Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern von D. Christoph Wilhelm Hufeland der Arzneykunst ordentlichem Lehrer zu Jena. Süsses Leben! Schöne freundliche Gewohnheit des Daseyns und Wirkens! — von dir soll ich scheiden? Göthe , Jena , 1797 . in der akademischen Buchhandlung . Vorrede . D as menschliche Leben ist, physisch be- trachtet, eine eigenthümliche animalisch- chemische Operation, eine Erscheinung, durch die Konkurrenz vereinigter Natur- kräfte und immer wechselnder Materien be- wirkt; — diese Operation muss, so wie jede andere physische, ihre bestimmten Ge- setze, Grenzen und Dauer haben, in so fern sie von dem Maas der verliehenen Kräfte und Materie, ihrer Verwendung, und manchen andern äussern und innern Umständen abhängt; — aber sie kann, so wie jede physische Operation, befördert oder gehindert, beschleunigt oder retardirt werden, — durch Festsetzung richtiger Grundsätze über ihr Wesen und Bedürfnisse, und durch Erfarung lassen sich die Bedin- gungen bestimmen, unter welchen dieser Prozess beschleunigt und verkürzt, oder re- tardirt und also verlängert werden kann; — es lassen sich hierauf Regeln der diäteti- schen und medizinischen Behandlung des Lebens, zur Verlängerung desselben, bauen, und es entsteht hieraus eine eigne Wissen- schaft, die Macrobiotic , oder die Kunst das Leben zu verlängern, die den Inhalt des gegenwärtigen Buchs ausmacht. Man darf diese Kunst nicht mit der gewöhnlichen Medizin oder medizinischen Diätetik verwechseln, sie hat andere Zwe- cke, andere Mittel, andere Grenzen. Der Zweck der Medizin ist Gesundheit, der Ma- crobiotic hingegen langes Leben; die Mit- tel der Medizin sind nur auf den gegenwär- tigen Zustand und dessen Veränderung be- rechnet, die der Macrobiotic aber aufs Ganze; dort ist es genug, wenn man im Stande ist, die verlohrne Gesundheit wieder herzustellen, aber man fragt dabey nicht, ob durch die Art, wie man die Gesundheit wieder herstellt, das Leben im Ganzen ver- längert oder verkürzt wird, welches leztre bey manchen Methoden der Medizin der Fall ist; die Medizin muss jede Krankheit als ein Uebel ansehen, das nicht bald genug weggeschafft werden kann, die Macrobiotic zeigt, dass manche Krankheiten Verlänge- rungsmittel des Lebens werden können; die Medizin sucht, durch stärkende und andre Mittel, jeden Menschen auf den höchsten Grad seiner physischen Vollkommenheit und Stärke zu erheben, die Macrobiotic aber zeigt, dass es auch hier ein Maxi- mum giebt, und dass ein zu weit getrieb- ner Grad von Stärkung das Mittel werden kann, das Leben zu beschleunigen und folglich zu verkürzen; die practische Medizin ist also, in Beziehung auf die Ma- crobiotic, nur als eine Hülfswissenschaft zu betrachten, die einen Theil der Lebensfeinde, die Krankheiten, erkennen, verhüten und wegschaffen lehrt, die aber selbst dabey den höhern Gesetzen der Macrobiotic unterge- ordnet werden muss. Langes Leben war von jeher ein Hauptwunsch, ein Hauptziel der Mensch- heit, aber wie verworren, wie widerspre- chend waren und sind noch jezt die Ideen über seine Erhaltung und Verlängerung! Der strenge Theolog lächelt über solche Unter- nehmungen und fragt: Ist nicht jedem Ge- schöpf sein Ziel bestimmt, und wer vermag ein Haarbreit seiner Länge oder eine Mi- nute seiner Lebensdauer zuzusetzen? Der practische Arzt ruft uns zu: Was sucht ihr nach besondern Mitteln der Lebensver- längerung? Braucht meine Kunst, erhal- tet Gesundheit, lasst keine Krankheit auf- kommen, und die, welche sich etwa einstel- len, curiren; diess ist der einzige Weg zum langen Leben. Der Adept zeigt uns sein Lebenselixir, und versichert, nur, wer diesen verkörperten Lebensgeist fleisig einnähme, könne hoffen alt zu werden. Der Philosoph sucht das Problem so zu lö- sen, dass er den Tod verachten, und das Leben durch intensiven Gebrauch verdop- peln lehrt. — Die zahllose Legion von Empirikern und Quacksalbern hingegen, die sich des grossen Haufens bemeistert haben, erhält ihn in dem Glauben, dass kein besse- res Mittel, alt zu werden sey, als zur rech- ten Zeit Ader zu lassen, zu schröpfen, zu purgiren u. s. f. Es schien mir also nüzlich und nöthig, die Begriffe über diesen wichtigen Gegen- stand zu berichtigen, und auf gewisse feste und einfache Grundsätze zurückzuführen, wodurch diese Lehre Zusammenhang und systematische Ordnung bekäme, die sie bis- her nicht hatte. Seit 8 Jahren ist dieser Gegenstand die Lieblingsbeschäftigung meiner Nebenstun- den gewesen, und ich würde mich sehr freuen, wenn sie andern auch nur halb so viel Unterhaltung und Nutzen schaffen sollte, als sie mir verschafft hat. — Ja selbst in den zeitherigen traurigen und Menschenverschlingenden Zeiten, fand ich meine beste Tröstung und Aufheiterung darinn, an der Aufsuchung der Mit- tel zur Verlängerung des Lebens zu ar- beiten. Mein Hauptzweck war zwar allerdings der, die Lehre von der Kunst der Lebens- verlängerung systematisch zu gründen, und die Mittel dazu anzugeben, aber un- vermerkt bekam sie noch einige Nebenzwecke, die ich hier anführen muss, um die Beur- theilung des Ganzen dadurch zu berichtigen. Einmal nehmlich schien mir diess der beste Weg zu seyn, um mancher diätetischen Re- gel ein höheres Interesse und allgemeinere Gültigkeit zu geben, weil ich immer fand, dass es weit weniger Eindruck machte, wenn man sagte, diese oder jene Sache, diese oder jene Lebensweise ist gesund oder ungesund (denn diess ist relativ, hängt von der stärkern oder schwächern Konstitution und andern Nebenumständen ab, und be- zieht sich auf die unmittelbaren Folgen, die gar oft aussen bleiben, und den Nichtarzt unglaubig an dem ganzen Vorgeben ma- chen); als wenn man den Satz so stellte: diese Dinge, diese Lebensarten, verlän- gern oder verkürzen das Leben; denn diess hängt weniger von Umständen ab, und kann nicht nach den unmittelbaren Folgen beurtheilt werden. — Zweytens wurde diese Arbeit unvermerkt ein Archiv, in wel- chem ich mehrere meiner Lieblingsideen nie- derlegte, bey welchen ich mich auch wohl zuweilen mancher kosmopolitischen Digres- sion überliess, und mich freuete, diese Ideen an einen so schönen alles verbindenden Fa- den, als der Lebensfaden ist, anreihen zu können. Nach dem Standpunct, den ich bey Betrachtung meines Gegenstandes nehmen musste, war es natürlich, dass ich ihn nicht blos medizinisch, sondern auch moralisch behandelte. Wer kann vom menschlichen Leben schreiben, ohne mit der moralischen Welt in Verbindung gesezt zu werden, der es so eigenthümlich zugehört? Im Gegen- theil habe ich bey dieser Arbeit es mehr als je empfunden, dass sich der Mensch und sein höherer moralischer Zweck auch phy- sisch schlechterdings nicht trennen lassen, und ich darf es vielleicht dieser Schrift als ein kleines Verdienst anrechnen, dass sie nicht allein die Wahrheit und den Werth der moralischen Gesetze in den Augen vieler dadurch erhöht, dass sie ihnen die Unent- behrlichkeit derselben auch zur physischen Erhaltung und Verlängerung des Lebens zeigt, sondern dass sie auch mit unwider- leglichen Gründen darthut, dass schon das Physische im Menschen auf seine höhere moralische Bestimmung berechnet ist, dass dieses einen wesentlichen Unterschied der menschlichen Natur von der thierischen macht, und dass ohne moralische Kultur der Mensch unaufhörlich mit seiner eignen Natur im Widerspruch steht, so wie er hingegen durch sie auch physisch erst der vollkommenste Mensch wird. Wäre ich doch so glücklich, auf diese Weise einen doppelten Zweck zu erreichen, nicht blos die Menschen gesünder und länger lebend, sondern auch durch das Bestreben dazu, besser und sittlicher zu machen! Wenig- stens kann ich versichern, dass man eins ohne das andere vergebens suchen wird, und dass physische und moralische Gesund- heit so genau verwandt sind, wie Leib und Seele. Sie fliessen aus gleichen Quellen, schmelzen in eins zusammen, und geben vereint erst das Resultat der veredel- ten vnd vollkommensten Men- schennatvr . Auch muss ich erinnern, dass dies Buch nicht für Aerzte allein, sondern fürs ganze Publikum bestimmt war, welches mir freylich die Pflicht auflegte, in manchen Puncten weitläuftiger und in manchen kür- zer zu seyn, als es für den Arzt nöthig ge- wesen wäre. — Ich hatte vorzüglich junge Leute dabey zum Zweck, weil ich überzeugt bin, dass in dieser Periode des Lebens vor- züglich auf Gründung eines langen und gesunden Lebens gewirkt werden kann, und dass es eine unverzeihliche Vernachlässigung ist, dass man noch immer bey der Bildung der Jugend diese so wichtige Belehrung über ihr physisches Wohl vergisst. Ich habe daher die Puncte vorzüglich ins Licht gesezt, die für diese Periode die wichtigsten sind, und überhaupt so geschrieben, dass man das Buch jungen Leuten ohne Schaden in die Hände geben kann, und es würde mir eine unbeschreibliche Freude seyn, wenn man es ihnen nicht allein zum Lesen em- pföhle, sondern es auch in Schulen zur Be- lehrung über die wichtigsten Gegenstände unsers physischen Wohls benuzte, die, ich wiederhole es nochmals, auf Schulen gege- ben werden muss, denn sie kommt (wie ich leider aus gar zu vielen Erfarungen weiss) auf Akademien mehrentheils zu spät. Die Form der Vorlesungen erhielt es dadurch, weil ich drey Sommer hindurch wirklich öffentliche Vorlesungen darüber hielt, und ich glaubte, um so weniger ihm diese Einkleidung nehmen zu müssen, da sie dem Ganzen etwas mehr annäherndes und eindrückliches, genug, etwas mehr vom mündlichen Vortrag, zu geben schien. Man wird mir es hoffentlich vergeben, dass ich nicht alle Beyspiele und Facta mit Citaten belegt habe; aber ich besorgte, das Buch dadurch zu sehr zu vergrössern und zu vertheuern. Doch muss ich erwähnen, dass ich bey den Beyspielen des menschli- chen Alters aus der Geschichte hauptsäch- lich Baco Historia vitae et mortis benuzt habe. Uebrigens will ich im voraus recht gern zugeben, dass manches anders, man- ches vollständiger, manches besser seyn könnte. Ich bin zufrieden mit der süssen Ueberzeugung, die mir niemand rauben wird, dass das wenigstens, was ich ge- schrieben habe, Nutzen stiften kann, ja gewiss Nutzen stiften wird. Jena, im Julius 1796. Inhalt. Inhalt . I. Theoretischer Theil . I. Schicksale dieser Wissenschaft. Bey den Egyptiern und Griechen --- Gerocomic --- Gymnastic --- Hermippus --- Zustand derselben im Mittelalter --- Theophrastus Paracelsus --- Astrologische Methode --- Talismanns --- Thurn- eissen --- Cornaro und seine strenge Diät --- Transfusionsmethode --- Baco --- St. Germain --- Mesmer --- Cagliostro --- Graham. Seite 3. II. Untersuchung der Lebenskraft und der Lebensdauer überhaupt. Eigenschaften und Gesetze der Lebenskraft --- Begriff des Lebens --- Lebensconsumtion, un- zertrennliche Folge der Lebensoperation selbst --- Lebensziel --- Ursachen der Lebensdauer --- Retardation der Lebensconsumtion --- Möglich- keit der Lebensverlängerung --- Geschwind und langsam leben --- Intensives und extensives Le- ben --- der Schlaf. 41. III. Lebensdauer der Pflanzen. Verschiedenheit derselben --- Einjährige, zwey- jährige, vieljährige --- Erfarungen über die Um- stände, die diess bestimmen --- Resultate daraus --- Anwendung auf die Hauptprinzipien der Le- bensverlängerung --- Wichtiger Einfluss der Zeugung und Kultur auf die Lebenslänge der Pflanzen. Seite 86. IV. Lebensdauer der Thierwelt. Erfarungen von Pflanzenthieren --- Würmern --- Insecten --- Metamorphose, ein wichtiges Le- bensverlängerungsmittel --- Amphibien --- Fische --- Vögel --- Säugthiere --- Resultate --- Einfluss der Mannbarkeit und des Wachsthums auf die Lebenslänge --- der Vollkommenheit oder Un- vollkommenheit der Organisation --- der rapi- dern oder langsamern Lebensconsumtion --- der Restauration. 110. V. Lebensdauer der Menschen. Erklärung des unglaublich scheinenden Alters der Patriarchen --- das Alter der Welt hat kei- nen Einfluss auf das Lebensalter der Menschen --- Beyspiele des Alters bey den Juden --- Grie- chen --- Römern --- Tabellen des Census unter Vespasian --- Beyspiele des hohen Alters bey Kaisern, Königen und Päbsten --- Friedrich II. --- Bey Eremiten und Klosterbrüdern --- Philoso- phen und Gelehrten --- Schulmännern --- Dich- tern und Künstlern --- das höchste Alter findet sich nur unter Landleuten, Jägern, Gärtnern, Soldaten und Matrosen --- Beyspiele --- Weni- ger bey Aerzten --- Kürzestes Leben --- Ver- schiedenheit des Alters nach dem Clima. S. 141. VI. Resultate aus den Erfarungen. Bestim- mung des menschlichen Lebensziels. Unabhängigkeit der Mortalität im Ganzen vom hohen Alter einzelner --- Einfluss der Lage, des Clima, der Lufttemperatur und Beständigkeit auf Lebensdauer --- Inseln und Halbinseln --- die Alterreichsten Länder in Europa --- Nutzen des naturgemässen Lebens --- Die zwey schreck- lichsten Extreme der Mortalität in neuern Zei- ten --- Lebensverlängernde Kraft des Mitteltons in Allem --- Des Ehestandes --- Des Geschlechts --- Der Thätigkeit --- Der Frugalität --- Der Kultur --- Des Landlebens --- Auch bey Men- schen mögliche Verjüngung --- Bestimmung des menschlichen Lebensziels --- Absolute und rela- tive Dauer desselben --- Tabellen über die leztere. 189. VII. Genauere Untersuchung des menschli- chen Lebens. seiner Hauptmomente, und des Einflusses seiner höhern und intel- lectuellen Vollkommenheit auf die Dauer desselben. Das menschliche Leben ist das vollkommenste, intensivstärkste, und auch das längste aller ähn- lichen organischen Leben --- Wesentlicher Be- griff dieses Lebens --- seine Hauptmomente --- Zugang von aussen --- Assimilation und Anima- lisation --- Nutrition und Veredlung der organi- schen Materie --- Selbstkonsumtion der Kräfte und Organe durchs Leben selbst --- Abschei- dung und Zersetzung der verbrauchten Theile --- die zum Leben nöthigen Organe --- Geschichte des Lebens --- Ursachen der so vorzüglich lan- gen Lebensdauer des Menschen --- Einfluss der höhern Denkkraft und Vernunft darauf --- Wie kommt es, dass bey den Menschen, wo die Fä- higkeit zum langen Leben am stärksten ist, den- noch die Mortalität am grössten ist? Seite 216. VIII. Specielle Grundlagen und Kennzei- chen der Lebensdauer einzelner Men- schen. Hauptpuncte der Anlage zum langen Leben --- Guter Magen und Verdauungssystem, gesunde Zähne --- gut organisirte Brust --- nicht zu reiz- bares Herz --- gute Restaurations- und Heilkraft der Natur --- Gehöriger Grad und Vertheilung der Lebenskraft, gut Temperament --- harmoni- scher und fehlerfreyer Körperbau --- mittlere Beschaffenheit der Textur des Körpers --- kein vorzüglich schwacher Theil --- vollkommne Or- ganisation der Zeugungskraft --- das Bild eines zum langen Leben bestimmten Menschen. 257. IX. Prüfung verschiedener neuer Methoden zur Verlängerung des Lebens, und Fest- setzung der einzig möglichen und auf menschliches Leben passenden Methode. Verlängerung durch Lebenselixire, Goldtinctu- ren, Wunderessenzen etc. --- durch Abhärtung --- durch Nichtsthun und Pausen der Lebens- wirksamkeit --- durch Vermeidung aller Krank- heitsursachen, und der Consumtion von aussen --- durch geschwindes Leben --- die einzig mög- liche Methode, menschliches Leben zu verlän- gern --- Gehörige Verbindung der vier Haupt- indicationen --- Vermehrung der Lebenskraft --- Stärkung der Organe --- Mässigung der Lebens- konsumtion --- Begünstigung der Restauration --- Modificationen dieser Methode durch die ver- schiedene Constitution --- Temperament --- Le- bensalter --- Clima. Seite 280. II. Practischer Theil . I. Abschnitt . Verkürzungsmittel des Lebens. 1. Die schwächliche Erziehung. Seite 337. 2. Ausschweifungen in der Liebe --- Verschwendung der Zeugungskraft --- Onanie, sowohl physische als moralische. 340. 3. Uebermäsige Anstrengung der Seelenkräfte. 352. 4. Krankheiten --- deren unvernünftige Behandlung --- gewaltsame Todesarten --- Trieb zum Selbst- mord. 363. 5. Unreine Luft --- das Zusammenwohnen der Men- schen in grossen Städten. 374. 6. Unmässigkeit im Essen und Trinken --- die raffi- nirte Kochkunst --- geistige Getränke. 377. 7. Lebensverkürzende Seelenstimmungen und Lei- denschaften --- üble Laune --- allzugrosse Ge- schäftigkeit. 386. 8. Furcht vor dem Tode. 393. 9. Müssiggang --- Unthätigkeit --- Lange Weile. S. 401. 10. Ueberspannte Einbildungskraft --- Krankheits- einbildung --- Empfindeley. 407. 11. Gifte, sowohl physische als contagiöse. 414. 12. Das Alter --- frühzeitige Inoculation desselben. 455. II. Abschnitt . Verlängerungsmittel des Lebens. 1. Gute physische Herkunft. 462. 2. Vernünftige physische Erziehung. 475. 3. Thätige und arbeitsame Jugend. 510. 4. Enhaltsamkeit von dem Genuss der physischen Liebe in der Jugend und ausser der Ehe. 513. 5. Glücklicher Ehestand. 535. 6. Der Schlaf. 545. 7. Körperliche Bewegung. 558. 8. Genuss der freyen Luft --- mässige Temperatur der Wärme. 562. 9. Das Land- und Gartenleben. 565. 10. Reisen. 575. 11. Reinlichkeit und Hautkultur. 585. 12. Gute Diät und Mässigkeit im Essen und Trin- ken --- Erhaltung der Zähne. 599. 13. Ruhe der Seele --- Zufriedenheit --- Lebensver- längernde Seelenstimmungen und Beschäftigun- gen. 614. 14. Wahrheit des Karacters. S. 623. 15. Angenehme und mässig genossne Sinnes- und Gefühlsreize. 626. 16. Verhütung und vernünftige Behandlung der Krankheiten --- gehöriger Gebrauch der Medizin und des Arztes. 629. 17. Rettung in schnellen Todesgefahren. 668. 18. Das Alter und seine gehörige Behandlung. 682. 19. Kultur der geistigen und körperlichen Kräfte. 691. I. Theoretischer Theil . A Erste Vorlesung. Schicksale dieser Wissenschaft. Bey den Egyptiern und Griechen — Gerocomic — Gymnastic — Hermippus — Zustand derselben im Mit- telalter — Theophrastus Paracelsus — Astrologische Methode — Talismanns — Thurneissen — Cornaro und seine strenge Diät — Transfusionsmethode — Baco — St. Germain — Mesmer — Cagliostro — Graham. D urch die ganze Natur weht und wirket jene unbegreifliche Kraft, jener unmittelbare Ausfluss der Gottheit, den wir Lebenskraft nennen. Ueberall stos- sen wir auf Erscheinungen und Wirkun- gen, die ihre Gegenwart, ob gleich in unendlich verschiedenen Modificationen und Gestalten unverkenntlich bezeugen, A 2 und Leben ist der Zuruf der ganzen uns umgebenden Natur. Leben ists, wo- durch die Pflanze vegetirt, das Thier fühlt und wirket; — aber im höchsten Glanz von Vollkommenheit, Fülle und Ausbildung erscheint es in dem Men- schen, dem obersten Glied der sichtba- ren Schöpfung. Wir mögen die ganze Reihe der Wesen durchgehen, nirgends finden wir eine so vollkommne Verbin- dung fast aller lebendigen Kräfte der Natur, nirgends so viel Energie des Le- bens, mit solcher Dauer vereinigt, als hier. Kein Wunder also, dass der voll- kommenste Besitzer dieses Gutes auch einen so hohen Werth darauf sezt, und dass schon der blosse Gedanke von Le- ben und Seyn so hohen Reiz für uns hat. Jeder Körper wird uns um so interessan- ter, je mehr wir ihm eine Art von Le- ben und Lebensgefühl zutrauen können. Nichts vermag so sehr auf uns zu wir- ken, solche Aufopferungen zu veran- lassen, und die ausserordentlichsten Ent- wicklungen und Anstrengungen unsrer verborgensten Kräfte hervorzubringen, als der Trieb es zu erhalten und in dem kritischen Augenblick es zu retten. Selbst ohne Genuss und Freuden des Lebens, selbst für den, der an unheilbaren Schmerzen leidet, oder im dunkeln Ker- ker auf immer seine Freyheit beweint, behält der Gedanke zu seyn und zu le- ben noch Reiz, und es gehört schlech- terdings eine nur bey Menschen mögli- che Zerrüttung der feinsten Empfin- dungsorgane, eine gänzliche Verdunke- lung und Tödtung des innern Sinns da- zu, um das Leben gleichgültig oder gar verhasst zu machen. — So weise und innig wurde Liebe des Lebens, dieser eines denkenden Wesens so würdige Trieb, dieser Grundpfeiler sowohl der einzelnen als der öffentlichen Glückse- ligkeit, mit unserer Existenz verwebt! — Sehr natürlich war es daher, dass der Gedanke in dem Menschen aufstei- gen muste: Sollte es nicht möglich seyn, unser Daseyn zu verlängern, und dem nur gar zu flüchtigen Genuss dieses Guts mehr Ausdehnung zu geben? Und wirklich beschäftigte diess Problem von jeher die Menschheit auf verschiedene Weise. Es war ein Lieblingsgegenstand der scharfsinnigsten Köpfe, ein Tum- melplatz der Schwärmer, und eine Hauptlockspeise der Charlatans und Be- trieger, bey denen man von jeher fin- den wird, dass es entweder Umgang mit Geistern, oder Goldmacherkunst oder Verlängerung des Lebens war, wodurch sie das grössere Publikum angelten. Es ist interessant und ein Beytrag zur Ge- schichte des menschlichen Verstandes zu sehen, auf wie mannichfaltigen, sich oft ganz entgegen gesezten Wegen man diess Gut zu erlangen hoffte, und da selbst in den neuesten Zeiten die Caglio- stros und Mesmers wichtige Beyträge dazu geliefert haben, so glaube ich Ver- zeihung zu erhalten, wenn ich eine kurze Uebersicht der nach und nach vorgekommenen Lebensverlängerungs- methoden vorausschicke, ehe ich zu mei- nem Hauptgegenstand übergehe. Schon in den frühesten Zeiten, un- ter Egyptern, Griechen und Römern war diese Idee rege, und schon damals verfiel man in Egypten, der Mutter so mancher abentheuerlichen Ideen, auf künstliche und unnatürliche Mittel zu diesem Zweck, wozu freylich das durch Hitze und Ueberschwemmungen unge- sunde Clima Veranlassung geben mochte. Man glaubte die Erhaltung des Lebens in Brechen und Schwitzen gefunden zu haben, und es wurde allgemeine Sitte, alle Monate wenigstens 2 Brechmittel zu nehmen, und statt zu sagen, wie befin- dest du dich, fragte man einander: Wie schwitzest du? — Ganz anders bildete sich dieser Trieb bey den Griechen, un- ter dem Einfluss einer reinen und schö- nen Natur, aus. Man überzeugte sich sehr bald, dass gerade ein vernünftiger Genuss der Natur und die beständige Uebung unserer Kräfte das sicherste Mit- tel sey, die Lebenskraft zu stärken, und unser Leben zu verlängern. Hippocra- tes und alle damaligen Philosophen und Aerzte kennen keine andern Mittel, als Mässigkeit, Genuss der freyen und rei- nen Luft, Bäder, und vorzüglich das tägliche Reiben des Körpers und Lei- besübung. Auf leztere sezten sie ihr grösstes Vertrauen. Es wurden eigene Methoden und Regeln bestimmt, dem Körper mannichfaltige, starke und schwa- che, Bewegung zu geben; es entstand eine eigene Kunst der Leibesübung, die Gymnastik , daraus, und der grösste Phi- losoph und Gelehrte vergass nie, dass Uebung des Leibes und Uebung der Seele immer in gleichem Verhältniss bleiben müsste. Man brachte es wirk- lich zu einer ausserordentlichen Voll- kommenheit, diese für uns fast ver- schwundne Kunst den verschiedenen Na- turen, Situationen und Bedürfnissen der Menschen anzupassen, und sie besonders zu dem Mittel zu gebrauchen, die innere Natur des Menschen immer in einer ge- hörigen Thätigkeit zu erhalten, und da- durch nicht nur Krankheitsursachen un- wirksam zu machen, sondern auch selbst schon ausgebrochne Krankheiten zu hei- len. Ein gewisser Herodicus gieng so weit, dass er sogar seine Patienten nö- thigte spazieren zu gehen, sich reiben zu lassen, und, jemehr die Kran k heit ab- mattete, desto mehr durch Anstrengung der Muskelkräfte diese Mattigkeit zu überwältigen; und er hatte das Glück, durch seine Methode so vielen schwäch- lichen Menschen das Leben viele Jahre zu verlängern, dass ihm sogar Plato den Vorwurf macht, er habe sehr ungerecht gegen diese armen Leute gehandelt, durch seine Kunst ihr immer sterbendes Leben bis ins Alter zu verlängern. Die hellsten und naturgemässesten Ideen über die Erhaltung und Verlängerung des Lebens finden wir beym Plutarch, der durch das glücklichste Alter die Wahrheit seiner Vorschriften bestätigte. Schon er schliesst seinen Unterricht mit folgenden auch für unsere Zeiten gülti- gen Regeln: den Ko p f kalt und die Füsse warm zu halten, anstatt bey jeder Un- pässlichkeit gleich Arzneyen zu brau- chen, lieber erst einen Tag zu fasten, und über dem Geist nie den Leib zu ver- gessen. Eine sonderbare Methode, das Le- ben im Alter zu verlängern, die sich ebenfalls aus den frühesten Zeiten her- schreibt, war die Gerocomic , die Ge- wohnheit, einen alten abgelebten Körper durch die nahe Atmosphäre frischer auf- blühender Jugend zu verjüngen und zu erhalten. Das bekannteste Beyspiel da- von enthält die Geschichte des König David , aber man findet in den Schriften der Aerzte mehrere Spuren, dass es da- mals eine sehr gewöhnliche und beliebte Hülfe des Alters war. Selbst in neuern Zeiten ist dieser Rath mit Nutzen befolgt worden; der grosse Boerhave liess einen alten Amsterdamer Bürgermeister zwi- schen zwey jungen Leuten schlafen, und versichert, der Alte habe dadurch sicht- bar an Munterkeit und Kräften zuge- nommen. Und gewiss wenn man be- denkt, was der Lebensdunst frisch auf- geschnittner Thiere auf gelähmte Glie- der, was das Auflegen lebendiger Thiere auf schmerzhafte Uebel vermag, so scheint diese Methode nicht verwerflich zu seyn. Höchstwahrscheinlich gründete sich auf diese Ideen der hohe Werth, den man bey Römern und Griechen auf das Anwehen eines reinen gesunden Athems sezte. Es gehört hieher ei- ne alte Inschrift, die man im vori- gen Jahrhundert zu Rom fand, und so lautet: Aesculapio et Sanitati L. Clodius Hermippus Qui vixit Annos CXV. Dies V. Puellarum Anhelitu Quod etiam post mortem ejus Non parum mirantur Physici Jam posteri, sic vitam ducite. Dem Aesculap und der Gesundheit geweiht von L. Clodius Hermippus der 115 Jahr 5 Tage lebte durch den Athem junger Mädgen u. s. w. Diese Inschrift mag nun ächt seyn oder nicht; genug sie veranlasste noch zu Anfang dieses Jahrhunderts eine Schrift, worinne ein Doctor Cohausen sehr ge- lehrt beweiset, dieser Hermippus sey ein Waisenhausvorsteher oder Mädgenschul- meister zu Rom gewesen, der beständig in dem Zirkel kleiner Mädgen gelebt, und eben dadurch sein Leben so weit verlängert habe. Er giebt daher den wohlmeynenden Rath, sich nur alle Mor- gen und Abende von kleinen unschuldi- gen Mädgen anhauchen zu lassen, und versichert zu seyn, dass man dadurch zur Stärkung und Erhaltung der Lebens- kräfte unglaublich viel beytragen werde, indem, selbst nach dem Ausspruch der Adepten, in dem Hauche der Unschuld die erste Materie am reinsten enthalten wäre. Aber am ergiebigsten an neuen und abentheuerlichen Ideen über diese Mate- rie war jene tausendjährige Nacht des Mittelalters, wo Schwärmerey und Aber- glauben alle reinen naturgemässen Be- griffe verbannten, wo zuerst der specu- lative Müssiggang der Klöster die und jene chemische und physische Erfindung veranlasste, aber dieselben mehr zur Verwirrung als zur Aufhellung der Be- griffe, mehr zur Beförderung des Aber- glaubens als zur Berichtigung der Er- kenntniss nuzte. Diese Nacht ists, in der die monströsesten Geburten des menschlichen Geistes ausgebrütet, und jene abentheuerlichen Ideen von Be- hexung, Sympathie der Körper, Stein der Weisen, geheimen Kräften, Chiro- mantie, Kabala, Universalmedizin u. s. w. in die Welt gesezt oder wenigstens ausgebildet wurden, die leider noch im- mer nicht ausser Cours sind, und nur in veränderten und modernisirten Gestal- ten, immer noch zur Verführung des Menschengeschlechts dienen. In dieser Geistesfinsterniss erzeugte sich nun auch der Glaube, dass die Erhaltung und Ver- längerung des Lebens, die man zeither als ein Geschenk der Natur auch durch die natürlichsten Mittel gesucht hatte, durch chemische Verwandlungen, durch Hülfe der ersten Materie, die man in Destillirkolben gefangen zu haben mey- nete, durch Vermeidung böser Constel- lationen und ähnlichen Unsinn erhalten werden könnte. Es sey mir erlaubt, ei- nige dieser an die Menschheit ergange- nen Vorschläge, die, troz ihrer Unge- reimtheit dennoch Glauben fanden, nahmhaft zu machen. Einer der unverschämtesten Charla- tans und hochpralenden Lebensverlän- gerer war Theophrastus Paracelsus , oder, wie sein ganzer, ihn karakterisirender Nahme hiess: Philippus Aureolus Theo- phrastus Paracelsus Bombastus ab Hohen- heim . Er war die halbe Welt durchrei- set, hatte aus allen Orten und Enden Rezepte und Wundermittel zusammen- getragen, und besonders, was damals noch selten war, in den Bergwerken Kenntniss und Behandlung der Metalle studirt. Er fing seine Laufbahn damit an, alles niederzureissen, was bisher gelehrt worden war, alle hohen Schulen mit der grössten Verachtung zu behan- deln, sich als den ersten Philosophen und Arzt der Welt zu präsentiren, und heilig zu versichern, das keine Krank- heit sey, die er nicht heilen, kein Leben, das er nicht verlängern könnte. Zur Probe seiner Insolenz und des Tons, in dem die Charlatans des 15ten Jahrhun- derts ihr Publicum anredeten, will ich nur den Anfang seines Hauptwerks an- führen: „Ihr müsset mir nach, ich nicht „euch, ihr mir nach, Avicenna, Rhases, „Galen, Mesue, mir nach und nicht ich „euch, ihr von Paris, ihr von Montpel- „lier, ihr von Schwaben, ihr von Meis- „sen, ihr von Köln, ihr von Wien, und „was an der Donau und dem Rheinstrom „liegt, ihr Inseln im Meer, du Italien, „du Dalmatien, du Athen, du Grieche, „du Araber, du Israelite, mir nach und „nicht ich euch; Mein ist die Monar- „chey!“ Man sieht, dass er nicht Un- recht hatte, wenn er von sich sagt: „Von der Natur bin ich nicht subtil ge- „sponnen; es ist auch nicht unsre Lan- „desart, die wir unter Tannzapfen auf- „wachsen.“ Aber er hatte die Gabe, sei- nen Unsinn in einer so dunkeln und my- stischen Sprache vorzutragen, dass man die tiefsten Geheimnisse darinne ahnde- te, und noch hie und da darinnen sucht, und dass es wenigstens ganz unmöglich war, ihn zu widerlegen. Durch alles diess und durch die neuen und auffallen- den Wirkungen einiger chemischen Mit- tel, die er zuerst in die Medizin ver- pflanzte, machte er erstaunliche Sensa- tion, und sein Ruf wurde so verbreitet, dass aus ganz Europa Schüler und Pa- tienten zu ihm strömten, und dass selbst ein Erasmus sich entschliessen konnte, ihn ihn zu consultiren. Er starb im 50sten Jahre, ohneracht er den Stein der Un- sterblichkeit besass, und wenn man die- sen vegetabilischen Schwefel genauer untersucht, so findet man, dass er weiter nichts war, als ein hitziges, dem Hof- mannschen Liquor gleiches Mittel. Aber nicht genug, dass man die Chemie und die Geheimnisse des Geister- reichs aufbot, um unsere Tage zu ver- längern, selbst die Gestirne mussten da- zu benutzt werden. Es wurde damals allgemeiner Glaube, dass der Einfluss der Gestirne (die man sich doch nicht ganz müssig denken konnte) Leben und Schicksale der Menschen regierte, dass jeder Planet und jede Constellation der- selben der ganzen Existenz des darinne erzeugten Wesens eine gewisse Richtung zum Bösen oder Guten geben könne, und dass folglich ein Astrolog nur die Stunde und Minute der Geburt zu wis- sen brauche, um das Temperament, die Geistesfähigkeiten, die Schicksale, die B Krankheiten, die Art des Todes und auch den Tag desselben bestimmen zu können. — Diess war der Glaube nicht blos des grossen Haufens, sondern der grössten, verständigsten und einsichts- vollesten Personen der damaligen Zeit, und es ist zum erstaunen, wie lange und wie fest man daran hing, ohneracht es nicht an Beyspielen fehlen konnte, wo die Prophezeyung fehlschlug. Bischöffe, hohe Geistliche, berühmte Philosophen und Aerzte gaben sich mit dem Nativi- tätstellen ab, man las sogar auf Univer- sitäten Collegia darüber, so gut wie über die Punktirkunst und Cabala. Zum Be- weise erlaube man mir ein Paar Worte von dem berühmten Thurneisen , dem glänzendsten Phänomen dieser Art, und einem wirklich ausgezeichneten Men- schen, zu sagen. Er lebte im vorigen Jahrhundert an dem Kurfürstlichen Hofe zu Berlin, und war Leibarzt, Chemist, Nativitätsteller, Calendermacher, Buch- drucker und Buchhändler, alles in einer Person. Seine Reputation in der Astro- logie war so gross, dass fast in keinem angesehenen Hause in Teutschland, Po- len, Ungarn, Dänema  k, ja selbst in England ein Kind gebohren wurde, wo man nicht sogleich einen Boten mit der Bestimmung der Geburtsstunde an ihn absendete. Es kamen oft 8, 10 bis 12 solche Geburtsstunden auf einmal bey ihm an, und er wurde zulezt so über- häuft, dass er sich Gehülfen zu diesem Geschäft halten musste. Noch befinden sich viele Bände solcher Anfragen auf der Bibliothek zu Berlin, in denen so- gar Briefe von der Königin Elisabeth er- scheinen. Ausserdem schrieb er noch jährlich einen astrologischen Calender, in welchem nicht nur die Natur des Jah- res überhaupt, sondern auch die Haupt- begebenheiten und die Tage derselben mit kurzen Worten oder Zeichen ange- geben waren. Ereylich lieferte er ge- wöhnlich die Auslegung erst das Jahr darnach; doch findet man auch Beyspie- le, dass er sich durch Geld und gute Worte bewegen liess, dieselbe im vor- B 2 aus mitzutheilen. Und bewundern muss man, was die Kunst der unbestimmten prophetischen Diction und die Gefällig- keit des Zufalls thun können; der Calen- der erhielt sich über 20 Jahre, hatte reissenden Abgang, und verschafte nebst andern Charlatanerien dem Verfasser ein Vermögen von einigen 100000 Gul- den. Aber wie konnte man in einer Kunst, die dem Leben der Menschen so bestimmte und unvermeidliche Grenzen sezte, Mittel zur Verlängerung desselben finden? Diess geschah auf folgende sinnreiche Art: Man nahm an, dass eben so wie jeder Mensch unter dem Einfluss eines gewissen Gestirns stünde, eben so habe auch jeder andere Körper, Pflanzen, Thiere, sogar ganze Länder und einzelne Häuser, ein jegliches sein eignes Gestirn, von dem es regiert wür- de, und besonders war zwischen den Planeten und Metallen ein genauer Zu- sammenhang und Sympathie. Sobald man also wusste, von welchen Constel- lationen und Gestirnen das Unglück und die Krankheiten eines Menschen her- rührten, so hatte er weiter nichts nöthig, als sich lauter solcher Speisen, Getränke und Wohnungen zu bedienen, die von den entgegengesezten Planeten be- herrscht wurden. Diess gab eine ganz neue Diätetik, aber freylich von ganz andrer Art als jene Griechische. Kam nun ein Tag vor, der durch seine beson- ders unglückliche Constellation eine schwere Krankheit u. d. gl. fürchten liess, so begab man sich an einen Ort, der unter einem freundlichen Gestirn stand, oder man nahm solche Nahrungs- mittel und Arzneyen zu sich, die un- ter der Protection eines guten Gestirns den Einfluss des bösen zu nichte mach- ten Marsilius Ficinus ermahnte damals in seiner Ab- handlung über Verlängerung des Lebens alle vorsichtige Leute, alle 7 Jahre einen Sterndeu- ter um Rath zu fragen, um sich über die etwa in den folgenden 7 Jahren drohenden Gefahren . — Aus eben diesem Grunde hoffte man die Verlängerung des Lebens durch Talismanns und Amulete, Weil die Metalle mit den Planeten in genaue- ster Verbindung standen, so war es ge- nug, einen Talismann an sich zu tragen, der unter gewissen Konstellationen aus passenden Metallen geschmolzen, gegos- sen und geprägt war, um sich die ganze Kraft und Protection des damit verbun- denen Planeten eigen zu machen. Man hatte also nicht nur Talismanns, die die Krankheiten eines Planeten abwendeten, sondern auch Talismanns für alle astra- lische Krankheiten, ja auch solche, die durch eine besondere Vermischung ver- Nachricht einzuziehen, und vorzüglich die Mit- tel der heil. 3 Könige, Gold, Weyrauch und Myrrhen zu respectiren und gehörig zu gebrau- chen. — M. Pansa dedizirte im Jahr 1470 dem Rathe zu Leipzig ein Buch De proroganda vita; Aureus libellus , worinn er den Herren sehr angelegentlich räth, sich vor allen Dingen ihre günstigen und ungünstigen Aspecten be- kannt zu machen, und alle 7 Jahre auf der Hut zu seyn, weil dann Saturn, ein böser seindseli- ger Planet, herrschte. schiedener Metalle und eigene Künste bey Schmelzung derselben die wunder- bare Kraft erhielten, den ganzen Ein- fluss einer unglücklichen Geburtsstunde aufzuheben, zu Ehrenstellen zu beför- dern, und in Handels- und Heyraths- geschäften gute Dienste zu leisten. — War Mars im Zeichen des Scorpions dar- auf geprägt, und sie in dieser Constella- tion gegossen, so machten sie siegreich und unverwundbar im Kriege, und die teutschen Soldaten waren von dieser Idee so eingenommen, dass von einer Niederlage derselben in Frankreich ein französischer Schriftsteller erzählt, man habe bey allen Todten und Gefangenen Amulete am Halse hängend gefunden. Aber die Bilder der Planetgottheiten durften in dieser Absicht durchaus keine antike Form sondern eine mystische abentheuerliche Gestalt und Tracht ha- ben. Man hat noch eines gegen die jo- vialischen Krankheiten mit dem Bildnisse des Jupiters. Hier sieht Jupiter völlig so aus, wie ein alter Wittenberger oder Baseler Professor. Es ist ein bärtiger Mann in einem weiten mit Pelz gefüt- terten Ueberrok, hält in der einen Hand ein aufgeschlagenes Buch, und docirt mit der rechten. — Ich würde mich nicht so lange bey dieser Materie aufge- halten haben, wenn nicht diese Grille voriger Jahrhunderte noch vor wenig Jahren von Cagliostro wieder in Gang gebracht worden wäre, und noch in dem lezten Viertheil des achtzehenden Jahrhunderts hie und da Beyfall gefun- den hätte. Je ungereimter und verworrener die damaligen Begriffe waren, desto schätzbarer muss uns das Andenken ei- nes Mannes seyn, der sich glücklich aus denselben herauszuwinden und die Kunst, sein Leben zu verlängern, auf dem Wege der Natur und der Mässigkeit zu finden wusste. Cornaro der Italiener wars, der durch die einfachste und strengste Diät, und durch eine beyspiel- lose Beharrlichkeit in derselben, sich ein glückliches und hohes Alter verschaffte, das ihm reichliche Belohnung seiner Ent- sagung, und der Nachwelt ein lehrrei- ches Beyspiel gab. Nicht ohne Theil- nahme und freudiges Mitgefühl kann man den drey und achtzigjährigen Greiss die Geschichte seines Lebens und seiner Erhaltung beschreiben, und alle die Hei- terkeit und Zufriedenheit preissen hö- ren, die er seiner Lebensart verdankt. Er hatte bis in sein 40stes Jahr ein schwelgerisches Leben geführt, war be- ständig krank an Koliken, Glieder- schmerzen und Fieber, und kam durch lezteres endlich dahin, dass ihn seine Aerzte versicherten, er werde nicht viel über 2 Monate mehr leben, alle Arz- neyen seyen vergebens, und das einzige Mittel für ihn sey eine sparsame Diät. Er folgte diesem Rath, bemerkte schon nach einigen Tagen Besserung, und nach Verlauf eines Jahres war er nicht nur völlig hergestellt, sondern gesünder als er je in seinem Leben gewesen war. Er beschloss also, sich noch mehr einzu- schränken, und schlechterdings nicht mehr zu geniessen, als was zur Subsi- stenz unentbehrlich wäre, und so nahm er denn 60 ganzer Jahre hindurch täglich nicht mehr als 24 Loth Speise (alles mit eingeschlossen) und 26 Loth Getränk zu sich. Dabey vermied er auch starke Er- hitzungen, Erkältungen und Leiden- schaften, und durch diese sich immer gleiche gemässigte Diät erhielt nicht nur sein Körper, sondern auch die Seele ein so bestimmtes Gleichgewicht, dass nichts ihn erschüttern konnte. In seinem ho- hen Alter verlohr er einen wichtigen Prozess, worüber sich zwey seiner Brü- der zu Tode grämten, er blieb gelassen und gesund; er wurde mit dem Wagen umgeworfen, und von den Pferden ge- schleift, dass er Arm und Fuss ausrenkte, er liess sie wieder einrichten, und ohne sonst etwas zu brauchen war er in kur- zem wieder hergestellt. — Aber am merkwürdigsten und beweisend, wie gefährlich die geringste Abweichung von einer langen Gewohnheit werden kann, war folgendes. Als er 80 Jahr alt war, drangen seine Freunde in ihn, doch nun, da sein Alter mehr Unterstützung brauchte, seiner Nahrung etwas zuzu- setzen. Er sah zwar wohl ein, dass mit der allgemeinen Abnahme der Kräfte auch die Verdauungskraft abnehmen, und man im Alter die Nahrung eher ver- mindern als vermehren müsste. Doch gab er nach, und erhöhete seine Speise auf 28 und sein Getränk auf 32 Loth. „Kaum hatte ich,“ sagt er selbst, „diese „Lebensart 10 Tage fortgesezt, als ich „anfing, statt meiner vorigen Munter- „keit und Fröhlichkeit, kleinmüthig, „verdrossen, mir und andern lästig zu „werden. Am 12ten Tage überfiel mich „ein Schmerz in der Seite, der 24 Stun- „den anhielt, und nun erfolgte ein Fie- „ber, das 35 Tage in solcher Stärke fort- „dauerte, dass man an meinem Leben „zweifelte. Aber durch Gottes Gnade „und meine vorige Diät erholete ich „mich wieder, und geniesse nun in mei- „nem 83sten Jahre den muntersten Lei- „bes- und Seelenzustand. Ich steige von „der Erden an auf mein Pferd, ich klet- „tre steile Anhöhen hinauf, und habe „erst kürzlich ein Lustspiel voll von un- „schuldiger Freude und Scherz geschrie- „ben. Wenn ich von meinen Privatge- „schäften oder aus dem Senat nach Hause „komme, so finde ich 11 Enkel, deren „Auferziehung, Zeitvertreib und Gesän- „ge die Freude meines Alters sind. Oft „singe ich selbst mit ihnen, denn meine „Stimme ist jezt klärer und stärker, als sie „je in meiner Jugend war, und ich weiss „nichts von den Beschwehrden und den „mürrischen und ungeniessbaren Lau- „nen, die so oft das Loos des Alters „sind.“ In dieser glücklichen Stimmung erreichte er das hundertste Jahr, aber sein Beyspiel ist ohne Nachfolge geblie- ben. Auch würde ich recht sehr bitten, ehe man diese Diät im strengsten Sinn anfinge, erst sei- nen Arzt zu consuliren. Denn nicht jedem ist es heilsam, die Abstinenz so weit zu treiben. Es war eine Zeit, wo man in Frank- reich den Werth des Bluts so wenig zu kennen schien, dass man König Ludwig XIII. in den lezten 10 Monaten seines Lebens 47mal zur Ader liess, und ihm noch überdiess 215 Purganzen und 210 Lavements gab, und gerade da suchte man durch einen ganz entgegengesezten Prozess, durch Einfüllung eines frischen jungen Bluts in die Adern, das Leben der Menschen zu verjüngen, zu verlän- gern, und incurable Krankheiten zu hei- len. Man nannte diess Transfusion , und die Methode war diese, dass man zwey Blutadern öfnete, und vermittelst eines Röhrgens das Blut aus der Pulsader ei- nes andern lebenden Geschöpfs in die eine leitete, während man durch die an- dre Aderöffnung das alte Blut auslaufen liess. Man hatte in England einige glückliche Versuche an Thieren gemacht, und wirklich einigen alten lahmen und tauben Geschöpfen, Schafen, Kälbern und Pferden, durch die Anfüllung mit dem Blute eines jungen Thiers, Gehör, Beweglichkeit und Munterkeit, wenig- stens auf einige Zeit wieder verschafft; ja man unternahm es, furchtsame Ge- schöpfe durch das Blut eines wilden grausamen Geschöpfs kühn zu machen. Hierdurch aufgemuntert, trug man kein Bedenken, auch Menschen auf diese Weise zu restauriren. Dr. Denis und Riva zu Paris waren wirklich so glück- lich, einen jungen Menschen, der an ei- ner unheilbaren Schlafsucht litt (in der man ihm gleichfalls 20mal zu Ader ge- lassen hatte) durch die Anfüllung mit Lamsblut, und einen Wahnsinnigen durch die Vertauschung seines Bluts mit Kalbsblut völlig herzustellen. Aber da man nur die unheilbarsten und elende- sten Menschen dazu nahm, so trug sichs bald zu, dass einige unter der Operation starben, und seitdem hat es niemand wieder gewagt. Doch ist sie an Thieren auch hier in Jena sehr glücklich ausge- führt worden; und in der That sollte sie nicht ganz verworfen werden, denn, ob schon das eingelassene fremde Blut in kurzem in das unsrige verwandelt wer- den muss, und also zur Verjüngung und Verlängerung des Lebens nicht viel da- von zu hoffen seyn möchte, so müsste doch bey gewissen Krankheiten, beson- ders der Seele und des Nervensystems, der plözliche ungewohnte Eindruck ei- nes neuen Blutes auf die edelsten Lebens- organe, eine grosse und heilsame Revo- lution bewirken können. Selbst der grosse Baco , dessen Genie alles Wissen umfasste, und der dem so lange irre geführten menschlichen Geiste zuerst die Bahn vorzeichnete, die Wahr- heit wieder zu finden, selbst dieser grosse Mann fand das Problem der Verlänge- rung des Lebens seiner Aufmerksamkeit und Untersuchung würdig. Seine Ideen sind kühn und neu. Er denkt sich das Leben als eine Flamme, die beständig von der umgebenden Luft consumirt wird. Jeder, auch der härteste Körper wird am Ende durch diese beständige feine Verdunstung aufgelöset und destru- irt. Er zieht daraus den Schluss, dass durch Verhütung dieser Consumtion und durch eine von Zeit zu Zeit unternomm- ne Erneuerung unsrer Säfte das Leben verlängert werden könne. Zur Verhü- tung der Consumtion von aussen em- pfiehlt er besonders kühle Bäder und das bey den Alten so beliebte Einreiben von Oel und Salben nach dem Bade; zur Ver- minderung der Consumtion von innen Gemüthsruhe, eine kühle Diät und den Gebrauch des Opiums und der Opiatmit- tel, wodurch die zu grosse Lebhaftigkeit der innern Bewegungen gemässigt und das damit verbundene Aufreiben retar- dirt würde. Um aber bey zunehmenden Jahren die unvermeidliche Vertrocknung und Verderbniss der Säfte zu verbessern, hält er für das beste, alle 2 bis 3 Jahre einen Renovationsprozess mit sich vor- zunehmen, der darinne besteht, dass man durch magere Diät und ausleeren- de Mittel erst den Körper von allen al- ten und verdorbenen Säften befreye, und dann durch eine ausgesuchte erfri- schende schende und nahrhafte Diät und stärken- de Bäder die durstigen Gefässe wieder mit belebenden Säften anfülle, und sich also von Zeit zu Zeit im eigentlichsten Verstande erneue und verjünge. — Das Wahre, was in diesen Ideen liegt, ist nicht zu verkennen, und mit einigen Modificationen würden sie immer an- wendbar seyn. In den neuesten Zeiten hat man lei- der mehr Progressen in den Künsten, das Leben zu verkürzen, als in der, es zu verlängern gemacht. Charlatans genug sind erschienen und erscheinen noch täg- lich, die durch astralische Salze, Gold- tinkturen, Wunder- und Luftsalzessen- zen, himmlische Betten, und magneti- sche Zauberkräfte den Lauf der Natur zu hemmen versprechen. Aber man fand nur zu bald, dass der berühmte Thee zum langen Leben des Grafen St. Germain ein sehr alltägliches Gemisch von Sandelholz, Senesblättern und Fen- C chel, das angebetete Lebenselixir Caglio- stros ein ganz gewöhnliches nur sehr hitziges Magenelixir, die Wunderkraft des Magnetismus aus Imagination, Ner- venreiz und Sinnlichkeit zusammenge- sezt war, und die gepriesenen Luftsalze und Goldtincturen mehr auf das Leben ihrer Erfinder, als derer, die sie einnah- men, berechnet waren. Besonders verdient die Erscheinung des Magnetismus in dieser Sammlung noch einige Erwähnung. Ein bankerut gewordener, und verachteter, aber schwärmerischer und wahrscheinlich nicht sowohl von unsichtbaren Kräften, als von unsichtbaren Obern geleiteter Arzt, Mesmer , fiel endlich auf den Ge- danken, künstliche Magnete zu machen, und diese als souveraine Mittel gegen eine Menge Krankheiten, Lähmung, Gicht- flüsse, Zahnweh, Kopfweh u. dgl. zu verkaufen. Da er merkte, dass diess glückte, so ging er weiter, und ver- sicherte, dass er nun gar keine künstliche Magnete mehr nöthig hätte, sondern dass er selbst der grosse Magnet sey, der die Welt magnetisiren sollte. — Seine eigne Person war so mit magnetischer Kraft angefüllt, dass er durch Berührung, durch Ausstreckung seines Fingers, ja durch blosses Anschauen dieselbe andern mittheilen zu können versicherte. Er führte wirklich Beyspiele von Personen an, die durch Berührungen von ihm, ja durch seine blossen Blicke versicherten Empfindungen bekommen zu haben, als wenn man sie mit einem Stock oder mit einem Eisen geschlagen hätte. Diese sonderbare Kraft nannte er nun animali- schen Magnetismus , und vereinigte un- ter dieser seltsamen Benennung alles, was der Menschheit am meisten am Herzen liegt, Weisheit, Leben und Gesundheit, die er dadurch nach Be- lieben mittheilen und verbreiten konnte. C 2 Da man das Unwesen nicht länger in Wien dulden wollte, so ging er nach Paris, und hier nahm es nun erst seinen rechten Anfang. Er hatte erstaunlichen Zulauf; alles wollte von ihm geheilt seyn, alles wollte einen Theil seiner Kraft mitgetheilt haben, um auch Wun- der wirken zu können. Er errichtete eigne geheime Gesellschaften, wo ein jeder Novize 100 Louisd’or erlegen musste, und äusserte endlich ganz laut, dass er der Mann sey, den die Vorsehung zum grossen Erneuerungsgeschäfte der so sichtbar hinwelkenden menschlichen Natur erwählt habe. Zum Beweiss will ich Ihnen nur folgenden Zuruf mit- theilen, den er durch einen seiner Apostel ans Publicum ergehen liess. „Seht eine Entdeckung, die dem „Menschengeschlecht unschäzbare Vor- „theile und ihrem Erfinder ewigen „Ruhm bringen wird! Seht eine allge- „meine Revolution! Andre Menschen „werden die Erde bewohnen; sie wer- „den durch keine Schwachheiten in ih- „rer Laufbahn aufgehalten werden, und „unsre Uebel nur aus der Erzählung ken- „nen! Die Mütter werden weniger von „den Gefahren der Schwangerschaft und „den Schmerzen der Geburt leiden, wer- „den stärkre Kinder zur Welt bringen, „die die Thätigkeit, Energie und Anmuth „der Urwelt erhalten werden. Thiere „und Pflanzen, gleich empfänglich für „die magnetische Kraft, werden frey „von Krankheiten seyn; die Heerden „werden sich leichter vermehren, die „Gewächse in unsern Gärten werden „mehr Kräfte haben und die Bäume „schönere Früchte geben, der mensch- „liche Geist, im Besitz dieses Wesens, „wird vielleicht der Natur noch wunder- „barere Wirkungen gebieten. — Wer „kann wissen, wie weit sich sein Einfluss „erstrecken wird?“ Man sollte meynen, einen Traum aus dem tausendjährigen Reiche zu hö- ren. Und diese ganzen pompösen Ver- sprechungen und Aussichten verschwan- den plötzlich, als eine Commission, an deren Spitze Franklin stand, das Wesen des Magnetismus genauer untersuchte. — Der Nebel verschwand, und es ist nun von dem ganzen Blendwerk weiter nichts übrig geblieben, als die animali- sche Electricität und die Ueberzeugung, dass solche durch gewisse Arten von Streichen und Manipuliren des Körpers in Bewegung gesezt werden kann, aber gewiss ohne Beyhülfe von Nerven- schwäche und Schwärmerey nie jene wunderbare Phänomene hervorbringen wird, noch weniger im Stande seyn kann, das menschliche Leben zu verlän- gern. Fast schien es, als wolle man jene Idee ganz den Charlatans über- lassen, um so mehr, da der aufge- klärtere Theil sich für die Unmög- lichkeit dieser Erfindung dadurch ent- schädigte, dass er die Länge des Le- bens nicht in der Zahl der Tage, son- dern in dem Gebrauch und Genuss des- selben fand. Da aber diess doch unmöglich für einerley gelten kann, und da sich in neuern Zeiten unsre Einsichten in die Natur des organischen Lebens und der dazu nöthigen Bedingungen so sehr ver- vollkommnet und berichtigt haben, so ist es wohl der Mühe werth, diese bes- sern Kenntnisse zur Entwicklung eines so wichtigen Gegenstandes zu verar- beiten, und die Methode, das Leben zu verlängern, so auf die Prinzipien der animalischen Physik zu gründen, dass nicht allein eine bestimmtere Richt- schnur des Lebens daraus entstehe, son- dern auch, was kein unwichtiger Ne- bennutzen seyn wird, dieser Gegen- stand inskünftige den Schwärmern und Betrügern unbrauchbar gemacht werde, die bekanntlich ihr Wesen in einem scientifischen Gebiet nur so lange trei- ben können, als es noch nicht durch die Fackel gründlicher Untersuchung er- leuchtet ist. Zweyte Vorlesung. Untersuchung der Lebenskraft und der Lebensdauer überhaupt. Eigenschaften und Gesetze der Lebenskraft — Begriff des Lebens — Lebensconsumtion, unzertrennliche Folge der Lebensoperation selbst — Lebensziel — Ursachen der Lebensdauer — Retardation der Lebensconsumtion — Möglichkeit der Lebensverlängerung — Geschwind und langsam leben — Intensives und extensives Le- ben — der Schlaf . D as erste, worauf es uns bey Verlän- gerung des Lebens ankommt, muss wohl nähere Kenntniss der Natur des Le- bens und besonders der Lebenskraft , der Grundursache alles Lebens, seyn. Sollte es denn gar nicht möglich seyn, die innere Natur jener heiligen Flamme etwas genauer zu erforschen, und daraus das, was sie nähren, das, was sie schwächen kann, zu erkennen? — Ich fühle ganz, was ich bey dieser Untersuchung wage. Es ist das Aller- heiligste der Natur, dem ich mich nä- here, und nur zu viel sind der Beyspie- le, wo der zu kühne Forscher geblendet und beschämt zurückkehrte, und wo selbst ihr innigster Vertrauter, Haller , ausrufen musste: Ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist. Aber dennoch darf diess uns nicht ab- schrecken. Die Natur bleibt immer eine gütige Mutter, sie liebet und be- lohnt den, der sie sucht, und ist es uns gleich nicht allemal möglich, das viel- leicht zu hoch gesteckte Ziel unsres Stre- bens zu erreichen, so können wir doch gewiss seyn, auf dem Wege schon so viel Neues und Interessantes zu finden, dass uns gewiss schon der Versuch, ihr näher zu kommen, reichlich belohnt wird. — Nur hüte man sich, mit zu raschen übermüthigen Schritten auf sie einzudringen. Unser Sinn sey offen, rein, gelehrig, unser Gang vorsichtig und immer aufmerksam, Täuschungen der Phantasie und der Sinne zu vermei- den, und unser Weg sey der sichere, wenn gleich nicht der bequemste, Weg der Erfahrung und bescheidenen Prü- fung — nicht der Flug kühner Hypo- thesen, der gewöhnlich zulezt der Welt nur zeiget, dass wir wächserne Flügel hatten. — Auf diesem Wege sind wir am sichersten, das Schicksal jener Philo- sophen zu vermeiden, von welchen Baco sehr passend sagt: „sie werden zu „Nachteulen, die nur im Dunkel ihrer „Träumereyen sehen, aber im Licht der „Erfahrung erblinden, und gerade das „am wenigsten wahrnehmen können, „was am hellsten ist.“ Auf diesem Wege und in dieser Geistesstimmung sind seit dieses grossen Mannes Zeiten die Freun- de der Natur ihr näher gekommen, als jemals vorher, sind Entdeckungen ihrer tiefsten Geheimnisse, Benutzungen ihrer verborgensten Kräfte gemacht worden, die unser Zeitalter in Erstaunen setzen, und die noch die Nachwelt bewundern wird. Auf diesem Wege ist es möglich geworden, selbst ohne das innere Wesen der Dinge zu erkennen, dennoch durch unermüdetes Forschen ihre Eigenschaf- ten und Kräfte so genau abzuwiegen und zu ergründen, dass wir sie wenigstens practisch kennen und benutzen. So ists dem menschlichen Geiste gelungen, selbst unbekannte Wesen zu beherrschen und nach seinem Willen und zu seinem Ge- brauch zu leiten. Die magnetische und electrische Kraft, sind beydes Wesen, die sogar unsern Sinnen sich entziehen, und deren Natur uns vielleicht ewig uner- forschlich bleiben wird, und dennoch haben wir sie uns so dienstbar gemacht, dass die eine uns auf der See den Weg zeigen, die andere die Nachtlampe am Bett anzünden muss. Vielleicht gelingt es mir, auch in ge- genwärtiger Untersuchung ihr näher zu kommen, und ich glaube, dass dazu fol- gende Behandlung die schicklichste seyn wird: erstens die Begriffe von Leben und Lebenskraft genauer zu bestimmen, und ihre Eigenschaften festzusetzen, so- dann über die Dauer des Lebens über- haupt, und in verschiedenen organischen Körpern insbesondere, die Natur zu be- fragen, Beyspiele zu sammlen und zu vergleichen, und aus den Umständen und Lagen, in welchen das Leben eines Geschöpfs längere oder kürzere Dauer hat, Schlüsse auf die wahrscheinlichsten Ursachen des langen oder kurzen Lebens überhaupt zu ziehen. Nach diesen Vor- aussetzungen wird sich das Problem, ob und wie menschliches Leben zu verlän- gern sey, am befriedigendsten und ver- nünftigsten auflösen lassen. Was ist Leben und Lebenskraft? — Diese Fragen gehören unter die vielen ähnlichen, die uns bey Untersuchung der Natur aufstossen. Sie scheinen leicht, betreffen die gewöhnlichsten all- täglichsten Erscheinungen, und sind dennoch so schwehr zu beantworten. Wo der Philosoph das Wort Kraft braucht, da kann man sich immer dar- auf verlassen, dass er in Verlegenheit ist, denn er erklärt eine Sache durch ein Wort, das selbst noch ein Räthsel ist; — denn wer hat noch je mit dem Worte Kraft einen deutlichen Begriff verbinden können? Auf diese Weise sind eine un- zählige Menge Kräfte, die Schwehrkraft, Attractionskraft, electrische, magneti- sche Kraft u. s. w. in die Physic gekom- men, die alle im Grunde weiter nichts bedeuten, als das X in der Algebra, die unbekannte Grösse, die wir suchen. Indess wir müssen nun einmal Bezeich- nungen für Dinge haben, deren Existenz unleugbar, aber ihr Wesen unbegreiflich ist, und man erlaube mir also auch hier sie zu gebrauchen, ohneracht dadurch noch nicht einmal entschieden wird, ob es eine eigene Materie oder nur eine Ei- genschaft der Materie ist, wovon wir reden. Ohnstreitig gehört die Lebenskraft unter die allgemeinsten, unbegreiflich- sten und gewaltigsten Kräfte der Natur. Sie erfüllt, sie bewegt alles, sie ist höchst wahrscheinlich der Grundquell, aus dem alle übrigen Kräfte der physi- schen, wenigstens organischen, Welt fliessen. Sie ists, die alles hervorbringt, erhält, erneuert, durch die die Schö- pfung nach so manchem Tausende von Jahren noch jeden Frühling mit eben der Pracht und Frischheit hervorgeht, als das erste mal, da sie aus der Hand ihres Schöpfers kam. Sie ist unerschöpflich, unendlich, — ein wahrer ewiger Hauch der Gottheit. Sie ists endlich, die, verfeinert und durch eine vollkommnere Organisation exaltirt, sogar die Denk- und Seelenkraft entflammt, und dem vernünftigen Wesen zugleich mit dem Leben auch das Gefühl und das Glück des Lebens giebt. Denn ich habe im- mer bemerkt, dass das Gefühl von Werth und Glück der Existenz sich sehr genau nach dem mehr oder wenigern Reich- thum an Lebenskraft richtet, und dass, so wie ein gewisser Ueberfluss derselben zu allen Genüssen und Unternehmungen aufgelegter und das Leben schmackhaft macht, nichts so sehr, als Mangel daran, im Stande ist, jenen Ekel und Ueber- druss des Lebens hervorzubringen, der leider unsere Zeiten so merklich aus- zeichnet. Durch genauere Beobachtung ihrer Erscheinungen in der organischen Welt lassen sich folgende Eigenschaften und Gesetze derselben bestimmen: 1) Die Lebenskraft ist das feinste, durchdringendste, unsichtbarste Agens der Natur, das wir bis jezt kennen. Sie übertrifft darinne sogar die Lichtmaterie, electri- electrische und magnetische Kraft, mit denen sie übrigens am nächsten verwandt zu seyn scheint. 2) Ohneracht sie alles durchdringt, so giebt es doch gewisse Modificationen der Materie, zu denen sie eine grössere Verwandschaft zu haben scheint, als zu andern. Sie verbindet sich daher inni- ger und in grössrer Menge mit ihnen, und wird ihnen gleichsam eigen. Diese Modification der Materie nennen wir die organische Verbindung und Structur der Bestandtheile, und die Körper, die sie besitzen, organische Körper, — Pflan- zen und Thiere. Diese organische Stru- ctur scheint in einer gewissen Lage der feinsten Theilchen zu bestehen, und wir stossen hier auf eine merkwürdige Aehn- lichkeit der Lebenskraft mit der magne- tischen Kraft, indem auch diese durch einen Schlag, der in gewisser Richtung auf ein Stück Eisen geführt wird und die innere Lage der feinsten Bestandtheile ändert, sogleich erweckt, und durch D eine entgegen gesezte Erschütterung wie- der aufgehoben werden kann. Dass we- nigstens die organische Structur nicht in dem sichtbaren faserichten Gewebe liegt, sieht man am Ey, wo davon keine Spur zu finden und dennoch organisches Le- ben gegenwärtig ist. 3) Sie kann in einem freyen und gebundenen Zustand existiren, und hat darinne viel Aehnlichkeit mit dem Feu- erwesen und der electrischen Kraft. So wie diese in einem Körper wohnen kön- nen, ohne sich auf irgend eine Art zu äussern, bis sie durch einen angemesse- nen Reiz in Wirksamkeit versezt werden, eben so kann die Lebenskraft in einem organischen Körper lange in einem ge- bundenen Zustand wohnen, ohne sich durch etwas anders, als seine Erhaltung und Verhütung seiner Auflösung, anzu- deuten. Man hat davon erstaunliche Beyspiele. — Ein Saamenkorn kann auf diese Art Jahre, ein Ey mehrere Monate lang ein gebundenes Leben be- halten, es verdunstet nicht, es verdirbt nicht, der blosse Reiz der Wärme kann das gebundene Leben frey machen, und entwickeltes reges Leben hervorbringen. Ja selbst das schon entwickelte organi- sche Leben kann auf diese Art unterbro- chen und gebunden werden, aber den- noch in diesem Zustande einige Zeit fort- dauern und die ihm anvertraute Organi- sation erhalten, wovon uns besonders die Polypen und Pflanzen-Thiere höchst- merkwürdige Beyspiele liefern. 4) So wie sie zu verschiedenen or- ganischen Körpern eine verschiedene Verwandschaft zu haben scheint, und manchen in grössrer manchen in gerin- gerer Menge erfüllt, so ist auch ihre Bindung mit einigen fester, mit andern lockrer. Und merkwürdig ist es, dass gerade da, wo sie in vorzüglicher Menge und Vollkommenheit existirt, sie locke- rer anzuhängen scheint. Der unvoll- kommne schwach lebende Polyp zum Beyspiel hält sie fester, als ein vollkomm- D 2 neres Thier aus einer höhern Klasse der Wesen. — Diese Bemerkung ist für unsere jetzige Untersuchung von vor- züglicher Wichtigkeit. 5) Sie giebt jedem Körper, den sie erfüllt, einen ganz eigenthümlichen Ka- racter, ein ganz spezifisches Verhältniss zur übrigen Körperwelt. Sie theilt ihm nehmlich erstens die Fähigkeit mit, Ein- drücke als Reize zu percipiren und dar- auf zu reagiren, und zweytens entzieht sie ihn den allgemeinen physischen und chemischen Gesetzen der todten Natur, so dass man also mit Recht sagen kann: durch den Beytritt der Lebenskraft wird ein Körper aus der mechanischen und chemischen Welt in eine neue, die or- ganische oder belebte, versezt. Hier finden die allgemeinen physischen Na- turgesetze nur zum Theil und mit gewis- sen Einschränkungen statt. Alle Ein- drücke werden in einem belebten Kör- per anders modifizirt und reflectirt, als in einem unbelebten. Daher ist auch in einem belebten Körper kein blos mecha- nischer oder chemischer Prozess möglich, und alles trägt den Karakter des Lebens. Ein Stoss, Reiz, Kälte und Hitze wirken auf ein belebtes Wesen nach ganz eigen- thümlichen Gesetzen, und jede Wir- kung, die da entsteht, muss als eine aus dem äusserlichen Eindruck und der Re- action der Lebenskraft zusammengesezte angesehen werden. Eben hierinn liegt auch der Grund der Eigenthümlichkeit einzelner Arten, ja jedes einzelnen Individuums. Wir sehen täglich, dass Pflanzen, die in ei- nerley Boden neben einander wachsen und ganz einerley Nahrung geniessen, doch in ihrer Gestalt, Säften und Kräf- ten himmelweit von einander verschie- den sind. Eben das finden wir im Thier- reich, und es ist eigentlich das, wovon man sagt: Ein jedes hat seine eigne Natur. 6. Die Lebenskraft ist das grösste Erhaltungsmittel des Körpers, den sie bewohnt. Nicht genug, dass sie die gan- ze Organisation bindet und zusammen hält; so widersteht sie auch sehr kräftig den zerstörenden Einflüssen der übrigen Naturkräfte, in so fern sie auf chemi- schen Gesetzen beruhen, die sie aufzu- heben, wenigstens zu modifiziren ver- mag. Ich rechne hieher hauptsächlich die Wirkungen der Fäulniss , der Ver- witterung , des Frosts . — Kein leben- diges Wesen fault; es gehört immer erst Schwächung oder Vernichtung der Le- benskraft dazu, um Fäulniss möglich zu machen. Selbst in ihrem gebundenen unwirksamen Zustand vermag sie Fäul- niss abzuhalten. Kein Ey, so lange noch Lebenskraft darinne ist, kein Saa- menkorn, keine eingesponnene Raupe, kein Scheintodter fault, und es ist ein wahres Wunderwerk, wie sie Körper, die eine so starke Neigung zur Fäulniss haben, wie eben der menschliche, 60 — 80 — ja 100 Jahre dafür schützen kann. — Aber auch der zweyten Art von Destru- ction, der Verwitterung, die endlich alles, selbst die härtesten Körper auflö- set, und zerfallen macht, widersteht sie durch ihre bindende Eigenschaft. — Und eben so der so gefährlichen Entzie- hung der Feuertheilchen, dem Frost. Kein lebender Körper erfriert, das heisst, so lange seine Lebenskraft noch wirkt, kann ihm der Frost nichts anhaben. Mitten in den Eisgebürgen des Süd- und Nordpols, wo die ganze Natur erstarrt zu seyn scheint, sieht man lebendige Ge- schöpfe, sogar Menschen, die nichts von dem allgemeinen Frost leiden. Galanthus nivalis treibt sogar seine Blüthe durch den Schnee aus gefrornen Erdreich; auch bleibt die Blume unbeschädigt, ohneracht vieler starken Nachtfröste. Hunter liess Fische im Wasser einfrieren; so lange sie lebten, blieb das übrigens gefrorne Wasser immer um sie herum flüssig, und bildete eine wahre Höhle; erst in dem Augenblick, da sie starben, froren sie ein. Und diess gilt ebenfalls nicht blos von ihrem wirksamen, sondern auch von dem ge- bundenen Zustande. Ein noch Leben habendes Ey und Saamenkorn erfriert weit später, als ein todtes. Der Bär bringt den ganzen Winter halb erstarrt im Schnee, die todscheinende Schwalbe, die Puppe des Insects unter dem Eise zu, und erfrieren nicht. Dann erst, wenn der Frost so hoch steigt, dass er die Le- benskraft schwächt oder unterdrückt, kann er sie überwältigen, und den nun leblosen Körper durchdringen. Diess Phänomen beruht besonders auf der Ei- genschaft der Lebenskraft, Wärme zu entwickeln, wie wir gleich sehen wer- den. 7) Ein gänzlicher Verlust der Le- benskraft zieht also die Trennung der organischen Verbindung des Körpers nach sich, den sie vorher erfüllte. Seine Materie gehorcht nun den Gesetzen und Affinitäten der todten chemischen Natur, der sie nun angehört, sie zersezt und trennt sich in ihre Grundstoffe; es erfolgt unter den gewöhnlichen Umständen die Fäulniss, die allein uns überzeugen kann, dass die Lebenskraft ganz von ei- nem organischen Körper gewichen ist. Aber gross und erhebend ist die Bemer- kung, dass selbst die, alles Leben zu vernichten scheinende, Fäulniss, das Mittel werden muss, wieder neues Le- ben zu entwickeln, und dass sie eigent- lich nichts anders ist, als ein höchst wichtiger Prozess, die in dieser Gestalt nicht mehr Lebensfähigen Bestandtheile aufs schnellste frey und zu neuen orga- nischen Verbindungen und Leben ge- schickt zu machen. Kaum ist ein Kör- per auf diese Art aufgelöset, so fangen sogleich seine Theilchen an, in tausend kleinen Würmchen wieder belebt zu werden, oder sie feyern ihre Auferste- hung in der Gestalt des schönsten Grases, der lieblichsten Blumen, beginnen auf diese Art von neuen den grossen Lebens- zirkel organischer Wesen, und sind durch einige Metamorphosen vielleicht ein Jahr darnach wieder Bestandtheile eines eben so vollkommnen menschli- chen Wesens, als das war, mit dem sie zu verwesen schienen. Ihr scheinbarer Tod war also nur der Uebergang zu ei- nem neuen Leben, und die Lebenskraft verlässt einen Körper nur, um sich bald vollkommener wieder damit verbinden zu können. 8) Die Lebenskraft kann durch ge- wisse Einwirkungen geschwächt, ja ganz aufgehoben, durch andre erweckt, ge- stärkt, genährt werden. Unter die sie vernichtenden gehört vorzüglich die Kälte , der Hauptfeind alles Lebens. Zwar ein mässiger Grad von Kälte kann in so fern stärkend seyn, indem er die Lebenskraft concentrirt, und ihre Verschwendung hindert, aber es ist keine positive son- dern negative Stärkung, und ein hoher Grad von Kälte verscheucht sie ganz. In der Kälte kann keine Lebensentwicklung geschehen, kein Ey ausgebrütet werden, kein Saamenkorn keimen. Ferner gehören hieher gewisse Er- schütterungen, die theils durch Vernich- tung der Lebenskraft, theils auch durch eine nachtheilige Veränderung der in- nern organischen Lage der Theilchen zu wirken scheinen. So entzieht ein hefti- ger electrischer Schlag, oder der Blitz, der Pflanzen- und Thierwelt augenblick- lich die Lebenskraft, ohne dass man oft die geringste Verletzung der Organe ent- decken kann. So können, besonders bey vollkommnern Geschöpfen, Seelen- erschütterungen, heftiges Schrecken oder Freude, die Lebenskraft augen- blicklich aufheben. Endlich giebt es noch gewisse phy- sische Potenzen, die äusserst schwächend, ja vernichtend auf sie wirken, und die wir daher gewöhnlich Gifte nennen, z. E. das faule Contagium, das Kirschlorbeer- wasser, das wesentliche Oel der bittern Mandeln u. dgl. Aber nun existiren auch Wesen von entgegengesezter Art, die eine gewisse Freundschaft und Verwandschaft zur Le- benskraft haben, sie erwecken, ermun- tern, ja höchstwahrscheinlich ihr eine feine Nahrung geben können. Diese sind vorzüglich Licht, Wärme und Luft, oder vielmehr Sauerstoff, drey Himmels- gaben, die man mit Recht die Freunde und Schutzgeister alles Lebens nennen kann. Oben an steht das Licht , ohnstreitig der nächste Freund und Verwandte des Lebens, und gewiss in dieser Rücksicht von weit wesentlicherer Einwürkung, als man gewöhnlich glaubt. Ein jedes Ge- schöpf hat ein um so vollkommneres Le- ben, je mehr es den Einfluss des Lichts geniesst. Man entziehe einer Pflanze, einem Thier, das Licht, es wird bey al- ler Nahrung, bey aller Wartung und Pflege, erst die Farbe, dann die Kraft ver- lieren, im Wachsthum zurückbleiben, und am Ende verbutten. Selbst der Mensch wird durch ein lichtloses Leben bleich, schlaff und stumpf, und verliert zulezt die ganze Energie des Lebens, wie so manches traurige Beyspiel lange im dunkeln Kerker verschlossner Perso- nen beweisst. — Ja, ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte: Organisches Leben ist nur in der Influenz des Lichts, und also wahrscheinlich durch dieselbe möglich, denn in den Eingeweyden der Erde, in den tiefsten Höhlungen, wo ewige Nacht wohnt, äussert sich nur das, was wir unorgani- sches Leben nennen. Hier athmet nichts, hier empfindet nichts, das einzige, was man etwa noch antrifft, sind einige Ar- ten von Schimmel oder Steinmoos, der erste unvollkommenste Grad von Vege- tation. — Sogar da zeigt sich, dass diese Vegetation meistens nur an oder bey verfaulten Holzwerk entstehe. Also muss auch da der Keim organischen Le- bens erst durch Holz und Wasser hinun- ter gebracht, oder Lebenserzeugende Fäulniss hervorgebracht werden, wel- che ausserdem in diesen Abgründen nicht existirt. Die andere nicht weniger wohlthä- tige Freundin der Lebenskraft ist: Wär- me . Sie allein ist im Stande, den ersten Lebenskeim zu entwickeln. Wenn der Winter die ganze Natur in einen todten- ähnlichen Zustand versezt hat, so braucht nur die warme Frühlingsluft sie anzu- wehen, und alle schlafende Kräfte wer- den wieder rege. Je näher wir den Po- len kommen, desto todter wird alles, und man findet endlich Gegenden, wo schlechterdings keine Pflanze, kein In- sect, kein kleineres Thier existiren, son- dern blos grosse Massen von Geschöpfen, als Wallfische, Bären u. dgl., die zum Le- ben nöthige Wärme conserviren können. — Genug, wo Leben ist, da ist auch Wärme in mehr oder mindern Grade, und es ist eine höchstwichtige unzer- trennliche Verbindung zwischen beyden. Wärme giebt Leben, und Leben entwi- ckelt auch wiederum Wärme, und es ist schwehr zu bestimmen, welches Ursach und welches Folge ist. Von der ausserordentlichen Kraft der Wärme, Leben zu nähren und zu erwecken, verdient folgendes ganz neue und entscheidende Beyspiel angeführt zu werden: Den zweyten August 1790 stürzte sich ein Carabinier, Nahmens Petit zu Strasburg, ganz nackend aus dem Fenster des Militairhospitals in den Rhein. Um 5 Uhr Nachmittags bemerkte man erst, dass er fehle, und er mochte über eine halbe Stunde im Wasser gele- gen haben, als man ihn herauszog. Er war ganz tod. Man that weiter nichts, als dass man ihn in ein recht durch- wärmtes Bett legte, den Kopf hoch, die Arme an den Leib, und die Beine nahe neben einander gelegt. Man begnügte sich dabey, ihm nur immerfort warme Tücher, besonders auf den Magen und die Beine aufzulegen. Auch wurden in verschiedene Gegenden des Bettes heisse Steine, mit Tüchern umwickelt, gelegt. Nach 7 bis 8 Minuten nahm man an den obern Augenliedern eine kleine Bewe- gung wahr. Einige Zeit darauf ging die bis dahin fest an die obere geschlossne untere Kinnlade auf, es kam Schaum aus dem Munde, und Petit konnte eini- ge Löffel Wein verschlucken. Der Puls kam wieder, und eine Stunde darauf konnte er reden. — Offenbar wirkt die Wärme im Scheintod eben so kräftig, als zur ersten Entwicklung des Lebens, sie nährt den kleinsten Funken des noch übrigen Lebens, facht ihn an, und bringt ihn nach und nach zur Flamme. Die dritte wichtigste Nahrung des Lebens ist Luft . Wir finden kein We- sen, das ganz ohne Luft leben könnte, und bey den meisten folgt auf Entzie- hung derselben sehr bald, oft augen- blicklich der Tod. Und was ihren Ein- fluss am sichtbarsten macht, ist, dass die Athemholenden Thiere weit reicher an Lebenskraft sind und sie in vollkomm- nern Grade besitzen, als die Nichtath- menden. menden. Vorzüglich scheint die dephlo- gistisirte, oder Feuerluft, derjenige Be- standtheil unsrer Atmosphäre zu seyn, der zunächst und am kräftigsten die Le- benskraft nährt, und man hat in neuern Zeiten, wo uns unsere wunderthätige Chemie dieselbe rein darzustellen ge- lehrt hat, durch das Einathmen dersel- ben ein allgemeines Gefühl von Stärkung und Ermunterung bemerkt. Die Grund- lage dieser Feuer- oder Lebensluft nen- nen die Chemiker den Sauerstoff ( Oxy- gene ), und dieser Bestandtheil ist es ei- gentlich, der das Belebende in der Luft enthält, und beym Athemholen in das Blut übergehet. — Auch das Wasser gehört in so fern zu den Lebensfreunden, als es auch Sauerstoff enthält, und we- nigstens zu den Lebensbedingungen, als ohne Flüssigkeit keine Aeusserung des Lebens möglich ist. Ich glaube also mit Recht behaupten zu können, dass Licht, Wärme und Sauerstoff , die wahren eigenthümlichen E Nahrungs- und Erhaltungsmittel der Lebenskraft sind. Gröbere Nahrungs- mittel (den Antheil von Sauerstoff und Feuermaterie abgerechnet, den sie ent- halten) scheinen mehr zur Erhaltung der Organe und zur Ersetzung der Con- sumtion zu dienen. Sonst liesse sichs nicht erklären, wie Geschöpfe so lange ohne eigentliche Nahrung ihr Leben er- halten konnten. Man sehe das Hühn- chen im Ey an. Ohne den geringsten Zugang von aussen lebt es, entwickelt sich, und wird ein vollkommnes Thier. Eine Hyazinten oder andere Zwiebel, kann ohne die geringste Nahrung, als den Dunst von Wasser, sich entwickeln, ihren Stengel und die schönsten Blätter und Blumen treiben. Selbst bey voll- kommnern Thieren sehen wir Erschei- nungen, die ausserdem unerklärbar wä- ren. Der Engländer Fordyce z. E. schloss Goldfische in Gefässe, mit Brunnenwasser gefüllt, ein, lies ihnen anfangs alle 24 Stunden, nachher aber nur alle 3 Tage frisches Wasser geben, und so lebten sie ohne alle Nahrung 15 Monate lang, und, was noch mehr zu bewundern ist, wa- ren noch einmal so gross geworden. Weil man aber glauben konnte, dass doch in dem Wasser eine Menge unsicht- barer Nahrungstheilchen seyn möchten, so destillirte er nun dasselbe, sezte ihm wieder Luft zu, und um auch allen Zu- gang von Insecten abzuhalten, verstopfte er das Gefäss sorgfältig. Demohngeach- tet lebten auch hier die Fische lange Zeit fort, wuchsen sogar und hatten Excre- tionen. Wie wäre es möglich, dass selbst Menschen so lange hungern und den- noch ihr Leben erhalten könnten, wenn die unmittelbare Nahrung der Lebens- kraft selbst aus den Nahrungsmitteln ge- zogen werden müsste? Ein französischer Offizier S. Hist. de l’ Academis R. des Sciences. An 1769. verfiel nach vielen erlittenen Kränkungen in eine Gemüthskrankheit, in welcher er beschloss, sich auszuhun- gern, und blieb seinem Vorsatz so ge- E 2 treu, dass er ganzer 46 Tage nicht die geringste Speise zu sich nahm. Nur am fünften Tage foderte er abgezogenes Wasser, und da man ihm ein halbes Nö- sel Anisbrantwein gab, verzehrte er sol- ches in 3 Tagen. Als man ihm aber vorstellte, dass diess zu viel sey, that er in jedes Glass Wasser, das er trank, nicht mehr als 3 Tropfen, und kam mit dieser Flasche bis zum 39sten Tage aus. Nun hörete er auch auf zu trinken, und nahm die lezten 8 Tage gar nichts mehr zu sich. Vom 36sten Tage an musste er lie- gen, und merkwürdig war es, dass die- ser sonst äusserst reinliche Mann die ganze Zeit seiner Fasten über, einen sehr üblen Geruch von sich gab (eine Folge der unterlassenen Erneuerung seiner Säfte, und der damit verbundenen Ver- derbniss), und dass seine Augen schwach wurden. Alle Vorstellungen waren um- sonst, und man gab ihn schon völlig verlohren, als plözlich die Stimme der Natur durch einen Zufall wieder in ihm erwachte. Er sah ein Kind mit einem Stück Butterbrod hereintreten. Dieser Anblick erregte mit einem male seinen Appetit dermassen, dass er dringend um eine Suppe bat. Man reichte ihm von nun an alle 2 Stunden einige Löffel Reissschleim, nach und nach stärkere Nahrung, und so wurde seine Gesund- heit, obwohl langsam, wieder herge- stellt. — Aber merkwürdig war diess, dass, so lange er fastete und matt war, sein eingebildeter Stand, sein Wahnsinn verschwunden war, und er sich bey sei- nem gewöhnlichen Nahmen nennen liess; sobald er aber durchs Essen seine Kräfte wieder erlangte, kehrte auch das ganze Gefolge ungereimter Ideen wieder zurück. 