Vier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen. Mannheim . Bei H. Hoff . 1841. Preußens Provinzialständen gewidmet vom Verfasser. Schreibt ins Denkbuch, ihr Nachkommen, daß noch nie ein Fall war, wo freie historische Publicitaͤt geschadet habe, und nie noch wieder ein Fall war, wo unter - druͤckte Publicität auch nur scheinbar genuͤtzt haͤtte. — Spittler . Der Wille freier Menschen ist der unerschuͤtterliche Pfeiler jedes Throns. v. Stein 's polit. Testament Facta loquuntur. Die Sprache der Ereignisse — gleich vernehmlich fuͤr Jeden — ist nicht immer und Jedem verstaͤndlich. Aus derselben eindringlich und sinngetreu in die Sprache des Volkes zu uͤbersetzen, ist die Aufgabe des Publicisten. Wir werden in diesen Blaͤttern die politische That des ostpreußischen Huldi- gungs-Land-Tags dergestalt zu uͤbertragen versuchen. Was wünschten die Stände? Was berechtigte sie? Welcher Bescheid ward ihnen? Was bleibt ihnen zu thun übrig? Jeder Preuße lese und pruͤfe unsere Antwort. — I. Was wünschten die Stände? Gesezmaͤßige Theilnahme der selbstaͤndigen Buͤr- ger an den Angelegenheiten des Staates. Die staͤndische Denkschrift, von dem uͤblichen Rede- schmucke entkleidet, lautet: Wir verzichten auf die „in veralteten Formen sich schwer bewegende Vertretung einzelner und bevorrechteter Staͤnde“; wir wuͤnschen dagegen „eine Vertretung des gesammten preußischen Landes“ und hoffen, daß der Koͤnig die von seinem Vater am 22. Mai 1815 verhei- ßene Versammlung der Landes-Repraͤsentanten dem Volke zuzusichern nicht anstehen werde. — Theilnahme des Volkes — Leidende sowohl als mitwirkende — findet in jedem Staate, selbst den des- potischen, statt; gering oft und unscheinbar im Frieden, tritt dieser Einfluß des Volkes (wir haben's erlebt) zur Zeit der Noth offen und maͤchtig hervor. Nicht diese allgemeine durch Naturnothwendigkeit bedingte Theilnah- me kommt hier in Betracht, sondern allein die durch das Gesez festgestellte. Der Meinungs-Kampf uͤber constitutionelle und absolute Regierungsform loͤßt sich in die einfache Frage auf: soll die Regierung allein in den Haͤnden abhaͤngiger, besoldeter Beamten (Koͤnigl. oder Staatsdiener) sein; oder soll gesetzlich auch den selbststaͤndigen Buͤrgern wahr- hafte Einsicht und Theilnahme zustehen? So allgemein gefaßt laͤßt diese Frage sich nicht beant- worten, weil der zur Entscheidung erforderliche Maasstab: der sittlich-intellectuelle Standpunkt des Volks in jedem Lande und zu jeder Zeit ein verschiedener ist. Wie nun aber verhaͤlt es sich hiermit im preußischen Vaterlande? Welche Cultur-Stufe hat hier das Volk erreicht? Welchen Antheil an den oͤffentlichen Angelegenheiten gewaͤhrt ihm das Gesez? Steht dieser Antheil mit dem Culturgrade in richti- gem Verhaͤltnisse oder nicht? — Man darf dreist behaupten, daß unser Vaterland (und wir nehmen hier keine Provinz aus) an sittlicher und geistiger Bildung seiner Bewohner, keinem Lande Europa's nachstehe. Selbst von den eifrigsten Gegnern, von Franzosen und Englaͤndern wird Preußen mit seinen sieben Universitaͤten, seinen 20,085 Schulen und seiner volksbildenden Militair-Verfassung als ein bisher uner- reichtes Vorbild gruͤndlicher Volkserziehung gepriesen. Wo hat die deutsche Literatur eine reichere Quelle, wo einen eintraͤglicheren Markt als in Preußen? Wo wird jeder wahre Fortschritt der Zeit mit groͤßerem In- teresse begruͤßt, jedes politische Ereigniß vorurtheilsfreier beurtheilt als in Preußen? welche Nation hat im Un- gluͤcke soviel sittliche Kraft, im Gluͤcke und mitten unter allgemeiner Voͤlkergaͤhrung soviel Maͤßigung offenbart, als die preußische? doch wozu hier an die Jahre 1807, 1813 und 1830 erinnern. Erst vor wenigen Tagen sprach Friedrich Wilhelm IV . in Koͤnigsberg oͤffentlich zu seinem Volke, und die Art wie er sprach, die Aufnahme die seine Worte fanden waren eine herrliche Anerkennung, ein lautes Zeugniß fuͤr die Bildungsstufe des Volkes. Und welchen Antheil an der Regierung hat dieses an Sitte und Intelligenz so hoch stehende Volk? Erroͤthend muͤssen wir gestehen: kaum den allergeringsten. Leider wird es nur zu leicht diese Antwort zu begruͤnden. In zwiefacher Form kann die Theilnahme des Volks an den oͤffentlichen d. h. seinen Angelegenheiten sich kund und geltend machen, durch die Presse und durch Ver- tretung . Die schlimmsten Feinde beider: Censur und Scheinvertretung walten in Preußen. „Die Publicitaͤt ist fuͤr die Regierung und die Un- terthanen die sicherste Buͤrgschaft gegen die Nachlaͤssigkeit und den boͤsen Willen der Beamten, die ohne sie eine be- denkliche Eigenmacht erhalten wuͤrden (!); ohne sie wuͤrde kein Mittel uͤbrig bleiben, um hinter die Pflicht- widrigkeiten untergeordneter Behoͤrden zu kommen. Sie verdient daher auf alle Weise gefoͤrdert und geschuͤtzt zu werden.“ Vom Koͤnige Friedrich Wilhelm III ., der sicher das Gute wollte , ruͤhren diese Worte her. — Wie das da- rin ausgesprochene Princip aber auf die Wirklichkeit an- gewendet werde, weiß Jeder, der auch nur in die entfernt- ste Beruͤhrung mit der preußischen Censur gekommen ist. Bekanntlich darf bei uns weder der kleinste Zeitungs-Arti- kel noch Schriften uͤber 20 Druckbogen ohne Censur-Pruͤ- fung erscheinen; ist der Gegenstand ein politischer, so faͤllt meistens die Pruͤfung einem Polizeiagenten anheim, der bei den vagen Bestimmungen des Censurreglements (vom 18. October 1819) sich allein nach den besonderen In- structionen des Ministers zu richten hat. Vom Minister vollkommen abhaͤngig und nur dem Minister verantwort- lich, ist dieser Censor alles zu streichen gezwungen, was den individuellen Ansichten und Absichten seines Obern nicht genehm ist. Fuͤhrt der Verfasser gegen ihn Klage, so wird er in der Regel abschlaͤgig beschieden, oder erhaͤlt sein Recht erst nach so langer Zeit, daß er keinen Gebrauch mehr davon machen kann. Wie waͤre es sonst auch moͤglich, daß seit jenem im Jahre 1804 ausgesprochenen Lobe anstaͤndiger Publicitaͤt man in keiner preußischen Zeitung, in keinem hier gedruckten Buche auch nur den leisesten Tadel uͤber das Verfahren des untergeordnetsten Beamten findet, daß jede das oͤffentliche Interesse nur entfernt beruͤhrende An- deutung (die Rubrik Inland der Staats-Zeitung wird wohl Niemand hierher rechnen), um veroͤffentlicht zu wer- den sich erst außerhalb der preußischen Grenzen fluͤchten muß! Und auch hier selbst ist sie nicht sicher vor jener bedenklichen Beamten-Eigenmacht, welche mit Recht Friedrich Wilhelm III . als die nothwendige Folge unter- druͤckter Publicitaͤt bezeichnete, damit auch durch auslaͤndi- sche Zeitungen kein unguͤnstiges Urtheil uͤber Beamten- Handlungen, keine irgend freimuͤthige Beleuchtung unserer Zustaͤnde nach Preußen gelange, werden dergleichen Blaͤt- ter entweder verboten, oder deren Redactionen durch wohl- bekannte Mittel fuͤgsam gemacht. Wir uͤbertreiben leider! nicht. Die franzoͤsischen Zeitungen sind freilich erlaubt, die meisten aber duͤrfen nicht unter Kreuzband nach Preu- ßen kommen, so daß Ein solches Blatt mehr als 400 Thaler an jaͤhrlichem Postporto kosten wuͤrde; nur der Schein ist gewahrt, der Sache nach aber eine solche Er- laubniß und ein Verbot ein und dasselbe. Anders