, wenn die Reichsstaͤnde in dem west- phaͤlischen Kreise sich wegen gewisser Policeyanstalten gemein- schaftlich vereinigten, und allenfalls auch mit dem benachbar- ten niedersaͤchsischen Kreise dieserhalb eine Correspondenz un- terhielten. Die alten Reichsgesetze empfehlen dieses mit so vielem Ernste; und die Noth erfordert es so offenbar, daß man sich billig wundern muß, warum nicht mit mehrern Ernste und Eifer an eine so noͤthige Sache gedacht werde. Die Zeit ist voruͤber, worinn die anwachsenden Territorialhoheiten ge- gen eine solche Anstalt eifersuͤchtig waren. Jeder Reichsstand ist nunmehro wuͤrklich voͤlliger Herr in seinem Lande, und keiner hat zu besorgen, wenn er durch eine freywillige Ver- einbarung mit seinem Kreisgenossen seiner Macht Vollkom- menheit einige Schranken sezt, daß ihm solches als eine neue Unterwuͤrfigkeit gegen das gemeinschaftliche Reichssystem und dessen Oberhaupt werde angerechnet werden. Woran liegt es also, daß die Reichsstaͤnde eines Kreises sich gewisser Dinge halber nicht naͤher vereinigen, und gegen allgemeine Uebel nicht mit gemeinschaftlichen Kraͤften arbeiten? Nichts scheinet eine solche Vereinigung dermalen naͤher zu empfehlen, als der Abfall der leztern Erndte, und der da- Vorstel. zu einer Kreisv. um das Brandteweinsbr. daher zu besorgende Kornmangel. Kein einzelner Kreisstand ist vermoͤgend sich in diesem Falle selbst zu helfen. Will der eine das Brandteweinsbrennen verbieten: so laͤßt es der an- dre zu, um den Vortheil allein zu ziehen. Die kleinen Staa- ten bestehen aus lauter Graͤnzen; und so bald den Eingeses- senen eines Staats das Getraͤnke um einen halben Pfennig erhoͤ- het wird: so geht er uͤber die Graͤnze, wo er wohlfeiler trinken kann und traͤgt sein Brodkorn zu einer fremden Blase. Sucht der eine die Ausfuhr zu verbieten: so verfuͤhrt der andre seine Nachbarn, ihm das ihrige bey der Nacht zuzubringen; und der Gesetzgeber des einen Kirchspiels mag sich wenden und drehen wie er will: der andre belauret ihn doch; und der Mangel uͤbereilt sie zulezt alle. Alle diese Unbequemlichkeiten und hinterlistigen Be- handlungen werden aber wegfallen, wenn die Nachbaren ei- nes Kreises sich gemeinschaftlicher Anstalten verglichen; wenn sie die Brandteweinskessel insgesamt versiegelten; sich uͤber Ein- und Ausfuhr mit einander verstuͤnden, und solcherge- stalt allen Unterschleifen nachdruͤcklich vorbeugten. Nur als- denn kann die fuͤr das Wohl der Unterthanen wachende obrig- keitliche Vorsorge ihre Absicht erreichen, anstatt daß jezt dieje- nige, so das Tanzen verbietet, nur die Spielleute ihrer Nach- barn bereichert. Noch gluͤcklicher wuͤrden die Folgen einer solchen Verei- nigung seyn, wenn einer zugleich von seinem Ueberfluß des andern Mangel abzuhelfen suchte. Der Kornhaͤndler wendet sich bey der geringsten Verlegenheit gleich nach Bremen, treibt dort die Preise in die Hoͤhe, und erwecket ein gefaͤhrliches Ge- schrey, ohne daß man noch recht versichert ist, ob ein wahrer Man- gel im Kreise vorhanden sey? Dies wuͤrde man gewiß nicht zu bey dem zu besorgenden Kornmangel einzustellen. zu besoͤrgen haben, wenn die Kreisstaͤnde mittelst einer ver- traulichen und sichern Correspondenz den wahren Mangel oder Vorrath jedesmal zu beurtheilen im Stande waͤren. Man wuͤrde dem entlegenern Stande, der Korn genug, aber kein Fuhrwerk hat, dienen und sich selbst helfen koͤnnen. Man wuͤrde das Fuhrwerk im Kreise einander zu tarifmaͤßigen Prei- sen liefern, sich einander gleichsam in die Hand arbeiten, und die Circulation daheim auf eine Art befoͤrdern koͤnnen, wobey alle Theile ihr Interesse finden wuͤrden. Ja man koͤnnte dem- jenigen Stande, der den groͤßten Ueberfluß haͤtte, das Brandte- weinsbrennen von Kreiswegen zugestehen, und sich vereini- gen, dieses