9) Es giebt noch ein Schwächungs- oder Verminderungsmittel der Lebens- kraft, was in ihr selbst liegt, nehmlich der Verlust durch Aeusserung der Kraft. Bey jeder Aeusserung derselben geschieht eine Entziehung von Kraft, und wenn diese Aeusserungen zu stark oder zu an- haltend fortgesezt werden, so kann völ- lige Erschöpfung die Folge seyn. Diess zeigt sich schon bey der gewöhnlichen Erfahrung, dass wir durch Anstrengun- gen derselben beym Gehen, Denken u. s. w. müde werden. Noch deutlicher aber zeigt sichs bey den neuern Galuoni- schen Versuchen, wo man nach dem Tode einen noch lebenden Muskel und Nerven durch Metallbelegung reizt. Wiederhohlt man den Reiz oft und stark, so wird die Kraft bald, geschieht es langsamer, so wird sie später erschöpft, und selbst, wenn sie erschöpft scheint, kann man dadurch, dass man einige Zeit die Reizungen unterlässt, neue Ansamm- lung und neue Aeusserungen derselben bewirken. Dadurch entsteht also ein neues Stärkungsmittel, nehmlich die Ruhe , die unterlassne Aeusserung. Da- durch kann sie sich sammlen, und wirk- lich vermehren. 10) Die nächsten Wirkungen der Lebenskraft sind nicht blos, Eindrücke als Reize zu percipiren und darauf zu- rück zu wirken, sondern auch die Be- standtheile, die dem Körper zugeführt werden, in die organische Natur umzu- wandeln (d. h. sie nach organischen Ge- setzen zu verbinden) und ihnen auch die Form und Structur zu geben, die der Zweck des Organismus erfodert. 11) Die Lebenskraft erfüllt alle Theile des organischen belebten Körpers, so wohl feste als flüssige, äussert sich aber nach Verschiedenheit der Organe auf verschiedene Weise, in der Nerven- faser durch Sensibilität, in der Muskel- faser durch Irritabilität u. s . f. Diess ge- schieht einige Zeit sichtbar und zuneh- mend, und wir nennen es Generation, Wachsthum, — so lange, bis der orga- nische Körper den ihm bestimmten Grad von Vollkommenheit erreicht hat. Aber diese bildende schaffende Kraft hört des- wegen nun nicht auf zu wirken, son- dern das, was vorher Wachsthum war, wird nun beständige Erneurung, und diese immerwährende Reproduction ist eins der wichtigsten Erhaltungsmittel der Geschöpfe. Diess sey genug von dem Wesen dieser Wunderkraft. Nun wird es uns leichter seyn, über das Verhältniss die- ser Kraft zum Leben selbst, über das, was eigentlich Leben heisst, und die Dauer desselben, etwas bestimmteres zu sagen. Leben eines organischen Wesens heisst der freye wirksame Zustand jener Kraft, und die damit unzertrennlich verbundene Regsamkeit und Wirksam- keit der Organe. — Lebenskraft ist also nur Fähigkeit; Leben selbst Hand- lung. — Jedes Leben ist folglich eine fortdauernde Operation von Kraftäusse- rungen und organischen Anstrengun- gen. Dieser Prozess hat also nothwen- dig eine beständige Gonsumtion der Kraft und der Organe zur unmittelbaren Folge, und diese erfodert wieder eine beständige Ersetzung beyder, wenn das Leben fortdauern soll. Man kann also den Prozess des Lebens als einen bestän- digen Consumtionsprozess ansehen, und sein Wesentliches in einer beständigen Aufzehrung und Wiederersetzung unsrer selbst bestimmen. Man hat schon oft das Leben mit einer Flamme verglichen, und wirklich ist es ganz einerley Opera- tion. Zerstörende und schaffende Kräfte sind in unaufhörlicher Thätigkeit in ei- nem beständigen Kampf in uns, und je- der Augenblick unsrer Existenz ist ein sonderbares Gemisch von Vernichtung und neuer Schöpfung. So lange die Le- benskraft noch ihre erste Frischheit und Energie besizt, werden die lebenden schaffenden Kräfte die Oberhand behal- ten, und in diesem Streite sogar noch ein Ueberschuss für sie bleiben; der Kör- per wird also wachsen und sich vervoll- kommnen. Nach und nach werden sie ins Gleichgewicht kommen, und die Consumtion wird mit der Regeneration in so gleichem Verhältniss stehen, dass nun der Körper weder zu noch abnimmt. Endlich aber mit Verminderung der Le- benskraft und Abnutzung der Organe wird die Consumtion die Regeneration zu übertreffen anfangen, und es wird Abnahme, Degradation, zulezt gänzliche Auflösung die unausbleibliche Folge seyn. — Diess ists, was wir auch durchgängig finden. Jedes Geschöpf hat drey Perioden, Wachsthum, Stillestand, Abnahme. Die Dauer des Lebens hängt also im Allgemeinen von folgenden Puncten ab: 1) zu allererst von der Summe der Le- benskraft, die dem Geschöpf bey- wohnt. Natürlich wird ein grössrer Vor- rath von Lebenskraft länger ausdauern und später consumirt werden, als ein geringer. Nun wissen wir aber aus den vorigen, dass die Lebenskraft zu man- chen Körpern mehr zu andern weniger Verwandschaft hat, manche in grössrer manche in geringerer Menge erfüllt, ferner dass manche äusserliche Einwir- kungen schwächend manche nährend für sie sind. — Diess giebt also schon den ersten und wichtigsten Grund der Verschiedenheit der Lebensdauer. — 2) Aber nicht blos die Lebenskraft son- dern auch die Organe werden durchs Le- ben consumirt und aufgerieben, folglich muss in einem Körper von festern Orga- nen die gänzliche Consumtion später er- folgen, als bey einem zarten leicht auf- lösslichen Bau. Ferner die Operation des Lebens selbst bedarf die beständige Wirksamkeit gewisser Organe, die wir daher Lebensorgane nennen. Sind diese unbrauchbar oder krank, so kann das Leben nicht fortdauern. Also eine ge- wisse Festigkeit der Organisation und gehörige Beschaffenheit der Lebensorga- ne giebt den zweyten Grund, worauf Dauer des Lebens beruht. — 3) Nun kann aber der Prozess der Consumtion selbst, entweder langsamer oder schnel- ler vor sich gehen, und folglich die Dauer desselben, oder des Lebens, bey übrigens völlig gleichen Kräften und Organen, länger oder kürzer seyn, je nachdem jene Operation schneller oder langsamer geschieht, gerade so, wie ein Licht, das man unten und oben zugleich anbrennt, noch einmal so geschwind verbrennt, als ein einfach angezündetes, oder wie ein Licht in dephlogistisirter Luft gewiss zehnmal schneller verzehrt seyn wird, als ein völlig gleiches in ge- meiner Luft, weil durch dieses Medium der Prozess der Consumtion wohl zehn- fach beschleunigt und vermehrt wird. Diess giebt den dritten Grund der ver- schiedenen Lebensdauer. — 4) Und da endlich die Ersetzung des Verlornen und die beständige Regeneration das Haupt- mittel ist, der Consumtion das Gegenge- wicht zu halten, so wird natürlich der Körper, der in sich und ausser sich die besten Mittel hat, sich am leichtsten und vollkommensten zu regeneriren, auch von längerer Dauer seyn, als ein anderer, dem diess fehlt. Genug, die Lebensdauer eines Ge- schöpfs wird sich verhalten, wie die Summe der ihm angebornen Lebens- kräfte, die mehrere oder wenigere Fe- stigkeit seiner Organe, die schnellere oder langsamere Consumtion, und die vollkommne oder unvollkommne Re- stauration. — Und alle Ideen von Le- bensverlängerung, so wie alle dazu vor- geschlagenen oder noch vorzuschlagen- den Mittel, lassen sich unter diese 4 Classen bringen, und nach diesen Grund- sätzen beurtheilen. Hieraus lassen sich mehrere lehrrei- che Folgerungen ziehen, und ausserdem dunkele Fragen beantworten, von denen ich hier nur einige vorläufig anzeigen will. Ist das Ziel des Lebens bestimmt oder nicht? Diese Frage ist schon oft ein Zankapfel gewesen, der die Philoso- phen und Theologen entzweyte, und schon mehrmals den Werth der armen Arzneykunst ins Gedränge brachte. Nach obigen Begriffen ist diese Frage leicht zu lösen. In gewissem Verstande haben beyde Partheyen Recht. Aller- dings hat jedes Geschlecht von Geschö- pfen, ja jedes einzelne Individuum eben so gewiss sein bestimmtes Lebensziel, als es seine bestimmte Grösse und seine eigenthümliche Masse von Lebenskraft, Stärke der Organe und Consumtions- oder Regenerationsweise hat; denn die Dauer des Lebens ist nur eine Folge die- ser Consumtion, die keinen Augenblick länger währen kann, als Kräfte und Or- gane zureichen. Auch sehen wir, dass deswegen jede Klasse von Wesen ihre be- stimmte Lebensdauer hat, der sich die einzelnen Individuen mehr oder weniger nähern. — Aber diese Consumtion kann beschleunigt oder retardirt wer- den, es können günstige oder ungünsti- ge, zerstörende oder erhaltende Um- stände Einfluss haben, und daraus folgt denn, dass, troz jener natürlichen Be- stimmung, das Ziel dennoch verrückt werden kann. Nun lässt sich auch schon im Allge- meinen die Frage beantworten: Ist Ver- längerung des Lebens möglich? Sie ist es allerdings, aber nicht durch Zauber- mittel und Goldtincturen, auch nicht in so fern, dass man die uns zugetheilte Summe und Kapacität von Lebenskräf- ten zu vermehren und die ganze Bestim- mung der Natur zu verändern hoffen könnte, sondern nur durch gehörige Rücksicht auf die angegebnen 4 Puncte, auf denen eigentlich Dauer des Lebens beruht: Stärkung der Lebenskraft und der Organe, Retardation der Consum- tion, und Beförderung und Erleichte- rung der Wiederersetzung oder Regene- ration. — Je mehr also Nahrung, Kleidung, Lebensart, Clima, selbst künstliche Mittel, diesen Erfordernissen ein Gnüge thun, desto mehr werden sie zur Verlängerung des Lebens wirken; Je mehr sie diesen entgegen arbeiten, desto mehr werden sie die Dauer der Existenz verkürzen. Vorzüglich verdient hier noch das, was ich Retardation der Lebensconsumtion nenne, als in meinen Augen das wich- tigste Verlängerungsmittel des Lebens, einige Betrachtung. Wenn wir uns eine gewisse Summe von Lebenskräften und Organen, die gleichsam unsern Lebens- fond ausmachen, denken, und das Le- ben in der Consumtion derselben be- steht, so kann durch eine stärkere An- strengung der Organe und die damit ver- bundene schnellere Aufreibung jener Fond natürlich schneller, durch einen mässigern Gebrauch hingegen langsamer aufgezehrt werden. Derjenige, der in einem Tage noch einmal so viel Lebens- kraft verzehrt, als ein anderer, wird auch in halb so viel Zeit mit seinem Vor- rath von Lebenskraft fertig seyn, und Organe, die man noch einmal so stark braucht, werden auch noch einmal so bald abgenuzt und unbrauchbar seyn. Die Die Energie des Lebens wird also mit seiner Dauer im umgekehrten Verhält- niss stehen, oder je mehr ein Wesen in- tensiv lebt, desto mehr wird sein Leben an Extension verlieren. — Der Aus- druck, geschwind leben , der jezt so wie die Sache gewöhnlich worden ist, ist also vollkommen richtig. Man kann allerdings den Prozess der Lebenscon- sumtion, sie mag nun im Handeln oder Geniessen bestehen, geschwinder oder langsamer machen, also geschwind und langsam leben. Ich werde in der Folge das eine durch das Wort intensives Le- ben, das andre durch extensives bezeich- nen. Diese Wahrheit bestätigt sich nicht blos bey dem Menschen, sondern durch die ganze Natur. Je weniger in- tensiv das Leben eines Wesens ist, desto länger dauert es. Man vermehre durch Wärme, Düngung, künstliche Mittel, das intensive Leben einer Pflanze, sie wird schneller vollkommner sich entwi- ckeln, aber auch sehr bald vergehen. — Selbst ein Geschöpf, was von Natur ei- F nen grossen Reichthum von Lebenskraft besizt, wird, wenn sein Leben sehr in- tensiv wirksam ist, von kürzerer Dauer seyn, als eins, das an sich viel ärmer an Lebenskraft ist, aber von Natur ein we- niger intensives Leben hat. So ists z. B. gewiss, dass die höhern Classen der Thiere ungleich mehr Reichthum und Vollkommenheit der Lebenskraft be- sitzen, als die Pflanzen, und dennoch lebt ein Baum wohl hundertmal länger, als das Lebensvolle Pferd, weil das Le- ben des Baums intensiv schwächer ist. — Auf diese Weise können so gar schwä- chende Umstände, wenn sie nur die in- tensive Wirksamkeit des Lebens min- dern, Mittel zur Verlängerung desselben werden, hingegen Lebensstärkende und erweckende Einflüsse, wenn sie die in- nere Regsamkeit zu sehr vermehren, der Dauer desselben schaden, und man sieht schon hieraus, wie eine sehr starke Ge- sundheit ein Hinderungsmittel der Dau- er, und eine gewisse Art von Schwäch- lichkeit das beste Beförderungsmittel des langen Lebens werden kann; und dass die Diät und die Mittel zur Verlänge- rung des Lebens nicht ganz die nehmli- chen seyn können, die man unter dem Nahmen stärkende versteht. — Die Natur selbst giebt uns hierinne die beste Anleitung, indem sie mit der Existenz jedes vollkommnern Geschöpfs eine ge- wisse Veranstaltung verwebt hat, die den Strom seiner Lebensconsumtion aufzu- halten und dadurch die zu schnelle Auf- reibung zu verhüten vermag. Ich meine den Schlaf, ein Zustand, der sich bey al- len Geschöpfen vollkommner Art findet, eine äusserst weise Veranstaltung, deren Hauptbestimmung, Regulirung und Re- tardation der Lebensconsumtion, genug das ist, was der Pendel dem Uhrwerk. — Die Zeit des Schlafs ist nichts als eine Pause des intensiven Lebens, ein scheinbarer Verlust desselben, aber eben in dieser Pause, in dieser Unterbrechung seiner Wirksamkeit, liegt das grösste Mittel zur Verlängerung desselben. Eine 12 — 16stündige ununterbrochne Dauer F 2 des intensiven Lebens bey Menschen, bringt schon einen so reissenden Strom von Consumtion hervor, dass sich ein schneller Puls, eine Art von allgemeinen Fieber (das so genannte tägliche Abend- fieber) einstellt. Jezt kommt der Schlaf zu Hülfe, versezt ihn in einen mehr pas- siven Zustand, und nach einer solchen 7 bis 8 stündigen Pause ist der verzeh- rende Strom der Lebensconsumtion so gut unterbrochen, das verlohrne so schön wieder ersezt, dass nun Pulsschlag und alle Bewegungen wieder langsam und regelmässig geschehen, und alles wieder den ruhigen Gang gehet. Darum schlafen alte Leute weniger, weil bey ihnen das intensive Leben, die Lebensconsum- tion, schwach ist, und weniger Erholung braucht. — Daher vermag nichts so schnell uns auf- zureiben und zu zerstören, als lange dauernde Schlaflosigkeit. — Selbst die Nestors des Pflanzenreichs, die Bäume, würden, ohne den jährlichen Winter- schlaf, ihr Leben nicht so hoch brin- gen. Ja bey mancher Pflanze finden wir wirklich etwas, was sich mit dem täglichen Schlaf der Menschen vollkommen vergleichen lässt. Sie legen alle Abende ihre Blätter an einander oder senken sie nieder, die Blüten verschliessen sich, und die ganze Aeusserliche verräth einen Zustand von Ruhe und Eingezogenheit. Man hat diess der Kühlung und Abendfeuchtigkeit zuschreiben wollen, aber es geschieht auch im Gewächs- hause. Andre haben es für eine Folge der Dun- kelheit gehalten, aber manche schliessen sich im Sommer schon Nachmittags 6 Uhr. Ja das Tragopogon luteum schliesst sich schon früh um 9 Uhr, und diese Pflanze liesse sich also mit den Nachtthieren und Vögeln der animalischen Welt vergleichen, die bey Nacht nur munter sind und bey Tage schlafen. — Ja fast jede Stunde des Tages hat eine Pflanze, die sich da schliesst, und darauf gründet sich die Pflanzenuhr . — Dritte Vorlesung. Lebensdauer der Pflanzen. Verschiedenheit derselben — Einjährige, zweyjährige, vieljährige — Erfahrungen über die Umstände, die diess bestimmen — Resultata daraus — Anwendung auf die Hauptprinzipien der Lebensverlängerung — Wichtiger Einfluss der Zeugung und Kultur auf die Lebenslänge der Pflanzen. E s sey mir nun erlaubt, zur Bestätigung oder Prüfung alles des gesagten, einen Blick auf alle Classen der organisirten Welt zu werfen, und die Belege zu mei- nen Behauptungen aufzusuchen. Hier- bey werden wir zugleich Gelegenheit haben, die wichtigsten Nebenumstände kennen zu lernen, die auf Verlängerung oder Verkürzung des Lebens Einfluss haben. — Unendlich mannichfaltig ist die Dauer der verschiedenen organi- schen Wesen! — Von dem Schimmel an, der nur ein Paar Stunden lebt, bis zur Zeder, welche ein Jahrtausend er- reichen kann, welcher Abstand, welche unzählige Zwischenstufen, welche Man- nichfaltigkeit von Leben! Und dennoch muss der Grund dieser längern oder kür- zern Dauer in der eigenthümlichen Be- schaffenheit eines jeden Wesens und sei- nem Standpunct in der Schöpfung lie- gen, und durch fleisiges Forschen zu finden seyn. Gewiss ein erhabener und interessanter, aber auch zugleich ein un- übersehlicher Gegenstand! Ich werde mich daher begnügen müssen, die Haupt- data heraus zu heben, und in unsern gegenwärtigen Gesichtspunct zu stellen. Zuerst stellen sich uns die Pflanzen dar, diese unübersehbare Welt von Ge- schöpfen, diese erste Stufe der organi- schen Wesen, die sich durch innere Zu- eignung ernähren, ein Individuum for- miren, und ihr Geschlecht fortpflanzen. Welche unendliche Verschiedenheit von Gestalt, Organisation, Grösse und Dauer? Nach den neuesten Entdeckun- gen und Berechnungen wenigstens 40000 verschiedene Gattungen und Ar- ten! Dennoch lassen sie sich alle, nach ihrer Lebensdauer, in drey Hauptklassen bringen, einjährige, oder eigentlich nur halbjährige, die im Frühling entste- hen und im Herbst sterben, zweyjährige, die am Ende des zweyten Jahres sterben, und endlich perennirende, deren Dauer länger, von 4 Jahren, bis zu 1000, ist. Alle Pflanzen, die von saftiger wäs- serigter Constitution sind, und sehr feine zarte Organe haben, haben ein kurzes Leben, und dauern nur ein, höchstens zwey Jahre. Nur die, welche festere Organe und zähere Säfte haben, dauern länger; aber es gehört schlechterdings Holz dazu, um das höchste Pflanzenle- ben zu erreichen. Selbst bey denen, welche nur eins oder zwey Jahre leben, finden wir einen merklichen Unterschied. Die, welche kalter, geruch- und geschmackloser Na- tur sind, leben unter gleichen Umstän- den nicht so lange, als die starkriechen- den, balsamischen, und mehr wesentli- ches Oel und Geist enthaltenden. z. B. Lactuk, Weizen, Korn, Gerste, und alle Getraidearten leben nie länger als ein Jahr; hingegen Thymian, Poley, Isop, Melisse, Wermuth, Majoran, Salbey u. s. w. können zwey und noch mehr Jahre fortleben. Die Gesträuche und kleinern Bäume können ihr Leben auf 60, einige auch auf noch einmal so viel Jahre bringen. Der Weinstock erreicht ein Alter von 60 ja 100 Jahren, und bleibt auch noch im höchsten Alter fruchtbar. Der Rosma- rin desgleichen. Aber Acanthus und Epheu können über 100 Jahr alt werden. Bey manchen, z. E. den Rubusarten ist es schwehr das Alter zu bestimmen, weil die Zweige in die Erde kriechen, und immer neue Bäumchen bilden, so dass es schwehr ist, die neuen von den alten zu unterscheiden, und sie gleich- sam ihre Existenz dadurch perennirend machen. Das höchste Alter erreichen die grössten, stärksten und festesten Bäume, die Eiche, Linde, Buche, Kastanie, Ulme, Ahorn, Platane, die Zeder, der Oelbaum, die Palme, der Maulbeer- baum, der Baobab. Dieser neu entdeckte Baum ( Adansonia digitata ), scheint einer der ältesten werden zu können. Er bekommt im Stamme eine Dicke von 25 Fuss, und Adanson fand in der Mitte dieses Jahrhun- derts an Bäumen, die erst 6 Fuss dick waren, Namen von Seefahrern aus dem 15ten und 16ten Jahrhundert eingeschnitten, und diese Ein- schnitte hatten sich noch nicht sehr erweitert. — Man kann mit Gewissheit behaupten, dass einige Zedern des Libanons, der berühmte Ka- stanienbaum di centi cavalli in Sicilien, und mehrere heilige Eichen, unter de- nen schon die Alten Teutschen ihre An- dacht hatten, ihr Alter auf 1000 und mehrere Jahre gebracht haben. Sie sind die ehrwürdigsten, die einzigen noch lebenden, Zeugen der Vorwelt, und erfüllen uns mit heiligen Schauer, wenn der Wind ihr Silberhaar durchrauscht, das schon einst den Druiden und dem Teutschen Wilden in der Bärenhaut zum Schatten diente. Alle schnell wachsende Bäume, als Fichten, Birken, Maronniers u. s. w. haben immer ein weniger festes und dauerhaftes Holz und kürzere Lebens- dauer. — Das festeste Holz und das längste Leben hat die, unter allen am langsamsten wachsende, Eiche . Kleinere Vegetabilien haben im Durchschnitt ein kürzeres Leben, als die grossen hohen und ausgebreite- ten. Diejenigen Bäume, die das dauer- hafteste und härteste Holz haben, sind nicht immer die, die auch am längsten leben. Z. B. der Buchsbaum, die Zy- presse, der Wachholder, Nussbaum und Birnbaum, leben nicht so lange, als die Linde, die doch ein weicheres Holz hat. Im Durchschnitt sind diejenigen, welche sehr schmackhafte, zarte und elaborirte Früchte tragen, von kürzerer Lebensdauer, als die, welche gar keine oder ungeniessbare tragen; und auch unter jenen werden die, welche Nüsse und Eicheln tragen, älter, als die, welche Beeren und Steinobst hervor- bringen. Selbst diese kürzer lebenden, der Apfel- Birn- Apricosen- Pfirsich- Kirschbaum u. s. w. können unter sehr günstigen Umständen ihr Leben bis auf 60 Jahre bringen, besonders wenn sie zuweilen von dem Moose, das auf ihnen wächst, gereinigt werden. Im Allgemeinen kann man anneh- men, dass diejenigen Bäume, welche ihr Laub und Früchte langsam erhalten und auch langsam verlieren, älter wer- den, als die, bey denen beydes sehr schnell geschieht. — Ferner die culti- virten haben im Durchschnitt ein kürze- res Leben, als die wilden, und die, wel- che saure und herbe Früchte tragen, ein längeres Leben, als die süssen. Sehr merkwürdig ists, dass, wenn man die Erde um die Bäume alle Jahre umgräbt, diess sie zwar lebhafter und fruchtbarer macht, aber die Länge ihres Lebens verkürzt. Geschieht es hin- gegen nur alle 5 oder 10 Jahre, so leben sie länger. — Eben so das östere Be- giessen und Düngen befördert die Fruchtbarkeit, schadet aber der Lebens- dauer. Endlich kann man auch durch das öftre Beschneiden der Zweige und Au- gen sehr viel zum längern Leben eines Gewächses beytragen, so dass sogar klei- nere, kurz lebende, Pflanzen, als La- vendel, Ysop u. dgl., wenn sie alle Jahre beschnitten werden, ihr Leben auf 40 Jahre bringen können. Auch ist bemerkt worden, dass, wenn man bey alten Bäumen, die lange unbewegt und unverändert gestanden haben, die Erde rund um die Wurzeln herum aufgräbt und lockrer macht, sie frischeres und lebendigeres Laub bekom- men, und sich gleichsam verjüngen. Wenn wir diese Erfahrungssätze mit Aufmerksamkeit betrachten, so ist es wirklich auffallend, wie sehr sie die oben angenommnen Grundsätze von Le- ben und Lebensdauer bestätigen, und ganz mit jenen Ideen zusammentreffen. Unser erster Grundsatz war: Je grösser die Summe von Lebenskraft und die Fe- stigkeit der Organe, desto länger ist die Dauer des Lebens, und nun finden wir in der Natur, dass gerade die grössten, vollkommensten und ausgebildesten (bey denen wir also den grössten Reich- thum von Lebenskraft annehmen müs- sen) und die, welche die festesten und dauerhaftesten Organe besitzen, auch das längste Leben haben, z. B. die Eiche, die Zeder. Offenbar scheint hier das Volumen der Körpermasse mit zur Verlängerung des Lebens beyzutragen, und zwar aus dreyerley Gründen: 1) Die Grösse zeigt schon einen grö- sern Vorrath von Lebenskraft oder bildender Kraft. 2) Die Grösse giebt mehr Lebensca- pacität, mehr Oberfläche, mehr Zu- gang von aussen. 3) Je mehr Masse ein Körper hat, desto mehr Zeit gehört dazu, ehe die äussern und innern Consumtions- und Destructionskräfte ihn aufrei- ben können. Aber wir finden, dass ein Gewächs sehr feste und dauerhafte Organe haben kann, und dennoch nicht so lange lebt, als eins mit weniger festen Organen, z. E. die Linde lebt weit länger, als der Buchsbaum und die Zypresse. Diess führt uns nun auf ein, für das organische Leben und unsre künfti- ge Untersuchung sehr wichtiges, Gesetz, nehmlich, dass in der organischen Welt nur ein gewisser Grad von Festigkeit die Lebensdauer befördert, ein zu hoher Grad von Tenacität aber sie verkürzt. — Im allgemeinen und bey unorganischen Wesen ists zwar richtig, dass, je fester ein Körper, desto mehr Dauer hat er; aber bey organischen Wesen, wo die Dauer der Existenz in reger Wirksamkeit der Organe und Circulation der Säfte besteht, hat diess seine Grenzen, und ein zu hoher Grad von Festigkeit der Or- gane und Zähigkeit der Säfte, macht sie früher unbeweglich, ungangbar, er- zeugt Stockungen, und führt das Alter und also auch den Tod schneller herbey. Aber nicht blos die Summe der Kraft und die Organe sind es, wovon Lebenskraft abhängt. Wir haben gese- hen, dass vorzüglich viel auf die schnel- lere oder langsamere Consumtion, und auf die vollkommnere oder unvoll- kommnere Restauration ankommt. Be- stätigt sich diess nun auch in der Pflan- zenwelt? Vollkommen! Auch hier finden wir diess allgemeine Gesetz. Je mehr ein Gewächs intensives Leben hat, je G stärker und schneller seine innre Con- sumtion ist, desto schneller vergeht es, desto kürzer ist seine Dauer. — Fer- ner, je mehr Fähigkeit in sich oder ausser sich ein Gewächs hat, sich zu re- generiren, desto länger ist seine Dauer. Zuerst das Gesetz der Consumtion! Im Ganzen hat die Pflanzenwelt ein äusserst schwaches intensives Leben. Er- nährung, Wachsthum, Zeugung, sind die einzigen Geschäfte, die ihr intensi- ves Leben ausmachen. Keine willkühr- liche Ortsveränderung, keine regel- mässige Circulation, keine Muskel- noch Nervenbewegung. — Ohnstreitig ist der höchste Grad ihrer innern Consum- tion, das höchste Ziel ihres intensiven Lebens, das Geschäft der Generation. Aber wie schnell ist sie auch von Auflö- sung und Zernichtung begleitet! — Die Natur scheint hier gleichsam den grössten Aufwand ihrer schöpferischen Kräfte zu machen, und das Non plus ultra der äussersten Verfeinerung und Vollendung darzustellen. Welche Zartheit und Feinheit des Blüthenbaues, welche Pracht und wel- cher Glanz von Farben überrascht uns da oft bey dem unansehnlichsten Ge- wächs, dem wir eine solche Entwick- lung nie zugetraut hätten? Es ist gleich- sam das Feyerkleid, womit die Pflanze ihr höchstes Fest feyert, aber womit sie auch oft ihren ganzen Vorrath von Le- benskraft, entweder auf immer, oder doch auf eine lange Zeit erschöpft. Alle Gewächse ohne Ausnahme, ver- lieren sogleich nach dieser Catastrophe die Lebhaftigkeit ihrer Vegetation, fan- gen an still zu stehen, abzunehmen, und sie ist der Anfang ihres Absterbens. Bey allen einjährigen Gewächsen folgt das völlige Absterben nach, bey den grössern und den Bäumen wenigstens ein temporeller Tod, ein halbjähriger Stillstand, bis sie vermöge ihrer grossen G 2 Regenerationskraft wieder in Stand ge- sezt sind, neue Blätter und Blüthen zu treiben. Aus eben dem Grunde erklärt sichs, warum alle Gewächse, die früh zum Zeugungsgeschäft gelangen, auch am schnellsten wegsterben; und es ist das beständigste Gesetz für die Lebensdauer in der Pflanzenwelt: Je früher und ei- liger die Pflanze zur Blüthe kommt, desto kürzer dauert ihr Leben, je später, desto länger. Alle die, welche gleich im ersten Jahre blühen, sterben auch im er- sten, die erst im 2ten Jahre Blüthen trei- ben, sterben auch im 2ten. Nur die Bäume und Holzgewächse, welche erst im 6ten, 9ten oder 12ten Jahre zu gene- riren anfangen, werden alt, und selbst unter ihnen werden die Gattungen am ältesten, die am spätesten zur Genera- tion gelangen. — Eine äusserst wich- tige Bemerkung, die theils unsre Ideen von Consumtion vollkommen bestätigt, theils uns schon einen lehrreichen Wink für unsre künftige Untersuchung giebt. Nun lässt sich auch die wichtige Frage beantworten: Welchen Einfluss hat Kultur auf das längere oder kürzere Leben der Pflanzen? Kultur und Kunst verkürzt im Gan- zen das Leben, und es ist als Grundsatz anzunehmen, dass im Durchschnitt alle wilde, sich selbst überlassne Pflanzen länger leben, als die kultivirten. Aber nicht jede Art von Kultur verkürzt, denn wir können z. B. eine Pflanze, die im Freyen nur 1 oder 2 Jahre lang dau- ern würde, durch sorgfältige Wartung und Pflege weit länger erhalten. — Und diess ist nun ein sehr merkwürdiger Beweis, dass auch in der Pflanzenwelt, durch eine gewisse Behandlung, Verlän- gerung des Lebens möglich ist. — Aber die Frage ist nur, worinn liegt der Un- terschied der Lebensverlängernden und Lebensverkürzenden Kultur? Es kann uns diess für die folgende Untersuchung wichtig seyn. Sie lässt sich wieder auf unsre ersten Grundsätze zurückbringen. Je mehr die Kultur das intensive Leben und die innre Consumtion verstärkt, und zugleich die Organisation selbst zär- ter macht, desto mehr ist sie der Lebens- dauer nachtheilig. Diess sehen wir bey allen Treibhauspflanzen, die durch be- ständige Wärme, Düngung und andere Künste zu einer anhaltenden innern Wirksamkeit angetrieben werden, dass sie frühere, öftre und ausgearbeitetere Früchte tragen, als in ihrer Natur liegt. Der nehmliche Fall ist, wenn, auch ohne treibende äussere Einwirkungen, blos durch gewisse Operation und Kün- ste, der innern Organisation der Ge- wächse ein weit höherer Grad von Voll- kommenheit und Zartheit mitgetheilt wird, als in ihrer Natur lag, z. B. durch Oculiren, Pfropfen, die Künste bey den gefüllten Blumen. — Auch diese Kul- tur verkürzt die Dauer. Hingegen kann die Kultur das grösste Verlängerungsmittel des Lebens werden, wenn sie das intensive Leben eines Gewächses nicht verstärkt, oder wohl gar die gewöhnliche Consumtion etwas hindert und mässigt, ferner, wenn sie die von Natur zu grosse Zähigkeit und Härte der Organe (Materie) bis auf den Grad mindert, dass sie länger gang- bar und beweglich bleiben, — wenn sie die destruirenden Einflüsse abhält und ihnen bessere Regenerationsmittel an die Hand giebt. — So kann durch Hülfe der Kultur ein Wesen ein höheres Le- bensziel erreichen, als es nach seiner natürlichen Lage und Bestimmung erhal- ten haben würde. Wir können also die Lebensverlän- gerung durch Kultur bey Pflanzen auf folgende Weise bewirken: 1) Indem wir durch öfteres Abschnei- den der Zweige die zu schnelle Consumtion verhüten; wir nehmen ihnen dadurch einen Theil der Or- gane, wodurch sie ihre Lebenskraft zu schnell erschöpfen würden, und concentriren dadurch gleichsam die Kraft nach innen. 2) Indem wir eben dadurch die Blüte und den Aufwand von Generations- kräften verhindern und wenigstens verspäten. Wir wissen, dass diess der höchste Grad von innrer Le- bensconsumtion bey den Pflanzen ist, und wir tragen also hier auf doppelte Art zur Verlängerung des Lebens bey, einmal, indem wir die Verschwendung dieser Kräfte verhüten, und indem wir sie nöthi- gen zurückzuwirken, und als Er- haltungsmittel zu dienen. 3) Indem wir die destruirenden Ein- flüsse des Frosts, des Nahrungsman- gels, der ungleichen Witterung entfernen, und sie also durch die Kunst in einem gleichförmigen ge- mäsigten Mittelzustande erhalten. Gesezt dass wir auch hierdurch das intensive Leben etwas vermeh- ren, so liegt doch auch hierinn wieder eine desto reichere Quelle zur Restauration. Der vierte Hauptgrund endlich, worauf die Dauer eines jeden Wesens und also auch eines Gewächses beruht, ist die grössre oder geringere Fähigkeit sich zu restauriren und von neuen zu er- zeugen. Hier theilt sich nun die Pflanzen- welt in zwey grosse Klassen: Die eine besizt diese Fähigkeit gar nicht, und diese sinds, die nur ein Jahr leben, (die einjährigen Gewächse), und gleich nach vollbrachtem Generationsgeschäft ster- ben. Die andre Klasse hingegen, die die grosse Fähigkeit besizt, sich alle Jahre zu regeniren, sich neue Blätter, Zweige und Blüten zu schaffen, diese kann das erstaunliche Alter von 1000 und mehr Jahren erreichen. — Ein solches Ge- wächs ist endlich selbst als ein organisir- ter Boden anzusehen, aus welchem jähr- lich unzählige, diesem Boden aber völ- lig analoge, Pflanzen hervorsprossen. — Und gross und göttlich zeigt sich auch in dieser Einrichtung die Weisheit der Natur. Wenn wir bedenken, dass, wie uns die Erfahrung lehrt, ein Zeitraum von 8 bis 10 Jahren dazu gehört, um den Grad von Vollendung in der Organi- sation, und von Verfeinerung in den Säften eines Baums hervorzubringen, der zum Blühen und Fruchttragen er- forderlich ist, und nun ginge es wie bey andern Gewächsen, und der Baum stürbe nun gleich nach vollbrachter Generation ab. Wie unbelohnend würde dann die Kultur dieser Gewächse seyn, wie unverhältnissmässig wäre der Aufwand von Vorbereitung und Zeit zu dem Resultat? Wie selten würden Obst und Früchte seyn! Aber um diess zu verhüten, ist nun diese weise Einrichtung von der Natur getroffen, dass die erste Pflanze nach und nach eine solche Konsistenz und Fe- stigkeit erlangt, dass der Stamm zulezt die Stelle des Bodens vertritt, aus wel- chem nun alle Jahre unter der Gestalt von Augen oder Knospen unzählige neue Pflanzen hervorkeimen. Hierdurch wird ein zwiefacher Nutzen erhalten. Einmal , weil diese Pflanzen aus einem schon organisirten Boden entspringen, so erhalten sie schon assimilirte und elaborirte Säfte, und können dieselben also sogleich zur Blüte und Frucht verarbeiten, welches mit Säften, die sie unmittelbar aus der Erde erhielten, unmöglich wäre. Zweytens können diese feinern Pflanzen, die wir im Grunde als eben so viel einjährige ansehen müssen, nach geendigter Fructification wieder abster- ben, und dennoch das Gewächs selbst, der Stamm, perenniren. — Die Na- tur bleibt also auch hier ihrem Grund- gesetz treu, dass das Zeugungsgeschäft die Lebenskraft der einzelnen Indi- viduen erschöpft, und dennoch peren- nirt das Ganze. Genug, die Resultate aller dieser Erfahrungen sind: Das hohe Alter eines Gewächses gründet sich auf folgende Puncte: 1) Es muss langsam wachsen. 2) Es muss langsam und spät sich fort- pflanzen. 3) Es muss einen gewissen Grad von Festigkeit und Dauer der Organe, genug Holz, haben, und die Säfte dürfen nicht zu wässricht seyn. 4) Es muss gross seyn, und eine be- trächtliche Ausdehnung haben. 5) Es muss sich in die Luft erheben. Das Gegentheil von allem diesen ver- kürzt das Leben. Vierte Vorlesung. Lebensdauer der Thierwelt. Erfahrungen von Pflanzenthieren — Würmern — In- secten — Metamorphose, ein wichtiges Lebensverlänge- rungsmittel — Amphibien — Fische — Vögel — Säug- thiere — Resultate — Einfluss der Mannbarkeit und des Wachsthums anf die Lebenslänge — der Vollkom- menheit oder Unvollkommenheit der Organisation — der rapidern oder langsamern Lebensconsumtion — der Restauration . D as Thierreich ist die zweyte Hauptklasse, der vollkommnere Theil der organischen Welt, unendlich reich an Wesen, Mannichfaltigkeit und verschiedenen Graden der Vollkom- menheit und Dauer. — Von der Ephemera, diesem kleinen vergäng- lichen Insect, das etwa einen Tag lebt, und das in der 20sten Stunde seines Le- bens als ein erfahrner Greiss unter seiner zahlreichen Nachkommenschaft steht, bis zum 200jährigen Elefanten giebt es unzählige Zwischenstufen von Lebens- fähigkeit und Dauer, und ich werde bey diesem unermesslichen Reichthum zufrieden seyn, nur einzelne Data zu sammlen, die unsre Hauptfrage: Wor- auf beruht Länge des Lebens? erläutern können. Um mit der unvollkommensten, sehr nahe an die Pflanzen gränzenden, Klasse, den Würmern , anzufangen, so sind zwar dieselben, wegen ihrer zarten weichen Beschaffenheit, ausserordentlich leicht zu zerstören und zu verletzen, aber sie haben, wie die Pflanzen, den besten Schutz, in ihrer ausserordentli- chen Reproductionskraft, wodurch sie ganze Theile wieder ersetzen, ja selbst getheilt in 2 — 3 Stücke , fortleben kön- nen, und ihre Dauer ist folglich schwehr zu bestimmen. In dieser Klasse existiren die Ge- schöpfe, die fast unzerstörbar scheinen, und mit denen Fontana und Götze so viele merkwürdige Versuche angestellt haben. Erstrer liess Räderthiere und Fadenwürmer in glühend heisser Sonne vertrocknen, im Backofen ausdorren, und nach Verlauf von halben Jahren konnte er durch etwas laues Wasser den- noch das ausgetrocknete Geschöpf wie- der beleben. Diese Erfahrungen bestätigen unsern Satz, dass, je unvollkommner die Orga- nisation, desto zäher das Leben ist. Es ist der Fall wie mit den Pflanzensaamen, und man könnte sagen, dass diese ersten Puncte der thierischen Schöpfung gewis- sermassen nur erst die Keime, die Saamen für für die vollkommnere thierische Welt sind. Bey den Insecten , die schon mehr Thier sind, und eine ausgebildetere Or- ganisation haben, kann zwar die Repro- ductionskraft keine solche Wunder thun. Aber hier hat die Natur eine andre weise Einrichtung getroffen, die offenbar ihre Existenz verlängert: die Metamorphose . — Das Insect existirt vielleicht 2, 3, 4 Jahre lang als Larve, als Wurm: dann verpuppt es sich, und existirt nun wie- der in diesem Todenähnlichen Zustand geraume Zeit, und am Ende desselben erscheint es erst als vollendetes Geschöpf. Nun erst hat es Augen, nun erst den ge- fiederten ätherischen, oft so prächtigen Körper, und was das Gepräge seiner Vollendung am meisten zeigt, nun erst ist es zur Zeugung geschickt. Aber die- ser Zustand, den man die Zeit seiner Blüte nennen könnte, ist der kürzeste, es stirbt nun bald, denn es hat seine Be- stimmung erreicht. H Ich kann hier die Bemerkung nicht übergehen, wie sehr diese Erscheinun- gen mit unsern zum Grunde gelegten Ideen von der Ursach der Lebensdauer übereinstimmen. — In der ersten Exi- stenz, als Wurm, wie unvollkommen ist da das Leben, wie gering seine Be- wegung, die Generation noch gar nicht möglich; blos zum Essen und Verdauen scheint das ganze Geschöpf da zu seyn — wie denn auch manche Raupen eine so ungeheure Kapacität haben, dass sie in 24 Stunden 3mal mehr verzehren, als ihr ganzes Gewicht beträgt. — Also eine äusserst geringe Selbstaufreibung, und eine ungeheure Restauration! Kein Wunder also, dass sie in diesem Zustand, troz ihrer Kleinheit und Unvollkommen- heit, so lange leben können. Eben so der Zwischenzustand als Puppe, wo das Geschöpf ganz ohne Nahrung lebt, aber auch weder von innen noch von aussen consumirt wird. — Aber nun die lezte Periode seiner Existenz, der völlig aus- gebildete Zustand, als geflügeltes ätheri- sches Wesen. Hier scheint die ganze Existenz fast in unaufhörlicher Bewe- gung und Fortpflanzung zu bestehen, also in unaufhörlicher Selbstconsumtion, und an Nahrung und Restauration ist fast gar nicht zu denken, denn viele Schmetterlinge bringen in diesem Zu- stand gar keinen Mund mit auf die Welt. Bey einer solchen Verfeinerung der Or- ganisation, bey einer solchen Dispro- portion zwischen Einnahme und Aus- gabe ist keine Dauer möglich, und die Erfahrung bestätigt es, dass das Insect sehr bald stirbt. Hier stellt uns also das nehmliche Geschöpf den Zu- stand des vollkommensten und unvoll- kommensten Lebens und die damit ver- bundene längere oder kürzere Dauer sehr anschaulich dar. Die Amphibien , diese kalten Zwit- tergeschöpfe, können ihr Leben ausser- ordentlich hoch bringen; ein Vorzug, den sie vorzüglich der Zähigkeit ihres Lebens, d. h. der sehr innigen und H 2 schwehr zu trennend n Verbindung der Lebenskraft mit der Materie und ihrem schwachen intensiven Leben verdanken. Wie zäh ihr Leben ist, davon hat man erstaunliche Beweise. Man hat Schildkröten geraume Zeit ohne Kopf leben, und Frösche, mit aus der Brust gerissenen Herzen, noch herum hüpfen gesehen, und wie wir oben gesehen ha- ben, konnte eine Schildkröte 6 Wochen lang ganz ohne Nahrung leben; welches zugleich zur Gnüge zeigt, wie gering ihr intensives Leben und also das Be- dürfniss der Restauration ist. Ja es ist erwiesen, dass man Kröten leben- dig in Steinen, ja in Marmorblöcken eingeschlossen, angetroffen hat. Noch im Jahr 1733 fand man in Schweden eine solche 7 Ellen tief in einem Steinbruch, mitten in dem härtesten Gestein, zu dem man sich den Zugang erst mit vieler Mühe durch Hammer und Meisel hatte bahnen müssen. Sie lebte noch, aber äusserst schwach, ihre Haut war verschrumpft, und sie hie und da mit einer steinigten Krnste Sie mögen nun als Eyer oder als schon ge- bildete Wesen darinne eingeschlossen worden seyn, so ist eins so erstaunens- würdig wie das andere. Denn was für eine Reihe von Jahren gehörte dazu, ehe sich dieser Marmor generiren, und ehe er seine Festigkeit erreichen konnte! Eben so gross ist der Einfluss der Regenerationskraft auf die Verlängerung ihres Lebens. Eine Menge Gefahren und Todesursachen werden dadurch unschädlich gemacht, und ganze verlor- ne Theile wieder ersezt. Hierhin gehört auch das Geschäft des Häutens, das wir bey den meisten Geschöpfen die- umgeben. S. Schwed. Abhandlungen . 3. Band. p . 285. — Das wahrscheinlichste ist, dass die Kröte noch sehr klein in eine kleine Spalte des Gesteins kam, sich da von der Feuchtigkeit und den auch hinein kriechenden Insecten nährte, und — end- lich wurde durch Tropfstein diese Spalte ausge- füllt, und die indessen gross gewordene Kröte da- mit inkrustirt. ser Klasse finden. Schlangen, Frösche, Eidechsen u. a. werfen alle Jahre ihre ganze Haut ab, und es scheint diese Art von Verjüngung sehr wesentlich zu ih- rer Erhaltung und Verlängerung zu ge- hören. Etwas ähnliches finden wir durch die ganze Thierwelt: Die Vögel wechseln die Federn, auch Schnäbel, (das sogenannte Mausern), die Insecten ver- larven sich, die meisten vierfüssigen Thiere wechseln die Haare und Klauen. Das höchste Alter erreichen, so weit jezt unsre Beobachtungen gehen, die Schildkröten und Krokodille. Die Schildkröte , ein äusserst träges, in allen seinen Bewegungen langsames und phlegmatisches Thier, und beson- ders so langsam wachsend, dass man auf 20 Jahre kaum eine Zunahme von weni- gen Zollen rechnen kann, lebt 100 und mehrere Jahre. Der Krokodill , ein grosses starkes lebensvolles Thier, in ein hartes Panzer- hemde eingeschlossen, unglaublich viel fressend und mit einer ausserordentli- chen Verdauungskraft begabt, lebt eben- falls sehr lange, und nach der Be- hauptung mehrerer Reisenden ist er das einzige Thier, das so lange wächst, als es lebt. Erstaunlich ists, was man unter den kaltblütigen Wasserbewohnern, den Fischen, für Greisse findet. Viel- leicht erreichen sie im Verhältniss ihrer Grösse das höchste Alter unter allen Geschöpfen. Man weiss aus der alten Römischen Geschichte, dass es in den kaiserlichen Fischteichen mehrmals Muränen gab, welche das 60ste Jahr er- reichten, und die am Ende so bekannt mit den Menschen und so umgänglich wurden, dass Crassus Orator unam ex illis defleuerit . Der Hecht , ein trocknes äusserst ge- frässiges Thier, und der Karpfen kön- nen, nach glaubwürdigen Zeugnissen, ihr Leben auf anderthalb hundert Jahre bringen. Der Lachs wächst schnell, und stirbt bald; Hingegen die langsamer wachsende Barsch lebt länger. Es scheint mir hierbey einiger Be- merkung werth, dass in dem Fischreich der natürliche Tod viel seltner vor- kommt, als in den andern Naturreichen. Hier herrscht weit allgemeiner das Ge- setz des unaufhörlichen Uebergangs des einen in das andre, nach dem Recht des Stärkern. Eins verschlingt das andre, der Stärkere den Schwächern, und man kann behaupten, dass im Wasser weni- ger Tod existirt, indem das Sterbende unmittelbar wieder in die Substanz eines Lebenden übergeht, und folglich der Zwischenzustand von Tod seltner existirt, als auf der Erde. Die Verwesung ge- schieht in dem Magen des Stärkern. — Diese Einrichtung zeugt aber von hoher göttlicher Weisheit. Man denke sich, dass die unzähligen Millionen Wasser- bewoher, die täglich sterben, nur einen Tag unbegraben (oder, welches hier eben das heisst, nicht verzehrt) da lä- gen; sie würden sogleich faulen, und die fürchterlichste pestilenzialische Aus- dünstung verbreiten. Im Wasser, hier, wo jenes grosse Verbesserungsmittel der animalischen Fäulniss, die Vegetation, in weit geringern Maase existirt, hier musste jede Veranlassung zur Fäulniss verhütet werden, und deswegen bestän- diges Leben da herrschen. Unter den Vögeln giebt es ebenfalls viele sehr lange lebende Arten. Hierzu tragen ohnstreitig folgende Umstände viel bey: 1) Sie sind ausserordentlich gut be- deckt, denn es kann keine voll- kommnere, und die Wärme mehr zusammenhaltende Bedeckung ge- ben, als die Federn. 2) Sie haben alle Jahre eine Art von Reproduction und Verjüngung, die wir das Mausern nennen. Der Vo- gel scheint dabey etwas krank zu werden, wirft endlich die alten Fe- dern ab, und bekömmt neue. Viele werfen auch ihre Schnäbel ab, und erhalten neue, ein wichtiger Theil der Verjüngung, weil sie dadurch in den Stand gesezt werden, sich besser zu nähren. 3) Die Vögel geniessen unter allen Thieren die meiste und reinste Luft. 4) Sie bewegen sich viel. Aber ihre Bewegung ist die gesundeste von allen, sie ist aus der activen und passiven zusammengesezt, d. h. sie werden getragen, und haben blos die Anstrengung der Fortbewegung. Sie gleicht dem Reiten, welches daher ebenfalls den Vorzug vor al- len andern Bewegungen hat. 5) Durch eine eigne Einrichtung wird bey ihnen mit dem Urin eine grosse Menge Erde weggeschaft, und also eine der Hauptursachen gehoben, die bey andern Thieren Trocken- heit, frühes Alter und Tod herbey führt. Der Steinadler , ein starkes grosses festfaserigtes Thier, erreicht ein äusserst hohes Alter. Man hat Beyspiele, dass manche in Menagerien über 100 Jahre gelebt haben. Eben so die Geyer und Falken , beydes Fleischfressende Thiere. — Herr Selwand in London erhielt vor wenig Jahren einen Falken von dem Vorgebürge der guten Hofnung, den man mit einem goldnen Halsbande gefangen hatte, worauf in Englischer Sprache stand: Sr. Majestät, K. Jacob von England. An . 1610. Es wa- ren also seit seiner Gefangenschaft 182 Jahr verflossen. Wie alt war er wohl, als er entfloh? Er war von der grössten Art dieser Vögel, und besass noch eine nicht geringe Munterkeit und Stärke, doch bemerkte man, dass seine Augen etwas dunkel und blind, und die Hals- federn weiss worden waren. Der Rabe , ein fleischfressender Vo- gel, von harten schwarzen Fleisch, kann ebenfalls sein Leben auf 100 Jahre brin- gen; so auch der Schwan , ein sehr gut befiedertes, von Fischen lebendes, und das fliessende Wasser liebendes Thier. Vorzüglich zeichnet sich der Papa- gey aus. Man hat Beyspiele gehabt, dass er noch als Gefangener des Menschen 60 Jahre gelebt hat, und wie alt war er vielleicht schon, als er gefangen wurde? Es ist ein Thier, das fast alle Arten von Speise verzehrt und verdaut, den Schna- bel wechselt, und dunkles festes Fleisch hat. Der Pfau lebt bis zum 20sten Jahre. — Hingegen der Hahn , ein hitziges, streitsüchtiges und geiles Thier, weit kürzer. Von noch kürzerm Leben ist der Sperling , der Libertin unter den Vö- geln. Die kleinen Vögel leben im Gan- zen auch kürzer. Die Amsel und der Stiegliz noch am längsten, bis zum 20sten Jahr. Wenden wir uns nun zu den voll- kommensten, dem Menschen am näch- sten kommenden, vierfüssigen Säugthie- ren , so finden wir hier ebenfalls eine auffallende Verschiedenheit des Al- ters. Am höchsten unter allen bringt es wohl der Elefant , der auch durch seine Grösse, langsames Wachsthum (er wächst bis ins 30ste Jahr), äusserst feste Haut und Zähne, den grössten Anspruch darauf hat. Man rechnet, dass er 200 Jahr alt werden kann. Das Alter des Löwen ist nicht genau zu bestimmen, doch scheint er es ziem- lich hoch zu bringen, weil man zuwei- len welche ohne Zahn gefunden hat. Nun folgt der Bär , der grosse Schlä- fer und nicht weniger phlegmatisch im Wachen, und dennoch von keiner lan- gen Lebensdauer. — Ein schlimmer Trost für diejenigen, die im Nichtsthun das Arcanum zum langen Leben gefun- den zu haben glauben. Das Kameel hingegen, ein mageres, trocknes, thätiges, äusserst dauerhaftes Thier, wird alt. Gewöhnlich erreicht es 50, oft auch 100 Jahre. Das Pferd bringt es doch nicht hö- her, als etwa 40 Jahre; ein zwar grosses und kraftvolles Thier, das aber wenig mit Haaren bedeckt, empfindlicher und von scharfen zur Fäulniss geneigten Säften ist. Doch kann es einen Theil seines kürzern Lebens der Plage des Menschen zu danken haben, denn wir haben noch keine Erfahrungen, wie alt es in der Wildniss werden kann. In eben dem Verhältniss steht der Esel . Das Maulthier, das Product von beyden, hat mehr Dauer, und wird älter. Was man vom hohen Alter der Hirsche gesagt hat, ist Fabel. Sie werden etwa 30 Jahr und etwas dar- über alt. Der Stier , so gross und stark er ist, lebt dennoch nur kurze Zeit, 15, höch- stens 20 Jahre. Der grösste Theil der kleinern Thiere, Schaafe, Ziegen, Füchse, Haasen, leben höchstens 7 bis 10 Jahre, die Hunde und Schweine ausge- nommen, die es auf 15 bis 20 Jahre bringen. Aus dieser Mannichfaltigkeit von Erfarung lassen sich nun folgende Re- sultate ziehen: Die thierische Welt hat im Ganzen weit mehr innere und äussere Bewegung, ein weit zusammengesezteres und voll- kommneres intensives Leben, und also gewiss mehr Selbstconsumtion als die Vegetabilische. — Ferner sind die Or- gane dieses Reichs weit zarter, ausgebil- det und mannichfaltiger. Folglich müss- ten eigentlich Thiere ein kürzeres Leben haben, als Pflanzen. Dafür aber haben sie mehr Reichthum und Energie der Le- benskraft, mehr Berührungspuncte mit der ganzen sie umgebenden Natur, folg- lich mehr Zugang und Ersatz von aussen. — Es muss also in dieser Klasse zwar schweh- schwehrer seyn, ein sehr ausgezeichnet hohes Alter zu erreichen, aber auch ein zu kurzes Leben wird selten seyn. Und das ists auch, was wir in der Er- fahrung finden. — Ein mittleres Alter, von 5 — 40 Jahren, ist das gewöhn- lichste. Je schneller ein Thier entsteht, je schneller es zur Vollkommenheit reift, desto schneller vergeht auch sein Leben. Diess scheint eines der allgemeinsten Naturgesetze zu seyn, das sich durch alle Klassen hindurch bestätigt. — Nur muss man die Entwicklung nicht blos von dem Wachsthum verstehen, und darnach berechnen. Denn es giebt Thiere, die, so lange sie leben, zu wachsen scheinen, und bey denen das Wachsthum einen Theil der Ernährung ausmacht, sondern es kommt vorzüglich auf folgende zwey Puncte an: I 1) Auf die Zeit der ersten Entwick- lung im Ey, entweder in oder ausser dem Körper. 2) Auf den Zeitpunct der Mannbar- keit, den man als das höchste Ziel der physischen Ausbildung und als den Beweiss ansehen kann, dass das Geschöpf nun den höchsten Grad der Vollendung erreicht hat, dessen es im Physischen fähig war. Die Regel muss also so bestimmt werden: Je kürzere Zeit ein Geschöpf zur Ausbildung im Mutterleibe oder Ey braucht, desto schneller vergeht es. Der Elefant, der bis zum 3ten Jahre trägt, lebt auch am längsten, Hirsche, Stiere, Hunde u. s. w., deren Tragezeit nur von 3 bis 6 Monate ist, erreichen ein weit kürzeres Ziel. — Quod cito fit, cito perit . Vorzüglich aber das Gesetz: Je frü- her ein Geschöpf seine Mannbarkeit er- reicht, je früher es sich propagirt, desto hürzer dauert seine Existenz. Diess Ge- setz, das wir schon im Pflanzenreiche so vollkommen bestätigt finden, herrscht auch im Thierreich ohne Ausnahme. Das grösste Beyspiel davon geben uns die Insecten. Ihre erste Periode bis zur Mannbarkeit, d. h. ihr Larvenleben kann sehr lange, ja mehrere Jahre, dau- ern; sobald sie aber ihre grosse Verwand- lung gemacht, d. h. ihre Mannbarkeit erreicht haben, so ists auch um ihr Le- ben geschehen. Und bey den vierfüssi- gen Thieren ist diess so gewiss, dass sich sogar die Lebenslänge eines Geschöpfs ziemlich richtig darnach bestimmen lässt, wenn man die Epoque der Mann- barkeit als den fünften Theil der ganzen Lebensdauer annimmt. Pferde, Esel, Stiere sind im 3ten oder 4ten Jahre mannbar, und leben 15 — 20 I 2 Jahre. Schaafe im 2ten Jahre, und leben 8 — 10 Jahre. Alle gehörnten Thiere leben im Durchschnitt kürzer, als die ungehörn- ten. Die Thiere mit dunklern schwär- zern Fleisch sind im Ganzen länger le- bend, als die mit weissem Fleisch. Eben so sind die stillen furchtsamen Thiere von kürzrer Lebensdauer, als die vom entgegen gesezten Tempera- ment. Vorzüglich scheint eine gewisse Be- deckung des Körpers einen grossen Ein- fluss auf die Lebensdauer zu haben. — So leben die Vögel, die gewiss die dauer- hafteste und beste Bedeckung haben, vorzüglich lange, so auch der Elefant, der Rhinoceross, der Crocodill, die die festeste Haut haben. Auch hat die Art der Bewegung ih- ren Einfluss. Das Laufen scheint der Lebenslänge am wenigsten, hingegen das Schwimmen und Fliegen, genug, die aus der activen und passiven zusammen- gesezte Bewegung am meisten vortheil- haft zu seyn. Auch bestätigt sich der Grundsatz: Je weniger intensiv das Leben eines Ge- schöpfs, und je geringer seine innre und äussre Consumtion, d. h. nach dem ge- wöhnlichen Sprachgebrauch, je unvoll- kommner das Leben eines Geschöpfs ist, desto dauerhafter ist es. — Hingegen: je zarter, feiner und zusammengesezter die Organisation und je vollkommner das Leben, desto vergänglicher ist es. Diess zeigen uns am deutlichsten folgende Erfahrungen: 1) Die Zoophyten, oder Pflanzenthie- re, deren ganze Organisation im Magen, Mund und Ausgang besteht, haben ein äusserst zähes und unzer- störbares Leben. 2) Alle kaltblütigen Thiere haben im Durchschnitt ein längeres und zähe- res Leben, als die warmblütigen, oder, welches eben das ist, die nicht athemholenden haben hierinn einen Vorzug für den athemholen- den Thieren. Und warum? Das Athemholen ist die Quelle der in- nern Wärme, und Wärme beschleu- nigt Consumtion. Das Geschäft der Respiration ist also überhaupt eine zwar beträchtliche Vermeh- rung der Vollkommenheit eines Ge- schöpfs, aber auch seiner Consum- tion. Ein athmendes Geschöpf hat gleichsam doppelte Circulation, die allgemeine und die kleinere, durch die Lunge, ferner doppelte Ober- fläche, die mit der Luft in be- ständige Berührung kommen, die Haut und die Oberfläche der Lungen, und endlich auch eine weit stärkere Reizung, und folg- lich eine weit stärkere Selbstcon- sumtion sowohl von innen als aussen. 3) Die im Wasser lebenden Geschöpfe leben im Ganzen länger, als die in der Luft lebenden; und zwar aus eben dem Grunde, weil das Ge- schöpf im Wasser wenig ausdunstet, und weil das Wasser bey weitem nicht so sehr consumirt, als die Luft. 4) Den allerstärksten Beweis endlich, was die Verminderung der äussern Consumtion für eine erstaunliche Wirkung auf Verlängerung des Le- bens hat, geben die Beyspiele, wo dieselbe gänzlich unmöglich ge- macht wurde, die Beyspiele von Kröten, die in festen Gestein einge- schlossen waren, und die hier, blos durch Unterbrechung der Consum- tion von aussen, um so vieles län- ger ihr Leben conservirt hatten. Hier konnte gar nichts verdunsten, nichts aufgelöset werden, denn das wenige von Luft, was etwa zugleich mit eingeschlossen wurde, musste sehr bald so saturirt werden, dass nichts mehr aufgenommen werden konnte. Eben deswegen konnte das Geschöpf auch so lange ohne alle Nahrung existiren, denn das Bedürfniss der Nahrung entsteht erst aus dem Verlust, den wir durch die Verdunstung und Consumtion erleiden. Hier, wo alles zusam- men bleibt, brauchts keinen Er- satz. — Dadurch konnte also die Lebenskraft und die Organisation vielleicht 100mal länger, als im natürlichen Zustande erhalten wer- den. Auch das lezte Prinzip der Lebensver- längerung , der vollkommneren Restaura- tion, findet in diesem Naturreich seine vollkommne Bestätigung: Der höchste Grad von Restaura- tion ist die Reproduction ganz neuer Or- gane . Wir finden diese Kraft in einem be- wundernswürdigen Grade in der Klasse der Pflanzenthiere, der Würmer und Amphibien, genug derjenigen Geschö- pfe, welche kaltes Blut und keine oder nur knorpelichte Knochen haben. Und bey allen diesen Geschöpfen existirt eine ausgezeichnete Lebensdauer. Etwas ähnliches ist das Abwerfen der Schuppen bey den Fischen, der Häute bey Schlangen, Krokodillen, Frö- schen u. s. w., der Federn und Schnäbel bey den Vögeln, und wir bemerken im- mer, je vollkommner diese Renovation geschieht, desto länger ist Verhältniss- mässig das Leben: Ein vorzüglich wichtiger Gegen- stand aber, in Absicht auf Restauration, ist die Ernährung . Hier äussert sich der wesentlichste Unterschied der Pflan- zen- und Thierwelt. Statt dass alle Pflanzen ohne Unterschied ihre Nahrung von aussen an sich ziehen, ist hingegen bey allen Thieren das unveränderliche Gesetz, dass die Nahrung zuerst in eine eigne dazu bestimmte Höhle oder Schlauch (gewöhnlich Magen genannt) kommen muss, ehe sie in die Masse der Säfte aufgenommen, und ein Theil des Thieres werden kann; und der un- sichtbare Polyp hat so gut, wie der Elefant, diesen auszeichnenden, Ka- racter des Thiers, ein Maul und einen Magen . Diess ists, was die Hauptbasis der Thierwelt, den karacteristischen Unter- schied des Thiers von der Pflanze aus- macht, und worauf sich eben der Vor- zug der Individualität, des innern voll- kommnern, entwickeltern Lebens, ur- sprünglich gründet. Daher kann in Thieren die aufgenommene Materie ei- nen weit höhern Grad von Vollendung erhalten, als in Pflanzen; die Wurzeln sind gleichsam inwendig (die Milchge- fässe), und erhalten den Nahrungssaft schon durch den Darmkanal assimilirt und verfeinert. — Daher brauchen Thiere mehr Absonderungen und Excre- tiones, Pflanzen weniger. — Daher geht bey Thieren der Trieb des Nah- rungssaftes und aller Bewegungen von innen nach aussen, bey den Pflanzen von aussen nach innen. — Daher stirbt das Thier von aussen nach innen ab, die Pflanze umgekehrt, und man sieht Bäume, wo Mark und alles Innere völlig fehlen, und nur noch die Rinde existirt, und welche dennoch fortleben. — Daher können Thiere weit mannich- faltigere Nahrung aufnehmen, und sich weit vollkommner restauriren, und da- durch der stärkern Selbstconsumtion das Gleichgewicht halten. Fünfte Vorlesung. Lebensdauer der Menschen. Erklärung des unglaublich scheinenden Alters der Patri- archen — Das Alter der Welt hat keinen Einfluss auf das Lebensalter der Menschen — Beyspiele des Alters bey den Juden — Griechen — Römern — Tabellen des Census unter Vespasian — Beyspiele des hohen Alters bey Kaisern, Königen und Pübsten — Frie- drich II. — bey Eremiten und Klosterbrüdern — Philo- sophen und Gelehrten — Schulmännern — Dichtern und Künsilern — das höchste Alter findet sich nur unter Landleuten, Jägern, Gürtnern, Soldaten und Matro- sen — Beyspiele — Weniger bey Aerzten — Kürzestes Leben — Verschiedenheit des Alters nach dem Clima . A ber nun lassen Sie uns zu der Haupt- quelle unsrer Erfahrung, zu der Ge- schichte des Menschen, übergehen, und hier Beyspiele sammlen, die für unsre Untersuchung fruchtbar seyn kön- nen. Ich werde Ihnen die merkwürdig- sten Beyspiele des höchsten Menschenal- ters vorlegen, und wir werden daraus sehen, in welchem Clima, unter wel- chen Glücksumständen, in welchem Stand, mit welchen Geistes- und Körper- anlagen der Mensch das höchste Alter er- reicht habe. — Eine angenehme Ue- bersicht, die uns einen eignen Theil der Weltgeschichte, die Geschichte des menschlichen Alters, und die venerable Gallerie der Nestors aller Zeiten und Völker, bekannt machen wird. — Ich werde hie und da eine kurze Karacteri- stik beyfügen, um zugleich einen Wink zu geben, in wie fern Karacter und Tem- perament auf die Länge des Lebens Ein- fluss hatte. Gewöhnlich glaubt man, dass in der Jugend der Welt auch ihre Bewoh- ner ein jugendlicheres und vollkommne- res Leben, eine Riesengrösse, unglaub- liche Kräfte, und eine erstaunliche Le- bensdauer gehabt haben. Lange trug man sich mit einer Menge derglei- chen Geschichten, und mancher schö- ne Traum verdankt ihnen seine Ent- stehung. — So trug man kein Be- denken, in allem Ernst, dem Urvater Adam eine Länge von 900 Ellen und ein Alter von fast 1000 Jahren beyzulegen. Aber die scharfe und gründliche Kritik neuer Physiker hat die hie und da ge- fundenen vermeynten Riesenknochen in Elefanten und Rhinocerosknochen verwandelt, und hellsehende Theologen haben gezeigt, dass die Chronologie je- ner Zeiten nicht die jetzige sey. Man hat mit der höchsten Wahrscheinlichkeit erwiesen (insonderheit Hensler ), dass die Jahre der Alten bis auf Abraham nur 3 Monate, nachhero 8 Monate, und erst nach Joseph 12 Monate enthielten. Eine Behauptung, die dadurch noch mehr Bestätigung erhält, dass noch jezt Völ- ker im Orient existiren, welche das Jahr zu 3 Monat rechnen; ferner, dass es ganz unerklärbar seyn würde, warum das Lebensalter der Menschen gleich nach der Sündfluth um die Hälfte ver- kürzt wurde. Eben so unbegreiflich müsste es seyn, warum die Patriarchen immer erst im 60sten, 70sten ja 100ten Jahre heyrathen, welches sich aber so- gleich hebt, wenn wir diess Alter nach diesem Maasstabe berechnen, denn da wird das 20ste oder 30ste Jahr daraus, also eben der Zeitpunct, in dem wir auch jezt noch heyrathen. — Ueber- haupt bekommt nun alles, nach dieser Berichtigung, eine andere Gestalt. Die 1600 Jahre vor der Sündfluth werden zu 414 Jahr, und das 900jährige Alter des Methusalems (das höchste, was angege- ben wird) sinkt auf 200 Jahr herab, ein Alter, das gar nicht unter die Unmög- lichkeiten gehört, und dem noch in neuern Zeiten Menschen nahe gekom- men sind. Auch Auch in der Profangeschichte er- zählt man in jener Zeit viel von Heroen und Arcadischen Königen, die ein Alter von vielen 100 Jahren erreicht haben sollen, welches sich aber auf eben diese Art auflösen lässt. Schon mit Abraham , (also mit dem Zeitpunkt einer etwas constatirtern Ge- schichte), fängt sich ein Lebensalter an, welches gar nichts ausserordentliches mehr hat, und auch noch jezt erreicht werden kann, besonders wenn man die Frugalität, das freye, luftgewohnte und nomadische Leben jener Patriarchen an- nehmen wollte. Die Jüdische Geschichte giebt uns folgende Facta: Abraham , ein Mann von grosser und entschlossner Seele, und dem alles glücklich ging, erreichte ein Alter von 175 Jahren, sein Sohn Isaac , ein Ruhe liebender, keuscher und stiller Mann, 180; Jacob , ebenfalls ein Freund des Friedens, aber schlauer, nur 147; K der Kriegsmann Ismael 137; die einzige Frau der alten Welt, von deren Lebens- dauer wir etwas erfahren, Sarah , 127 Jahre; Joseph , reich an Klugheit und Politik, in der Jugend bedrängt, im Al- ter hochgeehrt, lebte 110 Jahr. Moses , ein Mann von ausserordent- lichen Geist und Kraft, reich an Thaten aber schwach an Worten, brachte sein Sorgen- und Strapazenvolles Leben, bis auf 120 Jahre. Aber schon er klagt, „unser Leben währt 70 Jahr, wenns „hoch kommt, 80;“ und wir se- hen hieraus, dass schon vor 3000 Jahren es in diesem Stück gerade so war, wie jezt. Der kriegerische und immer thätige Josua , ward 110 Jahr alt. — Eli , der Hohepriester, ein fetter, phlegmatischer und gelassener Mann, lebte einige 90, aber Elisa , streng gegen sich und gegen andre, und ein Verächter aller Bequem- lichkeiten und Reichthümer, lebte weit über 100 Jahre. — In den lezten Zei- ten des Jüdischen Staats zeichnete sich der Prophet Simeon , voll Hofnung und Vertrauen auf Gott, durch ein 90jähriges Alter aus. So sehr übrigens bey den Egyptiern alles voll Fabeln ist, so hat doch das Al- ter ihrer Könige, welches von den älte- sten Zeiten her gemeldet wird, gar nichts besonders. Die höchste Regie- rungsdauer ist etwas über 50 Jahr. Von dem hohen Alter der Seres , oder der heutigen Chineser , hatte man, nach dem Lucian zu urtheilen, sehr hohe Begriffe. Sie heissen ausdrücklich ma- crobii, und zwar schreibt Lucian ihr langes Leben ihrem häufigen Wassertrin- ken zu. — War es vielleicht auch schon der Thee, den sie damals tran- ken? Bey den Griechen finden wir meh- rere Beyspiele von hohen Alter. — Der K 2 weise Solon , ein Mann von grosser Seele, tiefen Nachdenken und feurigen Patrio- tismus, doch nicht gleichgültig gegen die Annehmlichkeiten des Lebens, brach- te sein Alter auf 80 Jahr. Epimenides von Creta soll 157 Jahr alt geworden seyn. Der lustige, schwärmende Ana- creon lebte 80 Jahr, eben so lange Sopho- cles und Pindar. Gorgias und Leon- tium , ein grosser Redner, und ein viel gereister und im Umgang und Unter- richt der Jugend lebender Mann, brach- te sein Alter auf 108 Jahr, Protagoras von Abdera , ebenfalls ein Redner und Reisender, auf 90; Isocrates , ein Mann von grosser Mässigkeit und Bescheiden- heit, auf 98 Jahr. Democrit , ein Freund und Forscher der Natur, und dabey von guter Laune und heitern Sinn, ward 109 Jahr, der schmuzige und frugale Diogenes , 90. Zeno , der Stifter der stoischen Secte und ein Mei- ster in der Kunst der Selbstverleugnung, erreichte beynahe 100 Jahr, und Plato , eines der göttlichsten Genies, die je ge- lebt haben, und ein Freund der Ruhe und stillen Betrachtung, 81 Jahr. — Pythagoras , dessen Lehre vorzüglich gute Diät, Mässigung der Leidenschaf- ten und Gymnastik empfahl, wurde auch sehr alt. Er pflegte das menschli- che Leben in vier gleiche Theile zu thei- len. Vom 1sten zum 20sten Jahre sey man ein Kind (anfangender Mensch), von 20 bis zu 40 ein junger Mensch, von 40 bis zu 60 erst ein Mensch, von 60 bis 80 ein alter oder abnehmender Mensch, und nach dieser Zeit rechne er niemand mehr unter die Lebendigen, er möge auch so lange leben, als er wolle. Unter den Römern verdienen fol- gende bemerkt zu werden. M. Valerius Corvinus , wurde über 100 Jahr alt, ein Mann von grossem Muth und Tapferkeit, vieler Populari- tät und beständigem Glück. Orbi- lius , der berühmte Orbilius , erst Soldat, dann Pädagog, aber immer noch mit mi- litärischer Strenge, erreichte in dieser Lebensart ein Alter von 100 Jahren. — Wie hoch der Mädgenschulmeister Her- mippus sein Alter brachte, haben wir schon gesehen. — Fabius , durch sein Zaudern bekannt, zeigte durch sein 90 jähriges Alter, dass man auch dem Tode damit etwas abgewinnen könne. Und Cato , der Mann von eisernem Körper und Seele, ein Freund des Land- lebens und ein Feind der Aerzte, wurde über 90 Jahre alt. Auch von Römischen Frauen haben wir merkwürdige Beyspiele eines langen Lebens. Terentia , des Cicero Frau, troz ihres vielen Unglücks, Kummers und des Podagra, was sie plagte, ward 103 Jahre alt. Und Augustus Gemahlin, Li- via , eine herschsüchtige, leidenschaft- liche und dabey glückliche Frau, 90 Jahr. Besonders merkwürdig ists, dass man mehrere Beyspiele von sehr alt ge- wordnen Römischen Actricen hat, ein Vorzug, den sie leider jezt verlohren ha- ben, und der zu beweisen scheint, dass jezt mehr Lebensconsumtion mit ihrem Stande verknüpft ist, als ehemals. — Eine gewisse Luceja , die sehr jung zum Theater kam, war 100 Jahr Actrice, und erschien noch im 112ten Jahre auf dem Theater. Und Galeria copiala , eine Actrie und Tänzerin zugleich, wurde 90 Jahre nach ihrem ersten Auftritt auf dem Theater, wieder aufgeführt, um als ein Wunder den Pompejus zu complimen- tiren. Und dennoch wars noch nicht zum leztenmale. Zur Feyer des Augusts erschien sie noch einmal auf dem Theater. Einen äusserst schäzbaren Beytrag von der Lebensdauer, zu den Zeiten des Kaiser Vespasian liefert uns Plinius , aus den Registern des Census, einer völlig sichern und glaubwürdigen Quelle. Hier zeigt sich nun, dass in dem Theile Ita- liens, der zwischen den Appeninen und dem Po liegt, in dem Jahr dieser Zählung (dem 76sten unsrer Zeitrechnung) 124 Menschen lebten, welche 100 und mehr Jahre alt waren, nehmlich 54 von 100 Jahren, 57 von 110, 2 von 125, 4 von 130, ebenfalls 4 von 135 bis 137, 3 von 140. Ausser diesen fanden sich noch be- sonders in Parma 5 Menschen, deren drey 120, und zwey 130 Jahre alt waren; in Piacenza eine von 130 Jahren; zu Fauentia eine Frau von 132 Jahren. In einer einzigen Stadt bey Piacenza , ( Vellejacium ) lebten 10, von denen sechs 110, und vier 120 Jahre erreicht hatten. Auch des berühmten Ulpians Mor- talitätstabellen treffen auf eine auffallen- de Art mit den unsrigen, und zwar von grossen Städten überein. Man kann nach ihnen das alte Rom und London , in Absicht auf die Lebensprobabilität völlig parallel stellen. Man sieht also zur Gnüge, dass die Dauer des menschlichen Lebens zu den Zeiten Moses, der Griechen, der Römer, und jezt immer dieselbe war, und dass das Alter der Erde keinen Ein- fluss auf das Alter ihrer Bewohner hat, den Unterschied etwa ausgenommen, den die verschiedene Kultur ihrer Ober- fläche und die daher rührende Verschie- denheit des Clima hervorbringen kann. So ists z. B. gewiss, dass jezt in Ita- lien nach Verhältniss nicht so viele und auch nicht so sehr alte Leute angetroffen werden, als zu Vespasians Zeiten; aber die Ursache ist, dass damals wegen meh- rern Waldungen das Clima noch kälter war, und die Menschen fester machte. Man findet davon mehrere Spuren. So erzählt z. E. Plinius von Wintern, wo der Wein in den Kellern, und die Tiber bis auf den Grund ge- froren war. Auch ists nicht unwahrscheinlich, dass die eigenthümliche Wärme der Erde selbst wandern, und sich zuweilen in ei- nem Erdstrich mehr anhäufen, in dem andern aber vermindern kann. Das Resultat der Untersuchung bleibt immer: Der Mensch kann noch jezt eben das Alter erreichen, als ehe- dem. Der Unterschied liegt nur darinn, dass es sonst mehrere, und jezt weniger erreichen. Lassen Sie uns nun das Lebensalter nach den verschiedenen Ständen und Lagen der Menschen durchgehen, und dabey besonders auf die neuern Zeiten Rücksicht nehmen. Und zwar erstens Kaiser und Köni- ge, genug, die Grossen dieser Welt. Hat ihnen die Natur, die ihnen am voll- kommensten alle Vorzüge und Freuden des Lebens schenkte, nicht auch ihre schönste Gabe, ein längeres Leben ver- liehen? Leider nicht. Weder die ältere noch neuere Geschichte sagt uns, dass diese Prärogative ihnen besonders eigen gewesen wäre. Wir finden in der alten Geschichte nur wenige Könige, die das 80ste Jahr erreicht haben. Und vollends die neuere. In der ganzen Reihe der Römisch-teutschen Kaiser, von August an gerechnet, bis auf unsre Zeiten, wel- che zusammen über 200 betragen, fin- den wir, die zwey ersten, den August und Tiberius ausgenommen, nur vier, welche das 80ste Jahr erreichten, den Gordian, Valerian, Anastasius und Justi- nian . August wurde 76 Jahre alt, ein Mann von ruhigem und gemässigten Geist, aber schnell und lebhaft im Handeln, mässig in den Genüssen der Tafel, aber desto empfänglicher für die Freuden der Künste und Wissenschaften. Er ass nur die einfachsten Speisen, und, wenn er nicht hungerte, gar nicht, trank nie über ein Pfund Wein, hielt aber sehr darauf, dass Freude und gute Gesell- schaft die Mahlzeit würzten. Uebrigens war er von heiterm Sinn und sehr glück- lich, und, was den Punct des Lebens betraf, so gesinnt, dass er noch kurz vor seinem Tode zu seinen Freunden sa- gen konnte: Plaudite, Amici . „Applau- „dirt, meine Freunde, die Komödie ist „zu Ende.