ver- faͤhrt man mit den deutschen Zeitungen. Sind deren Redacteure nicht schon in ihrem eigenen wohlverstande- nen Interesse auf ihrer Hut, nehmen sie uͤber Preußen oder preußische Beamte einen in Berlin mißfaͤlligen Artikel auf, so werden an sie von Seiten des preußischen Ministeri- ums (dem Zweifler sind wir dies durch Actenstuͤcke dar- zuthun bereit) Vorwuͤrfe und Reclamationen gerichtet, Angabe ihrer Correspondenten drohend verlangt und nur unter demuͤthigenden Bedingungen der eintraͤgliche preußi- sche Markt ihnen fernerhin offen gelassen. Die praͤventive (vorkehrende) Censur hat vernuͤnf- tiger Weise nur das zu streichen, was der Richter, wenn's gedruckt waͤre, bestrafen wuͤrde. Eine Censur aber, die also wie in unserem Vaterlande gehandhabt wird, hoͤrt auf eine rein praͤventive zu sein: sie wird zu einer anmaßenden Bevormundung, zu einer wahrhaften Unterdruͤckung der oͤffentlichen Meinung und fuͤhrt endlich zu einer — hoͤchst bedenklichen, dem Volke und dem Koͤnige gleich gefaͤhrli- chen Eigenmacht der Beamten. Wie es in einem Lande, wo man so peinlich jede der Regierung mißliebige Aeußerung bewacht, mit der Vertretung des Volkes stehe, laͤßt sich leichtlich errathen. Wenn man die unbe- dingten (meist beamteten) Vertheidiger des Bestehenden fragt, jene Schriftsteller, deren Dienstbeflissenheit es so trefflich versteht Muͤcken zu seigen und Kameele zu ver- schlucken, so hoͤrt man alsbald die Communal-Verfassung, die Kreis- und Provinzial-Staͤnde als repraͤsentirende Or- gane des Volksbewußtseins, als genuͤgende Garantien der Zukunft lobpreisen. Daß diese Einrichtungen aber, so lange sie nicht in oͤffentlich berathenden Reichsstaͤnden ihre nothwendige Ergaͤnzung erhalten, schlimmer als gar keine Vertretung, naͤmlich bloße Schein vertretung sind, wird aus dem Folgenden sich nur zu augenfaͤllig ergeben. In Betracht der Communal-Verfassung muß vor allem die Staͤdte-Ordnung von 1808 von der revi- dirten des Jahres 1831 wohl unterschieden werden. Er- stere traͤgt den lieberalen Charakter der damaligen Zeit und achtet der Buͤrger Selbststaͤndigkeit; die zweite wird uͤberall von der Jetzt-Regierung beguͤnstigt und den Staͤd- ten dringend anempfohlen. Waͤhrend man 1808 keinem unbescholtenen Einwohner der Stadt das Buͤrgerrecht versagte (§. 19. d. St.-Ord.), wird von der revidirten Staͤdte-Ordnung (§. 14. 15.) ein nicht unbedeutender Census verlangt; waͤhrend 1808 die Wahl der Stadt-Verordneten nach Zuͤnften und Cor- porationen ausdruͤcklich verboten wurde (§. 73.), ordnet das neue Gesetz eine derartige Wahl foͤrmlich an (§. 51. u. 52.). Waͤhrend die aͤltere Staͤdte-Ordnung jeden stimm- berechtigten Buͤrger fuͤr waͤhlbar erklaͤrt (§. 84.), verlangt die revidirte in kleineren Staͤdten ein Einkommen von 200 Thlr., in groͤßeren von 1200 Thlr. (§. 56. u. f.) Waͤhrend die Veraͤußerung staͤdtischer Grundstuͤcke fruͤher von den Stadtverordneten allein abhing (§. 189.), macht die Staͤdte-Ordnung von 1831 selbst hierzu die Erlaub- niß der Regierung nothwendig (§. 117.); der Magistrat, nach dem aͤlteren Gesetze eine allein staͤdtische Behoͤrde, ist nach dem neuen vorwaltend ein von der Regierung durch- aus abhaͤngiges „Organ der Staats gewalt“ (§. 84, 104 u. 105); die Regierung d. h. die Minister koͤnnen, durch kein Gesetz beschraͤnkt, die Wahlen der Buͤrger an- nulliren und bei „Unangemessenheit“ (!) oder „Verzoͤgerung“ der Wahl die Stellen auf Stadt-Kosten commissarisch verwalten lassen (§. 93.). Die Regierung d. h. die Mi- nister koͤnnen die Magistrats-Mitglieder wegen „mangel- hafter Dienstfuͤhrung“ (!) absetzen und alsdann die Groͤße ihrer Pension bestimmen (§. 99. 100.); — der Buͤrger- meister, dessen Stelle im Falle „unangemessener“ Wahl von der Regierung besetzt wird (§. 93.), ist befugt die Beschluͤsse des Magistrats zu suspendiren und daruͤber nur der Regierung d. h. den Ministern Verantwortlichkeit schul- dig (§. 108.); endlich steht es gar den Ministern (das Gesetz sagt: dem Koͤnige) frei die Stadtverordneten-Ver- sammlung „bei Parheiungen in derselben“ (!) aufzuloͤsen, oder die Schuldigen auszuschließen (§. 83.), ja selbst un- ter Umstaͤnden den Gemeinden die Staͤdte-Ordnung ganz zu entziehen (§. 139.). Von allem Diesem enthielt die aͤltere Staͤdte-Ordnung kein Wort. Die genannten und viele andere Unterschiede der bei- den Gesetze wuͤrden von selbst in die Augen fallen, wenn man bei der Zusammenherausgabe beider die einzelnen §§. dem Inhalte nach, nicht — wie weislich geschehen — der Zahl nach gegenuͤber gestellt haͤtte; eine Vergleichung beider Ordnungen waͤre dann aber freilich dem Leser zu leicht geworden und haͤtte einen zu factischen Pruͤfstein fuͤr die Beurtheilung der damaligen und jetzigen Richtung darge- boten. — Wo die Staͤdte-Ordnung von 1831 gilt (und nur diese darf jetzt neu eingefuͤhrt werden), ist nach Obigem der gesetzliche Einfluß des Cabinets schon maͤchtig genug; anders dagegen in Staͤdten, die das Gesetz von 1808 noch nicht mit dem revidirten vertauscht haben: da hier das Recht der Regierung großen Theils nur auf die Ein- sicht der Rechnungs-Extracte beschraͤnkt ist, muß man freilich der Gleichfoͤrmigkeit wegen auf allmaͤhlige Erwei- terung der Schranken bedacht sein. Erwaͤgt man außer- dem, daß in großen Staͤdten besondere, nur von dem Minister abhaͤngige Polizeydirectionen angestellt sind, in kleinern Stadt- und Dorfgemeinden die Ortsbehoͤrden sich unter unmittelbarer Aufsicht von der Regierung besoldeter und oftmals auch von ihr ernannter Landraͤthe befinden; erwaͤgt man die den staͤdtischen Verhandlungen vollkom- men entzogene Oeffentlichkeit, die daher ruͤhrende bei Wah- len wie uͤberall sich offenbarende Gleichguͤltigkeit der ge- bildeten Classen, endlich die zweimal (im Jahre 1826 und 1833) von den liberalen rheinpreussischen Staͤnden erfolgte Ablehnung einer derartigen Gemeindeverfassung: — so wird man wohl schwerlich geneigt sein die vielgeruͤhmte preus- sische Staͤdte-Ordnung als Gegengewicht des selbststaͤndi- gen Volksbewußtseins gegen Ministerwillkuͤhr, geschweige, als ein Surrogat constitutioneller Vertretung gelten zu lassen. — Sehen wir, ob etwa die Provinzial-Staͤnde das Vermißte darbieten. Im Sinn des Gesetzes vom 22. Mai 1815 lag es allerdings, daß dies Institut durch all- maͤhlige Entwickelung zu einer wahrhaft volksthuͤmlichen Repraͤsentation heranreifen sollte. Fuͤnf und zwanzig Frie- densjahre sind seitdem verflossen; die Einrichtung der Land- tage ist unveraͤndert dieselbe geblieben, wie sie bei der er- sten des Jahres 1824 war, und diese 16jaͤhrige Dauer duͤrfte wohl als ein genuͤgender Zeitraum erscheinen, um nach den Fruͤchten ihrer Arbeit zu fragen. Die Volks- stimme hat bereits das Urtheil gesprochen; kaum wird man ein Institut auffinden koͤnnen, das eine geringere Po- pularitaͤt zu beklagen hat, das von dem gesunden Volks- verstande als eine unnuͤtzere Last betrachtet wird, als die Provinzial-Staͤnde. Gern wird man uns der Muͤhe uͤber- heben, aus den bisherigen Landtagsabschieden den Nach- weis zu fuͤhren, daß unter allen dort erledigten Gegen- staͤnden sich auch nicht ein einziger von allgemeinem Interesse befindet, daß kein nur einigermaßen erheblicher Mißbrauch