Getraͤnk binnen einer verglichenen Zeit blos von ihm zu nehmen, um sich auf diese Art einander zu statten kommen. Wollte man die Sache aufs Interesse treiben: so waͤre nichts leichters als im ganzen Kreise eine gleichfoͤrmige Brandte- weinsaccise einzufuͤhren; anstatt daß jezt derjenige Stand, so seine gemeinen Ansgaben durch eine Tranksteuer zu bestrei- ten sucht, wenig mehr ausrichtet, als daß die Unterthanen einen Schritt uͤber die Graͤnze thun, und dort ein unversteuer- tes Glas ausleeren. Alle Financiers stimmen darinn uͤber- ein, daß bey erheischender gemeinen Noth nichts billiger sey als eine Steuer auf dieses Getraͤnk. Die Landstaͤnde des vorigen Jahrhunderts eiferten gegen das zunehmende Brandte- weintrinken, aͤrger als die Prediger, und baten recht eifrig darum, dem Uebel durch eine Vertheurung zu wehren. Die Englaͤnder und Franzofen haßten unsere Gegenden, weil der Brandtewein darinn zu wohlfeil war, und der Preis die Soldaten zum Gesoͤffe verleitete. Warum sollte also eine solche Vereinigung im Kreise nicht heilsam und noͤthig seyn? be- sonders wenn der fleißige Unterthan dagegen in andern Aufla- gen Vorstel. zu einer Kreisv. um das Brandeweinsbr. gen erleichtert wuͤrde? Kann die Entschuldigung, daß der Brandtewein zum Nothduͤrftigen gewisser Menschen gehoͤre, dagegen als erheblich angesehen werden, da vor dreyhundert Jahren auf dem platten Lande noch gar keiner gebrandt, und blos der Vornehmere in den Staͤdten mit Nordhaͤuser und Quedlinburger gelabet wurde; gleichwol aber der Landmann bey Pumpernickel und Bier eben so fleißig, wo nicht fleißiger war, als bey den vielen distillirten Giften? Unstreitig werden diese und aͤhnliche gute Absichten gar sehr dadurch gehindert, das die westphaͤlische Kreisgesand- schaft sich in der Stadt Cölln aufhaͤlt, wo sie von der wah- ren Beduͤrfniß des Kreises nichts erfaͤhret, und sich auch gar nicht um dergleichen Anstalten bekuͤmmert. Allein es ist unsre Schuld, daß wir bey dieser Stadt, welche blos der franzoͤsischen Kriege halber zur Kreisstadt erwaͤhlet worden, und deren Lage, nachdem die Reichskriege mit Frankreich auf lange Zeit ein Ende genommen haben, allen guten Absichten zuwider ist, noch be- harren. Osnabruͤck hat die wahre Lage zur Kreisstadt. Sie liegt in der Mitte von allen, bequem zur Correspondenz mit dem niedersaͤchsischen Kreise, und so, daß man immer den Bremischen und Hollaͤndischen Markt absehen, mithin seine Maaßregeln darnach nehmen kann. Hier also sollte man sich zum erstenmal zur Versiegelung aller Brandteweinskessel im Kreise auf ein Jahr vereinigen und damit den Grund zu ei- ner guten Correspondenz in andern Sachen legen. LXV. LXV. Von der Neigung der Menschen, eher das Gute als das Boͤse von andern zu glauben. Die Neigung der Menschen, eher das Boͤse als das Gute von andern zu glauben, ist unlaͤngst sehr angefochten, und als eine Tochter des Stolzes und des Neides verabscheuet worden. Unsere Großmuͤtter dachten aber ganz anders, als z. E. wenn ein lediges Frauenzimmer auf oͤffentlichen Plaͤtzen allein spatzierte: so glaubten sie gleich, es geschaͤhe um ein gutes Ebentheuer zu suchen. Gieng sie mit einer Mannsperson allein, so hieß es: die Voͤgel zoͤgen zu Neste. Gieng einer mit schlechten Leuten um: so hatte gleich und gleich sich gesellet; machte ein Bedienter oder eine Bedientin zu großen Aufwand: so gieng das nicht von rechten Dingen zu, der Mann muste Rips Raps und die Frau sonst was gemacht haben. Kurz, sie legten jeden zweydeutigen Schein boͤse aus, glaubten, daß alle, die sich einer Versuchung freywillig blos stelleten, leicht darin umkaͤmen, und dachten, Gelegenheit mache Diebe. Durch diese practische Maximen noͤthigten sie sowol junge als alte, nicht allein allen boͤsen Schein, sondern