“ Eine Geistesstimmung, die der Erhaltung des Lebens äusserst vor- theilhaft ist. Im 30sten Jahre überstand er eine schwehre und so gefährliche Krankheit, dass man ihn für verlohren hielt. Es war eine Art von Nerven- krankheit, die durch das warme Verhal- ten und die warmen Bäder, die ihm sei- ne gewöhnlichen Aerzte riethen, nur noch verschlimmert werden musste. An- tonius Musa kam also auf den Einfall, ihn gerade auf die entgegengesezte Art zu behandeln. Er musste sich ganz kalt verhalten und ganz kalt baden, und in kurzem war er wieder hergestellt. Diese Krankheit sowohl, als die dadurch be- wirkte nüzliche Veränderung seiner Le- bensart, trugen wahrscheinlich viel zur Verlängerung seines Lebens bey. Und nebenbey lehrt uns diese Ge- schichte, dass man sehr Unrecht hat, die Methode des kalten Badens die Englische zu nennen, da sie schon so alt ist. Der Kaiser Tiberius lebte noch zwey Jahr länger, er war von heftiger Ge- müthsart, aber vir lentis maxillis , wie ihn August nennte, ein Freund der Wol- lust, aber bey dem allen diätetisch, und selbst in dem Genuss nicht ohne Auf- merksamkeit auf seine Gesundheit, so dass er zu sagen pflegte, er hielte den für einen Narren, der nach dem 30sten Jahre noch einen Arzt um seine Diät be- fragte, weil ein jeder alsdenn schon mit einiger Aufmerksamkeit das, was ihm nützlich und schädlich wäre, erkannt haben müsste. Der berühmte Eroberer Aurengzeb erreichte zwar ein 100jähriges Alter, aber er ist nicht sowohl als König, son- dern vielmehr als Nomade zu betrach- ten. Eben so selten ist das hohe Alter in den Königs- und Fürstenhäusern der neuern Zeit. Nur die Könige von Frank- reich, aus dem Bourbonschen Hause, machen eine Ausnahme, wo gleich drey auf einander folgende ein Alter von 70 Jahren erreichten. Auch dürfen wir hier, als eines der wichtigsten neuern Beyspiele, des grossen Königs, Friedrich II . nicht vergessen. Er war in allem gross, selbst in seinem Phy- sischen. — Er erreichte nicht nur ein, unter den Königen schon sehr seltnes, Alter von 76 Jahren, sondern, was noch mehr sagen will, er erreichte es nach dem Mühe-Sorgen- und Strapazenvoll- sten Leben, das vielleicht je ein Mensch durchlebte, von dem er 20 Jahr im wirk- lichen Kriege zubrachte, und dabey alle Strapazen eines gemeinen Soldaten er- trug, nur mit dem Unterschied, dass er zugleich als Feldherr für alle dachte, und die Nacht, wenn jener Ruhe fand, noch mit tiefen Nachdenken und neuen Pla- nen zubrachte. Die geistliche Hoheit war in diesem Betracht nicht glücklicher. Von 300 Päbsten, die man rechnen kann, haben nicht mehr als 5 ein Alter von 80 Jahren erreicht oder überschritten, ohneracht hier der Vortheil eintritt, dass sie erst spät zu dieser Würde gelangen, und also mehr Wahrscheinlichkeit eines ho- hen Alters haben. Aber eine Menge von ausserordent- lichen Beyspielen findet man unter den Eremiten und Klostergeistlichen, die bey der strengsten Diät, Selbstverleugnung und Abstraction, gleichsam entbunden von allen menschlichen Leidenschaften und dem Umgange, der sie rege machen kann, ein contemplatives Leben, doch mit körperlicher Bewegung und Luft- genuss verbunden, führten. So wurde der Apostel Johannes 93 Jahre, der Ere- mit Paullus , bey einer fast unglaublich strengen Diät und in einer Höhle, 113, und der heilige Antonius 105 Jahre alt; Athanasius, Hieronymus überschritten ebenfalls das 80ste Jahr. — In neuern Zeiten, wo die Abstraction des Geistes, die Selbstverleugnung und frugale Diät einige Abänderungen erlitten haben, sind diese Beyspiele seltner worden. Eben so sehr haben sich tiefdenken- de Philosophen von jeher durch hohes Alter ausgezeichnet, besonders wenn ihre Philosophie sich mit der Natur be- schäftigte und ihnen das göttliche Ver- gnügen, neue wichtige Wahrheiten zu entdecken, gewährte. Der reinste Ge- nuss, eine wohlthätige Exaltation unsrer selbst, und eine Art von Restauration, die unter die vorzüglichen Lebensver- längerungsmittel eines vollkommnen Geschöpfs zu gehören scheint! — Die Aeltesten finden wir unter den Stoikern und Pythagoraeern, bey denen Bezäh- mung der Leidenschaften und der Sinn- lichkeit, lichkeit, und eine strenge Diät, unter die wesentlichsten Eigenschaften eines Philosophen gehörten. — Wir haben schon oben die Beyspiele eines Plato und Isocrabes betrachtet. — Appollonius von Tyana, ein schöner, vollkommner, in allen geistigen und körperlichen Eigen- schaften ausserordentlicher Mann, der bey den Christen für einen Zauberer, bey den Römern und Griechen für einen Götterboten galt, in seiner Diät ein Nachfolger des Pythagoras , und ein grosser Freund des Reisens, ward über 100 Jahr alt. Xenophilus , ebenfalls ein Pythagoraeer, 106 Jahr. Der Phi- losoph Daemonax , ebenfalls 100 Jahr; er war ein Mann von äusserst strengen Sitten, und von einer ungewöhnlichen stoischen Apathie. Man fragte ihn vor seinem Tode: Wie er begraben seyn wollte? Macht euch darum keine Sorge, antwortete er, die Leiche wird schon der Gestank begraben. Aber, willst du denn, warfen ihm seine Freunde ein, Hunden und Vögeln zur Speise dienen? L Warum nicht? erwiederte er, ich habe, so lange ich lebte, den Menschen nach allen Kräften zu nützen gesucht, warum sollte ich nach meinem Tode nicht auch den Thieren etwas geben? Selbst in neuern Zeiten haben die Philosophen diesen Vorzug sich erhalten. Und die grössten und tiefsten Denker scheinen darinne eine Frucht mehr ihrer geistigen Freuden zu geniessen. Kepler und Baco erreichten ein hohes Alter; Newton , der so ganz alle seine Freuden und Genüsse in höhern Sphären fand, dass man versichert, er habe seine Jung- frauschaft mit ins Grab genommen, kam bis auf 90 Jahre. Euler , ein Mann von unbegreiflicher Thätigkeit, dessen tief- gedachte Schriften sich über 300 belau- fen, näherte sich ebenfalls diesem Alter, und noch jezt zeigt der grösste lebende Philosoph, Kant , dass die Philosophie nicht nur das Leben lange erhalten, son- dern auch noch im höchsten Alter die treueste Gefährdin und eine uner- schöpfliche Quelle der Glückseeligkeit für sich und andere bleiben kann. Besonders zeichnen sich die Acade- miciens in dieser Rücksicht aus. Ich brauche nur an den ehrwürdigen Fonte- nelle , der 100 Jahr weniger eins alt wur- de, und an den Nestor Formey , zu erin- nern, die Beyde Secretaires perpetuels , erstrer der Französischen, leztrer der Berliner Academie, waren. Eben so finden wir unter den Schul- männern viele Beyspiele eines langen Lebens, so dass man beynahe glauben sollte, der beständige Umgang mit der Jugend könne etwas zu unsrer eignen Verjüngung und Erhaltung beytragen. Einen ganz vorzüglichen Rang in der Geschichte des langen Lebens, be- haupten aber die Dichter und Künstler, genug, die Glücklichen, deren haupt- sächliches Geschäft im Spielen der Phan- L 2 tasie und selbstgeschaffnen Welten be- steht, und deren ganzes Leben im ei- gentlichsten Verstande ein schöner Traum ist. Wir haben schon oben gesehen, wie hoch Anacreon, So- phocles, Pindar , ihr Leben brach- ten. Young, Voltaire, Bodmer, Hal- ler, Metastasio, Gleim, Utz, Oeser haben alle ein hohes Alter erreicht, und ich erlaube mir hier die Hofnung, die zugleich gewiss der Wunsch eines jeden von uns ist, zu äussern, dass die Zierde der Teutschen Dichter, Wieland , die neueste Bestätigung dieses Grund- satzes geben möge. Aber die ausserordentlichsten Bey- spiele von langen Leben finden wir nur unter den Menschenklassen, die unter körperlicher Arbeit, und in freyer Luft, ein einfaches naturgemässes Leben füh- ren, unter Landleuten, Gärtnern, Jä- gern, Soldaten und Matrosen . Nur in diesen Ständen erreicht der Mensch noch jezt ein Alter von 140, ja 150 Jahren. Ich kann mir das Vergnügen nicht ver- sagen, Ihnen die merkwürdigsten dieser Beyspiele etwas umständlich zu erzehlen, denn in solchen Fällen hat oft auch der kleinste Umstand Interesse und Bedeu- tung. Im Jahr 1670 starb H. Jenkins in Yorkshire. Er war schon im Jahr 1513 bey der Schlacht zu Flowdenfield gewe- sen, und damals 12 Jahr alt. Man konnte aus den Registern der Kanzleyen und andrer Gerichtshöfe ersehen, dass er 140 Jahre lang vor Gericht erschienen war, und Eyde abgelegt hatte. Gegen die Wahrheit der Sache ist also nichts einzuwenden. Er war bey seinem Tode 169 Jahr alt. Seine lezte Beschäfti- gung war Fischerey, und er konnte noch, als er schon weit über 100 Jahre alt war, in starken Strömen schwim- men. Ihm kommt Th. Parre am nächsten, ebenfalls ein Engländer aus Shropshire. Er war ein armer Bauersmann, und musste sich mit seiner täglichen Arbeit ernähren. Als er 120 Jahre alt war, ver- heyrathete er sich wieder mit einer Wittwe, mit der er noch 12 Jahre lebte, und so, dass sie versicherte, ihm nie sein Alter angemerkt zu haben. Bis in sein 130stes Jahr verrichtete er noch alle Ar- beit im Hause, und pflegte sogar noch zu dreschen. Einige Jahr vor seinem Tode erst fingen die Augen und das Ge- dächtniss an schwach zu werden, das Gehör und sein Verstand aber blieben bis zu Ende gut. In seinem 152sten Jahre hörete man von ihm in London, der Kö- nig wurde sehr begierig diese Seltenheit zu sehen, und er musste sich auf den Weg machen. Und diess brachte ihn höchstwahrscheinlich um sein Leben, das er ausserdem noch länger würde fort- gesezt haben. Er wurde nehmlich da so königlich tractirt, und auf einmal in ein so ganz entgegengeseztes Leben versezt, dass er bald darauf 1635 in London starb. Er war 152 Jahr und 9 Monate alt wor- den, und hatte 9 Könige von England erlebt. — Das allermerkwürdigste war nun diess, dass man bey der Section, welche Harvey verrichtete, alle seine Eingeweyde in dem gesundesten Zustan- de antraf; nicht der geringste Fehler war zu entdecken. Sogar die Rippen waren noch nicht einmal verknochert, was man sonst bey allen alten Leuten findet. In seinem Körper lag also noch nicht die mindeste Ursache des Todes, und er war blos an schnell erzeugter Ueberfüllung gestorben, weil man ihm zu viel zu gute gethan hatte. Ein Beweis, dass in manchen Fa- milien eine solche altinachende Anlage, ein besonders gutes Stamen vitae seyn könne, giebt eben dieser Parre . Erst vor wenig Jahren starb seine Uren- kelin zu Corke in einem Alter von 103 Jahren. Fast von eben der Art ist folgendes ganz neueres Beyspiel. Heinze Kiel. Neues Magaz . I. B. 3. St. Ein Däne, Nahmens Draakenberg , geboren 1626, diente bis in sein 91stes Jahr als Matrose auf der Königl. Flotte, und brachte 15 Jahre seines Lebens in der Türkischen Sklaverey, und also im grössten Elende, zu. Als er 111 Jahr alt war, und sich nun zur Ruhe gesezt hatte, fiels ihm ein, doch nun zu heyrathen, und er nahm eine 60jährige Frau; diese aber überlebte er lange, und nun in seinem 130sten Jahre verliebte er sich noch in ein junges Bauermädgen, die aber, wie man wohl denken kann, seinen Antrag ausschlug. Er versuchte sein Heil nun noch bey mehrern; da er aber nirgends glücklicher war, so beschloss er endlich ledig zu bleiben, und lebte so noch 16 Jahre. Erst im Jahre 1772 starb er im 146sten Jahre seines Alters. Er war ein Mann von ziemlich heftigen Tempera- ment, und zeigte oft seine Stärke noch in den lezten Jahren seines Lebens. Im Jahr 1757 starb zu Cornwallis I. Effingham im 144sten Jahr seines Alters. Er war unter Jacob I. Regierung von sehr armen Eltern geboren, und von Kindheit auf zur Arbeit gewöhnt, diente lange als Soldat und Korporal, und als solcher auch in der Schlacht bey Höch- städt . Zulezt kehrte er zurück in seinen Geburtsort, und lebte als Tagelöhner bis an sein Ende. Zu bemerken ist, dass er in der Jugend niemals hitzige und starke Getränke getrunken, immer sehr mässig gelebt, und nur selten Fleisch gegessen hat. Er wusste bis zu seinem 100sten Jahre fast nicht, was Krankheit war, und machte noch 8 Tage vor seinem Ende eine Reise von drey Meilen. Die allerneuesten und nicht weni- ger merkwürdigen Beyspiele sind fol- gende: Im Jahr 1792 starb im Holsteinschen ein gewisser Stender , ein arbeitsamer Bauersmann, im 103ten Jahre. Seine Nahrung war beynahe nichts anders als Grütze und Buttermilch; äusserst selten ass er Fleisch, und immer nur sehr stark gesalzen. Er hatte fast niemals Durst, und trank daher sehr selten. Tabak rauchte er gern. Erst im Alter fing er an Thee und zuweilen Koffee zu trinken. Die Zähne verlor er bald. Krank war er nie. Aergern konnte er sich gar nicht, d. h. es war bey ihm physisch unmöglich dass die Galle überging. Er vermied auch alle Gelegenheit zu Zank und Streit. Dafür aber hatte er ein desto grössres Vertrauen auf die Vorsehung, und wusste sich dadurch in allen Uebeln und Unglücksfällen zu trösten und aufzurich- ten. Seine liebste Unterhaltung war im- mer: Gottes Güte. Schlesw. Hollstein. Provinz. Blatt . 1792. — Eins der aller sonderbarsten Bey- spiele, wie unter dem abwechselnd- sten Spiele des Glücks, der anhal- tensten Todesgefahr und den nach- theiligsten Einflüssen, sich dennoch das Leben eines Menschen unglaub- lich lange erhalten kann, ist folgendes: Im Jahr 1792 starb in Preussen ein alter Soldat, Nahmens Mittelstedt , in einem Alter von 112 Jahren. Dieser Mann war 1681 im Jun. zu Fissahn in Preussen geboren, und wurde als Be- dienter von seiner Herrschaft, die in ei- nem Abend ihre ganze Equipage und 6 Bediente dazu verspielte, ebenfalls mit verspielt. Er ging hierauf in Kriegs- dienste, und diente 67 Jahre als Soldat, machte alle Feldzüge unter König Frie- drich I. Friedrich Wilhelm I. und Frie- drich II. besonders den ganzen 7jährigen Krieg mit, wohnte 17 Hauptbataillen bey, In dieser Absicht verdient auch das Beyspiel des Kaiserl. Generals Graf Molza Erwähnung, welcher 1792 im 78sten Jahr starb. Er hatte vom 18ten Jahre an gedient, 17 Feldzüge und 9 Be- wo er unzähligemal dem Tode trozte und viel Blessuren erhielt. Im 7jährigen Kriege wurde ihm das Pferd unter dem Leibe erschossen und er ge- rieth in Russische Gefangenschaft. — Nach allen diesen ausgestandenen Müh- seligkeiten heyrathete er, und nachdem ihm zwey Weiber gestorben waren, heyrathete er im Jahr 1790, also im 110ten Jahre seines Alters, die dritte Frau. Er war noch im Stande, bis kurz vor seinem Tode, alle Monate 2 Stun- den Wegs zu gehen um sich seine kleine Pension zu holen. In eben dem Jahre starb zu Neus im Erzstift Kölln , ein Greiss von 112 Jahren; ( H. Kauper ) er war ein Mann von star- ken Körper, war gewohnt täglich einen kleinen Spaziergang zu machen, konnte bis an seinen Tod ohne Brille lesen, und behielt auch den Gebrauch seiner Ver- nunft bis ans Ende. lagerungen mitgemacht, und war 7mal schwehr verwundet worden. In England starb vor kurzem Helena Gray im 105ten Jahre ihres Alters. Sie war klein von Person, sehr munter, auf- geräumt und launigt, und bekam wenig Jahre vor ihrem Tode neue Zähne. Noch im vorigen Jahre lebte in der Grafschaft Fife, Thomas Garrik in seinem 108ten Jahre, noch sehr munter und war noch immer, so wie in vorigen Zei- ten, wegen seines Straussenmagens be- rühmt. Seit 20 Jahren lag er nie krank zu Bett. Noch vor kurzen lebte zu Tacony bey Philadelphia , (meldet ein Englisches Blatt vom vorigen Jahre) ein Schuster, Nahmens R. Glan , in seinem 114ten Jahre. Er ist ein geborner Schotte, hat noch König Wilhelm III. gesehen, hat den vollen Gebrauch seines Gesichts und Gedächtnisses, isst und trinkt behaglich, verdaut herrlich, arbeitet die ganze Woche, und wallfahrtet Sonntags nach Philadelphia in die Kirche. — Seine dritte Frau lebt noch, ist 30 Jahr alt, und ist mit seiner Amtsführung zu- frieden. Ein gewisser Baron, Baravicino de Capellis , starb 1770 zu Meran in Tyrol, in einem Alter von 104 Jahren. Er hatte vier Frauen gehabt; im 14ten Jahre die erste, und im 84sten die vierte geheyra- thet. Aus der lezten Ehe wurden ihm 7 Kinder gebohren, und als er starb, war seine Frau mit dem 8ten schwanger. Er verlor die Munterkeit seines Leibes und seiner Seele nicht eher, als in den lezten Monaten seines Lebens. Nie brauchte er eine Brille, und machte noch oft, in seinem hohen Alter, einen Weg von 2 Stunden zu Fuss. Seine gewöhnliche Kost waren Eyer; nie ass er gekochtes Fleisch, nur dann und wann etwas gebratenes, aber immer nur wenig. Thee trank er häufig mit Rosso- lis und Zuckerkand. Ant. Senish , ein Ackermann im Dorfe Puy in Limoges , starb im Jahr 1770 im 111ten Jahre seines Alters. Er arbeitete noch 14 Tage vor seinem Ende, hatte noch seine Haare und Zähne, und sein Gesicht hatte nicht abgenommen. Seine gewöhnliche Kost waren Kastanien und Türkisch Korn. Nie hatte er Ader gelassen, und nie etwas zum Abführen genommen. Ich kann mich unmöglich enthalten, hier eine der interessantesten Geschich- ten des hohen Alters einzuschalten, die uns in Schubarts Englischen Blättern (2. Band. 2. Stück) mitgetheilt wird: „Die Jugend einer gewissen Stadt in Kent lacht immer, wenn man den alten Nobs nennt. Ihre Väter schon pflegten ihnen von diesem Wundermann zu er- zählen, dessen ganze Lebensart so regel- mässig war, wie der Schattenweifer ei- ner Sonnenuhr. Von einer Zeit zur an- dern liess sich zu gewissen Stunden die ehrwürdige Gestalt sehen. Man sah ihn mitten in den Hundstägen am jähen Hü- gelhange arbeiten, mitten im Winter den Eisbehangenen Berg hinan klettern; lässig zugeknöpft im herbsten Froste, und trotzend dem ehernen Nordsturm; im Herbste bis an die Hüften entblösst — Hut, Atzel und Stock in einer Hand, in- dess die andere unbedeckt gegen die dumpfe neblichte Luft anruderte.“ „Sein gewöhnlicher Spaziergang ging nach dem Gipfel eines Hügels, den er stets in einer bestimmten Zeit erreich- te, und Nobs rühmte sich, er habe nicht weniger als 40,000 mal die Schritte ge- zählt, so er zu dieser Wallfahrt brauchte. Zu Highgate trank er dann bedächtlich seine einzige Bouteille, sah eine Stunde lang hinab ins dampfige Thal, und trug sich hernach ganz ruhig wieder nach Hause. Jede kleinste Krümmung des Weges war ihm bekannt, und er wusste, ohne niederzusehen, wo er den Fuss aufheben müsse, um über einen Stein hin- hinwegzuschreiten. Den Weg fand er mit verbundenen Augen, und wär’ er auch ganz blind gewesen, so hätte man ihn eben so wenig fünf Schritte über das Thor der Herberge hinausführen kön- nen, als der arbeitende Hund, der das Wasser aus dem Brunnen zieht, weiter gepeitschet werden kann, wenn der Ei- mer den Rand erreicht hat.“ „Jedermann auf dem Wege kannte den alten Nobs, und Nobs kannte jeder- männiglich; er grüsste freundlich nach allen Seiten hin: aber selbst die älteste Bekanntschaft hätt es nicht über ihn ver- mocht, irgendwo einzusprechen, und Erfrischung zu sich zu nehmen; nie er- laubte er sich früher zu trinken, als bis er seinen Krugvoll durch das bestimmte Tagwerk verdient hatte.“ „Alle Bewohner am Wege kannten den wunderbaren Alten, und unter ih- nen war keiner, der ihn nicht liebte. Der Harmlose ist derjenige Karacter, mit M welchem sich alle Menschen am liebsten vertragen; und eben das war er im höchsten Grade. Er hatte seine Eigen- heiten, aber sie belustigten, und die ganze Gegend schien einen gemein- schaftlichen Verlust erlitten zu haben, als ihn der Tod hinwegraffte.“ „Für jedes Haus, für jede Hütte am Wege hatte er seinen eignen Gruss, der jedesmal der Person angepasst war. Keine seiner Redensarten beleidigte, denn man nahm sie so, wie er sie mein- te, als hiess es: „Nobs geht fürbass.“ „Aufgeschürzt!“ war sein Wort, wenn er am Milchlager vorbeyging; worauf die rothbackigten Mädchen er- wiederten: „Guten Spaziergang, Mei- ster!“ Ging er am Schneider vorüber, so sagte er mit gutherzigem Kopfnicken: „Puz s’ Licht!“ und die Antwort war: „Wart alter Schalk.“ Am Pappelhof schlug er auf die Hundshütte, und we- delnd begegneten ihm die arglosen Thie- re. Am Pfarrhause nahm er die Mütze ab, und sang je und je ein andächtiges „ Amen !“ Es war blos ein einfältiges zweysilbiges Wort, aber es drückte die ganze Verehrung des guten Mannes für die Religion aus.“ „Kaum dass ihn der Regen von sei- nem Wanderzug abhalten konnte; selbst alsdann spazierte er in Gedanken nach Highgate. Er machte nemlich aus sei- nen zwey Stuben nur eine, und trat zur gesezten Zeit seine Wallfahrt an. Da er wusste, wie viel Schritte dazu erforder- lich wären, so ging er durch beyde Zim- mer auf und nieder, bis die Zahl voll, und so weit das Tagwerk vollbracht war. Aber wie stand es, wird man fragen, mit den verschiedenen Stationen? — Die wurden nicht übergangen. Hatte er so viel Schritte gezählt, als zum Milchlager erforderlich waren, so rief er: „ Aufgesehürzt! “ Waren der Schrit- te zum Schneider genug, so rief er sein Top! eben so regelmässig, als streckte M 2 der querbeinige Bruder sein Käsegesicht zur Antwort heraus; am Pappelhof schlug er statt der Hundshütte auf den Tisch; und wenn er sein Amen gesagt hatte, so schüttelte er sich eben so freu- dig, als befände er sich am Ziel seiner Wanderschaft. Auf dieser Zimmerreise sah er in der Einbildung jeden Winkel, der ihm auf der würklichen vorkam: auf der Brücke umduftete ihn das frische Heu; er hob seine Füsse höher, wenn er im Geist an den Hügel gekommen war; im Hintergrunde des Zimmers wurden zween Stühle neben einander gepflanzt, über die er hinüberkletterte, wenn ihm ein Zaun vorkam. Er lüftete sich, wenn er an seiner Herberge ange- langt war; er öffnete seine Flasche; von einem seiner Fenster aus mahlte sich sei- ne Phantasie die ganze Aussicht des Hü- gels: und wenn er dann eine Stunde ausgeruht und sich erfrischt hatte, so trat er eben so bedächtig den Rückzug an; überstieg wieder jeden Zaun, und zollte von Station zu Station seine Grüsse.“ „Ihr, die ihr diesen wunderlichen Alten belacht, lasst denkenden Ernst auf eure Stirne treten, und ahmt ihm nach! Durch diese täglichen Uebungen brachte er sein Leben auf 96 Jahre. Er war ein Vater dem Betrübten, ein Tröster dem Leidenden, dem Dürftigen ein Stab — der beste gutmütigste Mensch der ganzen Gegend. Stets froh in sich selber, suchte er auch über Andere Frohsinn zu ver- breiten, und achtete kein Opfer zu gross. Den Unglücklichen widmete er die Ga- ben, welche Andere an lose Vergnügun- gen verschwenden, und bekam ihr seg- nendes Lächeln und ihr Gebet zum Loh- ne. Mag der Sturm seine Asche ver- streuen, das Andenken an sein Herz wird ewig unter diesen Menschen le- ben.“ „Die, so ihn blos sahen, liebten den Mann wegen seiner Eigenheiten; die sei- nes Beystandes bedurften, verehrten ihn wegen seiner Tugend und Milde. Im ganzen Laufe eines so langen Lebens konnte niemand aufstehen und sagen: Nobs habe ihn auch nur in Gedanken be- leidigt. Bey einem sehr mittelmässigen Einkommen behauptete er 60 Jahre hin- durch den Namen des Mildthätigen, und liess bey seinem Hinscheiden seiner Familie nur wenig zurück. Aber er vermachte ihr dabey ein unschäzbares Erbe — jene Segnungen, welche der lohnende Himmel für die Kinder der Barmherzigen aufbewahrt.“ Diess sind die Beyspiele des höch- sten Alters in neuern Zeiten, die mir be- kannt worden sind. — Leute von 100 Jahren rechne ich hierunter gar nicht, denn die kommen häufiger vor. Noch vor einigen Jahren starb in Bürgel , nicht weit von hier, ein Zimmermann in sei- nem 104ten Jahre. Er hatte noch täglich gearbeitet. Seine liebste Beschäftigung war zulezt, Garn zu spinnen. Einst sass er hinter seinem Spinnrade. Mit einem- male bemerkte seine Tochter, dass er nicht mehr spann. Sie sah also nach ihm, und — er war gestorben. Billig sollten nun die Aerzte hier auch eine vorzügliche Stelle behaupten, welche die Mittel zum Leben und zur Gesundheit so reichlich an andere aus- spenden. Aber leider ist diess nicht der Fall. — Bey ihnen heists am mei- sten: Aliis inserviendo consumuntur: aliis medendo moriuntur . Wenigstens bey den practischen Aerzten ist die Sterblichkeit sehr gross, vielleicht grösser, als bey irgend einem andern Metier. Sie können gerade am wenigsten die Gesundheits- und Vor- sichtsregeln beobachten, die sie andern geben, und dann existiren wenige Be- schäftigungen, wo Leibes- und Seelen- consumtion zugleich so gross wäre, wie in dieser. Kopf und Füsse müssen im- mer gemeinschaftlich arbeiten. — Doch gilt diese grössere Sterblichkeit mehr von den ersten 10 Jahren der Praxis. Ein Arzt, der diese glücklich überstanden hat, erlangt eine gewisse Festigkeit, eine gewisse Unempfindlichkeit gegen die Strapazen und Krankheitsursachen, durch die Gewohnheit werden selbst die üblen Ausdünstungen und ansteckenden Krankheitsgifte weniger nachtheilig, er bekommt mehr Gleichmuth bey den täg- lichen herzbrechenden Jammerscenen, und selbst gegen die mannichfaltigen Ungerechtigkeiten, und moralischen Mishandlungen, die dieses Metier be- gleiten, und so kann also ein Arzt, der seine Probezeit glücklich ausgehalten hat, ein alter Mann werden. Unser Ahnherr, Hippocrates , geht uns da mit gutem Beyspiele vor. Er ward 104 Jahr alt. Sein Leben bestand in Beobachtung der Natur, im Reisen und Krankenbesuchen; er lebte mehr in klei- nen Orten und auf dem Lande, als in grossen Städten. — Galen, Crato, Fo- restus, Plater, Hofmann, Haller, van Swieten, Boerhave erreichten alle ein be- trächtliches Alter. In Ansehung der Kürze des Lebens zeichnen sich besonders Berg- und Hüt- tenarbeiter, also die Menschen, die un- ter der Erde oder in beständigen giftigen Ausdünstungen leben, aus. Es giebt Gruben, die viel Arsenic und Cobald enthalten, wo die Arbeiter nicht über 30 Jahre alt werden. Und nun noch einen Blick auf den Unterschied des Alters nach dem Clima, oder vielmehr der Landesart. Oben an steht Schweden, Norwegen, Dänemark und England. Diese Länder haben unstreitig die ältesten Menschen in neuern Zeiten hervorgebracht. Die Beyspiele von 130, 40, 50jäh- rigen Menschen gehören diesen Län- dern zu. So sehr die nördlichere Lage dem hohen Alter vortheilhaft ist, so ist doch ein gar zu hoher Grad von Kälte der Le- benslänge ebenfalls nachtheilig. — In Island und den nördlichsten Theilen von Asien (Sibirien), erreicht man höch- stens ein Alter von 60 -- 70 Jahren. Ausser England und Schottland hat auch Ireland den Ruhm eines hohen Al- ters. In einem einzigen mittelmässigen Ort ( Dunsford ) in Irrland, zählete man 80 Personen über 80. — Und Baco sagt: ich glaube, es existirt im ganzen Lande kein Dörfgen, wo nicht ein Mensch von 80 Jahren anzutreffen wäre. In Frankreich ist das höchste Alter nicht so häufig, doch starb im Jahr 1757, noch ein Mann von 121 Jahren. Eben so in Italien; doch hat man von den nördlichen Provinzen, der Lombardey, Beyspiele von hohem Alter. Auch in Spanien giebts Beyspiele von Menschen, die bis zum 110ten Jahr gelebt haben, — doch selten. Das schöne und gesunde Griechen- land hat noch immer den Ruhm des ho- hen Alters, den es sonst hatte. Tourne- fort traf noch zu Athen einen alten Con- sul von 118 Jahren an. Besonders zeich- net sich die Insel Naxos aus. Selbst in Egypten und Indien finden sich Beyspiele von sehr langen Leben, besonders unter der Secte der Bramanen, Anachoreten und Einsiedler, die die Schwelgerey und Faulheit der andern Einwohner dieser Länder nicht lieben. Aethiopien stand ehedem in dem Ruf eines sehr langen Lebens; aber Bruce erzählt uns das Gegentheil. Vorzüglich sind einige Gegenden von Ungarn durch ihr hohes Alter be- rühmt Teutschland hat zwar viele Alte, aber wenig Beyspiele von ausserordent- lichen hohen Alter. Selbst in Holland kann man alt wer- den, aber es geschieht nicht häufig, und das Alter erhebt sich selten bis zum 100ten Jahr. Sechste Vorlesung. Resultate aus den Erfarungen. Be- stimmung des menschlichen Lebens- ziels. Unabhängigkeit der Mortalität im Ganzen vom hohen Alter einzelner — Einfluss der Lage, des Clima, der Lufttemperatur und Beständigkeit auf Lebensdauer — Inseln und Halbinseln — die Alterreichsten Länder in Europa — Nutzen des naturgemässen Lebens — Die zwey schrecklichsten Extreme der Mortalität in neuern Zeiten — Lebensverlängernde Kraft des Mitteltons in Allem — des Ehestandes — des Geschlechts — der Thätigkeit — der Frugalität — der Kultur — des Landlebens — Auch bey Menschen mögliche Ver- jüngung — Bestimmung des menschlichen Lebensziels — Absolute und relatife Dauer desselben — Tabellen über die leztere. U m nicht durch zu überhäufte Bey- spiele zu ermüden, breche ich hier ab, und werde die übrigen in der Folge bey schicklichen Gelegenheiten anfüh- ren. Für jezt erlaube man mir, nun die wichtigsten allgemeinen Resultate und Schlussfolgen aus diesen Erfahrungen zu ziehen. I. Das Alter der Welt hat bisher noch keinen merklichen Einfluss auf das Alter der Menschen gehabt. Man kann noch immer eben so alt werden, als zu Abrahams und noch frühern Zeiten. Al- lerdings giebt es Perioden, wo in dem nehmlichen Lande die Menschen einmal länger, das andremal kürzer lebten, aber diess rührt offenbar nicht von der Welt, sondern von den Menschen selbst her. Waren diese noch wild, einfach, arbeit- sam, Kinder der Luft und der Natur, Hirten, Jäger und Ackersleute, so war auch ein hohes Alter bey ihnen gewöhn- lich. Wurden sie aber nach und nach der Natur untreu, überverfeinert und luxuriös, so wurde auch die Lebens- dauer kürzer. — Aber das nehmliche Volk, durch eine Revolution wieder in einen rohern naturgemässern Zustand versezt, kann sich auch wieder zu dem natürlichern Ziel des Lebens erheben. — Folglich sind diess nur Perioden, welche kommen und gehen; das Menschenge- schlecht im Ganzen leidet darunter nicht, und behält sein ihm angewiese- nes Lebensziel. II. Der Mensch kann, wie wir ge- sehen haben, unter fast allen Himmels- strichen, in der heissen und kalten Zone, ein hohes Alter erreichen. Der Unter- schied scheint nur darinne zu liegen, dass diess in manchen häufiger, in man- chen seltner geschieht, und dass, wenn man auch ein hohes, doch nicht überall das höchste Alter erreichen kann. III. Selbst in den Gegenden, wo die Mortalität im Ganzen sehr gross ist, können einzelne Menschen ein höheres Alter erreichen, als in den Gegenden, wo die allgemeine Mortalität geringer ist. Wir wollen z. B. die wärmern Ge- genden des Orients nehmen. Hier ist die Mortalität im Ganzen äusserst gering, daher auch die ausserordentliche Popu- lation, besonders das kindliche Alter leidet hier weit weniger, wegen der be- ständigen gleichförmigen und reinen Temperatur der Luft. Und dennoch giebts hier verhältnissmässig weit weni- ger sehr alte Menschen, als in den nörd- lichern Gegenden, wo die Mortalität im Ganzen grösser ist. IV. Hochliegende Orte haben im Ganzen mehr und höhere Alte, als tief- liegende. Doch ist auch hier ein gewis- ses Maas, und man kann die Regel nicht so bestimmen: Je höher, je besser. — Der äusserste Grad von Höhe, die Höhe der Gletscher, ist wieder dem Alter nach- theilig, und die Schweiz, ohnstreitig das höchste Land in Europa, hat weni- ger Alte aufzuweisen, als die Gebirge von von Schottland. — Die Ursache ist zweyfach: Einmal, eine zu hohe Luft ist zu trocken, ätherisch und rein, con- sumirt also schneller, und zweytens die Lufttemperatur ist zu ungleich, Wärme und Kälte wechseln zu schnell ab, und nichts ist der Lebensdauer nachtheiliger, als zu schneller Wechsel. V. In kältern Himmelsstrichen wird der Mensch im Ganzen älter, als in heissen und zwar aus doppeltem Grun- de: Einmal, weil im heissen Clima die Lebensconsumtion stärker ist, und dann weil das kalte Clima das Clima der Mässigkeit ist, und auch dadurch der Selbstconsumtion Einhalt thut. — Aber auch diess gilt nur bis zu einem gewissen Grad. Die höchste Kälte von Grönland, Nova Zembla u. s. w. verkürzt wieder das Leben. VI. Ganz vorzüglich zuträglich zur Verlängerung des Lebens ist, Gleichför- migkeit der Luft, besonders in Absicht N auf Wärme und Kälte, Schwehre und Leichtigkeit. Daher die Länder, wo schnelle und starke Abwechselungen im Barometer- und Thermometerstand ge- wöhnlich sind, der Lebensdauer nie vor- theilhaft sind. — Es kann solch ein Land übrigens gesund seyn, es können viel Menschen alt werden, aber ein ho- hes Alter erreichen sie nicht, denn jene schnelle Abwechselungen sind eben so viele innere Revolutionen, und diese consumiren erstaunlich, sowohl Kräfte als Organe. In dieser Absicht zeich- net sich besonders Teutschland aus, des- sen Lage es zu einem beständigen Ge- misch von warmen und kalten Clima, vom Süden und Norden macht, wo man oft in einem Tage zugleich Frost und auch die grösste Hitze erlebt, und wo der März sehr heiss und der May be- schneyt seyn kann. Diess Zwitterclima Teutschlands ist gewiss die Hauptursa- che, dass, troz seiner übrigens gesunden Lage, zwar im Ganzen die Menschen ein ziemliches Alter erreichen, aber die Beyspiele von sehr hohen Alter weit selt- ner sind, als in andern, fast unter glei- cher Breite belegenen, benachbarten Ländern. VII. Ein zu hoher Grad von Tro- ckenheit, so wie zu grosse Feuchtigkeit, ist der Lebensdauer nachtheilig. Daher ist eine, mit einer feinen Feuchtigkeit ge- mischte, Luft, die beste, um ein hohes Alter zu erlangen, und zwar aus folgen- den Ursachen: Eine feuchte Luft ist schon zum Theil saturirt, und also we- niger durstig, sie entzieht also dem Kör- per weniger, d. h. sie consumirt ihn we- niger. Ferner, in feuchter Luft ist im- mer mehr Gleichförmigkeit der Tempe- ratur, weniger schnelle Revolution von Hitze und Kälte möglich. Und endlich erhält eine etwas feuchte Atmosphäre die Organe länger geschmeidig und jugend- lich, da hingegen die zu trockne weit schneller Trockenheit der Faser und den Karacter des Alters herbeyführt. N 2 Den auffallendsten Beweis hiervon geben uns die Inseln. Wir finden, dass von jeher und noch jezt die Inseln und Halbinseln die Wiegen des Alters waren. Immer werden die Menschen auf den Inseln älter als auf dem dabey unter glei- cher Breite liegenden festen Lande. — So leben die Menschen auf den Inseln des Archipelagus länger, als in dem gleich dabey liegenden Asien; auf der Insel Cypern länger, als in Syrien , auf Formosa und Japan länger, als in China , in Eng- land und Dänemark länger, als in Teutsch- land . Doch hat Seewasser diese Wirkung weit mehr, als süsses Wasser; daher auch Seeleute so alt werden können. Stillste- hende süsse Wasser hingegen schaden wieder durch ihre mephitische Ausdün- stungen. VIII. Sehr viel scheint auch auf den Boden, selbst auf die Erdart, genug auf den ganzen Genius loci anzukommen, und hier scheint ein kalchichter Boden am wenigsten geschickt zu seyn, das Al- ter zu befördern. IX. Nach allen Erfahrungen sind England, Dänemark, Schweden und Norwegen , diejenigen Länder, wo der Mensch das höchste Alter erreicht, und wir finden bey genauer Untersuchung, dass hier eben alle die bisher bestimm- ten Eigenschaften zusammen treffen. Hingegen Abyssinien , einige Gegenden von Westindien, Surinam sind die Län- der, wo der Mensch am kürzesten lebt. X. Je mehr der Mensch der Natur und ihren Gesetzen treu bleibt, desto länger lebt er, je weiter er sich davon entfernt, desto kürzer. Diess ist eins der allgemeinsten Gesetze. — Daher in denselben Gegenden, so lange die Be- wohner das frugale Hirten- und Jäger- leben führten, wurden sie alt; sobald sie civilisirter wurden und dadurch in Luxus, Ueppigkeit und Faulheit verfie- len, sank auch ihre Lebensdauer herab; daher sind es nicht die Reichen und Vornehmen, nicht die, die Gold- und Wundertincturen einnehmen, wel- che sehr alt werden; sondern Bauern, Ackersleute, Matrosen, solche Men- schen, denen es vielleicht in ihrem gan- zen Leben nicht eingefallen ist, wie mans machen müsse, um alt zu werden, sind die, bey denen man die erstaunlich- sten Beyspiele antrifft. XI. Den äussersten schrecklichsten Grad menschlicher Sterblichkeit treffen wir in zwey Erfindungen der neuern Zeit an, unter den Negersclaven in Westindien, und in den Findelhäusern. — Von den Negersclaven stirbt jährlich der 5te oder 6te, also ungefähr so viel, als wenn beständig die fürchterlichste Pest unter ihnen wüthete. Und von 7000 Findelkindern, welche gewöhnlich alle Jahre in das Findelhaus zu Paris gé- bracht werden, sind nach Verlauf von 10 Jahren noch 180 übrig, und 6820 sind gestorben, also von 40 entrinnt nur ei- ner diesem offnen Grab. — Ist es nicht höchstmerkwürdig und ein neuer Be- weis unsers vorigen Satzes, dass gerade da die Sterblichkeit am schrecklichsten ist, wo der Mensch sich am weitesten von der Natur entfernt, wo die heilig- sten Gesetze der Natur zu Boden getre- ten, und ihre ersten festesten Bande zer- rissen werden? Da, wo der Mensch sich im eigentlichsten Verstande unters Vieh erniedrigt, hier das Kind von der Brust der Mutter reisst, und es Mieth- lingen hülflos überlässt, dort den Bru- der vom Bruder, von seiner Heimath, von seinem vaterländischen Boden trennt, ihn auf einen fremden ungesun- den Boden verpflanzt, und ihn da ohne Hofnung, ohne Trost, ohne Freude, mit der beständigen Sehnsucht nach den Hinterlassenen im Herzen, unter den härtesten Arbeiten zu Tode peinigt. — Ich kenne keine Seuche, keine Landpla- ge, keine Lage der Menschheit, weder in der alten noch neuern Zeit, wo die Sterblichkeit den Grad erreicht hätte, den wir in den Findelhäusern antreffen. Es gehörte eine Ueberverfeinerung dazu, die nur den neuesten Zeiten aufgehoben war. Es gehörten jene elende politische Rechenkünstler dazu, welche darthun konnten, der Staat sey die beste Mutter, und es sey zur Plusmacherey weiter nichts nöthig, als die Kinder für ein Ei- genthum des Staats zu erklären, sie in Depot zu nehmen, und einen öffentli- chen Schlund anzulegen, der sie ver- schlinge. — Man sieht nun zu spät die schauderhaften Folgen dieser unnatürli- chen Mutterschaft, dieser Geringschät- zung der ersten Grundpfeiler der menschlichen Gesellschaft, Ehe und elter- licher Pflicht . — So schrecklich rächt die Natur die Uebertretung ihrer heilig- sten Gebote! XII. Das Resultat aller Erfarung und ein Hauptgrund der Macrobiotic ist: Omnia mediocria ad vitam prolongandam sunt utilia . Der Mittelton in allen Stü- cken, die aurea mediocritas , die Horaz so schön besang, von der Hume sagt, dass sie das Beste auf dieser Erde sey, ist auch zur Verlängerung des Lebens am con- venabelsten. In einer gewissen Mit- telmässigkeit des Standes, des Clima, der Gesundheit, des Temperaments, der Leibesconstitution, der Geschäfte, der Geisteskraft, der Diät u. s. w. liegt das grösste Geheimniss, um alt zu werden. Alle Extreme, so wohl das zu viel als das zu wenig, so wohl das zu hoch als das zu tief hindern die Verlängerung des Lebens. XIII. Bemerkenswerth ist auch fol- gender Umstand: Alle sehr alte Leute waren verheyrathet, und zwar mehr als einmal, und gewöhnlich noch im hohen Alter. Kein einziges Beyspiel exi- stirt, dass ein lediger Mensch ein sehr hohes Alter erreicht hätte. Diese Regel gilt eben so wohl vom weiblichen als männlichen Geschlechte. Hieraus scheint zu erhellen: Ein gewisser Reichthum an Generationskräften ist zum langen Leben sehr vortheilhaft. Es ist ein Beytrag zur Summe der Lebenskraft, und die Kraft, andre zu procreiren, scheint mit der Kraft, sich selbst zu regeneriren und zu restauriren, im genauesten Verhältniss zu stehen. — Aber es gehört Ordnung und Mässigkeit in der Verwendung der- selben dazu, also der Ehestand , das ein- zige Mittel, diese zu erhalten. Das grösste Beyspiel giebt ein Fran- zos, Namens de Longue ville . Dieser lebte 110 Jahr, und hatte 10 Weiber ge- habt, die lezte noch im 99sten Jahre, welche ihm noch in seinem 101sten Jahre einen Sohn gebahr. XIV. Es werden mehr Weiber als Männer alt, aber das höchste Ziel des menschlichen Alters erreichen doch nur Männer. — Das Gleichgewicht und die Nachgiebigkeit des weiblichen Kör- pers scheint ihm für eine gewisse Zeit mehr Dauer und weniger Nachtheil von den zerstörenden Einflüssen zu geben. Aber um ein sehr hohes Alter zu errei- chen, gehört schlechterdings Manns- kraft dazu. Daher werden mehr Weiber alt, aber weniger sehr alt. XV. In der ersten Hälfte des Lebens ist thätiges, selbst strapazantes Leben, in der lezten Hälfte aber eine ruhigere und gleichförmige Lebensart zum Alter zu- träglich. Kein einziges Beyspiel findet sich, dass ein Müssiggänger ein ausge- zeichnet hohes Alter erreicht hätte. XVI. Eine reiche und nahrhafte Diät, Uebermaas von Fleischkost, ver- längert nicht das Leben. Die Beyspiele des höchsten Alters sind von solchen Menschen, welche von Jugend auf mehr Pflanzenkost genossen, ja oft ihr ganzes Leben hindurch kein Fleisch gekostet hatten. XVII. Ein gewisser Grad von Kul- tur ist dem Menschen auch physisch nöthig und befördert die Länge des Lebens. Der rohe Wilde lebt nicht so lange. XVIII. Das Leben auf dem Lande und in kleinen Städten ist dem langen Leben günstig, in grossen Städten un- günstig. In grossen Städten stirbt ge- wöhnlich jährlich der 25ste bis 30ste, auf dem Lande der 40ste, 50ste. Besonders wird die Sterblichkeit in der Kindheit durchs Stadtleben äusserst vermehrt, so dass da gewöhnlich die Hälfte aller Ge- bornen schon vor dem dritten Jahre stirbt, da hingegen auf dem Lande die Hälfte erst bis zum 20sten oder 30sten Jahre aufgerieben ist. Der geringste Grad der menschlichen Mortalität, ist einer von 60 des Jahrs, und dieser findet sich nur hie und da im Landleben. Selbst bey uns findet sich davon ein Beyspiel. Nicht weit von Jena (welches selbst die geringe Mortalität von 1 zu 40 hat). liegt in einer ho- hen sehr gesunden Gegend der Fleeken Remda , wo gewöhnlich nur der 60ste Mensch jährlich Rirbt. XIX. Bey manchen Menschen scheint wahrlich eine Art von Verjün- gung möglich zu seyn. Bey vielen Bey- spielen des höchsten Alters bemerkte man, dass im 60sten, 70sten Jahre, wo andre Menschen zu leben aufhören, neue Zähne und neue Haare hervorka- men, und nun gleichsam eine neue Pe- riode des Lebens anfing, welche noch 20 und 30 Jahre dauern konnte. Eine Art von Reproduction seiner selbst, wie wir sie sonst nur bey unvollkommnern Geschöpfen wahrnehmen. Von der Art ist das merkwürdigste mir bekannte Beyspiel, ein Greiss, der zu Rechingen (Oberamt Bamberg ) in der Pfalz lebte, und 1791 im 120sten Jahre starb. Diesem wuchsen im Jahr 1787, nachdem er lange schon keine Zähne mehr gehabt hatte, auf einmal 8 neue Zähne. Nach 6 Monaten fielen sie aus, der Abgang wurde aber durch neue Stockzähne oben und unten wieder er- sezt, und so arbeitete die Natur 4 Jahre lang unermüdet, und noch bis 4 Wo- chen vor seinem Ende fort. Wenn er sich der neuen Zähne einige Zeit recht bequem zum Zermalmen der Speisen be- dient hatte, so nahmen sie, bald eher bald später, wieder Abschied, und so- gleich schoben sich in diese oder in an- dre Lücken neue Zähne nach. Alle diese Zähne bekam und verlohr er ohne Schmerzen; ihre Zahl belief sich zusam- men wenigstens auf ein halbes Hundert. Die bisher aufgestellten Erfarungen können uns nun auch Aufschluss über die wichtige Frage geben: Welches ist das eigentliche Lebensziel des Men- schen? Man sollte glauben, man müsste doch hierüber nun einige Gewissheit ha- ben. Aber es ist unglaublich, welche Verschiedenheit der Meynungen dar- über unter den Physikern herrscht; Ei- nige geben dem Menschen ein sehr ho- hes, andre ein sehr geringes Lebensziel. Einige glaubten, man brauche hierzu nur zu untersuchen, wie hoch es die wilden Menschen brächten; denn in die- sem Naturstande müsse sich wohl das na- türliche Lebensziel am sichersten ausmit- teln lassen. Aber diess ist falsch. Wir müssen bedenken, dass dieser Stand der Natur auch meistens der Stand des Elends ist, wo der Mangel an Gesellig- keit und Kultur den Menschen nöthigt, sich weit über seine Kräfte zu strapazi- ren und zu consumiren, wo er über- diess, vermöge seiner Lage, weit mehr destruirende Einflüsse und weit weniger Restauration geniesst. Nicht aus der Klasse der Thiermenschen müssen wir unsre Beyspiele nehmen (denn da theilt er seine Eigenschaften mit dem Thier) sondern aus der Klasse, wo durch Ent- wicklung und Kultur der Mensch ein vernünftiges wirklich menschliches We- sen worden ist, dann erst hat er auch im Physischen seine Bestimmung und seine Vorzüge erreicht, und durch Vernunft auch ausser sich die Restaurationsmittel und glücklichern Lagen bewirkt, die ihm möglich sind; nun erst können wir ihn als Mensch betrachten, und Bey- spiele aus seinem Zustand nehmen. So könnte man auch wohl glauben, der Tod am Marasmus d. h. am Alter, sey das wahre Lebensziel des Menschen. Aber diese Rechnung wird dadurch in unsern Zeiten gewaltig trüglich, weil, wie Lichtenberg sagt, die Menschen die Kunst erfunden haben, sich auch das Al- ter vor der Zeit inoculiren zu lassen, und man jezt sehr alte Leute von 30 bis kann 40 Jahren sehen, bey denen alle Symptomen des höchsten Alters vorhan- den sind, als Steifigkeit und Trockenheit, Schwäche, graue Haare, verknöcherte Rippen, die man sonst nur in einem Alter von 30 bis 90 Jahren findet. Aber diess ist ein erkünsteltes relatives Alter, und dieser Maasstab kann also nicht zu einer Berechnung genuzt werden, die das Le- bensziel des Menschengeschlechts über- haupt zum Gegenstand hat. Man Man ist sogar auf die seltsamsten Hypothesen gefallen, um diese Frage aufzulösen. Die alten Egyptier glaub- ten zum Beyspiel, das Herz nehme 50 Jahre lang alle Jahre um 2 Drachmen an Gewicht zu, und nun wieder 50 Jahre lang in eben dem Verhältniss ab. Nach dieser Rechnung war nun im 100ten Jahre gar nichts mehr vom Herzen übrig, und also war das 100te Jahr das Lebens- ziel des Menschen. Ich glaube daher, um diese Frage befriedigend zu beantworten, muss man durchaus folgenden wesentlichen Unter- schied machen. 1. Wie lange kann der Mensch über- haupt (als Geschlecht betrachtet) ausdauern, was ist die absolute Le- bensdauer des menschlichen Ge- schlechts? — Wir wissen, jede Thierklasse hat ihre absolute Le- bensdauer; also auch der Mensch. O 2. Wie lange kann der Mensch im einzelnen, das Individuum, leben, oder was ist die relative Lebens- dauer der Menschen? Was die erste Frage betrifft, die Untersuchung der absoluten Lebensdau- er des menschlichen Geschlechts, so hindert uns nichts, das Ziel derselben auf die äussersten Grenzen der nach der Erfarung möglichen Lebensdauer zu setzen. Es ist hierzu genug, zu wis- sen, was der menschlichen Natur mög- lich ist, und wir können einen solchen Menschen, der das höchste Ziel mensch- licher Existenz erreicht hat, als ein Ideal der vollkommensten Menschennatur, als ein Muster dessen, wessen die menschli- che Natur unter günstigen Umständen fähig ist, betrachten. Nun zeigt uns aber die Erfarung unwidersprech- lich, der Mensch könne noch jezt ein Alter von 150 bis 160 Jahren erreichen, und, was das wichtigste ist, das Beyspiel von Th. Parre , den man im 152sten Jahre secirte, beweist, dass noch in die- sem Alter der Zustand aller Eingeweyde so vollkommen und fehlerfrey seyn konnte, dass er gewiss noch länger hätte leben können, wenn ihm nicht die un- gewohnte Lebensart eine tödliche Voll- blütigkeit zugezogen hätte. — Folglich kann man mit der höchsten Wahrschein- lichkeit behaupten: Die menschliche Organisation und Lebenskraft sind im Stande eine Dauer und Wirksamkeit von 200 Jahren auszuhalten. Die Fähig- keit, so lange zu existiren, liegt in der menschlichen Natur, absolute genom- men. Diese Behauptung bekommt nun dadurch noch ein grosses Gewicht, dass wir das Verhältniss zwischen der Zeit des Wachsthums und der Lebensdauer da- mit übereinstimmend finden. Man kann annehmen, dass ein Thier achtmal länger lebt, als es wächst. Nun braucht der Mensch im natürlichen, nicht durch O 2 Kunst beschleunigten Zustand, 25 volle Jahre, um sein vollkommnes Wachsthum und Ausbildung zu erreichen, und auch diess Verhältniss giebt ihm ein absolutes Alter von 200 Jahren. Man werfe nicht ein: Das hohe Alter ist der unnatürliche Zustand, oder die Ausnahme von der Regel; und das kürzere Leben ist eigentlich der natürli- che Zustand. — Wir werden hernach sehen, dass fast alle vor dem 100ten Jahre erfolgenden Todesarten, künstlich d. h. durch Krankheiten oder Zufälle hervorgebracht sind. Und es ist gewiss, dass bey weitem der grösste Theil des Menschengeschlechts eines unnatürli- chen Todes stirbt, etwa von 10000 erreicht nur einer das Ziel von 100 Jahren. Nun aber die relative Lebensdauer des Menschen! Diese ist freylich sehr variabel, so verschieden, als jedes Indi- viduum selbst. Sie richtet sich nach der bessern oder schlechtern Masse, aus der es formirt wurde, nach der Lebensart, langsamern oder schnellern Consumtion, und nach allen den tausendfachen Um- ständen, die von innen und aussen auf seine Lebensdauer influiren können. Man glaube ja nicht, dass noch jezt je- der Mensch einen Lebensfond von 150 oder 200 Jahren auf die Welt bringt. Leider ist es das Schicksal unsrer Gene- ration, dass oft schon die Sünden der Väter dem Embryo ein weit kürzeres Stamen vitae mittheilen. Nehmen wir nun noch das unzählige Heer von Krankheiten und andern Zufällen, die jezt heimlich und öffentlich an unserm Leben nagen, so sieht man wohl, dass es jezt schwehrer als jemals ist, jenes Ziel zu erreichen, dessen die menschli- che Natur wirklich fähig ist. — Aber dennoch müssen wir jenes Ziel immer zum Grunde legen, und wir werden hernach sehen, wie viel in unsrer Ge- walt stehet, Hindernisse aus dem Wege zu räumen, die uns jezt davon abhal- ten. Als eine Probe des relativen Lebens des jetzigen Menschengeschlechts mag folgende auf Erfarungen gegründete Ta- belle dienen: Von 100 Menschen, die geboren werden sterben 50 vor dem 10ten Jahre. — 20 zwischen 10 und 20. — 10 — — 20 und 30. — 6 — — 30 und 40. — 5 — — 40 und 50. — 3 — — 50 und 60. Also nur 6 kommen über 60 Jahre. Haller , der die meisten Beyspiele des menschlichen Alters gesammlet hat, fand folgendes Verhältniss der relativen Lebensdauer: Beyspiele von 100--110 Jahren, über 1000. — — 110--120 — 60. — — 120--130 — 29. — — 130--140 — 15. — — 140--150 — 6. — — — 169 — 1. Siebente Vorlesung. Genauere Untersuchung des menschlichen Lebens, seiner Hauptmomente, und des Einflusses seiner höhern und intellectuel- len Vollkommenheit auf die Dauer desselben. Das menschliche Leben ist das vollkommenste, intensiv- stärkste, und auch das längste aller ähnlichen organi- schen Leben — Wesentlicher Begriff dieses Lebens — seine Hauptmomente — Zugang von aussen — Assi- milation und Animalisation — Nutrition und Vered- lung der organischen Materie — Selbstkonsumtion der Kräfte und Organe durchs Leben selbst — Abschei- dung und Zersetzung der verbrauchten Theile — die zum Leben nöthigen Organe — Geschichte des Lebens — Ursachen der so vorzüglich langen Lebensdauer des Menschen — Einfluss der höhern Denkkraft und Ver- nunft darauf — Wie kommt es, dass bey den Men- schen, wo die Fähigkeit zum langen Leben am stärksten ist, dennoch die Mortalität am grössten ist? W ir kommen nun zu unserm Haupt- zweck, die bisherigen Prämissen auf die Verlängerung des menschlichen Le- bens anzuwenden. Aber ehe wir diess zu thun im Stande sind, müssen wir durchaus erst folgende Fragen un- tersuchen: Worin besteht eigentlich menschliches Leben? Auf welchen Orga- nen, Kräften und Verrichtungen beruht diese wichtige Operation und ihre Dau- er? Worin unterscheidet es sich we- sentlich von dem Leben anderer Geschö- pfe und Wesen? Der Mensch ist unstreitig das oberste Glied, die Krone der sichtbaren Schö- pfung, das ausgebildetste, lezte, vollen- detste Product ihrer wirkenden Kraft, der höchste Grad von Darstellung dersel- ben, den unsre Augen zu sehen, unsre Sinne zu fassen vermögen. — Mit ihm schliesst sich unser sublunarischer Ge- sichtskreis; er ist der äusserste Punct, mit welchem und in welchem die Sin- nenwelt an einer höheren geistigen Welt angrenzt. Die menschliche Organisa- tion ist gleichsam ein Zauberband, durch welches zwey Welten von ganz verschie- dener Natur mit einander verknüpft und verwebt sind; — ein ewig unbegreifli- ches Wunder, durch welches der Mensch Bewohner zweyer Welten zugleich, der intellectuellen und der sinnlichen, wird. Mit Recht kann man den Menschen als den Inbegriff der ganzen Natur anse- hen, als ein Meisterstück von Zusam- mensetzung, in welchem alle in der übri- gen Natur zerstreut wirkenden Kräfte, alle Arten von Organen und Lebensfor- men zu einem Ganzen vereint sind, ver- eint wirken, und auf diese Art den Men- schen im eigentlichsten Sinn zu der kleinen Welt (dem Abdruck und In- begriff der grössern) machen, wie ihn die ältern Philosophen so oft nannten. Sein Leben ist das entwickeltste; seine Organisation die zarteste und aus- gebildetste; seine Säfte und Bestandtheile die veredeltsten und organisirtesten; sein intensives Leben, seine Selbstkonsum- tion eben deswegen die stärkste. Er hat folglich mehr Berührungspuncte mit der ihn umgebenden Natur, mehr Bedürf- nisse; aber auch eben deswegen eine rei- chere und vollkommnere Restauration, als irgend ein anderes Geschöpf. Die todten, mechanischen und chemischen Kräfte der Natur, die organischen oder lebendigen Kräfte, und jener Funke der göttlichen Kraft, die Denkkraft, sind hier auf die wundervolleste Art mit ein- ander vereinigt und verschmolzen, um das grosse göttliche Phänomen, was wir menschliches Leben nennen, darzu- stellen. Und nun einen Blick in das Wesen und den Mechanismus dieser Operation, so viel uns davon erkennbar ist! Menschliches Leben, von seiner physischen Seite betrachtet, ist nichts anders, als ein unaufhörlich fortgesez- tes Aufhören und Werden, ein bestän- diger Wechsel von Destruction und Re- stauration, ein fortgesezter Kampf che- mischer zerlegender Kräfte und der alles bindenden und neuschaffenden Lebens- kraft. Unaufhörlich werden neue Be- standtheile aus der ganzen uns umge- benden Natur aufgefasst, aus dem tod- ten Zustand zum Leben hervorgerufen, aus der chemischen in die organische be- lebte Welt versezt, und aus diesen un- gleichartigen Theilen durch die schöpfe- rische Lebenskraft ein neues gleichförmi- ges Product erzeugt, dem in allen Puncten der Karacter des Lebens eingeprägt ist. Aber eben so unaufhörlich verlassen die gebrauchten, abgenuzten und verdorbe- nen Bestandtheile diese Verbindung wie- der, gehorchen den mechanischen und chemischen Kräften, die mit den leben- den in beständigem Kampf stehen, tre- ten so wieder aus der organischen in die chemische Welt über, und werden wie- der ein Eigenthum der allgemeinen un- belebten Natur, aus der sie auf eine kurze Zeit ausgetreten waren. Dies un- unterbrochene Geschäft ist das Werk der immer wirksamen Lebenskraft in uns, folglich mit einer unaufhörlichen Kraft- äusserung verbunden; und dies ist ein neuer wichtiger Bestandtheil der Lebens- operation. So ist das Leben ein bestän- diges Nehmen, Aneignen und Wieder- geben, ein immerwährendes Gemisch von Tod und neuer Schöpfung. Das, was wir also im gewöhnlichen Sinne Leben eines Geschöpfs (als Darstel- lung betrachtet) nennen, ist nichts wei- ter als eine blosse Erscheinung, die durchaus nichts eignes und selbstständi- ges hat, als die wirkende geistige Kraft, die ihr zum Grunde liegt, und die alles bindet und ordnet. Alles übrige ist ein blosses Phänomen, ein grosses fortdau- erndes Schauspiel, wo das Dargestellte keinen Augenblick dasselbe bleibt, son- dern unaufhörlich wechselt; — wo der ganze Gehalt, die Form, die Dauer der Darstellung vorzüglich von den dazu benuzten und beständig wechselnden Stoffen und der Art ihrer Benutzung ab- hängt, und das ganze Phänomen keinen Augenblick länger dauern kann, als das beständige Zuströmen von aussen dauert, das dem Prozess Nahrung giebt; — also die allergrösste Analogie mit der Flam- me, nur dass diese ein bloss chemischer, das Leben aber ein chemisch-animali- scher Prozess, eine chemisch-animalische Flamme ist. Das menschliche Leben beruht also, seiner Natur nach, auf folgenden Haupt- momenten. I. Zugang der Lebensnahrung von aussen, und Aufnahme derselben . Hierzu gehört also nicht bloss das, was wir gewöhnlich Nahrung nennen, Speise und Trank, sondern noch viel- mehr das beständige Zuströmen der fei- nern und geistigern Lebensnahrung aus der Luft, welche vorzüglich zur Unter- haltung der Lebenskraft zu gehören scheint; da jene gröbern Nahrungsmit- tel mehr zur Erhaltung und Wiederer- zeugung der Materien des Körpers und seiner Organe dienen. — Ferner nicht bloss das, was durch Mund und Magen eingeht; denn auch unsre Lunge und Haut nimmt eine Menge Lebensnahrung in sich auf, und ist für die geistigere Erhaltung noch weit wichtiger als der Magen. II. Aneignung, Assimilation und Animali- sation — Uebertritt aus der chemischen in die organische Welt, durch Einfluss der Lebenskraft . Alles, was in uns eingeht, muss erst den Karacter des Lebens erhalten, wenn es unser heissen soll. Alle Bestandtheile, ja selbst die feinsten Agentien der Natur, die in uns einströmen, müssen animali- sirt werden, d. h. durch den Zutritt der Lebenskraft so modificirt und auf eine ganz neue Art gebunden werden, dass sie nicht ganz mehr nach den Gesetzen der todten und chemischen Natur, son- dern nach den ganz eigenthümlichen Gesetzen des organischen Lebens wirken und sich gegen andere verhalten, kurz als Bestandtheile des lebenden Körpers nie einfach, sondern immer als zusam- mengesezt (aus ihrer eigentlichen Natur und den Gesetzen der Lebenskraft) ge- dacht werden können. Genug, alles was in uns ist, selbst chemische und me- chanische Kräfte, sind animalisirt. So z. E. die Electricität, der Wärmestoff; sie sind, sobald sie Bestandtheile des le- benden Körpers werden, komponirter Natur (animalisirte Electricität, anima- lisirter Wärmestoff) und nicht mehr bloss nach den Gesetzen und Verhältnis- sen, die sie in der allgemeinen Natur hatten, zu beurtheilen, sondern nach den specifischen organischen Gesetzen bestimmt und wirkend. Eben so das oxigene oxigene und die andern neuentdeckten chemischen Stoffe. Man hüte sich ja, sie sich so in der lebenden Verbindung un- sers Körpers zu denken, wie wir sie im Luftapparat wahrnehmen; auch sie wir- ken nach andern und specifischen Ge- setzen. Ich glaube diese Bemerkung kann man jezt nicht genug empfehlen, und sie allein kann uns bey der übrigen äusserst empfehlungswerthen Anwen- dung der chemischen Grundsätze auf das organische Leben richtig leiten. Al- lerdings haben wir auch jene chemische Agenzien und Kräfte in uns, und ihre Kenntniss ist uns unentbehrlich; aber ihre Wirkungsart in uns ist anders mo- dificirt, denn sie befinden sich in einer ganz andern Welt. Diese wichtige Operation der Assi- milation und Animalisation ist das Ge- schäft zuerst des absorbirenden und Drü- sensystems , (in seinem weitsten Umfange — nicht bloss Milchgefässe, sondern auch die einsaugenden Gefässe der Haut P und der Lunge) das man gleichsam den Vorhof nennen kann, durch welchen alles gehen muss, was uns eigen werden soll; und dann des Cirkulationssystems , durch dessen Bearbeitung den Bestand- theilen die organische Vollendung mit- getheilt wird. III. Nutrition — Figirung der nun ani- malisirten Bestandtheile — Weitere Veredlung derselben . Die völlig animalisirten Bestand- theile werden nun verkörpert und in Organe verwandelt, (das Geschäft der plastischen Kraft). — Durch die Be- arbeitung noch feinerer und vollkomme- nerer Absonderungswerkzeuge werden die organischen Bestandtheile zum höch- sten Grad ihrer Veredlung und Vervoll- kommung gebracht; durch das Gehirn zum nervenbelebenden Flüssigen, durch die Generationsorgane zum Zeugungs- stoff, — beydes Verbindungen der ver- feinertsten organischen Materie mit ei- nem reichen Antheil Lebenskraft. IV. Selbstkonsumtion der Organe und Kräfte durch Lebensäusserung . Das wirkende Leben selbst ist eine unaufhörliche Kraftäusserung und Hand- lung, folglich mit unaufhörlichem Kraft- aufwand und beständiger Konsumtion der Organe verbunden. Alles, wodurch sich die Kraft als handelnd und thätig zeigt, ist Kraftäusserung; denn es ge- schieht keine, auch nicht die kleinste Lebensäusserung, ohne Reiz und Re- action der Kraft. Diess ist Gesetz der organischen Natur. Also sowohl die ohne unser Wissen und Willen gesche- henden innern Bewegungen der Cirku- lation, Chylifikation, Assimilation und Sekretion, als auch die freywilligen und Seelenwirkungen, sind beständiger Kraft- aufwand, und konsumiren unaufhalt- sam Kräfte und Organe. P 2 Dieser Lebenstheil ist besonders wichtig für die Dauer und Beschaffen- heit des Lebens. Je stärker die Le- bensäusserung, desto schneller die Auf- reibung, desto kürzer die Dauer. Aber ist sie zu schwach, dann ist die Folge ein zu seltner Wechsel der Bestandtheile, folglich eine unvollkommene Restaura- tion, und eine schlechte Qualität des Körpers. V. Abscheidung und neue Zersetzung der Bestandtheile. — Austritt derselben aus der organischen Welt in die chemi- sche, und Wiedervereinigung mit der allgemeinen unbelebten Natur . Die verbrauchten, in dieser Verbin- dung nicht mehr haltbaren Bestandtheile treten nun wieder aus ihr heraus. Sie verlieren den Einfluss der Lebenskraft, und fangen an sich wieder nach den bloss chemischen Naturgesetzen zu zersetzen, zu trennen und zu binden. Daher tra- gen alle unsre Absonderungen die deut- lichsten Spuren der Fäulniss an sich, — eines bloss chemischen Prozesses, der, als solcher, nie in dem wirklich beleb- ten Zustand möglich ist. Das Ge- schäft, sie aus dem Körper zu entfernen, haben die Secretions- und Excretions- organe, die dasselbe mit ununterbroche- ner Thätigkeit betreiben, der Darmka- nal, die Nieren, vorzüglich aber die ganze Oberfläche der Haut und die Lun- gen. Diese Verrichtungen sind wahre chemisch-animalische Operationen; die Wegschaffung selbst geschieht durch die Lebenskräfte, aber die Producte sind ganz chemisch. Diese Hauptmomente bilden das Le- ben im Ganzen, und auch in jedem Au- genblick; denn sie sind beständig ver- bunden, beständig gegenwärtig, und unzertrennlich von der Operation des Lebens. Die Organe , die zum Leben gehö- ren, sind schon zum Theil dabey er- wähnt worden. Man kann sie in gegen- wärtiger Rücksicht am füglichsten in drey grosse Klassen theilen: die empfan- genden und zubereitenden, die ausgeben- den, und die, welche diese gegenseitigen Bewegungen, so wie die ganze innre Oeko- nomie, in Gleichgewicht und Ordnung er- halten . Viele tausende von grössern und kleinern Organen sind unaufhörlich be- schäftigt, die durch die innere Konsum- tion abgeriebnen und verdorbnen Theil- chen abzusondern und auszustossen. Ausser den eigentlich sogenannten Aus- leerungswegen ist die ganze Oberfläche der Haut und der Lungen mit Millionen solcher Absonderungsorgane bedeckt, und in unaufhörlicher Thätigkeit. — Eben so häufig und mannichfaltig sind die Wege der zweyten Klasse, der Restaura- tion . Nicht genug, dass der Abgang der gröbern Theile durch Hülfe der Ver- dauungswerkzeuge aus den Nahrungs- mitteln ersezt wird, so ist auch das Re- spirationsorgan, die Lunge, unaufhör- lich beschäftigt, aus der Luft geistige Nahrung, Lebenswärme und Lebens- kraft, einzuziehen. — Das Herz und der davon abhängende Umlauf des Bluts dient dazu, diese Bewegungen zu regu- liren, die aufgenommene Wärme und Nahrung in alle Puncte zu verbreiten, und die abgenuzten Theilchen nach ih- ren Absonderungswegen hinzutreiben. — Zu dem allem kommt nun noch der wichtige Einfluss der Seelenkraft und ihrer Organe, die den Menschen unter allen Geschöpfen am vollkommensten erfüllt, und zwar einerseits die Selbst- konsumtion, das intensive Leben, ver- mehrt, aber zugleich für den Menschen ein äusserst wichtiges Restaurationsmit- tel wird, das unvollkommnern Wesen fehlt. Von der ausserordentlichen Selbst- konsumtion des menschlichen Körpers kann man sich einen Begriff machen, wenn man bedenkt, dass der Herzschlag und die damit verbundne Fortbewegung des Bluts, alle Tage 100,000 mal ge- schieht, d. h. dass sich das Herz und alle Pulsadern täglich 100,000 mal mit einer ganz ausserordentlichen Kraft zusam- menziehen, die eine Last von 50 — 60 Pfund Blut in beständiger Fortbewegung zu erhalten vermag. (Welche Uhr, welche Maschine von dem härtesten Ei- sen würde nicht durch einen solchen Ge- brauch in kurzem abgenuzt seyn?) — Rechnen wir hierzu noch die fast eben so unaufhörlichen Muskularbewegungen unsers Körpers, die um so mehr aufrei- ben müssen, da diese Theile mehr aus weichen und gallertartigen Partikeln be- stehen, so wird man sich ungefähr einen Begriff machen können, mit welchem Verlust von Substanz zum Beyspiel ein Fussweg von 10 Meilen oder ein Kou- rierritt von 80 Meilen verbunden seyn mag. — Und nicht bloss weiche und flüssige, sondern auch die festesten Thei- le werden nach und nach durch den Ge- brauch abgenuzt. Wir sehen diess am deutlichsten bey den Zähnen, welche offenbar durch langen Gebrauch abge- rieben, hingegen beym Nichtgebrauch (in Ermangelung der Antagonisten) oft ausnehmend lang werden. — Es ist erwiesen, dass wir uns auf diese Art sehr bald aufgezehrt haben würden, wenn kein Ersatz da wäre, und es ist sehr wahrscheinlich berechnet, dass wir alle 3 Monate nicht mehr dieselben sind, und aus ganz neuen Partikeln beste- hen. Aber eben so ausserordentlich und wunderbar ist der beständige Ersatz des Verlohrnen. Man kann diess schon daraus abnehmen, dass, troz des bestän- digen Verlustes, dennoch unsre Masse dieselbe bleibt. — Am allerschnellsten regeneriren sich die flüssigen Theile wie- der, und die Erfarung hat gelehrt, dass oft der stärkste Blutverlust in 14 Tagen wieder ersezt war. Die festen Theile reproduciren sich durch eben die Kräfte und Mechanismen, wie bey der ersten Entstehung; das gallertartige nährende Prinzip wird durch die Cirkulation nach allen Theilen hingeleitet, und organi- sirt sich überall nach den plastischen Ge- setzen des Theils. Selbst die allerfeste- sten, die Knochen, werden regenerirt, wie man durch die Versuche mit der Fär- berröthe beweisen kann, bey deren Ge- nuss in kurzem ganz rothe Knochen ent- stehen. Eben so erzeugen sich ganze verlohren gegangene Knochen von neuem wieder, und mit Bewunderung findet man im Elfenbein (dem härtsten animalischen Körper) zuweilen Bleyku- geln, die einst hineingeschossen wurden, in allen Puncten mit fester Elfenbeinsub- stanz umgeben. Der gewöhnliche Gang, oder die Geschichte des menschlichen Lebens, ist kurz folgende: Das Herz , (der Grundquell aller Le- bensbewegung und Lebensverbreitung, und die Grundkraft sowohl der abson- dernden als der wiederherstellenden Operationen) wird im Verhältniss des zunehmenden Alters immer kleiner, so dass es zulezt achtmal weniger Raum zum Ganzen einnimmt, als im Anfange des Lebens; zugleich wird seine Sub- stanz immer dichter und härter, und in eben dem Verhältniss wird seine Reiz- barkeit geringer. Folglich nehmen die wirkenden Kräfte von Jahr zu Jahr mehr ab, die wiederstehenden hingegen im- mer mehr zu. Das nehmliche geschieht auch im ganzen System der Gefässe und aller Bewegungsorgane. Alle Gefässe werden nach und nach immer härter, enger, zusammengeschrumpfter, un- brauchbarer; Arterien werden knöchern, eine Menge der feinsten Gefässe ver- wachsen ganz. Die Folgen davon sind unausbleib- lich: 1. Durch dieses Verwachsen und Ver- schrumpfen werden auch die wich- tigsten und feinsten Restaurations- organe des Lebens, die Wege des Zugangs und der Assimilation von aussen (Lunge, Haut, absorbirende und Milchgefässe) ungangbarer, folglich der Zutritt nährender und belebender Bestandtheile von aussen immer schwächer. Die Nahrung kann weder so mehr aufgenommen, noch so gut bereitet und vertheilt werden, als zuvor. 2. Durch diese zunehmende Härte und Trockenheit der Fasern verlie- ren sie immer mehr von ihren be- wegenden und empfindenden Kräf- ten. Irritabilität und Sensibilität nehmen immer in demselben Ver- hältniss ab, als jene zunimmt, und so räumen die wirkenden und selbst- thätigen Kräfte in uns den zerstören- den, mechanischen und chemischen immer mehr Feld ein. 3. Durch diese Abnahme der Bewe- gungskraft, durch diese Verwach- sung unzähliger Gefässgen leiden nun hauptsächlich die Absonderun- gen, die unentbehrlichsten Hülfs- mittel unsrer beständigen Reini- gung und der Fortschaffung des verdorbenen. Das wichtigste Or- gan derselben, die Haut, wird mit den Jahren immer fester, undurch- dringlicher und unbrauchbarer. Eben so die Nieren, die Ausdün- stungsgefässe des Darmkanals und der Lungen. Die Säfte müssen daher im Alter immer unreiner, schärfer, zäher und erdigter wer- den. Die Erde, der grösste Anta- gonist aller Lebensbewegung, be- kommt dadurch in unserm Körper immer mehr und mehr das Ueber- gewicht, und wir nähern uns da- durch schon bey lebendigem Leibe unmerklich unsrer endlichen Be- stimmung: Werde wieder zur Er- de, von der du genommen bist! Auf diese Weise führt unser Leben selbst das Aufhören desselben, den na- türlichen Tod herbey, und folgendes ist der Gang desselben: Zuerst nehmen die dem Willen un- terworfnen Kräfte, nachher auch die unwillkührlichen und eigentlichen Le- bensbewegungen ab. Das Herz kann nicht mehr das Blut in die entferntesten Theile treiben. Puls und Wärme flie- hen von den Händen und Füssen; doch wird das Blut noch von dem Her- zen und den grössern Gefässen in Be- wegung erhalten, und so hält sich das Lebensflämmchen, wiewohl schwach, noch einige Zeit. Zulezt kann das Herz das Blut nicht einmal mehr durch die Lungen pressen, und nun wen- det die Natur noch alle Kraft an, um die Respiration zu verstärken, und dadurch dem Blut noch einigen Durch- gang zu verschaffen. Endlich sind auch diese Kräfte erschöpft. Die linke Herzkammer erhält folglich kein Blut mehr, wird nicht mehr gereizt, und ruht; während die rechte noch eini- ges Blut aus den schon halb abgestor- benen Theilen zugeschickt bekommt. Aber nun erkalten auch diese Theile völlig, die Säfte gerinnen, das Herz er- hält gar kein Blut mehr, es hört alle Be- wegung auf, und der Tod ist vollkom- men. Ehe ich weiter gehe, muss ich noch einige auffallende und räthselhafte Um- stände berühren, die sich jedem bey der Untersuchung der Lebensdauer des Men- schen aufdringen, und einer besondern Aufmerksamkeit werth sind. Das erste Räthsel ist: Wie ist es möglich, dass der Mensch, dessen Organi- sation die zarteste und komplicirteste, des- sen Selbstkonsumtion die rapideste ist, und dessen Lebensdauer also die allerkürzeste seyn sollte, dennoch alle Klassen der voll- kommnern Thiere, die mit ihm gleiche Grösse, gleiche Organisation, gleichen Standpunct in der Schöpfung haben, so auffallend an Lebensdauer übertrifft? Bekanntlich sind die unvollkomm- nern Organisationen die, welche die meiste Dauer, wenigstens Tenacität des Lebens haben. Der Mensch, als das al- lervollkommenste Geschöpf, müsste folg- lich in dieser Rücksicht weit unter ihnen stehen. Ferner erhellt aus den vorigen Untersuchungen, dass die Lebensdauer eines Thieres um so precärer und kürzer ist, je mehr Bedürfnisse des Lebens es hat. Der Mensch hat deren unstreitig am meisten, — ein neuer Grund einer kürzern Dauer! — Ferner ist vorher ge- zeigt worden, dass bey den Thieren der höchste Grad der Selbstkonsumtion der Act der Zeugung ist, und ihre Lebens- dauer ganz sichtbarlich abkürzt. Auch hierin hat der Mensch eine ausgezeich- nete Vollkommenheit, und bey ihm kommt noch eine neue Art der Zeugung, die die geistige oder das Denkgeschäft hin- zu, und seine Dauer müsste also da- durch noch mehr leiden. Es fragt sich also: wodurch hat der Mensch auch in Absicht der Dauer seines Lebens einen solchen Vorzug? Ich glaube den Grund in folgenden gefunden zu haben. I. Das ganze Zellgewebe des Menschen, oder die Grundfaser, ist von weit zärterer und weicherer Textur, als bey den Thieren derselben Klassen. Selbst die sogenannte Nervenhaut eines Darms ist bey einem Hunde viel härter, und lässt sich nicht so aufblasen, wie beym Menschen. Auch die Adern, die Knochen, selbst das Gehirn, sind bey Thieren weit fester, und haben mehr Erde. — Nun habe ich aber oben gezeigt, dass ein gar zu grosser Grad von Härte und Sprödigkeit der Organe Q der Lebensdauer hinderlich ist, weil sie dadurch früher ihre Nachgiebig- keit und Brauchbarkeit verlieren, und weil die Trockenheit und Stei- figkeit, welche das Alter und zulezt den völligen Stillstand bewirken, dadurch beschleunigt werden. Folg- lich muss schon aus diesem Grunde der Mensch ein späteres Alter und ein längeres Lebensziel haben. II. Der Mensch wächst langsamer, wird später mannbar, alle seine Entwick- lungen haben längere Perioden; — und ich habe schon gezeigt, dass die Dauer eines Geschöpfs desto län- ger ist, je langsamer seine Entwick- lungen geschehen. III. Der Schlaf, (das grösste Retarda- tions- und Erhaltungsmittel des Le- bens) ist dem Menschen am regel- mässigsten und beständigsten eigen. IV. Einen Hauptunterschied macht die vollkommene Seelenorganisation Ich bitte, mich hier recht zu verstehen. Nicht etwa dass ich die Seele selbst zu den Theilen oder Producten, oder Eigenschaften oder Blüthen des Körpers rechnete. Keineswegs! Die Seele ist in meinen Augen etwas ganz vom Körper verschie- denes, ein Wesen aus einer ganz andern, hö- hern, intellectuellen Welt; aber in dieser sub- lunarischen Verbindung, und um menschliche Seele zu seyn, muss sie Organe haben, und zwar nicht bloss zu den Handlungen, sondern auch zu den Empfindungen, ja selbst zu den höhern Verrichtungen des Denkens und Ideenverbin- dens. Die erste Ursach des Denkens ist also gei- stig, aber das Denkgeschäft selbst (so wie es in dieser menschlichen Maschine getrieben wird) ist organisch. — So allein wird das so auffal- lend mechanische in vielen Denkgesetzen, der Einfluss physischer Ursachen auf Verbesserung und Zerrüttung des Denkgeschäfts erklärbar, und man kann das Geschäft selbst materiell betrachten und heilen, (ein Fall, den unser Beruf als Aerzte oft mit sich bringt) ohne ein Materialist zu seyn, d. h. ohne die erste Ursache desselben, die Seele, für Materie zu halten, welches mir wenigstens absurd zu seyn scheint. Q 2 und Denkfähigheit des Menschen — die Vernunft! Diese höhere und göttliche Kraft, die dem Menschen allein beywohnt, hat den auffallendsten Einfluss, nicht allein auf seine Karacteristik im Ganzen, son- dern auch auf seine Lebensvollkommen- heit und Dauer, und zwar auf folgende Art. 1. Ganz natürlich muss die Summe der wirkenden lebendigen Kräfte in uns durch diesen Beytritt der rein- sten und göttlichsten vermehrt wer- den. 2. Durch seine äusserst veredelte und verfeinerte Gehirnorganisation be- kommt der Mensch ein ganz neues ihm allein eigenthümliches Restau- rationsorgan, oder vielmehr seine ganze Lebenskapacität wird da- durch vermehrt. Der Beweis ist folgender: Je mehr ein Körper Organe zur Aufnahme, Entwicklung und Ver- arbeitung mannigfaltiger Einflüsse und Kräfte hat, desto reicher und vollkommner ist seine Existenz. Hierin liegt der Hauptbegriff von Lebenskapacität. Nur das existirt für uns, wofür wir Sinne oder Or- gane haben, es aufzunehmen und zu benutzen; und je mehr wir also derselben haben, desto mehr leben wir. Das Thier, das keine Lungen hat, kann in der reinsten Lebens- luft leben, und es wird dennoch keine Wärme, kein Lebensprincip daraus erhalten, bloss weil es kein Organ dafür hat. Der Verschnitte- ne geniesst eben die Nahrungsmit- tel, lebt unter eben den Einflüssen, hat das nehmliche Blut, wie der Unverschnittene, dessen ungeach- tet fehlt ihm sowohl die Kraft als Materie der Generation, sowohl die physische als moralische Mannskraft, weil er keine Organe zu ihrer Entwicklung hat. — Genug, wir können eine Menge Kräfte um uns, ja selbst schlafende Keime derselben in uns haben, die aber, ohne ein angemessnes Entwicklungsorgan, ganz für uns verlohren sind. — Von diesem Gesichtspunct aus müssen wir auch die menschliche Gehirnor- ganisation betrachten. Sie ist un- streitig der höchste Grad von Ver- feinerung der organischen Materie. Es ist durch alle Beobachtungen er- wiesen, dass der Mensch unter allen Thieren das zarteste, und, im Ver- hältniss zu den Nerven, auch das grösste Gehirn habe. In diesem Or- gane werden (wie in dem Alembik des Ganzen) die feinsten und geistig- sten Theile der durch Nahrung und Respiration uns zugeführten Kräfte gesammlet, sublimirt und zum höchsten Grad veredelt, und von da aus durch die Nerven dem gan- zen Körper in allen seinen Puncten mitgetheilt. — Es wird wirklich eine neue Lebensquelle. 