abgestellt, keiner Beamten-Willkuͤhr entgegengetreten, daß die ganze Wirksamkeit zahlreicher Sessionen sich auf Er- richtung von Zucht- und Correctionshaͤusern, von Taub- stummen-, Irren- und Feuerversicherungs-Anstalten, auf Gesetze uͤber neue Straßen, Wagengeleise, Hundesteuer u. dgl. m. beschraͤnkt habe: — Gegenstaͤnde, die, großen- theils von der Regierung selbst proponirt, auch eben so gut mit Zuziehung einiger Sachverstaͤndigen durch die ge- woͤhnlichen Provinzialbehoͤrden haͤtten vermittelt werden koͤnnen. Nicht fuͤr die wuͤrdigen Mitglieder der Staͤnde-Ver- sammlung soll dies ein Vorwurf sein. Duͤrfen sie doch gesetzlich nur uͤber die Propositionen des Ministeriums und uͤber rein locale Angelegenheiten berathen, wird ihnen doch selbst jede Bitte oder Beschwerde, die sich nicht auf das Sonderinteresse der Provinz bezieht, jede Mitthei- lung an die andern Provinzial-Landtage streng untersagt, ist doch endlich, um auch die bloße Aeußerung uͤber Staats- wesen und Gesetzgebung im Allgemeinen unmoͤglich zu ma- chen, der vom Ministerium ernannte Landtagsmarschall nach Willkuͤhr jede derartige Berathung zuruͤckzuweisen ermaͤchtigt. Eine Versammlung die so mißtrauisch in ihrer Thaͤ- tigkeit uͤberwacht wird, die alles bei geschlossenen Thuͤren verhandelt und ihre Vortraͤge und Beschluͤsse nicht einmal veroͤffentlichen darf, kann wohl fuͤr Alles eher als fuͤr ein adaͤquates Organ der Volksbeduͤrfnisse gehalten werden. Es waͤre uͤberfluͤssig von ihrem vornaͤmlich auf Grund- besitz gestuͤtzten Wahlprincipe, von der verhaͤltnißmaͤßig geringen Beruͤcksichtigung der Land- und Stadt-Gemeinden und von der voͤlligen Ausschließung der geistlichen Staͤnde zu sprechen. Wenn nach allem Diesem noch irgend ein Zweifel uͤber die voͤllige Richtigkeit des Instituts in Be- zug auf die allgemeine Wohlfahrt uͤbrig bleibt, dem seien hier zwei Auctoritaͤten angefuͤhrt, wie man sie gewichtiger kaum erlangen kann: der Staatskanzler Hardenberg und die ostpreußischen Staͤnde selbst. Letztere nennen in ihrer Denkschrift vom 7. September 1840 die Provinzial-Staͤnde „eine in hemmenden Schranken veralteter Formen sich schwer bewegende Vertretung einzelner und bevorrechte- ter Staͤnde, auf welche sie zum Wohle gemeinsamen Rechtes zu verzichten bereit sind.“ und Hardenberg sagt in einer Rede an die interemistischen Repraͤsentanten: „Waͤre es moͤglich gewesen die im Edict vom 27. Oc- tober 1810 zugesagte Repraͤsentation des Volks schnell genug zu Stande zu bringen, wodurch allein ein Geist, ein Nationalinteresse, an die Stelle ihrer Natur nach immer einseitiger Provinzialansichten treten kann; — so wuͤrde der Koͤnig gern die Meinung der Repraͤsen- tanten der Nation uͤber das Steuersystem gehoͤrt haben. Eine Berathung mit den jetzt bestehenden Provinzial- staͤnden wuͤrde aber weder dazu gefuͤhrt haben die Meinung der Nation zu erfahren , noch haͤtte sie ein den Zweck erfuͤllendes Resultat liefern koͤn- nen. Dies bedarf wohl keiner Auseinander- setzung .“ — Nicht minder als die Gesezgebende ist auch die richterliche und verwaltende Staats-Thaͤtigkeit der Einsicht wie der Mitwirkung des Volkes gaͤnzlich ent- zogen. Das Gerichtsverfahren ist in Preußen von Anfang bis zu Ende ein heimliches und einzig und allein in Haͤn- den besoldeter, vom Cabinet eingesetzter Beamten. Die Unpartheilichkeit wird bei gewoͤhnlichen Faͤllen nicht leicht fehlen, wo aber irgend die Minister, oder was sie den Staat nennen betheiligt ist, duͤrfte diese Richtertugend in eine harte Collision mit den persoͤnlichen Interessen gera- then; denn — abgesehen von dem subordinirten Verhaͤlt- nisse — ist Gehaltserhoͤhung, Befoͤrderung, Versetzung Bis zum J. 1832 konnte kein Justizbeamter wider seinen Willen versetzt werden. Seitdem aber wird in den Be- stallungs-Patenten nicht mehr wie fruͤher der Ort ihrer kuͤnf- tigen Wirksamkeit genannt, sondern es erfolgt die Anstellung , 2 die ganze Zukunft jedes Justizdieners von dem Willen des Ministers abhaͤngig: Conduitenlisten, von den oberen Be- amten uͤber die unteren gefuͤhrt, muͤssen alljaͤhrlich den Ministerien eingeschickt werden, und nur der willenlose Gehorsam, das unbedingte Eingehen in Ansichten, Mei- nungen und Wuͤnsche der Minister darf auf Belohnung, aͤußere Ehre, Foͤrderung rechnen. So weit geht in Preus- sen die Unterordnung der richterlichen Gewalt unter die ausuͤbende, daß alle Erkenntnisse in Untersuchungen wegen Hochverraths, Landesverraͤtherei oder beleidigter Ma- jestaͤt und uͤber alle Verbrechen, wenn auf Ehrenverlust, Todesstrafe, oder lebenswieriges (fruͤher selbst auf mehr als drei Jahre) Gefaͤngniß erkannt worden, — der mi- nisteriellen Bestaͤtigung unterliegen und vor derselben, „weil sie bis dahin nur als Gutachten anzusehen“, zur Publikation nicht geeignet sind. Werden die zur Bestaͤti- gung eingehendenden Urtel nach dem Gutachten eines An- dern Gerichtshofes abgeaͤndert, so fertigt dieser ein Er- kenntniß „im Auftrage des Justiz-Ministeriums “ „ fuͤr die ganze preußische Monarchie “; sonach sind sie nicht mehr gegen willkuͤhrliche Versetzung geschuͤtzt. — Die Dienstentlassung der Justizbeamten kann in Preußen frei- lich nicht ohne richterliches Erkenntniß stattfinden, ausgenommen davon sind jedoch die, welche als Vertheidiger der Angeklagten gerade die freiste und unabhaͤngigste Stellung einnehmen sollten, die Justiz-Commissarien . Diese koͤnnen jetzt auch ohne vorangegangenen Rechtsspruch auf bloß administrativem Wege (d. h. durch die Minister) außer Thaͤtigkeit gesetzt werden. aus, das dem ersten Gerichtshofe zur Publication uͤber- sendet wird. (Ergaͤnzung. z. Pr. Cr. R. herausgegeben v. Graͤff, Koch etc. 1838. I . pag. 155-157.) Die Cabinets-Ordre v. 25. Januar 1823 befiehlt ferner, daß — wenn bei Prozessen zwischen Privatleuten, oder zwi- schen Privaten und dem Staate (!) eine in Staatsver- traͤgen enthaltene Bestimmung zur Entscheidung der Sache beitraͤgt, die Gerichte „ ohne Unterschied , ob der preu - ßische Staat bei Abfassung der Vertraͤge con - currirt oder nicht ,“ „ vor Abfassung des Er - kenntnisses “ die Aeußerung des Ministers einholen und bei der Entscheidung lediglich darnach zu achten ha- ben (siehe Kluͤber Selbststaͤndigkeit des Richteramts etc.) — Und trotz alledem mißtraut man der richterlichen Willfaͤhrigkeit; denn nicht selten (wie bei sog. Staats- vergehen) werden Special-Commissionen ernannt oder wohl gar polizeylich-administrative Maßregeln beliebt. Hieher gehoͤrt z. B. das Gebot fuͤr die rheinischen Justizbehoͤr- den, sich in die Verhaftungen von Demagogen nicht eher zu mischen, als bis die Administration die Sache dem Gerichte uͤbergeben werde. (Cab. Ordr. v. 21 Augst. 1819, nie foͤrmlich publicirt und erst im Jahre 1824 durch Lottners Sammlung III . 569, bekannt geworden). Eine fernere Cab. Ord. v. 15. Januar 1825 ermaͤchtigt die rheinischen Polizeibehoͤrden , nach den Gesezen der alten Provinzen zu verfahren und mit Gefaͤngniß oder Zwangsarbeit von 8 Tagen bis 4 Wochen (ohne Con- curenz der Justiz ) zu strafen. 