auch alle Versu- chung und Gelegenheit zu fliehen. Der Rechtsgelehrte haͤlt jeden fuͤr einen ehrlichen Mann bis das Gegentheil erwiesen ist. Dies gilt von aͤusserlichen Handlungen, welche der Richter zu bestrafen hat. Die Sit- tenlehre haͤlt alle Menschen fuͤr arme Suͤnder, um sie zu noͤ- thigen, durch eine bestaͤndige Thaͤtigkeit in guten Handlungen zum allgemeinen Besten das Gegentheil zu zeigen. Er sieht ei- Klagen einer Hauswirthin. einen ruhigen Mann fuͤr faul, einen ungluͤcklichen fuͤr schul- dig, einen Bettler fuͤr diebisch, und eine zu freye Person fuͤr liederlich an, um die gegenseitigen Tugenden so viel eher zu erzwingen. LXVI. Klagen einer Hauswirthin. Ich weis mit Wahrheit nicht, wie eine ehrliche Frau diesen Winter (1770) sich mit ihrem Haushalt noch durchbrin- gen will, da alles was zur Leibes Nothdurft und Nahrung ge- hoͤret, immer theurer wird, und so wenig aus Holland als Ostfriesland Butter vor Geld zu bekommen ist. Dabey nimmt der Unglaube so sehr uͤberhand, daß auch das Gesinde die Furcht Gottes ganz ausser Augen setzt, und sich nicht mehr mit redlicher Kost begnuͤgen will. Wo die Schweine es nicht noch einigermaßen wieder gut machen: so sehe ich keinen Rath. Denn das eingeschlachtete Kuhfleisch verschwindet im Topfe, und fettes Vieh will man wegen der leidigen Seuche noch nicht durchlassen. Talg und Kaͤse sind natuͤrlicher Weise auch gestiegen; und die Ostfriesen werden uns ihr Ruͤbeoͤl theuer genung verkaufen wollen, da der Wall- fischfang in diesem Jahre so schlecht ausgefallen ist. Alles wird aufs liebe Brod fallen, und dieses ist uns leider heuer so sparsam zugewogen, daß man es den Arbeitsleuten wohl wieder zuwaͤgen moͤchte. Kurz, wer dieses Jahr mit Ehren durchkommt, der kann von Gluͤcke sagen. Das Klagen einer Hauswirthin. Das schlimmste bey dem allen ist, daß das Gesinde in hiesigen Gegenden immer gleich uͤppig und kostbar bleibt, und durch keine Ermahnungen dahin zu bringen ist, sich mit Brod und Kaͤse ohne Butter zu begnuͤgen. Anderwaͤrts hat man Birnmuß, Schwetzgenmuß und Moͤhrensaft statt der Butter; in Frankreich sind eine Zwiebel und drey Kastanien eine herr- liche Mahlzeit; aber hier weis man von dem allen nichts. Das Gesinde wuͤrde einen auslachen, wenn man ihm, wie in Boͤhmen, Brod und Salzgurken, und des Sonntags ein paar Senfbirn vorsetzen wollte. Wir haben auch weder Schaafkaͤse nach saure Schaafmilch, womit der Haushalt in andern Laͤndern Jahr aus Jahr ein unterhalten wird, und ohnerachtet sich ganze Heere von Staaren in unsern Gegenden zeigten: so hat man sich doch die Muͤhe nicht gegeben, sie zu fangen, und fuͤr den Winter in Eßig zu setzen. Kurz, ich habe in meinem Leben ein solches Land nicht gesehn, wo die Einwohner so kostbar leben. Es ist gar kein Wunder, daß keine Fabriken darinn empor kommen koͤnnen. Denn jedet Bettler verzehrt doppelt so viel, als in andern Laͤndern der fleißigste Fabrikant des Tages gewinnet. Ein Mohr in Africa lebt taͤglich von 3 Pfenningen, wofuͤr er sich Brod und Zwie- beln kauft, und seine hoͤchste Wollust an Feyertagen ist, daß er sein Brod roͤstet und in Oel tunkt. Aber hier schreyt alles nach Fleisch, und ist kaum mit einerley zufrieden. Ich wollte daß die Leute, die Philosophen, wie man sie heißt, die den Leuten so vieles weiß machen, und eine Herrschaft ausser Stand setzen, einen Haushalt in der Furcht Gottes zu fuͤhren, zum allgemeinen Besten eingepoͤkelt wuͤr- den: so haͤtte man noch was davon. Insbesondre aber wuͤnschte ich, daß alle die suͤssen Sittenlehrer, die den Weg zum Himmel ebner als unsre Heerstraffen machen, und zur Mösers patr. Phantas. I. Th. A a Be- Klagen einer Hauswirthin. Bequemlichkeit fuͤr die vornehmen Suͤnder mit Pelouse à Paris on ne marche actuellement que sur la Pe- louse. Pelu