3. Durch diese höchstvollkommene Seelenkraft tritt der Mensch in Ver- bindung mit einer ganz neuen, für die ganze übrige Schöpfung verbor- genen Welt — der geistigen . Sie giebt ihm ganz neue Bei ührungs- puncte, ganz neue Einflüsse, ein neues Element. Könnte man in dieser Rücksicht nicht den Men- schen ein Amphibion von einer hö- heren Art (man verzeihe den Aus- druck) nennen, — denn er ist ein Wesen, das in zwey Welten, der materiellen und der geistigen, zu- gleich lebt — und das auf ihn an- wenden, was ich vorhin aus der Er- farung von den Thieramphibien ge- zeigt habe, dass die Existenz in zwey Welten zugleich das Leben verlängert? — Welch ein uner- messliches Meer von Geistesnahrung und Geisteseinflüssen eröfnet uns nicht diese höhere und vollkomm- nere Organisation? Eine ganz neue und dem Menschen allein eigne Klasse von Nahrungs- und Erwe- ckungsmitteln der Lebenskraft stellt sich uns hier dar, die der feinern sinnlichen und höhern moralischen Gefühle und Berührungen. Ich will hier nur an die Genüsse und Stärkungen erinnern, die in der Musik, der bildenden Kunst, den Reizen der Dichtung und Phantasie liegen; an das Wonnegefühl, das uns die Erforschung der Wahrheit oder eine neue Entdeckung im Rei- che derselben gewährt; an die rei- che Quelle der Kraft, die in dem Gedanken der Zukunft liegt, und in dem Vermögen, sie zu vergegen- wärtigen und durch Hoffnung zu leben, wenn uns die Gegenwart verlässt. Welche Stärkung, wel- che unerschütterliche Festigkeit kann uns nicht der einzige Gedanke und Glaube an Unsterblichkeit ge- ben! — Genug, der Lebensumfang des Menschen erhält hierdurch eine erstaunliche Ausdehnung; er zieht nun wirklich seine Lebenssubsistenz aus zwey Welten zugleich, aus der körperlichen und geistigen, aus der gegenwärtigen und zukünftigen; — seine Lebensdauer muss nothwen- dig dadurch gewinnen. 4. Endlich trägt die vollkommnere Seelenkraft auch in so fern zur Er- haltung und Verlängerung des Le- bens bey, dass der Mensch dadurch der Vernunft theilhaftig wird, wel- che alles in ihm regulirt, das bloss thierische in ihm, den Instinkt, die wüthende Leidenschaft, und die damit verbundene schnelle Konsum- tion, mässigt, und ihn auf diese Art in jenem Mittelzustand zu er- halten vermag, der, wie oben ge- zeigt worden, zum langen Leben so nothwendig ist. Kurz, der Mensch hat offenbar mehr geistigen Antheil, als ihm bloss für diese Welt nöthig wäre, und dieses Uebermass von geistiger Kraft hält und trägt gleichsam das Körperliche mit. Nur der körperliche Antheil führt die Aufreibung und den Tod mit sich. Nicht ganz unrecht drückte sich daher ein Franzos so aus: La mort est la plus grande betise . Ich kann hier die Bemerkung nicht unterdrücken, wie sichtbar auch hierin der moralische Zweck, die höhere Be- stimmung des Menschen mit seiner phy- sischen Existenz verwebt ist, und wie also das, was ihn eigentlich zum Men- schen macht, Vernunft und höheres Denkvermögen , nicht bloss seine mora- lische, sondern auch seine physische Vollkommenheit erhält; folglich eine gehörige Kultur seiner geistigen Kräfte, besonders die moralische, ihn unleug- bar nicht bloss moralisch sondern auch physisch vollkommener macht, und sei- ne Lebenskapacität und Dauer (wie wir in der Folge ausführlicher sehen wer- den) vermehrt. — Der blosse Thier- mensch sinkt auch in Absicht der Lebens- dauer zu den Thieren, mit denen er an Grösse und Festigkeit in Parallel steht, ja selbst noch unter sie (wie ich gleich zei- gen werde) herab; da hingegen oft der schwächlichste Mensch vorzüglich durch diese geistige Subsistenz sein Leben viel weiter hinausschieben kann, als das stärkste Thier. Aus eben diesen Prinzipien lässt sich nun auch das zweyte Räthsel auflösen, nehmlich: Wie kommt es, dass eben in dem Menschengeschlecht, dessen Lebens- dauer die des Thiers so weit übertrifft, und, wie uns Beyspiele gezeigt haben, zu einer ausserordentlichen Höhe gelangen kann, dennoch so wenige ihr wahres Ziel erreichen, und die meisten vor der Zeit sterben? oder mit andern Worten, dass da, wo die grösste Dauer möglich ist, dennoch die Sterblichkeit am grössten ist? Eben die grössre Weichheit und Zartheit der Organe, die den Menschen einer langen Dauer fähig macht, expo- nirt ihn auch mehrern Gefahren, leich- tern Unterbrechungen, Stockungen und Verletzungen. Ferner die mehrern Berührungs- puncte, die er mit der ihn umgebenden Welt hat, machen ihn auch empfängli- cher für eine Menge nachtheiliger Ein- flüsse, die eine gröbere Organisation nicht fühlt; seine vielfachern Bedürf- nisse vervielfältigen die Gefahren durch Entziehung ihrer Befriedigung. Selbst das geistige Leben hat seine ganz eignen Gifte und Gefahren. Was weiss das Thier von fehlgeschlagner Hof- nung, unbefriedigtem Ehrgeiz, ver- schmähter Liebe, von Kummer, Reue, Verzweiflung? Und wie lebensverzeh- rend und tödtend sind für den Menschen diese Seelengifte? Endlich liegt noch ein Hauptgrund darin, dass der Mensch, ungeachtet er zum vernünftigen Wesen organisirt ist, dennoch Freyheit hat, seine Vernunft zu gebrauchen oder nicht. — Das Thier hat statt der Vernunft Instinkt , und zu- gleich weit mehr Gefühllosigkeit und Härte für schädliche Eindrücke. Der Instinkt lehrt es, das zu geniessen, was ihm gut ist, das zu vermeiden, was ihm schadet; er sagt ihm, wenn es genug hat, wenn es Ruhe bedarf, wenn es krank ist. Der Instinkt sichert es vor Uebermass und Ausschweifungen, ohne Diätregeln. — Bey dem Menschen hin- gegen ist alles, auch das Physische, auf Vernunft berechnet; er hat weder In- stinkt, jene Missgriffe zu vermeiden, noch Festigkeit genug, sie zu ertragen. Alles diess sollte die Vernunft bey ihm ersetzen. Fehlt ihm also diese, oder versäumt er ihre Stimme zu hören, so verliert er seinen einzigen Wegweiser, sein grösstes Erhaltungsmittel, und sinkt auch physisch nicht allein zum Thier, sondern selbst unter das Thier herab; weil diess von Natur schon für die Ver- nunft in Betreff seiner Lebenserhaltung entschädigt ist. — Der Mensch hingegen ohne Vernunft ist allen schädlichen Ein- flüssen Preis gegeben, und das aller ver- gänglichste und korruptibelste Geschöpf unter der Sonne. Der natürliche Man- gel der Vernunft ist für die Dauer und Erhaltung des Lebens weit weniger nachtheilig, als der unterlassne Gebrauch derselben da, wo sie von Natur ist. Aber wie Haller so wahr sagt: Unselig Mittelding von Engeln und vom Vieh, Gott gab dir die Vernunft, und du gebrauchst sie nie. Hierin liegt der Hauptgrund, warum der Mensch bey aller Anlage zur höch- sten Dauer des Lebens dennoch die grösste Mortalität hat. Man wende nicht ein, diese Be- hauptung werde dadurch widerlegt, dass doch viele Wahnsinnige ihr Leben hoch bringen. — Hier kommt es nehmlich zuerst auf die Art des Wahnsinnes an. Ist es Wuth und Raserey, so kürzt diess allerdings das Leben gar sehr ab, weil sie den höchsten Grad von Kraftäusserung und Lebenskonsumtion mit sich führt. Eben so der höchste Grad von Melanko- lie und Seelenangst, weil er die edelsten Organe lähmt, und die Kräfte verzehrt. Aber in dem Mittelzustande, wo die Ver- nunft nicht ganz fehlt, sondern nur eine unrichtige Idee, eine falsche aber oft höchst behagliche Vorstellungsart sich eingeschlichen hat, da kann der physi- sche Nutzen der Vernunft immer blei- ben, wenn auch der moralische viel ver- liert. Ja ein solcher Mensch ist oft wie ein angenehm Träumender anzusehen, auf den eine Menge Bedürfnisse, Sorgen, Unannehmlichkeiten und lebenverkür- zende Eindrücke (selbst physische Krank- keitsursachen, wie die Erfahrung lehrt) gar nicht wirken; der in seiner selbstge- schaffnen Welt glücklich dahin lebt, und also weit weniger Destruction und Le- benskonsumtion hat. — Dazu kommt nun noch endlich, dass, wenn auch der Blödsinnige selbst nicht Vernunft hat, dennoch die Menschen, die ihn umge- ben und warten, für ihn denken und ihm ihre Vernunft gleichsam leihen. Er wird also doch durch Vernunft erhal- ten, es mag nun seine eigne oder eine fremde seyn. Achte Achte Vorlesung. Specielle Grundlagen und Kennzeichen der Lebensdauer einzelner Menschen. Hauptpuncte der Anlage zum langen Leben — Guter Magen und Verdauungssystem, gesunde Zähne — gut organisirte Brust — nicht zu reizbares Herz — gute Restaurations- und Heilkraft der Natur — Gehöriger Grad und Vertheilung der Lebenskraft, gut Tempera- ment — harmonischer und fehlerfreyer Körperbau — mittlere Beschaffenheit der Textur des Körpers — kein vorzüglich schwacher Theil — vollkommne Organisa- tion der Zeugungskraft — das Bild eines zum langen Leben bestimmten Menschen. N ach diesen allgemeinen Begriffen kann ich nun zu der Bestimmung der R speciellen und individuellen Grundlage des langen Lebens übergehen, die in dem Menschen selbst liegen muss. Ich will die Haupteigenschaften und Anlagen angeben, die nach obigen Grundsätzen und der Erfahrung ein Mensch durchaus haben muss, der auf ein langes Le- ben Rechnung machen will. Diese Schilderung kann zugleich statt ei- ner kurzen Semiotik des langen Lebens dienen. Die Eigenschaften, die man die Fundamenta des langen Lebens im Menschen nennen kann, sind fol- gende: I. Vor allen Dingen muss der Ma- gen und das ganze Verdauungssystem gut beschaffen seyn. — Es ist un- glaublich, von welcher Wichtigkeit dieser Grossmächtigste aller Herrscher im animalischen Reiche in dieser Hin- sicht ist, und man kann mit vollem Recht behaupten, ohne einen guten Ma- gen ist es unmöglich ein hohes Alter zu erlangen. In zweyerley Rücksicht ist der Ma- gen der Grundstein des langen Lebens: Einmal indem er das erste und wich- tigste Restaurationsorgan unsrer Natur ist, die Pforte, wodurch alles, was unser werden soll, eingehen muss, die erste Instanz, von deren guten oder schlechten Zustand nicht nur die Quan- tität sondern auch die Qualität unsers Ersatzes abhängt. — Zweytens, in- dem durch die Beschaffenheit des Ma- gens selbst die Einwirkung der Lei- denschaften, der Krankheitsursachen und andrer zerstörenden Einflüsse auf unsern Körper modificirt wird. — Er hat einen guten Magen, sagt man im Sprichwort, wenn man jemand karacterisiren will, auf den weder Aerger, noch Kummer, noch Kränkun- gen schädlich wirken, und gewiss es liegt viel Wahres darinne. — Alle die- se Leidenschaften müssen vorzüglich R 2 den Magen assiciren, von ihm gleich- sam empfunden und angenommen werden, wenn sie in unser Physisches übergehen und schaden sollen. Ein guter robuster Magen nimmt gar keine Notiz davon. Hingegen ein schwa- cher empfindsamer Magen wird alle Augenblicke durch so etwas in seiner Verrichtung gestört, und folglich das so wichtige Restaurationsgeschäft un- aufhörlich unterbrochen, und schlecht betrieben. — Eben so ist es mit den meisten physischen Krankheitseinflüs- sen; die meisten machen ihren er- sten Eindruck auf den Magen; da- her Zufälle der Verdauung immer die ersten Symptome der Krankheiten sind. Er ist auch hier die erste Instanz, durch welche sie in unsern Körper wir- ken, und nun die ganze Oeconomie stören. Ueberdiess ist er ein Haupt- organ, von welchem das Gleichge- wicht der Nervenbewegungen, und besonders der Antrieb nach der Peri- pherie abhängt. Ist er also kräftig und wirksam, so können sich Krank- heitsreize gar nicht so leicht fixiren, sie werden entfernt und durch die Haut verflüchtigt, ehe sie noch wirk- liche Stöhrung des Ganzen bewir- ken, d. h. die Krankheit hervorbrin- gen konnten. Einen guten Magen erkennt man aus zweyerley. Nicht blos aus dem treflichen Appetit, denn dieser kann auch Folge irgend eines Reizes seyn, sondern vorzüglich aus der leich- tern und vollkommnern Verdauung. Wer seinen Magen je gefühlt hat, der hat schon keinen recht guten Magen. Man muss gar nicht füh- len, dass man gegessen hat, nach Ti- sche nicht schläfrig, verdrossen oder unbehaglich werden, früh morgens keinen Schleim im Halse haben, und gehörige und gut verdaute Ausleerun- gen. Die Erfahrung lehrt uns auch, dass alle die, welche ein hohes Alter erreichten, sehr guten Appetit hatten, und selbst noch im höchsten Alter be- hielten. Zur guten Verdauung sind nun gute Zähne ein sehr nothwendiges Stück, und man kann sie daher als sehr wesentliche Eigenschaften zum langen Leben ansehen, und zwar auf zweyerley Art. Einmal sind gute und feste Zähne immer ein Haupt- kennzeichen eines gesunden festen Körpers und guter Säfte. Wer die Zähne sehr frühzeitig verliert, der hat schon mit einem Theil seines Körpers ge- wissermassen auf die andre Welt pränu- merirt. — Zweytens sind die Zähne ein Hauptmittel zur vollkommnen Ver- dauung, und folglich zur Restauration. II. Gut organisirte Brust und Re- spirationswerkzeuge . Man erkennt sie an einer breiten gewölbten Brust, der Fähigkeit, den Athem lange zu hal- ten, starker Stimme und seltnen Husten. Das Athemholen ist eine der unaufhörlichsten und nothwen- digsten Lebensverrichtungen; das Or- gan der unentbehrlichsten geistigern Restauration, und zugleich das Mit- tel, wodurch das Blut unaufhörlich von einer Menge verdorbener Theil- chen befreyt werden soll. Bey wem also diese Organe gut bestellt sind, der besizt eine grosse Assecu- renz auf ein hohes Alter, und zwar auch darinne, weil dadurch den de- struirenden Ursachen und dem Tode eine Hauptpforte genommen wird, durch welche sie sich einschleichen können. Denn die Brust gehört unter die vorzüglichsten atria mortis (Angriffs- puncte des Todes). III. Ein nicht zu reizbares Herz . Wir haben oben gesehen, dass eine Hauptursache unsrer innern Consum- tion oder Selbstaufreibung in dem be- ständigen Blutumlauf liegt. Der, wel- cher in einer Minute 100 Pulsschläge hat, muss sich also ungleich schneller aufreiben, als der, welcher deren nur 50 hat. Die Menschen folglich, wel- che beständig einen etwas gereizten Puls haben, bey denen jede kleine Gemüthsbewegung, jeder Tropfen Wein, sogleich die Bewegung des Herzens vermehrt, sind schlechte Kan- didaten zum langen Leben, denn ihr ganzes Leben ist ein beständiges Fie- ber, und es wird dadurch auf doppel- te Art der Verlängerung des Lebens entgegen gearbeitet, theils durch die damit verknüpfte schnellere Aufreibung, theils weil die Restauration durch nichts so sehr gehindert wird, als durch einen beständig beschleunigten Blutumlauf. Es ist durchaus eine ge- wisse Ruhe nothwendig, wenn sich die nährenden Theilchen anlegen, und in unsre Substanz verwandeln sollen. Daher werden solche Leute auch nie fett. Also ein langsamer gleichförmiger Puls ist ein Hauptmittel und Zeichen des langen Lebens. IV. Gehöriger Grad und Verthei- lung der Lebenskraft; gutes Tempera- ment. Ruhe, Ordnung und Harmonie in allen innern Verrichtungen und Be- wegungen ist ein Hauptstück zur Er- haltung und Verlängerung des Lebens, dieses beruht aber vorzüglich auf ei- nem gehörigen Zustand der allgemei- nen Reizbarkeit und Empfindlichkeit des Körpers, und zwar muss dieselbe überhaupt weder zu gross, noch zu schwach, dabey aber gleichförmig vertheilt seyn, kein Theil verhältniss- mässig zu viel oder zu wenig haben. — Ein gewisser Grad von Unempfind- lichkeit, eine kleine Beymischung von Phlegma, ist also ein äusserst wichti- ges Stück zur Verlängerung des Le- bens. Sie vermindert zu gleicher Zeit die Selbstaufreibung, und verstattet eine weit vollkommnere Restauration, und wirkt also am vollständigsten auf Lebensverlängerung. Hieher gehört der Nutzen eines guten Temperaments , welches in so fern eine Hauptgrundlage des langen Lebens werden kann. Das beste ist in dieser Absicht das sangui- nische, mit etwas Phlegma tempe- rirt . Diess giebt heitern frohen Sinn, gemässigte Leidenschaften, guten Muth, genug die schönste Seelenanlage zur Longävität. Schon die Ursache dieser Seelenstimmung pflegt gewöhnlich Reichthum an Lebenskraft zu seyn. Und da nun auch Kant bewiesen hat, dass eine solche Mischung von Tempe- rament das geschickteste sey, um mo- ralische Vollkommenheit zu erlangen, so glaube ich, man könne dasselbe wohl unter die grössten Gaben des Himmels rechnen. V. Gute Restaurations- und Heil- kraft der Natur , wodurch aller Verlust, den wir beständig erleiden, nicht allein ersezt, sondern auch gut ersezt wird. Sie beruht nach dem obigen auf einer guten Verdauung und auf einem ruhigen gleichförmi- gen Blutumlauf. Ausser diesem gehört aber noch dazu: die vollkommne und rege Wirksamkeit der einsaugenden Ge- fässe, (des lymphatischen Systems), und eine gute Beschaffenheit und regel- mässige Wirkung der Absonderungsor- gane. Jenes bewirkt, dass die nähren- den Substanzen leicht in uns übergehen, und an den Ort ihrer Bestimmung ge- langen können, dieses, dass sie voll- kommen von allen fremden und schäd- lichen Beymischungen befreyt werden, und völlig rein in uns kommen. Und diess macht eigentlich den Begriff der vollkommensten Restauration aus. Es ist unglaublich, was dieses Talent für ein grosses Erhaltungsmit- tel des Lebens ist. Bey einem Men- schen, der dieses hat, kann wirklich die Consumtion ausserordentlich stark seyn, und er verliert dennoch nichts dadurch, weil er sich äusserst schnell wieder ersezt. Daher haben wir Bey- spiele von Menschen, die selbst unter Debauchen und Strapazen sehr alt wurden. So konnte z. B. ein Herzog von Richelieu , ein Ludwig XV . alt wer- den. Eben so muss auch eine gute Heil- kraft der Natur damit verbunden seyn; d. h. das Vermögen der Natur, sich bey Unordnungen und Stöhrun- gen leicht zu helfen, Krankheitsur- sachen abzuhalten und zu heilen, Ver- letzungen wieder herzustellen. Es lie- gen erstaunliche Kräfte der Art in unsrer Natur, wie uns die Beyspiele der Naturmenschen zeigen, welche fast gar keine Krankheiten haben, und bey denen die fürchterlichsten Wunden ganz von selbst heilen. VI. Ein gleichförmiger und fehler- freyer Bau des ganzen Körpers . Ohne Gleichförmigkeit der Structur wird nie Gleichförmigkeit der Kräfte und Bewegungen möglich seyn, ohne wel- che es doch unmöglich ist alt zu werden. Ueberdiess geben solche Fehler der Structur leicht zu örtli- chen Krankheiten Gelegenheit, wel- che zum Tode führen können. Da- her wird man auch nicht finden, dass ein Verwachsener ein sehr hohes Alter erreicht. VII. Kein Theil, kein Eingewey- de darf einen vorzüglichen Grad von Schwäche haben. Sonst kann die- ser Theil am leichtesten zur Aufnah- me einer Krankheitsursache dienen, der erste Keim einer Stöhrung und Sto- ckung, und gleichsam das Atrium mortis werden. Es kann bey übrigens sehr guter und vollkommner Organisation, diess der heimliche Feind werden, von welchem hernach die Destruction aufs Ganze ausgeht. VIII. Die Textur der Organisa- tion muss von mittlerer Beschaffenheit, zwar fest und dauerhaft, aber nicht zu trocken oder zu rigide seyn. Wir haben gesehen, dass durch alle Klassen organischer Wesen ein zu ho- her Grad von Trockenheit und Härte der Lebensdauer hinderlich ist. Bey dem Menschen muss sie es am allermei- sten seyn, weil seine Organisation, seiner Bestimmung gemäss, die zarte- ste ist, und also durch ein Uebermaas erdigter Theile am leichtesten unbrauch- bar gemacht werden kann. Sie scha- det also auf doppelte Art, theils indem sie das Alter, den Hauptfeind des Le- bens, weit früher herbeyführt, theils indem dadurch die feinsten Organe der Restauration weit eher unbrauchbar gemacht werden. Die Härte unsrer Organisation, die zum langen Leben dienen soll, muss nicht sowohl in mechanischer Zähigkeit, als vielmehr in Härte des Gefühls bestehen, nicht sowohl eine Eigenschaft der gröbern Textur, als vielmehr der Kräfte seyn. Der Antheil von Erde muss gerade so gross seyn, um hinlängliche Spannkraft und Ton zu geben, aber weder zu gross, dass Unbeweglichkeit, noch zu klein, dass eine zu leichte Beweglich- keit davon entstünde; denn beydes scha- det der Lebensdauer. IX. Ein vorzüglicher Grund zum langen Leben liegt endlich, nach meiner Ueberzeugung, in einer voll- kommnen Organisation der Zeugungs- kraft . Ich glaube, man hat sehr Unrecht, dieselbe blos als ein Consumtionsmittel und die Producte als blosse Exeretionen anzusehen, sondern ich bin überzeugt, dass diese Organe eins unsrer grössten Erhaltungs- und Regenerationsmittel sind, und meine Gründe sind folgende: 1. Die Organe der Zeugung haben die Kraft, die feinsten und geistigsten Bestandtheile aus den Nahrungsmitteln abzusondern, zugleich aber sind sie so organisirt, dass diese veredelten und vervollkommneten Säfte wieder zurück- gehen und ins Blut aufgenommen wer- den können. — Sie gehören also, eben so wie das Gehirn, unter die wichtigsten Organe zur Vervollkommung und Ver- edlung unsrer organischen Materie und Kraft und also unsres Selbst. Die rohen Nahrungstheile würden uns wenig hel- fen, wenn wir nicht Organe hätten, die das feinste davon herausziehen, verar- beiten und uns in dieser Gestalt wieder geben und zueignen könnten. Nicht die Menge der Nahrung, sondern die Menge Menge und Vollkommenheit der Organe zu deren Bearbeitung und Benutzung ist es, was unsre Lebenskapacität und Fülle vermehrt, und unter diesen Orga- nen behauptet gewiss das der Genera- tion einen vorzüglichen Rang. 2. Was Leben geben kann, muss auch Leben erhalten. In den Zeugungs- säften ist die Lebenskraft so concentrirt, dass der kleinste Theil davon ein künfti- ges Wesen zum Leben hervorrufen kann. Lässt sich wohl ein grössrer Bal- sam zur Restauration und Erhaltung unsrer eignen Lebenskraft denken? 3. Die Erfarung lehrt zur Gnüge, dass nicht eher der Körper seine voll- kommne Festigkeit und Consistenz er- hält, bis diese Organe ihre Vollkommen- heit erlangt haben, und im Stande sind, diese neue Art von Säften zu erzeugen, und dadurch die neue Kraft zu entwi- ckeln. — Der deutlichste Beweis, dass sie nicht blos für andere, sondern zu- S nächst und zuerst für uns selbst bestimmt sind, und einen so ausserordentlichen Einfluss auf unser ganzes System ha- ben, dass sie gleichsam alles mit einem neuen noch nie gefühlten Karacter im- prägniren. — Mit dieser Entwicklung der Mannbarkeit, bekommt der Mensch einen neuen Trieb zum Wachsthum, der oft unglaublich schnell ist; seine Gestalt bekommt Bestimmtheit und Karacter; seine Muskeln und Knochen Festigkeit, seine Stimme wird tief und voll; eine neue Generation des Barthaars geht her- vor; sein Karacter wird fester und ent- schlossner, genug, der Mensch wird nun erst an Leib und Seel ein Mann. Bey manchen Thieren wachsen so- gar um diese Zeit ganz neue Theile. z. E. Hörner, Geweihe, welche bey denen nie entstehen, die man verschnitten hat. Man sieht hieraus, wie stark der An- trieb, der Zufluss der durch diese Or- gane hervorgebrachten neuen Kräfte und Säfte seyn muss. 4. Alle diese wichtigen Vervoll- kommnungen und Vorzüge fehlen dem, dem die Zeugungsorgane geraubt wur- den; ein deutlicher Beweis, dass sie alle erst die Wirkung derselben und ihrer Absonderungen sind. 5. Kein Verlust andrer Säfte und Kräfte schwächt die Lebenskraft so schnell und so auffallend, als die Ver- schwendung der Zeugungskräfte. Nichts giebt so sehr das Gefühl und den Reiz des Lebens, als grosser Vorrath dieser Säfte, und nichts erregt so leicht Ekel und Ue- berdruss im Leben, als Erschöpfung daran. 6. Mir ist kein Beyspiel bekannt, dass ein Verschnittner ein ausgezeichnet hohes Alter erreicht hätte. Sie bleiben immer nur Halbmenschen. 7. Alle die, welche die höchste Stufe des menschlichen Lebens erreicht haben, waren reich an Zeugungskraft, S 2 und sie blieb ihnen sogar bis in die lez- ten Jahre getreu. Sie heyratheten ins- gesammt noch im 100ten, 112ten und noch spätern Jahren, und zwar, wie ihre Weiber bezeugten, nicht pro forma. 8. Aber (was ich besonders zu be- merken bitte) sie waren mit diesen Kräf- ten nicht verschwenderisch, sondern haushälterisch und ordentlich umgegan- gen. Sie hatten sie in der Jugend ge- schont, und alle waren verheyrathet, ge- wiss das sicherste und einzige Mittel zur Ordnung in diesem Punct. Lassen Sie mich nun, nach allem diesen, das Bild eines zum langen Le- ben bestimmten Menschen zeichnen. Er hat eine proportionirte und gehörige Statur, ohne jedoch zu lang zu seyn. Eher ist er von einer mittelmässigen Grösse und etwas untersezt. Seine Ge- sichtsfarbe ist nicht zu roth; wenigstens zeigt die gar zu grosse Röthe in der Ju- gend selten langes Leben an. Seine Haare nähern sich mehr dem Blonden, als dem Schwarzen, die Haut ist fest aber nicht rauh (den Einfluss der glück- lichen Geburtsstunde werden wir her- nach betrachten). Er hat keinen zu grossen Kopf, grosse Adern an den Ex- tremitäten, mehr gewölbte als flügelför- mig hervorstehende Schultern, keinen zu langen Hals, keinen hervorstehenden Bauch, und grosse aber nicht tief ge- furchte Hände, einen mehr breiten als langen Fuss, fast runde Waden. Dabey eine breite gewölbte Brust, starke Stim- me, und das Vermögen, den Athem lange ohne Beschwehrde an sich zu hal- ten. Ueberhaupt völlige Harmonie in allen Theilen. Seine Sinne sind gut, aber nicht zu fein, der Puls langsam und gleichförmig. Sein Magen ist vortreflich, der Ap- petit gut, die Verdauung leicht. Die Freuden der Tafel sind ihm wichtig, stimmen sein Gemüth zur Heiterkeit, seine Seele geniesst mit. Er isst nicht blos um zu essen, sondern es ist ihm eine festliche Stunde für jeden Tag, eine Art von Wollust, die den wesentlichen Vorzug für andern hat, dass sie ihn nicht ärmer, sondern reicher macht. Er isst langsam, und hat nicht zu viel Durst. Grosser Durst ist immer ein Zeichen schneller Selbstkonsumtion. Er ist überhaupt heiter, gesprächig, theilnehmend, offen für Freude, Liebe und Hoffnung, aber verschlossen für die Gefühle des Hasses, Zorns und Neids. Seine Leidenschaften werden nie heftig und verzehrend. Kommt es je einmal zu wirklichen Aerger und Zorn, so ist es mehr eine nüzliche Erwärmung, ein künstliches und wohlthätiges Fieber, ohne Ergiessung der Galle. Er liebt dabey Beschäftigung, besonders stille Meditationen, angenehme Speculatio- nen — ist Optimist, ein Freund der Natur, der häuslichen Glückseligkeit, entfernt von Ehr- und Geldgeiz und al- len Sorgen für den andern Tag. Neunte Vorlesung. Prüfung verschiedener neuer Methoden zur Verlängerung des Lebens, und Fest- setzung der einzig möglichen und auf menschlich Leben passenden Methode. Verlängerung durch Lebenselixire, Goldtineturen, Wunderessenzen etc. — durch Abhärtung — durch Nichtsthun und Pausen der Lebenswirksamkeit — durch Vermeidung aller Krankheitsursachen, und der Consum- tion von aussen — durch geschwindes Leben — die ein- zig mögliche Methode menschliches Leben zu verlän- gern — gehörige Verbindung der vier Hauptindicationen — Vermehrung der Lebenskraft — Stärkung der Or- gane — Mässigung der Lebenskonsumtion — Begünsti- gung der Restauration — Modificationen dieser Metho- de durch die verschiedene Constitution — Tempera- ment — Lebensalter — Clima . E s existiren mehrere Methoden und Vorschläge zur Verlängerung des Le- bens. Die ältern superstitiosen, astrolo- gischen und phantastischen, haben wir schon oben durchgegangen und gewür- digt. Aber es giebt noch einige neuere, die schon auf richtigere Grundsätze von Leben und Lebensdauer gebaut zu seyn scheinen, und die noch einige Untersu- chung verdienen, ehe wir zur Fest- setzung der einzig möglichen über- gehen. Ich glaube hinlänglich erwiesen zu haben, dass Verlängerung des Lebens auf viererley Art möglich ist. 1. Durch Vermehrung der Lebenskraft selbst . 2. Durch Abhärtung der Organe . 3. Durch Retardation der Lebenskon- sumtion . 4. Durch Erleichtrung und Vervollkom- mung der Restauration . Auf jede dieser Ideen hat man nun Plane und Methoden gebaut, die zum Theil sehr scheinbar sind, und viel Glück gemacht haben, die aber grösstentheils darinne fehlen, dass sie nur auf eins se- hen, und die andern Rücksichten dar- über vernachlässigen. Lassen Sie uns einige der vorzüg- lichsten durchgehen, und prüfen. Auf die erste Idee: die Vermehrung der Quantität von Lebenskraft baueten vorzüglich, und bauen noch immer alle die Verfertiger und Nehmer von Gold- tincturen, astralischen Salzen, Lapis Philosophorum und Lebenselixiren. Selbst Electricität und thierischer Magne- tismus gehören zum Theil in diese Klasse. Alle Adepten, Rosenkreuzer und Consorten, und eine Menge sonst ganz vernünftige Leute, sind völlig davon überzeugt, dass ihre erste Materie eben so wohl die Metalle in Gold verwandeln, als dem Lebensflämmchen beständig neues Oel zuzugiessen vermöge. Man braucht deshalb nur täglich etwas von solchen Tincturen zu nehmen, so wird der Abgang von Lebenskraft immer wie- der ersezt; und so ein Mensch kann nach dieser Theorie nie einen Mangel oder gar gänzlichen Verlust derselben erleiden. — Darauf gründet sich die Ge- schichte von dem berüchtigten Gualdus, der 300 Jahre durch diese Hülfe gelebt haben soll, und der, wie einige festig- lich glauben, noch jezt lebt, u. s. w. Aber alle Verehrer solcher Hülfen täuschen sich auf eine traurige Art. Der Gebrauch dieser Mittel, welche alle äusserst hitzig und reizend sind, ver- mehrt natürlich das Lebensgefühl, und nun halten sie Vermehrung des Lebens- gefühls für reelle Vermehrung der Le- benskraft, und begreifen nicht, dass eben die beständige Vermehrung des Le- bensgefühls durch Reizung das sicher- ste Mittel ist, dass Leben abzukürzen, und zwar auf folgende Art: 1. Diese zum Theil spirituösen Mit- tel wirken als starke Reize, vermeh- ren die innere Bewegung, das intensive Leben, und folglich die Selbstkonsum- tion, und reiben schneller auf. Diess gilt aber nicht blos von den gröbern sondern auch von den feinern Mitteln dieser Art. Selbst Electricität, Magne- tismus, sogar das Einathmen der dephlo- gistisirten Luft, wovon man doch gewiss glauben könnte, es müsste die sanfteste Manier seyn Lebenskraft beyzubringen, vermehren die Selbstkonsumtion aus- nehmend. Man hat diess am besten bey Schwindsüchtigen wahrnehmen können, die man diese Luft athmen liess. Ihr Lebensgefühl wurde zwar dadurch aus- nehmend erhöhet, aber sie starben schneller. 2. Diese Mittel excitiren, indem sie das Lebensgefühl erhöhen, auch die Sinnlichkeit, machen zu allen Kraftäu- serungen, Genüssen und Wohllüsten aufgelegter (ein Punct, der sie wohl manchen besonders empfehlen mag), und auch dadurch vermehren sie die Selbstkonsumtion. 3. Sie ziehen zusammen und trock- nen aus, folglich machen sie die feinsten Organe weit früher unbrauchbar, und führen das, was sie eben verhüten sollten, das Alter, weit schneller her- bey. Und gesezt wir brauchten eine sol- che Exaltation unsers Lebensgefühls, so bedarfs ja dazu weder Destillirkolben noch Schmelztiegel. Hierzu hat uns die Natur selbst das schönste Destillat berei- tet, das jene alle übertrifft: den Wein. Ist etwas in der Welt, wovon man sagen kann, dass es die prima materia, den Erdgeist in verkörperter Gestalt enthält, so ists gewiss dieses herrliche Product, und dennoch sehen wir, dass sein zu häufiger Gebrauch ebenfalls schnellere Consumtion und schnelleres Alter be- wirkt, und das Leben offenbar ver- kürzt. Aber es ist wirklich thöricht, die Lebenskraft in concentrirter Gestalt in den Körper schaffen zu wollen, und nun zu glauben, man habe etwas grosses gethan. Fehlt es uns an Gelegenheit da- zu? — Es ist ja alles um und neben uns damit erfüllt. Jede Nahrung, die wir zu uns nehmen, jeder Mundvoll Luft, den wir einathmen, ist voll davon. Die Hauptsache liegt darinne, unsre Organe in dem Stand zu erhalten, sie einzuzie- hen, aufzunehmen und sich eigen zu machen. Man fülle einem leblosen Kör- per noch so viele Lebenstropfen ein; er wird deshalb doch nicht wieder anfan- gen zu leben, weil er keine Organe mehr hat, sich dieselbe eigen zu machen. Nicht der Mangel an Lebenszugang, sondern der an Lebensrezeptivität ists, was den Menschen am Ende untüchtig macht, länger zu leben. Für jene sorgt die Natur selbst, und alle Lebenstropfen sind in dieser Rücksicht unnöthig. Auf die zweyte Grundidee: Stär- kung der Organe, hat man ebenfalls ein sehr beliebtes System gebaut, das System der Abhärtung. Man glaubte, je mehr man die Organe abhärtete, desto länger müssten sie natürlich der Consumtion und Destruction widerstehen. Aber wir haben schon oben gesehen, was für ein grosser Unterschied unter der mechanischen und unter der leben- digen Dauer eines Dings ist, und dass nur ein gewisser Grad der Festigkeit der- selben zuträglich, ein zu grosser aber sehr nachtheilig ist. Der wesentliche Karacter des Lebens besteht in ungehin- derter und freyer Wirksamkeit aller Or- gane und Bewegung der Säfte, und was kann dieser und folglich der Dauer des Lebens nachtheiliger seyn, als zu grosse Härte und Rigidität der Organe? — Der Fisch hat gewiss das weichste wässe- richteste Fleisch, und dennoch übertrifft er an Lebensdauer sehr viele weit festere und härtere Thiere. Die beliebte Methode der Abhär- tung also, welche darinn besteht, dass man durch beständi g es Baden in kaltem Wasser, durch einen fast unbedeckten Körper in der strengsten Luft, durch die strapazantesten Bewegungen, sich fest und unverwüstlich zu machen sucht, bewirkt nichts weiter, als dass unsre Or- gane rigider, zäher und trockner, und also früher unbrauchbar werden, und dass wir folglich, anstatt unser Leben zu verlängern, ein früheres Alter und eine frühere Destruction dadurch her- beyrufen. Es liegt unstreitig etwas Wahres bey dieser Methode zum Grunde. Nur hat man darinn gefehlt, dass man fal- sche Begriffe damit verband, und sie zu weit trieb. Nicht sowohl Abhärtung der Fasern, sondern Abhärtung des Ge- fühls fühls ists, was zur Verlängerung des Le- bens beytragen kann. Wenn man also die abhärtende Methode nur bis zu dem Grade braucht, dass sie zwar die Faser fest, aber nicht hart und steif macht, dass sie die zu grosse Reizbarkeit, eine Hauptursache der zu schnellen Aufrei- bung, abstumpft und aufhebt, und da- durch zugleich den Körper weniger em- pfänglich für zerstöhrende Wirkungen von aussen macht; alsdenn kann sie allerdings zur Verlängerung des Lebens behülflich seyn. Vorzüglich aber hat die dritte Idee: Retardation der Lebensconsumtion, einen grossen Reiz, und ist besonders von de- nen, die von Natur schon einen grossen Hang zum Phlegma und zur Gemäch- lichkeit haben, mit Freuden angenom- men, aber sehr unrichtig angewendet worden. Das Aufreiben des Körpers durch Arbeit und Anstrengung war ih- nen an sich schon unangenehm, sie freuen sich also, es nun nicht blos be- T schwerlich, sondern auch schädlich zu finden, und im Nichtsthun das grosse Ge- heimniss des langen Lebens zu haben, das alle Arcana Cagliostros und St. Ger- mains aufwöge. Ja, andere sind noch weiter gegan- gen, und insbesondere Maupertuis hat den Gedanken geäussert, ob es nicht möglich wäre, durch eine völlige Unter- brechung der Lebenswirksamkeit, durch einen künstlichen Scheintod, die Selbst- consumtion völlig zu verhindern, und das Leben durch solche Pausen vielleicht Jahrhunderte lang zu verlängern. Er stüzt seinen Vorschlag auf das Leben des Hühnchens im Ey, des Insects in der Puppe, das durch Hülfe der Kälte und andrer Mittel, wodurch man das Thier länger in diesem Todtenschlaf erhält, wirklich verlängert werden kann. — Auf diese Art brauchte es zur Verlänge- rung des Lebens weiter nichts, als die Kunst, jemand halb zu tödten. — Selbst dem grossen Franklin gefiel diese Idee. Er bekam Maderawein aus America ge- schickt, der in Virginien auf Bouteillen gezogen worden war, und fand darin einige todte Fliegen. Er legte sie in die heisse Juliussonne, und es dauerte kaum drey Stunden, so erhielten diese Schein- todten ihr Leben wieder, was eine so lange Zeit unterbrochen gewesen war. Sie bekamen erst einige krampfhafte Zuckungen, dann richteten sie sich auf die Beine, wischten sich die Augen mit den Vorderfüssen, puzten die Flügel mit den Hinterfüssen, und fingen bald dar- auf an zu fliegen. Dieser scharfsinnige Philosoph wirft hierbey die Frage auf: Wenn durch eine solche gänzliche Un- terbrechung aller in- und äusserlichen Consumtion ein solcher Stillstand des Lebens und dabey doch Erhaltung des Lebensprinzips möglich ist; sollte nicht ein ähnlicher Prozess mit dem Menschen vorzunehmen seyn? Und wenn diess wäre, sezt er als ächter Patriot hinzu, so könnte ich mir keine grössre Freude den- ken, als mich auf diese Art, nebst eini- T 2 gen guten Freunden, in Maderawein ersäufen zu lassen, und nun nach 50 oder mehr Jahren durch die wohlthäti- gen Sonnenstrahlen meines Vaterlandes wieder ins Leben gerufen zu werden, um nun zu sehen, was für Früchte die Saat getragen, welche Veränderungen die Zeit vorgenommen hätte. Aber diese Vorschläge fallen in ihr Nichts zurück, sobald wir auf das wahre Wesen und den Zweck des menschlichen Lebens sehen. — Was heisst denn Le- ben des Menschen? Wahrlich nicht blos Essen, Trinken und Schlafen. Sonst käme es so ziemlich mit dem Leben des Schweins überein, dem Cicero keinen andern Namen zu geben wusste, als ein Verhütungsmittel der Fäulniss. Das Leben des Menschen hat eine höhere Be- stimmung: er soll wirken, handeln, ge- niessen, er soll nicht blos da seyn, son- dern sein Leben soll die in ihm liegen- den göttlichen Keime entwickeln, sie vervollkommnen, sein und andrer Glück bauen. Er soll nicht blos eine Lücke in der Schöpfung ausfüllen, nein, er soll der Herr, der Beherrscher, der Beglü- cker der Schöpfung seyn. Kann man also wohl von einem Menschen sagen: er lebt; wenn er sein Leben durch Schlaf, lange Weile oder gar einen scheinbaren Tod verlängert? — Aber was noch mehr ist, wir finden auch hier wieder einen neuen Beweis, wie unzer- trennlich der moralische Zweck des Menschen mit seiner physischen Bestim- mung und Einrichtung verwebt ist, und wie die Beförderung des einen immer auch die des andern nach sich zieht. — Ein solches unmenschliches Leben (wie mans mit Recht nennen kann), würde geradezu, nicht Verlängerung sondern Verkürzung des menschlichen Lebens herbeyführen, und zwar auf doppelte Art: 1. Die menschliche Maschine ist aus so zarten und feinen Organen zusam- mengesezt, dass sie äusserst leicht durch Unthätigkeit und Stillestand unbrauch- bar werden können. Nur Uebung und Thätigkeit ists, was sie brauchbar und dauerhaft erhält. Ruhe und Nichtge- brauch ist ihr tödlichstes Gift. 2. Wir haben gesehen, dass nicht blos Verminderung der Consumtion, sondern auch gehörige Beförderung der Restauration, zur Erhaltung und Verlän- gerung des Lebens nöthig ist. Dazu ge- hört aber zweyerley: einmal, voll- kommne Assimilation des Nüzlichen, und zweytens, Absonderung des Schäd- lichen. Das leztere kann nie Statt haben, ohne hinlängliche Thätigkeit und Bewe- gung. Was wird also die Folge einer solchen Lebensverlängerung durch Ruhe und Unthätigkeit seyn? Der Mensch consumirt sich wenig oder nicht, und dennoch restaurirt er sich. Es muss also endlich eine sehr nachtheilige Ueberfül- lung entstehen, weil er immer einnimmt, und nicht verhältnissmässig ausgiebt. Und dann, was das Schlimmste ist, es muss endlich eine grosse Corruption mit ihren Folgen, Schärfen, Krankheiten etc. überhand nehmen; denn die Absonde- rung des Schädlichen fehlt. Ganz natür- lich muss nun ein solcher Körper früher destruirt werden, wie auch die Erfarung lehrt. 3. Was endlich die Lebensverlänge- rung durch wirkliche Unterbrechung der Lebenswirksamkeit, durch einen temporehen Scheintod betrifft; so beruft man sich zwar dabey auf die Beyspiele von Insecten, Kröten und andern Thie- ren, die, wie wir oben gesehen haben, vielleicht 100 und mehr Jahre, also weit über ihre natürliche Existenz durch ei- nen solchen Todtenschlaf erhalten wor- den sind. Allein man bedenkt bey allen sol- chen Vorschlägen nicht, dass alle jene Versuche mit sehr unvollkommnen Thie- ren gemacht wurden, bey welchen von ihrem natürlichen halben Leben bis zum wirklichen Stillestand, der Sprung weit geringer ist, als beym Menschen, der den höchsten Grad von Lebensvollkommen- heit besizt, und besonders übersieht man den wichtigen Unterschied, den hier das Respirationsgeschäfte macht. Alle diese Thiere haben das Bedürfniss des Athem- holens von Natur schon weniger, sie haben von Natur wenig Wärme zum Le- ben nöthig. Hingegen der Mensch braucht beständigen Zugang von Wärme und geistigen Kräften, genug von dem pabulum vitae, das in der Luft liegt, wenn sein Leben fortdauern soll. Eine solche gänzliche Unterbrechung des Athemholens würde schon durch den völligen Verlust der innern Wärme töd- lich werden. Selbst der vollkommnere Seelenreiz ist so mit der Organisation des Menschen verwebt, dass sein Ein- fluss nicht so lange ganz aufhören kann, ohne Absterbung und Destruction der dazu nöthigen feinern Organe nach sich zu ziehen. Andere haben die Verlängerung ih- res Lebens auf dem Wege gesucht, dass sie alle Krankheitsursachen zu fliehen, oder gleich zu heben suchten. Also Er- kältung, Erhitzung, Speise, Getränke, u. s. w. Aber diese Methode hat das übele, dass wir doch nicht im Stande sind, alle abzuhalten, und dass wir dann desto empfindlicher gegen die werden, die uns treffen. — Auch könnte die Ver- hinderung der Consumtion von aussen dahin gezogen werden. Wir finden nehmlich, dass man in heissen Ländern, wo die warme Luft die Haut beständig offen, und die Verdunstung unsrer Be- standtheile weit anhaltender macht, sich damit hilft, dass man die Haut beständig mit Oel und Salben reibt, und dadurch den wässerichten flüchtigen Theilen wirklich die Wege der Verdunstung ver- stopft. Man empfindet davon ein wah- res Gefühl der Stärkung, und es scheint in einem solchen Clima nothwendig zu seyn, um die zu schnelle Consumtion, durch die äusserst starke Verdunstung, zu hindern. Aber auch blos auf ein solches Clima wäre diess anwendbar. In un- serm Clima, wo die Luft selbst grössten- theils die Dienste eines solchen Haut- verstopfenden Mittels vertritt, haben wir mehr dafür zu sorgen, die Ausdün- stung zu befördern, als sie noch mehr zu verhindern. Noch muss ich ein Wort von einem ganz neuen Experiment, das Leben zu verlängern, sagen, das blos in Vermehrung des intensiven Lebens besteht. Man be- stimmt nehmlich dabey die Länge des Lebens nicht nach der Zahl der Tage, sondern nach der Summe des Gebrauchs oder Genusses, und glaubt, dass, wenn man in einer bestimmten Zeit noch ein- mal so viel gethan oder genossen hätte, man auch noch einmal so lange gelebt habe, als ein andrer in der doppelten Zeit. So sehr ich diese Methode an sich respectire, wenn sie in edler Wirksam- keit besteht, und die Folge eines regen Thatenreichen Geistes ist, so sehr ich überzeugt bin, dass bey der Ungewiss- heit unsers Lebens diese Idee ungemein viel einladendes hat; so muss ich doch bekennen, dass man dadurch seinen Zweck gewiss nicht erreicht, und dass ich die Rechnung für falsch halte. — Da diese Meynung so viel Anhänger ge- funden hat, so wird mirs wohl erlaubt seyn, sie etwas genauer zu analysiren, und meine Gründe dagegen auseinander zu setzen. Zu allen Operationen der Natur ge- hört nicht allein Energie, die intensive Kraft, sondern auch Extension, Zeit. Man gebe einer Frucht noch einmal so viel Wärme und Nahrung, als sie im na- türlichen Zustand hat; sie wird zwar in noch einmal so kurzer Zeit eine schein- bare Reifung erhalten, aber gewiss nie den Grad von Vollendung und Ausarbei- tung, den die Frucht im natürlichen Zustand, bey halb so viel intensiver Wirksamkeit und noch einmal so viel Zeit erlangt hätte. Eben so das menschliche Leben. Wir müssen es als ein zusammenhängen- des Ganzes mehrerer Wirkungen, als ei- nen grossen Reifungsprozess ansehen, dessen Zweck möglichste Entwicklung und Vollendung der menschlichen Natur an sich und völlige Ausfüllung seines Standpuncts im Ganzen ist. Nun ist aber Reifung und Vollendung nur das Product von Zeit und Erfarung, und es ist also unmöglich, dass ein Mensch, der nur 30 Jahr gelebt hat, gesezt er habe auch in der Zeit doppelt so viel gearbei- tet und gethan, eben die Reifung und Vollendung erhalten könne, als ein Zeit- raum von 60 Jahren giebt. — Ferner, vielleicht war er bestimmt, 2 bis 3 Ge- nerationen hindurch sein Leben nüzlich zu seyn; sein zu grosser Eifer rafft ihn schon in der ersten weg. Er erfüllt also, weder in Absicht auf sich selbst, noch auf andere, die Bestimmung und den Zweck seines Lebens vollkommen, un- terbricht den Lauf seiner Tage, und bleibt immer ein feiner Selbstmörder. Noch schlimmer aber siehts mit de- nen aus, die ihre Lebensverlängerung in Concentrirung der Genüsse suchen. Sie kommen weit früher dahin, sich auf- zureiben, und was das schlimmste ist, sie werden oft dadurch gestraft, dass sie nun ein blos extensives Leben ohne alle Intension führen müssen, d. h. sie müs- sen sich selbst, sich und andern zur Last, überleben, oder vielmehr sie existiren länger, als sie leben. Die wahre Kunst, menschliches Le- ben zu verlängern, besteht also darinn, dass man obige vier Grundsätze (oder, nach der Sprache der Aerzte, Indicatio- nen ) gehörig verbinde und anwende, so aber, dass keinem auf Kosten des andern ein Genüge geschehe, und dass man nie vergesse, dass vom menschlichen Leben die Rede ist, welches nicht blos im Exi- stiren, sondern auch im Handeln und Geniessen und Erfüllung seiner Bestim- mung bestehen muss, wenn es den Nahmen: menschliches Leben, verdie- nen soll. Hier eine kurze Uebersicht der gan- zen Methode: Zuerst muss die Summe oder der Fonds der Lebenskraft selbst gehörig gege- ben und genährt werden, aber doch nie bis zu dem Grade, dass eine zu heftige Kraftäusserung daraus entstünde, son- dern nur so viel, als nöthig ist, um die innern und äussern Lebensgeschäfte mit Leichtigkeit, gehöriger Stärke und Dauer zu verrichten, und um den Be- standtheilen und Säften den Grad von organischem Character mitzutheilen, der ihnen zu ihrer Bestimmung und zu Verhütung chemischer Verderbnisse nö- thig ist. Diess geschieht am sichersten: 1. Durch gesunde und kräftige Ge- neration. 2. Durch reine und gesunde Le- bensnahrung, oder Zugang von aussen; also reine atmosphärische Luft, und reine, frische, gut verdauliche Nah- rungsmittel und Getränke. 3. Durch einen gesunden und brauchbaren Zustand der Organe, durch welchen der Lebenszugang von aussen uns eigen gemacht werden muss, wenn er uns zu Gute kommen soll. Diese we- sentlichen Lebensorgane sind: Lunge, Magen, Haut, auf deren Gesunderhal- tung die Lebensnahrung zunächst be- ruht. 4. Durch gleichförmige Verbrei- tung der Kraft im ganzen Körper; denn ohne diese ist der Kraftvorrath unnütz, ja sogar schädlich. Jeder Theil, jedes Eingeweyde, jeder Punct unsers Kör- pers, muss den Antheil von Lebenskraft erhalten, der ihm zur gehörigen Voll- ziehung seiner Geschäfte nöthig ist. Be- kommt einer zu wenig, so entsteht Schwäche desselben; bekommt er zu viel, so sind die Folgen zu heftigen Be- wegungen, Reizungen, Congestionen desselben, und immer ist dann wenigstens jene Harmonie aufgehoben, die der Grundpfeiler des gesunden Lebens ist. — Diese gleichförmige Vertheilung der Kraft wird bewirkt, vorzüglich durch gleichförmige Uebung und Gebrauch je- des Theils, jedes Organs unsers Körpers, durch körperliche Bewegung, schickli- che gymnastische Uebungen, laue Bäder und Reiben des Körpers. Zweytens muss den Organen, oder der Materie des Körpers ein gehöriger Grad von Festigkeit und Abhärtung gege- ben werden, aber nicht bis zum Grade der wirklichen Steifigkeit und Härte, die dem Leben mehr nachtheilig als beför- derlich seyn würde. Diese Abhärtung, von der hier die Rede ist, ist zweyfach: Vermehrte Bin- dung und Cohäsion der Bestandtheile, und und also physische Festigkeit der Faser, und dann Abhärtung des Gefühls gegen nachtheilige und krankmachende Ein- drücke. Die gehörige Festigkeit und Cohä- sionskraft der Faser (dasselbe, was die Aerzte Ton, Spannkraft nennen) wirkt auf folgende Art zur Verlängerung des Lebens: Einmal, indem dadurch die Bin- dung unsrer Bestandtheile vermehrt wird, können sie durch den Lebenspro- zess selbst nicht so schnell aufgerieben, zersezt und getrennt werden, folglich geschieht der Wechsel der Bestandtheile nicht so rapide, ihr Ersatz braucht nicht so oft zu erfolgen, und das ganze inten- sive Leben ist langsamer, welches immer ein Gewinn für die Extension und Dauer desselben ist. — Zur bessern Erläuterung will ich nur an das Leben des Kindes und des Mannes erinnern. Bey jenem ist die physische Cohäsionskraft, die Fe- U stigkeit der Faser, weit geringer, die Bindung der Bestandtheile also schwä- cher und lockrer, es reibt sich daher weit schneller auf, der Wechsel seiner Bestandtheile ist weit rapider, es muss weit öfter und weit mehr essen, weit öfter und mehr schlafen, um das Ver- lohrne zu ersetzen, der ganze Blutum- lauf geschieht weit geschwinder, genug, das intensive Leben, die Selbstconsum- tion ist stärker, als bey dem Manne, der festere Fasern hat. Ferner, indem dadurch die wahre Stärke der Organe erst bewirkt wird. Lebenskraft allein giebt noch keine Stärke. Es muss erst ein gehöriger Grad der einfachen Cohäsionskraft sich mit der Lebenskraft verbinden, wenn das entstehen soll, was wir Stärke des Or- gans und so auch des Ganzen nennen. — Auch diess erhellet am deutlichsten aus dem Vergleich des Kindes mit dem Man- ne. Das Kind ist weit reicher an Le- benskraft, Reizfähigkeit, Bildungstrieb, Reproductionskraft, als der Mann, und dennoch hat dieser lebensreiche Körper weniger Stärke, als der des Mannes, blos weil die Cohäsion der Fasern beym Kinde noch schwach und locker ist. Endlich, indem die zu grosse, kränk- liche oder unregelmässige Reizbarkeit, Empfindlichkeit und ganze Erregbarkeit der Faser, durch eine gehörige Beymi- schung der Cohäsionskraft, regulirt, ge- mässigt und in gehörigen Schranken und Richtungen erhalten wird; wodurch also die zu starke Reizung und Kraftcon- sumtion beym Leben selbst gemindert, folglich die Extension und Dauer des Lebens vermehrt, auch zugleich der Vor- theil erreicht wird, dass äussere und nachtheilige Reize weniger schnell und heftig wirken. Auch scheint durch eine stärkere Cohäsion selbst die Capacität der Materie für Lebenskraft erhöht, wenigstens eine U 2 festere Bindung der Lebenskraft mit der Materie bewirkt zu werden. Die Mittel, wodurch diese ver- mehrte Festigkeit und Cohäsion der Fa- ser bewirkt wird, sind: 1. Uebung und Gebrauch der Mus- kelkraft und Faser, sowohl der willkühr- lichen, durch freywillige Muskularbe- wegung, als auch der unwillkührlichen, z. E. der des Magens und Darmkanals, durch angemessne Reize z. E. etwas feste und harte Speisen, der Blutgefässe, durch etwas stimulirende Nahrungsmit- tel. Bey jeder Bewegung einer Faser geschieht Zusammenziehung derselben, d. h. die Bestandtheile nähern sich einan- der, und geschieht diess öfter, so wird dadurch ihre Cohäsion oder Ton selbst vermehrt. Nur muss man sich gar sehr hüten, den Reiz nicht zu stark werden zu lassen, weil er sonst die Consumtion zu sehr vermehren und dadurch schaden würde. 2. Der Genuss gelatinöser, binden- der, eisenhaltiger Nahrungsmittel, wel- che diese Kraft vermehren, und die Ver- meidung zu vieler wässrigter Substanzen, die sie mindern. 3. Mässige Beförderung der Aus- dünstung, durch Reiben, Bewegung u. d. gl. 4. Kühle Temperatur der Luft und des ganzen Verhaltens. Ein Haupt- punct! Ohnerachtet Kälte kein positives Stärkungsmittel der Lebenskraft ist, so vermehrt und stärkt sie doch die todte Cohäsions- oder Spannkraft, und ver- meidet selbst die zu starke Aeusserung und Erschöpfung der lebendigen Kraft, und kann auf solche Weise ein grosses negatives Stärkungsmittel der Lebens- kraft selbst werden. Wärme hingegen schwächt, theils durch Erschlaffung der Cohäsion, theils durch Erschöpfung der Lebenskraft. Doch wiederhole ich bey allen die- sen Mitteln, Kälte, fester substantieller Nahrung, Bewegung u. s. w. dass man sie nie zu weit treiben darf, damit nicht statt der gehörigen Festigkeit eine zu grosse Steifigkeit und Rigidität der Faser entstehe. Die Abhärtung des Gefühls gegen Krankheitsursachen wird am besten da- durch bewirkt, wenn man sich an man- cherley solche Eindrücke und schnelle Abwechselungen gewöhnt. Das dritte ist: Man vermindere oder mässige die Lebensconsumtion, damit keine zu schnelle Aufreibung der Kräfte und Or- gane erfolge . Die ganze Lebensoperation (wie schon oben gezeigt worden) ist Hand- lung, Aeusserung der Lebenskraft, und folglich unvermeidlich mit Consumtion und Erschöpfung dieser Kraft verbun- den. Diess ist nicht blos der Fall bey den willkührlichen, sondern auch un- willkührlichen Verrichtungen, nicht blos bey den äussern, sondern auch bey den innern Lebensgeschäften, denn sie werden auch durch beständigen Reiz und Reaction unterhalten. Beyde also dürfen nicht übermässig angestrengt werden, wenn wir unsre Consumtion verzögern wollen. Ich rechne dahin vorzüglich folgen- de Reizungen und Kraftäusserungen: 1. Anstrengung des Herzens- und Blutsystems und zu anhaltende Beschleu- nigung der Circulation, z. E. durch zu reizende hitzige Nahrungsmittel, Affe- cten, fieberhafte Krankheiten. Starke Wein- und Brantweintrinker, leiden- schaftliche Menschen, haben beständig einen gereizten schnellen Puls, und er- halten sich in einem beständigen künst- lichen Fieber, wodurch sie sich eben so gut abzehren und aufreiben, als wenn es ein wirkliches Fieber wäre. 2. Zu starke oder anhaltende An- strengung der Denkkraft (was darunter zu verstehen sey, wird in der Folge deutlicher werden,) wodurch nicht al- lein Lebenskraft erschöpft, sondern sie auch zugleich dem Magen und Verdau- ungssystem entzogen, folglich auch zu- gleich das wichtigste Restaurationsmittel verdorben wird. 3. Zu häufige und zu starke Rei- zung und Befriedigung des Geschlechts- triebs. Es wirkt fast eben so und gleich- verderblich auf Beschleunigung der Le- bensconsumtion, als die Anstrengungen der Denkkraft. 4. Zu heftige und anhaltend fortge- sezte Muskularbewegung. Doch gehört dazu schon äusserster Excess, wenn sie schaden soll. 5. Alle starke, oder anhaltend dau- ernde Excretionen, z. E. Schweisse, Diarrhöen, Katharrhe, Husten, Blut- flüsse u. d. gl. Sie erschöpfen nicht nur die Kraft, sondern auch die Materie, und deterioriren dieselbe. 6. Alle zu heftig oder zu anhaltend auf uns wirkende Reize, wodurch im- mer auch Kraft erschöpft wird. Je reiz- voller das Leben, desto schneller ver- strömt es. Dahin gehören zu starke oder zu anhaltende Reizungen der Sin- neswerkzeuge und Gefühlsorgane, Af- fecten, Uebermaas in Wein, Brant- wein, Gewürzen, haut-gout. Selbst öftre Ueberladungen des Magens gehö- ren hieher, um so mehr, da sie gewöhn- lich auch noch die Nothwendigkeit er- regen, Abführungs- oder Brechmittel zu nehmen, welches auch als Schwä- chung nachtheilig ist. 7. Krankheiten mit sehr vermehr- ter Reizung, besonders fieberhafte. 8. Wärme, wenn sie zu stark und zu anhaltend auf uns wirkt; daher zu warmes Verhalten von Jugend auf eins der grössten Beschleunigungsmittel der Consumtion und Verkürzungsmittel des Lebens ist. 9. Endlich gehört selbst ein zu ho- her Grad von Reizfähigkeit (Irritabilität und Sensibilität) der Faser unter diese Rubrik. Je grösser diese ist, desto leich- ter kann jeder, auch der kleinste, Reiz, eine heftige Reizung, Kraftäusserung und folglich Krafterschöpfung erregen. Ein Mensch, der diese fehlerhafte Ei- genschaft hat, empfindet eine Menge Eindrücke, die auf gewöhnliche Men- schen gar keine Wirkung haben, und wird von allen, auch den gewöhnlich- sten, Lebensreizen, doppelt afficirt; sein Leben ist also intensiv unendlich stärker, aber die Lebensconsumtion muss auch doppelt so schnell geschehen. Alles folglich, was die Reizfähigkeit sowohl moralisch als physisch zu sehr erhöhen kann, gehört zu den Beschleunigungs- mitteln der Consumtion. Viertens , die Restauration der ver- lohrnen Kräfte und Materien muss leicht und gut geschehen . Dazu gehört: 1. Gesundheit, Gangbarkeit und Thätigkeit der Organe, durch welche die neuen restaurirenden Theile in uns ein- gehen sollen; sie ist zum Theil unauf- hörlich und permanent, wie durch die Lungen, zum Theil periodisch, wie durch den Magen. Es gehören hieher, die Lungen, die Haut, und der Magen und Darmkanal. Diese Organe müssen durchaus gesund, gangbar und thätig seyn, wenn eine gute Restauration ge- schehen soll, und sind daher für Ver- längerung des Lebens höchst wichtig. 2. Gesundheit, Thätigkeit und Gangbarkeit der unzähligen Gefässe, durch welche die in uns aufgenommenen Bestandtheile uns assimilirt, verähnlicht, vervollkommnet und veredlet werden müssen. Diess ist zuerst und vorzüglich das Geschäft des absorbirenden (lympha- tischen) Systems, und seiner unzähligen Drüsen, und denn auch des Blut- oder Circulationssystems, wo die organische Veredlung vollendet wird. Ich halte daher das absorbirende System für eins der Hauptorgane der Restauration. — Hierauf muss vorzüglich in der Kindheit gesehen werden, denn die erste Nah- rung in der zartesten Kindheit, die Be- handlung in dem ersten Jahre des Le- bens, bestimmen am meisten den Zustand dieses Systems, und gar häufig wird die- ser gleich im Anfange durch unkräftige, verdorbene, kleisterige Nahrung und Unreinlichkeit verdorben, und dadurch eine der wesentlichsten Grundlagen des kürzern Lebens gelegt. 3. Gesunder Zustand der Nahrungs- mittel und Materien, aus denen wir uns restauriren. Speisen und Getränke müs- sen rein (frey von verdorbenen Theilen), mit gehörigem Nahrungsprinzip verse- hen, gehörig reizend, (denn auch ihr Reiz ist zur gehörigen Verdauung und ganzen Lebensoperation nöthig), aber auch mit einem gehörigen Antheil von Wasser oder Flüssigen verbunden seyn. Diess leztre ist besonders ein wichtiger und oft übersehener Umstand. Wasser, wenn es auch nicht selbst Nahrung ist, (obgleich auch diess durch das Beyspiel von Fischen, Würmern u. s. w., die man lange Zeit durch blosses Wasser nährte, sehr wahrscheinlich wird), ist wenig- stens zum Geschäft der Restauration und Ernährung unentbehrlich, einmal, weil es das Vehikel für die eigentliche Nah- rungsstoffe seyn muss, wenn sie aus dem Darmkanal in alle Puncte des Körpers gehörig vertheilt werden sollen, und dann, weil eben dieses Vehikel auch zur gehörigen Absonderung und Ausleerung des Verdorbenen, folglich zur Reini- gung des Körpers, ganz unentbehr- lich ist. 4. Gesunder und schicklicher Zu- stand der Luft, in der und von der wir leben. Die Luft ist unser eigentliches Element, und auf doppelte Art ein höchstwichtiges Restaurationsmittel des Lebens: erstens, indem sie uns unauf- hörlich zwey der geistigsten und unent- behrlichsten Lebensbestandtheile (Sauer- stoff und Wärmestoff) mittheilt, und dann, indem sie das wichtigste Vehikel ist, uns die verdorbenen Bestandtheile zu entziehen und in sich aufzunehmen. Sie ist das vorzüglichste Medium für die- sen beständigen Umtausch der feinern Bestandtheile. Der bey weitem beträcht- lichste und wichtigste Theil unsrer Ab- sonderungen und Ausleerungen ist gas- förmig d. h. die Materie muss in Dunst verwandelt werden, um ausgestossen zu werden. Dahin gehören alle Absonde- rungen unsrer äussern Oberfläche, der Haut und der Lungen. Diese Verdün- stung hängt nun nicht blos von der Kraft und Gangbarkeit der aushauchenden Ge- fässe, sondern auch von der Beschaffen- heit der Luft ab, die sie aufnimmt. Je mehr diese schon mit Bestandtheilen überladen ist, desto weniger kann sie neue Stoffe aufnehmen, (daher hemmt feuchte Luft die Ausdünstung). Hier- aus ergiebt sich folgende Bestimmung: Die Luft, in der wir leben, muss einen hinlänglichen Antheil Sauerstoffgas (Le- bensluft) enthalten, doch nicht zu viel, weil sie sonst zu stark reizen und die Le- bensconsumtion beschleunigen würde, und sie muss so wenig wie möglich fremde Bestandtheile in sich aufgelöset enthalten, also nicht feucht, nicht durch erdigte, vegetabilische oder animalische Stoffe verunreinigt seyn; Man sieht, wie sehr man, bey Bestimmung der Verdorbenheit der Luft, unreine und saturirts Luft unterscheiden sollte, was gewöhnlich nicht geschieht. Die Verdorbenheit der Luft kann entweder in einem zu geringen Antheil Sauer- stoffgas, also in der chemischen Mischung liegen, und diese könnte man unreine Luft nennen (im Gegensatz der reinen . Lebensluft), oder sie kann ihre Tem- peratur darf nicht zu warm und nicht zu kalt seyn, (denn ersteres erschöpft die Kraft und erschlafft, leztres macht die Faser zu steif und rigide), und sie muss weder in der Temperatur, noch in der Mischung, noch in dem Druck, zu schnellen Abwechselungen unterworfen seyn, denn es ist eins der durch Erfa- rung am meisten bestätigten Gesetze, dass Gleichförmigkeit der Luft und des Clima die Länge des Lebens ungemein begünstigt. 5. Freye Wege und wirksame Orga- ne für die Absonderungen und Auslee- rungen der verdorbenen Bestandtheile. Unser Leben besteht im beständigen Wechsel der Bestandtheile. Werden die abgenuzten und unbrauchbaren nicht immer abgesondert und ausgestossen, so ist es unmöglich, dass wir die neuen und frischen in der gehörigen Menge uns durch fremde in ihr aufgenommene Bestandtheile verdorben seyn, und diess könnte saturirte Lust heissen. uns zueignen, und, was noch übler ist, der neue Ersatz verliert durch die Bey- mischung der zurückgehaltenen und verdorbenen seine Reinheit, und erhält selbst wieder den Character der Verdor- benheit. (Daher die sogenannte Schärfe, Verschleimung, Unreinigkeit, Verderb- niss der Säfte, oder vielmehr der ganzen Materie). Die Restauration wird also durch schlechte Absonderungen auf dop- pelte Art gehindert, theils in der Quan- tität, theils in der Qualität. Die Or- gane, auf denen diese Absonderung und Reinigung des Körpers hauptsächlich beruht, sind: die Haut , das wichtigste (denn man hat berechnet, dass zwey Drittheil der abgenuzten Bestandtheile durch die unmerkliche Hautausdünstung verfliegen), die Nieren, der Darmkanal, die Lungen . 6. Angenehme und mässig genossne Sinnesreize. Es gehört, wie oben ge- zeigt, zu den Vorzügen der menschli- chen Organisation und seiner höhern X auch physischen Vollkommenheit, dass er für geistigere Eindrücke und deren Veredlung empfänglich ist, und dass diese einen ungleich grössern Einfluss auf den physischen Lebenszustand ha- ben, als bey den Thieren. Es eröfnet sich ihm dadurch eine neue Restaura- tionsquelle, die dem Thiere fehlt, die Genüsse und Reize angenehmer und nicht zu weit getriebner Sinnlichkeit. 7. Angenehme Seelenstimmung, fro- he und mässige Affecten, neue, unter- haltende, grosse Ideen, ihre Schöpfung, Darstellung und ihr Umtausch. Auch die- se höhern, dem Menschen ausschliesslich eignen, Freuden, gehören zur obigen Rubrik der Lebensverlängerungsmittel. Hofnung, Liebe, Freude, sind daher so beglückende Affecten, und kein ge- wisseres und allgemeineres Erhaltungs- mittel des Lebens und der Gesundheit giebt es wohl, als Heiterkeit, Frohsinn des Gemüths. Diese Seelenstimmung erhält die Lebenskraft in gehöriger gleichförmiger Regbarkeit, befördert Digestion und Circulation, und vorzüg- lich das Geschäft der unmerklichen Haut- ausdünstung wird durch nichts so schön unterhalten. Glücklich sind da- her die Menschen auch physisch, denen der Himmel das Talent einer immer zu- friedenen und heitern Seele verliehen hat, oder die sich durch Geisteskultur und moralische Bildung dieselbe ver- schafft haben! Sie haben den schönsten und reinsten Lebensbalsam in sich selbst! Diese vorgetragenen Sätze enthalten den allgemeinen Plan und die Grundre- geln einer jeden vernünftigen Lebens- verlängerung. Doch gilt auch hiervon, was von jeder diätetischen und medizi- nischen Regel gilt, dass sie bey der An- wendung selbst Rücksicht auf den spe- ciellen Fall verlangen, und dadurch ihre genauere Bestimmung und Modification erhalten müssen. X 2 Vorzüglich sinds folgende Umstän- de, die bey der Anwendung in Betracht zu ziehen sind. Die verschiedne Constitution des Sub- jects in Absicht auf die einfachen Be- standtheile und Fasern. Je trockner, fester und rigider von Natur der körper- liche Zustand ist, desto weniger brau- chen die Mittel der zweyten Indication (einer schicklichen Abhärtung) angewen- det zu werden; je mehr von Natur Schlaffheit das Eigenthum der Faser ist, desto mehr. Ferner, das verschiedene angebor- ne Temperament (worunter ich immer den verschiedenen Grad der Reizfähig- keit und ihr Verhältniss zur Seelenkraft verstehe). Je mehr das Subject zum phlegmatischen Temperament gehört, de- sto mehr, desto stärkere Reize sind an- wendbar. Ein Grad von Reizung, der bey einem sanguinischen Aufreibung und Erschöpfung bewirken würde, ist hier wohlthätig, nothwendig zum gehörigen Grade der Lebensoperation, ein Mittel der Restauration. Eben so das melan- cholische Temperament: es verlangt auch mehr Reiz, aber angenehmern, abwech- selndern und nicht zu heftigen. Je mehr aber das sanguinische Temperament herrscht, desto vorsichtiger und mässi- ger müssen alle, sowohl physische als moralische, Reize angewendet werden, und noch mehr erfodert das cholerische Temperament hierinne Aufmerksamkeit, wo oft schon der kleinste Reiz die hef- tigste Kraftanstrengung und Erschöpfung hervorbringen kann. Ferner die Perioden des Lebens . Das Kind, der junge Mensch hat ungleich mehr Lebenskraft, Reizfähigkeit, locke- rere Bindung, schnellern Wechsel der Bestandtheile. Hier muss weit weniger Reiz gegeben werden, weil schon ein geringer Reiz starke Reaction erregt; hier ist verhältnissmässig mehr auf Re- stauration und Abhärtung zu sehen. Im Alter hingegen ist alles, was Reiz heisst, im stärkern Grade anwendbar. Hier ist das Restauration, was in der Kindheit Consumtion gewesen seyn würde. Milch ist Wein für Kinder; Wein ist Milch für Alte. Auch erfodert das Alter, wegen der damit verbundenen grössern Rigidität, nicht Vermehrung derselben, durch die zweyte Indication, sondern eher Verminderung durch erweichen- de, anfeuchtende Dinge: Fleischbrü- hen, kräftige Suppen, laue Bäder. Endlich macht auch das Clima eini- gen Unterschied. Je südlicher es ist, desto grösser ist die Reizfähigkeit, desto stärker die beständige Reizung, desto rapider der Lebensstrom, und desto kürzer die Dauer. Hier ist folglich gar sehr darauf zu sehen, dass durch zu star- ke Reize diese Krafterschöpfung nicht noch mehr beschleunigt werde. Im nördlichen Clima hingegen, wo die küh- lere Temperatur an sich schon die Kraft mehr concentrirt und zusammenhält, ist diess weniger zu fürchten. II. Practischer Theil . I ch komme nun zu dem wichtigsten Theil der Abhandlung, der practischen Kunst, das Leben zu verlängern. Nun erst kann ich Ihnen mit Grund und mit Ueberzeugung diejenigen Mittel bekannt machen, wodurch allein, aber auch ge- wiss, Verlängerung des Lebens möglich ist. — Sind sie gleich nicht so speciös, prahlerisch und geheimnissvoll, als die gewöhnlich so genannten, so haben sie doch den Vorzug, dass sie überall und ohne Kosten zu haben sind, ja zum Theil schon in uns selbst liegen, dass sie mit Vernunft und Erfarung vollkom- men übereinstimmen, und nicht blos Länge, sondern auch Brauchbarkeit des Lebens erhalten. Genug, sie verdienen, nach meiner Meynung, den Nahmen Universalmittel mehr, als alle jene Char- latanerieen. Wir sind beständig von Freunden und Feinden des Lebens umgeben. Wer es mit den Freunden des Lebens hält, wird alt; wer hingegen die Feinde vor- zieht, verkürzt sein Leben. Nun wäre zwar wohl von jedem vernünftigen Menschen zu erwarten, dass er die er- stern vorziehen und die leztern von sich selbst schon vermeiden würde, aber das schlimmste ist, dass diese Lebensfeinde nicht alle öffentlich und bekannt sind, sondern zum Theil ganz ins Geheim und unmerklich ihr Wesen treiben, dass ei- nige derselben sogar die Maske der be- sten Lebensfreunde vornehmen und schwehr zu erkennen sind, ja dass meh- rere sogar in uns selbst liegen. Das Hauptsächliche der Kunst, lange zu leben, wird also vor allen Dingen darinne bestehen, dass wir Freunde und Feinde in dieser Absicht gehörig unter- scheiden und leztere vermeiden lernen; oder mit andern Worten, die Kunst der Lebensverlängerung zerfällt in 2 Theile: 1. Vermeidung der Feinde und Ver- kürzungsmittel des Lebens. 2. Kenntniss und Gebrauch der Ver- längerungsmittel. I. Abschnitt. Verkürzungsmittel des Lebens . N ach den obenbestimmten und einzi- gen Prinzipien, worauf Lebensdauer beruht, wird es uns nicht schwer seyn, hier im Allgemeinen zu bestimmen, auf wie vielerley Art das Leben verkürzt werden kann. Alles das muss es nehmlich verkür- zen, was 1. Entweder die Summe der Lebens- kraft an sich vermindert. 2. Oder was den Organen des Le- bens ihre Dauer und Brauchbarkeit nimmt. 3. Oder was die Lebensconsumtion unsrer selbst beschleunigt. 