2* Wenn demungeachtet nicht geleugnet werden kann, daß der Preuße im Allgemeinen Vertrauen zu seiner Justiz hege, so ist dasselbe wohl mehr auf Glauben als auf Ueberzeugung, mehr auf Personen als Verhaͤltnisse ge- gruͤndet. — So viel von Preußens-Rechtspflege. Ueber die Administration des Staats ruht gleichfalls ein dem Volke undurchsichtbarer Schleier des tiefsten Geheimnis- ses; jede derartige Veroͤffentlichung, ja jede Mittheilung wird als eine strafbare Amtsuntreue angesehn und so dem Volke mit der Einsicht zugleich jede Controlle uͤber den Stand seiner eigenen Angelegenheiten unmoͤglich gemacht. Selbst die Verausgabung der erhobenen Steuern geschieht ohne Rechnungsablage. Zwar bestimmt eine Cab. Ord. vom 17 Janu. 1820, daß „der Haupt-Finanzetat von drei zu drei Jahren zur oͤffentlichen Kenntniß kommen soll,“ allein seit 1820 bis jetzt, also in 20 Jahren ist dies nur dreimal (1821, 1829 und 1832) geschehen, und auch da nur in solcher Unvollstaͤndigkeit und Ober- flaͤchlichkeit, Siehe Hansemann Preußen und Frankreich. Leipzig, II . Auflage. — Das den franzoͤsischen Kammern jaͤhrlich vorgelegte Budget fuͤllt einen starken Octavband; das preußische kaum eine Octavseite. daß wohl schwerlich daraus, wie es in jenem Edict heißt, „jeder Buͤrger sich vollstaͤndig uͤberzeu- gen koͤnne, daß nichts mehr als das strengst Nothwen- dige zum Staatshaushalte an Abgaben gefordert werde.“ — — Die Minister und deren Beamte allein sind in das Geheimniß der Verwaltung eingeweiht; sie selber schweigen aber und — wer spraͤche ohne ihren Willen?! wie hier so uͤberall ist Wissen und Handeln Monopol der Minister; ihr ergebenes Dienerpaar Censur und Poli- zey wacht daruͤber, daß keine andere Meinung, keine an- dere Thaͤtigkeit sich geltend mache, als die ihrige; ihnen untergeordnet ist Alles; Gesetzgebung wie Rechtspflege, Schule wie Kirche, Steuereinnahme wie Steuerverwen- dung; in ihnen sammelt, regt und verzehrt sich das ganze Leben des Staats. Das Volk — ohne thaͤtigen An- theil an diesem Leben, ohne Einsicht und Controlle der sein Eigenthum, seine Person und sein Wohl betreffende Verhandlungen muß in der Oeffentlichkeit fremdlaͤndischer Zustaͤnde Befriedigung fuͤr seinen politischen Lebensdrang suchen; die außerbeamtliche Intelligenz — stets bevormun- det und ausgeschlossen von jeder Einwirkung auf die Ver- haͤltnisse des Vaterlands — wendet sich mit immer rege- rer Theilnahme der staatlichen Entwickelung Englands und Frankreichs zu, und buͤßt so nothwendig immer mehr des nationalen Selbstgefuͤhls ein. — — Bedarf es nun noch unserer Antwort auf die obige Frage, ob der politische Antheil des preußischen Volkes mit seinem Culturgrade im richtigen Verhaͤltnisse stehe? — Das unleugbare Mißverhaͤltniß zu beschoͤnigen, pflegen offizielle Apologeten eben diese musterhafte Volksbildung als ein Verdienst der jetzigen Regierungsform und daher die unveraͤnderte Fortdauer derselben als wuͤnschenswerth anzusprechen; sie uͤbersehen aber daß selbst die beste Schule ihre Zoͤglinge nicht fuͤr immer behalten kann, vielmehr je reifer sie sind desto eher sie zur Selbststaͤndigkeit zu entlassen verpflichtet ist. Und ist's denn wirklich das gegenwaͤrtige Staatsregiment, dem wir die hohe Cul- turstufe verdanken? Von der in Preußen vorhandenen politischen Bildung wird dieß wohl Niemand behaupten; und auch die sonstige — sittliche wie geistige — Volks- bildung, ist sie nicht vielmehr Folge jener großartigen, fuͤr Preußen so uͤberaus wichtigen Erziehungs- und Ge- sezgebungs-Epoche der Jahre 1807 bis 1819? sind die damaligen liberalen Principien noch die der jezigen Regierung? Hat man die volksthuͤmlichen Institutionen jener Zeit weiter entwickelt, oder war man sie zuruͤckzuschrau- ben bedacht? Ist seit dem die Mitwirkung der selbststaͤn- digen Buͤrger erweitert oder beschraͤnkt worden? — Wir haben schon oben diese Frage durch Facta beantwortet und wollen zur Bekraͤftigung hier nur noch die Worte eines Mannes anfuͤhren, der — wenn irgend einer — die vaterlaͤndischen Zustaͤnde zu durchschauen geeignet ist. „Wir werden,“ so schildert der Staatsminister v. Stein Preußens Gegenwart, — „wir werden von besoldeten Buchgelehrten , interessenlosen ohne Eigenthum seienden Bureaulisten regiert; — das geht so lange es geht. — Diese vier Worte enthalten den Geist unserer und aͤhnlicher geistlosen Regierungsmaschienen. Besoldet , also Streben nach Erhaltenen und Vermehren der Besolde- ten; — buchgelehrt , also lebend in der Buchstaben- welt und nicht in der wirklichen; — interessenlos , denn sie stehen mit keiner der den Staat ausmachenden Buͤrger- klasse in Verbindung; sie sind eine Classe fuͤr sich, die Schreiberkaste; — eigenthumslos , also alle Bewegun- gen des Eigenthums treffen sie nicht? es regne oder schei- ne die Sonne, die Abgaben steigen oder fallen, man zer- stoͤre alte hergebrachte Rechte, oder lasse sie bestehen, — alles das kuͤmmert sie nicht. Sie erheben ihren Gehalt aus der Staatskasse und schreiben, schreiben, schreiben im stillen mit wohlverschlossenen Thuͤren versehenen Buͤreau unbekannt, unbemerkt, ungeruͤhmt und ziehen ihre Kinder wieder zugleich brauchbaren Schreibmaschienen an.“ — „Eine Maschienerie (die militairische) sah ich fallen 1806 den 14. October, vielleicht wird auch die Schreib- maschinerie ihren 14. October haben! — — Das ist das Gebrechen des theuern Vaterlandes: Beamtenallgewalt und politische Nichtigkeit sei - ner selbststaͤndigen Buͤrger . Wie uͤber die Krank- heit, so ist auch uͤber das Heilmittel bei den Vaterlands- freunden kein Zweifel: Oeffentlichkeit heißt es und wahre Vertretung ! — Und das ist es eben, was der ostpreußische Postu- laten-Landtag seinem Koͤnige offen und maͤnnlich aus- sprach. Die Staͤnde entsagen der veralteten Form die ihnen nur einen Scheinantheil an den oͤffentlichen Angele- genheiten verstattet; im Bewußtsein der eigenen Reife wollen sie wahrhaft Theil haben am Leben des Staa- tes — mitwissend und mitwirkend. Nicht um eine Ga- rantie bloß ist's ihnen zu thun, sondern um Befriedigung eines tief gefuͤhlten Beduͤrfnisses. Dem Koͤnige vertraut das Volk; denn es weiß, daß er nur das Gute will. Nicht also den Ministern. Ob mit oder ohne Grund — allgemein ist im Lande die Meinung verbreitet, das sie der Oeffentlichkeit und dem politischen Fortschritte feind — mehr in dem Gehorsame der Beamten als in der Liebe selbststaͤndiger Buͤrger die Stuͤtze des Thrones suchen; man ist besorgt wegen ihrer Liebe fuͤr laͤngst verjaͤhrte Institutionen, wegen ihrer Neigung zum Pietismus, der dem gesunden religioͤsen Sinne des Volkes nicht zusagt; man fuͤrchtet Bevorzugung einer Provinz vor der andern, Ueberschaͤtzung der eigenen Staatsweisheit und Intoleranz gegen Jeden, der (um die Worte eines preußischen Mini- sters zu brauchen) „der Maasstab seiner geringen Ein- sicht an die Befehle der von Gott eingesetzten Obrigkeit anzulegen sich erdreistet.