oder Velu ist eins; und zeigt also das Pe- louse so viel als einen Grasweg an, der geschornen Sammte gleicht. belegen, fuͤr den Unterhalt aller von ihnen verdorbenen Haus- haltungen im Zuchthause arbeiten muͤßten. Denn ihnen und sonst keinem haben wir es zu danken, daß dem Staͤdtischen Geschlechte vor dem lieben Brodte so ekelt, und meine Maͤd- gen nichts als Filet machen wollen, da ich ihnen denn die Struͤmpfe fuͤr baar Geld kaufen muß. Ehedem hatte man ein Ehrenkleid fuͤr sein Lebenlang, und meine Brautschuh waͤhren noch nach dreyßig Jahren, indem ich sie nicht anders als auf allen vier hohen Zeiten anziehe: aber jezt gehr alles mit seid- nen Schuhen und Struͤmpfen durch dicke und duͤnne, und das zu einer Zeit, wo der liebe Rocken kaum vor Geld zu haben ist. Doch ich mag gar nicht mehr daran gedenken; Gott bes- sere die Zeiten, und gebe uns einen guten Winter, damit das Vieh noch eine Zeitlang draussen bleiben und die Frucht auf dem Felde allen denjenigen, welche auf ein theures Fruͤhjahr lauern eine solche Aussicht zeigen moͤge, daß sie es nicht wagen, ih- ren Vorrath bis zum aͤußersten zuruͤck zu halten. LXVII. LXVII. Also soll man die Aufsuchung der Spitzbuben, Vagabunden, nicht bey Nachte vor- nehmen? Wenn die Policey nach Landstreichern und andern ver- daͤchtigen Leuten suchen laͤßt: so pflegt solches insge- mein des Nachts zu geschehen. Ein hier sitzender Spitzbube hielt daruͤber unlaͤngst nachstehende Rede: „Die Policeybediente muͤssen glauben, daß wir, wie andre ehrliche Leute, unser Brod bey hellen Tage verdienen, und des Nachts von unsrer Arbeit ausruhen. Sonst wuͤrden sie sich wohl nicht allemal die vergebliche Muͤhe machen, uns des Nachts in den Schenken aufzusuchen. Nein, wenn wir schlafen: so geschieht dieses bey Tage, und des Nachts bleiben wir in keiner Schenke, wenn wir auch wuͤrklich schlafen woll- ten. Hier ist es viel zu unsicher vor uns, und jeder Laͤrm wuͤrde uns in Furcht und Gefahr setzen. In den Wirths- haͤusern findet man uns, und unsre kuͤnftigen Mitbruͤder, die Landstreicher, nicht haͤufiger als im Winter gegen drey oder vier Uhr des Abends. Von den Beschwerlichkeiten eines kalten und regnigten Tages ermattet, oder von einer Arbeit der vorigen Nacht, durch einen kurzen Schlaf nur halb er- quicket, genießen wir sodann der ersten Waͤrme beym Feuer oder in der Stube. Die heischere Kehle wird durch einen guten Trunk sodann gelabet, und der hungrige Magen genießt etwas warmes, was wir auf der Landstrasse und ausser den Wirthshaͤusern nicht finden. Die Reisenden kehren zu dieser A a 2 Zeit Also soll man die Aufsuchung der Spitzbuben ꝛc. Zeit haͤufiger ein, und der durstige Bauer eilet zur Labung. Wir hoͤren von ihnen die Neuigkeiten des Dorfs, und erfah- ren nicht selten, wie sie des Nachts bestellet sind, eine allge- meine Visitation vorzunehmen. Der Untervogt erzaͤhlet, wie manchen Spitzbuben er in seinem Leben beynahe gefangen, und wie er einsmals bey einer naͤchtlichen Visitation in Ge- fahr gewesen sey, den Hals zu zerbrechen. Wir hoͤren dieses ruhig an. Allein gegen dem daß die Waͤrme, das Bier und der Brandtewein die Koͤpfe der Bauern schwer machen, wel- ches insgemein gegen 9 Uhr zu geschehen pflegt: so schleichen wir davon, um entweder einige Stunden weit nach neuen Eroberungen zu streifen; oder wir kriechen in eine unverdaͤch- tige Scheune aufs Heu, wo uns niemand mit der Leuchte sieht: hier liegen wir in der vollkommensten Sicherheit; und das ganze Kirchspiel hat bey der naͤchtlichen Visitation nichts als einen guten Rausch gewonnen.„ Der Mann, der diese Rede hielt, redete aus der Er- fahrung; er war gewiß hundertmal bey Nachte gesucht, und nicht gefangen, aber endlich bey Tage angeschlossen, und so gefangen worden. Ende des ersten Theils.