4. Oder was die Restauration hindert. Alle Lebensverkürzenden Mittel las- sen sich unter diese vier Klassen bringen, und wir haben nun auch einen Maasstab, ihren mehr oder weniger nachtheiligen Einfluss zu beurtheilen und zu schätzen. Je mehr nehmlich von diesen vier Ei- genschaften sich in einer Sache vereini- gen, desto gefährlicher und feindseliger ist sie für unsre Lebensdauer, je weni- ger, desto weniger ist sie gefährlich. — Ja, es giebt gemischte Wesen, welche gleichsam zwey Seiten, eine freund- schaftliche und eine feindliche, haben, die z. B. eine von den genannten Eigen- schaften besitzen, aber zugleich über- wiegend gute und wohlthätige. Diese könnten eine eigne Classe formieren. — Aber, wir wollen sie hier, nach ihrer überwiegenden Qualität, entweder zu den freundschaftlichen oder den feind- seligen Wesen rechnen. Noch ein wichtiger Unterschied existirt unter den Lebensverkürzungs- mitteln. Einige wirken langsam, suc- cessive, oft sehr unvermerkt. Andere hingegen gewaltsam und schnell, und man könnte sie eher Unterbrechungsmittel des Lebens nennen. Dahin gehören ge- wisse Krankheiten, und die eigentlich so genannten gewaltsamen Todesarten. Gewöhnlich fürchtet man die leztern weit mehr, weil sie mehr in die Augen fallend und schreckhafter wirken; aber ich versichere, dass sie im Grunde weit weniger gefährlich sind, als jene schlei- chenden Feinde, denn sie sind so offen- bar, dass man sich weit eher vor ihnen in Acht nehmen kann, als vor den lez- tern, welche ihr destruirendes Geschäft im Verborgenen treiben, und uns alle Tage etwas von unserm Leben stehlen, wovon wir gar nichts merken, aber des- sen Summe sich am Ende schrecklich hoch belaufen kann. Auch muss ich hier im voraus die traurige Bemerkung machen, dass sich leider unsre Lebensfeinde in neuern Zei- ten fürchterlich vermehrt haben, und dass der Grad von Luxus, Cultur, Ver- feinerung und Unnatur, worinne wir jezt leben, der unser intensives Leben so beträchtlich exaltirt, auch die Dauer dellelben in eben dem Verhältniss ver- kürzt. — Wir werden bey genauer Un- tersuchung finden, dass man es gleich- sam darauf angelegt und rassinirt zu haben scheint, sich gegenseitig, heim- lich und unvermerkt, und oft auf die artigste Weise von der Welt, das Leben zu nehmen. — Es gehört eben deswe- gen jezt ungleich mehr Vorsicht und Aufmerksamkeit dazu, sich dafür in Si- cherheit zu stellen. I. Die I. Die schwächliche Erziehung. K ein gewisseres Mittel giebts, den Le- bensfaden eines Geschöpfs gleich vom Anfang an recht kurz und vergänglich anzulegen, als wenn man ihm in den ersten Lebensjahren, die noch als eine fortdauernde Generation und Entwick- lung anzusehen sind, eine recht warme, zärtliche und weichliche Erziehung giebt, d. h. es vor jedem rauhen Lüft- chen bewahrt, es wenigstens ein Jahr lang in Federn und Wärmflaschen be- gräbt, und einem Küchlein gleich, in ei- nem wahren Brütezustand erhält, auch Y dabey nichts versäumt, es übermässig mit Nahrungsmitteln auszustopfen und durch Kaffee, Chocolade, Wein, Ge- würze und ähnliche Dinge, die für ein Kind nichts anders als Gift sind, über- mässig zu reizen, seine ganze Lebens- thätigkeit zu stark zu reizen. Dadurch wird nun die innere Consumtion gleich von Anfang an so beschleunigt, das in- tensive Leben so frühzeitig exaltirt, die Organe so schwach, zart und empfind- lich gemacht, dass man mit voller Ge- wissheit behaupten kann: durch eine zweyjährige Behandlung von dieser Art kann eine angeborne Lebensfähigkeit von 60 Jahren, recht gut auf die Hälfte, ja, wie die Erfarung leider zur Gnüge zeigt, auf noch viel weniger herunter gebracht werden, die übeln Zufälle und Krankheiten nicht gerechnet, die noch ausserdem dadurch hervorgebracht wer- den. Durch nichts wird die zu frühe Entwicklung unsrer Organe und Kräfte so sehr beschleunigt, als durch eine sol- che Treibhauserziehung, und wir haben oben gesehen, welches genaue Verhält- niss zwischen der schnellern oder lang- samern Entwicklung und der längern oder kürzern Dauer des ganzen Lebens existirt. Schnelle Reifung zieht immer auch schnelle Destruction nach sich. Eins der merkwürdigsten Beyspiele von Ueberei- lung der Natur war König Ludwig II. von Un- garn . Er ward zu frühzeitig geboren, so, dass er noch gar keine Haut hatte, im 2ten Jahre wurde er gekrönt, im 10ten succedirte er, im 14ten hatte er schon vollkommnen Bart, im 15ten vermählte er sich, im 18ten hatte er graue Haare, und im 20ten blieb er bey Mohack . Gewiss hierinn liegt ein Hauptgrund der so entsezlichen Sterblichkeit der Kinder. Aber die Menschen fallen nie auf die ihnen am nächsten liegenden Ursachen, und nehmen lieber die allerungereimte- sten an, um sich nur dabey zu beruhigen und nichts zu thun zu haben. Y 2 II. Ausschweifungen in der Liebe — Ver- schwendung der Zeugungskraft — Ona- nie, sowohl physische als moralische. V on allen Lebensverkürzungsmitteln kenne ich keins, was so zerstöhrend wirkte, und so vollkommen alle Eigen- schaften der Lebensverkürzung in sich vereinigte, als dieses. Kein andres be- greift so vollkommen alle vier Requisi- ten der Lebensverkürzung, die wir oben festgesezt haben, in sich als dieses, und man kann diese traurige Ausschweifung, als den concentrirtesten Prozess der Le- bensverkürzung betrachten. — Ich will diess sogleich beweisen: Die erste Verkürzungsart war: Ver- minderung der Lebenskraft selbst. Was kann aber wohl mehr die Summe der Lebenskraft in uns vermindern, als die Verschwendung desjenigen Saftes, der dieselbe in der concentrirtesten Gestalt enthält, der den ersten Lebensfunken für ein neues Geschöpf, und den gröss- ten Balsam für unser eignes Blut in sich fasst? Die zweyte Art von Verkürzung be- steht in Verminderung der nöthigen Fe- stigkeit und Elasticität der Fasern und Organe. Es ist bekannt, dass nichts so sehr sie schlaff, mürbe und vergänglich machen kann, als eben diese Ausschwei- fung. Das dritte, die schnellere Consum- tion des Lebens, kann wohl durch nichts so sehr befördert werden, als durch eine Handlung, welche, wie wir aus den Beyspielen der ganzen Natur sehen, der höchste Grad von Lebensactivität, von intensivem Leben ist, und welche, wie oben gezeigt worden, bey manchen Ge- schöpfen sogleich der Beschluss ihres ganzen Lebens ist. Und endlich die gehörige Restaura- tion wird eben dadurch ausserordentlich gehindert, weil theils dadurch die nö- thige Ruhe, und das Gleichgewicht, das zur Wiederersetzung des Verlohrnen ge- hört, gehindert, und den Organen die dazu nöthige Kraft geraubt wird; beson- ders aber, weil diese Debauchen eine ganz eigenthümliche schwächende Wir- kung auf den Magen und die Lungen haben, und also eben die Hauptquellen unsrer Restauration dadurch ganz spezi- fisch austrocknen. Hierzu kommt nun noch die Gefahr, eins der schrecklichsten Gifte, das vene- rische, bey dieser Gelegenheit einzusau- gen, wovor niemand sicher ist, der aus- ser der Ehe Umgang mit dem weiblichen Geschlecht hat. — Eine Vergiftung, die uns nicht nur das Leben verkürzen, son- dern es auch peinlich, unglücklich und verabscheuungswerth machen kann, wo- von ich hernach bey den Giften mehr sagen werde. Endlich müssen wir noch viele Ne- bennachtheile bedenken, die mit diesen Ausschweifungen verbunden sind, und unter welche vorzüglich die Schwächung der Denkkraft gehört. Es scheint, dass diese beyden Organe, die Seelenorgane (Gehirn) und Zeugungsorgane, so wie die beyden Verrichtungen, des Denkens und der Zeugung (das eine ist geistige, das andre physische Schöpfung) sehr ge- nau mit einander verbunden sind, und beyde den veredeltsten und sublimirte- sten Theil der Lebenskraft verbrauchen. Wir finden daher, dass beyde mit einan- der alterniren, und einander gegenseitig ableiten. Je mehr wir die Denkkraft an- strengen, desto weniger lebt unsre Zeu- gungskraft; je mehr wir die Zeugungs- kräfte reizen und ihre Säfte verschwen- den, desto mehr verliert die Seele an Denkkraft, Energie, Scharfsinn, Ge- dächtniss. Nichts in der Welt kann so sehr und so unwiderbringlich die schön- sten Geistesgaben abstümpfen, als diese Ausschweifung. Man kann hier vielleicht fragen: was heisst zu viel in dem Genuss der physischen Liebe? Ich antworte, wenn man sie zu frühzeitig (ehe man noch selbst völlig ausgebildet ist, beym weib- lichen vor dem 18ten, beym männli- chen vor dem 20sten Jahre) geniesst, wenn man diesen Genuss zu oft und zu stark wiederhohlet (welches man daraus erkennen kann, wenn nachher Müdig- keit, Verdrossenheit, schlechter Appe- tit, erfolgt), wenn man durch öftern Wechsel der Gegenstände, oder gar durch künstliche Reize von Gewürzen, hitzigen Getränken u. d. gl. immer neue Reizung erregt und die Kräfte über- spannt, wenn man nach starken Ermü- dungen des Körpers, oder in der Ver- dauung diese Kraftanstrengung macht, und um alles mit einem Worte zu um- fassen, wenn man die physische Liebe ausser der Ehe geniesst, denn nur durch eheliche Verbindung (die den Reiz des Wechsels ausschliesst und den physi- schen Trieb höhern moralischen Zwe- cken unterwirft) kann dieser Trieb auch physisch geheiligt, d. h. unschädlich und heilsam gemacht werden. Alles oben gesagte gilt von der Ona- nie in einem ganz vorzüglichen Grade, Denn hier vermehrt das Erzwungene, das Unnatürliche des Lasters, die An- strengung und die damit verbundene Schwächung ganz ausserordentlich, und es ist diess ein neuer Beleg zu dem oben angeführten Grundsatz, dass die Natur nichts fürchterlicher rächt, als das, wo man sich an ihr selbst versündigt. — Wenn es Todsünden giebt, so sind es zuverlässig die Sünden gegen die Natur. — Es ist wirklich höchst merkwürdig, dass eine Ausschweifung, die sich an und für sich ganz gleich scheint, in ihren Folgen dennoch so verschieden ist, je nachdem sie auf eine natürliche oder un- natürliche Art verrichtet wird, und da ich selbst vernünftige Menschen kenne, die sich von diesem Unterschied nicht recht überzeugen können, so ist es hier wohl ein schicklicher Ort, den Unter- schied etwas auseinander zu setzen, warum Onanie, bey beyden Geschlech- tern, so unendlich mehr schadet, als der naturgemässe Beyschlaf. Schrecklich ist das Gepräge, was die Natur einem sol- chen Sünder aufdrückt! Er ist eine ver- welkte Rose, ein in der Blüthe verdorr- ter Baum, eine wandelnde Leiche. Al- les Feuer und Leben wird durch dieses stumme Laster getödtet, und es bleibt nichts als Kraftlosigkeit, Unthätigkeit, Todtenblässe, Verwelken des Körpers und Niedergeschlagenheit der Seele zu- rück. Das Auge verliert seinen Glanz und seine Stärke, der Augapfel fällt ein, die Gesichtszüge fallen in das Länglichte, das schöne jugendliche Ansehen ver- schwindet, eine blassgelbe bleyartige Farbe bedeckt das Gesicht. Der ganze Körper wird krankhaft, empfindlich, die Muskelkräfte verlieren sich, der Schlaf bringt keine Erholung, jede Be- wegung wird sauer, die Füsse wollen den Körper nicht mehr tragen, die Hän- de zittern, es entstehen Schmerzen in allen Gliedern, die Sinnwerkzeuge ver- lieren ihre Kraft, alle Munterkeit ver- geht. Sie reden wenig, und gleichsam nur gezwungen; alle vorige Lebhaftig- keit des Geistes ist erstickt. Knaben, die Genie und Witz hatten, werden mittel- mässige oder gar Dummköpfe; die Seele verliert den Geschmack an allen guten und erhabnen Gedanken; die Einbil- dungskraft ist gänzlich verdorben. Je- der Anblick eines weiblichen Gegenstan- des erregt in ihnen Begierden, Angst, Reue, Beschämung und Verzweiflung an der Heilung des Uebels macht den peinlichen Zustand vollkommen. Das ganze Leben eines solchen Menschen ist eine Reihe von geheimen Vorwürfen, peinigenden Gefühlen innerer selbstver- schuldeter Schwäche, Unentschlossen- heit, Lebensüberdruss, und es ist kein Wunder, wenn endlich Anwandlungen zum Selbstmord entstehen, zu denen kein Mensch mehr aufgelegt ist, als der Ona- nist. Das schreckliche Gefühl des le- bendigen Todes macht endlich den völ- ligen Tod wünschenswerth. Die Ver- schwendung dessen, was Leben giebt, erregt am meisten den Ekel und Ueber- druss des Lebens, und die eigne Art von Selbstmord, par depît , die unsern Zei- ten eigen ist. Ueberdiess ist die Ver- dauungskraft dahin, Flatulenz und Ma- genkrämpfe plagen unaufhörlich, das Blut wird verdorben, die Brust ver- schleimt, es entstehen Ausschläge und Geschwühre in der Haut, Vertrocknung und Abzehrung des ganzen Körpers, Epilepsie, Lungensucht, schleichend Fieber, Ohnmachten und ein früher Tod. Es giebt noch eine Art Onanie, die ich die moralische Onanie nennen möch- te, welche ohne alle körperliche Un- keuschheit möglich ist, aber dennoch entsezlich erschöpft. Ich verstehe dar- unter die Anfüllung und Erhitzung der Phantasie mit lauter schlüpfrigen und wollüstigen Bildern, und eine zur Ge- wohnheit gewordene fehlerhafte Rich- tung derselben. Es kann diess Uebel zulezt wahre Gemüthskrankheit werden, die Phantasie wird völlig verdorben und beherrscht nun die ganze Seele, nichts interessirt einen solchen Men- schen, als was auf jene Gegenstände Bezug hat, der geringste Eindruck aber, dieser Art, sezt ihn sogleich in allge- meine Spannung und Erhitzung, seine ganze Existenz wird ein fortdauerndes Reizfieber, was um so mehr schwächt, je mehr es immer Reizung ohne Befrie- digung ist. — Man findet diesen Zu- stand vorzüglich bey Wollüstlingen, die sich endlich zwar zur körperlichen Keuschheit bekehren, aber sich durch diese geistige Wollust zu entschädigen suchen, ohne zu bedenken, dass sie in ihren Folgen nicht viel weniger schädlich ist — ferner im religiösen Coelibat, wo diese Geistesonanie sogar den Mantel der brünstigen Andacht an- nehmen und sich hinter heilige Entzü- ckungen verstecken kann, und endlich auch bey ledigen Personen des andern Geschlechts, die durch Romanen und ähnliche Unterhaltungen ihrer Phan- tasie jene Richtung und Verderbniss ge- geben haben, die sich bey ihnen oft un- ter den modischen Namen Empfindsam- keit versteckt, und bey aller äussern Strenge und Zucht, oft im Innern ge- waltig ausschweifen. Diess sey genug von den traurigen Folgen dieser Debauchen, die sie nicht allein auf Verkürzung, sondern auch auf Verbitterung des Lebens haben. III. Uebermässige Anstrengung der Seelen- kräfte. A ber nicht blos die körperlichen De- bauchen, sondern auch die geistigen haben diese Folgen, und es ist merk- würdig, dass übertriebne Anstrengung der Seelenkräfte und also Verschwen- dung der dazu nöthigen Lebenskraft, fast eben solche Wirkungen auf die Ge- sundheit und Lebensdauer hat, als die Verschwendung der Generationskräfte: Verlust der Verdauungskraft, Mismuth, Niedergeschlagenheit, Nervenschwäche, Abzehrung, frühzeitiger Tod. Doch Doch kommts auch hierbey gar sehr auf die Verschiedenheit der Natur und der Anlage an, und natürlich muss der, der von Natur eine kräftigere und wirksamere Seelenorganisation hat, we- niger von dieser Anstrengung leiden, als der, wo diese fehlt. — Daher werden solche am meisten davon angegriffen, die bey mittelmässigen Geistesanlagen es mit Gewalt erzwingen wollen; daher schwächt diejenige Geistesanstrengung am meisten, die wir uns wider Willen, und ohne Lust an der Sache zu haben, geben. Es ist erzwungene Spannung. Es fragt sich nun aber: was heisst Ex- cess in den Geistesanstrengungen? Diess ist eben so wenig im allgemeinen zu be- stimmen, als das zu viel im Essen und Trinken, weil alles von dem verschied- nen Maas und Anlage der Denkkraft ab- hängt, und diese eben so verschieden ist, als die Verdauungskraft. So kann etwas für diesen Anstrengung werden, Z was es für einen andern, mit mehr Seelen- kraft begabten, gar nicht ist. Auch ma- chen die Umstände, unter welchen die- ses Geschäft verrichtet wird, einen we- sentlichen Unterschied. Hier also noch einige nähere Bestimmungen, was man unter Excess oder Debauche im Denk- geschäft zu verstehen habe. 1. Wenn man die Uebung des Kör- pers zu sehr dabey vernachlässigt. Jede ungleiche Uebung unsrer Kräfte schadet, und so gewiss es ist, dass man sich un- endlich mehr schwächt, wenn man blos denkend, mit Vernachlässigung körper- lichen Bewegung, lebt, eben so gewiss ist es, dass derjenige viel mehr und mit weniger Nachtheil für seine Gesundheit geistig arbeiten kann, der immer zwi- schen durch dem Körper eine angemessne Uebung giebt. 2. Wenn man zu anhaltend über den nehmlichen Gegenstand nachdenkt. Es gilt hier das nehmliche Gesetz, was bey der Muskelbewegung Statt findet. Wenn man den Arm immer in derselben Richtung bewegt, so ist man in einer Viertelstunde müder, als wenn man zwey Stunden lang verschiedene Arten von Bewegung damit gemacht hätte. Eben so mit den Geistesgeschäften. Es erschöpft nichts mehr als das beständige Einerley in dem Gegenstand und der Richtung der Denkkraft, und Boerhaave erzählt von sich selbst, dass er, nachdem er einige Tage und Nächte immer über den nehmlichen Gegenstand nachgedacht hatte, plötzlich in einen solchen Zustand von Ermattung und Abspannung verfal- len wäre, dass er eine geraume Zeit in einem gefühllosen und todtenähnlichen Zustand gelegen habe. Ein schicklicher Wechsel der Gegenstände ist daher die erste Regel, um ohne Schaden der Ge- sundheit zu studiren, ja, um selbst in der Masse mehr zu arbeiten. Ich kenne grosse und tiefe Denker, Mathemati- Z 2 ker und Philosophen, die in einem ho- hen Alter noch munter und vergnügt le- ben; aber ich weiss auch, dass dieselben von jeher sich diesen Wechsel zum Gesetz gemacht haben, und ihre Zeit immer zwischen jenen abstracten Arbeiten und zwischen der Lectüre angenehmer Dich- ter, Reisebeschreibungen, historischer und naturgeschichtlicher Werke theil- ten. Auch ist es selbst in diesem Be- tracht so gut, wenn man immer das practische mit dem speculativen Leben verbindet. 3. Wenn man gar zu abstracte und schwehre Gegenstände bearbeitet, z. E. Probleme der höhern Mathematik und Metaphysik. Das Object macht einen gewaltigen Unterschied. Je abstracter es ist, je mehr es den Menschen nöthigt, sich ganz von der Sinneswelt loszuzie- hen, und sein Geistiges, abgesondert vom Körper, gleichsam rein zu isoliren, (gewiss einer der unnatürlichsten Zu- stände, die es geben kann), desto schwä- chender und anstrengender ist es. Eine halbe Stunde solcher Abstraction er- schöpft mehr, als ein ganzer Tag Ueber- setzungsarbeit. Aber auch hier ist viel relatives. Mancher ist dazu geboren, er hat die Kraft und die besondere Gei- stesstimmung, die diese Arbeiten erfor- dern, da hingegen manchem beydes fehlt, und er es dennoch erzwingen will. Es scheint mir sehr sonderbar, dass man bey Hebung einer körperlichen Last immer erst seine Kräfte untersucht, ob sie nicht für dieselben zu schwehr ist, und hingegen bey geistigen Lasten nicht auch die Geisteskräfte zu Rathe zieht, ob sie ihnen gewachsen sind. Wie man- chen habe ich dadurch unglücklich und kränklich werden sehen, dass er die Tie- fen der Philosophie ergründen zu müssen glaubte, ohne einen philosophischen Kopf zu haben! Muss denn jeder Mensch ein Philosoph von Profession seyn, wie es jezt Mode zu werden scheint? Mir scheint es vielmehr, dass dazu eine besondere Anlage der Organi- sation nöthig ist, und nur diesen Auserwählten mag es überlassen blei- ben, die Grundtiefen der Philoso- phie auszuspüren und zu entwickeln; wir andern wollen uns damit begnü- gen, philosophisch zu handeln und zu leben. 4. Auch halte ichs für Excess, wenn man immer producirend, und nicht auch mit unter concipirend arbeitet. Man kann alle Geistesarbeit in zwey Klassen theilen, die schaffende , die aus sich selbst herausspinnt und neue Ideen erzeugt, und die empfangende oder passive, die blos fremde Ideen auf- nimmt und geniesst, z. E. das Lesen oder Anhören andrer. Erstere ist ungleich an- strengender und erschöpfender, und man sollte sie daher immer mit der an- dern abwechseln lassen. 5. Wenn man zu frühzeitig in der Kindheit den Geist anzustrengen anfängt. Hier ist schon eine kleine Anstrengung höchst schädlich. Vor dem siebenten Jahre ist alle Kopfarbeit ein unnatürli- cher Zustand, und von eben den üblen Folgen fürs Körperliche, als die Onanie. 6. Wenn man invita Minerva studirt, d. h. über Gegenstände, die man ungern, und nicht con amore treibt. Je mehr Lust bey der Geistesarbeit ist, desto we- niger schadet die Anstrengung. Daher ist bey der Wahl des Studiums so viel Vorsicht nöthig, ob es uns auch recht und passend ist, und wehe dem, wo diess nicht der Fall ist. 7. Wenn man die Seelenanstren- gung durch künstliche Reize erweckt oder verstärkt und verlängert. Man be- dient sich am gewöhnlichsten des Weins, des Kaffees oder des Tabaks dazu, und obgleich diese künstlichen Denkhülfen überhaupt nicht zu billigen sind, weil sie immer doppelte Erschöpfung bewir- ken; so muss man doch leider gestehen, dass sie in jetzigen Zeiten, wo die Gei- stesarbeit nicht von Laune, sondern von Zeit und Stunden abhängt, nicht ganz zu entbehren sind, und dann möchte eine Tasse Kaffee, oder eine Pfeife oder Prise Tabak noch am erträglichsten seyn. Aber man hüte sich ja vor dem Mis- brauch, weil sie dann den Schaden der Geistesanstrengung unglaublich er- höhen. 8. Wenn man in der Verdauungs- zeit den Kopf anstrengt. Hier schadet man doppelt: man schwächt sich mehr, denn es gehört da mehr Anstrengung zum Denken, und man hindert zu- gleich das wichtige Geschäfte der Ver- dauung. 9. Wenn man die Zeit des Schlafs damit ausfüllt. Eine der Lebensnach- theiligsten Gewohnheiten, wovon beym Schlafe ausführlicher. 10. Wenn man das Studiren mit nachtheiligen äusseren Umständen ver- bindet; und da sind zwey die vorzüg- lichsten, die oft mehr Antheil an den üblen Folgen des Nachdenkens haben, als das Denken selbst, das zusammen gekrümmte Sitzen und die eingeschlossne Stubenluft . Man gewöhne sich daher liegend, oder stehend, oder gehend, oder auch auf einem hölzernen Bock reitend, ferner nicht immer in Stuben, sondern auch im Freyen zu studiren, und man wird weit weniger von den sogenannten Gelehrtenkrankheiten lei- den. Wahrlich, die alten Philosophen dachten wohl eben so viel, als die neuern Gelehrten, und litten dennoch nicht an Hypochondrien, Hämorrhoiden u. dgl. Die einzige Ursache lag darinn, weil sie mehr ambulierend oder liegend, und in freyer Luft meditirten, weil sie nicht Kaffee und Tabak dazu brauch- ten, und weil sie die Uebung und Kultur des Körpers nicht dabey ver- gassen. IV. Krankheiten — deren unvernünftige Behandlung — gewaltsame Todesarten — Trieb zum Selbstmord. F ürchterlich ist dieses Heer heimlicher und öffentlicher Lebensfeinde in neuern Zeiten angewachsen. Wenn man sich denkt, wie wenig ein Naturmensch auf den Südseeinseln von Krankheiten weiss, und dagegen nun ein europäisches pa- thologisches Compendium hält, wo sie Regimenter und Compagnien weise auf- marschiren, und ihre Zahl sich auf viele Tausende beläuft, so erschrickt man da- vor, was durch Luxus, Sittenverderb- niss, unnatürliche Lebensart und Aus- schweifungen möglich worden ist. Vie- le, ja wirklich die meisten dieser Krank- heiten, sind unsre eigne Schuld, und immer werden noch neue durch unsre eigne Schuld erzeugt. Andere sind in die Welt gekommen, man weiss nicht wie, und waren ebenfalls der alten Welt ganz unbekannt. Diess sind gerade die tödlichsten und hartnäckigsten, Blat- tern, Masern, die Lustseuche. Und auch diese sind in so fern unsere Schuld, dass wir sie ohne alle Gegenanstalten fortwirken und würgen lassen, da es doch erwiesen ist, dass wir durch eini- gen Gebrauch unsrer Vernunft und der hierüber gesammleten Erfarungskennt- nisse sie recht gut wieder von unsern Grenzen entfernen könnten, so wie sie uns zugeführt worden sind. Die meisten Krankheiten wirken entweder als gewaltsame Todesarten, als Unterbrechungsmittel der Lebens- operation, (wie z. E. Schlag- und Stick- fluss) oder als langsame Verkürzungs- mittel, indem sie entweder ganz unheil- bar sind, oder, wenn sie auch geheilt werden, dennoch einen solchen Verlust von Lebenskraft, oder eine solche Schwächung und Destruction edler Or- gane hinterlassen, dass der auf diese Weise angegriffne Körper nicht mehr das Ziel erreichen kann, was ihm eigent- lich bestimmt war. Folgende kurze Uebersicht, die aus einer Menge Mortalitätstabellen zusam- mengezogen ist, wird es Ihnen am deut- lichsten machen, wie ungeheuer der Verlust ist, den die Menschheit jezt durch Krankheiten leidet. Gesezt, es werden jezt 1000 Men- schen geboren, so sterben davon 24 gleich in der Geburt selbst; das Geschaft des Zahnens nimmt ihrer 50 mit; Con- vulsionen und andre Kinderkrankheiten in den ersten 2 Jahren, 277; die Blat- tern, die bekanntlich zum allerwenig- sten den 10ten Menschen tödten, reiben ihrer 80 bis 90 auf, die Masern 10. Sind es Weibspersonen, so sterben da- von 8 im Kindbett. Schwindsucht, Aus- zehrung und Brustkrankheiten (in Eng- land wenigstens) tödten 190. Andere hitzige Fieber 150. Schlagflüsse 12, die Wassersucht 41. Also kann man von 1000 Menschen nur 78 annehmen, wel- che am Alter, oder vielmehr im Alter, sterben, denn auch da wird der grössere Theil noch durch zufällige Ursachen weggerafft. Genug, es ergiebt sich hier- aus, dass immer 9/10 vor der Zeit und durch Zufall umkommen. Hier muss ich noch einer neuen schrecklichen und auf unmittelbare De- struction des Lebens abzweckenden Krankheit gedenken: des Triebs zum Selbstmord . Dieser unnatürliche, ehe- dem blos durch traurige Nothwendigkeit und heroischen Entschluss mögliche Zu- stand, ist jezt eine Krankheit geworden, die in der Blüthe der Jahre, unter den glücklichsten Umständen, blos aus Ekel und Ueberdruss des Lebens, den entsez- lichen und unwiderstehlichen Trieb her- vorbringen kann, sich selbst zu vernich- ten. In 75 Jahren Harben in London am Selbstmord gerade noch einmal so viel Menschen, als am Seitenstechen. Es giebt jezt wirklich Menschen, bey denen jede Quelle von Lebensgefühl und Lebensglück so vertrocknet, jeder Keim von Thätigkeit und Genuss so ab- gestorben ist, dass sie nichts so abge- schmackt, ekel und fade finden, als das Leben, dass sie gar keinen Berührungs- punct mehr mit der sie umgebenden Welt haben, und dass ihnen endlich das Leben zu einer so drückenden Last wird, dass sie dem Wunsche gar nicht widerste- hen können, sich dessen zu entledigen. Und diese Menschen sind fast immer die- jenigen, welche durch zu frühzeitige Ausschweifung, durch eine zu frühzei- tige Verschwendung jener balsamischen Lebenssäfte, die unser eignes Leben würzen sollen, sich erschöpft und lebens- arm gemacht haben. Ist es nicht natür- lich, dass ein solcher Unglücklicher den Tod ohne Bewusstseyn dem mit Be- wusstseyn (und das ist sein Leben) vor- zieht? Aber der Schaden dieser an sich selbst schon jezt viel häufigern und ge- fährlichern Feinde wird dadurch un- endlich vermehrt, dass man sie zum Theil ganz widersinnig behandelt, und überhaupt die Medizin zu sehr miss- braucht. Zur widersinnigen Behandlung rechne ich folgendes: Wenn man, troz aller Beweise ihres Schadens, dennoch die Ursache der Krankheit immer fort- wirken lässt, z. E. man bemerkt sichtbar, dass das Weintrinken, oder eine zu leichte Kleidung, oder das Nachtwa- chen uns die Krankheiten erzeugt, und dennoch sezt man es fort. Ferner: Wenn man man die Krankheit ganz verkennt, und gar nicht für Krankheit gelten lassen will, wodurch oft eine unbedeutende Krank- heit in eine sehr gefährliche verwandelt wird. Und hier kann ich nicht umhin, eine Vernachlässigung insbesondere zu erwähnen, die gewiss unzählichen Men- schen das Leben kostet: die Vernachlässi- gung der Katarrhe oder des Hustens . Man hält sie gewöhnlich für nothwen- dige und zum Theil nützliche Uebel, und man hat Recht, wenn der Katarrh mässig ist und nicht zu lange dauert. Aber man vergesse doch nie, dass jeder Katarrh eine Krankheit ist, und gar leicht in Lungenentzündung, oder, was noch häufiger geschieht, in Lungensucht und Auszehrung übergehen kann; und ich sage nicht zu viel, wenn ich be- haupte, dass die Hälfte aller Lungen- suchten aus solchen vernachlässigten Ka- tarrhen entsteht. Diess geschieht, wenn er zu lange dauert, oder wenn er widersinnig behandelt wird, und ich A a gründe hierauf folgende zwey Regeln, die bey jedem Brustkatarrh heilig beobach- tet werden sollten: Man sehe keinem Ka- tarrhalhusten länger als 14 Tage gedul- tig zu; dauert er länger, so muss er als Krankheit betrachtet und durch einen Arzt behandelt werden. Zweytens, man vermeide bey jedem Katarrh heftige Erhitzung, Erkältung und den Genuss des Weins und andrer hitzigen Getränke und Speisen. Auch ist es eine nur gar zu gewöhn- liche widersinnige Behandlung der Krankheiten, dass man gar oft, theils aus Unwissenheit und Vorurtheil, theils aus misverstandener Zärtlichkeit, gera- de das Gegentheil von dem thut, was man eigentlich thun sollte. Dahin ge- hört, dass man den Kranken zum Essen nöthigt, wenn er keinen Appetit hat, dass man bey fieberhaften Krankheiten Bier, Wein, Kaffee, Fleischbrühen und andre hitzige und nährende Dinge ge- niessen lässt, wodurch das gelindeste Fieber in ein hitziges verwandelt wer- den kann, dass man, sobald ein Kranker Fieber und den damit verbundenen Frost klagt, ihn in Betten vergräbt, Fen- ster und Thüren verschliesst, und die Luft des Zimmers möglichst erhizt, auch dass man nicht für gehörige Rein- lichkeit in der Krankenstube sorgt, die Luft nicht erneuert, die Absonderungen und Ausleerungen des Kranken nicht genug entfernt. Diese unvernünftige diätetische Behandlung tödtet weit mehr Menschen, als die Krankheit selbst, und hauptsächlich ist sie die Ursache, war- um auf dem Lande so mancher gesunde und starke Mensch ein Raub des Todes wird, warum da die Krankheiten so leicht eine bösartige Beschaffenheit an- nehmen, warum z. E. die Blattern da im Winter meist bösartiger sind, als im Sommer, weil man da die Fenster und Thüren verschliesst, und durch Einhei- zen eine fürchterliche Glut im Zimmer A a 2 erhält, welches im Sommer unter- bleibt. Und endlich rechne ich dahin, wenn man keinen Arzt oder ihn nicht recht braucht, die Medizin unrichtig anwendet, zu Pfuschern seine Zuflucht nimmt, geheime Mittel und Universal- arzneyen gebraucht, u. d. gl. mehr, wo- von ich bey dem vernünftigen Gebrauch der Medizin mehr sagen werde. Auch die gewaltsamen Todesarten raffen eine Menge Menschen weg, und leider haben auch hierinn die neuen Zeiten grosse Progressen gemacht. Nicht nur der grössre Unternehmungsgeist, die häufigern Seereisen, der ausgebrei- tetere Handel vervielfältigt solche Fälle, sondern man hat auch leider Erfindun- gen gemacht, um den Endzweck der Verkürzung auf eine unglaublich schnelle und raffinirte Art zu erreichen. Ich will hier nur an die Erfindung des Schiesspulvers , und mehrerer neuen Gifte, der Aqua toffana , der Successions- pulver u. s. w. erinnern. Die Kunst zu tödten ist ja eine eigne höhere Wissen- schaft geworden. V. Unreine Luft — das Zusammenwohnen der Menschen in grossen Städten. E ines der grössten Verkürzungsmittel des menschlichen Lebens ist: das Zu- sammenwohnen der Menschen in grossen Städten . Fürchterlich ist das Ueberge- wicht, das die Mortalität derselben in den Todtenlisten hat. In Wien, Berlin, Paris, London und Amsterdam, stirbt der 20ste bis 23ste Mensch, während dass rund herum, auf dem Lande, nur der 30ste oder 40ste stirbt. Rousseau hat vollkommen recht, wenn er sagt: der Mensch ist unter allen Thieren am we- nigsten dazu gemacht, in grossen Hau- fen zusammen zu leben. Sein Athem ist tödlich für seine Mitgeschöpfe, und diess gilt eben sowohl im eigentlichen als im figürlichen Sinn. Die Feuchtig- keit, oder, wie mans gewöhnlich nennt, die Dickheit der Luft ists nicht allein, was sie so schädlich macht, sondern die Animalisation, die sie durch so viele auf einander gehäufte Menschen bekommt. Man kann höchstens viermal die nehm- liche Luft einathmen, so wird sie durch den Menschen selbst aus dem schönsten Erhaltungsmittel des Lebens in das töd- lichste Gift verwandelt. Nun denke man sich die Luft an einem so ungeheu- ren Orte; hier ist es physisch unmöglich, dass einer, der in der Mitte wohnt, ei- nen Athemzug von Luft thun sollte, die nicht schon kurz vorher in der Lunge eines andern verweilt hätte. Diess giebt eine allgemeine schleichende Vergiftung, die nothwendig die Lebensdauer im Ganzen verkürzen muss. — Wer es also kann, meide den Aufenthalt in grossen Städten; sie sind offne Gräber der Mensch- heit, und zwar nicht allein im physi- schen, sondern auch im moralischen Sinn. Selbst in mittlern Städten, wo vielleicht die Strassen etwas enge sind, suche man immer lieber eine Wohnung an der Aussenseite der Stadt, und wenig- stens ist es Pflicht, alle Tage eine halbe oder ganze Stunde lang, die Stadt- atmosphäre ganz zu verlassen, in der einzigen Absicht, um einmal reine Luft zu trinken. — Mehr davon in dem Ka- pitel von Vergiftungen. VI. Unmässigkeit im Essen und Trinken — die raffinirte Kochkunst — die geistigen Getränke. D as erste, was in Absicht der Diät le- bensverkürzend wirken kann, ist: Un- mässigkeit . Das zu viel Essen und Trin- ken schadet auf dreyfache Art dem Le- ben. Es strengt die Verdauungskräfte unmässig an, und schwächt sie dadurch. Es hindert die Verdauung, weil bey ei- ner solchen Menge nicht alles gehörig verarbeitet werden kann, und es erzeu- gen sich Kruditäten im Darmkanal und schlechte Säfte. Es vermehrt auch un- verhältnissmässig die Blutmenge, und beschleunigt dadurch Circulation und Leben; und überdiess entsteht dadurch so oft Indigestion und das Bedürfniss ausleerende Mittel zu nehmen, welches abermals schwächt. Zu viel essen heisst, wenn man so lange isst, bis man nicht mehr kann, und die nachfolgenden Zeichen sind, wenn man Schwehre und Vollheit des Ma- gens, Gähnen, Aufstossen, Schläfrigkeit, Dumpfheit des Kopfs verspürt. Die alte Regel bleibt also immer noch wahr: Man höre auf zu essen, wenn man noch etwas essen könnte. Die zu rassinirte Kochkunst gehört ebenfalls hieher. — Leider muss ich diese Freundin unsers Gaumens hier als die grösste Feindin unsers Lebens, als eine der verderblichsten Erfindungen zu Abkürzung desselben, anklagen, und zwar auf folgende Art: 1. Bekanntlich besteht der Haupt- kunstgriff derselben darinn, alles pi- quant und reizend zu machen. Alle Nahrungsmittel bestehen also, nach die- ser Zurichtung, zur Hälfte aus reizenden erhitzenden Substanzen, und anstatt also durchs Essen das, was der natürliche Zweck ist, Ernährung und Wiedererse- tzung, zu erreichen, vermehrt man viel mehr durch den Reiz die innre Consum- tion und thut wirklich gerade das Ge- gentheil. Nach einer solchen Mahlzeit hat man immer ein künstliches Fieber, und bey solchen Menschen heisst es mit Recht: consumendo consumimur . 2. Das schlimmste ist, dass man durch diese Kochkunst verleitet wird, immer zu viel zu essen. Sie weiss sich den Gaumen so zum Freunde zu machen, dass alle Gegenvorstellungen des Magens umsonst sind; und, weil der Gaumen im- mer auf eine neue angenehme Art ge- kitzelt wird, so bekommt der Magen wohl drey und viermal mehr zu thun, als er eigentlich bestreiten kann. Denn es ist ein sehr gewöhnlicher Fehler, dass man den Gaumenappetit nicht vom Magen- appetit unterscheidet, und das für Ma- genappetit hält, was eigentlich nur Gau- menkitzel ist, und eben diese Verwech- selung wird durch nichts mehr begün- stigt, als durch diese rassinirte Kochkunst. Der Mensch verliert dadurch am Ende eine der grössten Schutzwehren seiner. Gesundheit, die Eigenschaft zu wissen, wenn er genug hat. 3. Eine Hauptmaxime dieser Kunst besteht endlich darinne, durch die über- häuftesten und unnatürlichsten Zusam- mensetzungen ganz neue Schöpfungen und neue Reize hervorzubringen. Und daraus entsteht, dass Dinge, wel- che, jedes für sich, äusserst unschuldig und unschädlich wären, nun durch die Verbindung ganz neue und nachtheilige Eigenschaften bekommen. Sauer und süss z. B. schadet, jedes einzeln genom- men, nichts; hingegen zugleich genos- sen kann es schädlich werden. Eyer, Milch, Butter, Mehl, sind, jedes für sich genossen, sehr verdauliche Substan- zen; aber man setze sie zusammen, und mache einen recht fetten und festen Pfannkuchen daraus, und man wird ein sehr schwehr verdauliches Product er- kalten. Man kann es als Grundsatz an- nehmen: je zusammengesezter eine Speise ist, desto schwehrer ist sie zu ver- dauen, und was noch schlimmer ist, de- sto schlechter werden die Säfte, die dar- aus bereitet werden. 4. Noch ein Haupttriumpf der neu- ern Kochkunst ist die Kunst, Nahrungs- saft in der concentrirtesten Gestalt in den Körper zu bringen. Da hat man Con- sommés, Jus, Coulus . Man hats dahin gebracht, durch Auspressen und Einko- chen, die Kraft von mehrern Pfunden Rindfleisch, Kapaunen und Markskno- chen in den kleinen Raum von einer Gelée oder Suppe zu concentriren. Da glaubt man nun etwas grosses gethan zu haben, wenn man auf diese Weise, ohne den Zähnen die Mühe des Kauens und dem Magen die Mühe des Arbeitens gemacht zu haben, eine solche Essenz von Nahrungssaft gleich auf einmal ins Blut schickt. Das heisst, stellt man sich vor, sich im Gallop restauriren, und es ist das Lieblingssystem derer, die sich im Gallop consumiren. Aber man täuscht sich gewaltig, denn Einmal: Man kann die Einrichtun- gen der Natur nie ohne Schaden über- springen. Nicht ohne Ursache ist die Einrichtung getroffen, dass der Magen nur eine gewisse Menge fassen kann; ein mehreres würde fürs Ganze zu viel seyn. Jeder Körper kann nur eine verhältniss- mässige Menge Nahrung fassen, und diese Kapacität des Ganzen steht immer mit der Kapazität des Magens im Ver- hältniss. — Hierbey täuscht man nun die Natur; man umgeht, wenn ich sagen darf, die erste Instanz, und führt, durch eine Art von Schleichhandel, drey-vier- mal mehr Nahrung in den Körper, als er zu fassen im Stande ist. Die Folge davon ist, dass eine beständige Ueber- füllung aller Gefässe entsteht, und diese stört immer das Gleichgewicht und also Gesundheit und Leben. Ferner: Nicht ohne Ursache hat die Natur die Einrichtung gemacht, dass die Speisen in etwas gröberer Gestalt genos- sen werden müssen. Der Nutzen dieser Einrichtung ist, dass sie erst beym Kauen im Munde macerirt und mit Speichel vermischt, ferner dass sie länger im Ma- gen aufgehalten werden, da durch ih- ren Reiz den Magen zu mehrerer Re- action ermuntern, folglich weit besser assimilirt und in unsre Natur umgewan- delt werden. Und hierauf beruht ei- gentlich wahre Restauration; denn eine Speise kann nur alsdenn erst in unser Wesen übergehen und uns wirklich nüzlich werden, wenn sie zuvor durch die Kräfte des Magens unsrer Natur ho- mogener und ähnlich gemacht wor- den ist. Indem man also diese erste Instanz übergeht, schafft man Säfte in den Kör- per, die, weil sie nicht hinlänglich assi- milirt sind, auch nicht eine gute Restau- ration bewirken können, sondern viel- mehr als fremde Theile als Reize wirken, und mehr zur Consumtion als zur Re- stauration dienen. Ich glaube daher, es ist sehr ein- leuchtend, dass eine Kunst, welche die wahre Restauration hindert, uns mit un- verdauten rohen Säften anfüllt, und die innre Consumtion vermehrt, nicht als eine Freundin unsers Lebens anzusehen ist, sondern unter den wesentlichsten Feinden desselben einen Platz verdient. Man sollte glauben, sie sey erfunden, um aus den herrlichsten Gaben Gottes ein schleichendes Gift zu bereiten. Endlich Endlich gehören unter diese Klasse von Verkürzungsmitteln vorzüglich noch die Zubereitungen spirituöser Getränke , die alle, sie mögen Namen haben wie sie wollen, Lebensverkürzend sind. Es ist flüssiges Feuer, was hier der Mensch trinkt; sie beschleunigen die Lebenscon- sumtion auf eine fürchterliche Art, und machen das Leben im eigentlichsten Sinn zu einem Verbrennungsprozess. Es sey genug zu bemerken, dass bey wilden Nationen der Zeitpunct der Einführung des Branntweins immer das Datum ihrer kürzern Lebensdauer war. B b VII. Lebensverkürzende Seelenstimmungen und Leidenschaften — üble Laune — all- zugrosse Geschäftigkeit. E inen vorzüglichen Rang unter den Verkürzungsmitteln des Lebens behau- pten gewisse Seelenstimmungen und Ge- wohnheiten , die feindlich auf das Leben wirken, Traurigkeit, Kummer, Ver- druss, Furcht, Angst, Kleinmuth, hauptsächlich Neid und Missgunst. Sie alle erschöpfen die feinsten Le- benskräfte, stöhren besonders die Ver- dauung und Assimilation, schwächen die Kraft des Herzens und hindern auf diese Art das wichtige Geschäft der Restaura- tion. Die ersten, die traurigen Affecten, wirken indess doch nur negativ zur Ver- kürzung. Hingegen diese, Neid und Missgunst, haben zugleich positive Tod- bringende Eigenschaften. Nicht blos entziehen sie dem Körper seine Lebens- kräfte, sondern indem sie unaufhörlich die Galle schärfen, bereiten sie bestän- dig ein schleichendes Gift, und vermeh- ren durch den allgemeinen Gallenreiz die Selbstaufreibung entsezlich, daher das Emblem vollkommen passt: der Neid frisst sich selbst auf. Hieher gehört auch jene sehr böse Seelenkrankheit, die unter dem Namen der üblen Laune bekannt ist. Nichts ver- mag so sehr die Blüthe des Lebens zu verwelken, jedem Genuss und jeder Freude den Eingang zu versperren, und den schönen Lebensstrom in einen ste- henden Sumpf zu verwandeln, als diese böse Gewohnheit. Ich rathe jedem, B b 2 dem sein Leben lieb ist, sie als ein tödliches Gift zu fliehen, und nie auf- kommen zu lassen. Auch die Furcht verdient hier einen vorzüglichen Platz. Sie gehört ebenfalls unter die bösen Gewohnheiten der Seele, denn man kann sie sich nach Belieben an- und abgewöhnen. Ein Engländer ( Walter ), der die Reise mit Anson um die Welt gemacht hatte, sprach einst mit dem jungen Ber- kenhout , und da dieser das Wort Furcht erwähnte, so fiel Walter mit Heftigkeit ein: Fi, fi donc, c’est une passion indigne, et au dessous de la dignite de l’homme . Und gewiss, sie ist eine der allerunanständig- sten Leidenschaften, die den Menschen eben so sehr erniedrigt und degradirt, als ihn das Entgegengesezte, der Muth, exaltiren und über die menschliche Na- tur erheben kann. Furcht raubt Kraft, Ueberlegung, Verstand, Entschl o ssen- heit, genug, alle Vorzüge des mensch- lichen Geistes, und es sollte einer der ersten Grundsätze der Erziehung seyn, dem Menschen die Furcht abzugewöh- nen. Und leider thut man gewöhnlich gerade das Gegentheil! Wir wollen nur zwey der gewöhnlichsten Arten von Furcht nehmen; die Furcht vor Gewit- tern und die vor Gespenstern. Nun wer diese beyden hat, der mag nur auf die Ruhe des Lebens Verzicht thun. Die Zeit der Nacht, welche so weise durch Dunkelheit zur süssen Ruhezeit gestem- pelt wurde, ist für ihn das Signal der peinlichsten Unruhe. Wenn andre ru- higen Schlaf geniessen, horcht er mit Zittern und Zagen auf jeden Laut, schwizt unaufhörlich Angstschweiss, und ist früh müder, als er sich niederge- legt hat. Die erfreuliche Zeit des Sommers ist für ihn eine Periode der Angst und des Schreckens, und jeder schöne Tag führt bey ihm zugleich die Idee von Gewitter und also bange Erwartung mit sich. Man kann leicht abnehmen, wel- chen nachtheiligen Einfluss solche be- ständige Angst auf die Dauer des Lebens haben muss. Furcht ist ein beständiger Krampf; sie schnürt alle kleine Gefässe zusammen, die ganze Haut wird kalt, blass, und die Ausdünstung völlig ge- hemmt. Alles Blut sammlet sich in den innern grössern Gefässen, der Pulsschlag stockt, das Herz wird überfüllt und kann sich nicht frey bewegen. Also das wichtige Geschäft der Circulation wird gestöhrt. Die Verdauung wird eben so sehr unterbrochen, es entstehen krampf- hafte Durchfälle. Alle Muskelkraft wird gelähmt, er will laufen und kann nicht, allgemeines Zittern entsteht, der Athem ist kurz und beklommen. Genug, alle Wirkungen, die ein tödliches schlei- chendes Gift haben kann, und also eben die Folge für Verkürzung des Lebens. Es ist mir unmöglich, hier eine Ei- genschaft unsrer Zeiten zu übergehen, die uns gewiss einen schönen Theil un- srer Lebenstage raubt, nehmlich jene unglückliche Vielgeschäftigkeit ( Poby- pragmosyne ), die sich jezt eines grossen Theils des menschlichen Geschlechts be- mächtigt hat, jenes unaufhörliche innre Treiben und Streben nach neuen Unter- nehmungen, Arbeiten, Planen. Der Genius Seculi bringt es mit sich, dass Selbstdenken, Thätigkeit, Speculatio- nen, Reformationen, den Menschen weit natürlicher sind, als sonst, und alle ihnen beywohnenden Kräfte sich weit lebhafter regen; der Luxus kommt dazu, der durch seine immer vervielfältigten Bedürfnisse, immer neue Anstrengungen der Kräfte, immer neue Unternehmun- gen nöthig macht. Daraus entsteht nun jene unaufhörliche Regsamkeit, die endlich alle Empfänglichkeit für innere Ruhe und Seelenfrieden zerstöhrt, den Menschen nie zu dem Grade von Nachlass und Abspannung kommen lässt, der zu seiner Erholung unum- gänglich nöthig ist, und seine Selbst- consumtion auf eine schreckliche Art be- schleunigt. VIII. Furcht vor dem Tode. K eine Furcht macht unglücklicher, als die Furcht vor dem Tode. Sie fürchtet etwas, was ganz unvermeidlich ist, und wovor wir keinen Augenblick sicher seyn können; sie geniesst jede Freude mit Angst und Zittern; sie verbietet sich al- les, weil alles ein Vehikel des Todes werden kann, und so über dieser ewigen Besorgniss, das Leben zu verlieren, ver- liert sie es wirklich. Keiner, der den Tod fürchtete, hat ein hohes Alter er- reicht. Liebe das Leben und fürchte den Tod nicht , das ist das Gesez und die Prophe- ten, die einzige wahre Seelenstimmung, um glücklich und alt zu werden. Denn auch auf das Glück des Lebens mag der nur Verzicht thun, der den Tod fürch- tet. Kein Genuss ist bey ihm rein, im- mer mischt sich jene Todesidee mit ein, er ist beständig wie einer, der verfolgt wird, der Feind sizt ihm immer auf den Fersen. Und dennoch giebt es so un- zählige Menschen, die diese Gemüths- krankheit nicht los werden können. Für diese will ich hier einige Regeln an- geben, die, wenn sie auch gleich keine metaphysische Tiefe haben sollten, ich doch als recht gute Hausmittel gegen die Todesfurcht empfehlen kann, die ich aus Erfarung als sehr wirksam kenne: 1. Man mache sich mit dem Gedan- ken an den Tod recht bekannt. Nur der ist in meinen Augen glücklich, der die- sem unentfliehbaren Feinde so oft recht nahe und beherzt in die Augen gesehen hat, dass er ihm durch lange Gewohn- heit endlich gleichgültig wird. Wie sehr täuschen sich die, die in der Entfer- nung des Gedankens an den Tod diess Mittel gegen die Todesfurcht zu finden glauben! Ehe sie sichs versehen, mitten in der lachendsten Freude wird der Ge- danke sie überraschen, und sie desto fürchterlicher erschüttern, je mehr er ihnen fremd ist. Genug, ich kann nur den für glücklich erklären, der es dahin gebracht hat, mitten im Freudengenuss sich den Tod zu denken, ohne dadurch gestöhrt zu werden, und man glaube mir es auf meine Erfarung, dass man durch öftere Bekanntmachung mit dieser Idee und durch Milderung ihre Vorstel- lungsart darinn zulezt zu einer ausseror- dentlichen Gleichgültigkeit bringen kann. Man sehe doch die Soldaten, die Matrosen, die Bergleute an. Wo findet man glücklichere und lustigere, für jede Freude empfänglichere Menschen? Und warum? Weil sie durch die beständige Nähe des Todes ihn verachten gelernt haben. Wer den Tod nicht mehr fürch- tet, der allein ist frey, es ist nichts mehr, was ihn fesseln, ängstigen oder unglück- lich machen könnte. Seine Seele füllt sich mit hohem unerschütterlichen Mu- the, der selbst die Lebenskraft stärkt, und dadurch selbst ein positives Mittel wird, ihn zu entfernen. Noch hat diese Gewohnheit einen nicht unwichtigen Nebennutzen. Sie ist auch ein vortrefliches Hausmittel tu- gendhaft und rechtschaffen zu bleiben. Bey jedem zweifelhaften Fall, bey jeder Frage, ob etwas recht oder unrecht sey, denke man sich nur gleich an die lezte Stunde des Lebens hin, und frage sich: würdest du da so oder so handeln, wür- dest du da wünschen, so oder so gehan- delt zu haben? Eine Freude, ein Le- bensgenuss, wobey man ruhig an den Tod denken kann, ist gewiss unschuldig. Ist man gegen jemand aufgebracht oder misgünstig, oder bekommt man Lust sich wegen einer angethanen Beleidigung zu rächen, — nur an jene Stunde gedacht, und an das Verhältniss, was dort entste- hen wird, und ich stehe dafür, dass jene misgünstigen oder menschenfeindlichen Ideen sogleich verschwinden werden. Die Ursache ist, weil durch diese Ver- setzung des Schauplatzes alle jenen klein- lichen und selbstsüchtigen Rücksichten aufgehoben werden, die uns so gewöhn- lich bestimmen; alles bekommt mit ei- nemmale seinen wahren Gesichtspunct, sein wahres Verhältniss, die Täuschung schwindet, das Wesentliche bleibt. 2. Mancher fürchtet weit weniger den Tod als die Operation des Sterbens. Da macht man sich die allersonderbar- sten Begriffe von der lezten Todesnoth, der gewaltsamen Trennung der Seele von ihrem Körper u. dgl. mehr. Aber diess alles ist völlig ungegründet. Ge- wiss hat noch kein Mensch das Sterben selbst empfunden, und eben so bewusst- los, wie wir ins Leben treten, eben so treten wir wieder heraus. Anfang und Ende fliessen hier wieder zusammen. Meine Beweise sind folgende: Zuerst kann der Mensch keine Empfindung vom Sterben haben, denn Sterben heisst nichts anders als die Lebenskraft verlie- ren, und diese ists eben, wodurch die Seele ihren Körper empfindet; in dem- selben Verhältniss also, als sich die Le- benskraft verliert, verliert sich auch die Empfindungskraft und das Bewusstseyn; und wir können das Leben nicht verlie- ren, ohne zugleich oder noch eher (denn es gehören dazu zartere Organe) auch das Gefühl des Lebens zu verlieren. Und dann lehrt es auch die Erfarung. Alle die, welche den ersten Grad des Todes erlitten und wieder zum Leben zurückgerufen wurden, versichern ein- stimmig, dass sie nichts vom Sterben ge- fühlt haben, sondern in Ohnmacht, in Bewusstlosigkeit versunken sind. — Man lasse sich nicht durch die Zuckun- gen, das Röcheln, die scheinbare Todes- angst irre machen, die man bey man- chen Sterbenden sieht. Diese Zufälle sind nur ängstlich für den Zuschauer, nicht für den Sterbenden, der davon nichts empfindet. Es wäre eben so, als wenn man aus den fürchterlichen Zuckungen eines Epileptischen auf seine inneren Gefühle schliessen wollte. Er weiss nichts von allem dem, was uns so viel Angst machte. 3. Man denke sich das Leben immer als das, was es ist, als einen Mittelzu- stand, (der noch nicht selbst Zweck, son- dern nur Mittel zum Zweck ist, wie die tausendfachen Unvollkommenheiten des- selben hinlänglich beweisen,) als eine Periode der Entwicklung und Vorberei- tung, als ein Fragment unsrer Existenz, durch das wir blos zu andern Perioden übergehen und reifen sollen. Kann uns denn der Gedanke wohl schrecklich seyn, diesen Uebergang wirklich zu ma- chen, aus diesem Mittelzustand, aus dieser räthselhaften, zweifelsvollen, nie ganz befriedigenden Existenz, zu einer andern heraus zu treten? Ganz ruhig und furchtlos können wir uns dann wie- der dem höhern Wesen überlassen, was uns eben so, ohne unser Zuthun, auf diesen Schauplatz sezte, und von ihm die fernere Leitung unsers Schicksals er- warten. 4. Auch wird der Gedanke an die Vorausgegangenen die Todesfurcht sehr mildern, an den Cirkel der Lieben, die unserm Herzen nahe waren und es noch immer sind, und die uns gleichsam aus jenem dunkeln Lande freundlich zu- winken. IX. IX. Müssiggang — Unthätigkeit — Lange Weile. A ber auch das entgegengesezte, der Nichtgebrauch unsrer Kräfte, kann Le- bensverkürzend werden, weil dadurch gar leicht Unbrauchbarkeit der Organe, Stockung, mangelnde Reinigung der Säfte, und schlechte Restauration ent- steht. Es ist die erste und unwandelbar- ste Bestimmung des Menschen, im Schweiss seines Angesichts sein Brod zu essen. Und auch physisch bestätigt die Erfarung diesen Satz vollkommen: Wer C c isst ohne zu arbeiten, dem bekommt es nicht. Wenn nicht immer ein gehöri- ges Verhältniss zwischen der Restaura- tion und Selbstaufreibung bleibt, so ist es unmöglich, dass Gesundheit und lan- ges Leben bestehen kann. Werfen wir einen Blick auf die Erfarung, so finden wir, dass kein einziger Müssiggänger ein hohes Alter erreicht hat, sondern die ausgezeichneten Alten durchaus Men- schen von einer ausserst thätigen Lebens- art gewesen waren. Aber nicht blos der körperliche, sondern auch der Seelenmüssiggang scha- det, und ich komme hier auf ein Le- bensverkürzungsmittel, was man hier wol nicht erwarten sollte, weil es dem Schein nach uns die Zeit so grausam lang macht, die lange Weile . — Lassen Sie uns die physischen Wirkungen derselben etwas genauer durchgehen, und Sie werden sehen, dass dieser unbehagliche Seelenzustand keineswegs gleichgültig, sondern von sehr wichtigen Folgen für unser Körperliches ist. Was bemerken wir an einem Menschen, der lange Weile hat? Er fängt an zu gähnen; diess verräth schon einen gehinderten Durch- gang des Bluts durch die Lungen. Folg- lich leidet die Kraft des Herzens und der Gefässe, und ist zu träg. — Dauert das Uebel länger, so entstehen zulezt wol Congestionen und Stockungen des Bluts. Die Verdauungswerkzeuge werden eben- falls zur Schwäche und zur Trägheit umgestimmt, es entsteht Mattigkeit, Schwehrmuth, Blähungen, hypochon- drische Stimmung. Genug, alle Fun- ctionen werden dadurch geschwächt, und in Unordnung gebracht, und ich glaube also mit Recht behaupten zu kön- nen, dass ein Zustand, der die wichtig- sten Geschäfte des Körpers stöhrt, die edelsten Kräfte schwächt, Lebensverkür- zend ist. Sowol in physischer als morali- scher Rücksicht ist lange Weile ein sehr C c 2 gefährlicher Zustand. Weikard In einem Werke, das gewiss eine Menge seiner Mitbrüder überleben wird, und auch hier die grösste Empfehlung verdient: Weikards Philo- sophischer Arzt . erzählt das Beyspiel eines Kindes, welches von sehr armen Eltern erzeugt war, die ihr Brod mit Tagelohn verdienen mussten. Das Schicksal dieses Kindes also, von seiner Geburt an, war lange Weile. An- fangs liessen es die Eltern allein in seiner Wiege liegen, wo es seine Zeit damit zu- brachte, seine Hände und Füsse anzuse- hen. Da es grösser wurde, wurde es jederzeit in einen Hühnerstall einge- sperrt, wo es nur durch ein Loch ein wenig heraussehen konnte. Was war die Folge? Das Kind blieb bis in sein erwachsenes Alter dumm und blöde, hatte keinen Verstand, und konnte kaum sprechen. Ja, ihre Wirkungen sind noch ärger. Bey einem melancholischen Tempera- ment kann Längeweile allein endlich zum Selbstmorde führen. Ein trockner Schriftsteller hatte ein sehr weitläufiges Werk vom Selbstmord geschrieben. Er begegnete einst einem andern Engländer, der alle Zeichen des grössten Tiefsinns an sich trug. Wo wollen Sie hin, mein Freund? sagte der Autor. — Nach der Themse, um mich zu ersäufen. — O, so bitte ich Sie, erwiderte der Autor, gehen Sie nur noch diessmal wieder nach Hause und lesen Sie erst mein Werk über den Selbstmord. — Gott soll mich bewahren, antwortete jener, eben das Durchlesen dieses verwünscht langwei- ligen Buchs hat mir einen so entsezli- chen Verdruss erweckt, dass ich nun fest entschlossen bin, mich zu ersäufen. Aber, was in aller Welt ist das Mittel gegen die lange Weile, höre ich fragen; sie begleitet uns auf den Ball, ins Schau- spielhaus, an den Theetisch, auf die Promenade, genug, nirgends mehr kann man sich vor ihr retten? — Sehr wahr, alles diess hilft nichts. Es giebt nur ein einziges, aber freylich nicht be- liebtes, Mittel dagegen, und das ist: Bestimmte Berufsarbeit . X. Ueberspannte Einbildungskraft — Krank- heitseinbildung — Empfin- deley. D ie Phantasie ward uns zur Würze des Lebens gegeben, aber, so wenig die physische Würze tägliche Nahrung wer- den darf, eben so wenig darf das geistige Leben diese Seelenwürze misbrauchen. Zwar exaltirt man dadurch sein Lebens- gefühl, aber man beschleunigt auch das intensive Leben und die Lebensaufrei- bung, und hindert die Restauration, wie das schon die Magerkeit solcher Leute von feuriger Imagination beweist. Ue- berdiess disponirt man dadurch den Körper zu plözlichen und gewaltsamen Revolutionen, die Lebensgefährlich werden können, weil bey überspannter Imagination ein kleiner Funken die ge- waltigste Explosion bewirken kann. — Wer also lange zu leben wünscht, der lasse diese Seelenkraft nie zu sehr die Oberherrschaft gewinnen, und nie ei- nen fortdauernd exaltirten Zustand be- wirken; sondern er benutze sie dazu, wozu sie uns gegeben ward, den schönen Augenblicken des Lebens einen noch höhern Glanz zu geben, die schaalen und unschmackhaften zu würzen und die traurigen zu erheitern. Besonders kann sie dem Leben sehr nachtheilig werden, wenn sie gewisse Richtungen nimmt, die durch ihre Ne- benwirkungen doppelt schaden, und da scheinen mir zwey vorzüglich gefähr- lich: die Krankheitseinbildung und die Empfindeley . Die erstere Imaginationskrankheit ist hauptsächlich ein Eigenthum der Hy- pochondristen, kann aber auch bey Nichtärzten dadurch erzeugt werden, wenn sie zuviel medizinische Schriften lesen, die sie denn, nicht wie der Arzt, auf die Kunst, sondern auf ihre eigne Person anwenden, und aus Mangel hin- reichender Kenntnisse sehr leicht irrig deuten (ein neuer Grund, sich vor dieser Lectüre zu hüten). Ich habe erstaunli- che Beyspiele davon gesehen; nicht al- lein Leute, die sich bey völlig geraden Nasen festiglich einbildeten, schiefe Na- sen zu haben, die sich bey einem sehr schmächtigen Bauch nicht von der Idee abbringen liessen, die Wassersucht im höchsten Grade zu haben u. dgl., sondern ich habe eine Dame gesehen, die man nur mit einiger Aufmerksamkeit nach einem örtlichen Zufall zu fragen brauch- te, um ihn auch sogleich zu erregen; ich fragte nach Kopfweh, und es ent- stand, nach Krämpfen in dem Arm, nach Schluchsen, und die Krämpfe und der Schluchsen waren auf der Stelle da. Tulpius erzählt das Beyspiel eines Menschen, der durch das Lesen vieler medizinischen und chirurgischen Bücher wahnsinnig wurde. Monro sah einen Menschen, der un- ter Boerhaave Medizin studirte, und Hy- pochondrist dabey war. So oft er einer Vorlesung des Boerhaave beygewohnt hatte, bildete er sich allemal ein, auch die Krankheit zu haben, die vorgetra- gen worden war. Auf diese Art war er der beständige lebendige Commentar der Krankheitslehre, und er hatte kaum die Hälfte dieses angreifenden medizini- schen Cursus durchgemacht, als er im äussersten Grade elend und abgezehrt war, und diess Studium ganz aufgeben musste. — Ja man hat sogar ein Bey- spiel, dass sich einer einbildete, wirk- lich gestorben zu seyn, und fast darüber verhungert wäre, wenn ihn nicht ein Freund, der sich auch tod stellte, über- redet hätte, dass es auch in der andern Welt Sitte wäre, sich täglich satt zu essen. Der Schaden dieser Krankheitsein- bildungen liegt nicht allein darinn, dass dadurch ewige Furcht und Angst unter- halten und manche Krankheit wirklich dadurch erzeugt wird, weil man sich einbildet, sie zu haben, sondern auch, dass nun das unnütze und widersinnigste Mediziniren gar kein Ende nimmt, wel- ches den Körper oft schneller aufreibt, als die Krankheit selbst, wenn sie da wäre. Nicht weniger schädlich ist die zweyte Krankheit der Einbildungskraft, die Empfindeley , die romanhafte Denk- art, die traurige Schwärmerey. Es ist ganz einerley, ob man die traurigen Be- gebenheiten selbst erlebt, oder durch Romanen und Empfindeley sich so leb- haft macht, dass man eben das nieder- schlagende Gefühl davon hat. Ja es ist in so fern noch nachtheiliger, weil es dort ein natürlicher Zustand, hier aber ein erkünstelter und also desto angrei- fenderer Affect ist. Wir haben gesehen, wie äusserst schädlich Traurigkeit für alle Lebenskraft und Bewegung ist. Man kann also leicht denken, wie de- struirend eine solche Seelenstimmung seyn muss, die beständigen Trübsinn zum Gefährten des Lebens macht, die sogar die reinsten Freuden mit Thrä- nen und herzbrechenden Empfindun- gen geniesst. Welche Tödtung al- ler Energie, alles frohen Muths! Ge- wiss, ein Paar Jahre in einem sol- chen Herzenszwange zugebracht, kön- nen das Leben um ein ansehnliches ver- kürzen. XI. Gifte sowohl physische als contagiöse. W ir verstehen darunter alle die Sub- stanzen, die schor in geringer Menge sehr nachtheilige oder zerstörende Wir- kungen in dem menschlichen Körper hervorbringen können. Es giebt deren sehr viele in der Natur, und von man- nichtfaltiger Art; einige wirken heftig, andere schleichend, einige schnell, andere langsam, einige von aussen, andere von innen, einige sichtbar, andere unsichtbar, und es ist nicht zu leugnen, dass sie un- ter die allgemeinsten und gefährlichsten Feinde des Lebens gehören. Ich halte es daher für sehr noth- wenig und für einen wesentlichen Theil der allgemeinen Bildung und Kultur des Menschen, dass ein jeder diese Gifte er- kennen und vermeiden lerne, weil man sonst durch blosse Unwissenheit und Un- achtsamkeit unzählichen Vergiftungen ausgesezt ist. Das Thier hat Instinkt, um die Gifte zu erkennen und zu fliehen, der Mensch Vernunft und Erfarung; aber noch wird diese bey weitem nicht allgemein genug über diesen Gegenstand benuzt. Diess ist hier mein Zweck, sol- che allgemeine Kenntnisse und Begriffe mitzutheilen, die jeder Mensch zur Ver- meidung dieser Lebensfeinde zu wissen nöthig hat. Es ist ein sehr nachtheiliges Vorur- theil, dass man nur das gewöhnlich für Gift hält, was durch den Mund in uns aufgenommen wird. Durch alle, sowohl äusserliche als innerliche Flächen und Theile unsers Körpers können wir vergiftet werden; in so fern sie alle Ner- ven und einsaugende Gefässe haben; also durch Mund und Magen, durch den Mastdarm, durch die ganze Ober- fläche der Haut, die Nasenhöhle, die Ohren, die Geschlechtstheile, die Lun- ge (durch Hülfe der Luft). Der Unter- schied liegt blos darinne, dass die Wir- kung in manchen Theilen langsamer, in manchen schneller erfolgt, auch dass manche Gifte vorzüglich auf diesen, an- dre auf jenen Theil wirken. Ich theile alle Gifte in zwey Klassen, die physischen und die contagiösen , wel- che leztern sich dadurch unterscheiden, dass sie sich immer in einem lebenden Körper erzeugen, und die Kraft besitzen, in einem andern das nämliche Gift her- vorzubringen. Unter den physischen ist die Kennt- niss folgender vorzüglich nöthig: Das Arsenik, Operment , unter dem Namen Rattengift am meisten bekannt, das das heftigste unter allen Giften. Es tödtet in den kleinsten Dosen (5-6 Gran sind hinreichend) unter den grausamsten Schmerzen, und sehr schnell. Unzählig sind die Fälle, wo sich Menschen da- durch den grausamsten Tod gaben, und zwar weit mehr aus Unwissenheit und Leichtsinn, als aus Absicht. Ich glaube daher, es wäre weit besser, dieses schreckliche Gift ganz aus der menschli- chen Gesellschaft zu verbannen, insbe- sondere da es von so wenig Nutzen ist, der sich im Publikum fast lediglich auf Tödtung der Mäuse und Ratten ein- schränkt. Wenigstens sollte es schlech- terdings bey keinem Materialisten und Würzkrämer, in keinem Laden, wo Zucker, Kaffee und andere Consumtibi- lien vorräthig sind, verkauft werden. Bis dahin halte ichs wenigstens für Pflicht, auf einige Arten aufmerksam zu machen, wodurch Arsenikvergiftung sehr leicht möglich wird, und schon oft geschehen ist, und dafür zu warnen. Eine der häufigsten ist die Absicht, Mäuse und D d andre Thiere damit zu tödten. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen schon durch solches Gift ums Leben gekom- men sind, das man Mäusen bestimmt hatte, so sollte man doch am Ende diese Gewohnheit ganz unterlassen. Man glaube nicht, dass grosse Vorsicht dabey allen Schaden unmöglich mache. Die grösste Vorsicht ist diess nicht ganz zu verhüten im Stande. So weiss ich ein Beyspiel, wo eine im Keller stehende frische Milch durch Mäuse vergiftet wurde, die vorher Rattengift genossen, und hierauf von dieser Milch gesoffen hatten. Weit besser ists, sich zu diesem Behuf der Krähenaugen ( Nux Vomica ) zu bedienen, die dem Menschen weit weniger schädlich und den Thieren äus- serst giftig sind. Eine andre weniger be- merkte Vergiftungsart mit Arsenik ist die durch arsenikalische Mahlerfarben. Mahler von Profession wissen sich dage- gen schon mehr zu schützen; aber Dilet- tanten und Kinder sollten beym Ge- brauch solcher Farben sehr vorsichtig seyn, und am wenigsten die üble Ge- wohnheit annehmen, die Pinsel durch den Mund zu ziehen. Eben so gefähr- lich sind Spielsachen, mit arsenikalischen Farben bemahlt, welches durchaus nicht gestattet werden sollte. Noch rathe ich endlich, sich für einer Arsenikvergiftung zu hüten, welche Quacksalber und her- umziehende Charlatans ausüben. Sie verkaufen häufig Tropfen wider das kalte Fieber, die nichts anders als Arse- nik enthalten, und die zwar das Fieber oft auf der Stelle heilen, aber hinter- drein Auszehrung und tödliche Folgen erregen. Man hüte sich ums Himmels willen für solchen Arcanen. Ein nicht weniger furchtbares Gift ist das Bley . Es ist in so fern vielleicht noch furchtbarer, als Arsenik, weil es langsamer und schleichender wirkt, sich nicht sogleich durch heftige Wirkungen zu erkennen giebt, und weil man da- durch schon völlig vergiftet seyn kann, ehe man es noch weiss, dass man ver- D d 2 giftet ist. Hier also besonders sind ge- wisse Vergiftungsarten möglich, die ein grosser Theil des Publikums gar nicht bemerkt, und auf die ich hier aufmerk- sam machen muss. Die erste ist, wenn man täglich etwas Bley mit Speisen und Getränken zu sich nimmt, so können zulezt, oft erst nach Jahren, die fürch- terlichen Zufälle einer unheilbaren Bley- vergiftung ausbrechen. Diess geschieht, wenn man die Speisen in zinnernen, viel Bley enthaltenden Geschirren, oder auch in solchen, die sehr schlecht gla- surt sind, kochen lässt, oder wenn man mit Bley verfälschten Wein trinkt (wel- ches durch die Hahnemannsche Wein- probe am besten zu entdecken ist). — Eine andre Art von sehr gewöhnlicher Bleyvergiftung ist das Schminken mit Bleykalchen, bleyischen Waschwassern u. dgl. Alle Schminken sind schädlich, aber am meisten die weissen, weil sie fast alle Bleykalch enthalten und die Bleytheilchen durch die Haut eben so gut wie durch den Magen in uns kom- men können. Endlich ist auch die Bley- vergiftung von frisch mit Bleyweiss oder Oelfirniss gemahlten Zimmern nicht zu vergessen. Wer diese zu bald bewohnt, der kann das Gift vorzüglich seiner Lun- ge mittheilen und engbrüstig auch hectisch werden. Ueberhaupt sind die Zeichen und Wirkungen der Bleyvergis- tung diese: Kolikschmerzen, Trocken- heit und hartnäckige Verstopfung des Stuhlgangs, Lähmung der Arme, auch wohl der Füsse, endlich gänzliche Ver- trocknung des Körpers und der Tod durch Abzehrung. Hieher gehören ferner die Quecksil- ber-Spiessglas - und Kupferzubereitungen , welche alle als schädliche Gifte zu be- trachten sind, und wobey besonders für dem Kochen in kupfernen Geschirren zu warnen ist. Selbst die meisten Mittel- salze, wenn sie in zu starker Menge auf einmal und nicht hinlänglich in Wasser aufgelöset genommen werden, können als Gifte wirken. Es sind mir einige Beyspiele vorgekommen, wo zwey, drey Loth Salpeter oder Alaun, den man statt Glaubersalz auf einmal nahm, alle Zu- fälle einer heftigen Vergiftung erregten, die nur mit Mühe gedämpft werden konnten. Das Pflanzenreich enthält eine Men- ge Gifte, die theils betäubend tödten (als Opium, Belladonna ), theils durch Schärfe, Entzündung und Brand (als Mezereum, Euphorbium ). Sehr häufig wird auch hier durch Unwissenheit ge- fehlt. Unzählig sind die Beyspiele, wo man statt Körbel Cicuta zum Sallat, statt Pastinakwurzeln Bilsenkrautwurzeln zum Gemüsse, statt essbarer Schwämme giftige, oder die Beeren von der Toll- kirsche, vom Seidelbast u. dgl. genoss, und sich dadurch den Tod zuzog. Es sollte also durchaus in den Schulen ei- nem jeden Menschen der nöthige Unter- richt über die in seiner Gegend wach- senden Giftpflanzen mitgetheilt werden, und, da mir hier der Raum verbietet, sie einzeln durchzugehen, so will ich hier ein Buch empfehlen, woraus man diese Kenntniss am besten und vollkom- mensten erhält. Halle teutsche Giftpflanzen zur Verhütung trau- riger Vorfälle, mit illum. Kupf, 2 Bände, 3te Auflage. Die in Teutschland gefährlichsten Giftpflanzen, deren Kenntniss und Ver- meidung am nöthigsten ist, sind: Toll- kirsche ( Belladonna ), Schierling ( Cicuta ), Bilsenkraut ( Hyoscyamus ), Eisenhüt- lein ( Aconitum ), der rothe Fingerhut ( Digitalis ), Nachtschatten ( Solanum ), Wolfskirsche ( Esula ), das Tollkorn ( Lo- lium temulentum ), Kellerholz ( Daphne ), mehrere Arten Ranunculus , der giftige Lattich ( Lactuca virosa ), der Kirschlor- beer ( Laurocerasus ). Auch die bittern Mandeln gehören hieher, welche nach den neuesten Erfarungen ein äusserst tödliches Gift enthalten, das dem Gift des Kirschlorbeers nichts nachgiebt. Selbst die Luft kann vergiftet seyn, in der wir leben, und so können wir entweder schnell oder schleichend ge- tödet werden. Ich rechne dahin vor al- len das Gift, was wir selbst der Luft durchs Leben und Athemholen mitthei- len. Lebende Geschöpfe zehren in ei- ner gewissen Quantität Luft den reinen Stoff oder die Lebensluft auf, und thei- len ihr dafür unreine und nicht zum Athmen taugliche Stoffe mit. Ist eine grosse Menge Menschen in einen kleinen Raum eingeschlossen, so kann es bald tödlich werden Wie das schreckliche Beyspiel in Calcutta zeigte, wo in der schwarzen Höle von 146 Engländern in kaum 12 Stunden, blos durch Vergiftung der Luft, 123 getödet wurden. S. Zimmermann von der Ersarung. Ist der Raum grösser, und die Menge kleiner, so ist es zwar nicht tödlich, aber dennoch schädlich. Man vermeide daher Oerter, wo solche unverhältnissmässige Menschenmassen zusammengepresst sind, vorzüglich wenn sie nicht genug Höhe oder Luftzugang von aussen haben. Am häufigsten ist diess in Schauspielhäusern der Fall. Eins der sichersten Kennzeichen dieser Luft- vergiftung ist: wenn die Lichter nicht hell mehr brennen wollen, oder wohl gar hie und da von selbst ausgehen. In eben dem Verhältniss wird sie auch zum Leben untauglich, denn Feuer und Le- ben brauchen einerley Theile aus der Luft zu ihrer Erhaltung. Wer sein Wohn- oder Schlafzimmer beständig fest verschlossen hält, der übt eine ähnliche langsame Vergiftung an sich aus. Auf ähnliche Art kann die Luft vergiftet wer- den, wenn eine grosse Menge Lichter zugleich in einem eingeschlossnen Zim- mer brennen. Eben so, wenn man glü- hende Kohlen in eine eingeschlossne Kammer sezt, und dabey einschläft, wo- durch schon öfter der Tod erfolgte. Auch, wenn man des Nachts sehr viele Pflanzen und Gewächse in einem einge- schlossnen Zimmer bey sich hat, so er- leidet die Luft eine ähnliche Art von Ver- giftung, da hingegen dieselben Pflanzen bey Tage und im Sonnenschein die Luft gesünder machen. Nicht weniger ist die Ausdünstung faulichter Substanzen das zu thun fähig. Sogar die stark rie- chenden Ausdünstungen der Blumen können der Luft in einem eingeschloss- nen Zimmer schädliche, ja tödliche Ei- genschaften mittheilen, daher es nie zu rathen ist, stark riechende Blumen, Oran- gen, Narcissen, Rosen u. s. w. in die Schlafkammer zu stellen. Aber weit wichtiger und furchtba- rer noch scheint mir die Klasse der con- ragiösen Gifte , zu der ich nun komme, und ich erbitte mir hierbey die grösste Aufmerksamkeit. Von jenen physischen Giften bekommt man wohl noch allen- falls Unterricht, man hat Bücher dar- über, man kennt und flieht sie. Ganz anders mit den contagiösen , man hat ih- nen gleichsam, als unvermeidlichen und nothwendigen Uebeln, das Bürgerrecht gestattet, man kennt sie gar nicht als Gifte, sondern nur von Seiten der Krank- heiten, die sie erregen, man vergiftet und wird vergiftet, und treibt diesen fürchterlichen Tauschhandel täglich und stündlich, ohne dass ein Mensch dabey weiss oder denkt, was er thut. Die physischen Gifte sind, wie sichs gehört, dem Polizeygesetze unterworfen, der Staat sorgt für ihre Verwahrung und Einschränkung, und man betrachtet und behandelt den, der sie einem andern wis- sentlich beybringt, als einen Verbrecher; um die contagiösen hingegen bekümmert sich keine Polizey, kein Gesetz, sie wü- then ungestöhrt unter uns fort, der Mann vergiftet die Frau, der Sohn den Vater, und kein Mensch fragt darnach. — Die physischen Gifte endlich schaden doch nur dem Individuum, das sie sich beybringt, hingegen die contagiösen be- sitzen die besondere Kraft, sich in jedem lebenden Wesen zu reproduzieren und ins Unendliche zu erzeugen, sie schaden also nicht blos dem Vergifteten, son- dern machen ihn nun wieder zu einer neuen Giftquelle, wodurch ganze Orte und Gegenden vergiftet werden kön- nen. Ich könnte hier die traurigsten Bey- spiele anführen, von Menschen, die blos durch Unwissenheit auf solche Weise vergiftet wurden, von andern, die an- dere, oft ihre nächsten Freunde, vergif- teten, blos weil sie diese Arten der Gifte und ihrer Mittheilung nicht kannten. Ich halte diese Kenntniss für so nothwen- dig und für noch so sehr im Publicum mangelnd, dass ich mit Vergnügen diese Gelegenheit ergreife, etwas unterrich- tendes darüber zu sagen. Contagiöse Gifte heissen diejenigen, die sich nie anders als in einem leben- den thierischen Körper erzeugen und die Kraft besitzen, wenn sie einem an- dern mitgetheilt werden, sich in dem- selben zu reproduziren, und die nehm- liche Verderbniss und Krankheit hervor- zubringen, die der erste hatte. Jede Thierklasse hat ihre eignen, die auf an- dere nicht wirken. So hat das Men- schengeschlecht die seinigen, welche den Thieren nichts anhaben, z. E. das venerische Gift , das Pockengift etc., die Thiere hingegen die ihrigen, die nicht auf den Menschen wirken, z. E. das Hornviehseuchengift , das Rozgift bey Pferden. Nur eins ist mir bekannt, was Thieren und Menschen eigen ist, das Wuthgift . Man nennt sie auch Anste- ckungsgifte, Contagien, Miasmen . Ein sehr merkwürdiger Unterschied unter ihnen ist der, dass sich manche nie wieder von neuen, ohne äussere Anste- ckung, erzeugen, wie z. E. das veneri- sche Gift, das Blattergift, das Masern- gift, das Pestgift, das Aussatzgift, an- dere hingegen können immer noch von neuen, ohne Ansteckung, blos durch gewisse im thierischen Körper entstehen- de Veränderungen und Verderbnisse her- vorgebracht werden, z. B. das Kräzgift, das Fäulnissgift, das Schwindsuchtsgift u. s. w. Man hat daher schon oft ge- fragt: wie wohl die Gifte der erstern Klasse entstanden seyn mögen? und es ist schwehr diese Frage zu beantworten; indess erlaubt uns die Analogie der lez- tern Klasse anzunehmen, dass sie auch zuerst im menschlichen Körper erzeugt worden sind, aber durch eine so seltne Konkurrenz innrer und äussrer Umstän- de, dass Jahrtausende dazu gehören, ehe so etwas wieder möglich ist. Es folgt aber auch hieraus, dass diese Gifte, da sie immer, um fortzudauern, in einem lebenden Körper reproduzirt werden müssen, auch wieder aufhören können, sobald ihnen durch Zufall oder durch absichtliche Anstalten diese Gelegenheit benommen wird, sich wieder zu erzeu- gen (ein tröstlicher Gedanke, auf dem die Ausrottung oder wenigstens Verwei- sung derselben aus manchen Gegenden beruht, und von dessen Wahrheit uns einige solche Gifte überzeugen, welche sonst sehr gewöhnlich unter uns waren, aber jezt durch weise Anstalten unter den cultivirten Nationen ausgerottet sind, z. E. das Pestgift, das Aussatzgift). Aber eben so gegründet ist auch die Fol- ge, dass durch eine neue Konkurrenz ungewöhnlicher Umstände und Verderb- nisse im thierischen Körper, auch noch ganz neue Gifte der Art hervorgebracht werden können, von denen die Welt bisher nichts wusste. Es gehört aber zur Wirkung aller dieser Giftarten nicht blos (wie bey an- dern) die Mittheilung oder Ansteckung von aussen, sondern auch eine gewisse Disposition oder Empfänglichkeit des Körpers, sie aufzunehmen. Daher das merkwürdige Phänomen, dass manche Menschen sehr leicht, manche sehr schwehr, manche gar nicht vergiftet werden können, ja dass manche dieser Gifte nur einmal auf uns wirken kön- nen, weil durch eine Vergiftung die ganze fernere Empfänglichkeit dafür auf immer aufgehoben wird, wie wir solches bey dem Blattern- und Masern- gift wahrnehmen. Die Mittheilung selbst kann zwar scheinbar auf sehr mannigfaltige Art ge- schehen, aber immer reduzirt sie sich auf den einfachen Grundsatz: Es gehört durchaus unmittelbare Berührung des Gifts selbst dazu, wenn es sich mittheilen soll . Nur muss man diess recht verste- hen. Diese unmittelbare Berührung des Gifts kann sowohl an dem Körper des Kranken, als auch an einem andern Kör- per geschehen, mit dem sich das Gift verbunden oder an dem es sich ange- hängt hat, z. E. abgesonderte Theile des Kranken, Ausleerungssäfte, Kleidung, Meubles u. dgl. Nur äusserst wenige Gifte dieser Art haben die Eigenschaft, sich auch in der Luft aufzulösen, z. E. das Blattergift, Maserngift, Faulfieber- gift, aber diese Luftauflösung bleibt nur in der Nähe des Kranken giftig, oder, mit andern Worten, nur die nahe At- mosphäre des Kranken ist ansteckend. Wird sie aber durch mehr zudringende Luft vermischt und verdünnt, so geht es ihr wie jeder Giftauflösung, (z. E. Subli- mat) mat) sie hört am Ende auf giftig zu wir- ken, d. h. in die Entfernung kann das Gift durch Luft nicht fortgetragen werden. Meine Absicht ist hier vorzüglich, das nichtmedizinische Publikum in den Stand zu setzen, diese Gifte zu vermei- den, oder doch (was gewiss jedem gut- denkenden nicht gleichgültig seyn kann) sie, wenn man vergiftet ist, wenigstens nicht andern mitzutheilen. Ich werde daher zuerst einige allgemeine Regeln angeben, wie man sich vor Ansteckung überhaupt sichern kann, und denn die, bey uns am häufigsten vorkommenden. Gifte der Art einzeln durchgehen, und ihre Erkenntniss und Verhütung be- stimmen. Die besten Mittel, wodurch sich der Mensch überhaupt für Ansteckungen von jeder Art schützen kann, bestehen in folgenden Regeln: E e 1. Man beobachte die grösste Rein- lichkeit, denn durch die äussere Ober- fläche werden uns die meisten Gifte die- ser Art mitgetheilt, und es ist erwiesen, dass schon wirklich mitgetheilte Gifte durch Reinigungen wieder entfernt wer- den konnten, ehe sie noch uns wirklich eigen wurden. Ich rechne dahin, das öftre Waschen, Baden, Ausspülen des Mundes, Kämmen, den öftern Wechsel der Wäsche, Kleider, Betten. 