“ Nur freie Publicitaͤt und Ver- tretung koͤnnen uͤber die Wahrheit oder Unwahrheit jener patriotischen Befuͤrchtungen Aufschluß geben. Wenn die Beduͤrfnisse, Wuͤnsche und Beschwerden des Volkes durch selbststaͤndige Vertreter unmittelbar zum Throne gelan- gen, dann erst ist Koͤnig und Volk sicher vor jener Be- amten Eigenmacht, die Friedrich Wilhelm III . so treffend geschildert, dann erst wird Fuͤrst und Volk Eins, und Preußen die seiner Bildung angemessene Stelle im Ge- sammtvaterlande erhalten und behaupten. Gestaͤrkt durch das Vertrauen des constitutionellen Deutschlands, wird es jeder feindlichen Macht gegenuͤber fest und wuͤrdig da- stehen, — eine unbezwingliche Waffe gegen die hereindrin- gende Barbarei des Nordens, ein Medusenschild gegen die Uebergriffe des Westens. Das ist es, was die ostpreußischen Staͤnde wollten und in ihren Denkschriften — so deutlich es einem Koͤ- nige gegenuͤber ziemte — auszusprechen den Muth hatten. — II. Was berechtigte die Stände zu solchem Verlangen? Das Bewußtsein eigener Muͤndigkeit und ihre am 22. Mai 1815 factisch und gesezlich erfolgte Muͤndig- sprechung. — Die Reife des Volks fuͤr eine Gesammtvertretung haben wir schon oben dargethan. Hier daher nur einige Worte uͤber die historische Berechtigung. Es ist oftmals ausgesprochen worden, Preußens Be- stimmung sei die Fruͤchte der franzoͤsischen Revolution auf friedlichem Wege sich anzueignen. Im gleichen Sinne und mit groͤßerem Rechte koͤnnte man es Preußens Be- stimmung nennen, dem deutschen Volke das , was es durch fruͤhere Umwaͤlzungen verloren hat, wiederzugeben: denn der Grundgedanke neuerer Repraͤsentativverfassung: kein Gesetz ohne Zustimmung der Volksvertreter ! liegt schon baar und klar in dem altdeutschen Rechtssatze: „ wo wir nicht mitrathen, wollen wir auch nicht mitthaten “. Die Geschichte lehrt, daß die Preussen unter ihren Kurfuͤrsten und unter Friedrich II. mehr als irgend ein anderer Stamm zur Aufloͤsung deutscher Einheit beitrug; die Zukunft wird lehren, ob sie fuͤr das Zerstoͤrte den deutschen Bruͤdern einen geistigen Ersatz zu bieten be- stimmt sind. — Das Jahr 1807 zertruͤmmerte die preussische Mo- narchie. Der Gedanke, daß dazu eine einzige Schlacht — nicht so entscheidend wie die bei Kunersdorf — hin- reichte, mußte das Gemuͤth jedes Vaterlandsfreundes er- schuͤttern und seinen Blick auf die Gebrechen lenken, durch welche so unglaubliche Folgen moͤglich geworden. Da offenbarte sich, was bisher dem Lande gefehlt und was allein es zu retten im Stande war. Mit dem Edelsten, was ihr verblieb, fluͤchtete die Monarchie zu ihrer Wiege, um neuverherrlicht wieder zu erstehen. In der Stadt, wo Kant die Welt erleuchtete, wo annoch seine Freunde, Maͤnner von Tiefsinn und hoher Rechtlichkeit weilten, fand der ungluͤckliche Koͤnig jene er- habene Weltansicht, welche die fuͤrchterlichsten Bedruͤckun- gen nur als einen nothwendigen Uebergang betrachten laͤßt, — fand Stein jene edle Genossenschaft, die ihm in der Wiedergeburt des Staates thatkraͤftig zur Seite stand. Fuͤrst und Volk — bisher von einander getrennt durch ein stehendes Soldaten- und Beamtenheer — mußten in gegenseitiger Liebe vereint, der unterdruͤckte Nationalgeist be- lebt, die thaͤtigste Mitwirkung der freien Buͤrger in An- spruch genommen werden. Große Reformen wurden da- mals mit Bedacht erwogen und mit Schnelligkeit ausge- fuͤhrt. Durch das Gesetz vom 9. October 1807, betreffend den erleichterten Besitz und freien Gebrauch des Grund- eigenthums wurden nicht nur die zeitherigen Fesseln der Erbunterthaͤnigkeit geloͤst, sondern auch eine factische Gleichstellung aller Staͤnde bewirkt . — Die Staͤdteordnung vom 19. November 1808 hob die jeden Gemeinsinn ertoͤdtende Bevormundung der Communen auf und erklaͤrte den Buͤrger fuͤr selbststaͤndig und muͤndig. — Das Gesetz vom 26. December 1808 wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizey- und Finanz-Be- hoͤrden schaͤrfte den Verwaltungsbeamten das Bewußtsein, daß „sie selber Buͤrger sind und bleiben, auch wenn ihnen Staatsaͤmter vertraut worden; daß auf der Wohlfahrt ihrer Mitbuͤrger nur die Wohlfahrt des Staats und des Regenten beruht.“ Auch landstaͤndische Repraͤsentanten sollten „ mit voller Stimme “ an den Regierungsge- schaͤften Theil nehmen, „um den Geschaͤftsbetrieb mehr zu beleben und durch ihre Sach- und Personen-Kenntniß zu vereinfachen. Sie sollten sich selber von der Rechtlichkeit und Ordnung der oͤffentlichen Staatsverwaltung naͤher uͤber- zeugen und diese Ueberzeugung in der Nation gleichfalls erwecken und befestigen.“. (s. Sammlung preuss. Ges. und Verordng. v. 1806 bis 1810. Berlin 1822). Ist gleich die hier ausgesprochene Theilnahme landstaͤndischer Repraͤ- sentanten nicht in Ausfuͤhrung gekommen, so lebt doch ihre Bestimmung in dem Bewußtsein der Ostpreußen fort: die Regierung kann, was sie Freisinniges geweckt, unter- druͤcken, aber nicht ertoͤdten. Diese drei wichtigen, im Verlauf weniger Monate er- lassenen Gesetze waren ganz dazu geeignet, eine tuͤchtige Na- tionalrepraͤsentation vorzubereiten, — eine Nationalrepraͤ- sentation, welche das Band zwischen Fuͤrsten und Volk fester knuͤpfen und dem zertruͤmmerten Vaterlande seine Bedeutsamkeit im europaͤischen Staatenbunde wiedererrin- gen sollte. Daß dies Stein 's Absicht gewesen, geht au- genfaͤllig aus dem Circularschreiben Der Entwurf zu diesem sogenannten Stein 'schen Testament ist von der Hand des jetzigen Oberpraͤsidenten v. Schoͤn . hervor, welches er kurz vor seinem durch Napoleon gebotenen Abgange (Ende November 1808) an die obersten Behoͤrden der Preußischen Monarchie erließ. Folgende Stelle dieses merkwuͤrdigen Actenstuͤckes moͤge hier einen Platz finden: „Eine allgemeine Nationalrepraͤsentation ist erforder- lich. Heilig war mir und bleibe das Recht und die Ge- walt unseres Koͤnigs. Aber damit dieses Recht und diese unumschraͤnkte Gewalt das Gute wirken kann, was in ihr liegt, schien es mir nothwendig, der hoͤchsten Gewalt ein Mittel zu geben, wodurch sie die Wuͤnsche des Volks kennen lernen und ihren Bestimmungen Leben geben kann. Wenn dem Volke alle Theilnahme an den Opera- tionen des Staats entzogen wird, kommt es bald dahin, die Regierung theils gleichguͤltig, theils in Opposition mit sich zu betrachten. Daher der Widerstreit oder wenigstens Mangel bei Aufopferung fuͤr die Existenz des Staats. Wo Repraͤsentation des Volks unter uns bisher stattfand, war sie hoͤchst unvollkommen eingerichtet. Mein Plan war daher: jeder active Staatsbuͤrger, er besitze 100 Hufen oder eine, er treibe Landwirthschaft oder Fabrikation; er habe ein buͤrgerliches Gewerbe oder sei durch geistige Bande an den Staat geknuͤpft, habe ein Recht zur Repraͤsentation. Mehre mir eingereichte Plane sind von mir vorge- legt. Von der Ausfuͤhrung oder Beseitigung eines Plans haͤngt Wohl und Wehe unseres Staats ab ; denn auf diesem Wege allein kann der Nationalgeist er- weckt und belebt werden.“ — Auf demselben Wege, den Stein gebahnt, schritt Hardenberg wieder entschieden vor; er uͤbertrug auf den ganzen Staat, was seinem Vorgaͤnger nur fuͤr Ostpreußen und Litthauen zu thun verstattet war. In schneller Folge wurde dem Adel die Steuerfreiheit genom- men (27. October 1810), die geistlichen Guͤter zur Til- gung der Staatsschuld eingezogen (30. October 1810), allgemeine Gewerbfreiheit statt des fruͤheren Zunftzwanges eingefuͤhrt (2. November 1810) und durch das denkwuͤr- dige Gesetz vom 14. September 1811 (uͤber Abloͤsbarkeit der Frohnen) die Bauern zu freien Eigenthuͤmern gemacht. Daß bei allen diesen Einrichtungen Hardenberg , ebenso wie sein Vorgaͤnger, stets eine kuͤnftige Volksvertre - tung im Auge hatte, spricht das von ihm gegengezeich- nete Finanz-Edict vom 27. October 1810 klar aus. In demselben sagt der Koͤnig: „Wir behalten uns vor, der Nation eine zweckmaͤßig eingerichtete Repraͤsentation, so - wohl in den Provinzen als fuͤr das Ganze zu geben, deren Rath wir gern benutzen und in der wir un- seren Unterthanen die Ueberzeugung fortwaͤhrend geben werden , daß der Zustand des Staats und der Finanzen sich bessere “ u. s. w. Und so wurde schon im Februar 1811 eine interi- mistische Volksrepraͤsentation in Berlin versammelt, un- ter deren Mitwirkung eine Reihe der freisinnigsten orga- nischen Gesetze zu Stande kam. Hardenberg's am 23. Februar 1811 im Namen des Koͤnigs gehaltene Eroͤff- nungsrede Eine Stelle aus dieser denkwuͤrdigen Rede, die Unzulaͤnglichkeit der Provinzialstaͤnde mit blos berathender Stimme betreffend, haben wir schon oben angefuͤhrt. — begann mit den Worten: „Wie ein guter Vater von seinen Kindern, fordert der Koͤnig von seinen treuen Unterthanen nicht bloß Ge- horsam, er wuͤnscht Ueberzeugung bei ihnen her - vor zu bringen , daß seine Verfuͤgungen nur ihr wah- res Wohl bezielen; — er will seine Anordnungen lieber hierauf begruͤndet sehen , als auf seinen Willen “ u. s. w. — Nach Beendigung der Arbeiten (im September d. J.) sprach im Namen saͤmmtlicher Deputirten Graf v. Hen - kel - Donnersmark : „Je wichtiger die Gegenstaͤnde sind, die jetzt entschie- den wurden, um so dankbarer erkennen wir die Gnade, mit welcher Se. Majestaͤt durch Gewährung einer Nationalrepraͤsentation uns bewiesen haben“ u.s.w. So wurde Preußen durch sein Geschick selbst auf die Bahn constitutioneller Entwickelung gedraͤngt; der Erfolg ward durch die Geschichte der naͤchsten Jahre in seiner vollen sittlichen Kraft dargethan. Als die Stunde des Schicksals schlug, stand Ostpreußen mit seinem Tu- gendbunde, seiner Landwehr gewaffnet und geruͤstet da; es erhob sich zuerst, es erhob sich in froher Begeisterung, das gekraͤnkte Koͤnigshaus zu raͤchen und das Fremdenjoch vom Vaterlande abzuwaͤlzen. Fuͤrst und Volk ward wie- der Eins, wie in jenen gewaltigen Urzeiten, der altger- manische Geist erwachte und — die ungerechte Macht fand ihren Untergang. Nach der Siegesfreude hoffte vor allem Preußen ei- ner schoͤnen Zukunft entgegen zu gehen. Unter den Fuͤrsten Deutschlands hatte Friedrich Wilhelm allein Alles seinem Volke und dieses wiederum ihm seine nationale Selbst- staͤndigkeit, die Bedingung jeder weitern Fortbildung, zu verdanken. Vor allen Staaten Deutschlands war Preu - ßen in seiner inneren Entwickelung am weitesten vorge- schritten, vor allen Staaten Deutschlands stellte Preußen auf dem Wiener Congresse die freisinnigsten Antraͤge und drang am eifrigsten auf Volksrepraͤsentation. In dem am 13. September 1814 dem Fuͤrsten Metternich von Hardenberg mitgetheilten Entwurfe einer deutschen Verfassung heißt es (Art. 7.) von den Landstaͤnden: „ihre Befugnisse sollen zugleich sein ein naͤher zu bestimmender Antheil an der Gesetzgebung, Verwilligung der Landes- abgaben, Vertretung der Verfassung bei den Landesherrn und bei dem Bunde “ (!). — Und dieses Wort ward in Preußen zur That . Friedrich Wilhelm der Gerechte, eingedenk seines Verspre- chens von 1810, eingedenk der Versammlung interemisti- scher Repraͤsentanten von 1811, gab unterm 22. Mai 1815 die allbekannte Ver- ordnung uͤber die zu bildende Repraͤsentation des Volks . Sie lautet: §. 1. Es soll eine Repraͤsentation des Volkes gebildet werden. §. 2. Zu diesem Zwecke sind die Provinzialstaͤnde u. s. w. §. 3. Aus den Provinzialstaͤnden wird die Versamm- lung der Landesrepraͤsentanten gewaͤhlt, die in Berlin ihren Sitz haben soll . 3 §. 4. Die Wirksamkeit der Landesrepraͤsentanten erstreckt sich auf die Berathung uͤber alle Gegenstaͤnde der Gesezgebung — —, mit Einschluß der Besteuerung . §. 5. Es ist ohne Zeitverlust eine Comission in Ber- lin niederzusetzen, die aus einsichtsvollen Staatsbeam- ten und Eingesessenen der Provinzen bestehen soll. §. 6. Diese Commission soll sich beschaͤftigen: a) mit der Organisation der Provinzialstaͤnde; b) mit der Organisation der Landesrepraͤsen- tanten ; c) mit der Ausarbeitung einer Verfassungsur- kunde nach den aufgestellten Grundsaͤtzen. — §. 7. Sie soll den 1. September d. Jahres zusam- mentreten. Man beachte es wohl! nicht ein bloßes Versprechen liegt uns hier vor, sondern ein nicht umzudeutentes Koͤ- nigswort, — ein Gesez . — Auf den 22. Mai 1815 folgen truͤbe Jahre, uͤber welche wir so schnell als moͤglich hinwegeilen. Im Mi- nisterio entstand — man sagt, das Oestrereich seine Be- sorgniß vor zu kraͤftiger Geistesbewegung geltend machte — eine Reactionsparthei; die Deputirten, welche sich am 1. September in Berlin versammeln sollten, wurden nicht einberufen; das Verfassungswerk ruhte trotz der dem Bundestage uͤbergebenen Note v. 5. Febr. 1818, und die von Goͤrres uͤberreichte Mahn-Adresse der rheinischen Landschaft (12. Januar 1818) ward bei Hofe sehr miß- faͤllig aufgenommen. Durch die Cabinets-Ord. v. 31. Maͤrz 1817 (Einsetzung des Staatsraths) wurde die Ent- werfung einer Verfassungsurkunde befohlen, dieselbe aber — im Widerstreit mit dem §. 5 des Edicts v. 22. Mai — nur Staatsbeamten uͤbertragen. Im Juli 1819 vollendet, blieb sie ununterzeichnet in der Staats-Canz- lei; statt der allgemeinen erwarteten Bekanntmachung er- folgten polizeiliche Verhaftungen, Inquisitionen wegen demagogischer „Umtriebe“ und — die Karlsbader Be- schluͤsse; Censur-Edicte unterdruͤckten die oͤffentliche Stim- me und das freiere Wort verhallte in Gefaͤngnissen. — Erst 1823 — acht Jahre nach der Verordnung uͤber die „ohne Zeitverlust“ zu bildende Volksrepraͤsenta- tion — erschien das Gesez uͤber Errichtung der Provinzi- alstaͤnde; Reichsstaͤnde wurden darin als bevorstehend an- gekuͤndet. Siebenzehn neue Jahre verflossen, — die Pro- vinzialstaͤnde warteten vergebens auf ihre gesezliche Er- gaͤnzung: die Reichsstaͤnde. Stimmen des Mißbehagens uͤber buͤreaukratische Erstarrung wurden indessen laut, und der westphaͤlische Landtag erinnerte (i. J. 1830) einstim- mig , an das unvollendete Verfassungswerk; — die reich- staͤndische Versammlung unterblieb nach wie vor. Das Edict v. 17. Januar 1820 hatte die Staatsschuld wie jede kuͤnftige Anleihe „unter die Garantie der Reichs- staͤnde“ gestellt; — Die garantirenden Reichsstaͤnde aber existirten und existiren noch immer — nur allein in der Gesezsammlung und in der Hoffnung des preußi- schen Volkes. 