2. Man sorge für reine Luft im Zim- mer, für öftern Genuss der freyen Luft, und mache sich fleissig körperliche Be- wegung. Dadurch erhält man die Aus- dünstung und die Lebenskraft der Haut, und je thätiger diese ist, desto weniger hat man von äussrer Ansteckung zu fürchten. 3. Man erhalte guten Muth und Heiterkeit der Seele. Diese Gemüths- stimmung erhält am besten die gegen- wirkende Kraft des Körpers, freye Aus- dünstung und den Trieb der Säfte nach aussen, wodurch gar sehr die Aufnahme der Contagien gehindert wird. Diese Regel ist besonders bey herrschenden Faulfiebergiften zu empfehlen, daher dann auch ein gut Glas Wein so nüz- lich ist. 4. Man vermeide alle nähere Berüh- rung mit Menschen, die man nicht, auch von Seiten ihres Physischen, ganz genau kennt; vorzüglich die Berührung mit Theilen, die gar keine oder eine äusserst feine Oberhaut haben, z. E. ver- wundete Stellen, Lippen, Brustwarzen, Zeugungstheile, als wodurch die Ein- saugung am schnellsten geschehen kann. Aber auch die Berührung solcher Sub- stanzen gehört hieher, die noch Theile oder Ausleerungen von Menschen seit kurzen erhalten haben können, z. E. der eben von andern gebrauchten Trinkgläser, Hemden, Unterkleider, Handschuhe, Tabakspfeifen, Secreto u. dergl. E e 2 5. Wenn ansteckende Krankheiten an einem Orte herrschen, so empfehle ich sehr die Regel, nie nüchtern auszu- gehen, weil man nüchtern am leichte- sten von aussen einsaugt, sondern immer erst etwas zu geniessen, auch, wenn man es gewohnt ist, vorher eine Pfeife Tabak zu rauchen. Nun zur Betrachtung der bey uns vorkommenden einzelnen Ansteckungs- gifte. 1. Das venerische Gift. Traurig ist das Loos der neuern Zei- ten, in denen dieses Gift erst bekannt und verbreitet worden ist, und traurig das Gefühl, was den Menschenfreund bey Betrachtung desselben und seiner Fortschritte befällt! Was sind alle, auch die tödlichsten Gifte, in Absicht auf die Menschheit im Ganzen, gegen das venerische? Diess allein vergiftet die Quellen des Lebens selbst, verbittert den süssesten Genuss der Liebe, töd- tet und verdirbt die Menschensaat schon im Werden und wirkt also selbst auf die künftige Generation, schleicht sich selbst in die Zirkel stiller häuslicher Glückseligkeit ein, trennt Kinder von Eltern, Gatten von Gatten, und löset die heiligsten Bande der Menschheit. Dazu kommt noch, dass es zu den schleichenden Giften gehört, und sich gar nicht immer gleich durch heftige und Aufmerksamkeit erre- gende Zufälle verräth. Man kann schon völlig vergiftet seyn, ohne es selbst zu wissen, woher die üble Folge entsteht, dass man es gewöhnlich erst recht allge- mein und tief einwurzeln lässt, ehe man die nöthigen Mittel dagegen anwendet, und auch wohl noch andere vergiftet, ohne es zu wollen oder zu wissen. Eben deswegen kann man auch oft nicht ein- mal ganz gewiss seyn, ob man völlig hergestellt ist oder nicht, und muss oft sein ganzes Leben in dieser tödlichen Ungewissheit zubringen. Und ist es denn zu seiner ganzen Höhe gelangt, welche abscheuliche Zerstöhrungen rich- tet es im menschlichen Körper an! Die scheuslichsten Geschwühre bedecken den ganzen Körper, die Knochen werden zernagt, ganze Theile sterben ab, Nasen- und Gaumenknochen gehen verloren, und mit ihnen Wohlgestalt und Sprache; die peinlichsten Schmerzen im innern Mark der Knochen foltern den Unglück- lichen, besonders des Nachts, und ver- wandeln die Zeit der Ruhe in die quaal- vollste Tortur. Genug, das venerische Gift vereint alles, was nur ein Gift peinliches, ekel- haftes, langwieriges und fürchterliches haben kann, und mit diesem Gifte trei- ben wir Scherz, belegen es mit dem ar- tigen gefälligen Namen der Galanterie- krankheiten, tändeln damit, wie mit Husten und Schnupfen, und versäumen sogar, sowohl im Ganzen als im Einzel- nen, die schicklichen Hülfsmittel zur rechten Zeit dagegen anzuwenden? Niemand denkt daran, den unaufhörli- chen Fortschritten dieser schleichenden Pest Einhalt zu thun, und mein Herz blutet mir, wenn ich sehe, wie das sonst so blühende und robuste Landvolk, der eigentliche Kern für die Erhaltung einer kräftigen Menschheit, auch in unsern Gegenden, wo es bisher noch den Na- men dieses Giftes nicht kannte, schon anfängt, durch die Mittheilung der Städte davon angegriffen zu werden; wenn ich Städte sehe, wo es noch vor 20 Jahren eine Seltenheit war, und jezt schon allgemein geworden ist, und an- dere, von denen es erwiesen ist, dass zwey Drittheil der Einwohner venerisch sind; — wenn ich in die Zukunft blicke, und bey fernerer ungestöhrten Fortwir- kung des Gifts es unvermeidlich finde, dass nicht zulezt alles, auch die ehrbar- sten Familien (durch Kindermägde, Am- men etc.), davon angesteckt werden, — wenn ich die traurigsten Beyspiele vor mir sehe (wie ich deren noch ganz kürz- lich erlebt habe), wie die sittlichsten, ehrbarsten und ordentlichsten Menschen, ohne Ausschweifung und ohne es zu wissen, davon angesteckt, und selbst die Hütten der Unschuld, ohne Verschulden, davon heimgesucht werden können! Es ist die höchste Zeit, diesem um sich greifenden Verderben Einhalt zu thun, und ich sehe dazu kein ander Mit- tel, als Sorgfalt für mehrere Sittlichkeit (besonders der höhern Stände), eine gute Gesundheitspolizey und allgemei- nere Aufklärung des Volks über die Natur des Gifts, seine Gefahren und be- sonders seine Erkenntniss- und Verhü- tungsmittel. Das erstere müssen wir weisen Obrigkeiten überlassen (denen dieser Gegenstand gewiss nicht länger mehr gleichgültig seyn wird); das lez- tere will ich durch gegenwärtigen Un- terricht zu bewirken suchen. Zuerst die Erkenntnissmittel der Vergiftung: 1. Wenn man kürzlich eine andere Person, oder eine Sache, die animalische Theile enthalten kann, genau berührt hat, und zwar mit zarten, wenig oder keine Oberhaut habenden Theilen. 2. Wenn man nun längere oder kürzere Zeit darnach (gewöhnlich bin- nen 4 Wochen), an diesem Orte eines oder mehrere von folgenden Uebeln be- merkt: Kleine Geschwühre, die aber speckigt aussehen und nicht heilen wol- len, oder Warzen und kleine Fleisch- auswüchse, oder Entzündung, oder ein Ausfluss von Schleim (wenn es ein Schleim absondernder Theil ist), auch Anschwellungen, Schmerzen und Ver- härtungen der Drüsen in der Nähe. — Wenn solche Erscheinungen vorkom- men, dann ist man schon vergiftet, ob- wohl nur erst örtlich, aber es ist sehr nöthig, dass man sich sogleich einem geschickten Arzte (keinem Charlatan oder Barbierer), anvertraue, damit es ge- dämpft werde, ehe es noch in die ganze Saftmasse übergehe und allgemeine Ver- giftung werde. 3. Wenn nun aber auch an entfern- ten Theilen die Drüsen anschwellen, Ausschläge von verschiedner Gestalt, oder Geschwühre, oder Fleischwarzen entstehen, insbesondere, wenn der Gau- men und Zapfen weh zu thun, oder die Augen sich zu entzünden, oder an der Stirn immer rothe, grindigte, schwind- artige Flecken aufzufahren anfangen, dann erkennt man, dass der ganze Körper schon von dem Gifte durchdrungen ist, oder die allgemeine Ansteckung. Die Regeln zur Verhütung der ve- nerischen Vergiftung reduziren sich auf folgende: 1. Man vermeide den vertrauten Umgang mit einer Weibsperson, von deren guten Gesundheitszustand man nicht die genaueste Ueberzeugung hat. Und da es nun einen Zustand der vene- rischen Krankheit geben kann, der äusserlich durch gar nichts zu erkennen ist, so folgt, dass man nie sicher seyn kann, und dass das einzige Präservativ bleibt, den ausserehelichen Umgang mit dem andern Geschlecht ganz zu ver- meiden. 2. Man küsse niemand auf die Lip- pen, von dessen physischen Zustand man keine genaue Kenntniss hat. Es ist da- her sehr unvorsichtig, das Küssen, wie es so häufig geschieht, zu einer allge- meinen Höflichkeitsbezeugung zu ma- chen, und schrecklich ist mirs, wenn ich sehe, wie artige Kinder auf den Strassen von jedem Vorübergehenden geherzt werden. Diess sollte man durch- aus nicht gestatten. 3. Man schlafe bey niemanden, den man nicht genau kennt. 4. Man ziehe kein Hemd, kein Un- terkleid an, bediene sich keines Betts, das kurz vorher eine andre Person ge- braucht hat, die man nicht genau kennt. Daher muss man in Gasthöfen entweder unter seinen Augen die Betten weiss überziehen lassen, oder sich ganz ange- zogen nur oben darauf legen. 5. Man nehme nichts in den Mund, was kurz vorher ein andrer im Munde hatte, z. E. Tabakspfeifen, Blaseinstru- mente; auch Trinkgeschirre, Löffel u. s. w. gehören dazu. Man sollte nie schon gebrauchte Tabakspfeifen in den Mund nehmen, besonders an Orten, wo das venerische Uebel häufig ist. Noch vor kur- zem hatte ich üble venerische Geschwühre in dem Munde zu behandeln, die blos von einer solchen Tabakspfeife entstanden waren. 6. Man vermeide auf Abtritten sorg- fältig die Berührung der Gegend mit den Zeugungstheilen, wo vielleicht kurz zu- vor ein andrer vergifteter sass. Eben so viel Vorsicht ist bey dem Gebrauch publiker Klystierröhren, und andrer In- strumente nöthig. 7. Sehr wichtig und grosser Auf- merksamkeit werth ist die Mittheilung durch die Brüste. Eine venerische Amme kann das Kind, und eben so ein veneri- sches Kind die Amme vergiften. Wie sorgfältig sollte also jede Amme, vorzüg- lich in grossen Städten, erst untersucht werden. Stoll fand einst von vierzig, die sich zu einem Ammendienst angebo- ten hatten, nur eine unverdächtig und sicher. — Aber auch die Weiber, die man zum Aussaugen der Milch an man- chen Orten braucht, sind nicht gleich- gültig. Sind sie venerisch, so können sie diess Gift der, welche sie aussaugen, mittheilen, und man hat Beyspiele, dass eine solche Person eine Menge recht- schaffne Mütter infizirt hat. 8. Bey allen Geschäften des Accou- chements ist grosse Vorsicht nöthig, nicht allein für den Accoucheur, der, wenn er eine kleine Wunde an den Hän- den hat, sehr leicht von einer veneri- schen Gebährerin angesteckt werden kann, sondern auch für die Gebährende, denn auch sie kann bey diesem Geschäft infizirt werden, wenn die Hebamme venerische Geschwühre an den Hän- den hat. 2. Das Blattern- und Maserngift. Beyde Gifte zeichnen sich dadurch aus, dass sie allemal eine fieberhafte Krankheit und einen Hautausschlag, jene von eiternden Pusteln und diese von kleinen rothen Flecken, erregen, und nur einmal in dem nehmlichen Subject als Gift wirken können. Man kann diese Gifte sehr gut ver- meiden, wenn man die Berührung des Gifts vermeidet, also entweder die Be- rührung des Kranken und seiner abge- sonderten Theile, oder solcher Dinge, die er angerührt hatte, oder seiner na- hen Atmosphäre. Denn, dass das Blat- tergift in die Entfernung durch Luft fortgetragen werden und anstecken kön- ne, sind längst widerlegte Fabeln. — Es ist folglich unwiderleglich gewiss, dass beyde Krankheiten nicht den Menschen nothwendig sind, dass man sie vermei- den, und, wenn diess allgemein ge- schieht, völlig ausrotten kann, (was auch schon einzelne Länder ausgeführt haben). Da aber zu dieser allgemeinen Wohlthat, so lange man noch nicht all- gemein davon überzeugt ist und selbst Aerzte noch hie und da dagegen sind, noch keine Hofnung ist, so bleibt uns nichts anders übrig, als das Gift, was wir nun leider, unter den jetzigen Um- ständen, als ein nothwendiges Uebel be- trachten müssen, möglichst milde und unschädlich zu machen, und dazu giebt es, nach allen Erfarungen, kein anderes Mittel, als die künstliche Mittheilung, die Inoculation . 3. Das Kräzgift. Ich verstehe darunter den Stoff, der sich von einem Kräzigen auf den Gesun- den fortpflanzen und ihm die Kräze mit- theilen kann; ob er belebt oder unbe- lebt sey, ist hier nicht der Ort zu ent- scheiden, thut auch nichts zur Sache. Dieses Gift theilt sich nur durch un- mittelbare und zwar genaue Berührung, nie durch die Atmosphäre, mit. Man kann es also sehr leicht vermeiden, wenn man die Berührung kräziger Per- sonen, oder solcher Dinge, die sie an sich getragen haben, vermeidet. Haupt- sächlich aber kann die grösste Reinlich- keit in Kleidung und Luft, und öfteres Waschen und Baden diese Krankheit verhüten, daher man sie bey reinlichen Menschen und vornehmern Ständen weit seltner findet. Ist man aber genö- thigt, mit solchen Patienten zu leben, und also nicht ganz sicher die Berüh- rung zu vermeiden, so empfehle ich öfteres Waschen der Hände und des Gesichts mit Wasser, worinnen in 2 Pfund 2 Loth Kochsalz und ½ Loth Sal- peter aufgelöset worden, als ein sehr kräftiges Präservativmittel. 4. Das Faulsiebergift. Es kann sich bey jedem Faulfieber, wenn es heftig wird, erzeugen, und sich dann dann nicht blos durchs Berühren, son- dern auch durch die nahe Atmosphäre des Kranken mittheilen. Man vermeide daher die Annäherung solcher Kranken, wenn man kann. Ist das aber nicht möglich, so beobachte man folgendes. Man verschlucke den Speichel nicht, so lange man bey dem Kranken ist, man stelle sich nicht so, dass man den Athem desselben auffängt, man berühre ihn nicht, man gehe nicht in Pelzen oder dicken wollnen Kleidern zu ihm (weil darinn das Ansteckungsgift am meisten haftet), man wechsele die Kleidung, wasche, spüle sich den Mund aus, so- bald man von dem Kranken kommt, auch ist es sehr zuträglich, so lange man da ist, immer einen Schwamm mit Wein- essig vor Mund und Nase zu halten, oder Tabak zu rauchen. Dieses Gift wird aber meistentheils erst durch Unwissenheit und Vorurtheil der Menschen erzeugt, und man kann aus jedem einfachen Fieber ein Faulfie- F f ber machen, wovon ich hier zur War- nung noch etwas sagen muss. Am ge- wöhnlichsten und gewissesten geschieht diess, wenn man recht viele Kranke zu- sammenlegt (daher in Lazarethen, Ge- fängnissen und Schiffen werden die un- bedeutendsten Fieber leicht Faulfieber), wenn man die Luft im Krankenzimmer nicht erneuert, wenn man den Kranken recht in Federbetten einscharrt und das Zimmer recht heizt, wenn man ihn gleich vom Anfang an Kraftbrühen, Wein, Branntwein, Fleisch zu genies- sen giebt, wenn man den Kranken nicht umkleidet und reinlich hält, und wenn man die innern Reinigungsmittel oder die baldige Hülfe eines vernünftigen Arztes versäumt. Durch alles diess kann ein jedes Fieber zu einem Faulfie- ber gemacht werden, oder, welches eben das ist, das Fäulnissgift in einer Krankenstube erzeugt werden, womit alsdenn oft ganze Städte vergiftet wer- den. 5. Das Wuthgift. Diess erzeugt sich bey Menschen und Thieren, welche die Wuth oder Wasserscheue haben. Es ist vorzüglich dem Speichel beygemischt, und kann nie durch die Luft, nicht einmal durch blosse Berührung mitgetheilt werden, sondern es gehört immer dazu, dass es entweder in eine Wunde (z. E. beym Biss) oder auf Theile mit sehr zarter Epi- dermis (z. E. Lippen, Genitalien) ge- bracht werde. Man kann es daher durch Vermeidung dieser Applicationen sehr gut vermeiden. Vorzüglich aber sind drey Regeln dabey zu empfehlen. Man halte keine unnützen Hunde, denn, je mehr deren existiren, desto häufiger kann dieses Gift erzeugt werden. Man gebe ihnen immer genug zu trinken, lasse sie den Geschlechtstrieb befriedigen, und nicht zu schnell aus Hitze in Kälte oder umgekehrt sich begeben. Man be- obachte und separire jeden Hund wohl, der mit einemmale anfängt nicht zu sau- fen, ein ganz ungewöhnliches Betragen F f 2 anzunehmen, seinen Herrn nicht zu kennen, heiser zu bellen, und man gehe jedem, der verdächtig aussieht, aus dem Wege. Die auffallendsten Kennzeichen eines tollen Hunds sind: Er lässt Ohren und Schwanz hängen, hat triefende Augen und läuft gerade vor sich hin mit gesenktem Haupte. Man findet eine sehr treffende Abbildung in Hahnemanns Freund der Gesundheit. 2. Stück. Die Wirkung dieses furchtbaren Gifts ist, dass man nach längerer oder kürzerer Zeit auch die Wuth und Was- serscheu bekommt, und daran unter den schrecklichsten Convulsionen stirbt. Es ist daher ein grosses Glück, dass man durch häufige Erfarungen die Entde- ckung gemacht hat, dass dieses Gift, wenn es auch schon durch einen Biss mitgetheilt ist, dennoch lange in der Stelle der Mittheilung liegen bleiben kann, ehe es eingesaugt und so dem ganzen Körper mitgetheilt wird. Man kann sich also selbst nach der Vergiftung davon befreyen, und die Wasserscheu zuverlässig verhüten, wenn man nur folgende Mittel braucht: die Wunde muss gleich mit Salzwasser ausgewa- schen, sodann geschröpft, und das Ein- schneiden und Aussaugen so oft wieder- holt werden, bis gar kein Blut mehr herauskommt. Hierauf wird sie mit dem glühenden Eisen oder Schiesspulver ausgebrennt, und dann 7 bis 8 Wochen in starker Eiterung erhalten. Innerlich wird die Belladonna , als das bewährte- ste Mittel, genommen, wozu aber der Rath eines Arztes nöthig ist. 6. Einige, mehr zufällige Gifte. Es giebt noch einige Ansteckungs- gifte, die nicht allemal, sondern nur unter gewissen Umständen, bey man- chen Krankheiten entstehen. Diese Krankheiten sind: der Scorbut, der Krebs, das Scharlachfieber, der Kopf- grind, die Ruhr, die Lungensucht, die Gicht, der fieberhafte Friesel. Diese Krankheiten sind keineswegs immer an- steckend, aber sie können es werden wenn sie einen hohen Grad von Bösar- tigkeit erreichen, oder ein faulichter Zu- stand sich damit verbindet. Und denn ist also immer Vorsicht zu empfehlen, und wenigstens der genaue Umgang mit solchen Kranken d. h. Zusammenwohnen, Zusammenschlafen, das Tragen ihrer Kleider u. dgl. zu vermeiden. XII. Das Alter — Frühzeitige Inoculation desselben. D as unvermeidlichste aller Lebensver- kürzungsmittel! Jener schleichende Dieb, wie es Shakespear nennt, jene un- vermeidliche Folge des Lebens selbst. Denn durch den Lebensprozess selbst müssen nach und nach unsre Fasern trockner und unbrauchbarer, die Säfte schärfer und weniger, die Gefässe ver- schrumpft, und die Organe unbrauch- barer werden, und die Erde endlich überhand nehmen, welche unser sicher- stes Destructionsmittel ist. Also ganz verhütet kann es nicht werden. Die Frage ist nur: Steht es nicht in unsrer Gewalt, es früher oder später herbey zu rufen? Und diess ist denn leider nur zu gewiss. Die neue- sten Zeiten liefern uns erstaunliche Bey- spiele von der Möglichkeit, das Alter frühzeitig zu bewirken, und überhaupt die Perioden des Lebens weit schneller auf einander folgen zu lassen. Wir se- hen jezt (in grossen Städten besonders) Menschen, welche im 8ten Jahre mann- bar sind, im 16ten ohngefähr den höch- sten Punct ihrer möglichsten Vollkom- menheit erreicht haben, im 20sten schon mit allen den Schwächlichkeiten käm- pfen, die ein Beweiss sind, dass es wie- der Bergein geht, und im 30sten das vollkommne Bild eines abgelebten Grei- ses darstellen, Runzeln, Trockenheit und Steifigkeit der Gelenke, Krümmung des Rückgrads, Mangel an Sehkraft und Gedächtniss, graue Haare und zitternde Stimme. Ich habe wirklich einen sol- chen künstlichen Alten, der noch nicht 40 Jahre alt war, secirt, und nicht nur die Haare ganz grau, sondern auch die Rippenknorpel, die sonst nur im höch- sten Alter knöchern werden, ganz ver- knöchert gefunden. Man kann also wirklich die Be- schleunigung der Entwicklungsperioden und des Alters, die im heissen Clima na- türlich geschieht, auch in unserm Clima durch die Kunst nachmachen. Hier also ein Paar Worte von der Kunst sich das Alter in der Jugend zu inoculiren. Es kommt alles blos darauf an, die Lebenskräfte und Säfte recht bald los zu werden, und den Fasern bald möglichst den Grad von Härte, Steifigkeit und Unbiegsamkeit zu ver- schaffen, der das Alter karacterisirt. Die zuverlässigsten Mittel, diess aufs vollkommenste zu erreichen, sind folgende. Es ist oft sehr gut, solche Vor- schriften zu wissen, um das Gegentheil desto eher thun zu können. Und so enthalten sie zugleich das Rezept zu einer recht lange daurenden Jugend. Man braucht sich nur in allen Stücken ganz entgegengesezt zu betragen. Also 1. Man suche die Mannbarkeit durch alle physische und moralische Künsteleyen bald möglichst zu entwi- ckeln, und verschwende die Zeugungs- kräfte so profus als möglich. 2. Man fange recht frühzeitig an, sich die stärksten Strapazen zuzumuthen. Forçirte Courierritte von mehrern Ta- gen, anhaltendes Tanzen, durchwachte Nächte und Abkürzung aller Ruhe wer- den dazu die besten Dienste thun. Man erreicht dadurch eine doppelte Absicht, einmal die Lebenskräfte recht schnell zu erschöpfen, und dann die Fasern recht bald hart und spröde zu machen. 3. Man trinke recht fleisig Wein und Liqueurs. Eins der Hauptmittel um den Körper auszutrocknen und zu- sammen zu runzeln. 4. Alle Arten von heftigen Leiden- schaften werden eben die Wirkung thun, und die Kraft der hitzigen Ge- tränke verstärken. 5. Hauptsächlich sind Kummer, Sor- gen und Furcht ausserordentlich ge- schickt, den Karacter des Alters recht bald herbey zu führen. Man hat Bey- spiele, dass Menschen in einer Nacht, welche sie unter dem höchsten Grad von Furcht und Seelenangst zugebracht hat- ten, graue Haare bekommen hatten. — Nun sollte man freylich glauben, es gehörten auch wirkliche Veranlassungen dazu, solche Affecten rege zu machen; aber es giebt Menschen, welche die Kunst meisterhaft verstehen, wenn ih- nen das Schicksal keinen Kummer macht, sich selbst welchen zu machen, alles in einem dunkeln Licht zu sehen, jedem Menschen etwas Uebels zuzutrauen, und in jeder unbedeutenden Begebenheit reichen Stoff zu Sorgen und Aengstlich- keit zu finden. 6. Und zulezt gehört hieher das zu weit getriebene oder wenigstens falsch verstandene System der Abhärtung durch Kälte, häufige kalte und lange fortgesezte Bäder in Eiswasser u. s. w. Es kann nichts geschickter seyn, den Karacter des Alters zu bewirken, als eben diess. Aber nicht genug, dass man jezt schon in einer Zeit zum Alter gelangt, wo unsre Vorfahren noch Jünglinge wa- ren, man ist leider noch weiter gekom- men. Man hat sogar die Kunst erfun- den, die Kinder schon als Greisse auf die Welt kommen zu lassen. Ich habe einigemal solche Erscheinungen gese- hen; runzelicht, mit den markirtesten Gesichtszügen des Alters treten sie auf den Schauplatz dieser Welt, und nach ein Paar Wochen, die sie unter Wim- mern und Elend zugebracht haben, be- schliessen sie ihr Greissenleben, oder vielmehr sie fingen es mit dem Beschluss an. Ich ziehe den Vorhang über diese schrecklichen Producte der ausschwei- fenden Lebensart der Eltern, die mir gerade so vorkommen, als die Sünden der Eltern personifizirt. II. Abschnitt . Verlängerungsmittel des Lebens. I. Gute physische Herkunft. W enn wir auf die Grundlagen zurück- blicken, auf denen langes Leben beruht, und auf die Eigenschaften, welche dazu gehören, so sehen wir leicht ein, dass es dabey vorzüglich darauf ankommen muss, aus welcher Masse wir formirt wurden, welcher Antheil von Lebens- kraft uns gleich bey der Entstehung zu Theil wurde, und ob da der Grund zu einer dauerhaften oder schwächlichen Constitution, zu einem gesunden oder kranken Bau der Lebensorgane gelegt wurde. Alles dieses hängt ab von dem Gesundheitszustand unsrer Eltern, und von dem wichtigen Punct der ersten Gründung unsrer Existenz, und in die- sem Sinne von guter Geburt zu seyn, ist etwas, was man jedem Menschen wün- schen sollte. Es gehört gewöhnlich zu den unerkannten aber grössten Wohl- thaten und ist ein Lebensverlängerungs- mittel, was zwar nicht in unsrer Gewalt steht uns zu geben, was wir aber im Stande und verpflichtet sind, andern mitzutheilen. Es kommt hierbey auf drey Puncte an; auf den Gesundheitszustand der El- tern, den Augenblick der Zeugung, und den Zeitraum der Schwangerschaft. 1. Der Gesundheitszustand, der Le- bensfond der Eltern . — Wie wichtig dieser ist, sieht man schon daraus, dass es ganze Familien gegeben hat, in denen das Altwerden ein Familienprivilegium war, z. B. die Familie des oben erwähn- ten Parrs , in welcher nicht nur der aus- gezeichnete, sondern auch sein Vater und seine Kinder ein ungewöhnliches Alter erreichten. In dem hohen Alter der Eltern liegt ein wichtiger Grund es auch zu erreichen. Schon diess sollte ein kräftiges Motiv seyn, für jeden, der einst Kinder zeugen will, seine Lebens- kräfte möglichst zu schonen und zu eon- serviren. Wir sind ja der Abdruck uns- rer Eltern, nicht blos in Absicht auf die allgemeine Form und Textur, sondern auch in Rücksicht besondrer Schwächen und Fehler einzelner Eingeweyde. Selbst Anlagen zu Krankheiten, die ihren Grund in der Bildung und Constitution haben, können dadurch mitgetheilt wer- den, z. B. Gicht, Steinbeschwehrden, Schwindsucht, Hämorrhoiden. Insbe- sondre hat mich häufige Erfarung über- zeugt, dass grosse Schwächung der Zeu- gungskräfte durch venerische Debau- chen (vielleicht selbst ein modifizirtes venerisches Gift) den Kindern eine ei- gen- genthümliche Schwäche des Drüsen- und lymphatischen Systems mittheilt, welche dann in die sogenannten Skrofeln aus- artet, und Veranlassung giebt, dass diese Krankheit oft schon in den ersten Mona- ten des Lebens, ja selbst bey der Geburt schon erscheint. — Auch ist ein zu jun- ges oder zu hohes Lebensalter der Eltern, der Lebenslänge und Stärke der Kinder nachtheilig. 2. Der Augenblick der Zeugung . — Viel wichtiger, als man gewöhnlich glaubt, und für das ganze Leben eines Geschöpfs entscheidend. Sowohl auf das Moralische des künftigen Menschen, (worüber ich auf Freund Tristrams Wanduhrgeschichte verweise) als auch auf das Physische, hat dieser Augenblick gewiss den grössten Einfluss. Hier wird der erste Keim des künftigen Wesens ge- weckt, die erste belebende Kraft ihm mitgetheilt. Wie sehr muss hier die Vollkommenheit oder Unvollkommen- heit des Products durch die mehrere G g oder wenigere Kraft, den vollkommnen oder unvollkommnen, gesunden oder kränklichen Zustand der wirkenden Ur- sachen bestimmt werden? Wäre es nicht zu wünschen, dass Eltern dieser Bemer- kung einige Aufmerksamkeit widmeten, und nie vergässen, dass dieser Augen- blick von der höchsten Wichtigkeit, und der Moment einer Schöpfung sey, und dass nicht ohne Ursache die Natur die höchste Exaltation unsers ganzen Wesens damit verbunden habe? So schwehr es ist, hierüber Erfarungssätze zu samm- len, so sind mir doch einige ganz un- leugbare Beyspiele bekannt, wo Kinder, die in dem Zeitpunct der Trunkenheit erzeugt wurden, Zeitlebens stupid und blödsinnig blieben. Was nun das Ex- trem im hohen Grade bewirken kann, das können die Mittelstufen im gerin- gern thun, und warum sollte man nun nicht annehmen können, dass ein We- sen, in dem Zeitpunct übler Laune, oder einer körperlichen Indisposition oder sonst einer Nervenverstimmung erzeugt, Zeitlebens einige kleine Flecken davon an sich tragen kann? Daher der ge- wöhnlich so auffallende Vorzug der Kin- der der Liebe für den Kindern der Pflicht. Ich sollte daher glauben, es sey sehr wichtig, auch im Ehestand diesem Mo- ment immer nur einen solchen Zeitpunct zu widmen, wo das Gefühl gesammleter Kräfte, feuriger Liebe und eines frohen sorgenfreyen Gemüths von beyden Sei- ten dazu aufruft (ein neuer Grund ge- gen den zu häufigen oder erzwungenen oder mechanisch-pflichtmäsigen Genuss der ehelichen Liebe). 3. Der Zeitraum der Schwanger- schaft . — Ohneracht der Vater ohn- streitig die erste Quelle ist, aus welcher das künftige Wesen den ersten Lebens- hauch, die erste Erweckung bekommt, so ist doch nicht zu leugnen, dass die fernere Entwicklung, die Masse und der mehr materielle Antheil, blos von der Mutter herrührt. Diess ist der Acker, G g 2 aus welchem das Saamenkorn seine Säfte zieht, und die künftige Konstitution, der eigentliche Gehalt des Geschöpfs, muss hauptsächlich den Karacter des We- sens erhalten, von dem es so lange einen Bestandtheil ausmachte, aus dessen Fleisch und Blut es wirklich zusammen- gesezt ist. Ferner nicht blos die Konsti- tution der Mutter, sondern auch alle andre vortheilhafte oder nachtheilige Einwirkungen während des Zeitraums der Schwangerschaft, müssen von grossem Einfluss auf die ganze Bildung und das Leben des neuen Geschöpfs seyn. Diess ists nun auch, was die Erfarung lehrt. Der Gesundheitszustand des Menschen, die mehrere oder wenigere Festigkeit der Konstitution, richtet sich hauptsächlich nach dem Zustand der Mutter, weit mehr, als nach dem des Vaters. Von ei- nem schwächlichen Vater kann immer noch ein ziemlich robustes Kind erzeugt werden, wenn nur die Mutter einen recht gesunden und kräftigen Körper hat. Der Stoff des Vaters wird in ihr gleichsam veredelt. Hingegen der stärk- ste Mann wird von einer kränklichen Lebensarmen Frau nie kräftige und ge- sunde Kinder erhalten. Was nun ferner die Beschützung des werdenden Geschöpfs für allen Ge- fahren und nachtheiligen Einwirkungen betrifft, so finden wir hier abermals ei- nen Beweiss der göttlichsten Weisheit bey der hier getroffnen Einrichtung. Ohneracht der innigsten Verbindung zwischen Mutter und Frucht, ohneracht diese wirklich fast ein Jahr lang ein Theil derselben ist, und alle Nahrung und Säfte mit ihr theilt, so ist sie dennoch nicht nur für mechanischen Verletzun- gen durch ihre Lage und ihr Schwim- men im Wasser gesichert, sondern auch für moralischen und Nerveneindrücken dadurch, dass keine unmittelbare Ner- venverbindung zwischen Mutter und Kind ist. Man hat sogar häufige Bey- spiele, dass die Mutter starb und das Kind blieb am Leben. — Selbst eine ge- wisse Immunität von Krankheiten hat die weise Natur mit diesem Zustand verbun- den, und es ist ein Erfarungssatz, dass eine schwangere Frau weit weniger von ansteckenden und andern Krankheitsur- sachen leidet, und dass eine Frau nie grössre Wahrscheinlichkeit zu leben hat, als so lange sie schwanger ist. Das Gefühl von der Wichtigkeit dieses Zeitpuncts war nun auch von je- her den Menschen so eingeprägt, dass bey allen alten Völkern eine Schwangere als eine heilige und unverlezliche Per- son betrachtet, und jede Mishandlung und Verletzung derselben als doppelt strafbar angesehen wurde. — Leider hat unser Zeitalter, sowohl in physischer als politischer Hinsicht hier einen Unter- schied gemacht. Die nervenschwache, empfindliche und zärtliche Konstitution der jetzigen Frauen, hat diesen Aufent- halt der Frucht im Mutterleibe weit un- sichrer und gefährlicher gemacht. Der Mutterleib ist nicht mehr eine solche Freystätte, eine ungestöhrte Werkstatt der Natur. Durch die unnatürliche Empfindlichkeit, die jezt einen grossen Theil des weiblichen Geschlechts eigen ist, sind auch diese Theile weit em- pfänglicher für tausend nachtheilige Einwirkungen, für eine Menge Mitlei- denschaften worden, und die Frucht leidet bey allen Leidenschaften, bey jedem Schrecken, bey Krankheitsursa- chen und selbst bey den unbedeutend- sten Veranlassungen mit. Daher ist es unmöglich, dass ein Kind in einer sol- chen Werkstätte, wo seine Bildung und Entwicklung jeden Augenblick gestöhrt und unterbrochen wird, je den Grad von Vollkommenheit und Festigkeit er- halten sollte, zu dem es bestimmt war. Und eben so wenig denkt man jezt in bürgerlicher und politischer Rücksicht an die Wichtigkeit dieses Zustandes. Wer denkt jezt an die Heiligkeit einer Schwangern, wer nimmt Rücksicht bey ihrer Behandlung darauf, dass man das Leben, wenigstens die physische und moralische Bildung eines künftigen Menschen dadurch in Gefahr sezt. Ja leider, wie wenig Schwangere selbst haben die Achtung für diesen Zustand, die er verdient? Wie wenige vermögen, sich Vergnügen, Diätfehler zu versagen, die schaden könnten? Ich glaube daher mit Recht auf die- se Bemerkungen folgende Regeln grün- den zu können: 1. Solche äusserst nervenschwache und sensible Personen sollten gar nicht heyrathen; wo nicht aus Mitleiden ge- gen sich selbst und gegen die Leiden, de- nen sie dadurch entgegen gehen, doch wenigstens aus Mitleiden gegen die un- glückliche Generation, der sie das Leben geben werden. Ferner, man sollte bey der Erziehung der Töchter hauptsächlich darauf sehen, diese unglückliche Em- pfindlichkeit zu vermeiden, da oft lei- der aus Rücksicht gegen den Teint, die Decenz und eine Menge andre Etiquet- tenverhältnisse, gerade das Gegentheil geschieht. Und endlich, es ist die Pflicht jedes Mannes, bey der Wahl sei- ner Gattin hauptsächlich darauf zu se- hen, dass ihr Nervensystem nicht zu reizbar sey. Denn offenbar fällt der Hauptzweck des Ehestands, die Erzeu- gung gesunder und fester Kinder, da- durch ganz weg. 2. Die Weiber sollten mehr Respect für diesem Zeitpunct haben, und da eine gute physische und moralische Diät halten. Denn sie haben dadurch den Grad von Vollkommenheit und Unvoll- kommenheit, die guten und bösen An- lagen der Seele und des Körpers ihres Kindes in ihrer Gewalt. 3. Aber auch andre Menschen soll- ten eine Schwangere immer aus diesem Gesichtspunct betrachten, und ihr, als der Werkstätte eines sich bildenden Menschen, alle mögliche Schonung, Aufmerksamkeit und Vorsorge erzei- gen. — Besonders sollte sich jeder Ehe- mann diese Regel empfohlen seyn las- sen, und immer bedenken, dass er da- durch für das Leben und die Gesund- heit seiner Generation sorgt, und da- durch erst den vollkommnen Namen, Vater , verdient. II. Vernünftige physische Erziehung. H auptsächlich die physische Behand- lung in den ersten zwey Jahren des Le- bens ist ein äusserst wesentliches Stück zur Verlängerung des Lebens. Man sollte diesen Zeitraum eigentlich noch als eine fortgesezte Generation ansehen. Nur der erste Theil der Ausbildung und Entwicklung geschieht im Mutterleibe, der zweyte, nicht weniger wichtige, ausser demselben in den ersten zwey Jah- ren des Lebens. Das Kind kommt ja als ein nur halb entwickeltes Wesen zur Welt. Nun folgen erst die wichtigsten und feinsten Ausbildungen der Nerven- und Seelenorgane, die Entwicklungen der Respirationswerkzeuge, der Musku- larbewegung, der Zähne, der Knochen, der Sprachorgane und aller übrigen Theile, sowohl in Absicht der Form als Structur. Man kann also leicht abneh- men, von welchem erstaunlichen Ein- fluss auf die Vollkommenheit und Dauer des ganzen Lebens es seyn müsse, unter welchen Umständen dieser fortgesezte Bildungs- und Entwicklungsprozess ge- schieht, ob hindernde, stöhrende und schwächende, oder beschleunigende Ein- flüsse darauf wirken. Zuverlässig kann hier schon der Grund zu einer langsa- mern oder geschwindern Consumtion, zu einem mehr oder weniger Gefahren ausgesezten Körper gelegt werden. Alle Regeln und Bestimmungen bey der physischen Behandlung dieser Perio- de lassen sich auf folgende Grundsätze reduziren. 1. Alle Organe, vorzüglich die, auf denen Gesundheit und Dauer des physi- schen sowohl als geistigen Lebens zu- nächst beruht, müssen gehörig organi- sirt, geübt, und zu dem möglichsten Grad von Vollkommenheit gebracht werden. Dahin rechne ich den Magen , die Lunge , die Haut , das Herz und Ge- fässsystem , auch die Sinneswerkzeüge . Eine gesunde Lunge gründet man am besten durch reine freye Luft, und in der Folge durch Sprechen, Singen, Lau- fen. Ein gesunder Magen durch gesun- de, gut verdauliche, nahrhafte, aber nicht zu starke, reizende oder gewürzte Kost. Eine gesunde Haut durch Rein- lichkeit, Waschen, Baden, reine Luft, weder zu warme noch zu kalte Tempe- ratur, und in der Folge Bewegung, die Kraft des Herzens und der Gefässe durch alle die obigen Mittel, besonders ge- sunde Nahrung, und in der Folge kör- perliche Bewegung. 2. Die successive Entwicklung der physischen und geistigen Kräfte muss ge- hörig unterstüzt, und weder gehindert noch zu sehr befördert werden. Immer muss auf gleichförmige Vertheilung der lebendigen Kräfte gesehen werden, denn Harmonie und Ebenmaas der Bewegun- gen, ist die Grundlage der Gesundheit und des Lebens. Hierzu dient im An- fange das Baden und die freye Luft, in der Folge körperliche Bewegung. 3. Das Krankheitsgefühl d. h. die Empfänglichkeit für Krankheitsursachen muss abgehärtet und abgestumpft wer- den, also das Gefühl für Kälte, Hitze und in der Folge für kleine Unordnun- gen und Strapazen. Dadurch erlangt man zweyerley Vortheil, die Lebens- consumtion wird, durch die gemässigte Empfindlichkeit gemindert, und die Stöhrung derselben durch Krankheiten wird verhütet. 4. Alle Ursachen und Keime zu Krankheiten im Körper selbst müssen entfernt und vermieden werden, z. B. Schleimanhäufungen, Verstopfungen des Gekrösses, Erzeugung von Schärfen. Fehler, die durch äusserlichen Druck und Verletzungen, zu feste Binden, Un- reinlichkeit etc. entstehen könnten. 5. Die Lebenskraft an sich muss im- mer gehörig genährt und gestärkt wer- den, (dazu das grösste Mittel, frische reine Luft,) und besonders muss die Heilkraft der Natur gleich von Anfang an unterstüzt werden, weil sie das gröss- te Mittel ist, was in uns selbst gelegt wurde, um Krankheitsursachen unwirk- sam zu machen. Diess geschieht haupt- sächlich dadurch, dass man den Körper nicht gleich von Anfang an zu sehr an künstliche Hülfen gewöhnt, weil man sonst die Natur so verwöhnt, dass sie sich immer auf fremde Hülfe verlässt, und am Ende ganz die Kraft verliert, sich selbst zu helfen. 6. Die ganze Operation des Lebens und der Lebensconsumtion muss von Anfang an nicht in zu grosse Thätigkeit gesezt, sondern in einem Mittelton er- halten werden, wodurch fürs ganze Leben der Ton zum langsam und also lange leben angegeben werden kann. Zur Erfüllung dieser Ideen dienen folgende einfache Mittel, welche nach meiner Einsicht das Hauptsächliche der physischen Erziehung ausmachen. Wir müssen hierbey zwey Perioden unterscheiden. Die erste Periode , bis zu Ende des zweyten Jahrs. Hier sind folgen- des die Hauptpuncte: I. Die Nahrung muss gut aber dem zarten Alter angemessen seyn; also leicht verdaulich, mehr flüssig als fest, frisch und gesund, nahrhaft, aber nicht zu stark, reizend oder erhitzend. Die Natur giebt uns hierinn die beste Anleitung selbst, indem sie Milch für den anfangenden Menschen be- stimmte. Milch hat alle die angegebnen Eigenschaften im vollkommensten Gra- de, sie ist voller Nahrungsstoff, aber milde, ohne Reiz und Erhitzung näh- rend, sie hält das Mittel zwischen Thier- und Pflanzennahrung, verbindet also die Vortheile der leztern (weniger zu rei- zen, als Fleisch), mit den Vortheilen der der Fleischnahrung (durch die Bearbei- tung eines lebenden thierischen Körpers uns schon verähnlicht zu seyn und leich- ter den Karacter unsrer Natur aufzuneh- men), sie ist mit einem Worte ganz auf die Beschaffenheit des kindlichen Kör- pers berechnet. Der kindliche Körper lebt nehmlich weit schneller, als der erwachsene Mensch, und wechselt die Bestandtheile öftrer, überdiess braucht er die Nah- rung nicht blos zur Erhaltung sondern auch zum beständigen Wachsthum, wel- ches im ganzen Leben nicht so schnell geschieht, als in dem ersten Jahre, er be- darf folglich viel und concentrirte Nah- rung; aber er hat schwache Verdauungs- kräfte und vermag noch nicht feste oder seiner Natur nach heterogene (z. E. ve- getabilische) Nahrung zu verarbeiten und in seine Natur zu verwandeln; sei- ne Nahrung muss daher flüssig und schon animalisirt, d. h. durch ein anderes le- bendes thierisches Geschöpf ihm vorge- arbeitet und seiner Natur genähert seyn; H h er hat aber auch einen sehr hohen Grad von Reizbarkeit und Empfindlichkeit, so dass ein kleiner Reiz, den ein Erwach- sener kaum empfindet, hier schon ein künstliches Fieber oder gar Krämpfe und Zuckungen hervorbringen kann, die Nahrung des Kindes muss also milde seyn und in dem gehörigen Verhältniss zur Reizbarkeit stehen. Ich halte es daher für eins der ersten Gesetze der Natur, und ein Hauptbe- gründungsmittel eines langen und ge- sunden Lebens: das Kind trinke das erste Jahr hindurch seiner Mutter, oder einer gesunden Amme Milch . Man ist in neuern Zeiten in manche Abweichungen von diesem wichtigen Naturgesez gefallen, die gewiss höchst nachtheilige Einflüsse auf die Dauer und Gesundheit des Lebens haben, und die ich deshalb hier rügen muss. Man hat Kinder durch blosse vege- tabilische Schleime, Haferschleim u. dgl. nähren und aufziehen wollen. Diess mag zuweilen, bey besondern Fällen, zwischen durch nüzlich seyn, aber zur alleinigen Nahrung ist es gewiss schäd- lich, denn es nährt nicht genug, und, was das schlimmste ist, es animalisirt sich nicht genug und behält noch einen Theil des sauren vegetabilischen Kara- cters auch im Körper des Kindes; da- her entstehen durch solche Nahrung schwächliche, magere, unaufhörlich mit Säure, Blähungen, Schleim geplagte Kinder, verstopfte Drüsen, Skrofel- krankheit. Noch schlimmer ist die Gewohnheit, Kinder durch Mehlbrey zu nähren, denn diese Nahrung hat ausser dem Nachthei- le der blos vegetabilischen Kost (der Ver- säurung) auch noch die Folge, die zarten Milchgefässe und Gekrössdrüssen zu ver- stopfen, und den gewissen Grund zu Skrofeln, Darrsucht oder Lungensucht zu legen. Andere wählen nun, um diesen zu entgehen, auch zum Theil aus Anglo- manie, Fleischnahrung für die Kin- der, geben ihnen auch wohl Wein, H h 2 Bier u. dgl. Und dieses Vorurtheil ver- dient besonders gerügt zu werden, weil es immer mehr Anhänger gewinnt, mit der jezt beliebten excitirenden Methode zusammentrifft, und das Nachtheilige selbst von Aerzten nicht immer gehörig eingesehen wird. Denn, sagt man, das Fleisch stärkt, und diess ist gerade, was ein Kind braucht. Aber meine Gründe dagegen sind folgende: Es muss immer ein gewisses Verhältniss seyn zwischen dem Nährenden und dem zu nährenden, zwischen dem Reiz und der Reizfähig- keit. Je grösser die Reizfähigkeit ist, desto stärker kann auch ein kleiner Reiz wirken, je schwächer jene, desto schwä- cher ist die Wirkung des Reizes. Nun verhält sich aber diese Reizfähigkeit im menschlichen Leben in immer abneh- mender Proportion. In der ersten Pe- riode des Lebens ist sie am stärksten, denn von Jahr zu Jahr schwächer, bis sie im Alter gar erlöscht. Man kann folg- lich sagen, dass Milch in Absicht ihrer reizenden und stärkenden Kraft in eben dem Verhältniss zum Kinde steht, als Fleisch zu dem Erwachsenen, und Wein zu dem alten abgelebten Menschen. Giebt man aber einem Kinde frühzeitig Fleischnahrung, so giebt man ihm einen Reiz, der dem Reiz des Weins bey Er- wachsenen gleich ist, der ihm viel zu stark, und von der Natur auch gar nicht bestimmt ist. Die Folgen sind: man erregt und unterhält bey dem Kinde ein künstliches Fieber, beschleunigt Circu- lation des Bluts, vermehrte Wärme, und bewirkt einen beständig zu hestigen ent- zündlichen Zufällen geneigten Zustand. Ein solches Kind sieht zwar blühend und wohlgenährt aus, aber die geringste Veranlassung kann ein heftiges Aufwal- len des Bluts erregen, und kommts nun vollends zur Zahnarbeit oder Blattern und andern Fiebern, wo der Trieb des Bluts so schon heftig zum Kopfe steigt, so kann man fest darauf rechnen, dass Entzündungsfieber, Zuckungen, Schlag- flüsse entstehen. Die meisten Menschen glauben, man könne nur an Schwäche sterben, aber man kann auch an zu viel Stärke und Reizung sterben, und dazu kann ein unvernünftiger Gebrauch rei- zender Mittel führen. Ferner, durch solche starke Nahrung der Kinder be- schleunigt man von Anfang an ihre Le- bensoperation und Consumtion, man sezt alle Systeme und Organe in eine viel zu starke Thätigkeit, man giebt gleich von Anfang den Ton zu einem regern aber auch geschwindern Leben an, und in der Meynung recht zu stärken, legt man wirklich den Grund zu einem kür- zern Leben. Ueberdiess muss man nicht vergessen, dass eine solche frühzeitige Fleischnahrung die Entwicklungsge- schäfte des Zahnens und in der Folge auch der Mannbarkeit viel zu sehr be- schleunigt (ein Hauptverkürzungsmittel des Lebens), und selbst auf den Karacter einen üblen Einfluss hat. Alle fleisch- fressende Menschen und Thiere sind hef- tiger, grausamer, leidenschaftlicher, da hingegen die vegetabilische Kost immer mehr zur Sanftmuth und Humanität führt. Ich habe diess in der Erfarung gar oft bestätigt gefunden. Kinder die zu früh und zu viel Fleischkost beka- men, wurden immer kräftige, aber lei- denschaftliche, heftige, brutale Men- schen, und ich zweifle, dass eine solche Anlage sowohl diese Menschen als die Welt beglückt. Es giebt allerdings Fälle, wo Fleischkost auch schon früh- zeitig nüzlich seyn kann, nehmlich bey schon schwachen, ohne Muttermilch er- zognen, an Säure leidenden Subjecten, aber denn ist sie Arzney, und muss vom Arzt erst bestimmt und verordnet wer- den. Was ich vom Fleisch gesagt habe, gilt auch noch mehr vom Wein, Koffee, Chokolade, Gewürze u. dgl. Und es bleibt daher eine sehr wichtige Regel der physischen Kinderzucht: Das Kind soll im ersten halben Jahre gar kein Fleisch, keine Fleischbrühe, kein Bier, keinen Koffee geniessen, sondern blos Mutter- milch. Erst im zweyten halben Jahre kann leichte Bouillonsuppe verstattet werden; aber wirkliches Fleisch in Substanz nur erst, wenn die Zähne durch sind, also zu Ende des zweyten Jahres. Wenn nun aber unüberwindliche Hindernisse des Selbststillens eintreten (welche in unsern Zeiten leider nicht selten sind, wie z. B. Kränklichkeit, schwindsüchtige Anlage, Nervenschwä- che der Mutter, wobey das Kind mehr Verlust als Gewinn für seine Lebens- dauer haben würde), und wenn auch keine gesunde Amme zu haben ist, dann tritt die traurige Nothwendigkeit ein, das Kind künstlich aufzuziehen, und ob gleich diese Methode immer für die Ge- sundheit und Lebensdauer etwas nach- theiliges hat, so kann man sie doch um vieles unschädlicher machen, wenn man folgendes beobachtet: Man lasse er- stens, doch wenigstens wo möglich, das Kind die ersten 14 Tage bis 4 Wochen, an seiner Mutter Brust trinken. Man glaubt nicht, wie viel Werth diess in der ersten Periode hat. Dann gebe man zum Ersatz der Muttermilch am besten Zie- gen- oder Eselinnenmilch, aber immer unmittelbar nach dem Ausmelken und noch warm von Lebenswärme. Noch schöner wäre es, die Milch von dem Kinde unmittelbar aus dem Thiere sau- gen zu lassen. Ist auch diess nicht mög- lich, so gebe man eine Mischung von der Hälfte Kuhmilch und Wasser, immer lauwarm, und wenigstens einmal täglich frische Milch. Eine wichtige Bemer- kung ist hierbey, dass man nicht die Milch wärmen oder warm stellen muss (denn sie nimmt sonst gleich einen säuer- lichen Karacter an), sondern das Wasser, das man jedesmal beym Gebrauch erst dazu mischt. Bey dieser künstlichen Ernährung ist es nun nöthig, schon frü- her Suppen von klein geriebnen Zwie- bak, Gries, klar gestossnen Sago oder Saleb, mit halb Milch und Wasser ge- kocht, zu geben, auch leichte nicht fette Bouillon, Eyerwasser (ein Eydotter in ein Nösel Wasser zerrührt und mit etwas Zucker vermischt). Auch sind Kartof- feln in den ersten zwey Jahren schädlich. So wenig ich sie überhaupt für ungesund halte, so sind sie doch zuverlässig für ei- nen so zarten Magen noch zu schwehr zu verdauen, denn sie enthalten einen sehr zähen Schleim. II. Man lasse das Kind, von der dritten Woche an (im Sommer eher, im Winter später), täglich freye Luft ge- niessen, und setze diess ununterbrochen, ohne sich durch Witterung abhalten zu lassen, fort. Kinder und Pflanzen sind sich dar- inne vollkommen gleich. Man gebe ih- nen die reichlichste Nahrung, Wärme u. s. f. aber man entziehe ihnen Luft und Licht und sie werden welk und bleich werden, zurückbleiben, und zulezt ganz absterben. Der Genuss reiner, freyer Luft und der darinn befindlichen belebenden Bestandtheile, ist eine eben so nothwendige ja noch unentbehrli- chere Nahrung zu Erhaltung des Lebens, als Essen und Trinken. Ich weiss Kin- der, die bloss deswegen die Schwäch- lichkeit und die blasse Farbe ihr ganzes Leben hindurch nicht los wurden, weil sie in den ersten Jahren als Stubenpflan- zen waren erzogen worden, da hinge- gen dieser tägliche Genuss derselben, das tägliche Luftbad, das einzige Mittel ist, blühende Farbe, Kraft und Energie dem werdenden Wesen auf sein ganzes Leben mitzutheilen. Auch ist der Vor- theil sehr wichtig, dass man dadurch einen wichtigen Theil der pathologi- schen Abhärtung bewirkt, und in der Folge Veränderungen der Kälte und Wärme, der Witterung u. dgl. recht gut ertragen lernt. Am nüzlichsten ists, wenn das Kind die freye Luft in einem mit Gras und Bäumen bewachsenen und von den Wohnungen etwas entfernten Orte geniesst. Der Luftgenuss in den Strassen einer Stadt ist weit weniger heilsam. III. Man wasche täglich den ganzen Körper des Kindes mit frisch geschöpften kalten Wasser. Diese Regel ist unent- behrlich zur Reinigung und Belebung der Haut, zur Stärkung des ganzen Ner- vensystems und zur Gründung eines ge- sunden und langen Lebens. Das Wa- schen wird von der Geburt an täglich vorgenommen, nur in den ersten Wo- chen mit lauem Wasser, aber dann mit kaltem, und zwar, welches ein sehr we- sentlicher Umstand ist, mit frisch aus der Quelle oder dem Brunnen geschöpf- ten Wasser. Denn auch das gemeine Wasser hat geistige Bestandtheile (fixe Luft), die verloren gehen, wenn es eine Zeitlang offen steht, und die ihm doch vorzügliche stärkende Kraft mittheilen. Doch muss dieses Waschen geschwind geschehen und hinterdrein der Körper gleich abgerieben werden. Denn das langsame Benetzen erkaltet, aber das schnelle Abreiben erwärmt. Auch darf es nicht gleich geschehen, wenn das Kind aus dem Bett kommt, und über- haupt nicht, wenn es ausdünstet. IV. Man bade das Kind alle Wochen ein- oder zweymal in lauem Wasser (die Temperatur frisch gemolkener Milch, 24 — 26 Grad Reaum. Therm.). Dieses herrliche Mittel vereinigt eine solche Menge ausserordentlicher Krafte, und ist zugleich dem kindlichen Alter so angemessen, dass ich es ein wah- res Arcanum zur physischen Vervoll- kommnung und Ausbildung des werden- den Menschen nennen möchte. Reini- gung und Belebung der Haut, freye aber doch nicht beschleunigte Entwick- lung der Kräfte und Organe, gleichför- mige Circulation, harmonische Zusam- menwirkung des Ganzen (die Grundlage der Gesundheit), Stärkung des Nerven- systems, Mässigung der zu grossen Reiz- fähigkeit der Faser und der zu schnellen Lebensconsumtion, Reinigkeit der Säfte, diess sind seine Wirkungen, und ich kann mit Ueberzeugung behaupten, dass ich kein Hülfsmittel der physischen Er- ziehung kenne, was so vollkommen alle Erfordernisse zu Gründung eines langen und gesunden Lebens in sich vereinigte, als dieses. Das Bad muss nicht ganz aus gekochtem Wasser bestehen, sondern aus frisch von der Quelle geschöpften, zu dem man noch so viel warmes, als zur lauen Temperatur nöthig ist, hinzu- giesst. Im Sommer ist das Wasser am schönsten, was durch die Sonnenstralen erwärmt ist. Die Dauer des Bads in dieser Periode des Lebens ist ¼ Stunde, in der Folge länger. Nie muss es in den ersten Stunden nach dem Essen gesche- hen. V. Man vermeide ja ein gar zu war- mes Verhalten; also warme Stube, war- me Federbetten, zu warme Kleidung u. s. w. Ein zu warmes Verhalten ver- mehrt ausnehmend die Reizfähigkeit und also die schnellere Lebensconsum- tion, schwächt und erschlafft die Faser, be- schleunigt die Entwicklungen, schwächt und lähmt die Haut, disponirt zu be- ständigen Schweissen und macht da- durch ewigen Erkältungen ausgesezt. Insbesondere halte ichs für sehr wichtig, Ausführlicher findet man die Anwendung dieser Mittel bey Kindern abgehandelt in meinen Be- merkungen über die Inoculation und verschiedene Kinderkrankheiten . Leipzig, bey Göschen. die Kinder von Anfang an zu gewöhnen, auf Matrazen von Pferdehaaren, Spreu oder Moos zu schlafen. Sie nehmen nie eine zu grosse Wärme an, haben mehr Elastizität und verhüten eine zu grosse Weichlichkeit, nöthigen auch das Kind (weil sie nicht nachgeben) gerade ausge- streckt zu liegen, wodurch sie das Ver- wachsen verhüten, und sichern für dem zu frühzeitigen Erwachen des Ge- schlechtstriebs. VI. Die Kleidung sey weit, nir- gends drückend, von keinem zu war- men und die Ausdünstung zurückhalten- den Material, (z. E. Pelz), sondern von einem, was man oft erneuern oder wa- schen kann, am besten baumwollne, im strengen Winter leichte wollne Zeuge. Man entferne alle festen Binden, steife Schnürleiber, enge Schuhe u. dgl., sie können den Grund zu Krankheiten le- gen, die in der Folge das Leben verkür- zen. Der Kopf muss von der vierten bis achten Woche an (diess bestimmt die Jahreszeit) unbedeckt getragen wer- den. VII. Man beobachte die äusserste Reinlickeit, d. h. man wechsele täglich das Hemde, wöchentlich die Kleidung, monatlich die Betten, entferne üble Ausdünstungen (vorzüglich nicht viel Menschen in der Kinderstube, kein Trocknen der Wäsche, keine alte Wä- sche). Reinlichkeit ist das halbe Leben für Kinder; je reinlicher sie gehalten werden, desto besser gedeihen und blü- hen sie. Durch blosse Reinlichkeit, bey sehr mässiger Nahrung, können sie in kurzer Zeit stark, frisch und munter ge- macht werden, da sie hingegen ohne Reinlichkeit, bey der reichlichsten Nah- rung elend und schwächlich werden. Diess ist die unerkannte Ursache, war- um manches Kind verdirbt und ver- welkt, man weiss nicht woher. Unge- bildete Leute glauben dann oft, es müsse behext seyn, oder die Mitesser haben. Aber die Unreinlichkeit allein ist der feindselige Dämon, der es besizt, und der der es auch sicher am Ende verzehren wird. Die zweyte Periode , vom Ende des zweyten bis zum zwölften, vier- zehnden Jahre. Hier empfehle ich folgendes: I. Man beobachte die Gesetze der Reinlichkeit, des kalten Waschens, des Badens, der leichten Bekleidung, des Lebens in freyer Luft, eben so fort, wie gesagt worden. II. Die Diät sey nicht zu ausgesucht, gekünstelt oder zu strenge. Man thut am besten, die Kinder in dieser Periode eine gehörige Mischung von Fleisch und Vege- tabilien geniessen zu lassen, und sie an al- les zu gewöhnen, nur nicht zu viel und nicht zu oft. Man sey versichert, wenn man die übrigen Puncte der physischen Erziehung, körperliche Bewegung, Rein- lichkeit u. s. w. nur recht in Ausübung bringt; so braucht es gar keine delicate oder strenge Diät, um gesunde Kinder zu haben. Man sehe doch nur die Bau- ornkinder an, die bey einer eben nicht I i medizinischen Diät gesund und stark sind. Aber freylich darf man es nicht machen, wie man es mit so vielen Din- gen gemacht hat; etwa blos Bauernkost geben, und dabey weiche Federbetten, Stubensitzen, Müssiggang beybehalten (so wie man auch wohl das kalte Baden gebraucht hat, aber übrigens die war- men Stuben, warmen Federbetten u. s. w. sorgfältig beybehalten hat). Ich kann nicht genug wiederholen, was ich schon irgendwo einmal gesagt habe: Ein Hauptstück guter Erziehung ist, einerley Ton zu beobachten, und keine kontra- stirende Behandlungsweisen zu vereini- gen. Sehr gut ist es, wenn man ihnen viermal, zu bestimmten Zeiten, zu essen reicht, und diese Ordnung bestimmt be- obachtet. Das einzige, was Kinder nicht bekommen dürfen, sind Gewürze, Kaf- fee, Chokolade, Haut gout, Hefen- Fett- und Z ckergebacknes, grobe Mehl- speisen, Käse. Zum Getränk ist nichts besser, als reines frisches Wasser. Nur an solchen Orten, wo die Natur reines Quellwasser versagt hat, lasse ichs gelten, Kinder an Bier zu gewöhnen. III. Körperliche Muskularbewegung tritt nun als ein Hauptstück der physi- schen Erziehung ein. Man lasse das Kind den grössten Theil des Tages in körperlichen Bewegungen, in gymna- stischen Spielen aller Art zubringen, und zwar in freyer Luft, wo sie am nüzlich- sten sind. Diess stärkt unglaublich, giebt dem Körper eigne Thätigkeit, gleichförmige Vertheilung der Kräfte und Säfte, und verhütet am sichersten die Fehler des Wuchses und der Ausbil- dung. IV. Man strenge die Seelenkräfte nicht zu frühzeitig zum Lernen an. Es ist ein grosses Vorurtheil, dass man da- mit nicht bald genug anfangen könne. Allerdings kann man zu bald anfangen, wenn man den Zeitpunct wählt, wo noch die Natur mit Ausbildung der kör- perlichen Kräfte und Organe beschäftigt ist, und alle Kraft dazu nöthig hat, und diess ist bis zum siebenten Jahre. Nö- I i 2 thigt man da schon Kinder zum Stuben- sitzen und Lernen, so entzieht man ih- rem Körper den edelsten Theil der Kräf- te, der nun zum Denkgeschäft consu- mirt wird, und es entsteht unausbleib- lich Zurückbleiben im Wachsthum, un- vollkommne Ausbildung der Glieder, Schwäche der Muskulartheile, schlechte Verdauung, schlechte Säfte, Skrofeln, ein Uebergewicht des Nervensystems in der ganzen Maschine, welches Zeitle- bens durch Nervenübel, Hypochondrie u. dgl. lästig wird. Doch kommt hier- bey auch viel auf die Verschiedenheit des Subjects und seine grössere oder ge- ringere Geisteslebhaftigkeit an, aber ich bitte sehr, gerade das Gegentheil von dem zu thun, was man gewöhnlich thut. Ist das Kind sehr frühzeitig zum Denken und Lernen aufgelegt, so sollte man, an- statt ein solches, wie gewöhnlich, desto mehr anzustrengen, es vielmehr später zum Lernen anhalten, denn jene früh- zeitige Reife ist mehrentheils schon Krankheit, wenigstens ein unnatürlicher Zustand, der mehr gehindert als beför- dert werden muss (es müsste denn seyn, dass man lieber ein Monstrum eruditionis als einen gesunden lange lebenden Men- schen daraus erziehen wollte). Ein Kind hingegen, was mehr Körper als Geist ist, und wo leztrer zu langsam sich zu ent- wickeln scheint, kann schon etwas eher und stärker zum Denken aufgemuntert und darinne geübt werden. Noch muss ich hierbey erinnern, dass gar viele Nachtheile des frühzeiti- gen Studierens, nicht sowohl von der Geistesanstrengung, als vielmehr von dem Stubensitzen, von der eingeschloss- nen verdorbnen Schulluft herrühren, worinne man die Kinder diess Geschäft treiben lässt. Wenigstens wird dadurch die Schwächung verdoppelt. Ich bin völlig überzeugt, dass es weit weniger schaden würde, wenn man die Kinder ihre Denkühungen, bey guter Jahreszeit, im Freyen halten liesse, und hier hat man zugleich das Buch der Natur bey der Hand, welches gewiss, vorausgesezt dass der Lehrer darinn zu lesen ver- steht, den Kindern zum ersten Unter- richt weit angemessner und unterhal- tender ist, als alle gedruckte und ge- schriebne Bücher. In diese Periode gehört nun auch noch ein für die physische Erziehung äusserst wichtiger Punct: die Verhütung der Onanie , oder besser: die Verhütung des zu frühzeitigen Erwachens des Ge- schlechtstriebs . Und da dieses Uebel un- ter die gewissesten und fürchterlichsten Verkürzungs- und Verkümmerungsmit- tel des Lebens gehört (wie oben gezeigt worden), so ist es meine Pflicht, hier etwas ausführlicher von den Mitteln da- gegen zu reden. Ich bin sehr fest überzeugt, dass diess Uebel äusserst häu- fig und eins der wichtigsten Anliegen der Menschheit ist, aber auch, dass, wo es einmal eingerissen und zur Gewohn- heit worden, es sehr schwehr zu heben ist; dass man also ja nicht träumen darf, in einzelnen Specificis und Kurarten die Hülfe dagegen zu finden, die gewöhn- lich zu spät kommen, sondern, dass die Hauptsache darauf ankommt, die Onanie zu verhüten , und dass diese Kunst, und folglich dass ganze Geheim- niss darinn besteht: die zu frühzeitige Entwicklung und Reizung des Geschlechts- triebs zu verhindern . Diess ist eigentlich die Krankheit, an welcher gegenwärtig die Menschheit laborirt, und wovon die Onanie nur erst eine Folge ist. Diese Krankheit kann schon im sieben- ten, achten Jahre da seyn, wenn gleich die Onanie selbst noch fehlt. Aber sie zu verhüten ist es freylich nöthig, schon von der ersten Kindheit an seine Maas- regeln dagegen zu nehmen, und nicht einzelne Puncte, sondern das Ganze der Erziehung darauf hin zu richten. Nach meiner Einsicht und Erfarung sind folgendes (wenn sie vollkommen angewendet werden) zuverlässige Mittel gegen diese Pest der Jugend. 1. Man gebe vom Anfange an keine zu reizende, starke, nahrhafte Diät. Freylich denkt mancher nicht, wenn er seinem Kinde recht bald Fleisch, Wein, Kaffee u. dgl. giebt, dass er es dadurch zum Kandidaten der Onanie macht. Aber so ist es. Diese zu frühzeitige Rei- zungen beschleunigen (wie ich schon oben gezeigt habe) diese Entwicklungen. Insbesondere ist es schädlich, Abends Fleisch, harte Eyer, Gewürze oder blä- hende Dinge, z. E. Kartoffeln, welche gar sehr dahin wirken, geniessen zu las- sen, desgleichen zu nahe vor Schlafen- gehen. 2. Das schon erwähnte tägliche kalte Waschen, der Genuss der freyen Luft, die leichte Bekleidung besonders der Geschlechtstheile. Warme enge Hosen waren schon oft das Treibhaus dieser zu frühzeitigen Entwicklung, und sehr gut ists daher, in den ersten Jahren einen unten offnen Rock und gar keine Hosen tragen zu lassen. 3. Man lasse nie auf Federn, son- dern nur auf Matratzen schlafen, Abends, nach einer tüchtigen Bewegung, also recht müde, zu Bett’ gehen und früh, so wie die Kinder munter werden, sie aufstehen. Dieser Zeitpunct des Faul- lenzens früh im Bette, zwischen Schla- fen und Wachen, besonders unter einer warmen Federdecke, ist eine der häufig- sten Verführungen zur Onanie, und darf durchaus nicht gestattet werden. 4. Man gebe täglich hinlängli- che Muskularbewegung, so dass der natürliche Kraftvorrath durch die Be- wegungsmuskeln verarbeitet und ab- geleitet werde. Denn wenn freylich ein solches armes Kind den ganzen Tag sizt, und in einem körperlich- passiven Zustande erhalten wird, ist es da wohl ein Wunder, wenn die Kräfte, die sich doch äussern wollen und müssen, jene unnatürliche Richtung nehmen? Man lasse ein Kind, einen jungen Men- schen, durch Laufen, Springen u. dgl. täglich seine Kräfte bis zur Ermüdung im Freyen ausarbeiten, und ich stehe dafür, dass ihm keine Onanie einfallen wird. Sie ist das Eigenthum der sitzen- den Erziehung, der Pensionsanstalten, und Schulklöster, wo die Bewegung zu halben Stunden zugemessen wird. 5. Man strenge die Denk- und Em- pfindungskraft nicht zu früh, nicht zu sehr an. Je mehr man diese Organe ver- feinert und vervollkommt, desto em- pfänglicher wird auch der Körper für Onanie. 6. Insbesondere verhüte man alle Reden, Schriften und Gelegenheiten, die diese Ideen in Bewegung setzen, oder nur auf diese Theile aufmerksam machen können. Ableitung davon auf alle mögliche Weise ist nöthig, aber nicht die von einigen empfohlne Metho- de, sie durch die Erklärung ihres Nu- tzens und Gebrauchs dem Kinde erst recht interessant und wichtig zu machen. Gewiss, je mehr man die Aufmerksam- keit dahin leitet, desto eher kann man auch einen Reiz daselbst erwecken (denn innere Aufmerksamkeit auf einen Punct [innere Berührung] ist eben so gut Reiz als äussere Berührung); und ich halte es daher mit den Alten, einem Kinde vor dem vierzehnden Jahre nichts vom Zeu- gungsgeschäft zu sagen. Wofür die Na- tur noch kein Organ hat, davon soll sie auch noch keinen Begriff haben, sonst kann der Begriff das Organ hervorrufen, ehe es Zeit ist. Auch entferne man ja Komödien, Romane, Gedichte, die dergleichen Ge- fühle erregen. Nichts, was die Phanta- sie erhizt und dahin leitet, sollte vor- kommen. So ist z. B. das Lesen man- cher alten Dichter, oder das Studium der Mythologie schon manchem sehr nachtheilig gewesen. Auch in diesem Sinn wäre es weit besser, den Anfang mit dem Studium der Natur, der Kräu- terkunde, Thierkunde, Oekonomie u. s. w. zu machen. Diese Gegenstände erregen keine unnatürlichen Triebe der Art, sondern erhalten den reinen Natur- sinn, der vielmehr das beste Gegengift derselben ist. 7. Man sey äusserst aufmerksam auf Kindermägde, Domestiken, Gesellschaf- ter, dass diese nicht den ersten Keim zu dieser Ausschweifung legen, welches solche Personen oft in aller Unwissenheit thun. Mir sind einige Fälle bekannt, wo die Kinder blos dadurch Onanisten wurden, weil die Kindermagd, wenn sie schrieen und nicht einschlafen woll- ten, kein besseres Mittel wusste sie zu be- sänftigen, als an den Geschlechtstheilen zu spielen. Daher auch das Zusammen- schlafen mehrerer nie zu gestatten ist. 8. Wenn aber demohngeachtet je- ner unglückliche Trieb erwacht, so un- tersuche man vor allen Dingen, ob es nicht vielmehr Krankheit als Unart ist, worauf die meisten Erzieher zu wenig sehen. Vorzüglich können alle Krank- heiten, die ungewöhnliche Reize im Un- terleibe erregen, wenn sie mit etwas Em- pfindlichkeit der Nerven zusammentref- fen, dazu Gelegenheit geben, wie ich aus Erfarung weiss. Dahin gehören Wurmreiz, Skrofeln oder Gekrössdrü- senverhärtungen, auch Vollblütigkeit des Unterleibes (sie mag nun Folge einer zu reizenden erhitzenden Diät oder des Sitzens seyn). Man muss daher, bey jedem Verdacht der Art, immer erst die körperliche Ursache entfernen, durch stärkende Mittel die widernatürliche Empfindlichkeit der Nerven heben, und man wird, ohne andere Hülfe, auch den Trieb zur Onanie, oder die zu frühzei- tige Reizbarkeit der Geschlechtstheile, gehoben haben. III. Thätige und arbeitsame Jugend. W ir finden, dass alle die, welche ein sehr hohes Alter erreichten, solche Men- schen waren, die in der Jugend Mühe, Arbeit, Strapazen ausgestanden hatten. Es waren Matrosen, Soldaten, Tage- löhner. Ich will nur an den 112 jähri- gen Mittelstädt erinnern, der schon im 15ten Jahr Bedienter und im 18ten Jahre Soldat war, und alle Preussische Kriege seit Stiftung der Monarchie mit- machte. Eine solche Jugend wird die Grund- lage zu einem langen und festen Leben auf eine doppelte Art; theils, indem sie dem Körper jenen Grad von Festigkeit und Abhärtung giebt, der zur Dauer nothwendig ist; theils, indem sie dasje- nige möglich macht, was hauptsächlich zum Glück und zur Länge des Lebens gehört, das Fortschreiten zum Bessern und Angenehmern. Der, der in der Jugend alle Bequemlichkeiten und Ge- nüsse im Ueberfluss hatte, hat auch nichts mehr zu hoffen, das grosse Mittel zur Erweckung und Conservation der Lebenskraft, Hofnung und Aussicht ins Bessre, fehlt ihm. Muss er nun vollends mit zunehmenden Jahren Dürf- tigkeit und Beschwehrden empfinden, dann wird er doppelt niedergedrückt, und nothwendig seine Lebensdauer verkürzt. Aber in dem Uebergang von Beschwehrlichkeiten zum Bessern liegt ein beständiger Quell von neuer Freude, neuer Kraft und neuen Leben. So wie der Uebergang mit zuneh- menden, Jahren aus einem rauhen schlechten Clima in ein milderes sehr viel zur Verlängerung des Lebens bey- trägt, eben so auch der Uebergang aus einem Mühevollen Leben in ein beque- meres und angenehmeres. IV. IV. Enthaltsamkeit von dem Genuss der phy- sischen Liebe in der Jugend und ausser der Ehe. W er nie in schnöder Wollust Schooss Die Fülle der Gesundheit goss, Dem steht ein stolzes Wort wohl an, Das Heldenwort: Ich bin ein Mann! Denn er gedeiht, und sprosst empor Wie auf der Wies’ ein schlankes Rohr, Und lebt und webt, der Gottheit voll, An Kraft und Schönheit ein Apoll. Die Götterkraft, die ihn durchfleusst, Beflügelt seinen Feuergeist, Und treibt aus kalter Dämmerung Gen Himmel seinen Adlerschwung. K k O schaut, wie er voll Majestät, Ein Gott, daher auf Erden geht! Er geht und steht voll Herrlichkeit, Und fleht um nichts; denn er gebeut. Sein Auge funkelt dunkelhell, Wie ein krystallner Schattenquell. Sein Antlitz strahlt wie Morgenroth Auf Nas’ und Stirn herrscht Machtgebot. Die edelsten der Jungfraun blühn; Sie blühn und duften nur für ihn. O Glückliche, die er erkiesst? O Glückliche, die sein geniesst! Bürger . E s war eine Zeit, wo der Teutsche Jüngling nicht eher an den Umgang mit dem andern Geschlecht dachte, als im 24 — 25sten Jahre und man wusste nichts von schädlichen Folgen dieser Enthalt- samkeit, nichts von den Verhaltungs- krankheiten und so manchem andern Uebel, was man sich jezt träumt; son- dern man wuchs, ward stark und es wurden Männer, die durch ihre Grösse selbst die Römer in Verwunderung sezten. Jezt hört man um die Zeit auf, wo jene anfingen, man glaubt nicht bald ge- nug sich der Keuschheitsbürde entledi- gen zu können, man hat die lächerlich- sten Einbildungen von dem Schaden, den die Enthaltsamkeit verursachen könnte, und also fängt der Knabe an, noch lange vorher, ehe sein eigner Kör- per vollendet ist, die zur Belebung an- drer bestimmten Kräfte zu verschwen- den. Die Folgen liegen am Tage. Diese Menschen bleiben unvollendete halbfer- tige Wesen, und um die Zeit, wo unsre Vorfahren erst anfingen diese Kräfte zu brauchen, sind sie gewöhnlich schon damit zu Ende, fühlen nichts als Ekel und Ueberdruss an dem Genusse, und einer der wichtigsten Reize zur Würzung des Lebens ist für sie auf immer ver- lohren. K k 2 Es ist unglaublich, wie weit Vorur- theile in diesem Puncte gehen können, besonders wenn sie unsern Neigungen schmeicheln. Ich habe wirklich einen Menschen gekannt, der in allem Ernste glaubte, es existire kein schädlicheres Gift für den menschlichen Körper als die Zeugungssäfte, und die Folge war, dass er nichts angelegentlicheres zu thun hatte, als sich immer, so schnell wie möglich davon zu entledigen. Durch diese Bemühungen brachte ers denn dahin, dass er im 20sten Jahre ein Greis war, und im 25sten alt und lebenssatt starb. Man ist jezt so ganz in den Ge- schmack der Ritterzeiten gekommen, dass sogar alle Romane diese Form an- nehmen müssen, wenn sie gefallen sol- len, und man kann nicht aufhören, die Denk- und Handlungsweise, das Edle, Grosse und Entschlossne dieser Teut- schen Männer zu bewundern. Und das mit Recht. Es scheint je mehr wir füh- len, wie weit wir davon abgekommen sind, desto mehr zieht uns jene Darstel- lung an, desto mehr erregt sie den Wunsch, ihnen wieder ähnlich zu wer- den. Aber wie gut wäre es, wenn wir nicht blos an die Sache, sondern viel- mehr an die Mittel dazu dächten! Das, wodurch jene den Muth, die Leibes- und Seelenkraft, den festen, treuen und entschlossnen Karacter, genug, alles das erhielten, was sie zu wahren Männern im ganzen Sinne des Worts macht, war vorzüglich ihre strenge Enthaltsamkeit und Schonung ihrer physischen Manns- kraft. Die Jugend dieser Männer war grossen Unternehmungen und Thaten, nicht Wohllüsten und Genüssen geweiht, der physische Geschlechtstrieb wurde nicht zum thierischen Genuss erniedrigt, sondern in eine moralische Anreizung zu grossen und kühnen Unternehmungen veredelt. Ein jeder trug im Herzen das Bild seiner Geliebten, sie mochte nun wirklich oder idealisch seyn, und diese romantische Liebe, diese unverbrüch- liche Treue, war das Schild seiner Ent- haltsamkeit und Tugend, befestigte seine Körperkraft und gab seiner Seele Muth und ausharrende Dauer, durch die be- ständige Aussicht auf den ihm in der Ferne zuwinkenden Minnesold, der nur erst durch grosse Thaten errungen wer- den konnte. So romanhaft die Sache scheinen mag, so finde ich doch bey genauer Untersuchung grosse Weisheit in dieser Benutzung des physischen Triebs, eines der stärksten Motive der menschlichen Natur. Wie ganz anders ist es damit bey uns geworden? Dieser Trieb, der durch kluge Leitung der Keim der erhabensten Tugend, des grössten Heroismus werden kann, ist zur tändelnden Empfindeley oder zum blos thierischen Genuss herabgesunken, den man noch vor der Zeit bis zum Ekel befriedigt; der Affect der Liebe, der dort für Ausschweifungen sicherte, ist bey uns die Quelle der allerzügellosesten worden; die Tugend der Enthaltsam- keit, gewiss die grösste Grundlage mo- ralischer Festigkeit und Mannheit des Karacters, ist lächerlich geworden, und als eine altmodische Pedanterey ver- schrieen, und das, was die lezte füsseste Belohnung überstandener Arbeiten, Müh- seeligkeiten und Gefahren seyn sollte, ist eine Blume worden, die jeder Knabe am Wege pflückt. Warum legte die Natur dieses Sehnen zur Vereinigung, diesen allmächtigen unwiderstehlichen Trieb der Liebe in unsre Brust? Wahr- lich nicht, um Romanen zu spielen und in dichterischen Exstasen herumzu- schwärmen, sondern um dadurch ein festes unzertrennliches Band zweyer Herzen zu knüpfen, den Grund einer glücklichen Generation zu legen, und durch diess Zauberband unsre Existenz mit der ersten und heiligsten aller Pflich- ten zu verbinden. — Wie gut wäre es, wenn wir hierinne der alten Sitte uns wieder näherten, und die Früchte nicht eher brechen wollten, als bis wir gesäet hätten! Man hört jezt sehr viel von Kraft und Kraftmenschen sprechen. Ich glaube nichts davon, so lange ich nicht sehe, dass sie Kraft genug haben, Leidenschaf- ten zu bekämpfen und enthaltsam zu seyn; denn diess ist der Triumpf, aber auch das einzige Zeichen der wahren Geisteskraft, und diess die Schule, in der sich der Jüngling üben und zum star- ken Mann bilden sollte. Durchgehends finden wir in der al- ten Welt, dass alle diejenigen, von de- nen man etwas ausserordentliches und ausgezeichnetes erwartete, sich der phy- sischen Liebe enthalten mussten. So sehr war man überzeugt, dass Venus die ganze Mannskraft nehme, und dass Men- schen, diesen Ausschweifungen ergeben, nie etwas grosses und ausserordentliches leisten würden. Ich gründe hierauf eine der wich- tigsten Lebensregeln: Ein jeder, dem Dauer und Blüthe seines Lebens am Her- zen liegt, vermeide den ausserehelichen Um- gang mit dem andern Geschlecht, und ver- spare diesen Genuss bis zur Ehe . Meine Gründe sind folgende: 1. Der aussereheliche Umgang führt, wegen des immer wechselnden, immer neuen Reizes, weit leichter zur Un- mässigkeit im Genuss, die hingegen der eheliche verhütet. 2. Er verleitet uns zum zu frühzeiti- gen Genuss der physischen Liebe, also ei- nem der grössten Verkürzungsmittel des Lebens, da hingegen der eheliche Genuss nur erst dann möglich ist, wenn wir physisch und moralisch gehörig vorbe- reitet sind. 3. Der aussereheliche Umgang sezt uns unausbleiblich der Gefahr einer ve- nerischen Vergiftung aus, denn alle Vor- sicht, alle Präservative sind, wie ich in der Folge zeige, vergebens. 