3* Und diese Hoffnung des preußischen Volkes auszu- sprechen, — wer war mehr dazu geeignet als der Koͤ- nigsberger-Huldigungslandtag?! Von seinem Koͤnige auf- gefordert, nach altherkoͤmmlichem Brauche „die Bestaͤti- gung etwa noch bestehender Privilegien in Antrag zu bringen,“ beschloß der Landtag mit 87 Stimmen gegen 5, die Verfassungsrechte zu wahren und Sr. Maj. an die bereits durch das Edict v. 22. Mai 1815 gesezlich gewaͤhrte, aber factisch noch immer nicht ins Leben getre- tene Volksrepraͤsentation zu erinnern. Ostpreußen arm und wenig beachtet, noch wund von jenen ungluͤcklichen Kriegsjahren hat nicht seine Leiden geklagt, vielmehr seine Noth anstaͤndig verhuͤllend die Sache des gesammten Vaterlandes in freier, maͤnnlich-loyaler Rede gefuͤhrt. Seit drei Jahrzehnten deuten Preußens Geschichte und Preußens-Gesetzgebung gleich unabweisbar auf die Noth- wendigkeit einer Volksvertretung hin; nur durch sie kann der Beamten-Willkuͤr Einhalt geschehn, nur durch sie kann des Volkes Stimme zum Throne gelangen und zwischen Regierung und Regierten das Vertrauen wieder her- gestellt werden, welches allein bei kuͤnftigen politischen Stuͤrmen (und schon ziehen die Wolken dicht zusammen) das Land vor dem Schicksale des Jahres 1807 zu schuͤ- tzen vermag. Nicht bloß berechtigt war der Huldigungs- landtag zu solcher Mahnung, er erfuͤllte dadurch eine Pflicht gegen das Vaterland und gegen den Koͤnig. — III. Welcher Bescheid ward den Ständen? Anerkennung ihrer treuen Gesinnung, Abweisung der gestellten Antraͤge und troͤstende Hindeutung auf einen kuͤnftigen unbestimmten Ersatz. Der Landtagsabschied vom 9. September 1840 be- sagt, Friedrich Wilhelm III . habe wegen der Ereignisse, die er bald nach Erlaß der Verordnung vom 22. Mai 1815 in andern Laͤndern wahrnahm, die Deutung, welche mit seinen Worten verbunden wurde, in reifliche Ueberlegung gezogen. Von den herrschenden Begriffen sogenannter allgemeiner Volks- vertretung sich fern haltend, habe er den auf geschichtlicher Entwickelung beruhenden, der deutschen Volksthuͤmlich- keit entsprechenden Weg eingeschlagen und seinem Lande die Provinzialverfassung verliehen. Dieses Werk solle auch in Zukunft treu gepflegt und einer ersprieß- licheren Entwickelung entgegengefuͤhrt werden. — 1. Insofern „die bald nach der Verordnung vom 22. Mai 1815 wahrgenommenen Ereignisse“ in dem Land- tagsabschiede nicht naͤher bezeichnet worden, duͤrfte auch jedes Urtheil uͤber die Bedeutsamkeit derselben hier unzu- laͤssig erscheinen. Vorgaͤnge in den deutschen Kam- mern koͤnnen wohl schwerlich gemeint sein. Die seit dem ersten Pariser Frieden zunehmende Unzufriedenheit Deutsch- lands wollen wir zwar — zur Ehre unseres Volkscha- rakters — keineswegs in Abrede stellen. Wenn aber auch in Folge derselben sich hie und da Irrungen zwischen Fuͤr- sten und Staͤnden erhoben, so geschah dies doch weder in so kurzen Zwischenraͤumen noch in solcher Ausdehnung, daß man darauf eine Rechtsverweigerung gruͤnden konnte. „ Wir“, — sagt Herr v. Gagern — , „wir Edelleute haben einiges Recht, die deutschen Repraͤsentativverfassungen anzuklagen, die Fuͤrsten nicht, nicht ohne Undank. In Muͤnchen, Karlsruhe, Stuttgart ist man ihnen mit Liebe nicht nur, sondern mit Enthusiasmus entgegengekommen. Mit diesem Enthusiasmus hat man die Civilisten behan- delt. So wenig — ein englisches Parlament nach den Re- densarten des Lord Cochrane oder Sir Francis Bur- dett zu beurtheilen ist, so wenig unsere Kammer nach dieser oder jener isolirten Aeußerung. Die so urtheilen, haben nicht den entferntesten Begriff von unseren fruͤhern landstaͤndischen Verhandlungen, so oft voll Sinn, Nachdruck und Vaterlandsliebe.“ Allein die Untersuchung, welche Ereignisse gemeint seien, ist auch unnoͤthig , da sie Preußen wieder bis zum 1. September 1815 (dem Termine der einzuberufen- den Reichsstaͤnde) noch spaͤter betrafen. Welchen Mißbrauch auch immerhin „in andern Laͤndern“ das Repraͤsentativ- system erfahren, in Preußen war die Regierung zu weit vorgeschritten, um die Stimme freier Diskussion zu scheuen, in Preußen war der Koͤnig von der Treue seines Volkes zu fest uͤberzeugt, um durch irgend welche Befuͤrch- tung sich von der Erfuͤllung seines Versprechens abhalten zu lassen. — 2. Schwieriger noch ist die Aufgabe, „die Mißdeu- tung, welche mit den koͤniglichen Worten verbunden wurde“, nachzuweisen. Oeffentliche Mißdeutung durch die Presse ist uns nicht bekannt, eben so wenig eine berichtigende Erklaͤrung die von Seiten des Staatsoberhaupts gegen solchen Frevel noͤthig geworden. Wo uͤberhaupt mit dem Worte zugleich die Sache so scharf und bestimmt ge- geben ist, wie in §. 3 und 4 des genannten Edicts: — „Aus den Provinzialstaͤnden wird die Versammlung der Landesrepraͤsentanten gewaͤhlt, die in Berlin ihren Sitz haben soll und deren Wirksamkeit sich auf die Be- rathung uͤber alle Gegenstaͤnde der Gesetzgebung u. s. w. erstreckt“ — ; da muß wohl jede Deutung — sie mag ein Mehr oder Weniger erzielen — nothwendig fortfallen. Den einzig moͤglichen Sinn jener Worte findet man wiederholentlich in dem Finanz-Edict vom 17. Januar 1820, in der Verordnung uͤber die zu errichtenden Provinzialstaͤnde (v. 5. Juni 1823) und in vielen nachfolgenden Gesezen aus- gedruͤckt; zum deutlichen Beweise, daß der gewissenhafte Koͤnig durch Anordnung der Provinzial staͤnde sich keines- wegs seines unter den dringlichsten Umstaͤnden gegebenen Versprechens entbunden glaubte. „Ein Koͤnig sagt nicht, wie gemeine Menschen, Verlegen zu, daß er den Bittenden Auf einen Augenblick entferne; noch Verspricht er auf den Fall, den er nicht hofft: — Dann fuͤhlt er erst die Hoͤhe seiner Wuͤrde, Wenn er den Harrenden begluͤcken kann.“ — Und in eben demselben nicht umzudeutenden Sinne hat der ostpreußische Huldigungslandtag das Edict vom 22. Mai 1815 verstanden, indem er so bescheiden als klar darauf antrug, den Provinzialstaͤnden ihre gesetz - maͤßige Bestimmung zu geben, d. i. die Versammlung der „Landesrepraͤsentanten“ aus ihnen erwaͤhlen zu lassen. 3. Unzweifelhaft ist's, daß das Institut der Pro- vinzialstaͤnde sowohl „auf geschichtlicher Entwickelung be- ruht, als auch der deutschen Volksthuͤmlichkeit entspricht.“ Die Geschichte lehrt, daß die fruͤheren Staͤnde sehr aus - gedehnte Freiheiten , wie das volle Recht der Steuer- verwilligung, besaßen und in Preußen sogar (kurfuͤrstliche Assecuration vom 12. Maͤrz 1663) uͤber Krieg und Frie- den entschieden. Die fruͤheren deutschen Landtage, — lehrt gleichfalls die Geschichte, — hatten die Aufgabe, besondere Rechte und Privilegien geschlossener Staͤnde zu vertheidigen; die daselbst zwischen Fuͤrsten und Staͤnden gepflogenen Verhandlungen glichen (wie Buͤlau es treffend ausdruͤckt) „einem Congresse zweier Maͤchte, die uͤber ihre collidirenden Interessen einen Ver- gleich schließen.“ Daß aber jene Staͤnde fuͤr ein allge- meineres Volksinteresse, fuͤr die heilige Unantastbarkeit des Vaterlands und eine glorreiche Einheit desselben aufgetre- ten, davon sind die Beispiele zu zaͤhlen. Zur Zeit wird wohl weder Fuͤrst noch Volk eine Entwickelung ersprieß- lich finden, welche den jetzigen Staͤnden die Bedeutung und Wirksamkeit ihrer Vorgaͤnger ertheilte. Will man nun einmal nicht anders als mit ruͤckwaͤrts gewendetem Blicke vorschreiten, so vergesse man doch nicht, daß in Deutschland das Princip „ allgemeiner Volksvertretung “ bei weitem aͤlter und volksthuͤmlicher ist, als das der Land-Standschaft. Historische Zeugen dessen sind Moeser, Zachariae, Welcker, Mittermaier, Feuerbach u. v. A. — Tamdiu Germania vincitur ! so klagt Tacitus uͤber die stets erfolg- losen Triumpfe der Roͤmer. Tamdiu Germania vincitur ! wie den Roͤmern wird es allen Feinden germanischer Freiheit ergehen. — — Freiheit der Gemeinde, Verant- wortlichkeit der von derselben erkorenen Obrigkeit und eine auf Gleichheit der Gemeinderechte beruhende ( nicht oc - troyirte ) Volksrepraͤsentation findet man bei den Deut- schen und uͤberall wo Deutsche hingekommen, lange vor der Entstehung des Feudalwesens. Werden wir auf die Vergangenheit hingewiesen, so wollen wir uns lieber auf die freie deutsche Eiche stuͤtzen, als den historischen Wur- zeln mittelalterlichen Feudalitaͤt nachgraben. — 4. Der Reichsstaͤnde erwaͤhnt der Landtagsabschied gar nicht, verspricht aber dafuͤr eine „ersprießlichere Ent- wickelung der Provinzialverfassung.