4. Wir verlieren dadurch die Nei- gung, auch wohl die Kraft zur ordent- lichen ehelichen Verbindung, und folg- lich zu einem sehr wesentlichen Erhal- tungsmittel des Lebens. Aber, wird mancher fragen, wie ist es möglich, bey einem gesunden und wohl genährten Körper, bey unsrer Denk- und Lebensweise, Enthaltsamkeit bis zum vier oder fünf und zwanzigsten Jahre, genug, bis zur Zeit der Ehe, zu beobachten? Noch immer träumt sich mancher die schlimm- sten physische Folgen, die die Enthaltsamkeit haben müsste. Aber ich kann nicht oft genug daran erinnern, dass diese Säfte nicht blos zur Ausleerung sondern am meisten zur Wiederein- faugung ins Blut und zu unsrer eignen Stärkung bestimmt sind. Und hier kann ich nicht unter- lassen auf eine Einrichtung aufmerksam zu ma- chen, die auch in diesem Stück unsre moralische Freyheit sichert und daher ein ausschliessliches Eigenthum des Menschen ist. Ich meyne die von Zeit zu Zeit erfolgenden natürlichen Entle- digungen derer Säfte, die theils zur Hervorbrin- gung, theils zur Ernährung der Frucht bestimmt sind ( Pollutiones nocturnae beym männlichen, Menstrua beym weiblichen Geschlechte). Der Mensch sollte zwar beständig fähig zur Fortpflan- zung, aber nie dazu thierisch gezwungen seyn, und diess bewirken diese nur bey Menschen exi- stirenden natürlichen Ableitungen, sie entziehen den Menschen der Sklaverey des blos thierischen — Dass es möglich ist, weiss ich aus Erfarung, und könnte hier mehrere brave Männer anführen, die ihren jungfräulichen Bräuten auch ihre männliche Jungfrauschaft zur Mitgabe brachten. Aber es gehört dazu ein fe- ster Vorsatz, fester Karacter und eine gewisse Richtung und Stimmung der Denk- und Lebensweise, die freylich Geschlechtstriebs, setzen ihn in Stand denselben selbst moralischen Gesetzen und Rücksichten un- terzuordnen, und retten auch in diesem Verhält- niss seine moralische Freyheit. Der Mensch bey- derley Geschlechts ist dadurch für den physischen Schaden, den die Nichtbefriedigung des Ge- schlechtstriebs erregen könnte, gesichert, es existirt nun keine unwiderstehliche blos thieri- sche Nothwendigkeit desselben, und der Mensch behält auch hier (wenn er sich nicht selbst schon durch zu grosse Reizung des Triebs dieses Vor- zugs verlustig gemacht hat), seinen freyen Wil- len ihn zu erfüllen oder nicht, je nachdem es höhere moralische Rücksichten erfordern. Ein neuer grosser Beweiss, dass schon die physische Natur des Menschen auf seine höhere moralische Vollkommenheit berechnet war, und dass dieser Zweck eine seiner unzertrennlichsten und we- sentlichsten Eigenschaften ist! nicht die gewöhnliche ist. Man erlaube mir hier, zum Besten meiner jüngern Mitbürger, einige der bewährtesten Mittel zur Enthaltsamkeit und zur Ver- meidung der unehelichen Liebe aufzu- führen, deren Kraft, Keuschheit durch die gefährlichsten Jugendzeiten hindurch zu erhalten, ich aus Erfarung kenne: 1. Man lebe mässig und vermeide den Genuss nahrhafter viel Blut machen- der oder reizender Dinge; z. E. viel Fleischkost, Eyer, Chokolade, Wein, Gewürze. 2. Man mache sich täglich starke körperliche Bewegung, bis zur Ermü- dung, damit die Kräfte und Säfte ver- arbeitet, und die Reize von den Ge- schlechtstheilen abgeleitet werden. Ge- nug, in den zwey Worten: Faste und Arbeite , liegt ein grosser Talismann ge- gen die Anfechtungen dieses Dämons. 3. Man beschäftige den Geist, und zwar mit mehr ernsthaften abstracten Gegenständen, die ihn von der Sinnlich- keit ableiten. 4. Man vermeide alles, was die Phantasie erhitzen, und ihr die Rich- tung auf Wollust geben könnte, z. E. schlüpfriche Unterhaltungen, das Lesen Liebevoller und wollüstiger Gedichte und Romane (wie wir denn leider so viele haben, die blos gemacht zu seyn scheinen, die Phantasie junger Leute zu erhitzen, und deren Verfasser blos auf den ästhetischen auch wohl numerären Werth zu sehen scheinen, ohne den un- ersezlichen Schaden zu berechnen, den sie der Moralität und der Unschuld da- durch zufügen), auch den Umgang mit verführerischen Weibspersonen, manche Arten von Tänzen u. dgl. 5. Man denke sich immer die Gefah- ren und Folgen der Ausschweifung recht lebhaft. Erst die moralischen. Wel- cher Mensch von nur einigem Gefühl und Gewissen wird es über sich erhal- ten können, der Verführer der ersten Unschuld oder der ehelichen Treue zu seyn? Wird ihn nicht Zeitlebens der peinigende Vorwurf foltern, im ersten Falle die Blume im Aufblühen gebro- chen, und ein noch unschuldiges Ge- schöpf auf ihr ganzes Leben physisch und moralisch unglücklich gemacht zu haben, dessen nun folgende Vergehun- gen, Liederlichkeit und Verworfenheit ganz auf ihn, als den ersten Urheber, resultiren; oder im zweyten Falle die eheliche und häusliche Glückseeligkeit einer ganzen Familie gestöhrt und ver- giftet zu haben, ein Verbrechen, das nach seinem moralischen Gewicht ab- scheulicher ist, als Raub und Mordbren- nerey? Denn was ist bürgerliches Ei- genthum gegen das Herzenseigenthum der Ehe, was ist Raub der Güter gegen den Raub der Tugend, der moralischen Glückseeligkeit? Es bleibt also nichts übrig, als sich mit feilen und der Wol- lust geweiheten Dirnen abzugeben; aber welche Erniedrigung des Karacters, wel- cher Verlust des wahren Ehrgefühls ist damit verbunden? Auch ists erwiesen, dass nichts so sehr den Sinn für hohe und edle Gefühle abstumpft, Kraft und Festigkeit des Geistes nimmt, und das ganze Wesen erschlafft, als diese Aus- schweifungen der Wollust. — Betrach- ten wir nun die physischen Folgen des ausserehelichen Genusses, so sind die nicht weniger traurig, denn hier ist man niemals für venerischer Ansteckung sicher. Kein Stand, kein Alter, keine scheinbare Gesundheit schüzt uns dafür. Nur gar zu leichtsinnig geht man jezt gewöhnlich über diesen Punct weg, seit- dem die grössre Allgemeinheit des Uebels und der Einfluss unwissender Aerzte diese Vergiftung so gleichgültig gemacht haben, als Husten und Schnupfen. Aber wir wollen es einmal in seiner wahren Gestalt betrachten, was es heisst, venerisch vergiftet zu seyn, und ich glaube, jeder vernünftige und wohlden- kende Mensch wird es mir zugeben, dass es unter die grössten Unglücksfälle ge- hört, die einen Menschen betreffen kön- nen. Denn erstens sind die Wirkungen dieses Giftes in dem Körper immer sehr schwächend und angreifend, oft auch fürchterlich zerstöhrend, so dass tödli- che Folgen entstehen, oder auch Gau- men und Nasenbeine verloren gehen, und ein solcher Mensch auf immer seine Schmach zur Schau trägt. Ferner, die ganze Medizin hat kein völlig entschei- dendes Zeichen, ob die venerische Krankheit völlig gehoben und das vene- rische Gift gänzlich in einem Körper ge- dämpft sey, oder nicht. Hierinn stim- men die grössten Aerzte überein. Das Gift kann sich wirklich einige Zeitlang so verstecken und modifiziren, dass man glaubt völlig geheilt zu seyn, ohne dass es ist. Daraus entstehen nun zweyerley üble Folgen, einmal, dass man gar leicht etwas venerisches im Körper be- hält, welches denn unter verschiedenen Gestalten bis ins Alter hin belästigt, und einen siechen Körper bewirkt, oder dass man, welches fast eben so schlimm ist, sich immer einbildet noch venerisch zu seyn, jeden kleinen Zufall davon herlei- tet, und mit dieser fürchterlichen Unge- wissheit sein Leben hinquält. Ich habe von von dieser leztern Art die traurigsten Beyspiele gesehen. Es braucht nur noch etwas Hypochondrie hinzuzukommen, so wird dieser Gedanke ein schrecklicher Plagegeist, der Ruhe, Zufriedenheit, gute Entschlüsse auf immer von uns wegscheucht. Ueberdiess liegt selbst in der Kur dieser Krankheit etwas sehr ab- schreckendes. Das einzige Gegengift des venerischen Giftes ist Quecksilber , also ein Gift von einer andern Art, und eine recht durchdringende Quecksilber- kur (so wie sie bey einem hohen Grade der Krankheit nöthig ist) ist nichts an- ders als eine künstliche Quecksilbervergif- tung , um dadurch die venerische Vergif- tung aufzuheben. Aber gar oft bleiben nun statt der venerischen Uebel die Fol- gen des Quecksilbergifts. Die Haare fallen aus, die Zähne verderben, die Nerven bleiben schwach, die Lunge wird angegriffen u. dergl. mehr. Aber noch eine Folge, die gewiss für einen fühlenden Menschen das grösste Gewicht hat, ist die, dass ein jeder, der sich ve- L l nerisch anstecken lässt, dieses Gift nicht blos für sich aufnimmt, sondern es in sich auch wieder reproducirt, und also auch für andre, ja für die Menschheit eine Giftquelle wird. Er giebt seinen Körper zum Reservoir, zum Treibhaus dieses scheuslichen Gifts her, und wird dadurch ein Erhalter desselben für die ganze Welt, denn es ist erwiesen, dass sich dieses Gift nur im Menschen von neuen erzeugt, und dass es sogleich aus- gerottet seyn würde, wenn sich keine Menschen mehr dazu hergäben, um es zu reproduziren. 6. Noch ein Motiv, dessen Kraft, wie ich weiss, bey gutgearteten Men- schen sehr gross ist: Man denke an seine künftige Geliebte und Gattin, und an die Pflichten, die man ihr schuldig ist. Kennt man sie schon, desto besser. Aber auch ohne sie zu kennen, kann der Ge- danke an die, der wir einst unsre Hand geben wollen, von der wir Treue, Tu- gend und feste Anhänglichkeit erwarten, ein grosser Beweggrund zur eignen Ent- haltsamkeit und Reinheit seyn. Wir müssen, wenn wir einst ganz glücklich seyn wollen, für sie, sey sie auch nur noch Ideal, schon im voraus Achtung empfinden, ihr Treue und Liebe gelo- ben und halten, und uns ihrer würdig machen. Wie kann der eine tugend- hafte und rechtschaffne Gattin verlan- gen, der sich vorher in allen Wollüsten herumgewälzt und dadurch entehrt hat? Wie kann er einst mit reinem und wah- rem Herzen lieben, wie kann er Treue geloben und halten, wenn er sich nicht vom Anfang an an diese reinen und er- habenen Empfindungen gewöhnt, son- dern sie zur thierischen Wollust ernie- drigt hat? 7. Noch kann ich eine Regel nicht übergehen, die von grosser Wichtigkeit ist: Man vermeide die erste Ausschwei- fung der Art. Keine Ausschweifung zieht so gewiss die folgenden nach sich, als diese. Wer noch nie bis zu dem höch- sten Grad der Vertraulichkeit mit dem andern Geschlecht kam, der hat schon L l 2 darinn einen grossen Schild der Tugend. Schamhaftigkeit, Schüchternheit, ein gewisses innres Gefühl von Unrechtthun, genug, alle die zarten Empfindungen, die den Begriff der Jungfräulichkeit aus- machen, werden ihn immer noch, auch bey sehr grosser Verführung, zurück- schrecken. Aber eine einzige Uebertre- tung vernichtet sie alle unwiderbring- lich. Dazu kommt noch, dass der erste Genuss oft erst das Bedürfniss dazu er- regt, und den ersten Keim jenes noch schlafenden Triebs erweckt, so wie jeder Sinn erst durch Kultur zum vollkomm- nen Sinn wird. Es ist in diesem Betracht nicht blos die physische sondern auch die moralische Jungfrauschaft etwas sehr Reelles, und ein heiliges Gut, das beyde Geschlechter sorgfältig bewahren sollten. Aber eben so gewiss ist es, dass ein ein- ziger Fall hinreicht, um uns dieselbe, nicht blos physisch sondern auch mora- lisch zu rauben, und wer einmal gefal- len ist, der wird zuverlässig öftrer fallen. Genug, um auf unsern Hauptsatz zurück zu kommen: Multa tulit, fecitque puer, sudanit et alsit Abstinuit venere et vino. In diesen Worten liegt wirklich das Wesentliche der Kunst, sich in der Jugend Kraft und Lebensdauer zu verschaffen. Arbeit, Anstrengung und Vermeidung der physischen Liebe und des Weins sind die Hauptstücke. Ich brauche nur an das vorherge- sagte zu erinnern. — Glücklich also der, der die Kunst besizt, diese Kräfte zu scho- nen. Er besizt darinne nicht nur das Geheimniss, seinem eignen Leben mehr Länge und Energie zu geben, sondern auch, wenn nun der rechte Zeitpunct kommt, Leben andern Geschöpfen mit- zutheilen, das Glück ehelicher Liebe ganz zu geniessen, und seine gespaarte Kraft und Gesundheit in glücklichen Kindern verdoppelt zu sehen; da hinge- gen der Entnervte, ausser der Verkürzung seines eignen Lebens, auch noch die bittre Kränkung erlebt, in seinen elen- den Kindern seine eigne Schmach immer reproduzirt zu finden. Solch ein über- schwenglicher Lohn wartet dessen, der Kraft genug hat, ein Paar Jahre enthalt- sam zu seyn. Ich kenne wenig Tugen- den, die schon hier auf Erden so reich- lich und ausgezeichnet belohnt würden. Ueberdiess hat sie noch den Vorzug, dass sie, indem sie zu einem glücklichen Ehestand geschickt macht, zu einem neuen Erhaltungsmittel des Lebens ver- hilft. V. Glücklicher Ehestand. E s ist eins der schädlichsten und fal- schesten Vorurtheile, dass die Ehe eine blos politische und conventionelle Er- findung sey. Sie ist vielmehr eine der wesentlichsten Bestimmungen des Men- schen, sowohl fürs Einzelne, als fürs Ganze, und ein unentbehrlicher Theil der Erziehung des Menschengeschlechts. Ich verstehe unter Ehe eine feste, heilige Verbindung zweyer Personen von ver- schiedenem Geschlecht zur gegenseitigen Unterstützung, zur Kindererzeugung und Erziehung. Und in dieser innigen, auf so wichtige Zwecke gegründeten Verbindung liegt, nach meiner Mey- nung, der Hauptgrund häuslicher und öffentlicher Glückseligkeit. Denn ein- mal ist sie unentbehrlich zur morali- schen Vervollkommnung des Menschen; durch diese innige Verkettung seines Wesens mit einem andern, seines In- teresses mit einem andern wird der Egoismus, der gefährlichste Feind aller Tugend, am besten überwunden, der Mensch immer mehr zur Humanität, und zum Mitgefühl für andere geführt, und seiner wahren moralischen Vered- lung genähert. Sein Weib, seine Kin- der knüpfen ihn an die übrige Mensch- heit und an das Wohl des Ganzen mit unauflöslichen Banden, sein Herz wird durch die süssen Gefühle ehelicher und kindlicher Zärtlichkeit immer genährt und erwärmt, und für jener alles tödten- den Kälte geschüzt, die sich so leicht ei- nes isolirt lebenden Menschen bemäch- tigt, und eben diese süssen Vatersorgen legen ihm Pflichten auf, die seinen Ver- stand an Ordnung, Arbeit und vernünf- tige Lebensweise gewöhnen. Der Ge- schlechtstrieb wird dadurch veredelt, und aus einem thierischen Instinet in eins der edelsten moralischen Motive umgeschaffen, die heftigen Leidenschaf- ten, bösen Launen, üble Gewohnheiten werden dadurch am besten getilgt. Hieraus entspringt nun aber ein äusserst beglückender Einfluss aufs Ganze und auf das öffentliche Wohl, so dass ich mit völliger Ueberzeugung behaupte: Glück- liche Ehen sind die wichtigsten Grundfesten des Staats und der öffentlichen Ruhe und Glückseligkeit . Ein Unvereheligter bleibt immer mehr Egoist, unabhängig, unstät, von selbstsüchtigen Launen und Leiden- schaften beherrscht, weniger für Mensch- heit, für Vaterland und Staat als für sich selbst interessirt; das falsche Gefühl der Freyheit hat sich seiner bemächtigt, denn eben diess hielt ihn vom Heyra- then ab, und wird durch den ehelosen Stand noch genährt. Was kann wohl mehr zu Neuerungen, Volksbewegun- gen, Revolutionen disponiren, als die Zunahme der ehelosen Staatsbürger? Wie ganz anders ist diess mit dem Ver- heyratheten? Die in der Ehe nothwen- dige Abhängigkeit von der andern Hälfte gewöhnt unaufhörlich auch an die Ab- hängigkeit vom Gesez, die Sorgen für Frau und Kind binden an Arbeitsamkeit und Ordnung im Leben, durch seine Kinder ist der Mann an den Staat fest geknüpft, das Wohl, das Interesse des Staats wird dadurch sein eignes, oder, wie es Baco ausdrückt, wer verheyrathet ist und Kinder hat, der hat dem Staate Geisseln gegeben, er ist obligat, nur er ist wahrer Staatsbürger, wahrer Patriot. Aber was noch mehr ist, nicht blos das Glück der gegenwärtigen sondern auch der zukünftigen Generation wird da- durch gegründet, denn nur die eheliche Verbindung erzieht dem Staate gute, sittliche, an Ordnung und Bürgerpflicht von Jugend an gewöhnte Bürger. Man glaube doch ja nicht, dass der Staat diese Bildung, diese Erziehung ersetzen kann, die die weise Natur mit dem Vater- und Mutterherzen verknüpft hat! Ach der Staat ist eine schlechte Mutter! Ich habe schon oben gezeigt, was die unseelige Operation, das Propagationsgeschäft sporadisch (nach der bey Hunden und andern Vieh beliebten Weise) zu treiben, und dann die Kinder auf öffentliche Ko- sten in Findelhäusern zu erziehen, für traurige Folgen aufs Physische hat, und eben so ist es mit dem Sittlichen, Es ist eine ausgemachte Wahrheit, je mehr ein Staat uneheliche Kinder hat, desto mehr hat er Keime der Korruption, desto mehr Saat zu künftigen Unruhen und Revolutionen. Und doch kann es Regenten geben, die, durch falsche Fi- nanzvorspiegelungen verführt, glauben können, die eheliche Verbindung könne dem Staate schädlich werden, der ehe- lose Stand mache treue Diener, gute Bürger und dergleichen mehr. O ihr Grossen dieser Welt, wollt ihr die Ruhe eurer Staaten sichern, wollt ihr wahres Glück im Einzelnen und im Ganzen ver- breiten, so befördert, ehrt und unter- stüzt die Ehen; betrachtet jede Ehe als eine Pflanzschule guter Staatsbürger, jede gute häuslich glückliche Familie als ein Unterpfand der öffentlichen Ruhe und eurer Thronen! Man verzeihe diese Digression mei- nem Herzen, das keine Gelegenheit vor- bey lassen kann, das Göttliche und Wohlthätige einer Einrichtung zu zei- gen, die offenbar in der sittlichen und physischen Natur des Menschen gegrün- det ist, und die noch von so vielen jezt verkannt und falsch beurtheilt wird. Ich kehre jezt zu meinem Hauptzweck zurück, den wohlthätigen Einfluss des Ehestands auf das physische Wohl des Menschen zu zeigen. Mit Recht ver- dient er unter den Verlängerungsmitteln des Lebens einen Plaz. — Meine Grün- de sind folgende: 1. Der Ehestand ist das einzige Mit- tel, um dem Geschlechtstrieb Ordnung und Bestimmung zu geben. Er schüzt eben so sehr für schwächender Ver- schwendung, als für unnatürlicher und kältender Zurückhaltung. So sehr ich der Enthaltsamkeit in der Jugend das Wort geredet habe, und überzeugt bin, dass sie unentbehrlich zum glücklichen und langen Leben ist, so bin ich doch eben so sehr überzeugt, dass männliche Jahre kommen, wo es eben so nachthei- lig wäre, jenen natürlichen Trieb ge- waltsam zu unterdrücken, als ihn da zu befriedigen, wo es noch nicht Zeit ist. — Es bleibt doch zum Theil, wenigstens in Absicht auf die gröbern Theile, eine Excretion, und, was das wichtigste ist, durch völlig unterlassnen Gebrauch die- ser Organe veranlassen wir natürlich, dass immer weniger Generationssäfte da abgesondert und präparirt, folglich auch immer weniger ins Blut resorbirt wer- den, und wir erleiden am Ende dadurch selbst einen Verlust. Und schon das all- gemeine Gesez der Harmonie erfodert es. Keine Kraft in uns darf ganz unent- wickelt bleiben; jede muss angemessen geübt werden. — Coitus modicus excitat, nimius debilitat . 2. Er mässigt und regulirt den Ge- nuss. Eben das, was den Wollüstling vom Ehestand abschreckt, das Einerley, ist sehr heilsam und nothwendig; denn es verhütet die durch ewige Abwechse- lung der Gegenstände immer erneuerte und desto schwächendere Reizung. Es verhält sich wie die einfache Nahrung zur componirten und schwelgerischen; nur jene giebt Mässigkeit und langes Leben. 3. Die Erfarung sagt uns: Alle, die ein ausgezeichnet hohes Alter erreichten, waren verheyrathet . 4. Der Ehestand gewährt die rein- ste, gleichförmigste, am wenigsten auf- reibende Freude, die häusliche . Sie ist zuverlässig diejenige, die der physischen und moralischen Gesundheit am ange- messensten ist, und das Gemüth am ge- wissesten in jenem glücklichen Mittelton erhalten kann, der zur Verlängerung des Lebens der vortheilhafteste ist. Er temperirt sowohl die überspannten und schwärmerischen Hofnungen und Plane, als die eben so übertriebnen Besorgnisse. Alles wird durch die Mittheilung eines zweyten Wesens, durch die innige Ver- bindung unsrer Existenz mit einer an- dern gemildert und gemässigt. Dazu nun die zarte Wartung und Pflege, die kein andres Verhältniss in der Welt für die Dauer so versichern kann, als das ehe- liche Band, der Himmel auf Erden, der in dem Besitz gesunder und wohlerzoge- ner Kinder liegt, die wirkliche Verjün- gung, die ihr Umgang uns gewährt, wo- von der 80jährige Cornaro uns ein so rührendes Bild gemacht hat, und man wird nicht mehr daran zweifeln. Wir gehen fast durch eben die Ver- änderungen aus der Welt, als wir hinein- kommen; die beyden Extremen des Le- bens berühren sich wieder. Als Kinder fangen wir an, als Kinder hören wir auf. Wir kehren zulezt in den nehmlichen schwachen und hülflosen Zustand zurück, wie im Anfange. Man muss uns heben, tragen, Nahrung verschaffen und rei- chen. Wir bedürfen nun selbst wieder Eltern, und — welche weise Einrich- tung? — wir finden sie wieder in un- sern Kindern, die sich nun freuen, einen Theil der Wohlthaten erwiedern zu kön- nen, die wir ihnen erzeigten. Die Kin- der treten nun gleichsam in die Stelle der Eltern, so wie unsre Schwäche uns in den Stand der Kinder versezt. — Der Hagestolz hingegen macht sich dieser weisen Einrichtung selbst verlustig. Wie ein ausgestorbner Stamm steht er einsam und verlassen da, und sucht vergebens durch gedungene Hülfe sich die Stütze und Sorgfalt zu verschaffen, die nur das Werk des Naturtriebs und Naturbands seyn kann. Wirke so viel du willst, du wirst doch ewig allein stehen. Bis an das All die Natur dich, die Gewaltige, knüpft. Schiller . VI. VI. Der Schlaf. I ch habe gezeigt, dass der Schlaf eine der weisesten Veranstaltungen der Natur ist, den beständigen reissenden Strom der Lebensconsumtion zu bestimmten Zeiten aufzuhalten und zu mässigen. Er giebt gleichsam die Stationen für unsre physische und moralische Existenz, und wir erhalten dadurch die Glückse- ligkeit, alle Tage von neuem gebohren zu werden, und jeden Morgen durch einen Zustand von Nichtseyn in ein neues erfrischtes Leben überzugehen. Ohne diesen beständigen Wechsel, ohne diese beständige Erneuerung, wie ekel und unschmackhaft würde uns nicht bald das Leben, und wie abgetragen un- M m ser geistiges und physisches Gefühl seyn! Mit Recht sagt daher der grösste Philo- soph unsrer Zeiten: Nehmt dem Menschen Hofnung und Schlaf , und er ist das un- glücklichste Geschöpf auf Erden. Wie unweise handelt also derjenige, der dadurch, dass er sich den Schlaf übermässig abbricht, seine Existenz zu verlängern glaubt! Er wird seinen Zweck weder in - noch extensiv erreichen. Zwar mehr Stunden wird er mit ofnen Augen zubringen, aber nie wird er das Leben im eigentlichen Sinn des Worts, nie jene Frischheit und Energie des Gei- stes geniessen, die die unausbleibliche Folge jedes gesunden und hinreichenden Schlafs ist, und die allem, was wir trei- ben und thun, ein ähnliches Gepräge aufdrückt. Aber nicht blos fürs intensive Leben, sondern auch fürs extensive, für die Dauer und Erhaltung desselben ist gehö- riger Schlaf ein hauptsächliches Mittel. Nichts beschleunigt unsre Consumtion so sehr, nichts reibt so vor der Zeit auf und macht alt, als Mangel desselben. Die physischen Wirkungen des Schlafs sind: Retardation aller Lebensbewegun- gen, Sammlung der Kraft und Wieder- ersetzung des den Tag über verlohren gegangnen, (hier geschieht hauptsäch- lich die Restauration und Ernährung) und Absonderung des unnützen und schädlichen. Es ist gleichsam die tägli- che Crisis, wo alle Secretionen am ruhigsten und vollkommensten gesche- hen. Fortgeseztes Wachen verbindet also alle Lebensdestruirenden Eigenschaften, unaufhörliche Verschwendung der Le- benskraft, Abreibung der Organe, Be- schleunigung der Consumtion und Ver- hinderung der Restauration. Aber man glaube nicht, dass deswe- gen ein zu lange fortgesezter Schlaf das beste Erhaltungsmittel des Lebens sey. Zu langes Schlafen häuft zu viel über- flüssige und schädliche Säfte an, macht die Organe zu schlaff und unbrauchbar, M m 2 und kann auf diese Art ebenfalls das Le- ben verkürzen. Genug, niemand sollte unter 6 und niemand über 8 Stunden schlafen. Diess kann als eine allgemeine Regel gelten. Um ferner gesund und ruhig zu schlafen, und die ganze Absicht des Schlafs zu erreichen, empfehle ich fol- gende Puncte: 1. Der Ort des Schlafens muss still und dunkel seyn. Je weniger äussre sinnliche Reize auf uns wirken, desto vollkommner kann die Seele ruhen. — Man sieht hieraus, wie zweckwidrig die Gewohnheit ist, ein Nachtlicht zu brennen. 2. Man muss immer bedenken, dass das Schlafzimmer der Ort ist, in dem man den grössten Theil seines Lebens zubringt; wenigstens bleibt man gewiss an keinem Ort in einer Situation so lan- ge. Aeusserst wichtig ist es daher, an diesem Orte eine gesunde und reine Luft zu erhalten. Das Schlafzimmer muss also geräumig und hoch, am Tage nicht bewohnt, auch nicht geheizt seyn, und die Fenster beständig offen erhalten wer- den ausser des Nachts. 3. Man esse Abends nur wenig, und nur kalte Speisen, und immer einige Stunden vor Schlafen. Ein Hauptmit- tel, um ruhig zu schlafen, und froh zu erwachen. 4. Man liege ohne allen Zwang und Druck fast ganz horizontal im Bett, nur den Kopf ausgenommen, der etwas er- höht seyn muss. Nichts ist schädlicher, als halb sitzend im Bett zu liegen, der Körper macht da immer einen Winkel, die Circulation im Unterleibe wird er- schwehrt, auch das Rückgrad immer fort gedrückt, daher ein Hauptzweck des Schlafs, freyer und ungehinderter Blutumlauf, dadurch verfehlt, ja in der Kindheit und Jugend Verwachsung und Buckel oft durch diese Gewohnheit er- zeugt wird. 5. Alle Sorgen und Tageslasten müs- sen mit den Kleidern abgelegt werden; keine darf mit zu Bette gehen. Man kann hierinn durch Gewohnheit er- staunlich viel über sich erhalten. Ich kenne keine üblere Gewohnheit als die, im Bett zu studiren und mit dem Buche einzuschlafen. Man sezt dadurch die Seele in Thätigkeit, ge- rade in dem Zeitpunct, wo alles darauf ankommt, sie völlig ruhen zu lassen, und es ist natürlich, dass nun diese aufge- weckten Ideen die ganze Nacht hindurch im Kopfe herumspuken, und immer fortbearbeitet werden. Es ist nicht ge- nug, physisch zu schlafen, auch der gei- stige Mensch muss schlafen. Ein solcher Schlaf ist eben so unzureichend, als der entgegengesezte Fall, wenn blos unser Geistiges aber nicht unser Körperliches schläft; z. E. das Schlafen in einem er- schütternden Wagen, auf Reisen. 6. Hierbey muss ich noch eines be- sondern Umstandes erwähnen. Es glaubt nehmlich mancher, es sey völlig einer- ley, wenn man diese 7 Stunden schliefe, ob des Tags oder des Nachts. Man über- lässt sich also Abends so lange wie mög- lich seiner Lust zum Studiren oder zum Vergnügen, und glaubt es völlig beyzu- bringen, wenn man die Stunden in den Vormittag hinein schläft, die man der Mitternacht nahm. Aber ich muss je- den, dem seine Gesundheit lieb ist, bit- ten, sich für diesem verführerischen Irr- thum zu hüten. Es ist zuverlässig nicht einerley, 7 Stunden am Tage oder 7 Stunden des Nachts zu schlafen, und 2 Stunden Abends vor Mitternacht durch- schlafen, sind für den Körper mehr werth, als 4 Stunden am Tage. Meine Gründe sind folgende: Die 24stündige Periode, welche durch die regelmässige Umdrehung un- sers Erdkörpers auch allen seinen Be- wohnern mitgetheilt wird, zeichnet sich besonders in der physischen Oeconomie des Menschen aus. In allen Krankhei- ten äussert sich diese regelmässige Perio- de, und alle andre so wunderbar pünct- lichen Termine in unsrer physischen Ge- schichte, werden im Grunde durch diese einzelne 24stündige Periode bestimmt. Sie ist gleichsam die Einheit unsrer natür- lichen Chronologie. — Nun bemerken wir, je mehr sich diese Periode mit dem Schluss des Tages ihrem Ende nähert, desto mehr beschleunigt sich der Puls- schlag, und es entsteht ein wirklich fie- berhafter Zustand, das sogenannte Abend- fieber , welches jeder Mensch hat. Höchst- wahrscheinlich trägt der Zutritt des neuen Chylus ins Blut etwas dazu bey. Doch ists nicht die einzige Ursache, denn wir findens auch bey Kranken, die nichts geniessen. Mehr noch hat sicher die Abwesenheit der Sonne, und die da- mit verbundene Revolution in der At- mosphäre Antheil. Eben dieses kleine Fieber ist die Ursache, warum Nerven- schwache Menschen sich Abends ge- schickter zur Arbeit fühlen, als am Tage. Sie müssen erst einen künstlichen Reiz haben, um thätig zu werden, das Abend- fieber ersezt hier die Stelle des Weins. Aber man sieht leicht, dass diess schon ein unnatürlicher Zustand ist. Die Folge desselben ist, wie bey jedem einfachen Fieber, Müdigkeit, Schlaf und Crisis durch die Ausdünstung, welche im Schlafe geschieht. Man kann daher mit Recht sagen: Jeder Mensch hat alle Nacht seine critische Ausdünstung, bey manchen mehr, bey manchen weniger merklich, wodurch das, was den Tag über unnützes oder schädliches einge- schluckt oder in uns erzeugt wurde, ab- geschieden und entfernt wird. Diese tägliche Crisis ist jedem Menschen nöthig und zu seiner Erhaltung äusserst unentbehrlich; der rechte Zeitpunct der- selben ist der, wo das Fieber seinen höchsten Grad erreicht hat, das ist, der Zeitpunct, wo die Sonne gerade in Ze- nith unter uns steht, also die Mitter- nacht. Was thut nun der, der dieser Stimme der Natur, die in diesem Zeit- punct zur Ruhe ruft, nicht gehorcht, der vielmehr dieses Fieber, welches das Mittel zur Absonderung und Reinigung unsrer Säfte werden sollte, zu vermehr- ter Thätigkeit und Anstrengung benuzt? Er stöhrt die ganze wichtige Crise, ver- säumt den critischen Zeitpunct, und, gesezt er legt sich nun auch gegen Mor- gen nieder, so kann er doch nun schlech erdings nicht die ganze wohlthä- tige Wirkung des Schlafs in dieser Ab- sicht erhalten, denn der critische Zeit- punct ist vorbey. Er wird nie eine voll- kommne Crise, sondern immer nur un- vollkommene haben, und Aerzte wissen, was dieses sagen will. Sein Körper wird also nie vollkommen gereinigt. — Wie deutlich zeigen uns diess die Kränklich- keiten, die rhevmatischen Beschwehr- den, die geschwollnen Füsse, die un- ausbleiblich Folgen solcher Lucubra- tionen sind! Ferner, die Augen werden bey die- ser Gewohnheit weit stärker angegrif- fen, denn man arbeitet da den gan- zen Sommer bey Lichte, welches der, der den Morgen benuzt, gar nicht nö- thig hat. Und endlich verlieren die, welche die Nacht zur Arbeit und den Morgen zum Schlaf anwenden, gerade die schön- ste und schicklichste Zeit zur Arbeit. — Nach jedem Schlafe sind wir, im eigent- lichsten Verstande des Worts, verjüngt, wir sind früh allemal grösser, als Abends, wir haben früh weit mehr Weichheit, Biegsamkeit, Kräfte und Säfte, genug, mehr den Karacter der Jugend, so wie hingegen Abends mehr Trockenheit, Sprödigkeit, Erschöpfung, also der Karacter des Alters herrscht. Man kann daher jeden Tag als einen kleinen Abriss des menschlichen Lebens ansehen, der Morgen die Jugend, der Mittag das männliche Alter, der Abend das Alter. Wer wollte nun nicht lieber die Jugend des Tags zu seiner Arbeit benutzen, anstatt erst Abends, im Zeit- punct des Alters und der Erschö- pfung, seine Arbeiten anzufangen? — Früh sieht die ganze Natur am reizend- sten und frischesten aus, auch der menschliche Geist ist früh in seiner grössten Reinheit, Energie und Frisch- heit; noch ist er nicht, wie des Abends, durch die mancherley Eindrücke des Tags, durch Geschäfte und Verdriess- lichkeiten getrübt und sich unähn- lich gemacht, noch ist er es mehr selbst, originell, und in seiner ur- sprünglichen Kraft. Diess ist der Zeit- punct neuer Geistesschöpfungen, reiner Begriffe Anschauungen und grosser Ge- danken. Nie geniesst der Mensch das Gefühl seines eignen Daseyns so rein und vollkommen, als an einem schönen Morgen; wer diesen Zeitpunct ver- säumt, der versäumt die Jugend seines Lebens! Alle, die ein hohes Alter erreichten, liebten das Frühaufstehen, und J. Wes- ley , der Stifter einer eignen methodi- stischen Secte, ein origineller und merk- würdiger Mann, war so sehr von der Nothwendigkeit dieser Gewohnheit überzeugt, dass ers zu einem Religions- punct machte früh aufzustehen, und wurde dabey 88 Jahr alt. Sein Motto, was ich hier als eine ächte Lebensmaxi- me empfehlen will, war: Early to bed, and early arise Makes the man healthy wealthy and wise . (Früh zu Bett und früh wieder auf, macht den Menschen ge- sund, weise und reich.) VII. Körperliche Bewegung. W enn ich das Physische des Menschen betrachte, sagt der grosse Friedrich , so kommt es mir vor, als hätte uns die Na- tur mehr zu Postillions, als zu sitzenden Gelehrten geschaffen. Und gewiss, ohn- eracht der Ausdruck etwas stark ist, so hat er doch viel Wahres. Der Mensch ist und bleibt ein Mittelgeschöpf, das immer zwischen Thier und Engel schwankt, und so sehr er seiner höhern Bestimmung untreu werden würde, wenn er blos Thier bliebe, eben so sehr versündigt er sich an seiner jetzigen, wenn er blos Geist seyn, blos denken und empfinden will. Er muss durchaus die thierischen und geistigen Kräfte in gleichem Grade üben, wenn er seine Be- stimmung vollkommen erreichen will, und besonders ist diess in Absicht der Dauer seines Lebens von der äussersten Wichtigkeit. Harmonie der Bewegun- gen ist die Hauptgrundlage, worauf Ge- sundheit, gleichförmige Restauration und Dauer des Körpers beruht, und diese kann schlechterdings nicht statt fin- den, wenn wir blos denken und sitzen. Der Trieb zur körperlichen Bewegung ist dem Menschen eben so natürlich, wie der Trieb zum Essen und Trinken. Man sehe ein Kind an: Stille sitzen ist ihm die grösste Pein. Und gewiss die Gabe, Tage lang zu sitzen und nicht mehr den geringsten Trieb zur Bewegung zu füh- len, ist schon ein wahrhaft unnatürli- cher und kranker Zustand. Die Erfa- rung lehrt, dass diejenigen Menschen am ältesten wurden, welche anhaltende und starke Bewegung und zwar in freyer Luft hatten. Ich halte es daher für eine unum- gänglich nöthige Bedingung zum langen Leben; sich täglich wenigstens eine Stunde Bewegung im Freyen zu machen. Die gesundeste Zeit ist vor dem Essen, oder 3 — 4 Stunden nachher. Eben in dieser Absicht sind mit un- ter angestellte kleine Reisen und Excur- sionen, Reiten, mässiges Tanzen und andre gymnastische Uebungen so sehr nüzlich, Es ist hierüber ein classisches und unsrer Nation Ehre machendes Buch nachzulesen: Guthsmuth Gymnastic , auch dessen nächstens herauskom- mende Spiele zur Uebung und Erholung des Kör- pers und Geistes für die Jugend . und es wäre sehr zu wün- schen, dass wir hierinn den Alten mehr nachahmten, welche diese so wichtigen Hülfen der Gesundheit kunstmäsig be- handelten, und sich durch keine äussern Verhältnisse abhalten liessen, sie zu be- nutzen. Am nüzlichsten sind sie, wenn nicht blos der Leib, sondern auch die Seele zugleich mit bewegt und erweckt wird. Daher muss auch eine Prome- nade, nade, welche ihrer Absicht ganz ent- sprechen soll, nicht allein, wo möglich in einer unterhaltenden schönen Gegend und nach einem gewissen Ziel, angestellt werden. N n VIII. Genuss der freyen Luft — mässige Tem- peratur der Wärme. M an muss sich durchaus den Genuss einer reinen freyen Luft als eine eben so nothwendige Nahrung unseres Wesens denken, wie Essen und Trinken. Reine Luft ist eben so gewiss das grösste Erhaltungs- und Stärkungsmittel un- sers Lebens, als eingeschlossne ver- dorbne Luft das feinste und tödlichste Gift ist. Hieraus fliessen folgende practische Lebensregeln: 1. Man lasse keinen Tag hingehen, ohne ausserhalb der Stadt freye reine Luft genossen zu haben. Man sehe das Spazierengehen ja nicht blos als Bewe- gung an, sondern vorzüglich als den Ge- nuss der reinsten Lebensnahrung, wel- cher besonders Menschen, die in Zim- mern zu wohnen pflegen, ganz unent- behrlich ist. Ausser diesem Nutzen wird man auch noch den haben, dass man sich durch diesen täglichen Luftgenuss beständig in Bekanntschaft und Familia- rität mit der freyen Luft erhält. Und dadurch sichert man sich für einem der grössten Uebel der jetzigen Menschheit, der zu grossen Empfindlichkeit gegen alle Eindrücke und Veränderungen der Witte- rung . Es ist eine der ergiebigsten Quel- len von Krankheiten, und dafür ist kein anderes Mittel, als sich durch täglichen Umgang mit der freyen Luft vertraut zu erhalten. Und endlich wird man durch diese Gewohnheit unendlichen Vortheil für die Augen erhalten, denn es ist gewiss, dass eine Hauptursache unsrer Augen- schwäche und Kurzsichtigkeit die vier Wände sind, in denen wir von Kindheit auf wohnen und leben, und wodurch endlich das Auge ganz die Kraft verliert, den Focus entfernter Gegenstände gehö- N n 2 rig zu formiren. Der beste Beweiss ist, dass diese Augenschwäche nur in Städ- ten, und nicht auf dem Lande gefunden wird. 2. Man suche immer wo möglich hoch zu wohnen. Wer seine Gesundheit lieb hat, sollte, in Städten wenigstens, nicht par terre wohnen. Man öfne fleisig die Fenster. Windöfen oder Ka- mine sind die besten Reinigungsmittel der Stubenatmosphäre. Man schlafe nicht da, wo man den ganzen Tag wohnt, und die Fenster der Schlaf- kammer müssen den ganzen Tag offen stehen. Noch muss ich eine für die Le- bensverlängerung wichtige Erinnerung beyfügen, die Luft, in der man lebt, immer in einer nur mässigen Tem- peratur der Wärme zu erhalten. Es ist weit besser, in einer zu kühlen, als zu heissen Luft zu leben, denn Hitze beschleunigt den Lebensstrom ausserordentlich, wie diess schon das kürzere Leben der Bewohner heisser Gegenden beweisst, und viele Men- schen erkünsteln sich ein solches Clima durch ihre heissen Stuben. Die Tem- peratur der Luft im Zimmer sollte nie über 15 Grad Reaum . steigen. IX. Das Land- und Gartenleben. G lücklich ist der, dem das Loos fiel, der mütterlichen Erde nahe und treu zu bleiben, und in dem unmittelbaren Um- gang mit der Natur seine Freude, seine Arbeit und seine Bestimmung zu finden! Er ist an der wahren Quelle der ewigen Jugend, Gesundheit und Glückseeligkeit, Leib und Seele bleiben in der schönsten Harmonie und in dem besten Wohlseyn; Einfachheit, Frohsinn, Unschuld, Zu- friedenheit begleiten ihn durchs Leben, und er erreicht das höchste Ziel des Le- bens, dessen es in dieser Organisation fähig ist. Ich kann mich nicht enthal- ten, das, was Herder so schön davon sagt, hier einzuschalten. Mir gefället des Freundes Entschluss, der, dem Ker- ker der Mauern Entronnen, sich sein Tusculum erwählt. Warum thürmten Unsinnige wir die gehauenen Felsen? Zu fürchten etwa ihren schnellen Sturz? Oder uns zu verbaun des Himmels glänzenden An- blick? Zu rauben uns einander selbst die Luft? Anders lebte voreinst in freyer und fröhlicher Un- schuld, Von solcher Thorheit fern, die junge Welt Auf dem Lande. Da blühen unschuldige Freuden. Sie füllen Mit immer neuer Wohllust unsre Brust. Da schaut man den Himmel. Da raubt kein Nachbar den Tag uns. Apoll aus frischen klaren Quellen beut Trank des Genius uns. O kennten die Menschen ihr Glück nur! Gewiss in finstre Städte barg es nicht Unsre Mutter Natur, nicht hinter Schlösser und Riegel; Für alle blühts auf offner freyer Flur. Wers nicht suchte, fands Wer reich ist ohne Pro- cente, Geniesst. Sein Schatz ist, was die Erde beut Hier der rinnende Bach, sein Silber . Es steiget in Aehren Sein Gold empor, und lacht an Bäumen ihm. Dunkel im Laube verhüllt singt seine Kapelle. Da klaget, Frohlockt und streitet seiner Sänger Chor. Anders klagt in der Stadt der gefangene traurige Vogel; Ein Sklave, der ihm seine Körnchen streut, Glaubt, er singe dem Herrn. Mit jedem Tone ver- wünscht er Den Wüterich, der ihm seine Freyheit stahl. — Auf dem Lande beglückt die Natur; ihr Affe, die Kunst, darf Nur furchtsam dort und züchtig sich ihr nahn. Schau hier diesen Pallast, die grüne Laube. Ge- wölbet Von wenig dichten Zweigen birgt sie dich, Wie den Persermonarch sein Haus von Zedern, und schenkt dir, Was jenen flieht, gesunden süssen Schlaf. Grosse Städte sind grosse Lasten. Der eignen Freuden Beraubet, hascht nach fremden Freuden man. Alles in ihnen ist gemahlt, Gesichter und Wände, Gebehrden, Worte, selbst das arme Herz. Alles in ihnen ist von kostbaren Holz und von Marmor, Von Holz und Marmor selbst auch Herr und Frau. O Landesarmuth, o wie bist du reich! Wenn man hungert, so isst man dort, was jegliche Jahrzeit An mannichfaltiger Erquickung dir Froh gewährt. Der Pflug wird Tafel, das grünende Blatt wird Ein reiner Teller für die schöne Frucht, Reinliches Holz dein Krug, dein Wein die erfri- schende Quelle, Die frey von Giften dir Gesundheit strömt, Und mit sanftem Geräusch zum Schlaf dich ladet. Indessen Hoch über dir die Lerch’ in Wolken singt, Steigend auf und hernieder, und schiesst dir nah an den Füssen In ihr geliebtes kleines Furchennest. In der That, wenn man das Ideal eines zur Gesundheit und Longävität führenden Lebens nach theoretischen Grundsätzen entwerfen wollte, man würde auf das nehmliche zurückkom- men, was uns das Bild des Landlebens darstellt. Nirgends vereinigen sich alle Erfordernisse so vollkommen als hier, nirgends wirkt alles um und in dem Menschen auf den Zweck, Erhaltung der Gesundheit und des Lebens, hin, als hier. Der Genuss einer reinen gesun- den Luft, einfacher und frugaler Kost, tägliche starke Bewegung im Freyen, eine bestimmte Ordnung in allen Le- bensgeschäften, der schöne Blick in die reine Natur, und die Stimmung von innrer Ruhe, Heiterkeit und Frohsinn, die sich dadurch über unsern Geist ver- breitet, — welche Quellen von Lebens- restauration! Dazu kommt noch, dass das Landleben ganz vorzüglich dem Ge- müthe denjenigen Ton zu geben vermag, welcher dem Leidenschaftlichen, Ueber- spannten und Excentrischen entgegen ist, um so mehr, da es uns auch dem Gewühl, den Frictionen und Korruptio- nen der Städte entzieht, die jenen Lei- denschaften Nahrung geben könnten. Es erhält folglich von innen und von aussen Gemüthsruhe und Gleichmuth, der so sehr Lebenserhaltend ist; es giebt zwar Freuden, Hofnungen, Genüsse in Menge, aber alle ohne Heftigkeit, ohne Leiden- schaft, temperirt durch den sanften Ton der Natur. — Kein Wunder folglich, dass uns die Erfarung die Beyspiele des höchsten Alters nur in dieser Lebens- weise finden lässt. Es ist traurig, dass diese Lebensart, die ursprünglichste und natürlichste des Menschen, jezt von so vielen gering ge- schäzt wird, so dass selbst der glückliche Landmann es kaum erwarten kann, bis sein Sohn ein studirter Taugenichts ist, und das Misverhältniss zwischen Städter und Landmann immer grösser zu wer- den scheint. Gewiss, es stünde besser um die Glückseeligkeit der einzelnen In- dividuen und des Ganzen, wenn sich ein grosser Theil der jezt gangbaren Fe- dermesser und Papierscheeren in Sicheln und Pflugschaare, und der jezt mit schreibender Handarbeit beschäftigten Finger in pflügende und ackernde Hände verwandelte. Es ist ja das erste bey so vielen auch nur Handarbeit, aber die leztre ist nüzlicher. Und wenn ich nicht sehr irre, so werden wir endlich, auch durch politische Verhältnisse genö- thigt, wieder dahin zurückkommen. Der Mensch wird sich der Mutter Natur und Erde wieder mehr nähern müssen, von der er sich in allem Sinn zu sehr entfernt hat. Freylich können wir nicht alle Landleute von Profession seyn. Aber, wie schön wäre es, wenn auch Gelehrte, Geschäftsmänner, Kopfarbeiter, ihre Existenz in beyderley Arten von Beschäf- tigung theilten, wenn sie den Alten dar- inne nachahmten, die, troz ihrer philo- sophischen oder Staatsgeschäfte, es nicht unter ihrer Würde hielten, zwischen durch sich ganz dem Landleben zu wid- men, und im eigentlichsten Verstande zu rustiziren. Gewiss, alle die so trau- rigen Folgen des sitzenden Lebens und der Kopfanstrengung würden wegfallen, wenn ein solcher Mann täglich einige Stunden, oder alle Jahre einige Monate den Spaten und die Hacke zur Hand nähme, und sein Feld oder seinen Gar- ten bearbeitete (denn freylich nicht die gewöhnliche Art auf dem Lande zu le- ben, die meistentheils nichts weiter heisst, als Bücher und Sorgen mit hin- aus zu nehmen, und, anstatt im Zim- mer, nun im Freyen zu lesen, zu den- ken und zu schreiben, — kann jenen Zweck erfüllen). Solche Rusticationen würden das Gleichgewicht zwischen Geist und Körper wieder herstellen, was der Schreibtisch so oft aufhebt, sie würden durch Verbindung der drey grossen Panazeen, körperlicher Bewe- gung, freyer Luft und Gemüthsaufhei- terung, alle Jahre eine Verjüngung und Restauration bewirken, die der Lebens- dauer und dem Lebensglück von un- glaublichen Nutzen seyn würde. Ja, ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich von dieser Gewohnheit ausser dem phy- sischen Nutzen auch manchen geistigen und moralischen verspreche. Der Hirn- gespinnste und Hypothesen der Studir- stuben würden zuverlässig weniger wer- den, man würde nicht mehr so häufig die ganze Welt blos in seiner Person oder in seinen vier Wänden zu haben glauben und sie auf diesem Fusse behan- deln, und der ganze Geist würde mehr Wahrheit, Gesundheit, Wärme und Natursinn bekommen, Eigenschaften, die die Griechischen und Römischen Philosophen so sehr auszeichnen, und die sie, nach meiner Meynung, gröss- tentheils dieser Gewohnheit und dem fortdauernden Umgang mit der Natur zu danken haben. Aber deswegen sollte man die grösste Sorge tragen, den Sinn für die Natur in sich nicht vergehen zu lassen. Er verliert sich so leicht durch anhaltendes Leben in abstracto , durch angreifende Geschäfte, durch den Dunst der Studirstuben, und hat man ihn ein- mal verloren, so hat die schönste Na- tur keine Wirkung auf uns, man kann in der lieblichsten Gegend unter dem schönsten Himmel — lebendig tod blei- ben. Diess verhütet man am besten, wenn man sich nie zu sehr und nie zu lange von der Natur entfernt, sich, so oft es seyn kann, der künstlichen und abstracten Welt entzieht, und alle Sinne den wohlthätigen Einflüssen der Natur öfnet, wenn man von Jugend auf Freude und Geschmack an dem Studium der Naturwissenschaft zu erlangen sucht (schon bey der Erziehung sollte darauf Rücksicht genommen werden), und sei- ne Phantasie durch die schönen Nach- ahmungen der Mahlerey und durch die Herzerhebenden Darstellungen der Dichter der Natur, eines Zachariae, Thompson, Gesner, Matthison u. s. w. dafür erwärmt. X. Reisen. I ch kann unmöglich unterlassen, diesem herrlichen Genuss des Lebens eine eigne Stelle zu widmen, und ihn auch zur Verlängerung desselben zu empfehlen. Die fortgesezte Bewegung, die Verän- derung der Gegenstände, die damit ver- bundene Aufheiterung des Gemüths, der Genuss einer freyen immer veränderten Luft, wirken zauberisch auf den Men- schen, und vermögen unglaublich viel zu Erneuerung und Verjüngung des Le- bens. Es ist wahr, die Lebensconsum- tion kann dabey etwas vermehrt werden, aber diess wird reichlich durch die ver- mehrte Restauration ersezt, die theils in Absicht des Körperlichen durch die er- mun- munterte und gestärkte Verdauung, theils geistig durch den Wechsel ange- nehmer Eindrücke und die Vergessenheit seiner selbst bewirkt wird. Denen vor- züglich, welche ihr Beruf zum Sitzen nöthigt, die anhaltend mit abstracten Gegenständen oder drückenden Berufs- arbeiten beschäftigt sind; deren Gemüth in Gefühllosigkeit, Trübsinn oder hypo- chondrische Verstimmung versunken ist, oder denen, was wohl das schlimmste von allen ist, keine häusliche Glücksee- ligkeit zu Theil wurde, — diesen em- pfehle ich dieses grosse Hülfsmittel. Aber gar viele benutzen es nicht so, dass es diese heilsamen Wirkungen hat, und es wird hier nicht undienlich seyn, einige der wichtigsten Regeln mitzu- theilen, wie man reisen muss, um es für Gesundheit und Leben heilsam zu machen. 1. Am gesundesten und zweckmäsig- sten sind die Reisen zu Fuss und noch besser zu Pferde. Nur wenn man O o schwächlich ist, oder zu starke Touren macht, ist das Fahren rathsam. 2. Beym Fahren ist es sehr heilsam, im Wagen immer die Lage zu verändern, bald zu sitzen, bald zu liegen u. s. f., da- durch verhütet man am besten die Nach- theile des anhaltenden Fahrens, die am meisten daher entstehen, wenn die Er- schütterung immer einerley Richtung nimmt. 3. Die Natur verträgt keine schnel- len Sprünge. Es ist deshalb niemand, der anhaltendes sitzendes Leben ge- wohnt war, anzurathen, sich davon schnell auf eine rasche stark erschüttern- de Reise zu begeben. Es würde unge- fähr dasselbe seyn, als wenn jemand, der Wasser zu trinken gewohnt ist, plözlich anfangen wollte, Wein zu trinken. — Man mache daher den Uebergang lang- sam, und fange mit mässigen Bewegun- gen an. 4. Ueberhaupt dürfen Reisen, die Verlängerung des Lebens und der Ge- sundheit zum Zweck haben, nie Stra- paze werden, welches aber nur nach der Verschiedenheit der Naturen und Kon- stitutionen bestimmt werden kann. Drey bis vier Meilen des Tags, und alle drey vier Tage einen oder einige Rasttage, möchten etwa der allgemeinste Maasstab seyn. Vorzüglich vermeide man das Reisen bey Nacht, das durch Stöhrung der nöthigen Erholung, durch Unter- drückung der Ausdünstung, und durch ungesunde Luft immer sehr nachtheilig ist. Man kann sich am Tage doppelt so viel zumuthen, wenn man nur die Nachtruhe respectirt. 5. Man glaube ja nicht, dass man auf Reisen desto unmässiger seyn könne. Zwar in der Wahl der Speisen und Ge- tränke braucht man nicht ängstlich zu seyn, und es ist am besten, in jedem Lande die da gewöhnliche Diät zu füh- ren. Aber nie überlade man sich. Denn während der Bewegung ist die Kraft des Körpers zu sehr getheilt, als dass man dem Magen zu viel bieten dürfte, und die Bewegung selbst wird dadurch müh- O o 2 samer. Insbesondere darf man in hitzi- gen Speisen und Getränken (was doch auf Reisen so gewöhnlich ist) nicht zu viel thun. Denn das Reisen an sich wirkt schon als Reiz, und wir brauchen daher eigentlich weniger reizende Spei- sen und Getränke, als im ruhigen Zu- stande. Sonst entstehen gar leicht Ue- berreizungen, Erhitzungen, Blutkonge- stionen u. dgl. Am besten ist es, auf Reisen lieber oft aber wenig auf einmal zu geniessen, mehr zu trinken als zu essen, und Nahrungsmittel zu wählen, die leicht verdaulich, und dennoch stark nährend, nicht erhitzend, und nicht leicht zu verfälschen sind. Daher es auf dem Lande und in schlechten Wirths- häusern am sichersten ist, Milch, Eyer, gut ausgebacknes Brod, frisch gekochtes oder gebratenes Fleisch und Obst zu ge- niessen. Am meisten warne ich für den Weinen, die man in solchen Häusern bekommt. Besser ist Wasser, zu dessen Verbesserung man Citrone, oder Citro- nenzucker ( Pastilles au Citron ) oder ei- nen guten Liquor bey sich führen kann, wovon man etwas zum Wasser mischt. Ist es faulichtriechend, so dient das Koh- lenpulver. Diess ist eine der grössten und wohlthätigsten Er- findungen der neuern Zeit, die wir Hrn. Lowiz in Petersburg verdanken. Alles noch so faulrie- chende und schmeckende Wasser kann man auf folgende Weise in wenig Minuten völlig von sei- nem faulichten Geruch und Geschmack befreyen, und zu guten Trinkwasser machen: Man nimmt Kohlen, die eben geglüht haben, pülvert sie sein, und mischt unter ein Nösel Wasser etwa einen Esslöffel dieses Pulvers, rührt es um, und lässt es einige Minuten stehen. Hierauf lässt man es durch Fliesspapier langsam in ein anderes Glass laufen, in welchem es sich ohne Farbe, Geruch und Geschmack, also völlig rein und zum Trin- ken tauglich, sammlen wird. Man kann auch die Kohlen, gleich nach dem Glühen gepülvert und in wohl verstopfte Gläser gefüllt, mit auf die Reise nehmen, und lange conserviren. 6. Man vermeide die übermässige Anstrengung und Verschwendung der Kräfte. Es ist zwar im allgemeinen eben so schwehr das rechte Maas der Bewe- gung anzugeben, als das rechte Maas im Essen und Trinken. Aber die Natur hat uns da einen sehr guten Wegweiser ge- geben, das Gefühl der Ermüdung, wel- ches hier eben so bedeutend ist, als das Gefühl der Sättigung beym Essen und Trinken. Müdigkeit ist nichts anders, als der Zuruf der Natur, dass unser Vor- rath von Kräften erschöpft ist, und, wer müde ist, der soll ruhen. Aber freylich kann auch hier die Natur verwöhnt wer- den, und wir fühlen endlich eben so wenig das Müdeseyn, als der beständige Schlemmer das Sattseyn, besonders wenn man durch reizende und erhitzen- de Speisen und Getränke die Nerven spannt. Doch giebt es dann andre An- zeigen, die uns sagen, dass wir das Maas überschritten haben, und auf diese bitte ich genau zu merken. Wenn man anfängt mismuthig und verdrossen zu werden, wenn man schläfrig ist und oft gähnt, und dennoch der Schlaf, auch bey einiger Ruhe, nicht kommen will, wenn der Appetit sich verliert, wenn bey der geringsten Bewegung ein Klo- pfen der Adern, Erhitzung, auch wohl Zittern entsteht, wenn der Mund trocken oder gar bitter wird, — dann ist es hohe Zeit, Ruhe und Erholung zu su- chen, wenn man eine Krankheit vermei- den will, die denn schon im Entste- hen ist. 7. Auf Reisen kann die unmerkliche Ausdünstung leicht gestöhrt werden, und Erkältung ist eine Hauptquelle der Krankheiten, die da vorkommen. Es ist daher rathsam allen schnellen Uebergang aus Hitze und Kälte, und umgekehrt, zu meiden, und, wer eine schon em- pfindliche Haut hat, thut am besten, auf Reisen ein Hemde von dünnen Flanell zu tragen. 8. Reinlichkeit ist auf Reisen dop- pelt nöthig, und daher das öftre Waschen des ganzen Körpers mit frischen Wasser sehr zu empfehlen, welches auch zur Verminderung der Müdigkeit viel bey- trägt. 9. Im Winter oder im feuchten kal- ten Clima wird man sich immer eher starke Bewegung zumuthen können, als im Sommer oder in heissen Ländern, wo uns schon der Schweiss die Hälfte der Kraft entzieht. So auch früh morgens mehr als des Nachmittags. 10. Personen, die sehr vollblütig oder zu Bluthusten und andern Blutflüs- sen geneigt sind, müssen erst ihren Arzt befragen, ehe sie sich auf eine Reise be- geben. XI. Reinlichkeit und Hautkultur. B eydes halte ich für Hauptmittel zur Verlängerung des Lebens. Die Reinlichkeit entfernt alles, was unsere Natur als unnüz oder verdorben von sich abgesondert hat, so wie alles der Art, was von aussen unsrer Oberflä- che mitgetheilt werden könnte. Die Hautkultur ist ein wesentlicher Theil davon, und besteht in einer sol- chen Behandlung der Haut von Jugend auf, wodurch dieselbe lebendig, thätig und gangbar erhalten wird. Wir müssen nehmlich unsre Haut nicht blos als einen gleichgültigen Man- tel gegen Regen und Sonnenschein be- trachten; sondern als eins der wichtig- sten Organe unsers Körpers, ohne dessen unaufhörliche Thätigkeit und Gangbar- keit weder Gesundheit noch langes Le- ben bestehen kann, und dessen Vernach- lässigung in neuern Zeiten eine uner- kannte Quelle unzähliger Kränklichkei- ten und Lebensabkürzungen worden ist. Könnte ich doch nachfolgendes recht eindrücklich sagen, um mehr Achtung für dieses Organ und dessen bessere Be- handlung zu erregen! Die Haut ist das grösste Reinigungs- mittel unsers Körpers. Unaufhörlich, jeden Augenblick, verdünstet dadurch, durch Millionen kleiner Gefässe, auf eine unbemerkbare Weise eine Menge verdorbner, abgenuzter und verbrauch- ter Theile. Diese Absonderung ist mit unserm Leben und Blutumlauf unzer- trennlich verbunden, und durch sie wird unserm Körper bey weitem der grösste Theil alles Verdorbenen entzo- gen. Ist sie also schlaff, verstopft oder unthätig, so wird Verdorbenheit und Schärfe unsrer Säfte unausbleibliche Folge seyn. Insbesondere entstehen die übelsten Hautkrankheiten daher. Die Haut ist ferner der Sitz des all- gemeinsten Sinns, des Gefühls , desjeni- gen Sinns, der uns vorzüglich mit der uns umgebenden Natur, insbesondere der Atmosphäre, in Verbindung sezt, von dessen Zustand also grösstentheils das Gefühl unsrer eignen Existenz und unsers Verhältnisses zu dem, was um uns ist, bestimmt wird. Die grössere oder geringere Empfänglichkeit für Krankheiten hängt daher gar sehr von der Haut ab, und wessen Haut zu ge- schwächt oder erschlafft ist, der hat ge- wöhnlich eine zu feine und unnatürli- che Empfindlichkeit derselben, wodurch es denn kommt, dass er jede kleine Ver- änderung der Witterung, jedes Zuglüft- gen auf eine höchst unangenehme Weise in seinem Innern bemerkt, und zulezt ein wahres Barometer wird. Man nennt diess die rhevmatische Constitu- tion, die hauptsächlich in der mangeln- den Hautstärke ihren Grund hat. Auch entsteht daher die Neigung zum Schwi- tzen, die ebenfalls ein ganz unnatürli- cher Zustand ist, und uns beständigen Erkältungen und Kränklichkeiten aus- sezt. Ueberdiess ist sie ein Hauptmittel, um das Gleichgewicht in den Kräften und Bewegungen unsers Körpers in Ord- nung zu halten. Je thätiger und offner die Haut ist, desto sicherer ist der Mensch für Anhäufungen und Krankheiten in den Lungen, Darmkanal und ganzen Un- terleib, desto weniger Neigung zu den gastrischen (gallichten und schleimich- ten) Fiebern , zur Hypochondrie, Gicht, Lungensucht, Katharrhen und Hämor- rhoiden . Eine Hauptursache, dass diese Krankheiten jezt bey uns so eingerissen sind, liegt darinne, dass wir unsre Haut nicht mehr durch Bäder und andre Mit- tel reinigen und stärken. Die Haut ist ferner eins der wich- tigsten Restaurationsmittel unsers Kör- pers, wodurch uns aus der Luft eine Menge feiner und geistiger Bestandtheile zugeführt werden sollen. Ohne gesunde Haut ist daher keine völlige Restaura- tion, ein Hauptprinzip des langen Le- bens, möglich. Unreinlichkeit deterio- rirt den Menschen physisch und mora- lisch. Auch ist nicht zu vergessen, dass die Haut das Hauptorgan der Crisen, d. h. der Naturhülfe in Krankheiten, ist, und dass ein Mensch mit einer offnen und gehörig belebten Haut weit sichrer seyn kann, bey vorkommenden Krankheiten leichter und vollkommner geheilt zu werden, ja sich oft, ohne Arzney, selbst durch zu helfen. Dass ein solches Organ ein Grund- pfeiler der Gesundheit und des Lebens sey, wird nun wohl niemand leugnen, und es ist daher in der That unbegreif- lich, wie man in den neuern Zeiten, und gerade bey den vernünftigern und aufgeklärtern Völkern, dasselbe und sei- ne gehörige Kultur so ganz hat vernach- lässigen können. Ja, anstatt das minde- ste dafür zu thun, finden wir vielmehr, dass man von Kindheit auf alles gleich- sam darauf anlegt, die Haut zu versto- pfen, zu erschlaffen und zu lähmen. Bey weiten die mehresten Menschen em- pfinden ausser dem Bade der heiligen Taufe in ihrem ganzen Leben die Wohl- that des Badens nicht wieder, die Haut wird durch den täglichen Schweiss und Schmuz immer mehr verstopft, durch warme Bekleidungen, Pelzwerk, Feder- betten u. s. w. erschlafft und geschwächt, durch eingeschlossne Luft und sitzendes Leben gelähmt, und ich glaube ohne alle Uebertreibung behaupten zu können, dass bey den meisten Menschen unsrer Gegenden die Haut zur Hälfte verstopft und unthätig sey. Man erlaube mir, hier auf eine In- consequenz aufmerksam zu machen, die nur das vor sich hat, dass sie nicht die einzige der Art im menschlichen Le- ben ist. Bey Pferden und andern Thie- ren ist der gemeinste Mann überzeugt, dass gehörige Hautkultur ganz unent- behrlich zu ihrem Wohlseyn und Leben sey. Der Knecht versäumt Schlaf und alles, um sein Pferd gehörig striegeln, schwemmen und reinigen zu können. Wird das Thier mager und schwach, so ist es der erste Gedanke, ob man viel- leicht in der Hautbesorgung etwas ver- säumt und vernachlässigt habe. Bey sei- nem Kinde aber und bey sich selbst, fällt ihm dieser einfache Gedanke nie ein. Wird diess schwach und elend, zehrt es sich ab, bekommt es die sogenannten Mitesser (alles Folge der Unreinlichkeit), so denkt er eher an Behexung und an- dern Unsinn, als an die wahre Ursache, unterlassne Hautreinigung. So ver- nünftig, so aufgeklärt sind wir bey Thieren; warum nun nicht auch bey Menschen? Die Regeln, die ich zur Erhaltung der Reinigkeit und eines gesunden le- bendigen Zustandes der Haut zu geben habe, sind sehr leicht und einfach, und können, insbesondere wenn sie von Ju- gend auf befolgt werden, als grosse Ver- längerungsmittel des Lebens betrachtet werden: 1. Man entferne sorgfältig alles, was unser Körper als schädlich und ver- dorben von sich abgesondert hat. Diess geschieht, wenn man öfters (wers haben kann täglich) die Wäsche wechselt, die Betten, wenigstens die Ueberzüge oft umändert, und sich daher lieber der Ma- trazen bedient, die weniger Unreinig- keit annehmen, und die Luft des Wohn- zimmers hauptsächlich des Schlafzim- mers immer erneuert. 2. Man wasche sich täglich mit fri- schem Wasser den ganzen Körper, und reibe zugleich die Haut stark, wodurch sie ausserordentlich viel Leben und Gang- barkeit erhält. 3. Man bade Jahr aus Jahr ein alle Wochen wenigstens einmal in lauen Wasser, wozu sehr nüzlich noch eine Abkochung von 5 — 6 Loth Seife ge- mischt werden kann. Wollte Gott, dass die Badehäuser an allen Orten wieder in Gang gesezt würden, damit auch der unbe- unbegüterte Theil des Volks diese Wohl- that geniessen könnte, so wie er sie in den vorigen Jahrhunderten überall ge- noss, und dadurch gesund und stark wurde! Wir haben noch überall Badehäuser und Bader, aber blos als Rudera jener löblichen Gewohnheit. Ihre Benutzung ist durch eine unbegreifliche In- dolenz der Menschen ganz abgekommen. Ehe- mahls gingen alle Sonnabende Baderprozessionen mit klingenden Becken durch die Strassen, um ans Baden zu erinnern, und der im Schmuz ar- beitende Handwerker wusch nun im Bade jene Unreinigkeiten von sich, die er jezt gewöhnlich Zeitlebens mit sich trägt. Es sollte jeder Ort ein Badehaus oder Floss im Flusse für den Sommer, und ein andres für den Winter haben. Nur be- obachte man bey jedem Bade die Regel, nie bey vollem Magen, also nüchtern oder 4 Stunden nach dem Essen, auch nie mit erhiztem Körper ins Bad zu gehen, im kühlen Flusswasser nie über eine Viertelstunde, im lauen Wasser nie über drey Viertelstunden zu bleiben, die Erkältung beym Herausgehen zu verhüten (welches am be- sten dadurch geschieht, wenn man gleich beym Heraussteigen einen flanellnen Schlafrock über- P p Ich kann hier nicht umhin, des See- bads zu erwähnen, das durch seine rei- zende und eindringende Kraft unter den Mitteln zur Hautkultur oben an steht, und gewiss eins der ersten Bedürfnisse der jetzigen Generation erfüllt, die Haut zu öfnen, und das ganze Organ und da- durch das ganze Nervensystem neu zu beleben. Es hat dieses Bad zwey grosse Vorzüge, einmal dass es (ohngeachtet seiner grossen Heilkräfte in Krankheiten) dennoch als das naturgemässeste Hülfs- mittel, auch blos zur Erhaltung und Be- festigung der Gesundheit, von Gesunden benuzt werden kann, was bey einer Menge andern Bädern nicht der Fall ist, die einem Gesunden schaden. Es ist da- zieht), und nach dem Bade bey trockner war- mer Witterung eine mässige Bewegung zu ma- chen, bey kühler und feuchter Witterung aber eine Stunde lang im warmen Zimmer zu bleiben. Mehr davon findet man in Meinen gemeinnützi- gen Aufsätzen, Leipzig bey Göschen , unter dem Kapitel: Erinnerung an die Bäder . mit wie mit der Leibesbewegung, sie kann unheilbare Krankheiten kuriren, und dennoch kann sie auch der Gesünde- ste zu Erhaltung seiner Gesundheit brau- chen. Der andre Vorzug aber ist der ganz unbeschreibliche grosse und herr- liche Anblick der See, der damit ver- bunden ist, und der auf einen nicht daran gewöhnten eine Wirkung thut, welche eine gänzliche Umstimmung und wohlthätige Exaltation des Nervensy- stems und Gemüths hervorbringen kann. Ich bin überzeugt, dass die physischen Wirkungen des Mittels durch diesen Seeleneindruck ausserordentlich unter- stüzt werden müssen, und dass z. B. eine hypochondrische oder an Nerven lei- dende Person schon das Wohnen an der See und die damit verbundnen herrli- chen Schauspiele des Auf- und Unterge- hens der Sonne, des Sturms u. s. w. halb kuriren können. Ich würde in gleicher Absicht einen Kontinentsbewohner die Reise ins Seebad, und einem Küstenbe- P p 2 wohner die Reise in die Alpen rathen; denn beydes sind, dünkt mich, die grössten Standpuncte der Natur. Dank daher dem erhabenen und Menschen be- glückenden Fürsten, der in Dobrahn bey Rostock Teuschland das erste Seebad schenkte, und dem würdigen Arzt Vogel , der dasselbe so trefflich und zweckmässig einrichtete, und durch seine Gegenwart die Heilsamkeit dessel- ben erhöht. 4. Man trage Kleidungen, die die Haut nicht schwächen, und die ausdün- stenden Materien leicht durchgehen las- sen. Ich kenne nichts verderblicheres in diesem Sinne, als das Tragen der Pelze. Es schwächt durch die übergrosse Wärme ausnehmend die Haut, befördert nicht Ausdünstung, sondern Schweiss, und lässt doch die verdunstenden Theile, we- gen des Leders, nicht hindurch gehen. Die Folge ist, dass sich ein beständiges Dunstbad zwischen der Haut und dem Pelze erzeugt, und dass ein grosser Theil der unreinen Materien uns wieder zurückgegeben und wieder eingesogen wird. Weit besser ist das Englische Pelzzeug, welches die Vortheile des Pel- zes und doch nicht (weil es kein Leder hat) die Nachtheile der Unreinlichkeit und der eingeschlossnen Hitze hat. Aber alle diese zu warmen wollnen Bedeckungen auf blosser Haut, sind nur bey sehr grosser Kälte, oder bey schon schwächlichen und zu Rheuma- tismen geneigten Naturen zu empfeh- len. In der Kindheit und Jugend und bey übrigens gesunden Körper ist es am besten, unmittelbar auf der Haut eine Bekleidung von Leinwand oder Baumwolle zu tragen, und darüber im Sommer ein eben solches, im Winter ein wollnes, Ueberkleid. 5. Man mache sich fleissig körper- liche Bewegung, denn diess ist das gröss- te Beförderungsmittel der unmerklichen Ausdünstung. 6. Man vermeide solche Speisen, die die Ausdünstung hemmen, und nicht gut perspiriren. Dahin gehö- ren alles Fett, Schweinefleisch, Gänse- fleisch, grobe unausgebackne Mehlspei- sen, Käse. XII. Gute Diät und Mässigkeit im Essen und Trinken — Erhaltung der Zähne. D er Begriff der guten Diät ist etwas re- latif; wir sehen, dass gerade die Men- schen die ältesten wurden, die gewiss keine ausgesuchte ängstliche Diät hiel- ten, aber die sparsam lebten, und es ist eben ein Vorzug der menschlichen Na- tur, dass sie alle, auch die heterogen- sten, Nahrungsmittel verarbeiten und sich verähnlichen kann, nicht, wie die thierische, auf eine gewisse Klasse ein- geschränkt ist. Es ist ausgemacht, dass ein Mensch, der natürlich, mehr im Freyen und in Bewegung lebt, sehr we- nig Diätregeln braucht. Unsre künstli- che Diät wird erst durch unser künstli- ches Leben nothwendig. So viel ist gewiss, dass es nicht so wohl auf die Qualität aber gar sehr auf die Quantität der Nahrungsmittel an- kommt, wenn wir auf Verlängerung des Lebens sehen, und Cornaros Beyspiel giebt uns davon einen erstaunlichen Be- weiss, wie weit ein sonst schwächlicher Mensch dadurch seine Existenz verlän- gern kann. Man kann mit Wahrheit behaupten, dass der grösste Theil der Menschen viel mehr isst, als er nöthig hat, und schon in der Kindheit wird uns durch das ge- waltsame Hinunterstopfen und Ueber- füttern der natürliche Sinn genommen, zu wissen, wenn wir satt sind. Ich werde also hier nur solche all- gemeine Regeln in Absicht aufs Essen und Trinken geben, die allgemein gül- tig sind, und von denen ich überzeugt bin, dass sie wesentlichen Einfluss auf Verlängerung des Lebens haben. 1. Nicht das, was wir essen, son- dern das, was wir verdauen, kommt uns zu gute und gereicht uns zur Nah- rung. — Folglich, wer alt werden will, der esse langsam , denn schon im Munde müssen die Speisen den ersten Grad von Verarbeitung und Verähnlichung erlei- den. Diess geschieht durch das gehörige Zerkauen und die Vermischung mit Speichel, welches beydes ich als ein Hauptstück des ganzen Restaurationsge- schäfts betrachte, und daher einen grossen Werth zur Verlängerung des Le- bens darauf lege, um so mehr, da nach meinen Untersuchungen, alle sehr alt gewordene die Gewohnheit an sich hat- ten, langsam zu essen. 2. Es kommt hierbey also sehr viel auf gute Zähne an, daher ich die Erhal- tung der Zähne mit Recht unter die Le- bensverlängernden Mittel zähle. Hier einige Regeln, die gewiss, wenn sie von Anfang an gebraucht werden, die Zähne bis ins hohe Alter fest und unver- dorben erhalten können: Man verbinde immer einen gehöri- gen Genuss der Vegetabilien oder des Brodes mit dem Fleische, denn das Fleisch bleibt weit leichter zwischen den Zähnen hängen, fault und greift die Zähne an. Man wird daher durchgän- gig finden, dass die Klassen von Men- schen, die wenig oder gar kein Fleisch geniessen, Bauern, Landbewohner, im- mer die besten Zähne haben, ohneracht sie sie fast nie putzen. Aber es kann kein bessres Zahnpulver geben, als das Kauen eines Stücks schwarzen trocknen Brodes. Es ist daher für die Zähne eine sehr heilsame Gewohnheit, nach jeder Mahlzeit ein Brodrindgen langsam zu verkauen. Man vermeide jeden plözlichen Ue- bergang der Zähne aus einer heissen in eine kalte Temperatur und umgekehrt. Denn der Ueberzug jedes Zahns ist Glas- oder Emailartig, und kann bey jedem solchen schnellen Wechsel leicht einen Sprung bekommen, in den sich die ver- dorbnen Theile hineinsetzen, und so den ersten Grund zur Corruption des Innern legen. Es ist daher am besten, nie zu heisse oder zu kalte Dinge in den Mund zu nehmen, am allerwenigsten während des Genusses von etwas heissen, z. E. der warmen Suppe, kalt zu trinken. Man kaue keinen Zucker, und ver- meide auch Zuckergebacknes, was mit viel zähen leimichten Theilen ver- mischt ist. Sobald man den ersten angefressnen Zahn bemerkt, so lasse man ihn gleich heraus nehmen, denn sonst steckt dieser die übrigen an. Man spüle alle Morgen, insbeson- dere aber nach jeder Mahlzeit die Zähne mit Wasser aus, denn dadurch werden die Ueberreste der Speisen weggenom- men, die so gewöhnlich zwischen den Zähnen sitzen bleiben und den Grund zu ihrem Verderben legen. Man wird bey gehöriger Beobach- tung dieser Regeln selten ein Zahnpul- ver nöthig haben, Sollten aber die Zähne (wie diess in der Natur manches Menschen liegt), geneigt seyn, immer mehr Schmuz (den sogenannten Wein- stein) anzusetzen, so empfehle ich fol- gendes ganz unschuldige Mittel: 1 Loth roth Sandelholz, ein halbes Loth China, werden äusserst fein gepülvert und durch ein Haarsieb gestäubt, sodann 6 Tro- pfen Nelken- und eben so viel Berga- mottöhl zugemischt, und damit die Zäh- ne des Morgens abgerieben. Ist das Zahnfleisch schwammicht, blutend, scor- butisch, so sezt man noch ein halbes Quent Alaun hinzu. 3. Man hüte sich ja, bey Tisch nicht zu studiren, zu lesen oder den Kopf an- zustrengen. Dieser Zeitpunct muss schlechterdings dem Magen heilig seyn. Es ist die Zeit seines Regiments, und die Seele darf nur in so fern mit ins Spiel kommen, als nöthig ist, ihn zu unter- stützen. So ist z. B. das Lachen eins der grössten Verdauungsmittel, das ich ken- ne, und die Gewohnheit unsrer Vorfah- ren, dasselbe durch Leberreime und Lu- stigmacher bey Tische zu erregen, war auf sehr richtige medizinische Grund- sätze gebaut. — Genug, man suche frohe und muntere Gesellschaft bey Tisch zu haben. Was in Freuden und Scherz genossen wird, das giebt gewiss auch gutes und leichtes Blut. 4. Man mache sich nie unmittelbar nach der Mahlzeit sehr starke Bewegung, denn dieses stöhrt die Verdauung und Assimilation der Nahrungsmittel ganz erstaunlich. Am besten Stehen oder langsames Herumgehen. Die beste Zeit zur Bewegung ist vor Tisch, oder drey Stunden nach dem Essen. 5. Man esse nie so viel, dass man den Magen fühlt. Am besten man höre auf, ehe man noch übersättigt ist. Und immer muss die Quantität der Nahrung mit der körperlichen Arbeit in Verhält- niss stehen; je weniger Arbeit, desto weniger Nahrung. 6. Man halte sich bey der Wahl der Speifen immer mehr an die Vegetabilien. Fleischspeisen haben immer mehr Nei- gung zur Fäulniss, die Vegetabilien hin- gegen zur Säure und zur Verbesserung der Fäulniss, die unser beständiger näch- ster Feind ist. Ferner animalische Spei- sen haben immer mehr reizendes und erhitzendes, hingegen Vegetabilien ge- ben ein kühles mildes Blut, vermindern die innern Bewegungen, die Leibes- und Seelenreizbarkeit, und retardiren also wirklich die Lebensconsumtion. Und endlich geben animalische Speisen viel mehr Blut und Nahrung, und erfo- dern also, wenn sie gut bekommen sol- len, weit mehr Arbeit und körperliche Bewegung; ausserdem wird man voll- blütig. Sie sind also in dieser Rücksicht gar keine Nahrung für Gelehrte und Leute, die viel sitzen, denn solche Men- schen brauchen keine so starke Restaura- tion, wenig Ersatz von Substanz, son- dern nur von den feinern Nahrungssäf- ten, die zu den Geistesbeschäftigungen dienen. Am meisten vermeide man Fleisch im Sommer und wenn Faulfieber grassiren. — Auch finden wir, dass nicht die Fleischesser, sondern die, die von Vegetabilien (Gemüsse, Obst, Kör- ner und Milch) lebten, das höchste Al- ter erreichten. — Baco erzählt von ei- nem 120jährigen Manne, der zeitlebens nichts anders als Milch genossen hatte. Die Bramanen essen, vermöge ihrer Re- ligion, nie etwas anders als Vegetabilien und erreichen meist ein 100jähriges Al- ter. J. Wesley fing in der Mitte seines Lebens an, gar kein Fleisch, sondern blos Vegetabilien zu geniessen, und ward 88 Jahr alt. 7. Man esse Abends nie viel, wenig oder gar kein Fleisch, am besten kalt, und einige Stunden vor Schlafengehen. 8. Man versäume nicht das nöthige Trinken. Es geschieht häufig, dass man durch Unachtsamkeit auf die Erinnerun- gen der Natur zulezt das Trinken ganz verlernt, und nun gar nicht mehr von der Natur erinnert wird, welches eine Hauptursache der Trockenheit, Versto- pfung des Unterleibes, und einer Menge von Krankheiten ist, die man so häufig bey Gelehrten und sitzenden Frauenzim- mern findet. Aber man merke: Nicht unter dem Essen ist die beste Zeit zum Trinken, denn dadurch wird der Ma- gensaft zu sehr verdünnt und die Kraft des Magens geschwächt, sondern nach Tische etwa eine Stunde nachher. Das beste Getränk ist Wasser , dieses gewöhnlich so verachtete, ja von man- chen für schädlich gehaltene Getränk. — Ich trage kein Bedenken, es für ein grosses Mittel zur Verlängerung des Le- bens zu erklären. Man höre, was der verehrungswürdige Greis, der Hr. Ge- neral-Chirurgus Theden sagt, S. Thedens neue Bemerkungen. der sein nun mehr als 80jähriges Leben, hauptsächlich dem täglichen Genuss von 7 — 8 Quart (20 — 24 Pfund) frischen Wasser zuschreibt, den er nun seit mehr als 40 Jahren macht. Er war zwischen dem 30sten und 40sten Jahre der ärgste Hypochondrist, bisweilen bis zur tief- sten Melancholie, litt an Herzklopfen, Unverdaulichkeiten, und glaubte, nicht noch ein halbes Jahr leben zu können. Aber von der Zeit an, dass er diese Wasser- Wasserdiät anfing, verloren sich alle die Zufälle, und er ist in der spätern Hälfte seines Lebens weit gesunder, als in der frühen, und völlig frey von Hypochon- drie. — Aber die Hauptsache ist, es muss frisch (d. h. aus Quellen, nicht aus offnen Brunnen, frisch geschöpft und gehörig verstopft) seyn, denn jedes Brun- nenwasser hat so gut, wie die minerali- schen, seinen Brunnengeist (fixe Luft) wodurch es eben verdaulich und stär- kend wird. — Reines und frisches Wasser hat folgende wesentliche Vorzü- ge, die uns gewiss Respect dafür ein- flössen können: Das Element des Wassers ist das grösste, ja einzige Verdünnungsmittel in der Natur. — Es ist durch seine Kälte und fixe Luft ein fürtreffliches Stärkungs- und Belebungsmittel für den Magen und die Nerven. — Es ist ein herrliches Galle- und Fäulnisstilgendes Mittel, wegen der vielen fixen Luft und der salzigten Bestandtheile, die es enthält. — Es be- Q q fördert die Verdauung und alle Abson- derungen des Körpers. Ohne Wasser exi- stirt keine Excretion. — Da nach den neuern Erfarungen Sauerstoff ein Be- standtheil des Wassers ist, so trinken wir wirklich neuen Lebensreiz, indem wir Wasser trinken. Auch kann ich hier unmöglich unter- lassen, wieder einmal etwas zum Be- sten der Suppen (der flüssigen Nahrung) zu sagen, nachdem es seit einiger Zeit Mode worden ist, ihnen nichts als Böses nachzusagen. Ein mäsiger Genuss von Suppen schadet zuverlässig nicht; es ist sonder- bar, sich davon so grosse Erschlaffung des Magens zu träumen. Wird denn nicht alles Getränk, wenn wirs auch kalt zu uns nehmen, in wenig Minuten warme Suppe im Magen, und befindet sich denn der Magen nicht den ganzen Tag in der natürlichen Temperatur einer warmen Suppe? Nur hüte man sich, sie heiss oder in zu grosser Menge auf einmal, oder zu wässerigt zu geniessen. Aber sie hat auch grosse Vortheile: Sie ersezt das Getränk, besonders bey Ge- lehrten, Frauenzimmern und allen de- nen, welche ausser Tisch wenig oder gar nicht trinken, und die, wenn sie nun auch das Suppenessen unterlassen, viel zu wenig Feuchtigkeit ins Blut bekom- men; wobey noch das zu bemerken ist, dass das Flüssige, in Suppengestalt ge- nossen, sich weit besser und schneller unsern Säften beymischt, als wenn es kalt und roh getrunken wird. Eben deswegen ist nun auch Suppe ein grosses Verhütungsmittel der Trockenheit und Rigidität des Körpers, und daher für trockne Naturen und im Alter die beste Art der Nahrung. Je älter der Mensch wird, desto mehr muss er von Suppe leben. Ja selbst die Dienste eines Arz- neymittels vertritt sie. Nach Erkältun- gen, bey nervigten oder Magenkopf- weh, bey Koliken und manchen Arten von Magenkrämpfen, ist warme Suppe Q q 2 das beste Mittel. Auch wird es zum Be- weiss des Nutzens und wenigstens der Unschädlichkeit der Suppen dienen, wenn ich sage, dass unsre Vorfahren, die gewiss starker waren, als wir, und die Bauern, die es noch sind, viel Suppe geniessen, und dass alle alte Leute, die ich kennen gelernt habe, grosse Freunde der Suppe waren. Der Wein erfreut des Menschen Herz, aber er ist keineswegs eine Noth- wendigkeit zum langen Leben; denn diejenigen sind am ältesten geworden, die ihn nicht tranken. Ja er kann, als ein reizendes, die Lebensconsumtion beschleunigendes, Mittel, das Leben sehr verkürzen, wenn er zu häufig und in zu grosser Menge getrunken wird. Wenn er daher nicht schaden und ein Freund des Lebens werden soll, so muss man ihn nicht täglich, und nie im Ue- bermaas trinken, je jünger man ist, desto weniger, je älter, desto mehr. Am besten, wenn man den Wein als Würze des Lebens betrachtet und be- nutz, und ihn nur auf die Tage der Freude und Erholung, auf die Bele- bung eines freundschaftlichen Zirkels verspart. XIII. Ruhe der Seele — Zufriedenheit — Le- bensverlängernde Seelenstimmungen und Beschäftigungen. S eelenruhe, Heiterkeit und Zufrieden- heit sind die Grundlage alles Glücks, aller Gesundheit und des langen Lebens! Frey- lich wird man sagen: diess sind keine Mit- tel, welche wir uns selbst geben können, sie hängen von äussern Umständen ab. — Aber mir scheint diess gar nicht so; denn sonst müssten ja die Grossen und Rei- chen die zufriedensten und glücklichsten und die Armen die unglücklichsten seyn, wovon doch die Erfahrung das Gegentheil zeigt, und es existirt zuverlässig weit mehr Zufriedenheit in der Dürftig- keit, als in der reichen und begüterten Klasse. Es giebt also Quellen der Zufrieden- heit und Glückseeligkeit, die in uns selbst liegen, und die wir sorgfältig auf- suchen und benutzen müssen. Man er- laube mir, einige solcher Hülfsmittel hier anzugeben, die mir eine ganz ein- fache Lebensphilosophie empfohlen hat, und die ich blos als Diätregeln, als den guten Rath eines Arztes zur Verlänge- rung des Lebens anzunehmen bitte. 1. Vor allen Dingen bekämpfe man seine Leidenschaften. Ein Mensch, der durch Leidenschaften immer hin und her getrieben wird, befindet sich immer in einem Extrem, in einem exaltirten Zustand, und kann nie zu der ruhigen Stimmung gelangen, die zur Erhaltung des Lebens so nöthig ist. Er vermehrt dadurch seine innre Lebensconsumtion fürchterlich, und er wird bald aufgerie- ben seyn. 2. Man gewöhne sich, diess Leben, nicht als Zweck sondern als Mittel zu immer höherer Vervollkommnung, und unsere Existenz und Schicksale immer, als einer höhern Macht und grössern Zwecken untergeordnet zu betrachten, und man halte diesen Gesichtspunct (den die Alten Vertrauen auf die Vorsehung nannten) in allen Zufällen und Lagen unerschütterlich fest. Man wird da- durch immer den besten Schlüssel haben, sich aus dem Labyrinth des Lebens her- auszufinden, und die grösste Schuzwehr gegen alle Angriffe auf unsre Seelen- ruhe. 3. Man lebe, aber im rechten Sinne, immer nur für den Tag, d. h. man be- nutze jeden Tag so, als wenn er der ein- zige wäre, ohne sich um den morgen- den Tag zu bekümmern. Unglückliche Menschen, die ihr immer nur an das Folgende, Mögliche denkt, und über den Planen und Projecten des Künftigen die Gegenwart verliert! Die Gegenwart ist ja die Mutter der Zukunft, und wer jeden Tag, jede Stunde ganz und voll- kommen, seiner Bestimmung gemäss, benuzt, der kann sich jeden Abend mit dem unaussprechlich beruhigenden Ge- fühl niederlegen, dass er nicht allein die- sen Tag wirklich gelebt und seinen Standpunct ausgefüllt, sondern auch sicher die beste Zukunft gegründet habe. 4. Man suche sich über alles so rich- tige Begriffe als möglich zu verschaffen, und man wird finden, dass die meisten Uebel in der Welt nur durch Misver- stand, falsches Interesse oder Ueberei- lung entstehen, und dass es nicht sowohl darauf ankommt, was uns geschieht, sondern wie wirs nehmen. Wer diesen Glücksfond in sich hat, der ist von äus- sern Umständen unabhängig. Wie schön sagt hiervon Weishaupt: „Es bleibt also immer wahr, dass die Weisheit allein die Quelle des Vergnügens, die Thor- heit die Quelle des Misvergnügens ist. Es bleibt wahr, dass ausser der gänzli- chen Ergebung in den Willen der Vor- sicht, ausser der Ueberzeugung, dass alles zu unserm Besten geordnet sey, ausser der Zufriedenheit mit der Welt und der Stelle, die man darinne hat, Alles Thorheit sey, welche zum Misver- gnügen führt.“ S. Apologis des Misvergnügens. 5. Man stärke und befestige sich im- mer mehr im Glauben und Vertrauen auf die Menschheit, und in allen den schönen daraus sprossenden Tugenden, Wohlwollen, Menschenliebe, Freund- schaft, Humanität. Man halte jeden Menschen für gut, bis man durch un- widersprechliche Beweise vom Gegen- theil überzeugt ist, und auch dann müs- sen wir ihn nur als einen irrenden be- trachten, der mehr unser Mitleid, als unsern Hass verdient. Er würde eben- falls gut seyn, wenn ihn nicht Misver- stand, Mangel an Erkenntniss oder fal- sches Interesse verführte. Wehe dem Menschen, dessen Lebensphilosophie darinne besteht, niemand zu trauen! Sein Leben ist ein ewiger Of- und De- fensivkrieg, und um seine Zufriedenheit und Heiterkeit ist es geschehen. Je mehr man allen um sich herum wohl will, je mehr man andere glücklich macht, desto glücklicher wird man selbst. 6. Zur Zufriedenheit und See- lenruhe ist ein unentbehrliches Erfor- derniss: Hofnung . Wer hoffen kann, der verlängert seine Existenz nicht blos idealisch sondern wirklich physisch, durch die Ruhe und Gleichmüthigkeit, welche sie gewährt. — Aber nicht blos Hofnung innerhalb der engen Grenzen unsrer jetzigen Existenz, sondern Hof- nung übers Grab hinaus! — Nach mei- ner Ueberzeugung ist der Glaube an Un- sterblichkeit das einzige, was uns diess Leben werth und die Beschwehrden des- selben erträglich und leicht machen kann. — Hofnung und Glaube, ihr gros- sen göttlichen Tugenden! Wer vermag ohne euch ein Leben zu durch wandeln, das voll von Trug und Täuschung ist, dessen Anfang sowohl als Ende dicke Finsterniss umhüllt, und wo die Gegen- wart selbst nur ein Augenblick ist, der kaum der Zukunft entrann, als ihn auch schon die Vergangenheit verschlingt. Ihr seyd die einzigen Stützen des Wan- kenden, die grösste Erquickung des müden Wanderers; wer euch auch nicht als höhere Tugenden verehrt, der muss euch doch als unentbehrliche Bedürfnisse dieses Erdenlebens umfassen, und aus Liebe zu sich selbst in euch stark zu werden suchen, wenn ers nicht aus Liebe zum Unsichtbaren thut. — In dieser Absicht kann man sagen, dass selbst die Religion ein Mittel zur Verlängerung des Lebens werden kann. Je mehr sie Bekämpfung der Lei- denschaften, Selbstverleugnung und innre Seelenruhe geben und jene stär- kenden Wahrheiten lebendig machen kann, desto mehr ist sie Lebensverlän- gernd. Auch Freude ist eine der grössten Lebenspanaceen. Man glaube doch nicht, dass immer ganz ausgesuchte Ge- legenheiten und Glückszufälle dazu nö- thig wären, sie zu erwecken; durch die ben geschilderte Seelenstimmung macht man sich dafür empfänglich, und dem wird es an Gelegenheit sich zu freuen nie fehlen, der jenen Sinn hat; das Le- ben selbst ist ihm Freude. Doch ver- säume man nicht, jede Gelegenheit zur Freude aufzusuchen und zu benutzen, die rein und nicht zu heftig ist. Keine gesündere und Lebensverlängernde Freu- de giebt es wohl, als die, die wir im häuslichen Glück, im Umgang froher und guter Menschen, und im Genuss der schönen Natur finden. Ein Tag auf dem Lande, in heiterer Luft, in einem heitern Freundeszirkel zugebracht, ist zuverlässig ein positiveres Lebensverlän- gerungsmittel, als alle Lebenselixire in der Welt. — Hier darf auch der körper- liche Ausbruch der Freude, das Lachen , nicht unerwähnt bleiben. Es ist die ge- sündeste aller Leibesbewegungen (denn es erschüttert Seele und Körper zugleich), befördert Verdauung, Blutumlauf, Aus- dünstung, und ermuntert die Lebens- kraft in allen Organen. Aber auch höhere Geistesbeschäfti- gungen und Unterhaltungen verdienen hier ihren Platz, vorausgesezt, dass man die Vorsichtsregeln dabey beobachtet, die ich oben bey der Warnung für ihrem Misbrauch gegeben habe. Es sind diess höhere Genüsse und Freuden, dem Men- schen allein eigen, und eine seiner würdige Quelle der Lebensrestauration. Ich rechne vorzüglich dahin angenehme und den Geist füllende Lectüre, das Stu- dium interessanter Wissenschaften, die Betrachtung und Erforschung der Natur und ihrer Geheimnisse, die Entdeckung neuer Wahrheiten durch Ideencombina- tion, geistreiche Gespräche u. dgl. XIV. Wahrheit des Karacters. W ir wissen, wie äusserst nachtheilig für die Länge des Lebens jenes Metier ist, welches dem Menschen zum Beruf macht, täglich einige Stunden in einem sich nicht ähnlichen, angenommnen Zu- stand zu existiren — das Metier der Schauspieler. Wie muss es nun wohl denen Menschen gehen, die dieses Metier beständig treiben, die beständig die oder jene angenommne Rolle auf dem grossen Theater der Welt spielen, die nie das sind, was sie scheinen? Genug, die Menschen, welche nicht wahr sind, immer in der Verstellung, im Zwang, in der Lüge leben. Man findet sie vor- züglich unter den raffinirten und über- cultivirten Menschenarten. Ich kenne keinen unnatürlichern Zustand. Schlimm genug ists schon, ein Kleid tragen zu müssen, was nicht für uns ge- macht ist, was an allen Orten presst und drückt, und uns jede Bewegung er- schwehrt, aber was ist diess gegen das Tragen eines fremden Karacters, gegen einen solchen moralischen Zwang, wo Worte, Betragen, Aeusserungen und Handlungen in beständigem Wider- spruch mit unserm innern Gefühle und Willen stehen, wo wir unsre stärksten natürlichsten Triebe unterdrücken und fremde heucheln, und wo wir jeden Nerven, jede Faser beständig in Span- nung erhalten müssen, um die Lüge, denn das ist hier unsre ganze Existenz, vollständig zu machen. — Ein solcher unwahrer Zustand ist nichts anders, als ein beständiger krampfigter Zustand, und die Folge zeigt es. Eine anhaltende innre Unruhe, Aengstlichkeit, unor- dent- dentliche Circulation und Verdauung, ewige Widersprüche auch im Physischen, so gut wie im Moralischen, sind die un- ausbleiblichen Wirkungen. Und am Ende kommen diese unglücklichen Men- schen dahin, dass sie diesen unnatürli- chen Zustand nicht einmal wieder able- gen können, sondern dass er ihnen zur andern Natur wird. Sie verlieren sich endlich selbst, und können sich nicht wieder finden. — Genug, dieser un- wahre Zustand unterhält zulezt ein be- ständiges schleichendes Nervenfieber — innerlicher Reiz und äussrer Krampf sind die beyden Bestandtheile desselben — und so führt er zur Destruction und zum Grabe, dem einzigen Orte, wo diese Unglücklichen hoffen können die Maske los zu werden. R r XV. Angenehme und mäsig genossne Sinnes- und Gefühlsreize. S ie wirken auf doppelte Art zur Verlän- gerung des Lebens; Einmal, indem sie unmittelbar auf die Lebenskraft influi- ren, sie erwecken, erhöhen, verstärken, und dann indem sie die Wirksamkeit der ganzen Maschine vermehren, und so die wichtigsten Organe der Restauration, die Verdauungs- Circulations- und Abson- derungswerkzeuge in regere Thätigkeit setzen. Es ist daher eine gewisse Kultur und Verfeinerung unsrer Sinnlichkeit heilsam und nöthig, weil sie uns für diese Genüsse empfänglicher macht, nur darf sie nicht zu weit getrieben werden, weil sonst kränkliche Empfindlichkeit daraus entstehet. Auch muss bey der Sinnesreizung selbst sehr darauf gesehen werden, dass sie ein gewisses Maas nicht übersteige, denn die nehmlichen Ge- nüsse, die, im mäsigen Grade angewen- det, restauriren, können, stärker ge- braucht, auch consumiren und erschö- pfen. Alle angenehme Reize, die durch Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Gefühl auf uns wirken können, ge- hören hieher, und also die Freuden der Musik, Mahlerey, und andrer bilden- den Künste, auch der Dichtkunst und der Phantasie, indem sie diese Genüsse erhöhen und wieder erneuern kann. Vor allen aber scheint mir in gegenwär- tiger Rücksicht die Musik den Vorzug zu verdienen, denn durch keinen Sin- neseindruck kann so schnell und so un- mittelbar auf Stimmung, Ermunterung und Regulirung der Lebensoperation ge- wirkt werden, als dadurch. Unwillkühr- lich nimmt unser ganzes Wesen den Ton und Tact an, den die Musik angiebt, der Puls wird lebhafter oder ruhiger, die R r 2 Leidenschaft geweckt, oder besänftigt, je nachdem es diese Seelensprache haben will, die ohne Worte, blos durch die Macht des Tons und der Harmonie, un- mittelbar auf unser Innerstes selbst wirkt, und dadurch oft unwiderstehlicher hin- reisst, als alle Beredsamkeit. Es wäre zu wünschen, dass man einen solchen zweckmäsigen, den Umständen ange- messnen Gebrauch der Musik mehr stu- dirte und in Ausübung brächte. XVI. Verhütung und vernünftige Behandlung der Krankheiten — gehöriger Gebrauch der Medizin und des Arztes. K rankheiten gehören, wie oben ge- zeigt worden, grösstentheils zu den Le- bensverkürzenden Ursachen und können selbst den Lebensfaden plötzlich abreis- sen. Die Medizin beschäftigt sich mit Verhütung und Heilung derselben, und in so fern ist allerdings die Medizin als ein Hülfsmittel zur Verlängerung des Lebens zu betrachten und zu benutzen. Aber nur gar zu gewöhnlich wird hier gefehlt. Bald glaubt man, diese wohlthätige Kunst nicht genug benutzen zu können, und medizinirt zu viel, bald scheut man sie zu sehr, als etwas unna- türliches, und medizinirt zu wenig, bald hat man irrige Begriffe von Arzt und Arzney und benuzt beyde auf die un- rechte Weise. Dazu sind nun in neuern Zeiten eine Menge Populairschriften ge- kommen, welche einen Haufen unver- dauter medizinischer Begriffe und Noti- zen im Publikum verbreitet, und da- durch noch mehr Misbrauch der Medi- zin und grossen Schaden für die allge- meine Gesundheit verursacht haben. Wir können nicht alle Aerzte seyn. Die Arzneykunde ist eine so weitläuftige und schwehre Wissenschaft, dass sie durchaus ein tiefes und anhaltendes Stu- dium, ja eine ganz eigne Ausbildung der Sinne und der höhern Seelenkräfte erfo- dert. Einzelne Kurregeln und Mittel wissen, heisst noch nicht Arzt seyn, wie sich mancher einbildet. Diese Kurre- geln und Mittel sind ja nur die Resultate der Medizin, und nur der, der die Ver- bindung dieser Mittel mit den Ursachen der Krankheit, die ganze Reihe von Schlüssen und Gründen übersieht, wor- aus endlich ganz zulezt die Idee dieses Mittels entsteht, genug, nur der, der diese Mittel selbst erfinden kann, ver- dient den Namen eines Arztes. Hier- aus erhellt, dass die Medizin selbst nie ein Eigenthum des grössern Publikums werden kann. Blos der Theil der Arzneywissen- schaft, der die Kenntniss des menschli- chen Körpers, in so fern sie jedem Men- schen zu wissen nüzlich ist, und die Art und Weise, Krankheiten zu verhüten und Gesundheit, sowohl im einzelnen als im Ganzen zu erhalten, lehrt, kann und soll ein Theil des allgemeinen Unterrichts und der allgemeinen Aufklärung werden. Aber nie der Theil, welcher sich mit Heilung wirklich ausgebrochner Krank- heiten und Anwendung der Mittel be- schäftigt. Es erhellt diess schon aus dem einfachsten Begriff von Krankheit und Hülfe. Was heisst denn, ein Arzney- mittel anwenden und dadurch Krankheit heilen? Nichts anders, als durch einen ungewohnten Eindruck eine ungewöhn- liche Veränderung im menschlichen Kör- per hervorbringen, wodurch ein ande- rer unnatürlicher Zustand, den wir Krankheit nennen, aufgehoben wird. Also Krankheit und Wirkung der Mittel, beydes sind unnatürliche Zustände, und die Anwendung eines Arzneymittels ist nichts anders, als die Erregung einer künstlichen Krankheit, um die natürli- che zu heben. Diess sieht man, wenn ein Gesunder Arzney nimmt, er wird al- lemal dadurch mehr oder weniger krank gemacht. Die Anwendung eines Arz- neymittels ist also an und für sich alle- mal schädlich, und kann blos dadurch entschuldigt und heilsam gemacht wer- den, wenn dadurch ein im Körper existi- render krankhafter Zustand gehoben wird. Dieses Recht, sich oder andere durch Kunst krank zu machen, darf also durchaus niemand anders haben, als wer das Verhältniss der Krankheit zum Mittel recht genau kennt, folglich der Arzt. Ausserdem wird die Folge seyn, entweder dass vielleicht das Mittel ganz unnöthig war, und man folglich jemand erst krank macht, der es noch nicht war, oder dass das Mittel nicht auf die Krank- heit passt, und folglich der arme Patient nun an zwey Krankheiten leidet, da er vorher nur eine hatte, oder dass das Mittel wohl gar den krankhaften Zu- stand selbst, der schon da ist, befördert und erhöhet. Es ist unendlich besser, in Krankheiten gar keine Arzney nehmen, als solche, die nicht passend ist. Da nun also ein Laye nie die Medi- zin wirklich ausüben darf, so entsteht die wichtige Frage: Wie kann und muss Medizin benuzt werden, wenn wir sie als Verlängerungsmittel des Lebens brau- chen wollen? Ich werde mich bemühen, hierüber einige allgemeine Regeln und Bestimmungen anzugeben. Vorerst aber erlaube man mir, nur ein Paar Worte über einen Theil dieser Untersuchung zu sagen, der zwar mehr den Arzt interessirt, aber dennoch zu wichtig ist, um hier übergangen zu werden, nehmlich: Wie verhält sich überhaupt die practische Medizin zur Ver- längerung des Lebens? Kann man sie unbedingt ein Verlängerungsmittel des Lebens nennen? Allerdings, in so fern sie Krankheiten heilt, die uns tödten könnten. Aber nicht immer in andrer Rücksicht, und ich will einige Bemer- kungen zur Beherzigung meiner Herrn Amtsbrüder beyfügen, die uns aufmerk- sam machen können, dass Herstellung der Gesundheit und Verlängerung des Lebens nicht immer eins sind und dass es nicht blos darauf ankommt, eine Krankheit zu heilen, sondern auch gar sehr, wie sie geheilt wird. Einmal ist es aus dem obigen gewiss, dass die Arz- neymittel durch eine künstliche Krank- heit wirken. Jede Krankheit ist mit Reizung, mit Kraftverlust verbunden. Ist nun das Arzneymittel angreifender, als die Krankheit, so hat man den Kran- ken zwar gesund gemacht, aber man hat ihn durch den Prozess des Gesund- machens mehr geschwächt, und also sei- ner Lebenslänge mehr entzogen, als die Krankheit für sich gethan haben würde. Diess ist der Fall, wenn man bey den geringsten Vorfällen gleich die heftigsten und heroischsten Mittel anwendet. — Zweytens , man kann eine Krankheit durch verschiedene Methoden und Wege kuriren. Der Unterschied liegt entwe- der darinn, dass man die Krise bald auf diesen bald auf jenen Theil leitet, oder dass die Krankheit bey der einen Metho- de schneller, bey der andern langsamer vergeht. Diese verschiedenen Kurarten können zwar alle zur Gesundheit führen, aber in Absicht auf Verlängerung des Le- bens von sehr verschiedenen Werth seyn. Je mehr nehmlich eine Kur der Krankheit Zeit verstattet fort zu dauern, und Kräfte oder Organe zu schwächen, oder je mehr eine Kur Lebensnöthige Organe angreift, oder die Krankheit da- hin leitet, folglich die Lebensrestaura- tion in der Folge hindert (z. E. wenn das so wichtige Verdauungssystem zum Sitz der Krankheit gemacht, und durch an- greifende Mittel geschwächt wird), oder endlich je mehr die Kur ohne Noth die Lebenskraft im Ganzen verschwendet, z. E. durch zu verschwenderische Ader- lässe, zu anhaltende Entziehung der Nahrung etc. — desto mehr wird sie den Grund zum langen Leben schwä- chen, wenn sie auch gleich die gegen- wärtige Krankheit hebt. — Drittens darf man ja nie vergessen, dass die Krankheit selbst nüzlich und nöthig seyn konnte zur Verlängerung des Lebens. Es giebt sehr viele Krankheiten, welche nichts anders sind, als ein Bestreben der Natur, das aufgehobne Gleichgewicht wieder herzustellen, oder fehlerhafte Materien auszuleeren, oder Stockungen zu zertheilen. Wenn da nun der Arzt (auf gut Brawnisch ) weiter nichts thut, als blos die gegenwärtige Krankheits- äusserung dämpfen, ohne Rücksicht auf diese entferntern Ursachen und Folgen; so thut er weiter nichts, als er nimmt die thätige Gegenwirkung der Natur- kraft weg, wodurch sie die wahre Krankheit zu heben suchte, er dämpft von aussen das Feuer, lässt es aber von innen desto heftiger fortbrennen, er nährt den Keim, die materielle Ursache des Uebels, der vielleicht durch diese völlig ausgeführte Bearbeitung der Na- turkräfte gehoben worden wäre, und macht ihn fester und unheilbarer. Die Beyspiele sind nur gar zu häufig, dass Kranke, die sich nun von ihrem Fieber, ihrer Ruhr u. s. w. völlig geheilt glaub- ten, hinter drein hectisch wurden, oder in Hypochondrie, Nervenübel u. dgl. verfielen. Niemand wird leugnen, dass eine solche Kur, wenn sie auch für jezt den Kranken gesund zu machen scheint, dennoch das Leben selbst sehr verkürzen muss. Ich gehe nun zur Beantwortung dessen über, was blos für den Nichtarzt gehört: Was kann man thun, um Krank- heiten zu verhüten, und wie soll man die schon ausgebrochnen behandeln, wie insbe- sondre Arzt und Arzneykunst benutzen, um möglichst für Erhaltung und Verlän- gerung des Lebens dabey zu sorgen? Zuerst von der Verhütung der Krankheiten. Da zur Entstehung jeder Krankheit zweyerley gehört: die Ursache, die sie erregt, und dann die Fähigkeit des Kör- pers, durch diese Ursache affizirt zu wer- den, so giebt es nur zwey Wege, auf denen wir Krankheiten verhüten kön- nen; entweder jene Ursachen zu entfer- nen, oder dem Körper diese Empfäng- lichkeit zu benehmen. Hierauf beruht die ganze medizinische Diätetic und alle Präservativmethoden. Der erstere Weg. der sonst der gewöhnliche war, ist der unsicherste, denn so lange wir uns nicht aus dem bürgerlichen Leben und seinen Verhältnissen heraussetzen können, ist es unmöglich, alle Krankheitsursachen zu vermeiden, und je mehr man sich ihnen entzieht, desto mehr wirken sie, wenn sie uns einmal treffen, auf uns, (z. E. Erkältung schadet niemanden so sehr, als dem, der sich gewöhnlich recht warm hält). Weit besser also der zweyte Weg: Man suche zwar die Krankheits- ursachen, die sich vermeiden lassen, zu vermeiden, aber an die andern suche man sich vielmehr zu gewöhnen, und seinen Körper dagegen unempfindlich zu machen. Die vorzüglichsten Krankheitsursa- chen, die man so viel als möglich ver- meiden muss, sind: Unmässigkeit im Essen und Trinken, übermässiger Genuss der physischen Liebe, grosse Erhitzung und Erkältung oder schneller Uebergang von einem ins andre, Leidenschaften, heftige Anstrengung des Geistes, zu viel oder zu wenig Schlaf, gehemmte Aus- leerungen, Gifte. Dabey aber suche man den Körper gegen diese Ursachen weniger empfind- lich zu machen, oder ihn pathologisch abzuhärten, wozu ich folgendes em- pfehle: Zuerst der tägliche Genuss der freyen Luft. Bey guten und bösen Ta- gen, bey Regen, Wind oder Schnee, muss diese vortrefliche Gewohnheit fort- gesezt werden, alle Tage, ohne Ausnah- me , einige Stunden in der freyen Luft herum zu gehen oder zu reiten. Es trägt unglaublich viel zur Abhärtung und lan- gen Leben bey, und, wenn es täglich geschieht, so schadet kein Sturm, kein Schneegestöber mehr; daher es beson- ders denen, die der Gicht und Rheuma- tismen unterworfen sind, zu empfehlen ist. — Ferner, das tägliche Waschen über den ganzen Leib mit kaltem Wasser. — Ein nicht zu warmes Verhalten. — Ein thätiger Zustand des Körpers. Man lasse nie einen zu passiven Zustand ein- reissen, sondern erhalte sich durch Mus- kelbewegung, Reiben, gymnastische Uebung immer in einer gewissen Gegen- wirkung. Je mehr der Körper passiv wird, desto empfänglicher ist er für Krankheit. — Endlich eine gewisse Frey- heit und Zwanglosigkeit in der Lebens- art, das heisst, man binde sich nicht zu ängstlich an gewisse Gewohnheiten und Gesetze, sondern lasse einen mässigen Spielraum. Wer sich zu ängstlich an eine gewisse Ordnung und Lebensnorm bindet, sey sie auch noch so gut, der macht macht sich schon dadurch Krankheits- empfänglich, denn er braucht nur ein- mal davon abzuweichen, was seine an- dere Natur worden ist, so kann er krank werden. Auch kann selbst eine kleine Unordnung, durch die kleine Revolu- tion, die sie im Körper erregt, viel Nu- tzen zur Reinigung, Eröfnung, Zerthei- lung haben. Und selbst schädliche Din- ge verlieren ja viel von ihrer Schädlich- keit, wenn man sich daran gewöhnt. Folglich zuweilen weniger schlafen als gewöhnlich, zuweilen ein Gläschen Wein mehr trinken, etwas mehr oder unverdaulichere Dinge geniessen, sich einer kleinen Erkältung oder Erhitzung, z. B. durch Tanzen, Reiten u. dgl. aus- setzen, sich mit unter einmal recht tüch- tig, bis zur Ermüdung, bewegen, auch wohl zuweilen einen Tag fasten, alles diess sind Dinge, die zur Abhärtung des Körpers beytragen, und der Gesundheit gleichsam mehr Weite geben, indem sie sie einer zu sklavischen Abhängigkeit von der einförmigen Gewohnheit entzie- S s hen, die wir doch nicht allemal so genau zu beobachten im Stande sind. Ein Hauptpunct der Krankheitsver- hütung besteht darinn, dass ein jeder die Krankheitsanlage, die ihm besonders eigen ist, wohl zu erkennen suche, um sie entweder auszulöschen, oder ihr we- nigstens die Gelegenheiten zu entziehen, wodurch sie in Krankheit übergehen könnte. Und hierauf gründet sich die individuelle Diätetik; jeder Mensch hat in so fern seine besondern Diätregeln zu beobachten, in so fern jeder seine beson- dern Anlagen zu der oder jener Krank- heit hat. Diese spezielle Untersuchung und Bestimmung ist freylich mehr Sache des Arztes, und ich wollte daher den allgemeinen guten Rath geben, es solle ein jeder sich von einem vernünftigen Arzte darüber prüfen und bestimmen lassen, welchen Krankheiten er am mei- sten ausgesezt, und welche Diät ihm am passendsten sey. Hierinne waren die Al- ten vernünftiger, als wir. Sie benutzen die Medizin und die Aerzte weit mehr zur Bestimmung ihrer diätetischen Le- bensart, und selbst ihre astrologischen, chiromantischen und ähnliche Forschun- gen bezogen sich im Grunde hauptsäch- lich darauf, den moralischen und phy- sischen Karacter eines Menschen zu be- stimmen, und ihm dem gemäss eine pas- sende Einrichtung seiner Lebensart und Diät vorzuschreiben. Gewiss! Es thä- ten viele besser, ihren Arzt dazu zu ge- brauchen, als alle 8 Tage zu ihm zu lau- fen und sich ein Brech- oder Purgier- mittel von ihm verschreiben zu lassen. Aber freylich würde dazu ein vernünfti- ger, einsichtsvoller und denkender Arzt erforderlich seyn, da hingegen zum Re- zeptschreiben jeder Empiriker taugt. Man hätte aber auch zugleich ein siche- res Mittel, den wahren von dem fal- schen Propheten zu unterscheiden. Doch ich muss auch den Nichtarzt, so viel als es möglich ist, in Stand setzen, sein Physisches und seine Krankheitsan- lagen zu beurtheilen; dazu giebt es fol- gende Mittel. S s 2 1. Man untersuche die erbliche An- lage. Es giebt gewisse Krankheitsanla- gen, die uns durch die Zeugung mitge- theilt werden können, z. E. Gicht, Hä- morrhoiden, Steinbeschwehrden, Ner- venschwäche, Lungensucht. Waren diese Uebel bey den Eltern eingewurzelt, und zwar schon damals, als sie uns zeug- ten, so ist immer auch die Anlage dazu in uns zu vermuthen. Sie kann jedoch durch eine passende Diät gehindert werden, nicht zum Ausbruch zu kom- men. 2. Die erste Erziehung kann Krank- heitsanlagen erzeugt haben, hauptsäch- lich eine zu warme, wodurch die Anlage zum Schwitzen und eine schlaffe Haut erzeugt wird, die uns allemal zu rhev- matischen Krankheiten disponirt. — Zu frühzeitiges Anhalten zum Lernen oder Onanie, giebt Anlage zu Nervenschwä- che und Nervenkrankheiten. 3. Gewisse Arten vom Bau und Architectur des Körpers führen ge- wisse Krankheitsanlagen mit sich. Wer einen langen schmächtigen Körper, ei- nen langen schmalen Hals, platte Brust, flügelförmig ausstehende Schultern hat, wer schnell in die Höhe geschossen ist, der muss sich am meisten für der Lun- gensucht hüten, hauptsächlich so lange er noch unter 30 Jahren ist. — Wer ei- nen kurzen untersezten Körper, und ei- nen grossen dicken Kopf mit kurzen Hals hat, so dass der Kopf recht zwischen den Schultern zu stecken scheint, der hat Anlage zum Schlagfluss, und muss alles meiden, was dazu Gelegenheit ge- ben kann. — Ueberhaupt haben alle stark verwachsene Leute mehr oder we- niger Anlage zur Lungensucht und Brust- krankheiten. 4. Man untersuche das Tempera- ment. Ist es sanguinisch oder cholerisch, so hat man mehr Anlage zu entzündli- chen, ist es phlegmatisch oder melan- cholisch, denn mehr zu langwierigen oder Nervenkrankheiten. 5. Auch das Clima, die Wohnung, worinn man lebt, kann die Krankheits- anlage enthalten. Sind sie feucht und kühl, so kann man immer sicher seyn, dass diess Anlage zu Nerven- und Schleimfiebern, zu Wechselfiebern, zu Gicht und Revmatismen giebt. 6. Vorzüglich aber ist die Rücksicht auf den schwächern Theil wichtig. Es hat nehmlich jeder Mensch auch phy- sisch seine schwache Seite, und alle Krankheitsursachen pflegen sich am lieb- sten in diesem, von Natur schwächern, Theil zu fixiren. Z. B. Wer eine schwa- che Lunge hat, bey dem wird alles da- hin wirken, und er wird bey jeder Ge- legenheit Katharrhe und Brustzufälle be- kommen. Ist der Magen schwach, so werden alle Ursachen auf ihn wirken, und Magenbeschwehrden, Unverdau- lichkeiten, auch Unreinigkeiten erre- gen. Kennt man nun diesen Theil, so kann man ungemein viel zur Verhütung von Krankheiten und Lebensverlänge- rung beytragen, wenn man ihn theils für Krankheitsursachen schüzt, theils durch Stärkung jene Empfindlichkeit raubt. Es kommt daher alles darauf an, den schwächsten Theil seines Körpers kennen zu lernen, und ich will hier ei- nige Anzeigen geben, die auch dem Nichtarzt verständlich sind: Man beob- achte, wo Gemüthserschütterungen oder heftige Affecten am meisten hin wirken, da ist auch der schwächste Theil. Erre- gen sie gleich Husten, Stechen der Brust, so ists die Lunge, erregen sie gleich Druck im Magen, Ueblichkeit, Erbre- chen u. dgl. so ists der Magen. Man be- obachte ferner, wohin die Wirkung an- derer krankmachender Eindrücke re- flectirt wird, z. E. die Wirkung einer Ueberladung, einer Erkältung, einer Erhitzung, starker Bewegung u. dgl. Wird da immer die Brust angegriffen, so ist sie der schwächere Theil. Eben so wichtig ist die Beobachtung, wohin ge- wöhnlich der stärkste Trieb des Blutes und der Säfte geht. Welcher Theil am röthesten und heissesten zu seyn pflegt, wo sich am häufigsten Schweiss zeigt, auch wenn der übrige Körper nicht schwizt, da wird sich am leichtesten die Krankheit figiren. Auch kann man im- mer schliessen, dass der Theil, den man übermässig heftig gebraucht und ange- strengt hat, der schwächere seyn werde, z. E. bey einem tiefdenkenden Gelehr- ten das Gehirn, bey einem Sänger die Brust, bey einem Schlemmer der Magen u. s. w. Ich bin es nun noch schuldig, auch die vorzüglichsten und gefährlichsten Krankheitsanlagen durchzugehen, um auch dem Nichtarzt ihre Kennzeichen, und die Diät, welche jede erfodert, be- kannt zu machen. Die Anlage zur Schwindsucht , eine der traurigsten, wird daran erkannt, wenn man den eben beschriebnen Bau der Brust und des Körpers hat, ferner, wenn man noch nicht 30 Jahr alt ist (denn nachher entsteht sie bey weitem nicht so leicht), wenn die Eltern schwindsüchtig waren; wenn man oft plözliche Heiserkeit, ohne katharrhali- sche Ursache, bekommt, so dass oft beym Sprechen die Stimme vergeht; wenn man beym Sprechen, Laufen, Berg- und Treppensteigen, sehr leicht ausser Athem kommt; wenn man nicht recht tief einathmen und die Luft an sich halten kann, ohne einen Schmerz in der Brust oder einen Reiz zum Husten zu verspüren; wenn man sehr rothe, gleich- sam mit Farbe bemahlte Wangen hat, oder oft plözlich eine solche hohe Röthe, zuweilen nur einer Wange, bekommt; wenn man nach dem Essen rothe und heisse Backen und heisse Hände be- kommt; wenn man oft plözlich fliegen- de Stiche in der Brust empfindet; wenn man früh Morgens kleine Klümpgen, wie Hirsenkörner oder kleine Graupen, aushustet, welche wie Käse oder Talg aussehen, und beym Zerdrücken einen üblen Geruch von sich geben, wenn man bey jedem Schrecken, Zorn oder andern Affect Schmerzen in der Brust oder Husten bekommt; wenn jede Er- hitzung oder Erkältung, jeder Diätfehler dergleichen erregt; wenn man häufig Brustkatharrhe bekommt, oder diesel- ben, wenn sie einmal entstanden sind, gar nicht wieder aufhören wollen. Be- merkt man nun gar noch blutigen Aus- wurf aus der Lunge, dann ist die Gefahr der Lungensucht schon sehr nahe. — Wer diese Anzeigen verspürt, der hüte sich ja für hitzigen Getränken, Wein, Branntwein, Liqueurs, für Gewürtzen, starken Bewegungen, z. E. heftigen Tan- zen, Laufen u. dgl., Ausschweifungen in der Liebe, für dem Sitzen mit zusam- men gedrückter Brust, oder dem Andrü- cken der Brust wider den Tisch beym Arbeiten, auch für zu starken und an- haltenden Singen oder Sprechen. Eine andere Anlage ist die zu Hä- morrhoiden ( güldnen Ader ). Man erkennt sie daran, wenn sie die Eltern hatten, wenn man zuweilen Rückenschmerzen tief unten im Kreuze spürt oder fliegen- de Stiche queer durch das Becken oder zuweilen ein schmerzhaftes Zwängen beym Stuhlgang, wenn man immer an Hartleibigkeit leidet, wenn man ein öftres Jucken am After, oder starken Schweiss in der Gegend, auch wohl öf- teres Kopfweh und Vollblütigkeit des Kopfs empfindet. — Solche Personen haben nöthig, nicht allein alles hitzige Getränk sondern auch warme Getränke zu meiden, besonders Kaffee, Thee und Chokolade, mehr von saftigen frischen Gemüssen und Obst, in Verbindung mäsi- ger Fleischnahrung zu leben, Mehlspei- sen, Kuchen, Backwerk, blähende Speisen zu meiden, nie anhaltend zu sitzen, und sich täglich Bewegung zu machen, das zu lange und starke Drängen beym Stuhlgang zu unterlassen, den Unterleib nicht zu binden oder zu schnüren, son- dern ihn vielmehr täglich eine Viertel- stunde lang gelinde zu reiben. Anlage zur Hypochondrie oder Hy- sterie und andern Nervenkrankheiten merkt man an folgenden: wenn man von Nervenschwachen Eltern gezeugt wurde, wenn man frühzeitig zum Ler- nen und Sitzen angehalten wurde, wenn man in der Jugend Onanie getrieben hat, wenn man viel sitzend, in der Stube, einsam gelebt, und viel warme Getränke genossen, auch wohl viel schmelzende und empfindsame Bücher gelesen hat, wenn man eine sehr veränderliche Ge- inüthsstimmung hat, so dass man plöz- lich ohne Ursache still und traurig, und eben so plözlich ohne Ursache ausgelas- sen lustig werden kann, wenn man öf- ters mit Magen- und Verdauungsbe- schwehrden, auch Blähungen geplagt wird, öfters Beängstigungen, Klopfen im Unterleibe, Drücken, Spannen und dergleichen ungewohnte Gefühle daselbst empfindet, wenn man früh und nüch- tern sehr müde, verdrossen und un- brauchbar ist, welches sich sogleich nach dem Genuss einiger stärkenden Nah- rung, oder einer Tasse Kaffee, oder et- was Geistigen verliert, wenn man grosse Neigung zur Einsamkeit und zum Nicht- reden, oder eine Schüchternheit, ein gewisses Mistrauen gegen Menschen ver- spürt, wenn Zwiebeln, Hülsenfrüchte, Hefengebacknes, immer grosse Be- schwehrden und Beängstigungen erre- gen, wenn die Ausleerungen durch den Stuhl träge, selten, oder ungleich und trocken sind. — Ein solcher meide ganz vorzüglich das sitzende Leben, und wenn diess nicht möglich ist, so muss er wenigstens stehend an einem Pulte, oder noch besser (weil man das Stehen in die Länge nicht aushält) auf einem hölzernen Bock reitend, arbeiten, und dabey das Gesetz unverbrüchlich beob- achten, sich alle Tage 1, 2 Stunden in freyer Luft Bewegung zu machen. Auch das Reiten ist solchen Leuten sehr heil- sam. Man muss ferner immer mensch- liche Gesellschaft besuchen, insbeson- dere einen Freund, auf den man Ver- trauen hat, sich zu erhalten suchen, und nie dem Hange zur Einsamkeit zu sehr nachgeben. Reisen, Veränderung der Gegenstände, und vor allem der Genuss der Landluft, sind hauptsächliche Prä- servative der Hypochondrie. Es war oft hinreichend, die schon im heftigsten Grade ausgebrochne Krankheit zu heben, wenn es der Kranke über sich erhalten konnte, ein halbes Jahr auf dem Lande zuzubringen, und sich mit lauter länd- licher und körperlicher Handarbeit zu beschäftigen, genug, auch wie ein Land- mann zu leben, (denn, wenn man den Luxus der Städte mit aufs Land nimmt, denn hilft es freylich nicht viel). Ue- berhaupt wäre jedem, der diese Anlage verspürt, zu rathen, lieber ein Oeko- nom, oder auch wohl ein Jäger oder Soldat zu werden, als ein Gelehrter. — Sehr nüzlich ist bey dieser Anlage das Reiben des Unterleibs. Es kann täglich früh noch im Bette eine Viertelstunde lang mit der flachen Hand oder einem wollenen Tuche geschehen, es befördert Verdauung und Circulation im Unter- leibe, zertheilt Stockungen und Blähun- gen und stärkt zugleich. Man wieder- stehe sorgfältig dem mit dieser Anlage immer verbundenen Hange zu medizi- niren, besonders immer zu purgiren, wodurch man die Verdauungsschwäche immer noch schlimmer macht. Man vertraue sich lieber einem einzelnen ver- nünftigen Arzt an, und lasse sich von diesem mehr diätetische Kur als Arzney- mittel verschreiben. Man vermeide vorzüglich Kuchen, Käse, Mehlspeisen, Hülsenfrüchte, Fett, schwehres Bier. Auch von der Anlage zum Schlag- flusse muss ich etwas sagen, ohneracht dieselbe erst später einzutreten pflegt. Man bemerkt sie an einem kurzen, di- cken untersezten Körper, und kurzem Halse, so dass der Kopf recht zwischen den Schultern steckt, an einem gewöhn- lich rothen und aufgetriebnen Angesicht, öftern Ohrenklingen und Sausen, Schwindel, auch Uebligkeiten im nüch- ternen Zustand. Solche Leute müssen nie den Magen überladen (denn sie kön- nen sonst bey Tische sterben), besonders Abends nie viel essen oder trinken, sich nicht gleich nachher zu Bette legen, im Bett mit dem Kopf nicht tief liegen, und alle heftige Erhitzungen und Erkältun- gen, insbesondere der Füsse, vermei- den. Ich komme nun auf Beantwortung der Frage: Wie soll man eine schon aus- gebrochne Krankheit behandeln, und wie den Arzt und die Arzneykunst benutzen? Das wichtigste lässt sich in folgende Re- geln bringen: 1. Man brauche nie Arzneymittel, ohne hinreichenden Grund dazu zu ha- ben, denn wer wollte sich ohne Noth krank machen? Daher die Gewohnhei- ten, zu bestimmten Zeiten zu purgiren, Ader zu lassen u. dgl., blos um mögliche Uebel zu verhüten, äusserst nachtheilig sind. Gar oft werden die Uebel dadurch erst bewirkt, die man zu vermeiden suchte. 2. Es ist weit besser, Krankheiten verhüten, als Krankheiten heilen, denn das leztre ist immer mit mehr Kraftver- lust und folglich Lebensverkürzung ver- bunden. Man beobachte daher vorzüg- lich lich die oben angegebnen Mittel zur Ver- hütung derselben. 3. Sobald man aber wirkliche Krank- heit spürt, so sey man aufmerksam. Der unbedeutendste Anfang kann eine sehr wichtige Krankheit im Hinterhalt haben. Vorzüglich gilt diess von fieber- haften Krankeiten. Ihr erster Anfang zeichnet sich dadurch aus: Man fühlt ungewöhnliche Mattigkeit, die Esslust fehlt, aber desto grösser ist die Neigung zum Trinken, der Schlaf ist unterbro- chen oder mit vielen Träumen unter- mischt, die gewöhnlichen Ausleerungen bleiben aus, oder sind widernatürlich vermehrt, man hat keine Lust zur Ar- beit, auch wohl Kopfwehe, und es stellt sich ein Frösteln, stärker oder schwächer ein, worauf Hitze folgt. 4. Sobald man diese Anzeigen be- merkt, so ist nichts nöthiger, als dem Feinde, der Krankheit, die Nahrung zu entziehen, und dem wohlthätigen natürlichen Instinct zu folgen, den jedes Thier in diesem Fall zu seinem grossen T t Vortheil befolgt. Man esse nicht, denn die Natur zeigt uns durch ihre Abnei- gung, dass sie jezt nicht verdauen kann; man trinke desto mehr, aber Wasser und verdünnende Getränke. Man halte sich ruhig, und am besten liegend, denn die Mattigkeit zeigt uns zur Gnüge, dass die Natur jezt ihre Kraft zu Bearbeitung der Krankheit braucht, und man ver- meide sowohl Erhitzung, als Erkältung, folglich sowohl das Ausgehen in freye Luft, als auch das Einschliessen in er- hizte Zimmer. Diese einfachen Mittel, die uns die Natur selbst so deutlich vor- schreibt, wenn wir nur ihre Stimme hö- ren wollen, sind es, wodurch unzählige Krankheiten gleich in der Entstehung gehoben werden können. Der alte 90jährige Maclin , der Veteran der Lond- ner Bühne, sagt von sich selbst, so oft er sich während des Laufs seines langen Lebens übel befunden habe, sey er zu Bette gegangen, und habe nichts als Brod und Wasser zu sich genommen, und diese Diät habe ihn gemeiniglich von jeder leichten Unpässlichkeit be- freyt. Ich habe einen würdigen 80jäh- rigen Obersten gekannt, der sein ganzes Leben hindurch, bey jeder Unpässlich- keit nichts weiter gethan hatte, als fa- sten, Tabakrauchen und obige Regeln beobachten, und nie Arzney nöthig hatte. 5. Hat man Gelegenheit, einen Arzt zu fragen, so consultire man den dar- über, nicht sowohl um gleich zu medi- ziniren, als vielmehr um zu wissen, in welchem Zustande man sey. Fehlt aber diese Gelegenheit, so ist es weit besser, blos auf die angegebne negative Weise die Zunahme der Krankheit zu verhin- dern, als etwas positives zu thun oder zu brauchen, was vielleicht sehr schaden kann. Man halte doch ja kein Arzney- mittel für gleichgültig. Selbst Purgir- und Brechmittel können, zur Unzeit gebraucht, sehr schädlich werden. Will man ja noch das unschuldigste in solchen Fällen wissen, so ist es 1 Theelöffel Gre- mor Tartari, in ein Glas Wasser gerührt, T t 2 oder folgendes Krystallwasser , welches gewiss eins der allgemeinsten Mittel in heberhaften Krankheiten ist: 1 Loth Cremor Tartari wird mit 6 Pfund Wasser in einem neuen Topfe so lange gekocht, bis das Pulver ganz zergangen, und nun, nachdem es vom Feuer genommen, eine Citrone hineingeschnitten, sodann, nach Verschiedenheit des Geschmacks, 3 bis 6 Loth Zucker hinzugethan, und auf Bou- teillen gefüllt. Diess dient zum bestän- digen Getränk. 6. Gegen den Arzt sey man völlig aufrichtig, erzähle ihm auch die Ge- schichte vergangner Zeiten, in so fern sie auf die Krankheit Bezug haben kann, und vergesse keinen gegenwärtigen Um- stand, vorzüglich in schriftlichen Rela- tionen. Besonders hüte man sich (was ein sehr gewöhnlicher Fehler ist) kein Raisonnement in die Erzählung zu mi- schen, oder ihr nach einer vorgefassten Meynung die oder jene Stellung zu ge- ben, sondern man erzähle nur das, was sinnlich bemerkt worden ist, so unbe- fangen wie möglich. 7. Man wähle nur einen Arzt, zu dem man Zutrauen hat; keinen, der mit Arcanen handelt; keinen, der zu ge- schwätzig oder neugierig ist; keinen, der über seine Kollegen oder andre Aerzte loszieht, und ihre Handlungen in ein zweydeutiges Licht zu stellen sucht, (denn diess zeigt immer eingeschränkte Kenntnisse, oder ein bös Gewissen, oder ein böses Herz); keinen, der blos durch grosse entscheidende Mittel zu wirken liebt, oder, wie man sagt, auf Leben und Tod kurirt. 8. Insbesondere meide man den Arzt, für den Geldgeiz oder Ehrgeiz das höchste Interesse bey der Praxis haben. Der wahre Arzt soll kein anderes In- teresse haben, als Gesundheit und Leben seines Kranken, Jedes andere führt ihn vom wahren Wege ab, und kann für den Kranken die nachtheiligsten Folgen haben. Er braucht nur in irgend einen Collisionsfall zu gerathen, wobey seine Reputation oder sein Beutel in Gefahr kommt, wenn er etwas zur Erhaltung seines Kranken wagt, und er wird zu- verlässig lieber den Kranken sterben las- sen, als seine Reputation verlieren. Eben so gewiss werden ihn die Kranken nur in dem Verhältniss interessiren, als sie vornehm oder reich sind. 9. Der beste Arzt ist der, der zu- gleich Freund ist. Gegen ihn ist es am leichtesten vertraulich und offenherzig zu seyn. Er kennt und beobachtet uns auch in gesunden Tagen, welches zur richtigen Behandlung in kranken unge- mein viel beyträgt. Er nimmt endlich innigen Antheil an unserm Zustand, und wird mit ungleich höherer Thätigkeit und Aufopferung an Verbesserung dessel- ben arbeiten, als der, der blos kalter Arzt ist. Man thue also alles, ein sol- ches zartes auf Freundschaftsgefühl be- ruhendes Band zwischen sich und dem Arzte zu knüpfen und zu erhalten, und störe es ja nicht durch Mishandlung, Mistrauen, Härte, Stolz und andre Aeus- serungen, die man sich so oft, aber alle- mal mehr zu seinem eignen Schaden, ge- gen den Arzt erlaubt. 10. Sorgfältig vermeide man den Arzt, der geheime Mittel verfertigt, und damit Handel treibt. Denn er ist ent- weder ein Ignorant, oder ein Betrüger, oder Eigennütziger, dem sein Profit weit über Leben und Gesundheit andrer geht. Denn ist an dem Geheimniss nichts, so ist wohl kein Betrüger so schändlich, als dieser, der die Menschen nicht blos um Geld, sondern um Gesundheit und Geld zugleich betrügt; und ist das Geheimniss wirklich von Werth und Nutzen für die Menschheit, so ist es ein Eigenthum der Wahrheit und der Menschheit im Gan- zen, und es ist eine äusserst immorali- sche Handlung, es derselben zu entzie- hen; auch versündigt man sich zugleich an den vielen Tausenden, die das Mittel deswegen gar nicht, oder nicht ver- nunftmässig, brauchen können, weil es nicht bekannt, nicht allgemein zu ha- ben, und von einem vernünftigen Arzt gar nicht anzuwenden ist. 11. Ueberhaupt sehe man nirgends so sehr auf Moralität, als bey der Wahl des Arztes. Wo ist sie wohl nöthiger, als hier? Der Mensch, dem man blindlings sein Leben anvertraut, der schlechter- dings kein Tribunal zur Beurtheilung seiner Handlungen über sich hat, als sein Gewissen, der zur vollkommnen Erfül- lung seines Berufs, alles, Vergnügen, Ruhe, ja eigne Gesundheit und Leben aufopfern muss, — wenn dieser Mensch nicht blos nach reinen moralischen Grundsätzen handelt, wenn er eine so- genannte Politik zum Motiv seiner Hand- lungen macht, — dann ist er einer der furchtbarsten und gefährlichsten Men- schen, und man sollte ihn ärger fliehen, als die Krankheit. Ein Arzt, ohne Mo- ralität, ist nicht blos ein Unding, er ist ein Ungeheuer! 12. Hat man aber einen geschickten und rechtschaffnen Arzt gefunden, so traue man ihm ganz. Diess beruhigt den Kranken, und erleichtert dem Arzt sein Heilgeschäft unendlich. Manche glauben, je mehr sie Aerzte um sich ver- sammlen, desto sichrer müsse ihnen ge- holfen werden. Aber diess ist ein ge- waltiger Irrthum. Ich spreche hier aus Erfarung. Ein Arzt ist besser, als zwey, zwey besser als drey, und so fort; in dem Verhältniss der Menge der Aerzte, nimmt die Wahrscheinlichkeit der Wie- derherstellung immer mehr ab, und ich glaube, es giebt einen Punct der ärztli- chen Ueberladung, wo die Kur physisch unmöglich ist. — Kommen ja Fälle vor, die aber in der That selten sind, wo ein gar zu verborgenes oder verwickeltes Uebel das Urtheil mehrerer erfodert, so rufe man mehrere zusammen, aber nur solche, von denen man weiss, dass sie harmoniren und billige Menschen sind, aber auch dann benutze man ei- nen solchen Convent nur zur Erkennt- niss und Beurtheilung der Krankheit und Gründung des Kurplans. Die Aus- führung selbst überlasse man immer nur einem, zu dem man das meiste Zu- trauen hat. 13. Man beobachte die Crisen, die Hülfen und Wege, die unsre Natur am meisten liebt, und die sie etwa schon in vorhergehenden Zufällen benuzt hat; ob sie mehr durch Schwitzen, oder durch Diarrhoe, oder durch Nasenbluten, oder durch den Urin sich zu helfen pflegt. Diesen Weg muss man auch bey der ge- genwärtigen Krankheit vorzüglich zu befördern suchen, und eine solche Notiz ist für den Arzt sehr wichtig. 14. Reinlichkeit ist bey allen Krank- heiten eine unentbehrliche Bedingung; denn durch Unreinlichkeit kann jede Krankheit in eine faulichte und weit ge- fährlichere verwandelt werden, auch versündigt man sich dadurch an den Sei- nigen und dem Arzte, die blos dadurch auch krank werden können. Man wechsele daher täglich (nur mit Vorsicht) die Wäsche, erneuere die Luft, schaffe alle Ausleerungen bald möglichst aus dem Krankenzimmer, und entferne zu viel Menschen, Thiere, Blumen, Ue- berreste von Speisen, alte Kleider u. s. w., genug alles, was ausdünsten kann. XVII. Rettung in schnellen Todtesgefahren. E s giebt Ursachen, die bey der voll- kommensten Gesundheit, bey der besten Fähigkeit noch lange fort zu leben, plözlich die Lebensoperation unterbre- chen und aufheben können, — die ge- waltsamen Todesursachen. Sie vermin- dern oder unschädlich machen zu kön- nen, ist ein wichtiger Theil der Lebens- erhaltenden und verlängernden Kunst, und ich werde hier noch das nöthige darüber mittheilen. Es gehören dahin alle gewaltsame Todesarten, die alle, entweder durch mechanische Verletzungen, oder durch organische Zerstöhrungen, bewirkt wer- den. Sie lassen sich alle unter drey Klassen bringen. Entweder sie machen die Lebensorgane unbrauchbar zu ihren Verrichtungen, oder sie destruiren plöz- lich die Lebenskraft, (z. E. der Blitz, ein heftiger Gemüthsaffect, die meisten Gifte), oder sie nehmen plözlich die Le- bensreize weg, ohne deren beständige Einwirkung keine Lebensäusserung ge- schehen kann, (z. E. das Blut, die reine Luft). Die Hülfe dagegen ist zweyfach, wir können sie verhüten, oder sie un- schädlich machen, wenn sie schon ge- wirkt haben. Zuerst die Verhütung. Diese kann sich unmöglich darauf beziehen, die Ur- sachen alle von uns abzuhalten, denn sie sind so mit unserm Leben und besonders mit manchen Lebensberuf verwebt, dass man das Leben selbst verlassen müsste, um sie zu vermeiden. Aber wir können unserm Körper selbst einen hohen Grad von Immunität dagegen verschaffen, und ihm gewisse Eigenschaften geben, wo- durch er in den Stand gesezt wird, von jenen Ursachen, wenn sie auch ihm nahe kommen, nicht oder nur wenig zu lei- den. Es giebt also eine objective und subjective Kunst, Todesgefahren zu ver- hüten, und die leztere ist es, in der sich jeder Mensch eine gewisse Vollkommen- heit zu verschaffen suchen sollte. Sie gehört nach meiner Meynung nothwen- dig zur Bildung und Erziehung des Men- schen. Die Mittel sind sehr einfach: 1. Man suche seinem Körper die möglichste Fertigkeit und Geschicklich- keit in allen körperlichen Uebungen zu verschaffen. Gehörige Kultur der kör- perlichen Kräfte in Laufen, Klettern, Voltigiren, Schwimmen, Gehen auf schmalen Flächen u. dgl. schüzt ausneh- mend für den körperlichen Gefahren dieser Art, und es würden unendlich weniger Menschen ertrinken, stürzen oder andern Schaden leiden, wenn diese Ausbildung gewöhnlicher wäre. 2. Man bilde seinen Verstand aus, und berichtige die Erkenntniss über jene schädlichen Potenzen, durch populäre Physik und Naturwissenschaft. Dahin gehört die Erkenntniss der Gifte (S. oben), der Eigenschaften des Blitzes und seiner Vermeidung, des Nachtheils und der Eigenschaften mephitischer Luftarten, des Frosts u. s. w. Ich müsste ein eignes Buch schreiben, wenn ich diess gehörig ausführen wollte, aber ich wünschte sehr, dass es geschrieben und in Schu- len benuzt würde. 3. Man gebe seinem Geist Furcht- losigkeit, Stärke und philosophischen Gleichmuth, und übe ihn in schneller Fassung bey unerwarteten Ereignissen. Diess wird doppelten Nutzen haben. Es wird den physischen Schaden plözli- cher und erschütternder Eindrücke ver- hüten, und uns bey plözlichen Gefah- ren rettende Entschliessung geben. 4. Man verschaffe dem Körper einen gehörigen Grad von pathologischer Ab- härtung, gegen Frost und Hitze, Wech- sel derselben u. dgl. Wer mit diesen Ei- genschaften ausgerüstet ist, der wird in unzähligen Fällen dem Tode trotzen können, wo ein andrer unterliegt. Nun aber die Rettung bey schon wirklich existirender Todesgefahr! Was ist zu thun, wenn jemand ertrunken, erhängt, erstickt, vom Blitz getroffen, vergiftet u. s. w. ist? Hier giebt es Mit- tel, wodurch man schon oft den ganz tod scheinenden glücklich gerettet hat, und diess ist ein Theil der Medizin, den jeder Mensch verstehen sollte, denn jedem kann ein solcher Fall aufstossen, und alles kommt auf die Geschwindig- keit der Hülfe an. Bey einer so gefähr- lichen Lage ist jeder Augenblick kostbar; das einfachste Mittel, gleich angewendet, kann mehr ausrichten, als eine halbe Stunde nachher, die ganze Weisheit ei- nes Aeskulaps. Jeder Mensch, der zuerst hinzu kommt, sollte es als Pflicht ansehen, sogleich Hülfe anzuwenden, und wohl bedenken, dass das Leben des Ver- Verunglückten von einer Minute früher oder später abhangen kann. Es war daher ein sehr glücklicher Gedanke des Herrn D. Struve zu Görliz , diese Rettungsmittel zur bequemen Uebersicht in Tabellen zu bringen, die in jeder Schule, Bauernschenke und ähnlichen öffentlichen Orten aufgehängt seyn sollten. Es sind bis jezt drey Noth- und Hülfstafeln erschienen: 1. für Ertrunkene etc. 2. für Vergiftete, vom tollen Hund gebissne etc. 3. Hebammentafel . Jede ko- stet 1 gl. 40 Stück 1 thlr. Es lassen sich die gewaltsamen To- desarten, nach ihrer Behandlung, in drey Klassen theilen. Die erste Klasse: Erstickte (erhängte, ertrunkene, in unreiner Luft umge- kommene), vom Blitz erschlagene, in todengleiche Ohnmacht versezte, und ihre Behandlung. Hier sind folgendes die ersten und wirksamsten Hülfen: 1. Man beschleunige so schnell wie möglich das Herausnehmen aus dem Wasser, das Abschneiden vom Strick, genug die Entfernung der Todesursa- che. Diess ist allein schon hinreichend, U u den Unglücklichen zu retten, wenn es bald geschieht, aber darinn wird es am meisten versehen. Rettungsanstalten hat man nun endlich wohl an den meisten Orten, aber man geht gewöhnlich so langsam dabey zu Werke, dass man mehr glauben sollte, es gehörten diese Anstalten zur lezten Ehre eines Verun- glückten, als zu Rettung seines Lebens. Daher bin ich überzeugt, dass bey Er- trunkenen bessere Findanstalten oft mehr werth wären, als alle Rettungsanstal- ten, Hamburg , das schon in so manchen patriotischen Einrichtungen zum Muster gedient hat, giebt uns auch hierinn ein nachahmungswürdiges Bey- spiel, indem daselbst dieser Theil der Hülse zu einer ausserordentlichen Vollkommenheit gebracht ist. Ich empfehle, als das vollkommenste, was wir in der Art haben, jedem Arzt, jeder Poli- zey, jedem Menschenfreund, nachfolgendes Buch: Günther Geschichte und jetzige Einrichtung der Hamburger Rettungsanstalten, m. Kupfern, Ham- burg bey Bohn . 1796. und wenn man sieht, wie unge- schickt und unwillig sich die Menschen dabey benehmen, was für abscheuliche Vorurtheile noch dabey herrschen, so wundert es einen nicht mehr, dass in Teutschland so wenig Verunglückte ge- rettet werden, und ich beschwöre hier alle Obrigkeiten, diesem wichtigsten Theil der Rettungsanstalt mehr Vollkom- menheit zu geben, wohin ich auch die Ausrottung der Vorurtheile, Dahin gehört die schändliche Furcht für dem schimpflichen und unehrlichen, was das Behand- len eines solchen Verunglückten mit sich führe, der teuflische Aberglauben mancher Fischer, man dürfe vor Sonnenuntergang einen Ertrunke- nen nicht ausfischen, um dem Fischfang keinen Schaden zu thun, oder, es müsse mancher Fluss jährlich sein Opfer haben, und dergleichen Mey- nungen mehr, die unter dem gemeinen Haufen noch immer mehr, als man denkt, herrschen. der Streitigkeiten über Jurisdiction, die Be- lohnungen des Findens, und die Bestra- fung jeder muthwilligen Verzögerung rechne. 2. Man entkleide sogleich den Ver- unglückten, und suche so geschwind U u 2 und so allgemein wie möglich Wärme zu erwecken. Wärme ist der erste und allgemeinste Lebensreiz. Das nehmliche Mittel, was die Natur benuzt, um alles Leben zuerst zu wecken, ist auch das grösste um eine zweyte Wiederbelebung zu bewirken. Das beste dazu ist ein lau- warmes Bad; fehlt diess, dann das Be- decken mit warmen Sand, Asche, oder dicken Decken und Betten, mit warmen Steinen an verschiedenen Orten des Kör- pers applizirt. Ohne diess Mittel wer- den alle andere wenig ausrichten, und es wäre besser, den Scheintodten blos durchdringend zu erwärmen, als ihn, wie so oft geschieht, mit Schröpfen, Bürsten, Klystiren u. s. w. herum zu zie- hen, und ihn zugleich vor Kälte erstar- ren zu lassen. 3. Das Einblasen der Luft in die Lungen folgt zunächst in Absicht der Wichtigkeit, und kann so schön mit der Wärme verbunden werden. Besser ist es freylich, wenn es mit reiner dephlo- gistisirter Luft, und durch Röhre und Blasebalg geschieht. Aber in der Ge- schwindigkeit und um die kostbare Zeit nicht zu verlieren, ist es genug, wenn der erste beste seinen Athem in den Mund des Unglücklichen bläst, so dass er die Nase desselben dabey zuhält, und, wenn er bemerkt dass die Rippen davon ausgedehnt werden, ein wenig inne hält, und durch einen Gegendruck auf die Gegend des Zwerchfells, auch durch das gelinde Anziehen eines um den Leib gezogenen Handtuches, die Luft wieder austreibt, dann von neuem einbläset, und dieses künstliche Athemholen einige Zeit fortsezt. 4. Man lasse von Zeit zu Zeit aus einer gewissen Höhe Tropfen von eiskal- ten Wasser oder Wein auf die Herzgrube fallen; diess hat zuweilen den ersten Anstoss zur Wiederbewegung des Her- zens gegeben. 5. Man reibe und bürste Hände und Fusssohlen, Unterleib, Rücken, man reize empfindliche Theile des Körpers, Fusssohlen und Handflächen, durch Ste- chen, Schneiden und Auftröpfeln von geschmolzenen Siegellak, Nase und Schlund durch eine hineingebrachte Fe- der, oder durch Vorhalten und auf die Zunge tröpfeln des flüchtigen Salmiak- geists, die Augen durch vorgehaltenes Licht, das Gehör (ein am längsten em- pfindlich bleibender Sinn), durch star- kes Schreyen, oder den Schall einer Trompete, Pistole u. dgl. 6. Man blase Luft oder Tabaks- rauch (wozu zwey auf einander gesezte hörnerne Tabakspfeifen dienen können) in den Mastdarm, oder, wenn ein In- strument bey der Hand ist, so spritze man eine Abkochung von Tabak, Senf, auch Wasser, mit Essig und Wein ver- mischt, ein. 7. Sobald man einige Lebenszeichen bemerkt, so flösse man einen Löffel gu- ten Wein ein, und wenn der Kranke schluckt, so widerhole man diess öfter. Im Nothfall dient auch Branntwein, mit zwey Drittheil Wasser vermischt. 8. Bey denen vom Blitz getroffnen ist auch noch das Erdbad zu empfehlen. Man legt sie entweder mit dem offnen Munde auf ein frisch aufgegrabenes Fleck Erde, oder man scharrt sie bis an den Hals in frisch aufgegrabne Erde. Werden diese einfachen Mittel, die ein jeder Mensch anwenden kann, und seinem in Todesgefahr schwebenden Mitmenschen anwenden muss, bald an- gewendet, so werden sie mehr helfen, als eine halbe Stunde später der vollstän- digste Kunstapparat, und wenigstens wird dadurch die Zwischenzeit nicht unbenuzt gelassen, und das schwache Lebensfünkgen am völligen Verlöschen gehindert. Zur zweyten Klasse der Verunglück- ten gehören die Erfrornen . Sie verlan- gen eine ganz andere Behandlungsart. Durch Wärme würde man sie tödten. Hier ist weiter gar nichts zu thun, als diess: Man scharre sie entweder in Schnee bis an den Kopf ein, oder setze sie in ein Bad von dem kältesten Wasser was man haben kann, und das nur eben nicht gefroren ist. Hierinn erholt sich das Leben von selbst, und sobald sich wieder Lebensäusserung zeigt, so flösse man warmen Thee mit Wein ein, und bringe den Kranken in ein Bett. Die dritte Klasse : Vergiftete . Hier besitzen wir zwey unschäzbare Mittel, die auf jedes Gift passen, die überall, ohne alle Apotheke, zu haben sind, und die gar keine medizinische Kenntniss voraussetzen: Milch und Oel . Durch diese beyden Mittel allein hat man sogar die fürchterlichste aller Vergiftungen, die Arsenikvergiftung , heilen können. Sie erfüllen die beyden Hauptzwecke der Kur, Ausleerung und Umwicklung oder Entkräftung des Gifts. Man lasse also in grosser Menge, so viel als nur der Kranke vermag, Milch trinken (bricht er sie zum Theil wieder weg, desto besser), und alle Viertelstunden eine halbe Tasse Oel (es ist einerley, ob es Lein- Mandel- Mohn- oder Baum- öhl ist) nehmen. Weiss man gewiss, dass es Arsenik, Sublimat oder ein anderes Metallsalz war, so löse man Seife in Wasser auf, und lasse diese trin- ken. Diess ist hinreichend, bis der Arzt kommt, und wird ihn gar oft unnöthig machen. XVIII. Das Alter und seine gehörige Behandlung. D as Alter, ohneracht es an sich die na- türliche Folge des Lebens und der An- fang des Todes ist, kann doch selbst wie- der ein Mittel werden, unsere Tage zu verlängern. Es vermehrt zwar nicht die Kraft zu leben, aber es verzögert ihre Verschwendung, und so kann man be- haupten, der Mensch würde in der lez- ten Periode seines Lebens, in dem Zeit- raum der schon verminderten Kraft, sei- ne Laufbahn eher beschliessen, wenn er nicht alt würde. Dieser etwas paradox scheinende Satz wird durch folgende Erläuterungen seine Bestätigung erhalten. Der Mensch hat im Alter einen weit geringern Vor- rath von Lebenskraft, und weniger Fä- higkeit sich zu restauriren. Lebte er nun noch mit eben der Thätigkeit und Lebhaftigkeit fort, als vorher, so würde dieser Vorrath weit schneller erschöpft seyn, und der Tod bald erfolgen. Nun vermindert aber der Karacter des Alters die natürliche Reizbarkeit und Empfind- lichkeit, dadurch wird die Wirkung der innern und äussern Reize, und folglich die Kraftäusserung und Kraftverschwen- dung auch vermindert, und so kann er bey der geringern Consumtion mit die- sem Kraftvorrath weit länger auskom- men. Die Abnahme der Intension des Lebensprozesses mit dem Alter verlän- gert also seine Dauer. Eben diese verminderte Reizfähig- keit vermindert aber auch die Wirkung schädlicher Eindrücke und krankma- chender Ursachen, z. E. der Gemüths- affecten, der Erhitzung u. s. w., sie er- hält eine weit grössere Gleichförmigkeit und Ruhe in der innern Oeconomie, und schüzt auf diese Weise den Körper für manchen Krankheiten. Man be- merkt sogar, dass aus eben dieser Ursa- che alte Leute weniger leicht von anste- ckenden Krankheiten befallen werden, als junge. Dazu kommt nun noch selbst die Gewohnheit zu leben, die unstreitig in den lezten Tagen mit zur Erhaltung des Lebens beyträgt. Eine animalische Ope- ration, die man so lange immer in der- selben Ordnung und Succession fortge- sezt hat, wird zulezt so gewöhnlich, dass sie noch durch Habitus fortdauert, wenn auch andere Ursachen zu wirken aufhö- ren. Zum Erstaunen ist es oft, wie sich die grösste Altersschwäche noch immer einige Zeit erhält, wenn nur alles in sei- ner gewohnten Ordnung und Folge bleibt. Der geistige Mensch ist wirklich zuweilen schon gestorben, aber der ve- getative, die Menschenpflanze, lebt noch einige Zeit fort, wozu freylich we i weniger gehört. Diese Lebensge- wohnheit verursacht auch, dass der Mensch, je älter er wird, desto lieber lebt. Wird nun vollends das Alter gehö- rig behandelt und unterstüzt, so kann es noch mehr zum Verlängerungsmittel des Lebens benuzt werden, und da diess einige Abweichungen von den allgemei- nen Gesetzen erfodert, so halte ichs für nothwendig, hier die dazu gehörigen Regeln mitzutheilen. Die Hauptideen der Behandlung müssen diese seyn: Man muss die immer zunehmende Trockenheit und Steifigkeit der Fasern (die zulezt den Stillestand verursacht) vermindern und erweichen. Man muss die Restauration des Verlohr- nen, und die Ernährung möglichst er- leichtern. Man muss dem Körper etwas stärkere Reize geben, weil die natürliche Reizfähigkeit so sehr vermindert ist; und man muss die Absonderungen der verdorbenen Theilchen unterstützen, die im Alter so unvollkommen ist, und jene Unreinigkeit der Säfte nach sich zieht, welche auch den Tod beschleunigt. Hierauf gründen sich folgende Re- geln: 1. Im Alter fehlt die natürliche Wärme. Man suche sie daher von aussen möglichst zu unterhalten und zu ver- mehren; daher warme Kleidung, warme Stuben, warme Betten, erwärmende Nahrung, auch, wenn es thunlich ist, der Uebergang in ein wärmeres Clima, sehr Lebensverlängernd sind. 2. Die Nahrung sey leichtverdau- lich, mehr flüssig als fest, concentrirt nahrhaft, und dabey stärker reizend, als in den frühern Perioden rathsam war. Daher sind warme und gewürzte Kraft- suppen den Alten so heilsam, auch zarte, recht mürbe gebratene Fleisch- speisen, nahrhafte Vegetabilien, ein gu- tes nahrhaftes Bier, und vor allen ein öhligter edler Wein, ohne Säure, ohne erdigte und phlegmatische Theile, z. E. alter Spanischer Wein, Tokayer, Cyper, Kapwein. Ein solcher Wein ist einer der schönsten und passendsten Lebensreize für Alte, er erhizt nicht, sondern nährt und stärkt sie, er ist die Milch der Alten. 3. Laue Bäder sind äusserst passend, als eins der schönsten Mittel, die natür- liche Wärme zu mehren, die Absonde- rungen, besonders der Haut, zu beför- dern, und die Trockenheit und Steifig- keit des Ganzen zu vermindern. Sie entsprechen also fast allen Bedürfnissen dieser Periode. 4. Man vermeide alle starke Auslee- rungen, z. E. Aderlässe (wenn sie nicht durch besondere Umstände angezeigt werden), starke Purganzen, Erhitzung bis zum Schweisse, den Beyschlaf u. s. w. Sie erschöpfen die wenige Kraft, und vermehren die Trockenheit. 5. Man gewöhne sich mit zuneh- mendem Alter immer mehr an eine ge- wisse Ordnung in allen Lebensverrich- tungen. Das Essen und Trinken, der Schlaf, die Bewegung und Ruhe, die Ausleerungen, die Beschäftigungen müs- sen ihre bestimmte Zeit und Succession haben und behalten. Eine solche me- chanische Ordnung und Gewohnheit des Lebens vermag ausnehmend zur Ver- längerung desselben in dieser Periode beyzutragen. 6. Der Körper muss zwar auch Be- wegung haben, aber ja keine angreifen- de oder erschöpfende, am besten eine mehr passive, z. E. das Fahren, und das öftere Reiben der ganzen Haut, wozu man sich mit vielem Nutzen wohlrie- chender und stärkender Salben bedienen kann, um die Steifigkeit zu mindern, und die Haut weich zu erhalten. — Vor- züglich müssen heftige körperliche Er- schütterungen vermieden werden. Sie legen gewöhnlich den ersten Grund zum Tode. 7. Angenehme Stimmungen und Beschäftigungen der Seele sind hier von ungemeinem Nutzen. Nur keine star- ken oder erschütternden Leidenschaften, welche im Alter auf der Stelle tödlich seyn können. Am heilsamsten ist die Hei- Heiterkeit und Zufriedenheit des Ge- müths, welche durch den Genuss häus- licher Glückseligkeit, durch einen fro- hen Rückblick in ein nicht umsonst ver- lebtes Leben, und durch eine heitere Aussicht in die Zukunft, auch jenseits des Grabes, erzeugt wird. Auch ist die Gemüthsstimmung für Alte sehr passend und heilsam, die der Umgang mit Kin- dern und jungen Leuten hervorbringt; ihre unschuldigen Spiele, ihre jugend- lichen Einfälle, haben gleichsam etwas Verjüngendes. Insbesondere ist Hof- nung und Verlängerung der Aussichten ins Leben ein herrliches Hülfsmittel. Neue Vorsätze, neue Plane und Unter- nehmungen (die freylich nichts gefähr- liches oder beunruhigendes haben müs- sen), genug, die Mittel, das Leben in der Phantasie weiter hinaus zu setzen, können selbst zur physischen Verlänge- rung desselben etwas beytragen. Auch finden wir, dass die Alten gleichsam durch einen innern Instinkt dazu getrie- ben werden. Sie fangen an Häuser zu X x bauen, Gärten anzulegen u. dgl., und scheinen in dieser kleinen Selbsttäu- schung, wodurch sie sich das Leben gleichsam zu assecuriren meynen, unge- mein viel Wohlbehagen zu finden. XIX. Kultur der geistigen und körperlichen Kräfte. N ur durch Kultur wird der Mensch vollkommen. Sowohl die geistige als physische Natur desselben muss einen gewissen Grad von Entwicklung, Verfei- nerung und Veredlung erhalten, wenn er die Vorzüge der Menschennatur ge- niessen soll. Ein roher unkultivirter Mensch ist noch gar kein Mensch, er ist nur ein Menschenthier, welches zwar die Anlage hat, Mensch zu werden, aber, so lange diese Anlage durch Kultur nicht entwickelt ist, weder im Physischen noch Moralischen sich über die Klasse der ihm gleich stehenden Thiere erhebt. X x 2 Das ganze Wesentliche des Menschen ist seine Vervollkommungsfähigkeit, und alles ist in seiner Organisation darauf be- rechnet, nichts zu seyn, und alles zu werden. Höchstmerkwürdig ist der Einfluss, den die Kultur auch auf die Vervollkom- mung des Physischen und eben auf Ver- längerung des Lebens hat. Gewöhnlich glaubt man, alle Kultur schwäche und verkürze das physische Leben. Aber diess gilt nur von dem Extrem, der Hyper- kultur (die den Menschen zu sehr verfei- nert und verzärtelt), diese ist eben so schädlich und unnatürlich, als das an- dere Extrem, die Unkultur (wenn die An- lagen des Menschen nicht oder zu wenig entwickelt werden); beydes verkürzt das Leben. Sowohl der verzärtelte, zu sinnlich oder geistig lebende, Mensch, als auch der rohe Wilde, erreichen bey- de nicht das Ziel des Lebens, dessen der Mensch fähig ist. Hingegen ein gehöri- ger und zweckmäsiger Grad von geisti- ger und körperlicher Kultur, hauptsäch- lich die harmonische Ausbildung al- ler Kräfte, ist, wie schon oben gezeigt worden, durchaus erfoderlich, wenn der Mensch auch im Physischen und in der Lebensdauer die Vorzüge für dem Thier erhalten soll, deren er fä- hig ist. Es ist wohl der Mühe werth, den Einfluss der wahren Kultur auf Verlän- gerung des Lebens etwas genauer zu entwickeln, und sie dadurch von der falschen desto mehr zu unterscheiden. Sie wirkt folgendergestalt zum langen Leben: Sie entwickelt die Organe vollkom- men, und bewirkt folglich ein reicheres, genussvolleres Leben und eine reichere Restauration. Wie viele Restaurations- mittel hat ein Mensch mit gebildetem Geiste, welche dem rohen fehlen! Sie macht die ganze Textur des Kör- pers etwas zarter und weicher, und ver- mindert also die zu grosse Härte, welche der Länge des Lebens hinder- lich ist. Sie schüzt uns für zerstörenden und Lebensverkürzenden Ursachen, die dem Wilden viel von seinem Leben rauben, z. E. Frost, Hitze, Witterungseinflüsse, Hunger, giftige und schädliche Substan- zen u. dgl. Sie lehrt uns, Krankheiten und Ge- brechen heilen, und die Kräfte der Na- tur zur Verbesserung der Gesundheit an- wenden. Sie mäsigt und regulirt das’ Leiden- schaftliche, das blos Thierische in uns durch Vernunft und moralische Bildung, lehrt uns Unglück, Beleidigungen u. dgl. gelassen ertragen, und masigt dadurch die zu gewaltsame und heftige Lebens- consumtion, die uns bald aufreiben würde. Sie bildet gesellschaftliche und Staa- tenverbindungen, wodurch gegenseitige Hülfe, Polizey, Gesetze, möglich wer- den, die mittelbar auch auf Erhaltung des Lebens wirken. Sie lehrt endlich eine Menge Be- quemlichkeiten und Erleichterungsmit- tel des Lebens, die zwar in der Jugend weniger nöthig sind, aber desto mehr im Alter zu gute kommen. Die durch Kochkunst verfeinerte Nahrung, die durch künstliche Hülfen erleichterte Be- wegung, die vollkommnere Erholung und Ruhe u. s. w., sind alles Vortheile, wodurch ein kultivirter Mensch sein Le- ben im Alter weit länger erhalten kann, als ein Mensch im rohen Naturzu- stande. Hieraus erhellt auch schon, welcher Grad und welche Art der Kultur nöthig ist, wenn sie Lebensverlängernd seyn soll. Nur die ist es, die zwar im Physi- schen sowohl, als Geistigen, die mög- lichste Ausbildung unsrer Kräfte zum Zweck, aber dabey immer das höhere moralische Gesez zur Regel hat, worauf im Menschen alles bezogen werden muss, wenn es gut, zweckmäsig und wahrhaft wohlthätig seyn soll. Jena., gedruckt bey Gotthold Ludwig Fiedler.