“ — Zu der Weisheit des neuen Regenten herrscht gewiß das unbedingteste Zutrauen, aber es liegt nicht in der Macht eines Einzi- gen, Institutionen, die sich bereits uͤberlebt haben, ihre zukuͤnftige Entwickelung vorzuschreiben. Erwaͤgt man die juͤngsten Standeserhoͤhungen und die darin liegende Sug- gestion zu Majoratsstiftungen, so koͤnnte man die Absicht einer Pairieschoͤpfung nach englischem Vorbilde ver- muthen, — eine Schoͤpfung, die gerade in Preußen auf unuͤbersteigliche Hindernisse stoßen und ein ganz fremdar- tiges Element in das unaristokratische Institut der Pro- vinzial-Landtage bringen wuͤrde. — Preußen, von drei Großmaͤchten eingeschlossen, kann mit seinen 14 Millionen und seiner allgemeinen Wahrhaftigkeit uͤberall hin den Ausschlag geben, und empfaͤngt nur dieser Stellung wegen das Compliment der Ebenmaͤchtigkeit. Wie aber, wenn es fuͤr sich allein steht ? Seine Volkseinheit ist bis jetzt mehr mechanisch als organisch gewesen; denn nicht von jeder der acht Provinzen kann mit Gewißheit ausge- sagt werden, daß sie, — durch außerordentliche Ereignisse vom Ganzen getrennt — sich als ein von seinem Koͤrper losgerissenes Glied empfinden wuͤrde; eine solche Gliederung giebt es bei uns von Saarlouis bis Memel nicht. Jede einseitige Ausbildung der Provinzial-Verfassung ohne Reichsstaͤnde waͤre daher eine Gefahr fuͤr die Zukunft; statt eines organisch gegliederten Staates wuͤrden wir nach wie vor ein Aggregat von Provinzen ausmachen, deren jede nur ihr Sonderinteresse im Auge haͤtte; an un- serm theuern Vaterlande wuͤrde sich im Kleinen wieder- holen, was wir im Großen an Deutschland erfahren. Untergang der Einheit, mit ihr Verlust der buͤrgerlichen Freiheit und auslaͤndische Unterjochung. — — Wir fuͤr unser Theil kennen nur Eine ersprießliche und volksthuͤm- liche Entwickelung der zeitigen Provinzialstaͤnde, — die durch Koͤnigswort und Gesez verbuͤrgte Ent- wickelung zu Reichsständen. — — Die Unbestimmtheit des koͤniglichen Bescheides mußte nothwendig mehrfache Deutung veranlassen: einige fanden darin eine abweisende „Berichtigung der in der staͤndischen Denkschrift ausgesprochenen Ansichten; die meisten aber, die geist- und gemuͤthvollen Worte des Koͤnigs fuͤr eine — nur noch nicht deutlich ausgedruͤckte Gewaͤhrung hal- tend, gaben sich einem patriotischen Enthusiasmus hin, wie er, „in der Geschichte unserer Landtage nicht nachzuweisen ist.“ Dadurch wurde die erlaͤuternde Cabinets - Ordre vom 4. October 1840 erforderlich. In Folge eines Berichtes des Ministers v. Rochow erklaͤrt sich darin der Koͤnig gegen die Mißdeutung, welche seinen schriftli- chen und muͤndlichen Aeußerungen eine „Zustimmung zu dem in der Denkschrift enthaltenen Antrage auf Entwik- kelung der Landesverfassung im Sinne der Verord- nung vom 22. Mai 1815 “ unterlaͤge. — Friedrich Wilhelm IV. ehrt das freie Wort und achtet auch die ihm entgegenstehende Ansicht, wenn sie in bescheidener Weise sich kund giebt. Unumwunden gestehen wir daher, daß die an den Minister v. Rochow gerichtete Cab.- Ordre an vielen Orten den traurigsten Eindruck machte, jenen vorgreifenden Enthusiasmus daͤmpfte und manche schoͤne buͤrgerliche Hoffnung zerstoͤrte. Ist nun aber — und diese Frage muß uns hier be- sonders interessiren — ist durch den Landtagsabschied und durch den berichtigenden Commentar v. 4. October. 1840. Das Edict v. 22. Mai 1815 aufgehoben, oder besteht es nach wie vor in seiner vollen gesezlichen Geltung? 1. Es ist schon dargethan worden, daß das ge- nannte Edict nicht vereinzelt dastehe, vielmehr inden mit dem Staate vorgenommenen Veraͤnderungen wurzelnd sich mit vielfachen Zweigen in die ganze nachfolgende Gesezgebung verbreite. Nicht ohne Zerstoͤrung dieser Wurzeln und Zweige koͤnnte es aufgehoben werden, wenn anders nicht eine Rechtsungewißheit, wie bereits ein an- derer deutscher Staat sie beklagt, entstehen soll. Um schon mehrmals Gesagtes nicht von neuem zu wiederholen, gedenken wir hier nur des Staatsschulden-Edicts vom 17. Januar 1820, in welchem die Staatsschuld und alle kuͤnftigen Anleihen unter „ Garantie der Reichs- staͤnde “ gestellt werden. Wie sollte zur Zeit gemeinsa- mer Noth der Staat, so lange er der Reichsstaͤnde ent- behrt, ohne Umgehung des Gesezes eine neue Anleihe machen? Wahrlich! Die Staatsglaͤubiger wuͤrden, braͤche fruͤh oder spaͤt ein Krieg aus, dessen Chancen doch nicht zu bestimmen sind, durch das Edict v. 17. Januar eine noch geringere Garantie haben, als in den Jahren 180 \frac{6}{7} an den in der Berliner Bank deponirten Wittwen- und Waisengeldern. — 2. Was aber bei Entscheidung der Frage noch von groͤßerm Gewicht ist, auch an der erforderlichen Rechts- form wuͤrde es einer derartigen Aufhebung des Gesezes v. 22. Mai 1815 gebrechen. „Alle Menschen,“ — sagt Justus Moͤser der rechts- eifrige advocatus patriae , — „alle Menschen koͤnnen irren, der Koͤnig wie der Philosoph, und letztere vielleicht am ersten, da sie beide zu hoch stehen und von der Menge der Sachen, die vor ihren Augen schweben, keine einzige vollkommen ruhig und genau betrachten koͤnnen. Dieser- wegen haben es sich alle Nationen zur Grundfeste ih- rer Freiheit und ihres Eigenthums gemacht, daß dasje- nige was ein Mensch fuͤr Recht oder Wahrheit erkennt, „nie eher als Recht gelten solle, bevor es nicht das Siegel der Form erhalten“. — Nun bestimmt aber das allgemeine preuß . Landrecht Einleitung. §. 59. Geseze behalten so lange ihre Kraft, bis sie von dem Gesezgeber ausdruͤcklich wird aufgehoben werden. §. 60. So wenig durch Gewohnheiten, Meinungen der Rechtslehrer oder durch die in einzelnen Faͤllen er- gangenen Verordnungen neue Geseze eingefuͤhrt werden koͤnnen, ebensowenig koͤnnen schon vorhandene Geseze auf dergl. Art wieder aufgehoben werden. §. 61. Statuten und Provinzialgeseze werden durch neuere allgemeine Geseze nicht aufgehoben, wenn nicht in letzteren die Aufhebung der ersteren deutlich verordnet ist. — Da diese zur Aufhebung eines Gesezes erforderlichen Be- dingungen — das Siegel der Rechtsform — dem Land- tagsabschiede, wie der Cab. Ordre v. 4. October abge- hen; so folgt daraus, daß der Koͤnig dadurch keineswegs das Edict v. 22. Mai 1815 zuruͤckzunehmen gewillt war. Es besteht dasselbe nach wie vor in seiner vollen gesetzlichen Kraft und die Befugniß, ja die Pflicht der Staͤnde, auf die Vollziehung desselben zu beharren, ist außer Zweifel gestellt. Die vierte Frage erledigt sich dadurch von selbst. — IV. Was bleibt der Ständeversammlung zu thun übrig? Das, was sie bisher als Gunst erbeten, nunmehr als erwiesenes Recht in Anspruch zu nehmen. — Der Stamm, welcher Erbe hat an dem Hause Jsais, hat zuerst gesprochen, — und nicht werden die uͤbrigen sich zu ihren Huͤtten heben. — Koͤnigsberg , am Kroͤnungstage 1841.